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ZEITSCHRIFT
FÜR
DEUTSCHE PHILOLOGIE
BEGRÜNDET von JULIUS ZACHER
HERAUSGEGEBEN
VON
HUGO GERING
ACHTUNDZWANZIGSTER BAND
HALLE A. S.
VERLAQ DER BÜCHHAUDLÜITO DES 'WAIBENHA.T7BE8.
1896.
UBRARY OF THE
LELAND STANFORD JR. UmER8ITf.
a. 'b(t,J((,T
INHALT.
Seite
Zum Heliand. Von F. Holthausen 1
Zwei bruchstüche ans der Christberre-weltchronik. Von R. M. Werner . . 2
Mitteilongen ans dentschen handschriften der grossborzoglichen hofbibliothek zn
Darms^t. Von A. Scbmidt 17
Zn Reinke de vos. Von R. Sprenger 32
Mitteilungen aus mbd. bandscbriften. Von F. W. E. Roth 33
Das chronologische Verhältnis von Strickers Daniel und Karl. Von A. Leitzmann 43
ZuT textkritik von Hartmanns Gregorius. Von 0. Erdmann 47
Beiträge zur erklärung Wolframs. Von J. St o seh 50
'^Ihr Ausgang von Goethes Tasso. Von H. Düntzer . . • 56
Zn den Sinder- und hausmärchen der gebrüder Grimm. Von R. Sprenger . 71
Zu Johann Rasser. Von J. Bolte 72
Zur altsächsischen Genesis. Von B. Symons 145
Der Fenriswolf. Eine mythologische Untersuchung. Von E. Wilken . . 15G. 2i>7
Zum Frauendienst Ulrichs von lichtenstoin. Von A. E. Schöubach .... 198
Zum Goethetext. Von A. Schöne . 226
Die göttin Nerthus und der gott NiQr{»r. Von Axel Kock 289
Zu dem von Büwenberc. Von F. Bech 295
Zur erklärung von Goethes Faust. Von R. Sprenger 349
Zur Vorgeschichte des Münchener Heliandtextes. Von H. Klingbardt. . . 433
Zu Mai und Beaflor. Von R. Sprenger und F. Schultz 437
Aiigos Blumen der tugend. Von Fr. Vogt 448
- Goethes bruchstück „Die Geheimnisse'*. Von H. Düntzer 482
Gedichte und briefe von E. M. Arndt an eine froundio. Von A. Schmidt . . 509
Zur frage nach der ausgleichung des silbengewichts. Von E. Bohnenberg er 515
Beiträge zur westgermanischen wortkunde. Von E. Wad stein 525
Nekrologe.
Rudolf Hildebrand. Von E. Wolf f 73
Oskar Erdmann. Von H. Gering 228
Traugott Ferdinand Scholl. Von H. Fischer 430
Miscellen.
Zur altsächsischen bibeldichtung. Von Th. Siebs 138
Zur alliterierenden doppelconsonanz im Heliand. Von R. Meyer 142
Erklärung. Von H. Gering 285
Artisen und arthave. Von H. Haupt und E. Schröder 421
Germanistische Studien in den Vereinigten Staaten von Amerika. Von H. Schmidt -
Wartenberg 425
Der name der Loreley. Von R. Sprenger 427
^ Zu Goethes Iphigenie. Von demselben 428
Zum Schretel und wasserbär. Von demselben 429
Lanjgez här — kurzer muot. Von J. Stosch 429
Bericht über die Verhandlungen der germanistischen section auf der philologen-
Versammlung zu Köln 530
Personalien und stoifgeschichtliches zu G. A. Bürger. Von L. Fränkel. . . 551
Materialien zur begriftsentwicklung von nhd. „fräulein'*. Von demselben. . 561
Berg und vöglem. Von A. Hartmann 563
Zu Parzival 826, 29. Von A. Wallner 565
Berichtigung. Von Fr. Vogt 566
An die mitarbeiter und leser der Zeitschrift Von H. Gering 566
Litteratur.
Zimmer, Nennius vindicatus; von R. Thurneysen 80
Kühnemann, Herders persönlichkeit in seiner Weltanschauung; von H.Meyer 113
Buege, Bidrag til den seldste skaldedigtnings historie; von H. Gering . . . 121
Wolfskehl, Germanische werbungssagen; von E. Mogk 127
Kahle, Die spräche der skalden; von 0. Jiriczek 128
Moarek, EinÜuss des hauptsatzes auf den modus des ncbonsatzcs im gotischen;
von E. Bernhardt 130
IV INHALT
Seite
Neuere Schriften zur runenkuude (Wimin er, Sonderjyliands historiske runemin-
dcsmiorker; Wimmer, De tyakc ninemindesmaprkeV; Bugge, Norges inskrif-
ler med de »Idre runer); von H. Gering 23G
Meyer, Germanische mythologie; von Fr. Kauffmann 245
Minor, Neuhochdeutsche metrik; von H. Wunderlich 248
Hench, Der althochdeutsche Isidor; von demselben 254
Kraus, Deutsche godichte des 12. Jahrhunderts; von demselben 256
Valentin, New high german; von 0. £rdmann 259
Schröder, Zwei altdeutsche rittermären; von A. Leitzmann 260
llülz. Zum Rosengarten und Derselbe, Die gedichte vom Rosengarten zu Worms;
von demselben 261
Fränkel, Shakespeare imd das tagelied; von G. Sarrazin 263
Hoff mann. Der einfluss des reims auf die spräche Wolframs von Eschenbach;
von 0. Erdmaun 267
Bolle, Xystus Betulius Susanoa; von II. Holstein 269
Hartfelder, Philipp Melanchthon Declamationes; von demselben .... 270
Oriesobach, G. A. Bürgers werke; von 0. Erdmann 271
Hermann, Albrecht von Eyb; von E. Matthias 273
Ellingor, E. T. A. Hoffmann; von C. Heine 280
Höber, Eichendorffs jugenddichtungon; von A. B red fei dt 282
Schreiber, Die vagantenstrophe der mittellat. dichtung; von J. Schmedes 284
"> Goethes werke (Weimar, ausgäbe); von H. Düntzer 354
Bromer, Deutsche phonetik; von H. Pipping 375
Seiler, Die entwicklung der deutschen kultur im Spiegel des lehnworts; von
G. ßinz 377
Cook, A glossary of the Old north umbrian gospels; von demselben . . . 378
Aus fei d, Zur kritik des griechischen Alexanderromans; von H. Becker . . 379
Sichert, Tannhäuser; von J. Wahuer 382
Bolte, Die schöne Magelone* übers, von Veit Warbeck; von A. Hauffen. . 390
Schnorr von Carolsfeld, Erasmus Alberus; von E. Matthias 392
Ordbok öfver Svenske spräket udg. af Svenska akademieu; von H. Gering . . 394
Schwartz, Esther im deutschon und neulat. drama; von P. Bah Im an n . . 39S
Birket Smith, Niclaus Manuels satire von den syge Messe; von J. Bolte . 399
Wolkan, Das deutsche kirchenlied der böhmischen biiider; von demselben . 401
Bolte, Die Singspiele der englischen komödianten; von G. Ellinger. . . . 402
Gerhard, Peter de Memols Lustige gesellschaft; von demselben 403
Wolff, Gottscheds Stellung im deutschen bildungsieben; von A. Leitzmann . 404
Schönbach, Über Hartmann von Aue; von demselben 405
Altenkrügor, Fr. Nicolais Jugendschriften; von G. Witkowski 407
Ellinger, Fr. Nicolais briefe über den itzigen zustand der schönen Wissenschaf-
ten; von demselben 407
^Knauth, Von Goethes spräche imd stil im alter, von E. Bruhn 409
•Wolff, Goethes lel)en und werke; von A. Leitzmann 413
Meyer, Goethe; von demselben 415
Poppenberg, Zacharias Werner; von F. Ahlgrimm 417
Farinelli, Grillparzor und Lope de Vega; von J. Schmedes 419
Schröter und Thiele, liossings Hamburg, dramaturgie; von A. Leitzmann . 420
Tardel, Untersuchungen zur mhd. spielmannspoesie; von F. Ahlgrimm . . 535
Sattler, Die religiösen anschauungen Wolframs v. Eschenbach ; von G. Bötticher 537
Bohnenberger, Zur geschichte der Schwab, mundart; von Fr. Kauffmann . 540
Bromer, Deutsche phonetik und Mentz, Bibliographie der deutschen mundart-
forschung; von demselben . 543
Kock und af Petersens, Östnordiska och latinska medeltidsordsprak ; von
0. Jiriczek 545
Schultheiss, Geschichte des deutschen nationalgefuhls von H. Wunderlich 550
Nachrichten 1^- 288. 432 568.
Neue erschoinungcn 143. 286. 431. 567
Register von E. Matthias 569
ZUM HELIAND.
V. 2481 fgg. eTidi tke uitard godes
nähor fnikilu nahtes endi dages,
anttat sie ina brengead,
schreibt Behaghel mit M, während G das gewöhnliche dages endi 'nah-
tes aufweist Das erste verstösst gegen die regeln der metrik, das
andere zeigt unregelmässige alliteration (vgl. Beitr. XII, 349). Ich
glaube, dass keine der beiden handschriften hier das richtige bewahrt
hat, sondern die zweite vershälfte von 2482 eine blosse widerholung
von V. 2480 a: dages eiidi nahtes ist Wenn wir die verse betrachten,
in denen nähor gebraucht wird, so finden wir es häufig mit niud
gebunden, vgl. v. 182: nähor mildlu : uuas im niud mikil, v. 1448:
that man is näkiston niutlico scal, v. 2468: suiäo niudltco endi nähor
siidy V. 4971: nähor niähxiata endi ijia niiidlfco, v. 5204: nähor gan-
gan endi ina nitddltco, v. 5825: nähor mikilu — ik unet that is tu
ist niud sehan. Versuchen wir hiernach eine ergänzung der lücke,
die zugleich zum folgenden passt, so liegt wol am nächsten, nach
V. 182b is im niud mikil als die ursprüngliche lesart anzusehn. Der
gleiche schluss beider halbzeilen erklärt auch genügend die auslassung
der zweiten. — Bemerkenswert ist übrigens der plötzliche Wechsel im
numerus!
V. 4290 fg. an tJienne middilgard, mankunnie
te adelienne, dödun endi quikun?
So Behaghel mit C gegen das addmienne von M. Dass keins von bei-
den hier passt, bemerkt richtig Kauffmann Beitr. XII, 348 fg. Er nimmt
eine lücke an „in der Orist gestanden haben mag, worauf frd min
ihe gödo [4292a] hinweist; dann ist quikun endi dödun zu lesen, wie
durchweg üblich ist** Da Oiist allein nicht in der lücke gestanden
haben kann, ergänze ich nach v. 3139: Krist alouualdo als ersten halb-
vers zu quikun endi dödun als zweitem; zwischen vers 4290 und dem
80 hergestellten 4291 mag gestanden haben:
ddmos te adilienne an tJiemo dage selbo,
ZDTSCHBIFT F. DET7TS0HE PHU^OLOQU. BD. XZVm. 1
HOLTHAÜSKN, ZUM HELIAKD
Vgl. V. 5255: ddmos adeJdi. He uuas ök an themu dage selbo. Für
die Verbindung d^mos adelian mit dativ der person vgl. v. 3315 fg.:
irminthioduii || ddmos adelten, und ohne einen solchen (ausser dem
angeführten v. 5255) v. 5419: huö thiu thiod habda ditomos adelid. —
Ich würde schliesslich noch als stilgerechtere Interpunktion das frage-
zeichen erst nach gödo in v. 4292 setzen und das ganze also folgen-
dermassen schreiben:
mankunnie
[donios] te adelienne [an themo dage seWo,
Krist aloutmldoj quikun endi dodun,
fr 6 mtn the gödo?
Yon der ursprünglichen lesart dömos te adelienne hat M sowol wie C
etwas bewahrt!
V. 5738 gumon ne bigruöbun. Thar sia that godes bam
schreibt Behaghel mit Sievers gegen bam godes der handschrift. Kauflf-
mann weist a. a. o. darauf hin, dass dies dem rhythmus nicht genüge.
Durch einsetzung des gleichbedeutenden und öfters überlieferten thena
godes suno (vgl. Sievers, Heliand s. 402, 20 fgg.) — im acc. wegen des
bifulhun in v. 5740 — wird die halbzeile korrekt.
GÖTEBORG, 7. NOV. 1894. F. HOLTHAUSEN.
ZWEI BEUCHSTÜCKE AUS DER CHEISTHEKEE-
WELTCHEONIK.
Das Salzburger gemeindearchiv besitzt eine grosse reihe von ,spi-
tall-raittungen', die in fragmente von pergamenthandschriften gebunden
sind. Nur die beiden bände nr. 13 und 14 aus den jähren 1590 und
1591 zeigten reste eines deutschen textes. Mit erlaubnis und freund-
licher hilfe des herrn direktors L. Pezolt habe ich während der oster-
ferien des Jahres 1890 von diesen bänden zwei doppelblätter abgelöst,
die einer und derselben läge einer mit schöngezierten initialen aus-
gestatteten foliohandschrift der Christherrechronik aus dem 14. Jahr-
hundert entstammen. Die handschrift war etwa 35 cm x 26,5 cm gross,
denn ausser den ecken dürfte kaum viel durch den buchbinder abge-
schnitten worden sein. Für die zwei spalten und die Zeilen sind linien
vorgezeichnet; die anfangsbuchstaben der ungeraden verse sind heraus-
gerückt und ebenso wie die mehrzahl der eigennamen rot durchstrichen.
Die Überschriften der kapitel und der blätter selbst sind rot, die ini-
WERNER, BRUCUSTÜCKE DER 0HRI8THERRE - CHRONIK 3
tialen abwechselnd rot und blau; auf jeder spalte stehen 50 zeilen mit
den abgesetzten versen. Das äussere doppelblatt diente der spitall-
raittung von 1591, das innere jener von 1590 als einbanddecke; auf
dem ersten steht der schluss des buches Genesis und der beginn des
buches Exodus, welchem das andere blatt ganz angehört.
Der dialekt unseres fragmentes ist, wie sich auf den ersten blick
zeigt, der bairisch- österreichische mit ei < t, ai <. ei, o <c a, au < ü
und ou usw. Hervorgehoben seien die formen: weleiben für beltben
(v. 51) und diem (v. 623).
Ein teil des in diesen fragmenten enthaltenen textes geht mit dem
von Zupitza Ztschr. f. d. a. 18, 105 fgg. veröffentlichten Wiener bruch-
stücke suppl. 2715 parallel, wozu in den anmerkungen die fassung der
Wiener handschrift 2690 citiert wird. Bei Schütze, Die historischen
bücher ist dieser teil der Weltchronik nicht abgedruckt Ich gebe in
den noten die wichtigeren abweichungen und ergänzungen nach W (der
Wiener hdschr. 2809 bl. 95** fgg), um so den vergleich zwischen dem
werke Rudolfe von Ems und der Christherrechronik zu ermöglichen.
Damit wird der abdruck eines an versteckter, schwer zugänglicher stelle
erhaltenen bruchstücks aus dem leider noch immer ungedruckten werke
vielleicht etwas mehr berechtigung gewinnen.
Herrn direkter L. Pezolt sage ich hiermit auch noch öffentlich
dank für seine liebenswürdige erlaubnis zur benutzung der handschrift
LEHBERO. RICHARD MARIA WERNER.
Erstes doppelblatt. I*.
.fts.
Waz si nu heten e. getan
si trägen zweifeleichen wan
Von sorgleichen Sachen doch
si verebten daz er gedächt
noch
5 Dar an waz si im taten e.
die zweifelz vorcht tet in we.
Ynd giengen einez tagez hin
Vnd vielen wainud f5r in
Vnd sprachen prüder herr
10 swaz Dir gen fnz werr
Daz la durch die genad dein
gen f nz genidikleichen sein
Wir haben vil fbel an dir
getan
Daz solt du herr varn lan.
Vor V, 1 steht in W: do diz zil ein ende nam Vnd Joseph wider kom Haim
in Egippen lannt Die prüder wurden ermant Was si im heten getan — 3 Sachen]
förchten — Nctch v. 14 folgt in W noch: Wann vnser vater zu vns sprach Den-
noch do man in lehn sach Das wir dich peten das du Gen vns die suld liessest nu
Das tu durch vns vnd durch in Lass den zorn vnd leg in hin So das dem werde
hidde Vergess gen vns der sulde Gegen vns als ein pr&der sol Tust du gen vnserm
Tbel wol So wirt das lob die ere dein So wir gegen dir in sulde sein
1*
15 TOseph der gotez erweit man
^ mit in wainen do begmn
Er sprach lieben prilder mein
lai g&a mir den iweifel sein
Vnd f&n^ht ew rmb die geschiht
20 Vnd rmb die schuld nimmer
nicht
Vnder fni ist lieplddi erchom
aller mfireomtleicher zom
Dat ist gut Tnd pr6derlidi
Der red friwten si sich
25 Daz er sie abo wol m:^
md ran den rorchten last
Da ron si zweifelhaft warn
Joseph her in seinen iam
Geiebc md in sräier seit
30 Daz er saetner chind chinder
seit
Pis an daz vier! ch&nn ans^th
Der aller Tiiutb ü^escfaah
Xh der fepnid an Ef&ajm
Der cepc^rn waz toq im
35 Vanassies be« eüxn s^sn hkiz Ha-
Air
Da die £«sc^rii^ alsic* liani mir
Dar rewas m-dA w^Toer chind
Dar xmciL sieh Jai)e7d>€ffi zil
liL sifir mn iar i^abei: Kecan
4^ Dr^ srrar^ oinr raiL rü: man
9etL
ecc tc: ew ii:cä. di* irB&ac
Also daz ir wen gesant
Von im in daz gehaizzen lant
45 Daz er hat fns»m cfafinn ercfaom
md ze geben fnz geswom
Xn wil ich ew piten daz ir
Daz lobt Tnd auch swen mir
Mit trewen all gemain
50 Daz ir mein gepain
[Spalte 2] Lat hie weleiben nicht
so got ew fikg die geschieht
Vnd die silikleichen zeit
Daz ir ti« hinnen seit
55 Vnd säst ez auch ewm cfainden
Daz si sein nicfa: erfinden
Si behalten dar an ewm ait
dez aidez warn si d-:* beraiL
Vnd swnm im daz sä ez rkaai
60 vnd ez tu irera ssa: hax. [sie]
er gepetec b^t sae
Dar nach stcÜer do daz rrpe
be^rand säticben md ssaib
in oer ueit de- er verdarb
65 Dv« WM er hxmdrri iar ah
TXid rwaiiiEik. cj* iiL ^am
rsidiiöÄ r^jÄi5>*aL: wan
Xaci hcKhtz wta?fciafff wirdüeii
T{« ward fs- iü EctMJ- eftkäi
De- ri: ifr iriE ax di* sxsx
I>a2 dif Iiciü>eh$i:ü>f>a: d»
maÄüT — ib i«*n or ."io»bf — .^ mi; iar ieut TT — 4. a* üto." rpUt; V
luimaL ianiL sßi: — Tc- ah nr ~ 5$* ül initt IT — Bi- bf^iu — fc.
74 ToL xkamsmihBL Lamiat schiei
BRUCHSTÜCKE D1ER CHBISTHERRB - CHRONIK
75 Do vol färten si den ait
sein gepain ward in Ebron
gelait
Die andern sein prflder gar
Die wurden auch geffirt dar
Vnd in Ebron begraben seit
80 Alz vnz die geschrift vrchunt
geit
Tnd alz ich noch sagen wil
so ich chfim an daz zil.
nie hört nu wax pey der zeit
haidenischer chunig wax und
wax sie begierigen: —
"Hey der zeit do ditz waz alsus
ein chflnig hiez Amiricus
85 Der trüg do in Assiria
dez landez die zwelft chron
alda
Argus den ich da vor nant.
in der Argiven laut
Der lebt noch in seiner chraft
90 mit chflnikleicher herschaft.
Vnd in der selben zeit
waz in dem land ze Creit
Ein chänik Citropes genant
vnd het vnder im daz laut
95 Mit chänigez gewalt der
wolt also daz Jupiter
w&r der Allmichtig got
er macht im durch dez tew-
fels spot
Erstes doppelblatt. I^.
.lib*. EoDo.
Einen alter hartt reich
100 vnd opfert im herleich
Er waz der erst der im slüg
vich. vnd im ez zeopfer trüg
In den zeiten alz man do got
opfert nach gotez pot
105 Auch waz in den zeiten do
der listreich AppoUo
Der half mit ertznei vil
läwten an demselben zil
Der selb ze sun seit gewan
110 auch einen chunstreichen
man
Der hiez der weiz Ascolopus
ein artzt maister hiez er alsus :
115
Hie ist nu Moises puch dax
erst aux.
Dax Genesis ist genant nu
hebt sich
An dax ander, dax ist Exodus
genant ode*
dax püch de* IsrahelischB
chindauxgank:
Tf it gotez Weisung
hat ew nu hie mel züg
beschaiden vnd auch berich
gesait vü getichtet [tet
Daz erst pflch vö Moise
Daz er schraib vö de* alte. e.
Daz ist Genesis genant
80 — 82 Statt dieser verse hai W: Igleich nach seiner zeit — Die Überschrift
nach V. 82 fehlt W. — 86 Lanndes chron die zwelifte da Also das er als ich das las
Des Lanndes zwölfter chunig waz — 91 denselben zeiten — 92 ze chriehen —
93 Ceorpes — 94 het er im dasselb — 95 chunnige gewaldes — 101 in — 102 Vie —
im sein opher — 105 Nu was auch — 111 Aselopius — Die Überschrift iiach v, 112
hat einen anderen wortlatU in W. — 115 betichtet — 116 berichtet
6
WEBNEB
120 vnd han ew gemacht erchant
Die drei werlt wie die zergien-
gen
ynd von erst an viengen
Die erst waz alz ich sprach .e.
von Adam piz an Noe.
125 Vnd von Noe an Abrahamen
Wie dievon erstvrhab namen
Vnd von Abraham piz her
Nu pis meiner sinn wer
Vnd meinez lebenz herr Christ
130 seit- du ein angeng pist
Vnd ein end aller Weisheit
Allew Weisheit von dir treit
Vrhab chunst vnd end
Aller chunst weishait eilend
135 Ist nicht an dem trinitat
Die Allew dink bestricket hat.
Der witz vrhab der vater geit
Die weishait an dem sun leit
Von der die chunst hat voUaist
140 so erfüllt der heilig gaist
Die fruch mit Deiner gut
Der chunst da mit ir blAnt
An dem vater vnd an dem sun
blünt
Die an menschleichen witzen
grünt
145 TTerr got nu wil ich
in den drein namen piten
dich
Daz du gerüchest meinen sin
wan ich nicht wol beweiset
pin
Also hochew red ze tichten
150 vnd so reichew mir zebe-
richten
Alz ich mich han an genomen
Wan daz ichs mit dir ze end
chomen
Müz nach den genaden dein
nu nim dich an die sinn mein
155 So daz du sinnikleichen mir
gehst die sinn von dir
Daz ich die mär also gesag
Daz si deinen hulden behag.
Wie dein göüeich gepot
160 himlischer cheiser vnd got
Begieng, hocher wunder vil
Pey dez rainen mannez zil
Mit dem ich wil heben an
Daz ist Moises dein dienst
man
165 Dem du vil manigew stund
von mund ze mund
Deinez gewaltez willn chür
nach Deinem willen legatzt
für
Vnd wie dein chraft ie dem-
diet.
170 in allen nßten wol beriet
Alz er selber die warheit
von deinen genaden hat ge-
seit
Dez wil ich auer beginnen hie
ze tichten. nu hört wie.
175 T ang nach den zeiten seit
"^ ich main nach Josephen zeit
Do der gestarb vnd wart geleit
alz ich ew hie vor seit
121 Dew werlt — zergienkch — 122 anefienkch — 131 angeng] anefenge —
133 chunst wicz vnd — 135 dem] deiner — 141 Deiner] seiner — 142 Die chunst
die mit der plüde — 143 blüt — 144 Gen menschleihn — grüt — 148 beweiset]
versinnet — 156 Besinnet werden von Dir — 161 Beginnet — 168 willen leitest
für — 169 chraft yedem diet — 177 starb vnd gelait
BRUCHSTÜCKE DER 0HRI8THERRE - CHRONIK
Ez waz vnd wuchs ein chunick
aldo
180 mit chreften in Egipto
Der do dez landez chron
trüg nach dem chönig Pha-
raon
Vnder dem der gotez weigant
Joseph bericht Egipten lant
185 Nach ienem an der achten zal
Der land chfinig f her al
Alz die warheit fnz tut gewis
Der waz genant Amolophis
Sein zu nam waz auch Pharao
190 Also hiezzen dez landez chfi-
nig do
Swie si auch hiezzen Da.
Der selb chfinig waz an-
derswa
Mit haus also iehent die m&r
dann Josephs herr w&r
220
Zweites doppelblatt.
Z>M5.
195 Vnd hie von Egipten lant. 215
in einem newen sit erchant
Wan der chfinig erchant nicht.
Der hochen tat, die hochen
geschieht.
Die Joseph dem land pot
200 mit rat in dez hungerz not.
Vnd vergaz der gfitat also gar
Daz er ii- nam chainen war
Vnd niemant in dem land
an Josephs chfinn erchand
205 Wie er daz land von chumber
schiet
in hungerz not vnd si beriet.
In notflrftiger weiz
choms vnd auch speis.
Wan ez waz aldo f&r war
210 vergangen hundert iar
Vnd sechs iar mit not
Pis auf den chfinik vö Jo-
sephe tot
Da von si. der gfitat do
heten vergezzen hie also.
I'.
T\er chfinig waz dem chfinn
gram
vnd daz lant volk alsam
Si hazzten si ze aller zeit
Durch den has vnd durch
den neit.
Si has gen im gewunnen
da von daz si sich paz ver-
sunnen
Vnd witziger warn dann sie
vnd daz ez in paz zehanden
gie
Nach wunschleicher 1er
mit Süden gftt vnd er
225 Vnd an gesläcez edelkait
Ditz waz den lant liwten leit
Vnd heten ez für vngemach
Der chfinig do zu den sei-
nen sprach
Ditz fremd le'wt gewachsen ist.
vnd wichst ser ze aller frist
Vnd beleibt ez also die long
Daz ez f nz eben streng
230
184 richtt das lannt — 188 Apolophis — 198 die grossen geschieht — 200
der hungers not — 209—314 fehlen W — 217 Die horten sie — 220—221 Daz
si was versunnen An witze warn danne Sie
s
235
240
245
Will Tnd sterker dann wir sein
so tiknt si fnz rngenaden
sdiein
Wir! Tni ein not an gent
Tnd Trlewir bestent
So cbemt si ra der veint her
Tnd hetfient in. in s^iradei-
eher wer
Daz si mit in an fnz eesisent
Alz si fnz dann ob geli^nL
So hennbent si daz iant
Tnd Tarnt hin frei zehanL
Xa ratt wie wir daz bewam
Tnd ez w«sJekfc Tnder Tara
Wir sjukn an si iesen mit
chlük^t
mit dieftst s)t> tu arii^Ät
IXaz an in al:<ew chnä zer^
ßu ir firtttz weri nicfa: r;^
Menschleidiez samen azt
Daz lewtt do ser gearbaitt
265
270
250
m
L-S.
Ir ras jygr^^afr'^Acfl du riec
Mi: artei: sii» crÄcir
V»c in ^ =11
255
Aiso iai T*?T s«2f*a w^i^
■r>f ü SL wir: fzL*zt:
275
"^^i
Si mAsten pawen daz Iant
erd tzaeen Tnd aoch sant
Zieeel prennen Tnd aoch cfaalk
als ein eechaoft aicen schalk.
Arhaiten si nacht Tnd tag
ein matter der ir pflag
Schuf nuin der sesielkcfaaSt zn
iedeicher sm Tnd frä
Tnd mdst «iaz ir ainer wesen
f ber den ward aoz seksen
Ein iantman der sein pflag.
Tnd zie alkc zedUEc ob in lae.
Tnd in ndt si?««i riar jn iwang
ob ir ri in da:>±: nr jang
Tsi Eii: slr^ffscL iir rü
IViz si a£
tttllTÄ EL-iSOSE A:1 IZi
M^*
Ä:Lr^r»^ nr: - rtlär 2»
f£i SCC C:>f ÜfS PilT.CL
Tr>£ R&sas3>Hr ii^f lAi'r«: s
i?* ttä wxTÄfc: w:l
Mi: w«rl»rörb*r jiw: wtt
Zi* w«r iffli jü: i: !jipfii
T2>i ÄfiS XÜL lüZrl 5: TSJ
Tili -*:*^ n SU* r^a.'iL
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13^ -Tit -^'damems: jsiar aarmiw
masL — ir~ — i5*I ^ac3L w hl
imSC TWTXaBBL ^311 JBL — 2ä(L
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— i5if "^i»t Timm* äurviftua Ttfew —
tu n&vm -- i!H OK jt
BRÜCHSTÜCKE DER CHRIBTHERRE - CHRONIK
9
Zweites doppelblatt.
Exo,
295 Veintleich niemant mocht cho-
men
Waz in dem land wart ge-
men
Zinsez do. den hiez vll gar
Dez landez chänig fäm dar
Die wurden do mit reicheit
300 Aldo ze samen geleit
Daz si der chfinik seid
Da vinden swenn er wold
In not ze chainen stunden
Die stet da begunden
305 8er reichen von der arbait
Die daz Israhelisch chfinn da
lait
Wan si dar dienten ser
noch mästen si mer
Leiden arbaiüeichew not
310 ze vegen man in gepot
Der stet weg pey den tagen
vnd daz hör von dannen
tragen.
"Her dritten not ward in ge-
^ dacht
daz si wurden für pracht
315 Mit pein an lebleicher chraft
man gepot all derch&nnschaft.
Daz si sunder lonez gelt
vor den steten hin daz velt.
Durch grflben an allen seiten
320 mit tieffen graben weiten
So die wazzer erguzzen
Daz si in die graben fluzzen
Hin dan von den vesten
swaz die lantl&wt westen
325 Zerdenken daz tet man in
won si ze verderben wont
ir sin
Also taten si in wirz dan we
so ward er iemer vnd me.
So man si ie serr druckt nider
330 so si ie serr wüchsen wider
Irward ie vil. vnd mer dann vil
si wüchsen memt allew zil
Warn si alz got gepot
mit chainer band not
335 Mochten die lanüat sie
verdiigen noch vertreibe nie
Si wüchsen dar. an im dank
Die grozz arbait waz in ze
lank.
Wan si wert daz ist war
340 an dem chfinn vier hundert
iar
T\o dem chfinig wart gesait
vnd daz beuand mit warhait
Daz ditz allez nicht veruie
sein arger will in do nicht lie.
345 Er gedacht nu wie daz döcht
daz er verderben mßcht
Die rainen Israhelisch diet
Zwain weisen weihen er do
riet
Der selben hiez Ainew Phua
350 vnd die ander Sephora
Die sölicher chunst pflagen
303 chaiaen] allen — 315 fehlt W — nach 316 steht in W: Si wem jiinkch
oder alt — 323 Vnd dann ein igleich grabe Die wasser seit wesen abe Hindan —
325 das vand — 326 Si zu verderben wann ir sin — 327 Vil vbels vnd wierses
daa ee — 333 Wurden ir mer als got — 335 lanntlewt nie — 336 nie] sie —
337 Si] fehU W — 345 fehlt W — 349 phita
10
swo die ftawen ?eijg«L
An die benuid der cfa&nik
'^!»5 Daz 9 desler öfter wim
Do die jfidiscben weip gepim
Vad alz ain son ward gepom
Daz der zfAadkX ward Teriom
E. die gepard solt geseheben
360 Vnd daz £i dann solten iefaen
Daz si den snn e. sähen tot
Da per er in mit pet g^q>ot
Daz si der sinn wielten
rnd die maidlein behielten
365 JjE^i^ent vnd rnverderbt
An dem leib rnd vnersteibt
Vnd dar rmb gehiez er in.
miet TiL rnd grozzen gewin
llTar rmb der ch&nik tat daz
370
Daz er si ie mit vorcht
entsaz
Do bet im .e. mit wariiait
adner seiner weissagen gesait
Daz daz selb chonn
375 Ein chint daz mir gewahez band
solt ak Yi^possk lant
Druckes rnd Diemiten
Daz w«:4t er do also behüten
Daz daz nimmer geschieh
SSO Xa waz die red ril spich
Tnd rerderbt >i doicfa daz
Wan er die rorcht ser entsaz
Daz er die maid behalten hiez
Vnd in ftid werdöi liez
3S5 Daz geschach durcrh den list
so si nadi reiditez alterz frist
Dar nadi zu im tagen ch6men
Daz si dann der haiden sfin
namen
Vnd sie ze weib hiten
390 rnd im mfirwillen titen
An in swie si diacht g6t
Alz ez gen ir gemder müt
Durch daz befrit er im leib
Auch west er wol daz die weib.
Zweites doppelUatt n\
• .DUB,
395 Die mom in Egiptenlant
fd w^ten mit gewaltez hant
An allen wider satzez wer
Von Hemphin piz an daz mer
Daz lant alz ez gelegen waz
400 Daz lantrolk an sich do laz
Die wer die si mochten han
mit den si wolten wider stan.
Den mom die si an riten
sichomen mit gemainen siten
405 Fär im got rnd paten
Daz er in solt raten
Wie si gen der reint her
sich beraiten wol ze wer
Do ward in daz f&r geleit
410 rnd ron irm got daz geseit
353 gepeni solden Das si die haben wolden Als si die chind solten gepem —
35(J Judinne gepem — 357 sun] degen — 358 zehant] same — 361 snn sterben
tot — 362 Darmit er in gepot — 363 sinn] Sune — 370 Die Snn er mit forchten
besaz — 388 dann die Snne nemen — 391 Ainen Sun den daucht gnt — 393 beei-
det — NcLch 394 stehen in W376 rerse, die den Sahburger fragmenien fMen. —
395 Der satx beginnt inW: In denselben zeüeu Sach man mit chreften reiten Die
mom
BRUCHSTÜCKE DIR CHRI8THERRE- CHRONIK
11
Nach irr warheit vngelogen
si selten nemen ze hertzogen
Einen Ebraischen degen
daz er irz herz solt pflege
415 Der war Moisez genant
Do gie daz lewt alzehant
Für dez chfinigez tochter hin
Vnd paten si ser vmb in
Daz si in mit in sant
420 Zehilff vnd ze wer dem land
Wan sein werleichew hant
befriden müz f nz daz lant.
Alz in ir got mit warhait
Het gechfindet vnd gesait.
425 "Tkie fraw ez ser versprach
wan si sich mit verebten
versah
Daz si in verderbten auf der
vart
mit aiden ir daz versichert
wart
Vnd mit gewissener warhait
430 Daz si im nimmer chain lait.
Noch vngemach täten
Vnd in ze herren gern hiten
Nach sein selberz 1er
Do säumt nicht mer
435 Tenn&t si lie den rainen man.
Mit den lantläwten do von
dan
Die namen in ze herren do
Do ditz geschehen waz also
Daz sie warn in seiner pfleg
440 Do lie er der wazzer umb
weg.
Vnd f&rt si nach weiser art
ein gar nachnew durchvart
Daz si den Mom für chomen
E. daz si ir chunft vernomen.
445 Vnd in dann entwichen
einen weg si strichen
Der durch ein wflst gie
in der selben wflst hie
Schedleich wflrm lagen
450 Die der strazz also pflagen
Daz niemant dar durch mocht
chome
nu het Heises genomen
Starchen die in den iam
Aldo gezemt warn
455 Mit den daz her auf der vart
befridetvonden slangenwart
VTv chom an der morn her
^ Moises mit sölher wer
Daz in vermaid ir streit
460 Vnd cherten an der selben zeit
Sunder wer mit flucht da
in dez chunigez vest von Saba
Ich main in sein haubstat
Die waz mit reicher wer besät
465 Si nant der chfinik Cambises
seit nach den zeiten Merores
Vnd waz so wol ze wer gestalt
Daz si nie mannez gewalt
Mocht an den zeiten
470 erstfirm noch erstreiten.
Dar inn lie der Morn her
sich besitzen do mit wer
Die si beten aller täglich
her auz mit chraft werten
si sich
475 So werleich das in nieman
422 ^nz] Im — 435 Termiit vnd si Hessen den man — 442 nachent duroh-
fart — 447 wfist] büchs [!] — - 448 wüst] wuchst — 453 Stockche dew in den
Jarn — 456 Befridet auf der stresse — 465 Camphises — 473 Das si paten alle
tag tegleioh
12
480
Die stat mocht gewinnen an
E. Ton gesdiicht daz geschach
Daz dez chfinigez tochter sah
Heises sch&nen leib
In begond daz iong weih
In sendez hertzen sinnen
so hertzleichen minnen
Daz si sich chortzleich^i ver-
wag
aller der firäwden der si pflag.
485 Oder er wurd ir ze man
si tr&g ins mit pet an
Wolt in dez gen ir gezemen
Daz er si ze weib wolt nemen
Dez si gert md pat
490 so wolt si im geben die stat
Also ward in chortzen tagen
Vnder in f ber ain getragen
Daz si im gab md seinem her
stat vnd Uwt sonder wer.
Zweites doppelblatt. ü'
.exo.
495 Vnd nam si do ze weib sa
waz er den lawten t&t alda
Ob er si slfig oder anderz icht
t&t daz sait die geschrift
nicht
Doch ward mir so vil erchant
500 Der mar. daz er betwang daz
lant
Do er sieh an den mom rah
die m6rinn man in nemen
sah
Ze weib alz er ir gehiez
Die im sich vfl die vest liez
505 Tarbis waz die fraw genant
Daz si im ze weib waz er-
chant
Vnd ir minn waz sein Ion
dez zflmt vil ser Aaron
Vnd Maria die swester sein
510 die tet im so vil zorns schein
Daz ez got sider an in rah
wie die räch an in geschach
Daz wirt ew her nach gesagt
do Moises da waz getagt
515 So lang er wolt in der stat
sein weib er mit im ehern pat
Von dann in Egiptenlant
Die wider redat ez zehant
Vnd wolt mit dem werden man
520 nicht ze land ehern dan
Si wolt in nicht von ir lan
er m&st alda pey ir bestan.
VTv tet der edel degen gut
alz manik man noch gern tut
525 Der mit willen allew frist
gemer pey den seinen ist
Dann in dem land anderswa.
in seinen sinen gedacht er da
Wie im der list z&m
530 daz er von dannen chäm
Mit s6lher füg daz sein weib
Der er waz lieber dann ir leib
Nicht beswört wurd
vnd sw&rez iamerz purd
483 sich churczweil bewag
489 und 490 in W umgestellt. -
Stat — 519 werden] weisen —
526 Oem pey den freonten ist —
wurde
— 485 Ee der ir wurd ze — 486 is mit poten —
- 495 Vnd er nam — 515 So lannge von der
521 Si wolt auch von dem chrieg nicht lan —
527 in eilende anderswo — 534 Nicht gesweret
BBUCH8TÜ0KB DBB CHRI8THSBBB-0HB0NIK
13
535
540
545
550
555
560
565
Den si nach im trfig
so man in sein z& gewflg
Ditz waz in seiner tracht
von chunst maniger acht
Vnd listikleicher wunder
von Astronomie chund er
Daz liez er chiesen do dar an
Der edel chunstreich man
Macht im zwai vingerlein
Zwai chlainew pild giildein
Die warn wunderleich genüg
swer daz ain pey im trüg
Der vergaz in seinem müt
swaz im ie ze gut
Oder ze lait geschach
swen man daz ander tragen
sah
Den müt sein hertz zehant geuie
swaz im waz geschehen ie.
Also daz er der geschiht
mocht vergezzen nicht
Daz vergezzen vingerlein
liez Moises der mörein
Do vergaz si sein so gai*
Daz si nam chain war
Ob si sein ie chönn gewan
Der edel rain weiz man
Chert wider haim ze hant
vnd fär gen Egiptenlant
Da er von chindhait waz erzogö
derwerd an s&lden vnbetrogen
Gen Jerssen do chert
alz in die lieb lert
Die er seinem chünn trüg
Do sah er iamerz genüg
Vnd not an seinen magen da
570 vnd in dem land anders wa
Wan si mit diensüeichen siten
manik hochew sw&r erliten
von DiensÜeicher arbeit
die si da wurden an geleit.
575 Alz ich ew vor veriah
Moises der gut sah
Daz ein Egiptisch' man do släg
vngezogenleichen genüg
Ainen seiner magen da
580 An den selben chert er. sa
Vnd slüg in zetod zehant*
vnd parg in vnder den sant
Daz man innen wurd nicht
von im der selben geschiht
585 T^rfi an dem andern tag
gie Moises nach der war-
hait sag
Zu dem werch hin do vand er
zwen Ebraisch die mit ein
ander
Chriegten. ich waiz vmb waz
590 in paiden wert er daz
Vnd straft ienen genüg
der die schuld auf im trüg
Dem waz ez zom vn vngemach
vil zorinkleichen der selb
sprach.
Erstes doppelblatt. n\
595 Wer hat dir gewalt gegeben
Daz du wild richten fnser
leben
Wez vnder windest Du dich
ich w&n du woldest slahen
mich
559 chünn] chunde — 563 von chinde was gezogen — 565 yesse — 577 ein
Uumtman do — 585 Do an dem dritten — 587 weg hin wider do — 589 Vrleu-
gen ich
14
635
640
Alz da anch ienen gestern slfigd ' 625
600 Ynd in vnder den sant grfibd
Ton hinnen einen lant man
Moses ser wundem b^an
Wer die verholn waiiiait
biet so recht im gesait 630
605 Ynd ez doch haimeleich ge-
schach
im waz laid do iener sprach |
Gen im so paldikleich daz wort
wan ez von dem ch&nig dort
Waz vil chortzleich gesait
610 Der ch&nig hiez dem degen
ynaerzait
Zehant mit suchen nach iagen
vnd wolt in haben lazzen
erslagen
Da Ton der rain weiz man
Dem chfinig von dem land j
entran.
Hie hSrt nu wo Maises hin- ', 645
chom. vfi I
icax chinder er vnd sein
prüder Aaron gewö
615 T\o nu der gotez weigant
geräumt het Egiptenlant
Do cham er alz ich gelesen han |
durch ein w&st in Madian >
Daz waz ein reichew haubtstat '
620 Die het an daz rot mer ge- '
sat I 655
Mit p&w da vor Madian
den ich auch genennt han
Wan Abraham von seiner diem
Cetura
in gepar. der pawet alda
650
Die selben stat in dem lant
Die er nach im selb nant
Alz ir sein nam wol gezam
Moises für die gegangen cham
zu einem prunnen vor der stat
Durch r6 er do nacher trat
Ynd wolt Do Die r& han
nu waz gesezzen in Madian
Ein edler Ewart do
der waz gehaizzen Jetro.
Siben tochter het Der
Die chomen do gegangen her
Nach irm sit vnd weiten
trenken als si solten
Ir vich daz waz ir sit Do
vnd do si stünden also
Pey dem prunnen do chamen
stach hirtten die namen.
Den iunkfrawen den prunnen
Den si alda gewunnen
Ynd weiten ir vich trencken e.
Ditz tet den iunkfrawen we.
Pis Moises der gät
gewaltez si behät
Ynd half in wol zerecht
hin ab slflg er die chnecht
Die chomen do zu in nie
e. die maid getrenckten hie
Tkie maid do wider cherten
mit danken si in erten
Zu dem vater waz groz ir pet
Wan er in ditz ze em tet
Daz er dem fr6mden werden
man
danckt der si die er het ge-
legt an
DU übern^hrift ror 615 fehlt W. — 619 reichew] michel — 623 Abraham
von cethora — 651 chomen damacher nie — 652 hie] ie — 657 Das die fromden
weren man — 658 Der sew er het gelegt an
BRUCHSTOCKE DER CHRI8THEBRE- CHRONIK
15
Vnd beschirmt do in Jetro
ersali
660 er danckt im. Do daz ge-
schach.
Do fSrt er in mit im hain
vnd wart Daz mit im enain
Daz im der will gezkm
Daz er seiner töchter n&m
665 Ainew die hiez Sephora
Die nam der do ze weib da
Einen son si im gewan
dem edlen gotes dienstman
Der wart Qerson genant
670 dar nach auer seit zehant
Gewan si seinez hertzen ger
einen sun der hiez Eliezer
Gotez hilflf bed&wtt der nam
g&tleich vnd an allew schäm
675 Lie im sein sweher Jetro
gewalt f ber alz sein vich Do
N'
Daz waz die gröst reichait
die do iemant waz berait
Wan hin vnd her warn die lant
680 in gantzem p&w nicht erchant
Da von waz vich die reichest
hab
do sich betrag iemant ab.
v han ich ew vor chunt ge-
tan
Daz Jacobs sun Leuy gewon
685 Gersson Caaht vnd Merary
die selben prüder dry.
Mit irm gesl&cht geparn
Die Leuiten in den iam
Chaat der Leuy sun waz
690 der gewon alz ich ew vor laz
Amram vnd ysuar
Der selb ysuar einen sun
gepar.
Erstes doppelblatt. II
Exo
Der waz gehaizzen Chore
Amraran den ich nant .e. ;
695 Moyses vater der waz ,
vnd Aaronez Alz ich ew laz 1
Aaron ze weib nam
ein weib die im wol zara
Auz dem geslächt von Juda
700 Amynadabes tochter da.
Die waz Elysabet genant
der selben waz ze prüder
erchant
Ein werder man hiez Naason
pey Elyzabet gewon Aaron
705 Nadab Abyu vnd Eleazai-
vnd einen sun hiez ythamar
Eleazar ze weib do.nam
ein weib die im wol zam
Die selb im do gewan
710 einen sun dem g&ten man
Der waz Phynees genant.
Der slug seit mit seiner haut
In gotez Dienst Zambry
Ditz geslächt ist von Leuy
715 Vil gar von im chomen
Alz ir hie habt vemomen.
Hie hört nu wax got wunderx
vft xaiche
mit Maines vfi Aarö begie,
vfi ivax er mit in schüof
T\o ditz geschehen waz also
in der zeit starb der chfi-
nig Pharao.
659 Vnd beschirmet do er in sach — 663 feJUt W — 671 si] fehlt W —
683 — 716 feiileii W, ebenso die Überschrift darnach.
16
WKRNEB
Naoh im ward ein chftnig in
Egipte lant
720 vil weiz. der ward auch genant
Alz e. die andern Pharao
Der tet den Israheliten do
Vil wirz dann in e. waz ge-
schehen
Alz wir die warheit hom
iehen
726 Da von si von hertzen s&uften
tiefifen
hin ze got do rieffen
Die chint der Israhelischen
schar
Die Israhelisch fruch gepar
Alz si twang manik arbait
730 do gedacht got an die sicher-
hait
Die er hie vor im vätern tet
vnd orhRrt do ir gepet
Daz si heten in irm laid
nu hct Moisos auf ein waid
735 Sein vich do getriben
in einer wfist waz ez beliben
Von dem poi^ Synay.
Do gie daz vidi nahen py
Der perg dar an frey belaib
740 Daz niemant sein vich dar
an traib
Wie da wir sfizzoz graz
wan der liwt gt^aub waz
Daz man dicker sich da
gotez heilikait dann andorswa
745 Indert da pov f bor daz lant
ein hom de« por^. waz gtty
nant
OivK pey dem selben pon: hie
A'
Moises vich da selbe gie
An der wüsten waid
750 waident auf der haid
vf dem selben perg Oreb
geschach
ein wunder groz daz sah
Moyses der rain man
Da stand auf ein pusch vfi
pran
755 Ynd waz dez fewrez flammen
plick
prinnent starch vnd dick
Laub vnd holtz dar an wart
von dem fewr doch nicht
verschart
Ez stund in seiner aigenschaft
760 gantz. daz fewr pran mit
chraft
Daz doch der pusch waz behüt
Moyses der rain g&t
Gedacht ich wil gen besehen
Daz wunder daz hie ist ge-
schehen
765 Daz diser pusch also print
vnd doch nicht mail gewint
Von disem grozzem fewr hie
hin zu dem pusch er do gie
Do er ditz grozz wimder sah
770 gi>t erschain im vnd sprach
Moises Moises zehant
Do im die gotez stimm ward
erchant
Do sprach er herr. hie pin ich
l'^z dein schüch vnd ent-
schfich dich
775 Wan die stat auf der du stast
vnd die erd dar auf du gast
745 lü dw die do vK^r das I^Anct -- 751 Auf on^V dem pen: do gesduK^h —
754 «liad «in pQM'^ der |«rM — 7rii> i>ftni d«$ vc^rf^rui mit chnft — 761 Das deo-
Mek te fttMib«» h4tt^ — 766 Vnd i$ nicht
BRÜCBSTÜCEE DER CHRISTHKRRB - CHRONIK
17
Sint paidew samt heilig
vnd mit heilikait vnmeilig
Got sprach auer wider in
780 Abrahams got ich pin
Ysaackes vnd Jacobs got
Die gern laisten mein gepot
Ich han die grozzen arbeit
Die mein lewt ist an geleit
785 In Egipto wol gesehen
waz in da laidez ist gesche-
hen
Vnd im chlagenden r&f ver-
vemomen
nu pin ich her nider chomen
Daz ich si da von lösen wil
790 vnd füm in churtzem zil.
788 her wider — nach 790 schliesst der satx in W: In das erbnnscht suzz lannt
Das milich vnd honig ist erchant Baide bernde vnd fiiessende Vnd wil sew machen
niessende Dew lant die Chananeus Beresus vnd Ebosens Jergessens vnd Euseus usw.
75 rote initiale. 83 blaue initiale. 113 grosse rote initiale, die weit
über den freien seitenrand hinab und hinauf reicht. 145 rote initiale. 175 rote
und blaue initiale. 191. Da] aufrasur, darnach stand anderswa, vgl. v. 192. 211
iar mit not auf rasur. 215 rote initiale. 225 /. geslähtes. 249 rote initiaU.
259 l, starohen. 283 blaue initiale. 313 rote initiale. 341 blaue initiale. 369 rote
initiale. 421 hant aus hent corrigiert. 425 rote initiale. 457 blaue initiale.
523 rote initiale. 585 blaue initiale. 615 rote initiale. 653 blaue initiale.
683 rote initiale. 717 blaue initiale. 745 hinter pey ist an rot gestrichen.
751 rote initiale. 779 blaue initiale. Die verse 1. 51. 99. 145. 195. 245. 295. 345.
395. 445. 495. 545. 595. 643. 693. 741 beginnen neue spalten.
METTEILUNÖEN AUS DEUTSCHEN HANDSCHEIETEN
DEK GEOSSHEEZOGL HOFBIBLIOTHEK ZU DAEMSTADT
I.
Dietrich Ton Plienlngens Senecafibersetzungen.
Als Karl Hartfelder 1884 das Heidelberger gymnasialprogramm
„Deutsche Übersetzungen klassischer schriftsteiler aus dem Heidelber-
ger humanistenkreis" veröffentlichte, kannte er von Senecaübersetzungen
des schwäbischen ritters und humanisten Dietrich von Plieningen^ nur
die in dem Münchener Codex germ. 977 erhaltene Verdeutschung der
„Consolatio ad Marciam", sowie die zu Landshut 1515 gedruckte Über-
setzung des dem Seneca zugeschriebenen werkes ,,De moribus.** Eine
dritte, von Plieningen in der vorrede der letzten schrift selbst er-
wähnte Übersetzung von Senecas „De ira*' war ihm nur dem namen
nach bekannt (anm. 4 zu s. 7). Der zufall wollte es, dass nicht nur
1) Vgl. ausser der bei Hartfelder s. 5 anm. 2 angegebenen litteratur Th. Schott
in der „AUg. deutschen biographie'' 26, 297. 1888.
ZBXnCHBIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXVm. 2
18 A. SCHMIDT
diese schrift, sondern ausser den beiden oben genannten noch zehn
andere von Plieningen verdeutschte werke Senecas sich handschriftlich
in seiner nächsten nähe, in der Darmstädter hofbibliothek befanden.
Dass Hartfelder von ihnen keine kenntnis erlangte, darf man ihm
natürlich nicht zum Vorwurf machen, da die hofbibliothek leider immer
noch keinen gedruckten handschriftenkatalog besitzt. Die einzige frü-
here erwähnung der handschrift in Walthers „Beiträgen zur näheren
kenntnis der gr. hofbibliothek zu Darmstadt^ (Darmstadt 1867) s. 129
nr. 3 kann in ihrer unbestimmten fassung kaum in betracht kommen.
Möge man die nachfolgenden ausführungen als ergänzung zu Hartfelders
interessantem programm aufnehmen.
Die in einen braunen lederband mit eingeprägten Verzierungen
gebundene Darmstädter handschrift nr. 290 in fol. ist 31,5 cm. hoch
und 21,5 cm. breit und besteht aus 309 blättern, die in einer spalte
mit meist 30 zeilen in deutscher schrift aus dem anfange des 16. Jahr-
hunderts beschrieben sind. Die Überschriften und randbemerkungen sind
rot. Eine menge farbiger und goldener initialen, zu anfang der ein-
zelnen bücher mit farbigen ranken Verzierungen, schmücken den band.
Keine andeutung in der handschrift gibt uns künde, von wem und für
wen die absclirift angefertigt wurde. Dass es nicht Plieningens origi-
nalmanuskript ist, dürfen wir aus dem fehlen aller korrekturen und
der gleichmässigen schrift in allen von 1515 bis 1517 datierten teilen
annehmen. Das schliesst aber nicht aus, dass vnr es mit einer auf
Plieningens anordnung angefertigten abschrift zu tun haben, die der
prächtigen ausstattung nach vielleicht zum geschenk für irgend eine
hochgestellte persönlichkeit bestimmt war.
In die Damistädter bibliothek gelangte der band 1813 mit der
bibliothek des in Grossgerau verstorbenen kirchenrats Georg Nikolaus
Wiener.
Die handschrift enthält die Übersetzungen folgender Seneca'schen
oder Pseudo- Seneca'schen schritten:
1. Blatt la — 84b 4: Ad Novatum de ira libri tres. Über-
schrift: Lucy Annei Senece: von Corduba vom Zorn das Erst Buch
dem Nouato zugeschriben : von mir Dietrichen vonn Pleningen zu Schou-
begk vnd Eysenhouen Ritter vnd doctor zu toutsch gepracht ec' |.
Schluss: Hye Endet sich das Trit Buch Senece vom Zorn ec'; | Sei-
ienüberschriften: Das Erst (Ander, Trit) Buch | Senece vom Zom/|.
2. Blatt 85a — 115a 25: Ad Neronom Caesarem de demen-
tia. Überschrift: Hie facht an das Erst Buch Lucy Annei Senece von
der senfftmutigkait dem kaiser Nero zugeschriben durch mich Dietrichen
HANDSCHRIFTEN IN BABMSTABT 19
von Pleningen zu Schoubegk vnd Eysenhofen ritter vnd doctor geteutscht
ec' ! I Schltiss: Eye Endet sich das annder vnd letzst Buch Senece
von der sennfftmutigkait: auf Sant Maria Magdalena aubent zu Lands-
hut durch mich Dietrichen von Pleningen ec' geteutscht Anno 1515/ 1.
SeUenüber schrifteil: Das Erst (Ander) Buch Senece | von der Senft-
mutigkait|.
3. Blatt 115b — 130b. 28: Ad Lucilium quare aliqua in-
commoda bonis viris accidant, cum Providentia sit (De pro-
videntia.) Überschrift: Hye facht an das Erst Buch Lucy Annei
Senece zu Lucilio geschriben: von regierung der weit vnd götlicher
fursichtigkait / vnd das vil onfalls den guten männern zustande: durch
mich dietrichen von Pleningen zu Schoubegk vnd Eysenhofen ritter
vnd doctor geteutscht ec' O' \ Schbiss: Hie Endet sich das Buch Senece
von der gotlichen fursichtigkait AP 1515/ | Seitenüberschriften: Seneca
von regierung der weit vnd götlicher für | sichtigkait vnd das viel onfals
dem guten mann (resp. den guten.) zustand; | , von bl. 117b an: Das
Buch Senece warumb den guten | m&nnern (oder dem guten | mann)
vil onfalls widerfare.
4. Blatt 131a— 157b 28: Ad Gallionem de vita beata.
5. Blatt 157b 28 — 165a 7: Ad Serenum de otio. Letztere
Schrift, die erst von Lipsius abgetrennt wurde, schliesst sich ohne jeden
absatz an erstere an. Die gemeinsame Überschrift lautet: Hie facht an
das Buch Lucy Annei Senece zu Gallioni seinem bruder geschriben
von dem s&ligen leben / durch mich dietrichen von Pleningen ge-
teutscht/ I . Schluss: Hie Endet sich Seneca vom säligen leben auff
den Ain vnd treyssigisten tag des monats octobris Anno 1515 durch
mich Dietrichen von Pleningen: Ritter vnd doctor geteutscht ec' | Sei-
tenüberschriften: Das Buch Senece | vom S&ligen (Saligen, Seligen)
leben | .
6. Blatt 165b — 189b 17: Ad Paulinum de brevitate vitae.
Überschrift: Das Buch Lucy Annei Senece vonn kurtzen des lebens zu
Faulino geschriben: durch mich Dietrichen von Pleningen zu Schou-
begk vnd Eysenhouen Ritter vnd doctor geteutscht ec'; |. Schluss:
Finis ec' |. Seitenüberschriften: Das Buch Senece | von kurtze (kurtz)
des lebens | , zuletzt: vom kurtzen leben | .
6. Blatt 190a— 193b 19: De paupertate. Überschrift: Das
Buch Lucy Senece von der Armut von mir obgemelten/ | Dietrich von
Pleningen geteutscht | . Schluss; Hie Endet sich das Buch Senece von
der Armut ec' | . Seitenüberschriften: Das Buch Senece | von der
Armut |.
2*
20 A. SCHMIDT
8. Blatt 194a — 226 a 23: Consolatio ad Marciam. Über-
schrift: Hie facht sich an die loblich trostung Senece die Er zu der
Irrleuchten frawen Marcia des Caton weyb: die Im Sun Drusum ver-
lorn het/ geschriben hat/ durch mich Dietrichen vonn Plenyngen auch
geteutscht ec' •;• -^ ^v/ | Schhiss: Finis -i-^ | Seiteniiberschriflen :
Der Seneca/ | Ain Trostung zu der Marcia | , von blatt 197b an: Des
Senece | Trostung zu der Marcia/ j.
Den anfang dieser Übersetzung bis blatt 200 b 2 hat Hartfelder
nach dem Münchener Cod. Genn. pap. 977 fol. 1 — 20 auf s. 13 — 18
seines programms zum abdruck gebracht. Beide handschriften stimmen
nicht ganz überein. Gleich in der Überschrift hat die Darmstädter
handschrift den fehler Caton für Cordus, dann fehlt die Widmung an
Kunigunde, erzherzogin von Österreich d. d. München 10. märz 1519,
und auch in dem eigentlichen text zeigen sich mannigfache, abwei-
chungen.
9. Blatt 226b — 233b 21: Ad Gallionem de remediis for-
tuitorum. Überschrift: Hie facht sich an das Buechlin Luci Annei
Senece das Er zu seinem Bruder Gallioni geschriben hat von Artzneyen
go/ron allen EinlouiTung des onfalls vnd do redent wider einander: die
Synn: vnd die vemunft. der kaiserlichen maiestat meinem aller gne-
digisten herren zu Ern durch mich Dietrichen von Pleningen geteutscht
ec' •:^^ I Schluss: Hie Endet sich das Buch Senece vonn Ertz-
neyen gegen allen vnfallen von mir Dietrichen von Pleningen '^ - : ge-
teutscht-: ~ I Seitenüberschriften: Des Senece Buch | von artzneyen
gegen allen onfallen |.
10. Blatt 234a— 264a 30: Ad Serenum de tranquillitate
animi. Überschrift: Hie facht an das Erst Buch Lucy Annei Senece:
das Er zu Sereno geschriben hat dar jnnen begriffen ist: wölhe ding
das styll vnd onbetruebt leben beschirmen: vnd woUiche ding das selb
widergeben mögen: wölliche ding auch den ein kriechenden lästern
widerstand thuond. durch mich Dietrich von Pleningen zu Eysenhofen
Riter vnd doctor dem durchleuchtigisten fursten vnd herren herren
Fridricben Hertzagen zu "^ • : geteutscht • : "^ | Die schlussschrift blieb
weg, offenbar nur weil blatt 264 a vollgeschrieben war. Seitenüber-
schriften: Das Buch Senece ( vom styllen rwigen vnd onbetrubten
leben ( .
11. Blatt 264b— 284a 30: Ad Serenum nee iniuriam nee
contumeliam accipere sapientem. Überschrift: Hie facht an das
ander Buch Lucy Annei Senece zu Sereno von dem onbetrubten leben :
vnd wie in ainen weysen mann schmachen nit einfallen mfigen: durch
HANDSGHBIFTEN IN 0ABM8TADT 21
mich Dietrichen von Pleningen jn vigilia Ephiphanie dominj Anno ec*
1517 ~ :• geteutscht :• ~ | Schluss: Hye Endet sich das ander Vnd
das letzste Buch Lucy Annej Senece von dem stilleii vnd onbetrubten
leben: durch mich Dietrichen von Pleningen geteutscht Anno 1517 zu
Landshut ec' |. Seitenüberschriften: Das Ander buch Senece vom stil-
len vnd onbetrubten leben/ | vnd wie kain schmach in (ain) weisen man
fallen m6g/ |.
12. Blatt284b — 290b 15: Liber de moribus. Überschrift:
Hie nach uolgt das Buch Lucy Senece von sytten dar Jnn er gantz
sch6nlich vnd nutzlichen des lebens sytten erzelt hat durch mich Die-
trichen von Pleningen zu Eysenhofen ritter vnd doctor geteutscht
ec' •:• '^ |. Schluss: Hye Endet sich das Buch Senece vonn sytten
ec' |. Seitenüberschriften: Das Buch Senece | von Sytten |.
Aus dem ganzen Inhalt unserer handschnft ist diese schrift die
einzige, die zu lebzeiten des Übersetzers gedruckt worden ist. Da mir
die seltene zu Landshut bei Johann Weyssenburger 1515 in 4^ ge-
druckte ausgäbe, deren genauer titel bei Weller, ßep. typ. nr. 946 und
s. 455 zu finden ist, nicht vorliegt, vermag ich nicht festzustellen, wie
weit der druck mit der handschrift übereinstimmt Aus Hartfelders
besprechung a. a. o. s. 7 ergibt sieh, dass er eine in der handschrift
fehlende vorrede Plieningens enthält
13. Blatt 291ar— 309a 30: Proverbia Senecae. Voraus geht
auf blatt291a — b 28 eine Widmung dieser Übersetzung an den „her-
ren Fridrichen Hertzogen zu Sachsen", etc. „Geben zu Landshut vfF
den Sechzechenden tag Decembris nach Cristi vnsers hailmachers gepurt
Anno 1515" '^ \ Es heisst darin: „Genedigister fürst vnd herr/ wiewol
ich neben deß durchleuchtigen hochgepomen fursten vnd herren/ her-
ren Ludwigen pfaltzgrafen bey Rein Hertzogen in Obern vnd Nidem
Baim ec' meins gnedigen herren fürstlichen beuelchen vnd obligenden
geschafften: mitler zeit vnd ich euren Curfurstlichen gnaden meinen
geteutschten Salustium zugeschickt vber angekSrten vleis gar wenig
mflssig tage erlangen mögen! so hab ich doch die selben tag: nyemants
anderm dann allain Euren Curfurstlichen gnaden zu Em vnd gefallen:
vndertänigklichen zuuerzem fSrgenomen. In besonderer bewegung die-
weil ich hieuor durch vielfaltig glaubliche vnd grundtliche erfarung
wares wissen empfangen han: das die selb eur Curfflrstiich gnad vor
allen andern geistlichen vnd weltlichen Curfursten des heiligen Römi-
schen Reichs aller loblichen kunsten vnd guter sytten besonderlichen
der philosophi ain getrewer furdrer liebhaber vnd gnediger vatter ist:
also bewegt worden die Sprichwort: deß heiligen hochberompten manß
22 A. SCHMIDT
Seneco auß laÜQischer jn teutsche also jn mein mfiterliche sprach zu
pringen 1^ etc. Nach einer längeren auseinandersetzung, warum Seneca
ein heiliger mann zu nennen sei, fahrt Piieningen fort: „Dem allem
nach: vnd auf das eur Curfürstlich gnad meiner willigen vnd gevlissen
dienstparkait: wares vnd grundtlichs wissen empfiachen mögen: so vber-
schiok ich den selben Eum Curffirstlichen gnaden dits mein tranßlacion
mit vndertäniger Bit die selben wollen solliehs von mir mit gnaden an
nemon. vnd wil mich hiemit also Eum Curf&rstlichen gnaden vnder-
tÄnigklichen beuolchen haben/**.
Die (schwarze) ülwrschrift der Übersetzung lautet: Hye fachent
an: die Sprichwörter Lucy Annej Senece: die Er zu Paulino geschri-
ben haben soll. Durch mich Dietrichen von Pleningen zu Schoub-
Egk vnd Eysenhofen Ritter vnd doctor: dem durchleuchtigisten vnd
hoohgopomen Curfiirsteu vnd herren ■ herren Fridrichen Hertzogen zu
Sachsen oc' meinem gnedigisten herrn/ zu em geteutscht; | Schluss:
Finis-: ^ St'itefiül>crschp'iftcn: Die Sprichwort Senece' ".
Pri>ben aus unserer handschrift hier zu geben, halte ich nicht für
nötig, da das von Hartfelder veröffentlichte stück aus der Verdeutschung
der Consolatio ad Marciam vollständig genügt, um die art und weise
der Übersetzungen Plieningens kennen zu lernen, und neue Züge zu
der von Hartfolder in seinem pn^gramm s. 7 und S und in der ^Zeit-
schrift für allg. geschichte" 11, 677 fg. ISSö gegebenen treffenden Cha-
rakteristik der übei^etzortätickeit dieses humanisten sich auch aus den
vorliegenden arbeiten, die ja i^leiohzeitifi: mit den früher bekannten ent-
standen sind, nicht c^^winnen lassen.
Dagegen mivhte ich noch auf eine andere leistung Plieningens
aufmerksam machen, die von seinen neueren biographen mit stillschwei-
een überi:Än4^"»n wird, v^birleich irenule sie von besonderem interesse ist
Piioniniren o^hrrt nämlich zu den ersten deutschen Schriftstellern, die
sich um die einführung einer geregelten interpunktion in deutschen
sohnrYvn vordien: i^*maoht halvn. Alexandir Bicjinir weist in seinem
buv'he ^P,^> princip der deutschen interpunk:ion nebst einer übersicht-
liv'ben darsToliunc ilm'-r cesohichto'' »Benin ISSOi nach, wie die not-
wendigke:: sordaltig ru ir.Tcqningioron sich bald nach der ausbreitung
der buchini^rkerkvins! oini^^strilt hat, und wie ,-uers: Niklas von Wvle
I46i? ur.d S:tinhv''Wt'- 1471, d.^r.n ors: viel >iv»:tT die mimmatiker Kol-
Tv'issi !r"^-V* ;;::.: h^keisamor ITv^l Teste crur.dsaT-:e der interpuntiion auf-
Ct^siT'/:: hsbir. Die äusstrunc ^^.enini^^n^ aber ist ihm tutfanjingn: sie
wird auvh ir. der neuesu-n arbeit über «Die hisTon^ache ennrickelung
der drutsacl^eii Satzzeichen und redesiriohe** von 0. Glöde (Zeitschrift
HANDSCUBIFTEN IN DAIUISTADT 23
f. d. deutschen Unterricht 8, 6 fgg. Lpz. 1894) nicht erwälmt. Daher
lasse ich sie hier wortgetreu folgen nach dem der Göttinger Universitäts-
bibliothek gehörigen exemplar des druckes: Gay Pliny des andern lob-
sagung . . . Durch . . Dietrichen vonn Pleningen . . . getheuscht Landß-
hfit Johann Weyssenburger. 1515. Dez. 14. Fol.^ In der „Vorrede**
genanten widmung an den herzog Wilhelm von Bayern, die 1511 auf
S. Jörgen tag in München geschrieben ist, sagt der Verfasser (BL A iiij
verso): Nun hab ich gnediger Fürst! souil mir möglichen: vnnd (BL
A v recto) es vnser muterliche sprach erleiden hat mögen: dy arte auch
dy natur diser lobsagung die Flinius in latin gopraucht hat: mit figu-
ren vnd punctü onuerindert behalten: vn den anhengig pliben! die
wort nit leichtlichen vmbrödt: Wöllicher auch auflf die punkte: Auch
auflf sich selbs jm lösen merckung haben: vnd auf ains yeden puncten/
aigenschaSt zw pausiem sich fleissen will/ der wurdet an grosse mue:
die verstantnus pald haben, wo nit: so möchte einem yeden löser nit
allain der sententz sonnder auch dy wort tunckl vnd onuerstendig plei-
ben. dafi wie Flinius nichts vberflissigs im latin in diser seiner lobsa-
gung sonnder allain was zur nottorfft vnnd der gezierde gedint: ge-
praucht hat: des hab ich mich meiner verstentnus nach auff dz kur-
tzest: dz auch auf die selben arten/ zu tefltsche! auch geflissen. Ich
mächte auch gedecken mancher löser sein würde: Der diser od' der
gleichen rode der lobsagüg in irn naturn nit erkent! oder d' puncto
onwissenhaft: were: (daraus doch der mangel der pronuctiation vnd der
geperden entsteen mueste): der wurde mich meiner kurtz halber strouf-
fen wollen. Den pite ich aber: Das der selbs sich fleiß nach den
puncten zw lösen / So wurdet auff hörn sein onverst&ntnus vnd tunckel-
hait / Die puncten habe ich auch mit einer kurtz : (Bl. A v verso) gleich
nach diser Missiuen vnnd vor des pfichs anfanng: wie man: nach eins
yeden puncten aigenschafFfc: pausirn solle: endeckt vfi angezaigt.
Die auseinandersetzung über die Satzzeichen lautot dann: (Bl. B
recto) C| Ich Dietrich von pleningen hab in meiner vorröde verspro-
chen Natur der puncten in einer kurtz: vor anfanng der lobsagung an
zuzaigen das thun ich also/
1) In der schlussschrift 'Woyssonburgors heisst es: Jm durch herrn Dietrichen
Ton pleningen zu gelassen sub priuilogio jniperiali: mit grossen penen verpundö das
nyemants dises Buch jn acht Jam nach trucke soll.*^ Aus diesen werten dürfen wir
vielleicht, zumal da Plieningen 1515 in Landshut ansässig war, schliessen, dass der
yerfasser auch den druck überwacht hat, der uns dann in der von ihm beabsichtigten
fonn vorläge.
24 A. SCUMIDT
C\ Ain punct: ist ain zaiche das do! oder durch figur oder sein
verziechen: die clausel zertailt! die sty"^ vnderschait: das gemuet wid'
erkuckt, vnnd verlast ain zeit den gedencken. das geschieht oder
durch Verzug des ausprechens vnnd der zeit! oder durch zaichen der
feder. Wöllicher puncten ainer des andern zaichen ist Dan waü der
durch die feder gerecht formirt: so zaigt er dem löser: an de wege:
aus zu sprechen vn verstentliche zu I8sen. vnd domit thfit er aus
trucken vü ein pilden im selbs vnd den zuliörern dy begirlichen vfi
rechte verstendnus der wörter vnd der Oration. Es sind auch man-
cherlay figurn der puncten die dan dy versamelten wörter: von recht
erfordern thfind. domit die begirde des rödners vn seiner sententz zu
bedeuten Nämlichen thund dy latinische sechserlay puncten sich go-
prauche. Ainer haist virgula / Der ander Coma! Der dryt Colum:
der fierdt Interrogatio / ain fragender punct ! Der funfft parentesis:
vnnd der letzst periodus;
Virgula: ist ain hangende lini gegen der rechten handt sich auf-
richten / die man ordenliche thut setzen nach Worten die do noch vol-
bekomenhait der bedewtnus oder worter in mangl stende;
(Bl. B verso) Coma. ist ain punct mit ainem virgelein obe erliebt!
gleicherweis wie die erst virgel: also! wiii; geschicklichen gesatzt nach
Wörtern die do ain volkomeu bcdeutnus band das man haist ein zer-
tailung. vn wie wol das der zimlichen: nach volkomender bodeutnus
vnnd werten gesatzt: so bezaichet er doch das man der rödö so ain
namen ainer clausel behalten noch was nit ongehSrlichs zufuegen möge;
Colum. ist ain punct mit zwayen tfipflen also: Wirt schier gleich
mit ainer weniger mere auffhaltung der zeit dann Coma gepraucht aber
auch: noch so mag was zierlichs angehenckt werden;
Interrogatio. ain frageder punct ist ain püct mit ainem virguli
herumb gekrömpt also?
Parentesis. diso puncten prauchent die latinischen so sy in einer
noch onuolendter angefangnor claiiseln eingeworfifne w6rter vnder schai-
den wfillend. das thönd sy mit zwayen halben zirckel also (2c.)
Periodus. ist ain punct mit einer virgel vnden angegenckt also ;
wurd gepraucht am ende ains gantzen sententzien.
Das sind die puncto domit man die clausein thfit vnderschaiden
vnd so du Virgulam in deiner aussprechung recht bedefiten wilt: bedarff
der in der pronimction vfi der zeit ainer ganntzen kurtzer auff hal-
tung / Coma ainer klainer zeit mere Parentesis : ainer hupffend' auspre-
chung. Der frogend: erfordert seins selbs geperde / Periodus. ains
guete erholten Aatemps/ das ist mein vnderricht;
HANDSCHBIFTEN IN DABMSTADT 25
Um Plieningens bestrebungen auf dem gebiete der interpunktion
würdigen zu können, müssen wir uns daran erinnern, dass die bemü-
hungen seiner Vorgänger Niklas von Wyle und Steinhöwel ziemlich
wirkungslos geblieben waren. In den beiden ersten Jahrzehnten des
16. Jahrhunderts finden wir in den meisten druckwerken nur strich
und punkt ziemlich willkürlich gebraucht oder auch gar keine Satz-
zeichen. Dass er diesen übelstand erkannte und, als humanist natür-
lich im anschluss an die lateinischen Vorbilder, zu beseitigen suchte,
zeigt uns den schwäbischen ritter als einen denkenden und dabei prak-
tischen mann. Namentlich die allgemeinen sätze zu anfang und in der
vorrede lassen erkennen, dass er sehr wohl wusste, wie notwendig und
wertvoll die interpunktion für das Verständnis der Schriften ist. Sein
System ist reicher gestaltet als das des Niklas von Wyle und Stein-
höwels, die beide zwischen virgula und punkt nur 6in Satzzeichen haben,
wofür jener den doppelpunkt: (Bieling s. 70), dieser unser ausrufungs-
zeichen! (D. L. Z. 2, 1231) wählt, während Plieningen noch zwischen
Coma! und Colum: unterscheidet Auffallend ist, dass er in seiner
auseinandersetzung neben periodus ; den einfachen punkt . nicht erwähnt,
der in dem druckwerke selbst ungemein häufig vorkommt, während
jenes unserem Semikolon gleich geformte zeichen sich fast nur vor
grösseren absätzen findet. Dies führt uns auf die frage, wie sich über-
haupt die anwendung seiner regeln in dem druckwerke gestaltet Es
war, wie es scheint, auch in diesem falle leichter die regeln aufzustel-
len, als sie immer genau zu beobachten; denn an vielen stellen, wo
Plieningen unbedingt ein zeichen hätte setzen müssen, fehlt es, an
anderen, wo man mit dem besten willen beim lesen keine pause ma-
chen kann, steht es überflüssiger weise. Auch mit der wähl der ein-
zelnen zeichen können wir uns nicht immer einverstanden erklären.
Für jeden dieser falle hier nur 6in beispiel, die ich den oben mitgeteil-
ten Sätzen entnehme. Ein notwendiges zeichen fehlt zwischen „zu
bedeuten" und „Nämlichen** (s. 24 z. 12), ein überflüssiges steht zwi-
schen „onwissenhafk*' und „were** (s. 23 z. 23), falsch gewählt ist die
virgula statt des punktes zwischen „tunckelhait** und „Die puncten"
(s. 23 z. 27). Allerdings wissen wir ja nicht, was hierbei auf rech-
nung des Verfassers, was auf die des druckers kommt, da die an-
nähme, Plieningen habe die druck legung selbst überwacht, immerhin
nur eine, wenn auch begründete Vermutung ist
Sehr sorgfältig interpungiert ist unsere Senecahandschrifl; ein
umstand, der die annähme, dass uns eine auf Plieningens Veranlassung
angefertigte abschnft vorliege, zu bestätigen geeignet ist Dass Hart-
26 A. SCHMIDT
felder in dem längeren aus der Gonsolatio ad Marciam in seinem Pro-
gramm abgedruckten stück die Satzzeichen des Originals durch seine
eigenen ersetzt hat, ist recht schade.
Interessant ist es, die erste zu Landshut 1515 gedruckte ausgäbe
der Lobsagung mit einem trotz den in dem kaiserlichen privileg ange-
drohten „gtossen penen^ schon fünf jähre später veranstalteten nach-
druck (GAy Plinij des Andern Lobsagung: ... Durch .. Dietrichen vö
Pleninge ... geteütscht. o. 0. 1520. Juli 18. Fol.), von dem die Darm-
städter hofbibliothek ein exemplar besitzt, zu vergleichen. Der unge-
nannte nachdrucker (es ist der druckermarke nach Martin Flach der
jüngere in Strassburg) gibt Plioningens interpunktionsregeln getreulidi
wider, aber er kehrt sich seinerseits durchaus nicht an die Satzzeichen
des Originals. Manche fehler hat er verbessert, z. b. zwischen „zu be-
deuten*' und „Nämlichen*' (s. 24 z. 12) setzt er richtig einen punkt, zwi-
schen „onwissenhaft" vnd „were" (s. 23 z. 23) tilgt er das überflüssige
kolon:, in der aufzählung der Satzzeichen (s. 24 z. 14) heisst es bei ihm
richtiger: Der fünflft Parentesis (. Im allgemeinen aber hat er das bestre-
ben Plieningens Interpunktion zu vereinfachen, indem er meist statt;
(poriodus) den punkt allein, statt eoma! und colon: die virgula / setzt,
ohne aber die drei andern zeichen ganz au&ugeben. Ein rechtes prin-
cip der Interpunktion fehlt ihm, vielmehr scheint er schon auf dem
Standpunkt zu stehen, den später Ickelsamer mit den werten ausspricht:
Es loyt auch so vhast nit daran wie die zaichen sein / wefi allain die
reden vnnd iro tail recht damit getailt vnd vnterschaiden werden.
n.
Heinrich Munslngers buch von den falken, hablchten, sperbem
und hnnden.
Die für die geschichte der mittelalterlichen beizjagd hoch interes-
sante schritt Munsingers wurde zuerst 1863 unter dem titel: „Hein-
rich Mynsinger. Von den Falken, Pferden und Hunden" als bd. LXXI
der „Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart" von K. D. Hass-
ler nach einer in seinem besitz befindlichen, 1473 von Clara Hätzlerin
in Augspurg geschriebenen handschrift veröflFentlicht Eine zweite
„noch dem 15. Jahrhundert angehörende" handschrift der reichsgräflich
Nostizischen bibliothek zu Lobris bei Jauer beschrieb Heinrich Meisner
1880 in der „Zeitschr. l d. phil.." XI, 480—482'. Die grossherzogl.
hofbibliothek besitzt eine dritte abschrift, die deshalb eine genauere
beschreibung verdient, weil sie nicht nur die älteste bis jetzt bekannte
HAND8CHRIFTSN IN DABMSTADT 27
ist, sondern auch das werkchen in einer augenscheinlich älteren fassung
bietet
Die in mit rotgefarbtem leder überzogene holzdeckel gebundene
papierhandsciirift nr. 448 in 4® ist 21 cm. und 14,5 cm. breit und be-
steht aus 120 blättern, die vom rubrikator mit den blattzahlen q j —
q CXX. versehen sind. Die Signaturen aj — kg rechts unten in den
ecken geben die reihenfolge der blätter an, während die der aus je 6
doppelblättem gebildeten 10 lagen durch die als kustoden auf der letz-
ten Seite jeder läge unten stehenden anfangsworte der folgenden läge
geregelt wird. Die volle seite enthält 24 zeilen, die mit schöner imd
soi^fältiger deutscher schritt beschrieben sind. Überschriften und blatt-
zahlen sind rot, einzelne buchstabon und worte im texte rot durch-
gestrichen oder unterstrichen, die einfachen kunstlosen initialen ^ für
die der Schreiber dem rubrikator kleine schwarze buchstaben an den
rand gesetzt hat, sind rot oder schwarz mit roten Verzierungen.
Der Inhalt der handschrift (D.) ist folgender: Auf blatt la begint
ohne jede überschritt die Widmung, die ich hier vollst^dig abdrucke,
da sie mit der Hasslerschen handschrift (H) und der Lobriser (L) nicht
guiz übereinstimmt. Die nur selten vorkommenden abkürzungen löse
ich auf, die fehlende Interpunktion (in der hdschr. finden sich nur
wenige striche und punkte) füge ich bei.
HOchgebomer, gnediger, lieber herre: Als vwer gnade die
von angebomer arte zu adelichen dingen vnd zu allem dem, das
den adell geczieren magk, furtrefflichen geneyget ist, zu den zcijten,
als ich zcum lösten zu weybelingen bij derselben vwer gnade gewe-
sen bin, mir geboten hait zu dutschtem vnd jnn dutsch zu beschriben
Solichs, das die Philosophi vnd meistere von der natuer der falcken,
der hebich, der Sperber Vnd darczu auch von der natuer der hunde
jn latine beschrieben haut, Vnd domit auch waz sie von derselben jre
nature geschrieben haut, als die yczu jn gebresten vnd suchte gefallen
ist, wie man die mit arczenye zu gesuntheit (bl. Ib) widderbringen
solle: Also gnediger, lieber herre nach dem vnd es billich ist, das ich
nach allem mynem vermögen derselben vwere gnaden jn den vnd jn
andern Sachen jtzunt vnd zu allen zcijten gehorsame vnd willig sij. So
han ich hie jn diesem buche nach begrifFlichkeit myner synne vnd
nach vermogunge myner vernunflFt mit der hulfF gotis volnbracht solichs,
das mir vwere gnade also jn den obgeschrieben stucken zu thunde
geboten hait, mit solicher ordenunge vnd wijse, das ich daz Buche
jnn dru teyle geteylet han. Vnd das erste teyle diß buchs saget von
den fidcken, Das ander von den hebichen vnd von Sperbern, Vnd das
28 A. SU11MIDT9
dritteylo saget von den hunden. Vnd ein jglich teylo halt sin vnder-
scheydt vnd Cappitel (bl. 2 a) nach dem vnd man sie nacheinander
ordingiichen geczeichent findet Vnd vor dem anfangk eins jglichen
vnderscheidt vnd Cappitel, so findet man mit roter schrifft geschrieben,
wo von die redde des Cappitels vnd vnderscheidt saget, als es auch
hie jn diesem register hirnachgeschrieben geschrieben stett
Auf bl. 2a 9 — 9b 3 folgt nun das register über die drei teile des
ganzen werks. Während in H. die register und zwar nur über die
hauptkapitel vor den einzelnen teilen stehen, sind sie hier zu einem
gesamtregister vereinigt und enthalten neben den kapitelüberschriflen
auch sämmtlichc rubriken mit angäbe der blätter, wo die betreffenden
abschnitte zu finden sind.
Bl. 10a — 117a 1 geben den text der drei bücher. Der erste teil
begint ohne hauptüberschrift mit: „Das erste Capitel das saget, wie die
falckon vnd die hebiche vnd auch die Sperbero nit eynes geslechtes
sint** und schliesst bl. 61b 13 mit: „Vnd domit halt ein ende diß erste
teile diß Buchs, daz da saget von den falcken." Es schliesst sich un-
mittelbar die Überschrift dos zweiten teiles an: „Das ander teyle dift
Buchs ist das da saget von den hobichen vnd von den Sperbern*' etc.
Ende bl. 103a 9: „Vnd domit hait das anderteyle diß buchs ein ende,
das da saget von den hebichen vnd den Sperbern.^ Der dritte teil
beginnt bl. 103 a 10: „Das dritte vnd leste teyl diß buch jst daz da
Sagett von den hunden vnd ist geteylt jnn dru Capitel" etc. und endet
bl. 117 a 1: „Vnd domit hait auch ein ende drittcteyl diß buchs ynd
domit daz gantz buche, das gemacht hait Meister heinrich Munsinger,
Doctor jnn Arczenij 2c\ dem woilgebomen herren Ludewigk Orauen zu
Wirtenbergk 2c'.
Der Schreiber fügte dann noch zu: Deo gracias (rot)
Also hait diß buch ein ende,
Got wolle vns von sunden wende.
Lobe vnd ere sij got geseyt
Vnd marlon der reynen meyt.
Aimo domini millesimo quadrin- | gcntesimo Sexagesimo | sexta post
omnium sanctorum (letzte zeile rot). Johannes glockener zu vrsel 2c\
hait I diß Buchelin geschrieben |
Die schon liniierten und foliierten blätter 117b — 120b sind leer.
Über die früheren besitzer der handschrift gibt sie selbst keine
auskunft. Wenn das einliegende blatt mit einem von Daniel Moser in
Göppingen unterschriebenen rezept „Für die Vogelsucht ^ von einem
der eigentümer stammt, muss sie von Ursel in die heimat des verfiEUBsera
HANDSGHBIFTEN IN DARMSTADT 29
zurückgewandert sein. Von dort brachte sie wol der Hessen -Damistäd-
tische leibmedicus und professor in Giessen Johann Daniel Horst (1616 —
1685, vgl. Strieder VI, 195 fgg.), der in Tübingen promoviert hatte,
und dem sie nach dem Jung'schen kataloge der Darmstädter bibliothek
von 1717 s. 398 vormals zugehört hatte, nach Darmstadt Zu ende des
17. Jahrhunderts wird sie bereits in dem ältesten erhaltenen handschrif-
tenkatalog der landgräflichen bibliothek als deren eigentum aufgeführt.
Aus der obigen beschreibung der handschrift D ergibt sich, dass
Munsingers schrift in ihr aus drei teilen besteht, während in H. und
L. zwischen dem zweiten und dritten teile ein weiterer abschnitt „von
den pferden*^ eingefügt ist, so dass hier die hunde im vierten teil
behandelt werden. In den allen handschriften angehörigen drei teilen
ist der text in D. und H. ziemlich der gleiche, nur bietet D. fast
durchweg bessere lesarten, die manche dunkle stelle in Hasslers abdruck
zu erhellen vermögen. Da voraussichtlich die schrift nicht so bald mit
benutzung aller handschriften herausgegeben werden dürfte, lasse ich
hier die hauptabweichungen der handschrift D. von H. folgen, soweit
sie zur erklärung des textes etwas beitragen.
Seite 2, 28 des Hassler'schen textes ist davon die rede, „das das
geschlächt der häbich vierlay sey", es werden aber nur drei arten
genannt. In D heisst die stelle bl. 10 a 13: Vnd also vnder dem namen
&lcken begrieflfen sie beyde die hebich vnd die Sperbere vnd fürbaß
vnder dem namen habiche begrieflfen sie den Sperbere, wann sie spre-
chen, das das gesiecht der habiche vierley sij. Das erste heißent sie
den großen habich, vnd das ander, das darnach großer ist, heißent sie
Tritzelin, Das dritte heißent sie Sperber, Das vierte heißent sie muscer.
Statt „muscer*' hat H. immer „mustet", ein wort, das nach Lexer I,
2258 nur bei Munsinger vorkommt und von Lexer = müs-toet? gesezt
v?ird. Albertus Magnus, Munsingers quelle, hat „muscetus" (= frz.
mouchet). In Munsingers original stand wol muscet, und beide abschrei-
ber haben das ihnen unverständliche wort falsch widergegeben. Ein
späterer Übersetzer, Walther ßyflf (Thierbuch. Alberti Magni. Franck-
fort 1545) Übersetzt dieses wort mit „Wannober'', wozu Lexer III, 682
wannen -wehe und Diefenbach-Wülcker, Hoch- u. ndd. Wörterbuch
s. 894 wannen -weher zu vergleichen sind.
2, 2 V. u. muss es statt „allem widerm vederspil" heissen „an-
derm". Derselbe lesefehler des abschreibers von H. oder Hasslers kommt
öfter vor, so s. 16, 22: „So fahen sy tauben vnd nit vogel" statt „tau-
ben vnd antfogel".
10, 4 st vermischet lies vermißt
30 ▲. SCHMIDT
13, 8 denn — baißens 1. den — heißent
13, 27 st der Marck 1. denmarckt (= Dänemark).
18, 3 st als sy t&nd 1. als man nu.
18, 18 st in Glusen 1. jnn Russen; st in Swenden 1. jnn Swed-
den (Schweden).
20, 13 st gewel, die man vnderweilen macht von vedem vnd
ynderweilen von pamöle 1. gewelle die man vnderwylen von feddem
macht vnd vnderwijlen von Baumwollen. (Albertus Magnus lib. 23
cap. 17: purgatoria quae vulgariter Germani guel vocant, et fiunt ali-
quando de pennis, sed melius fiunt de bombace.)
27, 13 1. übereinstimmend mit dem original cap. 18: gense miste
oder tuben miste vnd die vber Rinde von der worczeln des baumes,
den man nennet Eiben, vnd wachssen bij dem wasser, Vnd sal man
die Rinden sieden jnn wasßer als lange biß das wasßer dauon Roit wirt
27, 19 1. So sal man nemen Roit wachsß vnd muscaten vnd die
fruchte, die zu latein heisßent mirabolones Citrini vnd koment vber
mere here, vnd findet man sie jnn der apoteken, vnd steyne salcz,
daz man auch jn der appoteken findet vnd heißet zu latin Sal gemma
vnd ist glich als yse, vnd ein harcz, heißet zu latin Gummi arabicum,
vnd etwann viel komer von kern (= grana tritici) etc.
28, 5 st vernychen l. vermischen.
28, 25 st sincket das ayter 1. smacket dasselbe eyter vbeL
30, 7 und 8 v. u. 1. wer es an der zcijt, das man sieben (st
flech) funde, So mochte man vff den flecken treuffen drij droppen von
dem sieben safft (st flehen). (=» acacia quae sunt pruna spinarum sil-
vestrium.)
31, 1 st schwarwoll 1. scharewollen.
31, 6 st zu stund 1. vff zcwo stunde.
31, 23 st so sol man nemen von der Hawt ains rauchen ygels
1. So sal man nemen von der hut eyns rohen slijgen (» abstrahatur
cruda pellis piscis quae tincha vocatur, quem Germani sligen vocant).
33, 21 1. sprachen segen, wann sie des morgens den üalcken vff
die band namen; dafür fehlt 33, 23 so haben sy die gesegent, das der
Schreiber von H. zugesetzt hat
34, 6 V. u. st der Ar, der da vich faucht 1. der are, der da
fische facht
35, 10 st der ze vil ist 1. der zu vol ist
35, 7 V. u. st die herfliegen 1. die sie erfliogent
36, 2 1. YOrbaß ist zu wijssen, das der Sperber nach dem latin-
sehen namen, den er hait, heißet (st paißet) begirig. (Albertus Magnus
HANDSCHRIFTEN IN DARMSTADT 31
lib. 23 s. 194a 1 der ausgäbe Venetiis 1519 foL: Nisus ... a nisu hoc
est conamine prede sie vocatur.)
43 zwischen zeile 6 und 7 fehlt in H. ein ganzer absatz: Wann
der habich luse hait 2c'. Saltu also vertriben: Du salt nemen wechhol-
der mit Binden vnd alle, vnd eynen Kick dem habich daruß machen
vnd yne daruff stellen, vnd yme zcwo ader drij mentschen luse an
sinen halß lauffen laßen, vnd so der habich ein zcijt vff dem Rick also
gestanden hait, vergeen die luse gantz vnd gar.
47, 13 V. u. st sol es in seinen mund nemen 1. sal wyne jnn
sinen mundt nemen.
48, 22 hat D. richtig vor, nicht von.
48, 1 V. u. st. mit Eppfkrautt fest zesamon vermischen 1. mit
Eppenkrut safft
52, 7 1. in dem kopff.
52, 8 st solen 1. vlen.
53, 22 1. Dann wann es also ist. So kan er vor lenge des sna-
bels das asß nit verslinden.
55, 2 V. u. 1. Hait das federspiele die febres vnd viele vnnatur-
liehe hitze, So sal man yme geben das saSt von dem krude, das man
heisßet buckeln oder Bijfusß mit hunerfleisch zu essen.
56, 4 V. u. st gundelres 1. Gundelrebe.
57, 10 1. als die Appteker thunt, so etc. st vnd so.
58, 5 V. u. 1. Darnach sal man yne stellen vff ein dennen oder
Salgen Stangen, d. h. auf eine stange von tannen- oder weidenholz.
(Albertus Magnus lib. 23 cap. 23 super lignum Salicis aut abietis sem-
per sedeat) Hasslers „Tennen oder felchen Stangen" gibt ganz fal-
schen sinn.
89, 22 1. Vnd wan sie wunt sint, so ist yre zcunge etc.
90, 4 V. u. 1. jnnewendig wole suber werden.
91, 23 st damit 1. vnd nit
93, 1 V. u. st fliech 1. flöhe.
93, 3 V. u.: in D. steht richtig anderswo hat
94, 1 V. u. st gerent für milich 1. gereute sure milche = geron-
nene sauere milch. Statt „gereute" von geronnen (Lexer I, 878), das
ihm wol nicht vorständlich war, setzte der abschreiber von D. geremte,
wobei er vielleicht an „abgerahmt" dachte. Albertus Magnus lib. 22
bl. 175 a hat: lac acidum et bene commixtum.
95, 24 1. vnd den kopflf weil schern st beswäm. (Albertus Mag-
nus lib. 22 bl. 176b: caput radatur et bene depiletur.)
DARMSTADT. ADOLF SGUMmT.
32
ZU BEESKE DE V0&
377-L Isegrim sprack: „uat schoUe dai wesen^
Dai ik nicht scheide lesen, wat yd ock sy?
Ja^ dhdßschy tcalseh, latin, ok franxoss dar by.
Hebbe ick doch to Erfort de sehole gheholdenf
Oek hebbe ick myt den wysen olden
Questim ghegeuen unde sentencien.
schule holden bezeichnet jetzt in Xiederdeutschland allgemein die tatig-
keit des lehreis. Da aber diese bedeatung hier nicht in den Zusam-
menhang zu passen scheint, und man im Reinaert t. 4048 %. der älte-
ren ausgaben liest:
cp Westvalen ende Prorin
(hebbik) gegaen ter Iwger seoleny
so bemerkt Lübben in seiner ausgäbe des Beinke Oldenburg 1867 in
der anmerkung zu t. 3778 auf s. 258 (vgl. auch das glossar unter hol-
den): ^de schale holden hier vom schüler gesagt, der die schule be-
sucht^ Ihm hat sich auch Karl Schröder in seiner ausgäbe (Leipzig
1872; angeschlossen, indem er ausdrücklich erklärt: schale (ge) holden
nicht ,,scbule halten*^ sondern ^^die schule besuchen^, während in Fr.
Priens ausgäbe (Halle 1887) die stelle unerörtert blieb. Auch im Mnd.
wb. bd. 4, s. 111 wird v. 3778 ähnlich erklärt durch: ^habe ich mei-
nen Unterricht empfangen » studiert^
Nun liest aber K Martin in seiner ausgäbe des Reinaert, Pader-
born 1874, 8. 217 T. 4038 tg.:
Op Westvalen cpuie te Ptorijn^
hebbe ic die scolen gehouden.
Da also der niederdeutsche text sich auch an dieser stelle als genaue
Übersetzung des niederdeutschen erweist, und da jeder nachweis fehlt,
dass das mnl. scole houden wie das mnd. schale holden in anderer als
der jetzigen bedeutung vorkommt, so sind wir genötigt, uns nach einer
anderen erklärung des ausdrucks umzusehen. Nach meiner meinung
heisst de schale liolden auch hier nichts anderes als ^«schule halten''
und erklärt sich aus dem damaligen studiengange der Universitäten.
Diese teilten sich bekanntlich in die vier fakul täten der theologie, Juris-
prudenz, medicin und der ,,freien künste"". Die artistenfBÜ^ultät war
den anderen untergeordnet und vertrat die stelle unserer gymnasien:
1 ) Martin vermatet einl. s. XXII mit recht eind eotstelluDg dieses verses und
möchte lesen: te Westralen op d'Erforiijn, In der Delffter prosa heisst es: f^ kMe
ierffortden ter scolen gkegaen.
zu BXXNKE DB V08 33
unter der leitung eines magisters hatte der scholar zunächst hier einen
lehrgang durchzumachen; dann wurde er baccalaureus und hatte als
solcher weiter zu studieren, zugleich aber sich selbst lehrend zu
versuchen (vgl. F. Kurze, Deutsche geschichte im mittelalter. Stutt-
gart, Göschen 1894 s. 178). Da aber die erlangung der magisterwürde,
welche an diese Vorbedingungen geknüpft war, von einem jeden gefor-
dert wurde, der in eine der höheren fakultäten eintreten wollte, so
geht daraus hervor, dass Beinke, der es nach v. 3781 zum licentiaten
der rechte gebracht hat, auch selbst lehrend aufgetreten sein muss. Es
scheint aber durchaus angemessen, wenn Beinke seine sprachkenntnis
durch die bemerkung zu erweisen sucht, dass er in Erfurt die würde
eines magisters der freien künste erlangt habe.
NORTHEIM. R. SPRENGER.
MITTEILUNGEN AUS MITTELHOCHDEUTSCHEN
HANDSCHRIFTEN.
Im nachlasse des am 12. juni 1812 an der landesbibliothek zu
Wiesbaden angestellten, am 4. december 1817 entlassenen und am
9. Oktober 1858 zu Endenich bei Bonn gestorbenen dr. Helferich
Bernhard Hundeshagen finden sich die nachstehenden stücke 1 — 4
in säubern abschritten vor, die derselbe wol herausgeben oder jeman-
den mitteilen wolte. Da Hundeshagen 1817 nach Bonn zog und gänz-
lich herabkam, unterblieb diese absieht
1. Liebesbrief ^
Vil Über brif, nun var mit heil.
Du gewinnest aller seiden teil.
Als ich dich bescheiden kan,
Dich sieht mein frouwe selber an.
5 Daz were [ist] dir ein groze er.
Dir widervert noch eren mer.
Darumb sei [Davon bis] fro, daz ich dich sende,
Sie beut nach dir ir weissen [weisse] hende.
1) Dieses interessante stück ist nach einer aus Kegensburg durch v. Gemeiner
mitgeteil^n handschrift (original?) abgedruckt im Morgenblatt für gebildete stände
1815 nr. 167; ygl. Zeitschrift f. d. alt. 36, 358. Der ältere druck enthält zahlreiche
abweichongen von dem hier durch Roth gebotenen texte, die ich — soweit sie ganze
werte betreffen — in klammern oder unter dem texte hinzufüge. o. s.
ZBXBGHRIFT F. DKUTSOmE PHILOLOGIE. BD. XXVIU. 3
34 HOTH
Dir mag noch mer werden kunt,
10 Si list dich mit irem roten mund.
Daz weite got, daz selbes [halb es] mir
Mocht wider varn, waz man dir
Grozer ere dort enbeut [erbeut]!
Wie selig wer mir solche zeit!
15 So var nun hin, du yerst mit ere,
und gruzze mir die minnigliche here,
Gruz mir iren rosen varben mund,
Gruz sie von mir zu tausend stund,
Gruz mir ir wenglein rosenvar,
20 Gruz mir ir spilden auglein klar,
Gruz mir ir helslein hermelnweiss [harminweiss],
Gruz die libe mir mit fleisz,
Gruz mir ir herz und iren sinn |ire sinne],
Gruz mir meines herzens konigin [königinnej,
25 Gruz mir ir danch und iren mut,
Gruz mir die herzens frouwe gut.
Gruz mir sie, der ich gutes gan,
Gruz sie von mir eilendem man,
Und sag ir meinen dienst von herzen gar,
30 Sie möge [Ich lass sie] wissen offenbar,
Wie ich getracht hab lange stund,
Dass [Wo] ich ein frouwe finden kunt.
So [Die] minnigliche wer gestalt,
Mit züchten fro, zu rechte bald.
35 Der wolte ich mich eigen geben,
Mein leib und mein leben.
Ich bin frO; ich hab gefunden,
Wan ich bev meinen stunden
So trautes [liebes] lib noch nie gesach [nie ich sach].
40 Euer äuge in mein herze brach.
Da ich zuerst euch erblickte [an erblickte].
Vor vrouden ich ersohrickte,
Ich dachte, daz solde sie [die] sein.
Die mir so [mir die] senecliche pein
45 Eeren [Wenden] sol, die ich getragen
35 — 37: Der wolte ich für eigen gebeo Beide leib und leben Xan wol ich
hab euch fanden
lUTTXILUNOEN AUS MHD. HANDSCHRIFTEN 35
So [Hab] lange her bey meinen tagen.
Ir seid [seit's] ein engel an gemflte,
und eine turteltaub an g&te,
Der tugend [Und seid der tugend ein] blühender stam;
50 Gepreist sei [Des ist gepreist] euer edler nam!
Ir seid gebild von gotes banden,
An euch ist kein fei vorhanden.
Ach herzens liebste [herze liebe] frouwe mein,
Nu lazzet an mir werden schein,
55 Daz euch die werft des besten gicht,
Ich hab^kein ander [doch andre] hofnung nicht,
Als die ich gen euch frouwe [froue gen euch] han,
Des solt ir mich geniezen lan.
In meinem herzen seid ir verslossen,
60 Dar inne seid ir gar vervlossen,
Darin must ir gehauset sein
Nu bis [Nun stets bis] an daz ende mein.
Ob euer gute mir heiles gan.
So helfet [ratet] mir eilendem man,
65 Wo ich euch [Wo die] heimlich mög ergan,
Daz ich euch frouwe wol getan
Ean sprechen, als ich willen han
Und doch on allen valschen wan.
Nu lieber brif, bis mir [mir ein] guter bot,
70 Damit verleih der liebe got.
Dazu alles himelische her,
Daz sie sich Üblich gen mir ker.
Amen.
2. Tom mSnch Felix ^
Ein heyliger mönch einest was.
Der gerne von got las.
Was er geschriben fand,
Der was Felix genant
52 Dess seid ir gar od allen wandel
1) Jüngere, gekürzte bearbeitang der bei Hagen Gesammtaben teuer III, 613 —
623 abgedruckten legende; andere fassungen bei Orimm, Altdeutsche wälder n, 70.
Zeitschr. f. d. a. V, 433. Pfeiffer, Germania IX, 260. Vgl. Wackernagel, Litt.-gesch.
I*, 214. Gering, tslendzk aevent^ 11, 120 — 122. Zu den dort erwähnten moder-
nen behandlungen des Stoffes ist nachzutragen: Elise Polko, Neue novellen, 6. folge
(Letpsig 1866) s. 277 fgg. bkd.
3*
36 BOTE
5 Des momdes ging er
Mit einem buch aus dem münster,
Alda er zu lesen began
Und traf diese stelle an,
Dass in dem himel were
10 Stets freud one schwere
Ewiglich one ende.
Beyde äugen und hende
Erhob er zu dem herm:
0 got, ich glaubte das gern,
15 Was diss buch mir spricht,
Doch ich begreife es nicht
Da kam ein vogelein.
Das war gar merklich cleyn.
Doch tat es so minniglichen sang,
20 Dass der mönch aufsprang.
Und das buch verschloss.
Sein freud die war gross.
Im ward noch nyemals so wol,
Sein herze war freuden voll.
25 Das Beste, so im gescheen was.
Das hoechst, so er an büchem las
Dunckte im kein freud zu sein
Als der gesang des vögeleyn.
Wer es hörte singen,
30 Dem wars wie Harfen klingen.
Alle tone waren nit so süsse
Wie dieser Tone grusse.
Dem heilig mann
Nun in sinnen kam,
35 Dass er mögt das voglein fangen.
Da flog dasselb von dannen.
Er sprach: Eva, Hb vogeleyn
Du hast erfreut das herze meyn.
Mir dauchte gleich
40 Ich war im hymelreich.
Deiner stimme klang
Ist über allem menschlichen gesang.
Ze hand eine glook erklang,
Ze läutende den mittag gang.
MITTEILUNGEN AUS MED. HANDSOHBIFTEN 37
45 Da begann der mönch zu bangen,
Dass er nit ins kloster gangen.
Gross reu er da empfing,
Gegen die pfort er eilends ging.
Der pfortner zur pforten lief,
50 Der mönch aussen rief:
Eya bruder lass mich eyn!
Der pfortner sprach: wer magst du sein?
Ich bin der mönch Felix gnant,
Dem abte wol bekant
55 Wye seid ir her gekomen,
Hab nye was von dir vemomen.
Dreissig Jar seind es an der zeit,
Dass ich mich diesem haus geweiht,
Doch ich dich nimmer sach.
60 Der mönch zum bruder sprach:
0 lasse deynen groben spott,
Auch ich sah euch nye, bey Gott!
Ich ging vom münster zur prim.
Gar grosse freud ich da empfing
65 Von eynem kleinen vögeleyn.
So gross ward die Freude meyn,
Dass nicht gang ins kloster eyn.
So ist mir die zeit entpflogen
Und ward ich um die stund betrogen.
70 Der pfortner red gar unverdrossen:
Die pforte wird nicht aufgeschlossen.
Ich kann euch nicht einlassen.
Drum gehet gemut euer Strassen.
Der mönch begann zu flehen,
75 Er solle doch zum abte gehen,
Dass er zur stelle käme
Und seine red vernehme.
Der pfortner zu dem abte ging
Und sagte im den anbeging.
80 Ein mönch steht vor der pforten
Und spreche offenbar von werten
Er sei gewesen vierzig Jar
In diesem kloster gar.
Der abt die Ältesten nam
38 ROTH
85 Und vor die pforte kam,
Doch keiner hat in je gesehen.
Da hiess in der abt ins siechhaus gen,
Wo ein viel alter mönch gelag,
Den fnig der abte um die sach.
90 Der sprach: Do ich war novitius
Und läse in canonibus,
In diesem kloster ein mönch was,
Der gern von got las,
Der was Felix genant
95 Zur prime zeit er einst entschwand,
Der ist jetzt zurück gekommen.
Das soll dem kloster frommen.
Ein vil heiliger man
Do in das kloster kam.
100 Felix war es gewesen eine stund an zeit.
Die däucht im eine ewigkeit,
Von stund an er gern von got las
Und von got begriff er das,
Dass des himels freude one ende
105 Der her den seinigen zuwende. Amen.
3. Unser Heben franen ritter^
Eyn ritter ktin und weiss.
Sucht ritterlichen preiss,
Dabey from und dugenthafft
Maria zugethan in grosser krafit
5 Und liebe, die er ir
Stets bot in frommer zier.
Er wolt zu eym turney
Gewinnen ehren mancherley
Nach ritters art einst reiten.
10 Am münster sah er die mess bereiten.
Der ritter dachte fromm im sinn
Zu hören eine mess zu ehr Marien.
Er ging ins münster und hört die messe bass.
Doch als die messe nicht zu ende was,
1) Jüngere, gekürzte bearbeitung der bei Hagen G. A. IQ, 466 Ig. Hahi
FAssioiial 142, 75 " «i^Midnioktea erztthliiDg. bid.
MITTEILUNGEN AUS IIHD. HAND8GHBIFTEN 39
15 Hub schon eine ander an.
Da wolt er nicht von dannen gähn
Bis die zu end gesprochen war.
So blieb er in dem Gottes haus
Bis Mittags war die letzte messe aus.
20 Als alles gebracht zum ende was,
Er schnell auf sein ross gesass
Und reitet eilig zum tumey
Onwissend, dass es längst vorbey.
Die leute ritten im entgegen
25 Und lobten ihn als wackem degen
Auf Työst und schwerthieb fest
Noch keiner sei also gewest.
Je keinen ritter sye gesehn
So kühn die^ritterschaflft begehn,
30 Dass er mit seinem grossen mut
Erstritten viel hohes gut,
Dass ihm ein hohes los gefallen
Ehr, Preis und gut vor allen.
Den ritter nam gross wunder das,
35 Do er nicht beim tumey was,
Alsbald er begann zu schauen
Ein wunder unser lieben frauen,
Die gestritten hat für in.
Erzält, dass er am tumey kein gewin,
40 Dass er nicht dabey gewesen,
Die weil er im münster messe hören lesen.
Drumb ihn sein hoher sinn
Zog ganz zu Marien hin,
Marien weiht er seine ritterschafß;
45 Im closter mit aller tugend kraft.
Zu ir zog in sein ganzer sin
Zu des himels konigyn.
4. Dlz ist ein segen fDr den Blten.^
Rit vü böse ich beswere
Dich bey der heiligen lere.
Die got in dem Jordan hat entphangen,
1) Parallele zu dem Ztschr. f. d. a. 17, 430 mitgeteilten fiebersegen. bid.
40 ROTH
Daz du am dritten tag seyst vergangen.
Bit du solt gedencken,
Daz sich Jhesus Christ liss hencken
An daz frone crucze here.
So virmide mich heut und immermere.
Do Jhesus an der marter hing
Und seyn bitter leyd anfing,
Do sprach ein Jude in seinem spott:
Hast du den riten, herre gott?
Wan ich den Biten nit enhan
Und ich den riten nye gewan,
Noch der in nymer darf gewynnen,
Der disse wort gesprochen kan:
Ez ging sich über lande
Der gut herre sante
Johannes.
Da kamen zwen vnd sibentzig riten gegangen: Herre meist
wo wolt ir hin? Da wil ich in diesen walt und wil zwey vnnd sibe
zig widen . hawen und wil euch binden. Herre meister, daz laut s
wir wollen euch geloben, daz wir nimmer kommen an, ez seye frau
ader mann, der dis wort gesprechen kann.
5. Ein new Ued Ton Hans und Llenhardt dem YltteP.
1. Nun wollen wir aber heben an
Ein newes lied zu singen.
Was zu Augspurg gesehen man,
Es soll mir wol gelingen.
Vittel Hanss ist er genant,
Vorm kaiser er gelegen wäre
Um ein Sach, das sag ich euch fürwahre.
2. Er kam gen "^ Augspurg eingeritten
Wohl in die werte Stadt,
Wann er thät nach seinen Sitten,
Und auf das Rathaus er trat
Auf dem Bathaus solt er geschworen han.
Das wollt er nicht gethun,
Er woUts Yor dem kaiser austragen lan.
1) Nach stark venuiatalteter überiiefianuig miiigeteilt bei Lilienoron, bist yd
lieder nr. 149.
MITTKILÜNOEN AUS MHD. HANDSCHRIFTRN 41
3. Er stund bis auf den andern Tag,
Man eilet also gach,
Hans Yittel an den Eisen lag,
Lienhardt thät man es auche.
Das Hecht liess man über sie gehn,
Ihr Leben mussten sie geben,
Sollt das seyn Recht oder Eben.
4. Sie hiessen inen Dinten und Feder bringen,
Ein Brief thaten sie schreiben
Iren Kindern vor allen Dingen
Und ihren ehelichen Weihen:
Um Unschuld müssen wir sterben,
So hilf uns Maria die reine Magd,
Lass uns dein Ejnd Onad erwerben.
5. Fürsten und Herren mit Bitten anliegen
Herzog Albrecht hochgeboren,
Dem Bischof war sein Bitt verzigen.
Dem Abt von Sant Ulrich verloren
Und andern mehr Thumherrn,
Dabey sechshundert Fräuwlein
Wolt man ihr Bitt nit gewähren.
6. Man zog die Sturmglocken an,
Die Söldner zogen dort here,
Da liefen die Frauen und Man
Und weinten gar sere.
Sie stiegen die Berlachstigen hinab,
Sie traten Hende und Füsse, ich sag,
Man meint, es kam der jüngste Tag.
7. Und da man die Vittel führt am Tage
Und man ausrufen wolt lan.
Vor manicher grosser Klage
Das Rufen könnt man nit verstahn.
Da stunden die Vittel die werthen Leut,
Sie riefen dem Schwartzen dahere
Und redten im an sein Ehre.
8. 0 Schwartz, du^^bist ein rechter Dieb,
Umb Unschuld willst du uns tödten.
Wir haben dir kein leid gethan nie
Und stehn in grössten Nöthen.
i
42 BOTE
Um Unschuld müssen wir sterben,
So hilf uns Maria die reine Maid,
Lass uns dein Eand Gnad erwerben.
9. Und da sie auf die Richtstatt kamen
Und jeder sein Beicht het gethan,
Die brüder von einander Urlaub nahmen:
Ach Bruder durch Gott solt du ablan,
Durch Gott solt du vergeben,
Was wir um Unschuld leiden müssen,
So faren wir ins ewig leben.
6. Wie man den Schwartzen rieht ^.
1. Augspurg ist eine werthe Stadt,
In einem Jahr eben, ja eben
Dem Burgermeister es do gabt
Gar an sein Leben, ja Leben.
Die Vittel thaten die Warheyt sagen,
Drumb man diesen ihr Haubt abgeschlagen,
Dem Kurtzen es an das Leben ging,
Schwartz und Taglang an dem Galgen hing.
2. Der Schwartz nahm sich an des Handels viel,
Do er nur an der Steuer sass im Sause,
Es war ihm gar ein eben Spiel,
Da er das Geld in Hüten aussmasse.
Mangmeister wollt kein Theil daran han.
Er hub sich auf und schlich von dann,
Mangmeister ihm that Verrath,
Und legt die Sache hintern Rath.
3. Bleib morgen daheim mein Herre,
Seine Frau gen den Schwartzen sprach.
Mir hats geträumt, ein Traum gar schwere,
Dass man euch morgen fach.
So schweig, so schweig, lieb Freüwelein,
Bist du Kaiserin, so will ich Kaiser sein.
Die Gewalt will ich über sie han,
Bin gar ein listiger man.
4. Des Morgens da er ging in Rath,
Man ihn mit den andern fangen that,
1) Sehr abweicheDd bei Liliencron, bist Volkslieder nr. 150. bi
MITTKILUNGBK AUS MHB. HANDSCHRIFTEN 43
Den Schwartzen warf man an die Eisen ein,
Er hat geschenckt Most für Wein,
Er hat gestohlen also viel,
Mehr, als ich euch sagen will,
Mit seinen guten Gesellen,
Die haben ihm helfen stehln.
5. Der schwartz Rapp macht ein Capittel,
Da musten sterben beyde Vittel,
Da sah man Weib und Kleinen
Allenthalben auf den Gassen weinen.
Des Rappen Nest das wurd zerstört,
Da Jesus Christus Jahrzahl wehrt
Im Jahr mit einem M geschrieben.
Vier C, ein L, zwey X und sieben.
6. An des aprillen achtzehenten Tagen
Für das Bathaus kam ein Wagen,
Den thät der Schwartz betreten,
Auf denselben zu^sitzen empor
Ihn zum Galgen führen vor das Thor.
Da ward nm ihn kein Beten,
Manniglich sich erfreuen that,
Dieweyl er das Hencken verdinet hat
Nr. 5 und 6 aus handschrift des 15. — 16. Jahrhunderts, zwei
Wätter folio, in Hundeshagens nachlass.
QELSENHEIM. F. W. £. ROTH.
t>AS CHEONOLOGISCHE VEEHÄLTNIS VON STEICKEES
DANIEL UND KAEL
Fast allgemein nahm man bisher an, dass des Strickers poetische
Tätigkeit mit der dichtung seines Artusromans Daniel von dem blühen-
cJen tal begonnen habe (ausser den litteraturgeschichten vgl, besonders
^artschs einleitung'zum Karl s. III); begründet wurde diese ansieht
immer einzig und alleinT durch die mancherlei freiheiten in spräche
Vind Versbau, die der Daniel gegenüber des Strickers andern werken
zeigen sollte (obwol man darüber eigentlich ohne Untersuchung der
handschriftlichen Überlieferung und ohne ausgäbe des_/gedichts gar kein
44 LEITZMANN
urteil haben konnte), und die man nur einem anfanger glaubte zu gute
halten zu können. Die Chronologie der andern gedichte des StrickeiB
war schwankend: einige setzten den Karl, die emeuerung des alten
Rolandslieds vom pfaflfen Konrad, unmittelbar nach dem Daniel an;
Bartsch versuchte in der oben citierten einleitung eine reihenfolgo zu
begründen, wonach der Karl etwa in den beginn der zweiten hälfte
von des Strickers dichterischer produktion, jedenfalls nach dem frauen-
lob gefallen sein solte. Fest schien aber immer das zu stehen, dass
der Daniel des Strickers erstes werk war. Nur bei Wilhelm Grimm
finde ich in einer allerdings erst nach seinem tode gedruckten abband-
lung „Deutsche Wörter für krieg" eine andere auffassung; dort heisst
es bei golegenheit des wertes ivifjant (Kleinere Schriften 3, 527): „mer-
kenswert ist Stricker, weil er in seinem Karl das wort absichtlich in
allen den stellen übergeht, wo er es bei dem pfafien Konrad vor sich
hatte — nur erscheint es einmal in dem später gedichteten Daniel
und zwar im reim", wozu Grimm in der anmerkung hinzufügt:
„Stricker hat es aus Roland, denn der Daniel ist später gedichtet."
Wie Grimm sich diese ansieht begründete, habe ich nicht auffinden
können; trotzdem er sie so sicher ausspricht, hat sie doch niemals
jemand geteilt.
In jüngster zeit nun hat Gustav Rosenhagen, der erste her-
ausgeber des vollständigen Danioltextes, in seinen Untersuchungen über
Daniel s. 110 und in der ausgäbe des gedieh ts s. IX, unabhängig von
Grimm und ohne seine eben citierte ansieht zu kennen, die zeitliche
Priorität des Karl vor dem Daniel behauptet Die kritiker seines
buches haben sich nach beiden selten hin entschieden: Seemüller hat
seiner ansieht ohne rückhalt zugestimmt; Meier und Singer haben —
allerdings ohne nähere begründung, als dass sie bekannten von Rosen-
hagens argumenten nicht überzeugt zu sein — sich abweisend dagegen
verhalten. Bei gelegenheit der besprechimg von Rosenhagens arbei-
ten für diese Zeitschrift 27, 543 hatte ich mich eingehend mit dieser
frage zu beschäftigen und will meine gleichfalls von Rosenhagen abwei-
chende ansieht hier des genaueren darlegen.
Zunächst wären also Rosenhagens argumente für die priorität des
Karl zu entkräften, was nicht schwer fallen kann, da sie tatsächlich
(obwol er s. 112 bemerkt „die angeführten stellen beweisen nun klar
und deutlich, dass der Karl älter ist als unser gedieht") auf sehr
schwachen füssen stehen. Er findet nämlich, dass die stellen im Da-
niel, welche die Wirkung dos geschreis dos tieres schildern, notwendig
die Schilderung der Wirkung von Rolands blasen auf dem hom 01i£EUit
STBIOKEBS DAMIBL UND KARL 45
im Karl, der dem Rolandsliede nacherzählt, voraussetzen; die betreflfen-
dei:i stellen (Roland 10, 4. 18. 214, 30; Karl 772. 7096; Daniel 752.
2900. 2944. 5746. 5766) hat er daher zweimal (Untersuchungen s. 110
und ausgäbe s. X) neben einander gestelt; ich brauche sie nicht aus-
führlich zu eitleren. Mir scheinen die geschilderten dinge zu sehr auf
der band liegend und zu einfach, als.dass man überhaupt an „remi-
niscenzen" zu denken brauchte. Der schall des tieres und des hornes
ist so gross, dass keiner den andern hören kann, und dass viele vor
schrecken und betäubung wie tot zur erde nieder und von den rossen
fallen. Diese naheliegenden Vorstellungen sind in allen drei gedichten
schmucklos ausgedrückt, zwingende wörtliche Übereinstimmungen sind
nicht zu entdecken. Ich bekenne mich von Rosenhagens beweisführung
gänzlich unüberzeugt und glaube, dass andere bei vorurteilsfreier betrach-
tung denselben eindruck haben werden.
Wir müssen also auf einem andern wege zur entscheidung der
chronologischen frage zu gelangen versuchen. Bei der vergleichung
des Stils aller drei werke nun kann man folgende für die prioritäts-
firage recht wol verwertbare beobachtung machen: der Daniel ist
durch den Roland in sprachlichen Wendungen beeinflusst,
die im Karl, auch an den dem Roland entsprechenden stel-
len, entweder vermieden oder doch nicht mit der verliebe
wie im Daniel gebraucht sind. Das material ist nur gering, doch,
wie mir scheint, nur so richtig zu deuten:
ie bax mide bax (Roland 1, 24. 159, 2. 265, 10) steht Daniel 5225.
6488; im Karl fehlt es an allen drei stellen, steht dagegen 10512;
später ist es ein lieblingswort des Strickers (vgl. frauenlob 1338.
1581; gäuhühner 17; melker Sammlung 7, 193);
eilen (Roland 10, 9. 39, 16. 190, 12. 196, 9. 211, 19. 218, 7.
221, 8. 222, 4. 225, 23. 226, 4. 227, 2. 233, 3. 273, 18.
300, 8) steht in der formelhaften Verbindung baldex eilen Daniel
992. 3180. 3928. 5598, im Karl nur 7292. 7584;
ergremen (Roland 142, 9. 146, 5. 226, 21. 266, 23) findet sich im
Daniel 1142. 7480, im Karl nur 5122 (vgl. auch Amis 1905);
gottmäl (Roland 174, 6) steht Daniel 5120; im Karl ist die stelle ver-
ändert;
xtbrechen sam daz htwn (Roland 135, 16) wendet der Stricker im Da-
niel zweimal an (2761. 3191), wo auch sonst (3512. 4429) das huhn
in vergleichen auftritt; im Karl steht die wendung nur an der ent-
sprechenden stelle (4643);
46 LEITZMANN, STBICKEBS DANUL UND KABL
qmln (Koland 29, 33. 197, 1) begegnet im Daniel 2094. 2520. 3756.
3916, im Karl nur 5652;
den vergleich der kämpfer mit arbeitenden schmieden finden wir zwei-
mal im Roland (145, 18. 174, 8), zweimal im Daniel (3626. 5050),
aber nur einmal im Karl (5124); vgl. darüber meine Zusammenstel-
lung in Paul-Braunes Beiträgen 16, 356:
stn herxe ime spilete (Roland 210, 29) reflektiert sich in sin herze vor
vreuden spute (Daniel 3012), während an der entsprechenden stelle
im Karl die wendung vermieden ist;
entvnschen steht Roland 75, 13 und Daniel 3293. 3392 (wo auch 3648.
5173 hin vnscJien und 4397 üf tmschefi vorkomt), während es im
Karl fehlt;
endlich sei bemerkt, dass das schöne poetische bild si begunden einan-
der väre?i mit des tödes knehten (Karl 6592: gemeint sind tötliche
Verwundungen, nicht, wie Bartsch in der anmerkung erklärt, die
Waffen) nur verstanden werden kann, wenn den zuhörem die stelle
im Daniel 4054 er begimde im solhe siege geben, die wol des iddes
knehte mohteji stn mit rehte bekant war, an die es deutlich erinnert.
Gibt man mir richtigkeit und tragweito dieser beobachtung zu,
so hätten wir uns die dichterische entwicklung des Strickers etwa so
zu denken. Mehr als durch alle zeitgenössische höfische dichtung fühlt
sich der Stricker von früh an ergrüfen und erfüllt von der urwüchsigen
kraft und lebendigkeit der deutschen dichter des 12. Jahrhunderts, vor
allem vom Rolandsliede, das ihm frühe als eine art kanon erzählender
poesie erschienen sein muss. Sein erster schriftstellerischer versuch ist
der Daniel, im inhalte teilweise ein kompromiss mit der ihm unsympa-
thischen herrschenden geschmacksrichtung, in form, stil und färbe stark
beeinflusst vom Rolandsliede. Mangelnder erfolg und wol auch erstar-
ken der eigenen Selbständigkeit hcissen ihn dann die bahn des höfischen
romans, auf der ihm lorbeem nicht beschieden waren, verlassen; er
modernisiert sein geliebtes Rolandslied, wobei er jedoch die im Da-
niel noch vielfach hervortretende archaistische färbung der spräche und
des Stils vermeidet; die grosse zahl von handschriften, in denen uns
der Karl überliefert ist, spricht dafür, dass sein beginnen beifall und
anerkennung fand, wenn er auch natürlich dem geist der Vergangen-
heit, den er verehrte, nicht die herrschaft über die gegenwart erringen
konnte. Erst später hat er dann im gebiete der kleinen erzählung, die
er zum ersten male zur meisterschaft bringt, das richtige feld der tätige
keit für sein talent gefunden.
IRDMANN, ZÜB TEXIKBITIK DES ORBOOBIUS 47
So muss es denn doch bei der alten ansieht, dass der Daniel
des Strickers frühstes werk ist, der Karl erst sein zweites,
meiner Überzeugung nach sein bewenden haben.
WEQIAR, 14. OKTOBER 1894. ALBERT LETTZMANN.
ZUE TEXTKRITIK VON HAETMANNS GEEGOEIUS. L
Eine neue ausgäbe des Gregorius auf grund des durch die auf-
findung der Konstanzer handschrift (K) sowie der lateinischen Über-
setzung Arnolds von Lübeck (herausgeg. von 6. v. Buchwald. Kiel
1886) erheblich erweiterten und verbesserten materiales der textkritik
ist ein dringendes bedürfnis. Ich hatte eine solche selbst in angriff
genommen, bin aber von diesem plane zurückgetreten, seitdem dr.
K. Zwierzina in der Zeitschr. f. d. alt. 37, 129—217. 356 — 416 seine
eingehenden Studien über den wert und die gruppierung sämmtlicher
Oregoriushandschriften veröffentlicht und mir mitgeteilt hat, dass er
selbst die Veranstaltung einer ausgäbe beabsichtige. Möge dieselbe nicht
zu lange auf sich warten lassen! Vielleicht können ihr die beobach-
tongen und bemerkungen in etwas zu gute kommen, die ich — um
meine vorarbeiten und namentlich meine vergleichung der hss. K und I
(jetzt in Berlin auf der königl. bibliothek, Germ. qu. 979) nicht ganz
anbenutzt zu lassen — in dieser Zeitschrift veröffentlichen will, und
zwar zunächst zu dem texte der einleitung, den Zwierzina Ztschr. f. d. a.
37, 407 fg. nach IK und den in G erhaltenen fragmenten konstruiert
hat Ich zähle die 170 verse der einleitung für sich; am anfange des
hauptwerkes würde ich raten, von neuem mit 1 zu beginnen, um die
in allen lexikalischen und grammatischen hülfemitteln eingeführte Zäh-
lung Lachmanns beibehalten zu können.
5 fg. Zwierzina schreibt: dax rieten im (dem herzen) diu tum-
ben jär; die Verbesserung des nü in K ist sehr ansprechend und kann
sich gegenüber dem mir der in der einleitung oft wenig zuverlässigen
handschrift I wol behaupten. Was den Inhalt der ganzen stelle betrifft,
80 brauchen die iumben, d. h. jugendlichen jähre noch gar nicht
vorbei gewesen zu sein, als der dichter diese verse schrieb; vielmehr
passt die entgegengesetzte annähme, dass sie noch in Hartmanns frühere
zeit zu setzen sind, viel besser zu v. 12 — 16, was schon Naumann
Ztschr. £ d. a. 22, 40 mit recht betont hat Die ansieht Schönbachs,
der in seinen Untersuchungen (Graz 1894) s. 455 den Gregorius sogar
48 EBDMANN
später als den Iwein ansetzen will, findet in dieser stelle der einlei-
tung ebenso wenig eine stütze wie in den bisherigen beobachtungen
über spräche, stil und versbau beider dichtungen. — V. 6 hat, wie ich
glaube, K die echte lesart: 7iu weix ich doch dax fßr war, vgl. z. b.
Iw. 1188 ich weix doch wol, dax ex geschach, 1623 nu weix ich doch
ein dinc wol. Wenn IG beide für doch ein wol setzen, so ist darüber
ebenso zu urteilen wie über viele ähnliche falle, die Zwierzina selbst
37, 393 angeführt hat — 7 lese ich auch in K des, nicht der, was
Zwierzina angibt
21 fg. sind von Zwierzina, wie ich glaube, richtig hergestellt
Über den rührenden reim rihtet : b(e)rihtet s. zu 99 fg.
28. K bietet ohne anstoss: und soll im sin sele; das mit in Gl
halte ich für einen unechten zusatz, veranlasst vielleicht durch das mit
in V. 27.
36 fg. deutet der text von K auf die ursprüngliche fassung: xe
sprechenne von wärheit, dax gotes tville waere = wahrhaftig (etwas)
zu reden (d. h. dichterisch vorzutragen), das Gottes wille wäre (d. h.
Gottes willen entspräche). Mit v. 38 fg. wird dann ein wider auf 36
zurückgreifender folgesatz angereiht: und (so zu reden), dass die grosse
last meiner Sünden etwas geringer werden möchte. 40 ringer ist durch
IK sehr gut bezeugt; dagegen wii-d die lesart von G geringet empfoh-
len durch Iw. 4264 geringet ivart ir schoene.
41. Von dem in I und mit voller deutlichkeit auch in K über-
lieferten missekeit == missecheit abzugehen liegt kein grund vor. Das
wort war bisher nur belegt im Pass. 58, 20: si (Christus und Jacobus)
wären an dem ayitlitxe inl nach gelich beide äne mhsecheide; es kann
hier entweder ebenfalls bedeuten: abweichung, verschiedenes oder wn-
stetes benehmen (indem Hartmann sich bald mit göttlichen, bald mit
irdischen dingen beschäftigt habe); oder es bedeutet: abweichung vom
rechtcfi und guten, bosheit oder Sündhaftigkeit, vgl. 46 missetät
51. In K ist (mit recht) ein abschnitt bezeichnet, nicht in I. Die
mehr oder weniger häufig in allen handschriften — teils durch Zwi-
schenräume, teils durch Initialbuchstaben — bezeichneten abschnitte
diuxjhweg anzugeben, halte ich für pflicht des kritischen herausgebers.
57. elliu sü7idigiu diet; die in K überlieferten adjectivformen
sind nicht zu ändern.
60. noch ist wol nur zusatz von I; das überlieferte deheifier (K
mit geringer Verderbnis: da kainer) ist nicht zu ändern.
71 steht in K hinter der ein 7?i mit einem i- punkte darüber;
das bedeutet bei diesem Schreiber: im, wie gleich darauf 74 im, ebenso
ZÜB TEXTKRITIK DKS QREQORIüS 49
41 mifier, 103 sinyic, 281 ungetviime und oft ähnliche Wörter mit erepa-
rung eines Striches gesclirieben sind. Diese von dem Schreiber von K
gemeinte fassung der im sich niht enruoche ist vielleicht die ursprüng-
liche; vgl. das Mhd. wb. 2, 798 ** zweimal aus geistlichen gedichten
(freilich ohne dativ) belegte reflexive f-uochen. Der sinn wäre dann:
(Gott,) der ihm sich nicht rücksichtsvoll (d h. gnädig, barmherzig) be-
weise; vgl. 138. Geläufiger freilich, aber in keiner handschrift bezeugt,
ist Zwierzina's: der sin niht enruoche. Sonst stimme ich in der her-
stellung der satzreihen 66 — 78 fast ganz mit Zwierzina überein; nur
betrachte ich 69 als beginn des nachsatzes zu 64 fgg. und halte in 70
das er für fehlerhaften zusatz von K.
84. mos, welches in der bedeutung sumpf recht gut in den
Zusammenhang passen würde, scheint mir durch I gegenüber 6K zu
wenig gestützt zu sein. Ich schreibe mit GK: 7ioch gebirge noch
wali, so dass auch dieser vers wie 82 und 84 ein par von gegensätzen
enthält
97: abschnitt in K, nicht in I.
100. I: er ivas komen in im gehalt; K: er tvas kamen in ir
walt. Das zweite halte ich für das richtige, da gehalt Mhd. wb. 1, 623
nur in jüngeren quellen belegt ist, und auch nicht genau in der hier
geforderten bedeutung. Der gebrauch rührender reime wie gewalt :
tcait bei Hartmann ist noch festzustellen, vgl, oben 21 fg.
108. vingerbloz aus ungebloss K halte ich für eine glückliche
conjectur Zwierzina's, obwol mir der ausdruck sonst nicht bekannt ist
110. defie Jiett in K ist doch wol zu ändern in dane fiet = do
enheU
123. In K steht: warbeiide (vgl. 15 arstarh, 16 arwarb u. v. a.)
*= werbende I; Zwierzina's tveibende verstehe ich nicht doch aus I
beizubehalten habe ich keinen grund.
138. be}*uochen conjiciert Zwierzina wol richtig aus verruochen in
K, da dieses in einer hier passenden bedeutung sonst nicht belegt ist.
148. 149 sind von Zwierzina glücklich hergestelt
154 halte ich für richtig (nach K): ob ieman xe gotes hulden,
mit Überladung des ersten fusses. I hat: ob ex xe g. h.
KIEL. O. ERDMANN.
'■nSCHBIIT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXVIH.
50
BEITRÄGE ZUfi EEKLÄEUNG WOLFRAMS ^
L
1) Parz. 1, 15 ^. dix vliegende btspel
ist tumben Uuten gar xe snel,
sine mugens niht erdenken:
taand e^ kan vor in tcefiken
rehie cUsam ein scheüec hose.
Diese stelle, auf welche man wol mit recht die bitteren werte von des
hosen gesellen in Gottfrieds Tristan 4636 fgg. bezieht, hat — wie es
scheint — auch noch . einen andern dichter, den Stricker, zu einer
polemischen anspielung bewogen. Doch knüpft er nicht wie Gottfried
an das bild von dem hasen, sondern an das von dem fliegenden bei-
spiel an. In seinem „Frauenlob'' (Ztschr. f. d. a. VU, 478 fgg.) verkün-
digt er nämlich v. 86 fgg. ein gedieht,
daj^ in den sintie^i höhe sivebe
und iedoch in der mä^
dai^ ichi^ niht v He gen lä^
nach stnem wilden mtiote,
da^ ich^ so habe i7i htwte
da^ man e^ rinclichen sefie
unde im doch der hoehe jehe
da^ e^ 7iiht an schrien
weder die krän noch taten.
Die Vorstellung von dem fluge des maeres ist ja im mittelhochdeut-
schen nichts ungewöhnliches (vgl. Myth.* 747, Grimm z. Freid. 136, 3,
Frommann z. Herb. 13704 u. a.); aber die nachdrückliche betonung des
Strickers, dass sein frauenlob nicht nach sinem wilden muote fliegen,
sondern in massiger höhe sich halten solle, um weder unverständlich
noch trivial zu werden, scheint doch nur motiviert durch die annähme,
dass er einen bestimmten autor dabei im äuge hatte, dessen vliegende^
btspel gar xe snel war. Er hat dann den ausdruck, wie auch Albrecht
im j. Tit Str. 50 *, einfach wörtlich genommen, wälirend Wolfram doch
offenbar meinte: „Dies gleichnis von etwas fliegendem, nämlich von
der elster."
1) Diese beitrüge bilden die fortsetzung zu den Zeitschr. f. d. alt. 37, 138 fgg.
veröffentlichten.
2) Nach Lacbmanus abdruck (str. 46 bei Hahn): Diu flüge dirre spelle fuor
den tumben Hüten für uren gar %e snelle.
ZUB EHKLÄRÜNQ WOLFRAMS 51
Die Vermutung, dass die angeführte stelle aus dem „Frauenlob"
eine spitze gegen Wolfram enthalte, wird dadurch bestärkt, dass in
demselben gedieht noch eine zweite äusserung auf ihn gemünzt zu sein
scheint Es heisst nämlich wenige zeilen später, v. 120 fgg.:
solt wh die not besorgen,
wa^ si sprechen begunden,
die niht gemerken künden
wa^ ich sagte oder sprceche,
U7i^ ich die schulde gerceche:
das, borgen iint dag, gelten
die brcshten Uhte ein schelten
wei^ ich selbe y wae, ich sage
und tvelhei^ verte ich nach jage,
son darf man^ ditttschen Hüten
niht anderstunt bediuten.
Die Worte erinnern lebhaft an die bekannte Willehalmstelle (237, 8 fgg.),
wo Wolfram über die dunkelheit seiner ausdrucks weise scherzt:
seht wa^ ich an den reche,
den ich dix mcere diuten sol:
de7i xceine ein tiutschiu spräche wol:
7ntn tiutsch ist etstvä doch so kru7npy
er mac mir Ithte sin xe tump,
den ichs niht gähs bescheide:
da silme tvir uns beide.
Auch das wort rechen kehrt, wie man sieht, beim Stricker wider.
Angeregt sind die beiden polemischen stellen im „ Frauenlob **
offenbar durch Gottfried von Strassburg, der ja gleichfalls den vindce-
^w vdlder lyume, bei denen er gewiss zunächst an Wolfram dachte,
vorwirft (4682 fg.):
si miie^e^i tiutcere
7nit ir inceren lä^eji gdn.
Natürlich kann Wh. 4, 19 fgg., wo der dichter von vielen tadlern
seiner muse spricht, der Stricker nicht mit eingeschlossen sein: seinen
*Qgriff hat Wolfram wol nicht mehr erlebt.
2) Parz. 12, 27 fg.: swer selbe sagt, toie wert er st,
da ist Uhte ein ungeloube bt
Bäftsch: „solcher aussage wohnt leicht ein Unglaube (von seiten der
Irrenden) bei.'' Ähnlich Simrock: „da steht Unglaube jedem frei.''
"ÄS ein ungeloube heisst, ergibt sich deutlich aus einer stelle in dem
"^ispiel „Des vögleins lehren", das Pfeiffer in der Ztschr. f. d. a. VII,
4*
52 8T08GH
343 fgg. veröffentlicht hat Eine gefangene lerche erkauft sich leben
und freiheit dadurch, dass sie dem Vogelsteller drei gute lehren mit-
teilt; die eine davon lautet v. 13 fg.:
stvä ein ungeloube geschiht,
des sult ir oueh gelouben niht.
Fortfliegend redet das vöglein dem manne dann vor, dass es einen
edelstein, grösser als ein straussenei, in seinem magen trage. Als aber
der leichtgläubige über den vertust unglücklich ist, ruft es v. 32 fgg.:
du hast übergafigefi
miiie lere %uid min gebot.
HU verbot ich dir bi got
niht xe glouben da^ mcere^
daz ungeloubec ucere.
Also ein ungeloube ist etwas unglaubwürdiges, ein m^ere, da^ ungelou-
bec ist. In derselben konkreten bedeutung haben wir das wort oben
bei Wolfram: „wer sich selbst rühmt, sagt leicht etwas unglaub-
würdiges, eine lüge mit dabei.**
3) Parz. 15, 22: da^ er uas gegenstrite^ vri
vor ieslichem einem man.
An der Wortstellung ieslichem einem nehmen Bartsch und Buchenau
(Über gebrauch und Stellung des adjectivs in Wolframs Parzival, Strass-
burger dissertation 1887, s. 23) mit unrecht anstoss. einem ist hier
nicht unbestinmiter artikel, sondern Zahlwort; es heisst nicht „vor
einem jeden** sondeni „vor jedem einzelnen manne.** Nur mehrere
g^ner zusammen wann Gahmuivt gewachsen, so dass er eigentlich
wie Gramoflanz (004, 12 tgg. 685, 4 fg. 15. 705, 19 fgg. 707, 24)
niwan mit xuein hätte kämpfen müssen.
In ganz analoger weise tindet sich ein gebraucht Iw. 5347 fg.:
wände ie sin einer slac
vaste wider ir xwrin wac,
wo der neueste horausgeber nicht von seinen Vorgängern und Paul
(Beitr. I, 38t)) hätte abweichen sollen, sin einer (so A, ainiger dl)
slac ist keineswegs gleichbedeutend mit ein sin slaCy sondern heisst
„der einzige schlag von ihm* und steht gegenüber den zwei schlagen,
welche gleichzeitig die beiden gegner tun. Eine reihe von handschrif-
ten liest allenlings sin eines slac, wie Henrici in den text gesezt hat
Gegen diese U>sart spricht aber das folgende wider ir xwein: es müsste
vielmehr, um den gt^gensatz zu sin eines auszudrücken, wider ir
xweier siegen lauten. Die Überlieferung von Adl wird ausserdem, wie
Paul a. a. o. gezeigt hat, durch das frz. original bestätigt
ZUR ERKLÄRUNG WOLFRAMS 53
4) Parz. 367, 19fgg.:
min herre mir geivalt vril tuon,
20 durch da:^ wh kän decheinen suon.
wir sulen otich tohter lieher sin —
swer sol mit stner tohter wein,
25 stme ir verboten st dez, swert,
ir wer ist anders als tvert:
si ervnrbt im. kiuschecliche
einen siin vil ellens rtche.
des selben ich gedingen hän.
Bartsch sucht in der gesperrt gedruckton zeile unnötig Schwierigkeiten.
Er bemerkt: „der ausdruck ist dem erbrecht entnommen und lautet
vollständig teile7i ufid wein, wobei der ältere bruder zu teilen, der
jüngere zu wein pflegt. Wem als orbschaft vom Schicksal eine
tochter zufällf Allein dann müsste es doch wol heissen eine
tochter weht, nicht aber mit stiier tochter weln^. Dieses kann
nur bedeuten „vermittelst seiner tochter wählen'', und dass objekt ist
aus dem zusammenhange zu ergänzen, ausserdem im nachsatze v. 28
noch ausdrücklich genannt Lippaut redet von einem söhn, den ihm
das Schicksal vei*sagt hat. „Was schadet's?" tröstet er sich, „mir sind
tochter sogar lieber. Denn wer sich durch seine tochter einen söhn
(sc. Schwiegersohn) wählen soll — si envirbt im usw." Der sinn ist:
„durch tochter kann ich mir söhne wählen, während ich den eignen
söhn nehmen müsste, wie ihn das Schicksal bescherte. Darum sulen
mir tohter lieber s/w." 25 und 26 enthalten einen Zwischengedanken.
Die juristische formel teilen und wein kommt also in dem bezeichneten
verse gar nicht in anwendung.
5) Parz. 487, 1 fgg. Von dem kargen, nur aus wurzeln und
kräutern bestehenden mahle, das Parzival bei Trevrizent genoss, be
merkt der dichter:
swa^ da was sptse für getragen,
beliben si da nach iingetwagen,
da^ enschadet in an den ougen niht,
als ma7i fischegen handen giht
Auch im Wälschen gast 526 wird das reinigen der bände nach der
Mahlzeit mit rücksicht auf die äugen empfohlen, da^ ist hilf seh und
9^ot xen äugen; und Petrus Alfonsi sagt in der disciplina clericalis
l) In ähnlicher weiso ist das mit von Bartsch misverstanden 826 , 30, worüber
weiter tmten.
54 8T08GU
(ed. F. W. V. Schmidt, Berlin 1827) c. XX Vm, 9: post prandium
vianus ablue, quia physiciim est et curabile. ob hoc efiim multorum
oculi äeteriorautur, quoniam post prandium manibus non
abhitis tergniiiur. Aber warum spricht Wolfram grade von ^fischi-
gen'' händen? Galt die berührung der äugen mit ihnen für besonders
Kc^hädlich? Ich finde das in der mhd. litteratur sonst nirgends ausge-
sprochen^, obwol doch das verhalten bei tische darin häufig genug
erörtert wird. Die in rede stehende bemerkung des dichters erklärt
sich wol einfach aus dem tage, an welchem der besuch Parzivals bei
dem einsiodler statt fand: es war der karfreitag (448, 7. 470, 1), an
dorn ja fische wegen des fastengebotes die gewöhliche speise waren,
die meisten menschen also nach dem essen eben „fischige'' bände
hatten.
(>) Parz. 817, 28. Bei der taufe des Feirefiz zählt der priester
verschiedene heilsimie eigenschaften des wassers auf:
25 von iva^r boume sint gesaft,
ira^zcr früht al die geschafi,
der man für crvatiure giht.
mit dem ira^zer man yesiht.
irazzer gti maneger sele seh In,
30 daz die engl niht liehter dorften sin,
Zoilo 28 winl gewöhnlich dahin verstanden, djiss das wasser das äuge
^frisch und sohkräftig" mache (vgl. Bartsch und die Übersetzer). Ich
glaube aber, ilas ist nicht gemeint: die stelle ist vielmehr ganz wört-
lich zu nehmen. Nach ilor ansieht des mittelalters, die wir aus Kon-
rad von MegenU^rsr kennen, lag nämlich in der wässerigen füUung des
augt^ (ilem sg. glaskörpor) die Sehkraft: K. v. M. 10, 9 fgg. Daz aug
ist tfesetit in s^ilnn rtH'kr, dnz sint sihen häntel, da mit ist diu eristal-
tisch f'äuht rtrhtUlt. d'ir an dts g^sihtes kraft ligt. 93, 10 fgg.
(der Mit/ kann den nuusohon blind machon.) daz ist da ron, da^ er
im die cristallischt'n fhihten vtr prent in detn augapfely dar
an des ijesiht^\< kr^ift lt\ft. Nach di«^or auftassun^r konte Wolfram
den priester w.^l siii^Mi lassen: ,,vermitreUr des was5>ors sieht man.*
7^ Tar.':. S2r>, ^>: mit triityn niiit^ »in ad* r^toz.
Seine frühen» orklarunc lOerm. 7, 302 tc», dass statt dderst^z mit d
l Mir ui'.rvvh: vor^U-.ht K U;:Vi.;:::i Mu'.i-'V.vior SB IS64 IL ISS fg.)
Ht'Imbr. 7n^ tj:^:. : ^: «.••» :'••< r.'.V rfs^-i«'. «'•*•£ **••'?• :? *.■«** ■■''•'! :U-fur iurr:h fzzen
«»Mtw-r iuh>r >..^;. H;c: ..a:: Ult ^'S sioh i uv.: LiS ::.ir: i»v:i> VoQ vor d^m esäen.
hüad^ vi'i'u ;iu^n schaden
ZUR EBElXrüNO WOLFRAMS 55
understü^ za lesen sei, hat Bech nach den bemerkungen Scherers in
der Ztschr. f. d. österr. gymnasien 1869 s. 833 (= Kleine schritten I,
376) selbst zurückgenommen (vgl. Germ. 19, 55 fg.). Obwol eine ent-
scheidende parallelstelle leider noch fehlt, kann der sinn von miUe an
äderstd^ doch kaum zweifelhaft sein: „freigebig ohne pulsschlag", d. h.
^ohne erregung, ohne Widerwillen", also etwa gleichbedeutend mit Hart-
manns mute äne riuwe (Er. 2735, vgl. auch Wh. 462, 8) oder Walthers
(84, 13) man such Ldupoltes haut da gebe7i, da^ si des niht erschrac.
Eine reihe ähnlicher ausdrucks weisen hat Bech in seinem zweiten auf-
satz (Germ. 19) zusammengestellt. Ich möchte hier noch auf eine nie-
derdeutsche redensart aufmerksam machen, welche die Verwendung von
ddersto^ in dem gedachten sinne zu stützen vermag: dar sleit my
nieh en oder na = „das ficht mich gar nichts an, das beunruhigt
mich nicht" Vgl. Brem. wb. I s. v. oder und Kosegarten, Wörterbuch
der nd. spräche s. 119, wo die formel aus Firmenich I, 292 für das
Münsterische belegt wird. Ohne nähere geographische angäbe verzeich-
net sie Berghaus, Der Sprachschatz der Sassen I, 10 1. Im Mnd. wb.
fehlt sie.
8) Parz. 826, 29 fg.: hie solte Ereck nu sprechen:
der kund mit rede sich rechen,
Bartschs erklärung „7?z«7 rede, was reden betrifft; es könnte auch heissen
der künde rede rechen*'' ist unzulässig. Soll rede hier in dem sinne von
oratio stehen, so kann mit rede sieh rechen nur heissen „mit werten sich
rächen, schelten." Das wäre aber im zusammenhange höchst trivial;
auch schalt Erec Eniten ja nicht, sondern bestrafte sie vielmehr durch
harte Zumutungen für ihr warnendes reden. Folglich bleibt für das
vorliegende mit rede nur die bedeutung „nach gebühr, wie es recht und
billig war" (== adv. redelichc)^ die Benecke z. Wig. 1605 (mit rede het
er den valschen man) belegt hat 2; und es ist zu übersetzen: „der
wusste gehörig (ordentlich) sich zu rächen."
1) Nach mündlichen mitteilungen ist sie auch in Göttingen und Witzenhausen
bekannt
2) Vgl. auch M. v. Craon 2, wo es Schröder mit recht gegenüber Haupts ände-
Tung wider eingesetzt hat
KEEL, JAXUAR 1895. JOH^VNNES STOSCH.
56 DÜNTZER
DER AUSGANG VON GOETHES TASSO.
Das vollendetste drama des meisters der darstellung und lösung
von herzensirrungen hat die entschiedensten misurteile und misdeu-
tungen hervorgerufen, nicht durch eigene schuld, sondern weil man bei
der beurteilung des „Tasso** den begriff von dramatischer handlung zu
beschränkt fasste und beziehungen auf des dichters leben hereintnig,
worüber man den dichterischen faden übersah, der die ganze dichtung
durchzieht und zu lebendiger einheit zusammenschliesst Und doch
hatte Goethe, als er an der Vollendung des „Tasso" arbeitete, Herders
gattin gebeten, ihn nicht zu deuten, obgleich er viel deutendes über
seine eigene person habe; dadurch würde das stück ganz verschoben,
dessen sinn die disproportion des talentes und dos lebens sei; was
doch nur heissen kann, diese werde in dem Schauspiel durch den erlit-
tenen Verlust überwunden. Leider geht die vorwaltende richtung der
neuern Goetheforschung darauf aus, persönliches in seinen dichtungen
auszuspüren, in dem beiden immer Goethe selbst, in den andern per-
sonen abdrücke seiner bekannten zu entdecken; ja man will uns neuer-
dings gar einreden, ein hauptfehler seiner dramen liege darin, dass
sie biographisch seien. „Selbsterlebtes in Goethes Tasso" hat
Wilhelm Büchner im 15. bände des „Goethe -Jahrbuchs" ausgeführt,
wobei er an das in Rom im februar 1787 der frau von Stein gemachte
bekenntnis anknüpft, dass der gedanke, sie nicht zu besitzen, ihn auf-
reibe und verzehre. Die äusserung desselben briefes: „Ich bin heute
konfus und fast schwach** wird mit dem bekenntnis von Goethes Prin-
zessin an Leonore zusammengestellt, sie sei geschwätzig und verbärge
besser, wie schwach und krank sie sei. Von diesem archimedischen
punkte geht der neue entdecker aus, um das vermeinte rätsei zu lösen.
Wahr ist nur, dass bei der frühem dichtung der beiden ersten akte
die glühende liebe zu frau von Stein ihn so mächtig erregte, dass er
einmal gegen diese äusserte, was er heute geschrieben, sei als anruf
an sie gewiss gut, aber er wisse nicht, ob auch als scene und an der
stelle; und zweitens, dass bei der spätem umdichtung er der idealen
Schwärmerei für die beherrscherin seiner ersten elf Weimarer jähre ent-
sagt hatte, die bei der kälte, womit die geliebte den aus Italien heim-
kehrenden empfing, und bei dessen natürlichem verlangen nach sinn-
licher befriedigung, die er in seiner Christiane gefunden, nicht bestehen
konte. Übergangen wird, dass er schon auf der seefahrt nach Sicilien
einen plan des ganzen ,,Tasso'' entwarf, und dass jener brief an frau
von Stein der letzte ausbruch seiner wilden leidenschaft war, dass er
DER AUSGANG VON GOETHES TA8S0 57
dieser schon in Palermo schrieb, sein herz sei bei ihr und wider
brenne und leuchte die schöne flamme der liebe, treue und
anhänglichkeit. Deshalb kann der schmerz, den ihm zwei jähre
später die völlige abwendung der gekränkten geliebten von ihm erregte,
auf die handlung des dramas keinen einfluss gehabt haben, wenn auch
die ausführung von der damals ihn häufig ergreifenden bewegten
Stimmung begünstigt werden mochte. Wol zu beachten war, dass der
dichter auch die Schwungkraft besitzt, sich in die seinem wirklichen
zustande widersprechendste läge zu versetzen, ohne die ein dramatiker
gar nicht denkbar ist. Dass der schluss genau ebenso in der gleich-
zeitigen seelenstimmung Goethes wurzele wie in den beiden ersten
akten, ja der bruch mit Charlotte und dessen verboten während Goe-
thes italienischer reise (?) die Vorbedingung für den abschluss der dich-
tung gewesen seien, beruht auf blosser Verwechselung des schon in Palermo
entworfenen planes mit der erst im Spätherbst 1788, nach abschluss des
„Faust**, begonnenen, bis zum sommer 1789 erfolgten ausführung. Wenn
Büchner sagt, zurückgedrängte liebe mache Tasso wie Goethe unglück-
lich, so war im dichter damals die loidenschaft der liebe zu frau
von Stein längst gelöscht; nur wünschte er, ihr allerinnigstes vertrauen
möge ihm bleiben, empfand schwer ihre kälte und ihren bitterern
groll. Dagegen wird Tasso unglücklich, als er seine glühend ausgebro-
chene liebe von der prinzossin entsetzt zurückgewiesen und so das
höchste glück seines lebens zerstört sieht. Solche vergleichungen füh-
ren eben zu nichts; sie zerstieben wie nebelbilder, wenn sie als beweise
dafür dienen sollen, selbsterlebto zustände hätten die dramatische fabel
eingegeben, zu welcher der dichter die Überlieferung umgeschaflfen hat.
Auf den spuren SchöUs wandelnd, behauptet Büchner (s. 184):
„Goethe entlässt uns mit dem gedanken, dass Tasso in einer furchtbaren
gefahr schwebt** Er kenne sich so wenig mehr, dass er die Zuflucht
sogar bei Antonio suche, obschon er in ihm den felson sehe, an dem
er scheitern sollte. Man verkenne die bedeutung der schlussverse:
Ich fasse dich mit beiden armen an.
So klammert sich der schififer endlich noch
Am felson fest, an dem er scheitern sollte,
wenn man in ihnen etwas anderes sehe als den versuch eines abschlus-
ses. Was damit gesagt sein soll, verstehe ich nicht. Freilich ist es ein
abschluss; es handelt sich nur um den sinn dieses abschlusses, den
wir nicht als einen versuch, sondern als eine dem dichter endlich ge-
lungene ausführung betrachten. Nur genaue auslegung mit besonderer
58 DÜNTZER
erwägung des ziisammenliangs kann darüber wirklich aufklären. Hier
werden wir bloss mit der anmerkung abgespeist: ^Eine andere erklär
rung der werte: ,an dem er scheitern sollte', ist sprachlich und sach-
lich unmöglich." Wunderlich mutet es uns an, wenn Büchner von der
leicht errungenen Stellung frohgemut besitz nimt: „Hätte Goethe es
auch nur für möglich gehalten, dass dieser mann von Antonio zur
Selbstbestimmung gebracht wird, welch schöner stoff hätte sich dem
dichter, der die heilung des Orest geschildert hat, geboten?*' Nun, er
hat es nicht bloss für möglich gehalten, sondern es glänzend geleistet:
freilich nur für solche, die dem Verständnisse nicht widerstreben. Wie
eine schönere heilung denkbar sei, möchte ich wissen. Ein bewunderns-
wertes meistei-stück ist es, wie Antonios entsetzte bestürzung, zuspräche,
ruhe, rührung, hinweisung auf Tassos dichtcrgabe, endlich sein stum-
mes nähertreten und ergreifen von Tassos band den wütenden allmäh-
lieh beruhigen und sein volles vertrauen erwecken.
Halten wir uns zunächst an die von Büchner in ihr gerades gegen-
teil verkehrten schlussverso, so schweben bei dem bildlichen ausdruck
stellen alter dichter vor. Herr v. Tjoeper hat einmal darüber gespottet,
dass ich so viel von vorschweben spreche, und es für ein leeres
wort halten wollen: und doch wüsste ich keine passendere bezeichnung
fär das anklingen bestimmter dichtei*8tellen oder werke der bildenden
kunst, das nicht zu einer wirklichen anspielung sich steigert An
unserer stelle schwebte zunächst die rettung des Odysseus im fünften
buch der Odyssee vor. Auf der soefahrt nach Sicilien hatte Goethe
den plan zu Tasso vollständig entworfen. In Palermo kauft er sich
einen Homer mit lateinischer Übersetzung, worin er zu einem eben
ihm aufgegangenen trauorspiel „Xausikaa'' die betreflfenden bücher der
Odyssee, das sechste bis dreizehnte, liest, aber auch die stelle des fünf-
ten vom scliiffbruch bis zum landen an der insel der Phäaken, worin
geschildert wird, wie Odysseus, als die flut ihn an schroffe felsen zu
schleudern droht, mit beiden armen einen felsen fasst, von dem
ihn freilich nach einiger zeit die gewalt dos rückflutenden meeres weg-
reisst. Auch dürfte er im vierten buche die erzählung von der rück-
reise des Menelaos, und in ihr den Untergang des Lokrischen Ajax an
den (tyräischen felson g(^h^son haben. Uer held rettete sich aus dem
meere auf einen felsen: aber dieser, auf dem der gerettete übermütig der
macht der götter spottet, wird durch einen blitz gespalten und das
abgerissene stück mit Ajax ins meer geschleudert. Seinem zweck ge-
mäss führt Goethe das bild nur bis zum fassen des felsens aus, über-
geht das hinaufschwingen, wie er es auch bei römischen dichtem fimd.
DER AÜSQAKO VON GOETHES TASSO 59
Vergils Palinurus rettet sich aus der meerflut, indem er „mit geboge-
nen bänden den gipfel eines berges fasst". Auch die stelle des Satiri-
kers Persius könnte ihm bekannt gewesen sein (VI, 27 fgg.), wo der
gestrandete freund die Bruttischen felsen gefasst hat und nun elend
am ufer liegt Horaz am Schlüsse der fünften ode des ersten buches
bedient sich des bildes von dem aus dem Schiffbruch geretteten, der
dankbar im tempel des meergottes seine kleider aufgehangen hat und
ein weihetäfelchen mit der abbildung seiner rettung. Dass Goethe diese
stelle gekannt hat und sie ihm im gedächtnis geblieben war, ergibt
sich daraus, dass der aus der Leipziger Zerrüttung seiner gesundheit
gerettete Student seinem leipziger freunde Langer bei dessen besuch
zu Frankfurt im September 1769 in den ihm geschenkten abdruck sei-
ner „Neuen lieder in melodien gesetzt" die werte aus Horaz als Wid-
mung schrieb. Lebhafte erinnerung an stellen des Horaz werden wir
auch weiter im Schlüsse des „Tasso** finden. Aber nicht bloss aus den
alten kannte Goethe die gefahr des Scheiterns und das glück der ret-
tung, er hatte beides erlebt, wie auch Horaz, der unter den gefahren,
aus denen die gunst der musen ihn gerettet, auch einen stürm bei dem
Vorgebirge Palinurus nent. Auf der rückfahrt von Messina nach Nea-
pel wäre das schiff, auf dem er sich befand, beinahe gescheitert, wo-
rüber sein bericht vom 13. und 14. mai 1787 vorliegt. In der meer-
enge von Capri schwankte und schwippte das schiff immer stärker nach
den schroffen felsen hin, wo kein auch nur fussbreiter vorsprung, keine
bucht rettung bot. Oben auf den bergen schrieen schon die ziegen-
hirten, unten strande ein schiff, und freuten sich auf die beute. Ver-
gebens suchte man mit grossen stangen das schiff vom felsen abzuhal-
ten; diese brachen, und der Untergang schien unvermeidlich , als endlich
ein leiser Windhauch sich erhob, der sich allmählich verstärkte, so dass
man die segel aufziehen konnte. Wenden wir uns zu unserer Tasso-
stelle zurück, so geht scheitern sollte freilich auf den durch das
Schicksal ihm bestimmten wirklichen Schiffbruch, aber nur das schiff
scheiterte und ging in stücke (noch Klopstock braucht die scheite r).
Nur in gangbarer Übertragung spricht man auch vom scheitern eines
menschen, wie ähnlich auch stranden gebraucht wird. Der schiflfer
selbst hat hier das leben gerettet, was im gegensatze zum scheitern
durch das festhalten am felsen bezeichnet wird; das wegreissen vom
felsen durch die flut ist durch die nichterwähnung ausgeschlossen.
Dass der dichter die heilung des Tasso von seinem wahn im sinne
gehabt, habe ich ausser inneren gründen auch dadurch erwiesen, dass
er den schluss des dramas als Tassos Verklärung bezeichnet. An
60 DtJNTZER
Herder schrieb er den 2. niärz 1789: „Von ,Tasso', der nun seiner
Verklärung sich nähert, habe ich die erste scene im kreise der freunde
publiciert Deine frau und Knebel haben sie am meisten genossen.
Ich habe diesen prologus mit fleiss dem werke selbst vorausgeschickt**
Wie hier der erste akt als prologus bezeichnet wird, so der schluss,
wo Tasso einsieht, wie sehr er die weit verkannt, als dessen Verklä-
rung. Als Herder am 7. august 1788 die reise nach Italien antrat,
wusstc er, dass Goethe den plan des „Tasso**, den er auf seiner See-
fahrt entworfen, zum teil schematisiert, auch mehrere einzelne stellen
auszuführen begonnen, in derselben reinen form, die er der „Iphigenie"
gegeben, noch vor ablauf des jahres vollenden wollte. Dem vertrauten
freunde, dessen geschmack und urteil er so hoch schätzte, hatte er viel
davon gesprochen, so dass dieser die wendung kannte, welche das stück
am Schlüsse nehmen sollte. Doch der zerrissene zustand seines dama-
ligen lebens gab ihm nicht die zur ausarbeitimg einer so feinen, in die
tiefe der seele dringenden dichtung nötige Stimmung. Freilich hatte er
schon anfangs September ernstlich die ausführung bedacht, am 7. bei
einer fahrt im mondschein drei geistreichen frauen manches von seinem
plane erzählt, am 1. Oktober gegen den herzog die hofFnung ausgespro-
chen, über diesen ^das übergewicht zu kriogon**, da er, je weiter er
komme, seiner sache um so sicherer werde: ja er las drei tage später
Herders gattin einige stellen, denen diese beifall gab. Aber gleich
danuif Hess er den „Tasso** ganz liegen, so dass er am ende des Jah-
res beschämt Herder bekennen musste, dieser sei noch immer nicht
fertig, ja bald dürfe er von ihm nicht mehr reden. Eifrig nahm er
ihn erst während der anwesenheit seines geistreichen freundes Moritz
wider auf, so dass er ihn vor dessen abreise vollenden zu können
hoffte. Divch am 18. januar 17>^9 machte er wider eine pause. Herder
hörte in den beiden ersten monaten des jahres von Tasso nur durch
seine gattin, die ihm am 20. februar die erste vor kurzem ganz fer-
tig gt^wordeno scene des Stückes sante. Ihr gatte hatte sie am 2. märz
noch nicht erhnlton, als (Toethe die oben erwähnte äusserung tat Erst
mehr als vierzehn tagt» später gab er Henlors gattin die zweite, am
20. den gn>ssten teil der <lritten scene. So langsam ging es mit der
reinigung, der dun*harbeitung bis zur letzten feile, nach welcher er sie
als fertig, vollendet, absolviert erklärte. Geschrieben waren
damals sclmn viele sconen, fertig nur diese drei. Dem herzog mel-
dete er fünf wochen nach dem briefe an Henler vom 2. märz, seine
freude über die divi ersten sconen lasse ihn desto mutiger dem ende
entgegengehen: was daniuf hindeutet, djiss damals (am 6. april) die
D£B AUSGANG VON GOETHES TASSO 61
erste ausführuog schon recht weit fortgeschritten sein musste, wenn
auch nur drei scenen fertig waren. Bestätigt wird dies durch die
sich unmittelbar anschliessende bemerkung: „Ich habe noch drei scenen
zu schreiben, die mich wie lose nyraphen zum besten haben, mich bald
anlächeln und sich nahe zeigen, dann wider spröde tun und sich ent-
fernen." Es können nur die schlussscenen des Stückes (wol die vier
letzten, da das kurze Selbstgespräch in der dritten mit zur zweiten
gezogen war) darunter gemeint sein, zu denen ihn der beifall, den der
herzog dem anfang gegeben habe, ermutigte; denn so hätte er unmög-
lich sich äussern können, wenn es sich um scenen der mitte handelte,
die er noch unausgeführt gelassen. In demselben briefe heisst es: sehr
glücklich wäre er, wenn er noch vor den feiertagen (dem 17.) die letzte
(vierte) scene des ersten aktes fertigen könte, woran er fast zweifele;
schicken werde er sie, sobald sie geschrieben sei. An dieser fehlte wol
noch der durch fragen hervorgerufene bericht Antonios über seine
römische gesantschaft, der, wie so manche notwendige, aber für den
dichter weniger ergiebige ausführungen , besonders schwer zu machen
war, soUte er nicht zu sehr von dem anziehenden leben des vorigen
auftrittes und dem Schlüsse des vierten selbst abfallen. Auffallend ist
freilich, dass er von derselbigen scene schreiben neben fertigen
gebraucht. Den entwurf wird er damals vielleicht mit ein paar lücken,
bis zum Schlüsse von V, I ausgeführt haben; aber fertig, gereinigt
waren auch damals nur die drei ersten.
Schon hierdurch allein wird Büchner sonderbarer versuch wider-
legt, die Verklärung des Tasso durch die deutung wegzuschafTen,
„dass der dichter ihn von den letzten schlacken reinigte, damit er sei
wie ein verklärter leib'^, was dem Verfasser freilich auf der band zu
liegen scheint, obgleich eine reinigung, eine ausfeihing himmelweit
verschieden ist von einer Verklärung, einer höhern begeistigung, die
den irdischen stofiF umgestaltet, mit höherm leben erfüllt, nicht bloss
die schlacken entfernt. Und wollen wir einmal annehmen, Verklä-
rung habe von der reinigung, dem limae labor gesagt werden kön-
nen, so hiesse seiner Verklärung sich nähern der reinigung sich
nähern, bald zur reinigung kommen, deutete also dai-auf, dass das
geschäft der reinigung bevorstehe, was hier gar nicht passt Wollte
mau aber noch kühner sein und die vollendete reinheit verstehen, die
fast erreicht sei, so würde man Goethe etwas ganz unwahres sagen
lassen: denn so wenig war „Tasso'' damals der reinheit nahe, dass erst
drei scenen fertig waren, wenn auch die erste ausführung bis auf
wenige scenen vorlag. Den dichter drängte es mehr zur ausführung
G2 OÜNTZER
als zur durchsieht des ausgeführten: war einmal der guss gelungen,
so konnte die sorgfaltige ausfeilung leichter geleistet werden.
Wenn Goethe von den fortschritten seiner dichtung berichten wollte,
so lag nichts näher als es durch die angäbe zu tun, bis zu welchem
punkte der handlung er gekommen sei; statt, wie sonst, geradezu das
ende zu nennen, wählte er die läge, in welche sein held dort gelangt
ist, und so braucht er Tassos Verklärung, da Herder die art des
ausganges des Stückes kannte. Büchner meint, bei meiner deutung sei
ich von meiner philologischen akribie entschieden im stiche gelassen
worden. Er sieht nicht, dass die von mir gegebene sachlich allein
möglich ist, da Goethe unmöglich das sagen konnte, was er ihm in
den mund legt, weil es unwahr wäre, und dass, wo man zwischen der
annähme einer sprachlichen ungenauigkeit, besonders im leichten brief-
stile, und einer Unwahrheit in dingen, die der redende genau wusste,
zu wählen hat, die entscheidung nicht schwer fallt. Freilich wird
„Tasso" am anfange vom stücke gebraucht, wogegen seiner vor
Verklärung sich auf das vorhergegangene Tasso als bezeichnung
der person bezieht; aber dies ist eine freiheit, der sich der ausdrack,
wenn ein misvei^ständnis kaum möglich, des leichtern flusses wegen
bedienen kann, wenn man es nicht als nachlässigkeit entschuldigen
will. Einen ähnlichen gc^brauch finden wir in einer zwallingsstello, von
der Büchner freilich wol nichts ahnt. Am 9. juni 1814 schrieb Goethe
von seinem fostspiel „Des Epimenides erwachen" an Riemer: „Epime-
nides naht sich seinem erwachen", zur andeutung, dass dieses bald bis
zu ende gedichtet sei; denn jener erwacht erst im einundzwanzigsten der
siebenundzwanzig auftritte (nach der ersten Zählung). Auch nahen
steht dort ganz ähnlich wie hier nähern. Wir erinnern noch an den
scherz in der „Xenie" von 1814: „P]pimenides, denk' ich, wird in
Berlin zu spät, zu früh erwachen." Hier wird unter Epimenides
zuerst das festspiel gedacht, dann aber bei erwachen die person.
Hienlurch glauben wir unsere beziehung der Verklärung des Tasso
auf das erwachen aus seiner verkennung der weit und dem wahne, er
sei von einer Verschwörung von feinden umgeben, gesichert, und somit
den äussern beweis erbracht zu haben, dass das drama mit dessen
ungeahnt auf rauhe weise erfolgter heilung schliesse.
Den innern beweis bietet die ganze schlussrede Tassos, nachdem
Antonio mit stummer rührung zu dem unglücklichen getreten ist und
ihn bei der band ergriffen liat. Sie ist von anfang bis zu ende von
der vergleichung des Unglücks mit einem Schiffbruch beherrscht. Tasso
beginnt mit der völligen Verschiedenheit ihres wesens, das aber eine
DER HUSaANO VON OOBTHIS TUSSO 63
gäbe der natiir sei. Antonio stehe „fest und still", wobei schon die ver-
gleichung mit einem felsen vorschwebt, die gleicb darauf hervortritt
und am Schlüsse widerkehrt: er selbst scheint nur die stumieiTegte
welle, ein spiel der ihn willenlos umtreibenden einbildung. Das schei-
nen deutet auf Antonios übersehen seines von der natur ihm verlie-
henen tiefen gefühls, wozu ihn dessen eigene, ganz entgegengesetzte
natar verleitet hat. Dies tritt entschiedener in der sich unmittelbar
anschliessenden mahnung hervor: „Bedenk' und überhebe nicht dich
deiner kraft!" die den leisen Vorwurf enthält, dass er dies gegen ihn
getan habe. Einen solchen konnte Tasso nur bei völligster beruhigung
und im bewusstsein, dass Antonio ihm nicht feindlich gesinnt sei, ge-
gen ihn erheben, und gerade in so leiser, ihn nicht beschuldigender
weise. Dies führt ihn zu einer weit ausgeführten, mit bewegtestem
gefühl ihn ergreifenden bildlichen darstellung seiner natur im gegen-
satze zum felsen Antonio, wobei auch der stürm leidenschaftlicher
erregung als naturkraft bezeichnet wird, der sich die welle, das empfind-
liche dichterherz, nicht entziehen kann. „Wind ist der welle lieblicher
buhle" hatte Goethe schon 1779 in der Schweiz gesungen, hier aber
ist von der sturmerregten welle die rede. Mit unendlicher rührung
muss er hier des seligen glückes gedenken , das er im wahne der liebe
der Prinzessin und ihres vollen besitzes genossen, wo sein zärtlich
bewegtes herz süsse himmelsruho empfunden. Aber leider ist diese
höchste Seligkeit für ihn vorüber. „Verschwunden ist der glänz, ent-
flohn die ruhe."
Nach dem diesen satz schliessenden punkte findet sich schon in
der handschrift ein gedankenstrich, dessen bedeutung bisher unbeachtet
geblieben. Noch immer spuken in den ausgaben unserer klassiker fal-
sche gedankenstriche, die nach der unart der zeit häufig statt eines
panktes gesetzt wurden. Da dieser gebrauch heute nicht mehr besteht,
so sollten sie endlich ein- für allemal verbanntsein, zumal da sie nur zu
misverständnissen führen. Ich habe den unfug bei Goethe, Schiller
und Herder in meinen „Erläuterungen" verfolgt, ohne dass dies von
anderer seite die gebührende beachtung gefunden hätte. So hat auch
die Weimarische ausgäbe keine rücksicht darauf genommen, weder bei
den werken noch bei den briefen; wie sie überhaupt bei der inter-
punktion grundsätze aufgestellt hat, ohne genaue (freilich nicht augen-
blicklich zu erlangende) kenntnis der Sachlage. Auch in den briefen
finden sich solche gedankenstriche, selbst statt Semikolon und komma,
^e bd. II 8. 27, 8 fg. In den briefen der frau rat an ihren söhn
Jessen sie sich fast seuchenhaft. Mir war dieser misbrauch zuerst
64 DÜNTZER
in Herdei-s handschriften und ausgaben aufgefallen. Es verlohnt sich,
den gebrauch des gedankenstriches in „ Tasse ** mit vergleichung der
„Iphigenie** zu verfolgen, die hierin einige Verschiedenheit zeigt. Nur
kurz deuten wir den gebrauch des gedankenstrichs als parenthesezei-
chen an (Tasso 212. 1996. 2384 fg. Iphigenie 1566. 1718) und zur
Scheidung von wechselreden (Tasso 2899 — 2910). Im „Tasso ** findet
sich ein gedankenstrich geradezu statt eines punktes, auch eines aus-
rufungs- oder fragozeichens mehrfach (1542. 1742. 2018. 2123. 2398.
2536. 2543 nach lässt. 3252. 3350. 3382. 3384. 3394. 3494 nach
trägt). In einigen dieser stellen könnte man meinen, es sollte eigent-
lich noch eine starke Interpunktion vor dem gedankenstrich stehen.
„Iphigenie" bietet auch einen fall dieser art 1632, wo man aber auch
lieber vor dem gedankenstrich noch punkt sähe. „Tasso'' zeigt ein
paarmal gedankenstriche auch am ende einer nicht abgebrochenen rede
(196 und 3263), wogegen er das abbrechen bezeichnet 1821 (die zweite
ausgäbe hatte hier das wort „freund" irrig gestrichen). 2286. 3162. In
der „Iphigenie" schliesst ein solcher gedankenstrich 349 die rede, wo-
gegen er zeichen des abbrechens ist 628. Entsprechend dem heutigen
gebrauche steht der gedankenstrich vor überraschendem und bei der
scheu, etwas auszusprechen. Im „Tasso" gehinen hierher 2500. 2506.
3213, wogegen 1277 der gedankenstrich auf ein innehalten deutet,
weil Tasso Antonios antwort erwartet, der überrascht schweigt, wes-
halb davor noch ein punkt stehen sollte. Dreimal steht er so in der
„Iphigenie" 1852. 1925. 1936. Eigen ist in dieser der gebrauch der
gedankenstriche 1889 bei der Verwirrung, worin Iphigenie nach einem
sie am wenigsten verratenden ausdrucke sucht: „Sie sind — sie schei-
nen — für (iriechon halt' ich sie." Häufig steht ein gedankenstiich
vor dem nachsatze statt des sonst von Goethe gebrauchten Semikolons,
wenn dieser von grosser bedeutung ist oder des gcgensatzes wegen
besondei*s hervorgehoben werden soll, auch um ihn entschieden nach
einem längern Vordersätze trotz seiner kürze lebhaft zu betonen. Hier-
her gehöi-en Tasso 873 (wo mir statt Mir zu schreiben ist). 945. 1472.
2249. 2400. 2560. In der „Iphigenie" finde ich keinen ähnlichen fall.
Ein gedankenstrich steht im „Tasso" auch dann, wenn das gesagte
mit gesteigerter kraft weiter ausgeführt wird. So steht 1173 — 1177
„Und wagte gern das leben, das ich nur Von ihren bänden habe —
forderte usw., 3429 fg. „Und mir noch über alles — Sie Hess'', wo
eine andere wendung eintritt statt des erwarteten „verlieh sie".
Von dem gebrauche eines einfachen gedankenstriches in einer
rede und innerhalb eines satzes sind die fälle, wo ein solcher zwischen
DIB AÜ80AN0 VON GOETHES TASSO 65
einem mit starker Interpunktion geschlossenen und einem neu anheben-
den satze steht Hier kann er nur eine pause bezeichnen, welche der
redende macht. 1927 tritt eine solche ein vor der ausführuug, welch
ein glück die nähere Verbindung mit Tasso für Leonoren hat, 2230 vor
dem die eingetretene Veränderung einführenden „Ja**, 2530 vor der
antwort, 2543 vor der waniung, sich nicht mehr betören zu lassen.
Goethe hatte ihn hier nachträglich hinzugefügt Die „Iphigenie'' hat ihn
359 bei der rückkehr zur erzählung, 426 bei dem übergange zur ret-
tung, 880 vor mitteilung der ermordung Agamemnons, 1696 bei dem
gegensatze zum ewig währenden fluch, 1970 bei der erinnerung, wie
der könig Iphigenien die rückkehr zugesagt. Im „Tasso'' werden neben
solchen kurze pausen bezeichnenden gedankenstrichen auch absätze ver-
want in den Selbstgesprächen IV, 3 und 5, während V, 3 einmal die
scenarische bemerkung „Nach einer pause" steht, die sich auch V, 5 nach
3330 findet Einen absatz hat „Iphigenie'' nur 1718, wol weil hier
gedankenstriche als zeichen der parenthesen gebraucht sind. Gedanken-
striche stehen so in ihr 1243 bei dem übergange zum schrecklichen aufruf
des Schattens der mutter, 1504 vor der ausführung der frühem unend-
lichen freude im gegensatze zum jetzigen schrecken, 1516 vor dem
übei^ng zur darstellung des 1510 erwähnten unmöglichen. Ebendort
1189 deuten die gedankenstriche vor und nach „Schwelle brüst!" eine
doppelte kurze pause an. Häufig bedient sich Goethe eines gedanken-
strichs, wo der redende vorher etwas selbst tut oder etwas von einem an-
dern geschieht, was eigentlich eine scenarische bemerkung angeben sollte.
Wir finden 1189: „So soll es sein! — Hier kommt der rauhe freund",
weil Leonore den Antonio kommen sieht, 1283 „Noch einmal. — Hier
ist meine band", weil Tasso diese entgegenstreckt In der „Iphigenie"
findet sich 388 gedankenstrich vor: „Du wendest schaudernd dein
gesiebt, 0 könig", weil die priesterin dies eben bemerkt hat 793 deu-
tet das zeichen vor „Still!" darauf, dass Pylades eben sieht, wie Iphi-
genie sich naht Der gedankenstrich vor 882 „Ja du verehrest dieses
königshaus" bezieht sich darauf, dass Iphigenie ihre bewegung über die
eben vernommene schreckenskunde nicht verbergen kann. 1049 steht
gedankenstrich vor: „Sage mir Vom unglücksergen", weil Iphigenie,
nachdem sie den göttem freudigsten dank dargebracht, sich wider an
Orest wendet 1255 finden wir den gedankenstrich vor „Wo bist du,
Pylades?" da sie, nachdem sie längere zeit stehen geblieben, davon-
zueilen begonnen, was freilich auch eine am schluss stehende scena-
rische bemerkung besagt Von ähnlicher art sind die gedankenstriche
1265. 1267. 1274. 1286. 1290, wogegen darauf 1294 einer die anreden
ZBnGBBDT r. DKUT80HB PHILOLOOIE. BD. XXVm. 5
00 DÜNTZER
an die mutter und an beide f-ltern trennt. 1415 tgtr.: .Mich dünkt. i*'h
höre jGrewaffnete sich nahen. — Hierl — Der böte Kommt von dem
k"'>ni;re mit schnellem schritt." Zuerst «riaubt sie waftt-nofetöse zu hören,
dann sieiit sie jemanrl kommen, zuletzt erkennt sie den Arka.<. 1607 firg.:
.Orest ist frei, ;:eh».ilr! — Mit dem betreit».Mi 0 führet uns hinüber.
::ün>t's:e winde. Zur f'.'lseninsel. die der Gott bewohnt.- Der ffedan-
konstrioh bezeichnet den überjran^^ zur dringenden mahnung, die von
Apoll ihnen gnädig' irewähite hülfe zur vollemlung ihrer rettung nach
der heimat zu benutzen. Fvlades wendet sich flehend an die winde,
was auch die erhebunir seiner bände zum himmel andeutet. 1918 fgg.
Nachdem Iphigenie die (iötter angefleht, ihren kühnen entschluss zu
scirnen, tritt sie zum k«*pnige, ihm den betrug zu verraten. Der vor:
^Ja, vornimm o k<*inig-, stehende gedankenstrich deutet an, dass sie
'U!u könige sich zurückwendet, ähnlich wie 1049. Dagegen bezieht er
sich 1942 vor: ..Was sinnst du mir", darauf, dass sie einige zeit auf
i»inc günstige antwurt gewartet. Hier kr)nnte auch, wie vor 1892. die
sccnarische bemcrkuni:? >tehen: ..nach einigem stillschweigen** oder
..nach einer i)ausc" wie im .,Tasso* vor 3311.
In diesen kreis geh«"»rt nun auch der gcdankenstrich nach Tassos
\ciso: „Veischwunden ist der glänz, entflohn die ruhe": er vertritt
«'uu* sccnarische bcnierkun;:. Vor der schlussrede Tassos hat Antonio
ihn bei der band genommen, dieser sie nicht zurückgezogen. Da Tasso
:i,>l lu»i d(»n Worten: „Ich fasse dicli mit beiden armen anl*" Antonios
ii ind crtrrfift, muss lm* si(» vorher losgelassen liaben. Dies ist eben
M.iv-h i»ll'> geschahen vur d«Mi wi»rten: „Ich kenne mich in der gefahr
• iivhi m»'hr." Durch den fürchterlichr'n gcdanken seines erlittenen ver-
iinU-s ganz aussi'r sifh gerat'^n. lässt er Antonios band fahren und
Hill \\\\\ «b'r gj'bärdr oine> vrrzwi'itelndcn, der die band«* voll schrecken
. liubi. /.nr srito. wir is aurh l|)hig»»nie 1039 tun muss, die 1049
\\uw\ n\ Ori'st tritt: wn«:«'g.'n narh 1093, wie die scenarische bemer-
\.4!i;; brsai;!, (bfst sirli ('iitternt, damit der dichter Iphigenien ihr dank-
;*i»»-i allrin spn'rln'ii lassen kann. Soin lebhaft geschautes verderben
.. iiiidiMi Tassn (Imvli dir nnt drs strfahrers, dessen schitt' der stürm
uiih'ii aid" dt'Ui in»MM' /t'itrümnn'rt: es ist ein wirkliches gesiebt, das
iuii dit' i'rn'gtf Einbildungskraft vorspiegelt:
ich kiMine mich in der gofalir nicht mehr,
l'nd si'hämr inieh nicht mehr es zu bekennen.
Kiviic» ha! der beginiHMide stürm ihn nicht ausser fassung gesetzt, sei-
.V44 inpf*'!'«'!! i»i»t nii'ht erseiiüttert: aber J«'tzt, wo er den stürm sein
.Mj^uuu^Nwerk am sehitle lirginnen sieht, kennt er sich nicht mehr,
DKR AUSGANG VON GOETHES TASSO 6?
er ist jetzt ein nauta pavidus, timidus (Hör. carm. I, 1. 14. 14. 14)
geworden, der vor schrecken erblasst ist (Ovid Trist. I, 4, 11); wie
römische dichter den schififer in äusserster not selbst weinen lassen,
wovon der gegensatz an einer sehr bekannten Horazischen stelle (carm.
I, 3, 9 — 20) sich findet Auf ganz unglaubliche weise hat Büchner
die ganz deutlichen werte: ,,ünd schäme mich nicht mehr, es zu be-
kennen** misv erstanden, da er sie auf Tassos wirklichen zustand bezieht,
obgleich dieser den festen boden des schiossgartens unter den füssen
hat Er übersieht, dass sie im bilde des entsetzten schiffbrüchigen
stehen, eng verbunden mit dem vorangehenden: „Ich kenne mich in
der gefahr nicht mehr", also eine weiterführung dieses vergessens sind,
und macht den seltsamen fehlschluss: „Also hat er sich bis jetzt ge-
schämt, seinen wahren seolenzustand zu enthüllen, und was er vorher
über seine Zukunft gesprochen hat, ist ihm eingegeben von dem stol-
zen bestreben, nicht allzu klein vor Antonio zu scheinen." Und auf
einen solchen groben Schnitzer sich stützend, triumphiert er: „Wie
kann man, da Tasso dies eingesteht, die vorausgehende partie als Zeug-
nis für sein zukünftiges leben ansehen?" Diese albernheit dichtet
Büchner dem Tasso nur an! Mehr bezeichnet offenbar den gegensatz
zu der zeit, wo der stürm das schiff noch unversehrt gelassen, es bloss
auf und ab getrieben hatte. Solcher leichtfertigkeit ist alles möglich.
Aber auch abgesehen davon, wer kann es für möglich halten, dass
Tasso bei der anrede „0 edler mann" (3434) und dem, was weiter folgt,
sich verstelle; wer übersehen, dass die verscheuchung von Tassos Wahn-
vorstellung durch Antonios benehmen auf das treffendste begründet ist?
Bei der Schilderung der Zertrümmerung des schiflfes schwebt die vier-
zehnte ode des ersten buches des Horaz, die berühmte allegorie des
Staates als schiff, unverkeimbar vor. Aber der von der äussersten Ver-
zweiflung hingerissene erkennt jetzt, dass ihm in aller not ein edler
Ereund in dem geblieben ist, den er für seinen grimmigsten feind
hielt So tritt er denn zu diesem, der ihn mit teilnehmendster rührung
anblickt, und bietet ihm die band mit dem vollsten vertrauen, dass er
sein zuverlässiger freund sei. Freilich sollte auch nach 3450 ein ge-
dankenstrich als Vertretung der scenarischen bemerkung stehen; aber
auch sonst fehlen mehrfach die notwendigen scenarischen bemerkungen
oder die sie ersetzenden gedankenstriche. Vermissen wir ja auch am
ende von II, 4 jede andeutung, dass Tasso das wirklich tut, was er
sagt, dass er den degen und darauf den kränz über diesen zur erde
legt; ja die wirklich am Schlüsse stehende, darauf wenigstens rücksicht
nehmende auweisung: „Auf des füi*sten wink hebt ein page den degen
5*
68 DüirrzKB
mit dem kränze auf und trägt ihn weg^ hat Goethe erst nachgetragen.
Wenn der dichter sagt, er fasse Antonio mit beiden händen an, so
schwebt ihm schon das in den beiden folgenden versen ausgeführte
bild des auf einen feisen sich rettenden schiffbrüchigen vor. Hier ist
nicht, wie eben, von einem auf offenem meere zerstörten schiffe, son-
dern vom scheitern an klippen die rede. So (3452) gehört der ver-
gleichung an, da der dichter, statt mit wie anzuknüpfen, einen neuen
satz anhebt; es ist keineswegs mit fest zu verbinden. Den eigent-
lichen vergleich ungspunkt bildet die hoffnung auf sichere rettung. In
Antonio erwartet Tasso mit solcher Sicherheit seine rettung wie der
.schiffbrüchige von dem ihm festen boden bietenden feisen. Der fels,
an den der schiffbrüchige sich anklammert, statt sich vom meere ver-
schlingen zu lassen, ist seine rettung. Die allemeueste deutung des
„Tasso^ fasst das anklammern an den feisen gar als ein „stürzen ins
Schwert!^ So schliesst denn das stück mit Tassos Überzeugung, dass
er in Antonio seinen retter, seinen ihm treu zur seite stehenden freund
gewonnen habe. Alle versuche, welche man macht, die dauernde Ver-
bindung Tassos mit Antonio als unmöglich nachzuweisen, sind nichtig.
Tasso ist geheilt, freilich auf rauhe weise, durch den rauhen Anto-
nio (1694), während Alphons die schuld des rauhen arztes nicht hatte
auf sich laden wollen (338 fg.). Einen zweifei des Zuschauers, ob Tasso
nicht wider in seinen wahn zurückfallen werde, lässt die rührung nicht
aufkommen.
Eine äusserst seltsame deutung hat Louis Lewes eben in seiner
Schrift ^Goethes f rauengestalten " von Tassos schlussrede gegeben.
Über Tas.sos zukunft urteilt er: „Das bittere geschick, welches ihn
zerschmetternd getroffen hat, wird freilich in zukunft eine unversieg-
lich sprudelnde ([iielle für seine lieder sein, und die poesie wird zwar
immer wider die alten wunden aufs neue aufreissen, aber auch immer
wider heilenden, lindernden baisam auf dieselben träufeln.** Die schluss-
stelle soll nach ihm über den eigentlichen Schlusspunkt hinausgehen
und beides in dcT zukunft zeigen, Tasso also gleichsam der seher sei-
ner eigenen zukunft sein. Der anfang bis 3445 sei mit einem tiefen,
aber ruhig gefassten, besinnungsvollcn schmerz gesprochen zu denken;
derselbe ton solle in diesen Worten angeschlagen werden, welcher in
Zukunft der bloihcjnde für den dichter Tasso sei. In den letzten acht
versen breche allerdings die leidenschaft hervor, sie beweise aber nur,
wie mit jenem poetisch verklärten schmerze auch das unmittelbar in
der erinnerung sich erneuernde wideraufleben desselben abwechseln
werde und doch zugleich für solche augenblicke die freundschaft An-
DKR A.U8QANG VON GOETHES TASSO 69
tonlos, die hilfe desselben und dadurch die rückkehr zu jener poeti-
schen erhebung und Verklärung des schraerzes gesichert sei. Und so
fehle denn auch nicht der trost einer echt tragischen erhebuug, wenn
sie auch gegen den schmerz in den hintergrund trete. Bei dieser
phantastischen deutung sind der offenbare dramatische fortschritt und
der wirkliche gehalt der stelle geradezu verflüchtigt. Das drama bedarf
eines wirklichen abschlusses, und dieser ist hier yortreiflich gelungen,
wenn man ihn nur recht verstehen will. Die gangbare art der auf-
fassung unserer klassischen dichtungen leidet daran, dass man auf
kosten der dichter geistreich zu sein trachtet, unbekümmert um das
Verständnis aller einzelnen stellen und sorgfältige beachtung der leitung
des ganges der handlung, woraus allein die vollkommene einsieht in
das ganze gewonnen wird.
„Tasso" ist kein marionettenspiel, in dem die laune ihre wunder-
lichen Sprünge macht, sondern alles entwickelt sich nach dem ausge-
prägten Charakter der hauptperson und den gesetzen menschlichen den-
kens, fühlens und handelns in lebendigem fortschritte. Tassos heilung
ist das ziel der handlung; die Unmöglichkeit derselben darzustellen,
ziemte kaum dem komiker. Büchner versichert ernstlich: wer an einen
düstem ausgang, dass Tasso in der krankenstube bleiben müsse, nicht
glauben wolle, der verkenne Goethes behandlung geschichtlicher stoffe,
die wesentlich der Überlieferung folge; der erdgeruch, der seine ge-
sammten dichtungen durchwehe (? !) , mache sich in seinen dramen dop-
pelt geltend. Stärker kann man die Wahrheit nicht verletzen. Tatsäch-
lich ändert unser dichter regelmässig sogar den ausgang, gestaltet
diesen entsprechend dem Charakter und den Verhältnissen, die er seinem
helden gibt Büchner stützt sich auf „Götz" und „Egmont**, als ob
diese für die in seiner reifen zeit geschaffenen meisterwerke irgend
zeugen könnten! Aber auch sie beweisen das gerade gegenteil. Den
Götz lässt Goethe zu Heilbronn im gefangnis sterben in folge seiner
Verwundung und des schmerzes über sein eigenes und des Vaterlandes
Unglück, in dem feigheit und treulosigkeit herrschen. In Wirklichkeit
fährte er noch viele jähre auf seiner bürg ein tatenloses leben! Wie
wesentlich Goethe sonst die handlung verändert, liegt vor aller augon.
Egmont stirbt freilich wie in der geschieh te auf dem schaffet, aber als
mutiger held, in der Überzeugung, dass der schmähliche wortbruch
und sein opfertod die tyrannen stürzen und sein volk befreien werden;
während er in Wirklichkeit ganz gebrochen war durch sein Schicksal,
nicht um das Vaterland, sondern bloss um frau und kinder bekümmert
war, weshalb er untertänig gegen den feigen tyrannen war, der ihn
70 DÜNTZBR
mordete, um die freiheit zu unterdrücken. Büchner muss dieses nicht
wissen, er muss die vielen andern Umgestaltungen nicht kennen, nichts
von . Schillers berühmter beurteilung gehört haben, die dem dichter
seine Verletzung der geschichtlichen Wahrheit scharf als verderbung vor-
rechnete! Goethe hat alle geschichtlichen stoffe frei umgestaltet, immer
erst aus der geschichte eine dichterische fabel gebildet Laut sprechende
zeugen sind „IphigQnie", „Fausf*, „Die natürliche tochter**, „Der ewige
Jude", der beabsichtigte „Wilhelm Teil". Und angesichts dieser unleug-
baren tatsache soll Goethe nicht gewagt haben, Tasso durch seinen
wirklichen grossen verlust und Antonios schöne menschlichkeit genesen
zu lassen! Büchners Tasso wirft sich als unheilbarer kranker Antonio
in die arme, eine torheit, die, nebenbei bemerkt, doch auch eine ab-
wcichung von der Überlieferung wäre. Ja wir werden belehrt, Goethes
dramen könnten uns sittlich nicht befriedigen, weil er zu sehr der
geschichte folge, die er in ein Prokrustesbett spanne. Goethes Tasso
ein Prokrustesbett ist wirklich ein ganz einziger gedanke! Jeder dra-
matiker ist gezwungen, sich auf einen geringen räum zu beschränken;
dies mit geschick, ohne Verzerrung zu tun, ist die aufgäbe des drama-
tischen plans, und im entwerfen dessolbori ist Goethe unzweifelhaft
nicht weniger glücklich als Schiller, wenn beide auch im einzelnen
Verschiedenheiten zeigen, wie jeder von ihnen der eigenheit des Stoffes
sein verfahren ani)assen musste. Wer solche allgemeine sätze aufstel-
sen will, sollte durch allergenaueste kenntnis der sache sich die berech-
tigung dazu erworben haben.
Ebenso nichtig ist der beweis, Goethe habe im stücke selbst
andeutungen gegeben, dass Tasso nie zur ruhe kommen werde. Als
ob der dichter überhau])t andeutungen dieser art durch eine seiner per-
sonen zu geben vermöchte, wie es nur in einem prolog oder einem
chor allenfalls geschehen könnte! Keine der handelnden personen darf
darauf anspruch maclien, dass sie die Zukunft sicher erkenne, wie ja
selbst der kluge Antonio in seiner behandlung Tassos in den vier ersten
akten ganz irre geht. Auch wären >;olche hindeutungen an sich undra-
matisch. Der dichter hat uns bloss die handlung anschaulich zu ver-
gegenwärtigen. Büchners nachweise sind geradezu ergötzlich. Wenn
Alphons V, 2 Tasso wolmeinend rät, nicht durch zu strengen fleiss und
zu grosse rücksicht auf die stimmen anderer seine dichtung zu vorder-
ben, so soll dies darauf deuten, dass dieser wirklich in Rom durch die
erinnerungen der kritiker in vci-zweiflung geraten werde! Die düstei-e
Schwermut, die ihm V, 4 auf der prinzessin erinnerung an den noch
auf ihm ruhenden bann einredet, in keiner Unternehmung werde er
DER AUSGANG VON GOETHES TASSO 71
glück haben, nie sich der höchsten Vollendung seines gedichtes freuen,
müsse die Wahrheit sprechen!! Wenn er unmittelbar darauf sich im
hirten- oder pilgerkleide nach Neapel fliehen, mit wildem haar, ver-
düstert, von staunenden knaben umringt, das haus seiner Schwester
in Sorrent betreten sieht, so ruft Büchner jubelnd aus: „Wer kann im
ernst bestreiten, dass Goethe Tasso diese Prophezeiungen (?) in den mund
legt, um auf sein späteres Schicksal hinzuweisen?" Mit demselben
unrecht würde man behaupten, dass Leonorens wort von Tasso und
Antonio (III, 2) in erfüUung gehen müsse:
Dann stünden sie für einen mann und gingen
Mit macht und glück und lust durchs leben hin.
Der dramatiker soll nicht im gange der handlung auf die zukunft hin-
deuten, wenn dies nicht etwa durch die hanllung selbst geboten wird;
aber am Schlüsse muss er eine lösung geben, die uns einen blick in
die Zukunft gestattet. Durch den bittersten verlust ist Tasso von der
schwärmerischen leidenschaftlichkeit, die ihn die weit verkennen Hess,
geheilt und hat an dem als todfeind gehassten Antonio einen freund
und sicheren halt gewonnen; die holde gäbe der dichtung ist ihm ge-
blieben und sein verdüsterter geist verklärt. Er ist geheilt, gerettet!
KÖLN. H. DÜNTZER.
ZU DEN KINDER- UND HAUSMÄECHEN DEE
GEBRÜDER GRIMM.
In nr. 152 der grossen ausgäbe erwidert „das hirtenbüblein" auf
seine frage „Wie viele Sekunden hat die ewigkeit?" dem könige: „In
Hinterpommern liegt der deraantberg; der hat eine stunde in die höhe,
eine stunde in diebreite und eine stunde in die tiefe; „dahin kommt
alle hundert jähr ein vögelein und wetzt sein schnäblein
daran, und wenn der ganze berg abgewetzt ist, dann ist die
erste Sekunde von der ewigkeit vorbei.'' Im 3. (erläuterungs-)
bände, 3. aufl. s. 256, wo W. Grimm auch zu diesem märchen zahlreiche
parallelstellen aus andern erzählungen nachgewiesen hat, findet sich
für die obige bildliche bezeichnung einer undenklich langen Zeitdauer
kein beleg. Ähnlich ist der gedanke im 2. bände von „Des knaben
wunderhorn" (neudruck der ausgäbe von 1806 — 1808) in Meyers Volks-
büchern nr. 1046—1050, s. 190:
72 Zü GBIMMS XIMDXS- UND HAÜSBIÄBCHKN. — Zu JOHANN RiSSEB
„Wenn berg und thal aufeinander stand',
Viel lieber wollt' ich sie tragen,
Als das ichs soll stehen vor dem jüngsten gericht,
Soll all meine sünden beklagen,
„Und kam' alle jähr' ein vögelein,
Und nahm nur ein schnäblein voll erden,
So wollt ich doch die hoffnung haben,
Dass ich könnt' selig werden.**
NOBTHEQl. R. SPRENGER.
ZU JOHANN EASSER
In dieser Zeitschrift XXVI, 480 hat G. Binz über ein aus alten
bücherdeckeln von ihm zusammengestelltes exemplar von J. Rassers
„Spil von kinderzucht** (Strassburg 1574) berichtet. Da dasselbe
aber verschiedene lücken aufweist, so mache ich darauf aufmerksam,
dass weitere exemplare auf den öffentlichen bibliotheken zu Dresden
und Wolfenbüttel vorhanden sind. Auch Merklen (Histoire de la ville
d'Ensisheim 2, 191. 1841) wird das stück gesehen haben. Binz hätte
noch bemerken können, dass Rasser seine fabel von dem ungeratenen
Aleator und dem wolgeratenen Hänslein ebenso wie fünf jähre später
der Oltener dramatiker Schertweg seinen Bigandus aus Jörg Wickrams
Knabenspiegel (vgl. Spengler, Der verlorene söhn im drama des
16. Jahrhunderts 1888 s. 126) geschöpft hat
Zu Martins artikel über Rasser in der Allgemeinen deutschen
biographie notiere ich, dass das titelbild von Rassers zweiter komödie
„vom könig, der seinem söhn hochzeit machte" (1575) von C. Oerdel
(Über die pflege des dramas auf deutschen gelehrtenschulen. Tübinger
dissertation 1870, tafel 1) reproduciert ist Ebendort s. 75 — 89 steht
auch ein auszug aus Baumgartens Juditium Salomonis (1561)»
der W. Kawerau (Vierteljahrsschrift für litteraturgeschichte 6, 1) ent-
gangen ist
BERLIN. J. BOLTE.
WOLFTf RUDOLF HILDEBRAND 73
Bndolf Hildebrand. ^
Sonntag den 28. Oktober 1894 starb in Leipzig Rudolf Hildebrand. Sein
tod kam nicht unerwartet: seit jähren war der nunmehr dahingeschiedene an die
krankenstube gefesselt — und doch hat er rastlos bis zum letzten tage für die Wis-
senschaft gewirkt; so reisst sein tod eine klaffende lücke in unsere reihen. Fürwahr
ein schöner tod! Fast wie ein feldherr auf dem schlachtfelde ist meister Hildebrand
verschieden: noch Sonnabend revidierte erden jetzt Ztschr. f. d. a. 39, 1 — 8 abgedruck-
ten aufsatz über Spervogel und schrieb an einem aufsatze über ^ wache stehn und
dergleichen" — mitten in der arbeit musste er abbrechen; schmerzlos ist er in der
nacht verschieden. Die schöne feier des tages, an dem er das siebente Jahrzehnt
vollendete, hatte er noch erlebt und, tiefgerührt von allen ihm dargebrachten zeichen
der liebe, des dankes und der Verehrung, es aussprechen dürfen, dass er sich wie
auf dem höhepunkte seines erdenlebens fühle. Köstlichere freude konnte ihm nicht
mehr zu teil werden. So klagen wir auch nicht.
„Völlig vollendet
Liegt der ruhende greis, der sterblichen herrliches muster.**
Hildebrands leben ist ganz mit Leipzig verknüpft. Dort wurde Heinrich Ru-
dolf Hildebrand sonntag den 13. märz 1824 als söhn eines Schriftsetzers geboren.
Wie der vater eifrig bemüht blieb, sich selbst fortzubilden, so sorgte er auch für
des sohnes erziehung in aufopferungsvollster weise. Zuerst besuchte Rudolf eino
privatschule; 1836 kam er auf die Thomasschule, zu der er spöter durchgebildet als
lehrer zurückkehren sollte. Schon als quartaner gefiel er sich in dem wachen träume,
wie er einst ein deutsches Wörterbuch schreiben wolle! Von 1843 bis 1848 studierte
er an der Universität seiner Vaterstadt — anfangs theologie, bald philologie, die klas-
sische und in zunehmendem masse die deutsche. £ng schloss or sich hierbei an
Moriz Haupt an. Wenige monate nach bestandenem statsexamen beginnt Hildebrands
lehrtätigkeit an der anstalt, der er seine Vorbildung für die akademischen Studien
verdankte. Bis 1869, volle zwanzig jähre, ist er der Thomasschule treu geblieben;
dann übernahm er eine professur an der Universität
Nicht eigentlich das akademische lehramt rief ihn ab: sollte dieses doch zu-
nächst nur die müsse zur arbeit an einem gross angelegten wissenschaftlichen unter-
nehmen gewähren. Von anfang an war unserm Hildebrand auf Haupts empfehlung
die korrektur des Deutschen Wörterbuches übertragen, welches die brüder Grimm
seit 1852 herausgaben. In seiner zaghaft bescheidenen weise bat er über der kor-
rektur, hie und da ergänzende Zusätze vorlegen zu dürfen. Hierbei bekundete er
alsbald eine solche fähigkeit zur mitarbeit, dass ihm zunächst die unumschränkte
eriaubnis zu eigenmächtigen Zusätzen erteilt, später die bearbeitung des buchsta-
ben K übertragen ward. Jakob Grimm hatte schon in der vorrede des ersten bandes
sp. LXVn Hildebrands ungemeine Sachkenntnis und neigung zur deutschen spräche
gerühmt, in der des zweiten (1860) sp. VI ihm volle befähigung zur mitarbeit zuer-
kannt Nachdem Jakob Grimm 1863 gestorben war, gewährte schon 1865 der rat
der Stadt Leipzig dem fortsetzer des grossen nationalwerkes eine wesentliche erleich-
tenmg durch die eriaubnis, dass Hildebrand auf drei jähre nur acht stunden wöchent-
lich zu unterrichten brauche. Noch vor ablauf dieser frist veranlasste Julius Zacher
1) Durch aoskonft habon den Verfasser zu dank verpflichtet die henren Oberlehrer dr. Rudolf
Bildebnmd, prof. dr. Friedrich Vogt und privatdocent dr. Georg Witkowski. — Vgl. namentlich auch
üe nekrologe in der „Zeitschrift ftlr den deutschen Unterricht", band IX, s. 1 fgg. (Otto Lyon); in
iflr tfl^pziger zeitong" vom 3. nov. 1894 abends und im „Leipziger tageblatt'' vom 4. nov. 1894.
74 WOLFF
in der deutsch -romanischon abteilung der philologeu - Versammlung zu Halle 1867
einen beschluss, die so eben verheissuugsvoll gestiftete nationale gemeiuschaft, den
Norddeutschen bund, um Unterstützung des nationalen Unternehmens anzugehen.
Die folge davon war, dass die sächsische regierung Uildebrand 1869 zum ausser-
ordentlichen Professor der ^neueren deutschen litteratur und spräche* ernannte, wie
die hessische in ähnlicher weise für seinen mitarbeiter Karl Weigand in Oiessen sorgte.
Fünf jähre später wurde Hildebrands professur in ein Ordinariat verwandelt Inzwi-
schen hatte er 1873 die bearbeitung des Imchtaben A' vollendet und die des G begon-
nen. Wenn die arbeit nur langsam vorrückte, wenn es Hildebrand, auch bei si»äterer
Unterstützung durch einen hilfsarbeiter, nur vergönnt war, in der ausarbeitung bis
zum artikel , Gestade'^ * zu gelan^^n , so liegt der grund nicht nur in dem langen Siech-
tum des In^arbeiters und nicht nur in der äussern fülle, die das G (schon wegen der
Zusammensetzungen mit e/r-) umfasst. sondern vor allem auch in der innem fülle,
die ein st^hier unerschöpflicher reichtum an wissen und feinheit hier ausbreitete.
Auch Hildebrands arl>eit an den s|>äteren auflagen (seit der 2.) vonWeiskes ausgäbe
des ^Sai'hsenspiegel" Wrührte sich wesentlich mit seiner tntigkeit als wortforscher: im
glossar konnte er die entstehung vieler werter aus alten rechtszuständen verfolgen.
Anderseits bekundet seine fortsetzuug von Soltaus Sammlung ..Historischer volksb'e-
der~ (IS56) seinen eifer und sein feinsinniges Verständnis für volksmässige poesie.
Xelvn der arbeit am Deutschen wörterbuche ciensr fortlaufend die akademische
lehrtätigkeit her. Si*hon als gymnasi-illehrer, als lehrer der Thomasschule hatte Hil-
debrand ein privatissimum für geistig rege primaner und Sekundaner abgehalten: vor-
wiegend brachte er hier altdeutsche dichter zur lesung und erläuterung. An der
Universität lehrte er in vorie<uni^?n und übuniiren über das Volkslied, über Walther
und die minnesänger, über das Nibelungenlied, die Oudnm. den Sachsenspiegd,
Wickrams RoUwagenbüohlein , besonders auch über Goethe und die btteratur des
IS. Jahrhunderts u. a. Auch sonst besprach Hildebrand alleriei wissenschaftliohe fra-
gen mit den mitgliedem seines kränzchens auf gemeinsamen S{>aziergjingen in der
ihm oip^neu gemütvollen und izemütliohec weise. Die langwierige krankheit n*T4igte
ihn in den letiten Jahnen seine lehrt:itigkeit auf ein privatis;?imum einzoschräüiken,
das er mit um so eindringlicherer Wirkung in seiner w^hnung abhielt.
Hildebranis familionleKm war ü^sejniet. Er fand eine vei^tändnisvolle fraii.
mit dt-r er21 j;ihTv ilSv'»3— 7-1^ in jrlüoklichster ehe lebte, Xai.-h dem tode der lebens-
gvfähnis MieK»r. ihm rwei söhne ur.i iwe: t^vhter zurück, von denen er eine uvhter
bis an s»f:n lobecserio im h.tu<o Ivhio!:, so ias5? er ivr treu sorcenden hari nie est-
behrte. Wenig»^ ;Ahri» \or sric»^m t-iv traf H:I:*:rriLi n:itteü in seic^a s:-?».H
eis s.'hwtr:*r seh!**: i::r.:. -ier. ic p-:<*r^-:r.!-.ti h:.irj srlfcsve wählten t<>i seia^:?:?
stei: hv *i:u^i>vv^lU^c sohr.-:"^. Nur. ist ier =ir*'>rer >r!'>: v.:: :ils geschie-iee. :irpi wir
bli:ies c?.:: wehn-.utii^r iinkKirk-'it fuf i:o rei^r.-?:: fri :!:■?. die sein wiri-ü in
ü=5>*rtr wiss^L-TiSr-h:!?! ur.i :;::>•• rr. I-"!«-r i: r-itlr: hit.
X:: w.o w,:vr.i :':.ke K:::'.:" Hi-ie-^rur: f^ir:? r-itir'-r-.t an: DeutscLrc wör-
w-^>t,* — <.•"-«*•'■-"- .*•• ■••-.■• ..*•.-■.,*,... *,,;_...•..--• * v#" .» - "■ '. * »-i '.-"•-- - '..'-TM 4p^"^'~äia»
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BUDOLF HILDKBRAND 75
dieses grössten meisters unserer Wissenschaft, ja vielleicht noch in weiterem umfange
gilt für Hildebrand das Wörterbuch auch als stiller mitarbeiter zum begreifen unse-
rer Vorzeit wie unserer eigenen gedankenweit. Die goschichto fast jedes wertes wird
ihm ein beitrag zur inneren gescbichte unseres kulturlebens , ein Spiegel der entwick-
loDg unseres Volkes. So betrachtet Hildebrand den wortvorrat der deutschen spräche
im höchsten und vollsten sinne als nationalschatz. Wol lässt er dabei als getreuer
Eckart nicht ausser acht, dass andre Völker meist dann erst in solchem umfange ihre
geschichte zu schreiben begannen, wenn sie sich anschickten, mit ihrem leben abzu-
schliessen. Uns aber soll vielmehr nach seiner meinung der blick in den Spiegel
unserer entwicklung bald zur anfeuerung, bald zur heilung dienen. Das kann frei-
lich nur geschehen, wenn die Wissenschaft zum leben hinstrebt, nicht aber, wenn sie
in Selbstgenügsamkeit verknöchert.
Als denkmäler und Zeugnisse der kulturentwicklung, gleichsam als abdrücke
oder abspicgelungen vergangener, aber noch fortwirkender Sitten und zustände sind
die Wörter für Hildebrand in erster linie von interesse. „Wie die spräche altes leben
fortführt^, lautet eines seiner lieblingsthemata. Mit umfassender gelehrsamkeit und
eindringender sachkentnis liebt er es nachzuweisen, wie viele Wörter und Wendungen
ein stück alter sitten und anschauungen vor unsem blick zaubern. Indem er die
redewendungen bis auf ihren Ursprung zurück zuverfolgen sucht, greift er gern in die
deutschen rechtsanschauungen und -gebrauche sowie in die sitten und gebrauche des
Volkslebens hinein; das familienloben wie die öffentlichen einrichtungen zieht er heran ;
bald holt er aus dem ritterwesen und dessen kampfspielen, bald aus kinderspielen
aofklärung über den eigentlichen sinn unserer rede. So verstand Hildebrand meister-
haft, uns gleichzeitig unsere spräche und unsere Vergangenheit lebendig zu machen;
so strebte er die „freie, fröhliche innere anschauung** anzuregen, ein gegenständ-
liches, ein sach- denken im gegensatz zum bloss logischen oder wort- denken auszu-
bilden. Hier wusste er sich ganz auf Goethes bahnen; er selbst vorweist in der
vorrede zum V. bände auf dessen werte 50, 93 fg. (Hompel 27, 1, 351 fg.). Mochte
auch das eifrige spüren nach zusammenhängen und anknüpfungspunkten hie und da
zu voreiligen hypothesen führen, so besass doch Hildebrand zu strenge philologische
Schulung, um sich nicht der uferlosen phantasieflut mancher sprachvergleicher ent-
gegenzustemmen. Sehr verständig betonte er, dass es nicht die aufgäbe des Wörter-
buches sein könne, ein wort über seine erste fest nachweisbare form hinaus zu ver-
folgen, um durch kombinatiori und ansetzen hypothetischer formen zu einer älteren,
möglichst urgeboren anmutenden wurzel zurückzuschreiten. Desto entscheidenderes
gewicht legte Hildebrand auf entwicklung des begriffs vom greifbaren auftreten bi,s
zum heutigen gebrauche; auf entwicklung, wie besonders betont werden darf:
denn nicht bloss auf statistische anoinanderreihung der wechselnden gebrauch s weisen
geht er aus, sondern er schreibt eine innere geschichte des wertes und des begriffes.
So nehmen manche artikol den umfang einer kleinen abhandlung, unter umständen
selbst einer grossen abhandlung an; über Geist z. b. wird auf 118 spalten gehandelt.
Vielleicht ist bisweilen zu viel differenziert, wo das gespannte feingefühl unterschiede
zu empfinden glaubte, die doch im wesentlichen auf denselben grundtypus Linaus-
kommen. Dafür erhalten wir an der band eines wertes aber auch meist eine tief-
greifende und voll ausschöpfende scelengeschichte des deutschen volkos, die nir-
gends ihres gleichen hat. Dies zeigt besonders die meisterhaft behandelte gruppe
"Pr Wörter gedanke, geist, gemüty genie, aus der allein schon die epochen und wen-
^üDgen des deutschen gefühlslebens klar heraustreten! Mit verliebe und mit vollem
76 WOLFF
rechte lässt er scharf den Umschwung hervortreten, der in der deutschen Volksseele
Cim die mitte des 18. Jahrhunderts vor sich gieng: die verinnerlichung und vertiefuDg
gelangen zu kongenialer nachzeichnung, und auch das allmähliche eintreten des aber-
Schwangs und der verstiegonheit wird an der wortgeschichte kenntlich gemacht Es
gehört zu Hildebrands eigenartigsten Verdiensten, aufgewiesen zu haben, wie die
empfind ungsfnlle der genie - i)eriode bis auf Geliert zurückgeht; von ,, Sentimentalität*^,
von ,,stunn und drang** wollte er da nichts hören, ganz erfüllt war er von pietät-
vollem danke für die positive, schöpferische gewalt, die sich in jener Überwindung
des nüchternen Verstandes durch die gewalt des herzens offenbarte. Glücklich wusste
er auch die epoche der romautik an der ent^icklung der begriffe aufzuweisen. Einen
früheren grossen abschnitt unserer geistesgeschichte fasst er als unsere Franzosenzeit
zusammen, die er bis weit ins 18. Jahrhundert hinein datiert. Im hinblick auf sie
namentlich geht er von der blossen wortgeschichte zur wortkritik über, wo er findet,
dass die ruhige entwicklung eines deutschen begriffes, welcher der sache und dem
bewusstsein nach längst vorhanden war, von einem fremden eindringling durchkreuzt
und auf Seitenwege oder gar auf abwege gelenkt ward. Vom rein sprachlichen boden
auf die gesammte kultur ausgreifend, polemisierte Hildebrand ähnlich gegen die soge-
nannte renaissance: nicht eine widergeburt. wie der name bedeutet, sondern eine
widererweck ung des altertums fand statt. Eine rechte widergeburt sei nur aus
unserer natur heraus möglich und freilich jetzt vonnöten.
Gewähren die Wörter so viel Stoff zum nachdenken wie zu kultur -rückblicken,
dann liegt es nahe, sie zu solchen zwecken methodisch fruchtbar zu machen. Die
logik des sprachgeistes soll die .. Geistesbildung nach dem innem zu** fordern, zum
saohdenken anregen. Spricht doch Hildebrand als ziel des deutschen Unterrich-
tes gleicherweise aus, ,dass jener Spiegel der nation in jedem gebildeten deutschen
sich widerholend darstelle.'' Daraus ergibt sich, wie unauflöslich Wortforschung nnd
Sprachunterricht in dem interessonkreise unseres mannes verknüpft waren. Sein lebe-
lang blieb er bemüht, die forsohung und deren ergebnisse auch der schule nutzbar
zu machon. Welche bedeutung Hildebrand dadurch für unser gesammtes erziehungs-
wesen gewonnen, lässt sich schon aus jener schrift ermessen, welche neben seinen
(beitragen zum Deutschen wörterbuohe seineu namen vor allem in ehren lebendig erhal-
ten wird: «Vom deutschen spraohuntorrioht in der schule und von deutscher erzie-
hung und bilduug ülvrhaupt, mit einem anhang über die fremdwörter und einem
üWr das altdeutsche in der sohule- ^erste autlage lSt)7, zweite 1879, dritte 1887,
vierte ISiK^». Mit f»"arTo:for vertioht der Verfasser hier folgende grund- und leitsätze:
1^ «Der spraohunterrich: sollte \v.\i der spräche zudeioh den in halt der spräche,
ihren lobenscohalt voll u::i frisch und warm erfassen. • 2» .IVr lehrer des deut-
Sieben S\41te nichts lehror.. w,^< die sohülor selbst aus sich finden können, viel-
mehr alles das sie unter so;!;or loitiiüg f.iivion la>M'K.- 3' «Das hauptgewicht sollte
auf die gesproohene uiui cc hörte spnwho a^ioct werden, nicht auf die geschrie-
bene und g^^sohone." 4^ -Das hv.vhdeut>ch. ;il< :w\ des uaterrivhts, sollte nicht als
etwas für sich gelehrt wordt^u wie oin a!Mon^< latii:!. sor.iom im engsten anschluss
an die in der klasso v er:: r. vi liehe v^^lksjsvni.ho o.ior h.u;s>iraohe.*
Im ein;elr.er. r.\^.*ht ll:l.iobr;ir. i ::.i:r.;'r:*ivh d.ArAv,: aufmerksam, wie doch unser
panier spn^obbesi:; eiicr.:*.:. \\ ;iv.s l.r,::i^v k*.;-.nor. «^ico"- :: soh.ifiHjrjakten entstehe und
K*s:ehe: diese schopfir.tp^i'^to ::-.:!i \\;i!vi: :r.\ ur.toT-iv:.: r.inor aiilriring des lehrers zu
widerholen. D.^lvi ist >tct.^ a:i bokH'.ü-.Tos ;r.:;'.:kr.v.i:Vr. . bis sich w-rn und sache im
köpfe dos s^'hult^rs voniLiblou -N.;r :ehu so'..:.or Ä".;j:onbhcke in einer stunde "^ —
BUDOLF HILDEBKAND 77
mft der feine kenner der kinderseele — ^wo bleiben da leere und langeweilel*^ Aber
er will nicht einmal, dass der lehrer die gegenstände in die seele der kinder hinein-
arbeite, vielmehr soll er sie hineinspielen — in Schillers ästhetischem sinn des
b^griffes. An das unmittelbare leben, an die kindliche Sphäre will er angeknüpft
wissen: die methode hat überall im Unterricht an die stelle des einseitig systema-
tischen Vortrags zu treten. So soll denn also der deutsche Unterricht nicht bloss zum
logischen, sondern zum begrifflichen selbstfinden und nicht bloss zum selbstfinden,
sondern zum selbstbeobachten anleiten. Nimmer ward unser dahingeschiedener mei-
ster müde, gegen jenes rein gedächtnismässige wissen zu eifern, das in fächern wol-
geordnet ruht, aber abstrakt bleibt. „Ja, es ist für eine frische zukunft eine grosse
nmkehr nötig!'' Widerum berührt er sich eng mit Goethe. — Man weiss, wel-
chen umfang der von Hildebrand neu begonnene kämpf gegen die Vorherrschaft
der geschriebenen spräche vor der gesprochenen angenommen hat Die ausartungen
dieser bewegung hat er sich nie zu eigen gemacht Eng zusanmien hieng mit die-
ser rettung der mündlichen rede seine fordorung, dem hochdeutschen nicht eine
falsche Vornehmheit, der mundart nichts schlechtweg verächtliches zu geben. Ler-
nen soll der schüler vielmehr von seiner mundart aus das hochdeutsche und noch
vieles andere.
Noch enger gehen der wortforscher und der erzieher Hildebrand in dem
abschnitte des buches zusammen, welches „Vom bildergehalt der spräche und sei-
ner Verwertung in der schule '^ handelt. Jene bilder aus dem leben, die in festen
Wendungen niedergelegt sind, werden darin für den Unterricht fruchtbar zu machen
gesucht. Mit recht betont Hildebrand, dass der überlieferte verrat solcher bildlicher
redewendungcn den eigentlichen geist, gehalt und reichtum, das eigentliche innerste
leben der spräche darstelle. Mit ihrer hilfe müsse die schule wider eine deutliche
anschauung, eine gesättigte bildlichkeit pflegen; das denken müsse in ein sehen, ja
in ein bewegen, ein mitloben und mittun, ein nachschaffen übergehen. Sehr fein
wird entwickelt, wie auch die namen ein stück kulturgeschichte spiegeln.
Selbst diefremdwörter, so lebhaft Hildebrand für ihre einschränkung ficht,
weiss er noch in ähnlicher weise für den Unterricht fruchtbar zu machen. Denn
natürlich bewahrt ihn seine sprachgeschichtliche bildung bei sprachreinigenden bestre-
bongen vor Übertreibung und geschmacklosigkeit. Mit glücklicher Vereinigung von
gelehrsamkeit und ironie weist Hildebrand nach, wie viele fremdwörter ihren gebrauch
in Deutschland der blossen bildungsstreberei verdanken, und wie viel gedankenlosig-
keit sich dabei kundgebe. Auch die gesichtspunkte der klarheit und Schönheit lässt
er in Verurteilung des übermasses unserer fremdwörter nicht ausser acht Eindring-
lich schärft er den satz ein: „Das bloss nachgeahmte und andern nur nachgelebte
leben ist gar kein wahres leben.^ Aber dennoch verwahrt er sich dagegen, alles
ausweisen zu wollen, was sich nicht schon fest eingebürgert hat. Nur müssten wir
verstehen, den leben hemmenden wüst in eine fröhliche ernte zu verwandeln, die
leblosigkeit, die den fremdlingen anhängt, wider in volles förderndes leben umzu-
setzen. "Wodurch? Auch die fremdwörter, soweit sie nicht entbehrlich sind, will
Hildebrand als kulturbilder behandelt wissen, die nach ihrem Ursprünge wie nach der
zeit und veranlassung ihrer einführung im Unterricht gesondert, somit in einen kul-
turgeschichtlichen rahmen gerückt werden.
Mit alle dem hat die Wissenschaft nun freilich aufgehört, Selbstzweck zu sein;
sie ist in den dienst der erziehung wie des lebens getreten. Hildebrand tat diesen
schritt mit vollem bewusstsein. Er war von der Überzeugung durchdrungen, dass
7B
jede wisBcnEi:hart verdorren qdiI verknöcliern r\
zurückzieht, die aicti tiiuht mit dem leben wechselseitig befruchtet Darum stellte
er schliesslich sein ganzes iuterease, soweit es nicht vom wörterbucho gefesselt war,
ia den dienst des unterriobtswesens. Aas diesem gründe begnisste er die begrün-
dung dieser zeitsohrift ganz besondere mit treude. wie ea Uie bd. 20, 409 mitgeteilte
Btello ans oiooai briele an ihren begrüuder Julii;s Zacher bezeugt'. Spüter (eeit 18S7]
beteib*gte er sich eifrig an der , Zeitschrift für den deutaeben uuterrieht ", die er zu-
gleich ala Üeiesigster und gediegenster mitorbeiter forderte. In welchem geiats er
dieses untemebmen ausgeführt wiBseo wollte, das bezeugen sebe geleiCworte: für dos
Deutsche handele es sieb jetzt darum, „ein neues leben eben als Deutsolie zu begin-
nen." Der deutsche oaterricbt muBse deshalb in den mittelpunkt der erziebung ti»>
teo. Für uns seien Lessing, Goethe, Schiller diejenigen, die uns ,mehr mensoh*
werden, uns eine „habere mensahheit" erreichen liessen; sie also stellten für Deutsch-
land die liutnanitira dar. Auch später noch kam er mit foigorechter bebairlichkrat
auf diesen bedeutsamen gedanken zurück: jetzt erst laufe die periode der sogeDannlen
rensissaiice ab, und wir erlebten dou beginn der deutschen periode. In dieser denkt
er sieb vor allen üoetbe als führer. Im aosohluas an Goethe mü&se das deutsche in
die mitte der hüehsten deutschen bildung rücken, wie Ja auch schon dos ausländ
beginne, eben im aosubluss an Goethe, unserer geisteswelt für das allgemein mensch-
liohe eine bestimmende mittelstellung einzuräumen.
So erhoffte und erstroblo Hildebrand einen unmittelbaren einlluss der deutschon
Philologie auf das leben. Ihm war die wissonscbaft eben nicht blosse kalte, interes-
selose verstandessBche; wie er sie ausübte, war die Wissenschaft vielmehr zugldch
ein Busfluss des gemütes und des gewissens. ^Das blosse wissen'^, rief er aus, ,dftr
blosse verstand gibt uns von einem gegeustande nur die umrisse und die üäctie, gibt
ihn ODB nur als üoaseres Schauspiel; die färbe aber und den duft und die seele oder
das volle leben, die tiefe gibt uns allein die eigenste beteUignng, d. h. das empfin-
den, das gemüt!"
Wie in dem entschlafenen verstand und gefühl, wissen und gemüt zusammen-
wirkten, das offenbaren besonders charakteristisch die , Tagebuch bUitler eines sonu-
tagsphilosopben ", die er 18BT und 1888 in den ^Grenzboten' ebne seinen namen
voröffeutlichte. Ein sonntagsphilosoph ! Mit sichtlicher Vermeidung olles sf stemn-
tisoben streut Eildebrand denn hier ebe fülle gelegeutlioher onregungen aus. gan»
wie es für seine lehrart überhaupt charattoristiach war. Mit verliebe wirkt er auch
hier für gemütsbilduitg und nationale tatkroft. Nicht nur für gegeaständliches daa-
kan in Qoetbes sinne tritt Eildebrand widerum ein; auch für das leben, für das bandeln
gegen ein blosses denken kämpft er im geiste von Ooetties , Faust", uud er widerfaolt
Goetbes ausruf: „Armer mensch, an dem der köpf alles ist!" In einem dieser tagit-
buchblatter spricht er ,Vom Euswumenlebon ", widerum auf Goethe fussend, dessea
„liatürliche tochter* er gescbiokt als Zeugnis gegen den egoismus heranzieht Eia
andennal verfolgt' er an der band der litterator ^Deutsolie propheieiungeu über sie-
ben Jahrhunderte hin", mit einer verständnisvoll rettenden auslegang von Öoethes
IJ In uiiaeter raituchnft «rvchiebea fglgande irbetton R, HildubTvids : 1, 443 i,aiu tnjDilArilobar
dxiBuwIuR aoruuti*" icgl. iiwb II, ISO); I. MB „dia bsdaatane dar ki^U"; 11, 18« „m 8cUl-
lanTa11'\ Q, 263 „ini gcschialila i1b> «piachi^fAMa bei den Deul»thea ouil RSaieni" ; 11. tüS „mr
aiulnui"i m, 3&S: utai^ ron I>ioU. «artartiiich zn Luthim ichiiftani iV, 3H: Ul>i%e ma KbItW)
tumnut^^ebeu vim Uutin. — Mchrir? riiri üpma nrbeitsD mul dein juidere a-nlmatu aolnHTie Uilda-
■ atnd V
D daatuhon antonlchl. Lelpiig IBOiJ,
sursUtii' lind voitra^p
BT7D0LF H1I.DKRRAWD 79
festspiel nl^GS Epimenides erwachen. '^ Gleicherweise zieht unser sonntagsphilosoph
onsik und bildende kunst, menschen- und tierseele, leben und sterben, trauer und
tmae heran; auch stiftet er eine Versöhnung zvsdschen der guten alten zeit und dem
inischhtt, unter der bedingung, dass man den ton auf das erste attribut „gut** lege.
Alles nationale, alles volkstümliche und alles individuelle nährt Rudolf Hilde-
hrand; das nächstliegende heisst er uns ergreifen — wie Goethe, von den kindern
lernen — im geiste des Heilandes. Denn er war eine voll harmonische und tief reli-
giöse natur. Engherzigkeit war ihm aber auf religiösem und nationalem wie auf wis-
senschaftlichem gebiete zuwider. Zuwider war ihm auch jede Wissenschaft, die nur an
der matene klebt Die einseitig grammatische wie die rein physiologische betrachtung
der spräche wies er ab, ebne ihr begrenztes recht zu verkennen: die psychologie
habe in der Sprachwissenschaft ergänzend neben die physiologie zu treten; ihre ein-
holt wird beiden gegeben in betrachtung der spräche als kunstwerk, welches das
geistige leben in seiner ganzen erschein ung, seinem ganzen wesen einfängt. Diese
hedeutsame auffassung ist für Hildebrand bezeichnend: er war eine künstlerische,
positive, schöpferische natur. Wie sehr seine persönlichkeit wol an Geliert erinnern
mag — sein geist war doch vielfach Horder und Jakob Grimm verwani Demgemäss
schienen ihm in der littoratuiwissenschaft diejenigen betrachtungsweisen nicht anspre-
chend, die sich in kühlem feststellen von tatsachen, in mechanischer handhabung
eines äusseren apparates gefielen. Ihn fesselte mehr die methode als das System,
mehr die nachschaffende („rekonstruierende^) als die kritische seite der Wissenschaft.
Das erklärt den zauber, den Hildebrand als akademischer lehrer ausübte.
Nicht freilich was man „schwarz auf wciss*^ „nach hause tragen'' kann, erwarben wir
bei ihm ; aber anregung für alle Seiten der philologischen arbeit und fürs ganze leben.
Von scheinbaren nebensachen aus und durch seitenspiünge eröffnete er ausblicke ins
unbegienzte. An das gemüt, nein, an die ganze persönlichkeit der hörer wandte sich
meister Hildebrand, indem er zeigte, wie viel mehr an dem philologischen lernstoff
haftete als etwa blosses deukwerk. So wusste er hunderte von jugendlichen herzen
zu begeistern — für die Wissenschaft von deutscher spräche und dichtung wie unwill-
kürlich auch für den moistorlichen lehrer selbst. Doch weiter reichte seine persön-
liche Wirkung. Wer wäre je von ihm ohne anregung, ohne erquickuug gegangen?
Noch in der langen krankheit seiner letzten jähre leuchtete sein äuge auf, sobald im
gespräoh ein gegenständ berührt wurde, der ihm am herzen lag; und wie viel lag
ihm nicht am herzen, zum besten unserer Wissenschaft wie unseres volkos! Dann
konnte er, je nachdem gegenständ und Stimmung es mit sich brachten, jubeln und
weinen, bcgeisteii anfeuern oder grimmig auffahren. Alles in ihm gieng durch das
gemüt. Wer ihm je als schüler oder freund nahegetreton ist, den wnrd sein bild
nimmer lassen. Und wie es sich unauslöschlich in die herzen seiner jünger und in
die geschieh tsbücher der Wissenschaft vom deutschen eingegraben hat, so steht es
mahnend und bahnweisend an der pforte der zukunft, auf dass unsere wissenscliaft
gedeihe in Schöpferkraft und Wetteifer mit dem frischen, befruchtenden leben!
JEaSL. ETTOEN WOLFF.
80
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ln.-be niutvnu.. -.^: 2l. :-..::.-i •;.• ^r. i-'^-^r».:- ü-? _*-*!iiii!i» 11 ita. jLiit— *-ta
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häh»'. I)a^ U!Jlia!.j:-...l-: ■. : •_. • ._. -tJL-I -.: _:'-:rU.- LLT-J. liW"^ r-ll^rC A^iy-
fiihrlichi'ii iii-Jex \:r.u-j'. ,-: ^■.-.- -■■ r _^- '^-. •:- -lj—- jr'-* .jv-j-'I lit^ ^.f: rii
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«l«Mii uliciMli-k ül vr i:-.- '.r.'^i- • - .-• :_--, --..ir -t T-L-r.T-i-r !i-ir: i- i^fr
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j^n.-ii/.i; von lirt" kiK'.k-ii!. .:. : .1. ::'.:: .•--■..: ..:. . :r_ ,:^:- ">- — - iiistc-n*
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(ilh* M'^'. Manu. --L-ir.'* ■.;.:!:••■:. ■ .-• :..:.• ■.!:■..-.:..!. L. T.LiTn. y^ iirSvr HÄiirian-
ri'i'i'iisiim ini 0. jaiii.: ^-..'..^ p,.-. .;. .-. ;: ;*;t; .^r.:. -.:.■:-:. EL^'j^iiir: umgearbeitet
(s. H>7 fj^g.j. V..1 -i.-! •..■IV..J! .1.^; :.a*.*-; ■:..'. ^*: ALjlv=-y If"'.-.:. ;vr .>-.':. -^er ein« j-r^-
1) l<h i'irirM'j hi'.'i !i!: i .;/. lMi::--L >.r. .'..1 '. d-.r au-^a'K- von San-Mürte iSie-
veustm).
2) Iber (l<-M ui j-i'iiit^ ']'■; !.!■:!-. Mntrtt.- nnnt'hon.tu ."«. *j. Paria. RomaDia 12,
JT'J; Zimmer l'i'.).
ÜBEB ZDOfES, NENNIÜ8 YINDICATÜS 81
byiais Bealan am 810 eine neue redaktion mit einigen Zusätzen und mit kürzung
der geschichte des nordens veranstaltet, die Zimmer als ,,nordwelsche recension'^
der , südwelschen'' (== Harleian) gegenüberstellt. In lateinischer gestalt ist sie
rerloren , liegt dagegen der irischen Übersetzung zu gründe , die der irische dich-
ter und annalist Gilla Coemgin vor 1072 angefei-tigt hat; daher ist diese von hervor-
ragender Wichtigkeit Auszüge aus der lateinischen fassung finden sich als randooten
in mehreren hand<^chriften der südwelschen recension und sind in einigen handschrif-
ten in deren text aufgenommen. Eine solche handschrift ist L (13. jh.), die ein spä-
tes bombastisches machwerk (§1. 2) als erste vorrede vorschiebt (s. 48).
Soweit Zimmer. Einige lokalisierungen und daten scheinen mir begründet,
dagegen was über gestalt und iohalt der älteren recensionen erschlossen ist, hat sich
im wesentlichen als irrig herausgestellt. Den hauptstoss hat das gebäude erlitten
durch Mommsens nachweis, dass die handschrift von Chartres*(9. — 10. jh.), die auch
Zimmer (s. 201 fg.) gekannt, aber in ihrem wert Dicht erkannt hat, eine'abschrift der
Hist. Britt. enthält in der gestalt, die sie vor Nennius gehabt hat^ Sie ist jetzt all-
gemein zugänglich durch Duchesnes abdruck in der Kevue Celtique 15, 174 fgg.,
der auch einige bemerkungen daran knüpft*. Ich bezeichne sie mit Ch. Die vorläge
dieser — im einzelnen sehr fehlerhaften — handschrift war unvollständig, so dass sie
leider mitten in § 37 abbricht. Doch so wie sie ist, genügt sie, um auf den ersten
blick folgendes zu lehren: 1. Auch der erste teil der Eist rührt in seinen wesent-
lichen bestandteilen nicht von Nennius her, sondern gehörte schon dem älteren werke
äo. Dieses war also nie als fortsetzung von Gildas gedacht. 2. Die scheinbare
Unordnung der ,, südwelschen recension ** beruht nicht auf ausfaU von blättern, son-
dern ist altererbt; im gegenteil hat Nennius durch ein paar eingestreute sätze den
weg gewiesen, sich in dem etwas chaotischen gemengsei zurechtzufinden. Also sind
auch die daten in § 16 nicht erst später, beim kopieren einer verwirrten handschrift
eingefügt 3. Die „nordwelsche recension'^ hat also gleichfalls nie einen „geordneten**
text besessen; sie ist nicht verloren, sondern bestand von anfang an, ausser in der
kürzung des Schlusses, in ein paar rand- oder interlineamoten, wie sie noch mehrere
handschriften bieten. 4. Die vaticanische recension hat neben Nennius eine handschrift
des vornennianischen Werkes benützt und verarbeitet'. 5. Das gleiche gilt von der
irischen Übersetzung. Schon Heeger hat in seiner anzeige des buches^ — ent-
gegen seiner eigenen früheren ansieht — .ausgesprochen, dass ihre verständigere anord-
nnng nicht der lateinischen vorläge (Zimmers x) , sondern dem Übersetzer zu verdanken
sei, was jetzt keines beweises melir bedarf. Mit recht bezweifelt er auch die autor-
Bohaft des Gilla Coemgin. Zimmer (s. 13 fg.) gründet sie auf den Untertitel in der
einen der 4 vollständigen hss., im Book of Hy-Mane (vor 1423 geschrieben): In-
eipit de Britania airte quam Nenius constrvxit; Qilla Coemain ro impai %
Mcotie^ d. h. „G. C. übersetzte [sie] ins irische* *. Die notiz könnte nur wert haben,
1) Neues archiv der ges. für ältere deutsche geschichtskunde 19, 283 fgg.
2) Ein störender druckfehler ist dort s. 176 die zahl [11] statt [10] nach § 9.
3) Mommsen, a. a. o. 288.
4) Gott gel. anz., mai 1894, s. 399 fgg.
5) Zimmer korrigiert airte in aiste und übersetzt: ex ea, quam. Vor einem
relativsatz kann aber ex ea irisch nicht aiste (este) heisseu, wie ja wol Zimmer sel-
ber weiss. Vielmehr steht airte nach irischer Schreibweise für arte. Die Überschrift
umschreibt ungeschickt: Incipit eulogium brevissimum Britanniae itisulae, quod
Ninius Mvodugi discipulus congregavit, womit mehrere Nenniushss. beginnen; sie
gibi also eulogium durch ars wider.
anscmoR r. diuisohe PHiLOLoaiB. bo. xxviu. 6
82 TUUUMiy8K5
wenQ sie in alto zeit hinaufroichto. Hiergegen spricht nicht nur, dass sie in
der parallclhs. D (H. 3. 17 Trin. Coli., Dublin) fehlt ^, sondern namentlich auch
die Schreibung dos namens. Der vorfassor der Historia heisst für den irischen
üborsotzcr durchaus Xcmnitis oder Nemntts: in § 3 (Todd 's. 24) liest D Numnus^
L NemnUts, B Keimnusy in der Überschrift von § 13 (Todd s. 42) D und B Nemnu»,
L Nemius (Todd s. Till), in § 48 (Todd 8.104) hat die älteste hs. U Nefnnua,
D Xeamnos, L Xemnes, nur B Xenus, Die Überschrift mit Xenius geht also nicht
in die zeit dos Übersetzers zurück. Ist sie abor s[mterer zusatz, so hat sie keine
bodeutung, da Gilla Coemgin als Verfasser aunalistischer gedichte auch in späteren
jahrhuudorton wol bekannt war, sein name sich also leicht für ein historisches werk
darbot. Die frage ist insofern weniger wichtig, als ein fragmeut der Übersetzung sich
bereits in dem vor llOG geschriebenen Lebor na h-üidre ßndet, sie also nicht spä-
ter ist als das 11. Jahrhundert (der ierminua post quem ist das jähr 910; s. u.). Es
ist somit der zeit nach möglich, aber freiUch nach allem sonstigen sehr unwahr-
scheinlich, dass sie von Gilla Coemgin herrührt.
Die grundlage für den Iren bildete, wie sich aus Zimmers untersachongen
ergibt, ein Neunius mit randnoten, die ^nordwelsche recension**, und zwar steht ihr
im allgemeinen hs. 0 am nächsten (Zimmer s. 43). Heeger hat aber nicht erklärt,
ja merkwürdiger weise die fi'age gar nicht berührt, woher die zum teil besseren les-
arten des Iren stammen, die sich entweder nur in der vaticanischen reoension oder
selbst da nicht wideriinden; und doch hatte sie Zimmer s. 19 fg. zusammengestellt
Das rätsei löst sich jetzt aufs einfachste. Der irische bcarbeiter hat, wie ein blick in
Todds ausgäbe lehii, verschiedene andere quellen beigezogen. Eine derselben war
nun sicher eine II ist. Britt. in vomennianisoher gestalt. £r hat sie da verwendet,
wo sie ihm richtigeres und genaueres zu bieten schien als sein Nennms, dagegen ihre
verwoiTenen pai-tieeu bei seile gelassen. Aus ihr stamt die notiz in § 31 (Todd s. 78),
dass im jalire 347 nicht Uratianus Aequantius, wie alle Nenuiushss. lesen, sondern
(iratianus und Aequitius „herrschten*^-. Feiner hat er ihr offenbar, wie die vatica-
nischo n^censiou, die zahl der 12 magi (§40, Todd s. 90), das wort nitilscucwn (=
Middclsaxum) am schluss von §40 (Todd s. 102)^ und den satz: stagnum figura
(der Ire las regunm) hujus mundi est in § 42 (Todd s. %) entnommen. Die irische
Version komt also für die Neuniustradition nur in dem grade in betracht, wie die
vaticanische rccousion.
Stollen sir;h so Zimmei's misgriffo als recht beträchtlich heraus, so erscheinen
sio doch darum verzeihlich , weil sie eigentlich alle in dem autem des zweiten satzes
von § 10 wurzeln. Und in der tat, wer einmal die bedeutuug von Ch verkannte,
konnte nicht wol erraten, dass das aiäem des Nennius den gegensatz zu einer dar-
Stellung bezeichnet, die gar nicht mehr vorhanden ist, weil sie eben Nennius in sei-
ner itH^ension unterdrückt hat. Es ist der anfang von § 10 in Ch, den auch die
vaticanische recension leicht geändert wider aufgenommen hat. Anstatt nun Zimmers
aufstollungen , die duix-h Mommsens nachwcLs fast alle in eine schiefe lago geraten
NJnd, einzi4n zu durchgehen, glaube ich den lesern dieser Zeitschrift einen besseren
1) s. Ileoger, a. a. o. 401 fg. 2) Rev. Celt. 15, 178.
3) Ih)r fi filier des Nennius erklärt sieh daraus, dass in der handschrift i/M2(M-
jiOJcuHi und der zu §47 gehörige satz: ut ah iUicita ronjunftione se scpararei ans-
i;vUkiwen, ab»»r am rando na<.'hgetragen waren. Durch falsclw^ bezieh ung der verwei-
suii^N/oichiMi kam der satz an stelle von Middtlsaxum aus ende von § 46 und letx-
U>iVBi wurde ültersohcn.
ÜBER ZIMMER, NKNUIUS YINDICATÜS 83
dienst zu erweisen, wenn ich kurz zu bestimmen suche, wie sich auf grund des Zim-
merschea buches einerseits, der Bemerkungen Mommsons und Duchesnes anderseits
die gresehiehte der Historia Brittonum gestaltet.
Die handschnft Ch führt den titol: Incipiunt. exberta» fiiurbaoen^ de libro
sei. Oermani inventa et origine. et genelogia Britonum. de aetatibus mutidi.
Das zweite wort kann nur excerpta bedeuten , da Nennius § 3 über seine tätigkeit
berichtet: Ego Nennius . . . aliqua excerpta scribere curaciy quae hebettuio gentis
BrÜ€mniae d^ecerat. Es lag ihm also ein werk mit ähnlichem titel vor. Das
dritte wort ist natürlich fii (d. i. filii) Urbaren zu lesen und erinneit sofort an
Rum (besser Run)^ söhn des Urbgen, der sich in § 63 der Historia des Nou-
nias ziemlich unmotiviert in den Vordergrund drängt Dort wird dem bericht, dass
der nordhumbnsche herrscher £adguin, ein Jahr nach der taufe seiner tochter
Eanfled, mit 12000 mannen sich taufen liess (nach Beda i. j. 627), beigefügt: Si
quis scire voluerit^ quis eos baptixavit, Rum map Urbgen baptixavit eos; et per
quadraginta dies non cessavit baptixarc ornne ge7ius Ambrmium^ et per praedi-
eattonem illius multi crediderunt in Christo, eine notiz, die auch die Annales
Cambriae a. 626 aufgenommen haben. £in namhafter ?nap Urbgen im 7. Jahrhun-
dert kann, da der name nicht häufig ist, fast nur ein söhn des brittenfürsten Urbgen
(später üryen) sein, der auf einem feldzuge gegen den Nordhumbrerkönig Theodric
(572 — 579) auf anstiften seines brittischen bundesgeuossen Morcant ermordet wurde
(Nennius §63)', also ein bmder des sagenbeiühmtcn Euein (Ywein, Owein) fnab
Uryen. Da Run map urbgen ein geistlicher war, also latein konnte, werden wir in
dem fUius Urbagen der alten Überschrift kaum einen dritten bruder, sondern wol
eben diesen Run zu sehen haben. Diese Übereinstimmung des namens macht Duches-
nes annähme (a. a. o. 187), der zweite teil der Hist, die geschichte des uordens,
habe dem ursprünglichen werke gefehlt, ganz unwahrscheinlich. Vielmehr drängt
sich sofort die frage auf, ob dieser söhn Urbgens, auf den laut dem titel die excerpta
de libro saneti Oermani zurückgehen, welche wir längst aus Nennius als haupt-
quelle der geschichte Guorthigims kannten, nicht überhaupt das ganze ältere werk-
ohen verfasst habe. Da der erste, in Ch erhaltene teil keine daten liefert, kann nur
der dort fehlende Schlussteil (ab § 56 ende) die antwort geben.
Dieser gewöhnlich unter dem falschen titel gefuialogiae Saxonum zusammen-
gelasste abschnitt besteht bei Neunius aus zwei ganz verschiedenen bestandteilen.
An die kämpfe Arthurs wird § 56 mit kühner, nicht ungeschickter wendung eine
geschichte des nordens von der regierungszeit des Ida, den der Verfasser für den
eisten einheimischen fürsten der Nordhumbrer hält, bis auf Ecgfrid angehängt. Sie
1) So Duchesne; bei Mommsen: fu Urbaeen.
2) Weil in glossaren ambro mit devoraior erkläit wird und Gildas § 14 die ein-
fallenden Picten und Iren quasi ambrones lupi nennt, übersetzt Zimmer s. 105:
,40 tage liess er nicht nach, bis er die ganze röuberbando getauft hatte'' (!).
Ich brauche kaum darauf hinzuweisen, dass der schluss der Hist. überhaupt keine
animosität gegen die germanischen stamme durchblicken lässt, dass eine solche aber
gerade bei ihrer taufe besonders unangebracht wäre. Vielmehr waren die latinisten
Britanniens in Verlegenheit, wie sie „ Nordhumbrer "^ ins lateinische übersetzen soll-
ten, und gebrauchten dafür den alten völkemamen Ambrones. Vielleicht erst Beda
hat die form Nordanhymbri gewagt; in dem von ihm citiorten briefe des erz-
bisohofs Theodor vom jähre 680 heisst Ecgfrid noch rex Hymbronensium (Hist
eccL 4, 17), eine leichte vaiiante zu Ambrones.
3) Die Zeitrechnung bei Zimmer 95** verstehe ich nicht.
6*
84 THURNEYSRN
steht in § 56 ODde und in § 61 endo bis § 65. Störend schieben sich wie ein keil
in diese fortlaufende geschichte und zwar mitten in den bericht über Ida die §§ 57
bis 61 ein, enthaltend genealogieen der fürstan von Bernicia, Kent, Ostangeln, Meraa
und Deira. Sic nehmen zwar deutlich auf jene geschichte des nordens bezog; aber
diese ihrerseits lässt sie völlig unberücksichtigt. Es finden sich selbst genealogische
widoi-sprüche. Nach §63 ist Aedlric söhn des Adda, nach den genealogieen §57
brudor desselben; nach §65 ist Ecgfrid söhn des Osbiu, nach den genealogieen
§ 57 ist Äechßrd söhn von Osbius bruder Osguid. Demnach sind die genealogieen
nach Vollendung der geschichte eingefügt worden' und fallen für die veifasserfrage
ausser betracht. Wann und von wem sie eingeschoben worden, darüber onten. Die
alte geschichte des nordens , in der § 63 die erwähnung Run map ürbgens vorkommt,
reichte, wie Zimmer s. 96 richtig konstatiert hat, bis zu dem satze: Ecgfrid fUius
Osbiu regyiarit noveni annis, also bis zum 9. jähre des Nordhumbrerkönigs EcgfHd,
d. h. 678/679. Die notiz über den tod des bischofs Cudbertus und was in § 65 wei-
ter folgt, sind spätere zusätzo. Nun ist klar, dass ein söhn des vor 579 gestorbenen
Urbgen zwar sehr wol die taufe Eduinis a. 627 erloben , aber unmöglich noch nm 679
schriftsteilem konnte. Da die erzählung in einem tcnor weitergeht, wir also kein
recht haben, den ursprünglichen schluss etwa nach der taufe Eduinis, vor § 64 zn
setzen, kann Run map Urbgen nicht der Verfasser des ganzen sein.
Somit steht zunächst nur fest, dass der Verfasser des Jahres 679, den ich in
ormangelung eines namens im folgenden den „Historiographen* nennen will,
üxcerpto, die der bis 627 lebende Run map Urbgen aus einem Itber aancti (oder
fteati^) Qermani ausgezogen hatte, zu einer geschichte Britanniens verarbeitete. Map
Urbgen hatte diejenigen stellen aus dem Heiligenleben excerpiert, die sich auf Britton-
füi-ston, auf Catell den Stammvater der könige von Powis (§32 — 35) und namentlich
n\if Ouorthigirn bezogen. Aber die ganze geschichte Guoi*thigims stammt keines-
falls (iaher. Bei seinem tode werden ausdrücklich zwei andere berichte neben dem
des Über bcati Qcrniani erwähnt (§ 47. 48). Auch z. b. die magiergeschichte § 40 bis
42, die zur gründung von Cuir Ouorthigirn führt und nichts christliches enthält —
(iuoiihigirn flieht dort nicht vor dem heil. Germauus, sondern vor den Germanen — ^
kann in keinem Heiligenleben gestanden haben; bestätigt wird dies dadurch, dass in
§42 die Gormanen gefis Anglonim genannt werden, während sie sonst in diesem
ubNohnitt (§ 36. 45. 46) Saxofies heissen. Der § 43 verdankt seinerseits erst der pro-
|iho/.oiung in § 42 seinen Ursprung. Dreimal jagen sich die schlangen und Ambro-
NtUN vorhoisst: ^Posiea gens nosira surget et gentem Anglorum tra9is mare dejxciet,^
hw luiti tatsächlich das gcgenteil einer völligen Vertreibung der Germanen eintrat, hat
\^\\\ MpftttM'or die Prophezeiung dahin gedeutet, dass Guorthemir, Guorthigims söhn,
MO il 10) null auf die insel Tanet (also Irans mare) verjagt habe. Die Situation ist
dum folf;oiul(Mi § 44 entnommen, der also älter ist. Welche von diesen Zusätzen auf
ICuii ^olb^t, welche auf den historiographen zurückgehen, will ich nicht entscheiden.
h Ti sprünglich wird an: auxilium a Gcrtnania petcf^afU et aagebantur tnui^
/«Wfti>Wc#- ^iMii intermissione et reges a Oermania deducebani, ut regnarerU super
*.VtM «M /lV|/^M«»ll<l, iisqttc ad tempus quo Ida reguavit, qui fuit Eobba fdius (%56)
\liiokl uii^ono blossen haben: Ida tenuii regiones in sinistrali parte Brittaniae i, e.
t ntbi^ Miititt tt rcynavit annis XU usw. (§61). Der satz: ipse fuit usw. (§56
.«i'htu:i!xt und dio werte filius Eobha (nach Ida § 61) sind zugleich mit den gencMdo-
'i) So ) 47.
ÜUKR ZIMMER, NKNNIüS VINDICATUS 85
Doch scheint mir sicher, dass jeuer ausser den Excerpta einiges weitere aufgezeich-
net hatte; denn der hericht von Eadguins taufe § 63 geht doch sicher auf eine notiz
Yon ihm zurück*. So ist denn die weitere Vermutung gestattet, dass die berichte
über filtere nordbrittische ereignisse, violleicht namentlich die, bei denen sich kym-
rische spräche unter das latein mengt, von ihm herrühren. So möglicher weise schon
die 12 bella des dwaj hdlorum Ai*thur § 56. Sicherer der satz : Idu . . . [jjunxit
Din Quayrdi^ guurtk Bemeich (§ 61), ,Ida vereinigte Din-Guoaroi (das heutige
Bamborough) mit Bemicia*^, nebst der notiz über die änderung dieses namens in
Bebhanbureh (§ 63). £benso der bericht über Dutigirn und die zu seiner zeit blühen-
den Barden (§ 62), da Zimmer s. 103"^ scharfsinnig erkannt hat, dass et Neiriyi durch
missverständniss des a- aus Aneirin entstanden ist. Vermutlich die notiz über Mail-
cunus und Cunedag (§ 62). Sicher die über die kämpfe der Brittenfürsten Urbgen,
Biderch Hen, Guallanc, Morcant und den tod des ei*stcren, der wol in Runs knaben-
zeit fiel (§63); der satz ,j[Urhgen] jttgulatus est Morcanto destinante pro invidia,
quia in ipso prae omnihus rcgibus virtus ma-xima erat [in] iftstauratione belli^*
schmeckt deutlich nach familientradition. Endlich wol auch die bemerkung über die
eroberung von Elmet (§ 63). Ich denke mir die sache etwa folgendermassen , wenn
auch hier natürlich jede Sicherheit aufliört. Der historiograph fand eine ziemlich aus-
fuhrliche geschichte Guorthigims und manche notizen über spätere brittische ereig-
nisso vor. Letztere brachte er in zusammenhange indem er sie an eine nordhum-
brische königsliste anschloss, die ziemlich genau derjenigen cntspi-ach, welche von
Petrie Mon. Hist. Brit. s. 290 aus einer handschrift des 8. Jahrhunderts abgedmckt
ist; nur ist sie hier an der band von Bcda bis auf Ceoluulf (Beda 5, 23) ergUnzt'.
Anderseits hat der historiograph den zweiten könig, Glappa, mit einem rcgierungs-
jahr übergangen, weil er in seine regierung nichts einziureihen wusste. Sonst hat er
Datigim und Mailcunus an könig Ida (547 — 559) angeschlossen, die kämpfe von
TJrbgen, RiderchHen, Guallanc, Morcant an die fünf königeAdda (560 — 568), Aedl-
ric (568—572), Deodric (572 — 579), Friodolguald (579 — 585), Hussa (585 — 592);
es folgen Eadfered Flosaur(s) 592—616, Eadguin 61G — 633, Oswald 633—642,
Osgoid 642 — 670, Ecgfrid (seit 670) bis zu seinem 9. regierungsjahr*. Unter all
1) Freilich auf eine misverstandene. Die erzählung Bedas 2, 9 — 14 von der
bekehnmg und taufe Eduinis durch Paulinus, sowie über dessen 36tägiges katechi-
sieien und taufen der Nordhumbrer (2, 14) ist so ausführlich, dass an ihrer glaubwür-
digkeit kaum zu zweifeln ist. Run kann also nicht die taufe sich selber zugeschrieben
haben, da wir keinen grund haben, ihn für einen lügner zu halten, und da der
kämpf zwischen Rom und den altchriston in bctrcif der osterberechnung damals im
norden noch nicht entbrannt war. Vermutlich war er bei der taufe anwesend gewe-
sen und hatte eine notiz darüber hinterlassen, die der historiograph so auffossen
konnte, als sei ihm die hauptrolle dabei zugefallen. Auch der satz j,Eanfled filia
iUius Xn. die post Pentecosten baptismwn accepit cum universis hominibus suis'^
usw. sieht gegenüber Bedas ^^anno DCXXVI. Eanfled fdia Aeduini regis bapiix<ita
cum XII in sabbcUo Pentecostes'^ (5, 24) wie ein missverständniss der zahl XII aus.
2) Nach § 63 Din Quayroi oder Bin Ouoaroi zu lesen.
3) Sie lautet: Anno DXLVJI Ida regnare coepit, a quo regalis NordanJiym-
hrorum prosapia ariginem tenet, et Xllannis in regno pemiansit (vgl. Beda 5, 24).
Post hunc Qlappa I anno. Adda VIII. Aedilric IUI Tfieodric VII. Friduuald VI.
Hussa VII Aedilfrid XXIUI Aeduini XVII O^uald VIUI Osuiu XXVm.
Ecgfrid XV. Aldfrid XX. Osred XI. Coinred U. Osrid XI. Ceoluulf VIII
4) Schon hieraus ergibt sich, dass der abschnitt ^Penda filius Pybba regna^
Vit X annis'^ usw. (§ 65) späterer zusatz ist, da Penda nichts mit der nordhumbri-
schen königsliste zu schaüffen hat
diesen regierungeD aber, anch den spateren, wo der historiograpli selbetändtg^ i
tot, wird nasser der regiernngsdauer uur das erzählt, was djrelrt die I
angeht oder wobei Britten beteiligt sind. Wenn Zimmer s. 105 dioaeo teil e
Bobichte der Angeln und Britten' cetitit, so geschieht es, weil er die spster «inge-
Bohohenen genealoeieen mit hinzurechnat, die allerdinga mebrere daten der iogrin*
geschieh to nachtragen.
Dieser Brittengeschiehle von Ouorthigini bia 679 hat der historiograph eine
einleitimg vorauBgeschtokt. Sie ist uns glücklicherweise in Ch erhalten, wenn aacb
nicht ganz rein, dach nur mit wenigen, leicht aiiszuscheidonden intcrpolationeo. 60
können wir uns denn ein sehr genaues büd machen von der
BrittengreBchklite aus dem Jalire 679'. Der titel mochte lauten: Liri-
piunl ejcerpla filii Urbagen de Ubro sancli Germani inrenla, er geiulogia
Britoiium. Ncnnius, der den titel exrcrpta auch kennt (s. oben 9. 63), scheint den
folgenden naineo bereits nicht mehr haben lesen 2u können, Denn wo er sieb nach-
weislich nur diese quelle beruft, nennt er sie unbestimmt: traditio relrrum, gut
ineola« in primo fuertaU Brittatmiae (§17), tetu» traditio aeniorum nostrorum
{§ 27), velere» tibri peterum noslrortan (§ 17 anfang)'. Das» der historiograph als
hanpttitel laearpla filii Urbagen beibehalten hat, bestätigt wol unsere vermutaog,
dasH ihm nicht nur für das mittelstück, sondern auch für den schlussteil aufxeioli-
nujjgen map Urbgens vorgelegen haben.
Die einleitnng des workes (betitelt de mtatibus mundi?) bildete eine unvoB-
süludige, mit Nabucbcdonosai' abbreohaode periodisierung der Weltgeschichte §4' und
eine einteiluug der weltzeit in gex atlale» mundi g 6. Es falzte die beschreibaag
der britannischen insel (§ 7 — 9), beginnend mit Brilannia inaula a qiiodam Bnilo
eotuiäe Romano dicla und scbliessoud mit Britonea olint implc^&rUHt Britamtia»*
a mari utqm ad mart*. Au diese erwähuung der Britten sciiloss sich sofort, wol
mit dem soodertitcl de getielogia Britonum, g 17 an: 7>h (Uii Noe di»isirvmt
orbem terrae in Ircs partes poat dilupiufa usw. Primua homo venit ad Europom
de ganere Jafeth Älanua cum trihut filiit auw, quorum iiomina aunl Si»»ieion
Armenon Neugn. Htiaieitm hoAuit ^uaiuor filiot: Franetta Rontanim Almanmu
Brito usw. Ab Hieateione autem quatuur gente» ortae «»nf; Fratwi Laiini Al-
manni ^^tonea usw. Islae autem gentea stibdivisae aant per lotam Buropam. Es
ist die noch MuUenhofl um 520 entstandene fränkische vnlkertafel, auf JapheCh ziirdok-
gefdbit'. Dia lücke von Alanus Bufwlirts füllt ein ansuhliessender Rtammbanin aus,
der Alauns dui'ch eine leihe fiktiver namen mit Jouan (Javan), dem aobne Japheths,
verbindet und Japheths elaminbaam bis auf Adam filius Dei verfolgt Dieser stamm'
bäum kann dem ursprünglichen workcbeu angehören, da er den Zusammenhang nicht
wesentlich unterbricht. Die namen, die er enthält, tauchen in der irischen gelehr-
tenlitteratur des 10. und 11. Jahrhunderts wider auf und Zimmer s. 234 fgg. glaubt,
sie seien aus Irlond entlohnt. Der umgokohrto weg der entlehnung ist mir wahr-
scheinlicher.
1) Vgl. Dnchesno a. a. 0., dem ich aber nicht durchwog beistimme.
2) 80 auch in der einlcitung g 3: traditio netenim nostrorum.
3) Daas der spätere g ^ nicht etwa in Ch aosgelasseD, sondern von NoDiiiiis
erggnzt ist, ergibt aich aus seiner fossung.
4) Zu den quetlcn des abschoitts vgl. Zimmer a. 2C5.
5) S. Eeeger, Trojanersago der Britten s. 31 fgg.; Zimmer s. 232 fg.
ÜBER ZDIMKB, NBNNITJS YINDICATUS 87
Nachdem durch die yölkertafel die Römer neben den Britten eingeführt sind,
begini die geschichte (§ 19 — 20 mitte): Romani autefn cum aacepissent dominium
Mius mündig ad Britannos miserunt legatos, ut ohsides et censum accipercnt usw.
Der abschnitt erzählt Caesars dreimaligen angriff auf Britannion nach verwirrter
quelle, in der man Gildas, Euseb-Hieronymus und des Orosius bericht über Caligu-
las (!) zng nach Britannien unterscheiden kann^ Das ist alles, was der historiograph
von den Römern zu berichten weiss; er schliesst den abschnitt mit dem satzo: Tri-
hu8 vieihus oceisi sunt duees Romatiorum a Britannis, den später Nennius an den
aAfang seines § 30 gestellt, aber auch in § 28 verwertet hat Dann geht es sofoit
weiter (§ 31): Factum est autem post supradietum bellum quod fuit inter Britones
€t Romanos, quando duees earum occisi sunt, et post oceisionem Maximi tyranni,
per XL annos fuerunt sub metu. Guorthigimus regnavit usw. Mit post oceisio-
nem Maximi setzen deutlich map Urbgens excerpte aus dem leben des Gcrmauus
ein, da Maximus vorher gar nicht enväbnt worden ist. Die werte können kein spä-
teres einschiebsei, etwa auf grund der iuteipolation über die römischen kaiser in Bri-
tannien (hinter § 10) sein, da auch jenes Verzeichnis nicht mit Maximu3 abschliesst.
Im vorhergehenden abschnitt hiess es , Julius habe das Imperium Britanniae 47 vor
Chr. erhalten; hier, nur ein paar sätze weiter, steht, die Sachsen seien regnante
Oraiiano seeundo cum Aequitio, 347 jähre post pa^sionem Christi von Guorthigirn
aufgenommen worden, so dass die zwei daten unvermittelt aufeinander stossen. Dio
letztere vielbesprochene Jahreszahl ^ stammt also gleichfalls aus dorn liber S. Qcrmani,
Da sie nach dem Zusammenhang 40 jähre nach Maximus* tod (f 388 n. Chr.) bedeu-
ten muss, sehe ich in .cccxluii. einen alten lesefehler für .cccxcuii. (397), so dass
des Maximus todesjahr auf 357 post passionem Chr, angesetzt war. Secundär sind
die namen der jahresconsuln aus Victorius Aquitanus oder Prospor beigefügt, aber
vor der einverleibung in die. Eist., welche keine römischen Chroniken benutzt hat.
Die erzahlungen von Hengist, S. Germanus und Guorthigirn bis zu dessen
tode (§ 31 — 48 mitte) sind, wie der in Ch erhaltene anfang zeigt, von Nennius nicht
verSndert worden. Es folgte, mit in illo tempore an Guoi-thigirns tod anknüpfend,
der spätere § 56, Hengists tod und Arthurs kämpfe; endlich, wie oben erörtert, daten
ans der geschichte der Britten, angeknüpft an die nordhumbrische königsreihe von
vor der Ida bis zum neunten jähre Ecgfrids (§ 5G ende, § 61 ende bis § 65 mitte).
Der historiograph ist also zwar nicht wählerisch in seinen quellen gewesen,
hat aber ein einheitliches, festgefügtes werkchen goschaffen. Diese einheit wurde
bald durch interpolationen gesprengt und so der boden für Nennius' grosse erweite-
rung vorbereitet
Interpolatloii des alten werkchens. Den ersten einschub bildet deutlich
der abschnitt „de origine Britonum*^ in Ch, der sich zwischen den titel „de gene-
logia Britonum^ und den zugehörigen § 17 eingedrängt hat'. Dio vaticanische recen-
sion nimmt ihn in den § 10 des Nennius auf. Ich habe den eindruck, dass ihn Hee-
ger. Über die Trojanersage der Britton, — er nennt ihn bericht B — nicht
ganz verstanden hat Was dieser bericht über die Silvii soll, ist in der tat nicht
auf den ersten blick zu erkennen; erst der Wortlaut der quelle, Euseb-Hieronymus
a. Abr. 878, klärt darüber auf. Dort heisst es: Latinorum in Sylvius Äeneae filius,
1) Zimmer s. 189. 191. 199. 266. 271.
2) Zuletzt darüber Zimmer s. 199—206.
3) Dass er auch der quelle des Nennius urspiünglich eignete, geht aus dem
folgenden hervor.
88 THüBNKTBElf
an, XXIX. Sylptus Postfmtnus, quia post mortem pcttris editus ruri fuerat edu-
öatus, et Syhii et Posthumi nomen accepit, a quo omnes Älbanorum re^es Sylvii
rocati sunt. Offenbar sind die Albani als „bewohner Albions*^ verstanden worden.
Das ist besonders leicht begreiflich, falls die quelle des interpolators ans Iilaiid
stammte; denn der bewohner der englischen insel heisst altirisch fer Älban {mann
Albions) oder Albanach. Doch war das misverständniss auch sonst möglich^. Tks
Torf asser des abschnittes will also zweierlei erklären: erstens, wanim die (reges) Bri-
tones den namen Silrii führten. Die erkläning lieferte dieselbe quelle, aus der die
nachrioht geschöpft war. Zweitens, warum Britannia, also auch die BritoneSy'a
quodam Bruto consule Romano benannt sind (§ 7). Hier hilft ihm seine künde, dass
Brutus erster konsul von Rom, also offenbar bei dessen gründung beteiligt war; fer-
ner dass er den ganzen westen erobert hatte. Letztere nachrioht fliegst, wie schon
mehrfach bemerkt worden, aus Euseb-Hieronymus a. Abr. 1875: Brutus (gemeint ist
D. Brutus Callaious) Hibenam usque ad Oceanum subigit. So bietet der abschnitt,
den ich nach Ch und Vat. einigermassen emendiert hiehersetze*, keine Schwierigkeit
mehr, sobald man im äuge behält, dass in der excerpierten quelle vorher davon die
rede gewesen, dass die Britones (eigentlich ihre köoige) Siltii hiessen.
De Rornanh et Oraeris trahunt efgmologiam, id est de matre Lovina, fitia
Latini regis Italtae, et pafre Silrii Aenea\ filio Anehisae\ [fiUi Troi], filii Dar-
dani. Idtm Danianus, filius Saturn i regis Graecontmf perrexit ad partem Asiae
et Drous filius Dardan i aedifiearit urbem Trojae. Drotts pater Priami et Aneki-
sae, Anehises pater Aefieae, Aeneas pater Aseanii et Silrii. Silrius filius Aeneae
et Larinae, filiae regis Italiae. Et de stirpe Silrii, filii Aeneae ex Ijarina, orti
sunt Remus et Romulus et Brutus, tres filii reginae sanetimonialis Reae, qui
feeerunt Romam. Bruttts ecnsul fuit in Roma primus, quando expugnarit HispO'
niam ae iletraxit in serritutem Romae: et iH)stea tenuit Britanniam insulam,
qmrm habitabant Britones Silrii*, olim Silrio Pbsthumo orti. Idee dicitur Post-
kumus, quia pK^st mortem Aeneae patris e/us ftatus est. R fuit maier efus LO"
rina semper ela nutest itM, quando fuit praegnaris: iiieo Silrius dietus est, quia im
siJn» natus est. Et ideo Silrii dieti sunt reges Roman i et Britones, quia de eo
nati sunt: sed a Bruto Britones*.
]>ie6<?r einsohub I, trio ioh ihn nennen will, hat zahlreichen weheren gerufen.
Zunük^hs: ermo^l::ht*? or üe reittvstimmun^: i^einschub ID: Quando regnabat Btüo
in BritijnHhi, HfH sM'enics nttiit''.tt'.it in Hisrael, et tune areMa tesiamenii potsi"
dehi^r ab aiieHi*:eHis: Pj<^:i*fHus ;>»>,*<fr e/us regtabat apud Latin<:>s. Der verfin-
«r Üo;»! üocis kcr.E: *m> der volkonafel i,§ 17^ Brl:..^ als ersten Britten and weiss
455 i^i'^i^-hub L iks« tT, w> all^ Fri:^Hes. den riTen SÜriii* f^ne und s(^ des
Silvvij r,^n=:u5 w^lt. Zur ur.:»?rH.he:iu.::j d*s Silv:u< ;-Br:w' von einem in T^^Hmr^
h*rT^"hT?zien brii^?? F:*:u=:u> n:,vh:e E^.i<<^b - HU^rjcvraui a. Abr. 906 den anitts
^ l± r-*«S? alltri^rc?. iis? er Ä:ii:r. n:r vi-Iec feilem^ in üe Hist. acf^
nomz:^ wirie. bilie =-.:: aIsc ::>:h: e:::. c^a iLiVjrüurlich-n text mian n bieten.
o« ec jMcm c^4«rKft'•4oe Ch, ec yr^^-g^ni^ SUr^ni Vi:.
4 "^'.u I>kBT.'ii» Oti, •* r%j.'*j Vir.
ö ]^::nes "»Vi*i t."** Oh.. y^n^^^Htes K,^'H^i/9c*^^n •»•V» Vas.
•? P*f :M^::i-f; es i^ ssirt^ -^-uci s^rryaatriM: Ik eis scdfierer« vMIeicIit
ÜBER ZDiMER, NENNIüS YINDICATUS 89
geben, wo vom nachfolger des Silvios Postum us bemerkt ist: Latinorum IUI Aeneaa
Syhius, an. XXXI. In alia histaria reperimus, IV. iMt. Sylvium regnasse , La-
viniae ei Melampodis filium, uterinum fratrem Posthumi, et V., qui nunc hie
IV. panitur, Sylviutn Äetieam Posthumi fUiwn. Die nächst vorhergeheDden daten
der hebräischen geschichte sind bei Euscb-Hieronymus a. Abr. 861: Hdi sacerdos
annis XL und 900: Mortuo Heli sucerdote arca testamenti ab alienigenis posside-
iur. 80 gelang es, den ersten Britten zeitlich zu fixieren.
Das ist alles, was Ch vom späteron § 11 enthält. Allein noch blieb die lebens-
geschichte dieses Brito filius Silvii Posiumi zu schreiben und zu erklären, wie er
nach Britannien gekommen; denn der einschub I bot ja nui': Britanniam . . quam
habitabant Britones . ., olim Silvio Posthumo orti. Das ist dann später durch den
&belhaften, mit weiteren citaten aus Euseb-Hieronymus geschmückten bericht bei
Nennius § 10. 11 (Heegers bericht A) bestens besorgt worden. Er hat den einschub I
dort völlig verdrängt; nur das verräterische autem in § 10 ist stehen geblieben. Dass
Nennius den kern dieser erzählung selbst erfunden, bezweifelt man mit recht, beson-
ders da er sich dabei ausdiücklich auf annales Romanorum beruft, eine quelle, die
nach der vorrede § 3 von den chrofiica Hierofiymi zu unterscheiden ist Heeger
und Zimmer vermuten irischen Ursprung; letzterer denkt bei der stelle: in nativi-
täte illius mulier mortua est . . . et voeatum est noynen ejus Brito an ein Wort-
spiel mit irisch brith ^geburt*^ (s. 246).
Wie dem auch sei, schon in hdschr. Ch, also vor Nennius hatte ein dritter
adnotator den Widerspruch zwischen einschub I, der die Britton aufDardanus zurück-
führt, und § 17, wo als Stammvater AJanus und weiter hinauf Japheth genannt ist,
durch einen beide verschmelzenden Stammbaum zu beseitigen gesucht (§ 18). Indem
er auf grund der Schlussworte von einschub I: a Bruto Britones den Eponymen
Brutus mit dem Stammvater Brito (in § 17) identificiert, setzt er einen Stammbaum
aus drei stücken zusammen: 1. von Adam bis Elisa (Flisa)^ grosssohn des Japheth;
2. von Dardanus über Aeneas bis Hea Silvia, tochter des Numa Pampilius (gemeint
ist Numitor); 3. von Alanus über Hissicion auf Brutus (= Brito)*. Dieser Stammbaum
nebst den notizen über die von Japheth abstammenden Völker ist längere zeit randnote
geblieben; daher erscheint er in hdschr. Ch und bei Nennius an abweichender stelle
eingereiht*.
Um die ganze genealogienfrage gleich hier im Zusammenhang zu erledigen,
sei noch die randnote erwähnt, die die ,nordwelscho recension*', d. h. wol ebenfalls
Nennius (s. u.), zu § 10 beifügt und zwar zu der stelle: et erit exosus omnibus
haminibus. Sie evenit, . . . et voeatum est nomen efus Britto. Die note lautet
(Zimmer s. 25): Haec est genealogia istius Bruti^ exosi (nunquam ad se nos\ id
est Britones f ducti, quandoqtie volebant Scotti nescientes originis sui ad istum
damari): Brutus* rero fuit filius Silvii fil. Aseanii fil. Äeneae fil. Änchise fil.
Capen fil. Äsaraci fil. TVos fil. Äerectonii fil. Dardani fil. Jovis de genere
Catn filii maledicti videntis et ridentis patrem Noe. Tros vero usw. (folgen nach-
richten über Tros' nachkommen). Sic inveni, ut tibi . . . scripsi; sed haee genea-
1) S. Heeger, Trojan er sage s. 25. Durch weitere vermengung nennen dann
einige hss. des Nennius den beiden von § 10. 11 Bruto statt Brito oder Britto.
2) S. Monmisen, a. a. 0. 239.
3) So San-Marte und Zimmer. Petrie gibt als losart von hs. E und N (bei
ihm B and C) Briti und unten Britus, von hs. L (bei ihm A) Brito.
4) ad saevos San-Marte.
90 THURNEYSEN
logw nomtcripta in aliquo volioninc Britanntae, sed in scriptione mentis striptortB
fuii. Nach dem schlusssatz schreibt der Verfasser diese uotiz aus dem köpfe und, wie
das schlechte latein des anfangs vermuten lässt, sehr flüchtig nieder. Darf man dort
in ad istum einen flüchtigkeitsfelilor für ab isto sehen, so lässt sich etwa folgendes
herauslösen: ^Auf den Brutus, dessen Stammbaum ich gebe, sind wir, die Britten,
niemals zuiückgoführt worden, obschon die Iren, die ihre eigene Urgeschichte nicht
kannten, von ihm bezwungen sein wollten*^ ^ Das bedeutet wol: irische antiqnare
behaupteten, jener konsul Brutus, der den ganzen westen erobert (s. oben b. 88),
habe Irland (und Britannien) iK^zwungcn und die Britton stammten von ihm ab. Sie
scheinen diesen Brutus an die stelle des Brite, söhn des Silvius, der anttales RomO'
nornm gesetzt und seinem ahnen Aeneas einen genaueren Stammbaum gegeben zn
Imben, als er im alten einscliub I besessen. Der brittische glossator citiert diesen
Stammbaum nach dem godüchtniss, nimmt aber die thcorie, dass der Stammvater der
Britten Brutus und nicht Britto gewesen, nicht an. Dass er ausdrücklich bemerkt,
diese g^nealogie finde sich in keinem buche Britanniens geschrieben, geschieht wohl
darum, weil ja einschub I der alten Bist., den schon die Harieian-reccnsion als irrig
und unverständlich untcrdriickt hatte, allerdings anklänge bot, aber doch tatsäch-
licli abwich. Kuum geht aber daraus hervor, dass eine frühere reconsion der
Bist, den titol Vohimen Britanniae geführt hal)e (Zimmer s. 41). Der irische
über.^^etzer hat den stamml»aum — mit einigen weitem Zwischengliedern zwischen
Cam und Juppitor — in den toxt von § 10 eingefügt (wie hs. L) und vermittelt zwi-
schen Widen bestandteilon, indem er sowol den Britto als den Brutus der Hist.
Britus nennt. Kr bemoikt zum Stammbaum (Todd s. 3G): «So hat unser erhabener
senior Ouanath die gonenlogie der Britten aus den chroniken der Römer ausgezogen.*
Tixld und Zimmer vormuton. dass damit Über Cuanarh .Cuana's buch** gemeint sei,
das in den Tlsterannalen vom jähre 467 bis 628 öfters als quelle citiert wird. Das
ist wahrsohoinlioh. Dieses frühe werk hat dann aber gewiss nur den älteren teil des
Stammbaums etwa bis auf Aeneas oder Ascanius enthalten; denn die sage von Bru-
tus, dem söhne des Silvius« kann damals noi*h nioht gebildet gewesen sein. Immer-
hin winl dadurch lH>stäti>n. dass die quelle des Adnotators der ^nordwelschen recen-
sion^ in Irland zu suchen ist.
Auf derselK'n komMnatii»n des Brutus der raudnotcv mit dem Britto von
§10. 11 Ivruht dann der so Krühmt gewonlene Brutus des Galfred von Monmouth.
So hisfrt die neue handschrift das lawinenartige anschwellen des genealogieen-
chaos mühcl«.'*s erkennen, an dem bisher so viel verijeblich herum geraten worden ist,
weil eleu Kn No!mius icorade der urkem, eiuschub I, fehlt.
Die duFv'h ein<« Iiub 1 in das eiuhoitlirhe workchen gerissene lücke ist aber
früh riOv'h durch in torpolat Ivanen andtTn in halt s en^eitort worden. Der historiograph
hatte, wie oWn lomt^rkt, von der römischon kaisi^rzeit nichts zu berichten gewnsst
Dii*s IvwOiT einen kunvi'oTen, ein Verzeichnis^ der impcmtofr^ qui in Briianmiam
r*'»it r?*/i.* o::::ul'i:eu, »rciMuor eine liste der rv-mischen herrsoher, die in Britannien
^nvoilt hal-^r.. Sic >teht ::; Ch hinter einsohub I-. Auf den ersten blick scheint sie
aus IVJa. Hist. occl. 1. *J— 11 ausci^zv^en, an den sie oft wörtlich anklingt Da
alvr die lvtr.:?-::-.:on kapit-.I Km K\ia crv^ssenteüs aus wortlichen excerpten aas Oro-
V Ktwds anierv Zimmer s. -.'>• und o9 fs:.. dem ich nicht folgen kann.
•J» V.u. br.n^: olv::f.i'.!< die irnivratoriMilist^* am anfan^ hinter den eaicuii,
aber ceändert nach i;:m text des Neuuius § 10 - 20.
ÜBER ZIMMKR, NSNNITIB VINDICATUS 91
shis bestehen, so firagt sich, ob die liste nicht vielmehr direkt oder durch andere
Zwischenglieder aus diesem geflossen. In der tat spricht hiofür verschiedenes. Sie
beginnt mit: Julius imperator primtis in Britaniam venit per Renum et Oerma-
niam usque TcMtensis bellum. Das missverständniss, dass Caesar über den Rhein
und Germanien nach Britannien gelangt sei, erkläi*t sich leicht aus Orosios VI 8, 23 —
9, 2, aber kaum aus Beda 1, 2. Die berichte über die folgenden imperatoren
2. Glaadius, 3. Soverus (Reversus), 4. Carausius tyrannus (Curatius tirenus) ent-
scheiden nichts. 5. Canstantinus Constantini magni pater, vir iranquilliaaimus ;
iüe Constantinus in Britannia morte ohiit; qui Constantinurn filium ex concu-
lw9a Helena ereaiwm imperatorem Oalliarum reliquit; qui in Britannia obiit.
Dieser Constantinus beruht wol auf einer voimengung des Constantius, vater
Constantins des Grossen, mit dem britannischen tyi-annen Constantinus (OrosiusYII
40, 4 fgg. ^ Beda 1, 11). Der satz: „qui Gonstantinum filium*^ usw. steht genau
so bei Orosius VII 25, 16, während Beda 1, 8 schreibt: „kic Constantinum*^ usw.,
allerdings ein unwesentlicher unterschied. Es folgt 6. Maximus imperator in Bri-
tania ordinatur invitus^ cum quo Martinus sepe locutus est. Den zusatz von Mar-
tinns kennt weder Orosius VII 34, 9 noch Beda 1,9; er weist vielleicht auf ein
Zwischenglied. Endlich 7. Qracianus Valeutiniani filius, qui in Romam a Bre-
tannia exiit et ibi a Maximo ocisus est; cujus sanguinetn vindieavit Eugenius de
Maximo, et postea Eugenium occidit pro Valentiniafw Qraeiano frater (etwa zu
bessern: et postea Eugenium occidit Theodosius pro ValefUiniano Oratiani fratre).
Dieser Qracianus ist sicher ein misch produkt aus kaiser Gratianus, dem söhne Ya-
lentinians, der nie in Britannien gewesen, und dem britannischen tyrannen Gratianus
(Orosius VII 40, 4 = Beda 1, 11). Der schluss kann gar nicht aus Beda stammen,
da dieser den Eugenius nirgends erwühnt, wol aber aus Orosius YII 35, 11 fgg. ^
Somit ist die liste nicht aus Beda geschöpft. In welchem verhältniss steht sie nun
za ihm? An und für sich könnten zwei historiker der englischen insel selbständig
auf denselben gedanken gekommen sein, die römischen horrscher, die Britannien
gesehen, aus Orosius auszuziehen; merkwürdig wäre aber, dass sie in der excerpie-
roDg 80 oft übereinstimmen, da das thema doch immerhin einigen Spielraum liess.
Das begreift sich besser, wenn Beda dasselbe oder ein ähnliches Verzeichnis vorlag,
das ihm die anregung zu jenen kapiteln gab und das er dann nach Orosius sehr
gründlich ergänzte und verbesserte.
Diese ansieht wird bestätigt durch die von Zimmer, Mommsen imd Duchesne
besprochene legende, die sich gleichfalls in jenen anfangskapiteln Bedas findet, dass
Lucius Briltaniarum rex durch papst Eleuther das Christentum erhalten habe *. Zwar
stammt Bedas text aus dem liber pontificalis (um 520 vorfasst, hs. seit ende 7. Jh.),
nicht aber die Jahreszahl 167 (Beda 5, 24), die zu papst Eleuther nicht stimmt.
Die legende fehlt der liste in Ch, taucht aber bei Nennius § 22 mit demselben datum
wider auf". Der abschnitt § 20 mitte bis § 29 bei Nennius, der in Ch noch nicht
1) Das ist der Owein oder Ytaein ah Maxen Wlcdio „Eugenius, söhn des
tynumen Maximus*' der welschen Triaden. Der nachfolger des Maximus ist zu sei-
nem söhne geworden.
2) 8. Zimmer s. 140 fgg. ; Mommsen a. a. o. 291 ; Duchesne a. a. o. 186 A. 2.
3) Hier heisst der papst Eucharistus; eljeutlier mag in der tradition zu
euekarfistus verderbt worden sein. Die lesart einiger hss. Euaristus ist, wie
Mommsen zeigt, eine gelehrte verschlimmbesscrung, indem kein pnpst Eucharistus, wol
aber ein Euaristus (96 — 108) bekannt war.
92 THUKNEY8KN
vorhanden ist, erzählt von den Römern iu Britannien und beruht deutlich auf der
impcratorenliste von Ch, ergänzt und ausgeschmückt nach Euseb-Hieronymus und
Prosper, nur § 27 (und 30) wol nach einer von Gildas abhängigen secundärqueÜA
(Zimmer s. 197. 267). Nennius hatte aber eine doppelte vorläge für diese panignb-
phen. Er citiert § 27 erstens die traditio seniomm nostrorum, welche 7 impero'
tores aufzählte; das ist die liste in Ch. Nur nennt er den 7. nicht Oratianus, son-
dern durch irgend ein weiteres missverständniss, vielleicht nach der Gildasquelle,
Maximianus (§27, vgl. §29 anfang), schi-eibt ihm aber taten des Maximus zu.
Tann fährt er fort: Romani autem dicimt novem fuisse, und fügt noch einen aliut
Severus und einen Constantius bei*. Er hatte also neben der interpolierten Brit-
i engeschichte noch eine zweite, etwas erweiterte im peratorenüste, die er als „römisch*
bezeichnet. Aus dieser muss, da wir seine quellen ziemlich vollständig überblicken,
auch § 22, die legende von könig Lucius und das datuin 167, übernommen sein. So ist
das erweiterte verzeichniss der im])eratoren , welche Britannien besucht, gewiss die
gemeinsame (juolle von Bedn, und Nennius gewesen. Femer wird aus ihr die angäbe
stammen, dass die Römerherrschaft in Britannien 409 jähre gedauert habe (Nennius §28).
Eine Vermutung liegt nahe. 1d § 10, für die geschichte des Britto, wurden
annales liomanonim, die nach Irland zu weisen schienen, als quelle angefühlt
Hier wird die im {Kuratoren liste, die den ei*ston brittischen Christen Lucius enthielt,
den Romani zugeschrieben. Beide abschnitte sind erweiterungen von kapiteln der
vomennianischen Bist, wie sie in Ch vorliegt. Sollte es sich nicht um ein und
dieselbe quelle handeln? Zimmer erwähnt s. 145, dass könig Lucius in der kym-
rischen litteratur Lcs (Lies) heisst und gibt eine unhaltbare erklärung. Nun bedeutet
its altirisch (aber nicht kymrisch) „ licht '^. Also ist wol entweder Les die irische
\.\ ersctzung von Lucius oder umgekehrt Lucius die latinisierung eines irischen La,
Sollte nicht der Britanuierköuig Lucius nebst seiner legende überhaupt eine irische
erfindung sein und auch der Über pontificaiis von nach Rom pilgernden Iren die
notiz übernommen haben? Auch dies spricht dann für gemeinsamen Ursprung bei-
der abschnitte.
Hätte Mommsen (a. a. o. 292 fg.) mit der annähme recht, dass auch die namen
Vurtigemus, üengist und ITorsa bei Beda auf engen Zusammenhang mit Nenniu
weisen, so hätten wir wol dieselben annales Ro^nanorum als Bedas nächste quelle
anzusehen; sie hätten dann also noch weitere bestandteile der Hist Brit. enthalten.
Doch bin ich mit Zimmer der ansieht, dass Beda diese namen nicht aus der Hist
haben muss, ja dass ihre form diese annähme gar nicht empfiehlt Somit können
wir den aniiaks Romanorum mit einiger Wahrscheinlichkeit nur die Britto -geschichte
und die erweiterte kaiseriiste zuschreiben. Über eventuelle weitere bestandteile
8. die folgende seite.
Die ältere impcratorenliste zeigt in hs. Ch vom und hinten einen auswucha.
Jemand, der wusstc, dass vor den römischen kaisern Caesar nach Britannien gekom«
men, diesen aber in dem Julius imperator der liste nicht erkannte, schickte ihr
1) Das missverständniss hat er offenbar aus seiner quelle übernommen, dia fSr
den ^zweiten Severus ** die Epitomo des Aurelius Victor benutzt zu haben scheint
(Zimmer s. lOG). Es mag auf einer älteren notiz beruhen, dass in zwei imperatoreo
der alten liste je zwei personen zusammengeflossen sind, im 5. Constantius und dtr
t^'rann Constantinus, im 7. kaiser Oratian und der tyrann Gratian. Die letztere notix
ist dann fal-schlieh auf den dritten, Severus, bezogen worden und durch ein weiftenB
versehen erscheinen nun bei* Nennius 2 Consta niii und 2 Severi,
ÜBER ZIMMER, NENNIUS VINDICATUS 93
voran, dass Gajus Julius Caesar, misstis ah imperatore Latinoy dreimal mit Casa-
bellaunus gekämpft uad ihn schliesslich getötet habe. NcDuius konnte diesen passus,
auch wenn er ihn vorfand, nicht brauchen, da er inhaltlich mit § 19. 20 zusammen-
fällt. Endlich hinter der liste steht die notiz, Libine (Leofwine?) abt von Inripum
(Ripon) habe als jähr der Sachsenankunft 500 n. Chr. berechnet. Das datum hat also
nicht erst in der ueuzeit viele köpfe beschäftigt. Aus dem verderbten schlusssatz
liest Dachesne (s. 182) heraus, dass diese note a. 801 entstanden sei. Neunius scheint
de nicht gekannt zu haben.
Die nächste gestalt, in der uns die Biittengeschichte entgegonti'itt, ist der sog.
Xeimiiis. Und zwar sind, wie Zimmer mit recht annimmt, die hss. die altertüm-
Uchsten, die den schluss ungekürzt erhalten haben; sie bilden die
Harleian-reeension. Einige ihrer neuerungen sind schon besprochen, so
der Wegfall von einschub I, femer § 10. 11 (geschichte des Britto), § 20 mitte bis
g 30 (die Römer in Britannien). Ausserdem ergänzt diese recension die unvollstän-
dige Zeitberechnung in § 4 durch die fragwürdigen zahlen von §5, von denen die
drittletzte (Adam bis pctssio Christi 5228 jähre) wol auf Prosper Tiro als quelle
weist. In der RevueCeltiqueG, 105 fgg. habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass
eine entsprechende rechnung mit demselben hexenoinmaleins sich in dem um 987
gedichteten irischen Saltair na Rann findet. Ich dachte damals an eine gemein-
same quelle, wie jetzt auch Zimmer (s. 185 fg.). Da aber § 4 und § 5 sich erst in
derHist. zusammengefunden haben, muss die rechnung des Saltair — wol indirekt
— aus Nennius selber stammen.
Mit § 12 — 14 werden die sagen von der einwandeiimg der Picten und Iren
Bingeschoben (vgl. dazu Zimmer s. 221 fgg.); wieso Duchesne zweifeln kann, ob nach
irischer quelle, ist mir bei dem irischen ausdruck Dam Hoctor „truppe der acht
mano*^ in § 14 unverständlich (s. Zimmer s. 222). Da sie unmittelbar hinter den aus
den annales Rofnanorum geschöpften paragraphen 10. 11 stehen, obschon die berichte
aber den Brittenurspiung im § 17 wider aufgenommen werden, können sie leicht aus
derselben quelle geflossen sein; dann ist deren irische herkunft zweifellos. Sicher ist
die annähme darum nicht, weil in der vorrede § 3 auch armaUs Scottorum erwähnt
werden. Der schluss von § 14' (über Cuneda) enthält ein versehen des brittischen
redaktors, veranlasst durch § 62, wie Zimmer s. 92 gut nachweist.
Da diesen erzählungen genauere daten fehlten, lieferten peri^isstmi Scottorum
dem redaktor, wol auf sein verlangen, einige anhaltspunkte durch die angaben, die
in § 15 niedergelegt sind. Wahi-scheinlich geschah diess mündlich (mihi nunciave-
runt); daher das ängstliche vermeiden irischer eigennamen in diesem abschnitt und
wol auch der grobe Schnitzer in der Zeitrechnung, den Zimmer s. 186 fgg. aufdeckt.
Der Paragraph enthält den ältesten bericht über den irischen eponymen Goidel Glass
und seine auswanderung aus Ägypten, nachdem Pharao im roten meere ertrunken.
Man beachte, dass er hier durch Afrika wegwandert, während er schon in dem
gedieht desMael-MuruOthna^ (t887) und dann im Saltair na Rann (um 987) auf
^^mmen zum kaspischen meer und nach Scythicn fährt, von späteren umgestaltun-
tnngen im L^or Oabdla zu schweigen'. Doch ist hier nicht der ort, auf diese
inachen gelehrtenfabeln einzugehen.
1) ed. Todd, Irish Nennius s. 220 fgg.
2) s. Rev. Celt. 6, 101. Nicht geschickt ist es und führt leicht irre, wenn
Zinuner eine erschlossene quelle dos Lebor Qabdla „liber occupationis*', das wol im
94 THURNEYSEN
Es folgen, Dachdem § 15 mit excerpten aus Gildas abgeschlossen worden, in
§ 16 noch solche irische daten, die vermutlich gleichfalls peritissimi Scottorum
geliefert hatten, die aber in der Brittengeschichte nicht anzubringen waren, yermiadit
mit ein paar eigenen. Da sich einige der älteren darunter auf Patricius* ankunft in
Irland beziehen , mögen sie den anstoss gegeben haben zu der nächsten grossen Inter-
polation, das leben dos heil. Patricius betrefTend, §50 — 55. Dass sie erst von die-
sem redaktor hernihrt, lässt sich freilich insofern nicht strikte beweisen, als eine
direkte vergleichung mit der älteren vorsion für diese teile nicht mehr möglich ist.
Da der abschnitt aber keinesfalls ursprünglich ist und da diese recension auch sonst
irische quellen benutzt hat, bietet die annähme keine bedenken. Die Patriciuslegende
ist, wie Stokes (The Tripartite Life of Patrick I s. CXYIU) andeutet und Zim-
mer (s. IIG fgg.) näher ausführt, aus zwei irischen denkmälcm geschöpft, die aus der
zweiten hälfte des 7. Jahrhunderts zu sein behaupten und nach der Schreibung der ein-
heimischen eigennamen wirklich sind, aus den lateinischen notizen des Muirchu maoca
Machtheni und des bischofs Tirechan. Diese quellen werden also in der vorrede § 3
mit annales Scottorum „geschichtsbücher der Iren^ gomeint sein.
Vor dieser interpolation , gleich nach dem bericht über Quorthigims tod, findet
sich § 48 mitte bis 49 ein abschnitt, der sich speciell auf zwei landstriche von Wales
bezieht, auf Buelt und Ouorikigimiaun im norden der heutigen grafschaft Breok-
nock und im süden von Kadnor (Zimmer s. 07). § 49 mit dem Stammbaum Feni-
mails, des fürsten dieser gogendon, qui regit modo, aufwärts über Guorthigim bis
auf Glovi^^ den angeblichen gründor von Gloucester, ist wegen der lebenszeit dieses
fürsten sicher ein einschiebsei. So wird auch §48 (von Tres fUios an) gleichzeitig
eingefügt sein; er steht mit der übrigen geschichte in keinem rechten Zusammen-
hang, indem er erzählt, Ambrosius, qui fuit rex inter omnes reges Britannieae
gentisj habe Pascent, dem dritten söhne Guorthigims, diese zwei bezirke geschenkt*.
Man darf wol eine landostradition darin sehen, und mit recht schliesst Zimmer, dass
der interpolator aus dieser gegeud stamme oder in ihr gelebt habe. Auch hat er die
zeit des fürsten Fernmail einigermassen festlegen können, indem er in stammbftnmea
des Morgant Hon eine cousino Femmails, Braustud, tochter seines väterlichen
oheims Cloud und frau eines südwelschen fürsten Arthvael, entdeckt hat (s. 68). Die
nächsten daten sind: Arthvaols und Braustuds grosssohn Bowel (Hywel) ist 894 hooh-
betagt gestorben; dessen söhn Ewein (Owein) erscheint schon vorher, 892, als fönt
von Glamorgan. Anderseits ist Arthvaol uronkel von Kees f. Judhael, dessen lebens-
zeit durch den tod seines bruders Femvail a. 775 annähernd bestimmt ist Danach
setzt Zimmer Braustuds vetter Fenunail , fürst von Buelt und Outfrihigimiaun, rond
um 785—815 an.
Bevor wir uns zu den andern daten dieser recension und zum Schlüsse des
Werkes wenden, müssen wir einen blick auf die version werfen, welche wir im
anschluss an Zimmer vorläufig
Nord welsche reeenslon nennen wollen. Sio wird gebildet durch die has.
GEN und IL, und unterscheidet sich von der Barloian- recension: 1) durch die vor-
11. Jahrhundert aus verschiedenen bestandteilen zusammengesetzt wurde, selber wider
Ijebor Oalnila nennt.
1) Zu diesem namcn vgl. eine Vermutung von Zimmer (s. 174 fgg.).
2) Wäre § 48 alt, so müsste er wol schon aus dem liber S. Oermani stun-
men, da nur dieses auf die provinz Powis, zu der die landsohaften gehören, benig
nimmt Das ist aber ganz unwahrscheinUoh.
ÜBER ZIMMER, NKNNIV8 VINDICATUS 95
rede § 3 (Apologia). 2) Durch weitere gemeinsame zusätzo, die in KNG mehrfach
noch als rand- oder interlineamoten erscheinen (Zimmer s. 38). Sie sind zusammen-
gestellt bei Zimmer s. 24 fgg. ; doch gehört noch dazu s. 42 gruppe I und s. 43 die
note zn § 5 über Anaraut^ 3) Durch die kürzung des Schlusses der eigentlichen
Brittengeschichte. Sie wird in GEL durch eine bemerkimg motiviert, die nach Petrie
UBd San-Marte in £ gleichfalls auf dem rande steht.
Die vorrede (§3) beginnt: Ego Nennius sancti Elvodugi discipulus cUiqtta
exeerpta scribere euravi, qtuze hebetudo gentis Britanniae dejecerat usw. und be-
richtet: Ego auiem eoacervavi omne quod inveni, tarn de annalihus Romanorum
quam de ehronteis Sanctorum Patrum, id est Hieronymi Etisebii Isidori Pro-
speri et de annaiibus Scottorum Saxonumque et ex traditione veterum nostrorum.
Man sieht, es passt alles so haargenau auf die tätigkoit des verfassei-s der Harleian-
recension, dass ein zweifei daran, dass dieser sich hier selber nennt, gar nicht auf-
kommen kann. Das hat Zimmer mit recht hervorgehoben. Er meint zwar s. 263,
den Isidor habe Nennius nirgends direkt benützt; ich vermag es nicht geradezu zu
widerlegen, möchte aber bei der genauigkeit der übrigen angaben doch vermuten,
dass sich bei der naohprüfung dieses oder ienes datums die möglichkeit herausstel-
len wird, dass Isidor mit beigezogen wurde ^ Durchaus unpassend wäre anderseits
die vorrede, wenn sie sich nur auf die änderungen der „nordwelschen recension*^
beziehen sollte. Mit den paar randnoten, die diese beifügt, hat jener apparat nichts
zn schaffen, und annales Saaxmum konnte derjenige gar nicht brauchen, der gerade
den schluss der Eist unterdrückte.
Eher kann man fragen, ob der name Nennius buchstäblich richtig sei. Der
irische Übersetzer las, wie oben s. 82 bemerkt, Nemnius oder Nemnus; und die in
einer wol gleichzeitigen hs. erhaltene anekdote, die ihm die erfindung eines brittischen
alphabets zuschreibt, nennt ihn Nemmvus\ Also zwei selbständige quellen haben
mn statt nn.
Wie dem sei, seine zeit lüsst sich aus den daten, die die Harleianrecension
den früheren beigefügt hat, annähernd genau bestimmen. Drei Jahreszahlen beziehen
sich auf die gegenwart des schreibenden. In § 5 haben die besten hss. (Zimmer
8. 126 fg.): a passione Christi anni 796, ab incamatione 831. Ist auch der abstand
von 35 Jahren von incamatio bis passio ungewöhnlich, ein rechenfehler also nicht
«nsgeschlossen, so wird das datum c. 831 n. Chr. doch ungefähr richtig sein.
In § 16 sind irische daten in zwei verschiedenen Zeitpunkten eingetragen worden;
zuerst wird die ankunft des Patricius in Irland a. 405 , später a. 438 n. Chr. angesetzt.
Vor der ersten angäbe steht: Ä primo anno, quo Saxones venerunt in Brittanniam,
usque ad annum quartum Mermini regis supptäantur anni CCCGXXIX (429).
Dass nnter Merminus nur Merfyn fryeh verstanden werden kann, darin stimme ich
Zimmer (s. 164 fgg.) bei Merfyn erbte Nordwales von seinem Schwiegervater Cynan
1) Dass diese, obschon sie in die irische bearbeitung aufgenommen ist, bei
der ersten aufzählung fehlt, ist unbegreiflich und führt den leser — man möchte fast
sagen absichtlich — irre.
2) Dass in §4. 5 kein Zusammenhang mit Isidor vorliegt, wie ich Rev. Celi
6, 105 gemeint hatte, hält mir Zimmer s. 185 mit recht entgegen.
3) Oramm. Celtica' XXYII und 1059, Zimmer s. 131. Dass unser Nennius
gemeint sei, ergibt sich, wie Zimmer gesehen, mit Sicherheit aus der angäbe, er habe
die eifindong gemacht, ut hebitudinem defeceret gentis suae, eine deutliche anleh-
nung an den anfang der vorrede § 3.
96 THÜRNE78EN
Tindaothwy und dazu Powis, weil seine mutter tochter dos Powisfürsten Cadell war;
auch wird er, wie sein Schwiegervater, den titel „^önig aller Kymry*^ geführt haben.
Im Brut y Ty wysogion der Myvyrian Archaiology (s. 687) wird der tod Cy-
nans sub a. 814 n. Chr. erzählt, der tod von Cadells söhn Griffri a. 815 und Mer-
fyns antritt der doppelherrschaft a. 818 angesetzt; danach wäre das 4. jähr der regie-
rung 822. Die bedeutend älteren Annales Cambriae setzen Cynans tod ins jähr
816; Zimmer zählt Merfyns königtum von diesem jähre an, also das 4. jähr = 820.
In jedem falle steckt in der zahl 429 ein fehler; aber als rundes datum dürfen wir
c. 820 ansetzen ^ Damals wird der Verfasser auch die vorausgehenden irischen wan-
derungssagen in die Hist. eingefügt haben.
Nach dem späteren datum von Patricks ankunft findet sich (§16 schluss) eine
neue berechnung des gegenwärtigen Jahres, die die Jahreszahl 859 n. Chr. zu ergeben
scheint. Dass diese verschiedenen daten verschiedenen personen oder verschiedenen
ausgaben entsprechen, wie man angenommen, scheint mir durch nichts angedeutet;
im gegcnteil, die vorrede macht wahrscheinlich, dass die zusätze der Harleianrecen-
sion von einem manne und zwar von Nennius herrühren. Zu den festen daten kommt
noch, dass er früher ein discipulus dos 809 gestorbenen bischofs von Banger, £1-
bodgw, gewesen, der in Wales eine wichtige rolle gespielt hatte, so dass die Schü-
lerschaft als ein ruhmcstitel erscheinen mochte. Nimmt man beispielweise an, Nen-
nius sei bei Elbodgw^s todo 18 jähre alt gewesen, so hätte er die ersten irischen
daten etwa in seinem 30. , die orgänzung der calculi (§ 5) etwa im 40. und das letzte
datum (859) im 68. lebensjahre eingetragen. Doch kann er ein paar jähre jünger
gewesen sein. Jedenfalls hat er ziemlich sein lebenlang für die Historia gesammelt.
Die Apohgia steht nun aber nicht in der Harleian-recension, sondern nur vor
der gekürzten, Zimmers „nordwclschen^. Auch hier war sie, wie es scheint, erst
nachträglich eingetragen wol in derselben kleineren schrift wie die randnoten, was
spätere kopisten zum teil beibehalten haben*. Kann sie ursprünglich mit dieser
recension verbunden gewesen sein, d. h. ist Nennius auch veifasser der gekürzten
Historia? Zimmer verneint die frage, Heeger und Duchosno bejahen sie. Ich denke,
mit recht Die die kürzung motivierende note (Zimmer s. 31) schliesst nach dem
bericht über Eduini*s taufe (§ 63): Si quis scire voltterit, quis baptixcunt eos, sie
mihi Renchidus episcopus et Elbodus episcoporum sancttsstmus tradiderunt, Run
map Urbegfien, id est Paulinus Eboracensis archiepiscopus , eos baptixavU; ei per
XL dies non cessavit haptixare omne genus Amhronum et per praediccUianem illiue
multi crediderunt in Christo. Sed cum inutiles mcigistro meo, id est Betäano
presbytero, visae sunt genealogiae Saxonum et aliarum genealogiae gentium , nolui
eos scribere. Sed de civitatibus et mirabilibus Brittanniae instUae ut alii seriptores
ante me scripsere, scripsi. Sie enthält also zunächst eine Verbesserung des § 63
1) Nimmt man als wirkliches jähr 821 an, und rechnete Nennius hier wie in
§ 5 das passionsjahr =: 35 unserer Zeitrechnung, so wäre DCCLXXXYI (786) poet
passionem Chr. das von ihm gemeinte jähr. Davon abgezogen das jähr der Sach-
senankunft 347 jo. pass. Chr. ergäbe 439; in CCCCXXIX betrüge der rechenfehler
also nur ein X.
2) Nur so kann ich mir Petrie's bomerkung deuten, in allen hss., welche die
Apologia enthalten, sei sie manu vel aliena vel aliquanto reeentiori geschrieben
(Nennius s. 48 anm. b und vorrede s. 66). Es ist doch immöglich anzunehmen, dass
die ganze reihe von hss., die schon an sich derselben recension angehören, nfilUg
den gleichen zusatz nachträglich aufgenommen haben.
ÜBER ZIMMBB, KSNNn78 VINDICATÜS 97
der Harleianrecension, wo Nennius — wol nach seiner vorläge — geschrieben hatte:
Rutn map Urbgen baptixuvit eoa. Denn Run map Urbeghen ist die teils rich-
tigere teils altertümlichere form des namens ^ Die andere notiz, dass dieser Run
gleich Paulinns, ei*zbischof von York, sei, ist zwar irrig, beruht aber indirekt auf
Bedas bericht, dass Pauli nus die Nordhumbrer getauft habe. Als gewäbrsmänner
werden ein — unbekannter — bischof Renchidus und der heiligste bischof Elbodgw
genannt, ersterer aber vorangestellt. Das dürfte darauf hinweisen, dass der Schrei-
ber die korrektur zunächst Renchidus verdankt, der ihn auf irgend eine bemerkung
oder notiz Elbodgw's mag aufmerksam gemacht haben. Die berufung auf diesen passt
sehr gut für einen ehemaUgen discipulus Elvodugi. Dagegen darf man nicht anneh-
men, dass Nennius schon als schüler Elbodgw's an der Historia gearbeitet habe.
Kannte dieser — wie es nach obigem scheint — Schriften Bedas, so hätte er ihm
viel mehr neue materialien zuführen können und wäre gewiss viel öfter von ihm
citiert worden*. Es spricht also nichts dagegen, dass Elbodgw zur zeit, als vorrede
und Schlussnote verfasst wurden, seit lange tot war. Somit hat gewiss Nennius sel-
ber nach der Harleianrecension, also nach dem jähre 859 die gekürzte recension
besorgt und jenen passus beigeschrieben. Aus letzterem lernen wir ferner, dass der
alle Nennius in einem imtergeordneten Verhältnisse zu einem presbyter Beulan stand,
den er magister meus tituliert. Demnach rühil gleichfalls von ihm her die randnote
zu § 10 (s. oben s. 89), welche die werte enthält: Sic invent, ut tibij Samuel, id
est infans magistri mei, id est Beulani presbyteri, in ista (d. h. der gegenüber-
stehenden) pagina scripsi. Die künstliche Übersetzung Zimmers (s. 50) ist unnötig.
Beulan, dem Nennius diese ausgäbe wol bestimmt hatte, mag vor oder gleich nach
der Vollendung gestorben sein; der Verfasser wendet sich daher in dieser nachträg-
lichen note an Beulans söhn Samuel. Die einzige Schwierigkeit bildet das schlechte
latein im anfang der note, da Nennius sonst wenigstens verständlich schreibt. Aber
die Schwierigkeit bleibt immer bestehen, wenn man die beiden stellen, in denen Beu-
lan genannt wird, demselben autor zuschreibt, was doch alle tun; denn die zweite
hat glattes latein. Darum habe ich oben s. 90 angenommen, dass die mangelhafte
spräche auf grosser Mchtigkoit beruhe.
Endlich spricht auch der anfang der motivierenden schlussnote für Nennius
als Verfasser der kürzenden recension. In der Harleianrecension hatte § 61 den
unverständlichen schluss: Ida fUius Eobba . . . unxit Dinguayrdi guurthbemeich.
Die kürzende recension bringt wider eine wenigstens halbrichtige korrektur^: Ida ...
junxit arcem, id est Din, Oueirin et Ourdbimech: quae duae regianes fuerunt in
una regionCf id est Deur a Bemech, Änglice Deira ei Bemicia. Diese erklärung,
über die Vereinigung von Deur a Bernech „Dcira und Bemicia" wird doch wol
schon ihrer fassung nach von demselben manne stammen wie die bemerkung zu
Soemil in der genealogie von Deira § 61 : ipse pri?nus separavit Deur o Bimeich,
Da letztere sich nur in der Harleianrecension findet, kann sie nur vor oder von Nen-
nius eingetragen sein. Auch diess führt also wider auf Nennius.
1) In Urbeghen ist wie in Urbagen (Überschrift in Ch) der auslautende vokal
des ersten kompositionsgliedes (Urbi-genus) bewahrt, freilich in schwankender Schrei-
bung.
2) Die irische Übersetzung hat den papstnamen Eu(ch)aristus der Lucius-
legende in Eleutherius verbessert Das beruht aber nicht auf der „nordwelschen
recension* (Zimmer s. 141), sondern ist selbständige besserung des irischen bearbei-
teis nach Bedas schrift De temporum ratione.
3) Vgl. oben s. 85.
XKITSGUKIFT F. DKUT8CUK PHILOLOGIE. BU. XXVIII. 7
d8 THUBKBT8SK
Ob noch andere der gemeinsamen rand- und interlineamoten auf ihn zurück-
gehen, mag dahingestellt bleiben. Sicher nicht alle. Denn die randnote zu § 5 zählt
6106 jähre ab exordio mundi usque ad XXX annum Änaraut regis Motiias (Ang-
lesey), qui regit modo regnum Wetiedociae regionis, d. i. 910 n. Chr. (Zimmer
8. 43 fg.). Um diese zeit kann ein schüler Eibodgw's nicht mehr gelebt haben. Bald
darauf scheint das archetyp der hs. G und wol auch die vorläge des irischen Über-
setzers kopiert worden zu sein ; bei weiteren Zusätzen hört daher die übereinstimmong
der handschriften auf.
Zu ganz anderen resultatcn ist, wie oben bemerkt, Zimmer gelangt, der für die
Harleianrecension und die „nordwelsche recension^ verschiedene Verfasser annimmt,
nur für die erstere Nennius. Der § 16 ist nach ihm später in das werk dos Nennius
eingeschoben, seine daten also für dessen lebenszeit ohne belang; in dem datum von
§ 5 sieht er einen grossen lapsus (s. 127 fg.) Er rechnet folgendermassen. Der Verfas-
ser der nord welschen reconsion ist ein junger mann, weil erBeulan seinen magi-
ster nennt; er beruft sich auf eine mündhcho mitteilung des bischofs Elbodgw, kann
also nicht lange nach 810 geschrieben haben. Nennius, ein diseipulua dieses bischofs,
ist also noch etwas früher anzusetzen. Der fürst Fermnail, dessen Stammbaum er § 49
bringt, lebte rundum 785 — 815. Catell Dumluc, den Nennius in einer glosse (§35)
nennt, ist der fürst CatcU von Powis, dessen tod die Annales Cambriae a. 806
melden (s. 71 fgg.). Die genealogieen von Mercia (§ 60) fügen am schluss den Stamm-
baum könig Ecgfrids bei, der nach einer regierung von nur 141 tagen a. 796 starb.
Also i.st 796 das jähr, in dem Nennius sein werk verfassto (s. 82).
Abgesehen davon, dass wir mm nicht mehr so leicht wie Zimmer über die
datcD der Harleianrecension hinwegsehen können, ist auch Fernmails lebenszeit nur
ungefähr, durch generationenrechnung bestimmt (oben s. 94); sie kann sich leicht
in die 20 er oder 30er jähre des 9. Jahrhunderts erstreckt haben, wo Nennius nach
dem obigen eben an der arbeit war. Ausserdem ist gerade bei der interpolation von
§ 49 nicht ganz zweifellos, dass sie Nennius und nicht einem Vorgänger zuzuschrei-
ben ist
Mit Catell aber verhält es sich so. Nach § 32 fgg. hat S. Germanus einem
serrus des bösen königs Benli, namens Catel, prophezeit (§ 35): f,Non defieiet rex
de semine tuo — Ipse est Catell Dumluc — et tu solus rex eris ab hodiemo
die/* Und so geschah es; von seinem samen ornnis regio Povisorum regiiur usque
in ßiodiernnrn diem. — Der satz: ipse est Catell Durnhic ist ein späterer einsohub,
wie Zimmer gesehen und wie hs. Ch bestätigt; seiner fassung nach rührt er von
Nennius her. Am nächsten liegt gewiss, dass mit ipse der Stammvater der Powis-
fürsten gemeint sei, dem Germanus die königswürde verheisst. So haben es nicht
nur die kupisten des Nennius verstanden, die bei der früheren nennung des serpuM
schreiben: cui notnen erat Katel Dumluc dux^\ sondern auch in den alten genea-
logieen (Harl. 3859) steht Catcl Dumluc an der spitze der könige von Powis. Anders
Zimmer; er denkt, Catell Dumluc bezeichne den zu Nennius' zeit regierenden fursten,
gehöre also gewissermassen zu semen tuum. In dem Brut yTywysogion den die
Myvyrian Archailogy s. 685 fgg. enthält, auf dessen besonderheiten übrigens auch
Zimmer sonst nicht viel baut, heisst es nämlich zum jähre 804: y bu farw ... Cb-
dell Brenin Teymlltcg a elicir yr awr lionn Powys „da starb CadeU, könig von
1) Dux scheint die typische bezeichnung der henischer zu sein, die nicht aus
dem brittischeii hochadel hervorgegangen; vgl Arthur dux bellorum § 56.
ÜBER ZIMMEB, NENNIUS VINDIGATUS 99
Teymllwg, das jetzt Powis genannt wird*' ; und in der folge wird dieser fürst mehr-
faidh. als Ckidell Deymllicg citiert. Dass DeymUwg mit dem obigen Dumluo zusam-
menhängt (durch den lesefehle r Diinüuc)^ ist an sich klar imd wird dadurch bestä-
tigt, dass in jüngeren genealogieen (Zimmer s. 72) der Stammvater des geschlechts
das epitheton Deemluc, eine andere Variation von *DiimluCf führt. Da jedoch der
historische fürst gerade in den älteren quellen einfach Catell (Cadeil) von Powis
heisst*, 80 muss der name Cadell DeymUwg in der Myv. Arch. auf einer Verwechs-
lung mit dem urahnen und die erklärung von Jhymllwg = Powis auf einem nahe-
liegenden Schlüsse bemhen'. Der name kommt also für die bestimmung der zeit des
Nennius gar nicht in betracht. Dann aber ebensowenig das datum des königs Ecg-
frid von Mercia, das nur in Verbindung mit den andern in die wagschale hätte fal-
len können (s. darüber imten, s. 101). Die daten aus dem 9. jahrhundeit in § 5 und
§ 16 behalten somit ihre volle beweiskraft.
Nunmehr sind wir in der läge auch die bestandteile der zweiten bälfte der
Hist. Britt auf ihren urheber hin zu prüfen. Oben s. 83 constatierten wir, dass der
schluss der Brittengeschichte zum alten bestände gehört Als vennutliche Interpola-
tionen wurden bereits besprochen § 48 (von der mitte an) und 49 , femer das leben
des Patricius §50 — 55. Es bleiben ausser dem anhang, den Mirabilia und Civi-
totes, noch die
Oenealogieen g 57—61. Sie nehmen, wie früher s. 84 bemerkt, häufig auf
die Brittengeschichte, in die sie eingeschoben sind, bezug. Alle enthalten fürsten-
namen, die in dieser vorkommen. Eine merkwürdige ausnähme bildet nur die genea-
logie der Ostangeln § 59, indem sie keinerlei beziehung zur Brittengeschichte zeigt,
auch nicht zu dem hysterogenen schluss des § 65 : Penda . . Onnan regem Easter-
anglorum . . oecidit; gerade dieser Ostangelnkönig kommt im Stammbaum nicht vor.
Ihre aofiiahme lässt sich also nur so erklären, dass sie schon in der quelle direkt
auf die genealogie von Kent (§ 58) folgte und, sozusagen aus versehen, mit abge-
schrieben wurde.
Die genealogieen beginnen mit Bernicia § 57. Der Stammbaum wird von
Woden über Ida bis auf die generation Aeehfirds (= Ecgfrid) herabgeführt, des
letzten in der Hist erwähnten königs (regiert 670 — 685). Dann wird sein tod im
Pictenkriege berichtet, der in der Brittengeschichte von 679 natürlich fehlte. Von
wem? Das verrät wol der satz: et nunquam addiderunt Saxones Ämbronum, ut a
Pietis veetigal exigerent. Der Verfasser bezeichnet also die Nordhumbror, die Ambro-
ne9 (s. 0. 8. 83 anm. 2), als Saxanes Ambronum, obschon sie Angeln sind. Mithin ist
für ihn Saxones ein gesammtname für alle Qermanenstämmo Englands; demnach ist er
ein Südkymre, d. h. aus Wales oder umgegend, wie noch heute in Wales alle Eng-
linder iS^sMon „Sachsen*^ genannt werden. Da nun auch der Verfasser der gekürzten
reoension von genealogie^ Saxonum et aliarum genealogicte gentium spricht (oben
8. 96), obschon die Stammbäume nur Angeln und Juten, aber keinen einzigen der
englischen Sachsenstaaten betreffen, wird wol ein und derselbe mann beide bemer-
kungen verfasst haben, d. h. Nennius. So wird wahrscheinlich, dass auch die fol-
gende notiz über Osguids zwei frauen von Nennius herrührt; er führt sie an, weil
1) Catell Pouis in den Annales Cambriae a. 808, Cadell bretikin Potpys in
dem Brut y Tywysogion des roten buchs von Eergest (ed. Rhys-Evans s. 258).
2) Dadurch verliert auch die von Zimmer s. 73 citierte stelle der Jolo Mss.
jede glaubwürdigkeit.
7*
100 THURNEY8EN
dio eine, RiemmeUhy die grosstochtcr, dio andere, Eanfled, nach §63 der taafling
des dort erwähütcD Rum (Run) map Urhgen zu sein schien. Ebenso geht dann der
Zusatz zu Aelfret: ipse et Aedlfred Flesaur, der gleichfalls auf § 63 hinweist, auf ihn
zurück.
Die zweite genealogie § 58, die die fürsten von Kent bis auf Ecgberth (664 —
673) herabführt, ist mit rücksicht auf Hengist und seinen söhn Octha (§ 56) aufge-
nommen. Die vorfahren Uengists sind weggelassen , weil sie schon in § 31 der Hist,
genannt waren. Zimmer s. 82 fgg. meint, die namen seien aus den genealogieen aus-
gezogen und an jener früheren stelle eingefügt worden. Eher werden sie doch dem
ursprünglichen werkchen angehören, da der Stammbaum, im unterschied von den
andern genealogieen, über Woden hinaufgeht bis auf Octa filitis Dei (s. unten).
Die anschliessende genealogie der Ostangeln § 59 erstreckt sich von Woden
über Ouecha bis auf einen unbekannten Elric, der hier als söhn ÄldtUffJs (663 —
713) erscheint (s. unten). — Die genealogie von Mercia §60 führt zuerst von Woden
auf Pefida (626 — 655), der in §65 der Brittengeschichte vorkam, und seinen bruder
E(o)ua (t t>42). Dann folgen aufsteigende Stammbäume von drei späteren mercischea
fürsten: 1. Eadlrü (675 — 704), 2. Eadibald (716 — 757), 3. Ecgfrid filitis Offa, der
796 (795?) nur wenige raonate regiert hat. — Die genealogie von Deira §61 end-
lich führt von Wodai über Soeynil auf Äedyuin, von dem § 63 handelte. Sein und
seiner söhne tod in der schlacht gegen Catguollatmus , der in der Brittengeschichte
übergangen war, wird hier nachgetragen, vermutlich gleichfalls von Nennius.
An diese verschiedenen genealogieen ist in § 61 noch angeschlossen: 1. der
Stammbaum eines unbekannten Oslaph^ der in 6. geneitition von Oagttid (regiert
642 — 670) abstammt. Rechnet man sechs genorationen als rund 200 jähre, so war er
ein Zeitgenosse des Nennius. 2. Der Stammbaum Eadbyrths, des Nordhumbrerkönigs
von 737 — 758, und seines bmders Ecgbirth, der 766 als erzbischof von York starb.
Hat nun Nennius nur ein paar zusätze zu den genealogieen gemacht oder hat
er überhaupt den ganzen abschnitt §57 — 61 der Histaria einverleibt? Ich glaube,
die zeit der quelle der genealogieen, die wir einigermassen bestimmen können, spricht
für die zweite anschauung. Sweet, The Oldest English Texts s. 169 fgg., druckt ans
dem Cotton ms. Vespasiau B 6 fol. 108 fgg., einer lis., die vor 814 von einem Nord-
humbrer geschrieben scheint, eine reihe von genealogieen ab. Der titel lautet: Baee
genelogiae per 2>ortcs Brittaniae regum regnantium per dirersa loea. Dann folgt
zunächst ein abschnitt mit Stammbäumen von Nordhumbrerfürsten: 1. von Eduine
Aelling (616 — 6Ü3) aufwärts bis Uoden Frcalafing (vgl. Nennius § 61); 2. von
Ecgfrid Osuing (67() — 685) bis Uoden Frealafing (vgl. § 57); 3. von Ceoluulf
(729 — 737) über Ecguald bis Ida; daran angehängt der Stammbaum von Eadberht
Eating (737 — 758), vgl. Nennius §61, wo Eadbyrths bruder, erzbischof Eegbirthy
hinzutritt; 4. die genealogie von Alhred (765 — 774).
Hierauf vier genealogieen von Mercia: 1. von Aedilred Peftding aufwärts bis
Wodefi Frealafing; 2. von Ardelbald Alicing bis Eoica Pyhbing; 3. von Ecgfrid
Offtng bis Eoica Pyhbing; 4. von Coenunlf Cudberhting (796 — 819) bis Coenwaih
Pybbing, Die drei ersten entsprechen genau den drei abschnitten bei Nennius § 60:
Eadlrit, Eadibald und Ecgfrid.
Nach einer genealogie der Lindisfari, die bei Nennius fehlt, folgt die von
Kent. Sie geht von Acdclberht Uihtrcding (748 — 760) über Uihtred Ecgberhting,
Ecgherht Erconberhting usw. und Hengrst Uitting hinauf bi» auf Uoden Frealafing,
Sie enthält also zwei generationen mehr als Nennius § 58, der mit Ercunberi genuü
DbEB ZIMMER, NENNIITS YINDICATÜS 101
Ecgherth (664 — 673) abbricht Das ist schon an sich auffällig, da die andern gleich-
artigen stammbäame des Nennius nicht so früh schliessen. Jetzt wird sehr wahr-
scheinlich, dass nur ein flüchtigkeitsfehler des Nennius vorliegt; die ähnlichkoit der
naroen Ecgherth und Eadlberth hat ihn die zwei letzten glieder übersehen lassen.
Die genealogie der Ostangeln führt von Aclftcald Alduulfing (713—740)
aofwfirts bis Uoden Frealafing. Bei Nennius § 59 schliosst dagegen der Stammbaum
mit Äldul genuit Elric. Schon Lappenberg bemerkt, dass ein solcher söhn oder
nachfolger> Aldulfs sonst nirgends erwähnt werde. Da nun bei Nennius Aldul(f)s
vater Edrie (== Eäüric) unmittelbar vorhergeht, scheint mir zweifellos, dass in
Elrie nur ein durch diesen namen veranlasster Schreibfehler für ^ElfgtuUd steckt.
Die ähnlichkeit beider denkmäler springt in die äugen: dieselbe auswahl der
Stammbäume (nur Angelnstämme und Kent) und in allem einzelnen, in der eintoi-
lung, in den besonderheiten der Ostangeln -genealogie, überall die grösste Überein-
stimmung. Da, soviel ich sehe, die annähme, dass diese englischen genoalogieen
aus der Historia Brit. ausgezogen seien, schon durch ihre form so gut wie ausge-
schlossen ist, so gehen beide auf dieselbe quelle zurück. Diese scheint nach ihren
hauptbestandteilen in die mitte des 8. Jahrhunderts zu gehören, befand sich aber
wol 796 in Mercia, wo der Stammbaum könig Ecgfrids eingetragen wurde. Bei spä-
teren daten (könig Ceonwulf) stimmt Nennius nicht mehr mit den englischen genca-
logieen überein. Immerhin sind wir damit der lobcnszeit des Nennius so nahe
gerückt, dass kein grund vorliegt, die einreihung der genealogioen einem andern
interpolatar zuzuschreiben. Hatte Nennius selbst sie in der Harleianreconsion ein-
geschoben, so begreift sich auch das urteil seines niagister Beulan besser, sie seien
inuiiles,
Nennius, der seine quelle in der vorrede § 3 annales Sa<conum nennt — viel-
leicht erhielt er sie durch den Oslaph, dessen Stammbaum § 61 beigefügt ist — , hat
wol einiges weggelassen', namentlich aber vieles nachgetragen und zwar aus britti-
schen quellen, wie die brittischen namen der Schlachtfelder in § 57 und 61 und meh-
rere sonstige eiuschiebsel dartun. Als zusatz zu den genealogieen ergibt sich nun aber
auch der bericht über die 12 söhne Idas, die 7 söhne Aedlfreds und die 3 söhne
Osguids in § 57 ; doch stammt dieser vielleicht eher aus der vorläge als von Nen-
nius selbst Dagegen wird ihm gewiss die auffällige anordnung der genealogieen zuzu-
Bohreiben sein: Nordhumbrien (Bernicia), Kent, Ostangeln, Morcia, Nordhumbrien
(Deira). Die alte reihenfolge mag gewesen sein: Kent, Ostangoln, Mercia, Bernicia -
Deira. Da Nennius an Ida (§ 56) anknüpfen wollte, musste er Bernicia an die spitze
stellen. Ähnlich hat der nordhumbrischo Schreiber der englischen genealogieen mit
seiner heimat begonnen.
Femer bestätigt sich jetzt, dass der Stammbaum von Hengist und Hors auf-
wärts über Woden bis auf Oeta fi litis Dei (§31) nicht aus diesen genealogieen aus-
gezogen ist, dass wir also nicht anzunehmen haben, die version der hs. Ch, worin
er sich bereits findet, habe auch schon dio genealogieen enthalten. Freilich steht
auch bei Sweet (s. 170) ein Stammbaum, der über Woden Frealafing hinaufreicht;
das ist aber gerade der der Lindisfariy den Nennius nicht bat Zudem ist hier als
oberster Stammvater Oodulf Qeoting (bei Nennius: Folctcald fU. Oeta) genannt; die
1) In den genealogieen, denen Lappenberg folgt, ist nämlich Äelftcold nicht
söhn, sondern bruder Aldulfs.
2) Ob die vielen nachlässigkeitsfehler, von denen einige oben berührt worden
sind, von ihm oder einer dazwischenliegenden vorläge herrühren, bleibe dahingestellt.
102 THTJRNKYSKN
notiz, dass Geta fiUus Bei sei, fehlt. Überhaupt weichen die namen in der Schrei-
bung zu stark ab, als dass direkter Zusammenhang angenommen werden könnte. Alle
andern englischen genealogieen , auch die von Kent, gehen nur bis auf Uoden Frect-
lafing hinauf, genau wie bei Nennius. —
Die notiz über bischof Cudbertus am ende der Brittengeschichte § 65 stammt
kaum, aber die über Ecgfrids tod sicher von Nennius (vgl. § 57). "Wer den schloss
(über Penda) beigefügt hat, kann ich nicht bestimmen. Er nennt die Nordhumbrer
Nordif gen. Nordorum, was weder Nennius noch der historiograph tun. JedesCaUs
hat ihn Nennius schon vorgefunden.
Die 28 Civitates (San-Marte s. 80) und wenigstens ein teil der MlrabUla
(§ 67 fgg.) standen ebenfalls schon in seiner vorläge nach seinen oben citierten wer-
ten: Sed de civitatibua ei mircUfilibus Britianniae insulae ut alii aeriptores ante
me scripserey scripsi. Für die Civitates die einen excurs zu § 7 bilden, wird das
ausserdem durch die altertümliche Orthographie der namen bestätigt, auch durch das
fehlen von Gloucester, das Nennius wegen § 49 gewiss nicht übergangen hätte (Zim-
mer s. 109). Die vaticanische recension, welche die städtezahl zu 33 erweitert, hat
denn auch Cair Olovi richtig beigefügt
Die Mirabilia zerfallen in vier abschnitte ^ Zuerst (§67 und §68 anfang)
4 numerierte wunder, betreffend 1. Loch Lomond in der schottischen grafschaft Dum-
barton; 2. die mündung dos flusses Trcnt in den Humber (Zimmer s. 112); 3. warme
quelle bei Bath; 4. eine saline in cadem (regiane?)^. Diese bilden jedesfalls einen
alten stock; Zimmer denkt, die beiden ersten haben schon zum alten werkchen
gehört, was möglich ist
Die folgenden 10 wunder (§68 — 74) sind loso angereiht mit: Aliud miraeu-
lutn est, Est aliud mirabile oder ähnlich. Die genannten lokalitäten sind: 1. und
2. Sevommündung, 3. unsicher, 4. fluss Wye, 5. 6. 7. Monmouth-Glamorgan,
8. regio Buelt (Builth), 9. quelle des J^mer -baches, der südlich von Hereford fliesst
(Zimmer s. 114); 10. Cardigan; also die mohrzahl im gebiet des "Wyo- flusses von
seinem oberen laufe bis zur mündung. Zu wunder 7. (bei Chopstow am untern "Wye)
und zu 9. (gitifschaft Hereford) bemerkt der erzähler: ego prohavi, Dass das 10. wun-
der späterer zusatz sei, scheint mir durch Zimmer s. 111 nicht erwiesen.
Den dritten abschnitt bildet § 75 mit 4 numerierten, summarisch aufgezählten
wuudom der insol Anglosey, den vierten § 76 mit zwei wundern Irlands. Die beiden
letzten gruppen scheinen nur in hs. I Überschriften zu tragen: De mirabililnu Mo-
niae insulae und De mirabilibus Hibemiae. In der urhs. sollten sie offenbar nach-
träglich eingetragen werden, da der text auf sie bezug nimmt Doch lagen sie auch
dem irischen Übersetzer vor, der Monia als insel Man missverstanden hat
Alle diese wunder finden sich sowol in den guten hss. der Harleianreoension
als in der gekürzten, sie sind also von jenen in diese herübergenommen wor-
den, da nichts zur umgekehrten annähme zwingt. Sie führen uns zur frage, wo
Nennius gelebt und geschrieben hat Für Nord wales, wol speciellAnglesey
spricht: 1. er war schüler des bischofs von Bangor, Elbodgw; 2. vier wunder Ton
Anglesey sind an später stelle angehängt; 3. am rande der urhs. der gekürzten recen-
sion wird um 910 ein datum nach Anaraut, fürsten von Anglesey und herrscher über
1) Vgl. Zimmer s. 110, dem ich aber auch hier nicht in allem folgen kann.
2) Ich weiss nicht, ob es bei Bath salinen gibt Potrie, der wol in eadenh als
in Britannia versteht, bezieht es auf die saline bei Chester.
ÜBER ZniMKB, NKNNIüS VINDICATÜS 103
Nordwales, berechnet Nach dem Süden (süd-osten) von Wales weisen: der Stamm-
baum Femmails, des forsten von Buelt und Quorthigimiaunj in § 49 und die
Mirabilia aus dem Wye-gebiet. Da der "Wye-fluss an Builth vorbeiströmt, wird
man mit Zunmor für sehr wahrscheinlich halten, dass beide abschnitte denselben
Verfasser haben. Anderseits erlaubt der abweichende stil, in dem die wunder von
Anglesey erzählt werden, keinen sichern schluss auf die Verschiedenheit der Verfas-
ser, es könnte nur der Zeitpunkt der eintragung ein verschiedener sein.
Wir erhalten also folgendes bild von Nennius tätigkeit. In seiner jugcnd war
er Schüler des berühmten Elbodgw, bischof von Bangor, der 768 die römische
osterbereohnong bei den Eymren eingeführt batte und 809 starb. Entweder kam er
später eine zeit lang nach Südost -Wales und begann dort die alte Brittengoschichte,
die er aufgefunden, weiter auszuarbeiten; oder er erhielt ein exemplar derselben, in
das kurz vorher in Südost -Wales einige zusätze eingetragen worden waren. Jedes-
£alls vollendete er sie später inNordwales, wahrscheinlich auf Anglesey. Er erscheint
dort abhängig von einem presbytor Beulan, den er seinen magiater nennt. An der
erweiterung der Brittengoschichte arbeitete er mindestens seit c. 820 und hatte bis
oder nach 859 ein exemplar seines Werkes fertig gestellt. Es liegt den hss. der Har-
leianrecension zu gründe. Da der prosbyter Beulan die eingeschobenen genealogieen
englischer forsten überflüssig fand, Hess er sie in der definitiven ausgäbe, die er
bald darauf besorgt haben mag, weg, zugleich aber auch den alten schluss der Brit-
tengeschichte, in den sie verarbeitet waren (also §57 — 65). NachträgHch fügte er
diesem exemplar bei: 1. eine motivierung der kürzung, worin er zugleich einige
partieen des unterdrückten Schlusses wider aufnahm, nämUch solche, bei denen er
Verbesserungen seiner früheren lesarten anzubringen hatte; 2. die vorrede zum gan-
zen werke, eine wahrheitsgetreue aufzählung seiner quellen; sie kennzeichnet ihn als
einen sehr bescheidenen mann und erklärt dadurch, weshalb er so lange jähre mit
dem absohluss gezögert; 3. eine randnote zu § 10, die er an Beulans söhn Samuel
richtet, was vielleicht auf den inzwischen eingetretenen tod seines „magisters*^
schliessen lässt; endlich vielleicht noch andere kloine randbomerkungen. Das ist die
^gekürzte recension mit randnoten*^, die sich noch um 910 in Nordwales oder Anglesey
befiand, und auf die auch die irische Übersetzung des 10. oder 11. Jahrhunderts zu-
rückgebt Nun gibt es aber auch hss. der gekürzten recension ohne diese zusätze
(hauptvertreter scheinen DE). Ob sie aus der definitiven ausgäbe vor eintragung
der noten geflossen, oder wie sie sich zu den andern Versionen verhalten, wird wol
die kommende edition zeigen.
Ich lasse, wie Zimmer s. 265fgg., ein Schema der Historia des Nennius
nach dem abdrucke von San-Marte folgen. So werden die abweichungon übersicht-
licher zu tage treten. Was sich schon in der um 679 im norden verfassten Britten-
geschichte fand, nenne ich ,fUrsprünglich'^; doch berücksichtige ich nur die haupt-
bcstandteUe der einzelnen paragi*apheu , führe auch nur die hauptquollen an.
§ 1. 2. Prologus: Spätere rhetorische ausarbeitung der echten vorrede des Nennius.
§3. Äpohgia: Vorrede des Nennius, nachträglich der definitiven ausgäbe bei-
gefügt. 8. oben s. 95. 96 fg.
§4. Unvollständige OcUculi, ursprünglich. S. oben s. 86.
§ 5. Ergänzung der Calctili durch Nennius um's jähr 831. S. oben s. 86 anm. 3.
93. 96. 99.
§6. Calculi: die 6 weltalter, ursprünglich. S. oben s. 86.
§ 7 — 9. Beschreibung Britanniens, ursprünglich. S. oben s. 86.
104 THimNKYSRN
§ 10. 11. Geschichte nnd zeit des Britto, sehn des Süvius. Von NeoDius
hauptsächlich auf grund der (irischen?) annales Romanorum eiogesohobeD an stelle
einer älteren interpolation (einschub I) ; s. oben s. 87 fg. 89.. In den schluss von
§ 11 ist ein zweites älteres einschiebsei verarbeitet; s. oben s. 88 fg. — Stammbaum
des Bnäus (Britus) exosus nach irischem bericht, späte randnote des Nennios zur
definitiven ausgäbe § 10; s. oben s. 89 fg. 97.
§ 12 — 14. Einwanderung der Picten und Iren; von Nennius beigefügt nach
irischen quellen (annales Eotnanorum?). S. oben s. 93.
§ 15. 16. Daten zur sagenhaften und wirklichen geschichte der Iren, yon perü
tisstmt Scottorum dem Nennius mitgeteilt und der hauptsache nach um 820 aufge-
zeichnet; ein nach trag um 859. S. oben s. 93 fg. 95. 99.
§ 17. A. Ursprung der Britten nach der fränkischen völkertafel, ursprüng-
lich, s. oben s. 86. 6. Stammbaum von Adam bis Älanus, ursprünglich oder
früher einschub; s. oben s. 86.
§ 18. Stammbaum des Brutus, söhn des Hissicion. Yomennianischer susatx,
schon in Ch; s. oben s. 89.
§ 19 — 20 erste hälfte: Caesars angriffe auf Britannion , ursprünglich. 8. oben
8. 87.
§ 20 mitte bis § 30. Die Römerherrschaft in Britannien. Von Nennius eingefügt,
hauptsächlich auf grund von zwei listen der imperatoren, welche Britannien besucht,
einer kürzeren, die früh in die Hist. eingeschoben worden, und einer erweiterten, wol
in den annales Romanorum enthaltenen ; mit Zusätzen aus Hieronymus und Prosper,
auch Gildas (?). S. oben s. 90—92. Zur Luciuslegende (§ 22) vgl. s. 91 fg. 97 anm. 2.
§31 — 48 mitte. Geschichte von Hors und Hengist, Guorthigim und S. Ger-
manus, ursprünglich; beruht grossenteils auf Map Urbgen's excerpten aus einem
über saneti (oder beuti) Oermani. S. oben s. 83. 84. 87.
§ 48 mitte bis § 49. Über das fürstengeschlecht von Buelt und Öuorthigir^
niaun, eingeschoben entweder von einem Südwelschcn kurz vor Nennius oder von
Nennius selbst. S. oben s. 94. 98. 102 fg.
§50 — 55. Leben des heil. Patricius; wol sicher von Nennius, nach xwei
irischen quellen. S. oben s. 94.
§ 56. Brittengeschichte von Hengists tod an, ursprünglich. S. oben s. 87.
§57 — 61, z. 13 (bis zu den werten: de fuUione eorum). Genealogieen der
fürsten von Bernicia, £ent, Ostangeln, Mercia, Deira (Nordhumbrien). Von Nennius
hineinverarbeitet nach einer quelle, die oder deren vorläge sich 796 in Meroia befand.
S. oben s. 84. 99 fgg. Diesen abschnitt, sowie die zwei folgenden hat Nennius in
der definitiven ausgäbe woggelassen.
§ 61 (von Ida fil, Eobba an) bis § 65 (bis: Eegfrid . . . regnavü IX anndi).
Schluss der Brittengeschichte, ursprünglich. S. oben s. 83 fgg.
§ 65 rest. Verschiedene Zusätze, meist vomennianisch. S. oben s. 102.
[§66. Anfang der Annales Cambriae in hs. A].
S. 80. Civitates; excurs zu § 7, vomennianisch imd ziemlich alt S. oben s. 102.
§ 67 — 68 anfang (Quartum miraculum). Grundstock der Mirabüta BriUm'
niae, Vomennianisch; die zwei ersten wunder vielleicht ursprünglich oder sehr
früher anhang. S. oben s. 102.
§ 68 (von Aliud mira^dum an) bis § 74. Zehn wunder, meist aus dem gebiet
des Wye-flusses; entweder von einem Südwelschen kurz vor Nennius oder von Nen-
nius selbst. S. oben s. 102 tg.
ÜBER ZIMMER, NKNNIÜS VINDICATUS 105
§ 75. Mirabüia von Anglesey. Von Nennius. S. oben 8. 102. 103.
§ 76. Mirabilia von Irland. Wol von Nennius. S. oben s. 102.
Von einzelheiten in Zimmers buch möchte ich besonders hervorheben: die
nachrichten über die irischen ansiedelungen in Wales und auf der comischen haib-
insel (8. 84 fgg.), die meines wissens noch nie so vollständig zusammengestellt wor-
den sind, und den nachweis, dass die südlichsten derselben trotz Nennius § 14 durch
Canedag und seine söhne nicht vertrieben worden sind (s. 93), ein für die Ogham-
ioschriften in Südwales wichtiges resultat Femer die Vermutung, dass der erweiterte
Servius-kommentar zu Virgil aus Irland stamme (s. 238 fgg.). Für verunglückt halte
ich dagegen die parabase über den Irenapostel Patrick (s. 146 fgg.), für ebenso ver-
unglückt wie Zimmers artikel in der Ztschr. f. d. a. 35 , 1 fgg. , auf den er sich stützt
Da er mit einer gewissen verliebe immer wider darauf zurückkommt, möchte ich die
gelegenheit nicht vorübergehen lassen, einmal entschiedenen Widerspruch gegen seine
au&tellungen einzulegend Seine those ist: Patricius, den das Irland des mittelalters
und der neuzeit als seinen hauptapostel verehrt, war in Wirklichkeit ein wenig bedeu-
tender britüscher priester Sucat, der, vom heil. Gormanus von Auxerre gesant, dem
Pelagianismus der bereits bekehrten Iren entgegentrat, dann namentlich gegen
den Volksaberglauben ankämpfte und zwischen 457 und 461 als erster bischof in dem
von ihm zum bischo&sitz erhobenen Armagh starb, ohne dass er in 'der nächsten
folgezeit über seine diöcese hinaus einen besonderen ruf genossen hätte. Durch eine
lange reihe bewusster fälschungen, die namentlich vom 8. bis 11. Jahrhundert von
Armagh ausgiengen, wurde der mann, dem man durch eine Verwechslung den namen
Patricius beilegte, zu seiner späteren berühmtheit hinaufgeschwindelt. — Oewiss eine
sensationelle enthüUung!
Nun wird man zwar ohne weiteres zugestehn, dass die ältesten aufzeichnun-
gen über Patricius viel legendarisches enthalten ; auch dass er niemals in Rom gewe-
sen, ergibt sich jetzt, wo die ältesten quellen durch den di-uck zugänglich sind, als
sehr wahrscheinlich. Dass ferner manche äbte und bischöfe von Armagh nach kräf-
teo ihren einfluss zu erweitern strebten, erscheint, da sie ja menschen waren, recht
glaublich. Aber von da bis zu dem Zimmerschen Zerrbild ist noch ein sehr wei-
ter weg.
Seine beweise. Prosper meldet in seiner chronik zum jähre 431: Ad Scottoa
in Christitm eredentes ordinatus a papa Caelestino Palladiua primus episcopus mit-
iitur. Also — schliesst Zimmer — die Iren waren damals bereits Christen, und Palla-
dios wird ähnliche zwecke verfolgt haben, wie Germanus von Auxerre auf seiner
429 unternommenen reise nach Britannien, nämlich die Unterdrückung der pelagia-
nischen ketzerei; der Britte Sucat (= Patricius), den auch die spätere legende mit
Oermanus verbindet, ist demnach offenbar zu demselben zwecke nach Irland entsant
worden, um Ordnung in der schon bestehenden kirche zu schaffen, nicht um Irland
zu bekehren. — Sonst pflegt man zugleich mit der notiz aus Prospei*s chronik eine
zTweite, sie ergänzende stelle anzuführen, die Zimmer, ich weiss nicht weshalb, bei
Seite Iftsst Sie steht in dem um 435 von Prosper verfassten Liber contra collato-
rem kap. 21 und sagt von dem vener abilis memoriae pontifex Caelestinus aus: Nee
vero aegniore cura ab hoc eodem morbo (dem Pelagianismus) Brttannicts liberavii,
1) Weni^tens soweit sie Patrick betroffen. Die abenteuerliche hypothese, dass
tuaüia FSne (eine alte, halb poetische bezeichnung der Iren) eigentlich die nor-
dischen Vikinger bezeichnet habe, verlangt wol keine specielle Widerlegung.
106 THURNBYSElf
qiiando quosdam inimieos gratiaej solutn suae originis oeeupatUes, etiam ab ülo
secreto exclusU oceantf et ordinaio Scotts episcopo, dum Romanam insuiam stu-
dei servare Catholicam, fecit eiiam barbaram Christ ianam. Mir scheint, da steht
etwas von heidenmission und Irlands Christianisierung in der ersten hälfte des 5. Jahr-
hunderts, und Muirchu maccu Machtheni hätte eigentlich Zimmers tadel (s. 149) nicht
▼erdient, wenn er jene notiz des Prosper umgestaltet zu: Palladius ordinaius et
missHS ftierat ad fiane insolam sub brumali rigore positam eonvertendam , mag
immerhin als motiv für die sendung mitgewirkt haben, dass man die eben dem Chri-
stentum sich erschlicssende inscl nicht den Pelagianern in die bände fallen lassen
wollte.
Das ist, was man in Rom von den anfangen des Christentums in Irland wnsste.
Als man aber auf dieser insel selbst im 7. Jahrhundert daten und materialien zur
geschichto der irischen kirche zu sammeln begann, strömte zwar eine reiche fülle
von notizen und angaben über den brittischcn Irenbekehrer Patricius zusammen,
glaubwürdige und unglaubwürdige; aber von Palladius, den man doch aus Prosper
kannte, keine spur und kein wort. Das geht deutlich aus der art und weise hervor,
wie die biographen des I'atricius im 7. Jahrhundert, Muirchu maccu Machtheni und
Tirechan, sich mit Palladius abfinden. Der erstero lässt seine mission scheitern:
Nam neque hi feri et inmites Iwmines facile receperunt doctrinam ejus, neque et
fpse voluit fransigere tcntpus in terra non sua\ sed rerersas ad eum qui mtsit
illum. Auf der heimreise stirbt er aber in Britonum finibus^. Anders Tirochin
(ebend. s. 332): Paladius episcoptts [a Celestino] primo mittitur, qtii Patricius
alio nomine appcllabatur; qui martyriiim passus est apud Scottos, ut tradunt
sancti antiqui. Deinde Patricius secundus . . . mittitur, cui Hibertna tota credi'
dit, qui et eam pene totam baptixarit. Also Palladius wird mit dem legendarischen
„Alt- Patrick** (Sen-Phatric) identificiort, der in Irland den märtyrertod erlitten
haben sollte'. Dass dies keine böswilligen fälscliungen sind, sondern einfach naive
versuche, den mangel an nachrichten über den verschollenen Palladius zu orkläreD,
wird jodermann zugeben. Also das christliche Irland dos 7. Jahrhunderts weiss nichts
von Palladius, aber sehr viel vom heil. Patricius, dem es seine bekehrung zuschreibt
Aber ^Bcda, mit der irischen kirchcngeschichte wolvertraut, kennt Patrick in
der Eist. eccl. absolut nicht**; das ist Zimmers hauptargumcnt (s. 148). Von den
anfangen des Christentums in Irland ist aber Beda überhaupt nichts bekannt als die
notiz in Prospers chronik, die er jedesmal wörtlich anführt, wenn er darauf zu
sprechen kommt (Eist. eccl. 1, 13 und 5, 24; Chronic on unter TJieodosius mtnor);
irische berichte lagen ihm also keine vor. Auch später erwähnt er nur solche
Iren, die auf der englischen insel geweilt haben, wie den Pictcnapostel Columba und
seinen nach folger Adamnan oder die geistlichen, die bei den nordhumbrischen Angeln
tätig waren. Von der inneren geschichto der irischen kirche bringt er nichts als bei
gelegeuheit des Streites um die osterborechuung die angäbe, dass die Süd - Iren yam-
dudum ostem nach römischer art berechnet hätten (Eist. eccl. 3, 3), aber nichts
von all den irischen heiligen, von den grossen klostergiiindungen in Irland usw.
Wenn er also „mit der irischen kirchengoschichte wolvertraut** war, so scheint er
von seinen kenntnisson keinen gebrauch gemacht zu haben.
1) Stokes, The^Tripartite Life of Patrick (Rer. Britann.med. aev, serip-
tores), s. 272.
2) Vgl d'Arbois de Jubainviüe, Rcv. Gelt. 9, 111 fg.
ÜBER ZIMMBR, NENNIÜS YINDICATÜS 107
Diesem arffumerUutn ex aüetUio steht gegenüber, dass die Iren selber seit
dem 6. Jahrhundert, wo sich nur eine gelegenheit findet, den Patricius nennen und
zwar als ihren anerkannten Schutzpatron und heiligen ^ Dass der primat der „nach-
folger Patricii^, wie sich die äbte und bischöfe von Armagh betiteln , von Iren jemals
bestritten worden, kann ich nicht entdecken*. Hat es also zur zeit, als Patrick
nach Irland kam, dort schon einige Christen gegeben, so hat jedesfalls seine mächtige
persönlichkeit und seine wirkungsvolle tätigkeit alles frühere in schatten gestellt und
dem gedächtniss entschwinden lassen.
Der irische name Patric (Pairaicc) ist einfach lat. Patricius mit weggelas-
sener endung, also — sagt Zimmer — „nur gelehrtenfabrikat des 7. Jahrhunderts. '^
Dass heiligennamcn die lateinische form beibehalten, pflegt sonst nicht gegen ihr alter
zu sprechen; ist es nötig, an Bonifaz zu erinnern? Zum überfluss kennen wir aber
wirklich eine volkstümlichere irische form, das gut bezeugte Cothrige Cothraige*
aus älterem *Qwathriche, das so regelrecht wie denkbar lat. Patricius widergibi
Auch Zimmers zweifei an der echtheit der Confessio S. Patricii (Zs. f. d. a. 35,
79 A.) überschreitet meines erachtens die gi*enzen des berechtigten skepticismus und
hat keinen andern grund als seine vorgefasste meinung. Pflugk-Hai*tungs ähnliche
versuche (Heidelberger jahrbb. HI, 71 fgg.) zeigen nur von neuem, wie schwer es
hält, innere gründe für diese imechthoitstheorie aufzutreiben.
Es hätte keinen wert im einzelnen zu verfolgen, wie Zimmer nun in jeder
legende, sobald sie Patricius und Armagh günstig ist, „aus habsucht und herrsch-
sucht entstandene lügen <^ sieht. Aber die hauptstelle (Ztschr. f. d. a. 35, 75 fgg.),
auf die er sich auch jetzt wider (s. 149 fg.) beruft, darf ich nicht übergehen. Sie
handelt von der lex Patricii.
Von den verschiedenen durch die irische geistlich keit erlassenen leges (ir. cdin)
hat im Zusammenhang Petrie, Antiquities of Tara Hill s. 171 fgg., gesprochen.
Über ihren inhalt meldet eine glosse zum 24. September des Iheiligenkalenders, der
Oengus zugeschrieben wird, folgendos: „Das sind die vier cdin Irlands: 1. die cdin
Patricks, keine geistlichen zu töten; 2. die cdin von Dari Caillech, keine kühe zu töten;
3. die cdmAdamnans, die frauen nicht zu töten; 4. die cdin des sonntags, am Sonn-
tag nicht zu übertreten."* Die letztgenannte cdin kommt für uns nicht in betracht,
da sie erst ende des 9. Jahrhunderts auftritt.
Unter den übrigen „gesetzen*^ ist das älteste die cdifi Ädamndin oder lex
innoeentium, das nach der einen nachricht die frauen von der pflicht des kriegs-
dienstes befreite, nach der andern das töten von frauen und kindem im kriege ver-
hindern sollte. Adamnan, der nachfolger Columbas als abt von Hi (Jona), brachte
es in den 90er jähren des 7. Jahrhunderts in Irland zur geltung (das datum schwankt
zwischen 693 und 697). Als seine reliquien im jähre 727 nach Irland übergeführt
wurden, wurde das gesetz erneuert. Dies scheint der lex Patricii gerufen zu haben,
welche das erschlagen von geistlichen (clerici) in den nimmer ruhenden raub-
1) Die Zeugnisse bei Stokes, a. a. o. s. CXlV.
2) Selbst in dem verhältnismässig unabhängigen Süden, in Munster, begrün-
dete man den anspruch der fürsten von Cashel auf die königswürde über ganz Irland
mit einer Weissagung von Patricks Schutzengel Victor (Leabhar na g-Ceart, ed.
0*Donovan, s. 30).
3) S. Stokes a. a. 0. , Index s. 601 ; von Tirechdn in Cothirthiacus latinisiert
(ebend. 302).
4) S. Potrie, a. a. o.; Stokes, Calendar of Oengus, s. CXLVHI.
108 THÜRNETSEN
Zügen und kriegen verbot. üioUlsterannalen berichten a. 733: Commotafio marti-
rtitn Petir ocus Phoil oeiis Phatraicn ad legem perficiendam , was Zimmer wol mit
recht auf die lex Patricn bezieht. Also reliquien von Petrus, Paulus und Patricias
wurden „comniutiert**, um die lex perfekt zu machen; d. h. vermutlich: sie wurden
von ihren bisherigen Standorten entfernt und irgendwie mit der lex verbanden
(daher wol der namo lexPntricii)^ die von da an als wertvollstes besitztum Annaghs
erscheint und von jedem flür»htonden abt mitgenommen wird^ Den erfolg lehren die
Ulsterannalon a. 736': lex Patricii tenuit Hiiemiam. Gewi.ss ist das ein zcugniss
für die macht der geistlichkoit und auch für die bodeutung Annaghs in jener zeit;
al)er unberechtigte übergriffe Armaghs gegen andere diöcesen gehen daraus nicht her-
vor, da das gesctz natürlich alle geistlichen Irlands schützen sollte. Freilich mag es
bald eingeschlafen sein. .\ber in der zweiten hälfte dos 8. Jahrhunderts und am
anfang des 9. hören die oft orfolgreichen bemühungcn der bischöfe und äbte von
Armagh nicht auf, dieser lex bei den irischen fürstcn und ihren Untertanen geltung
zu vorschaffen. Man vergleiche die datcn der Ulsterannalen: a. 766 lex Patrieii
(also emeuorung des gesotzos); a. 782 Promulgation der edin Patrieii in Cruachoi
(Connaught) durch Dubdalcthe { bisch of von Armagh) und Tipraite mac Taidg (füist
von Connaught); a. 798 lex Patrieii über nonnaught durch Gormgal mac Dindataig
(abt von Armagh); a. 80.5 lex Patrieii durch Aedh mac Neill (oberkönig von Irland)
— vermutlich ein letzter erfolg Gormgals, der in diesem jähre starb — ; a. 822 lex
Patrieii über Munster durch Feidlimid mac Cremtainn (fürst von Munster) und Artri
mac Concobair, bischof von Armagh; a. 824 lex Patrieii über die drei (provinzea
von) Connaught durch (denselben) Artri mac (Uoncobair. Inzwischen war ein zweitos
Schongesetz aufgekommen, das verbot, „die kühe zu toten", d.h. die rinder, die man
bei den raubzügen nicht wegtreiben konnte, hinzuschlachten, was vermutlich öfters
hungei-snot erzeugt hatte. Das ist die lex Darii. Sie wird für Connaught zuerst
erwähnt a. 811 (d. i. 812) und widerholt a. 82.'); die Ui -Neill nahmen sie an a. 812*.
Alle diese gesetze, die man völkcrreohtliche nennen möchte, sind dann natürlich in
den folgenden Wikinger -wirren untergegangen.
Wir hal>en oben angenommen, dass jene glosso den inhalt der lex Patrieii
richtig fingebe. Und man wird zugestehen, dass ein gesctz zum schütze der geist-
lichen im kriegf sich trefTlich cinrcilit zwischen oim^s zum schütze der frauen und
eines zum schütze dos viohstandos. Freilich gab os aucli andere deutungen des aas-
drucks rdin Patrairc^ die — äusserlich betrachtet — auf derselben stufe stehen wie
jene notiz, indem ja wol alle diese angaben aus einer zeit stammen, wo die wirk-
liche lex Patrieii verloren und halb verschollen war. So steht in der vorrode des
grossen gesetzbuches Senrhas mor^ dieses selber sei die edin Patraic^. Das gesetz-
buch lAihar Aiele beruft sich in der abhandlung über pfander dreimal auf die edin
1) Vgl. Ulsterann. a. 810: Nuadha, abt von Armagh, migrarit nach Connaagfat
eum lege Patrieii et eum armario ejus; a. 834: Dermait (abgesetzter abt von Ar-
magh) gieng nach Connaught eum lege et vexillis Patrieii, — Im Chronicon 8co-
torum lautet der schluss der ersten notiz (hier a. 811): eum lege Patrieii et eon-a-
edin („mit seiner edin*^)^ als ob lex und edin zweierlei wären; das ist offenbar ein
versehen dieser späteren quelle.
2) Die Ulsterannalen datieren in der regel um ein jähr zu früh, was auch
für die folgenden daten gilt
3) A. 813 wird noch eine lex Quiarani erwähnt, von deren inhalt wir nichts
I*
^^ ' ' Lawb and Institates of Ireland I, 18.
ÜBER ZIMMEB, NENMT78 VIN1>1GäTUS 109
Patraie (a. a. o. UI, s. 150. 323. 325); ich finde im Sencfias m6r I, 276 fgg. wol
ähnliches, aber nichts genau entsprechendes. Über die entsteh iing§zeit des grund-
stockes des Senchas steht noch sehr wenig fest*. Dass es wirklich die lex Patricii
der alten annalen sei, ist schon darum unwahrscheinlich, weil man nicht begriffe,
welch gros.sos Interesse die bischof - äbte von Armagh an seiner annähme gehabt haben
sollten, und weshalb ein gesetz solchen inhalts alle paar jähre hätte aufgefrischt wer-
den müssen'.
Hennessy, der herausgeber der ülsterannalen , nennt s. 234 anm. 1 die lex
Patricii ein „System of collecting tribtäe^' und verweist dabei auf eine stelle in
einer schrift von Reeves, die mir nicht vorliegt. Zimmer (Zs. f. d. a. 35, 75) nimmt an,
die lex habe „neben anderm auch die anspräche Armaghs auf den primat und sein
recht auf erhebung von kirchensteuem enthalten", ja sie sei der liber angeli des
buches von Armagh, in dem alle die ansprüche vorkommen, welche die bischof -
abte von Armagh auf grund ihras primates erhoben (s. 79 anm.). "Worauf er sich
aber bei dieser annähme stützt, weiss ich nicht zu sagen, da er sie nicht begründet
hat*. So sind ihm mm alle oben augeführten daten Zeugnisse für einen hundertjäh-
rigen kämpf Armaghs um den Primat. Wir können ihm auf diesem wege nicht
folgen.
Also bleibt es vorläufig dabei, dass Patricius, seit wir überhaupt Zeugnisse
aus Irland besitzen, als der bekehrer und patron der Iren galt, und dass der primat
seiner nachfolger niemals angezweifelt wurde, wenn man sich auch natürlich den
praktischen konsequenzen , die die bischöfe und äbte von Armagh daraus zogen , nicht
immer ohne weiteres gefügt haben wird. Das bat aber mit der anerkennimg des
primates ebensowenig zu tun wie auf dem festlande der widerstand gegen die
ansprüche der nachfolger Petri.
Zimmers Nennius hat als anhang (s. 291 fgg.) einen abschnitt „Über die His-
pericaFamina und andere Süd westbrittannische denkmäler des 6. Jahrhunderts.'' Er
handelt von dem keltischen kunstlatein der Hisperica Famina, des Luxemburger
fragments, des sogenannten hymnus loricae und des alphabetischen gedichts, dasBeth-
man in der Ztschr. f. d. a. 5, 207 fgg. und Stowasser in seinen Stolones latini (Wien
1889) herausgegeben haben. Da ich in diesem abschnitt widerholt mit entschiedener
missbilligung citiert werde (s. 292. 299. 311*), mich aber imschuldig fühle, möge der
leser verzeihen, wenn ich noch mit ein paar werten darauf eingehe. Zimmer tadelt
mich vornehmlich darum, dass ich irrtümer Stowassers ungerügt gelassen habe.
Daraus geht hervor, dass wir das amt eines recensenten sehr verschieden auffassen.
Ich halte es natürlich nicht für meine pflicht, vor allem die fehler aufzusuchen und
wie ein schullehrer unter jeden lapsus einen roten strich mit ausrufungszeichen zu
setzen; sondern womöglich anzugeben, was in der anzuzeigenden schrift brauchbar
erscheint oder durch leichte korrektur brauchbar wird. Polemik scheint mir im all-
gemeinen nur da am platze, wo die fehler des Verfassers den falschen schein der
Wahrheit an sich tragen, also andere täuschen könnten. Dass dies nicht der fall ist,
1) Zimmers angaben (a. a. o. 35, 85 fgg.) beruhen auf seiner Wikingertheorie,
sind also wertlos. [Vgl. jetzt auch d'Arbois de Jubainville, Etudes sur le droit
celtique, I. Cours de litterature celtiqne, Tome VIL]
2) Vgl. auch Zimmer a. a. o. s. 87.
3) Jene stelle bei Keeves scheint nicht seine grundlage zu bilden, da er sie
nicht erwähnt.
HO THCRNETSEN
wenn jemand aus altbretonischen glossen auf schottischen uispning eines
schriftetückes schliesst (Zimmer s. 299), wird er mir zugeben, und dass ich nicht
dadurch zur billigung des resultats bewogen wurde, vielleicht glauben. Dass aber
das, wab ich selber ausgesprochen, so sehr irrig gewesen, davon haben mich Zim-
mers ausführungon nicht überzeugt
Nachdem Geyer und Stowasser im Archiv für lat. lexicographie an dem
latein der Hisp. Famina herumgerätselt hatten, sante ich die Archiv 3, 548 abge-
druckte notiz ein , dass durch die lateinischen und altbretonischen glossen des Lozem-
burgcr fragments das verständniss dieser spräche erschlossen werde. Sie wurde vor
dem druck durch Wölfflins Vermittlung Stowasser bekannt, der dann das fragment
neu abdruckte und bei seiner ausgäbe der Hisp. Fam. benützte. Ich glaabte damals,
einige der Luxemburger glossen bezögen sich direkt auf die erhaltenen Hisp. Farn.,
ein irrtum, den Stowasser verbessert hat. Dagegen schien und scheint mir sein von
Zimmer s. 298 gebilligter schluss unberechtigt, die Hisp. Fam. seien eine gekürzte
bearbeitung eines älteren werkes. Wahrscheinlicher ist mir immer noch, wie ich
Archiv 4, 341 ausgesprochen, dass in kap. 1 — 5 der Hisp. Fam. der alte grand-
stock erhalten ist, das muster sowol für die fortsetzer als für direkte nachahmer.
In jener notiz wies ich ferner darauf hin, dass diese latinität von Kelten herrühn
und sc^tzte mit rücksicht auf die altbretonischen glossen des Luxemburger fragments
hinzu: „vielleicht von einem bri tuschen Kelten*^ ; ähulich jetzt Zinuner. Diebedeu-
tung der glossen ist gewiss nicht zu unterschätzen; denn ein solches denkmal kann
nur entweder vom Verfasser selber oder von einem schüler, dem er es erklärte, so
richtig glossiert worden sein; das lehren ja die vergeblichen versuche neuerer, dieeei
latein ohne die glossen zu verstehn, deutlich genug. Aber die bedeutung der unter
die lateinischen gemischten altbretonischen glossen wird dadurch sehr verringert,
dass sie, wie ich obend. 3, 547 an der missverstandenen glosse zu samo nachwies, erst
aus lateinischen übersetzt sind. Sie zeugen also direkt nur für die bretonische her-
kunft dos Luxemburger blattes, nicht für die seiner vorläge, also auch nicht für die
der nalie vona^aiiton Hisperica Famina; darum schrieb ich „vielleicht*^. Als ioh
dann gelegentlich der anzeige der Stowasserscheu ausgäbe die ganzen Hisperica
Fam in a genauer durchsah, ergab sich, dass in der tat jener schein getrogen, dass
vielmehr — mit A. Mai und Stowasser — ein Scottus oder mehrere Seotti als Ver-
fasser anzunehmen seien (Archiv 4, 341). Das bestreitet Zimmer. Die entschei-
denden stellen sind die, wo scotiigenus vorkommt, seite 9, 23 und 10, 8 der Stowas-
serschen ausgäbe.
Dio Hisp. Fam. schildern das treiben einer christlichen latoinschule, die man
sich ^«wiss in einem klostor zu denken hat. Kap. 10 wird beschrieben, wie eine
mahlzcit bo reitet wird. Dann handelt es sich darum, wer fähig sei, die gelehrten
horrsohufton zum essen zu bitten (Quis tales posc€t possores?) Da sagt einer
(kap. 11): ,,Xim au^onica me subligat catcna^; ob hoc scottigenum haud cripi"
tumh euhtgium . . (folgt ein unklarer satz ; bedeutet amicUoa „ hunde*^ ?). Venutii
^xctMcnt* acculary parca^ amplccti stib numine aliinonias*^ usw. Ich verstehe:
„Die ausonische kette bindet mich zwar nicht (d. h. ich spreche kein gewähltes
latein*); darum knarre ich doch nicht irische rede (d. ich kann immerhin so viel
1) Stowasser und Zimmer fassen diesen satz als frage, was möglich, aber
nicht notwendig ist
.2) fjccuiant ms. und Stowasser.
3) Oder als frage: „Bin ich nicht ein guter lateiner?*^
ÜBER ZIMMER, NENNIÜS YINDICATUS 111
Latein sprühen , um zum essen einzuladen) . . . Mögen die gütigen hen*8chaften
gemhen, das karge mahl unter freiem himmel einzunehmen*^ usw. Zimmer fasst
scoHigenum eulogium ,, irische wolredenheit*^ als „latein, wie es die Iren sprechen*^;
der Terfasser blicke verächtlich auf dasselbe herab, sei also selber kein Ire.
Näher liegt die annähme, dass scottigenum eulogium nach art dieser latinisten ein-
fach für scottieum eloqutum gdsetzt ist. Darauf scheint mir auch die stelle in kap. 2
zu weisen, aus welcher der ausdruck ausonica catena entlehnt ist. Dort wandelt
die schaar der gelehrten prächtig einher, als plötzlich ein abscheulicher rüpel (eigent-
lich „drache*, horrendua chelidms) ihnen naht und spricht: Novello temporei gloha-
mtnis cyclo hispericum arripere tonui sceptrum; ob hoc rudern stemico logum ao
exiguus serpit per ora rivus. Quod si amplo temporalu aevi stadio ausonica
me aUigasset catena, sonoreus faminis per guttura popularet haustus ac inmen-
sits urbani tenaris manasset faitcihus iollus, d. h. „erst seit kurzem habe ich latein
zu lernen unternommen; deshalb ist meine rode rauh und fliesst kärglich. Hätte mich
die ausonische kette schon lange zeit gefesselt, so würde sie wolklingend und voll
hervorströmen.'^ Er wird nach einigem hin- und herraten als gewesener schafhirte
erkannt und ihm der rat erteilt, aufs land zu seiner mutter und zur alten beschäf-
tigong zurückzukehren (kap. 3). — Also auch hier steht der „ausonischen kette*^ die
Sprache der weniger gebildeten desselben landos, nicht eines ausländers gegenüber.
Die andere stelle findet sich in dem bericht über die genossene mahlzeit in
kap. 11, ende: Farriosas sennoaia niotibus corrosinius crustellas, quibus Uta scot-
tigeni pulularit conditura olei „mit zahnbewegungen zernagten wir die mehligen
kuchen (die brote), denen die aufgestrichene brühe irischen Öles entquoll.*^ Zimmer
meint, die Hisp. Fam. seien in einem brittischen kloster, das auch irische mönche
enthalten habe, verfassi „Dass einzelne irische confratres das einheimische öl gele-
gentlich rühmten, ist doch auch ganz gut denkbar*^ (s. 294); und er sieht in der
er wähnung dos irischen Öles einen — mir in diesem Zusammenhang unverständ-
lichen — spott brittischer mönche. Das sind aber doch nur ausfluchte; die werte
weisen eben auch nach seinem gefühle auf einen Iren , sagen wir doch geradezu nach
Irland. Dass übrigens scottigenum oleum wirkliches öl bedeute, halte ich für aus-
geschlossen; es verstösst gegen die grundsätze dieser latinisten, öl „öl*^ zu nennen.
Ob damit butter oder dickmilch oder sonst etwas gemeint sei, was man aufs brot
streichen kann, lasse ich gerne dahingestellt
8towasser hat Archiv 3, 168 nachgewiesen, dass sich kap. 5 der Hisp. Fam.
ans Charisius erklären lasse. Zimmer macht wahrscheinlich, dass das recept für
diese ganze latinität bei Martianus Capella zu suchen sei (s. 330 fgg.)' Aber dem
umstand, dass uns keine in Irland geschriebene handschrift des OapeUa erhalten ist,
ein argument gegen den irischen Ursprung der Hisp. Fam. zu entnehmen, halte ich
für zu kühn. Zum mindesten der abschnitt kap. 6 — 13, vermuüich aber das ganze
stammt aus Irland. Gerade die vielfältige berührung irischer und bretonischer
mönche macht begreiflich, wie glossen dieser litteratur ins bretonische übersetzt wer-
den konnten. —
Der Hymnus loricae sodann ist bis jetzt nach 4 hss. veröffentlicht; erstlich
mehrfach nach hs. K, einer Kölner hs. des 9. Jahrhunderts, zuletzt nach neuer kol-
lation von Zimmer s. 337 fgg.; femer nach hs. 0, einer Cambridger hs. (BibL Publ.
Cantab. LL 1. 10 fol. 43), die der ersten hälfte des 9. jahrh. anzugehören scheint \
1) S. Sweet, Oldest English Texts, s. 171. Auf die beiden englischen
handschriften , die Zimmer entgangen sind, hat mich Stokes aufmerksam gemacht
112 THÜRNEYSRN
nebst den altonglischcn gloBsen abgedruckt beiCockaync, Leechdoms otc. of early
England I, LXVI fgg.; ebenda die Varianten der (daraus kopierten?) hs. H (Brit
mus., Harl. 585 fol. 152); endlich nach hs. B, dem irischen Lebor Brecc (14. jahrh.),
nebst den irischen glossen bei Stokes, Irish Glosses s. 133 fgg. Die Unterschrift in
E lautet: Explicii hyrnnus quem Lathacan scotigena fecit; die Überschrift in C:
Hanc luricam Loding cantavit ter in omne die; dagegen in B: OiUus hanc lori^
cmn fecit ad dcmones expellendos eos qui adversarenrnt Uli. Perpfenit] angelus
ad illum et dixit Uli angelus: Si quis homo frequentatferit illam, addetur ei
secfiäum] aeptimm annis usw. Ijaidcend mae Büithbamiaig renit ab eo in inso-
lam Hiherniam y trajistulit et partavit super altare safieti PcUrieii episeopi. SaflJ»
V08 nos facere. Amen. Dieser Oillus ist Gildas sapiens (f um 570), Laideettn
(Ijaidgenn) mae Baith - Bannaig ein bekannter irischer kleriker, der am 12. janoar
661 gestorben ist (Zimmer s. 302); gewiss ist er auch mit Lathctcnn und Ijoding der
andern hss. gemeint Unter diesen naohrichten schenkt nun Zimmer der letzten, in
der jüngsten hs. enthaltenen glauben, und zwar deshalb, weil es im Hymnus vers 5 fg.
hcLSst: ut fian seciim trahat me mortalitas \ hujua anni neque mundi vaniias.
Eine der grossen mortalitaies , die Irland a. 664 und 683/684 verheerten, habe Laid-
cenn nicht erlebt, wol aber Gildas das „grosse sterben'' in Britannien a. 547; also
sei dieser wirklich der Verfasser. Dass Laidcenn nicht ah eo (von Gildas) nach Irland
kommen konnte, indem er ein Jahrhundert später gelebt hat, stört Zimmer nicht; er
beseitigt es durch conjectur {inrentam ah eo, s. 305). Aber muss denn die mor-
talitas gleich eine solche gewesen sein, die ganze länder verheerte? Die vorrede
des Lebor Brecc trägt so deutlich den Stempel junger erfindung, indem sie den Hym-
nus so heilig und wirksam als möglich erscheinen lassen möchte, dass die grössere
glaubwürdigkeit der kürzeren und älteren notizen mir nicht zweifelhaft ist Demnach
hat der Ire Laidcenn im 7. Jahrhundert die lorica gedichtet
Dagegen das alphabetische gedieht von St Omer, indem jede Strophe,
so weit tunlich, mit einem griechischen werte beginnt, wird brittischen Ursprungs
sein nicht nur wegen dor brittischen glossen , die ja gleichfalls übersetzt sein könnten,
sondern namentlich auch wegen dos metrums; vgl. meine anzeige Archiv 6, 593,
auch Rev. Colt 11, 86 fgg.
Nacrh Zimmer sind dagegen alle diese werke um die wende des 5. zum 6. jh.
aus der berühmten schule lltuts in Llanilltyd fawr (Glamorgan) hervorgegangen, als
dessen bedeutendster schüler eben Gildas erscheint. Dass eine nahe verwantschaft
diese spätlateinischen produkte verbindet, verkenne ich nicht; aber dass man sie zeit-
lich und örtlich so eng l>esch ranken dürfe oder gar müsse, halte ich für unerwiesen
und unwahrscheinlich. Man vergleiche etwa des Iren Muirchu maccu Machtheni im
7. Jahrhundert geschriebene vorrede zu Patricks leben (Stokes, a. a. o. s. 269) oder
die angeblichen verse des Nennius (Sau-Marte s. 22), die, mögen sie echt oder
unecht sein, ja sicher viel später als das 6. Jahrhundert fallen; ist es nicht Cut
genau dieselbe technik und derselbe geschmack, wie sie bei Gildas oder in den oben
besprochenen werken hervortreten? Die ähnlichen „kunstwerke*^ in irischer Sprache,
die mich in erster linie zur beschäftigung mit dieser an sich unerquicklichen litteratar
geführt haben, hängen meines erachtens aufs engste mit den lateinischen zusammen
und setzen gleichfalls eine lange dauor dieser geschmacksrichtung voraus. Der schluss-
abschnitt Zimmers hat mich also nichts weniger als überzeugt
[Korrekturnote. Inzwischen ist Mommscus ausgäbe der Historia Britto-
num ezBdiienen (Monumenta Germaniae Historica, Aactorum antiquisai-
ÜBER ZIIOISB, NBNNIÜS VINDIOATÜS 113
mornm t XUI p. I, Chronica minora UI, 1). Sie scheint mir die obigen auf-
stellungon, von kleinigkeiten abgesehen, nur zu bestätigen, wenn auch Mommsen sel-
ber in der Schätzung der irischen bearbeitung der ansieht Zimmers folgt Insbeson-
dere zeigt Mommsen s. 168, dass Isidors Chronica in der tat benutzt sind, und zwar
schon in der Harleianrecension § 29; diese ist also sicher von Nennius verfasst (s. oben
s. 95). Femer ergibt sich, dass die hss. DE (Mommsens PQ) und ihre verwandten
aufs engste zur gekürzten recension gehören (oben s. 103), nicht nur in bezug
auf die kürzung, sondei-n auch auf die textgestalt; sie stellen also des Nennius
^definitive ausgäbe*^ ohne die secundären zusätze dar.]
PREIBÜBO I. B. B. THÜBNBT8XN.
Herders persönlichkeit in seiner Weltanschauung. Ein beitrag zur begrün-
dung der biologie des geistes. Von dr. Eagen Ktthnemann. Berlin, F. Dümm-
1er. 1893. XVI und 269 s. 5 m.
Nachdem die Herderforschung lange im interesse der litterarhistoriker in den
hintergrund getreten war, hat sie in den beiden lezten dccennien einen höchst erfreu-
lichen aufschwung genommen. 1871 schrieb der pfarrer A. Werner sein durch freie
auiTassnng und anziehende darstellung ausgezeichnetes buch „Herder als theologe^;
1877 begann das nun nahezu vollendete monumental werk der kritischen gesamtaus-
gabe von Suphan; die 80er jähre brachten uns endlich in der umfangreichen mono-
graphie Hayms eine musterleistung emsigen bienenfleisses, tiefeindringenden Ver-
ständnisses und sichern urtoiles. Durch diese bedeutenden arbeiten ist das vorhandene
material ausgeschöpft und zukünftigen Herder- Studien eine feste grundlage gegeben.
Wenn nun eine neue dai'stellung von Herders geistesentwicklung neben die erwähn-
ten werke tritt, so wird sie zunächst durch erschliessung neuer quellen oder durch
einführung neuer gesichtspunkte ihre daseinsberochtigung zu erweisen haben.
Unter den jungem kräften , die sich neuerdings der eiforschung Herders zugewant
haben , begegnet der name des Verfassers nicht zum ersten male. Schon früher hat er
in Kürschners Deutscher national - litteratur die Humanitätsbriefe (band 77, IT) und die
Ideen (77, I) herausgegeben und mit sehr eingehenden einleitungen begleitet; ausserdem
enthalten die Michael Bemays gewidmeten „Studien zur litteraturgeschichte*^ (Hamburg
und Leipzig 1893) auf s. 135 — 155 von ihm eine abhandlung „Herders lezter kämpf
gegen Eani*^ Lassen sich diese Publikationen als Vorstudien zum zweiten buche des
Torliegenden Werkes fassen , so erfahren wir aus der kurzen Vorbemerkung weiter, dass
das erste buch von der philosophischen fakultät der Universität Berlin mit einem
preise gekrönt ist Diesen Vorläufern und der mehrjährigen Versenkung in Herders
philosophische Schriften verdankt das vorliegende buch augenscheinlich die ungemeine
knappheit der darstellung, durch die es möglich wurde, auf weniger als 250 Seiten
den gesamten philosophischen entwicklungsgang Herders darzulegen und kritisch zu
beleuchten. Oleichwol ist es von den frühem arbeiten des Verfassers durchaus ver-
schieden: jene wollen die einzelnen Schriften Herders möglichst erschöpfend in ihrer
Innern struktur erklären, aus den psychischen motiven des denkers ableiten und
danach die Stellung jeder schrift in der geschichte Herders wie der Wissenschaft
bestimmen ; dagegen ist hier das interesse durchaus der gesamtrichtung und -entvnck-
Inng Herders zugewandt, und von den einzelnen werken wird nur dasjenige in betracht
gezogen, was für die orkenntnis dieser gesamtentwicklung wichtig ist.
ZmSCUBIFT F. DKUTSCHK PHILOLOOIE. BD. XXVUI. 8
114 MKTER
Damit ist zum teil schon angedeutet, was den Inhalt und wert des buches
ausmacht Unbekanntes material ist darin nirgends mitgeteilt oder verarbeitet Wer
also den wert oines buches nur nach dem stofflich neuen, das es enthält, abwägt,
der kann es getrost ungelesen lassen; er wird weder neuen funden noch tatsächlichen
berichtigungcn begegnen. Wer aber sinn hat für eine eigenartige und urperBönliche
ait, die dinge zu sehen, der wird das buch nicht ohne reichen genuss und tiefgebende
anregung aas der hand logen. Allerdings mühelos wird dieser genuss nicht sein,
zumal für leser, die dem Verfasser zum ersten male begegnen. Vielleicht wer-
den solche gut tun, sich zunächst durch die erwähnten frühem Schriften, die
leichter verständlich sind, mit der art des Verfassers vertraut zu machon, um
dann aus dem jezt vorliegenden abschliessenden werke den vollen gewinn ziehen zu
köimon.
£s kann hier nicht meine aufgäbe sein, ein ondgiltiges urteil zu flKllen oder
gar einzolhciten herauszugreifen und zu kritisieren; vielmehr will ich nur versuchen
in kurzem zu zeigen, worin das eigentümliche der methodc des Verfassers besteht und
welcher gewinn der Wissenschaft aus ihr erwaclisen kann.
Über sein Verhältnis zu Haym, das uns zunächst interessiert, äussert sich
der Verfasser selbst in einer anmerkung auf s. 35 fg.: ^Ilaym bespricht bei den ein-
zelnen werken die gcdaukon, weist die abhängigkeit dieser von anderen denkem im
einzelnen nach, bemerkt die keime späterer arbeiten Hei-ders und berührt endlich den
Zusammenhang der gedankeu mit Herders lobciisstolluug und sonstigen beschäftigun-
gen. Er ist beschreibender anatom, für den jeder kürpcr etwas abgeschlossenes, fer-
tiges, seiendes ist, der also die entwicklungsgosclüchte nur insofern mit vertritt, als
die einzeln präparierten stü(;ko sich als glieder einer entwicklungsreihe aufweisen las-
sen. Mir kommt es darauf an, dio treibenden motive in den arbeiten Herders
zu erkennen, danach die gedanken im Verhältnis zu seinem gesamtlebcnsgefühl zu
begreifen, zu begreifen, wie er das einzelne im ganzen seines lebensbaues fühlt, die
ganze gedanken hildung also auf die ursprünglichen lebensrichtungen seiner Persön-
lichkeit zurückzuführen und so das immer feste, den gedanken, als ein ewig flies-
sendes, nämlich als ein dement psychologischer entwicklung zu erweisen. Ich treibe
also diese arbeit als psych olog, oder, um den vergleich zu ende zu führen, als
biolog. "
Weiter entwickelt und bogründet wird diese betrachtungsweise in der kurzen
einleitung (s. 1 — 3). Auch die angeblich rein objektive forschung scheint im zusam-
menhange zu stehen mit dem ethischen lebensideale einer zeit. Die ethische gnind-
überzeugung der modernen weit ist die von dem unendlichen und einzigen werte des
Individuums. Daraus ergibt sich für die Wissenschaft die fordorung, in allen geistee-
erzeugnissen die persönlichkeit des erzeugei's zu fas.sen, sie als erleben der individuel-
len seelc zu vorstehen. Sind jene aber lebendige gebuiten einer lebendigen seele, so
ist es nicht genug und unstatthaft, in ihnen nur die einzelnen gedanken und züge zu
untersuchen und sie danach in zusammenhänge zu ordnen; sie müssen vielmehr als
Organismen eben aus ihrer psychologischen entstohung erklärt werden. Ja, die ganze
Weltanschauung des denkers muss vei'stunden werden aus den Innern motiven, die sie
aus seiner socio hervorti'eiben, aus der oigonart seines geistigen erlebons. Mit der
durchgeführten psychologisdion aualyso der HordtM-schon philosophie ist aber zugleich
ihre kritik gegeben, indem sich zeigt, inwieweit die seelenvorgjinge des denkers zu
reiner entwicklung hinstrebeu, inwieweit die art seines deukens zur erzeugung der
wisseiiBchalt tauglich ist
ÜBER KÜHNEliANN, HEBDIR 115
Wir wollen nnn sehen, wieweit der Verfasser den so formulierten forderungen
genügt hat, indem wir mit flüchtigem blicke den inhalt des buches durchmustern.
Das erste buch verfolgt die „entwicklung der geschichtsphilosophie und Welt-
anschauung Herders^ von 1767 — 1784 und zerfallt in zwei kapitel: 1. entstehung und
ausbreitung der grundanscbauungon (1767 — 1770); 2. religiöse begründung der Welt-
anschauung Herders (bis 1784). Schon der erste abschnitt, die besprechung der Frag-
mente, zeigt das verfahren des Verfassers. Er lässt den ganzen bunten reichtum
des Werkes zur seite liegen und greift nur ein stück als eigentümlich Herderisch
heraus, den roman „Von den lebensaltern einer spräche'^, um daran Herders grund-
anschauung von der spräche festzulegen, ihm sein Verhältnis zu Hamann, Winckel-
mann und Kant zu bestimmen und endlich die art, wie sich Herders anschauungen
bilden, zu untersuchen. Als urphänomen wird die ästhetische feinfühligkeit
gefunden, „welche das Sprachkunstwerk als ein ganzes in dem tone, in der eigenart
seiner empfindung begreift, darum den seelenzustand des dichters, des volkes in ihm
deutet und so aus dem ästhetischen genusse heraus in psychologischer betrachtung
dichter, Völker, zeiten verstehen lernt. *^ Aber diese anschauung, im innersten erle-
ben wurzelnd, will nun wider ins leben hinüberströmen; sie strebt fort zu pädago-
gischer Wirkung in einer reform der deutschen dichtung, und sogleich offenbart sie
ihre schwäche: den man gel an abgrenzung und an einem einheitlich belebenden
mittelpunkte, an einem bestirnten ideal, das ihr als ziel der entwicklung vorschwebt
— Unter ganz denselben gesichtspunkten , wie die spräche, sucht Herder an der
band der Hebräer die religion als ausdruck nationaler kultur zu erfassen.
Die folgenden werke zeigen die fortschreitende ausbreitung der grundanschau-
ongen. In der Archäologie des morgenlandes erweitert sich Herders ansieht von
der poesie zu einer lebensanschauung: „Die ursprünglichen leidenschaften verflüch-
tigen sich in gemachter kunst.*^ Indem er die mosaische Urkunde als gedieht, aus der
naturempfindung des morgenlandes heraus, deutet, befreit er sich von den dogma-
tischen schranken; derselbe sinn, der die eigenart der alten dichtung versteht, tritt
für das eigenrecht modemer denkweise und wissenschaftlicher forscbung ein. Aber
das wort „natur*^, mit dem Herder die werke der griechischen kunst, wie der
hebräischen litteratur bezeichnet, verleiht dieser dichtung einen heiligen glänz, „einen
Schimmer von Jugend, von glück und fülle, von goldener zeif^; es drückt sein ver-
langen nach ursprünglichem leben aus, es trägt seine Stimmung des menschlichen in
sie hinein.
Das Vierte kritische Wäldchen versucht eine theoretische begründung die-
ser interpretationsweise auf psychologischer grundlage. Aber die mängel der theorie,
das fehlen scharfer, grenzbestimmender begriffe und das abstrakte schematisieren
verraten uns seine geheime absieht: nicht Spekulation, sondern belebung des ästhe-
tischen genusses; den ursprünglichen quellen des menschlichen lebens ist der ästhe-
tikor wie der pädagoge zugewant.
Im Reisetagebuche von 1770 haben sich Herders anschauungen in die ganze
breite des historischen problems ausgedehnt: das ziel einer geschichtsphilosophie als
einer Universalgeschichte der bildung der menschheit steht fest, die grundlage bilden
die naturgesetze, die methode ist die psychologisch -genetische deutung, die gesin-
nong die eines erziehers der menschheit (s. 29).
Mit der betrachtung der spräche begann, mit der reifen frucht dieser Studien
„Über den Ursprung der spräche*^ schliesst die erste periode der Herderschen ent-
wicklung, deren inhalt die ausweitung der grundanschauung in die historischen pro-
8*
116 METER
blome bildet Diese, ausgehend vom ästhetischen geniessen, geförbt in der festste-
henden grundstimmung der humanität, verleugnet nicht ihr entstehen ans der per-
sönlichkeit des denkers. So empfindet er diese ganze, reiche weit, so noch die psy-
chologische theorie als ein element persönlichen lebens. Aber die theoretischen
gedanken, als die letzten ausläufer dieses Vorganges, haben nicht mehr die kraft zu
methodischem durcharbeiten der probleme; so münden sie in entwürfen und einfal-
len, die die voreilige hast sogleich für ausätze zur reform der Wissenschaft nimmt; so
zerflattem sie in unruhigen lichtblitzen in der weite des alls.
Die zweite periodo begint mit rein litterarischen arbeiten, die noch einmal
den keim der Herderschen gedankenbildung, das reizbare ästhetische gefühl, vor äugen
führen, und zwar jezt an dem beispicle der volkspoesie und Shakespeares. Wider
wird die dichtung als spräche der natur, als natur bezeichnet; wider begegnet (wie
bei spräche und plastik) das bild der seelo, die sich einen körper schafft: aber es
zeigt sich, dass es mehr als bild ist: „Die ahnung taucht auf von der natur als
einheitlicher crscheinungsweiso eines geistos in wirkenden kräften ...
Eine metaphysische gesam tan schauung scheint herauszuwachsen aus Herders art
geistige erscheinungen zu deuten" (s. 39).
In überraschender mUchtigkoit und grossartigkcit erscheint diese ausgebildet in
den theologischen Schriften der nächsten jähre. Auch hier begint Herder mit
der ästhetischen interpretation : er erklärt die Genesis als ein morgcnländisches gedieht
Aber indem er das Verständnis dieses gedichtes aus seiner eignen naturanschauung
belebt, trägt er sein eignes selbst in dasselbe hinein, findet er in ihm die gedanken,
die er als sein eigenstes empfand. £s ist nur ein ausdruck dieses den gedanken
anhaftenden lebensgefühls, wenn er sie auf göttliche Offenbarung zurückführt Dieser
geheime sinn, dieser psychologische gchalt des gottesbcgriffes bildet den centralpunkt
für das Verständnis Herders; er komt daher in Jedem abschnitt zur spräche. (Vgl.
s. 56. 57. 59. 85. 99. 150 fgg. 198.) Gott ist in Wahrheit nur der objektivierte aus-
druck seiner gcdankenbildung; er gibt seinen gedanken eiuheit und schwung, er erhält
ihnen die lebcnswärme, aus der sie geboren wurden; er stempelt sie für Herder als
eignen besitz und schliesst sie ihm ab gegen seine zeit. Auch der pädagogische
drang komt nun in gott zur ruhe: die ganze geschichte erscheint als eine direkte
göttliche erzieh ung des menschengeschlechts ; diese aber spiegelt nur das ideal einer
erziehlichen Wirksamkeit, wie sie Herder selbst als höchstes lebensziel vorschwebte. —
Da aber diese cinheit lediglich in Herders gemüte besteht, nicht im systematischen
zusammenhange der gedanken unter sich, so tut sich hier die grosse gefahr für Her-
ders denken auf, die in dt>r letzten anläge seiner persönlichkeit wurzelt „Gibt
gott als uame für ihr innerstes wollen ihr schwung und kraft, so bezeichnet er auch
als name ihrer wilkür und schwäche den ort, an dem ihr Verständnis endet* (s. 59).
Die religiösen gedanken treten nun aus ihrer absonderung heraus und strömen
über in die benaohbartcn gebiete der geschichte und Psychologie. Beide werden
in die religiöse Weltanschauung Herders eingeordnet, mit seinem lebensgefühle durch-
drungen und ti-agen nun das gepräge seiner persönlichkeit Wenn dann jene gedan-
ken in den 80er jähren sich wider in besondem Schriften sammeln, so zeigen sie
einen wesentlich veränderten charaktor. Das überkühne, jugendliche ungestüm der
ersten entdecke rwonne ist verflogen; sie sj>rechen sich ruhiger, abgeklärter aus. Sie
sperren nicht mehr ein besonderes gebiet der forschüng für Herder ab und beengen
seinen gesichtskreis; in die ganze breite der weit haben sie sich ergossen und, indem
ÜBEB KÜHNEMANN, HBBOER 117
sie seiner forschung überall freien lauf lassen, sie ihm als persönliches leben zugeeig-
net und zum gottesdienste geweiht
Mit dieser beruhigung der gedanken und ausbreitung der religiösen grundstim-
mung hat Herders geist seine reife erreicht. Die vier preisschriften der jähre 1775 —
1781 bestätigen diese auf litterarhistorischem gebiete. So sind die für Herders ge-
Schichtsphilosophie konstituierenden momente nun alle in ihrer endgiltigoD form zusam-
mengeschossen, und es schliesst die erste, gleichsam aufsteigende hälfte Ton Herders
entwioklung.
Das zweite buch stellt uns die Vollendung der geschiohtsphilosophie
nnd Weltanschauung Herders, den höhepunkt seines Schaffens in den „Ideen*',
vor äugen, deren analyse den hauptteil des vorliegenden buches bildet (s. 105 — 216).
Der erste abschnitt gibt eine „genetische entwicklung des werks**,
er erklärt dessen struktur in ihrem herauswachsen aus der geistesform ' des Schöpfers.
Drei paragraphen behandeln Herders weit-, menschheits- und geschichtsbild. In dem
ersten wird besonders das entwerfen im steten hinblick auf den menschen , das huma-
nisieren der gesamten natur hervorgehoben; im zweiten die Unsicherheit des ansatzes
der geschichte und die schwankende bedeutung der begriffe, welche den Übergang zu
ihr bilden imd ihr weg und ziel bestimmen sollen, wie tradition und humanität.
Die erste z. b. erscheint in dreifachem sinne: „erst besagt sie einfach das weiter-
geben der bildung durch erziehung und spräche, dann kann sie als starre tradition
das stagnieren des historischen lebens bezeichnen, schliesslich wird sie im gegenteil
die fortbildende kraft der geschichte, und als solche ist sie die stimme gottes'^ (s. 125).
In den historischen teilen der „ Ideen ^ sehen wir endlich, wie nach der ruhenden
beschreibung der asiatischen kulturen bei der darstellung des Griechentums im 13. buche
und wider bei der entstehung des neueren Europas der entwicklungsgedanke,
der die kultur eines volkes in ihrer gesamtheit aus dem nationalen leben und erleben
verstehen lehrt, durchbricht, aber nicht stark genug ist, um auch im bewustsein
des denkers und in den principiellen erörterungen der theoretischen bücher klar erfasst
zu werden, sondern hier in abstrakter metaphysik untergeht Wie wenig formende
kraft diese grundgedanken haben, erhellt auch daraus, dass einzelne stücke aus frü-
heren Perioden Herders, die mit seiner gereiften anschauung im Widerspruch stehen,
wie die lehre vom unterrichte der Elohim , unverändert in die „Ideen* herübergenom-
men sind, ohne dass er diesen Widerspruch empfunden hat
Das hauptstück des ganzen buches ist der zweite abschnitt: „Das werk
und der mensch. Die entstehung der Wissenschaft aus der Persönlich-
keit*^ Zwei hauptfragen werden aufgestellt: 1. „Wie lebt die persönlichkeit sich aus
in ihrem werke?'' 2. „Entstehen in den gedaiikenformen der persönlichkeit die gedan-
ken der wissenschaftlichen geschichtsphilosophie?*' Aus der ästhetischen empfindung
giengen die gebilde der Herderschen geistcswolt hervor; indem aber jene sich mit die-
sen zugleich überliefern will, erhalten diese ein Selbstgefühl und werden gleichsam
lebendige wesen. Erst wenn sie durch das gefühl der glückseligkcit in sich abgeschlos-
sen und zu künstlerischen gestalten abgerundet sind, genügen sie den bedürfnissen
dieser reizbaren seele; „sie predigen nun deutlich das ideal der Herderschen seelen-
vollendung, dessen tätige darstellungcn sie stufenweis waren.*' Die theoretischen
begriffe widerholen nur in allgemeinen ausdrücken den Vorgang der gcdankenbildung.
In gott endlich schliessen sich die gedanken zu einer einheit zusammen (vgl. o.):
yGott ist die ganze Herdersche scele lebendig in ihrem werke" (s. 169).
118 MEYER
Aber wie nicht das reine streben nach erkenntnis, sondern ein Ssthetisobes
interesse diese weit hervorgetrioben hat, so vermag sie auch den ansprüchen der
Wissenschaft nicht zu genügen. Indem die gedanken ihrem Urheber etwas anderes
scheinen (tatsachen, in gott gegründete Objekte), als was sie sind (bewustseinszustand
des Subjekts), sind die „Ideen '^ kein solbstbewustsein in gedanken. Wol erreicht der
gedanke, überall den Ursprüngen zugewandt, die entwicklungsgeschichte, ja er ver-
mag selbst die durchgehende entwicklung zum europäischen Staatensystem zu fassen;
aber das begleitende stiminungsmomont bricht ihm stücke aus dem geschichtlichen
gesamtbilde (staat, verstandoskultur), und indem es sich auch in den theoretischen
begriffen dui*chsetzt, bringt es die lebendige entwicklung der gedanken zum stehen.
Der sieg der motaphysik bezeichnet das erlahmen der lebenskraft in den gedanken.
Diese theoretischeD begriffe, nur der Stimmung zum ausdruck verhelfend, sind keine
zeugungskräftigen leitgedanken zur erforsch ung der probleme, wie sie andrerseits
auf die gestaltung der lebensvollen bilder keinen einfluss haben. Wie sie sich nicht
in lebendigem fortwachsen in den Zusammenhang der probleme ausbreiten und zu
einem Organismus der arbeit auswachsen, so sind sie „der zustand einer in ihrem
gefühl beharrenden, in ihrem gefühl isolierten pcrson, ein gefühlszustand , der als
gedanke sich überliefern will, aber nicht zur reinen erkcnntnis sich entwickelt'' (s. 189).
Indem endlich die begriffe lebendige pei*sonen werden, bauen sie jenseits der wirk-
lichen eine geistige, transscendente weit. So findet der naive realismus, der die dinge
als fertig gegeben nimmt, seine ergänzung in der metaphysik. — Wenn also das werk
als erkenntnis morsch ist, so liegt die erste Ursache in der starren, ruhenden Stim-
mungssittlichkeit, die nur dem einzelnen ein abstraktes ideal bietet, ohne Verständnis
für die erzeugung der kultur in der Zusammenarbeit aller. Die abneigung Herden
gegen den staat wurzelt in der gegen den staat seiner zeit. So ist sein denken durah
eine tiefe kluft getrennt von der praktischen berufsarbeit; es geht ihm nur am hon-
zonte seines wirklichen daseins auf. Der theoretische mangel erweist sich als eine
sittliche schwäche: der gedanke ist lahm, weil nicht Herders ganzes leben gedanke
wird.
So führt die genaue analyse des einzelnen denkers selbst zu dem ideale der
reinen denkeq)ersönlichkeit, die in klarem solbstbewustsein ihr leben in gedanken aas-
prägt; die, indem sie den menschen in seiner geschichtlichen bedingtheit erlasst und
die kulturtaten auf seelische bewegungen zurückführt, auch die geschichtsphilosophie
erzeugt als ein glied im complex der Wissenschaften, auf alle gestützt, allen zu ihrer
Vollendung notwendig, und so in der reinen ausbildung des gedankens als ihres sitt-
lichen berufes selbst ein stück idealer kultur verwirklicht.
Das folgende kapitel behandelt den „verfall der geistesform Herders.'^
Alle den „Ideen*' gleichzeitigen oder späteren Schriften sind nur auswickelungen aus
dem Inhalt des hauptwerkes, entstanden, indem die hier zu einem Weltbilde znsarn-
mengefassten demente sich sondern und zerbröckeln, mit immer deutlichem zeichen
des Verfalls. Zurückschi-eitend nimmt Herder die bestrebungen seiner Jugend wider
auf, und vor allen problemen versagt seine kraft; es bleibt nur der drang, erzieh*
lieh zu wirken. In diesem dränge aber offenbart sich uns Herders eigenster, ursprüng-
licher beruf. Mit diesem dränge von seiner zeit abgewiesen, gestaltet er sein ideal
jenseits der Wirklichkeit in dem plane der göttlichen erziehung des menschen-
geschlechtos; die gedanken selbst, aus seinem lebensgefühle zu personen belebt
und nach einem feststehenden ethischen ideale gerichtet, sind gleichsam seine zög^
linge. So ist sein ganzes denken nur abgelenkter beruf. Zugleich ersdieint aber
t)BER KtJHNEMlNN, HIRDBR 119
seine unYollkommeiiheit in ihrer sozialen bedingtheit: er fällt ein opfer der zeit, die
seinem wirkongsdrange nicht das rechte feld bot, die ihm nicht gestattete, seine per-
sönlichkeit rein in taten auszuprägen. Reine darstellungon der persönlichkeit aber
waren die werke der männer, die er nicht mehr verstand und in denen die zeit über
ihn hinausschritt, die philosophie Kants und die kunst Goethes.
Der Schlussabschnitt „Zur biologie des geistes^ (s. 248 — 269) zieht aus
der ganzen früheren Untersuchung den methodischen gewinn; er ist für den, der sich
über das vorliegende buch und die Stellung seines Verfassers ein urteil bilden wül,
der wichtigste. Indes muss ich mir hier eine eingehende zergliedcnmg versagen;
wie ja auch die vorstehenden bemerk ungen in keiner weise den reichen Inhalt des
Werkes erschöpfen konnten, vielmehr nur das verfahren des Verfassers und die rieh-
tung, in der sein forschen sich bewegt, zu charakterisieren suchten.
Kühnemann fühlt sich im gegensatzo zu einer geschichtschreibung der philo-
sophie (und natürlich auch der littoratur) , welche die einzelnen gedanken und Systeme
als etwas für sich bestehendes und als fertig gegebenes hinnimt, den bestand registriert
und nach äusserlichen merkmalen ordnet. Dagegen gilt es für ihn, den gedanken
zu fassen als erleben, als seelenbewogung der denkerpersönlichkeit in seiner psycho-
logischen und sozialen bedingtheit, und so an stelle des naiven realismus, der die
dinge als gegeben voraussetzt, den Idealismus zu setzen, der allein der wahre realis-
mus ist, insofern als nur er die wahre realität ergreift, „den psychischen proccss, in
dem die weit, sei es in Wissenschaft, in sittlichem leben oder in kirnst, als reine
darstellung der persönlichkeit lebenskräftig erzeugt wird*^ (s. 260).
Man sieht, der gegensatz ist derselbe, welcher vorhin zwischen Herder einer-
seits und jenen Vorbildern reinen erlebens und kulturschafifens, Kant und Goethe,
andrerseits festgestellt wurde. So ist denn die arbeit des Verfassers ein baustein zu
der gewaltigen kulturarbeit, die uns jene grossen genien als ihr kostbarstes Vermächt-
nis hinterlassen haben: sie ist die begründung der geistesgeschichte im Kantischen
sinne, gegründet auf das sichere fundament einer transscendentalen kritik, d. h. der
Untersuchung der bcdingimgen ihrer möglichkeit, der gesetzc ihrer erzeugung. Dies
ist der sinn jener einleitenden programmsätze. Nun wird auch das zusammenwirken
philosophisch - systematischer und psychologisch -historischer forschung klar: soll der
einzelne nach der art, wie seine persönlichkeit sich rein in kulturtaten darstellt, ver-
standen und gewertet werden, so bedürfen wir des Ideals der rein entwickelten per-
sönlichkeit als massstab; andrerseits kann nur die genaueste analyse des einzelfalles
uns die bedingungen für die Verwirklichung jenes Ideals lehren.
Dieses schauen des innersten lobens in den äusseren werken der menschen,
dieses au&püren der inneren treibenden motive ist eine künstlertugend. Heinrich
V. Kleist redet einmal (Briefe an seine Schwester Ulrike hsg. v. A. Koberstein s. 49)
von einer ihm von der natur verliehenen klarhoit, die ihm zu jeder miene den
gedanken, zu jedem werte den sinn, zu jeder handlung den grund nennt, und bezeich-
net damit ein hauptgeheimnis des dichterischen Schaffens. In der tat, um in dies
innerste heiligtum der dichter- und denker- Werkstatt einzudringen, und die natur in
ihrer geheimsten arbeit zu belauschen, dazu bedarf es des künstlerischen schauens,
das vermag nur, wer in sich selbst die wunder schöpferischen erlebens erüahren hat
^Wir bedürfen mehr als den gliedernden Scharfsinn des Verstandes, wir verlangen
die sittlich erlebende, die anschauende vemunft'' (s. 259).
Künstlerisch ist denn auch der eindruck des ganzen buches. Wie eine gewal-
tige tzagödie rollt sich dies merkwürdige denkerschicksal vor uns ab mit scharf mar-
120 MCTCB, tetS KlttlNIkUNN. BEHPBB
kiertan eiiiBiihnitten. Drei akte bilden dan nutsteigeiideti teil: (Us erolMriuieUi
sich&uHbreitoD in die weit, dann da» fioden des eigticin selbst, endlich die gestaltunc
doc weit zii eiuoin abdracke der eignen persünlicfakdit Dittin aber, auohAvta der
hiihepuakt überschritten, folgen verfill und ItatastropLo in immer Bchoellomm tempo,
mit not wendig kcit sieb ergebend ans der ersten anläge dos Herderscban geiatss and
den umstAnden und verhältnisaen , die Um umgaben. Audi im einselnen spürt man
diese dramatiache anUge: so in den häuBgen hindeutuDgen auf dna, was nun kom-
men mnsa; in der tragischen ironie <vgl. s. 60); b starken kontrostfin, vti» a. 139;
„fiebernd vor erwartung greifen wir nach den pliilosopliisclien abfloliuitten des driltan
teils, welcLe die priocipien der ge3chicbts|jhilosoptiie vorlegen. — Wokhe eolUu-
schongl Nichts als die alten bekannten abstraktiunen !" Hierher gehört «ach ilnr
analytische aofbau des buches, no zugleich mit dem fortscbrciten der hnndlung die
erkenntnis rüokschreitead iu die eretea nraachen eindringt Es geht uns beim leMm
desselben wie bei einer bergbesteigong: je höher wir auTwärts gelangen, um 80 W*^
ter dehnt sich der borixont, um so vollständiger erhellt sich der zurüotigelegto mg.
Künstlerisch wirkt endlich auch der atil des buches. Eine wigeSthro rontal*
Inng von der ticbreibart dos ver&sser^ kann der Icser schon aus meiner inhalhsangili»
untoehmen. die ich vielfach mit den werten des bnobes selbst gegebnn habe, Nir-
gends verlfillt der verfassar in leere Schönrednerei; kein wort steht lediglich als Uio-
gende phraso ila, vielmehr erfordert und erträgt jedes die genaueste prüfung mid
wägong seines inholtes. Die künstlerische gestaltnng der gedankeu, die eich oü ra
grosser Wirkung erhebt, ist in der anläge und dem zweoke des buches begiüiidot,
welches nicht nur dem verstände des lescrs objektive erkenntnis übermitteln, eondent
ihm in den gedankeu das Seelenleben der schaffenden Persönlichkeit zu fühlen gebu
und in ihrer kritik ein ideal der Wissenschaft und dos lebons predigen will. DisMr
lebensgehait der gedonkon verlangt nach künstlerischem auadruck, tun als l«bn
empfunden zu. werden. Am Schlüsse des buches, wo die arbeit der erkenntnis gettn
ist, sammelt sich das begleitende gefühl zu selbstGndigem ausdruck in einer BtiB>
mnnggvoUan zukunftsphantaHie, wie in volltönenden Schlussakkorden.
Aber wie viele künstlerische momente auch in dem buche zusammen wirk«,
der zweck und plan des ganzen ist nicht ästhetisch, sondern wissenschaftlick.
Nicht, am das geschaut» im bilde festzuhalten und das gorübl des lesers in SsÜi»-
tischem gemessen ruhen zu lassen, versenkt sich der Verfasser in Herders seoleo-
leben, sondern um an diesem einen so tief imd umfassend durchforeubten beispialo
die gesetse des geisteslebens überhaupt zu studieren, und am aus ihm die maÜiodot)
lainen, wissenschaftlichen donkena abzuleiten.
Die inssere ausstattung des bucbes verdient uneingeschränktes lob; Moh
die korrektuT ist sehr sorgtSltig. Solu erwünscht ist das ausführliche inhaltsvenaid»
nis. Was den ausdruck betrifft, so sind einige aoffallende Wortbildungen zu enrlb-
nen; wesenbar (s. 6Tj, uatiix^gemäaeig (s. 127), „Orieohenbeit" statt des tms ans Bdnl-
ler geläntigen .Griechheit* (s. 137), ontgegensats |s. 252). Bisweilen finden aieh
weniger geschickte oder unklaro satzbildungen; so s. 75: Die bedeatnng nmeMr
yolkommenbeit ist Schönheit; s. 90: kämpf um sich selbst; s. 137: der Staat ab im
eittliohe klima. der das werk des güustigeQ physischen fortsetzt; a. 2dä: Wie anihns
ihr (der wissonscbaR) sprachlicher bmder, die poeaiol; rgL noch s. 181- 196 obaiL
Dass die methode des Verfassers allgemein angenommen werden, dass sl« sobillB
maohoQ werde, glaube ich natürlich oidit; dazu ist sie in sehr persCoIiob, zu aAr
•in piodnkt von »eltea vereinigten fiüAoren, Aber diu mahnung wird die UttBiMu^
GERING, ÜBER BÜGGE, BIDRAG HL SSALDEDIGTNINOENS BIST. 121
geschichte allerdings daraus entnehmen können — und dies scheint ihr heute beson-
ders not zu tun — , dass es mit dem feststellen und ordnen von sogenannten tatsachen
nicht getan ist, sondern dass es die aufgäbe der geistes- so gut wie der naturwissen-
schaft ist, die yerwirrende fülle der erschein ungen, die sich den beobachtenden sin-
nen und dem forschenden verstände bieten, aufzulösen in ein spiel von gesetzen, und
so «was in schwankender erscheinung schwebt, zu festigen mit dauernden gedanken.'^
Als ein schritt zu diesem ziele sei die vorliegende schrift hier dringend empfohlen.
GÖTTINGEN. HEINRICH MEYER.
Bidrag til den seldste skaldedigtnings historie af Sophns Bagge. Christia-
nia, H. Aschehoug & Co. 1894. (VUI), 184 s. 3,50 kr. (= 3,95 m.).
Das vorliegende buch, das von neuem die ausgebreitete belesenheit und das
ungemeine kombinationstalent des ausgezeichneten norwegischen gelehrten auf das
gl&tzendste betätigt, ist der eingehenden Untersuchung der unter dem namen Bragis
des alten überlieferten fragmente und des dem norwegischen dichter tjö{)olfr or Hvini
zugeschriebenen Ynglingatals gewidmet. Buggo sucht den (bereits Beitr. 13, 201
angekündigten) beweis zu führen, dass diese dichtungen, die man bisher in das 9. Jahr-
hundert zu setzen pflegte, einer so frühen zeit nicht angehören können, und will sie
der 2. hälfte des 10. Jahrhunderts zuweisen.
Seine behauptung sucht Bugge zunächst durch sprachhistorischo deductionen
zu erhärten. Ein hauptargument des verfassei-s ist, dass die synkope der schlusssil-
ben vokale, zum mindesten die synkope des u, im 9. Jahrhundert in Norwegen noch
nicht eingetreten sein könne, da noch in der runeninschrift des schwedischen Eök-
steines, die er um 900 ansetzt, die formen sirandu, suttUy fiarti, karuR sich finden,
in der dänischen Inschrift von Heinsos, die dem 9. Jahrhundert angehören soll, ebenfalls
sunu (acc. sg.) begegnet u. a. m.; durch einsetzung der unsynkopierten formen in die
Strophen Bragis (ich spreche zunächst nur von diesen) würde aber ihr metrischer bau
zerstört Ich will hierauf nicht entgegnen, dass keine einzige norwegische Inschrift^
die erhaltung des u auch für das westskandinavische bezeugt, da die sprachentwick-
lung doch wol im ganzen norden im wesentlichen gleichmässig vor sich giong. Auch
den einwand, dass mir — bei aller achtung vor den glänzenden ergebnissen der
modernen runenforschung — die datierungen der einzelnen denkmäler noch keines-
wegs sicher erscheinen, will ich nicht erheben, sondern einfach annehmen, dass Bugge
mit seiner behauptung, u sei im 9. Jahrhundert noch nicht synkopiert worden, im
rechte ist Wenn er aber daraus den schluss zieht, das die gcdichte von Bragi die-
sem Jahrhundert nicht angehören können, so muss ich gegen die zulässigkeit einer
solchen beweisführung protest erheben. Nur soviel liesse sich behaupten, dass die
1) Von norwegischen inschriften aus dem Jahrhundert, das der besiedelung
Islands vorauf gieng, haben sich — wenn die datierung richtig ist — nur zwei erhal-
ten, die von Valby imd Gimsö, und auf beiden sind formen, die für die Streitfrage
entscheidend wären , nicht anzutreffen (auf dem steine von Gimsö steht zwar NafRsun,
aber Bugge behauptet, dass indem enklitisch an den genetiv eines eigennamens ange-
hängten sunuR die synkope weit früher vollzogen sei als in dem isoliert stehenden
worte). Überhaupt glaube ich, dass im 9. Jahrhundert die sitte, zum andenken an
verstorbene runensteine aufzurichten, in Norwegen aus der mode gekommen war,
denn sonst hätten die isländischen kolonistcu, die so zäh an den alten gebrauchen
hiengen, auch diesen in der neuen heimat sicherlich beibehalten. Bekanntlich aber
wdss keine Islendinga saga von runcn steinen etwas zu erzählen.
122 OEBINO
form, in der wir heute diese gedichte lesen, nicht die des 9. Jahrhunderts ist, weil
sie es eben nicht sein kann, da in den vier Jahrhunderten, die zwischen der entste-
hung jener Strophen und unseren handschriften liegen, nicht bloss die sprachfoTmen
sich geändert haben, sondern möglicherwoiso auch die metra eine Umwandlung erlit-
ten. Wenn es der zufall gewollt hätte, dass sich Ton dem goldenen horoe und der
auf ihm eingeritzten inschrift eine kundo bis in die litterarischo zeit erhalten hätte,
so würde diese inschrift in einem codex dos 13. Jahrhunderts wahrscheinlich lauten':
Hlegestr Hyltingr hom pat orfak (oder gorßak),
Bugge würde von seinem Standpunkte aus die nachricht, dass diese zeile in uralter
zeit, lange vor der boBiedelung Islands abgefasst sei, für erfunden und die inschrift
für unecht erklären, da das metrum des fornyrdislag-verses durch die widerhcrstel-
lung der ursprünglichen sprachformon zerstört würde. Dies wäre jedoch ein fehl*
schluss, denn der auf dem goldenen home stehende vers:
Ek HletcagastiR HoÜingaR hortia tawido, d. i.
X] JLX1.X I ZXX II JLX I y^XX
war zu seiner zeit eine vollkommen korrekte langzoile im „fomyrdislag* •, das eben
damals auftakto und mehrsilbige Senkungen noch gestattete. Ob dem „drottkvaett*,
falls es vor der durchfülinmg der syukopiorungsgesetze schon bestand, nicht diesel-
ben freiheitcn eingemumt waren, können wir nicht wissen; jedesfalls aber wäre es
voreilig diose möglichkoit zu läugnen.
Auch die tatsache, dass bei Bragi bereits einzelne keltische lehnwörter' sich
finden, kann meines eraclitens nicht beweisen, dass die gedichte erst im 10. Jahrhun-
dert abgefasst sind. Wir wissen, dass schon gegen ende des 8. Jahrhunderts (795)
die nordischen wikinger an den irischen küsten erschienen, und es ist daher zweifel-
los, dass sie den weg zu den nordschottischen inselgruppon, die auf ihren zügeo
nach Westen eine natürliche ctappe bildeten, weit früher müssen gefunden haben.
Nehmen wir an, dass dies um 750 geschehen sei^, so lag fast ein volles Jahrhundert
zwischen don ersten berührungcn der Normannen mit den Kelten imd der zeit, in
1) Vgl. Buggo, Tidskr. for phil. VI (1865) s. 317.
2) Ihr lassen sich z. b. altsächsischc vei-se wie
lithocüspun hilücan (Hei. 2724)
an die seito Stollen, die ich nicht mit Sievers für „erweiterte*^ A, sondern für alter-
tümliche A ansehe. In einer foniyrdislag- Strophe der Röksteininschrift steht neben
4 silbigen halhzoilen, die genau den regeln der späteren altn. metrik entsprechen,
auch eine 5silhige:
Strandu Ilraidmararj
also ein „erweitertes'' I), das durch die synkopierung des u zu einem regelmässigen
I) worden nuissto. Vgl. forner vorse mit auftakt wie: m icange mdrir, ek Wiwar
aftcr (Buggo, Norgos inskrifter med de »Idro runer, s. 24).
3) Buggo meint, dass in Bragis fragmenten auch ein französisches lehnwort
entlialten ist, nämlich rostn „lärm*', obgleich ein verbum rttsta „lärmen*^ noch heute
im schwedischen und non/^ogischen lebendig Lst Allerdings ist es bedenklich, dieiee
neuiiurdischc wort zu rösta in boziehung zu setzen, da der Übergang von 6 za u
sonst nur in der pi-oklise erfolgt zu sein scheint (z. b. norweg. gtidag < god dag\
aber nicht minder unwahrscheinlich ist die annähme, dass dasselbe, kaum säur
gebräuchliche wort zu zwei verschiedenen zelten nach dem norden importiert aoin
sollte.
4) Schon um 725 musstcn sich die irischen anachoreton infolge der aoffrille
nordischer i>iraten von den Fieröei-n zurückziehen (Zimmer, Ztschr. f. d. a. 32, 231).
ÜBER BÜGQE, BIDBAO TIL SXALDEDIOTNINaENS EIST. 123
welcher Bragi nach der gewöhDlichen annähme seine dr&pas vorfasste, und dieser
seitraam war kng genug, dass ^die impulse von den keltischen völkem selbständige
formen sich schaffen konnten.*^
Femer meine ich, dass die konsequenzen der Buggischcn hypothese, nach der
die fragmente Bragis eine fälschung des 10. Jahrhunderts sein sollen, eine reihe von
nnwahrschoinlichkeiten ergeben. Dass ein dichter Bragi um die mitte des 9. Jahr-
hunderts wirklich im westlichen Norwegen gelebt hat, gibt Bugge selber zu. Er
räumt femer ein, dass Ragnarr lodbrök (dessen person allerdings von der sage mit
einem üppigen gewinde fabelhafter erzählungen umrankt und zu einem typus des
wikingertums ausgestaltet ist) möglicherweise mit dem dänischen piratcnführer (dux*)
Ragneri identisch ist, der um 845 in Frankreich brandschatzte und bald darauf an
der pest starb. Er meint endlich, dass wir den schwedischen könig, den die islän-
dischen quellen Bj<^ra at Haugi nennen, in dem „rex Bem*^ widerfindon, mit dem
nach der Vita Anskari von Rimbert der apostel des nordens kurz vor 830 in Schwe-
den zusammentraf. Die beiden fürsten und der dichter waren also Zeitgenossen, und
es empfienge mithin die isländische tradition, nach welcher Bragi zu Ragnarr und
BJQm in beziehungen stand, einen rückhalt in der beglaubigten geschichte. Nun
glaubt Bugge überdies den beweis führen zu können, dass in Bragis Strophe, die
die sage von Qylfi und GeQon behandelt, suecismen sich erhalten haben! Wenn
das wahr ist (ich hege meine bescheidenen zweifei), so würde jeder vorurteilsfreie
mensch darin eine bestätigung der nachricht finden, dass Bragi sich tatsächlich in
Schweden bei BJQm at Haugi aufgehalten und dort seine Strophe verfasst hat. Stammt
diese dagegen erst aus dem 10. Jahrhundert, so ist sie das werk eines fälschors, der
80 raffiniert war, dass er absichtlich, um seinem falsißcate den schein der ochtheit
EU geben, schwedische formen einflickte! Und dieser raffinierte falscher war zugleich
80 geistesarm, so vollständig aller eigenen gedanken bar, dass er seine produkte müh-
sam aus dem material, das ihm ältere gedichte darboten, zusammenleimen musste:
er hat — als ein wahrer skdldaspillir ! — die Ham{)ism(Jl und Härbar{)sljü{), die Atla-
kTi|>a und Helgakvi[>a geplündert, nicht minder Haraldskvae{)i und Ynglingatal, die
Arinbjaraarkvi|)a und andere gedichte von Egill Skallagrimsson , den Einarr sk&la-
glamm, Vetrhf)i und I'orbJQm disarskald! Mir scheint es wahrscheinlicher, dass die
parallelen, welche Bugge aus diesen dichtungen zu den fragmenten Bragis beibringt,
aus reminiscenzen an den alten skalden sich erklären, wie ich dies z. b. (Arkiv VII,
66) für fj6{)olfs HaustlQng nachzuweisen versuchte*.
Bei dem Ynglingatal (um nun zu diesem mich zu wenden) kann man frei-
lich nicht den einwand erheben, dass das metmm im laufe der zeit geändert sein
1) Nach Bugges ansieht kann der Verfasser unserer fragmente nicht jenen
historischen dux besungen haben, da das prädikat Pengilly das er ihm beilegt, im
altn. nur den „könig*^ bezeichne. Aber die bodeutung des wertes kann sich in spa-
terer zeit verengert haben; ags. pefi^el bedeutet nur „princeps, dominus''.
2) Ich bin weit davon entfernt, heute noch alles aufrecht zu erhalten, was
ich in meiner kleinen, schnell hingeworfenen gelegenhcitsschrift (Kv{e[)abrot Braga
ens gamla, Halle 1886) gesagt habe, und gebe gerne zu, dass manches darin „ver-
fehlt" und übereilt ist. Wenn aber Bugge meint, dass in der halbsti-ophe Nema svdt
goß usw. (nr. 2 meiner ausgäbe) die lesart des Regius und Wormianus durch Haust-
lQng 1 gestützt werde, so glaube ich doch darauf aufmerksam machen zu müssen,
dass der text dieser Haustl<^ng- Strophe, wie Bugge ihn citiert, ohne allen zweifei
corrumpiert ist, und dass ich die gründe, die ich im Arkiv a. a. o. für meine her-
stellung derselben beigebracht habe, noch immer für stichhaltig ansehe.
124 GEBING
könno, denn hier hat selbstverständlich schon in dem original des diohters der regel-
mässige Wechsel zwischen drei- und viersilbigen versen bestanden. Wenn aberBogge
aus dem umstände, dass die einsetzung unsynkopicrter formen in das gedieht das
metram zerstört, den beweis herleitet, dass das Ynglingatal erst im 10. Jahrhundert
entstanden sein könne, so geht er dabei von der durchaus unwahrscheinlichen — wir
können geradezu sagen: unmöglichen — Voraussetzung aus, dass uns die Strophen
l^'6{)olfs in ihrer echten und unverfälschten gestalt, wie sie aus dem munde des
dichters kamen, erhalten seien. TVor kann die möglichkeit läugnen, dass verse, die
durch den eintritt der synkope unkorrekt geworden waren, durch die abschreiber
geändert sind ^ und dass an anderen stellen unabsichtliche modifikationen der ursprüng-
lichen lesart eindrangen? Bugges beweis stützt sich auf drei (ganze drei!) verse.
Der erste ist Yngl. 28^: hasfis hjqrr. Das habe im 9. Jahrhundert nach Bugge noch
lauten müssen: hcefis hertiR^ was einen unmöglichen vers ergäbe. Setzen wir aber
die beiden Wörter um (was herausgcbcr aus metrischen gründen unzählige male getan
haben), so erhalten wir: heruR hcefis y einen vers, der genau ebenso richtig ist wie
magar poris in Egils Arinbjamarkvi{)a 14' (Sievers, Altgerm, metrik §71, 4 6).
Ebenso lässt sich bragnings btiraR (überliefert ist bttrs) 32' umstellen zu burtUt
bragningsj vgl. hqfnp heiptro'kt 49'. Somit bliebe als einziger vers, der sich nicht
ohne weiteres emendieren lässt, vif foldar Prqm 52* übrig, und auf diesen vers
allein eine hypothese zu begründen, dürfte doch etwas verwegen sein. Wer kann
beweisen, dass nicht prqm an stelle eines anderen wortes getreten ist, das schon im
9. Jahrhundert einsilbig war? Vgl. z. b. jar^ar akatU, Sn. E. I, 328.
Die sprachliche form des Ynglingatals kann also kaum beweisen, dass das
gedieht erst im 10. Jahrhundert entstanden ist. Ebensowenig kann dies aber aus dem
vorkommen des wortes flrvmingr geschlossen werden, das Bugge wol mit recht als
„flämisches schwert*^ erklärt. Denn daraus, dass die Norweger erst um 820 an den
küsten Flanderns zu beeren versuchten, folgt nicht, dass sie in Flandern verfertigte
Waffen damals zuerst kennen lernten; diese können ja auf dem handelswege weit frü-
her nach dem norden importiert worden sein, wie ja auch die Damascener klingen
lange vor den kreuzzügon in Europa bekannt waren. Beweisend ist es auch nicht,
dass bei !'j6[)olfr poetische formoln* und eigennamen sich finden, die auch in den
eddischen gedichten vorkommen, denn die ersten waren zum grossen teile altes erb-
gut und die letzton beweisen doch höchstens, da.ss die mythen, in denen die träger
der namen auftreten, dein l'j6{)olfr sowol wie den dichtem der Edda geläufig waren.
Erst dann könnte von einem beweise die rode sein, wenn es sich erhärten liesse,
dass jene mythen im 9. Jahrhundert noch nicht entstanden waren. Bugge ist ja
allerdings dieser ansir^ht, aber die zum teil halsbrechenden etymologien, die den
1) Dass ältere dichtungen umgearbeitet wurden, um den anforderungen einer
moderneren techiük zu genügen , ist aus der mhd. litteratur bekannt, und in unserem
falle war das eine kleinigkeit. Wir dürfen nicht vergessen, dass „die sprachform in
den ältesten islündischen und norwegischen handschriften in allem wesentlichen
dieselbe ist, wie die in der spräche der runeninschrifteu von 800—1000* (Wimmer,
Die runenschrift s. 341).
2) Kenntnis der VolnspiJ soll durch Yngl. 21 : ßd's brarfr tveir \ at bqnuyn
urfttsk (vgl. Vsp. 54: hrnfir munu bcrjask \ ok ai fM^num rerßask) bewiesen werden!
Aber rn-pa at bann ist eine uralte, geraeiiigermanische fomiel (vgl, Hildebrands-
lied 54. Beow. 7)87. 2203, Hei. 644), die jedem dichter, der davon zu berichten
hatte, dass jemand seines kindes oder seines bruders mörder wurde, sich von seihst
aufdrängen musste.
ÜBSR Büees, fiiDBAa hl skaldediqtninqens hlst. 125
fremden orsprong der heidnischen götterlehre erweisen sollen (Byleistr <^ Beelxebub,
Ihrnföir <; Phoroneua, Oarmr <Z Cerberus u. a. m.), werden ausserhalb des nordens
wenige gläubige finden. Dass VS der heilige geist sei , hat schon E. H. Meyer in sei-
nem buche über die eddische kosmogonie behauptet und Bugge spricht es nach; wir
dürfen aber wol fordern, dass er zunächst den beweis liefert, dass das dem got. weihs
entsprechende adjectiv noch zur zeit der wikingerzüge in den skandinavischen spra-
chen existierte^: in den litterarischen donkmälem ist es ebensowenig wie in runen-
inschriften gefunden worden, und auch die ags. spräche kennt es nicht'. Dass der
götter- (und zwergen-) name Vili (wofür bei Egill die nebonform Viltr begegnet)
mit vili ^lYoluntas*^ identisch sei, soll auch erst bewiesen werden. Vorläufig beharre
ich bei der ansieht, dass die Skandinavier (ebenso wie die Inder, Griechen und Li-
tauer)' selbständig darauf gekommen sind, eine trias an die spitze ihres götterstaates
zu stellen , und nicht erst durch die heilige trinität der christlichen kirchenlehre dazu
angeregt wurden.
Gewichtiger sind zweifellos die historischen gründe, die Bugge für die spä-
tere datierung des Ynglingatals ins feld führt. Nach der angäbe Snorris in der vor-
rede zur Heimskringla wäre I^j6)>olfr or Hvini dichter des königs Haraldr schönhaar
gewesen und habe auch auf könig R^gnvaldr hei[>umh8Bri , einen söhn des Ölafr geir-
Bta|)aälfr und brudersohn Halfdans des schwarzen, das Ynglingatal gedichtet. Diese
nachricht, die in anderen quellen widerholt wird, sucht Bugge als falsch zu erwei-
sen. Er meint, dass sie nur aus missverstandenon angaben im Ynglingatal selbst
construiert ist und dass ein könig R^guvaldr von Yestfold oder Grönland, der ein
Zeitgenosse von Haraldr schönhaar gewesen sein soll, gar nicht existiert hat, da
diese landschaften von anfang an zu Haralds reiche gehörten und nur während seiner
abwesenheit sein oheim Guttormr in der Vlk als Stellvertreter die regierung führte.
Daher glaubt Bugge, dass das Ynglingatal einen britannischen könig nordischer
abkunft gefeiert habe, wenn er es auch nicht wagt, einen bestimmten R^gnvaldr aus
dem 10. Jahrhundert (die quellen kennen aus jener zeit mehrere „könige*^ dieses
namens) als denjenigen zu bezeichnen, dem das gedieht gewidmet ist. Diese mei-
nuDg ist deshalb nicht unwahrscheinlich, weil auch die norwegischen könige in Dublin
ihr geschlecht von den Ynglingom ableiteten, imd sie gewinnt an glaubwürdigkeit
durch den von Bugge geführten nach weis, dass irische gedichte aus dem 10. Jahr-
hundert und noch früherer zeit nach form und Inhalt so genau mit dem Ynglingatal
übereinstimmen , dass sie geradezu als Vorbilder desselben betrachtet werden müssen '.
Endlich macht Bugge darauf anfmerksam, dass in der zweiten hälfte des 10. Jahr-
hunderts tatsächlich ein Norweger mit dem namen I^j6[>olfr or Hvini gelebt hat, da
unter den beiden Olaf Tryggvasons, die mit ihm auf dem „langen drachen*^ in der
Schlacht bei Svoldr kämpften, ein l'orgrimr or Hvini l'j6|>olf8son erscheint, nach
1) Zu iceihs stellt man das st. n. ve „tempel*^ (ags. icih, tcioh; alts. f4nh) und
das pl. tantum vear „ götter '^'y aber das adjectiv selbst hat sich nur in den alten
eigennamen auf -ver erhalten, faUs die deutung Bugges (Norges indskrifter med de
ffildre runer s. 12) richtig ist
2) Vgl. meine ausführungen in der Theol. Utt. zeitung XVH (1892) sp. 42.
3) Ich möchte mir aber doch erlauben, einen ganz bescheidenen zweifei zu
äussern, ob die keltische philologie (die doch noch tief in den kinderschuhen stecken
muss, wenn einer ihrer bedeutendsten Vertreter es sich nicht zutraut, eine vollständige
tibersetzung von einem schwierigeren texte zu geben) wirklich schon soweit vorgeschrit-
ten ist, dass sie eine genaue datierung der alten denkmäler vornehmen kann? Mir wird
126 6KRXKG, ÜBEB BÜGOB, BIDBAG TIL SKALDEDIOniCYOENB HIBT.
Bagge ein söhn des Verfassers des Ynglingatals. den man also mit einem alteren dich-
ter gleiches namens, der zu Harald schönhaars Zeiten gelebt haben mag, verwechselt
hat. Dieser jüngere {^j6{>olfr or Hvini kann dann auch, wie die isländischen quellen
berichten, auf den dänischen jarl Strutharald (f um 985) gedichtet und für I'orleifr
spaki, den Zeitgenossen von Olaf Tryggvason und Eiiikr jarl, die Hanstl^ng verfasst
haben, währeod es für ausgeschlossen gelten muss, dass ein skalde Harald schön-
haars noch gegen ende des 10. Jahrhunderts am leben war.
Ich meine also, das wir — nicht aus sprachlichen und metrischen gründen
(diese versagen, wie ich oben erwiesen zu haben glaube, den dienst) — wol aber auf
gmnd historischer und litterarhistori2»cher indicien das Ynglingatal mit Bugge in das
10. Jahrhundert werden versetzen müssen. Aber ich sehe nicht, dass wir dadurch
genötigt sind, auch für die fragmente Bragis eine spätere entstehungszeit anzuneh-
men, zumal da einzelne spuren altertümlicher sprach- und versformen in ihnen noch
deutlich sichtbar sind'. Dass in den eddiscben licdern eine einfachere und schmuck-
losere darstüUung herrscht', beweist gar nichts, da diese lieder und die skaldischen
druttkvaettstrophen ganz inconimensurable grossen sind und beide dichtweisen noch lange
neben einander herlaufen. Übrigens hege ich schon seit längerer zeit ernste zweifei,
ob man nicht neuerdings die älteren schichten der eddischen lieder zu spät datiert.
Die frage würde erledigt sein, wenn die behauptung Zimmers, dass die Nibelungen-
sage in ihrer jüngeren gestalt bereits gegen ende des 9. Jahrhunderts durch nor-
wegische Wikinger nach Irland verpflanzt worden sei, als richtig sich erwiese. Aber
die parallelen zwischen irischer und nordischer heldensage, auf welche Zimmer auf-
merksam macht, sind nicht zahlreich und nicht charakteristisch genug, um beweia-
kräftig zu sein: auch schiesst er augenscheinlich in seinem eifer, möglichst viel im
irischen leben und dichten auf nordischen einfluss zurückzuführen, über das siel
es schwer daran zu glauben, dass eine so rohe, barbarische, phrasenhafte und geistlose,
von den gröbsten zoten wimmelnde poesie befruchtend auf die skandinavische soUte
eingewirkt haben. Diese kann keine bessere folie empfangen, als die irischen „helden-
sagen** des „älteren kreises"^ (man vergleiche z. b. die schöne geschichte von den kbni-
ginnen (!), die sich dadurch unterhalten, dass sie einen Schneehaufen mingendo zum
schmelzen bringen , und auf diejenige , die in diesem geistreichen sport den sieg davon
trägt, so eifersüchtig werden, dass sie sie töten: Ztschr. f. d. alt 32, 218). Die viel-
gerühmte „kultur*" des volkes wird ausserhalb des bereiches der klöster nicht gross
gewesen sein; offenbar war das pygmäengeschlecht der Iren körperlich und geistig den
Germanen nicht gewachsen, eine inferiore, für fremdherrschaft und geistige knech-
tung prädestinierte rasse.
1) S. Kv?L'{)abrot Braga ens gamla s.S. Gegen zwei von den dort aufgestell-
ten behauptungou hat Bugge widersprach erhoben: das von mir aus dem handschiift-
lichen apir hergestelte apt, das ihm 1888 noch plausibel ei'schien (Om runeindskriften
pan Hökstoncn og ])aa Founaasspiunden s. 6), beanstandet or jetzt wol mit recht auf
grund der von Uj. Falk gemachten einwendungen, und Ermenrekr betrachtet er als
eine unnordische namensform, die schon bekanntschaft mit der südgermanischen sage
verrate (V).
2) Gegen die auch von Bugge (s. 111) citiorte äusserung von Steenstmp, der
sich darüber wundert, dass schon um 850 die norwegische poesie so schwerfallige
bilder solle gekannt und bei den zuhörcm eine so grosse gelehrsamkeit solle voraus-
gesetzt haben, hat schon Gust. Storni (Kritisko bidrag til vikingetidens historie s. 45)
mit recht eingewandt, da.ss mau nicht a priori die einfachere poesie für die ältere
erklären dürfe. Sollte das ein kritisches princip werden, so behauptet vielleicht ein
gelehrter des 3. Jahrtausends, dass Goethe und Heine vor HofEmannswaldau gelebt
haben.
XOGK, ÜBIR W0LF8KRHL, OERBiANISCHB WERBUN688A6RN 127
hinaus^, und die etymologischen partien verraten hier und da eine ungenügende kennt-
nis der nordischen spräche'. Es wäre aber interessant zu erfahren, wie Bugge zu
der bypothese Zimmers sich stellt.
Bugges ausführungen haben mich also nur teilweise überzeugt Oleich wol
stehe ich nicht an, sein buch zu den bedeutendsten werken zu rcchnen, die auf dem
gebiete der altnordischen litteraturgeschichte erschienen sind, da er eigentlich zuerst
die frage nach der echtheit der ältesten norwegischen skaldendichtungen in üuss
gebracht hat Die zweifei, die andere vor ihm geäussert haben, wollen wenig besa-
gen gegenüber diesem mit der ganzen wucht solider gelehrsamkeit und kritischen
Scharfsinns unternommenen angriffe. Dass die gelegentlichen bemerkungen über ein-
zelne schwierigere stellen in den werken altnordischer dichter sehr vieles richtige
und treffende enthalten und das Verständnis dieser poesie erheblich fördern, sei zum
Schlüsse noch besonders hervorgehoben'.
1) Zu streichen ist z. b., was Zimmer (Ztschr. f. d. a. 32, 332) über nord-
germanische züge in der irischen Ercoilsage vorträgt: das isländische Jieatavig war
etwas ganz anderes, als was Weinhold im Altn. leben (auf das Zimmer sich beruft)
daraus macht
2) So operiert er z. b. in seinem versuche, ir. fiann aus altn. fjdndi herzu-
leiten (Ztschr. f. d. a. 32, 92) mit der lediglich neuisländischen pluralform fendr;
für lagdir, Ic^äa (ebda s. 152) wäre lagäir, layda zu setzen, was dem ir. kegda
nicht mehr genau entsprächo.
3) Ich freue mich konstatieren zu können, dass die s. 126 anm. gegebene erklä-
ruDg von Strophe 6 der Arinbjamarkvit)a im wesentlichen mit der kürzlich (SagabibL
in, 310) von mir vorgeschlagenen zusammentrifft Dass die stelle eine anspielung
auf den m^-thos von Qbinn und 6unnlQ{> enthält, dürfte wol nicht mehr bezweifelt
werden. Nur in der erfiärung des Wortes maki weichen wir von einander ab: ich
würde Bugges auffassung (als der einfacheren) den vorzug geben, wenn tnctki in der
bedeutung „conjux** schon im altn. nachweisbar wäre.
£IIL, 16. DICBB. 1894. HUGO QKRINO.
Germanische werbungssagen. Von K. WoiCskelil. I. Hngdietrich. Jarl Apol-
lonius. Dannstadt, A. Bergsträsser. 1893. 33 s. 1 m.
Die vorliegende arbeit ist zunächst nur ein aus zwei teilen bestehendes frag-
ment, das jedoch bereits das endziel des angekündigten werkes ahnen lässt: der Ver-
fasser will die germanischen werbungssagen aus einem altgermanischen naturmythus
erklären und in engsten Zusammenhang mit dem nahanarvalischen Dioskurenpaare des
Tacitus bringen. Im ersten teile, in dem ganz am Schlüsse die Werbung Hugdietrichs
verarbeitet wird, soll der riese Vasolt, wie er uns im Eckenliede und bei Caspar von
der Ron entgegentritt, als sturmdämon erwiesen werden, dessen kraft in seinem
haupthaare hegt, in dem die sturmgebärende, flatternde wölke symbolisch dargestelt
sei; durch sein „weibliches'^ haar sei Vasolt das mythische parallelstück zu dem
priester jener Dioskuren, der tnuliebri omaiu geschmückt war. Mit Vasolt deckt
sich der stumigott Odinn, nur dass dieser nirgends mit weiblichem haare erscheint
Aber auch dies wird aus der Überlieferung herausconjiciert: Odinn ist bei Rindr erst
zum ziele gelangt, als er in weibsgestalt zu ihr getreten war; diese frauengestalt ist
aber das jüngere, ursprünglich waren es nur die weiblichen haare, durch die er zu
seinem ziele kam (s. 23). An Odins stelle ist in der süddeutschen sage Hugdietrich
getreten, der die Hildeburg gewint, indem er als Jungfrau verkleidet bei ihr eindringt.
Natürlich wird auch die Hartnngensage mit verarbeitet. Hier baut Wolfskehl blind-
128 jnaczEK
lings aaf Müllenhoffis deutung. — Der Verfasser ist unstreitig in der litteratnr seines
themas wol bewandert, allein ihm fehlt ein weiterer blick and mit ihm die wün-
schenswerte kritik der quellen und der litteratur. Seiner methode vermag ich eben-
sowenig beizustimmen wie dem resultate seiner forschung.
Im zweiten stück (Jarl ApoUonius) wird das gedieht „vom TTeltweib^ (Hoif-
mann. Hör. bclg. 11 nr. 14) mit der Apolloniussage in der I^idrikssaga zusammen-
gebracht Ich halte diesen beweis für gelungen. Die tatsache lässt sich auch
geschichtlich leicht erklären: das niederdeutsche lied oder die sage, aus der es geflos-
sen, kam mit anderen stofTen nach Norwegen, wo sie der sagaschreiber an die Iron-
sage angeknüpft hat Dagegen mythischen hintergrund hier zu wittern, halte ich für
ebensowenig angebracht wie in der Hugdietrichsage.
LEIPZIG. B. MOOK.
Die spräche der skalden auf grund der binnen- und endreime, verbunden mit
einem rimarium von Bernhard Kahle. Strassburg, Karl J. Trübner. 1892. Vlll
und 303 s. 7 m.
Das buch Kahles zerfällt in zwei teile: einen darstellenden, der nach einem
einleitenden kapitel über die rcimtechnik der skalden in drei abschnitten vokalismus,
konsonantismus und einigte punkte der formcnlchre behandelt und dann auf zwei Sei-
ten die ergebnisse zieht, und einen statistischen, das rimarium, das von seite 93 bis
zum Schlüsse des buches reicht. In dem kapitel über die reimtechnik konstatiert
Eahlo zunächst auf grund statistischer tabellen das allmähliche seltenerwerden der
vollreime in den ungeraden verszcilen und analysiert dann die reimbindungen der
konsonanten, zunächst nach der zahl der gebundenen konsonanten (einfacher konso-
nant: einfachem konsonanten, einfacher konsonant: erstem konsonanten einer gmppe,
usw.), dann nach der ait der konsonanten (muta: muta -f- liqu., usw.), woran sich
belege für die bindung tonloser und tönender konsonanten schliessen. Die dankens-
werten und ileissigen Zusammenstellungen leiden nur daran, dass das induktionsma-
terial nicht vollständig ist; eine auswahl von fünf skalden aus dem 11. bis 14. Jahr-
hundert, wie sie z. b. Kahle bei der Untersuchung über das abnehmen des voUreimes
an ungeraden stellen zu gründe logt, gewährt doch wol nur unsichere Schlüsse. Aach
die druck- oder rechenfehlor sind störend, die in den statistischen tabellen schlimm
gehaust haben; so z. b. ergibt die Zusammenstellung unter 1) in der tabelle aaf
Seite G nicht 560, sondern 554, wodurch die procentzahl von 10.71 auf 10,83 steigt;
die summe 80 unter 1; auf scite 12 oben stimmt weder mit den einzelnotierangen
des Verfassers, denn diese geben addiert 75, noch mit der wirklichen zahl der fülle,
denn bei pjopölfr hvmverski ist 10 zu 14 zu korrigieren und die gesammtsumme
beträgt alsdann 79; und dergleichen noch öfter. Wer also in die läge kommt, sioh
dieser statistischen tabellen bei einer arbeit zu bedienen, der wird nicht umhin kön-
nen, flcissig na(;hzuaddieren und procente zu berechnen, was für einen philologen
nicht immer die angenehmste arbeit sein dürfte. Auch die citatenziffem sind von
druckfehlom nicht frei; so begegnen z. b. imter den wenigen citaten aus Wiaen in
tal>olleXI (s. 23) die fehler flo (sie): tiva ßjöp hv. Wis. 19 statt 9, Seite 24 seile 2
14 für 15, und auch andere druck fehler haben sich eingeschlichen: Brage, Bagn. dr.
2, 3 heisst es bei Wisen mcere, nicht mrfce; leipipir L leipipir (im zweitnäohsten
citat); für Skül. in zolle 2 der tabelle (sub a) muss Skul. stehen, wie überhaupt mit
den abbreviaturen Ein. Skdl. [Einarr skälaglamm] und Ein. Skul. [Einarr Skolason]
t^BER KAHlK, 8t»RA0Hfi DKR SKALDE}^ 1^
der dmokfehlerteuftil sein böses spiel getiieben bat; ich notiere nur aus dem ersten
kapital, dass s. 16 Skul. für Skäl. steht, ebenso s. 18 z. 5, umgekehrt Skäl, für
Skul. 8. 19 oben, s. 21 sub IX a [wo es übrigens Wts. 58 heissen muss], s. 23, s. 27
2. 9 und 13. — Die unkorrektheit des druckes betrifft übrigens gleichmässig das
ganze buch, und es darf in dieser beziehimg fast als ominös angesehen werden, dass
dem leser gleich auf einer der ersten Seiten unter anderen kleinen fehlem die merk-
würdige gleichung „7, = erste hälfte*^ entgegentritt! Die Unsicherheit, die den
benutzer des buches zwingt, jedes citat nachzuschlagen, ist bei einem werke, dessen
grosster teil als nachschlagebuch dienen soll, unangenehm, und im Interesse des ver-
fMSsers, von dessen fleiss und ehrlichem streben die ganze mühsame arbeit zeugt,
moss man diese äusseren mängel, die sich bei genauer korrektur hätten vermeiden
lassen, beklagen, um billig zu sein, darf man allerdings nicht vergessen, welche
Schwierigkeiten die korrektur einer aus tausenden von citaten bestehenden arbeit
bereitet
Die Kapitel U — TV beschäftigen sich mit den folgerungen, die sich für die
giammatik, speciell die lautlehre aus den reimen ergeben; Kahle geht ausführlich
auf die fragen des u- und i^-umlautes ein, und gibt ein (allerdings kaum ganz hin-
reichendes) resume über die schwankenden und widerstieitenden erklärungen imd
Untersuchungen des problems, wobei er sich hauptsächlich Wadstein anschliesst. Es
folgt die behandlung der brechung und einiger anderer vokalischer probleme, wobei —
wie überhaupt in diesem kapitel — das durcheinander historisch -polemischer betrach-
tongen und der darstellung des in skaldenreimen gegebenen matorials vielleicht unver-
meidlich war, aber die Übersicht über die tatsächlichen Verhältnisse etwas unbequem
macht Kürzer und übersichtlicher ist der konsonantismus behandelt, auffallend kurz
das „Aus der formenlehre* überschriebene kapitel. Gerade an diesem letzten zeigt
sich, dass die spräche der skalden nicht auf grund der binnen- und endreime allein
dargestellt werden kann, sondern zum mindesten auch die zeugmsse der metrik ein-
gezogen werden müssen; und damit ist der schwache punkt in der anläge des ganzen
Werkes berührt: die allzu kleine basis, auf der sich das gebäude einer darstellung
der skaldensprache, mit andern werten der norwegisch -isländischen sprachentwick-
long in einer zeit, für die uns die skaldenfragmente (und Eddagedichte) fast allein
anakunft geben, erheben soll. Und ist diese enge basis (die der Verfasser übrigens
noch enger gezogen hat als es wünschenswert wäre, denn er berücksichtigt ohne ersicht-
lichen grund nicht das ganze überlieferte material) auch ausreichend gesichert? Bei
Untersuchungen, wie die in Kahles buche angestellten sind), muss die textkritik eine
Tollkommen gesicherte grundlage bereits geliefert haben, ehe eine auf formelle beob-
achtung gegründete abloitung sprachhistorischer resultate beginnen kann. Wisens
Carmina Nornsna sowie die Unger'schen ausgaben der Hoimskringla und Konunga-
sögur können diesen anspruch nicht erheben; ehe aber eine ausgäbe der skalden mit
YoUstindigem kritischen apparat vorliegt, ist es überhaupt fraglich, ob ein ver-
such, die Sprache der skalden darzustellen, zu abschliessenden resultaten führen
kann. Die antwort wird wol im allgemeinen verneinend ausfallen, und damit ergibt
sich auch ein billiges urteil über die schwachen Seiten von Kahles versuch; der dar-
stellende teil muss schon wegen der beschaffenheit des benutzten materials an wert
hinter dem Rimarium zurückstehen, und die beständige bczugnahme auf sprachhisto-
rische theoreme, die in ihrem umfange weit über das gebiet der skaldensprache hin-
ftosreichen, zeigt am deutlichsten, dass die meisten der hier berührten probleme ihre
ISsong nidit auf diesem engbegrenzten gebiete finden können, unbillig wäre es,
ZmSCtfBIFT F. DBUTSOHB PHILOLOGIB. BD. XXVIH. 9
130 BERNHARDT
darüber die anerkennimg für deo fleiss und die ehrliche mühe, die sich der Verfas-
ser gegeben hat, zu vergossen, und den nutzen unbetont zu lassen, den das Rimariam
für grammatische und metrische zwecke bietet ; ganz leicht zu heben sind freilich
seine schätze nicht, denn auch hier muss der benutzer erst die nachprufong der
citate und richtigstellung der nicht seltenen druckfehler vornehmen , und kein registor
hilft dem benutzer, der aus der menge gleichgiltiger belege diejenigen hervorsuchen
will, die etwa über das vorkommen von doppelformen (wie z. b. fram und framm^
fyrdar und firdar usw.) auskunft geben, . oder sonstwie wert für die beleuchtung
einer wortform oder grammatischen oi-scheinung besitzen. Ein solches Wortregister,
das die stellen anführte, an denen ein wort nach seinen verschiedenen grammatischen
Seiten behandelt ist, würde viel dazu beitragen, die wertvollen belege und erörte-
terungon, die sich zu einzelnen formen und glossen in dem buche finden, hen^orzu-
heben und leichter zugänglich zu machen; es würde vielleicht auch bei der arbeit
selbst den Verfasser auf manche versehen aufmerksam gemacht haben, die sich bei
der isolierten betrachtung der einzelnen verszeilen eingeschlichen haben (vgl. z. b.
die bemerkungen Finnur Junssons Ark. f. nord. iil. IX, 384), ihn manches haben
scheiden lassen, was nach der reimrubrik jetzt zusammengeworfen steht (so z. b.
vermindert sich die zahl der beweisstellen für j als Spirans auf s. 69 um die Mle,
wo g iutervokalisch vor palatalen vokalen steht; sowol die Schreibungen isländischer
handschriften (z. b. seür) als auch die moderne ausspräche, die ein so feiner pho-
netiker wie Heniy Sweet in diesen fällen konstant als halbvokal, nicht als Spirans
notiert — vgl. z. b. die Spocimens of Icelandic in seinem Handbook of Phonetics —
machen rätlich, diese fälle von den übrigen abzusondern) u. dgl. m. Seit dem
erscheinen des buches sind teils direkt durch recensionen berufenerer fachmänner,
als roferent es ist, teils indirekt durch verschiedene abhandlungen und werke , von
denen besonders Gislasons Udvalg af oldnordiske slgaldokvad zu nennen ist, ver-
schiedene einzelheiten im darstellenden teile korrigiert und überholt worden; dieser
umstand verwehrt mir, der ich erst in letzter stunde als ersatzmann die anzeige des
buchüs übernommen habe, vom heutigen bereicherten Standpunkte unsres wissens
aus ein vor drei jähren erschienenes buch in einzelheiten zu kritisieren, über die der
Verfasser selbst inzwischen seine meinung berichtigt haben dürfte. £s liegt in der
art eines solchen grammatisch -statistischen werkes, dass seine mängel mehr ins aoge
fallen als der nutzen, den es gewährt. Dieser nutzen wäre noch grösser gewesen,
wenn der Verfasser das ganze material in sein Rimarium aufgenommen hätte; doch
auch so bleibt neben dem vcifrühten und unzulänglichen in der arbeit der wert der
tatsächlichen beobachtungen und belege bestehen und gibt dem Verfasser das anrocht
auf dankbare anerkonnung seiner mühe.
BRESLAU. 0. JIRICZEK.
über den oinfluss des hauptsatzes auf den modus des nebensatzes im
gotischen. Von prof. dr. V. £. Mourek. Aus den Sitzungsberichten der köoigL
böhmischen gesellschaft der Wissenschaften; vorgelegt am 5. december 1892 (s. 263
bis 296).
In meiner abhandlun^' „Der gotische optativ*^ (Ztschr. VIII, 1 — 38) habe ich
in bezug auf den einfluss des hauptsatzes auf den modus des nebensatzes folgende
regeln aufgestellt:
1. (Bedingungssatz.) Fällt die bediugung in die Zukunft, oder widerholt sich
dieselbe in gegen wart und Zukunft, und enthält der hauptsatz den imperativ oder den
ÜBER MOURRK, OOT. MODUSLEHRE 131
adhortativns, oder ist er selbst ein fiualsatz im optativ, so schien dem Goten auch
die bedingang, von der jener abhängt, in die Sphäre des gedachten zu gehören, und
der Sprachgebrauch erforderte den optativ. Dasselbe gesetz gilt von den relativ- und
temporalsätzen und ist auch im ahd. in kraft (s. 26).
2. (Relativsatz.) Häufiger findet sich, wie im ahd., der optativ in solchen
relativsätzen, die einen künftigen oder in gegen wart und zukunft sich widerholenden
üH bezeichnen, an den, wie an eine bedingung, das eintreten der handlung des
hauptsatzes gekuilpft ist; an die stelle des saei könnte jaiai hos treten, und im
griechischen steht oder müsste doch nach dem klassischen sprachgebraucho äv mit
dem coigunctiv stehen. Auf diese relativsätze also findet die regel der bedingungssätze
anwendung: sie stehen bei nachfolgendem (richtiger „übergeordnetem*^) imperativ,
adhortativus und bei übergeordnetem finalsatze im optativ. Doch ist wahrzunehmen,
dass die regel nicht ganz so streng durchgeführt ist, wie bei den bedingungssätzen
(8. 33).
3. Der optativ steht femer ausnahmelos im relativsätze, wie im ahd., wenn
die existenz des im relativsätze umschriebenen begriffes durch eine negation im
bauptsatze geleugnet oder durch die fragende (hypothetische) form desselben als
unsicher hingestellt wird (s. 35).
4. (Temporalsatz.) Ganz wie im bedingungs- und relativsätze steht der opta-
tiv bei hife und fan, wenn der hauptsatz eine aufforderung enthält oder ein finalsatz
übergeordnet ist und der nebensatz ein einzelnes künftiges oder in gegenwart und
Zukunft sich widerholendes ereignis bezeichnet (s. 37).
Ganz ähnliche sprachliche erscheinungen hat 0. Erdmann bei Otfrid und ande-
ren ahd. Schriftstellern , auch im mhd. , teilweise sogar im nhd. nachgewiesen , s. Unter-
suchungen über die syntax Otfrids § 232 fgg.; Grundzüge der deutschen syntax § 192
te- Vgl. auch für das mhd. Bock, QF. 27 (Strassburg 1878); Weingartner,
Programm Troppau, 1881, sowie die eingehenden Untersuchungen von üllsperger,
Programme des Staatsgymnasiums in Smichow 1884 — 1886.
Gegen meine aufstellungen wendet sich der in der Überschrift bezeichnete auf-
satz Monreks. Monrek leugnet zwar die „assimilierende*^ kraft des Optativs im
haaptsatze nicht ganz, schreibt ihr aber geringe Wirksamkeit zu; zur erklärung des
Optativs im nebensatze komme man überall mit dessen eignen umständen aus. Dem
imperativ im hauptsatze erkennt er eine einwirkung auf den modus des hauptsatzes
gar nicht zu, der negation nur eine beschränkte.
Seine darlegung hat mich nicht überzeugt, und es liegt mir ob, das, was ich
vor 17 Jahren behauptet habe und noch für richtig halte, zu verteidigen. Zuvörderst
ein Zugeständnis: um möglichen misvcrständnissen vorzubeugen, hätte ich auf s. 26
vielleicht das dort aufgestellte gesetz so fassen sollen: Fällt dio bedingung in eine
noch nicht gewisse zukunft oder widerholt sich dieselbe in gegenwart und zukunft,
und enthält der hauptsatz den imperativ oder den adhortativus, oder !st er selbst ein
finalsatz im optativ, so pflegt der Gote im nebensatz, wenn dessen inhalt es
gestattet, den optativ zu setzen. Dass ich nicht meinte, der optativ stehe auch im
Widerspruche mit der beschaffenheit des nebeusatzes imd mit der logik, ergibt sich
übrigens aus meiner darstellung auf s. 27 von selbst.
Eine erklärung der erscheinung versucht Erdmann in den Grundzügen § 196.
Ich möchte noch einen versuch zur em'ägung geben. Wilmanns gibt in seiner Deut-
schen grammatik s. 194 folgende erklärung des umlauts: Das % wurde in der weise
in die Stammsilbe angenommen, dass die zunge, noch ehe sie den trennenden konso-
9*
oaDten artilnili«1e, schon die stellniiK, die das i verlangte. eimoDehmra tnahtM^
Was hier auf phooetiachL-in gebiete vorgietig. könnte aiuh aucli aaf ilem logiarluia
ereignet Iialn-n; nämlicii der dem Kebiet>] de« vorgesteUten angehörigo, fast imnior
nachroi^nde liauphwtz künnt« den nebensatz in dies gebiet hineingeEOKen halmn.
Freilich darf m&n sich den vurgung nicht nht ganz anbewusst deul^on; tlaa btfwdMii
die wol überlegtfin, von mir anf a. 27. 34 angaliilirten auanabmou.
Uourek bsudelt xuerst von den bediDgungasitien. Den s. 30 von mic
angeführten l>elegeu rtir dae aufgestallto gesetz habe ich 11 aasnahtui>a gegenttber-
gestellt, die teÜ» darauf bembuu, dssa die bedingnng iweifelloa Uta^lii^ Ist (e. k
Joh. XVlll, & jabai hu mit sakeifi. hiip pant gaggan tS — rijrtiK), wohin die Ulli
mit dem prlkteritum gehören (x. b. Bäm. SI, 17 jabai rumai Pixe tute usbmliModt
dun, ip pu inlTuxgißa varat — ni hop ana fan* axtami, oder dus sie, aatBpn-
chend der ansieht dea angeredeten., für den aogenbiick als t&lsSchlicIi angeDtimiaw
wird {hierher auoh das von mir ttbereehone Mt. XXVII, 42), leils, wie icb danute
annahm, auf naciiüissigkeit de» tlbersetzei's oder unrichtiger überliebtning xurücksti>
fiihren sind (Rom. Xm, 4. I. Kor. VII, 12 gautilja ül. U. Kor. X, 7: bei übtib
geoi'dDetem finalsatze II. Kor. IX, 4). Monrok hat noch drei wnitere, von mir Qbar^
sohene stellen dieser art nachgewiesen (I. Kor. VII, 15. 21. Oal. V, Ifi). S«hen wir
von den Wien «irklicber oder angeuommeoer tatsSchlicLkeit ab, so stehen den 3G
von mir gegebenen belegen T ausnslimen gegenüber; mt^i? beUauptang (k. 27) ,&
auanabmen sind selten' dürfte demnach unanfechtbar sein. Ober einige von Monall
falsch ausgelegte stellen s. unten.
Über die ausnobnien darf maa sich nicht wundem; sie stehen in gloJcher nSbt
mit niancbcu anderen grammatischen Unregelmässigkeiten der gotischen übeiMtiui^
WulfUa &:id keine litteruiisoh durchgebildete und gefeatigto spräche vor; wenn m
nicht übel-all mit atienger folgericbtigkett verfShrt, so iBt sein werk im ganzen darin
nicht weniger der bewunderung wert Vielleioht ist dnber der verdacht unricbtigK
Überlieferung für jene stellen unbegründet
Neben diesen ausnahmen fuhrt Uourek als beweis gegen das von mir aufgo-
atsllte gesotx furner an, dass der modus de» nebensatiefi neben imperativisiihem haup^
sstxe biswoileii wechsele, welche fülle ich auf s. 27 einzeln ürkIHrt liabo; fomvr, dia
sich der o|itativ des nebeosatzee aaeh bei indicativ im hnuptsatie finde (s. mmif
abhandluug s, 24), was niemand als beweis gegen meine anaführungeu anseben wird;
enitliuh, dass der optativ des nebeiiaatxes in allon Men aus dessen eigner beschaf-
fonbuit erklärbar sei: er sei outwoder eukliv (d. h. er drücke, neben der bedingoag^
den wünsch des redenden aus), oder dubltativ (d. h. er stelle die. bvdingung ala
Kweifelhaft hta), oder potentia). Die beiden letzten kategoriou fallen im gmnda
Kusamiiieu; die erste erkenne iuh nicht an: ich glaube nicht, dass ein bodingungsotli
«einer form aouU so gustaltet werden könne, dass daiaus der wünsch des reden-
den, dio bodiogung möge sich verwirklichen, xn erkennen iiei. ^Buktiv" tiull i. h,
■ein Mo. IX, 2'i jabni mageia, hilp imaara; wenn ich Mourek reolit versteha, nll
alsoj'oAaima^in« dort bedeuten: ,w0nn du kannst — und, dass du könnest, wünsdiia
wir." Dies holte ich (nr undenkbar. Auf solche weise erklärt Uouiek .loh. Xü, SV,
eine sloUe, die ieh als deutliehen beweis lur den einfluss dea adhortaÜTOs her-
vorgehoben batta: ^abai mit kas andbak^ai (und das wünsche ich), taut laid-
jai — jah jahai ha« mia aitdboMiip (ob er's tut oder nicht, ist seine andi^
Ul will ee nicht entscheiden, aber aicher ist:) aiperaip ifta otfo.* Ist das and-
takffon an xwelter KtoilD weniger wüiisubeuitwert, als au der ernten? Wohu daaa
ttSEB KODßEK, r,OT. jiohuhi.bhrr 133
Ltfto r«rechJcdeDe Wendung des gedaiikens, weaa nicht der eiufluss der verschieden
LgOfttalteten hauptsübe eie hervorrief?
Potealial, d. h. sabjektive snDahnie und uogewissheit über doü eintreten der
ingnng Busdiückeod , ist der optativ des nebensatzes in alleti dieson fallen. Ob
r aooh .ironisch potential" aein könne (jabai kras habai au»o»a hausjandona
a jemand etwa ohrea bat zum hören — und er düj-fte sie wol iiaben' s. 272)
lir sehr zweifelhaft.
Drei stellen, die Moorek anter den aasnabmeo auffährt, hat er entschieden
li aufgefasst. Zu JoL IX, 22 getqepun gia Jtidaitia, ei, jahai hraa ina atui-
I iaiMail* Xristii, utana synagogaia aairpai bemerlit er, jabai hae and/iaihaiti sei ein
I irrealer vnrdei^atz, was undenkbar ist; in direMer rede würde es heissen: /o^V Aro«
1 attdhaitai — icairpai. LI. Kor. XI, 20 [iispiilaip, jabai hias ixris gaßwaiß
gehört nicht anter die ansnahnien von moiner rogel, denn ttspiilaip ist, wie das
grieobisohe iaiix^aSt yaQ beweist, indicativ, II. Eor. XIII, 5 gehört ebenso wenig
dun; der «abt mit nibai (nisi forte — ) ist von den imperativen fraisip und tauseip
dnrch einen zwischenaatz getrenut, so dass jene keinen einllass üben konnten.
Auf 9. 271 wirft mir Mourek Widerspruch vor; .Jabai mit optativ", sagte ich
». 24, , bezeichnet die bedingung als rein gedacht; ob sie sich verwirklichen kann
oder nicht, kommt nicht in betracht.' Dies soll sieh mit s. 2 nicht vereinigen: „Es
Bndet (beim optativ) ein subjektiver anteil des redenden von grösserer oder geringe-
rer stärke statt, durch welchen sich die aussage als wünsch, geheiss, vermataog
od«r annähme darstellt." Unter , annähme" verstand und verstehe ioh, was ich s. 2i
■te ,rein gedacht" bcMtchnote, z. b. (( in .inp« lof^ ßi-Xon titelt; xitxti. ila/iivos
fXOK iiv, Nixai/'Siv, iJ V0V t^di (denken wir uns einmal, nehmen wir an, dass — ).
ftber den unterschied dieser satzart von jabai ^ ft mit indicativ (eines hanpttempua)
möge sieh Mourek aus einer beliebigen soliutgramniotik, z, b. der grieohiachen von
Oattius § 536. 546, oder aus meiner gotischen % 182 unterrichten. Bei seiner delini-
tion der letztgenannten satzform (s. 268) vermisse ich klarheit.
Ich gebe noch folgende zahlen zur orwüguug: jabai mit indicativ des präsens
"fladet sich nach Schulze Glossar I36mal, teils griechischem tt mit indicativ des prae-
Itetu, teils frir mit conjuDotiv des praesens oder aorists entsprechend. Mit dem opta-
l> fiv des praesens steht jabai 4ämal; darunter 36mal so, dass imperativ oder adhor-
> titivuB oder ein finalsatz im optativ übergeordnet ist; da ist doch wol der HchtuRs
ger«;btfertigt, dass nicht zufall gewaltet hat, soudem ein sprachliches gosetz vorliegt
Im zweiten abschnitt redet Mourek von den rülativsHtzcn. Wie ich anf
B. 33 deutlich gesagt habe, handelt es sieh dabei imi die rcJativsStze, die einen künf-
tigen oder in gegenwart und zukunft aich widerholenden fall bezeichoen und dnroh
cinon bedingungssatz ersetzt werden können. Den unterschied zwischen Sätzen, wie
,wcr gestohlen hat, ist ehrlos" und „dieser mann, der gestohlen bat, ist ehrlos"
«cheint aber Mourek nicht anzuerkennen; indem er es untemimnit meine regel, dass
jene bj'pothetischen relativsätze im optativ stehen, wenn ein imperativ oder adhorta-
tivus oder finaler optativ übergeordnet sei, zn widerlegen (,von einer solchen regel
kann gar nicht die rode sein"), führt er eine menge von beispiclen an, die gar nioht
hterbin gehören, weil der relativsatz teils tats&chliohes aus der gegenwart enthält,
träls sogar vergangenes bezeichnet; diese stellen sollen beweisen, dass der modus dea
haoptsatxcs ohne cinfluBS floi! Sohon sein erster beleg gehört nioht hiertier: inMt.X,27
falti qipa itwii in riqixa, giPaip in tiuhada (M kfya, nicht ü äv X/yxo) bedeutet
fatei ^ipa Mvü „das, was ich euch (jetzt tafsächlich) sage", nicht ,was ich euch
134 amaiauan
künltig etwa sagen werda." Ebonso uniicbtig ist dus zweite beispiol gewäbll, mit
dem pniet«nluni : Mc. I, 44 atbair fram gahraincimti Jicinai ^alei anahaup Sloaei.
Moureka auf solche belege bef^ründeto beweis füb mag btt daher durchaus hfo^lig.
Bas» das gosetü nicht ohne ausDahme durchgeführt ist, dass zuweilen, wo man de»
Optativ erwartet, der futuriscbo iodicativ des praesoDG steht, habe ich selbst s. 34
aaerkannt
Auch dass bei übergeordnetem Ga&lsatze im relativsatzo der optativ stehe,
loagnet Mourek-, aber auch hier hut er seine belege lutn teil übel gewshlt. In
Joh. V, 3C {po waurstica, Poei atynf mis atta, ei ik taiijau po) ist nicht der final-
sats, soadeiQ der relativsatz üborgeoi'dDet. In KoL IV, 16 [iiipUlatde] poei iai im
Laudeikaion («') jus unaiggiraid liegt kein liypothetisuher relativsatz vor; ebenso
wenig Mo, X, 35. U, Kor. XU, G, I, Thess. IV, ]2. Mehrere belege waren am
praeteritum als nicht hierher gehörig auf den eisten blick zu erkennen.
Bei Houreks eigener erklärung der D|)tative wird der euktiv wider mit hetUD-
gCEOgen, z. b. Pbil. 3, lü swa managai awe sijaima fullawilana, pata hugjaima
(also n^le, die wir vollkommen sind", mit dem nebangedanken ,dass wir es doch
alle wären?'). In I. Thosa, V, 21 Pala goP sijai gahabaip soll syoi potontial, in
Epb. V, 10 tjakiiiaandavx palei aijai wailagoieikaip fratgm dubitativ eein; iuli ver-
mag keioon unterschied xu erkenuen.
Noch aufTallender als in den bisher besprocbeneu abschnitten tritt ooklaiheit
des granimatischen wissens und denkens in dem hervor, was Mourek über den optft-
tiv nach negativem haoptsatze sagt In dem satze Lac. I, 61 ni aitukun i»t ü*
kiaya peinamma aaei kailaidau Panirna iiatnin trifft die nogation den inhalt d08
nobensatzes: das nennen mit diesem uonieu fmdet nicht statt. Dagegen ML X, 3?
aaei frijoP attan seiiuma aippau aipciti aeina ufar mik, nist meina wairPs ttiSl
Rie ihn nicht; es sind ja rWc vorhanden, in denen das mehv-liebea stattßndet. TgL
Joh. XU, 35 siMi gaggip m riqixa, ni wait hvap gaggip usw. Nur auf jene erste
gattung von Sätzen bezieht sich meine regel, dass hier der optativ stehe; sie erl^det
keine ausnähme; die von Mourek zur Widerlegung angeführten beispiele geböm
sämtlioh der zweiten an, soweit sie nicht — ein ebenso auITallender Irrtum — ioill-
lekte fragesätze, nicht relativsätze, sind, wie Job. VII, 27 Xri»ttu Upe qimip, m
matma tcail, hrapro ist,
Bai übergeordneter frage ist zu onteKuheideo , ob die frage oegativon sinn bat .
und rhetorisch ist, und ob die darin liegende negation sieh auf den nebensatji erstreckt;
in diesem falle ist der optiitiv erforderlich, z. h. U. Kor. Xil, 13 li-a ial pi%si tteatoi
meseip ,ihr habt uiohts entbehrt'; U, 2 hvaa üt aaei gailjai mik „niemand er&wt
mich.-' Ganz anders geartet sind falle, wie Lc. XX, 2 hos ist naei gaf put ßata
tcaiilufni, denn das geben hat stattgefunden; vgl. Lc-TI, 3 niu pata uaauggmd
palei galaiciila Davfid usw. Auch hier wirft Mourek die verschiedenen arten dURh
einander; doch hat er eine von mir ubei-sehene ausnähme von meiner regel magt-
führt; i. Kor. IV, T h/a hahaia Patei nt namt, wo man »emeis ei'wailot'.
Ebenso wenig glück wie mit den relalivsätzen hat Mourek mit den temp«*
ralsätzen gehabt Meine behaaptung ging dahin, dass temporalsätze der Eoküfi
mit ^n and bipe bei übargeordnelom imperativ, adhortativus , finalsatze im optatlT
1} In meiner abhandlung hiitte ich die andeis gearteten sfitze Lc. VU, 40 hu
ist m aati frauaurhtim aflelai und Me. XIV, H kar »ind salipitos parei palfat
— matjati unterscheiden sollen; aflelai drückt, wie Uonrek richtig sagt, den iweifel
dur pliarisfier aus; parei matjau ,wo ich essen könnte'.
ÜBER MOUBEK, GOT. MODUSLEHRB 135
stehen. Dass bei utäe and und ßatei der Sprachgebrauch zwischen optativ und
(fnturischem) praesens schwankt, habe ich selbst konstatiert. In einem falle I. Kor.
XIV, 26 ha nu ist, fan samaf garinnaip? nahm ich eiufluss des fragenden haupt-
Satzes an^. Von einer einwirkung der negation im hauptsatze habe ich überhaupt
nichts gesagt; sie könnte bei temporalsätzcn nur in Verbindungen wie griechisch odx
fanv 6n6n eintreten, und solche kommen nicht vor.
Mourek will zuerst beispiolo des indicativs nach hortativem hauptsatze anfüh-
ren; mit Pan ist nur ein von mir erwähntes zu finden: Mc. XIII, 29 stcah jah jus,
Pan gasathiß ßata tcairßan, kunneißy wo Mourek erklärt: „gesetzt den fall, ihr
sehet dies werden'^, eine hypothetische bedcutung, die ßan nicht hat; vielmehr
scheint der indicativ des praesens das zweifellos in zukunft zu erwartende zu bezeich-
nen, wie Mc. XU, 23 in ßixai tisstaasaiy ßan usstandand, harjamma ixe tcairßiß
qens und sonst Sodann folgen beispiele des indicativs neben fragendem hauptsatze,
die wider zum teil ein praeteritum enthalten, also gar nicht hierher gehören; dann
eine aufzahlung von temporalsätzcn im indicativ nach negativem hauptsatze, dessen
„negation offenbar auch den inhalt des nebensatzes trifft*^; hierbei herscht dieselbe
Unklarheit, wie bei den rclativsäten , vgl. Mc. XII, 25 ßan usstandand, ni liugand
ni liuganda. Mt XXVII, 12 mißßanei wrohißa vas, ni waiht andhof. Wie Mou-
rek meinen konnte, der nebensatz werde hier von der negation des hauptsatzes be-
troffen, ist mir unverständlich. Dass die von finalsätzen abhängigen temporalsätze
im optativ stehen, wofür ich neun belege angab, „ist gewiss nur zufall*^.
Bei Moureks eigener erklärung des Optativs in temporalsätzcn tritt auch hier
der „euktiv*^ mit auf, z. b. Ix. I, 20 sijais ßahands und ßana dag ei wairßai ßata,
bei dem werte dos engeis an Zacharias: er würde also sagen: „sei stumm bis
auf den tag, da dies geschieht, und dass es geschehe, wünsche ich.*^ Das heisst
zwischen den zeUen lesen.
Ich kann auch bei diesem abschnitte nicht finden , dass das von mir behauptete
von Mourek irgendwie widerlegt wäre.
Es folgen nun die aussagesätzo', d.h. die von einem vorbum der rede, der
Wahrnehmung, des wissens und meinens abhängigen nebensätze mit e»\ ßatei und die
sogenannten indirekten fragen. Mourek erklärt hier den optativ „in den meisten fäl-
len*' für dubitativ, indem der redende seine zweifcl über die richtigkeit der aussage
andeute (s. 289); in anderen fallen sei er „eher potential*^ (s. 291), wie Mt. IX, 28
ga-U'laubjats ßatei magjau ßata taujan? Nach den verben des wollens und der
willensäusserung soll er „euktiv (hortativ, final) ^ sein; fallen diese drei kategorien
zusammen? Als final betrachtet Mourek eigentümlicher weise (s. 292) auch die Opta-
tive, wie Mc. Vin, 2 ni haband Iva matjaina. Was die von verben der rede, der
Wahrnehmung, des wissens und meinens abhängigen Sätze betrifft, so stimmt Moureks
ansieht mit der meinigen (s. 12. 13) und der Erdmanus (Grundzüge § 198, nicht 194,
1) Ich glaube jetzt eher, dass hier ein Schreibfehler (für garinniß vorliegt;
den optativ weiss ich nicht zu erklären. Gelegentlich bemerke ich gegen Mourek,
dass ßande(i) stets causal, nicht zeitpartikel ist; Joh. XII, 35. 36, wo es für 'itag zu
stehen schien, haben die besten handschriften und namentlich der Alcxandrinus , der
dem gotischen texte am nächsten steht, ut^y wonach meine ausgäbe zu berichtigen ist.
2) Der begriff „aussagesatz*^ ist hier über das ihm dem Wortlaut nach zukom-
mende gebiet ausgedehnt, eine ungenauigkoit, deren ich mich selbst (s. 12) schuldig
gemacht habe. Mourek rechnet hierher auch die nebensätze nach verben des wollens und
der willensäusserung, wie befehlen, bitten u. dgl. Auf keinen fall durfte er Lc. I, 43
hvaßro mis ßata, ei qemi aißei fraujins meinis at mia'^ hierher rechnen (s. 289).
138 ^^^^^
I wie Uonrek s. 285 citierL 196. 197) nberein; du veHiältms des redeodeu xn der von Ihm '
\ bericbtoten aussage odor mainimg, sein färwahrhalteo oder Bein xwaifel und mÜm
Tanreifoiig sind es, die den modus beifitimmen- Xat in wenigen fällen (x. 14) flaabte
iob den optativ aos dem Verhältnis gnunmatiscber abbängigkeit an sich, and io dar
indirekten &age (b. IT) durch den eiuQuss eiuea ubergeordneteii Optativs erklären ta
müssen. Man siebt unter diesen oinstiinden nicht, neloben gegner Uour^k (a. SSE
,dip regel (welche?) wird voUkonunen hinfällig*) zu widerlegen sucht, indtun er ein«
lange reibe von auasagesätien and indirekten fragen im indicativ neben adbortatire»,
fragendem, finalem, hjrpothetiscbem h&uptsatze anfuihlt; die indicativischen aasaagit-
sAtze nach negativem bauptaatze vül er nur anführen, ohne viel gewicht darauf n
l«£en, da man dberall darauf lünweisan könne, dass die n^gation dun inhalt dos
baaptaatzes nicht direkt treSe. Ich will noch bemerken, das» er die delibenbv«n ta-
gen von den in seinem sinne dubitatiTcn hätte scheiden scJlen: Pbil. I, 22 hapar
tealjau, ni kann enthalt einen anderen optativ ala MtXXTU, 40 I«l «t »aänm
qimaiu Belias nasjan ina.
Im letzten absabnttt bandelt Moarak von den folgesätien tind suobt MOh
hier nachzuweisen, dasa kein einQuss des hnuptsatzes stattfinde and dar modus tidi
aaBBohtiessUch nach dem inhalt des nebenaatzas selbst richte. In der tat iat eiii aal*
chsi einfluss kaam wahmehmbar und der indicativ überwiegend! einige Ule dM
Optativs nach atcaei, neiaice glaubte und glaube ich jedoch durch das verbilmia gnni-
matischer abblngigkeit erklüroo zu müssen {s, 22) und kann Moureks aosleKung nicht
billigen; IL Eor. VIll, 5. 6 z. b. kann der optutiv sv\ui brdeima unmugUuh final
Bein. n. Kor, 1, 8 ufarassau kauridai teesum ufar mäht, luvituic tkamaidtätin»
um jah liban erklärt er „so dass wir uns bald |d. b. beinahe) geschämt hitttna*;
der ausdmct des „beinahe" dürfte dann nicht Icbleo. Eber kann iah mioli mit smdm
biimerknngen zu ßom. YH , ö {»icati skalkinotaa beabsichtigte lulge) nnd IL Kor. IIl, 7
(»loa«* Ml makledeina xuHjua txraeli» fmrweiljan ,so dass — niobt im stände gew»«
Ben wären") befreonden.
Zum schlnas werden die elüpliBcben (Atze mit ni palei ißtti} bcsprocbon, dia
Hoorek als canssl betrachtet Unzweifelhaft ist Job. VI, 2ti causa], wo der iudioaÜ*
steht; nicht wol denkbar aber s. b. Phil. IT, 11. 17. Ich glaube nach wie vor, 4att
diese Sätze eine irrige ansieht ablehnen aollen und dass man üie sich dan-.b gtßa odet
tkal ahjan (man muss annehmen) vervollständigt zu denkm hat.
Am Schlüsse meiner beurteilung angelangt, fasse ich meine meinaug dahik
zusammen: was Mourek in botreS der bedingangs-, relativ- und temjioralsftUa bit
beweisen wollen, hat er nicht bewiesen; seine ansichteu über anssoge- nnd folges&M
enthalten nichts wesentlich neues.
Die eruente bescböftigung mit der frage, inwieforn im deutschen der iianpt-
sati auf den modus des nebensatzes einwirke, hat mich veranlasst die gedicbto Wal-
thors von der Vogelwoide daraufhin durchzosoben'; ich glaubte schon Unglt
bemerkt lu haben, doss im mbd. vresentlich derselbe spniohgelirauuh htmobo, wie
im gotiscbcn und abd. Dies liat sich txistätigt, und es sei mir gestattet für die ühot»
ntnsümmung einige belngo ta gcbi^n. Die stellon cltiore ich noch lAobmanne "ifflnln
Bedingungssätze, die einem imperativ untergeordnet sind, stehen im optativ:
50, 33 »ifh Htdtr an min^i ftivf, »S du bn^ r»miigt»t. 85, 34 frotfe'n Ul ittek
fl) Vgl auch die dissertation von Kneppor, Tmnpora und mudt bei WalBisr
von der Vogelweide. Münster 1889. Nicht alle hierher gehörige Slle ■ ■ ■ -
gen&gend erwogen. o. i
tiBEB MOÜRKK, GOT. MODÜSLEIHUC 137
niht verdrießen miner rede, ob si gefüege st. 69, 16 welket du mir helfen, so
hilf an der xU; si abe ich dir gar unmaxe, daß sprich endeliche.
Ebenso neben adhortativem optativ: 74, 6 si mir ieman lieber, maget oder
wipf diu helle müeße mir gexemen.
Neben optativischem nebensatze: 28, 24 ^ abe er so here, daß er ddxuo sitxe,
so wünsche ich, daß sün ungetrimve xunge müsße erlamen.
Relativsätze neben imperativ stehen im optativ: 55, 6 nü tue mir, swie du
weilet. 19, 37 wol üf, stcer tanxen welle nach der gigen!
Ebenso nach wünschendem oder aufforderndem optativ: 19, 2 swer nu des
ftehes irre ge, der schouwe, wem der wei^e ob sime nacke sti. 20, 4 der in den
Sren siech von ungesühte si — daß ist min rät — der laß den hof xe Dürefigen
fri. 11, 13 swer dich segene, H gesegent; swer dir fluoche, st verfluochet. Recht
bezeichnend ist 42, 15 swer verholne sorge trage, der gedenke an guotiu wip: er
wirt erlost, verglichen mit 93, 17 swer guotes wibes minne hdt^ der schämt sieh
aller misseiät.
Bei übergeordnetem optativischem nebensatze: 5, 15 nü hite in, daß er uns
gewer durch dich, des unser dürfte ger.
Wie im gotischen, so wechseln auch bei Walther zuweilen die modi neben
einem hauptsatze: 71, 14 der min xe friunde ger, und wil er mich gewinnen, der
Idjß alselhe unstcetekeit. Vgl. 29, 34.
Besonders auffallend sind einige stellen, in denen der optativ, infolge der
abhängigkeit von einem imperativ oder optativ, über sein gebiet hinaiisgreifend, un-
zvreifelhaft tatsächliches bezeichnet. So in dem gebet an Christus 24, 24 als ir
(der Jungfrau Maria) der lieilic enget j)flcege — als pflig ouch min, und sogar in
einem causalsatze: 70, 35 so ich in underwilen gerne sceJie^ so ist er von mir
anderswä; sit er dd also gerne si, so si ouch da. Vgl. die anmerkungen von Wil-
manns in seiner ausgäbe zu 29, 26. 51, 22. Auch elliptischer ausruf pflegt den
optativ nach sich zu ziehen, selbst wenn er nicht, wie das oben angeführte wol üf,
swer tanxen welle nach der gigen, eine auffordorung enthält. So 28, 21 er scJialc,
in swelhem leben er si, der dankes triege; 22, 31 er gouch, der für diu xwei ein
anderß kiese.
Die angeführten beispiele sind aus einer weit grösseren zahl ausgewöhlt. Aus-
serhalb solcher Satzgefüge ist der optativ des praesens im bedingungs- und rolativ-
satze zwar nicht unerhört, aber selten; 41, 25 rüemtere und lügemere, swd die sin,
den verbilde ich minen sanc, und ist äne minen danc, obs also vil genießen min.
20, 22 belibe er dort^ so lachent ir; kom er uns friunden wider hein, so lacJien
wir. Unverständlich ist mir der optativ 5, 27 daß üßdem worte ertcahsen si (Chri-
stus aus der Verkündigung), da^ ist von kindes sinneti fri [s. Erdmann, Orundzüge
§ 203].
Unbedingt notwendig ist freilich der optativ des bedingungs- oder relativsatzes
nach übergeordneter auffordorung oder finalem optativ nichts ebenso -wenig wie er im
gotischen folgerichtig durchgeführt ist. Nicht häufig sind jedoch bedingungssätzc, die
sich der regel entziehen, wie 95, 33 spotte er niht darumbe min, ob im sin liep
ihi liebes tuot. Relativsätze solcher art sind häufiger: 110, 22 daß müeße uns bei-
den wol werden vollendet, swes ich gctar an ir hidde gmnuoten. Wilmauns s. 135
swer küssen hie xe mir gewerben wil, der werbe ab eß mit fuoge. Auch das go-
tische hat bei den retßlivsätzen mehr ausnahmen,
138 SIEBS
Beim rückblick auf die ganze abhandluDg erkenne ich an, dass Moarek auf
seine arbeit grossen fleiss verwant hat; aber es ist ihm, wie mir scheint, nicht gelun-
gen zu beweisen, dass im gotischen der modus des hypothetischen, relativen und
temporalen nebensatzes von dem des hauptsatzes ganz unabhängig sei, und seine
beweisführung selbst verrät bisweilen unzureichende grammatische Schulung.
Von demselben Verfasser liegt mir, ein beweis eifriger und fleissiger fortsetzung
seiner Studien, ein stattlicher quartband vor, betitelt: Syntaxis slozen^oh v§t v
gotstinc, erschienen in den Schriften der kgl. böhmischen gesellschaft der Wissen-
schaften, Prag 1893. IX und 334 s. 4. Ein auszug in deutscher spräche (Syntax
der mohrfachen sätze im gotischen) ist s. 287 — 334 angehängt, aus dem ich
hier nur entnehme, dass der Verfasser (s. 312 u. a.) die anschauungen der oben
besprochenen monographie im wesentlichen festhält. Auf s. 301 — 304 werden die
merkwürdigen gotischen beispiele von moduswechsel in beigeordneten Sätzen scharf-
sinnig besprochen. Genauer auf das einzelne einzugchen muss ich mir hier versagen,
namentlich wegen meiner Unkenntnis der böhmischen spräche, in welcher der haupt-
teil des Werkes gcschiieben ist. Doch bemerke ich, dass die gotischen belegstellen
in dem hauptwerko durchweg völlig ausgedruckt sind, so dass ein ungefährer über-
blick über den gedankengaug des Verfassers auch dem der böhmischen spräche unkun-
digen leser möglich wird. [Eben giong mir noch zu: Mourek, zur syntax des ahd.
Tatian. Sitzungsber. der k. böhm. akad. vom 12. oktbr. und 17. decbr. 1894. Prag,
in comm. bei Fr. Rivnac. 28 und 51 s. o. e.]
ERFURT IM OKTOBRR 189i. E. BRR.VHARDT.
MISCELLEN.
Zar altsächsisehen bibeldichtang/
Im folgenden will ich zu der in so vortrefflicher ausgäbe erschienenen altsäch-
sisehen (tenesis einige bemerkungen machen, wie sie sich mir bei der Interpretation
und quellen forschung ergeben haben.
I. bruchstück.
Vers 10. Die handsohiift hat thr: das abkürzungszeichen (meistens erscheint
es ja deutlicher, vgl. z. b. v. 305) glaube ich noch zu erkennen. Es liegt kein grund
vor, them in thes zu ändeiii, weil es von dem ags. Übersetzer missverstanden ist
iorogon for them ahla bedeutet ^angst haben vor dem Schicksal*^. Dass sid auch im
as. in diesem sinne gebraucht werden konnte, dazu mussten Wendungen wie vers 1/2
ubih gimarakot imkaro selbaro sld führen; for mit dem dativ findet sich in der
gleichen bedeutung auch Hei. 4757 drobde for themu döde.
Vers 12 fgg. In der Vulgata, der sieh ja der dichter hauptsächlich ansohliefist,
wini ül>er die folgen des süudenfallcs, von denen das erste bruchstück handelt, gar
nichts gesagt; ebensowenig in den lateinischen kommentaren zur Genesis. Gedanken,
1) Vgl. meine Übersetzung und abhandlung in der beilage zur Allg. zeitung
vom 23. febr. 181>5. — Ferner haben inzwischen über die as. Genesis gehandelt,
konnten aber im folgenden nicht mehr berücksiehtigt werden: Eoegei, R., Gesch. d.
deutsi^hen litteratur, ergünzunjisheft. Strassburg 1895; Sijmons (Versl. en mededeeL
der kgl. akad. van wetenseh. III. r. XI, 14\^ fgg. — mir leider noch nicht zugäng-
lich); Holthauscn und Jellinek (Zs. f. d. a. 39, 52 fgg.; 151). Betreffs v. 10
treffe ich mit Koogel und — wie die red. mir gütigst mitteilt — mit Sijmons, betreib
v. 22 mit Koegei und Holthauscn zusammen.
ZUR ALTSÄCH6ISCUEN BIBELDICHTUNO 139
wie sie der scbilderung der böUe (v. 2 — 5} zu gründe liegen, mochten dem dich-
ter vielleicht aus manchen homilien geläufig sein, man vgl. z. b. den Homiliarius
des Paulus Diaoonus nr. LX,LXn (Migne, Patrol. 95, 1206. 1209). Anders aber ist die
komposition in vers 14 bis 23 zu beurteilen: da ist doch gewiss eine in sich abge-
rundete dichterische vorläge anzunehmen. Siovers hat diese bekanntlich in den vei-sen
des Alcimus Avitus III (de sententia Dei), 323 fgg. erkennen wollen, s. Mon. Germ,
auci ant VI, 2 pag. 233. Da heisst es : „ Die elemeute brechen ihre fesseln. Das
meer erregt der stürm, und es schwellen die wogen. Vom schwarzen himmel herab,
zur strafe für die undankbare menschheit, giesscn die wölken hagelschauer, und
der himmel neidet der erde das grün. Ja die erde selbst erbebt und will trügerisch,
was auf ihr herrlich erwuchs, vernichten. Das war damals beschieden dem erstou
menschenpaare.'^ Demgegenüber lässt der altsächsiche dichter den Adam klagen über
hunger und durst, über stürme von allen himmelsrichtungen , über hagelschauer und
kälte, über hitze, die sie nackt ertragen müssen, und über den mangel an allem
lebensunterhalt Das einzige gemeinsame motiv sind also die hagelschauer. Ferner:
hätte der Sachse hier den Avitus benutzt, so würde er sich gewiss bei der Schilde-
rung der höUe (vers 2 fgg.) ebenfalls an ihn angeschlossen haben , vgl. v. 204 fgg.
Ängustaiur hunius strictumque gettientibus orbetn
Terraruni finis non cenntur et tarnen instat.
Squalet et ipse dies, causantur sole sub ipso
Subductam luceni, caelo stispensa renwto
Ästra gemunt tactusque prius vix cemitur axis.
Ich möchte vielmehr eine beeinflussung durch das gedieht in Oenesin ad Lconem
papam annehmen, welches im 5. Jahrhundert von einem gewissen Hilarius^ ver-
fasst ist Es heisst da (ed. Peiper, Corp. Script, ecclesiast. XXIII, 237) v. 164 fgg.:
culpa cmnes sequitur, peccato obnoxia vita
debilitat vires, caelo venietUiu dona,
aethere demissus paulatim deficit ignis.
frigore peccati torpentia corda rigescunt:
cura cibi ventrisque subit et cura tegendi
corporis, et sacrum subeunt mortalia pectus.
Femer v. 175 fgg.
tum primum venti coepere incunibere tcrris,
intempestivus descendere nubibus iniber:
ftämina tum primum caelo deiecta sereno^
horrida tum grando turbatos verberat agros.
tonitrua altisono in fr actus murmurat aether.
Vors 22. Ich vermute ni te skadowe ni te scüra, also einen vers nach
dem typus A; vgl. 231a, 272 a. In zeile 9 der handschrift glaube ich hinter biuoran
drei m- striche und dann die roste eines t zu erkennen; das dann folgende deutliche
e und sk sowie meine weiteren ergänzungen stimmen zu Braunes angaben (s. 43).
Der sinn ist: „und wir haben hier keinerlei schütz, weder schatten (gegen die sonne)
noch schirmdach (gegen das Unwetter), und es sind uns hier keinerlei Vorräte zum
mahle gegeben, seür bedeutet, wie noch heute in ndd. gcgenden, „schauer = schirm-
dach'^ und ist bereits von dem ags. übei*setzer misvorstanden worden; scat fasse ich
nicht mit Braune als „geld", sondern allgemeiner als „besitz, verrat".
1) Keineswegs ist es Hilarius von Poitiers, wahrscheinlich auch nicht üilarius
von Arles (429 — 449); es hat im 5. Jahrhundert viele Hilai'ü in Gallien gegeben.
140 SISBS
n. bruchstück.
Vers 32— -42. Mit recht meint Braune (s. 33), dass es wenig nützen würde,
einzelne kleine gedanken des dichters als gelehrte reminiscenzen nachzuweisen. Ich
tue es hier auch nur, um zu zeigen, dass, wie der Verfasser des Heiland die expo-
sitiones zu den evangelien, so der dichter des alten testamentes die Genesiskommen-
tare (etwa des Isidor, Beda, Alkuin, Hraban und Angelom) benutzt hat Welche
von diesen erklärungen ihm vorgelegen haben, wissen wir natürlich nicht; wir sehen
nur, dass ihm die in jenen kommentaren stets aufs neue wideriiolten deutungen
bekannt waren. So wird die frage Gottes (v. 32/33) durch den zom motiviert, v^
z. b. interrogat Deua Cain non tamquam ignarus eum^ a quo diseat, sed tarn-
qttam iudex reum^ quem puniat (Beda, Alkuin und Hraban , MigneOl, 66; 100, 525;
107, 504). Ebenso vgl. zu v. 40—42 z. b. Isidor (a. a. o. 83, 224) fallax mim Cain
interrogatio oder Beda's Hexacmeron (91, 66) (responsio) stulta, cum iUum falli
posse putdbat oder Alkuin, Interr. et respp. in Genesin (100, 525) cui Cain ad
eumulum peceati sui fallaeiter ac süperbe respondit; vgl. Angelom, Migne 115, 148.
Es ist nun auch begreiflich, dass der dichter gerade solche stellen der Vulgata,
die den kommentatoren Schwierigkeiten machten, fortgelassen hat, vgl. unten v. 164 fgg.
277 fgg.
Vers 72 fgg. Höchst auffällig ist die fassung des Urteils: dem mörder,
der zur strafe friedlos, also doch flüchtig (vgl. ags. flf/ma) sein müsste, wird friede
gesetzt, und in frieden (an treuwa) mag er leben; dann aber heisst es fluhtik sealt
thii endi fredig Ubbian. Eine solche inkonsequenz sollte man dem dichter, der sich
im Heliand mit den schwersten Widersprüchen gewant auseinandersetzt, nicht zu-
trauen! Auch der ganze folgende abschnitt fällt gegen das übrige werk bedeutend
ab: die übermässig breiten klagen v. 87b bis 95a könnte man ohne schaden entbeh-
ren, und die langweiligen widcrholungon (v. 103 fgg. und v. 115 fgg.) sind ebenso
unbegreiflich wie die plumpe anknüpfung v. 140.
m. bmclustück.
Vers 160 fgg. Dass — wie Braune meint — die auffassung des Wortes
(abcrnacidum im kirchlichen sinne zu der Schilderung dos Opfers geführt habe, ist
nicht notwendig: der dichter hat wahrscheinlich an die erwähnung des altars in Mamre
(Gen. 13, 8) angeknüpft.
Vers 164 fgg. Abraham erblickt die drei engel und geht ihnen entgegen,
verneigt sich aber vor Gott allein. Die göttliche einheit gegenüber der dreiheit
(bekantlich wird diese stelle von den kommentatoren mystisch auf die dreieinigkeit
gedeutet) ist schon v. 158 hervorgehoben worden. Eine parallele dazu bietet Clau-
dius Marius Victor in seiner Alothia HJ, 644 fgg. (ed. Sc^henkl, Corp. Script eocles.
XVI, 431): iuxta acdes quippe sedenti
Tres subito adstiterunt auguMa luee micantes,
Abrahatu tanti stifnuhtus imagine uisus
procurrit dominumque solo prostratus adorat
unum , cwn tres miretur
Mit Ol. Marius Victor hat unser dichter femer gemein, dass er die Verhandlungen
zwischen Gott und Abraham bedeutend abkürzt, vgl. 673 fgg.:
uliro ausus dominum scitari, an perdcret urbem
errantis populi per crimina cuneta nocentum,
quinquaginia probos ciues si forte tulisset.
»'
ZÜB ALT8ACH81SCHBN BIBELDICHTUNG 141
jian perdam" diocii, dehine percuncicUto blanda
deducens sensitn numerum ueniarnque Idcesaens
supplieiter summasque ipsis minuente recursu
uaque deeem fneruit responsum auferre parentis,
et ne se totam domini dementia mitis
proderet, in medio famiulum sermone reliquit
tendentem ulterius seque in stta regna recepit,
Vers 180. mwardas als „ pries ter*^ oder „mäiiner des rechtes*^ aufzufas-
sen , gibt gar keinen sinn. Einmal wären doch diese «gerechten^ der strafe nicht mit
verfallen gewesen, dann aber sind es auch nach der allgemeinen auffassung die sün-
digen Sodomiten, deren gesohrei zum himmel dringt, vgl. z. b. Alkuiu, Interr.
et respp. in Genesin (Migne 100, 542): quaeritur quare de coelo vindicta data est
super kabitatores impios eivitatuin illarurn? Quia clafnor peccantium ,in
eoelum ascendisse dicüur; idcireo de coelo puniendi erafvt. Ich halte nun zweier-
lei für möglich: entweder cButuirdas steht für euuiuirdas und ist adverbialer gonitiv
wie fordwardas „immerzu^; oder — und damit wäre auch die Schwierigkeit der
all Iteration gelöst — in der vorläge stand dwarda, nom. plur. part. praet. zu
äwerdian, also „die verderbten*^. Das acceutuierte d konnte leicht als ca verlesen
werden (vgL anuuerdit v. 125 und Braunes anmerkung dazu) , und damit lag das mis-
verständnis nahe. — Erwähnt sei nebenbei, dass bei Bosworth- Toller s. 25 im ags.
€»'U;erd verzeichnet und als „gesetzbrecher'^ gedeutet ist; ein citat fehlt leider.
Vers 277 fgg. Hier ist ebensowenig wie in vers 167 fgg. von der bewirtung
der engel die rede (Gen. 18, 4 fgg. 19, 3 fgg.). Das scheint auf den einfluss der
kommentare zurückzugehen, die sich zu erklären mühen, was immer der göttlichen
natur zu widerstreiten scheint. So fehlt auch die erwähnung Segors als einer occa-
sie infidelitatis (Alkuin, Interr. et respp. 100, 542) u. a. m. Ich darf es mir ver-
sagen, die einschlagenden stellen der kommentare hier alle anzugeben.
Vers 287. Gemäss der forderung des typus C lese ich fora daga huoani
„vor tage der hahn.*^ Die handschrift widerspricht dem durchaus nicht, es kann
hier mit demselben rechte huoani gelesen werden wie etwa vers 240 tehani. Das
uoa statt ö macht keine Schwierigkeit, vgl. duoas duoan v. 190. 233. Und dass
man das neutrale hon (gen. comm.) „huhn (hahn, henne)^ mit dem maskulinsuffix der
/a- Stämme versah, um mit hdni den hahn zu bezeichnen, ist doch nicht minder begi'eif-
lich als wenn z. b. ahd. kalha für vitula gebraucht wird. Übrigens scheint im Har-
lingischen Ostfriesisch ein ganz ähnlicher fall vorzuliegen, wenn bei Cadovius- Müller
heyne . „die henne*^ heisst (auf altes *h6nj6' zurückweisend). — Mit der ansieht Gallee^s
dass hier dem sinne nach ein wort für hahn nicht am platze sei, kann ich mich
ebensowenig befreunden wie mit der gewaltsamen koigektur liomon (Tijdschhft v.
nederl. taal- en letterkundc, letztes heft). Die Umschreibung ühtfugal verlangt
meinem gefühl nach geradezu die aufnalime jenes begriffes durch die geläufigere
bezeiohnung.
Vers 321 fgg. lese ich:
al ward farspildit
Sodomarikiy thai is segg(i)o entg
theg nigietias; ac thus bidödit
an dodseuj so it noh te daga stendit
fluodas gifullit.
142 S. MEYER, ZUR ALUT. DOPPKLKONSONANZ IM HRUAND
d. h. ^ganz Sodom ward zerstört, dass vou seinen männem keiner irgendwo erwuchs,
sondern so ertötet im toten meere, wie es noch heute daliegt, flutengefnllt* Ob
9^99(i)o oder sun(i)o ergänzt wird, ist gleichgültig; in dem theg praet sg. zu ikthan
(plur. thigun v. 104. 118) macht das g keine Schwierigkeit; nigienas kann als adver-
bialer genitiv oder auch, falls man mnfijo statt seggfijo ergänzt, als possessiver
genitiv aufgefasst werden. Dass der des Stabreims unkundige Schreiber jene verderbte
stelle der vorläge schliesslich (vgl. die rasur) nicht durch thus — so, sondern
durch das ihm geläufigere so — so ergänzte, kann nicht wunder nehmen; so in der
alliteration findet sich auch v. 218.
Vers 335 fgg. Dass das weib des Lot versteinert heute noch dastehe und
in ewigkcit stehen werde, ist die auffassung der kirchenväter (schon Clemens Rom. ad
Cor. I, 11; Irenaeus u. a.). Eine parallele bieten auch die verse 121/22 eines unbe-
kannten auiors „de Sodoma^* (Corp. Script, eccl. XXm, 218):
durat enim adhue nuda statione sub aetkra,
nee pluuiis dilapsa situ nee dirtUa uentis.
Zum Schlüsse noch ein wort über die heimat der handschrift Aus den auf Mag-
deburg bezüglichen eintragen scheint mir — gegen Zangemeister s. 207 — mit Sicher-
heit hervorzugehen, dass gerade dieses nicht in frage kommt; auch braucht nicht
an ein benachbartes kloster gedacht zu werden. Aus den nekrologischen notizen
lässt sich schwerlich etwas gewinnen. Von den beiden ndd. namensformen vermag
ich Wolfliedan nicht nachzuweisen'; Ibet erscheint zweimal in den Traditiones Cor-
beienses (ed. AVigand, Leipzig 1843), und zwar als Ibet § 197, als Ibed § 188. Dass
das kloster Corvey im 9. Jahrhundert viele mönche aus den edelsten geschlechtem der
Sachsen zählte, lehrt uns die Translatio Sancti Viti: „augebatur tarnen quotidie
numerus monaehorum ex nobilissimo Saxonum genere** (Jaffe, Mon. rer. germ.
I, 10); auch in den Annales Corbeicnses ist, wie in so vielen ndd. nekrologien, der
todestag des köuigs Heinrich verzeichnet; und eine beziehung des klosters Corvey zu
Magdeburg ist durch die übortitigung der reliquien des heiligen Justinus gegeben
(Annal. Corb. z. j. 949).
GRKIFSWAU), 31 >. JANUAR 1896. THEODOR SIEBS.
Zur alliterierenden doppelkonsonanz im Heiland.
Durch Behaghels scharfsinnige argumentation in dieser Zeitschrift XXVII, 563
scheinen mir meine ausführungen keineswegs widerlegt Es bildet sich durch sva-
rabhakti ja nicht immer gleich eine volle silbe, und im vorliegenden falle ist gewiss
nur ein leichter vorklang anzunehmen, grade genügend, um den anlaut von frotoro
dem von ferahes anzunähern; fero bleibt deshalb doch metrisch eine silbe. Ohne
einen leisen zwischenvokal sprechen wir überhaupt solche gruppen kaum je ans.
Wie man übrigens immer über die alliterierende doppelkonsonanz denken mag —
die tatsache, dass die alten dichter fr nicht gern auf f reimten, glaube ich erwiesen
zu haben, und wenn ein spiel vorliegt, so haben sie es gespielt, nicht ich.
BERLIN, 3. JAN. 1895. RICHARD METER.
1) Der fränkische Wolßetan (Droncke, Cod. dipl. Fuld. nr. 220. 221) kommt
natürlich nicitt in betracht
NRÜE KRSOHXraüNOBN 143
NEUE ERSCHEINUNGEN.
Bisehoff, Th«, und Sehmidt, A., Festschrift zur 250j(ihrigen Jubelfeier des
Pegnesischen blumenordens. Mit vielen abbildungen. Nürnberg, J. L. Schräg.
1894. XVI und 532 s. 8 m.
Die acht aufsätze dieses bandes beziehen sich hauptsächlich auf Hars dör-
fers leben, wirken und Schriften.
Breul, K., a handy bibliographical guide to the study of the German
language and literature. For the use of students and teachers of German.
London, Hachette & Co. 1895. XVI und 133 s.
Diese praktisch angelegte bibliographie ist ein neuer beweis für den ernst
und die gründlichkeit, mit welcher in jüngster zeit auch in England germanistische
Studien betrieben werden.
Egrils saga Skallagrfmssonar nebst den grösseren gedichton Egils herausgegeben von
Fi nnur Jonsso n. Halle, Niemeyer 1894. (Altnordische saga-bibliothek, heft 3.)
XXXIX, 334 s. 9 m.
FVrster, Karl, Der gebrauch der modi im ahd. Tatian. Kiel, diss. 1895.
IV und 62 s.
Graz, Friedr., Die metrrk der sog. Caedmonschen dichtungen mit berück-
sichtigung der verfasserfrage. Weimar, Emil Felber. 1894. Vni, 109 s. (A. u.
d. t: Studien zum germanischen alliterationsvers, hrsg. von M. Kaluza, heft ÜI.)
Hanffen, A., Die deutsche Sprachinsel Gottschee. Geschichte und mundart;
lebensverhältnisse, sitten und gebrauche; sagen, märchen und lieder.
Quellen und forsch ungen zur geschichte , litteratur und spräche Österreichs IIT.
Mit 4 abbildungen und einer sprachkarte. Graz, Verlagsbuchhandlung ,fStyria'^
1895. XVI und 466 s.
Holthausen, Ferd., Altisländisches elementarbuch. Weimar, Emil Felber.
1895. XV, 197 s. 4 m.
A. u. d. t: Lehrbuch der altisländischen spräche, I. teil. Derselbe enthält
eine kurzgefasste laut- und formenlehre, sowie auch einen abriss der wortbildungs-
lehre und syntax. Der 11. teil soll altnordische lesestücke nebst einem glossar
bringen.
Leltzmann, JA., Tagebuch Wilhelms von Humboldt von seiner reise nach
Norddeutschland im jähre 1796. [Quellenschriften zur neueren deutschen littera-
tur und geistesgeschichte III.] Weimar, E. Felber. 1894. X und 163 s. 3 m.
Die Sammlung — welche mit briefen Wilhelms von Humboldt an Nicolo-
vius, herausgegeben von R. Haym, eröffnet wurde — wird durch dieses tagebuch
(aus Humboldts nachlass in Tegel) über eine reise von Berlin nach Stettin, Stral-
sund, Rügen, Rostock, Lübeck, Eutin, Hamburg um ein nach vielen Seiten hin
interessantes stück bereichert. Unter den zahlreichen berichten über persönliche
begegnungen und gespräche sind die auf Eosegarten, Voss und Klopstock
^züglichen hervorzuheben. Die erläuterungen des herausgebors s. 119 — 152 sind
Vielfach belehrend; im anhange s. 155 fg. ist ein gedieht von Sophie Reimarus
^Xi8 dem jähre 1793 („ Unser theeiüch*^) veröffentlicht Die ausstattung ist gut;
<)ennoch wäre ein niedrigerer preis des buches wünschenswert gewesen. o. e.
**^er-Fraiireuth, Karl, Die ritter- und räuberromane. Ein beitrag zur bildungs-
^eschichte des deutschon volkes. Halle, Niemeyer. 1894. IV und 112 s. 2,60 m.
Wie in einer schon 1881 erschienenen Schrift die lügendichtungen bis
^nf den „Münchhausen**, so charakterisiert der Verfasser hier die umfangreiche
144 NACHEIGHTEN
litteratar der ritter- und räuberromane, die seit etwa 1775 bis in unser Jahrhundert
hinein ihr grosses publiknm fanden. Ihr anschluss an bedeutende anregungen der
genieperiodo und der romantik wird klar dargestellt; charakteristische stilproben
sind in ausreichendem masse mitgeteilt
Musenliis, Andreas, Vom Hosenteufel. Herausgegeben von Max Osborn.
[Neudrucke des 16. und 17. Jahrhunderts 125.] Halle, Niemeyer. 1894. XXX
und 27 s. 0,60 m.
Die scharfe und derbe schrift des genendsuperintendenten der mark Bran^
denburg gegen den unfug der pluderhosen ist nach der ersten ausgäbe (Frank-
furt a. 0. 1555) abgedruckt; über bemerkenswerte Varianten späterer ausgaben,
sowie der niederdeutschen Übersetzung gibt die einieitung s. XXITT — XXX aus-
kunft. Die einieitung enthält ausserdem sehr lehrreiche kulturhistorische und bio-
graphische angaben.
Pipplng, Hago, Zur lehre von den vokalklängen. Neue Untersuchungen mit
Hensen's sprachzoichner. Separatabdruck aus der Zeitschrift für bioiogie 31,
524—583. München 1894.
Über die theorie der vokale. Aus den Acta societatis scientiarum Finni-
cae XX, 2. G8 s. 4^ und 6 tafeln. Helsingfors 1894.
NACHRICHTEN.
Die ausserordentlichen professoren dr. Rudolf Henning in Strassburg und
dr. Philipp Strauch in Halle sind zu Ordinarien ernannt. An die Universität
Rostock ist als nachfolger K. Bechsteins dr. Wolf gang Golther, bisher privatdooent
in München, berufen.
An der Universität Basel hat sich dr. Gustav Binz für englische philologie
habilitiert
Dem privatdocenten dr. Johannes Stosch in Marburg ist der titel einos Pro-
fessors verliehen. Derselbe ist sodann nach Kiel übergesiedelt als mitarbeiter an
band XI des Deutschen wöiierbuches. Er hat auch dort in der philosophischen lakul-
tät die venia legendi erhalten. — Die weiterführung von band IV, 1, 2 des DWb.
ist nach dem tode Hildebrauds von lieferung 12 an dem prof. dr. H. Wunderlich
in Heidelberg übertragen.
Am 17. febr. verstarb zu Halle a. S. der gymnasialprofessor a. d. dr. Juliiis
Opel, der, besonders durch seine forschungen zur geschieh te des 30jährigen krieges
bekannt, gelegentlich auch das gebiet der deutschen litteraturgeschichte berührte und
einen schätzenswerten boitrag zur Waltherforschung geliefert hat {Min guoter Uase-
ncere^ Halle 186(3). Unsere zeitschi'ift, zu der er mehrere durch Sachkenntnis aas-
gozcichnote recousionon beisteuerte, betrauert in ihm einen ihrer ältesten mitarbeiter.
BeriehtJgrang. Auf s. 32 z. 28 ist zu lesen: Übersetzung des niederläo'
dischen; s. 33 z. 8 und 10: Isegrim (statt Roinke).
Halle a. S., Bachdrackerel des Waisenhauses.
ZUE ALTSÄCHSISCHEN GENESIS.
Die folgenden anspruchslosen bemerkungen sind zum teil wider-
holt aus einer in der letzten Oktobersitzung der kgl. niederländischen
akademie der Wissenschaften gelesenen und in den Sitzungsberichten
derselben abgedruckten^ abhandlung über Zangemeisters fund in der
Yaticana. Während es nicht in meiner absieht liegen konnte, die
eigentliche wesentlich referierende und — mit einer einzigen aus-
nähme — Braunes sorgfältigen erörterungen durchweg zustimmende
abhandlung in deutscher bearbeitung zu erneuern, glaubte ich aller-
dings mit einer widerholung der hinzugefügten kritischen anmerkungen
an einer für die deutschen fachgenossen weniger entlegenen stelle keine
überflüssige arbeit zu verrichten. Inzwischen haben nun auch andere
ihre beobachtungen veröffentlicht 2, und, wie sich nicht anders erwarten
liess, trafen sie mit den meinigen in vielen punkten zusammen. Indem
ich nun einerseits mit rücksicht auf die in der note angeführten arbei-
ten manches nicht mehr oder doch nur kurz zu berühren brauche,
geben mir dieselben andererseits veranlassung zu einigen neuen bemer-
kungen^ die, wie die älteren, dem verehrten horausgeber für eine neu-
ausgabe des textes zur erwägung empfohlen sein mögen. In bezug
auf die hauptfrage, die, von dem neuen funde angeregt, noch der ent-
scheidung harrt, die beziehung der alttestamentlichen bruchstücke zum
Heliand, bin ich zwar vorläufig anderer ansieht als Braune und Koe-
gel (s. meine angeführte abh. s. 145 — 148). Da aber Sievers (diese
«tschr. XX Vn, 534) eine besondere abhandlung darüber in aussieht
gestellt hat, scheint es geraten dei-selben nicht vorzugreifen und auf
eine erörterung dieses punktes bis nach ihrem erscheinen zu verzichten.
1) Yerslagen en mededeelingen der kon. akademie vau wotenschappen , afdee-
% Letterkunde, 3« reoks, XI, 123—154.
2) Folgende beitrage zur as. Genesis sind mir bekannt geworden: R. Koegel,
"ösoliichte der deutschen litteratur bis zum ausgange des mittelalters. Ergänzungs-
^Gtt 2M band I : Die altsächsische Genesis. Strassburg 1895 ; die reoension der Zange-
"*®iöter-Bramie'8chen publication von E. Sievers in dieser ztschr. XX VII, 534 fgg.;
^' Holthausen, Zoitschr. f. d. a. XXXIX, 52 fgg.; M. H. Jellinek, ebd. 151;
* ll. Gallee, Tydschr. voor nederl. taal- en letterk. Xm, 303 fgg. [nach abschluss
^*^ manoscr. erhalte ich Gallee's reconsion in Taal en letteron V, 123].
7. DBÜTBOHE PHILOLOOIS. BD. XXVUI. 10
146 8YM0NS
V. 9 fg.: Nu uuit hriuuig mugun
sorogon for thes siäa,
Dass das the stda der hs. nicht mit dem herausgeber zu thes s., son-
dern zu them stäa zu ergänzen ist, hat auch Koegel s. 9 erkannt
Braune ist denn auch zu seinem thes nur durch ein leicht begreif-
liches vorsehen gelangt, indem er bei der constituierung des textes
die ältere lesart for his side in dem enstprechenden verse der ags.
Genesis (800)^ zur richtschnur nahm, dann aber, als er für den druck
den ags. text nach Wülkers neuer collation aufnahm und damit for
pts side herstellte, die discrepanz mit dem alts. texte nicht weiter
beachtete. Einer brieflichen mitteilung Braunes entnehme ich, dass er
jetzt über dem the in der originalphotographie noch einen schwachen
rest des geschwungenen strichs über dem e zu erkennen glaubt; im
lichtdruck ist der strich zu einem punkte reduciert. Damit wäre tkem
auch handschriftlich gesichert. Der sinn der stelle ist also nicht:
„besorgt sein wegen dessen (Gottes) ankunft", aber auch wol kaum
mit Koegel „bei dieser Sachlage, unter diesen umständen.'' Dass „die
Ursache der sorge sowol im altsächs. wie im althochd. und mittelhochd.
mit umbi oder bi ausgedrückt wird**, ist im allgemeinen wol richtig,
doch auch for findet sich in dieser Verwendung, so Hei. 1880*, Otfr.
IV, 7, 21, auch im ags. Gudl. 209. Adam und Eva dürfen in sorge
sein wegen ihres Schicksals, das Eva's wankelmut ihnen beiden bestimmt
hat (vgl. V. 1 fg.). Bemerkenswert ist allerdings, dass das as. sid sonst
in der hedeutung „sors, fortuna, conditio'', die im ags. geläufig ist
(Grein II, 444), nicht kennt, allein auch für v. 2 unserer bruchstücke
ist diese bodeutung anzusetzen.
Y. 14. Zu diesem verse bemerkt Braune s. 56: „Die ags. ände-
rung 071 pys lande ist weniger gut, da on thesum üohta uuesan syno-
nym mit lihhictfi ist und thit Höht immer „dieses leben" bedeutet^
Der Vorwurf gegen den ags. bearbeiter ist aber unberechtigt, denn thit
Höht hoisst sowol in unseren fragmenten (s. namentlich 128 them thiU
Höht (jiscuop -^ Hei. 3058. 5086), als im Hei. regelmässig „diese weit"
und ist verschiedentlich mit thit to/id völlig identisch: vgl. z. b. Gen. 76
libbeayi an thesum landa, \ so lango so thu thit liaht utmroSy wo Koe-
1) DtiDach erklärt denn auch Grein die stelle im Sprachschatz U, 444 als
„ejus (Gottes) adventus."
2) Die stelle lautet: far thiu gi sorgon sculun^ \\ that tu tliea man ni mii-
ghi I mddgcthtihti y \\ uuillcan auuardien. Far thiu kann dein zusammenhange nach
nicht ,, deswegen ^^ bedeuten; es ist von sorgon abhängig und wird durch den sats
mit tfiat näher bestimmt: „dafür sollt ihr sorgen, dass usw."
ZUR ALTSÄCHS. GENISIS 147
gel s. 12 den ausdruok misversteht (s. u. zu V. 30). 333. Hei. 1683 und
Sievers Hei. s. 406 unter erde. Das ags. on p^s lande wesan ist somit
ebensowol eine Variation von libba7i, wie der entsprechende ausdruck
im as. texte.
V. 17: kumit haglas skion himile hiteiigi,
Jioglas skion (im ags. dafür hce^les scür 808) ist offenbar ^hagelwetter''
(Braune s. 56. Koegel s. 9). Aber für biterigi kommen wir hier mit
der von Braune angesetzten bedeutung „nahe an etwas heranreichend"
kaum durch. Passend ist sie für v. 311, bei der Zerstörung Sodoms:
Üiuo uuarä ihär gihlunn mikil \ himile bitengi: das gewaltige getöse
dringt zum himmel, wie in den beiden Otfridstellen, wo sich himilo
gixengi, himile gixango findet (I, 20, 10. IV, 26, 27), das laute wei-
nen der frauen. Aber ein „nahe an den himmel heranreichendes hagel-
wetter*' ist wunderlich. Aus der ursprünglichen bedeutung des adjek-
tivs „conjunctus, propinquus" (sibbeon bitengea Hei. 1440, vgl. ags.
^eten^e bei Grein I, 463, sowie an. tengja „zusammenbinden", tengäir
„verschwägerung" usw.) entwickelt sich im räumlichen sinne sowol der
begriff des heranreichens an als des lastens auf. Letzterer findet sich
z. b. im Beow. 2759 ^eseah — joW ^Uiinian gründe ^eien^e „auf
dem boden" und ist auch hier anzunehmen: „das den himmel be-
deckende hagelwetter." In übertragenem sinne vgl. auch Hei. 4624,
wo Satan dem Judas sero biiengi ... umbi is herta wird (introivit in
eam Satanas Job. 13, 27).
V. 22. Wie ich in dem angeführten artikel s. 150, haben auch
Koegel s. 9 fg. und Holthausen Ztschr. f. d. a. XXXIX, 52 fg. hervor-
gehoben, dass scür in dem leider zerstörten halbverse 22' nicht „wet-
ter** heissen kann, wie der herausgeber es im glossar fasst, sondern
„schütz, schirm", eine im as. bisher imbelegte, aber sowol aus dem
ahd. und mhd. wie aus dem mnd. genügend bekannte bedeutung. Grade
auf sächsischem gebiete sind schür und schüre noch heutzutage sehr
geläufige bezeichnungen für die aUerprimitivste Schutzvorrichtung gegen
das wetter: vier pfähle mit einem dache darüber sind eine schür.
Der Zusammenhang der stelle fordert diese bedeutung entschieden:
Adam und Eva haben keine kleidung (umiuerid miä giuuädi)^ keinen
schütz gegen frost und hitze (uuiht te scüra)^ keine speise {scat-
tos uuiht te meti), Holthausens ergänzung, welche sich den spuren
der hs. genau anschliesst, [ni l]e skfadmiica ni] te scüra, ist gewiss
richtig. Weim das ags. dafür tö scursceade hat, so dachte der Über-
setzer vermutlich an das ihm allein bekannte scür „tempestas", traf
aber trotzdem den sinn der stelle.
10*
148 8YH0N8
V. 30 fg.: legarbedd utmran
guman an griata.
Auch in der auffassung dieser stelle treffen meine ausführungen s. 150 fg.
mit denen Holthausens s. 53 zusammen; s. auch Koegel s. 12. Unstrei-
tig ist uuäran inf -=» tiuaron^ guman acc, noch abhängig von Uet
28; legarbedd uuaran heisst ^die lagerstätte, das totenlager hüten.*
Ergänzend sei zu Holthausens erörterung der stelle noch folgendes hin-
zugefügt Mit legarbedd uuaran lässt sich völlig vergleichen die ags.
formel wcelreste vm^iian Beow. 2902, mit unmittelbar vorangehendem
deddbedde fcest = le^erbedde fcest 1007; le^erbedd ist also „toten-
lager", anderswo sogar „grab" (Rede der seele 158), dagegen legarbedd
Hei. 1852 „krankheif, eigentlich „krankenlager" (das simplex legar
zeigt die gleiche entwicklung).
Waran c. acc. in der bodeutung „teuere" findet sich in unseren
fragmenten noch dreimal: 76 so lungo so thu thit lialit uuaros „so
lange du auf dieser weit weilst"^, IGl tkuo fimdun sia AbraJiama
. . . . uuaran mna uv/lhsiedi „bei einem tempel stehen" (durchaus
identisch dem sinne nach mit bi enum ala standan 160^)*, endlich
216 that land uuaran „im lande bleiben" (vgl. 237 fg.). Braune hat
also ganz recht daran getan, „die verschiedenen uuaran uuarön^ (Koegel
s. 12) nicht zu trennen, da sie eben nicht verschieden sind; nur muss
die Verbindung legarbedd uuaran im glossar hinzugefügt werden.
Über gi^iai sei noch bemerkt, dass nur die bedeutung ^sand,
kies", nicht „ufer" (trotz 97) zu belegen ist; vgl. ausser den Heliand-
stellen: glarea. id est arena. grat (1. griat) in den Oxforder Vergilglos-
sen (Ahd. gl. II, 725 \ Gallee, Alts, sprachdenkm. s. 157). Doch heisst
au griata an unserer stelle vielleicht „im staube", wofür Hei. 1373
sprechen kininte: ihan it te tiuihti ni dög, \ ac it firifio bam \ fötun
spurnat, || gumon an greote (ad nihilum valet ultra nisi ut proiciator
foras et conculcetur ab hominibus Mt 5, 13).
V. 33 fg. : frdgoda huuär he liabdi is bröäar thuo,
kindiungan kuman.
1) Koogels übcrsctzuug „so lange als du dieses licht schauest ^^ {uuaron zu
gr. fopdoj) ist nicht zu billigen, da thit liaht eben „diese welt^^ bedeutet (s. oben
zu V. 14). [LTber -an neben -on s. jetzt van Helten Idg. Forsch. V, 351].
2) Auch hier ist Koegels erinnorung an die Cyuwari kaum am platze; freilich
seine Übersetzung „im begriffe die lieilige statte zu besuchen ^^ stimmt nicht dazu. Es
ist doch klar, dass 161* nur epische Tariation ist von 160^ und keinen neuen gedan-
ken entliält.
ZÜB ALT8Ä0H8. GENSSIR 149
Holihaasens bedenken (s. 53 fg.) gegen die von Braune angenom-
mene transitive Verwendung von human teile ich vollständig, nament-
lich auch seine ablehnung der analogie der altn. construction koma ein-
hverjum. Auch seine Vermutung, dass in kumafi ein acc. sing, guman
stecke als epische Variation zu bröäar, halte ich, wie die Interpunktion
andeutet, für richtig. Es ist aber wol nicht einmal nötig einen eigent-
lichen Schreibfehler anzunehmen; es genügt in kuman eine allerdings
seltene, aber nicht beispiellose Orthographie zu sehen. Will man cu-
mono „senatorum", cumiski „senatum" und verschiedene formen mit
inL c, k in den Düsseldorfer Prudentiusglossen (neben gumiskias
^senatus", gvsmiki [1. gumiski\ „senatum" u. a.)^ nicht gelten lassen,
so darf doch an sleka „occisioni" im Essener Evangeliar (Gall6e, Alts.
sprachdenkm. s. 34), suikle Hei. 3577 M, und an die ausl. gutturalen
explosivae in V selber erinnert werden, die Koegel s. 15 fg. unter den
beweisen für die angehörigkeit des Schreibers der hs. zum hochdeut-
schen Sprachgebiete anführt.
V. 77. Anlässlich der anmerkung Braunes über forhudtan (s. 58),
dessen anlaut durch den Stabreim an unserer stelle gesichert wird,
weist mich Cosijn auf die möglichkeit, dass auch in ahwet (= ähtvcett?)
der ags. Gen. 406 ein as. forhuätid stecken könnte. In der phrase
dhwet hie from his hyldo fordert der Zusammenhang die bedeutung „ver-
treiben, Verstössen", während ags. dhivettan „anregen" heisst (Grein I,
25; vgl. das Simplex hwettan „acuere, instigare, excitare" 11, 118).
Den hier geforderten sinn dagegen gewährt ahd. firimdxxaji „recusare"
(s. die belege bei GrafF I, 1087 fg.). Vielleicht hat also der ags. bear-
beiter in seinem original etwa forhuätid (im is huldi) gefunden und
die ihm nicht verständliche wendung umgebildet zu dem lautlich an-
klingenden dhwet (t) usw.
V. 114 — 116. In der herstellung dieser verse bin ich (a. a. o.
s- 151 fg.) mit Sievers (diese ztschr. XX Vn, 535 fg.) zusammengetrof-
fen. Sie sind abzuteilen:
hie loböda thuo mest liodio barnun,
godas huldi gumun: thajian qudmun guoda fnann,
uuordu?i uuisa usw.
Holthausens ergänzungsvorschläge (a. a. o. s. 54) werden durch diese
einfache remedur überflüssig.
1) AUe vier formen (Ahd. gl. II, 581«*. 583". 587 ^^ 589") von derselben,
sächsischen, hand (s. Oallee, Alts, sprachdenkm. s. 128 fg.). Möglicherweiso stammen
die mit e aber doch aus einer hochd. vorläge.
150 STHONS
V. 154 fg.: Jiabdun im sd uilu fiunda barn
uammas geuuisid.
Braune (s. 60) versteht fiunda barn von den Gott feindlich gesinnten
Sodomieuten und ist dadurch genötigt, uuisian als „zeigen, beweisen*'
aufzufassen, in einem sinne also, den das wort in den altgerm. spra-
chen und specicU im as. nicht hat. Ähnlich übersetzt Eoegel (s. 4)):
„es hatten die teufelskinder sehr viel böses getan.^ Dass aber mit
fiunda barn nicht die Sodomiten, sondern die teufel gemeint sind, wie
Hei. 3604, wird durch die nähere ausmalung in Y. 256 fgg. über allen
zweifei erhoben: uuas thdr fiundo gima^ig, || uuredaro uuihieo, \ thea
an tluit uuam Jiabdun 0 thea üudi farledid, wozu man halte Hei. 2502.
2989 fg. 3356 fgg.; fiund und uuikti sind Synonyma. — An der drit-
ten stelle freilich, wo unsere fragmente den plural fiund bieten (294X
muss man darunter die Sodomiten verstehen, wol als die feinde Loths. —
Zu übersetzen ist V. 154 fg. demnach: „es hatten die teufel sie so viel
böses gelehrt."
V. 177 fg.: y^Ni uuilli ik is thi mithaii nu,^ quad Zu',
Julian holdan nian, hü min hugi gengit^
Mit recht bemerkt der herausgebor (s. 61): „Im Hei. helan und com-
pos. stets c. dat. pers. und acc. rei verbunden"; so auch bimida^i an
der einzigen stelle, wo es in der bedeutung '„verbergen" erscheint
(3803). Man darf also die frage erheben, ob nicht auch hier tht
holdan man als dativ zu fassen sei; die schwache form des adjektivs
nach dem pron. pers. bedürfte keiner rechtfertigung, und is in ii zu
ändern wäre auch einfach genug. Im ags. freilich ist der gen. rei bei
ffiidau keineswegs unerhört, sogar bei i)ersönlichem object, z. b. for-
don ic min mäd Cura Fast (Sweet) 23, 11: es könnte also auch eine
mischconstruction vorliegen.
V. 180**: 7iu hruopat thc cetiiuirdas te mt
Holthausen (s. 54 fg.) hat sich, wie ich (a. a. o. s. 152 fg.), um die
beseitigung der ceuuardas bemüht. Der metrische anstoss war natür-
lich an erster stelle bestimmend: die allitteration von ce-utidrdas auf
dem zweiten compositionsgliede ist nicht nur „aufFällig" (Braune s. 61),
sondern geradezu unduldbar. Gelegentliche ton verrückungen, wie wn-
tnidnda uuini Hei. 70 u. ä. (s. Rieger Ztschr. f. d. ph. VII, 18 anm.),
uuerolMhtuidscm Musp. 37, können diese äbnormität, noch dazu im
hauptstabe, nicht rechtfertigen. Dazu kommt, dass sich mit den „prie-
Stern", die tag und nacht dem herrn die Sünden der Sodomiten klagen,
doch auch nicht viel anfangen lässt Indem ich theie uuardas abteilte,
glaubte ich darunter die engel verstehen zu dürfen, die im HeL 2599
ZUR ALTSACHS. GENESIS 151
helaga hdkmuuardos, in unseren fragmen ten 306 helega uiiardos ge-
nannt werden; vgl. noch Hol. 1088. 2481. Ähnlich Holthausen, der
the[s](B uuardas lesen will, mit bestimmter beziehung auf die gott
begleitenden engel. Der Orthographie wegen sind die formen site, sif
303. 254 zu vergleichen.
Koegel bemerkt s. 71, durch meine bessorung werde dem verse
allerdings geholfen, „nur wollen leider die engel nicht recht in den
Zusammenhang passen.^ Jedesfalis besser als die priester; doch muss
zug^eben werden, dass auch die engel etwas fremdartig auftreten.
Die verse 180 — 184 sind offenbar hervorgerufen durch Gen. XVIII, 20:
clamor Sodomorum et Gomorrhae multiplicatus est et peccatum eorum
aggravatum est nimis. Descendam et videbo, utrum clamorem, qui
venit ad me, opere compleverint. Der alts. dichter scheint den ctomor
in der weise gedeutet zu haben, dass das gerücht von den frevel taten
der Sodomiten dem herrn durch seine engel vermittelt wird. Eben
deshalb denke ich auch lieber an die engel überhaupt, als an die bei-
den gott begleitenden engel, wie Holthausen will^.
V. 182 fgg.: Nu uilli ic selbo uiiitan,
ef thia mann under htm sidic 7nen fremmiatj
uueros uuanidädi.
Die notwendigkeit , hier ein verbum uuiian „sehen, zusehen'' anzu-
setzen (Braune s. 61), das der Heliand nicht kennt und dessen existenz-
berechtigung im germ. überhaupt mindestens zweifelhaft ist, muss trotz
dem videbo der quelle in abrede gestellt werden. Es genügt uuitan
„wissen, in erfahrung bringen" völlig. Auch mit dem „einzigen beleg
in der ags. poesie" (Gen. 511) steht es bedenklich: nach Junius und
Wülker hat die hs. an der betreffenden stelle siteäy und diese lesart
gibt einen trefflichen sinn. Bequemlichkeitshalber (vgl. v. 513 fg.),
meint Satan, bleibt gott ruhig sitzen und bedient sich eines boten;
vgl. auch V. 667 hwcer h6 sylf sited.
V. 209**: ihanna uuilli ik iro ferah fargeian.
Mit rücksicht auf die parallelstelle 236 (vgl. auch 221^), sowie auf die
bedeutung von fargeian, das nicht „schonen", sondern „schenken"
heisst, wird zwischen ik und iro noch im einzuschalten sein. — Dass
auch V. 236, nach beseitigung des interpolierten ferahtera manno, als
zweiter halbvers zu 235' zu fassen sei, vermuten Braune s. 62 und
1) An die von befreundeter seite mir angedeutete möglichkeit, dass der dich-
ter durch misverständniss des clamor Sodomorum unter uuardas die bürger von
Sodom verstanden habe, deren geschrei zum ohr des herrn dringe (vgl. ags. hurh-
weardas Exod. 39 und dazu Cos^'n Beitr. 19, 458), mag ich doch nicht glauben.
152 STMONB
Sievers a. a. o. s. 536 gewiss mit recht Meinen ergänzungsTersnch
(a. a. 0. s. 153) nehme ich zurück, und Eoegels annähme (s. 31) eines.
„paroemiacus^ leuchtet mir hier so wenig wie anderwärts ein.
Y. 254. karm hier und v. 314^ von Braune zu ahd. queran
,,seufzen", von Koegel s. 12 zu ahd. chara ,,klage^ gestellt, ist nach
Braune s. 62 „bisher in keiner germ. spräche belegt^ Das wort ist
aber doch wol identisch mit ags. dmiy cyrm „lärm, geschrei^ (i-stamm?
oder, wahrscheinlicher, nach dem abgeleiteten verbum drmany cyrman
vokalisiert, da das germ. ein suffix -mi- für derartige biidungen
nicht kennt: s. Eluge, Nom. stammbildungslehre § 152), vgl. mnl. nnl.
carrnen, kermen, auch mnd. und in rheinischen quellen (Lexer I, 1520)
belegt. Der ausdruck fegero karm bedeutet nicht sowol das „seufzen*^
der todgeweihten, als ihr schreien oder jammern.
Y. 258 fg.: that lön uuas thuo (h)at handum
mikil mid mordhii, that sia oft men dribun.
Koegels Übersetzung der stelle: „da nahte die gewaltige Vergeltung
band in band mit dem tode, Vergeltung dafür usw.^ (s. 7) ist gewiss
unrichtig, at handum heisst „nahe bevorstehend **, wie altn. fyr(ir)
hqndmn (z. b. Grip. 26®. 36^), nnl. ophanden (mnl. in gleicher bedca-
tung auch ayi hant, te haiide, voor hande Yerdam III, 106), und mid
moräu ist mit Iwi zu verbinden; die gewaltige Vergeltung tritt auf
als morä.
Y. 264 ^ Das metrisch unzulängliche adalknöslas (adain kfitflas
hs.) bessert Holthauscn s. 55, wie ich (a. a. o. s. 153 fg.), in adaliknös-^
UiJS, unter Verweisung auf adaligeburdco Hei. 2985 M (ediligiburdeo C).
Koegel s. 29 nimmt wider ohne genügenden grund einen „paroemia-
cus^ an.
Y. 275. luokoian (ags. löcian) „schauen*' findet sich zwar nicht
im Heliand, war aber bereits belegt in den Strassburger glossen (Gal-
16e, Alts, sprachdenkm. 275): so siu (columba) umbilocodK
Y. 287 fg.: a7i allara selida gihimem ühtfugal sang,
fora daga *huoam.
D^s deutlich überlieferte, aber verderbte huoam hat bereits verschie-
dene besserungsversuche heiTorgerufen. Der herausgeber ist s. 63 ge-
neigt, nach einer Vermutung Kluges, hiW7t darin zu suchen, indem er
1) Dass auch a.s. frcäig ,, flüchtig ^^ schon in den Düsseldorfer Prudentiusglos-
sen belegt war, bemerkt Uolthausen s. 56. Er hätte hinzufügen können, dass sich
an der betreffenden stelle {flühtigun endi frethiün „defugas" Ahd. gL 11, 583*'.
Galice s. 141) sogar dieselbe allitterierende Verbindung findet, wie Gen. 75.
ZUR ALTSÄCHS. OENESIS 153
an Otfiids singendes huhn (IV, 13, 36.. 18, 34) erinnert, das ebenso
als epische Variation des den morgen verkündenden habnes erscheint,
wie es hier der fall sein würde. Allein, abgesehen von dem metrisch
anstössigen halbverse, welcher, wie Braune natürlich nicht entgangen
ist, durch einsetzung von hium entstünde, wäre die corruptel eines
so gewöhnlichen wertes schwer begreiflich, und das singende huhn
scheint mir wenigstens nach dem schönen ühtfugal recht ernüchternd
zu wirken und besser für Otfrid zu passen als für imseren dichter.
Koegels einfall kuöna (ags. hw4ne) s. 29 wird vermutlich wenig bewun-
derer finden. Der sinn des halbverses kann allerdings kaum ein ande-
rer gewesen sein als „vor tagesanbruch". Holthausen sucht diesen zu
gewinnen (s. 55) durch änderung von huoam in fruoiam; die änderung
ist jedoch ziemlich gewaltsam, und „vor frühem tage^ wird der Alt-
sachse wol so wenig gesagt haben wie wir. Beachtenswerter ist Gal-
16e's conjectur fora dagalioman (Tijdschr. voor nederl. taal- en letterk.
Xin, 303 fgg), die sich nach seinen ausführungen graphisch wol ver-
teidigen lässt und dem sinne voll genüge leistet. Freilich ist das com-
positum bisher nicht nachgewiesen, das von G. aus Cleasby-Vigfüsson
beigebrachte nord. dagsljömi ist keine alte bildung.
In der anm. teilt Braune eine zweite Vermutung Kluges mit, der
auf ags. dcegwöma, dcegrMwöma „das rauschen des anbrechenden tages*',
zu wöma „lärm*' hinwies: s. die belege bei Grein I, 184 fg. und we-
gen der zu gründe liegenden mythischen Vorstellung J. Grimm, Andr.
und El. s. XXX fg. Der gedanke, dass das von J. Grimm vermisste
as. uuömo in dem rätselhaften huoain stecke, scheint in der tat aller
erwägung wert. Stand in der vorläge etwa fora dagafuiw7nä\ so
konnte, worauf mich mein College van Holten aufmerksam macht, der
Schreiber in dem ihm nicht mehr bekannten werte fuu leicht als hu
verlesen, und die anticipierung des a entspräche durchaus seinen ge-
wohnheiten. So sei fora dagas uuoman nach Kluges Vorgang aufs
I neue der erwägung empfohlen.
Bedenken erregt auch Holthausens verschlag, wegen der auf
alkra im gegensatz zu v. 255 und den von Behaghel Germ. 21, 147
Angeführten Heliandstellen ruhenden alliteration (s. Braune z. st), in
^- 287^ umzustellen sa7ig ühtfugal. Dass das verbum den hauptstab
^^■^^ige, Hesse sich allerdings in dor Schilderung verteidigen. H. ver-
^^ist selbst auf den unmittelbar vorangehenden zweiton halbvers nd-
1) Der strich über dem vocal als abkürzung eines n auch in scidü 232, gi-
'^^'■^- 285.
154 SYHONS
hida vioragan und auf Sievers Altgerm, metrik § 24, 3; s. auch Koe-
gel a. a. 0. s. 32. Aber die Umstellung zerstört den rhythmus, wie
jeder sich beim lauten lesen überzeugen wird. Die zeile hat gekreuz-
ten Stabreim mit der gewöhnlichen reimstellung abab (vgl. auch v. 153.
29.3), wodurch auch Braunes bedenken sich erledigt
V. 321 fgg. Diese schwierigste stelle unserer fragmente lautet in
der hs. aluuard farspildit sodomariki that is etiig theg nigehias
ac sobi dödit aiidod^eii; Braune gibt sie im texte folgendermassen:
al uuard farspildit
Sodomariki: that is odg
*theg 7iigienaSy ac so bidödit
an dodseu, usw.
In der anm. s. 64 meint er, indem er sich über die ausfüUung der
lücke der Vermutungen enthält, 323** könne durch eiufügung von uuarä
nach bidödit hergestellt werden, wenn nicht etwa ae so bidödit mit
zu 324* zu ziehen sei. Dem letzteren vorschlage ptlichtet Sievers
(diese zeitschr. XXVII, 536) mit der oinschränkung bei, dass die lücke
nach ac so anzusetzen sei, also: ac so — [uuard], 0 bidödit an dod-
seu. Auch Koegel s. 29 entscheidet sich in ähnlicher weise. Mit Sie-
vers trifft in der trennung zwischen v. 323 und 324 Jellinek Ztschr. f.
d. a. XXXIX, 151 zusammen; er ergänzt ac so [bithuungan tiuardj,[\
bidödit an dodseu.
Was zunächst v. 322 ^ 323* (nach Braunes Zählung) anbetrifft,
so hat Jellinek erkannt, wie ich (a. a. o. s. 154), dass in dem hand-
schriftlichen lautcomplexe nigehias nicht mit dem herausgeber nigenaSj
sondern 7ii ginas (das übergeschriebene i soll wol besserung des e sein)
zu suchen ist. Die parallelstelle des Heliand, wo die Zerstörung So-
doms geschildert wird, that tMr cnig gnynono ?d ginas (4369), erhebt
diese auffassung fast zur evidenz. Auch die „ergänzung*' von segg
(.Sodomariki) scheint sicher. Die einfachste annähme ist nun aber,
dass dieses segg versclmcben in theg wirklich vorliegt und die lücke in
V nach is bedeutunglos ist; d. h. der auch sonst voreilige schreiben
hatte segg vermutlich zu früh geschrieben und fuhr dann nach cwi"
gedankenlos fort mit dem synonymum thegfan], bemerkte aber spätem"
seinen irrtum, tilgte das anticipierte segg, vergass jedoch tJieg in se§r ^
zu ändern. Bei dieser annähme erhalten wir die tadellose langzeile:
Sodomariki, that is enig segg ni ginas.^
1) Dioso iassuDg der zoile verdanke ich Cosijn.
ZUR ALT8ÄCH8. GENESIS 155
Für das folgende ac so bidodit an dodseu bleibt dann nur der
raum einer halbzeile übrig, wenn man nicht eine durch nichts indi-
eierte lücke in der Überlieferung annehmen will. Er genügt auch völ-
lig, wenn man mit Cosijn (in meiner oben citierten abhandlung s. 154)
und Holthausen s. 55 Mdod it liest Ein verbum H-dödiaii „töten",
in seiner bedeutung nicht abweichend vom simplex, ist ja immerhin
denkbar (vgl. bibrengean, bifellean u. a.), aber unbelegt Und der
ausdruck, ein riki oder eine Stadt „töten'', ist äusserst seltsam. Mit
der lesart btdod it entgeht man sowol diesen Schwierigkeiten als der
notwendigkeit einer einfügung von tiuarä. Allerdings muss man den
accent von bidödit für falsch erklären, doch der fall steht nicht allein
(s. Holthausen a. a. o. und Braune s. 22). bidmi „harren, bleiben"
findet sich im Hei. 4947 M = bidan C, wozu Holthausen mit recht
auf altfries. bidia verweist Zur Verwendung ist zu erinnern an den
ags. Phoenix 47 se cedela won^ . . . bideä swd ^eblöwen od bceles cynie,
wo l^da7i synonym ist mit seomiaii v. 19 und tounian v. 82.
Die ganze stelle würde also lauten:
al uuard farspildit
SodamartH, that is enig segg ni giiias,
ac 80 btdod it an dodseu^ sö it noh ie daga stendit
fluodas gifiiUit;
d. h. „ganz Sodom ward zei-stört, dass kein mann mit dem leben davon
kam, aber so verharrt es im toten meer, wie es noch heute dasteht
mit flut erfüllt" — Metrisch wäre dann v. 323* aufzufassen als ein
vers vom typus C mit einfacher allittoration und sechssil biger eingangs-
senkung (belege für diese rhythmische form aus dem Hei. s. Beitr.
12, 328).
GROJNTNGEN, 30. MÄRZ 1895. B. SYMONS.
Nachtrag.
Nachdem die vorstehenden bemerkungen sich bereits in den bän-
den der redaction befanden, erhielt ich durch die gute derselben einen
correcturabzug des [im ersten hefte dieses bandes s. 138 — 142 abge-
druckten] aufsatzes von Th. Siebs: „Zur altsächsischen bibeldichtung**,
Solcher neben schätzenswerten nachweisen von quellen- und parallel-
^^^llen auch textkritische beitrage enthält Mit dem oben vorgebrach-
^^^ berühren sich seine bemerkungen zu v. 10 — wo aber mit unrecht
^bauptet wird, der ags. Übersetzer habe das tlie7n der vorläge miss-
^X^tanden, während er doch nur durchaus sachgemäss den as. dativ
156 WILKSN
durch den ags. instrumentalis ersetzte — und zu v. 22. In anderer
richtung dagegen wie die oben mitgeteilten bewegen sich Siebs' be&-
serungs- resp. ergänzungsvorschläge zu v. 180. 288 und 322 fgg.: es
möge an dieser stelle die bemerkung genügen, dass sie mich nicht
überzeugt und mir demnach keine veranlassung geboten haben, ände-
rungen im vorstehenden vorzunehmen.
GRONINGEN, 9. APRIL 1895. B. S.
DER FENEISWOLF.
Eine mythologische Untersuchung.
I.
Begriff, umfang, einteilung der mythologie; methode der
forschung.
1. „Unter mythologie verstehen wir die summe der bUder und
dichtungen, in denen ein volk seine religiös -poetischen anschauungen
von der es umgebenden natur und den in ihr wirkenden kräften, die
es als persönliche wesen aufFasste, ausgeprägt hat; wir verstehen
darunter auch die Wissenschaft, die bestrebt ist den gehalt, gang und
umfang der in diesen dichtungen enthaltenen, inneren geistigen ent-
Wickelung darzulegen und deren aufgäbe daher notwendig eine histo-
rische isf (MüUenhoflf, Deutsche altertumsk. V, 157.) — Der in den^
vorstehenden worten ausgesprochenen ansieht des um die deutsche»
mythologie hochverdienten forschers kann ich mich zunächst darin an—
schliessen, dass auch ich den ausdruck mythus, der ursprünglich
überhaupt nur wort, erzähl ung bedeutete, aber schon im griechischen.
alteilum oft den nebensinn des erdichteten, der Wahrheit nur ähnlicheik^
wertes annahm (==» koyog ifjevdfjg eiA,oviUov äXi^d'eiav) in der wissen-
schaftlichen spräche auf die darstellung der von erscheinungen deir^
natur im menschengemüt veranlassten eindrücke, welche namentlicfaB.
in der urzeit mancherlei täuschungen und ungenauigkeiten in siel»-
schloss, einschränken möchte; jeder echto mythus ist mir also ursprüng-
lich ein „naturmythus*' ^
1 ) Einige forscher reden auch von einem historischen , einem religiöson myth
noch andere glauben die darstellung des Seelenlebens, welche für mich im
sinne zum naturlebcn selbst gehört (vgl. §§2, 12 und 19) von letzterem trennen
müssen. Ob die sog. kultusmythen sich auf naturmythen zurückführen lassen,
für die german. mythologie eine frage von untergeordneter bedeatang.
DER FSNBISWOLF 157
2. Gehen wir nun zu einer näheren betrachtung der an die spitze
dieses kapitels gestellten definition, so fragt es sich zunäx^hst: welcher
art sind die von Müllenhoff erwähnten bilder? Ziemlich in demsel-
ben sinne gebraucht Wislicenus (Symbolik von sonne und tag s. 14)
das wort symbol („das s. ist ein bild"); namentlich lässt sich die von
Wislicenus als „niedere" Symbolik bezeichnete stufe (s. 20), auf der
nur gegenstände der unbelebten natur nebst einfachen geraten des
menschen, welche letzteren auch ich als anhang des naturgebietes
betrachten möchte (heisst doch z. b. der obere mühlstein dem Griechen
oyoc), den „bildem" MüllenhofFs vergleichen, während die „höhere"
Symbolik, die belebte wesen, namentlich den menschen selbst zur ver-
anschaulichung gebraucht und der sich daraus entwickelnde „mythus"
(Wisl. s. 85, 88) den „dichtungen" in der definition Müllenhofifs ent-
spricht — Während aber Müllenhoff durch nichts andeutet, dass zwi-
schen „bild" und „dichtung" in diesem falle neben der verwantschaft
auch eine disharmonie besteht, so hebt- diese Wislicenus ausdrücklich
hervor: „bei der bildung des mythus wird das symbol umgewandelt
und als solches aufgelöst" (s. 85). Auf den grund^ weist eine frühere
stelle hin (s. 14), wo es heisst: „das symbol ist ein bild. Erzeugen
von blossen bildern aber ist nicht die absieht des geistes bei der sym-
boibildung. Nicht aus dem streben phantastische Vorstellungen ohne
realität zu schaflfen, sondern aus dem streben der versinnlichung wirk-
lich bestehender Verhältnisse ist das symbol hervorgegangen. Der
geist meint im symbol wirklich das innerste wesen des angeschauten
g^nstandes zu erfassen. So kann man sagen, das symbol entsteht
AUS der absieht zu erkennen . . . jedes symbol schliesst auch urteile
^ö sich, denn es wird von denselben, die es geschaffen haben, für
^ahr gehalten."
3. Ist diese auffassung richtig 2, so werden wir, auch wenn wir
^ö Yon Müllenhoff gewählten ausdrücke „bilder und dichtungen" bei-
1) Genauer darüber handle ich noch in § 15. — Die terminologie der einzel-
^^^ forscher ist bez. dieser fragen eine verschiedene: Laistner (Nebelsagen s. 116)
^tersobeidet gleiohnis (^ symbol Wisl.) und mythus; Mannhardt (Götter weit der
deatschen und nord. Völker s. 17 fg.) mythische anschauung (s. 22) oder naturbild
(8. 17, 24, 25) und wirklichen mythus; symbol vei-wendet Mannhardt in anderem
^^o (s. 25) als Wislicenus. — Baor (Germ. 33, 9 fg.) geht vom primitiven mythus
*^s im^ (jaujj 2\x fabel, sage, cyklus weiter. Seine scharfsinnige auffassung lei-
det nnf daran, dass sie mehr auf widerkehronde als auf ruhende erscheinungen im
^tuileben anwendung findet.
2) Derselben ähnlich ist z. b. die von Laistner (a. a. 0. 236) im anschlnss an
^^"^ meieorologen Kämptz vorgetragene. Auch hat schon W. Müller (Mythologie der
158 WILKEN
behalten, sie doch so zu sagen im sinne von Wislicenus interpretie-
ren müssen. — Wie steht es ferner mit der erklänmg, wonach in
diesen bildem usw. die ,,religiös-poetischen^ anschauungen eines
Volkes von der natur ausgeprägt sind? Da hier sehritt für schritt
zu gehen ist, blicke ich zunächst nur auf das attribut poetisch
hin. Meine meinung darüber ist teilweise schon durch das vorher-
gehende klar gelegt Poetische anschauungen liegen in den mythen ja
zweifellos vor, aber gerade in den ältesten mythenkeimen ist doch die
poesie im ganzen nicht nur eine niedrige, teilweise selbst grobsinn-
liche, sondern es werden uns diese eigenschaften gerade dadurch ver-
ständlich, dass diese mythen nicht als gedichte in unserem sinne, son-
dern als erste versuche einer naturerklärung sich darstellen^. Soll
aber der ausdruck „poetische" anschauungen zunächst nur besagen,
dass diese anschauungen von objektivem anschauen und begreifen der
natur noch weit entfernt waren, in diesen urteilen mehr dichtung als
Wahrheit sich zeigte, soll somit in dem attribut „poetisch" eher ein
mangel als ein vermögen hervorgehoben werden, so kann der ausdruck
auch für die älteste zeit übernommen werden, der für die spätere in
etwas anderem sinne zutrifft*.
4. Was femer das attribut „religiöse" betrifft, so ist hier, wo
wir es lediglich mit naturreligionen zu tun haben, nicht etwa zweifel-
haft, dass wir in den mythen eine der wichtigsten quellen unserer
deutschen Heldensage s. 8) insofern bedenken gegen die definition MüUenhofifiB geäusseit,
als die dichterische behandlung oft gerade die Veränderungen des mythus bedingt
^Es ist ein verhängnisvoller irrtum, wenn einige dichtung und mythus nicht von
einander scheiden.*^ Auch Baer (Germ. a. a. o.) betonte mit recht, dass die mehr
passive poesie des mythus von der eigentlichen (mehr aktiven) poesie zu tremoen sei.
Irreführend scheint mir dagegen der ausspruch desselben (a. a. o. s. 5): nicht der
erkenntniswert, der gefühlswert bestimmt die mythen-, wie jede begrifiisbildang,
HO gern ich anerkenne, dass die am meisten auf das gemüt einwirkenden erachei-
nungen die wirksamsten faktorcn der mythenbildung wurden. Dass aber eine ^auf-
fassung des unbegreiflichcu nach analogio des begriffenen^^ nur stattfinden konnte,
wenn ein tiefer eindruck das gemüt aufregte, wird durch die w. u. § 5 fjg. ansfoh-
rungen widerlegt werden.
1) Auf die rohheit der ältesten mythischen anschauungen hat nameDtlich
W. Schwartz Nnderholt (z. b. Ursprung der mythol. s. 11) hingewiesen; dass in die-
sen ältesten mythen doch auch der erste versuch eines naturerkonnens vorliegt, deu-
tet derselbe mehr gelegentlich an (z. b. a. a. o. s. 13).
2) Vgl. M. Müller, Vorlesungen über den Ursprung und die entwiukelung der
rel. s. 316: vieles, was für uns poesie ist, war für sie prosa; was uns wie ein über—
mass von phantasie erscheint, war wirklich mehr folge einer unbeholfenheit in ddxr
auffassung usw.
DKR FEKBISWOLF 159
kenntnis von der religion eines Yolkes besitzen, wol aber, ob alle
mythen von vom herein religiösen Charakter hatten. Auch in jenem
weiteren sinne, in dem die lehre von den dämonen schon der religion
zugerechnet wird, glaube ich doch die frage nicht unbedingt bejahen
zu dürfen. Können wir nach den Systemen, in die später die mythen
gebracht sind, auch jeden mythus an die gestalt eines gottes oder
heros^ oder riesen oder an elbische geister anknüpfen, so fehlt es
andererseits doch nicht an anzeichen, dass es in alter zeit auch eine
naiv-poetische naturbetrachtung ohne eigentlich religiösen Charakter
gab. Man braucht dabei nicht an das kaum bemerkliche religiöse de-
ment in dem leben einiger naturvölker (namentlich in Australien) zu
erinnern; da überall auch rückfällo in der kultur vorkommen 2, sind
derartige beispiele nicht ohne weiteres entscheidend, um so mehr als
auch ein verschiedener grad religiöser Veranlagung bei verschiedenen
Völkerrassen mehr als wahrscheinlich ist Man muss also die Urkunden
des betreffenden volkes selbst prüfen, dessen religiöse entwickelung
man begreifen will Auf nordischem gebiet bietet eines der deut-
lichsten beispiele für eine noch nicht durchweg religiös accentuierte
naturbetrachtung eine allerdings mehrfach misdeutete stelle der Her-
vararsaga.
5. Die dieser sage eingefügten, teilweise viel älteren rätsel^ geben
eine zwar nicht im modernen sinne, doch relativ objective, rein äusser-
liche naturbetrachtung wider, welche erscheinungen der belebten wie
unbelebten natur, ja erzeugnisse des menschlichen fleisses dicht neben
einander stellt und nur nach äusseren ähnlichkeiten beurteilt. Da wer-
den so nach einander der trank mungät nach seinen Wirkungen, der
gang über eine brücke, der nachttau als mittel gegen den durst, der
hammer des goldschmiedes, der nebel, der anker, der rabe, der lauch,
die blasebälge, der hagel, der mistkäfor usw. vorgeführt und die art
der betrachtung ist weder unpoetischer noch weniger volkstümlich als
manche Strophe der Edda*. Hier wollen wir nur die Strophe über den
nebel (Herv. saga ed. Bugge 238) betrachten. Sie lautet in Übersetzung:
1) Mit diesem namen bezeichne ich den holden, der als unigostaltong eines
gottes anzusehen ist
2) So bezeugt es z. b. für die Tupende in Süd - Afrika Wissmann (unter deut-
scher flagge quer durch Afrika, kleine ausg. s. 60), vgl. im allg. Max Müller Über
den nrspr. u. die entw. der rel. s. 74.
3) Im Grundriss der german. phil. II, 1, 133 hebt Mogk hervor, dass dieser
^*8B ältere lieder zu gründe liegen, vgl. auch die folgende anm.
4) Mogk a. a. 0. s. 80: „eine rätselsammlung, die sich in jeder beziohung
aebeo die Vafl»r. stellen kann.**
160 WILESN
„Wer ist der mächtige,
Der die marken durchfahrt?
Seen und sümpfe verschlingt er.
Den wind er fürchtet,
Doch wenig den menschen,
Dem Schimmer der sonne er schadet** ^
Dann folgt die antwort: ,,Das ist der nebel; vor ihm sieht man die
see nicht, aber er verschwindet gleich, wenn der wind kommt, men-
schen können ihm nichts anhaben; er lähmt den schein der sonne." ' —
Wenn Uhland in seiner gelegentlichen besprechung des rätseis (Genn.
4, 85) sagt, dass hier kein (eigentlicher, zur Personifikation fortge-
schrittener) mythus vom nebel vorliegt, so ist dies zweifellos richtig,
aber die werte: „mit der ausgesprochenen lösung des rätsols schwin-
det die scheinbare persönlichkeit des finstem ungenannten^ werden
durch die errungenscliaften jüngerer forscher glänzend widerlegt Bei
diesen hat der „finstere ungenannte" glücklich einen mythologischen
namen gefunden. Es ist der Fenriswolf, von dem es ja Vafj)r. 46,4
(Sijmons) heisst, dass er die sonne verschlingen soll*. — Da nun auch
der nobel dann und wann als fuchs oder wolf aufgefasst wird, so
stimmt die erklärung zu dem quellenzeugniss ja „in jedem zuge."
6. Wer entweder selbst sieht oder durch Uhland sich daran erin-
nern lässt, dass hier noch kein mytlius, sondern nur ein spielender
ansatz dazu sich findet, dem werden leicht ähnliche „mythenkeime**'
auch sonst in der litteratur aufstossen, wenn auch in unseren „alten*"
quellen, die schon sämtlich einen geordneten götterstaat voraussetze
1) Der von Uhland (vgl. im text das folg.) benutzte text (Herv. saga 171
s. 150 fg.) bietet die Varianten enn myrkvi („der dunkle") statt enn mikli („di
grosse").
2) In der antwort erhält der von ühland benutzte text noch die angäbe: „!
finstere nebel steigt auf aus Gyniis (des meergottes) sitzen und verschliesst des
mels anblicL"
3) Einer gelegentlichen bonierkung F. Magnussens (Den seldre Edda IV, 22
wonach das rätsel der Herv. auf Fenrir zu beziehen sein möchte, ist leider anc
lAistner (Nebels, s. 30) gefolgt. Aber wenn dieser gelehrte, durch Mannhardt (1
genwolf ()1) bestimmt, bei F. zunächst „an den gewittcrsturm, der den himm^
mit iinstomis umhüllt ^^ dachte, dann aber lieber an „winterliche mächte der finstfr:^^
nis" denken wollte, so stimmt keine dieser orklärungen zu einem wesen, das h^^
zum Weltuntergange in feston gewahrsam gebracht, auch vorher nichts furchtbar"*^
verübt hat. Man vergesse nicht, dass der wolf iinter umständen sogar weit
wesen bezeichnet (vgl. § 14). Auch das von J^aistner citierte „wolfsalter" hat
dem Fenriswolfe nichts zu tun, vgl. kap. in, § 7 gegen ende.
nER rZUBISWOLF 161
uft etwas hinweggedficht werden muss. Betrachten wir z. b. Gylfagin-
ning 10 die aogabe über nacht und tag, so ist von der aufTassiing,
dass sie allvater an den hiuimel gesetzt habe, leicht abzusehen; doss
sie die ei-de mit einem gespann in bestimmter widerkehr umkreisen,
kann ursprünglich uhne jede beziehung auf die götter geglaubt sein.
Aach die weitere angäbe, dass vom gebiss des pferdes der nacht der
[ sogenannte nadittau horabtrieft, von der leuchtenden mahne des tages-
3a aber luft und erde erleuchtet werden, lässt noch keine deutliche
ehung auf freundliches oder feindliches Verhältnis zur menschen-
felt erkennen. Da die meisten naturerscheinungen aber nach einer
I dieser beiden seiton beb-aclitet werden können, so wurde jene einfach
I piiysikalisch-mythische auffassung. welche die erhabeneren naturvor-
I gäiige, z. b, die am himmel mit anderen, dem menschen näher liegen-
I ■'en erscheinungen einfach verglich, meist bald dnrch eine mitbetei-
■ %ittig des menschlichen gemütes in furcht oder frommer Verehrung
einer betrachtung gewandelt, von der aus man die naturgebiote als
►'•"Icnngsk reise dem menschen an macht überlegener, bald woltätiger
Wd schädlicher dämonen betrachtete, was endlich unschwer dazu
f»t*te, diese geisfer auch als sittlich bestimmte, gute oder böse mächte,
iiBiiaehen, mit welcher Unterscheidung die verehning der götter in
sinne des späteren heidentums im principe gegeben war'. Musb
sich auch davor hüten, die entwickelung dos menschlichen be-
*i»ssrscins der niitur gegenüber nach einer toten forme! oder Schablone
"""nudeln zu wollen, liegt dem besonnenen urteil vielmehr das geständ-
""* nahe, dass keime der scheinbar höheren auffassung schon in der
it^^Gdoren" liegen müssen und dass günstige umstände oft einen keim
sfcVir rasch zui- iriebkraft bringen, dass somit die eben angedeuteten drei
^'w^n der niiturbetrachtung nicht notwendig immer als chronologisch
1) Es wild leicht erkannt «ciileii, dass disBe betraohtungaweisp mohi' in den
I ^itsgaogs-, als in dea eadpankten der vou Wisliceuus entspricht. Dieser iindot s. 88
|'*ti der iiidtvidualisicrung der persäiüicbkeit das rür den niythua charalfteristisohe,
id dio .,wahie beaoaderheit" inosrhalb der sfibära des symbob nicht erreicht
1 käone. Aber gerade der ssitz „daa Symbol betrachtet die persönlichlioit ttls
gsbagriff-' iat sehr anriKihtbar. Mit üiFtigon gniadeu bst Vi. Bohwsrtz (Poet.
Dach. I, 154 fg.) EQ lieweisuD gesucht, dass in der uriteit die soniic dos uouoii
Bl^es oder die nach d«in UDWottor neu erschoinendo als ein ganz neues weson botrach-
, wuxu uuth Vaffir. 47 deutlich stitimit- erst allmählich lentto man die Identität
den vuracliiedenen liyjiostason der sonne, des mondes usw. sich lelgendeo
orkennen, — Nur in dem Freieren sinne ako, dass eine ethische indivi-
h iluiitisjening. ein moralischer cbarakter dem syrnbole noch nieht zukommt, kann ich
i«uer aufTassaag von Wislicenus beipQichlea.
. xxvin. 11
162 WILKBN
scharf geschiedene perioden gelten müssen (vgl. u. n. 4 und § 13), so wird
andererseits doch für eine methodische mythenerforschung kaum ein
anderer weg offen stehen als der in jenen drei stufen sich darstellende,
wobei leicht zu bemerken ist, dass zwar die älteste zeit allen
gegenständen, auch den für uns toten, eine art von beseeltheit zuge-
stand^, die volle menschenälmliche persönlichkeit den naturmächten
aber erst zugleich mit der sittlichen bestimmtheit geliehen werden
konnte.
7. Um die angenommenen drei stufen an einigen nahe liegenden
beispielen zu erläuteni, so stellt sich zu der naiv physikalischen be-
trachtung des nebeis, die wir in dem rätsei der Hervararsage (vgl- §5)
fanden, eine art von dämonischer auffassung desselben phänomens in
jenen sagen vom „nobelmännlein^, die zuerst Uhland mitgeteilt hat,
während sie jetzt in reicherer fülle vorliegen; zu einer ethischen be-
stimmtheit konnte der nebel nur in unsicheren ausätzen gelangend —
Dass auch bei dem gewitter nicht etwa die dämonische auffassung
die älteste war, geht einmal aus den Zeugnissen über die auffassung
der naturvölker hervor 3, andererseits wird es auch durch die erwägnng
bekräftigt, dass erst mit der gewinnung fester Wohnsitze und geregel-
tem anbau der felder der blitzschlag (nebst dem hagel) seine verderb-
lichste Wirkung zeigen konnte; doch hatte eine höhere kultur auch die
woltätigen folgen solcher erscheinungen kennen gelehrt, so dass wir
den donnerkeil allmählich aus der band dämonischer wildgesellen in die
der höchsten, die menschenweit schirmend umwaltenden gottheiten waa —
dern sehen*. — Wählen wir das dem blitze so nahe stehende feuer
1) Man nennt diese Weltanschauung jetzt gewöhnlich animismus. Über dm.«
poetische berechtiguiig derselben handelt Glimm M^-th.^ 539; von ihr aus werd^ ^
manche verwandolungssagen , z. b. die von menschen in steine (w. n. § 16) eher ve^c"
ständlich.
2) IThland, Germ. 4, 82—87; seitdem hat L. Laistner in seinem gehaltvoU^a^
buche Nebelsagen (Stuttg. 1879) sehr viel neues hinzugefügt, vgl. namentlich s. 1^^
fg. — Insofern der nebel im liochgcbirge und an der see auch eine unheimlich finste^V
macht werden kann , sind auffassuugen erklärlich wie die von Laistner s. 235 belegt^^
wo mau im nebel den teufel verborgen glaubte.
3) So weit diese Völker von einer richtigen erklärung dieser Vorgänge natu .:^
lieh auch entfernt sind, so betrachten sie donner und blitz doch zunächst nur »
auffällige, gelegentlich sogar zum scherz auffordernde phänomene, vgl. Schwär" "^
Poet naturansch. II, 123 fg. Dazu stimmt die angäbe Wissmanns (vgL oben 8.11
n. 2): ein gefühl der furcht l)eini leuchten des blitzes und grollen des donners keiL:
der söhn der wildnis nicht (a. a. o. s. 57).
4) Das augeführte ist nicht so zu verstehen, als ob immer eine feist von
huuderten zu dieser entwickelung nötig gewesen sei. Vielmehr sind geistig re
I
so zeigt es &ich einfacli als verzehreDdes element aufgefasst in dem
Logi der Gylfag. (c. 46); als dämonisches, die weit selüiesslicli ver-
nichteades wesen in Surtr (Qylf. 51); als ethisch bestimmte, in diesem
falle fast diabolische Persönlichkeit in Äsa-Loki (Gylf. 33). Verglei-
chen wir diese drei gestalten näher, so ergibt sich folgendes: in Surtr
ist die in Ijjgi nur eben angedeutete poi'sonificierung so weit gediehen,
dass nun das element von ihm selbst untefschiedeu werden kann {hann
heßr logarida sverä — ok mu» bremia alUm fieirn med eldi, vgl. auch
Wisl. s. 89); in Loki eiidlicb ist die Persönlichkeit so durchgebildet
wie bei wenig anderen erecheiniingen der nordischen mythologie^ er
tritt (in Lokaseuna) allein dem ganzen göttcrstaat entgegen, weiss Bnldrs
tod herbeizufiiliren usw. — Aber diese eutwickelung nach der geistig-
sittlichen Seite bedingt zugleich eine ontferuung von der natürlichen
basis der mythischen Vorstellung, die ihre alte bedeutung nie ganz ein-
büsst: so sehen wir nicht nur im letzten kämpfe Loki von dem
noch mehr physisch gehaltenen Surtr, der die weit in flammen setzt,
überragt, sondern selbst bei dem mehr scherzhaften wettkampfe im
essen (tiylf. 46) erliegt Loki seinem rein elementaren nebonbuhler
Logi*. — ■Während die sonne, rein physikalisch betrachtet, von der
Urzeit als ein eher mit goldenen borsten {= strahlen) aufgefasst wer-
den konnte', ist ihre für den menschen woltätige macht ganz besonders
in dem gotte Freyr ausgeprägt (Gjlf. 24, Yngls. c. 12), welchem die
spätere mythülogie dann jenen eher als attribut beigab, vgl. Skälda
c. 35. — Fehlt es diesem gotte an sittlicher bestimmtheit auch nicht
,Töllig, so tritt diese widerum doch weit deutlicher in dem eddischen
Tülker z. b. durcli die gewittervorgänge sehr früh zoi vorstellang d&mooiacher und
(gleichzeitig vielleicht} auch gättUcbor luücbte gelangt Dena indem die fiusterea wol-
len, die den regen zurück zuhalten Buhieneii, dimouisch gefoEgt wurden, sah man i»
dem die wollten teilenden blitz das schwert eines göttlichen wesens; vgl. z. b.
TAjit, Urspr. der myth. 181 — 190, 282 fg.; das briiileD des donnere wiiil meist
walken nngotü in eu zugeschrieben. Seltener wird in unseren quellen der bUtx
it eioein dämonischen wesen beigelegt, wie z. b. dem Geirr^r in der erxShIung
Uda c. 18 (ProB. Edda 108, 6 fg.).
1) Tgl. den warmen hinweis auf Loki und Sigyn ab Objekt filr eine künst-
darsteUdog (die seitdem mehrfach, z. b. von Märten Eskit Vinge, versucht
N. M. Peteraeu am schluss seiner Nordisk nifthologi.
2) Über das Verhältnis von Loki zu Surtr vgL auch meine Untersuch, zur
Edda B. rJl,
3) Diese deiilung des obers OnllinbursU geben F. MagiiuHHen ILex. mythul.);
rtl, Poet, naturanscb. I, 122; Kubn^ Über die entwickeliingsslufen der mythol.
164 WILKEN
Baldr hervor, der aber gerade wegen dieser betonung des ethischen
Charakters (z. b. Gylf. 22) zu den jüngsten Schöpfungen des altnor-
dischen götterglaubens gehört haben muss; spuren von einer wirklichen
geltung desselben im Volksleben finden sich nichts — Diese beispiele
dürften vorläufig genügen, um statt der neuerdings beliebten und in
einigen fallen auch ausreichenden Unterscheidung „niederer*^ von ^hö-
herer" mythologie, welche doch das verurteil erwecken kann, als ot
die geistigere aufTassung so zu sagen nur ein komparativ der natür-
lichen gewesen sei*, die oben angenommenen drei stufen der mythen-
bildung soweit zu empfehlen^ dass sie als die einfachste, dem gewöhn-
lichen ent wickelungsgange wirklich entsprechende bezeichnung gelten
können'*. Ist aber erst auf der dritten stufe, die von sittlich bestimm-
ten wcsen handelt, ein eigentlicher göttorglaube möglich, so ergibt sich
daraus, dass ich Müllenhoffs fassung „religiös -poetische anschauungen^
doch auch nur in dem sinne adoptieren kann, dass ein gewisser keim
religiöser naturbctrachtung der ältesten mythischen zeit schon angehört*;
dasselbe Verhältnis ergibt sich bez. des ausdrucks „den in ihr wirken-
den kräfton, die es als persönliche wesen auffasste'', vgl. oben §6
gegen ende.
8. Noch richtiger wäre es violleicht der ersten stufe (der des
mythischen Symbols oder der physikalischen) nur eine äussere verglei-
chung femerliegender mit alltäglichen erscheinungcn zuzusprechen, dw
1) Dass von niännliithcn gotthoiton (anäser Tyr) oigentlich nur I^orr, Otlini^
und Freyr (nebst Nj<^rdr) eine altbegründete, fostgewurzolte vorelining im nordö»
genossen haben, hat H. Potorsen überzeugend nachgewiesen; vgl. Om nordboemöS
gudodyrk. s. 98. - Ül>er Baldr vgl. auch Mogk in Pauls grundriss 1, 1062 fg. Dat^^
dieser sittlich liöchststehendo zugleich als der physisch schwächste gott gedacht wonX^
geht aus Gylf. 49 deutlich her\'or.
2) Vgl. oben s. 157 anni. 1.
3) In teilweise iUinlicher weise hat llenne (Die deutsche volkssage s. 3) dnr^
stufen (tiergestalt, diimonen, nienscliengestalt) unterscliieden , doch sind die abw^^^
chungen schon auf der ersten stuf(>, die ich keinesweges auf tiergestalteo beschränke ^
deutlich und treten aucrh sonst vielfach hervor, vgl. u. s. Iö6 anm. 2.
4) l)a.ss andererseits die religion nicht lediglich aus der naturbctrachtang ab& "■-
hnten sei, betont mit recht Mannhardt (a. a. o. 37): „Ein gewöhnlicher irrtu^^^
dem wir entgegentreten mü.ssen, ist es, dass mythologie und religion SGhlechtl:»- '
eines seien." Über die allmähliche Vermischung beider handelt Mogk im Anz. C^"^
indog. sprach- u. altk. III, s. 23. Vgl. übrigens auch Wislicenus, Loki s.
AV. Schwartz, Poet, naturanscli. II, VIII fg. und die beachtenswerten ausfühnm^^
M. Müllers l'ber ui-sprung und entwickeluug der religion, besonders in der 2., 4.,
und (5. Vorlesung. — Eine völlige Scheidung religiöser (hieratischer) und v<
lieber mythen hat 0. Gruppt^ versucht. (Die griech. culte u. mythen, vgl. Mogk
Pauhj Grundriss 1, 993.)
166
■beide aucb im luacLtbereiche dos menschen liegeu köuuen (vgl. für
Hwtütmi fall z. b. die in § 5 angefahrten belspiele äus der Hervararsaga
HtoSBOr dem hagel, nebel, nachttau); derartige eymbole kann jedes jabr-
Hluindert neu bilden, vgl, das „schnaubende dampfross", das „elastische
mhlilroas*' unserer zeit. Aber von diesen raythenkeimen sind nur die
Bb höherer, persönlicher auffassung gelangt, die sich auf Objekte bezio-
^pi, welche wenigstens nicht ganz oder überhaupt gar nicht in den
|nllen des menschen gegeben sind und demnach auch als nach belie-
ben «lern menschen freundlicli cider feindlich gegenübertretend gedacht
»»erden konnten, so z. b. das feuer, der wind und ziemlich alle in den
Edden berührten mythonstoffe. Hier entwickelte sich, durch bereits
fnlber wirksame momente des gomütslebens (auf die n. ' s. 161 zu anfang
kiirss hinweisen wollte) untoretützt, bald die dämonische resp. religiöse
anffassung der naturohjekte , wobei ich nicht zu irren glaube, wenn
ich den anlangen dieser „höheren" stufe nur für die menschenwolt im
o^ozcn bedeutsame erscheinungen als „gehobene" mythonstoffo zuge-
stehe (vgl. § 11 gegen ende), während jede berücksichtigung rein loka-
"T erecheinungen, weil nicht geeignet ohne weiteres auf das gomüt
jedes hijrors zu wirken, einer jüngeren, mehr subjektiv gerichteten zeit
Äe^»ö^en winl. Dabei ist meist eine irgendwie auffällige lokaütät mit
«hon vorhandenen mjtheo in beziehung gebracht, vgl. für das gebiet
''W: heldensage z. b. Beiger, Die mykenische lokalsage, Berl. 1893,
"■ 3 fg. Während auch Hirschfeld in den Untersuchungen zur
"*baKfnna (Acta germ. I, 1 fg.) gelegentlich (s. 57) die verliebe der jün-
gereu Eddalieder für „geographische, wirkliche namon" betont, ist er
wob selbst mehrfach beflissen eddische mythen auf Island zu lokali-
™äi"en. Wer aber in dieser weise sucht, findet leicht mehr als genug'.
9. Konnte ich so, wenn auch nicht ohne verschiedene vorbehalte
«ö»' von Müllenhoff gegebenen definition der mythologio im ganzen
."^i^h aDS<.'hlteBsen , so bedarf dieselbe doch im Interesse der nachfolgen-
r Untersuchung noch einer mehrfachen ergänznng. — Zunächst möchte
1) 8u bat E. a. a, o. s. 23 glüokliüh die HUdamiittar Aufgefunden; „zwölf
KFQ^tao, in tnaer doppelten reibe geordnete Icessel voll IcocheoiIeQ Schaumes, welche
**ül)enil und spritzend uneruiesslichB säuleo eines dichten dampfea in die luft aus-
**i>deu. die aicli dann aiislreiteo und die strahlen der sonne verdunketn." — Wenn
*^ dnou beisKt; ,, jeder dieser kessel gibt ein bild des Feorisulfr", so ft'ligt man sich
doch: warum Iwrichten die Edden dann niobt gleich von einem dutiend aoloher
•'ölfti? _ fl^ig gjt die leugnise für allgemeine Verbreitung des betr. mythus im nor-
^^ "iai, habe ich s. 162 anm, 4 hervorgehoben; auob das stimmt nicht rocht f^^
HP^düchoni Ursprünge desselben, ^^M
166 WILEKN
ich den ausdruck „bilder^ oder „Symbole^, den ich zur unterscheidimg
der stufe physikalisch -mythischer bctrachtung von dem ausgebildeten
(dämonischen, resp. religiös -ethischen) mythus für unentbehrlich halte,
gegen die bedenken verteidigen, die W. Schwartz (ürspr. der myth.
s. 12) wenigstens gegen den ausdruck „Symbolik" erhebt; der hochver-
diente gelehrte meint z. b. in den tieren der ältesten mythenkeime
nicht etwa symbole göttlicher kraft, sondern für den glauben jener zeit
wirklich existierende wesen erblicken zu müssen K Diesem Standpunkte
trete ich insofern unbedenklich bei, als einmal jene ältere „symbo-
lische" mythenerklärung, die jedem durch einfache vergleichung sich
leicht erklärenden zugo des mythus einen verborgenen sinn unter-
schiebt', auch an mir keinen anwalt findet, andererseits auch zugegeben
werden muss, dass die vergleichung zweier wesen in der älteren zeit
etwas mehr als eine poetische metapher war, vielmehr momentane
gleichsetzung in vielen fällen voraussetzt. Immerhin lässt schon der
reiche Wechsel der gewählten bUder (vgl. z. b. für die sonne, den mond,
die steme, die wölke das register bei Schwartz a. a. o.) erkennen, dass
eine gleichsotzung dieser art doch sehr leicht wider aufgehoben werden
konnte, um einer andern platz zu machen, so dass mehr ausnahms-
weise für eine naturerscheinung auch nur eine bilderreihe in gebrauch
kam'. Man wird also ebenso dem historischen Standpunkte gerecht,
wie man sich den leichten Übergang der bilder in die eigentlichen
mythen hinreichend erläutert, wenn man die bildersprache der altmy-
thischen zeit als eine ungemein lebendige, zu wirklicher gleichsetzung
in manchen föllen leicht führende vergleichung sich klar macht
10. Zunächst beschäftigt uns nun die doppelfrage : welche objckte
sollten durch jene bildersprache so zu sagen übersetzt werden und
welche bilder standen der urzeit als allbekannte werte und somit als
1) A. a. 0. s. VI: ,, stürm, blitz usw. sind symptomo der wesen und des trei-
bens einer andern weit."
2) Vgl. dar. Schwartz, Toet, natunmseh. I, 221 anm. Mohrfach neigt zu die-
ser art von Symbolik unter den neuem forschem auch lienne (vgl. oben s. 164 n. 3),
wenn er z. b. s. 3 von den tieren sagt: ..dieser umstände wegen glaubte man höhere
wesen in ihnen verl>orgen und verehrte dalier solche unter der gestalt der tiere." —
Dieser für einige vülker des Ostens vielleicht passende satz lässt sich aus deutsdier
Tolkssage nur in jenem beschränkten umfange erweisen , in dem z. b. auch E. H. Meyer
(liemi. myth. s. 93) für eine ähnliche ansieht einzutasten geneigt ist.
3) So werden sonnen - und mondfinsteraisse wol lediglich als durch raubeiisofae
tiere (wi.iIfo. drachon) verursachte Schwächungen des sonnen- oder mondlichtes auf-
gefasst. — Über den Wechsel der bilder für da.sselbe phänomen sogar in einem
mythus vgl. z. b. Mannhardt, Gotter\^elt s. 204.
DER FBJRISWOLP 187
litte! zum (iolmetschenlienste zur veifügung? die letztere trage beant-
'ortet sich fast von selbst: wie uns jede europäische spräche noch
t manche belege dafür bietet, dass man neue crscheinungen (nament-
rb tiere und pflanzen der fremde) nicht etwa mit einem ganz neuen,
■ viele unveratändlicbon namen zu bezeichnen, sondern an bekann-
o wesen der h&imat durch die bcnonming anzureihen suchte, ganz
mbekümmert um wissenschaftliche giuppierung ', so wurden auch die
rscbeinungen der mythischen weit' mit den bt-kanntereu grossen ver-
liehen, welche den menschen täglich umgaben. Am häufigsten wur-
en die höher entwickelten, teils zabmen, teils wilden tiere^ zu dio-
em dolmetscherdiensle herangezogen, doch auch die nienschengestalt,
izen, steine, einfaches haiisgorät waren keinesweges ausg^chlossen.
fnter derartigen Bymboleo noch eine historische Stufenfolge, etwa vom
obelebten zum belebten (zuniichst tierischen) symbol anzunehmen,
theint bei schärferer betrachtung ziemlich wertlos*, da die lebendige,
•j oder halb animistische auffassung der urzeit solche Unterscheidung
Bum gestattet, auch andere gründe noch dagegen sprechen*. — Nur
ist nicht zu verkennen, dass auf den stufen dämonischer und
1) Vgl. ausdrücke wie hippopotamus (nUpferd), camelopardalia (giraffe), stra-
imelas (strausa). walrass, seebund, seelöwe usw. Die betanate bezeichoung des
ephanten als büs Luca oder Lucauus seitena der Riinier i;ur zoit des Pyrrhus läast
a von einigen forschem vorgoBchlagene aWeituDg von clephiw aus dem somit, aleph
E riiid) sehr natürlich erscbeiaeo. AuE ok'phaa gebt dann wider gat. olbaodUE
>c lumel) zurück. Bez. der pflaiizeuwolt genügeo wol folgcade beiapiele; baum-
, butterbauni , deuterber kalTeo, türkiscbor woizen, crdapfol, kartoffel (für Ur-
1-^ truffel, vgl. Grimin, U. wb. a. v.). S, auch Beer, Genn. 33, 11.
2) Vgl. g 11 KU anfang.
3) Eine Übersicht der für die mythologischen TorGtellungen wicbtigcreu tiere
ibt ausser On'umi, Ui/th.* 54G fg. z. b. Maimhardt, EomdäiuaneD e. 1. Vgl, auch
ng. de GubematJB, Die tiere in der iudogerm. mythologie, E. H. Meyer, Genn.
lyth. 93. Wenn aber dieser namhafto golobrto a. a. o. bobauptet: „nicht die tie-
Khen Urbilder der Wirklichkeit, suoderu ibns überirdisohon abhilder waren die
lasgebenden figuron der mythischen fauna", so möchte ich mich vielmehr mit der
nerkuQg begoügen, dass die irdische tierweit nicht immer ausreichte zur interpre-
ttion mythischer Vorgänge, daher die häufige Verwundung des drachen, d, h. der
sAügclten Rchlang<^, des flügol-pferdes, -rindes usw. Solche gestalten lassen sich
lengesetzten sohnftzeicbea , die douh uur einen laut bczoichnon sollen, ver-
ieiobeD. Uor flügel bezeichnet diese woseu als dom Inftreiuho oder dem hinimeta-
e augehörig.
•t) Dazu neigt WiBÜeenua, Symb, b. 2t) fg.. 66 fg. und in aeiner weise auoh
Bhwutx (FoeL uat. I, SIX); vgl. aber Hannhardt, Eonidäm. s. Tu sub II und
5) So hebt Schwartz selbst hervor, dass als unbelebte Symbole oft Werkzeuge
1 erscheinen, die historisch doch nicht der alleiättesten zeit angehären,
I
J
ethischer betrachtung ursprünglicher uaturphänomene man sich der Tar-
mensclilichuog, resp. Vergötterung immer mehr näherte: für die dämo-
nische auffassimg genügte oft noch eine tiergestalt, neben welche ab«
die httlbmenschliclie ' immer häufiger hiutrat; für die ethisch -religiöse
auö'assmig war die menschliche das minimum, während nicht seltra
auch die übermenschliche, d. h. idealisiert menschliche eintrat.
U. Fragen wir weiter nach den objokten der vergleich luig, so ist
als die eigentlich „mythische" weit zwar mit W. Schwartz (Ursp. s. 1!)
„eine den menschen geheimnisvoll umgebende, andere weit, die nur mit
ihren Symptomen in diese hineinragte" anzuerkennen, aber ich möchte
doch nicht gerade sagen „der glaube an diese weit war der urquoll der
mythologie", denn es handelte sich bei jenen Symptomen docli um
sichtbare oder sonst leicht zu konstatierende dinge und die bilde^
Sprache des mythus^ ist zunächst als erkläruugsversucb dieser zum
guten teil ganz unbestreitbar vorhandenen weit zu betrachten, vgl. oben
§ 2, Wisl. Symb. s. 14. — Dagegen stimme ich Ä. Kuhn und
W. Schwartz wlderum darin zu, dass sie mit nacbdi'uck die erschei-
nungen am bimmel als diejenigen betont haben, die als der erste und
wichtigste weitteil der mythischen weit sich uns darstellend Ist aber
der von A. Kuhn zur begründang dieses Standpunktes vorgebrachte
biaweis darauf, dass „das indogermanische urvolk in seinen stamm-
sitzen schwerlich ein grosseres meer kannte", nicht durch andere
gründe zu verstärken, resp, zu orsotzon?* Dürfen wir nicht sagen,
dass der himmol 1) durch die menge der hier sich darbietenden
Erscheinungen, die zu direkter wie indirekter (vgl. § 13) vcrgleicUung
auffordern, 2) aber auch durch ihre grosse verschiedenartigkeit
hinsichtlich teils periodischer, teils momentaner bewegimg und veriin-
denmg, teils wider scheinbarer ruhe und Stetigkeit '^, 3) endlich im
1) Baib mensch lieh neoDO ich nicht nur iniBuhuiigeD von tier- und mcusohea-
gestolt, sonderu auoli die auffasBuog der iQBQscb lieben gestalt in vorgröbertetn odlt
vaiitoinertem niassstabo (riesoü, aworge).
2) Fassead vergleicht U Laistuer (a. a, o. 208) die ti]iriti:he des mjrthoa dir
hieroglypheoschrift
3) So bübandelt Sohwnrtz b aoiaen nPoetiacheo natunLuscb." suuächBt noi
die mythinchoD bexeichuungen für die am bimtnDl eich zeigeudou pbitnoniene, n»
denen aber die übrigen siüh oIh abgeleitut m'gebeii.
4) Herahkunft des Teuors' b. 2rj. — Bekacutlidi Dohmen heut zu tago vialc
foischer nicht mehr das iunore Asien als urheitnttt der Indogormaueu SJi.
5) Mit reoht hebt W. Schvmrtz a, a. o. I. XVU fg. hervor, dnss Bonns und
geatirno weit weniger Belbständig iWe Djythologisuliou Vorstellungen bedingten, als die
verimderungGu , welche mit ihnen vureugthen schienou, die lunächst die aubnerk-
Iiinblick darauf, dass den Wirkungen der am himmel vorgehenden
dinge kein erdbewohner iuitih nur auf 24 stunden sich völlig entzielien
taon, millionen von menschen aber von regen und Sonnenschein bez.
existent direkt abhüngig sind, eine ganz unbestreitbare präpon-
>raiiz geniesst? Alle anderen gehicie der raythisoben weit stehen
icht nur zurück, sondern finden sozusagen ihre vorspiele in orschei-
Ungea der Inft und des Weltraumes: so die untorwolt im wolkonschat-
a und nachtgrauen, die meeres- oder flussüberschwemmung im wol-
iObruch, das gobirge der erdo im wolkonberg usw.'
Auf den dritten der oben genannten gründe aber löge ich das
;to gewicht:' so sind denn auch nur die in allen gegenden bedeut-
hervortretenden Phänomene des luftraumes als primäre mythen-
zu betrachten, während allerdings auch dieser mythische weitteil
^igB aecundäre mytbenbildungen aufweist'.
12. Biese Unterscheidung primärer und secundarer er/eugnisse der
rthunwelt legt violleicht die woitei« frage nahe: „ist nicht auch eine
leidung zwischen eigentlichen naturmythen imd solchen mytlien nötig,
aus dem seelenglaubon hervorgegangen sind?" (vgl. s. 156 anm. 1). —
verdienstiich nun auch die schärforo beachtung des seelenghiubens,
► sie in den letzten decennien sich zeigte, zweifellos ist, so ist doch
äer die hlatoriscbe priorität des seelonglaubans ii^endwie erwiesen*
^'«»-Veil tussoiteu, Woku Senecn, Quaest. aat. VI] (gu anlang) verglichen wird. — Abar
"••^Viiirrn diu an so vielen liimmelskörpcm benierkbareu vorändermigen die aulfaaaung
It"*"«»)!! uud geschürft hatten, konnte es doch nicht fehlen, dass nun auoh bei schein-
uubeweglicbeD körpürn gefragt wurd«: „werden diese niemolH ihi'en Standort
Üibt es wirklich eine dauer im wechaol'"'
1) Natürlich ist dies nicht auf die form zu beliehen, die man von der erde
C kannte, aber daranr. dass die mögliuhkeit eines öfFnens der berge und des gewin-
s goldener scIiätKe ans ihi-em schosite zuerst am hinimol sich daratellte. Der ein-
1 Wildnis der utsiirüoglicheu erde gegeuüber war der biiumel gewissermassen
i für einen landbenohner unaei'ui tage die giiis^vtadt mit ilircn immer neuen,
n stauoea ude' nachdenken reizenden eindrücken.
2) Tgl. Schwortu a. a. o. D, XIV: „der mensch huldigte nur dem, den er in
cht«n Veranlassung zn haben gbubte." Dieser gedauke wird durch das dort cltierte
aobischo intivhpQ sehr lebendig erläutert.
3) Ijishier. der mit so grossem erfolge den nybetnagen nachgefursuht hat, vor-
iDt daroiu nicht, dass der grösste teil dieser uagcu nicht der ältesten zeit angehört,
mehr ttsilweiso wenigstens eine Umbildung aus astralen sagen sicli wahrscheinlich
1 liast. vgl. 8. 105, I2S, 209.
4) V^. Uogk in Pauls Gnindriss I, 998; nach dieser seile neigt ausser Yods-
r (Bigvsda og Edda 1890) neuerdings ancb E. H. Meyer (Oerm. mytb. 1891) und
r (Cli}Ct(ii;glaubn und götteraagau der Oernianen 1804). Scheinbar einleuchtend
i letstorer s. 3: „vom glauben an seelengcister ist es nur ein schritt eut natur-
170 vnjnH
noch seibat eine Scheidung dt's stotfes in „dämouische" (d. h. hier Haa
natnrgebiet entnommpne) und „dem seelcoglauben Angehörende" mjtbai
als innerlich berechtigt zu betrachtend — Dass an die gestorbenen
ohcr gedacht sei als an die lebenden, kann niemand behaupten; dja
seele des lebenden aber steht dem naturgebiet nicht nur nahe, sondern
ist an das atmen geknüpft. Dieses ist ein natürlicher Vorgang; er wird
zeitweise sogar hörbar und (bei einigen kältegraden) deutlich sichtbar.
Dies atemwölkchen ergibt bei gehöriger Verstärkung den von Laistnm
sog. „seelennebe!"', ebenso wie der hörbare hauch, ähnlich verstärkt,
zu jenem Sturmwinde passt, in dem ein seelenhoor vorüberstünnen
sollte; aurh die auffassung des Schattens als eines sn zu sagen eee-
lischen begleiters des körpci^ stimmt zu der ansieht, dass der seeleD-
glaube der urzeit (in ausgleichuug der sog. animistischen aufTafisong
des für uns unbelebten) in der seele nur eine feinere art von materie
sah, dio nach dem tode des menschen neue, aber auch dann dem
naturbereich nicht entnommene Verbindungen eingieng'.
13. Dagegen erscheint mir ausser der trennung primärer und secun-
därer mythenstoffe noch eine art der Unterscheidung notwendig: die
des direkten und indirekten symbols*. Das erste findet sich, wenn
ich die sonne z. b. einem goldenen balle vergleiche; das zweite, vreOD
ich eine Sonnenfinsternis dem angrifT eines wolfes zuschreibe. Dort
wird ein deutlich sichtbares objekt mit einem anderen, näher liegenden
verglichen: hier handelt es sich um Verdeutlichung von Vorgängen, die
zwar mit den sinnen wahrgenommen werden, so jedoch, dass dien
beseeluDg." — Aber war dieser sdiritt nicht längt gemacht? Qilt niotit der B>ta:
„der meoBch ist das lovss aller dinge" am allermeisteii gerade für das kindesillaT
der menRchheit? Der mensch lebt, xo vermutet er überall lebenBEpuren ; die bew«'
gDDg dos winden, des Wassers, mancher gestiroe bestärkt ihn in Heiiior meinang.
Selbst wo die natnr gaoif sUrr erachdot, liegt ihm der gedanke des schlämmen
D&her als der des todes, vgl. noob Cbumisso: „dio schStze, die schliunmemden alle,
die unter der erde siitd.'^ Oder die leblosen massea sind wenigstens wobnungont
werke lobendi|wr wesen — ,voa geistern der tipfo erbaut" ii. iihnl.
1) Diese schfidung versucht Mogk a. a. o.
2) Gemeint ist ein nebelstreifen oder eine nubelwolke, die als andeatong tänn
Beelooschar aiJgefaaat wurdü (L neb. a. 118).
3) Immerhin darf man mit H. Müller (a. a. o. a. 100) anerkennen, daaa Bit
der beobacbtong des sohattens und des atems sich die ideo von einem etwas, 4M
vom korper verschieden ist und doch eine art von leben besitzt, langsam herror-
arbeitet, dass hier die Übergänge vom materielleo zum tmmaterielleu sich finden.
4) Aach bei den von mir vorgeschlagenen trcunangon handelt es sich nickt
um unverrückbar feste grenzbestimmtingen . nur um mitl<.d, die Orientierung attt 4m
mythologischen gebiete zu erleichtern.
171
Wahrnehmung zunächst nur die Wirkung, nicht die Ursache mitteilt >,
Den Übergang von der einen zu der anderen klasse bildeten vielleicht
die ge Witterphänomene, die in ihrer raschen und fllr unsere wahmeh-
IQUiig etwas verschobenen reihenfolge eine auch nur annähernd objek-
tive aufTassung ungemein erschwerten. Zu den eigentlich indirekten
«ymbolen aber rechne ich z. b. die bezeichnung des windes als einea
adlers, die des echos als zwergrode (dvergamäl), die erkläning von son-
Venfineternissen in der bekannten weise (vgl. oben); hierher gehört auch
die auffassung der nacht als einer realen, bald auch persönlich gefass
ten grosse. Nur mit dem indirekten symbol zu messen war ferner das
Terbalten der seele im täglichen leben, im schlaf, im träum, nach dem
tode des menschen usw. Man siebt aus dieser kurzen aufzählimg,
es sich hier um die wichtigsten aller fragen handelt, und ist
; auch theoi'etisch geneigt der urzoit zimächst mehr ein interesse
4ui den deutlich sichtbaren erscheinungen der lebeweit zuzutrauen, so
'Eegt doch selbst für ein kindliches geniüt die frage zu nahe: wie ist
der Wechsel von tag und nacht, schlaf nnd wachen, leben und tod zu
telclüren? um annehmen zh können, dasa irgend ein menachenalter sie
jgftnelich vernachlässigt habe; gerade die Schwierigkeit des problems
Ißflegt ja auch den reiz zu erhöhen*. — Die prioritfit der direkten
1) H. MüUer (a. a, o. 4. vorles.) uuterscheidot anter den otu'ekten der uiftlii-
I natürbotrachtung groifliaro, balligraifbani nnd iiiigreifb»ro gegeuetände; letttem
mÜGSteD nach dem grade der deiitlichkeit, deo sie für gesiebt oder gebör dar-
öeten, eigentlich wider gesoodert nerdoo. Für diu zweuttj dieser abhandlung genügt
fodesralte die ohim vorgesublogene teilung.
8o ist die frage: wer ist der BL'huellste? auch in voUcatüinlioben lireiaen eine
beliebte und von alters her eifrig erörterto (vgl, Laisbier a. a. o, 187, 322), — Be-
:eD möchte icb hier auch, dass es ausser jeuer direkten natnrbetracbtuDg, die
reinsten in den Symbolen der orzeit sich ausprägte, auch in dieser xeit an iiidi-
nkteo eablüSBnu nicht g<'tt<b1t haben kann, die stwaa tiefer in den urgrund des aioht-
m DJnEudringen bemüht waren. Erinnert sei hier an die schöDC darlegung M. Hül-
, iler Bosfübrt, wie mit der wabraehmnng des endlichen gleichzeitig such eine
(ich würde sagen indirekte) auffassung des ooeodlicben gegeben sei. vgl.
*. Q. 8. 40, 41 . Büwio über die bezeiohnnng des übemattirlichen bei den Melanosiem
Ö9 %. Hier erliebt sieb die frage: gab es monotb eistische glaubonskeime acboD bei
a heidnisoheii Nordgermanen? Allerdings siod die betreffenden stellen der Vatna-
ria ai«a, s. b. c. 37 (Fornsqgur ed, Mob. u. Tigf. s, 59) ,du tII ek heita ü {«od,
' BÖlina heHr skapat, [>viat ek träi bann niiittkiistan'^ vielfach aL^ in ohristliuber »eit
len betrachtet (die lit. a, bei E, H, Meyer, Genn. myth, s, 295) und die
ttfl anl^eiehaung der betreffenden saga ist bekannt, doch vorsucbtn Ddring, Über
und Stil der iai, saga a. 23, eine vcrmittelang zwischen heidentum und chri-
m als t(Hiden7 des verfasaers wahrscheinlich zu machen. Ohne zweifei Christ-
beeinflosst ^nd stellen wie Oylf. c. 3 und 5, vgl, üntersoob. b. 70 fg.
172 WILKEN
Symbole möchte ich daher auch nur in dem simie vertreten, dass
wenigstens die umgekehrte folge wenig glaublich ist, dann auch im
hinblicke darauf, dass eine jüngere form der mythenbildung, die my-
thische allegorie, sich vom indirekten symbol abzuleiten scheint, vgl.
§ 17.
14. Kehren wir aber zunächst zu den oben in § 10 besprochenen
mittein der vergleichung zurück, so konnte aus dem an und für sich ziem-
lich beschränkten kreise von wesen oder dingen, die der urzeit dafür
geignet schienen, einerseits jedes einzelne auf verschiedene Objekte
angewandt werden^; andererseits konnte dasselbe objekt durch ver-
schiedene bilder bezeichnet w^erden, je nachdem die eine oder andere
Seite ins äuge gefasst war 2. Erwägt man ferner, dass jede vergleichung
mit lebenden wesen insofern eine dreifache sein kann, als sie sich
entweder nur auf das äussere oder nui* auf das innere (den Charakter)
oder endlich auf beides zugleich richten kann, so wird die möglichkeit
des fehlgreifens bei der erklärung noch deutlicher sein. Wol darf man
sagen, dass die erste jener drei arten in der urzeit bevorzugt war,
aber bei jedem indirekten symbol fehlt ja auf der seite des Objektes
das sichtbare äussere; hier muss man sich an die Wirkung halten und
diese ist gewissorniassen als Symptom innerer, geistiger eigenschaften
zu fassen, man denke an die „Schnelligkeit" des windes, die zu einer
vergleichung mit dem adler führte. Damach ist es erklärlich, wenn
W. Schwartz a. a. 0. II, XIV von „einem gewissen chaos gläubiger
voi-stellungen '^ redet, wenn A. Kuhn (Entwickel. der myth. s. 123) in
Übereinstimmung mit M. Müller von der „polyonymie und metony-
mie" als einem nicht unwesentlichen faktor der mythenbildung redet,
indem die ältere zeit sich oft selbst in der richtigen auffassung der
Symbole verirrte^. Wie eine grosse anzahl grammatischer formen heut-
zutage als „nach falscher analogie" gebildet betrachtet werden, schaben
einige mythische olemente nicht etwa nur andere zurückgedrängt, son-
dern ebenso oft sie sich selbst assimiliert und so ihre deutung beein-
1) Dor si>oer als bild des lichtstrahles konnte z. b. sich ebensogut auf den
blitz-, wie auf den Sonnenstrahl beziehen, und so wird der Speer Gimgnir von den
forschem verschieden gedeutet.
2) Sollte dor l)litz als waffo erscheinen, so wurde er spocr oder zahn eines
ebors genannt; sollte vor Jilloni die Schnelligkeit betont werden, so hiess er geflügelt,
ein pfeil, ein dahin schiessender fisch. Schwartz, Poet, naturansch. II, 90, 1)6 fg. —
Vgl. auch 8. lOG anm. ,'{ geg»*n ende.
3) Es scheint mir auch keinen wesentlichen untei*schied in der auffassung zu
ergeben, wenn Heer (Germ. 33, 7) wol mit recht die homonymie nicht eigentlich als
mythen bildendes, nur als mythimfort- oder umbildendes dement anerkennen will.
(nsst Je Läufiger und beliebter ein symbul war (wie z. b. wolf, fuchs,
rogol, Speer), nm »o stärker ist die gefabr des irrtums bei der aus-
egung'. Hier handelt es sich nicht etwa darum, einen weg nur zu
finden, sondern aus einem wirrsa! sich kreuzender pfade den richtigen
ausfindig zu machon und ihn bis aus ziel zu veiiblgen.
15, Nicht zu vergessen ist ferner, dass die entwickeiung nie in
ganz gerader linie verlief, da der urzeit wot nur mythische symboie
einer naiven naturdeutimg zukamen, während der poetisch
■bgemndete mythus, wenn nicht geradezu ein misverständnis, so doch
eine freiere fortbildung des kernes in einer veränderten richtung unf-
weist*. Dieser entwickelungsgang ist nur insofern ein natürlicher zu
nennen, als die alte symbolsprache ilu^n zweck einer deutung dor
OKtur Vorgänge bald nicht mehr erfüllte, da die längere gewöhnung und
Kbärfere beobochtung den menschen bald eine mehr prosaische und
Öüclitenie Huffassung der naturei-seheinungen lehrte. Entweder kimnte
Ütm neben den bildlichen iillniählich der unbildliche ansdruck als der
'läufigere treten, bis der erstere ganz verdrängt wai-^ oder es erhielt
der bildliche ausdruck und gewann sogar an selbständiger bedeu-
g, vgl. im »llgemeinen Wislicenus, 8ymb. a. 85 fg.; Loki s. 2. 3.
^* di^em falle aber verlor oder lockerte sich die feste beziehung zu
"^n nattirobjekten und so konnte er nur um so freier von mensch-
""^tien Vorstellungen erfüllt werden. Erst in dieser zeit kam die poe-
*l^<-=lie uusgestaltinig zu ihrem vollen rechte, vgl. den in n, 2 be-
*I*»'wheneu Phaetonmythus. — Bemerkenswert ist aber, dass jenes
"^»«bindesmässige element, jene richtung aut das erkennen, die wir
"^ den alten Symbolen fanden, in der späteren zeit sich doch nicht
1} Ang. de (luberuittis, desseu Htiuidputikt ich freilich nur iu oinKclhelten teile,
*1«s «chou daj'aut hin, das.s der wolf io lier sage kuineswegest immer eine den göt-
^"tu und b«iroon feindliche natur zoigt: Di» üere iu der mdog. inyth. s. 4S0. ~- Vgl.
«Dh w. u. uap. IU, §8 OBd 9.
2) In dem Sisyphosmythus dc>v Epätereti zeit ist gÜDzIioh verkanut, dass der
gvirUlxte stein eigeutljoh die »uttoe (so, iicd wo) am richtigsten Kuhn, Eotvickel.
d 147) oder eine nubclmasse (so Laistner, Nebelsagen 41 fg., vgl. aber 209) bedeu-
tet«; in dem Fhaethoniiiytlins ist das (ibysibalische phänomen des (Hchein baren) ver-
aiukeus der sonnt.' ins moer durch poetisebe aussclunüokang und otlüsche fiirbung
iwar uioht ganz vun dem alten gmude losgerissen, aber doch in eine ganz ander«
twIeuDlitnng gesetzt; vgl. Maiinhardt, Götterwelt 29, 30, 36.
3) Dur schon s. 168, anm. 2 citieite vergleich Laistneni (Nebels. 206) liesso sich
wol nutiti pasdender so verwenden, dass wir die eigentliche bilderapracbe des mythus
nil d«r hiproglyphenschrirt, die unbildliche, doch in poetisoher Sprache vorgebrachte
Jerung als transsuription desselben gedaukeiiN uebeueiuander haiton. Daxu
^bt nanieutlich die VglusiNl mehrCach gelegeuheit, vgL cap. Tll, § lü.
174 WILKIN
Yöllig verflüchtigt hat; es musste sich aber jetzt mit der au%abe be-
gnügen, in dem „chaos^ der alten Symbole gewissermassen Ordnung
zu schaffen und wenigstens die gröbsten Widersprüche des unmerklich
gebildeten Systems auszugleichen. Und gerade weil die abhäogigkeit
der alten symbole von den naturvorgängen halb oder auch ganz ver-
gessen war, mussten nun andere Verknüpfungen gesucht werden: genea-
logieen, eben und bundesbrüderschaften wurden angenommen, die für
den forscher oft auf den ersten blick, teilweise erst allmählich als
das werk der „konstruierenden" oder mythen- ordnenden periode sich
zu erkennen geben und nicht selten auf falsche fahrte gelockt haben.
In die urzeit reichen sie selten zurück, weil diese sich meist begnügt
die einzelnen Vorgänge als solche aufzufassend Nur wo Übergänge
wie die von nacht zu tag, von Sonnenlicht zu wolkendunkel sich dar-
boten, lag es von jeher nahe einen Zusammenhang zwischen beiden
potenzen anzunehmen , und so mag schon die urzeit die nacht als mut-
ter des tages betrachtet haben ^. Sicher ist, dass solche Vorgänge das
mythische „denken" mehr noch anregten als ruhende orscheinungeo.
und um so mehr, je rascher imd auffalliger sie sich ablösen'. Daher ist
es nicht abzuweisen, mit W. Schwartz (vgl. s. 168 anm. 5) in den ersehei
nungen des Sturmes, des ge witters und des wolkenhimmels die fruclE^ft
barsten keime mythischer Vorstellungen anzuerkennen; diese vorgän^
legen jedoch den gedanken eines kampfes weit näher als den ^^
friedliche Verhältnisse. Man darf daher im ganzen in polemische
1) Vgl. W, Müller, Zur mythol. der griech. und deutschen heldensage s. U
der auch seiuerseits dem vou Beer (Beitr. von Paul u. Braune XÜI, 1 fg.: Der a^'^^o
des spiolniaonsgcdichtes Orendel) ausgesprochenen grundsatze, dass jede genealo^^
in der göttersage accessorisch sei, im wesentlichen beistimmt. Diesen standpuc»
vorfolgte Beer weiter Germ. 33, 12 fg. Im ganzen ähnlich urteilt schon Wislicen«-^
I/)ki s. 23, 27.
2) Vgl. Gylf. c. 10, wo das mytli. grundmotiv freilich schon mit jüngeren «: "*
Sätzen vermengt ist. — Ähnlich auch bei den Griechen (Hesiod , Theogonie 1 24 Ig — ~
3) Mächtiger noch als das gewöhnliche abenddunkel musste die umnachtiB.^
des himmels mitten am tage, die das gewitter meist zeigt, die gemüter ergreif^^
namentlich in Verbindung mit stürm, blitz, donner, hagel, regen und regenbog^^
Dies alles und die widerkehr der sonne oft in einem massigen bruchteil eii:^
stunde! — Gleich wol möchte ich nicht unbedingt mit Beer (a. a. o. 11) behaupt^^
,,mit atmosphärischen mythen (betr. wölken, wetter, nebel) hat die mythik
nen*^ oder mit E. H. Meyer nur gewitter-, wind- und wolkengottbeiton als
thische mächte anerkennen , so geistvoll diese theorie auch verfochten ist Gründli^^
kenner der indischen mythenweit wie Hillebrandt und Oldenberg (Ved. myth. 1 X ■
betonen neuerdings, dass gei*ade die „unstete natur des blitzes seiner entwiokel«:*^
zu einer gottheit nicht günstig sei.*^
DEB FINR18W0LF 175
▼erhältüissen weit eher als in genealogischen angaben spuren einer
alten tradition vermuten; nur bedarf es bei der nordischen mythologie
doch auch nach der ersten seite besonderer vorsieht, da namentlich die
lagnarek-mythen zu einer Vervielfältigung und Steigerung einfacher
kampfesmotive vielfach anlass gegeben habend — Fast alle diese teils
freundlichen, teils feindlichen beziehungen, . durch die der poetische
reiz eines mythus oft nicht wenig gewonnen hat, müssen als bei werk
erkannt und bei seite geschoben werden, soll der kern der mythischen
Vorstellung uns deutlich entgegentreten.
16. In diesem zusammenhange mag auch an die neigung mythischer
naturbetrachtung erinnert werden, auffallige erscheinungen (z. b. in der
tierweit) auf ein bestimmtes datum innerhalb der geschichtlichen ent-
wickelimg und einen bestimmten anlass zurückzuführen. Beispiele die-
ser historisch - aetiologischen darstellung geben ausser den cap. V,
angeführten stellen aus Gylf. z. b. auch Grimms Märchen nr. 171 — 173
(Zaunkönig, schölle usw.) und Grundtvig, Dänische volksm., übersetzt
von Strodtmann, 2. samml. s. 16. Hierhin gehören auch viele ver-
wandlungssagen *.
17. Doch nicht bloss in jener Ordnung und äusseren Verknüpfung
(§ 15) oder dieser hinneigung zu historischer datierung (§ 16) erwies
sich das verstandesmässige element in der mythologie weiterhin tätig:
bei der reicheren entfaltung des geisteslebens lag es nahe genug, nun
^uch Phänomene dieser geisteswclt in ähnlicher weise vergleichend
^ÄTzustellen wie früher die naturvorgänge. Diese geistesmythen mag
'öftU mythische „allegorien" nennen, um sie von den eigentlichen natur-
'^ythen scheiden zu können, aber der unterschied beider darf nicht
^^ scharf, so gegensätzlich gefasst werden, wie dies von dem sonst so
1) Dass die ragnarekmytlieii iu der uns vorliogendon gestalt ein produkt der
^kiugerzeit seien, hat schon Hammerich (Oni ragnarokmythen s. 39 fg.) wahrschoin-
^^ gemacht; einzelne zügo begegnen überhaupt nur in der darstellung der pros.
*^<i«. Vgl. Simrock, D. myth.' s. 114; meine Untersuch, s. 106; MüUenhoff, D. alt.
> 152; Beer a. a. o. 13.
2) Von diesen sind in der germ. mythol. die versteinorungssagen (Orimm,
***y^li.* 8. 457 u. nachtr.) wol die wichtigsten sowie die nahestehenden verwüstungs-
^Jgon (zur strafe für ein unrecht, vgl. z. b. "Wolf, Niederl. sagen nr. 21, 22;
. - Üüller und Schambach, Niedersächs. sagen nr. 70), während die verwandelung
pflanzen und tiere (vgl. die dichterische behandlung in Ovids Metamorphosen) bei
^* seltener begegnet, abgesehen von den (anders zu beurteilenden) temporären ver-
^^^idelungen in wölfe, katzen, baren usw^., Grimm, Mj^h.*915fg. — Ganz verein-
^It stehen angaben wie diese: „alle tiere sind verwünschte menschen" (Haas, Rü-
^'ische sagen und märcheu s. 135 (vgl s. 146).
176 WILEEN
besonnenen Wislicenus (Symb. s. 16 fg.) geschehen ist^ — Das wort
dllrjYOQia bedeutet eigentlich nur „vergleichung, bildlichen aiisdrack^ und
nicht die Schönheit ist das erste oder einzige ziel allegorischer darstel-
lung, sondern das bedürfnis der verdeutUchung, der Verkörperung eines
gedankens legt ihr die wähl sinnlicher bilder nahe; das bewusste ver-
fahren darf ihr dabei auch nicht zum vorwürfe gemacht werden, da
dies mit der fortschreitenden geistesbildung von selbst gegeben war*. —
Das wort dUr/YOQia ward aber neben dem oben erwähnten allge-
meinen sinne spociell auch so gebraucht, dass man eine mythendeu-
tung so nannte, die sich nicht mit dem zunächst liegenden sinne
begnügte. Mag man die widerholten misgriffe „allegorischer" erkläning
verurteilen, historisch ist es, da man es bei jenem allegorisieren meist
auf abstrakte oder geistige potenzen abgesehen hatte ^, jedenfalls gerecht-
fertigt, nun auch auf mythischem gebiet solche Schöpfungen allegorien
zu nennen, die nacli einem sinnlichen ausdnick für etwas unsinnliches
suchen; dieser auffassung neigt sich auch Wislicenus seinerseits zu*.
Wenn nun auch eine solche allegorie (wie z. b. die von Hercules am
Scheidewege) gewissermassen das widei'spiel des mythischen Symbols
darstellt, das ja, von dem naturvorgang ausgehend, mehr und mehr
vergeistigt zu werden pflegt, so stellt doch die betrachtung der indi-
1) Dersolbe scheint mehr an die allegorie als poetisches oder rhetorisches
kunstinittel als an das gedacht zu haben, was auf mythologischem gebiete [tassend
so genannt wird. Die unleugbaren bedenken gegen die künstlerische Verwendung der
allegorie sollen hier nicht bestritten worden.
2) Wenn Wislicenus a. a. o. sagt: „der geist kann nie meinen, dass er durch
ein sinnliches bild das innerste wcseu einer unsinnlichen Vorstellung ergriffen habe . .
darum katm hier die absieht nicht auf die crkcuntnis, sondern nur auf bildliche dar-
stellung gerichtet sein" — so wird, glaube ich, überechon, dass einzelne selten ein^r
Vorstellung recht wol durch ein sinnliches bild deutlicher werden können; darauf
beruht ja die berechtigung des gleichnisses und der paramythie.
3) So wurde noch in der refonnationszeit die lica und Rahel der Genesis von
Flacius auf die philosophio und thoologie bezogen, vgl. Zöckler, Handb. der theol.
wiss. I, Ü57.
4) Dagegen ist eine schon bei Cicero (Orator 27, §0.S, 94 Jahn) belegte an-
wendung, wonach allegorie für eine in längerem zusammenhange durchgeführte meto-
nymie (oder niot'ij)her) gobrauc^ht wird, für den mythulogen wertlos, da ihm dit»
weiter durchgeführte metapher {= symbol) zum eigentlichen mj'tluis wird. — Die
grammatischen abhandlungcn der Snorra-Edda fassen als metaj)hora auch die von mir
als allegorie bezeiclinete ausdrucksweise; mit letzterem namnn belegen sie nur solche
bildliche ausdrücke, deren wahrer siim erst durch schärferes nachdenken gefunden
wird, z. b. die ironie und das rätsei (Kph. II, l.')8 fg. 17S fg.) — Als quellen der
abhandlung sind desDonatus Ars minor sowie das 3. buch der Ai*s maior zu betrach-
ten, s. Olsens ausg. s. XXXVIII.
177
i Symbole schon eine innere Verbindung beider gebiefe vor äugen.
I ich von der an der Oberfläche des wassers, an den blättern der
in Staubwirbeln usw. sichtbaren, raseben bewegung auf einen
^heber derselben schliesse und ibm (nach dem raschen fortschreiten
jener bewegtmg) vor allem die eigenscbaft der Schnelligkeit zuschreibe,
I steht dieser, zwar durch sinnhche eindrücke spürbare, aber sonst
m sinnen, unbekannte Urheber schon auf dem übergange zu den
l^edsiikenweseii, welchen die allegorio sinnliches leben zu leihen ver-
'Sacht'.
18. Sind wir somit keineswegos berechtigt der aUegorie das so
lange genossene gastreeht in den grenzen der mythologie plötzlich zu
^kündigen, können wir anerkennen, dass einzelne allegorien relativ alter-
ttmliches gepräge zeigen, auch nicht ohne jeden poetischen reiz sind*,
to ist andererseits doch festzulialten , dass wir bei einem mythiscbeu
gebilde jeder art dann die geltung als allegurie uns gefallen lassen dür-
fen, wenn eine erkläruug im sinne des naturmythus sich ungezwungen
^cfat durchführen lässt. Wo aber, wie z. h. bei dem Fenriswolfe, nur
ne gewisse Schwierigkeit dos nachweises vorliegt, ist dieser fall noch
lltcht gegeben, imi so weniger, weil alle das gemüt mächtiger bewe-
genden und weite kreise durchdringenden mythischen momente irgend-
wie in der sichtbai'ea Schöpfung zu wurzeln pflegen, vgl. s. 163 den
der n. 2 voi-angehendon text. Nicht einmal bei dem schifie Naglfar
J8t es geraten, entweder der mislungenen otymologie in Qylf. c 51 zu
iBebe an ein schiff aus nageln verstorbener menschen zu denken, da
, solches falirzeug nur als allegorio eine art von sinn hätte' oder
nach der geisti'eicheren deutimg eines jetzt lebenden foi-schors an ein
1) Aoc'h ist za beachten: da jede erkonntiiis von der DBtar ausgebt (nihil est
iotellectu, quod dod fuerit in tieasibusj, sd stellt die zuriickbexiehnog geistiger
itegliCFe auf ein der sJaaenwGlt entnomnienes bild gewis-s^rmasson eiaeD Datürlichen
ikreislaiit des erkennens" dar. In etwas anderem sinne gebrauchte einen ähnliehen
Wtsdruck G. H. Mejer, Germ. myth. a. 11.
2) Von allegorien auf dem gebiete der ajtoord. mythol. neane ich aiuser Dagr
Nütt, die noch als indirelite Symbole gelt^u können, namentlich EUi und Ungi
IJB Oylf. 4(J und 47 (ffi4gi — pal vnr htgr mmn). Ferner geboren hierher die in
Qf It 35 als gefolge der Frigg genannten weiblichon gottbeiteti wie f^^fu, I/)fn, Vnr
'. Aber auch gestalten wie der unieae Yniir dürfen a!s Allegorien gelten, da dio-
2. b. den gedanken eines gemeinsamen Ursprunges der riesenweit von einem oin-
ireseu in einem der sianenwelt entlehnten bilde ausdrückt, Gylf. c. &.
3) Dieser sinn könnt« nur der sein, das sehr langsame heranrüubon des weit-'
Bnterganges zu värdeutliclien (Grimm, Mytii.' % (iT9); ein solcher gedauke liegt den
(BgnarBk-mythen sonst jedoch ganz fem.
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I.
DER FENBI8W0LF 179
hoff 8 u. a.^ geeignet ist den beregten mangeln ausgleichend gegen-
überzutreten, halte ich es lieute nicht mehr für geboten die Warnungen
früherer jähre zu widerholen*. Ohne in meinem misstrauen gegen
eine vorwiegend etymologische mythendeutung anderen sinnes gewor-
den zu sein; ohne zu meinen, dass direkte vergleichung von mythen
verschiedener Völker im ganzen wertvollere resultate liefern wird als
eine genaue philologisch -historische prüfung des einzelmythus, der an
anderem orte gefunden, doch nicht mehr ganz derselbe ist, so kann
andererseits diese philologische erklärungs weise doch, glaube ich, in-
direkt aus den gesicherten resultaten der vergleichenden forsch ung
insofern nutzen ziehen, als die kenntnis und beachtung einiger allge-
meiner gesetze der mythen -bild ung und fortpflanzung unserer kombi-
nation, wo wir auf diese angewiesen sind, engere schranken zu ziehen
und für uns somit die möglichkeit des irrens zu verringern geeig-
net ist 3.
21. Von einigen selten glaube ich die frage zu hören: gibt es
auf diesem gebiete allgemeine gosetze, die zweifellos anerkannt sind?
Vielleicht nicht; aber was ich nicht im sinne eines axioms anwenden
darf, lässt sich doch, wenn es durch manche beispiele gestützt ist*,
1) Ausser dem 5. bände der Deutschen altertumskunde und verschiedenen
whandlungen kommen für genaueres Studium auch die vorreden zu W. Mannhardts
^ythol. forschungen (Strassb. 1884) in betracht, deren eine von Müllenhoff selbst,
^© andere von Scherer herrührt.
2) Vgl. namentlich meine anzeige von Cox, Mythology of the Aryan Nations
*** den G. G. A. 1872, st. 3. — Wenn Scherer in seiner vorrede zu Mannh. Forsch.
y^^L die vor. n.) s. XIV bemerkt, dass diese anzeige MüllenhofFs vollen beifall hatte,
***dererseit8 berichtet, dass M. „Benfeys beratende stimme hinter ihr vermutete",
Scheint letzteres eine gelegentliche crklärung von meiner seite nalie zu legen.
>ixie gründe, weshalb er selbst die anzeige nicht gerne schriebe, hatte Benfey mir
gesprochen und mich so zur übernalimo aufgefordert, für die einzelhoiten der aus-
TiiDg bin ich allein vci-antwortlich. Die wenigen ausnahmen sind in der anzeige
(z. b. die ablehnung der Daphne-etymologie M. Müllers durch „kompetente
^^^^titäten*) genügend angedeutet (s. 85).
3) Von einem ähnlichen Standpunkte hat vor einigen jähren Beer (Germ 33, 3)
. **''^iif hingewiesen, „dass man anfängt über Schwaitz' einseitigkeit und kritischen ver-
*^'Majgen zu vergessen, wieviel man ihm verdankt", wozu neuerdings die äusscrung
"^^ Oldenbergs (ReÜg. des veda s. 34) stimmt. — Dass auch der standpimkt der histo-
^^b-kritischen erforschung eines spocialgebietes nicht ohne weiteres von der gefahr
^^^xagrosser kühnheit in den kombinationen entbindet, haben „berühmte muster" auch
^*^^its bewiesen. Vgl. Mogk a. a. o. s. 993, § 12.
4) Ich rede hier von solchen gesetzon, wie sie z. b. Mannhardt im 2. cap.
^**i«r ,Götterwelt" oder Schwartz in verschiedenen Schriften, besonders im „Ursprünge
^^^ mythologie" aussprachen. Allerdings dürfen diese gesetze (z. b. das von der
12*
180 WILKEN
sozusagen probeweise als regulativ verwenden, und gelangt man so zu
befriedigenden resultaten, d. h. zu erklärungen, die ungezwungen die
ganze entwickelung des mythus klar legen ^, so ist wider ein weisser
stein gewonnen, der den angefochtenen grundsatz verteidigt; anderes-
falls würde auch ich bald einem solchen grimdsatze meine folge ver-
sagen. — In dieser weise sozusagen eine gegenseitige kontrolle
vergleichenden Standpunktes und desjenigen der Specialforschung
streben scheint mir die aufgäbe der nächsten zeit zu sein'.
22. Ähnlich aber, wie zu der vergleichenden, linguistischen stellt
sich die philologische richtung auch zu der anthropologischen und ver-
wandten richtungen der mythenforschung. Sind in neuerer zeit manche
forscher geneigt gewesen dem „seclenkult" eine dominierende Stellung
in der mythologie einzuräumen, so ist einiger schönen ergebnissc
dieser forschungsweise ungeachtet daran festzuhalten, dass die beseelt-
hoit der natur erst von dem kult der abgeschiedenen seelen abzuleiteci,
ein hysteronprotoron ist, das, unerkannt bleibend, noch zu grol>€Mi
irrtümern anlass geben könnte^.
IL
Litteratur, Zeugnisse.
I. Der mythische Fenriswolf wird auch dem oberflächlichste*
kenner der nordischen göttorsage nicht unbekannt sein; dass die
Priorität der himmlisrhou gowiisser vor den irdischen) nicht in so mechanischer
angewandt werden, wie in dem sonst vielfach dankenswerten buche von Henne
deutsche volkssago 1874), wo es s. 374 heisst: ,,dein gegenüber (d. h. den sagen
opfern, die ein gewü^ser jährlieh verlangt) steht die heilkraft vieler wasser; d^
der himmoK der sich im wassor spiegelt, bringt sowol leben als tod.* — Am wei
sten gesichert wai-en die gesotze, welche A. Kuhn u. a. über die i)orioden der myth
bildung aufzustellen vorsuchten.
1) Mit recht meinte Mülleuhoff (Scherers vorrede zu Mannhardts Forsch, s. IlX^*" '^
deutung sei überhaupt nicht so wichtig, als geschichte des m^Üius.
2) Von einem ähnlichen Standpunkte scheint auch Laistner in seinen ,Ne
sa^'frü* ausgegangen zu sein (vgl. sein nach wort s. 207 fg.); ja, schon Mann
i-trebte von der komparativen methode immer mehr der philologisch - historischen
Wahrend aber diese Unden forscher von der vergleichenden richtung ai
«ffj.f'fiehlt sich für die gegen wart, glaube ich. das ausgehen von dem philologiscft^
*:l4irj'jpunktf.-.
Ij) Vgl. s. lOi) anm. 4. — Um hier zum schluss noch ein werk zu nennen, in <S.
r#«;-ofjij*.fje Verwertung aller bisherigvn Systeme mythologischer forschung sich
vy f>-k«;nDe ich, dass die „Vedische mythologie von H. Oldenberg* noch
\'yii luir citiert sein würde, wenn das gehaltvolle werk mir nicht erst kan
»^Acbluja?! dieser abhandlung zugegangen ^üre.
1-
I
TD
xn
ist
Cnrt^ sehr verscliietipiio wege eingeschlagen hat, ist gelegentlich schon
-^. l 60 n. 3 berührt worden. Kaum irgend eine möglichkeit ist unver-
sncilit geblieben. Den einen ist Feorir ein sturmdäraon (W. Scb
tJr^sprung der niythol. b. 66, vgl. W. Mannhardt, German. mythen
I. 198 nnd El. H. Meyer, Vijl. 201 und German. mythol. 107, wel-
cher letztere aber auch an Äpokal. 13, 2; 19, 5; Jes. 63, 3 denkt),
der» andern ein wasserdämon (Weinhold, Die riesen des german.
mytlius s. 249; Mogk im GrundiTss der german. phü. von H. Paul
I, 1045), Finn Magnussen (I^x. myth. 68, 69; ^Eldre Edda IV, 227)
da.<r?hte teils an den abgrund, teils an das unterirdische feuev; auch
Besrgmann (Fascin. de Oulfi s. 288) wollte in Fenrir eine bezeich-
ntiug der „feux. souterrains, qui sont lancfe au cio! par les volcans"
ert»licken (ähnlich Wisliconus, Loki s. 27 sowie neuerdings Hirsch-
fol d, Tgl. cap. I, § 8), während N. M. Petersen (Nord, mythol.' 392)
sit^fc mit dem „irdischen feuer, welches das menschonlebcn in allen
seinen richtungen in bewegung gesetzt hat", begnügte. Auch. J. Grimm
(Vl^th.' s. 202) war geneigt Fenrir als „widergeburt" des ihm als
feixergort (s. 200) geltenden Loki zu fassen, älmlich wie neuerdings
S. Bugge (Studien über die entstehung der nord. götter- und helden-
|BB»^ren 8.414) die gefangenscbaft des wolfes Fenrir nur eine „differen-
Btieinng von Lokia gefangenscbaft" nennt, welcher letztere ihm freilich
■«tnbch = Lucifer ist. J. Grimm gegenüber haben W. Müller (Ältd.
Iielig. s. 173) und neuerdings K. Müllenhoff (D. alterturaskunde V,
I 13S) den wolf als däuon oder „urwolf" der finsternis gefasst. Spe-
Icieller als „dämonisches wesen der nächtlichen finsternis" fasst ihn
lUannhardt 1860 in seiner „Götterwelt der deutschen und nordischen
r ^'Ölker" s. 264. Später variierte er diese ansieht wider, vgl. s. 160
• 3)^ wo auch die deutung „nebol" erwähnt ist. — Einigen forschem
I "lochte die natürliche grundlage des mythus nicht mehr erkennbar
■"oheinen; an allegorische deutung streift /. b. die erklaning von Sim-
1 roci (D- mythol." s. 97): „indem Fenrir zum verderben der gotter
timmt ist und später selbst den weltenvater verschlingt, ist das ver-
^^ibon der weit, ihr Untergang selbst in ihm dargestellt." In etiras
"Üiiiliperer fassung des gedankens nennt Fr. Kauffmann (Deutsche
**lythol. ' s. 112) Fonrir den „schauererregenden wolf, dem die götter
"*eim letztem kämpfe unterliegen."
2. Diesen ansichten Hessen sich als Variationen noch einige
hadere, z. b. der von mir (Untersuch, zur Snorra-Edda s. 121) vorge-
tngene erklämngs versuch anreihen, wenn ich nicht im begriiTe wäre
fliesen letzteren durch eine neue erklärungs weise zu ersetzen, die den
182 WILKEN
kern dos mythus in methodischer weise zu ermitteln, die erweiteru.
gen festzustellen, in den bisherigen erklärungen, soweit sie mir bekaik. xt
geworden, das richtige von dem unrichtigen zu sondern versucht he^t;
ich gehe aus von einer kurzen betrachtung der quellenzeugnisse.
3. Schlägt man das namenregister einer ausgäbe der Liede r-
Edda^ auf, so findet man s. v. Fenrir und Fenrisulfr meistens 5 steri-
len aufgeführt, von denen die erste (VqI. 40, 2) dunkel und zweideutifx
ist, die andere (Vafpr. 46, 4 -= 47, 2) nur eine nebenströraung der
tradition aufweist, die ähnlich auch in dem sehr späten, in den neueren
ausgaben meist fehlenden Hrafnag. Odins 23, 4 zu erkennen ist *.
Deutlicher und im ganzen der haupttradition gemäss sind die anspio-
lungon in Lokas. (prosa vor str. 1, z. 6; str. 38, 4). Zu diesen 4 — 5
stellen kommen dann allerdings noch etwa doppelt so viele, in denen
der wolf Fenrir nur als ulfr bezeichnet ist (VqI. 58, 2; Vaf|)r. 53, 1 ;
Hym. 24, 4; Lokas. 10, 1; 39, 3; 41, 1; 58, 3; Hyndl. 42, 1; 45, -4);
ausserdem das wahrscheinlich verderbte t>üt ulf vega VqI. 55, 4 naob
R. Doch geben auch diese stellen nur kurze andeutungen über de»
offenbar als allgemein bekannt vorausgesetzten mythus 3.
4. Die prosaische Edda gibt neben stellen von geringereiaa
belang wie Gylf. c. 25; 38 (ulfrinn =- 48, 4 Wk); Eptinn. Eddu; Skäldsl«-
c. 9; 11; 16; Fenrir als riesenname c. 75 = Kph. I, 555; als wolfsnartm^
Kph. I, 591; II, 455; HÄtt. 56, 7; zu Kph. 11, 431 — 32, 515 v^l-
excurs II) doch auch die einzigen zusammenhängenden berichte üi
den Fenriswolf, namentlich in Gylf. c. 34 und 51; in ersterem CJ
wird die fesselung, in letzterem bcfrciung, kämpf und tod des wolffes»
berichtet*. Diese beiden cap. haben unschätzbaren wert, doch ra
man, des kompilatorischen Charakters der Gylf. eingedenk, sich
1) Itei don citat^n ist die ausgäbe von B. Sijmons (Hallo 1888), für die do*^
nicht onthaltenen lieder dio von Th. Möbius (Lpz. 18G0), boi oitaten aus der f> «"<-»*
saischon oder Snorra-Kdda und dort citicrten skaldcnliedorn die grosse Koi)enhage»>*^'^
aitögabo (Kph.), bei citaten nach zeilen meine ausgäbe (Paderb. 1877) daneben ^°
gründe gelegt.
*J) Über diese nebcnströniung vgl. cap. VII, § 11.
3) Pas wort tdfr wird an manchen der angr'führten stellen (z. b. Lokas. 10» *^
hwnaho zum oigonnamen, was nordische herausgober teilweise auch durch wähl
■n4iu:^kol auerkaimt haben; andererseits wird in Uelg. ifund. I, 39, 2 mit rei^t
ifr :{«chriebon, da das wort hier nur ^bezeichnung eines gerährlichen wol^*^
:- ist (H. Gering.) Nach beiden seiton al>er belegt der sprachgebnt«»*''*
Verbreitung des betr. mythus.
2a jenem hauptbericht in Gylf. und don kurzen anspielungen in bei^i^"
ans der übrigen idtnord. litteratur noch einige Zeugnisse, ^\mXC^
/atllie scburfer naclipi'iifuug im einzelueu nicht überhubea wälinea. Ehe
icfa jedoch (in c. V) eine kritische suDderung jener berichte versuche,
sj'r»ci noch einige Vorfragen zu erledigen.
IIT.
Namen und boinameii.
1. Von den env'äbnten Vorfragen sind zunächst drei in diesem
ca.;^>. zu besprechen: ist Fenrir der name des wolfes selbst? können
wi-ar diesen mit einiger Sicherheit erklären? können wir aus den bei-
n^amen des woifes irgendwelche aufscbliisse über sein weaen gewinnen?
2. Die erste frage wird vielleicht überraschen. Da an den in
c- H, §3 citierten stellen der Lieder-Edda (mit ausnähme dos proaa-
*'i->r»gangs zu Lokaa.) das einfache Fenrir begegnet und zweifellos den
w^«z»lf F. bezeichnet, scheint die frage kaum berechtigt zu sein; sie wird
ir» einer neueren, sehr verdienstlichen darsteliung der nord. mytholo-
?i^' auch nur gestreift mit den werten „Fenrir oder der Fenrisulir,
'"^ » « ihn skttldische tautologie nennt" Aber gerade in echt skaldischen
*»-"» «drücken wie Ulfs föstri (Sk. 9), Ulfs bdgi (Sonart. 24, 2), Ulfs
'^^/r (= leifar) Kph. 1, 266 n. 7 und den ähnlich gebildeten Ulfs faäir
^skas. 10, 1, Ulfs hniibrödir Hym. 24, 4 zeigt sich der kürzeste aus-
^^uck, welcher möglich war, der zunächst nur als abkiirzung von Fen-
^"^^-sulfr eine erklärung findet; dasselbe iilfr begünstigt auch die Lie-
1 *i«r-Edda (vgl. c. II, 3) entschieden mehr &\?, Fenrir. Beiläufig bemer-
kend, dass mir von skald. tautologie in dem sinne, dass zu einem
""^elleicht nicht ganz deutlichen ausdruck (wie Fenrir) ein zweiter in
Erläuterndem sinne (wie hier ulfr) hinzuträte, kein beispiel bekannt
Ist', lege ich mehr gewicht darauf, dass eine solche „tautologie" in
*lie aar einzelne teile dos mythus beleuchtet werden, unter ibuon ist von liiicbEtoni
Utur und gewicht die 6. Etrnphe der E^rilismAl (bald nach 935) sowie die 20. strophs
<tsr Hi'ikoaarmül (bald nach 95ü verrasst); von blossee anapieluutjen auf dun mythua
VoD mm leil nouh höherem alter nenne ich die stropbe des Eyviudr in Rph. 111, 460;
Yo^gatal Vlil (Vigf. Corp. poet. H; Yngls. o, 20); HauBtlqng 8 (Vigf.; Kpb. I, 310);
Sonartorteb 24, 2; 25, 2 noch Egilss. ed. Jönsson s. 367; Bagnarediü]m 4 (Vigf.; Kph.
1, 43()); lerner Kph. 11, 630. Einige weitere belege aus den verseil der sagas siebe
W Egilsson Lex. poet. s. v. Fenrir, endlich Merlinusspa 11, 118 (Vigf. Corp. poeL
U, 376) und aas der rimnrpoesie l*rymlur od. Mob. 1, 2.
1) Tgl. Mogk in Pauls gmndr. I, 1045.
2) Wenn der skaldiBche ausdi-uolt tmi breit« neigt, so geschieht es gerade in
dem umgekehrten bestrebeD füi' den einTachen, als trivial geltenden ansdnick einen,
künatlicb gebildeten zu wühleu, der das nachdenken etwas mehr beschäftigt,
184 WILKBN
diesem falle auch eine äuösei*st selten belegte abweichung von dem
altirorinanischen sprachgebraucho darstellen Avürdo. In eigentlicher kom-
position kann die species durch das genus expliciert werden (vgl. eich-
bauni, Walfisch u. ä., Grimm 11^, 440 fg.), nicht in uneigentlichor,
,iri»notivischor: hier kennen die germanischen sprachen einen explica-
fiv«'n genetiv von alters her nicht. Ganz besondei-s.gilt dies von der
imnlisrhen, mit hilfe des gen. subiect. oder obiect. ausgeführten keih
niiiff oder Umschreibung (vgl. u. a. Vigt^ Corp. poet. II, 447 fg., meine
Kritri-s. zur Sn. Edda s. 190 anm. 117); ebensowenig wie Mdna(jarmr
Mwnals bedeuten könnte „ein hund MÄni'', ebensowenig wol auch Fcnrh'
nlfr ^eiii wolf Fenrir". — Man hat die anomalie zwar gelegcntlioli
.iujffi hlnweis auf Yggdrasill (Vijl. 19, 1 nach den meisten hss.) -
) lij/ilntsib iiskr zu erledigen gesucht^, das in demselben sinne VqI.
li", I sowie in den Grm. (str. 29 fg.) siebenmal, auch in der Prosa-
l'ldda sti'ts bi^egnet, wo nicht das einfache aslr genügend schien. Mit
iinM.'iii mir an einer stelle und nicht ohne Widerspruch einer der
iilrsU'ii hss. belegten Yggdrasill hat es demnach nicht eben viel auf
^u ii v'pMjUbor dem sonst völlig konstiuiten spnichgebniuch -. Gleioh-
■.>i»l will u-h die analogie dieses wertes nicht ganz von der band wci-
^tii, 'ia riach drei selten sich eine gewisse ähnlichkeit mit unserin
■iUMii -t'i^t. Kinmal begegnet der anomal verkürzte ausdruck in bei-
m aiU'ii niemals in prosa, wo nur der vollständige oder der normal
. ikui/.u^ iiu.-idruck (ash\ resp. 7(1 fr) sich findet Zweitens ist der
.i.iiuii \nkar/.te auch nur da in der poesiu zu treften, wo ein gewi^
»v.iii;; dos mctrums mitzuwirken scheint^. Drittens endlich is^t
= .«*v iiiiiiaie Ncrkürzung hier ohne gefahr für das richtige verständ-
..•.L A!.-* luraflioii /''>/•/• j;esagt wird fcUir furnjnts i/oda fingst nlla --= l»«^'
.^^ k^.iui'U'iurn nnuitium antistitis. (Kph. I, 2!U , IJL lM.)
^>/,furtisill dor nauio dtji* esobt: s»m, winl iieuordinjrs von Kii'J^*
■ .uiii>nd«;o uiiivei-sity ropoHor ISO."), fiWjr. .'>) •jelougiiftt. Y. wäre u^^'
.L*v.iic ki'iininj; für SlcipHt'r. H. (!.]
;av '<yMii»»s au der betrrffmdL'n stollo mit cod. r Yyr/drasih (-^' "
. . üjitiiiouiiMi aualogio gemib^s.
^uc Vt^«;. 10, 'J i'in« langzoilc wie
.»k f'iuhii ßar Fcnrinftffs kimh'r
x;.jii. das iMnrat:iie /<//> wiiitl«' aI»or dorn stabroimö und >i*=^
-•V-'- ^^^'l ^^^ "^" *" ^'^^l- ^^' J der gen. Yggdranils. da
.— ^ •-»•^'•' '-^'i;^*»^ ^W\\\, otwas auffällig' (HugpS Stud. s. 421), a^'
4. :*i*cu >kaldisL*hou wtirtstfllun«:, an welche anklänge auch sr-^
. o^ tiiä«>u \\\m\. \\\. Xk 1 'J nach H) darf man doch ai-**-
tuit iKid. r uutVecht erhalten.
■UV»
185
nis, da YggdrasUI wie Fenrir nur noch in der Verbindung mit askr,
rcsp, tilfr vorkanieü, nncli ihrer besondoi-en bedeutung aber wol schon
nnverstiißdlich geworden waren '. Ich glaube also die Verwendung von
Fenrir = Feuriswolf nur als eine aus den angeführten gründen erklär-
liche Hcenz des poetischen Sprachgebrauches namentlich der Ijeder-
Eddfl, seltener der sbalden (2. b. Kph. UI, 460) ansehen zu dürfen*.
3. Wie steht es nun mit der erklärung des schon frühe unver-
stänilljeli gewordenen wnrtes seitens der neueren forscher? Weder
J. Grimms noch Bergmanns deuteversiich bat beifall gefunden*; die
mehrzuhl der heutigen niythologen acheint zu einer anknüpfung an
/"«». n. (= sumpf, meer) geneigt zu sein. Allerdings ist schon die
pramniH tische ableitung nicht ganz gesichert; nach dieser seite hat
neuerdings Hellquist der sache anfmerksamkeit geschenkt, ohne jedoch
21 ganz gesicherten resultaten gelangt zu sein*. Weit schwieriger
noch Heheint mir die sachliche begründung. Da Fenrir bei jener
annähme mit Fe/isaUr und wol auch mit Fenja verwant sein müsste,
deren ableitung von fen n. jedenfalls einfacher wäre, so will joh eine
"Urzt; betrachtung dieser beiden worte vorausschicken.
4, Bei Fenaalir, der wohnnng der göttin Frigg, wird fmi bald
"" sinne des skaldisehen Sprachgebrauches mit „meer" (Bugge, Mogk,
'''iltlieri, bald dem gewöhnlichen usus gemäss mit „sumpf oder „teich"
(80 namentlich Edzardi, Germ. 27, 330 fg. und neuerdings Hoffory, Edda-
1) Diosor uuistaQd ist nicht obii>3 gewicht. WiUtrend im nhd. z. b. nieinand
^^ kötiigiwoha einfach könjg ssgoa daif, wii-d das ganz analoge vettoi (^ vetturs-
**«>! odor kleiner votier) uabedetiklioh gobranoht, da vetter im ursprüogliohen Biune
'^^ VBterbmder) veraltet iat.
2) Auch die beiden von Sohullerus in Pauls Beitr. XU, 22Ü noch aogeführtea
~™Bpie1e stellen ttio sauhe nicht anders dar. Die schwierige strophe Grm. ',^1 (vgL
*Kt» Lüning und Uiillenhoff, D. alt. V, 116) wird nur noch dankler, wi'nn man
^^f'^Titnir fdr den nanion des Knuibes selbst hält und nicht rilntr sonstiger tuialogie
S^tijteH := woir, zanberwescD fosst. — Olasir (Skülsk. 32 nnd 34) ist nicht ohne wei-
^*« =^ (ilaaislunilr, sondern die uraprüngliiJie bodeutiing von Glanir (= der glont-
'^'^bu, glasähnlicbo, eine bezeichnang des hiinmels ähnlich dem „glasüerg* unserer
^Är<^en) ist der Sn. EdJa nicht melir dsuth'cli; so konnte auch hier Oltutr wider
vbkürKung für Glasiniuiuir stehen, zumal andere coni[io3it& von ölaair (wie Ola-
*'*air) dem sprafh gebrauche der Prosa-Edda fremd sind.
3) Der erstore (Myth.' 8.'202 liatto gefragt: got. fanareia? doch nicht flthnen-
^ r, pannifer9 Bergmann hatte (Fase, de GulÜ s. 288) an ags. fmn, ahd. feim
•»«»Bart
4) Im Arlriv Tdr nord. filol. 7, s. 24 und 173. Der an craterer stelle gepibenen
^^tuog {Fmrir = Fet^arr, wie Vtdrir, Snütrir = Viäurr, Sti/ttirr) mcichte ich
I als der s, 173 nach Grimms Vorgänge wider
txnng von -rir mit got -areis.
stud. 1, 26), gelegentlich auch mit „marschlaud" (N. M. Peteasen,
mytb. 187) überaetzt. Diesem schwankea gegenüber koastaüere icfcq
zunächst, dass keine der vorgeschlagenen deutuogeu für eine woh_
niing der himmelsgöttin recht passen will, wie denn auch Edzan^^
a. a. o. Ü35 ehrlich einräumt, „wenn auch in unseren eddischen quellea
diese auffassnng (einer unterirdischen teichwohnung der göttin Frig^
Idon-Hel) nicht mehr hervortritt" und bestimmter noch 338 so sia%
äussert „ da der dichter sich Ferisalir wol als himmlischen wohcx—
sitz dachte" usw. — Veränderungen der mythisclien auffassung iru
laufe der zeit sind ja nun freilich ausserordentlich häufig, aber diese
fülle der beispielo gestattet doch auch eine axt regel für den gang der
Veränderung aufzustellen. Wer den Schriften von A. Kuhn, W. Schwartz
und ihrer nachfolger mit besonnener kritik gefolgt ist, dem wird der
satz ^ trotz mancher Überspannung iin einzelnen ^ im ganzen dach
als bewiesen gelten, d<iss der gang der lokalen veröaderung auf echt-
mythischem gebiet von oben nach unten, von den himmlischen wol-
kenbergeu zu den irdischen bergen, von den „oberen" wassern zu deQ
gewässern der erde führt und nicht umgekehrt'. Dass die untorwelts-
göttin Hei ursprüuglich die „verhüllende" wölke am himmel bedeutete,
ist leicht zu sehen; ihre Identität mit l'rigg lasse ich hier dahingestellt;
die annähme eines „älteren" unterirdischen Wohnsitzes der Frigg tAnat^
wo unsere quellen einen himmlischen im sinne haben, verstösst gegen
die eben angefiilirte „analogia mythica" *. Gerade wer Feiisahr für
einen älteren mythischen ausdruck hält, wofür mehrerc gründe spre-
chen', wird zu der von Edzardi vorgeschlagenen lokalverlegung sinli
1| Vgl. z. Ii. Schwarte, Poet, natutansch. II, s. 0 oben, 200. — Es tuodA
sich hior uiulit um erzähl un gen , wekhe historiscbe erktilrung eioea auHfiUigian pUo»
tnens bezwecken wie die GylL II {= 14, 10; 15, 4 Wk) berichtBt«D, vgl. ci^i.I, U.
wäbrend uns Oylf. 10 ein boispiel liefert, wie dinge, die „zwiscben erd« und bin*
mel' sieb zeigten, z. h. daa lag- und aacbtwerdan , goToo und iui ganzen mit tmU
aoF oinen bimmliBuhen ursjirung zurückgeFülirt werden. ÄhaÜcli liegt es, weoa dil
augeu des getuteten Sturmriesen Pjaü von den gottern als Sterne zum himmel eAo-
ben werden (Brag. 56 = 96, 9 WL).
2) Ob der nohnaitz der gotter, von wo aus sie nach der darstclluug tob
Ojlt 34 die Hei nauh Nillhüim und den midgarihormr in die tiefe aeo norbn, im
bimmel war, darüber wird a.Y. 3, u. TI und oxu, I weitisr gehandelt weiden. Bui
kattadi in jenem berioht (38, 2, 5 Wk.) =^ herubwarf zu verstehen iiei, erkaa-
nsn auch die übersetzei' an (lieiecdt Eg-, ähnlich iSimrcck). Niuht ganz unähnlich
ist die griechische sage vom stürze der Titanen in den Tartaros (Hes. Theog. SIT fgj
vgl. eio. I.
3) Vereinzeltes vorkommen in verschiedenen quellen (Vijl., Gylf., SkÜda 19)
deutet meitit auf hiihereä alter; ebenso schobt mir diuj febleu dos namens in dun M
DER FENRI8W0LF 187
it berechtigt fühlen; dasselbe gilt auch von der ansieht, Fen^alir
= meersäle. — E. H. Meyers ansieht aber (Germ. myth. 189, 269),
an die feuchten „wolkensälo" denkt, ist mit der von mir vertre-
in eher zu vereinigen.
5. Ein ähnliches resultat ergibt sich deutlicher noch aus der
achtimg des wortes Fenja. Es ist der name jenes riesenmädchens,
zusammen mit der befreundeten Menja dem grausamen könig
li gold mahlen soll, schliesslich aber dem unersättlichen zwingherrn
eil mahlt. Von dem seekönig M^singr auf ein schiff gebracht, sol-
beide salz mahlen; als auch dieser sich unersättlich zeigt, versinkt das
9f im meer; seitdem ist die see salzig (Skäldsk. c. 43). — Wenn man
mkt, dass geschwisterwesen (vgl. s. 188 n. 1) im mythus, nament-
wenn es sich nicht um hervorragende göttergestalten handelt (vgl.
diese cap. IV, 1) meist nur Vervielfältigungen derselben Vorstellung
^ so können wir bei der erklärung von Menja wol ebensogut
ehen wie von Fenja\ ersterer name wird von „men" haisschmuck,
hmeide abgeleitet, was zu dem goldmahlen vortreflflich passt^. Auf
wasscr deutet eigentlich nichts, wenn man den mythus ohne ein
lologisches verurteil zu gunsten von fett n. betrachtet. Allerdings
inkt die mühle schliesslich im meer, aber, erst nach gewaltsamen
Strophen, nicht wie A. Kuhn 1847 (bei Haupt VI, 134) noch an-
: die mühle, welche gold mahlt, steht ja auf dem gründe des mee-
Dio auffassung beider mädchen als ursprünglicher meerjungfrauen
land, Mogk) erscheint mir darnach ebensowenig gerechtfertigt als
erklärung „gold, das im sumpfe verborgen liegt", die Grimm (Myth.*
u. nachtr.) jenem mehrbesprochenen fen zu liebe für das von bei-
mägden gemahlene gold gab. Das richtigere sah A. Kuhn 1858
einer „Herabkunft des feuers^ (vgl. zweiter abdr. 1886 s. 90, 102)
im anschluss an ihn Simrock (D. myth.^ 317), welche in der gold-
glücksmühle die so oft als rad, Scheibe, stein vorgestellte sonne
nnten; die mahlenden mägdo vervollständigen dann das bild der
üngeres mach werk enthaltenden Verzeichnis der götter>vohnungen in Grm. eher
insten dieser ansieht als gegen sie zu sprechen.
1) Während z. b. Gylf. 35 als tochter der Froyja nur Ilnoss genannt wird,
ihr Yngliugas. 13 zwei tijchter (Hn. und Oersimi) zugewiesen, deren namen
ich dasselbe bedeuten. Bekannt sind ferner die neun Schwestern, welche müt-
?s gottes Heinidallr sind (Gylf. 27), also sich sehr nahe stehen müssen und die
ir des meergottes -Egir, welche meeroswogen bedeuten. (Kph. II, 493.) — An
ereiden, Danaiden usw. der griechischen sage sei nur kurz erinnert.
2) Zu Menja stellen sich als etymologisch verwante auch Mejiglqä und andere
figen (Vigf. s. v. ^nen)^ in denen men stets = gold oder goldschmuck ist.
188 WILKKN
sonnenmühle wol nur ebenso wie die rosselonkcrin Söl mit den bei-
den sonnenrossen (Gylf. 11) das bild des leuchtenden sonnenwagens
ergänzte — Unter den neueren forschem ist Laistner (Nebelsagen
s. 323 — 331) geneigt die mühle Grotti zunächst als schueemtihle (salz «•
Schnee) zu fassen, die als wettemiühle im weiteren sinne freilich auch
zu Zeiten sonnengold zu mahlen im stände gewesen sei. Dass der
mythus nicht ursprünglich dem meere angehörte, dass man ^den namen
die beziehung auf die see angebildet habe" wird s. 330 mit recht
betont; über die s. 324 versuchte Zusammenstellung von Fenja mit
fqnii = schnee entscheide ich nicht. An die gewitterwolke als hand-
mühlo denkt E. H. Meyer Germ. myth. 90, Fenja und Menja fasst
derselbe als sturmriesinnen s. 155, wo auch die etymologische frage
berührt ist.
6. Selbst wer den ausführungen in § 3 — 5 nicht in jeder ein-
zelheit beipflichtet, wird doch soviel zugestehen müssen, dass jenes
Fen- in den besprochenen mythischen namen nicht mit irgendwelcher
Sicherheit auf fen == sumpf oder meer zurückzuführen ist und bei
dem an fen vielleicht nur anklingenden werte Fenrir sich diese ver-
wantschaft in einem noch viel zweifelhafteren lichte darstellt — Zum
glücke ist die etj'^mologie nicht die einzige pfadfinderin der mytliologie;
Aver sich hier zu einem ehrlichen „non liquef bequemt, der hat
wenigstens irrwege vermieden und sich die möglichkeit offen behalten
auf anderem wege sein ziel zu finden ^
7. Auch von den bei namen dürfen wir nicht allzuviel ausbeute
hoffen. Zunächst scheiden alle die von selbst aus, die nur genea-
logische bezieh ungen aussprechen, vgl. darüber c. IV. Die meisten der
1) Da sich in der Charakteristik der beiden mägde nirgends ein unterschied
zeigt, da sie nach str. 11 langjährige gespielinnon und nach str. 9 auch verwante
sind, so durften sie oben wol als gcschwisterwesen bezeichnet werden. Violleicht
sind nur darum zwei inahlcnde genannt, weil wol auch im norden an der handmühle
nicht selten von zwei mägden zusammen gearbeitet wurde (vgl. für das morgenland
Matth. 24, 41 und Riehm, Uaudwb. des bibl. alt.» s. 1042).
2) Vgl. W. Schwartz, Urspr. der mythol. XXI. — Beiläufig sei hier übrigons
bemerkt, dass für jenes fen n. selbst die angeführten deutungon noch nicht er-
schöpfend zu sein sch(unen. Dem verwanton sanskr. werte paf'ika wird auch die
bodeutung „staub "^ beigelegt (Schade, Altd. wb. s. v. fenni)\ diese würde uns jeden-
falls vom wasserdämon entfernen, violleicht sogar zu gemahlenem goldstaube füh-
ren. — Andererseits wäre eine entfernte v(»r>vantschaft mit g. fön, n. funa = fouer
nicht ganz undenkbar, wird doch z. b. auch mhd. retccn oder väwen (Lexer s. v.
rcwen) zu derselben wurzel (skr. pü - reinigen Fick' 126) gestellt. — Unter eine
andere beleuchtung wird die frage noch in cap. VIII, 1 gestellt werden.
übrigen beinainen küQnou auch andere wülfe bezeichnen, so zunächst
vitnir {\a.f\>r. ö3, 4; Grm. 23, 4) nebst Hröävitnir, das Lokas. 39, 1
deatlich, etwas weniger bestimmt Grni. 39, 3 auf unseren wolf weist;
der Grm. 21, 1 genannte pjöilvUnir ist zwar etwas rätselhaft, aber
mohrfach, z. h. von MüUenhofl' (D. altert V, 116) ais „Fenrir oder
einer seiner grossen söhne" gedeutet. — Während jenes vitnir (und
kompos.) der VqI. fremd sind, kommt dort von andem boinanien des
Wolfes zunächst vald^r VqI. 54, 2 sicher in betracht; in zweifei
sind die herausgeber bei jqtuun V<jl. 47, 2 und dem der hs, H ent-
nommenen Surtar sefi 47, 4; das erste beziehe ich auf Loki, vgl.
c IV, 2; über das zweite ist ebendort gehandelt. Es bleibt noch ein
kleoblatt zweifelhafter benonnungen aus der Vijl. übrigi freki, Garmr
und vargr. Das erste dieser worto ist einer der bekanntesten wolfs-
nanien*; die beziehung auf den Fenriswolf ist Vgl. 51, 3 sicher, dar-
oacli auch 44, 2 und sonst in der stefstrophe (vgl. darüber Sijmons
zu Str. 44) wabi-scheinlich. Dagegen ist der in derselben str. 44, 1
geoannte OamiT ebensowenig wie der in Gnu. 44, 4 bezeugte Garmr
auf Fenrir zu beziehen; die gründe hat Müllenlioff a. a. o. 138 mit
nachdruck hervorgehoben; hinzufügen liesse sich, dass Fenrii" wegen
der mchensperre nicht bellen oder heulen kann, so lange er gefesselt
last, wenn auch Gylf. c. 34 (= 42, 5) das ffre?ijar iüiHga ungenau erst
liacli erwähnung der maulsperre bietet; die worte fyr Onijtahelli mttss-
;leD aber, von Fenrir verstanden, die fortdauer der fesselüng bezeich-
nen, da er, frei geworden, sofort losbricht (H&konarraÄl 20). Der
vargr in Yqi. 39, 5 wird am einfiu?hsten auf den im vorhergehenden
Tetse genannten drachen Nlilhqggr bezogen (so auch Müllenhuff); der-
selbe gelehrte deutet in 44, 5 \vegen des dabei stehenden vindqUl die
vargqld wol mit recht auf die zeit der „sonnenwölfe" oder (eschatolo-
,ipach gefassten) Sonnenfinsternisse. Eine boziebung auf den Feuriswolt
wfire wol höchstens in dem i^args der nur teilweise noch lesbaren
str. 55 (nach E) zur not denkbar, vgl. die fassung der betreffenden str.
(=^ ßl) bei Grundtvig, Seem, Edda 1874 sowie die ältere Vermutung
If. Magnussens im Lex. niyth. 859. — Dass die zur vertauschung so
geneigte ataldische technik unter den rargs heiti (Kph. I, 591} auch
Fenrir bietet, bedeutet so gut wie nichts.
8. Der grund, weslialb ich dies negative resultat bezüglich des
beinamena vargr so bestimmt hervorhebe, ist folgender. Neben ulfr
1) Bekanotlich heissen aUL-h (.Iiüds wölte Gert aud Frfki. [Gylf. 38 n&ch
Orni. 19. 1
190 fflLKBI
ist vargr nach aiiswois der wbb, (]er verbreltetste naine für den
im norden.'^ Wenn auch beide worte im sprachgebrauche sich nidit
selten so nahe stehen, wie das Sprichwort: raita ritrgar nie3 tUftim
erkennen Ifisst, so ist andererseits die scheidimg doch unschwer auf-
zufinden: vargr ist das gefrässige, iinheimlicho raubtier, daliPr auch
von raenscblichen Verbrechern, sofern sie ruchlose raubtierart zeigten,
gebraucht (cargr i v^tim), aber nie als faniilienname verwandt. Dage-
gen bezeichnet ulfr, zwar aucli das raubtier, aber mehr von seiten der
kühnbeit und stärke betrachtet, so dass man sich nicht verwundern
darf, sehr zalilreiche familiennamen davon abgeleitet zu finden'; mu
könnte vart/r mit raubwolf, ulfr mit edelwolf übersetzen. Nun ist es
höchst bemerkenswert, dass zwar die der sonne und dem moude nacb-
stellenden wölfe häufig genug raryar genannt werden*, aber der nadi
späterer genealogischer Verknüpfung (vg). c. IV} mit ilmen nahe vM-
wantfi Fenriswolf in prosaischen texten stets, in der poesie ziemlicb
ebenso konstant ulfr und zwar oft ohne jede weitere bezeichnung ge-
nannt wird, so dass er gerade hierdurcii von den in der nord. mytho-
iogia oben so bekannten sonnenwölfen , den raryar, unterschieden
wurde. Dieser umstand verbietet allein schon in dem Fenriawolf ein
von anfang an als unhold oder götterfeind aufgefasstes wesen zu.
erblicken; es ist vielmehr zu erwarten, dass ulfr entweder aadh diA
edleren seiten der wolfsnatur ausdrücken sollte oder dass hier über-
haupt nur ein iiugserlicber vergleich (s. c. I, g 14) mit einem wolfe
beabsichtigt war. — Wenn dieser wolf in den EirtksmÄl str. 6 idfr inn
kqsvi (der graue wolf) genannt wird, so ist entweder nur ein poetisch-
lebendigerer ausdruck gewählt, da der wolf in poetischem ausdruck
sehr häufig so genannt wird^ oder es kann das wort fiir die sjmboUk
selbst bedeutuug haben, so dass bei einer „üusserlicheu" vergleichung
1} Vigf. s. V. ülfr ni fülirt etwa 30 vou diesem worte abgeleitete (tigennUMa
auf, duniEite'r kÜQigsiiaineii wio Ilniitulfr =^ Hr6lfr. So niog aaoh das kSoig^g»-
geBchloobt der Tlflngar (Hyodl 11, 4) voo alfr absiileiten Heiu.
2) Su Oyir. 12 (^ 15, 23) in ijatnla gygr fmdir ai smuim marifa J^m ot
aUa i vargs Ukjum, vgl. auch o. 50 (= 80, 10); dButüeher uoch spricht die Har-
vorarsagiL (ed. Buggo s. 246) oh kappatk um pat mrgar drull — pal tr »Gl, tat Sk-
ok H. heita vargar, pat eru ulfar nsw. — Aus Ihre üial. lex. 1Ü5 wies Oritnin,
Uftli.* 588 die ausdrSoke solvarg, soiulf Cur die aebensonne nacb; an don angcd&hp-
teil stellen soiieiat der vargr der eigentlich beKeicbnende aasdruck xn sein, au dan
teflweise ulfr als der docIi allgemeiner bekannte wolfsnanie hinzutritt
3) Bvlega aus TentchiedBuen spracbeo gab achoo J. Qrimm, vorrodu eu IMnfa.
Fucha XXXV, ausserdem vgl. dio uord. wbb. — Als yrdil^ri bezeii^ljuen den woB
die NafQa}>uItir, Kpli. I, ;>91-
DKR FBNRISWOLF 191
r^edesf&IIe auch die fnrbo in betracht kUme. Doch auch in diesem falle
Tdarf man bei „grau" nicht gleich an die düsterste lUrbung denken,
J wird doch z. b. auch eine eisen- oder stalilrüstting und von dem skal-
I den Sküli (Kph. I, 330 gräiuterks Mäna) sogar das mondlicht „grau^
I genannt. — Auch dies attribut macht also den wolf Fenrir noch nicht
ohne weiteres zu einem dämon der finstemia'.
9. Der einzige dem Fenriswolf allein zukommende beiname Vä-
nargaitdr begegnet seibat nur in der spräche der skalden, ist aber
insofern nicht ohne bedeutung, als der aus dem munde des gefesselten
Wolfes hervorbrechende schäum- oder geiferflusB Vdn in der skaldischen
traditton feststand und als besonders charakteristisches kennzeichen galt
(vgl. c. V, VI, i; 9 gegen ende; exe. II); übrigens ist diese be-
zeichnung wol derjenigen der weltschlange, dem älteren und reicher
bezeugten ausdruek Jqrmungaiidr {z. b, VqI. 50, 2) nachgebildet* und
soll die verwantschaft der beiden angeblichen söhne Lokis, die ihm die
riesiu Angrboda geboren, uuch lautlich darstellen. Das wort yaiutr
selbst wird jotzt meist als „zauberwosen" gefas.st und scheint so dem
sinne nach mit dem oben erwähnten ritnir verwant zu sein. Da diese
etwas dämonisch gefärbten beiworte aber neben dem einfachen ttlfr
uAer Fcnrimlfr entschieden zurücktreten, teilweise auch als skaldischea
beiwerk sich verraten, berechtigen sie uns nicht in dem „wolfe" ein
v(in Anfang au dfimonisch aufgefasstes ungeheuer zu erblicken.
IV.
Genealogische und polemische beziehungen.
1. Schon in cap. I, g 14 ward hervorgehoben, dass es zwar in
den urmython an verwantschaftlichen beziehungen göttlicher wesen
nicht völlig fehlt, der grössere teil aber der genealogien auf mytholo-
gischem feldo nicht der naiven, sondern der konstruktiven myüien-
periode angehört, eine in unseren quellen sich findende genealogische
Verknüpfung also sehr leicht eine irrige sein kann. Übereilt würde
auch die annähme sein, dass gemeinsame zurückführnng mehrerer
H Wer Sil die Qrfien der grieuliiachen sage sich erinnern sollte, darf nicht
de« lonehtenden Eaho vergeasen, der eine andere seito dieser gewittenrosen d&rstellt,
»gl W. Schwartz. ü?BpT. der myth. a. 192 fg.
2) Vgl. auch Vigf. Cwp. poet. bor. II, 471: the Wolf, the mi^ty monster —
is Ibm mentioDed by the poets tban tlio sorpent, — Doch vgl, s. 134, Kam. 1. — Dio
bemTlniDg im Oloss. der Pros. Edda s. v. Ji/rmunganär, wonach diese hezeichnung
unprUjiglich vielleicht dein fenrir gebfihre, ist zu atreicheo.
192 WILKEN
mythischer wesen auf einen gemeinsamen „vater" in dieser konBtr.
periode notwendig den sinn einer Wesensgemeinschaft ausdrücke, sei
es der kinder mit dem vater, sei es der geschwister unter sich. Mögen
nicht* selten geschwister, namentlich Schwestern dieselbe mythische
Vorstellung nur mit der nuance der Vervielfältigung ausdrücken, vgl
c. III, § 5; mindestens ebenso oft ist — in der griechisch-römischen
wie in der deutschen mythologie — das geschwisterverhältnis der typi-
sche ausdruck geworden für die gemeinsame Unterordnung unter einen
höheren, welcher einer aus älterer zeit noch lange fortwirkenden patri-
archalischen auffassung gemäss als 2)^äter^ dieser wesen bezeichnet
wird^. An den homerischen Zevg TtatrjQ und den römischen Jupiter
als „divom pater** (z. b. jEneis I, 65) nur kurz erinnernd, weise ich
hier namentlich auf die Stellung, welche Oäinn allmählich im norden
gewonnen hatte, hin. Die einst mächtigeren götter T^r und törr fin-
den wir in unseren quellen ihm untergeordnet 2; der zweite wird nun
immer, der erste wenigstens gelegentlich zu den söhnen Odins gerech-
net^. Dieser patriarchalisch gefassten gruppierung der äsen um den
allvater Ödinn, wie sie Gylf. 20 so anschaulich schildert: ok svd sem
qnnur guäin ei^i mdttug, pä pjöna Mnum qU svd \sem bqni fodur,
entspricht nun in unseren quellen offenbar die gegengruppierung der
den göttern feindlichen wesen um Loki, der namentlich als vater der
Hei, der weltschlange und des Fenriswolfes gefasst wurde, vgl. Gylf. 34
anf., wozu viele stellen der Lieder-Edda sowie auch der älteren skal-
den stimmen*. Ihrem wesen nach zeigen jene diei wesen wenig Ver-
wandtschaft mit dem verschlagenen Loki, so dass F. Magnussen einmal
bemerkte, ihr vater sei wol eher Ütgarda-Loki als Äsa-Loki gewesen.
Aber der ersterc hätte zu einem führer im kämpfe wider die götter
1) Solcher typischen ausdnicksweisen finden sich mehrere; die verschmelzang
des äsen- und vanon-kultes stellt Yngls. 4 und Bragar. 57 als einen friedensschluäs
mit geiselstellung dar; vielleicht ist ähnlich zu beurteilen die blutmischung (Loks. 9)
oder die heirat zweier göttlicher wesen (Gylf. 23).
2) Ein genauerer nachwois für das ältere Verhältnis wird nach den arbeiteo
von H. Petersen, K. Weinhold u. a. wol unnötig sein, vgl. übrigens neben Untersuch,
zur Snorra-Edda s. 101 a. 148 und s. 295 hier w. u. s. 197 anm. 1. Mit recht bäh
an dem früheren vorrang des gottos Ti/r auch W. Oolthor, Götterglaube und götter-
sagen der GeiTiianen s. 18 fg. fest.
3) Vgl. Untersuch, s. 115, a. 212. — Wo die betr. wesen von so untergeord-
neter art sind wie menschliche beiden oder valkyrjeu im vergleich zu Odinn, kennt
die nord. spräche den ausdruck oskas^ynir (adoptivsöhnc), oskmey. (vgl. die wbb.).
Wir könnten hier von „im dieusto" Odins stehenden menschen reden.
4) Gewöhnlich wird aber hier nur eines der kinder mit dem vater genannt
oder zwei geschwister (ohne den vater), vgl. s. 194 anm. 1.
pK^lecbt getaugt, also auch nicht zum „Täter" dee woIfes im sinne
I der konstr. periode. Doch vergisst diese im vorliegenden falle nicht
den drei „idealen" goschwistem wenigsten eine mutter zu geben,
deren nanie schon ausdrückt, welclie Vorstellung mit dazu führte, jene
drei nesen »k gesclinister aufzufassen: es ist die riesln AngrOoäa, die
furcht- bieterin oder -erweckerin'.
2. Im anscbluss an die besprechung der genealogischen Ver-
knüpfung dos wülfes mit Loki möchte ich hier die schon im vorigen
■ C*p. § ^ berührten ausdrücke in Vijl, 47, in denen es zweifelhaft war,
»vb sie »uf Loki oder Fenrir sich beziehen, kui-z erörtern. Zunüchst
r47, 2: en jqtnun losnar. MüUeuhoff hat I). alterk. V, 146 beide auf-
l fassungen für zulässig erklärt, die deutung auf Fenrir jedoch bevor-
I Kugt. Aber I^oki, der söhn des ricsen KArbauti und ursprünglich wol
lidentisch mit dem echt riesischen Ütgarda-Lobi, hat jedenfalls noch
ifaereo Anspruch auf den namen ji/tumi als Fenrir, der allenfalls auch
ftpo beissen könnte*. Doch wird letzterer in dor Tgl. (aueb nach Mül-
mboff) sonst als frekt bezeiclmet (cap. IV, 7); auch war die fesselung
(Zolcis in str. 35 ausdrücklich erwähnt, so doss wir auch sein freiwer-
i hier wol eher zu finden berechtigt sind. Endlich entspricht einer-
nits der ausdruck renna, der Vol. 44, 2 von freid gebraucht ist, genau
fai-a (vom wolfe Fenrir in Hükonai'm. 20 gebraucht) und die
sondere hervorhebung der fessel in jeuer strophe lässt an die berüJim-
Mite aller fesseln, Oleipnir, mit recht denken; andererseits entspricht
i dem loskommen des „riesen" in sti-. 47 vorangebende ersebüttem
Edes weltbaumes ganz der Schilderung, die Oylf. 50 von dem gefessel-
ten Loki macht: seine krampfliaften Zuckungen rufen erdbeben hervor.
3. Bei VqI. 47, 4 kann sogar der zweifei entstehen, ob nicht
vielleicht der 40, 4; 41, 1 erwähnte tungls tjugari hier gemeint sei:
da der scbluss von 47 aber nur in der bs. H überliefert und wol
1) Nwh diesen ausfülirungeu wird iiiar aain, wie woit ich der aosicht von
Ifogk (im Gniiidr. der germ. |itiil. I, 1045) jiuge Tabolet hat aia (die weltsch lange)
in die sippe Lukis gebraclit — aiitli Fcoriv ist später iu Loliis sippe gelioiiiineii'' zu-
BtJmroen kann, wie wuÜ uicM.
2) Bs wird der weitere gau); der uutersuohuog nouh deutlicher teigen, nameDt-
lieb in cap. T. VI, dass erst die Verdunkelung nnd dümonisuhc aufrassiiug du§ ulfr
ihn EQ einem vitnir, gandr, varyr machte und so, da vargr iu dar skaldischeu
«praclie etwa = Irolt ist (kundr er eargr eäa troll bcvna Kpli. 11, 513), sdiliesa-
Uch auch als troll oA&t jqtuHii bescivhasD liess; den um gehelirten Standpunkt, wonach
PVnrir nur getngentlicb in „wolFi^gestalt" auftritt, nimmt z. b. Schade im Altd. wb.
B. V. Ftitrir ein. Vgl. s. 11)4 ^i, 1. — Heine anfTassiing l>)kls kann hier nicht ein-
gt-huüU bugruadet werden.
IKtnuantirr r. DKUtncUK ri ii 1.01.011 ir. nn. xxriii. 13
194 WILKEK
irgendwie verderbt ist, fallt die entscheidung der frage nicht ganz
leicht. Der ausdruck Surtar sefi kann jeden riesen oder riesenverwan-
ten unhold bezeichnen; bezieht man den ausdruck auf Penrir, dann ist
die auch von Sijmons recipierte konjektur Müllenhoffe hleypir für gley-
pir und die erklärung pmm = pan allerdings ansprechend und dieses
of hleypir entspräche dann wider dem in § 2 besprochenen retina der
str. 44, im andern falle möchte ich gleypir behalten, aber für pann
mit Munch und Möbius pd (auf allir bezogen) lesen. [Vgl. aber auch
Rud. Much, Zeitschr. f. deutsches alt. 37, 417 fg. H. G.] AUir ä hd-
vegufn aber fasse ich nicht als „die in den regionen der Hei*' (Müllenh.
V, 147), sondern = „die auf dem wege zur Hol sind**, vgl. troää fialir
ftelveg 52, 4 nebst 56, 2 und 41, 1. — Ist diese ältere aufiassnng nicht
am ende die einfachere?
4. Während die in § 1 dieses capitels besprochene genealogische
Verknüpfung des wolfes mit Loki zwar un ursprünglich ist, aber schon
in der skaldischen wie eddischen tradition fest begründet, somit relativ
alt erscheint^, ist eine andere genealogische Verknüpfung, die V<jl. 40, 2
vorführt, nicht so konsequent durchgofülirt worden. Der ausdruck
Fenris kindir kann (vgl. MüUenhoflf a. a. o. 124) entweder „wesen von
der art** oder „kinder und abkömralinge ** des Fenrir bezeichnen —
„auf jeden fall wölfe**. Da nun zu den bekanntesten wölfen der nor-
dischen mythologie SkoU und Hau gehören, letzterer aber Grm. 39, 3
als söhn des IIrö(tvit?iir, welchen namen wir cap. III, 7 als beinamen
des wolfes Fenrir kennen gelernt haben, erscheint, so lässt sich aller-
dings eine entscheidung im sinne der Vaterschaft des Fenrir beiden
1) Für die skaldische b'aditioa vgl. jetzt Finnur Jönsson im Arkiv. f. nord.
fil. IX, 9. — Hier wird hervorgehoben, dass die woltschlange bei den ältesten skal-
den mehrfach erwälint, aber nicht ausdrücklich als I^kis kind bezeichnet wird; die
belege für Fenrir und Uel in dieser bczioliung sind ebenda gesammelt. — In der
Lieder -Edda scheint nur für den wolf die genealogische Verbindung mit Loki direkt
bezeugt zu sein (Ix)kas. 10, 1), indirekt geht dieselbe für die weltschlaoge aas
Hymkv. 24, 4 hervor. — Die nahe liegoudo Wahrnehmung, dass in jeuer genoalogi-
sehen Verbindung mit I^oki der grund hegt, weshalb Fenrir auch einmal (in einem
nachtrage zum hauptregistcr ziemlich an letzter stelle!) unter den riesen aufgeführt
wird, Kph. I, 555 hätte, zumal bei dem geringen mythologischen werte der Nafna-
|)ulur, davor bewahren sollen, den wolf zu einem dämon zu machen, der in wolfe-
gestalt den moud oder die sonne verechlingen soll (Schade, Mogk). Und E. H. Meyer,
der Germ, mythol. 144 (entsprechend seinem Systeme, wonach den dämonen in tier-
gestalt die in menschengestalt, d. h. unter andern die riesen, historisch folgen) von
dem tierdämonischen prototyp des riesen Ymir redet, hätte s. 142 besser den zwei-
deutigen ausdruck vermieden: olbon erscheinen selten, riesen oft als ticrdänionon,
wobei u. a. der Fenriswolf als beispiol angeführt wird.
DER MUmSWOLF
'ölfen gcgouüber kaum anfechten und die zweite der obigen erklärun-
en von Fenriä hiiidir scheint somit näher zu liegen. Der einwand,
Bss von einer vatorechaft bei einem wosen, welches nach Gylf. 34 in
ingen Jahren bereits gefesselt wurde und so bis zum weltende verhar-
an sollte, nicht wol die rede sein könne, verliert sein gewicht, wenn
rir auch hier an jene ideale Vaterschaft denken, die wir in § 1
ieses capitels bei Loki besprochen; die alte im eisenwaldo darf dann
war nicht mit Angrboda gleichgesetzt werden, aber doch wol als nach
irem vorbilde konstruiert gelten. Zu der „idealen" Vaterschaft stimmt
Bch der umstand, dass diese Fenris kiudir. die ziemlich zahlreich
ewesen sein müssen {verdr af pnni qlliim Vijl. 40, 3), in ihrer haupt-
laase jenen fifliiugir zu entsprechen scheinen, welche Vgl, 51, 3 auch
n gefolge des wolfes if'reki), aber ohne besondere botonung einer ver-
'antschuft mit ihm anfiilirt>; sie scheinen den wolf in ähnlicher weise
um letzten kämpfe zu begleiten wie die einfierjar den Ödinn*.
5. Wenn auch die Fenris Idiidir sich deutlich bezeugt nur in der
'qI. finden, so fehlt es doch nicht an anzeichen noch kühnerer kom-
inationen in der bezüglichen richtung. Während als verschlinger der
jnne nach dem zeugniss beider Edden (Grm. 39, 1; Gylf. 12 vgl. mit
■1) sowie der Hervararsaga {s. 246 Bugge) der wolf Skoll (Skalli Herv.)
enannt wird, legt Vafl)r. 46 und 47 dieselbe rolle dem wolfe Fenrir
ei; vgl. auch Hnifnag. 23, 4. Dass hier wol nui- eine freiere fortbil-
ung der in § 4 bereits besprochenen genealogischen Verhältnisse, jcden-
Jls keine nllg(^mcin recipierte auffassung zu tage tritt, wird schon
Eunus deutlich, dass in Gylf. 53 die letztere jener beiden Strophen
itiert, aber nui- bezüglich der tochter, welche die sonne vor ihrem
Kle gewonnen huben soll, als zeugnls benutzt wird, während der ver-
in cap. 51 den sonuenwolf ganz deutlich von dem Fenriswolfe
iterschoidet (vgl. 81, 11 mit K2, 5 fg. Wk.); zu demselben ergebnis
jede besonnene sagenkritische Untersuchung*.
1) Da Lüki nach VqI. 51 , 4 rahrtgenosso des wolTos ist, so mag der aosdniok
ainnar, dea Gylf. 51 (83, 4 Wk.) für diks gcfülgo des Loki gebraucht, jene
ioscbliesson »oUen. Bei letiterom worte halte ich eine iiberBetiung
tb analogie dos ags. flfel (riese) uju so berechtigtor, als das wort etymologisch
iftclist aaf körperliche grosse hinweist (vgl. Fick s. v. femfta) und auch der gewöhn-
la nordisube Sprachgebrauch (= tolpel) siüh leicht erlUutert im hiablicko aof das
esen der meisten riesan, vgl. Vigf. und Gering x. v. api.
2) Da die einker/ar aia 6»kasijnir des gottes gelten (vgl. s. 192 aam. 3], so ist
anabgie eq deu Fmrü kindir um so einleuchtender.
3) Qrimnis versuch (Myth.*, uachtr. s. 83) in üifri^tll den moad zu sehen,
an Kph, I, 59^; würde überdies diu mythologische Schwierigkeit nicht heben.
13*
1 Oß WILKKN
6. Nur dies darf zugegeben werden, dass die gleiche bezeich-
nung als wölfe — mag sie auch bei den sonnenwölfen auf indirektem,
bei dem Fenriswolf (vgl. c. V, YI) wahrscheinlich auf direktem ver-
gleiche beruhen (diese termini sind erläutert c. I, 13), sobald auch der
Fenriswolf aus irgendwelchem gründe eine dämonische auffassung erfuhr,
die Versuchung sehr nahe legte, diese verschiedenen wölfe nicht nur
genealogisch zu verknüpfen (wie den Fenriswolf mitLoki), sondern sie
auch sozusagen als mythologische konkurrenten und zu gelegentlicher
vertauschung geeignete wesen erscheinen su lassen, ohne die schweren
bedenken gegen einen solchen Synkretismus in die wagscbale des orteils
fallen zu lassen. Doch kann hiervon, da die vertauschung weder all-
gemein noch auch nur in dazu neigenden kreisen mit konsequenter
schärfe auftritt, erst in cap. VII, 6 weiter gehandelt werden.
7. Schon in cap. I, 14 wurde darauf hingewiesen, dass pole-
mische Verbindungen zum teil echt mythischen wert haben können,
sofern sie nämlich nicht etwa nur die kehrseite idealer genealogieen und
Verbrüderungen darstellen. Dies letztere trifft nun auch bei dem Fen-
riswolfo teilweise zu, bei dem ich die foindschaft gegen götter und
menschen, welche unsere quellen widerholt (namentlich Gylf. 51) bezeu-
gen, teils auf rechnung des leicht irreführenden namens „wolf" (vgl.
§ 6), teils auf die der g(>nealogischen Verbindung mit Loki setzen muss^
Zwar bezeugt sich diese feindliche Stellung andeutungsweise schon in
den ältesten unserer ([uellen; aber diese alle kennen auch bereits die
Verbindung mit Loki. Etwas anders ist es mit der rolle des gottes Tfr,
wie sie in dem berichte von der fesselung des weites in Gylf. 34 sich
findet. Diese gestalt tritt dem wolfe in einer weise gegenüber, dass
man den godanken zunächst ansprechend finden kann, in l^r gewis-
Dieso liogt dann, dass die soDDonwölfo (rcsp. der sonnen- und mondwolf) nach den
o1»en f^oniinnti.'n zouguisson als rastlose Verfolger die sonne oder don mond bedrohen,
während der Fenriswolf hilflos f^efesselt liegt und seine eigene freihcit erst vom welt-
untergangi.' erwartet. — Khcr Hesse sich noch mit Müllenhoif und Simrock dann
denken, in Vaf]>r. IG nur eine poetis(the freihoit des ausdrucks zu finden, so dias
unter dem namen Fenrir hier der sonnenwolf Sk. zu verstehen sei; doch sind denur-
tige einfache nanieusvei'tauschungen <wie Nafina oder lörun für Idunn Hrafn. 8, 2;
15, 1) der älteren, auch skaldischeu dichtung keineswegs geläufig, vgl. UnterBOcL
s. 200, 2!)G. — Die an letzterer stelle im anschluss au Gislason geäusserte ansieht
halte ich auch jetzt fest gegeuül>er der etwas freieren von £. H. Meyer, Oeim-
mvth. s. H4.
1) Mag auch mit dem losbrechen des wolfes der Weltuntergang beginnen (vgl
c. VI« 10 gegen ende), so fasst>n die nordischen quellen doch nicht ihn, soodeiii
als den eigentlichen gütterfeind^(Oylf. 33, Sk. IG).
UKB mNmS«OLF 197
1 das mythische komptement, den geborenen gegonsatz des wol-
1 Fenrir zu finden. Von diesem standpunltte aus sind hervorragende
brscher [Tgl. cap. II, I) dazu gekommen, in dem gegner des gottes Tjr
Üaen dämon der finsterniss zu finden. Wird nun auch neuerdings die
l^tung des gottes TJr als eines Vorgängers von ödinn im principat der
gOtter, teilweise sogar seine geltung als himmelsgott überhaupt bestritten',
so kann ich diesen letzteren Standpunkt, der für meine aulTassung des
Fienriswolfes eigentlich der bequemste wäre, doch durchaus nicht adoptie-
Es genügt mit die dreifache forderung: 1) Unterscheidung des späte-
1 kriegsgottes Tfr von dem älteren himmelsgotto TCr auch in Gylf. 34;
I anerkeanung, dass himmlische Üchtgütler ursprünglich stets tages-
götter sind* und 3) dass der gegensatz zwischen Tj'r und Fenrir ein
mehr äusaerlieher als innerlicher ist, da die fesaetung des wolfes nur
«Ib notwendige Vorbeugung künftiger gefahren, nicht wegen echon ver-
1) Bedenken gegen die etymologische gleichaetzung des gottes T^-r mit Ztil-i
nwie gegen die annabuo, TjT habe in ülterer zeit im Dordeu die rolle gespielt,
ralche später Odba eiDnahm, sind neuerdings DameDtlicli von Beer (Germ. 33, 4 fg.),
i. H. Meyer (Germ, mytii. 220) und 0. Bremer (Indogerm, forsuhungen 111, 301;
feses letilo oilat verdanke ich einem gütigen winke H. Gerings) nicht ohne nachdrack
toi^bnabt; die begründang ist Tür mich aber nur eine teilweise überzeugende. Die
tymol. gleich Setzung mit Ziif mag gerne dabinfahren; es mag auch ohne weiteres
den, daS3 eine so einheitliche ziutammonfassung des gotterütoates, wie
dici ^odhiuische" zeit kannte, früheren prioden fremd war — aber wer wie Beer
1 oatneu Tjr ,der leachtende* erklärt und loitnUirt (a. 5), ,dass auf iiidogerman.
/o den göttein dio eigenschatt des leuohtens, glänzens als weeeotlich Kugeaehiie-
I wurde, mithin ihre atmosphüiiBche natur dominierte", der scheint mir nicht
'berechtigt zu sein aus gründen strengerer otymologie wenige zeilea vorlier zu sagen,
einem deutsclion himmelsgott Tiv keine rede sein könne'. — Ähnlich
r auch bei Bremer der unterschied von der Slteren auffasaung melir in
a urgiert, als sachlich begründet zu sein. Wie wenig zutreffend die hemerkung
;, nur diu etymologio Tyr = Zfüg habe die annähme einer alleren, höheren rolle
8 gottea hervorgerufen, geht ans W. Müller, Altd. rol. 232 hen-er; Schon Bubm,
1 Odin 186, ISO erkannte, dass der kultiis dieses gottes im norden älter sei als
'4er dM öttion. Wenn es in der griecb. röm. germ. mytliologie keine kriegsgütter
^bt, die nioht hift- oder himmelsgütter gewesen sind (vgl. äres und Athene, Ma-
meni-Mani, Jupiter; ausser T^r auch Odinn). so wird es bei Tj'r, dessen name nicht
widerstrebt, sich wol ähnlich verhalten, und wenn TJr ,im besonderen den gottes-
nsmen trügt', den im weiteren sinne auch andere götter (tivar) führen, so scheint
mir der schluss näher zu liegen, dass dieser gott eine hervorragende rolle unter
ihnen wonigsteas in alter zeit besessen haben muss, als dass gerade hierin ein beueis
für eeiu« rolle als (ursprünglicher) ki'iegsgott zu ündeu wäre. — Vgl, s. 193 onin. 2.
2) Dass die macht der bimmlisohen an den tag gebunden ist, geht schon aus
dem bekannten sngenxuge hervor, dass ihre gegner bei anbruch des tageslichtes in
ilire gewalt fallen, versteinert werden (Vigf. a. v. <Ui'jaj.
108 SCUÖNBACU
übter gcwalttat, ja nicht einmal wogen grausamer oder sonst „wöl-
fisclier" Sinnesart erfolgte Wird dies, das im einzelnen in den folg^-
den capiteln näher zu begründen ist, vorläufig zugegeben, so ergibt
sich als rosultat der bisherigen Untersuchung (in cap. HI und IV), dass
eine dämonische auffassung des wolfes aus seinen beinamen mit unrecht
gefolgert wird (cap. HI, 8), aus den genealogischen Verbindungen nur
scheinbar und aus der gegenüberstcllung mit T^r nur soweit wirklich
sich begründen lässt, dass eine gewisse bezichung des wolfes zur nacht
wol nicht bestritten werden darf. Aber zeigt die nacht etwa bloss
schrecken, dunkel und finstemiss?^
1) Man vgl. z. b. diesen boricht mit dem von dorn schmiede, dor Bonne und
mond für sich verlangt (Oylf. 44) oder mit der erzäldung von Hnrngoir.
2) Vgl. Grimm, Myth.*C14: beide, tag und nacht, sind hehro woson.
(Schluss folgt.)
ZUM IIUUENDIENST ULRICHS VON LIECHTENSTEIN.
Die Vorbereitungen zur zweiten aufläge meines buches Über Wal-
ther von der Vogelweidc sowie die zurüstung meines anteiles an der
„Geschichte der stadt Wien*' haben es mir nahe gelegt, die dichtungen
Ulrichs von Liechtenstein neuerdings genau durchzunehmen. Ich hatte
das schon widerholt getan: 1882 vgl. Zeitschr. f. d. a. 26, 307 fg., 1888
zum behufe der recension von Bechsteins ausgäbe, DLZ. 1888 s. 1112 lg.
Dort hatte ich bereits einen aufsatz über den dichter versprochen, diese
zusage jedoch im Anz. f. d. a. 15, 378 wider zurückgenommen, weil
damals die Veröffentlichung einer historischen studio über den Liechten-
steiner durch meinen freimd, herm Alfred von Siegenfeld, in naher
aussieht stand. Seither erfahre ich, dass diese publikation sobald nicht
erfolgen wird, und zögere nun nicht mehr, meine arbeit den fachgenos-
son vorzulegen. Ich beabsichtige damit keineswegs die in jedem be-
trachte unzureichende ausgäbe dos „Frauendienstes** durch Bechstein
durchweg zu berichtigen: das mag joder philologische loser unschwer
für sich besorgen. Auch will ich nicht erschöpfendes über die vor-
kommenden Persönlichkeiten mitteilen: ich vermöchte das gar nicht,
und meine, es genüge einmalige urkundliche Sicherung eines
für die zwecke unseres faches. Darum habe ich mich bei der
nutzung des materiales beruhigt, das ich zur band hatte. Mit Stü.
sind die zwei bände des Stoirischen Urkundenbuches gemeint, di€
1875 und 1879 zu Graz erschienen sind. Siegel eitlere ich nach
prüchtigea tafeln, dio herr von Siegenfeld (Nürnberg 1893), der 5
nsclio Uradel (als IV, 7 dos „Neuen Siobmaclior ") herausgegeben hat,
zur zeit noch leider ohno kommentar». — Jedesfalls wlinsclie ich, dasa,
was ich auf diesen blättern biete, zum verständig des seltsamen inau-
nes und seines werkes etwas beitragen möge.
10, 16. Will man mit ßechstein die lesung der hs. festhalten, dann
Terlangt es der natürliche satzton, dass ich (wie gleich dann 10, 29 u. ö.)
inkliniert werde und auf ir die hebung falle. — 18, 18 vgl. Walther
69, 26. — Aus 21, 13 fgg. ersieht man deutlich, dasa dieses verhält-
,<ius eine wdnminae ist; der höhe muot 21, 17. 19 vgl. lö, 26, 19, 4.
22, 20 usw., um dessentwillen es unternommen wird, ist dafür
leichnend. — 22, 29 Laclimanns einschaltung dock beweist, dass er
die notwendigkeit fühlte, den satz mit dt-r vorhergehenden Strophe in
bezug zu eetzen. Vielleicht wird derselbe zweck besser erreicht durch:
wil des ich niht iresen bot. — 24, ö fgg. Die Weigerung des arztes,
vor dem monat mai zu operieren erklärt sich aus dem in aderlass-
ttod planetenbüchem verzeichneten glauben, dass jedes siechtum im
Donat mai am besten heile. Vgl. schon Wilhelm von Conches, Do
ibilosophia mundi lib. 2, cap. 26. 27 (Migne, Patrol. lat 172, 67 fgg.). —
24, 32 Der knappe bekreuzt sich, weil er Ulrich für verrückt (25, 10)
fiA&e bezaubert hält. AVenn man den zustand der damaligen Chirurgie
I Deutschland (besser war es damit in Italien) bedenkt, und dass jeder
fiinAicfae knochenbruch oft zum tode führte (vgl. das ende herzog Leo-
^Id V. am 31. december 1194 in Graz), so darf die besorgnis des
nappen 25, 11 fg. nicht verwundem. Ein magister Cknnradits pki-
icu8 von Graz ist im 2. bände des Steir. Urkdb. mehrfach bezeugt
ind erhält (s. 541) 1213 einen zehnthof bei Hitzendorf vom orzbischof
Eberhard U. von Salzburg zum geschenk. — 26, 16 Es ist gar
ein grund vorhanden, mit Bechstein an dor richtigkeit der lesart
^tnpal zu zweifeln: die modernen vergleiche in solchen fallen (eine
Ihnst, ein kiudskopf, oino kegelkugel) sind um nichts geschmackvoller
ind treffender. — 28, 2 fgg. Bechstein mag wol recht haben, wenn
r diese grüne salbe für pappelsalbe hält, denn das Klostemenburger
rziicibuch des 12. Jahrhunderts sagt 1. buch, b. XIV. (meiner absclirift):
iroü den päppeln; papeln sint cliali und veukt an dtmt ersten yradu
t brreJuint diu geswer diu von bliiot sint und machcnl dax vmrch
^iter). VgL Konrad v. Megenberg, Buch dor natnr 340, 5 fgg., wo
s von der pappelsalbc heisst: dax iM gar guol xuo vil dingen und
1) Die Steir. reiinchroDil: wird nntürlicb nnuii Seumüllera tivfFlicbiii' ausgabt-
igofuhn.
200 SCHÖNBACH
haixt xe latein diapopylicru. — und wax mixwendiger wvnden ist an
dem hib, die haut ex gar krefticldch. Sie war damals schon in apo-
theken zu kaufen, vgl. Megenberg 5, 23 fgg. Nimmt man das an,
dann findet sich noch ein weiterer grund, weshalb der arzt den liedi-
tensteiner auf den monat mai bestellt, denn Megenberg sagt von der
bereitung der salbe aus dem „pappelharz" 339, 32 fgg.: aber der ist
d^r pcst, den man in dem maien saynent und maeht man den harx
also: man nimt die probsen oder diu knögerlein, diu xe laut söUen
sein u'ordcJiy und sendet die in ungesalxenr putem, diu neur von
rijidermilch kämt und die in dem maien gemacht ist, und dax sendet
man mite7iandcr, unx ex xemäl grüen trirt. dar nach seiht man ex
durch ain tuoch und tuot ex in erdein häfcn, — 30, 23 1. (sd mich
besexen) nnhtes habent die sorge alsamt die schar. — 31, 20 bi der
Muor, also wol in Murau, oberhalb dessen die Frauonburg lag, nach
der sich Ulrich in den nächsten versen begibt, vgl. 159, 14. 210, 24*. —
32, 12 Die bedeutung kiis =« bürg ist nicht so selten, wie Bechsteins
anm. meint, und sogar heute noch verschiedentlich zu belegen. Wel-
ches der markt ist, der 19 erwähnt wird, lässt sich bei den verschie-
denen möglichkeiton, die das Murtal darbietet, nicht ausmachen; die
stat 38, 5 ist wahrscheinlich Judenburg, die einzige civitas in der
nähe, ein platz, der schon am anfang des 12. Jahrhunderts markt-,
maut-, zoll- und stapelrecht besass (Steir. Urkundenb. 1, 111) und am
ende des 12. Jahrhunderts zur Stadt erhoben war (v. Muchar, OescL
d. herzogt. Steiermark 2, 134. 3, 131 fg.). — 33, 17. 25 Wol eine
7nissa iHissa, jmvata oder specialis (Du Gange 5, 414. 417 fg.), wie
sie auf reisen üblich war und noch ist Dass dabei von singen gere-
det wird 33, 10. 18. 23, hindert diese auffassung nicht, weil das nu
ein formelhafter ausdruck ist — 44, 6 (57, 8. 59, 14) Deutsche gebet-
bücher gab es damals noch nicht, die frau verstand also latein. Da
der empfehlung des buches die werte beigegeben sind gegen der nakif
so ist es nicht als ein gewöhnliches psalterium täuschend au^fiissl
sondern als ein tagzeitenbuch, das ja auch ungefähr dem umfange voa^^^"
Ulrichs gedieht entsprach. — 44, 27 Bechsteins komma ist unberech-^ — -*
tigt, denn 28 stehen gen., nicht dat — 52, 24 Der vers hat nidi
drei hebungen, wie Bochstein meint, denn der sinn fordert die
nung ^n h&xc tmd din lip. — 52, 32; 53, 1 Die Umstellung
manns scheint mir bei der oft so gewundenen ausdrueksweise Ulrichs^ ^^^
1) Es kann übrigens nach den Zeugnissen des Steir. IJrkdbachs ebensogut
dorf Mure, Mura bei dem benachbarten Judenburg gemeint sein.
i
ZV ULRICH TON LKCHTKN8TK1N
nicht hinreichend begründet; auch passt die widcraiifiiahmo durch des,
die den entgegenstellenden satz einleitet, besser zur liaudschriftliehen
Ordnung. — 53, 8 fg. Wie sich Bechstein den Zusammenhang der steife
denkt, wenn die beiden verse fehlen, ist mir unklar. — 53, 26 Viel-
leicht nur u^x schadet der riehen heide? das passt zum folgenden:
btuomen mag durch den Schreiber hereingekommen sein. Es scheint
mir merkwürdig, dass heide, dieses lieblingswort der minnesänger, nur
an dieser stelle des Frauendienstes im reim steht — ■ 5;-), 30 Laohmann
hat nicht hloss ans metrischen gründen abe hinzugesetzt, sondern aus
dem richtigen gefühle, dass bluomen brechen hier eben nicht in der
gewöhnlichen formelhaften weise verwendet ist — 54, 32 vertreten ist
hier ein ausdruck der rochtssprache aus dem verhältniss des defensor,
patronns, vgl. Haltaus 190C fg. — 59, 21 ist er dem si ie an gestget. —
60, 25 fgg. übersetze ich: „mancher spricht, was ilin sein herz nicht
(anders) zu lehren weiss, ausser dass es durch fremden einfluss sich
bemüht, klug zu werden," Diese worto werfen dem Liechtensteiner
torheit vor und zugleich trauen sie ihm zu, er lasse seine ncigung
nicht durch inneren antrieb, sondem durch äussere ein Wirkungen,
mode u. dgl. bestimmen. — 61, 28 Wie vorsichtig man eine mhd.
Altersbestimmung durch kint beurteilen muss, lehrt dieser vers: swie
bind ich roH den jären si — der Liechtensteiner war damals 24 — 25
jähre alt. — 62, 13 Igg. Das turnier zu Friesach ist ein historisches
ereigniss, wenngleich Ulrich manche Irrtümer in bezug auf die von
ihm erwähnte anwesenhoit bestimmter personen begangen hat Das
datum ist 63, 12 deutlich angegeben, denn Philippus ist der apostel
(I.mai), wenn er ohne znsatz genannt wird, und dann allein gemeint.
Von den kirchenfürsten , die Ulrich beim turnier erwähnt, hat Eber-
hard n. von Salzburg (Frauend. 68, 13) am 2. mai 1224 in Friesach
oino Schenkung herzog Leopolds VI. von Österreich an das kloster Ad-
mont bestätigt, Steir. Urkdb. 2, 308 fg. Am 22. april 1224, also acht
tage vor dem turnier beurkundet herzog I^eopold zu Graz seine Ver-
mittlung im sti'eite zwisclien Wulfing von Stubenberg und dem spitale
am Sommering. (Am 24. april urkundet er zu Jndenburg, Steir. Urkdb.
2, 307 fg., befand sich also auf dem wege nach Friesach.) Dabeisind
als ausfertiger mit unterzeichnet Eberhard von Salzburg und bischof
Etbert von Bamberg (Frauend. 77, 27), als zeugen die bischöfe von
Chiemsee und von Seckau, die also wol zu den 68, 13 fg. erwähnten
zehn gehört haben werden, ferner Heinricus marchin Ystrie (65, 6),
DicpoMus marchio de Hohenburrh (Rfi, 1 1 , auch von Vohburg genannt),
Meinhardus st-nit/r et Meiiihurdus junior vumifes de Qorx (65, 15),
202 8CUÖNBACII
Ebcrhardus nolnUs de Slu^ilboxh (65, 27), Heinricus et Wenüiardu»
nobiles de Schoumbcrch (65, 31), Liutoldu^ riobilia de Pekah (66, 4.
72, 19?), Cholo de Truhsen et Cholo fiUiis suus (67, 1), Beimbcrius
de Mtireke et Reinbertus filius suus (66, 19), Hademarus de Chun-
rwgen (67, 17), Ilermannus de Chranchbcrc (66, 29), Hartnidus de
Orte (66, 115), Lintoldus et Uolricns de Wildoniu (66, 15?), Heinricus
et Offo jmtres de Puten (66, 31), Otto et Ortolfus fratres de Graei
(67, 3 fg.). Aus der vergleichung dieser und anderer Urkunden (z. b.
der kaiser Friedrichs IL vom febniar 1237 — Steir. Urkdb. 2, 454 fgg.,
aucli von Karajan schon erwähnt s. 667 — wo noch stehen: comes Ul-
riciis de Phanvenberc 65, 25 fg.; Ilademnrus et Bapoto de Sclioencn-
bere 67, 28; come.'i Willehclmus de liunenberc 65, 19; comes Ileniiatir
Hus de Ortcnbiirc 65, 24) ergibt sich erstens: Ulrich hat die leuto
keineswegs zufällig an einander gereiht, wie sie ihm etwa einfielen,
sondern im ganzen nach ihren rangverhältnissen luid ihrer bedeutung
(66, 9 fgg); zweitens, und das trifft teilweise mit dem ersten zusam-
men, er hat — andoi-s lässt es sicli nicht erklären — als er einund-
dreissig jähre nacli dem turnier zu Friesach es unternahm, die damals
dort anwesenden aufzuzählen, wahi-sclieinlicli eine wichtigere Urkunde
jener zeit zur hand gehabt und durch ihre zeugen, die er sich vor-
lesen Hess, sein gcdächtniss aufgefrischt, allerdings hat er dabei auch
fehler (vgl. noch zu 66, 5. 78, 3) mit aufgenommen. Aus blossem ver-
höi-en bei solcher gelegcnhcit vei'stoht sich der Lintolt von Peiiach,
Pctach 66, 1. 72, 19. Zwar gibt es auch einen Liutoldus von Pettau,
der mit seinem bruder Pcrhtoldus eine Urkunde von 1224 bezeugt (Steir.
Urkdb. 2, 316), allein niemals lautet der uame des geschlechtes und
der Stadt l\'ttaii urkundlich auf ach aus, wie das hier zweimal durch
den reim bezeugt ist. Daher hat v. d. Hagen recht, der MSH. 4, 329,
anm, 2 meint, das heutige Prc/i/an oberhalb Giaz sei hier zu verste-
hen. Neben dem selteneren auslaut auf a ist in den Urkunden die
zweite silbe gewölmlich ccuch, kkab, rcah, kah, cchac geschrieben. —
Der name Leutolds von Peggau kommt im 1. und 2. bände des Steir. — "
Urkdb. von 1188 — 1240 vor, wahi-scheinlich sind das zwei personen, ^
vat(T und söhn. Da nun Lintoldus et Rapoto pueri de PekaJi 1223
vorkommen (sein siegel von 1234 tafel 6), so wird der von Ulrich
erwähnte deren vater Leutold sein. Ein zweiter Verstoss in der
ist bekanntlich von Kummer (Das ministerialengeschlecht von Wil— ^-Ä^^"
donie s. 32 fg.) aufgedeckt worden. Damach ist der 66, 15 genannte^^^^
Htrfuif ron WlUhn 1224 bereits vei-storben, und war ein WildonieK''
anfangs mai in Friesach, dann wird es einer von den beiden in der-^^«
f'Grazer Urkunde vorkommenden gewesen sein. Ich schüesso daraus, daes
* die roü Ulrich bei seiner daretellung benutato urkuncle noch vor 1224
ausgefertigt war. Ist meine atiffassiing riclitig, dann entfallen die
an diese eat^he geknüpften Iblgerungen von Kummer und Bechsteia
«. XXV). -^ 66, 1 fgg. Im Steir. Urkdb. ist Ollo de Lengenbach
(in Niederösterreich), ecclesiae jiiajwis hnnadrocaivs von 1220 — 1236
Mtzeugt. — 66, 5 Auch hier liegt wahischeinlich ein irrtuni vor; Ul-
rich wird nach dem gehör einen sehr wol bezeugten Konrad von San-
Bck bei Cilli für einen edlen von Hchoeneck bei Seniriaeh oberhalb
Graz gehalten haben; unter den vielen wirklichen Schreibungen für
Saoeck kommt ein Schoeneck niemals vor. Ich bemerke übrigens aus-
flrücklich, dass der fehler auch auf dem wego von Ulrichs diktat znr
Biederschrift seines sekretars begangen worden sein kann. — 66, 6
Dieser Kärntner edle ist wahrscheinlich Engelbert von Auersberg, der
m 4. juni 1217 zu Friesach eine Schenkung herzog Iteopolds an Aas
beirische cisterzienserkloster Renn unterfertigt: v. Muehar, Gesch. d. her-
»gt, Steiermark 5, 78. Ein Herbord von Auersberg urkundet für das-
lelbe Stift 1256: Muehar 5, 263, — 66, 8 das Siegel des herra Diet-
lar von Potenstein tafcl 7. — 66, 13 Das ist jcdesfalls der ältere
ffartnidus de Ort (in Oberösteri-cich am Trauuaee), der nach den zeug-
n des Steir, Urkdb. (von 1170 bis zu seinem tode 1221)) das von
Dlrich ihm gespendete lob verdiente. Sein söhn Hcrtnidus beginnt
1229 ab (Steir. ürkdb. 2, 359) zu Urkunden und war nach dem
(teir. Urkdb. 2, 464 fgg. ein besonderer freund Ulrichs. — 66, 17 Willvinc
ron Stubenberg ist im Steir. Urkdb. von 1210 bezeugt bis 1230, wo
■ starb. Sein söhn WiHvinc urkundet noch 1240 als piier. — 66, 21
fSuodolf von lias = Rosogg bei Villach in Kärnten fiudot sich von
1195 ab häufig unter den steirischen ministerialen. — 66, 29 Dieser
Icrinann von Kranichsborg hatte seine bui-g in Niederösterreich, Öat-
ich bei Glocknitz, war also dort ein unmittelbarer nachbar von Ulrichs
toterreichischen besitzungen. Er zeugt im Steir. Urkdb, von 1220 —
1236. — Dasselbe gilt von den Püttuera bei Neimkirchen Nöst 66, 31,
lie oft in steirischen Urkunden vorkommen. — 67, 1 Die beiden sind
Eimtner (Trixen bei Völkermarkt), söhne eines altern Choio, und bezeugen
pftmala steir, Urkunden. — 67, 3 fg. Diese Otto und Ortolph von Graz
jnd B<)bne des burghauptmanns Olakar: doch ist dieser Ortolph, der
i Steir. Urkdb. bis etwa 1240 bezeugt ist, zu unterscheiden von dem
>rtol{^, der nach Mncbar4, 528 in den achtziger jähren des 12. jahr-
mnderts in das kloster Adniont eingetreten ist — 67, 7 (Hacker de
W<4chenstain (im Ennstat bei Liezen) ist im Steir. Urkdb. bezeugt von
204
1208—1222 nnd als offlcialis dtinsse (Theodora) noch 1228.— 67,11
Ekchardus de Thmme, ein Salzburger, ist im Steir. Urkdb. bezengt too
1195—1245, sein sieget von 1245 tafol 12 vgl. Steir. Reiraciir. 36221
68815. — 67, 15 Ein Kärntner, bei St. Veit ansässig. — 67, 19 Ist
das Gorizen (urkundlich Gon'sin) in den Windischen Bücbeln in Dli-
tereteiemiiirk? eia Wulnng ist 1245 bezeugt, St. Urkdb. 2, 541, v^
aber v. Karajan s. 675, — 67, 25 Das wird Ulricus Strx de Trotä-
maiiestorf sein, von dem zwei Siegel von 1240 tafel 9 stehen. — 67, 26
Otto von Ottonstein (in Niederöat, pfarro Allen tsteig), zeugt 1243 bei
einer Urkunde herzog Friedrichs IL für Seckau. — 67, 28 Schönherg
bei Langenlois, Niederöst,, bei Muchar ist Hatmar bezeugt von 1224—
1269, Siegel von 1245 tafel 13. — 67, 30 Heinrich von Hackonbei^
(bei Stinkenbrunu , Niederöst.), bei Muchar bezeugt von 1224 — 43.
Das adj. karc hier versteht Sprenger, Germania 37, 174 fg. richtig, r^
Prauend. 609, 31, wo Lachmanns voischlag überflüssig ist, und die heu-
tige inneröst. bedeutung von „kUig" = geizig. Dagegen ist 268, 22
an guoic icis nicht zu ändern, denn das beisst eben „sparsMu" in
tadelndem sinne. — 67, 31 Sollte damit KienacL bei Irdning, Oberst-,
gemeint sein? ein Ulricus de Cinnwn kommt 1201 im Steir. Urkdte.
2, 73 vor. — 68, 3 Nur dio so reich waren, dass sie ritterliche genoo^
een mitbrachten, sind mit namen aufgezählt worden; die anderun kamu —
allein, d. h. jeder nur mit einem knecht. Die angäbe ist so vag, woäl
sie nur verdecken soll, dass Ulrich ausser den namen, an die sein
Urkunde ihn erinnerte, keine wusste. Vgl. übrigens John Meier, Beitr.
15, 327. — 68, 10 Darnach doppelpunkt. — TO, 1 Die znhlen sind il
der ganzen darstellung nur paradigmatisch , zu wahren angaben reicht
das gedfichtniss nicht aus. — 70, 13 1. den e dii Icl vil ritterlich. —
72, 1 Das handschriftliche frö iiiit vruo ist zwar ganz modern empfunden*'
nber eben deshalb unbrauchbar. — 72, 23 Es könnte immerhin Staio
heute ein blühender markt bei Preding sw. von Graz, gemeint böx
die Schreibung Stemit kommt vor und bei Muchar finden sich ii
13. Jahrhundert zwei genannte von diesem orte. A'^gl. aber die bemei
kung im register 8, 405 über die verschiedenen Ortschaften dies«
namens. — 73, 25 Das siegel Hugonis de Tufers von 1212 tafel 2. —
74, 1 fgg. An der erzählung merkt man die bedeutung HadomarK W
Kuenring. — 75, 8 Lemjenbure, heute Ijomberg bei Cilli, gehörte den©'
von Saneck, deren viele im Steir. Urkdb. und bei Muchar vorkomnioi» -
ein lAupolt ist nicht darunter. — 76, 30 Man halte diese stelle r«*
Beclistcins bcmerkung 2ir>, 1 seiner ausgäbe. — 77, 14 d4 der h^^
(Bechsl.) miiss fortbleiben. — 77, 2ö Berthold von Amiechs war
zu ULRICH VON UKCHTEN8TEIN 205
von Aqiüleja vom 27. märz 1218 bis 23. mal 1251. — 78, 2 Auch hier
liegt ein versehen Ulrichs vor. Gemeint ist Heinrich III. von Taufers.
Bischof von Brixen war jedoch bis zum 17. juli 1224 Berthold I. von
Neifen, erst dann Heinrich bis zum 18. november 1239, der also wie
der nachstangefühiie kirchenfiirst gleichfalls mit seinem Vorgänger ver-
wechselt ist. — 78, 3 von Paxxotiwe bischof Rüedeger. Gemeint ist,
wie schon Lachmann zeigte, Gebhard L, graf von Pleien und Mittersill,
der von 1222 — 1231 bischof von Passau war; er ist hier mit seinem
nachfolger Rüedeger von Radeck verwechselt (vorher nicht „bischof'^,
^ie V. d. Hagen meint 4, 332 anm. 3; sondern „propst** von Chiem-
see), der diesen bischofstuhl 1233 — 1250 inue hatte. Da auch er zur
zeit der abfassung des Prauendienstes bereits verstorben war, ist der
iiTtuin wol erklärlich. — 78, 23 Mit einem bedeutungsübergange, der
^^i nilat Campus seine vollständige analogie findet (Du Gange 2, 67 fg.)
heisst velt hier: „kämpft an sich. — 79, 21 1. siis ximirt diser sich,
•
J^ner so, — 79, 29 Ob das nicht schon ein zeugnis ist für den späteren
wöhrenhold" (Lexer unter erhalt)^ dessen stelle ja in älterer zeit ein
vornehmer mann einnahm? Das würde erklären, warum der markgraf
hier zuerst genannt wird. — 81, 16 Die Vermutung Bechs (bei Bech-
stein) wird bestätigt durch 551, 26 fgg.: sin lip tmcox in der eren tor
^^it hohem lobe e komen sin, e sin läx hi ir herxen schrtn, — 81, 26
^^hte gehört zu gar, nicht zu roten. — . 82, 14 und 16 wird man viel-
leicht einklammem dürfen. Die frauen hatten also boten geschickt,
^Di baldigst von den taten ihrer minner zu erfahren, wol auch, um
°^it ihnen in beziehung zu bleiben. — 82, 26 Ob die vromen nicht
Wer wie 81, 16. 167, 2 eine art terminus technicus ist: die anerkannt
^ackeren, bei denen adel und tüchtigkeit sich verbinden? Waitz zählt
*^erfgsch. 5* ed. Zeumer s. 434 fgg. verschiedene lateinische titulaturen
^^öses Inhaltes auf. — 84, 31 Zu Sprengers bemerkung (Germ. 37, 175)
^Sl. 94, 25: da was von dringeii ungertiach. — 86, 9 fg. Nur ein Wintlier
^ Toxenbach (bei Kirchstetten Nied.-Öst.) ist im Steir. Urkdb. 1228
^*ö^ — 86, 20 Ist das nicht Vigaun, der ort des bekannten zuchthau-
^^^ für weiber? — 89, 26 Heinrich von Lienz (im Pustertal) scheidet
''^^^ als einer der vier ernannten richtor einen sti-eit zwischen seinem
^^*^, dem grafen Meinhard von Görz, und dessen oheini, dem patriar-
^^^ Berthold von Aquileja, Steir. Urkdb. 2, 419 fg. Er ist ohne zwei-
Xden tisch mit dem burggrafen {ca^tellamis) von Lienz, einem der
^S^sebensten ministerialen des grafen Meinhard. — 90, 8 Heiimcus
ius de Tribanstüinchel (bei Baden, Nied.-Öst) kommt seit 1209
lir. Uikdb. vor. Doch kann die Urkunde, die er am 10. mai 1224
306 SCBäHBACB
ZU Gleink in Ober-Österreich (Steir. ürkdb. 2, 309 fg.) soll ontenieidi-
net haben, nicht richtig datiert sein, wie schon der herau^eber m-
merkte, denn eben damalä weilte er nach Ulrichs zeugniss in Friesach,
das weit davon liegt Dieser umstand wjire freilich nicht entsebeideod,
aber die urkundo sagt ausdrücklich Auslrie et Styrie sfciuido Z/tupoldo
presidentc und der herzog war damals gewiss in Friesacb. Da Heiu-
rich von Tribuswinkel identisch ist mit Heinrich von "Wasserbei^
(t. Siegenfeld, tafel 5), ist er der Schwager Ulrichs, — 91, 25 CUidl
von Murberg ist ein steirischer edler, sein sitz lag bei Radkersbtii)^
(und nicht, wie v. Earajan meint, in Nied.-Öst). Er kommt im Stdr.
Urkdb. 1218 und 1232 vor, bei Muchar 1216 — 1252. Er gehörte zd
den angeseheneren ministeriaJen und wol auch zu den perBonlichan
freunden Ulrichs, da er 1232 die Schlichtung eines Streites zwischen
den Liechtensteiner brüdem und dem kloster S. Lambi'echt durch die
herzogin witwe Theodora bezeugt, Steir. Urkdb. 2, 397 fg. Daram wirf
er auch wol hier so gelobt — 92, 16 Ist dadurch nicht dieser Wol-
kensteiner als ein minnesänger bezeichnet? Das wäre dann der dritte
von Ulrich erwähnte neben Gottfried von Totzeiibach und ZachSus von
Himmelberg. — 92, 17 Otto de Wascti ist im Steir. Urkdb. von 1209 —
1233 nachgewiesen, er war ein bruder des propstes Dietrich von Gurk,
pfarrers zu Ädriacb. Er gehört wol sicher nach Steiermark, viell^dit
sogar in die nacbbarschaft Ulrichs. — 93, 1 Otto von Metssau (bei
Hom in Nied.-Öst), ein angesehener herr, dessen geschlecht sf&ast
mehrfach mit stelrischon edlen sich verschwägei-te, ist bei Muchar von
1224^ — 1265 bezeugt Er wird auch später von Ulrich stark hervor-
gehoben. Sein name gehört in den text; ein „wagniss" darin zu findöili
ist kindisch. — 93, 9 Hier ist nicht das steirische, sondern das be-
kanntere kämtner Osterwitz gemeint oberhalb S. Veit (jetzt die herr-
liche bürg der KhevenhüUer auf dem isolierten bergkegel); in dem
geschlechtc war das scheukenamt von Kärnten erblich. Das Steir. Uit
kennt aus dieser zeit nui' Palduit'inus und Eeittherus, bei Muchar ist
auch Hermann belegt Das aiegel seines bruders Ortolf von 1233
(Krauend. 203, U fg.) tafel 6. — 93, 25 Fridberc ist ein fehler, es ist,
wie Lachraann schon im nnmensverzeichniss anmerkte, Vribcrc gemeint,
heute Freiberg bei S. Veit in Kärnten. Hadoldits et Ohmio ßlius ^va
de- Vrielierg bezeugen im St. Urkdb. 2, 20 eine Urkunde herzog Ulridu
von Kärnten für S. Paul 1192, vgl. Steir. Reimchr. 60604 fg. — 94, I
Die Vermutung v. Karajans, diese herren gehörten nach Tirol, ist irrig:
das heutige Piix ist gemeint zwischen Murau und Scheifling in CH»W>
Steiermark. Das St Urkdb. 2, 390 führt sie beide zusammen in f^oer
I. lAjnbrechter Urkunde als zeugen an, dann Otto noch 1234, Dietrich
1239, Tgl. Muchm- 2, 95. 5, 224. Die brüder wai-eu nachbam Ulrichs,
deinen sich aber nach seinem urteile hier und 207, 13 fg. mit ihm
ibeneo wenig vertragen zu haben wie die noch näher gelegenen Kat-
cher. — 95, 6 fgg. Nach 6 doppelpunkt, nach 7 komma. — 96, 3 fgg.
Jber die starken und zahlreichen niederlassungen der jiiden in Steier-
jiark und Innerösteneich überhaupt, vgl. Muchar bes. 3, 136 fgg. 362 fg.
lei Friesach scheinen sie ziemlich häufig gewesen zu sein, gab es doch
chon um 1130 in der nähe eine via judeonnn, Steir. ürkdb. 1, 135.
Fie sehr sich die Verschuldung des steirischen adels später steigerte
i im 15, Jahrhundert ein grosser teil von ihnen Juden zu gläubigem
tte, ist eine den historikern wolbekannte talsache. — 96, 15 Das
!omma darf nicht fehlen. — 96, 30 fg, Damach kann die herrin doch
llicbt sehr weit gewesen zu sein, vgl. 99, 9. — Ich bemerke noch,
i nach Mufhars vermerk 5, 101, der sich dabei auf eine Urkunde
ns S. Paul beruft, die Versammlung von Friesach am 15. mai 1224
iseinander gegangen ist — 98, 2 Die eraendaüon Lachmanns war
fthr wol überlegt: dax kh weincnt (weineits L, wanes C) ihl erwache
md durchaus sachgemä-ss. Denn erwacften mit dem gen. kann nach gr. 4,
t72 und den von den Wörterbüchern gesammelten stellen heiäsen: aus
rwas erwachen, släfes, troutnes; oder über etwas, d. h. in folge von
mva. So bei Ebernand von Erfurt 232: der kunec erwahte der ge-
•Mkt = in fulgo des geträumten. MSH. 3, HSa: des ttitiox «>* saläe
"Vfoclien. Nun aber findet keines von beiden statt: weder soll der
lager aus noch in folge des weinens erwachen. Der träum, wän,
ßwahrt ihm viel mehr freude und er wünscht, das3 er nicht daraus
i weinen, weinend erwachen, nicht weinen, sondern lachen (98, 3)
;e. Der Schreiber von C, der wäjics einsetzte, bat die stelle rich-
r beurteilt als Bechetoin. — 98, S Vgl. Paul, Mhd. gr.* § 339.
iehalb wird mir ihr trost nicht fehlen, dass sie (nämlich) mich bei
ir lasse usw." = 98, 12 dax ich stelic immer st? — 99, 27 fg. I,
E ba Ml gar. dö daz geschach, nu miiget ir hceren wie er sprach. —
Vie formelhaft das alles ist, mag man sehen, wenn man die wörtliche
kbereinätimmimg Ewischen dieser stelle und 57, 17 fgg. vergleicht Dass
Ilricbs herrin, diese vornehme dame, von dem turnier zu Eriesach
doht sollte gewusst haben (100, 5 fg.), ist unglaubUch; in der tat war
! sehr wol unterrichtet, wie 101, 19 fg. zeigt, wenn man 95, 9 fgg.
i nimmt. Ich denke, beide fraucnziramer haben schon damals den
iiecbtensteiner zum narren gehalten. — 101, 4 Nach dem 1. und 2.
mde des Steir. Urkdb. ist die in älterer zeit (bis ins 14. jahrli.) allein
gütige form ileü sluvisclien ort^nameos Libenx (heule Loibnitz,
von Gra^); daher ist das durch v. Xarajan wider die bs. voi^eechU-
gene Leibern unrichtig. — 102, 20 Ancli daraus (der ritt im wiotei^
ergibt sich, dass es von Ulrichs Frauenburg zur niftel nicht sehr -weit
war. Die hohe Stellung der frau bezeichnen wider 102, 29 fgg. Zu
ihr scheint es weit 103, 17, immerhin aber war es keine reise und
doch so nahe, dass man den boten des Liechtensteiners kannte. &
soll daher 103, 23 fg. ein anderer böte gewählt werden, dessen prove-
nienz man nicht weiss. 105, 23. 118, 6 fgg, zeigen sich die Schwierig-
keiten, einen solchen zu finden. — 106, 25 Auch jetzt noch wird in
Österreich oft Tiifst gesprochen. — 107, 11 Dieses feld diu Merre ist
heute die Mahr, mit einer kleinen ortscliatt, nicht gauz eine sttinde
TOD Brixen. Vgl. Staffier, Tirol und Vorarlberg 11, 2 s. 103 fg. (das
gasthaus „in der Mahr" ist der Schauplatz von Boseggers roman.) Fer-
ner Zingerle, Sitzber. der Wiener ak., phil.-hist. kl. 55, 608. — 108, 28
Die summe ist natürlich eine poetische hyperbel. — 109, 20 In der
ärgerlichen drohung ist besniden =■ kastrieren ganz am platz. (Viel-
leicht war der „meister" auch nur ein viehdoktor, der solche gescbäfte
selbst besorgte.) besiniden wäre ohne zusatz nicht verstandlich, und
das hatte Ulrich nicht durch got zu luxen brauchen. — Man stellt
übrigens aus der ganzen geschichto, wie vorhiiltnissmässig selten schwere
Verletzungen bei diesen turnioren vorkamen. — HO, 5 fgg. Es ist lehr-
reich zu sehen, dass von Ulrichs betrübter Stimmung auf dem ritt nack
Bozen in diesem liede nichts zu merken ist. — 112, 2 I. tnii trimee
in dt'enstes tmdfrltiti. — 117, 14 der 'c/f miiss da technischer ausdnick
sein. — 118, i pliieten ist mundartliche fonu, — 122, 13 fgg. Zwi-
schen dieser stelle und 126, 12 fgg. besteht schon das enge verliültnis,
tlas für lied und erzählung in den späteren partien des Frauendieiutet
bezeichnend ist — 124, 1 (gg. Damit überschreitet der koecht seinM
auftrag, aber vielloicht im anschluss an das lied. — 124, 13 dax —
dA ex. Ulrich wird wider auf standesgemässe minne verwiesen. Da er
ein dienstmann war, so ist darnach die herrin, wie sich von selbst ve^
steht, adelig gewesen. — 124, 19 Itttnp und l(p dürfen wegen stu
nicht zusammengeschrieben werden, — 124, 30 = 119, 20. — 127,26
Der ausdruck liisst keine Schlüsse auf den stand der herrin zu, weil «■
offenbar übertrieben ist — 128, 17 fgg, Der knecht gibt die bolscbaft
ungenau wider und spricht viel weniger nachdrücklich als die herriD.
Das kann durch die forderungen der poetischen technik nur tcilwviM!
entschiddigt werden. — 129, 12 1. so wil ich gerne ir dieiirn bax. —
130, 6 fgg. War Ulrich damals schon verheiratet? — 130, 15 Darnach
zu ÜUUCH yON ttecUTENSTEW 209
ist ucb Ulrich zwei monate in Rom aufgehalten, die ganze fahrt hat
•ntsprechenii länger gedauert. Scliwerlich Ist sein ziig als wallfahrt
mofztifassen. — 131, 9 Da Ulrich 32mal e:e reimt, so ist das kein
{gnind, das allerdings auch sonst unbequeme hebet, etwa in strebet zu
.»erändern. — 131, 21 tgg. Diese darlogung passt nur, wenn Ulrich das
«ied auf der fahrt nach Rom oder in Rom selbst dichtete. Nach 130,
17 fgg. 131, 29, 132, 2 ist es auf dem rückwege entstunden. Solche
Inkongruenzen bedeuten an sich nicht viel, verdienen jedoch wegen
landerer ähnlicher falle angemerkt zu werden. — 132, 1 Man könnte
deuten an ilax ieks i/it saiidir bl im in, wofern ausser diesem nicht
noch fünfmal m : n nach ir im Frauend. reimte, ttitrch in wäre neu-
'llochdeutsoh. — 132, 8 Was soll das heissen? Tumiergegner wurden
'Sicht vindii genannt, kriegerische Unternehmungen können aber nach
lor darstollung 132, 2—13. 133, 18 — 20. 29 — 31 unmöglich gemeint
Ich vermute bi den Wmden. d. h. im windischen Untersteier-
irk- Ortsnamen Winden, Weyiden gibt er inner- und ausserhalb Steier-
narks genug, da wäre jedoch der artikol unpassend. — 132, 23 lach-
jnanns Vermutung nlwiu Uet möchte ich in den text setzen. Nicht
^oss wegen 134, 1, sondern besonders weil das beigesetzte aber nach-
Irucksvoll gebraucht wird, um die leistungsföhigkeit Ulrichs in neuen
(dem zu bezeichnen. — 135, 30 Wenn man es mit dem Inhalte so
insttichor lieder überhaupt genau nehmen dürfte, wäre der satz so
\iäxe mich pri. hier wenig passend, denn die herrin will ja ohnedies
«ichts von Ulrich wissen. — 137, IG mengen ist hier nicht gut, denn
i kann dem boten nicht vorwerfen, dass er den frieden durch zwi-
lebenträgerei gestört habe. Aus demselben gründe ist Sprengers vor-
schlug (Oerra. 37, 176) meine unzweckmässig. Vielleicht megenen —
Teigrößsem, weil der böte den schaden an Ulrichs finger übertrieben
llatte. — 137, 23 fg. er habet da mit dl wol nach ger in iwemt die-
Itäi gröziu sper? — 139, 3 fg. Easendorf bei lieibnitz gehört später
t den Stubenbergschen gutem, einen genannten Ulrich finde ich nicht
Tgl. T. Zahn, Ortsnamenbuch s. v. Hasendorf. — 140, 7 Wai-um geht der
^te heimlich zu Ulrich? Er steht doch in seinem dienst, und wurde
• finger heimlich abgeschlagen, so brauchte doch deswegen der knecht
ÜcAt verholen zu kommen. Vielleicht uto ir? Ebenso wird 140, 14
and anderwärts durch das einfache personalpronomen die herrin bezeich-
net — 140, 23 Eine botschnft rihtet, der sie meldet, aber nicht der
■Jen boten beauftragt. Daher wird es bei Lachmanns tihteji bleiben
DÜBAcn. — 141, 10 Dass „die glicdmassen früher schlanker waren als
heute", wie Bechstein meint, glaube ich nicht Desgleichen nicht, dass
attKtaan «. DuoracHB pinLOLooiB. bd. xivm, 14
210
der abgeschlagene finger dor kleine der rechten band gewesen sei.
denn der hätte als krummer das führen der waffen nicht erschwert (138,
28), was bei einem der drei niitüeren sicher der fall war; auch hätte
Yon ihm nicht 108, 1. 150, 29. 151, 11. 17. 155, 17 f:;esagt werdeo
können, er sei üi di-i- hant. — 143, 20 komma, 21 in klammer. —
144, 3 1. und verwiirht in manigfii spot, tiilschlich zum spott umg«^
bildet, gedeutet — 145, 6 fgg. Es zeigt sich (vgl. 129, 17 I'gg.), diws
dieses büchlein und der text von Ulrichs erzählung so zu einander
stehen, mo später lieder und contest. — 145, 28 1. in minen aeneden
dingen? — 147, 6 I. zum teil mit Seherer, Anz. f. d. a. 1, 252: wr-
werbenne ir werde minne. — 149, 17 Vielleicht hatte Ulrich damals
geheiratet. — 155, 11 Darnach komma, nach 12 Strichpunkt mit einem
Übergang, der gar nicht so selten ist. — 155, 24 fgg. Ich bleibe bei
meiner Ztschr. f. d. a, 2ß, 317 geäusserten ansieht. Nach Ulrichs he-
rieht 8. 140 fg. ist der finger nicht einbalsamiert worden; ein solches
faulendes oder vertrocknetes glied wird aber der emp&ndung des 13.
Jahrhunderts wie unserer heutigen nicht anders denn widerwärtig lot-
gekommen sein. — 156, 29 fgg. Nun tUllt ihm nach der gescliichte nut
dem finger der ganze plan der Venusfahrt ein: es ist deutlich dass die
dinge in der erzählung enger zusammenhängen als im wirklichen ve^
lauf. Der einfall 157, 9, 160, 11 fgg., den schein einer pitgerfabrt nach
Rom anzunehmen, ist nicht glücklich, weil Ulrich doch eben ostem
1226 (130, 15) eine solche wirklich durchgeführt hatte. — 157, 18 Die
Vermutung Bechsteins, es sei Oregorien statt Oi-orien tage zu schrei-
ben, ist, abgesehen von 162, 30. 164, 27, an sich falsch: der termin —
tag Gregor Rillt auf den 12. märz, nicht auf den 29, april, und do*"
grosso termintag Georg, der in den erzdiöc«sen Salzburg und ÄquUe)
am 24. april gefeiert wurde, ist wirklich als der anfang des sommi
angesehen worden. Vgl. Grotefend, Zeitrechnung*, 1, 73. 77. — 158, ä€
auch hier lässt die ausdrucksweise schliessen, dass Ulrichs lierrin niete'
allzuweit von ihm wohnte. — Die dame scheint 159, 5 fgg. wie eim*
aristokratin von heute freude am sport gehabt zu haben. — 160, 13 fj^-
üm tasche und stab zu bekommen, braucht er einen priester. Beide:
trüberen wirklichen Romfahrt war das nicht nötig. — 161, 4 Der
druck darf nicht verwundern: Venedig war im nüttidalter der eist*
perlenmarkt der weit. — 163, 5 tgg. Es ist dui-chaus nicht nötig aiuttt—
nehmen, dass die ringe steine hatten: sie kommen von Venus, Ü'
gotiimie über die minne ist, und werden von ihr mit wundcrbaroJ
kraft begabt. — Die bedingungen des ausschreibens zeigen, daas e^
mit dem ganzen für alle vorstäudigen auf ein heiteres spiel abgeseiioö
«p
ZD ULRICH TON UBCHTSNSTHN 211
i'^lir- Denn wurde Ulrich = Venus am ersten tage geworfen, so war
IdÜe fohrt zu ende. Und mochte Ulrich auch noch so stark sein, sicher
l'irfir er nicht, das sieht man aus der affaire zu Brixen. Er mu^iiste also
PTon vornherein auf die rücksicht Seinerstandesgenossen rechnen, damit
' ihm sein spiel nicht verdorben werde. ~ 165, 7 Vielleicht der busH-
neti blasen tüie erhal, vgl. 192, 8. Lachraanns erhal wirt bleiben müs-
sen, vgl. 215, 23. 257, 27. 452, 29. 454, 11. 459, 3. 460, 5. 487, 7, —
165, 18 Bechsteins noch nie wäre neuhochdeutsch; vielleicht e nie? —
166, 1 Natürlich auch verkleidete knechte. — 166, 17 fgg. Diese atelle,
zusammengehalten mit {176, 26 fgg.) 161, 2. 201, 7. 218, 26 fgg,
scheint mir zu beweisen, dass 172, 13 tgg. nicht gemeint ist, die zöpfe
seien in einem netz getragen worden (was ganz wider ihre art wäre),
sondern dass darunter nur das bewinden der zöpfe mit perlen zu ver-
stehen ist, durch die das haar liervorsieht — 168, 9 fgg. Das gespräch
zwischen dem grafen imd dem podestä ist wol zu beurteilen wie die
»reden in der historie des Thukydides. Die Weigerung des podestä wird
auf politischen gründen beruht haben. Dass seiu name nicht beson-
ders genannt wird, hat nichts auffallendes: der titel bezeichnet ihn
Mo länglich, wie etwa kirchenfürsten. — 170, 13 Gegenüber der anm.
f. Karajans s, 671 ist festzustellen, dass Lantfridus de Eppenstain im
Steir. Urkdb. von 1202 — 1227 nachgewiesen ist, 1242 wird er von
seinen Wiidoncr verwanten als lange verstorben bezeichnet. Nun
tonimt in einer S. Lambrechter Urkunde von 1232 (Steir. Urkdb. 2, 390)
wirklich ein Linifridtis de Eppenstain vor; es wäre also ganz wol
laögüch, dass in der tat die beiden nicht zusammenfallen. — Dem Ep-
pensteiner wird nur ein spoerstechen bewilligt, weil der so viel mäch-
tigere graf von Görz nicht mehr als zwei speere bi-echen darf —
I **ö, 32 fgg. Ich bemerke zu dieser boschreibung der helmzier und
■t^^n späteren, dass Ulrich bei der abfassung seines gedichtes höchst
P**hr8cheinlich siegol der berren, die er erwähnt, vor sich hatte. Denn
"ö'iie Schilderungen sind heraldisch, ganz genau, die sachgemässen
^'^bniacfion ausdrücke werden angewendet und, soweit die Siegel uns
■halten sind, können wir ihre völlige Übereinstimmung mit Ulrichs
**tten feststellen. Auch das erklärt sich am besten, wenn er urkun-
®** vor sich hatte, an denen die siegel befestigt waren; einzelne sie-
|^*stöcke oder abdrücke sind ihm schwerlich zur Verfügung gestanden.
^ half er also seiner eriniierung nach, anderesfalls wäre seine genauig-
^it gnr nicht zu verstehen. — Dagegen sind die kleiderbeschreibimgen
f'^irlich idealisiert — 173, 4 Er Hess das ross courbettieren , vgl,
S , 23. — 173, 17 Die brücke zu Treviso geht über den Sile. —
. - 14*
174, 8 Hier werden sechs Speere verstücbeD, 170, 10 hatte der podesU
nur zwei erlaubt. Mit dem grafen von Oön zu stechen, war offeabtr
für Ulrich eine grosso ehre: deshalb wird das ausfuhrlich bescbriebeo.
Hingegen wird die tjoate mit dem Eppensteiner sehr kurz abgetan; die
Sache wäre da beinahe ernst abgelaufen 174, 29 tgg, auch erhält Ul-
richs geguer keinen ring. — 174, 10 Vielleicht erklärt sich die lücke
durch ein versehen aus ich sanl xehuiit. — 177, 17 An den morgend-
lichen buhurt von 500 rittern zu ehren Ulrichs glaube ich nicht: das ist
mit dem verbot des podestä ganz unvereinbar. — 178, 17 fgg. Der tag
muss eine kirchhebe feier gehabt haben, sonst wäre keine missa sotemnJs
gesungen worden, bei der allein opfergang and durreJchung des paoe
stattfindet. Es war montag 26. april 1227; der sonntug vorher, Hise-
ricordia doniini, wai' dieses jähr in der erzdiöcose Aquileja mit dem
Marcusfeste (duplex) und der Letanla ni^or zusammengefallen. Der feier-
liche bittgang wurde daher von sonntag auf montag verschoben und M
erklärt sich das hnchamt des 26. und das zusammenströmen von mCtt-
schen, das Ulrich erwähnt (179, 28 fgg.), die an der prozession tail-
nehmen wollten. — 178, 21 Die darstcllung ist ganz formelhaft, f^.
194, 23 fg. 279, 29 fgg. 282, 27 tgg. — 180, 29 Nach dem Stoir. Orkdb.
waren die Murecker (südöstlich von Leibnitz) ein sehr starkes gcschlecht,
auf einer lu-kunde von 1212 sind ihrer vier unterzeichnet Kin Rmn-
beitua de Murcke starb 1212, dessen söhn Reimbertits, EeginherttU
ist von 1212 ab nachgewiesen, war 1224 landrichter der Steiernuffk
und vor 1240 gestorben. In der oben besprochenen Urkunde von 1224
stehn vatoi' und söhn Reinbert neben einander, der jüngere wird da*
hier von Ulrich erwähnte sein. Siegel von 1150. 1198. 1212. 122(1
1231 tafel 1. 2. 4. 5. — 181, 21 I. sin sper er durch den schiU nrir
stach. — 181, 30 Fälschlich bei v. d. Hagen 4, 340 Plinlenberg. Bs
ist wol Plinteiibach in der Pettauer mark gemeint, Steir. ITrkdb. l, 1-13
von 1130. Muehar 2, 42; jetzt eine gemeinde im bezirk Langonbacb.
zwischen Mur und Drau- — 181, 31 Von den walschen rittern wusstu
Ulrich wol schon damals die namen nicht, vgl. 182, 19 fg. 191, 6 fg.
182, 18 Diis ist natürlich der graf Meinhard von Görz von 1G7, 24.
183, 16 wird zum nächsten absatz gehören, denn dass in Sacile nng**
fahr huudert ritter beisammen sind, ist, da nur der graf von Oörz oD'
seine zwölf mit Ulrich tjostieren, allerdings bemerkenswert. — 184, ■
Spengenberg (heute Spilimbergo) am Tagliamento. Vgl. v. Zalm, Deu*
sehe bürgen in Friaul s. 56 fgg. und die zierlichen bilder dazu. —
184, 27 fgg. Da scheint Ulrich ein kunststück gemacht zu habru "
185, 12 Wenn Ulrich den hcliu abbindet, ist das immer ein zeich**
zu ULRICH VON LIISCHTKNSTEIN 213
er genug hat Es mochte ihn nach einem zweiten zusammenstoss
mit: dem gefahrlichen Spengenberger nicht gelüsten. — 185, 20 fgg.
Wirklich ein mädchen als botin? Das wäre wie in den Artusroma-
nc^in. — 186, 25 Wie hier, auch schon 184, 19: frauenritter haben eine
rt^e als zeichen. — 188, 14 fgg. Die reflexion steht in Zusammenhang
dfiM3iit, dass königin Venus dem ritterspiel zusieht, vgl. 194, 1 fgg.
Solche allgemeine sätze sind bei Ulrich sehr selten. — 189, 12 fg.
Jedesfalls eine missa privata. — 191, 30 Vielleicht wegen des 1. mai. —
193, 19 Finkenstein unterhalb Villach, das Siegel tafel 3. — 195, 1 fgg.
Warum ist Ulrich so erzürnt? Fürchtete er Störung seines Unterneh-
mens, wenn seine leute durch fremde beeinflusst wurden? — 196, 29
Steir. Urkdb. kennt nur einen Offo von Frauenstein (in Kärnten bei
St- Veit) von 1231, Muchar aus dem 13. Jahrhundert nur einen Gun-
daker von 1261. — 197, 6 Das ist schwerlich der bei Muchar und im
Steir. Urkdb. von 1194 — 1224 nachgewiesene Rudolf von Ras (so auf
dem Siegel von 1216 — 1220, tafel 3, das mit dem von Finkenstein
identisch ist), sonder dessen söhn. Eine Gertrud von Mureck vermählt
sich 1253 einem Rudolf v. R., Muchar 5, 255. 269. — 197, 19 Nach
leit Strichpunkt — 199, 3. 5 Gotefridiis de Havenerburc (heute Ha-
fenberg neben St Ulrich bei Feldkirchen in Kärnten) ist im St Urkdb.
von 1220 — 1239 bezeugt, sein Siegel von 1230 tafel 5, zusammen mit
seinem bruder Arnold in einer St Veiter Urkunde vom 10. Januar 1220.
I^ie Schreibung -biirch, -btirc ist urkundlich belegt und darf daher
Dicht angetastet werden. — 199, 7 Wenn man gar statt vtl ergänzt,
so erklärt sich das versehen. — 199, 8 TreflFen in Kärnten bei Villach
von dem in Krain zu unterscheiden. Das Steir. Urkdb. weist 1192
©uien WiUclielmus de Tr. nach, Cholo nicht — 199, 10 Zachaeus de
^yrnelberch (bei Feldkirchen in Kärnten), urkundlich 1239, St Urkdb.
^? 490. — 199, 16 Die Verspottung hat in dem kopfputz gelegen, der
*'s helmzier angebracht war, vgl. 204, 26 f. 205, 4. — Auch der dritte
'^^^i ist übrigens ein halber feiertag gewesen: Invontio crucis. — 200, 11
^^^^hmann ändert mit recht der in des^ weil es sich auf den ganzen
^t^ — Uit tuon beziehen muss, nicht auf hii allein. — Violleicht war
^^ch so erzürnt, weil der Himmelberger, ein konkurrent im minne-
:, ihn nicht blos verspotten, sondern auch werfen wollte. — 200, 28
^ofes gert der hs. ist widersinnig. — 201, 11 dax heisst hier: wenn,
^^«em, gesetzt dass. — 201, 26 Chunradus de Lebeiuich (südlich von
f*^ Teit in Kärnten) ist im Steir. Urkdb. von 1203 — 1231, stets mit
^«ren K&rDtnem zusammen belegt — 202, 1 von dem Berge Jdeob,
dudi y. Kar^jan in der anm. nachgewiesene AdalberUis ist ein
Oberösterre icher (heutige bezirk shauptmaunschaft Perg). Ich dachUl
zuerst, es wäre vielleicht ein Vriberger gemeint, weil ein Jacobu» {der
name ist selten) tfc Frtberch 1236 in einer St. Veiter Urkunde vor-
kommt, aber eine Urkunde von 1214 Steir. Urkdb, 2, 20 bietet Otto
und Friedrich de Perge unter stcirischen und kärntischen odlen (v. d.
Hagen 4, 344 anm. 1 verwechselt die geschlechter) j auch ist Frütarieh
de Perge in der Urkunde unterzeichnet, deren faksimlle dem i. bände
Muchars beigegeben ist — 202, 4 Teinach westl. von Klagenfurt, östl.
von Völkermarkt. Nur ein Seinrtctts de T. ist 1239 nachgewiesen Steir.
TTrkdb. 2, 481 in einer Urkunde von Unterdrauburg. — 202, 5 vgL
67, 15. Un diese zeit wird im Steir. Urkdb. nur Leo und Chunradtis
de i^. erwähnt. Hat vielleicht Ulrich ein versehen begangen? — 202, 10
Ein Siegel Eenrici de Orifctifels von 1246 tafel 14. Eine Mechtildis
V. Gr. von 1251 Muchar 5, 238. — 202, 13 Gumctz an der Ourk,
Östl. von Elagenfurt, westl. von Grafenstein. Ältere angehorigG des
geschlechtes im Steir, Urkdb. von 1161 — 1185. Ein sieget von 1235
des Heairicus de Qurnx = dem Greii'enfelser tafel 7, Siegel des Offo
de G. von 1217 und 1238 tafel 3 und 8. — 202, 16 Grafenstein etwas
oberhalb Gurnitz an der Gurk. — Hairicus de Oravenstaine im Steir.
Urkdb. von 1222 — 1240. Grafensteiner siegel von 1239. 1248 tafel 9.
15, Henricus 1240, tafel 10. — 203, 9 nSeh tjoste get-nde? — 203, 21
ist (wie schon v. d. Hagen 4, 344 anm. 9 vermutete) der jüngere Wi-
cfmrdus de Karlisperch (südöstl. von St. Veit in Kärnten), der im Steir.
Urkdb. von 1214—1239, bei Muchar 5 bis 1248 bezeugt ist. Sein
Siegel von 1214 tafel 2, von 1248 als marschall tafel 15, (Heinrivas
von 1245 tafel 12). — 203, 25 Herr Emjelrammus de Straxpurcb ist
in sieben stücken des Steir. Urkdb. von 1225 — 1235, dai'unter viermal
mit einem bruder Engelbertus bezeugt Welchem von beiden das Rie-
gel tafel 10 (ein älterer Hartwiciis tafel 3) gehört, ist aus der beschä-
digten legende nicht zu ersehen. — 213, 32 Angehörige dieses gescblech-
tes sind im Steir.. Urkdb. von 1187 — 1234 bezeugt, ein Siegfried tat
nicht darunter. — 204, 7 1. vü gerne wol haben bejaget. — 205, 16
Darin sehe ich nichts von der „edlen gros.smut Ulrichs", die Bechstein
hervorhebt: der Himmelborger hatte seinen speer ritterlich verslocbeo
205, 6, also gebührte ihm der ring gemäss Ulrichs ausschreiben. —
206, 17 gar werden in dem hier geforderton sinno ist unmöglich, Lach-
manns ivert muss deshalb bleiben. — 200, 18 Hs. sc/ieufiie rar. Idcb-
mann: schiumevar, schaumfarbig. Bechstein meint im glossar: ,,etnt:
schaumbedeckt". Das liegt aber nicht in dem worte rar. Und warum
gerade hier „schaumbedeckt" nnd sonst bei keinem buhurf? Zudem,
21Ö
bei der amhüllung der pferde hatte man ja den schäum (noch dazu
in abendlicher dämraerung) nicht sehen können. Die sache liegt andere.
Der buhurt in Friesach beginnt spät, bereits nach Ulrichs tagereise.
Das spiel werte unx^ an den Shent gar ■ — der lac was vil nach xer-
g&n: dd muostett si tr buhurt lun. i^ic haben also bis in die däm-
merung Ijoatiert. Da mochten die rosse leicht sch&menvar geworden
sein: aussehend wie schatten, gespenster. Vgl. Lexer unter scheme,
der citiert Ges. Abent. 2, 598, )31: ich iml mich machen als ein schem
gevar; 608, 373: ex ist gmfalt als ein schcftn. — ^06, 30 Das heutige
Kendeck mit der bürg liegt zwischen Nenmarkt und Friesach auf stei-
rischem boden. Um 1227 aind im Steir. Urkdb. ein Cfotscalnis^ Wul-
mngus und Arnoldus nachweisbar, kein Konrad. Vielleicht hat sich
Ulrich geirrt. — 208, 17 In einer St. Lambrechter Urkunde vom 9. juni
1232 (Steir. Urkdb. 2, 390) sind Heinricus de Sck&vlick und Hsmtffits
de Sch&vlich hinter einander (nach ihnen Dietrich und Otto von Puchs)
als zeugen genannt. Er scheint ein freund des dichtere gewesen zu
»ein. Seiner ausstaffierung nach hat wenigstens er wol gewusst, wer
die königin Venus war. Aber war das überhaupt geboimuis? — 209,
31 fgg. Warum diese einschaltung gerade hier? Die hat doch nur
sinn, wofern die'herrin sich in oder bei Judenburg aufhielt. Vgl. 210,
24. 28. Da beeilt er sich, nennt keine ritter mit namen. Damit die
herrin nicht erkannt werde? — 211, 23 Der Gundaker von Steier-
. Btunhemberg, der im Steir. Urkdb. von 1190 bis 1218 belegt wird, ist
jedeefalls ein älterer als der 67, 9. 260, 31. 261, 22 und offenbar der
bei Muchar 5, 148 im jähre 1236 vorkommende, dessen Siegel von
1240 sich tafel 10 findet. — 211, 29 Sifridus de Torml (heute ein
iMUenihof im Paltental) bezeugt am 27. juni 1214 eine Urkunde auf
borg Steier unter anderen obersteirischen herren. — 212, 30 Dieser
WalvtTK (I.) de Stulnnberc ist im Steir. ürkdb. 1210 — 1230 (seine
Witwe Gertrud 1230) bezeugt Sein söhn Wuhiitie (11.) heisst 1240
noch puer. Dieser Stubenberger auf Kapfenberg wird sehr gelobt, hier
nnd 215, 8 fgg., wol insbesondere wegen seiner macht und seines reich-
toraes. Auch er wird wol 213, 3 gewusst haben, wer hinter frau Ve-
nus steckte: darum seine gastfreuodschaft — 216, 14 Kinnenberc ist
schon im 13. Jahrhundert eine veraltete form, die Urkunden schreiben
aueachliesslich nd. — 216, 17 und 220, 16 Wie das register Lachmanns
schon vermutet, ist an beiden stellen dereelbe gemeint In einer Ur-
kunde eben des jahres 1227 bestätigt herzog Leopold (VI. von Öster-
reich, 111. von Steiermark) den briidem Olto et Hermannus de Chind-
herch (auf Kindberg sitzt Otto, wie Ulrich 216,14 sagt), die er proprii
216 SCHÖNBACH
homhies 7iosiH nennt, dass sie auf güteransprüche wider das kloster
Admont verzichten. Vielleicht waren sie vögte von Eindberg, die aus
Buchau stammten, welches bei Admont liegt. Ulrich mochte sich die
spässe 217, 5 fgg. erlauben, weil Otto von Buchau niedrigeren ranges
war (ein Buchbach liegt in Niederösterreich bei Neunkirchen, vgl. Nie-
derösterr. Weist, ed. Gustav Winter 1, 276 fgg.). — 219, 24 Nicht O/-
iacker, aber Otto der Trage (vielleicht ein Irrtum Ulrichs) erscheint
1216 als zeuge in einer Stubenbergischon Urkunde an das kloster Beun,
worin es sich auch um hufen bei Kindberg handelt, unter anderen
herren aus dem Mürztal. Ausserdem noch ein Chunradus de Trage
in einer Urkunde von 1232 unter Mur- und Ennstaler herren und 1242
Otto Trage plebanus de Suiverehirehen, — 220, 9 Einen Friedrich von
ßeichonfels (ob er aber zu diesem hier gehört?) citiert Mucbar 6, 91
aus einer Urkunde von 1293. — Man wird sich bei der Schwierigkeit,
diese namen aus dem Mürztale nachzuweisen (vgl. v. Earajan s. 674),
an die worto Ottos von Buchau 216, 29 fgg. erinnern müssen: vitn
munt von wärheit tu des g^iht: in disem tat ist ritter niht gesexxen
di der tjoste pflegen. Es werden also kleine leuto sein, die Ulrich
nennt, die deshalb in Urkunden nicht oder sehr selten vorkommen.
Die Ursache davon mag in der Verteilung des besitzes im Mürztal
gelegen sein. — 221, 29 fgg. Dieser ganze sonst so schwer zu erklä-
rende besuch Ulrichs bei seiner frau verliert alles wunderbare durch
den schönen nachweis horm Alfreds von Siegenfeld, dass der Liechten-
steiner zugleich in Niederösterreich ansässig war und auf der bürg Tem-
berg, fünf kilometer von Glocknitz, hauste. Da stimmt nun seine
erzählung aufs beste mit den umständen des ortes und der zeit Die
rast daheim ist also ungefähr in die mitte der Venusfahrt gelegt wor-
den. — 225, 3 Eine niedliche Übertreibung. — 225, 21 Im Steir.
Urkdb. 2 ist Perktoldus de Emberberch, dapifer, seneschalcus von 1197
— 1246 bezeugt. Sein siegel, das mit der beschreibung des Wappens
225, 17 fgg. genau stimmt, tafel 14. 15 von 1247. 1249. Es ist der
zeit nach ausgeschlossen , dass nach v. Earajans Vermutung dieser Bert-
hold der beim tode Ottokars von Böhmen erwälmte sei. — 226, lY
Wenn man die Verletzungen Ulrichs auf dieser fahrt zusammenrechnet: i
muss er am ende ziemlich verhauen gewesen sein. — 228, 14 Weile:?!
fürchtete, in den verdacht der untreue zu kommen. Vgl. 230, 28 ua.^
jenen verfall zu Villach 195, 1 fgg. — 231, 4 Sie gibt ihm ja nichts.
231, 10 Etwa: ^van xornic munt niht lacJien mit, vgl. 475, 11. 51 ©,
30 fg. 520, 13. 548, 13 fgg. — In der Neustädter episode ist nidi^
alles klar. Ich sehe allerdings keinen ausreichenden grund, an ihrar
zu ITLRICH VON LIECHTENSTEIN 217
Wahrheit zu zweifeln, obgleich sie eine Steigerung der Villacher geschichte
bezeichnet und die „treue" Ulrichs in das beste licht setzt. Einzelnes
mag die lokalhistorie genauer zu bestimmen gestatten, z. b. die läge
des badehauses ausserhalb der Stadt 226, 32. Die versc 228, 10 fgg.
nehmen den inhalt dos briefes vorwog. 228, 12 er ziehe ich auf den
brief; wie sollte der knappe das durch gebärden ausdrücken? Dagegen
ist 230, 5 Bechsteins auffassung von gef rinnt richtig, die Sprengers
(Germ. 37, 176) falsch. Auf eine ganz vornehme dame als Urheberin
der ehrung deutet schon der aufwand, den das verursachte: Wiener
Neustadt war lange ein hauptsitz der Babonbergischen hofhaltung. Dass
rosen ins bad gestreut wurden, ist nichts ungewöhnliches. Der käm-
merer spricht jedesfalls hier die gedanken aus, die Ulrich bewogen,
über das ganze vorkommniss vorsichtig zu schweigen. — 235, 23 Es
ist dem ritterlichen stände gemäss, tut ihm keinen abtrag, ein hofamt
bei der königin Venus zu übernehmen. — 236, 23 rlten =» tjoste rei-
ten, der herr kommt nächstens selbst. — 238, 32 toix ist hier „glän-
zend", weil der hämisch gefegt wurde. — 241, 10 Man sieht, wie vor-
sichtig Ulrich sein musste. — 241, 17 fg. 242, 1 Der böte nimmt noch
Walthers werte auf Das folgende ist ganz formelhaft dargestellt: zu
241, 19 fgg. vgl. 325, 25 fgg., zu 241, 31 fg. 326, 7 fg. 353, 5 fg. —
241, 25 1. er sprach: nu stet üf, lät sin gnuoc. Vgl. 21, 29. —
242, 21 Bechsteins anmerkung ist in der tat unbegreiflich (vgl. Meier,
Beitr. 15, 331). Ulrich war bei der lierrin page gewesen, sie wirft
ihm 41, 25 fgg. seine Jugend vor, eine anzahl von jähren dient er
schon um ihre minne: sie muss mindestens in den ersten dreissigen
gewesen sein. Allem anscheine nach war sie eine sehr kluge dame,
ihren hohen rang bezeugt auch hier wider Ulrichs freude über das
geringe unverbindliche geschenk. — 244, 17 fgg. Der kneclit spricht
mit diesen ausdrücken den verdacht eines zärtlichen abenteuers aus. —
244, 25 fgg. Hier ist die Situation ganz unklar. Wo ist das? Vor
Möllersdorf oder hinter Möllersdorf? Vgl. 239, 26. 243, 27. 246, 4.
Man weiss nicht, wo die ritter warten. Ulrich hat über die botschaft
den faden verloren. — 247, 22 fgg. Der domvogt war also ein rechter
frauenritter, vgl, 276, 15 fg. — 250, 4 1. — nndertvinden ; füegt ex
sich, — . Der ausdriick von m 7 versteht sich daraus, dass der dom-
vogt marschall der königin Venus ist und also in ihrem namen die
ritter einlädt. Vermutlich hat aber er die kosten getragen. — 251, 9 fgg.
ist eine ganz vortreffliche bemerkung über die frauen, die den kenner
beweist Den nächsten gedanken 17 fgg. nimmt Ulrich im Frauenbuch
weiflänftig auf. — 252, 17 fgg. Die erzählung wird hier ganz formel-
218 BCBÖNBACB
haft, der dichter gerät immer wider auf die friiliereu reiml
uiid gedanken: vgl. 253, 28 — 32 = 242. 4 fg. 15 fg.; 254, 2 = 242, 24;
254, 5 fgg. = 242, 18 fgg.; 254, 10 fgg. = 242, 14 fgg. JedeeüUla
kann die herrin jetzt nicht auf ihrem steirischen schloss nahe bei Judon-
burg gewesen sein. Uli-ich lässt sich die botschaft von dem knappai
in amsehreibung widerholen. Das turnier stand schon in der ausscbni-
bung, zur pracht des aufzuges entschliesst sich aber Ulrich eist jebet —
256, 25 fgg. Formel des relsesegens. — 257, 1 fgg. Mau ersieht daraus,
dasfi das unternehmen in Wien ernster war. — 259, 1 fgg. Hier erfahrt
man nichts über Ulrichs plan von "255, 1 fgg., sondern erst 288, 28 fgg.
— 262, 10 liurt kann gewiss niemals „niederreiten" bedeuten, auch
hier nicht, sondern ein solches gedräuge (261, 25 fgg.) und stosaen,
duss dabei, ohne eigentliches tjostieren, arge Verletzungen vorkamen.
Ulrich raii8.ste also sehr geschickt reiten, um unter der menge Beine
Ijosto ausführen ku können. 267, 5 sieht man das ganz genau. —
263, 16 Heute noch „aturü und stäche" als bestandtoilo alter Eraa^
tracht im Montavon, Voi-arlberg. — 266, 4 fgg. Daran ist sicher etwM
gewesen, denn tatsächlich tjostiert der Kuonringer nicht mit Ulrich,
sondern stellt einen andern 269, IT fgg. Vgl. auch die gegonsätzlicfae
hervorhebung 266, 22 fgg. 268, 6 fgg. — 271, 11 BSsinperge, A*-
sinberge liegt in Niederösterreich , Viertel unter dem Wiener Wald,
Ckunmdm de B. ist im Steir. Urkdb. 1, 298. 356 circa 1150 — 1155
bezeugt; ein Ekkhard von I'uschinborge Muehar 4, 532. Merkwürdig
ist, dass ein Poppo von Pusenback 1195 (im Steir, Urkdb. 2, 35 fg.) io
einer Admonter Urkunde orscheiut. Der name ist so selten, dass die
Übereinstimmung aufTällt. — 271, 19 Ansciiau in Niederosternäcb.
Müllers Baben berger regesten weisen ßtidigenis de Anschotce, Ant-
schowe, Ä)ishaive, Äitschaive in fünf Urkunden von 1209 — 1230 als
zeugen auf. Der in einer Urkunde von 1263 erwähnte Rugeri ist wol
noch zu jung, um mit dem hier erwähnten zusammenzufallen. V^
den Liber fundationum monasterü Zwetlensis, Fontes rerum Austria-
camm 3, 398 fg, Dort auch ein Giiiidacharus de Atishawe,
riaUs Aiistnae. — Es hängt also der name nicht mit Anjou
men, wie v. d. Hagen 4, 354 anm. 2 will, obzwar das auftreten bei
Wolfram und <lie Verbindung mit Steiermark dort sehr zum nachden-
ken auffordert. — 273, 9 fg. Das siegel des Ädalbero dapifer de Vets-
bereh von 1244 — 46 tafel 11. — 273, 21 1. da s. 23. — 274, 20 fgg.
Ulrich tjostiert nicht mit seinem bruder Dietmar, sondern schickt den
kämmerer. Da muss es ja dem, der es noch nicht wusste, offenbar
geworden sein, wer die königin Venus war. — 275, 25 fgg. Warum
zu ULRICH VON LIECHTENSTEIN 219
in Feldsberg eine besondere bekanntmachung? — 276, 4 Entweder
schcener, woran Bechstein denkt, oder: da manc schwmii i>rowe die-
nest vant Dann hätte den 5 guten bezug. — 276, 9 fgg. Der ritter
wird gelobt in der art wie der domvogt von Regonsburg. Das ist der
Sifrii Weise, den Seemüllers anm. zum ßeimschr. 6910 vormisst. —
281, 32 Gerade die folgende Strophe beweist, dass Lachmanns emendation
richtig ist — 282, 14 1. bix dax ma?ix ewangelje las. Ich weiss nicht,
weshalb an diesem samstag ein hochamt sollte gehalten worden sein,
es wäre denn wegen der festlichen Versammlung. Er liegt allerdings
in der oktav von Christi himmelfahrt und im kalender der Passauer
diöcese ist Helena besonders ausgesetzt, aber das genügt nicht. —
282, 29 fg. Ulrich wollte auch dadurch sein benehmen als frauenhaft
bezeichnen. — 288, 21 Choh de Vronhofen (es gibt mehrere Frauen-
tiofer in Niederösterreich) findet sich als zeuge in zwei Urkunden her-
zog Friedrichs II. vom 12. juli 1242, ausgestellt zu Tobel in Steier-
mark. — 291, 1 fgg. Sein lob lässt Ulrich durch andere verkündigen.
Das arrangement der scene zeugt von künstlerischem geschick. Der
kämmerer war natürlich der rechnungsführer. — 293, 4 des künde 7mr
lieber niht gesln? — 297, 4 Ich glaube, das ist die einzige stelle, wo
Ulrich sich gegen die widerholung einer beschreibung sträubt, er ist
sonst gar nicht heikel darin. — 300, 29 Die teilnähme des boten ist
wol, ebenso wie an früheren stellen seine mitfreude, ein künstlerisches
mittel. — 303, 28 Wenn iht ergänzt werden soll (vgl. 306, 30), dann
möchte ich es zwischen Mt und m setzen, weil sich dann ein verlesen
des Schreibers leichter erklären liesse. Vgl. 304, 1. 305, 4, — 307,
21 fgg. Es fällt auf, dass der eigene Schwager, von dem dieses zeug-
niss für Ulrich ausgeht, ei-st 304, 30 fgg. als anwesend bezeichnet
wird und nicht früher erAvähnt. — 308, 4 1, dir st des pfant diu scelde
min. Vgl. 18. — 311, 25 Auch wlse spricht für Lachmanns gtiote im
nächsten vers. Vgl. 268, 22. — 312, 26 in, glaube ich, ist pron.
pers., erst 27 steht in. Das ganze muss mit den Kuenringern vorher
verabredet worden sein, vielleicht sollte durch das turnier eine aussöh-
nung bewirkt werden. Es liegt jedesfalls vieles zwischen den von Ul-
rich erzählten dingen, was nicht mitgeteilt wird. — 313, 12 Da hat
also wahrscheinlich Heinrich von Kuenringen die schaar Ulrichs durch-
brochen. — 316, 13 fgg. Das ist dem boten erst eingefallen, nachdem
der Wasserberger 307, 31 fgg. den gedanken gehabt hatte. — 318, 22 fgg.
JedesfiEÜls wider nach Temberg, von da 319, 1 nach dem steirischen
lÄechtenstein. — 319, 21 fgg. Woher weiss der böte das alles? Diese
ftussenuigen waren doch in seiner ab Wesenheit gefallen. Man sieht die
220 SCHÖNBACH
poetische erfindung. Ebenso 320, 7 fgg. Es sind überhaupt versdiie-
dene inconcinnitäten vorhanden: nach 321, 25 fgg. scheint die dame
fast verliebt, was weder mit dem früheren noch dem späteren stimmt —
323, 24 fgg. Das würde schwerlich so einfach berichtet werden, wenn
es wahr wäre. — 328, 17 fgg. Die äusserungen des boten sind hier in
der Sache nicht wesentlich verschieden von denen 327, 17 fgg., er sieht
das unternehmen auch dort als unmöglich an. Nur wird hier die
Schwierigkeit mehr hervorgehoben, um das interesse an der sache zu
steigern. — 331, 22 hohr? vgl. aber Sprenger, Germ. 37, 177. —
335, 20 fgg. Ist ebensowenig glaublich, wie dass ihm das bedenken
336, 21 fgg. erst hinterdrein kommt — 338, 1 Zu xil vgl mein glos-
sar zu den Steir. Kämt Taidingen s. 666 unter xeillach. — 389, 12
Diesmal ist er also mit ihnen. — 340, 9 Es ist nur an lause zu den-
ken, vgl. 31 fg. 342, 7 fgg. wo natürlich Ungeziefer gemeint ist (man
denke an Thomas Platters Selbstbiographie) und der ivälhi^ch man (wie
Schotten usw.) nur den fremden fahrenden bezeichnet — 342, 13 fgg.
Die reflexionen werden um so häufiger, je weniger historisch die erzäh-
lung wird. — 345, 15 fgg. Das ist eine ganz unwahrscheinliche Über-
treibung, um das interesse an dem beiden zu steigern. — 347, 14 Ohne
zweifei ist Lachmanns Verbesserung richtig. Wenn twhigen intransitiv
sein sollte, dann müsste es doch heissen i'dtem m, und was wäre es mit
dem an des folgenden verses? Vielleicht ist mir statt mit der hs. zu
lesen? — 347, 29 fgg. Die beschreibung ist so weitläufldg, weil alle
pracht bis zur undeutlichkeit hier gehäuft werden soll. — 351, 2 fgg.
vgl. 355, 25. Das ist heute nicht so. Man bedenke, dass die Zusam-
menkunft in gegenwaii: aller frauen der herrin vor sich geht — Der
wünsch 351, 11. 31 scheint mir ebenso formelhaft wie 349,22. Ulrich
erhält 352, 20. 32 bestimmte Zusicherungen; vielleicht will man ihn
damit bloss wegschaften. — 353, 18 rehte heisst „in richtiger weise'',
ton rchtc = „von rechts wegen", nur dieses ist hier möglich. Der
Schreiber hat von dem /? in man auf das in von sich versehen. Vgl.
Sprenger a. a. o. 178. — 354, 28 1. tnot mir ivie iicer gendde sL —
355, 18 ffrg. Sind sie im Speisezimmer allein? — 358, 21 fgg. Er fürch-
tet die „schände'^ des misserfolges. Man sieht, wie formelhaft das alles
ist. — 365, 21 Die rise (Bechsteins orklärung im glossar ist falsch)
könnte als auffallige lokalbestimmung die mögliclikeit gewähren, diese
bürg noch ausfindig zu machen. Freilich, Vischcrs schlösserbuch reicht
dazu nicht hin. — 366, 13 fgg. 27. 374, 9 Die auffassung des Selbst-
mordes ist lehrreich. — 368, 1 Jetzt, nach ein paar tagen, wird er
erst an den knecht mit den pferden denken! — 368, 13 fgg. Lachmann
Zu ULRICH VON LIECHTENSTEIN 221
hat im gesetzt, hauptsächlich wegen der nächsten verse 15 fgg., nicht
wegen der vorhergehenden, und hat daran recht getan. — 370, 17
€liz£ wcere ir alle xU gehax? vgl. 374, 1 fg. — 371, 31 fg. Er hat also
den Worten des knechtes nicht geglaubt, was bei der Unverschämtheit
der lüge, besonders 370, 25, nicht zu wundern war. — 375, 9 fgg.
Wenn die bürg so bewacht war, wie sind die früheren scenen bei der
Htz^ möglich gewesen? — 377, 22 Ich habe mich Ztschr. f. d. a. 26, 313
geirrt: es ist gewiss das niederösterreichische Wasserberg gemeint. Vgl.
oben zu 90, 8. — 383 nach 9 lese ich: sage allen mtnen daric der
m werden vroweti mtn — davon sind die genetive 12 abhängig. —
grosse lobpreisung der dame steht im 3. büchlein unmittelbar vor
deni. abbruch des Verhältnisses. Das bedenken des knappen 379, 5 fgg.
ist ^vrol nur das künstlerische verspiel dazu. — 393, 14 fgg. Der wünsch
S^ht also weiter. Mit dem 3. büchlein ist die sache eigentlich aus,
liöd XII steht dazu in derselben beziehung wie die spätesten lieder zu
den sie umgebenden epischen versen. — 395, 9 Die stelle ist merk-
^^tirdig. Fällt das einem junge^i dichter ein? — 397, 1 fgg. ist eigent-
lioh schon eine absage. Vgl. 403, 6. Die menge der hier aufgehäuf-
lieder ist ein zeichen, dass es nichts mehr zu erzählen gibt. —
, 12 fg. fasse ich durchaus nicht so wie Bechstein. Es stimmen ja
^ncli die lieder nicht damit, in denen doch eine solche gunst zuerst
^^m Vorschein kommen müsste. — 409, 19 fgg. ist ein klagelied, das
zur ianzweise schlecht passt und ebensowenig zu den versen 410, 26 fgg.
411, 27 fgg. Kann man sich wol denken, dass ein bisher so genau in
seinem verlaufe geschildertes verhältniss, Avie das erste Ulrichs, plötz-
lich so gar nichts zu berichten gibt, wie das hier der fall ist? —
41 X, 27 Die absage ist da schon vollzogen. — 413, 11 fgg. vgl. 415,
^1 fgg. Wahrscheinlich hatte die dame das missglückte rendezvous
'Jlrichs erzählt. — 418, 27 fgg. Ich denke, dass hier zuerst im Frauen-
^^nst die epischen Strophen ausdrücklich den inhalt des nächsten lie-
dös angeben. — Es wird dann bei den folgenden liedem allem anscheine
^^Cih auf das technische mehr gewicht gelegt. Ein Zusammenhang zwi-
^clx^n den erlebnissen des erzählers und dem Inhalte seiner lieder ist
'^^^^It mehr sichtbar. — 434, 11 fgg. Also ist wol auch dtis Frauenbuch
gesprochen mit ihr entstanden. Vgl. 442, 24 fgg. — 438, 10 fg.
Äier ist ein treibendes motiv für Ulrich das conventionelle, das ge-
^^IXschaftliche ansehen, dass man nämlich tut, was guter brauch ist. --
^^S, 6 fgg. Die ganze Überlegung zeigt, dass da von wirklicher neigung
^^1^«^ rede ist — 452, 19 Bezeugt sind im Steir. Urkdb.: Ortolfus de
(heute Stretweg bei Judenburg) 1220 — 45, Albertus 1220 —
1227, frater ejus Otto 1227. Dann Dltimarus et Chtmraditi
de Stretwieh als zeugen für einen vergleicli zwischen den bräd*
liechtenstein und dem kloster St. Lambrecht am 4. September
(2, 398). Ortolf, Dietmar, Konrad am 2. nov. 1245 in Kraubath. El
waren die nächsten nachbarn des' Liechtensteiners. — 453, 18 In der^
selben Urkunde von 1245 auch Chunradus de, Suvrotc, östlich von
Murau an der Miir. — 454, 4 Es ist, wie schon v. Earajan vermutete
und V. d. Hagen 4, 367 anni. 4 annahm, Piiks aus Piths verschiiebeo,
welches dem gange der darstellung angemessen ein wenig östlich T(m
Saurau gegen Selieitting zu liogt. Orisfän ist freilich im Steir. ürkdfa.
nicht zu belegen, auch bei Mnehar nicht. Aber es ist hier die unmit-
telbare nachbarschaft Ulrichs angeführt Auch der 454, 17 genannte
Eppensteiuer ist einer der nächsten nachbarn. — Im atigemeinen wird
jeder leser walirnehmen, um wie vieles weniger lebendig die Artnsfabrt
beschrieben ist als die Venusfahrt. Ein guter spass darf eben nicht
widerholt werden. ^ 455, 15 Kraubath liegt ungefähr in der mitte
des weges zwischen Knittelfeld und Leobeii. — 456, 0 fgg. Das ist wol
nur eine entschuldigung aus Verlegenheit. Ulrich verzichtet sonst und
auch später nicht auf die beschreibung seiner siege. — 45lS, 18 Brück
an der Leitha, das Berhstein meint, liegt wol nicht auf der steiriscJieai
Strasse, die hier über Brück an der Mur geht. — 458, 26 Ilermanntu
de Chrotendorf (oberhalb Eapicnberg an der Müi-z) ist in der schon
erwähnten Kraubather Urkunde vun 1245 als zeuge angeführt, 3t«lr.
ürkdb. 2, 575. — 458, 28 Ich zweifle, ob, wie v. Karajan will, der
Spiegelberger Heinrich, der 459, 20 tg. vorkommt und im Steir. Urkdb.
1218 — 1245 zu belegen ist, mit dem hier genannten Dietmar von
Mure einem hauso angehört Spiegelberg liegt nordwestlich oberhalb
Knittelfeld. Ulrich nennt ritter mit namen aus der tafeirunde {z. b.
den Eppensteiner 454, 21), von denen er nicht sagt, dass sie die be-
dingung erfüllt haben. — 459, 9 noch bezieht sich hier aufBnick. —
460, 20 Orfolf von Kapfetilierc schon richtig bei v. d. Hagen 4, 368
anm. 4. Er ist Steir. Urkdb. 2, 308 im jähre 1230 bezeugt, dann rub
dem jähre der Artusfahrt 1240 (s, 493. 495) am 15. juli zu Passail als
einer der vier Schiedsrichter über eine zehentsache, die der ben
von Stubenberg viililes suos nennt. — 461, 9 Landseo in Ungarn,
nördlich von Pinkafdd. Brrhengenis de Landcserc ist von 1197 ab
bezeugt, etwa bis 1250, wofern es derselbe ist Zwei siegel von ihn
aus den jähren 1249 und 1250 tafel 16. Sein brnder ist Rudolf ron
Stadeck. — 4fil, II Es gibt zwei Hohenwang, links und rechts tob
der Mürz zwischen Krieglach und Langenwang. Gemeint ist sicher dis
zu ÜLBIOH VON LIECHTENSTUN 223
am rechten ufer derMürz, eine bürg, dessen ruine noch steht. — 461, 27
Arnstein liegt in Niederösterreich, westlich von Wiener Neustadt. Im
Steir. Urkdb. ist nur ein Wichardiis nachgewiesen von 1233 — 1237,
sein Siegel tafel 7. Urkundlich heisst es Arensteine, vielleicht auch so
im vers. v. d. Hagen 4, 368 anm. 9 vennutet, ein söhn Ottos von A.,
Albere, sei hier gemeint, der um 1270 bezeugt ist. — 462, 28 wart?
Vgh Sprenger a. a. o. 178. — 465, 21 vgl. Steir. Reimchr. 6129. —
468, 25 Henricus pincerna de Hauchspach (Hausbach in Niederöster-
reicb östlich bei Glocknitz) ist im Steir. Urkdb. von 1241 — 46 nach-
gre\^iesen, siegel von 1244 tafel 11. — 469, 9 fgg. Die stelle des liedes
44:2, 3 fgg. ist also aufgefallen, das erklärt auch die parodierung durch
Steinmar. — 469, 22 fg. Die historische Stellung der beiden brüder
(naoh 26 fgg. besondere günstlinge herzog l'riedrichs IL), vornehmlich
Heinrichs in der steirischen Reimchronik (7202 fgg.), ist bekannt ge-
öug. — 472, 9 Zu V. Karajans anm. vgl., dass im Steir. Urkdb. 2, 112
IQ oioer Urkunde von 1204 ein Meinhardus de Vroberch nachgewiesen
ist, der wol zu alt für diesen hier wäre. — 472, 25 Ein DitHcus
^O'S^ho findet sich 1233 im Steir. Urkdb. 2, 414; er gehört aber nach
Kumten, somit schwerlich zu diesem geschlecht, vgl. v. d. Hagen 4, 372
^'^O:!. 1. — 472, 27 Diiricus pincerna de Dobra (Niederösterreich bei
^^a.ldreichs) ist im Steir. Urkdb. dreimal von 1243 — 45 bezeugt. —
'^'^3, 5 Das Steir. Urkdb. hat einen Ulrictis mareschalcus de Valchen-
^fe^nc 1217. 18 und Ber^nhardus frater ejm 1217. — 473, 15 Pott-
^^h^ich oberhalb Neunkirchen, Niederösterreich. Falsch bei v. d. Hagen
*5 373 anm. 4. — 474, 13 Vgl. Steir. Reimchr. 1321 fgg. — 474, 25
-^iti Rapoto de Valcheyiberch (Niederösterreich bei Zwettl) ist im Steir.
^^kdb. 2, 95 im jähre 1202 bezeugt, somit wol der vater des hier
^i"w ahnten. Drei Rapotos kommen in der Steir. Reimchr. vor. Ich
^^öTierke, dass die beschreibung der Venusfahrt von der des Artuszugs
^Gli auch dadurch unterscheidet, dass dieser häufig bei der ersten
^^'^v^ ähnung der ritter Charakterschilderungen beigegeben werden, die
^^^•^ fehlen. Vielleicht sollte dadurch das Interesse an den Vorgängen
^^l^st ersetzt werden, das diesmal mangelte. — 477, 2 CJiadoldus Waho
^^^ir. Urkdb. 2, 406 von 1233. v. Krones, Österr. Gesch. 1, 629. —
, 3 Das muss in dem fehlenden stehen, dass Dietmar von Liechten-
n den namen Oäwän gewonnen hat. — 494, 8 Im juni 1240 wurde
^^^^ herzog durch den päpstlichen legaten Albert Beham mit bann und
,^"^^rdict belegt, am 13. juli erfolgte das bündniss des herzogs mit den
rlich gesinnten bischöfen wider Baiem. — 495, 7 fgg. Die stelle
ailfisafii8sen wie Bechstein tut: die teilung geschieht nach dem
224 SCHÖNBACH
ränge. Allerdings mag nebenher noch wie beim tumier zu Friesai
gleichheit der kämpfer angestrebt worden sein. — 497, 11 fgg. D
früher am meisten gelobten finden sich jetzt in Ulrichs schar, umg
kehrt in der anderen die getadelten gegner. — 499, 27 Das wird kau
das oberösterreichische geschlecht sein, aus dem Steir. ürkdb. 2, 2
um 1215 ein Ulricus nachgewiesen ist — 510, 7 fgg. Die stelle i
ungemein bezeichnend für die poetisierung des Wächters im tageliede. •
510, 14 maget wird nämlich schon durch das geschlecht gehoben ui
geadelt. — 528, 4 Der Henricus Scriba (landschreiber) Sttfriae w
von Marein und ein söhn Reinberts von Mureck, später pfarrer V(
Gratwein bei Graz. Er ist von 1222 — 1243 bezeugt Aber der j
wahrscheinlich hier nicht gemeint, sondern der notarius Heinric^
Faba, der mit dem notaHus Ootscalcus am 1. märz 1246 eine urkun
herzog Friedrichs IL zu Himberg ausfertigt, Steir. ürkdb. 2, 581 fg.
544, 7 (gotes) llchnam ncmen heisst: kommunizieren. Vgl. über solc
kommunion in extremis Sattler, Die religiösen anschauungen Wolfrai
von Eschenbach (1895) s. 82 fg. — 589, 27 fgg. Das scheint doch e
sehr beachtcnsweiies selbstbekenntniss Ulrichs. — 593, 5 getihtet he«
also hier nur: ritterliche taten in eigener person von sich erzählt ha
Es sei mir gestattet, noch ein paar bcmerkungon zum „Fraue
buch" anzuschliessen. 601, 27 Wenngleich das gewand der frau ko:
bar ist, braucht es doch nicht gleich ein Überwurf von zobel zu se
xobel ist damals schon allgemeines wort für pelzwerk geworden, beso
dors für schwarzes, das nach 31 fg. gemeint ist — 603, 1 (601, 9)
beiden stellen ist jedesfalls, wie Lachmann annahm, dasselbe wort g
meint Aber Haupts emendation fülen (Ztschr. f. d. a. 15, 247)
unrichtig, weil die stelle der Litanei, auf die sie sich stützt, fals
aufgefasst ist. Und Lexeiis bloss auf die erste der beiden stellen si
beziehende erkläiung von füllen ^ „bedecken, bekleiden" 3, 563 ste
ganz vereinzelt Desgleichen kann ich an Sprengers wilen (Germ, c
180 fg.) nicht glauben. Etwa das verbum veliven? wullenen, wolle
trauergewänder anlegen, würde gut passen, wenn es belegt wäre.
605, 29 Witwen wählen otl das geistliche leben, d. h. sie nehmen d
Schleier einer nicht zu strengen religiösen genossenschaft statt ein zw*
tes mal zu heiraten. Das ist auch ein rat der kirche. — 606, 15
wird wol in die zu ändern sein. — 612, 2 1. und ex. ie man da ve
hiuit, — 612, 21 Die otymologie beruht darauf, dass kleine schon hait;
sächlich „klein, gering" heisst, nicht mehr „zierlich". Ähnlich sU
es heute mit den fällen, wo nur blumen geschenkt werden dür£4
Vgl. Wälsch. gast 1338 fgg. — 613, 1 Lachmanns änderung ist W
zu DLRIOH VON UEOHTESBTEIM U2ö
heilig walirscliemlich: tut die frau den schreio ihres herzens auf, dann
gibt sie ihrem liebhaber etwas, itire minne, heraus, nicht drio; 1, und
mSii im reine minnc, so kann sie trotz 612, 24 heissen, vgl. 613, 12. —
|d13, 8 trlhen = fürttreiben, austreiben, wie eiiiea leprosen. Vgl. Du
ICuge 5, 67: Loprosi. Vielleicht ist dabei auch an das feniininum irlbe
I gedacht, das Berthold von Regonsburg braucht. — 613, 21 sicaeheii
\ ^mmen wäre möglich trotK des Singulars iin folgenden verso. Jedes-
f falls sind hier beziehungen der ritterfraucn zu hausdienern und koech-
|tea gemeint Sie scheuten bei ritterlichen freunden die gefahren der
hiote 615, 27 fgg. — 614, 31 1. g. iu xuo g. — 615, 8 1. ie miniier. —
^16, 18 fgg. Vgl. Wilda, Strafrecht 858 fg., wo allerdings die hier an-
geriebenen strafen nicht vorkommen. Aber Osonbrügger hat im Alam.
8tr«»frecht die entsprechenden Sätze beigebracht. — 618, 11 fgg. Die
viei-te kategorie l&te<jiu wip sind nach 620, 7 fgg. 626, 27 fgg. 628, 14
un. "verheiratete ihrem vermögen nach selbständige ft-auen, die über sich
selbst verfügen dürfen, unter keiner Vormundschaft stehen. Auch die
fünfte gruppe fritnidhi scheinen unverheiratet, maitressen 620, 13 fgg.
628, 31 fgg. mit 17 von rehlc sind hören ausgeschlossen. — 618, 32
nia/i der hs, kann bleiben. — 619, 11 Vielleicht wan erx,. — Zu 622,
7. 9. 11. 13. 17 ist zu vergleichen Freidank 60, 13. 88, 26. 90, 5. 26;
t**, 14. 90, 7; 90, 1. 88, 25; 89, 3. — 622, 16 I. des top im üf da
f*Qfte gäl. — 624, 7 fgg. Der unterschied zwischen dem ersten und
zweiten falle liegt iu der grösseren dringlichkeit, mit der hier der rat
gegeben wird. — 625, 19 1. ßegt sich —. — 629, 13. 15 I. «»7 si
**"'» ab HÜii xe koaeinan (Lexer 1, 1673) — aß sols doch lös mit im
•* »in. Vgl, 632, 3 Ws = kokett. Denn das adj. mitlös wäre in einer
*6lse gebildet, wie sie mhd. sonst nicht vorkommt; niitesam ist nicht
^ vergleichen. — 630, 20 1. dax er si xe — . — 634, 1 1. u?id läl
«»- libes e. phl — 634, 6 I. dax, Mi man für u. n. — 636, 2 l
gfjpit, so jage, sv jage 6t dar. — 636, 13 I. dax bewiirai. —
20 Vielleicht von der h. h., denn die ewige Seligkeit vor gott zu
"o-utje setzen, wäre doch wunderlich, — 638, 29 guot vor wip wird
reimwort des fehlenden verses sein. Vgl. 639, 9. 16. — 640,22 %g.
^1- MSF. 23, 11 fg. — 642, 1 siht einzuschalten ist bei der bescbaf-
"^^oit von Ulrichs versen überflüssig. — 644, 3 fgg. Die rollen sind
. *"t*»uBcht, die komposition geht in die brüche.
OR.VZ, FASINAC
ASTON B. SCHÖ.VBACU.
226 SCHÖNR
ZUM GOETHETEXT.
1. Band 26 der Weimarer ausgäbe enthält den ersten t
„Dichtung und Wahrheit" und am Schlüsse den abdruck eines
schriftlichen auszuges von „Manon Lescaut", der von Riemen
vermutlich unter Goethes diktat, geschrieben und von Goethe m
Stift durchkorrigiert, schliesslich aber doch nicht in die biograpl:
genommen worden ist. Den schluss desselben bilden (s. 381) die
„ Der mittelmässigste Roman ist noch immer besser als die
massigen Leser; ja der schlechteste participirt etwas von der V
lichkeit des ganzen Genies."
Die kurze bemerkung über den Zusammenhang habe i
interesse des lesers vorausgeschickt, und füge nun noch hinzu
man das Riemerscho blatt getrost noch einmal prüfen möge, i
richtige lesung zu finden. Denn „des ganzen Genies" ist unve
lieh, aber Riemer hat zweifellos geschrieben: „des ganzen Gern
2. Ich habe den eindruck, dass die Schriften der Goethe -
Schaft sehr sorgfältig korrigiert werden und erinnere mich nicht
störenden druckfehlern begegnet zu sein. Darum sei kurz bemerk
bd. 2 s. 166 oben es natürlich heissen muss:
„Der sumpfige Theil ist mit einem Wassergras bewachse
muss sich auch dadurch nach und nach heben, obgleich Ebl
Fluth beständig daran rupfen und wühlen und der Vegetation
Ruhe lassen."
Im druck steht haben statt heben.
3. Dagegen will ich noch auf ein unliebsames versehen au
sam machen, das zwai* nicht einen Goetliischen text selbst ges<
hat, aber doch einen auf den dichter bezüglichen bericht är
entstellt
Im Goethe -Jahrbuch bd. 14, 1893 hat 0. Günther brie:
Lotte Kestuer und ihrer tochter Clara veröffentlicht, welche übei
besuch in Weimar im jähre 1816 und über ihre persönlichen bei
gen mit Goethe nachricht geben. Leider fehlt jede nähere angab
diese briefe, und es ist nicht einmal gesagt, wo und in welcher
lung sie sich befinden.
Auf s. 286 (mitte) schreibt Clara Kestner über einen besu
Goethe unter anderem folgendes:
„Nach Tisch fragte ich nach einer sehr schönen Zeichnui
immer meine Äugen auf sich zog, er Hess sie mir herunter n
ZUM GOKTHJSTEXT 227
und erzählte mir sehr artig die Geschichte davon, sie war von einer
dame, Julien dachte er mit grosser Auszeichnung und besonders ihres
Talents/
So steht gedruckt, und es liegt auf der hand, dass der satz durch
eine lücke hinter dem werte Julien unverständlich geworden ist
iMöglich wäre, dass in der druckerei eine zeile ausgefallen ist; aber
^^wahrscheinlicher ist, dass der fehler im manuskript begangen wurde-
Uach „Julien" ergänzt sich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit: „von
EglofTstein", und sehr viel mehr als etwa: „dieser dame" wird im fol-
greflden schwerlich ausgefallen sein, so dass wahrscheinlich eine zeile
übersprungen worden ist, als man von dem Originalbriefe abschrift
nalixn. Vermutungsweise wird man also ergänzen können:
... „sie war von einer Dame, Julien (von EglofFstein. Dieser
JDanae ge-) dachte er mit grosser Auszeichnung" usw.
Vielleicht ist es der mühe wert, noch auf eine kleinigkeit hinzu-
'W'eisen, welche als ein gutes beispiel für die wandelungen des sprach-
g6l>xauchs gelten kann.
Am Schlüsse jenes aufsatzes (s. 289) wird aus einem briefe von
ClÄxa Kestner noch eine äusserung ihrer mutter mitgeteilt: In Weimar
falle ihr besonders noch eins auf: „man hat hier so fatale Vorurtheile
gogen den Adel, viel ärger als bei uns."
Erwägt man den Zusammenhang, die persönlichkeiten von mutter
vuad tochter Kestner und vor allem die bekannten damaligen gesell-
schaftlichen zustände von Weimar wie von Hannover, so können diese
Worte unmöglich etwas anderes, als verurteile zu gunsten des adels,
l^övorzugung des adels bedeuten.
Heutzutage dagegen würde der ausdruck verurteile gegen den
^^l in keinem anderen als im feindseligen sinne verstanden werden
können.
KIEL, AFBIL 1895. A. SCHÖNE.
15'
OSKAR ERDMANN.
(Gcdäclitnis warte, gesprochen um 17. juui 180^ tn der sula der Universität zu 1
Hochanselmüche vorsamiiiluDgt Wälirend unsere stadt die letzte band anlegt,
am sich xa dem grossen, nahe beverstelieDdeu feste zu scbmückeu, und üboraU fr^-
lich die ftaggeu und wiuipel flattern, liat unsere Universität ihre fahne auf lialbmwt
geliisst, um einem ihrer mitglieder die letzte ehre za erweisen. Zum zweiten male .
innerhalb weniger inoiidea hat die philosophische faknltSt aai mit ihr die gosammta
hocIiBchule den tod eines hochverdiontoD und hochgeachteten golehrteu zu beklagen,
und der frische vertust ruft noch einmal die erinnerung an den vorausgegange-
noD coUegoQ wach, zumal da das leben und das Schicksal der beiden, die so schnell
sich gefolgt sind, in so merkwürdiger woise übereinstimmen. Beide sind der deal-
schen ostmark entsprossen, die iu grauer vorzeit die lieimat des reichbegabteBteo nul
KUglciub unglücklichsten gennanischeu Stammes genesen ist, dann aber für jahrinm-
derte von Litauom und Slaven überschwemmt war, bis das schwurt der onlensiittv
den altgermunisehen boden für Deutsehland und die deutsche cultur zurückgewuo;
heider wiegen standen in protestantischen pfarrhtusern , die unserem volle sehen*
viele hervorragende männcr erlogen haben-, beide, die auf der Berliner univereitlt
als studierende gemeinsame ziele verfolgten und hier auch persönlich sich nahe trttu,
babcn, nauhdem sie längere zeit im schulfaehe tatig waren, durch opfer und entbeii-
nmgeu init eiserner energie den weg zu der akademischen lauflialui sich eröffnet, w
sind dann endlich hier wider zusammengetroffen, um noch eino kurze reihe von jib-
ren segensreich neben einander zu wirken — und beide, die fast noch auf der sät
tagshöhe des lebens standen, hat nun kurz hintereinander ein jäher tod eraiU:
Gustav Glogan, nachdem er kaum den geheiligten boden Attitaa, das land aaan
Sehnsucht, betreten, wird dort das opfer eines grausamen missgeschiokes, und Oakic
Erdmano kehrt aus dem deutscheu Athen, wo jetzt alljährlich in der liebiiciliaii
pfingstzeit die (Joethegemeinde dem andenken an den grössten genius unseres Tollifl
pietätvoll huldigt, aus doD idyllischen tälem Thüiingens, in denen er erholuiig «>
finden hoffte, zu dem hüuslicben herdo nur zurück, um hier zu storben.
Die lubensgesohichtc unseres verowigten oollogen ist einfach, wie dies b«i deut-
schen gelehrten zu soiu pQegt. Hermann Oskar Theodor Erdmann wurdft am
U. febnutr 184U zu Thurn geboren, der altchru'üi'digen WeichsehitAdt, von ilei
ja gegenwartig, seit Gustav Froyiag sio so anschaulich geschildert, alle gebil-
deten ein greifbares bild vor äugen haben. Sein vater', aus einem alten pred^r*
geschlechte stammend — schon der grosgvater und der urgrossvater unseres freamtw
waren geistlloha gewesen — wirkte dort seit mehreren jähren als pfairer au der nev
städtischen kircho, wurde aber schon 1855 nach Altfelde im Marienburger wordw
versetzt Von ihm empfieng der knabe den ersten unteriicht, bis er 1859, (ut die
secunda reif, das Thoruer gymnasium bezog. Hier wird Wilhelm Arthur Faseaw
(der söhn des Breslauer philologeu), der erst vor kurzem als direkter aa die etwas
verwahrloste anstalt berufen war und sie schnell zur blute bi'acbte, in Erdmann 4ia
liehe zur altertumswissensohan geweckt oder die von dem geistig bedeutenden vatet
gelogton keime duruh die macht seiner persünlichkeit, die uiif keinen der
Bchülor ihre Wirkung verfehlte, gefördert haben. Nach glänzend bestandenem
ritätsexamon gieng Erdmann im herbst 1863 nach Leipzig, um klassiscfae
gernianisdio philologie zq studieren. Ton den profesBoren, die dfunsls dort lehrten,
acheinen ihn Zarncke dnrcb die sprudelnde leboudigkeit seiaeB geiBtroUen Vortrages
erg Curtius durch seine ruhige klarheit besonders angezogen eu beben, da
«r keine Vorlesung, die von diesen beiden angekündigt wurde, versäumte; dass aber
der ideal ungelegte Jüngling sich nicbt darauf beBohränlite, das tu hören, was für
examen und amt unbedingt notig war, ventoht sieb von selbst: so Hess er von
Joh. Overbock dtm Verständnis für die bcrrlichkeit der bellonisahen kunst sich erofT-
nen und erstreckte auf dem germanistischen gebiete seine stndien auob auf das damals
infolge der unzureichenden hilfsmitte! nooh schwer zugiiogliche altnordiscbe. An
r Bttriiner boubschule, die er im herbst 1865 bezog, waren Hüllenhoff, der
bedeatenden einfluss auf ihn gewann, Mor. Haupt, Kirchhoff, Trendelenburg
intlial seine lebrer, Ibreo abachluss fanden seine akademischen Studien
<Uf der Universität der heimatlichen provinz, an der er die letzten beiden Homester
gerbst 66 bis herbst 6T) verbrachte; hier bat Oskar Schade, der in seinen semi-
■trübUDgen mit besonderer verliebe Otftid zu interpretieren pfiegte, Erdmanns
mteresse für die ahd. Messiado erregt, der er später eine so erfolgreiche tatigkeit
mgowendet hat; ausserdem börto er nur noch Lebrs, FriedlKnder und den lüsto-
tiker Nitzsch, einst auch die zierde unserer Christiana-AIborlina, mit dem er vou
nütterlioher seite verwandt war'. Im herbst 1S07 promovierte er zu Königsberg mit
lüieT Abhandlung über die syntax des Pindar' — die wähl des Stoffes Ist symptoma-
bBob, da s}-otaktische Untersuchungen das hauptgebiet seiner forschong geblieben sind,
Sn derselben zeit bestand er auch das examen pro facultate doo-endi, unterrichtete
itihrend seines probojohrs am Friedrichscollegium zu EQuigsherg und ward 1S68 au
gjrmiiasium zn Graudens angestellt, wo er wenige jabro darauf (1871) auch einen
«igenen hausstand begründete.
Hier in Graudenz kam ihm — es war eine fügung, die für sein späteres schiuk-
1 eDtscboidond sein sollte — das preisaussclireiben der Wiener akademie vom 28. niai
1869 in die bände, die eine testamentarisch gestiftete summe von 500 gülden für eine
daTBtelioDg von Ütfrids syntax ausBetzte*. Erdmann, der kurz vorher schon eine
Uedne Studie über Otfrid veröffentlicht hatte', war sofort entschlossen sich um die-
I preis zu bewerben, und es gelang ihm, trotz der vielfachen arbeit, die das
jchnlamt ihm auferlegte, mit aufbietuog aller seiner krüfto das werk rechtzeitig su
rvollendeo und einzuschicken. Der erfolg war mehr als zweifelbaft — denn es war
Wonnszusehen, dass anerkannte kenner Otfrids an der eoncurrenz sich beteiligen wür-
den. Um so grösser war die freude, als im sommor 1871 von Wien die nachriebt
, dass Erdmann, der unbekannte gymnssiallehrer, die palme errungen habe.
Su« ,ÜDtotsuchungen über die syntax der spräche Otfrids", welche 1874 — 76 in
"1 bSnden zu Halle erschienen and von der kritik mit einstiminigem lobe begrüsat
anirdon*, lenkten dann die auTmerksamkoit weiterer kreise auf den Jungen Verfasser.
"rofeesor Julius Zacher in Halle, der kurz zuvor eine Sammlung eommentierler
gaben von altdeutschen litteraturdenkmälorn ins loben gerufen hatte, übertmg ihm
IBr diese „Oermauie tische handbibb'othek" die bearteitung des Otfnd. Um diese aus-
, war eine nochmalige vergleicbung der handsohriften nubediegt erforderlich.
, der inawischen (187i) an das neubegründete Wilhelma-gymnasium in Ko-
i berufen war, wo er bald zum Oberlehrer aufrüukte, □ntemabm dosliolb im
r 1879 eine reise nacb Wien, wo er die dort beflodliche, wahrscheiolicb von
Otfrid eigenhändig covrigierte handscbrift geuau untersuchte und im anregenden ver-
kohr mit den dortigen gelehrton genussreiohe wochen, die tir selbst immer zu den
scbÖDsten seine« lebons gerechnet hat, vethmchte. Dio Ileidelberger haadschiift dnrfis
er durult die donliODSwerlo liberalitlit der groasherzogl, bibliothokBTenraltang in Kä-
nigsberg selbst bcoatzco. Dia ^rgeliuisBo dieser Douen collationea stellte Entmann in
aoinor Bciirifl: ,Ühei' die 'Wiener und Heidelberger huidschrirt des Otfrid' zosanun«»,
die infolge oinea gutachtona vou MüllenliofE 1880 in den abhaadlongen der königL
akademie der wissenBchnften zu Berlin verüfFontlicbt ward'. Zwei jähre Epator erachiea
dann bereits die grosse, mit variantenapparat, ausfühi'licher eiiileituug tiad reichhal-
tigem commoDtar versehene ausgäbe in der „OennanisL handbibliothek* (llall« 1882),
und fast gleichzeitig auuh ein kleiner, für den gebrauch in vorleaungon bestimmte
abdiack des textea mit kurzem glossar'.
Der erfolg, den diese iiissenschafdichen pnblroationen hatten, and dor ^äiik>
liebe umstand, diiss Erdmann in einer Universitätsstadt angestellt war, hatten ihn
inzwi.'vhen tu dem entschlösse bewogen, seine krüFle nnd fühigkeiton auch der stu-
dierenden Jugend nutzbar m machen. Er habilitierte sich daher im sommor 1863 in
Königsberg uod eröFhete seine akademische tätigkeit am 20. juni mit einer oatritt»-
Vorlesung über die geschichtliche ontwickelung der deutschon sjntax. Aber die lasten,
die der do])pelto beruf ihm anferlegte, maohten sich bald fühlbar, und er b«igräs6te
es daher als eine ei'lösang, als er im sommer 1685 als ausserordentlicher profesaiB'
nach Breslou beruron ward, wenn auch seine materielle lago dadurch nicht nnar-
heblich sich verschlechterte. Zunächst aber machte, nachdem die übersiedelnog
erfolgt war, der gesundlieitszustand Erdmanos einen lungeren aufenthalt in einem
Bchlesiachon kurorto notwendig, der ihti anschomend wider herstellte, aber ein ver-
borgenes übel nicht mehr vollständig beseitigen konnte. Scheu ehe er der kur sicft
unterzog, war trotz der körperlichen leiden der erste band seiner Ginindzäge der denU
Hchon Syntax üum abschlusse gebracht worden; er ei'schien 1886 sn Stattgart*. Bv
zweite band ist, obgleich die vorarbeiten doxu längst vollendet sind — die sarani-
lungen für das werk halte er bereits als gymnasiallehrer begonnen — leider Dtdit
erschionen, doch ist aussieht vorhanden, daas ein schülor des v erat orbonen aofgnuid
dos nachgelassenen bandseh riftlichon materials das werk vollenden wird". — DicM
Oniudzüge sind das letzte buch, das Erdmann verölfentiiebte; weder in seinen Btw-
lauer jahrou, wo er, nm seine einnahmen zu vermehren, die leitung einer bollotii-
Btisehen monatsscbrift" übernommen hatte, noch hier in Eiel, wo er als iMihteiga
Vugts, nachdem or schon früher einmal vorgeschlagen war, seit dem Kerbst 1889
als ordentlicher professor gewirkt hat, hat er Sammlung und maSGe zu andauern-
der produktiver arbeit finden küuuon — die berufsgesehafte, neue Vorlesungen, ext-
mina, hier in Eiel dann auch die leitong der Zeitsohrilt für deutsche Philolo-
gie, in deren redaction er auf meine bitte unmittelbar nach seiner übutsiedelnng
hierher eintrat und für die er mit unermüdlichem eifer und soltenem organtsida-
risohem goschiok tütig war, wie er auch diu-ch eigene kleine aufsätze und reccnsiooen do
förderte" — alles dies war vollauf genügend, seine kiüfto zunächst ganz in ansprach
EU nehmen. Als er sich in den neuen Verhältnissen eingerichtet hatte und freiar sa
atmen bognun, fasste er den plan zu einer ausgäbe des Uartmaunsohen Gregorioa, in
welcher die neuentdeckten h and Schriften , die er bereits copiert oder verglichen bfttlo,
Eur liersfellnng eines liritisohen textos vei-weadet werden sollten, gab das nntem^
men aber auf, sobald er erfuhr, dass ein anderer gelehrter für dasselbe werk bereits
umfangreiche voroi'beiten gemacht habe". Da wurde im vorigeu jähre von der faä-
teudeu stelle aus die anfrage an ihn gerichtet, oh er bereit sei, an dem ji^i imbu
aationklwerke mitzuwirken, das die begründer unserer Wissenschaft, die gebritte
Grimm, begomieD haben und liaa noch immer der vollendiing harrt — und noch kur*
aem sghwaDken sagte or zu. Mit grösster begaistei-UDg nahm er sogleiah die arbeit
dem Dcataciien wörtorbucho auf, Tür das er den von Lexer noch uieht erledigten
des T und das TJ übernommen liatte, und wir durften hoffen, zumal ihm auf
m woQSch eine jüngere kralt als heiter und niiUrbtiter an die seite gesetzt wor-
war, dass die ersten lieferungen von Eeinor iiand uns bald TOiüegen würden.
Auch diese hoffnung hat sein vorzeitiger tod vereitelt, und der absohloes des liesen-
werkes, an dem nun schon fast ein halbes Jahrhundert hindurch eine generation nach
der anderen arbeitet, Ist wider weitet in unabsehbare ferne goriickt.
War somit die wisse QSchaftliche tütigkeit Eidmacns in seinen letzten lebeciB-
d erfolg seines afca-
II erfreuten steh seine Vorlesungen
; über altdeutsche grammatik und
mittolhochdeutaohen zeit (Otfiid,
nen collegien auch mit besonderer
r litteratiir, Lessing, Uoethe'
jfthren eine beschränkte, se hat e
sehen lehramtes gewaltet. Schon in Breslau
«Ines lebhaften Zuspruches. Er las dort nicht t
xaetrik and über hervorragende werke der alt- u
Bjuiniann, Gudrun"), sondern er behandelte in i
irliebe die beroen der zweiten hlütenepocho uns
id Schiller; ood dass er hier seinem auditorium reiche Anregungen bot, beweist die
imor steigende zahl der oommilitonen, die um sein katheder sich scharten und keines-
^ der philosophischen fokultät allein angehörten. Hier in Eiel hat er dann den ki-eis
rorlesungen noch beträchtlicii erweitert Vor allem sind hier zu nennen die
össerea litteraturgeschichtlichen collegia über die ältere poriode bis zur teforniation
id über das 18. Jahrhundert, das ihm durch spedalstudien besonders verb-aut war —
gehörte zu den wenigen, die Klopstook" nicht nur gelesen, sondern ginindhcb
idiert haben und von seiner genauen bekanntschaft mit der epoche der stüimer und
Ittiger zeugen zwei kleine noch in Königsberg verfasste ahhandlungen über Klin-
r" sowie mehi'ere recensionen in gelelirten Zeitschriften" — femer eine ausfübr-
ihe Vorlesung über das Nibelungenlied" nnd ein publicum über stoFf und methode
s deutschen Unterrichts, einen gegenständ, über den er infolge seiner laugjährigen
tigkeit als praktischer schulmann semen zuhörem die reichsten erfahrungon und die
achtbarsten winke für ihren späteren beruf mitzuteilen im stände war".
Auch in diesem Semester hatte er wider einen verhältnismässig grossen kreis
rabogieriger und dankbarer suhüler um sich versammelt, daneu er den eutwioke-
ngsgang unserer litteratnr im vorigen Jahrhundert sohilderto und in seinem Seminar
3as vollendetste werk des hebeuswurdigen Hartmann von Aue erklärte, an dem seit
tten tagen Karl Laehmanns schon unzählige jünger der nationalen Wissenschaft die
Iberhelle mbd. spi'ocho und die regeln ihres fein durchgebildeten verebaus gelernt
id in der methode der textkritik sieh geübt haben. Waren die Vorbereitungen für
aee votlesougeu und die redactionsgesohfifto erledigt, so sass Erduiann bis tief in
B nacht in emsiger arbeit an dem wörterbuche. Nach so angestrengter tätigkeit
itte er das bedüi-fnis, sobald ferien ointiatuu, dui'ch kleinere reisen sich zu erho-
0 nnd aufzufrischen. So begrüasto er denn auch diesmal dos herannahen des
pfingstfestes mit freuden. Er wollte die wenigen tage dazu benutzen, um in Berlin
nnd Halle liebe verwandte und freunde zu besuchen, einen kurzen ausDug iu das
ramanliscbe tal der Schwarza zu machen und schUesslioh in Weimar an der general-
Tersammlung der Goethe - gesellschaft teilzunehmen. Fröblichea horzens trat er die
lae an und führte sie seinem plane entsiirechend aus. Noch in Weimar war er
laeheintjnd rüllig gesund und verkclii-te heiter mit den freunden und fachgcnossen,
B er dort vorfand. Aber auf der heimfahi-t stellte sich ein heftiges übelbefinden
232 GEBING
oin, uud als er in dor naclit vom 10. zum 11. hier angelangt war, £uid derim
morgen horbeigomfoiio hausarzt den zustand schon so bedenklich, dass er den bei-
rat eines älteren collcgen glaubte in anspruch nehmen zu müssen. Alle angewandten
mittel erwiesen sich als erfolglos, und am mittwoch ward es den behandelnden inten
klar, dass, wenn eine rettung überhaupt noch möglich sei, diese nur durch eine
Operation herbcigcfülirt werden könne. Mit männlicher ruhe und kaltblütigkeit gab
dor kranke seine ein willigung zu diesem letzten, verzweifelten versuche, der leider
vergeblich war. Am abend des 13. ist er sanft entschlafen , nachdem er vor wenigen
monaton das 49. lebensjahr vollendet hatte.
Dieses vorzeitig abgeschlossene leben hätte noch schöne fruchte zeitigen kön-
nen, aber es ist, so kurz es war, schon ein reiches und gesegnetes gewesen, iof
eine ehrende en/vähnung in den Jahrbüchern der gormanischen philologie würde Erd-
mannschon anspruch machen können , wenn er nichts als seine Untersuchung über die
handschriften des Otfrid voröfTontlicht hätte, über deren gegenseitiges Verhältnis vor-
her verschiedene meinungon bestanden hatten, wenn auch Lachmanns genialer intni-
tion die priorität des AVicner codex bereits klar geworden war und auch Kelle sch(m
mit gewichtigen gründen behauptet hatte, dass dieselbe handschrift die quelle der
übrigen gewesen sei. Das richtige ist hier durch Erdmann, der die verschiedenen
in den beiden Codices erkennbaren schreiberhände zuerst genau unterschied, mit vol-
ler evidcnz endgiltig festgestellt worden. Als ein geradezu bahnbrechendes werk ist
sodann seine Otfridsyntax zu bezeichnen, in der auf einem lange vemachlSssigten
gebiete, das bekanntlich auch Jacob Grimm in seiner Deutschen grammatik nicht
vollständig durchmessen hatte, eine musterleistung schuf, an die nachher zahlreiche
nach folger, berufene und unbeioifene, angeknüpft haben, — und ebenso musteiluft
ist seine grosse Otfridausgabe durch die liebevolle Versenkung in den geist des alten
elsassischen dichters, die sorgfältige beobachtung seines Sprachgebrauches und seiner
verskunst, und die nach Weisung der mitunter schwer zu ermittelnden quellen. Sodann
hat Erdmann in seinen Gmndzügen zum ersten male seit Jac. Grimm wider eine
comparative behandlung der deutschen syntax versucht, freilich, da er nur das goti-
sche und die drei peiioden des hochdeutschen in den ki-eis seiner betrachtung zog, in
weit engeren grenzen , als sie des grossen meisters weitsohauender blick umspannte —
dafür aber auch mit eingehenderer erörtei-ung der details.
Unsere Universität, an der er kaum sechs jahi'e gelehrt hat, vnrd dem dahinge-
schiedenen ein dankbares andenken bewaliren, und allen, die ihn kannten und schätz-
ten, wird der treue freund, der gerade und furchtlose mann, der aus seinen antipa-
thicu kein hehl machte, aber auch mit warmer anerkennung des guten und tüchtigen
nicht kargte, der ehrliche, besonnene, zuverlässige forscher unvergesslich seio. Nicht
vergebens hat er gelebt, und ich möchte glauben, dass er dem finsteren Schnitter,
dessen band er über sich sah, deswegen so fest ins äuge bh'ckte, weil dieser tröstende
gedauke ilm umschwebte. Denn wenn es etwas gibt, das uns mit dor niohtigkett
und Vergänglichkeit des lebeus zu versöhnen im stände ist, so ist es das bewusstsein
treu erfüllter pflicht und die hoffnung, dass von den Samenkörnern, die wir aus-
gestreut, das eine oder das andere aufgehe und fruchte trage.
Anmerkungen.
1) Hans Hermann Siegfried Albert Erdmann, geb. 30. december 1815 la Alt-
felde, 1842 Prediger der St. Georgengemeinde zu Thom, 1849 nach Altfelde
NRKKOLOa 233
1855 superiDteDdent daselbst, dann in Fr. Holland, schliosslich (seit 1873) in Tilsit,
i?fo er am 27. febr. 1882 starb. Vgl. den nokrolog im (Königsberger) Evangelischen
gemeindoblatt XXXVU (1882) nr. 11.
2) Erdmann gehört zu der nachkommonschaft des Wittenberger general-
suporintendenten Karl Ludwig Nitzsch (1751 — 1831), die eine als nianuscript für
die familio gedruckte „Übersicht* von G. Stier (3. ausg., Zerbst 1884) verzeichnet.
£iDO verhältnissmässig grosso zahl namhafter gelehrten ist diesom goschlcchto ent-
sprossen: ausser dem im texte genannton historiker Nitzsch der zoologe Chr. Lud-
wig Nitzsch in HaUe (1782-1837), dio theologen Karl Iram. Nitzsch (1787 —
1868; prof. in Berlin) und Friodr. Aug. Berthold Nitzsch (prof. in Kiel); der
Philologe Greg. Wilh. Nitzsch (1790 — 1861, prof. in lioipzig); der kürzlich ver-
storbene g>'mnasialdiroktor und schuli-at Gottl. Stier in Dessau (1825 — 95); der
physiolog Felix Hoppe-Soyler (prof. in Strassburg); der germanist Fricdr. Vogt
<j)rof. in Breslau) u. a.
3) De Pindari usu syntactico. Halle 1867. 8.
4) S. Ztsch. VI, 252.
5) Bemerkungen zu Otfrid. Ztschr. I, 437 — 42.
6) Vgl. L. Tobler, Ztschr. VI, 243 — 48; E. Windisch, JLZ 1874 nr. 45; 1876
nr. 49; P. Piper, Germania XIX, 437 — 43; llolzmann, Ztschr. f. völkerpsychol. VIIT, 4;
I. Kölbing, Litt, contr. -bl. 1877 nr. 3; Revue critiquo 1876 nr. 22.
7) Vgl. J. Zacher, Ztschr. XII, 496 — 500.
8) Ein ausschnitt aus dem Otfridcommentar war bereits in den Beiträgen zur
deutschen philologie (Halle 1880) s. 85— 118 mitgeteilt worden. Die übrigen publi-
cationen Erdmanns zur Otfridphilologio stelle ich nachstehend kurz zusammen: Über
Otfrid II, 1, 1—38 (Progr. des gymnaaiums zu Graudonz 1873). Zur erklärang Ot-
frids, Ztschr. V, 338—49. VI, 446— 49. Zur abwehr in Sachen Otfrids, Litt, contr.-
bl. 1882, sp. 982 nnd Litt, blatt f. germ. u. rom. phil. 1882, sp. 293 fg. Anzeige von:
Otfrids Evangelienbuch hsg. von P.Piper, Ztschr. XI, 80 — 126. Anzeige von Kelle,
Glossar zu Otfrids Evangolienbuch, Ztschr. XI, 238 — 39. Kleine nachtrage zu Otfrid,
Ztschr. XVI, 70. Anzeige von: P. Schütze, Beiträge zur poctik Otfrids, Ztschr. XX,
380 — 81. Anzeige von: lioeck, Die homilien- Sammlung des Paulus Diaconus dio
unmittelbare vorläge Otfrids, Ztschr. XXIII, 474 — 75. Anzeige von: Tesch, Zur
cntstehungsgeschichte des Evangelionbuches von Otfrid, Ztschr. XXIV, 120—122.
Anzeige von: Ingenbleek, Der einfluss des reimcs auf Otfrids spräche, Anz. f. d. alt
VI, 219 — 21. Anzeige von: Sobel, Die accente in Otfrids Evangelienbuch , Anz. f.d.
alt. EX, 239—41.
9^ Die ungünstigen Verhältnisse, die während der ausarbeitung des buches
obwalteten, haben leider den Verfasser verhindert', seine materialsam mlungcn zu ver-
vollständigen (wie denn das niederdeutsche und die litteratur des 15. Jahrhunderts
gänzlich unberücksichtigt geblieben sind) und verschiedene kleine Unebenheiten ver-
anlasst Gleich wol sind dio scharfen angriffe, die einzelne kritiker gegen das werk
richteten, zum grösseren teile unberechtigt. Vgl. H. Paul, Litt, centr.-bl. 1886, nr. 5;
O. Behaghel, litt bl. f. germ. u. roman. phil. 1887, nr. 5; John Ries, Deutsche lit
ztg. 1887, nr. 20; K. Tomanetz, Anz. f. d. alt. XIV, 1 — 32 und Ztschr. f. d. österr.
gymnasien XXXIX, 72—76; H. Klinghardt, Ztschr. f. d. phil. XXI, 110—116;
£. Martin, Ztschr. f. d. deutschen Unterricht I, 562 fgg. Auf zwei dieser recensionen
hat Erdmann sich veranlasst gesehen zu antworten: s. Litt. bl. f. germ. u. rom. phi-
loL 1887, sp. 328—29 und Deutsche litt. -ztg. 1887 nr. 26.
234 GDtIKQ
10) Wie eifrig Enimann allo neuoron erecheinungen anf dem gebiete der daot-
sehen syotaxTei'folgte, beweist die stattüohc miho von rccoDsiooeD, die er in anMre
zeitacliiift und in den Anzeiger fni' deutaohes altertnra liofcrte: Anzeige von: Barak-
linrdt, Per gotische coi^jnnctiv , Ztsohr. IV, 455— üO; von: A. Kühler, Der syntfiküschs
gohmnoh des Optativs im gotischen, Ztschr. V, 21S — 216; von: Piper, Über dao
gebrauch des dativa im üUilas, Helinnd und Otfrid — Holler, Über den iustnuneD-
t^ im Heliaud und das homerische sufüx )fi — Arndt, Versuch einer zasammenBlel*
liuig der altsUchs. declinaliou nud ooujugutJoD und der wichtigsten regeln der synbu,
Ztschr. VI, 120—126; von: Apett, Bemerkungea über dco aco. o. inf. im ahd. und
mhd., Ztachr. VII, 244—40: von: Kyoast, Die temporalen adverbiabätze bei Hart-
manu von Aue, Ztschr. XIII, 128; von: Boetteben, Der zusammengesetzte satz bei
Bertliold von EegensUirg, Ztschr. XVII, 128; von: Ullaperger, Über den modusge-
brauch iu nibd. relativ sützen-, von: Wunderlich, über den satzbau Luthers, Zteoht.
XXn, 491—93; von: Scbachinger, Die coogrucnz in dor nibd, spräche, Ztschr.
XXm, 378—79; tob: Wunderlich, Der deutsche satzhau, Ztschr. XXVI, 275— 7!l
von: Poeschel: Die Stellung des Zeitwortes nach und, Ztschr. SXVII, 2(J0 — 72; v«;
Behaghel: Die modi im Heliand, Anz. f. d. alt. IH, 79—86; von: Book, Über einigt
fülle dos coigunativB, Anz. F. d. alt IV, 342—51; von: Behaghel, Die Zeitfolge <hir
abhängigen rede im doutschoD, Anz. f. d. alt V, 361 — 71; von: Tomanetz, Die r^
tivsätze bei den ahd. Übersetzern des 8. and 9. Jahrhunderts, Anz. f. d. alt V, 371—
373; von: ßost, Die syntax des dativos im abd. und in don geistlichen diohtoi^
der Übergangsperiode znni mhd., Auz. f. d. alt. VI, 87—88; von: Maurer, Diewidw-
holnng als priucip dor bilduug von relativsiltzen im ahd., Anz. f. d. alt VII, 195— Ml
von: Hies, Subject und praediotttsverbum im üeliand, Anz. E. d. alt. Vll, 191—95;
von: Hittmair, Die partiket be iu dor mittel- und ueohocbd. vcibalcomiwaitioo, iu-
f. d, alt IX, 165—67; von: Kern, Die deutecho Satzlehre, Anz. f. d. alt IX, 30B—
306; von: Starker, Die wortstellnog der nachBfitze iu den ahd. übersetzwigen. An»
r. d. alt IX, 308 — 309; von: Doifeld, Die fuuction des proofixes jw in der compoÜnsB
mit verbis, Anz. f. d- alt XII, 178 — 79; von: Ullspergor, Der modusgebrauob na
mbd. rolativsätzen, Anz. f. d. alt. XII, 352. Dazu kommen noch einige kleinere idb-
sUindige aufsStze tiber syntaktische fragen: Über got. et und ahd. l/iax, Ztschr. Vllls
43 — 53; tiber einteitung und benonnaog der nebensätze in der dentscheu gruuia-
tik, Z». f. d. deutschen Unterricht I, 157 — 172; Zur guachicbtliolien bntracbtuai; ta^
deutschen syntox, ZUchr, f. völkerpsychol. XV, 387 — 413; Partiuip des practenlUBS
in passivischer bedeutaog mit haben statt mit sein vorbundon, Ztsohr. XX, 2i(;
Über eine conjectur in der neuen Lutherausgabe (bespricht den gebrauch von Ut
im nachaatze), Ztschr. XXUI, 41—43; Noch einmal iä(« im bedingungssalze, Zttolir-
XXV, 431. Syntaktisches behandelt auch Irdmauns nacbtrag zu Fi'änkeU bespi«ohin|F
der Festschriften für R. Bildobraud (Ztschr. XXVH, 415 — 16), und ebunso sind s«iD»
recensionen von Sieveis' ausgäbe dor Murbachcr hyrauen (Ztschr. VI, 236— ttj
und von dem Erglinz ungsban de zur Ztschr. f. dentsche philol. (Wissensch. monilclA-
1875, 8. 54 — 60) zum grösseren teile syntaktischen inhalts.
11) Nord und süd, wo er auch später uoeh kurze besprechungen über vat^
der sohoaen littemtnr veröffentlichte.
12) Ich stelle die recensionen, soweit sie nicht an anderer stelle erwihnt änt*»
hier zusammen. Anzeige von: H. Boettoken, Die epische kunst Ueinriohs v. Vd-~
duku und Uartmauns von Aue, Ztschr. XXIII, 3.')4; von: Heyne, Deufsohoa wW««— '
buch, Ztschr. XXm, 362—04 und XXVI, 132-34: von: Eberhard -Lyon,
NEEBOLOG 235
07m. handwörterbuch der deutschen spräche, Ztschr. XXIII, 364 — 65; von: Kelle,
Untersuchungen zur Überlieferung, Übersetzung und gmmmatik der psalmon Notkors,
Ztschr. XXIII, 380—81; von: Wustmann, Allerhand sprachdummheiton , Ztschr.
XXIY, 560—62; von: Kelle, Geschichte der deutsch. Utteratur, Ztschr. XXVI, 113—19;
Fon: Lachmanns briefe an Haupt hsg. von Yahlen, Ztschr. XXVI, 267 — 68; von
W^ackernagel-Martio, Geschichte der deutschon litteratur, Ztschr. XXVII, 264—66.
13) Die vorarbeiten zu der ausgäbe sind z. t. verwertet in dem aufsatze: Zur
textkritik von Hartmanns Gregorius, Ztsclir. XXVIII, 47 — 49, dem ein zweiter arti-
kel noch folgen sollte; vgl. auch die anzeige von Schönbachs buch über Hai'tmann
von Aue, litt, centr.-bl. 1895, sp. 130—32.
14) Zeugnisse eingehenderer beschäftigung mit der Gudrun sind die beiden
anfsUtze: Lamprechts Alexander und die Hilde- Gudrun -dichtuog (Ztschr. XVH, 223 —
226) und: Zur Kudrun (ebda 127 — 28).
15) Vgl. Erdmanns anzeigen von Breitmaiere Goethecult und Goethephilologie
(Ztschr XXV, 287—88) und von Blumes ausgäbe der Goethischen gedichte (Ztschr.
XXVI, 277—80).
16) Vgl. Erdmanns aufsatz: Zum einfluss Klopstocks auf Goethe, Ztschr. XXIH,
108 — 109 und die anzeigen von Hamels Klopstockstudien (Ztschr. XI, 371 — 72.
XII, 380 — 81) und von Munckers und Pawels ausgäbe der Oden (Ztschr. XXH,
497 —99).
17) Über F. M. Klingers dramatische dichtungen (Progr. des kgl. Wilhelms -
gymnasiums) Königsberg 1877 (vgl. M. Kieger, Ztschr. IX, 493—96); über Klingers
verbältnis zu Kant, Altpreussische monatsschrift, XV, 57 — 66.
18) Anzeigen von: Rieger, Klinger in der stürm- und drangperiode, Ztschr.
XU, 382; von: Klingers Otto ed. Seuffert, Ztschr. XIH, 127 — 28; von: Lenz, Die
sicilianische vesper ed. Weinhold, Ztschr. XX, 255; von: Pfeiffer, Klingers Faust.
Ztschr. XXIII, 381—82 und Anz. f. d. a. XIV, 93—94; von: Lenz, Gedichte ed.
Weinhold, Ztschr. XXIV, 410—11; von: E. Schmidt, Lenz und Klinger, Anz. f. d.
alt. T, 375—80; von: E. Schmidt, H. L. Wagner, Anz. f. d. alt. V, 374—75. —
I^o lütere epoche des 18. Jahrhunderts behandeln die anzeigen von G. Krause, Frie-
<^ch der gi-osse und die deutsche litteratur (Ztschr. XVII, 127 — 28) und von Reiche,
Zu Gottscheds lohrjahren in Königsberg (Ztschr. XXV, 565 — 66).
19) In der handschriftonfrage stand er auf Lachmanns Standpunkt, war aber
^oit davon entfernt, seine kühnen hypothesen und athotesen sämmtlich zu billigen.
20) Vgl. den aufsatz: Betrachtiingon über handbücher zur litteraturkunde mit
^^sonderer beziehung auf Kluge, Auswahl deutscher gedichte (Ztschr. f. d. deutschen
löterricht H, 210 — 218), sowie die bcsprcchungcn von R. Lohmanns buch Über den
<^®^tschen Unterricht (Ztschr. XXIV, 411 — 19); von Korns Methodik dos deutschon
^tördchts (Anz. f. d. alt. X, 297 — 98 und XIV, 284); von G. Gerber, Die spräche
^Unst (Ztschr. f. d. deutschen Unterricht I, 363 fgg.) und von desselben Verfassers
^oh; Die Sprache und das erkennen, (ebda I, 372).
KIBL. HUQO GERING.
236 GERINO
LITTEEATUE.
NEUERE SCHRIFTEN ZUR RÜNENKUNDE.
1) Sonderjyllands historiske runomindesmsDrker af dr. Lad?. F. A. Wi..s(
mer. Kjobenhavn 1892. (Festskrift fra KjobeQhavns aniyersitet i anledniog ^
dorcs majosta)ter kong Christian IX' og dronning Louises galdbryllnp den 26. Tnaj
1892.) 55 s. gr. 4. (Nicht im buchhandel.)
2) De tyske runemindosma^rkor af LadT. F. A. Wimmer. KjebenhaTn 189^.
(Sjcrtryk af Arboger for nordisk oldkyndighed og historie.) 82 s.
3) Norges indskriftor med de a^ldre ruDer. Udgivne for det Norske historüke
kildeskiiftfond vcd Sophus Bugge. 1 ste og 2det hefte. Christiania 1891—91
152 s. 4.
1) Die unter 1) genannte festschrift ist (wie die im jähre 1887 erschienene
monographio über den taufstein von Akirkeby auf Bomholm — vgl. Z.s. 21, 487 fgg.—)
ein Vorläufer des von Wimmor seit langen jähren vorbereiteten und jetzt im drucke
befindlichen' grossen cori)us der dänischen runenschriften. Sie behandelt 4 mnen-
steine, welche sämtlich in der nähe der ehemaligen südgrenze des dänischen reiches,
am Danevirko bei Schleswig, gefunden sind und vor den meisten denkmäleni der-
selben art sich dadurch unterscheiden, dass sie von historisch bekannten pentonen
errichtet sind oder historisch bekannte personon nennen und somit die möglichkeit
einer datierung bieten, die nicht lediglich auf sprachliche indicien sich stützt and
daher eine weit grössere Sicherheit gewährt.
Zwei von diesen steinen, der 1767 im Selker noer gefundene ^Wedekpang-
stcin** (jetzt im schlossparke von Luisenluud) und der 1887 entdeckte „Gottorpstein
(jetzt im museum schleswig-holsteinischer altcrtümer zu Kiel) hat eine und dieselbe
person aufstollen lassen, Äsfridr, die tochtor eines dänischen fürsten Ödinkarr, welche
mit einem könige Onüpa verheiratet war und diesem einen sehn namens Sigtryggr
gebar, der nach des vaters tode ebenfalls den königstitcl führte. Dem andenken an
diesen söhn sind beide steine geweiht, deren inschriften -nach Wimmers lesung fol-
geudennassen lauten:
a) Asfrißr karßi kmnbl ßaun ({ft Siktriku sun sin q ui Knttbu, d. i. Aafnd
errichtete dies denknial nach (zum gedächtnisse) ihrem sehne Sigtrygg auf dem bei-
ligtunio (der geweihten grabstätte) Gnupas;
b) Ui' Asfrißr karßi hihl ßatisi tutir Ußinkars qft Siktriuk ktmuk sun m
aukKnnbUj d. i. Wi-Asfrid errichtete dieses denkmal, Odinkars tochter, nach (»■
gedächtnisse) könig Sigtrygg, ihrem und Gnupas sehne.
Von den namen, die diese beiden inschriften enthalten, werden Gnupa und
Sigtryggr auch in historischen Schriften des mittelalters genannt Den Gnüpi
erwähnt zuerst der bekannte sächsische chronist Widukind von Corvey, wdchcr
in seinen Res gcstao Saxonicae I, 40 berichtet, dass der deutsche könig fleinrich L
nach dem glücklichen feldzuge gegen die Ungarn (933) seine waffen gegen die Dlwn
gewandt habe, um ihren raubzügen nach den friesischen küsten ein ziel zn setxen;
er habe sie besiegt, zur Zahlung eines tributs gezwungen und ihren könig Chnuhi
genötigt, sich taufen zu lassen. Diese von einem Zeitgenossen der königo Heinrich L
und Otto 1. herrührende nachricht ist unbedingt zuverlässig; sie wird aacfa dutb
1) [Der erste halbband, die historischen denkmäler umfassend, ist soetei
erschienen. Juni 1895. H. G.]
237
[ dor Curvoyer uuaalea, ilasi Huinricb im jakre 1134 ilie Danen unterworfou
habe, bestätigt. SodtmD fiDden wir Gnupa bei Adam von Bremen wider. Diesor
■Blor, der ein Jahrhundert nach Widukiad die (iesta puntifiaum eodosioe Hitinmalmr-
a Bcluieb und für seine beriobta ülior däiilBuhe goacliichte mündliche mitteilungen
.dee konigs Sven Estridssou benutzen durfte, erzjtiilt (I, üO), doss uauh der ,nomuui-
Sischea niedcrlago' (d. h. noch der Lowoner soblacht vom jalire 891) ein tönig
aEelligo'' in Dänemark geherrscht habe; diesem sei eiD könig sehwedisclier ablcunft,
.lUuneiis Olaf, gefolgt, der das dänische reich unterworfen mid die kröne auf seine
aShne Chnob und Gurd vererbt habe. An einer anderen stolle (I, 54) beridilet
Adam ferner, dass auf Olaf, der mit seinen söhnen in Dtinemark geherrscht babe,
1 könig namenw Sigerich gefolgt sei; dieser sei aber nach kuiEer zeit von ,Har-
degOD'', dorn sobno ävena, der aus , Nortniannia " kam, des reiches beraubt wor-
iden. — Die dritte quelle ist die grossere Olafs aaga Trj'ggvasonar (geschrieben um
1300), welche cap. U3 {FMSI, 116) folgende nofiz enthält: , König Gorni zog mit
■nnem beere in dat> reich iu Dünemark, welches Betdgotalaad genannt ward, gegen-
.W£rtig aber Jütland heisst, gegen den könig., der dort herrechCe und den namen
'JSnüpa führte; sie kämpften in mehreren schlachten mit einander und das ende
..var, dass Gorm jenen konig erschlug und sein reich sich unterwarf; darauf wandte
^oh Gorm gegen den könig, der SilfraskaUi biess und kämpfte mit ihm, und Gorm
^■T allezeit siegreich und fällte sohliesslich auch diesen kÖnig. Dann gieng er naoh
JIGtland hinauf und fuhr so gewaltig mit dem heurschüde drein, doüa er alle köiüge
■fidlicb bis zur Schlei vernichtote."
Dui'cb combiuntion dieser aacbrichteu mit den Inschriften der beiden steine
ijgätaigt Wimmur zu dem Schlüsse, dass gegen aofang des 10. Jahrhunderts, während
1 der alte über Danemark herrschte, ein schwedischer wikiiig, namens Olaf, bei
BeiflabJ (Schleswig) sich festgesetzt und eine berrschaft hegrüadet babe, die er auf
rinnen sehn Gnüpa vererbte. Dieser verstärkte seine macht durch seine Vermählung
Mt Astrid, der tochter eines jütischen hüuptlinga Odinkar, wurde aber von Heiu-
ifich L besiegt und zur taufe genötigt (934). Als er dann (durch die Deutsohen
tnterstutzt?) sein reich nach norden auszubreiten versuchte, geriet er mit dem Dänen-
kSnige Gorm iu kämpf und fund In diesem seinen Untergang. Seine berrschaft war
,iedocb nicht vernichtet. Die witwe liess ihm, als protest gegen die erzwungene
taufe, nach heidnischer sitte ein prächtiges grahdenkmal errichten und regierte wei-
, zusammen mit ihrem söhne Sigtrygg. Dieser fiel jedoch (am 950) im kämpfe
^n Harald blauzabu. Die mutter tiess auf der gehedigten grabslätte (uij dos
tera, nach der sie selbst den namen Wi-Asfrid führte, nun auch dem söhne die
nhestätte bereiten und zu seinem andenken zwei ruuensteine errichten, einen mit
schwedischer (a) uod einen mit dänischer inschrift (b).
Dass diese datstallnng im wesenthchen richtig ist, uuterhegt keinejii zweifol.
Sie Tou Qermann MÖUor erhobenen einweuduugen ' sind — von einem gleich näher
,n berührenden punkte abgesehen — behtnglus und erledigen sich durch die höchst
,*ahi«cheinlicho annähme, dass Adam von Bremen den tod des Sigerich (d. i. Sig-
1) Anzeiger f. deutsches altert 19 (1893) s. 11 — 32. Diese anzeige Möllers
tl eine kleine litterarische fobde zwischen ihm und Wimmer zur folge gehabt, die
<iea verliand langen der kgl. dänischen gesellschaft der wisaensobaftou sich abge-
rteli iiat. Auf Wimmets erwideruiig (Oversigt over det kgl. danske vidcnakabs sel-
»l» forhandliugor 1893 s. 112 — 1331 erfolgte eine roplik Möllers (ebila s. 205 — 273)
■*J* eine duplik Wimmera (ebda 375 — 284), auf welche MuUer noch eimal (ebda
^ ^7o_nj3) antwortete.
t'TSP'J. der nach aeiuer Chronologie bald naoL 911 erfolgt würe, mindestoos un» ein
menBchenalter ko frilb BDgcsetzt bat. Wie UDgenau Sven Estridssons mitteiluugifii
gewesen sind, ergibt sich aus Adams bokäQobiis, „dass er nicht wisse, ob alle die von
ihni goDauiiUD daDischeo könige oder tjramieD gleicbzeilig oder nach ebander regürt
hättou." Wir hak'D also dorchaas nicht nötig, deu Gaupa, von dem Widokiod and
dio Ulafs BHsa erzählen, rar eioen jüogonin DaohkomroeD oder verwandten des von
Adam envAhnten gleichnamigen niannes ta halten, vielmehr sind beide ohae >Ila
frage ideottsch. Zweifelhaft ist meines olllcbteDS nur, ob Wimmers hypothe^e, iaai
Stgtrygg dQTch Harald blauzalia (c. 935 — 85) gefallen sei, richtig ist. Diese b^^pothest
ist nämlich nur möglich, wenn wir mit Wimmor annuhmen, daas Adams beritdit
von .Hardegott" einen doppelten fehler enthilt; „Hardugon" ist uoüh Wimmer eine T«r-
derbnis aus iHaraldua' und Btatt „filius Svein" müsste „pater Svcin" eingesetzt wor-
den; Korthrnonnia endlich wfire als Norwegen su verstehen und dio Worte ,veDi«n*
B Korthmanoia' bezögen sieb aof Harald blauzahns heerfahrC untnittelbar oacli den
toda des norwegischen känigs Harald graupeis (nm 065), auf der er sii^ in NoTve-
gen baldigen Uoss und Hakon jarl als Statthalter einsetzte. Ich möchte eher glaaben,
dass (wie Mfiller and neuerdings Gustav Storm' annahmen), Eardegon cino entstellnog
von Eardaknat ist, and dass mit diesem wirklich der vater Gorms das alten gomeiat
ist; dass dieser Hardaknnt als gegncr Sigtryggs genannt wird, beruht aber auf dor
«Qlküriichen cbronologie Adams, der die schwedischen kleinfürsten iu Soblsswig^
welche tatsächlich Zeitgenossen von Gönn und Harald waren, zu Vorgängern diee«
ISnige gemacht hat Storni (in dem unten angoführten artikol) Bocbt Winiuers hypo-
these direkt zu widerlegen: aber seine behauptuag, dass der Sigtry^ unsrer baden
steine mit dem kotu'ge Setricus ideutisch sei, der nach Flodoard von Beims im jah»
943 im kämpfe gegen den westfränkiscben könig Ludwig fiel, ist doch schliesslich anch
nur eine hypothese, für die ein zwingender beweis nicht erbracht worden kann, obwol
ich ihre möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit nicht in abrede stelle. Wäre Stoimt
annähme richtig, so stände ja für die errichtnug der beiden steine ein sicheres dabo
fest, das eiuh von Wiinmers aus runologischcn gründen gefolgerter datierung (um 9S0)
nur sehr wenig entfernte. Zu einem in jedor boziehung sichern resoltat werden wif
ab«r bei der dörftigkeit und nuzuverläs^igkeit der quetlon schwerlich jo gelangen.
Günstiger steht die sache mit den beiden anderen steinen, dem von Hodebf
(c), welcher bereits 1796 gefunden wurde und gegenwärti); ebenfalls im [latb) U
Loieeulund sieb befindet, und dem Danevirkestoin (d), der seit 1857 bekuni ilt
nnd auf der spitze des Tvobcrgs bei Bostrap (sw. von Schleswig) auf seinem alUta
platze jüngst wider aufgerichtet wurde. Dia insciuiften der beiden steine lauten UKik
Wimmers lesung:
c) piirtf risp* alin ßqnai himfiigi Seim eftir Erik filaga »in iaa uarp Utt^r
pa trekiar »atu tan Ilaipa bu tan hart uas tturi niair IrcgR harpa hipr. 1 >-
Forolf, der gofolgsmann Svens, errichtete diesen stein nach (zum godächtnis) seisM^
genossen Erik, welcher starb, als die mänuer um Uedohy sas.seu (H. belagerten); ^
aber war steuennann (schifTskapitän), ein ausserorduntlioh braver mann;
d) Suin kunukr sali ttin uftir SkarPa sin kimpiija iaa uim faria HWf^
arp latipr al Hipa bu, d. L kÖnig SvoQ enichtoto diesen stein nach (niB*
godäcbtnis) seinem gefolgs manne Skarfii, der westwärts (nach England) gofahrwi nf*
jetzt aber bei üodoliy starb.
I (N«n»->
Die beiden zweifelloa gleiulizeiCigeQ deokciäler, die nach ansneis der schiift
(fts «erdea bureits pouktierCe ranoa augeweiidetj und der spräche um das Jahr 1000
datiert werden müssen, beziehen sich, wie Wimmer ausfülirt, sicher auf doEselbe
ereigniss, eine belagerung ron Schleswig, uud der „Sven" in u ist ohne frage mit
dorn .fcöoige Sven" von d idootisch. Dieser küuig Sven kann kein anderer seiu, als
Sven gabelbart (c. (185 — 1014), der 994 und 995 iu Eugload kilniiifte. Während
seiner abweaeoheit wurde Suhli^swig too dem Schnedenkönig Erik dem aitigreichen , der
üch an den Dänen, die seiner zeit Beinen ocffen Styi'biqm unterstützt hatten, rächen
wollte, erobert und geplündert Die Schweden setztun sich in der Stadt fest, und
die erste aufgäbe, die Svea nach seiner hetuikehr zu vollbi'iiigen hatte, war, die
fremdeD eindriuglinge zu vertreiben, was ihm nach dem Zeugnisse unserer steine
auch gelang. Eiaem seiner gefutgsleute, der während der helagerung gefallen war,
Skar^ii — vielleicbt demselben manne, der nach Snorres Ueimslu'ingla (Ül, Baga Tryggr.
o. 46) an dem unglücklichen zuge der JemsTikinger noch Nonvcgen teilgeDommen
h&tte — weihte der könig selber auf dem steine d eben ehrenden nachruf; einem
uideren manne in gleicher Stellung, Erik, wurde von seinem kameraden l*orolf der
denkatein c gesetzt. Anhangsweise macht dann Wimmer noch darauf aufmerksam,
dass einem dritten krieger Svens, der ebeafalls bei Hedeby Gel, wahmcbeinlich der
kleinere stein von Äorbus, dessen insehrift nur verstümmelt erhalten ist, als denkmal
gestiftet ward: sie besagt, dass ein dänischer krieger, dessen aamen bis auf das
■chliessende R zerstört ist, seinem kameraden Amundi, der hei Hedebjr starb, den stein
erriehtet habe — der grössere steiii von Äarbua enthält dagegen, wie es seheint, eine
etinnening an die sagenberühmte schlaeht von Svoldr, denn ihn weihten vier äber-
Ubende kämpfer ihrem genessen Ful, der ,driiussen im osteu" fiel, als „die könige
1 mit einander kämpfton*. — Man sieht also, dass diese steine neben dem sprachlichen
l i/ae bezeugen als älteste denkmäler die aus dem umordisohen entwickelte estskaedi-
I UTJMhe mondart) auch ein sehr bedeutendes historisebes Interesse besitzen.
2) Die zweite sulirift Wimmers müssen wir Deutsche mit ganz besonderer
e begrüssen, weil sie sich ausschliesslich mit unseren heimischen runendeukmälem
I Whäftigt und das leider so sehr dürftige material duruh swei überaus wertvolle
ICuuke, die bisher noch nirgends pubüciert waren, bereichert Es sind dies zwei sit-
BWTte spoDgen, die 18S5 bei Bezenye (3 meileu so. von Presaburg) auf einem grossen
iLbnissplatze aus der zeit der Völkerwanderung in einem fraaeograbe gefunden
d«D, Dass Leide Spangen Inschriften tragen, ward jedech erst 1893 von prof.
iftel in Buda-Pesth entdeckt, der mit rühmenswerter Selbstlosigkeit die veröffant-
Vltug dem bewährtesten runolegen überüess. Die Schmuckstücke entstammen augen-
^^inlich derselben werkstütte, und die runen, die ^ch auf ihnen Ünden, sind, wie
"Urinier vennutet, von derselben iieraen eingeritzt. Auf der ersteo spange (a) steht
'"^t<ahiii ury'a, was Wimmer iweilellos richtig zu Qodaliild vniiija ergänzt; auf der
••«äten (b) ÄTsipoda segim. Somit bestehen die iasohrifteu nur ans je zwei werten;
'"^ «iaem weiblichen eigennamen und einem aegonswort. Godahild ist ein sehr
wtaimter name; Araipoda dagegen ist bisher noch nicht nach gewiesen , wel aber kom-
"^Q die beiden gliuder, aus denen das compositum zusammengesetzt ist, auch ander-
*äi:ta in frauennauien vor: ahd. -poda st. -bota in Siboda (d. i. Si^boda?) und
t'in|)n[a (d. i. liudboda?), altn. in Angrboda und Aurboda; Ar»i- freilich nur ein-
""^ in ahd. Arsirid, dos Föratemano aus dem verbinde rungsbuch von St Peter in
""zbitTg belegt. Der a-rune in Arsipoda geht noch ein eigentümliches zeieheu vor-
sUH, ilsB wie oiu circomllcx {^) Ausaieht uuil von Wimniitr anck als ebfl!
erklärt wird, ob mit recht, tat mir zweifelhaft, da die venrendiuig roa taxeSrnm
runoainscb ritten sonst oirgeiiiifi sich findet Dagegen sttiht d&s»ollio Minhoii m
Bohlnsee dor insohrift des Brauuschweiger reliquienkikttOiciie (StojihoDB I, 391 i Bo^
Norges tadakrifter msd de ^Idre riuier b. 119), also gewissorraassmi *lti iutiiryiuillia,
und es dürfte moglitdi »ein, dims es in almliclmm siuis, DlLuüioh nls «alMiguumlm
ttuvli auf der ongariBcheu spauge b zu fassen lat, was bereits Sieven alH venniituj
aosaprach. Wimmer dagegen ableluLt, Die beiden franennamen bezeichneD uacli War
mer nicht die besitKerinnea, Gondern die eohenkerinoen der apaugen, di* lid-
leicht Doiiuen in dem um das juhr 700 gegründeten St Puters -klustuT £U SaUlnui
gewesen Heien und einer neu getauften Schwester im ostcn diu kostbuva «ulimilct
gegeustüode mit eiuem frommen wünsche überaaadt hatten. Auf Baiem waift jl
unzweideutig das aulaulundo p in -puiia, und nur in Sakburg ist bisher du unk
unerltltLrte eletnent Ärai' iu einem iiamenbudie des 6. Jalirlmnderta Uiuiugti in ^
ersten beiden docenmen desselben setzt alier Wimmer aus runologiBoban grütutai dis
spangeninschiiften.
In dem Übrigen teile seiner scluift behandelt Wimmer die wicbtig»teii iIit
schon früher bekanutun deutauhen runeudeokuiäl^r, von denen er vier (die Kgniffi
von Oathofcn, Frailanborsheim, Engere und Kerlich) aufs neue in Ko|)enbagea mIM
aorgflUtig untei'suoht hat, und ergreift dabei natürlieh die gelegenbeit, sich mit Bnr
nings buche auseinander zu sollen. In der abltjlmang mehrerer von Hnaning n**
gesulilagenor deutungeu tiiSt er mit mir (vgl. Zeitschr. 33, 354 fgg-) inHUDinco, in
aUgemeinen aber lässt inuines oniuh.tena seine kritik dem verdionsüiebeu werk«, iM
Bugge günstiger und billiger beurteilt, uiuht gouügtindo gereohtigkoit widurlllUiB-
Über die resultate seiner forschungen sei im folgenden kui'K referiert.
Die insohrift der Spange von Engers ist oat^h Wimnier von Honniug mit aiiwil
für eine ^schung erklArt, und mau wird nach den aussagen der beamtan doe Tonn-
ser musoums an der echtheit nicht zweifeln dürfeu, zumal da auch einige lag"'
scheinlich olts risse ei-st nach dem «inritzen der schiift öntstondim sein kdnnen. lli>
iusuhrifl Itiub lietiachtet Wimmer (wie gegim und iruif/a auf den sjiangaa voo Bt-
ieaye'f als einen Segenswunsch und in der tut kann leidi sehr wul „heil" oder ,mC|k'
bedeuten (vgl. z. b. Ile!. 497 liudiun te leoba). — Auf der »pange von FretliB-
bershoim erklärt Wimmer natürlich die ersten drei noito (Boao leraet rurw] sbti»
wie die deutschen gelehrten, die sich mit diesem denkmal hoschfiftigt htbM \W
sieht er runa wol mit recht für den aec. plur. au); die drei letzten worto li
von Bioger (Ztschr. 5, 375 fgg.) un<l Henning abwuicbend; pk UtUina i/adH, wü«
zn pik Dalitia goäda ,te Dalinam donavit" eigiiiixt. Henning halt« zwisclian jm/f^f'/
und gofdjdfaj geschwankt und Daprna statt Daliiia gclcson, nacli WiminuT ■
jedoch die beiden d in godii mit Sicherheit erkounhar, und din drittn runa in it
weiblichen namen ist deutlich ein l^ wenn auch der schilgslrich nicht von der >fK
des senkreohtou ausgebt, »ondam etwas tiefat steht Dar »aiuo üaliua (il, k M*
Unna) ist zwar fast nirgends bezeugt, errc^ aber keine bedenken, da im abl i»
männliche oigennomo Talto sieb Undet und die endung -inrin {<. inju) i» «''iMn^i"
namen mehrfach vorkommt {WnlahÄtma, Förstoniauu 1231, Zai'ji'""
I36Ü usw.). Über die casusform IJalina hat Wiinmer »ich uiiln
natürlich kann es nur der acc, sein, uiobt der nom. (voo.), veel I -
müsstn. Auch eine datierung der inschrift hat Witr
ist ala unsere litterarischen denkmäler, beweist das aalaui
NEÜSBE SCURIFTEN ZUR RÜNBNKTTNDB 241
im 8. Jahrhundert geschwunden war, und das un verschobene t in demselben werte:
wir werden sie wol in das 6. Jahrhundert zu stellen haben. — Zu einer sicheren
deutung der inschriften auf den spangen von Osthofon und Charnay zu gelangen,
hält Wimmer für hoffnungslos: auf der ersten fehlt wahrscheinlich der anfang, der
auf dem verlorenen teile der hbula gestanden haben dürfte, und aus den erhaltenen
Wörtern {go . . ; fiirad . . de: ofileg) lässt sich ein sinn nicht gewinnen — und auch
für die legende der zweiten (ußfnfai : tddan : liano)^ die bisher allen erklärungsver-
suchen trotz bot, scheint er weitere bemühuugen für fruchtlos anzusehen. Dennoch
möchte ich, auf die gefahr hin, die zahl der verfehlten hypothesen imi eine zu ver-
mehren, eine Vermutung nicht zurückhalten. In ußfnßai suchte Henning (und neuer-
dings Bugge, Norges indskrifter s. 140 — s. u. s. 244) den opt. praes. eines compo-
situms von finßan; es ist jedoch auch eine andere annähme möglich, nämlich das
wort als dat. sg. zu erklären, und zwar als dat. sg. eines männlichen i- Stammes.
Dass diese stamme ihren dat. einmal wie die feminina mit der endung -ai bildeten,
also *balgai wie anstai, ist heute allgemein anerkannt. Nehmen wir nun mit Bugge
a. a. 0. an, dass in ußfnßai das n an eine falsche stelle gekommen ist (wie das r
in ßurlf statt ßiUfr auf dem steine von Hedoby), und dass es eigentlich hinter dem u
hätte stehen müssen , so Hesse sich unßfßai zu [h]unß]a]faßai ergänzen. Der abfall
des h im anlaute hat auch in Iddan stattgefunden, da dieses wort (dat. sing.) doch
wol mit Henning als koscform eines mit Hildi- zusammengesetzten namens erklärt
werden muss, und auch das ß als bezoichnung der tönenden spirans (für die das
gotische bereits d ver^vendet) findet bostätigung in der Schreibung Burgtmximies
(Wackemagel , Kl. Schriften III, 339). lAano ist mit Bugge als nom. sing, eines weib-
lichen eigennamens zu fassen, dessen etymologie allerdings Schwierigkeiten macht.
Der von Bugge verghcheno, aus viel späterer zeit bezeugte name Ltanhalm bringt
uns nicht weiter, da im 6. Jahrhundert der diphthong la in einem germanischen
Worte kaum möglich ist. Wenn man also nicht annehmen will, dass zwischen den
beiden vokalen ein konsonaut ausgelassen ist (und welcher?), so bleibt kaum etwas
anderes übrig, als Liano für eine gcrmanisiemug des lat. Loaena (gr. ^^luvn) zu
erklären, das bekanntlich als eigenname verwendet ist; übrigens könnte ja auch Idda
eine romanische geliebte gehabt haben. Die Übersetzung würde also lauten: „Liano
dem centurionen Idda**, was sich zum mindesten durch seine einfachheit empfiehlt. —
Was man «luf der spange von Hohenstadt früher als runen ansah, sind auch nach
Wimmer, der hierin mit Henning übereinstimmt, nur zufälhge ritzen im silber;
ebensowenig sind auf den spangen von Oandersheim und Flomborn schriftzüge
zu erkennen. — Unecht sind die inschriften auf dem speerblatte von Tore eile und
auf der Kerlicher spange, die auch Henning für fiilschungen hält. — Über die
spange von Balingen äussert Wimmer nur, dass Söderbergs lesung der ersten 4 zei-
chen {ahlf) nicht richtig ist, er verzichtet aber auf eine deutung der inschrift, welche
er um 700 ansetzt, da ihm das original selbst nicht vorgelegen hat. — Das Ber-
liner thonköpfchen endlich ist aus der reihe der „deutschen" dcnkmäler zu streichen,
da die runenzeichen durchaus mit den jüngeren nordischen typen übereinstimmen;
deutbar ist die Inschrift, welche dem 12. Jahrhundert angehört, nicht, da sie ver-
mutlich nur die anfangsbuchstabon von Wörtern enthält.
3) Bugges grosses werk, von dem erst 2 lieferungen vorliegen, wird sämt-
lidie ' norwegische runeninschriften behandeln, welche mit dem älteren (gcmcinger-
nanisoSieii) aiphabet von 24 zeichen geschrieben sind. Er ordnet diese inschriften
«» r. ixiDTaaHK Philologie, bd. xxviii. 16
242 OEBINO
geograpliisch, indem er im üusserstoD eüdoGten. \d SmaalensDO, beginnt
hier saa weiter nach nw. vorsohrcltet. In den l>eidt.'D hefton äad erat 6 deokniS]«!
beaproobon: die runeDsteinc von Tune, Einang und By, der brakteat vod Fredribsslid,
die bronxefiguT von Froshov und die apange von FaDDuoä. Ich besctiräiilEe mich «idi
dam BnggischeD buche gegenüber jm wosentlicbau auf ein refemt
Dio juschrift des TanesteiRes (iir. 1), welche Bugge in die erste bälfte de«
6. jahrhimderts aetzt, rührt von zwei Teraebiedenen bänden bor. Ton der ei
alammen dip allitnviL'ruridpD , ^oii(neo((iT;<f(!i. geschriobnnen langEeileo;
Ek Wmaa afler Wuduride
jciladahalaiban woTohto rfunoRj
,ich Wiw macbto dioae runen nach (zum gedäcbtuisse) dem gefolgschartsgen
Wodurid." Die von dem zweiten ateinbauer uingehauenen werte liest Bugge:
[aftfjB Wodaridc staina [....] pryoti dohlriR dalidan (J, i. daüidun)
bija syosiir (d. i. siJijoatir] arbijano
„nach (zum gedäohtnis) dem 'Wodurid [beisei ebneten] drei töchter den sl
die uächstverwandten von den erben teilten das erbe.*^
Während der erat» teil der inachrirt [einsubliesslieb der ergSnzung)
riolitig gedeutet int, erregt die erkläroog des zweiten, fär die Bugge aelbsl erat nacA
mehrfacliem schwanken' sich entsahicden hat, voi'schiedens bmlenken. Zunächst ist
es aoflalloud, dass die 4uial vorkonnuende rune 0< welche sonst den lantwprt ödob
nasalierten n hat, auf unserem denkmal (was schon Gudbr. Vigfüsson in seinem Cor-
pus poet bor. — natürlich oline jede begründung — behauptet liatte), j bedeatea
solL Indesaeu lüaat sich dieKe annähme durch die iUinlichlieit der beiden zeichao,
väluhe eine varwechaelung zur folge haben konnte, rechtfertigen, zumal da man mf
diesem wege zu lei:ibter erkliirbaren wortformen gulangt. Sodann ist dio Wortstellung
in der ersten satzhäiße (adverbiale bestimmung, objekt, verbum, subJett) so seltaani,
dass sie in prosaisclier rcdo kaum wider so vorkommen dürfte. Sie Mast aicb, meine
ich, nur erklären, wenn man annimmt, dass den runenschreiber
abaicht leitete, etwa die, dasselbe subjett Tür die beiden asjudetisch neben
gestellten Sätze zu verwenden, sodsHB wir also ein nah xowoo zu atahiioreo bfitten:
,nach Wodurid bezeiclineten den stein (auch) die drei töchter, (sie) teüten als nichst-
venvandte unter den erben' das erbe". Die erwiihnung der erbtciluug auf Mnom
grabatoiUQ (dio Bugge übrigens auch aus sgiäterer zeit belegt), l&sst sich für unsern
fall vielleicht dadurch erklUran, dass die drei töchter erst nach einem reclitsstr^ite mit
den übrigen erben in den besitz dea nacblasses gelangten und nun den stein tugleiob
2U einem denkmal des siegreich durch ge führten processes machten. Bugges mcinimg,
doas dio sU^ontir arhijano und die ^r^or dakirir verschiedene personea soian, hall»
ich zum mindesten für höchst unwahrscheinlich.
1) Pieaca schwanken hat sogar die drucklogung des ersten lieftee üb«rd«uct
Es macht einen seltsamen oindruck, dass auf dem 5. (am 1. juli 1891 gedruckten)
bogen mebrorea zurUuk genommen wird, was auf dem 4. (der wn 13. Juni dio presse
verliessj liebauplet war. Konnte der druck nicht so lange verschobcu werden, ttia
Bugge seine uiitci-auchungeu über daa erate denkmal abgeschioasen hatte? Won
diiwe überhastung? Bei einem werke von ao monumentaler bedentung war es docb
wahrhaftig kein unglück, wenn die 1. liefemng ein paar wochen später ansgegobM
wurde.
2) Erbe ist hier natürlich zu verstehen als .jemand der auf den aacblHi
anspräche erhebt". Damit eiloüigen sieb die cinwenduugou von Fr. Burg (Zs. f. «L ^
38, 174 fg.), deren gewiobt dui'Ch ein paar deplacierte witzchon nicht verstiirkt wird.
Nr. 2 und 3, dnn urakteaten von Fredritatad and die bronzeSgur von Froi-
kÖDnen wir übei'spriugen, da es zweifelliaft ist, ob die auf diesea gegeusUuiden
.(ängegmbeoeii zoichon wirklicli nin'jo sind, und eine sichere deutung völlig ausge-
BcUossen scheint — Nr. 4 ist die erst 1877 aufgefundene spange von FonnaaB,
-welche Buggo bereits 1683 in don K. Tittorhets hiatorie och antirjvitets bandtiiigBr
mineD mit der ioschrift dos Rökstcns ausführlich behandelt hatte. Seine dort
■egebeoe deutang, welche hier itn wesentlichen widerholt wird, gebort meines erach-
zn dem besten, wtis auf diesem schwierigen gebiete je geleistet ist; sie ist eio
Aenes nihnioBzeugDis für die glänzende divinatorisuho be^bung des aosgezeichnetea
gelefarten. Die erklärung war hier mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft, da die
.Wörter der insohrift stark verkürzt sind, mitbin eine ganze anzabl von zeichen ergänzt
.werden mossten. Änf der Spange steht:
fighklR u'kshu ingRiangarbse ihspidulll,
s Bngge fotgendermaason herstellt:
[A]i^[i]l[a]sk[a]l[k]R \V[a]kfr]» ImMiügR sa fi.Jng{iMa]>-bfiMkJe
[ojih tpi[n]iiui Ifijl, d. h.
,AJigelakalk, Wakrs hausgeno&so von Ingesarv, besitzt die goto nadel.'"
Die wahrscheiniichkeit , doss diese deutung das richtige getroffen hat, wird
durch den umstand bedeutend erhöbt, dass Bngge nach dem nbscblusse seiner
it erfahr, dass in der schwedischen laudscliaft Dolame, die mit dem norwegischen
Bendalen, wo die spange gefunden ward, grenzt, tatsächlich ein ort namens Ingisartf
aerte, wie auob dentelbe name uocb einmal in Ilelsingliind (nicht aber in Norwe-
gen) sich widerfiiidot Bagge schliesst daraus, dosa der oigontömer der spange,
welcbe in das 7. Jahrhundert zu setzen ist, wahisch ein lieb in Dalamo oder dot^h im
nördlichen Schweden zu hauso war,
Nr. 5, der runonstein von Einang, nach Bugge um die mitte des 5. jahr-
^nndertB zu datieren, anthttlt nur die 4 werte: DagaR ^oR ruva fnikido. Bugge
tfit an seiner früheren deutung fest, nach welcher fiaR als acc. plur. des denonstra-
rtivpronomens zu fassen ist (= a!tn. p'tr) und riino ebenfalls acc. pl. (=^ altn. nifutri.
!«r ubereetzt abo: „Dag schrieb diese runon." Wimmer dagegen hatte ßaR als adverb
«rklÄrt und rtino als acc. sg. bozeiohnet; demgemäss würde zu übersetzen sein: .Dag
schrieb dort die rane," Aber das adv. paR {das überdies, wie Bugge nachweist,
aonst stets mit r, niemals mit R geschrieben wird) acheint mir dem sinne nach unniög-
, da man vielmehr her erwarten sollte; auch wäre der collectivo Singular runo
HLffallenil. Ich halte dalior die erklärung Buggoa für die richtige, wenn man auch
genöügt ist, mit ihm hinter mno ein R zu ergänzen.
Das letzte iu den beiden heften behandelte norwegische denkmal Ist der seit
dem 18. Jahrhundert bekannte runonstein von By (nr. 6), den Buggo in die mitte dos
7- Jahrhunderts setzt Er liest .''eine Inschrift;
tiriiaR BroRaR llroReR orle fiat aRina «fp]l Atai[b]u dB (d. i. dohluH)
V*f^ {d. t. nmoR ntarkide paR Ehali)
and BbeiBotzt: ,der kriegerhSuplIing Hror Hrors söhn machto diese Steinplatte nach
(znin gedächtuis) der (seiner) tochtcr Alaiv; diese moen schrieb Eh.' — eirilaS (=
i.jarl, ags. eorl) ist ans eriloR entstanden; das e> der ersten silbe botraobtet
'^tlgga als bezeichnuDg des arsprnn glichen kurzen «, das im begriffe war, sich dem i
r ttAgoaivn silho zu assiniiliercn : in weiterer eutwickelung musale erilali zu *iVi7'
ifrenlen, das jedoch durch Jnrl {eine bilduug nach der analogie der pliiralformen) ver-
16'
244 GERING
drängt ward. — ITrarer ist oin patronymicum mit dem sufiix -ja, das in dem Ihe-w^^
trulafir des Istabysteiiics ein seitenstück hat, wie auch in anderen ar. sprachen d.^]
gleichen bildungen begegnen (gi*. T(l«/j(oviog, ÄQÖvtog usw.), während sie in dl^i
historischen altnordisch gänzlich mangeln. — aRina (acc. sing, eines st. n.) ist ^
von dem veränderten geschlecht abgesehen — dasselbe wort wie altn. arimiy ^
„Steinplatte, herd", ahd. arhij n. „altaro, templum", erin, m. ^fassboden, tearie"
(noch heute in ober- und binnendeutschen diall. ehren j öhrcn), — upt (wahrscivefn.
ich opt gesprochen) ist durch den einfluss «der labialvorbindung aus ept entstancleo;
die Schreibung mit n findet sich auch auf anderen runeudenkmälem. — Alaib94 ki
der acc. des frauennamens, der in dem historischen altnordisch Alof oder (ihf ge-
schrieben wird. — Die deutung d(;r letzten vier runen kann natürlich nur eine hyjio.
thoso sein, die Jedoch im ganzen nicht unwahrscheinlich ist: dass der namo des ninea-
ritzcrs mit der der rune \ identisch gewe.sen sei, ist ein glücklicher gcdankc; nur
möchte man wünschen, dass die existonz dieses weites als cigenname besser beglaa-
bigt werde, als durch die inschrift des braktoaten vonAasum, deren Icsung mir doch
höclist problematisch ei*scheint. — Bemerkenswert ist es, dass in der Inschrift zwei-
mal die rune Ji im iulaut ers(;hoint (in IlroliaJt — IlroRiR und in aRina; beide Wör-
ter haben also ui-si)i'ünglich ein s enthalten; durch das erste erhält die von Kluge
aufgestellte etymologie von nhd. rühren «^ got. hröxjan) bcstätigung — der von ihm
vermisste „auswärtige" rei»räsentant der wurzel krds ist von iUigge in priech. xfom'-
vvfii <^ *xHuiGvvui gefunden — und aRina stellt er zu lat. ara <^ asa, osk. aso.
An die deutung der inschrift von By hat Buggo noch zwei sehr wertvolle
exkurse angeschlossen, von denen jedoch nur der erste (über die nino 1») in beft 2
vollständig enthalten ist. Er führt hier den m. e. vollständig gelungenen nachwcis,
dass dies vielumstrittene zeichen den lantwert eines zwischen e und i in der mitte
liegenden vocoles (also eines geschlossenen e) repräsentiere, stimmt also hierin mit
Henning überein, dessen ansiclit ich schon 1890 (Ztschr. 23, 359 anm. 1) boigepflicb-
tet habe. Besonders schätzbar ist dieser exkure ferner dadurch, dass Bugge mehrere
unserer deutschon runoninschriften aufs neue behandelt hat. Die zweite hälfte der
Freilaubershcimer spangeninschrift liest er (von Henning und Wimmer gänzlich
abweichend) odifio mal ina f/oim/i] „der Segnungen zeichen (d. h. das kreaz) behüte
ihn"; auf der spango von Osthofen glaubt er die woi*te: god furadli] mi OpU
„gott sorge für mich Offil'' zu erkennen; die zeichen auf der grösseren Nordendor-
fcr spango ergeben ihm die logende: Ao a[n] fjcnbin'nic „Ao an Leubwine"; die
der kleineren: Ih'rilio eik „ich B. habe" (also bragarmal auf deutschem iKHien?!);
auf der Spange von Ems steht nacli Bugge nicht Madany sondern Madali. Endlich
wird aurh für die inschrift der Charnayspange eine neue deutung vorgcschlageD:
l'if/ia fajti Iddan Liauo eia „Es gönnte (d. h. schenkte) dem bräutigam Idda liwo
sie (nämlich die spango)". Alle diese deutungsversuche werden von Buggo nur unter
reserve ausgosprocrhen : er macht mit recht darauf aufmerksam, da.ss wir uns hier
auf einem weit M-h wankenderen gründe bewegen, als im norden und England, weil
das matorial so äusserst gering und die inschrifteu zum grossen teile sehr undeutlich
und schwor lesbar sind, und er warnt davor, mit den lesungon wie mit gesicherten
resultaton zu oponeron. Ich muss denn auch gestehen, dass mir seine sämmtÜcheo
doutungon mehrfache bedenken erregen ; namentlich muss ich gegen die erklärung der
inschrift von Charnay donsoll)on (iinwaud widerholen, den ich seiner zeit gegen Hen-
nings lesung geltend machte: für mich ist die möglichkoit, dass ein noch niclit
erwähnter gegenständ durch ein pronomen bezeichnet sein könnte, ausgeschlossen. Sb
NEUERE SCHRIFTEN ZUR RUNENKUNDB 245
-igener deutungsversuch , der von Bugge die Umsetzung einzelner zeichen entlehnt,
iiö runon l^ta aber von der eigentlichen inschrift ausschliesst, worin ich mit Wim-
otier zusammentreffe (vgl. Ztschr. 23, 359 und Wimmer, Do tyske runemindesmaerker
s> 78), ist oben s. 241 fg. mitgeteilt.
Auf die fortsetzung des 2. exkui*ses, der die gotländischo inschrift der spange
^on Etelhem (mik Märila worta) behandeln wird, dürfen wir besonders gespannt
^eio, da derselbe den nachweis zu bringen verspricht, dass der dialekt der insol
Ootland ursprünglich nicht ein skandinavischer, sondern ein gotischer gewesen ist.
Auch sonst wird das weiter fortschreitende werk, dem wir rüstige förderung wün-
schen, für die Wissenschaft sicherlich reiche ertrage liefern und viel neue resultate
Zu tage schaffen: so dürfen wir z. b. wol erwaiton, dass die auf s. 143 ausgesprochene
meinung, die runenschrift sei von einem gotischen stamme erfunden, nicht ohne ein-
gehende begründung bleiben werde. Dieselbe ansieht findet sich ja bekanntlich schon
bei Henning (Die deutschen runendenkmäler s. 152).
Die äussere ausstattung des norwegischen runenwerkes könnte besser sein: es
vrird in dieser beziehung hinter Hennings buche und namentlich auch hinter dem im
drucke befindlichen Wimmerschen corpus der dänischen runeninschriften (von dem
Lch einzelne aushängebogen bereits im vorigen herbste einsehen durfte) zuiückstehen.
Namentlich ist es zu bedauern, dass verschiedene ältere illustratiouen einfach repro-
duciert wurden, obgleich Bugge ausdrücklich hervorhebt, dass sie ungenügend und
fehlerhaft sind (vgl. s. 92 anm. , s. 94 anm. 1 u. ö.). Diesem mangel wird auch durch
die dankonsweiien zwei phototypien einzelner teile des Tunestoines, welche neu ange-
fertigt wurden, nicht genügend abgeholfen. Die correctur ist mit grosser Sorgfalt
ausgeführt, und es sind daher nur einzelne kleinigkeiteu zu berichtigen. S. 3, z. 2
V. 0. lies: Pauls Grundiiss H, 2; s. 22, z. 11 v. u. ist ein und derselbe beleg zwei-
mal angeführt, denn der stein von Hobro (Thorsen Jyll. ur. 40) ist mit Liljegr. ur. 1499
identisch; dasselbe ist zu s. 100, z. 20 v. o. zu bemerken, da die nr. 45** und 85 bei
Stephens einen und denselben brakteaten bezeichnen; a. 26, z. 9 v. u. lies: sanmien;
8. 27, z. IG V. u. ist das citat Liljegr. 1099 falsch, doch war ich ausser stände es zu
verificieron; s. 32, z. 4 v. o. lies: Brugmann; s. 65, z. 11 v. o.: Ghv. 16, 7; s. 66,
z. 7 V. u.: Skääng; s. 85, z. 8 v. o.: Runverser 164; s. 109, z. 17 v. u. hätte gesagt wer-
den müssen, dass das upländische Björkö (Liljegr. nr. 334) gemeint ist, da orte dessel-
ben namens, bei denen ebenfalls ninendenkinäler gefunden sind, auch in Söderman-
land und Smaland liegen; ebda z. 2 v. u. lies: fa^uRfor fapur\ s. 119, z. 6 v. o.:
Dyb. fol. I (bis); s. 129, z. 23 v. o.: Strarup; ebda z. 22 v. o. ist die typographische
widergabe der rune // gänzlich verunglückt; zu s. 147, z. 1 v. o. ist hinzuzufügen, dass
der in der Themse gefundene „gegenständ** auf s. 120 ausführlich behandelt ward.
KIEL, 5. MÄRZ 1895. UUQO GERING.
Germanische mythologie. Von Elard Hug^o Meyer. Berlin, Mayer & Müller.
1891. [Lehrbücher der germanischen plülologie I.) XI, 354 s. 5 m.
„Die herleitung der wichtigsten mythcnmasson aus den eindrücken, die der tod,
der träum und der beherrschende dreiklang der drei hauptwettere racheinungon her-
vorrufen, ist hier zum ersten male dunrhgefühit. Werden diese Vorgänge im ganzen
als die richtigen grundlagen der mythenbildung anerkannt, so bin ich zufrieden"
(Vorwort). Eingehender hat der Verfasser über begriff und aufgäbe der mythologie
s. 9 fgg, gesprocben. Nur beaoadera eiudrucka volle Vorgänge des meDschenlebena ii
der natur seieo im stände gewesen zur bildung lubensfähiger mython animvgen: gubnrt,
brankheit, tod, alpdruob, traiim, gowitter, wind, Wolkenzug (sonue, tnotid utid stern«,
tag und nacht, hinimel und orde Bpielen uubedeutendu nebenrolldn). Die aus diaewi
„woltgegenstündeo" nusammengesetzteu niytheo sind ku glaubeusartikeln geworden
und haben die gniudlageu der religiuu gobildut Der cultus ist ein sgiitigelbild Jeniir
mytheu , doch überwiegt in ihm daa sittliche wie in der niythologie das phontoatiMfae.
Das phantastische erscheict in einer niedorn, den aosprächeti des gemiiinon volios
dienenden form als seelenglaube , maienglaube, naturdämonenglaube ; in einer aus
den böberen ständen bervorgegangonea prioster- und aristoknitesinjtbDlogii,' als diino-
nanglaube, göttcrglaube, heroenglaube.
Was zunäobfit diese sonderung zwischen volks- und ariatokratenmytbologie botriSI;
so setzt sie sich io widersprucb mit den ergebnisson der gescbicbte imaeror pM
Wir haben uns an dieso um so mehr zu halten, als nach Meyer (g 11] uuter myttiK
logio za verstehen ist die summe der bilder und dicbtungou, in denen die retigiCA-
poetiscbüu aoBchauungen eines Volkes von gewissen vergangen des menSühenlabMia
und der nstur ausgepiägt sind. Die mythelogic, wie auch Müllenhoff sie gefasst i
Ben wollte (Manohm'dt, Mjthol. forsch, s. E£. DA. V, 157), war ein eigenatliger
bestaridteil der dicbtung. Folglich hätte sie mit der littoraturgeschicbte in erster L
fühlung zu behallon. Gerade Müllenhoff bat nun aber als testen eokstein seiner (cn-
sohung nurgestcllt, dass wir nur eine obsrakterform in allen änsseniagon des ger-
manischen lelwns sich darstellen sehen {DA I, YU) und wir wissen, dass es die
gormanisuhcn Volksdichtung ist, in der er jonon charakter widorzufinden ^luibto.
Es ist „die noch in nngstrouutor einbeit scbafFende naturkraft des geistes^,
wir unsere älteste poesie verdanken, die unter dem ganzen volke gelebt hxt, eio
lebendiges buch, wahrer gcschiohto voll, eist im hohen mittelalter mit der ein]
der natioD uns vertoren gegangen. Lilieucron, ein zweiter Vertreter dieser lichtintg,
sagt in der vorrede zu seinen Volksliedern: „die alte velksdiditung war berufon,
ganze religiöse, sittliche und geistige entwicklung des Volkes während der frülMO
stufen seines lebens zu umFassen, die summe der geistigen entwicklung ist in jenso
Zeiten noch ungeteiltes gesamtgut des ganzen volkos gewesen, d. h. mit andern «or-
ten, in jenen alten zeiteu war die Wechselwirkung zwischen den trägeru der bildaog
und der grossen masse in cbeu dem masse leichter, als der stofC, den es mitioteSoi
galt, einfacher gedacht und geformt war. Es erscheint aber dieser stoff als eine tiaf-
sinnige, allen gemeinsame Volksbildung, welcher noch kein gegonsatz eim
andern dicbtung oder darstell ungsart gegen ütwrsteht.*'
Wol kennen wir heutzutage den begriff der Volksdichtung nicht mehr im täaM
von Herder ond den Bomantikoni vortreten, aber es iat bekanntlich das crgehnis «W
allseitigen Würdigung der alten kultiir, dass wir sie als ein „ungeteiltes gesamigut da
ganzen Volkes" betrachten: folghch ist das Meyerschc System unserem gonniiil-
Rehen altertum nicht confoim. Seine niythologie ist mit den grundlageu der itd-
sehen philologie unvereinbar.
Die heute so beUebte, aber meiner ansieht nach widersinnige untoischeidini
zwisubeu niederer und liöbercr mytbologie ist ja auch von einem manne nusgegtt-
gen, dem altdeutsche kultur und jiuesic fremd war. Aber es ist bedauerlich, dK
sieh innerhalb der deutschen philologie forscbor gefunden haben, dio sich von j«DM
leeren Schlagwörtern, Schwarzons haben iri-o leiten lassen. Nach dem, was loh M
der geschichte unserer wissensebaft und unserer hultur gelernt habe, ist u fU
ÜBER B. n. UKVEB, (lERlUSISClIE llVTROWKilK 247
eineo ■netbodi.sch arbeite nduu philulogou uniuöglioh, die mythologische iiljeilieroruug
des altortntns anf xwei bildungssohichten des voUcea zu veileilen.
Fernerhin moBS ich entachiedonaten einspnich erhoben gegen die meloorolo-
gische und psydiopatbologiscbe uiythendeutung. Hüllonhoff hat den unabänderliuben
gnmdsatz anfgestellt, dasa es sich für die philotagon nicht um dentung, Bondoru um
gescbicbto dos mytbus bändle. Wenn Meyoi' diesen grundsntt ])reisgibt, ist er
witlerum über die grenzen der deutschen philelogie hinaus. Ausserhalb der^deut-
sehen pbilologie gibt es aber keine deutsche mythologie. Es liegt in der boschaffen-
hoit nnseres materials begründet, dass nur ein philologe die mythologische überlie-
Ibrang verarbeiten kann. Das ist ja wol auch die ansieht des Verfassers, denn er
tejne germanische mythologie in einer sorie von Lehrbüchern der pbilologie erscbei-
lassen. Was Mannbarilt leider so spät orkantit hat, ist Heyur noch nicht klar
geworden: dass erst im lichte der philologbuhen einzelorklfirnng die aufgäbe des
mjthologen wissen scbaftlicb begrenzt erscheint. Non sagt aber Ueyer (§ 17), seine
soffassung des begriffs mythologie berühre sieh mit dem, was wir heute jibÜDsophie
nonneu. Er gehört also noch zu denen, deren eiuseitigkeit W, Grimm vergebens
betont hat, so lange für sie die aufgäbe darin bestehe, „das verborgene philoaophem
in der doppelten üherkleiilung, in welcher es Jetzt sich darstellt, aufzusuchen. Was
dabiu sich deuten lässt, muss als der eigentliche inhait hervorgehoben, alles andere
als iiichtasAgend zurückgelassen werden" (Hs' 447). Pem forscher verschwindet dabei
jode hesunderhi^it einer bestimmten zeit, eines bestimmten volks, einer bestimmten
koltnr. Es ist bezeichnend, dass diese richtuiig heute nur noch in der voterlands-
]os«n sog. vergleichenden mythologie vertreten ist Eine vergleichende mythologie hat
jedoch vorerst noch gar keine existenzborcchtigung. Gerade die „vergleichende my-
thologie' bat aber bei uns gennanisten am meisten unbeil angerichtet. Das einzige
heil liegt darin, sich von ihr gänzlich los zu machen und sie als gar niclit vorhan-
den EU betrachten. Su wird es in der klassischen and semitischen philologie gohal-
toa und das ist nachahmenswert. Es ist dringend erforderlich, dass wer über ger-
manische mythologie schreiben will, hei männem wie Wellhausen, Bohde', Wilamo-
wila, Cuitius anfrage und bei ihnen sich tats erhole. Mit welcher Überlegenheit
haben diese m&nner sich über den Standpunkt erhoben, auf dem Meyer, Rodiger u. a.
stehen geblioben sindl Es wiire vielleicht ganz nützlich, an dieser stelle die' an-
Mhauuügen eines Wellhausen zu skizzieren, aber ich ei'spare es mir und verwaise auf
seine „Reste des ai-ahischen heidentums'. Den nagel auf <len köpf getroffen hat Cur-
tius (Borl, Sitzungsber. 1890, 1141 fgg-), wenn or den grundfehler der neueren darin
«tfcoDut, dass man die novellistischen tündeloien der jioeteii mit dorn iuholt volks-
ilicher gottesideen zusammengelAn , die mythologie zu einem rätselspiel gemacht,
den menacblivlien keim aller religion ausser acht gelassen habe; noch niemand
ibe erklärt, wie ein vernunftbegabtes volk dazu kommen konnte, z. b. ans dem
inde die idee einer gotlheit zu gewinnen. Sehr klar ist die grundlegende formulie-
ig der Probleme hei Wilamowitz, Hippolytos s. 23 fgg. Ich berufe mich auf sie
lit besonderem nacbdruuk, weil ich nirgends sonst ebenso zutreffend meinen eignen
idpnnkt ausgesprochen gefunden habe. Er sagt: „Der boliebteslc aber ^nzlich
iinen gott zu verstehen, geht von der von ihm erzählten gescbichte aus.
betraobtet sie als eine art rätsei, sucht sie zu deuten mit einer Sicherheit, dass
sich darüber wundert, weshalb die menschen der vorzeit so viele hübsohe
1) Vgl. namentlich: Die religion der Uriechon. Heidelberg 1891).
248 KAUFFUANN, ÜBKR ]l, U. BSV
geechichten für ein paai' baiiaJo dingt) ausgedacht haben, wie (jass es so BeJir beqncot
üt, gütter KUgleich eu fosseD nad zu verflüclitigsu. Denn tnoistoos dreht »icba uau
Wetter. Wir müssen mimittelbar und ooncret empfiuden, wie die mensühen. In dwen
herzen die götter ontätaaden sind, dann orscbeineo sie uns. Es ist mühsamer als du
mythologische rätaelratcQ, aber an dem ergebnis iindet auch unser herz befrienliguiig,
Ad die götter haben sich nie an heroen DovelleDStotTe gokiiü|ift (Hiogonde wotin),
Die träger der novellenmotive sind überhaupt gleichgültig. Das der uovelie za gnind*
liegende motiv ist TOn so allgemeiner gültigkcit, dass es so wenig auf einen uu-
gaogspunkt zurückgeführt werden darf, ^vie dem veilohcn und der nachtigall v«
botaniliern und xoologen eine bestimaite heimat zugewiesen werden kann' usw. Hn
gehe von der loktüxe des Bippolytos an die Idg. mytben oder die vorliegende gena.
mythülogie oder etwa auch an Scherers pootik und man wird über die ganze ara-
seÜgkoit dar modernen natnrmytholü^e aufgeklärt sein.
Meyer gebt nun keineswegs in dersolbon auf. Aach er berück siobtigt vorwogt
des peraönlicheu tnensohenlebens. Aber seltsam er ^ireise wShIt er daraas ntu tnin
und tod. Warum uicbt auch geburt? Gehört . gebort" etwa nicht zu dem gn»
artigen wechsellehen der weltgegenstünde? (§ \ü ~- doch vgl. g 12.) Aber Ui^Ri
systeiM fordert die ausschliessung. Denn bloss der gefühlswert bosümmo die nijüien.
Es handelt sich für ihn also nur um eine nuüwabl der erfalirungeu einer »inxelawlt.
Für ihn ist mythologie sache des Individuums und zwar nicht einmal des ganiot
iodividuums. Die philosophisuhe wie ilio völkerpsychologische etkik <ler gogenmt
steht auf ganz anderem bodeu. Sie geht von der nie bcatritteuea tatsache aw, dM
religion zu allen zelten nicht sacbe der eiuzelseole oder oinzelplinataste gewesug i>t,
sondern sacho der gesollachaFt, üffcntliobo angelogenheit Aas dem gernuinsotulb-
lebeu der alten vülker heraus ist die blaue blume der mythologie entsprossen; Re-
gion ist eine erschcinung des praktiachen lebeea wie Sitte und recht. Wer ddtfta
luigestraft eine oinzelüberlieferung der alten sitto oder des alten rechts auf UUii
donner nnd wölken deuten? Warujn lassen wir dum religionshistoriker und mjtbol»-
gen zu, was wir dem recbtahisluriker wehrenV Hei aller anorkenuung für di« im
buche aufgestapelten reiclilialtigen inaterialsammlungen muss ich aus den im vetateban-
den entwickelten gründen dos Meyerscbe werk als verfehlt und unfrurhtbar ablehaca.
JENA. FB. UUFFtUNN,
Die redaetion glaubt es nicht utigerügt lassen zu sollen, dass der vortefS
diesem buche emo so elende aiisstaltung gegeben hat, wie dies bei wbseDBchsfÜicbM
werben in Deutschland, und besonders bei gennanistischen, bisher unerhört war. Ehi
so blasser nnd schinioriger druck auf so jHmmertichem papier — dio ufüdu, uu dir
or hervorgegangen ist, hat sich voi'Sichtiger weise nicht genannt — ist ans nodi
nicht vorgekommen. Sollten diesem 1. bände von „Lehrhüebem der gonnanitcblB
Philologie" noch andere von gleicher äusserer beschaffenheit folgen, so wäre d« «i»
Versündigung gegen die augon der Studenten, welche diese bücher benutzen seUsa.
Neuhochdeutsche uiotrik. Ein handbuch von J. Htnor. Strasaburg, Irvloin-
1893. XVI und töO s. 10 m.
Weit ausgreifend und tief eindringend fasst Minor seinen stofF an, und beinh*
scheint es, als ob unter dieser fülle des inholtes die kunst der dorsteUuug not itÜit
Rein ftoaserlich schon fällt es auf, dass abgesehen von dem Vorworte und mner kof-
zen cinleitung die gliederung so gmi auf das prineip der iitilerurdnuug vu
WUMDERLICU, ÜBER ULVOR, NHD. METRIK 249
In 8 abfichnitten, die alle gleichon rang beanspruchen, werden fragen aufgeworfen, die
/'Or grappeDbildung eigentlich herausfordern. Die Untersuchung über das woson des
rhythmus nimmt sich wie die gegebene oiuleitung in den stoff selbst aus; Quantität
ood accent, wie sie der Verfasser im zweiten und dritten abschnitt behandelt, füliron
uns das Sprachmaterial nach der seite vor, au der die motrik cinsotzt, während
der vierte abschnitt (der versfuss oder der tatt) die metrischen oiiiwirkungen auf die-
ses material kennzeichnet. In den abschnitten V — VIII entfaltet sich dann recht
eigentlich die gcschichto der neuhochdeutschen metrik: die entwicklung der vcrsgat-
toogen, der reimkünste, der Strophenformen.
Freilich, so ungezwungen sich diese gliederung aus der tatsächlichen dai*stel-
loDg dos Verfassers ergibt, so wonig cutspricht sie den theoretischen ausführuugcn,
die das etwas abstrakte vorwort darlegt. Indem wir ein band buch der motrik auf-
zasohlagen meinen, wird uns diese Wissenschaft dort vielmehr möglichst ferne gerückt
als eine lehre von den „ principien der verskunst ** (s. XII). Ausdrücklich wird die
»einführung der metrischen formen in die dichtung" aus dem beobachtungsgebiet aus-
geschlossen; „das historische kommt daher hier erst in zweiter linie in betrachf^.
Nun scheint es uns, dass schon eine principieulehre der metrik den boden unter den
füssen verliert, wenn sie ihre einsieht in das wesen der metrischen formen nicht aus
den Schicksalen zieht, die diese in der geschichte der dichtung erlitten haben. Ein
handbuch aber der metrik wird schon durch seine auf das praktische gerichteten auf-
gaben an das geschichtlich gegebene gewiesen. Und ein handbuch der neuhoch-
deutschen motrik vollends hat durch den zeitlichen rahmen, den es in den titol
aufnahm, das ziel so bestimmt abgesteckt, dass für die allgemeine erörterung der
principien gegenüber der darstoUung der entwicklung in der nhd. poesie höchstens
der Spielraum einer einleitung übrig bliebe. Minor hat diese folgerungen nicht gezo-
gen; ihn verlocken vielmehr dogmatische tendenzen, ihn reizt die naturwissenschaftliche
Seite seiner aufgäbe, aber trotzdem tritt der geschichtliche faden, der die tatsachen
verknüpf]^ immer wider zu tage. Das historische moment erzwingt sich sein recht
selber und nötigt den Verfasser in der tat die grenzlinien zu überspringen, die er
sich grundsätzlich gezogen hatte. Vor allem gilt dies für die letzton vier abschnitte
<^es buches (s. 183 — 472), in denen ganz entschieden die einführung der metrischen
formen in die dichtung den vorrang behauptet. Dem gegenüber zeichnet sieh aller-
^">g8 der erste teil (s. 1 — 1S3) mehr durch principiello erörterungen aus, und auf ihm
"«niht auch das Schwergewicht der wissenschaftlichen tat des Verfassers. Es ist
^'^gemäss auch nur natürlich, dass abweichende auffassungen vor allem an diesem
t^rsten teil ansetzen. Wir lesen (einleitung s. 1): „Aber wie verschieden wird nicht
^^ Und derselbe vers von veföchiedenen gelesen und wie wenige verstehen verse
^zutrageQ? Wie soll man sie überhaupt lesen: scandiorend nach dem vers-
®^honia oder recitierend nach dem sinn? Und wenn man nun auch die kuust des
^'utigQu Vortrags besässe, so könnte man doch nicht immer zugleich vorti-agender
Unbefangener zuhöror, beobachteter und beobachter, Subjekt und objokt der
'^'^iuchung sein. Vielleicht dass wir einmal in dem phonographen ein tlieoretisohes
**K2eug erhalten, um auch den kunstvollen voi-trag von verson zu fixieren." Die
~^®, die hier aufgeworfen wird, gehört mehr in die lehre vom Vortrag als in
'^ Uiotrik. Der metriker fi-agt nicht sowol „wie soll mau die verse lesenV
8^ndorn „wie werden sie gelesen?" Er steuert nicht so sehr auf die zu eri-ei-
^"ide norm zu als auf die erkenntnis, wie weit die absiebten des dithters /^ehen
^ Wie sie von seinen Zeitgenossen und nachkommen erfasst worden sind. Minor
250 W'UNDERUCH
selbst sagt an anderer stelle (vorwort I): „Die hauptfrago bleibt in der neuhoch-
deutschen mctrik immer: ist der vom dicliter beabsichtigte rhythmus auch wirklich
in den werten und Sätzen enthalten? oder wie verhält sich ihr natürlicher rhythmus
zu ihm?** Auf solche fragen bereitet sich aber die antwort vorwiegend im bereich
der litteraturgeschichte vor, für ihre lösung bieten sich philologische hilfsmittel dar,
die der Verfasser gerade geneigt ist, aus der mctrik auszuweisen. Die natorwisseo-
Schaft, die er breit an deren stelle setzt, ohne freilich damit gewisse spielcr»en
moderner philologie befürworten zu wollen, kann nur im dienst der philologiscben
methode hier von nutzen werden. Und an stelle der exakten messungen des instra-
mentes, die erst von fernerer zukunft erhofft werden, könnten schon jetzt die unbe-
fangenen beobachtungcn des littcrarhistorikers gute dienste leisten. Minor selbst
bietet dafür das beste beispiel durch die belege, die er gelegentlich aus dem reichen
schätze seiner erfahr ung beibringt. Allerdings dürfte hier die freude an einer künst-
lerischen norm nicht gar zu beeinträchtigend vor den mannigfaltigkeiten stehen, die
das tägliche leben in Wirklichkeit bietet.
Der erste abschnitt (s. 7 — 42) behandelt den rhythmus und stellt recht eigent-
lich das Programm des buches auf, weshalb auch hier vor allem die andentungen
des vor^^'ortes erweiterung finden. So greift gleich die gronzlinie, die zwischen der
metrik und der musik gezogen wird, auf diese ausfuhrungen zurück. In dem bestre-
ben, die gebiete reinlich zu scheiden und keinerlei beiwerk zuzulasen, war dort
selbst die komposition als faktor in der metrischen beurteilung eines liedes Twndweg
abgelehnt worden. Wir haben „nirgends die absolute gewissheit*, dass „der kom-
]>onist auch (wirklich dem natürlichen rh\-thmus treu gebheben ** ist (s. TDI). Wol
aber vermag meines erachteus ein historischer sinn aus der Verschiedenheit der Wir-
kungen, die ein lied in maimigfaltigen kom|>ositionen widerspiegelt, bedeutsame auf—
Schlüsse über das wesen des rhvthmus zu ziehen. Es wäre freilich verkehrt, wollten
wir nicht zugestehen, wie scharf schon Minor das wesen des rhythmus erfasst und
welch bündigen ausdruck er diesem gegeben hat (s. 7 fgg.)- Treffend vor allem knnn-
zeichnet er ihn in der art, wie er sich im neuhochdeutschen verse geltend macht:
,lA»se ich gute verse bloss nach dem sinn vor (s. IS), so entsteht das gefühl
für den rhythmus in mir, der in ihnen liegt. Das behanoingsvermögen macht sieht
geltend und hält ihn fest. lA»se ich weiter, so bringt mir der folgende satz nichfc
nur denselben rhythmus wider in erinnerung, sondern ich hal»e auch das iHjdürfniSy
in dem angi.»faugeiien rhythmus fortzulesen , der rhythmus trägt jetzt auch de»
satz.*" Die Voraussetzungen des rhytlimus sind (s. 12) «die dauer und die stärke*,
in der Vereinigung beider demente entsteht ei"st die künstlerische Wirkung. Auf denm.
gebiete der musik schaltet der rhythmus mit l>eidcn werten, quantität und accent^
nach freiem ermessen, in der metrik hat er au der natürlichen quantität oder deC
prosudie der sillK?n und in dem natürlichen accent gege]»ene grossen, mit denen er'
sieh aust'iuandersetzen nuiss. An diese ausführungeii knüpft sieh eine darstellon^
des verhältLisses, in dem der antike vers zum deutschen verse steht. Diese dar —
Stellung gehört in uusenMi Zusammenhang, weil aus dem gesagten folgt, dass die
bezeichnung quantitierender. accentuierender vers als einseitigkeit zuriickgewiesef
wenien muss. Die quantität behält im deutschen, der aeccnt im griechischen vei
nicht s«^ hartnä«kiL' den in der prosa In^haupteten weit, darum erzwingt sich
quantität im gri'.rhi^clien. der accent im deutschen verse die grössere beachtunÄ*-
Diesen lH>iden vorU'dinirun.izen «les rhythmus ist nun der zweite und dritte abscbni*- *
gewiiünet. Minor spricht (s. IX) von dem ,,in der theorie und in der praxis «tJJ
i
ÜBRB inNOR, NHD. METRIK 251
unbegreifliche weise misachtoten satzaccent''. Diese klage dürfte jedoch — für die
theorie wenigstens — viel eher die ^quantität*' hetroffen. Auch bei Minor selbst ist
dieses kapitol vielleicht am wenigsten abgerundet, dagegen fast am reichsten bedacht
mit selbständigen äusserungen oder mit anregenden hinweisen auf eine littoratur,
der man nicht leicht in ähnlichen werken begegnet. Einwendungen lassen sich
aach hier natürlich leicht erheben. Es fragt sich schon, ob die quantität nicht bes-
ser erst nach dem accont abgehandelt worden wäre , weil sie doch sehr stark unter
\ den Schwankungen dieses faktors leidet. Die prosodische beschaffenheit der einsil-
[■ big«! Wörter (s. 46) hätte dann sicherere und festere umrisse erzielt. Dass es „im nhd.
[ keine konsonantische längen*^ mehr gebe (s. 44), diese aufstellung lässt jedenfalls die
' mnndarten ausser betracht Von interesse natürlich ist das urteil, das Minor (s. 53)
: über das kinderlied und die auszählsprüche fällt. Ihm steht die „metrische kunst*^
hier ,auf ihrer tiefsten stufe''. Nicht ganz objektiv jedoch ist es, wenn er behaup-
tet, man wolle diese formen neuerdings „als das ideal einer nationaldeutschen metrik
hinstellen. '^ Die richtung, um die es sich hier ernstlich handelt, ist doch in erster
hnie auf erkenntnis der Vergangenheit, nicht aber auf normen für die gegen wart
bedacht. Für den accent, sowol was den woi-taccent als was den satzacceut betiifft,
lagen schon ergiebige vorarbeiten bereit. Minor hat das material durchgängig selb-
ständig verwertet und sowol daraus wie auch aus eigenen beobachtungen manches
neue za tage gefördert. Wie schon für die quantität oben (s. 44), so ist auch hier
^ den accent die physiologische gmndlage breit herausgearbeitet (vgl. s. 61 u. a.),
die auch zur versetzten botonung (s. 125) und später zum Verhältnis von wortfuss und
Tersfuss (s. 158), zur satzpause (s. 193) und zur caesur (vgl. s. 260) mancherlei auf-
schlösse gibt. Namentlich auf den nebenaccent fallt aus ihr helleres licht (s. 77):
nzwei expirationsstösse hinter einander bereiten uns Schwierigkeiten und verursachen
eine kloine Stockung; ein schwächerer druck vermag sich wol nach einem stärkeren
stoss, aber nicht vor ihm geltung zu verschaffen.* „Selten steht daher der neben-
accent unmittelbar nach dem hauptaccent, niemals unmittelbar vor dem haupt-
accent»
Bei der lehre vom satzaccent, die meines erachtens zum eigenen schaden erst
Mch dem wortaccent abgehandelt wird*, nimmt Minor nur gegen Behaghel, nicht
*^r auch gegen Reichel Stellung (s. 87) , mit dem er sich doch gerade in den grund-
^fÄgen vielfach berührt. Er hebt mit recht die relative natur des satzaccentes her-
vor, die eine einseitige erklärung aus einem princip ausschliesso. Er unterscheidet
den logischen accent, den Behaghol in ei*ster linie berücksichtigt hat, vom empha-
«scben, mit dem er sich an Moriz anlehnt (s. 64). Daneben wird aus dem gram-
Diatischen Verhältnisse der Satzteile unter einander ein grammatischer accent erschlos-
8®i« Es lässt sich nicht sagen, dass in diesen namen oder dass in dieser dreifachen
SJiodenmg das wesen des satzaccentes sich erschöpfe, vielmehr liegt der wort dieser
Abstellung mehr darin, dass der Verfasser belege und beobachtungen für sie beibringt,
^ zu neuer gruppenbildung anregen. Namentlich mit einem sekundär zugelassenen
P^cip, nämlich der rhythmischen gewichtsverteilung des accentes ist er den abso-
luten regeln Reicheis gegenüber im vorteil. • Denn wenn freilich auch dieser gelegent-
^^ (8.33) mit rhythmischer accentverrückung operiert, so hat er ihr doch wenig
^\i8& auf seine theorien gestattet. Dagegen berührt sich sehr nahe mit ausführun-
1) Minor gesteht (s. 99) eigentlich nur dem wortaccent bedoutung für die
"jw za. Warum behandelt er dann den satzaccent so eingehend? Weil in ihm
«ö entacheidung für den wortaccent liegt; s. u.
252 WUNDRRLICH
gt.^n Kcichols (8. 27. 31) die krUrtige h(M*vorhobung der zusamnioufassendon
des accontcs: „Ich glnubo der acccnt hat die neigung aufzusteigen und bei mehreren zi
zusanimcngohörigen Satzgliedern auf dem letzten zu kulminieren (s. 93). Diese ne^i-
gung haben wir schon bei den imeigentlichcn kompositionen beobachtet und sie crkls^ rt
zalilreiche erscheinuiigon , für die sich sonst kein einleuchtender grund anführen liess«^. «
Am sclilussü (8. 103) empfiehlt Minor i)raktische Übungen über den accent anzx].
stellen. Vier hauptai*ten werden untoi*sohieden und dem entsprechend der eingaii^
des AVilhelm Meister mit acoenten versehen, über die sich namentlich in bczug auf
den „grammatischen accent*^ streiten liesse. "Wir erhalten aber damit für die Unter-
suchung ein litterarichcs material in geschlossenem zusammenhange, wie wir es schon
im vorhergellenden oft statt der willkürlic^h erfundentm belege gewünscht hätten.
Aus.serdcm enthält die reihonfolge der beobachtungeu , die der Verfasser empfiehlt, eine
gewisse kritik der reihenfolgo, die er selbst eingehalten hat Die festsetzung der
hauptaccente der stanmisilben in den mehrsilbigen Wörtern, mit der begonnen werden
soll, steht in der mitgeteilton prol>e ganz unter der horrschaft dos satzaccentos. AU
zweiter Vorgang folgt die accoutbostimmung „der einsilbigen wörtor auf grund d«r
regeln für die Satzbetonung** und ei^st in dritter linie kommt der wortaccent zur ent-
scheidung der nebenaccente in frage.
Vom natürlichen accent geht die darstellung zum vei-saccent über und erregt
besonderes interesso natürlich da, wo sie den wideretreit der beiden acccutc bespricht.
Minor unterscheidet drei formen dieses Widerstreites. Die ersten lieiden fallen unter
dem gesanimtbegriff der vei^setzten betonung zusammen (vgl. 112 fgg.), bei der
ein accent den andern niederzwingt. Der versaocent siegt vor allem bei derjenigen
dichtung, die eine inin'gero fühluug mit der musik* sucht. So ist mit recht hervor-
gehoben, wie bei Arndt der dactylischo rhythmus die i>rosaische betonung einfach
mit si(!h reisst, weshalb gerade dieser dichter sich nicht als beispiel für natürliche
betonungsverhältnisse verwerten la.^se. Dagegen siegt der wortaccent am häufigsten
in derjenigen dichtung, die anlehnung an die prosa sucht, vor allem im fünffüssigen
Jambus des dramas. Minor hat hier, wie auch sonst gelegentlich, gerado in den
frciheiten dieses vei-ses überraschende ausblicke in die vergleichende metrik eröffnet
in erster linie in das wesen dos romanischen verses. Den häufigsten aasgleich bei
dem widerstreit der aceento liefert nun der dritte fall, die schwebende betonung
(s. 110 fgg.). Minor stellt diese erscheiuung klar und einfach dar. In ^^ Freikeit
ruft die Vernunft, freiheit die wilde begierde^ stoBson versaccent und satz-
acceut zusammen und halten die betonung in der schwebe, ein ausgleich tritt dadurch
ein, dass man tonhiUie und tonstilrke, die sonst an dem einen acconte vereinigt haf-
ten, ti*eimt und auf die beiden ebenbürtigen gegner nun verteilt. In der widoiiioluog
erhält also freiheit die tonhöhe auf der ersten, die tonstärke auf der zweiten silbe.
Im viertiHi abschnitt (s. 132 fgg), der den vei'sfuss oder den takt behandelt,
wird in betrelT der taktdauor eine sehr wichtige beobachtung gemacht, die die ein-
zelnen Versgattungen strenge unterscheiden hilft Vor allem das daktylische vers-
ma'^s lässt erkennen, thiss bei der rogelmüssigen widergabe des reinen Schemas die
taktdauer leichter verletzt werden kann, als wenn die spondeen eingemischt sind,
in den gemischtx'u vci'sen kommt es auf strenge eiuhaltung der taktdauer an, wenn
der rhythn)us deutlich sich einprägen soll; hier also kommen die Senkungen recht
1) Für Hans Sachs, d(?n der Verfasser hier neben Arndt nennt, hat »whon
Braune (Litt, centrulblatt 1804 nr. 1) darauf aufmerksam gemacht, dass seine acoente
n»ehr vom äuge als vom olir beeinflusst werden.
ÜBER BflKOR, NUD. IIITRIK 253
eigentlich in betracht. Dio mittel zur herstellung einsilbiger Senkungen (s. 173 fgg).
sind nicht so ganz befriedigend dargestellt. Die frage der elision und der apokope
wenigstens wird zu wenig mit borücksichtigung der lautlichen Verhältnisse behandelt.
Dagegen fällt für die frage des hiatus (s. 178 fgg.), der allerdings auch in der litte-
ratur ergiebiger behandelt ist, eine i*eiho trefFcndor bemerkungcn ab.
Mit dem 5. abschnitt beginnt das litterarhistorischo moment sich mehr in den
Vordergrund zu schieben, hier nimmt auch die darstellung immer mehr die form
einer abrundung und Zusammenfassung der vorarbeiten an. Die eigenart des Verfas-
sers prägt sich am deutlichsten in seinen beitragen zum „Enjambemeuf* aus, in sei-
nem bemühen, den „versschluss** möglichst unabhängig von bisherigen anschauungen
zu erfassen. Schwierigkeiten häufen sich auf Schwierigkeiten unter der band Minors
nnd man könnte fast fragen, wem damit gedient sei?*
Die einzelnen versarten erfahren eine liebevolle und aufklärende darstellung.
^^ir heben die gedrungene Übersicht auf s. 334 heraus. „Es ist aber wol festzuhal-
ten , dass der moderne knittelvers mit dem Hans Sachsischen vers nichts zu tun hat.
^'ie man sich diesen auch zurechtlegen mag" (vgl. s. 323), „über jedem zwoifel steht
allein die festbestimmte silbenzahl, gerade diese aber fehlt dem knittolvei"se. Von
^^n vierhebigen jambischen oder trochäischen versen untei'scheidet er sich eben
dadurch, dass auftakt und Senkungen fehlen oder auch mohi*silbig sein können. Er
ents|»richt also wol dem altdeutschen vierhebigen reimvers, aber nicht dem vers des
Dans Sachs. Von diesen beiden aber unterscheidet er sich wider dadurch, dass die
roimsteilung meistens frei ist."
Besonders warm nimmt sicli Minor der freien rhj'thmen an, dio er (wenn
auch in deutlicher anlehnung an Ooldbock-IiOewe) aus eigenen zutaten beleuchtet.
M Cochem leser gegenüber ist es übrigens auch heute noch notwendig, diese rhyth-
^^^i als formen der poesie zu verteidigen, wie ein blick in die tageskritik deutlich
dai"tut. Gelegentlich der Stabreime nimmt Minor auf Jordan bezug. Der vers Richard
^ agners, der meines erachtcns weson und anläge des Stabreims viel innerlicher
®**fa8St hat, scheint wegen seiner Verbindung mit der musik ausgeschlossen worden
^^^ sein.
Schöne beobachtungen enthüllen sich bei der darstellung des endreimes. Vor
^em ist es das Verhältnis des reimes zum sinn, die gegenüberetellung von bedeu-
^uden reimwörteni und von mmfüllseln , die sinnliche kraft des reims, die hierzu
anregten. Zu der empfindungsskala der vokale (s. 358) hätte sich noch anziehen las-
sen, was Helmholtz über die eigentöno der vokale sagt^ Unter den Strophen formen
(8. 382 fgg.) kommt auch die Nibelungenstropho (s. 409) zur besprechung, allerdings
ohne dass der gegenwärtige stand dieser frage und die Stellung des verfassci-s deut-
lich sich kennzeichneten. Merkwürdig ist es überhaupt und für unsere neuhoch-
deutsche metrik überaus bezeichnend, wie wenig der Verfasser auf den älteren deut-
schen vers bezug nimmt. Freilich ist er auch einer reihe von paralleh^n ausgewichen,
die sich eigentlich ungesucht ergeben hätten (s. 122. 149. 169. 219).
Beim sonett ist wol in anlehnung an die reichhaltige litteratur dieser strophe
das Verhältnis zwischen form und inhalt in die darstellung eingewoben, es logt uns
den wünsch nahe, dass die metrik überhaupt dieser frage mit neuen kräften nach-
spüre. Sie gehört zu den reizvollsten aufgaben in der geschichte der dichtung.
1) Vgl. hierzu noch den nachtrag auf s. 486.
2) Lehre von den tonempfindungon s. 163 fgg. Bi-aunschweig 1862.
254 WUNDERLICH
AVir sind am eudo. Es ist kaum angebracht, darauf hinzuweisen, dass x^it
den einwänden, die da und doit zu erheben waren, nicht alle bedenken und zweiTe],
zu denen das buch anregt, ausgesprochen sind. Denn wo solch ein weites ge^'Siet
umgepflügt worden, kann nicht jede schölle der anderen gleichwertig sein. Aber <i^j
samo, der darein gestreut wurde, ist keimkräftig und tragfahig; und die fmcht, di«
aus den guten stellen spriosst, ist so reich und dicht, dass sie auch den stein i^v^n
bodcn überschatttit
HRIDRLBERG, 30. DRC. 1894. H. WUNDERLICH.
Der althochdeutsche Isidor. Facsimile - ausgäbe des Pariser codex nebst kriti-
schem texte der Pariser und Monseer bruchstücke. Mit einleitung, granunfl.'
tischor darstcUung und ausführlichem glossar. Von G. A* Heneh. [Qudlcn und
forschungon 72.] Strassburg, J. Trühner. 1893. XIX und 196 s. Mit 22 tafeln-
20 m.
Hench hat seiner ausgalxj der Monseer fragmonto (vgl. Ztschr. XXV, 117 )•
in denen ja auch bruchstücke dos althochdeutschen Isidor dargeboten waren, nmö
eine gosammtausgabo der für Isidor vorliegenden texte folgen lassen. Die eigent^
liclie arbeit hat sich hier natürlich dem Pariser codex zugowant, wenn auch fä^
die Monseer fragmonte einige bcsserungen und ergänzungon zu bemerken sind (vgl'
XXXUl, 5). Aus dem Pariser codex hatte schon Kölbing (Germania XX, 378 fg-^
zahlreiche lesarten der ausgäbe von "Weinhold bcriclitigt; Hench bestätigt auf grün J
neuer zweimaliger collationen eine reihe dieser bcjsserungen (vgl. VI, 7; VII, 8 ^
VIJl, 7; IX, 11 u. a.), andere werden von ihm zurückgewiesen (IV, 1). Durch dicr
beigäbe der p}iotogra])hischen abdrücke sind wir in den meisten fallen in stände
gesetzt, die richtigkoit dieser angaben zu prüfen, nur in II, 17 bei der IcsongT
himilflemjciidem worden wir im Stiche gelassen. Kolbing (s. 378) gibt an: ,zu Afmi-
IcB bemerke ich, dass es übor ü geschrieben und wol zu erkennen ist*^, während
Hench entgegnet, „keine spur von es über */, wie Holtzmann und Kölbing be-
haupten, sicher nie geschrieben.** In dem photographischen abdruck entzieht
uns ein tintenfleck die möglichkeit, irgendwelche Vermutungen über diesen Wider-
spruch zu trelTon, und der herausgeber stellt nicht einmal die erwägung an, ob nicht
vielleicht gerade liier die lösung des rätseis ruht. Über Kölbing hinaus gehen andere
lesungen, so gleich I, 2. 3 himi'lo garawi frnmida für himilo garmeida. Die
wichtigste entdockung in der handschrift betrifft jedoch das lied auf den heiligen
Anianus (vgl. (;inl. s. XI), das sich als späteren zusatz erweist Damit fällt
für die Vermutung Holtzmanns, dass die handschrift in Orleans entstanden sei,
die wichtigste stütze, und danach ist die anmerkung in Denkmäler' 11, 8.350 zn
berichtigen.
Die selbständige l>etätigung des herausgebers am texte macht sich haupt-
sächlich in konservativer richtung geltend. Einige änderungon AVeinholds sind mit
recht von ihm wider beseitigt (XXXIV, 9. 10; XXXV, 10), einige irrtümer des Ori-
ginals hübsch auf die vormutli(^he Ursache zurückgeführt (IX, 13; XXFV, 5). Die
noten konnten, da der ])nläogra])hische apparat in den phototypien enthalten ist, anf
ein minimum beschränkt worden und geben vorwiegend mitteilungen zum lateini*
scheu texte.
Der löwenantoil fiel der grammatischen darstellung imd dem glossar hl Mit
recht beginnt die lautlehi'o gleich mit einer eingehenden Untersuchung über die fi^
bentrenDung. Nur mrti der herausgeber lücr mehrero formen zusammen. Aat-
scbliLsse Für die aussproobe Rind am aicbereten am zeltoiischluBse xu gewinuen; bier ist
dt^ Stellung des oinfachen konsonanten im iolaut {hei legim XXVI, 14), die Zer-
legung der di|)bthoDge (XV, 20 glte tat) aiüher von interoase. Innerhalb der Zeilen
ü»C scbciat mir dos grapliiscbe momeat zu übemiegeu. Hier sind es in erster
Knie die buchstabeu, die ein zusammenwirken, einen anscbluss begünstigea odor
Techindem. lu manebeo ähulichon rSllim, die ftencb für die lautlehre auanutsen
mücbiä, läSBt siab überdies seine angäbe aus der |ibot4)typio bericbtigen. In I, 21
Am-t^tgal finde icb keine bemerkenswerte lüeke, in XLIU, I uurxa stellt das % tod
I gleich weit ab wie von r. In anderen belegen überwiegt das begriSlicbe resp.
ciobgische moment, vgl. XXXVI, 4 bis scof heil.
In der lautlehre ist im allgemeinen ein entschiedener fortsohritt gegen die
Vfraiiere ausgäbe hervorKuhebcn. Allerdings wird auch jetzt noch gar manobes dar-
■galt^ und ausgeEp rochen, was nicht sigenilicb in den rahmen das Isidcr gehört;
»r diese ausfilhrangen bieten doch nicht mehr referat, Rondem eigenes urteil, und
B tnüiifon an schwolKinde fragen der litteratur an. In vielen fällen ergibt sieh die-
r Übergang augeiwungon aus der doistullung selbst. S. 03 lallen zu der von 8ie-
8 beobachtetet] aowenduag der längen be Zeichnung neue beobachtungen ab; s. 05
'den die Schwankungen der quontität unter dem etnflusa der tcnschwankung unter-
bt, und s. 68 fgg. treten die vokale der nichtbaupttanigen süben in den vorder'
I der bctrachtung. Auch hier widerum wird die Quantität in frage gezogen und
Ige im allgemeinen als Seltenheit feBtgestellt Synkope und assimilatioD ergeben
bvmorkenswertos. Boi der darstellung des consonuatisinas interessiert vor
die deutung der zeichen eh und gli. Für ch verteidigt Hench den chnrakter
Bpirata, den er aucli — aber auf der Vorstufe der spirantisierung — für Abb
^i^ttcbe gh lu ansprach niniuit. Im allgemeinen berührt dos bestreben woltucnd,
^ soiieinbaro regellosigkeil bestimmter Schreibungen zu entwirren. Bald auf phoue-
A<* gmndlago als einwirkuug bestimmter aiükulatiouGEtelleu {vgl. s. 81 die wider-
<Ies germanischen p, das nach vokaiea und r tönende spirans geblieben {dh\
t und n media geworden ist ((/)], Ittld auf groi>hischer giundlago als neigungen
' ■XTtümor der scbrciber lassen sich die meisten Widersprüche löaou, und Heuch
»cht, wenn er s. 111 Weinbolds aufTassung der lautbezelcbnung im Isidor ala
, meehnnisuhen mischnng des mitteldeutschen mit dem bairisohen* zuruck-
Heuuh hat in etwas knappem berlchto über die früliero litteratur als dialekt-
. doB abd. Isidor djiä südliche Rhelufranken aufgestellt, dem nur wenige und
'^^ 10 bewältigende erscheinuugoo entgegenstehen.
Der ausdntok der darstellung ist flüssig und für einen ausländer anftiUlig cor-
In den aumerkungen verrät sieh der Amerikaner duruh starke kürzungen wie in
^^lien angeführten stelle; nur selten begegnen kleine Verstösse wie s. 13 anm.:
4hold will den xweiten dhen streichen. Einige druckfebler worden schon
arar. oentralblatt (1804 s. 189) gerügt; störend sind sie vor allem bei uitateu
1. 2fi, 14). Unrichtig ist es auch, wenn 8.61 von der uralautform newiin
, dosB sie zweimal erscheine. Sie Ist, wie auch das glossar bezeugt,
bftiiRgor belegt
II. WÜNDBHUCH,
256 WUNDERLICH
Deutsche godichto des 12. Jahrhunderts. Herausgegeben von Kaii Knun.
Halle, Niemeyer. 1894. X und 284 s. 7 m.
In der litteratur, die sich mit der dichtung des 12. Jahrhunderts beschäftigt.
ist der name des herausgeben nicht mehr fremd. Gründliche belesonhcit und abWl-
gcndo besonncnhoit sind ihm auch bei seinem neuen grösseron unternehmen tren
geblieben; dazu erfreut uns die uncrschrockenheit, mit der Kraus allen fragen, die
irgendwie in den stofF einschlagen, entgegengeht und nachspürt. Kein problem wird
behutsam umgangen; auch abseits liegende gebiete werden gestreift und oft mit vie-
lem glück erschlossen. Solchor reiclihaltigkeit gegenüber muss das urteil des refe-
renten auf gleichmässigo prüfung des ganzen dargebotenen verzichten; zastinunnog
und abwehr müssen an einzelnen punkten ansetzen und sich für das übrige in aOge-
meinoro formen kleiden.
Es sind ganz verschicdcnwortige gedichte, die in unserer Sammlung zosam-
mentreten. Vorschiedonor herkunft, verschiedenen stils, tragen sie als gemeinsames
kennzeichen nur d'u) zugohörigkoit zum 12. Jahrhundert und den Charakter kleinerer
geistlicher gedichte. Pas war auch das entscheidende moment für die auswahl die-
ser an den orten ihrer veiöffcutlicbung teilwciise vergrabenen sprachproben. So ist
die Sammlung wol geeignet, die zügo, die das 12. Jahrhundert seiner geistlichen dit^i-
tung aufgeprägt hat, im Zusammenhang und in ihrer entwicklung deutlicher hervor-
treten zu lassen, als (»s bisher der fall war. Namentlich wenn wir aus den reich-
haltigen anmerkungen des hcrausgobers die färben entnehmen, die das bild bcleb»iu
sind ^vir gar wol im stände, mittelst der 13 gebotenen texte uns ein bild jener dich-
tung zu machen.
Wo es irgend möglich war, hat der herausgebcr die handschriften von nenem
eingesehen, was nicht ohne ergobnisse blieb und die vordionstlichkeit der collatioii
auch gut edierter texte widenun bestätigt. In der widergabo des textes schliesst
sich der herausgebor ganz nahe an den dij)lomatischon abdruck an, ein verfiih-
reu, für das neben den allgemeinen gründen hier noch die besonderen Verhält-
nisse des inhaltes sprechen. Wenn Kraus (einleitung s. 5) es als wünschenswert be-
zeichnet, „dass der mitarbeitende leser in den stand gesetzt wird, die
gewohnheiten des Schreibers sowie das lautbild einzelner stellen auf
bequeme weise zu überschauen **, so gilt dieser wünsch eigentlich für alle unsere
texte. Gerade die „ergänzungcn" und „conjecturen" auch neuerer zeit lassen so viel-
fach die lebendige auschauung von der beschaffonlieit unserer handschriften vermis-
sen, statt deren dann herausgol)cr und loser sich genie eine „Sicherheit vortäu-
schen, wo sie nicht zu erreichen", eine „regelmüssigkeit. wo sie nicht
vorhanden ist.''
Bei den dic.htungon aus unserer mhd. blütezeit wird dieser misstand immer
unvernu'idlich sein. Doim liier wollen auch die geniessenden leser berücksichtigt wer-
den, und ihr augo darf man nicht durch das beleidigen, was nur dem „mitarbeiten-
den'* loser fronunt. Dagegen Ixn texten von so wenig künstlerischem werte, wie
dvu vorliogondi'n, war die eiitschcidung leichter. Tinter den änderungen, die der
hei*ausgel>or am tt'xto vornimmt, ompfiohlt sich die absetzung der vorszeilon, dicbes-
serung verderbter stellen und die ergänzung von lücken — vor allem in der beschrSn-
kung, die Kraus sich auferlegt hat. Mit erfreulicher konsequenz ist hier überall der
räum innegehalten, der nach genauester berechnung auch wirklich zur Verfügung
steht. In wie weit die einführung der interi)unktion mehr der bequemlichkeit als der
mitarbeit des lesei*s entgegiMjkommt, ist eine frage für sich. Auch die , Umsetzung
Cbkr k
257
> abwtuclicuiiiiaii rorroen der reimwortur ia die dam dichter g
Effnst den hypiitheaen und der unsichorhoii ein» MatertüTO; freilich iti der beBonoe-
n haudliabung des berouegebers ist sie gi?eignet, deo absiebten i die er dabei im
Wgn hat, ta dlout'n. An die texte aelbet sclilieBsen sich ,ab!iaBillimgeu und anmet-
ungeu*. Die abhaodluugen bringen den toictkritisoboii apparat and die stofiigeschiuhte
» eümlniin deuiinials in nbgerundetei' darstelluag vur atigen, die anmerkuDgOQ
8 grammatische und sälistische matsrial vor; sie freilich kssen die ordnende
pJ sichtende band trotz aller zugestfiodnisae, die man geneigt ist, an diese form der
iretellang in machen, entschieden vermissen.
Die reihe wird sräffnet durch das schon von SchonbacU (Zs. t. d. a. XXX 11,
—373) verüffentlichte gedieht ,von Christi geburf, bei dem sich Kraus im
sentlichen auf die zogabe der anmcrkuagen bescbrSntt hat Zu dem verae 49 u
i ttU dad buch quii, der an und für stell auch als liauptsatz gelesen werden liönnte
i'ortBtellung, würe es nicht uiinützlich gen'csen, die stelle ans Karlmeinct
n Wortlaut anzuführen: Im id ah dat buch quyl. So was id an der tespir
Für das zweite stück, den ,Rbeinauer Paulus' hatte sich Kraus mit der von
r herausgegebenen Milstätter söndenklage (Zs. f. d. a. XX) auseiDanderzuaetzen,
eo teil unseres gedichtes in veränderter anordnung enthält. Ton den beweis-
, die ßödiger für eioon anderweitigen varfasser eben dieses teils vorführt, ist
im Stande, einige zu entkrütteii. Er geht aber nicht so weit, nun die untcil-
eit des ßheinauer Paulus zu behaupten, trotzdem er die lautlioheu und ortbo-
'■phiflchen Verhältnisse des denkmals einheitlicli darstellt. Es wird hiebei von einem
"tlcbeo des Notkersohon kanons" gesprochen „allerdings mit bcschränknng auf die
nttalis", die belege zeigen aber auch Tür diese mehr die ansjitze als die regelmässi-
t ansfuhrung. Unter den anmerkungen i'agen hier die syntattischen hervor, so
J9/40 der begrabitt wus, utidi du in isxe ßtexej uffslen und eu vers 107,
s gab, die bediugungen, anter denen das pron. pers. fehlen darf, von s. 88
I behandeln. So verdienstliub diese syntaktischen cKkurse sind, zu denen
luel seine santmlungen geöffnet hat, so hätten sie doch durch eine übersichtlichere
1 linappore anordnung gewonnen. Gerade in der 10 eeiten umfassenden reihe von
Q für die ellipse des jiersonalpronomons «eigt sich das deutlich. Allerdings ist
' wenigstens eine gliedei-ung versucht, aber sie geht mehr änsscriich von dem
9 belege eiupasst, statt dass aus den besonderen verhältnls-
t der einxolnen belege die Unterabteilungen gewonnen worden wären.
Besonders hübsche ergebnisso bietet die abhaudlung zum Baum garte nborgsr
p'abaunes Baptista' (HI)- Zunächst werden die bemerkungen des früheren her-
gebeiB Vomberg auf grund von genauen messungen mit dem cirkel Kurückgewio-
Ba, sodann ergeben sich interessante aufschlüese über das interponktionssystem der
dsohrift, das die zeilensehlüase markiert und die Strophen zusammensohliesat.
n wia die sinnesabschnitte durch grosse anfangsbuchstaheu abgehoben und durch
1 forUaofood registriert werden. Auf der gmndlnge dieser einzelheiten baut nun
r heniuBgeber weiter. Er macht es wahracheinlich, dasa der abschreibar mit ihnen
dich genau an die voilago sich anschliesst, und somit worden rüctechlüsse auf
■ geiiaaigkeit der abschrift miüglich. Ausserdem entspringt daraus eine handhabe,
B die lüoken zwischen deu fragmenten auszumessen aod von solcher kenntniss aus
bi von Mone za widerlegen (s. 105). Auch die ansiohten, die bei anderem
1 gedichten über beabsichtigte Symmetrie der sinnesabEchnitte geäussert und
jewebrt worden sind, erhalten ans dieses ausführungen eine neue stütze. Naoh
.». »ivin. 17
feststellnng der tormini a quo {E^Eolieit) nud ante quem (Kaiserchronitl lelint I
auch die Vermutung Sclierers (QF XJI, 69) ah, dass das gedieht von Arnold, «lern
dichter der Siebcnzobl and der Juliane, herrühre. Unter den annierkoagen i
einige ex^urse zum stil und foi'uielsuhat:« hcrvorzuhebeD (vgl. s\x z. 37. fil. 5S),
Tielfaohe einblioke in die technik jener zeit gewähren.
Ein aaderer Johaoaes Baptista, der des Ädelbreht, reiht Bicli als ar. IT
an nnd gibt, da die biatter jetzt verstcholien sind, dem herausgeber gelegenheit, )
textkritische methode an absubriften aus neuerer zeit zu erproben, Dosbalb neh
hier anch die cuujäcturen in den anmerkungen einen breiteren räum ein ab sddkI.
Vor andern mochte ich hier die conjectur zu z. 32 hetvorbeben, die graphisch uirf
atiÜBtisch mit vielem glück verteidigt wird. Dagegen treffen die anmerkungen n
t. 7 and z. 65 niulit ganz das richtige. Im ersten falle, wo es sich um den gtva-
men Zauharias handelt, der stumm bleiben soll xnxe an den lach . ■ dax äai ittW
uieriie gebom dax^ got darxu hat erkom dax er itrde ein erweUe» wk kann mu
nicht von einer inkongruent der niodJ sprechen, noch weniger diese aus den ȟb
Kraus angezogenen fölleu belegeoi es ist der Wechsel der modi hier vielmehr gui
natürlich und in der Verschiedenheit des Zusammenhanges begründet. Im iireias
falle da dax die wage vemaman (s. 85) ist mir das von Emus gegen Mone unä
Vomberg eingeführte demonstratio lu dieser Stellung und als obJekt nuffüllig: 4>e
belege, die Kraus beibringt, zeigen es stets in anderer Stellung. Auch dnaa to
Schreibung den in z. 73 an den ahtoden tage mit bolegen beleuchtet wird, in d«aMk
es sich unzweifelhaft am die suhwauhe flexiun des adjectivs handelt, scheint mir
verfehlt. Andererseita habe ich zu z. 54 dta. gebot im min Irerihtin (jder b
sehon zu III z. 76 die belege vonnisst, die zn VII, 102 gegeben werden. El
htitt£ die stelle 192 — 194 wol auch xa bemerkungen onlass geben kennen, «o Jutiu—
nes den henker ins geßngnia treten aieht und es dauu weiter beisst: dat fcmW *r
im neiete, die iiendt hinne breitte. de» lials er im ab« sluoeh. Zu dem Irar
stück von S. Teil (V), dessen Verfasserschaft für den obengenannten Adolbrehi ol
bleibt, hat Kraus an zeile 52 eine reihe von belegen für die mhd. parotaxe tDfl^-'
knüpft s. 141 — 146. Auch hier hätte sich empfohlen, die eiozeloen luomento «dliT'
for horauBzuarbeiten. In dein Satzgefüge ein heiden hia hyliu der »ax in «nw<^
land' gotes e niht erckand' handelt es sich einerseits um die asyndetiietiCT
satzverknüpfung, die Grimm dr, IV s. 950 behandelt, und anderareeits um den «öl-
te neron fall der subjektellipsä hei sotoher asyodesia, den Grimm Qr. IV B.3Ifl*
Müllenhoff Denkm. XXXll, 1. M u. a. belegen. Bei.den MnccaUaern (VI) w-
wirft Kraus zahlreiche ei^llnzuugou von Bartsch auf gmnd seiner genaue
gen der lacken. Der Fatricius (VH) führt in erster linie lu einer unteniicfaiu^
der vorläge, deren foststellung nun eine hübsche darlogung der toclinik des beart«-
teni ennöglicht „Von der Zukunft nach dem todo" (VUI) und S. Paulos(II>
werden von Kraus wider als ein einheitliches werk angesprochen, in dem nr. VUJ
die rolle einer eplsodo spielt. Für den Albanus (Xl gewinnt Kraus auf grund a
eingehenden quellenonteTsnchung genauere Zeitbestimmungen. Er erkennt den "^
mundus als Verfasser der lateinischen vorläge und beweist dies aus rh]>thmiKh«^ '
figuien, die in dem lateinischen müI de« Trausmundua ebenso wie in der lateinisdx**
Albannalegendo am satzachlusse zu belegen sind. Damit kommen wir anf die jlhr^
nauh 1178, genauer vielleicht nach 1186 und auf das kloster Clairvee
Bueh die mosol fränkische heimat des deutschen gedichtes leicht Jn beiicbug
setzen ist. Beim Taudalus (XI) widersprochen tiieh nach Kraus die a
ÜBEB KRAUS) QEDICHTE DBS 12. JAHRHÜNDEBTS 259
die ans den reimen zn erscbliessende mnndart dos Originals, die auf Mittelfranken
weist, indess die erstere für Hessen spricht. Aucli hier wird die arbeitswoise dos
dichtere anschanlich geschildert. Christus und Pilatus (XTT) und ein sehr frag-
^nentarischer Andreas (XUI) machen den beschluss. Man sieht, dass höhere und
niedere kritik beim herausgeber in roichem massc zur geltuug gekommen ist; um so
erfreulicher berührt es, dass don texten gegenüber beide formen der kritik so behut-
sam auftreten, vor allem, dass die metrik in diesen texten eine sichere und unge-
*rtil>te quelle für ihre Untersuchungen vorfindet.
HEmSLBEBO, 81. JANITAB 1895. H. WTINDKBLICH.
^o >^ high german. A comparative study by William WInston Talentin, lato
l)rofessor of modern languages Randolph-Macon College, Virginia. Edited by
Jk. H. Keane, b. a. late professor of hindustani university collego, London.
2 volumes. London, Isbister & CJo. 1894. XIV und 456, X und 444 s. Gebun-
den 30 sh.
Es ist sehr bemerkenswert, dass schon vor dem jüngsten grossen aufschwunge
ddx* akademischen Sprachstudien in Amerika dort drüben jenseits des oceans ein werk
wi^ das vorliegende hat entworfen und der Vollendung nahe gebracht werden können.
D^X" Verfasser, geboren 1828 in Richmond, Virginia, betrieb schon als junger mann
®*^»rig grammatisch -philologische Studien, die er 1860 — 1865 an europäischen bildungs-
stÄt.1»n (Paris, Berlin, Florenz) fortsetzte. Von 1868 — 1871 wirkte er als professor
&i3^ Randolph-Macon College; dann hat er ohne öffentliche lehrtätigkeit seine gelehr-
tere arbeiten weiter geführt. Als frucht derselben hinterliess er bei seinem tode
(1-7. febr. 1885) das vorliegende werk nahezu vollendet; der (vor dem erscheinen
öboufalls verstorbene) Londoner herausgeber hat sich bei seinen Zusätzen beschrän-
ig auferlegt und im wesentlichen nur das zum druck gebracht, was den ansichten
absiebten des Verfasser entsprach. Weitere sprachvergleichende arbeiten des
voirfassers sind unvollendet geblieben (vgl. das vorwort zum I. bände s. VI).
Das werk legt zeugnis davon ab, dass der Verfasser in mühevoller arbeit und
lÄii: Verständnis die fortschritte der deutschen Sprachwissenschaft verfolgt hat. Merk-
licsli blickt namentlich das Studium der älteren werke von J. Grimm, K. Heyse,
Solileicher, Kehrein, Vemaleken hindurch; aber auch die resultate späterer linguisti-
ficslier forschungen mit einschluss von y, Vertier' s law**^ und der arbeiten der y,new
9^€Mmmarian8^ sind verwertet. Auf grund solcher arbeiten bietet der Verfasser eine
vollständige darstellung der nhd. spräche für Engländer, in einer zum teil eigentüm-
"<5lien, stets übersichtlichen und praktischen anordnung (I: phonology; 11: morpho-
*^^9y; IQ,: Syntax; die weitere gliederung des einzelnen ist aus den sorgfältig gear-
beiteten inhaltsverzeichnissen zu ersehen. Fast überall zeigt sich gründliche kenntnis
®® gegenwärtigen nhd., dabei auch beachtung der in der lebenden spräche vorkom-
'^©öden Schwankungen, sowie dos Unterschiedes zMrischen gewähltem und volks-
^^**^ichem ausdruck. Sodann ist der Verfasser — freilich nicht in allen teilen
Ä*®>cliinässig — bemüht, den gegenwärtigen gebrauch historisch zu begiünden durch
*y**Ückgehn auf die älteren perioden der spräche. Ich kann hier und für die leser
r^^öir Zeitschrift nicht alle teile des umfangreichen werkes genau durchgehen; doch
^^^ ich im allgemeinen mit anerkennung für die ernste, keiner Schwierigkeit aus-
^^^^hende arbeit des ver&ssers mein urteil dahin aussprechen, dass die darstellung
17*
260 £BDMAKN, ÜBER VALENTIN, NEW HIGH GEBMAN
gründlich, klar und lehrreich ist, und dass man kaum eine wichtigere frage d(
und formenlehre, der Wortbildung und der syntax des nhd. unberückaichtigl
wird; nur die moduslehre ist auffallend kurz behandelt.
Dieser allgemeinen anerkennung muss ich freilich einzelne ausstellungeii
lassen. Bisweilen hat sein lehreifer den Verfasser zu weit geführt, indem e
zu regeln versucht, die in unserer spräche entweder überhaupt nicht geregt
oder doch anders, als er angibt. Dies gilt z. b. von der declination der eige
im Singular und plural I, s. 139 fg.; dort sind nicht nur die guten Karle h
guten Luisen erbarmungslos durch alle casus abgewandelt (später steht als |
der kleinen Luisen , was auf einem anglicismus beruht), sondern auch die fr
ten Schlegel und die geistreichen Vossen (so!). Unser alter Eutiner J. H. Va
gegen das gewählte bciwort vielleicht ebenso lebhaften einspruch erhoben wi(
die schwache declination seines namens! Unnütz ist die zahlenmässig gegobei
sieht der ablautenden verba s. 257; die folgende ointeilung derselben ist für d
dierenden der historischen grammatik sogar gefährlich, denn sie ist aussch]
nach den gegenwärtigen nhd. gestaltungen des vocales der Stammsilbe gegebe
durch an vielen stellen die zurückführung auf die alten ablautsreihon erschwe
An manchen stellen finden sich fehlerhafte wortformen, die ein im lebendigen gei
der correcten deutschen spräche sich bewegender Schriftsteller nicht hätte sc
oder unverbessert durchlassen können. Vielleicht nur druckfehler (obwol de
sonst recht sorgfältig ist) sind pütxhändlcrin I, 140; er liat geschicollt^ gcst
II, 80; schnittschuh laufen 11, 343; aber sicher keine druckfeliler (wie sich j
zusammenhange ergibt) liegen vor bei log als praet. von liegen I, 259; cn
als part praot. I, 260; die mamacfis (pl. zu inamn I, 151); dazu erwähne
litterarische versehen II, 343 Kleists öden (statt: Klnpstocks)^ sowie dass I, i
zum 8. Jahrhundert gezogen wird. Solche fehler kommen freilich nur vercinz
aber sie rechtfertigen den wünsch, dass Engländer bei einem so eingehenden {
der deutschen spräche, wie dieses werk Valentins es voraussetzt, auch
benutzen mögen, die in deutscher spi'ache von Deutschen geschrieben sind,
berufung auf einzelne, bei gelehrten schriftsteilem vorgekommene „satz-ung(
II, 443 genügt nicht, um das deutsche gegenüber dem modernen englisch
zusetzen.
Die ausstattung des Werkes ist sehr gut; störend wirkt jedoch der u:
dass die angeführten deutschen Wörter mit denselben ty|>en gedruckt sind, >
englische tcxt. Für die in Deutschland noch immer weit verbreitete fractu
lege ich kein wort ein; aber mau hätte ja gesperrte oder cursive lettem an
können.
KIEL. 0. KRDMANN. (f)
Zwei altdeutsche rittormärcn (Moriz von Craon, Peter von Staufen
neu herausgegeben von Edward Schr^Mer. Berlin, Weidmann. 1894. I
103 s. 3 m.
Massmann und Haupt haben für Moriz von Craon, Jänicke für Peter vo
fenberg noch mancherlei zu tun übrig gelassen: so ist es denn mit dank zu be^
dass Schröder uns eine reinliche und hübsche nouausgabe beider gedichte a
art „einführung in die ritterliche opik sowol der frühen blute wie des fortsei
den Verfalls*^ (s. V) darbietet. Die einleitnng, die über alle wesentlioheo
LBITZMANN, ÜBKB SCHRÖDER, ZWEI RITTERMÄRKN 261
genaue anskunft gibt, bietet vielerlei neues und anregendes: vor allem erfahren die
historischen grandlagen beider erzählungon und die personalien der holden und dich-
ter zum ersten male eingehende beleuchtung; die frago nach dor vorläge der grossen
Ambraser Sammelhandschrift wird fördernd behandelt; chronologisch ist nach Schrö-
ders blendender darlegimg der Moriz von Craon zwischen Gottfrieds Tristan und Her-
borts Trojadichtung zu setzen, eine datierung die wol künftig als feststehend wird
betrachtet werden müssen; als dichter des Peter von Staufenberg wird ein Egenolf
von Staufenberg mit grosser Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, der, in umfassendem
Stadium Konrads von Würzburg lebend, das gedieht um 1310 geschrieben hat. Zu
S.IX. möchte ich bemerken, dass mir im Moriz von Craon aus vers 59. 861. 1097.
1701 eine reimbindung e : en wahrscheinlich vorkommt, die den dort aufgeführten
reimerscheinungen beizufügen wäre. — Mit dor gestaltung der texte, zu der Schrö-
der noch Zeitschr. f. d. a. 38, 95 erläuterungen gegeben hat, kann man durchweg
einverstanden sein, namentlich soweit principielle fragen in betracht kommen. Roe-
the vordankt der herausgeber ein paar glänzende korrekturen im Moriz von Craon:
nur aie zu 787 ist überflüssig. 261/62 und 396 wäre ich bei Haupts lesart geblie-
ben; O30 hätte die handschriftliche lesung bewahrt bleiben sollen; die änderungen in
den Viersen 91. 617 674 haben mich tiotz Schröders versuchten begründungen nicht
überzougt. "Warum ist 1169 das handschriftliche bix in unx, verändert, dagegen 466.
1332. 1379. 1515. 1631 stehen geblieben? Der text des Staufenbergers repräsentiert
einon ganz wesentlichen fortschritt gegen Jänicke. — Leider wird es immer mehr
mode die real- und stilerklärung, überhaupt alles im engeren sinne erläuternde bei
aTisgul>en mittelhochdeutscher dichtungcn zu imterdrücken. Auch in dem vorliegen-
den bändchen sucht man vergeblich nach eigentlichen anmerkungen. Das muster
Lachmanns und Haupts in diesem punkte verdient keine nachahmung. — Im Moriz
von Craon fehlen 211. 433. 1288. 1565. 1574 schliessende anführungszeichen.
WEIMAR, 17. JANUAR 1895. ALBERT LEITZMANN.
Zum Rosengarten. Untersuchung des gedichtes H von dr. Georg Holz« 2. aus-
gäbe. Hallo, Niemeyer. 1893. 151 s. 3 m.
^ie gedichte vom Rosengarten zu Worms, mit Unterstützung der königlich
sächsischen gesellschaft der Wissenschaften herausgegeben von dr. Georg Holz.
Halle, Niemeyer. 1893. CXIV und 274 s. 10 m.
£ine dor schwierigsten und teilweise undankbarsten aufgaben der mittelhoch-
deutschen text- und Sagengeschichte hat hier eine geradezu meisterhafte lösung ge-
funden. Es gibt kaum einen mittelalterlichen toxt, der uns fast in allen gesichts-
punkten der wissenschaftlichen betrachtung grössere und peinlichere rätsei aufgab,
als der Grosse rosengarten. Mit einer genialen Sicherheit, besonnenheit und gründ-
lichkeit geht Holz in seinen beiden büchora zu werke, die von einer eminenten bega-
bung für textkritische fragen zeugen. Niemand wird von dem Studium derselben ohne
reiche belehrung scheiden, niemand gewiss auch ohno den eindruck, von mustergültigen
arbeiten kenntnis genommen zu haben. Ich bekenne mich von allen aufetoUungen
des Verfassers bis in die kleinsten einzelheiten hinein vollkommen überzeugt; manche
anfanglich aufsteigende zweifei schwinden gänzlich, je mehr man inne wird, wie alles,
was Holz auseinandersetzt, in einem festgeschlossenen strengen zusammenhange steht.
Meine besprechung kann daher bis auf geringe kleinigkeiten nur referierend sein.
262 LEHZIUH.-J, ÜBER BOLZ, ROSEtJOABTEN
In der zueilt geniumtüu sctirift gruppiert das erste kapitel (§ 1 — fi) dfe"
gosammte üborücCorung, die aeit Philipps buch (Halle 1S79) einige wertvolle boreiolw-
ruDgon erfahren hat; dos tbenia, dos der verlasser sieb vorgeoomiueo, ist die anlur-
saohung der Bosengartenredaktienon II'' (hauptsüc blieb vertreten durch die <roa Bartsch
GermaDia 4, 1 herausgegebene rommersf eider handschrift und die fragmente eiwr
czeobischeu übetsetziing, von der Holz in § 4 eine neue riickübersetzung gibt), f{in der
von Wilhelm Orimra 1836 horausgegebonen Fraukturtor handachrift) and U* (au
einer Heidelberger and einer Strastiburger iiandschrift gedruckt in Ton der Hagem
Heldenbuch 1820), sowie ihres gegenseitigen verbütnisaea. Hit diesem Teiiifittuii
tiescbäftigt sich das zweite kapitel (§ T — 19), an dessen schlusa wir die übenaDgnng
gewinnen, dass der von Philipp näher untersucht«- tezt I dem vorauszosetzendtn
urgedichte am niLcbBton kommt, währeod U nnd HI jüngere, von eioander niub-
hängige bearbeitungen sind, und dass die redaktion f, die nüher zu II* als zu U^
stimmt, aus I und 11 kontaminiert ist Drei weitero kapitol hringeu znr besISt^iinj
dieser aufsttiHungen die einzoluntersUGhnng, die fast vere für vers durchgeführt wird.
Dos dritte (§20 — 38) untersucht den text 11": er ist im wesentlichen eine kür-
zende bearboitung des Originals im Hildebrsadston, dessen überliefenuig jcduoh leider
sehr lüokenboft ist. Kapitel 4 (§ 3'J — 50) bespricht die rcdottion /, eine wenig
verbreitete konlamination aus I und 11 auf grond älterer und besserer rorligra,
kapitol 5 (§60 — 66) endlich die fassung H*. Im Schlussparagraphen (a. 150) wild
dann der so gewonnene Stammbaum aller Überlieferungen aargestcUt — Der in dff'
czechiaohen überaetzung erscheinende name von Volkers muftor Perchylia, zuglodl
einer Schwester der Brunbitd, soll nach s. 15 anmerkung 1 frei erfanden sein; <r
beruht vielmehr auf verworrener kenntuis verwanter sagan: in der Vglsungaaaga 33
ersohoint eine Schwester Bnmhilds mit dem namen Bfkkhildr ala gemahlin Heimini
(vgl. Grimm, Heldensage s. 350). Die s. 30 angenommene entlehnung aus Alpbart id
mindestens «weifelhaft
Die einleitung zur ausgäbe zerfällt in 6 kapitel, von denen vier (s.!!—
XXXI die überüeferung und ihre gruppioning, s. XXXI — Uli der kontamioierta
text C, s. Lni— LXIX die kürzende bearbeitung P, s. LXX — LXXHI fremde Iwt-
beituugen) textkritischeo fragen gewidmet sind. Hier kehren im wesentlichee d)B
bekannten resnltate wider, durch viele scharfsinnige einzelbeobachtuugen orhttrtet Kur
die redaktioo F wird mit recht, worauf schon Singer, Anz. !. d. altert. 17, 36 liiit-
deutete, etwas weiter vom urgedichte entfernt iiml an D angenähert. Die vomi)^
rende masae der einzelbeiten wird in sehr klarer dieposition und in gewandtem stil
zur daistellung gebracht Das fünfte kapitel (s. LXXIV— C) behandelt hoimat, attff
und spatere geschiehte des gedichts: der älteste Rosengarten ist entstanden im bti-
riscb-oaterreicbischen Sprachgebiet, D in Thüringen, C in Rheinfrankon ; keine dv
rodftktionen ist älter als 1250, keine jünger als 132.^. Endlich wird im letzten iMfir
tel (a. C — CXrV) die sage behandelt: auch hier zeichnet aiuh die vergleichende dw^
Stellung wider durch besondere klarheit aus. — Es folgen dann die texte A (s, 1 - 6T),
D (B. 69—215) und F (a. 217 — 233); kritische aumerkuageu (s. 234—255) und «a
sehr notwendiges nauienverzeichuis (s. 256— 274) machen den beschluss. Schincn-
lich vermisse ich erklärende, auf spräche, etil und realien eingehende aniuerkungn«
die ein reiches feld von interessanten betrachtungen darbieten könnten; die tMÜHi—
künde kann aus den Rosengärten reichhaltigen gewinn ziehen; ebenso bütte der zuetB'
menflnss echt volksepiscber and spielmuinsroilssiger erzühlnngskunst, ein intArasttst^
kapitel der atilgescbicbte, nAber beleuchtet werden können. Indcäs sbd wir tnrtriW*
SABRA.ZIN, t)BRB FBÄNKEL, SHAKESPEARE UND DAS TAGELIED 263
HoljK für dio schöne, langersehnte ausgahe von herzen dankbar und hoffen ihm noch
Öft&MT auf diesem seinem eigensten gebiete zu begegnen.
WEDCAB, 12. JANÜAE 1896. ALBERT LEITZMANN.
Sh £L lospeare und das tagoliod. Ein beitrag zur vergleichenden littoraturgeschichte
cier germanischen Völker. Von dr. Ludwig FrUnkel. Hannover, Helwing. 1893.
AiTI, 3, 132 8. 3 m.
Der Verfasser, der neuerdings noch viele bausteine zu einer goschichte des
dr£i.a3:ias und der fabel von Romeo und Julia beigebracht hat, sucht in dieser von aus-
gob» x-eitcter imd vielseitiger beleseuhoit zeugenden schrift nachzuweisen, dass dio söge-
Dsucmte tagelied-scene (HI, 5) der tragödio Shakcspeare*s durch deutsche oder nieder-
ländische tagelieder beoinflusst oder angeregt worden ist.
Ich kann, wie wol die meisten beurteiler, den nach weis nicht als gelungen
ansehen.
Allerdings legen die mehrfachen Übereinstimmungen in poetischen motivcn und
im aasdruck einen solchen schluss sehr nahe; nicht leicht wird sich ihm entziehen
lormen, wer frisch von der lectürc der entsprechenden lieder Wolframs von Eschen-
baeti oder "Walthers von der Vogelweide, vom Studium dos mhd. minnesangs über-
bau.pt, oder ' älterer deutscher Volkslieder an jene scene Shakospeare's herantritt.
Dennoch scheint Fränkels annähme, der ich früher selbst zuneigte, mir jetzt irrig;
und gerade die ausführungen des Verfassers haben meine abweichende ansieht noch
^festigt
Fränkel dehnt seine vergleichenden betrachtungen sehr weit, fast über die
g&Qze erde aus. Er zieht nicht bloss romanische, slawische, griechische, sondern
^gv ägyptische, indische, chinesische, malayische, afrikanische, neuseeländische
lieder oder fabeln heran; auf der einen soite (91) citiert er Aristophanes' „Vögel**, auf
'ier folgenden: „Komm herab o madonna Tberesa**. So zeigt er selbst, dass vieles
^OQ dem, was er gern als charakteristische Übereinstimmung zwischen Shakespeare und
dem deutschen tagelied hinstellen möchte, gemeingut der poesie verschiedener zeiten
^<i Völker ist.
Er scheint nicht genügend beachtet zu haben , dass übereinstimmende poetische
''jötive, vergleiche, redewendungen sich oft auch, mehr psychologisch als litterar-
'^'storisch, aus der übereinstimmenden Situation und Stimmung erklären lassen. Be-
^ö^Jers leicht werden aber stamm- und geistesverwandte dichter wegen ihrer ähn-
^Qeti auffassungs- und fühlweise, auch unabhängig von einander zu einer ähnlichen
P^tiöQhgQ gestaltung desselben Stoffes kommen. Daher darf man wol auf paral-
the day is hroke — der tag bricht auf
it is not yet near day — ex ist dem tage unfiähefi
teilt thou be gone — war gäkest also balde
*** gewicht legen. Dass der ritter aufbrechen will, die geliebte ihn zurückhält,
von tagesanbruch gesprochen, dass tag, Sonnenschein, lerchensang verwünscht
. ^en, dass abschied genommen, nach der widerkehr gefragt, gott angerufen wird,
^7^^ dooh so selbstverständliche consequenzen der Situation, dass man wegen solcher
^^'^^diDstimmenden Wendungen keine nachahmung anzunehmen braucht
264 SARRAZIN
Will man aber nach Vorbildern dieser scene suchen, so bietet sich waiigstd^^^
eines in einer englischen dichtting, die Shakespeare nachweislich gekannt hat
kol meint zwar (s. 31), dass die ,,Ballad of Two Lovers*^ in England der ,einz
tagelicdmässiger Stimmung vorwandte klang '^ vor Shakespeare sei. Er scheint a
die tagelied - scene in Chaucor's Troilus and Creseide übersehen zu haben.
B. in, V. 1415 But whan the cock, commune astrologer
Qan an hie hrest to heate^ and after crowe,
Ä9id Lucifer, the daies fnessanger,
Oan to rtsCf and out hia beames throwe,
— than anonc Creseide
With herte sore, to TroiliLS thus seide:
„Mine Jicrtes lifCf my trust, all my pleasaunce,
That I was bome alaSf that me is tüo,
That day of us mote make disceveraunce,
For time it is to rwe, and hence go,
Or eles I am lost for ever mo :
0 night alas, tchy n*ilt tfiou over us hove,
As long as whan Alcmena lay hy Jove^^
This Troilus — — — — —
Oan tJiere witJiaU Creseide his lady dere
In amies straine, and hold in lovely manere
„ 0 crucll day , accuser of the joy
Thai night and love have stole, and fast ywrien,
Accursed be thy Coming into Troie,
For erery bowre hath one of thy bright eyen:
Envious dayt what list thec so to spien,
What hast thou lost, tchy seekest thou this place?"
Da nun Shakespeare Chaucer's epische dichtung dramatisiert hat, da er schon
in einem jugenddrama, dem Kaufmann von Venedig (V, 1) darauf anspielt, so ist es
gar nicht unwahrscheinlich , dass er bei der abfassung der tageliedscene durch Chn^xiooi
angeregt und bceinflusst wurde. Jedosfalls lag ihm diese heimische dichtung nüb^'
als deutsche oder holländische liedor.
Allerdings dient bei Chaucer der bahn, nicht die lerche als wecker; und "voß
der nachtigall ist gar nicht die rede. Hatte Shakespeare aber wirklich nötig diö^^
l>oetischen requisitcn erst aus deutschen liedom zu borgen? Fränkel sagt (s. 92)-
„Das auftreten der uachtigall bei Shakespeare ist also ein erbstück des tageliedes.'
Dieser aussi)ruch ist charakteristisch für den Stubengelehrten, der, ohne viel eig^^
naturboobachtung und phantasio, in jedem poetischen bilde litterarische beeioflussoO^
wittert.
Als der achtzehnjährige William Shakespeare im sommer 1582 sein erstem
verstohlenes liebcsglück genoss, im dorfe Shottery bei Stratford, hat er gewiss von
deutschen oder holländischen tageliedem nichts gowusst; aber nachtigallen- und Itf'
chensang hat er sicher oft genug gehört. Als er etwa 10 jähre später Bomeo toA
Julia dichtete, wird er sich ohne zweifei seiner eigenen Jugendliebe erinnert haben.
Der zaubor von Shakespeares dichtung beruht ja zum grossen teil auf fliror llltB^
frische und unmittelbarkeit. Moderne commentatorcn, philologen und litteimriiiitoP"
ker lassen sich aber oft dem kaisor von China in Andersen*s mäiohen vm^M^ßi
ÜBER FRÄNKEL, SHAKESPEARE UND DAS TAQEUKD 265
lur auf die musik der künstlichon nachtigall hören wollte, die sich wie ein uhr-
aufziehen liess, und darüber den natürlichen gesang des unspheinbaren, grauen
ins vergass. Es kann indessen zugegeben werden, dass bei den dichtem der
renaissance, auch bei Shakespeare, die nachtigall mitunter eine conventioneile
spielt. Dann ist sie aber nicht ein orbstück dos tageliedes, sondern vielmehr
jr mythe, hoisst Philomele und singt ihr trauriges lied von verlorner Unschuld.
auffassimg tritt in Shakespeares „Rape of Lucrece* hervor, an einer stelle, die
sonst eine grosso ähnlichkeit mit unserer scene hat, aber von Fränkel mork-
iger weise nicht beachtet worden ist.
Ljucr. 1079 By this, lamenting Philomel had ended
The tcell'tun'd ivarble of her nightly sorrow.
And solemn night vnih slow sad gait descended
To ugly hell, when, lo, the blushifig morrow
Lends light to all fair eyes that light will horrow;
But cloudy Lucrece shatnes herseif to see
And therefore still in night wotM cloister'd be.
RevecUing day through every cranny spies,
And seems to point her otU where she sits weeping;
To whom she sobhing speaks : „ 0 eye of eyes,
Why pry'st thou through my window? leave thy peeping:
Mock with thy ticUing beams eyes that are sleeping:
Brand not my foreliead with thy piercing light,
For day hath nought to da what's done by night,"
The Utile birds that tune their moming's joy
Make Jier moans mad with their sweet melody
,y You mocking birds" quoth she, „your tunes entomb
Within your hollow-swelling feather'd breasts,
And in my hearing be you mute and dumb:
My restless discord loves no stops nor rests;
f, Come, Philoiyiel, that sing' st of ravishment,
Make thy sad grove in my dishevell'd hair:
As tJie dank earth weeps at thy languishment.
So I at each sad strain will strain a tear.
And with deep groans the diapason bear;
For bürden 'Wise TU hum oti Tarquin still.
White thou ofi Tereus descanfst better skill.
Wie ich in dem aufsatze „Zur Chronologie von Shakespeare's jugenddi'amen*'
b. d. deutschen Shakespeare -gesellschaft bd. XXTX) wahrscheinlich gemacht zu
1 glaube , wurde Lucretia kurz vor Romeo und Julia gedichtet. Wir dürfen daher
itierte stelle als eine Vorstudie zu unserer scene ansehen. Die contrastierung
lachtigallen - und lerchensang, die Verwünschung des letzteren, die grelle disso-
z wischen dem frohen morgenlied der vöglein und der verzweifelnden trauer der
— das alles ist in der Lucretia schon vorgebildet.
Hier hat aber die einführung der Philomele eine ganz prägnante bedeutung
beruht auf einer sehr naheliegenden ideenassociation. Denn wie Lucretia von
266 SARBAZIN
TarqainiuH, 8o war Philomolo von Tereus geschändet worden. Shakespeare hatte
beide geschichten in Chaucor's legende von den guten frauen gelesen, ebenso wie die
von Dido, Cleopatra, Thisbe, Medea, Ariadne, auf welche er ebenfalls mit vorli^
anspielt. Deutlicher noch als in Eomeo und Julia steht Shakespeare in der epischen
dichtung von Lucretia unter dem banne Chaucer's. Er hat darin nicht nur die
7 -zeilige ^Chaucer'^ - strophe angewandt, in der Troilus and Creseide gedichtet ist»
sondern er ist auch in der darstoUungsweiso und im ausdruck vielfach von Chancer
beeinflusst^ Da nun Chaucer bekanntlich von nachtigallen- und lerohensang beson-
ders gern schwärmt, so mag man diese motive auf ihn, eher als auf deutsche tage^
liedor zurückführen, wenn man durchaus ein litterarisches vorbild haben wilL
AVio leicht sich übrigens auch die lerche der tagelied- Situation einfügt, geh^
aus folgender stelle von Shakespeare's Venus und Adonis hervor, die Fränkel eben^ —
falls übersehen hat:
Ven. 853 Lo, Jiere the getitle lark, weary of resf,
Froin his moist cabinet niounts up on high.
And wakes the Momingy from wlwse silver breast
The sun ariseth in hi^ majesty.
Die lercho weckt die schlafende Aurora, von deren busen sich der Sonnengott erhebt
widorum ein antik -mythologisches bild. liier und in dem bekannten liodo aus Cymb^-
line ist die einwirkung Chaucere ganz deutlich:
Knightes Tale 1493 The besy larkej the nicssager of day,
Salewith in hire song the rnonce gray;
And firy Phebus riseth up so bright
So lassen sich alle poetischen motive der tagelied -scene, welche Fränkel
einwirkung deutscher tagclieder zurückführt, entweder aus eigenen erinnorungon ud
einfacher naturboobachtung oder aus euihcimischor tradition, in welche klassisch
mythologische Vorstellungen hin ein spielten, ungezwungen erklären.
Wenn ich so in der hauptsacho die ergobnisse von Fränkcls schrift ablehne
muss, so erkenne ich gern an, dass er im einzelnen manches interessante mate:
zur gusühiühte des tagelieds, zur entwicklung des naturgefühls beigebracht hat
AVas der Verfasser s. 34 fgg. über litterarische beziehungen zwischen HoUan«
und England, über die hypothese von Shakcspeare*s aufenthalt in Holland sagt, isi
dankens- und beachtenswert, genügt aber durchaus nicht um Shakespeares bekannt-^
Schaft mit holländischen oder deutschen liedern wahrscheinlich zu machen. Des dich--
tei-s geistige und litterarische intci*essen gingen, dem zuge der zeit folgend, vielmehr'
nach Frankreich und Italien als nach Deutschland. „Die fülle germanischen wesena,
die uns aus seineu werken eutgegenströmf, ist oft genug hervorgehoben worden, und-
soll hier keineswegs geläugnet werden. Aber sie ist durchaus dem heimatlichen,
englischen boden entsprossen, und nicht durch den einfluss deutscher poesie genährte
worden.
Gerade in der tagehed- scene kann ich wenig eigentümlich germanisches ent —
decken. Fränkel erwähnt selbst, dass in einigen punkten (gegenüberstellung von nach^
1) Der oben citierte vers
Lucr. 1086 Revcaling day through cvery cranny spies
ist z. b. gewiss eine eriimeruug an
Troil. III, 1453 Enviotis day, what list tfiee so to spien.
ÜBER FBÄNKEL, SUAK£SPEARB UND DAS TAQEUED 267
ti^Sflül und lerche, Verwünschung des lerchensanges) provenzalische, französische,
italienische tageliederi näher stehen (s. 93.96). Die kühne personification des tages,
dox* wölke, das ^antlitz der Cynthia*^ ist mehr in romanischem als in germanischem
Stil' Die ähnHchkeit einer scene aus Luigi Groto's Adriana, welche Klein nachge-
wiesen, ist doch sehr auHallend und nicht ohne weiteres bei seite zu schieben, wie
Fränkel getan. Sie wird noch merkwürdiger durch den von Klein ausführlich dar-
gelegten, von Fränkel ignorierten umstand, dass auch die in beiden ditimen unmit-
telbar danach folgenden scenen sehr ähnlich sind.
Das lokalkolorit der scene ist in harmonie mit dem ganzen drama und stimmt
za dem Yorausgesetzten schauplatze. Der granatapfelbaum ist in Oberitalien gewiss
mehr zu hause als in England oder in Deutschland; dass die sonne über hoben
bergen aufgeht {stände tiptoe on the misty inountain-tops) trifft für Verona zu.
iianche Shakespeare -forscher (z. b. K. Elze, M. Koch, H. Isaac) mutmassen wogen
des überraschend getreuen lokalkolorits in den meisten italienischen dramen (beson-
<iei^ Kaufmann von Venedig, Zähmung der widerspänstigen , Othello), wegen einiger be-
^Äöntschaft nut italienischer Umgangssprache, die Shakespeare besonders in der Zäh-
lung der widerspänstigen verrät, wegen der kenntnis Giulio Romano's und seiner
gömälde, dass der dichter (etwa in den jähren 1592 — 93) sich in Oberitalien auf-
gehalten. Ich gestehe, dass ich mich dieser ansieht zuneige, die ich an anderer
stelle mit neuen gründen zu stützen hoffe. Von dieser annähme aus würde sich die
^elbewunderto italienische atmosphäre der tragödie leichter erklären. Jedesfalls gehört
^JHoo und Julia in die „ italianisieronde * periode von Shakespeare's dichterischer
eQtwicjj^mg und zeigt viel mehr italienische als deutsche geistosrichtung.
KIEL, DEOEMBBS 1894. Q. SABRAZIN.
^^T einfluss des reims auf die spräche Wolframs von Eschenbach. Von
Willy Hoffmann. Strassburg, diss. 1894. 69 s.
Der Verfasser dieser lebhaft und anziehend geschriebenen dissertation legt nach
hoffenden allgemeinen bemerkungen über die dichterische eigentümlichkoit Wolframs
zunächst dar, dass der reim für den dichter keineswegs nur eine lästige und been-
ß'^iido fessel gewesen sei, vielmehr oft ihn zn neuen bildem und Wendungen angeregt
"Äl>e (Herder nennt einmal den reim die „Werbetrommel der gedanken"). Auch
^^^tiiiimte Stileigentümlichkeiten Wolframs sind durch den reim wesentlich gefördert,
herauf weist dr. Hoffmann für eine anzahl gut ausgewählter substantiva (*t7, site^
^^^ftf kür, schin u. a.; eigennamen s. 22 fgg.), adjectiva (genial , getan, gerar u. a.),
verba (verbern, vermtden, vergexxen, bedenken, sich bewegeti u. a.), und adverbiale
"^^tirnmungen (s. 52) gebrauch und Wirkung im reime nach. Aus der syntax wird
'^^U' i3ie Wortstellung s. 60 berührt.
. 1) Obwol ich an belesenheit nicht mit Fränkel wetteifern kann und will, möchte
*^*\ ^och noch eine parallelstelle aus einer spanischen romanze hinzufügen, die mir
^^lulllig aufgestossen ist:
Por el mes era de mayOy
ctMndo hace la ealor
cuando canta la calandria
y responde el rtiysefior,
cuando los enamorados
van d servir al amor
(Primavera y Flor de Romances n, 16; nr. 114a.)
268 EKDMANN
Ihren vollen wert für die orkonntnis der eigentümlichkeit Wolframs v
freilich diese einzelnen nachweise erst erhalten, wenn für joden fall anch der gel
anderer, sowol höfischer als volkstümlicher, dichtungen verglichen würde, w£
Verfasser meistens nicht getan hat. Mehrere der hervorgehobenen substantiva, ns
lieh sin, schtn, Up, fiant kommen ja überhaupt bei mhd. dichtem häufig im
vor. Für die s. 22 fg. gegebenen procentangaben der eigennamen im rein
einer meiner zuhörer, herr R. Kraut bei einer an Hoffmanns arbeit angekn
besprechung in unserem germanistischen sominar einige ergänznngon dieser ai
gebracht, die ich nebst einigen anderen von ihm gemachten bemerkungen übe
zelheiton der besprochenen arbeit mit seiner Zustimmung hier einfüge.
„Die procentangaben der eigennamen im reime mögen durch folgende
ergänzt werden: Der Arme Heinrich mit 24 eigennamen im reime, d. i. 1,6 V>
reime (mit dem procentsatz im Iwein übereinstimmend), Gregorius nur 0,84 '
eigennamen im reime), Walther von der Vogelweide 0,8 7o (36 eigennamen im i
Wolframs Titurel 4,7 7o (32 eigennamen im reime). Die Zählung des verfass
der „Küdrun" (3,9 %) variiert mit der meinigen (4,1 7o ==^ 281 eigennamen im
um ein geringes. Natürlich wurden bei diesen Zählungen personificierte abstrac
frou Scßlde, frou Minne u. ä. nicht als eigennamen gerechnet, da eine solch
sonificierung die Stellung des wertes im reime wol kaum beeinflusst hat.
Um jedoch den gebrauch der namon im reime genau festzustellen,
meines erachtens eine derartige Zählung nicht vollständig genügen. Man sollte
nur zählen, wie viel procent aller reim Wörter namcn sind, sondern auch, wi
procent aller fälle, in denen ein eigenname gebraucht wird, auf die reimstello t
Das resultat für diese zweite art der Zählung wäre: Küdriin 281 : 2492 = 11.
(wie oben sind auch hier die binnonreime unberücksichtigt geblieben), A. Hc
24 : 38 = 63,1 7o> Gregorius 34 : 72 = 47,2 7o, Titurel 32 : 189 =-- 17 7o-
Femer seien mir noch folgende bemerkungon gestattet. Die reihenfolj
citatzahlen könnte an manchen stellen besser geordnet sein, z. b. s. 25, z. 3
P. 761, 8. 311, 6. 413, 17. S. 27, z. 9 v. u.: P. 224, 5. 212, 2. S. 55
P. 752, 5. 640, 15, S. 55 z. 11 — 12: P. 781, 1. Wh. 117, 27 usw. — P. ;
(im letzten falle mag ein dmckfohler vorliegen). Wo nicht innere gründe eine i
reihonfolge vorschreiben, sollte man doch die natürUche folge der zahlen beobs
Ebenso würden die bemerkungen über einige Unklarheiten in der ausd
weise Wolframs zu anfang des abschnittes: II „A^jektiva*^ passender an einem i
platze erwähnt worden sein, vielleicht unter den schlussworton der abhandlung.
Übrigens beginnt der Verfasser mit recht bei aufzählung der stereotyp im
gebrauchten ac^ektiva mit dem echt Wolframischen gemdl. Die überzeug
Schlüsse, welclie dr. Hoffmann s. 37 aus der anwendung dieses wertes auf di<
stehungszeit des Titurel nach dem Parzival zieht, sind besonders wichtig.
Zum Schlüsse mögen einige druckversehen ihre berichtigung finden:
S. 20, z. 21: P. 644, 18 statt 17.
„ 27, ,14: Wh. 27, 14 „ 13.
, 28, ,12: , 151,13 „ 14.
„ 32, „15: P. 358, 23 „ 22.
, 37, „ 4 V. u.: P. 405, 17 statt 16.
, 55, „ 9 , : „ 119, 11 , 12.
55, „ 1 „ : Wh. 55, 23. 265, 2 statt P. 55, 23. 265, 2,
ÜBEB HOFFMANN, HEIM UND SPRACHE WOLFRAMS 269
(Auch sind diese zahlen, ebenso wie z. 2 v. u.: F. 822, 9 statt 29 richtig einzu-
reiben.) «
8. 56, z. 6: Wh. 285, 21 statt 22.
, 56, r, lÖ und 11: Wh. „ P."
Soweit herr Kraut Im allgemeinen bilden die nachweise und erörtorungen des
heim dr. Hoffmann eine sehr willkommene ergänzung zu den früheren arbeiten (von
Bötticher, Kinzel, Kant u. a.) über Wolframs stil. Neu und eigentümlich ist der
am Schlüsse der arbeit s. 63 fgg. gemachte versuch, ein deutliches und anschauliches
bild von der entstehung der Wolframischen werke zu gewinnen. Hoffmann meint,
der des lesens und Schreibens unkundige dichter habe sich die französischen quellen
(widerholt? erst ganz, dann von neuem die einzelnen ihn gerade interessierenden teile?)
vorlesen lassen; er habe dann in ruhiger meditation den inhalt des gehörten ver-
arbeitet und in deutsche verse gegossen , die jeweilig entstandenen stücke aber einem
kreise begierig lauschender zuhörer am Eisenacher hofe persönlich vorgetragen, wobei
lebhafte anrede des hörerkreises sowie unmittelbare improvisation vieler stellen in
ausgedehntem masse möglich war. Schliesslich seien die so entstandenen werke aus
der erinnerung diktiert und dadurch schriftlich fixiert worden. Diese Vermutungen
Hoffmanns haben viel ansprechendes und passen zu der ausdrucksweise und dem
Inhalte von Wolframs dichtungen.
Bedauerlich ist der mangel eines inhalts Verzeichnisses, das doch sonst bei
Strassburger disseiiationen nicht fehlte. Die sorgfältige anfertigung eines solchen
"Ätte dem Verfasser anlass geben können, manches an andere stelle zu bringen und
euii|Fe nur beiläufig gemachten erwähnungen zu besonderen abschnitten auszuarbeiten ;
'^Äcliirch wäre nicht nur der bequemlichkoit des lesers gedient, sondern auch die arbeit
®®*l>5it vollkommener geworden. Hoffentlich lässt dr. Hoffmann sich bei späteren
^^^iten eine solche Unterlassung nicht wider zu schulden kommen.
KIEL. 0. ERDB£ANN. (f)
^^stus Betulius, Susanna. Herausgegeben von Johannes Bolte. Mit einem
bilde und einer notenbeilage. [Lat. litteraturdenkmäler des 15. und 16. jalirhun-
derts, herausgegeben von Max Hemnann und Siegfried Szamatöisld, 8.] Ber-
lin, Weidmann. 1893. XVHI und 92 s. 2,20 m.
Sixt Birck, latinisiert Xystus Betulius oder Betuleius, war der erste Vertreter
^er von Onapheus geschaffenen neueren biblischen komödie in Deutschland, denn
Beine 1537 erschienene Susanna, die er aus der 1532 erschienenen deutschen Susanna
ins lateinische übertrug, war die erste komödie dieser gattung in Deutschland. Nicht
nur aus diesem gesichtspunkte, sondern auch wegen der hohen bedeutung, die
die Susanna Bircks als dramatisches kunstwerk beanspruchen darf, hat sie in der
rüstig fortschreitenden Sammlung der Lat litteraturdenkm. einen platz gefunden.
Bolte hat dem neudruck eine kurze lebensskizze des Verfassers vorausgeschickt, in
der er den geburtstag Bircks (24. febr. 1501) feststellt und nachweist, dass Birck,
der seine humanistischen Studien in Erfurt und Tübingen gemacht, unter dem 31. de-
cember 1524 in der Baseler matrikel verzeichnet ist In Basel lebte er dann als
funolus und korrekter in den grossen druckereien Cratanders, Frobens und Bebeis,
ward 1530 Schulmeister an St Theodor in Klein -Basel, wurde am 10. februar 1563
mMgabsr promoviert (es war die erste promotion seit der widereröffhung der
270 HOLSTEIN
Universität), in demselben jähre als rektor des neuen St. Annagymnasiams za lo^
bürg, seiner Vaterstadt, berufen und starb am 19. juni 4554.
Bekannt ist, dass Bircks dramatische tätigkeit in zwei Zeitabschnitte zeifiDt.
einen Baseler und einen Augsburger; aber unbekannt war bisher die von Holte va&
des Nysäus biographie entnommene tatsache, dass der ersten periode seine deut-
schen, der zweiten aber die lateinischen Schauspiele entstammen. Wir hibeii
6 deutsche imd 7 lateinische Schauspiele, insofern man zwei stücke, die zwei muer
Schüler, Martin Ostormincher und Johannes Entomius, aus dem deatschen originiL
ins lateinische übertrugen, dazu rechnen darf.
Am Schlüsse der einleitung stellt Bolte eine veigleichung der deatschen mit
der lateinischen Susanna an, indem er die analysen beider gibt S. IX folgt ä»
bibliographie. Es werden 9 verschiedene drucke der Susanna mit ihren standoitoi.
nachgewiesen und zwar aus den jähren 1537 — 1564. Von der Kölner ausgäbe toh
1539 ist ein exomplar auch in Göttingen. Dem neudruck ist die erste Augsbnrger"
ausgäbe von 1537 zu gründe gelegt, aber auch die in der Oporinschen Sammlung'
von 1547 vorliegende zweite bearbeitung des dichters mit herangezogen worden.
Auch die in dieser ausgäbe gegebenen scenenüberschriften sind abgedruckt worden.
Sehr wichtig ist Boltes bemerkung, dass, während Gnapheus eine grosse zahl
von Versen des Piautus und Torenz seinem Acolastus wörtlich einverleibt und seinerm
Wortschatz im wesentlichen aus den genannten beiden dichtem entlehnt hat, Bircic:
selbständiger im lateinischen ausdruck verfährt und wirkliche entlehnongen aas de
komikem vormeidet. Dagegen hat er den zweiton akt vom Hippolytus des Senc
benutzt, um die verbrecherische leidenschaft der beiden greise zu schildern.
Eine reihe benutzter stellen antiker autoren führt Bolte s. XII fgg. an
beweist auch hier sich als guten kenner der litteratur.
Einen besonderen schmuck erhält die ausgäbe durch die beifügung der viei
stimmigen melodie des eingangschores aus der Kölner ausgäbe von 1538, sowie eine-sS'
holzschnittes des Augsburgor maiers und formenschneiders Jörg Brem des jüngert-^
aus dem jähre 1540, der mehrere bildliche darstellungen aus der geschichte de:**
Susauna bietet und dossen original sich im königlichen kupferstichkabinet zu Bellica
beßndet
WILHELMSHA\'EN. H. HOLSTEIN.
Philipp Melanchthon Dcciamationes. Ausgewählt und herausgegeben von Kall
Hartfelder. Zweites heft. [Lat. litteraturdenkmäler des 15. und 16. jahriiundeitt,
herausgegeben von Max Hemnann, 9.] Borlin, Weidmann. 1894. XVI und
38 s. Im.
Schon bei der herausgäbe des ersten heftes (1891 ; vgl. diese Zeitschrift XXVI,
491 fg.) war die absieht ausgesprochen, noch andere aus den übrigen gebieten Me-
lanchthonischer declamatioues ausgewählte stücke zu veröffentlichen. Der rastlos und
unablässig auf dem grossen felde der geschichte des humanismus und der refonnaticm
mit hervorragendem erfolge tätige Hartfelder ist seinem schönen Wirkungskreise duich
einen frühzeitigen tod entrissen, und es war ihm nicht mehr vergönnt, die fortsetmg
der angefangenen arbeit zu sehen. In seinem nachlasse fand sich aber ein dnuik-
fertiges maniiscript, das nun der herausgeber der Ijat litt.- denkm. als einteanBVW-
mäclitnis bekannt gibt. Es sind vier widerum schulfragen bdbanddnde radan. b
der ersten spricht Mehuichthon von den akademischen gradea (de gnMÜboa diMHAte^^
ÜBEB LAT. LITT. DKM. Vm. IX 271
deren aofrechthaltung von ihm niit unerbittlicher strenge betont wurde, da er in
ihnen eine bürgschaffc für ein geordnetes und methodisches lernen sah. Denn auch
ao der Wittenberger hochschule war am anfang der zwanziger jähre die strenge stu-
dienordnung früherer zeit aufgelöst, wobei die artistenfakultät am meisten benach-
teilig war. Die zweite bei gelegenheit einer magisterpromotion gehaltene rede han-
delt ,de ordine discendi'^; sie geht unter Grucigers namen, ist aber sicherlich von
Melanchthon verfasst worden. Ihre abfassung fällt etwa ins jähr 1531, wo Cruciger
doceiit der philosophischen fakultät war. Auch diese rede zeigt, dass der grosse
misstand im Studienkreise der hochschule noch nicht gehoben war, und dass sich
anclx jetzt noch die Studenten mit übergehung der artes inferiores d. i. der vorberei-
tenden Studien in der philosophischen fakultät möglichst schnell zu den artes supe-
rioiros d. i. den eigentlichen faohstudien der drei oberen fakultäten drängten. Die
dritte rede „de restituendis scholis" schrieb Melanchthon für den 1540 an die Univer-
sität Frankfui-t a. 0. als lehrer berufenen Schotten Alexander Alane (Alesius), der
mit ihr seine akademische tätigkeit daselbst eröffnete. In der vierten von Yitus
Winshemius (Vitus Oertel aus Windsheim) vorgetragenen rede „de studiis linguae
Gra^cae" tritt die starke betonung des theologischen hervor, in der Melanchthon dem
2'ig?^ der zeit folgte, die im laufe des 1(3. Jahrhunderts sich mehr und mehr vom rei-
^eci humanismus abwandte und der theologischen richtung grösseren Spielraum gönnte.
Am Schlüsse der die nötigen bomerkungcn über den Inhalt und die Persönlich-
keit: der vortragenden enthaltenden einleitung gibt Hartfelder ausser den biblographi-
8ca.ci^ bemerkungen, die übrigens von Max Herrmann durch die angäbe der verschie-
dene ^n lesarten vervollständigt worden sind, einige erklärende anmerkungen zum text.
^^s^er selbst ist widerum sehr korrekt, nur ist mir die doppelte Schreibung exsilium
(^^ -• 10) und exiUo (17, 16) aufgefallen.
WILHELMSHAVEN. H. HOLSTEIN.
i
-^. Bürger's werke herausgegeben von Eduard Orisebaeh. Mit einer biogra-
phischen einleitung und bibliographischem anhange. 5. vermehrte und verbesserte
Auflage. Berlin, G. Grote. 1894. LXXVm und 504 s. 4 m.
Diese ausgäbe (deren erste aufläge in unserer Zeitschrift 5, 233—238 bospro-
^""^^Ä wurde) erhält einen besondem vorzug dadurch, dass auch dem prosaiker Bür-
ß^^^ sein recht geschieht Seine kleineren Schriften und abhandlungen sind jetzt von
^^"Xsebach vollständiger, als in irgend einer früheren ausgäbe, und zwai* jedesmal auf
^'^'^Xnd des im anhange angegebenen ersten di*uckes, mitgeteilt. Sie haben, wie schon
^^Xilich in dieser Zeitschrift 27, 414 mit recht hervorgehoben wurde, auch heute noch
^^uemden wert Deutlich lassen sie erkennen, wie eifrig und erfolgreich Bürger
^^e grosse natürliche begabung auch in den dienst der wissenschaftlichen erkenntnis
^r muttersprache zu stellen bemüht war, und wie ernst er es in seinen späteren
Qottinger jähren mit der aufgäbe nahm, durch lehre und beispiel auf die hebung des
deutschen stils und Versbaues zu wirken. Die in die vorUegende ausgäbe nicht auf-
genommenen prosaischen Übersetzungen und bearbeitungen fremder werke, welche
Bfiiger gemacht hat, verzeichnet der herausgebor mit dankenswerten bibliographischen
oiohweisangen s. 501 fg.; vom „Münchhausen'^ hat Grisebach bekanntlich selbst eine
ton emgehenden Untersuchungen begleitete ausgäbe erscheinen lassen in der „coUec-
tip '^emaiin^ Stattgart (iSOl).
Bürgers gediehto Binil schon in drei usBoren ausgaben gesammelt und
tisch bearbeitet: tod Sauer in Kürsohners D. nat litt. bd. TS (1864), vod Orisel
in der , jubelaasgnbe " (Berlin 18S9) und von Berger, Leipzig, bibl. Institut (I8ä] <
Jede dieser drei ausgabeo liat ihre Vorzüge und dient den bodürfnissea dee littai^^
turforschei's und des liebhabers der Bürgerschen dichtuug. Xq nnserer för wsib^^-i
kreise bestimmten gesammtansgabo von Bürgers werken bat Grisebach die gedic&fc^
neu geordnet; L balladeu und romanzen, voran die drei glünzendstan I»I1h1k:^-
Bohöpfungen Bürgers: Lenore — Der wilde Jäger — Des plarrers toelit«r »on Tti^'
benhaln (diese vom herausgeber besonders hocbgostellt s. XXTI fg.); die ttbngeo iv^
allgemeinen in chronologischer folge, die Jedoch uiehrmals (wegen sachlicher oi^*^
formeller boi-iihrangen?) unterbrochen ist H. lieder an Molly, meist in «linui^ —
logischer folge. III. Sprüche und vermiacbte gedichte; hier gibt der henu*-^
geber nur eine nuswabl, die aber nichts bedeutendes und ebarakteris tisch i
läset. Als „auliang" folgen bearboitnngen fremder gedichte durch Bürger, von
die zwei letzten, wahrscheinlich zuerst von H, 0. B. Franke entwoifenoii, in särant:-- —
liehen Oöttinger gesammtaiisgabon (und auch bei Berger, nicht bei Sauer) ft'hleo,
Der zweck dieser auordnung der gedichte war offenbar, dem leser gleich ti^
anfange des bondoH das anziehendste und bedeutendste zu bieten. In ähnlicher wtiiB«
beabsichtigte ja Schiller eine neuordnuog seiner gedichte auszuführen, und unter sw
nen neueren herausgebem bat Boxberger in Kürschners D. nat. litt. bd. 1]6 o»''
solche versuoht Aber ohne Willkür und ohne unzutrüglieb ketten gebt es doch b^
einer solchen nenordnung nicht leicht ab, auch nicht bei Grisebaoh. Unter die ,baK-
ladeu und romauzen" hat er auch rein lydsobe gedichte eingereiht, t. b. 75. TS- T9
7Ö. Die „lieder an Molly" geben in ihrer folge eine deutliche und ergreifende eiE^ —
sieht in den verlauf von Bürgers liebesleiden schaff and liebeslyrit; aber eben
diesen verlauf deutlich hervortreten zu lassen, hat der herausgeber hier nnch d
taugen eingereiht, die unter die Überschrift der abtcilung nach ihrem wortsinne i
passen, wie die , Männorkeuschheit " s. 97, die nicht an Holly gerichteten soi
s. HS und am Schlüsse das schöne sonett „An das herz" s. 137. Als go'
recensent wollte ich diese kleinen Unebenheiten nicht verschweigen; besonderes gevi^K
auf sie zu legen liegt mir fem, znmal einem manne gegenüber, der als feinsinnig'
iiebhaber und bewährter kenner der Bürgeraoheu dichtung sieh sehi
recht darauf erworben hatte, diese neue Ausgabe DBoh seinem sinne zu gestalten.
Die genannten eigensohaften bewährt Grisebach namentlich auch
gehaltenen, aber sehr inhaltreichen (auch durch interessante beigaben aus Bürger
briofeu bereicherten) einloitung. Mit kundiger band hat er sin anspivuhenilea ud
lebenswahres bild von dorn menschen, dichtoi' und Schriftsteller Bürger entworfau. 5
die schatten dieses biides sind nicht vertuscht, aber sie sind nicht in den vordeignini*^
gerückt, wie es bei anderen darstellern aus befangenheit oder nngesebick geschehen
Die verlagsbaudlung hat die ausgäbe in papier und druck gut ausgeslxttet i
dabei den preis sehr bilhg gestallt. Es ist ihr eine günstige aufnahi
bei allen, die der bedeutsamen gestalt Q. A. Bürgots teilnehmend näher tretcm wol-
len. An seinen besten Schöpfungen in poesie und prosn ist auch heute, mehr ■
hundert jähre nadi seinem tede, noch nichts veraltet, ued gerade die voiüegM«
ausgäbe ist sehr dazu geeignet, auch in weiteren kieiseu das gefühl und die
ms von Borges hedeutung lobendig zu erhalten.
MaTTOTAS, ÜBKR HÄRRMaKN, ALBRECHt V. EYB 273
Schriften zur germanischen philologie, herausgegeben von dr. Max Koediger.
VU. heft: Albrecht von Eyb und die frühzeit des deutschen humanis-
mus, von dr. Max Hemnaiin. Berlin, Weidmann. 1893. VU und 437 s. 10 m.
Der zweck des buches ist: einen boiti*ag zu bieten zur geschieh to der auf-
Dahrne des humanismus in Deutschland, insonderheit in Franken; ferner: den beweis
dafür zu bringen, dass 'nicht, wie sonst angenommen worden, Niclas von "Wyle,
8on<iem Albrecht von Eyb der erste deutsche humanist gewesen;, endlich, dass
hamanistische tätigkeit in Deutschland schon unmittelbar nach beginn der zweiten
bälfte des 15. Jahrhunderts nachzuweisen ist In Franken begünstigen den humanis-
mcLS besonders die geistlichen fürstenhöfe. Er ist durchaus von süden zu uns gekom-
men; unter den Deutschen, die sich ihm unabhängig von Aoneas Sylvius in Italien
in dje arme geworfen haben, ist der bedeutendste Albrecht von Eyb, der zugleich
die fühlung mit dem volke nicht verlor und die schönste prosa schrieb, die wir vor
1500 haben.
Er ist auf schloss Sommersdorf in der nähe von Anspach am 24. august 1420
geboren, wo er seine Jugend verlebte und wo besondere seine mutter Margarete
nnd sein vater Johann von Eyb einfluss auf seine erzieliung ausübten. Die Uni-
versität Erfurt, die er 1436 mit seinem jüngeren bruder bezogen hatte, musste er
anfang 1438 infolge des todes dos vaters wider verlassen; nach dessen letztem wil-
len sollte Albrecht geistlich werden. Das familienoberhaupt war jetzt der älteste
söhn, Ludwig, bekannt als kanzler des markgrafen Albrecht Achilles und als Ver-
fasser der Hohenzollerschen denkwürdigkeiten. Der sparsame bruder, der die über-
^ugung hatte, dass das , blosse sichumhertreiben'' auf Universitäten keinen zweck
^^, sorgte zunächst dafür, dass die versäumte wissenschaftliche Vorbildung der
boideu jungen Studenten nachgeholt werde, und schickte sie 1439 auf die lateinische
schule nach Rothon bürg a. d. Tauber. Als nach zweijährigem gemeinsamen
s^nlbesuch der jüngere bruder Wilhelm infolge eines heftigen Streites mit Ludwig,
dör die herausgäbe des väterlichen erbes weigerte , deutschritter geworden war, kehrte
•abrecht allein nach Rothenburg zurück. Besser ausgerüstet, als das erstemal, bezog
er 1444 abermals die Universität Erfurt, nachdem er die an wartschaft auf eine dom-
»^ermstelle in Eichstätt erhalten hatte. Schon nach einem halben jähre vertauschte
®^ Krfurt mit Pavia, wo er bis 1447 verweilte. Der berühmteste lehrer der hoch-
*^^e war damals Balthasar Rasinus, dem Eyb namentlich bei seinem späteren
"^^Tich der Universität nahe trat. Aus dem besonderen kapitel, welches dem manne
Sö'Wi^met wird (s. 56 fgg.)? heben wir nur hervor, dass er nicht nur ein bedeutender
J^Uist, sondern vor allem ein vorzüglicher kenner und crklärer des Plautus war, von
<*essen nouaufgefundenon 12 komödien er eine abschrift des archetypus besass, der
^^ im besitze des cardinals Oreini befand. Damals hörte Eyb nur Teronz bei ihm.
"^ august 47 verliess er, veranlasst durch die politischen ^\drren, die nach dem
^ö ^es Protektors der hochschule, des herzogs Philippe Maria von Mailand, ointra-
*^3 Pavia und begab sich nach Bologna. Im anschluss an die von Friedländer
^^^ ^Calagola herausgegebenen Acta nationis germanicae univ. Bononiensis gibt der
.^^"ftlfiser (s. 65 fgg.) eine statistische Zusammenstellung über den besuch der univer-
^^^t Ton selten deutscher Studenten für die zeit von 1433 — 59, von denen der Nürn-
ir Job. Pirkheimer, der vator Willibalds, besonders hervorgehoben wird, der
anderen landsleuten gleichzeitig mit Eyb, jedenfalls aus denselben gründen,
Yen den docenten hat namentlich einfiuss auf diesen ausgeübt Job.
werk: De pudicicie sine castitatis laudibus jenem den anstoss zur
•HB FHILOLOOa. BD.XXVm. 18
274 MATTHIAS
abfassung seiner Schriften über ehe und fraaen gegeben hat Ende 48 wurde Eyl
mit vielen anderen von Bologna durch die pest vertrieben und wandte sich wabi
scheinlich nach Padua. 1449 erhielt er ein Bamberger kanonikat, zunächst ohs
in den genuss der pfründe einzutreten, zugleich die einkünfte einer pfarre in S wann
(= Schwanenstadt in Oberöstorreich). 1450 — 51 finden wir Eyb zum zweiten ma
in Bologna, von wo er im sommer des letzteren Jahres notgedrungen nach hau.«
zurückkehrte, weil einerseits der bruder Ludwig sein geld nicht mehr nach Italic
schicken mochte, andrerseits Eyb in den genuss der Bambergor pfründe nur gehu
gen konnte, wenn er gemäss einem paragraphen des Statutes mindestens ein ja)
lang persönlich an ort und stelle weilte. Welchen umfang die humanistischen sti
dien Eybs während seines ersten aufcnthaltes in Italien gehabt, läset sich einige
massen aus der Zusammenstellung der in dieser zeit entweder von ihm selbst geschri«
benen oder erworbenen handschriften ersehen, die jetzt zwar in verschiedenen bibli<
theken zerstreut sind, sich aber durch den eigentümlichen einband, durch dasEybscI
Wappen, endlich durch einzeichnungen als bostandtcile seiner bücherei Charakter
sieren.
Zu Bamberg tröstete sich Eyb über die unfreiwillige trennung von Italic
dadurch, dass er zur fedcr griff und damit, soweit unsere kenntnis reicht, ds
früheste beispicl humanistischer schriftstellerei eines deutschen ai
deutschem boden gab. Hier entstehen zuerst zwei kleine lateinische traktate : I
speciositate Barbare puellulae, seinem hauptteile nach vielleicht eine auf persönUcI
erlebnisse zurückgehende beschreibung einer schönen Bambergerin im tone des hohe
liedes (s. 100 — 102); 2. Appellacio mulierum Bambergensium, eine überaus friv
gehaltene, der Oratio Heliogabali des Leonhard Bruni nachgebildete klagerede d
Bamberger frauen über unwillfährigkeit der männer (s. 104 — 107); 3. eine aben-
mahlspredigt; 4. lobspruch auf Bamberg (z. t abgedruckt s. 109 fgg.)) &Qch diese
lateinischer spi*ache. Wie unbehaglich sich Eyb in Bamberg ftlhlte, gebt aus eine
an italienische freunde gerichteten , nach humanistischer weise für die veröfifentlichai
bestimmten briefo hervor (s. 111 — 114). Im Oktober trat er endlich in den genu
der pfründe, deren einkünfte (s. 114 fg.) ihm die möglichkeit gewährten, seine hum:
nistischen Studien in Italien unabhängig von dem guten willen des bruders foitzusetze
Zu anfang des jalires 1453 finden wir ihn abermals in Bologna, wo er zu eine
der procuratoren der deutschen nation gewählt wurde. Unsicher ist, wie lange se
aufenthalt währte; jedesfalls nicht bis zum Studienjahre 1455/56; denn sonst hat
Eyb gewiss nicht versäumt, den in diesem jähre zuerst auftretenden lehrer des gri
chischen, Lianorus de Liunoris zuhören; des griechischen aber, sogar der schri
ist er, wie seine handschriften beweisen, völlig unkundig geblieben. Von Bologi
aus trat er auch in littcrarische Verbindung mit der zweiten statte, wo in Italien Den
sehe sich zalilreich zusammenfanden, mit Rom, namentlich mit einem ihm befreui
deten landsmanne, dorn humanisten Joh. Rot. Durch grosse büchereiukäufe gen
er in schulden; bruder Ludwig gewährte eine ausserordentliche bewilligung von 2(
gülden erst dann, als Albrecht droht, falls der bruder sein verlangen nicht erfüll
dem geistlichen stände überhaupt den rücken kehren zu wollen!
Die bibliothek unifasste namentlich juristische und humanistische handschii
ten; unter letzteren sind die wichtigsten zwei Plaut uscodicos, von denen der ersl
die 8 schon längst bekannten, der zweite von den neuentdeckten komoedien die Bü
chides, die Mcnaechmi und den Poenulus enthält Ausser 20 namhaft gemaehtB
bänden muss die büchoi-sammlung noch andere umfasst haben, wie aus
ÜBER HERRMANN, ALBRECHT VON RYB 275
absciiriften von der band des Nürnberger arztes Hartmann Schedel hervorgeht,
der 14^ in Eichstätt gewesen ist
Im Vordergründe stehen während des zweiten aufenthaltes in Italien Eybs
Plaix tusstudien, die er namentlich in Pavia unter leitung des schon erwähnten
Easiixias machte. Die zahllosen rand- und zwischennotizen, welche die zweite Plau-
toshaTidschrift enthält, und in denen wir zum grössten teile erläute rungen jenes leh-
rere ^cu sehen haben, ermöglichen es, uns ein anschauliches bild von der art der
Plautxxsinterpretation in den Vorlesungen der damaligen universitätsprofessoron zu
machi^n (s. 161 fgg.)- Neben humanistischen Studien betrieb Eyb auch juristische,
besoci.<Jers in Pavia unter leitung des Catone Saccus, der auch humanistische
Interessen hatte (165 fgg.) imd dos Giacomo Ricci. Am 7. febr. 1459 erwarb er
sich <üe juristische doctorwürde; in demselben jähre ernannte ihn auch der neue
pabst Pius n. (Aenoas Sylvius) zu seinem cubicularius. Im novomber dessel-
ben j «ihres ist Eyb wider in Eichstätt, gleichzeitig hat er seine Margarita poetica
vollen det (s. 174).
Die betrachtung dieses werkes wird eingeleitet durch einen kurzen abriss der
gesclüichte der beredsamkeit, wobei die Praocepta des Aeneas Sylvius aus einem
beso neueren gründe eine ausführlichere berücksichtigung finden. Die beiden ersten
traktai.te der Margarita poetica nämlich stimmen wörtlich mit den Praecepta überein;
«ß ein plagiat Eybs ist kaum zu denken, da der erzbischof von Trier, dem diese
gewidmet sind, auch am Schlüsse der Margarita unter denen genannt wird, denen das
werk: zugeeignet ist. Mit hilfe einer Berliner handschrift der Praecepta nun, in wel-
cher statt Eneas: Alberthus und Alb. Eyb als Verfasser bezeichnet wird, weist
Herrxöann nach, dass diese überhaupt von Eyb herrühren und eine Jugendarbeit von
^Di sind (entstanden zwischen 1457 und 59), die, weil sich der Verfasser nur bei-
läufig im texte genannt hatte, von einem oberflächlichen humanisten falschlich dem
Aeaoas zugeschrieben und den werken desselben einverleibt worden sind; so dass
*^ ^yb, als er die beiden traktate der Marg. schrieb, nicht den Aeneas, sondern
soiuo eigne Jugendarbeit benutzte. Es folgt nun eine ausführliche analyse ihres inhal-
^® (185 — 195), aus welcher hervorgeht, dass der Verfasser zwar ein lehrbuch der
^^Un anistischen rhetorik liefern wollte, dass er aber fort und fort in allgemein sti-
^^"tische und sogar speciell epistolographische Vorschriften hineingerät; einen gi'ossen
'^U.iti nehmen die musterbeispiele aus klassischen autoren ein, der mehrzahl nach
*^'^ommen einem von Eyb während des ersten italienischen aufenthaltes erworbenen
^^^d von ihm selbst fortgeführten citatenbuche (s. 91 fgg.); den schluss bildet eine
^^»*ümlung von umfangreicheren mustorbeLspielen humanistischer stilkunst, enthaltend
^^ fast ausnahmslos gesprochene reden verschiedener Verfasser. Der epüog enthält
^Xisser anderem eine rechtfertigung der neuen Wissenschaft, als deren erster verkün-
'i^r Eyb in Deutschland auftritt, sodann eine widmung des dem bischof von Münster
angeeigneten buches an noch 15 humanistisch gebildete männcr; unter den 8 welt-
lichen befindet sich auch sein lehrer Rasinus. Aus der von Herrmann in Eichstätt
Entdeckten Originalhandschrift geht deutlich hervor, dass das werk, welches erst
1472 gedruckt ist, bereits 1459 ziun abschluss gebracht war. Aus den 15 verschie-
flenen drucken, die der Verfasser am Schlüsse dos kapitels aufzählt, ergibt sich,
"Welche Verbreitung das buch bis zur blute des humanismus gefunden: der erfolg ist
mmeniüch der auswahl klassischer texte, die es bot, zu danken; „als die glänzende
ipereinigiuig der philologie und des buchdruckes den Deutschen die antiken autoren selbst
in die liaad gab, da war es mit der Wichtigkeit der Margarita für immer vorbei (s. 214).
18*
27G MATTHIAS
Nach Eichstätt zurückgekehrt, setzte £yb durch, dass or, zuwider den stata-
ton, welche keinem aufnähme in das kapitel gewährten, der schon 3 blutsverwandte
darin sitzen hatte, die vollen einkünfte eines domherm, sowie sitz und stimme im
chor und kapitel bekam. Bischof war damals der humanistisch gebildete Johann HL,
der bimdcsgcnosse des benachbarten Albrecht Achilles, ein freund des Aencas
Sylvius, dem eine ebenso eingehende betrachtung gewidmet wird, wie den seinem
genossenkreisc angehörenden Joh. v. Heldburg, Joh. Mendel, Joh. Heller,
Wilh. v. Rcichenau, endlich Hieronymus v. Eichstätt (eigentlich H. Roten-
bock), dem einzigen, der in hiunanistischom sinne schriftstellerisch tätig ist (s. 215 fgg.>
Man würde aber irren, wenn man von diesem kleinen kreise litterarisch gebildeter
münner, in welchem £yb verkehrte, einen schluss machen woUto auf das geistige
nivcau des übrigen klerus; die mehrzahl der geistlichen ist in trägheit und genuss-
sucht versunken, und selbst bessergesinnte sind auf äusserlichkeiton und materiellen
gewinn bedacht; auch Eyb gehört unter diese. In den kämpfen zwischen den Wittels-
bachem und den fränkischen Hohenzollom , in welche auch Eichstätt dadurch verwickelt
ward, dass bischof Johann als Vermittler fungierte, finden wir Eyb als agenten des
markgrafcn tätig. Dieser bemühte sich, um den einfluss, den durch Eyb auf das
Eichstätter und Bambergor kapitel hatte, auch auf Würzburg auszudehnen; ihm
die fetteste Würzburger pf runde, die erledigte pfarrei Hassfurt, zu verschaffen.
Eyb begab sich persönlich nach Rom (1464), um seine wähl auch wider den willen
dos zollemfüindlichen Würzburger bischofs Johann durchzusetzen. Es gelang ihnk.
zwar nicht, da die pfründe ein anderer bekam, der ihm allerdings 100 gülden jähr^
lieh abgäbe zahlen musste; dagegen erhielt er als ei'satz das Würzburger archidia^
konat Ipphofen. Als er in Würzburg dem \viderstrebenden bischof gegenüber seixa
recht persönlich geltend zu machen suchte, wurde er, jedesfalls auf veranlassuag
jenes gewalttätigen mannos, von zwei herren von der Tami auf deren schloss en^-
führt und gefangen gehalten. Es verwendeten sich für ihn sowol markgraf Albrecbt^
als der bischof von Bamberg; besonders mit rücksicht auf den letzten wurde er zvrax
freigelassen, doch nicht eher, als bis or alles unterschrieben, was seine kerkermei^t^'
verlangten, vur allem vorzieht auf Ipphofen geleistet hatte. Da aber dieser not-
gedrungcne verzieht trotz aller bemühungon nicht rückgängig gemacht worden konx»*^
begab sich Eyb zum zweiten male mich Rom und nahm den ersten aufenthalt ^^
Man tu a, im dem hofe der Gonzaga, wo er gute aufnähme fand durch vennittluX*^
der uichto seines gönnors, Albrocht Achilles, Barbara, markgräfin von Mant^«**
deren lob er im Ehebüclilein vorkündigt. In Rom setzte er zwar eine entscheidu'^
iU)i> pabstes zu seinen gunsten durch ; die Würzburger aber kehrten sich nicht dar^^'
Auch die bemühungen Eybs , nach der walil des domprobstes Wilhelm von Reicheo^^
zum bischof von Eichstätt (nach Johanns todo, 1464) einige von dessen pfründen '^
erlangen, bUeben erfolglos.
Weit weniger bedeutungsvoll, als Eybs politische tätigkeit, ist seine juristiscl^^
(H. 'J58 fgg.)i die namentlich in der erteilung von rechtsgutachten bestand; di^
m(M.sten davon sind in lateinischer, nur wenige in deutscher spräche abgeüeisst tiBä
haben inhaltlich für unsere zeit geringes interesse.
Mehr wert haben für uns seine in dieser zeit entstandenen lateinischoo
.schrift(>n über che und frauen, beides ein lieblingsthema Eybs: ClarissimanUB
fominarum laudacio, die Niclas von Wyle in seinen Translationes stillschweigetfi
übertragen hat; Invectiva in lenam; An viro sapienti uxor sit ducenda, alle drai
Das Ehel
»■ «i«rgl. zusammen f aast, nr
«cliöjisten deutschen bnoher
sungBii, welche die c
mosaikarbeiten, GntataoileQ durch zssammoDrüguug nBrnentLicb klossiGuhor citate; die
letzt« ist die vorlliuferin seines Ehebücbleina.
Nachdem der verraascr an 3 navellcn (Ouiscacdus und SigiainoDda, Hanna,
Alt>^Lniis) äie in dem Ebebüchlein aiifnaJime fanden, iind einem dialoge (De nobüitate),
dei- dem Spiegel der aitten einverleibt ist), die von Eyb in dieKen stücken beobach-
tetcsia priocipien der nocherzJÜiliing festgestellt hat (s. 287 fgg.), untersuebt er an der
band der so gewonnenen resnltate, mit welchem rechte neuerdbgs Strauch das auo-
nynio werk Qhseldis jenem zugeBchrieben habe. Er weist überzeugend nach, daGs es
□iclit von Eyb herrülirt, daas dieser vieiraehr, als er die novelle in Boinom Ehebüch-
leita benutzte, ein plagiat an dem linbelianntea Verfasser begangen bat.
3üch!ein. weiches alle früheren arbeiten Eybs über trauen, ehe
id dem rate von Nürnberg gewidmet ist, gehört zu den
n der beginnenden nenzeit. Nach besprecbiing der auf-
D jüdischen, griechischen, römischen und früh -christlich -
Mlkolastischon Schriften gefunden hat, wird der stand[mukt, welchen der humaGismus
"< dieser frage einnimmt, aas Schriften des Franciscus Barbarus (De re uxoriuj und
•"oSTSios (An soni sit usor ducenda) voranscbaulioht- Die bedeutendste schrift über
'''s^'^n gegenständ jedoch ist Eybs Ehebüclilein , welches die ehe von rein mensoh-
'"^«»m siandjinnkte aas betrachtet, ohne sich auf die damals so beliebten juristischen
«b^XVagen einzulassen. Es folgt sodann eine eingehende besp rech ung über entstehung,
^0**^ jiosition und inhalt des ganzeu Werkes, das scbliessüch (auf s. 345 — 365), wie
der- Verfasser selbst sagt, sich eine jaeriinückung' gefallen lassen muss, d. h, einen
i^'^lKneis aller sätze und sätzchen, die Eyb seinen eignen früheren sohriften oder den
''t>^itcn anderer entlehnt hat.
Entgegen dem in streng humanistischem geiste geschriebenen Ehebüchlein ruht
^*^ Spiegel der sitten entsprechend dem geaohmacke der geistlichen würdenträ-
&^ ■, denen das buch gewidmet ist, wesentlich auf scholastisch -patristiscber grond-
l'S^ ; die citate. aus denen auch dieses buch zum teil bosteht, sind demnach der
malirzahl nach den tircheaväteiTi und Scholastikern entnommen. Nach einet einge-
hevacJon besprechung dos inhaltos folgt der beweis, dass der deutsche Spiegel der sitten
iich,lB bt, als eine Übertragung einer fremden lateinischen ai'heit, die Eyb durch
«trüge znsätze erweitert hat. Die druckleguog des Werkes, die er nicht mehr zu
riiiea vermochte, erfolgte erat 3ti jähre nach seinem tode durch seinen neffen
kbriel von Eyb. Beifall fand indes das werk auch jetzt nicht, eine neue aufläge
pilelile es nicht, um so grössere Verbreitung fand der anhang des buche.s: Plautus
I Ügolino Pisani in deutschem gewande.
Zu bedauern ist das spÜte ei'scbeinen der dramenübertragungen, 1474, als
> eostanden, kannte man ans dem lateinischen altertume in deutscher Übersetzung
] Boethiiis; IGU dagegen waren bereits die meisten alten antoreo übertragen,
daxu in Schulbuch müssiger wörtlichkeit, im vergleich zu welcher Eybs freie
•"tragnngs weise ansloss erregte. Seine boarbeitnng ist ein gemisch von erzshlung
* handluiig, insofern durch zahlreiche erläuternde bemerkungen der oft verwickelte
' önionhaug klar gemocht wird. Auf des Rasinus erlitutomngen gehen offenbar
' besonders in den Mi^naechmi und Baochides vertretenen soenisohen bemorkongou
1 anscbliisB an die lateinische vorläge sind in den Menaechmi und der
vor beginn des dialoges joder Bceno die namen der in ihr redenden por-
I genannt, wofür die Bacohides eine in zusammenhängender darsteUnng gogehcne
kbt haben der , namen der persunen in disem pücblin genannt und gemeldet."
27S MATTHIAS
AkteiDtoUuiig ist nicht yorhaudon. Nicht bloss die mehrzahl der namen ist durch
deutsche ersetzt (Ilointz, Fritz, £untz; Barb, Metz, Ness); die ganzen stücke sind
germanisiert und darin besonders besteht Eybs verdienst und der wert seiner Über-
tragung. Dio Personen reden nicht nur deutsch, sondern empfinden auch deutsch;
so sind boisi)icls weise alle anspiolungen auf antiko Verhältnisse, namentlich auch die
heidnischen götter beseitigt; der reiche S])nchwörter- und sentenzensdiatz des Flau-
tus ist möglichst in deutsche münze umgeprägt. Das gab oft anlass zu Weiterungen
oder kürzungon; ebendazu führte das streben, allzu anstössiges zu beseitigen oder
zu verschleiern, femer dunkolheiten des lateinischen textos aufzuhellen, endlich, die
epigrammatische kürze des römischen komikers durch dio behagliche füUo zu ersetzen,
die dem deutschen stilgefüge, zumal für die alltigsredo entsprechend ist Diesen
vielfachen bemühungen entspricht der erfolg: die lektüre der dramcnübertragungen
^ist noch heuto ein gonuss, welcher der beschäftigung mit den originalen beinahe
el>enbürtig an die seito tritt"
Das letzte (X.) kapitel (s. 398 fgg.) behandelt den lebensaus gang Eybs. Es
ist aus seinen letzten lebensjahren nur wenig bekannt Schon früher war erwähnt
worden, dass er in Bamberg dem heiligen Sebastian eine kai^ellc geweiht habe. Nun
weist der verf;isser auf einen Münchener codex hin, in welchem sich godichte ab
erläuteruiigiMi zu fodorzeichnungen besonders astrologischen Charakters finden. Wäh-
rend die meisten gedichte sich schon in älteren kalcndcrn nachweisen lassen, sind 5
davon original und unzweifelhaft Eybs eigen tum (s. 409 — 416); denn sie sind
nit'hts, als versifioiorte konisätze des Spiegels der sitten und des Ehcbüchlcins ; und
die Vermutung des Verfassers, dass bilder und verse die wandtlfiche jener Scbastian-
kapelle geziert haben, scheint mir das richtige zu ti-effen.
Am '24. juli 1475 ist Eyb im 55. lebensjahre gestorben. Eine schlussbetrach-
tung gibt nochmals in kürze einen ül>erbHck über die Stellung, die Eyb in der ge-
sohii-hte der deutschen litreratur einnimmt, und erklärt, warum die nachweit bisher
sich gegen ihn so undankl>ar ennesen hat.
D;is ungefähr ist der iuhalt des baudes, welcher zunächst als ergänzung und
erläiitoniug zu den Ividen ersten, dem Ehebüchleiu und den Dramenübertragungen,
an/u>t»hen ist: während diese viele dankKire leser finden werden, wird der dritte
und haupTteil ausserhalb des enp^ten kreises der fachgenossen im Zusammenhang
la-im von jemand gelesen worden. Zum teil liegt das ja am stoflf. Eybs persönlich-
kei: i>t niehts weniger, :ds eine btHloutendo; es fehlt überhaupt in der frühzeit des
douTsohen humauismu< an herverra^ienden geistern. Die mit der grössten Sorgfalt
aufcosv. hten und aufgehi-Uten leKMis>ohioksalo des mannes sind im grossen und gan-
roü uninteressant: ;üu^li\l:r^s eilt vi»n .Tvh. Rot und Balthasar Rasinus. Verdient letzterer
woniiTS'or.s .'ü< erster nusiCir^T des Tlautus und als treisticer urheber von Evbs dra-
iy.o:iüK^rtnu:nr.ani eiüiires inten^sse. so i<t v.-'n dvn meisten anderen Persönlichkeiten,
TV.:: i;or.en Kyb in Ivnihir.Uf: p^kinnnen v>dor in v». rbicdimg getreten ist, kaum mehr
i".; I-.t" (. l:tciu ;Us dass sie in l;,Alion stuii-,^rt haU^n ■■der Verfasser von inhaltleeren
j'r.:r.kTviei: vvi-, r sohroiU^r VvMi Ivlnngloson br.efoii gewesen sind. Dafür, dass beson-
v;ors :r. .ier ers-t:^:: h;ilfte des bueV.es v.mi so vi-l-'u ;;ii:orjW)rdneten ]^rsönÜchkeiten
U'^,: v.r. s.^ \.-.^"-r:: v.y\v\h!:cen vi:;'.c\^n iiie rt^.:-. :s! dürfen wir natürlich den verfas-
SOI v.::\'. :ur ^tv•ar.:^v:r:;ir.c .:e»o'.. Alvr .:ri> :>: ul»er:ius zu bedauern, dass er
sisTh a::V.T i::\'Sscr.^ b.'S.V.nüikunj; aii:or«Y^, dAs> rr die vielen unwesentlichen dinge
..:ii .;r.wioh::o"v. i^rs. : V\*hkei:en r.irht Vurrer IvV.aruioh. d.^ss er nicht überhaupt
■::ue cinie mor.c^- >t.:V .:;m Ivni j>^«.rfon eicr woniis^tens nur nebenbei in der
ÜBSR HSRBHANN, ALBRECHT VON KTB 279
anmerknng abgetan hat; der umfang des buches (über 400 selten) wäre dadurch ganz
erheblich beschränkt, seine lesbarkeit bedeutend erhöht worden. Erklärlich ist ja
diese ausführlichkeit; in den meisten fällen hat es unsäglichen üeiss und unendliche
mühe gekostet, um über dieses so dunkle gebiet unsror litteraturgcschichte einiges
licht zu verbreiten. Die freude des forschers, der es zimi ersten male betritt, ist
wol begreiflich; aber er darf nicht vergessen, dass er in einer gegond wandelt, die
besondere reize nicht hat, und dass der bericht über die reise im höchsten grade
ermüdet, wenn über alles und jedes, was sich dem äuge dargeboten hat, mit glei-
cher gründlichkeit und ausführlichkeit berichtet wird. Das ist aber leider geschehen;
man höre ein beispiel für viele: Von dem oben erwähnten Joh. Rot, dem der Ver-
fasser eine hervorragende begabung als humanist zuzuschreiben selbst weit entfernt
ist, wird zunächst, wie von vielen, eine ausfühiiiche lebensbeschreibung gegeben
(s. 127 fgg.); sein lob wird verkündet dui'ch einen brief des kaiserlichen kanzleibeam-
ten Joh. Tröster (den sein gönner, Aeneas Sylvius, einen homo subagrestis nennt)
an dessen kollegen Wolfg. Forchtenauor; diesen Tröster fordert ßot auf, sich in einer
Schrift über das wescn der liebe zu äussern. Sodann behauptet er in einem anderen
schreiben an den angesehensten deutschen Juristen Gregor Heimburg imter anderem,
die „rhetorik''^ sei hoch erhaben über die Jurisprudenz. Heimburg, dessen Stellung
zum humanismus erörtert wird (s. 134 fg.), weist diese behauptung sehr entschieden
zurück (s, 135 fg.); Kots duplik ist eine förmliche abhandlung, die, wie der Verfasser
selbst sagt, nur von massigem interesse ist und deren schwülstiges pathos abstösst
(s. 136); Rot rühmt sich seines angeblichen sioges über den Juristen in briefon an
seine freunde, unter denen auch Eyb ist (s. 137); der brief ist nicht erhalten; sein
inhalt stammt aus einem schreiben des Andreas Bavarus, den Eyb als antwort auf
das diesem mitgeteilte schreiben Rots erhielt; nebenbei wird der inhalt eines bitt-
schreibens des Bavarus an den Salzburger kanzlor Bemh. v. Erayburg mitgeteilt;
s. 139 folgt jene antwort auf den Eybschen brief, in welcher „in unlogischer weise"
entwickelt wird, dass Rot überhaupt kein himianist sei — usw. usw.: 12 selten, durch
welche man sich mit seufzen hindurchwindet, und deren inhalt auf eine seite zusam-
mengedrängt werden musste. Denn was soll die ganze auseinandcrsetzung? Envei-
sen, dass die humanistische bildung bei männern vom schlage Rots in der kunst
besteht, in glänzenden phrasen über jedes, auch das nichtssagendste thema reden zu
können. Das war mit wenigen worten gesagt und statt den inhalt der langatmigen
briefe zu widerholen, hätte sich der vertasser darauf beschränken sollen, kurz auf
die darin behandelten gegenstände hinzuweisen. Andre umfangreiche betrachtungou
liest man zwar mit grossem interesse, z. b. die über die Verfassung der lateinischen
schule in Rothenburg a. d. Tauber, über die einrichtung der italienischen Universi-
täten, über die geschichto der rhetorik (als olnleitung zur Margarita poetica), über
Schriften betreffend f rauon und ehe (als einleitung zum Ehebüchloln) usw. : aber es
sind doch dinge, die mit Eybs Persönlichkeit und werken oder mit der frühzeit des
deutschen humanismus nur in losem zusammenhange stehen , deshalb nicht in solcher
ausdehnung behandelt werden durften, dass man das themä des buches zeitweise
ganz aus den äugen verliert. Die zerpflückung des Ebebüchleins möchte man über-
haupt an dieser stelle missen und lieber unter dem texte (heft 1) sehen; denn ohne
diesen weiss man hier mit den 10 selten citaten tatsächlich nichts anzufangen.
Was wir an dem buche auszusetzen haben, bezieht sich ausschliesslich auf
die art der darstellung und die komposltion, nicht auf den inhalt. Dieser
beruht zum grossen teil auf solchem material, welches — oft aus den entlegensten
winkeln — berbeizoscIialTen der verTassor leoine zeit und niüho, vormatlicli ancli trä>^
kosten gescheut haL Auf gntnd dieses m&tadab ist es ihm gelungen, uachzuweis?««^
dofis Eybs ^rsöniicbkeit und Schriften dMh etwas mein koacb-tung verdienen, 4l«
ihnen nach der bescheidenen roUo, die sie in den meisten litteratitrgeEcliichteD ftpi^^
leu, tiisber zuzukonimeo schieu. Kurz z. b. (Gesoh. d. litt. 1, 788) emähnt in d«r
vita Efb» die dramen Übertragungen gor niuht- an der sleüe, wo er von ihneo redet
(ebda 715''), sagt er; Ilans Nydbardt war der erste, welcher einen voisnch der txt
(der übereetzung aus dem lateinischen) machte: er übersetzte don Gunndi dasTemu,
der 111 Ulm im jähre 14S6 im druck erschieD. Ihm folgte eiu unbekannter, dar den
Terenz voilstitudig verdeutschte (Strassb. 14!I9); und im Jahre 1511 üboreatite Al-
brecht von Eyb dio Meuächmen und die Bacehidea des Plantus; Kurz verwechselt
alsu die zeit des dniukes mit der 2eit der abfassung und weist diuuit £;h in der
gesehicbte der übersetzungslitteratur eine ganz falsche stelle an.
Auch im einzelnen gelangt der Verfasser zu ganz neuen and oft überiaacbn—
den reaultaten. Ich erinnere nur an den nauhweis, dass die Praecepta. die bis jetst
in den opcra des Aeccas Sflvius stellen, Eybs eigentum sind (a. 179 fgg.), tot ilbi^
aber an die Untersuchung über die deutsche Orisardis (301 — 311), deren erg«lid^
durah dio entdcckung dos wirklichen antors (Eth. Gross, einl. s. VI) eioo
II hat.
PROF. na. MATtBUB.
E. T. A. Hoffmann. Sein leben und seine werko. Von Oeorf ElUnger. Harn.—
bürg und Leipzig, Leopold Voss. I8[>4. XU und 230 s. 5 m.
Das intcresso ou noSmauns werken, das nie ganz erloschen war, ist sdK
einem Jahrzehnt beständig im wachsen; das beweist dio grosse zahl der neuen auf-
lagen, in deneu HoSmaans Schriften in deutscher, franzijsischer, englischer mul
italienischer spräche alljährlich eracbeinon. Die Wissenschaft dagegen hat sich wt
einem halben jahrhandort fast gar nicht mit diesem dichter beschAftigt. Hitxigs bio—
gmphie ist 1823, die von Eunü 1836 erschienon, und die spärlichen weiteren ergt^
nisso der forscbung haben Boxberger und Uax Koch in ihren litterarhistorischea ein-'
leituugen zur Hompelschen Hoffmannausgabe and zum 147. bände der Doutschen nitio-
nollitteratur aofgozäblt und verweitet
Das bedürfnis nach einer neuen, anf selbstündiger forscbung beruhenden Uo-
grapbie war also entschiedeo vorhanden, und im ganzen wird dieses bedürfnis dutoh
GUingera buch in erfreulicher weise befriedigt
In 22 kapiteln sbd Hofiinaous werke im auschluss an seinen lebensgang, ia
ohronologischer Ordnung untersucht. Eine zusanimeofassung dieser zahlrcicfasn kap'
tel in 4 oder 5 grässero gruppen Wäre der übcniicbUichkeit wegen violleidit in.
empfehlen gewesen.
Ausser der ausführlichen und einsichtigen darlegung der einflüsse des oH^
preuBsischen volksoharakters auf Qoffmann bringt Elltnger über den lebensgang it^
dichters nicht viel neues.
Die Pedanterie von Bitzig und Ennz kam der kenntnis von HoEhianns lebMB —
lauf insofern zu gute, ab sie wenig tatsächliches ausser acht liess, während eu* !**
der beurteilung dieser tatsachen freilich häufig irre gieng. Diesen fehler hat Ellto|0''
Dun auszugleichen gesucht, iodein er auch Boffiuanns schwächen in das licbl liuW
ÜBKB SLLINQKB, E. T. A. UOFFMANN 281
dnsiclitigen and nachsichtigen beurteilong setzt Neu sind in der lebensbeschreibong
der name der frau Hatt, einige daten über Hoffmanns eitern und über die kraft-
genialische Fosener zeit, für die Ellinger in den Denkwürdigkeiten des Posener
Juristen J. L. Schwarz eine neue, freilich trübe quelle entdeckte (s. 26. 196 — 98).
Mit gutem kritischen urteil sind die autobiographischen elemente aus Hoffmanns wer-
ken herausgeschält und geschickt in die lebensdai*stellung verwoben. Die pflicht der
nachprüfung überlieferter daten (s. VH) hätte als selbstverständlich nicht betont wor-
den dürfen.
Mit recht hat Ellinger das hauptaugenmerk auf die quellen gerichtet, aus
denen Hoffmann schöpfte. Teilweise wai-en diese bereits bekannt, teilweise aber
bedurften sie wie bei Bameaus neffen (s. 80. 214) oder bei der figur des rats Krespel
(s. 130. 221) noch näherer Untersuchung; vielfach hat Ellinger sie neu aufgefunden.
Vor allem hat er nachgewiesen, dass der bisher überschätzte einfluss von
J^an Paul auf Hoffmann nur von kurzer dauer war. Er reicht bis zur AVarschauer
zöit, in der Hoffmann den werken der romantikor näher trat. Aber auch bis dahin
gieng Jean Pauls einwirkung nicht bis zu Stoffentlehnungen, während Hoffmanns
abhängigkeit von Wackenroder, Tieck und Novalis in form imd inhalt seiner Schrif-
ten durch Ellinger mit Sicherheit nachgewiesen ist. Bei diesen quellenuntersuchungen
2oigt sich Ellinger mit wenigen ausnahmen (z. b. s. 148 fg. Kater Murr) glücklich
und massvoll. Besonders gelungen scheinen mir die bemerkimgen über die geistes-
verwandtschaft Callots mit Hoffmann (s. 75). — Gern wüsste man näheres darüber,
^B Rochlitz (s. 79) auf das seltsame thema kam, das zu der figur des Kreisler
fölirte.
Diese reichlichen quellennachwoiso rücken Hoffmanns Stellung in der litteratur-
geschichte in klareres licht, wählend man bisher ihn bald neben Jean Paul, Müllner,
W'enier, ja neben Uhland und E. K. F. Schulz gestellt hat. Zugleich klären uns
<"eso quellenforschungen über Hoffmanns schaffensweise auf, bei der Ellinger mit recht
^^ Otto Ludwigs Selbstbekenntnisse (s. 174. 187) hinweist. "Wir sehen jetzt deut-
"^^, wie Hoffmann Überlieferungen mit phantasiegebilden und eigenen erlebnissen
^^ einem ganzen künstlerisch verband, das er dann durch das medium seiner unge-
wöhnlich scharfen beobachtungsgabe uns menschlich nahe bringt. So erhalten selbst
^*^ tollsten ausgeburten seiner phantasie ein gewisses reales leben.
Auch Ellingers urteilen über die einzelnen werke des dichters wird man meist
^^Pflichten. Das fräulein von Scudery (s. 139 fgg.) stellt er aber wol etwas zu hoch,
^'^^ das „Spielerglück** rechne ich nicht zu den „wolgelungenen" erzählungen (s. 142),
öuix gerade die einkleidung, die Ellinger lobt, halte ich für einen misgriff, weil
^^i'ch die gleichförmigkeit der drei ineinander geschobenen spielergeschichten keine
^^^ sollen geltung kommt.
Ausser den fruchten einer gründlichen durcharbeitung des zugänglichen mate-
.^*s für Hoffmanns juristische tätigkeit, enthält Ellingers biographie nun endlich auch
® erste eingehendere Würdigung des musikors Hoffmann.
Ellinger hat die zahlreichen kompositionen , die noch vorhanden sind, einer
SOii^^Q^ durchsieht unterworfen, sie geschmackvoll analysiert und ihnen einen be-
^**xinten platz in der geschichto der musik angewiesen. Die mehrfach aufgetauchte
_j.^^^^ung, dass Hoffmann ein Vorläufer Wagners gewesen sei (s. 193), wii-d durch
^**^ erörtemngen auf das richtige mass beschränkt.
Wie wichtig HofEmanns musik - ästhetische Wirksamkeit auch für seine litte-
schriften ist, beweist der von Ellinger entdeckte aufsatz über „Alte und
282 BHEDFBLDT
neae kirchoninusik*^. Wie dio bekannto besprechong dor Beethovensohea C-dv-
niosso kehrt Dämlich auch dieser aufsatz teils wörtlich, teils in freierer benntzung in
den Serapions-brüdem (s. 74. 201 — 13) wider. Ebenso hat Ellinger die mosikreoeii-
sionen zum ersten male untersacht, deren wert für HofFmanns persöulidikeit und
seine allgemeinen kunstanschauungen äusserst bedeutend ist ; einige davon hat er iIh
Hoffmanns eigentum erst nachgewiesen.
Dor schluss des buchcs sammelt einige urteile über Hoffmann, unter denen
das von Carlylo (s. 181) fehlt; dann wird Hoffmanns einwirkung auf die poesio und
musik dor ihm folgenden zeit kurz erörtert Mit recht ist Willibald Alexis (s. 185)
trotz seines eigenen Widerspruches zu Hoffmanns schülem gezählt; unter Hofifounns
direkten nachfolgorn scheint mir Weis flog (s. 36. 183) doch unterschätzt
Ellinger ist mit seiner biographie dem weitverzweigten schaffen Hoffmanns
entschieden gorecht geworden; dio wärme, mit der er Hoffmann bewundert, artet
nirgends in blinde lobproisung aus; nur in einem punkte ist uns meines erachtens
Ellioger crheblichos schuldig geblieben: die wonigen allgemeinen betrachtungen über
Hoffmanns stil sind nicht genügend. Ist er originell? Hat er Wandlungen erfahren?
Mir fällt da die s. 41 mitgeteilte anekdote auf. Bei Fouque, der dieselbe anekdote
erzählt, lauten Hoffmanns worte anders, weniger charakteristisch, während sie bei
Ellinger durchaus das geprägo tragen, das später den Schriftsteller auszeichnete. Die
anekdote fällt noch vor die schriftstellerische tätigkcit Iloffmaims und ist deshalb mei-
ner ansieht nach in diosor hinsieht doppelt bedeutend.
Ellingers buch ist trotz dieser geringen ausstellungen mehr, als ein ^enster
grösserer versuch*' (s. VIII), auch die darstellungswoise ist mit einigen kleinen aus-
nahmen lobenswert.
LBIPZIQ. CABL HEIlfE.
Eichondorffs jugonddichtungon. Von Eduard USber. Berlm, C. Vogt 1894-
80 s. 1,80 m.
Dio jugenddichtungon Eichendorffs, denen die vorliegende Untersuchung gewi^'
met ist, la.ssen, wio der Verfasser am Schlüsse seiner arbeit (s. 77 — 80) im einielncö
nachweist, fast schon don ganzen Eichendorff erkennen. Das hat der Verfasser voo
„Ahnung und gcgonwart*' mit dem Messiasdichter gemeinsam: beide stebn bald n»c^
ihrem ersten hcrvoi-treten so zu sagen als „fertig** und in sich abgeschlossen da; ei^^
tiefgehende innere entwicklung und uniwandelung ihres wesons haben beide spftt«?^
nicht mehr durchgemacht. Die themata ihrer Jugend bleiben wälirend ihres gau****
folgenden lebens die vorhei'schenden und werden nur in einigen punkten modifici^^
und variiert.
Daraus ergibt sich aber die Schwierigkeit, ihre poetische Wirksamkeit in scb**^
geschiedene perioden zu sondern. Höher gesteht dies für Eichendorff selber zu (voT*
wort s. 3). Dun schluss für dessen Jugendzeit setzt er in die jähre 1815 und 16, ^^
zeit der rückkehr Eichondorffs aus den befreiungskriegeu und seines eintritts in d^^
preussischen Staatsdienst (dcc. 1816). Man kann ilim darin zustimmen, wiewol m^^
auch'.z. b.l^sohon das jähr 1811, in welchem der roman „Ahnung und gogenwaf^
l)eendigt wurde, als einen solchen grenzpunkt ansehen könnte.
Dio ältesten erhaltenen i)oetischen versuche Eichendorffs reichen bis in Bt^^^
Breslauor gxnnnasiastonzoit HSOl — 4) zuriick. Den so 1)egronzton zoitraum von ^*
bis 15 jähren hat Höber eingehend studiert und gesdiickt behandelt, Yial
ÜBKR HÖRER, EICllKNDOKFFS JUGENDDICUTUNQIäN 283
freilich wird man kaum orwarten; Minors giündlicher aufsatz ^Zum Jubiläum Eichen-
dorffe* Ztschr. XXI, 214 — 232 konnte nur im einzelnen ergänzt und weiter ausge-
baut werden.
Höber zerlegt seinen stoff in zwei teile: der erste (s. 7 — 47) handelt von den
Jugendgedichten (im engeren sinne!), der zweite (s. 49 — 75) von dem romane „Ahnung
ODd gegenwarf^. Im ersten teile scheint mir der Schwerpunkt der arbeit zu liegen,
wie donn ja auch EichendorfTs rühm und bedeutung hauptsächlich auf seiner lyrik
beruht. Nach einer kurzen angäbe der ersten drucke der Jugendgedichte werden
diese in drei „perioden" geschieden, welche durch die jähre 1807, 1811 und 1815
begrenzt sind. Die poesie der schul- und Studienjahre (s. 9 — 19) biotot nicht
viel hervorragendes, enthält aber schon fruchtbare keime für die spätere entwicklung
natur, religion und der widerstreit von dichtung und leben bilden schon hier die
baupt±homata. In der zweiten periode 1808 bis 1811 (s. 19—39) haben der aufent-
balt in Heidelberg (Des knaben wundorhom!), die liebe und die Zeitverhältnisse Eichen-
dorfif auf die höhe seines lyrischen Schaffens emporgehoben. Einige religiöse und
stimnaiuigslieder erinnern freilich noch ganz an die vorige periode und wären darum
vielleicht besser gleich zu [dieser gezogen worden (vgl. s. 22). Die hauptmasse der
gediolite dieser zeit ordnet Höber, im anschluss an eine offenbar zufällig getane
äussorung des dichters, nach folgenden gesichtspunkten (s. 24fgg.): Sehnsucht, früh-
iJDg, liebe, hoimat, Goethe. Eine wunderliche Zusammenstellung! Höber hätte sicher-
lich iDesser getan, wenn er die anordnung der zweiten Leipziger ausgäbe von 1864
befolgt hätte; sie entspricht doch wol Eichendorffs eigenen ansichten und absiebten,
vgl. IDietze in seiner ausgäbe Eichendorffs bd. 1 , 405. Der abschnitt „Goethe* nimmt
sich neben den anderen doch gar eigentümlich aus; man könnte danach vermuten,
^s* Goethe in einer anzahl von liedem gefeiert worden wäre. Im gegenteü, das ein-
^gö , welches Höber anführt („Ach von dem weichen pfühle", vgl. s. 28) ist nur eine
parodie des Goetheschen gedichtes: „Nachtgesang''. Wol hat der meistor auf den
jungen lyriker mächtig gewirkt; aber das gehört doch mehr zur allgemeinen Cha-
rakteristik. Ausserdem könnte man gegen jene gruppierung einwenden, dass bei
Eicliondorff — wie auch Höber selber zugeben muss (s. 25) — liebe, natur und früh-
es sich häufig gar nicht von einander trennen lassen. Hieran reiht Höher sodann
nocli zwei abteilungen: Romanzen und Zeitgedichte (s. 28 — 35). In dem sehr lesens-
werten abschnitte über die romanzen, von denen er manche lieber lieder nennen
mochte (s. 28), weist er für mehrere nicht ohne glück, aber auch nicht ohne vor-
iger (vgl. Dietze a. a. o. s. 404) die „ quellen ** nach ; auch für „ Das zerbrochene
'mglein'*, Eichendorffs bekannteste und berühmteste Schöpfung, findet er wol mit recht
nnndestens eine sehr interessante parallele, wenn nicht die anregung in zwei Strophen
aus Des knaben wunderhom (teil I. Heidelberg 1806, s. 103: „Des müUors abschied*).
unter den „ Zeitgedichten * hätte bei der besprechung von „Der jäger abschied"
(8. 34 fg.) die durch Lyon in der Zeitschr. f. d. d . u. IV, 76 fgg. und Koch in dersel-
^^ Zeitschrift VI, 348 fg. vertretene auffassung erwähnt werden können, obwol ihr
awt>h den umstand, dass das lied bereits 1810 gedichtet ist, der boden entzogen
^!^^' In der dritten periode (1812 bis 1815) stehen die zeitgedichte oben an.
^'»^ jedoch Höber die liebeslieder aus diesen jähren als „nichtssagend und flach**
^-^iohnet und meint, dass sie gegen die früheren entschieden zumckständen, so ist
^f 4och wol ein zu hartes urteil gegenüber so tief empfundenen liedem wie „Neue
^^*^* (Han, mein her«, warum so fröhlich), „An Luise** (Ich wolt' in liedern oft
' und gGlüok** (Wie jauchzt meine scele). — Am Schlüsse einer jeden
284 8CHMEDE8
dieser drei „perioden*^ ist ein abschnitt über „spräche und metrik*' angehängt, der
aber wichtige fragen der eigentlichen motrik (z. b. den gebrauch zweisilbiger worte in
der Senkung) gar nicht berührt.
Die Charakteristik und ästhetische Würdigung, welche Höber von dem ronuue
„Ahnung und gegen wart *^ gibt, muss als recht gelungen bezeichnet werden. Kar
hätte der Verfasser meines crachtens etwas näher auf die teohnik und Ökonomie des-
selben eingehen können. Sonst findet er den hauptmangel des romans mit recht io
dem fehlen der plastik bei darstellung der personen und Torgänge (s. 61). Die zusam-
menhänge mit „Wilhelm Meister^ imd den romanen der romantiker werden eingefaeod
besprochen. Dabei scheint dem Verfasser das buch von Donner „Der einfluss Wil-
helm Meistors auf den roman der romantiker*^, Berlin 1893 (211 Seiten!), angezeigt
von Minor DLZ XY, sp. 743 — 745 , entgangen zu sein. Eine direkte nachahmung des
Goothischen meisterwerks nimt Höber nicht an; Eichendorff habe seinen gcist und
seine natur auch in dem ausgoprägt, was er von dort herübergenommon (s. 70). —
Im letzten abschnitte worden „biographische grundlagen zu dem romane*^ aufgedec^
in bezug auf das lokal und auf die Charaktere. Hier wäre es vielleicht interessanter
gewesen, anstatt nach einem „modell*^ für den minister u. a. zu suchen, die fragB
zu erörtern, ob Eicliendorff bei der Zeichnung des dichters Faber eine bestirnte per-
sönlichkeit im augo geliabt habe.
Im ganzen wird man das buch Ilöbers nicht ohne genuss und belehnmg lesen.
Sein Stil ist glatt und flüssig, wie die vorse seines dichters Eichendorfif selbst; aof&l-
lond ist jedoch der ausdruck: „vorfassungszeit des gedichtes*^ s. 43; vgL s. 49 und 75-
Auch von druckfehlem ist das buch fast völlig frei. Ich habe nur notiert: „den^
statt „dem** (in einem citat!) (s. 43), „zweite** statt „dritte** (s. 31 z. 6 v. u.) und.
zweimal (s. 7 anm. 1 und s. 71 anm. 1) „Herrmann** statt „Hermann**.
KIEL. AUGUST BBEDFELDT.
Die vaganten-strophe der mittellateinischen dichtung und das verhält —
nis derselben zu mhd. strophonformen. Ein beitrag zur Carmina- Barana —
frage. Von dr. J. Schreiber. Strassburg i. E., Schlesier. 1894. 2 blL w
204 s. f) m.
Das erste kapitcl der unter gleichem titel teilweise schon als Strassburger dis-
sertation erschienenen schiift handelt vom bau der sogenannten Vagantenstrophe.
Verfasser sieht in ihr — wie mir scheint, nüt recht — eine selbständige, in der latei^ —
nischen rhythmendichtuiig des 12. Jahrhunderts auf französischem Sprachgebiet ent—
staudene fonn. Ob für die 13silbi^e vagantenzeile ein vorbild in der quantitierendei»'
lateinischen poosie gesucht worden dai'f , will ich dahingestellt sein lassen: sicher is^
aber dies vorbild nicht der hexamctor gewesen, wie Schreiber zu glauben geneigt ist^
Dem, was über die verschiedene Verwendung von auftakt, zusatzsilben im versinnenL«
taktwechsel, caesur- und versschluss, reim und caesurreim in der vagantenzeile bem
französischen, englischen und deutschen dichtdhi gesagt wird, kann ich im allgemein
uon zustimmen. In den folgenden kaj)iteln untersucht Schreiber die gedichte der*
Bcnedictbeurer handschrift, deren form die vagantenstrophe in ihrer ursprüngUcheo
oder in modificierter gestalt ist, auf ihre tochnik, um auf die ergebnisse dieser Unter-
suchung gestützt zeit und ort ihrer entstohung nachzuweisen. Nun ist nicht H»
loujrnen, dass neben inhalt und ausdruck, die übrigens auch Schreiber in der rpgel
gebührend in betracht zieht, besonderheiten der form für die bestimmung des diok*
IjBEB SCnREIBEtt, vaoantknstrophe 285
rs oder mindestens seiner zeit von bodeutong sind. Es ist nur schlimm, dass bei
iT entschieden oft recht mangelhaften Überlieferung der gedichte in der Benedict-
iurer handschrift für derartige Untersuchungen hier der sichere boden fehlt. Der
Nasser ist sich dieser Schwierigkeit bewusst imd hat in mehreren fällen versucht,
ch erst einen kritischen text als grundlage herzustellen. Dass ihm dies gelungen
3i, kann ich nicht zugeben. Ein lesbarer text, wie Schreiber ihn in solchen fällen
leist wol erhält, ist eben noch lange kein kritischer. Zudem leiden die teile des
uches, die sich mit textkritik befassen, an einer gewissen Unübersichtlichkeit. Der
erfasser hätte besser getan, wenn er einfach seine recension abgedruckt und mit
iinem ganz knappen kritischen apparat begleitet hätte. Jetzt ist nicht allemal klar
m sehen, wie er denn eigentlich lesen will. So ist (s. 26) zu OB XIX, 17, 5 nichts
bemerkt; es scheint aber, dass Schreiber die lesart Schmellers beibehalten will: dann
aber hat er (s. 27) für dies gedieht einen taktwechsel zu wenig ^gegeben.
Für die meisten gedichte, die Schreiber in den kreis seiner untersuchimg
gezogen hat, nimmt er französischen Ursprung an. Einige weist er, zum teil in
Übereinstimmung mit Giesebrecht, dem Walther von Chätillon zu, nicht ohne Wahr-
scheinlichkeit. Die annähme dagegen, dass dieser Walther und der Archipoeta iden-
tisch seien, ist entschieden abzuweisen: was an gründen dafür vorgebracht wird, ist
Dicht stichhaltig. Nur ein kleiner teil der gedichte , und entschieden nicht der bessere,
^t nach des Verfassers ansieht mit bestimmthoit auf deutsche vaganten zurückzufüh-
^n. In nicht wenigen fällen freilich kommt er über etwas zaghaft geäusserte ver-
latungcn nicht hinaus; zuweilen sieht er sich sogar in einem dilomma, aus dem er
ßa ausweg nicht findet (vgl. z. b. s. 68 zu CB 50). Wie weit im einzelnen die auf-
ellvLogen des Verfassers berechtigt sind, kann mit rücksicht auf den beschränkten
Ulli hier nicht dargelegt woi*den.
Nur über seine auffassung der beziehungen zwischen den lateinischen gedich-
^ und den ihnen beigegebenen deutschon Strophen ist noch ein wort zu sagen: soll
doch die schrift vor allem ein beitrag zur iösung der frage sein, ob wir in diesen
'öpien nachbildungen der lateinischen oder umgekehrt ihre Vorbilder zu sehen
t^n! Der Verfasser verficht die Originalität der lateinischen gedichte. Ob seine
isfülinmgen im einzelnen geeignet sind, irgend jemand, der anderer ansieht ist, zu
itohien, scheint mir zweifelhaft. Höchstens könnte man ihm hier und da zugeben,
*ss die lateinischen Strophen nicht gut unmittelbar nach dem vorbilde der ihnen bei-
3gebenen einen deutschon entstanden sein können, womit denn aber doch das gegen-
'il noch nicht ohne weiteres erwiesen ist. Mir scheint, die frage ist überhaupt
icht so einfach zu fassen, wie Schreiber es tut. Es bleibt eine erklänmg möglich,
10 <^s Verhältnis zwischen lateinischem gedieht und deutscher strophe überhaupt
'^«t oder doch jedesfalls für einen teil der fälle nicht als das von vorbild und nach-
iQiung ansieht. — Unangenehm sind mir in dem buche zahlreiche druckfehler auf-
WANDSBECK, 28. FXBB. 1895. J. SCHMEDJSS.
Erklttrung.
Eossinna macht mir (Beiti*. 20, 259) den Vorwurf, dass ich den Verfasser
*^ von ihm angegriffenen artikels, der unlängst in dieser Zeitschrift veröffentlicht
'^^e, nicht auf seine „Unterlassungssünden" hingewiesen, d. h. auf die von ihm
^^t berücksichtigte, denselben gegenständ betreffende neueste litteratur ihn nicht
aufmerksam gemaaht hab«. Ich muss diesen vorwurf als durchaus
rüokweisoQ. Wcan K. meint, dass mir dio gesammte [aclilitteratui unmittelbar lud)
ibrom erscheiaen zugänglich aei, so ii^t das eine anschauuug, die seine eigene i^D'
Rtige löge, jetleraejt buh don reichen achätr.en der Berliner kgl. bibliothek scliüpfeo m
können, auch hei anderen minder glücklieben sterblichen voranaEetzt, nod wene «
mix xuuiutet, dass ich die ganze ungeheure niasse, die jährlich prodnciert vird,
sofort lesen nnd verdauen müsse, so ist das einfach eine lache rlicbkeit- Wtobn
wandert sich K. darüber, dass dem betr. artikel die spalten meines organs geöfln«!
seien, obwol ich gbichKoitig in einer fuaanole erklärt habe, dass die &a.';riihntDe«o
des verlassers mich nicht überzeugt hätten; er verschweigt aber, dass dio grünila,
weshalb die anfcabme erfolgte, in derselben fussnote ausdrücklich angegeben sind.
Im übrigen glaube ich, dasa Jeder beransgeber dagegen protestieren wird, dass mw
ihn für alles, was er in seiner Zeitschrift veröfTontlicht, für jede hypothese, die seiM
mitarbeiter auesprochen, verantwui-tlich macht; die Verantwortung hat zun&ehat unlw-
dingt der autor zu tragen. Niemandem i. b. ist es eingefallen, die zalillosen sclimtHT,
die in Haupts ztschr. oder in Pfeiffers Germania auf nordischem gebiete b^aogM
worden (man erinnere sich u. a. der dilcttantischon runendeiitungen Dietrichs nd«
der durch sachkemitnis durchaus ongotrübton eroTterungeo Jordans über don Oddrünu-
grätr), den heraosgebem, die nicht skandinavisten vom fach waren, zur last zn leeea
und ebensowenig hat — um ein beispiul aus der nllerjüngsten vergangenhdt au wüh-
len — Rud. Much den redakteur der Boitrilgo darüber zur rede zu etellcn viS^
erdreistet, warum ein aufsatz, den jener als „schutt" bezeichnet, der ,hinmg-
geräumt werden müsse", in diesem organ zxa vereSentlichung zugeli
Km., JIM 1890. mroo
NEUE ERSCHEINUNGEN.
Albertus, Lniircntliis, Deutsche grammatik, [1573] herausg. von Carl Müller-
Kraureuth. Strassburg, Trübner, 18SI5. XXXIV (ü). 159 s. 3 m. (A. u. d. t
Ältere deutsche grammatiken in neudmuken, herauag. von John Meior. I1I.|
Berlit, Georg« Rudolf Hildebrand, ein eriunerongsbild. Leipzig, Tenbner. 18S&
(Sonderabdruck ans den Neuen Jahrbüchern für klasa. pbilol. und pAdag.) 41 i.
I m.
Bolte, J-, nnd B«elrauiD, W., Niederdeutsche Schauspiele älterer Etit
(Drucke des Vereins für od. Rprochforachung IV.) Norden und Leipzig, D. Softao.
1895. 48 und 164 a. 3 m.
Brnekner, IVUti., Die spräche der Laugobardcu. Stnu^sburg, Trübner. 1696.
XVI, 338 s. (QF. 75.) 8 m.
Coek, Albert B., Exerciaes in Old English. Boston, Oinn & oo. 189b, fV,
tW s. 1.60 m.
Übungsstücke zum übersetzen aus dem englischen ins aogelsücbsische.
PUntüer, H., Goethe, Karl August und Ottokar Lorenz. Dresdeo. V- ff.
Esche. 1895. 126 s, m.
Gegen I/)ronz, Goethes politische lehrjaliro (Berlin, 1893).
Elster, E., Die aufgaben der litteraturgescbichte. Akademischo ai
Halle, Niomeyor. 1894. H und 22 s. 0,80 m.
287
Fabrlttw), ItaiH, Das büohlein gloiclistimmcDdcr wiirtor aber angleichs
vorstaDiles |1531] Lsg. von John Meier, Straasbiirg, Trübner. 1895. TtT.n
(TP), 44 s. 2 m. (A. u. d. t, ; Ältero dentscho grammatikeD iu noiidniokon, iisg.
von John Meior. I.)
Hutimr, Oskar, Die di^atEchen altortämer dos Niliclnngonliedes und der
Kndrnn. Cothon, 0. Schulne. 18Ö4. VID, 551 a.
Ilfrt, Herrn., Der indogormaniBciio akzont, oin liandbuch. 8tTas.sburg, Trüb-
ner. I«D5. XXBI, 356 b. 9 m.
nubiior, Rudolf, Jacob Orimm und das deutsche rocht. Mit einem anhange:
ungedmokte briafe an J. Grimm. Göttingen, Dieteriuh. 1895. VIll und 187 8.
4 m.
Lieht« nber);er, H., Histoire de \a langue allouiando. Paris, Ä. Laisnoy, ]8flC,
XIV und 479 8. 7,50 frca = 6 m.
Uker, Vnnx von. Das Kanariorbucb. Geschichte ond gesittang der Oerma-
non aur den kauarischen inseln. Aus dorn naohlasso horau-sgogeben. HuQchi>n,
J. Schweitzer. I8!)5. (IV), 053 s. 8 m.
Die aufflätze, die der verfasset vor Jahren in der Augsburger Allgem. zeitung
YCTöffoD (lichte , sind hier zu eioem buche erwtntert, Einer Widerlegung bedarf die
hypolhese, dass die Guaudscben auf den kanarischen inseln reste der Vandaleo
gewesen seien, für philologiseh gebildete lesar nicht.
■ngnäiiann, Elrikr, Odins horso YggdraailL London, Society for promotiog
Christian knowledge, 1895. 64 s.
Keringer, Rud., und Hajer, Karl, Torsprechen und verlesen, eine psycho-
lugi.sGh - linguistische Studie. Stuttgart, Guschen. 1895. XIY, 204 8. 4,50 m.
Bentsch, Job., Lucianatudien. Beilage zum gymn.-programm Plauen i.V. 1895.
44 s. 4.
1: Lncian und Voltaire, oino vorgleichende Charakteristik (s. 1—14), —
11: das totongespräch in der littoiatnr (s, 15—40; s. 33 fgg. werden die nach-
«irkmigen Luoians iu Deutschland mit ausgebreiteter litteraturkenntnis verfolgt). —
Drei weitere Studien stellt der Verfasser in aussiebt.
B«nt«r, F., Friedrich Küokert und Joseph Kopp. Beilage zum programm dea
gymnasiums zu Altona. 1895. 4S s.
Diese fortsetzung der programm -abhandlungen von 1888 und 1893 enthält
17 briefe des diohters an seinen Erlangor freund Kopp ans den jähren 1837—42,
einige briefe an Karl von Raumer und mehrere gediohle Rückerts,
Rid«lerborT, Kdoo, Sophie von La Roche, die schfilerin Richardsons und
Rousseans. Göttingen, diss. in comm. bei reppmüller. 1895. 109 s. 2 m.
SWHler, Fre4rik, Das Nibelungenlied, Siegfried der schiangenlöter und
nagen von Tronje. Eine mythologische und historische Untersuchung. Stock-
holm, P. A. Norstedt & süner. 1895. AJl), 124 a. 3,60 m.
Sf-falH^er, O., Studien über das tagolied. Ein beitrag zur litteraturgeschichte
des mittelalters. Jena, H. Fohle. 1895. IV und 89 8. 1.80 m,
t<«binidt, B., Der vooalismus der Siegerländor mundart. Halle, Niemoyer.
1894. 136 8. 3,60 m.
Sebitn», A., Über die Alkestis des Euripides. Rode am 27. janunr 1895.
Kiel, univeiaitStsbuchhandlung. 27 s.
8.16. 25 — 27 über Wielands Singspiel und Goethes schwank ,Oötter, Lei-
den und Vieland ', mit wortvoUen nachweisen über die von Goethe bennteten quollen.
2B8 N£UE KRSCHfimüKQBN. NACHRICUTKN
Hteinmeycr, £• und Sierers, £., Die althochdeutschen glossoD. 3. band:
Sachlich geordnete glossaro bearb. von E. Steinmeyer. Berlin, TVeidmann. 1895.
Xn und 723 s.
ThomasiuS) Chr., Von nachahmung der Franzosen. Nach den ausgaben von
1687 und 1701. Herausgegeben von August Sauer. [Deutsche litterahirdeni-
niale dos 18. und 19. jahrhundeits, nr. 51 (= neue folge nr. 1).] Stattgart 1894.
IX und 50 s. 0,60 m.
porkelsson, Jon, Islensk sagnord med {>älogri mynd i nütid (verba practe-
ritopi-aesentia). Reykjavik 1895. IV und 80 s.
Tyrol, Fritz, Lcssings sprachliche revision seiner jugenddramen. I3er-
ün, C. Vogt. 1893. 70 s. 1,80 m.
Der Verfasser vergleicht die revidierte ausgäbe von Lessings jogenddnuneo
im 1. und 2. bände der Lustspiele (1767), sowie die „Miss Sara Sampson*^ von
1772 mit der ersten ausgäbe in den Schriften (1754—56). Die vergleichnng
erstreckt sich auf alle einzclheiton der tlexion, des Wortschatzes, der Wortfügung
und dos Stiles. Die ergebnisse der Untersuchungen werden am Schlüsse (s. 70)
allgemein charakterisiert durch den satz: Lessings princip bei der revision seiner
jugenddramen war, mit möglichst eleganter form, aber unter Währung des ganzen
spraclireichtums, eine möglichst grosse kuappheit und prägnanz des ausdrucks za
verbinden.
Vetter, Ferd., Die neuentdeckte biboldichtung des 9. Jahrhunderts. IGk
dorn tüxt und der Übersetzung der ueuaufgefundencn vatikanischen bruchstucke.
Basel, B. Schwabe. 1895. 47 s. 1,50 m.
Wamatseh, 0., Beiträge zur germanischen mythologie. Gynin. - progr. Bea-
then 0. S. 1895. 20 s. 4°.
1. Logi — Loki — Prometheus. 2. Odin Widrir — Wunderer. Anhang:
Altnordische sagen auf dem gyumasium.
Wimmer, Ludv. F. A., De dausko runemindosmasrker. Afbildningeme udfoite
af J. Magnus Petersen. I. De historisko i*unemindesmsorker. Kobenhavn, G)'l-
deudal. 1895. 174 s. gr. 4. 25 kr. = 28,13 m.
NACHRICHTEN.
Am 13. juni verstarb zu Kiel der ordentl. professor der deutschen phiiologie,
dr. Oskar Erdmanu (vgl. oben s. 228 fgg.); am 6. juli zu Berlin der ordontL pro-
fessor der englischen spräche und litteratur, dr. Julius Zupitza (geb. 4. Januar
1814 zu Korpon), der sich durch seine mittclliochdoutschcn arbeiten auch um dio
deutsche phiiologie bleibende Verdienste erworben hat imd vor jähren auch unserer
Zeitschrift einzelne beitrage lieferte; am 9. august zu Kopenhagen der runolog George
Stephens (geb. 13. docember 1813 zu Liverpool).
Der ausserordentl. professor dr. Th. Vetter in Zürich wurde zum Ordinarius
ernannt-, der ordentl. professor dr. J. Bächtold in Zürich an die Universität Leipzif
berufen.
Habilitiert haben sich: für germanische phiiologie in München dr. Fr. Fao-
zer, für neuere litteraturgoschichte in Jena dr. R. Schlösser und in Münster dr.
F. Schwering.
Ualle a. S. , Baohdxiickeiei dos WaiMnhaues.
DDE GÖTTIN NEKTHUS UND DEE GOTT NIOKPR
Wie bekannt, beschreibt Tacitus in seiner Germania kap. 40, wie
sieben kleinere stamme gemeinsam die göttin Nerihus „Terram matrem"
auf einer insel im ocean verehrten. Die sprachliche identität von Ner-
ihus und Niqrpr liegt offen zu tage, und dass Niqrpr eine art männ-
licher entsprechung zu Nerthus ist, hat man schon längst einge-
sehen.
Schon Munch hat in seinem buche „Det norske folks historie** I.
1. s. 57 betont, dass man eine männliche und eine weibliche gottheit
Nerthus gehabt habe: „Wenn es an einer stelle in unsern alten denk-
mälem heisst, dass Njerd mit seiner Schwester verheiratet gewesen
sei, bevor er unter die Äsen aufgenommen worden, so wird damit
deutlich genug auf eine männliche und eine weibliche gottheit Nerthus
hingezielt, gleichwie man einen Frauja und eine Fraujo hatte; mit
andern werten, der männliche Nerthus (Njerd) und Frauja (Frey)
sind nur verschiedene namen für eine männliche, die weibliche Ner-
thus (Jerd) und Fraujo nur verschiedene namen für eine weibliche
hauptgottheit, nämlich jene für Wodan (Odin), diese für „mutter erde*'
(Frigg).^ Wie Munch hier bemerkt, ist Freyr eigentlich mit Niqrpr
und Freyja eigentlich mit der weiblichen iVer/Aws identisch; seine auf-
fassung ist aber im übrigen nicht richtig.
Die nahe Verwandtschaft zwischen Freyr-Freyia und Nerthus-
Niqrpr^ ergibt sich unter anderm auch daraus, dass der upsalische
1) Die identität von NiQr[)r und Nerthus wird auch dadurch befa-äftigt, dass
Niqrpr im Codex regius der Snorra Edda (I, 260, anm. 12) vagnagtiä genannt wird.
Diese lesart ist nänüich sicher die ursprüngliche, und es muss hierbei beachtet wer-
den, dass nach der beschroibung des Tacitus der wagen im Nerthus -kultus eine
grosse rolle spielt (gleichwie der wagen in dem upsalischen Frey -kultus von
grosser bedeutung ist; vgl. die Flateyjarbok). Der Ck)dex regius hat als antwort auf
die frage „Hvemig skal kenna Njqrd?^^ folgendes: Svä, at kalla kann vagna gud
eda vana nid [nach Sn. E. I, 260 anm. 13 hat dort ursprünglich vapna nid gestan-
den] eda van. Cod. W. hat vanga gud, Cod. upsal. dagegen vana gud, was vom
herausgeber der 1848*°' ausgäbe in den text eingesetzt worden ist und von ihm als
die richtige lesart betrachtet wird. Das ursprüngliche vagna gud ist im Cod. upsal.
SmSOHRIFT P. DKUTSCHK PHILOLOOIl. BD. XXVm. 19
Frey-kiiltua, wie er in der Flateyjarbök I, 338 beschrieben wird, nihM
mit der beschreibuug übereinstimmt, die Tacitus (kap. 40) vom Net — *
thuS'kuUus gibt Darum hat auch kaum ein mytholog bezweifelt, di^c^
man ea hier mit einunddemseJben kiiltus zu tun hat. ,
In der (svensk) Historisk tidskrift 1895 s. 157 fgg. habe ich !.■
einem aufsatze „Gm Ynglingar säsom uamn p^ en svensk bonungE«-)
ätt" gelegenhcit gehabt, diesen gegenständ nebst ein paar damit in vew*
bindung stehenden fragen zu behandeln. loh gebe zueret ein knnn
rofei'at der resultate, zu denen ich diirt gekommen bin. Freys beneai-
nung higunarfreyr iat aus einem älteren Int)una drfreyr „Emtetierr
der Ingvinen" entstanden, wie Outjia aljmig „der Goten altliing" in
der geschichte Gotlands 2 Gut7iatpirig (geschrieben (futnal ping) gewo^
den ist Vgl. mit drfreyr, dass Frcyr als gott des Wachstums und tkr
&ucl]tbarkcit verehrt wird, und besonders seine benennung rfn/w/l in
der Sn. E. I, 262. Die ältere form für Yngvifrcifr Ist wahrscheinlicli
Ingtcirtfretfr „der Ingvinen -herr* gewesen (das n ist in nnaccen-
tuJerter silbe vor f verloren gegangen); vgl. ags. tngunne, benennang
für Ost-Dänen {vielleicht auch Yngt^in v. 1. zu Ytiguni in der Heims-
kringia ed. Finnur Janssen I. 33). Nach Tacitus (kap. 2) wohnten dit
IngBBvones (Ingva^ones) „proximi ocoano", d. h. an der Ostsee oder u
der Nordsee oder an diesen beiden meeren , und es waren ing\-a?oniBdl«
(ingvinischc) stamme, welche die Nortbus verehrten; vgl, Much, Bei-
träge XVII, 178 fgg. Im Beowulf haben wir eine andeutung, dw
die Ingvinen im östlichen Dänemark {Schonen} wälirend einer etw*
späteren zeit einen liierrait verwandten kultus gehabt haben (vgl. Hef-
mann Möller, Das alteuj^l. epo8 43, Much in der angef. abb. 197; SiyH
Seifing — Skiold Skanuiif/a goä, Flateyjarbök III, 246). Wie di»
nanien Ingunarfrei/r, Yrigpifreyr andeuten, ist der upsaliscbe PtSf-
kiiltus aus dorn lande der Ingvinen narii Schweden gebracht worden-
Ynglingar als nanie der iilten Svea-könige ist darum völlig berechtigt
und beruht nicht auf einem missverständnisse der Isländer, wie Noreen
(Uppsalastudier 223) gemeint hat Die Svea-königo betrachteten eÜ
durch beeinilaBSiuig des Tolgenden tana nid fda van zn Dana g*iä verdArbt ln)^
deo. Der EchraiW des Cod. W. hat «agna yttä ralschljch als catiga gud ai\tptii*
(vgl. oeusohw. dial, vAng bL-bauCox stück land), weil er Ni<jr[ir &1s eine gottfa«il ilM
Wachstums kannte. Schon Raak betrachtete ragtta gvd als die riubtige losuL Gigai
diPGe auTfassuDg haben die [s. 2fj2) für Freijr nngeTührten epitheta Vatta-yi^ <i
Fana-nulr ok Vimr iama beweiskvaft, und dies iiraeoweDi'ger, bIs der schrdbn 4m
Cod. regins iirBpriinglich Vagnagvd als eiu ojiithetoa Freys geschrieben bat; vgL t.2B)
anm. 4. kaxh im Frey-kaltus spielte, wie erwähnt, der wagen eino wichtige nO^
NIRTHUS UND NI0RI>E 291
als abkömmlinge von YngvifreyVy Yngvi Freyr, von welchem namen
Ynglingar abgeleitet ist.
Bei diesem Sachverhalt fragt man sich aber: wie kommt es, dass
Tacitus nur von einer weiblichen Nerthus spricht, während die isl.
mythologie mir einen männlichen NiQr{)r kennt? "Wie kommt es fer-
ner, dass der ingvaeonische (ingvinische) kultus der göttin Nerthus
in späteren zeiten wesentlich als kultus des gott es Freyr auftritt, wäh-
rend die göttin Freyja eine mehr untergeordnete Stellung einnimmt?
Und wie kommt es schliesslich, dass Freyr und Freyja jene wenig
charakteristischen namen „herr" und „herrin*' erhalten haben?
Ich glaube, dass man für alle diese fragen eine gemeinschaft-
liche antwort finden kann, und dass es die Veränderung der
spräche gewesen ist, die hierbei eine wesentliche rolle gespielt hat.
Der name Nerthus (*Nerpux) ist, wie bekannt, ein weiblicher
tt-stamm. Nun lehrt uns die gotische grammatik, dass schon zu Wul-
filas zeit diese stamme in der spräche sehr schwach repräsentiert waren.
Während bei Wulfila eine menge männlicher w-stämme sich finden,
gibt es nicht mehr als vier Wörter, von denen man mit gewissheit
^eiss, dass es weibliche w- stamme sind {handus, waddjus, asilus,
^n7ius: Braune, 6ot gr.^ § 105**). In den nordischen sprachen sind
<Jie weiblichen w-stämme gänzlich ausgestorben, und schon in den
^testen nordischen handschriften begegnen uns (neben dem neutralen
f^ nur männliche ?^-stämme; diese aber sind sehr zahlreich: fiqrpr,
^f^ldr, hiqrtry kiqlr, miqpTy biqrn usw. usw.
Hiermit steht in Zusammenhang, dass gewisse alte weibliche
*"8täöime im isländischen in männliche ^^-stämme übergegangen sind.
■^^^ ist der fall mit folgenden (siehe Tamm, Fomnordiska fem. afledda
P^ H och pä ipa, s. 25 fgg.): got. mahts, ahd. altsächs. mäht, ags.
^^c[ht f., altschw. vaiimcety aber isl. mdttr m. — mnd. dracht, mhd.
^^^Aty altschw. drcet f., aber isl. drättr m. — ahd. slaht, altschw. ste/
^•> aber isl. slättr m.
Da diese alten weiblichen i-stämme im nom. sg. das lautgesetz-
^^he -r beibehalten hatten (vgl. got. mahts usw.), während die meisten
^^itiina die nom.-endung -r nicht mehr hatten, und da die flexion
"^^ser weiblichen i- stamme in mehreren kasus mit der flexion der
^*iiitil. «^- Stämme zusammenfiel, so nahmen mdttr usw. dasselbe genus
^^d dieselbe flexion wie diese an.
Gleichwie diese Wörter auf grund ihrer form das genus (und ihre
^^klination) verändert haben, so lassen sich auch beispiele anführen,
19*
welche zeigen, d&ss beneDnimgen lebender oder als lebend gedacht
wesen ans demselben gründe aus inasculinis feminina geworden sind.
Im lateinischen wui'de, wie bekannt, Luna auf grund der fui_
des Wortes (vgl. mensa usw.) als göttin aufgefassL Nach der nordisch«:»
mythologie hingegen war Mdni der bruder der sonne, natürlich weLfl
das wort eine raaskul. form {vgl. harii usw.) hatte. Nachdem indeesessl
im älteren neitscbwed. formen auf a (minia) aus den obliquen kasiLsj
teilweise in den nom. eingedrungen waren, findet man bei dichtem di
18. Jahrhunderts mäna als femininura aufgefasst. Ja, iiu direkten
gensatze zu dem in der isl, mythologie vorliegenden Verhältnis nenn
der dichter Stagnelios den mond die Schwester der sonue. Hierbe:
hat jedoch auch die elnwirkung des lateinischen Luna, franz. la Ihu,
eine rolle spielen können. Vgl. Tegnfer, Om genus i avenskan s. 139fggi
Beda, der namo des gelehrten angelsächs. theologcn, ist in Schwe-
den als taufname für frauen recht gebräuchlich geworden, weil Beda,
gleich den meisten schwedischen frauennamen, auf <i ausgeht [Anna^
Htlda, Greta usw.); vgl Norrman in Sv, landsm. V], nr. 7, s. 14; Tep-
nör a. a. o. 114.
Man hat im isl. mehrere beispiele dafür, dass weibliche t-stfimn»
ihre flexion als t'-stämme beibehalten haben, aber maskulina geworden
sind, weil sie die nom.-endung -r ungewöhnlich lange bewahrtai»
z. b. got. gabaiirjis, altschw. byrp f : isl. biirpr ra.; ahd. scurt, altscliw-
akyrp f. : isl. shirpr m.; altschw. styltl L : ist. stuldr m. (Tamm, a, a »-
B. 26.)
Das Verhältnis ist in den jüngeren nordischen sprachen z. t. daasolb^
gewesen mit dem worte veptlr „a „wight", being; esp. of superDütanl
beings.*" Dies ist im altisl. femininum (vgl, got. waShls f). Da Ji»
wort aber die sonst für maskul. chai'akteristische nom.-endung -r halte«
wurde es sowol im neuisl. (Erik Jousson, Oldnordisk ordbog) als lodi
im neuschw. maskulinum. Darum fasst man nunmehr in Schweden
en väiler als ein männliches wesen auf. Bietz nimmt väUtr oder
vetler m. „erdgeist, watdgeist, irrwisch, schutzgeist" in sein wörtertradi
auf; im plur.ywrf-, hol-, skogs - vätiar, aber auch vätlrar.
Es scheint mir in sehr guter Übereinstimmung mit den hier U-
geführteu genusentwickelungen und besonders mit der genasveriind»-
rung bei dem mytliischen wesen en väiter zu stehen, wenn ich flir
Neiihus : Niqrpr : Freyja : Frcyr folgende entwickelung aauehme.
Tacitus spricht nur von einer göttin AV(Ams. Da nun dio weä-
lichen M-stamme schon früh äusserst scliwaeh vertreten oder gar ii
aussterben waren, man aber eine menge männlicher u-stürome halt
no ist es möglich, dass dieBer umstand es veranlasste, dass man Ner-
m^i^s (*Nerptix) nicht nur als femininum, sondern auch als masiulinum
Bd. tk- nicht nur als göttin, sondern auch als gott auft'asste, so dass man
fcclion früh neben einer weiblichen Ncrthus auch einen männlichen
Bfe^-ähiis bekam. Aber wenn es auch vielleicht zu kühn wäre anzu-
Bettxnen, dass dieser umstand den ersten Impuls zur bildung eines
fcä.»anlichen Nerthus gegeben habe, so ist man doch wenigstens voll
ioer-«3chtigt anzunehmen, dass man, da die volksphantasie sich einemänn-
lictie entsprechung zur göttin Nerthus dachte, d. h. Ihren galten und
briKier, diese männliche entsprechung denselben namen bekommen
Hess, den die göttin hatte, weil ihr name der form nach männ-
licti (maskülinum) war.
Nun ist es indessen selbstvoi^tändlich, dass der glaube an einen
L-männlichen und eine weibliche Nerthus mit vollkommen identischen
Knamon es erforderte, dass man den gati Nerthus und die göttin Nerthts
■in irgend einer weise von einander unterschied. Man tat dies dadurch,
Idass man die erstere Nerthus (Niqrpr) freyr „Nerthus, den herra",
■die letztere Nerthus (Nifjrpr) freyja „Nerthus, die herrin" • nannte.
H Da indessen die Wortklasse (der w-stamme), zu welcher Nerthus
Mg^berte, ihre feminina immer mehr verlor, während die männlichen
nroiTte weiter fortlebten, fasste man Nerthus immer deutlicher wesont-
fflict als ein männliches wesen (einen gott) auf, während die weibliche
^"^^-ihus (die göttin) immer mehr in den hintergrund trat. Indess spal-
tete sich, wie dies auch sonst bei der bildung mythischer pei-sönlich-
^k&iten oft geschehen ist, Neiihus (Njqrpr) freijr in den gott Nerthus
■f^^itQr^^ und den gott Freyr; Nerthus (Niqrpr) freyja hingegen in
■w.^ göttin Nerthus (Niqrpr) und die göttin Freyja. Bei dieser spal-
■ tCttig war aber aus dem genannten gründe der gott zur hauptperson
B E^'vrordeQ , während die göttin an bedeutung eingebüsst hatte. Und
H 1) Id der zeit, vro man erst onfiag freip- und fret/ja dem iiamea als epithetn
H beiMilegeii, |jatt«n sie gewiss ältere formen; doch interessiert uns dies in dit>s«tn
■ «uararoenhange nicLL — Es ist möglich, dass man in porgrimr porsleinssons bei-
H ntunen freyagopi eine entinerung daran hat, das» freyr ursprüuglioli ein appellativtim
■ (fierr" ist E;rbyggja saga kap. 11 erzählt von diesem Porgrimr: Pann stein tjaf
■ partt^nn Pör, ok Had tera skyldu hofgoda, ok kallar kann porgrim. In überoin-
H stimmang hiermit stand er als mann dem boF auf pöranea vor. Henr; PeterGen:
H Om Sordboemta gudedyrkehe og gudelro i Itedenold s. 34 mit anm. 1 will Porgrima
H DaineD frofsgoHi darans erklären, dafia sich in dem tempol ausser t'ors bild vei-mut-
H lieb auch ein bild Freys befunden habe. Da indessen von einem derartigen bilde
H Fnys nirgends die rede ist, so dürft« man freyagodi eher als ,des berrn (d. h. hier
H }^hb) godi" dentei]; vgl. ,priester des benn".
294 KOCE, NEBTHTTS UND NI0B|*B
darum tritt also in der nordischen mythologie der gott Freyr als einu t
der meist verehrten götter in den Vordergrund, während die götti Q
Freyja einen mehr untergeordneten platz einnimmt
Nachdem aber Kiqrpr (Xerthiis) freyr sich in dieser weise L-i^^i
Niqrpr (Nerihus) und Freyr j Niqrpr (Xerthus) freyia in Xiqrpr (Ner^ '
ihus) und Freyia gespalten hatte, wurde Xiqrpr allein sowol vo:
der männlichen als auch von der weiblichen gottheit gebraucht, ohn
die näher bestimmenden epitheta freyr und freyia, welche ja nui
nomina propria geworden, andere gottheiten bezeichneten. Da abei
wie erwähnt, in den nordischen sprachen sämtliche weiblichei
w- Stämme verloren gegangen, und die wie Xiqrpr flektierten wörte:
fiqrpVy shiqldr, kiqlr, biqrn(n) usw. alle männlich waren, so schwane
das bewusstsein davon, dass Xiqrpr femin. sein (d. h. von einer göt-
tin gebraucht werden) könnte, ganz und gar, und es wurde aus
schliesslich als mask. gebraucht, oder mit andern worten Xiqrfi
ausschliesslich als gott aufgefasst.
Man könnte sich vielleicht versucht fühlen , in Skapi, welche nacl
der isländischen mythologie Xiqrps gattin war, eine erinnenmg an dii
ent Wickelung zu sehen, welcher die mythische persönlichkeit Xerthus —
Xiqrpr unterworfen gewesen ist. Der name Skapi (gen. Skapa) hA^*^
nämlich eine maskuline form, obwol er der name einer göttin is*-
Man fragt darum: ist Skapi während einer etwas früheren periode al^
mann di^r Xiqrpr aufgefasst worden, welche damals noch als frau au'ff"—
gofasst werden konnte? Als stütze hierfür Hesse sich anführen, da&±=5-
Skapi nach der Snorra-Edda I, 212 in einer sehr mannhaften weis^
auftritt und räche für ihren vater heischt (Efi Skaäij dvttir pjai.^^
jqtuns, iök hjdlm ok bry)ija, ok qll henäjm, ok ferr til Asgards, dt
hcfna fqdtir sbis). In der V(;|lsunga saga wird von einem manne mit
dem uamen Skapi gesprochen, was aber nach Symous (Beitr. III, 29:2)
und Müllenhofl' (Zs. f d. a. XXIII, IIG fg.) auf einem mis Verständnis
beruhen soll. Vgl. auch Sievei*«, Ber. der kgl. sächs. gesellsch. d. wis-
senscli. 189-i s. 141.
Es ist jedoch nicht wahrscheinlich, dass diese frage nach der
ursprünglichen natur der Skapi bejahend beantwortet werden kann,
aber die oben aufgestellte theorie über Xerpus - Xiqrpr und Freyr-
Freyja ist in keiner weise davon abhängig.
LVNl), IM MAI 1895. AXEL KOCK
BECH, Zu DEM VON BÜWENBÜBO 295
ZU DEM YON BÜWENBUEC.
Ungenügend erklärt finde ich unter den liedern des von Buwen-
irg bei v. d. Hagen MS. U, 262* (IV, 2) = Bartsch, Schweiz. MS.
Xin, 4 folgende Strophe:
Ich wände mi mtp vo7i iper haben vunden,
dö ich erst ersach die minnecltchen:
?iü stvachet st an ere?i xallen stujiden,
dax ich st xe haye tvil geliehen.
e^ ist übel umb ein schoene bilde,
dax im wont kein tvandel bt,
da^ si machet eren vri;
doch swie triuteloht si st,
sost ir mtplich güete worden ivilde,
fragt sich hier, wie man die ausdrücke tper und haye aufzufassen
t>e. Weigand setzt in seinem D. wörterb.^I, 864 an „die iper, die
inblätterige ulme", und denkt an das „franz. ipr^aUy span. ohne de
"•e^; ei?i tvtp von tper fasst er als „ein wolgewachsenes weib"; ihm
^ in dieser auffassung Lexer I, 1448. Aber dem deutschen mittel-
er war das wort in diesem sinne noch unbekannt Noch mehr
wierigkeiten hat hoye gemacht. Oberlin I, 699 verstand darunter
num, hoei, heu, ähnlich v. d. Hagen in MS. III, 705, wo er zu
fe bemerkt: „undeutlich — etwa eppich oder heu*', ebenso das Mhd.
rtrb. I, 752 s. v. tper. Bartsch nimt das wort =» heie, „eine ramme
txiit man pfähle einschlägt", vgl. Schmeller- Fromm. I, 1021 und
yne im D. wörtrb. IV, 2, 1731 sowie GermanialS, 262 — 63. Sollte
frau mit einer „ramme** verglichen worden sein, dann durfte wol
artikel vor hoye nicht fehlen. Aber auch dann würde der aus-
^ck, selbst wenn der dichter ein. swache^ oder boesex wip, wie es in
vorhergehenden stropho heisst, im sinne hatte, zu stark an das
bojische streifen. Das richtige hat offenbar v. d. Hagen schon ge-
en, wenn er in MS. IV, 539 von unserer stelle sagt: „der wunder-
te ausdruck gegen eine ihn (den sänger) abweisende schöne, „„er
tinte ein weib von Iper gefunden zu haben**", geht doch wol auf die
clerländische stadt Ipern, welche damals schon durch ihre schönen
ge berühmt war; Hoye, dem der dichter die spröde vergleichen will,
^ste dann etwa schlechtere zeuge geliefert haben.** Ebenso richtig
^int mir, was er dort in der anmerkung dazu sagt: Oberlins glos-
erklärt hoye durch heu, übergeht aber den gegensatz iper.^ Dass
296 BECH, zu DEM VON BÜWENBTTRC
die flandrische Stadt Hoye, das jetzige Huy an der Maas, hier im ge-
gensatz zu Iper steht, sowie dass die hier gewebten tuche einen gerin-
geren wert hatten als die, welche Ipem in den handel brachte, dafür
sprechen unter andern folgende stellen: nach dem stadtrecht von Mün-
chen, herausg. von Fr. Auer, § 495 (s. 186) sollten die underchaufd
von ainem tuch von Eyper VI dn. und von ainem swären iuoch von
Dom oder von ainem von Eoy IUI dn, und von den andern II dn,
%Q Ion nemen; in den rechten und freiheiten der Stadt Wien herausg.
von Tomaschek s. 7 (13. jahrh.) heisst es: xwelf tuoch von Eypper ist
ein soum; sehxehniu von Hoy ist einsoum; ebenso in einer jüngeren
fassung daselbst s. 94. Sonst ist zu verweisen auf Ztschr. XXIV, 534,
wo pannum Hoiense erwähnt wird, und auf die Chroniken der frän-
kischen Städte I, 100 und 222, wo Hoye unter den Städten erscheint,
in denen die Nürnberger zollfreiheit besassen. Über die tuche von Ipem
vgl. ausser Schultz, Höf. loben I, 255, 8 noch Strauch zu J. Enikels
Weltchronik 22473; Gauriel von Muntavel 2300 von Ipper blä ^n
schaprün; Cod. dipl. Silesiae III (= Henricus Pauper) s. 20 ■ und 27*
pannus de Ipir; ebenso VIII, s. 7; s. 117 yperisch tüch; lU, s. 28
und 29 panni Yperenses; Ofener stadtrecht s. 275** de uno panno Ipri
Dem zusammenhange nach könnte man auch versucht sein, iper und
hoye gleich wie arraz als metonymische bezeichnungen für die an den
betreffenden orten gefertigten Stoffe zu nehmen. Jedesfalls ist der sinn
der vier ersten zeilen obiger Strophe: bei seinem ersten begegnen
glaubte der sänger ein weib so kostbar wie das tuch von Ypem gefun-
den zu haben; jetzt erscheine sie immer geringer an ehren, so dass
er sie mit dem stoflfe von Hoye vergleichen wolle. Über die kürze
des ausdrucks xe Hoye vergleiche man die lesenswerte bemerkung bei
Kraus, Deutsche gedieh te des 12. jahrh. XII, 45, s. 249. Ob die tächer
von Hoye denen von Ypem gegenüber noch ein besonderes merkmal
hatten, welches den spott des dichters deutlicher hervortreten Jiess, ist
mir unerfindlich geblieben.
ZEITZ, APRIL 1895. FEDOR BECH.
WILK£N% DER FENRISWOLF 297
DEE FENEISWOLF.
Eine mythologische Untersuchung.
(Schluss.)
V.
Der kern des mythus.
1. Den schon mehrfach kurz berührten hauptbericht der Gylf.
(cap. 34 und 51) haben wir hier genauer zu betrachten. Während zu
dem letzteren cap. die Liederedda viele ausführliche parallelen liefert,
wenn nicht geradezu dem berichte zu gründe liegt, findet sich über
die fesselung des wolfes (cap. 34) bei ihr und den skalden nur hier
und da eine flüchtige notiz. Dies capitel ist also von besonderer Wich-
tigkeit, freilich auch von entsprechender Schwierigkeit. Dass der leben-
dig und frisch gehaltene bericht altes und jüngeres in ziemlich bunter
mischung darbietet, erkannte schon Bergmann, Fase. s. 288: le sujet
d'un conte populaire, d'une dato relativement post6rieure, mais qui est
remarquable, et pour le fond mythologiqiie et pour la forme de la
JJarration. — Mogk (bei Paul u. Braune, Beitr. VII, 270) unterscheidet
^it fug die genealogische einleitung, wenn auch noch nicht mit be-
stimmten gründen, von dem berichte der fesselung selbst: „ob die
beiden ersten berichte (geneal. art) auf alte Überlieferung zurückgehen,
oder nur von dem Verfasser der Gylf. aus dem bestehenden erschlossen
sind.^ wird sich nicht entscheiden lassen i; für die fesselung des Fen-
nswolfes jedoch müssen wir benutzung eines in galdralag verfassten
S^dichtes annehmen.** — Mir scheint es richtiger, die in Gylf. 34 (so-
^ö in Kph. n,-432, 515) teils direkt überiieferten, teils durchschim-
'^öi'iiden Stabreime lediglich als schmuck der poetischen prosa zu
betrachten*; sollte aber selbst die ganze fesselung des wolfes in ähn-
lichen memorialversen, wie wir sie Grm. 11 — 17, Alvlssm. 10 fjsr. fin-
^^^^ ihm vorgelegen haben, so würde der autor von Gylf. 34 das beste
v^otn poetischen Standpunkte aus), die lebendige Schilderung der beiden
1) Meine ansieht s. oben c. IV, § 1; auch s. 193 anm. 1 und s. 194 anm. 1. —
*^ das folgende vgl. Untersuch, s. 114.
2) Einen bericht, in dem sich vielleicht namen wie Wilhelm und "Walter,
*W.degard und Hedwig beisammenfönden , würde ich selbst dann noch nicht „auf eine
poetische quelle in Stabreimen* zurückführen, wenn er nach „allmählich stärker wer-
J^^^m Sturme* das schiff schliesslich „mit mann und maus* verloren sein liesse.
"^®® Volkstümliche erzählungen, märchen und schwanke gerne durch eingestreute
^^ belebt werden, kann man schon aus dem ersten märchen in Grimms Sammlung
298 WILKXN
Parteien und die auch den leser „fesselnde" durchführung der intrigo
doch selbst hinzugetan haben.
2. Um den bericht im einzelnen zu prüfen, empfiehlt es sich vo
ihm folgende fragen beantworten zu lassen:
1) wann und wo wurde der wolf gefesselt?
2) aus welchem gründe geschah es?
3) welche persönlichen mächte beteiligten sich dabei?
4) welche sachlichen mittel wurden benutzt?
5) darf der wolf je auf befreiung hoffen?
3. Bei der ersten frage lässt sich das wann? sehr leicht er!
digen. Die genealogische Verknüpfung mit Loki und Angrboda hat d
Vorstellung veranlasst, dass die drei geschwister zunächst in Riesenhei
aufwachsen und von dort erst, um sie unschädlich zu machen, zu d€
göttem geführt werden, bei denen der wolf verbleibt, während seil
geschwister einen andern wohnort erhalten. Erkennen wir jenen fr
heren aufenthalt in Riesenheim als „konstruiert*', so darf der aufer
halt des wolfes bei den göttern als ursprünglich gelten; ja selbst seil
fesselung ist (nach dem in cap. I, 16 besprochenen gesetz) vielleic
nur als künstlich historisierte, im gründe gleichfalls auf einen ursprün
liehen zustand zurückzuführende handlung anzusehen. Ist die rolle d
gottes T^r (vgl. weiter unten zu fr. 3) im sinne eines tagesgottes au
zufassen und der verlust der band als Schwächung seiner macht anz
sehen, so würde als einzige genauere Zeitbestimmung zu der eb^
gegebenen noch „die nachtzeit" sich ergeben. — Auch bez. des w<
würde die sache einfach liegen, wenn nicht der bericht in Gylf. duM
spätere zusätze getrübt wäre. Dieser bericht sagt zunächst (vgl. obei
dass die götter den wolf heivia, also in ihrer eigenen heimat^ aufg"
zogen hätten. Wo, wie hier mit nachdruck und im gegensatz zu me«
und unterweit von der „heimat der götter" geredet wird, kann w«
nur der himmel gemeint sein 2, und dafür scheint in diesem falle auc
der umstand zu sprechen, dass auf die heiligkeit des lokals, wo d<
1) Wol nur riammorich (Om Ragn. mythcn s. 133) hat diese angäbe sowc
Vorwort et, da.ss er den wolf ausdrücklich in Asgard gefesselt sein lässt. Aber die»
aiisdruck ist vielleicht absichtlich in Gylf. nicht gebraucht, weil der anklang an As
gerade jene zeit dann leicht an einen irdischen wohusitz denken liess.
2) Als götterwolmsitz im weiteren sinne kann freilich auch das hochgebirj
gelten, das in die wolkenregion hinein, teilweise noch über dieselbe hinausragt Ma
denke an die art, wie der Olymp bei den Griechen als götterwohnsitz galt, vgl. NJ
golsbach, Homer, theol.' s. 18 — 20. Endlich gibt es auch irdische wohositie dl
götter ohne diese beschränkung, vgl. darüber weiter unten exe. I.
wolf gefesselt wurde, mit besonderem nachdrucke hingewiesen wird'.
Da nun diese stelle (42, 9 — 11 Wk) sich gerade am ende des ganzen
fesselberichtes findet, so scheint die sonst allerdings durch einige aus-
drücke nahegelegte Vermutung ausgeschlossen zu sein, dass mit heima
nur der erste aufenthaltsert, wo der wolf gefüttert wurde, gemeint
sei, während er später andernortcs gefesselt sei". Für die Identität des
lükals spricht auch die erwagung, dass die genaue angäbe des aufent-
baltes der andern beiden geschwister eine solche auch bez. des wolfea
erwarten Hesse, wenn der Verfasser nicht eben mit jenem heima schon
genug getan zu haben meintet Ist endlich die Vermutung gegründet,
1) Mit der betretfenden wemlimg (,svd mikiU eirdu guSin vi »in ok grida-
»(rtÄO vgl. Gjlf, 49 (T4, 22 Wk) dio angäbe bei dem tode des himmlischan liohtgot-
les Baldr: en emji tnälli hcfna; Par car svä mikill gridastattr. — In beiden fal-
len soll ungeachtet dar nonäherung der dai'stellung an meiiscblicho voihältnisse danm
erinnert werden, dass die geschilderten Vorgänge einem audern gebiete als der men-
schen-weit angehüien.
2) Daau könnte mnäcliat der satz 40, 12 verloiten; fid föru leairtiir üt t
ratn fai er Amsvartnir hcilir, i höhn ßann er Lyagri er kalladr, weiterhin aber
^^1 O — 13 die angäbe, wonach die B.ien den feseelliaft tief in der erde befestigt haben
solleo, _ Kann nun auch sonst dei' biuimel wol als eine .mythische landsohaft"
(^- El- Meyer) mit 1>erg, C:U, fliisseu usvv. lieseichnet werden, so scheint niir diese
0™lSruQg doch für die letKto stelle nicht attsreioheod. In beiden ffillen verrät
"™"*n die fülle skaldifloh gefSrbl nnmen für leblose dinge, aus welcher riuolle diese
""•öitumngeu gedüasen sind; der skaldische Ursprung wird zweifellos dui'ch verglei-
chong der beiden berichte in der Sk/dda |Kph. H, 413. 515). wo eine noch grössere
™^ solcher nonieu begegnet; s. auch g 6 und exe. II. — Über ärösi fyrir Lotaa.
" l vgl. § 6.
3) DasK der nutor tou Gylf. durch den onhemeiistiBohen Standpunkt, der mehr-
■Mnti bei i|jm durchblickt, allerdings gerade in solchen fragen leicht 'irregeführt wer-
1 ^^a. und einen mnngel an bonsequenz Terschuldcn konnte, wird in exo. 1,2 c) noch
I "äW dargelegt worden. — Unter deu neueren forachem können die freunde des ,meer-
1 ^Imoü' Feiirir, abgesehen vou der otymologiMchen varlmüpfung mit feit, die o. in,
ä beleuchtet ist, unr aus jitngeren aobetiEÜgon eine stütze ihrer ansieht gewin-
wonach ohne weiteren Fenrir mit sonnen- und mondwolf gleichgesetzt wird
(Tgl. s. 195 anm. 3) und das (doch aUabondlich in aller ruhe geschehende) vorsinken
I der sonne im meero als urbild für das gewaltsame gesohjok der sonne am weitende
f (Vafjir- 46) gofasst wird (Mogk im Gruudriss I, 1045). Die anhlingor des „stumi-
I aolfes" stehen moiner ansieht schon nabsr, da sie dio luft als sphaere dea wotfes
I ussben. Aber mag der wolf auch oft genug den stürm bedouteu: ein bis zum weit-
I Untergang gefesselter stürm hört doch auf stürm zu sein; infolge der niaulsperro ist
I ilun seibat das heulen vorwcbi't. Den Vertretern unterirdischer fesselung des Wolfes
I gegenüber betonte Müllenhoff (D. alt V, 13ä, lÖÜ) mit recht, dass ,der woU kei-
r Unterwelt und in ihrem bereicbe gefesselt liegt' — Zur stütze mei-
ohl sei noch an fiiriksm&l str. 6 erinnett: ,.cs sieht der grane wolf (drohend)
t Wohnsitz der güttor." ünteriidisch gefesselt ist er also gewiss nicht, der
300 WILKRN
dass jenes „füttern des wolfes*' durch T^r nur eine ungehörige hineiicn-
mengung des jüngeren kriegsgottes Tyr in die rolle des älteren natiL .»-
gottes verrät (vgl. weiter unten § 5), so könnte von einer Unterschei-
dung des iokals der fütterung von dem der fesselung erst recht kein e
rede sein.
4. Die zweite frage beantwortet unser bericht scheinbar so bün-
dig, dass sich Gangleri sogar darüber verwundert, warum sich die göt-
ter denn mit der fesselung eines so gefährlichen wesens begnügt, nicht
seine Vernichtung erstrebt hätten. Gleichwol ist die begründung der
fesselung, die cap. 34 gibt, eine rein äusserliche; im hinblicke auf den
Charakter, der dem wolfe geliehen wird, erscheint sie unmotiviert (vg-1.
s. 198, anm. 1). Ein wesen, das nach glücklichem zerreissen zweier
fesseln bei dem dritten versuche, zu dem man ihn bereden will, rutiig:
erwidert: ef p4r bindit mik si)ä at ek fce eigi leyst fniky pä munii^
p4r svd cetla, at vi4r mun seint vera at tdka af ydr hjdlp; öfiis^
em ek at lata petta band d mik leggja, En heldr en p4r fr^it yn.^9^
hugar, pä leggi einhverr ydar hqiid sina i murin mär at vedi,
petta se falslaust gqrt — erinnert eher wol an den biblischen Simso
der Delila gegenüber oder den nordischen Sigurdr Beginn gegenübe
als an einen ti-otzigen, prahlerischen ricsen oder gar ein die weit
drohendes ungetüm. Diese, bisher wenig beachtete, ideale zeichnun-S
des Wolfes darf um so weniger etwa als jüngere färbung verdächti^^
werden, als sie ganz im gegensatze zu der dämonischen auffassiio^
des Wolfes steht, welcher der Verfasser von Gylf sonst, sowol hinsiclit-
lich der genealogischen Verknüpfung mit I-ioki als auch bez. des letzte«
kampfes gegen die götter, volle rechnung trägt. Liegt so im Charakter
des wolfes ^ keine spur einer erklärung für die handlung der götter, so
bleibt als grund nur die furcht vor dem später (d. h. am ende der
weit) zu erwartenden unheile. Dies besteht aber nach der aufifossung von
Gylf nicht im verschlingen der sonne, da w//rmw, welcher nach 81, H
die sonne verschlingt, schon wegen des annarr tilfrinii 82, 1, der
den mond fasst, der scmnonwolf SkoU sein muss, nicht der erst spater
(82, 5) freiwerdcndo Fenrir. Es bleibt also nur (nach Gylf.) der kämpf
mit Ödinn übrig. Nun ist aber nicht zu vergessen, dass sämmtlicb^
einzelkämpfe der götter am weltende, soweit sie nicht als jung©
Wohnsitz der götter ist vielmehr auch als ort der fesselung zu betrachten, da «n
gefangener zunächst seinen kerkcr vor äugen hat.
1) Die reden kurz vor der fesselung sind nämlich die einzigen, welche dest
wolfe überhaupt beigelegt werden, aus ihnen allein können wir seinen cbankttf'
erkennen. — Über den freigewordenen wolf vgl. § 7.
ersa.tzdichtuDg in Gylf. sich darstellen (so namentlich der des gottea
T^r) nur auf einer fortschieb img älterer kampfesmythen beruhen {vgl.
B. 1 75, anm. 1). Die scheinbar einzige ausnähme (der kämpf öiÜns
und Vidars mit dem wolfe Feiirir) wird als ähnlich entstanden in
cap. "VII nacbgewieseo werden, nur mit dem unterschiede, dass dieser
karapf sich eigentlich auf andere wülfe bezog'. Dies alles envogen,
bleibt als erklarung nur übrig, dass irgend ein äusserer umstand,
wi© er die benennung „wolf" veranlasste, so auch — bei der kind-
liclion auffassung älterer zeit — eine besondere furcht drohenden un-
hails zu rechtfei-ligen schien*.
5. Auf die dritte frage gibt Gylf, 34 zwar reichliche auskunft,
aber die einzelnen angaben stehen nicht in vollem einklange. Nach
der art, wie Ällfijdr- ödinn zunächst 38, 1 den beschluss veranlasst,
die drei gefährlichen wesen aus Riesenheim fortführen zu lassen, wie
er dann 39, 17 von den zwergon* sich das geeignete band zur fes-
seliing verschaiFt, befremdet es schon, wenn nun doch bei der fess&-
lutig ein anderer gott, T^r, die hauptrolle spielt, indem er für die
Sache der götter geradezu eintritt, obwol ihm von denselben wenig ge-
dankt wird; die wendung pd lilöffu alUr nema Tyr 42, l erinnert
schon an den spott m Lokas. 38. Nun ist gerade die aufopferung der
band des gottes Tfr, mit der einige neuere erklärer sich ziemlich leicht
""finden*, eine der am besten bezeugten tateachen in dem ganzen fes-
solakte, zu Gylf. (25 und 34) tritt Skälda 9, Lokas. 38, 39; prosa vor
. Am stärksten scheint mir jedoch der Widerspruch, sofern man
"^\ buchstäblicher auslegung stöben bleibt, wenn T^r zunächst den
"olf füttert, so lange er frei ist, während bei dem gefesselten, der erst
I röcht solches dienstes bedürfte, offenbai- an ein füttern ebenso wenig
' Bftäacht wie im geringsten davon gesprochen wird. Der autor von
1) Auch wer jeDär arguroentation hier noch nichl; fulgao wUl, wird anerkenneD,
Im ta dem früberuD [eben des wolfes kein grund zu besorgnissec Ug.
2) Diese furcht erschoint orlilüilicher, wenn räumliche nähe des gefefiseltea
i götter immer an das zeitlich allerdings noch weit entfernte uuhoil gemahnte;
fgL s. 299 aom. 3 gegen ende. ~ Dbsb dio gütter den wolf täglich wauhsen sahen , ist
nur aus der ungiibe erschlossen, dass er bei den güttera aufwuchs; und da er
r Unheil anrichten aoll, ist Bolchea von ihm schon prophezeit wordeu. Vgl. die
I trefflicheu bemai-kungan Beere über die gewöhnliche ausgeataltong eines mjihua
\ Oerm, 33. 10 fg.
3) Da die xwerge hier für uns nur als verfertiger des bandes Gleipnir interesse
Kbabea, 60 wü! ich über sie §6 handeln.
4) , Möglicher webe ist diese fabel ü\%t ßiünduug spaterer zeit" (P. Kauffmann,
mythol.* s. 82).
302 WILEEN
Gylf. betrachtet beide angaben als beweise von der besonderen kühn-
heit des gottcs Tyr, ohne sonst irgendwie die Wahrscheinlichkeit seines
berichtes zu prüfen; eine solche einseitigkeit des Standpunktes ist aber
nicht jedem beurteiier gegeben. Fasst man das füttern des wolfes im
bildlichen sinne ^, so ist zwar der Widerspruch etwas gemildert, das
fremdartige des tones aber keineswegs beseitigt*. Da nun T^r als nlfs
föstri sich zwar in der prosaischen Edda mehrfach (ausser Gylf. 34 auch
Sk. 9), aber in der Liederedda nicht bezeugt findet, so tritt zu den
inneren doch auch ein äusserer grund hinzu, die betreffende angabo
als einen jüngeren, ursprünglich in anderem sinne verstandenen zusafcB
zu betrachten. Minder wichtig ist es, den speciellen an teil der beiden
götter ödinn und T^r an dem fesselwerke schon jetzt genauer festzu-
stellen^; da beide zweifelsohne zu den himmels- und tagesgottheitea
gehörten*, so kann die beantwortung der dritten frage vorläufig so
lauten: dieselben götter, welche den wolf in ihr gebiet zogen, fessel-
ten ihn auch dort mit hilfe der zwerge — beide angaben sind (mit
rücksicht auf § 3) vielleicht sogar als ursprünglich identisch zu be-
trachten.
1) Den wolf, rabon, adlor füttera ist der nord. poosie ein sehr geläufiger aus-
dnick = feinde fällen, vgl. Untersuch, s. 114. — Dass dies füttern des wolfea«
durch Tyr die pflege des „widernatürlichen krieges" bedeute (Simrock, D. mjlh- '
8. 113) geht aus unseren quellen nicht hervor, AV. Müller (Altd. rel. 224) wollte in
dem von dorn wolfe der finsternis geschädigten ornährer desselben den der nacht vor-
angehenden, nun verdrängten tagesgott sehen, was in doch wol allzukünstUchor f»s-
suug einen nicht ganz unrichtigen gedanken enthält, vgl. cap. VII, § 2. — Vfx^
versuche, auch den verlust der band auf den kriegsgott zu l>eziehen (einen ders«4be*ö
beleuchtet W. Müller a. a. o. s. 223), sind in neuerer zeit mit geringerem nachdmcl^
hervorgetreten: sie führen zu mehr oder minder sj)ielenden crklärungsweisca de^
mythus.
2) Während der ausdruck (38, If)) ulfinn faddn crsir hcima (in dem schlich-'
ten sinne = den wolf Hessen die g()tter bei sich aufwachsen) niemand befremder*
wird, ist die angäbe, nur Tyr habe gewagt ihm seine speise zu geben, schon danio'
wunderlich, weil die götter in dem weiteren bericht sich doch sogar in der absidi*^
den wolf zu fesseln an denselben heranwagen. Ist es bildlich gemeint, so pass"^
wider die angäbe nicht, weil dieser wolf nicht auf die Schlachtfelder der erde eiled
kann, sondern bei den götteni weilt; wäre der sinn ursprünglich ähnlich gemeint wi*?
bei dt;n wölfen <.)dins Grm. 19, so sähe man aus (jylf. 34, wie eine einfache 8ach<3
auch selir unglücklich ausgedrückt werden kann. Endlich ist noch zu bemerken^
dass der skald. ausdrurk ulß fustrt nur bei freierer Interpretation zur stütze }eo»T'
angäbe in Gylf. dienen kann, denn f6i*(ri wird sonst nicht vom fütterer gebiaucbfc^
sondern vom ptlegevater; füttern wird durch scifjaj gefa m<U, gistingy tmdbfN
älmlich ausgedrückt.
3) Vgl dazu cap. VH § 2. 4) Vgl. s. 197 toxt und
DEB FENBISWOLF 303
6. Als wirklich bedeutendes mittel der fesselung stellt sich, um
beantwortung der vierten frage überzugehen, nur das band Gleip-
dar und für unmöglich halte ich es nicht, dass ursprünglich über-
3t nur dies eine erwähnt war. Es war ein werk der zwerge und
wunderbarer art^. Da jedoch auch die namen Laeding und Drömi,
entlich der erstere, altertümlichen klang haben 2, da auch die gute
bandes Gleipnir dadurch in passender weise gehoben wird, dass
wolf schon zwei starke fesseln gesprengt hatte, als er mit G. gc-
Jen wurde, so ist die Steigerung der bände von 1 auf 3 wol jeden-
für eine sehr alte, mit dem mythus völlig verwachsene erweiterung
haltend Anders verhält es sich mit der angäbe: pd töku peir
na or fjqtrinum, er Gelgja heitir ok drögu henni i gegnuin heUu
la, sü heitir Gjqll, ok felldu hellmia langt l jqrä nidr; pd töku
mikinii stein, er pviti heitir ok sktitu hdnum enn lengra l jqrä-
ok hqfäu pann steiji fyrir festarh^elinnK Hier lässt sich die
dische liebhabcrei der namenhäufung nicht verkennen; in der sache
nten diese weiteren vorsichtsmassregeln nur von der pedantischen
>rgnis ausgehen, der wolf könnte, auch wenn er das band Gleipnir
1) So häufig auch in den jüngeren sagas die zwerge als verfertiger von waf-
Jnd kostbarkeiten aller art erscheinen (Vigf. s. v. dvergr), so darf als die ältere
tssung doch die gelten, wonach nur dem boreiche der natur angehörigo „wun-
^re" dinge, wie z. b. das Sonnenlicht, der blitz als von den zwergen geschmiedet
»einen; eine nicht vollständige, aher doch zu beachtende aufzählung von 6 boson-
berühmten werken dieser art gibt Skj'dda 85; hinzufügen Hesse sich namentlich
Bnsinga mon (nach der Olafss. Tryggvas. von zwergen verfertigt) und unser
Ol. — Ist man nun mit E. H. Meyer (G. myth. 117) der ansieht, dass unter
elbon die luftelben die ursprünglichsten und massgebenden sind und dass der
dcergar, obwol vorzugsweise den borg- und erd-olben gehörig, doch auch
ben beigelegt wird (a. a. 0. 118), so werden wir durch dieses werk der „zwerge"
i-ider an himmel und luftraum gewiesen. Die scheinbai' irdische natur der Stoffe
>andes spricht nicht dagegen, vgl. Untersuch, s. 114. Dass jene 6 Stoffe sich
er erde nicht mehr finden, weil sie alle zu dem bände verbraucht sein sollen
II, 431), ist analog joner neigung, alles bestehende auf ein bestimmtes histo-
58 datum zurückzuführen, vgl. in Gylf. 15, 4 — 9; 76, 12; 80, 5 u. 0. cap. I, 16.
dies band aus „unsichtbaren dingen" geflochten sei (Mogk), trifft ganz meine
ing, nur möchte ich vom mythischen Standpunkte aus hinzusetzen „für den
shen unsichtbaren dingen*'. — AVo aber fanden sich solche, die doch zugleich
^reiche der götter liegen sollen, anders als am himmel?
2) Vgl. die betr. ail. im Glossar zur pros. Edda.
3) Denkbar ist auch, dass die drei namen ureprünglich nur Varianten für ein
Mraren.
4) Vgl. 8. 299 anm. 2; eine etwas genauere besprochung der einzelheiten findet
ioi ez0.IL
304 WILKKN
nicbt zu zerreissen vermöge, es doch mit sich fahren, wenn es nicbt
gut in der erde versichert sei. Überdies ist dem gefesselten wolle nwh
der rächen durch ein schwort gesperrt! Da dieser zug alt zu seio
scheint 1, war um so weniger grund zu jener ängstlichen vorsieht, dio
wol auf einer nachahmung der fesselung Lokis beruht, aber erst her-
vortreten konnte, als das ursprüngliche lokal für die fesselung des wol—
fes ganz oder halbweges vergessen war. Von dem gefesselten Loki
unterscheidet sich Fenrir aber wie in anderer hinsieht, so auch beson-
ders durch die rachensperre und den fluss, in dem er gefesselt lieg^
und durch den nach der auffassung von Gylf. (40, 12 fg.) sein ent —
weichen wol noch mehr erschwert werden soll (vgl. äräsi fyrir Lokas.
41, 1)'. Ist dieser fluss Amsvartnir aber nicht vielmehr im gründe
nur der schaumfluss, nach welchem Fenrir den beinamen Vätuir gatid^^
erhielt und der in skaldischen berichten schon zu zwei Aussen vora.
solcher fülle wurde, dass alle flüsse als „Speichel Fenrirs** bezeichna'fc
werden können? (Kph. 11, 515). — Vgl. cap. VI, § 9.
7. Auf die fünfte frage endlich erteilt Lokas. 39, 3 — 4 unci
ähnlich Gylf. 34 (= 42, 16) auskunft; wörtlich ebenso heisst es ab^x"
auch vom gefesselten Loki in Gylf. 50 (80, 20): par Uggr kann (ibqm- —
dum) tu ragimrekkrs, Dass er dann frei werden soll, wird vom wolffe
sogar mit noch grösserem nachdruck (so schon in H4konm. 20) bezeug ^
als vom götterfeinde Loki^, aber den kämpf mit ödinn lassen keines-
wegs alle Zeugnisse so bestimmt darauf folgen, wie wir es nach Gylf. 5!
V(jl. 53 fg. anzunehmen gewohnt sind*; und wenn Hyndl. 45, 3—
1) Er vrird durch dio kenning „sparri Fenris varra** = Schwert bei Eyvinc
skaldasp. (Kph. LEI, 460) schon für das zehnte Jahrhundert belegt. — Die übereii^^
Stimmung mit einem bilde des Sachsenspiegels (Simrock, D. myth."99) halte ich üt —
zufällig; gerichtlich geächtet (vervestet) ist der Fenriswolf niemals. Damit fallt fiu- —
mich auch die deutung Simrocks fort.
2) Vgl. exe. II, 2. — Zunächst sei bemerkt, dass mich ausser den oben ge— "^
nannten noch folgende gründe verhindern in der gefangenschaft des wolfes nur do^^
^differenzicrung von Lokis gefangenschaft^ zu sehen (Bugge, Studien I, 414). Lokr:^
wird gefesselt 1) unterirdisch, 2) mit sichtbaren fesseln, 3) wegen bereits begaogene^^
Untaten. — 4) hass und liebe nimmt an seinem geschicke auteil (Skadi, Sigyn).
Einzelne zügc mögen in beiden fällen typisch sein für die populäre erzählong eine
fesselung, vgl. ausser Bugge a. a. o. 412 fg. auch Simrock, D. myth.' s. 90.
8) Nur in dieser fassung kann ich den gedanken Müllenhoffs (a. a. o. 150
„das losbrechen des wolfes ist übcrliaupt die Vorbedingung zum allgemeinen aufbniol^^
der weitmächte und zu dem umstürze dieser weit" mir aneignen. — Die fthnlichlEBr''
mit den angaben über Loki fasse ich nur als äusserliche angleichung.
4) Zunächst ist zu beachten, dass Eiriksm. 6 nur ein (drohendet) hiil^
des wolfes auf den göttersitz kennt, Hakonm. 20 nur ein losstäxmen dl» "
DRR FBNRISWOLF 305
aasdrücklich diesen kämpf als das letzte bezeichnet, worüber man mit
einiger sicberheit reden dürfe, so darf eine kritische betrachtung wol
noch einen schritt weitergehend auch diesen kämpf aus der gesicherten
Überlieferung ausscheiden. Befreiung von seiner fessel darf der wolf
naoli allen Zeugnissen am weltende hoffen; ob mehr von ihm in alter
zeit geglaubt wurde, steht vorläufig nicht fest.
VI.
Erklärung des kernes.
1. Fassen wir die im vorigen capitel erhaltenen antworten auf
di© fünf fragen kur2 zusammen, so ergibt sich: ein wesen, das, sei es
nur- die gestalt, sei es auch den Charakter eines „ edelwolfes '^ (vgl.
cap- in, 8) besitzt, ist von den göttern seit alter zeit am himmel ge-
fesselt, weil sie von diesem wesen unheil für sich und die weit besor-
gexx. Die götter vollbringen das schwierige werk nur mit liilfe der
zworge (der geheimen naturkräfte); diese liefern ihnen ein unsichtbares
band, welches bis zum weltende den wolf gefesselt hält — Einiges
spricht dafür, dass die fesselung bei nacht geschehen ist (vgl. cap. IV,
§ 7 gegen ende).
2. Wird nun gefragt: welches wesen ist gemeint? so bedarf es
^^Ueicht noch des ausdrücklichen hin weises, dass die persönliche auf-
fassung, an die wir uns gewöhnt haben, an und für sich nicht not-
wendig ist Da wir gesehen, dass die genealogische Verknüpfung mit
'^ki und Angrboda der konstruierenden periode angehört, da keine
andere Verwandtschaft sich als echter und ursprünglicher erwiesen hat,
^^s hindert uns anzunehmen, dass der „wolf" überhaupt nur äussere
ähnlichkeit mit einem lebewesen dieser species gehabt? Verschiedene
a'^f den wohnsitz der menschen berichtet wird. Diese angäbe ist mit der eddisclien
aiuTassang kaum zu vereinigen; diese schweigt von den menschen, weiss dafür aber
einen kämpf mit den göttern Odinn und Vidarr zu berichten. Den ersten dieser
*ainpf^tennt von den älteren skalden wol nur Egill Skallagr. und der zeitliche unter-
^Qieci zwischen den beiden zu anfang dieser anm. genannten gedieh ten und Egils Son-
'^^rtorrei: (975 nach Gudm. torlaksson, üdsigt over de norsk-isl. skalde s. 24) ist nicht
®. ®^c>lich; da jedoch bei Egill die isländische poesie sich zuerst selbständiger neben
^ ^Norwegische stellt, so könnten neben den zeitlichen hier lokale differenzen in
®^ ^nfiassuDg in betracht kommen. Nicht zu übersehen ist ferner, dass der kämpf
^ "^^Ifes mit VidaiT zwar V<?1. 54 bezeugt ist, aber gegen ü H, und dass zu den
'^ -KfilleDhoff a. a. 0. 152 angeführten gründen für die Streichung dieser str. sich
^^*^ mdero finden dürften. Für mich wichtigere gründe werde ich noch in cap. VII
FHILOLOGII. BD. XXVUI.
20
■grÜBde, welche für diese auffaBsimg sprechen, sind schon oben {x- l> —
icap, V, g 4 sclil.) angeführt Dazu kommt, dass die bisherigen erkii —
I rungsvcrsuche schon alle klassen von lebewesen su zu sagen erschSpflfc
haben (vgl. cap. II, 1), ohne Überzeugungskraft zu besitzen. Daaa e*^
sich eigeutlicL um ein lebloses geschöpf handelt, scheint aus eine^
stelle unserer Überlieferung wenigstens indirekt horvorzngiJieQ. liwsft
man die worte in Gylf. 34 (=- 42, 3, 4), welche die rachensperre nüA
hilfe des Schwertes schildern, die bis zum Weltuntergang dauern soll,
so ist es um so schwerer hier an ein lebendes wesen zu denken, d^
von keinem freund, keiner froundin die rede ist, welche die not d^^sA
gcinngenen linderte Dass diesem einen mehrere züge gf^nübergo-
stollt werden kömien, welche nur von einem lebenden wesen scbeinea
verstanden werden zu können, ist richtig; aber wird bei einem so allen,
so beliebten und deshalb doch auch wol viel variierton niythus das
ursprüngliche anders als in seLwachen spuren zu erkennen sein? — I
Die aulfassung als lebewesen musstc natürlich vorangehen, ehe man «n I
eine genealogische Verknüpfung mit Loki usw. dachte. I
3. Fragt man weiter nach den gebieten nicht lebender wesen, j» I
welchen entlebnungen von tiernamen sich etwas häufiger finden, »» I
lautet die antwort: in der pflanzenv^elt und am Sternenhimmel. la I
unserem falle kann nur der letztere in betracht kommen, was durclt I
vergleichung mit § 1 unseres capitels sich von selbst ergibt Die be- I
trefTende annähme lässt manche Schwierigkeit in neuem licht erscbeJ- I
nen: ein am biumel befindliches Sternbild, das einem wolfe mit leuch- I
tenden augeu und aufgesperrtem rächen glich, scheint die well (i
bedrolien'j aber mit unsichtbarer fassel wird es gehalten bis ziun «elt'
1) Tgl. Gfir, 51) die nocti peialichcre Inge dos Loki, welche jodoch dorebsoH
gattiu Sigyn gelindert wird. Ist es auch schoinhar padantisch za (ragen: wer pbt
dem geknobeltea woU die nötige nahruDg, ntn das leben xu erbalteti, weno er üki-
liftupt ein lebewesen ist? so glaube ich doch, dosa der mythos aoch liier öhulicbiri'
io Gylf. 50 die mögiiclikeit der leben serbaltmjg angedeutet hätte, wenn dur imH
ursprüagltoti lebend gedacht v&re. Dam kommt noch, dass l/tki sowol wio die nv-
stea IQ ähnlicher läge befindlichen (so z. b. Prometheus) wegen irgend einer fChvSi
gefesselt erscheinen; diese schuld ist hier aber entweder so geling, dass n»an da
woir als untic huldigen ansehen inuss, oder so gross, dass man mit UangleTi b»fn
mässte: warum töteten die göttor ein so gefährliches wesen nicht? vgl. o. V, $ 4- "
Ueine bedenlien werdeu auch durch einen binblick auf den gefesselten UgsithilB»-
bei Saxo (ed. Holder 294) nicht verringert, denn der autor tiflgt hier et> nark m^ i
dies er absichtlich jede milderuug zn verschmühen scheint. l
2) In der Schilderung des freige wordenen weites Oylf. 51 (= 82, 13— 15J B* 1
xuiiUuhat die nbertreibenUe darstolluDg den weit geöffneten rachens, der d«n iwisdiBB— m
ranai xwisohen bimmel und erde ausfällen soll, anf das richtige mass Euräcktafii'** fl
Untergang: erst dann kann es herabstürzen auf die weit und Hchaden
stiften. — Hier ist namentlich die Schwierigkeit der zweiten frage (in
cap. V) ganz beseitigt; die zurückführiing eines für unsere moderne
auffasHung mit der weltschöpfuog verknüpften aktes auf ein betiebigee
datum in der geschichte der weit und der götter entsprielit der cap. I,
§ 16 erwähnten neigiiug naiv-aetiologischer naturbetrachtung. Der
H'-haumfiusB findet Jetzt auch seine erklarung, vgl. w. u. § 9.
4. Gibt es aber neben inneren grtlnden auch irgend ein äusseres
Mugnis zur stütze dieser ansieht? Dass es ein Sternbild des wolfes
(Lupus, besti«) auch für unsere astrouomie gibt, kann hier nicht ins
I göwicht fallen; es gehört der südliehen halbkugel an und wird eist in
lÜdeuropa etwas deutlicher sichtbar. Es müsste also ein jetzt mit
Biderem namen benanntes stembild sein, an das wir zu denken hätten.
tekanntlich sind aber die aus dem altertum übernommenen bezeich-
iongen der Sternbilder mit dem Christentum und der lat schrift auch
■ch dem norden gedrungen und haben die einheimischen namen im
I jBiizen verdrängt'. Nur in wenigen fällen kennen wir alte und neue
bezeichnung des Sternbildes; bisweilen hat sich die alte zwar erhalten,
'"U" sind aber über die bedentung im unklaren *. Dass es ein stem-
bim des wolfes im norden gegeben habe, könnte aus Grm. 10, 3 schwer-
lich mit recht gefolgert werden^; bessere gründe für die existenz von
sterabildora mit dem namen des wolfes, adlors und raben mag die
schrift „Norroen stjqmumjfn" enthalten haben, die wol nicht gedruckt
•^^i aber von K. Magnussen JCldre Edda I, 208 erwähnt wurde.
5. Erst die letzten decennien haben stichhaltige belege für die
otistenz eines Sternbildes „der Wolfsrachen" erbracht 1860 teilte
"- Gtslason in seinen bekannten ,44 Praver af oldnordisk sprug og
"teratur"* b. 476 fg. einen von ihm „ StJQrnumtjrk " bezeichneten ab-
^•^liaitt aus der hs. 1812 der alten kön. Sammlung in Kopenhagen mit;
•*o; dagegen kann der aoadruGk etdar brenna or augum hans ok iiqautn ohne wei-
"•^^ auf ein Sternbild bezogen werden. — Wie gut [losst nicht auch Eiriksroäl 0 »fr
"»'■ usw. auf ein aternbild, vgl. cap. in § 8 ex., wo schon betont ist, dass , graues"
"^^'t auch dem momie hoigelegt wurde.
1) Tgl. die abschnitte über steme in Grimms Hyth.* (reg. s. steme) sowie
•^«hn und Schwarte, Nordd. sagen s. 457, WestfiU. sagen H, s. 85—88.
2) So bez. der äugen des fjazi Brag, 56 (= 96, 9) und der Kohe Qrvaudila
SHlda 17 (105, 15).
3) An die mügliehkeit dachte F. Magnussen; vgl, die w. u. ioi tCNt genannte
*^nft desselben.
4) Dieselben sind auch unter dem titel ^S^'nisbük islenkrar tungu — i furnüld"
der betreffende teil der handschrift wird von dem kundigen herausgeber dar
mitte des 14. Jahrhunderts zugewiesen. Hier heisst es s, 477 z. 23 ^:
Ändromeda, lUttir Cephei, hona Persei, sitr i mjöikhring par aem r*
kqlluni Ulfs k^Qpt i niUli fiska ok Cftssiopeam ok „ariecenj" med pri-
hyrningi er hün heftr at bahi s4r usw. Leider lassen die worte: par
sein t'4r kqllum ülfs lg<ipt es nicht ganz deutlich erkennen, ob ein teil
der milchetrasse selbst oder ein stembild in der nähe derselben, das
dann entweder ganü oder toilweise dem antiken sternbiide Ändromeda
entsprochen hat, im norden mit dem namen „Wolfsrachen" bezeichnet
wurde. Die an und für eich wol mehr sich empfehlende beziehnng
auf ein stembitd wird auch durch eine zweite stelle derselben hand-
schrift, welche partie jedoch um vieles älter ist und um 1200 ai^esetn
wird, bestätigt In diesem älteren teile finden sich einige isländisch-
lateinische glossen, die zuerst für sieh in der Ztschr. f. d. phil. IX.
385 fg., dann mit dem ganzen ältesten teile der ha. in der ausgäbe
von Larsson: Äldsta delen af cod. 1812 4"° gml. kgl. samling Köben-
havn 1883 {Samfund til udgiv. b. IX) ediert sind. Hier findet sich
fi. 43 z. 30 als glosse für Hyades ulfs keptr, also ^ ulfs kjQptr^ bei
Gfsiftson. Wenn ich gleichwol bedenken trage, das jüngere Zeugnis
einfach nach diesem äJteien zu korrigieren, so beruht das auf folge&-
dera gründe.
6. Nicht zu verschweigen ist zunächst, dass der erste abdruck
der glossen wie bei anderen worten so auch bei ulfs keptr eine andere
lesung zeigte. Da Jedoch H. Gering, dem wir die erste genauere kennl-
nis des interessanten denkmals verdanken, über die Schwierigkeit der
aufgäbe und die beschränkte zeit, die ihm selbst dafür zu geböte stand,
Ztschr. f. d. phil. IX, s. 392 eingehend berichtet, so dürfen diese ab-
weichungen nicht befremden und wird die ausgäbe von Larsson als die
neuere und allem anschein nach mit grösstor Sorgfalt angefertigte bin-
sichtiich der lesung, wo dieselbe nicht ausdrücklich als zweifelhaft ange-
geben ist, vertrauen verdienen. Meine zweifei beziehen sich doninadi
nicht auf die lesung, sondern auf die richtige beziehung des woiKb
ulfx keptr, was durch einen abdruck der nicht umfangreichen stelle,
die von stenibüdem handelt, deutlich werden wird, wobei übrigeu
nicht alle abweichungen des textes bei 0. (Gering) von dem bei I*
(Larsson) aufgeführt sind. Die zeilen sind nach Ln. nicbt in spalttn,
sondern quer über die seile zu lesen.
Ij Vigf, führt die formen keplr, hjaplr (liller kjqjilr) unil keyplr
DER FBNRI8W0LP
elix
sinosura ^
Ursa niaior
Ursa mi7ior
ulfe keptr'
VII St....*
Hyades
Plyades
6
ide^
Arcttirus
Aramec^
kyndil st
idem
Alaba^^
Canicula
solii
309
Äl..,ph . .
Elyos
oge^
Atiriga
arl*
Orion
su|)rst
Wega
d ^
Sirius
• • • •
Celum
Uranits^^ Et her Aer
Nicht immer wird das lateinische wort durch ein isländisches glossiert;
gleich die erste zeile zeigt zwei ab weichungen, vgl. auch w. o. sol
= Elyos. Gegen ende des denkmals finden sich isländische werte
gar nicht mehr, vgl. anm. 12; mögen auch einige dieser glossen ver-
blichen sein, so scheint doch, da neben 20 lateinischen jetzt nur 7 isl.
Worte lesbar sind ^3, von anfang an wol kaum eine gleichmässige glos-
sierung beabsichtigt zu sein, vielmehr neben dem hauptgedanken urspmng-
lich griechische oder arabische ausdrücke durch echt -lateinische zu
glossieren, der andere, auch einige isländische sternnamen aufzuzeich-
1) = Cynosura Ln. (d. h. Laresons noten s. 51).
2) Wahrscheinlich vagntoge zu lesen Ln.
3) Nach G. VII . . .
4) Nach G. VII stfirjni.
5) Nach G. fiosakarl.
6) Nach G. eticcyle (aach nach Ln. möglicherweise cuccyle (= suculae G.).
7) G. idein, nach Ln. vielleicht so.
8) G. Aranaec, nach Ln. Ara^nec wol identisch mit dem sternnamen Alamee
(»Q der Andromeda).
9) Nach Ln. wahrscheinhch hundstime oder -stiama.
10) Alaha = alba (daggryning Ln.).
11) An dieser stelle würde sol (so G.) das isländ. wort für sonne sein, weil
®*^ acceut in der handschrift sich nur bei isländ. werten zu finden scheint, vgl. L.
®* ^n ; dagegen wird s. 39 : stinna heiter sol (nach dem folgenden Fispena heiter
^ars ^ Stilbon h. mercurius) sicher das lat. wort gemeint sein, und so wahrschein-
"^h j^^cjj |j|g|.^ ^JJ^ tjßi L der accent fehlt.
12) Über Ur. hat nach Ln. keine isländ. glosse gestanden, sondern das wort
^Is synonym mit Celum im vorhergehenden zu fassen.
13) Zu den lat. ist suculae (vgl. anm. 0) gerechnet, sol aber weder zu den
^ xxoch zu den isl. gezählt (vgl. anm. 11). Übrigens sind einige dieser 7 namen
/*c*i nur Übersetzungen aus dem lat. , vgl. die folgende anm.
310 WILKKN
nen sich in mehr sekundärer weise geltend gemacht za haben. Diese
ansieht wird gestützt durch vergleichung des jüngeren abscbnittes der-
selben liandschrift, den Glslason edierte (vgl. § 5). Hier finden ach
neben reichlich 50 lateinischen oder einfach aus dem lateinischen
übersetzten bezeichnungen von Sternbildern nur noch 3 oder 4 altnor-
dische^; dass die kenntnis derselben mit jedem Jahrhundert sich
minderte, ist begreiflich, aber selbst um 1200 wird kaum ein u
diseher gelehrter noch eine vollständige kenntnis der alten stenmami
besessen haben *. — Die nur beiläufige einführung der nordischen
namen in dem jüngeren denkmal ergibt sich auch daraus, dass sic^li
dasselbe als Übersetzung aus einem lateinischen texte deutlich verrät *;
für die secundäre geltung der isländischen glossen in dem älteren
die analogie der glossenähnlichen aufzählung der planetennamen in de:
älteren teile der hs. s. 39, z. 12 — 40, 2 sprechen. Hier steht zunäcfai st
immer der aus dem griechischen entlehnte, dann der echt lateinis<b^
name, endlich wird der nordische erwähnt, der aber in diesem Ml«
nur auf gelehrter konstruktion beruht: Mars = Tj^r usw.
8. Was folgt aus diesen bemerkungen? Dass wir bei dem ixi
§ 7 wider abgedruckten glossenstücke allen grund haben, die bezi^^-
hung der einzelnen glossen sorgfiiltig zu prüfen; wie wenig konsequerB ^
in der anordnung herrscht, geht schon daraus hervor, dass bald daEfc^
schwierigere (gricch.) wort über dem bekannteren lateinisclien worte stel»t-,
bald umgekehrt, z. b. sol ühevElyos. — Dass sucuhie (vgl. s. 309, annLG>^
als glosse zu dem darunter stehenden Arctnrus gezogen, der astroa<=^-'
mie ins gesiebt schlägt, ist klar; verbindet man es mit dem darüb
stehenden Hyadv^, so ist man in der sache jedenfalls im rechte, al>'
1) So wird birnur^ kerrugjetir^ gridungrj rtUrj vatnkarl, ateingeit u. a.,
auch ormr (=> draco), finngdlkn (^=- sagittarius) und {li)nisa = dclphinus) übcrsetzu.ng'
aus dem lat. seiu , da überall , wo der altnordische ausdnick wirklich im volko lebte,
oin sem rer knllton hinzugefügt ist; freilich erregt selbst hier einiges den verdacbt
der entlehnung, so bredramark ncbou gemini 477, 8 und (ttu z. 15 (= etu^ vach
der läge nach zu dem krippchen iin sternbild des krebses stimmend). So bleiben in
gründe nur raguy krennnvagn (476, 8) und ulfs kj<^tr; denn auch VII itimi ist
wol kaum für ursprünglich zu halten, da die angebliche siebenzahl der Flc|jtdeD
schon von den alten betont wird.
2) Neben den einlieimischen scheinen aber auch die griechischen und arabiBcfaeD
namen um 1350 minder bekannt zu sein als um 1200.
3) Während i vnlli bei nordischen Wörtern den gen. regiert, folgt bei solchn.
die aus dem lateinischen text übernommen sind, mehrfach (nicht immer) der acCn
von dem vorhergehenden inter des lateinischen grundtextes abhängig, vgl 477, W
I milli krabba ok vicyjar mit 19 / vi. liram ok Casstopeam, 24 t m. fisea ok Cot
niojßcam, Ähidich auch ttl Ändromedam {= ad Andr. 478, 7).
DER FENBISWOLF 311
WOZU gehört nun ulfs keptr? — Liest man die zeilen von links nach
röchts, so sind die beiden „idera" mir unverständlich; liest man umge-
kehrt, so ist nun wenigstens in dem einen falle geholfen: Sirius (hund-
stirnej vgl. anm. 9); ideni Canicula, — Auch die bezeichnung supr-
stjama^ würde dem am südlichen himmel sich zeigenden Sirius,
allenfalls dem Orion zukommen können; als glosso zu Wega gezogen,
scheint sie widerum nicht an ihrem platze. Mag einzelnes dieser art
auf Tersehen des Schreibers beruhen, so scheint die ursprüngliche an-
ordnung des Stoffes schon durch die gelegentliche aufnähme einiger alt-
nordischer werte in das griech.- lateinische glossar verdunkelt worden
zu sein.
9. Diese bedenken sollen jedoch den wert des schon durch sein
alter so merkwürdigen denkmals nur vor unkritischer Überschätzung
sichern; da namentlich die beiden ersten zeilen sonst durchaus richtige
angaben enthalten, sind wir nicht berechtigt ulfs keptr als nordische
bezeichnung eines Sternbildes anzufechten; tritt dieser angäbe doch die
^6i Gfslason Prever s. 476, 24 bestätigend zur seite. Dass dort ein
anderes sternbild diesen namen erhält, beweist die Unabhängigkeit des
J^^geren berichtes. Für welche erklärung soll man sich aber entscheiden?
^eide angaben ganz zu vereinigen könnte nur in ganz gewaltsamer
^öise versucht werden 2; sobald wir aber tdfs keptr als an. glosse zu
^ycides (lat. glossiert durch suculcie) fassen und bei diesen auch an
-^Idebaran und die zu den hörnern des stieres gerechneten steme den-
^^^5 so erhalten wir widerum ein die milchstrasse berührendes stern-
^^Icl (köpf des stieres), nicht eben weit von der Andromeda entfernt^.
^^ die nähe der milchstrasse in dem Jüngern denkmal so nach-
"^^cklich betont wird (vgl. § 5), ist dieser umstand sicher nicht ohne
1) Das wort über Wega ist nicht deutlich zu lesen; scheint aber ungefähr so
5^Xa\itet zu haben.
2) Es müsste dann Äramec = Älaniec gefasst (vgl. anm. 8) und mit tdfs
^^jotr verbunden und dieses als glosse zu dem fremden werte betrachtet werden.
3) Je näher die Sternbilder sich stehen, desto leichter ist natürlich die über-
^^^Bgung des namens von dem einen auf das andere denkbai*. Ist die ältere angäbe
^e richtigere, so empfiehlt es sich wol die (nach späterer auffassung an den hörner-
^pitzen des stieres stehenden) steme ß und C in dem stembilde des stieres als die
bezeichnung der beständig gesperrt erscheinenden kiefern des „wolfes* zu fassen.
t)er von den hörnern eingefasste räum kann füglich als ein gegen die milchstrasse
^eöfEneter rächen aufgefasst werden. Für unnötig halte ich es etwa auch nach dem
X^u^hensperrendcn Schwerte am himmel zu suchen; zeigt sich ein kiefer immer aufge-
gesperrt, so muss der zusammenschluss künstlich verhindert sein und so lässt sich
das sperrende schwort leicht hinzudenken; dasselbe gilt von dem bände Gleipnii.
312 viuiM
gewicht; die mögüclikeit, dass der dem maule des gefussellen wolfee
entströmeDde scliaumfluss, nach dem er seinen charakterisrischen bei-
Dämon Vänargandr erhielt ', niclit erst dem ausschmückenden eifw
skaJdischer dichtung, sondern bereits dem kerne des mythus angehört
habe, darf hier nicht verschwiegen werden. Wir würden dann in dem
sehaumfluss Vän eine alte bemchnuug der milchstrasse vor uns babea,
älter wabrseheiulicb, als die etwas abstrakt gefasste bezeichnung vetrar-
braut (winterwog), um ton noch jüngeren benenuungen und der Über-
setzung aus dem lat. „lactea via" ganz zu schweigen. Dass die
nähe eines flusses immer als charakteristisch für den ort galt, wo Ken- _
rir gefesselt lag, geht aus der kurzen andeutung der Lokas. 41, I: ulf
sär liggja drösi fyrir aweifeflos hervor; der ursprüngliche schaumfluaa
ißt freilich mit der zeit nicht nur verdoppelt (vgl, cap. V, 6 und exe. IIj,
sondern hat wol auch die Vorstellung des flusses Amsvartnir erst tw-
anlasst.
10. Als völlig gesichert und wesentlich für unsere Untersuchung
betrachte ich jedoch nur die tatsucho, dass der am himmel von den
göttem mit geheimnisvollem band gefesselte und zum beständigen an^
sperren der kiL'fem genötigte wolf ui-sprünglich das Sternbild ulfs keptr
bedeutete. Das wort keplr selbst wird vom Fenriswolfe sowol 82, 13
wie 84, 6 und 11 (Gylf. fil) mit nachdruck gebraucht; wenn an diesen
stellen der sing, immer nur den einen halbkiefer bezeichnet, ao d«rf
daraus ein einwarf gegen die gegebene erklärung nicht abgeleitet wer
den. DflSB auch der sing, den gesamt-kiefer (über- und Unterkiefer)
bezeichnen konnte, geht aus stellen wie svd al rifnadi kjaptrinn (Orett
05. Vigf.), der redensart halda kjapti (— maul halten ebd.) und dem
komp. ffar(tarlg'<plr {— the opening of a Qord) deutlich hervor; düt
letzte belegt überdies, dass le/>iiUr recht wol auch den geöffneten rächen
(gesamtkiefer) bezeichnen konnte. — Es bandelt sich nun darum, von
diesem so vei-standenen kerne aus alle erweiterungcu der mytfaiscjios
traditioii in ihrer sagen - historischen entwickelung zu verfolgen; hof-
fentlich zeigt es sich, dass von dem gewonnenen Standorte nicht nur
einzelne punkte, sondern alle seilen der entwickelung sich befriedigend
erläutern lassen. Der kern des mythus ei'gibt strenggenommen nur^
mythisches symbol (vgl. kap. I, § 2); als punctum saliens für die pe^
sönliche auffassung des wolfes und die entwickelung eines dSmoniecb
gefärbten mythus ist die schon dem kern Angehörige Vorstellung von
dem ü'eiwerden des gefesselten wolf^ (vgl. cap. V, § 7) zur zeit dt*
1) Vgl. ü, in, §9,
313
weltuntorganges anzuseilen; koimto mau ihn sich da nicht leicht als
nur gewaltsiim der ü'cien Bewegung beraubt und mm vun rachedurst
gegen die götter beseelt vorstellen?
VII.
Betrachtung der erweiterungen.
1. Hier ist vor allem die auEmersanikoit au/ drei gebiete zu
richten: die teilnähme des gottes Tjr an der fossohmg, die beziehun-
geo des dämomsch aufgefassteu wolfes zu Loki und dem sonnonnolfe,
der kämpf des befreiten götterfeindes mit ödinn und Vfdarr'. — Was
das erste gebiet betrifft, seist, wie schon oben bemerkt', T«r als ulfs
föstri unvereinbar mit seiner rolle bei der fesselung; man könnte dar-
nach seine teilnähme an derselben entweder verwerfen oder auch hier
lediglich dio kühnheit des kriegsgottes , der blindlings seine rechte
' opfert, finden; letzteres ist etwa der Standpunkt der Gylfag. Wer aber
i den bericht in Gylf. 34 eingehend prüft, der wird doch eher zu dem
umgekehrten resultate kommen. Jener höhn der götter über das be-
nehmen ihres opferfreudigen genossen, den 42, 1 auszudrücken scheüit',
Terrät uns, dasä eine jüngere zeit, welche im stillen dachte, wie sie
die götter offen ihre gesinnung ausdrücken liess, sich in die handlungs-
weise, welche T^r zeigt, nicht mehr zu finden vermochte. Ahnlich
klingt der spott Lokis in Lokas. 38, 3 — 4; und demselben geisto ent-
sprungen ist auch der versuch, den mutigen kriegsgott beim letzten
kämpfe nicht ganz ohne gegner zu lassen, indem mau ihn dem hunde
Garmr gegenüberstellte, während die ehre des kampfes mit dem wolte
vielmehr Ödinn zu teil ward. Wahrend hier (in Gylf. .51) bei der jün-
geren Sagenbildung der altere gott einfach die rolle übernehmen muaste,
welche ihm der veränderte volksgeist noch gönnte, geriet bei dem in
seinen grundzügen älteren berichte in Gylf. 34 der ältere gott allmäh-
lich in eine schiefe Stellung neben dem jüngeren, der durch die beschaf-
fung des bandes Oleipnir seine geistige Überlegenheit an den tag zu
legen scheint Hier ist älterer und jüngerer bestand so ineinander
1) Diese gebiete haben was vorlüufii; sohoii m cap, fV, teilnreiBe auch V beBch&f-
tigt; uiuwte das resultat dort meist eio negatives sein, so Icöaneu wir jetzt nach dem
in uap. VI gewobuHnen Btandpunkte auch positive ergebniAse ttoSen,
2) Vgl. cap. V § 5.
3) Vielleicht gilt der höhn zunächst dem wolte, aber die götter scheiaen doch
gleioligiltig gegen den vertnst ihres geuosaeo zu sein.
nriir
gewirrt, dass eine Scheidung nur für ilie hauptpuiibte wird gelinger»
können '.
2, Der Schlüssel für die richtige erkläriing liegt sagen geschichtlich
in dem yeretändnisso des gottes Tfr als eines älteren gerniaiiiscbvo
himmelsgottes; iihilologisch- exegetisch in der richtigen auffawäung des
ausdruckes „zum pfände legen, als pfand setzen", der sowol Qy\f.2i
wie 34 in einer weise hervortritt, dass es sich hier um keinen neben-
sächlichen zug handeln kann. Nach der erstereu seite bedari k
hier nach der s. 197, anra. 1 gegebenen aiiseinandersetzung nur itf
erneuerten hinweises, dass einst auch bei den Germanen Tyr eine ähn-
liche dominierende Stellung einnahm wie Za';,' tei den Griechen*;
daraus ergibt sich ohne weiteres ein gewisses eintreten für die soohe
der übrigen götter, ohne dass sich darin, wie es Qylf. 34 scheLoOD
könnte, ein blinder wagcmut verrät; dass T^r andererseits nicht etwa
im auftrage oder als untergeordnetes Werkzeug Odins handelt, ist sclbet
aus dieser getrübten quelle noch ersichtlich. Noch mehr wird jener
vonvurf der toUkühnheit widerlegt, wenn man sich klar macht, w«
der ausdruck „zum pfände setzen", wo er von einer gottheit gebraucht
wird, eigentlich bedeutet. Man erinnere sich zunächst der gewaltigen
ausdehnung der redensarten „ein pfand geben, nehmen" und ähnlicher
in allen germanischen sprachen des mittelaltere, vgl. Grimm. lUicbtsalt
618 fg., für das mbd. Sprachgebiet besonders Zarncke im Mhd, wb. U*,
477, Lexer s. v. pMtit; für das nordische gebiet s. die wbb. s. v. rof,
vcdja und pantr. Im sprachgebrauche der beiden Edden bandelt es
sich namentlich um den untei-schicd, ob götter oder riesen eine wette
eingeben; diese wagen auls geratewol selbst das liaupt und verlieren
es, vgl. Vaffir. 19, 3; 55, 3. — Den Übergang zu den göttern zeigt
Loki, der zwar leichtsinnig wettet, sicii aber durch gowaudtfaeit xn
rettan weiss ^ — So findet sich nun bei den göttern wol auch sonst
1) Aus diesom grimde ist die frage in diesem cap. noch einmal im tusumnos-
hsnge aurgeDommoD wordoD.
2) Vgl ausser älteren belegen (Grimm, Myth.* a. 162) namentlich BoBocT-
Der germimiBche bimmelHgott (Eddastudien 1, 145 fg.) und die dort bitiertdn «cfartf-
ten. Über die Hchicksole des gottes bei verschiedeoeu iadog. Völkern v^. KiM
Herabkunft* a. 6 fg.
3) In der eraihlniig Skälda 35 ist der suhlass des cap. (von Jki baä dftryrim
112, 21 an) ab spätere erweitening zu betrachten. ~ Von einer leiditsiuuig<?D »ri>*
der hofleute kücig Olafs berichtet Nornog. [»Itti' c. 11 und IIl; beachte tiier die mi-
DUDg: tedid eicki optar vüt ökutma menn usw.) diese art dos wettcns war ebeo 6f
bei unverständigen üliUdie.
315
eic:». trotten, das an die laune der riesen oder an menschliche verhält-
oisiee örinnert'; wo aber die betr. eiiiäbluag echt-mythischen Charakter
i^i^t, da ist das zu „pfände setzen'* der götter nicht nur ein formell
freiwilliges, sondern auch ein wolüberlegtes, bleibenden vertust aus-
«iVkliessendes handeln. Wie der einhändige T^r am hosten dem ein-
**igigen ödinn sich vergleichen lässt, so bietet auch das verpfänden
^6s auges an Mfmir die passendste parallele für die Verpfändung der
Hind au den Fenriswolf (W. MiUler, Altd. rel. 224); wie jenes wahr-
scheinlich nur die momentane Verschleierung des sonnenauges durch
eine wölke bedeutet', die für den himmelsgott keine wirkliche einbusse
ist, ähnlich steht es auch mit dem verpfänden der band. Die tatsache,
I dass Sternbilder von uns meist nur bei nacht erblickt werden, verschob
sich vor der naiv-pbjsikalischen bctrachtung der alten zeit dahin, dass
nur in der naehtzeit den gottern die befestiguag der gestirne, speciell
des „Wolfsrachens" am himmel möglich gewesen sei, und da der himm-
lische licbtgott wesentlich tagesgott war', so musste er zur naehtzeit
irgendwie geschwächt sich zeigen, so dass das verpfänden der band
ursprünglich wol das zeitweise verschwinden des tagesUchtes überhaupt
bezeichnet*. Denn diese band scheint eine ähnliche bedeutung zu haben
wie das schwert des gottes Preyr in dem Gerdr-raythus'; die gewöhn-
lich mit dem schwert bewaffnete band des gottes wird diesem Schwerte
selbst gleichgesetzt werden können; dies aber bedeutet den strahl des
1) Tgl, hier DamaDtlich Sbäldsk. c. IT (101, 6) und pnwseiDleitung zu Orm.
I. 21 rg.
2) Wäbrend mao meistens von dem Widerschein der sonne im WKSser rodet
(so auch Mogk im Grandr. der germ. phil. I, 1047), wobei wol gsr nach ganx jan-
gea qutilloD {i. b, Bimur M Vi^lsungi 1, 6) liieuev Widerschein als eiu zweites au^
gefasst wird, ist der ursprünglii.'he sinn wenigstens beillLufig zum ausdruok gobmcht
Yon demselben fotscher s. 1079: „die int meer oder hinter den wollieD verschwindende
sonne mag den myUiua haben enlstoboo lassen." -^ Au die wolte möolite ich vor-
Uufig allein dcoken. (Kuhn, Herabkunft s. 117.)
3) Vgl. a. 197, anm. 3; schon Grimm, Mjth.' ICl sagt: ,an den begriff des
bimmels grenzt der des leuchtenden tages."
4) Soweit kann ich also der ansieht W. UüUers, Maoohardts, MüUeDhoffs,
HofforyB mich anschliessen, die aus dor roile dos goltea TJr dem wolfe gegeoübor
den auhluss zogen, dass letzterer eb woif der „finatemiss' sein niässe; vgl. a IV, T.
5) Dieser ist von Simrock, D. myth. * s. 61 fg. im ganzen wol richtig gudou-
tet; wie „dieser mjtbns mit dem von dem letzten kämpfe ttra|)rüaglich io keiner ver-
bioduut' stand", ebenso wenig trifft die auffassung der Lokas. (£J9, 1), wo der Ver-
lust des gottes TJ'r als ein bleibender aufgefasst n-ird, den ursprünglicbon sinn des
mythus.
316 WILKEN
lichtgottes, der hier kollektiv za fassen ist Ähnlich auch Schwarte
(Poet naturansch. II, 102); doch ist ihm T^r ein gewittergott
3. Dürfen wir hiernach wol annehmen, dass ursprünglich bei l&t
fesselung des wolfes T^r etwa die rolle einnahm, welche spater ödict^^
erhielt, so sind hier doch noch einige fragen zu erledigen. Zunäclft^
die: ist auch das zauberhafte band von diesem gotte beschafft? Di^^
zu behaupten sind wir nicht berechtigt; wenn wir aber annehmet*
dass ursprünglich nur von einem bände die rede war (vgl. cap.
§6), so genügte auch völlig die angäbe, dass die götter, allgemein^
gefasst, dies gefertigt oder von den zwergen sich beschafft hätten;
Gylf. 34 aber soll sich Odins Weisheit als die letzte Zuflucht der gö
darstellen. Femer: ist die auf skaldische quellen, die hier aber vol
tümlich gefärbt scheinen, zurückgehende angäbe, dass dieses band
6 (seitdem auf der erde angeblich nicht mehr vorkommenden) Stoffe
gefertigt sei\ als dem kerne angehörig zu nehmen und wie ist sie c
erklären? Ohne die betr. angäbe in jeder einzelheit mit bestimmtheÄ^
als ursprünglich in ansprach zu nehmen, glaube ich doch, dass wir i
ganzen hier auf sicherem boden stehen; auch die erklärung, dass ei
aus solchen stoflen gefertigtes band im gewöhnlichen sprachgebrauc
als ein ^unsichtbares'^ bezeichnet würde, wird kaum ernstlich
det sein: ist hier doch das negative und abstrakte dos prosaischen
drucks in der spreche des mythus glücklich genug überwunden'.
4. Vielleicht habe ich auf den einwurf noch zu antworten: kan
ein wolf , der für seine Sicherheit ein pfand begehrt und im verlauf d
berichtes auch die band des trügerischen gottes abbeisst, als ein ursprün,
lieh unpersönliches wesen gelten? Doch genügt es wol daran zu eri
nern, dass eine gewisse spielende art der persönlichen aufiTassung auc^
unbelebten mythischen Symbolen gegenüber zulässig ist'; wem a
1) Vgl. ausser cap. V, G auch Untersuch, zur Sn. Edda s. 114, anm. 206.
2) Wem eine solelie erklärung Daeli aualogie des Augusteischen ,ad Kai. Gi
i»is solveri'* nicht in den sinn will, der niuss entweder an einen nebelstreif,
Knndähnlicho reihe kleiner stern»» {wie sich z. h. im stembilde der Andromcda eS^^"
sog. planetaiisoher nebt»l findet, vgl. A. F. Möbius, Ilauptsätze der astronomie 189:**^'
s. U><) Oller er inüsste mit Sehwartz (Ursprung der myth. s. 151) an den blitxfed^^^"
denken. ,niit dem der sturnieswolf gefesselt wird.* — Aber weder kann ich e^^**
wesi»n. das erst Um dem untergange der weit loszustürmen beginnt, als Sturmes wc^^"
anerkennen, noeh ist die blitzosfessel, mit der auch Zeus (nach IL A, 400) nur
seit worden ..sollte^ und andere götter nur für lieschränkte zeit gefesselt
be.sonders geeignet ein ungeheuer bis zum Weltuntergänge festzuhalten.
3) Vgl. 8. 1G2 anm. 1. — Wie gross jedoch der unterschied zwischen Wc
poetischer )H?n>onifikation und wirklich lobend gedachten wesen ist, beweist ein
das ftbbeissen der band des T^r denn doch zu stark sein sollte, dem
steht es frei, in diesem zuge eine erst in der zeit der dämonischen
autTassung des wolfes geschehene vergröberimg der älteren aussage zu
erbliclien, weiche den gott einfach seine hand verpfänden liess.
Zweifellos gehört dieser späteren zeit alles das an, was die
genealogische Verknüpfung mit Loki, der Hei und dem Midgardsonnr
betrifft. Wie schon am schluss von cap. VI angedeutet wurde, gieng
die dämonische aufTassung in diesem falle wol sicher von der Vorstel-
lung aus, dass der wolf am weltende seine fessel brechen werde. So
mochte die Weissagung schon Jahrhunderte lang gelautet Laben, ohne
i die gemiiter besonders dadurch erregt wurden; erst als die vor-
jBtellung vom Weltuntergange melir und mehr in die form eines erbitter-
kampfes der götter und riesen urageschmolzen wurde, welcher
Wechsel wahrscheinlich nicht sehr lange vor dem beginne der wikin-
gerzüge, teilweise noch während derselben sich vollzog, erst da wurde
der gefesselte wolf für den fall seines freiwerdens ein gefiirchteter feind
der götter und der von diesen bisher beschützten menschheiL Diese
lebhaftere enipfindnng verlieh dem bisher nur im sinne des animismus
^belebten wolfe eine etwas vollere, mythische Persönlichkeit und so kam
man dazu, sich jetzt auch nach einem vater und nach geschwistem für
dieses enfant terrible umzusehen'; es war der augenblick gekommen,
^wo das mythische bUd aus der anschauung übergeht in die tradition,
wo der loslösungsprocess von dem natürlichen hintergrunde anfängt
nä es gleichsam zum freien eigentum des menschlichen geistes wird,
lex- die in demselben liegenden keime nun auf religiösem wie histo-
ischem — boden verwertet." (Schwartz, Die poet. natuiansch. b. II
1. XX.) — Jetzt konnte auch erzählt werden, dass dieser wolf in Rie-
Benheim aufgewachsen, mit gevvaJt den göttem zugeführt sei usw.*
6. Aber neben der genealogischen Verknüpfung zeigte sieh uns
hei genauerer betrachtung des mythus in cap. V, g 6 noch eine andere
Verbindung, Ja beinahe Verschmelzung des wolfes rait Loki. So bald
aicb d
im den niemand v
und liebe oiuib wj
■iler sieb kümmert,
vor sieb bemühen
1 aoilereD vater denken knnnle als I^oki, ist
Bcbilderiiug deü gefesselten
it der des gebimdenon Loki, um d
'gt. cap. T, 6; VT, 2).
1] Weshalb man füglicb au kei
i»p. IV, 1 dargetao worden.
2) Zur „loEtÖfiung von dem natürlichen hbtergruDde* trug in diesem falle aucb
wol der 80 vieldeutige name „wolf* mit bei; selbst da, wo man die beziehung auf
tin Sternbild noch kannte, entstand allmäblich iweifel, welohea stembild gemeint sei
(Tgl. cap. VI, 5).
318 WtLKEN
nämlich die Vorstellung, dass das gefesselte tier am himmel zu sache^
sei, so weit verblasst war, dass man es nur noch von den göttera i^
ihrem machtbereich ^ gefesselt wusste, so schwand die bestimmte Unter-
scheidung zwischen diesem gefesselten wolfe und dem von den gött&n^
in einer felshöhle gefesselten „vater*' desselben mehr und mehr, ^sö
grundverschieden auch Ursachen und sonstige umstände in beiden fta-l-
len ursprünglich waren*. Nach einer seite trat eine gewisse ähnlicÄn-
keit der behandlung ein: wie der wolf von dem unscheinbaren ban«3e
Gieipnir, so wurde Loki mit den därmen seines sohnes Narfi gebu:
den; in beiden fallen erlangte das anfangs weiche band erst nach d
anlegung härte und festigkeit^. — Wenn diese ähnlichkeit sich vi(^l-
leicht ohne entlehnung, nur durch anlehnung an populäre vorstellu«^-
gen in beiden fällen erläutert*, so verhält es sich wol anders mit jenc?r
fortsetzung der fesselung, die Gylf. 34 von den werten pd iöku "pe-dr
fesiina an (= 41, 9 — 14) zur weiteren Sicherung des werkes nocrt
glaubte anfügen zu können. Hier erinnern wider die beiden stein» ^
GjqU und Pviti in Gylf. 34 an die drei für das hindurchziehen de^
därme durchbohrten eggsteina, die in Gylf. 50 zur Sicherung des gefes^
selten Loki dienen, wie denn auch in dem betreffenden satze in c. J-*
(mehr noch in der parallelstelle Kph. II, s. 431) die lokalschilderun^
der in cap. 50 (= 80, 7 — 13) sich nähert Von welcher seite di*-'
entlehnung ausgieng, kann nicht zweifelhaft sein: auch wer unsere au^"
fassung des am himmel befestigten wolfes nicht teilte, müsste aus dec33
umstände, dass in cap. 34 an das band Gieipnir noch eine andere fest^
(bald Gelgja, bald Hraeda genannt) angeknüpft erscheint, ersehen, ai
welcher seite künstliche Verknüpfungen, wo die ursprünglichere fassun
vorliegt.
7. Wenn aber die Verknüpfung des „wolfes*' mit Loki im wesenfc^
liehen nur im hinblick auf den dämonischen Charakter beider und di^^
rolle, welche beide im Weltuntergänge zu spielen hatten, sich yoIIzo^^'»
so kann für eine andere Verbindung sogar eine gewisse lokale grunA^
higo angegeben werden; vgl cap. IV, § 6. Erinnei*t6 man sich nämlich 1-*
bei dem wolfe noch daran, dass er am himmel zu suchen war,
1) Vgl. über das heima in Gylf. 34 oben cap. V, 3.
2) Als vcn$chioden uach grund, physischem lokal und ursprünglich auch d«:?:
niittclu diT Fesselung sind beide mythen schon in cap. V. 6 nachgewiesen.
3) Vgl. einerseits in G. 34 die werte: oh er kann spymdi vid, pd haräna
batuiH usw. (= 11, 15, 16); andererseits in c. 50 die worte: ok uräu ßau b^ ö'
Jdrni (=- 80, 13).
4) Vgl. Simrock, D. myth.» s. 90.
DER FBNRISWOLF 31 9
lusste er von dem augenblicke dämonischer auffassung an jenen wöl-
sn bedeutend näher rücken, die man sich längst als der sonne und
[em monde feindliche ungeheuer des luftraumes gedacht hatte ^. Der
tarke unterschied, der darin lag, dass der wolf des Fenrir am himmel
gefestigt war, jene wölfe dagegen widerholt gegen die sonne vorgin-
;en, ja nach jüngerer auffassung dieselbe unablässig verfolgten 2, konnte
nsofern etwas an bedeutung verlieren, als der wolf des Fenrir wenig-
tens am ende der tage seine freiheit wider erlangen sollte. Für die-
en Zeitpunkt ergab sich die Verschmelzung daher am einfachsten und
ie ist an dieser stelle in der nordischen mythologie unserer quellen
ach einer seite konsequent durchgeführt 3; für die früheren momente
eg-nügte man sich oft damit, eine genealogische Verbindung in der
eise anzunehmen, dass der wolf des Fenrir zu den sonnen wölfen in
11 ähnliches Verhältnis rückte, wie es Loki ihm gegenüber schon ein-
Btlim. Scheint es gelegentlich so, als ob man auch für diese frühere
öit eine identificierung des „Fenriswolfes*' mit dem berühmtesten son-
enwolfe, dem wolfe SkoU, versucht habe, so ist doch die fassung der
ez. angäbe wol nicht ohne grund recht dunkel und zweideutig ge-
lalten.
1) Nach dem gnmdsatze „je weiter ein mythus (ohne den yerdacht künst-
icher Übertragung) ausgebreitet sich zeigt, für desto älter ist er zu halten '^ ist der
'Mythus von den die sonne bedrohenden wölfen älter als die meisten göttermythen
'®s Qordens, da er nicht nur für das südgermanische gebiet sichere Zeugnisse besitzt
^HniBij Mythol.* 203), sondern verwandte Vorstellungen bei den entferntesten völ-
®*^ sich finden (ebenda 588 fg.). Andererseits pflegen diese ältesten Vorstellungen
^ laufe der Jahrhunderte in den litterarisch tonangebenden kreisen entweder zurück-
^^^^^ngt oder doch variiert zu werden: dies zeigt sich auch bei den sonnenwölfon
^ nordischen gebiet. Die namen der beiden wölfe kennen wir nur noch aus je einer
"Mahnung in der Liederedda (Grm 39), in Gylfag. 12 und in der Hervarars. (ed.
"^ge 246: Skalli ok Hatti); die Skalda bietet die namen nur in den Nafna{)ulur Kph.
^dl, in besserer fassung II, 484; in der skaldischen dichtung war zwar die ver-
jüng nicht ganz verschollen (vgl. z. b. hvelsvelgr himins Vigf. s. v. svelgr, Mül-
"^- Y, 147), aber offenbar veraltet. Volkstümliche ausdrücke wie solvarg, solulv
^^en mehr und mehr zunächst auf die im norden ziemlich häufigen nebensonnen
^^^en, nicht auf die veranlasser der eigentlichen Sonnenfinsternisse. Dieses auffäl-
lt zurückweichen der ererbten Vorstellung lässt schon a priori eine teilweise ver-
^^ohung mit jüngeren mythengebilden vermuten.
2) Seitdem man aufgehört hatte bei jeder Sonnenfinsternis oder nebensonne die
^"^chtung der sonne zu befürchten , hielt man diese phänomene doch als Vorzeichen
•^^f tiger ereignisse im Systeme fest und liess vorläufig sonne und mond tag für tag
^^ jenen wölfen verfolgt werden, denen sie schliesslich unterliegen sollten, vgl.
5^^. 12.
3) Die genaueren nachweisungen finden sich in den folgenden §§.
320 WILKEN
8. Dass iü beziig auf die letzten kämpfe der götter eine ve^
Schmelzung des Fenriswolfes mit dem sonnenwolfe SkoU stattgefunden,
dass der erste hier an die f;telle des zweiten getreten sei, scheint mir
aus folgenden gründen deutlich hervorzugehen. — Gylf. 51 unterschei-
det allerdings den Fenriswolf von den beiden wölfen, die sonne und
mond verschlingen, was, historisch betrachtet, ganz richtig ist; aber
wie auffallig ist es doch, dass die götter den unholden nicht irgendwie
entgegentreten! Man vergleiche hier die art, wie Gylf. 42 der baumei-
ster, der sich sonne und mond als lohn ausbedungen hatte, von ^nr
abgelohnt wurde (54, 14 W). — Der kämpf aber, welchen Ödinn and
Vldarr gegen den Fenriswolf kämpfen, streitet ganz gegen die analogie
der übrigen ragnarok- kämpfe. Überall sonst erliegt der gott ebensognt
wie sein dämonischer gegner^ und die sache der götter siegt nur inso-
fern, als in der erneuten weit die mächtigeren götter in ihren söhnen,
einige der minder mächtigen selbst wider erscheinen*. Dass in dem
götterkampfe alle götter gefallen sein werden, wird Gylf. 52 zu anfang
mit grösster deutlichkeit gesagt Aber wie? Nachdem Ödinn gefallen
ist, tritt ja sein söhn Vldarr „sofort darauf** (pegar epiir) an seine
stelle, bekämpft den wolf mit glück — und scheint die weit zu über-
dauern. Darnach heisst es in einer der neuesten bohandlungen der
Deutschen mythologie^ anscheinend korrekt: „so wird denn Vfdarr,
wenn die grossen götter gefallen sind, ihren thron einnehmen.** —
Aber diese annähme ist voreilig. Die VqI. lässt allerdings Vfdarr den
vater rächen (54, 4), deutet aber mit keiner zeile an, dass Vldarr auch
nur neben den str. 62 und 63 genannten göttern eine rolle in der
erneuten weit gespielt habe. In Vatpr. 51, 1 — 2 wird freilich gesagt
dass Vfdarr und Vau die heiligen göttersitze bewohnen sollen, wenn
die flamme des Surtr erloschen ist; aber diese werte heben den Vfdarr
nicht einmal vor dem sonst so wenig genannten Vali hervor; in der
zweiten hälfte der Strophe werden dann noch Modi und Magni als in
der erneuten weit an die stelle ihres vaters Pörr tretend genannt; daraus
wird wahrscheinlich, dass wie bei Modi und Magni so auch bei Vfdarr
1) Nur eine scheinbare ausnähme bildet der im kämpfe gegen Freyr über-
lebende Surtr, der schliesslich die weit in flammen vernichtet. Da er ein feuerdimon
i.st, so ist anzunehmen, dass er als mit der llamme .selbst ersterbend gedacht wurde;
als die weit überlebend mag ihn nur eine version aufgefasst haben, die Oylf. 52 in
der hs. U überliefert ist (Vigf. s. v. Surtr.)
2) Auf die frage, weshalb nicht Ödinn, Porr, Freyr selbst widererscheinen.
ist die antwort nicht schwer zu finden, doch berührt dies die vorliegende Unter-
suchung nicht
3) Fr. Kauffmann, D. mythoL' s. 93.
in Vafpr. nur an ein auftreten in Vertretung des gefallenen vaters zu
denken ist Dass aber Vldarr nicht gerade als princeps deorum an
Odins stelle treten sollte, sondern vielmehr ein neuer, ungenannter
gott dies amt anzutreten hatte, geht aus einer vergieichung von VqI. 65
mit Hyndl. 45 ganz deutlich hervor. Nicht übersehe ich schliesslich
die bemerkung in Gylf. 53: Vidarr ok Vali Ufa, svd at eigi hefir
stmnn ok Surtalogi gra?i(lat peim; aber diese werte sind entweder
einfaches raisverständnis von Vaf|)r. 51 (Fl ok V, byggja v4 goäa, pä
er sloknar Surta logi)^ oder sie suchen diese angäbe in einklang zu
bringen mit der aus der darstellung von c. 51 indirekt sich ergeben-
den tatsache, dass Vidarr im kämpfe nicht wie alle anderen götter ge-
fallen ist, ohne zu bedenken, dass der Widerspruch gegen c. 52 anf.
{er . . dmid qll ,.. guäin ok allir einherjar ok allt mannfölk) nur um-
soraehr ins gewicht fällt. Man wende nicht ein, dass ja auch Vali,
Modi, Magni, Hoenir am leben geblieben sein müssen; hier ist der
Widerspruch lange nicht so scharf, da die genannten götter nicht direkt
am kämpfe teilgenommen hatten. Wenn selbst ein menschenpaar dem
verderben entgangen sein soll (Vafpr. 45), warum nicht auch einige göt-
ter? Aber die am kämpfe beteiligten mussten doch wol alle am boden
liegen, ehe Surtr daran denken konnte, die weit durch feuer zu ver-
derben (Gylf. 51 = 84, 14). So widerstrebt der kämpf mit dem Fen-
riswolfe schon mit rücksicht auf die rolle Odins, aber weit mehr mit
hinsieht auf diejenige Vldars der analogie aller anderen kämpfe, die
Gylf. 51 berichtet; die dissonanz löst sich sofort, wenn wir anerkennen,
dass dieser kämpf ursprünglich eine Sonnenfinsternis meinte, und der
Fenriswolf mit dem wolfe Skoll die rolle getauscht hat. Für diese auf-
fassung sprechen namentlich folgende gründe: a) der ausdruck gleypir
(devorat) wird ebenso von dem wolfe gebraucht, der die sonne ver-
schlingt, wie von dem Fenris wolfe Ödinn gegenüber. Da bei allen
anderen göttem ein erliegen nach rühmlichem, zum teil nach sieg-
reichem kämpfe berichtet wird, so wäre das klägliche Schicksal des
höchsten gottes, der einfach verschlungen wird, recht auffällig, wenn
hier nicht eine alte vorläge benutzt ist, welche eigentlich nicht den
letzten kämpf im sinne hat. Dieses auffällige tritt noch etwas drasti-
scher in Lokas. 58, 4 hervor: ok svelgr allan Sigfqdur, doch darf diese
Wendung nicht lediglich aus der absieht des dichters, humoristische
1) Die angozogeuen worte in yaf[)r. enthalten nüinlich gar keine aussage
über die teilnähme oder nichtteilnahme beider götter ani letzton kämpfe oder ihre
Schicksale in demselben, sondern beziehen sich lediglich auf die zeit nach dem erlö-
schen des weltbrandes.
ZIOTSCHRIFT F. DEÜTSCHK PHILOLOGIE. BD. XXVIH.
21
322 WII.KBN
Wirkungen zii erzielen (Hirschfeld, zur Lokas. 47), erklärt werden, da
sie sachlich dem besprochenen ausdruck der Gylf. gleichwertig isL
fi) dass die räche für den getöteten vater trutz der anaJogie aller ande-
ren ragnarak- kämpfe sofort erfolgt, erklärt sich aus dem umstand«,
dasB eine Sonnenfinsternis nur einige stunden zu dauern und für den
mensclien mit dem gedanken an die baldige widerkelir des lichtes ver-
bundcu zu sein pflegt. ;•) das auft'eissen des rachens durch Vidair
erinnert wider daran, dass die sonne gewissermassen einen freien aas-
weg gewinnen sollte, um ihrem gefängaisse zu entkommen'.
9. Nehmen wir an, dass jenes auffällige schweigen über ein ein-
treten der götter für sonue und mond sich dadurch erklärt, ilass der
kämpf Odins und Vidars gegen den Fenriswolf im gründe eben ein
„kämpf um die sonne" war, so tritt als d) noch ein anderes, für sich
allein freilich leichter wiegendes moment hinzu: bei der erwähuungdi»
Schuhes, mit dem Vtdarr in den rächen dos wolfes tritt, heisst ee
Gylf, 51 : pvi skal ßeint Ifjönim brott Lasla sd madr, er ai pvi viä
l/yggja at koma daunujn al lidi. — AVas haben diese worte mit einer
Sonnenfinsternis zu tun? Doch soviel, dass auch hier der bei det
naiv -populären auffassung einer finsternis am himmel immer he^vu^
tretende gedanke, dass man den kämpfenden, anscheinend unterliegeur
den lichtwesen da droben zu hilfe eilen solle*, in einer allerdings etwas
veränderten fassung widerkehrt,
10. Aber es lassen »ich für die vorgeschlagene deutung' noA,
andere Zeugnisse beibringen, deren gewicht dadurch kaum verminOeit
1) Vgl. die belege für ähnliche voretellimgon bei Orimni, Mythol.* b.
ilanuiter die ootiz: in aJU'a kalondern werden dio ünstemiBse so dargestellt,
xwei drauhoti sonne und mond im rochen haben.
2) Vgl. die id der vorigen ftom. citlerte stelle aus Gritum snwio Schwartt,
Poet, naturauacli. 1, 21 r>, di<r übrigeos die Verdunkelung der ttnnae im g«witter tb
die eigentliche grundlage dieser voretellungen betrachtet. (Urspr. dei' myth. 78 fg.l
3) Bui dieser deutung habe ich nur naf die hauptfragen gewiubt gelegt Da»
Udinu niuht nur luft- und himmelegott, aundeiu auch sjieoiell Sonnengott war, ist
u. a. von Simroek, D. myth. * 20f) fg. im ganzen richtig nachgewiesen, wenngliscb
ich in nianchen einzolheiten abweiohe. — Sollte man mir vurhalteD, duss HkIi int
gewöbnlicbeu finstemis ja dieselbe sonue sich wider zeige, nicht ein« andere, M bÜ*
det die von i^bwnitz (Drspr. 72) beRprochene ansieht, dass die aoiine aus dem (•■
witterbnd gleichsam „veijüngt"' herrorgeht, den übeigaug zu der nur wenig kübonWi
dass nach einer gewaltsamen kiihuitrophe ein Jüngeres sonnecwesen od die atalla d>
älteren tritt, entweder nur im sinne der eruenerung wie Vaftr. 47, 1 (eÜH dUMr
berr älfriitUl usw.) oder mit dein neben gedanken der räche für das von bniH
heHiegte sonnenwesen, so in dem mytbuH von fjoldr und Vali nach VegtemsknlhU
und Hyudl. 30. Dieser letztere mythus kommt dem von Udinn ■= Vidarr am BKk-
tir.a KKSW8W0U' 323
ird, dass sie nur in einem toüe unsei-er quellen hervortreten; gerade
) wird es am deutÜclisten, dass nicht etwa ursprüngliche Identität
(der auch nur nahe Verwandtschaft des Fenriswolfes und des aonnen-
olfes bestand^, sondern dass diese gleiehsetziing, weil sie im gründe
miasverständnis beruhte, nur langsam sich vollzog und niemals zu
larmoniscber durchbildung gelangen konnte. Die vulgatauftassung, die
»ir in g 7 und 8 besprachen, blieb gewissermassen auf halbem wege
ihen: sie übertrug für den letzten kämpf die rolle des sonnenwolfes
luf den Fenriswolf, liess jenen aber als verschlinger der sonne an
leioem alten platze; kühner, aber durchaus konsequent verfährt Vafpr.
16 und 47 (und darnach Hrafnag. Odins 23), wo der Fenriswolf auch
tls verderber der sonne genannt wird'. Nun war es möglich den
campf Odins mit dem Fenriswolfe als ein, wenn auch verspätetes ein-
reten für die gefälirdete sonne aufzufassen; ein bedenken wurde in
euer späteren zeit darin nicht mehr gefunden, dasselbe mythische mo-
iv in doppelter ausprägung sich folgen zu lassend Aber in volks-
ÄBisen musste die erinneriiug an die alten sonnenwiiife doch fester
laften; der versuch, sie in den Fenriswult aufgehen zu lassen, fand
«ch wol darin eine Schwierigkeit, dass in den ^nebensounen" sich
lern äuge deutlich eine Vielheit von wolfen darbot*, die einem mytho-
Dgischen systom zu liebe auf den einen Fenriswolf zu reducieren doch
licht wol tunlich erschien. Uanz hat es freilich auch nicht an dem
rersucbe gefehlt in wesen gleicher art, den Fenris hindir, den gefähr-
icben Wolf zu vervielfältigen,
11, Ehe wir auf diesen versuch näher eingehen, ist die frage zu
.ntworteo: kennt auch die Vqluspä jene gleichsetzung des Fenriswot-
e mit dem sonnenwolfo oder nit^ht? Str. 57, 1 scheint dagegen zu
)rechen: aber gerade diese Strophe will richtig verstanden sein, Ihre
Ktische Wirkung beruht zumeist darauf, dass, nachdem die einzelnen
lythen, welche als für den Weltuntergang bedeutende uns vorgeführt
urden, an unserem äuge gleichsam vorübergezogen sind, zum schluss
en. Über Vidarr vgl. uoch Untereucb, s, 118 anm. 222; s. 132 fg. — Über Va!\,r.
47, 1 handelte in ühDÜclicin s'iaae schon Mülk-nhoff, D, alL V, 127,
1) Juh denke hier an die auffassiiiig des Fenriswolfes als eines stunnwolfes
oder eines die sonne verechlingenileii v-nsserdäu)oi)s d. ähnl.
2) Dass dioHe darstellung nicht ursprünglich »ein kuin, wurde sobon cap, IV, 5
dargetan.
3) D«r banipf mit dem sonDengotte Odinn ist natürlich im grande gleich dem
mit Jer unp^rsönhuh gefussten Bonno, — Doch ähnliches findet sich sonst, vgl, Mann-
hardt, Götterwelt 204.
4) Vgl s. 319 anm- 1,
3ä4 WILKEK
noch einmal das thema des Weltuntergangs zwar mit poetischer knft,
aber ohne mythische bildersprache, gleichsam als physikalisches gemälde
uns vorgeführt wird K Wenn hier also von der sonne nur gesagt wird,
dass sie sich verdunkelt, so darf dies doch nicht als beweis dafür gel-
ten, dass der VqI. eine gewaltsame Vernichtung der sonne, sei esdoich
Skoll oder Fenrir ganz unbekannt sei; der ausdnick tär sortna erin-
nert zunächst sehr an die Wendungen er pd kdUat sorte d solo (hs-
ä tungle) und verdr enn stiindom, at sorta berr d tunglei, mit denen
im astronomischen abschnitte der hs. 1812 (ed. IJarsson 37, 25; 38, 2)
die regelmässige Verfinsterung der sonne und des mondes bezeichnet
wird; vgl. auch MüUenhofF, D. alt. V, 126 unten. Der ausdnick d&x
YqI. will also das Schicksal der sonne am weltende gewissermassen &1^
eine „chronische" Sonnenfinsternis bezeichnen, und wir dürfen erwar-
ten, dass in anderen partien, wo die mythische bildersprache vorherrsctt:.
auch die Vgl. uns sei es einen bcricht, sei es doch eine andeutum^
gibt, wie nach dieser andern darstellungsweise sich das Schicksal de«"
sonne gestalten wird. MüUenhofF hat neuerdings vormutet*, dass in V<^I.
40, 4 der betreffende bericht vorliege, wobei er jedoch gezwungen ü
tungl in dem für den norden ganz ungewöhnlichen sinne ^gestim"
allgemeinen (hier = sonne) zu nehmen. Diesem Standpunkte kann ict»
aus folgenden gründen mich nicht anschliessen : 1) das wort tun^i
scheint ursprünglich die bei nacht sichtbaren fixsteme, namentlich di^^
von stärkerer leuchtkraft, zu bezeichnen 3; 2) eine Zusammenfassung
dieser fixsteme mit der von uns ja auch als fixstern erkannten sonm.^
lag dem Standpunkt nicht nur des nordens, sondern der älteren zei ^
überhaupt fem*. 3) die Übertragung des wertes auf den mond
1) Dio poetische kraft dieser uad der als gegODStrophe zu ihr sich darstelle
den Str. 59 hebt auch Mülleuhoff, D. alt. V, 28 hervor, jedoch ohne den specißsch^'
unterschied von den meisten übrigen Strophen zu beleuchten. (Vgl. dazu 8. 17!
aum. 3.)
2) A. a. 0. 125 fg.
3) Von den beiden erklärungen , die Grimm , Mythol. * 584 zur erwfigung stdl'^^—
zieht Schade, Altd. wb. s. v. xungal wol mit recht die zweite vor, wonach di *=^
(nächtlichen) gostirne (ursprünglich aber wol nur die fixsteme) von ihrem flammeiB. -
den , glitzernden scheine als züngclude himmelsflammen bezeichnet worden. — Wen^^^
auch Schade die sonne nicht direkt ausschliesst, so erhellt doch der gewöhnüdi «^^
Sprachgebrauch des nordens aus stellen wie Gylf. 9 (sol ok himintungl vdru tti^ ^
und VqIss. 12 (= 170, 27 W: pd er nött Mir, ef per sfdid eigi himifütmgl)\ di*^
ältere bedeutung ist nämlich im nord. kompos. himintungl erhalten; vgl aach di^'
folgende anm.
4) AVenn in astronomischen Schriften, die auf lateinischen vorlagen berahecs^
himintungl im sinne unseres „weltkörper •* begegnet (s. die cap. VI, §5 erwIliBt**
HER fEHRISWOL; 32&
Kein bedenkea, weil für die mythische aufi'assung der mond gewisser-
1 als köiiig der nacht, als fürst und führet der kleiueren fixsterne
Brscbeiiit'. 4) auch in anderen germanischen sprachen wird das wort
tunffl im ganzen ähnlich gebraucht, von der sonne nur da, wo eine
»erwechseluDg gar nicht möglich ist*. 5) auch die folgende strophe
nötigt nicht zu der von MüUenhoff geforderten auffassung. Weshalb
nämlich in dieser strophe nur von einem, nicht, ivie so oft (z. b. 42,
43) von mehreren wesen, die irgendwie Verwandtschaft zeigen, geredet
■werden dürfte, ist schwer verständlich; derraondwolf, von dem 41, 1—2
handelt, steht jedenfalls dem Schicksal der sonne, das 41, 3 — 4 be-
i wird, nicht so fern, dass nicht von dem einen auf das andere
in derselben strophe übergegangen werden könne, zumal da sich so
eine passende Steigerung von dem kleinen zum grösseren himmelskör-
per ergibt. Man braucht also nicht gerade zu meinen, dass „die verfin-
Btentogen der sonne von dem mondwolfe herrühren", wenn man lungls
' In Str. 40 auf den mond bezieht; man braucht auch nicht die Inter-
punktion der älteren ausgaben zu ändern. Ist es nämlich richtig, dass
in der prophetischen Schilderung der vala ein historischer fortschritt
neb zeigt, was durchaus Müllenhotfs Standpunkt ist, so dürfen wir in
«tr. 41 ebensowenig wie in 40 an gewöhnliche sonnen- und mondfin-
«teniisse denken*, da sowol Baidrs tod wie die fessetung Lokis als
«chbn vor einiger zeit (str. 33 — 35) gescliehen uns dargestellt sind.
Jen gründen str. 42, 43 in Gylf. unberücksichtigt geblieben
sind, kann zweifelhaft sein; jedenfalls stellen aber diese ebenso wie die
Blefetr. 44 keinen erheblichen fortschritt in der handlung dar; wir sind
M>mit berechtigt auch str. 45 mit 40 und 41 näher zusammenzufassen
und für diese strophengruppe die durcli 44 deutlich angezeigte eschato-
»gische beleuchtung im ganzen gelten zu lassen. In diesem sinne hat
h der Verfasser von Gjlf 51 die sache angesehen und str. 41, 3 kann
von LaissuD. indox a. v. himentiini/l), so hat dies für den eigenÜicb oor-
sprachgebraucb iiuiue beduutuDg; uach dieseru wurde die sonne nelbst vom
», um Bo mehr von alleu andern gestirneu bestimmt geschieden (Gylf. 10 und U).
1) Vgl. Grimm, Mytbol.* nachtr. zu s. Ii02. Zu den belegen lüge nouh u. a.
vartK, Poet naturanach. I reg. g. stt'ruenköüigiu ; am oSuhsten liegt uds jetzt in
itlers par. u. rütsel nr. ü dss bild vom moode als dem bitten der stemenherde.
^) Vgl. i. b. für das ogs. apraühgebiet Leu, Ags. glossur a. 198, 32 fg. —
Lnob der nhd. spraubgebrauch kann zwar die üonne ,den starD"- des tages uonnon,
»r gewöhnlich denkt man bei dem werte .steiT)" mir an die bei nacht sichtbaren
atime.
3} Der ausdnjuk sorlna an und für Muh würde dies erlauben, vgl. den anfang
!ses §.
326 WILKKN
dann sehr wol für sich als Schilderung des fimbtilvetr gelten (ekki iiyfr
solar; peir vetr fara prir smnan, ok ekki sumar i mtUum (= 81, 6 W).
Mit vedr qll vdlynd (41, 4) wird wol schon auf das thema hingedeutet
das in str. 45 (vi?idqldy vargqld) eine reichere ausführung findet*. Sollte
man mich fragen, wie bei meiner auffassung sich das svqrt veräa sH-
skin in 41, 3 zu söl t&r sortna in 57, 1 verhalte, so ist zu erwidern,
dass str. 57 vor allem die physikalischen momente noch einmal kollek-
tiv hervorhebt (vgl. den anfang dieses §); der historische Standpunkt
ist insofern gewahrt, als der schluss der Strophe auch einen fortschritt
in der handlung zeigt: die Vernichtung der weit durch feuer. Für den
anfang von str. 57 ist dagegen teilweise widerholung bereits früher
gegebener data anzunehmen*; dass in söl ter sortna an und für >ich
nicht die Vollendung der in str. 41 geschilderten Verfinsterung liegen
kann, ist deutlich daraus, dass taka c. inf. ja das „ angreifen ** oder
„anfangen'' bezeichnet; es ist für mich also lediglich widerholung des
früheren ausspruchs, der hier aber durch seine Verbindung mit anderen
ragnarek-motiven bedeutend an kraft gewinnt, so dass der „chronische"
Charakter dieser finsternis jedem leser deutlich werden muss. Jetzt
erst kann ich an die boantwortung der im anfange dieses paragraphen
aufgeworfenen fi-age denken. — Nach der gegebenen deutung wird zwar
nicht die Verfinsterung der sonne dem mondwolf zugeschrieben, aber
str. 40, 41 behalten so lange etwas autlälliges, als man annimmt, da,*«
in str. 40, 3 — 4 sowie in 41, 1 — 2 das Schicksal des mondes in bild-
lich-mythischer, in 41, 3 — 4 das der sonne in nicht- bildlicher darstel-
lung uns vorliege. Der Wechsel beider darstellungsformen würde erst
1) Gerade Müllculioff wies a. a. o. 141 darauf hin, dass vindt^ld und rarg^
^zusammeu dem letzten grossen wiutcr angehören, wenigstens nach der beschrei-
bung der Gvlf.** — Aber nach dieser müssen wir auch str. 41, 3 — 4 ebenso auf-
fassen und dürfen hier nicht an gewöhnliche ünsternisso denken. Der ßntbuhetr ist
wol als ein potenzierter nordischer polarwiuter aufzufassen, seiner Wirkung nach einer
„ chronisj'hen ** sonni'nfiusternis ni(;ht unähnlich, weshalb der mythische stand]>uokt
beide motivo verschmelzen konnte unbeschadet der ganz verschiedenen physikaliscfaeu
Ursachen.
2) Was die Wendung aiyr fohl i mar betrifft, so besagt sie freilich etwas
mehr als die mythischen Wendungen in str. 50 und 55, die das anrücken dos mid-
gardüitnnrj des dämonisch aufgefassten Weltmeeres, gegen die götter schilderu, akr
jener erstere ausdruck darf nicht zu sehr urgiert werden, da strenge genommen vom
Standpunkte der VqI. aus, welche die erde in str. 59 aus dem meere wider aufUa-
chen liisst, die Zerstörung mit einem versinken im meero abschlicssen müsstc. S<.'hon
Müllenhoff a. a. o. 28 hob hervor, dass in dieser stropho der dichter „unbekümnwrt
um die causalität des hergaugs und seines Zusammenhanges . . sich begnügt ein eria-
benes bild für die anschauung hinzustellen.*^
j
DER FKNRISWOLF 327
dann kunstgerecht sein, wenn wir in 40, 2 uns an die aufifassung der
VafJ)r. (46, 4) in der weise erinnern dürften, dass wir bei dem gen.
Fenris in gedanken ergänzen „des sonnen verderbers *^. Dann ist auch
für die sonne die mythisch -bildliche ausdrucksweise soweit gewahrt,
dass wir die alleinige hervorhebung des mythischen „mondräubers^
nicht mehr beanstanden dürfen; bei der nichtbildlichen fassung in 41,
3 — 4 aber wird eine besondere betonung.des mondes neben der so
Tiel wichtigeren sonne nicht notwendig erscheinen K Und warum sollte
diese auffassung unmöglich sein? Dass manche gerade der älteren
mythischen züge von der VqI. nur angedeutet, nicht eigentlich erzählt
werden, ist jedem aufmerksamen leser des gedichtes bekannt, so steht
es z. b. auch mit der fessehmg des Fenriswolfes; vgl. die freilich nicht
ganz zu meinem Standpunkt stimmende darlegung MüUenhofFs a. a. o.
139. — Ebenso wird der umstand, dass die gleichsetzung des Fenris-
wolfes mit dem sonnenwolf nicht dem ursprünglichen Standpunkte ent-
spricht*, für alle diejenigen, welche in der VqI. zwar nicht eine nach-
bildung der sibyllinischen orakel, aber doch eine von fremden einflüssen
nicht ganz unabhängige, namentlich aber in neuer gruppierung und
beleuchtung alt- einheimischen Stoffes sich mit glück versuchende dich-
tung zu sehen gelernt haben ^, keine beanstandung der oben gegebenen
auffassung in sich schliessen.
12. Kehren wir zu den § 9 schluss erwähnten Fenris kindir zu-
rück, so können wir uns jetzt kürzer fassen. Das wichtigste dürfte
eben dies sein: nachdem einmal das „freiwerden des wolfes^ zu einem
feindlichen ansturm auf die bisherige weltordnung geworden war, durfte
es an einem kämpfe zwischen dem hauptvertreter derselben und dem
wolfe nicht fehlen. Man entlieh dieses kampfmotiv aus dem sagon-
schatze des älteren „sonnenwolfes", der ja gleichfalls dem himmelsraume
angehörte, worauf sich eine gleichsetzung des Fenriswolfes mit dem
sonnen wolfe in manchen kreisen, doch nicht ohne Widerspruch gründ-
licherer kenner vollzog*. Da jedoch dieser sonnenwolf vielfach in einer
mehrheit von wölfen, die gemeinsam die sonne angreifen, wol auch in
Verbindung mit einem Verfolger des mondes gedacht wurde, so schien
1) Es ergibt sich violmehr so, da vorher der mond eingehender behandelt ist,
ein angenehmer Wechsel in der darstellungs weise.
2) Vgl. cap. IV, § 5.
3) Dass die feststellung der richtigen mitte zwischen den extremen ansichten
über alter und bedeutung der Vgluspa noch nicht vollständig gelungen, ist freilich
zuzugeben.
4) Vgl. die cap. IV § 5 besprochene haltung des autors von Gylf.
328 WILKRN
es imerlässlich auch für eine solche mehrheit von wölfen räum zu las-
sen, die sich jedoch durch die bezeichnung Fenris kindir demjenigw
unterordnen mussto, der als ihr geistiger vater in dem sinne gdten
konnte, als in ihm das princip des kanipfes gegen die alto weltordnung
am deutlichsten ausgeprägt war. Erleichtert ward diese Vervielfältigung
durch die analogie, welche die Vervielfältigung des luftgottes ödinn in
den valkyrjur, später auch in den eiiihefjar darbot^; auch Loki findet
sich in Gylf. 51 an der spitze der Ileljar sitüiar, Hrymr als führ&K"
der hrUnptirsary Surti* als haupt der Müspellssynir. Aber eine koose —
quente durchbildung dieser jüngsten mythcnschichten ist nicht meb.:M
erfolgt*-: aus der wüsten masse ioner Fefms kbidir oder fiflniegir, wL««
Vgl. 51, 3 sie selbst oder sehr ähnliche wesen nennt, ragt nur ein ^
gestalt besonders hervor, der tungh tjugari (Vgl. 40), dessen identit^fc^t
mit dem mduayannr in Gylf. 12 nicht zu bezweifeln ist, sobald nuL:a3
tu}igl dem herrsehenden sprachgebrauche gemäss übersetzt Auf di ^
weitere frage: Ist mdnagarmr auch dem wolfe Hati gleichzusetzen --'
Avird die antwort im nächsten capitel gegeben werden.
VIII.
Rückblick und Umschau.
1. Die cap. III ^ ^ ausgesprochene Zuversicht auch ohne rück-
sicht auf die etymologische bedeutung des wortes Fenrir den mythu-ö,
der an diesen namen sich knüpft, erklären zu können, hat mich hof-
fentlich nicht getäuscht: wir haben in der drohenden gestalt eine?»
1) Vgl. s. 192, anm. 3.
2) So ist es mir allerdings wahrscbeiDlich , dass die Hcljar sinnar in Gylf. {> ^
mit den fiflmcf/ir in V(>1. 51 (jene freilich von Loki, diese vom Fenriswolf geführt*
ziemliuli zusamnumfallen , da in l>eiden fällen nur der gegensatz gegen die schare"
der götter ins gewicht zu fallen scheint, aber beweisen lässt es sich nicht. Auch isf*
nicht zu übersehen, dass der am himmel befestigte wolf natürlich zunächst diunone«^
des luftraumes. der in der erde gefesselte Loki scharen der unter weit mit sich fuli^
reu wird. Der einwurf Lünings (zu Vi^l. 50) „Hehj bleiche schatten können nicb-*^
kämpfen* erledigt sich durch genauere betrachtung des prosaischen sprachgebraucli*»
in Wendungen wie Ikljarmadr u. ähnl. (vgl. Vigf.). Liegt in solchen ausdrücke*^
schon christlicher einfluss vor oder nicht? — Der oben besprochene maugel an koa^
Sequenz ist am d«Hitlichsten darin zu erkennen, dass selbst die relativ systematisch*?
darstellung in Gylf. zwar ein msten der cinhcrjar zum kämpfe gegen den wolf (caf ■-
51 =83, 12; vgl. Gnn. 23, 4) und ebenso ein gefallensein derselben (o. 52 = 87,* *
berichtet, aber eine teilnähme am kämpfe nirgend erwähnt. Wie leicht konnten »^
den fifhnrtjir im gefolge dos wolfes gegenübergestellt werden!
DSR FKNRISWOLF 329
^olferachens" am himmel das mythische symbol gefunden. Frühe
raonisch gefärbt, zeigte der wolf ursprünglich neben feindlicher hal-
ng gegen die himmlischen, die ihn so ohne mitleid gefesselt, mehr
ch bedrohung der hilflosen menschenweit unter ihm; vgl. Eiriksm. 6,
ikonarm. 20. Auf Island erst scheint die einreihung eines götter-
aipfes mit dem wolfe in die reihe der andern ragnarek- kämpfe sich
Izogen zu haben, vgl. cap. V, letzte anm., wogegen das zeugnis der
J. nicht entscheidet, vgl. die angeführte anm.; überdies sind die von
Jlenhoflf, D. alt V, 9, 11 usw. angeführten gründe für norwegische
mat der echten Strophen mir nie überzeugend gewesen. — Noch
ibt das s. 188, anm. 2 zu ende gegebene versprechen einzulösen:
bez. frage noch einmal von einer andern seite ins äuge zu fas-
ln der tat stellt sich, sobald ulfs keptr als name eines stern-
les nachgewiesen ist, die in cap. II, § 3 angeführte tatsache, dass
aches ulfr in der Liederedda (ähnlich aber auch in den andern
Uen) häufiger sich findet als Fetiris ulfr, in ein neues Hcht: die
Qiutuüg ist jetzt nicht abzuweisen, dass als eigentlicher name ulfr
ler ebensogut üblich war, wie der ausdruck „wagen'' für das stern-
\ am himmel ursprünglich genügte; der zusatz Fenris würde sich dann
lieh verhalten wie zu reiä hinzugetreten ist Roffnis^, zu altschwed.
feil ein Karle \ zu nhd. „ wagen '^ der erläuternde gen. himmels-;
dein grossen und kleinen baren scheint ein solcher zusatz, der das
hoinungsgebiet derselben deutlicher bestimmte, noch jetzt entbehrlich
sein. Die erklärung eines beinamens kann nicht dieselbe bedeu-
2: beanspruchen wie die des hauptnamens, der uns jetzt ganz deut-
ist; bei jenem wäre zwar die möglichkeit, dass Fenrir als name
^s gottes oder riesen ursprünglich gemeint sei , a priori nicht ausge-
ossen; es hat sich uns dafür aber nicht der geringste anhält erge-
So scheint einzig das erscheinungsgebiet des ulfr ernstlich in
acht zu kommen und nur die wähl zu bleiben, ob der „himmel''
ganzen oder jener besondere teil desselben gemeint sei, nach dem
1) Sigdr. 15. — Die beziehung auf den grossen bär nimmt z. b. Vigfüsson
<Aer in der betreffenden Strophe noch mehr sterunamen vermutet (Corp. poet I,
5l. 469).
2) Ähnlich auch engl. Charles wain, Grimm, Myth.** 604; dieser ist geneigt,
^inn oder torr (nach einer altschwed. chronik) als älteren besitzer zu denken;
t^er in den stjqrmimqrk ed. Gislason (44 Provor s. 476) neben dem einfachen
(= ursa maior) kcennavayn ^^ ursa minor gebraucht ist, so ist wol karlavagn
**Undform für Charles wain anzusetzen. Den gen. pl. vagna (= ursarum) bio-
KU Edda Sk. cap. 23.
330 wiLKtn
aucb der einzige, dem „wolfe'' sonst noch speeidl znkomniende bw-
name, nämlich Vänargandr, gebildet ist *.
2. Vielleicht befremdet es einige leser, dass bislier noch nicht
auf VqI. 57, 2: hverfa af himni fieidar stjqrttvr als beleg daTur hin-
gewiesen ist, dass das verschwinden oder verdunkeltwerden der gestime
auch der nordischen Vorstellung als einer der wichtigsten faktoren du
Weltunterganges galt Mim hat freilich diesen in unseren quellen bw
oberflächlicher betrachtung etwas vereinzelt dastehenden ausspruch der
Seherin als entlehnung aus einigen stellen des neuen testamentes b^
trachten wollen*; aber zu einer solchen annähme worden wir um so
weniger gezwungen sein, je mehr wir im stände sind, die betreffende
Vorstellung nicht nur als eine aUgemein menschliche, somit auch dem
norden nicht fremde', sondern dieselbe auch in ihrer älteren, specifisdi
nordischen ausprägung nachzuweisen, wo danu der bildliche ausdruck
nicht fehlen darf. So betrachtet, weist die betreffende verszeile der
Vijl. nur den verblassten, jüngeren ausdruck neben dem älteren, noch
in lebendiger büderspraclie gehaltenen, den andere quollen uns bewahrt
haben in der fassuug: „der Fonriswolf stürzt sich entfesselt auf die
Wohnungen der menacben"*. Allerdings ist in diesem falle der kon-
struierenden mythenzeit die Zusammengehörigkeit des unbildlichen und
bildlichen ausdnicks ganz entgangen; sonst würde der autor von üylC,
der in c. 51 (82, 5) richtig die Überflutung der erde durch das meer
auf das gebahren des midgaräsormr zurückführt, d. h. im gründe hier
zwei verschiedene darstellungsweisen desselben faktums ahut, imd der
für den unbildlichen ausdruck in VqI. 57, 1: aöl t^ sortnn mit recht
die ältere bildliche ausdrucks weise eintreten lässt (Sl, 11), sicher hier
ebenso wie in den angeführten fallen verfahren sein. Aber da er sich
verleiten Hess, 82, 1 das verschwinden der Sterne gewiasermassen als
folge der katastropbe, die über sonne und raond ergangen, hinzustel-
len, während Vc}l. 57 beide momcnte durch das dazwischentretonde
sigr fold l war deutlich trennt, so war er nun genötigt, als physische
grundlage für das freiwerden des wolfes jene erdbeben heranüuziebn,
1) Vgl, ca|>. 111, § 9. — Da schon iu der s. 183 aum. 4 cilierten attnpb» im
Eyviodr dos achwert als rauhensperre des wolfes drwtihut ist, darf wol snch te
dadurch verursachte geiferlliiss n!s alcbegrundet gölten.
2) So Sohullums (Paul u. Brauno, Boitr. 12, 2Ö7 fg.) und E. H. Hfy«r. Tt
luH|)a H. 'i\'i.
3) Dies ist der atondpunkt von Hoffory (Edilostudion I, 126 fg.).
4) Hikouann»! 20.
die er selbst c. 50 (= 80, 13) mit grosserem recht auf die zuckungon
des iii der erde gefesselten Loii zurückgefülirt hatte'.
3. Leichter noch wird die vorgeschlagene erkläriing eingang fin-
den, sobald wir erkennen, dass derselbe gedanke auch einem andern
mythus zu grunde liegt, dessen deutung noch einfacher ist Bei dem
schiffe Nagtfar, das erat am ende der weit flott wird, ist bereits von
einigen forschem, wenn auch mit zweifei, an ein sternbiJd gedacht
worden*. Da nach nordischer Vorstellung die weit durch wassor und
feuer zu grunde geht, letzteres aber nach VqI. 57, 4 bis an den him-
mel schlägt, so ist der gedanke nicht wesentlich kühner zu nennen,
dass auch die meereswogen so hoch schlagen und das stembiid nun
von der flut davongetragen wird. Der name selbst bietet in diesem
falle gar keine Schwierigkeit, sobald man sich erinnert, dass eino ver-
gleichimg der steme mit goldenen oder silbernen nageln aus alter zeit
vielfach bonougt ist*; das „nagelfahrzeug" war somit kein unpassender
nnmc für ein stemhild*. Die Verwirrung, welche namentlich der be-
richt in Gylf. zeigt, rührt daher, dass man hier bei vayl nicht an gold-
oder silber-nägel, sondern an den nagol des menschlichen körpers
dachte; so gelangte man zu der bizarren Vorstellung eines aus den
unbeschnittenen nageln versforbonor erbaute» fahrzeuges. Dies schiff
liesse sich aUerdings mit den auch sonst bezeugten totonschiffen*
vergleichen: aber diese sind fortig und stehen in dienst lange vor dem
untergange der weit Andererseits ist auch die von Grimm versuchte
!) Die Worte ßd rerttr Fenrimilfr lavss (82, 5) köDuen noch unmittelbar i am
vorhergehünden Katze gezogen werden, oder man mtiss za dem ^oofceo, dass alle
fesseln und bände dann Hich lönen, in den folgendeD bUtsea drei boispiele finden: das
losbrecbeu des Fcnriswolfes, das wüten des meereu über die ihm gezogene grenze
hinaus, das llottwerdon des aohiffes Naglfar. — Der nächste grössere absatz beginnt
dsno mit den Worten J ptaaum gnii (89, 18).
2) So von F. Magnussen (Lex. mythol. s. v. Naglfari): N. ^ elavatum navi-
gium sive cUvi Toj-ina apparaus, undu coineUe bem> foret adspUndum; hae slelloo
mala nuncla purteudere ])utabautur. — Aber bei einem kometen fallt gerade das wieh-
tigste vergleiuhungHglied Tort, die unbewegUcbkeit bis eum welüintorgangc. .an einen
Gxstern hatto ich daher schon Untorsiicb. z» So. Edda s. 131 a. gedacbt, bei migl
allerdings mehr an einen glänzenden gegenständ überhaupt, wozu der schwertname
Naglfari (Sn. Edda Kph. 1, 566) stimmen würde, doch vgl. diu Tolgcndo amn. —
Nahe meiner Jetzigen HufTossung kommt die von Wislluenus 8ymb. von sonne und tag
B. 81, 83, wo Jedoc'h einigen oebenzügen zu viel gawicht beigelegt wird.
3) Belege namentlich bei Schwartz, Pool, naturwisch. I reg. s. sterne = nägel.
4) lob erinnere an die Argo oder das „schitf" unserer astronomie.
I 5) Vgl. Henne, Deutsehe volkssnge s. 448 Tg. — Über Noreons erkHiniog vgl.
I B. 332 anm. i.
332 WILKEN
deutuDg^, als ob der kern des mythus in dem gedanken li^, der
Weltuntergang sei noch fern, so lange das verderbliche schiff nicht fer-
tig gebaut sei, schwerlich der ursprüngliche. Davon, dass der bau des
Schiffes noch im werden sei, weiss auch Gvlf. nur an der einen stdte
zu berichten, wo der wünsch, eine pflicht gegen die verstorbenen ein-
zuschärfen, den mythologischen Standpunkt wol etwas verschobon hat
(c. 51; = 82, 8 — 11); an einer frühern stelle (c. 43) heisst es einfiwrlÄ-,
dass es das grösste schiff' sei 2. Auch an der späteren stelle findet auf-
merksame betrachtung leicht, dass der hauptgedanko des Schriftstellers
der 82, 3 — 4 auf die Sprengung aller bände und fesseln im naturlebe«
hingewiesen hatte, nur darauf gerichtet war, in dem freiwerden d^w
Fenriswolfes, dem ungehemmten ansturm des Midgardsormr, endlicri
dem loskommen des schiffes Naglfar gewissermassen die mythische bil-
dersprache an die stelle der physikalischen betrachtung zu setzen, nicbil
aber zu einem anderen gedankenkreise sich zu Avenden. Auch ist de*
autor nach seiner moralistisohen abschweifung (über abschneiden de^r
nägel) genötigt noch einmal ausdrücklich das „flottwerden** des schif-
fes anlässlich der grossen Überschwemmung zu betonen; mehr hatte e-r
auch in seiner quelle (VqI. 50, 4) nicht gefunden. Es erscheint mix
nun unmöglich, dies so stark betonte flottwerden als mit der Vollen-
dung des schiffes zeitlich nahe zusammenfallend zu denken; dann würA^
gerade die endliche Vollendung als solche betont worden sein; jeftct
müssen wir wol an ein schiff denken, das schon Jahrhunderte auf dÄS
flottwerden geharrt hat Im gründe scheint auch J. Grimm dieser arm-
siclit nahe zu stehen, wenn er die beiden sätze: „Fenris ülfr wird Iüs» •
Naglfar flott*" als sätze verwandten iuhaltes, welche zusammen die sigc^
natur dos beginnenden Weltunterganges zeigen, aneinander rückt'. End-
lich kommt in betracht, dass auch der Gylf. 10 als erster gemahl der f
nacht uns genannte Nagifari oline jede Schwierigkeit als ein persönli«?**
aufgefasstes Sternbild sich erklären lässt*.
1 ) My th. ** 679 anm. 4 und uachtrag.
2) Dieselbe augabe findet sich allerdin^ von dem schiffe Baldrs iu c. 49 1==^
75, 13). Darf man aus dur Zusammenstellung mit dem wolkenschifTo SkidbUdn^ ''
iu c. 48 alK»r nicht so viel scliliessen, dass es sich auch bei Naglfar um ein wiilt^
lidi der anschauung entnommenes, also echt mythisches motiv handeln muss? Ek^'
schiff aus menschennägeln wäre nur für eine allegorie geeignet. — (VgL cap. I, § 1^-^
3) A. a. o. ()79.
4) Vgl. den ähnlicli gebildeten Mundilfari, der als vater der sonne und d^^
mondes z. b. Vaf[)r. 23, 1 genannt wird; auch hier ist wol an ein gestim oder de***
himmol selbst zu denken. Letzterer ansieht sind F. Magnussen, JEIdrc Edda IV, 2^—
und Vigfüsson s. v., der wol mit rocht an m(^/uJtdl (= handle, espec. of a handnil^-^
r
4. Lassen wir diese erklämng als richtig gelten, so erhalten wir
ein schönes seitenstück zu jener des Fenris-mythiis. In beiden fallen
hat der umstand, dass gestime aus der klasae der fixsterne erst am
Weltuntergange ihren festen platz verlieren, zu einer ankoüpfung an die
iagnar»k-mjthen und so zu einer dämonischen aulTassuog anlass gebo-
ten. Diese äussert sich in dem einen falle nur darin , dass die feinde
äer götter das flottge wordene schiff zum angrJB' gegen die alte welt-
ordnnng benutzen; in dem anderen falle, wo die gestalt eines wolfea
betracht kam, lag der gedanke sehr nahe, diesen wolf selbst in die
ichar der götterfeinde einzureihen, beseelt von dem wünsche, für die
icbmacb so langer fesselung an den alten göttcrn räche zu nehmen. —
beiden, wie ich glaube, völlig gesicherten gestirnmythen lässt
neb vielleicht noch ein dritter mythus anreihen, der sonst grosse
KJnnert Sollen wir aber <lanim an die Umdrehung des himmels denken? wosslen
I alten von derselben? Wahrscheinlicb ist Mundilfari ein alter naoie der soane
vgl. cap. ni, g 5. Jedenfiüls ist der Naglfari in Gylf. 10, der erste gemabl der
STött, die hier durchaus nicht in lifimonisoher auffossuug, sondeiTi als niuttev der
«nie, des tagos erscheint, eher geeignet ein licht auf die eiklärnng des Wortes zu
Verden, als der schwertuame Naglfarr, der unter ca. 170 andern in den Nafna}>ulur
Eph. I, 506) begegnet. Dass von so viel natneu nicht alle wirtlich bedeutsame sein
Snnen, liegt anf der hand; neben mistilieinn (ebd. 564), Hoddmimir, Brimir, Fdf-
tir, Nidhqggr befremdet auch Naijlfari uicht (vgl. s. 331 aum. 2), welulies wort
loreen (Altoord. gramm.' §'-^ül, 3) übetsetit „der iwischoa leichen Tdlirt'. Die
uda gegebene geistvolle deutung für Naglfor =^ totensuhiS liesse sich sachlich mit
Keiner oben gegebcneo darlegung wol vereioigeti, da dieses schiff, das erst am welt-
mtergange Sott wird, wo! weder aus holz noch aus menschennftgeln gebaut ist und
■denhlls einem stembilde näher stehen müsste als dem betannlen .äiegenUen Hol-
Inder'^, dem gespenaterschiff späterer zeit, das von H. Heiue wegen seines unstäten
H&herfahrens dem „ewigen Juden '^ verglichen (Grimms wb. s. v. HoUitnder) und von
9ork, Myth. der volkss. 939 fg, auf Inftspiegelungen zurückgeführt wird. — Verdanke
üh den hinweis auf die von mir übersehene stelle Noreena einem freundliehen winke
I. Geringe, so ist mir ein anderes bedenken nachtriglich selbst aufgestossen. Die
[Bwöhnliohe spräche untereoheidet nagl = unguis von nagli ^^ claviis; wäre nach
ler oben gegebenen erkläiiing nicht Naglafar za erwarten? Aber eutweder ist diese
Bttetscheidung der filteren spräche fremd gewesen oder sie ist wenigstens für die
mmposita nicht strenge durchgeführt, vgl. naglfaslr = nagUtfastr (Vigf.) ~~ Gerade
' die spätere geltung von nagl —- unguis bat vielleicht die auffassung von Gflf, 51
varanlusst, — Es erscheint nur also nicht geboten die oben gegebene auffassiing, die
den nnalogien des betreffenden mythol. gebieti;» gerocht wird (vgl. h. 331 anni. 3), noeh
en verlindern, am wenigsten, wenn Noroen nicht an ein wirklich den oaturreichen
angehöriges gebilde, sundem au ein „toteeschlff' der phsntssie gedacht haben sollte,
«twK mit der besttmmung. die beim Weltuntergänge sterbenden in sich aufzanebmea.
■■ Einer soloben Allegorie kann ich einen plstz unter den alteren inytheu nicht einrau-
■ von. Tgl. cap.I,§18.
334 mixKH
gell wierigkei ton bintet. wenn nicht eine ähnliche orklAning ptal
fen darf.
5. "Wenden wir uns nunmehr zu der am ende von cap. 1
geworfenen frage. In der stefstrophe der Vgl, die zuerst als Str. U
(bei SijmoDs), zuletjtt als str. 58 begegnet, liüisst e» za anfang: Geyr
nü Garmr mjqk fyr (häpahelli. Nncli dem zeitworte yeyja (=- bellen)
zu schlioäsen und nach dem ausdrücklichen Zeugnisse der Grm. 44, *:
eil huiida (cextr er) Oaniir haben wir an einen hund zu denken. Wes-
halb ist er aber der beste hund? Auf diese fi-age antworli:t Mülleo-
hofl' V, 138: weil er in das reich der Hei allein die ihr verfsllontin
und angebörigen eingehen und keinen wider hemus Iftsst, — Sollt«
hier nicht die erinnerung an den grieoh. Kf^(itqoi^ in die nonti«!»«
mythologie eingetragen sein? Der autor von Gylf. berichtet in c. 51 :
pä er 6k lauss ordinn hntutrinn Garmr, tr buridinn er fyrtr (hiipr»-
helli; hatm er U meata forad; hann ä vig möti T^ ok rrrär kvtü"^
odruw at skada. Dass die letzte angäbe nur eine xiemUch juo^
ausscbmückung des letzton kampfes sei, ist schon mehritich {t. h. t»0
Simrock, D. myth." 121) mit recht behauptet worden; wenn aberd
gelehrte fortfährt „einen hund namens Garm. der die krttc (ipreD^eXi
und an dem kämpfe tt'il nehmen konnte, gibt es gar nicht", hu kul*
ich dieser ansieht nur soweit folgen: zu den alten üborlieferungen i^
nordens gehört der hund, als Wächter der belle aufgefaast, achwerüdH
schon das schweigen von Gylf. 34 (= 38, 9 — 13), wo der h«n.shalt de*"
Hei ausführlich registriert wircli, fallt hier ins gewicht — Aber dtfiJi*»
sind wir durchaus nicht berechtigt den autur von Gylf, seine weishii*
nur aus einem misverständnis der oben erwähnten stefetrophi? sdifipfe«»-
r.a lassen und uns selbst mit einer gleichsetziing von Garmr und fn»—
rir zu beruhigen. Gegc-n diese Vermischung hat Müllenhoff it. a. "- oi*
TüUem recht verwahi'ung eingelegt.; als hund (nicht als wolt) heteiduiff
wird Garmr zweifellos namentlich Grm. 44, 4. Aber braueben wir il**
attribut ceztr an dieser stelle für mehr zu halten als der „namhaftetl^«
bekannteste"? Mehr wissen wir jedenfalls noch von ihm als von ilm
I) TJoter dem angeflihrton Uausgorät lindct siuli xwtir nuuiuhcs, Um aoriB'*
aIl(«gorie ans jiingarer zeit xa lietraobteu ixt, ahor dannbmi Tchlt ea ni'^h
Utcren xngBu (vgl. x, b. Simrüuk, Hyth.' s, 304), yeaiu ioli Dain«<iitIioli
/itmit al» nuiie deg (rasch xuKuhlagtioden) tonm roohiu.', das aus ao viel i
mjlmhen bekannt ist, nrspninglich aber wul dar tür das wotkenbürg«« snpli**
(Grimm, Mytli,'. SU fg., vgl. Sohwarbi. Hrspr. 177). Nnchlräglich fttilt mir du« ^
reivhon.' register FVd Milium Htfja-r, du ood. A 1= 746) darUet«t, widnr ia
aug«n (EpU. IT, 494); hier lindut aioli ii. s, au(?li eiu huiid der Hai aii^iinibfii <
^ nicht Oariar getmnot, siinderu l'aningi (wol «u runr = goL vans).
DER FENiusnüLr 335
habicht Häbr<5k, der au dciselben stelle mit aiiszoichnung genannt
ist; jüngere Yorstellung mag in beiden fallen zu gründe liegen. Gleicb-
vobl halte ich den bund Garmr nicht für eine blosse erfindung jünge-
rer zeiti; auch die möglichkeit eines bereits in Vijl. und Grm. vorlie-
[enden misverstämlnisses oder, was dasselbe besagt, einer allmählichen
»■ersohiebung älterer Vorstellung kommt in frage.
6. Wenn ich an den (nur) in Gyll'. 10 erwähnten Mänagarmr
r erinnere, so wird die frage anscheinend noch verwickelter. Denn
i Gylf. von ihm berichtet, ist inhaltlich so bedeutsam, dass man für
Jen unhoJd, der offenbar dem hmgis tjtigari in Vq[. 40, 4 entspre-
ihen soll, anscheinend mit recht nach dem geläufigeren nanien, der
lieh anderswo finden müsse, gesucht hat. Zwei gleichsetzungen sind
i&meutlich versucht worden: a) mit dem hunde Garmr, b) mit dem
ivolfe Hati, der häufig als verachlinger des mondes aufgefasst wird. —
iegm a) hat sich Simrock s. 24; gegeu die häufiger (so auch von Sim-
«cfc) angenommene gleichsetzung mit Hati neuerdings Mi>gk (in Pauls
teiträgen VI, 526 fg.) nicht ohne begründung ausgesprochen. — Von
leiden gleichsetzungen ist die sub a) lautlich die näher liegende. Das
compositum A/dnagai'mr lässt sich doppelt auffassen: einmal kann garmr
lach dem berühmtesten hunde die gattung hund überhaupt bezeichnen;
lei- mundhund kann dann sehr wol die bezeichnung eines den mond
rerfolgenden wolfes sein. Andererseits kann aber auch, ähnlich wie
Üfr (= wolf am himmel) durch den davortretenden genet Fenris, so
3armr durch das davortretende Mdna nur näher bestimmt sein, ohne
i ein anderes wesen gemeint wäre. Folgen wii- dieser analogie, ao
t freilich die fi-ago nahe: wie kann Garmr, der nach Gylf. 51 gefes-
^t vor einer telshöhle liegt, mit dem den mond verschlingenden Mä-
ttmr identisch sein? Dass Gui-mr schliesslich frei wird, berichtet
war auch Gylt"., aber damit ist er noch nicht im stände von seiner
leLshöhle aus, die Müllenhoff wol nicht mit unrecht an den eingang
■ unterweit verlegt, den mond anzugreifen. Eine lösung des wider-
pruches ergibt sich für den leser, der den vorhergehenden capiteln
nnerUcb gefolgt ist, sehr bald. Bei dem hunde Garmr bat schon
Magnussen (Lex. royth. s. v. Garmr) bemerkt: Garmum forsitan vete-
is Sueci appellaverint uream maiorem in coelis, quae etiamnunc ab
1) NeuerdiogH hat DauieDtUch Bugge (Studien über die nord. götter- und hel-
iBsagO, fibern. vou Brenner s, IT9) den nanion aelbst als iiaubbildnog von CerberoB
tncbtet; zQstiramend verhielt sich Et. H. Moyer, Vyl. 180. Dagegen vgl. nuinent-
h Hogk im kaz. Für indog. sprich- ii. altli. 111, 30 (neunorw. garma ^ brnle,
laen 210).
eorum posteris vocitatur SlorracbeD seil. Canis graudis sivp ruHsimi»;
daran schliesst sich ein hinweis auf den bekanntlich einem anileni
sterabilde (dem Sirius) von den alten beigelegten namen hnnds-
stem (canicula). — Von hier aus den mythits zu erklären würde ich
HO etwa versuchen. Von der ursprünglichen bedeutung als stembild
erhielt sich nur eine schwache erinnerung; ausser dem namen nnd da
bezeichnung „hund" kommt vielleicht die angäbe von Gylf., wonich
der hund zunächst gebunden ist und erst bei dem Weltuntergänge ftw
werden soll, in betracht und würde sich ziemlich genau mit der betref-
fenden angäbe über den Fenriswolf decken. Doch ist zuzugeben, dasa
. hier auch der zufall sein spiel haben kann , pflegen doch au<'.h gewöhn-
liche hunde oft an der kette zu liegen. Jedenfalls müsste eine Ver-
schiebung im lokal stattgefunden haben: während bei dem gefesselteo
Wolfe nur jüngere zusätze an einen vom himme! unterschiedenen ort
der fesseluDg denken ^ liegt es bei dem hunde Gaimr so, dass er nur
auf dem wege der kombiiiation an den himmel zurückversetzt werden
kann. Auf welche weise die lokal -Verschiebung in diesem falle erfolgt
ist, steht dahin: als erinnerung an den alten zustand könnte gelten,
dass auch die spätere sage wenigstens den Mänagarrar noch als monii-
verderber, somit als ein im luftreicb waltendes wesen kennt. fr«li(*
auch in dämonischer, den göttern feindlicher Stellung*, was am deut-
lichsten Gylf. 12 (= 16, 1—4), aber wol auch in dem Gylf 51 berich-
teten kämpfe des getles TVr gegen Garmr sich ausspricht, der in die-
sem falle unbedenklich gleich Mänagarmr zu setzen ist*. — Wie steht
es endlich mit Hali? Dass dieser ursprünglich als sonneuwolf gegol-
ten hat, ist von Mogk* ziemlich wahrscheinlich gemacht worden; d»
aber das Verhältnis von sonne und mond in der mythischen zeit ein
weit engeres war, das Schicksal beider himmelstörper eng aneinander
geknüpft zu sein schien", so darf für die konstruktive zeit die voistel-
lung nicht abgewiesen werden, dass Hati zunächst den mond, ala Vor-
läufer der sonne aufgefasst, verfolge, wodurch eine gewisse bedrobnng
1) Vgl. cap. V, § 3 und 6.
2) UuDile als wiichter ienai aueh die deutsche voUissage ni«Kt in etwas tttiiM'-
nisohar fiu-baag, vgl. Henue, Die deutsche volkssHge a. 60 fg.; E. H. Meyer, G«nn-
uiyth. lOS.
3) Der nuisdrufik hnnii er il nifsta foraä pasit genau zu dur (Sylt 13 voi
UAd. gegebetiuii sdiildening. witbreud wir von Gannr ja nur wissen, A»»% er gafi**
seit liegt und zeitweise bellt.
4) In Pauls Beitr. VI, 5-26%.
5) Vgl. Sfliwiulz, D[e |ioet. natarauscb. I reg. a. v. nioud (und sonne, iw
baltuis beider!.
'der sonne selbst gegeben blieb l Bleibt uns also Hati in gewissem
tine ein niondwolf, so ist fiir den Jldnagarmr als für eine jüngere,
>er eben deshalb mächtigere yorstellung, noch immer soviel platz,
er denselben gedauken in noch dämonischerer färbiing ausprägt,
.entlich in beziig auf den Weltuntergang. Liegt auch der gang der
itwickolung hier lange nicht so klar vor äugen, wie bei dem Fenris-
olfe, so lässt sich doch mit einiger Wahrscheinlichkeit folgende formel
afstellen: Skqll : Fenris ulfr = Hati : Mdnagarmr*. Als ältere form
Ir Fenristilfr wäre dann noch iilfr, fiir Mänagarmr Garmr anzu-
ätzen, wobei die Verschiedenheit der formen auch solche in den bedeu-
in einschliesst, in dem die längeren formen schliesslich nur noch
■om eschatologisch aiifgefassten „wolf und „hund" gebraucht wurden
inbeschadet ursprünglicher Identität der Vorstellungen'.
7. Da jedoch der in §§ 5 und 6 besprochene Garmrmythus nicht
u so greifbaren resultaten führt, wie die früher besprochenen, so will
eh für jetzt darauf verzichten, die frage weiter zu verfolgen, aufweiche
[er gang der Untersuchung sonst gewissermassen hinweist: haben wir
nsser den besprochenen noch andere mythen, zu denen die gestime
nla&s gegeben haben, ohne dass diese beziehung der späteren zeit
leotlich geblieben ist? Eeinesweges möchte ich diese frage mit nein!
«antworten, mag auch die astrale erklär ungsweise durch die oinseitig-
»it räniger forscher äusserlich etwas in miskredit gekommen sein. —
1) Wenn Mogk 0.0.0. 528 sagt; Skqll ist dem BODDSDwageii gefolgt, hat vor
er SSI zur seite doi' roäse diese in schi'dcken gesetzt — so Hesse sich das fiir ein
«iDmaliges factum recht wol hören, aber nicht für ein täglich sich widerholeodes
|>hiinomeu. Die dar^ellong in OyU. ist allerdings niuht ursprüngliah, aber insofern
nicht nogesohiott, als die eile des scheinbaren soonenlanfeü darcb die furcht vor den
iröUen begründet wird, dio sie verfolgen, womit zugleich eine art sjstem ia die sonst
fnr die mtere zeit so regollosen rmstenusse gebracht wird. Dann Dämlich sind die
Wölfe (voräbergobend) im stände sich der sonne zu bemächtigen, für gewöhnlich ist
sie nur bedroht und zwar auch von dorn voraneilenden woIfe, da sloh dieser ja wrück-
wfliiden ktmn: sie weiss vor und hinter slcii den fcind.
2) Teilweise ähnlich Hchon Simrock, Uyth.* s. 24, ausserdem vgl. Untersuoli.
iQf Sn. Edda 3. 83.
3) Wer sieh daran stossen sollte, daes Garmr immer als bund, Mänagarmr dage-
gen als wolf be^oichnut wird, dw möge ansser dem b. 33(1 anm. 3 angeführten aeug-
oisse auch die Btollo lietranbten, wo es ln'isat: tjll eäpn eni IroU ok targar ok hund-
ar futrkUrSa usw. K|>h. 11, 512. — ^o gut nun dem lungU fjügari i Irotls liatni
der Vijl. iO in Gylf. 12 gogeoübersteht: foedir at soimm marga jqtna ok alln i
rarff» llkjum . . ok »pii er tagt, at af itUinni ftrUr ad eian nnUtkattr, er kallaär
er Mänagarmr — ebensognt kann aneh diesem rargr im skaldisehen Sprachgebrauch
wider der band Oarmr entsprechen.
Die möglichkeit, dass erst nach dem bereits vorhandenen mjlhns fia
Sternbild ulfs h/Qplr genannt wäre (nach analogie der cap. M, 4
erwähnten fälle) ist üwar nicht völlig abzuweisen', aber wäre dann
nicht Fenris ulfs oder Fenris kj(iplr zu erwarten, da man gerade am
himmel dofh auch an andere wölfe denken konnte, wenn nicht ^
ursprüngliches sternbild gemeint war? In diesem falle aber genügt
wolf, vgl. löwe, adler, Widder, schwan usw. Doch eine nötigung auf
jene frage hier näher einzutreten liegt nicht vor. So möge zum üicblus
nur der nachweis geführt werden, dass gestirnmythen wie die vom
Fenriswolf und dem schiff Naglfari der „analogiu mythica" und somit
der inneren glaub Würdigkeit nach keiner seite hin entbehi-en.
8. Die bis auf den heutigen tag bekannte bezeichnung von steru-
bildem durch tiornamen führte bei der sinnlich lebhatten aiiffa^img
der altmythischen zeit widerholt zu der Vorstellung einer bedrohung.
resp. Verfolgung einiger stembilder durch andere, was namentlich in
der griechischen litteratur leicht sich belegen lässt*. — War einmal
ein Sternbild als ein aufgesperrter woltsrachen aufgefasst, so lag di«
Vorstellung hierin eine bedrohung aller anderen bewohner des himmols
zu erblicken um so näher, als man bei sonnen- oder mondfistemis
und der bildung von nebonsonnen die grossen lichtkörper von wölfen
bedroht glaubte; wie leicht vermischte sich direkte vergleichung mit
indirekter!' Und jene bedi-ohung der wichtigsten weltkörper zog ohne
weiteres die götter in mitleidenschaft* j ja auch die menschen scheioen
1) So sogt E. H. Ueyer. Qenu. inytti. 10: „stembilder werden fast durchweg
nar als liimmLsche eriiiDerangsbilder an andersartige sagen aufgefasst. " Aber and
nicht fast überall durch die jüogoreu bUducgcD die ölterea etwas in den hintergmnd
gedrängt? — über ältere and jüngere BterabUdmythen vgl. zuaiiohst Orimms Mytlt*
009 fg. uiid die ron Ibm oitiert« üuasenmg Buttmanns, „dass man nicht damit witiai^
die vollständige gestalt am himmet za entwerfen, dass es genügte ein stock dana
herauszufinden" — so in unserem falle den raohen eines woIfes.
2) Tgl. aoBSer Homer t 273 (fast = Z 487) zunächst Hesiod W. n. t. 615:
tvT &v IJkijiäSig aBfvoi Sßpifiov *£lfI<ai>o; rffvyoiiaai n/nitustv und dazu PnUv.
Oriectu inyUi.'I, 351. — Dass die alexandrinische litteraturperioda sehr viel bexi#-
hungen auf die steme bietet, ist bekannt; wahrecboinlich auf anregnngen von dort
geht die gleichfalls starke benutsug der stembilder in der röm. dichtung tnrock, '^1
Härder, Astrognostiache bemerk, zu den röm. dichtem (auscige von E. Maaa m
D. litt, zeit XIV, 2fl).
3) a oap. I, g 13.
4) Tgl. Oylf. 42, wo dio forderung des baunieisters aus Bieseuheim Bonne aal
mond als lohn zu erhalten als eine herauafordenmg der götter betncbtat
dot wird.
bei derartigen Vorkommnissen keineswegs bloss znschauer zu sein'. —
Kein wiinder also, dass ein stembüd ^der Wolfsrachen", sobald er ein-
mal personificiert war, zu dem ärgsten feinde der götter, zu einem
■gefälirtichen gast auch für die Vorstellung der menschen wui-de»,
Etwas seltener in alten quellen ist die bervorhebung der
festigkeit und guten Ordnung der fixsternWlder. Das „beer des him-
bozieht sieh auf dieselbe, vgl. Riehm a. a. o. 1572. In dem
■■buche Hioh, das auch sonst auf die gestirne bezug nimmt (z. b. cap.
, 9) fragt c. 38 v. 31 gott den Hiob: ^kannst du die bände der sie-
ben Sterne zusammenbinden? Oder das band des Orion auflösen?"
..(Luther) oder nach Reuss (Hiob 1888): „Bist dns, der der Plejaden
bände knüpft? Kannst du Orions fesseln lösen?" Zu dieser auf-
Assung stimmen (so weit ich sehe) die ausleger ausser Diilmann, der
, zu Hiob 18G9) für den letzten halbveis die Übersetzung ver-
langt: „Kannst du Orions zugseile lockern?" Es soll sich dann darum
undeln, dass durch lockerung der seile, an welchen Orion geschleppt
Irird, er zu einer gewissen zeit höher am Itimmel steigt, zu einer andern
■rieder tiefer sinkt^ — Auf jeden fall ist in dem betreffenden verse
1) Vgl. Schwarte, Ür9|ir. 78, 79; Kuhn, Herabkunft' 48, anm. 1 naoh Birlin-
r (währmid der Bonnpufinaternis ffillt gilt auf die erde).
2) Es mag hior, da der Feuriswolf vaa eintgeu foiscliem mit Lok i und Luuifer
[leiuhgosetzt wurdit (cap. IT, I), woDigGtens beiläufig daran eriouert worden, dass
^^■fir aweite name ja BigODÜicb den morgeoBtorn bedeutet, Jos. 14, 12 (wie bist du
tnn hinimel gofalleu, du Hcliöner morgen stern?) büdlich den lionig von Babe! meinte,
t der aliegorisclieD orkliLniug der kirchonvätcr seit Hieronytnus den gefalleDon enget,
BD satan bezeichnete (vgl. n. a. Biebin, Hanriw. des bibl. alt.' art sterne, b. 1573). ^
äe dfimoniscbe auffoEsung gieng in diesem falie nicht von der gestalt des atorabil-
ea, sondern von der Vorstellung des vom hinimel gafallensoins ans. Auch für die
[^nord. mytli. mag beachtet werden der ausspruch Biehm» a. a. o. 1572: ,die alte aof-
fasaung der gestimo als lebendiger weseu ist nicht ohne alle nochwirkong geblieben,
wie denn auch in der Torstelluög dca himmeUhoores die der engel (noid. etwa =
. diünooen) uod der Sterne Öfter ioolonnder Uiusst.'' Auch dem iadog. gebiet ist diesa
UTOTstallung nicht gaun fremd, vgL über die , Verkörperung (der seelea] in Sternen*
Ideoberg, Ted. m^ib. s. 504.
3) Das bebr. wort k'ssil 1^= Urion) iHideutet zunächst tor oder frevler, dann
, es gibt forscher, welche den am bimniel gefesselten riesen der eomitischen
momie auch in direkle boziehuiig eu dem griech. Orion-mythos setzen, vgl.Prel-
KIbt, Oriech. mytb.' s. 350 anm. 2). — Wie bei dem Orion, so nahm auob bei dem
I jtemtülde der Flejodcn die hebr. aurfa&sung ein batii) an, das die einzelnen stenie
IsnBammenfassto, vgl. Uiob 38, 31 uud Biohm o. a. o. s. 1573. — Bei dem stombilde
Idsr fiaehe nahm auch die europ. astronomie frülierer zeit ein band an, vgl. Stjqnin-
l'SIQrk in 44 Pr. ed. Gislason 8. 478: en sporänr fiskanna knytiir aaman med nqh-
22*
also die Vorstellung zu finden, das8 jede lösung odor lock"
unsichtbaren baiides, an welclioni die sternbüdor gehalten wi
menscheu ebenso unmöglich ist wie ihre anfängliche verlcQüpIiii
zeigt sieb hIso hier eine schöne parallele zu der nordiBchen ai
dass die götter mit dem von den zwergen wunderbar gewirkten
den Fenriswolf am himmel befestigt haben. — Während die vnl
soweit ich jetzt sehe, sich dieser seite der betraclitung weniger zuoelgL
sind es einige kunstdichter neuerer zeit, namentlich Schiller, die hlor
ergänzungs weise genannt werden können'. In den betreffenden atelleo
wird wol niemand eine rerainiscenz an die oben besprochene Hiobstelli-
suchen; es handelt sieb um das natürlich gegebene, das jede pocii»di
gestimmte auffaasung orgreifen muss, wenn sie den gedanki'u dt^r uu&b-
äuderlicben ordnung in einem altbekannlen bilde ausdrücken wilb
weder die erde selbst noch die sonne kommt in demselben maeso i»
betraclit*.
10. AJs kehrseite dieser festigkeit des fissternhimmels komnt
dann zunächst in der jüdisch-christlichen cschatologie der gedanke zom
ausdruck, dass auch diese festeste der sichtbaren sohöpfungu» golU»
dem Untergänge geweiht ist; belege aus der kirchlichen oder von kird>-
lichen motlven aiisgehendon volkslitteratui' sind nicht spärlich vorban-
den*. Daneben treffen wir nun auch in den nordischen ragnsrak-
mythen dieselbe Vorstellung. Dass sie unabhängig vom chrütcotnmi
entstehen konnte, ist mir nicht zweifelhaft, da hier nur die nmkebrat^
des im vorigen paiagraphen beeprüchenen gedankens vorließ*; atiffiU-
1) In Schillerg pantbeln heig.st es von den aleraen: wie wir eia houli
sehen, »ab sie der allei^tste greis; in der Jougfr. von Orl. 11, 7: eher risM ihr
einen Bteni vom himmelswagen; im W. Teil U, 2: die droli''D hwigen aoTertasCH^
lioli und unzerbredilioh wie die stene salbst — Vgl, auch O. Kinkel, Em gcistluA
nboDdlied str. 4: in gleichem, festem gleise der goldne wagen geht.
2) Die erde nicht, weil sie durch nieeres wogen , Btrömo, erdbeben, isrdstänt
gelegentlivh bedroht wird; die sonoo nicht, weil sie scheinbar eine rastlose waadbis
isL Der tnond ist geradezu zur bezeichnuog der vorOnderlichkeit beoutzt wonka.
vgl.i .es koun Ja nicht immer so bleiheo hier unter dem wechsehüdea uiottd* Mwit
den ansdrucb kuDs (mbd. lüne von lat. luoaj.
3) Vgl Eunächst Griniin, Myth. * nachtr. zu a. 682.
4) Im allgemeinen ist freiliob ta bemurlien, dass sohon d«r gedanba W <b
wolgoordneta Symmetrie des sterohiinmels, mehr noch der an die einstige ienttrm(
desselben der ältesten mythenzeit nicht angohüren wird faucti das buch lltob airl
voo Dillmazm i. b. orgt id die zeit zwischen Josaja und Jeteny« gesetzt, eiul. b. XXVH):
während die § ä besprochenen verhlltniase in böuh?tes altertum hinaufraiohnD. — Om
aber Jede poetisclie woltbetrachtung, die ihren bllcli auf das ganza richtt>t, iSi &■
Sterne als das feateste in der sichtbaren weit und ihren »tun als das ciubnobM te
DEB FENBI8W0LF 341
lig- aber bliebe es jedesfalls, wenn die nordische mythologie für einen
so grandiosen gedanken von je her nur die milde fassung von VqI. 57, 2
gö bannt hätte, der ebenso gut das tägliche erbleichen der gestime in
d^r morgendänimerung meinen könnte. Den kräftigeren und noch in
löVi endigem bilde gehaltenen ausdruck für denselben gedanken glaube
ioli in den mythen vom Fenriswolf und dem schiffe Naglfar nachgewie-
sen zu haben.
Excnrs I.
Die heimat der götter.
1. Die verschiedenen ansichten über den wohnsitz der götter zu
prüfen könnte den stofF einer umfangreichen abhandlung ausmachen;
bei der nordisch -deutschen mythologie zeigen sich besondere Schwie-
rigkeiten. Wenn J. Grimm, Myth.* 682 fg. die verschiedenen angaben
der quellen mehr neben einander stellte, ohne die differenzen scharf zu
beleuchten, hat Simrock, D. myth.^s. 35 — 46 diese angaben zu einem
symmetrischen plane des Weltalls zu kombinieren gesucht, damit aber
mehr den aufgaben der konstruierenden als der kritischen periode ent-
sprochen. Da hier nicht alle einzelheiten geprüft werden können, will
ich nur folgendes betonen. Schon die neimzahl der weiten lässt sich
nur dann als arithmetische zahl behaupten, wenn Niflheim und Niflhel
scharf unterschieden werden, was bedenklich ist^. Weit gewagter ist
aber die gruppierung der 9 weiten in 3 über-, 3 unterirdische, 3 auf
der erde befindliche. Nur bei annähme dieser weltverteilung aber
besteht für Midgardr der anspruch „in der mitte aller neun weiten"
zu liegen (Simr. s. 40). Wenn der verdiente forscher seine ansieht
damit stützt: „wie schon der name sagt'', so kann ich nicht beistim-
men. Das wort miägarär erscheint in allen germanischen sprachen
vom gotischen an, hat überall aber nur die bedeutung „erdscheibe
weltaoflösuDg betrachten muss, belegt z. b. auch Lenau in seinem gedichte „Die
Zweifler*. Hier heisst es: „Wenn ich dem ströme (der Vergänglichkeit) zu entfliehen
meine, aufblickend zu der steme hellem scheine: ich habe mich getäuscht! Ich seh
erbleichen die steme selbst Einst wird vom raschen flug ihr strahlend beer,
ein müdes schwalben volk , heruntersinken. Dann brütet auf dem ocean die nacht,
dann ist des todes grosses werk vollbracht" usw.
1) Schon Untersuch, s. 38 anm. 44 und deutlicher im Gloss. s. Niflhel habe ich
diesen Standpunkt eingenommen; ausführlicher handelte darüber Mogk in Pauls Bei-
trägen 6, 521 fg. Christliche einflüsse vermutet hier E. H. Meyer, Germ. myth. 173,
vgl das. auch 188.
inmitten des amzSiinenden oceans" (SeliaHe, Ältd. wb. 9. mirtigaril'.
Einen andern sinn ergibt aach das von Simrock cttierte quelleDnute-
rial, namentlich Gylf. 8 nicht; was den an und für sich etwas zwri-
deutigon ausdruck ü müijum helmi Gylf. 9 betrifft', so zeigt sowol dw
Zusammenhang wie vergleich von Formiili c, 3 und 4, dass unter
heimr hier miägardr zu vorstehen*, Asgarär somit auf der orde xd
suchen ist Im hinblick auf diese und andere stellen bin ich dar vor'
liebe einiger forecher, die götter nur als ,,himmiisehe'* wesen gelten
zu lassen, in meinen Untersuch, zur Snorra-Edda s. 78, Si, 87, 131
anm. 274 bestimmt entgegengetreten. Jetzt bin ich geneigt in einigen
dieser stellen, namentlich in den angaben der pros. Edda über äsgar^
(c 9 — 13, 6, 9; c. 14 = 17, 17; c. 15 -= 21, f., 6) als einen irdi-
schen Wohnsitz, von dorn aus die äsen sich zu ihrer himmlisclien ge-
richtsstätte (am Urdarbrunnr) begeben, doch einen stärkeren einfluss
des im Formäli besonders klar ausgesprochenen Standpunktes der proa.
Edda anzuerkennen, als ich dies Untersuch. 131 anm. 274 für zulässig
hielt*. Jetzt kann ich meine ansieht hierüber in folgende vier sätae
zusammenfassen :
2. a) der ältesten mythischen zeit war allerdings jede schaife
grenzlinie fremd, namentlich zwischen laod- und Inftwesen, vgl W,
Schwartz, Ursprung s. 12: „es verschmolz himmel und erde flir äe
(die menschen dieser zeit) in einander" und Henne (Deutsche vollcssage
s. 5) von den elementargeistern: „eigentliche luft- oder feuerweeen,
welche von den erdwesen zu trennen wären , kennt die dentscho rolks-
sage nicht". Aber auch über die Vorgänge am gestirnten hinimel be-
merkt dei'selbe 3. 8: „sie alle giengen zwischen hinuuel und erde vor".
Daraus erläutert Henne, dass neben himmlischen (meist männlkiiai)
1) Mogk (GnuidriBB der germ. phil. I, 1114) will zwar den ausdruck davM \&P-
leiten, dasB die erde sich iu der mitte Kwischeu tiimmel und Unterwelt befiode, deck
stimmt seine au^osauug sonstt mehr zu der luoinigen als zu der Simrooks.
2) Auch Grimins Übersetzung „im mitlel punkte der weit" (Mytli.* 682) bdit
die imklarbett nicht; nach dem folgenden zu schliesseo scheint Orimm an ein bimai-
lisches JUgardr und Valligll zu denlton.
3) In den (auoh von der hs. ü dargebotenen] ersten onpp, des Fomili vM
heimr sowol wie verqld aar von dar erde gebraucht; dem anfang von Form, o, 4 oai-
spricht Oylt. 9 i- 13, 5-7).
4) Nicht zu uborsohen ist freilich, Am» auch Vijl 7, 8, sowie ßO. 61 dit
troibon der gotter inldavcjllr in olwas irdischem liebte erscheint, dodi bodtirfMi dm
Strophen einer besonderen, eingehenden Untersuchung. Dio Schwierigkeit dies«' bv
geo erboUt anch aus Hogls finssomug (Omudiias der germ. phil. I, UM): .«lAta
rnan kagtx&i versetzte, darüber geben uns die quellen keinen ao^hlnss.*
343
Kid auch irdische (meist weibliche) pottheiten^ hervortraten. Wenn
r satz auch keineswegs so schroff au viirstehon ist, als ob es nicht
titicli weibliche Uiftgottbeiten gäbe, so lUsst doch auch er eine gewisse
präpondernnz der himmlischen götter schon in den noch fliessenden
^Qzen der ältesten zeit ganz gut erkennen. Dieses Verhältnis stellt sich
b) in der historischen zeit zunächst noch klai-er heraus, indem
üer die götter oft geradezu „himmlische" ^ der hauptgott namentlich
( himnielsgott gefasst wird. Eine erinnernug an die frühere freiheit
yieb darin bewahrt, dass es auch erd-, wasser-, unterweltsgötter gab,
8 der Wohnsitz der himmlischen oft nur in der nähe des himmels,
höheren bergen gedacht wurde; vgl, cap. V, § 3, Dieser stand-
Kinkt ist uns aus Homer geläufig; im ganzen ist es auch der der lAe-
-Edda. Bisweilen freilich worden, wie im lat. nur superi und
Dferi, so nur die himmlisch -irdische asenwelt von dem reiche der Hei
mterschieden , so namentlich Vijl. 43". Hier gehört gewissermassen
Jles, was von der sonne beschienen wird, zum göttergebiet, Umge-
»hrt kann auch die den göttem ähnliche macht der riesen bisweilen
ine annäherung des göttergebiotes an das der riesen erläutern*, was
{ äusserste consequenz eine Verlegung von Valh^ll in die unterweit
Lch sich ziehen könnte, die aber nur für sehr späte zeit (d. h. für die
r. c.) zuzugeben ist^. — Dieser im ganzen geordnete und übersicht-
iche zustand crlUhrt
1) Dieser ausdmcli boU liier die niedoren gottheiun mit oinsohlieBsea, weil
: ältesten zeit mehr eine dämoneu-, ala irirkliühu gölten' erehrang zukam, vgl.
..I, §6.
2) Vgl. OldeoUerg, Ved. myth. IM, 176, 347. — Wie namentlich die grieoli.
qrtbologie klar orteiinen läsRt, sind die gotter nicht die von jeher nuBRchliesalioh
Itinim li sehen " gewesen, vielmehr haben die Titanen {d&monen) einen mindestens
3 alten ansprnt^h darauf und werden auch bei Homer noch OtgafiaivK genannt,
. b. £898; vgl. Autenrietb, Wb. zu den hom. ged. und die dort citiertoa belege.
I uiiteiBohiede von ihneu »ber sind es die gütter, die den himmel (de Tacta) in Bgiä-
iv)\ wie die Titauen in die tiore wandern musslen, so im
aus einem alteren gonitterfitrom abgeleitete Midgardsormr,
L B. 186, aum. 2.
3) Mit Schullerus (vgl, s. 330, anm. 2) fitimroe ich darin üherein, dass diese
Dphe für sich botratOitet werden muss und wol nicht 4ä als ursprünglich vorher-
leod voraussetzt.
4) Neben V&f[)r. 15 and 16 (vgl. dazu Unterauch. a, 78 anm. 43) kommt
neutlich Gnu. 11 tu betracht, wo t'ryinheimr unter den gütterwohnsitzen wol des-
Ib erscheint, weil Pryms tochter Skiidi unter die götter aufgenommen war.
5) Wenn Mogk (Grundriss I, 1110) sogar die Valhgll der Gnu. (namcntÜch
1 wogen Str. 21 und 23) in die unterweit versetzen mächte, so kann ich dem nicht
für die zeit Saxos sind Bolche Vermischungen möglich, vgl. fdg. anm.
344 WILXIEN
c) in der euhemoristischen periode des nordens eine nicht
unwesentliche Verschiebung. Zunächst der gedanke, die götter des nor-
dens mit denen des klassischen altertumes als gleichartig zusammenzu-
fassen und ihrer historischen bedeutung irgendwie gorecht zu werden,
dann der wünsch sie dem einen cliristlichen gotte, der nun selbst
zunächst als himmelsgott aufgefasst wurde, bestimmt unterzuordnen
liess die irdische seite und irdische Wohnsitze der götter wider bevor-
zugen^. Wenn einst die götter der Griechen im Olymp nur wenig
über der erde, so sollten diese äsen ursprünglich im mittelpimkt der
erdoberfläche, der auch als geistiges centrum gedacht wurde, ihr wesen
getrieben und von dort nach norden gewandert sein*. Wie aber dies^
quasi -historische auffassung sich nur zufällig hier und da mit histo-
rischen Wahrheiten deckt, so ist auch der versuch, der in Gylt ge-
macht ist, zwischen irdischem wohnsitz und liimmlischcm Wirkungskreis
der hauptgötter zu unterecheiden ^ kcinesweges mit konsequenz durch-
geführt, vielmehr verwickelt sich der Verfasser oft in Widersprüche*,
nicht selten drückt er sich zweideutig aus^ — Wir sind daher genö-
tigt, wo uns derartige berichte vorliegen, gewissermassen die darunter
1) Sio sollton jetzt etwa als horoen erscheinon. Die nocli stärkere hetib-
drückung der götter, wie sie schon bei Saxo, mehr noch in den deutschen und ags-
quellen zu erkennen ist, wird für die forschung weniger leicht irreführend als der
gemilderte euhemerismiis eines Snorri (in Ynglingasaga) \md des verf. von Gylfag. -^
Vgl. über die herabrückung des himmlischen Schauplatzes auf die orde auch Meyer,
Germ. myth. s. 93.
2) Das centrum hebt natncntlich Formali zu Gylf. 3 und 4 (sowie Gylf. 9) h^^'
vor. SnoiTi lässt die äsen wenigstens auch aus Asien kommen (Ynglings. 2).
3) Diese art der schoidung ist wenigstens eher mit den quellen in einklang ^^
bringen als die an imd für sich auch mögliche umgekehrte, welche Simrock bev^**^
zugt: Asgaid liegt ihm über der weit und die äsen reiten hinab zur gerichtsstätt*^
Aber sollte auch Grm. 31 an und für sich recht haben, hier kommt es wesentli*-"'
auf die darstellung von Gylf. an, die für diese iMjriode unsere hauptriuelle ist a«'*
c. 15 (=^ 21, f), 6) heisst es ganz deutlich: hrcm dag rida cesir ßangai upp U^^
Eifrigst brütia, d. h. sie reiten von ilirem (irdischen) Wohnsitze hinauf zu der ^^
richtsstätte am Urdarbrunnr.
4.) Auch Gylf. kennt götterwohnungen am himmel, so in c. 17 und 22, w«^
auch 27 und 32; von stärkerem gewicht ist. dass Odins hochsitz Hlidsl^jalf na^*'
c. 9 in dem irdischen Asgardr, nach c. 17 in dem himmlischen Valas^jälf zu sucb^^
ist — Während sonst der Wirkungskreis ein himmlischer ist (namentlich cap. lO)
scheint nach c. 14 auch an ein gerichtshalten unter den menschen zu denken zu sei^
((Uema med ser orlqg manna 17, 13).
5) Über die läge von ValhQÜ drückt sich der Verfasser c. 2 so aus: G. s(i p^f
hdva hqU, svd at varla mdtti sjd yfir hatia. Ähnlich vorsichtig heisst es cap- ^
von Asgardr: paäan af gerdux mqrg iidindi ok greinir, badi d jqrd ok % lopti^
liegende ältere aiiffassimg (= b) durch kombination wider zu gewinnen,
welchen Standpunkt ich mit
d) als den kritischen bezeichne. — Von diesem aus werden
wir überall, wo an textkritisch unverdächtigen stellen mit besonde-
rem nachdruek von dem wohnsitz oder der heimat der götter die rede
ist, nicht an oLnon wohnsitz im unterschiede vom wirkungsgebiet , son-
dern an den himmlischen wohn- und wirkungsraum der götter im
unterschied von den anders belegenen gebieten der riesen, zwerge und
menschen zu denken haben. So wird das ragna tiJQt (sedes deorum)
VqL 41, 2 von den erkiärern (auch von MtiUenhoff, D. alt V, 126) auf
den himmei gedeutet und dass ich nicht irrte in Gyif. 34 das fieddu
tEsir heima = domi nutriebant asae auf den liiramel zu beziehen,
lässt sieh schliesslich auch dadurch erhärten, dass gerade diesem wohn-
sitz besondere heihgkeit und unverletzlichkeit zugeschrieben wird (c, 34
8chluss — ^ 42, 9 — 12), ganz ebenso wie der himmlischen gerichtsstätte
am ürdarbrunnr (c. 15 = 20, 4, 5). Auch wurde schon c. V, § 3
daran erinnert, dass in der Schilderung dos todes des lichl^ottes Baldr,
wo wider an einen Vorgang in der sphäre des himmels zu denken
ist, ein ähnlicher hinweis auf die heiligkeit des ortes sich findet (Oylf.
49 = 74, 22 — 23), während an anderem orte derselbe Ixiki, der
zuerst geschont werden musste, nuu ohne weiteres gefangen werden
konnte ((ijif. 50 -^ 80, 6)i. — So stimmt liier alles zu der cap. V,
§ 3 gegebenen erklärung.
Exenrs U.
Die einzelbeiten des beriehlos von der fesselimg des wolfes.
1. Bei demjenigen teile der fesselung, welcher auf das verpfänden
der band seitens des gottes T^r folgt, ist zunächst eine etwas verschie-
dene anordnung der erzähluog in U" zu bemerken, welche ich der in
W R iu meiner ausgäbe der pros. Edda 41, 9 fg. vorgezogen habe,
da die wovte: p4 er rBnirnir sä, at ulfrinn var btmdirm med fullu
da auffallig stehen, wo unmittelbar darauf eine weitere Versicherung
der fessel noch folgt. — Dazu kommt, dass bei den früheren versuchen
der fesselung gemäss der angäbe 39, 11 der wolf erst dann scheint
1] Dass der anterschied im loluü das ontscheidende ist, geht daraus horvor,
dass die c. 49 zu guuateQ Baldi« gesL-hworouen etdc (73, 10) nBtiirticIi nni woDigsten
Minem mörder hätten frommen liÖQueo; dieser nmsste duruh den ort selbst ge-
Bcbutzt sein.
346 WILKEN
die fessel gesprengt zu haben, als die äsen erklärt hatten, dass sie
ihrerseits fertig seien. So muss man erwarten, dass der wolf auch in
diesem falle erst das „fertig!** der götter abwartete, bevor er sich gegen
den boden stemmend seine kraft an der fessel erprobte: dieser forde-
rung enspricht der U-text gleichfalls eher.
2. Eine noch weitere annäherung an die art, wie Lokis fesse-
lung gedacht wurde (vgl. cap. V, § 6) zeigen die kurzen berichte
in den handschriften A und M (Kph. II, 431 und 515). Während man
nach ü W R sich den wolf auf einer insel gebunden und nur die
fessel in die erde gegraben zu denken hat, ist nach M und A von
einem hügel {höll ^ htdll) auf der insel die rede, in welchem sich
der pflock Pviti befindet, was so gemeint zu sein scheint, als ob der
wolf selbst in dem hügel gefesselt gedacht werde; die knappe fassung-
dieser texte erlaubt freilich kein ganz sicheres urteil. Es erübrigt end-
lich eine kurze betrachtung der einzelnen namen, die bei der fesselunf
uns genannt werden. Sie mögen hier in alphabetischer folge aufgeführt
werden.
1. Amsvartnir {Aurs^vari?ier H nach Kph.) zu svartr gehörig, der
fluss in welchem Fenrir gefesselt liegt.
Drönii, ein auch sonst im an. nicht unbekanntes wort, nach VigL
= engl, thnmis, name der zweiten fessel.
Oehfja ist nach UWR name eines an die fessel Gleipnir geknüpf-
ten Strickes, nach AM (Kph. II, 431) die eines riegeis oder pflockes-
Zu der ersten bedeutung passt besser die kenning: gelgju (= fiinis ==
bmujs oder hrings) gdlgi =-■ brachium (insofern der ring am arme hängt)-
Nach Egilsson Lex. poet. s. v.
Ginul heisst in M das loch, das in den pflock Pviti gebohrt ist:
(wol zu gin, gina).
Gjqll, name des felsens, durch den der strick Gelgja nach üWK
gezogen wird, wol zu gjalUi, vgl. auch Ojallar-bru, -hörn (Vigf.)-
Gjolnar heissen die barthaare des wolfcs (granar) in A und M;
Vigf. vgl. engl, gills =-= kiemcn.
Gleipnir, name der dritten fessel. Die erklärung ist zweifelhaft;
an glegpa erinnert Egilsson anlässlich des kompos. hardgleipnir in ein^r
Strophe der Pörsdrapa des Eilifr (Kph. I, 296 = HI, 33). Die bedeu-
tung „w^olf " beansprucht er jedoch nur für die betreffende stelle. Vigf
erklärt the lissom (^ der glatte). Vgl. noch norw. glipa = ofiFen stehen,
klaffen; dän. glippe =- gleiten, ausgleiten; glippe = blinken, bünzeb
(Kaper).
DEB FENRI8W0LF 347
II steht in A wol minder richtig für Oinul,
tu hoisst in A und M der strick, welcher in UWE den
gja führt. Wol ==- krcexla,
wi wird die insel genannt, auf der Fenrir gefesselt liegt
idt mit lyng -= heidekraut? So N.M.Petersen, Nord. myth.
Wol zufällig ist die ähnlichkeit, dass in morgenl. sprachen
:rasso als via straminis oder paleae bezeichnet wird (Grimm,
i anm.) vgl. w. u. § 4 gegen ende.
rigr (Leuä- R), name der ersten fessel. Nach Mob. Anal.
[ zu lauil f. = draht.
^/^/r, name des hügels auf der insel Lyngvi nach A und M,
(sive ubique) coruscans aut rosplendens (= Oütiiir mit dem
Ion 6-/-), Finn Magnussen, Lex. mythol. 68.
(var. Vam U, Van H, Von S nach Kph. I, 112). Die
Van ist zwar durch das Wortspiel mit vdn =» spes in der
I, 630 anscheinend als die richtige erwiesen; ist aber die
auffassung gegen irrtum gefeit? Jedenfalls müsste dies vdn
iimonischon auffassung des wolfes im sinne von „despair,
igf. s. V. vdn III) genommen werden; die varr. lassen allon-
an vamiit = vqmni oder mit Grundtvig (Petersen, Nord.
an ags. ican, won — schwarz denken. Kann ein schaum-
ii „schwarzfluss'' hoisscn?
name des in A und M hinzugesetzten zweiten flusses; be-
m. und ags. (misery Vigf.)-
(var. pötti M) wird in A und M einfach als hoill (pfähl,
den andern hss. als stein bezeichnet, der als festarhcell
für den strick Gclgja dient. Zu dieser letzten auffassung
' sonstige gebraucli des wertes = stein (Vigf. s. v., Egilsäon,
s. V.).
nd einige der angeführten werte auch nicht ohne lexikalisches
so weisen doch schon die vielen varr. der Überlieferung auf
ganz gesichorte tradition mit jüngeren Zusätzen hin*. War
:nn es schwer oder unmöglich ist, den ältesten kern der fossclungsberichte
szuschiilen, so ist mit einiger Sicherheit doch nach abzug der evident
iteii ein mittlerer stand der überliefening in den drei fes.selnamen Lcp-
/, GlcApnu\ in den angaben über die Stoffe zu der letzten (vgl. Kph.
gge, N. F. s. 335; meine Unters, zur Sn. Edda s. 114); in der angäbe,
auf einer insel gefesselt liege, ein seh wert seinen rächen 8pen*e, ein
dem m.iule entrinne, zu erkennen. — Der rest ergibt sich teils als blosse
ug des älteren bestandes (so Vil neben Vdn\ die fessel Öe/^a neben den
348 WILKEN, DER FENHI8W0LF
schon in den einfacheren berichten der sinn des mythus verdunkelt,
so wird die skaldische tradition nur durch glücklichen zufall hier und
da richtiges bewahrt haben. Aber von irgend einer. einzelnen angäbe,
z. b. von dem namen Lyngvi aus eine erklärung des mythus zu ver-
suchen (N. M. Petersen a. a. o.) kann unmöglich zu gesicherten ergeh-
nissen führen; man erinnere sich hier nur an den namen Lyngvi fä
heldenname. Sollte man versuchen mit hinweis auf Änisvartnir, viel-
leicht auch Vän einen dämon der finstemis in Fenrir nachzuweisen, so
würde der hügel Slglitnh' diese finstemis jedesfalls auf die stemerhellte
nacht reducieren. Wollte man den wasserdämon mit einem hinweis
auf den fluss, in dem Fenrir gefangen liegt, zu retten suchen, so darf
nicht übersehen werden, dass die skaldischo Überlieferung weit mehr
gewicht auf die aus dem maule des wolfes fliessenden ströme legt: wr
II falla or mtarni honmn — ok er pvi r6tt at kalla votn hrdka hans
(Kph. II, 431). Diese schaumflüsÄC sind von meinem Standpunkte aus
ohne Schwierigkeit zu deutend — Sollte man endlich einwenden, dass
das von den skaldon vorausgesetzte lokal jedesfalls nicht als himm-
lisches sich darstelle, so ist vielmehr zu betonen, dass die fesselung
auf einer flussinsel (wobei nach der jüngeren auffassung die wasserarme
in ähnlicher weise natürliche schranken bilden sollten wie bei dem zwd-
kämpfe, der hölmganga) zunächst wol verbietet an einen aufenthalt sei
er unter der erde oder in der wassortiefe zu denken; die erdober-
fläche aber gibt so viele berührungen mit der wölken- und luftregion,
und so gemissermassen auch mit der himmlischen heimat der götter-,
dass hier die grenze von jeher eine schwankende war*. Allcsfaüs
könnte man sogar versucht sein bei bei der insel, auf der Fenrir gefes-
selt lag, an einen jener inselartigen himmelsräurae zu denken, die voi*
den ai-men der milchstrasse umflossen sind. z. b. an die inscl zwischcti
der Cassiopeja und dem schwank; doch genügt mir der nachweis, d»s^
irgendwie triftige gründe gegen meine erklärung des mythus auch aH-*
der skaldischen terminologie sich nicht ergeben.
drei früheren), teils als einwirkung des mythus von der fesselung Lokis, vgl. cap. "^
§0; VII, §4).
1) Cap. VI, § 9 gegen ende.
2) Vgl. excurs 1, § 2.
3) Von andern inöglichkoiteu nur noch diese: wird das Ojallarhom von Maa^'
hardt (Oöttenvelt 259) richtig auf den donner bezogen, so kann der felsen Gj<^^
ursprünglich als dröhnender wolkenberg gemeint sein. Auch die Gjaüarbru suct*
derselbe forscher s. 320 am himmel.
ST.VÜK, DECBR. 1894. E. WILEEN.
ZUR ERKLÄRUNG VON GOETHES FAUST.
(Vgl. die früheren bomerkuugen Ztsc'Ur, XXIII. 451 -IST. XXIV, 506—510.
XXTI, 141.)
I, 525 (878) Bürgprniiidclieu. Sie liess mich Kwar in Sanct Andreas
Naclit
Den kiinft'gen Liebsten leiblicli sehen —
Diu Andre. Mir zeigte sie ilin im Kiyatall.
Schröer erinnert an das geistersehen in der glaslinge! im Oross-
kophta. Entgangen ist ihm die erzählung vom krystallschauon in den
Deutschen sagen dor brüder Grimm bd. 1, ni-. 119, wo der ganze Vor-
gang ausführlich geschildert ist. £s ist nicht unmöglich, dass Goethe
von dieser erzählung aus der quelle {Job. Rüsts Zeit Verkürzung) kennt-
nis gehabt hat. Vielleicht bezieht er sich aber auf die in Deutschland
noch weit verbreitete Verwendung des zauborspiegels, in dem der
Zauberer oder die zanberin dem fragenden inädchon den künftigen gal-
ten zeigt Vgl. darüber, auch über die herstellung eines solchen zau-
berspiegels, Ad. Wuttke, Der deutsche volksaberglaubo der gegenwart.
2. aufl. Berlin 1869 § 354. Da im Deutschen Wörterbuche ein nach-
weis für krystaU ^ Spiegel fehlt, so gebe ich einen solchen vom
jähre 1815. Er findet sich in Langbein.s bailade „Die büsserin" (Neue
Terbess. aufl. der neueren gediehte. Leipzig, Dyk; o. j. s. 210). Hier
wird erzählt, wie ein zauberer durch seine kunst auf bitten ihres ge-
mahls bewirkt, dass eine eitle frau statt ilires bildes das eines Scheu-
sal» im Spiegel erschaut: „Doch als sie einen Monat lang Sich ehrlich
ohne Heuchelzwang, Als Biederweib gehalten, Verschwand der Dunst
Der scliwarzen Kvmst Und ihr geheimes Walten. Und wieder fand,
mit Jubelschall, Die Dom' in jeglichem Er^'stall Den Schatz, den sie
verloren."
1058 (2011) Der Geist der Modicin ist leicht zu fassen;
Ihr durchstudirt die gross' imd kleine Welt
Um es am Ende gehn zn lassen
Wie's Gott gefällt
Was unter der gross' und kleinen Welt zu verstehen sei, ist bei
iDüntzer, v. Loeper nnd Schröer nicht erklärt Wir haben hier offen-
ftiar eine Verdeutschung von Makrokosmus und Mürokosmus (s. v. 65
^g. und 1449). 7m vergleichen ist auch die im D. wb. VI, 196 ange-
ihrte stelle aus Hübners Handlungslo.icican (v. j. 1722) Uli; „unser
izer leib, der mikrokosmus, oder kleine weit, ist, in ansehuDg des
nacrocosmi, oder des grossen woltgebäudos, eine machina, wie die
neuen medici solchen vielfaltig machinam corporis humani betitteln."
Zur scene in Auerbatrhs keller 1720 (2073) fgg. ist zu bemeilen,
dass Zeche uioht nur eine zechgesellscbaft, sondern geradezu ein Wirts-
haus bezeichnen kann. Tgl. langbeins Neuere gedicite a. 478:
Sieb, da brach ein Trupp Studenten
Wild au3 einer Zech' hervor.
Bezüglich des namens Brander hat Härtung an brand = rausch
erinnert (s. Goethes Faust erl. v. H, Düntzer, Leipzig, Dyk'sclie buchL.
1857. S. 264), Nun ist zwar dieser ausdnicit nicht nur in studentischeD
kreisen, sondern auch in Baiom (s. SchmeUer, B. W. I', 360) und an
Rhein |9. Kehrein, Volkssprache und volkssitte im herzogtuni Nasssu
I, 91) allgemein bekannt; auch nennt mau dort nach einer bemerknng
KiehU in „Land und leute" einen vollendeten zecher einen tüchtigen
„brenner". Doch, sclieint mir der narae, so ausgelegt, nicht chank-
teristisch genug. Ändere erinnern an brandfuchs = studeut im
zweiten halbjahre (eigentlich: fuchs mit scliwarzem bauche, schwarzer
achwanzspitze und schwarzen laufen); aber auch diese ableitung
wenig wahrscheinlich, denn Brander im Faust ist, wie auch Scbrüer
bemerkt, ein alter hursch, der den andern gegenüber eine gewisse
Überlegenheit zeigt In Nassau (s. Kehrein a. a. o.) sagt man: Dat
ess'n kert, me'rt brmid, wofür man sonst die bezeicJinung hat: „Du
ist ein kerl, wie ein bäum." Ein „brander" wäre danach ein dickor,
starker mensch. Ob die im D. wh. angeführte schweizerische beeücb-
nung bratuier -= böses weih hiermit zusammenhängt, oder ob sie, wie
Grimm annimmt, auf das „bnmdschiff" zurückgeht, vermag ich obäA
zu entscheiden.
3222 (3575) Das Kränze! reissen die Buben ihi-,
Und Häckerling streuen wir vor die Thür.
Diese sitte erwähnt Gottfried Kinkel in seiner im oberen Ahrtale
spielenden novelle Margret (1847), abgedruckt im Doutschon novellen-
schatz, herausgegeben von Paul Heyse und Hermann Eiu-z 4, 233:
„So fügte sie sich dem uTirecht, das stets den unglücklichen verfolgt;
aber mit blutsverwandten, die so nnbrüderlich an ihr gehandelt hatKs,
vermochte sie nicht mehr zu leben, und die Vorstellung war dir
unerträglich, dass eine boshafte band violleicht auf dorsolbeo
schwelle des Vaterhauses ihr häksei streuen könnte, wo eiiHt
an jedem ei-sten maitag grünes mailaub für sie geprangt hatte," la
der von Schröer citierteu stelle aus Sclimeller II*, 803 ist nur d«f
strohkranz erwähnt, und der Strohmann, der „ullzulustigon"' dima
vor das fenster gestellt wird.
3437 Und unter deinem Herzeu
Regt sich 's nicLt quillend schon,
Und ängstigt dich und sich
Mit ahnungsvoller Gegenwart?
Die verae lauteten in ursprünglicher gestalt nach der Göchhau-
senschen abschrift (herausg. von Erich Schmidt 2. abdr. Weimar llSf*8):
(T. 1324] Und unter deinem Herzen,
Schlägt da nicht quillend schon,
Brandschande Maalgeburt!
Und ängstet dich und sich
Mit ahnde voller Gegenwart
Ton den später getilgten werten brandschande und maalgeburt,
die, soviel ich weiss, bisher noch nicht erklärt sind, ist das erste
unzweifelhaft eine Zusammensetzung mit brand iu der im Deutschen
wb. bd. II, 296 sp. 11 verzeichneten hedeutung: „brand, mola, unzei-
tdg abgehende leibesfrucht . . . gloJcbsara verbi-annte leibesfruclit oder
gestocktes schwarzes blut." Bei maal könnte man an mftl in der
bedeutung: flecken, aündliche bofleckung (vgl. Weigands Deutsch, wb.
n, 14) denken; wahrscheinlicher ist es jedoch, dass wir darin nichts
anderes als eine volksetymologische umdeutung des lat. mola zu erken-
nen iiaben. Dies wird in Flinius nat bist 7, 15, 13 folgen dermassen
erklärt: „Ea est caro informis, inanima, terri ictum et aciera respuens:
et, ut partus, alias letalis, alias una senescens, aliquando alvo eitatiore
excedens. Simile qulddam et in viris in ventre gignitur, quod vocant
scirrhon," Auch ins englische ist das lat mola in der form mole [^a
mass of fleshy matter generated in the uterus." WebsterJ eingedrun-
gen; ebenso findet sich müle in dieser bedeutung in jedem französi-
schen wörterbucbe.
II, 397 (5009) Der Bauer, der die Furche pflügt,
Hebt einen Goldtopf mit der Scholle,
Salpeter hofft er von der Leimenwand
Und findet golden-goldne Rolle,
Erschreckt, erfreut in kümmerlicher Hand.
Ztschr. XX in, 401 habe ich schon bemerkt, dass küramer-
lieh hier in der bedeutung von „ärmlich" steht Ich bemerke dazu
noch folgendes: Im mnd. ist kummer = not, mangel; diese bedeu-
tung ist auch in neueren mundarten (s. Woestes Westfälisches und
Stürenburgs Ostfriesisches wb.) noch lebendig. Überhaupt ist kummer
in seiner gemeinhochdeutschen bedeutung, wie Vilmar im Kurhessischen
352 SPRENGKB
idiotikon s. 231 bemerkt, in manchen gegenden bei dem volke durch-
aus nicht üblich und ihm nicht einmal verständlich. Auch in der ve^
bindung „hunger und kummer leiden** sind hunger und kummer
ursprünglich Synonyma. Ebenso ist „Es geht ihm kümmerlich*' = ^er
leidet mangel und not". Goethe gebraucht hier also das adject küm-
merlich in einer bedeutung, die das adv. noch allgemein hat Im
übrigen bemerkt Schröer mit recht, dass nicht die band, sondern der
bauer kümmerlich ist; doch ist das wort nicht in dem im D. wb. 5,
2605 angegebenen sinne zu fassen, sondern durch „mangel leidend,
nothaft" widerzugeben. Die dichterische freiheit, die sich Goethe ge-
nommen, ist nicht grösser als wenn z. b. Fr. Hebbel in „Mutter und
kind" 7. gcsang (Werke, neueste ausg. bd. VIII, s. 261 z. 5 v. u.) vom
„dürftigen pfennig** spricht. — Es mag noch bemerkt werden, dass
Salpeter (sal pctrae oder pafrae) ein gepriesenes heilmittel der alten
zeit war.
3190 [7802] Das war ein Pfad, nun ist's ein Graus.
Zu meiner bemerkung Ztschr. XXVI, 141 trage ich jetzt eine
stelle aus Joremias Gotthelf (Werke, Cottasche volksausg. bd. 3,
s. 122) nach, in welcher graus in völlig gleicher bedeutung erscheint,
wie in der dort angeführten aus Lichtwer. Es heisst hier in der
erzählimg „Barthli, der Korber" nach einer durch ein gewitter ver-
anlassten Verwüstung: „Die ganze nacht stand der gestrige nach-
mittag vor seinen (des mädchens) äugen, als wie ein grosses bew^-
liches gemälde. Es dachte nicht, es schaute nur, fühlte die angst rie-
seln durch mark und bein; es war ihm das herz eingeklemmt, dass
es oft kaum athem hatte, und doch war ihm wol dabei, es war ihm,
als ob hinter dem graus die sonne stehe und bald schöner als nie
scheinen werde und die greuel verklären und alles vergehen ... Zu
greuel vgl. Faust 11, 5458 (10,069): Steigst ab in solcher Gräuel
Mitten, Im grässlich gähnenden Gestein?
II, 5524 (10136) (Mephistopheles)
Ich suchte mir so eine Hauptstadt aus.
Im Kerne Bürgernahrungsgraus,
Krummengo Gässchen, spitze Giebeln,
Beschränkten Markt, Kohl, Rüben, Zwiebeln;
Fleischbänke, wo die Schmeissen hausen.
Die fetten Braten anzuschmausen ;
Da findest du zu joder Zeit
Gewiss Gestank und Thätigkeit.
^^^^^^■^^V ZV OORTHICR 853
Im ersten buche von Dichtung und Wahrheit [Hempels ausg. s. 14)
berichtet Goethe: „Man verlor sich in die alte Gewerbstadt, und beson-
ders Markttages gern in dem Gewühl, das eich um die Bartholomäus-
kirche Iienini versammelte. Hier hatte sich von den frühsten Zeiten
an die Menge der Verkäufer und Krämer über einander gedrängt, und
wegen einer solchen Besitznahme konnte nicht leicht in den neuern
Zeiten eine geräumige und heitere Anstalt Platz finden. Die Buden
des sogenannten Pi'arreisen waren uns Kindern sehr bedeutend, und
wir trugen manchen Batzen hin, um uns farbige, mit goldenen Thie-
ren Ijodruckte Bogen anzuschaffen. Nur selten aber mochte man sich
über den beschränkten, vollgepfropften und unreinlichen Markt-
platz hindrängen. So erinnere ich mich auch, dass ich immer mit
Entsetzen vor den daranstossenden, engen und hasslichen
Fleischbänken geflohen bin." Die vergleichung beider stellen
ergibt deutlich, dass Goethe bei der abfassung obiger verse des Faust
Frankfurter Jugenderinnerungen vorschwebten. Zugleich bietet die an-
geführte stelle von „Dichtung und Wahrheit" einen weiteren beweis
dafür., dass Bürgernahrungsgraus nicht mit Schröer als ein „Stein-
haufen, in dem sich der bürgcr nährt" zu fassen ist. Der eigentüm-
liche Ausdruck soll vielmehr bezeichnen, dass die in den folgenden ver-
sen aufgezählten gegenstünde der bürgerlichen nahrung (d. h. hier in
dem sinne, wie er in Luthers Kleinem katechismus erscheint, alle zur
erwcrhung desselben dienende hantiening) Mephistopheles absehen erre-
gen, wie einst den jungen Goethe in Frankfurt das entsetzen vor den
hasslichen äeisclibänken in die flucht trieb.
Interessant ist es zu sehen, wie einer unserer neusten schrift-
■ steiler, Alfred Friedraann, in seiner novelle „Die erzählung des Hen-
kers von Bologna" (Reclams Universal-biblioüiek 2871, 72 s. 83) Goe-
thes verse in prosa aufgelöst bei einer Schilderung des alten Bologna
verwandt hat: „Andrea strich durch krum-enge gässcheii, an spitz-
nebligen bauschen vorbei; auf einem beschränkten markte bot man
den mit körben dahinhuscbendeu mägden kohl, rUben, zwiebeln, citro-
nen, orangen, getrocknete trauben an. Über den fleischbänken schwärm-
rten die schmeissfl legen als erste festgenossen zu den fetten braten, und
fehlte nicht an lärm und geschrei, üblem genich und allerhand
Eiflilender tatigkeit.'^
6604 (11216) Die bunten Vögel kommen morgen,
Für die werd' ich zum Besten sorgen.
( scheint mir natürlicher unter den bunten vögeln mit Düntzer das
lolle, ausgelassene matrosenvolk zu veratehen, als die buutbowimpelten
1. xxvin, 23
3'A i»Cnt7.er
Rchiffo. Auch Schröer erinnert daran, dass Goethe mit dem auüdruA
\i\f:(A eine vfjlksmasse zu bezeichnen pflegt. Sollte dem dichter viel-
leicht die volksctymologischo form vapelbunte für vagabund vunre-
scli\vcl)t haben? Ähnliches, wie die anlehnung an die alte sprichwürt.
liehe rodensart ^stank für dank^ v. 6576 (11188) fgg. [vgl. Redentiner
spiel V. 13S0, 1429 1, macht dies nicht unwahrscheinlich.
NOKTHErM. R. Sl'RENOER.
LTTTERATUR
rioothü's werke. H«'rjiiisr,'egobcn im aufti'ngt.* der grossherzotrin S'-phie v-n Sai-
son. I. band i;5, 1. 1(3, 17 und 24; III. band G. IV. Iwind 1'», lH. W-irüiT-
llerniaim ßöhlau. 1801.
Von den vier bänden der eigentlichen werko haben wir Dur zwei cih-r :j
l» sprechen, da von dein dreiz(jhnten noch die zweite abteilung aussteht, die i^vr^
■i'?r ungedruckt«»n bearUntung vt»n Kotzebue's „Schutzgoisl" ^Paralipoinoua' üri j::-
Ir?arten zu den stücken der ersten al»teilung bringen wird, der vienindz^anz.:«:^
rl-»!; »iie Innden ersten büclier von , Wilhelm Meisters wanderjahren - uhLe •!:■■ l-*—
■i::- r. ^ibt. Der r^echsz«*linte entspiicht wesenflic^h dem dreizehnten der au^ira'-- i**:—
• : han-i: hinzugetreten sind aus dem vierten bände der grosse ma.<k^TiZij v rs
: v-nil-. r ISIS und aus dem gednukten naehla.ss das ^Requiem d».*s froh>vc iraLt —
i - ; v.rhundorts- ; zum ei"sten male erscheinen hier ,,Sohillers totenfeior" v-a NV^
:. .: r:r.v::i facsimile der luiudsehrift) und zweiundzwanzig verse einer .Kactai r;'-.
:'::.. 3*:. r.-iVsto" (KSIT), deren entwürfe sehnn aus dem briefweth«?l Hii: Z-.S"
. 1.1-: -.xar-n. Die Iwrausgabe war unter bewährte Goethekenner vonoJt w :j :
- L j-.iLZvn re!«"li«.'n schätz liandsi-hriftlicher Überlieferung und der ma>Si-':-r.i-^
:•- L- . rr-.il: Is nicht na«'h durchaus übereinstimmenden ansichten, ven»-.':-: b^-—
- . • ':. :.;r «iie kritik dieser mannigfaltigen dichtungen ein sicherer bodec C'-'^ - '
I'.:: ca-.'mj: bildet das ., Neueröffnete moralisch -politische puppensik;'. -:>^
. ..::-i - r.:! i-- im jähr»» 1774 der ..Drolo;:'', das „.lahrmarktsfest* und «IV-.rPr-' j
-. ■ ■. war:-.: hier tritt zwischen dii^ beiden b'tzten stücke etw;L«« auff.ul-ii ..I'i^■
: . .. «■• '. :: r.v.iL i' r-wiiliMii" von il7Sh: jodes der vier stücke mit au^r.ab::- i-*'
. _i'- hat »in b'^^'»n«ii'ros titelblatt; ja das inhalisverzeiehDis hat ai-lI -I'*'
. -■-. •■ .::.:■: ca^ ..ruppruspiel** gest.'llt, ..l\iter Bn^y" davon au-sgcschlvT^f^exL '^-
".- -..■.. i- ■ ■ l.,i.i| Tiüii; i>. iUCi, die bi'handlung des textes des „JahnuarKA'*"-^"
■ -. :: - :-.•]%' -liiio iit'S>i»n iroiu'limigung erfolgt, vielmehr dürfte ^:»=>': -'
.. .' ■ r> . "..^■. >timmt habi^n. da b*^<timn;ungen über ändening«''n it *;i': ^v
> ;: w. rk" p ti\ iTon weni-nu wie wir es von der ,, Italienis-.be!: :->'
■ ..- ..:::.•* wi^^i:!. os von drm titel „Dichtung und wahii.?::* r--*
.;. >•. •.:. ; >.^ au«. I; \'i\ drii ansti'-ssigen stellen im ,..Tahr7r.ar£t.*:-^v
; .,.■.: I .^i :':.,.: vi: ce:; hr.'; i>chrift des ,,rrologs'' hat ab»--, i-ir'-
- . i> .. ;i:. :: : >:■'.'.:*. cr^rlun, wv^K»i es aufTällt, dass vor* l^ i- -
: .. "v •'. ..W:V." ^:;•,;T ..Mi:t" steht, so dass luan „Will** >an is?
..}i.-.Z':\" ; •' :■ .,M;;:*^*' :V.r lvab>i'htiirt halten muss. Bio vencnnmc fl 3
- ft ^ •
ßDER OOETUES WEHKK (wElll. AtfSO.) m5
stemme aus der im jähre lTt$2 der berzogin-mutter goscheolihia lioiidBcbriftlicheD
sammlang seiner „Un gedeckten Schriften" scheint uns daiiurch widerlegt,, dass Goethe
di<we 178(1 an Herdor pb, um sie für den druck durubzugeben; ist doch kaum onzu-
nebinen, Goethe habe sich sein gescheok ia dieaem zwecke zurückgeben lassen, um
es als sein eigentum zu benutzen, Freilich stammt die in schrift und papier ganz
ähnliche handschrift der „Lila" und der „Vögel" sowie die der „Briefe aas der
Schwell" aus jenem gescheut, aber diese tragen anoh die aufauhriften „Ooethe's
ungedmckte schrifton I. heft, II. heft" und auf dem dockel das wappen der herzogin-
mntter und sind nicht von Herder durchcorrigiert Ebensowenig war die hand-
schrift des siogstücks „Jery und Bätely" trotz der gleichhoit von schrift und papier
in dem besitze von Anna Amab'a; sira ist nicht als heft vou Goethe'a „üngedruckien
Schriften'' bezeichuet, trügt auch nicht das wappen der herzogin, und Goethe bat
feie mit nach Italien genommen, um sie zum dmcke davchznsehen. Auf die selt-
same annähme, Goethe habe sich die einst der berzogin • mntter geschenkten band'
schrifton zur dm'ebsicht für den druck geben lassen, nnd sie niuht zuräckerstattet,
würde man nicht geraten sein, hätte man sich erinnert, dass Goethe schon 1781, ehe
er kostbar gebimdena hefte zu ihrem geburtstag dieser verehrte, ohne Zweifel gleich
geschriebene abschriften auf gleichem papier als weihnaohtsgeselienk der frau \. Stain
gegeben, diu or dann binden lassen wollte. Tgl. meine -„Charlotte vou Stein* 1, 105 fgg.
Von ihr sich die abschrifteu der stücke zu erbitten, die er unter seinen papieren
nicht fand, lag sehr nahe. Wir wisscu, dass er sich von ihr die abschrift seiner
,lpbigenie' geben lieas, um sie Wiei^id zur durchsieht mitzuteilen. Die vorhan-
denen abschriften, die sich aus dem geschcnke an die herzogia-mutter im Goethe-
archiv fanden, erhielt Goethe wol erst nach ihrem lode zurück.
Zum „ Jabrmarklsfesf " hatte Goethe Herders ünderungen, besonders seine
Batzzeichuung, benutzt; diese nahm er eicht alle auf, aber zuweilen eine ungehörige.
8. 4 batte Herder das rheinische „onjonirt" (von cujon, schelm, das sich in , Pater
Bre;" 280 findet) nicht verstanden, uud deshalb durch ein NB. beanstandet. Goethe
sMzte dafür ohne not „ sobikanirt". Dass 494 dos von Herder angenommene „bfilf"
sohleciiter sei als Goethes „hülf", hat der horausgeber bemerkt. Mit rocht bat dieser
■neb 184 manch' statt des ITBÖ aus versehen hereingekommenen die hergestellt
Verfehlt aber ist seine Vermutung zu 179, „panlon" sei abkürzung von „pantomime";
«8 war wol eine gajigbare hezeichnung des zigouneibarscbeo, die Ooetho sich gemerlit
hatT^. Dagegen scheint das zuerst nach 403 vorkommende .Marda* zur bezeichnung
des marktschruiera wol ein im freund eskreise beliebter scberzhafter ausdnick. In den
auftritton zwischen Ahasverns und Hamon, worin zwei lücken nach Solzmanns exem-
plar ausgefällt sind (s. 401 fg.), war 27 „tapfer" eine verfehlte Vermutung Hommsene
für ^tapfern", die nur statthaft wfire, stände vorher sie statt wir. „Tapfer" war
gangbares heiwort der kinder im siune voa „stark'.
Beim „Neuesten von Plunderswoilem " werden aus dem Wiener druck von
1817, der gewöhnlich für oinen oacbdruck der gleichzeitigen Cotta'scben ausgäbe gilt,
die merkwürdigen abweichungen von dieser angeführt, weil sie mit den hondsohrif-
ten übereinstimmen. Gleichzeitig hat Seuffort im « Goethe- Jahibuch* XV, 157 — 170
Untersuchungen über diese Wiener ausgäbe in bezug auf die erzöhlung „Die guten
treibcr'' nngestellt, woraus sich ergibt, dass bei ihr eine andere vorläge benutzt wor-
den sein müsse. Goetlie hatte wirklich von den in der früheren Cotta'scben ausgäbe
■kocii nicht gedruckten dicbtungen aliscbriftoo nach Wien gesohiekt, worin man aus
mßar bandsohrift mehrere stellen aufgenommen hatte, welche in der früher noch Stutt-
L. 23*
gart geschiukteu druck vorläge verändoit waren. Späler lies« er einoQ aUtui;! Im
„riivaa" mit Tei'beaspmng dor druck fiihlei' oiwh Wiea abgehau. Dlo afa««idiu^
in B I haben demnach nur gescbichtlidbon wert gagenuber den Mr die Cuta'wlitf
ausgal)B Trfitgi^Btütcii lesarl«ii. 8.406 fg. linden wir niDu oinlritung, wcldw üwitbe
fn dem .Npuesten" luii (i. daceinber (dem Nikoliutag?) 1827 (ilr Ticfnrt giaiiri»-
ben, wo das botreSende bild sich findet. Die besaheraiiK am Kikolutsgv. an iaim
stelle erst seit dar roformation die z\i weihnachteil trat, hatte sidi aach au mandim
dentsphen orleu, »ie ku Gotha, erhalten, in Weimrir war eie vielleiiüit durdi die
ruMsische grossfürstin, die gcmablin des iirbiirinxim, eingeführt wurdtm, da (in in
ilirvr lioimnt allgeineia nm tage des bauptheiligon Rtattfand. — Zu 2T6: .l'nd Iniact
'k-a Alteo fast den tod", fragt der h«raiiageher: , Dämlich WuiTitel nud dem Vaa
iu roifrw'k?* Aber Wurst«!, der den alten immerfiirt neukt. kann niclit audi »da
selbst „den tod drolien", wie es die folgende ruttu tut. Deaitiodi ItÜDntti naa mit
Bcböll dem AltGD fordeni, abi-r die allun sind die, welche in dinsur Irude uiola
immer spielen, die Vertreter der klossiiichon franKüsischoa tragodio. Tgl. 200 ,>i>«'
In doli bi'idoQ aus den iiennzigcr jähren stammendoo parKl>«ln and li»*
legend'' von 1797 habe i«h, um einen Iiisa mit drei wmbuiii^cii «u vi^nwitei.«
„'ncn' statt .einen', .fi'olircbo" süilt »fröhiiubo", ,'ne* statt ,pioo" f«rtiL D»*'
hernuagoher lisst die üborlüatigeo silbeo stoben, meint abi^r: ,tJior «in'n ude^
ein'", wonach er denn anch an der dritten stelle „eher noch ein" mochte, P0^
einzige gmn'I dieses „eher" bildet die Verweisung auf die anmerkungen «u (Haft»*—
Eon des 177Ü gedichteten „Hans Sadis". Diese anmerkungen aber anthalten ai»'
die angnbe der lesarlen, wonach 31 .,«iu" fdr „einen" (ein'n) slitbt, llß g^drnek*
ist „n'n" oder „on" (statt „einen"), ÖÖ nnd 8« „ein'm", 72 „aein'n'-. H»r]t«ttr4a^
aeheiut, dar« metrisch hier nirgends itie verkürzte form nötig ist, <\i in dtonMUiff^
gediobte „eino", „einen", „einem" die scnkuug des fusses bildun (i, II, 10. Ä*»
80), wie auch „ihre" (66). Aus dem rci:ht siJi wankenden gcbraoeb «rinw .,llir»—
Saehs" auf Oootho's gebrauch in den nenniigor jähren an si-h li essen , pönd «ir i«»
keinem falle berecbtigt. Auch Schiller nnd Bnrder haben in dieser lolt „'dmi'' flait*
„ninen", üelbat „'mal" statt „einmal", Warum hat der beraiisgelier uleht da« in AM
neunziger jabre rallenüe gedieht „ KÜDütlers fug und roolll" bvothlul, «u iimk i^
Wciinarpi' ausgäbe (.11, 19a fgg.) ,"non" (statt .einirn"), wie nnch „ihn'n" hat. Vmn
anch Guellio in den aebzignr jabren sich bei solcbru vorkilr*uiigwi d« irrgbUs dt*
letzten silbe bedieoto, sn hat er doch spSter die erst« abgeotossoo, wie «r uiA
„'nein", „'naus", ,,'rum", „'s" (für „das") brauchte. FVoilieb im »wnt.ii ..Fsn»("
6813 findet sich das Frankfurter „noch o' wein", dagegen ist im erstin 'M'y l*
orsprünglicho „bei em gelog" m „bei einem g'Jng" verändert Bino dun lif^iut^'
gleicbbeit wird hier schwer lieriuHtelleu sein, wie denn auch die Woiniarii-i
gäbe sie niebt emlrobt hat; in unsereui bände dürfli- sie xu weit gegan);;uu «ein, nhi*
sie gana m erreichen. Miswlich war e«, dam die ln-treffonden etüekH viio vemW»*
denen bearlioitet wurden, wenn dies« nueh darin übpreinstJTnmen, da»' <•'>" mf <^l
metriscbe zu wenig achten und das «hieben nines ansgetallaneii TeV.ii
ülbe nngleicbm Assig annondon. Wenn im „Pster Brey" 77 mit „Unn
ginnt, so muss auch 53 „mein" statt „mmne" stehen, da der ven n
Verden kann. HIß ist .ein* unnötige äniierung für , einen", da an .mcimui ■
.auiucr" den jambus bi-ginnun. Se ist das uni)irüugti<;lie .keiorir ln)tx Ilimhur^
boixnl«balten oder xn ,kein'a- xu machen. Cborhau|it ontbehit man hier
I (w
.0.)
inA did ausgaben mit don funneti utngespntagen siad. Im „BatyroB" wird der letzte
Tokal abgestossen in „steif^ „ander'*', „ein'", „ewig'*', dagegea stehoa 94 „eioe",
iS5 „qid's", D6 „mein'a'', lf>2 „meiu'n", aber es ist 105 „seioea" durcbgeschlüpil,
0 der \BTS „seiD'n-* oder vorher „narr'n- verlangt, und ähnlich raanuhes andere. Der
fterBQSgeber bemerkt zu der stelle dor ersten parabel: „das überlieforte einen gäbe
[drei senkungssilben des tAttes, was immerhin nustossig und unrbytlinusch, wenn aach
Bioht ohne scheinbare paraüelcn in Goethe's linittelvcrgen wäre", wonach er denn auch
lilen paiabel sieb den vers: „Daes mir so fröhliche gesellen begegnen*
igefaUen IHast Aber diese Fälle mimsten doch genauer bestimmt wei'den. Sie finden
■ich besonder in den .zahmen Xenien" und sind entweder durch die ausspräche und
B danach gebotene elision eines volials 2u beseitigen oder ala versehen zu betrach-
ten. Ich habe bei anderer gelegenheit weiter ausgoCührt. wie nachlässig Ooethe's
1 besonders mit den abgebogent-n formen der Wörter auf loh und Ig verfab-
, bei denen der dichter auch eine uns härter ochoineode elision nicht scheut.
Bei „Haas Sachsens poetisclier scndang'^ wir<l mit grosser genauigkeit über
'die lesai'ten berichtet. 6 hat man neuerdings die lesart des ersten druckos „an don"
i mit rocbt früher beibehalteuen „an dorn'' vorgezogen. A^r der nicistor steckt
lücht eonnti^smorgens die ahl an den arbeitskasten, er bat dies sohou am vorigen
theai getan. 7 scheint mir „sieb'ntem" ungehörig, da ein anapästiscber versschluss
h auch 65, 87, 93, 118 findet. 57 ist doch die Zusammensetzung „natiir-genios"
c bedenklioh; ieb ziehe „Der natur genius' vor. Prosodisoh klingt der vers. der mit
«m anapSst beginnt. Freilich etwas hart, aber nicht weniger der anfang des folgeo-
len „Soll dioh führen", uocb mehr 62: „Schiebeo, raisson, di'ängen und reiben",
iand vollends 59 „Soll dir zeigen alles leben". Aber dieser dürfte dreifüssig sein
eid anapfistisch beginnen. Dass 179 „weil er" weit besser als „wie er" sei, möchte
) nicht zugeben.
Von „Künstlers ordeuwallen" lag die schöne reinschrift von 1774 vor, die
direre abweichungen zeigt; so fehlt 29 die frage der frau: ,.Bist schon wach?"
„Künstlers apotheoae", wovon keine handschrift sich erhalten hat, ist E. Schmidts
UEweifelbafte Verbesserung „im (statt nOin") schwefolpfubl" aufgeuommeo, wobei zu
merken war, dass ,,schwefelpfuiir' die biblische bezeichnung der hoUe ist Vom
JEpiiog zu Schillers glocke" konnte die erste Fassung verglichen werden. Eine hand-
thrift der „Geheimnisse" ist nicht vorhanden mit ausnähme von drei urspininglich
tau gedichteten stanzen. Bedauerlich ist, dass hier drei im drucke durühgegangone
BiBobeu ia den „lesarteu" verbessert wei'deu uiussten. Unler den Vorbemerkungen
im maskenzng „Die romantische poesie" wird vermutet, der erste entwurf rühre
m Riemer her; dios ist an sich höchst unwahrscheinlich, als unmöglich erweist es
doh durcb das was wir akteumSsaig wissen. Des herauageburs begründung, Riemer
labe den titai und das vorwort gesohrieben , ist eben gar keine, 8onst sind die
ir und EU dem grossen maskenzug von 1818 gemachten nittteilungen höchst dan-
iBwert, doch hat sich die redaktion genötigt gesehen, die vei's 148 gooiachte
tadarang dos zweiten sicb's in sieb zurückzunehmen, da nicht der geringste stich-
altige grund für einen vom beransgeber angenommenen hartnUokigen fehler zn
idfin ist. Als Paralipomena zu dem zuge erhalten wir auch sechs versuchte
ttso auf demselben blatte, das den anfang und das ende der eiuführung Mabomets
tod den beginn des auftrotens des Götz euthiilt. Sie waiDo wol zur persönlichen
Üfohrang Mahometa bestimmt, wahrend die wirkliche abFassung sich ganz auf das
1 Goethe übersetzte stück Voltaiie's bezieht.
358 DÜNTZKU
Zu dem fostspicl: „Dos Epimenidos erwacIioQ'* ist der unifaDgreichc Stoff in
gonauor bearbcitung gegeben. Nicht billigou können wii* die annähme, die handschhit
des Programms H 2 sei jünger als II und H 1, erst zur zeit entworfen, wo Göothe
Ifflands brief vom 28. mai erhalten hatte; denn alle auf diesen bezüglichen stellen
der beiden anderen handschriften fehlen hier. 'Wenn 462 Göttling die worte ,.Wei-
geit sich die süsse brauf^ nicht ganz klar fand und er deshalb Goethe zur &nderung
veranlasste, so übersah er, dass hier „wcigeni** im sinne von „verweigern*^ steht mit
abhängigem accusativ („das verlangen*^). Höchst anziehend ist die mitteilung de»
zwischen 901 und 902 ausgefallenen auftrittes mit den auf Bemadotte bezüglicben ver-
son des Epimenides.
Die bedeutendste neue gäbe dieses bandes ist „Schillers totenfeier*^, die Suphaa
im anhange uns bieten konnte. Schon auf der Berliner Gootheausstcllung von 1S61
hatte man ein darauf bezügliches blatt Goethe's gesehen, das dieser bald nach Schil-
lers tod dem gemeinschaftlichem freunde Zelter gegeben hatte. Einen vollständigen
abdnick der in ihrer kürze rätselhaften inhaltsangabe brachte die ücmporschc aus-
gäbe von Goethe. Suphan ontdeckto im Goothearchiv drei andere dazu gehörige auf-
zeichnuiigen Goethe's. Auf einem schmalen quartblatt befand sich ausser jener Zt*lter
gegebenen mitteilung nebst einem zusatz auf der rückseite ein flüchtiger entwarf oiut'S
auftritts, worin tod und schlaf erscheinen, der ersto von vei*schiedenen angcsproiheD
wird. Auf einem zweiten findet sich das scenarium von vier auftritten und eino
figürlicho Übersicht des aufbaues. Die weiteste ausführung der zu Schillers geburts—
tag, den 10. november seines todesjahres, auf der "Weimarischen bühne zu gehtMider».
totenfoier enthält ein quartheft, von welchem zehn blättor nummeriert und bosthrie —
bon sind, die beiden ei*sten mit den namen der auftretenden personcn, die drei foL —
genden mit versen der ausführung, die fünf letzten mit einem den inhalt oder dex-i
spi*eoher bezeichnenden wurt, bloss blatt C gibt auf der Vorderseite das wort ,diclk —
tung* nebst zwei vei'sen. auf der rückseite „dichtung allein*^. Der herausgeber b^'^
später in der „Deutschen rundschau'* einen feinsinnigen versuch gemacht, den pli«3
der merkwürdigen dichtung zu erraten. In allen hauptpunkten stimme ich be-i-
Dort liest Suphan jetzt z. 7 der ersten handschrift mit dem wider aufgefundeneo vomi
Goetlie an Zelter gegebenen blatte lichtig „zum katafalk** statt „ins tr(aurigo?)*. Fetit
steht, dass eine fröhliche feier der Volkstümlichkeit Schillers von allen altem, jung-
Iingi>n« Jungfrauen, mäunem und greisen die einleitung bilden sollte, wobei eiDZcla«^
}K»rs;<>nen seiner dichtung hervortraten; doch war die erfindung dieses eingangs noch
nicht abgeschlossen. Unterbrochen wird die festfeier durch einen heftigen donner-
sohlag, wie in der .Jungfrau von Orleans*", und es erscheint der tod (Thanatos) mit
seinem zwillingsbruder, dem schlaf (llypnos), um anzukündigen, dass er gekommen,
den gefeierten dichter abzurufen , wie bei den alten der tod oder Persephono an die
tun» klopft. In lioethe's weise lag es, die wirklichen Verhältnisse, die er dichterisch
verklärt, umzugestalten. Wir erinnern nur an da.> gedieht auf Mieding's tod, an die
Vision in dem glück wünsch zum geburtstag des herzogs „Ilmenau"' und an den ,Epi-
log zu Schillers glooke". S«» stirbt hier S^rhiller nicht nach einer krankheit, sondern
ganz unerwartet. Vergebens suchen Jünglinge, mädchen, mann und greis den gelieb-
ten dichter vom tod zu erbitten. An die stelle derselben traten im späteren Schema
anvlere. Ich lese die stalle so: «T«-xl, aufgefordert (statt ^aufgehört*')'' von (»tan
„vom"» der ver\vandtsvh;ift ^statt „vonvandten"), der liebe (das woit steht als Ver-
besserung über -Freundschaft-), <ior Weisheit, der i>oesie.** Ich kann um so weniger
mit Suphan annehmen, dass „aufgehört'* die rede des todes in dem satze: »& ist
sm endo" ancleutea soll, tla das folgende „vou" dann unerklärt bleibt. Dia aulcün-
digiuig ilos tudeg hat Goothe gar uiuUt angedeutet. Boi der Hpätereo ausFüliruug war
Eoerst geschriebeu: „Verwaadtscbalt ", dann diujebeu uud darüber: „Chor der Jugend"
Moi^vtiij' gattia, kiuder". Das griechische wott, wie mehrere andere, hatte Gootho
wH blei über das deutsche gesuhrieben. Die üborGchrift änderte er daoo in „Gattin
'Und junger cbor" und von der gatlln hiess ea darauf „sich uud die kioder darstel-
lend". Ein paar schaue vers« siod auBgoFüLirt. Statt der „Freundschaft" gab die
ausführung „Freund und älterer eher". Goetho's oigeoe klage unt den freund liurt
msn bei der aueführung: „Wer reicht mir die band beim versinken ins reale? Wer
gibt so bebe gäbe? „Wer nimmt so freundlich an, was ieh zu geben habe?" In
mehreren verson ist dostodes antwort treffend ausgeführt, gar nicht die ..Klagen im
abwechselnden eher". Vor der bitte der weiaheit ist bei der ausführung des Va-
terlandes (verbessert iu Deutschland) eine herbe er widerung eingeschoben. Uner-
h^Uicb entfernt sich der tod. Bei der Verwandlung der scene erscheint ein katafalb,
BOl In einer kii'che wie in Bchillers , Braut von Hessina". Vor diesem beginnt der
Braei^egaDg; in der zweiten foasung hiens es ,,<iie chÖre", in der letzten bandschrift
Srohl mit beziehuDg auf Schillers so überschrie boaca gedieht „Nänio". Su|jban lösst
sie .fingen, während die Verwandlung sich vollaioht. Der „opilog" wird vor dum
katafalk gesprochen vom vaterlande. Ini zweiten Schema steht in der mitte des drit-
^fßa auftritts „Vaterland", zu beiden seiteu „Chore". Am Schlüsse hiess es zuerst:
lYerwaadlung ins heitre. Gloria in sxcelsis." Die figürliche darstellung hat in der
itze der pyramide die zahl 3, im dritten auftritt 2 über „Vaterland", im zweiten 1
er „Thanatos. Hypnos". Der letzte entwuit gibt hier nur „MagniGcat". Eb bedarf
ioes Wortes, dass hier die verklilrung im himmel gemeint ist, aus welchem, wie
im opilog zur gGlouke" heisst, ,seiu verkMrtes wesen hemiederschaut". Am ende
I zweiten .Faust' erscheint den teufein der hölle gegenüber , Glorie von oben
dite*, und darin dio , himmlische hoerschaav'^. Der cbor sollte liier die Verklärung
i rasche Weiterentwicklung feiern wie im „Faust" die sehgen knaben.
Bei den ansatzou zur , Kantate", die den band scbhcssen, ist zu bemerken,
fss 5 fg. als gestrichen zu betrachten sind, zu ,soune" (7) etwa ^leuchtet' zu den-
ist und „Baal" (19) anrede sein soll. Am suhlusse ist wol , denken" statt „deu-
zu lesen, wie es z. b. Iphigenie 1765 steht.
Zur herstellung des siebzehnten bandee, der dom vierzehnten der ausgäbe
ster hand entspricht, wurde die arbeit auf vier anerkannte kritiker verteilt, von
len einer sich am die von ihm übernommene dichtung schon früher verdient
gemaoht hatte. Die bearbeitungen sind auch hier nicht ganz gleichmässig, was sich
zom teil aach Susserlicli zeigt. Die des „Tiiumpbs der emiiflndsamkeit" beginnt mit
der entstehungsgoschiohte. Die behauptung, dass „Froserpina", die den vierten afct
bildet, ursprünglich für sicli gedichtet gewesen, später eingeschoben sei, beruht frei-
lich auf Qoethe's eigenem berichte, aber auf einem sehr sputen der ,Tag- und jah-
rEöhefte", wo besondora in den ersten, die werke sehr summarisch angebenden jähren
nicht alles riclitig ist. Der erste druck der „Proserpiua* erfolgte ende Januar 17T8,
bai der Aufführung des „Triumphes der empfindsamkeit" zum geburtstagc der
I) So schrieb er für xnaiynjtjj, indem er den zweiten teil des wertes mit
I in Verbindung brachte. Bei dieser annalime schwinden alle bei Suphau blei-
) Bohwierigkeiten und unwahtscheiulichkeiteu.
360 dUktzkb
hernogin als toxtbnch zu dieaea; diesor ist gatii vurschollen , erwiesen wirf er Juni
ciDii recbmug des WoimariBchüD buclidruckers GlüBing. Nacb ihm erfolgte wul in
alidruak am nafiing des februarheftea von Wielanda „Merkur", — Wenn. GooÜie m
abecd des 15. november den dritten akt des Stückes, den lOrouaro' diditete (iB
tagebuch ist .,A.boDd3 alleia. Gelesen. Orocaro" zu scbreiben), so wird ^Prowrim*
gleich darauf, in den tagen vom 17. bis zum 24., gedichtet sein, von deoni du
tagobach nachträglich einen selir karxeo surnuarisuhea beiicht gibt; wabiBcheialiii
vom 22, bis zum 24., als der bof zu Gotha weilte. Erst nach der rückkehr v
Earzreise begann Goethe den sechsieo akt, von dem der biief an die Stein <rom 3S,
(mcht 27.) december spricht. — Kühn finde ich den zweifel an dem Mheren n
des Stuckes „Die empflndsamou", womit das tagebuch am 10. febrtiar, ja schon An
brief an frau von Stein vom 12. September 1777 es nennt; erat später wurd« c
„Triumph der empfiodsBrnkeit* voi'ändert „Die empfindsamen" waren Handonduu
und Oronaro. Der berausgeber behauptet, der titel „Die gefliokte braut", unter di
Böttiger dos sttick nach der Überlieferung älterer Weimarer nennt, lasse sich orknid-
lieh nicht nachweisen. Er übersieht dabei eino üussorung Jacobis. Dieser, der ein
Goethe in Weimar besucht hatte, schreibt ihm am 13. Oktober 1TS4: ,Ich las ihr
(der Jüngern balbaohwester Helene] den folgenden tag „Die geflickte braut" vo
wir hatten grosse tust." Er muss also in Weimar eine abschrift des Stückes e
habon. 1q der aus Jacobis naohlass stammenden handschrift führt die post
nomen „Der triumph der empöndaamkoit''. Will man also nicht die höchst unwsltt*
scheinliche annähme machen, Jacobi habe spater noch eine andere absciuift erhalt
oder sich anfertigen lassoo, so muss Goethe selbst im gespriloh das stuck mit diew
Damen bezeichnet haben, mit dorn sie auch in Weimar zur zeit genannt worden m
wurd. Hiermit erledigt sich die vom herausgeber angenommene mögliclikcit, Juott
habe schon 1778 eine abschrift erhalten. So bezweifelt er denn meine angäbe, iist
die hier erwähnt« „Freundschaft uud liebe" 1770 erschienen sei, moithta selbst ia
diesem falle einen späteren zusatz annehmen. Ganz überseheii hat er ilabei, d»
die hier vorausgesetzte Verbindung Goethe's mit Jacobi bareifs im jähre 1778, j*
schon 1777 aufgehört hatte. Für die zeit der abschrift wird ganx ungehörig da
Inhalt der dichtung angeführt; denn dass die ursprüngliche gestalt dieser piai
wesenthoh in der handschrift vorUege, nimmt man allgemein an. Ebenso wenig dt
gezweifelt werden , dass die aus Jacobis nochloss erhaltene handsulirift diejenige ti.
die er 1784 aus Weimar mitgebracht hatte. Wer sie geschrieben, wissen v
Goethe Hess wot für Jacobi eine abschrift von dieser posse und dem „JohrmarktsM*
anfertigen, und zwar von demselben absuhreiber, der ihm gerade zur hond i
Seine bezeichuung im tagebuch vom 30. Januar 177S als „das neue stück' ist m^
„ungenau", wie der herausgeber sagt, sondern ganz ti'offend: die posse wi
Stück, dessen proben ihn so lange beschilftigt hattvn, — Seltsam finden y
muturg, hei den der bearbeitung von 178ti eingetüglen Worten „Der guto jungliii(*
könnte von Westonriedor's „Löljen dos guten Jünglings Engelhof" vor8cbweb«i,
gesehen von einer so undeutlioben bczoichnung wäre es so ungeschickt vriu niglich,
wenn Goethe, als er das stück für den weiteren leserkreis anziehender maohen wallto,
auf ein vor vier jähren erschienenes verschollenes buch hingedeutet liUtte, lunl 4i
eines, das mit verliebter empfindsam keit nichts zu tun halte. Nie würdo dar b
ausgeber auf eine solche Vermutung gekommen sein, hätte er bedacht, weslidb i
dichter gerade dioso stelle änderte. Er warf eben die erwähnung mohrenr linpt
vergessener bücher heraus, und hielt sich dafür länger bei dem nodi inunertoite'
;iuii: (WEL
iO.)
ien und gvIosdaeQ iSiegwart" aaF; dass die stelle auch auf dieseo sieb beziebeD
itönDte, ODfgieDg ancb dem hcrausgeber nicht WeuD die worto in der haudscbrift
initorstricheö mid demnacb im drucke gespent sind, so ist dies nnr ein leiuht arklär-
ficlies versehen dea abBchreibeis. Nooii wunderlicber findeii wir es, dass der neu
übene scborz: „Da ist ja aucb ein kupfer dabei", ui'sprüngliuh auf die
«bGicbtlicb weggelassenen ,briere von SeUiof siob bezogen haben soll. Wenn es von
~3 3 heisst: , Schreiber ist wol Kost', so gestehe ich einen ßost gar nicht als
ttbscbreiber Ooethos za kennen.
Auch hier eischeint wider die oben a. 355 erwähnte nnsgabo B 1. Der zehnte
tend derselben enthült die in unsonn siebzehoten gegebenen vier stücke nebst dem
'bnichstück ,Die aufgui'egten". Es ist daraus schon ab^unebnien, dass hier überall
dieselbe vorläge gewesen, wonach auch die frage über diese in aller kürze an einer
Vtelle abgetan sein sollte, was eben durch die Verteilung auf vier herausgeber geliin-
nrt wurde. Die sacho ist gam einfach diese, dass aUe vier stücke schon zuA duroh-
psehen wai'en, und da B gleichzeitig mit B 1 gedniukt wurde, man hier A. abdruckte.
>er herausgeber des „Triuniiihs" bemerkt: ,Es wu^ von anderer seile nachgewiesen
Ferden, dass Bl nicht auss B, sonderu der vorläge von B (warum nicht einfach
OS A?) hergestellt ist.'^ Es hütte die bemerkung genügt, B 1 weiche nur in der
Bchtsohreibung und durch drnckfebler von A ab. Dies wird vom herausgeber der „Vii-
|b1' dargelegt, der es besonders durch den A und Bl gemeinsamen druckfehler
iweder" statt „werde" belegt. Die herausgeber der beiden anderen Btiicko bemerken
bichls bei anrührmig von Bl; die wenigen abwcichiingen bestätigen das über diese
DSgabe gesagte. Wegen der starken abwcichungon der ursprünglichen Fassung des
ntea aktes von der gedruckten wird dieser in den ,lesarlen" mit recht vorab volt-
nitgeteill. Diese erste fassung der „Vögel" liegt in zwei handschriften von
1781 UDd]T82vor, von denen die zweite schon manche gemeine und ungewöhnliche
kludrücko verbessert hat; dieso Verbesserungen hatte Goethe höchst wahrscboiuHch
Bt SU der abschrift seiner ungedruckten Schriften vorgeDoinmeu , die er ende 1781
r Tna von Stein anfertigen liess, während unsere haudscbrift der herzogin-muttor
1 ihrem geburtatage erst am 24. Oktober 1782 verehrt wurde. Vom , Epilog" der
^ögel" bewahrt das Goethearuhiv den noch nicht in verss abgeteilten eutwurf von
hilipp Seidol's band, den Goethe durchgesehen hat. Die anterdrückten stellen und
« prosaische fassung des „Epilogs" stehen in den „lesarten", die auch einige verbes-
Wrangen der druckfehler oder der gewählten lesait bringen. Bei der Umschrift in
i muBsten nur die worte zuweilen uuigestcltt werden, ausserdem ward „liebling
r grazien" nach „der ungezogene'' eingeschoben.
Kerne handschrift liegt vom dritten stücke, dem Orosskophta, vor, dagegen
i^iuJten wir hier zum ersten male die in musteriioflor weise aus den etwas verwor-
i papieren mitgeteilten entwürfe und die umfangreichen bnichstücko. Der erste
B Italien gemachte eutwurf nennt Cagliostro Rostro, die marquise Ckiurville, die niohte
bnocenea, den doinberrn Abbate, den rittcr Uavaliere. Der schloss des zweiten
3 wird durch „Smanio" angedeutet, was wol auf die Verzweiflung der Innocenia
TOD Conrville ihr zugemuteten rolle geht. Rostro erscheint nur im eisten
I vierten aufzug und als grosskopbta im dritten; das scenar des fünften ist nicht
jrasgeführt. Wir vermissen hier die wichtige stelle des briefes an Eayser vom 14. au-
st 1787, wo auch eines chores gedacht wird; der herausgeber hat auf dioson brief
r gelegentlich einmal verwiesen, ohne die bedeutende Üusserang anzuführen. Diese
r sollte, was hier gleichfalls übergangen wird, II Conte heissen, dessen Goethe
auch gogen Bdchordt godcnltt. CBgüustiv vruiile als Cont« di ICnitro impvdnti
eiogoführt. Der sp&tere deutsche outwiirf der ogwr trägt die übentchiift: ,Dio UyiQfld»
ten-, die gewissennussen der gegensatz ist zu dem »jngsjiiol «Die empfiinlaaineü'. Um
Rooniu' dieser drciabtigeo oper liegt jetzt ver and die höchst bodoutoDdoD bruetKlicla,
von denen am ausgerührtesteu II 9 dos vorgespie^lte geisteraeboa dar eicht«. T*
einer weiteren bes|irocbuDg dieses merkwürdigen operovaisucbes des vioniäUitW
der Bioh so lebbaft iii die kuostfonn bineiiigedaclit batte, steljen wir IiIimt alt. V«
vieitea stiieiio, dem „ BürgergenenU ", liegt nur uino vollelÄudige liantHn-hriH *oi.
ans der bier tarn ersten mnle die uigaba des sabauiilatxes „vur (bUII. .io") ülrtu
banse" berichtigt nnd statt Gorges: „Nun, leb wo), Rose!" horgeslullt i>t „R^m
Leb wol, OSrgel Görge (geht .... Eunlol:). Höre, Bösel"
Der sechste band der Tagebücber onthält die beiden jähre 1817 und ISIä
Freilieb bat Goetbe sie zur auarobrlichen darstullmig in den „Jahr- nnd tageahdlln"
benutxt, aluer wie manches tritt une hier viel ansohaulicber Hutgegun, ul ialpat
übergangen oder nur kurz berührt Von hüuhster bedeutung ist d« «inlilitl a
Ooetbus leidenschaFtlichen eiter für die bobung das gmsshorzdgliohon tbeiOors, all a
am 2. februar 1817 deHson leituug wider übernomiiieQ. Kr hatte sie eben uiiib^
gek'gt TCegL>n der am vorigen tage nider seinen willen dorcb^iosettton an/fUhni^nB
EotKoliuc's „&>hutzgeiat" iu seiner gunzen länge, die allgooieinea miaattUen anft
hatte. Durch dos dringende ersuchen des grossberzügs liess er sieh bestisunm, 4^
dioser mülie wider zu unterziehen, doch mit beschrankung aof dos kanstftch uul
uater assistunz seines sohnes. Er versjiracb nicht nur die Kotitebue'Bulte „IfgHtlt**
als Euhanspiel »o zu bearbeiten. dnsD sie gefalle, sondern wollte auch durch »tHd«i-
tung uinor neuen tbeaterverToRSusg die bübuo dauernd heben. Von dein t>linit efwtkit
das tagebucb nichts, wenn man nicht etws den eintrng vom ^1. Januar hionuf Uo^
hen will, wo es unmittelbar nach der auf das iheater beiüglichDQ
„Gnsirolleu betreffend geh. bofrat Kirmii, boEai-hausinelcr Oeb", biäast:
catiou niit SereDiEsimo." An demaolbeu Inge lehnte er es ab, eiuen text n !■
lebenden hildorn zu üerem, die Uoj'er auf don geburtstag dos tirbgroKiburtop Al'
len wellte, weil sciue aoruhe, innerlich und äusserlicb, zu gross soL Am I. (UitW
berichtet dos tagebucb oinracb: „Abends ,*dor schutzgeist"'. Abor schon i«nri Up^
später lesen wir; .Entwürfe zn neuen tbealereinricbtungcn''. Am 4. wird mit *«•
tbeat«nebneider verhandelt, am 5. in thootenuigelegenheiten gearbuitirt. und is i^
sitzuDg der theaterintendauE der söhn förmlich mit einem vortrage aingunUul; m^
Verordnungen deshalb erlassen. Die drei folgeaden tage erwJÜimin nuuii-luiilal *>■
dos theater bezüglit^be. Zur autführuag werden ausser dem verktlnton and bM'li*'
toten .Schutzgeist", womit er sieh ganz aussorordeutliuhe mühe gab, Voltaüv's ,1b-
homet" and Hacine's „Athalie" vorbereitet, damit die scbauspiclor aioh dl« ttif
zeit vemachläasigto tragische spräche von nenem auoigneton. Audi macht et <>•
schlage zu einer neuen einricblung der regie, besonde» für die opor. Immitfatt M*
ben „tlieatralia" auf der tsgwordnung. 8o konnte er denn sohon «ai^h drw ww4«
Zelter schreiben: fahre er die näobHteu vier nionate foit, so für das tbcattt a
wirken, so könne er ruhig in die weit gvhen, und es würde für diese ansbüt bM*
gesorgt sein, wie iur die Athonor durch Solon's gesetxo uud wcggiuig. Am 8. Hin
kam endlich dos Eotzebue'scha stück zur aufführnng, und faiul grosHin buiUli ■•
ward, wie Goethe gegen Zelter eich rühmte, ,uwh altor W«imariK«har w«i»
dition, Eowol des anftrutons, gebens. hewegeus. gnipiüereos, nicht
tatJou uud doklamation gogebl^n''. Aiinlich dot^hte tir mit luidoren stl
Mi
Torzüglichen aI>eT „Bciiluilurhoftoa taleDtn" ku verfuhren, damit ihr repertorium wider
vollsUiidig, ja roiu wordo, wo denn sein gesehSft boim theater Uiia wenig mehr »u
;haffen maoben nerdu, ,,Dcr suhutzgeigt'' ward au 17. mit eioor vei'kürsung wider-
holt, wobei Ooutbe wider einiee bamerkongen über die auffuhruag machte. Am 19.
„Atholie'' oadlich die bübne. Pie redaktion dei' lustapiole: „Die bestohleneu"
,Der rotmnutel" wurd bedacht, erateres wirklich »pütor aufgerührt. Daneben ent-
f er or]a»ae an dio regisseuro, an den kapellm eistet, den re- und corropetitor;
iBch 'Verordnungen über andere inteadauzangelegonbeiten, obe er am fcühen uorgen
1 21, man: navh einer am vorigen tage abgehaltenen sit^nng der int^ndanz nach
lena eüte. Da er, wie fraa von Stein beliebtet, in groseor anfregung von ihr ab-
^ied nahm, scheint aioh in jener Sitzung ein streit erhoben zu babou. Wahrschein-
ih in folge der von der gegnerischen Seite veifochtenen auffühtung des melodtamaa
jDer hund des Aubry", für den man auch den grossborzog gewonnen hatte. Frei-
X erklärte Gouthe, als die freunde sich über seine anfregung besorgt zeigton, seine
liingendste nngolegenheit sei, iu der JunoiBchen ruhe und stille den erfolg seiner
an expedierten rusolutiooen zu erwarten', denen noch andere eich auscbliessen seit-
, aber er scheute sich nur, den eigentlichen grund seiner erbitterung zu veiraten.
Das tagebucb verzeichnet am nachmittag des 20. nur: „Überlegungen wegen der
JBo". Er muss diese ni'plölzüch beschlossen haben. Dnss er am 21. mürz Weimar
liiess and erst am lä. mai Knrückkohrte , hatte schon ^'ahlo („Das Weimarer tbea-
r unter Qoolho's leitung'^ s. 327) aus dein tagebuche mitgeteilt. Dadurch wird dio
ge widerlegt, der ich noch in nieineni „Ooethe und Karl August" folgen musste,
Boedio sei am 12. april nach der probe jenes berüi^htigteu „huodes" nach Jena gefah-
m. Jetzt erst erkennen wir, das» Kar) August's erwäbnung ,. verschiedener ihm tu
liivn und äugen gekommener äussorungen" sich auf jene Sitzung der tbeaterinten-
iDX beuchen muss, worin Goethe mit niederlegung seiner stelle gedroht hatte, wenn
lan in Weimar, wie es in Berlin geschehen, den hund auf die bühne lasse. Nur
> klärt sich die entlassungsgeschichte völlig auf. Weiter belehrt uns das togebuch,
taa Goethe in Jena nur geschürte der Oberaufsicht besorgte, naturwissenschaftliches
lri«b und zum drucke bereitete, daneben sich mannigfach unterhielt. Am 26. märs
idet tir „theatralia", dio er wol von Weimar mitgenommen, dahin Kurück. Den
I. kam sein söhn, der ihm auch n'ol über das theater berichtete, bei dem er ihn
vertrat und seine auftrfige ausrichtete. Den 4, apiil hat er gaste von Weimar, unter
BineD seinen sehn, der mit freunden oder mit der familie seiner braut gekommen
Unter den gescIiiUtssachun, die er mit ihm besprach, war wol auch das
tbeater und der drohende „hund des Aubi?'. Zehn tage später, xwei nach der auf-
(ütarung des hnndcstückes, deren das tagebucb nicht mit der geringsten andeutung
^eukt, bcsnclit ihn wider sein August. Fünf tage nach der Goethe bei seinem
Bchönen eifer, das theater wider zur alten bliite zu. heben, und bei der Zusicherung,
t kunstfach solle ihm ganz überlassen sein, tief verletzenden uuerbeteuen entlas-
, kommt der grossherzog, am die museon in seiner begleitung zu sehen, nach
3eB&. Abends ist Goethe bei ihm mit dem uuiversitätskurator und drei profossoran,
pu andoru morgen vor dessen abreise. Damals hat wol die aussöhuung stattgefun-
9n. Dieses erste zusammentreffen Goetbe's mit dem grossherzoge nauh der entlas-
iDg war bisher unbekannt, so dasa man glauben musste, erst naeh längerer seit sei
ieao erfolgt Erfreulich ist es, dass Karl August so bald kam.
Auch übet die stille bochzeitsfcier dessobnes empfangen wir nähere nachricht.
Jaa nachmittag dos 10. juui fährt Goethe von Jena nach Weimar, wo die „ehebere>
düng" stattgefondOD liaboa muss. Darauf bezieht sich der eintiag des II.: „Zugeh
rat voD Voigt (duaapn rat Gouüie bei aUen familienangolegeuhoiteu in amprmih ufan)
Mittag frtltileiu Ottilie, Ii«!iboiQ [sein vertrauter arztj and hofrat Meyur. JTw itti)»-
rem ond meiiiem söhn mancherlei nach tisuh bespronhen.'' Abends um 0 ahrnt
er wider in Jnun. Den 13. wird der „abachiift der ehebereduue" iT'la'+l Kr-
16. beisst es: ,.NrK.'li Weimar abgefahreu. Angelangt. Über die riä
tungen und erei);uisse .... Uit A^igust m tische. HuiobBrlei v
hofrat Ueyer und olecbaudirektor Ceiidray, di« abends blieben , .
und kupFer beseben." Am aadereti tage vormittags: „Die grossb«rxugiLi — — ^.
türatin."^ Er beeucbte sie, um die bevorstolieDde vermühlung ihoen aututu^i ia
grossberzDg war abwesend. Uittags ist er mit dem soliue allein, .Aboaila T ikr
traaung. OeBellscbaft, Abondes.'ien.'' IVoiter nichts; dann am fotgäuden tag; Jim
jnngcD leutchen abgereist.' Die reise gieng nach Berliu. Alüed Nicoloviu* eiiiuwd>
sich noch des nuFenthaltes des jaugoa paares in seinem elteriichon hause. (>4«th* mUA
fuhr abends nach Jena, wo er noch von dem jenseitigen Ufer die festliche biliwA-
tnng des 18. juoi schaute. Ein biief an den eoho wii-d am 24. erwähnt; er lialälM
jongB [»aar nach Jena eingeladen, erfuhr aber ans ihren briufeu, dass sio nii'ht im-
meii köunten. Erttt am 1. Juli crstxhieuen sie, fuhren aber ei-hon abends xarndi.
Über den anfang des jabres 181S erhalten «vir hier neuo bndaateada mittciliupa'
Fast beängstigend ist der ausdrucl: von Goethes erbittemng über die allgemHue Bm[i6-
ruiig in Jena wegen der vom bondestage verhängten Unterdrückung Jed«r Mm
regung. woi-unter der freisinnige grossherzog selbst bitler litt, Ubi^r tioeUu« am
wandte sieb in sciacm Widerwillen gegen jede Störung der urdnung, statt geg«* tiA
Uettemichisohe knebelung jeder ßreisinnigen fiusEerung, widor die, welch« sioli Skmr
erwehren wollten. Im november 1817 hatta Lnden's ursprünglich ip-i^rt
gerichtete, jetzt Kotzebue's verrat und jede Verkümmerung der len^n > ■'
froihoit Strafende .Nenidsis' als .heitrag zur kenotuiB der mit* diu . i
Ictins herrn von Kotzebue's" gebracht, die in Jena einen wahron ^tn
Mit grösserer achrift trug Goethe in sein tagflbudi vom 15. bis 25. j.-:
ende der einzelnen tagesbericbte folgendes ein: „Die iwei auahiuigeUifc'BU Luii»u
contra Kotzcbae glengcn im stillen hemm. — Jene aushängebt'gen machen au&ubei. — '
Früh rückte mau Luden ins luius und Itotiliscicrto die noub ührigeu «KcmpliK. —'
tjuchta man sie desto Deissiger auf. — Ersubieneu sie ttbersetitt und mit ikKoi tiv
„Volksfround " nr. 13 und 14. — Wurde auch auf diese bosehlag gelegt. — Wiiri«*
sie YOD der Cröker'schen buchhandlang am schwamen hrott fed golrerti^ii titi') -i«^*
reissend ab.— &hIosa Oti^n deu Jahrgang 1817 seiner „Isis" und v.i ; ' '
betone nummor nauhxubringea, — Das fünfwlinle attick vani „V :
aaE^gegeben. — Ankündigung von ^Babrdt mit der viseroen stim' |>'i^
quill Kotzobuo'a]. — Der nnfnng des neuen Jahrgangs dor „Isis" v.. . _..
belegt. — Kam die nachriebt von den Weimarer verdriessliL'hkelt<ui (Uum c-uiauliib-
ten des bundostags gegen den herzog] herüber." AntA sonst kl&rt ans daa tagubixt
über manches naher auf, ao über seine anwesenbeit bei der taufe dos snUne» de« «iV-
grossherzogs (jetzigen grossliGDiugs), über den besuch von l'aiiliuH'lla, von diMn w
Schema in den „Lesarten" mitgeteilt wird, und über den auroulbalt in KarisUl
Bei der herausgäbe sind dieselben grundsätze wie fruhur befolgt. Wahb W
widor die ..Lesarten'* geliefert. Daa tagebuoh ist während des Jitugiuvn anlanlhllk
in Jena von verscliledeuen liUuduu geschneboo unil leidet hiluliger ab bishvr aa htt*
fehlem , die Goethe nicht überall berichtigt hat Auch im abdnick sind oeob
?. (IVI
a.)
365
atebeo geblieben. SitinslÖrende sobreibfelilor bemerLoti wir an foigenden aleücn.
39, 11 fg. Von Madame Bolm aus Hamburg hijrte or „aber Klopstouk. Kuobol und
andere ftltere mfinner". Es liegt auf der band, das.? liier der seit 1774 befreuiidote
Knebel, den Goethe zu Jeua nocb ia nituhster nähe hatte und hüußg sah, nicht
geniL-iat sein kann. Welchen oBmen er hier genannt hatte, ist weniger sicher. Gleim,
nn deu man Kunäohst denkt, liegt dem laute unch etwas zu fem. — In dem ein
paar zeileu damuf folgenden: „Über bevölkerung nach grossen lücken in den natio-
nen", mnss es kriegen heissea. 117, 6 fgg, „Brief an Frege [Cotta's I^eipziger ban-
kier] 4000 thaler (für mich}. 1Ü(I thaler an Fehx {für wein)." Goethe hatte statt
(ür wein diktiert anweisnng. Vgl. die ointragungon vom 4. und G. februar 1818:
.ATJflbrief (an Frege) wegen der 100 thalor für Felix, die auweisung auf 100 thaler. -~
Asaignatiou an Felix auf 100 thaler und nvisbrief.*' Die Verbindung Goethe's mit
dem hnuse .„Gebrüder Felix" oder .Felix and eomp." dnden wir schon im Jahre ltiL4;
xiun ersten male wird es am 18, ajiril erwäluit, eine RHsignatinn auf sie von 100 tha-
leru am 3. juli. Vgl. dus tagebuL'h am Iti. Januar 1815, 24. Januar und 16. april
1816 und am 20, mai 1817. Immer wird einer „anweisung" oder „assignatiou" au
sie gedacht, nie der gelieferten woaien. — 119, 3 soll es statt abhaodlung heissen
Abhandlungen, wie richtig z. 12 steht. — 140, 17 ist statt Gdruhards zu lesen
Oerhards. Gemeint ist der zu Weimar geborene, später mit Goethe in näherer Ver-
bindung stehende Leipziger kaufmann Wilhelm Gerhard.— 150, 12 niuss Leonardo
oder, wie es sonst im tagebuch regelmässig lieisst, Leonard (auch Leonardisoher
traclat 173, 27) statt Leonurdus stehen. — 173, 28 soll es wol Deahne statt
Dhcin heissen. In der , Farbenlehre ", bei behaudluug der „entoptischen färben'^
XXXIV wird die stickcrin eine geschickte nähterm genannt Goethe's Schwager Vnl-
pins halte eine Deahne geheiratet. — 195, 7 muss es Carove statt Carue heiasen,
venigsteus ist der schon damals auch litterarisch hervorgetretene Fr. W. Carove ge-
maint. — 47, 13 ist nachts drnekfohler Tür naobt oder zu irrig widcrbolt oder es
mnss bis nachts heissen, wie 48, 113. — Die Schnitzer des Schreibers „Mit Sere-
nissimum" 136, 8 und „Serenlssimum über mehrere punkte* 156, 15 statt
Serenissiino sind arg; freilich wäre an der »weiten stelle auch Ad oder An Sere-
nissimum mii^ieh. — Unbedenklich war auch wol 142, 13 entschuldigt sieb
berzustellen , statt dass das erste wort erst am ende der zeile folgt. Beanstanden
müssen wir auch 6, 15: „Behbein mit solchem (?) über ....", 9, 14 „bezüglich an
(ttof?) die tableaux, 11, 14 fg. .RoUon Verteilung auf (zu?, wie 118) Mahomot-, 22,
17 fg. „Khoin und Mayn von Jena (statt Mayn-beft), wo mau freilich zur not
von Jena darauf beziehen ki3ante, dasa er eine korrektar von Frommann in Jena
erhalten hatte, dann aber wära Jedesfalls der ausfatl von hett anjnuohmen nach der
gangbarcti bezeichnung dieser Zeitschrift. — 250, 10 nn
wegen don (statt der] türstücken stehen. - 271
iniueralog. mitglied heissen. Andere versehen s
snm Jahre 1800 verzeichneL — In den ,.Lesarten'
dmckfehler Otten statt Okon.
Wie Trüber geben wir auch Jetzt einige be richtig ungen und ergänzungen zu
deu vielen sehr dankl^ar anzuerkennenden erläuteruogen. 9, 6 „Herr lieutenant von
Schiller' ist Schillei's ältester söhn Karl. Er brachte wol das tbeaterstück eines
froundes. — 26, 3 „Thusnelda an Knebel" deutet auf die briefe des schon 1807 ge-
Btorbeiieu frfiuleins von Göchbausen, die wol Knebel ihm mitgeteilt hatte. — IT „Mor-
phologie." Er begann damah« das erste heft „Zur morphologie " zusammen zustellen,
nach Goethe's Sprachgebrauch
! sollte es als (statt wegen)
s. 232 vor dem nachtrag
«merken wir zu ICO, 9 den
388 dUktckr
dessen nufffitze in don tolgi^ndr-n ini^niiton onrhhiit werden. — 27, 8. 20.
rigierto vurwort" besteht ans zwoi niifsäticnn vor) 1B07, liie jelil qnlor dor Ql
„Das DB^emeliineD nird entschnldigt " and „Dia absifhl eiuc^loilet" b«Arii«llel wl
gedroctt würfen (30, IC fgg.). — Die .Ooaohiolite inoineK butaniKchun »twümu*
(30, 5 fg.) folgt dort naoh eiuem neuen vorwort „Dur Inhalt bevorwortnt-', A>mi im
letzte Seiten niubt mehr auf den ersten bogen (Hl, 2G (g.) gingnn. — Di« «n ^. ijir]
erwähnte behauptung Kant's {31, 20—23) findet skii in der Bohon geplsntoo miitc
Inng seines gespiüchcs mit Schillor nber die inQUuii.ii'pl)Ofii> der pflanceu, wdel» te
erste heft «Zur morphologio'' in der „^eschiclito Heines botuniaelien Bludinma* m
abschnitt „Glünküohes ereignis' brachte. Dort wird jene behanptung nicht Kanl <n^
driicklioti beigelegt, sondein unter den von SchiUor ihm entgrgongehaltniiui «Itna
erwähnt, die ihn ganx nnglücklieh gemacht. — 3S, 2. 13 Dor , Keagritob«* iHt4*r
Übersetzer von Goothe's „Iphigenie' Papadopulos. Vgl. 41, 19, — B*i der ridianrait
von Castiglione (40, 2) war auf das vencichnis der von Ooetbi
Bohuchanlt nr. 250— 2(15, an verweisen. Naoh der art, wie rliosns xwisobRa
1er* nnd , Dessen Studien und cjcainen" eingeschoben ist, sollte nun glaaba.
nntorredung Ooetiie's mit Schillor's jüngerem söhne £rnst hab<i sich auf dio
bezogen, da diese doch vielmehr dessen weiteri? voilmreitung
betroffen haben wird, nber dio gomde hier vom horausgebur anskunft
den mnsstc. Aber die worto „Itadieruug von Castiglione'' at^bnini
oder nach ,v, SchiUer* zu gehören, — Die anfelitze „SehicItBa! dfts mooii!
,26) and „Priorilflt" {42, 5) sind richtig in den Werken narbgowieson, aJm tt*'
aus dem hefto ,Zur morphologie" aniufiiliron, für welches sie damals
wnrden. — 47, ] 6 „Vorwort zur zweiten abtcUang', im drucke vom 27. mal
62, 13 ,Der lieutenant", Enebel's solin Kari (2. 11). — 16 „Übela", doer ftathnkC*
wogegen der grossherzag Ooctho sdniürstnimpf« pnrpfohlEin iM, 1), ^ M, R Jjox'
drei versohiedonen ätjjl". Da.i orata heft dos ernten bände« fühil den geaamtÜWl *
,Zar natnr wissen Schaft" öboi'hanpl, fcesf'udors durch morjihologie, erfabrung, betni»^
tung, folgornng, darch leben sereigoieae verbunden"; daneben wurden lioinndew til«»
fiir jede ableilung, „Zur morphologie" und „Zur naturwisson Schaft*, gndrnntL — 61, ^^
(Des miiTchoDB ", das er den Prinzessinnen zu orEühlen bngODiwn Iiatti«, wm (■**'
lieb früher nicht berichtet ist. Indische nifirchen hatte er schon im *oriß>*n mii Jl»-
sen erzählt — Übergangen ist, daas 105, 25 fg. ,EliiwirlEung der KüiiUsoheD |)liil9-
Bophie», 106, 11 fg. „Intuitiver vetstand" (Kant«) siuh auf die „Mobsmoriiha»» i"
pflanze'', 22 , Anschauender verstand", 107, 7 „Günstige rooonsionon" anf dia «w
rKhmogen des zweiten hcftes „Zur morphologie" beziehen , die an den angcgvtrtt'*
tagen geschrieben sind. — 108, 21. 25 fg. „Indische Weisheit- deutet anl Fr, Sil»-
gel's Bchrift von 1808 „Über die spra^'he und Weisheit der Iiidior', diu er wd tfanklO'
wo 80 viele neue orsoheinuogen der indischen Ütteratar die aufmerksamkpit om^»
wider las. — 115, 14 _An Tauscher". Hier hätte sein titri „adjunkf* tiogM^
werden sollen, für den räum gelassen war. — 130, 12 fg. „Brief an dr. 0.
Oemetnt ist Christian Schlosser, der jüngere iimdcr die rales Friedricfa
Goethe kannte ihn schon seit ilem anfange des jahrhauderls, stand Jatat
auf die kanst mit ihm in Verbindung. Kr ist auch otn 15. deoeraber
143, 18 „Geschichte) der fran von JCriideaer in Erfurt", dio in dtvn not
nnd 1817 in der Schweiz nnd Dontsohlaiid henmizog nnd d»s volk m
tm 4. april 1318 dichtet« Ooetho auf sie dio auharfe Invektive „Junge hl
Donneu* flV, 185), aber schon vier Jahre früher, wu aid in Part» ihr
7. (WEl
Q.)
er TOD dem „dudelsack dci religion, der iingeBtimnkt worden, damit die von
zd DOnneu gewordenea ihren menuct aDstfodi); tAtiKcii köonten''. — 27 Äuf-
Ktz über Witt Döring'a besnch bei Goethe. — 155, 11 fg. „Bchwcigger's epos-, ein
lltsuiies naturwlssenschaflliches des bekanotsn physikers, der sich besondei's mit
bfetrioittit und galvaiilsnius beschäftigte.
Jahr 1818. 156,9.10. „FrommaunisoheKWartbQrgfeBt", die handschiiftlicho schil-
smag desselben vom jüngoren rrominruin. — 157, 14 fg. ,Älle briefscbaften und
Bdichto von Dessau, aus Bebrischens DRchlsss". Hier b&tte genaaeres gegeben wer-
n sollen. Anf sie beeieht sich anch der eiatrag vom 20. Januar: ,Goh. kabinets-
t Kode in Dessau mit 4 Louisdore.' Das nähere bieten Rode's hriefe an KnoHe! in
eiuer Sammlung ,Zur deufschen litteratur und geschichte (1858) 11, 160 fgg. —
19, 27 ^NioolanB Gigas." Ein griecbo Gigas wird 1819 in den Jahr- nnd tageshef-
n genannt. Vgl. 165, 23; 246, 25. — 167, 47 „WoItgoaohichtB, " D«n genauen
bei dieses werks, das Goethe Jetit zu lesen begonnen, und zu dem er gern aux den
irren des tagea flüchtete, geben die lesarten ei^t zu 216, 21. — 170, 24 , Stanzen
im maslceniug", des kanzlers von Müller zam 18. febrnar. Vgl. meine ,Erläute-
ingen znOoethe's maskenzügen' s. 108 — 113, welche die eintrage dieser tage ins licht
itzen. — 175, 24 tg. Hier erfahren wir ei'St, an welchem tago der dichter auf dem
•skonball erschien. Vgl, a, a. o. s. 119 fgg. ^ 177. 16 fgg. Die „einigen stao-
w' ror den Sonetten der seit 1776 Goethe befreundeten freifrau Julie von Beclitols-
Ün sind bisher nicht bekannt geworden. — 179, 19 fg. „Die kinder", söhn und
iHwicgertochter, waren wahrend Goethe's abwesenbeit zu Jeaa aus ihrer mansarden-
^mung, dem sogenannten scbitTuhen, in den ersten stock gezogen. — „Faralipomena",
ie ihrer schärfe wegen zurück gelialteaen , von seinem söhne gesammelten inveoti-
Id. — 180, 2 „Im garten am st^rn", seinem alten garten, den er auch „den nutem
■rtcn" (vgl. i. \\) zu nennen pQegte. — 191, 6 „Reisig'ä", des begabten achülera
on Gottfried Hermann, der damals als piivatdocent nach Jena kam. Die „Jahr- und
^eshefte gedenken seiner unter dem joliro 1820. — 194, S „Durch einen liusaren",
kB der grossberzog von den fünfzig in seinen porsouliohen dieoeton stehenden gesandt
Rtta. — 18 fg. e Die goldene medaille' ist die, welohe man in Mailand auf den
g durch den berühmteu medailleur Putinati hatte schlagen lassen zum danke
US Italien mitgebrachten und geschenkten kunstwerke. Vgl. Schuchardt,
(Goethe'a KuDStsamiiilungen" H, 176, 1401. — 199, 13 fg. Nach der taufe des enkels
I bei tische die urgrosamutter nnd die gvossmutter, oberkonsistorialrat nnd hof-
Kliger Günther, der die taufe vollzogen hatte, Behbeiu und Rinaldo, dessen juu-
r aohn. — 201 Der hier etwas sonderbar blos als „atudout von Berlin" und mit
len bezeichnete Nicolovius war sein neffe Franz, der Goethe sehr nahe trat. —
, 25 , Winkel mann", die aus dem italienischen übersetzte Schrift: ^Winkelmann's
i lebenswoohe ". — 205, 8 fg. , Shakespeare'schea kleines gedieht", in „Kunst
1 altertam" 11, 3, 32 fg. unter der hezeiohnnng: „Aus einem Stammbuch von
M" mit der Unterschrift „ Sbakespeare ". Das W. S. unterzeichnete gedieht hattn
•necke in einem mischbande der Hamburger bibliothek gefunden , der auf dem ein-
lüde die Jahreszahl 1604 ti'ägt und es in der zoitschrift „Die wunachelrutlie" ain
}. april bekannt gemacht. Goethe erhielt davon eine absobrill. — 212, 16 ^Phino-
lene des httenuischen bimmols", eine launige tusam man Stellung der uamen der
1 namhaften dichter, die ein brief an Knebel gibt — 217, 5 „Über den widar-
368 DÜNTZKR
streit des antikeu und niodernon.*' Der aufsatz „Antik und modern**, der in „Kun;
und altei'tom" II, 1 unmittelbar auf den grossem „Philostratische gemälde*^ folgrc*
ward jetzt erst diktiert, am folgenden tage fortgesetzt, der schluss über BoordoK
scheint am 27. mai selbständig entworfen gewesen zu sein. — 245, 2 ^Jobn*'. HicM
war dieser zweite Schreiber Goethe's namens John von dem ersten, einem fipeandc
seines sohnes, der 1813 an Riemers stelle getreten war, aber nicht einschlug, bestimr»At
zu unterscheiden. — 247, 17 „Das ehrenlegionszeichen*', zum ersatz des von Nap^o.
leon 1808 erhaltenen, das er nicht mehr tragen durfte. Den dank dafür sprach or
in dem briefe an den herzog von Tarent (266, 27) aus. — 249, 19 ,|Der hofdienst ^,
beim erbprinzen. — 269, 7 „Hamann"^. Er sah seine kloine seltene Sammlung Hamaon-
scher Schriften durch, zunächst veranlasst durch seine darstellung Herder's im mas-
kenzuge, da Hamann auf diesen einen sehr grossen einfluss geübt hatte.
Die beiden neuen brief bände, welche die jähre 1800 bis 1803 umfassen, ent-
halten mehr als 600 briefe, von denen freilich eine ziemliche anzahl nicht den ao-
Spruch erheben darf als briefe zu gelten; manche sind amtliche erlasse, gescbftftlicbe
mitteilungen, ja einfach waaren- und bücherbestellzettel und sollten, wie so vieles
in den sogenannten „Lesarten*' ihre stelle finden. Von grossem werte ist die dort
gegebene mittoilung von vielen in den bricfen ausgefallenen stellen der erhaltenen
concepte, die auch für die lesung von bedeutung sind, von aktenstücken und brie-
fen oder stellen aus brief en an Goetlie. Leider sind mehrere concepte Goethe's duab
einen bedauerlichen zufall bei der Zusammenstellung der briefe übersehen wonleD-
die erst in einem folgenden bände unter den nachtrügen gegeben werden konDen-
Etwa ein sechstel aller briefe ist an Schiller gerichtet, ungefähr ein drittel dieser
zahl sind an Christiane Vulpius, etwas weniger an Kimis, Voigt und Cotta; nack»
ihnen sind herzog Karl August, Zelter, W. Schlegel, ßochlitz, Schelling und Meyer aiJ»
stärksten vertreten. Unter den hier zum ersten male gedruckten bricfen nehmen di^
an Christiane Vulpius die erste stelle ein. "NVio in den früheren jähren sprechen si«^
die trauteste hcrzlichkeit aus, besonders zäillich sind die vom jähre 1803, nachdeac»
zu ende des vorigen jalires Christiane im Wochenbette schwer gelitten und luct*
ihr viertes kind kurz nach der geburt verloren hatte. Als sie im bado LauchstaJ^
verweilte, von wo sie den gatten durch ein ausführliches tagebuch erfreute, schrieb e»"
ihr: „Wie sehr von herzen ich dich liebe, fühle ich erst rocht, da ich mich an dei"
uer frcude und Zufriedenheit erfreuen kann Dass dir alles glücklich von statteD
geht, freut mich sehr; du verdienst es aber auch, da du dich so klug und zieiücb
zu betragen weisst. Mache dir wegen der ausgäbe kein gewissen! ich gebe alles gern
und du wirst zeitig genug in die sorglichkeiteu der haushaltung zurückkehren ..••
Schicke mir mit nächster gelcgenhoit deine letzten neuen, schon durchtanzten schöbe,
von denen du mir schriebst, dass ich nur wider etwas von dir habe und an man
horz drücken kann.** Die briefe an Schiller sind durch keinen ungedrucktea ver-
mehrt, dagegen erhalten wir neue noch unbekannte schreiben an den herzog, möst
Vorträge oder anitli<'he mitteilungen, und aucli die ohne adresse überiieferte mittei-
hing 4536 ist, obgleich der henuisgeber in zwoifel steht, welche Weimarische oder
Gothaische fürstliclio ihm-sou gemeint sei, entschieden an Karl August gerichtet, den
Goethe auch 4563 „Ew. durchlauoht'' anrtMlet. Die falsche datierung wird in den
„licsarteu* U^richtigt. Zwei unbekannte briefe an die herzogin Luise erhalten wir
(4340. 4435), einen an den erbprinzen Karl Friedrich (448<)), drei an den herz<^
Ernst 11. von Gotha (4263. 79. 83), einen an den prinzen August von Gotha (4174).
IKK (W
G.)
lilmoh sind die neuen sohreiUen an Cotta und die mitteilungen an Voigt nnd Kinns,
ai brieFe sind an W. von IIuQibotdt (4285 uod 4316). Durch ebxelne oder inph-
! noch nicht veroffen tUchl« briefe erfahren wir näheres über ßoethe's beziebung
i so msnchen Zeitgenossen, woniit ihn die kunst oder das leben ia Verbindung
tlMiMiht, oder die er für die fortsetzang der litteratarzeitung gewinnen wollte, unter
lAlem anderen ansiehenden erhalten wir jetzt ei^t die kräftige abfertigung der unbe-
Innenen beschuldigaag von Kotzebiie's muttor (4497), welche in den , Lesarten"
[fiitljoh mitgeteilt wird.
Die beiden briefbände sind noch von Ed. von der Hellen beraosgegebeo. Die
Mxüge und die mäagel seiner behandlung sind dieselben, die wir an den friiheren
merkt haben; fast scheint es, dass jene nouh eilfoitiger gemacht sind, als diese,
nn es auch an fleiKa und eifer nicht gefehlt hat Was xunfichst den Wortlaut
rifft, 80 begegnen wir wider der sonderbaren scheu, den aosfall eines wertes anzu-
unen, obgleich dieses vei^ehen so häufig bei raschem schreiben sich einstellt, und
' herausgober selbst dies an manchen stellen nicht läugnet. Aber lieber nimmt
zu sonderbaren erklärongen, den härtesten verschmekungon seine Zuflucht, als
m er dieses natürlichsten mitteht sich bedient, das er pedantisch schilt, während
aer Vorwurf vielmelir sein eigenes verfahren trifft, Su fehlt offenbar 43'j7 nach
mcht noi zu leben" das Zeitwort „wünsche " in dieser Goethe geläufigen formel
1 vergleiche nur 4268 und 70), aber es wird als „nicht unbedingt notwendig'
bgelehnt. Dass 4274 nach ,herm professor" der name Meyer aoagefallen ist, wird
^isehen. In den eiligen Zeilen an Schiller 4356 heisst die hinzufngung eines „Ih-
B^ vor „zusende' (dorthin gehurt es) , pedao tisch ". Freilich fehlt es in allen
ncken. Richtig ist dagegen 4565 „mir", das auch noch bei Vollmer fehlt, zuge-
tet, doch würde ich es lieber vor ,wie" als vor „nur' einschieben. Seltsam ver-
Ingnet der herausgeber dieses „mir*^ in der anmerkung zu s. 112, 1», wo er gerade
Ben von ihm selbst verbesserten ansfall als begründung dafür anführt, dass er
t das nicht in der handsohrilt stehende, mit recht in den drucken eingeschobene
' wider entfernt hat. ;46I7 (s. 17S, 18 fgg.) nimmt er wider seine beliebte
^Schmelzung an, aber vielmehr ist das aus versehen nach ^einsieht" ausgolaasene
' einzusetzen. Zu den werten des biiefes au Cotta 4620: „Andere kleinig-
iteo nioht lu gedenken'^ stimmt nicht die bemerkung der losarten: , Andere nicht
möglich". An einer von beiden stellen muss .andere* dmckfehler für „anderer"
!D, das den vorzug verdient. 4714 wird die Schreibung , widerstreben den und
nitenden nachnchten" verworfen, weil dann „widetstrebenden" neben „widerstrei-
iden" tautologiscfa wäre, als ob zwei mit derselben präpositioD zusammengesetzte
Mtwörter deshalb tautologisi<h wären. 4723 (306, 5} wird wirklich „zu*^ eingescho-
a, doch auch die mägliahkeit behauptet, statt dessen in der vorigen zetle „und"
r nnm" in lesen: aber diese mögliohkeit trifft die wnbrheit! Einige der Verbesserungen
■ beranagebers liegen ganz auf der band, wie 4465 „verstand'' statt „verstanden",
162 ,ein- statt „einen", 4682 der name „Dürrbanm- statt „Oiirrbein", wogegen die
meine form des naniena „Slevoigt" 4469 nicht nnberichiigt bleiben durfte. Aach
B Umsetzung einer bedeutenden stelle in dem briefe an Schlegel (4747), den man
tber an Iffland geschrieben glaubte, trifft zu, wogegen es ungegründet sobeint, da^s
■I 4275 die werte -dient folgendos sclioma" nach „mitgeteilt worden' erwarte,
^tlow kritiscbe einfalle begegnen uns mehrfach. 4272 soll in den Worten: „tTbri-
s habe ich noch viele menschen gesehen", vielleicht „auch"' statt „noch" zn lesen
. Aber „noch" gebt auf die tage, welche er bis dabin in Jena verlebt hatte;
. xxvin. 24
370
dDntzkb
freilich tat es etwas überlästig, aber nach «übrigens" nicht so ■nlhJtend iria j
sein würde. — Zu 4297 lesea wir: , Jeder' (122, 6) in ^jener' lu imkrn, Dp
uafae, zumal der brief keine spur Ooetbiscber durolisicht leigt.- Vaä. liodh i*t di*«
Vermutung nur bei vülligom misaveRlSndais mögVch. Goethe rftt SchillM Ton a«-
dium des griecbisahen ab, woran er als dichter „sieb wenig erbauen' wente, «nl
„das stüSartige jeder spräche, sowiä die verstaadosroTmea m weit von der )inidst-
Üon abstehea". Es liegt ibm dorobauti fem, dies gerade tod der gricchisaiieii ipn^
infioDderbeit zu bebatiptea, er Bjiricht vuni gt&mmatischeo Studium äboihaii||t —
4484 ,Sie sind olle ohnehin so gescbäftig." Die verinutung .Wch&ftigt- itl |ai
holtlüK, du Goethe auch sonst „gescbäfüg" in diesem Biiiue braucht. — 450G *I^m
kompositiiiD durch alle ihre teile zu folgen und Bie aiub wirkliub als Im pueo B
deuten.* Hier musa ,im ganzen' verhört sein für „ein ganxeB". — Öbds abaoBdaiak
erscheint 4526 die vennutung „bonBlituiert" für „konstruiert": das ist oim duA
nichts begiiindete entstellung des ganz gehörigen bildlichen ausdrucksa. — 4336 »|wt-
tetdasTom heranagebei' nicht beanstandet« „zu unserer (eineri') gefälligen aubuhow
Jedor deutung. — 4601 .Aabäogebogeu' wird für das ganz riuhtiKe „aUBbüDgebupi'
ohne jede rüoksicht auf den Zusammenhang vermutet, weil am sohlusw diw bcwlM
auch der beabsichtigte „aubaBg" erwähnt wird. Verfehlt sind auch die vofMhUfSi
4666 „und" statt „und* und 4782 „ebige" statt noigoe" lu setzen. An tm )mt
stellen wären begründete Vermutungen wol an der stelle gewesen. 4462 Gndn •!(
den ausdruck „stempeln* von den gemmen anstössig; Goethe hsttu wol stsisfa
diktiert, vieUeicbt auch im abgesokickten briefu wirklich verbessert Am «nie vm
4607 inuiis es „bugens* statt „bogen* beisseu, 4650 „anregung'' statt ,ijargangii'^^
4710 (289, 20 Fg.) „umsehen* statt „umher »eben", wie es richtig vorher und 4713 iltiX.
Bei mehreren briefen sind die namen der adressaten oder 4» datum Tom bir-
anageher richtiger bestimmt Aber Bebr zu bedauern ist es, dass er meine TunVdl^
mer aufgenommene richtige datierun^ des briefes an Suhiller 4376 luoh sein« bi-
schen Vermutung willkürlich entstellt hat Freilich trägt der brief, wie in den ti^
heren druuken, auch in der Urschrift, dio Vollmer nicht vorlag, erut duivh ■
Schenkung Burkhardt's in das Goethearcbiv gekonunen ist, nach der vt'ruoberuoi: •
beraosgebers das falsche datum des 6. märz 1800. Die jahreszabl ist offenbar U*
der märi oin bekanntlich auch iu Goethes briefen büuiigns versehen, dn tm anlM
des nonats der gewohnt«, eben verHossene monat statt des laufeodi'n slvbt. I"
berausgeber mutet uzis im ernste zu, den 6. niärz für eine verwoobHeluug mit den
3. oder 4. april zu halten, und zu glauben, Goethe habe „ineehttnisuh' das ditnn
unter den brief gesetzt, das er lulSllig auf einem vor ihm liegenden scbriftstiiEt
gesehen I Eine solche abeuteueriiclie uiiglnublichkeit würde man sich kaum gebU"
laasen, weim der B, april wirklich unmögUch wäro. aber nicht dieser ist et, »■
dem der an dessen stelle vermutete 3. oder 4. Wenn Goethe schreibt: „HSdrtB
sie mich wol donnerstag mit profeasot Meyer besDubunV* so kann nur ob doaftn-
tag derselben Woche gemeint sein. Der brief ist an einem montag, dum S. Ipi
geschrieben, nicht am froitog oder Sonnabend der vorhergehenden woobei er ist tS^r
bar erwideruDg auf Schillers brief vom 3., worin dieser seine i^ckkohr nadt W»
u&r und seine hofTuung meldete, in vierzehn tagen mit seinem neuen tnntm^ri tt'
tig zu sein. Wenn Goethe Scbiller's fragen, die er hier beantwortet, dusaon l«lllt*
bliefü zuschreibt, so ist das nur ein leicht erklärliches versehen, das gegnnölHr d*
b«ziehung auf Scbiller's brief vom 3. april und dem feststdisoden (L t^
begründen kann. — Die bemerkung, das datum von -1597 MibwMika, tt
8(W1
Q.)
3TI
oh Goethe's kind am lü. oder 18. december geborsD sei, ist oioht
da der 16- feststeht — Mit recht hebt der terausgeber den widerapruch dea
Ton 4428 mit dem lagehuoli hervor, wonach Goethe am 24. Oktober 1801,
ir überliafert ist, uioht in Jena, sondom in Weimar war, er weiss sich aber
helfen. Die jaliresz-ab! hat v. Loeper ohne allen zireifel veHesen. Der brief
JBhre zu früh gesetzt, er gehört in das jähr 1806. Goethe war seit dem
ober IS06 211 Jena, voo wo er am morgen des 24. nach Weimar fahren wollte,
der widereröfFnung der löge Amalia tailzunehmen , aber die künde, üass die
in nach Jena kommen wolle, um die mnseen bu sehen, hielt ihn zurück. So
sich das biUet, iu welchem die buden auf den Jahrmarkt dsuten; dass daa
SOI nicht richtig sein könne, mussts das tagebuch den herausgeber lehren,
rede stehenden besuch der hcrEogin am 24. Oktober 1808 meldet —
tnrfte nicht vor einen brief des 3. januar gosatKt werden, er gehört naoh der
»der gegen ende des monats, wo Goethe margens meist mit dem „anhaog" zu
boHoliilftigt war.
Die in den „Lesarten" gegebenen erläutoningen bieten uns aus den schätzen
ketbeurohivs manche bSchat willkommene belehrung, besonders die aus akten-
Goethe gerichteten brieten, von dooen leider nicht immer die
Boden stellen wörtlich angeführt sind. Zu weit getrieben ist die Vorweisung
■lere stellen aus biichem; biSufig starren uns die gespeuster von seiton- und
tblon be&Dgsdgend an, wo man ein lebendiges wort ülwr die sauhe verlangt;
leiten erweisen sich die anfübnmgen als niuhtssogend. Besonders unnötig and
ist der ganze sohvrarm steilen, -m> ein bestimmtes wetk Qoetbe's in den briefen
it ist; diese angaben gehören in dos verheissone register. Auch die verweise
Allgemeine doutsche biographie" wären zu sparen, dagegen kurz aiiKtigeben,
dem leben der betreffenden personen zum Verständnis der einzelneu stelle
deutung tat. Auch in unsern bänden fällt die nugleichbeit der belumdlung auf,
kmte mit drei Worten auf eine stelle licht geworfen werden, bei welcher der
»ergebens hülfe sucht Freilich wird mahrfach die beziehung nicht mehr zu
ken sein, aber amfasseudore kenntnis löst manches scheinbare rätsei. Unter
du willkommenen löanngen ist uns am willkommensten, dass 4227 unter den
KD Sonetten" von Übersetzungen der Sonette des Pietro Aretino die rede ist,
iilegel's antwort zeige, aber ungern vermiast man die wörtliche anfiihrung der
tden äosserung. Die Verweisung auf die briefstelle, wo Schlözer der dontsche
lieisst, tut nichts zur sache. Zu erwähnen wäre gewesen, dass man bisher
s der ,,famosen sonotte'^ mit dem bekannten sonett in Schillers brief an Goethe
deoember 1799 in Verbindung brachte, und dass von Aretin's Übersetzung
^ur sich erbalten hat.
Zur ergänznng und berichtigung geben wir hier einige bemerkungen. 4179
fiel wird richtig als an Voigt geschrieben bezeichuet) sind die „turpia facta
und Wolgeb." aaf da^enige zu beziehen, was Schiller vom neuen club der
len und bürgerlichen, der einen gesellschsftsabend am 2. januar gebalten,
, wenn nicht selbst erlebt hatte. Es sind wol recitationen und auffüiinin-
it, in denen damals selbst ältere damen sich gefallen hatten, worüber
'b brief an Herder's gattm vom 23. januar berichtet, den der herausgeber neben
s der letzteren hJitte anfülLren müssen. Schiller, der am abend des 7. mit
Ooetho gewesen, hatte sich in gewaltiger aufregnng über diesen dilettan-
ifiig ausgelassen. Goethe scherzt in diesem briefe, er wolle doch heute
24'
372 DllKtZKii
sehen, ob desson uninllen sich beruhigt habe. — 4181 Der ,1>0geii* war ek laut-
derer abdruck des letzten aufsatzes des heftee der .Propyl&ra" Till, lu ,&s{r
GiwDen düB Hikhomet nach Voltaire von dem hnraaxgober'. — Zu 41R2 b&tit 4a
voraanie der Schauspielerin Caxper« angegeben nerdeii Boüeii, da sputur aodi itoi
Jüngere sdiiresler ala »chuaBpielenn eh Weimar auftrat — 41S4 Boi dim .Kumm
des herm von EckanlUbaufien" gunügte nicht die vei-weisuu^ auf die „ AllgvDyö»
deutsche biographie". Ich habe sehen IS59 den im .ReiobHauzeigär" nr. 3 it!M
Jahres abgedruckten „Avis" des graTen Karl von Eckartttahaiuiea angeführt, anl im
Goethe hier zielt, und eine darauf bezügliche Sosaerung Knebels. — 42D2 .Schtlla*
ü)«l', dos nervenfleber, das ihn am la. befalteu hatte, erst naoh xohn iaffm räk,
und ihn lange schwächte. — Zu 4285 wird behauptet, iJoetba habe Humbuldt nkr
die Bbücbt, die .Propyläen' eingehen zu lassen, im dunkel gelassen. Absrerteto
an die mögliohkeit, dasa sich der absatz heben werde. Ja nach iiu briefu an CbOs
vom 2ö. Januar 1802 ist von eiuem einstweiligen panieren djp redo. — 422H mnM»
erwähnt werden, dass die Nemesis wirklich nicht ahi titelbüd, sondern als vignMa
des titelhlfltts enichien; die zuletzt überüandte xeiohnung bezog sich niif di« ,Bnct
von Korinth" und fand bei dieser auch ihre atoUa. — 4247 Den domftnenrat ,llart-
mann' hatte Goethe scliun iT79 kennen gelernt, wo er dorn herzog uud ihm ™t«
gemlligkeiten erzeigte, ihn such i7!t7 widergoseben. Hier liätte auf VII. äfiä
werden sollen. Dagegen hatte er den niodiziner Aatenrietb (4248) auuh ITST
können gelernt; deBseo sobu wurde ein onliänger seiner nieOunortihosenlohr«. —
der datierung von 4282 vergiitst dor herousgeber Goethe's ihm sonst bekanntn
heit, auch in Jena oder auf seinem gute zu Überrossla gear.briebene i)riere,
ders geschäftliche, von Weimar zu datieren. Der Itetreffeade brief künaie als
dringend noch am abend des ä. in Oberrossila geschrieben sein, aber mdgücb
daas die aogabe des ti. statt des 7. ein versehen ist. undonkbar dagegen de«
gebcrä annähme, es sei der tag der abaendung gemeint. — 4338 deutet die .pU-
losophiach -artistische geseUachaft' an! die anweaenbelt von äohoUing und Ueyer, — '
4313 ist bi^i der „alten jenaischen karüiana'* nicht etwa an ein an gennnntmi g«bliad*
zu denken. Sondern ,k«rthauso- bezeichnet, wie „kloster", die einsBrnkrit. — 8*
4337 dnrit« nicht die grosae Vertrautheit von N. Meyer in Ooethe's hause übwt|U*'
gen werden, deren ich in meinem „Leben Ooethe'a" gedacht habo. — 4349 buwM
bei der uiisebrüuchlichen form Starke der ähnlichen uuart des gewühnbcheu
bei einsilbigen namen gedacht werden, wie auch bei dem malur Kmnn.
war die richtige forin herzustellen. — 4384 genügt die angäbe, dor JnnK» ntfi
habe Schmidt geheissen (wir wissen genaueres von ihm selbst), dumhaut ndfc
ebensowenig wie 438!) die bezeichnung des ^hem Babc" als „kondiiktt'ar, denGnIl
milbruchte', Oentz hatte bereits iiu uovember 1800 Fiiedrich fiabe als ko&ilulitMt
vorgeschlagen und der herzog deaaen ankunft sch<in im Januar erwartet — 4430 id
verschwiegen, dasa die „ physiognomisoheu regeln' von lAVat«r aind, wa* wA
freilich aua der stelle des t^ebucbs ergibt, deren Wortlaut nicht angt^bea 1*
Ooetho l>eMUis sie als ein geschenk Lavators. Der druck im folgenden Jahn i^
nioht durch Goethe veraalaasL — 4436 iiit die „einzustudieronde opcr-' ohnt i*»
fei eine kumposition von Reichardt selbst Die Unmöglichkeit, sie lu der n*
Heiohardt gewünschten zeit anfzutiihi^n , ergab die )<eigelogte naobricht von KlnK —
4433 bezieht sich offenbar auf üiu Aussetzung d«s zweiten mittwoclikitaidWB
wegen der in 'Weimar herrschenden masem. Dur horausguber sagt darübtr t^
4445 .Im felde". Den uinjor (vouj Gunltieri liatto Uuelho ohuu tmM
i lOge in der Champagne keimeD gelernt, und wol hui der belogei-ang von Mainz
r gesellen .
4408 Es scbeint nicht Lloss, wie o» s. 406 beiset. dass Goethe'a August im
1 attt der geburtstagsreiionta als Amor ereohien, wir wissen, wie sehr
l^ron Stein sich darüber ärgerte, dass Goethes anehelieher knabe als geflügelter
IT im Züge henun getragen wurde, und zolekt die schönen stanzen der herzogia
»iijhto. Vgl. meine „Chatlotte von Stein" U. 146 fg. Schon im Juli 1799 war
t in dieser Verkleidung bei dem mahle erschienen, das Goethe der Trau von La-
9 gab. — 4480 Irrig wird bemerkt, das von Ooetho versprochene gedieht sei am
l'&bRuir, dem geburtstage des prioxeu, aufgeführt worden. Der prinz war am 2.
das gedieht ward am 27. geschrieben, auf dor redoute des 30. nicht ,aiif-
Ihrt", sondern von dem als Amor verkleideten August überreicht Was wirklich
tora htiefe Aagnsts an den valer vom 10. steht, aber vom heraiisgebor, der sich
KdT beruft, ohne den wortlnut anxufübren, miss vorstände n sein muss, errate ich
L — Die KU 4494 vermutete versehiebung einer angäbe des tagebuchs ist unwahr-
inlicb, viel eher anzunehmen, dasa die erwähnung dieses abendbesuches zußillljg
JKgebuohe oder im abdrucke desselben ausgefallen, da am anderen tage des abends
Btiioht gedacht wird; am nächsten liegt es, dea nusfall der werte „abends Bchel-
P am 16. (möglicherweise erst im drucke) zu vermuten. — 4506 „Einige franen-
^er*, besonders Trau Hofeland und frau Pauhis. — 4523 „Yerfinderung des qoai'-
r*, der utnzug aus der bisherigen mietwohnnng in das angekaufte haus von Mel-
jÄnf der esplaoado. — So ganz unveranlas.st wie seltsam finde ich es, wenn 4558
K&oSuitng, „eine freundschaftliche geselligkeit des winters werde ihn manchmal
^^ i(i eJn?D lyriscbi^n zustand versetzen", die beinerkung gemacht wird; „als 9rwtx
^^BSprengten cour d'amoiir". — 4580 Zur ervrähnung des „ herm von Zimmer-
pk' wird gefragt: „Ein söhn des 1795 verst«rl}enen Hannoverschen leibarztes?"
1^ 'wissen, dass dessen einziger söhn Jacob längst vor ihm gestorben war. Da der
1% Oalizyo in Braunschweig lebte, und Zimmermann dazu beigetragen, dass dieser
I mineralogische sanunlung nach Jena schenkte , so denkt man von selbst an den
Minschweiger leibarzt Eberhard August Zimmermann, mit dem Goethe als anato-
n in den achtziger jähren in Verbindung gestanden. Auch i»>t es nicht auffallend,
(Voigt diesem noth nicht im namen des herzogs gedankt hatte, weil er seinen
I titL'l nicht kannte. — 4561 Die brouse des „Merkur" ist wcl das 2'/,
[ Jiolie Ggürohen des anf einem felsen sitzenden gottes bei Schuchordt „Goethe'a
mluDgen" H, 12, 28. — 4598 „Heute abend hwffe ich eu kommen", in den oluh,
I ,&«undsohaftliclteo zirkef, wie er 4633 s. 192, 5 heisst, die ressoorce. — 4615
.indisposition*^ Goethe's bemerkt wird, ausser dem briefe des harzogs
k 2, Januar finde sich von diesem „anfall" keine spur, so handelt es sieb hier von
t anfalle, aber seit dem 2. Januar fühlte Ooethe sich fortdauernd so unwol,
I er das nmmer den winter nicht mehr verliess. Davon zeugen besoadcra das
h wid briefe von Vulpius, und aus jeder eingebenden leijensbescbreibung war
ii.j[0iutnere leicht zu ersehen. — 4627 Zu 191, 4 war der tenorist Brand zu neo-
) nicht auf die spfitere aumerkung zu venveisen; die erläuterong mnss, was mehr-
|i übersehen ist, ou der Stellß stehen, wo dor saohe zuerst gedacht wird. Übri-
I hat der berausgeber nicht gowusst, dass dieser Brand von Goetbe's mutter
Er ist der junge tenorist, dessen sie, ohne seinen namen zu neo-
, am 18. februar 1803 gedenkt und unter seinem namen am 20, Juli 1804. Er
|~v(Ki 'Weimar au das hofthuator zu Kaasel. ~~ 4645 schwebt bei der anfrage an
374 pttwraui
die Jagemann, «io eis nauh Uirem geBtrigeo auftreten in der „Nutürticbon toÄttr
geBciilofen liabe, boi der bezeiohnuag „auf ihre gestrigen roiaen aus loidenacibift' m
launiger ausdnifk des vor kurzem iu Weimar gewesenen Friedhüh Gi-nU vor. o
reifie aus leideoschaft. Vgl. 4647 s. 212, lä fgg. Freilich sieht Dian oicbl nuH
nie dies auf Eugenien passe, irolcbe im stiicke gar nicht aoa leidenschaft ivirt. -
Im aofaag des briefes an Schiller vom 13. mai (4056): ,So übomsubt an« dm
doch das jüngste geiiabt", siebt der beraosgebor im ernste ,eine scherihalte wb-
duDg" für Cotta's auf den 21. mal angekündigten besuch! Vw das tolgpntle .2«-
gleich" zeigt, berichl sich die äoBBenuig wol auf eine ntilgeschiokto scbrift, diaökcf
die beiden Weimahsohen dichter herfiel, weoa es nicht ein angriff in cönor loils^
war. Dnter dem gleichzeitig xur benrteilung gosundten „Nepotiao' (es hStts Ott
doch verlohnt, zu betnerkea, daas das drama den raficlien Eturx eiuea rümisuhsa Ui-
Bora darstellte) versteht der herausgeber daa Btiiok, dos der Beriiner pro! Lama*
KU erhalten gewünscht. Goethe verspricht im briefe 4669 ihm den wunach lu Mfil>
len, sobald eu „nidor zu hause" sei. Es handelt sich hier offenbar aicbt utn mk
fremdes stück, das sein verlasser lurüctverlaogt, soudero Iievecow hatte ihm «
sehr erfreuliches urteil über seine in Berlin aufgeführte und dartibgofallBne .NU&r-
liche tochter" geschrieben und das noch ungedrnckte etück zu lesen gewünsidit ,Iok
wünsche nur", beisst es in dem ausserordentlich freundlich gescliriebenen tenfa,
„dass nähere bekanntschaft [des Stückes] die lebhafte teilnähme Dicht t-erauadan
möge, wodurch Sie mir eine so besondere freude gemacht haben." Nach diosur nä'
fassuog des briefes gewinnt er ganz besonderen wert. — Wenn lu 4662 phantacitil
wird, die Weimarer dioskuren hätten die auffähruDg von Klopstock'» .Hmaaiuii
sotitocht" wol als eine tetenteier Elopstoeks geplant, $o ktuu der bmm-
geber deren Stimmung gegen den bamborger patriarcben und Goethe's auftati .Su
Vorsatz Schillers" nicht gekannt haben, aus welchem hervorgeht, dass 4ua bodn
dichter ein klassisohes deutsches ropertorium beabsichtigten, wobei säe auf KlopslMk
zurückgreifen wollten. — 4669 , Dem fünften", wahrscheinlich dem liede ,G«nMd-
beichte", da die folge der liedor des „Tasohänbuchs" kaum verAndert Min innL —
4673 hätte doch wol kurz bemerkt werden soUen, daas .Emestine" die jüngere halb-
Schwester Christianens war, die, wie auch die alte tante Juliane Tnlpins, in Uoetlii'i
hinterhause wohnte und starb. ~ Von 4674 heisst es: „Bisher auf die farbealahn
bezogen", nnd es werden dann ein paar stellen angezogen, die ganz verschiedaaa
art sind. Es handelte sich um seine so oft schon angegriffene einleitong in die to*
bonlchre. -- 4662 ^August setzt sich nun in die Lenzisehen atnnden." Er beniehti
die niinoralogiscben Vorlesungen von Lenz, da diese Wissenschaft Um auhoo seillflU),
wo Blumenbach in GÖtÜngon ihn dafür gewonnen hatte, lebhaft anipnoh. — tSÜ
Zu angeloben hätte wenigstens auf dio anmerkung zu 3936 verwiesoa ynritaai-
len. Angeloben ist eb Christianon geläufiger und von Goethe überDOmmanar <■»
druck für , verliebte äugen'. — 471Ü „In so bedenklicher zeit'. Ja Hannover roa ta
Franzosen besetzt war und unt«r argen kriegssteuem litt — 4743 „Eine* so unrti-
digen bUttes." Eotzebuc's blatt „Der fireimtitige" ist gemeint. — 47dl Den adnMlM
des briefes, wovon unr das concopt vorhanden ist, wagt der herausgeber mcU M
bestimmen; nns Bcheint, dass es sehr wol der gymnasiall ebrer BelbriicJr b Bab
gewesen sein könne. Die ausBerung .Die natürliche tochter" sei schon an oinni ncv*
Beuten verteilt, scheint nur eine ausrede, um den Berliner protcseor
Man wussto eben nicht, wem man sie ,bei dem setteoen chariviri Im
Publikum" geben solle. Dom beb^imdeten Beohlite in Leipzig WäUl« i
^^^ Ourr ooiTTHKa wrrke (wkim. Auai.) 375
it geradezu tuibietBD, dooh bat er diesen um das blatt, das er rrüher ihm tod
'lin &US darüber geBchriebfln. Aber der „faule RochtiU" hielt Bich zurück. Als
d*im Scbauuxtmn in 0 [(»Bon dazu anbot, meinte Goethe, Eichstadt solle die beur-
diMoin ambietea. da er nach seinen briefen ein sehr gesetzter mann sei, und
ifciöt^bt darauf uohmea werde, dass Goethe in Dahem Verhältnis zu Biohstadt's Kei-
stebe. Ab<?r SchanmanD's anzeige fiel so lolirednerisch aus. dass sie uninöglioh
r von Goethe abhängigen zeitnng erscheben konnte. Da Delbrü«k's mittlerweile
ieferte aoieige von Schillers , Braut von Messina" t\i den von Schiller und Goethe
gnindsatzen stimmte, sollte Eichstädt jetzt diesem auch die beurteiluQgen von
itbea neaer trngödie und dem „AlarkoB'^ von Fr. Schlegel auftrugen, und ihm za-
iah mitteilen, weshalb sie die früher, freilich oret nach seinem anerbieten, einem
leren beurieiler aufgetragene anzeige nicht aufnehmen könnten. Da.ss er früher von
lern Berliner gymnasiallehrcr keine vorurteilsfreie Würdigung des in Berlin von sei-
dortigeu mächtigen gegnem ausgepoehten Stückes erwartet hatte, trota seiner
licherung, Delbrück's Überzeugung stimme Diit der dioBseitigen ansieht überein.
B leicht erkUlrlicb. Wie es mit dem früher von einem anderen Berliner professor
günstigen urteil über „Die natürliche tochtor" (vgl. zu 4056 s. 374) sich
, verhalten, wissen wir nicht. Delbrück lieferte eine würdige anzeige der tra-
e im folgenden jähre, die HaUisohe littoraturzeitung hatte vorher das volle hom
bitterkeit über sie ergossen.
SÖLS. H. nÜNTKKR.
Bntsohe Phonetik. Von Ott« Bremer. [A.u.d.t,: Sammlung von grammatiken deut-
scher mundarten 1.] Leipzig, Breitkopf&Härtel. 1893. XXIH, 208fl. u. 2taf. am.
Von allen autoren, welche lehrbücher der phoaotik herausgegeben haben,
L Bremer wol den weitesten gesicbtskreis. Tecbmer, in soiner phonetik, hat
' von allen Seiten her materinl zusammengebracht, aber er bat das gelesene
t verdaut Er berichtet ansführiich über unwesentliche dmge, während wichtige
1 nicht genügend hervoi^ehoben werfen.
Bremer's hauptverdionst liegt darin, dass er die einseitigkeit der — auch in
ralschUnd sehr verbreiteten — sogenannten englischen schule vermeidet Diese
hule klassificiert bekanntlich die spraohlaute fast ausschliesslich nach der art ihrer
Bengoog, vernachlässigt dagegen dos Studium des akustischen eflekts. Die benntnis
r erEengnngsweise ist ohne zweifei notwendig und nützt uns vor allem bei der
klärung des lantwandels, wie er sich bei einem intlividuum oder innerhalb einer
itinunten generation vollzieht. Der akustische effekt ist schon bei dieser art laut-
[ndel nicht ohne bedeutung, wirkt aber meistens im konservativen sinne, Wenn
) Bpraohe auf eine jüngere generation übertra^'en wird, so bilden die akustischen
I der laute das eotschieden wichtigste monient. Die kinder lesen uns
ibi die spräche von den lippen ab, sondern sie sprechen, was sie hören —
r vielmehr wie sie boren. Da grosse abündeningen der artikulation manchmal
inen auffälligen Wechsel des klanges hervormreii, so ist es klar, dass die überliefe-
ng der artikulationeformen keineswegs siohergeBfellt ist. Bremer ist also in seinem
Ihi rechte, wenn er mit tücksicht auf die relative Wichtigkeit von klang und arti-
ation den gehorten laut ab das prius bezeichnet, die art der erzeuguog als das
nterius.
In seiner Opposition gegen die „geneUker" steht Bremer mcht allein, ist auch
i der Urheber dieser Opposition. Dagegen ist Bremer (nach dem datnm des vor*
376 PU>PINO , ÜSEB IJltF.MKR, DITTS
Wortes zQ urteileu) der erste, velaher hervoi^ehobun bat, daan ein Uutwandel ko Btanla
kommen mnsä, weil die kleinei'sn dimensiooen der kindlichen mundlmble utikulatio-
Den bedingen, welcho von denen der eitern abweichen (vorwort a. XVlj. Diese W-
saobe iBt BühoQ von nelmbolti bervorgebobea worden; ihre bedeutung för te
Uutwsndel wurde aber dreiseig jahte long übersehen.
Diesen Denen uujchaauugen bat Bremer in seinem lobrbuche sorgtÜtig ttA-
QUng getragen ü und er hat das ganze material mit grosser Selbständigkeit durah-
gearbeitet
Viel mühe hat dem Verfasser der „Dentscbeu phonetik** die ausarbeitaiig d«r
vokallehre gekostet Er scheint seine bestimmungen der vocaltöns teils duidi
beiihachtiing der flüstersprache, teils mittels der atimmgabel probe gemacht eu batwa
(nähere berichte werden in aussieht gestellt). Beido metboden sind von vielen Ibr-
Bchem versucht worden, meist aber mit massigem oder geringem erfolge. Vxm
übertasohender ist es, daae Bremers rosultata im ganzen sehr zuveriftssig la mib
Btiboiueu: die übereiustimmung üwiscbeii seinen cbarakteris tischen tönen und den Biit
tels graphischer motboden gofiuidonen ist eine au^ollond gute. Broraer bat oBeottt
ein ungewöhnliob feines gehör.
Bremer bezeichnet seine „phonetik- ab< eine praktische, und mit recht; dm
er vermeidet grundsätzlich die besprochung physikaUscher und phy^ologiuiier bt-
goD, welche beim Unterricht eine untergeordnete rolle zu spielen scheinen, auch V
fällen, wo der besprochene gegenständ durch eine mehr eingebende bohandlnng U
reiz gewonnen hätte. Weit davon entlernt dieses vorgehen zu tadeln ~ jedar hil
ja das recht seine aufgäbe nach beliebon zu wählen und zu beschränken — , nw
ich doch mit bedauern hervorhoben, dass Bremer's aufscblösso ülier Physiologie vai
physik durch ihre knappheit manchmal intifübrund werden. Die Spannung der Btimm-
bfinder (s. 23) wird nicht ausschliesslich, kaum einmal verwiegend dnrcb vorwürtdieWS-
gung des scbildknorpels bewirkt. Die stärke dos scballs (s. 39) hängt auch von lod»-
ren faktoren als der Schwingungsweite ab. Falsch ist femer Bremer's behauphini
(s. 39), dasä die erschein im gsformen des schalls entsprechend den verschiedtna
Schwingung« formen verschieden seien. Es können sehr verschiedene vibrationsfoimCB
genau denselben klang geben, und genau dieselbe vibiationsform kann, wo dil
schwingungszabl wechselt, sehr verschiedenartige klänge erzeugen.
Der gerährlichste fehler Bromor's ist in seiner bcsprechung der resonanx*
erscheinungeu zu finden {s. 114, 124, 164). Bremer st«llt die bebauptung tMt,
dass bei relativ kurzen roaoDaDzräumen die Verringerung bezugsw. vergrösserung dM
Volumens die hübe des resonanitoues in ganz verschiedener riuhtuug beeinllaasn
müsse, Je nachdem der vordere (der Öffnung zugekehrte) oder der hintere teil dta
raumos von der Veränderung betroffen wird. Durcli versuuhe mit einem bledtiVM-
nator, den man zum teil mit brotteig ausfüllt, kann sich jeder die Überzeugung vtr-
schaffeu, dass der resonanzton steigt, ob der resonatot vorne oder hintua galUlt
wird; und dass der ton immer sinkt, wenn dio füUang weggenommen wird, Hmot-
lieb moss mau sieb bei diesen versnuben davor hüten, die Öffnung
tu vorengem oder auch nor zu beschatten.
Wenn ich noch auf die geradezu verblüffende dofinition des eohalls hini
welche s. 39 zu Rndeo ist', darf ich wol dio meinung aussprachen, dawi BM
1| „Der tchAlI", aiwl lii«inor dort, „ist vis iliih I
1
(ür kritiklüBu (mKnger oioht utibodiiit't m empteliltiL ist, Hu Gwli-
'dagegeo wird bs nie bereuen, wono er der .Duatsulien (ihoautik'' oio sorgfal-
ttodinm widmet Bremer liietet uns vieles neue, uuU ouuh lina aite erschoittt
Uli: der Belbstäudigen behiuidluDt; sehr oft b einem neuen liebte.
BiLSDiGroBs. Hoao rtPFuro.
atwickluug der deutschen kultur im Spiegel des deutscben lebn-
rts. Von Friedrich Seiler. 1: Die aeit bis zur eiDfübrung des ohristentuma.
le, bachlittDdluog des woiüeabnuses. 1895, 99 s. 1,50 m.
Die aus fremüen sprachen in das deutsche auigeuomnieneD lebnworter zu sam-
cbrooalogiEob und üacblicb xu siobtäii und als grandlage einer skizze der ent-
ing deutsüber iLultor za verwerten, ist eine verlockende uod — neoigsteos für
Id. leit — nicht zu grusae aiifgnhe. Das material liegt ja besonders in den
n Slttge's, der auch scboo in der einloitung zu seinem etymologischen wor-
die dabei zu verfolgenden gesiübtäpu eilte kurz und treffend angedeutet hat,
arwendung bequem bereit. Was uns nun Seiler in der vorliegenden schrift
ist darum, weniger eine Vermehrung des schon vorher xiomlich vollHtändig
imeltan stofFes, als vieiniehr eine an weitere kreise der gebildeten siob wendende,
und geMlige darlegung detjenigeu ü'emden einflüsse auf die deutsche kultur,
b aus den lehuwörtera eraohliesaen lassen.
Der vorliegende erste teil betrilft nur die zeit bis zur einfübrung des ohn-
na. Nach einer auseinandersctzung über die kriterien, die eine zeitliche
ung der fi'emdwürter ermögUchen, (bedeutuag der hucbd. lautverscbiebung,
truction der zu gründe liegenden fremden luntgeBtalt, gemeinsam keit des
der festländiscben Oermajien mit den frühe abgetreDuton AngelsachseD),
— abgesehen von einigen nus rrülier vorgescbichtliehei zeit stammenden
nangeii wie pfad, ailber, pflüg, lianf, schiff, riibe, äfft usw. — zwei haupt-
I TOD lehawürtorn unterBoluedeo : Ij die keltischen und 2) die ungleich
neu römischen. In der von den Bomem ausgebenden civtlisiei'Uttg der 0er-
ixsseu sieh widerum zwei, freilich nicht ecbarf von einander zu trennende
tilte soodem: im ersten verhalten sich die Germanen den fertigen fremden
[ten gegenüber rein reoeptiv, im zweitun schwingen sie sich zu selbstän-
nachahmung und reproduction derselben auf. In iobendiger und anziehen-
)ise verfolgt nun der Verfasser diesen einfiuss der Riemer und die dadurch her-
nfeno aUmählicbe völlige nmgebialtnng des deutschen Icbons auf allen gebieten
iterieUen und geistigen kultur, in kriegswesea, recht, handel, ackerbau, laud<
i&n, bau and eiuricbtung von haus und hof, in handwerk und gewerbe; er
lieae ontwicklung auf „als eine vollständige rovolution des häuslichen und wirt-
Bcken lebens der natioo, welche duicb sie den Übergang von einem natur-
koltorvolk vollzog" (s. 84). Zuletzt kommen noch die griechisch-latei-
en lehuworte an die reihe, welche den einwirkongea des arianischen christon-
tnid vielleicht der römisch -fränkischen kirche aus früherer zeit entstammon.
Uptmasse der kirchlioben fremdwöi'ter strömt dem deutsohou erat mit der
■luten missionsorbeit der Iren und Augelsocbsen zu; ihre behondlung wird
Bist im zweiten teile platz Qndeu. Den beschluss macht ein alphabetisches
iblda der besprochenen lehnwürtor.
Man wird dem Verfasser da» zeugnis nicht versagen dürfen, duas er seine
9 mit geschick gelost bat; wenn die rüoksieht auf einen grösseren, nicht mit
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Bixz, üain BEiLEH, DEtrrscuE lehnwi
alloD mzelbeiten dor vergleich eudiOD sprachwisseDachaft vertrautoo leMrimb
hie und da den Verfasser eu einer bestimmtBreo fonnulierung soiner mcinung ver»-
hast hat, als dies der stand der forecbniig erluubon mächte, so wird man ihm dma
keinen voi'wurf macbea wollen. Im einKelnen wird gich gegoo uuctio bobnptnc
Widerspruch erheben lassen; dieflem ausdruck xu geben, ist Jedoefa hier aidil ia
platz. Nur zwei bemerkangen allgemeinerer natur kann ich nicht gaci uuUrdnicltoi.
Einmal ein metbodisehes bedenken: es ist mir Kweifelhaft, ob wir jede« mal, wn «v
ein fremdwort ciadriagen sehen, auch wirklich entlehnung oder werigsti^nx von in-
lande veranlasste wesentliche Verbesserung und Verfeinerung dos damit beatml«
gegenständes aanehmen dürfen. Es scheint mir, es könne schon in h^ei wt
so gut wie heute ia den feineren oder feiner sein wolleoden kreisen cum gutHD Um
gebort haben, an die stelle schöner alter einheimischer ausdrücke für oltererbta diAf!
imposanter klingende, der frttmde entlehnte bezeichnongen zu setzen. Ich itinun
nur z. b. an knmpf, pferd, die in Süddeutschland durchaus nicht ToikEtOmlid) liDd
und 08 auch kaum je wbtod. Die berührung mit der fremden kultur. die tiicb na
dem lehnwort ergibt, wäre dann doch eine viel woniger intensive; («tsilGhUcdi« a>-
führong einer sache aus der fremde ist. nur wahrscheinlich bei allgemeiner volkitfiB-
lieber Verbreitung der dafür geltenden fremden bezeichnung.
Zweitens mochte ich darauf hinweisen, dass die deutschen, namectliub d)f
oberdeutschen mundarten doob wol nicht genügend zur uufhellong der bazieiuuifm
zwischen Römern und Germanen herangezogen worden sind; in ihnon linden vir
einerseits manche cntlehnungen noch lebendig, die in der nhd. schriftsprach« u>-
gestorben oder nur in modernisierter geetalt erhalten und. und anderseits oineionU
vpn lehnwörtem, die den mittel- und ni&derdeatschen gegenden vüllig feUen. le*
nenne nur einige mir zu^lig in den sinn kommende Wörter aus sohw^zorisokfl
mundarten: akte, agdt < oquaedwlM, aeni« < animm, ehemi < rami»»*,
fAnungtU ■<. eonufn)etda, ehrüseh- <Z cntaca, ekämmi < cuminum, ehüagM <
eunioulus, ehüpfti <^ evppa. gäxxi <^ gabata (V), dannben ijepali («hd. j*Mm),
ehütai <^ cuaainum, mi .hansflur'^ <^ arena für area, fiUchi, schwlb. pfeltdMmi
< faseia „binde"; mäxckil und ßinmil ^weiblicher, mfinnlicher hanf • mit «oBU-
lender vertstischung des geschlecbtes aus masctiliia, fentellu»; märt ^ mcratlM
mryü < miolium, nüschsl <. noscula, mmeula. Es etpht Sich daraus offute
ein hild lebendigeren Verkehrs und vielseitigerer beziebungcn zwischen BOraerD ni
Germanen, als die Schriftsprache «s gewfthrt; eine genauere beruuksiobtignag da
mundart wird sich also empfehlen besonders auch für die mbd. periode, wn ikli ite
eio&uss Prankreichs bis weit in die untersten volkaschichton fühlbar macht
B*SKL, 36- FBBRCAS 1896. ODSTAV hlSi.
A Glossary of the Old Ngrthumbrian Gospols (lindiafame Gospel« or Ihrtan
Book). Corapilod by Albert 8. Cook. Halle, Max Niemejer. 1894, ni, 33*
10 m.
Vor 13 jähren glaubte Sievors in der cinleitung »u dor oratoti auflag mb«
ags. grammalik das baldige erscheioen einer umfassenden gromniatiscbim bauMtauf
des northumbrischen dialekis aus der foder A. S. Cooks in aussiebt stnUen n ät-
fen. Hindernisse der verschiedensten art traten sber der Verwirklichung dieMTDakAs-
digung störend in den weg. Inzwischen bat das eine der boideu nmtangreiahem ibat-
miler des Sortbumbriscben , das Rituale von Durbam, in lindeliir Binao lütMgV
, OBER COOK,
a70
, EuTorlSsKigen damteller gefunden. Jetzt kommt endlich anch <Jaa Andere bnupt-
bnal, die Interlinearvereion der vior evftQgeUen im Dnrham Book', die fiogonarnten
fOB Oospels, an die reihe. Cook selbst legt uns in eoiner nBUesten publik»-
als Toncbeit seiner graimnatischen Ekizze eine lexikaliache zosammensteUimg des
Dlten in den evangeliea enthaltenen wortachatzes vor: mit vergnügen erfahren
I dasB die prammatik zum grösston teil dmokfertig ist und in kurzora veroffent-
t werden soll, wenn nicht ein anderer dem Verfasser mit einer solchen arlieit
Drkamint. HofTen wir, dass es Cook diesmal wirklich vergönnt sein iniige, olle
erfüllnng seines verspreohens sich entgegenstellendon schnierigkelten rasch 211
Rrindeo!
Das vorliegende glossar boraht auf dem texte der ausgäbe der evangelien durch
kt, für Mstthaeua auf der zweiten bearbeitnng derselben. Cook bat dazn eine
e vergleichnng der handachritt vorgenommen, die aber nur wenige, im glossar
Srliweigend benützte, verbesserongen ergab. Sämtliohe wortor werden verieiuh~
mit anführuDg aller formen, in denen sie etsclieinen, nnd nnter aufiählung aller
ipteUen. Die arbeit ist sorg^tig nnd genau; wenigstens haben mir zahlreiche
fcprabon {allerdings nach berüoksiohtigung der leider recht umfänglichen, übet
Üben Seiten sich erstreckenden errata und addoada) nirgends einen nennenswerten
■ ergeben. Ein lateinisch -northumbrischer und englisch -northumbrisch er index
Schlüsse sind sehr willkommea.
Oool(s arbeit wird fortan die aicbeiste, ja allein brauchbare gmndlage für alle
miiEtiaoben unters uohuo gen bilden; Boaterweke wörterbucli mit seinen mannig-
a fehlem und falschen aas&tzen von formen est jet;tt überflüssig geworden, und
dank der focbgeuossea für die mühevaUu und weaig kurzweilige arbeit wird dem
triiften vorfaaser sieber za teil werden.
Zwei kleine aiisstellungen mögen zum Schlüsse noch ihren platz finden. Ein-
il hätton die verschiedenen casus- und flesionsfonnen desselben wertes typogra-
Kh etwas übe sichtlicher hervorgehoben worden dürfen. Zweitens hätte es wol
1 grondsatze der leicikaliscbea anordnung besser entsprochen, wenn sämtliche laut-
liBa und orthographischen Varianten eines wertes unter dem gleichen Stichwort ver-
t worden würen; jetzt aber finden wir an verschiedenen orten getrennt von einen-
s. b, ttegacga und ettietga, adirita und edKttiga, iffler sona und cßer sona.
BABEL, 6. UÄBZ 1835. ODSTIV BtNZ.
' kritik des griechischen Alexanderrcmans. Uotersuchnngen über die
.unechten teile der ältesten Überlieferung von Adolf Ansfeld. Programm des
grosaherxog!. gymnasiuins zu Bruchsal 1894. 3f s. 4.
Adolf Ausfeld, von dem wir in der nächstKia zeit eine neue ausgäbe der Ili-
>rift de preliis zu erwarten haben, erörtert in seiner im sommer 1894 erschie-
I programmarbeit die frage, welche bestandteile der ältesten bearbeitungen des
1 der ursprünglichen fassung dieses Werkes nicht angehört haben
rsprüohe, die sich in der atexandrinischen receusion finden, sinil
I der ftnsioht Ausfolds bei der forschung nach der wahren gestalt des alten Alexau-
Qäfies deshalb nicht gt-nngend berücksichtigt worden, weil man dessen inhalt
I dem vorgange Zacbors allgemein auf die sage des volles zurückgeführt habe.
tfdd sehliesst sich dagegen Nöldekos meinunp an, dio dahin geht, dass der
11 t^bar dia Bpracho Jos M^rvascvan^olLai
y Lea in Anglis
, ea fSf.
Aknaoiflemmsji un grossen imd ganzen das prodokt einer halb geleiineB sdkiiftsid-
lerei sei; der verCiiiser dieser abhandlang sacht die später hinzogiekoiBmeBeB stacb
aoszoscbeiden nnd prüft die far anecht gehaltenen kapitel nach äucm uraptange.
Zunächst spricht Aasfeld über den brief an Aristoteles m, 17, den bencht la
Oljmpias IIL 21. 28 nnd die an beide gerichteten schreiben LB(C| II. 23^ 31 33.
30—41; er behandelt femer die briefe des Darios and seiner Satrapen L 39. 40
II. 10. 11; Alezanders feldzag nach Griechenland I. 42 — 11, 7; die ereigniaK zwi-
fi<;faen dem friedensgesach and der ermordang des Darias II . 17 — 19; Alexanders
▼erkehr mit der konigin Kandaoe IQ, 18 — 24; das testament des henscfaeis III. 33:
den rück blick auf Alexanders leben and taten m. 35 und sehliesst mit einer zosun-
menfass«;aden betracfatang über die ursprüngliche beschaffenheit des romans.
tTber da» gegenseitige Verhältnis der beiden stücke, (aus denen der brief in
Aristcrteles besteht, ist Aosfeld in der hauptsache derselben ansieht wie ich (vgl
meine U;iden arbeiten zur Alexandersage Königsberg 1892. 94 nnd Zettscfar. 27.
426 fg.j, nur dass er den zweiten teil bereits bei den Worten Ta ii nkiiaru ni
nuQädolu s. 121 a 16 beginnen lassen will und auch diesen als zwei mit einin-
der verbundene bmchstücke verschiedener briefe ansieht. Er weicht in der meinun^
dasH die Epistola von dem uns überlieferten texte des romans ganz unabhängig sei.
von meiner auffas.sung ab. Für den historischen hintergrund dieses abechnitts häk
Ausfeld die abenteuer Nearchs, von denen Arrian, Ind. 30. 31. 37, und Cortins
(10, 1, 12 fgg.) sprechen. Da Alexander III, 27 nur bis zum Hyphasis gelange,
nach der darstellung in III, 17 aber in das gebiet der Prasier eindringe, müsse der
ersto teil des briefes unecht sein: er sei von dem bearbeiter des Schlosses mit die-
sem verbunden; aber auch der zweite teil gehöre nicht der ursprünglichen ÜassuDg
des romans an, weil er Widersprüche zu III, 1 — 4 enthalte. Ausfeld sucht einige
irrtümor der Überlieferung dadurch zu verbessern, dass er die erzählten tatsachen
mit historischen ereignissen in Verbindung bringt Die beiden ersten abschnitte, die
vom marH(;ho durch die kaspischen passe bis zur Unterwerfung dos Porös ond vom
zuge an den ocoan und zu den Ichthyophagen handeln, wovon der letzte aber nur in
der Epistola vorkommt, werden als geschichtliche grundlage des berichtes angeseheo,
während der rost als eine verworrene zusammenbäufung von sagenhaften abenteuern
hozoichnot wird. Die fruchtbare gegend beim kaspischen passe sei das gebiet der
glücklichon dörfur Ilyrcaoicns, der beschworlicbo marsch sei mit dem zage
AloxnndcrH durch dio wüste Sogdiana zu vergleichen; der fluss mit bitterem wasser
Ix^xiiichno wol den Oxus, wio der süsswassorsee das kaspische meer, der kämpf mit
doii wildon tieroii könne auf dio von Curtius 8, 1, 11 fgg. erwähnte jagd zurück-
goführt worden; der abniarsoh nach Prasiaca bedeute den aufbruch zum indischen
kriopj im frühjalir 327, der schnoosturm stimrao mit dem von Curtius 8, 4 geschil-
dorti'u Unwetter üboroin , und mit doni zugo gegen Ponis sei dor marsch in das Peod-
Ki^lmb gonufint. Auch dorjunigo abschnitt, der nur in der Epistola vorkommt, wird
in iihnlichiT woiso durch dio horauziohung geschichtlicher Vorgänge erläutert
Kbonso wonig wie das schreiben an Aristoteles, sei der brief an Olympias ein
altor bostandttMl der nloxaudrinischon reconsion, da die erzählung von den Amazoneo
mit 111, 25 f^. nicht übori*iiistimmo, während der in A nicht überlieferte anfang des
27. kapitols zum p*össton toll dein echton texte angehöre. Der Vollständigkeit wegen
worduii auch dio briofo an Aristoteles und Olympias analysiert, obgleich sie nur in
jüngerou handschrifton enthalten sind, also von vornherein als ursprüngliche bestsnd-
toilo nicht angosoheu worden könuon. Aber auch die briefe des Darius und seiner
ÜBU ADsrELt), oRiEra. nxXimeBmiuiV 3S1
1 bilt Aosfeld für unecht, da sie mit ihran angaben der erzäblong des romaus
t widersprtwben , und da der hrief des Darius üo Alexander noben dem boreits
36 überlieferten schreiben nnnötig eu sein scheine. Die Haninilung, aus der sie
, müsate mit&rlich, wie Ansfeld richtig betont, einen ganz andei'en cbaittk-
gehabt haben uts jene briefe an Aristoteles oder Ulympias mit iiiran sbent«uer-
1 BCbildernngua, Die erzählung von Alexanders feldzug nach Griechentand, diu
42 — U, ti nach der scliilderung dar BchUcht bei Issnfi überliefert ist, während
I aie I, 25 nftch der thronbosteigimg des koaigs erwarten sollte, ist bereits von
idi^ als späterer Zusatz erkannt worden. Ausfold weist nach, dass auch dos foN
de kapitel 11, 7 aus dem uispninglichen text ausgesondert werden muss, ent-
eidet aber nicht mit Sicherheit, an welcher stelle von I, 43 die interpolation
innt Ferner wird dargelegt, dass die Schilderung der ercigniase, welche vom
B dtta 17. bis zum 19. kapitel des 2. buches in A erzählt sind, erat spUter ein-
chobun sein kann, da der folgeade abHohnitt <1I, 20fgg.) damit im Widerspruche
: and auf II, 17 nurüctgreift. Der besuch Alexanders bei Kandace aobeint
sfeld ins eiste buch (kap. 30 — 34) zu gchör«n und gleichfalls im ältesten text
1 nicht vorhanden gewesen zu sein, weil die daratellung in dieser episode nnge-
1 breit ist, weil der Inhalt auf eine demütigung Alexanders hinauskommt und
I lll, 25 BSchlich an 111, 6 anscbliessL Nur der historische anfang von 111, 18
t dem berichte, dasa Alexander nach der Stadt der Semiramis gezogen sei, so wie
I besnhreibuug der bürg dieser königin könne alleufalls für die älteste recension des
in anspruch genommen werden. Die behauptung, dass nownl Alexanders
t als auch die zusammenfassenden bemerkuugen über das leben und die taten
9 färeten zu den unechten bestandteilen des ramans gebären, wird keinen wider-
lich finden- Nach der ausscbeidung der behandelten abschnitte bleiben folgende
)>ifel des ursprünglichen textes übrig: 1. Alexanders eitern {I, 1 — 14); 2. taten des
Dgen Alexander (I, 15—24); 3. rustungen des königs und unteraebmungen bis
i znge gegen Darius (I, 25—35); 4. besieguug der Perser (I, 36 — 42; II, 8 — 17
-22); 5. erlöbnisse in Indien (III, 1— <i; 25—27); fl, Alexandere tod (UI, 30—
. — Jeue einschaltungen sind nach Ansfelds meinnng nicht zuffillig und allmah-
,, sondern phinniässig von einem oder wenigen bearbeiteru gemacht worden, in
l&tioher weise, wie es an dem werke Leos nachgewtesen worden kann. Der verfas-
' des ältesten Ale xan derb ach es sei kein erzähler von voltssageo, soadem ein
aischrooken erfindender romanscb reiber gewesen, der seine leser angenehm unter-
sten wollte.
Aasfeld bat sieb durch diese abhandlnng das verdienst erworben, diejenigen
indteile dos Pseudokallisthenes, welche erst später ans anderen selbständigen
ktiften dem roman einverleibt sind, zusammen austeilen und gewisse tntsochen der
[enhaften erzähiung durch den hioweis auf ahoüi^he historische begobenbeit«n zu
Wenn aueh manche vergleiche etwas gewaltsam herbeigezogen zu sein
so hat der Verfasser in der hau|itsBehp doch für die forschong nach der
tstehung einiger teile der sage ein nützliches material zusammeuge trogen. Auch
t seiner benrteilung der unechten stncke des romans bin ich itn ganzen einver-
, doch ich mdcbte noch besonders he r verliebe n , dass aus dem umstände,
1 Abschnitt des romans dem ältesten texte nicht angehört haben kann, kei-
I za folgern ist, dass derselbe viel später als das werk des Pseudokallisthenes
leo sei. Dagegen scheint mir die behauptung, von der Ausfold bei der gan-
1 bebandlnng der von ihm angeregten frage ausgeht und zu deren beträftigung er
383 BBCEEB, GBER AÜSFKLD, QRIKCH. ALCXlNSgREailAH
zam BchluBaa zuiücklcelirt, unrichtig zu sein, aünlich die ansieht, dass ia iAA
des griecbiscben Alexonderbuches keine saganhaften bestandteile enthalte. Es IK
mir nicht klar geworden, ob Auafeld auch die späteren einecbaltungea des totnsni,
X. b. den brief über die wunder Indiens, für die erfindung eines rDmaiisd»ietb«n
hält oder nur diejenigen teile dafür ansieht, die nach seiner meinung deo eclrieo
text aoBmachen. Denn er selbst spriobt widerbolt von sagenhaften berichten, du-
raktetiaiert ao z. b. s. ü den zug zu den biLumoD der soune und des mondes iDd
8. IT die Wanderung zu den Eüalen des Herkules und den Amazonen; er gibt fenm
au derselben stelle an, dass in, 28 sagenhaft ansgusclimuckt sei, und erwSliut nricli
s. 21 and 30 sagenhafte bestandteile der entahlung. S. 15 wird dargeli'gt, doss d«in
EugB KD den bäumen dor sonne und des mondes wirklieb eine orientalische sage n-
grunde liegen könne, und s. 22 endlich erklärt Ausfeld, dass sieb bei rntadbm
Btüoken nnr schwer beurteilen lasse, was darin echte sage, und was erfiodung «dm
sohriftsteliers sei. Mir schciat, dass gerade auf diese weise der ganze Pseudoktlli'
sthenee aufzufassen ist; wenn Ausfeld annimmt, dass xur zeit der enlstebnng im
ältesten Aiexanderbucbes bereits eine volkssage von diesem beiden vorhanden g»w-
sen sei, so ist nicht einznseben, warum ein roman schrei her an die stelle dosffi,
was allgemein berichtet wuide, eine neue datstellueg gesetzt haben sollte, in der die
tu den historischen quellen gefundenen tatsachen abenteuerlich ansgeschmüctt wann.
Salbst wenn d<ir roman, auf Utterarischem wege verbreitet, ein Volksbuch gewonlen
sein sollte (s. N(>ldeke, BeitrSga zur geschieht e des Alexanderromaaii
s. 10], so darf man doch uiobt leugnen, dass es eine Alexandersaga gegebsn b*L
EÖKISBBKBO I. I-B.
T&nnh&user, inkftlt und for« seiner gediobte. Tan dr. Johannea UebarL
Berlin, L. Vogt 1694. m, IIG s. 2,40 m.
Die arbeit kündet sich in eineni Vorwort als fortsetzung der bis dabin umb»-
sendeten darstellung von TanuhäuBera leben und dichten an, der von Oehlke; sie wiQ
die früheren forschungen über den bistorisoben Tannbäuser rortfübren und bencbüen,
ohne selbst den ansprach auf voUstüDdigkeit za erheben.
Der erste biographische teil (s. 7 — 13) fügt zu den bisherigen zengnisaen lü
des dicbters ritterliche abkunft, d, h. zu der spätem sage vom ritter Tanuhioser and
zu seiuer darstellung in C im Staatskleide des ritters neue beweisgründe, goeclii^
aus seinen gedicbten, der einzig zuverlässigen quelle Für sein leben. Es werdet
gonaunt: Tonuhäusers sehnsiichtiges gedenken an die von ihnt betriebenen ritteiUclua
Vergnügungen, au niinnedienat und falkeojagd, und seiue bevorzugte Stellung bei her-
zog Friedrich, dem muster aller ritterlichen tilgenden. Auf spräche und Inhalt M-
ner gedichte stützt sich weiter die Verlegung seiner heimat nach dem südöstlichao
Deutschland. Inhaltliche gründe dafür sind dem Verfasser: der längere autenlhill
Tannhäusers in Österreich, seine Vertrautheit mit dessen geographischen und poUti-
sohen Verhältnissen, die bekanntschaft späterer österreichischer dichter, wie JaatN
Elnikels mit seinen gedicbten und die enge bozlehimg dieser gedichte selbst zum votte-
massigen. Stichhaltig erscheinen uns die ersten drei momente, unzutreffend abaids
letzte, wenn auch in Österreich zuerst mit Neidhart wider eine solche ricbtaoj nt-
trat Die Schwaben Ootfried von Neifen und Ulrich von Wintersletten stehaB js
der Tolksmassigon tyrik nicht weniger nahe', nur in der epik
I) Vgl, P. Vogt, MliJ. ILltoratargesehichtB s.a2-93.
VlBREB, Cber biebbrt,
eben ein deruüger gegensatz zwischen den emzelaeD gegeodea bemerkbar, indam
die wesUicbon länder fremden vorbllderti folgtet), wäbrend Baiern und Österreich
aussobliesslich das aatioLiale elemeot pUegten and lange noch bewahrten. In der
lyrik dagegen war längst auch hier der heimische oharakter dea ältesten ritteritcben
mJimei^angea der neuen neise gewichen, so dass man in Tannhüiisers hinneiguug zur
volksdichtuiig nicht ein erbe der frühem periude und eineo beweis für seina Öster-
reichische beimat erblicken kann; vielmehr mnss sie wie bei jenen soliwubiftohea
lyrikem als eine neue anlehnnng an den volkagesang aufgefasst werden, begründet in
seiner eigenBchaft als fahre udor.
Dieser widmet auoh Siebert besondere aufmerkäamkeit. Nur kurz berührt er die
übrigen von Oehlke erschlossenen und ansfiihrlich bebandelteu lobenüschicksaie des
dicbters. Seine reise nach dem heil, lande, seine Bängerfahrten zu deutschen und
fremden fürsten und herreu, seinen anfeQtholt am Babonboi^er hofe und sein uostä-
tes Wanderleben, um eingehender die von Edn*. Schröder in Scberer Litteratnrgesch.*
8. 214 und Küok in der recenaion von Oehlke, A. f. d. a. 17, 207 vertroteoen behaup-
tung zu widerlegen, Taunhioser sei ein fahrender kleriker, ein, vagant gewesen.
D«n dafür angezogenen Ähnlichkeiten zwischen Tannhäusets poesie und der der CaTr
mioa Burana, unter denen allerdings dem einzig dastehenden apott über aeine lebens-
wenig beaohtung geschenkt wird, hält er mit reoht die viel bedeutenderen
verschieden heitcn entgegen. Ein teil jener Sammlung nämlich kehrt absichtlich und
mit stolz gegenüber dem rittertum den geistlichen stand der dichter hervor; in andern
verrät sich der gelehrte autor durch seine beispiele aus der Bibel und der lateini-
schen litteratur, wührend Tannhäusers kenutnis alt-testamentlichei merk Würdigkeiten,
aatiter mythen und heldensagen wie einiger lateinischen werte niobt den borizont
der ritterlichen bildnng seiuer seit übeiscbreitet und wenigstens bezüglich des klas-
aiscben altertums durch die bößsche bildung vermittelt erscheint^ sogar die weniger
»sehen beispiele der vaganten poesie, wie die von Oehlke verglichenen nr. 57, 109,
i, zeigen noch stileigenlieiten , die aich nicht mit Tannhänseis mauier deekon.
L.ber auch wegen seiner mit den vogunten geteilten Sinnlichkeit kann er nach Siebert
cht der zahl dieser eingereiht werden, da für die gleichartige laaeivo darstellung
mnso gut die volkspoesie die gemeinsame quelle abgegeben haben kann als die
itike mit ihren beidnisehen anschauungen. UnlAngbar eignet jener eine naiv sinn-
ibe auflassung der liebe, und unzweifelhaft ist ihr einfluss nuf die bunat der geist-
chen lyriker sowul als der ritterlichen. Wie Noidhart den liedern des vcilkes sich
lachtosa, so auch Tannhäuser; vom volksmössigen tanzliede überkam er den derben
'otischen ton, dessen noivetät er stellenweise durch lüstemheit ersetzte. So spricht
icbts für den vagsntencharakter Tannhfiusei's, wol aber noch dagegen sein nicht
'loschenes ritterUches standeahewusstsein. Als ein fahrender sänger rittariichen stan-
w wird demnach der dichter erwiesen, der besser als die mebrzahl der höfisch
bildeten von damals im deacschen und französischen epos belesen war und damit
ohne seine gelehrsamkeit durch die weisbeit klerikaler zunftgenossen zu
irnobeni.
„Tannbäuscrs dichten" ist der zweite abschnitt (3, 14 — 36) dos Siebertscheo
icbes überschrieben. Es werden zunächst die grundlagen und ausgangspunkte sei-
a knnst der besprecbung unterzogen. Hüfischea und dürperliches, die demente der
IKeidbartscben richtucg, sind bei ihm vertreten, ohne sich gegenseitig durchdrungen
Btul zu harmonischer eioheit verschmolzen zu haben. Spricht das lucht ebonfaUs
Sieberts frühere erklürtuig von laniihäuäera boziehung zum volksmüssigen als
einur naohwirkuDg und Vererbung des altbeimischBii miDnefinngs, dem Socii ^e
nrtiga &che[dung fremd war? Auch kann niftn dämm (was stsrkor hatte Wtoni *»r-
den sollen !i den dicbter nur mit ein<«m teile seiner gediolite den höfi&cljwi dorf|Miin
zureohneD, während andere daruhaus unter die rein büÜHcbe lytik fallen. Dunt
ergibt sich ein neues vom Verfasser ausser acht gelasseues leugnis fär aedne itttw-
liohe ubtnuft, bsoferu wol ein im volka sieh bewegender ritter dorch dteanD tiaj»-
weise die höfisobe diohtung erweitern koonte (Walther, Neidhart, Gotfriod vm K«-
fen), nicht aber ein sänger des Volkes seiner angestammten dßrperUchuu mus« ia
ton der ritterlichen lyrik vomiählt haben würde, was rudein nicht der damals *4a
recht kräftigen roaktien gegen den konventionellen minnesang entsprochen hute, 7a-
gleich wird aohon dadurch allein die aunahme seiner direkten abhümgigkeit von N«4>
hart hinfällig; Siebert widerlegt »ie auf grund des von Oeblke herbeigebraohloti au»-
rials mit dem hinweia auf die beim Tanuhäuser nicht vertreteneu aigeniutigeii Ihn*
Heidhsrts: geepräoh zwischen gespieliouen oder mutter und toohtw, scenen an* itm
leben der banem, Verspottung deraelbeo.
Dem volkxmässigen taneliede entstammen folgende siige (die er mit Flricli ni
Winterstetten und Heinrich von Sax teilt): din aufforderung zum tanz am aofingnta
Bcblussteila der loiche, die frage nach den läDterinaen, deren aufiShluog, iD* <■!•
forderung mr freude, der hinweis auf das ende des tanzes und liedm mit dem nfs
heia, hei und dflr mitloilung, dass dem spielniaon die Saite gerissen niirr it«-» ».(«o
gebrochen ist; ebenso die mehr vereinzelte Verwünschung von st'
bewillkommnung fröhlicher teilnehmer. Damit ist der orsprung d>'^
tanaleiobe aus der volkspoesie festgestellt Und auf sie muss im «<
die er^ählung des liebesabonteuers tm 4. teile von II und III xurtickg"liilin U'-nl--'-
Die aus dem altfranzösischen pastourel durch kunstgemasse Umgestaltung bemH^
gangane französische romanze hat ihnen wol zum muHler gedient, wie die glric&hcA
der nolage und die beibebaltnng zahlreicher französisoher Wörter betengnn. ala*
jedoch sklavisch nachgeahmt worden, zu sein. Denn wesentliehe mutivit jimer, dtr
betrogeno ehemann, der s^potC des ritters nach erreichteni zweck nnd sein pnU«
mit gehabten erfolgen, der gebildete stand der weiblichen pereon fehlen gnna, tl*B^
gen begegnen auch hier echt deutsche lüge wie der gang auf die beide nnd dM
lusammentreffen daselbst; auch die personen sind die des deutschen volkaliodes: ■■
einfaches suhnohtemes laudmädchen, ein schwärmerisoher, durch die erinuenutg bMi-
Ijgtor liebhaber. Im 11. leiohe insbesondere wird auch die begegnnng anf der hdit
mit der lu der mhd. zeit allgemeinen alttc des blumenbrechens motiviert nnd «war In dv
vom voUisliode beliebten form, da&s eb müdohon allpia nach blomen g«>ht nnd ml
dem Verehrer zuaamm entrißt nnd „rasen brichl". Dom tolksgeeangu enlslamfflt and
die Wendung ieh nam ai bl der irixm hanl (U, l(i, 2) zur bezeiohnuUf; der auBt
herung iiud umarmnng. üernicht so das volkemUssigo element im 11. leich« donA-
aus vor, so überwiegt der eiufluss der famzöslscheu romanzendiehtuug im UJ. latcba
Daraus Jodoch mit Slebert dessen spätere abfassuug zu tnlgeni, holte ich fllr ipnnft
Dort nor von ansützeu und hier von einer ausgestaltoiig derselben reden xu W(An
dünkt mir nach der feststeUung der ritterlichen abkunft des dichten eubwUedn
weniger begründet als umgekehrt ein tsilweises xuniokkommen vom übcrivbten UM
der franzouiscfaen und deutschon kuDstlf rik auf die einfache, innige vvilkswaBW ad-
sprechend dem entwickelnogsganga Walthers anzunehmen. .Vuf dem übardra* a
der konveiitiouelleu phrasenhaften vi^rherrliohung weiblicher sebünhell im vtrdli vi
seiner Itickern phuntaxie binibt wol auch die vom verfsaner erwühnto, ahv dKM
ÜBKR 8IKBKRT, TANNHAU8RR 385
erklärte ausführliche, indecente Schilderung der reize der geliebten, die dem volks-
gesang wie der höfischen poesie fremd war.
Als volkstümliche elemente in Tannhäusers liedem führt der Verfasser an:
die aufführung von unmöglichen dingen, wie der unverrückbarkeit von mond und
sonne (VIÜ, 3), das vergehn der berge (IX, 2, 3), das ablenken von Aussen u. a. m.,
wenn auch bei manchen beispielen infolge von künstele! und gelehrsamkeit der
abstand von der volksphantasie nicht gering ist; weiterhin eine reihe formelhafter
Wendungen, wie stoer des gekmben welle niht, der var um erx heachouwe (Xu, 4)*
endlich die ungesuchte naturschilderung in XV, 3, 11 — 13; mehr beispiele bieten
hierfür die leiche (11, 2 — 4 und 20; in, 5, 12, 4 — 6 und 31). Andere dagegen,
wie der natureingang im I. leich und die frühlingsschildei*ung in leich YII sind die
schablonenhaften des höfischen minnesangs. Auf dem boden des letzteren steht ja
denn auch der Tannhäuser in. mehreren gedichten noch vollständig, obschon er ihn
bereits hier und da parodiert. Der höfischen lyrik entstammen sein wort- und phra-
senschatz, der preis der geliebten und dasr werben um ihre huld, dem höfischen epos
die von ihm vorgeführten heldengestalten.
Neben diesen beiden aus der bestehenden dichtung überkommenen dementen
soll aber auch eine scharf ausgeprägte eigenart Tannhäusers dichten kennzeichnen.
Nur finde ich nicht alle die züge originell, die Siebert als solche hinstellt. Seine
parodie des minnesangs ist nur eine der vielen gleichzeitigen und doch recht verschie-
denartigen äusserungen der dagegen erwachten reaktion. Dieser scheint auch die
realistik in der Zeichnung seiner ärmlichen und liederlichen lebensweise eher zuge-
schrieben werden zu müssen als dem einfluss der volkspoesie; dergeist freilich, wel-
cher sich darin ausspricht, steht einzig da und erinnert an den der lateinischen Vagan-
tendichtung. Der humor, der seine hierauf bezüglichen spiüche belebt, kehrt auch in
seinen tanzleichen wider und lässt den dichter als eine fröhliche, lebenslustige, aus-
gelassene natur erkennen. Er verrät sich besonders im hauptteil derselben in der
abenteuerlichen Zusammenstellung und häufung von namen und tatsachen; indessen
bat er auch hier nur ausätze der frühem volks- und knnstmässigen tanzpoesie (Bo-
tenlauben, Eotenburg, Oliers') weiterentwickelt, nicht aber ein ganz neues moment
eingeführt
Auf diese quellen seiner dichtung führt Siebert auch deren Vorzüge und schwä-
chen zurück. Zu jenen rechnet er: die lebensvolle Zeichnung gegenüber der ein
tonigen reflexion und gefühlsheuchelei des höfischen minnesangs, die Schilderung des
liebeserfolges und den spott über das aussichtslose schmachten, die aus unmittel-
barem empfinden hervorgegangene naturwahrheit und anschaulichkeit der darstellung,
besonders wo es sich um den tanz oder die begegnung der liebenden handelt, und
die konkreten bilder, die der dichter entwirft von der gewalt des seesturmes, von
den genüssen und üppigen freuden seines lebens, von den leiden eines fahrenden,
von seiner Sehnsucht nach der heimat usw. Als mängel werden hervorgehoben:
seine geschmacklosigkeit z. b. in der anwendung französischer Wörter, die sich bis-
weilen wol eher aus seiner gelehrttuerei erklärt als, wie Siebert meint, aus seinem
humor, das festhalten am konventionellen im Vn. und XV. gedichte und im I. leiche
und vor allem seine unglaubliche sucht, mit allerlei ungewöhnlichem wissenskrame
zu prunken; diese hat ihn zunächst auf kosten des grundgedankens verleitet zur auf-
zählung einer endlosen reihe von göttinnen und romanheldinnen, von ländem, von
1) Vgl. Vogt, Mhd. Fitt-gesch. s. 92.
ZUTSGHRIFT F. DKUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXVHI. 25
Quss- ood BtMdteDamen u. dergl. Und venu er ea ancti noch nidit im
Bpnichdichtern gleichtut, so gebort er doch hiennit sowol, wie mit ae
flgkeit der zeit des niedergaoges an.
Metrik und rhythmik werden sodann (s. 37 — 71) behandelt, wobei veisUg-
digerweise von den einfacheren tönen, den liedern und Bprücheo (VIl — XVIll uul
dabei vrider von der elnfacbsten veranit, der 7hebigea langzeile mit klingeoilflii
BühluBBe, ausgegangen wird. Sie bildet die giundkge der spräche von XU und dar
Strophen von XIV und XV, die entsprechend analysiert werden. Das fehlen ei(M
sinneseinscbnittea nach der 4. hebung ist in XII durchaus nicbt so selten, all let
Verfasser behauptet; man vgl. XII, 1, Ö; 2, 8 nnd 10; 3, I. 5; 8, 9 nnd 10; 4,6
und 8; 5, 1, fi und 10! £in Noicber sachlicher eiuichuitt erscheint aber BW.'h pi
nicht nötig, um die beiden teile der langzeile hervortreten zu lassen; dagiegen i«t H
ungewöhnlich, wenn, wie in 2, 8 eng verbundene Worte durch die cäsur getrennt vw
den, oder wenn die 4. hebung der I. halbzeile mit der 1. Senkung der 2. häUta in
ein wort zusammenfnllt und die gliederung des vorsgoozen dadureh verwischt wird, «ie
in fi, 1, 6 und 10 und XIV, 4, 8; 5. 8. Nichts ist ku erinnern gegen Sieb««
erklärung der fünften Zeilen. Unangebracht erscheint dagegen eine texteaändenmg
in 4, 9 und 5, 9, um 3hebig stumpfe verse herzustellen, da die ersten hallten tot
3, 9 und 5, 9 unbedingt 4 hebuugen enthalten und andererseits sohoo bei anaahme
unterdrückter Senkung oder schwebender betonuog diu gewaltsame auccntaierung in
wirf sprichet gemildert wird und die betonung oici sich durch zahlreiche tuiapitto
aus Walther und andern lyrikem belegen lässt. Aber auch in 1, 9 und 2, 9 itt di«
volle zahl der hebungeu bei annähme unterdrückter Senkung zu erschlieasen, lü«
bei der emphase der letzten verse, zumal bei 2, 9, sehr erklärlich ist.
Heutiger, aber ganz regolmtlssig, wird die 4hebige halbzeile in lied XUl nudi-
ficiert Die gruppierung der verse darin nird beschrieben und damit die veiBchieikn*
heit ihrer komposition veranschaulicht. Der dort nur teilweise eingeführte innuD
herrscht durohgehends in der Strophe des X. liedes, dessen refrain recht geächiokt in
2 teile von je 3 vierhebig stumpfen und 2 kUngendeu verseu mit niittelreim in jodan
der ersten beiden zerlegt wird. Letztere werden vom Verfasser 5hebig genannt, floii
enthalt der ei-ste diu reine nander gol al eint nur 4 hebungeu, und verse i<M
4 hebungeu müssen wir uns überhaupt als dement dieses relrains denken nnd di«
gröüsere susdelmung des 2. verses als eine bereicberung infolge des damit Ttntnii-
denen atroph ensuhlusses auffassen. Dagegen wäre eine solube des vorteilten v«na
ganz unbegründet, wie denn .auch in lied VII, au dem der vurfasBer selbst die «et-
Rtohuug des öhebigen verses au» dem von 4 hebungeu erklNrt, zur abgreniong dtr
einzelnen stropheateüe immer nur der letzte vers eines teile« zu 5 bebungen ana-
gedehnt wird. Auch in IX erscheint die 5 hebig klingende halbzeile noch in anlir
lioie der markierung der Htelleo und des abgesanges zu dienen, weahalb seine besptvchs^g
besser unmittelbar an die von VIl nngeschloKsen worden wdre; allerdings eraclMtnt
hier der letzte vers des abgeaanges noch durch die Verdoppelung der I. hribwflt
und einen ausserhalb des Systems stehenden oinschub bereichert und nnsaerdeai l>
unerweiterto ganze scblusuvers an die spitze des abgesanges gestellt.
Eine selbständigere Verwertung des fünfhebungsverses begegnet, wasfaittahor-
vorgohoben werden soUeu, erst in XI in der Zusammensetzung mit dem 3hebif klin-
gendeu halbverse. Ausserdem ist hier jener zum verse von 7 hebuugen erwMtKt
wozu man in dem eingeschobenen heia hei im schluss von IX eine voratufe ertdictiB
kann. Als eine ähnliche bereicberung der doppelt gesetzten 41iebigen balbzrilu itai
■■!
«ol anoh die lObebigen laogzeilen von VIII aaSzufsMen, die bei Siebert keine reubte
artUmng finden^ zwei voq ibneu bilden mit je 3 iareimeo einen der stnllon, eine
mit binnenreim und der vorausgoüchickten 4hebigeii halbzeile den abgesang.
Diti langzeile von 7 bobuiigen ist aucb widerzu erben dod in den durch verschie-
dene anflSsimgcn und Verwendung von in- und binneureimon recht wechEolvoll go-
Btalteteu veraen des XT. tones, wjibrond man eine harmonische glioderung dos rüt-
selaprncbes (XVI) mit Siebert für UDmÜgüch erklären uiiss.
Des dichters metrische kunst verlogt der Verfasser demnach mit recht nicht
8ÜW0I in die erfindung neuer formen, als vielmehr in die auswahl und viuüerung
yorhandoner. Und dasa er unter diesen gerade die langzeilen von 7 und 8 hebun-
gen mit ihren balbzeilen, den klingenden ver» von 5bel)nugen und die lObebige
[>eriode, d. h. rein nationale versa verwendete, wird als neuer beweisgrund für seine
enge beziebujig zar volkspoesie he rvorgo hoben. Nach den regeln der kunstlyrit aber
bante er dreiteilige Strophen, vermied, wenn auch nicht so peinlich, als der rerfas'
ser meint, den ansfaU der Senkung und verfuhr gleichmässig im gebrauch des auf-
tkktes; doch gestattete er sich auch hierin wie in der betonung der werte und der
Kpokope von unbetontem 0 einige freiheiten.
Die froiheit der verstechnik, insbesondere der Wechsel zwischen Ühcbig dak-
tylischen und 3hebig trochäischeu versen, gibt Siebert gelegeubeit zu einer erorte-
rung über die daktylen und daktylischen Bjsleme bei unaerm dichter (s. 48—59).
Daktylen werden von ihm ausser in XI besonders in den leioben festgestellt, der
responsion halber auch da, wo die verse aich gleich gut trocbäisoh lesen lassen.
Nun erscheint allerdings der harmonische bau der leicbaät^e so wichtig, dass man
öfter, als Oehlke es zugestanden, wird daktylen annehmen müssen, indessen Usst
sich die doch zunächstliegende troohuische messung mancher verse, wie wir noch
sehen werden, auch beibehalten, ohne dass die responsion dadurch aufgehoben wird,
wie dies für lied XI Siebeit selbst keineswegs bestritten haL Zutreffend dünkt mir
seine herleitung der daktylen Tannhäusers aus der volkstümlichen masik, da bei
ihrem auftreten an bestimmten stellen und bei der beibebaltung der natürlichen beto-
onng weder die silbenzähluug die quelle sein konnte, wie für die daktylen späterer
ininnesiinger, noch auch bei dem bereits gekennzeichneten anschluss des dichters
an nationale metrische grundformen fratizostsche Vorbilder hier vorgeschwebt haben
werden. Gerade in den teilen der leiohe, welche inhaltlich mit dem volksieben nnd
Tolksgesang aufs engste zusammenhängen, herrscht daktylischer rhythmus; so auch
bei Ulrich von Wintarstetten, Heinrich von Sax und Burkhard von Hohentbls. Der
Ursprung der daktylen hei Tannhüuser aus dem geaaoge beim reigen und die selb-
ständige auf dentsohora boden erfolgte entwictiung solcher verefüsse wird sehr über-
xeugend in der weise erklärt, dass entsprechend dem bcschleunigtereu gange des
reigens ein rascheres tempo cmtrat und der daktylus den wert eines doppeltrochäna
mit der Zeitdauer eines gewöhnlichen trochäischon fusses erhielt. Diese gleichwertig-
kmt beweisen im Tonnhäoser eine menge von beiapieleo, besonders IV, 22 nnd 23,
die sich trotz des sehr verschiedenen baues der 3. nnd 5. verse ganz harmonisch
gliedern, wenn die eraten beiden trocbäen im 3. vers einem dafctylns gleichgesetat
werden. Als mittelstufe zwischen dem trochOischen viersilbler und dem daktylus
kann man ganz gut dipodien mit ausgefallener erster Senkung ansehen, deren zweite
hebung nebentonig ist. Ob aber deshalb die betonung ^ ' ^ für Tonnhausers dakty-
len anzunehmen ist wie für die trochäischen verse mit unterdrückter Senkung im
h^hling des niinoesangs, erscheint um so fraghcher, als damit das vom Verfasser
J
388
Teriangte doppelt rasche tempo sich unmöglich eirachen liast Siebert wird mekt
laognen köniien. dass der von ihm angezogene vers IV, 30 (nicht I, 30!) bei ia
betODODg 9cä Ui mtn vrou Jüxxe diu liebe also lämgi mdir seit anm rot^ng ben-
spracht als bei dem gewöhnlichen daktylischen gange trä iai tmtn vram Jmu im
liebe aUo länge y der allerdings doppelt so schnell ist als eine entspredieiide trochiuc^
reihe ablinft M aber der gewöhnliche daktylische rfaythmus bei nnsenn dichter
bereits anzunehmen , so werden wir bd seiner metiisdien onaelbetindigkeit die vö-
terbildong von ^^v^zn ^^v^d.h. des ditrochius mit nnterdröckter senkoBg na
einfachen daktylns nicht ihm, sondern der volkspoesie selbst mschreibeQ mässeo.
Eine übersieht über die aosbreitong der daktylen in den leichen eigiebt An
Verbindung za festen einhciten nnd ihr regelmissiges, nicht znfiUliges aoftretn. Die
leichschlüsse werden von zwei- oder vierhebigen versen gebildet, anter denen die
letzteren gewöhnlich durch casur oder pause mit innerm reim weitergegliedert ve^
den; beide versformen gruppieren sich auch paarweise. Bei V, 23 wird m«Des
erachtens die natürliche betonung besser gewahrt, wenn die verse antc^r aoniluM
von apokope des e in einen ditrochäus und einen daktylischen halbvers von 2 hebos-
gen zerlegt werden. Überhaupt scheint es nicht immer geraten rein daktylische
Perioden anzunehmen und z. b. I, 15 v. 3 — 6 und I, 16 als Strophen von Gbebif
daktylischen versen zu betrachten, vielmehr dürfte hier nach vorangegaogcsei
-trochäen nur daktylischer schluss statthaben. Ebensowenig wird nach meinem dafü^
halten die responsion von I, 14 und 27 gestört, wenn rein trochfiische verse (14,6)
mit gemischt trochäisch -daktylischen reihen wechseln (14, 3 verschmilzt li d^mn
bim, 27, 3 und 6). Demnach wird hier und da die metrische analyse entgegen der
ansieht Sieberts die daktylen entbehren können; im allgemeinen aber ist ihr voAom-
men bei Tannhäuser durch den Verfasser erwiesen und viel zu ihrer erklfirong bei-
getragen worden.
Die darlegung des baues der einzelnen leiche (s. 60 — 70) ergibt für II eine
einzige aus der doppelt gesetzten gereimten pcriode von 8 hebungen bestehende stro-
pheuart, deren verse durch inreim in je 2 halbzeilen zerlegt werden ; nur 1 und 15
sind durch einen vorangescliickten langvers mit mittelreim erweitert Pausen zwi*
sehen den beiden halbzeilen sind dreimal (2, 4; 4,2; 14, 4) zu verzeichnen; die
orgän Zungen Sieberts an den beiden ersten stellen: ver(8icarU) und al bleiben luer-
wiescno vennutungen.
Die Str. 4 — 35 des VI. leiches unterscheiden sich von der beschriebenen nur
durch den eintritt des 3 hebig klingenden halbverses nach dem stumpfen ausgang der
1. vershülftc. Die änderungen des textes zur herstellung des fehlenden anftaktes^
12, 2 und Hug ein T(ii)wingaere , 16, 2 der hat (der) lugende ein wunder und
31, 4 (nicht 32, 4!) diu icerlt (diu) hat stn ere halte ich für vollkommen geglückt
Bei den 3 eingangssystemon ist die Unregelmässigkeit des auftaktes wol nicht so
gross, noch die betonung gezwungen, da in v. 3 wahrscheinlich wie oben diu hinter
frerli einzufügen ist und in v. 1 die beginnende diphthongiorung von uo schon wiikeo
mochte, so dass nur der auftakt in 2, 2 ungesetzmässig erscheint.
Die gepaarte laiigzeile von 8 hebungen mit oder ohne inreim bildet aach dtf
grundschema dos 1. teiles (1 — 12) von leich I, nur unterbrochen durch 3 paare tob
seehshebungsversen (6) und durch je ein reimpaar von 4 hebungen (9, 3 und 4; 12,
1 und 2). Im 2. teile werden die andern Systeme ebenso häufig verwendet, alle iher
variiert durch klingenden ausgang, binnenreim u. dergL
CBEB BUBERT. TANKUlUSEB 389
Dieselben eysteme mit dinigeu modirikationen und andern rerbindungen werden
recht aosohattlich auch im IV. leicba nach go wiesen.
Sw'hstiebige verse bilden Dach Sieberts aoalyse auuh die Btrophen 1 — 11
des V. leiohes, aulittebiga allein odur mit angehängtem kÜDgendem dreibebor die
durob erwuiterung und Zerlegung vuiii'rten ayateme des 2. taileej nur eathalten 2t!, I
iV muni bran als ein rubln gegen der sannen glaste und 28, 2 dax. sin die ver-
driexe, sicen ich gerne lere nicht 8 hebungou, wie er meint, sondern nur 6.
Recht eioheiUich erscheiat auch nach seiner darstellong der in. loich, Tür den
2 grundformen, die etrophe von 4 vierhebigen versen und ihre erweiterung durch
in 5. dieser art annimmt Demnach muss aber die eiufach erweiterte langzeilo
(15, 4) in 4 -^ 3 ^ b und nicht — so erklärt sie der Verfasser — in 3 + 3 - b
serlegt werden, wie ja auch die gleiche geatalt des letzten voraes der doppelt erwei-
terten Systeme 7 und 16 dies vejlangt.
So ergeben sith bei der scheinbaren mannigTaltigleit des versniaterials nur
wenige grundtypen, die mit denen der lieder bis auf den sechshebungsvera überein-
stimmen und Bo wider auf die volkaweiacn als auf die gemeinsame quelle hindeuten.
Leicht erkennbar musste für den Verfasser die komposition der laiche sein,
,71 — 79 begproohen wird. Es tritt ja hier zu der durch den Wechsel xwisoben
gleichfönnigon und mannigfaltigeren Systemen gekennzeiehneton metrischen gliedernng
MB bemerkenswerter uuteisohied im inhalt hinzu, den man bei den leiehen rein kon-
^tioneller minnesünger vermiast. Nach diosaa beiden von Siebert herrorgehobenen
inzeichen zerfallen der I., IV, und V. loich in einen ruhigen, gleichmüssigen teil
sehen Charakters und in einen beachleunigteren , weohselvolleren lyrischen teil.
Btzterer scheidet sich wider in einen die geliebte oder den fürsten feiernden abaohnitt
1 den tanz selbst, ehenfaUs mit eineok unterschiede in der metrik, der aber
cht BO durchgreifend ist als Kuvor; deshalb möchte ich auch entgegen dem verfas-
r bei der zweiteiligteit dieser leiche bleiben, so unvermittelt auch der echlnssab-
tnitt einzuaetzen pflegt Für Siebert muss freilich die Zusammengehörigkeit des 2,
1 3, absohnittes aufhören, wenn er auch jenen epbcher natur sein loaat, was man
I seinen wollen „an einen langem teil epiauhen Charakters schlieest sich gewjihn-
i ein künerer auf den tanz bezüglicher' folgern muss. Allerdings wird der
I Charakter des 2. teiloa in leich V durch die aus dem 1. teil beibehaltene
i&ählung getrübt, um so deutlicher aber tritt 'er bei I und IV zu tage. Beinahe
tlig fehlt das lyrische moraent im I. und VI. leiche; die auf den tanz bezügliohen
datrophen jenes und das freier gebaute schlusssystem des letzteren können nicht
m vorangegangenen stück epischer natur selbütSndig gegeuübergosleUt werden, wes-
Ib man die leiche entsprechend der gleicbmässigkeit des metrums als einteilig
sahen muss. Zweiteilig ist wider leioh lU, dessen erster teil (1 — 18} als erzüh'
Bf eines liebesabenteuors doch wol epischer natur ist und in hinsieht der kompu-
ion nicht dem 2. teil der leicho I, IV, V parallel gehen kann, wenn sein inhalt
ob diesem nilher steht als den aufzahlungen im 1, teile, Gorade wegen dieser
Iwltlichen Verschiedenheit halte ich das gedieht nicht für den charakteristdachsten,
J Aber für den vollkommensten der leiche Tannhüuacrs. Interessant sind die aus
a teichon selbst für die metrisch venioliiodenon abschnitte und damit für die ein-
bien tanztuuren vom Verfasser orschlossencu bezeichnungeu ,,taDzen, reien, gprin-
a*, wiewol dio einheit der benonnung nicht festgehalten wird.
Darauf folgen (s. 80 — 111) bemerkungen zu den einzelnen gedichten, wobei
Menders viele parallelstetlen aua andern minnesilngem angesogen werden. Eiuen
390 WiHXltB, tocn SIKDKRT, UlKNHÄDagn
brtgchritt beknnden diese beoietkuikgeQ zunächst dadurch, dara sie tawruVan
bohauptitngen dor bisherigen TanahStiser-foracher, besonders Oehlbes (la IV, 2\,i;
VI, Ifi) und Kücka («u I. 10, fl; HI. 12, 9; VI, 36, 10; XHI, 5; XIVl vmA-
weisen ocd wahrecbeiolioberea an die stelle setzen bezw. neue tihr^raeugeaden crüid*
dafür beibringeD (IT, 3, 3 u. n. □.)■ Weiter sind aus der grosse» iiatil det iitilkD
welche wegen dunkler Wendungen und merkwürdiger namen überhaupt keinen «lUfc-
rer gefunden hatten, viele von Siebert recht befriedigend ei'läutert worden; iiiucbeE*
freilich bleibt noch zu enträtseln. Für Tauoliäniiera alter als entstehuiteueil ii» mo
Üehlko nebBt H, Vir, XI. SVI noch niuht datiorten XV. gedichtos wird »«in Bedrärk-
ter ton angeführt und die in den versen ÖTie ir datK saTic ieh in tu Uulr den Udb —
gemiute üt la-anr aasgesprochene kinge; gewichtiger als letstCTe stelle dünkt mii dn«
aougnis der verne 2, 1 — 3 ich hä» dim jutujen vil daher yemt»g«n, da itl laxe-
Dass in XHI der dichter auf dor herfahrt ans dem heiligen lande xa denken wt i*d
nicht, wie Oehlke wollte, auf der hiAfahrt, wird durub die ansei nan denetiiing S»—
berts ausserordentlich wahrscheinlich. Auch das fortwirken der dichtnng
wird durch den hinweis auf anklHnge in einigen inhd, achw&nken veransohaolicbt
In einem anhange verstärkt der Verfasser die snerst van Oehlke geCoawtte^
bedenken gegen die echtheit des in der Jenaer liederhandsohrift I dem TiMinlil'H— "
xugeschriebeueD bussliediss durch eingohendo Vorführung der fonnelleu and inhltfe. —
lioben verschiede nhoiten und erbringt somit den beweis für den spatem
jenes uio für die herkunft der TannhKusersoge aus seinen in C überlieferten g<
Im ganzen können wir somit Sioberta arbeit besonnen und bol Ihrer
knng auf einzelne iteiton der Tan nbäuserf rage recht e^ebig nennen. Sie bat
verdienst, unsere kenntnis einer der intcresBanti^släD figuren der mbd. \jrik di
feste nnvcrrückbare resultnte bereiehext zu haben.
Die schöne Magelone, aus dem französischan übersetzt von Veit Warbtiok ISSt^.
Nach der originalhandschrift hora-usgegoben von JohuillrN Bolt«. (BibL llbB«'
deuteeher übetsetzongeo I.) Weimar, E. Folber. 1804. LXVn und 87 a. 3 »•■
Die deutsche litteratur hat van anfang an aus der fremde befruchtende caw*
gnng empfangen. Die älteslen schriftlichen denkmälor waren erfüllt vom geial« 4*
christlichen glsubens und von der stofTwelt der Bibel, während die miUelaltcrlicbo IjiA
und epik auF dem boden der ritterhchen Weltanschauung erwuchs, iid »an ilem rnnUm
herübergekommen war. NcWo novollonstolTen aus aller herren linder dranfn in
15. Jahrhunderte mit dem humanismiis die antiken bildnugaelemente ein und tboA-
tränkten die deutsche geistesweit. Gegi'nüber dem überwiegenden »iullusm', dsa m
18. Jahrhundert«^ die als musler anerkannten franzusiscben klassiker ausübten, InM
sllmälilioh die Engländer, vor allem Shakespeare ein eiapriesshches g«gnn gewicht 4v
und wiesen den weg zu UHtur und frelheit In Zeiten litteniriscbCD niedergnjn
und geistiger dürre war der zudrang fremder elemento in Deutschland nicht pim; *
war am stärksten wahrend der beiden blüteperiodon am die wende des 13, ooil u
die wende des 18. Jahrhunderts. Da war aneb die beimische littoraliir knÜTd
genug, das fremde gut xu verarbeiten, ohne sieh selbst zu eutanswnni. In ifar uit
der romantiker, als Schlegel dos übersetzen zu einer edlen kimstübui^ erholiea Utlä
fanden alle die hervorragendsten erzeugnisse der woltlittoratnr als «illtoiiUiwM
gaste, nicht niclir als lehr^eister, in Deutschland eine neue hvimstitt». Bingvbm
HAl'FFKN, ÜBKH BOLTK, SCHÖKK MABKLONK 391
md selbHt&idigkeit verbindend, hat sich die deutsobo litteratnr vor doppelter gorahr
tewahrt; sie hat aioli dem segeo fremden reichtutns nicht versobloBsen , and sie ist
toch dar aDgestammten eigenart treu geblieben.
Unter diesen nniFtändeD ist es selbstverständlich . dasü gerade für den betrieb
p deutschen litteraturgeachichte ein unternehman, wie die mit dem vorliegenden
fte eröffnete bibliothek ikicerer Übersetzungen von gröBstcr tricbtigkelt ist, und doss
lu den vorhandenen nendruclten deutscher origiutUwerke als unentbehrliche er^oKung
iDzutritt. Professor August Sauer, der seit einigen jahreo die „Deutschen littera-
nrdenkmale" leitet, hat auch diese neno Sammlung ins leben gerufen. Kau seiner
»qrrode, die an den hervorragendsten keniier der gesohiohtB der dentscbeo übor-
ntzungskunst, Michael Bemays, gerichtet ist, sowie aus dein vorxeichnis der in vor-
'eitung befindlichen nnd der in aussieht genommenen hefte ersehen wir dos pro-
*nunin der neuen bibliothek. Sio soll die wichtigsten deutschen Übersetzungen v'>m
'4. bis zum 19. Jahrhunderte, sowmt sie nicht allgemein zugünglioh sind, nach hand-
(diriften und älteren drucken mit Einleitungen und anmerkongen bringen; femer (in
rginzangsheften) neubearbeitungen älterer bibliographischer compendien, nntersuehun-
jBD und darst^Uungen. Sie soll zu einem mittelpunkte dieses abgegrenzten arbeits-
I werden. In den weiteren heften sollen übersetzungeu aus dem kreise der
[eotscben bumauisten und die aus der fremde stammenden nnvellen des 15. johrfaun-
ia veröffentlicht werden. Im anscbluss daran werden wol auch die arbeiten erle-
bt werden miissen, die M. Hennann in seiner Eybmonographie s. 286 fordert: ein
bronologisch und ein topographisch angeordnetes vollständiges Verzeichnis aller fiber-
tKongen der schonen litteratur bis zum erscheinen dos deutschen Decamerone und
nterauehungen iiher die herkunft der stoSe, In der nächsten zeit werden ferner
scheinen Übersetzungen von Corneille, Milton, Meliere, Anakreon, die Vossisohe
BS, die anfange des deutschen Shakespeare, endlich Rabelais Oargaotua in der ver-
BUtsohnng von ßegis (mit dem umfüngüchen kommentar?).
Einen teil des vielseitigen progromms bildet Idee Veröffentlichung der handschrift-
1 gnindlagen unserer Volksbücher, soweit sie Übersetzungen sind. Dieser auf-
hbe iflt das vorliegende erste heft gewidmet, mit dorn Bolte ein miister geliefert
1t, das in seiner weit ausgreifenden gekjirsamkeit und seiner rübmenswerten gründ-
ihkeit kaum von allen nach folgern wird erreicht werden können. Gerade weil
fr^rbecks Schöne Magelone in den weitesten kreisen Verbreitung gefunden und bis
L die letzten Jahre herab neue auflagen erlebt hat, war die Veröffentlichung des
inprünglicben te::ctes nach der von Bolte in Gotha gefundenen originalhondschrift
K Übersetzers eine um so interessantere und dringendere aufgäbe'.
In einer überaus reichhaltigen einleitung gibt Bolte (alle ergobnisse der grossen
■getone-litteratar verwertend und seinerseits bereiohernd) bericht über die entste-
ng des französischen Originals, schildert auf gmnd neu erschlossenen handscbrift-
dien matenuls Yeit "Warbecks lelien. zeichnet den einfluss der französischen littera-
ir in Deutschland am beginne des 16. jahrhundeits mit auslAiifen, deren bedeutung
nt über den besonderen zweck hinansgehen, vergleicht Warbecks übenietzung mit
iDi originale und mit dem ersten drucke (dessen Varianten in anhang verzeichnet
bd) and stellt endlich die bibliographie der zahllosen Uagelone- ausgaben bei 15
iwkqng LnndhDa, ZvLiochr. fOr rarftl. 1
Wsr das heil der recsusiooen in nachtragen sieht (eise atuicht, di« id uÜit
teDe), der wird bei dem gelehrten herauagel>ei' der UagelüDO ^en iwhr iAmoK
stand babea. Auch mir hat es nur der zulhll ermöglicht, einen winagen und uavhii-
tigeti Dftohtrag sur bibliographie zu liefern. S. LXVI in der abtailnag Bähmitcli
(besäet vära Czechiaoh, denn „Böhmisch" ist ein geographischer und Iwin *pivb-
lieber begrifi) ist eine ausgäbe uacbzutiagen i Kuttenberg 1774. Ihr tit«l luut
Abweichend von dem bei Bolte für die älteste ausgäbe &ngegebsnen titel: .Wvlnü
vtässouä HjBtorye 0 ktäsne Magdou^, Doeri EnUc z NeapoUs. Tax o godncm Wdni
vdatn^m BytjH, znamenitebo Hrabete z Prowinoy ßynu Petrowi. Wisaem )ira Üb-
veselni Mysle a. Tkiiceni Cznsii zuova na avütlo vydane. T Hofe Kuttnj-, Ruin 1TI4.
Ein exeinplar (dem die letzten blätter fehlen) befindet sich in der tnbliolhrk iam
Böhmischen musoums in Frag (27 E 10). Der text dieaor aiiagäbu stimmt ait iii»<
nähme der einleitenden worte völlig überoin mit der jüngsten (auuh Ih^ Bolte nr-
zeichneten) anflaga: Neuhaus (v Jindrichovi Hradui) I8G4. Beidq aoegaben trfdMa
sieh als eine fast wörtliche Übersetzung dei4 'Warbacksohen textea. Anaserdoni ktaat
die czechische litteratur auch ein lied von der schönen Msgelone. Jon^anti (V ». 308
nr. 221) verzeichnet: Piseü o kräsnö MagelcaB w Praze 1685. lÜa doltlrteR «l«B-
plar befindet «ch auf der bibliothek des böhmischen museoms (27 H 3). Bb ^ 1»
reimen den inholt des Volksbuches in starkor verkiLrziuig wider.
1
■bihii.iiiiiii M
Erasmus Alberus. Ein biogranliisohur beitrag zur ges<
mationaiieit. Von prof. dr. Franx Rchnorr von Carolsfeld, ohorbil
All der königh bibliothek zu Dresden, Dresden, L. Ehiormann. 18ü3. VUl ii^4
232 s. e m.
Das nüsgeschitk , welches den Erasnius Alborua zeit soinas labons TofolgC^
Ist auch nach seinem tode nicht von ihm gewichen: nicht nur war Über sein
und seine littararieche tiitigkeit infolge der Seltenheit der originaldrooke seinsr acbn''-
ten sehr wenig bekannt, sondern das wenige, was man wnsste oder za wissen gUalA^
ermangelte aueh der genauigkolt und enthielt wahre» und büschea nubeneinaaJar.
Daher war es möglich, dase die behauptung Dolliugors, Alber sei von zottganowsM
als ein mensch von unreinem leben und zuchtloset znnge gesebililert (forden, Mr
durch Verschwendung in schulden gekommen sei und seine gläubiger betrogen hibA
allgemeinen glauben nnd weiterverbreitung fand, obgleich sie nur durch «ins teUtf*
hafte interpretation einer ausseruug dos Eraamus Buterodamus enbtandcn m,
welche sich nicht auf Alber, sondern auf den bekannten humonisten Hormi»
BuEchius bezog. So bittenea unrecht fügte die nachweit einem muma zu, äu ä»
meisten seiner Zeitgenossen an sittlichem Zartgefühl übertraf nnd dor, wie eia i^
nahestebondar sagt, „um der predigt des ovangoliums und um
fleissigen strafens willen siebenmal, "wie der heilige Athansaius, ^
Bchfiflein mit gewalt und offener tyrannei veijagt werden ist"' So vorkehrte UJ
ungerechte bourteilungen sind nach dem erscheinen des vurlie^nden buches nnnü^
lioh, 03 sei denn, dass man sich gegen die ruhigen und gewissenhaft abwlf^rad«
ausführongen das vorfasscis abaiohtlioh verauhliessL Das umfaugruiche, wenn tuA
nicht lückenlose quellenmaterial tat hier zum ersten mala gesammelt und lu aioir
ebenso gründlichen, wie liebevollen, dabei aber doch unbefangenen dar^lunc 4r
porsönUchteit und litterarisch en Wirksamkeit Albers verarbeitet worden (&I— ISttf
Ü6EB SCHNORR V. CAROLSFELD, ALBfiRüS 393
ine heimat ist die Wetterau, wo er etwa um 1500 geboren ist; von seiner jogend-
t ist nur wenig bekannt; studiert hat er in Mainz und Wittenberg (1 — 8); seine
ite praktische tätigkeit war die eines Schulmeisters, ein beruf, zu dem er grosse
gung gehabt imd den er zu verschiedenen zeiten seines lebens ausgeübt hat (s. 16
.), mit welchem auch eine reihe von Schriften Albers in Zusammenhang stehen,
shdem er elf jähre lang (von 1528) das pfarramt zu Sprendlingen verwaltet, ver-
gten sich bei ihm ungewöhnlich ungünstige umstände mit der damals besonders
hzuschätzenden eigenschaft, seine Überzeugung selbst den höchstgestellten gegenüber
ksichtslos zu vertreten, und unrechtes tun anderer zu „strafen*^, auch wenn er
»st nicht darunter zu leiden hatte, um ihn seine ganze übrige lebenszeit (1539 —
3) weder im süden noch im norden Deutschlands eine dauernde statte seiner wirk-
ikeit finden zu lassen, so sehr er selbst sowol, als andere, darunter kein geringerer,
der ihm seit seiner Studienzeit befreundete Luther, sich darum bemühten. Um
t)ewunderungswürdiger ist es, dass er trotzdem zeit und ruhe zu einer ausgedehn-
litterarischen tätigkeit fand. Von den zahlreichen Schriften, denen eine einge-
de Würdigung zuteil wird, sei nur hervorgehoben erstens die in gesprächsform
»fasste bearbeitung der unter dem namen: Die imgleiohen kinder Evae bekannten
1, welche den titel trägt: Von der Schlangen Verfürung, sodann seine weit-*
1 on und geistlichen gedichte (fabeln imd kirchenlieder); erstere, weil sie in
er Zeitschrift (XXI, 419—463) nebst einigen zu Albers Charakteristik beitragen-
stollen anderer werke von ihm abdruck gefunden hat; die fabeln und kirchen-
^r, weil sie auch heute noch der erbauung oder der ergötzung und belehrung
;«rer kreise dienen, während alle übrigen schritten jetzt nur noch litterarhisto-
bien wert haben. Von 40 geistlichen liedern, von denen eine grosse zahl während
von ihm miterlebten belagerung von Magdeburg (1550 — 51) entstanden ist, las-
sich nur noch 14 sicher nachweisen (s. 104 — 112), darunter einige, welche noch
fc gesungen werden, so der (1555 bei Val. Neuber in Nürnberg gedruckte)
Qnd- oder vespergesang: Christo, du bist der helle tag (Ev. gesangb. f. d
V. Sachsen 390: Christ, der du bist der helle tag). Ob er zu diesen liedern melo-
X selbst erfunden hat, wissen wir nicht; wol aber, dass er mit seinem lehrer
l freunde Luther die begeisterung für die „heilige, himmlische und holdselige
•sica^ teilte, über welche er noch in seiner letzten lebenszeit ein buch verfassen
Ute (s. 110; ztschr. XXI, 421 fg.). Die fabeln (s. 112—121), in denen das gemüt
d der humor des mannes in schönster weise zum ausdruck kommen, werden in
' von Braune (Halle, Niemoyer, 1892) veranstalteten ausgäbe im verein mit dem
1 uns angezeigten buche hoffentlich dazu beitragen, den namen Albers auch
^rhalb des engen kreiscs der fachgenossen so bekannt zu machen, wie er es
dient.
Von den beilagon (159 — 228) geben I — XVII briefe und andre schwer zu-
igliche Schriftstücke von Albers band; XVEH: ein schreiben der witwe an Macius
)r Albors tod; XIX: nachtrage und berichtigungen zu den angaben über Albers
riften in Gödekes grundriss 11', 440 — 447 (wozu zu vergleichen Zeitschr. XXI,
J — 35). Ein ausführliches regiater (229 — 232) macht den beschluss.
BURG B. MAGDEBURG. MATTHIAS.
394 OKRIKO
Ordbok öfver svenska spräket utgifven af Svenska akademien. Hallet
1—3. A— afrada. Lund, Gleerup, 18d4— 95. XXYIU sa. nnd 432 spp. i
ä kr. 1,50. (Für die nichtskandinavischen Ifinder ist der ausschliessliche vertiieb
des Werkes der firraa M. Spirgatis in Leipzig übertragen.)'
Das grosse, von der schwedischen akademie herausgegebene nationalweik, m
dem die ersten drei lieferungen jetzt vorliegen, hat eine lange Vorgeschichte', sie ist
nämlich ebenso lang wie die geschichte der akademie' selbst, die vor emem deoen-
nium (1886) ihr erstes säcularfest feierte. König Gustaf III., der stilter der aostih,
hatte ihr als eine ihrer hauptaufgaben die herstellung eines schwedischea wöiter-
buches zugewiesen, bei dem die von gelehrten romanischen geseUadiaften ^beeonden
der Academia della crusca und der Academie franyaise) herausgegebenen werke ib
muster dienen sollten, und bereits 1787 legte man band ans wei^, indem min eü-
fach die einzelnen buchstaben unter die mitglieder verloste. Man war nämlich der
naiven meinung, dass jeder, der die föhigkeit besitze, sich zu dichterischen oder
gelehrten zwecken der schwedischen spräche zu bedienen, auch ein Wörterbuch de^
selben abzufassen im stände sei; dass man philologische und linguistische kenntsisse
für überflüssig hielt, geht zur genüge daraus hervor, dass unter den mitgliedem, die
das collegium der aderton damals zählte, nicht ein einziger Sprachforscher sich bofui
Dass die sache so einfach nicht war, wie man sich eingebildet hatte, stellte sick
aber bald heraus: nur wenige von den akademikem, die grossenteils mit amtsgescbif-
ten überhäuft waren, fühlten lust und beruf zu der ungewohnten arbeit, zu der sie
Vorbildung und technische fertigkeit nicht mitbrachten, und ein gedeihliches fort-
schreiten des Werkes ward schon dadurch unmöglich gemacht, dass jeder eioieloe
artikel in den Sitzungen vorgelesen und discutiert wurde. Eifrige arbeiter waren in
der ersten zeit nur der publicist und historiker Joh. Murberg (1734 — 1805) and
der dichter Gudm. Jöran Adlerbeth (1751 — 1818), aber das unternehmen rückte
nicht vorwärts, obwol man später auch einzelne nichtakademiker, die sich zum teQ
freiwillig angeboten hatten, heranzog, und nach Murbergs tode geriet es ganz ins
stocken. Erst 18.35, als Bernhard von Beskow (1796 — 1868) Sekretär der aki-
demie ward, ficng man auf dessen betreiben wider energischer zu arbeiten an, da
man aber an dem alten princip nichts wesentliches änderte, wurde trotz der reich-
haltigen materialsammlungen , die allmählich zu stände kamen, und obgleich schliess-
lich auch einige wirkliche fachmännor wie Dal in und Hagberg m den dienst des
Wörterbuches gestellt wurden, nichts fortig. Bei Hagbergs tode (1864) war nicht
einmal das von diesem bearbeitete A in druckfähigem zustande, und es bedurfte noch
weiterer sechs jähre, um diesen buchtaben zu vollenden, der endlich 1870 mit einem
vorwoi*te von Rydqvist herausgegeben ward. Dass es in dieser weise nicht weiter-
gehen könne« war jedoch nun der akademie klar geworden, welche die ausdrückliche
erklänmg abgab, dass sie das werk nicht selber fortsetzen, sondern in zukunft nur
vorarbeiten für ein zukünftiges Wörterbuch herausgeben und aus ihren mittein lexiko-
graphische und grammatische Publikationen unterstützen werde. Es erschien denn
auch bereits 1874 die OrdliMa öfver svenska spraket in der von der akademie fest-
1) Vgl. G. Ccdorschiöld, Nägra meddelanden om Svenska akadcmiens ord-
bok öfver svenska spriiket, Lund 1893; Th. Hjelmqvist, En ny källa för vir foster-
ländska odling, nägra anteckningar om Svenska akademiens ordbok, Lund 1S93;
derselbe, Om begagnandet af Svenska akademiens ordbok, Lund 1894.
2) Gustaf LjuDggren, Svenska akademiens historia 1786 — 1886. Stockh. 1886>
2 bde.
tJBKK STEKSKA AKABEIUENS ORIIBOK 395
geeetiton Orthographie (seitdem widerbolt aufgelegt) und 1880 das von Elias M. Fries
wöiterbucli der Bchwpdischen pHaDionaaineu (Kriliak ordbok öfter srermka
waxinamtten)^ wie aaoh durob die akademie Noreens abhandlung über die liialekle
laudscbaft Dalama (Aj/are bidrag Uli kännedom om de seenska Umdsmälen
pek «uenai- folklif. 1881—82) und Kloclihoffa sohrifl über die relativaätie im alt-
iBhnedischen {Relatirsaiaer i den äldre. fornseenakan med gärakild häntyn tili de
hada Vestgötalagama , Rarlstod 1884. 4) veraalasst und unterstützt wurden, und
BeuoTdiagB Fred. Tanims Etipnologisk »reruik ordbok (SlocUi. ISIK) fgg.) ebeDEalla
D&mhanen sdsoIiuss erhält lodessea blieb das gefiihl, dass es eine ehren-
.|fliaht der akadeuie sei, die von d«ni königliübeti stifter gestellte aufgäbe zu loeen,
«•nigsteDS bei eioKeluea milf;liedem lebondi);, und oacLdem der professor der aor-
diBchen Philologie in Luod Theodor Wisen 1878 als uachfulger Rydq\ists in die
ohl der adertoD sufgeDomineD war, stellte er 1883 den aatrag, da»s die arbeit an
Wörterbuche nach einem ganz neuen and zeitgemü&sen plane wider aufgeDom-
norden solle. Die akademie stimmte dem zu und betraute den autragsteller mit
obersten leitung des uateruehmeDS, die er unter der bodinguog annahm, dass
adjunkten (jetzt ord. professor) K. F. Söderwall iu Limd. der durch texika-
Jbche arbeiten liereits einen boobgeacbteteo nomen sich erworben hatte, diu redaktioa
Wärterbuches übeitragcii werde. Ein von Soderwall ausgearbeiteter und von Wi-
gebilbgter plan wurde bald darauf der akademie vorgelegt und von ihr angenom-
I, worauf die vorarbeiten sofort ihren onfaug nahmen.
Das imternebmen kannte jetzt unter weit günstigeren bedingungen bogoonoQ
irarden, als ehedem. In Upsala uod Lund hatten bereits Byit hingerer zeit ordent-
e Professuren für nordische philologte bestanden und es ivaren daher eine gaeze
nbl von jüngeren methodisch geschulten gelehrten vorhanden, die dem grossen
'ke ihre krüfte widmen konnten. Davon, dass die mitglieder der akademie gemein-
lobaftlich das Wörterbuch verfassen sollten, war natürlich nicht mehr die rede: anter
I auspicieo der akademie und durch ihre reichen mittel' unterstützt sollte das
rk von einem festen redaktionscomite, das in Lund seinen sitz hatte und an des-
spitze Wison' und Soderwall standen, ausgearbeitet werden. Zunächst wurde
B grosso anzahl von excerpiston, die eine kurze iuBtmktion' erhielten, mit dem
aiehen der quell ensohriften betraut; die citatenzettel (für die sogar ein bestimmtes
lier ond ein bestimmtes format genau vorgeschrieben war) waren an die central-
[le einzusenden, wo sie geordnet und revidiert wurden, um dann den wistienschaft-
len bearbeit(>m, unter die die einzelnen artlkel von den hauptrcdacteuren verteilt
rarden, als material zu dienen. Nach dem ursiirünglichen plane sollten die samm-
longen der spracbproben sich zunächst auf die buchstaben A^G besohranken, doch
nh man bald ein, dnsa es notwendig sei. sie auf das ganze aiphabet auszudehnen.
1) Diese fliessen zum grüssten teile aus den einnabinen der ofßciullen schwe-
diBidien aeituDg (Pott- oeh mrtke» tidningar), die von der akademie herausgegeben
wird und für bestimmte öffentliche bokanntniacbuDgen (z. b. für concursangelegen-
hffltea) benatzt werden musa, und es ist sehr zu wünschen, dass ihr diese quelle
nicht durch kurzsichtige mas-inahmen des schwodischpn reichstages verstopft oder
gesohmalert werde.
2) Dieser hochverdiente gelehrte hat leider das erscheinen des ersten heftes
triebt mehr erlebt: er starb bereits am 15. febr. 1892 (s. Ztsuhr. XXT. 363 fgg.).
3) Diese ward 1693 auf grund der im verlaufe der arbeit gesammelten erCah-
lungen durch ausführliche .^Ämiisningar tili irtsanilatule af spriikprof für Scentka
akademüm ordbok*, welche 74 g§ enthalten, ersetzt.
I rDiligieruDg doa I. bvtUs& giiog, bendilHb (oil
jT vt'rTüguDg BtandeD, auf rund 800,000', di* aus-
üb, w^rend die nusarboituDg voiter scbniM, wA
Als mao im MUliag 1893 aa <ü'
die zahl der citate, die doiniLla i
plotiening des materials wird jadi
immer fortgesetzt'.
Das nörterbach der akademie, das ein bild von der entwioklniig dar «cb*«-
discben spräche von der reformation bis aoT unsere tage gebtm £oll, lUttendiaitot
sich nicht UDwesentliub und nicht zu Beinem naobteil vun dem buche, mit dam j<dei
Dentsohe es zunächst vergleichen wird, dem Deutschen wörtorbuche der linldvr
Grimm. Es wird vor allem ein mehr cinheithchea geprägo tragen, als di<«i>«. StiA
dem tode der begründer ward die fcrtsetzung des deatu:lien werk»» , das
erat bis zu dem buchataben F gediehen war, wie bukaunt, vier gelelirten übcrtciffwy
von denen jeder an emem andern orte für sich arbeitete, jeder die durchaus ucm-
längliobea niaterialsammlungen auf eigene band ergänzen musste, joder nach «jgom
gutdünken den ursprünglichen plan zu ändern befugt war. Der eine xog «inu iaqp:
und gedrängte darsteilong vor, der andere hatte das bediü'fois, sich bvbagUtdi atan-
dehnen, weitlduftige etymologische oder kuiturhisturische excurse einzuxcbieb«i, oi-
zelne artikel geradezu zu grossen abhoodlungen zu gestalten. Dies ist hai d«
schwedischen wörterhuche, wo von vornherein ein fester plan ODtworfoD ood i»
ganze unter die Oberaufsicht des hauptredocteuis gestellt ist, ausgeauhlossen: to Ikt
greifende unterschiede, wie sie z. b. das K im Grimmscheu worterbuo{ie gegeotter
dem H oder iV aufweist, werden nicht vorkommen. Das sohwodischo wörteiiiit
gibt ferner, was bei Orimm ganz fehlt, für jedes einzelne wert narh cioiw Isidt
faaslichen system eine genaue angäbe übor ausspräche und acceotuatioa . es vsMwh-
net in chronologischer Ordnung die älteren Schreibweisen der Wörter, bemerkt wt
erforderlichen [alles, ob dieselben yeraltet, selten oder nur von diohteni gabiwnU
sind, ob sie nur als technisohe ausdrücke innerhalb gewisser berofszweige, aaito
der Umgangssprache oder in dem slang einzelner eUinde sieh Duden usw., es IM
jedem citate seine ursprüng^oUe Orthographie und fügt — was manulium vtelltUi*
als übertriebene jiedanterie oi^cheiDeu mag — das jähr hinzu, in welchem die icbilft.
^^_ aus der es entlehnt ist, vcrfasst wurde oder eisdiien. Auf die genaue und austäbi'
^^^^^b liehe darlegung der bedeutungseutwicklung ist besondere Sorgfalt verwendet-, b« sdtr
^^^^^1 häufig gebraaobten Wörtern, deren sinn luannigfaltig nuanciert ist (i, b. bei [inepM-
^^^^H^ tionen) ist eine kurze semasiologisoho übersieht, die auf die dnzeliien ali^duutl» in
^P aitikels hinweist, diesem an die spitze gestellt Wo die excerptsammlungoo tväät
H t^'ud eine allgemein übliche Verwendung eines wertes nicht bezeugten, liat man ■>
H durch selbslgebildete musterbcispicio belegt, die jedoch durch cursivschrilt «od ^
H quellenci taten deutlich uot«rschieden sind. Sehr zweckmässig ist es, dasa tu die
H einbchon wertem am schlösse gleich die gebräut'liliohsten zusammunselzuDgoD aof^
H büngt sind, und zwar auch diejenigen, in denen dos betr. Wort den zweiten teil Im
H eompositums bildet (natürlich werden diese noch besonders und ausIdhrlii^Mr M
H ihrem durch die alphabetische anordnnng fest bestimmten platze behandelt). TA»tj-
H mologischeu bemerkungen verzeiehnen bei den echt nordischen wiirtdm imilK
I
■
■
Bin kleines coriosum zur geschichte des Wörterbuches i^i-i
Professor G. U. Tegnör, der bei der rodacden des Werkes als li^i
tätig ist, verniisste bei der correctur des zweiten heftes das wort .,
gedruckten quellen nicht nachgewiesen werden koante. Er gebraui i
einem buche, das er gerade unter der feder hatte, und aas die>«ni
ist e* >Mv I» J
tlBSB SVKNBCl ll
397
daUes,'
ÜsdiwalLe vorliuKlen ist, die altsohwedische ftinn, und meist (worum nicht immer?')
BUtspreobuDgen der aadereii slEandinAviscben spracben; ist das wort ein gemein-
nisohes, so sind auch die rormen der übrigen germuiiBchen schriftspracben (der
wie der lebendeo) aDgcgeben; von den urverwaadteo sprachen sind beBoadeta
, griechisch und sanskrit herangezogen; bei fremd- and lohnwöiiero bat mau
t natürlich daraaf beBcUrJtnfct, das wort derjenigen spräche, aus der die aurnahme
18 schwedische erfolgte, mitzuteilen'.
Bei der anawahl der aufzunehmen den Wörter bat man eine weise selbstbeschran-
g walten lassen. Das vorwon [s, 2) sagt mit recht, dass, wenn man alles hätte ver-
1 woUen, was in der sohwediBohen üttaralBr der behandelten periode sich findet,
.s gegenwärtig in der rede der gebild«ten vorkommt, ein unerreichbares alet
eott worden wäre. Infolge dessen wurde das princip festgehalten, von dem einhoi-
fhiauhen apraehgnt der gegenwart nur das zu registrieren, ,was als gemeinsamer besitz
n hedeiitenden aiLzahl gebildeter Schweden ans verschiedenen teilen dos landes ange-
sehen werden kann", sowie das, was einer erklUrung bedürftig ist oder selbst einen
Michü*gen anfsclilasH vermittelt; aas den dialekt«ii nur dasjenige mitzuteilen, was die
-greiobsaprache* zu belenchten vermag oder der aufnähme in diese wert erscheint;
eodlicb aach nur diejenigen fremdworter oinKureiben , die in weit«reu kreisen von
leoten mit allgemeinerer bildoug beiannt siud. FreiUoh mocbte es dem Nichtsohwe-
den, dem die mizahl romaniwiher fremdwürter in den bisher ersobienenen liefernngon
ftnffaileu wird, sobeinen, als ob dos nivean dieser „allgemoinbildung" otwas zu hoch
«ngesetzt sei — aber man ^lu^^ bedenken, dass die „Franzosen des nDtdens' gegen
mtlehnungen aus dem siidenropäiscben wortaohotze ebensowenig spröde gewesen sind
Irie die Dentschen des 17. Jahrhundert«, puristische tendenzen aber in erheblich
ihwfichdrem maüso als bei nns sich geltend machten. Immerhin aber ist es mir
iWeifelhaft, ob man nioht durch ausscheiduug dieser romanischen fremdlinge, die
nicht wie die lehnwörter aus den verwandten gärmiui»eheD sprachen ein
4:licbes bürgerrecht im schwediscben erlangt haben, das buch hätte entlasten und
1 fremdwurterbucbe hätte überweison sollen, das ja als besonderes snpple-
snt dem hanptwerke hßtte folgen tonnen. Jedoch ist dies das einzige bedenken,
:li znm ausdruck bringen muss. Im ganzen kann mein urteil nnr dahin lanten,
»ir es mit einem sorgßltig und nmsicbtig vorbereiteten und in der ausführung
a tadellosen werke' zu tnn bähen, das der schwedischen Wissenschaft zu hoher
3 gereichen wird'. Wenn wir einmal dahin gelangen, nach Vollendung des Grimm-
1) Bei dem worte abborre vermisst man i. b. die angäbe, dass dasselbe (b
|ieT form ahorre) auch dfinisoh ist, ebenso nnter afbn/ta das dänische afbryde usw.
2t Venigstens einmal ist dies jedoch vergessen: es fehlt nämlich bei dem
ittt veralteten affelalia (»p- 174) der hinwe» &uf die herkunft des Wortes (frz. avi-
3) Uit welcher genauigkeit die herstellung des hnches geschiebt, kann man
_J8 eneben, dass der „chef sämmtliche Artikel im mannscript revidiert, dass
KUnplAre der 2. correctur auch den ausserhalb I.nnds wohnenden mitarbeiten! zur
'"^täohtung zugßben und dass alle citate auf der nniversitStsbibliotbek in Lund
it — Wls die citierteu werke durt nicht vorhanden wud — auf der königl, biblio-
pdc in StooJchoUn, eventuell auf der universitatsbibliothok in Upsola, ehe das impri-
r ert«ilt wii-d, nachgeschlagen wenlen.
4) Auch die typographische ausstattung verdient uneingeschränktes lob. Da-
j, dass man Ö verschiedene sohrittgattuQgen verwendet hat (dos Grimmsche
Cvbnch braucht deren nur 4) ist der druck auswerordentlieh klar und übersichtlich
sehen wörterbaches den nhd. spraclischatz naoh einem voUkomDitii^reu giUne \'
solcher z. b. von H. Paul in den BitKUngsbericIiten der liöoiKl. bainsoheo 4L1
pbJloH.-philol. u. hiHtor. Id. Iti94, a. 53— Ql aufgeatellt ist') zu sanmeln, 1
uns das würterbuch der aohwedisclieD akadeniie in mehrfacher hiniicbt als avt»
diE-nen küonen. Wünschen wir, diiss das grosse unterDehmen , da« von dnn *diw«-
dischen voUce mit stolzer froude und wSrmster Iwgeiateriini; auTgenonun«!! wimbaiat
(nach ausgäbe des 3. faäftes betrug die ssbl der GubBchbeotcn aus alkii «"*»■**■»
der beviUlcenuig bereits 360ü) einen rüstigen fortguog nehmen und das» eadMJMci-
gen mitarbeitern (neben E. F. Söderwall, E. H. Teguer und Cnst. CedersckUld
aind besonders E. Heliqvist, Th, Hjelmqvist, Ev. Ljunggroo. Magons LiiDd'
gren und A, Ualm zu Deonen) vergönnt sein möge^ «in dereinst in aeinot
duog 2U schauen. Im giluBtigsten falle — «unn die zuHohüsse ^
fortdaaerad in gleiubum umfange gewährt werden können und dorn
willige bUfa gesohulter fachmänner «rhalten bleibt — kann es in 20~30 jalim lv>
tig sein.
geworden, and die sohaifen typen ermüden auch bei liugerem lesen das an^diDit
1) Vgl. doüu O. CederMohiöld
en histurisli ordbok (Einladungeschrift ^
Um de senast framställda fordringarai fl j
] Göteborgs högskola 18U4).
ama des roformati«!!^
n Rudolf MohwuU. Olli»
Esther im deutschen und n-enlatoinischen
Zeitalters. Eins litte rarhistorisc ho untarsuoliuog
bürg und Leipzig, 1894, Vlll, 276 s. 4 m.
Naobdem B. Pilger im 11. haiide diosor Zeitschrift zuerst einen bi1di>dl«
Btofi (Susanna) duruh alle drauien des 16. Jahrhunderts verfolgt und deren tÜODt/t
keit von einander dargelegt hat, sind ahnliche versuche widerliolt uutemummeii *ll^
den: die dramen vom verlornen aohno untersuchte 1880 H. Holutdin und läfid^
Fr. Spengler, die dramatisier ungen des Sgyptisohen Joseph 1887 A. v. WoIki, O
Eatheidramen, über die uAmentliah Holstein subon wertvolles material orbwtt
neuerdings Schwartz in dem voriiegendon buche.
SohwartK untorsoheidut nach der litterariscben Zusammengehörigkeit dnd gOf
pen. Die erste amfasat die von einander unabhängigen bearbeitungeii des Ilan* S«l>
(1536 and 1559) und des Volten Voith (153T), die sieh eng dem biblisch« vtO-
laut ansohliessan, das drama das Andreas Fleilsdunidt (155.'i), d"!* xi>ioa mmlili'
zwar gekannt, aber nie wortlicb ausgeäcfa rieben hat, das stark duri± FfirilüThir'*
beeintliissle stück Josios Hurer*» (1567), die im wosentliehen auf Huret, ahor aiiik
auf Pfeilschmidt mhoude Berner Hoster (I5UT) und die fast ganz aoii Saidis, ToHb
PfeilechniidC und Locke's Verlornem söhn zasammeogetragene komMi« de« Hari»
Pfeffer (1621). Die zweite gmpi« concentriert sioh am den „Hanwnns" des TbMW
Naogeorgua (1543), den Joh. Chryaeus (1546) wie Joh. Uorcurins und Job. Pon*
(Ca 1570?) übersetzte, ein nunnymes Jesait«adriuna aus den Jahmn 157(1/79 mM-
lenderweise ganz und Damian Lindtnor (1607) in deutscher übcreetasiuig zum Uä »
sioh aufnahm, und au desseu fünf akten Caspar Wolf (1801) dialogisierte argomwnt« —
Vöu Schwanz s. 267 tgg. abgudrnokt — lieforte, wahrend Wolffgang Kuutjel (IW).
der auch Pfeilscbraidt and Hans lüachs benutzt, gleich Ooorg Maurtciwi den äUna
ÜBUR a(rHWARTZ, BSTUtX lU DRAkA 309
J97) die Übersetzung des Chryseus in stärkster weise ausgebeutet hat Die äntte
ntppe eßdiieh bilden diejenigen dramen, die weder mit den h-üher behandelten
3 nocli unter einander in direktem zusammenhange stehen, nfimlich die Estlier
r englischen kamödianten (1620), eine puppenkumödie aus dem 17. Jahrhundert.
B xiemticb gleichallerige spiel von der stolzen Vasthi nnd die neulateiniacheu drn-
m des Franciscns Eutrachelius (154S), Claudius Boiltetus (1556), Coraolius IauH-
mns (1560), Petrus Philioinus (I5Ö2), Herm. Fabronius (1600) und Jac. Zevecotius
1. aufläge: 1623).
In dem oachweiE der abhängigkeits Verhältnisse, die ein auf s. ITl gebotenes
imma veranauhaulicht, liegt der hauptwert voq Schwartz's trefflicher arbeit Die
ikenswerten ausführlichen analjaen erleichtern nicht nur die oacbprttfung, sondern
Aden auch einen für manoberlei zwecke ausreichenden ersatz für die zum teil nur
>r zugänglichen originaie; über die verloren gegangenen Estherdramen des land-
nfen Moriz von Hessen (1597) und des Job, Vtil. Andreoe (1602) haben sieh leidet
t einmal ganz kurze Inhaltsangaben boibringoD lassen.
Den von Schwartz noch besprochenen 6 Jesuiten-soenarien aas dem 17. jahr-
mdert war das in Wellor's Annalen 11 , 289 naohgewiesene Augsburger programi»
0 jähre 1672 hinzuzufügen. Betrelfs einer anderen synopse — „Geatürtzte Hof-
t und Erhöhete Tugendt, Dieses an Mardochaeo, Jenee an Aman* — , die 1665
B Ueppen ausgeteät worden, sei auf meine im nHchsten beiheft dea Centralblatte
r bibliothekawesen erscheinende cusammeostellarig der Jesuiteodrameu der nieder-
beioisohen urdenspravinz verwiesen; nach derselben haben die vater auch 170S uud
M2 in Hildeaheim, 1736 in JÜUoh, 17« in Koblenz nnd 1768 iu Köln Estber-
nffiihrangen veranstaltet Die neuesten dramatischen bearbeitungen des E.'stlierstof-
I deutscher spräche sind in Grethlein's Allg. deutschen theaterkatnlog (Münster
sp. 171) verzeichnet
MCNBIWI i/w. P. BIKUIAKK.
luael's Satire om den sygo Messe i dansk bearbejdelso fra
reformationstiden udgivet af S. Itirket Smltb. Eebeuhavu, Thiele. 1U93,
"yr.VI t 49 s. 8. {= ünivereitets-jubilaeets danske Eamlund nr. 69.)
In der Bcbweizerisohen reform ationsgeschichte bildet das iin Januar 1528 unti.'r
^^_ versitz zu Bern gehaltene religionsgesprSch einen bedeutungsvollen wonde-
inkt; denn während anderthalb Jahre zuvor die Badener disputation zwischen den
Iholiben Eck, Fabor und Mumer und den evangelischen Oekolampadius und Hai-
r keinen entscheidenden errolg nach der einen oder andren seite gebracht hatte, so
D diesmal die drei genannten Wortführer der katholischen saiihe vor, überhaupt
t zu erscheinen, uud in Böm wurde alsbald der goltesdienst nach evangelischer
a eingeführt. In diesen tagen vcrfasste der reichbegabte Bemer maier und dich-
r Niclans Manuel, der bei der disputation das amt eines rufera versah, sebe glKa-
«Je Satire .Krankheit der messe". Mit urkräftigem hunior führt dies prosagesprtich
I peisonifirierte messe als eine schwindsüchtige kranke vor, der ihre freunde ver-
Uioh auf allerlei weise zu helfen suchen. Der papst sendet, als er hört, dass ihr die
äenl^rt nichts genützt habe , den doktor Rundeck (Eck) und den apothoker Heioho
iber) zu ihr* aber keins ihrer mittel schlagt an, weder das bad, noch ihr geachrei,
I fegfeuer, die hostie, das heilige äl und die geweihten kerzen, so dass endhch
B ttrzte um ihren lohn besorgt davonlaufen,
400 BOLTB, ÜBRB MAMTTBLS STOB MESSE KD. BIRKET SMITH
Wie durchschlagend diese schrift Manuels auch ausserhalb der Schweiz wirkte,
beweist die grosse zahl von nachdrucken und bearbeitungen, die Baechtold in mam
N. Manuel (1878 s. CLXXVIII) und in seiner litteraturgeschichte der Schweiz (1892.
Anhang k. 74 und 135) und B. Wenzel (Cammerlander und Yielfeld. Bostocker di9&
1891 s. 33. 69) verzeichnet haben. Unter diesen fohlt jedoch das oben geotoote
dfinische gedieht, mit dem uns S. Birket Smith, der bewährte kenner der ilterai
dänischen litteratur, durch einen sorgfältigen neudruck bekannt macht Es fahrt den
titel: Dialogus | £n greselig ond tiende som | Pauen fick til Bom om den Päpistiske{
Messe som er dot ypperste hoffuitsticke i | bans oc Anthechristens fijrcke, Och | hoad
suar band oc bans hellige aan- | delige selfTskafE der til s wäret | haffae. j M.D.xxiiij;
20 bl. 8. 0. 0. (Der ungenannte drucker ist Job. Hochstraten zu Malmö).
Der Verfasser ist trotz der vom herausgeber aufgewandten mühe nicht n
ermitteln gewesen. Seine bearbeitung verrät überall das bestreben, die Satire Hanoek
zu nationalisieren , ihr dänische lokalf arbe zu verleihen , und zwar nicht nur in der
einführung dänischer heiligen (vor gamle s. Knud, den gamle fni Liseke), stidte
und redensarten, sowie in dor einschaltung einzelner von Smith s. XXXU besondeis
zusammengestellter verspartien, sondern auch in der hervorhobung dänischer Vor-
kämpfer der katholischen lehre. Wie in Manuels dialoge das Badener und Bener
religionsgespräch , so bildet hier der im juli und august 1580 zu Kopenhagen gehal-
tene herrentag, auf dem derselbe gegcnsatz von der altkirchlicheu und der refonni-
mationspartoi aasgefochten wurde, den deutlich wahrzunehmenden hintergrund. Ab
stelle Rundecks und Heiohos sendet der papst die doktoren Johan Ulf und Stagebnod
zur kranken messe, unter denen der kanonikus Hans Jacobson Ulf zu Lund und der
deutsche dr. Stagefyr zu verstehen sind; der mönch Agrist heisst im dänischen Bit)-
der Dirick Wendekaabe (d. li. Manteldreher), was ein anderwärts belegter spotduune
für Poul Holgesen ist, usf. Von besonderem interes.se ist nun, dass diese an ack
naheliegende anpassung dor schweizerischen satire an die dem bearbeiter und seinen
Publikum vertrauten Verhältnisse und personen schon vorher einmal in Deutschlanü
durchgeführt war in der von Baechtold (Manuel s. CLXXXI) mit c bezeichnetet
Umarbeitung vom jähre 1529, die z. b. die beiden ärzte dr. Aleueld zu Halle mid
dr. Mensing zu Dessau nennt, und doss, wie schon die vergleichung der titel lehn,
der dänische anonynius diese Umarbeitung, von der noch im selben jähre 1529 eine
niederdeutsche ausgäbe erschien, vor augon gehabt und benutzt hat. Der henns-
geber hat durch eine vergleichung der drei deutschen texte mit dem dämscken
(s. XX VII) festgestellt, dass die hochdeutsche Umarbeitung von 1529 dem dänisdieo
gedichto am nächsten steht, dass dieses aber ausserdem einzelne ausdrücke enthltt.
die zum Originaltexte Manuels, aber nicht zu jener Umarbeitung stimmen. Weoo
man nicht annehmen will, dass der Däne zwei verschiedene deutsche drucke benutzt
hat, so bleibt nur die folgenmg übrig, die auch S. zieht, dass noch eine uns unbe-
kannte deutsche fassung existierte, die zwischen Manuel und der umarbettong voo
1529 in der mitte stand. Violleicht lohnte es überhaupt, einmal genauer der text-
geschichte der deutschen flugschrift, durch die ja auch der dialog von Roy und Btf-
low Bede me and he not wrothe (1528. Neudruck von E. Arber 1871) beeinflnsKt n
sein scheint, nachzugehen und sich dabei die von S. gegebenen winke zu natze n
machon.
BERLIN. J. BOLTE.
t BiJUU. BRÜDER
401
Das deutsche kirulioulied dur böhmiscboa brüdor im 16. jahrLuuileri
Von R. Wolkan. Prag, A. Haaae. 1891. V, 178 s. 8. 3 m.
Bio vorliogonde untüreuchaug, die liier oboe sehuld des referenten verspätet
tt anzeige gelangt', ist entstanden im auscblnsse an das grüssere untoTDehnien Wol-
J[ans „BdbmoDB aoteil an der doutsebeii titteratur des 16. Jahrhunderts''. Sie gilt in
aretci linie der dichte i-iacbun tStigkeit des Seblesiers Michael Weisse, der als |>re-
.-figer der deutseben gemeinde der böhmischen brüder zu Landskron 1531 eine alle
4Jaber etschJeDoiien protestaatischeo gesaogbücher an amfODg weit übortreffendo
I sammlnDg geistlicher liedor samt den melodien dazu herausgab. Yen den zaJüreidien
abdrücken, die man bequem in Ooedokos Grundrisa'2, 235 fg. überbliukeu kann,
liad zwei von besonderer Wichtigkeit, die 1544 von Joh. Hom, dem liiscbore der
bobmischeD brüder, zu Nürnberg vemastalteto, Toiünderte und vermehrte ausgubu
mnd die 1Ü6Ö von Michael Tham besorgte, als deren druokort vermutlich Prag aniu-
i'üetunea bt. Dnrch eine sorgsame vergleieliung hat Wolkan das verhEiltnis dieser
I liedersammluug(>u zu einander festgestellt: die iilteste entbiilt 157 eiguo diohtnngon
Veisses, die zweite suheidet vier davon aus und bringt 32 neue, 1566 nTsohemen
imter den 348 nummem des bauptteils 180 jüngere lieder von Joh. Geletzky, Michael
, Petrus riürbert u. a,, während in einem anhange 108 nicht »on böhmischen
tthidem, sondern von Luther und seinen genossen herrührende lieder vereinigt and.
Die ausgäbe von 1544 besitst ein besonderes intorosae durch die darin sieh kund-
i<geboado annähoritng der bühmiselien binldor an Luthers alxtudmablsluhre', nicht bloss
I Vorworte, da.s man bei Wulkon Böhmens anteil 1, l2 fg. übersichtliub abgodmckt
^det, ist [his ausgespmehen , sondern es sind auch mohrero lioder Weisses, der
;aoliOD 1534 verstorben war, in diesem sinne abgeändert Die 32 neuen lieder, die
'Bisn bisher allgemein dem herausgeber Hörn zusehrieb, nimmt Wolkan gloicbfalla
ifär Weisse in anspmoh, ohne dass er völlig durchschlagende gründe vorbrKehte.
iSie ülterein Stimmung mit den un Zweifel haften diehtungen Weisses in inlinlt und form
.beweist allein noch nieht seine verfasse rachaft; wertvoller ist das nebenher in emer
iinmerbnng auf s. 76 erwähnte geständnis Homs, er als geborener Tsebecbe sei in
.Rutscher spräche nicht so geschickt wie sein freund Weisse. Mau wird also Welkau
*W<d die wahraolieiniiehkeit seiner behauptueg zugestehen müssen.
An Weisse ist, obschon or sieb bei seiner fruchtbaren tatigkeit öfter widerholt
1 nioht immer gleich geleuk in der dai-stellung zeigt, wahres dichterisches vermÖ-
^^ i, natürlichkoit und volksmttssigkeit üu rühmen, wio ihn aueh Lothar 1545 ans-
Aiücklich einen , guten poeten" genannt hat Seine bedoutung ist jedoch durch die
iprnfl: widerholle angäbe, er habe nur ältere tschecliisohe kirchonlieder übertra-
», bisher berabgedrüokt worden. Wolkan verhilft ihm za seinem rechte, indem er
■De bemerkung als irrig naehweisl. In dem tschechischen lurchenlieder^ohatze, des-
pett erste Sammlung schon 1501 oi-schion, finden sieh zu den 15? nummorn des gesaitg-
II jähre 1531 nur IG parallelen, darunter allerdings Weisses bekannteste
'^htung „Nun lasst uns den leib begraben'', zu den 32 zusatiliedem der Homsolien
iHnunlutig 9; und aacli t>ei diesen ist niclit überall die benntzung des tscheehisvlien
Bedes unzweifelhaft, sondern es mag bie und da auch die üboreinstimmimg aus der
meinsamen hiteiniscben vorläge zu erkl&ren sein. Denn ebenso wie Luther hat
"Weisse die lateioiarbun kirchonlieder verwertet und sich öfter durch die deutschen
1) Eine austübrlicbore tiesproebung, die der riiferent vor längerer zeit a
Um dieser Zeitschrift sandte, gieog auf der post verloren.
die
402 HOLTE, ÜBER WOLKAN, KIRCHENLIED DER BÖHM. BRÜDER
gosänge Luthers, Spcratus* und andrer Protestanten, wie sich aus der vcrwendoog ihrer
melodien und einzenen anklängen ergibt, anregen lassen. Dagegen treten uns in dem
cantioual von 156(5 zaiilroicho direkte übei*setzungen tschechischer originale entgegen:
von Herbert 36 nummorn, von Tham 12, von Geletzky 9 usw. Dies resultat töd
Wolkans füi"schung, über das ich kein eigenes urteil abzugeben vermag, erhält seine
bestätigung durch eine Untersuchung, die J. T. Müller in üerrnhut kurz zuvor unal»-
hängig von Wolkan angestellt und in J. Julian*« Dictionar\' of Hymnology (liODÜi-n
1892 s. 158— 160) unter dem titol Bohemian Brcthren* s Hymnody veröfTentlicht hat.
Don beschluss 'dos verdienstvollen buches (s. 103 — 178) bildet ein alphabe-
tisches Verzeichnis der bis 1639 veröffentlichten kiiehenlieder der böhmischen brüder,
das nicht nur die strophenzahl, Verfasser, «juello und fundort angibt, sondern auch
die gesangbüchcr Deutschlands vermerkt, in denen das einzelne lied aufnähme fand.
Es geht daraus hervor, dass die lieder der böhmischen brüder einen wesentlichen
bestandteil des protestantischen liederschatzes des 16. Jahrhunderts gebildet haben
und namentlich auch in Niederdcutschlaud verbreitet gewesen sind.
HKKLIN. JOHANNES BOLTK.
Die Singspiele der englischen komödianten und ihrer nachfolger in
Deutschland, Holland und Skandinavien. Von Johannes Holte. (Tbea-
tergeschichtliche forschungen, VIU.) Hamburg, Leopold Voss. 1893. VUl und
194 s. 5 m.
Den grossen Verdiensten, welche sich Bolte um die erforschung unserer litte-
ratur schon erworben, hat er durch die vorliegende vortreffliche arbeit ein ueues
hinzugefügt. Eine dai*stellung d<^s englischen Singspiels und seiner Wirkung auf deut-
schem bodon war bei der bedeutung, welche diese littemturgattung in der deutsch-rn
dichtung des 17. Jahrhunderts einnimmt, durchaus notw»*ndig; allein sie konnte nur
einem forscher gelingen, der wie Holte das gesamte, auf den verschieden.steu biblic-
theken zci-streute wcitschi«htigi3 inaterial kennt und beheri-scht. Einer trotz ihrer
kürze über Ursprung, cluirakter und melodien der Singspiele eingehend orientierenden
einlcitung folgt tiiu sehr praktisch angelegtes ei"schöpfendes Verzeichnis, das (Ayrer
eiuges<;hl<)ssen) zweiunddreissig nummtjrn umfitsst, darunt^ir viele in verschiedenen
fassungen. Im einzelnen wird unsere kcnutnis vielfach bereichert, aber auch für di»"
bedeutenderen fragen weiss Bolte ü)>erraschend viel neues beizusteuern. So wird bei
Keller, Fastnachtsspiele, H. 1013 — 20: Ein iveyl last vtis beysamen blcyhen hier
(s. 11) zum ei*sten mal«; in seiner bedeutung erkannt und richtig eingereiht; für die
melodie: Ivk ben tot Amaterihm gewesen wird s. 22 fg. ein augenscheinlich von den
Singspielen der englischen komüilianten angeregter liebesdialog (um 1615) aus einer
Kop(;nhagencr abschrift bekannt gemacht; ferner weist Bolte für die Singspiele: J^
doppelt betrogene oyfersutfht'' eine der vorläge nahe verwandte fassung sowie auch
eine hoUändiseluj fassung der vorläge nach. Besonders bemerkenswert ist der nach-
weis, dass das Singspiel: „Harlequins hochzeif* dem Christian Reuter endgiltig abiu*
sprechen ist; Bolte hat einen Hamburger druck: „Der lustige Harlequin** aus dem
jähre 1693 aufgefunden, sowie auch eine aufführung in (»örlitz bereits für 1694 nich-
gowieson. Entstanden ist das Singspiel aller Wahrscheinlichkeit nach in Hambui^;
der name des Verfassers lässt sich nicht ermitteln, auch ist auf grund des mir
bekannten materials keine irgendwie haltbare Vermutung über seine jKjrsrmUchkeJt
aufzustellen. Keuters text weist eine stattliche zahl von vorändernngen und zosiö»
auf; doch iKt es Knuiretluift, ob dieso allu vou ihm .selbst herrühren, da es nenig-
rtens schon 10U4, wie die notie über die Görliüor aitfführong beweist, miiidesteas
nocli einen anderen druck mit dem posHendcren titel: ^Harlcquius bochzeit" gab;
]glich wäre es nicht, dass die bei Houter erauheinendeD abweiuhuugen -^ ganz
odar zum toi! — in diesem schon vorhanden gewesen wäreo.
Besonders erfreulich ist es, dasa Bolte bei soben antersuchnugen sich nicht
luf Deutsoblauil beschränkt, sondora ausser den ongUeohon vorla(;en aucb die
DieJerläudische nnd akandittavlsche litteratur berücksichtigt hat. "Wir können aus
Bäinen nachweisen erkennen, einer wie grossen guust sieb das Singspiel anoh in den
auaserdeutscbon germaniacben läniiern erfreute. Nicht selten bildet Deutschland den
Vermittler (vgl. z. b. 25 b. and 2U ä.); Kuwi'ilon aber sind auch die stücko unmittel-
bar den engliaahon oi-iginalen Dacht'ebildot. — Für die äussere form erholten wir den
mtereasonten uachweis, doss ausser duu durchweg gesungenen stäcken bereits in
EDgland selbst Singspiele vorkamen, in denen die versparticon mit prosostellen ab-
wechselten (vgl. den text von *The Black Han", s. S4 fgg.). Die tatsaohe hatte ich
für die deutschen Hiogg|iiole bereits aus den Singspielen des voi'fassers der „Kunst
fiber alle künste" ersuhloB.sen, vgl. Horriga archiv, 8S, s. 280 fgg.; ich freue mich,
hier durch ganz neues materiat bestätigt zu sehen.
Eine sehr wertvolle zugäbe bilden die im anhange mitgeteilten melodieen;
arst durch die berücksiohtigung der bisher ganz vemachl£.ssigteQ niusikaJischen Reite
wird die möglichteit gewährt, zu einem totalbildo der gattung vorzudringen. So hat
Verfasser allen teilen des so vielfach verzweigten Stoffes die gleiche Sorgfalt und
■nfinerksanikeit zugewendet und eines der wichtigsten kapitel aus der gescbichte dos
deutschen draiiins im 17. Jahrhundert in musterhafter weise erschöpfend behandelt
Job. Peter de Memels Lustige gcsellscbaft. Von Ferdinand Gerhard. Nebst
einer Übersicht über die schwank -litteru tu r des 17. Jahrhunderts. Halle, Uax
Niemeyer. 1^03. 1S7 s. 2,80 m.
Die vorliegende schrift scheint eänc erstlingsai'beit tu sein; manche ausFühnm-
gen des verfasaere waren besser weggeblieben, so z. b. der yetsnch, na der band
ton Kono Fischers buch: „Übet die entstehung des witzea' das wesen des schwan-
I defuiieren. Anderes konnte kürzer und bündiger Kosommengafasst werden.
Ooob verdient die arbeit entsehiodeu beachtuug, da sie der erste nennenswerte ver-
ab ist, in ein der hauptsache nach wenig bekanntes gebiet einzuführen. Im ersten
1 hat der verfasset zahlreiche schwankbueher und verwandte Sammlungen des 17.
irbundetts zusammengestellt und jedes werk der gattung kurz, wenn auch zuweilen
i zu allgemeinen ausdrücken charaktorisiart. Der zweite teil bringt eine aus*
Inhrliohe aoaiyse der „Lustigen geseUscbaTt", deren verschiedenartige bestandteile auf-
[sx2hlt und im einzelnen zerlegt werden. Ein verzeiubnis der ausgaben sehliesst sich
U; das Verhältnis der einzelnen ausgaben zu einander wird bestimmt, die verfasser-
B erörtert, Jedoch ohne dass ein sicheres resultat 2u verzeicliuen wäre. In dem
ihlusskapitol: „Eiiifluss der Lustigen gesellschaft auf die scbwanklitteratur* würde
in« schUrfere soudei-nng am platze gewesen sein.
404 LEITZMANM
Gottscheds Stellung im dcutschcD bildungsloben. Von Engai ITiü
I. baud. Kiel und Leipzig, Lipsius und Tischor. 1895. YII und 231 s. 6 m.
Noch immer gehört eine abschliessende, allseitig eindringende arbeit öW
Gottsched zu den unerfüllten wünschen unserer litteraturgeschichto. Vor noch nicht
ganz fünfzig jähren war der fi-ühvoUendete Theodor Wilhelm Danzel der mt
der auf gruud eingehender quellenstudien einer vorurteilsfreien betrachtung des viel-
gescholtenen mit seinem buche „Gottsched und seine zeit* (Leipzig 1848) den vej:
zu eröffnen versuchte. Es war vorauszusehen, dass die bewältigung des riesenhifta
Stoffes ni('ht beim ersten anhieb gelingen konnte: bei einer so vielseitigen arbeitsknil
und Wirkung, wie sie Gottscheds loben reprasentiei*t, mussten notwendig für da
ersten betrachte r dieser dinge manche Seiten und richtungen in den Vordergrund tre-
ten, andre minder wichtig erscheinen; subjektive neigungen mochten mehr anbewiütft
als bewusst hierbei bestimmend mitwirken; die verliebe für spekulative konstrukti«
haftete Danzel als philosophen spekulativer riclitung naturgomäss an; der schwe«
düstere ernst seiner natur endlich spiegelt sich in dem schweren fluss der dan»t»;l-
lung unverkennbar wider. So kam es, dass in Danzels buche das, was der verfjiv
ser sich vorgenommen , eine unbefangene Würdigung und ein klares historisches v»^
ständuis von Gottscheds persönlichkeit, doch nicht erreicht wurde. Lange zeit hat
dann auch niemand lust vei'spürt Danzels pfaden nach zu wandeln; Danzel selbst bitte
ja das motte gewählt: legimus aliqua, nc kgantur. Einen vorzüglichen lebonsabriss
Gottscheds bescheerto uns 1879 Michael Bernays in dem artikel der Allgemeinen
deutsi;hen biographie über ihn. Zwei treflTliche abhaudluugen von Reicke und
Krause [vgl. Zeitschr. 25, 565. 27, 148] beleuchteten in den letzten jtüiren Oott-
scheds Königsberger lohrzeit und seine späturen beziehungen zum centrum seinri
ostpreussi.schen lieimat. Aber der mangel einer abschliessenden arbeit trat imnwr
fühlbarer hervor. Einem grössern werke über Gottsched dürfen wir von Gu^t»v
Waniek's band ciitgegous<»hon , der auch eine neue auswahl aus seiner korresj>oo-
denz in aussieht gest^dlt hat, die hoffentlich bald erscheint. Nun hat neuordio^
Eugen Wolff zwei in der festschiift für Kudolf Hildebrand und in der Zeitsihiifl
für deutschen unterrit^lit ei>>chienene arbeiten über Gottsched zu einem ersten banii'*
eines auf zwei bände berechneten Werkes über Gottscheds Stellung im deutscheo bü-
duugsleben vereinigt
Das erste kapitel behandelt „Gottscheds Stellung in der geschichte der deut-
schen Sprache'' (s. 1 — 90). Seine sprachlichen bestrebungen zur reinigung und festi-
gung einer hochdeutstihen gemeinsprache traten ein 1) für das deutsche übvrhau|<
im gegensatze zum gebrauch des lat<MniscIien und französischen und dem fremüwnr-
terunwesen, 2j für genuandeutscli duixih betonung der mitteldeutschen grundlageuod
reinigung von dialektischen eigentümlichkeiten, 3) für c^rrectes deutsch durch wert-
volle grarnmatiehe arbeiten, endlieh 4) für elegantes deutsch. Demgemäss gliedert
sich Wollls darstellung in diese vier abschnitte, denen als fünfter eine botrachtuu?
üi)er prosaische und poetische spraclibehandlung folgt. Das ganze kapitel ist in
wesentlichen keine darstellung, weder eine biographische, noch eine kritisch -histo*
rische, sondern eine äussei'st dankenswerte materialsammluug, der vor allem die
reiche in Leipzig und Dresden aufbewahrte Gottschedsche korrespondenz tmd der
Bodmersche briefnaihlass zu gninde liegen. Für diese klare und übersichtliche k-
saunncnstellimg eines reichen niatcrials wissen wir Wolff ganz besondem dank. DtSB
auch er den systematischen gesichtspunkt als teilungsprincip gewählt hat, scheint tat
ein YeriiäagDis des stofTes ku seio: aach Dansols buch fallt in oüie reibe nicht recht
EUBunmenhÜDgeDdor abschaitte auseinander.
Mehr im stile einer historisch -liritisuheii darsteUucg ist dagegen das «weite
knpitel , Gottsched im kanijjf mn die auftläning" (s. 91 — 230) gehalten; ea ist unzwei-
felhaft das bedeutouilere von beiden. Hier wird unsre kenntnis Gottscheds nicht nur
dnruh eine eben so grosse fülle neuer qaellon, sondern auch durch den glüctljohen
verbuch einer geschichtlichen bewaltiguDg und Würdigung desselben bereichert. Bshr
■Dsprechend und gut wird das systeoi der |>hilQsop bischen Überzeugungen Kur zeit
von Gottscheds aultreten dargestellt. En folgt eine feine aualyse Beiner eigenen spe-
kulativen entwichlnng an der band seiner systematischen ai'1>eiten. Dann beleuchtet
Wolff seine agitatorische Stellung in den bildangakämpfeu auf dem gebiete der tbeo-
logie und Philosophie; ein letxtes kapitel berichtet anhangsweise von der geBslIsohaft
der alethdphilutt. Sleine niissgiüfe in der dispoaition stören nur unerheblich den
(estgosL'hlossonon bau dieser abhandlung, welohe die erste weit überragt und in ihrer
■rt vorzüglich ist.
Mochte es dem Verfasser möglich sein, uns in nicht allzu langer zeit auch den
iu »ussii-ht gestellten zweiten band vorzulegen, der unter anderm aauh den versuch
einer gesoniint Würdigung von Gottsuheds jiersönlielikoit bringen soll ! Die oben
orwähnte xusamnien fassende liebnndliiog des tnauies in einer grosseren biographie
und WolOs buch worden voi'aussiohtlich mit nut.zen nobon einander bestehen können.
Oder üartmanu von Aue. Drei büuber nntersuchungen von Anton E. SchSii-
bach. Graz, Leusuhner und Lubensky. 1894. VIU und 503 s. 12 m.
Zusammen mit seinen lehrreichen Otfridstudien , deren abschlusa mir eben m-
kommt, sind die vorliegenden unteiDuchungen über Hartoiann von Aue Schönbach ans
den vurboreitungeo zum vieiteo bände seiner Altdeutsohen predigten erwachsen. Wie
werlvotl es für die litterargesohtchtliohc betrauhtnng unserer mittelalte rlicheu dich-
ter ist geuauei'e imd tiefere kenntnis der kirchlichen litteratur des mittelallere zn
besiti^en, sich den engen Zusammenhang von kirche und leben in dieser zeit stets
lebhaft gegenwärtig eu halten, das lehien diese arl>eileu Schönbacbs; darin liegt,
ganz abgesehen von den Taktiscben resultaten, ihr hoher methodischer wert. Von
«nein verh<nisniüssig kleinen angriffspunkte ans, der belrachtung der religiösen
■Dschauuugon Hattinaons im Gregor, ergab sich eine tiefeindiingende klare darieguog
des künstlerischen und mensuhlichen ihnrakters, der ganzen iiersünliohkeit eines dicb-
ters, über den wir bereits eine nmföuglicbo litteratnr besitzen, ohne daas uns das
gf-fühl eines sichern abscblus«es, selbst in den b au ptf ragen , recht fest und unum-
stÖBslich geworden ist. loh stehe nicht an in Schäutincbs buche diesen lange ver-
misiten abschluss zu sehen und glaube nicht, doss wir in wesentlicheu punklen über
ihn werden hinauskommen kennen. Gründliche und scharR^innige gelehrte kombina-
Üon verbindet sieh hier mit guscbmack vollster dnrstellung, die die errungenen resultate
in hrj-slallklare sätjie zu kleiden vereteht; man fühlt sieh oft unwillkürlich au Les-
siagü philologische arbeiten erinnert. Mit recht beklagt der Verfasser in der vorrede,
dass die deutsche philologie, vollauf mit dem studiom der wichen um der worte wil-
len lieschäftigt, lex tkri tischen , gnunmattscbeu, metrischen fragen hingegeben, „noch
nicht zeit fand die altdeutschen dichlwerke aus dem ziisiinimenhange ihrer zeit und
kultui licrnus zu erklären- (h. V). Die h!tu[>tmasse moderner germanistisphcr aibelten
406 LEITZMA19N, ÜDBB SCHÖNBACH, HAfiTUANN V. ACE
passt froilich sohr wenig zn dem hohen begriff des zielos philologischer fonchiug.
das uns Heyne und 'V\''ilhelm von Humboldt zuerst leuchtend aufgesteckt haben. Ick
gebe im folgenden ein kurzes referat über Schönbachs imtersuchungen.
Das erste buch führt den titel ^ Religion und Sittlichkeit*' (s. 1 — 176). Es
worden hier alle stellen Hartmannscher gedichte, welche sich auf religiöse und
ethische Vorstellungen und anschauungen beziehen, statistisch verzeichnet und ein-
gehend besprochen. Eroc und Iwcin stehen sich in bezug auf die erwähnuDg von
dingen, welche gott und gottesdienst betreffen, ganz gleich. Mehr ausbeute gewäh-
ren nach dieser hinsieht natürlich die beiden legenden: die behandlung des Grvgor
ist das mustor eines fortlaufenden kommentars (nur s. 71 in der erklärung voo vers
1552 muss ich Bech gegen Schönbach recht geben). Hartmanns ethisch -religb^se
auffassung der dinge ist durchaus die in der kirchenlehrc seiner zeit herrBcheode
gewesen.
Das zweite buch behandelt Hartmanns „bildung'^ (s. 177 — 339): seine kemit-
nis der antiken littoratur, seine Vertrautheit mit der bibel und den kirchlichen schrift-
stüllom .seiner zeit, seinen bildungsgang auf geistlichem, juristischem und ritterlichem
gebiete, endlich seine auffassung vom aberglauben. Aus allen quellen mittelaltciücber
bildung hat Hartmann getrunken und Lachmanns bisher acceptieiie auffassung, dis»
er den „anfaiig*^ eines klösterlichen Studiums gemacht habe, muss einer besser
begründeten weichen, dass er den vorhandenen bildungsstuff im reichsten mavse in
sich aufgenommen hat. Durchaus neu und, wenn auch nicht in allen einzelbeiU'ii.
so doch sicher im ganzen überzeugend dargelegt ist hier die auffassung des erbtco
büchleins als eines regelrechten altdeutschen rechtshandols mit klage, gegoüklagp.
wcchselrede, zurückziehen der klage und vei-söhnuug; diese auschauung eröffnot zum
ei'sten male ein klares und widorspiiichsloscs Verständnis des schwierigen gedichts
woneben auch die textgostait durch glänzende besserungen an mehreren stellen ge-
whmt (vgl. besonders s. 246). Daraus geht nun weiter hervor, dass der dichter nach
verlassen der klosterschule sich an der praktis(;hen rt»chtspflego als zuliörer betei-
ligt haben muss, wie wir diesen umstand auch sonst für junge adliche bele^'ea
können.
Im dritten und wichtigsten buche bespricht SchÖnl)ach Hartmanns ,kuiist
und Charakter*^ (s. 341 — 480). Hier wendet er sich zunächst gegen Saraus athe-
des zweiten und des von ihm so genannten Schlussgedichts im ersten bücblein (ilio
tosen schon Vogt Zcitsclir. 24, 243. 244 beanstandet hatte), nach meinem gi'fühl
unbedingt überzeugend. Auch mir ist immer das zweite büchlein als ein viel zu
gutes gedieht erschienen, als dass ich mich dazu hätte verstehen können es einem
kompilator zuzuschreiben. Auch gegen Sarans toxtlosungen im einzelnen, von denen
ja viele recht leichtsinnig aufgestellt sind, macht SchÖubach eine reihe begründeter
einwendungen. Die dann folgenden abschnitte über Uartmanns poetische art und
kunst und über das Verhältnis dos künstlers in ihm zum menschen gehören zum
feinsinnigsten, was überhaupt über einen mittelhochdeutschen dichter geschrieben Ist
Bezüglich der chronologischen fnigen hält Schönbach an der zuletzt von Saran ein-
gehend verteidigten auschauung fest, dass die reihenfolge der grösseren werke En*,
Iwein, Gi^egor, Armer Heinrich gewesen ist: ich glaube, dass man keine andre mit
mehr und einleuchtenderen argumenteu stützen kann^ Im rahmen dieser letzten
1) Ich kann diesem urteile des herrn rocensenten nicht zustimmen; vgl. Zeit-
schrift 28, 47 fg. o. E.
WITKOWSKI, ÜBER ALTENKBÜOEB, NICOLAI 407
Übersicht über Hartmanns künstlerischen und menschUchcn Charakter hätte ich gern
scino besten und innerlichsten dichtungen, die kreuzlieder, noch einmal besonders
gewürdigt gesehen.
Leider sind die zahlencitate an vielen stellen unzuverlässig, während druck
und ausstattung sonst vorzüglich sind.
WEIMAB, 1. MÄBZ 18Ü5. ALREST LEITZMANN.
Friedrich Nicolais Jugendschriften. Von Ernst Altenkriiger. Berlin, Carl
Heymann. 1894. VII und 113 s. 2 m.
Friedrich Nicolais briofe über den itzigen zustand der schönen Wissen-
schaften in Deutschland. (1755.) Herausgegoben von Georgr ElHngrer (Ber-
liner neudrucko UI, 2.) Berlin, Gebr. Paetel. 1894. XXVHI und 153 s. 5 m.
Durch eine sonderbare, aber keineswegs ungerechte fügung ist Nicolai in sei-
ner litterarischen Wirksamkeit derselben Verurteilung verfallen, wie Gottsched, durch
dessen bekämpfung er sich als Schriftsteller die sporen vordient hat. Beide bleibcm
nach einem kurzen , jugendmutigen vorstürmen , das sie als führer auf dem wege des
fortschritts erscheinen lässt, an dem schnell erreichten punkte ihr leben lang stehen
und erheben ihre stimme nur immer angestrengter und mistönonder, um von den
vorwärtseilenden, sich weiter und weiter entfernenden Zeitgenossen noch gehört zu
werden und sie (wenn möglich) in ihrem laufe aufzuhalten. Durch Lessing ist Gott-
sched, durch Schiller und Goethe ist Nicolai mundtot gemacht worden. Was sie
noch ferner zu sagen hatten, verhallte ungehört und einflusslos, und das geschicht-
liche urteil war ihnen auf lange zeit hinaus unveränderUch gesprochen.
Mit der strengeren historischen auffassung des ganges unsror litteratur trat
aber das verdienstvolle in der früheren tätigkeit beider männer hervor. Seit dem
trefflich belehrenden, wenn auch schwerfälligen buche Danzels hat Gottsched sich
nicht mehr über untei-schiitzung zu beklagen. Für Nicolai versuchen nun die beiden
oben genannten Schriften eine billigtjre anerkennung seiner frühen leistungen herbei-
zuführen; die erste, indem sie ein gesamtbild seiner Jugendentwicklung entwirft, die
zweite durch erueuerung seines frischesten und umfangreichsten erzeugnisses aus die-
ser zeit.
Altenkrügers aHx?it ist offenbar eine dissertation und kann als solche wol
als musterhaft bezeichnet weiden. Ein geschickt gewählter gegenständ, der weder
weite gesichtspunkte noch beheri-schung grosser gebiete erfordert, ist gründlich durch-
gearbeitet, der Stoff übereichtlich gruppiert und mit vorsichtigem, nicht unselb-
ständigem urteil verwertet. Der Verfasser benutzt wertvolles neues material: eine
fülle von briefen aus Nicolais nachlass, bei denen nur zu bedauern ist, dass er sich
fast ausschliesslich auf die mitteilung der daten und der für seine darstellung ver-
werteten tatsaohen beschränkt, während eine anfühining des Wortlautes, auf den
er sich stützt, envünscht und von wort gewesen wäre. Ferner ist es ihm gelun-
gen, einige bisher unbekannte Jugendarbeiten seines beiden nachzuweisen. Mit
vierzehn oder fünfzehn jahron verfasste er ein episch - didaktisches gedieht in un-
möglichen hexametern zum preise Klopstocks (beeinflusst durch diesen und durch
Pyras „Tempel der wahren dichtkunst**), das 1752 durch seinen bruder Gottlob
Samuel gegen den willen des jungen dichters, der schon hier sehr deutlich vor-
riet, dass er im gnmde keiner war, veröffentlicht wurde. Auch in der zweiten von
408 WI1X0WSKI, Ober ellinqer, Nicolai
Altenkrüiger neu ans licht gebrachten schiift Nicolais sehen wir ihn dordi die mode
in eine seinem ganzen weson widersprechende richtung gedrängt Aach er htt
„freundschaftliche briefo" verfasst; vier solche in der von seinem freunde Patzke 1754
herausgegebenen Sammlung werden als Nicolais eigentum nachgewiesen. Sein vorbild
waren aber dabei offenbar nicht Gollerts musterbriefo (wie Altenkrüger meint), son-
der Gleims ^freundschaftliche briefe** von 1746. Unrichtig ist es auch, wenn der
Verfasser hier die atmosphäro des briefwechsels zwischen Gleim und Jacobi zu finden
glaubt; denn in der zweiten periode von Gleims Anakrcontik (seit dem ende der
sechziger jähre), der dieser angehört, herrscht ein ganz anderer stil und eine mehr
süssliche Stimmung, die sich deutlich in der fmher fehlenden, übermässigen Verwen-
dung der Amoretten kund gibt.
Auch die bereits bekannten Schriften des jungen Nicolai ßnden in Alteokrügers
darstellung, die bis zu den litteraturbriefen führt, bessere Würdigung als bisher.
Vorausgeschickt ist eine schildei-ung der in botracht kommenden periode seines
lebens, die hauptsächlich den bildungsgang des autodidaktcn betont, das bekannte
sorgfältig zusammenstellend und es um manchen neuen zug vermehrend. Freilich
stört liier mehr als in den folgenden abschnitten eine gewisse unboholfeuheit, die dem
Stoff noch nicht das rechte leben einzuhauchen vermag. Auch wäre wol mehrfadi
unter verweis auf leicht zugängliche ältere daretoUungen zu kürzen gewesen, schon
um die widorholte büspiocbung der Schriften in den folgenden abschnitten zu ver-
meiden, während wir dort hier und da grössere ausführlichkeit wünschten, beson-
ders bei der „Abhandlung vom trauei-spielo", wo es sich empfohlen hätte, die ent-
Wicklung der anschauungen Nicolais auf grund des briefwechsels mit Lessing noA
Mendelssohn vorzuführen. Im übrigea ist gerade die behaudlung der ., Bibliothek:
der schönen Wissenschaften" sehr gut gelungen, indem ihre rolle in der gleichzeitiger!
Journalistik, ihre bedcutung, sowie anteil und einfluss der einzelnen mitarbciter klar
nachgewiesen wird. Bei den „litteraturbriefen'' durfte sich der Verfasser kürzer
fassen, da alle hier in botracht kommenden punkte häufig und gründlich genug erör-
tert sind.
Weniger kann das befriedigen, was Altenkriiger über die wichtigste schrift
Nicolais aus dorn behandelten Zeitraum, die „Briefe über den itzigon zustand der
schönen Wissenschaften in Deutschland*^, sagt Die grundlagen sind nicht breit genug
gelegt, die einzelnen, an siiih richtigen und wertvollen bemerkungen schlies.sen sich
nicht fest genug zusammen und zumal war das Verhältnis von Nicolais kritik zu dor
Ijcssings ausführlicher zu erörtern, seine abhängigkeit von dem grossen voipinger
genauer zu untersuchen.
Zum glück tritt hier Ellingers einleitimg ergänzend ein, die nach allen Sei-
ten hin genügend orientiert. Auch da, wo Altenkrüger nicht schai*f genug das
jugendlich übertriebene in Nicolais polemik gegen Gottsched hervorhebt, insbesondere
bei der Batteuxübereetzung, berichtigt das ruhigere urteil des herausgebers der hriefc
seine etwas zu günstige ansieht.
Die beiden besprochenen Schriften füllen in trefflicher weise eine lücke in
unsrer littorarhistorischen kenntnis aus, indem sie uns den tätigen genossen Ijessiogs
in seiner Berliner und der zweiton Leipziger zeit als erfolgreich strebenden und in
die allgemeine litteraturbewegung dor fünfziger jähre des vorigen Jahrhunderts ein-
greifenden vorführen. Beide vordienon die aufinerksamkeit und den beifall derer, die
sich mit dieser [)eriode eingehender beschäftigen.
LEIPZIO. OEORO WITKOWSKI.
BBUHN, ÜBER KNAÜTH, OOETHRS SPRACHE UND STIL 409
Goethos Sprache und stil im alter. Von Paul Knaath. Dissertation,
aipzig 1894. In comm. bei G. Fock, Leipzig. 46 s. 4. 1,50 m.
Wer spräche und stil eines dicliters untersucht, der will dadurch entweder
rkentnnis der spräche oder die dos dichters fördern: er will entweder zoigen, wie
pracho, in welcher der dichter schrieb, zu einer bestimmten zeit, innerhalb
bestimniton kulturkreises sich darstellte, oder er will in der eigentümlichen aus-
ng, welche der dichter der spräche seines Volkes gab, des dichters oigenart und
?gang nachweisen. Knauths streben ist mehr auf das zweite ziel gerichtet, und
er zum gegenstände solcher Untersuchung sich Goethe wählte und sich hier
• die letzte poriode des dichters abgrenzte, so hat er sich damit ohne zweifei
rnchtbares thema erlesen. Denn wo gäbe es einen so charakteristischen stil wie
ies greisen Goethe? und wo fände sich anderseits für solche forschung ein so
haltigos jnaterial, wo eine solche fülle von Zeugnissen über dos dichters inneres
iiussorcs leben? Knauth hat für die erscheinung, welche ihn zu seiner abgren-
dos thomas berechtigt, für das auftreten eines neuen und charakteristischen
eben bei dorn greise, überhaupt keine analogie gefunden: eine gibt es doch,
ich die mit Platon, auf die Ulrich von Wilamowitz-MooUendorflP (Aus Kydathen*
hingewiesen hat, iudom er feinsinnig parallelisierend die aufgäbe stellt, „die
cklung des stils bei den beiden grössten Stilisten von Werther — Phaidros bis
;n waFulorjahren — gcsetzen" darzulegen.
Knauth ist au die lösung dieser aufgäbe wol gerüstet herangetreten. Nicht
äussorlicho belosenheit nur in der Goetheschen poesie ist gross; er hat sich in
ichtungon der spätzeit wirklich hineingedacht und hineinempfunden ; erlegt, wenn
ro spräche erklärt, nicht bloss richtscheit und winkelmass der grammatik an,
ru folgt der sichern leitung eines feinen Sprachgefühles — wie er denn auch
L* nicht das farblose Papierdeutsch der dissertationen, sondern einen wirklichen
JC'hroibt. Und er hat auf seine untersuch mjg rastlosen fleiss verwandt: immer
loueni gesammelt und gesichtet, mühevolle statistische forschungen angestellt,
1 resultat er dann in wenigen zeilen zusammenfasst, abweichende lesarten sorg-
berücksichtigt, wo der dichter übersetzt, die originale eingesehen, endlich die
nie litteratur, soweit ich es kontrolieren kann, vollständig herangezogen.
So ist ihm denn auch vieles gelungen. Die poesie Goethes in dieser epoche
ja dem ausloger so manches schwer zu lösende rätsei: wenn artikel, konjunk-
verhum fehlen, ist ja oft genug diese oder jene beziehung der werte auf einan-
lach den allgemeinen gesetzen der spräche in gleichem masse zulässig (oder
ässig); sichere aufklärung kann für den einzelnen fall nur geben, wer die ganze
? dieser periode nach solchen gesichtspunkten durchforscht hat. Ich will hier-
esonders auf Knauths auseinandersetzung über jene eigentümliche zusammen-
mg von adjektiv und adverb verweisen, die er passend „Übergang zur komposi-
uennt (s. 33 fgg.); der Verfasser hat hier nicht allein die verschiedenen bedeu-
nuan<.'en, welche aus dieser redeweise sich ergeben, mit gros.*ter feinheit geschie-
sondern auch eine anzalil von stellen, an denen diese Spracherscheinung bisher
i aufgefasst wurde, einleuchtend erklärt. Noch einen zweiten punkt mochte ich
5U, wo die fähigkeit des Verfassers, dieser poesie nachzufühlen, sich besondere
bekundet: jenes „hinwerfen der begriffe**, wie er sich in dem gesang der engel
1) Philologische untersuch, von Kiessling und v. Wilamowitz-MoellendorfP
l (Berlin 1878).
410 BEUHN
Faust 11731 — 34 zeigt: ^Worte, die wahren, Äther im klaren, Ewigen schatm
Überali tag.^ Hier hat Knauth wirklich, indem er die sprachliche erscheinnog toi
ihre psychologischen gründe zurückführt, das höchste ziel des Interpreten erreicht -
und wie vertraut ihm diese rodeweise des Schriftstellers, den er erforscht, geworden
ist, beweist er s. 45, indem er sich selbst jenes hinwerfen der begriffe zum zwecke
der Charakteristik gestattet
Und dennoch kann ich nicht finden, dass der Verfasser den forderungeo.
welche die aufgäbe an ihn stellte, wirklich voll genügt hätte. An der stelle, wo er
seine orgobnisse zusammenzufassen sucht (s. 45), nennt er unter den wichtigsten
charaktorzügon des Goethischen altersstiles „zuerst und vor allem die epigrammati-
sehe kürze des ausdnicks*^ ; in der anmerkung wideiholt er: „Ich halte vielmehr die
kompression des stiles unbedingt für das charakteristische.^ Nun erinnere man sich
einmal an stellen wie etwa "Wanderjalire I, 8 (Hempel 18, 101): „Auch hier kam
die froundschaft dos oberamtinanns zu statten; dio entfemung ihrer Wohnorte ver-
schwand vor der noigung, der last, sich zu bewegen, sich zu zerstreuen.
Hier nun fand der verwaiste gelehrte in einem gleichfalls muttorlosen familienkreise
zwei schöne, verechicdenartig liebenswürdige töchter; wo denn beide väter sich immer
mehr bestärkten in dem gedanken, in der aussieht, ihre häuser dereinst aufs
erfreulichste verbunden zu sehen**; oder ebenda s. 171 Bei dem gleichnisse, bei
der parabel ist das umgekehrte: hier ist der sinn, dio einsieht, der begriff
das hohe, das ausserordentliche, das unerreichbare. Wenn dieser sich in
einem gemeinen, gewöhnlichen, fasslichen bilde verkörpert, so dass er nun
als lebendig, gegenwärtig, wirklich hervortritt, dass wir ihn uns zueignen,
ergreifen, festhalten, mit ihm wie mit unseres gleichen umgehen können, das
ist denn auch eine zweite art von wunder. ** Ich denke, man wird mit lK?zug auf
solche stellen Lehmann reclit geben, wenn er (Goethes spräche und ihr geist s. 23)
von Goethes ^.redseligem greiscnstil^ spricht. Hier zeigt sich ein befrcmdlichcr man-
gel von Knauth's arbeit: dass (m* die prosa uel>en der poesio gar nicht zu ihnrm
rechte kommen liisst. Er hat djuiurch den wert seiner orgebnis.se wesentlich geschmä-
lert; denn wenn die letzte aufgäbe solcher untorsuthung dio zurückführung der
stilistischen eigentümlichkoit des Schriftstellers auf innere und äussere gründe ist,
so müssen doch die Wirkungen dieser Ursachen da am ungetrübtesten hervortret»'n,
wo der redende von den fesseln des nietrunis und des reimes frei i.st. Wäre Knauth
von d«'r prosa ausgogaiigou. so würde im* ohne zwoifel die brachylogie der jioesie als
ein niclit ursprüngliches, sondern abgcleittjtes merkmal dieses stiles erkannt habon.
Und sodann: zum stil «gehört doch nicht nur Wortbildung, -beugung, -fügung,
sondcm au(^h dio auswabl, die der schriftsteiler unter dem wertschätze der spräche
trifft, ist für ihn im höchsten masso charakteristiscii. Jeder fühlt ja lK»i der loktüre
der späteren prosaschrifton, wio gemässigt hier überall die teniperatur des enipfio-
dens ist: wie leicht liesse sich dies gefülil zu klarem ])e\vusstsein erliel»en, wenn
man et^va die ausdrücke dos lobes und tadeis, die Goetbe hier gebraucht, zu-
sammonsti'Ute! lirh gebt» einige beispiele, bei denen ufis jene Zurückhaltung im aus-
dru(;k bt.»sondei-s b«'frenidet. Rln'inreisc 1H14 und 15 (Hempel 26, 229): Mittag war
schon vorbei und do(.*h ein wagen augenbli<:klich bi'stt»llt, um den weg ins an^'e-
n eh nie Rheingau zu sn<hen; recousion aus dem jähre 1818 (H. 29, 622): Der nam^
Maria, durch webhon die ältere kiiche jede . . lehre höchst anmutig zu machen
weiss; aufsatz von 1817 (II. 34, 8S): Werden sie (plagiate) aber, wie es auch wol
geschieht, von tab'ntvoUen persunon ausgeübt, so erregt es in uns auch bei fremden
411
llegeolieiteo ein inisebehagen, weil durch scbloolite mittel ehre gesucht worden,
iten zum Divan (H. 4, 287): So höchst orfrenlich sie (unsere Nibelungen) sind,
la man sich in ihren kreiH reaht ebhilrgert . . ., so wunderlich erscheinen sie, wenn
I «e BItch einem massstabe niisst, den nuui nieinals bei ihneo anschlagen sollte;
hsion von 1822 (H. 29, 590): Ae^t und bangigkeit steigerten sich jedoch, als ein
in nach dem tode bei einem unatetigee leben auf erden immer wünschonswer-
erschien; reoension ron 1831 (H. 29, 730): Desto erwünschter (ist) ein fun-
meoscbljclilieit, der wie ein stero die düsteren gewelbe weun auch nur schwach
. «Awauliend erleuchtet; Rhoinreiae 1814 und 1815 (Ti. 26, 230): Eine kapeUen-
16, die auf grüner matte ihre mit epheu begriieten mauern wundersam reinlich,
kIi und angenehm erhebt; reoension des nP&agstniontag" (H. 26, 479): Klärls
ler über befüruhtoten verlast eines einzig geschätzten mannes. "Wenn man
vorkommen von wärteni wie angenehm, anmutig, behaglich, erfreulich,
löosoht. heiter, löblich, reinlich, schfitzbar. achlitKenswert, tüchtig
ie son adjektiven und participien mit vorgesetztem wol- hier und in dun schrif-
der Fruikfurtev zeit statietigch feHtstellte, wie klar wüi'de sich die pei'sönlichkeit
n und dieses Goethe darin abspiegeln!
Knnuth hat seinen stoS nach grammatisch-stilistischen gosiuhtspuukton grup'
t Mich dünkt, schon dii.-s bowoist, diiss er den gründen der Erscheinungen, die
iATStollt, [licht genügend nachgegangen ist Dean der gewinu für das verstüiuduis
liersönlicbkeit des dichtere, den doch eine solche Untersuchung abwerfen müsste,
le erst dann in voller klarheit hervortreten, wenn die gesanimettou oinxelhoiten
würden nach den inneren und äusseren Ursachen, denen sie entspringen,
will auch hier nur auf einen punkt hinweisen. Seit der Übersiedelung nach Wei-
hst Goethe ja fast alle seine werke diktiert Diese gewohnheit kann doch
^t wul ohne einfliiss auf seinen stil geblieben sein. Wer diktiert, der hat —
eine neigung, den schreibenden lediglich als mechanisches Werkzeug zu
■ntUea und ihm keinen einblick in die gdstige eotstehung der betreffenden Produktion
tgeatatten. Sobald aber im diktieren eine pause eintritt, bat der diktierende das uabe-
" dass jemand auf deu Vollzug seiner geistigen lätigkeit wartet, ihn
l>eubachtet. Deshalb hat er das bestreben, solche paueon niögliobst
en einti'etüu zu lassen. Und nun ergeht es ihm ebenso wie dem prediger und
) docenten: um die zeit zu gewinnen, in der er durch moditaüon ein neues monient
f^dankenganges Gnden kann, reibt er, was für jeden nur einigermassen spracb-
1 ^wandten menschen leicht ist, an einen anedruck niehrere andere un, die den-
twgriff enthalten, nur in einer etwas anderen bedeutungsschattierung. — So
einerseits der diktierende weitschweißg; in anderer bcEieliung dagegen wird er
tht mehr kürzen. Wenn wir uns fragen, was durch manche der von Lehmann
Enaath gesammelten spracbeigentümlicbkeiten faktisch bewirkt ist {so durch die
idoDg des partidps, die fainzufü^ng des adverbs zum adjektiv, die eltipse der
), so ergibt sich, dßss es vor allem Partikeln, prononüna und ,dio lei-
auxiliaten* siud, die Ooetlie dadurch gespart bat. Gerade diese wörtohen aber
einen euphonischen bau des »atzos iingemein, da sie einerseits in der
aehr kurz und deshalb fast nur, wo sie sich au grössere Wörter anlehnen, für
bufitelluug rhythmischer gehilde verwendbar sind, andetseils keinen selbstitadigen
ihalt hallen und deshalb fast immer beim vertrag tonlos bleihea müssen.
uaotiteilu, welche mit der auwendung solcher Wörter verbunden sind, empHn-
dn diktierande lebhaft, weil er jeden satz vor dem niederschreiben laut aus-
412 BBÜHH
Spricht; er kommt aber auch lobliter zur auslassuag; denn indem ot jeden satalnt
und mit richtiger Betonung vorträgt, inteiri^tjert er ihn zugleich, und die nib'
veratündnisse, in welche die kürze onchher den User verwickeln könnte, Mit-
gehen ihm.
Endlich aber bat Eoauth seine ganze untcrsuchong in den dienst einer tHodsni
gestellt, die wol nicht mix allein die fronde an seinen erörterungcn trübL Ton dn
misbLUigenden urteilen Tischers, Heines, Börnes, Gatzkows und anderer über d«ii
Stil des Goothischen alters geht er ans und sagt s. 2 ansdrücklich , äaes es oin
xwDck seiner Untersuchung sei, „die erhobenen vorwürfe zu prüfen". Prüfen aba
heisst in Knautbs sinne widerlegen. Ich will duroh einige beispiele die metbodo,
nach der er die fraglichen epracheigentümlicbkeiten zu rechtfertigen sucht, kenn-
zeichnen. Um den überkuhnen gebmnch des datiVs zu erklären (^drSngt angesäunl
TOD diesen mauern jetzt Monel BS dem moer luriick", , führe die schonen an künst-
lichem reihe") sogt er (G.3T]: ,Auch hier haben wir eine rückkehr zu dem bnuich
alterer sprac b stufen , nur doss wir hier noch über das mhd. enrüakgi-eifeD mü«»-
ten (!)... Eine nachabmung der alten sprachen . . , liegt zwar gewiss in vielai
fällen vor . . . aber nicht minder oft war es lediglich das sichre spraohgetühl fnt du
Wesen des äa,tif» (!), das bei oller ahweiohung voin UHnnllen doch zu riobtigor anww
düng dieses casus führte". Über die stelle im Elfcochor dos Faust „Tbaler grüaeti,
hügol aeliwellen, buschen siiih Kur schattenrufa " sagte Yiscber, Uoetlie's Fml,
Nene heitriige (Stuttgart 1875) s. 117 mit nnwiderleglicher logik: Darf man Hat,
dann darf man auch sogen: „die Qfiche grast sich, der borg bäumt aicb, der tisck
tucht sich, das ttschtuch löffelt sich". Knauth erklärt die werte gewisu nofaüf
„Sie bilden büsohe aus sich hervor"; aber wenn er nun nachweist, doas sieb M
.unserer einbildungskraft ein durchaus bequemes, nahe liegendes bild biotef, n
kann er doch eigentlich selber kaum glauben, damit Tischers kritik wideri«^ n
haben: er tiifft ja gar nicht den puukt, an dem Tiscber anstoss nimmt. Noch w
letztes beispiet: ich habe vorher die reinfühligkeit gerühmt, mit der Knautb jetM
„hinwerfen der begriffe" bei Goethe aufgefasst hätte. Aber wenn wir diese redowe«
beurteilen wollen, so müssen wir doch zimüohst fragen, welchen effekt sie til-
sHchlich hervorbringt, Vnd das zeigt sich am khirsten, wenn wir den redner beohadi-
ten, der sie mit absiebt und hewusstsein als kuustiuittel anwendet Wir können di«
bei Cicero in seiner rede De provinoüs consularibus, wo er in der fieinttchini ]tp
ist, seinen börern die frage beantworten zu müssen, warum er jetEt mit e
für seinen politischen gegner Caesar eintrete. Das geht so leidlich, bis er auf dw
leit seiner Verbannung kommt, Terschweigen kann er nicht, was damals geeobdia
ist, klar aussprechen kann er es auch nicht, weil dann sem jetziges vurCabren gui
uubegreiflich sein würden so wirit er ilie begriffe hin. ohne üe cu sAtzcn ansn^
stalten: §43 ecce ilta ternjicstaH, caliga bonorum et subita atque iin|iravisa fomUti
tünehrae rei publlcae, ruina atijue incendium civitatis, terrur inieclus Caesari da dv
actis, uictus caedis iKmis emnibus, consulum scelus, cupldilus, audacia. Also dk
Wirkung dieser ausd ruck s weise ist eine Verschleierung des gedankens, die ans ds>
Inhalt des gesptucbenen nur undeutlich, in verschwommenen umrissen erkemmu Unt
Es kann Tälle gelien, wo die über alles mensuhliche begreifen liinausgebeode onsr
des dargestellten Objekts biertu nötigt; aber davon abgesehen soll mir eine dsWtip
Unklarheit auch In der poesle niemand als eohönheit einreden, ~- BegrcilUcli itl itl
Standpunkt ja gewiss, den Knanth und viele hentzutago mit ihm (donebmeii. litr
und mehr wächst die erkenntniss, dass für den denker (joethe die ^kIw d»
greisen alters in der tat die „^'P^^e seinar voUeDduDg", dass das inasK dea veratäud-
für die oft so dnoklen worte des meigters auch für den leser dos mass seiner
9t; da ist es wol begreiflich, wenn man an dein bilde des hochTer-
ehrten nos gai- kein fleokchen and st^ulichen sehen will, wenn man sich einredet., es
sei deni gewaltigen erlanbt geweeeo, „dem gesetzlichen leibe der spräche die linouhen
in etwas zu brechen, die gelenke etwas aoszuweiten". Begreiflicli, aber niobt rccbt.
^Was fruchtbar ist. allein ist schün — so werden wir das -riel citierte wort Goethes
am sinoo umwandeln dürfen; und diese Üoethischen sßracheigonheiton sind
fruchtbar gewesen: oder wüsste unsere heutige poesie etwa von den „sich
heerdenden Schafen', dar „bräunenden horde", einem „soeisch heitren feste"?
In solcher weise, meine ich, müsi^to Roaath das gebiet seiner untersnohung
,1U]d den ^reis der zu untersuchenden erschein an gen erweitern, die autersuahung
selbst noch mehr in die tiefe führen, endlich ablecVender neben absiebten sich ent-
halten. Ent£ohlösse er sich aber dazu, so worden wir nach den proben, die er
gegeben hat, von ihm eine bcliandlung dos probien
stfindnJB des dichters weBeDtli'^h forderte und Tertiefte.
dem Ton ihm charakterisierten stile zu schlit
gemeinte t«denken aufnehmen!
'warten dürfen, die das v
Möchte er denn — um in
I solchem sinne freundlichst
KIKL. __^^_ BWALD BRDHl».
ncthes leben und werke. Mit besonderer rücksicht auf Goethes btdeutung für
die gegenwart Von Easen Wolff. Kiol und Leipzig, lipsiua und Tischer. ISg.").
380 s. 5 m.
leb habe miuh nach der lekture des vorliegenden buches it1)er Goethe ver-
geblich gefragt, welchem bedürfuis es abhelfen, wolchem leserkreise damit gedient
I sollte. Eine neue Oootbebiographie moss heute ihre existenxbereohtigung aub
kräftigste dokumentiten , sei es durch Originalität der gesichtsp unkte der behandlaog,
i es durch volikominenheit der darslellung und komposition. Wir haben gt<nug
Diliebe, mehr oder weniger unzulängliche) bücber übor Goethe, als dnxs wir nicht
eee komt>etenzfi-age mit aller entschieden heit aufwerfeo und mit strengster tritisuher
} lösen sollten, „fier besondere zuaatz des titels", wird man mir entgegenhoJ-
Rn, «zeugt ja aber für das Vorhandensein eines ongiuelleu ge^chtspunktes in Wolfb
UrStellung Goethes." Wie verhält es si(^h damit? Im verlaufe des textea hebt Wolfl
Hl den versobiodeneton stellen mit emphase hervor, dass unsere heutige gegenwart
I besseres und vernünftigeres tun könne als üoethos weisheitsgedanken in tat
unzusetzen und sich von seinen ideea allseitig durchleuchten und befruchten XU lös-
ten; dabei begebt er dos unglaubliche, dass er s. 25b in Goethes vers „ich muss
inn an die enkel denken" das wort ^enkel" pressl, das natürlich nichts ab im all-
gemeinen „künftige gcnorationen" hezeii'hnen soll. Ausser diesen paränetisehen stel-
len, die zudem nicht frei von phrasenhnftigkGit sind, finden wir am Schlüsse des
iwerka ein eignes kapitel „Goethe in der nachnolt' (3.313— 3ö2|, einen kurzen abriss
' geschichte der beurtcilung Goethes bis auf unsere tage. Hier begegnet man
merkwürdigen urteilen, z. b. einer leidigen verkennung Visobers, des „tendenztäaen
profeesors" (s. 331), dessen geschiuhte von der cigarrensohaclitel gar nicht erwähnt
~ ; aber auch, was mich immer am meisten schmenit, einer jetzt bäuHg gehörten
taiobtachtuDg Schillers (s, 315 „der durchgebildete mann und die selbstttndig gereifte
ten aber leheu üi Goethe"; s, 329 ,der eines meutors wie Schiller bedarf);
414 LKITZMANN, ÜBER E. WOLFF, GOETIIB
Goethe selbst würde, wenn er heute lebte, dieser blinden verkennung SchiUeniD
heftigsten widersprechen. Die tendenz zur gegonwart hat dann weiter eine sehr eig»-
artige beurteilung der Goethischen dichtungen zur folge gehabt: Goethes alterspitK
duktionen sind mit unverkennbarer Vorliebe behandelt, wogegen die dichtnogen d»
Jünglings- und manncsjahro verhältnissmässig schlecht wogkommen (an den Leipziger
liedem wird s. 30 der mangel an „dramatischer entwicklung^ getadelt, der htnnk««
„Wunsch eines jungen mädchens" „frühreif blasiert" genannt; die Laune des ver-
liebten hcisst s. 31 „von einem kindlichen horizont ausblickend, im konventionelieD
Stil"; beim echten schluss der Stella wird s. 87 „innere cmpörung" konstatiert; ähn-
lich noch s. 144). So sind denn natürlich die Wanderjahre und der zweite Fftost
die kröne der Goethischen poosie. Alle diese tendenziösen gedanken sind jedoch kei-
neswegs notwendige ingredicnzien der Wolffschen darstoUung; dieselbe ist von iliDen
in keiner weise etwa durchdrungen; ich muss daher die oben gestellte frage nach
dem borechtigungsnachweis des Wolffschen buches ablehnend entscheiden.
Wolffs art Goethes leben zu erzählen ist ohne anschaulichkoit und fnschv.
ferner ohne jede innerliche Versenkung; ich weiss keine andere bezeichnung als gerip-
pehaft; statt eines farbenreichen gemäldes erhalten wir nichts als eine rohe bieistift-
skizze. Dazu kommt eine verhängnisvolle neigung zum anekdotenhaften, ja zum
klatsch: man sehe s. 2. 15 (der barbier in Goethes väterlichem hause bei der mes-
siasrecitation). 32. 44 (Lerse bei Goethes disputation). 47 (Luise von Ziogler). 61.
G7. 75. 126. 174. 227 (Bettina und Christiane). 232. 244 (Epimenides im Berlioer
volkswitz); wozu das alles? — Noch schlimmer sind direkte geschmacklosigkeitpn.
deren hauptsächlichste aufzuzählen ich mir nicht versagen kann: „gemüt hat Gwthe
von der nmtter geerbt, aber rückgrat vom vater" (s. 4); „das pärchen verstündigte
sich wälirend der tafel aufs tretllichste durch die eigentümlichste aller zärüichkeiteo.
indem die geliebte die füsse des Verehrers als schemel benutzte und so ph^'sischi^
schmerz mit seelischer wonne gleichzeitig in ihm zu erregen wusste" (s. 26); „die
erste grössere anpflanzung im Ziergarten von Goethes licipzigcr i)oeRie'' (s. 31); ^.den-
noch hatte Wolfgang unter dem unwirschen wesen des vaters schwer zu ächzen'
(s. 33); Bettina, durch ihre abstammung, so zu sagen, „für den Goethekultus präde-
stiniert* (s. 226); „der donner der kanonen mochte wol den, dessen ohr nur dem
melodischen gesaug der musen zu lauschen gewohnt war, ins innere seines haa:>e!i
verseht 'uchen** (s. 240); „der 64jährige behen-scher des Parnass* (s. 241); „ein poe-
tisches, von den schlacken des tages freies kostüni* (s. 245); „wie hoch sich des
dichters liebe über gefühle irdischen genusses erhebt, gegenüber Ulrike wie «len mei-
sten frauen, die in seiner poesio fortleben** (s. 253), „Lottes erscheinung machte nuch
immer eindruck, nur wackelte sie leider schon mit dem köpfe* (s. 266); *dio idee
der entwicklung hat sie eben beide angehaucht* (s. 323). Ich brauche nichts hinzu-
zufügen.
Noch einige einzelbemorkungcn seien gestattet. Nach s. 36 (vgl. auch s. 56)
soll an Goethes noigung zu Friederike die .^poetische imagination* sehr grossen auteil
gehabt haben. Ich gestehe eine soh^he behauptung gerade für (Joethe nicht zu
begreifen. — Die Shakespoarerode von 1771 soll nach s. 49 die „erste öffentliche
manifestation* der geniepcriode gewes^en sein; sie erschien zuerst 1854 im druck. —
S. 152 teilt Wolff die allgemein verbreitete falsche ansieht, dass Tasso am ende von
Goethes stück an Antonios seite einem tätigen lel)en entgegengehe. Für jeden vomr-
teilsfD*ien betrachter des Stückes k<inn es keinem zweifei unterliegen, dass Tasso
nem geistigen min nahe ist und im Wahnsinn endet, der schon im letzten akta
LKITZMANN, ÜBER MEYER, OORTUB 415
MngnissvoU durchbricht ^ Maa hat das stück immer unter der zwaugsparallolo mit
dem ergebnis von Goethes italienischer reise für seine peraönliche entwicklung betrach-
tet; aber wie hätte Goethe einen solchen Tasso einen gesteigerten Werther nennen
tonnen? So wenig "Werthers Schicksal das Goethes war, so wonig war es Tassos.
£s würde nicht schwor fallen diese auschauung vom ausgang des Tasso eingehend
za beweisen. — S. 218. Es ist nicht wahr, dass den personen in der Natürlichen toch-
ter durch die bezeichnmigen könig, herzog, kammorfrau usw. etwas an bostinimthcit
verloren gegangen ist. Sind Hermanns eltem in Hermann und Dorothea nicht ganz
scharf umrissene Charakterbilder, der prediger und der apothekor nicht realistisch bis
ins einzelne individualisiert? Auch sie haben keine rufnamen vom dichter erhalten. —
S. 235. Was hat Ibsens Nora mit den Wahlverwandtschaften zu tun? — S. 266. Das
urteil über die dichtungen dos königs Ludwig von Baiern ist zu günstig. — S. 358.
Wie kommt Jacob Grimms grammatik und besonders Richard Wagner in eine Zeit-
tafel zu Goethes leben?
Verbesserungen: s. 16 lies: Racines Britanniens, s. 31 und 354: 1770,
8. 42: ein mann in den Vierzigern, s. 70: 1774, s. 113 oben: himmelbrod, s. 266
z. 3 : 1827.
1) Die ältere ansieht vertritt von neuem wider Düntzer (Zeitschrift 28, 57.
66 — ^71) und — wie mir scheint — mit sehr guten gründen, o. e.
WEIMAR, 5. MÄRZ 1895. ALBERT LEITZMANK.
^oethe. Von Riehard M, Meyer. Preisgekrönte arbeit. Berlin, Hofmann. 1895.
XXXI und 628 s. (Geisteshelden 13. — 15. band.) 7,20 m.
Einer unserer vielseitigsten und universell gebildetsten jüngeren germanisten
"^t uns mit einer biographie Goetlies beschenkt, die nach Inhalt und form vor-
^^glich ist und zu den besten leistungon moderner biographik gehört. Fast alle
^Sprüche, die man an eine derartige arbeit gerechterweise stellen muss, finden
^ir hier erfüllt: tiefe durchdringung des Stoffes, breite und intime kenntnis der
einschlägigen litteratur, klarheit der disposition und ideenführung, Selbständigkeit
^d Unbefangenheit des urteils über menschen und werke, gewandtheit der dik-
• tion, endlich was von allem am woltuendsten ist, abwesenheit jeder hohlen geist-
reichen phrase. Das buch wird neben Hermann Grimms Vorlesungen über Goethe
in der litteratur über unsern grössten dichter mit in erster reihe zu stehen haben.
Je gesättigter imd tiefer aber der eindrack dankbarer erbauung ist, mit dem ich von
dem buche geschieden bin, um so mehr erachte ich es als meine reccnsentenpllicht,
was daran auszustellen ist bis ins einzelne und kleine hinein darzulegen, weil an
einem solchen buche auch der geringste flecken stöit. Möchte der Verfasser im fol-
genden manches für eine zu hoffende zweite aufläge vei*wertbare finden! Über auf-
fassuDgen und subjektive oindi*ücke will und mag ich nicht mit ihm rechten: nur
dass er dem unvergleichlichen Werther nicht gerecht wird, dem er gerade das
abspricht, was ihn gross macht: die naturwahrheit der entwicklung, dass er dagegen
dem zweiten Faust zu viel lobsprüche spendet, sei hervorgehoben. Unpassend
sdieint es mir, bei Goethe von einem in aktion treten der naturwissenschaftlichen
Torstellung der Vererbung zu sprechen (vgl. s. 121. 145. 175. 192) und darin einen
modemeii sog zn sehen: in diesem sinne, wie sie von Goethe hier gebraucht wird,
416 LEITZMANN, ÜBER BfSTEB, GOETHE
ist dio Yoi'stellaiig der vercrbuDg uralt und vor allem darum unmodem, weil sie
ohne jeden doktiinären pathologischen beigeschmaok auftritt.
Zunächst ein paar benierkungen zum texte. Die bohauptung s. 24, dass die
^höllenfahrt Chnsti** 17G2 entworfen und erst 1765 überarbeitet sei, hat keine gewähr;
vgl. Goethes gospräche 7, 269. — S. 35. Goothe las Shakespeare in Leipzig sicher
nur in einer auswahl, nämlich in Dodds, des von Forster geschilderten betni£:e-
rischcn und sittenlosen Londoner hofpredigers, BeatUies of Shakespeare; die in
den bricfen 1 , 47. 48 citierteu stallen aus ,,Wio es euch gcrällt" stehen k'i DoJd
hinter einander auf der oi*sten seito. — Nach s. C4 soll Goethe aus furcht vor dorn
Selbstmord aus Wetzlar geflohen sein: hier scheint mir Meyer doch die psycholo-
gische entwicklung jener dinge nicht zu durchschauen. — Die verse , schaff dis
tagwerk meiner bände** worden s. 110 in die zeit des Clavigo gesetzt.
Von den folgenden Verstössen leichterer art können und werden sicher manche
auf druckfehlern beruhen (so erscheint in Jahreszahlen eine 9 statt einer 4 und da-
durch die grösste Verwirrung s. 98. 100. 115 zweimal. 150. 252. 359. 430); jeden-
falls dürfte ein solches buch dann nicht so sträflich nachlässig korrigiert sein, deim
es kostet mühe derartige dinge zu übersehen. Nach s. 1 war Goethe 1823 in ila-
rieubad vicrundsechzigjälirig. S. 30 wird der Dresdener ausflug des Leipziger Stu-
denten in den herbst 1767 statt in den märz 1768 verlegt. Nach s. 65 ist Goethe
am 21. September 1772 aus Wetzlar geflohen und hat tags darauf Kestners besuch
empfangen; in Wirklichkeit lagen zehn tage dazwischen. Der Götz erschien 1773.
nicht 1772 (s. 70). S. 120 niuss Cäcilic in der späteren bearbeitung der Stella ster-
ben! Goethes einführung ins geheime conscil fand 1776, nicht 1777 statt (s. IcJ^I,
derselbe fehler s. X). Cornelia starb 1777, nicht 1778 (s. 138, ebenso falsch s. XIi
Dio erste fassung von Claudine soll nach s. 154 in Italien spielen. Bei gelegenh^H
von Goethes aufcnthalt in Pempelfort 1792 wird s. 226 erwähnt, Jacobis „ priM-htig«*
frau** habe in der dortigen geselligkeit ein haupteloment gebildet; sie war seit aihi
jähren tot! S. 252 ist dio erste Harzreise ein jähr zu früh angesetzt Wilhehn Mei-
ster ei*schien 1796, uiiiht 1797 (s. 253). S. 307 wird der geologe Werner zum pro-
fessor in Göttingon, s. 313 der historiker Sartorius zum geologen gemacht! Dername
des Ka.sseler architoktcn, der zu den Wahlverwandtschaften modell sass, war EnjTcl-
hard, nicht Eberhard (s. 391). S. 428 wird aus Johann Baptist Bertram ein dritter
bruder Boissereo! Biumonbachs abhandlung über den bildungstrieb erschien nicht
1789, sondern schon 1781 (s. 558; von mir schon im Kuphorion 1, 490 verlwssi-rt). -
Warum schreibt Moy«T konsiMjuent «laÄobi und riunderswei/^w?
Ein hilssli( her flocken auf dem buche sind endlich falsche citate, selbst hn
ganz bekannten dichterstellen. Ich führe eine reihe von proben an, das richtig« io
parentht'son : „der schäfor schmückte (putzte) sich zum tanz** (s. 37); „selber tJl
auch zu sein, so wie die zeit es gebot (selbst auch thüricht zu sein, wie es die wit
mir gebot)** (s. 61); „das herz des Volkes ist . . . keiner edeln bewegung (begierde)
mehr fällig'^ (s. 73); «nicht jeden Wochentag (wochenschluss) macht gott die ret-he"
(s. 95); „füllest wioder berg (busoh) und tal* (s. 138. 144!); „der Jüngling .. . ervetit
unstillbare (unendliche) sehnsuchf (s. 193); „jüugliug, merke dir in (bei) zeib*o"
(s. 196); ^rettet euer bild in meinem busen (meiner seele)" (s. 206); ^ein werdender
wird (immer) dankbar sein** (s. 235); «die sonne könnt' es nicht (nie) erblicken" (s. 25A
517); „ach aus dieses tales gründen, die der ewige (kalte) nebel drückt" (s. 292!);
„mein lied (leid) ertönt der unbekannten menge** (s. 293!); ,|dein licht, wer kiu
(will) es rauben"* (s. 304); „marmorschön (marmorglatt) und marmorkalt^ (8.326.200^
K!)\ „hüchates glück dur monschHukindur (erde ukiu der) sei nur die pei-
i. 43G. 530!)i ,und nach dem takte reget und nach dorn takt (moss)
«eget sidi alles an mir fort' (s. 457 !)-, ,grau, lieber (tenrer) freuod; ist all« tbeo-
i" (s- S67I); ,bist da aus orde (ans ende) gekommen" (b. 595!); ^über allen wipMa
lipfeln) ist nih" (s. II2G:). Das heiast dooh wahrhaftig goldene dlchterwoile nie
AeidemÜDEe behandeln.
WEtUAK, i. KAI I89G. ALBERT LEItZUAKH.
kcharias Werner. Mystik und romantik in den „Sühnen das tals".
Von Felix Popiwuberg. Berlin, C. Vogt. 1893. 80 b. 1,80 in.
Wenn man von Zacbarias Werner spricht, so denkt man aiinfichst an den
VieniDdxwanzigsteD Februar ", jenes stück, das die reihe der sogenannten sohluk-
1 Deutschland eröffnete nnd dem nanien Werners cbe traurige berühmt-
eit veischafite. Alle seine übrigen dramen sind wenig bekannt, vor allem auch
b eistea: Die söhne des tals, das 1803 und 1804 erschienen ist; die meisten leser,
t jene werke in die band nahmen, werden eben von dem ^raysteriÖseD unBino'
Boh Scherers aosdruok) ahgeatosscn. Manche werke Werners werden erst verstand-
äi and interessieren erst, wenn man sie unter dem gesichtsp unkte betrachtet, den
hon Mad, de Stael angibt, dasa sie nämlich our mittel zur Verkündigung seines
■ystisohen Systems waren.
Die oben genannte Schrift Poppenbergs, die ans Jenes oratlingsdrama Werners
9 den niederscblag seines mystischen Systems erklären will, ist deshalb eine dan-
OBwerte und verdienstvolle arbeit tu nennen. Wir haben in ihr, abgesehen von
m letzten 16 selten, die den litterarischen wert dieses dramatischen gedichts —
Ibild nur so kann es benannt werden — und sein schiokeal auf der bühno nnd in der
titifc behandeln, im wesentlichen eine psychologisobe Studie vor uns, welche die
lOraassetxungen dei' niystik Werners, die anklänge derselben in der dichtung des
17., IS. und 19. johrhunderta und vor allem die ansgestaltimg derselben in den .Söb-
1 des tals* zom Vorwurf hat.
Kurz orientiert uns der votfasser dariiber, wie aus der mehr und mehr eistar-
kenden Opposition gegen den ratioualismus die romantik entstund, deren wurzeln aich
über den Gottinger dichterkreis hinaus hb auT Hamann, Herder und Lavater znrfick-
Terfolgen lassen. Die romantik wollte religion und maral trounen and kuast und
religion einander dienstbar machen; der dichter ward zum mystischen thoologen.
Diese religion der romantiker aber, dto ihre theologisobe ausbildung durch Schleior-
inacher erhält, ist ablifingigkeitsgefühl vom Universum; das letzte ziel und das
höchste glück dos menschen ist ihr das zurückfliessen in das all.
Ein priester oder „mittler" dieser neuen knnstreligion wollte Zaoharias Wor-
in seinen „Söhnen des tals' werden. Penn dem aas niedrigster sinnenlnst und
religiöser exaltation zusammengesetzten .gespreckelten" Charakter Zach. Werners
r jene gefühlsreligioii der romantiker durchaus angemessen. Seine lebenaweisc
wurde dadurch nicht berührt und gestraft — Zur ausgestaltung seines Systems
virkte neben dem Stadium der romantiker und Rousseaas besonders mit der pei'sön-
liche verkehr mit Job. Jac, Mniech in Warschau, sodann der eintritt in die Ireimau-
rerlögp und der verkehr mit Christ. Mayr in Königsborg, von welchem sich besonders
1 den „Söhnen des tals" hervortretende gleiehgülfigkeit gegen das dogmatische
n
V
418 AHLGRIHM, ÜBER POPPSNBERG, ZACH. WERNER
bekonntnis herschreibt. Kurz zusammongofasst lautet das System Werners: Das
unendliche wird angeschaut durch die kunst, gewonnen aber durch die vollständige
aufgäbe des ich im tode, der also (der dahiugabe des ich im liebesgenuss eotspre-
chend) die höchste woUust ist. — Diese lehre wollte Werner der weit von der bühne
predigen. Er benutzte dazu die geschichto von dem untergange des tempelordeos.
Dem ganzen gab er den titel „Die söhne des tals". Der 1. teil: „Die templer auf
Cyporn* versetzt den Zuschauer in die letzten tage des ordens auf jener insel; der
2. teil: „Die kreuzesbrüder" in die beiden letzten lebenstage der häupter des ordens.
Aber nicht um ein streng geschichtliches drama war es dem dichter zu tun, vielmehr
benutzte er den stofif nur, um durch das ^tal*^, jene geheime gesellschaft, die sich
über den trümmem des von Philipp von Frankreich vernichteten tempelordens erhebt,
seine idee von der wahren religion zu verkünden. Der 1. teil, in dem sich in der
ersten ausgäbe von 1803 nur ganz dunkle andeutungen auf das tal fanden, wnrde
1807 geschickt umgearbeitet. In dieser ausgäbe weisen die beiden mystischen gestal-
ten der Astralis und des geistes Endo schon auf das „tal** hin, in des.sen dien.<
(wenn auch unbewusst) der grossmeister Molay, der grosscomthur Hugo und der
junge schotte Robert d'Hercdon stehen. Astralis und Eudo sollen schon als das
unsirjhtbar über dem orden waltende Schicksal erscheinen. Diese rolle übernimmt im
2. teile der erzbischof Wilhelm v. Paris: er leitet als Werkzeug des „tals* den pro-
cess gegen die templer so, dass die Vernichtung ihrer edlen häupter erfolgen muss,
um gereinigt im tale aufzuerstehen. Das tal aber verwirft die templer, weil sie -
wie die rationaliston — ihren mitgliedern einen freudeleeren pflichtbegriff gegeben
und die religion genommen haben. Denn die menge, die irrenden, bedürfen der
mythologie — deshalb duldet das tal alle religionen; erst in femer zukunfk ist viel-
leicht zu hoffen, dass alle die religion des tals haben können. Dieser höchste glaabe
dos tals hat zum mittolpuukt die aufgäbe der eigenen persönlichkeit, und die höchste
aufgäbe desselben (oder der Werner'schon religion) ist Vergöttlichung der menschheit
durch ert()tuug des eigenwillens. Die erste handlung der selbstentäusserung ist die
oj)ferung des eigenwillens im ^tal**, die letzte ist der tod, der das zerfliessen in
das all einleitet. Werner hat diese Weisheit des tals einmal in mystischem gewande
in der — von Poppen])erg treffend erklärten — Phosphoruslegende dargelegt, die im
.3. akte dem in das tal eintretenden Robert vorgelesen wird, \md vorher schon im
2. akte in der widerwärtigen ballade vom „ritter von Sidon**, die der troubadour dem
im kerker schmachtenden Molay zur tröstung vorliest. Deshalb ist der tod und auch
schon die krankheit innig zu lieben, und wir verstehen nun, wie alle geweihten tal-
mitglicder in foltcrwonnen und martyrien wollüstig schwelgen, dem tode wie der
braut entgegengehen oder schmerzlich verlangen, dass bald die röte der wangen in
Schnee und dieser dann in grün zerrinne. Denn „aus blut und dunkel quillt die
erlösung**; so könnte das motte des Stückes lauten.
Dass dieser erotische todes- und krankheitskultus sich auch sonst in der deut-
schen littcratur findet, weist Poppenberg zunächst durch heranzieh ung von Spce,
Scheffler und Jacob Bälde nach, von denen der letzte der Wemerscben idee am
nächsten kommt, wenn auch hier wie bei den Ilerrnhutem das widerwärtige dieser
bilder noch in etwas durch die beziehung auf den persönlichen heiland gemildert
wird. Damit ist schon angedeutet, dass das heilige abendmahl, das grössto myste-
rium der christlichen kircho, in dem sich , die gläubige seele mit dem üeiland in
leibhaftige Verbindung setzte, in vielen fällen frommen gemütem den anstoss za sol-
chen schwärmerischen voi-st^llungcn gegeben hat. — Noch von anderer voraussetnuf
SCHMEDKR, fSuYIl FAHINBLLl, OHtLLriRZKR UND LOFE DX TBJA 419
gcLmgto Novnlis zu einer (!or Wernersclien vüllig gleich kommondeu wollüstigoii
todesliübe: frnh hatto er die varlobte verloren; aeine vor^weifelts trauer aoUto erst
enden, wenn mit dem tedo die brautuanht begioneu würde; in ihrer sinnlichen
ausinaluni; Tnud er schon auf erden trost. Jn dem tiefen, selbstquälerischen Novalis
\rar der toi! aach doshalb willkommen, weil er Ton ihm orlosimg von idlen schmer-
sen erhoffen durfte, jenen schmerzen, die, aus dersünde entstehend, doch den men-
schen für die liebe Gottes erst rocht empfänglich jiiaehen. Poppenberg ist geneigt,
in anlehunng an E. Th. A, Hoffmann auch zur erkj&rung von Werners Charakter
jenes verhÄltnis von Sünde und erlösung heranzuziehen , so dass also Werner sich
koDseiiRent der sündenlust hingegeben habe, um dann um so überzeugungsti'oaer der
Veit die ertölung des floisches predigen zu können. Man darf aber nicht überaehen
— was Poppenberg auch an anderer stelle andeutet — , doss der gmndzug auch
der religion Werners sinnlich ist, und dass sie ihm nur ein neuer kitzel für die ana-
geiehrton nerven war. In jedem falle erscheint sein charnkter in gleich sohlimmoin
lichte. — Ein e.xkurs über apuren solcher tedesmystik bei Goethe und Rehbul
beschliesst den hauptteil der schrift.
Vielleicht ist es mir gelungen, die überreiche fülle des materials, dos Pop-
penberg zur tennzeichnung der todeserotik der romantik unter ausgedehnter benutzung
der einschlägigen litteratur beibringt, anzudeuten. Er beherrscht sein gebiet und
Weiss uns in demselben vortrefflich zu orientioron. An druckfehlem sind mir nur
s«hr wenige begegnet, darunter 8, 55 in den vetsen aus Novalis „opfer" statt
, opfern". — Nicht genügend acheint ra'-r nur hervorgehoben zu sein, dass der gO'
danke, der measch müsso seinen eigenwillen zum yeraüoftigen gesamtwillen oder
(religiös gesprochen) zum gotteswiilcn vollenden, und er könne dies erst völlig, wenn
clor tod das sinnliche vernichtet, ebenso ein glaubeossBtz des Christentums wie der
Kautischen moral ist. Dass die von Werner und den roraantikem gepredigte iiuietis-
tischo Opferung des cigennillens und ihre wollüstige todesliebe etwas anderes ist,
ist klar. Aber ich vermag dann in dem a. 61 citierten spruehe Ooethe's und in den
votscn AUS dem Wesljistlichen divao nichts specifisch mystisches mehr zu finden.
Dem werte der ganzen Schrift tut diese geringe aosatellnng wenig abbmch;
die Sühne des tales sind von Poppenberg nach ihrem wahren werte bestimmt: ein
als drnma wertloses werk, an dem nur die lebendige dramatische Sprache lob TOr-
int, das aber interessant ist als denkmal einer vielfach irregehenden myatik.
[
llllparzer und Lope de Vega. Von Artnm Farlnelli. Mit don bildnissen der
dichter. Berlin, Felber. 1894. SI nnd 333 s. 6,50 m.
Das buch macht schon dai'ch die wärme, mit der es geschrieben ist, einen
erfreulichen eindruct. Die einleitung berichtet ausführlich über die lange verkennung
Lopos in Deutschland und nimmt für Oriltparzer das verdienst in ansprueh, don
Deubrcheu das genio des spanischen dichtora offenhält zu haben. Farinctii bespricht
(Üuin das Verhältnis der drainenOrillparzera zu den comediaa von Lope; wo er bei die-
sen erörterungen bisher geltenden annahmen entgegentritt, wird man ihm meist rocht
geben müssen. Der zweite Imuptteil des bucbea fasst die eigenen aufzoiehnuugen dos
dichten) mit äneacruogen, die er bekannten gegenüber zu verschiedenen selten getan
hat, zu einem gosamnitbilde Reiner Studien über IjOpe de Vega znsainmon. Im nllge-
27*
420 LRITZMANN, ÜBRR SCHSÖTRR UND TBIKLR, nAMBÜROISCHE DRASLkTÜBQR
meinen teilt der Verfasser Grillparzers verliebe für den Spanier und findet sich mit
den urteilen seines landsmannes über die einzelnen comedias in übereinstiminiing.
Doch zeigt er sich nicht blind gegen Übertreibungen und berichtigt gelegentlich wl
ungerechte urteile über andere Spanier wie z. b. Cervantes. Das Schlusskapitel end-
lich führt in ansprechender weise den vergleich zwischen der dichterischen indivi-
dualität Grillparzers und der seines spanischen lieblings durch.
Gegen diese und jene ansieht des Verfassers (zum beispiel gegen das, was er
s. 41 über den trochaeus im deutschen sagt) wäre wol allerlei einzuwenden; als gan-
zes ist sein buch ohne frage ein wertvoller beitrag zur Grillparzerlitterator. fioe
erstaunliche belesenheit ist wol schuld daran, dass namentlich in den anmorbuga
zuweilen dinge zur spräche kommen, die mit dem thema nur in sehr entfantai
zusammenhange stehen. Vielleicht entschliosst sich der Verfasser für eine zweite auf-
läge, die ich dem buche von herzen wünsche, aus rücksicht auf die zahlreicfaeD des
spanischen gar nicht oder doch nur mangelhaft kundigen Grillparzerfreunde, die
citate alle in deutscher Übersetzung oder wenigstens von einer solchen begleitet za
geben. Der darstellung merkt man es nicht an, dass sie aus der fedcr eines man^
nes geflossen ist, dessen muttersprache das italienische ist; nur den verunglückt
satz s. 54, z. 6 fgg. v. o. hätte sein stilistischer beirat nicht durchschlüpfen
sollen. Die ausstattung des buches verdient entschiedenes lob.
WANDSBSCK, 28. FEBR. 1896. J. SCHMEDKS.
Lessings Hamburgische dramaturgie. Ausgabe für schule und haus von
drich Schröter und Richard Thiele. Halle, Waisenhaus. 1895. VIII und 535 at=
Das verdienst der vor fast zwanzig jähren erschienenen grossen kommentier' -
ton ausgäbe der Lessingschcn dramaturgie von Schröter und Thiele ist allen freut».—
den und forschem, die sich mit Lessing beschäftigen, bekannt und unbestritteo. Di*^
gleiche lob verdient die kleinere ausgäbe für schule und haus, welche die Verfasser
jetzt veranstaltet haben. Eine einleitung orientiert ausführlich über die äussere ge-
schichte des Werkes, klar, aber knapp, vielleicht stellenweise zu knapp über des
theoretischen inhalt; hier hätte manches, was die anmerkungen nachbringen, bineio-
verflochten werden können, z. b. die katharsisfragc und Lessings Verhältnis tn
Shak(3speare (vgl. jetzt Witkowskis aufsatz im Euphorien 2, 517). Im texte siod
einzelne für schule und [haxLS ungeeignete oder minder wichtige abschnitte (z. h
die musikalischen benierkungen zur Semiramis, die langen analysen des Essex vod
Banks und des spanischen Essex, dis beurteilung der Veränderungen der Teren-
zischen adelphi durch Romanus) ausgeschieden, was man billigen kann. Allseitige
vor/üglicho erklärungon stehen unter dem tcxt und bilden den fortlaufenden kom-
mentar, in welchem auch die sprachform der dramaturgie eingehend berücksichtigt
worden ist. Den Verfassern ist es gelungen, die bisher verlorenen theaterzettel <i»'r
Hamburger entrcprise in der Gothaer bibliothek zu entdecken und für einige kleine
korrekturcn im texte zu verwerten; ein besonderes schriftchen Thieles (Erfurt 1895»
orientiert eingehender über den wert dieses fundes. Den schluss des buches büdeo
ein Verzeichnis sämmtlicher stücke sowie ein grammatisch -lexikalisches und ein Per-
sonenregister. Der ausgäbe ist die weiteste Verbreitung zu wünschen. — Versehen
sind mir in der einleitung und den anmerkungen kaum aufgefallen: s. 11 lies «Bosch*
statt „Busch", 8. 35. 201 „Stüven'' statt „Stüve".
WRDfAR, 11. SEPTEBCBER 1895. ALBEBT LBmCAKIT.
i
mSCELLEN,
ixtlseu oud arthave.
I.
0. Bronner hat in dieser zeitschr. 27, 386^309 mit rooht darauf aufriiurk-
3 gemacht, dass für das wort erdisen die ibm beiyBlegte bodoutung pflugeisen,
iflngsobar bisher nirgends nacbgenieBon, ja daaa das vorbaDdensein des wertes in
ollem grade zweifelbafl sei. Er bemerkt xutrefTend, dass iu dem gedicbto „Tom
tedite" die änderutig des handschriftlich überlieferten wrditea (so, nicht ardUen.
3 Brenner mit iniger hezugnahme auf Schroeder lutgibt, steht in der hEuidscbrift)
in erdUen nicht statthaft, nnd dass anch an der zweiton stelle, an der uns das wort
begegnet (Mon. Buiea TIH, 258), die nherU«ferto form (erdytin uder erdt/sir) nicht
ureichead gesichert sei. Auf einem Irrwege befindet er sich aber, wenn er an beiden
teilen lerdisen bezw. erdisen durch eidUen {= ogg-eison] 2U ersetzen vorschlägt
md den voD Edw. Schroeder im Anz. f. d. alt 17, 29t gegebenen hinweis aaf
! form ardiaen ablehnt. Doe bisher meines Wissens unbekannt gebliebene wort
iSCTt frene ich mich durch folgendo drei urkundliche stellen belegen zu können:
1) Verleihung eiues fleckens sosehen Ittingißhtisen unde Abem-Bcsgingen
eilans des grafen Juhann von Solms an den waldäclimied Hndiger am 29. September
l44S behufä ontegung einer waldschmiede. Der beliehene soll davon jerlie/i» of g,
thrtins tag in une&^ keinen/ yein Liehe x« erbexinß geben 6 ffulden geldes Fraacken-
1 tragen isfTts unde xweye par itrtysen. Gedruckt bei Bauer,
[essiscbe urkundeu, hd, IV nr. 166 s. 15T fg. nach dem original.
2) In der nBeschreibong aller Kübehörden des hauses Glyperg, de 1412' (Nos-
copialbnch des nrchivs zu Wiesbaden nr. 45) bt über die Waltamit (Hot
[ohmitte bei Godhoim a. d. Bieber) bemerkt: Ilmn die walluritit und Rodheim geiiS-
't allein gein OIgperg mid gildet jars der hergehaffi 12 geboni gttts issens und
'ry par gutes ardisen uff das aios ülgperg usw. Oodruokt nach dem oripnal
. Ritgen, Regesten zur geschichte von Oleiberg, im 2. Jahresbericht des
Jberhessi sehen Vereins für lokalgeschiohte (ISSl) e. 64.
3) Am 9, februar 1421 wird von graf Philipp I. von Nassau- Woilburg dem
aldsctunied Otto von Weilmünster die zu Weilmünster gelegene waldsubmiede ver-
ihaa. Er verspricht dagegen, dass er und seine erben dem grafen Jerttchin x«
\tlde g^in sollin uff sant Martins lag mit namen echte icagen ysena unde fitrv
har ardt-tten, dax ist mit namen ficre Mch unde fier gehar, unde die enlufurien
f unser kost ww/fe scAaiden gen tt'ilburg uff die burgk. Die Urkunde ist nach
Un original abgedruckt bei Becker, Geschichte des bergbaues und des bcrgrecbts
I dem vormaligen Na&sau'schen amte Weilmünster, in der Zeitsclirift für bergrecht
:Vni (1877) s. 483,
Durch die zuletzt angeführte stelle wird die bedeatung des neu gewonnenen
roites ausser zweifel gesetzt: unter ariiscn werden die beiden am pflüge befindlichen
, die pflugschar (vomor) und das ptlugsech (lat. ligo, cultor) zuBauimcngcfasst.
an den beiden ersten stellen woMen darum als abgäbe des waldschmieds
.Bare von artisen festgesetzt, und iu der oben angeführten Urkunde der Monumeuta
' hat es sich olTeiibai' gleichfalls um die zinsabgabo eines paars artisen gehan-
422
doli Zeugnisse für die weite Verbreitung dieser ort von ubgabe lieSBen Ait irn| '
unechwor in grössQror zaM beibringen. Hier mogo nur noch sD(;oführt worden, dm
die zu Bet^iogerode im Hotz bofiodliclie eiseuhütte des klosters Üsojiburg dJawa
U77 ein plochblaih and ein sefck ia liufeni hatte', daas um 1411 — 1419 als «hgiU
der oisenLütte bei Elbiagorodo im Harz ad den biscliof von Halberst^t Kwvi placi-
ijsonblal und zwei eck festgesetzt waren, vgl. Jacobs, ürkuudonbucli der Stadt Weni-
gerodu (Geschichtsquellen der provinz ^ai^haen 25) s. 16:1, dass Temer schon 1030 ila
abtei zu St Marien bei Trier von dem markte Ilasholder bei Bitburg als zins fontr
umis ettm cuUro jährlich geliefert wurde. Vgl. hierfür Beyer, Urkundeobnch lur
gofichicbtö dfli inittolrbeiniaohen temtorien hd. I s. 354, In dem gütervetzeichuis 4ci
klusters Prüm von 803, bezw. 1222 (Beyer a. a. o. s. 161 aum. 3) oischeiuon oatB
den abgaben eines hofes „ferramenta aratri, quae vocautur scar''. Ob es gidi In«
nur um die abgäbe von pflngschaten, oder, was wahrsoheinliober, um die oiiies pin
artüen handelt, läast sich bei der anbeutimuitheit des aasdrucks nicht entacheidEL
Dttr Eohulthoiss dee abtes zu Münster im St Cregonenthal halte jährlich ilem ibtt
■' pfiugys«! *e jeglieker v^lyen eins ku liefern (IJrkuudo von 1339 bei Schüepflio,
Alaatia diplomatica U, 1Ö3 nr. 980).
'Wenn artiacH an der von Bi'eoQer behiindelten stelle des gedichtes ,Vom nchli',
wie es scheint, in der enger gefassten bodoutung von pflngsuLar gebraucht vt>t
au liegt wol die gleiche liceuz vor, die im heutigen aprauhgebrauch hSufig
an die stelle von pflugschar treten läast.
A!s die bedeatiug von art bezeichnet Brenner bd. 27, 387 „ganz ollgn
^landbau"; artiaen wäre also nach Brenner „ökonumie- eisen, doch ein la v
bcgi'iff". Nachdem für artisen dio bedeutung „pflugciscn"' tostgostelll ist, wini
aber arl- notwendig in engere Verbindung mit der pllügnng bringen uud
müssen, dass art in der zusammensetzmig aiiisun seine nrsprüaglicbu bodetttung =
aratio (oder = aratram? vgl. alts. crida, altnord. arär) nodi bis zum aosgang dn
mittelaltora beibehalten hat'.
Den vorstehenden nuaführungen des horm Verfassers fügt E. Schröder, <l«
sie uns übermittelte, die nachfolgenden bomerkungcn hinzu:
1) ürkundenbuch des klo^ters üi^enburg (Oeschiditsiia. der prov. Sacb«^
bd. VI) B. 379. Vgl. dazu Ed. Jacobs, Peter der Grosse am Hars und ilie LiillihM
hütteuwerke zu iTsenburg, in der Zeitschrift dea Harzvereins f. gesch. n. all-t.
Jahrg. XIII (1880) 3. 254. Im jähre 1478 wurden 2 lampm und 2 «etk. »glui
I lampiia und 1 seek geztnsL Jacobs fasst lampna {lamrmna) allgemein als tiffäm
an eisenblecb; man vermisst aber dann eine massbezeicbnung. Mir i-r$ube!nt tka
lammui übereutznng von ploMlath ('= pflugschar), welches wort übrigens b«ä8*U-
ler-Lübben nicht erscheint. DieSenbach ülossai'. latino-germanic B. 316 reaäA-
oct zu lamen u. a. die glosscn yscnt und eücnick.
2) Unter pfUiwc-Jsen hat mau im mhd. offoabar in der regel, vaan auch ml
niclit immer, gloichrnlla die beiden haupt-eison des pflugs, die sohar und du wcfc,
ziisfumnongefasst Bo verzeichnet z. b. das Inventar der DeutGch-ordens-liUuser Iiffilv
bürg im jähre 1487 u. a. S eysern pftSis, 7 par p/Ifiy-
vorher 12 anhoi; 10 sech aufgeführt waren (Urkunden zur gesohidit« dea i hiimilicin
• ■ ■ " ■ - " ■ ■ ;, isasTli).
hauptamts Inalerburg, herausg. von Ä. Bora und P. Hörn, Inaterburg,
3) Zu nrt vgl. Grimm, Deutsches wo rlerb. I, 568 und 573. VII,
sehe grammatik IIT, 414. Oesch. d. dculRchon spräche I, 55. Nachweise dM
3) Zu art vgl. Grimm, Deutsches wo rlerb. I, 568 und 573. VII, 1774. IW*-
Grammatik III, 414. Oesch. d. dculRchon spräche I, 55. Nachweise dM ■>■
braucbs von art = amiio im mittohiiederdi'iilscben hei Schiller- Lfibb^n I, 130 q^
1 neuhodideu (schon Ici Heyne 1. 140, (•rinim 1, r>73 und Biaub-Toblur, Sdiwa-
. Idiotikon I, 47,'t fg. Diu gleione von Lexor tiialit bemerkte bodeutUDg
f
Meiner nbsiclit, dos im „Becbf bei Ear^*aii G, IG übeiiiefcil« eenlüen gegan
Breunere übereilt« conjectiir aidisen zu verteidigen, ist harr oborbibliothekar II. Haupt
mit einer belesäabeit zuvorgekommen, der gegenüber ich mich auf wenige sütue
beavhränl^en kiinn.
Den anläse, in im-disen ein mögliehes ardixen za vennoten, bot mir die auf'
fällige sohreibung mit a. loh habe aus der Mlllstätter hdschr. die atacite vom Becht,
Hochzeit und Physiologua collaticiDioit (Kar, s. 3— 44. 73—106). In ihnen konmit
das zeichen <e IliSmal vor; davon Stollen: I)118Mle um laut des ä dai' (cmgescblos-
sen das dreimalige slat, das natürlich auf aualogie von lat 80, Iti. 94, 0 beruht);
2) 43 fälle gelten der jängoi'en reap. echwäoberen umiautsstule von ä\ 3) 2iiia]
{itmien 9, 13. niemim 28, 2) bezeichnet a ein im nachloo za e geschwächtea a.
Je einmal bezeugt ist ferner tteidinch und maimischen (anlehniuig an man); Ecbmib-
fehler ist das erste ee in gigmahl 94, 7. Altes e ist, trotz vielhundertfaohem vor-
kommen, nur einmal als a geachriebon: dwr 3<i, 20.
Ea ist also von vom h«rein nicht sehr wahrsoheinlioli , dass <e in aräiscn als
altes e wie in enie zu deuten eei; man wird es am ehesten doch zu der gruppo 2) stal-
hm, und sogut neben lOmal tjeslahie 2mal geslalite, neben geniirchcde 84, 4. 15 —
gemachcde 88, 2, neben gesirWede 78, I — gcsalbede 77, 19, neben geniiehekn 12, 12
— gemahelm 24, 12, neben abmehtigen 27, 12. 75, 10. 102, 9 — eingalittger
100, 12 vorkommt, dürftun wir neben /Brdism bei einer widerkohr des Wortes wo!
auch ardisen erwarten — o<Ier vielmehr artisen!
Denn ich glaube allerdings, dass der sobreiber der Millstätter hdschr., indem
er statt artisen oder auch arlüen der vorläge ardisen schrieb, dabei eine balb
unwilltürliche aunahormig an erdisen vollzog, uod doss er, falls er überhaupt eine
etymologische voistolluug damit verband, diese an den unmittelbar vorher (Ü, 7. 14)
mehrfach gebrauchten ansdruok ri* (von) der ertlt bringen anlehnte.
Nun pflegen solche inecbanischen wie die Volksetymologien selten sinnvoll zu
sein, aber dass man ein wart erdisea an aicb zu beanstanden habe, kann ich Bren-
ner ganz und gar nicht zugeben, erde ist im gegensatz zur lockern, staubigen tnolU
(Wurzel mel, mal) das feste, consistente erdreich, und da jedes einfache oisorae
iustrumcnt metonyin auoh „eisen" genannt werden kann, so wlire ein „eisen* zum
bearbeiten der „erde" eben ein gerdeiseu".
Nachdem Haupt das gesuchte artisen .pSugeisen" nachgewiesen hat', bedarf
BS kaum noch einei' ausdrücklichen zuiüokweiauQg der conjectur aidüen jOggoisen*.
Die „egge" ist, das bestätigen auch die glossierungen trotz aller mauuigraltigkcit, nie-
mals ein gerüt, das in schwereni erdreich den pflüg ersetzen kann: meist muKS die-
ser seine arbeit vorher getan haben. An unserer stelle aber handelt sichs gerade uui
ein Werkzeug, das tief in Ueu unlängst gerodutou waldboden eindringt. Das passt
auf den p&ug, aber auf keine wie immer geartete ,egge*.
n.
Im Mild, bandwiirtorbnuh I, 98 führt Lexer unter den Zusammensetzungen
mit art auch art-houwe mit der angeblichen bedeutung feldhaue auf; auoh Uron-
erscheint an der von Vümai', Idiotikon von Kutliessou b. 10 angesogenen stelle einer
urknndp von 1416: iglick fortecrgk sai jerHchen xu ydtr art eren cgnen lag, und
in einer Urkunde von 1388 bei J. Amoldi, Beiträge zu den deutschen glossarien h, 8.
1) In einer fwaa imjnerhin erwiibnt sein mag) von altalemannischen Biodluu{i;un
durchür^tzten lundscbuft; vgl. übrigens auch Creceliu-M, Tilmar und den Westorwäldor
Bclimidt s. V. art u. IL
J
424 HÄUFT, ABTISEN UND ABTHAVE
Der Zoitschr. 27, 387 lässt die bedeutmig bauernhacke gelten. Das wort begegnet
soweit ich sehe, nur an einer einzigen stelle, nämlich in dem von herzog Otto tod
Baiem 1311 den bairischen ständen ausgestellten freiheitsbriefe, der unter anderem
auch bcstimmungen über die bestrafung von diebstahl gibt YgL G. v. Lerchen-
feld. Die altbaierischen landständischen fireibriefe (1853) s. 1 und register 278, wo
dem werte die unmögliche bedeutung „das erste oder alt-heu*^ unterlegt wird;
auch abgedruckt in den Quellen u. erörterungen z. bayer. u. deutschen gescbidite,
bd. YI (Monumeuta AVittelsbaccnsia II) s. 184. Ist an dem diebe die todesstrafe voll-
zogen, so soll nach dem freiheitsbriefe „auf dem guet beleihen, da der deup auf
gesessen ist, same arthaue ^ und was ze recht darzu gehört; von dem andern tailsul
gefallen des deubes hausfrauen und kinden, ob er sy hat, das drit tau; das and^rr
guet alles gefellct dem herron, auf des guet er sitzet. Hat aber er weder weib noch
kind, so gofollot es alles dem herren.^ Es handelt sich an unserer stelle offenbar
darum, aus dem nachlasse des bestraften diebes, der als hintersasso gedacht wird,
dasjenige auszuscheiden, was nicht gegenständ einer tcilung zwischen seinen hint'T-
bliebonen und seinem gutsherm werden soll. Der zusatz 5a;/ic (idem, LexerU, o9(i)
weist darauf hin , dass das ausgesonderte objokt in seinem bestände nicht aitcriert wer-
den soll; die werte und was %-e recht darxu gehört bezeichnen arthaue als einen
complex verschiedener gegenstände. Die bedeutung „feldhaue*' kann unter diesen
umständen nicht in frage kommen. Dem richtigen sinne des wortes werden wir
dagegen durch die betrachtimg der in einer Urkunde des Jahres 1262 über die eigen-
tumsvorhältnisse der hintcrsassen des Passauer domkapitels getroffenen bestimmon-
gcn (s. Quellen und erörterungen zur bayer. und deutschen geschichte, bd. V [Monn-
menta Wittelsbacensia I] s. 189) näher kommen. Dort heisst es: „Si advocatns
voluerit cogcre rusticum nostrum per pignus aliquod, non tollet araturas nostra^
quod vulgo hofgeriht dicitur, ne propter hoc locus ille incultus remaneat et
desolatus.* Unter dem „gericht", „hofgerichf*, „hausgericht", ^gutsbericht" verste-
hen die bairischen rcchtsurkunden bis auf die neuzeit herab die ausstattung eines
hofs mit geraten, vioh, futter, düng, speisevorräten usw., die in der regel der grund-
hcrr als cigentum anzusprechen hatte; vgl. Schmeller' II, 38. Grimm, Deutsches Wör-
terbuch IV, 1, 3636. Um nichts anderes als um diese aratura* oder hofgeriht yM
OS sich an der obigen stelle handeln: die im engsten sinne zum gute und zu dessen
bewirtschaftung gehörenden gegenstände soll der gutsherr als arthaue bei der teilnng
des nachlasses dos bestraften diebes aussondern und für sich vorweg zurückbehalten
dürfen. Die gleichbedeutung von arthave mit gutsbericht oder hofgencht dürfte aach
aus folgender stelle der ^Erklärung der Landsfreyhait in Obern und Niedcm Baim'
von 1553 (G. von licrchonfeld, Die altbaierischen landständischen froibriefe 8.256)
erhellen: „Der X. articl. Wie der grundt-, vogthcrr und glaubiger von der uUthäter
guet sollen bezallt und enntricht werden. Es sollen auch hierinn vor der herrschafft
und allen leuten von dem guet der grundtherr oder vogtherr irer güllt und guets-
1) Nach G. von Lerchenfcld's angaben s. CCCCXXXV schwanken die 4 versdiie-
denen originalicn des freiheitäbriefs zwischen der Schreibung arthaue und artkat*.
Im legistor heisst es: ^arlhaue, in den originalien , wie sich wol you selbst versteht (t),
mit übergesetztem c.^
2) Dieffenbach, Glossarium latino-germanicum verzeichnot für aratura, betw.
paratura die bcdeutun^^en garawin, harauvi, garue (=» Zubereitung, zurüstang, Lßxar
1, 892). Bei Müller- Zarncke, Mittelhochd. wörterb. II, 1, 649 y^ MUtgerikte^ '
rat mit der gleichzeitigen lateinischen Übertragung: pttrafcun UliiiiB doaras.
U. SCIIHIDT-WARIKNBKUO, UKBICAN. 8TUDUBN IN AMKRTKA 425
berichtung gewert werden, sein weib, ob er die hat, irs zuegebrachten heuratguets
und morgODgab, und annder sein glaubiger irer schuld bezallt .... werden.*^
Einer faohmännischcn sprachlichen orklärung des wertes arthave möchte ich
hier nicht vorgreifen, sondern nui* im hin weis auf das sinnverwandte aratura mich
für die annähme entscheiden, dass im ersten teile des wertes das uns bekannte art
(oratio) widerkehrt. Ob Itave an die steUo eines ursprünglichen habe getreten ist?
Wir hätten dann eine art- oder wirtschafts-habe, etwa entsprechend dem mhd. und
nlid. „haushabe'^S das in der doppelton bedeutung von haushaltung und hausbesitz
begegnet.
1) Schmeller» I, 1177. 1032. Grimm IV, 2, 669. Lexer I, 1404.
OIESSEN. HKRILIN HAUPT.
Germanistische Studien in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Es ist eine bekannte tatsache, dass Amerikaner einen grossen prooentsatz der
ausländischen hörer an deutschen Universitäten bilden. Seit einer langen reihe von
jähren — besonders seit Deutschlands politischer einigung — haben hunderte von
ihnen ihre wissenschaftliche ausbildung dort genossen. Dass dies früher oder später
fruchte trage, war man berechtigt zu erwarten; dass es anfangs vielleicht nicht in
dem gewünschten masse eingetroffen ist, liegt an der Ungunst der Verhältnisse: der
natürlichen begünstigung mehr materieller bestrebungen , dem geringeren Verständnis
für rein geistige arbeit, soweit sie als direkt praktisch anwendbar sich nicht erwei-
sen lässt, und dem hierdurch bedingten mangel an Instituten, die dem gelehrten
gelegcnheit zu produktiver forschung gewähren. Die letzte zeit hat jedoch einen ent-
schiedenen aufschwung des wissenschaftlichen strebens gesehen. Im jähre 1875
begann die Johns Hopkins University ihre arbeit nach deutschen idealen und,
soweit es für amerikanische Verhältnisse geeignet war, nach deutschem muster. Eine
reihe von lehrinstituton , ältere und neue, haben sich ihr im laufe der jähre ange-
schlossen; sämmtlich gehören sie zu der zahl derer, die der beispiellosen munificenz
begüterter Amerikaner ihr bestehen verdanken. Dass die naturwissenschaften in
erster linie an diesem emporblühen beteiligt sind, ist leicht begreiflich; material in
erstaunlicher fülle lockte den forscher und sicherte auch dem anfänger einen beitrag
zur lösung untorsuchenswerter probleme.
Dass die deutsche philologie hier bisher nur weniges aufzuweisen hat, das die
anerkennung deutscher gelehrten herausforderte, hat manche gründe, welche alle
darzulegen nicht der zweck dieser kleinen notiz sein kann. Der vorurteUslose beur-
teiler aber wird selbst bescheidenen anfangen seine Sympathie nicht versagen. Die
Zukunft sieht versprechender aus und deutet auch hier auf bevorstehenden fortschritt
Einige Seminarbibliotheken dürften sich schon jetzt denen deutscher Universitäten
gleichstellen. Scherers, Zamckes und Ilildobrands büchereammlungen sind über den
ocean gewandert, und die wachsende zahl strebsamer germanisten bürgt dafür, dass
diese schätze nicht lange müssig die schlanke zieren werden. Deutsche lehrcurse,
die über das gymnasialpensum hinausgehen, werden an allen besseren Colleges abge-
halten. Leider freilich schlicssen die meisten notgedrungen da ab, wo das vollere
▼entändis und das interesse an selbständigem arbeiten erwacht. Nur wenige sind
in der läge, beanlagtere schüler in methodische wissenschaftliche forschung weiter
426 U. SCHMIDT -WABTENBEBO, QERMAN. STUDUCN IN AMKlilKA
Nachsteheud folge ein verzeichDis germanistiRcher curse (mit aosschloBs des eng-
liächcD), die an amerikanischen Universitäten im jähre 1894 — 95 gehalten werden.
I. Johns Hopkins University. (Baltimore.) Altnordisch. 2 st (prof.
Wood). Historische deutsche grammatik. 1 st. (derselbe). Gotisch. 2 st (dereelbei.
Heliand. 2 st. , ei^stes somester (dr. Learned). Althochdeutsch. 2 st , zweites Seme-
ster (derselbe). Mittelhochdeutsch. 1 st (derselbe). Holländisch. 2 st (dr. Vos).
Geschichte der deutschen nationallitteratur. 1 st (derselbe). Goethe's Faust 2st
zweites semester (prof. Wood).
n. Harvard University. (Cambridge, Mass.) a) Litterarisohe curse:
Allgemeine goschichte der deutschen litteratur, mit besonderer berücksichtigung der
beiden klassischen perioden des 12. und 18. Jahrhunderts. 3 st, zweites semester
(ao. prof. Schilling). Deutsche litteratur des 12. und 13. Jahrhunderts. 3 st, zwei-
tes semester (ao. prof. von Jagomann). Deutsche litteratur von der reformation bis
zur klassischen periode. 3 st., erstes semester (dr. Poll).
b) Philologische curse: Gotisch. 3 st, erstes semester (ao. prof. von Jage-
mann). AltsächsLsch. 3 st., zweites sem. (derselbe). Geschichte der deutschen
Sprache seit 1100. 3 st., zweites sem. (derselbe).
III. University of Chicago. Die Chicagoer Universität ist die einzige, die
ohne Unterbrechung das ganze jähr hindurch geöffnet ist. Zwischen den vier unter-
richtsquartalen ist nur eine je 8tägige pause. Professoren jedoch wie Studenten wäh-
len ein quartal als fcrien. Das programm des deutschen dopartements ist für dis
jähr vom 1. Oktober 1894 — 1. Oktober 1895 das folgende.
a) Herbst-quartal: Das littcraiische zusammenwirken Goothe's und Schü-
lers I (prof. Cuttiug). Phonetik (ao. prof. Schmidt -Wartenberg). Mittelniederftin-
kisch (derselbe). Goschichte der deutschen spräche (derselbe). Gotisch (dr. von
Elenzc).
b) Wintcr-quartal: Das litterasischo zusammenwirken Goethes und Schil-
lers n (prof. Cutting). Althochdeutsch (ao. prof. Schmidt -Wartonberg). Altnordisch
(derselbe). AltsUchsisch (deiuelbe).
c) Frühjahrs- quartal: Vergleichende gotische grammatik (ao. prof. Schmidt -
Wartenberg). Nibelungenlied (dr. von Klenze).
d) Sommer-quartal: Lessing als kritiker (prof. Cuthing). Mittelhochdeutsch
(derselbe). Elemente der historischen deutschen grammatik (besonders für lehrer des
deutschen bestimmt) (ao. prof. Schmidt -Wartenberg). Gotisch (dr. v. Klenze). Ele-
meutarcurs des dänisch -norwegischen (dr. Dahl). Srudien über ßjörnsen und Ibseo
(derselbe). Altnordische litteratur (dei*selbe).
Sämmtliche Vorlesungen und Übungen sind vierstündig.
IV. Columbia College (New York): Goethe^s Faust, 1. und 2. teil. 2>t
(pixjf. Boyesen). Goschichte der deutschen litteratur. 1 st (derselbe). Geschichte der
deutschen spräche. 2 st (prof. Cari>cnter). Isländisch 2 st (derselbe). Gotisch. 2st
(derselbe). Mittelhochdeutsch. 2 st. (derselbe). Althochdeutsch. 2st (derselbe). Ger-
manische mythologie. 1 st. zweites semesteer (derselbe). Geschichte der danischen
und norwegischen litteratur. 1 st. (prof. Boyesen). Altnordische litteratur. 2st,
zweites semester (derselbe). — Falls nicht anders angegeben, erstrecken sich die
curso durch die heiden semester, zwischen denen keine ferien liegen.
V. University of Michigan (Ann Arhor): Goetho's Faust 2— 38t., zwei-
tos sem. (prof. Tliomas). Cui-s für Iclircr dos Deutschon. 38t, zweites sem. (dffl^
selbe). Geschichte der deutschon litt(*ratur, zweites sem. (derselbe). AlthoohdetttMk
SCKENUEH, LUIUCLBY 42?
, zweites soin. (ao. prot. Hanch). Historisctio döutsohu grainmatik. Erstes süm.,
Kautsch und wortbildungBlohre; uweites seni-, Syiitan, 2st. (derselbe). Gutiauh; für
iSingot, 3ät., erstes sem. (derselbe); für vorgeschrittene, 2st., zweites seoi. (dor-
ühe). Mittelhochdeutsch. Sst, erstes sem. (Mensel). Nibelungetilied. 2st,, xwei-
I sem. (derselbe)
YL LeluDd Btantord Junior Univorsity. (Palo Älto, Cftlifornien) : Mit-
Iliooh deutsche grammatik. Sst, orates sein. (prot. Goebel). Walther von der Vogel-
, zweites sein, (derselbe). Üthoohdcutäche graminatik. 2Bt., erste« sem.
lerselbo). Otfrid. 2st,, tweites sem, (dei'selbe). Altnordische gi'au&iatik. 2st,
isttui sem. (derselbe). Saomuudar Edda. 2st., zweites sem. (derselbe), Gotisch.
, zweites sem. (derselbe).
Vn. Bryn Mawr College (ßi^n Mawr, Pemisylvanieii): Geschichte der
BUtschen litteratur bis auf Elopstoc-k. 2bt., zweites sem. (prof. H. Collitz). Allge-
} lihonetili. Ist., erstes sein, (doi-selbo), Gdtisch. 2Bt., zweites sem. (derselbe).
Ithochdeutäcb. Ist., zweites sem. (ileiselbe). MittolhoobdeutscL 2at., zwi^tos sem.
larselbe). Eialoitnog in die germauistisolie philolu^e. Ist, xweites sem. (derselbe).
Jts&uhsisch. Ist, zireites sem. (derselbe). Altaordisah. Ist, zweites sem. (der-
llbc). Tergleiuhende germanische groiumatik. 26t, zweites sem. (derselbe).
Vin. Cornell University. (Itbaca, N. Y.). Das studieejabi' ist in 3 quar-
3 oingeteüt. Gotische grammatik. 2st, erstes und zweites ijaai-ta] (prof. Whoelor).
petho's Faust 2st., erstes und zweites (juaital (prof. Hewest). Geschichte der
nitschuu litteratar. Ist., durch alle drei quortole (prof. Kcwett). Mittel hochdeutsch.
, 3 iiuortale (derselbe), ühlaud und die schwäbische schule. 3st, drittes quor-
1 (derselbe). Walthor von der Vogelweide. 2st,, 3 quartale (prof. 'White). Alt-
Mbdeatsch. 2st, zweites und drittes qaartal [dr. Jones).
cuicAoo. • H. sctni
Der name der Lor«ley.
Der name dor Lorclcy, das berühmten RhoinfcLsens, wiiil noi:h in den ni'usten
iflngeu der handbücbcr von Daniel-Volz and anderen erdkundlichen werken aus
r Tolkhtümlicheu Form Lurley als „Liiuorfcla' gedeutet Wenn wir nun in dem
reiten teile des wertes unzweifelhaft das mitte Irh eisisch o ley' = s<ihieferfol3 zu
3B haben, so spricht gegen diese erkliiruug des ersten bestaudteila schoo der
RiBtaiid, dass Lurley mit kurzem u gesproohen wird, während das u in türm lang
Was soll man sich übrigens unter einem ,Lauerfe!3'' denken? Für den urhober
r orklürung halte ich Schmeller, der iu seinem Bayerischen worterbuche' 1, 1409
■ „der lauer" auf die ^Loreley am Rhoin" vorweist, Dass er aber lauem hier
in der gewöhnlichen bedeutong genommen bat, beweist seine Verweisung auf
i^ud. leur =^ täuschung. Er nimmt also liiren in der im niitl^ilniederdeutscbon ver-
eiteten bodeutang „betrügen, hintergehen", die eich noch im kompositum be-lürmi
. b- bei Fr. ßenter) erhalten hat. Schmeller scheint zu dieser deutung durch die
) von der uixe Loreley veranlasst, die durch ihren gesaug die schiffer betört
1 ist ober nach neueren forscbungen diese sage durchaus nicht alt, sondern erst
I) Schon nihd. Icü, Iti stf., fels, besonders schicferfels (a. T*xor 1, 1S66);
it KU vervBoohsi'ln mit W stni. fahd. hlfo) „hÜKel", wie es iioeh in doiii Mhd.
nhudie von Ij-yeilotj;. Üiclefold und lAiijizig 1KU2 8. 127 geschiubt, wo unicr die-
II werte auf die Lore-lei/ vorwiesen bt.
428 SPRENQSR, ZU GOETHES IPHIQBNIS
durch Nicol. Voigt erfunden und durch Gl. Brentano und EL Heine ins Tolk ge-
drungen.
E. Moritz Arndt wollte den namen von einem rheinischen lurleien ,nacfaspre-
chen*^ ableiten. Dieses verbum ist nun freilich nicht alt und wol erst von dem
namen der Lurley abgeleitet; es würde aber dafür sprechen, dass dem volke andern
berge stets das wunderbare fünfzehn malige echo das bemerkenswerteste gewesen
ist Schon Merian hebt dies hervor, wenn er (vgl. Daniel -Volz, Deutschland nach
seinen physischen und politischen Verhältnissen, 6. aufl. Leipzig 1894, s. 376) von
der Loreley schreibt: „so von den Alten der Lurleberg ist genonnet worden, in wei-
chem Gebürg ein sonderbar lustig Echo , oder Widerschall sich befindet.*^ Ich möchte
daher den namen der Loreley auf ein in Luthers Schriften erscheinendes lören —
heulen, schreien zurückführen. Vgl. in der bibelübersetzung Hosea 7, 14: ^so rofen
sie auch mich nicht an von herzen, sondern Imen auf ihren lagern.*^ Die neue
revidierte Lutherbibel hat dafür heulen eingesetzt, die Vulgata hat tätUare. Luther
gebraucht das wort widerholt in seinen Schriften; auch nennt er die Stifter löhr-
und houlhäuser (s. Jütting, Wörterbuch zu Luthers bibelübersetzung, Leipzig.
B. G. Teubner 1864, s. 118). Da Ziomanii in seinem Mittelhochd. wörterbuche, Qued-
linburg und Leipzig 1837 — bei Lexor fehlt das wort — neben Icdren aus Wallniffis
glossar auch die form lören, ohne umlaut, anführt, so wäre jede sprachliche Schwie-
rigkeit dieser ableitung beseitigt
NOBTHEIM. R. 8PBBK0XR.
Zu Goethes Iphigenie.
Im I. aufz. 3. auftr. erzählt Iphigenie dem könige Thoas von dem grausen
mahle, das Atrcus seinem bruder Thyest voreetzte. Dabei heisst es v. 164 fgg.:
Und da Thyest an seinem fleische sich
Gesättigt, eine wehmut ihn ergreift,
Er nach den kindern fragt, den tritt, die stimme
Der knaben an des saales thüre schon
Zu hören glaubt, wirft Atrous grinsend
Ilmi haupt und füsse der erschlagenen hin.
Dafür, dass der vater nach dem genuss vom fleische seiner söhne von wehmut befal-
len wird, findet sieh in der antiken sage kein anhält Unwillkürlich denkt man dal>ei
an die dauie von Fayel in Uhlands Castellan von Coucy, als sie das herz ihres gelich-
ten verspeist hat:
„Wie die dame kaum genossen.
Hat sie also weinen müssen,
Dass sie zu vorgehen schien
In den heissen thränengüssen.*^
Höchst wahi-scbeinlich ist es aber, dass Goethe dies motiv aus einem deutschen
märchen schöpfte, das unter dem titel „Der maehandolboom * in den Kinder- und
hausmäichen der brüder Grimm, als nr. 47 der grossen ausgäbe, überliefert ist
Hier heisst es vom vater, dem sein söhnchen von der bösen Stiefmutter als speise
vorgesetzt wird: Da höhm de rader to hitus und setVt sik to disch un säd „wo
is denn vtyn sähn?*^ Da droog de moder enc groote groote schöttel up «lÄ
schwartsuhr, un Marleenken tceend und kunn sieh nieh hoUen, Do täd d§
wmedder „w> i
t denn myn salin?" „Ach", aäd de moder, „he i» äuer iand gaan,
na Müllen erer groolökm: he u,-uU dar wal blt/ieen" . . . „Aek", aäd de tiiafm,
i,my is to recht trtirig; dat ia doeh nich rethl, hc liadd my doch adjüü» sagen
wehullt." Mit des fütig he an lo ölen. Un he eti un acl, und de knakerts si/ieet
I all finner den diaeh, bet he allens up hadd. ~- Dnss Goethe uiiBer mfirohon,
ena anch in anderor fosBung, aus der muh auch die abweichnngen erklären, kannte,
t»weist diw lied der wabnainnigen Marprete im Faust I. teil v. 4059 fgg-, worauf
schon W, Grimm im 3. (erläaternngs-) bände der mfirehon (3. aufl.) s, 78 anfmort-
1 gematht bat.
HOBTHKDI. B. BPtMNQIB.
Zum Scbretel und wasserblir.
Fr. H. y. d. Hagsn bemerkt im Gosammtiiben teuer 3. M. b. LXXtl fg., dass
dieses tbier- and geBpensterinärchcn nioht nur in Norwegen, sondero auch \a der
Altnmrk und Sauhsen noch lebendig ist. Ilass es auch am Hacse bekannt war, be-
ireist eine erzäblung vom kajnpfe eines alten Soldaten mit einer sch&t zwerge, der
; mühle stattfindet (mitgeteilt in Heinrich PröbloB Harasagen 2. anfl. in 1 bd.
Iieipzig, 1880 s. 110 fg.)- Denn dass auch hier ursprünghcb ein wasserbär am kämpfe
werge teilnahm, wenn die Überlieferung auch nichts davon erwähnt, wird
dadurch bewiesen, dasa Prübles gowäbramann erzählte: ,Am anderen abende sass er
wider in der mühle nad der müller war auch dageblieben. Wie es nun an zwölfe
kam, klopfte etwas dreimal an das fonster und fragte: Müller, hast da deine böse
katxe ooeb? Da sclirie der alte soldat selber: ,Ja, sie jungt alle nacht zwulfe.' Da
liefen die zwerge betrübt: „Dann mag dir der teufel wider kommen", und sind seit
r zeit nicht wider kommen. Auch in der mhd. erzählung v. 321 stellt der eworg
die frage: lebcl din griyt kavfe noch? und der bauer antwortet 329 fgg. : vünfjun-
T hint geiean, diu sijit sehmtie und ti>ol getan, lancsitic, icii und lier-
ftcA, der alten kaxMn alle gelieh. Darauf entschliessen sich die zwerge den bof zu
Htumen.
Lniigez hflr — kureer mtiot,
Zu dem von Johann von Freiberg in seiner lockeren erziihlung „Das rüdloin"
^esammtabent. 3, 116 v. 285 Egg.) dem Freidank zugeschriebenen spruch:
Die crourcen hänt lang&i här
wiä kurt gemiiete; daa i»t mär.
ft'ilh. Grimm zu Freid. ».393, Haupt sat "Winsbekin 10, 2 und Heyne im
DWb. 4, 2 b.!) zahlreiche (larallelstellen gesammelt. Sie liesseo sich leioht noch
vermehren. Auch Variationen kommen vor, x. b. Spangenbergs Mammons seid (Ans-
gewShlte dichlungon von Wolfhart Spangeuborg , horaosg. von Martin, Straeshurg
1887) T. 626 fgg.:
Ihr tn&st lernen den Neiren Brauch:
Und lUleteit haben forthin \
Lange Kleider \ vnd kurtnen Sinn.
terüngor spiele (lierausg. von 0, Zingerle, Wien 1886) nr. 2 v. 2C5 fg.:
Sff tragen lange klayd vnd kuravtt mwl
vnd dar ditrck sieh manger srr erfretpi tut.
430 SToscn, lanqkz har — kürzer muot
Tobias Stiniinci*s Coiuedia (hcrausg. von J. Oori, Fi'auonfeld 1891) v. 146:
Kurtxe sinn vnd lange Rock.
Auffallend ist, dass der ungalaute Spruch — der übrigens auch bei andern
europäischen Völkern sich findet (vgl. Grimm und Heyne a, a. o.) — grade in der zeit
des minnesangs zuerst auftaucht Da ist es vielleicht bemerkenswert, dass es naclj
6. Ebers Ägypten II, 110 auch ein orientalisches Sprichwort* gibt: »Dos weibes
haar ist lang, sein verstand ist kurz.*^ ' Die Übereinstimmung mit dem in
Westen verbreiteten spruch ist gewiss nicht zufällig, wenn aber eine entlehnung statt-
gefunden hat, so dürfte sie eher durch das abendland als durch das morgenlaDil
geschehen sein. Der satz entspricht vortrefflich der orientalischen anschauuDg der
frauon. Durch krouzfahrcr oder pilger mag er nach dem abendland gebracht wur-
den sein. Wenn ihn Froidank nicht schon in Deutschland gehört hatte, konnte t'r
ihn in Akers kennen lernen.
1) [R. Sprenger macht uns darauf aufmerksam , dass dieses orientalische Sprich-
wort auch in Öottfried Kinkels trauerspiel Nimrod (akt I) sich findet: „Der frauen
haar ist lang, ihr sinn ist kurz*^. red.]
2) Ein türkisches desselben inhalts führt Heyne a. a. o. an.
KIEL, 28. AUGUST 1896. J. 8T08CH.
Traug. Ferd. Scholl.
Mit dem am 28. april 1895 in Stuttgart gestorbenen professor dr. Traugott
Ferdinand Scholl ist ein mann dahingegangen, der in vielen die liebe für deut-
sche spräche und litteratur geweckt hat. Er war am 17. april 1817 zu Beutckbach
in Württemberg geboren, hat in Tübingen als .stiftler theologie studiert, daneben
sich mit deutscher philologie beschäftigt. Diese neigung teilte er mit seinem lange vor
ihm verstorbenen älteren bruder Gottlob Heinrich Friedrich Scholl, der 1852
als 27ste publication des Stuttgarter litterai'ischen Vereins die Crone des Heinrich
vom Türlin herausgegeben hat, und mit seinem Schwager Adelbert Keller. Nach
Vollendung seiner studieu leitete Scholl mit seinem bruder zusammen ein mädchei-
Institut in Ulm, wo er die bokannischaft seiner frau, der tochtcr des stadtbibliothe-
kars Neubronner, machte, und war von 1843 bis 1853 geistlicher und präijeptor in
Langenburg im Hohenlohis(jhen. Von 1853 an war er professor am mittleren gjm-
nasium in Stuttgart und legte sein amt erst mit 70 jähren 1887 nieder. Wer sein
Schüler gewesen ist, wird ihm kein anderes als ein freundliches und dankbares anden-
ken bewaliren können. Er wussto lebendig anzuregen und geistige äussonmgcn her-
vorzurufen; vor allem hat er die liebe zur deutschen dichtung im alter der begin-
nenden empfänglichkeit bei seinen Schülern in einem ma&sse zu w^ecken verstanden
wie wenig andere; die auffühningen Schillerischer stücke, die er mit den schalem
veranstaltete, sind lichtpunkte in ihrer crinnerung geblieben. Mit dieser scholtitig-
koit hieng auch die bcarbeitung eines schullesebuchs und einer neuen Orthographie
(in den 60er jähren) zusammen. Daneben hat Scholl eine sehr ausgedehnte öffent-
liche tütigkoit nach verschiedenen richtungcn entfaltet; seine regelmässigen berichte
über die auffühningen des Stuttgarter theaters und seine vorstandschaft am Stuttgar-
ter couservatorium für musik (seit 1869) mögen hier erwähnt sein. VieUoicht war
es eben diese ausgedehnte, fast athemloso tätigkeit, was ihn leider yerhinderte, die
wissenschaftlichen Studien seiner Jugend fortzusetzen; daioh wissen und geist wire «
NEUE RRSCHEINUNOEN 431
befähigt gewesen, der litteraturgeschi(;hto auch bleibende gaben zu spenden. Mit
recht geschätzt war die „Deutsche litteraturgeschichte in biographien und proben'',
die er mit seinem bruder 1841 veröffentlichte und die es 1855 zu einer dritten auf-
läge gebracht hat. Wenn aber auch der einen platz in unser Wissenschaft verdient
hat, der durch das lebendige wort und das vorbild einer echt humanen pei'sönÜch-
keit die Jugend mit liebe zu der litteratur des Vaterlands zu erfüllen im stände war,
30 ^ird Scholl wenigstens für den engeren kreis seiner schwäbischen heimat einen
solchen ehrenplatz in anspruch nehmen können.
TÜBINGEN. HERMANN FISCHER.
NEUE ERSCHEINUNGEN.
Bremer, Otto, Beiträge zur geographio der deutschen mundarten in form einer kri-
tik von Wenkers Sprachatlas des deutschen reiches. (A. u. d. t.: Sammlung kur-
zer grammatiken deutscher mundarten herausg. von 0. Bremer. Band in.) Leip-
zig, Breitkopf & Härtel, 1895. XVI, 266 s.
^ahlemp, Vemer, Det danske sprogs historio i kortfattet oversigt. (Ssertryk af
Salmonsens konversationsleksikon.) Kopenhagen 1895. 71 s.
^anmarks gamle folkeviser. Danske ridderviser efter forarbeider af Svend Orundt-
vig udgivne afAxel Olrik. Trykt og udgivet paa Carlsbergsfondens bekostning.
1. bind, 1. hefte. Kopenhagen, Otto B. Wroblewski 1895. (IV), 144 s. 4. 2,50 kr.
(Fortsetzung des Werkes von Sv. Grundtvig, die 2 bände von ca. 50 bogen
umfassen wird.)
^fslason, Koiir&9, Forelaesninger over oldnordiske skjaldekvad, udgivne af kom-
missionen for det Amamagnscanske legat. (A. u. d. t.: K. Gislason, Efterladte
skrifter, forste bind.) Kopenhagen, Gyldendal, 1895. X (II), 312 s. 5 kr.
Heyne, Moriz, Deutsches Wörterbuch. 6. halbband. Setzen — zwölftens. Leipzig,
S. Hirzel, 1895. Sp. I— VIII und 593 — 1464. 4. 5 m. (Schluss des trefflichen
Werkes.) *
loseh, Phil., Johannes Rhenanus, ein Casseler poet des 17. Jahrhun-
derts. Leipzig, G. Fock, 1895. (Marburger dissert.) VI, 98 s. 1,60 m.
Olafe saga Trygrgrasonar. Det Arnamagnteanske haandskrift 310 qvarto. Saga Olafs
konungs Tryggvasonar er ritadi Oddr muncr. En gammel norsk bearbeidelso af
Odd Snorres0ns paa latin skrevne Saga om kong Olaf Tryggvason. Udgivet for
det Norske historiske kildeskriftfond. Christiania, Dybvad 1895. LXXVILL (II),
156 s. 2,40 kr.
Reeb, Wilhelm, Geimanische namen in rheinischen inschrifton. Progr. des gross-
herzogl. gymnasiums zu Mainz 1895. 48 s. 4.
Bothe, Panl, Die conditionalsätze in Gottfrieds von Strassburg „Tristan
und Isolde**. Hallische dissert. (Max Niemeyer in comm.) IX, 96 s. 1,60 m.
Behifbnaiui, Conrad, Bruchstücke aus einem mhd. passionsgedichte des
14. Jahrhunderts. Linz, Ebenhöch'sche Verlagsbuchhandlung, 1895. 12 s.
0,80 m.
BddllefB werke« Herausgegeben von Lud w. Bo Hermann. Kritisch durchgesehene
nnd erläuterte ausgäbe. Erster band. Leipzig und Wien, Bibliographisches Insti-
tut, 1895. 96, 400 s. geb. 2 m.
432 ■ NEUE ERSGHEINUNOEN. NACHRICHTBa^
Eino treffliche ausgäbe, der wir die weiteste Verbreitung wünschen. Der
vorliegende erste band enthält die gedichte mit kurzen erklärenden anmerbingeQ
unter dem text und einem anhage, der über die entstehung und die quellen ans-
kunft gibt und die wichtigeren Varianten verzeichnet. Auch die vorausgeschickte
knappe biographio ist sehr lesenswert. Die correctur ist sorgfaltig gehandhabt
und die ausstattung gut. — Das werk ist auf 14 bände berechnet, von denen die
ersten 8 die poetischen Schriften (mit ausschluss der Übersetzungen), die wich-
tigsten der erzählenden dichtungen, die geschichtlichen hauptwerke und eine
anzahl der philosophischen abhandlungen enthalten werden; die 6 letzten, wddie
separat erworben werden können, dasjenige, was nur für die engere zahl der-
jenigen von bedeutung ist, die sich wissenschaftlich mit dem dichter beschaftigeiL
Schmidt, Charles, Wörterbuch der Strassburger mundart. 1. lieferung. Strasshai;^
J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1895. 48 s. 2,50 m.
Sciences, bellcs-lottres et arts dans les Pays-bas surtout au 19** siecle. Bibliographie
systomatique. Tome I. Linguistique, histoire litteraire, belles-lettres. Avec u»
table alphabetique. La Haye, M. Nijhoff, 1895. VHI, 301 s.
Singer, S., Apollonius von Tyrus. Untersuchungen über das fortleben des
antiken romans in späteren zeiten. Halle, M. Niemeyer, 1895. Yl, 228 s. 6 b.
WiHser, Wilh., prof. dr., das Verhältnis der minnelieder-handschriften A und Cn
ihren gemeinschaftlichen quellen. Progr. dos gymn. zu Elutin 1895. 24 & 4.
Zimmerli, J., die deutsch -französische Sprachgrenze in der Schweiz. IL teil: die
Sprachgrenze im Mittellande, in den Freiburger, Waadtländor und Bemer alpeo.
Basel und Genf, H. Georg, 1895. YIU, 164 s. nebst 14 lauttabellen und 2kartco.
NACHRICHTEN.
Am 19. august starb zu Zürich der ordentl. professor der german. philo!<ipfi
dr. Ludwig Toblor (geboren 1. juni 1827 zu Hirzel), am ochweizorischen idiotib»
einer der hervorragendsten mitarbeiter, dem auch unsere zeitschr. eine reihe w«ft-
voller beitrage verdankt; am 16. sept zu Weimar der archivrat dr. Ernst Wülcker
(geb. 24. august 1843 zu Frankfurt a. M.), mit dem wider einer von den foiisetiefB
des Grimmschen Wörterbuches aus dem leben schied.
Der ordenti. professor dr. Friedr. Kau ff mann in Jona folgte einem nifc »
dio Universität Kiel; an seine stelle ist der privatdoccnt dr. Victor Michels in
Göttingeii berufen worden.
Professor dr. Baochtold in Zürich hat den bereits angenommenen ruf an die
Universität Leipzig nachträglich aus gesundheitsrücksichten ablohnen müssen.
Halle a. S. , Bnchdrackorei dea WaiaenhaiueB.
\ ZUR VORGESCHICHra DES MUNCHENER HELUND-
TEXTES.
Die Münchener liaiidscbrift dos Heliand ist „von aiifang bis zu
t v<jn ein und derselben sauberen und deutlichen band gescbrio-
■ (Siovers, Heliand, einleit. s. XI). Bei der heretellung einer ihrer
vorlagen aber — gleichviel ob der nücliston »der einer dieser vornuf-
gehendcn — haben sich offenbar drei schroiber nacheinander abgelöst.
Als „teitfoMsil", dessen ivir uns bedienen können, um die grenzen des
*on dem einzelnen schreiber hergestellten textteilos zu bestimmen, liisst
&ich vortrefflich der accusativ sing, niasc. des bestimmten arti-
kek (bzw. prononien domonstrativurns oder personale) benutzen,
der bei dem schreiber von v. 85 — 1791/185y' thana beisst, hei
^m von v. 1859 — 4923/25 i/tcne, und bei dem dritten, von v. 492Ö
B [thena].
H Von den beiden doppelzahlcn ist der erste bestandteil als num-
j|Rer desjenigen vorses zu verstehen, welcher zum letzten male die
charakteristische form des ungefälir bis daliin reichenden Schreibers
enthält, während der zweite bestandteil denjenigen vers angibt, wel-
chen der vorgeliendü schreiber ja zur not noch geschrieben haben kann,
weil bis dorthin kein weiterer fall eines accus, sing. mase. vom be-
Btimmtfn artikel vorkommt, hinter dem aber unmittelbar darauf eine
accusativfonu folgt, die unzweifelhaft bereits die tätigkoit des näcbst-
folgeniten sohreibers verrät
Mit den äusserlichen mittein „gesperrt antiqua" für thana, „kur-
»iv" für tke»£, „parentbeso" für [tbena] wechsele ich in der absieht,
um die übersieht über meine zusammen-stellungen zu erleichtern.
Wenn ich mich nicht begnüge, für jeden der drei textabschnitte
einfach nur anzugeben, wie oft jede der verschiedenen formen des acc.
sing. masc. vom artikel (pron. demonstr.) darin vorkommt, sondern joile
stelJe einzeln aufführe, so geschieht dies, weil ich glaube, die von mir
bier festgestellte textgoschicbtiiche tatsache wird leichter ausgenutzt
K 1) Icll
1) Ich eitjere nach der ausgäbe von Sievers.
434
EUNOHARDT
werden, wenn jeder sich binnen fünf minuten bequem überzeugen
kann, ob meine angaben verlässig sind oder nicht
Meine nachstehenden listen aber habe ich so eingerichtet, dass
ich für die nornialform jedes Schreibers einfach nur die versnummer
jeder belegstello angebe. Die dazwischen vereinzelt eingestreuten vari-
anten setze ich an der ihnen zukommenden stelle in der aufeinander-
folge der vcrsnummern mit ein imd schreibe die abweichende form
immer gleich hinter der versnummer ihres Vorkommens aus.
Die tatsachen nun, um die es sich hier handelt, sind folgende.
JJei dem durch die form thana charakterisierten Schreiber finden
sich folgende bclegstellen für den acc. sing masc. vom bestimmten
artikel:
95, 103, 104, 106, 107, 215, 228, 265, 270, 307 then, 309, 363.
514, 554, 602, 005, 635, 637, 642, 655, 684, 712 than, 757, 762,
790, 890, 896, 916, 958, 990 thane, 1013, 1023 thane, 1050, 1080.
1095, 1095, 1096 then, 1180, 1186, 1190, 1344, 1268, 1270, 1279,
1282, 1356 thane, 1384, 1416, 1421, 1469, 1484, 1488, 1497, 1581
1585, 1627, 1693, 1706, 1786, 1791.
In dem toxtabschnitto, in welchem sich uns ein neuer Schreiber
durch den gebrauch der form thrne verrät, kommt der aca sing. masc.
des artikols an nachstehenden stellen vor:
1859, 1863 thana, 1864 thana, 1868, 1871, 1888 thana, 1899.
1905, 1927, 1931, 1979, 1980, 2014, 2158 thana, 2290, 3308, 2313,
2314, 2319, 2362, 2405, 2410, 2444, 2504, 2511, 2611, 2615, 2671,
2()82, 2688, 2692, 2703, 2704, 2718, 2733, 2737, 2772, 2780, 2788
then, 2854, 2906, 2921, 2922, 2942, 2944, 2946, 2947, 2986, 8026,
3110, 3138, 3300, 3201, 3210, 3226, 3237, 3303, 3337, 3348, 3357,
3359, 3492, 3500, 3617, 3675, 3685, 3711, 3733, 3805, 3907, 3933,
4080, 4081, 4099, 4130, 4272, 4274, 4442, 4482, 4622, 4555, 4623,
4764, 4775, 4787, 4809, 4814, 4857, 4874, 4886, 4914, 4923.
Und nimmehr folgt bis zum endo der hdschr. ein dritter Schrei-
ber, welcher für die in rede stehende function die dialoktform [thenaj
gebjauoht. Die cinschliiglichen stellen sind folgende:
4926, 4946 thenc, 4949 thene, 4954 Hirne, 4963, 4989, 5071
5074, 5133, 5162, 5238 thane, 5260, 5266.
Man sieht, dass ich schon in der allerei-sten thene-form^ welche
auftaucht (v. 1859), einen beweis von der tätigkeit des thefic-sohieihm
sehe, obschon gleich darauf noch zwei formen vom typus des eretett
Schreibers („thana", v. 1863 und v. 1864) folgen. Aber so veAeW
es wäi*e, anzimehmen, das dem thana-schreiber, anmittelbar berortf
ZUR VOROKSCmCHTB DES MÜNCHENKB HELLLNDTEXTE8 435
von seiner tätigkeit als copist abgerufen wurde, zum ersten male eine
vorher nie gebrauchte form in die feder gelaufen sein sollte, die zufäl-
lig mit dem dialekte seines nachfolgers in der arbeit der codex -ab-
schrift übereinstimmte, so natürlich erscheint die Vorstellung, dass
der tkene-schreiheT zunächst zwischen den beiden prinzipien a) fort-
setzung des dialektes seines Vorgängers b) durchführung seines eigenen,
schwankte, dann aber mit entschlossenheit sich für das letztere ent-
schied.
Ähnlich denke ich mir Situation und verfahren des [thena]- Schrei-
bers, der schon v. 4926 das ihm mundgerechte [thena] gebraucht, dann
aber noch dreimal (v. 4946, 4949 und 4954) sich zwang antut, um
die dialektform seines Vorgängers fortzusetzen, bevor er — von v. 4963
ab — sich entschliesst, grundsätzlich seine eigene dialektform zur
geltung zu bringen.
Unter diesem gesichtspunkte ist es auch durchaus nicht unwahr-
scheinlich, dass schon mehrere derjenigen thana-formen, welche der
ersten tkene- form unmittelbar voraufgehen, dem ihene-schieiher ange-
hören, und dass ebenso die letzten <Aewe- formen unter der bemühung
des [thena] -Schreibers entstanden sind, der vorerst darauf ausgieng,
das sprachliche muster seines Vorgängers in voller treue nachzuahmen.
Wenn ich darum oben die beteiligung der drei verschiedenen
Schreiber an der anfertigung der vorläge oder einer der vorlagen des
Monacensis so angesetzt habe:
thana-schreiber v. 85 — 1791/1858,
ihene-schreiheT v. 1859 — 4923/25,
[thena] -Schreiber v. 4926 — 5275 (schluss der hdschr.),
so habe ich damit nur sagen wollen, dass allerdings meines erachtens
der /Ä^we- Schreiber bei v. 1859 und der [thena] -Schreiber bei v. 4926
unbedingt schon am eopiertisch gesessen haben müssen, und dass denk-
barerweise der thana-schreiber seine arbeit bis an irgend eine stelle
zwischen den versen 1791/1858, sowie der ^Äe^ie- Schreiber die seinige
bis zu irgendwelchem punkte der verse 4923/25 fortgeführt haben kann.
Wahrscheinlich aber ist vielmehr, dass sowol der /Äe?i^- Schreiber wie
der [thena] -Schreiber schon ein hundert oder mehr vorso vor der oben
bezeichneten äussersten grenze mit ihrer arbeit angefangen haben, zu-
nächst dem muster des Vorgängers sorgsam nachgehend.
Ich nenne nun noch die stellen, wo der ta- stamm nicht als artikel,
sondern als pronomen, personale oder demonstrativum, erscheint
Da beide fiinctionen nirgends im Heliandtexte zu einer difibrenziening
^ sa gninde liegenden form geführt haben, so weist auch der acc.
28*
43G ELINOHARDT, ZUR V0R0E8CHTCHTE DES UÜNCHXNER HKUANDTEZTB8
sing, niasc. des pronomens die jedem Schreiber für den nämlichen casus
des artikels eigene form auf.
Der textabschnitt des thana-screibers enthält nur einen fall, wo
der ta- stamm als pronomcn auftritt, nämlich v. 1708, und zwar hat
dasselbe dort die reguläre form thana.
Im an teile des //^e?^c- Schreibers, wie ich denselben oben bestimmt
habe, finden wir 7 solcher fälle. Von ihnen bieten 6 die charakte-
ristische form theiie: 1870, 1977, 3203, 3923, 4821, 4912; und die
siebente ist gegenständ einer korrektur gewesen. In v. 2G68 hat näm-
lich ursprünglich y^thanc^ gestanden, eine form, die im anteil des
thana-schreibei's 3mal und in dem des [thena]- Schreibers Imal, beim
/Ä^/if- seh reiber aber sonst nirgends vorkommt Aus diesem „^/lawr"
ist dann durch korrektur y^ihrene"' gemacht worden.
In dem erhaltenen bruchstück des vom [thenaj- Schreiber ange-
fertigten textteiles findet sich überhaupt kein beleg zu unserer form als
pronomen.
Zähle ich nun artikel- und pronominalformen unterschiedslos zu-
sammen, so ergibt sich, dass sich die im ganzen Münehener Heliand-
texte vorkommenden fälle vom acc. sing. masc. des ta-stammes auf die
drei vei^schiodencn Schreiber verteilen wie folgt:
thana-schreiber: 55 thana, 3 thane, 2 then, 1 than.
///p/«^- seh reiber: 93 thenv, 4 thana, 1 then, 1 thuene.
fthena]- Schreiber: 9 fthena], 3 thene, 1 thane.
Ich meine alles im vorliegenden falle interessierende gesagt zu
haben.
Nun wird sich jedem leser dieser zeilen die frage nahe legen:
sollt(*n nicht die drei dialcktverschiedenen Schreiber der Monaeensis-
vorlage ihre sprachliche eigenart auch noch in anderen dingen, ausser
dem acc. sing. mas(\ vom ta-stamme, verraten? Die beantwortung
ders(?lbon wird gleiches interesse erwecken, ob sie positiv oder negativ
ausfallen mag. Leider hindern mich persönlich näher liegende berufc-
aufgaben, dem voi'liegenden gegenstände in dieser richtung noch wei-
ter nachzugehen.
liKNDSBl'Uir (UOI-STKIN). H. KLIXGUAROT.
SPRENQEB, Zu MAI UND BtAFLOR 437
ZU MAI UND BfiAFLÖR
Den text der durch Franz Pfeiffer besorgten ersten ausgäbe von
Mai und Beaflör (Ijoipzig, Göschen, 1848) hat der herausgeber selbst
für der besserung bedürftig erklärt Was ich mir im laufe der jähre
bei widerholter lesung der schönen erzählung zu einzehien stellen
angemerkt habe, stelle ich im folgenden zusammen. Da es mir an
zeit und gelegenheit fehlte, die in den letzten jähren über das gedieht
erschienenen arbeiten vollständig zu vergleichen, so hat auf veranlas-
sung der redaction dieser Zeitschrift herr dr. F. Schultz in Kiel, [jetzt
in Husum], der sich selbst eingehend mit Mai und Boaflor beschäftigt
und beide handschriften neu verglichen hat, meinen aufsatz durch
eine reihe von bemerkungen imd Zusätzen ergänzt, für die ich ihm
meinen besten dank sage.
10, 17 ist find nicht, wie der herausgeber meint, zu streichen.
19, 5. ob dir herxenleit geschiht,
da^ lä^ bi dir lange niht
dhics libes im^ ouch niht xe geil,
so volgct dir scelde unde heil
Statt libe^ verlangt der Zusammenhang als gegensatz zu hcrxeuleit: lie-
bes; vgl. Konr. v. Fussesbrunnen , Kindheit Jesu, horausg. von Ko-
che ndörflfer 1623 fgg.: o2(ck ist uns dicke geseit, e^ si ein grö^c scelec-
heit, swcr sine fröude tmd sin klagen in (lies: xe) rehter md^e kihine
tragen y st sines liebes niht xe rrö tmd klage sin leit also, da^ er sin
niht rnere a)^
21, 11. da ivolde er xiio mischen,
ob er si möhte erwischen
oder an iht gerähen.
Die Vermutung des herausgebers: er^ xuo miscJien ist mir unverständ-
lich. Die lesart von B sich xuo mischen gibt allenfalls einen sinn
(sich darein mengen?), doch vermute ich, dass mischen aus ivischen
entstanden ist; vgl. über dieses wort in der bedeutung „sich schnell
wohin begeben" ausser Lexer III, 938 Schmeller^ II, 1041. b)
25, 7. 2W^ mil^ ligende hoeren. Die lesart von A: wils ist nicht
zu bezweifeln, da h(eren auch den genetiv regiert c)
27, 4 hat die hdschr. du irilt leckt umbevücren mich. Der her-
ausg. vermutet cht für lecht\ es ist aber liht „möglicherweise, viel-
leicht** zu lesen, d)
1) Die buchstaben a) b) c) fgg. verwoison auf den zweiten teil des aufsatzes
' vm Sohults.
438 SFRENOEB
28, 10 lies: sin (ihres vaters) irre (verirrung) si üf trüren treif,^)
28, 28 lese und interpungiore ich:
e^ is he^Ty da^ ich eitie not
lide dann wir beide
mit immer iverndem leide
mücsten doch entsfietit stn,
ich tmd der leider vater min.
entsnetit setze ich statt des hdschrl. entsetvnt. Über ensnöuwen, mi-
sniiaven „beschimpfen" s. Mhd. wb. ü, 2, 450b; Lexer I, 567 und
589. Weder das in den text gesetzte entsitinet Vollmers noch die in
den anmerkungen mitgeteilten Vermutungen (entsüefiet, ensamcnf) ent-
sprechen dem zusammenhange.
37, 23 lese ich: nü wele sivelhe^ dir lieber st. f)
41, 8 ist mit B zu lesen:
da der gater Jiesamene gät,
da^ sin der nagel solde,
da^ icas ein buckel von golde.
Vgl. 41, 25 fg. da^ din tassel sohlen sin, da^ waren xwenc mbin.
42, 38 ü^ heiser stimme si schre. Es ist kein grund das in bei-
den hdschr. überlieferte hei^^er ^ „stark, heftig, inbrünstig'' zu ändern;
vgl. hei^ Worte y hei^iu rede.
46, 18 ist mit den hdschr. zu lesen: der jämer die vrcudc in
diu'chdranc. üurchdringcn ist = durchbrechen; vgL 13, 37 der jnmer
ir durch ir rreude brach, 24, 18 der xorn im durch die tugcmk
brach, g)
52, 17. da^ lant ist vesie unde giiot,
vor aller vreise ivol behuot.
an einer eingeht e^ stdt:
da^ mer alumb dar umbe gät.
Der hcrausgeber voniuitet, dass v. 19 ursprünglich gelautet habe: wan
e^ einxehten stdt. Es genügt aber statt eingeht einzeht zu lesen, da
bei Schmellcr^ I, 89 (vgl. auch Lexer I, 532) auch ein subst die Aifi-
xecht -= einöde verzeichnet wird. Das wort hat hier die bedeutung
einer ganz abgesondert liegenden örtlichkeit, wie ja auch Äitiocd noch
jetzt in Tirol und Oberbayern als bezeichnung eines einsam und ganz
abgesondert liegenden bauernhofs vorkommt.
53, 7. gcnnoc Hute wären da:
die liefen an die reise sä
und nämen des schiffelines war.
zu MAI UND B^AFIidB 439
die reise loufen erklärt Pfeiffer mit berufung auf Schmeller 3, 125 u.
) durch „zu den waflfen greifen, sich in Verteidigungsstand setzen."
ein diese erklärung entspricht dem zusammenhange nicht Ich
reibe:
die liefen an die rise sä.
? (vgl. Mhd. wb. I, 726; Lexer 11, 458) bezeichnet eine rinne, auf
der man gefälltes holz herabrollen lässt. Nach Ulrichs von lieh-
stein Frauendienst 365, 31 ei7i stecliel rise xetal ich lief gein einem
^eVy da^ was tief und 366, 9 nach mir die rise er lief xe tal wur-
sie auch als fussweg benutzt. Der Schreiber von B, der sich den aus-
ck nicht zu deuten wusste, schrieb — nach Schultz — xuo dein wasser.
79, 7. genäde, vrawe. nu nemet war:
ja hän ich lip und leben gar
in iwer genäde siis ergeben,
da^ ich teil iuwer eine leben
immer al die wile ich lebe
in V. 10 ist ein deutliches beispiel für die von Haupt zu Engelh.
7 angenommene bedeutung = iiiuivan. Entsprechend hat B: und
wann etvr aine leben.
87, 36. Das in den text aufgenommene Icunnent entspricht der
che des dichters nicht, da diese form erst seit dem 14. jahrhun-
(s. Weinhold, Mhd. gr. § 396) erscheint. A hat richtig chun7ien,\))
111, 20. manec riter dö gerte
als hungerige^ vederspil,
herausgefrer vermutet: dö strttes gerte; eine änderung ist aber
t geboten, da gern hier die begierde des Jagdfalken nach beute
jexer I, 885) bezeichnet Vgl. auch girvalke!
118, 39 fgg. sind in Pfeiffers ausgäbe folgendermassen gedruckt:
renncere si vür sanden:
die solden in enblanden,
dax man xeck hei^eten,
da man die vint mit rei^t,
der anmerkung wird enblanden in erblanden verbessert Allein
1 dies trifft den sinn nicht Ich interpungiere:
renncere si vür sanden,
die solden in enblanden
dax man xecken heixet,
da man die vint mit rei^t
440 SPBBNOKB
D. h.: Sie sandten reitende boten voraus, die sollten sich das geplwi
kel angelegen sein lassen, womit man die feinde reizt Vgl. $i lUz
in strit enblanden „sie li essen sich den streit angelegen sein, kämp
ton mit aller macht", Rabonsl. 28b.
122, 29. er ist ob U7is allen ein her. Es ist ob zu streiche
Die Schreiber haben die redensart einem ein her sin nicht verstand
und her als abgekürzte form von herre gefasst.
130, 12 lese und interpungiere ich:
er sprach: „alle^ da^ ich niae
nach eren gewerben
— dar umbe und tmio^ ich sterben —
durch iuch und durch die vrouwen min,
des tuon ich wülccliclien schind
dar umbe und muo^ ich sterben „und wenn ich dabei den tod ei
den muss". i)
138, 31. diu rromve vil uniriuwe pflac,
tnl tvines si sich gein im bctvac
und machte in imnken aber als c\
V. 32 kann so nicht richtig sein. Die handschriften, dio auch weh
statt wincs haben, sind offenbar entstellt: doch hat A richtig u
statt bewac. Ich lose:
vil wines si im wac
„sie teilte ihm viel wein zu". Vgl. Mhd. wb. III, 630. k)
139, 8 liest B unzweifelhaft richtig:
und wi^^et, ob ir da^ lät,
ich tcete iu tvtp unde kint
Für tvisset hat A wart, was von dem herausgcber, dem mhd. spm
gebrauch nicht cntsprccliend iu wartet geändert wird. 1)
150, 32 lese ich: bewart niwene dar an inich „nehmt dabei
mich durchaus keine rücksicht"; fiiwcne = niht ne; B hat dafür n
172, 16. du ur /einsehe der välande.
Schon im Mhd. wb. I, 823 wird mit recht bemerkt, dass urkins*
(die hdss. haben urchonche) „schwerlich richtig" sei. Auch die vom:
tung urkust in den anmerkungen trifft das richtige nicht. Ich vemm
unkiusche „unreine begiorde", personif im Wälschen gast 9914. V
172, 10 dti bist des Übeln tievels brüt.
174, 32 interpungiere ich:
ein gnot cpgtaphium
der bischolf madtte über da^ grap,
dar üf man schreib (ergänze da^), damit er gap
Zu MAI UND B^AniOR 441
urküiide, umbe tviu si was
erslagen, da^ man da^ las.
176, 19 lies: Oeh&rsam was diu (si diner) meisteriii, m) Vgl.
V. 13 ZhIU was diu meixoginne und 15 Triive diu ka^nercerinne was.
177, 6 ist mit A zu lesen:
so pflac diner eren phat
Dürrmot
Der reim phat : tat kann bei unserem dichter nicht auffallen; vgl.
229, 39 siät : erm phat
Nach 178, 7 setze ich einen punkt und lese dann:
ir herzen si nie verhankie,
da^ e^ ie ivürde xwivelhaft
gein dir.
Das ausgelassene si findet sich in beiden hdss.
181, 22. tvir sehen dort ein schiffet stdn,
da^ ist dem dineti geltc/ie,
da^ ir diu tiigentrtche
xuo ir noiten niaelien bat.
dem dlnen kann, obgleich in A überliefert, nicht richtig sein. B hat
dafür ienem. Es wird ui*sprünglich einem oder enem gelautet haben.
184, 13 fgg. lese ich:
si gierigen hin. Benignä truoc
da^ kint. da^ wart gentioc
gekiissct gehaket unde getrüt
Vgl. die lesarten. n)
184, 22. si gierigen an einer stille
in eine kemenäteti,
da e^ was hin geraten.
V. 24 gibt keinen sinn. Ich vermute: als c^ in was geraten „wie sie
dazu aufgefordert waren" (vgl. sachlich 183, 35 fgg.). über die hier
vorliegende bedeutung von rdteri vgl. K. v. Fussesbrunncn, Kindh. Jesu
1888 nn truoc dm hüsfrouwe dar, als ex ir ivas geraten, obcx unde
braten, o)
187, 9 ist mit den hdss. zu lesen:
Da^ vninder ich bestinder
vilr maneger Imnde wtmde?'.
d. h.: „Dies bewundere ich mehr als manche wunderbare begcbenheit "
189, 26. niicen ist unzweifelhaft === niun „neun" und die Vermu-
tung von niuwem goldc nicht statthaft, weil eine Unterscheidung von
altem und neuem golde überhaupt nicht gemacht wird.
442 8PRSNQRB, ZU MAI UND B^UTLOB
192, 4. er ist vor scJiaiiden ein gettverc. A hat von schanit;
zu lesen ist aber: er i^t der schänden ei?i geiicerc. Vgl. er ist da
gdoubin ein gdirerc Martina 221, 57: des prises ein rise fühtdn
twerc MS. H. 3, 170 a.
204, 24. si spräcJien alle: „tinr müe^en
liden den wen, d€7i tvir hän
an tinserr vrouwen getan ...
Der sinn der stelle ist: „Wir müssen das unrecht büssen, das wir
unserer fi*au getan haben." iren (^ wewen) kann nicht richtig sein.
B hat: dg untat; es wird also den 7)iein zu lesen sein. Auch Udcn
in der bedeutung „büssen" ist mhd. nicht möglich; auf das richtige
führt aber widerum die lesart von B Dann, wofür schon der heraus-
geber döim vermutete. Es ist zu lesen:
si sprächen alle: ,^mr niiie^en
döutven den mein, den icir hän
an unscrr vrouwen getan,
207, 6. krütgeslaht „pflanzenart", ein sonst nicht zu bclcgcndt»>
substiuitiv ist bis auf weiteres aus dem Wörterbuch zu streichen; denn
geslaht ist adj. = edel, wie es auch B (nach Schultz krautter slacht) aul-
fasst. Vgl. ein kriutcUn geslaht im Wälschen gast 13, 124. p)
209, 18. Ich sehe keinen grund, das überlieferte niht rcruihtni
in //// vntnihtcn zu ändern, q)
211, 17 fgg. ir enkoufet hie niht umhe ein ei:
wrere ein Bernfcre enxwei
geteilt, dar umhe kaufet ir niht,
Wiis bedeutet ein llcrncere? Der herausgeber hat uns keinerlei andou-
tung darüber gegeben, aber fast scheint es, als ob er dabei an den
sagenberühmton Dietrich von Bern gedacht hat. Auch in den mittel-
hochdeutschen wörterbüchorn ist auf die stelle keine rücksicht genom-
men, wol weil man hier Berncere als eigennamen fasste. A schreibt
Werner, und zu les(m ist herner, d. h. Bemer pfennig, denarius ven>-
nensis; vgl. darüber Lexer I, 196 und Schmeller-Fr. I, 279, wo aus-
führlich darüber gehandelt ist Der Berner ist eine sehr geringwertige
münze und nit ain brrner ist bildliche Umschreibung für „nicht das
geringste" (s. Schmeller-). Der sinn ist also: „Ihr kauft hier auch
selbst nicht für einen halben pfennig. r)
216, 16. min tohter iwer xe md^en gert
Dass xe maz^en „zum tischgenossen" zu lesen ist, bemerkte schon
31. Haupt z. Erec2 1969 (s. 359 oben). Die stelle fehlt im rasten
NORTHEIM, m AUGUST 1894. B. SPBKMQSB.
über Mai und BöaflSr finden sich verstreute bemerkiingcn bei
W. Grimm, „Zur geaohichte des reims", sowie in Haupts ausgäbe dos
„Erec". Neuerdings sind ersciiieneu:
0. Wächter, Unteßuchungeu über das gedieht „Mai und Bea-
flilr" (Jenaer diss.) Erfurt 18t*9. (Vgl. dazu die ausführliche besprechuug
von Steinmeyer in Anz, f. deutsch, altert XVI, 292 fgg.)
F. Schultz, Die Überlieferung der mhd. diehtung „Mai und Bea-
flör" (Kieler diss.). Leipzig 1890. (Vgl. dazu XXIU, 491 fg. und
Anz. f. d. a. XVU, 74 fg.).
Meine arbeit bomht auf einer neuen collation der hss. und bringt
ausser manchen kleineren orgänzungen und berichtigungen zu dem
kritischen apparate und ausser textkritischen vorschlagen auch mehrere
ganze verse bei, von denen in der ausgäbe jede spur fohlt Es seien
I diese verse im folgenden für weitere kreise mitgeteilt,
I 92, 11 fgg. hat B:
1 11. Syben man: tiann er gettas
H 12. Mii seinem pet er das erlasx
H 12 a. Den iiefel er von im vertraib
U 12 b. Das er wol gesund belaib.
13, Also siilleti ivir pillen goi
14. Das des vbeln tiefeis spol usw.
vgl. dazu Schultz, a. a. o. s. 19 fg.;
hinter 109, 26 finden sich in AB:
26a. sand er im, diu «vts' not gesniten,
26b. gröx richheit^ iiiht daran icas venniten,
vgl, dazu Schultz, a. a. o. s. 37 fg.;
hinter 218, 38 ebenfalls in AB:
38a. Si sprach: „kerre, nu exxet gern''.
38b. Er sprach: „ich wil iuch^ gewern",
vgl. dazu Schultz, a. a. o. s. 39;
hinter 234, 28 nur in B (A bricht bereits mit 224, 18 ab!):
28 a. vnd lieff an Rdboälen
28 b. vnd kust in zuo Tausont vitilen
28 c. an derselben stund
28d. an wang an äugen vnd an mttnd,
vgl. dazu Schultz, a. a. o. s. 22 fg.;
1) icns Tob» B,
2) ritlerhait daran niflil <rarl vtniiiteii, B.
3) ew sein gewem B.
444 SCHULTZ
hinter 236, 14 ebenfalls nur in B (s. oben!):
14 a. nach hiscliofen, nach Cardinäln,
14 b. Er wolt nicht entwäln,
vgl. dazu Schultz, a, a. o. s. 23, und
hinter 242, 5 gleichfalls nur in B (s. oben!):
5 a. tt-ir süllen vns gehaben ivol,
vgl. Schultz, a. a. o. s. 23 fg.
Zur fabol der dichtung vgl. ausser
Morzdorf, „Des Bühelers königstochter von Frankreich*, Olden-
burg 1867 und
Suchlor, „Über die sage von Oflfa und prydo** PBB. IV, 500 fgg. noch
H. Hagen, „Der roman vom könig ApoUonius von Tyrus" in
Virchows und Holtzendorflfs Sammlung gemeinverständlicher wissen-
schaftlicher vortrage, ser. XIII, heft 303, ferner
Konr. Hüfmann, Amis et „Amiles nnd Jourdains de Blaivies*',
2. aufl. Erlangen 1882 s. XXXIII fgg. und
E. Kohde, „Der griechische roman und seine Vorläufer*^, Leipzig
1876.
a) Zu 19, 5. Bestätigt wird Sprengers Vermutung durch die aus-
(Irückliclio gogonüberstellung von liep und leit in 18, 40. Es werden
die einzelnen elomente dieser gegenüberstell ung vorher 18, 34 fgg. nach
der allgemeinen Vorschrift 18, 32 fg. gleichsam unbewusst und zufallig
gefunden, hier nach der präcisierten fassung 18, 39 fg. und nochma-
liger nachdrücklicher mahnung 19, 1 — 3 gleichsam bewusst und geflis-
sentlich herausgekehrt, um sie schliesslich in dem gemeinsamen lohn
der sacldc tnidc heil 19, 8 widerum zusammenzufassen. Diese breite
ausdrucksNvcise eignet durchaus dem dichter und seiner volkstümlichen
leiirhaften dai-stellungsweise; vgl. Wächter s. 20 fgg. Zu dem ausdniek
Vgl. des rauhes geil und ähnliche Wendungen mit geil.
b) Zu 21, 11. Über da tvolde er xno misclicn und erx xuo mi-
schen vgl. Mild. wb. II, a, 287b. Die änderung von vmchen in irischen
würde übrigens einen rühn^nden reim {id-schen : erwischen) ergeben,
der freilich von dem dichter nicht ängstlich gemieden worden ist (vgl
Wächter s. 10), aber gegen die gemeinsame lesart beider hss. doch
schwerlich hergestellt weiden darf. Es empfiehlt sich wol, mit B sich
xuo mischen in dem oben vermuteten sinne in den text au&unehmen.
c) Zu 25, 7. Es entspricht weder das in dem texte stehende
ich H'il\ ligende haroi noch die oben vertretene lesart der hs. A tck
u'ils ligende hären der Situation, sondern allein jdie schon von mir iv
meiner dissertation s. 60 vertretene lesart der hs. B ich wiläkktM^
J
zu MIT UND B^FLOR 445
fueren. Denn es kommt dem sprechenden doch nicht darauf an, dass
er das, was die angeredete ihm zu sagen wünscht, im liegen hört,
sondern doch darauf, dass sie, die nach 25, 1 (vgl. auch 25, 12 fg.)
nur erst einmal sich erheben zu können begehrt, liegen bleibt und
was immer sie zu sagen wünscht, in dieser läge, ohne sich zu erhe-
ben, mitteilt; das Ugende gehört also nicht sowol zu ihm, dem vater,
der hören soll, als vielmehr zu Beaflor, die gehört werden will und
die er hören soll.
d) Zu 27, 4. Ich schlug bereits in meiner dissertation s. 60 vor:
du wilt Ithte u^nbeviieren mich.
e) Zu 28, 10. Ich vermute, die Überlieferung — es handelt sich
hier zudem infolge der durch das abhandenkommen eines doppelblattes
in A hier entstandenen lücke (vgl. meine dissertation s. 7) nur um die
der hs. B, über deren beschafTenheit und Zuverlässigkeit ich in meiner
dissertation s. 5 — 48 und s. 56 — 60 ausführlich gehandelt habe — ist
hier verderbt und das überlieferte irr aus ursprünglichem ir herre ent-
standen. Es wäre Iierre dann hier wie auch Küdrun 611, 3 (vgl. 610, 2)
zur bozeichnung des vaters von seiten der kinder (s. D. Wb. IV, 2, 1127)
gebraucht und mit anderer Interpunktion als in der ausgäbe sodann
zu lesen: ir Jierre »i üf trüreii treip,
dax leit smerxte si ie me.
Es dürfte auch inhaltlich und stilistisch sich empfehlen, so zu lesen.
Denn einerseits käme so, nachdem Beaflor bis 28, 9 nur an ihre glück-
liche befreiung gedacht hat, jetzt 28, 10 fgg. der doch nur natürliche
gedanke zum ausdruck, dass bei der erinnerung, ihr vater sei es, der
sie zu vergewaltigen versucht habe, sie sich nicht nur sehr betrüben,
sondern je länger je mehr sich betrüben musste. Anderseits wäre aber
auch so in echt volkstümlicher ausdnicksweise zwischen den verscn 10
und 11 eine Verbindung hergestellt, bei der dax leit in 11 den gan-
zen letzten satz in 10 aufnehmen und nicht mehr isoliert dastehen
wüi*de.
f) Zu 37, 23. Die änderungen des dÄ ivele in nü tvele empfiehlt
sich auch mit rücksicht auf das nü nim die tval 37, 14, das hier wider
aufgenommen wird.
g) Zu 46, 18. Bei dem ausgedehnten gebrauch, den der dichter
nach Wächter (s. 15 fg.) von der apokope eines tonlosen e im auslaut
vor konsonanten macht, lässt sich gewiss auch die durch beide hss.
überlieferte und überdies mit den oben angeführten parallelen — 13, 37
ist übrigens auch ebenso wie in unserem verse 46, 18 und in 24,
18 für das zweite ir mit B der artikel die zu lesen — auch in
446
der voranstellung dos pronominalen dativs übereinstimmende Stellung
der iämer in die vreude durchdranc
beibehalten; die apokope wird hier sogar vielleicht noch durch das zu-
saramentrefTen gleicher konsonanten (vgl. z. b. 39, 11. 195, 38. 216, l
und bei homorganen konsonanten 24, 6 imd 179, 40) gemildert oder
begünstigt
h) Zu 87, 36. Ich habe in meiner dissertation 8.49 — 55 auf
grund einer statistischen beobachtung der reime die grundsätze für die
orthographische darstellung der dichtung zusammengestellt und s. 56
auch auf das der 3. plur. praes. der praeteritopraesentia in der ausgäbe
ohne grund angehängte t in kuniient 87, 36. 38, 4. 209, 14 und in
mugent : tugent 155, 23. 24 und andere versehen im texte der aus-
gäbe aufmerksam gemacht.
i) Zu 130, 12 fg. Der gedanke ist gefällig; aber eine solche Stel-
lung des Sätze vorknüpfenden undc ist mir doch sehr bedenklieb.
k) Zu 138, 31 fg. Den überlieferten lesarten entspricht, von der
augenfälligen entstell ung des sicherlich ursprünglichen wines abgesehen,
am meisten vil ivtnes st sich gegen im wac.
Nach Mhd. wb. III, 628, b wird sich wegen mit folgender präposition
oft parallel mit sich vlixen in der bedeutung „sich bestreben" gebraucht
Vil wines st sich gegen im wac würde demnach bedeuten: sie bestrebte
sich gegenüber dem boten in bezug auf viel wein, und der folgende
vers toid machte in truniccn aber als e würde dann dieses bestreben
durch die angegebene folge näher bestimmen. Es dürfte auch diese
synthetische form des ausdrucks, bei der ein neuer gedanke den ersten
erweitert oder ergänzt als grund oder folge oder auch als bild oder
Sache, ebenso wie die synonyme form, bei der derselbe gedanke mit
anderen werten widerholt wird, und wie die antithetische, bei der ein
gedanke durch seinen gegensatz genauer bestimmt und eindringlicher
gemacht wird, der volkstümlichen darstellungsweise des dichtors eignen.
Wächter kommt s. 34 fgg. freilich nur auf die synonyme und auf die
antithetische form des ausdrucks zu sprechen, scheint aber auf diese
synthetische form nur nicht eigens geachtet zu haben; vgl. z. b. noch
98, 39 fg., eine stelle, die auch Wächter anführte
1) Zu 139, 8 fg. Unzweifelhaft richtig scheint mir hier das von
dem herausgeber unter Zugrundelegung von A in den text gesetzte
1) Es werden in ähnlicher weise bei dem parallelismus der hebräischen poesie
dieselben drei formen, die synonyme, die antithetische und die synthetische fonn
des ausdrucks unterschieden.
1 ^iSiM
vartet zu sein; wixaet, das B bat, ist unzweitelliaft nur ein voi-flach-
ier ausdruck fiir wartet.
m) Zu 176, 19. Ich schlug dtn meisienn in nioiner ilissertation
. 56 bereits vor.
n) Zu 184, 13 fgg. Bei Sprengers ändemng sind dot-h gerade
die lesarten" sehr wenig berücksichtigt worden. Nach ihnen werden
■wir vielmehr, wie auch in den anmerkungon nachgetragen worden ist,
184, 14 fg, mit AB lesen:
daz kint, daz wart gekiisset gpiiuoc,
gehalset unde getrüt.
Es lässt sich bei der verskunst unseres dichtere (vgl. Wächter
i. 11 fgg.) und dem nach Wächter (s. 16 fg.) recht ausgedehnten gebrauch
der Synkope doch metiisch auch nichts gegen die veree einwenden und
dürften die verse zudem durch die oben zu 138, 31 fgg. erwähnte
synthetische form des nusdrucks sich sogar noch stilistisch empfehlen,
o) Zu 184, 22 fgg. Dem Zusammenhang und der ganzen Situation
würde wol am meisten entsprechen, 184, 23 hinter hcmen/Uen den
satz mit einem punkt zu schliessen und dann zu lesen:
do ex ißos hin geraten,
si sparten umbe. und umbe xuo.
Es wäre alsdann zu übersetzen: „Als man ((la)hiu gekommen
(vgl. 170, 2), verschlossen sie ringsum das haus." Mir ist nur
der Wechsel der grammatischen eubjekte bei — freilich nicht ganz:
= R6b(ifH, Benignä, Beaflör und daz kinl:
= RtibMl und Benigrui —
gleichen logischen Subjekten nicht unbedenklich.
p) Zu 207, 6. Die Vermutung, dass geslaht als adjektiviim zu
fassen ist, bestätigt nicht nur die lesart krautier stacht in B, sondern
auch die hs. A; sie hat deutlich chrout geslaht in zwei wöiteni ge-
flehrieben.
q) Zu 209, 18. Die angäbe in den anmorkungen der ansgiibo
ist unrichtig. Denn es ist
ihl entnihten
tatsächlich von A überliefert und
niht rernichten
nur von B; vgl. meine dissertation s. 59.
KIBL 1895. FERDINAND SCHULTZ.
448 vooT
ARIGOS BLUMEN DEE TUGEND/
Ths
(^)Hie sich an höbet das puche der 9^cht, ler/ vnd an-
weisung, genant die plumen der tugont genade vnd Qüch-
ticheyt.
Ich habe getan als der in dem chülen Meyen In der schönen vnd
grünen praiten wissen abgeprochen hatt, die edelsten vnd schönsten
plumlein / vnd daraus gemacht einen schönen vnd grossen ehrende
Den 911 einer geleichniis meine clainen werche vnd püchlein, das mit
nomcn geheyssen ist die plumen der tugent, genade vnd Qüchticheit
vnd alle die meine werche soeben, hören oder lessen, ob das were,
das ich dar Inno indert 9U straffen were, Das Ich williglichen von
einem Iglichen auf nyme, sein straffen 9U mir in sein gewissen sc^von.
Im der eren vergünnen vn mir den schaden.
Von Erste von der liebe vnd vrsache aller liebe nach
dem als vns vnsre heylige lerrer schreyben.
VNs schreybet der grosse lerrer thomas, Das [lust, liebe]- vfid^
freüntschaft Ein ding ist. daii* er spricht, Die erste vrsache einer
iglichen liebe vnd freüntschaft das soy die erchentnüs. CAuch der lioy-
lig lerer sant augustin spricht, das die erchentnüs pechome von
fünferley ^eichen des leybeß. Von erste von dem gesiebte der äugen.
Das ander von dem hören der oren. Das tritte von dem gesraache
der nassen. Das virde von dem versuchü des mundes. Das fünfte mit
dem greiffen der hende (2) Auch mere von Etlichem andern teyle^
dos leybes. als von den synnen der vcrnüst^^ die da sein in der ge-
dechnüs der vernust des leybes. Vnd von'^ solcher gedechnm rnßr
1) Der nbdruck ist bis auf die auflosimg der abbreviaturen für rer nnd ft
})uchstabengetrou , nur die inteiimnktionen habe ich hinzugefügt, sofern sie nicht
schon die handschrift in gcstidt von Schrägstrichen und punkten bot Diese, die ein-
zigen, spärlichen iuterpunktionszeichen , welche die hs. kennt, habe ich auch da bei-
behalten, wo sie unserem brauche nicht entsprechen, im übrigen bin ich der modor-
nen regel gefolgt. Zweifel, ob ein zeichen von mir oder aus der hs. stanimt, l^t nur
beim ))unkt am Schlüsse des satzes möglich.
2) Durch cinklammerung werden werte, die am rande oder zwischen den Zei-
len der hs. nachgetragen sind, gekonnzeichnet.
3) Durch cursivdruck werden auf rasur geschriebene oder durch sonstige cor-
recturen entstandene worte gekennzeichnet.
4) dan aus ican corrigiert, so öfter.
5) e, darüber ein strich von schwärzerer tinte.
G) Curr. aus vemüsticheyt.
7) Corr. aus In.
▲BIQOS BLUMEN DER TUGEND 449
vemuLst bechomt^ der erste vrsprung der liebe vn freünschaft. Doch
der mer vü gröste teyle pechomet von dem gesiebte der äugen €Nacb
dem als der pbylosofo* spricbt, Das der erste wüle des leybes sich
pegebe vfi cbome von der erchentnüs. Dar nach 9U bant das gemüte
sich verchere in lust, vnd vm sölcheß glustes icillen In dem hercxen
sich begebe ein wille vnd^ pögire, die der [mensche] durch die erchent-
nüs enphangen batt Die selbig pegire chomt von einer boffnung,
9U haben das Im dan vor gefallen vn gelibet hatte. Das ist das, do
von chomet die gröste vfi hoste liebe der tiigent\ die da ist ein anfange,
gruntfest vü Schlüssel aller tugent, CAls dan der grosse lerer Aristotile
Im (!) dem decreto geschriben batt CAuch der lerrer thomas das pewey-
8et Do er spricht, chein tugent nicht mag gesein an^ liebe (usw,).
S. 3. Das ander Capittel von der minne vnd liebe gott:;,
die da genant ist pey den gelerten Caritas -^ cv>
S. 5. Von der geporen vnd freüntlicher liebe -7- cv?
S. 7. Von der tritten vnd freüntlichen liebe der guten
geselschaft vnd günner -7- cv?
S. 10. Von der virden liebe vnd Irem luste 4- cv?
S. 12. Von der fünften vnd natürlichen liebe -r- «^
S. 14. Wer übel vnd gute von den frauen geschriben
hatt, als dan ist Salamon, Ipocrate, Omero, Seneca -r- cv>
(17) Ein hystorj von der liebe, Die Amon hatte 9U einer
Jungen frauen vnd si zu Im; die was genät Ephytica/ der
cbünig Dionisio ir haubte wolt ab geschlagen haben.
VOn der tugent der liebe man In den alten hystorien geschriben
vint. Das cbünig Dionisio von Ragusa Einer Jungen frauen, genant
Ephytica, Ir haubte ab weite schlagen / si diemütiglichen vor pate
den cbünig, Er ir verleichen wölte genade vnd frist des lebens, da mit
si vor möchte ir hause vnd heymet versechen, dar nach (18) si willig-
lichen Iren leybe den (!) tode enphelhen wölte, darum si Im ein gut
Nella virtü d*amore si legge nelle Storie Romane che volendo lo re Dionisio
tagliare la testa a uoa che avea nome Pitia (var. Sofia, Fifia, Fisoia), ella ando a
domandare termine otto di per andare a casa sua a ordinäre suo cose, e '1 Re rispose
per beffe che lo farebbe, s'ella desse nno per sua sicurtä che s*obbligasse a tagliare
la testa s'ella non tornasse. AUora Pitia mando per uno che avea nome Damone
1) Corr. aus erchentnüs ist.
2) Corr. in: phylosofg,
3) Corr. aus: vtyn solcher gedechnüs Vn ...(?) willen von dem her^fi (?)
ehomei ein (?).
4) Auf rasur; aus tugent der liebe (?) vgl. ital. or. virtü d'amore.
5) Später corr. in on.
F. DUTTSOSB PUILOLOOIB. BD. XXVm. 29
450 VOGT
gewissen vnd pürgschaft thun wölte. Der chüoig der fraaen irer pete
9u willen warde vnd spräche: hat si yemant der für si verspreche pejr
seinem haubte, Er ir williglichen der der (!) lyeit vnd frist vergünde.
aber das der chunig spräche mit einem halben gespötte. Zubant die
Junge fraue schichte nach einem iren guten freunde vnd günner, der
was genant Amone, der si liebe hatte über alle dinge der weit vnd
dem si chunt thet alle ire sache. von stund an Amon 9U dem chünig
ginge vnd sich im antwurt In sein gefancknüs vnd dar Inen sein
also lange, pis das Ephetica wider chöme; vnd ob das were, das
Ephytica nicht wider chöme, man Im sein haubt nemen vnd ab schla-
gen sölte. Die Junge fraue mit des chimges vnd ires aller liebsteo
vrlab von danne schiede, qu hause chome, Ir sache gendet hatt Amon
In der gefencknüs was; die zeit sich warde neheden, das si^ sich
wider sollte stellen vü ir haubte verlissen. Ein iglicher des Jungen
maus Amon 2 vü seiner grossen Eyfelticheit wart spotten. Aber er chei-
nen 9woyfel noch sorge nicht hatte, wan die liebe gancje was von einem
9u dem andern, also an dem ende der 9eit, das der chünig ir verliehen
hatte vnd si versprochen, si widor chome. Vnd do der chunig das
Sache, sich des nicht verwundern mochte, (19) der grossen freuntschaft
vnd liebe der 9weyer liebe; Vnd vm des willen, das solche grosse,
rechte, getreue liebe vngescheyden plibe, er der Jungen frauen vergäbe,
vnd er nicht gelaubet hatte, das die stercke der liebe vnd freuntschaft
vermüget hat so grosso macht, das si des todes nicht geachtet hat, zu
erleschen die süssicheyt des lebens. vnd die herticheit 9wingen In die-
müticheyt Den neyde vercheren in liebe vnd freuntschaft Nach dem
als valerio Maxime spricht, das die getreuen her9en der menschen
geheuse sein, vfl der grossen stercke der lieb, -r- «^
(var. Amon). ü qiuüo Tamava sopra tutto lo cose del mondo, e a lui disse il fatto.
Incontanente Damonc ando al Ro, 0 obbligossi per Pitia a tagliare la testa se oll»
non tornasse; e Pitia si ando a ordinäre le suc cose; ed essende presse al termiw,
ogni j)orsona si facoa bofTe di costui per la niatta obligazione ch* egli avea fatta. e
egli non temea nientc, tanto era la fede e lo amore della sua amica; sieche alla fine
del termine Pitia torno, secondo ch'ella avea promesso. Lo ßo, veggendo il perfetto
aniore ciravcvano costoro insioine, si lo perdono la morte, acciocijhe cosi leale
amore giammai non si partisso «la loro.
(Fioro di virtu ^lilano 1842 cap. V, s. 39 — 40. Zu den quellen der erzahluDg
vgl. Frati Ricercbe sul Kiore di viiKu Studj di fil(d. 10m. pubbl. da E. Monaci VI, s. 415).
S. 19. Von dorn Noydo vnd seiner pössen tugent -^- '^^
S. 21. Von der frölichoit Xu Ich euch wille sagen v ^
S. 23. Von dem trauren vnd der trauricheyt -r- <^
1) Wieb durchstrichtn. 2) war durchstrichen.
ABiaOS BLUMEN DER TUGEND 451
(26) Ein peyspil über die trauricheit vö de grosse Al-
äder^.
MAn list von der trauricheit In den hystorj des grossen Allexan-
', do er tode was, sein lant herfi den leichnam In einen gülden
rein deten vnd den zu der pegrebnüs trugen, vil grosser weisser
r Imnach (!) volgten, als dan gewonhet was. Der erste was ge-
t CGiulio, der sprach*: „das ist der/ der da herre was des ganzen
iches von dem auf gange der stinen pis In den nydergSg. Nu er
e ist in 9wayen schriten. Vnd lasset sich genügen." CBarbarico
cht: „Allexander pesasse alle weit vnd ein Iglicher In forchte mit
vnd wider In zu reden, nun ein iglicher von Im redet an forchte,
1 er wille." CPrisciano spricht: „dem AUexander chein dinge zu
re was. vnd wider In nymant mochte, vnd er hat nicht müge
er sten dem tode,'' CEgidio spricht: „o grausamer vnd herter, pit-
tode! wie hastu an deinem her9en mügen han wider sten den. der
weit, über wunden hat!" CVerturio spricht: „o finstemus der synne!
erporgne gerechticheyt! o verlorne treu! o 9erstörung de; adels!
; du deine' (27) grosse^ reichtum vnd schone lant, Seytmal deinen
3n herren AUexander du verloren hast vnd tode ist /. der dich
nicht geclaget hatte, der nü wol mag wainen vnd clagen dich /
tmal solcher grosser adel, gut vnd reichtum verlorn vm Allexanders
e willen ist -^ <^
S. 27. Von dem fride vnd seiner aygenschaft. -^ <^
(28) Ein hystory über die tugent des fride;^ -r- cv)
VOn der tugent des frides In den alten Römischen hystoij
• lassen von einem vü edlen (!) grossen lant herfl der geheissen
8 Ipolito, der einem andern herfi, der genant was legisto, seinen
er getödet hatte, vnd vm dez willen si einen ewigen krige hat-
/ Nu etliche zeit dez chriges sich verlofFen hatten. Vnd Ipolito
; chriges nicht mere wolte vnd nicht mere seines chnechtes chnecht
n [wolt], wan si sprachen, er an si nicht geleben möchte/ disse
rt dem hern sere zu her9en gingen vnd seinen chnechten nicht
rste getrauen, vnd gedachte, wie er dem einen sin fünde, vnd ge-
übte, er (29) e seinem tötlichen feinde vntertan wolt sein dan sei-
1 chnechten. Von stunde sich auf hübe vnd alleine chome In [die]
t, do sein feint legisto sein wesen hatte, für die purcke chome, an
1) Fiore di virtu cap. VI.
2) Corr. aus grosser.
3) Fiore di virtu cap. VU (Milano 1842 s. 50).
29*
452 VOGT
[(Me] porten clopfet, zu dem portener spräche: „guter freunt, dun auf.
Ich habe mit deinem hern zu rede.** Der portner pegonde zu [fragen],
wer er were. er Im antwurt vnd spräche: „Ich pin Ipolito.** dez
sich der portner grosses wunder nam, wan Im wol chunt was, er sei-
nes herfi tode feinde was / Er snelle zu dem [hern] chome vnd spräche:
„Edler herre mein / an der porten ist euer feinde Ipolito allein an alle
wapen vnd were/ vnd mit euch pegcrt zu reden.** Legisto Im schafte
auf zu thun vnd ein zu lassen, vnd also palde Ipolito hin ein chome
vnd legisto ansichtig warde, er mit auf gerackten armen / waineden
äugen / In vm finge \Tid mit grosser diemüticheit spräche / : „ Edeler
freunt vnd prüder mein, pis mir genedig; vergibe mir, das ich wider
dich verpracht han, oder verprenge mit mir deinen willen vnd riebe*
deinen vater/ wan du wider mich nu dez wol mechtig pist, wan
Ich dir vnd deiner herschaft meines lebens .e. vergünen wille dan
meinen chnechten. Das ich dir vor got vnd der weite vergibe, was
du mit mir verpringest" Do LEgisto disse wort vernomen hatte,
als dan Ipolito gesprochen hatte, von stunde (30) er an seinen
hals warffe einen gürtel. vnd nydö auf seine chnye fiele für seinen
feynde Ipolito, zu Im spräche: „Ich dich pitte dez du an mich pege—
rest. riche dich an mir vm der übel willen, die du vö mir enpfangei
hast**/ Also disse czwen heren mit ein ander fride machten/ vnd für
pas leyblicho prüder mit ein ander nicht hatten In liebe vfi freunt
Schaft mügen verpringen vnd leben als Ipolito vnd Legisto deten.
S. 30. Nu merchetvö der pössen vntugent de; czorns!
S. 32. Von dem Qorn vnd In ^u meyden -r- ^
S.34. Ein peyspil von dem Qorn In der alten .E.-^-*^
{David und „D^/r/a"*.)
S. 35. Ein Capitel von der Edelen tugent der parmher-
czicheit, als vns der heylig lerrer Sant Augustin saget -i
(37) Ein hystory über die tugent der parmhercjicheit'
VOn der tugent der parmlier9iclioit In den alte Kömischen liysto-
rien geschriben ist, wie das ein rauber oder diebe auf dem mere ge-
fangen warde vnd von stunde gefürt warde für den grossen Allexander.
Der In fraget, warum er also ein grosser rauber auf dem mere were.
Er Im antwurt vnd spräche / „üarü (38) das du pist ein rauber de;
ertriches, darü ich mich alloine des mors pegen messe. Und darum
das ich albege allein pin In meinen (!) übel dun vnd raube, pin ich
1) i-])UDkt fehlt, i dem c sehr ähnlich.
2) Flore di virtu cap. IX. (Ausg. Milano 1842 s. 57). Quellen bei FTatia.i*>^
s. 413 nr. LXVUI.
_r- (>>
j>Toeos BLOum c
[eheyssen ein rauber vnd diebe. Vnd das zu dun pin ich geczwngeu
Von grosser armut [vn not]. Vnd du Allexaoder mit grossen (!) mech-
ticheit zeuclieat vnd als ich von cheiner armut gezwungen pist, Darum
dii pist geheyssen ein chünig, wflu du nach volgest mit mechticheit
■Ilen den, die dich fliehen (!), vnd die entwerest lant vnd leute. Wer
»ber daz [daz du] allein zugest als ich dun, zu geleicber weisse du
geheissen werest ein diebe vnd rauher als ich. Dai-um wisse, aller
iurch leuchtigester chüiüge, waz ich Übels verpracht vnd getan han,
Ich das nicht getan han, sutder armut Ire wercke durch micht (!)
verpracht vnd mich zu einem diebe vn rauber gemacht hatt. Aber
du Allexander ein diebe vnd rauber pist nicht durch notte noch ar-
mut willen, sunder alleine vm der grossen pössen deines gemiito gel-
'iieheit willen, wan ye reicher vnd mechtiger du pist, ye mer dein
gemüte pegem ist Aber solt mich das gelücke einfart erfreuet haben,
) wer ich vi] pesser gewessen dan du ,■ wan ich mich mit cleymem (!)
»ette lassen genügen. Ynd wer chein rauber nicht mer gewessen." Do
ler chünig sache die grossen freyhet de; maus, sich nicht (39) ver-
mindern mochte der starchen vnd freyen wort de; armen mäne;, Von
sich pegabe In parmherijicheJt Vnd wol erchante, das er chein
ibel täter nicht was dan allein durch armut willen. Darum er Im
rergabe alle missetat vnd In pegabot mit grossem reichtum vnd machte
zu einem Ritter vnd an seinem hoffe fürpas er der peston Ritter
>iner wa;. -^ oj ~ ■>!
S. 39, Von der Tnparmher9iche7t vfi TntugSt der her-
ticbeit ^ -^
i. 39. Ein peyspil von der Tnparmher9icheyt der Junck-
'rauen Medea vnd der herticheyt de; Baualistho -^ f" (im lext
kutalisto).
5.41. Von der Edlen vnd freyen tugent der Milticheyt-r"'
8.42. Von der tugent vnd Milticheyt de; Adelers -^ -^
S.47. Von der pössen vntugent der geyticheit -^ <^
(49) Ein hystorj über die vor genäten pössen vntugent
ler geyticheyt'.
MAn list von der pössen vntugent der geiticheit vnd von einem
der was genant Oermino, der alle sein tage nicht anders getan
iatte, dan reichtü vnd gut gemacht vnd gesflmet von silber vnd
[Olde, noch seinen geitigen wiUen nye erfüllet hatte, vnd sein syn,
nute vnd gedenche statlichen gedachten, wie er, [Im in] dem Ein
1) Fiore di virtü cap. XU (s. 68).
J
454 voQT
genügen geton möchte, ynd dara er worden was also reiche, das
sein reichtu an masse was/ Doch einest er pedencken warde seine
grosse geiticheit. Vnd das alter In über gange hat, vnd wol er chante,
zeit were gewessen, er die geiticheit pecheret hatte In milticheit aber
das Im die pöse gewonhet yü auch sein natur nicht yerlichen hat,
(50) Vnd wol erchante, er dar Ine ersterben moste / Vnd nicht wolte,
das Im seine drey süne, die er hatte, nicht nach volgten In der gei-
ticheit. Von stunde nach den allen dreyen sante. In seinen willen uli
mainüg ofFenware dett vn si fleissiglichen piten dett. Da? grosse gut
vfi reichtü, das er mit grosßr müe vnd sorge vm^ seiner geiticheit
willen gewönen hatte. Das si das nemen vnd aus geben nach allem
iren lust vnd willen Vnd dar an chein sparung nicht hatten. Van
er an seinem her9en nicht gehaben möchte, icht aus zu geben, „wan
das mir prechto pesündem smerczen in meinem gemüte vfl an dm
herben. Darum seyt gepeten vm chintlicherr (!) treue willen, wan
die geiticheit der grösten vnd pösten vntugent eine ist der weit Vnd
ich nü die gern fliehen wölte als den pittem tode, aber das nicht
mage gesein. wan mein gedencke noch nicht müge nachgelassen, also
gar In der geiticheit si pegraben sein." CVon dissem reichen man,
genant Germino, got der almechtig ein grosses wunder Er^eyget nach
seinem tode. Do seine drey sün de; vators schrein auf [deten] vnd das
gelt , golt vü Silber mit ein ander teylen weiten , si dar Inne funden Ires
Vaters her9e alle; vol plutes ^iten In dem schacc2;e. Da; geschache
nach Germino tode vm seiner grossen pegire vfi übriger geiticheit
willen, die er hatte an seinem tode ;u dem golde In de schrein -r
S. 51. Von der tugent der straffung. Vnd wie mä straffe
sol -r- «^
S. 52. Von der straffung über den chünig faraon -f- «^ -r
S. 54. Von der pössen vnd falschen vntugent der liebe
chosung oder petrügnüs ~ oo -^ oo
(56) Ein peyspill über die vntugent des falschen lieb-
chosers*.
IN dem puch Esopo man list von der vntuget der liobchossung,
nicht das es also geschechen sey, sunder alleine zu einer geleichnus.
Vnd sprich', wie das einest ein rabe auf einem paum sasse vnd In
seynem munde hatte einen chäse / es sich füget, ein fuxe für ginge
vnd den raben mit dem chäse gesechen hatte, von stunde gedachte,
1) Sieht eher wie vnd aas.
2) Köre di virtu cap. XIV (s. 73 fg.).
J
ABIG08 BLÜICBN DKB TUGE2n> 455
wie er den raben vm den chässe petrigen vfl gelaichen möchte. Quhant
gedachte, chein pesser sin nicht möchte, gesein, dan mit süssem vnd
diemütigem liebchosen; vnd sich zu dem paume pegonde zu nachende
vfl (57) den raben mit süssen werten grüssen vfl mit senfter stimme
zu dem raben spräche. ,,für wäre schönem vogel mein tage ich nicht
gesechen han dan dich, vnd ist, das sich dein gesange dir geleichet, ^
ich spriche, du der edelste vfl schönste vogel aller weit pist vnd dein
gesange ich von herczen gern hörn wölte.^ Do der rabe sich den fuxe
vfl liebchosser So sere loben höret/ dem lober 9U liebe er an hübe
frölichen zu singen, vnd mit dem gesange der chäse Im entpfyle vnder
den paum. dez der fuxe froe was, den zu Im nam vnd zu dem raben
spräche: „das gesange sey dein vnd der chäse mein"/ also der rabe
petrogen warde von dem fuxe; Qu geleiche" weyse auch dut der lieb-
chosser, wan er Jemantt wille petrigen -:- <^
<^ -7- Prudencia -r- cv>
Von der Edelen Tugent der fürsichticheyt -r- cv)
(61) Ein peyspil über die tugent der fürsichticheyt eines
Römischen Cheysers*.
VOn der tugent der fürsichticheit wir lessen In den alten Römi-
schen hystorien. wie das einest ein Römischer cheyser durch einen
walt spaciren reyte. Er in dem walde fände einen phylosofo oder
grossen lerer alleine, de; sich der cheyser wunder name vnd In pegonde
zu fragen, was doch sein geschefte also aleine In dem walde were.
über de; chaysers frage der meister chein antwurt gäbe vfl swayge.
Noch mer der cheyser Im rüflfet, aber geleiche die fodem antwurtt
enphingo/ Do das der cheyser sache, er von seine rosse sasse vnd [zu]
dem phylosofo ginge Vnd In von neuem fraget seiner geschefte. der
meister Im antwurt vnd spräche: „hefe, ich lere und studire weistum."
Der cheyser zu Im Sprache: (62) „Maester, nu lere mich was deines
weistums.** Von stunde der phylosofo sein federn In sein haut name
vfl schreybe also, „wes du peginste oder zu schaffen hast, vor dem
anfange pedencke das ende, was sich da von gefügen müge" / Der
cheysser die geschrift zu Im name vnd wider gen Rom chome vnd
die geschrift über die porten seines pallast an dett schlachen, da mit
alle, die da für gingen, die sechen [vii vernemS] möchten. Nicht lange
dar nach es sich füget, de; cheysers lant berü mit ein ander heym-
lichen vnd verporgen rat hatten, wie si den cheyser toden vnd vm
sein leben prengen möchten, vnd des eins wurden mit seinem part-
1) Hb. punkt 2) Fiore di virtü cap. XV (s. 77).
456 VOGT
[scherer] oder palirer, dem si grosses gut versprachen zu geben-, de^
er alles willig was, 5;u verpringen Iren willen vm de; geltes willen,
das si Im verheyssen hatten auch Im versprachen für all[e sorge] ^
wan ir etlicher mit vü gegenwürtig sein toürde^ wan* er dem cheyser
den part schären würde / Nicht lange dar nach der cheysser nach sei-
nem scherer sante, das er chöme Im zu scheren. Qu hant er sich auf
den wege machte, vnd do er an die porten des cheiserlichfl pallast chome,
er ob der porten die neuen geschrift sache vnd gar sere erschracke.
von stunde gedachte: „für war vnsor verraterschaft dem cheyser sol
chunt sein, vnd darü er disse geschrift hat lassen an slage, da mit si
ein yder gelesen müge." Vnd In Im selbes gedachte, wie er wider
zu genade chomen möchte, (63) vnd snelle für den cheysser liefle,
nyder auff sein chnye fiele, mit grosser andacht genade vn parmher-
9icheit an den cheyser pegeret. do; Im der cheyser vergeude vnd wil-
ligt was, aber wissen wolte, warum er genade vnd Vergebung pegeret
wan Im vnchunt was seiner herö verraterschaft / also der scherer a'n (!)
hübe zu sagen alle goschefte der herfi, vnd wie si Im versprochen
hatten grosses gelt, wä er Im schere, das er Im solt den habs (I) ab
schneyden vnd das leben nenien. Der cheyser seinem scherer willig-
lichen vergäbe vnd von stunde sante nach seinen laut hern vnd einem
nach dem andern das haubte schuffe ab slachen / Dar nach er sante
nach dem phylosofo, den er In dem walde funden [hatt] vnd der Im
die vor genanten geschrift geben hat, den nicht mer von Im lassen
wolte vnd In grossen em vnd wirden hüte. -.'- <^
S. 63. Von der Torhett oder vnweysheit. -7- ~
(65) Ein deine hystorj von der vntugöt der torhett*.
MAu list In den alten Römischen hystorien von der torhct Wie
einest der grosso Allexander In der stat Macedonia [spacjiren reyte] vnd
neben Im der grosse meister aristo tile. als dan gewonhet ist, das Junge
Volke gern nach volget, die grossen hern zu soeben, also auch mit
allexander lufFen (66) vil Junger clmaben, alle gemeiniglichen schrien:
„weiche, weiche ab dem wege vnserm genedigen herfi Allexander'^.
ein torhafftiger mitten In dem wege auff einem steyne sasse. Vnd von
der Jungen geschrey sich nicht verändert/ einer vö allexanders fusB
chnechten den torn ab dem steine wolt gestossen haben / Das ersache
1) [ ] am rando; ursprünglicli stand wol all- und im anfang der nXchstea
zeile es.
2) Corr. aus tcan.
3) 'ig aus -eg corrigiert.
4) Fiore di virtü cap. XVU (s. 81).
▲RIOOS BLUHBN DER TUGBND 457
der meister Aristotile vn spräche^ zu dem chnechte: „las sten! nicht
verrüre den stein auf dem steine" / wan Aristotile wol wäste, das es
ein tore oder narre was; darü er von der Jungen geschrey nicht ge-
meint warde, do si schrien: „weiche, weiche aus dem wege**, wan er
chein mensche was. -r- <^
S. 66. . Justicia.
Von der Edlen Tugent der gerechticheyt -r- <v>
S. 69. Ein hystory vnd peyspil über die gerechticheyt
von Einem Einsidel vnd [wie] In got versuchte*.
S. 70. In dem leben der heiligen alten vatter man list vor (!) der
gerechticheyt. Wie das ein Eynsidel lange zeit grosse pusse vn peni-
tenz gedon vfi gefürt hatte. Vnd an Im hat ein grosse vnd swere
chranchet vnd die lange zeit mit grosser müe getragen hatte / Des er
sich sere zu gott clagen warde. Von stunde an got Im sante seynen
Engel In mans weyse'/ der zu dem eysidell spräche: „chome mit mir,
wan dir got wille zeige seine heymliche vnd verporge gerechticheit.*'
zu hant der Eysidel dem vn erchanten man, das was der Engel, nach
volget. Der In fürte In ein hause, dar Ine was ein gross schaze von
gelt, das der engel alles nam vnd mit Im wege trüge. Dar [nach]
si chomen In ein ander hausse, do Hesse der Engel das gelt vnder
der türe ligen. Dar nach fürpas er In fürt In ein ander hausse, dor
Ine si funden ein chindlein In der wigen, das der Engel vö stude (!)
tödet/ Do der Eysidel sache [den] Engel solche pösse dinge verpringen
vnd chein gut wercke nicht dun. Er nicht lenger pey Im wolt peley-
ben vnd gedachte, es der teuffel were vnd nicht ein Engel, sich vö
Im wolt scheyden. Do das der Engel ersache, er zu Im spräche:
„guter man, peyte, hab mit leydon, vernym die vrsache meines ge-
scheite vnd was ich gedon han gewürtig dein. Daru mercke: in dem
erste hause, do ich das gelt nam. wisse das der dassig, (71) de; das
gelt was, der verchauft hat alle; sein gut vn das gelt geben wolte
einem, der solt einen andern töten, der hat Im seinen vater getödet
vnd vra sein leben pracht hatte / darü vm (!) er das gelt gebfl wolte
seinen vater zu rechen; vnd wan das geschechen were, so were do von
pechomen noch-vil (!) grosser schaden, schände vnd laster In der statt;
vnd darü, das aus übel nicht ärger würde vn der gute man sich wider
cheret wol zu dun. Ich im das gelt gen omen han/ Vnd wen er heyme
chomet vnd de; geltes nicht findet, so würt er lassen die weit vnd In
1) So durch correctur.
2) Rore di virtü cap. XVII (s. 84). Vgl. Frati a. a. o. s. 421.
458 TOGT
ein closter chomen, got zu dienen, seytmal er sich so arm sehen wiit
ynd sein sele wirt beylen/ Die ander yrsache, das ich das gelt liesse
In dem andern hause, die ist, das der man von dem hause Teriom
hatt grosß gut auf dem mere, vm des willen er sich selbes würde beli-
ehen, vnd wen er das gelt finden würte, er wider oberen wirt vnd got
daneben; also der verzagte tode vnder wegen peleybte. Die dritte
vrsache ist, das ich das chinde In der wigen tödet, das det ich dar
vm, wan .e. das der vater das chint hatte, er nicht anders pfiage ze
dun dan alle gut der weit; vnd syder er das chint gehabt hatte, er
nicht anders gethan hatte dan wuchern vnd alles übel; darum ich das
chint getödet ban, da mit der vater sich wider obere (72) Qu got, wol
zu dun, als er dan vor gethan hatte / Darü auch dich nicht lasse
verwundem noch pechümem dein chranchet; wan hastu ir nicht, So
werestu auch nicht In dem dinste gotes/ Auch wisse, das der almech-
tig [got] chein dinge nicht düt an vrsache; aber die menschen sein
nicht erchenen, das got verbenget, von übel noch mynder übel cho-
met." Also der Engel seine wort Endet vnd vor dem Eysidel Tcr-
swante. Da^ pey der eysidel wol erchante, das Im der Engel gesaget
hatte, das alles gotos geschefte was. Vnd wider zu rücke cheret, die
wunder zu sechen, als Im dan der Engel gesaget hatt; alle dinge wäre
vnd gesehen fände; von stunde er wider ginge In sein gemache vfi
got dienet mit ganzem vleyso vnd füret ein heyliges vnd gutes leben
vnd nach seinem ende er pesasso das Ewig leben der em. amen. ~r <^
S. 72. Von der pösen vnd vntugent der vngerechti-
cheit -^ <^
S. 75. Lealitacv)
Von der Edelen tugent der trewe. -r- <^
(77) Ein peyspil von der tugent der Treue.
MAn list von der trewe In den alten Römischen hystorien. Wie
das die Römer vnd die von chartagine mit ein ander grosse cbrige
hatten vnd In dem von einem vnd andern teyle grosse volcke ge&n-
gen warde / Vnd gefangen warde der alte vnd weyse genant chünig
Marcbo vnd gefüret warde über mere In die stat chartagine. Auch
die Römer gefangen baten vil Edeler vnd mechtiger heril; die pesten
von Carthagine si in irer gefancknüs hatten. Die herfl von chartha-
gine meinten einen gefangen vm den andern zu haben, als dan vor-
mals mer gesehen (78) was, vnd wider wider (!) vm schickten den
alten Römer chünig Marcbo, den Wechsel vm die gefangen machefl.
1) Corr. aus Das.
ABIGOS BLÜMKN DEB TüGIND 459
Vnd do er In den rote chome für seine purger gegenwürtig aller
weissen, Er an hübe zu reden vnd spräche, der Wechsel vm der
gefangen willen einen vm den andern vm cheynerlej sache willen
aufF zu nemen were von den von Chartagine / „ Wan warum alle
ire gefangen alt sein, vnd die vnütze sein, vfi die ir in euer ge-
fencknüs habt, alle Junge vfi mechtige sein in ehrigen vnd streyten/
Darü mich nicht düncket die zu lassen. Damit er seine wort Endet
vnd die von dem gan9en rate pestet worden nach zu volgen de? chu-
niges rate. Also chünig Marcho wider gen Carthagine für Id die ge-
fenchnüs, seiner treue ein genügen don, als er sich dan verpunden hatte
vnd die nicht zu prechen wolte. E. in der gefencknüs sein leben mit
pein vnd smerczen wolt enden.
Della lealta si legge Delle Storie Romane, che essende Marco Regolo preso
da' re di Cartagine, che aveano gaen*a co' Eomani, fu mandato Marco a Roma per
iscambiare gli presi che aveano gli Romaoi di quegli di Cartagine, e facendo di cio
i Romani consiglio nel Senate, si si levö Marco, e consiglio che il cambio non si
dovesse fare; perche i prigioni di Roma che erano a Cartagine, si erano di vil con-
dizione e quasi tutti vecchi, e quegli di Cartagine, che erano a Roma, si erano tutti
de* maggiori e migliori uomini di Cartagine, e tutti buoni, e giovani e valorosi com-
battitori di guerra. Sieche, fatto il consiglio, si fermarono gli Romani ai suo detto;
ed egli per non rompere la fede si tomö nella prigione a Cartagine, siccom* egli avea
promesso a' Cartaginesi. (Fiore di virtii cap. XES[, s. 91. Vgl. Frati s. 416.)
S. 78. Von der pösen vntugent der falschen vntreüe -^ ~
S. 82. Von der falschen vntrewe über die statt Sodoma
vnd Gamorra, wie sich ir übel Endett. -r- cv>
S. 83. Von der Edelen tugent der warhett -r- cv)
Innerhalb dieses kapitels steht auf s. 84 fgg, ohne besondere Über-
schrift folgernde erxählung:^
Von der tugent der warheit wir lesen In dem leben der hey-
ligen alten vatter / Von einem, der hatte gelassen (85) grossen reich-
tum vnd sich geben hatte in gotes dinste / vnd was chomen In ein
closter, got zu dienen vnd sich von der pösen weit ziehen vfi sein
sele zu heylen. Nu der abte in hüte für einen chündigen vnd aus-
richtigen man vnd meinte, er pesser were aus zu richten etlich ge-
schefte de? closters, sunder in chaufFen vfi verchauffen. Es sich füget,
der abt In sante auf einen marckte, zu verchauffen etliche alte essel
vnd wider vm zu chaufFen Junge. Nu der gute man vm gehorsam
willen nicht wider sten wolte de? abte geschefte, wie wol es im wider
was, vnd mit Im nam eynen ander prüder de? closters vnd mit den
1) Höre di viita cap. XXI (s. 96 fg.).
460 VOGT
Essein zu marckte füren/ Vnd wan man In fraget, ob die Essel gut
weren, er antwurt vnd spräche: ,,gelaubt oder meint ir, weren si ji^t,
vüser closter ist noch nicht in also grossen noten, das wir si pedürffen
verchaufFen; darum, weren si gut, wir si für vns pehielten"/ die chauf-
leute fragten, warü si also peschunden vnd geharet weren auf dem
rüche vnd an dem zagel. Er In antwurt vnd spräche: „da sein si
alte vnd mugen nicht woU gen vnd fallen dicke under dem some, vnd
pey dem zagel man si wider auf hebet/ darum si In haben also pe-
schunden" / Also der gute münche seiner esel nicht verchaufte vnd
mit den wider zu hause chemo / Von stunde sein gesolle zu dem (86)
Abte ginge vnd Im alle sach saget vnd waiiun si der esel nicht ver-
chauft hatten vnd wie sein geselle statlichen die esscl den chaufleuten
goschendet vnd veruicht hatte, darü ir cheiner verchaufte were. Der
abto gar zornig wider seinen munche was Vnd In sere warde straffen
vm der wort willen, die er auf marckte (!) geredet hatte. Auf das der
gute warhaftig man seinem abte antwurt vnd spräche, „herre vater wi
abt, gelaubet ir, ich her chomcn sey vnd gelassen [habe]^ meinen
schönen reiclitum. lügen zu sagen vnd die menschen zu laichen? für
wäre nein ich, das gelaubet mir. wan ich allein herchomen pin, zu
dienen dem, der da gancze, wäre, lautre vn royne warhet ist,- Darum
In dissem hause In mir nicht anders dan warhet sol erfunden wer-
den / wan do ich weltliche leben füret die liUß mir nye gefiele* J Do
der abt höret die guten wort vnd mainüg, er nicht fraget fürpas\
(88) Ein historj, wunder Vnd zeichen Von got zu einer
Junchfrauen vm der grossn, falschfi lüge willfl* -^ <^
IN den alten Römischen historien wir lesen von der vntugcnt
der lügen von eyner Junckfrauen, die was genant Jorina vfl was de;
cheysers anastasio tochter. Die grosse liebe hatte zu einem Jungen,
der was genant Ameno vnd ires vaters des cheysers chamerer. den si
gern pracht [hat] in ir liebe vnd da; leyplichen an in pegert, da mit
si hatte iren willen mügen mit Im verpringen/ aber der Jüngeling zu
frohie was vnd disse sniaclieit seinem herfl nicht dun weite vnd der
Junckfrauen ir pete vnd possen vnchoüschon willen versaget vnd ab-
singe, vm de; willen die Junckfraue in grosse schäme fiele vü stat-
lichen gedachte, wie si sich an dem Jungen gerochen möchte vnd ^n
1) von späterer band übergeschrieben.
2) Es stand ursprünglich nur für da; aus dem r ist dannpos gemacht, sodiss
eigentlich füpas dasteht.
3) Fioro di virtu cap. XXU (s. 99).
•ein leben prengen / Es sich füget, nicht lango dar nach der Junge
durch gescheftes willen sein wege für der Junckfrauen chamem ginge.
von stunde si in dersechen hate für gan/ mit hocher styme an hübe
aa schreyen: „retta Jo, retta Jo. helffet! der pöswicht mich wille nöten
Tnd Junckfraue ere nemen" / Quhante das volcke zu lieffe, Erauen vnd
mäne, si fragten vm die mere/ si in antwurt rad spräche: ^Ameno,
meines vaters diener, mich hat wollen nött (89) zerren," Von stunde
der Junge gefangen vn für den chayser gefürt warde, der in fraget, ob
das Ware were. er spräche: ^[genedigor herr] neyn, noch solche dinge
man von [mir mit der warhet] nymer erfarn sollen' werden Vnd vU
Über mir der tode were/ Der cheyser nach der tochter sante vnd die
pegonde zu fragen, wie sich die sache verloffen hatte, Vnd über de;
irfieysers fragen die Junckfrau chein antwurt gäbe. Noch mer von
neuem er si fraget: „nu sage mir, Edele tochter mein, wie hatte sich
die Sache ^wischen dir vnd Ämeno ergangen?" aber chein antwurt si
im nicht gäbe / Pey dem cheyser vil grosser fürsten vnd hern stun-
llten, sich wunder nomen der Juucbfrauen, das si über de^ cheysera
tragen chein antwurt gäbe. Ein weyser vnder In aufstunde vnd
sprach/: „herre, fürwar gelaubet mir, die Junchfraue ir [zungen] ver-
iam batt, dara si euch chein antwurt nicht geben mage." Qu hant
AßT cheyser schufl'e / das man pesechen solte / gethon vnd geschaffen
^ea ein dinge was: man ir in den munde sache vnd dar iQe chein
Cungen nicht fände. Do das der cheyser sach, sich nicht verwundern
mochte vnd den Jungen schuETe lassen, vnd also palde der Jungeling
gelassen warde, ?u hant der Junckfrauen ir zuuge vnd s (!) gespreche
vider cbome/ Vnd gogenwürtig aller fürsten vnd hern si an hübe zu
(90) sagen alle sache vnd wie es sich verloffen hat vnd wie si den
Jungen meinte vm sein leben zu prengen an schulde [vm deß willen
dar (!) er nicht nach folgen wolt irem posen willenj. also si dem chey-
alle warhet/ Vmb de^ willen si an sich namo heyliges leben
tad in eui cioster chome vnd [in] dem dinste got? erstarbe, das Ewig
iben pesasse. Das was da; zeichen, das got der almecbtig det durch
i^ warhet willen, do mit die pösse vnd falsche vntugcnt der lügen
MBOhamet würde.
"^ (90) ■ . ~. fortec^a.'^
Von der Edelen tugent der stercho*. -^ "^
STercke nach dem als der meister Magobrio spricht dreyerlej
iatj Dss erste ist stercke vnd redlich zu sein de; leybes von nat'i Die
1) Corr. aus aoUen. 21 Fiuro di virtü cap. XXIU.
462 Yoei
stercke ist nicht geheissen fiirsichticbeit oder iugent Da^ ander ist
stercke der fürsichtigcheit (!): die ist in der freyung de? gemüte/ ak
dan ist zu förchten swere dinge / Das dritte ist mit mitleydong sich
geleiche auf halten in einem iglichen ansprung der {carr. aus des)
wideT-weTÜcheit^ oder vngelückes. Die dasigen syn der stercke das sein
tugent geheyson Cünd die tugent der sterke man geleichfi mage zu
dem leüen, wan der albeg mit offen augon slafte, vnd wen in der
Jäger suchte zu fachen, das er snelle vemonen (!) hatt; da mit In (91)
der Jager nich (!) finde, sich von dan hebt vnd mit seinem zagel seine
stappen prichte, das der Jäger nicht gesechen müge, wo er hin aus
sey vnd alle dinge versucht, da mit er dem Jager engen möchte. Vnd
ob das were, das er von dem Jager gefunden würde, er nicht fleüchte,
sunder frölichen vnd an alle sorge vnd forchte dem Jäger entgegen
chomet vnd den streyte redlichfl fürte wider den man vnd Jäger.
S. 92. Ein Historj von der stercke des Samson. -^ «s»
S. 93. Von der forchte vnd seiner [vnJtugenL -f- cv>
S. 94. Ein historj vor (!) der forchte vn erschrecküg.-rcv
(Dionisio mit dem schivert über dem haupte.)
S. 95. Von der Edelen tugent der her9enhafticheit / Die
ist pey den gelorton genant/ Mangnanimitas. -r- ^
S. 96. Ein historj von der grossen her9enhafticheit der
Römer, -r- ^ {Ablehnung dr^ anerbietens, den Pyrrhiis xu vergiften.)
S. 97. Von der pössen vntugent der Eytellere.
S. 98. Ein Capitol über die vntugent der Eytelere. -r- cv>
(99) Ein historj über Eytellere von eine Eynsidel.* -r- '^
IN dem leben der heyligen vatter man list vö der Eytellere / wie
sich ein Engel gesellet zu eynem Eysidel vnd mit einander aus gin-
gen ir narung zu suchen, vnd vnter wegen funden ein totes ros vcn
pössem gosmachc / zu hant der Eynsidel sein nasen verhilte von de?
pösen gesmaches wegen, vnd den Engel dauchto, es nicht smeeket.
vnd fürpas gingen durch einen schönen garten, vnd dar Inne funde (!)
ein gar schöne Junckfrauen In chöstlichem gewante gecleydet, gar mit
Eytellere ' (^iiliant der Engel sein nasen verhilte. der Eysidel die scho-
nen Junckfrauen an sache vnd de; Engels warde spotten vnd sich sere
[von Im gestrichelt] warde wundern de; Engels vnd Im etwas vor dem
Engel grausen warde / Doch er zu Im spräche, warü er also sein na-
sen verhilte „vm solches schönes dinges wiUen, als dan disse Junckfraue
1) So durch correctur; das folgende oder gestrichen^ j
2) Flore di virtü cap. XXVI (s. 107). Frati s. 424.
tmoOH BLVHtH UCR TCaBiVD 463
vnd durcb de^ faulen as willen, das also faulen pöseu gesmache
abe, vnd du dein nasen nicht verhiltest / was (100) sol ich vor (!) dir
jedenckeu?" Der Engel Im antwurt vnd spräche: „darum das die
hoffart der vntugent der Ejtellere get dem herfl ubeler smecket
ian da; faule vnd tote rossfleische / vnd alle faule asse der ganzen
■elte'' / nach dissen werten der Engel von dem Eysidel verswante.
tt dem der Eysidel erchante, das es ein Engel vnd pot got; gewesen
'as ^ t"
S. 100. Von der statichoyt oder pestondicheit. -^ «
S. 101. Ein Römische historj über die staticheyt. -^ ^^
S. 103. Von der pösen vntugent der vnstaticheit -r- -^
S. 105. Von der Edlen Tugent der Messicheit, die pey
en iateynischen geheisaen ist tpanc^'a. -^ «^^
(107) Ein hystorj von der tugent der Messicheit de^ phy-
iosofo genant Quadro.' H- c«
IN den Römischen bystorien wir lesen vö der Messicheit Wie
der chünig priamo grosses wunder von weistum höret sagen von
Bm lerer, der was genant Quadro, der selbig spricht, wer seines
rillen nicht geweitig ist, der chein mensche ist vnd den man zu
lem viche gesellen vnd geleichen sol / Der chünig den quadro versu-
uchen weite, ob er In petruben möchte oder In zorn prengen / Quhant
cbicbte nach alle die, die da posse zungen [vnd gestrichen] hatten
rnd den wol was mit übel reden vnd ir zungen pas prauchö chunden
jy ubell reden dan In wol reden vnd pas prauchen in worten dan in
rercken. Die alle er schutfe für sich chomeu vnd zu In spräche, das
. dem phylosofo Quadro alle; übel zu sprechen vnd vö Im sagten,
' si mit der zungen möchten gesprechfl vnd mit dem henjen geden-
in / Vnd in schenten nach allem Iren vcrmügen. Dar nach zu hantt
' chünig sante nach dem Quadro, der von stüdo chome für den
liUnig vnd spracho: „Edeler chünig, was gepeüt Euer genadc?"/ snelle
yner von den übel redern an hübe vnd spräche: „0 quadro, wie
i einen schonen gestückten rocke an" / de er antwurt vnd
prache / „der mensche nicht wirt (108) Erehant durch sein gewant,
nodcr allein durc^h seioe wercke" / Aber einer anhübe vnd spräche:
;secht lieben hörn, wie hat quadro also ein schönes radscheybes hare"/
)em er antwurt vnd sprach: „die tugen (!) de; menschen nicht sein
n dem hare, nur allein In dem bereden." Der dritte spräche: „herre
nd chünig, hütet euch vor dem quadro / wan .E. gester ich in Sache
1) Fioro di virtii ca]!. XXIS (s. 113).
464 VOGT
mit euren feynden In dem felde pey den chrichischen herfl; für wäre
ich gelaube, er ir specher sej/ Dem er antwurt vnd spräche: „wan
das war were, du es nymät sagest." Aber ein ander spräche: ^secht
an den chröpfeten narren/ auf das er antwurt vnd spräche: ^Es lange
zeit vergangen [ist], das du anhübest zu lernen übel vnd poshet za
reden.''/ Noch ein ander spräche: ,,secht vnd hört, wie rett der grosse
verrater vü gar cheine schäme nicht hatt" / zu dem er spräche: ^Ich
sol nu dalest von dir werden sagen / wer mich fraget/ das dir die zoo-
gen übel zu reden gelöst ist worden.** „Edel' chünig secht vnd nemet
wäre de; unschamsamen hümplcrs.** / dem er antwurt vnd spräche,:
„wer Indert ein deine [ere oder] schäme in dir, disse vnuemüstige wort
du nicht redest** / Aber ein ander spräche: „lasset sten den narreo.
der also frömdiglichen redefürte" / Dem der Quadro chein antwurt nicht
gäbe vnd sweyge. Der chünig zu quadro spräche, wie da; chöme,
das er chein (109) antwurt gebe. Do spräche quadro: herre, swey-
gen ist ein schöne antwurt zu solcher frage oder solchen werten/ Van
wer wil hören oder nicht hören die vnützen vnd pösen wort, der vil
mor praucht die tugent der om dan die tugent der czungen/ Wan den
nyemant fester peschamen möchte dan er sich selbes dut/ Vnd geleiche
als er ein herre ist seiner zungen, also ich auch pin ein herre meiner
om.** / Do der chünig sache die grossen mitleydung vnd Messicheit
de; guten maus, er Im rüfFet vnd In zu seinen füssen nyder schuffe
sitzen vnd in fragte, wie er so groses mitleyden hat mügen haben vnd
sich nicht hat lassen erczümen. Er zu dem chünig spräche: „here,
das ist darum, das ich ein herre pin [mein] vnd si sein chnechte der
vntugent vnd poshet/ Ein iglicher, dem übel ;u geret wirt / der sol
gedencken, ob das war sey oder nicht/ Vnd nicht darum zornig oder
vngemute sein/ das ein ander übele dut/ sunder er leydcn sol vnd
[gedult habfi] sich nicht petrüben / wan er wol wayse, das übel, das
Im zu gerot oder zu geczogen wirt, nicht war ist / Vnd dem, der
Im übel zu rot, chein grösser leyde nicht getan mage, dan Im ervei-
gen seiner wort nicht achton vnd stille sweygen. Also der grosse vnd
tugonhaftige lerer vnd phylosofo den chünig vnd seine übel reder mit
der tugüt der mitleydung vü messicheit über want. -r <^
Unter dem capitel Von der pösen uutugent der vn Mes-
sicheit (s. 110) steht auf s. 111 ohne üherschnft:^
Von der vnmessicheit mfin list in dem leben der heyligen
alten vatter von einer Junckfrauen, die was genant lucina vnd In
1) Fiore di virtü cap. XXX (s. 110). Frati 8. 426.
\
ABIGOS BLUMEN DEB TÜQBND 465
grossen züchten vtl em stunde, mer dan chein andre Junckfraue der
weit, vn oft gehört hatt singen die andern frauen von dem luste der
vncheuscheit / vnd von stunde gedachte In irem her9en vnd gemüte,
den lust der vncheuscheit vn ir liebe zu versuchen, vnd ob das also
grosse freude wero/ vnd lust prechte, als si dan In der frauen gesange
vemomen hatte / vü an einem tage si sante nach einem Jünglinge, der
ir lange zeit hat heyiiche liebe getragen vnd das pis von Jugent auf
über alle ding er si liebe hatt / Von stunde zu der Junckfrauen chom*
vnd mit ein ander peyder wiUen vnd lust der vnkeüscheit verpracht
warde. Nu das etliche zeit mit einander getriben hatten, die Junck-
fraw pedencken warde ir grosse sünde der vncheuscheit vnd wie si ir
Junckfrauschaft verlorn hatte vnd der nicht mer herwider gechauflTen
möchte, vnd darum In verzagnüs vnd trauricheit fiele, das si ir Junck-
frauliche ere also gar an alle messicheit so übel an geleget hatte, vnd
von grossem leyde vnd trauricheit ir selbe; da; leben nam vnd sich
erhinge, -f- cv>
S. 112. Von der Edelen vnd lieben tugent der Diemüti-
cheit 4- ^
S. 114. Ein historj über die tugent der Diemüticheit.-:-«^
S. 116. Von der pösen vntugent der hoffart. -^ ~
S. 119. Ein historj über die hoffart de; teüfels. -^ c^
(Luxifers sturx)
S. 119. Von der Edelen vnd züchtigen tugent der cheu-
scheit vnd irem lobe, -t- ~
Ein historj über die tugent der cheüscheit^. -4- cv>
MAn list In dem leben der heyligen alten vater von Einer Nun-
nen oder closter frauen, (122) vm die huldet der herre von der stat, dor
In das closter was/ Vnd vil diche die frauen hat lassen piten, si Im
zu willen würde in leyplichem luste. Aber ir das nicht zu herben
ginge, wan si ein grosse dienerin gotes was / vnd die pete dem hern
statlichen absluge, vnd nicht do von wolt hör" sagen. Do der herre
vername, das [sein] pete chein kraft hatte, Er gedachte seinen gewalt
zu prauchen vnd in das closter chomen, vnd mit gewalte die frauen
heraus nome/ vnd die meinte In sein haus zu füren. Do die gute
fraue den gewalte des pössen hern sache [vnd] In Im chein parmher-
9icheit nicht was/ si zu dem hern spräche, warum er ir mer gewaltes
datt dan cheiner andern frauen de; closters. Der herre ir antwurt und
sprach: ^fraue, wa; ich dun, da; ich alle; dun vm Euer schönen äugen
1) Fiore di virtii cap. XXXV (s. 129). Frati s. 427.
F. D1UT80H1 PHnx)LOGn. BD. xxvm. 30
466 VOGT
willen / wan die mir lieben über alle dinge der weit** / Do sprach die
fraue: ^seytmal ich euch gefalle vnd libe vm meiner schönen äugen
willen, so sol euer wille durch iren willen verpracht werden/ Aber
mich vor lasset gen In mein zelle, zu nemen mit mir etlich mein ge-
rate; dar nach gescheche euer wille" / des der herre willig was, vnd
si snelle ginge in ir chamern / Vnd ir selbes peyde äugen außprache
vnd dem herfi schuffe rüffen/ Vnd zu Im spräche/ ^ herre, damitt
(123) euer wille verpracht werde, vnd ir mein äugen so liebe habt
so nemt si hin vnd verpringet eüern pössen willen." Do das der herre
Sache; er sehr erschracke, mit grossem wunder vnd petrübtem herezen
von dane schyede/ Also die heylig fraue vor dem pössen, uncheusohen
hern ir reine Junckfrauschaft errettet / Auch man list In dem Ewan-
gelj / wie dar nach si got wider erleuchtet -r- <^
S. 123. Von der pössen vntugent der vncheüscheit. -r ^^^
(127) Ein historj über die vncheuscheyt^ -r- *^
VOn der pösen vntugent der vncheüscheit man list in den alten
Römischen historien wie das der cheyser genant theodosio einen
sun hat / von dem die weysen meister vnd Erczte sprachen / das cliint
wer von solcher natur vü conplexen , seche es die sunen vnd das feuer
vor vir9echen Jaren, der chnabe crplinten moste an seinem gesiebte
vnd do möchte nyemant für sein. Do das [der] chiinig vemorae.
ser leydig was. Doch er schuffe machen Ein schöne chamern in einem
turn vnd dar ein Etliche frauen vnd ammen, die den chnaben zicben
sölten mit alle vlcysche vnd sein hüten vor den vor genanten (Jweyen
dingen, als dan der sünen vnd de; feuers / pis die vir^echen Jare ver-
gangen weren. Also de; chünges geschefte verpracht warde vü das
chint^ in dem turn was in das fünfijechenst Jare vfi weder sünen noch
feüer nye gesache CNach der vergangen zeit der cheyser den chnaben
heraus nome vnd In zucht zu leren, als dan der grossen hern gewon-
het was / von erste den gclauben vnd zu er chefien die freude de; pa-
radeyß / vnd auch die helle, do die teufel ir wonung haben vnd zu In
nemen, die da übel dun In dissor weit / Vnd alle andre dinge, (128)
die Im dan vnerchant waren / Also dem Jungen alle dinge worden zu
erchant geben, als dan waren die menschen, die mane vnd frauen,
das gefügel, die wilden tiore, rosß, hunde, vische vfl iglich dinge pe-
sunder Im zu erchonnen gebfi warde. Nu der Junge vü dinge gesechen
hatte vnd von iglichem pesunder den nomen pegert zu wissen, alle
dinge Im verchündet worden / vü do er chome an die frauen vnd der
1) Fiore di virtu cap. XXXVI (s. 133). Frati 8. 420. 2) Oonigiait fW» "
ABIGOS BLUMEN DER TUGEND 467
nomen pegert zu wissen / Einer zu Im spräche In chürtzweyle: „das sein
geheyssen teüffel, die die menschen zu der helle füren.'' CNioht lange
zeit dar nach verginge, der cheyser den sun pegonde zu fragen / wel-
liche dinge Im an dem pasten gefielen von allen den , die [er] gesechen
hatte/ Der Junge dem cheyser antwurt vnd spräche: „herre vnd vater,
ich sol euch die warhet sagen / Vnd für wäre, an dem pesten mir ge-
fallen die teufel, die dj menschen zu der hellen füren: die mir pas
gefallen dan chein dinge, das ich gesechen habe." -r- <^
S. 128. Von der tugent der Masse, die mit den lateyni-
schen genant ist Moderacia.^ -i- <^ -f-
S. 130. Von der tugent der Masse des hermleins. -r- «^
S. 133. Ein Capitel von der Masse der alte (!) .ee. -r- <^
S. 134. Ein ander Capitel von der Masse vnd wie man
reden sol. H- ~
S. 136. Ein straffung über die zungenvnd ander lere.-r-*^
S. 138. Ein Ander Capitel über das reden de^ grossen
meister (!) vnd lerers Tulio. -f- oo oo
S. 143. Ein cleyn Capitel über rat geben. -^- cv>
S. 144. Ein ander dein Capitel über die Ordnung Qw
reden als dan Tulio spricht, -t- «^
S. 145. Ein Capitel von der torhett -^ «^
(148) Ein ander lere vnd anweysung des grossen phylo-
sofo vnd Meisters Albertano / Von erste sein anfang / dar
nach von der pösen zungen Das dritte von dem dienen Das
virde von zuchtiger Milticheit / Das fünfte ein straffung de^
mans Das sexte von der zuchticheit der czungeu/ Das sybent
vn leste czu leben In der forchte gotes -H «^ AMEN ^ l <^
IN dem anfange, mitte vnd Ende meiner lere, zu lobe dem
almechtigen got vnd hem, schöpfer der weit, Wan an sein genade vn
parniher9icheit nymant geleben mago / Darum Ich sünderliche diemü-
tiglichen czu Im rüffe/ Dan vil die sein/ die den wege der czungen
verlorn haben/ Vnd wenig sein, die ir zungen herschen, Räumen oder
straffen chünnen CDarum der heylig Qwelfpot sand Jacob sprichtt: „Die
wilden tier man zäumet vnd vntertaniget menschlicher natur / vnd sein
eygne zungen der mensche nicht gezaumen noch gepinden mag / Darum
Ich albertano phylosofo gedacht vnd funden han lere vnd anweysung
zu reden vnd zu sweygen / Darum aller liebstes chint, freunt vnd
günner €Vnd wan du reden wilt, vor pedencke die natur des han-
1) dritter corrigiert in Moderäcia,
30*
468 VOGT
nen/ wan .E. er sein gesange an hebet / vor (149) Er sich selbes mit
seinen flügeln zu dreyen malen siechte/ Dar nach er an hebet zu
singe: Also auch du solt dun/ pis züchtig vnd straffe dich selbs ; Vor
aus teyle vnd gedencke, was du reden wilt/ Vnd .e. das du an hebest
zw reden, vor pedencke das Ende, wie es sich ergen müge/ Vnd ob
dich die sache an treffe oder an ge, oder nicht/ Wan gehört dir die
Sache nicht zu, so soltu dich ir nicht vnterfachen. Dar nach gedencke,
ob dein gemüte In rubüg sey oder. In Qorn und an alle hoffart / Win
warum wer dein gemüte In trübung oder 90m, so hüte dich icht zu
reden vnd auch zu antworten €Wan Catone spricht: „der zom petrübt
das gemüte, das der man der warhet nicht erchennen mag | CAucb
Tulio der Römer spricht, das^ die gröste vnd höchste tugent sey,
sich selbs zu über winden CSant CIsiderio spricht: „Es ist ein sellig
dinge, der In dem zom sweygen chan" CSalamon spricht: „hüte didu
nicht lasse dich willen oder pegire überwinden.'' CDer Qwelfpot spricht:
„der sich nachent zu got/ der an sich halten chan seinen willen/ CSa-
lamon spricht: wer hütt seines mundes, der seiner seien hütet CAri-
stotile spricht: „wer nicht chan sweygen, der auch nicht chan reden/
CDer Römer Cato (150) spricht: „die erste tugent des mans vnd der
frauen ist, zu meistern ir eygne zungen/ €Sand pauls spricht: „die
freunde gotes / chünen vnd wissen zu sweygen/ C Santa chaterina
spricht: „die freunde vnd diener gotes chünnen [sweygen] Vnd dem
zornigen den wege geben** CSalamon spricht: „fleuche die hoffart als die
gift, wiltu seliglichen leben" CSand geronimo spricht: „der hoffertig
man oder weybe das reiche des hymels nicht sechen/ CAuch mer er
spricht / „du solt nymant straffen wider recht, noch verurteylen vm
der Sünde willen, dar Ine du verurteylt pisf CDer grosse maester
Virgilio spricht/ „Wiltu yemant straffen, sich vor, ob du in solcher
Sünde pegraben seyest CDarum so sweyge vnd nyemant richte** CSand
C Augustin spricht/ „wer wol rett vnd übel düt, der sich selbes ver-
dampt" CAristotile spricht: „wiltu wol reden / so rede vnd pflige der
warhet / Vnd von dir slache die lügen." Clhü Xpc spricht: „die
warhet chein müe ist zu reden / Vnd über alle dinge peschaue das
ende deiner wort, so würstu nicht sünden CStö Isiderio spricht:
„wiltu nicht sünden/ so sweyge** C Virgilio spricht: „sweygender
munt/ ist lobe vnd cre" CSalamon spricht: „redender munt lescht chein
feuer** CDarum liebes chint, lern (151) Vnd meister dich vnd leine [dich]
an die edelen tuget der warhet vnd wider die nicht streyte CWan wer
sich leynet an die warhet, der sich leynet an got CWan got mit seinen i
1) Dahinter das gestrichen.
munde spräche / Ich pin die wathet, Darum die warhaftigen got aer
liebe hat tVnd wan der meistorTulio got pRt vm genade / albegen von
erste er got pate, das er in pehüten solle sein zungen vor der pössen
vfi falschen lügen, -h '^
Ein Capitel vnd straffung über die pösen / vnd falschen
Zungen, v- '^
SAlamon spricht: „o herre got, Ich dich pite, das du mich pe-
hütest vor allen pössen zungen tf Darum liebes chint, hüte dich vnd dei-
nen munt vor den pösen lügen vnd in pranche in zucht, warheit vnd
Milticheit/ So lebstu in genade eines iglichen €Wan Salaraon spricht:
„Der züchtig vnd warhaftig man vnd weybe werden pürger sejn der
stat de? hymels." CSeneca spricht: „der tugethaftig vnd züchtig man
nicht Sechen wirt die pein der helle." CÄristotile spricht: „von dem
lügenhaftigen menschen zucht, ere vnd wirdicheit fleuchet" CSalamon
spricht: nntter» guter nome ist über alle.^ edel vnd gute salben" CDa-
rum, liebes chintt, nach allem deinem vermügen dich nöte vnd i,^winge
(152) (^u haben guten nomen in disser weit/ so würstu erbort in dem
leben der ewigen salicheit {us^t: bis xum schluss der seife).
(153) Wie man dienS sol den freunden vnd ander pey-
Spille, -i- '^
Noch mer vns lert die heylig geschrift ein ander lere vnd mae-
stcrschaft CVnd spricht: „nicht halt deinen freunde oder güßer in Wor-
ten, diene Im snelle, wan er deines dinste pegert, ob du magest CNoch
mer si vns lert vnd meistert, das wir snelle sulleu sein zu vergeben,
die wider vns getan haben (ms«', bis xum sckbtss der seite).
(154) Von der zucht Vnd Milticheit der zungen.
SAnd Ämbroaio spricht, von der milticheit der zungen chomet
glorj vnd ere / Vnd von der posen zungen pechomet neyde, basß vnd
Sünde CSalamon spricht, die messig zungen sey ein stigen des para-
deyses CTolomeo spricht: „liebes chint, Ich dir gedencke zu haben einen
hals als der kranghe" ■Salamon spricht: „nyemant offenware die heym-
licheit deines herben / Wan dar nach du ir nicht mer geweitig pist"
(wsK-. bis xum scklt4ss der seite).
(155) Ein ander lere vnd capitel der straf fuog de;
mans. ~ •>^
SAlamon spricht: „nicht schyraphe mit d5 frauen, die vor
über das czile oder pöglein getreten hat / Wan der ab geleschte cAo-
leti von cleynem feuer sich gern [wider] enzündet {usw. bis s. 156 mitte).
1] der aus ein corrigieii.
2} über am rando nachgetrageo; alle aus eine corrigiert.
470 vooT
Ein ander Capitel von der züchticheit der zungen.
CAtone spricht: ^nicht gee in den rat, du werdest dan gerüffef.
CSalamon spricht: „die wort sein swserer dan das pley." Darum dich
hüte mit Überladung der wort, die nicht alle oder al wegen zu reden
sein vnd dir nicht zu sten (. .. so bis s. 157 x, 7 v, u.^ dann:)
Ein Capitel zu leben In der forchte gotes.
0 Du aller liebstes Edles chinde. In einem worte allein ich pe-
sliessen wille die weysheyt de; hjrmels vnd de; ertrichs / DarQ (158)
Pis willig in dissem Jamerlichen Jamer tale vn Elendiglichen leben
Wan wie du dein leben fürest, also du ersterben wirst Damm ge-
dencke, wie du dein leben füren wöUest, das gar eben pesynne ; Dich
vnd dein leben zu füren In der liebe [gotes durcfistrichen] Vnd forchte
gotes de; almechtigen vaters vnscrs hern Jhü xpc Im zu lobe vnd ern
der liebsten frcUichen Englischen samnüg des paradeyses, Do alle togent
vnd gute ir wonung habent, Immer vnd Ewig an ende. Do man hört
das lobsam vnd süsse Englische gesange der em vnd salicheyt Vnd
vil ander grosser wunder vnd freude, die menschlich nat' nicht ver-
chünden möchte CQu dissen hymlischfi freunden (!) Vns neme der
almechtig got Vnd Schöpfer aller geschöpfe, der da regirt Imer nid
Ewig an endo, ^vj Am.E.N. -^ oo oo
~ • AßIGO • ~
«^ • 1468 • <^
Opus perfeci
An dem acht vn (Jwainyigisten tage des Augsten. «^
Arigüs Übersetzung des Fiore di virtü ist in einer schönen pa-
pierhandschrift der Hamburger stadtbibliothok überliefert, auf die Lap-
penberg in der Zeitschrift für deutsches altertum 10, 260 hingewiesen
hat Hierauf nahm Zingerle, Ältere Tirolischc dichter I (Vintlers Plue-
men der Tugent) s. XXIV anmerkung ohne nennung des Arigo bezog;
sonst hat niemand das werk beachtet Weder ist es in den litteratur-
geschichten erwähnt, noch hat man es bei der frage, ob Heinrich Stein-
höwel der im cingang des deutschen Decamerone genante Arigo seL
berücksichtigt; und auch Frati hat es in seinen ßicerche sul fiore di
virtü (Studi di filologia Romanza pubbl. da E. Monaci Vol. VI s. 247
fgg.) bei der Zusammenstellung der Übersetzungen (s. 290 fgg.) über-
sehen. Aber die Übersetzung hat für den romanisten wie für den
germanistcn ihre bedeutung. Sie darf bei der textkritik des in stark
1) auf rasur. en von über den columnonstrich heraus.
2) auf rasur.
ABIGOS BLUMBN DEB TUGEND 471
auseinandergehenden Versionen überlieferten Fiore nicht unberücksich-
tigt bleiben und sie ist ein sprachlich wie litterarhistorisch interessantes
denkmal jener populär -humanistischen richtung, die seit der mitte des
15. Jahrhunderts in der deutschen prosa zu tage tritt Über das äussere
der handschrift und dessen bedeutung für die erkenntnis ihrer entste-
hung habe ich bereits in den Göttinger gelehrten anzeigen jahrg. 1895
s. 325 fg. das nötigste bemerkt Dass Arigo nicht nur der Schreiber der
vorliegenden handschrift, sondern auch der Verfasser der Übersetzung
sei, geht wol schon aus dem dort beigebrachten hervor. Wie er seine
Übersetzung noch während der niederschrift corrigierte, zeigt sich z. b.
in dem kapitel vom Neyde (s. 20), wo für den satz des Originals piü
lieve cosa d a fuggire il dispiacimenio della poverta, che la invidia
deüa riccheTixa geschrieben steht: Aiich vil ringlicher ist xti fliehen die
{Vernichtung die] armut dan den Neyde des reichtwns. Die eingeklam-
merten werte sind durchstrichen. Arigo übersetzte dispiacimento zunächst
durch Vernichtung im sinne von nichtachtung, fürchtete dann aber, als
er mit der armuot fortfahren wollte, ein mis Verständnis, schrieb daher,
unter verzieht auf die Übersetzung von dispiacimenio , einfach die ar-
muot und strich dann Vernichtung und das eine der beiden die. In
dem kapitel von der untugent des xoms ist s. 30, z. 7 v. u. indignor
xionc zuerst durch imvnlligen widerwerticfieit widergegeben, was dann
in vnwillicheyt geändert wurde; ebenso ist in den beiden nächsten Zei-
len als Übersetzung des indignaxione auf rasur von grösserer ausdehnung
vmvilicheit hergestellt, während es dann auf s. 31 z. 14 schon von vorn-
herein in den text gesetzt wurde. Von den zahlreichen correcturen, die
auch sonst nach dem italienischen original gemacht wurden, kann ins-
besondere das oben mitgeteilte stück des ersten kapitels eine Vorstellung
geben. Dass hie und da auch ein beim schreiben übersprungenes wort
nachzutragen war, kann auch bei einer original -reinschrift nicht wundern.
Eine andere deutsche vorläge als Arigos eigenes concept anzunehmen,
besteht nirgend ein grund. Eine genaue feststellung des Verhältnisses
zwischen Übersetzung und quelle wird im einzelnen erst möglich sein,
wenn der Fiore in kritischer ausgäbe mit vollständigem apparat vorliegt.
Mir standen ausser den von Frati a. a. o. und von Zingerle in seinem
Vintler nach der ausgäbe von Gelli (Florenz 1855) mitgeteilten stücken
durch die freundlichkeit des herrn dr. Wendriner die ausgäbe von Gae-
tano Volpi (Milano 1842) und die von Ulrich (Leipzig 1890) herausgege-
bene versione Tosco -Veneta zur Verfügung i. Die letztgenannte schliesst
1) Die fortsotzung der letzteren (Dpsia 1895) und die ausgäbe in der Ztschr.
1 zom. phiL 19, 235 %. erschien erst nach abschluss dieser arbeit
472 vooi
ebenso wie einige andere handschriften (vgl. Frati s. 270) in dem kapi-
tel (XXXVII) moderanxa (s. 139 der ausgäbe von 1842, Arigo a 133)
und zwar mit dem satze el septimo die st reposoe da ol-lavoriero
eh'eV avea fato. Der ganze übrige teil dieses kapitels fehlt auch bei
Arigo. Aber dann fahrt er in den drei folgenden kapiteln wie die ita-
lienische ausgäbe von 1842 fort Diese schliesst mit dem kapitel (XL) id
guardare; in che modo si dee fare (s. 156; vgl. auch Frati s. 270 fg.);
ebenso die vorläge Vintlers: der letzte vers, der ihr entspricht, ist
V. 9396 (vgl. Zingerle zu 9397), d. i. nur wenige Zeilen vor dem schloss
der it ausgäbe von 1842. Dem schlusssatz dieser letzteren Ancora dt!
Vuomo avere moderanxa e misiira in tuiti gli suoi faiti entspricht bei
Arigo auf s. 145 (mitte) der satz Aitch der man pey Im haben sol
masse vnd das in allen seynen Sachen, Aber nun folgt noch bei Arigo
ohne abschnitt Alexander spricht chein dinge nictit ist da von der man
mer gepreyset ist dan von der edelen vnd schönen zucht usw. Daran
schliessen sich sehr verschiedene lebensrogeln, als deren Urheber Seneca,
Panfilio, Seneca, Seneca, Boecio genannt werden, bis zu dem satze,
mit dem s. 147 endigt: Nu sich anJiebt ein ander lere des grossen phy-
losofo vn Meisters AWertano , und es folgen nun aufs. 148 bis 158 in der
durch die oben mitgeteilten kapitelüberschriften ersichtlichen weise Über-
setzungen aus traktaten des Albertano von Brescia, die zum teil auch
schon vorher im Fiore di virtü benutzt waren. Zu s. 148 fg. (oben s. 467 fg.)
vergleiche Dei trattati moräli di Albertano da Brescia volgarizxamento
inedito fatto nel 1268 da Andrea Orosseto publicato ä cura di Franc.
Selmi (Bologna 1873)^ s. 1 — 4. Der deutsche text ist da ein allmäh-
lich immer freierer auszug aus dem italienischen. Bemerkenswert ist,
dass der übei'setzer für die anrede des Verfassers figliuolo mio Stefano
einsetzt aller liebstes chint, frcunt vnd gimner. Dass Albertano von
Brescia schon vor unserer Tugendblume durch eine Übersetzung seines
Liber co?isolatio?iis in die deutsche litteratur eingeführt wurde, habe ich
im Grundriss II, 1, 406 u. anm. bemerkt; Vetter gab in Kürschners ^Na-
tionallitteratur" ein stück au& ihr heraus, ohne das original anzugeben
(„Aus dem Melibeus'' Lehrhafte litteratur des 14. und 15. jh. I s.456%g.)
Wortgetreuen anschluss an das original hat Arigo sich auch ge-
genüber dem Fiore di virtü keinswegs zur pflicht gemacht Er liebt
es besonders ein wort der vorläge durch zwei synonyme worte lu
umschreiben; er sieht auf Wechsel im ausdruck; Schwierigkeiten umgeht
er gelegentlich durch minder genaue Übersetzung, auch wol durch Aus-
lassungen, während er andrerseits auch dieses und jenes einschaltit
Am freiesten behandelt er die quelle in den erzählenden stttcken«
ABiaOS BLÜMBN DBB TUGEND 473
ich mit ganz lyibedeutendeü ausnahmen oben mitgeteilt habe. An den
geschichten v« Dämon und Phintia und ^könig Marcus", denen ich
oben beispielsweise den italienischen text beigefügt habe, mag man
sehen, wie seine Übersetzung stellenweise den Charakter einer freien,
erweiternden nacherzählung gewinnt Hier wird auch sein stil geschick-
ter. Bei den Sentenzen schliesst er sich dagegen meist näher an die
quelle an, und den schwierigeren anforderungen , die sie an den Über-
setzer stellen, zeigt er sich weniger gewachsen. Die Übersetzung ist hier
im allgemeinen steifer, undeutscher und von fehlem nicht frei. Einige
grobe misverständnisse werden auf Verderbnis oder schlechte schrift der
italienischen vorläge zurückzuführen sein. So s. 45: Darum herre got
ich dich pitte du der armut nicht neydig seyest vnd dich nicht veran-
ders durch de^ reichtums taiUen. wan du von Im vnerchant pist für
Di due cose ti priego, Iddio, che tu non mi dia poveriä, nd tante
ricchexxe cKio non ti conosca (Duo rogavi te ... mendicitatem et divi-
iias ne dederis mihi: tribue tantum victui meo necessaria: 7ie forte
illiciar adnega^idum usw. Prov. 30, 7 fg.). Statt mi dia scheint Arigo
hier inuidia gelesen zu haben; aber auch die weiteren fehler werden
durch die beschaffenheit der vorläge veranlasst sein. Ähnlich liegt es
wohl, wenn cap. I der satz e di questo cotale amore di concupiscenxa
si puö dire ch^d tratta la regola (var. che [ch'el] trata le regolle)
d' amore übersetzt wird die übrig pegire^ man sprechen mage die ein
ast der regeln der liebe sey. Ganz merkwürdig ist die Übersetzung
des Schlusssatzes der oben s. 465/66 mitgeteilten erzählung E la monaca
salvö la sua castitä, volendo innanxi perdere gli occhi secondo che dice
il Vangelio = Also die heylig fraue vor dem pössen uncheuschen hem
ir reine Junckfrauschaft errettet / Auch man list In dem Ewan-
gelj wie dar nach si got wider erleuchtet. Eine wunderliche
Vorstellung vom Inhalt der evangelien! Freilich, wie es mit Arigos
bibelkenntnis bestellt ist, zeigt sich auch, wenn er s. 92 in der Historj
von der stercke des Samson über dessen persönlichkeit den erklären-
1) Statt dieses wertes stand ursprüDglich liebe der pegemus da und daneben
am rande oder pegire. — Gleich der folgende satz zeigt, wie die Übersetzung auch für
die kritik des italienischen textes in betracht kommt: dieser lautet nach der ausgäbe
Milano 1842 und nach der von Frati s. 254 benutzten von Bottari: 1' amore nes-
Sana cosa puö dinegare di diletto, la mente non si puo saziare, ähnlich auch nach
der von Zingerle verglichenen, während die Vers. Tose. Venet statt der beiden ge-
sperrten werte jedesmal l'amante überliefert. Mit dieser stimmt Arigo: Wan der
dassig^ der da liebe hatt durch die pegemtis [oder übrig begire] , Im dar Inne chein
abpreehen noch sich erfüllen mage. Doch steht seine Übersetzung keineswegs immer
mit dieser yeision gegen die andern zusammen.
474 vooT
den Zusatz macht, dass Safnso7i de^ chiimges dauit sun, Saktmon vni
absalmi prüder gewesen sei. Die sprichwörtliche Zusammenstellung von
Samsons stärke, Salomons Weisheit und Absalons Schönheit übt liier
ihren einfluss. Eine volkstümliche Vorstellung wirkt auch in dem kapitel
1071 der straffung über den chünig faraon auf seine Übersetzung des
Satzes la seconda fptstohnxa) si fu moltitttdine di ranocchi, che piovi
durch dax ander, dax auch vö hyrnel regent mancJierley liniirtirm
vfi tracken: bekanntlich bringen nach altem Volksglauben die drachen
aus der luft herab allerlei krankheit und plage.
Nicht nur das italienische original, sondern icli meine, auch die
herkunft des Verfassers oder wenigstens seine gewöhnung an die italieni-
sche spräche blickt in mancherlei erscheinungen durch, auf die ich zum
teil schon in den Gott. gel. anz. a. a. o. hingewiesen habe. Wollte man
der gelegentlichen beibehaltung dos italienischen Stichwortes in den Über-
schriften keine bedeutung beilegen, so verdient doch die beibehaltung der
italienischen formen für die namen der klassiker schon mehr bedeutung.
Es kommt ferner vor, dass ein italienischer ausdruck auch im texte bei-
behalten wird, teils mit, teils ohne beifügung einer deutschen erklärung.
So s. 115 rfas CapidogliOy das ist dax rothaus, s. 83 der rogel der
do liegst perni^e vnd an der färbe vnd grosse ist dem rephun ge-
kiche (Ital. cap. XXI figliuoli della pernice), S. 129 heisst der Schiffer
schlechtweg der Jtochiere; s. 68 findet sich der tiranno und dex^ tiranno.
Vielfach der philosofo. Aber auch in deutschen Wörtern zeigen sich
hie und da italismen. Neben meister wird sehr oft maester und s«i
auch maester Schaft geschrieben. S. 3 wird la patria durch seine vat-
terliche laut widergegeben, und entsprechend heisst es s. 34 deipie vai-
t er liehe vnd geporne laut. Vgl. s. 106 stäche von dir alle deine übrige
willen für togli da te le cose superchievoli e le tue volontadi ri^trigni
S. 93 Von der forchte (del timorc) vyid seiner vntugent. Auch von
dieser seito bestätigt es sich, dass der träger des italienischen namens,
der sein opus perfeci unter die Hamburger handschrift setzte, Arigo,
wirklich das werk gemacht, d. h. die deutsche Übersetzung verfasst hat.
Ist aber dies der fall, so ergibt sich daraus weiter von vornher-
ein mit der grössten Wahrscheinlichkeit, dass wir dem Übersetzer des
Fioro di virtii auch die wenige jähre nach Vollendung jenes werkes
gedruckte Verdeutschung von Boccacci(»s Deeamerone verdanken. Denn
die werte in der einleitung des deutschen Decameron (Keller 17, 29)
hau ich Arigo in (den freulein) das werde machen vnd in ieutsA$
xungenn schreiben wollen können sicherlich nicht anders gedeutet wo^
den, als dass eben auch Arigo das werk gemacht, d. h. die deot
beh
KEBI
Übersetzung verfasst hat {vgl. Gott gel. anz. a. a. o.). Es inüsste aber
doch ein wunderliches spiel des ziifalls sein, wenn um dieselbe zeit
zwei lente, die sich Arigo nannten, italienische werke ins deutsche
übersetzt hütten. lu der tat trifft die obige Charakteristik von Arigos
übersetzuugsweise im wesentlichen auch für den Decamerone zti. Auf
welche weise man sich auch bei Identität der Verfasser gewisse unter-
schiede in form und ausdruck etwa erklaren kann, die unleugbar zwi-
schen den beiden Übersetzungen bestehen, das habe ich a. a. o. ange-
deutet. Hier sei nur zur weiteren begründung meiner zuerst im Grund-
risfi d. gerni. phil. II, 1, 405 und 408 ausgesprochenen ansieht eine
reihe bemerkenswerter Übereinstimmungen in der spräche beider werke
hervorgehoben.
Eine merkwürdige ausdehnung hat beiderseits das endungs-e.
Die bekannte anhängung des e an starke substantiva ist überaus häu-
fig, z. b. Dec. leyte- und leyde für leid, tobe, tröste, weyc, lauffe, rate,
iodc, voldce, riefle, tcereke, ta^e, swie, note usw. TBL {Tugendblume)
pttche, ieyie, anfange, tode, dinge, luste, viache, icege usw. Aber
auch dem unflektierten adjektivum wird es zugefügt, wie z. b. beider-
seits tode und besonders häutig liebe haben. Beim verbum sind nicht
nur starke präterita wie starbe, ginge, gäbe, (löge, icarde, sacke, käme,
stunde, hübe in der TB!, die regel, im Dec. mindestens eine ganz
gewöhnliche erscheinung, sind nicht nur präteritopräsentia wie tnage
[mosse], palarffe, wilte, weisse üblich, sondern das e wird auch den
verschiedenen arten des endungs-i! in autfälliger weise angehängt; so
in der 2. pers.: hesie für best, hellest Dec. K. 196, 28, du musle 647, 28,
du solle 360, 26; vgl. du dueste TBL 9, hasle 8, chanste 15, pedarfate
\h, du solle 8 usw.; in der 3. pere.: erkente für erkennet (erkentt Äugs-
burger,erA:rti/Stra8sburger druck) Dec. K. 28, 2y, schtefte (schläft) 197,2,
besiverte (beschwert) 652, 18, und in TBL z. b. aj>riehte, Uiufte, machte,
peleybte, meinte, neiite, regirte, ivürte, hatte vs^i. [iäthat, wii-d, regtrel
iisw.); für die 2, pers. pl. ir sülte Dec. 532, 21, iV lieste (liesflet) 440, 36;
für das unflektierte part. präL z. b. geschikte [weltch grab sie geschikte
fanden Dec. K, 6, 37), geerte {sein name .. . geerte seg 16, 37), so
enbachte 442, 28, erkanlc 655, 8, gesetxte 655, 12; gepaute TBL ge-
saxte, verfthaufte, desgl. — Dieser Verlängerung steht andererseits in
beiden Übersetzungen eine kürzung nebentoniger silben gegenüber. So
beisst es beiderseits tirlab neben urhub, herber {neben herbtrg) und
beherbren, arbet und in den zusammengesetzten Wörtern -het (z. b. freg-
het Dec. K. 211, 11, gesuniihet 226, 11, gewonhet 29, 36, und in der
weisket, torhet, gewonhel, ckranetiet, poshet) neben formen mit
476 "VOGT
ei. — Bezüglich des vokalismus der Stammsilben sei folgendes bemeifct
Neben ä kommt vereinzelt d vor, beiderseits in do, wo, nomen. a
wird beiderseits zu e gekürzt in sellig. Für altes t gilt bei beiden «,
ey, während in nebentonigen hie und da i bleibt, so übereinstimmend
in ertrich; in recht seltenem Wechsel mit ai steht ei für altes ei. Für
altes ü und ou gilt übereinstimmend au\ nur in dem werte sdm (last)
zeigen beide ö für ou (Dek. K. 199, 11; TBL 85). b ist im anlaut bei-
derseits durch p vertreten; w für b findet sich bei beiden in offenwar ,
b für w übereinstimmend in albeg {albege, albege^i)] postvokalisch bei-
derseits in rubung TBL 21, gerubter Dec. 199, 12; sonst vgl. erbirbstu
TBL 20, enbicht Dec. Im ganzen scheint der Wechsel zwischen b und
w in Dec. häufiger als in TBL n schwindet bei beiden gelegentlich
in eif eltig j veniuftig (vemustig)^ in der endung der participia präsentis
und in tuget. Für s tritt bei beiden im inlaut hin und wider ss auf,
tibereinstimmend z. b. in wessen neben wesen. Angesichts der form
vleische für fleisse TBL 127 braucht man geschekchaft TBL 6 nicht für
einen Schreibfehler zu halten, und eben diese form findet sich Dec.
s. 19* der Originalausgabe (nicht bei Keller). Inlautendes ch für h ist
beiderseits in sechen, xechen, gechlich (-Ung), höche, fliehen, xicheti
(fliehen, ziehen) belegbar. — Eine völlige Übereinstimmung in der Schrei-
bung des handschriftlichen und des gedruckten werkes wird niemand
erwarten. Es genügt, wenn besonders charakteristische roerkmale der
hdschr. der TBL im drucke des Dec. noch erkennbar bleiben. Solche können
auch bei sonst consequenter änderung doch gelegentlich noch durchschim-
mern. So ist, wie Wunderlich richtig bemerkt hat, das in TBL heir-
schende ch im anlaut in Dec. stets durch k ersetzt. Aber Dec. 372,
13 steht noch als Schimpfwort für ein weib verheyter chad. Mag damit
kdt (kot) oder kad, das gefäss, gemeint sein, was dann hier wie unser
„Schachtel*' gebraucht wäre, jedenfalls hat hier der setzer in einem ihm
vermutlich unverständlichen werte das ch des manuscripts stehen gelass^i.
Von Übereinstimmungen im wertschätze verdienen folgende
besonders beachtet zu werden: ansprung (tiero assalto) des unseligen
bösen glucks ist im Deutschen Wörterbuch I, 472 aus Dec. belegt, ohne
irgend eine parallele für solche Verwendung des wertes ofispmng.
Genau so findet sich aber TBL 39 ansprinig der widerwertictieit Vgl
auch an springen von begirden und von der geitikeit gesagt Dec. 36, 7.
46, 37. — ausrichtig in freier übersetzimg des Originals gebraacht:
Nil der abte in hilte für einen chündigen vnd ausrichtigefi man tni
meinte, er pesser were aus zu richten etlich gesehefte def dosters •*
credendo Vabate, che egli fasse piü savio neUe am» M immdo l^
▲BI008 BLUIOEN DKB TÜOEND 477
gU aliri monaci TBL oben s. 459. Der tms für den außrichtigisten und
redlichi^ten man gehalten = fu uno de' piü jwtabüi e de* piü magni-
fici signoi-i Dec. 44, 16. der dasig der für derjenige welcher, häufig.
So z. b. in TBL der dasig, der solcher liebe pflegen ist^ der falsche
vnd nicht gerecht ist wan der dasig, der an freunde ist, allein ist
in seinen gescheften. das er die liebe vnd freuntschaft des dasigen,
den er liebe hatte, die pesixte vnd der gewaltig ist der dasig, der da
reichtutns oder salicheit nicht gewonet xu haben ist; usw. VgL im Dec. :
Auch die dasigen, die das romore auff dem predigtstul an den grasten
machen, dieselben an den meisten solchen gescheftenn nach gen 208,
12. der dasig, der da was getöt worden 205, 27. der dasigen, die er
meinte xe finden 197, 5. die dasig, die gen ir verklaget was, ersache
701, 3 V. u. — ein fart für einmal TBL 38. Dec. 243, 18. 521, 30
u. ö. — dunkelgut für ipocrisia mehrfach in TBL, vgL Dec. 257, 14
die vntiigent der ipocrasia vnd dunckel gut (im original nur ipocresia).
In dieser bedeutung ist das wort in den Wörterbüchern nirgends belegt —
eytellere für vanagloria mehrfach in TBL, vgL Dec. 23, 11. 259, 4. —
entwichtenzu nichte machen: vernichten oder entivichten TBL 33. wan
das auf heben den verprachten ditist entti^icht vnd macht verliessen =-
il rimproverare fa perdere lo servigio TBL 44; Salamon spricht, das
die süssen vnd dieniütigen wol gesetxten wort enttvichten den xom {il
dolce parlare si rompe Vira) TBL 140. (Hier ist enticichten später cor-
rigiert in erimchen). wan ich den erbem vfl frümen nmn höre ent-
wichten den vnweysen, VgL Dec. wölt ir anders euer sach nit ent-
tvichien (guastare i fatti vostri) 260, 8 (andere beispiele aus Dec. im
DWb. 3, 658). — In keinem wörterbuche ist der gebrauch von mitlei-
dung und mitleidig für geduld und geduldig, ausdauernd belegt, wie er
in TBL und Dec. gilt So TBL s. 92: Van der Edelen vnd tugenthaf-
tigen stercke der mitleydung (della virtü della fortexxa che si chiama
paxienxa). Socrate spricht, das mitleydung sey ein porten der liebe
der parmherfdc/ieit (Socrate dice: La pacienxa e parte — var. porta,
porto — della misericordia), Proenciale spricht, chein lieget Jiicht mage
gesein, si sey dan pestet in mitleydung, das ist der patieyigia, VgL
oben 8. 462. 464. TBL s. 105 (cap. XXIX des ital. or.) wird sofferenxa
erst durch gedult vnd mitleidung, dann durch mitleidung allein wider-
gegeben. Entsprechend wird Dec. 307, 37 gedultig vnd mitleydig seyt
für siate paxienti gesetzt und ebenso 129, 22 dax sie in irer armute
gedultig vnd mitleydig wer7i für che essi paxientemente comportassero
h stato povero. Das adjectivum wird auch TBL s. 112 gebraucht:
nidU XU gelauben genüge mitleydig xu sein [in] allen dingen, den du
478 vooT
dich vntertanig machest (a credere di tion potere essere suffidenie a
ttiite le cose). S. 105: Wer aber mit der tugent der geduÜ vnd mit-
leydung den dasigeji pöseii vntitgent (!) ividerstet, Der i^t geheysen ein
mit leyder. Oben s. 457 und s. 464 mitleiden haben für geduld ha-
ben. — Sich nehedcn für sich nahen fehlt gleichfalls in den Wörter-
büchern. Die zeit sieh tvai'de neheden TBL 18. So wird es sich zück-
iiglich xu euch näheden Dec. 528, 30. — nudalest TBL oben s. 464,
z. 8. Dec. 8, 27. 243, 24. 650, 30 u. ö. Es wird im sinne von „jetzt*
gebraucht. Die erklänmg des dalest im DWb. und bei Lexer wird
wol niemand mehr befriedigen. Es ist sicherlich nichts anderes als
eine der vielen entstellungen aus tälanc, die in diesem falle durch die
genetiv-adverbia beeinflusst sein wird. Die im DWb. erwähnte ver-
neinende bedeutung des dalest hat auch tälanc gelegentlich (vgl. Mo-
rolf 616, 3 — 5 E und anm. zu 521, 4. 5). — radoscheibe kreisför-
mig toid ir yeselschaft s^ich radescheibe vmbe sy auch nider secxUn
Dec. 16, 8. Das DWb. kennt nur diesen einen beleg. Aber das wurt
findet sich nicht allein ebenso Dec. 379, 22, sondern auch TBL oben
s. 463. wie hat Quadro also ein schönes radscheybes hare. Vgl. auch
geringeschcih : si (die kraniche) ireji chünig pehüten mit grosser vnd
treulicher hüte, wan si geringe scheyb vm In sten vnd er in der
mitte imder In TBL — verlaugnen wird in beiden Übersetzungen auch
im sinne von versageyi gebraucht: die verpoten vnd verlaügten dinge
{le cose vietate e negate) TBL 106; darvmb seyt gepeten vmb der lifbe
willen, die ich euch trage, dax ir mir der eüern nicht verlaugcni
{che toi non neghiate il vostro verso di me) Dec. 128, 17. — verwe-
sen: vnd pcgert er nicht, so verwist er {si consuma) in seiner amiui
TBL 45; da . . . vcrpriiwest vnd veruisest {ardi e consumiti) in liebe
einer fremden frauen Dec. 198, 29. — wetung: vfl den (reichtum)
nicht gelassen mage an grosse pein vnd wetung {e non le lascia senxa
dolore) TBL 46; Dax im grosse pein pracht, vmb tvetung halben sich
nit enthalten mocht, laut schreyeu must Dec. 375, 21, vgl. 28 und
vml dem künige auf sci?ier pruste ein ewiger tvetung belibefi tras
gcuant fistola {gli era rimasa una fistoln) Dec. 226, 8. Das wort
ist eine entstellung aus urfuom, die ich nicht anderweitig zu bele-
gen weiss, es bietet auch, soviel ich sehe, in beiden Übersetzungen
das einzige beispiel für die wandelung des -tuoin in -tung. — wander
wird beidei-seits unabhängig vom italienischen texte in verwandteD
Wendungen gebraucht: vroul Bruno im vo?i ferren naehfolget vmk
tvunder xu sechenn, wie sich doch der arcxte stellen wiUe (per
come Topera andasse) Dec. 530, 4. VgL a^ß emm i
ARiaOS BLX7UEN DER TUGEND 479
wmiders icillen nicht chö?ne {noii esce mai fuori della sua tatia)
TBL 130. — In ganz übereinstimmenden Wendungen verwenden beide
Übersetzungen sich verwundern im sinne von sich genug, bis zu ende
wundem. Vgl. oben s. 453. Der chünig , . . sich nicht venmmdem
mochte der starelien i>nd freyen tvort des armen maniies. und ebenso
Die edeln herm nicht alleifie sich des ritters sunder auch seiner frawen
grosse miltikeit nicht verwundern mochten Dec. 646, 4: sie konnten
sich nicht genug wundem über; so beiderseits mehrfach.
Aus der syntax will ich eine bemerkenswerte Übereinstimmung
in der Wortstellung hervorheben, die, ohne im einzelnen falle dem
italienischen original nachgebildet zu sein, doch auf italienische gewohn-
heit zurückzuführen sein wird, nämlich den gebrauch |der uns in
abhängigen Sätzen mit conjunctionen, relativen und inten-ogativen ge-
läufigen Wortfolge (Subjekt, adverbiale bestimmung, verbum finit.) im
unabhängigen satze. So z. b. TBL: Der künig der frauen irer pete
XU mllen warde. Die junge fraue mit des chimeges und ires aller
liebsten vrlab von dannen schiede. Der abte gar xornig wider seinen
munche was usw. Vgl. Dec: Frawe Philomena irer rede gesivigen
was. Die edeln frauen des armen Calandrino imgelücke lachten. Ein
solches fraweji Ore^eyda ee vonn andern teilten dan von im xü ge-
höre kam usw., beiderseits ganz gewöhnlich. — Ebenso unter gleich-
zeitiger voranstellung einer adverbialen bestimmung z. b. TBL: Von
der tugent der liebe man in den alten hi^torien geschriben vint. Um
des willen die Junckfrau in grosse schäme fiele. Von disem reiclien
man genant Oermino got der almechtig ein grosses wunder erxeyget
nach seinem tode. Nicht lang dar nach der cheyser nach seynem
scherer sante. Vgl. Dec: Auff solche hoffnung ich her xü dir komen
pin. hl solchem lachen vnd fremdem geperde fier Torello dem sol-
dan XU gedancke kam. Nach di^enn Worten der soldan in mit seinefi
artnen vmbfienge. — Ebenso auch im nachsatze: TBL Vjid also palde
IpoUto hinein chome . . . e/' mit auf gei'ockten armen in umfinge. Do
das der cheyser saehe, er von seinem rosse sasse. Vnd ob das were,
das Epkytica nicht wider chöjue, man im seilt haubt nemen vnd ab-
schlagen sölte. Vgl. Dec: Vnd ee der tage kam, er mit sampt dem
pette . . . gen Pavia . . . getragen ward. Vnd dmnit sy im seines laden
und beherbem nicht versagen möchten^ er den wege hielte. Vnd do
8% nun gessen hatten, der ritter ir müe bedenckeyi warde. — So auch
mit auslassung des Subjektes im nachsatze bei gleichem Subjekte des
nebensatses: TBL Vnd do der chunig das sache, sich des nicht ver-
«pmufam moekU. Do der chünig sache die grossen freyhet des maus.
480 vooT
sich 7iicht verwundem mochte der ... wort, von stunt sich pegabe ...
Do das der chünig vername, ser leydig tvas, VgL Dec.: Do der edd
ritter den soldan vemarn . . . der fröest man warde. Do der künig
die schönen junckfrawen sa^he, ir des si begeret nicht versagen mocht
Wie wol der Soldan mit sampt seinen hem grosse köstliche dinge u
Sechen gewonet warenn, doch darumb sich solcher köstUcheyt nidä
verwundem mocliten, — Sehr beliebt ist beiderseits auch die angege-
bene Wortstellung (subject, adverbiale bestimmung, verb. finit) in dass*
Sätzen bei fortlassung des dass, so z. b.: si sprachen, er an si nidä
gelehen möchte, ich spricJie, du der edelste . . . vogel . . . pist TBL
danimb man sprach, er tod were, und sprach, er im fürgenomtn
het Dec. — vnd gedachte, er e seinem tötüchen feinde ujiterinn icoU
sein TBL ir gedacht, sie nit alleine des küniges krancheit haUmt
gute vrsaehe het gen Parisy xe komen Dec. — den enget dauchit,
es nicht smecket TBL auch in on xweyfel daucht, dax grosse tcirdige
hem ... sein sölten Dec. — und meinte, er pesser teere auszurich-
ten etlich geschefte TBL dann er meint ^ es Türeken wid nicht kristepi
weren Dec. — gelaubet ir, ich her choinen sey und gelassen habe .,.
TBL und für war gelaubet, sein frawe nudalest einem anderen säU
verheyret sein Dec. — und wol erchante, xeit teere gewesen, er die
geiticheit pecheret hatte in milticheit TBL tvol erkante, er im die
tvarheit gesagt hatte Dec. — Nicht larige xeit darnach verginge,
der cheyser den sun pegonde fragen TBL Damach nicht lange ver-
ginge, sie auß dieser tvelt schiede Dec. — ... es sieh füget, dß$ ctej-
sers laiitherft mit einander rat liatten TBL es möchte sich noch bege-
ben, ir v^fiser kauffmanschatx möcht sechen Dec. — als dan gewonhei
ist, das junge volck gern nach volget TBL nun wer mir ye von her-
exen lieher yeicescn, ich ein solches xü rechter xeit vernomen hett
Dec. usw. usw. — Charakteristisch wie die Wortstellung ist in den be-
spielen dieser gattung für beide Übersetzungen auch das fehlen der
conjunction. Denn gegen bindewörter herrscht beiderseits eine förm-
liche abneigung, sowol wo es sich um ein abhängigkeitsverhältnis als
um die beiordnung der sätze handelt Wunderlich hat schon im Ar-
chiv f. d. stud. d. neueren sprachen 44, 248 die verliebe des Dec. für
die asyndesis gegen Stoinhöwels brauch hervorgehoben. Sie gilt eben-
sowol für TBL. Beispiele werden jedem aus den oben mitgeteilten
stücken zur genüge entgegentreten. Sowol diese eigentümlichkeit als
die neigung für die besprochene Wortstellung tritt auch in der Vorliebe
für demonstrativsätze und in deren besonderem baa in beiden übe^
Setzungen zu tage. Ist das demonstrativum Subjekt, bo ist wider d|l*
ABI008 BLÜHEN DER TÜGRND 481
selbe Wortstellung wie oben beliebt, z. b. die (nämlich die Jungfrau)
grosse liebe hatte zu einem Jungen TBL Die schnelle gen ir auf-
stunden Dec. Der unterschied zwischen demonstrativsatz und relativ-
satz ist bei solcher Wortfolge völlig au%ehoben, und das gilt nun auch
für demonstrativsätze anderer art, z. b. die alle er schuffe für sich
ehomen TBL Dax ir der künig voUcomenlich verspräche Dec. Dem
Quadro chein antumrt nicht gäbe TBL . Zu dem der ritter sprach Dec.
Des nicht lang xeit vergangen ist, das in vnser stat . . . gesessen was
Dec. 381, 20. Natürlich ist es unter diesen umständen oft genug unmög-
lich zu entscheiden, ob ein satz relativ oder demonstrativ gemeint ist;
bei den angeführten beispielen ist der demonstrative Charakter zweifel-
los. Selbst im nachsatz wird diese Stellung angewendet: do die frawe
Sache j das ir in des mannes ersten cxom nit Übels xü stund, . . . umb
des unllen sy ein gut hercxe fieng Dec. 376, 7. vnd wen in der Jäger
suchte XU fauchen, das er snelle vemomen hatt TBL oben s. 462. ob
das wercj das ich darinne indert xu strafen were, das ich wilMg-
liehen von einem iglichen auf nyme TBL oben s. 448. So auch wer
seines unllen flicht geweitig ist, der chein mensche ist vnd den man
XU dem viche gesellen sol oben s. 463. Da pey der eysidel wol erchante,
das (rel.) Im der Engel gesaget hatte, das (demonstr.) alles gottes
geschefte was oben s. 458 und ähnlich alein got, dem (rel.) alle ding
kunt sein, pey dem (demonstr.) ich dir swer Dec. 371, 25.
Auf weitere syntaktische besonderheiten der beiden Übersetzungen
brauche ich hier nicht einzugehen. Nur im vorbeigehen sei einer lati-
nisierenden Wortstellung gedacht, deren sich beide an stellen bedie-
nen, wo die quellen gar keinen anlass dazu bieten: um der grossen
passen deines gemüle geiticheit willen oben s. 453, vgl. U7nb des
willen sie xü dem iungen ires vaters schaffer i?i grosse liebe encxün-
det Dec. 351, 7. Und als ein beispiel für die Übereinstimmung der
TBL mit besonderheiten des partikelgebrauches, die Wunderlich (Stein-
höwel und das Decameron) am Dec. hervorgehoben hat, diene die
Verwendung von nur: TBL vnd chein freuliche ere nicht an sechen.
Nur si verpringen mögen Iren viehischen vnd vfiuemüftigen pössen
lust, vgl. Dec. er heit ir (der eyde) . . . xehen falsche . . . geschworen,
nur er seinen ividerteyle hette überwinden mügen und Wimderlich
8. 30. Im übrigen genüge es, zum schluss ein paar redensarten anzu-
führen, deren übereinstimmende Verwendung im verein mit den voran-
gegangenen ausführungen gewiss geeignet sein wird, jeden zweifei an
der identität der Verfasser beider Übersetzungen auszuschliessen : TBL
oben & 461 gethon vnd geschaffen alles ein dinge was (im or. ent-
f. mrorscRB PBiLOLO0n. bd. xxvui. 31
482 DÜNTZEB
spricht gar nichts), Dec. 349, 38 das gcschefte gepoten vnd verpraehf
alles ein dinge was (im or. entspricht nur e cosl fu fatto). — TBL oben
s. 457 vnd darum, das aus tibel nit ärger mürde, Dec. 518, 9 mid
damit aus übel nit ergers werde; in beiden fällen entspricht im or.
nichts. — TBL oben s. 461 mit hocher styme an hübe zu sckreyen:
„retta jof ictia jo! helffet! der pösuicht mich wille 7iöien vnd jund-
fraue ere nemen.^^ (im or. ella comhiciö a gridare: accorreie, accornk,
che Amantino m'ha voluta sforxare) vgl. Dec. 128, 34 mit hocher
stimme an hübe zu schreyen: „retta io! retta io! vor dem pösen graf-
fen von Angfers; er vnll mich nöten und freueUchen meiner crt
empfrcmden vnnd die mir onch mit gewalt nemen (im or. cominriöa
gridar forte: ajuto, ajuto, clie'l cmite d*Anguersa 7ni vuol far forxa).
BRESLAU. F. VOGT.
GOETHES BEUCHSTÜCK „DIE GEHEIMNISSEN
Unsere philosophen nehmen es als entschiedenes recht in ansprach,
bei deutung schwieriger dichtuiigen die berufenen ausleger zu sein;
ihrem Scharfblick erschlössen die verschlungenen gänge des dichtere
sich leichter als dem erkliircr, der von sprachlichem Verständnisse,
sorgfältiger beachtung des einzelnen wie des aufbaues und allseitiger
kenntnis des dichters und seiner kunst ausgeht. Als ob dies nicht die
notwendigen Schlüssel wären, ohne die auch der tüchtigste philosoph
in die irre gehen muss, ja fast um so mehr, je gedankenvoller er kt
Ein einziger übersehener oder misverstandener ausspruch des dichters
selbst kann das ganze kunstvolle gebäude des philosophischen deuters
stürzen, ein einziger bezeichnender zug, den er unbemerkt gelassen,
die willkürliche Verschiebung des ganzen verschulden: wer ohne ge-
naueste kenntnis des dichters, ohne liebevolles verfolgen seiner sparen,
ohne kritik und ergründung dessen, was wir von der entstehung des
kunstwerkes wissen, sich zum erklärer schwieriger dichtungen aufwirft
wird seinen zweck verfehlen. Der philosoph muss gestatten, dass der
philolog seine Offenbarung revidiert. Wie viele versuche trefflicher
männer sind an der klippe unzulänglicher philologischer auslegung
gescheitert!
Weit hinab an dem brausenden gcstade
Liegts von der scheiter umher.
Einen neuen beleg bietet die mit viel geist und vollem Verständ-
nis von Goethe's religiöser Stimmung versuchte lösung der rätsei dfl'
uns hier beschäftigenden unvollendeten gedichtes in der 8(du
GOETHES GEHEIMNISSE 483
Königsberger philosophen Hermann Baumgart „Goethe's Geheimnisse
und seine Indischen legenden**. Der Verfasser bezeichnet es als auf-
gäbe des Interpreten, „mit hülfe des durch die forschung aufgeschich-
teten materials, mit benutzung der gesammten bereitgestellten mittel
dem letzten ziele zuzustreben, im kunstwerke dem sinn des künstlers
nachzugehen**. Aber ausreichende philologische kritik bei benutzung
des dem forscher zu geböte stehenden stoflfes, methodische auslegung
und vollständige beherrschung desselben vermissen wir eben bei unseren
philosophischen auslegem, die „den boden unter den fassen verlieren**,
da sie die festen stützen aufgeben, welche die Überlieferung und das
stetige verfolgen der im aufbau der dichtung liegenden Wahrzeichen
darbieten. Baumgart will freilich auch die angaben über die entstehung
der „Geheimnisse** benutzen, aber er thut es auf eine so unvollstän-
dige und zum teil verkehrte weise, dass sein ergebnis unwahr ist, und
so nur auf irrwege führen kann. Dazu kommt, dass er auf äusserun-
gen Goethe's baut, welche dieser dreissig jähre nach der ihm ganz
fremd gewordenen dichtung gethan, als er der bitte um aufklärung
des darüber schwebenden dunkeis von selten Königsberger Studenten
nachgab, die ihm ihre eigene ansieht über deren plan und absieht mit-
geteilt hatten. Baumgart nimmt ohne weiteres die Zuverlässigkeit die-
ser erklärung an, obgleich es dem dichter dabei sichtlich nicht wol zu
mute war. Schon vor mehr als vierzig jähren habe ich im „Morgen-
blatt** (der aufsatz ist in meine „Neuen Goethestudien" aufgenommen)
den nachweis geliefert, dass das wenige neue, was Goethe hier gibt,
im Widerspruch mit der dichtung selbst steht, so dass Baumgart, auch
wenn er nicht selbst darauf gekommen wäre, meine bedenken hätte
beachten und, wenn er es vermocht, widerlegen müssen. Dabei wäre
auch die frage zu erörtern gewesen, wie es überhaupt sich verhalte
mit Goethe's äusserungen über seine eigenen älteren dichtungen, die
vollendeten, wie die als bruchstücke hinterlassenen, zu denen der sechs-
zigjährige in „Wahrheit und dichtung** und noch später anderswo sich
veranlasst sah, insonderheit mit denen über die plane der unvollendeten.
Und da ergibt sich deren völlige unzuverlässigkeit. Was seine
lebensbeschreibung über „Mahomet" und den „Ewigen Juden" enthält,
steht im Widerspruch mit den vorhandenen bruchstücken. Die bei der
späteren redaktion der „Italienischen reise" eingefügten plane der „Nau-
sikaa** und der „Iphigenie in Delphi** sind nichts weniger als zuverlässig.
Selbst die deutung des gedichtes „Harzreise im wintcr** ist nicht in allen
punkten richtig, lässt nicht einmal ahnen, dass diese stückweise entstan-
dtti, ans „fliegenden streifen von den tausend gedanken in der einsamkeit
31*
484 DÜNTZER
jener reise", wie es in einem briefe an Merck von 1778 heisst, zusam-
mengesetzt ist Da kann es denn auch nicht auffallen, dass der zur
aufklärung über die „Geheimnisse" entworfene aufsatz (das tagebach
gedenkt desselben am 23. märz 1816, mundieii wurde es am 9., abge-
sandt am 10 april), den er nach flüchtiger losung des bruchstückes bei
rascher durchsieht des neu zu druckenden neunten bandes der Werke
entwarf, kein evangelium ist, da ihm das gedieht längst fremd gewor-
den, und er bei der grossen Zerstreuung, worin er damals so verschie-
denartiges durchzudenken und vorzubereiten hatte, sich nicht in die
Stimmung zurückversetzen konnte, welche ihn vor einunddreissig jäh-
ren beseelt hatte. Das kloster, worin „die Geheimnisse" spielen, liegt
nach der diclitung in der „grünen aue eines sanft geschlungenen thales",
in das bruder Markus herniederschaut, als er einen steilen berg erstie-
gen hat und aus dem walde herausgetreten ist; er eilt zu ihm durch
einen „wiesenplan". Hiernach heisst es denn auch in der sehr kurz
gehaltenen erklärung: „Ein junger ordensgeistlicher, in einer gebirgigen
gegend verirrt, trifft zuletzt im freundlichen thalo ein herrliches gcbäude
an." Davon, dass bruder Markus sich verirrt habe, steht nichts im
gedichte, wenn er auch „ausser stcg und bahn" geht, er folgt dem
„erhabenen antrieb", der ihn zu einer besonderen sendung bestimmt hat,
und er muss dahin, wohin der geist ihn führt. Damit stimmt es
nicht, wenn Goethc's bericht, „um den plan im allgemeinen, und somit
auch den zweck des gedichtes zu bekennen", weiter mitteilt, „dass
der loser durch eine art von ideellem Montscrrat geführt werden, und,
njichdem er durch die verschiedenen borg-, felsen- und klippenhöben
seinen weg genommen, gelegentlich wider auf weite und glückliche
ebenen gelangen sollte". Irren wir nicht, so liegt hier ein missver-
stiindnis der ei*sten stanze zu gründe, wo es bildlich von diesem „wun-
derbaren Hede" heisst: „durch borg' und thäler sei der weg geleitet,
und wenn sie genug geklommen, wollten sie doch zur rechten zeit dem
ziele näher kommen", was auf die vielen orzählungen deutet, welche
der schliesslichen einsetzung des bruders Markus zum nachfolger des
Humanus vorangehen. Forner wird dieser „ideelle Montserrat" dua^h
eine sonderbare erfindung dis soehszigjährigen dichters näher ausge-
führt. „Einen jeden der rittermünche würde man in seiner wohnung
besucht und durch anschauung klimatischer und nationaler Verschie-
denheiten erfahren habcMi, dass die trefflichsten männer von allen enden
der erde sich hier versammeln mögen, wo jeder von ihnen gott auf
seine eigenste weise im stillen verehre. Der mit bruder Markus herum-
wandelnde luser oder zuhörer würde gewahr, dass die verschiedenstHi
OOKTHES OEHRIMNISSE 485
denk- und empfindungsweisen, welche in dem menschen durch atmo-
sphäre, landstrich, Völkerschaft, bedürfniss, gewohnheit entwickelt oder
ihm eingedrückt werden, sich hier am orte in ausgezeichneten indivi-
duen darzustellen, und die begier nach höchster ausbildiing, obgleich
einzeln unvollkommen, durch zusammenleben würdig auszusprechen
berufen seien.'' Offenbar ist unter dem „ideellen Montserrat" eine
ähnliche örtlichkeit gemeint, wie Goethe sie durch W. von Humboldt
brieflich im sommer 1800 von dem spanischen berge erhalten hatte,
und es kann keinem zweifei unterliegen, dass dessen heranziehen zu
unserem gedichte durch Humboldt's damaligen brief veranlasst ist.
Dieser hatte ihm geschrieben, in den zwei unvergesslich schönen tagen,
die er auf dem Montserrat zugebracht, habe er unendlich oft seiner
gedacht; seine „Geheimnisse" hätten ihm lebhaft vor dem gedächtnis
geschwebt, sie seien ihm nicht werter, aber näher und eigener gewor-
den. „Wie ich den pfad zum kloster hinaufstieg, der sich am abhang
des felsens langsam herumwindet, und, noch ehe ich es wahrnahm, die
glocken desselben ertönten, glaubte ich Ihren frommen pilger vor mir
zu sehen, und wenn ich aus tiefen, grünbewachsenen klüften empor-
blickte und kreuze sah, welche heilig kühne bände in schwindelnden
höhen auf nackten felsen aufgerichtet haben, zu denen dem menschen
jeder zugang versagt scheint, so glitt mein blick nicht wie sonst mit
gleichgültigkeit an diesen durch ganz Spanien unaufhörlich widerkeh-
renden zeichen ab." Freilich konnte Humboldt, als er zu der berühm-
ten Benediktinerabtei auf dem von seinen sägeförmigen spitzen benann-
ten berge bei Barcelona aufstieg, sich an bruder Markus gemahnt füh-
len, der beim besteigen des berges das glockengeläute des auf dem
gipfel gelegenen, noch unsichtbaren klosters hörte, aber das kloster lag
unten im thale, und er musste noch einen längeren weg durch einen
wiesenplan machen, ehe er zu diesem gelangte, über dessen pforte er
das rosenkreuz erblickte. Von einem auf dem berge gelegenen klo-
ster, welchem zwölf von einander getrennte, auf den bis zur schwin-
delnden höhe der gipfel angelegte einsiedeleien angehören, zu denen
man nur auf leitern und brücken über die schauerlichsten abgründe
gelangen kann, ist in den „Geheimnissen" keine rede, nicht einmal
von solchen über dem kloster sich erhebenden berggipfeln, die doch
dem bruder hätten auffallen müssen, wären sie vorhanden gewesen.
Die sämmtlichen zwölf brüdcr wohnen nach dem gedichte in demsel-
ben gebäude, dessen vorhof Markus am ersten abend betritt; das
innerste soll ihm erst später erschlossen werden. Täglich kommen sie
hier zusammen, während die bewohner der zwölf einsiedeleien nur an
486 DÜNTZEB
bestimmten festtagen, etwa zwanzigmal im jähre, zur klosterkircbe her-
abstiegen. Das abgesonderte leben in verschiedenen regionen der berg-,
felsen- und klippenhöhen ist durch die anläge des gedicbtes geradezu
ausgeschlossen, und erst von dem später nach dem ihm verloren gegao-
genon faden, wie auch bei „Faust", suchenden dichter höchst unglücklich
vom Montserrat hereingetragen. Mit der erkenntnis, dass die annähme
von abgesonderten eiusiedeleien auf gipfeln und klippen durchaus der
anläge der dichtung widerspricht, ergibt sich auch alles damit zusam-
menhängende als spätere haltlose erfindung. Damit es möglich scheine^
dass „die begior nach höchster ausbildung durch zusammenleben sich
würdig ausspreche", sollen sich die zwölf um Humanus versammelt
haben, weil sie eine ähnlichkeit, eine annäherung gefühlt Aber das
„wunderbare lied" nahm überall eine übernatürliche ein Wirkung
der Vorsehung an, die freilich dem sechszigjährigen fem lag. Huma-
nus wurde vom geiste hierher getrieben, die übrigen kamen alle in
höherm alter hierher, indem sie einer inneren stimme folgten, wie auch
bruder Markus durch „erhabenen antrieb" bestimmt wurde, nach einer
angegebenen richtung zu wandern, bis er zu einem orte gelange, wo
eine segensreiche bestimmung seiner warte. In ähnlicher weise ergeht
in John Bunyans „The pilgrims Progress", der auch in frommen deut-
schen kreisen ein weitverbreitetes crbauungsbuch war, an Christman
der ruf der Vorsehung, die heimat und die seinigen zu verlassen, und
ostwärts nach der goldenen Stadt zu wandern, sich weder durch berge,
abgründe noch ströme auf seinem wege hemmen zu lassen. Vgl. meine
Erläuterungen zu Schillers lyrischen gedichten, heft6, 3-4 fgg. Merk-
würdig ist von dieser übernatürlichen einwirkung, diesem grund und
boden der ganzen dichtung, in Goethe's späterer erklärung fast gar
keine rede. Auch Baumgaii; beachtet sie nirgendwo.
Mit der imserer dichtung fremden annähme von eiusiedeleien auf
den berggipfeln hängt Goethe's versuchte ausbildung des planes zusam-
men, wonach jeder der zwölfe, mit denen allen Humanus im laufe der
Zeiten in berührung gekommen, von einem teil seines grossen lebens-
wandels nachricht und auskunft geben könne, wobei er ohne zweifei
annahm, jeder sollte dies tun, so dass uns durch alle zwölfe zusam-
men ein volles bild seines lebenswandels gegeben werde, was ebenso
unkünstlorisch als ausserordentlich schwer auszuführen sein möchte,
übersehen ist dabei (was auch Baumgart nicht beachtet), dass ausser
den zwölf augenblicklich hier weilenden brüdem früher auch andere^
hier gestorbene, zum bunde gehört. Dies ergibt äch aus der Um»
des alten 130 fg.: schon viele sind hier vor ihm hingegangen, i^
OOITHBS GEHEIMNISSE 487
tod von keinem hat er so bitter beklagt, wie er das drohende abschei-
den des Humanus empfindet. Demnach wäre die apostelzahl zwölf
nicht als feststehend zu fassen, oder man müsste annehmen, die Vor-
sehung habe beim tode eines der brüder einen anderen nach dem Hu-
manuskloster gesandt Da aber Goethe sich erinnerte, dass „die
geheimnisse" auf die religiöse anschauung sich bezogen, so musste er,
80 gut es gieng, dies mit den „denk- und empfindungsweisen" der
verschiedensten Völker und mit Humanus als vermittler und vorbild
verbinden. So fuhr er denn etwas gezwungen fort: „Hier würde sich
dann gefunden haben, dass jode besondere religion einen moment ihrer
höchsten blute und frucht en*eicho, worin sie jenem obem vermittler
sich angenäht, ja sich vollkommen mit ihm vereinigt. Diese epochen
sollten in jenen zwölf repräsentanten verkörpert und fixiert erscheinen,
so dass man jede anerkennung gottes und der tugend, sie zeige sich
auch in noch so wunderbarer gestalt, doch immer aller ehren, aller
liebe würdig müsste gefunden haben. Und nun konnte nach langem
zusammenleben Humanus gar wol von ihnen scheiden, weil sein geist
sich in ihnen allen verkörpert, allen angehörig, keines eigenen irdi-
schen gewandes mehr bedarf Wäre diese wunderliche begründung des
hauptpunktes, des scheidens des Humanus und seiner ersetzung, rich-
tig, so würde man gar nicht begreifen, weshalb ein ihm und den
zwölfen so unähnlicher Vertreter wie Markus an diese stelle träte. Goethe
glaubte aber hier auch noch dos angenehmen eindrucks gedenken zu
müssen, den die vollendete dichtung gemacht haben würde. „Wenn
nun nach diesem entwurf der hörer, der teilnehmer durch alle länder
nnd Zeiten im geiste geführt, überall das erfreulichste, was die liebe
gottes und der menschen unter so mancherlei gestalten hervorbringt,
erfahren, so sollte daraus die angenehmste empfindung entspringen,
indem weder abweichung, missbrauch, noch entstellung, wodurch jede
religion zu gewissen epochen verhasst wird, zur erscheinung gekommen
wäre." Wie ein wandeln durch die zellen der zwölf ein solches bild
in einen fasslichen rahmen hätte schliessen können, ist schwer vorzu-
stellen und die im bruchstück gegebenen andeutungen deuten auf etwas
ganz anderes, auf das, was im innersten des klosters geschieht
Seltsam ist es, wie Goethe darauf gerade diesen besuch bei allen zwölfen
als die handlung bezeichnet; denn unmittelbar darauf heisst es: „Ereig-
net sich nun diese ganze handlung in der karwoche, ist das hauptkonn-
zeichen dieser gesellschaft ein kreuz, mit rosen umwunden, so lässt
sich leicht voraussehen, dass die durch den ostertag besiegelte ewige
dttaer erhöhter menschlicher zustände auch hier beim scheiden des
w
488 DÜKTZEB
Humanus sich tröstlich würde offenbaret haben.'' Davon, dass die
handlung in der karwoche spiele, ündet sich im bruchstücke nicht die
geringste andeutung, was unmöglich wäre, wenn darauf gewicht gelegt
wäre, und wie darin, dass Huraanus am ostertage stirbt, wo der Hei-
land aus dem grabe stieg, „die ewige dauer erhöhter m^ischlicher zu-
stände sich offenbare", ist schwer zu erkennen, da die auferstehnng
nur die göttlichkeit des Heilands bezeugt, höchstens auch noch als Wahr-
zeichen unserer eigenen auferstehnng am jüngsten tage gelten kaoo.
Doch liegt auch hier vielleicht eine wirkliche, aber ungehörig ver-
wandte erinnerung zu gründe, da ein bedeutender teil des bruchstücb
in der karwoche gedichtet ist. Die eigentliche handlung ist nicht der
besuch von Markus bei allen zwölf brüdern, sondern dessen von der
Vorsehung bestimmte Sendung bis zur einsetzung als Stellvertreter des
Humanus bei dem bunde des rosenkreuzes. Aber gerade darüber hören
wir in Goethe's späterer erklärung nichts neues. Es heisst nur: „Da-
mit aber ein so schöner bund nicht ohne haupt- und mittelsperson
bleibe, wird durch wundert are Schickung und Offenbarung der arme
pilgrim bruder Markus in die hohe stelle eingesetzt, der ohne ausge-
breitete umsieht, ohne streben nach unerreichbarem durch demut, erge-
benbeit, treue tätigkoit im frommen kreise gar wol verdient, einer
wolwollenden gesellschaft, so lange sie auf der erde verweilt, vorzu-
stehen.'' Der gegensatz zwischen Humanus und Markus ist in der
dichtung selbst angedeutet, da die erzählung von seiner Sendung auf
die brüder so wirkt, „wie tiefe weisheitslehren von kinderlippen", und
er ihnen an Offenheit, an Unschuld der geberde ein mensch von einer
anderen erde scheint, während Humanus durch wunderbare begabung
von der Vorsehung ausgezeichnet ist und zugleich „der edelste und
beste mensch" ist, dem die höchste kunst gelungen, bei allem feurigen
vorvvärtsstreben „sich selbst zu überwinden". In dieser den schluss
bildenden haupthandlung muss die bedeutung der dichtung liegen, diese
kann nicht damit erschöpft sein, dass Markus diese berufung „gar wol
verdient". Am Schlüsse der erklärung heisst es: Wären die „Geheim-
nisse" damals vollendet erschienen, so würden sie der zeit einiger-
massen vorgeeilt sein (was insofern auffallen könnte, als sie erst nach
Lessing's tode begonnen wurden), doch auch noch gegenwärtig, obgleich
in den letzten dreissig jähren die ideen sich erweitert, die gefühle
goreinigt, die ansichten aufgeklärt hätten, „würde man das nun allge-
mein anerkannte im poetischen kleide vielleicht gerne sehen und sich
daran in den gesinnungen befestigen, in welchen ganz allein der
mensch auf seinem eigenen Montserrat glück und ruhe finden kpaii*
GOETHES 0EUEIMNIS8S 489
Was er unter dem „nun allgemein anerkannten** verstehe, deutet er
nicht an; er kann nur die Überzeugung gemeint haben, dass die wahre
religion in dem streben bestehe, edel und gut im leben zu wirken, wie
er es in der ode „Das göttliche" ausgeführt hat. Allgemein anerkannt
war dies freilich auch nach den befreiungskriegen nicht
Hiernach kann Goethes mit dem bruchstück selbst in Widerspruch
stehender versuch, den ihm verloren gegangenen faden widerzufinden,
ebensowenig auf Zuverlässigkeit anspruch machen, wie der später ent-
wickelte angebliche entwurf des „Ewigen Juden" (vgl. Ztschr. XXV,
302). Baumgart glaubt an die Zuverlässigkeit dieses so kühnen wie
unglücklichen Versuches, und baut darauf weiter, wenn er auch nicht
wagt, die angeblichen zwölf religionen nachzuweisen, sondern sich
damit begnügt, dass sie die gesammte religionsgeschichtliche entwick-
lung in ihren wichtigsten phasen dargestellt, das Christentum mit seiner
vielgestaltigen, weithin ausgebreiteten und in vielen partien so deut-
lich vor uns liegenden entwicklungsgeschichte nicht auf einen einzigen
Vertreter beschränkt gewesen sein könne, wie er eine solche aus-
drücklich für den katholicismus und Calvinismus ausgewittert zu haben
glaubt
Wenden wir uns zu der vorliegenden gleichzeitigen Überlieferung
der entstehung unserer dichtung, so vermissen wir bei Baumgart die
philologische genauigkeit, ohne welche wesentliche irrtümer unvermeid-
lich sind; er hat bedeutende äusserungen nicht beachtet, andere miss-
verstanden. Wir übergehen den am 8. august 1784 zu Dingelstadt, wo
Goethe auf der reise nach dem Harze wegen des bruches der achse
seines wagens einige stunden weilen musste, gedichteten prolog, den
er sofort an Herder nach Weimar sandte; dieser sollte ihn der in
Kochberg weilenden frau von Stein mitteilen. In Herders abschrift
liegt uns diese ursprüngliche fassung vor. Hier trat am Schlüsse
die beziehung auf Herder und frau von Stein, denen man nur noch
Knebel hinzufügen kann, als vertrauteste herzensfreunde deutlicher her-
vor, aber es fehlt jede andeutung, dass er „unter ihrer reichen und
vielseitigen förderung jenes unvergleichliche Wachstum seines wesons
und seiner kraft erlebt hatte", das Baumgart hereingetragen. Goethe
hatte Herder und frau von Stein, letzterer ganz besonders, den prolog
gewidmet, weil er ihnen das gedieht über die wahre religion ver-
sprochen. Die idee zum erscheinen der Wahrheit, die ihm der dich-
tung Schleier erteilt, hatte er zu Jena an einem der tage vom 25. juli
bis zum 2. august gefunden, als er dort die sonne den dichten morgen-
nebel in wunderbar ihn ergreifender weise durchbrechen sah.
490 DÜNTZEB
Am 13. august schrieb er aus Zellerfeld im Harz: „Ich denke
fleissig an den plan des gedichtes [dessen prolog er gesandt hatte] und
habe ihn schon um vieles reiner. Wenn uns regenwetter oder sonst
ein Zufall begegnet, so fahre ich gewiss fort Ich kann dir versichern,
dass ich ausser dir, Herder und Knebel durchaus kein publikum habe.
Aber bei seinem leidenschaftlichen eifer, sich die mannigfaltigen fels-
bildungen des Harzes zu eigen zu machen, konnte er zunächst am
godichte nur hin- und hersinnen. Einen der von Braunschweig aus
auf wünsch der frau von Stein französisch geschriebenen briefe schloss
er am 23. mit folgender deutschen stanze, die in dem gedichte stehen
sollte, das er „so sehr liebe", weil er darin „von ihr, von seiner liebe
zu ihr unter tausend formen sprechen könne, ohne dass irgend einer
als sie allein es verstehe":
Gewiss ich wäre schon so ferne, ferne,
So weit die weit nur offen liegt, gegangen.
Bezwängen mich nicht übermächtige steme.
Die mein geschick an deines angehangen,
Dass ich in dir nur erst mich kennen lerne,
Mein dichten, trachten, hoffen und verlangen
Allein nach dir und deinem wcsen drängt.
Mein leben nur an deinem wesen hängt
Unglaublich scheint es, Goethe habe ernstlich daran gedacht, diese
stanze, die das gefühl seiner unzertrennlichkeit von der freundin so
ergreifend ausspricht, in das gedieht von den mittelalterlichen rosen-
kreuzern aufzunehmen; unter dem launigen verwände, die verse, zu
denen ihn die Sehnsucht nach der geliebten gedrängt, gehörten zu dem
versprochenen religionsgedichte, orgi*iff er die gelegenheit, sie dieser zu
übersenden. Wenige tage später heisst es in einem weiteren briefe:
„Ich habe wider einige Strophen des gediclits geschrieben, das mir
eine grosse erholung ist, wenn ich ferne von dir bin. Welche freude
werde ich haben, wenn du damit zufrieden bist; denn für dich schreibe
ich es. Das wenige, was du in deinem vorigen briefe darüber [über
den prolog] gesagt hast, hat mir unendliche freude gemacht" Nun
hat Scholl sehr glücklich vermutet, die stanzen, aufweiche diese äusse-
rung gehe, seien die drei, die sich im nachlass der frau von Stein auf
zwei blättern von Goethe's band gefunden, wovon die zweite des ersten
blattes die zweite unserer „Geheimnisse" ist Die blätter wird er
seinem briefe beigelegt haben. Im jähre 1820 erschien in „Kunst und
altertum" unmittelbar nach dem von Goethe für noch ungedruckt ge-
GOETHES GEHEIMNISSE 491
haltenen gedichte „Die glücklichen galten*', hier „Pür's leben** über-
schrieben, die stanze:
Denn was der mensch in seinen erdeschranken
Von hohem glück mit götternamen nennt,
Die harmonie der treue, die kein wanken,
Der jQreundschaft, die nicht zweifelsorge kennt,
Das licht, das weisen nur zu einsamen gedanken.
Das dichtem nur in schönen bildem brennt.
Das hatt' ich all in meinen besten stunden
In Ihr entdeckt und es für mich gefunden.
Sie trug hier die Überschrift „Für ewig" und es folgten die wol dadurch
veranlassten verse an frau von Stein „Zwischen beiden weiten*'. Die
ausgäbe letzter band gab im letzten verse ihr statt des handschrift-
lichen Ihr. Baumgart war verwegen genug, für Ihr oder ihr zu
setzen Euch und ebenso eigentümlich zu behaupten , für Euer schiebe
sich dich ein, alles nui* zu gunsten seines einfalls, die stanze sei als
begründung der letzten des prologs, der jetzigen „Zueignung*', gedich-
tet Um das mass philologischer Sünden zu füllen, wird die stanze
des prologs nicht in der ursprünglichen gestalt von 1784, sondern in
derjenigen angeführt, die sie erst in Italien erhielt. Ursprünglich
schloss der prolog mit dem ruf an die freunde:
0 kommt mit mir und bringt mir reichen sogen,
Mit dem allein mein leben ihr beglückt
Geht froh mit mir dem nächsten tag entgegen:
Noch leben wir, noch wandeln wir entzückt.
Und auch dann soll, wenn enkel um uns trauern.
Zu ihrer lust noch unsre liebe dauern.
Dass unmittelbar darauf jene stanze habe folgen können, scheint mir
geradezu abenteuerlich, wenn man auch wirklich das feststehende Ihr
in Euch verwandelt; auch heisst es, den offenbaren sinn der stanze
verkehren, wenn man in ihrer zweiten hälfte den Übergang zu den
„Geheimnissen" sieht Baumgart behauptet, „sicherlich*' habe Goethe
erst 1820 das ursprüngliche dir in ihr geändert Aber wie will er
beweisen, dass das blatt, worauf die verse in deutschen buchstaben
sich finden (es ist noch vorhanden), so spät geschrieben sei? Freilich
ist es auch unmöglich, nicht bloss des ihr wegen, dass sie, wie man
angenommen hat, unmittelbar auf die stanze „Gewiss ich wäre*' ge-
folgt: sie ist für sich trotz des beginnenden „Denn*' entstanden.
Überraschen muss es, wie nach Baumgart an den schluss jener
stanze „Für ewig", an die beteurung, in seinen besten stunden habe
492 DÜNTZER
er in jener einzigen das göttliche glück gefunden, sich die stanze „Ge-
wiss, gewiss** unmittelbar angeschlossen haben soU, „mit oder ohne
welche das gedieht folgerichtig weiter zur ankündigung des liedes
selbst fortschreite*', das „jenes licht der erkenntnis in reichen blldern
den freunden in mannigfach wechselnden färben kunstvoll geordneter
brechung widerspiegeln soU^ Der sprang von frau von Stein auf die
Zuhörer wäre gar zu auffallend, während nach dem jetzigen treffenden
abschlusse durch die anrede an die freunde das gedieht ganz zweck-
mässig mit der ankündigung des ernst wunderbaren liedes beginnt
da ein Übergang unnötig war. Wie Baumgart hier von einer „unter-
brochenen Publikation" sprechen kann, sehe ich nicht Die erste ein-
leitungsstanze bezeichnet ausser dem wunderbaren Charakter des das
unmittelbare eingreifen der band der Vorsehung voraussetzenden liedes
den mannigfachen inhalt, der abzuschweifen scheinen könne, aber sei-
nem ziele beständig zustrebe und eine wichtige mahnung dem zuhorer
gebe; vom „widerspiegeln in mannigfach wechselnden färben kunstv(»ll
geordneter brechung*' ist hier keine andeutung. Übrigens scheint es
mir ebensowenig wahrscheinlich, dass Goethe ernstlich diese stanze für
sein grosses gedieht bestimmt habe, wie ich es von der stanze „Gewiss
ich wäre" annehmen kann.
Die zweite stanze des liedes, die wir schon auf dem zweiten
jener blätter finden:
Doch glaube keiner, dass mit allem sinnen
Das ganze lied er je enträtseln werde;
Gar viele müssen vieles hier gewinnen.
Gar manche bluten bringt die mutter erde.
Der eine flieht mit düsterm blick von hinnen,
Der andre weilt mit fröhlicher geberdo;
Ein jeder soll nach seiner lust geniessen,
Für manchen wandrer soll dio quelle fliossen,
deutet auf den verborgenen sinn, den keiner ganz verstehen werde,
doch bringe es für die verschiedensten neigungen etwas erfreuliches.
Sie gehört eben nicht zu den gelungenen und wahrhaft gehaltvollen,
gewinnt auch keineswegs durch Baumgart's willkürliche beziehung auf
„die einzigartige auffassung dos innersten wcsens der religion, die auf
der einen seite ebenso philosophisch frei von allen schranken der be-
kenntnisse erscheinen konnte, als auf der andern mystisch gläubig
gegenüber ihren mythen und Symbolen, und die so der freudigen aut-
nahme der einen ebenso sicher sein konnte als der heftigen ablehuung
der anderen, einer gewissen befremdung sich zunächst aber bei allen
GOETHES GEHEIMNISSE 493
versehen musste". Von alle dem sehe ich keine spur. Ebensowenig
kann ich zugeben, es habe im plane der dichtong gelegen ,,in hervor-
ragenden Zügen der mythischen Überlieferung eine jede religion gewis-
sermassen ihr eigenes wesen aus sich selbst heraus zeichnen zu lassen,
indem die kunst der darstellung gleichsam wie durch den feinsten
schliff das verborgene feuer des edelsteins zur leuchtkraft brachte**.
Die zwölf verschiedenen religionen beruhen ja, wie wir sahen, auf
einem sonderbaren einfalle des sechszigjährigen, sich selbst erklärenden
dichters, dessen Schlussbemerkung aber weit entfernt ist, dasselbe zu
sagen, was Baumgart behauptet, wie dieser vorgibt
Noch haben wir der dritten stanze zu gedenken, die in Goethe's
handschrift auf dem zweiten, im august 1784 an frau von Stein ge-
sandten blatte steht:
Wohin er auch die Blicke kehrt und wendet.
Je mehr erstaunt er über kunst und pracht;
Mit Vorsatz scheint der reichtum hier verschwendet ;
Es scheint, als habe sich nur alles selbst gemacht.
Soll er sich wundem, dass das werk vollendet?
Soll er sich wundern, dass es so erdacht?
Ihn dünkt, als fang' er erst mit himmlischem entzücken
Zu leben an in diesen augenblicken.
Als Goethe im vierten bände der ausgäbe letzter band viele noch
ungedruckten gedichte unter der Überschrift: „Inschriften, denk- und
Sendeblätter" erscheinen liess, gab er gegen den schluss auch unsere,
auf einem besonderen blatte ohne Überschrift gefundenen verse. Es
ist ein leidiges versehen, wenn wir bei Baumgart lesen: „Die strophe
ist mit dem datum 15. märz 1816 veröffentlicht" Nicht dieses gedieht,
sondern das zunächst vorhergehende trägt mit recht die Überschrift:
„Bilderscenen. Den 15. märz 1816 bei freiherrn von Helldorf." Mit
diesem versehen fällt auch die darauf gegründete Vermutung. Im
inhaltsverzeichnis heisst das gedieht „Anzuwenden", was bedeuten soll
man könne die strophe als bezeichnung jeder vollendeten kunstdarstel-
lung gebrauchen, wdo es z. b. jene lebenden bilder bei Helldorf gewe-
sen waren. Die früher als jene inhaltsangabe geschriebenen „aufklä-
renden bemerkungen" nennen unsere stanze „ein bruchstück, das aber
der denkende anzuschliesson wissen wird." Das kann nur heissen, der
leser werde sich eine beziehung dei-selben, einen Zusammenhang, in
welchen sie passten, leicht denken. Seltsam äussert Baumgart: „Was
hätte den dichter bestimmt, erstlich die strophe [beim drucke der „Ge-
heimnisse"] fortzulassen, und sodann sie nach so langer zeit getrennt
494 DÜNTZER
bekannt zu geben, die, wenn sie lediglich descriptiver natur wäre (?),
auf eine bedeutung, aus der sich für den denkenden eine beziehung
ergäbe, keinen anspruch hätte!*' Er hätte doch sich selber sagen 8oll«i,
dass der dichter, dem es darauf ankam, von der ausgäbe letzter band
nichts mitteilbares auszuschliessen, was sich in seinem archiv fand,
durch jene bemerkung die aufnähme dieser abgebrochenen stanze ent-
schuldigen wollte. Aber Baumgart fragte nicht einmal, wo und wann
Goethe sie habe drucken lassen. Er meint, der dichter habe sie bei
Veröffentlichung des bruchstücks weggelassen, weil sie die voUendung
des ganzen voraussetze [doch nicht mehr, als es die erste stanze tut],
dagegen habe sie nachträglich für die Würdigung des ganzen, zumal
nach- seiner orklärung, doch immer ihre bedeutung gehabt Dann
aber hätte Goethe doch ausdrücklich bemerken müssen, sie habe zu
den „Geheimnissen" gehört, was er kaum noch wusste oder nicht für
bedeutend genug hielt
Noch erstaunlicher ist es, wie Baumgart unsere stanze unmittel-
bar auf die zweite der „Geheimnisse*' folgen lässt, auf den vers „Für
manchen wandrer soll die quelle fliessen", wonach der er dieses ver-
ses der wanderer wäre, der mit fröhlicher geberde verweilt und mit
lust der im liede ihm fliossenden quelle geniesst, was ein ofiTenbares
missvcrständnis des bildlichen ausdrucks von dem am quell sich laben-
den Wanderer voraussetzt Vgl. Klopstock in der ode Mein wissen:
„Ist wie ein trunk, im kühlen geschöpft aus der quelle." Geradezu
unmöglich scheint es mir, die stanze von einer vorgetragenen dieh-
tung, und dazu von einer eigenen zu verstehen: erscheint sie ja nicht
bloss als volltönendes lob des reichtums und der pracht, sondern es
ist von einem menschliche kunst übersteigenden werke die rede. Aber
unser erklärer wird gerade durch das nicht bloss im ersten augenblick
befremdende in seiner annähme bestätigt, das lied solle nicht eigene
crdichtimg bringen, sondern in der fülle der wundervollsten schätze
der Phantasie alle Völker und zoiten, die es wie absichtslos hinstreue,
dem erhabensten ziele näher kommen. Wäre dies auch wahr, was wir
als entschiedene missdeutung abweisen müssen, die stanze spricht von
einer alle menschliche kunst übersteigenden, himmlischen Vol-
lendung und ganz einziger vortrefFlichkeit des erdenkens. Freilich
darin hat Baumgart recht, dass sie nicht in unsere jetzige dichtung passt
und weder nach stanze 7 noch nach 36 ihre stelle gehabt haben kann,
aber er übersieht, dass sie in den august 1784 fällt, in die zeit, wo
Goethe zwar einzelne stanzen versuchte, aber nicht die fortschreitende
ausarbeitung von anfang an sich vorgesetzt hatte, er nur daran saniii
GOETHES GEHEIMNISSE 495
höchstens hie und da eine stanze ausführte, die sich meist auf frau
von Stein bezogen. Hier scheint der dichter, dem wunderbaren Cha-
rakter der einen unmittelbaren einfluss der Vorsehung voraussetzenden
dichtung gemäss, das kl oster als einen von jener selbst übernatürlich
geschaffenen bau sich gedacht zu haben, ähnlich wie den tempel des
gral auf dem Mont Salvage. In der erläuterung von 1816 nennt er
ihn noch „ein herrliches gebäude**. Bei der ausfuhrung wurde dessen
äussere beschreibung ganz übergangen, nur das rosenkreuz über dem
bogen der pforte geschildert.
Auf die „Geheimnisse" habe ich selbst früher die stanze bezo-
gen, welche 1820 in „Kunst und altertum** auf der rückseite des be-
sondem titeis „Litterarische, poetische mitteilungen'' als motte steht:
Unmöglich ist der tag dem tag zu zeigen.
Der nur verwormes im verwormen spiegelt.
Und jeder selbst sich fühlt als echt und eigen,
Statt sich zu zügeln, nur am andern zügelt
Da ist's den lippen besser denn zu schweigen,
Indess der geist sich fort und fort beflügelt
Aus gestern wird nicht heute, doch aeonen,
Sie werden wechselnd sinken, werden thronen.
Baumgart ist mir darin gefolgt, nur meint er, die „höchst persönliche
Schlusswendung" der beiden letzten verse habe Goethe damals durch
eine andere ersetzt, was sich auch daraus ergeben soll, dass die jetzige
aus dem gedankenzusammenhange und dem jugendfrischen ton der
sechs ersten herausfalle. Der gedanke dieser stanze solle den abschluss
der ankündigung des so grossartig und hochsjrmbolisch angelegten lie-
des bilden, sie schliesse sich als ein „jedoch" an, dass er das licht,
das dem dichter in den geweihten stunden des ideentausches mit den
freunden aufgegangen sei, auch den mitlebenden, den brüdem zeigen
wolle. Aber es wäre ein arger sprung, wenn die stanze an das über-
spannte lob des eigenen liedes anschlösse. Meine eigene Vermutung,
dass sie im prolog gestanden, nehme ich jetzt zurück, da die mittler-
weile bekannt gewordene ursprüngliche fassung gezeigt, dass sie sich
nicht darin gefunden, ja ich bezweifle überhaupt, dass die in der ausgäbe
letzter band „Heut und ewig" überschriebenen verse für die „Geheim-
nisse" gedichtet worden. Sie sind selbständig für sich entstanden, wie
so manche Sprüche. Der stanzenform bediente sich Goethe auch 1817
in den „Urworten", die mit dem verse schliessen: „Ein flügelschlag!
und hinter uns aeonen." Dass die Schlusswendung zu dem anfang
der stanze nicht stimme, dass hier vielmehr gesagt sein müsse, wovon
496 DÜNTZER
in jenem wunderbaren liede die rede sein werde, müssen wir entschie-
den abweisen. Der schluss führt aus, wie der geist sich immerfort
beflügle, die entvvicklung zwar nicht über nacht geschehe, von gestern
auf heute, sondern in längeren Zeiträumen, in aufeinanderfolgenden
ungeheuer langen perioden. Aeonen werden wechselnd schwinden
und sich erheben, was an Schillers wort von dem lebendig über der
weit webenden höchsten gedanken, den, ob alles im ewigen Wechsel
kreise, im Wechsel beharrenden ruhigen geist erinnert
Aber Baumgart hat einen hülfsbeweis entdeckt, dass alle vier
hier besprochenen stanzen zu unserem grossen gedichte gehörten und wir
darin alles besässen, „was Ooethe bei der Zusammenstellung des bnicli-
stücks weggelassen, weil es die ganz persönliche wendung enthalte
oder unmittelbar vorbereite (?)^. Wir müssen diesen hülfssatz wörtlich
mitteilen, um seine haltlosigkeit und den mangel aller bei anfühning
der Überlieferung nötigen philologischen gonauigkeit zu zeigen. Wir
lesen s. 3 fg.: „Riemer berichtet, dass von den „Geheimnissen'' bis zum
märz [im Januar und niärz] 1785 48 stanzen geschrieben worden, xväh-
rend das gedieht, wie es uns vorliegt, die zwei widmungsstrophen ein-
gerechnet, aus 44 stanzen besteht. Doch hat, wie es scheint, uns
Goethe diese vier gestrichenen Strophen nicht vorenthalten wollen,
deren Zurückhaltung, zum teil wenigstens, noch durch den zweiten
umstand veranlasst wurde, dass, wenn in seinem herzensgrunde er die
gesammte dichtung ganz ausschliesslich an die geliebte freundin rich-
tete, dies doch den übrigen freunden gegenüber nicht hervortreten
sollte." Hier beruht alles auf missverständnis, die rechnung ist falsch.
Schon die berufimg auf Riemer statt auf dessen längst vorliegende quelle
fallt auf; wäre Baumgart auf diese zurückgegangen, so würde er auch
gewusst haben, dass Goethe nach den 48 noch drei weitere stan-
zen gedichtet hat. Und hätte er die entstehung des gedichts ge-
nauer verfolgt, so würde er gefunden haben, dass bei diesen 48 oder
vielmehr 51 stanzen nur diejenigen gezählt sind, welche er seit dem
anfange des Jahres 1785 gemacht hatte, wo er die fortlaufende arbeit an
den „Geheimnissen" begann, dagegen von den einzelnen, im august
1784, meist mit persönlicher beziehung auf frau von Stein, gedichteten
stanzen nur eine im gedichte aufnähme fand, also wirklich mehr als
vier der 1785 entstandenen stanzen beim drucke ausgefallen sind.
Die vier letzten monate des Jahres 1784 ruhte die dichtung der
„Geheimnisse" völlig, da Goethe nicht die gefasste Stimmung fand,
welche die ausführung einer so bedeutenden arbeit notwendig forderte.
Auf dem Harze fesselte ihn die steinweit; leidenschaftlich sammelte •"
OOETHIfiS GEHEDfNISSE 497
die verschiedeDen steinarten, ihre nähere betrachtung sollte ihn den
Winter unterhalten. In Weimar und Ilmenau zogen ihn ganz andere
dinge an als diese hohe dichtung. Zunächst drängte es ihn, das
ursprüngliche fünfte buch von „Wilhelm Meister^ zu vollenden, woran
auch frau von Stein lebhaften anteil nahm. Am 16. Oktober konnte
er dieser melden, das fünfte buch sei fertig; am Schlüsse des monats
begann er das sechste. Vorher hatte er die bedeutende abhandlung
„Vom Zwischenknochen beim menschen" vollendet In demselben monat
zog ihn der von Jacobi ihm in der handschrift geschickte dialog des
ihm persönlich bekannt gewordenen platonischen philosophen Hemster-
huis „Alexis ou de l'äge d'or" an. Abends las er in dieser dichtung
mit der freundin, gegen die er sie „die Geheimnisse" nennt, „die mit
deinem geiste so viele Verwandtschaft haben". Er entsprach auch dem
würdigen tone, der freilich weniger empfindsam in seinem grossen
gedieh te herrschen sollte, für das er aber damals noch nicht diesen
namen bestimmt hatte. Daneben labte er sich an der „Ethik" des Spi-
noza, des heiligen der kleinen, aus ihm, Herder und frau von Stein
bestehenden gemeinde. Dichterisch fand er sich nur zu epigrammen
im geiste der griechischen anthologie aufgelegt. Am 19. dezember
fühlte er sich so wol, wie lange nicht in diesem seiner gesundheit
meist so ungünstigen monate. „Meine neue vorstellungsart trägt nicht
wenig dazu bei", schrieb er. Diese bezog sich auf die in allen drei
naturreichen übeinstimmend herrschenden gesetze.
Erst bei der Jahreswende, am letzten tage oder neujahr 1785,
scheint er frau von Stein das versprechen gegeben zu haben, täglich
eine stanze der „Geheimnisse" zu dichten, damit das ganze am ende
des Jahres vollendet sei. Den 4. januar schrieb er dieser: „In die
komödie will ich dir folgen, wie überallhin. Gestern abend hab' ich
noch drei stanzen gemacht" Ob es die ersten des Jahres waren,
ergibt sich nicht Das waren die ersten Zeilen dieses jahres an die freun-
din. Leider gehört dieser brief zu den vielen, die in der Weimarischen
ausgäbe, da sie undatiert überliefert sind , eine falsche Stellung erhalten
haben; er ist dort mit Fielitz wider alle möglichkeit in den märz oder
april gesetzt, auch der schluss falsch gelesen. Baumgart scheint den
brief gar nicht zu kennen. Dass er in den anfang des jahres gehört,
zeigt schon die erwähnung des kornes und holzes, das die hofleuto
jährlich von der kammer erhielten. Die holzlieferung, heisst es am
Schlüsse, werde er erinnern, wenn der herzog, der zu allgemeinem
Unwillen so lange von Weimar entfernt blieb, zurückkehre, was erst
am 11. Januar geschah. Der schauspieldirektor Bellomo spielte zu Wei-
r. DKUTScuB piuLOLooiE. BD. xxvm. 32
498 DÜNTZEfi
mar dienstags, donnerstags und sonnabends. Den 4. war theatervor-
stellung; am folgenden theaterabend lud Goethe frau von Stein und
Herder zu sich ein. In den weiter erhaltenen briefen an frau Ton
Stein vom 6., 9. und 11. ist der dichtung gar nicht gedacht; sie war
durch manches andere verdrängt; nur der Umgang mit frau von Stein
und Herder und seine ^ naturstudien " gewährten ihm wahre freude,
dichterisch fühlte er sich am wenigsten gestimmt Er litt an den
geschäften wie „an Ixions rad". Die teilnähme des herzogs am fur-
stenbundo war ihm zuwider, und doch musste er bei den verhandlan-
gen als geheimschreiber, ja als abschreiber dienen; er grollte Karl
August, der auch von der prinzenkrätze der kriegslust ergriffen sei,
und sein land zu gründe richten werde. Erst beim beginn des früh-
lings, in der karwoche, kehrte er, eben von einem zahnleiden befreit
zu den „Geheimnissen'' zurück. Am 22. märz schrieb er der freiin-
din: „Was ich ohne dich habe, ist mir alles nur verlusf* Auf den
abend lud er sie und Herder nebst frau zu sich ein. Damals scheint
er der ersteren das versprechen erneuert zu haben, an den „Geheim-
nissen" fortzuarbeiten, jetzt täglich zwei stanzen zu dichten, so dass
die zahl der stanzen bald die der Jahrestage (am 22. waren es 81)
erreichen werde. In den vier tagen vom 28. bis zum 26. fehlen alle
briefe. Am morgen des 27., des ostertags, meldet er der freundin:
„Meine beiden verse hab' ich für heute gefertigt, bin nun bis ascher-
mittwoch [er war 1785 der vierzigste tag] gekommen. Die kinderei
hilft mir, und die leeren tage im kalender geben mir ein unüberwind-
liches verlangen, das versäumte nachzuholen. Tags darauf berichtete
er Knebel: „Auch bin ich wider fleissig an meinem grossen gediehte
gewesen, und bin bis zur 40. Strophe gekoDimen. Das ist wol noch
sehr im vorhofe. Das unternehmen ist zu ungeheuer für meine läge,
indessen will ich fortfahren und sehen, wie weit ich komme." Als
Goethe sich zur fortsetzung entschloss, dürfte das gedieht nur bis zum
empfange des bruders Markus im kl oster fertig gewesen sein, bis zur
jetzigen 12. stanze; ostern war wol die lange rede des alten (stanze
13 — 32) vollendet, am ostertage selbst 31 und 32 gedichtet. Dies
stimmt zur bezeichnung der 32. als der 40., bei der annähme, dass
die, wie wir sahen, bei der späteren Zusammenstellung weggelassenen
in den ersten teil der dichtung fallen; bestätigt wird sie durch das,
was wir von der fortsetzung hören. Nach einem briefe an frau von
Stein gelang dem dichter am 28. nur eine stanze; das wäre die ganz
für sich stehende stanze 33. Wenn Goethe am morgen des 2. apiil
Knebel berichtet: „Ich habe 48 stanzen an meinem gediehte, so mflM^
OOSTHSS asfiEIMNlSSS 490
vom 29. märz bis zum 1. april acht neue entstanden sein, 34 bis
41. Den 2. april konnte er vor Schlafengehen noch drei stanzen ,, vor-
arbeiten^, wie er in bezug auf das zurückbleiben hinter der zahl der
Jahrestage der freundin schreibt; es sind die enge zusammengehörigen
42 — 44. Bei seinem leidenden zustande und der halben Verzweiflung
an den Weimarer zuständen, da er fürchtete, die finanzen des landes,
die er mit anspannung aller kraft wider gehoben, würden durch Karl
Augusts auswärtige plane zu gründe gerichtet werden, konnte er zu
keiner ruhigen tätigkeit gelangen, am wenigsten seine so bedeutende
dichtung weiter führen. Bei der krampfhaften aufregung, an der er
litt, ist es nicht zu ver wundem, wenn auch nicht alle wirklich gedich-
teten stanzen gelungen waren.
Baumgart hat nicht bloss von der wirklichen entstehung des gedich-
tes, wie sie in den briefen an frau von Stein und Knebel vorliegt, keine
ahnung, er entstellt sie noch durch einen unglücklichen einfall. Bei
erwähnung des zweiten hauptmotivs, das stanze 33 nur skizziert werde,
hören wir: „Es geht wol auf ,die Geheimnisse', was Goethe anfangs
juni 1785 an Herder schrieb: „Hier schick' ich dir, was du wol noch
nicht gelesen. Ich konnte es nicht einmal endigen, geschweige durch-
arbeiten; deswegen fehlt den versen noch hier und da das runde imd
glatte." Freilich war der betreffende brief früher nach falscher Vermu-
tung in den juli, von der Weimarischen ausgäbe in den mai 1785
gesetzt wordeü, aber Suphan hatte schon 1881 in der bedeutenden
abhandlung „Goethe und Spinoza 1783 — 1786'' nachgewiesen, dass
er ende 1783 gehöre, was Baumgart, Avenn ihm jene abhandlung ent-
gangen war, im siebenten bände der Weimarischen ausgäbe der briefe
bemerkt finden konnte, wo er zum zweiten mal, an richtiger stelle,
gedruckt worden. Suphan hatte die äusserung in dem späteren aufsatze
„Ilmenau" auf das ebenso überschriebene gedieht bezogen. Dass die-
selbe gar nicht auf eine dichtung Goethes, sondern auf eüie Übersetzung
aus dem arabischen geht, habe ich Ztschr. XXVII, 76 gezeigt. Von
diesem allen weiss Baumgart nichts. Wie haltlos, abgesehen von die-
ser zeitlichen Unmöglichkeit, seine Vermutung ist, mag ich nicht aus-
führen. Er aber bedenkt sich nicht, „in hohem masse ein solches prä-
liminarisches aussehen" in stanze 33 zu finden, besonders soll die
letztere den eindruck eines blossen füUwerkes hervorrufen; stellen der-
selben aus dem epischen ton herausfallen, weil der ausdruck schlicht
und einfach, freilich auch durch die reimnot etwas gezwungen, ja, man
kann es gestehen, weniger gelungen ist.
32*
500 DÜNTZER
Ergibt sich so eine ganze reihe der aufstell ungen Baumgarts als
folge des mangels an philologischer genauigkeit und offenbarer irrtümer,
so ist leider auch das missverständnis des titeis des gedichts für
seine deutung verhängnissvoli geworden. „Die geheimnisse** ist ein
Goethe gangbarer ausdruck für mysterien, geheimdienst Am 24 juni
1781 schreibt er der frau von Stein: „Heute abend, ehe ich mich in
die Geheimnisse vortiefe, bringe ich dir meine Schlüssel^, wo die Jo-
hannisloge gemeint ist Wenn er am 9. november mit frau von Stein
in den „Geheimnissen" lesen will, so ist, wie schon bemerkt, vom
dialog „Alexis ou de Tage d'or" des Hemsterhuis die rede. Unsere
dichtung erhielt diesen namen erst, als Goethe sie zum drucke bestimmte.
Horders gattin, die sie längst kannte, nennt sie, als sie ihrem gatten
am 12. September 1788 berichtete, Goethe habe im Lengefeld'schen
hause zu Rudolstadt in Schillers gegenwart das bruchstück hei^esagt,
„Das gedieht von den roscnkreuzem", wie es Goethe selbst genannt
haben wird. Von seinen edlen roscnkreuzem sollte die allgemeine Ver-
breitung der wahren christlichen Sittenlehre ausgehen. Das gedieht fiel
in die zeit, wo der geheimnissvollo orden der rosenkreuzer sehr viel
von sich reden machte, avo die Schriften „Der rosenkreuzer in seiner
blosse zum nutzen der Staaten dargestellt" und „Der im licht der weit
dargestellte rosenkreuzer, allen lebenden menschen hingestellt" lebhafte
aufmerksamkeit erregten. Aber Baumgart behauptet, in demselben
sinne, wie Herder in den „Ideen" (IX, 5) von der ^Geschichte
aller geheimnisse auf der erde" spreche [ähnlich geht dort kun
vorher „in allen religionen der erde"] habe Goethe Die geheimnisse
zum thema und zur Überschrift [?j seines grossen gedichts gewählt, sei
es nun, dass in geheim in bozug darauf die stelle der „Ideen" ge-
schrieben worden [früliestens im februar 1785, während der erste ent-
wurf von Goethes dichtung fünf monate älter ist], sei es, dass aus
ihren gesprächen über diesen gegenständ beiden freunden die bezeich-
nung in diesem sinne sich festgestellt hatte". Aber bei Herder
ist geheimnis gleichbedeutend mit religion, religiöse tradition^
lehre vom überirdischen, unsichtbaren, nicht mit symbol;
denn eben dieses wortes bedient sich Herder regelmässig. In Goethes
gedieht kommt Geheimnis nur einmal vor, 77, wo es den unter dem
bilde verborgenen sinn, nicht einen übernatürlich ofiFenbarten glaubens-
satz über das wesen gottes, auch nicht, wie Baumgart sich ausdruckt,
„das geheimnis der klostergemeinschaft, der die sendung des Markus
gelte", bezeichnet. Vom tode des Humanus heisst es, er sei geheim-
nissvoll (lllj. Bruder Markus verlangt zu wissen, was manches biJ'
GOETHES OKHEIMNISSB 501
verhehlt (278). Auch ist vom erraten des unter dem bilde verbor-
genen (305 — 309), von der verdeckung der bedeutung durch teppich oder
flor (315 fg.) die rede. Sonderbar wäre es auch, wenn ein gedieht, das
sich auf das „aufgeben der Symbole^ beziehen solle, die Überschrift
„Die geheimnisse" führte. Der titel bezeichnet offenbar den geheim-
dien st der hier in das mittelalter verlegten rosenkreuzer, die von der
Vorsehung bestimmt sind, die reine, segensreiche christliche Sittenlehre
zu verbreiten; „die geheimnisse" waren als eine grosse geistliche dich-
tung vom mittelalterlichen Wunderglauben gedacht
Verfehlt war es, bei der frage nach dem Inhalt der rätselhaften
dichtung von dem titel, statt von der haupthandlung auszugehen, welche
die von der Vorsehung beschlossene einsetzung des schlichten bruders
Markus beim tode des Humanus ist, eines durch geistige tüchtigkeit
und hohe einsieht ausgezeichneten beiden von mächtigster Willenskraft.
Baumgart sieht ein, wie wenig Goethes eigene deutung von 1816 das
dunkel aufhellt, aber erst nachträglich geht er an die lösung der haupt-
frage, die er denn ohne glück versucht, nachdem er sich den blick
durch seinen voreiligen einfall getrübt hat. Es ist doch gar zu wun-
derlich, wenn der tod des Humanus dadurch begründet wird, dass
die Symbole der christlichen religion schwinden sollen. Ist denn Hu-
manus mit den zwölf alten, die sich aus der weit zurückgezogen haben,
im stillen gott zu dienen, ein Vertreter der Symbole, hat es ihn nicht
vielmelir gedrängt, im reineren sinne Christi lehre zu üben, die nach
Goethes ansieht nicht die nach der fassung der zeit und des volkes
gemachte Offenbarung über gott und die erlösung der menschen, son-
dern die sittliche lehre der Selbstüberwindung und der liebe aller men-
schen als brüder war, wonach er auch behaupten durfte, er sei ein
wahrerer Christ als die meisten, die sich so nennten. Baumgart hilft
sich damit, dass die christlichen symbole in dem engen kreise der
zwölf, demnach doch auch wol bei Humanus selbst, „die reinste geläu-
terte auffassung finden", gibt aber zu, dass der glaube an ihre ge-
schichtliche realität im schwinden begriffen (s. 60), was nicht dazu
stimmt, „dass die kleine gemeinde durch des Humanus tod sich mit
dem Verluste ihres schönsten glückes bedroht sieht, weil die vielgelieb-
ten Symbole dadurch unwiderbringlich dahin gehen sollen, ohne dass
den bitter leidenden die hoffnung auf einen tröstlichen ersatz sich zeigt*'
(s. 57). Hier ist alles brüchig, wie das ganze hereintragen der Sym-
bole ein unglücklicher, haltloser einfall ist Die trauer der brüder um
den tod ihres „vaters, freundes und führers" ist rein persönlich, nicht
allegorisch; der alte, der diese äussert, möchte selbst gern mit seinem
502 OÜNTZEB
eigenen leben das seines geliebtosten freundes erkaufen. Es ist ein
ebenso grosser irrtum, wenn Baumgaii; den alten von den zwölf aus-
nehmen will, als wenn er in ihm eine allegorie der tradition sieht, die
wir trotz der ontzückung, mit der ihr erfinder davon spricht, für uner-
träglich steif halten. Der alte ist mit im kapitelsaale, wo nur dn.*izohn
Stühle sind, ausser dem mittlem des Humanus einer für jeden der
zwölf. Der dichter bedurfte eines Sprechers, der den fremden empfiong
und ihm über Humanus, dessen leben und drohenden tod berichtete,
später sein führer war; dazu wälilte er einen herzensfreund , der ihn
von Jugend an kennt Ob dieser sich nie von ihm getrennt, sondern
mit ihm sich zu dem von der Vorsehung bereiteten gebäude im ein-
samen talo getrieben fühlte, das wir uns wol weit im osten zu den-
ken haben, ist nicht zu bestimmen. Vorlängst habe ich bemerkt, dass
bei dem kloster wol Maria Einsiedeln in der Schweiz vorscliwebt, wo
der prälat (er hiess Fürst) auf den tod krank lag, als Knebel es im
jähre 1780 besuchte, aber noch ihn durch den decanus, „einen heiligen
würdigen mann", zur tafel laden Hess — ein von Goethe so einzig be-
nutzter zug. Hatte aber Humanus sich mit den seinigen dem reineren
Christentum in der einsamkeit geweiht, so erhebt sich um so dringen-
der die frage, was hat es zu bedeuten, dass Markus, ein einfacher
klosterbruder, ein ernsterer nachfolger von Lessings treuherzigem gc-
genbilde des aufgeblähten, herrschsüchtigen patriarchen im „Nathan^,
von der Vorsehung zum Stellvertreter des Humanus berufen wird?
Nach Baumgart soll er „die erete nachfolge Jesu verkörpern, wie sie
als das wesen und der Inhalt der christlichen religion bestehen bleibt."
Aber wie kann Markus dazu besser wirken als Humanus, worin sull
der gegensatz oder die fortentwicklung liegen? Als Sinnbild des Chri-
stentums, wie es Humanus aufgefasst, müssen wir doch das zeichen
auf der pforte des bogens betrachten, selbst wenn Humanus es schon
vorgefunden hatte. Das kreuz soll nicht auf die kreuzigung gehen,
wie es bruder Markus in gewohnter weise fasst, sondern auf die leiden
und mühen des lebens, aber die es umwindenden rosen deuten auf
lebensgenuss, da das leben kein jammerthal, die erde kein büssungsort,
das kloster kein ewiges Momente mori sein soll. Das rosenumgebenc
kreuz wird zum himmel getragen*, da der mensch im leben immer
fortstreben, „unermüdet schaffen'' soll, wie wir es von der gottheit
selbst glauben (nach Goethes ode „Das göttliche''). Das dreifache, aus
der mitte quellende licht, das zeichen der dreieinigkeit, ist wol hier
als bild der drei christlichen tugenden, glaube, hoflhung und liebe,
gedacht Also herrscht ein reineres Christentum schon in dem kreise
GOETHES GEHEIMNISSE 503
des Humanus. Was kann da der schlichte, gottesfürchtige, treuherzige
Markus ändern? Nach Baumgart soll durch ihn, in stiller organischer
Wandlung die summe religiösen anschauens, fühlens und denkens, die,
ein produkt der gesammten menschlichen entwicklung, in der reinen
lehre Jesu enthalten ist, in ihrer einfachen gestalt an stelle der geheim-
nissvoll symbolischen unmittelbar sich geltend machen, durch ihre
innere hoheit das führerrocht für immer sich sichern. Die geheimnisse
schwinden, aber das geheimnis bleibt. Das grosse geheimnis der natu r
und das grössere geheimnis des geistes, die beide doch nur ein ver-
schieden gefasster ausdruck für das eine grösste geheimnis, dass das
unbegreifliche uns gewissheit ist.** Das wäre doch eine Wandlung, welche,
für des einfachen bruders Weisheit, die von kinderlippen schallt, viel
zu hoch; sie setzt eine Umwandlung von Markus selbst voraus, und
Humanus kommt dabei arg zu kurz, der längst auf den kern der
christlichen lehre gedrungen hatte, und mit einer hoheit dafür begei-
sterte, die seine kleine gemeinde der greise, die ein taten volles, erfah-
rungsreiches leben geführt hatten, hinzureissen wusste. Die aufgäbe,
die Markus zu lösen hatte, kann nur darin bestehen, dass er die
christliche geheimlehre, die bisher auf das kloster des Humanus be-
schränkt war, allgemein verbreitete, wozu gerade er, von Humanus
belehrt, auserkoren war. Diese ausbreitung der christlichen Sittenlehre,
die zugleich die wahre humanität, ohne die nichts fordernde, zu Schwär-
merei und Verworrenheit des geistes verleitende, vom leben und reiner
menschlicher entwicklung abführende Offenbarung, ergibt sich als ziel-
und endpunkt der „Geheimnisse", dieser glücklich erdachten legende,
die einen herzenswunsch des dichters auszusprechen bestimmt war, auf
dessen erfüll ung er selbst nicht hofiFte; es ist nur ein schöner träum,
dessen dichterische ausführung leider dem meister nicht gelingen sollte.
Aus der Schilderung der reden des bruders Markus im kloster, aus
stanze 12, hat Baumgart geschlossen, was sie gar nicht besagen soll,
dass von allen geheimnissen nur das eine höchste bleiben werde:
„dass die einfachheit das Siegel der letzten Vollendung ist, dass sie aus
unschuldiger reinheit und offener Weisheit allein erwachsen kann und
dass, wie sie die frucht der lautern Selbstlosigkeit ist, aus ihr die
unendliche liebe quillt, welche die weit erlöst''. Ebensowenig finden
wir in dem bruchstück eine andeutung, „dass, wenn solche gesinnung
das führeramt übernimmt, die ewige dauer wahrhaft christlicher reli-
giösität und religionsgemeinschaft erst recht besiegelt sein werde, weil
solche führerschaft den herrschenden streit aufliebe, und, was in aller
weit an echt religiösem sinne lobt, vereinend um sich sanmile". Das
504 DÜNTZEB
ist rein hereingetragen, dagegen die offenbar beabsichtigte Wirksamkeit
der Humanus-gemcinde unter Markus verkannt.
Wirklich ausgeführt sind nur des bruders Markus von einer hölie-
ren stimme ihm aufgetragene reise, seine ankunft am abend beim klo-
ster, abendessen und abcndandacht, endlich nach kurzem schlaf beim
grauen des morgens eine merkwürdige erscheinung. Der name des
bruders erinnert an den des schlichtesten, als missionar in Afrika bc^
kannten evangelisten ^, aber wirklich scheint bei ihm der lieblingsjün-
ger des heilands, der an dessen busen gelegen, vorgeschwebt zu liabtMi,
der immer aus vollem herzen sprach, an dessen „Testament", dass die
christliche liebe, die der herr befohlen, allein genüge, Lessing so ein-
dringlich gemahnt hatte. Den namen Johannes scheint Goethe absirlil-
lich gemieden zu haben. Markus wird gleich als von der Vorsehung
gesandt bezeichnet; bloss dem geiste folgend gelangt er am späten
abend an das prächtige kloster. Das höchst verehrte christlicbo kreuz
erfüllt ihn mit ehrfurcht, aber die ihm noch neue weise, wie es hier
mit rosen umwunden, von wölken getragen und vom lichte der drei-
faltigkeit erleuchtet sich zeigt, erregt in ihm erbauliche gedanken über
dieses hier ungewohnten sinn verbergende zeichen. Eingelassen mel-
det er, wie er auf den befehl höherer wesen hierher gekommen, was
man mit heiligem staunen vemimmt, ja man fühlt das herz dabei von
innerer gewalt ergriffen; alles, was er von seiner Sendung erzählt, wirkt
wie weise lehren, sein ganzes offenes und treuherziges benehmen ist
völlig von dem aller menschen verschieden; er erscheint wie ein liimni-
lisches wesen. Der inhalt seiner reden konnte hier nicht ausgeführt
werden. Wir mussten zunächst über Humanus und seine genossen
belehrt werden, was dessen alter freund, der nur als greis bezeichnet
wird, in längerer rede tut, deren würdiger ton uns die in diesen räu-
men herrschende hohe gesinnung vergegenwärtigt So erfahren wir,
1) Wenn Herder kurz vor der abreise Goethes nach Itiilien diesem in einem
scherzbriofe an den herzog den Spitznamen dos «cvangelisten Markus** gibt (Schrif-
ten der Goethegesollschaft II, 369), so durfte Erich Schmidt dabei nicht an deu
Bruder Markus der Geheimnisse denken. Yielmohr schwebt Goethes alter ^Pro-
log zu Bahrdts uffenbarungen" vor, wo der evangolist Markus kurzweg den Giessoner
Professor mit den woi-ten: ^Und wie und was verlangst denn duV zur rede stelU
und auf dessen weitläufige erklämng, ohne ein wort zu erwidern, ihn stehen lässt.
Matthäus bemerkt: „Johannes ist schon weggeschlichen Und bruder Markus [die evan-
gelisten nennen sich briider] mit entwichen." Herder fand es ergötzlich, dass dieser
küi*zesto evangolist hier so kurz gebunden ist (er allein spricht nur einen kurzen
vers, äussert sich nicht weiter), und ebenso kurz gebunden fand Herder den freiuid
falschen ansichten gegenüber, die ihm widerstanden.
GOETHES 6SHEIMNISSB 505
dass der baldige tod ihres „vaters, freundes und führers" sie in sorge
und furclit setzt, aber der anblick des von höhern wesen gesandten
hat ihnen „trost und hoffnung gebraclit, ihre seele erregt"; sie erwar-
ten von ihm eine lösung, da der bald von ihnen scheidende ihnen nur
verkündet hat, dass er in wenig zeit sich von ihnen trennen werde.
Wie alle als greise zu jenem „edlen manne" gekommen, dem friede
gottes in der brüst lebt (der redende selbst hat ihn auf des lebens
pfad begleitet), ist nur kurz angedeutet, auch nicht verschwiegen, wie
ausser dem persönlichen schmerze über den drohenden verlust, es sie
bekümmere, dass er keinen zum nachfolger sich bestimmt habe, was
auf die durch Markus in ihnen erregte hoffnung ein licht wirft. Täg-
lich kommt Humanus eine stunde zu ihnen, wo er aus seinem leben
erzählt, „in dem die vorsieht ihn so wunderbar geführt", aber mit aller-
grösster bescheidenheit, wie der freund weiss, der so manches als
augenzeuge erlebte. Er wird als ein christlicher held dargestellt, auf
den schon vor und bei seiner geburt wunderzeichen hingedeutet, der
bereits als kind ungeheure kraft bewährt, auch einmal in der not das
wunder vollbracht, dass er mit dem Schwerte eine Quelle aus dem star-
ren felsen schlug. Wenn wundergeschichten von ihm, wie von einem
heiligen, erzählt werden, so ist es nicht zu verwundern, dass der
dichter solche wählte, deren bekannte sagen gedenken, ja selbst anzei-
chen, die des heiiands geburt verherrlichten und vom messias vorher-
gesagt worden. Dass dadurch „eine fülle der fruchtbarsten ideen auf-
geregt werde", kann ich Baumgart (s. 40) nicht zugeben, es galt nicht
durch mythische züge die einbUdungskraft zu erfreuen, sondern das
bild des Humanus als eines gottbegnadeten mannes auszuführen. Aber
Humanus hat auch die sauerste probe des mannes bestanden, er hat
sich selbst überwunden, was an die verheissungen erinnert, die in der
Offenbarung' Johannis dem überwindenden gemacht werden. Bei aller
ihn mächtig treibenden kraft wusste er sich selbst zu beschränken, sei-
nes mutes herr zu sein, wie es in den Sprüchen Salomonis heisst
Freilich hatte der vater ihn zum strengsten gehoi*sam, zu den niedrig-
sten diensten gegen andere gewöhnt, aber diese Unterwürfigkeit war
bei ihm kaum eine tugend, da sein herz ihn dazu trieb, anderen wol-
zutun, verwundete zu verbinden, kranken beizustehen. Gehorsam
gegen die eitern empfand er als sittliche pflicht, die er so rücksichtslos
übte, dass auch der rauhe und scharfe vater, der die als edlen ihm
gebührenden Vorzüge mit absieht ihm vorenthalten hatte, endlich nicht
mehr umhin konnte, des sohnes wert anzuerkennen und ihm die ehren
aeiiies Standes zu gewähren. Auch hier legt Baumgart etwas hinein.
506 DÜNTZER
wenn er von dieser ausführung rühmt: ^In symbolischer kürze und
Wucht verkündet der dichter hier grundüberzeugungen, an denen er
sein leben lang festhielt und auf die er auch im späteren alter gern
und ausführlich zurückkam. Es sind die tugenden der ehrfurcht, der
demut und des gehorsams, denen er für die sittliche und religiöse
erziehung den höchsten wert beilegte.^ Eine solche philosophische aus-
legung schädigt die dichterische und zugleich die wahrhoit Auch sehe
ich hier keine „ganz allgemein gehaltene hindeutung auf hauptzüge
mittelalterlich -christlichen entwicklung der europäischen menschheit**,
dagegen hätte Baumgart hervorheben sollen, dass diese ausführung
zeige, unser gedieht spiele im mittelalter, das so manche ähnliche
fromme sagen trieb.
Die weitere erzählung seines lebens bricht hier zweckmässig mit
der bemerkung ab, es sei voll der köstlichsten geschichten, die in
dichtungen durch ihre unglaublichkeit und den reiz der darstellung
erfreuen, der sie dem liörer als wirklich vorzaubert. Baumgart dage-
gen spricht hier von den Schönheiten des roichen schmuckes der phan-
tasie und der höheren Schönheit ihrer inneren unvergänglich für alle
Zeiten sich omcuemden Wahrheit, die sich im philosophischen sinne
der geschichte gleichstelle. Der alte schliesst mit der angäbe des.
namens, welchen „der heilige, der weise" angenommen, den „das aiig*
der vorsieht** sich ausersehen. Sein name Ilumanus deutet auf die*-
entwicklung des menschen als das höchste ziel. Später, heisst es, solle
Markus auch dessen wirklichen namen, sein geschlecht und seine ahnen
erfahren. Der Übergang von der rede des alten zur mahlzeit ist frei-
lich etwas verkümmert, ja diese selbst ganz übergangen, nur das zeit-
weilige ei-scheinen der anderen brüder erwähnt, die, wie es sonderbar
heisst, jenem das wort aus dem munde nahmen. Wir finden stanze 32
um so auffallender, als die rede des alten wirklich abgesclilosseu ist,
er gar nicht endete, wie es hier heisst, als gegen Markus „das herz
am stärksten quoll", sondern mit der nennung seines namens Hu-
manus.
Die folgende, die den Übergang bildet zum danke an gott und
seine wirte für das genossene mahl, weiter die bitte um wasser zum
trinken und das geleit zum kapitelsale enthält, wo die brüder ihre
abendandacht verrichten, leidet wenigstens zum Schlüsse am reimzwange.
Im kapitelsale tun wir einen zweiten blick in die einrichtung des klo-
sters. Jeder brüder hat einen besonderen stuhl mit einem schilde über
diesem, das geheimen sinn verkündet; auf dem von Humanus war das
rosenkreuz zu sehen. Über manchen Schilden hingen als zeugen des
OOETHBS 0EHXIMNIS8B 507
ritterlebens in der weiten weit waffen aller art, auch fahnen und gewehre
fremder länder, selbst ketten und bände, die auf krieg, letztere auf erlit-
tene gefangenschaft deuten. Die brüder beten und singen kleine andäch-
tige lieder; ehe sie zu kurzem schlafe sich trennen, segnen sie sich
mit frommen wünschen zu ruhigem schlaf, da keine irdische begierde
sie beunruhigt. Markus und der alte, der gleichsam als Vertreter des
im kapitelsale fehlenden Humanus erscheint, bleiben im sale; ersterer
wird von den Schilden zurückgehalten, deren verborgener sinn ihn
reizt, besonders zunächst rechts und links von dem in der mitte hän-
genden Schilde des Humanus; davon stellt das eine einen in wilden
flammen seinen durst stillenden drachen, das andere einen arm in eines
baren rächen dar, aus welchem heisses blut quillt. Hätte Baumgart
beachtet, was der alte dem brudcr Markus sagt, er könne den sinn
derselben nicht erraten, da er nicht wisse, was mancher held getan,
doch ahne er wol, wie manches hier (von den brüdem, deren Schilde er
sieht), „gelitten, gelebt, verloren ward und was erstritten", so würde
er nicht gewagt haben, die beiden wappcn auf die heftigen kämpfe der
christlichen konfessionen zu beziehen, und zwar, weil die beiden
Schilde gleich weit von dem des Humanus gebangen (wie ohne zwei-
fei alle in gleichem abstand voneinander sich befanden), auf zwei vom
geläuterten Christentum des Humanus gleich weit entfernte „extrem
kontrastierende religiöse dispositionen". Als ob die betreffenden brüder
solche falschen auflfassungen des Christentums in wappen des kapitol-
sals hätten verewigen wollen! Der drache deutet auf mordlust, die zu
wilden, blutgierigen kämpfen getrieben, der blutige arm auf die befreiung
der erde von untieren, von denen das mittelalter so viel fabelte, beide
auf die eigene Vergangenheit. So überraschend wie unglaublich ist
Baumgarts deutung auf die angst vor dem geöffneten höllenrachen und
die quälen der wütenden gewissensbisse; diese sollen die katholische
lehre von der ewigen Verdammnis und Calvins Vorstellung der Meta-
noia bezeichnen, ja mit froher Selbstbefriedigung heisst es, der dichter
habe so, wie es überall seine art sei, schon in der spräche den vor-
handenen keim zur gestaltenbildung sich entfalten lassen. Wir sind
nicht so kühn, die spur davon zu ahnen.
Der alte schliesst damit: doch es handle sich in ihrem kloster
nicht bloss von der Vergangenheit, hier gehe auch noch manches vor;
sei Markus erst aus dem vorhof, über den er noch nicht hinausgekom-
men, ins innerste aufgenommen, dessen er ihm wert scheine, so werde
er dies erfahren. Damit ist auf die nächsten tage und das, was er
dort sehen werde, hingedeutet, auf die seiner noch wartenden geheim-
508 DÜNTZER
nisse des innersten. Wie Markus vom alten in seine schlafzelle gelei-
tet worden, sich niedergelegt und geschlafen habe, ist gleich dem mahl
am abend übergangen. Erst beim erwachen setzt der dichter wider
ein. Ein dumpfes geläute der bisher noch nicht erwähnten kirche
weckt ihn; als er ihm folgen will, wie er morgens gewohnt ist (er hat
schon sein morgengebet verrichtet), findet er die thüre seiner zelle ver-
schlossen. Ein starkes vei-sehen ist es, wenn Baumgart vom schh)sse
der kirche spricht Was die drei letzten stanzen enthalten, kann
keine blosse vision sein , es ist eine wirkliche erscheinung, die Markus
erlebt Ein dreimaliger schlag auf hohlos erz, gemischt mit flötentönen,
seltsam und schwer zu deuten, orfreut das herz, ernst einladend, wie
wenn festliche tanze von gesängen belebt würden. Als er aber ans
fenster eilt, sieht er beim ersten grauen des morgens drei fackeltra-
gende Jünglinge eilig durch die gartengänge sich entfernen. Die weissen
gewänder liegen ihnen knapp und wol an, ihre locken sind mit blu-
menkränzen, der gürtel mit rosen umwunden; sie scheinen „recht
erquickt und schön*' fortzueilen. Dann löschen sie ihre fackeln und
verschwinden in der ferne. Baumgart meint, die fackeln, welche sie
in die ferne hinaustragen, würden doch in der Übung der künste, wie
im loben fortleuchton, nicht in der form buchstäblich geglaubter Sym-
bole, sondern als die höchsten motive der kunst Aber sie löschen
ja ihre fackeln, und darauf, dass die Jünglinge die symbole seien, deu-
tet eben gar nichts. Der erfreuende schall und die Jünglinge mit
ihren brennenden fackeln scheinen vor der gewöhnlichen kirchcnzeit
aus der kirche zu kommen. Ich kann hier nur eine nachtfeier sehen,
welche von einer der anstalten ausgieng, die wir uns mit dem bundo
der zwölf nach der andeutung des alten in stanze 40 verbunden den-
ken müssen. Auch die mysterien der Griechen wurden zur nacht ge-
feiert; es waren heilige nachte, bei welchen die eingeweihten in weissen
gewändern erschienen. Bekannt ist auch das späte römische Pervigi-
lium Vener is, eine feier der liebe beim anfange des frühlings, das
Bürger übertrug, wodurch Schillers „Triumph der liebe*' veranlasst
ward. Dass Markus seine zelle verschlossen fand, erklärt sich daraus,
dass diese nachtfeier, wie die kirche selbst, zum innersten gehörte, in
welches er erst an diesem tage, wahrscheinlich durch den alten, ge-
führt wurde. Es ist dies das erste gehcimnis des innem, das schon
auf den heitern, von strenger askese weit entfernten Charakter der nach-
folgenden gehcimnisse hindeutet
Der alte sollte sich bald darauf einstellen und die führong über*
nehmen. Zunächst wird er ihn zum einfachen frühstück, dann in dte
00BTHE8 GSnSIMNISSE 509
kirche gebracht haben. Über die zum bunde gehörigen bildungsanstal-
ten wäre jede Vermutung eitel; manches, was Goethe vorschwebte,
dürfte später in den „Wanderjahren*' frei benutzt worden sein. Jeden-
falls werden die verbundenen brüder nicht bloss einem beschaulichen
leben sich hingegeben, sondern auch nach ihrer neigung fordernd auf
die menschliche bildung gewirkt haben, in gewissem sinne tätige frei-
maurer gewesen sein; selbst die baukunst dürfte nicht ausgeschlossen
gewesen sein, wenn sie auch das von der Vorsehung bestimmte gebäude
schon vorgefunden. Fem halten müssen wir jeden gedanken an Goe-
thes unglückliche aufklärung von 1816. Zuletzt wurde Markus auch
zu Humanus geführt, wo denn die Unterredung beider den glanzpunkt
der dichtung gebildet haben würde. Der scheidende Humanus sollte
seinem vom himmel ihm bestimmten nachf olger seine Sendung ans
herz legen, die reine christliche Sittenlehre ohne die erlösung durch
den söhn gottes allgemein zu verbreiten, besonders auf die Übung ihrer
grundlehren, der Selbstüberwindung und der liebe, zu wirken. Uns
genügt es, das wort des rätseis gefunden zu haben, dass die dichtung
mit dem auftrage des Humanus schliessen sollte, die reine lehre Jesu,
wie sie Goethe empfand, wie sie sein bund der neuen rosenkreuzer
übte, allgemein zu verbreiten, und so einen wünsch zu erfüllen, den
die freidenker der zeit, unter ihnen auch sein freund Merck, als einen
frommen, jedesfalls noch lange aussichtslosen erkannten. Die auf mor-
schem boden sich erhebende philosophische ausdeutung eines begabten
denkers musste, je selbständiger sie war, um so mehr von der ein-
fachen Wahrheit abführen.
KÖLN. HEINRICH DÜNTZER.
GEDICHTE UND BEIEFE VON E. M. AENDT AN EINE
FEEUNDIN.
Herr dr. R. Moeller, oberarzt des städtischen krankenhauses in
Magdeburg, besitzt aus dem nachlasse seiner grossmutter, der frau
J. Zanders, verschiedene interessante manuscripte von E. M. Arndt,
deren Veröffentlichung er mir gütigst erlaubt hat. Sie bestehen aus
einem bisher ungedruckten, einem schon gedruckten gedichte und sechs
briefen. Frau J. Zanders, geborene Müller, wittwe des fabrikbesitzers
Zanders in. Bergisch -Gladbach, wohnte bis zum jähre 1857 in Bonn
und stand in innigem freundschaftsverkehre mit dem hochbetagten
510 A. SGHHtDT
Amdt'schen ehepaare. Als sie dann nach Bergisch -Gladbach übersiedelte,
widmete ihr Arndt das nachfolgende christlich-trostvolle gedieht, dessen
zweck und sinn durch die tatsache erleuchtet wird, dass frau Zanders an
einer schweren lähmung siech war. Nach Bergisch -Gladbach sind die
briefe gerichtet, und zwar sind drei von ihnen gratulationsbriefe zu neu-
jahr 1858, 1859 und 1860; zwei sind dankesbriefe nach einem besuche,
den der 89jährige greis im frühsommer 1859 in Bergisch- Gladbach
gemacht hatte; ein sechster aus dem herbst 1859 enthält die durch den
tod unerfüllt gebliebene verheissung, im nächsten jähre die reise wider-
holen zu wollen. Der zeitlich letzte brief, die gratulation zu neujahr
1860, ist 5 tage nach Arndts neunzigstem geburtstage und drei wochen
vor seinem tode geschrieben, also sicher eine der allerletzten schrift-
lichen äusserungen des uralten mannes. Die schrift, deren typns
durch das dem Allgemeinen deutschen commersbuche vorgedruckte dank-
schreiben Arndts vom jähre 1858 bekannt ist, kann zwar das zittern des
alters nicht ganz verleugnen, ist aber im ganzen gut leserlich und
besonders in den bogen und endschnörkeln noch erstaunlich kräftig
und sicher. Sämmtliche dokumente geben uns keinen neuen zug zu
dem bilde Arndts; aber ihr wert beruht darin, dass sie uns den dich-
ter im höchsten greisenalter noch unverkürzt und unverwelkt als den-
selben zeigen, den wir in der Vollkraft seines wesens lieb gewonnen
haben: geistesfrisch und herzensjung, voll zarter freundschaft und alt-
bewährter Vaterlandsliebe, „lebensmutig und üebesmutig", gottvertrauend
und gottergeben.
Zur freundlichen Erinnerung für Julie Zanders.
Kind, trage Erden Freud und Leid,
Im frohen Sinn der Ewigkeit!
Hier ist ja Alles klein und kurz,
Und nichts als Wechsel, Fall und Sturz.
Vergiss nicht, dass es also ist,
Noch auch, dass du unsterblich bist,
Ein kleines, schwaches Gottesbild,
Worin doch Gottes Wonne quillt
Dies sei dein Trost, dein Licht, dein Stern,
So schau empor zu deinem Herrn,
So aus dem wirren Erdenlauf
Schau fromm und selig himmelauf.
Und daun wird alles Kleine gi'osa',
Dana fällt dein Loos aus Gottes Scliooas,
Du nimmst es iröhlich, wie ob fällt,
Dann bist du gross in kleiner Welt,
Bonn den 24" des Wonnemondes 1857. E, M. Arndt
1. An Frau J. Zanders zu Bergisch-Gladbach bei Köln.
Gott zum Gruss!
So habe ich denn mein 88"*" glücklich vollendet*, und die lieben
Wünsche u. lieben Gaben der Fi-eunde machen mir den Einlauf in das
89"" fast zu einem glückszeicheu.
Auch Sie, meine thoure Freundin, haben mit einer recht süssen
Gabe mein altes Herz gelabt und sollen meinen treuesten, besten
Wunach und Dank zum Neuen Jahre dafür nehmen.
Wolle der gnädige Gott mit Ihnen und den geliebten Ihrigen
sein, und Ihre Gesundheit so stärken, als der Glaube an die bimm-
lischen Güter durch Seine Gnade in Ihnen stark ist!
Also a\if den Blüthenmond 1S58! Das soll ein Wort sein, wenn
Gott nicht anders will! Dann will ich mal in Ihre freundlichen Augen
und in Ihre hellen Teiche zu Gladbach schauen!
Meine Frau woüte ein paar Worte zusetzen, sie fühlt sicli aber
durch einen Schnupfen zu sehr verhustet, und grüsst aller herzlichst.
Auch ich habe 14 Tage die Grippe durchgehustet; gottlob jetzt
besser. Ade! Ade! Den lieben Kindern beste Grüsse
In deutscher Treue
Ihr
Bonn, letzter Tag von 1857. ältester E. M. Arndt.
8. Bonn, letzter Tag des Jahres 18.Ö8.
So wolle Gottes Segen einziehen bei Ihnen, liebes Kind, wie Sie
Wunsch und Segen zugleich mit süssester Gabe des Mundes und des.
Herzens über den Überalton Mann ausgesprochen haben! Möge das
beginnende Jahr 1859 für Ihre Rörperleidon milder werden, als die
jüngsten Jahre gewesen sind!
Ich wandle durch Gottes Gnade auf der Stufe des höchsten Altere
noch immer mit leidlicher Rüstigkeit hin. Nun so weiter, so lange es
1) Deaselbea gwiaiiken führt er aus in der vollstündigöD Mminlang soinor
Gedichte 2, aull. s. 641 nr. 42, wie er überhaupt in seineo sinnS|)räclieii die ItegrÜTo;
gross und klein mit 'Vorliebe znsommeDstellt, bald sie contraistieruad, meist sie iu
eimuider auJIösend.
2} Aindts geburtstag Gel auf den 2G. düceuiWr,
512 Ä. 8CHMII>T
dem Herrn des Lebens gefällt! Und ich lebe des festen Vorsatzes,
wenn dieser Herr es mir erlaubt, Sie im nächsten Lenze in Ihrem
schönen Sitze einmal fröhlich zu begrüssen. Meine gute Frau wollte
Ihnen selbst schreiben und danken, fühlt sich aber durch Festtage und
manche Festlichkeiten jetzt zu angegriffen; sie fühlt ihre 73 jähre auch
schon.
Also Gott und Gottes Glück und Gnade mit Ihnen und Ihren
Lieben, welche Sie herzlich von uns grüssen.
In deutscher Treue
Ihr
E. M. Arndt
3. Bonn 4*^ des Heumonds 1859.
Das waren schöne Tage, wie Tage der Liebe, Treue und Freude
immer sein müssen — und ich spreche Euch, geliebte Freunde, hier-
mit meinen herzlichsten Dank aus.
Grüssen Sie mir auf das herzlichste ganz Gladbach, am meisten
Sich selbst, Ihre liebe Schwester und unsem Richard und seine feine
liebenswürdige Frau, deren Hoffnung zu aller Freude der liebe Gott
erfüllen wolle. Ich habe Gladbach so kennen gelernt, dass ich sagen
kann, es führt den Namen mit Recht; denn Gladbach heisst auf gut
deutsch, englisch und schwedisch Freudenbach. Wenn ich noch
einige Jahre lebe, wird dieser Freudenbach mich öfter zu sich locken.
Und Sie selbst, liebste Freundin! Ich habe mich sehr gefreut
dass ich Sie geistig frisch wie immer und leiblich, wie mir däucht,
auch frischer gefunden habe, als da Sie Bonn verliessen. Gebe der
freundliche Gott, dass Sie nochmal wieder auf eignen Füssen die Treppen
auf und ab steigen können nach dem Beispiel der Frau Wichelhaus l
An Wichelhaus selbst habe ich Grüsse und Wünsche schon abge-
geben.
Hier die versprochenen Reime über das Gute u. Schöne-.
Ade! Gebe Gott Lebensmuth und Liebesmuth!
In deutscher Treue
N. S. Grüssen Sie mir auch den Ihr E. M. Arndt,
wackern Meister Odenthal.
1) Frau pastor Wichelhaus iu Bonn.
2) Dem bricfe liegt das manuscript von foljj^ouden , in der vollstiindigen Samm-
lung seiner Gedichte s. 600 unter ur. 150 schon veröffentlichten viTsen bei:
Das (juto und das Schöne.
Ach! zwischen dem Guten und Schönen
Der ewig onieuto Streit!
4. Bonn, 23" Heiimonds 1859.
Ja, Freudenbach — das soll der Name sein des acliönoii, grü-
nen Fleets Ei-de, worauf Gott Sie die Hütte Ihres Lebens hat festen
lasson! und Sie, liebe Freundin, sollen auch einmal — so ahnt es
mir — gleich der IVau Wichelhans in Ihrem Hause wieder Trepp ab
tmd Trepp auf laufen. Amen! So geschehe es. Dass der liebe Gott Sie
DUD noch immer so ans La^r fesselt, auch das können Sie am Ende
als nui' Gabe und Onade Gottes in so weit annehmen, als er Sie damit
vohl etwas fester und tiefer hat anfassen und mit seinen wundersam-
sten, leisesten Fingern in das Herz seines lieben Geschöpfes hat hin-
eingreifen gewollt Der Christ soll ja Alles Unvermeidliche, was er
nicht machen f?) gekonnt hat, nehmen, als von Oben kommend und
Aach Oben hinweisend. Und das wird wohl wahr bleiben, dass Ihre
lange Krankheit Ihnen Müsse und Veranlassung mehr als sonst gege-
ben hat, der himmlischen Dingo u. der göttlichen Gefühle und Ahnun-
gen in unserer Brust mehr inne zu werden, als es im Getümmel des
'frischen, vollen, gesunden Lebens uns oft beschieden ist Das ist ja
des Christen Betrachtung und Gottosruf (?), dass er sich alle Dinge als
-aus höherer Hand deuten und zureeht legen muss, — und diese selige
Ansicht und Überzeugung hat der liebste Herr Ihnen ja nimmer abhan-
■ den kommen lassen. Darin wird er Sie erhalten und bewahren in den
Schmerzen und Freuden des irdischen Lebens, Die Freude, die ich
Euch lieben Jjeuten durch meinen Besuch gemacht habe. Ich danke
'Gott, dass dem so ist: Freundschaft u. Liebe sind ja die besten Stenie,
die am Himmel leuchten u. vom Himmel hinunter u. von der Erde auch
[Wieder hinauf leuchten zur Heimat der Geister. Ich habe beide reich
^^ i Kreudenbach genossen u. empfunden. Das sollen Sie den lieben
Kindern, der Schwester u. den Freunden mit meinen treusten Grüssen
Terkündigen.
Sie haben die Enkel bei Sich gehabt zur Freude; auch meine
^anna ist jetzt aus Kartsbad bei uns; das Bad scheint ihr wohlgethan
«u haben. Sturm und Hagel ist bei uns am Oebirgssaunie von Pop-
pelsdorf bis gegen Andernach hin fürchterlich fortgelaufen, wie Sie
Sprich, Lieber, vaa kaaa sie veTsöhaeD
Zu liebcDtler Hera U chice il?
Was? — Nieder aors Koie vor dem Outou!
Niöder im Oobel wie vor Qott,
Dann strümt dir das Si;huDe in Fluthen
Entgegen, Ich spfflcbe nicht Spott. E. M. Arndt
514 A. SCHJODT, GEDICHTE UND nRIEFE VOK E. IL ARNDT
wohl aus den Zeitungen gelesen haben. — gebe Gott, dass das ünge-
witter des Krieges an dem Vaterlande glücklich vorüberbrause.
Gottes Segen Euch Allen und Ihnen freier, froher Muth aus ihm!
In deutscher Treue
Ihr E. M. Arndt
5. Gott zum Gruss!
Freundliche Kinder, dass Ihr den alten, schneeweissen, fast kah-
len Kopf mit lustigen Lenzesblüthen schmücken wollt! Nun, ich nehme
das fröhliche Zeichen an, u. wenn der liebe Gott mich noch einen
Lenz erleben lässt, will ich in ihm mir selbständig und selbhändig
in Eurem Garten einen Kranz pflücken und flechten. Weil ich vom
Lenz spreche, will ich beim Bilde bleiben und Euch und vor allen
Ihnen, theure Freundin, bei den neuen jüngsten Wiegenliedern, die
nun bei Euch wieder gesungen werden, alle Herzen voll lenzigster,
fröhlichster HofiEnungen wünschen.
Gottlob! der Kriegslärm hat sich fürs Erste vertost, auch die
Plage der Hitze ist vorbei und die lustige Weinlese nahe. — Also wol-
len wir dem Winter mit Gottesmuth und Hoffnung entgegengehen.
Ade! tausend beste Grüsse an Alle, und ein immer junges Herz und
eine immer bessere Gesundheit!
9*' Herbstmonds In deutscher Treue
1859. Ihr E. M. Arndt
6. Liebe Seele.
Man wird mitgehoben auf den Flügeln himmlischer Liebe in der
schönen Weihnachtszeit, wo alle Engel vom Himmel zu unsorm Erd-
bällchen hinabsteigen, welchem der Heiland in Menschengestalt gebo-
ren. Ich sollte jetzt mit doppelter Stimme mitjauchzen und jubeln
ob all den Ehren und Freuden, welche so viele treue liebende Her-
zen und selbst Fürsten und Städte dem Neunzigjährigen dargebracht
haben.
Auch dir, du freundliche, liebe Seele, die am Freudenbache flat-
tert und durch Gott oft recht glückselig hoch fliegt, sage ich und meine
Frau den allerherzinnigsten Dank für so süsse und blüthenduftige Er-
innerungen.
Gebe der frommste, gütigste Geber droben für das Neue Jahr
und für viele andre frohen Himmelsmuth und leidliche Gesundheit,
Wenn die Nachtigallen wieder in den Blüthonbüschen schhigen, dann
wird der alte neunzigjährige Wandrer sich mal zu Euch aufmachen.
BOHNEN nERQM , AirsouucBrNO r
GTÜBsen Sio mir alle Lieben viel tausondmal , audi den wacliorn
Schwaben, den Seelenwächter'.
Bonn, Jahresschliiss 1859.
MAODEBtIRG.
In deutscher Treue
Ihr E. M. Arndt
A. SCHMIDT.
ZUß FRAGE NACH DER AUSGLEICHIWG DES SILBEN-
GEWICHTS.
Brenner (Indog. forsch. III, 297 fgg.) will quantitätsunterschiede
})ei vokalen und qualitatsunterachiede bei diphthongen heutiger deut-
Ichor niundarteo auf vorahd. apokope zurückführen. Es soll das nomen
iÖr den abfall des eudungsvokala ersatz bekomnaen haben in der ur-
sprünglich vorletzten sÜbo, falls diese Stammsilbe war. Es habe näm-
lich die kurze stammsiibe eine „verstärknng erhalten, die zuletzt als
e des Vokals sich offenbarte", während der staramsilbenvokal bei
erhaltenem endungsvokal kurz blieb. Und die Stammsilbe mit diph-
&ong habe schleifenden accent erhalten gegenüber gestossenem accent
bei bewahrtem endungsvokal. Unter einfluss des verscliiedenen accen-
tes hätten sich dann die beiden formen des diphthongs auch lautlich
irerschieden entwickelt.
Verwandt damit ist Streitbergs Erklärung der idg. dehnstufe
[Idg. forsch. III, 305). Streitberg bezieht sich auch ausdrücklich auf
Brenner, doch sind noch tief einschneidende unterschiede du. Wenn
Streitberg bei morenverlust in der nächsten silbe die tonsilbo ausdrück-
lich sich dehnen lässt, so redet Brenner von „Verstärkung, die zuletzt
als länge des vokals sich offenbarte." Er bedarf dieser geschraubten
bestimmung, weil die dehnung dieser laute erst in den heutigen mund-
arten zum ausdruek kommt, und diese verstärkten laute durch die
[ftnze ahd. und rahd. zeit hindurch von den gewöhnlichen längen
interschieden werden müssen. Wenn nach Streitberg die idg. deh-
nung nur bei kiu'zer silbe (d. h. kurzem vokal in offener silbe) eintritt,
80 muss bei Brenners hypothese, wie sich nachher zeigen wird, gerade
die dehnung vor mehrfacher konsonanz eine hauptrolte spielen. Streit-
berg lässt betonte lange vokale mit luTsprünglich gestossenem accent
geschleift werden; Brenner gibt über deren entwicklung keine auskunft,
aber die diphthongo mit gestossenem accent aollen nach Brenner dafür
1) Pastor Sfliützo , nachmals in Crefeld.
gescbleift werden. Brenner und Strcitberg treffen darin zusxnuntD,
dasB sie diese genannten Veränderungen der tonsübe abliäagig niachät
vom Verlust einer more in der folgesilbe. Dieses zusammcntreffeo vria
gewiss nocb interessant genug.
Nun erscheinen mir aber Brenners aufstellungen ober ras-
gleichnng des silbengewichts in voraiid. zeit unhaltbar. Bei einem
toil der von ihm angezogenen fälle haben die vorausgesetzten parallel-
biidungen innerhalb desselben wertes gar nie gegolten, und da, wu solchp
parallelbildiingen wirklich vorliegen, stammen sie aus viel jüngerer
zeit und haben sie sich in ganz anderer weise entwickelt. Nach Brau-
ner soll da, wo der Singular eines nomens endigend auf die Stamm-
silbe beute in der raundart länge, der pliiral dagegen kürse aaf-
weist, die dehnung eine ausgleichung darstellen für den Verlust du
endungsvokala, welcher nach den vorahd. ausiautgesetzen abfiel. So soH
die länge des Singulars flS gegenüber fls direkter ersatz für abfall ilus
endungsvokals von *fiskax sein. Solchen quantilätsunlerschied zwiscfara
Singular und phiral in der heutigen mundart weiss Brenner zu belegen
aus dem „nordgauischen", aus Buchen im nördlichen badisclicu Franken
(nicht in Württemberg, wie Brenner meint), aus Schlesien (Waniek
ist mir leider nicht zugänglich). Da er Kanffmann doch citiurt, tut
hätte er auch das schwäbische zu berücksichtigen gehabt mit den
belegen, welche Kaitffmann, Schwab, ma. § 131 A. aus dem osten ton
Schwaben gibt
untersucht man nun aber diese dohnungsfrage im schwl-
bisch-alemannischen näher, so fallt Brenners erklärung dabin. Inner-
halb des schwäbischen gebietes spcciell habe ich, froilicb an sdir
abgelegenem orte (Korrespondenzblatt für die gelehrten- und realscbulen
Württembergs 1887, 502 fgg.) für Renningon bei Leonberg nachgewie-
sen, dass dort dehnung und erhaltung alter kürze von den folgenden
lauten abhängig ist Sieht man von der Stellung von 7t -i- Spirans ab, wo
für das schwäbisch -alemannische gebiet eigene gosetze gelten, so ist v«
einfacher lenis, einfacher Spirans und einigen konsonantengnippen (beson*
ders r -\- konsonant) dehnung des kurzen vokals eingetreten, sonst lA
Tor folgender konsonanz kürze erhalten. Dasselbe hat Wagner für ficol-
lingen (Programm der re-alanslalt Reutlingen 1889. ÖO) gefunden. Oi*
eben ausgegebene „Geographie der schwäbischen mundart" von Her-
mann Fischer (Tübingen 1895) bestätigt diese dehnung (§ 13. IS)
fUr das schwäbische gebiet im allgemeinen, abgesehen von oiaem bt-
zirko nördlich des Bodensees, ungefähr von Lindau über Ravenslrorg,
Kottweil und weiter nach westen, weicher in gewissen werten bei heu-
AUSQLEICUUNa DKS SILDENQR WICHTS 517
tigern inlaut auch vor lenis kürze hat gegen länge bei heutigem aus-
laut, so sägd : i säg. Neben der im allgemeinen geltenden dehnung
vor lenis bez. bestimmten konsonantengruppen hat aber der schwäbische
Osten noch eine zweite: dort wird auch vor den sonst die dehnung
verhindernden konsonanten gedehnt, falls die tonsilbe schon mhd. im
auslaut stand; andernfalls ist kürze erhalten, also köpf sing, : köpf^pluv,^
entsprechend Brenners ftsch sing, und fwch plur. Fischers karten
geben jetzt die genaue grenze, etwa von Ohlstadt an der Loisach über
Ober-Diessen, Ulm, Wiesensteig nach Murrhardt und im fränkischen
weiter über Berlichingen hin nach norden. Auf alemannischem
boden erscheint dehnung, wo es überhaupt zu solcher kam, teils vor
einfacher lenis, auch r + konsonant, ohne rücksicht auf inlaut und
auslaut; so in Basel (Heusler, Alem. konsonantismus von Basel; Ed.
Hoffmann, Mundartlicher vokalismus von Basel) und in Bricnz, wo
überhaupt sehr wenig gedehnt wird, doch vor r + konsonanz (Peter
Schild, Brienzer ma. 1). In einem andern teile bevorzugt die deh-
nung die Stellung im auslaut, so ist in Kerenzen vor lenis im auslaut
die dehnung viel verbreiteter als vor lenis im inlaut (Winteler,
Kerenzer ma.). Doch haben wir auch dehnungen im inlaut gegen kürze
im auslaut, so in Ottenheim (Heimburgor, Mundart von Ottenheim,
Beiträge XIII, 211 fgg.) und spuren davon auch in Brienz. Vor n + Spi-
rans wird alte kürze schwäbisch -alemannisch im allgemeinen wie mhd.
länge behandelt. Somit zeigt sich im schwäbisch -alemannischen Sprach-
gebiet weit verbreitet ein streben nach dehnung betonter kürze. Abge-
sehen von der Stellung vor 71 -j- spirans war das durchdringen der
dehnung besonders begünstigt durch die positiim vor einfacher konso-
nanz und durch die Stellung im wortauslaut. Es gibt bezirke, in wel-
chen die dehnung sowol vor einfacher konsonanz als im auslaut durch-
drang, also nur vor mehrfacher konsonanz im inlaut kürze erhalten
blieb. Es gibt andere bezirke, über wolclio sii'h nur eine von beiden
längen verbreitete, wider andere, weicht^ gar ni(»ht (lohnten oder andei-s
verfuhren, über die dehnungsverhältnissi» ilor von HiHMtner beigezoge-
nen fränkischen und nordgauiscIuMi lMV.irkt> erlialton wir keine
genügende auskunft. Dass dicsc^lbrn im auslaut tlohnon, ist nicht zu
bestreiten, aber wie sie vor (»infachtM' konsonanz im inlaut verfahren,
ist nicht klar. Breunig (s. .'{f)) sa;^! üImm' lUichon st^hr unbestimmt:
„das von Paul aufgest(?llto gcsot/, »lass in f,M^sohU»sstMun' silbe die kürze
bleibt, in offener dagegen dolnnm^V oiniiitl» hat in unsoivni dialekt
nicht unbedingt statt. Man «larl* ohor da?» ^v^Mileil annohn\en, wenn
man mit dem Stammwort din pluraUonu vei>^leieht**, und die von ihm
518
aufgeführtoQ belege mit einfacbor koososanz bez. r -f konsooiBt ia
inlaut zeigen teils lan^ teils kürze. Auch was Himmelstoss fiW
Westböhmen gibt (Bayerns ma. I, 61 fgg.), genügt Tür unsere znecb»
nicht; jedesfalls führt er aber auch beispiele für iiitautende dehnmif;
vor einfacher konsonauz auf. Soviel ergibt sich wenigslenB, dass mu
auch für diese munUarten kein recht bat, die dehnting im inlaut za
ignorieren. So hat man heute die zeitliclie beetiramung und die erkli-
nmg der dehnung zunächst einmal für das schwäbiseh-alemanniecbe
XU versuchen. Geht man unbefangen daran, so rouss es sich um fol-
gende momonte handeln. In ahd. und mhd. zeit h'effen wir keine q«ir
der beiden dehnungsweiseii. Ob dieselben wesentlich gleichzeitig and,
oder betrüchüich auseinander fallen, ist nicht aus inneren gründen za
entscheiden, aber zunächst wird mau doch wenigstens an eine gleich
artige tendenz auf dehnung denken, welche vor einfacher konsommt
und im anstaut am leichtesten durchdrang. Bestimmtere zeitliche gres-
zen erhalten wir durch die diphthongierung von i, ü und durch die
apokope des alten -e der endung. Darüber gleich mehr in der «B»-
einandersetzung mit Brenner. Nach Brenner soll, wie schon gesagt,
die dehnung im auslaut ein ersatü sein für den verlust der germaoi*
sehen nominativ-endungssübo, wozu gleich auch die accusativendung in
nehmen wäre. Die anlange des Vorgangs müssten also der vorahd. xeit
angehören. Bei dieser bypothese hat Brenner zu erklären, wie h
kommt, dass die neuen längen im aiid. und mhd. lücht mit den jütni
längen zusammenfielen und nicht mit letzteren diphthongiert wnrdtSL
Deshalb redet Brenner für die erate zeit nur von „Verstärkung" nnil
für nacblier will er damit helfen, dass bei den alten längen der dipb-
thongieruug eine periode geschleifter betonung vorausg^angeu sein soll,
so dass auf diese weise die alten geschleiften längen von den ni>ua
gestoBsenen geschieden blieben. Diese ansetzung von goscbleiftar
länge vor der diphthongierung ist ganz richtig, aber damit ist die
Schwierigkeit keineswegs beseitigt. Zunächst steht die behandluag
alter kürze vor n -\- Spirans im wege. In dieser Stellung liegt heott
sowol im inlaut als auslaut diphthongierung vor. Dieser process mtisM
jünger sein als die silbeugewichtsausgleichung im auslaut Es müssto
also ein jüngerer process über gestossene länge in geschleifte l&nge
und endlich in diphtbong hin übergeführt haben, ohne dass der filtcn
process von der gestossenen länge aas mit weiter gieng. Und tqbi
seinen Voraussetzungen aus muss Brenner mit Streitberg, Idg. foncL
m, 314 weiter annehmen, dass hier der nasnlverlust zur debntlB;
dos kurzen vokals führt, d. h. zu gestossener länge. Woher kolDMl
AUSGLEICUUNQ DES SILDENÜE^ICHTS 519
nun aber der schwäbische diphthong? Die sache wird also sehr com-
pliciert. Entscheidend gegen Brenner ist aber das Schicksal, welches
die alten längen nach seiner hypothesc haben müssten. Hätte Bonner
die frage nach der silbengewichtsausgleichung bei länge in der ton-
silbe nicht ausser betracht gelassen, so wäre die Unmöglichkeit seiner
aufetellungen sofort hervorgetreten. Die längen, welche von haus aus
gestossenen ton haben, müssten bei abfallender endimgssilbe so gut
wie die diphthonge geschleift werden. Nirgends findet sich aber im
schwäbischen bei den germanischen längen eine spur dieser Scheidung.
So müsste man endlich vier stufen annehmen: kürze, „verstäi-ktor"
laut = heutiger länge, gestossene länge = heutigem diphthong, ge-
schleifte länge = heutigem diphthong. Damit kommt man doch zu
einem unmöglichen ende. Weiter müsste sich die ausgleichung des
Silbengewichts wol zu verechiedenen Zeiten widerholt haben, da -a frü-
her abfiel als -i und -m nach langer silbe. Oder sollen die -i- und
-t/-stämme nur der analogie der -a-stämme gefolgt sein? Endlich ist
mit dem neutrum zu rechnen. Beim neutrum müssten doch sowol
Singular als plural verstärkt sein. Und die Verstärkung müsste auch
schon wirksam gewesen sein, als das suffix -ir antrat, also müssten
heute auch die plurale auf -er lang sein. Oder soll im noutmm nach-
träglich eine difterenzierung nach analogie des masculinums platz gegrif-
fen haben? Brenner hätte auch zu dieser frage Stellung zu nehmen
gehabt Umbildung durch analogie ist übrigens hier nicht unwahr-
scheinlich, da beim femininum zum teil zweifellos solche vorliegt. Kauff-
mann, Schwab, ma. § 131 A. nennt hrük < nihd. brücke.
Gegenüber all den Schwierigkeiten, welche Brenners hypothese
entgegenstehen, hat man einen andern weg zu gehen. Die verschie-
dene gestaltung der dehnung in den einzelnen bezii'ken des schwä-
bL<^ch- alemannischen weist schon darauf hin, dass der process jung ist
Nur die dehnung vor n + spirans ist innerhalb des schwäbischen vor
beginn der diphthongierung der alten längen anzusetzen. Die übrige
dehnung muss jünger sein, da hier die neue länge nicht mit der alten
länge in diphthong weiter gieng. Da aber andererseits kein Zweifel seiü
kann, dass die dclmung im auslaut ursprünglich nur die schon ttM
auslautenden formeii getroffen hat, so niuss die dehnung yot ab&U der
endungs-e ihren anfang genommen haben.
Damit ist uns eine sehr beachtenswerte frage gesteOt. vi:. ;;,i
H. Fischer sclion (ierniania 30, 125 und Geographie d. hciv;.-,
ma., s. 21, uoto 0 aufgeworfen liat. Die anfange des diphii: i^--.
520 BOHNENBERQER
ruDgsprocesses müssen schwäbisch vor den abschluss der apokope des
endungs-e fallen. Nun gehören die ältesten heute bekannten belege
für die diphthongierung in die zweite hälfte des 13. Jahrhunderts is.
Kauffmann, Schw. ma. § 76. 82) und die apokope des e nach langem
vokal und nicht-liquida setzt man gewöhnlich ins 12. Jahrhundert. Die
konsequenzen, welche sich aus der dehnung alter kürzen im schwä-
bischen ergeben, erscheinen mir aber so sicher, dass man genötigt ist,
das altersverhältnis von diphthongierung und apokope für das schwä-
bische darnach zu regulieren. Hiezu kann man zunächst bei der diph-
thongierung ansetzen, und damit helfen, dass man, wie auch Brenner
tut, der eigentlichen diphthongierung eine periode der länge mit fr^^
schleifter beton ung vorausgehen lässt. Es müssen ahd. f, ü schon vnr
der Vollendung der apokope geschleiften ton gehabt haben und diese
geschleiften längen müssen durch ihren accent von den gostnssenen,
neu entstiindenen längen geschieden geblieben sein. Auf einige gene-
rationen solche doppellaute getrennt neben einander anzunehmen, scheint
mir unbedenklich, wenn mir auch ein solches Verhältnis auf viele Jahr-
hunderte, wie es Brenner annehmen muss, auf oberdeutschem boden
unwahrscheinlich ist Andererseits wird geschleifte betonung der län-
gen erst zu einer zeit sich entwickelt haben, als alte kürze vor ;z + Spi-
rans schon gedehnt war. Dies ist wenigstens die einfachste erkläninir
für schwäbischen diphthong < ahd. kürze. Es sdieint mir aber auch
gar nicht ausgemacht, ob nicht an der zeitlichen fixierung der apokope
noch zu korrigieren ist Die frage ist jedesfalls mit rücksicht auf das
verfahren der dehnung neu zu untersuchen.
Müssen wir aber auf schwäbischem boden den diphthongierungs-
process im weitesten sinne mit entstehung geschleifter länge beginnen
lassen, so ist nun die frage nach der herkunft der diphtlionge enb>pre-
chend umzugestalten. Es handelt sich nicht mehr allein darum, ob
der eigentliche diphthong selbständig auf schwäbischem boden erwach-
sen ist oder aus Baiern übernommen wurde, sondern die frage nach
selbständiger entstehung oder übernähme ist schon bei der Vorstufe,
der geschleiften länge, aufzuwerfen. Es ist ein dringendes bedürfnis,
dass die geschichte von ahd. /, ü auf österreichisch- bairischem boden
einmal genauer untersucht wird. Alle übrigen angrenzenden deut-
schen mundarten sind an der frage mit beteiligt. Endlich darf für
die frage nach der anordnung von dipthongierung und apokope auch
in rechnung gezogen werden, dass die dehnung im anlaut im osten
des schwäbischen gebietes zu hause ist, wo wir auch den diphthong
zuei-st nachweisen können.
i
AU8Q LEICHUNO DKS 8ILUENÜ EWICilTS 521
Bei den längen des gerin. wirft Brenner, wie schon gesagt, die
frage nach ausgleichung des silbengewichts gar nicht auf. Dagegen
sollen sich bei den diphthongen formen, welche auf geschleiftem,
und solche, welche auf gestossenem accent beruhen, gegenübei* stehen,
und eretere sollen den oi-satz für die abgefallene nominativ-endungs-
silbe enthalten. An belogen für heute noch voriiandenen Wechsel kann
Brenner nur nordgauisch ua : oi (oc) < gemi. al geben. Es sollen aber
auch schwäbische doppelformen für germ. fl^ = ahd. ei^ für germ. ai
= ahd. e und germ. au = ahd. ö ursprünglich auf den Wechsel von for-
men mit gestossenem und mit geschleiftem accent als ersatz für verlorene
gerjuauische endungssilbe zurückgehen. Nun keimen wii- aber allmäh-
lidi die schwäbisch -alemannische mundart genau genug, um stricte
sagen zu können: heute liegen diese doppelformen nur in lokaler son-
derung vor, wir haben auch nicht den geringsten anhält dafür, dass
sie einst innerhalb desselben bezirks im flexionswechsel neben einander
gestiinden haben, und je mehr wir in unserer mundart derartige doppol-
formen kennen lernen, welche nur lokal getrennt vorliegen und kei-
nerlei anlialt für ehemalige andersai'tige anordnung geben, desto siche-
rer haben wir auch die lokale Sonderentwicklung als das ursprüngliche
anzusehen. Es wird ja niemand einfallen heutiges l : ji < mhd. /, heu-
tiges ü : QU < mhd. w, heutiges id : ü : ä (() < ahd. ia auf ehema-
lige doppelformen, welche nach flexi onsformen wechseln, zurückzufüh-
ren. Und ebenso unmöglich ist dies bei ao : ö : ö < mhd. ä. Im
einzelnen hier auf die frage nach den Vertretern von ei, ^7, ö einzuge-
hen, ist nicht nötig. Fischers geographie hat den heutigen bestand
nicht nur für das schwäbische, sondern auch für einen beträchtlichen
teil des alemannischen genau verzeichnet Darüber hinaus können
heute höchstens noch vei^suchen, die Zwischenstufen zu eruieren,
zu den heutigen lauten führten. Für die schwäbischen formen ergebeo
folgende entwicklungsreihen: 1) r/ > r?/ > o/' > o^? > Oi?, 2) ff> f>
weiter entweder >r/i>a^', oder>rr^>fv, 3) o> ö> ou, dann
'>au>'ao, oder> oo> oj. Die form r,><ahd. i! und oa<abd. f-
che Fischer § 29 für den osten südlich der Donau gibt, nikiat uiz,
eher aus pj^ p,y ableiten als direkt aus (7, ö, doch ist ja maet / ^
ei > eo und ö > (tu > oj mr)gUch. In or > oo^ co p9, i
leduktion des zweiten bestaiidteiles des diphthongs zu 9
vo^ ic7> Schwab. 11/^ 10 (vgl. Kauffmann, Schwab, ma. §ltf^ ii :.-:.•
ersten reihe ist der gebietsteil mit o.i einfach über da ac vt :_■-
ausgegangen, in der zweiten und dritten reihe trat
sowol die gebietsteile mit heutigem «<?, a(\ als die
*.'
522 BOHNSNBERQEB
von pu^ ^ aus. Die Ursachen dieser ganzen entwicklung kennen wir
nicht. Wir mögen wol mit KaufiFmann den verschiedenartigen heutigen
bestand auf verschiedene tonverhältnisse zurückführen, aber immer
müssen dieselben so gewirkt haben, dass sie je an einem orte den
ganzen bestand trafen. Gibt hienach die geschichte dieser laute kei-
nerlei anhält zur Verwendung in Brenners sinn, so spricht der compli-
cierte entwicklungsgang, zu welchem wir nach Brenner geführt wür-
den, geradezu dagegen, und zuletzt widerspricht Brenner seinen eige-
nen Voraussetzungen. Die alten diphthonge sind in ahd. ^, ö monoph-
thongiert und sollen nach Brenner die accentverschiedenheit im monoph-
thong fortgesetzt haben, sie sind wider diphthongiert worden und sol-
len auch da die uralte Verschiedenheit von geschleifter und gestossener
betonung bewahrt haben, durch mehrere stufen weisen die formen mit
verschiedenem accont doch dieselben laute auf, heute haben wir lokal
getrennt verschiedene entwicklimgsstufen, und darin soll nun doch noch
der alte accent zum ausdruck kommen. Diese complicierte entwick-
lungsgeschichte macht ihrerseits Brenners annähme so gut wie unmög-
lich. Weiter beruht aber nach Brenner die diphthongierimg von mhd
^, ü auf geschleifter betonung, nun soll aber bei ^ und ö nur der eine
der beiden heutigen paralleldiphthonge diesen accent voraussetzen, der
andere gcstossenen. Hier kommt Brenner also geradezu in widei-spruch
mit sich selbst. So bleibt allein noch der von Brenner beigezogene
Wechsel von nordgauisch lo : oi < germ. ai in singular : plural. Nun
ist aber klar, wenn die übrigen belege für die von Brenner aufgestellte
ausgleichiing des silbengewichts nicht stand gehalten haben, so ist auch
dieser einzelne fall nicht darauf zurückzuführen, sondern als jung an-
zusehen, so gut wie der Wechsel von länge und kürze in singular und
plural. Über die frage uo : oi liegen seither weitere äusserungen vun
Nagl und Brenner (Beitr. XIX) vor. Ich will nicht ins nordgauische
und bairisch- österreichische hinübergreifen und bemerke nur, dass das
schwäbisch - alemannische eine entwieklungsreihe ai > oi > oj > ii*
kennt.
Brenner und noch mehr Streitberg haben an ihre sätze über
ausgleicliung dos silbengewichts erwägungcn der allgemeinsten art
angeknüpft. Brenner (s. 299) fragt, ob es überhaupt denkbar sei, da^:?
ein wort auf rein lautlichem wege einen teil abgibt, ohne ihn irgend-
wie zu ersetzen, und Streitberg ergeht sich zum schluss seiner miter-
snchung (s. 410) in schönen worten über ,,jenes grosse gesetz. das
nichts untergc^luMi lässt, was einmal ins dasein getreten ist.** Ich mei-
nerseits könnte mir keinen grossen gewinn davon versprechen, wenn
Aü80LEICHUNa DES SILBSNaSWICHTS 523
es mode werden sollte, sich in sprachlichen dingen auf das gesetz der
erhaltung der kraft zu beziehen. Auch ist diese bezugnahrae, genau
angesehen, gar nicht richtig. Nicht die spräche ist selbständiges Sub-
strat der kraft, welche sich gleich bleiben soll, sondern substrat der-
selben ist der sprechende, der mensch, und in ihm kann doch die
kraft, welche einmal der spräche zukommt, ein andermal in andere
gebiete übertreten. Greift man aber auch nicht soweit hinaus in prin-
cipielle erwägungen, so erhebt sich doch bei Streitbergs gesetz und
etwaigen entsprechenden fällen der silbengewichtsausgleichung die frage:
wie sind die verschiedenen hier in betracht kommenden momente
kausal zu verknüpfen? Wjjs ist die Wirkung und was die Ursache,
dehnung bez. geschleifte betonung der tonsilbe, oder morenverlust in
der nachtonsilbe, oder aber liegt die sache gar nicht so einfach, dass.
sich kurzweg der eine Vorgang als Ursache, der andere als Wirkung
bestimmen lässt? Streitberg selbst deutet mehrfach an, dass er den
grund für die Schwächung der nachtonsilbe im wortaccent sehe (so
8. 314), er zieht auch Kretschmers ausdruck von der progressiven
accentwirkung bei. Ich glaube ebenfalls, dass der anfang der bewe-
gung in dem wortton zu suchen ist. Der hauptton nimmt für die von
ihm getrofFene silbe ein so starkes mass des exspirationsstromes in
anspruch, dass für die unmittelbar folgende silbe nur wenig bleibt,
und deren vokal der gefahr der reduktion oder völligen Unterdrückung
ausgesetzt ist Aber wie kommen wir von da auf die dehnung der
tonsilbe, um zunächst von der geschleiften betonung abzusehen? Dass
die Schwächung oder Unterdrückung des vokals der nachtonsilbe die
bedingung für die dehnung des tonvokals ist, bildet die grundlage von
Streitbergs gesetz, aber daraus folgt nicht, dass diese Unterdrückung
des vokals der folgenden silbe auch die ausreichende Ursache für die
dehnung des tonvokals ist. Wäre dieses der fall, so läge regressive
Wirkung vor. Der morenverlust würde zurückwirken auf die frü-
her gesprochene silbe. Mit recht betont Streitberg (s. 315), dass eine
regressive Wirkung in der spräche ein wesentlich psychischer Vor-
gang ist. So verständlich mir nun aber erscheint, dass man die
vorausgehende silbe reduciert, wenn man die auftnerksamkeit und
die absieht starker exspiration schon der folgesilbe zuwendet, so
unwahrscheinlich ist mir die dehnung der vorhergehenden silbe allein
aus dem gründe, weil man schon im voraus auf die ersparnis der
nächsten more rechnet. Die silbe, welche den wortton trägt, tritt
hervor und findet besondere beachtung, sie kann daher auch eine
ihr vorhergehende silbe beeinflussen, aber nicht wahrscheinlich ist
524 BOHNBNBKROER, AU8GLEI0HIJN6 DIS SILBENGEWICHTS
mir, dass man die behandlung einer anbetonten silbe so sehr schon
im voraus in rechnung zieht, dass man für die reducieriing dieser
Silbe schon in der vorausgehenden tonsilbe ersatz schafft So scheint
es mir wahrscheinlicher, dass auch für die dehnung der tonsilbe
nach Streitbergs gcsetz deren wortton direkt beizuziehen ist Der
hauptton, welcher der silbe grössere exspiratorische kraft verschafft,
kann auch auf dehnung hindrängen. Andererseits soll aber offenbar
im idg., und wo sonst solche ausgleichung des silbengewichts gilt, das
gewicht der wortform in der fortlaufenden rede nicht verändert werden.
So kann die dehnung nur da wirklich eintreten, wo zugleich die
nächste silbe erleichtert werden kann. So wäre also dehnung der ton-
silbe und reduktion der nachtonsilbe gleichermassen Wirkung des wort-
accentes. Auch nach dieser auffassung muss die spräche bei der deh-
nung der tonsilbe schon mit dem werte der folgenden silbe rechnen,
aber sie tut es nun nicht in rücksicht auf die gcwichtloso unbetonte
silbe, sondern in rücksicht auf die gewichtige tonsilbe. Auch den
Übergang von gestossener in geschleifte betonung in ursprünglich lan-
ger betonter silbe bei ausfall der nächsten more wird man auf Wir-
kung des worttones und zugleich auf quantitative Vorgänge zurückzu-
führen haben, wenn man nicht auf eine einheitliche erklärung von
Streitbergs gesetz verzichten will. Wie der hauptton bestrebt ist die
kurze silbe zu dehnen und von einer auf zwei moren zu bringen, so
drängt er auf weitere ausdehnung der langen silbe gegen das mass
von drei moren hin. Der überlange laut bevorzugt dann geschleifte
betonung, da man nicht leicht gestossenen ton über drei moren hin-
zieht Es ist hiemach also nicht der silbenton der ausgeworfenen
silbe auf die hauptsilbe herübergenommen worden, sondern er ist mit
seiner silbe ausgefallen, so gut wie bei vorausgehender ursprünglich
kurzer silbe, und es hat die betonte übergedehnte silbe aus sich her-
aus geschleiften accent entwickelt. An lebenden mundarten mit ge-
schleiftem ton bei silbenverlust (z. b. der Kieler mundart, Idg. forsch.
III, 317) müsste sich diese erklärung nachprüfen lassen.
TCbINüEN, MAI 1895. K. BOHNKNBEKOER.
WAOSTEIN, BEITRÄGE ZUR WESTGERMANISCHEN WORTKÜNDS. I 525
BEITEÄGE ZUE WESTGEEMANISCHEN WOETKUNDE.
I.
Nhd. gären.
Dieses wort und besonders isl. gerä „gest, hefe" sind nach Kluge,
Et wb., hinsichtlich des anlautenden g auffällig, da die Wörter nicht
gern von ahd. jesaUy schw. jäsa (ja aus aschwed. ia — durch nord.
brechung entstanden), dial. esa^ norw. dial. cesa usw. „gären" getrennt
werden können. Die ^r -formen können indessen aus bildungen mit
^ra-präfix entstanden sein. Ein urg. *ja'iaxian kann nämlich (vgl.
Paul, Mhd. gram. §§61 und 73) nhd. gäreii ergeben haben. Ebenso
kann isl. ^ercf aus urg. * ja- ia^-ipö {>*S'i'>*g') entstanden sein; über
t-umlaut in bildungen auf -ipö vgl. PBr. Beitr. XVn, 415. Die hier
vorausgesetzte ablautform urgerm. tos liegt im ahd. jerian vor.
Nhd. gaul.
Von diesem worte gibt Kluge, Et wb., keine etymologie. Die
bedeutungen des wertes gehen auch ziemlich weit auseinander. Im
nhd. schwankt seine bedeutung zwischen „elendes pferd" (so schon im
14./15. jahrh.) und „stattliches pferd'', auch „reit- und arbeitspferd" ;
im Schwab, bedeutet gaul „pferd" überhaupt, im nndl. hat das ent-
sprechende guil die bedeutung „eine noch nicht trächtig gewesene stute"
(vgl. Kluge a. a. o.). Das wort kommt auch im schwed. vor (aus dem
nd. entlehnt): aschw. gul „pferd", nschw. dial. gule „schlechtes pferd",
gula „alte stute", (auch kula, mit k aus g in Stellung nach s, t in Zu-
sammensetzungen wie hästkula, hueslagskula entstanden, vgl. Bugge,
PBr. Beitr. Xin, 167; hierher gehört gewiss auch schw. dial. e^ivis-
kula „eigensinniger mensch", vgl. avunsgula „eifersüchtiger* mensch",
Bietz s. 222). Im mhd. bedeutet indessen das entsprechende wort: gül
„eher", daneben indessen auch „männliches tier überhaupt", und
die letztere bedeutung dürfte in der tat die ursprünglichere sein.
Das hier besprochene wort stellt sich nämlich gut zu der idg.
Wurzel ghu (wozu wie bekannt z. b. gr. x^'w „giessen", isl. giöta „gies-
sen", auch „junge werfen", nhd. giessen usw.) und bedeutet also eigent-
lich „ausgiesser, besprenger" (über das suffix -^ vgl. Kluge, Stammb.
§ 188), eine ursprüngliche bedeutung, welche wie bekannt bei Wörtern
für „männliche tiere" sehr häufig ist; vgl. besonders isl. goie „pferd"
von derselben wurzel (s. Lettner, K. Z. V, 153 fgg.; nach Bugge, Ant
tidskr. f. Sverige V, 136, Vitterh. bist o. ant-akademiens handl. XXXI, 3
21, dürfte isl. gote „gotisches pferd" bedeutet haben, was indessen auf
526 WADSTsm
einer späteren Volksetymologie beruht haben kann; für Lettners ety-
mologie von gote spricht auch neu-norw. dial. gaatte, gaatiefisky goi-
fish „fisk som gyder"); über andere Wörter für „männliche tiere" von
derselben ursprünglichen bedeutung vgl. z. b. Hellquist, Etymologische
bemerkungen, Gefle 1893 (schulprogramm) s. VIII.
Was die spätere bedeutung „stute" (im ndl. guily fem., schw.
gula, fem.) betrifft, ist dieselbe, nacjidöm das wort erst (wie im schwäb.)
die bedeutung „pferd überhaupt" be'kommen hat, sehr erklärlich. Die
erwähnten ndl. und schw. Wörter sind nämlich ganz einfach feminina,
welche man zu dem mask. werte von dieser allgemeinen bedeutung
geschaffen hat. Die hie und da' auftretende bedeutung „schlechtes
pferd" erklärt sich aus volksetymologischer einwirkung eines ähnlichen
Stammes (der vielleicht zu derselben wurzel gehört) von der bedeutung
„lose, weich, schlecht", der im ostfries. gul „lose, weich usw.", mndl.
guyl „lafaard", nhd. gaulig „widerlich", gaufl) licht „unschlittlicht" vorliegt
Nhd. geifern, geifer, geifeln, geifel
sind nach Kluge, Et. wb. (geifer) dunklen Ursprungs. Folgende nonL
verwandten hellen sie aber auf: isl. geipla „loses geschwätz", schw.
dial. gepa, gipa „plappern, den mund nicht rein halten können" (vgl.
j\hd, geifern „schwatzen"), schw. dial.^^i^a „einen angrinsen, zum narren
machen", norw. geipla „neckend plagen" (vgl. nhd. geifeln „spöttisch
lachen"). Diese verba bedeuten offenbar eigentlich „den mund öff-
nen" (vgl. schw. diaL gipa „mundwinkel", „gaffen" u. nhd, geifen)^ dann
„schwätzen" (vgl. schw. gapa „gaffen", dial. „schwätzen") und auch
„bespotten". Was nhd. geifer und geifel „ausfliessender spcichel" betrifPt,
so dürften diese nord. w^örter auch zeigen, dass Grimms Wb. im recht
ist, da es (mit hinweis auf mlat. oscedo, dass., eigentlich „gähnsucht")
dieselben zu geifen „gaffen" stellt, denn diese subst (mit den verben
entsprechender bedeutung) sind natürlich von den von mir zuerst ange-
führten Wörtern nicht zu trennen.
Nhd. haschen.
Die deutung dieses wertes ist bis jetzt unsicher gewesen. Nach
Kluge, Et. wtb. wäre Zusammenhang mit haft und liebe?i (lat capio)
wahrscheinlich. Dass ein *hafskön zu nhd. haschen führen würde, ist
indessen nicht sicher erwiesen. Mit hilfe eines bis jetzt ui^beachteten
verwandten wertes dürfte aber eine zuverlässigere etymologie gefunden
werden können. Es ist dies schwed. dial. hask „einem dinge nachlaufen
um es einzuholen"; vgl. die bedeutung des nhd. haschen „et>vas sich
bewegendes mit geschwindigkeit greifen oder es zu ergreifen streben*.
BEITRÄQE ZUR WESTGERMANISCHEN WORTKÜNDB. I 527
Wegen der bedeutung des schwed. wertes passt es ja gut diese Wörter
mit ahd. ha^en, ha^on ^ verfolgen*^, asächs. hatön „nachstellen", nhd.
hassen, schw. hata zusammenzustellen. D. haschen und schw. dial.
hcisk verhalten sich hinsichtlich der mittleren konsonanten zu nhd. has-
sen, schw. hata wie z. b. isl. beiskr zu got baitrs, isl. bitr oder isl.
Iqshr zu got lats, isl. lair usw., worüber vgl. Noreen, Urg. lautlehre
§ 35 anm. und die daselbst angeführte litteratur.
Nhd. hode
ist nach Kluge, Etym. wb. dunklen Ursprungs. Ich sehe aber nicht,
warum man das wort nicht zu der wurzel s-ku „bedecken, bergen",
wozu wie bekannt u. a. nhd. haut, eigentlich „hülle", schote „hülse als
Samenbehältnis" aber auch von den samen selbst: „(grüne) erbsen"
stellen könnte. Dafür scheint auch das zu dieser wurzel gehörige isl.
skiöäa, agutn. sciaujta „beutcl" (vgl. auch isl. skaudir, norw. skau
„scheide, vorbaut") zu sprechen.
Nhd. kracke
„schlechtes pferd" stellt Kluge mit fragezeichen zu ndl. kraak, frz. ear-
raqtie „art schwerfälliger handelsschiffe". Das wort hat indessen nor-
dische verwandte, welche diese erklärung unwahrscheinlich machen. .Es
sind diese: schwed. krake „mageres, elendes pferd; schwacher, arm-
seliger mensch", schwed. dial. krakUgr „schwach, elend, kränklich", norw.
krake „kränkliches oder sehr mageres tier, kleiner, schwacher mensch",
krakeleg, krakutt, h^aklcjen „schwach", krakk-sitjande, -scett „infolge
schwäche oder Invalidität (immer) sitzend", krakk „Stümper, armer elen-
der mensch, schlechtes pferd", kraica, krakla „(mit mühe) vorwärts
krabbeln", isl. krakligr „dünn, schwächlich". Ich vermute, dass diese
Wörter denselben stamm, aber ohne nasal infigierung, wie nhd. krank (im
mhd. „schmal, kraftlos, schwach"), ags. aanc „schwächlich, gebrech-
lich", isl. krangr „schwächlich" enthalten. Über den Wechsel -g-^'-Ic-:
'kk- in den hier angeführten Wörtern vgl. Noreen, Urgerm. lautlehre
§§44, 3 und 46, 3.
Die ursprüngliche bedeutung des Stammes germ. krafnlg-, kra(n)k-
dürfte „krimim, biegsam" und daher „schwächlich" sein. Dies geht
aus folgenden nord. formen hervor: schwed. kräkla „krummstab",
schwed. dial. kraka „niedergebeugt werden", isl. Icrake „stange mit
einem haken", norw. krake „haken, stange mit kurzen abgeschnittenen
zweigen oder haken, worauf man Sachen aufhängt", schwed. dial. krake,
krängla, dass. (vgl. schw. krängla eigentlich „sich krümmen", dann in
ftbertragener bedeutung „quengeln, Schwierigkeiten machen").
528 WADSTEIN
Nhd. schenken, schenke!, Schinken.
Von nhd. schenken wird bei Grimm, D. wb. hervorgehoben: „die
bedeutung „„flüssigkeit in ein gefass aus einem behältnis fliesscn las-
sen, trank eingiessen"" erweist sich durch den übereinstimmenden ge-
brauch der altgermanischen spräche als die älteste."
Was die etymologie betrifft, so stellt man (s. Kluge, Et. wb.) nach
J. Grimms Vorgang (Kl. sehr. 11, 179) das wort zu ags. sceoncfa) „bein-
röhro'', voraussetzend, dass beinröhren in der ältesten zeit als „bahn am
fass benutzt wurden; schenken wäre daher eigentlich „den hahn ans
fass" setzen". Diese erklärung überzeugt mich nicht Erstens ist
es ja nur eine Vermutung, dass man beinröhren als „hähne an fas-
sern" benutzt hat und femer dürfte in frage gestellt worden könneo,
ob man dergleichen einrichtungen wie fässer und hähne schon so früh
gehabt hat, wie diese erklärung voraussetzen muss. Es dürfte deshalb
nicht überflüssig sein zu versuchen, eine andere etymologie von die-
sem Worte zu geben.
Ich stelle n\xA, schenken, schw, skänka usw. zu isl. skakkr (<*sfoi7?A'-),
nach Fritzner: „skja>v, hei den de (vgl. isl. hella unten) mere til den
eno side" (= „schräge, mehr nach der einen seite hin schief stehend**),
norw. skakk, schwed. dial. skakk, skank von dereelbcn bedeutung. schen-
ken bedeutet also eigentlich „(ein gefass) schief stellen, und dadurch
den inhalt ausgiessen" (vgl. isl. skekkja < *skankian, „bringe i skjaev
stilling"); es liegt hier also ganz dieselbe bedeutungsentwicklung von
wie im isl. fiella, schw. hälla „ausgiosseu", eigentlich (s. Pritzner-
und verf., Indog. forsch. V, 14) „schief stellen" zu isl. haUr „geneigt,
eine schiefe Stellung habend" ; nhd. einschenken heisst gerade auf schw.
Mlla i. Diese erklärung von schenken- wird auch dadurch gestützt,
diiss man im isl. ein skak-ker „gefäss aus welchem eingeschenkt wird"
hat, dessen erster teil offenbar mit mhd. schanc von eben derselben
bedeutung identisch ist
Es ist indessen wegen dieser neuen erklärung nicht nötig, schen-
ken von den oben erwähnton ags. schone, sceonca „crus" und von
d. Schenkel, Schinken, schunke und den mit diesen verwandten schw.
skänk {<,*skank')^ norw. dial. .sA-az/Ä', sko)ik „Schenkel" zu trennen. Es
ist nämlich zu beachten, dass in schw. dial. auch skanka, skunka,
skinka, welche Wörter natürlich verwandte der vorigen sind, mit der
bedeutung „hinken" vorkommen (vgl. auch aschw. skinka „hinken, eine
pferdekranklieit", Söderwall). Dieser umstand zeigt, dass alle diese formen
zu der bekannten idg. wurzel skhenß gehören, wovon wie bekannt u.* J
(s. Fick, Ygl. wb.2 I, 567) skr. khailj, gr. axcfCw „hinken*. Zu d
BEITRÄGE ZUR WESTGERMANISCHEN WORTKUNDE. I 529
ser Wurzel stellen sich ja auch die oben er wähn ton isl. skakkr, schw.
dial. skank usw. vortrefflich, da die bedeutungen „schräge, schief sein"
und „hinken" nahe aneinander liegen.
Auch die bedeutungen von ags. sceo7ic(a) usw., nhd. Schenkel und
Schinken erklären sich leicht aus einem ursprünglichen „schief sein",
wenn man bedenkt, dass diase Wörter offenbar ursprünglich nur von
den hint erbeinen von tieren benutzt worden sind. Dass dem so ist,
zeigt nhd. schinken, schw. skinka usw., das ja noch nur den obersten
teil eines hinterbeines bezeichnet; vgl. ferner, dass nhd. schenket im
engeren sinne „Oberschenkel des hinter-fusses" bedeutet und dass im
schwed. im vorigen Jahrhundert (nach lind, Schw.-teutsch. Wörter-
buch, Stockholm 1749) häst-slcank „eines pferdes hinter-sclienckel"
bedeutet hat; beachte femer schw. dial. skinkling „hinter-fesseln
von tieren". Die hinterbeine sind ja eben krumm und der unterste
teil derselben steht schief nach vorn gerichtet.
Diese ursprüngliche bedeutung „schief, gebeugt" von germ. skinkr^
skankr „hinterbein" kann auch dazu beitragen, das wort nhd. bein, schw.
ben usw. zu erhellen. Dieses ist (s. z. b. Kluge, Et wb.) zu isl. bein7i
„gerade" gestellt worden. Vielleicht hat es ursprünglich die geraden
Vorderbeine von tieren im gegensatz zu den krummen hinterbeinen
bezeichnet.
Nhd. wäre.
Die etymologie dieses wertes ist noch nicht ermittelt worden.
Skeat, Et. dict., sagt von dem entsprechenden engl. 2vare „I ... suspcct
it to have been borrowed from Scand." Ich glaube, dass Skeat hier
richtig urteilt und dass gleichfalls nhd. wäre „kaufware" eigentlich ein
nord. lehn wort ist; in der tat tritt dieses erst im spätem mhd. auf. Im
altisl. und altnorw. weist das wort auch bedeutungen auf, welche offen-
bar die ursprünglichen sein müssen.
Nord, vara bedeutet nämlich (s. Vigfusson und Fritzner) im alt-
norw. hauptsächlich „feil" und im altisl. besonders „grober wollen-
stoff" (= isl. „vädmdl"); vgl. auch altisl. btikka-vara „bockfell",
grd-vara „grau-werk", klö-vara „hides with the claws left on"
neunorw. rara-tuku (s. Aasen unter varskinn) „decke aus feilen"
und altnorw. vqrU'kambj', das Fritzner gewiss richtig „woll-kratze"
übersetzt
Wegen dieser bedeutungen stellt sich vara usw. offenbar zu gr.
äqog „wolle", dqriv „schaf, widder" (wie bekannt eigentlich „der wol-
lige"), ^fjpig „Schafpelz" usw., welche bekanntlich zu der idg. wurzel
war ^bedecken, hüllen" gehören.
nrr r. dcutsghb Philologie, bd. xxvm. 34
530 PHILOLOORNVERSAMMLUNO IN KÖLN 1895
Hierher gehört wahrscheinlich auch nhd. schwarte, isl. suqnlr,
aschw. stvcerp (vgl. verf. Nord, tidskr. f. filol. 3 r. 111, 11 fgg., wo s. 12
z. 6, 11 von unten wcs in wai' zu ändern ist), eigentlich (wie im isl.
und mhd.) „haarige haut"; über den Wechsel stv- : w- im anlaut
vgl. z. b. Noreen, Urgerm. lautl. s. 208.
ursprünglich ist vara usw. also nur zur bezeichnung von feilen
oder wolle(nen Stoffen) benutzt worden; später aber hat das wort die
bedeutung „kaufmannsgut im allgemeinen*' angenommen. Diese allge-
meinere bedeutung hat vai'a offenbar dadurch bekommen, dass das
Warenlager der aus dem norden kommenden kaufleute hauptsächlich
aus feilen (und wolle?) bestand: diejenige nordische „wäre", welche
in alter zeit den fremden am meisten begehrlich war, waren ja eben
feile. Das in der Jetztzeit so hervortretende wort „wäre" ist also ein
beredter zeuge des lebhaften handelsverkehrs, welcher im altertum zwi-
schen Deutschland, England und dem norden stattgefunden haben muss,
P. T. HEmELBERG. ELIS WADSTEDf.
BERICHT ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER GERMANISTISCHEN
SECTION AUF DER XXXXIII. VERSAMMI.UNG DEUTSCHER PHILOLOGEN'
UND SCHULMÄNNER IN KÖLN.
24.-28. September 1895.
Die germanistische abtoilung constituiorte sich am 25. September mittags in
einem klassenzimmer des Marcolleo - gymnasiums , das zwar für die 50 mitglie<i<.T
hinreichenden räum, aber für die vortragenden leider wenig ruhe und für die zuhii-
roudon nur recht unbequeme sitze bot. Nachdem hoiT Oberlehrer dr. Blumschein
die anwesenden auf dem boden des heiligen Kr>ln willkommen geheissen hatte, wur-
den prof. Wilmanns und dr. Blum schein, die auch die vorbereitenden arb«'iten
übernommen hatten, zu versitzenden, dr. Berger (Bonn) und gymnasiallehrer
Seil ölten (Elberfeld) zu Schriftführern ernannt.
Die erste sitzuiig wurde schon am nachmittage desselben tagos abgehalten;
denn da diesmal an dem letzten tage der vei*sammlung nur noch die allgemeine
Schlusssitzung gehalten werden sollte, um den festteilnehmem gelegenheit zu einer
falirt ins Siebengebirge zu geben, mussten fleissige sectionen schon die nachmittage
zur hilfe nehmen, obwohl sie mancher gern ungeteilt zur besichtigung der reichen
kuustschätze Kölns verwendet hätte. — N.achdem der versitzende in kurzer ausprarht'
der seit der Wiener Versammlung vei-storbenen fachgenossen gedacht hatte, ergriff
zum ersten vortrage das wort herr bibliothekar dr. Kos sin na aus Berlin, dem i»i<
am herzen lag, den fachgenossen die Wichtigkeit der vorgeschichtlichen archiiolopp
nachdrücklich zu gemüte zu führen; schade nur, dass es ihm nicht vergönnt war. den
vertrag in einem wol ausgestatteten museum zu halten und das wort durch den hinw<'is
auf handgreifliches material zu beleben. Die vorhistorische archäologio, führte er aas,
habe unsere durch mangelhafte nachrichten getrübte auffassung übei'aU bereichert UP^
PHlLOLOGENVraSAMMLüNO IN KÖLN 1895 531
berichtigt Nur völliger mangel an saohkunde könne es verschulden , wenn noch jetzt
mancher vor der angeblichen Unsicherheit und Unklarheit auf diesem gebiete zurück-
schrecke oder gar die grundzüge der heutigen prähistorischen Chronologie als unglaub-
würdig hinzustellen sich unterfange. Als den beginn der germanischen prähistorie
bezeichnete der vortragende den jüngeren abschnitt der neolithischen zeit, wo der
mensch bereits den ackerbau kenne, die wichtigsten haustiere besitze, geschliffene
und geglättete steinwerkzeuge führe und eine gefällige keramik ausübe. Bis in den
anfang des 3. Jahrtausends reiche diese zeit zuiück. Er steckte sodann dio folgenden
Perioden ab, hob ihre charakteristischen merkmale hervor, wies auf die stätigen fort-
schritte einer vielseitigen kultur hin und betonte, dass man sich von dem zerrbilde
germanischer Wildheit und Unkultur, das noch heute bei der mehrzahl der römischen
historikor beliebt sei, losmachen müsse. Die ergebnisse der archäologie hätten für
das wirtschaftsieben der urzeit ganz neue grundlagen geliefert und mit der Vorstel-
lung vom nomadentum der Germanen, vom fehlen des ackerbaues, von überwiegen-
der fleischuahrung, vom wohnen in zelten oder auf wagen und wie die unklaren und
widerspruchsvollen nachrichten alle lauten mögen, gründlich aufgeräumt. Bereits in
der frühesten vorzeit hätten die Germanen zum kulturgebiet Mittel - und Westeuropas
gehört und würden durch eine ung(»heuro kluft von den um mehr als ein Jahrtausend
zurückgebliebenen Slawen geschieden. — Die these, die der vortragende schliesslich
aufstellte: „Die germanische prähistorie ist ein unentbehrlicher bestandteil der ger-
manischen altertumskunde und verlangt von seiten der germanischen philologio ernste
und nachhaltige pflege" wurde ohne Widerspruch angenommen.
Der folgende vertrag des herrn dr. Röttekcn aus Würzburg war nicht so
glücklich allgemeine Zustimmung zu finden. Der vortragende vereuchte darzutun,
dass der auf bau unserer landläufigen poetik unzweckmässig und durch einen ande-
ren zu ersetzen sei; insbesondere war er der ansieht, dass die herkömmliche ein-
teilung der dichtungen in epos, lyrik und drama besser vermieden werde, da die
Vielseitigkeit der mit diesen namen verbundenen Vorstellungen leicht Verwirrung
anstifte. Er verglich diese einteilung nach den gattungen mit querschnitten und
wünschte statt ihrer lieber längsschnitte , in denen pinzelne merkmale, die z. b. zu
dem begriff des dramas gehörten, durch dichtungen aller art verfolgt würden. Als
solche gesichtspunkte, die geeignet wären, die kapitel der poetik zu bilden, bezeich-
nete er: stoffwahl, Weltanschauung des dichters, uiteil des dichters, die Stimmungen,
der bildzusammenhang, dio arten der rede (einzelrede und gespräch), die übermitto-
limg der rede (stilles lesen, Vortrag, aufführung, musikbegleitung) , die composition.
Dio meisten beziehungen zu der üblichen einteilung habe das kapitel vom bildzusam-
menhang. — Es gelang dem vortragenden niclit, obwol er deutlich, lliessend und
lebendig sprach, in der kurzen zeit, die ihm zur Verfügung stand, seine anschauun-
gen so klar zu entwickeln, dass er die hörer überzeugte. Die discussion, die von
prof. Greiz enach (Krakau) eröffnet, von prof. Bütticher (Berlin) imd Siebs
(Greifswald) weitergeführt wurde, griff einzelne punkte au und verteidigte namentlich
die drei alten gattungen der poesie. Aber der streit nickte nicht recht vorwäiis und
die kämpen räumten ohne entsclieidung das feld, über dem sich längst dio friedlichen
schatten des abends ausgebreitet hatten.
Am morgen des folgenden toges bat zunächst herr prof. Bötticher, dio
gesellschaft für deutsche philologie in Berlin bei ihrer bearbeitung der Jahresberichte
durch Zusendung der publicationen, besonders auch der gelcgenheitsschriften und dis-
sertationon zu unterstützen. Darauf sprach herr prof. Schröder aus Marburg über
34*
532 rillLOLOGENVKRSAMMLUNG IN KÖLN lS9o
dio vorfluchten tänzor von KiUbigk (Orimm, Deutsche sagen- 1, 275). Die sa^jo g«'ht
auf einen wirkli(rhen von Lambert von llersfeld erwähnten Vorfall zurück, der sich
etwa 1013 zugetragen hat. Schon im 11. jahrhundeit hatte die erregte volksphanta-
ßie, geistliche tendeuz, gelegentlich auch schwiudclhafte reklame landfahrender It^utr?
die geschichte sagenhaft ausgestaltet, und schon damals hatte man sie, um ihr vol-
len glauben zu vei-schafifini , in einem Schriftstück niedergelegt, das sich als beriolit
eines der teilnehmer selbst ausgab. Von diesem, jedenfalls der Kölner di(*)ceso eut-
stammenden bericht haben wir nur ein unmittelbares und nicht ganz sicheres zcup-
nis; dio weite Verbreitung der sage, der der vortiagondo in büchern und handschrif-
ten, in Frankreich, den Niederlanden und England nachgespült hatte, beruht auf
zwei bearbeituiigon , dem berichte des Otbert, einem knappen auszug nach dfin
gedächtnis, und dem bericht des Dietrich, in dem dio schriftliche vorläge mit stili-
stischen prätonsionen imd einer Iwstimmten lokaltendenz erweitert ist. Auf dem kür-
zeren, aus Frankreich stammenden berichte beruhen die erzählungen der sage, die
wir seit Albeit von Stade und dem Erfurter minohten in deutschen geschichtss<;hrei-
bern finden; der längere des Dietrich kam namentlich in England zum ausehn un«l
wurde auch in mittelenglischen dichtungen bearbeitet. Seine treue gegen das ah«
original beweist, dass die nieder<knitschen namensformen der 18 nur hier vollständig
genannten teilnehmer noch deutlich erkennbar sind, und um so h()heres inten-sse
gewähren dio verse, in denen uns, leider nur in lateinischer Übersetzung, die erste
Strophe jenes tanzliodes, das der bauer Oerlef improvisierte und voi*sang, erhalt.n
ist. — Im anschluss an den gelehrton und durchsichtigen vertrag, dem die In»n'r
leicht und geni hatten folgen können, erinnerte herr prof. Jostes (Freiburg) an
ähnliche sagen, namentlich den Kattenfängor von Hameln, über den er wol nächstens
genauere mitteilungen wird in die (iffentlichkeit ausgehen lassen.
Den zweiten vertrag hielt herr dr. Wrede (Marburg) über den deutschen
Sprachatlas. Mehrere der überaus saubor und übersichtlich ausgeführten karten, dio
in Marburg unter Wenkers leitung angefertigt und jährlich in ansehnlicher zahl ijetrt
ca. 50) zur königlichen bibliothek in Berlin abgeliefert werden, lagen der Versamm-
lung als eine anschauliche grundlage des voi-trags vor. Wrede betonte zunächst die
zuverlilssigkeit des statistischen materials, auf dem der sjjrachatlas bt^ruhe. Im laufe
der langjährigen beschäftigung mit den von ca. 50,000 gewährsleuten au.<5gefüllten
formularen sei den bearbeitern der glaube an die brauchbarkeit derselben nicht gesun-
ken, sondern gestiegen, nur dürfe man an sie nicht forderungen stellen, die sie ihrer
natur naf;h nicht befriedigen könnten. Da den gewährsleuten keinerlei phonetische
bezeicIinungswtMse vorgeschrieben gewesen sei und auch nicht habe vorgeschrieK^n
werden kiWinen, so ergebe sich von selbst, dass ihre aufzeichnuugen nicht als pho-
netisch genaue dialektwidergaben , dio auf ihnen beruhenden karten nicht als fertige
dialektkarten anzusehen seien. Um zu den phonetischen werten durchzudringen
erfordere jede karte (gerade so wie jede alte hdschr.) eine besondere, häufig recht
complicierto intorpretation, dio mit schriftsprachlicher beeinflussung der gewährsmän-
ner, mit dialektisch gefärbter ausspraclie des schriftdeutschon , mit diakritischen
bestrebungen in der Orthographie der Übersetzungen usw. sich abzufinden habe. An
zalilix?ichen beispielen zeigte der vortragende sowohl die Schwierigkeiten, als auch
die mögliohkeit bei inniger Vertrautheit mit dem gesammten mateiial sie zu überwiD-
don und wichtige resultate und aufschlüsse zu gewinnen. Der Verfasser wies laf
die problematischen zusammenhänge von dialekt- und alten stammesgvdnzeo, <Üs
principiellen unterschiede sprachg(?schichtlicher entwicklung in dem aUm
PHILOLOGEN VERSAMMLUNG IN KÖLN 1895 533
Stammland und dem östlichen kolonisationsbodcn, die intimen zusammenhänge von
Sprachgeschichte und besiedlungsgeschichte hin und erläuterte dies an beispielen aus
dem atlas. Leider laste auf den boarbeitem die mechanische hcrstellung der karten,
die ihnen in erster linio obliege, so schwer, dass ihnen für die wissenschaftliche Ver-
arbeitung keine zeit bleibe. Und doch sei es dringend zu fordern, dass mit dersel-
ben begonnen werde. Je massenhafter sich das matorial liäufe, um so grösser werde
die gefahr, dass selbst die bearbeitcr des atlas den überblick verlören, wenn nicht
mit der technischen weiterführung seine wissenschaftliche Verwertung band in band
gehe. — Die orörterungen, die sich dem vortrage anschlössen, zeigten, dass die ger-
manistische section dem Sprachatlas grosses iuteresse entgegenbringt und den darlegun-
gen des vortragenden mit regster teilnähme gefolgt war. Allgemein war die Über-
zeugung, dass es allerdings notwendig sei, die wissenschaftliche bearbeitung des
materials nicht länger hinauszuschieben und ebenso, dass kein anderer besser dazu
befähigt sein könne, als die münner, in deren band seit sieben jähren das untenioh-
men ruhe. Die section nahm dabei einstimmig einen antrag des prof. Schröder an-'
„dem herm minister für die dem deutschen Sprachatlas gewährte Unterstützung ihren
ehrerbietigsten dank und zugleich die dringendste bitte auszusprechen, die zu einer
gedeihlichen fortführung und ausbeutung des Unternehmens nötigen mittel zu bewil-
ligen.** Die ausführung des beschlusses wurde einer kommission überlassen. An der
dibkussion hatten sich beteiligt: Burdach, Schröder, Franck, Wilmanns, Zip-
per (Lemberg), Kossinna.
Etwas später und langsamer als an den vorhergehenden tagen fanden sich die
mitglieder der section am morgen nach dem festmahl im Gürzenich ein, um einen
Vortrag des herm j)rof. Burdach aus Halle zu hören. Mehr als ein anderer ver-
trag liess dieser empfinden , dass die germanistische abteilung eben nur eine abteilung
der allgemeinen philologenvei-sammlung ist, dass alle historischen Wissenschaften zu-
sammenhängen und sich gegenseitig befruchten müssen. Der vortragende wollte die
Überzeugung verstärken, dass die altdeutsche philologie gut tue, ihre grenzen zu
erweitem, namentlich die entwicklung der kunst zu beiücksichtigen und die latei-
nische litteratur heranzuziehen. Unter diesen gesichtspunkten besprach er, bald mehr
bald weniger eingehend, eine reihe interessanter erscheinungen unserer älteren litte-
ratur. Wie weit manche anschauungen , bei denen man es auf den ersten blick kaum
yennutet, in das altertum zurückreichen, zeigte er namentlich an einem miniatur-
bild zum Wälschqn gast, auf dem ein buhlerisches weib durch verschiedene gunst-
bezeugungen gleichzeitig mehrere männer zu beglücken weiss. Bis in die jüngere
attische komödie verfolgte der vortragende die weit verschlungene wandomng dieses
motivs. Besonders aber lenkte er die aufmerksam keit auf das gebiet allegorischer
darstellungen. Aus der jüngeren soplüstik der römischen kaiserzeit stamme die
anwendung von Personifikationen abstrakter wesen; durch die vermittelung mittel-
alterlicher poetiken dringe sie in die lateinische schulpoesie; in die poesie der lan-
dessprachen habe sie oft ihren weg durch das medium der bildenden kunst genom-
men. In diesem Zusammenhang wurde der bekannte spruch Ubermuot diu alte
behandelt, Heinrichs von Veldecke darstell ung Salomons auf dem lager der minne,
Beinmars von Zweter wunderliches bild des idealen mannes, und dann auf die unge-
meine entfaltung der allegorischen dichtuug seit dem ende des 13. Jahrhunderts hin-
gewiesen, die von bildender kunst befruchtet, ihrerseits auf diese wider zui'ückwurkt. —
Dem anuahenden Yortrag, dessen reicher inhalt sich in einem kurzen referat schlech-
nioht ansobaalioh widergebon lässt, fügte horr prof. Creizenach einige
534 FHILOLOGBNVERSAMIdLXJNO IN KÖLN 1896
bemerkangen hinzu. Er wies auf die dramatischen aufführungen als eine quelle der
bildenden kunst hin und führte auf sie namentlich darstellungen des totentanzes ufid
des bethlehemitischen kindermordos zurück.
Nur kurze zeit war noch übrig; sie benutzte, einer aufforderung des Tor-
sitzenden mit dankenswerter bereitwilligung folgend, herr prof. Jos tos aus Freiburg
i. Schw. zu mittoilungen aus seinen untei-suchungon über die hcimat der altjiärh-
sischen denkmüler. Nach Westfalen gehören nach der ansieht des vortragenden
nachweislich nur die beiden heboroUen von Essen und Freckenhorst, für alles aniJ».Tt?
sei die herkunft aus dem östlichen gebiet des Sachsenstammes wahrscheinlicher. Die
as. beichte (deren uns vorliegende fassung übrigens auf klösterliche verhiütnisM«
berechnet und nicht älter sei als die hs.), die honiilie Bedas, die Gregoriusglo>SL'ü,
die evangclienglossen ständen zwar in hss., die ehemals dem stift Essen gehört hur-
ten, aber diese liss. seien nachweislich erst gegen endo des 10. jahrhundei-ts donhiii
gelangt; die hs. der Düsseldorfer Prüden tiusglossoTi aber, die man nach Werden
setzt, sei wahrscheinlich ei*st in der zeit der reformation aus Helmstedt in das mut-
terkloster Woi-den gebracht. Ebenso weise die Überlieferung des lieliand in diis ört-
liche gebiet. Der Cottonianus steht in einer hs. mit einem Über quondam Cauuti
rcyisj P. klebte auf dem deckel eines Rostocker druckes, M. ist duivh Ht'inrirh II.
nach Bamberg gekommen und die hs. der Vaticanischeii fragmente sei zwar, wio J't
in derselben hs. erhaltene und von derselben hand geschriebene kalondor lx»wei'*'',
in St. Alban in Mainz geschrieben; aber dieser kalondor sei ein kalendcr der Mag-
deburger kirche, beweise also, dass sich damals Magdeburger in Mainz aufhielten.
Nach dem osten weise auch die spräche: die allitteration von y : j und der won-
schatz, besonders der gebrauch, den fremden städtenamen das wort burg auzuh:iii-
gen. Ein engeres gebiet zu bestimmen gestatten diujn einige Wendungen, dio der
dichter braucht, vor allem die stelle, wo von dem auf sand gebauten, durch wind
und regen zum einsturz gebrachtem hause die rede ist. Aus den rcnti ist iccstrani
icind geworden, ans den pluvia und flimiina: tcago ström j sees üdeon; nur an der
Westküste eines meeres können also der dichter und sein nächstes publikuui gowolmt
haben. So kommen wir auf Noixlalbingien und dazu stimmen die beziehuugen Lud-
wigs des Fronmien zum dichter und die kirchlichen Verhältnisse des landes. Ham-
burg war der ausgangspunkt für die Christianisierung Dänemarks und mit dieser hattf»
der kaiser seinen Jugendfreund Ebbe, den erzbischof vt)n Kheims, später auch bisohnf
von Hildesheim, den söhn eines deutschen bauera, betraut. Mit der tätigkeit EbU-s
also dürfte die abfassung des Heliand in direktem zusammenhange stehen. — Früher
als es den zuhörern lieb war, mub.^te herr Jostes seine mittoilungen, die durch ihre
zwanglos natürUche voilragswuise uirht weniger anp'zog<*n hatten als durch ihren
inhalt, abbrechen; denn wir mnssten zur nllg(nn(?inen sitzung eilen, um dort einen
Vortrag des herni dr. Wenkor zu hfircn. So wunlo dann die sitzung nach schnell
gewechselten hötlichk«?iten zwischen dem Vorsitzenden und der section, pünktlich um
10 uhr geschlossen.
i
AULOKIMM, ÜBKK TARDEL, SPIELMANNSPOKSIK 535
LITTEEATÜR
Untersachangen zur mhd. spiclmannspoesie. 1. zum Orendol, 2. zum
Salman-Morolf. Von Herrn. Tardel. Schwerin 1894. (Leipzig, G. Fock in
comm.) 72 s. 1,20 m.
Der 1. teil dieser Rostocker dissertation , die schon vor E. H. Meyere und
Laistners einschlägigen abhandlungen (Ztschr. f. d. a. 37 und 38) beendet war, aber
im hinblick auf die ergebnisse jener noch einmal durchgesehen wurde, gibt zunächst
eine Übersicht über die verschiedenen ansichten, die betreffs des dem spielmanns-
gedichte von Orendel zugrunde liegenden Stoffes aufgestellt sind. Tardels Untersu-
chungen stellen sich als ergänzung dos 1. teils der arbeit Meyers dar, der die Oreu-
delfabel ihrem kerne nach auf eine ^vollere frz. bearboituug des ApoUonius-romans"
zurückfühlt. Dem gegcuüber versucht Tardel den nacliwois, dass dem deutschen
dichter jene fabel in der gestalt des frz. Jourdaiu de Blaivies vorgelegen habe. Er
muss aber selbst zugeben, dass Orendel auch mauclies mit Apoll, gegenüber Jourdain
gemein hat. Und wenn Tardel weiter viele der sich im Apoll. -Jourd.- Orendel fin-
denden motive auch sonst in frz. und deutscher volkspoosie nachweist, so zeigt das
doch schon, dass man sich den deutschen dichter uicht nach einer aufgeschlagenen
vorläge arbeitend zu denken hat; vielmehr nalnn dieser, der doch in der Trierer
gogend lebte und sich vielleicht vordem als klcrikor in Frankreich aufgehalten hatte,
auf was ihm von den oft erzählten ApoUonius-geschichteu, die sicher unter einander
variieiten , haften geblieben war. Und wie viel aucii hier schon wider aus nur münd-
lich fortlebenden fabeln und mürchen entlehnt war, zeigen Laistnei-s untei-suchun-
gen. — Somit kann nur gesagt werden, dass der Orendeldichter besonders motive
der ApoUlonias- fabeln aufgenommen hat. Über die direkte quelle kann nichts behaup-
tet werden.
Der wert der Tardelschen arbeit besteht in der lleissigen Zusammenstellung
von ApoUonius-motiven, die sich im Orendel und in der frz. und deutscheu volks-
poesie finden. Demnach ist der enge Zusammenhang zwischen frz. und deutscher volks-
poesie aufs neue dargetan. Mehr wert hätten Tardels Zusammenstellungen allerdings
noch, wenn er die datierung der angezogenen frz. volksepen gäbe. Denn es bleibt
wenigstens überall der versuch übrig nachzuweisen , welches volk das einzelne motiv
in dio dichtung eingeführt hat, vorausgesetzt dass es nicht schon aus dem antiken
roman übernommen ist. Bei mtuicheu wird es allerdings uicht gelingen , bei manchen
wird es nur mehr oder minder walirscheinlich gemacht werden können. Aber es
■werden auch fälle vorkommen, wo man ein motiv bestimmt datieren kann, wie z. b.
der Orendel vielleicht doch zum ei*sten male in der deutschen dichtung die colee auf-
weist, so dass wir dann dio merkwürdige tatsache hätten, dass ein motiv aus dem
ritterlichen leben weit fiüher in der niederen volkspoosie als in der höfisclien dich-
tung behandelt worden sei. Vgl. dagegen Vogt, Ztschr. 22, 484 fg. Dass Ise sich
bei diesem ritterschlage das schwort selbst umbindet, wie Tardel sagt, ist img (vgl.
V. 2291; er güiiet sich selbst dann zum turnior v. 2295).
Gegenüber den historischen parallelen zum Orendel, die E. H. Meyer im zwei-
ten teile seiner abhandlung zusammengestellt hat, beschränkt sich Tardel auf die
bemerkong, dass dieselben „mit reserve aufzunehmen'* seien. Auch Harkensee und
Berger haben sich den diesbezüglichen ausfühiiingen Meyers (Ztschr. f. d. a. 12) ge-
IBBnfiber ablehnend verhalten. Vogt verhält sich ebenfalls zurückhaltend, obgleich er
'\ 483) schon gegenüber Berger das Meyer zugibt, dass der historische
53Ü AHLÜUMM, ÜBKB TARD&L, HTIELMANNSPOESDE
hintergrund onseros gedichtes auf die zeit nach dem dritten kreuzzuge hinweist, nie
denn auch in einigen punkten Meyer gegenüber Bergers ausführungen (Ausg. s. IJX)
recht liabe. Meyer hat seine ausführungen seitdem vermehrt und verbessert; danach
scheinen mir denn doch mehr historische reminiscenzon aus der geschieh te des drit-
ten kreuzzuges im Orendel enthalten zu sein, als man bisher annahm. Dass die
Spielleute sich diese teilweise pikanten anekdoten nicht haben entgehen lassen, bt
doch auch von vornherein wahrscheinlich. Aber auch hier wird mau häuiig nur bis
zu einem gewissen grade wahrscheinlich machen können, dass ein zug nicht aus der
Volksüberlieferung, sondern aus diesen kriegsgeschichten stamme. Auf einen vou
Meyer aus dem leben Alberos von Trier l>erichteten liistorischen Vorgang (vgl. a. a. o.
8. 829) geht, glaube ich, auch der von Vogt zur ergänzung der Untersuchungen H»*iü-
zels (Ztschr. 20, 411) beigebrachte zug zurück, der sich gleichmässig im Segheliin
und Orendel (v. 3093 fgg.) findet.
In dem zweiten teile will Tardel eine Übersicht über die natihahmungen gcbi'ii,
die motive der Salomosage in der mhd. volkscpik gefunden haben. Es sind: dit?
brautwerbung in ihren Vorbereitungen, die eigontliclie entfühnmg und die wid«'r-
ei-vs'erbung der entführten, deren ausgestaltung in Roth., Or., Oswald, Otu., den
AVolfdietrichon , Gudr., Nib., und (in einem anhange) in der frz. volksepik Ifchandelt
wird. AVas also in den ausgaben dieser volksmässigen dichtuugen bisher in einzel-
nen anmerkungen über anklänge aneinander in einzelnen ziigon kurz angedeuter war,
ist hier systematisch zusammengestellt und als nachahmung der Salomosage betnuh-
tet. — Es ist allerdings selir wahi-scheiulich, dass die Salomosage in vielen f;Qleu
den ausgangspunkt für diese motive bildet; aber Tardel denkt doch die übngen dith-
tungen in einem zu engen litte raiischen abhängigkeits Verhältnis zu jener sage st»'heüd,
wenn er in jedem falle bewussto nachahmung (»ines gedichtes von Salman und Mor«»lf
vorliegen sieht. Ich glaube vielmehr, dass man nur von einem foi-t leben von li^l;-
lingsmotiven reden kann, die zuei-st in gedichten von Salman und Morolf, ebenso»
früh aber vielleicht auch schon in solchen vom könig Rother auftauchen, die dann
unzählige male von jedem spielmann in vei-schiedenon liedern gehört und gesuu^'en
sein mögen und die weiter auch bei der dichterischen gestaltung neuer Stoffe ver-
wendet wurden, ohne dass man bestimmt das eine oder andere gedieht im siunt«
hatte. Diese motive waren eben gesamtbesitz der spielleute, die in gewissen gross<^n
Zügen deshalb typisch wurden, aber im einzelnen fn^i ergänzt wurden, wie z. b.
in der Gudrun bei der entfühnmg der Hilde ein motiv in ein anderes eingeücnh-
ten wurde. Deshalb geht es auch nicht an, den vogel in Gudr. 1106 ids raben
zu deuten, wie Tardel will (vgl. s. 53 anm.), eüifacli weil in einer sagengrupi>e, die
auch auf Oswald eingewirkt hat, ein rabe ats böte vei'wendet ist; dagegen spricht
doch schon: ein rogel kam (jerloxxen. Ebenso wenig kann man aus der in Roth,
und Gu<lr. vorkommenden, aber in den bekannten deutschen Versionen der Salomo-
sage nicht vorhandenen erkennung des verlobten oder gomahls durch einen ring nicht
auf eine dieses motiv enthaltende fassung der Salomosage schliessen, da dies motiv
schon aus den heimkehi-sagi*n genugsam belegt ist. Das hiesso die Salomosage zur
anherrschenden in der spit^lmann^dichtung machen und den reichtum der volk-^über-
lieferung in märchon und sage ganz unterschätzen. Ganz anders liegt es bei den
angeführten fi-z. gedichten, die ausdnicklich auf die Salomosage bezug nehmen oder
den Stempel der bewussten nachahmung an der stim tragen.
Auf einzelne punkte, in denen ich nach dem oben gesagten nicht mit Ipi
ausführungen einverstanden sein kann, gehe ich nicht ein. Im ganzen ist •>
BÖTTICUEB, ÜBEB SATTLKR, WOLFRAMS BEUOION 537
ser teil als eine fieissige und für dii; sogODgcschichto manchen beitrat liefernde arbeit
zu beurteilen, von der nur zu wünschen wäre, dass das ganze niatcrial im 1. wie
im 2. teile übersichtlicher angeoixlnet und dass ein Inhaltsverzeichnis beigegeben wäre.
UAMBUSO. FK. AÜLGRIMM.
Die religiösen anschauung(*n Wolframs von Eschenbach. Bearl»oitet von
Anton Sattler, weltpriester und professor am fürstbischöflichen gymnasium in
Graz. [Grazer Studien zur deutschen philologi»^, herausgegeben von A. SehOnbach
und B. Senffert. 1. heft.] Graz, Styria. 1895. XI, 112 s. 3,20 m.
In den Grazer Studien sollen liauptsächlich doctor-dissei"tationen von schülem
der beiden herausgeber veröffentlicht werden, da die österreichische rigorosenoi-dnung
den dnick der dissoi-tationen nicht verlangt. Den aufang dieser Sammlung maclit
vorliegende arbeit, eine durchschnitt.sleistuiig auf dem gebiete der doctorarl)eiten , die
von emsigem sammlerfleisse und von ausreicliender vei"trautheit mit dem mhd. im
allgemeinen und mit "Wolfram insbesondere zeugnis ablegt. Aber zur förderung des
Verständnisses Wolframs oder des ui-teils über seine werke kann man nichts aus ihr
gewinnen. Der Verfasser beschränkt sich eben darauf, die im Parzival und Wille-
halin enthaltenen religiösen anschauungen systematisch im zusammenhange darzustel-
len, die lehre von gott, Christus, Maria, den engein, der erbsünde, taufe, busse,
messe, vom priesteramt, der ehe, der askese, dem begräbnis, dem fegofeuer und
der heiligenanrufung. Diese ausfülinmg begleitet er mit weitläufigen erörterungon
und citaten aus den kirchenvätern und der Scholastik, um zu zeigen, dass Wolfram dem
sinne nach mit ihnen übereinstimmt. Er scheint dabei hauptsäclilich eine Wider-
legung San Martes im äuge gehabt zu haben, der bekanntlich evangelisclio regungen
in Wolfram gefunden zu haben glaubte und ihn zu einer art von evangelischem rit-
ter stempeln wollte. Diese ansichten San Martes zu widerlegen, soweit sie wirklich
irrig waren, war ein solcher apparat nicht nötig, denn der Verfasser findet ja selber
zum schluss, dass Wolfram den theologischen fragen fern stand und zu den theolo-
gischen Schriften gar keine beziehungen hat; das aber, w*as davon richtig war, näm-
lich dass Wolfram ein wahi'haft iunerliclier Christ und dem äusserlichen werkdieuste
abgeneigt war, ja dass er auch manclie leise kritik au der kirclilichen praxis übte,
hat Sattler nicht widerlegt; er muss vielmt^hr selbst zugeben, dass einerseits man-
ches auffallende bei Wolfram steht und anderseits manches kirchlich wichtige fehlt.
Sattlers arbeit bestätigt nur die tatsache. dass sich Wolframs religiosität über
den gewöhnlichen katholischen begriff, wonach religiosität im wesentlichen im gehor-
sam gegen die vorechriften der kirche besteht, erhebt, und dass ihm die innerliche
läuterung und Sinnesänderung, die widergeburt, das allein massgebende war. Das
erhellt aus folgenden punkten, die Sattler zum teil zugeben muss, obwol er sehr
leicht darüber hingeht:
1. In Parzivals bussaufenthalt bei Trevrezent fehlt die formale beichte, die
formale absolution und die satisfactio operis. Dagegen tritt um so stärker in
den Vordergrund die contritio cordis. Die letzteren beiden punkte gibt Sattler zu,
aber wenn er behauptet, dass die satisfactio operis kein wesentlicher teil des buss-
sacraments sei, so widerspricht er damit dem Lombarden, der ausdrücklich die drei
bestandteile aufzählt: contritio cordis, confessio oris, satisfactio operis. Sattler führt
ein paar stellen des IX. buches an, in denen die ausdrücke uandcl gehen , wandeln
Torkommen (P. 798, 8. 499, 17. 4Gü, 13. 14), aber gerade diese beweisen, dass
der anfldrook nicht in dem kirchlichen sinne der satisfactio operis gebraucht ist.
538 BOETTICHIB
Und gerade die stelle, die für Sattlers ansieht die wichtigste ist, die werte Trevre-
zents 502, 25:
gip mir din aünde her :
vor got ich bin dins wandeis wer.
tmd leist als ich dir hän gesagt,
helip des willen unverxagt
beweist aufs klai'sto, dass er hier unter wafidcl nicht die abbüssung der sünden
durch gute werke oder durch auferlegte pein meint, sondern die Wandlung des
herzons, die umkehr.
Die woiie gip 7nir din sünde her sollen nach Sattler, wie auch früher nach
Domanig und Seeber, natürlich die absolution enthalten; das tun sie auch, aber
durchaus nicht in der kirchlichen form; Trevrezcnt ist auch nach meiner ansieht
von p Hoste rlichem charaktcr, aber ob er oixinungsinässig als zum priester geweiht
gedacht ist, ist mir sehr zweifelhaft; vor seinem einsiedlerleben w^ar er es jedenfalls
nicht, dass er aber mit dem entschluss, in die einöde zu gehen, die priesterweihe
erhalten habe, wird nicht erwähnt. Trotzdem Ist er ein heilee man, und in des
dichtors äugen kein laie, und als solcher kann er auch Parzival die sünde abneh-
men auf grund dessen, dass er seine reuige umkehr sieht. Insofern hatte aber doch
Sun Maiic mit seinen hinweisen auf evangelische ahnungen bei Wolfram nicht so
ganz unrecht, und die „laienbeiclite'* ist auch nicht so ohne weiteres herauszuint«.T-
pH'tioren, ein punkt, der allerdings von Wichtigkeit ist, da von einer B|)ätcren beichte
boi einem priester, die doch nach der kirchcnlehre notwendig gewesen wäre, nicht
die rede ist. Sattler sieht das priesteramt Trevrezents schon durch das vorhanden-
Hoin i»inos altars erwiesen, aber ganz mit uni*echt. Trevi-ezent gehört zum Orabi-
gt»s(!hle(ht, und in Munsalvaesche wird der Gral doch auch auf einem altar gestao-
iUm habt»!!, ohne dass ein priester da war — denn wo andei*s hätte die taube die
j't'lwMligte oblate nicHlerlegcu sollen? Trevrezent hatte also wol für Wolfram schon
tlurrh spinn Zugehörigkeit zum Oralgesclilechte pricsterlicheu Charakter, und so konnte
vY uiu'h absolvi(jren. Ich glaube keineswegs, dass Wolfram sich hier ausdrückheb
in ^^ogonsutz zur kirche habe stellen wollen — er folgte ja überdies seiner quelle —
ubor er stand den äusseren Ordnungen der kirche frei gegenüber und wusste das
wt»MMi von der form zu scrheidcn.
•J. Der zweite punkt betrifft das Verhältnis zur beiden weit. Es zeigt denscl-
U«u ehamkter innerlicher religiosität. Die zu seiner zeit allgemein herrschende
iue^ehauung v(»n der uugiltigkeit heidenchristlicher mischehen nimmt er als tatsache
tun« «i»er eint» kritik dieses zustandcs liegt für jeden unbefangenen in der charak-
Irn-.tik lU^lakanes und in den gewissensbissen Gahmurets auf der band. Es ist
^Inuhe ieh, sogar nicht zu weit gegangen, zu behaupten, dass die triuwe und der
»MÜe munnt's muot für Wolfram den menschen zum rechten Christen und der Seligkeit
>und»K »»»achte auch ohne taufe. Dies scheint mir die bestimmung des Feirefii
Aum K\\\\\ »md die äusserlichkeit der taufhandlnng an ihm in ihrer begründung und
\\\w\ huiKif^ehen Wirkung ziemlieh deutlich zu sagen. Seine Charakteristik der edlen
beulen \x\\ NVillohalm stimmt dazu. Ihn deshalb als evangelischen Vorkämpfer in
MU^puK U nehmen zu wollen, kann mir nicht einfallen, denn das ist ebensowenig
vi>rti»Kele»eh als katholisch, aber Wolframs innerliche religiöse richtung gegenüber dem
V.^ihohfteheu kirehondienste wird dadui*ch allerdings beleuchtet. Ähnliches liesse sich
rtUK-h \i'n HtMuor hohen auffassung der ehe sagen, die nach ihm geradezu den him-
iuel \^iwuU» wonn sie rehte e ist:
ÜBEB SATTLER, WOLFRAAIS REUOION 539
468, 5 teert ir erfunden an rehter c,
tu mae xer helle werden we,
diu not sol schiere ein ende Mn.
oder im Titurel 51, 2: xe himel ist reine für got ir geleite,
TVolframß Christentum ist biblisches Christentum mit einem stich ins huma-
nistische, wenn man so sagen darf, er hat aber keinen grund, polemische kritik an
der kirche zu üben. Er folgt allerdings, wie Sattler sagt, im allgemeinen der her-
kömmlichen schulmeinung, aber er steht dem kirchentum mit seinen Ordnungen und
f orderungen sehr frei gegenüber, nicht als freigeist, sondern als eine religiöse natur,
die sicher auf dem unverrückbaren biblischen gründe des ovangeliums von der erlö-
sung durch Christus ruht. Sattler nimmt keinen bezug auf meine Charakteristik
Wolframs in meiner Parzivalausgabe, obwol er sie, wie mehrere stellen seiner arbeit
zeigen, kennt; ich darf daher wol annehmen, dass er gegen sie nichts wesentliches
einzuwenden weiss.
Dies ist nun der eine grosse mangel an Sattlers arbeit, dass er die eben erör-
terten dinge gar nicht berührf. Der andere ist der, dass er sich die gelegenheit, bei
seiner ausgebreiteten kenntnis der patristischen littoratur nach den quellen für gewisse
ausführungen Wolframs zu suchen, hat entgehen lassen. Es war zu scheiden zwi-
schen den allgemein christlichen anschauungen und denen, die an theologische
erörterungen anklingen. Solcher gibt es allerdings nicht viel, und um so eher kann
man deshalb annehmen, dass sie alle der französischen quelle Wolframs augehören.
Dahin rechne ich z. b. die astronomischen anschauungen, die bei dem leiden des
Anfortas erörtert werden P. 489 fgg. Hier begnügt sich der Verfasser mit dem allge-
meinen hinweis, dass „man** eben damals solche meinung von dem Satui'n und
den planeten hatte. Ferner gehört dahin die angelologie, die Trevrezent gibt (P. 4G3
fgg.), die menschen Verderbnis durch die ungemüit der töchter Adams, und die heil-
mittcl für Anfoilas' wuude samt allen wundern Indiens nnd des Orients. In der
französischen theologischen litteratur war hier in ei*ster linie zu suchen. Eine
stelle hätte dies dem Verfasser besonders nahe legen müs.sen. Das taufbekenntnis
des Feirefiz weicht, wie der Verfasser zeigt, von dem gewöhnlichen ritual der kirche
ab, zeigt aber grosse ähnhchkeit mit einem französischen formular, das vom cardinal
Thomasius in einem sehr alten französischen missale entdeckt worden ist. Wolfram
wii'd es aus seiner quelle haben, und dies hätte den Verfasser veranlassen sollen,
der spur nachzugehen auch auf die möglichkeit hin, dass nichts dabei herauskam,
aber er stellt nicht einmal die frage auf. Mit des Verfassers thcma hatte das aller-
dings nichis unmittelbar zu tun , aber nützlicher wäre gewiss eine imtersuchung gewe-
sen, die es sich zur aufgäbe machte, festzustellen, was von Wolframs religiösen aus-
führungen aus theologischen, besonders französischen werken stammte, und was
etwa als seine eigne zutat oder doch absichtliche fassung zu beti*achten sei. Nicht
bloss hierfür, sondern auch für des Verfassers thema von Wichtigkeit sind die letzten
untei*suchungen Heinzeis in den Wiener Sitzungsberichten über die quellen Wolframs.
Der Verfasser scheint sie noch nicht gekannt zu haben.
BERLIN, JULI 1895. O. BOETTICHER.
540 EAÜFFMANN
Zur geschichto dor schwäbischen muadart m XV. Jahrhundert L All-
gemeines und vokale dor Stammsilben. Von K. Bohnenberger. Tübingen, Laopp,
1892. X, 139 s. 4 m.
Pas buch bringt nicht eine lautgeschichto im bereich des XV. jahrhan-
dorts, sond(?rn eine statistische Übersicht der Stammsilben vokale. Der stuff is».
nicht einmal chronologisch geordnet und § 3 bekommen wir sogar zu lesen, dass die
schwäbis(;he mundart „für den lauf des XV. Jahrhunderts einen wesentlich sich gicich-
bleibcndeu cliarakter*' zeige. S. 69 hören wir in der Verwendung von ei zeige .sich
,, zwischen begirm und ende dos Jahrhunderts ein ziemlicher unterschied'', s. 67 steht,
dass „auch in der ersten hälfte des Jahrhunderts die diphthongierung schon auf dem
ganzen gebiet vollzogen^ gewesen sei. Aus diesem beispiel dürfte deutlich werdeo.
dass Bohnenberger geschichte der Orthographie und geschichto der laute nicht mit
erforderlicher strenge auseinanderzuhalten verstanden hat. Das ist aber die haupsat/hc.
Bohnenbergor erkennt an, da.ss wii* uns mit der annähme allmählicher Um-
bildung der laute nicht begnügen dürfen. Er ist auch darin mit mir einig, dass wir
möglichst viele chronologisch zusammenfallende Liut Wandlungen auf eine gemeinsame
Ursache zurückführen müssen. Mit mir sieht er den grund der sprachveräudenuig
in der einwanderung des Stammes in seine jetzigen sitze. Jedoch im einverstindiiis
mit Herm. Fischer (Germ. 36, 407) hält er daran fest, da.ss lautwandlungen .gewan-
dert'', entwicklungsstufen weitergegeben worden seien, lehnt aber die Zumutung aK
den ausgangspunkt der bevvegung zu bestimmen. Ich habe nun keineswegs allein
geographisch -physikalische bedingungen im äuge gehabt, sondern gesellschaftliche
im weitesten sinne dieses wertes; meine formulierung weicht klar und deutlich
von der J. Grimms (GDS^ 574 fg.) ab, entspricht vielmehr der von Buixiach (.Arn.
f. d. a. XII, 144), Müllcnhoff (DA. lll, 197), Meitzen (Jahrb. f. nationalökon. XXXII.
56) u. a. Meine gegner bitte ich doch zu berücksichtigen, dass historiker ganz ver-
schiedener richtung zu demselben crgebnis systematischer foi*schung gelangt sind. Ich
citiere mit besonderem vergnügen die worte von I^mbeil ton Kate (Aenleiding II, 18):
hij 't rcrre verspreiden der Volkeren, 't betroonen ran andere lugt streken , 'tgehrui-
kcn ran andere kruidcn en voedsel, cn't aetinemen ran andere xcdcji moest nitl
allccn ecn rerandering van aertj ran geynoedsdrifteUs ran gestalte en ran wexen
ontstaen .... maer ook gvrolglijk ecn andere erenredigheid van de werktuigen der
nprakc en dacrdoor een rersvhil van tongeslag. Man gibt ja zum teil den mechaoi-
scheu lautwandel zu, lässt ihn aber für die lautconstitution einer spräche nicht
ausschliesslich gelten und bekennt doch wider, dass die constitutiven factoren nicht
aus dem auge gelassen werden dürfen. Ich halte die annähme, dass es auch laut-
wand lungc'n und zwar gesctzmässig durchgreifende gebe, die von mundart zu mund-
ait gewandert seien, für vollkommen überflüssig und widerspruchsvoll. Wir stehen
heute doch alle auf dem Standpunkte, dass wir für jede mundart eine sogenannte
articulationsbasis, einen eigenartigen indifFerenzzustand, oder wie Scherer wollte, einen
sjirachlichen normalstand der orgaiie festhalten. Dieser uomialstand, sagte Scherer
(ZrJr)S'^33) ist für alle sprachen, ja für jeden besonderen dialekt einer spräche ver-
schieden. Dieser normalstand bildet die einheit dor Sprachgenossenschaft.
Eine allgemein durchgreifendt» lautwaudking ist also für jedes einzelne individuum ao
ein und dieselbe Voraussetzung geknüpft: eine Übertragung annehmen, heisst diesen
nt»rmalstand für einen t"il der Sprachgenossenschaft als nicht vorhanden betrachten.
Ganz audei-s liegen selbstverständlich die dinge, wo es sich um reproduction , nicht
um production handelt. Auch die leistuugsfähigkeit der phantasie und des gedöchtnis*
ÜBER BOIINKNBKRGER, SCHWÄBISCHE MUNDART 541
SOS ist massgebend für die individualsprache, die zwar physiologisch keine anderen
funktionell zeigt als die der sprachgenossen, aber in der griippieruug des auf mecha-
nischem woge entstandenen laiitmaterials untei'schiede aufweist, für deren ausbreitung
ganz andere normen gelten als für die lautwandlungen. So weit derselbe phonetische
normalstand, so weit dieselben constitutiven factoi-en roichen, so weit reichen dieselben
sprachgeschichtlichen ergebnisso; unterschiede innerhalb dieses bereichs beruhen nicht
auf sprach Veränderung, sondern auf individuellen tendenzen des sprachusus, die
nicht von dem mechanismus der sprach organe, sondern von der gedächtniss-
mässigen beherrschung des sprach st off es abhängen. Folglich spielen nur bei den
auf association beruhenden Veränderungen des sprachusus Übertragungen eine rolle.
Was die einzelnheiten der grammatik betrifft, so ist wenig erfreuliches zu ver-
zeichnen. Seitdem Brandstetters arbeiten vorliegen, müssen anfordemngen gestellt
werden, denen Bohnenbergers buch entferat nicht genügt. Bohnenberger ist über die
von mir gegebenen directiven nicht hinausgekomm(;n. Dabei venvertet er ein viel
beschränkteres material, seine quellen gehören meist der zweiten hälfte des 15. Jahr-
hunderts an, die erste hälfte ist nur in sehr geringem mass ausgeschöpft worden.
Neben den urkundenbüchern wären die originale, neben den drucken die datierten
handschriftcn heranzuziehen gewesen. Bei der beschränkung, welche Bohnenberger
sich auferlegt, hätte man doch zum mindesten Vollständigkeit der belege, wenn auch
nur in zahlenmässigen angaben, erwarten dürfen. Wo Bohnenberger eine neue sprach-
geschichtliche auffassung bietet, ruht sie mehr auf raisonnoments denn auf tatsäch-
lichen beweismaterialien. Bohncnb^^rger will z. b. mit H. Fischer (Germ. 3G, 413) q
der heutigen mundart für ä des frühen mittelalters aus ao oo hervorgegangen sein
lassen, wie im ahd. au über ao zu o geworden sei. Dabei hat er nicht bedacht,
dass der vergleich hinkt, denn ahd. au ist zu geschlossenem ö geworden! Noch im
15. Jahrhundert, meint Bohnenberger, habe sich ao (=ä) zu qo entwickelt „aber nur
80 weit, dass es deutlich noch diphthong blieb und die Schreibung au noch als pas-
sendste widergabe des lautes erscheinen konnte*' (s. 20) ! ! Was liegt da für eine
anschauung deutscher Orthographie zu gründe ! * Die Weiterentwicklung zu v habe sich
aber zweifellos nicht überall organisch vollzogen — d. h. Bohnenberger selbst kommt
mit seiner annähme nicht durch. Und nun stimmt er auch noch mir bei, dass ä
unter zweigipfliger betonung sich zu diphthongischem a^ entwickelt habe und auf der
folgenden seite meint Bohnenberger, ich werde genötigt sein, diese erklärung selbst
zurückzuziehen (s. 26. 27). Dass ich keine belege beigebracht hätt«, ist ein intum;
hat doch schon H. Fischer hervorgehoben, was für meine ansieht spreche. Ganz
ähnlich dem, was ich über hf^t und häo gesagt habe, lautet, was Bohnenberger
s. 29 über da als möglicherweise zulässig bemerkt und wie wenig genau er verFährt,
dürfte daraus hervorgehen, dass s. 27 zu lesen steht, o werde „von vereinzeltem
abgesehen in wenigen bestimmten ei-scheinungen häufiger geschrieben'', während der-
selbe Verfasser s. 29 sich über o folgendermassen auslässt: eine grosse rolle spielt o,
1) Bohnenberger ist von einem abergliiuben au den buchstaben beherrscht, den
man kaum für möglich halten sollte. Es ist geradezu abenteuerlich, was er alles in
die Schreibungen hineingehoimnisst, man vergleiche z. b. g 9. 13. 17. 21 u. ä. Be-
sonders macht die folgende notiz der phonetischen akribie des 15. Jahres alle ehre:
0 und e können beide in der Schreibung wechseln. Wie oben gezeigt, kann es auch
bei e unter eiuÜuss der umgebenden consonanz zu einer gewissen stärkeren lippt.'u-
rundung kommen und wo man weiss, dass dem ö eigentlich rundung zukommen soll,
wird man daher dieses zeichen in solcher Stellung besondei's gern gebrauchen (s. 35).
542 KAUFFMANN
Eia enorpischer angriff gegen mich erfolgt § 32. Ich soll in der därstellung der an
mhd. S sich knüpfenden sprachgoachichtlichen probleme vielerlei Verwirrung ange-
richtet haben. Ordnung habe erst H. Fischer (Gemi. 36, 416) geschalTen. An die-
ser Stolle hat Fischer meine erkläruug der diphthongicrung einfach aDgenommen.
Dasselbe hat Bohnenberger s. 54 getan, desgl. s. 76 für mhd. ö. So glaube ich der-
jenige zu sein, der Ordnung geschaffen hat. Bohnenberger hat die dinge in emen
knÄuel vorwirrt, wenn er ostschwäb. e9 aus mhd. e mit gemeinschwäb. C9 aus mhd. «
verbindet, denn dort liegt geschlossene, hier offene qualität zu gründe. Ich kann
mich noch nicht davon überzeugen, dass ich volkstümliche und nicht volk.stumlii.-he
formen durchoiuandergemengt hätte. Einen eigenen godanken Bohnenbergers glauliO
ich erst s. 86 (§ 56 anm.) aufgestöbert zu haben. Während ich nämlich für die ent-
wicklung ö > ae angenommen hatte, dass vor der umjautung ö diphthongiort,
diphthongisches o^ zu ö^ und dieses secundäre öü mit dem primären öü gemeinsam
zu ae geworden sei, entscheidet sich Bohnenberger dafür, dass bereits vor der diph-
thongierung von e das aus ö umgelauteteto ö entrundet, mit S z\L<iammengefulleu
und fernerhin mit diesem zugleich diphthongiort worden sei. Bohnenberger hat sith
nirgends über das alter der entrundung geäussert. Nach den von mir gesamm»'ltoa
belegen ist aber die diphthongicrung bedeutend älteren datums als die cntrunduog
und so lauge sich Bohnenberger nicht mit den tatsachen der Überlieferung ins ein-
vernehmen setzt, kann ich jenen ausweg blos für einen eiufall halten. Das ist oK'-n
das beklagenswerte an dem Bohnen berge r'schen buch, dass er die gesamnitüberlio-
ferung nicht im äuge behält und namentlich, was dem 15. Jahrhundert voraus lit^j^-t
vernachliLssigt oder ganz überschlägt. Eine etwas eingehendere betrachtung des «loh-
verhalts erfordert § 88 anm. Es handelt sich um den laut, der in den nomiah.siiT-
ten mhd. texten tu gednickt zu werden pflegt. Bohnenberger gibt zunächst b*rh'g'?
für die wechselnde Schreibung, ohne dass nach der herkunft der verschiedenen
Systeme gefragt wäio und das ist jetzt die erste aufgäbe dos dialektlüstorikers. Mir
wird vorgeworfen, ich hätte den alten di|>hthong und den lunlaut von ü einfach zu-
sammengeworfen, das ist do(^h aber, wie der aug(jnschein lehrt, nur zum teil rirhtig.
Ich habe eine kategorie aufgestellt, in der es sich nur um entsprechungen von mhJ.
hi handelt, alleixlings aber auch eine zweite kategorie, in der ich den alten dipb-
thong und den umlaut von ü zusammengefasst habe. Das tut aber auch Fischer, auf
den sich Bohnenberger beruft und das tut auch Bohnenberger selber (s. 12(0, nur
fehlte es bei mir an dor geographischen abgreuzung und an der Unterscheidung der-
jenigen iw, welche nicht umgelautet worden sind. Auch Bohnenberger lilssr. gt-naa
wie ich einen toil der in zu J werden und mit otymol. 7 zu.sammen diphthongiorung
erleiden. Ich habe nun gesagt (s. 169), die diphthongiening zu ul müsse eingetreten
sein, ehe ii und ** zusammengefallen waren; Bohnenb«'rgor erklärt, gerade das gej: en-
teil sei der fall. Damit widei-spricht er widerum sich selbst, wenn auch er s. 12i>
annimmt, die entwi<.klung sei über ü bczw. i gegangen, er wisse allerdings niclii
wie /// {lus /// i.»ntstanden sei. Huhnenborger hat meinen text gar nicht genau anj;*'-
selien, iH'konnt er doch s. 121 selbst, die entwicklung von /w > t/i* werde man ni«ht
in spätere zeit setzen küunen, als die von 7 y> ai. Es ist nur ein teilgebiet dos
schwäbischen, in welchem mhd. i w» in ?*«' zusammengefallen sind, in anderen
strichen begegnet für das ununigelautete iu > ta\ ü. Es ist eine ganz unbegründete
und unerwoisliche annähme, in fjillen wie nni (neu), snit (siedet), isuijtt (sieht) liege
un\imgelautetes iu vor. Mit andern werten, die von Fischer und Bohnenberger gegen
meine därstellung erhobenen einwände sind noch zu wenig begründet, als dass ich
ÜBER BREMER, ORAMMAT. DEUTSCHER MA. 543
etwas zurückzunehmen hätte. Bohnenberger behauptet sogar s. 122: wo mhd. iu im
reim mit dem umlaut von ü gebunden ist, setzt man am besten für beide glieder di
an und s. 119 hatte er mir vorgehalten, ich hätte den alten diphthong und den umlaut
von ü einfach zusammengeworfen, als ob er nicht zum selben resultat von den tat-
sachen gedrängt worden wäre. In gleicher weise muss ich mich dagegen verwahren,
wenn Bohnenberger behauptet (s. 126), ich hätte für den Übergang von ow >• ao ein-
fach auf die dabei vollzogene cntrundung hingewiesen, als hätte ich mich nicht auch
über die entwicklung des 2. componenten klar und deutlich ausgesprochen. Gegen
meine erklärung soll nun der Übergang von ai '> oa und so von S < ^ sprechen,
im Osten liege langes offenes o vor, man habe folglich als ältere form ao, au voraus-
zusetzen. Dabei hat Bohnenberger übersehen, da.ss die entwicklung mehr mit ö als
mit ä zusammengeht und dass die benachbarten alera. gebiete wie in vielen andern
fallen, so auch hier aller Wahrscheinlichkeit nach das ältere ou bewahrt haben. Es
erweist sich überall der gesichtskreis des Verfassers als zu eng begrenzt
JENA. FRIEDRICH KAÜFFMANN.
Sammlung kurzer grammatikon deutscher mundarton herausgegeben von
0. Bremer. Leipzig, Breitkopf & Härtel.*
I. Deutsche phonetik von 0. Bremer. 1893. XXTTI, 208 s. mit 2 taff . 5 m.
II. Bibliographie der deutschen mundartforschung fiir dio zeit vom beginn
des 18. Jahrhunderts bis zum ende des jahros 1889 zusammengestellt von
F. Montz. 1892. XX, 181 s. 5 m.
Der godanke, eine allerseits erwünschte Sammlung von grammatikon deutscher
mondarten durch eine phonetik einzuleiten , ist in jeder beziehung gutzuheissen. Denn
beobachtung des mundartlichen Sprachlebens, wozu die phonetik anleitung geben soll,
ist und bleibt die elementare Vorarbeit dialektologischer forschung. Diese beobach-
tung kann nicht sorgfältig und eindringend genug sein. Das vorliegende buch selbst
gibt davon ein rühmliches beispiel. loh wüsste dem herrn hcrausgeber nichts besse-
res zu wünschen, als dass seine mitarbeiter sich an ihm, was gründlichkeit der
beobachtung betrifft, ein beispiel nehmen möchten. Es wäre schon viel erreicht,
wenn solches vorbild nachfolge fände. Ich zweifle wenigstens nicht, dass kein leser
von Bremers buche scheiden wird, ohne den lebhaften eiudruck davon ,bekommen
zu haben, dass hier mit unablässiger energie die tätigkeit der Sprech Werkzeuge
beobachtet und zur darstellung gebracht worden ist. Zweifelhaft ist mir aber,
ob das buch geeignet ist, zur Selbstbeobachtung solche anzuleiten, die ohne pho-
netische Vorbildung an eine wissenschaftliche dai-stellung ihrer mundart gehen wol-
len. Auf ein paar soiton — unzweckmässigerweiso am Schlüsse des ganzen —
wird über lautschrift gehandelt: meiner ansieht nach hätte dieser anhang den ein-
gang bilden sollen, damit dio praktischen aufgaben gleich von vornherein deut-
lich werden und damit der dialektologe von den praktischen aufgaben aus in dio
Systematik des phonetikei-s eingeführt werde. Unpraktisch ist das buch für dio
nächsten zwecke der lernenden ausgefall on. Es sind zum Verständnis dessol-
bon Vorkenntnisse erforderlich, über die nur ganz wenige philologen verfügen. Es
ist im Interesse der sacho zu bedauern, dass Bremer nicht, wjis seine absieht gt»we-
1) Über das erste heft dieser Sammlung giongon uns zwei reconsioneu zu,
Ton denen die erste bereits oben s. Hli) fg. veröffeutli<:ht ist. red.
544 KAUFFMANN, ÜBER BREMKI?, GRAMMAT. ÜEUTSOHER MA.
sen war, einen den anfänger einführenden loitfaden geschrieben hat. Jetzt wendet er
sicli nicht an anfängor, sondern an einen sehr engen kreis selbstäudiger fon>cher.
Nun sieht man aber niclit mehr ein, warum Bremer mit einem solchen buch gerad».-
seine Sammlung von dialektgrammatiken eingeleitet haben wollte. Mit dieser Samm-
lung Imt das bucli tatsächlich nichts zu schaffen. Bremer selbst verweist die lernen-
den für wichtige probleme der dialektphonetik auf Siovera, weil diese in seiner dir-
Stellung gar nicht behandelt werden. Das buch erfüllt auch insofern seinen zweck
nicht, als es keinerlei materialion deutscher mundaiieu bringt: die beispielo sindauf-
fallendcrweise nicht der mundart, sondern dem norddeutschen „normaldeutsch* CDt-
nommeu. Ja Bremer hat nicht einmal dadurch das Studium erleichteit, dass f^r an
die ])hilologische Vorbildung seiner mitarbeiter anknüpfte, er hat nicht wie Sievers
undVir^tor auf unsere philologischen interessen rücksicht genommen, nur ganz selten
(z. b. s. 7r>) tut er einen sprachgescliichtlichon ausblick. Hat der dialektologo — man
gestatte der kürze halber dies woit — seither an den erscheinungen der deutschen
sprachgescliichte Verständnis für phonetische probleme zu gewinnen versucht, so
bricht jetzt Bremer alle brücken ab. Das ist deswegen zu bedauern, weil die auf-
gal)en des phonetikers und die dos dialektologen sich nicht decken und Bremer auf
die specifische Schulung des letzteren verzichtet hat. Bremer sagt zwar, sein buch
sei für [)hilologen bestimmt, aber die historisch -philologische seite ist durchaus ver-
nachlässigt. Bremer erklärt denn auch, bloss als hilfswissenschaft beschäftige .<ich die
phonetik vorzugsweise mit denjenigen spi-achfactoren, deren Wirkung mau kc'uueu
müsse, um sich der Vorgänge beim eigenen sprechen bewusst zu werden und di»*
Sprache anderer nachbilden zu können. Als specielle aufgäbe hat sich Bremer nicht
die phonetik deutscher niundarten gesetzt, sondern die phonetik derjenigen mundiOt,
welche in ganz Deutschland am bekanntesten sei, die spräche der gebildeten, vor-
nehmlich der Norddeutschen: meiner erfalirung nach wird Bremer in Mitteldeutsrh-
land, fcJüddeutschland, Schweiz und Österreich -Ungarn wenige leser finden, die mit
dieser sogenannten „normalsprache" bekannt sind. Das ist eine zweite bedauerhclio
beschränkung des lescrkreiscs. Drittens besteht nun aber die Bremorsche phunetik
schon aus einer akustik der geräusche und einer akustik der klänge. Das ist nur eio
ganz geringer bruchteil dessen, Wiis wir bisher unter phonetik zu verstehen gewobut
waren. Sehr breit sind die erörterungen der vorbegritfe ausgefallen, liier hätte starii
gekürzt werden dürfen, um räum für das zu gewinnen, was jetzt in dem buche fehlt.
Jene vorbegriffe hal>en allerdings eine vorzügliche darstellung durch abbildungon iie-
funden, die so klar und so schön sind, dass ich sie nicht genug empfehlen kann;
namentlich bringt tafel JI eine reihe von artikulationsbildern, denen ich grossen päda-
gogischen weil beilege. Wie ich schon betont habe, linden sich in dem buch sorgfältigo
boobachtungt'ii, al)er sie bewegen sich grossenlcils auf gebieten, auf denen noch vie-
les, Wfun nicht das meiste sehr unsicher ist: ich denke dabei z. b. an die mit gn)>st'r
ausführlichkeit behaiulelto frage von den eigentönen dei vokale (vgl. jetzt Auerliach.
Zeitschrift für französ. spräche XVI. 117 fgg.). Bremei-s darstellung wächst hier weil
über den rahmen der praktischen phonetik hinaus in den der allgemeinen thei^re-
tischcn phonetik liinein und die hetzten pai*agraphen über betonung und acceut haben
infolge des Übergewichts der resonanzlehre nicht mehr die ausgestaitung erfahren,
die der Wichtigkeit der sachc entspräche. Im ganzen bringt das buch eine articola-
tionslehre der eiuzfh.-onsonanten und einzelvnkale der norddeutschen nomialsprache.
Die reichhalt igkuit der beobaciitungen an diesem idiom und die an.schaiilichkeit Inder
besrlireibung derselben haben zum ei'steumal diese sogenannte norddoatadie
JIBIGZKK, ÜBEB PKDKR L&LK EDD. ▲. SOCK ET C. AF PEDERSENS 545
spräche für die forschong zugänglich gemacht, aber die behandlung ist fragmentarisch
und für angehende dialektforscher nicht zu empfehlen.
Der zweite band bringt von F. Mentz eine bibliographie, die leider nur bis
ende 1889 reicht Sie ist viel reichhaltiger imd nützlicher als die von mir in Pauls
Onmdriss der .germ. philologie gegebene, bei der ich mit engem räum haushalten
musste. Es ist ja auch bei Mentz noch mancherlei nachzutragen, z. b. die litteratur
über das für dialektgeschichte so wertvolle judendeutsch, die arbeit der älteren dia-
lektforscher, der mitarbeiter Leibnizens (Eccard, Meier, Frisch), eines Lambert ten Kate,
Reichards versuch u. a. Aber alle etwaigen ergänzungen, die ich bieten könnte,
kommen nicht in betracht im hinblick auf die fülle des materials, die Mentz zusam-
mengetragen hat und die jetzt eher einen überblick über die geschichte der forschung
ermöglicht. Die gruppierung rührt von Bremer her, der bereits (s. VI fg.) in einzel-
nen punkten änderungen getroffen zu haben wünscht Mir ist manches ganz unver-
standlich, am unverständlichsten der Vorwurf, die linion auf den karten des Wen-
kerschon Sprachatlas seien „zxmi grossen teil nicht zuverlässig*^. Ich bin mit den
arbeiten TVenkers des näheren vertraut und weise eine derartige anschuldigung, so
lange sie nicht durch belege begründet ist, als unberechtigt und ungehörig zurück.
JENA. FRIEDRICH KAUFFMANN.
Ostnordiska och iatinska medeltidsordspräk. Peder Läles ordspräk och en
motsvarande svensk samling utgivna för Samfund til udgivelse af gammel nordisk
litteratur. I. bd. Texter med inledning, utg. av Axel Kock och Carl af Peter-
sens. Kopenhagen 1889—1894. Vin und 284 selten. II. bd. Kommentar av
Axel Kock. Kopenhagen 1892. VI und 446 Seiten. Kompl. 22 krönen.
Das umfängliche werk „Ostnordische und lateinische Sprichwörter des mittel-
alters**, das lieferungsweise als Veröffentlichung des dänischen Vereins für publication
alter nordischer litteratur zu Kopenhagen seit dem Jahre 1889 erschienen ist, liegt
nunmehr abgeschlossen vor. Axel Kock und Carl af Petersens haben die arbeit der-
art geteilt, dass beide gemeinsam die dänischen Sprichwörter herausgegeben haben,
C. af Petersens allein die schwedischen, von Kock allein rührt (bis auf die beschrei-
bung der schwedischen hdschr. von Petersens) die einleitung und der kommentar her;
ein sehr praktisches Stichwortregister hat A. Malm ausgearbeitet Es handelt sich
hier um die ausgäbe einer sprich Wörtersammlung, welche seit alter zeit in Dänemark
unter dem namen Peder L&le geht imd gegen schluss des mittelalters in Dänemark
allgemein als Schulbuch verwendet worden ist. Der älteste bekannte druck stammt
aus dem jähre 1506 (gedruckt bei Godfred von Ghemen in Kopenhagen), nunmehr
bloss in einem exemplar (im besitz der Universitätsbibliothek zu Kopenhagen) bekannt
(A); im jähre 1508 erschien im selben verlage ein neudruck (a), der im wesentlichen
mit A übereinstimmt und nur kleine änderungen zeigt-, auch von dieser aufläge gibt
es, so weit bekannt, nur ein vollständiges und zwei defekte exemplaro. Im jähre
1515 erschien zu Paris bei Jodocus Badius Ascensius eine neue ausgäbe von Chri-
stiem Pedersen (B); ob Chr. Pedersen die drucke A und a gekannt hat, ist nicht
ganz sicher, jedenfalls nennt er sie nicht, und Kock weist nach, dass er mehr als
eine handschrift gekannt haben muss. B enthielt fast alle Sprichwörter von Aa, nur
ganz wenige fehlen, und ebenso gering ist die zahl der plus-nummem. Die anordnung
ist bis auf die reihe unter dem buchstaben 8, die stark abweicht, so ziemlich die-
selbe wie in Aa; B steht somit mit Aa als zu einer klasse gehörig zusammen; auch
r« sumeoHi PHiLOLoeiB. bd. xxvm. 35
546 JIBIC2XK
das bandschriftfragment Ny kgl. saml. dor kgl. bibl. zu Eopenbagen nr. 813* 4^ erst
vor wenigen jabren vom bibliotbekar Weeke entdeckt, aus dor zeit von 14ä0 stam-
mend (H) stebt näbcr zu AaB, als zu S, der scbwediscbcn bdscbr. der Palmsköldska
samling nr. 405, auf der universitütsbibliotbek zu Upsala, aus der ersten häifte des
15. jabrbunderts, worin eine sehr grosse menge nummem von AaB fehlt, dagegen
auch einige plusnummem vorkommen. Die gescbicbte dor Sammlung wird von Eock
eingebend untersucbt und er kommt zu folgenden resultaten. Die im mittelalter ver-
breitete metbodo, beimiscbo spricb Wörter im urtext mit lateinischer Übersetzung beim
unterriebt in der lateinischen spräche anzuwenden, hat den anstoss dazu gegeben,
dass ein gelehrter teils auf gruud ihm bekannter lateinischer samlungen lateinische
Sprichwörter zusammenstellte und die entsprechenden beimischen dazufügte, oder, wo
solche nicht gebräuchlich waren, eine Übersetzung machte, teils — und zwar haupt-
sächlich — beimische Sprichwörter sammelte und dazu eine lateinische Übersetzung
selbst fertigte. Der ursprüngliche stock wurde allmülilich durch zutaten vermehrt:
nach Schweden gelangte er bereits mit solchen zutaten, und einiges schloss sich
dort noch ebenfalls an; die erhaltenen dänischen redactionen zeigen noch mehr Zu-
sätze als S, sowol gemeinschaftlich, als auch, wenngleich in geringerem massc in den
einzelnen redactionen Aa und B. Die ursprüngliche Sammlung ist in Dänemark ent-
standen, und zwar im 14. Jahrhundert, vielleicht ader auch schon im 13. Jahrhun-
dert; der Verfasser wird wirklich dor von der tradition genannte Peder Laale, lati-
nisiert Petrus Laglandicus mit dem beinainen Legista (nach dem iuhalt der ersten
sprichst örter, die von lex handeln) gewesen sein, den man sich als Schulmann und
geistlichen — oder nur als eines von beiden — zu denken genötigt ist Dass er
aber aus Lälaud sta/hmtc, ist keineswegs sicher, ja nicht einmal w^abrscbeinlich;
allerdings heisst Laglandicus gewöhnlich ein Laländer, aber Laale ist ein weitverbrei-
teter dänischer name, der keineswegs l^aländcr (^lollik, lolk^) bedeutet; diesen namen
hat Christiern Pedersen frei latinisiert und damit den anlass zu missvorständnissen
gegeben. Ausser der sehr genauen bibliographischen und orthographischen beschrei-
bung der alten drucke und handschrifteu, eingehenden Untersuchungen über das
Verhältnis der verschiedenen fassungen zu einander, über das original und seinen
Urheber, sowie die Stellung der Sammlung zu ähnlichen werken, und endlich den
sonstigen bemerkungen über die vorherigen ausgaben und den bei dieser ausgäbe
befolgten plan bringt die einlcitung — in der man nur allenfalls noch eine graphische
darstellung des Verhältnisses der Sammlungen zu einander und eine vergleichende
tabelle über die reiheufolgo dor nummem in den verschiedenen samlungen wünschen
könnte — noch zwei wertvolle beigaben, ein Verzeichnis über die drucklitteratur der
schwedischen Sprichwörter, und einen abschnitt, dor beobachtungen über die form
der Sprichwörter, und zwar alliteration , reim, metrischen bau (besonders interessant
sind die nachgewiesenen visufj6r[)ungar) usw. bringt Auch die lateinischen fassungen
werden kurz berührt und der aufmerksanikeit dor klassischen philologen empfohlen.
In einer note s. 113 bringt Kock eine theorie über die alliteration der vokale vor,
die allgemeines intercsso zu erwecken geeignet ist; da das buch seinem für germa-
nisten doch ziemlich entlegenen Inhalt nach schwerlich in die bände aller, welche
für diese allgemeinere frage sich interessieren, gelangen dürfte, sei hier diese stelle
(in Übersetzung) vollständig mitgeteilt. Über die alliteration ungleicher vokale bemerkt
Kock nämlich: „Es kann die frage sein, wie weit das in der germanischen poesie
etwas ursprüngliches ist. Denn da bei konsonantischer alliteration die gleichen kon-
souanten gefordert werden, ist es unbegreiflich, warum man bei der vokaliscben alli-
ÜBER FEDER Z^iLK EDD. ▲. KOCK ET C. AF PETERSENS 547
teiation nicht die gleichen vokale fordern sollte. Der gewöhnliche versuch, dies Ver-
hältnis zu erklären ist nämlich keineswegs befriedigend. Man meint wol gewöhnlich,
dass die gleichheit der vokalalüteration sich auf den festen vokaleinsatz beschränke.
Sollte es aber wirklich denkbar sein, dass diese in akustischer beziehong äusserst
yeischwindende aossprachsnüancierung zu einem wesentlichen faktor der versbildung
gemacht werden könnte? Wir müssen bedenken, dass der feste vokaleinsatz so
äusserst gering hervortritt, dass ein ohr, das nicht besonders phonetisch geschult ist,
ihn nie währgenommen hat Sollte man da glauben dürfen, dass unsere vorväter so
fehle beobachter nicht blos von sprachlauten, sondern von modiükationen derselben
gewesen sind, dass sie das publikum unserer tage weit übertreffen hätten? Und
selbst wenn man diese unbedeutende modifikation der ausspräche wahrgenommen
hätte, sollte man mit hilfe einer solchen verse gebildet haben, die bisweilen vor
grossen menschenmassen vorgetragen wurden, und zwar, obgleich es für die mehr-
zahl der zuhÖrer, nämlich für alle die sich in einigem abstand von dem vortragenden
befanden, absolut unmöglich war diese ,,alliteration'^ zu vernehmen? Und noch mehr:
wie weiss man, dass unsere germanischen vorväter gerade einen solchen vokaleinsatz
hatten? Die Engländer haben ihn jetzt nicht; es ist also höchst zw^eifelhaft, ob er
in den germanischen sprachen alt ist Ist es aber nicht der feste vokaleinsatz, der
die ähnlichkeit zwischen z. b. a und e ausmacht, in welcher beziehung sind diese
laute einander ähnlicher als zwei verschiedene konsonanten, z. b. k und g? Wir
können ruhig antworten: sie sind einander nicht mehr ähnlich. Dann findet sich
aber in der eigenen natur dieser laute nicht der geringste grund, weshalb man die
beiechtigung haben sollte, z. b. allr : endi, aber nicht koma : ganga alliterieren zu
lassen. Die sache dürfte auf sprachhistorischem wege zu erklären sein. Ursprung-
lidi hat man sicherlich nur Wörter mit a- mit Wörtern mit a- , solche mit e- mit sol-
dien mit e- alliterieren lassen , gleichwie Wörter mit k- mit Wörtern mit k- , solche mit
g- mit solchen mit g- alliterierten. Doch die vokale haben auf grund der Wirksam-
keit verschiedener lautgesetze weit mehr Veränderungen erlitten als die konsonanten,
oder richtiger gesagt, ein vokal ist als anfangslaut weit öfter zu ungleichen lauten
in folge des einflusses verschiedener lautgesetze differenziert worden, als es mit den
anfjuigskonsonanten der fall war. Daraus folgte, dass in bereits vorhandenen gedich-
ten anfangsvokale, die einmal gleich waren, ungleich wurden, während die anfangs-
konsonanten unverändert blieben. Angenommen, dass der gebrauch, ungleiche vokale
zu reimen, in den germanischen sprachen aufgekommen ist, so haben z. b. die spä-
teren nordischen Wörter allr : endi einmal durch den anfangslaut a mit einander
alliteriert, vgl. got. alh : andeis, Nachdem indessen a durch t-umlant zu e in endi
geworden, Hess man sie, nachdem diese worte sich in einem alten, vor der durch-
fuhnmg des t-nmlauts verfa.ssten gedichtc fanden, metrisch in diesem gedichte fort-
üahrend alliterieren, d. h. allr : endi alliterierten. Hieraus kam der gebrauch auf,
dass man auch, wenn man neue gedichte schrieb [soll wol heissen «verfasste*]
angleiche vokale alliterieren liess. Das gesagte soll nicht so aufgefasst werden, dass
dieser gebrauch gerade bei den germanischen völkem aufgekommen sein muss. Es
ist möglich, dass er zu ihnen von einem andern stamme gelangte. Aber dieser
gebrauch dürfte bei dem volke, bei dem er zuerst entstanden ist, von ungefähr sol-
chen sprachgeschichtlichen Verhältnissen, wie hier erwähnt, nämlich von der grosse-
ren Veränderung (differenzierung) der anfangsvokale gegenüber den aufangskocsonan-
ten veranlasst worden sein." — Dass der feste vokaleinsatz in den idg. sprachen
nichts nrsprfin^ches , sondern verhältnismässig modernen Ursprungs sein dürfte, und
35*
548 jnaczEK
darum nicht mit dem griechischen Spiritus lenis zu identificieren ist, hat bekanntlich
auch Sievers schon hervorgehoben, und die erklärung der alliteration ungleicher
vokale durch den festen einsatz ist wol endgiltig zu streichen. Aber dass der braocb,
ungleiche vokale alliterieren zu lassen, erst secundär auf dem von Kock angedeutsteD
wego aufgekommen wäre, scheint mir ganz ausgeschlossen. Die erklärung, weshidb
man bei konsonanten vollständige gleichheit verlangte, bei vokalen aber nicht, liegt
in ganz anderer richtung. Berücksichtigt man, dass bei konsonanten als geräusch-
lauten schon infolge der artikulation der akustische effekt geringer ist als bei reinoi
stimmlauteu (vokalen), und dass ihr akustischer effekt durch die Stellung vor dem
acccnt hinter dem akustischen efiPekt accentuierter anlautvokale — imd dass der ger-
manische feste accent Voraussetzung der alliteration ist, ist natumotwendig und allge-
mein anerkannt — bedeutend zurückstehen musste, so scheint hierin die begründung
zu liegen, weshalb man bei konsonanten (zu denen in diesem zusammenhange wegen
der Stellung vor dem accent auch nasale und liquide zu rechnen sind, wie der usus
beweist) völligen gleichklang braucht , ja sogar diesen gerne auf doppelkonsonanz aus-
dehnt (s. R. M. Meyer, Ztschr. XXVI, 149 fgg.)? während bei vokalen ihr gemein-
samer chaiakter als reine stimmlauto, deren stimmfülle im vorgetragenen alliteriereo-
den vcrse durch den auf sie fallenden accent noch eindringlicher hervortrat, das
gleichmachende momcnt guweseu sein dürfte (das auch heute von jedem musikalischen
obre beim vertrag alliterierender verse als gleichheit empfunden wird), dem gegen-
über die durch die verschiedene resonatohsche einwirkung des mundraumes bedingte
Verschiedenheit der einzelnen vokale unter einander nicht ins gewicht fiel, im gegeo-
teil sogar beliebt gewesen zu sein scheint. Dass der gebrauch der alliteration bzw.
der ungleichen vokalalliteration zu den Germanen von auswärts gekommen sein sollte,
muss bis zur erbringung eines beweiscs ganz aus dem spiele bleiben und das probiem
zunächst auf germanischem boden ausgetragen werden. Und da stösst die hypothese
Kocks zunächst principiell auf die Schwierigkeit, dass, wenn dem obre der Germanen
nur völlig gleiche vokale als alliteration klangen, es ganz unbegreiflich ist, wieso die
zersprengung alter reimender Verbindungen durch die vei'änderung des anlautvokales
in einem werte sie bewogen haben sollte, nunmehr verschiedene vokale als alliterie-
rend zu empfinden. Die auffassung des obres kann doch durch den spiuchhistorischen
Vorgang nicht eine andere geworden sein! Entweder, das ohr unserer vorväter fühlte,
wie Kock annimmt, nur a ; a als als alliteration, a : e aber nicht — dann erklaren aber
die Veränderungen der spräche nicht, wieso man laute, die einander „nicht mehr ähn-
lich'' sind als k und^, dennoch als alliteration gefühlt hätte und sogar auf die Vernich-
tung der alten regel ein neues gesetz baute; wie konnte man das, wenn das ohr die
alliteration, zu der „in der eigenen natur der laute nicht der geringste grund"^ war,
nicht vernahm? Oder, ungleiche vokale wurden als alliteration empfanden, dann
ist zur spi-achhistorischen erklärung kem grund vorhanden. Und femer müsstc man
denn doch erwaitcn, dass die alte regel, nur gleiche vokale alliterieren zu lassen,
ihren reflex noch in den denkmälem finden sollte; aber schon zu Tacitus zeitcn,
also in einer pcriodc, wo die allermeisten der später im germanischen wirksamen
Vokalveränderungen noch nicht eingetreten sind, alliterieren ungleiche vokale: Ing-
va3ones (mit älterem e) und (H)erminones mit Istvseones (i bzw. I), und in dem
erhaltenen poetischen belegmaterial ist oder scheint gerade regel, ungleiche vokale
vor identischen zu bevorzugen, und bei identischen die gleichheit durch Verschieden-
heit der unmittelbar folgenden konsonanten einzuschränken (s. R. Hildebrand, Ztschr.
f. d. deutschen Unterricht 5, 577 fgg.). Völliger gleichklang, wie er bei ^eichflD
ÜBEB PEDEB lIlE EDD. A. KOCK KT C. AF PBTERSEN8 549
acccntuierten ODlautvokalen am schärfsten hervortreten musste, scheint eben, wie
Hildebrand hervorhebt, als unschön empfanden worden zu sein; bei konsonanten war
er schon dadurch gemildert, dass er durch den erst folgenden acceut an und für sich
nicht so stark hervortrat, zumal auch hier Verschiedenheit des folgenden vokals be-
liebt gewesen zu sein scheint. Man hat bis vor kurzem die betrachtung der allite-
ration viel zu einseitig und mechanisch auf den anlaut des wertes beschränkt und
darüber die rolle der folgenden laute und die bedeutung des accentes zu wenig beach-
tet Sind auch die denkmäler der alliterationspoesie jünger als die zeit, auf die
Eocks hypothese allenfalls sich zurückziehen kann, so würde doch eine genaue durch-
forschung des materials, die sich auf statistische tabellen stützen müsste — denn
nur die veihältniszahlen, nicht die absoluten zahlen der einzelnen erscheinung, geben
den ausschlag — unzweifelhaft licht auf diese frage werfen, und zwar, soweit man
schon jetzt urteilen kann, nicht im sinne der Keck' sehen hypothese.
Sowol die dänische wie die schwedische redaktion sind bereits herausgegeben,
die erstere (von der verlorenen ausgäbe H[ans] H[ansen] S[kaaning8] 1614 und einem
neudruck 1703, sowie der ausgäbe von Ley 1842 abgesehen, beides nur un philologische
widergabe des dänischen textos) von R. Nyerup 1828, die letztere von Reuterdahl
1840. Sowol die relative Seltenheit dieser alten editionen als die grösseren forderun-
gen an philologische genauigkeit in unserer zeit rechtfertigen eine neue ausgäbe.
Zugrunde liegt A, mit den abweichenden lesarten von a und B unter dem strich,
in 2 beilagen folgen die unica von B und ein abdruck der fragmcnte von H. Daran
schliesst sich die widergabe von S. Text und lesarten sind diplomatisch getreu, mit
cursivierung der aufgelösten Verkürzungen widergegeben, ein verfahren, das sich auch
auf den lateinischen text erstreckt; ob die abkürzungszeichen des druckes im däni-
schen text mehrfache auslegungen zulassen und es notwendig war, sie durch cursiv-
druck zu kennzeichnen, oder ob bei unzweideutigkeit des Systems es genügt hätte,
im Vorwort darüber summarisch auskunft zu geben, wage ich nicht zu entscheiden.
Aber dass es im lateinischen text für irgendjemanden einen zweck haben kann, zu
ersehen, ob z. b. n gedruckt oder nur durch strich über dem vokal ausgedrückt ist,
scheint mir zweifelhaft; indess gilt ja bekanntlich in Schweden der diplomatorische
abdruck als das ideal einer ausgäbe, imd wenn die herausgeber dieses an sich in
manchen fällen imd von gewissen gesichtspunkten berechtigte princip auch auf einen
lateinischen druck vom jähre 1506 ausdehnen, so ist das ihre sache, über die mit
ihnen niemand rechten kann oder braucht, da dem benutzer des buches hiodurch
jedesfaUs nichts entgeht. An diesen jedesfalls peinlich genanon text, für dessen
richtigkeit der name der beiden herausgeber bürgt, schliesst sich würdig der umfäng-
liche kommentar von Axel Keck , der nach den s. 1 fgg. ausgesprochenen grundsätzen
des Verfassers zunächst nur der text- und siunerklärung der Sprichwörter (speciell der
nordischen) dienen soll, wobei aber, wie zu erwarten, in beziehung auf nordische
parallelen, lexikalisches und sprachliches eine menge interessanter und feiner beobach-
tungen zu tage treten, deren aufsuchen ein Wortregister erleichtert. Die Verdienste
dieser leistung Kocks im einzelnen zu würdigen muss dem fachmanne auf dem gebiete
der sprichwörterkundo überlassen bleiben. Kommt auch der nächste gewinn dieser
Publikation der beiden schwedischen gelehii:en zimächst der ostnordischen philologie,
einem ausserhalb Skandinaviens nur sehr wenig gepflegten gebiete zu gute, so wird
doch auch niemand, der sich mit allgemein nordischer philologie beschäftigt, an dem
buche vorübergehen dürfen; vor allem aber möge durch diese anzeige die aufmerk-
samkeit derer, die sich mit dem Studium der sprichwörterkundo beschäftigen, darauf
550 WUNDEBLICH, ÜBER SCHULTHBIS8, GESCH. D. NAnONALGXP&BLS
hingelonkt werden, dass allen arbeitem auf diesem internationalen gebiete hiermit eine
philologisch streng gesicherte, sorgfältige imd auf dem ganzen gebiet des nordiscben
Sprichworts licht verbreitende veröffentlichong geboten ist, doppelt wichtig für ae
durch A. Kocks reichen kommentar, der den wert des ganzen Werkes weit über den
onggesteckten Wirkungskreis einer blossen publikation ostnordischer texte des späte-
sten mittelalters hinaushebt.
BRESLAU, 81. OKTOBER 1896. 0. JIBICZKC
Geschichte dos deutschen nationalgefühls. I. Von der urzeit bis zum inter-
regnum. Von F. G. Schultheiss. München, G. Franz. YIU und 290 s.
Schon die ergebnisse , die der Verfasser in dem vorliegenden ersten band seiner
Untersuchungen anstrebt, sollen nicht weniger der politischen geschichte als auch derÜt-
teraturforschung zu gute kommen. Denn „das erwachende bewusstsein nationaler eigen-
art zeigt schon die neigung sich auf geistige Interessen zurückzuziehen^ und unter dcD
„grossen perioden der geschichte des deutschen nationalbewusstseins^ steht sein „Verhält-
nis zum humanismus und zur reformation*^ ebenbürtig neben seinem Verhältnisse ,zuin
alten kaisertum, zu den wahlkönigen^ und „zum dynastischen sondertum'^ (cinl. s. 7).
Ebenso wird auch die Untersuchung selbst sowol auf historischem als auf litterarischem
gebiete geführt. Der Verfasser ist jedoch in erster linio historiker und seine ausbeutung
unserer mittelalterlichen dichtung, wie sie im vorliegenden ersten bände zu tage tritt,
ist abhängig von fremden — dazu vielfach einander entgegengesetzten — nrteQeo.
So ziemlich die meisten problcme der Htteraturgeschichte, gelegentlich auch der
Sprachforschung, werden in die darstellung einbezogen, ohne dass immer diejenigen
Seiten gestreift würden, in denen die neuere forschung den anschauungen des Ver-
fassers entgegen kommt. Auch scheint mir als ob der Verfasser die wurzeln, aus
denen das nationalgcfühl erwäclist, nicht genügend blossgelegt habe, als ob er im
gegonsatz zu den forderungen seiner einleitung in der Untersuchung selbst zu viel
mit den entwickelten formen operiere. So legt er wol zu wenig gewicht auf die
äusserungen des Sippen- und Stammesgefühls, die sich auch litterarisch kund geben,
und hat sich die reichen belege entgehen lassen, die neuerdings für das bairische
stammesgefühl aus den dichtungen des 11./12. Jahrhunderts dargeboten werden. Das
ganze Verhältnis unserer nationalen dichtung zur romanischen hat in seiner darstel-
lung weder neue beleuchtung noch überhaupt eine eindringende widergabe gefunden.
Das höfische epos, das so manchen wichtigen beitrag für diese frage hätte liefern
können, hat dem Verfasser durchweg nur negative züge geboten, am dürftigsten
aber ist unsere politische spruchdichtung ausgebeutet worden. Sie hätte tiefere ein-
blicke in ihre ent Wicklungsgeschichte eröffnet, wenn Schultheiss nicht gleich mit
AValther begonnen hätte, und in ihren späteren beziehungen zu den BOhmenkönigen
hätte sie das deutsche nationalgcfühl seltsam widergespiegelt Schultheiss hat sich
hier für Reinmar von Zwcter, dem er fast ausschliessend sein augenmerk widmet,
gerade denjenigen gewährsmann entgehen lassen, der am weitgehendsten auf dem
grenzgobiet von geschichte und litteratur beschoid weiss, Gustav Hoethe. Anderer-
seits soll dankbar anerkannt werden, dass aus den historischen quellen des Verfassers
zahlreiche mitteilungen fliessen, die dem litterarhistoriker von wert sind.
HEIDELBERG, OKT. 1895. H. WUNDEBLICH.
PBÄNKEL, BÜBQERIANA 551
MISCELLEN.
Personalien und stoffgesehichtliehes za G. A. Bttrgrer.
1. Bürgers erste gattin dichterin?
Dass das ilim 1774 „angetraate weib ein weib von gemeinem schlage*^ nicht
war, bestätigt Bürgers bedeutsame ,, Beichte eines mannes, der ein edles mädchen
nicht hintergehen will*^. Trotzdem darf man über die geringfügige teilnähme, die
er als dichter bei seiner treuen Dorette fand, nicht den mindesten zweifei hegen.
Als sie nach grenzenlos unglücklicher ehe am 30. juli 1784 „an der auszehrung, die
in ihrer familie erblich war'' — so heissts ebenda — starb, widmete er ihr öffent-
lich einen rührend innigen nachruf. Dabei ist Julius Sahr' recht zu geben: „Der
tod seiner frau, einer edlen, stülon dulderin, erlöste ihn aus dem qualvollen doppel-
verhältnis; es war, als heitere sich sein leben auf, und unsere gründlichsten Bür-
gerkenner, Ed. Grisebach und A. Sauer' voran, betrachten die Sachlage ebenso*,
um so mehr sollte man da erwarten, in jenem nekrolog, der ihre Vorzüge genugsam
pries, jede bemerkliche tugend durch ihn gleichsam wie eine mittelbare entschul-
digung vor sich und der weit herausgestrichen zu finden. Von einem poetischen
talente der entschlafenen oder gar von bezüglichen erzeugoissen , die vor das publi-
kam getreten , liess er darin keine silbe verlautbaron. Und dazu wäre in dieser breit
ausgesponnenen Würdigung vollauf anlass gewesen. Auch sonst wird nirgends etwas
der art direkt gemeldet; der älteste, der Bürgers leben einigermassen litterarhisto-
risch behandelte, C. F. R. Vetterlein*, und dann Jördens,® im rein biographischen
fast sklavisch ihm nachschreibend , hätten sich bei ihrer verliebe für alles anekdotische
1) Bürgers Sämtliche werke, 1844, IV, 198 fg.; Strodtmann, Briefe von und
an Bürger IV, 19. Dieses Schriftstück ist zwar psychologisch hitoressant, darf aber
nur vorsichtig zu Schlüssen verwendet werden, da es mit vollster absichtiichkeit für
die zu gewinnende noch nicht gesehene braut, „das Schwabenmädchen'' (s. unsere
nr. 2), ausgearbeitet war.
2) In seinem knappen, deutlich umrissenen säku]arai*tikel „Zum gedächtnis
G. A. Bürgers", Ztschr. des allgem. dtschn. Sprachvereins IX (1894), 133, wo er sein
lieblingsthema (vgl. Ztschr. XXVII, 414), Bürger als lehrer und pfleger der deut-
schen spräche, vortrefflich behandelt.
3) Aus einem von diesem in seinem hochwichtigen abdrucke dos briefwech-
sels zwischen Bürger und Goeckingk (Vierteljahrschr. f. fitteraturgesch. 111) veröfiFent-
lichten biUet Bürgers vom 31. juli (s. das. s. 451 fg.) scheint mir dieselbe empfin-
dung zu sprechen. Ebd. s. 434 findet Dorette in Stimmungsberichten an Goeckingk
für lyrische Sentimentalität allerdings eine gute prosa.
4) Vgl. meine unten s. 555 anm. 1 angezogene abhandlung s. 1208 a.
5) „Handbuch der poetischen litteratur der Deutschen, d. i. Kurze nachrich-
ten von dem leben und den Schriften deutscher dichter. Ein anhang zu seiner Chre-
stomathie deutscher gedichte. Köthen ISOO**, ein heute vergessenes buch, das aber
gar manche brauchbare notiz, Öfters sogar nicht üble ausätze zu einer Charakteristik
enthält, so über Bürger s. 539 — 555, sogar auch schon 4 englische Lenoro- Über-
setzungen nach den drucken 1798/99, d. h. von 1796 fgg. nennt, womit A. Brandl's
katalog darüber in seiner bibliographie bei Erich Schmidt, Charakteristiken s. 245 fg.
(nach neuerer brieflicher mitteilung hat Brandl seitdem seine notizen vervollständigt)
vorgearbeitet war (eine neuere in A. Mercer Adam's [f anfg. decbr. 1895] „Flowers
of Fatherland transplanted into English seil", 1870).
6) In seinem bekannten vielbenützten „Lexikon deutscher dichter und Pro-
saisten" I (1907) 251—273; s. 271, 8 nennt er Vetteriein's aufsatz. Sollte etwa die
wörtliche Übereinstimmung auf der Identität der quelle beruhen?
552 FRÄNKEL
dieses pikante kuriosum kaum entgehen lassen. Sauer, Bürger -ansg. s. XVm fg. und
111 hält auf grund dos briofs an Boie vom 7. aug. 1777 das ün folgenden erwähnts
gedieht für ,, wirklich von Bürgers erster frau und von ihm nur überarbeitet*^. PröUe,
G. A. Bürger. Sein leben und seine dichtungen (1856) gibt s. 62 eine fossnote, nf
deren inhalt er bei keiner späteren Bürgerpublikation zurückgekommen ist:
,, Folgende seltsame notiz in einem buche, betitelt: „,| Deutschlands Schriftstel-
lerinnen. Eine charakteristische Skizze. King -Tsching in der kaiserlichen Drukkcrei
1790 *•* (s. 12 — 13), ist auf sie zu beziehen: „„Madam Bürger, Gattin unseres
ersten deutschen Yolksdichters und Privatlehrers ^ der schönen Wissenschaften zu Göt-
tingen, ist todt. Sie war eine Anverwandte des berühmten Egyptischen Usurpator
Ali-Bey, der vor einigen Jahren so viel Aufsehen machte'. Sie soll ein gutes wack-
res Weib gewesen sein, imd das Idedchen in der poetischen Blumenlese 1780', Mut-
tertändeloy betitelt, ist eine schöne poetische Frucht, die beweist, dass sie vom Geiste
ihres Gatten etwas in sich gezogen habe."^^ Das gedieht „Muttertändelei'* (august 1778)
versah Bürger mit dem zusatze: „Für meine Dorette**, es ist also von ihm selbst
Man findet es S. w. Ausg. v. 1844, I, s. 253 und 254.* Vgl, Sauer a. a. o. s. 111.
Ob Pröhle die genannte quelle selbst vorgelegen hat, oder ob er die nachricht
zweiter band verdankt, weiss ich nicht; mir gelang es nicht, jenes merkwürdig beti-
telte buch aufzustöbern. Sollte man nun, wo es zudem nirgends, auch nicht in dem
hilfsmittel- Verzeichnisse des umsichtigen C. W. 0. A. v. Schindel, Die deutschen
Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts (Lpz. 1823 — 25), der viele Zeitge-
nossinnen von Bürgers frau aufnimmt, citiert wird, an seiner existenz überhaupt
zweifeln? Dass wenigstens der inhalt obiger eröfbung nicht apokryph, ist mir unwi-
derleglich, da ich vor kenntnis dieser Pröhüschen anmerkung auf dieselbe angäbe
in dem anonymen, von E. F. W. Erbstein und Joachim Christoph Friedrich Schulz*,
hauptsächlich wol von letzterem, herausgegebenen „Almanach der Belletristen und
Belletristinnen für's Jahr 1782. Ulietea bei Peter Jobst, Edlen von Omai, Königl.
Hofbuchhändler und Buchdrucker'^' s. 25 stiess. Es heisst daselbst:
„Madam Bürger. Gattin des vorigen. Eine Anverwante, von dem berühm-
ten Egiptischen Usurpator Ali-Bey, der vor einigen Jahren so viel Aufsehn machte.
Sie sol ein gutes wakres Weib sein , die vom Geiste ihres Gatten etwas in sich gezo-
1) Damalige bezoichnung für unser „privatdocent**. Grimm, D. wb. VII,2138 fg.
gibt nichts näheres über die zeitliche abgrenzung beider im 18. Jahrhundert gebrauch-
ten ausdrücke au. Vgl. auch unten s. 553 anm. 2.
2) Ali Bei war der bedeutendste nnd berühmteste der mamelukenführer, die
sich iu ihren provinzcu fast unabhängig machten imd den türkischen pascha-gouver-
neur ignorierten. Er empörte sich 1771 gegen die pforte, schlug die truppcn der
regiorung wie seine eigenen genossen und ward auf sein geheiss durch den sehen!
von Mekka zum grosssultau Ägyptens und herrscher beider meere ernannt, aber
1773 von seinem general und güustliiig Abu-Dahab ermordet.
3) Die beiden wichtigsten authologien damaliger lyrik, der von Boie gegrün-
dete Göttinger Musenalmanach, den von 1779 bis zu seinem tode Bürger herausgab,
und der 1776 als konkurrcuzunternehmen durch J. H. Voss ins leben gerufene, führ-
ten den ncbentitel ^oder poetische blumeniese auf das jähr ....'^*, hier ist natürlich
der erstgenannte gemeint: 1780, s. 78, Unterschrift „D. M. Bürger geb. Leonharf.
4) Vgl. Allgem. dtsch. biogr. XXXn, 742 (nicht 744!).
5) In Wirklichkeit war Himburg, der berüchtigte Berliner nachdrucker und
einige jähre vorher Veranstalter der unrechtmässigen ausgäbe von „D. Goethens Schrif-
ten*' (die im „Almanach der B. und B.'^ s. 65 gerühmt werden), der Verleger.
MÜRQURIANA 553
gen hat. Das Liedohon im Almanaoh von 1780, Muttertämlalei betitelt, macht
nach mehr aas iLrer Hand und ihrem Herzen l^egierig."
Ereicbtiich fiiSBt auf dieser auelassung die obige jüngere, wie nicljt nur der
Wortlaut, sondern auch die znsätze und ücderungen — z. b, im tttel dos angezogenen
Sammelwerks — beweisen. Der im „Älraanach der B. und B." auf a. 23—25 vor-
angehende öberechwengliohe panegyrilus Bürgers hebt nümlich mit dem erapba-
tischen ausrure „unser Tolksdichter!" an und enthUlt gegen das ende die sujierla-
tiTische apposition „Er, der Einzige unarer neusten Diuhterl", ^roraua die forde rhlUfte
einleitenden Btandesbezeichnung in jener 1790er notiz zusammengeflossen ist,
J^edrich Schulz, wahrscheinlicli der Urheber der ganzen fabel, oder weuigsteaa der
dar sie in die weh gesetzt, ist n'enige jähre danach, 1766, in seber .Litterarischen
reise durch DHutachland"' nicht wider darauT zurückgekommen, ich vermute, aus
gewissen Zartgefühl, weil mittlerweile Dorette und auch ihre Schwester, toil-
Jiabfliin und noch fei gerin ' io Bürgers herzen, .Molly' rasch danach gestorben war.
Der Verfasser bez. kompilator von „Deutschlands schriftetellerinnen-' besass nun ent-
weder keine kenntuis von diesem situations Wechsel oder ihn kümmerte eine solche
iGcksicht nicht; übrigens liegt die annähme nahe, er habe überhaupt mit der bemer-
fcoog auf „Molly", die von Bürger hochgefeierte, für die man drum ein stiirkei'eB
der pikanter! e hatte, gezielt. Denn, das sei uuu hiermit festgestellt, dieses
buch ist wirklich in Umlauf gekommen; das zeigt soiu vorhaudenaein in neueren
bnoherlflgem verschiedener Jahrzehnte'. Woher aber die annähme einer poetischen
■der bei Bürgers ehefrau im gründe stammt, wird sich kaum ermitteln lassen.
2. Bürgers dritte gattin.
Die biographeu Bürgers sind stets mit leicht erklärlicher scheu daran vorbei-
gegangeu, das gevrebe des geheimnisses , das über seiner dritten, unheiligsteu und
^unheilvollsten ehe, mit dem „schwabenmädchen'' Elise Hahn, lagert, zu lüften. Die
bündigste und verlässlichste aller lebeussk~izzen, diejenige, die A. Sauer seiner vor-
teefflichen ausgäbe in Kürschner's „Deutscher nationalütieratuj " vorausschickte,
erklärt ausdrücklich, dmauf vorzicbteu zu wollen, und Ed. Grisebach's streng urkund-
liohe „Einleitungen" zu seinem kritischen gesamtdruck und der unten berührten ver-
dienatlichen Sammlung der „Werke' streifen das heikle thema nicht weiter als ein
1) Eine unveränderte „Zweyte aufläge* dieees bei Wacherer in Wien heraus-
fgekonunenea büchleins erschien , Frankfurt und Leipzig, 1780" unter der aufschrift:
i-„Iittersriache Anekdoten auf einer Beise durch Deutschland an ein Frauenzimmer
! geschrieben", anonym wie jene. Die begeisterung für Bürger (der s. 51 und 213
.erwfihnt, b. 358 fg. eingehend charakterisiert wird) ist hier sehen stark abgeblasst und
■der ton klingt sogar etwas an Schillers „recension" von 1791 (AUg. lit.-ztg,) an.
2) Nebenbei sei bemerkt, dass die amtliche registriemng dieser, wol aus dem-
selben grnnde wie zwei Jahrhunderts früher (bei Shakespeare] eilig vollzogeaen houh-
seit „aus dem aufgobots- und trauungsbuehe der paroohie Bissendorf 1785" (17. Juni)
bei K. Goedeke, G. A. Bürger in GÖtüngen und Gellingbausen. Aus Urkunden (1873)
s. 114 fg. ausgezogen Ist, obwol Goedeke's nachforscnungen im übrigen mit 1773
abscbliessen, Bürger erscheint darin als „Dichter und Lehrer des tentschen Stils au
OÖttingen*.
3) Ich nenne da bloss „P. H. v. d. Hagen's Büohoracbatz'*, d. i. den katalog
der .Bücher-auction von R. Friedlünder und aohn in Berlin den IS. mai 1857",
r. 200(i, ausserdem das „153. Verzeichnis des antiijottrisohen bücherlagers von
A. Bielefelds hofbuchhandlung Liebermann und cie. in Karlsruhe" (o. j.; 1893], s. 27
— BIO _^ jjg aotii „selten" und in parenthese „Ulm Stettin' beigefügt ist
554 KRÄNKEL
gewissenhafter Chronist muss. Für die breiteren leserschichten, auf die diese aus-
gaben rechnen, mag es so recht sein; dagegen halte ich es für geboten, als fabun
der litteraturgeschichte ein für alle mal festzustellen, dass die schuld für den bneh
des völlig unleidlichen Verhältnisses auf Seiten der jungen frau war. Denn diese
^rettung*^ des anderweit gerade genug belasteten dichters ist ein erfordemis der ebr-
lichkeit. Wer die dicken akten dieser tieftraurigen Vorgänge zu jenem behufe wal-
zen mag, wird freilich reichlich schmutzige wasche waschen müssen. Doch braudit
er dann aus dem roman nur die hauptpunkte auszulesen. Im übrigen Üefisen sich
die Studien zu einem charakterbUde der äusserst interessanten^ und später auf der
bühne wie im salon noch zu hervorragendem rufe gelangten frau, deren veniachläs-
sigung durch die zahllosen sensationslüsternen erzähler der von ihr gefesselten Jahr-
zehnte billig auffallen muss, erweitem. Zu dem ende seien hier sämtliche fundorte
des weit zerstreuten materials verzeichnet, wobei die flüchtigen erwähnungen in den
ältesten litterarhistorischen handbüchem, wie bei Vetterlein a. a. o. s. 545 fg. uod
bei Jördcns a. a. o. I, 255 fg., in den meisten fällen auch Verweisungen, die an
citierten stellen anzutreffen sind, fortbleiben:
Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller, vom 4. — 12. mai 1802 ,== Goethe s
werke, Weimar. (So])hien-) ausg., 4. abtlg., XVI (1895) 76, und TOj^; C.W. 0. v. Schin-
del, Die deutschen Schriftstellerinnen des neunzehnten Jahrhunderts, I (1823) s. 84—
87, III (1825) s. 56 — 59; R. B.' in: Blum, Horlosssohn und Marggraff, Allgememes
theater-lexikon, neue [unveränderte] ausgäbe, II (1846) s. 61 fg. und I s. 156*;
H. Pröhle, G. A. Bürger, s. X, 67, 70, 73 — 75, 161; Fr. W. Ebeling, Mosaik.
Kleine Schriften zur geschichto und litteratur (Lpz. 1867), s. XII — XV und 223—
270: „Elise Bürger. Zur geschichto der letzten lobensjahre des dichters.** Letztere
mit seichtem geschwätz kolossal aufgebauschte apologie aus der feder eines durch
persönliche motive, vielleicht w^esentlich den wünsch, eine gcfälligkeit zu erweisen'
angetriebenen advokaten der längst verstorbenen ist trotz des mancherlei neuen und
des nimbus der authouticität mit äusserster vorsieht zu gebrauchen'; unter dem titel
„Bürger und Elise Hahn^ erschien sie unverändert als selbständiges buch 1868.
2. aufläge 1871. Die für den Sachverhalt wichtigen „Briefe Bürgers an Marianne
Ehrmann [die in Stuttgart die korrespondenz und das weitere eingefädelt hatte], her-
ausgegeben von [deren gattenj Th. F. Ehrmann** (Weimar 1802) scheint Ebeling —
8. s. 359 anm. 3 — im urtext gai* nicht gesehen zu haben. Die sonstigen biogra-
phien und Charakteristiken Bürgers, Ooedeke's Grundriss z. g. d. d. d., die „All-
gemeine deutsche biographie'', die (älteren auflagen der) konversationsloxika*, die ja
sonst an derartigem detail nicht arm sind (auch die 1. ausgäbe des ,|Piorer'^, Ency-
1) So sind ihre verschiedenen poetischen spenden keineswegs schlechthin ver-
achtensweri. Rese's guter Bürger- artikel, Ersch-Gruber's Encyclopädie XIII (1824),
371 — 379 behandelt die leidensgeschichte der dritten ehe richtig (375 — 377), gibt aber
nichts über die frau. Im allg. vgl. Sauer's ausg. s. XXXVIU — XLII.
2) Robci-t Blum, der bekannte 48cr, damals sekretär am stadttheater zu Leipzig.
3) Unter Stichwort „Attitüde**; vgl. meinen ailikel „Attitüde" in der neuen
(14.) aufläge von „Brockhaus' Konversationslexikon" II sp. 65a.
4) Vgl. 8. XII fg., 367 fg. u. ö.
5) Wie seine aufschwellende Umarbeitung von Flögers „Geschichte des gro-
tesk-komischen ** (1887), sein buch über „Friedrich Taubmann" (vgl. meine bemer-
kung Allg. dtsch. biogr. XXXVII, 440 und Euphorion II, 765 anm. 1), das über „Die
Kahlenberper" (1889) u. a.
6) Vgl. in Brockhaas' neuestem '*III 758 a meinen kurzen artikel.
5NS
klojÄdJKühes wörterbttcli, IV, 1825, 485b bietet nichta besiondecBs) , usw. liefern keine
fiber das hier zuBammeiigeEitellte hiDBUBfübrende rnftterialieD. Ueiae anlässliab der
himderl^ten widerkehr von Büi'gei^ todeetag veröffentlichte abbandlucg „Bürger im
B[HOgel seiner zeit und der gegeuwart. Hit uu beachteten zeitgenösaiseheu und eigenen
ftusserungeD"' berührt diese dinge mit eorgsamer reaeive. Ba ich daselbst wol
Bämtliohe IS94 zum Jubiläum heiTorgetreteaen neuen beitdlge registriert habe, so
muss ich hier nachtragen, doss die kurz darauf dazugekommene 5. aufläge der ge-
schickten eiubändigea ausgäbe der „Werke", die Eduard Grisebacb, als erster die prosa
.nach gebühr berücksicbtigeud, bctiorgt hat, auf s. XXXIX fg. der knappen doch alle
tatsachen euthaltenden biogiaphischea „Einleitung" die dritte ehe richtig erledigte.
AuH der ruhelosen wanderperiode, die Elise nach lösung des iwietitlobtigen
bundeB durchgemacht hat, müssen wir crgänzungB- und berichtigungahalber ihren
Berliner aufenthalt herausgreifen. Ein solcher ist erst für siiater, nach ihres gatten
tode sicher bekannt, als sie der tiieaterleldenscbaft Berlins begeisterte verse entlockte.
L. Geiger hat in seine auslese „Berliner gediohte 1763—1806" (1890)' unter nr. 78
swei bezeichnende belege dafür eiugereiht (s. 1S5 fg.); der eine ist von Rüdiger, der
andere voa ,ObnHb]pb Bias MauEonley' (I), worüber Oeigera notiz ebd. s. XLVU zu
vergleichen. Dagegen ist die bei R. B. in dem obgeoannteu artikel des „ Theaterkii-
lons" n s. 61 fg. aufgetischte Variante: „ . . kam später nach Berlin, von wo aus
bekannten dichter G. A, Bürger ihre band autmg' gewiss völlig
grandios. Jedoch unterlasse ich nicht, auf bezügliche andeutungen über ihro etwaige
mit äSentliohom auftreten verbundene anwcsenheit zu Berlin unmittelbar nach der
(rflBciellen eheschcidiing aufmerksam zu machen, die Bürger in einem vom 11. eep-
-tember 1792 dauerten briefe seinem freunde Goeckingk' macht:
,Ilas8 Madame Hahn nicht mehr in Wolfenbuttel ist, das weiss ich; da*3 fiie
Üch aber wieder nach Stuttgard begebeu haben sollt«, daran ist wol gar sehr zu Ewei-
EEer sind mir zwei Sagen von ihr zu Ohren gekommen, eine, das« sie sieh
Wien in die Dienste Sr. Kaiserl. Majestät, die andere, das» sie sieb nach Ber-
Jin , vernintlioh in die Dienste des Publikums unter der Direktion der Madam Bcbupitz
.■begeben habe. Letzteres ist mir dos Wahrscheinlichste; und wenn es noch nicht
gesohehen sein sollte, so dürft« es doch wol über kurz oder lang noch dazu kom-
I. In derThat sind auch ibi-eTaleute da ganz allein an ihrer rechten Stelle. Zum
oder zweimaligen Vereucb in dieser Qualität kann ich sie auch jedermann mit
gutem Gewissen empfehlen, allein keinem, auch meinem Feinde nicht, zur bestJüidigen
Hfttresae, viel weniger zur Frau."
Obrigens hatte Bürger, der im selben schreiben sagt: „In der Tbat es kommt
seit einigen Wochen vor, als sähe ich weit besser aus, und fühlte mich auoh an
und Seele weit besser, als vor 25 Jahren", den mit dieser trennung verknupIleD
rasch überwunden; „wahrlich kein Liebesabenteuer hat Je mein ganzes Wesen
'wo sehr in sich hinein verstrickt, als das gegenwärtige grosse Weltabenteuer, von
irelchem ich keinen Ausgang sehe, ja nicht einmal zu ahnden im Stande bin",
schreibt er am £). april 179.^ demselben jugendgenossen*.
IJ WestöstUcho rundnchau, I (1894), boft 16 (IS.ang.J, s. 1206 f gg.
2) In seiner Sammlung „Berliner neudrucke" nr. 3; (vgl. Unterhaltungsbl. d.
ISgl. rundsohau, 1890. s. 485 fg., meine noHz Blatt, f. lit. untorh. 1890, h. 516 fg.),
3) In Saueis publikation der korrespondenz a. a. 0. s. 464 Tg. ; weder Sauer noch
regwter (s. 622b) erklären die „Hahn* als Bürgers ehegattin,
4) Ebd. B. 468; gemeint sind natürlich die französischen revolntionscreignisBe.
556 FRÄNKEL
3. Bürger'» denkmal.
Da sich fast alle persönlich on beziehungen Bürgers aus seiner reifeepoche aa
Göttingen anlehnen, wenigstens dort der ganze härm der drei ehen sich abspidte,
mag denn auch hier der genugtuung darüber ausdruck verliehen werden , dass es
nun endlich gelungen ist, die grabstätte des dichters in der Stadt, wo er leid nnd
freud so bitter gemischt zu kosten hatte, würdig zu schmücken. Der 29. juni 1895 —
die Verspätung ist durch das langsame eingehen der nötigen gelder verschuldet — ist das
datum der enthüUung einer bronzebüste Bürgers auf dem friedhofe vor dem Weendertor.
die Professor Eberlein in Berlin schön ausgeführt hat. Die mittel sind bekanntlich
durch freiwillige Sammlungen aufgebracht worden, nachdem der auf ruf dazu, selbst
ein stück deutscher litteratur- und kulturgeschichto, in tagesblättem und gennaoisti-
schen Organen, so auch in dieser zeitsclirift XXVII, 144 möglichst weit verbreitet
worden war. Danach hätte man allerdings einen tiefern nachhall hoffen und erwarreo
sollen, dass die gegcnwart eine ehrenpflicht leistet, an die man bald nach des dich-
ters tode in schwierigeren zeitläuften sich gewagt hatte; denn schon Vetterlein mel-
det a. a. 0. s. 548 : „ Auf Veranstaltung des herm doktor Althofs ^ haben die freunde
Bürgers und seiner mase ihm ein steinern denkmal verfertigen und in dem TI-
richschen garten bei Göttingen im jähre 1799 aufstellen lassen**, welche notiz Jör-
dens a. a. o. s. 257 beinahe wörtlich übernahm. Unter den neueren , die sich mit seinen
äusseren Schicksalen näher beschäftigt haben, ist keiner auf die entsteh ungsgeschicht«
dieser idee und das scheitern jüngerer plane eingegangen, — wie lehrreich wäre es
z. b., die personen, die sich bereit erklärten, das andenken des arg vorketzerten zu
fördern, kemien zu lernen! Grisobach's neuere ausgäbe der ,'Werke' (s. o.) s. XLVI fg.
teilt das genaue ziffemergebnis jener Althof sehen subscription und die fakten der
ältesten aufstellung von leichen- und denkstein genau mit.
4. Zu den quellen einiger „episch-lyrischen gedichte" Bürgers.
Für die meisten der nicht der rein subjektiven lyrik angehörigen gedieh te Bür-
gers ist die quellenfrage ziemlich befriedigend, wennschon nicht endgiltig gelöst. Das
suchen der vorlagen hat angesichts seiner besondem gäbe, die fremden Stoffe sit-h
ganz zu eigen zu machen und, auch bei enger anlohnung, auf den ihm eigtümlichen aus
volksmässige anklingenden ton zu stimmen, einen ungewöhnlichen reiz. Freihch
ist dabei meistens mehr für die parallelen - schubfacher der vergleichenden litte^atu^
geschieh te als für die kenntnis seiner belesenheit und die erkenntnis seiner dioht-
manier herausgespruiigcn. Das umfänglichste an material über die mit entlehnten
motiven arbeitenden nummern bietet immer noch der zeit seines lebens, zwar ein-
seitig, aber doch mannigfach erfolgreich für Bürgers rühm und Verständnis tätig
gewesene Heinrich Pröhle in seinem schmfichtigen büchlein von 1856, das so ziem-
lich alle bis zu diesem jähre zugänglichen mitteilungen auszog. Seitdom haben ver-
schiedene auf diesem felde weitere Umschau gehalten, darunter in einem gewissen
zusammenhange widerum Pröhle, selten mit glück, dann Bürgers engerer landsmann,
der motivkundige Robert Sprenger, letzterer in mehreren germanistischen Zeitschrif-
ten gelegentliche sehnitzel spendend.
Doch hat Sprenger auch eins der fesselndsten stücke, den schwank von kai-
ser und abt, ausführlich betrachtet, in den oft übersehenen „Akademischen blättern.
1) Des dichters hausarzt, testaments Vollstrecker, erster biograph and heraus-
gober, sowie vormund der kindor.
L BÜBGERIANA 557
beitrage unr litteratur-wisspnHchaft heransg. von 0. Sievers" (1684) s. 324—330,
Piro das bei Prbble a. a. o. m. 115 — 123 zuKamineugetra^eiie, sowüt iuh aehe, voU-
Btändig verwertet ist, obwol Frütiles natne fehlt'. Trotzdem lüäst sich, selbst wemi
ni^ Prölile's und Spreuger's winke H&mtlich zusiuiunenCasst, noch mancherlei, älteres
HIOWol wie neaeies, ergunzen. Geachtet bat man auf die vielen Wanderungen nud
HiaiidluageD des stofleN schon lange, f-a K. Veith 1839': «Ich will nicht behaupten,
Hass spütere dichter jedesmal aou Johannes Paali geschöpft, wenn sie einen stofi
Mehandeln, der ))ei ihm sbhon vorkommt, ich will bloRs einige fälle dieser art hemerk-
Rar machen", worauf vor andern dui-uh neuere poeten aufgegrifFeiien themeo drei
■feitverbceitiite internationale ersoheinen: „die schöne fabel vom vatet, söhn und
BmI, welche es dem kritiijierendcD publikum auf keine weise recht machen können,
^prner Oeltert's Witwe', femer Bärgers Kaiser und der abt von St Gallen. " Beson-
Bets auffällig ist es mir, doss B. Sprenger, Uer sonRt durch umsieht im herbeiholea
HTon materialieu oft staunen hervorruft, die beiden neueren antigaben von B, Wal-
nljs' „EsDpus" (daselbst IH, nr. 92 die fabel), die von Heinr. Kurz und die von
WS- Tittmann, nicht n ach goscb lagen und somit ihre reichen parallelenIJsten onbenutxt
R^lassen hat. Erstorer gibt sie bd. U, anmerkuogen s. 339 fg., letzterer beim text,
Ell s. Ul, worauf liier einfach verwiesen sei. Beide steiiem auch zum urteil über
■die fortpflanzung und Umbildung des Inhalts beachtenswestea bei: Kurz berührt
IIb. SXXVn die durch Waldis erfolgte oder wenigstens bei ihm laorst ontgeutre-
tende Übertragung des verlangten klugheitsbe weises auf einen gelehrten mann, die
nicht eben glücklich iat*, Tittmann I s. LX fussnote argumentiert aus der, zuerst
TOD Mittler in seinen mitteüungen über Waldis' s. 41 beobachteten erwähnung und
Terwortong von G. ForKters Liedersammlung {nr. 120)° die niederschrift von Wal-
dis' faesong „nach 1533" '. Ferner ist Sprenger Reinhold Köhlers auseinandersetzoDg
über die vier fragen in der , Elite des Cootes" des Änt. de Metel sieur d' Oaville
entgangen, die sich in seiner abhandlung über Nasr-eddins Schwanke, Beufe/s
, Orient und OGcident"- I, 431 fgg-, auf s. 440 Ündet. Lamit deckt sieh sodann „fast
wörtlich* das märehen „Le Meiinier Astiologue" in den „Nouveaux Contes Ä Rire,
Et Äventurea Plaisantes de ce temps; ou Recreations Francoises. A Amsterdam
1) Freilich kam es Sprenger wol darauf an, in giösstmögiicher kürze seine
wertvollen zusatze einer gedrängten nbei-sicht des bisher von verschiedenen selten
testgeateliteu einzufügen. Dieser Artikel Sprengers ist für die art, die ergebnisse
seines viel zu wenig gewürdigten forschend zu eröffnen, typisch.
2) Über den Barfüsser Johannes Pauli und das von ihm verfasste volksbuch
.Schimpf und ernst" nebst 46 proben aus demselben, s. 22.
3) Das Problem, daa Grisebach musterhaft begleitet in „Die Wanderung der
novelle von der treulosen witwe durch die weltUtteratur" {2. ausg. der Umarbeitung
1889; s. X12); zur fabel von vater, söhn und esel s. Oesterley'a J. Pauli a. 599, nr. 577.
4) So auch der neueste herausgeber, E. Wolff, in .Reiake de voe und sati-
tirisoh- didaktische dichtung" (Kiirecbnere Deutsche nationallitteratnr, XIX) a. 299:
„Walliis kehrt leider die teudenz um."*
5) Sonderabdruck aus , Hessisches Jahrbuch" 1855 (vgL Vilmar [-Ooedeke],
Geschichte der deutschen national -litteratur'*, s, 678).
6) V. 198 fg. bei Waldis lauten;
„und aolchs in ein kurz liedlin gfiisst
zu Nürnberg durch ein gierten man",
worauf das ciiat folgL
7) Ober diese Persönlichkeit und die Chronologie vgl. jetzt Erk-Böhme, Deot-
Boher liederhort I, s. XXXVU.
558 FRÄNKSL
M.DC. XCIX«* 8. 230 feg. S worauf Ad. Wolfif in Wagners „Archiv f. d. gesch. dischr.
spräche n. dichtong^ (1873/74) s. 328 aufmerksam machte. Wie mancherlei oocä
aus dem oder jenem nicht abgegraston winkel beigebracht werden kann, zeigt der
umstand, dass allein 1891/92 vier neue beitrage hervortraten. In modernen, insbe-
sondere ungarischen volksüberlieferungon sticht E. Binder kongruonzen auf*; Wlis-
locki" holt aus seiner domäne, der volkspoesie der osthälfte der Habsburger -monar-
chie, Seitenstücke aus armenischem, magyarischem, slovakischem , südslavischon
Sprachgebiete herbei und statuiert das der Bukowinaer Armenier als anfangsglied in
der kette der ableitungen der von ihm vorausgesetzten morgenländischen urfassung;
während Wlislocki wie bei ^Lenore^^ Bürger am liebsten an mündliche deutsche volka-
Überlieferung anknüpfen zu sehen meint, findet R. Sprenger, nochmals auf den plan
getreten^, in dem werte ,, kreuzchen '^ bei Bürger ein direktes missverständnis von
croxier in der altenglischen ballade in Percy's „Reliques*^ und damit einen .sichern
beweis der benutzung dieser; für letztere stellt nun B. Honig gar in einer serie von
einzolheiten durchschlagende belege fest („Percy's ballade*^ King John and the Abbot
of Canterbury"*«).
In einem erst neuerdings, durch Ferd. Gerhard ^ näher betrachteten schwank -
und anekdoten-kompendium des 17. Jahrhunderts, Johann Peter de MemeKs „Lusti-
ger gesellschaft^, stosso ich nun auf eine Variation unseres themas, das mit derBür-
ger'schen „Abt*^-gruppo zwar nicht in der Situation, wohl aber im kerne der erzählunfr,
nämlich in den drei aufg^ebcncn fragen völlig übereinstimmt. Sie folge hier, zumal
Gerhard bei seiner besprechung ausgehobener nummem nicht darauf eingeht, ver-
gleichshalber, imd zwar nach dem, auch von ihm kollationierten und verzeichneten
exemplar der Münchner hof - und Staatsbibliothek ® s. 165 fg. nr. 647 :
„Eine Königin hatte einen Gefangenen, sprach: Wann er folgende drey Dinge
sagen könte, solte er ledig sein, nemlich:
Wie viel sie, die Königin werth wäre?
Wo das Cenirum oder das Mittelst in der Welt wäre? und
Was sie gedächte?
Der Gefangener [!] lag in Sorgen, wie diese Dinge auffzulösen, es kommt aber
zu seinem Glück ein Bauer zu ihm, der ihm sehr ähnlich sähe, dieser verwechselte
die Kleider mit dem Gefangenen, und lösete der Königin die drey Fragen, sagte anff
der ersten, Sie wäre neun und zwantzig Silberling werth, denn der Herr Christus
hätte [s. 166] drcyssig gegolten, Sie müste ja einen geringer gelten. Au£F der andon,
1) In demselben höchst seltenen buche entdeckte ich eine enge parallele zu dem
seit Vriolsheimer (s. meinen artikel Allg. dtsch. biogr. XL, 374) oft bearbeiteten
schwank vom angeblichen ohrenabschneiden (vgl. auch die notiz am Schlüsse mei-
nes n. Sachs - rcferab* litteraturbl. f. gcrm. u. rom. phil. XVII).
2) Ztschr. f. verglchd. litteraturg. n. f. V s. 466—469.
3) Ebd. IV s. 106—112; vgl. Holzhausen i. d. Ztschr. XV s. 321.
4) Zu dieser sammle ich behufs abschliessender gruppierung alle motiwariaD-
ten und bitte um mitteilungen bez. hinweise (vgl. meine notizen: Ztschr. d. Vereins
f. volkskd. IV s. 218; Am ur- quell V, 128; Archiv f. d. stud. d. neueren spr. u. litt.
VC heft 4, reforat über Thimm, Dtschs. geistesloben ; Westöstl. rundsch. I, 1214^).
5) Ztschr. f. d. dtsch. unterr. V, 275 fg.
6) Englische studien XVIII (307 — 315) s. 313—315.
7) Joh. Peter de Momels Lustige geselLschaft nebst einer Übersicht über dia
schwank -htteratur dos XVII. Jahrhunderts. Heidelberger dissertation. Halle 1883.
8) L. eleg. m. 536*". „Gedruckt zu Franckenau im Drömling** (o. j.), doo^
306 Seiten, 1208 nummem.
d«.
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BUROERIANA
SO machte or mit der Kreide einen Punct vor ihr auffn Tisch, ^ü'^fr: 1»^= "s-.rr :- :•
dBü Mittelste in der AVelt, wcrs nicht |,4auben wolte, >ulte die W»;h ü :- ^-— ::
PuDct messen. Und auff der dritten frage sagte vr, Sie f:«?dächr».» .ja*^- vr -tT -trii-
gener wäre, er wäre aber ein Bauer und nicht ein Oefan«:vnor.-
Ich bin überzeugt, dass nnch viele volkstümlich!? vexivr-ni*-t:I im -:r_i- t
sind, die sich mit den hier verwendeten en;r berühren; allein «ii'i h-^iiri ,i:.:.'i. . -
IV und V von Fr. Krauss' Monatschrift für Volkskunde -Am Ur-'^u^U" v.l. ^^. : -/.-
feterl) bieten allerhand verwandtes. So scheint auch Bür::er für d*:r- v. r.i::- -r. .-.:
rätselfrageu beim volksmunde anleihen gemaclit zu h:ibcn wi»/ so:.-*.
Zu Bürger's Stellungnahme zur sajzonlitteratur li»ff*;rr Karl Hr--rl -
-Eine verlorene und widergefundene Kheinsage'^ in der K'Ai.ihf :':.':. z^."-'..*
charakteristischen boitrag, obzwar seine angab« ru keineswe;:- ü!.l-.-:i.eri*^- i-if
wie er vermeint. Danach verda?ikto Bürger den hhA\ S'-iL-rr f jilla-;-i .L»rr -**!:•?
Jäger" dem «Chronioon üirsaugionse'' des abt> Johann«i.- Tr>L-Jrn^i:i- 'IPiJ — }'fUj}\
des aus der geschichto der Faustsage bekannten '\ und zwar 'i^u. ^.'iiAna!*: zum Jahre*
1354, wie ja auch seine ,,"\Veibcr von Wein^lH/rg-* auf di^ir-rric oeruh'-n. bUs zu
gnmde liegende fabel ist eine echte Kheinsa^i»/, und Urh^.*A t-ÄinA ein. in s<'in»;r
neuuutlage von K. Simrock's «Rheinsiigcn- da> bisher für B--r::frr i«'jL*r «rrflnduug ge-
haltene gediclit widerre(!htlich ausgemerzt zu haben. .S'.-ii-e jr":zii:»: jr*- aue n;ir;h-
erzähluug der tradition bcwei.se unwiderL .'glich die-e. wie v-r :;lai4or. w-.b*rr von k«-i-
nem Bürger -forscher'' erkannte tatsache. llesscl blieb löj^ i.r»er. wufiJerbar genug,
unbekannt, dass der vorzüglichste fachmann auf dem feldr 'j*f- m:»''.-hheiniM;biMi
Jitter.irischcn folklore**, Alex. Kaufmann, in seinen hö'jii.st ::«::-iutvoIl**ü ^NV;htriig(;n zu
den „Quellenangaben und bemerkungen zu Karl .Siir.rxke KhttL-at'en^" ' s. .'10 fgg.
diese Sachlage gründlich, mit brdeg«n und -o^^ar im ujiminelbar^u anMihlii:." <• ari
Simrock (Handbuch d. «Itsch. mythol., .3. auil.. s. .>S1 f^. ror^getragen hattit". iMn
andern jdlerdiugs wussten nichts davon. U. Pr''L:e. 0. A. Hürgi*r h. I2i \'J\l
Simrock a. a. o. polemisieit hingegen wid»jr PröLle**« anzapfung in dnhsiMi „Ihn/,
sagen" betreffs der lokalisicning von Bürger* gedieht — behandlet ih«n „WiMi-n
Jäger" nach quelle und Varianten eingehend, ohne aktur zu bimiHrkitn, da^.M <lii
(s. 127 anm.) von ihm citicrte Nikolaus Hocker, ebenfall.*« eio fiünur Uhf*inMii,'^<>n - kin
1) 1804, nr. S7G ('28. oktbr.j. 2. beilaj^e zur sonotagN-auNgnbt«, s. I.
2) Weniger merkwürdig i>ts. da^fe si&iD i»ag«nbeIeHonnr lundsniunn I IiLumI ilm
zur vorläge wählte (vgl. V. Eichholz. Qu«;Ilen-8tudion xu Uhlunds ballaibn, ..•,
79,80), freilich zu dem nachla.ss- gedieht .Das kloKtur HifM^hiiu* («r.st duiili l.-.in-
(Lachmanu-MaltzahnVho ausg. IX. 22.2 i^.} vermitthini;: vgl. hicmik I IiI.umI tu :
1, 515, minutiöse vergh'ichung bei R. 11. Werner, Lyrik und l.snkiT, s. .:.;■» ;ii
3) Vgl. meine neuerlichen nachweise im iiEuphunon** 11, /riU uii«l .«• *
4) Auch hier weicht Pröhle a. a. o. s. 129 — Ki» giüiz-lich ab uii*l ixw. ;
lediglich auf dem boden von lokalsagen ohno aiVhoni auhnlt, wir . uih.m ;
5) Selbst dem specialisten Honig (Ztschr. XXVl, ,VJlM, \\,.i.»ui im. h I . :
der verstorbene mitherausgeber dieses oi]gan8, hinwio-t; Sauer's :m- • . ri ■.
ü) Mein nekrolog «<>egenwart*' 44 or. ^ und dor U. lluiiii . K ■'
tung 18ü.'i nr. 398 brachten das wol zun bewusHtmnn.
7) Annalen des historü«chen Vereins für den NiodtM-rliiMii Ml ,!n' i
die erste reihe von glos.sen ebd. XIX, s. 37— lÜK
8) S. 33 fg. auch ein hübscher absata ttlw»r dio k;v>taltt:iK 1. i
gegenüber dem „Wilden Jäger*'. Die «ige vom ,\V\ :.-■ u 1
(Poeck, Germ. XXXVn. 119£rO Büiger vmr wv^orroul.l r l
tentoils ein werk #i "le sage tob H. i«. K W . >:i . v
nen VI, 1889, s. Y
560 FRAXKEL, BÜRGKRUNA
ner und ein iutimer arbeitsjreuosse Simrocks*, die sage ersichtlich nicht für wilUtü-
lich verpflanzt gehalten hat-. Man vergleiche auch G. E^net — Maoiy, G. A. Bor-
ger et les origines anglaises de la hallade littoraire en AUemagne (1889), s. 154 — l^'-.
Endlich möge hier aus einem ahgelegeucn zeitungsblatte zu einem Tielomäd-
tencn gedichte, das otlichcu Spezialisten, wie Grisebach^. als perle der Bürger'sda
h-rik gilt, und hei dem es gerade deshalb besonders anziehend wäre den grad der
abhängigkeit von einten vorbilde zu fixieren, eine notiz wortgetreu ohne kommenUr
widerholt sein. Im , leipziger tageblatt*^ stand anfang aprü 18S6 unter chiffre = o.*
folgendes :
^Gottfried Bürgers Ballade -Die [IJ pfarrerstot-'hter von Taubenheim \\> hs
tau^ende von thräneii für das unglückliche müdchen entluckt und taosendc von flach«
auf den herzlosen Junker Falkenstein entfacht und doch — ist an der ganzen herzbnr
chenden geschichte kein wort wahr. Hütte dagegen der genannte dichter die alte,
berühmte Wallfahrtskirche Ebersdorf bt>i Chemnitz mit ihren sebenswünligkeiteo.
darunter der köpf einer kindsmörderiu mit reichem vollen bloudhaar, gekannt, datm
gäbe es wol keine dichtung «Die pfarrersto<.'hter von Taubenheim-, sondern eine ,Pf«-
rerstochter von Ebersdorf**. die in Wahrheit ihrem düsteren Schicksal verfiel Die
geschichte ist kurz. Liebe, heisses blut, verrat, VLTZweiflung und ein heukerst-hven,
das L-^t ihr inhalt Der cdelherr vom schlösse droben verlioss das arme pfarrersbnd,
das schönste mügdlein weit umher. Und als er wider heimkehnc, rau.<chten die
alt»^n buchen um das liochgtM'icht, von dessen pfähl der köpf der kindosmördene
niederstarrte. Da cm'achtc in dem Junker das gewissen und trieb ihn zur verzfie^-
lung. Er liess der kindesmörderin au geheiligter statte ein grab bereiten, und fiv
ist er fortgezogen in den krieg und nimmer wiJergekehrt.*
Das von Pröhle s. 132 — 137 hierfür gewührte material*^ ist nicht ohne waL
im ganzen genommen aber ebensu zu beurteilen wie wir e^ oben in der fussnoie n
seinen sachlichen glussen über .Die weibervon Weiusberg- getan haben i^s. 5ü9anm.4|.
1) Seine sagensainmlungcn, die namentlich den Moselbezirk l>etreffen, über-
gchend. weise ich auf sein nettes büchlein üt^er Simrock ilSTT) hin, das £dw. Schrö-
der in der Allg. dt-sch. Biogr. XXXV, 3S5 nicht vertrass. bh meine, Hessel hätte
den ihm so leicht orreichljaren Hocker persönlich zu rate ziehen S".»llen.
2) Wie freilich da sogar ein geschulter und gewitzigter sageukundiger wio
Simrock einmal über's «.»hr gehauen werden kann, erläutert oiu kr»stlioher wahrer
scherz, den ich in meinem aufsatze über S'?in .Ami-IungonlieJ" iZtschr. f. d. dtbch.
unterr. X. band, von mir in erwaitung früheren a!ilru<-ks Ztschr. XXVII. 412 Süh-'O
für 1S94 an;:eküudigt), -Ein neudeutsches heldonepos altdeutschen Stoffs*, erzähle.
3) Dies lleis^iL'e werk biri,^ für die reale, d. h. rein biographische und dit
stoffL'e.^chiclitliche aufgäbe der Bürüer-fon>chung wenig eigenes; ich versuchte seine
bedtfutung zu keunzeichuen .Magazin f. d. litteraiur des iu- und auslands -. 59. jhK-
IS«), nr. 52 »-Das gegunwäni^'e >tudiuni der deut>chen lineratur iu Frankreich- 1.
4) Auch nach mündlicher mirteilung an mich. Vgl. Sauer's ausg. s. LXu. 241.
b) Walirscheiulich der alte l/.'ipzigcr lokalchronist Otto Mo>er, der seit vielen
jähren im -L. t." unter ähnlichen chiffren kulturhistorische kuriosa iu einzelnen
schnitzfln eiurü«kt und damit aus seinen langjälirigen, aber unkritischen und ihm
selb>t unk-.introllivrbaren kullcktaneen bisweilen nicht unwichtige einzelheiten zu tage
fördert, wie z. b. Fr. Zarncke bei seinen Chr. Reuter- forsch uii gen erfuhr (s. dessen
notiz iu den ,B*:richten der kgl. sächs. ge^ellschaft der Wissenschaften. Philolog.-
hist.-r. klasse- 40. ISSS, s. 73;' vgl. den anikel zu Moser s SO. geburtstag im ,L. t»
vom 2l». nuvbr. 1>?Ü5, boilage.
6) Vgl. zum Stoffe auch Sauer's ausg. der «Stürmer u. dränger* (1891) I, s. VT-
MÜNCHEN. LUDWIG
FRANKEL, FBÄULKIN 561
Materialien znr begrUEsentwicklang Ton nhd. „firänlein^S
In nummer 14 des 53. Jahrgangs der „Grenzboten'' veröffentlichte Ernst Mül-
►ach s. 33 — 37 einen artikel „Demoiselle — fräulein — gnädiges fräulein'*, der
ablösung dieser ausdrücke im sprachgebi-auche des achtzehnten Jahrhunderts mehr
urhistorisch als sprachgeschichtlich nachgeht, ja in letzterer hinsieht mannigfach
reif bar, besonders stark ergänzungsfähig ist Uns betrifft hier der s. 35 stehende
: „Die bis dahin" — Wielands ausdrucksregulierungen im „Teutschen Merkur"
. gemeint — „seit etwa fünfzig jähren herrschende anschauung beschränkte recht-
den gebrauch des wertes fräulein auf die töchter adlichen Standes.'' — Wieland
^arf damals in einer abhandlung ,,Über den Vorschlag, unsere bisherigen demoi-
m künftig fräulein zu betiteln'' das auftauchende streben nach dieser umtaufe.
' haben diesen Standpunkt gebührend in anschlag zu bringen, wenn wir z. b. die
3hzeitigen prosadramen — denn nur diese können natürlich in betracht kommen
des jungen Schiller daraufhin durchsehen. Amalia von Edelrcich („Räuber") heisst
3 „das fräulein", sowie auch „das fräulein von Bamhelm", wie Lessing die Minna
bei aufnähme des personale selbst bezeichnen lässt. Aber auch „gnädiges fräulein"
gt bereits ein, wofür Karl Moors erste anrede lY, 4. scene ein typisches beispiel
t In „Kabale und liebe" wird Luise von allen sie siezenden „mamsell" genannt,
Milford „(Mi)lady" oder „gnädige frau", was der „madame" in „Fiesco" entspricht;
redet dort die gräfin Imperiali Leonoron geringschätzig an. Man vergesse nicht,
) Gretchcns absage an den ihr erstmals begegnenden Faust „bin weder fräulein",
seine nachherige bozeichnung „die dime" — dies selbstverständlich ohne jeden
In beigeschmack — bestätigt, auf demselben brette liegte Mag auch sein, dass
thes verliebe für die ausdrucksweise des 16. Jahrhunderts, insbesondere Hans
isens, mit grund für die betonung von „fräulein" in diesem sinne war'. Bei
i volkstümlichen Nürnberger poeten wird z. b. eine verheiratete frau besseren
ides angeredet: frewlein, wiltu mir thun ein schenck'^ woneben freilich das
mib) frewelein = weibloin steht, wie „Des knaben wunderhom" bereits in älte-
nummem „fahrende fräulein" in einer bedeutung gebracht, die nichts weniger als
den ehemaligen rang des ritterbürtigen oder wenigstens ritterwüixligen anklingt
;h altgriechisch f^u/if/)}} schwankt in der bedeutung zwischen xöqti, yw]^, naXXax(g,
Zwei Zeugnisse aus dem anfange des vorigen Jahrhunderts mögen beweisen,
j der von Wieland gesetzte terminus a quo ein gut stück weiter hinauf zu rücken
Bei Albert Joseph Loncin von Gominn (d. i. Conlin)*, Der Christliche Weltweise,
d n (Augsb. 1706) s. 33 heisst es: „0 wie manches Fräule (also wird bey jetziger
1) In Fr. Strehlke's „Wörterbuch zu Goethes Faust" s. 47a worden folgende
len des Vorkommens citiert: 2605, 2906, 3020 (alles nach der neuen Weimarer
jabe), Urfaust 457, 459, 760, 874, und als erläuterung gesagt: „ein junges möd-
1 von adel oder wenigstens den höheren ständen angehörig".
2) Die neueren Untersuchungen von Goethes Verhältnis zu H. Sachs, verzeich-
bei Sahr, Ztschr. f. d. dtsch. unterr. IX, 676 fgg., und Koch, Berichte des freien
th. hoohstifts n. f. IX, 226 fg. (vgl. mein referat über „Hans Sachs -festschrifteu"
tteraturbl. f. germ. u. roman. phüoL", XYH) erwähnen davon nichts.
3) Kellers ausg. (Litterar. verein) VI, 121, die folgende stelle VI, 304.
4) Über diesen nachäffer Abrahams a Sta. Clara vgl. meine angaben Engl.
L XfX, 203, und Eaphorion n, 771 (Flögel-Ebeliug, Gesch. des grotesk-komi-
3n^ [1887] nennt fiilsob 8. 423 Coburg als verlagsort, s. 470 a Conlms als namen).
-üLoen. BD. xxnn. «^6
562 FRÄNKEL
zeit fast ein jede Vogts Tochter iituliwt^ uud will keine kein Jungfrau * mehr seyn,
wie es dann auch vielleicht in der That sich also befindet) 0 wie manches Fräule, sag
ich, wann sie sihet, wie dass die Natur einer ai'men Burgers Tochter mehr gaiatUme
und Schönheiten hat in das angosicht gesetzet, als ihr, die sie doch ein gebohne
von Adel, wann sie siehet, wie bey manichem Baum-GrettP die Öratteu soHaoffen-
woiss Quai-tier nehmen, wann sie sihet, wie maniches Bettel Mädl Corallen und Ala-
baster guug zu verkauffen hat, L^t einer solchen um ihr schöne Gestalt .... neidig.*' —
Ebenda s. 210 lesen wir: „oi*st kürtzlich hat er ein junge Princeßin aasgeheurathet.
da hat man gleich ein Fräule Steuer gemacht .... ja sollte einer schier wünschen,
dass solche theuve frälen in der Thonau schwummen." Andrerseits freilich liest
man bei Christian Weniiko um dieselbe zeit: „wenn das Wort der Sache nutzt, so
geb* ich alles na(;h, und ich bin nicht entrüst, dass man die Fräulein heisst, die
keine Jungfer ist" : Küi^schners Deub?(rhe national -litteratur bd. XXXIX, 544.
Übrigens wogte der streit auch nach VVioland noch längere zeit ohne entscheidunj;
hin und her''. Ln fcuilleton der ^Frankfurter zeitung** vom 18. juli 1804, zweites
morgonbhitt, steht in einem anonymen, manches gute enthaltenden eingesandt ,Zur
geschichte der sprachreinigung'' folgende mitteilung, die den kämpf um den rang
von „fräulein" Ins ins zweite Jahrzehnt unseres Jahrhunderts lebendig zeigt: «Im
mai 1810 zerbricht man sich in Berlin den köpf mit der Übersetzung von madam«'
und mademoiselle: die hauptschwiorigkoit findet man darin, dass bei den neuen
bezeiclmungon der untei^schied zwisclien adeligen und nii.'htadeligen frauen und
fräuleins verwischt wird. ,TIohe frau, edle frau, edles fräulein, hcrrin' — all das
findet man gesclimacklos. Endlich behilft man sich mit dem auswoge: frau und friiu-
lein sind die einzig richtige?! ausdrücke; wer seinen adol besonders betonen wolle,
der möge sich eben liaron, barcmin und so weiter betiteln lassen. Schon ein jähr vor-
her war aus dem schoosso einer Berliner ^Deutschen gesellschaff* der verschlag her-
vorgegangt'n, fniulein beim adeligen, fraulein beim bürgerlichen mädchen zu sagen*.
Zu b'tzterem entschluss entnehme ich ferner der sehr dankenswerten abhandlung
über „Die eliemalige B«'rlinisrhe gesellschaft für deutsche spräche und ihre bücher-
.sammlung'", die John Koch als „Wissenschaftliche beihigt^ zum Jahresbericht d*.s
Dorotheenstjultisthen realgymnasiums zu Berlin. Ostern 1894** (Berlin, R. Gärtners
Verlagsbuchhandlung) vorlegte, s. Ü9, dass der jener bücherei entstammende sammel-
band nr. 470 an 18. stelle enthiüt:
«Der Freimüthige. Num. .'JO, den 11. febr. 181."), Anzeige. (Geschriebeues hlatt).
tlborzeu^'t, dass bei oiner Keinigung der Spi-ache, die, wenn Grundsätze weiser
MiLssigung sie leiten, so sehr zu wünschen ist, die Hemusgeber öffentlicher BlUtt»»r
mit einem guten Beispiel vorangehen müssen, erkläre ich mich, für micli und den
Freimüthigon, hii*rmit ötfentlich für die so ülxM'aus glückliche Verwandlung der fran-
zösis<;hen Ausdrü<:k«^: Madam und Mamsell in Frau uud Fräulein, welche durch eine
1) Abg«*st'lien von der Zweideutigkeit in diesem zusammenhange, ist hierzu
eben das spiltiT«» mamsell, wie es Schiller (z. b. in ., Kabale und liebe" neben Jung-
fer) gebraucht, zu vergleichen.
2) In diisem sinne war der name wol auf bairisch [- schwäbi8ch]em boden im
Schwange (Schm«'ller- Frommann 1, 1017); .1. Bolte im register seines neudrucks von
Val. S«.humanns .Xachtbüchlein'' (Littpiiir. verein, 197, 1893) 8.425 erklärt Gräte
(24r>, 14 und 2U) und Gretl(e)in (55, 16 und 50, 1) direkt als bauemdime. Vgl.
W. AVackenjagel , Kl. rchr. 111. 130—146 (aus Germ. TV/V).
3) Sanders I, 487, Grimm IV, 1, 87 fg. (auch fräfuJU) setze ich voraus.
FRÄÜLlEIN 563
aohtungswerte Sprachgesellschaft in Erfurt zur Sprache gebracht worden ist , und ver-
banne jene, in einem deutschen Munde wirklich albom klingende woiie aus dieser
Zeitschrift, wie von der Aufschrift meiner, an deutsche Frauen imd Mädchen gerich-
teten, Briefe. Überlassen wir es in Zukunft den koketten Weibern, sich Madams, den
Freudenmädchen, sich Mamsells nennen zu lassen.
Berlin, d. 8. fobraar 1815. D. August Kuhn.^'*
"Wenige jähre später, in der von K. B. Schade besorgten 5., völlig umgearbei-
teten aufläge von J. Chr. Adelungs „Kleinem deutschen wöiierbuch " (1824) — die
als eine art gradmessor des damaligen Sprachgebrauchs angesehen werdou darf —
fehlt mamsell ebenso wie raadam, und s. 147 steht fräulein ohne weitere erklärung
unter dem stich werte frau. In büchem wie F. A. Brandstäter, ,^Die gallicismen in
der deutschen Schriftsprache mit besonderer rücksicht auf unsere neuere schönwis-
senschaftliche litteratur" (1874), sucht man vergebens nach belegen für das 19. Jahr-
hundert; s. 99 ist in einer alphabetischen liste „madamo, als anrede zur eigenen
frau** bei Schiller, Neffe als onkol 11 , 7 nachgewiesen, also einfach beibehalten! „Ma-
dame*^ ist übrigens, wie ich nach vielfacher eigener erfahrung in laden usw. bCiSta-
tigen kann, heute in Paris die fast alleinige anspracheform. Sachs - Villatte, Ency-
clopäd. wörterb.° (1894), 8.928c erklärt es sehr gut, zu mehreren obigen stellen
parallelen bietend: „Titel und anrede (ehem. nur der wirklichen ritterfrauen, jetzt)
jeder verheirateten frau oder auch einer unverheirateten (wenn man nicht bestimmt
weiss, ob sie noch unverheiratet), auch einer unverheirateten dame der demi-monde**;
nach Villatte'b „ Parisismen ** * (1895) s. 176 a ist madamo im Argot der hauptstadt
r,titel der bordellvorsteherin'*.
Der hübsche ai-tikol von dr. Paul Bai-tels, „Titelwescn und anrede in Deutsch-
land**, Allgemeine konservative monatsschrift f. d. christl. Deutschland, 52. jahrg.
(1895; märz) s. 268 — 274 bezieht sich nur auf die anrede - pronomina sowie hoch-
imd wolgeboren, erwähnt fräulein, madam usw. nicht.
MÜNCHEN. LUDWIG FRÄNKEL.
Ber^ und vöglein.
Zu der die ewigkeit vei^sinnbildeuden parabel vom demantberg („dahin kommt
alle hundert jähr ein vögelein und wetzt sein schnäblcin daran, und
wenn der ganze borg abgewetzt ist, dann ist die erste Sekunde von der
ewigkeit vorbei'') in den märchon der brüdor Grimm hat R. Sprenger (oben
8. 71 — 72) zwei Strophen aus einem im „Wunderhorn'* (bd. 2, Heidelb. 1808, s. 220)
nach mündlicher quelle aufgezeichneten Volkslied verglichen:
„Wenn borg und tal aufeinander stand*,
viel lieber wollt' ich sie tragen,
als dass ich soll stehn vor dem jüngsten gericht,
soll all meine sünden beklagen.^
„Und kam' alle jähr' ein vögelein
und nahm' nur ein schnäbleiu voll erden,
so wollt' ich doch die hoffnung haben,
dass ich könnt' selig weixien.''
Es sei gestattet, auf eine weit ältere ähnliche stelle aufmerksam zu machen.
Das zn München im jähre 1510 aufgeführte spiel vom jüngsten gericht, welches ich
36'^
564 HARTMANN, DEBO UND VÖGLEIN
nach der handschrift (cgm. 4433) auszugsweise in seinen oharakterisiischen putieii
widergegeben habe', lässt die verdammten seelen klagen:
„Wir armen seien wollten goren,
das ain perg auf gieng bis an die stören,
der alls prait wür alls das gantz ordtrich,
und alle jar ain vogel erschwunge sich
und von dem porg füort ainer arbais gros;
wann dann der perg wurd erdtrichs plos,
das wir erledigt wurden von der pein,
dieweil weiten wir geren in der hello sein
und leiden pein, dio da imseglich ist,
das wir darnach sehen Jhosu Crist.
das mag irnns abor widcrfaren nicht;
wir sein ewigklich on end gericht"
Wie man sieht, schliessen sich diese vcrso den beiden durch Sprenget erwähn-
ten stellen, näher jedoch der in dem volksliede an.
Das Münchener spiel von 1510 ist, wie ich a. a. o. s. 421 — 422 nachgewie&eti
habe', eine jüngere bearbeitung des alemannischen weltgerichtspieles , das sirh, vum
jähre 1467 datiert, in einer handschrift des klostei^ Rheinau bei SchafißiaaseD findet'.
Das Rheinauor spiel enthält dio obigen verse noch nicht. Ältere quelle des Mün-
chener spiels in bezug auf die fragliche Symbolik war möglicherweise ein theologisi'hes
werk (predigt?) in prosa, vielleicht aber aucli schon ein volksiütsol , wie wir es im
besagton märchen als frage dos königs und antwort des hirtenbübleins vernehmen.
Etwas abgeändoi-t und auf zwei bildor verteilt widerholt sieb unser gloichnb»
in einem protestantischen orbauungswerke des 17. Jahrhundert«, dem „Neu vermehr-
ten Nürnbergischen handbuch'' von Dominions Beer, der pfarrkirohen zu S. Lorentztn
diacono und seniore, Nürnberg 1659. Hier heisst es in dem „betrachtung der ewij;-
keif überschriebenen 70. büchlein, s. 1272:
„Komme herboy, du allerbester reohenmeister, und rechne mir diese summ»,
die ich dir fürlege, so will ich dich für einen meister passieren lassen. Ich sciz*\
der gantze erdboden sey ein grosser mächtiger sandborg von den allersubtilsten saud-
köriilein, ein engel vom himmel käme alle jähr einmal und nehme mehr nii.-ht,
als ein einiges kör nie in mit sich hinweg, wio viel 1000 mal 1000 millionen jahr
würden dazu gehören, biss der borg abgetragen würde*; dann auf der nächsten seite
(1273):
„Ich vermeine, mein lieber Christ, es werde dir nicht zuwider seyn, anzuhö-
ren , was die lieben alten für gedancken hiervon gehabt haben. Sie pflegten zu sagen,
dass dio verdambten in der höll nichts höheres wünschen und begehren würden , dann
1) „Volksschauspiele" (I^eipzig 1880 bei Breitkopf & Härtcl) s. 411— 422.
2) Seltsamer weise hat weder E. Th. Gaedertz („Ein Münchoner mysterien-
spiel im jahr 1510*^ Magazin f. d. liter. des in- und ausländes 1890, s. 527 — 520
und 54-4 — 540), noch H. Jellinghaus („Das spiel vom jüngsten gericht** Ztschr.
XXIII, s. 426 — 436) meine doch ausführlichen nachrichten einer berücksichtiganf
wert gefunden. (lödoke Grundr. P, 322 (Dresden 1884) verweist nur auf die hand-
schrift (cgm. 4433).
3) Mono, Schaupielo dos mittelaltci-s I, 265 — 304. Über eine noch etwas fri-
hcre fassung vgl. Bai-ack, „Die handschriften der hofbibliothek zu Donauesdiii^
8. 135—136.
WALLNER, ZUM PARZIVAL 565
dieses, dass die gantze weit ein grosses meer wäre, welches vom untersten ab-
grand biss an den höchsten himmel reichte, und kam alle tausend jähr (o der
langen zeit!) nur ein kleines vöglein und neme nur ein tröpfflein heraus, so wür-
den sie so froh seyn , als wann ihnen die allererfreulichste zeitung verkündiget würde,
ungeacht diss eine solche zeit erforderte, die kein mensch aussprechen kan: noch
dennoch hätten sie eine hoffhung, dass es einmal zum end kommen müste, wenn es
unzehlich viel 1000 mal 1000 jähr gewehret hätte. '^
MüKCHSN. AÜOÜST HABTMANN.
Zv PardTal 826, 2».
Stosch weist (oben s. 55) mit recht Bartschs erklärung der stelle zurück; sei-
ner eigenen deutung aber kann man ebenfalls nicht zustimmen. Ganz richtig
bemerkt er: „Soll rede hier in dem sinne von oratio stehen, so kann mit rede sieh
rechen nur heissen: mit werten sich rächen, schelten'^, findet das aber im zusam-
menhange höchst trivial und meint: „Auch schalt Erec Eniten ja nicht*^. — Es seien
die stellen angeführt, auf die Wolframs anspielung sich bezieht
Erec verbietet 3095 seinem weihe niuwan hi dem libe, ihn je anzureden. Als
Enite ihn vor den räubern warnt, fährt er sie an 3238:
jftcie nü, ir vmnderltehe^ uip?
ja verbot ich iu an den lip
dax ir niht ensoldet sprechen:
wer hiex iueh da% gebot brechen?
dax ich von wtben hän vemomen,
dax ist icdr, des bin ich kamen
wol an ein ende hie:
swax man in unx her noch ie
also tiure verbot,
dar nach wart in also not
dax six muosten bekom.
ex ist doch vil gar verlorn
swax man iuch mtden heizet,
wan dax ex iuch reixet
dax irx niht muget vemiiden:
des sult ir laster liden,
swax ein tcip nimer getcete,
der irx nimer verboten hate,
niht langer si dax verbirt
wan unx ex ir verboten wirt:
son mac sis langer niht verldn.
Er verzeiht ihr gegen das versprechen, sein gebot von nun an zu halten. Als sie
abermals ihr schweigen bricht, um ihn vor den Wegelagerern zu retten, fragt er 3404:
y,sagt, ir wip vil ungexogen,
wir umbe habt ir aber gelogen?
wan ich ex iu von irste vertruoe,
nü dükte üteh dar an niht genuoe,
<<Mi<0 aber mere.
566 WALLKEB, ZUM PARZIYAL
und mohte dehein $re
man an tcibe begän,
ex aolde niht sd ringe stdn,
ich nceme iu hie xehant den lip,"^
Nachdem sie ihm noch rechtzeitig den geplanten Überfall des grafen verniten hü,
Bchüt er 4122:
ytfrou AiUe,
ir höht iuch xe strite
xe vaste wider mich gesät.
dax ich dd Idxen bat
und ex iu an den lip verhoU
dax ist mir ein michel not.
dax ir des deste mite tuot.
nü sage ich iu mtnen muot:
ich unlx von iu niht liden;
ufid weit ir ex niht miden,
ex get iu benamen an den lip.*^
Oleich darauf warnt sie ihn vor dem anreitenden Verfolger, nu verweix er frotren
Jetten dax dux st sin gebot so dicke brach, sin xom wart gröx und ungetnarh
Ufid unsenfter danne e (4261 fgg.)«
Viermal also droht Erec Eniten den tod an, wenn sie ihr schweigen breche,
jedesmal aber begnügt er sich so ziemlich mit langatmigen scheltreden. Er ist in
diesem punkte das gegenstück zu Loherangrin, der seine drohung unerbittlich wahr
macht. In teilnehmendem scherze meint nun Wolfram: ^Da gehörte Erec hör, der
wusste mit werten zu strafen, der hätte nur wider gescholten!^
Innsbruck, 19. juni 1896. anton wallnbr.
BeriGhtigrungr*
Durch ein versehen ist seite 448 ausgedruckt worden , ehe ich die zweite kor-
rektur eingesandt hatte. Da der herausgeber in der ersten korroktur auch die von
mir aus gewissen gründen beibehaltenen abbreviatureu für das einfache r und er auf-
gelöst hat, 80 ist in der anmerkung 1 nun statt rer zu lesen er und r. Iu der
1. zeile des textos ist zwischen der und in, in der 2. zwischen hatt und die Schräg-
strich, in der 6. Iwren statt hören, in der 1. zeile der zweiten Überschrift zwischen
liebe und V9id punkt zu setzen. Einige stellen dos tcxtes hat herr dr. Roseohagon
während des druckes freundlichst noch einmal verglichen.
F. voei.
An die mitarbelter und leser der Zeitschrift*
Vom nächsten hefte ab wird mein coUcge, professor dr. Friedrich Kauff-
mann hiersclbst, in die redaction der Zeitschrift eintreten. Die arbeitsteilung wird
im allgemeinen in der weise stattfinden, dass die aufsätze zur ostgermanischen und
angelsächsischen philologio meiner durchsieht unterliegen werden , während alles übrige
NEUE EB8CHKINÜN0EN 567
herm prof. Kauffmann zufällt. Die correspondeDz mit den herren mitarboitern habe
ich übernommen und bitte daher, briofe und manuscripto wie bisher an mich zu
adressieren.
KIEL, JANUAR 1896. UUQO GERING.
NEUE EBSCHEINUNGEN.
Altsäehsische Sprachdenkmäler, herausgegeben von J. H* Oall6e* Leiden, £. J. Brill.
1894 LI, 366 s. 8. Dazu Facsimilesammlung. Leiden 1895. 29 tafeln
fol. 45 m.
Bttntzer, Heinrieh, Goethe, Karl August und Ottokar Lorenz. Ein denkmal. Dres-
den, Verlagsanstalt (V. W. Esche), 1895. 124 s. 2 m.
Festgabe Ittr Karl Weinhold* Ihrem ehrenmitgliede zu seinem fünfzigjährigen doc-
torjubiläum dargebracht von der gesellschaft für deutsche philologio in Berlin.
Leipzig, Reisland 1896. VI, 135 s.
Inhalt: R. Bethge, die altgermanische hundertschaft. — "W. Luft, zur
handschrift des Hildebrandsliedes. — Derselbe, zum dialekt dos Hildebrandslie-
des. — W. Scheel, die Berliner Sammelmappe deutscher fragmente. — J. Bolte,
in dulci jubilo. — P. Kaiser, Schillers schrift vom ästhetischen Umgang.
Gartenreeht, dat, in den Jacobsfjorden vnndt Bellgarden, med oversaottelse ved
!¥• ])• Krohn og B* E. Bendixen* [Skrifter udgivne af Borgens historiske
forening nr. 1.] Bergen, Griegs bogtrykkeri. 1895. 68 s. und 1 facsim.
Heimskringla, Noregs konunga SQgur af Snorri Sturluson udgivne for Samfund til
udgivelse af gammel nordisk litteratur ved Flnnnr Jönsson. 3. haefte. Kopen-
hagen, Gyldendal in comm. 1895. S. 433—460 u. 3—128. 4 kr.
— De bevarede brudstykker af skindbogerne Kringla og Jöfraskinna i fototypisk
gengivelse udgivne for Samfund til udgivelse af gammel nordisk littoratar ved
Finnor Jönsson« Kopenhagen, Gyldendal in comm. 1895. (IV), XX s. 4^ und
7 taf. 7 kr.
Kaufhnann, Fr«, Deutsche grammatik. Kurzgefasste lautlehre des gotischen, alt-,
mittel- und neuhochdeutschen. 2. vermehrte und verbesserte aufläge. Marburg,
N. G. Elwertsche Verlagsbuchhandlung. 1895. VI, 108 s. 2,10 m.
Merkes, P., Beiträge zur lehre vom gebrauch des Infinitivs im neuhochdeutschen
auf historischer grundlage. Erster teil. Leipzig, J. H. Robolsky. 1896. 171 s.
Monumenta Oermaniae historiea. Deutsche Chroniken und andere goschichtsbücher
des mittelalters. Band I, abt 2: Der Trierer Silvester, herausg. von Carl
Kraus; Das Annolied, herausg. von Max Roediger. Hannover, Hahnsche
buchhandlung. 1895. VI, 145 s. 4.
Xoreen, Adolf, Abriss der altnordischen (altisländischon) grammatik. [A. u. d. t:
Sammlung kurzer grammatiken germanischer dialekte, herausg. von W.]^B raune.
C. Abrisse. Nr. 3.] Halle. M. Niemeyer. 1896. 60 s. 1,50 m.
Dieser auszug aus Noreens ausführlicherem werke , der nur den altisländischen
Sprachgebrauch vor 1300 berücksichtigt, kann anfängem zur einführung in das
Studium des altnordischen bestens empfohlen werden,
568 NEUE EBSCHEnOTNeBN
Pfaff, Friedrich, Deutsche Ortsnamen. Berlin, Trowitzsoh und 8ohn. 1896. 16 s,
0,40 m.
Korges gamle loTe indtil 1387. Femte binds 2det hefte, indeholdende glocnriom
og anhang 1—3 samt tillsBg og rettelsor, udg. efter offentlig foraostaltning Ted
Gustav Storni og Ebbe Hertzberg. Christiania 1895. lex. 8. s. I — XYI
und 57—864.
Seherer, Wilhelm, Karl MüUenhoff. Ein lebensbild. Berlin, Weidmann. 1895.
Vn, 173 s. und 1 porträt. 4 m.
Sehönbach, Anton E., Der windadler Heinrichs von Yeldeke. (Sonderabdmck aas
der fostgabo für Franz v. Eix)nes.) Graz, im vorläge des verfasseis. 1885. 13 8.
Seelmann, Emil, Universitätsbibliothekar, Widerauffindung der von Karl dem grossen
deportierten Sachsen. Köln 1895. 13 s. (Soparatabdruck aus der Kölnischen
züitung.)
Soelmann kündigt in diesem artikel eine reihe ausführlicher abhandlungen
an, in denen er den beweis führen will, dass die wallonische bevölkerong im
südöstlichsten zipfol Belgiens (in der Umgebung der Ardennenstädtohon Florenville
und Chiny) von durch Karl den grossen hierher deportierten Sachsen abstamme.
Auf germanischen, specioU niederdeutschen, Ursprung deutet der ganze typus der
bewohncr, dio articulation der laute und eine nicht unbeträchtliche zahl im sprach-
Bchatzo erhaltener deutscher Wörter, wie auch die Ortsnamen z. t nur aus dem
germanischen sich erklären lassen.
Socin, Adolf, Basler mundart und Basler dichter. 74. nei^ahrsblatt, herausg. von
der gcsellschaft zur beförderung des guten imd gemeinnützigen. Basel; R. Reich.
1895. 63 s. 4« und 1 lichtdruck.
Spina, Franz, Der vors in den drameu des Andreas Gryphius. Abdraok aus dem
Jahresbericht des stiftsobergymnasiums der Benodictiner in Braunau (Böhmen)
1894/95. (In conun. bei Fr. ßocksch in Braunau.) 80 s.
Wenker, I. 0* und Wrede, F., Der Sprachatlas des deutschen reiches. Dichtung
und Wahrheit. Marburg, N. G. Elwcrtsche Verlagsbuchhandlung. 1895. 52 8. 1 m.
NACHRICHTEN.
Der aussoroixieutl. profossor dr. Max Koch in Breslau wurde zum Ordinarius
beföidei-t.
I. SAOHBBOISTER
569
I. SACHREGISTER.
alemannisch-schwäbisch, siehe schwäbisch.
alliterierende ungleiche vokale 546 — 549.
altnordisch : datierung der f ragmente Bra-
gis des alten und des Yuglingatal von
fjobolfr 121—127. vgl. beide.
alt^äcnsisch : heimat der Genesishandschrift
142. — Unterscheidung verschiedener
bände in der vorläge der Münchenor
Heliandhandschrift nach der form des
accus, sing. masc. des botimmtcn arti-
kels 433—436.
Arigos Blumen der tugend, Über-
setzung des Fiore di virtu 470 fg. Ver-
hältnis zum italienischen original 471—
474. nachweis der identität des Über-
setzers des Fiore und des Übersetzers
des Decamerone 474 — 482.
Arndt, E. M., briofo an frau Zanders
509 — 515.
berg und vöglein, parabol 563 fgg.
Boccaccios Decamerone, deutsche Über-
setzung, siehe Arigo.
Bragis dos alten fragment«, datierung 121
— 127. vgl. altnordisch.
Brittonura historia, siehe dieses.
Bürger, G. A.: seine erete gattin dichto-
rin? 551 fgg. seine 3. gattin 553 — 56.
— quellen einiger episch - lyrischer gc-
dichte Bürgei-s 556 — 560.
czechische Übertragung von Warbecks
schöner Mageloue 392. vgl. Magelone.
diphthongo: quantitätsunterschiede , siehe
dieses.
Felix: mittelhochdeutsches gedieht vom
mönch F. 35 — 38.
Fenriswolf, siehe mythologie.
fieborsegen ans einer mittelhochdeutschen
handschrift 39 fg.
Fiore di virtu, deutsch von Arigo, siehe
diesen.
Frauja, Fraujo, siehe mythologie.
Freyr-Froyja, siehe mythologie.
Goethes stil im alter 410, auswahl des
Wortschatzes 410 fg. einfluss des dik-
tierens anf den stü 411 fg. rechtfer-
tigimg von Spracheigentümlichkeiten 412
fg. — Tasso, ausgang, enthält keine
anspielung auf selbsterlebtes 56 fg. an-
klänge an antike dichter 58. worter-
klärung 58 fg. 67 fg. deutung des
Goethischen ausdruckes „Verklärung Tas-
sos** 59— 62. deutung dos inneren Zu-
sammenhanges 62 fg. 66 — 71. bedeu-
tung des gedankenstrichos in Goethe-
handschriften 63 — 66. schluss des Tasso
66 fg. gedieht: die geheimnisse,
kritik der von dem alternden Goethe
gegebenen erklärung 483— 489. gleich-
zeitige Überlieferung der entstehung des
gedichtes 489 — 499. benennung des
gcdichtes 500 fg. analyse des inhaltes
501 — 509.
gotische grammatik, siehe dieses.
grammatik, gotische: optativ in be-
dingungssätzen 132 fgg. in relativsätzen
133 fg. in temporalsätzen 134 fg. in
aussagesätzen 135 fg. in folgesätzen
136. — analogien der ein Wirkung des
hauptsatzes auf den modus des nebeu-
satzes im mittelhochdeutschen 136 fgg.
handschriften, aus mittelhochdeut-
schen: Dietrich von Plieningens Seneca-
übersetzung 17 — 26; vgl. dieses. —
Heinrich Munsingers buch von den fal-
ken usw. 26 — 31; siehe dieses. — lie-
besbrief 33 fgg. — Vom mönch Felix
35 — 38. — Unser lieben frauen ritter
38 fg. — Diz ist ein sogen für den
riten 39 fg. — Ein new lied von Hans
und Lienhardt dem Vittel 40 fgg. —
Wie man den Schwartzen rieht 42 fg.
Heliand: vorläge der Münchner hand-
schrift, siehe altsächsisch.
historia Brittonum, entstehungsge-
schichte: Brittengeschichte aus dem
jähre 679 86 fg. interpolation dos alten
werkchens 87 — 93. die Harleian-re-
cension 93 fg. nordwclsche reconsion
94 — 99. die genealogien 99 — 102.
civitates und mirabilia 102 fg. tätigkoit
des Nennius 103. Schema der historia
des Nennius 103 fgg. der Ironapostel
Patrick (Patricius) 105 — 109. HLspo-
rica Famina 109—112.
historische Volkslieder aus mittelhochdeut-
schen handschriften: Von Hans und
Lienhardt dem Vittel 49 fgg. — Wie
man den Schwartzen rieht 42 fg.
jagd : Heinrich Munsingers buch von den
falkon usw. 26 — 31. vgl. dieses.
Ingväonischer Nerthuscultus, siehe mytho-
logie.
interpunktion: grundsätze Dietrich von
Plieningens in seiner Senecaübersetzung
22—26.
lehn Wörter im deutschen: grund der ent-
lob nung 378. lehnwörtcr in mundaiton
378.
liebesbrief ans einer mittelhochdeutschen
handschrift 33 — 35. vgl. handschriften.
Lokis beziehung zum Fenriswolfe, siehe
mythologie.
Loreley, name 427 fg.
märchen, siehe parabol.
570
I. SACHTtEQISTEB
Magelono, dio schöne, aus dem franzö-
sischon übersetzt von Voit "Warbeck,
czochisohe üboiiragung 392.
metrik, siehe vokalo.
mundartliche lohnwörter 378.
Munsingers, Hciur., buch von falkon,
habichten, sperbom und hunden 26.
mythologio: begriff, umfang, eintoilung,
methode der forsch ung 156 — 180. —
der Fenriswolf, deutuugen, Zeugnisse
180—183. namen 183 — 188. beina-
men 188 — 191. genealogische Verbin-
dung mit Loki 191 — 196. gegensatz
zu T^T (Zeus) 196 fg. niythus von der
fosselung des wolfes 297 — 305. deu-
tung dos gefesselten wesens als Stein-
bild ulfs koptr 305 — 313. teilnähme
dos gottesTyr an der fessclung 313 —
317. beziohung des dämonisch aufgc-
fasston wolfes zu Ix)ki 317 fgg., kämpf
dos befreiten göttcrfeindes mit Ödinn
und Vidarr 320 fg. glcichsetzuug dos
Fcnriswolfos mit dem sonuenwolfe 322
— 328. das freiwerdon dos wolfes und
das flottwordon des schiffos Naglfar als
zeichen des Weltunterganges 328—341.
— excurso: heimat der gotter 341 —
345. einzelheiton des berichtcs von der
fessching des wolfes 345 — 348. — Ver-
kehrtheit der trennung von höherer und
niederer mythologio 246 fg. , der meteo-
rologischen und psychopathologischen
deutung 247 fg. — Identität von Frauja-
Northus (männlich) und Fraujo-Ner-
thus (weiblich) 289 fg. Iug^•ilouischer
Ursprung des Nerthuskultus 290 fg.
sprachliche crklärung der ontstehung
von Nerthus - NiQr])r und Frevr-Frevja
291—294.
Nennius' tätigkoit hinsichtlich der historia
Brittonum, siclie diese.
Nerthuskult, siehe mythologio.
nordische mythologio, siehe dieses. —
nordische runcninschriften, sioho dieses.
Odins kämpf mit dem Fenriswolfe, siehe
mythologio.
parabnl (märchen) vom berge und vöglcin
5(i3 fgg.
Patrick (Patricius), siehe historia Britto-
num.
riieningon, Dietrich von, übei-sctzor So-
necascher und Pscudo - Senocascher
Schriften IS — 22. fühi-t bestimmte
gruiidsätze der interpunktion ein 22—26.
Quantität der silben: znrückführung von
<luantitätsuntersoliieden bei vokalen und
diphthongen heutiger mundarten auf
voralthochdentsche apokope 515 fg. deh-
nung und erhaltung alter kürzen im
schwäbisch - alemannischen 516 — 524.
Runeninschriften: desWedelapangstci-
nes und des Gottorpsteines 236 fgg. des
Danewirkesteincs 238 fg. der beiden
ungarischen spangen 239 fg. der spange
von Engors 240. von Freüaubei'shcijn
240 fg. 244. von Osthofen und Char-
nay 241. 244. des Tunostoines 242. der
spange von Fonnaas 243. dos steines
von Einang 243. des steines von ßy
243 fg. der spange von Nordendorf 244.
Salomosage, ihr fortleben in der Spiel-
mannsdichtung 536.
schwäbisch -alemannischer dialekt: quaiiti-
tätsuntei-schiodo der vokale 516—524. —
angebliche wandemngen von laut Wand-
lungen 540 fg. entwicklang der vokalo
und diphthonge 541 fgg.
schwedisch : Wörterbuch der schwedis<;hou
akademie I 394—398.
schretel und wasserbär 429.
Seneca, Übersetzung Senocascher und Pscu-
do - Senocascher Schriften durch Dietrich
von Plieningen 17 — 26. vgl. diesen.
Shakespeare, tagelietl bei, siehe dieses.
Spielmannsdichtung nimmt motivo der Sa-
lomosage auf 536.
Stricker: sein Daniel älter als sein Karl
43—47.
syntax: einlluss des hauptsatzes auf den
modus des nebensatzes im goti.sfrhen,
siehe grammatik.
tagelicd bei Shakespeare 265 fgg.
fj6|)olfs Yuglingatal, datierung 121 — 127.
vgl. altnordisch.
Tyi*s Verhältnis zum Fenriswolfe, sieh»^
mythologio.
Unser lieben frauen ritter, gedieht aus
einer mittelhochdeutschen hands^rhrift
38 fg. vgl. handschriften.
Vidars kämpf mit dem Fenriswolfe, sieh»»
mythologio.
vokalo: (|uantitätsunterschiede, siehe diese.
— alliteration ungleicher vokale 540 --
549.
Volkslieder, historische, 40 — 43. vgl.
historische lieder.
Warbocks Übersetzung der französis<'hen
Magelone 392. vgl. Magelone.
wasserbär und schretel 429.
Wolfram von Esclienbach: sein verhiiltni-N'
zum katholischen glauben und zur Iwi-
denwelt 537 fg.
Zanders, frau: briefe an sie von E.M. Arndt
509-515.
U. VERZEICHNIS DER BESPROCHENEN STELLEN.
AlteltehsiMh. {
UelianU 2481 fgg. s. 1.
4290 fg. B. 1 fg.
5738 s. 3.
(ienasis I. bruchstiick.
9 %. H. 146.
10 a. 138.
12 fgg. 8. 138 fg.
14 8. 146 fg.
17 a. 147.
23 s. 139. 147.
n. brachst ikt.
30 fg. s. 148.
32—42 s. 140.
33 fg. 8. 148.
III. bruobstück.
114 — HC s. 140.
154 fg. B. LW.
160 fgg. S.140.
164 fgg. 9. 140 fg.
177 fg. s. ir.o fg.
laO 8. 141.
180'' 8. 150 fg.
Uai und BeaflSr (ed. Pfeiffer) ]
10, 17 S.437.
19, 5 a. 437. 444.
21, 11 8.437. 444,
25, 7 B. 437. 444 fg.
27, 4 B. 437. 445.
28, 10 s. 438. 445.
28, 28 B. 438.
37, 23 8. 438. 445.
I. 151.
151 fg.
152,
182 fj
209''
254 B
258 fg. B. 152.
264" B. 152.
277 fgg. 8. 141.
287 8. 141.
287 fg. s. 152 fgg.
321 fgg. s. 141 fg. 154 fg.
335 fgg. s. 142.
Hlttelhocbdentsch.
Der voD Büwenbui^ (v. d.
Hageu MS, II, 202- =-
Bartsch, Schweiz. MS.
XXIII, 4) s. 295 fg.
Deutsche gedichte des 12. jb. '
(ed. Kraus)
IV Adelbreht 7 s. 258. i
65 B. 258.
HartiiiaiinvoDAue,OregoriiiB
5 fg, 8. 47 fg.
36 fg. 8, 48, I
41,
8.438,
42, 38 i
46, 18 8. 438. 445 fg.
52, 17 s. 438.
53, 7 B. 438 fg.
79, 7 B. 439.
87, 36 3, 439. 446,
92, 11 B. 443.
III, 20 8.439.
118, 39 fgg. a, 439 fg.
122, 29 8. 440.
130, 12 fg. 8.440. 440.
138, 31 fg, a.440. 446.
139. 8 fg. s. 440. 446 fg.
150, 32 B. 440.
172, 16 8.440.
174, 32 B. 440 fg.
176, 19 s. 441. 447.
177, 6 s. 441.
178, 7 8. 441.
181, 22 8,441.
184, 13 fgg, 8.441. 447.
184, 22 fgg. 8.441, 447.
187, 9 8. 441.
189, 26 8.441,
192. 4 s. 442.
204, 24 8. 442.
207, 6 B. 442. 447.
209, 18 8. 442. 447.
2U, 17 fgg. 8. 442.
216, 13 s. 442.
218, 38 s. 443.
234, ;
ä. 443.
236, 14
242, 5 S. 444. i
MunBJDgct, buch von den j
falken usw. (ed, Ha-Süler) |
2, 28 8. 29,
2, 2 V. u, 8. 29. :
20, 13 8. m t
27, 13. 19 8. 30.
43, 6. 7 8, 31.
94, 1 V. u. a. 31.
95, 24 8. 31.
Das rädlein (v. d. Hagen Oe-
samtab, Ul, 118)
285 fgg. 2429 fg.
Ulrich von LichtcDStoin,
FrauoDtlieust
10.16. 21, 23 fgg. 22,29.
24, 5. 32, 26, 16 s. 199.
28, 2 feg. B. 199 fg.
31, 20. 32, 12. 33, 17.
25. 44,6. 52,32. 53,
1 8. 200 tg.
53, 28. 30. 54, 32. 60,
25. 61, 28, 62, 13 fgg.
8. 201 fgg.
60, 1 fgg. 5. 13. 17. 21.
29, 67, 1. 3 fg. 7 B.
203 fg.
67, 11. 15. 19. 25 fg. 30.
31. 68, 3, 70, 1. 13.
72, 23. 75, 8. 77, 14.
25 B. 204 fg.
78, 2 fg. 23. 79, 21. 29.
81, 16. 82, 14. IC. 20.
80, 9 fg. 20, 89, 2«.
90, 8 8. 205 fg.
91, 25. 92, 16 fg. 9.1,1.
9. 25. 94, 1 8. 206 fg.
95, 6 fgg. 96, 30 fg. 98,
2. 8. 99, 27 fg. 101,4
8. 207 fg.
102, 20, 107, 11. 109,
20. 110,5fgg. 124,13.
127, 26. 128, 17 fgg.
130, 15 s. 208 tg.
131, 9. 21 fgg. 132, 1.
8. 23, 137, 16, 139,
3 fg. 140, 7. 23. 141,
10 8. 209 fg.
144, 3. 147, 6. ISr., 24
fgg. ].56,29fgg. 157,18.
163, 5 fgg. s. 210 fg.
165.7. 166, 17 fgg. 168,
9 fgg. 170, 13. 32 fgg.
8. 211,
174.8, 10, 177, 17; 178,
17 fgg. 180, 29. 181,
30 B, 212.
196, 29. 197, 6. 199, 3.
8. 10. 200, 11. 201,
26. 202, 1 s, 213 fg.
202. 4, 5. 10. 13. 16.
203, 21. 25. 32. 205,
16. 206, 17. 18. 30
8. 214 fg.
572
m. WOBTBieiSTER
Ulrich von Lichtenstein,
Frauendienst
208,17.. 209,31fgg. 211,
23. 29. 212, 30. 216.
14.17. 220,10 8. 21 5 fg.
219, 24. 220, 9. 221,
29 fg. 225, 21 s. 216.
242, 21. 250, 4 s. 217.
202, 10. 263, 16. 266,
4fgg. 271, 11. 19. 274,
20 s. 218.
270, 4. 282, 14. 288,
21. 297, 4. 303, 28.
312, 26 8. 219.
340, 9. 347, 14, 353,
18. 365, 21 8. 220.
383, 9. 409, 19 fgg. 418,
27 fgg. 438, 10. 452,
19 8. 221 fg.
454, 4. 458, 28. 460,
20. 461,9. 11 s. 222 fg.
401, 27. 474, 25. 494, 8.
495, 7 fgg. 8. 223 fg.
528, 4. 544 7 8. 224.
Frauonbuch
601, 27. 603, 1. 605, 29.
612,21. 613,1s. 224 fg.
613, 8. 21. 610, 18 fgg.
618, 11 fgg. 8. 225.
Wolfram von Esohenbach,
Parzival
1, 15 fgg. 8. 50 fg.
12, 27 fg. 8. 51 fg.
15, 22 8. 52.
367, 9 8. 53.
487, 1 8. 53 fg.
817, 28 8. 54.
825, 9 8. 54 fg.
826, 29 8. 55. 565 fg.
Mittelniederdentseh*
Reinke de Vos 3774 s. 32.
Keuhoehdeutsch.
Goethe, Weimar, ausgäbe,
2, 100 8. 220.
10, das noueröfPneto mo-
ralisch-politische Pup-
penspiel 8. 354 fgg.
Parabeln und legenden
v. 1797 8. 350 fg.
H. Sachsens poetische Sen-
dung 8. 357.
künstlers erdenwallen
8. 357.
künstlers apothoose s. 357.
die romantische poesic
8. 357.
des Epimenides erwache
8. 358.
Schillers toteufeier s. 3f
kantate s. 359.
17. Tiiumph der omj>riiii;
samkcit s. 359 — 30 1 .
die aufgeregten s. 361.
Orosskophta s. 361 fj^.
20, 381 8. 220.
Tagebücher 0 s. 302 — (;^
Briefe 15. 10 s. 308—7:
Faust I
525 (878) s. 349.
1058 (2011) s. 349.
1720 (2073) fgg. s. 3:><
3222 (357r)) s. 350.
3437 8. 351.
II, 397 (5909) s. 351 f^:.
3190 (7802) s. 352.
5524 (10130) 8. 352fi;
0004 (11210) s. :r>3f^
Iphigenic I, 3 (104 fgg.
s. 428.
Goethojahrbuch
XIV, 280 s. 220 fg.
XIV, 289 s. 227.
Brüder Grimm, Kind«.'r- u
hausmärchen 152 s. 71 fg
III. WOBTREOISTEB.
Altnordisch.
Feiya s. 187 fg.
Fenrisulfr s. 183 fg.
Fensalir s. 185 fg.
ulfr 8. 189 fgg.
vargr 8. 189 fgg.
AltsMehsIsch.
griat 8. 148.
luokoian s. 152.
scür 8. 147.
waraii c. acc. s. 148.
Miitelhochdeutoeh.
artiseu s. 421 fgg.
arthouwe s. 423 fgg.
Neiihoehdeutseh.
fräulein s. 501 fgg.
gären s. 525.
gaul s. 525 fg.
geifern, geifer, goifoln, iroi
fei s. 520.
haschen s. 520 fg.
hode s. 527.
kracke s. 527.
sclieuken, Schenkel, sohin
ken s. 528 fg.
waro s. 529 fg.
Halle a.S., Knchdrackerei des WaisenhauseH.
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