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Full text of "Zeitschrift für deutsche Philologie"

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ZEITSCHRIFT 


FÜR 


DEUTSCHE  PHILOLOGIE 


BEGRÜNDET  von  JULIUS  ZACHER 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


HUGO   GERING 


ACHTUNDZWANZIGSTER  BAND 


HALLE  A.  S. 

VERLAQ   DER   BÜCHHAUDLÜITO   DES   'WAIBENHA.T7BE8. 

1896. 


UBRARY  OF  THE 
LELAND  STANFORD  JR.  UmER8ITf. 


a.  'b(t,J((,T 


INHALT. 

Seite 

Zum  Heliand.    Von  F.  Holthausen 1 

Zwei  bruchstüche  ans  der  Christberre-weltchronik.    Von  R.  M.  Werner     .    .  2 
Mitteilongen  ans  dentschen  handschriften  der  grossborzoglichen  hofbibliothek  zn 

Darms^t.    Von  A.  Scbmidt 17 

Zn  Reinke  de  vos.    Von  R.  Sprenger 32 

Mitteilungen  aus  mbd.  bandscbriften.    Von  F.  W.  E.  Roth 33 

Das  chronologische  Verhältnis  von  Strickers  Daniel  und  Karl.  Von  A.  Leitzmann  43 

ZuT  textkritik  von  Hartmanns  Gregorius.    Von  0.  Erdmann 47 

Beiträge  zur  erklärung  Wolframs.    Von  J.  St o seh 50 

'^Ihr  Ausgang  von  Goethes  Tasso.    Von  H.  Düntzer    .    .     • 56 

Zn  den  Sinder-  und  hausmärchen  der  gebrüder  Grimm.    Von  R.  Sprenger   .  71 

Zu  Johann  Rasser.     Von  J.  Bolte 72 

Zur  altsächsischen  Genesis.    Von  B.  Symons 145 

Der  Fenriswolf.    Eine  mythologische  Untersuchung.    Von  E.  Wilken  .     .      15G.  2i>7 

Zum  Frauendienst  Ulrichs  von  lichtenstoin.    Von  A.  E.  Schöubach  ....  198 

Zum  Goethetext.    Von  A.  Schöne .  226 

Die  göttin  Nerthus  und  der  gott  NiQr{»r.    Von  Axel  Kock 289 

Zu  dem  von  Büwenberc.    Von  F.  Bech 295 

Zur  erklärung  von  Goethes  Faust.    Von  R.  Sprenger 349 

Zur  Vorgeschichte  des  Münchener  Heliandtextes.    Von  H.  Klingbardt.     .     .  433 

Zu  Mai  und  Beaflor.    Von  R.  Sprenger  und  F.  Schultz 437 

Aiigos  Blumen  der  tugend.    Von  Fr.  Vogt 448 

-  Goethes  bruchstück  „Die  Geheimnisse'*.     Von  H.  Düntzer 482 

Gedichte  und  briefe  von  E.  M.  Arndt  an  eine  froundio.    Von  A.  Schmidt    .     .  509 

Zur  frage  nach  der  ausgleichung  des  silbengewichts.    Von  E.  Bohnenberg  er  515 

Beiträge  zur  westgermanischen  wortkunde.    Von  E.  Wad stein 525 

Nekrologe. 

Rudolf  Hildebrand.    Von  E.  Wolf f 73 

Oskar  Erdmann.    Von  H.  Gering 228 

Traugott  Ferdinand  Scholl.    Von  H.  Fischer 430 

Miscellen. 

Zur  altsächsischen  bibeldichtung.    Von  Th.  Siebs 138 

Zur  alliterierenden  doppelconsonanz  im  Heliand.    Von  R.  Meyer 142 

Erklärung.    Von  H.  Gering 285 

Artisen  und  arthave.    Von  H.  Haupt  und  E.  Schröder 421 

Germanistische  Studien  in  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika.  Von  H.  Schmidt - 

Wartenberg 425 

Der  name  der  Loreley.    Von  R.  Sprenger 427 

^  Zu  Goethes  Iphigenie.    Von  demselben 428 

Zum  Schretel  und  wasserbär.    Von  demselben 429 

Lanjgez  här  —  kurzer  muot.    Von  J.  Stosch 429 

Bericht  über  die  Verhandlungen  der  germanistischen  section  auf  der  philologen- 

Versammlung  zu  Köln 530 

Personalien  und  stoifgeschichtliches  zu  G.  A.  Bürger.    Von  L.  Fränkel.    .     .  551 

Materialien  zur  begriftsentwicklung  von  nhd.  „fräulein'*.    Von  demselben.    .  561 

Berg  und  vöglem.    Von  A.  Hartmann 563 

Zu  Parzival  826,  29.    Von  A.  Wallner 565 

Berichtigung.    Von  Fr.  Vogt 566 

An  die  mitarbeiter  und  leser  der  Zeitschrift    Von  H.  Gering 566 

Litteratur. 

Zimmer,  Nennius  vindicatus;  von  R.  Thurneysen 80 

Kühnemann,  Herders  persönlichkeit  in  seiner  Weltanschauung;  von  H.Meyer  113 

Buege,  Bidrag  til  den  seldste  skaldedigtnings  historie;  von  H.  Gering  .    .    .  121 

Wolfskehl,  Germanische  werbungssagen;  von  E.  Mogk 127 

Kahle,  Die  spräche  der  skalden;  von  0.  Jiriczek 128 

Moarek,  EinÜuss  des  hauptsatzes  auf  den  modus  des  ncbonsatzcs  im  gotischen; 

von  E.  Bernhardt 130 


IV  INHALT 

Seite 

Neuere  Schriften  zur  runenkuude  (Wimin er,  Sonderjyliands  historiske  runemin- 
dcsmiorker;  Wimmer,  De  tyakc  ninemindesmaprkeV;  Bugge,  Norges  inskrif- 

ler  med  de  »Idre  runer);  von  H.  Gering 23G 

Meyer,  Germanische  mythologie;  von  Fr.  Kauffmann 245 

Minor,  Neuhochdeutsche  metrik;  von  H.  Wunderlich 248 

Hench,  Der  althochdeutsche  Isidor;  von  demselben 254 

Kraus,  Deutsche  godichte  des  12.  Jahrhunderts;  von  demselben 256 

Valentin,  New  high  german;  von  0.  £rdmann 259 

Schröder,  Zwei  altdeutsche  rittermären;  von  A.  Leitzmann 260 

llülz.  Zum  Rosengarten  und  Derselbe,  Die  gedichte  vom  Rosengarten  zu  Worms; 

von  demselben 261 

Fränkel,  Shakespeare  imd  das  tagelied;  von  G.  Sarrazin 263 

Hoff  mann.  Der  einfluss  des  reims  auf  die  spräche  Wolframs  von  Eschenbach; 

von  0.  Erdmaun 267 

Bolle,  Xystus  Betulius  Susanoa;  von  II.  Holstein 269 

Hartfelder,  Philipp  Melanchthon  Declamationes;  von  demselben     ....  270 

Oriesobach,  G.  A.  Bürgers  werke;  von  0.  Erdmann 271 

Hermann,  Albrecht  von  Eyb;  von  E.  Matthias 273 

Ellingor,  E.  T.  A.  Hoffmann;  von  C.  Heine 280 

Höber,  Eichendorffs  jugenddichtungon;  von  A.  B red  fei  dt 282 

Schreiber,  Die  vagantenstrophe  der  mittellat.  dichtung;  von  J.  Schmedes  284 

">  Goethes  werke  (Weimar,  ausgäbe);  von  H.  Düntzer 354 

Bromer,  Deutsche  phonetik;  von  H.  Pipping 375 

Seiler,    Die  entwicklung  der  deutschen  kultur  im  Spiegel   des  lehnworts;   von 

G.  ßinz 377 

Cook,  A  glossary  of  the  Old  north umbrian  gospels;  von  demselben      .     .     .  378 

Aus  fei  d,  Zur  kritik  des  griechischen  Alexanderromans;  von  H.  Becker     .     .  379 

Sichert,  Tannhäuser;  von  J.  Wahuer 382 

Bolte,  Die  schöne  Magelone* übers,  von  Veit  Warbeck;  von    A.  Hauffen.     .  390 

Schnorr  von  Carolsfeld,  Erasmus  Alberus;  von  E.  Matthias 392 

Ordbok  öfver  Svenske  spräket  udg.  af  Svenska  akademieu;  von  H.  Gering  .     .  394 

Schwartz,  Esther  im  deutschon  und  neulat.  drama;  von  P.  Bah  Im  an  n      .     .  39S 

Birket  Smith,  Niclaus  Manuels  satire  von  den  syge  Messe;  von  J.  Bolte     .  399 

Wolkan,  Das  deutsche  kirchenlied  der  böhmischen  biiider;  von  demselben   .  401 

Bolte,  Die  Singspiele  der  englischen  komödianten;  von  G.  Ellinger.     .     .     .  402 

Gerhard,  Peter  de  Memols  Lustige  gesellschaft;  von  demselben 403 

Wolff,  Gottscheds  Stellung  im  deutschen  bildungsieben;  von  A.  Leitzmann    .  404 

Schönbach,  Über  Hartmann  von  Aue;  von  demselben 405 

Altenkrügor,  Fr.  Nicolais  Jugendschriften;  von  G.  Witkowski 407 

Ellinger,  Fr.  Nicolais  briefe  über  den  itzigen  zustand  der  schönen  Wissenschaf- 
ten; von  demselben 407 

^Knauth,  Von  Goethes  spräche  imd  stil  im  alter,  von  E.  Bruhn 409 

•Wolff,  Goethes  lel)en  und  werke;  von  A.  Leitzmann 413 

Meyer,  Goethe;  von  demselben 415 

Poppenberg,  Zacharias  Werner;  von  F.  Ahlgrimm 417 

Farinelli,  Grillparzor  und  Lope  de  Vega;  von  J.  Schmedes 419 

Schröter  und  Thiele,  liossings  Hamburg,  dramaturgie;  von  A.  Leitzmann  .  420 

Tardel,  Untersuchungen  zur  mhd.  spielmannspoesie;  von  F.  Ahlgrimm     .     .  535 

Sattler,  Die  religiösen  anschauungen  Wolframs  v.  Eschenbach ;  von  G.  Bötticher  537 

Bohnenberger,  Zur  geschichte  der  Schwab,  mundart;  von  Fr.  Kauffmann  .  540 
Bromer,  Deutsche  phonetik  und  Mentz,  Bibliographie  der  deutschen  mundart- 

forschung;  von  demselben .  543 

Kock   und   af  Petersens,   Östnordiska  och  latinska   medeltidsordsprak ;   von 

0.  Jiriczek 545 

Schultheiss,  Geschichte  des  deutschen  nationalgefuhls  von  H.  Wunderlich  550 

Nachrichten 1^-  288.  432  568. 

Neue  erschoinungcn 143.  286.  431.  567 

Register  von  E.  Matthias 569 


ZUM  HELIAND. 

V.  2481  fgg.  eTidi  tke  uitard  godes 

nähor  fnikilu  nahtes  endi  dages, 
anttat  sie  ina  brengead, 

schreibt  Behaghel  mit  M,  während  G  das  gewöhnliche  dages  endi  'nah- 
tes aufweist  Das  erste  verstösst  gegen  die  regeln  der  metrik,  das 
andere  zeigt  unregelmässige  alliteration  (vgl.  Beitr.  XII,  349).  Ich 
glaube,  dass  keine  der  beiden  handschriften  hier  das  richtige  bewahrt 
hat,  sondern  die  zweite  vershälfte  von  2482  eine  blosse  widerholung 
von  V.  2480  a:  dages  eiidi  nahtes  ist  Wenn  wir  die  verse  betrachten, 
in  denen  nähor  gebraucht  wird,  so  finden  wir  es  häufig  mit  niud 
gebunden,  vgl.  v.  182:  nähor  mildlu  :  uuas  im  niud  mikil,  v.  1448: 
that  man  is  näkiston  niutlico  scal,  v.  2468:  suiäo  niudltco  endi  nähor 
siidy  V.  4971:  nähor  niähxiata  endi  ijia  niiidlfco,  v.  5204:  nähor  gan- 
gan  endi  ina  nitddltco,  v.  5825:  nähor  mikilu  —  ik  unet  that  is  tu 
ist  niud  sehan.  Versuchen  wir  hiernach  eine  ergänzung  der  lücke, 
die  zugleich  zum  folgenden  passt,  so  liegt  wol  am  nächsten,  nach 
V.  182b  is  im  niud  mikil  als  die  ursprüngliche  lesart  anzusehn.  Der 
gleiche  schluss  beider  halbzeilen  erklärt  auch  genügend  die  auslassung 
der  zweiten.  —  Bemerkenswert  ist  übrigens  der  plötzliche  Wechsel  im 
numerus! 

V.  4290  fg.  an  tJienne  middilgard,  mankunnie 
te  adelienne,  dödun  endi  quikun? 

So  Behaghel  mit  C  gegen  das  addmienne  von  M.  Dass  keins  von  bei- 
den hier  passt,  bemerkt  richtig  Kauffmann  Beitr.  XII,  348  fg.  Er  nimmt 
eine  lücke  an  „in  der  Orist  gestanden  haben  mag,  worauf  frd  min 
ihe  gödo  [4292a]  hinweist;  dann  ist  quikun  endi  dödun  zu  lesen,  wie 
durchweg  üblich  ist**  Da  Oiist  allein  nicht  in  der  lücke  gestanden 
haben  kann,  ergänze  ich  nach  v.  3139:  Krist  alouualdo  als  ersten  halb- 
vers  zu  quikun  endi  dödun  als  zweitem;  zwischen  vers  4290  und  dem 
80  hergestellten  4291  mag  gestanden  haben: 

ddmos  te  adilienne  an  tJiemo  dage  selbo, 

ZDTSCHBIFT  F.   DET7TS0HE  PHU^OLOQU.     BD.   XZVm.  1 


HOLTHAÜSKN,  ZUM  HELIAKD 


Vgl.  V.  5255:  ddmos  adeJdi.  He  uuas  ök  an  themu  dage  selbo.  Für 
die  Verbindung  d^mos  adelian  mit  dativ  der  person  vgl.  v.  3315  fg.: 
irminthioduii  ||  ddmos  adelten,  und  ohne  einen  solchen  (ausser  dem 
angeführten  v.  5255)  v.  5419:  huö  thiu  thiod  habda  ditomos  adelid.  — 
Ich  würde  schliesslich  noch  als  stilgerechtere  Interpunktion  das  frage- 
zeichen  erst  nach  gödo  in  v.  4292  setzen  und  das  ganze  also  folgen- 
dermassen  schreiben: 

mankunnie 

[donios]  te  adelienne  [an  themo  dage  seWo, 
Krist  aloutmldoj  quikun  endi  dodun, 
fr 6  mtn  the  gödo? 

Yon  der  ursprünglichen  lesart  dömos  te  adelienne  hat  M  sowol  wie  C 
etwas  bewahrt! 

V.  5738   gumon  ne  bigruöbun.     Thar  sia  that  godes  bam 

schreibt  Behaghel  mit  Sievers  gegen  bam  godes  der  handschrift.  Kauflf- 
mann  weist  a.  a.  o.  darauf  hin,  dass  dies  dem  rhythmus  nicht  genüge. 
Durch  einsetzung  des  gleichbedeutenden  und  öfters  überlieferten  thena 
godes  suno  (vgl.  Sievers,  Heliand  s.  402,  20  fgg.)  —  im  acc.  wegen  des 
bifulhun  in  v.  5740  —  wird  die  halbzeile  korrekt. 

GÖTEBORG,  7.  NOV.  1894.  F.  HOLTHAUSEN. 


ZWEI  BEUCHSTÜCKE   AUS  DER   CHEISTHEKEE- 

WELTCHEONIK. 

Das  Salzburger  gemeindearchiv  besitzt  eine  grosse  reihe  von  ,spi- 
tall-raittungen',  die  in  fragmente  von  pergamenthandschriften  gebunden 
sind.  Nur  die  beiden  bände  nr.  13  und  14  aus  den  jähren  1590  und 
1591  zeigten  reste  eines  deutschen  textes.  Mit  erlaubnis  und  freund- 
licher hilfe  des  herrn  direktors  L.  Pezolt  habe  ich  während  der  oster- 
ferien  des  Jahres  1890  von  diesen  bänden  zwei  doppelblätter  abgelöst, 
die  einer  und  derselben  läge  einer  mit  schöngezierten  initialen  aus- 
gestatteten foliohandschrift  der  Christherrechronik  aus  dem  14.  Jahr- 
hundert entstammen.  Die  handschrift  war  etwa  35  cm  x  26,5  cm  gross, 
denn  ausser  den  ecken  dürfte  kaum  viel  durch  den  buchbinder  abge- 
schnitten worden  sein.  Für  die  zwei  spalten  und  die  Zeilen  sind  linien 
vorgezeichnet;  die  anfangsbuchstaben  der  ungeraden  verse  sind  heraus- 
gerückt und  ebenso  wie  die  mehrzahl  der  eigennamen  rot  durchstrichen. 
Die  Überschriften  der  kapitel  und  der  blätter  selbst  sind  rot,    die  ini- 


WERNER,   BRUCUSTÜCKE  DER   0HRI8THERRE  -  CHRONIK  3 

tialen  abwechselnd  rot  und  blau;  auf  jeder  spalte  stehen  50  zeilen  mit 
den  abgesetzten  versen.  Das  äussere  doppelblatt  diente  der  spitall- 
raittung  von  1591,  das  innere  jener  von  1590  als  einbanddecke;  auf 
dem  ersten  steht  der  schluss  des  buches  Genesis  und  der  beginn  des 
buches  Exodus,  welchem  das  andere  blatt  ganz  angehört. 

Der  dialekt  unseres  fragmentes  ist,  wie  sich  auf  den  ersten  blick 
zeigt,  der  bairisch- österreichische  mit  ei  <  t,  ai  <.  ei,  o  <c  a,  au  <  ü 
und  ou  usw.  Hervorgehoben  seien  die  formen:  weleiben  für  beltben 
(v.  51)  und  diem  (v.  623). 

Ein  teil  des  in  diesen  fragmenten  enthaltenen  textes  geht  mit  dem 
von  Zupitza  Ztschr.  f.  d.  a.  18,  105  fgg.  veröffentlichten  Wiener  bruch- 
stücke  suppl.  2715  parallel,  wozu  in  den  anmerkungen  die  fassung  der 
Wiener  handschrift  2690  citiert  wird.  Bei  Schütze,  Die  historischen 
bücher  ist  dieser  teil  der  Weltchronik  nicht  abgedruckt  Ich  gebe  in 
den  noten  die  wichtigeren  abweichungen  und  ergänzungen  nach  W  (der 
Wiener  hdschr.  2809  bl.  95**  fgg),  um  so  den  vergleich  zwischen  dem 
werke  Rudolfe  von  Ems  und  der  Christherrechronik  zu  ermöglichen. 
Damit  wird  der  abdruck  eines  an  versteckter,  schwer  zugänglicher  stelle 
erhaltenen  bruchstücks  aus  dem  leider  noch  immer  ungedruckten  werke 
vielleicht  etwas  mehr  berechtigung  gewinnen. 

Herrn  direkter  L.  Pezolt  sage  ich  hiermit  auch  noch  öffentlich 
dank  für  seine  liebenswürdige  erlaubnis  zur  benutzung  der  handschrift 

LEHBERO.  RICHARD   MARIA   WERNER. 


Erstes  doppelblatt.    I*. 

.fts. 


Waz  si  nu  heten  e.  getan 

si  trägen  zweifeleichen  wan 
Von  sorgleichen  Sachen  doch 
si  verebten  daz  er  gedächt 

noch 
5  Dar  an  waz  si  im  taten  e. 
die  zweifelz  vorcht  tet  in  we. 
Ynd  giengen  einez  tagez  hin 


Vnd  vielen  wainud  f5r  in 
Vnd  sprachen  prüder  herr 
10     swaz  Dir  gen  fnz  werr 
Daz  la  durch  die  genad  dein 

gen  f  nz  genidikleichen  sein 
Wir   haben   vil   fbel    an    dir 

getan 
Daz  solt  du  herr  varn  lan. 


Vor  V,  1  steht  in  W:  do  diz  zil  ein  ende  nam  Vnd  Joseph  wider  kom  Haim 
in  Egippen  lannt  Die  prüder  wurden  ermant  Was  si  im  heten  getan  —  3  Sachen] 
förchten  —  Nctch  v.  14  folgt  in  W  noch:  Wann  vnser  vater  zu  vns  sprach  Den- 
noch do  man  in  lehn  sach  Das  wir  dich  peten  das  du  Gen  vns  die  suld  liessest  nu 
Das  tu  durch  vns  vnd  durch  in  Lass  den  zorn  vnd  leg  in  hin  So  das  dem  werde 
hidde  Vergess  gen  vns  der  sulde  Gegen  vns  als  ein  pr&der  sol  Tust  du  gen  vnserm 
Tbel  wol    So  wirt  das  lob  die  ere  dein    So  wir  gegen  dir  in  sulde  sein 

1* 


15  TOseph  der  gotez  erweit  man 
^  mit  in  wainen  do  begmn 
Er  sprach  lieben  prilder  mein 
lai  g&a  mir  den  iweifel  sein 
Vnd  f&n^ht  ew  rmb  die  geschiht 
20    Vnd  rmb  die  schuld  nimmer 

nicht 
Vnder  fni  ist  lieplddi  erchom 

aller  mfireomtleicher  zom 
Dat  ist  gut  Tnd  pr6derlidi 
Der  red  friwten  si  sich 
25  Daz  er  sie  abo  wol  m:^ 

md  ran  den  rorchten  last 
Da  ron  si  zweifelhaft  warn 
Joseph  her  in  seinen  iam 
Geiebc  md  in  sräier  seit 
30      Daz  er  saetner  chind  chinder 

seit 
Pis  an  daz  vier!  ch&nn  ans^th 

Der  aller  Tiiutb  ü^escfaah 
Xh  der  fepnid  an  Ef&ajm 
Der  cepc^rn  waz  toq  im 

35  Vanassies  be«  eüxn  s^sn  hkiz  Ha- 

Air 

Da  die  £«sc^rii^  alsic*  liani  mir 
Dar  rewas  m-dA  w^Toer  chind 

Dar  xmciL  sieh  Jai)e7d>€ffi  zil 
liL  sifir  mn  iar  i^abei:  Kecan 
4^    Dr^  srrar^  oinr  raiL  rü:  man 

9etL 
ecc  tc:  ew  ii:cä.   di*   irB&ac 


Also  daz  ir  wen  gesant 
Von  im  in  daz  gehaizzen  lant 
45  Daz  er  hat  fns»m  cfafinn  ercfaom 
md  ze  geben  fnz  geswom 
Xn  wil  ich  ew  piten  daz  ir 

Daz  lobt  Tnd  auch  swen  mir 
Mit  trewen  all  gemain 
50     Daz  ir  mein  gepain 

[Spalte  2]  Lat  hie  weleiben  nicht 
so  got  ew  fikg  die  geschieht 
Vnd  die  silikleichen  zeit 
Daz  ir  ti«  hinnen  seit 
55  Vnd  säst  ez  auch  ewm  cfainden 
Daz  si  sein  nicfa:  erfinden 
Si  behalten  dar  an  ewm  ait 

dez  aidez  warn  si  d-:*  beraiL 
Vnd  swnm  im  daz  sä  ez  rkaai 
60      vnd  ez  tu  irera  ssa:  hax.  [sie] 
er  gepetec  b^t  sae 
Dar  nach  stcÜer  do  daz  rrpe 
be^rand  säticben  md  ssaib 
in  oer  ueit  de-  er  verdarb 
65  Dv«  WM  er  hxmdrri  iar  ah 

TXid  rwaiiiEik.   cj*  iiL  ^am 

rsidiiöÄ  r^jÄi5>*aL:  wan 
Xaci  hcKhtz  wta?fciafff  wirdüeii 
T{«      ward  fs-  iü  EctMJ-  eftkäi 
De-  ri:  ifr  iriE  ax  di*  sxsx 

I>a2  dif  Iiciü>eh$i:ü>f>a:  d» 


maÄüT  —     ib  i«*n  or  ."io»bf  —     .^  mi;  iar    ieut  TT  —    4.  a*  üto."   rpUt;  V 

luimaL  ianiL  sßi:  —    Tc-  ah   nr  ~  5$*  ül    initt  IT  —    Bi-  bf^iu   —    fc. 


74  ToL  xkamsmihBL  Lamiat  schiei 


BRUCHSTÜCKE  D1ER  CHBISTHERRB  -  CHRONIK 


75  Do  vol  färten  si  den  ait 

sein  gepain  ward  in  Ebron 

gelait 
Die  andern  sein  prflder  gar 

Die  wurden  auch  geffirt  dar 
Vnd  in  Ebron  begraben  seit 
80      Alz  vnz  die  geschrift  vrchunt 

geit 
Tnd  alz  ich  noch  sagen  wil 
so  ich  chfim  an  daz  zil. 
nie  hört  nu  wax  pey  der  zeit 
haidenischer  chunig  wax  und 
wax  sie  begierigen:  — 
"Hey  der  zeit  do  ditz  waz  alsus 
ein  chflnig  hiez  Amiricus 
85  Der  trüg  do  in  Assiria 


dez  landez  die  zwelft  chron 

alda 
Argus  den  ich  da  vor  nant. 

in  der  Argiven  laut 
Der  lebt  noch  in  seiner  chraft 
90      mit  chflnikleicher  herschaft. 
Vnd  in  der  selben  zeit 

waz  in  dem  land  ze  Creit 
Ein  chänik  Citropes  genant 
vnd  het  vnder  im  daz  laut 
95  Mit  chänigez  gewalt  der 
wolt  also  daz  Jupiter 
w&r  der  Allmichtig  got 
er  macht  im  durch  dez  tew- 

fels  spot 


Erstes  doppelblatt.    I^. 


.lib*.  EoDo. 


Einen  alter  hartt  reich 
100       vnd  opfert  im  herleich 
Er  waz  der  erst  der  im  slüg 

vich.  vnd  im  ez  zeopfer  trüg 
In  den  zeiten  alz  man  do  got 
opfert  nach  gotez  pot 
105  Auch  waz  in  den  zeiten  do 
der  listreich  AppoUo 
Der  half  mit  ertznei  vil 

läwten  an  demselben  zil 
Der  selb  ze  sun  seit  gewan 
110      auch  einen   chunstreichen 

man 
Der  hiez  der  weiz  Ascolopus 
ein  artzt  maister  hiez  er  alsus : 


115 


Hie  ist  nu  Moises  puch  dax 

erst  aux. 
Dax  Genesis  ist  genant  nu 

hebt  sich 
An  dax  ander,  dax  ist  Exodus 

genant  ode* 
dax    püch    de*  IsrahelischB 

chindauxgank: 
Tf  it  gotez  Weisung 

hat  ew  nu  hie  mel  züg 
beschaiden  vnd  auch  berich 

gesait  vü  getichtet  [tet 

Daz  erst  pflch  vö  Moise 

Daz  er  schraib  vö  de*  alte.  e. 
Daz  ist  Genesis  genant 


80 — 82  Statt  dieser  verse  hai  W:  Igleich  nach  seiner  zeit —  Die  Überschrift 
nach  V.  82  fehlt  W.  —  86  Lanndes  chron  die  zwelifte  da  Also  das  er  als  ich  das  las 
Des  Lanndes  zwölfter  chunig  waz  —  91  denselben  zeiten  —  92  ze  chriehen  — 
93  Ceorpes  —  94  het  er  im  dasselb  —  95  chunnige  gewaldes  —  101  in  —  102  Vie  — 
im  sein  opher  —  105  Nu  was  auch  —  111  Aselopius  —  Die  Überschrift  iiach  v,  112 
hat  einen  anderen  wortlatU  in  W.  —  115  betichtet  —  116  berichtet 


6 


WEBNEB 


120      vnd  han  ew  gemacht  erchant 
Die  drei  werlt  wie  die  zergien- 

gen 
ynd  von  erst  an  viengen 
Die  erst  waz  alz  ich  sprach  .e. 
von  Adam  piz  an  Noe. 
125  Vnd  von  Noe  an  Abrahamen 
Wie  dievon  erstvrhab  namen 
Vnd  von  Abraham  piz  her 
Nu  pis  meiner  sinn  wer 
Vnd  meinez  lebenz  herr  Christ 
130       seit- du  ein  angeng  pist 
Vnd  ein  end  aller  Weisheit 

Allew  Weisheit  von  dir  treit 
Vrhab  chunst  vnd  end 

Aller  chunst  weishait  eilend 
135  Ist  nicht  an  dem  trinitat 

Die  Allew  dink  bestricket  hat. 

Der  witz  vrhab  der  vater  geit 

Die  weishait  an  dem  sun  leit 

Von  der  die  chunst  hat  voUaist 

140      so  erfüllt  der  heilig  gaist 

Die  fruch  mit  Deiner  gut 

Der  chunst  da  mit  ir  blAnt 
An  dem  vater  vnd  an  dem  sun 

blünt 
Die  an  menschleichen  witzen 

grünt 
145  TTerr  got  nu  wil  ich 

in  den  drein  namen  piten 

dich 
Daz  du  gerüchest  meinen  sin 
wan  ich  nicht  wol  beweiset 

pin 
Also  hochew  red  ze  tichten 


150      vnd  so  reichew  mir  zebe- 

richten 
Alz  ich  mich  han  an  genomen 
Wan  daz  ichs  mit  dir  ze  end 

chomen 
Müz  nach  den  genaden  dein 
nu  nim  dich  an  die  sinn  mein 
155  So  daz  du  sinnikleichen  mir 
gehst  die  sinn  von  dir 
Daz  ich  die  mär  also  gesag 

Daz  si  deinen  hulden  behag. 
Wie  dein  göüeich  gepot 
160       himlischer  cheiser  vnd  got 
Begieng,  hocher  wunder  vil 

Pey  dez  rainen  mannez  zil 
Mit  dem  ich  wil  heben  an 
Daz  ist  Moises  dein  dienst 

man 
165  Dem  du  vil  manigew  stund 
von  mund  ze  mund 
Deinez  gewaltez  willn  chür 
nach  Deinem  willen  legatzt 

für 
Vnd  wie  dein  chraft  ie  dem- 

diet. 
170      in  allen  nßten  wol  beriet 
Alz  er  selber  die  warheit 
von  deinen  genaden  hat  ge- 

seit 
Dez  wil  ich  auer  beginnen  hie 
ze  tichten.   nu  hört  wie. 
175  T  ang  nach  den  zeiten  seit 
"^  ich  main  nach  Josephen  zeit 
Do  der  gestarb  vnd  wart  geleit 
alz  ich  ew  hie  vor  seit 


121  Dew  werlt  —  zergienkch  —  122  anefienkch  —  131  angeng]  anefenge  — 
133  chunst  wicz  vnd  —  135  dem]  deiner  —  141  Deiner]  seiner  —  142  Die  chunst 
die  mit  der  plüde  —  143  blüt  —  144  Gen  menschleihn  —  grüt  —  148  beweiset] 
versinnet  —  156  Besinnet  werden  von  Dir  —  161  Beginnet  —  168  willen  leitest 
für  —  169  chraft  yedem  diet  —  177  starb  vnd  gelait 


BRUCHSTÜCKE  DER  0HRI8THERRE  -  CHRONIK 


Ez  waz  vnd  wuchs  ein  chunick 

aldo 
180       mit  chreften  in  Egipto 
Der  do  dez  landez  chron 
trüg  nach  dem  chönig  Pha- 

raon 
Vnder  dem  der  gotez  weigant 
Joseph  bericht  Egipten  lant 
185  Nach  ienem  an  der  achten  zal 
Der  land  chfinig  f  her  al 


Alz  die  warheit  fnz  tut  gewis 
Der  waz  genant  Amolophis 
Sein  zu  nam  waz  auch  Pharao 
190      Also  hiezzen  dez  landez  chfi- 
nig do 
Swie  si  auch  hiezzen  Da. 
Der   selb   chfinig  waz  an- 

derswa 
Mit  haus  also  iehent  die  m&r 
dann  Josephs  herr  w&r 


220 


Zweites  doppelblatt. 

Z>M5. 

195  Vnd  hie  von  Egipten  lant.  215 

in  einem  newen  sit  erchant 
Wan  der  chfinig  erchant  nicht. 
Der  hochen  tat,  die  hochen 

geschieht. 
Die  Joseph  dem  land  pot 
200       mit  rat  in  dez  hungerz  not. 
Vnd  vergaz  der  gfitat  also  gar 
Daz  er  ii-  nam  chainen  war 
Vnd  niemant  in  dem  land 
an  Josephs  chfinn  erchand 
205  Wie  er  daz  land  von  chumber 

schiet 
in  hungerz  not  vnd  si  beriet. 
In  notflrftiger  weiz 

choms  vnd  auch  speis. 
Wan  ez  waz  aldo  f&r  war 
210       vergangen  hundert  iar 
Vnd  sechs  iar  mit  not 

Pis  auf  den  chfinik  vö  Jo- 
sephe tot 
Da  von  si.  der  gfitat  do 
heten  vergezzen  hie  also. 


I'. 


T\er  chfinig  waz  dem  chfinn 

gram 
vnd  daz  lant  volk  alsam 
Si  hazzten  si  ze  aller  zeit 
Durch  den  has  vnd  durch 

den  neit. 
Si  has  gen  im  gewunnen 
da  von  daz  si  sich  paz  ver- 

sunnen 
Vnd  witziger  warn  dann  sie 
vnd  daz  ez  in  paz  zehanden 

gie 
Nach  wunschleicher  1er 
mit  Süden  gftt  vnd  er 
225  Vnd  an  gesläcez  edelkait 

Ditz  waz  den  lant  liwten  leit 
Vnd  heten  ez  für  vngemach 
Der  chfinig  do  zu  den  sei- 
nen sprach 
Ditz  fremd  le'wt  gewachsen  ist. 
vnd  wichst  ser  ze  aller  frist 
Vnd  beleibt  ez  also  die  long 
Daz  ez  f  nz  eben  streng 


230 


184  richtt  das  lannt  —  188  Apolophis  —  198  die  grossen  geschieht  —  200 
der  hungers  not  —  209—314  fehlen  W  —  217  Die  horten  sie  —  220—221  Daz 
si  was  versunnen   An  witze  warn  danne  Sie 


s 


235 


240 


245 


Will  Tnd  sterker  dann  wir  sein 

so  tiknt  si   fnz  rngenaden 

sdiein 
Wir!  Tni  ein  not  an  gent 

Tnd  Trlewir  bestent 
So  cbemt  si  ra  der  veint  her 

Tnd  hetfient  in.  in  s^iradei- 

eher  wer 
Daz  si  mit  in  an  fnz  eesisent 

Alz  si  fnz  dann  ob  geli^nL 
So  hennbent  si  daz  iant 

Tnd  Tarnt  hin  frei  zehanL 
Xa  ratt  wie  wir  daz  bewam 

Tnd  ez  w«sJekfc  Tnder  Tara 
Wir  sjukn   an   si   iesen   mit 

chlük^t 

mit  dieftst  s)t>  tu  arii^Ät 
IXaz  an  in  al:<ew  chnä  zer^ 

ßu  ir  firtttz  weri  nicfa:  r;^ 


Menschleidiez  samen  azt 
Daz  lewtt  do  ser  gearbaitt 


265 


270 


250 


m 


L-S. 


Ir  ras  jygr^^afr'^Acfl  du  riec 

Mi:  artei:  sii»  crÄcir 

V»c  in  ^  =11 


255 


Aiso  iai  T*?T  s«2f*a  w^i^ 


■r>f  ü  SL  wir:  fzL*zt: 


275 


"^^i 


Si  mAsten  pawen  daz  Iant 

erd  tzaeen  Tnd  aoch  sant 
Zieeel  prennen  Tnd  aoch  cfaalk 

als  ein  eechaoft  aicen  schalk. 
Arhaiten  si  nacht  Tnd  tag 

ein  matter  der  ir  pflag 
Schuf  nuin  der  sesielkcfaaSt  zn 

iedeicher  sm  Tnd  frä 
Tnd  mdst  «iaz  ir  ainer  wesen 

f  ber  den  ward  aoz  seksen 
Ein  iantman  der  sein  pflag. 

Tnd  zie  alkc  zedUEc  ob  in  lae. 
Tnd  in  ndt  si?««i  riar  jn  iwang 

ob  ir  ri  in  da:>±:  nr  jang 

Tsi  Eii:  slr^ffscL  iir  rü 
IViz  si  a£ 


tttllTÄ  EL-iSOSE  A:1  IZi 


M^* 


Ä:Lr^r»^  nr:  -  rtlär    2» 


f£i   SCC   C:>f    ÜfS    PilT.CL 

Tr>£  R&sas3>Hr  ii^f  lAi'r«:  s 

i?*  ttä  wxTÄfc:  w:l 
Mi:  w«rl»rörb*r  jiw:  wtt 

Zi*  w«r  iffli  jü:  i:  !jipfii 

T2>i  ÄfiS  XÜL  lüZrl  5:   TSJ 

Tili   -*:*^  n  SU*  r^a.'iL 


Ä^ 


13^  -Tit  -^'damems:  jsiar  aarmiw 
masL  —     ir~ — i5*I  ^ac3L    w    hl 

imSC  TWTXaBBL    ^311   JBL  —     2ä(L 
jmSUBL 


—    i5if  "^i»t  Timm*   äurviftua  Ttfew    — 
tu  n&vm   --     i!H    OK   jt 


BRÜCHSTÜCKE  DER  CHRIBTHERRE  -  CHRONIK 


9 


Zweites  doppelblatt. 

Exo, 


295  Veintleich  niemant  mocht  cho- 

men 
Waz  in  dem  land  wart  ge- 

men 
Zinsez  do.  den  hiez  vll  gar 

Dez  landez  chänig  fäm  dar 
Die  wurden  do  mit  reicheit 
300       Aldo  ze  samen  geleit 
Daz  si  der  chfinik  seid 

Da  vinden  swenn  er  wold 
In  not  ze  chainen  stunden 
Die  stet  da  begunden 
305  8er  reichen  von  der  arbait 

Die  daz  Israhelisch  chfinn  da 

lait 
Wan  si  dar  dienten  ser 

noch  mästen  si  mer 
Leiden  arbaiüeichew  not 
310       ze  vegen  man  in  gepot 
Der  stet  weg  pey  den  tagen 
vnd  daz   hör  von  dannen 

tragen. 
"Her  dritten  not  ward  in  ge- 
^  dacht 

daz  si  wurden  für  pracht 
315  Mit  pein  an  lebleicher  chraft 
man  gepot  all  derch&nnschaft. 
Daz  si  sunder  lonez  gelt 

vor  den  steten  hin  daz  velt. 
Durch  grflben  an  allen  seiten 
320      mit  tieffen  graben  weiten 
So  die  wazzer  erguzzen 
Daz  si  in  die  graben  fluzzen 


Hin  dan  von  den  vesten 
swaz  die  lantl&wt  westen 
325  Zerdenken  daz  tet  man  in 

won  si  ze  verderben  wont 

ir  sin 
Also  taten  si  in  wirz  dan  we 
so  ward  er  iemer  vnd  me. 
So  man  si  ie  serr  druckt  nider 
330      so  si  ie  serr  wüchsen  wider 
Irward  ie  vil.  vnd  mer  dann  vil 
si  wüchsen  memt  allew  zil 
Warn  si  alz  got  gepot 
mit  chainer  band  not 
335  Mochten  die  lanüat  sie 

verdiigen  noch  vertreibe  nie 
Si  wüchsen  dar.  an  im  dank 
Die  grozz  arbait  waz  in  ze 

lank. 
Wan  si  wert  daz  ist  war 
340       an  dem  chfinn  vier  hundert 

iar 
T\o  dem  chfinig  wart  gesait 

vnd  daz  beuand  mit  warhait 
Daz  ditz  allez  nicht  veruie 
sein  arger  will  in  do  nicht  lie. 
345  Er  gedacht  nu  wie  daz  döcht 
daz  er  verderben  mßcht 
Die  rainen  Israhelisch  diet 
Zwain  weisen  weihen  er  do 

riet 
Der  selben  hiez  Ainew  Phua 
350       vnd  die  ander  Sephora 
Die  sölicher  chunst  pflagen 


303  chaiaen]  allen  —  315  fehlt  W  —  nach  316  steht  in  W:  Si  wem  jiinkch 
oder  alt  —  323  Vnd  dann  ein  igleich  grabe  Die  wasser  seit  wesen  abe  Hindan  — 
325  das  vand  —  326  Si  zu  verderben  wann  ir  sin  —  327  Vil  vbels  vnd  wierses 
daa  ee  —  333  Wurden  ir  mer  als  got  —  335  lanntlewt  nie  —  336  nie]  sie  — 
337  Si]  fehU  W  —    345  fehlt  W  —    349  phita 


10 


swo  die  ftawen  ?eijg«L 
An  die  benuid  der  cfa&nik 


'^!»5  Daz  9  desler  öfter  wim 

Do  die  jfidiscben  weip  gepim 
Vad  alz  ain  son  ward  gepom 

Daz  der  zfAadkX  ward  Teriom 
E.  die  gepard  solt  geseheben 
360       Vnd  daz  £i  dann  solten  iefaen 
Daz  si  den  snn  e.  sähen  tot 

Da  per  er  in  mit  pet  g^q>ot 
Daz  si  der  sinn  wielten 

rnd  die  maidlein  behielten 
365  JjE^i^ent  vnd  rnverderbt 

An  dem  leib  rnd  vnersteibt 
Vnd  dar  rmb  gehiez  er  in. 

miet  TiL  rnd  grozzen  gewin 
llTar  rmb  der  ch&nik  tat  daz 


370 


Daz  er  si  ie  mit  vorcht 

entsaz 
Do  bet  im  .e.  mit  wariiait 
adner  seiner  weissagen  gesait 


Daz  daz  selb  chonn 

375  Ein  chint  daz  mir  gewahez  band 
solt  ak  Yi^possk  lant 
Druckes  rnd  Diemiten 

Daz  w«:4t  er  do  also  behüten 
Daz  daz  nimmer  geschieh 
SSO       Xa  waz  die  red  ril  spich 
Tnd  rerderbt  >i  doicfa  daz 

Wan  er  die  rorcht  ser  entsaz 

Daz  er  die  maid  behalten  hiez 

Vnd  in  ftid  werdöi  liez 

3S5  Daz  geschach  durcrh  den  list 

so  si  nadi  reiditez  alterz  frist 

Dar  nadi  zu  im  tagen  ch6men 

Daz  si  dann  der  haiden  sfin 

namen 
Vnd  sie  ze  weib  hiten 
390       rnd  im  mfirwillen  titen 
An  in  swie  si  diacht  g6t 

Alz  ez  gen  ir  gemder  müt 
Durch  daz  befrit  er  im  leib 
Auch  west  er  wol  daz  die  weib. 


Zweites  doppelUatt  n\ 

•     .DUB, 


395  Die  mom  in  Egiptenlant 

fd  w^ten  mit  gewaltez  hant 
An  allen  wider  satzez  wer 

Von  Hemphin  piz  an  daz  mer 
Daz  lant  alz  ez  gelegen  waz 
400       Daz  lantrolk  an  sich  do  laz 
Die  wer  die  si  mochten  han 
mit  den  si  wolten  wider  stan. 


Den  mom  die  si  an  riten 
sichomen  mit  gemainen  siten 
405  Fär  im  got  rnd  paten 
Daz  er  in  solt  raten 
Wie  si  gen  der  reint  her 

sich  beraiten  wol  ze  wer 
Do  ward  in  daz  f&r  geleit 
410       rnd  ron  irm  got  daz  geseit 


353  gepeni  solden  Das  si  die  haben  wolden  Als  si  die  chind  solten  gepem  — 
35(J  Judinne  gepem  —  357  sun]  degen  —  358  zehant]  same  —  361  snn  sterben 
tot  —  362  Darmit  er  in  gepot  —  363  sinn]  Sune  —  370  Die  Snn  er  mit  forchten 
besaz  —  388  dann  die  Snne  nemen  —  391  Ainen  Sun  den  daucht  gnt  —  393  beei- 
det —  NcLch  394  stehen  in  W376  rerse,  die  den  Sahburger  fragmenien  fMen.  — 
395  Der  satx  beginnt  inW:  In  denselben  zeüeu  Sach  man  mit  chreften  reiten  Die 
mom 


BRUCHSTÜCKE  DIR  CHRI8THERRE- CHRONIK 


11 


Nach  irr  warheit  vngelogen 

si  selten  nemen  ze  hertzogen 
Einen  Ebraischen  degen 
daz  er  irz  herz  solt  pflege 
415  Der  war  Moisez  genant 

Do  gie  daz  lewt  alzehant 
Für  dez  chfinigez  tochter  hin 

Vnd  paten  si  ser  vmb  in 
Daz  si  in  mit  in  sant 
420       Zehilff  vnd  ze  wer  dem  land 
Wan  sein  werleichew  hant 

befriden  müz  f  nz  daz  lant. 
Alz  in  ir  got  mit  warhait 
Het  gechfindet  vnd  gesait. 
425  "Tkie  fraw  ez  ser  versprach 
wan  si  sich  mit  verebten 

versah 
Daz  si  in  verderbten  auf  der 

vart 
mit  aiden  ir  daz  versichert 

wart 
Vnd  mit  gewissener  warhait 
430       Daz  si  im  nimmer  chain  lait. 
Noch  vngemach  täten 

Vnd  in  ze  herren  gern  hiten 
Nach  sein  selberz  1er 
Do  säumt  nicht  mer 
435  Tenn&t  si  lie  den  rainen  man. 
Mit  den  lantläwten  do  von 

dan 
Die  namen  in  ze  herren  do 

Do  ditz  geschehen  waz  also 
Daz  sie  warn  in  seiner  pfleg 
440      Do  lie  er  der  wazzer  umb 

weg. 
Vnd  f&rt  si  nach  weiser  art 


ein  gar  nachnew  durchvart 
Daz  si  den  Mom  für  chomen 
E.  daz  si  ir  chunft  vernomen. 
445  Vnd  in  dann  entwichen 
einen  weg  si  strichen 
Der  durch  ein  wflst  gie 

in  der  selben  wflst  hie 
Schedleich  wflrm  lagen 
450       Die  der  strazz  also  pflagen 
Daz  niemant  dar  durch  mocht 

chome 
nu  het  Heises  genomen 
Starchen  die  in  den  iam 
Aldo  gezemt  warn 
455  Mit  den  daz  her  auf  der  vart 
befridetvonden  slangenwart 
VTv  chom  an  der  morn  her 
^     Moises  mit  sölher  wer 
Daz  in  vermaid  ir  streit 
460      Vnd  cherten  an  der  selben  zeit 
Sunder  wer  mit  flucht  da 

in  dez  chunigez  vest  von  Saba 
Ich  main  in  sein  haubstat 
Die  waz  mit  reicher  wer  besät 
465  Si  nant  der  chfinik  Cambises 
seit  nach  den  zeiten  Merores 
Vnd  waz  so  wol  ze  wer  gestalt 
Daz  si  nie  mannez  gewalt 
Mocht  an  den  zeiten 
470      erstfirm  noch  erstreiten. 
Dar  inn  lie  der  Morn  her 

sich  besitzen  do  mit  wer 
Die  si  beten  aller  täglich 
her  auz  mit  chraft  werten 

si  sich 
475  So  werleich  das  in  nieman 


422  ^nz]  Im  —  435  Termiit  vnd  si  Hessen  den  man  —  442  nachent  duroh- 
fart  —  447  wfist]  büchs  [!]  — -  448  wüst]  wuchst  —  453  Stockche  dew  in  den 
Jarn  —  456  Befridet  auf  der  stresse  —  465  Camphises  —  473  Das  si  paten  alle 
tag  tegleioh 


12 


480 


Die  stat  mocht  gewinnen  an 
E.  Ton  gesdiicht  daz  geschach 

Daz  dez  chfinigez  tochter  sah 
Heises  sch&nen  leib 

In  begond  daz  iong  weih 
In  sendez  hertzen  sinnen 

so  hertzleichen  minnen 
Daz  si  sich  chortzleich^i  ver- 

wag 

aller  der  firäwden  der  si  pflag. 


485  Oder  er  wurd  ir  ze  man 
si  tr&g  ins  mit  pet  an 
Wolt  in  dez  gen  ir  gezemen 
Daz  er  si  ze  weib  wolt  nemen 
Dez  si  gert  md  pat 
490      so  wolt  si  im  geben  die  stat 
Also  ward  in  chortzen  tagen 
Vnder  in  f  ber  ain  getragen 
Daz  si  im  gab  md  seinem  her 
stat  vnd  Uwt  sonder  wer. 


Zweites  doppelblatt.    ü' 

.exo. 


495  Vnd  nam  si  do  ze  weib  sa 
waz  er  den  lawten  t&t  alda 
Ob  er  si  slfig  oder  anderz  icht 
t&t    daz   sait   die   geschrift 

nicht 
Doch  ward  mir  so  vil  erchant 
500      Der  mar.  daz  er  betwang  daz 

lant 
Do  er  sieh  an  den  mom  rah 
die  m6rinn  man  in  nemen 

sah 
Ze  weib  alz  er  ir  gehiez 
Die  im  sich  vfl  die  vest  liez 
505  Tarbis  waz  die  fraw  genant 
Daz  si  im  ze  weib  waz  er- 
chant 
Vnd  ir  minn  waz  sein  Ion 
dez  zflmt  vil  ser  Aaron 
Vnd  Maria  die  swester  sein 
510       die  tet  im  so  vil  zorns  schein 
Daz  ez  got  sider  an  in  rah 
wie  die  räch  an  in  geschach 


Daz  wirt  ew  her  nach  gesagt 
do  Moises  da  waz  getagt 
515  So  lang  er  wolt  in  der  stat 
sein  weib  er  mit  im  ehern  pat 
Von  dann  in  Egiptenlant 

Die  wider  redat  ez  zehant 
Vnd  wolt  mit  dem  werden  man 
520      nicht  ze  land  ehern  dan 
Si  wolt  in  nicht  von  ir  lan 

er  m&st  alda  pey  ir  bestan. 
VTv  tet  der  edel  degen  gut 
alz  manik  man  noch  gern  tut 
525  Der  mit  willen  allew  frist 
gemer  pey  den  seinen  ist 
Dann  in  dem  land  anderswa. 
in  seinen  sinen  gedacht  er  da 
Wie  im  der  list  z&m 
530       daz  er  von  dannen  chäm 
Mit  s6lher  füg  daz  sein  weib 
Der  er  waz  lieber  dann  ir  leib 
Nicht  beswört  wurd 
vnd  sw&rez  iamerz  purd 


483  sich  churczweil  bewag 
489  und  490  in  W  umgestellt.  - 
Stat  —     519  werden]  weisen  — 
526  Oem  pey  den  freonten  ist  — 
wurde 


—  485  Ee  der  ir  wurd  ze  —  486  is  mit  poten  — 

-  495  Vnd  er  nam  —    515  So  lannge  von   der 
521  Si  wolt  auch  von  dem  chrieg  nicht  lan  — 

527  in  eilende  anderswo  —    534  Nicht  gesweret 


BBUCH8TÜ0KB  DBB  CHRI8THSBBB-0HB0NIK 


13 


535 


540 


545 


550 


555 


560 


565 


Den  si  nach  im  trfig 

so  man  in  sein  z&  gewflg 
Ditz  waz  in  seiner  tracht 

von  chunst  maniger  acht 
Vnd  listikleicher  wunder 

von  Astronomie  chund  er 
Daz  liez  er  chiesen  do  dar  an 

Der  edel  chunstreich  man 
Macht  im  zwai  vingerlein 

Zwai  chlainew  pild  giildein 
Die  warn  wunderleich  genüg 

swer  daz  ain  pey  im  trüg 
Der  vergaz  in  seinem  müt 

swaz  im  ie  ze  gut 
Oder  ze  lait  geschach 

swen  man  daz  ander  tragen 

sah 
Den  müt  sein  hertz  zehant  geuie 

swaz  im  waz  geschehen  ie. 
Also  daz  er  der  geschiht 

mocht  vergezzen  nicht 
Daz  vergezzen  vingerlein 

liez  Moises  der  mörein 
Do  vergaz  si  sein  so  gai* 

Daz  si  nam  chain  war 
Ob  si  sein  ie  chönn  gewan 

Der  edel  rain  weiz  man 
Chert  wider  haim  ze  hant 

vnd  fär  gen  Egiptenlant 
Da  er  von  chindhait  waz  erzogö 

derwerd  an  s&lden  vnbetrogen 
Gen  Jerssen  do  chert 


alz  in  die  lieb  lert 
Die  er  seinem  chünn  trüg 
Do  sah  er  iamerz  genüg 
Vnd  not  an  seinen  magen  da 
570       vnd  in  dem  land  anders wa 
Wan  si  mit  diensüeichen  siten 
manik  hochew  sw&r  erliten 
von  DiensÜeicher  arbeit 
die  si  da  wurden  an  geleit. 
575  Alz  ich  ew  vor  veriah 
Moises  der  gut  sah 
Daz  ein  Egiptisch'  man  do  släg 

vngezogenleichen  genüg 
Ainen  seiner  magen  da 
580      An  den  selben  chert  er.  sa 
Vnd  slüg  in  zetod  zehant* 

vnd  parg  in  vnder  den  sant 
Daz  man  innen  wurd  nicht 
von  im  der  selben  geschiht 
585  T^rfi  an  dem  andern  tag 

gie  Moises  nach  der  war- 

hait  sag 
Zu  dem  werch  hin  do  vand  er 
zwen  Ebraisch  die  mit  ein 

ander 
Chriegten.  ich  waiz  vmb  waz 
590      in  paiden  wert  er  daz 
Vnd  straft  ienen  genüg 

der  die  schuld  auf  im  trüg 

Dem  waz  ez  zom  vn  vngemach 

vil   zorinkleichen    der   selb 

sprach. 


Erstes  doppelblatt.   n\ 


595  Wer  hat  dir  gewalt  gegeben 
Daz  du  wild  richten  fnser 

leben 


Wez  vnder  windest  Du  dich 
ich  w&n  du  woldest  slahen 

mich 


559  chünn]  chunde  —  563  von  chinde  was  gezogen  —  565  yesse  —  577  ein 
Uumtman  do  —  585  Do  an  dem  dritten  —  587  weg  hin  wider  do  —  589  Vrleu- 
gen  ich 


14 


635 


640 


Alz  da  anch  ienen  gestern  slfigd  '  625 
600       Ynd  in  vnder  den  sant  grfibd 
Ton  hinnen  einen  lant  man 
Moses  ser  wundem  b^an 
Wer  die  verholn  waiiiait 

biet  so  recht  im  gesait  630 

605  Ynd  ez  doch  haimeleich  ge- 

schach 
im  waz  laid  do  iener  sprach  | 
Gen  im  so  paldikleich  daz  wort 
wan  ez  von  dem  ch&nig  dort 
Waz  vil  chortzleich  gesait 
610      Der  ch&nig  hiez  dem  degen 

ynaerzait 
Zehant  mit  suchen  nach  iagen 
vnd  wolt  in   haben   lazzen 

erslagen 
Da  Ton  der  rain  weiz  man 
Dem  chfinig  von  dem  land  j 

entran. 
Hie  hSrt  nu  wo  Maises  hin-  ',  645 

chom.  vfi       I 

icax  chinder  er   vnd  sein 

prüder  Aaron  gewö 

615  T\o  nu  der  gotez  weigant 

geräumt  het  Egiptenlant 

Do  cham  er  alz  ich  gelesen  han  | 

durch  ein  w&st  in  Madian    > 

Daz  waz  ein  reichew  haubtstat  ' 

620       Die  het  an  daz  rot  mer  ge-  ' 

sat  I  655 

Mit  p&w  da  vor  Madian 

den  ich  auch  genennt  han 
Wan  Abraham  von  seiner  diem 

Cetura 
in  gepar.  der  pawet  alda 


650 


Die  selben  stat  in  dem  lant 

Die  er  nach  im  selb  nant 
Alz  ir  sein  nam  wol  gezam 

Moises  für  die  gegangen  cham 
zu  einem  prunnen  vor  der  stat 

Durch  r6  er  do  nacher  trat 
Ynd  wolt  Do  Die  r&  han 

nu  waz  gesezzen  in  Madian 
Ein  edler  Ewart  do 

der  waz  gehaizzen  Jetro. 
Siben  tochter  het  Der 

Die  chomen  do  gegangen  her 
Nach  irm  sit  vnd  weiten 

trenken  als  si  solten 
Ir  vich  daz  waz  ir  sit  Do 

vnd  do  si  stünden  also 
Pey  dem  prunnen  do  chamen 

stach  hirtten  die  namen. 
Den  iunkfrawen  den  prunnen 

Den  si  alda  gewunnen 
Ynd  weiten  ir  vich  trencken  e. 

Ditz  tet  den  iunkfrawen  we. 
Pis  Moises  der  gät 

gewaltez  si  behät 
Ynd  half  in  wol  zerecht 

hin  ab  slflg  er  die  chnecht 
Die  chomen  do  zu  in  nie 

e.  die  maid  getrenckten  hie 
Tkie  maid  do  wider  cherten 

mit  danken  si  in  erten 
Zu  dem  vater  waz  groz  ir  pet 

Wan  er  in  ditz  ze  em  tet 
Daz  er  dem  fr6mden  werden 

man 

danckt  der  si  die  er  het  ge- 
legt an 


DU  übern^hrift  ror  615  fehlt  W.  —  619  reichew]  michel  —  623  Abraham 
von  cethora  —  651  chomen  damacher  nie  —  652  hie]  ie  —  657  Das  die  fromden 
weren  man  —  658  Der  sew  er  het  gelegt  an 


BRUCHSTOCKE  DER  CHRI8THEBRE- CHRONIK 


15 


Vnd  beschirmt     do  in  Jetro 

ersali 
660       er  danckt  im.     Do  daz  ge- 

schach. 
Do  fSrt  er  in  mit  im  hain 

vnd  wart  Daz  mit  im  enain 
Daz  im  der  will  gezkm 
Daz  er  seiner  töchter  n&m 
665  Ainew  die  hiez  Sephora 

Die  nam  der  do  ze  weib  da 
Einen  son  si  im  gewan 

dem  edlen  gotes  dienstman 
Der  wart  Qerson  genant 
670       dar  nach  auer  seit  zehant 
Gewan  si  seinez  hertzen  ger 
einen  sun  der  hiez  Eliezer 
Gotez  hilflf  bed&wtt  der  nam 
g&tleich  vnd  an  allew  schäm 
675  Lie  im  sein  sweher  Jetro 

gewalt  f  ber  alz  sein  vich  Do 


N' 


Daz  waz  die  gröst  reichait 
die  do  iemant  waz  berait 
Wan  hin  vnd  her  warn  die  lant 
680       in  gantzem  p&w  nicht  erchant 
Da  von  waz  vich  die  reichest 

hab 
do  sich  betrag  iemant  ab. 
v  han  ich  ew  vor  chunt  ge- 
tan 

Daz  Jacobs  sun  Leuy  gewon 
685  Gersson  Caaht  vnd  Merary 
die  selben  prüder  dry. 
Mit  irm  gesl&cht  geparn 

Die  Leuiten  in  den  iam 
Chaat  der  Leuy  sun  waz 
690       der  gewon  alz  ich  ew  vor  laz 
Amram  vnd  ysuar 

Der   selb   ysuar  einen  sun 

gepar. 


Erstes  doppelblatt.   II 


Exo 

Der  waz  gehaizzen  Chore 
Amraran  den  ich  nant  .e.     ; 
695  Moyses  vater  der  waz  , 

vnd  Aaronez  Alz  ich  ew  laz  1 
Aaron  ze  weib  nam 

ein  weib  die  im  wol  zara 
Auz  dem  geslächt  von  Juda 
700       Amynadabes  tochter  da. 
Die  waz  Elysabet  genant 
der  selben  waz   ze   prüder 

erchant 
Ein  werder  man  hiez  Naason 
pey  Elyzabet  gewon  Aaron 
705  Nadab  Abyu  vnd  Eleazai- 

vnd  einen  sun  hiez  ythamar 
Eleazar  ze  weib  do.nam 


ein  weib  die  im  wol  zam 
Die  selb  im  do  gewan 
710       einen  sun  dem  g&ten  man 
Der  waz  Phynees  genant. 

Der  slug  seit  mit  seiner  haut 
In  gotez  Dienst  Zambry 
Ditz  geslächt  ist  von  Leuy 
715  Vil  gar  von  im  chomen 

Alz  ir  hie  habt  vemomen. 
Hie  hört  nu  wax  got  wunderx 

vft  xaiche 
mit  Maines  vfi  Aarö  begie, 
vfi  ivax  er  mit  in  schüof 
T\o  ditz  geschehen  waz  also 
in  der  zeit  starb  der  chfi- 

nig  Pharao. 


659  Vnd  beschirmet  do  er  in  sach  —    663  feJUt  W  —    671  si]  fehlt  W  — 
683  —  716  feiileii  W,  ebenso  die  Überschrift  darnach. 


16 


WKRNEB 


Naoh  im  ward  ein  chftnig  in 

Egipte  lant 
720      vil  weiz.  der  ward  auch  genant 
Alz  e.  die  andern  Pharao 

Der  tet  den  Israheliten  do 
Vil  wirz  dann  in  e.   waz  ge- 
schehen 
Alz  wir  die   warheit  hom 

iehen 
726  Da  von  si  von  hertzen  s&uften 

tiefifen 
hin  ze  got  do  rieffen 
Die  chint   der  Israhelischen 

schar 
Die  Israhelisch  fruch  gepar 
Alz  si  twang  manik  arbait 
730       do  gedacht  got  an  die  sicher- 

hait 
Die  er  hie  vor  im  vätern  tet 

vnd  orhRrt  do  ir  gepet 
Daz  si  heten  in  irm  laid 
nu  hct  Moisos  auf  ein  waid 
735  Sein  vich  do  getriben 

in  einer  wfist  waz  ez  beliben 
Von  dem  poi^  Synay. 

Do  gie  daz  vidi  nahen  py 
Der  perg  dar  an  frey  belaib 
740       Daz  niemant  sein  vich  dar 

an  traib 
Wie  da  wir  sfizzoz  graz 

wan  der  liwt  gt^aub  waz 
Daz  man  dicker  sich  da 
gotez  heilikait  dann  andorswa 
745  Indert  da  pov  f bor  daz  lant 
ein  hom  de«  por^.  waz  gtty 

nant 
OivK  pey  dem  selben  pon:  hie 


A' 


Moises  vich  da  selbe  gie 
An  der  wüsten  waid 
750       waident  auf  der  haid 

vf  dem   selben  perg   Oreb 

geschach 
ein  wunder  groz  daz  sah 
Moyses  der  rain  man 

Da  stand  auf  ein  pusch  vfi 

pran 
755  Ynd  waz  dez  fewrez  flammen 

plick 
prinnent  starch  vnd  dick 
Laub  vnd  holtz  dar  an  wart 
von   dem   fewr   doch  nicht 

verschart 
Ez  stund  in  seiner  aigenschaft 
760      gantz.    daz   fewr   pran    mit 

chraft 
Daz  doch  der  pusch  waz  behüt 

Moyses  der  rain  g&t 
Gedacht  ich  wil  gen  besehen 
Daz  wunder  daz  hie  ist  ge- 
schehen 
765  Daz  diser  pusch  also  print 

vnd  doch  nicht  mail  gewint 
Von  disem  grozzem  fewr  hie 
hin  zu  dem  pusch  er  do  gie 
Do  er  ditz  grozz  wimder  sah 
770      gi>t  erschain  im  vnd  sprach 
Moises  Moises  zehant 

Do  im  die  gotez  stimm  ward 

erchant 
Do  sprach  er  herr.  hie  pin  ich 
l'^z   dein   schüch   vnd  ent- 

schfich  dich 

775  Wan  die  stat  auf  der  du  stast 

vnd  die  erd  dar  auf  du  gast 


745  lü  dw  die  do  vK^r  das  I^Anct  --  751  Auf  on^V  dem  pen:  do  gesduK^h  — 
754  «liad  «in  pQM'^  der  |«rM  —  7rii>  i>ftni  d«$  vc^rf^rui  mit  chnft  —  761  Das  deo- 
Mek  te  fttMib«»  h4tt^  —  766  Vnd  i$  nicht 


BRÜCBSTÜCEE  DER  CHRISTHKRRB  -  CHRONIK 


17 


Sint  paidew  samt  heilig 
vnd  mit  heilikait  vnmeilig 

Got  sprach  auer  wider  in 
780       Abrahams  got  ich  pin 

Ysaackes  vnd  Jacobs  got 
Die  gern  laisten  mein  gepot 

Ich  han  die  grozzen  arbeit 
Die  mein  lewt  ist  an  geleit 


785  In  Egipto  wol  gesehen 

waz  in  da  laidez  ist  gesche- 
hen 
Vnd  im  chlagenden  r&f  ver- 

vemomen 
nu  pin  ich  her  nider  chomen 
Daz  ich  si  da  von  lösen  wil 
790       vnd  füm  in  churtzem  zil. 


788  her  wider  —  nach  790  schliesst  der  satx  in  W:  In  das  erbnnscht  suzz  lannt 
Das  milich  vnd  honig  ist  erchant  Baide  bernde  vnd  fiiessende  Vnd  wil  sew  machen 
niessende  Dew  lant  die  Chananeus  Beresus  vnd  Ebosens  Jergessens  vnd  Euseus  usw. 

75  rote  initiale.  83  blaue  initiale.  113  grosse  rote  initiale,  die  weit 
über  den  freien  seitenrand  hinab  und  hinauf  reicht.  145  rote  initiale.  175  rote 
und  blaue  initiale.  191.  Da]  aufrasur,  darnach  stand  anderswa,  vgl.  v.  192.  211 
iar  mit  not  auf  rasur.  215  rote  initiale.  225  /.  geslähtes.  249  rote  initiaU. 
259  l,  starohen.  283  blaue  initiale.  313  rote  initiale.  341  blaue  initiale.  369  rote 
initiale.  421  hant  aus  hent  corrigiert.  425  rote  initiale.  457  blaue  initiale. 
523  rote  initiale.  585  blaue  initiale.  615  rote  initiale.  653  blaue  initiale. 
683  rote  initiale.  717  blaue  initiale.  745  hinter  pey  ist  an  rot  gestrichen. 
751  rote  initiale.  779  blaue  initiale.  Die  verse  1.  51.  99.  145.  195.  245.  295.  345. 
395.  445.  495.  545.  595.  643.  693.  741  beginnen  neue  spalten. 


METTEILUNÖEN  AUS  DEUTSCHEN  HANDSCHEIETEN 
DEK  GEOSSHEEZOGL  HOFBIBLIOTHEK  ZU  DAEMSTADT 

I. 
Dietrich  Ton  Plienlngens  Senecafibersetzungen. 

Als  Karl  Hartfelder  1884  das  Heidelberger  gymnasialprogramm 
„Deutsche  Übersetzungen  klassischer  schriftsteiler  aus  dem  Heidelber- 
ger humanistenkreis"  veröffentlichte,  kannte  er  von  Senecaübersetzungen 
des  schwäbischen  ritters  und  humanisten  Dietrich  von  Plieningen^  nur 
die  in  dem  Münchener  Codex  germ.  977  erhaltene  Verdeutschung  der 
„Consolatio  ad  Marciam",  sowie  die  zu  Landshut  1515  gedruckte  Über- 
setzung des  dem  Seneca  zugeschriebenen  werkes  ,,De  moribus.**  Eine 
dritte,  von  Plieningen  in  der  vorrede  der  letzten  schrift  selbst  er- 
wähnte Übersetzung  von  Senecas  „De  ira*'  war  ihm  nur  dem  namen 
nach  bekannt   (anm.  4  zu  s.  7).    Der  zufall  wollte  es,   dass  nicht  nur 

1)  Vgl.  ausser  der  bei  Hartfelder  s.  5  anm.  2  angegebenen  litteratur  Th.  Schott 
in  der  „AUg.  deutschen  biographie''  26,  297.  1888. 

ZBXnCHBIFT  F.   DEUTSCHE  PHILOLOGIE.      BD.    XXVm.  2 


18  A.   SCHMIDT 

diese  schrift,  sondern  ausser  den  beiden  oben  genannten  noch  zehn 
andere  von  Plieningen  verdeutschte  werke  Senecas  sich  handschriftlich 
in  seiner  nächsten  nähe,  in  der  Darmstädter  hofbibliothek  befanden. 
Dass  Hartfelder  von  ihnen  keine  kenntnis  erlangte,  darf  man  ihm 
natürlich  nicht  zum  Vorwurf  machen,  da  die  hofbibliothek  leider  immer 
noch  keinen  gedruckten  handschriftenkatalog  besitzt.  Die  einzige  frü- 
here erwähnung  der  handschrift  in  Walthers  „Beiträgen  zur  näheren 
kenntnis  der  gr.  hofbibliothek  zu  Darmstadt^  (Darmstadt  1867)  s.  129 
nr.  3  kann  in  ihrer  unbestimmten  fassung  kaum  in  betracht  kommen. 
Möge  man  die  nachfolgenden  ausführungen  als  ergänzung  zu  Hartfelders 
interessantem  programm  aufnehmen. 

Die  in  einen  braunen  lederband  mit  eingeprägten  Verzierungen 
gebundene  Darmstädter  handschrift  nr.  290  in  fol.  ist  31,5  cm.  hoch 
und  21,5  cm.  breit  und  besteht  aus  309  blättern,  die  in  einer  spalte 
mit  meist  30  zeilen  in  deutscher  schrift  aus  dem  anfange  des  16.  Jahr- 
hunderts beschrieben  sind.  Die  Überschriften  und  randbemerkungen  sind 
rot.  Eine  menge  farbiger  und  goldener  initialen,  zu  anfang  der  ein- 
zelnen bücher  mit  farbigen  ranken  Verzierungen,  schmücken  den  band. 
Keine  andeutung  in  der  handschrift  gibt  uns  künde,  von  wem  und  für 
wen  die  absclirift  angefertigt  wurde.  Dass  es  nicht  Plieningens  origi- 
nalmanuskript  ist,  dürfen  wir  aus  dem  fehlen  aller  korrekturen  und 
der  gleichmässigen  schrift  in  allen  von  1515  bis  1517  datierten  teilen 
annehmen.  Das  schliesst  aber  nicht  aus,  dass  vnr  es  mit  einer  auf 
Plieningens  anordnung  angefertigten  abschrift  zu  tun  haben,  die  der 
prächtigen  ausstattung  nach  vielleicht  zum  geschenk  für  irgend  eine 
hochgestellte  persönlichkeit  bestimmt  war. 

In  die  Damistädter  bibliothek  gelangte  der  band  1813  mit  der 
bibliothek  des  in  Grossgerau  verstorbenen  kirchenrats  Georg  Nikolaus 
Wiener. 

Die  handschrift  enthält  die  Übersetzungen  folgender  Seneca'schen 
oder  Pseudo- Seneca'schen  schritten: 

1.  Blatt  la — 84b  4:  Ad  Novatum  de  ira  libri  tres.  Über- 
schrift:  Lucy  Annei  Senece:  von  Corduba  vom  Zorn  das  Erst  Buch 
dem  Nouato  zugeschriben :  von  mir  Dietrichen  vonn  Pleningen  zu  Schou- 
begk  vnd  Eysenhouen  Ritter  vnd  doctor  zu  toutsch  gepracht  ec'  |. 
Schluss:  Hye  Endet  sich  das  Trit  Buch  Senece  vom  Zorn  ec';  |  Sei- 
ienüberschriften:  Das  Erst  (Ander,  Trit)  Buch  |  Senece  vom  Zom/|. 

2.  Blatt  85a  —  115a  25:  Ad  Neronom  Caesarem  de  demen- 
tia. Überschrift:  Hie  facht  an  das  Erst  Buch  Lucy  Annei  Senece  von 
der  senfftmutigkait  dem  kaiser  Nero  zugeschriben  durch  mich  Dietrichen 


HANDSCHRIFTEN  IN  BABMSTABT  19 

von  Pleningen  zu  Schoubegk  vnd  Eysenhofen  ritter  vnd  doctor  geteutscht 
ec' !  I  Schltiss:  Eye  Endet  sich  das  annder  vnd  letzst  Buch  Senece 
von  der  sennfftmutigkait:  auf  Sant  Maria  Magdalena  aubent  zu  Lands- 
hut durch  mich  Dietrichen  von  Pleningen  ec'  geteutscht  Anno  1515/ 1. 
SeUenüber schrifteil:  Das  Erst  (Ander)  Buch  Senece  |  von  der  Senft- 
mutigkait|. 

3.  Blatt  115b — 130b.  28:  Ad  Lucilium  quare  aliqua  in- 
commoda  bonis  viris  accidant,  cum  Providentia  sit  (De  pro- 
videntia.)  Überschrift:  Hye  facht  an  das  Erst  Buch  Lucy  Annei 
Senece  zu  Lucilio  geschriben:  von  regierung  der  weit  vnd  götlicher 
fursichtigkait /  vnd  das  vil  onfalls  den  guten  männern  zustande:  durch 
mich  dietrichen  von  Pleningen  zu  Schoubegk  vnd  Eysenhofen  ritter 
vnd  doctor  geteutscht  ec'  O'  \  Schbiss:  Hie  Endet  sich  das  Buch  Senece 
von  der  gotlichen  fursichtigkait  AP  1515/  |  Seitenüberschriften:  Seneca 
von  regierung  der  weit  vnd  götlicher  für  |  sichtigkait  vnd  das  viel  onfals 
dem  guten  mann  (resp.  den  guten.)  zustand;  |  ,  von  bl.  117b  an:  Das 
Buch  Senece  warumb  den  guten  |  m&nnern  (oder  dem  guten  |  mann) 
vil  onfalls  widerfare. 

4.  Blatt  131a— 157b  28:  Ad  Gallionem  de  vita  beata. 

5.  Blatt  157b  28  —  165a  7:  Ad  Serenum  de  otio.  Letztere 
Schrift,  die  erst  von  Lipsius  abgetrennt  wurde,  schliesst  sich  ohne  jeden 
absatz  an  erstere  an.  Die  gemeinsame  Überschrift  lautet:  Hie  facht  an 
das  Buch  Lucy  Annei  Senece  zu  Gallioni  seinem  bruder  geschriben 
von  dem  s&ligen  leben  /  durch  mich  dietrichen  von  Pleningen  ge- 
teutscht/ I  .  Schluss:  Hie  Endet  sich  Seneca  vom  säligen  leben  auff 
den  Ain  vnd  treyssigisten  tag  des  monats  octobris  Anno  1515  durch 
mich  Dietrichen  von  Pleningen:  Ritter  vnd  doctor  geteutscht  ec'  |  Sei- 
tenüberschriften: Das  Buch  Senece  |  vom  S&ligen  (Saligen,  Seligen) 
leben  |  . 

6.  Blatt  165b — 189b  17:  Ad  Paulinum  de  brevitate  vitae. 
Überschrift:  Das  Buch  Lucy  Annei  Senece  vonn  kurtzen  des  lebens  zu 
Faulino  geschriben:  durch  mich  Dietrichen  von  Pleningen  zu  Schou- 
begk vnd  Eysenhouen  Ritter  vnd  doctor  geteutscht  ec';  |.  Schluss: 
Finis  ec'  |.  Seitenüberschriften:  Das  Buch  Senece  |  von  kurtze  (kurtz) 
des  lebens  |  ,  zuletzt:  vom  kurtzen  leben  |  . 

6.  Blatt  190a— 193b  19:  De  paupertate.  Überschrift:  Das 
Buch  Lucy  Senece  von  der  Armut  von  mir  obgemelten/  |  Dietrich  von 
Pleningen  geteutscht  |  .  Schluss;  Hie  Endet  sich  das  Buch  Senece  von 
der  Armut  ec'  |  .  Seitenüberschriften:  Das  Buch  Senece  |  von  der 
Armut  |. 

2* 


20  A.   SCHMIDT 

8.  Blatt  194a  — 226  a  23:  Consolatio  ad  Marciam.  Über- 
schrift: Hie  facht  sich  an  die  loblich  trostung  Senece  die  Er  zu  der 
Irrleuchten  frawen  Marcia  des  Caton  weyb:  die  Im  Sun  Drusum  ver- 
lorn het/  geschriben  hat/  durch  mich  Dietrichen  vonn  Plenyngen  auch 
geteutscht  ec'  •;•  -^  ^v/  |  Schhiss:  Finis  -i-^  |  Seiteniiberschriflen  : 
Der  Seneca/  |  Ain  Trostung  zu  der  Marcia  |  ,  von  blatt  197b  an:  Des 
Senece  |  Trostung  zu  der  Marcia/  j. 

Den  anfang  dieser  Übersetzung  bis  blatt  200  b  2  hat  Hartfelder 
nach  dem  Münchener  Cod.  Genn.  pap.  977  fol.  1  —  20  auf  s.  13  — 18 
seines  programms  zum  abdruck  gebracht.  Beide  handschriften  stimmen 
nicht  ganz  überein.  Gleich  in  der  Überschrift  hat  die  Darmstädter 
handschrift  den  fehler  Caton  für  Cordus,  dann  fehlt  die  Widmung  an 
Kunigunde,  erzherzogin  von  Österreich  d.  d.  München  10.  märz  1519, 
und  auch  in  dem  eigentlichen  text  zeigen  sich  mannigfache,  abwei- 
chungen. 

9.  Blatt  226b  — 233b  21:  Ad  Gallionem  de  remediis  for- 
tuitorum.  Überschrift:  Hie  facht  sich  an  das  Buechlin  Luci  Annei 
Senece  das  Er  zu  seinem  Bruder  Gallioni  geschriben  hat  von  Artzneyen 
go/ron  allen  EinlouiTung  des  onfalls  vnd  do  redent  wider  einander:  die 
Synn:  vnd  die  vemunft.  der  kaiserlichen  maiestat  meinem  aller  gne- 
digisten  herren  zu  Ern  durch  mich  Dietrichen  von  Pleningen  geteutscht 
ec'  •:^^  I  Schluss:  Hie  Endet  sich  das  Buch  Senece  vonn  Ertz- 
neyen  gegen  allen  vnfallen  von  mir  Dietrichen  von  Pleningen  '^  - :  ge- 
teutscht-: ~  I  Seitenüberschriften:  Des  Senece  Buch  |  von  artzneyen 
gegen  allen  onfallen  |. 

10.  Blatt  234a— 264a  30:  Ad  Serenum  de  tranquillitate 
animi.  Überschrift:  Hie  facht  an  das  Erst  Buch  Lucy  Annei  Senece: 
das  Er  zu  Sereno  geschriben  hat  dar  jnnen  begriffen  ist:  wölhe  ding 
das  styll  vnd  onbetruebt  leben  beschirmen:  vnd  woUiche  ding  das  selb 
widergeben  mögen:  wölliche  ding  auch  den  ein  kriechenden  lästern 
widerstand  thuond.  durch  mich  Dietrich  von  Pleningen  zu  Eysenhofen 
Riter  vnd  doctor  dem  durchleuchtigisten  fursten  vnd  herren  herren 
Fridricben  Hertzagen  zu  "^  • :  geteutscht  • :  "^  |  Die  schlussschrift  blieb 
weg,  offenbar  nur  weil  blatt  264  a  vollgeschrieben  war.  Seitenüber- 
schriften: Das  Buch  Senece  (  vom  styllen  rwigen  vnd  onbetrubten 
leben  (  . 

11.  Blatt  264b— 284a  30:  Ad  Serenum  nee  iniuriam  nee 
contumeliam  accipere  sapientem.  Überschrift:  Hie  facht  an  das 
ander  Buch  Lucy  Annei  Senece  zu  Sereno  von  dem  onbetrubten  leben : 
vnd  wie  in  ainen  weysen  mann  schmachen  nit  einfallen  mfigen:  durch 


HANDSGHBIFTEN  IN  0ABM8TADT  21 

mich  Dietrichen  von  Pleningen  jn  vigilia  Ephiphanie  dominj  Anno  ec* 
1517  ~  :•  geteutscht  :•  ~  |  Schluss:  Hye  Endet  sich  das  ander  Vnd 
das  letzste  Buch  Lucy  Annej  Senece  von  dem  stilleii  vnd  onbetrubten 
leben:  durch  mich  Dietrichen  von  Pleningen  geteutscht  Anno  1517  zu 
Landshut  ec'  |.  Seitenüberschriften:  Das  Ander  buch  Senece  vom  stil- 
len vnd  onbetrubten  leben/  |  vnd  wie  kain  schmach  in  (ain)  weisen  man 
fallen  m6g/  |. 

12.  Blatt284b  — 290b  15:  Liber  de  moribus.  Überschrift: 
Hie  nach  uolgt  das  Buch  Lucy  Senece  von  sytten  dar  Jnn  er  gantz 
sch6nlich  vnd  nutzlichen  des  lebens  sytten  erzelt  hat  durch  mich  Die- 
trichen von  Pleningen  zu  Eysenhofen  ritter  vnd  doctor  geteutscht 
ec'  •:•  '^  |.  Schluss:  Hye  Endet  sich  das  Buch  Senece  vonn  sytten 
ec'  |.     Seitenüberschriften:  Das  Buch  Senece  |  von  Sytten  |. 

Aus  dem  ganzen  Inhalt  unserer  handschnft  ist  diese  schrift  die 
einzige,  die  zu  lebzeiten  des  Übersetzers  gedruckt  worden  ist.  Da  mir 
die  seltene  zu  Landshut  bei  Johann  Weyssenburger  1515  in  4^  ge- 
druckte ausgäbe,  deren  genauer  titel  bei  Weller,  ßep.  typ.  nr.  946  und 
s.  455  zu  finden  ist,  nicht  vorliegt,  vermag  ich  nicht  festzustellen,  wie 
weit  der  druck  mit  der  handschrift  übereinstimmt  Aus  Hartfelders 
besprechung  a.  a.  o.  s.  7  ergibt  sieh,  dass  er  eine  in  der  handschrift 
fehlende  vorrede  Plieningens  enthält 

13.  Blatt  291ar— 309a  30:  Proverbia  Senecae.  Voraus  geht 
auf  blatt291a — b  28  eine  Widmung  dieser  Übersetzung  an  den  „her- 
ren  Fridrichen  Hertzogen  zu  Sachsen",  etc.  „Geben  zu  Landshut  vfF 
den  Sechzechenden  tag  Decembris  nach  Cristi  vnsers  hailmachers  gepurt 
Anno  1515"  '^  \  Es  heisst  darin:  „Genedigister  fürst  vnd  herr/ wiewol 
ich  neben  deß  durchleuchtigen  hochgepomen  fursten  vnd  herren/  her- 
ren  Ludwigen  pfaltzgrafen  bey  Rein  Hertzogen  in  Obern  vnd  Nidem 
Baim  ec'  meins  gnedigen  herren  fürstlichen  beuelchen  vnd  obligenden 
geschafften:  mitler  zeit  vnd  ich  euren  Curfurstlichen  gnaden  meinen 
geteutschten  Salustium  zugeschickt  vber  angekSrten  vleis  gar  wenig 
mflssig  tage  erlangen  mögen!  so  hab  ich  doch  die  selben  tag:  nyemants 
anderm  dann  allain  Euren  Curfurstlichen  gnaden  zu  Em  vnd  gefallen: 
vndertänigklichen  zuuerzem  fSrgenomen.  In  besonderer  bewegung  die- 
weil  ich  hieuor  durch  vielfaltig  glaubliche  vnd  grundtliche  erfarung 
wares  wissen  empfangen  han:  das  die  selb  eur  Curfflrstiich  gnad  vor 
allen  andern  geistlichen  vnd  weltlichen  Curfursten  des  heiligen  Römi- 
schen Reichs  aller  loblichen  kunsten  vnd  guter  sytten  besonderlichen 
der  philosophi  ain  getrewer  furdrer  liebhaber  vnd  gnediger  vatter  ist: 
also  bewegt  worden  die  Sprichwort:  deß  heiligen  hochberompten  manß 


22  A.   SCHMIDT 

Seneco  auß  laÜQischer  jn  teutsche  also  jn  mein  mfiterliche  sprach  zu 
pringen  1^  etc.  Nach  einer  längeren  auseinandersetzung,  warum  Seneca 
ein  heiliger  mann  zu  nennen  sei,  fahrt  Piieningen  fort:  „Dem  allem 
nach:  vnd  auf  das  eur  Curfürstlich  gnad  meiner  willigen  vnd  gevlissen 
dienstparkait:  wares  vnd  grundtlichs  wissen  empfiachen  mögen:  so  vber- 
schiok  ich  den  selben  Eum  Curffirstlichen  gnaden  dits  mein  tranßlacion 
mit  vndertäniger  Bit  die  selben  wollen  solliehs  von  mir  mit  gnaden  an 
nemon.  vnd  wil  mich  hiemit  also  Eum  Curf&rstlichen  gnaden  vnder- 
tÄnigklichen  beuolchen  haben/**. 

Die  (schwarze)  ülwrschrift  der  Übersetzung  lautet:  Hye  fachent 
an:  die  Sprichwörter  Lucy  Annej  Senece:  die  Er  zu  Paulino  geschri- 
ben  haben  soll.  Durch  mich  Dietrichen  von  Pleningen  zu  Schoub- 
Egk  vnd  Eysenhofen  Ritter  vnd  doctor:  dem  durchleuchtigisten  vnd 
hoohgopomen  Curfiirsteu  vnd  herren  ■  herren  Fridrichen  Hertzogen  zu 
Sachsen  oc'  meinem  gnedigisten  herrn/  zu  em  geteutscht;  |  Schluss: 
Finis-:  ^      St'itefiül>crschp'iftcn:  Die  Sprichwort  Senece'  ". 

Pri>ben  aus  unserer  handschrift  hier  zu  geben,  halte  ich  nicht  für 
nötig,  da  das  von  Hartfelder  veröffentlichte  stück  aus  der  Verdeutschung 
der  Consolatio  ad  Marciam  vollständig  genügt,  um  die  art  und  weise 
der  Übersetzungen  Plieningens  kennen  zu  lernen,  und  neue  Züge  zu 
der  von  Hartfolder  in  seinem  pn^gramm  s.  7  und  S  und  in  der  ^Zeit- 
schrift für  allg.  geschichte"  11,  677  fg.  ISSö  gegebenen  treffenden  Cha- 
rakteristik der  übei^etzortätickeit  dieses  humanisten  sich  auch  aus  den 
vorliegenden  arbeiten,  die  ja  i^leiohzeitifi:  mit  den  früher  bekannten  ent- 
standen  sind,  nicht  c^^winnen  lassen. 

Dagegen  mivhte  ich  noch  auf  eine  andere  leistung  Plieningens 
aufmerksam  machen,  die  von  seinen  neueren  biographen  mit  stillschwei- 
een  überi:Än4^"»n  wird,  v^birleich  irenule  sie  von  besonderem  interesse  ist 
Piioniniren  o^hrrt  nämlich  zu  den  ersten  deutschen  Schriftstellern,  die 
sich  um  die  einführung  einer  geregelten  interpunktion  in  deutschen 
sohnrYvn  vordien:  i^*maoht  halvn.  Alexandir  Bicjinir  weist  in  seinem 
buv'he  ^P,^>  princip  der  deutschen  interpunk:ion  nebst  einer  übersicht- 
liv'ben  darsToliunc  ilm'-r  cesohichto''  »Benin  ISSOi  nach,  wie  die  not- 
wendigke::  sordaltig  ru  ir.Tcqningioron  sich  bald  nach  der  ausbreitung 
der  buchini^rkerkvins!  oini^^strilt  hat,  und  wie  ,-uers:  Niklas  von  Wvle 
I46i?  ur.d  S:tinhv''Wt'-  1471,  d.^r.n  ors:  viel  >iv»:tT  die  mimmatiker  Kol- 
Tv'issi  !r"^-V*  ;;::.:  h^keisamor  ITv^l  Teste  crur.dsaT-:e  der  interpuntiion  auf- 
Ct^siT'/::  hsbir.  Die  äusstrunc  ^^.enini^^n^  aber  ist  ihm  tutfanjingn:  sie 
wird  auvh  ir.  der  neuesu-n  arbeit  über  «Die  hisTon^ache  ennrickelung 
der  drutsacl^eii  Satzzeichen  und  redesiriohe**  von  0.  Glöde   (Zeitschrift 


HANDSCUBIFTEN  IN  DAIUISTADT  23 

f.  d.  deutschen  Unterricht  8,  6  fgg.  Lpz.  1894)  nicht  erwälmt.  Daher 
lasse  ich  sie  hier  wortgetreu  folgen  nach  dem  der  Göttinger  Universitäts- 
bibliothek gehörigen  exemplar  des  druckes:  Gay  Pliny  des  andern  lob- 
sagung  . . .  Durch  . .  Dietrichen  vonn  Pleningen  . . .  getheuscht  Landß- 
hfit  Johann  Weyssenburger.  1515.  Dez.  14.  Fol.^  In  der  „Vorrede** 
genanten  widmung  an  den  herzog  Wilhelm  von  Bayern,  die  1511  auf 
S.  Jörgen  tag  in  München  geschrieben  ist,  sagt  der  Verfasser  (BL  A  iiij 
verso):  Nun  hab  ich  gnediger  Fürst!  souil  mir  möglichen:  vnnd  (BL 
A  v  recto)  es  vnser  muterliche  sprach  erleiden  hat  mögen:  dy  arte  auch 
dy  natur  diser  lobsagung  die  Flinius  in  latin  gopraucht  hat:  mit  figu- 
ren  vnd  punctü  onuerindert  behalten:  vn  den  anhengig  pliben!  die 
wort  nit  leichtlichen  vmbrödt:  Wöllicher  auch  auflf  die  punkte:  Auch 
auflf  sich  selbs  jm  lösen  merckung  haben:  vnd  auf  ains  yeden  puncten/ 
aigenschaSt  zw  pausiem  sich  fleissen  will/  der  wurdet  an  grosse  mue: 
die  verstantnus  pald  haben,  wo  nit:  so  möchte  einem  yeden  löser  nit 
allain  der  sententz  sonnder  auch  dy  wort  tunckl  vnd  onuerstendig  plei- 
ben.  dafi  wie  Flinius  nichts  vberflissigs  im  latin  in  diser  seiner  lobsa- 
gung sonnder  allain  was  zur  nottorfft  vnnd  der  gezierde  gedint:  ge- 
praucht  hat:  des  hab  ich  mich  meiner  verstentnus  nach  auff  dz  kur- 
tzest:  dz  auch  auf  die  selben  arten/  zu  tefltsche!  auch  geflissen.  Ich 
mächte  auch  gedecken  mancher  löser  sein  würde:  Der  diser  od'  der 
gleichen  rode  der  lobsagüg  in  irn  naturn  nit  erkent!  oder  d'  puncto 
onwissenhaft:  were:  (daraus  doch  der  mangel  der  pronuctiation  vnd  der 
geperden  entsteen  mueste):  der  wurde  mich  meiner  kurtz  halber  strouf- 
fen  wollen.  Den  pite  ich  aber:  Das  der  selbs  sich  fleiß  nach  den 
puncten  zw  lösen  /  So  wurdet  auff  hörn  sein  onverst&ntnus  vnd  tunckel- 
hait  /  Die  puncten  habe  ich  auch  mit  einer  kurtz :  (Bl.  A  v  verso)  gleich 
nach  diser  Missiuen  vnnd  vor  des  pfichs  anfanng:  wie  man:  nach  eins 
yeden  puncten  aigenschafFfc:  pausirn  solle:  endeckt  vfi  angezaigt. 

Die  auseinandersetzung  über  die  Satzzeichen  lautot  dann:  (Bl.  B 
recto)  C|  Ich  Dietrich  von  pleningen  hab  in  meiner  vorröde  verspro- 
chen Natur  der  puncten  in  einer  kurtz:  vor  anfanng  der  lobsagung  an 
zuzaigen  das  thun  ich  also/ 

1)  In  der  schlussschrift 'Woyssonburgors  heisst  es:  Jm  durch  herrn  Dietrichen 
Ton  pleningen  zu  gelassen  sub  priuilogio  jniperiali:  mit  grossen  penen  verpundö  das 
nyemants  dises  Buch  jn  acht  Jam  nach  trucke  soll.*^  Aus  diesen  werten  dürfen  wir 
vielleicht,  zumal  da  Plieningen  1515  in  Landshut  ansässig  war,  schliessen,  dass  der 
yerfasser  auch  den  druck  überwacht  hat,  der  uns  dann  in  der  von  ihm  beabsichtigten 
fonn  vorläge. 


24  A.   SCUMIDT 

C\  Ain  punct:  ist  ain  zaiche  das  do!  oder  durch  figur  oder  sein 
verziechen:  die  clausel  zertailt!  die  sty"^  vnderschait:  das  gemuet  wid' 
erkuckt,  vnnd  verlast  ain  zeit  den  gedencken.  das  geschieht  oder 
durch  Verzug  des  ausprechens  vnnd  der  zeit!  oder  durch  zaichen  der 
feder.  Wöllicher  puncten  ainer  des  andern  zaichen  ist  Dan  waü  der 
durch  die  feder  gerecht  formirt:  so  zaigt  er  dem  löser:  an  de  wege: 
aus  zu  sprechen  vn  verstentliche  zu  I8sen.  vnd  domit  thfit  er  aus 
trucken  vü  ein  pilden  im  selbs  vnd  den  zuliörern  dy  begirlichen  vfi 
rechte  verstendnus  der  wörter  vnd  der  Oration.  Es  sind  auch  man- 
cherlay  figurn  der  puncten  die  dan  dy  versamelten  wörter:  von  recht 
erfordern  thfind.  domit  die  begirde  des  rödners  vn  seiner  sententz  zu 
bedeuten  Nämlichen  thund  dy  latinische  sechserlay  puncten  sich  go- 
prauche.  Ainer  haist  virgula  /  Der  ander  Coma!  Der  dryt  Colum: 
der  fierdt  Interrogatio  /  ain  fragender  punct !  Der  funfft  parentesis: 
vnnd  der  letzst  periodus; 

Virgula:  ist  ain  hangende  lini  gegen  der  rechten  handt  sich  auf- 
richten /  die  man  ordenliche  thut  setzen  nach  Worten  die  do  noch  vol- 
bekomenhait  der  bedewtnus  oder  worter  in  mangl  stende; 

(Bl.  B  verso)  Coma.  ist  ain  punct  mit  ainem  virgelein  obe  erliebt! 
gleicherweis  wie  die  erst  virgel:  also!  wiii;  geschicklichen  gesatzt  nach 
Wörtern  die  do  ain  volkomeu  bcdeutnus  band  das  man  haist  ein  zer- 
tailung.  vn  wie  wol  das  der  zimlichen:  nach  volkomender  bodeutnus 
vnnd  werten  gesatzt:  so  bezaichet  er  doch  das  man  der  rödö  so  ain 
namen  ainer  clausel  behalten  noch  was  nit  ongehSrlichs  zufuegen  möge; 

Colum.  ist  ain  punct  mit  zwayen  tfipflen  also:  Wirt  schier  gleich 
mit  ainer  weniger  mere  auffhaltung  der  zeit  dann  Coma  gepraucht  aber 
auch:  noch  so  mag  was  zierlichs  angehenckt  werden; 

Interrogatio.  ain  frageder  punct  ist  ain  püct  mit  ainem  virguli 
herumb  gekrömpt  also? 

Parentesis.  diso  puncten  prauchent  die  latinischen  so  sy  in  einer 
noch  onuolendter  angefangnor  claiiseln  eingeworfifne  w6rter  vnder  schai- 
den  wfillend.     das  thönd  sy  mit  zwayen  halben  zirckel  also  (2c.) 

Periodus.  ist  ain  punct  mit  einer  virgel  vnden  angegenckt  also ; 
wurd  gepraucht  am  ende  ains  gantzen  sententzien. 

Das  sind  die  puncto  domit  man  die  clausein  thfit  vnderschaiden 
vnd  so  du  Virgulam  in  deiner  aussprechung  recht  bedefiten  wilt:  bedarff 
der  in  der  pronimction  vfi  der  zeit  ainer  ganntzen  kurtzer  auff  hal- 
tung  /  Coma  ainer  klainer  zeit  mere  Parentesis :  ainer  hupffend'  auspre- 
chung.  Der  frogend:  erfordert  seins  selbs  geperde  /  Periodus.  ains 
guete  erholten  Aatemps/  das  ist  mein  vnderricht; 


HANDSCHBIFTEN  IN  DABMSTADT  25 

Um  Plieningens  bestrebungen  auf  dem  gebiete  der  interpunktion 
würdigen  zu  können,  müssen  wir  uns  daran  erinnern,  dass  die  bemü- 
hungen  seiner  Vorgänger  Niklas  von  Wyle  und  Steinhöwel  ziemlich 
wirkungslos  geblieben  waren.  In  den  beiden  ersten  Jahrzehnten  des 
16.  Jahrhunderts  finden  wir  in  den  meisten  druckwerken  nur  strich 
und  punkt  ziemlich  willkürlich  gebraucht  oder  auch  gar  keine  Satz- 
zeichen. Dass  er  diesen  übelstand  erkannte  und,  als  humanist  natür- 
lich im  anschluss  an  die  lateinischen  Vorbilder,  zu  beseitigen  suchte, 
zeigt  uns  den  schwäbischen  ritter  als  einen  denkenden  und  dabei  prak- 
tischen mann.  Namentlich  die  allgemeinen  sätze  zu  anfang  und  in  der 
vorrede  lassen  erkennen,  dass  er  sehr  wohl  wusste,  wie  notwendig  und 
wertvoll  die  interpunktion  für  das  Verständnis  der  Schriften  ist.  Sein 
System  ist  reicher  gestaltet  als  das  des  Niklas  von  Wyle  und  Stein- 
höwels,  die  beide  zwischen  virgula  und  punkt  nur  6in  Satzzeichen  haben, 
wofür  jener  den  doppelpunkt:  (Bieling  s.  70),  dieser  unser  ausrufungs- 
zeichen!  (D.  L.  Z.  2,  1231)  wählt,  während  Plieningen  noch  zwischen 
Coma!  und  Colum:  unterscheidet  Auffallend  ist,  dass  er  in  seiner 
auseinandersetzung  neben  periodus ;  den  einfachen  punkt .  nicht  erwähnt, 
der  in  dem  druckwerke  selbst  ungemein  häufig  vorkommt,  während 
jenes  unserem  Semikolon  gleich  geformte  zeichen  sich  fast  nur  vor 
grösseren  absätzen  findet.  Dies  führt  uns  auf  die  frage,  wie  sich  über- 
haupt die  anwendung  seiner  regeln  in  dem  druckwerke  gestaltet  Es 
war,  wie  es  scheint,  auch  in  diesem  falle  leichter  die  regeln  aufzustel- 
len, als  sie  immer  genau  zu  beobachten;  denn  an  vielen  stellen,  wo 
Plieningen  unbedingt  ein  zeichen  hätte  setzen  müssen,  fehlt  es,  an 
anderen,  wo  man  mit  dem  besten  willen  beim  lesen  keine  pause  ma- 
chen kann,  steht  es  überflüssiger  weise.  Auch  mit  der  wähl  der  ein- 
zelnen zeichen  können  wir  uns  nicht  immer  einverstanden  erklären. 
Für  jeden  dieser  falle  hier  nur  6in  beispiel,  die  ich  den  oben  mitgeteil- 
ten Sätzen  entnehme.  Ein  notwendiges  zeichen  fehlt  zwischen  „zu 
bedeuten"  und  „Nämlichen**  (s.  24  z.  12),  ein  überflüssiges  steht  zwi- 
schen „onwissenhafk*'  und  „were**  (s.  23  z.  23),  falsch  gewählt  ist  die 
virgula  statt  des  punktes  zwischen  „tunckelhait**  und  „Die  puncten" 
(s.  23  z.  27).  Allerdings  wissen  wir  ja  nicht,  was  hierbei  auf  rech- 
nung  des  Verfassers,  was  auf  die  des  druckers  kommt,  da  die  an- 
nähme, Plieningen  habe  die  druck  legung  selbst  überwacht,  immerhin 
nur  eine,  wenn  auch  begründete  Vermutung  ist 

Sehr  sorgfältig  interpungiert  ist  unsere  Senecahandschrifl;  ein 
umstand,  der  die  annähme,  dass  uns  eine  auf  Plieningens  Veranlassung 
angefertigte  abschnft  vorliege,   zu  bestätigen  geeignet  ist    Dass  Hart- 


26  A.   SCHMIDT 

felder  in  dem  längeren  aus  der  Gonsolatio  ad  Marciam  in  seinem  Pro- 
gramm abgedruckten  stück  die  Satzzeichen  des  Originals  durch  seine 
eigenen  ersetzt  hat,  ist  recht  schade. 

Interessant  ist  es,  die  erste  zu  Landshut  1515  gedruckte  ausgäbe 
der  Lobsagung  mit  einem  trotz  den  in  dem  kaiserlichen  privileg  ange- 
drohten „gtossen  penen^  schon  fünf  jähre  später  veranstalteten  nach- 
druck  (GAy  Plinij  des  Andern  Lobsagung:  ...  Durch  ..  Dietrichen  vö 
Pleninge  ...  geteütscht.  o.  0.  1520.  Juli  18.  Fol.),  von  dem  die  Darm- 
städter hofbibliothek  ein  exemplar  besitzt,  zu  vergleichen.  Der  unge- 
nannte nachdrucker  (es  ist  der  druckermarke  nach  Martin  Flach  der 
jüngere  in  Strassburg)  gibt  Plioningens  interpunktionsregeln  getreulidi 
wider,  aber  er  kehrt  sich  seinerseits  durchaus  nicht  an  die  Satzzeichen 
des  Originals.  Manche  fehler  hat  er  verbessert,  z.  b.  zwischen  „zu  be- 
deuten*' und  „Nämlichen*'  (s.  24  z.  12)  setzt  er  richtig  einen  punkt,  zwi- 
schen „onwissenhaft"  vnd  „were"  (s.  23  z.  23)  tilgt  er  das  überflüssige 
kolon:,  in  der  aufzählung  der  Satzzeichen  (s.  24  z.  14)  heisst  es  bei  ihm 
richtiger:  Der  fünflft  Parentesis  (.  Im  allgemeinen  aber  hat  er  das  bestre- 
ben Plieningens  Interpunktion  zu  vereinfachen,  indem  er  meist  statt; 
(poriodus)  den  punkt  allein,  statt  eoma!  und  colon:  die  virgula  /  setzt, 
ohne  aber  die  drei  andern  zeichen  ganz  au&ugeben.  Ein  rechtes  prin- 
cip  der  Interpunktion  fehlt  ihm,  vielmehr  scheint  er  schon  auf  dem 
Standpunkt  zu  stehen,  den  später  Ickelsamer  mit  den  werten  ausspricht: 
Es  loyt  auch  so  vhast  nit  daran  wie  die  zaichen  sein  /  wefi  allain  die 
reden   vnnd  iro  tail  recht  damit  getailt  vnd  vnterschaiden  werden. 

n. 

Heinrich  Munslngers  buch  von  den  falken,  hablchten,  sperbem 

und  hnnden. 

Die  für  die  geschichte  der  mittelalterlichen  beizjagd  hoch  interes- 
sante schritt  Munsingers  wurde  zuerst  1863  unter  dem  titel:  „Hein- 
rich Mynsinger.  Von  den  Falken,  Pferden  und  Hunden"  als  bd.  LXXI 
der  „Bibliothek  des  litterarischen  Vereins  in  Stuttgart"  von  K.  D.  Hass- 
ler nach  einer  in  seinem  besitz  befindlichen,  1473  von  Clara  Hätzlerin 
in  Augspurg  geschriebenen  handschrift  veröflFentlicht  Eine  zweite 
„noch  dem  15.  Jahrhundert  angehörende"  handschrift  der  reichsgräflich 
Nostizischen  bibliothek  zu  Lobris  bei  Jauer  beschrieb  Heinrich  Meisner 
1880  in  der  „Zeitschr.  l  d.  phil.."  XI,  480—482'.  Die  grossherzogl. 
hofbibliothek  besitzt  eine  dritte  abschrift,  die  deshalb  eine  genauere 
beschreibung  verdient,  weil  sie  nicht  nur  die  älteste  bis  jetzt  bekannte 


HAND8CHRIFTSN  IN  DABMSTADT  27 

ist,  sondern  auch  das  werkchen  in  einer  augenscheinlich  älteren  fassung 
bietet 

Die  in  mit  rotgefarbtem  leder  überzogene  holzdeckel  gebundene 
papierhandsciirift  nr.  448  in  4®  ist  21  cm.  und  14,5  cm.  breit  und  be- 
steht aus  120  blättern,  die  vom  rubrikator  mit  den  blattzahlen  q  j  — 
q  CXX.  versehen  sind.  Die  Signaturen  aj — kg  rechts  unten  in  den 
ecken  geben  die  reihenfolge  der  blätter  an,  während  die  der  aus  je  6 
doppelblättem  gebildeten  10  lagen  durch  die  als  kustoden  auf  der  letz- 
ten Seite  jeder  läge  unten  stehenden  anfangsworte  der  folgenden  läge 
geregelt  wird.  Die  volle  seite  enthält  24  zeilen,  die  mit  schöner  imd 
soi^fältiger  deutscher  schritt  beschrieben  sind.  Überschriften  und  blatt- 
zahlen sind  rot,  einzelne  buchstabon  und  worte  im  texte  rot  durch- 
gestrichen oder  unterstrichen,  die  einfachen  kunstlosen  initialen ^  für 
die  der  Schreiber  dem  rubrikator  kleine  schwarze  buchstaben  an  den 
rand  gesetzt  hat,  sind  rot  oder  schwarz  mit  roten  Verzierungen. 

Der  Inhalt  der  handschrift  (D.)  ist  folgender:  Auf  blatt  la  begint 
ohne  jede  überschritt  die  Widmung,  die  ich  hier  vollst^dig  abdrucke, 
da  sie  mit  der  Hasslerschen  handschrift  (H)  und  der  Lobriser  (L)  nicht 
guiz  übereinstimmt.  Die  nur  selten  vorkommenden  abkürzungen  löse 
ich  auf,  die  fehlende  Interpunktion  (in  der  hdschr.  finden  sich  nur 
wenige  striche  und  punkte)  füge  ich  bei. 

HOchgebomer,  gnediger,  lieber  herre:  Als  vwer  gnade  die 
von  angebomer  arte  zu  adelichen  dingen  vnd  zu  allem  dem,  das 
den  adell  geczieren  magk,  furtrefflichen  geneyget  ist,  zu  den  zcijten, 
als  ich  zcum  lösten  zu  weybelingen  bij  derselben  vwer  gnade  gewe- 
sen bin,  mir  geboten  hait  zu  dutschtem  vnd  jnn  dutsch  zu  beschriben 
Solichs,  das  die  Philosophi  vnd  meistere  von  der  natuer  der  falcken, 
der  hebich,  der  Sperber  Vnd  darczu  auch  von  der  natuer  der  hunde 
jn  latine  beschrieben  haut,  Vnd  domit  auch  waz  sie  von  derselben  jre 
nature  geschrieben  haut,  als  die  yczu  jn  gebresten  vnd  suchte  gefallen 
ist,  wie  man  die  mit  arczenye  zu  gesuntheit  (bl.  Ib)  widderbringen 
solle:  Also  gnediger,  lieber  herre  nach  dem  vnd  es  billich  ist,  das  ich 
nach  allem  mynem  vermögen  derselben  vwere  gnaden  jn  den  vnd  jn 
andern  Sachen  jtzunt  vnd  zu  allen  zcijten  gehorsame  vnd  willig  sij.  So 
han  ich  hie  jn  diesem  buche  nach  begrifFlichkeit  myner  synne  vnd 
nach  vermogunge  myner  vernunflFt  mit  der  hulfF  gotis  volnbracht  solichs, 
das  mir  vwere  gnade  also  jn  den  obgeschrieben  stucken  zu  thunde 
geboten  hait,  mit  solicher  ordenunge  vnd  wijse,  das  ich  daz  Buche 
jnn  dru  teyle  geteylet  han.  Vnd  das  erste  teyle  diß  buchs  saget  von 
den  fidcken,  Das  ander  von  den  hebichen  vnd  von  Sperbern,  Vnd  das 


28  A.  SU11MIDT9 

dritteylo  saget  von  den  hunden.  Vnd  ein  jglich  teylo  halt  sin  vnder- 
scheydt  vnd  Cappitel  (bl.  2  a)  nach  dem  vnd  man  sie  nacheinander 
ordingiichen  geczeichent  findet  Vnd  vor  dem  anfangk  eins  jglichen 
vnderscheidt  vnd  Cappitel,  so  findet  man  mit  roter  schrifft  geschrieben, 
wo  von  die  redde  des  Cappitels  vnd  vnderscheidt  saget,  als  es  auch 
hie  jn  diesem  register  hirnachgeschrieben  geschrieben  stett 

Auf  bl.  2a  9  —  9b  3  folgt  nun  das  register  über  die  drei  teile  des 
ganzen  werks.  Während  in  H.  die  register  und  zwar  nur  über  die 
hauptkapitel  vor  den  einzelnen  teilen  stehen,  sind  sie  hier  zu  einem 
gesamtregister  vereinigt  und  enthalten  neben  den  kapitelüberschriflen 
auch  sämmtlichc  rubriken  mit  angäbe  der  blätter,  wo  die  betreffenden 
abschnitte  zu  finden  sind. 

Bl.  10a — 117a  1  geben  den  text  der  drei  bücher.  Der  erste  teil 
begint  ohne  hauptüberschrift  mit:  „Das  erste  Capitel  das  saget,  wie  die 
falckon  vnd  die  hebiche  vnd  auch  die  Sperbero  nit  eynes  geslechtes 
sint**  und  schliesst  bl.  61b  13  mit:  „Vnd  domit  halt  ein  ende  diß  erste 
teile  diß  Buchs,  daz  da  saget  von  den  falcken."  Es  schliesst  sich  un- 
mittelbar die  Überschrift  dos  zweiten  teiles  an:  „Das  ander  teyle  dift 
Buchs  ist  das  da  saget  von  den  hobichen  vnd  von  den  Sperbern*'  etc. 
Ende  bl.  103a  9:  „Vnd  domit  hait  das  anderteyle  diß  buchs  ein  ende, 
das  da  saget  von  den  hebichen  vnd  den  Sperbern.^  Der  dritte  teil 
beginnt  bl.  103  a  10:  „Das  dritte  vnd  leste  teyl  diß  buch  jst  daz  da 
Sagett  von  den  hunden  vnd  ist  geteylt  jnn  dru  Capitel"  etc.  und  endet 
bl.  117  a  1:  „Vnd  domit  hait  auch  ein  ende  drittcteyl  diß  buchs  ynd 
domit  daz  gantz  buche,  das  gemacht  hait  Meister  heinrich  Munsinger, 
Doctor  jnn  Arczenij  2c\  dem  woilgebomen  herren  Ludewigk  Orauen  zu 
Wirtenbergk  2c'. 

Der  Schreiber  fügte  dann  noch  zu:  Deo  gracias  (rot) 

Also  hait  diß  buch  ein  ende, 
Got  wolle  vns  von  sunden  wende. 
Lobe  vnd  ere  sij  got  geseyt 
Vnd  marlon  der  reynen  meyt. 
Aimo  domini  millesimo  quadrin-  |  gcntesimo  Sexagesimo  |  sexta  post 
omnium  sanctorum  (letzte  zeile  rot).     Johannes  glockener  zu  vrsel  2c\ 
hait  I  diß  Buchelin  geschrieben  | 
Die  schon  liniierten  und  foliierten  blätter  117b — 120b  sind  leer. 

Über  die  früheren  besitzer  der  handschrift  gibt  sie  selbst  keine 
auskunft.  Wenn  das  einliegende  blatt  mit  einem  von  Daniel  Moser  in 
Göppingen  unterschriebenen  rezept  „Für  die  Vogelsucht ^  von  einem 
der  eigentümer  stammt,  muss  sie  von  Ursel  in  die  heimat  des  verfiEUBsera 


HANDSGHBIFTEN  IN   DARMSTADT  29 

zurückgewandert  sein.  Von  dort  brachte  sie  wol  der  Hessen -Damistäd- 
tische  leibmedicus  und  professor  in  Giessen  Johann  Daniel  Horst  (1616 — 
1685,  vgl.  Strieder  VI,  195  fgg.),  der  in  Tübingen  promoviert  hatte, 
und  dem  sie  nach  dem  Jung'schen  kataloge  der  Darmstädter  bibliothek 
von  1717  s.  398  vormals  zugehört  hatte,  nach  Darmstadt  Zu  ende  des 
17.  Jahrhunderts  wird  sie  bereits  in  dem  ältesten  erhaltenen  handschrif- 
tenkatalog  der  landgräflichen  bibliothek  als  deren  eigentum  aufgeführt. 

Aus  der  obigen  beschreibung  der  handschrift  D  ergibt  sich,  dass 
Munsingers  schrift  in  ihr  aus  drei  teilen  besteht,  während  in  H.  und 
L.  zwischen  dem  zweiten  und  dritten  teile  ein  weiterer  abschnitt  „von 
den  pferden*^  eingefügt  ist,  so  dass  hier  die  hunde  im  vierten  teil 
behandelt  werden.  In  den  allen  handschriften  angehörigen  drei  teilen 
ist  der  text  in  D.  und  H.  ziemlich  der  gleiche,  nur  bietet  D.  fast 
durchweg  bessere  lesarten,  die  manche  dunkle  stelle  in  Hasslers  abdruck 
zu  erhellen  vermögen.  Da  voraussichtlich  die  schrift  nicht  so  bald  mit 
benutzung  aller  handschriften  herausgegeben  werden  dürfte,  lasse  ich 
hier  die  hauptabweichungen  der  handschrift  D.  von  H.  folgen,  soweit 
sie  zur  erklärung  des  textes  etwas  beitragen. 

Seite  2,  28  des  Hassler'schen  textes  ist  davon  die  rede,  „das  das 
geschlächt  der  häbich  vierlay  sey",  es  werden  aber  nur  drei  arten 
genannt.  In  D  heisst  die  stelle  bl.  10  a  13:  Vnd  also  vnder  dem  namen 
&lcken  begrieflfen  sie  beyde  die  hebich  vnd  die  Sperbere  vnd  fürbaß 
vnder  dem  namen  habiche  begrieflfen  sie  den  Sperbere,  wann  sie  spre- 
chen, das  das  gesiecht  der  habiche  vierley  sij.  Das  erste  heißent  sie 
den  großen  habich,  vnd  das  ander,  das  darnach  großer  ist,  heißent  sie 
Tritzelin,  Das  dritte  heißent  sie  Sperber,  Das  vierte  heißent  sie  muscer. 
Statt  „muscer*'  hat  H.  immer  „mustet",  ein  wort,  das  nach  Lexer  I, 
2258  nur  bei  Munsinger  vorkommt  und  von  Lexer  =  müs-toet?  gesezt 
v?ird.  Albertus  Magnus,  Munsingers  quelle,  hat  „muscetus"  (=  frz. 
mouchet).  In  Munsingers  original  stand  wol  muscet,  und  beide  abschrei- 
ber  haben  das  ihnen  unverständliche  wort  falsch  widergegeben.  Ein 
späterer  Übersetzer,  Walther  ßyflf  (Thierbuch.  Alberti  Magni.  Franck- 
fort  1545)  Übersetzt  dieses  wort  mit  „Wannober'',  wozu  Lexer  III,  682 
wannen -wehe  und  Diefenbach-Wülcker,  Hoch-  u.  ndd.  Wörterbuch 
s.  894  wannen -weher  zu  vergleichen  sind. 

2,  2  V.  u.  muss  es  statt  „allem  widerm  vederspil"  heissen  „an- 
derm".  Derselbe  lesefehler  des  abschreibers  von  H.  oder  Hasslers  kommt 
öfter  vor,  so  s.  16,  22:  „So  fahen  sy  tauben  vnd  nit  vogel"  statt  „tau- 
ben vnd  antfogel". 

10,  4  st  vermischet  lies  vermißt 


30  ▲.   SCHMIDT 

13,  8  denn  —  baißens  1.  den  —  heißent 

13,  27  st  der  Marck  1.  denmarckt  (=  Dänemark). 

18,  3  st  als  sy  t&nd  1.  als  man  nu. 

18,  18  st  in  Glusen  1.  jnn  Russen;  st  in  Swenden  1.  jnn  Swed- 
den  (Schweden). 

20,  13  st  gewel,  die  man  vnderweilen  macht  von  vedem  vnd 
ynderweilen  von  pamöle  1.  gewelle  die  man  vnderwylen  von  feddem 
macht  vnd  vnderwijlen  von  Baumwollen.  (Albertus  Magnus  lib.  23 
cap.  17:  purgatoria  quae  vulgariter  Germani  guel  vocant,  et  fiunt  ali- 
quando  de  pennis,  sed  melius  fiunt  de  bombace.) 

27,  13  1.  übereinstimmend  mit  dem  original  cap.  18:  gense  miste 
oder  tuben  miste  vnd  die  vber  Rinde  von  der  worczeln  des  baumes, 
den  man  nennet  Eiben,  vnd  wachssen  bij  dem  wasser,  Vnd  sal  man 
die  Rinden  sieden  jnn  wasßer  als  lange  biß  das  wasßer  dauon  Roit  wirt 

27,  19  1.  So  sal  man  nemen  Roit  wachsß  vnd  muscaten  vnd  die 
fruchte,  die  zu  latein  heisßent  mirabolones  Citrini  vnd  koment  vber 
mere  here,  vnd  findet  man  sie  jnn  der  apoteken,  vnd  steyne  salcz, 
daz  man  auch  jn  der  appoteken  findet  vnd  heißet  zu  latin  Sal  gemma 
vnd  ist  glich  als  yse,  vnd  ein  harcz,  heißet  zu  latin  Gummi  arabicum, 
vnd  etwann  viel  komer  von  kern  (=  grana  tritici)  etc. 

28,  5  st  vernychen  l.  vermischen. 

28,  25  st  sincket  das  ayter  1.  smacket  dasselbe  eyter  vbeL 

30,  7  und  8  v.  u.  1.  wer  es  an  der  zcijt,  das  man  sieben  (st 
flech)  funde,  So  mochte  man  vff  den  flecken  treuffen  drij  droppen  von 
dem  sieben  safft  (st  flehen).  (=»  acacia  quae  sunt  pruna  spinarum  sil- 
vestrium.) 

31,  1  st  schwarwoll  1.  scharewollen. 
31,  6  st  zu  stund  1.  vff  zcwo  stunde. 

31,  23  st  so  sol  man  nemen  von  der  Hawt  ains  rauchen  ygels 
1.  So  sal  man  nemen  von  der  hut  eyns  rohen  slijgen  (»  abstrahatur 
cruda  pellis  piscis  quae  tincha  vocatur,  quem  Germani  sligen  vocant). 

33,  21  1.  sprachen  segen,  wann  sie  des  morgens  den  üalcken  vff 
die  band  namen;  dafür  fehlt  33,  23  so  haben  sy  die  gesegent,  das  der 
Schreiber  von  H.  zugesetzt  hat 

34,  6  V.  u.  st  der  Ar,  der  da  vich  faucht  1.  der  are,  der  da 
fische  facht 

35,  10  st  der  ze  vil  ist  1.  der  zu  vol  ist 

35,  7  V.  u.  st  die  herfliegen  1.  die  sie  erfliogent 

36,  2  1.  YOrbaß  ist  zu  wijssen,  das  der  Sperber  nach  dem  latin- 
sehen  namen,  den  er  hait,  heißet  (st  paißet)  begirig.    (Albertus  Magnus 


HANDSCHRIFTEN  IN  DARMSTADT  31 

lib.  23  s.  194a  1  der  ausgäbe  Venetiis  1519  foL:  Nisus  ...  a  nisu  hoc 
est  conamine  prede  sie  vocatur.) 

43  zwischen  zeile  6  und  7  fehlt  in  H.  ein  ganzer  absatz:  Wann 
der  habich  luse  hait  2c'.  Saltu  also  vertriben:  Du  salt  nemen  wechhol- 
der  mit  Binden  vnd  alle,  vnd  eynen  Kick  dem  habich  daruß  machen 
vnd  yne  daruff  stellen,  vnd  yme  zcwo  ader  drij  mentschen  luse  an 
sinen  halß  lauffen  laßen,  vnd  so  der  habich  ein  zcijt  vff  dem  Rick  also 
gestanden  hait,  vergeen  die  luse  gantz  vnd  gar. 

47,  13  V.  u.  st  sol  es  in  seinen  mund  nemen  1.  sal  wyne  jnn 
sinen  mundt  nemen. 

48,  22  hat  D.  richtig  vor,  nicht  von. 

48,  1  V.  u.  st.  mit  Eppfkrautt  fest  zesamon  vermischen  1.  mit 
Eppenkrut  safft 

52,  7  1.  in  dem  kopff. 

52,  8  st  solen  1.  vlen. 

53,  22  1.  Dann  wann  es  also  ist.  So  kan  er  vor  lenge  des  sna- 
bels  das  asß  nit  verslinden. 

55,  2  V.  u.  1.  Hait  das  federspiele  die  febres  vnd  viele  vnnatur- 
liehe  hitze,  So  sal  man  yme  geben  das  saSt  von  dem  krude,  das  man 
heisßet  buckeln  oder  Bijfusß  mit  hunerfleisch  zu  essen. 

56,  4  V.  u.  st  gundelres  1.  Gundelrebe. 

57,  10  1.  als  die  Appteker  thunt,  so  etc.  st  vnd  so. 

58,  5  V.  u.  1.  Darnach  sal  man  yne  stellen  vff  ein  dennen  oder 
Salgen  Stangen,  d.  h.  auf  eine  stange  von  tannen-  oder  weidenholz. 
(Albertus  Magnus  lib.  23  cap.  23  super  lignum  Salicis  aut  abietis  sem- 
per  sedeat)  Hasslers  „Tennen  oder  felchen  Stangen"  gibt  ganz  fal- 
schen sinn. 

89,  22  1.  Vnd  wan  sie  wunt  sint,  so  ist  yre  zcunge  etc. 

90,  4  V.  u.  1.  jnnewendig  wole  suber  werden. 

91,  23  st  damit  1.  vnd  nit 
93,  1  V.  u.  st  fliech  1.  flöhe. 

93,  3  V.  u.:  in  D.  steht  richtig  anderswo  hat 

94,  1  V.  u.  st  gerent  für  milich  1.  gereute  sure  milche  =  geron- 
nene sauere  milch.  Statt  „gereute"  von  geronnen  (Lexer  I,  878),  das 
ihm  wol  nicht  vorständlich  war,  setzte  der  abschreiber  von  D.  geremte, 
wobei  er  vielleicht  an  „abgerahmt"  dachte.  Albertus  Magnus  lib.  22 
bl.  175  a  hat:  lac  acidum  et  bene  commixtum. 

95,  24  1.  vnd  den  kopflf  weil  schern  st  beswäm.  (Albertus  Mag- 
nus lib.  22  bl.  176b:  caput  radatur  et  bene  depiletur.) 

DARMSTADT.  ADOLF   SGUMmT. 


32 

ZU  BEESKE  DE  V0& 

377-L  Isegrim  sprack:  „uat  schoUe  dai  wesen^ 

Dai  ik  nicht  scheide  lesen,  wat  yd  ock  sy? 

Ja^  dhdßschy  tcalseh,  latin,  ok  franxoss  dar  by. 

Hebbe  ick  doch  to  Erfort  de  sehole  gheholdenf 

Oek  hebbe  ick  myt  den  wysen  olden 

Questim  ghegeuen  unde  sentencien. 
schule  holden  bezeichnet  jetzt  in  Xiederdeutschland  allgemein  die  tatig- 
keit  des  lehreis.     Da  aber  diese  bedeatung  hier  nicht  in  den  Zusam- 
menhang zu  passen  scheint,  und  man  im  Reinaert  t.  4048  %.  der  älte- 
ren ausgaben  liest: 

cp  Westvalen  ende  Prorin 

(hebbik)  gegaen  ter  Iwger  seoleny 
so  bemerkt  Lübben  in  seiner  ausgäbe  des  Beinke  Oldenburg  1867  in 
der  anmerkung  zu  t.  3778  auf  s.  258  (vgl.  auch  das  glossar  unter  hol- 
den):  ^de  schale  holden  hier  vom  schüler  gesagt,  der  die  schule  be- 
sucht^ Ihm  hat  sich  auch  Karl  Schröder  in  seiner  ausgäbe  (Leipzig 
1872;  angeschlossen,  indem  er  ausdrücklich  erklärt:  schale  (ge) holden 
nicht  ,,scbule  halten*^  sondern  ^^die  schule  besuchen^,  während  in  Fr. 
Priens  ausgäbe  (Halle  1887)  die  stelle  unerörtert  blieb.  Auch  im  Mnd. 
wb.  bd.  4,  s.  111  wird  v.  3778  ähnlich  erklärt  durch:  ^habe  ich  mei- 
nen Unterricht  empfangen  »  studiert^ 

Nun  liest  aber  K  Martin  in  seiner  ausgäbe  des  Reinaert,  Pader- 
born 1874,  8.  217  T.  4038  tg.: 

Op  Westvalen  cpuie  te  Ptorijn^ 

hebbe  ic  die  scolen  gehouden. 
Da  also  der  niederdeutsche  text  sich  auch  an  dieser  stelle  als  genaue 
Übersetzung  des  niederdeutschen  erweist,  und  da  jeder  nachweis  fehlt, 
dass  das  mnl.  scole  houden  wie  das  mnd.  schale  holden  in  anderer  als 
der  jetzigen  bedeutung  vorkommt,  so  sind  wir  genötigt,  uns  nach  einer 
anderen  erklärung  des  ausdrucks  umzusehen.  Nach  meiner  meinung 
heisst  de  schale  liolden  auch  hier  nichts  anderes  als  ^«schule  halten'' 
und  erklärt  sich  aus  dem  damaligen  studiengange  der  Universitäten. 
Diese  teilten  sich  bekanntlich  in  die  vier  fakul täten  der  theologie,  Juris- 
prudenz, medicin  und  der  ,,freien  künste"".  Die  artistenfBÜ^ultät  war 
den  anderen  untergeordnet  und  vertrat  die  stelle  unserer  gymnasien: 

1 )  Martin  vermatet  einl.  s.  XXII  mit  recht  eind  eotstelluDg  dieses  verses  und 
möchte  lesen:  te  Westralen  op  d'Erforiijn,  In  der  Delffter  prosa  heisst  es:  f^  kMe 
ierffortden  ter  scolen  gkegaen. 


zu  BXXNKE  DB  V08  33 

unter  der  leitung  eines  magisters  hatte  der  scholar  zunächst  hier  einen 
lehrgang  durchzumachen;  dann  wurde  er  baccalaureus  und  hatte  als 
solcher  weiter  zu  studieren,  zugleich  aber  sich  selbst  lehrend  zu 
versuchen  (vgl.  F.  Kurze,  Deutsche  geschichte  im  mittelalter.  Stutt- 
gart, Göschen  1894  s.  178).  Da  aber  die  erlangung  der  magisterwürde, 
welche  an  diese  Vorbedingungen  geknüpft  war,  von  einem  jeden  gefor- 
dert wurde,  der  in  eine  der  höheren  fakultäten  eintreten  wollte,  so 
geht  daraus  hervor,  dass  Beinke,  der  es  nach  v.  3781  zum  licentiaten 
der  rechte  gebracht  hat,  auch  selbst  lehrend  aufgetreten  sein  muss.  Es 
scheint  aber  durchaus  angemessen,  wenn  Beinke  seine  sprachkenntnis 
durch  die  bemerkung  zu  erweisen  sucht,  dass  er  in  Erfurt  die  würde 
eines  magisters  der  freien  künste  erlangt  habe. 

NORTHEIM.  R.    SPRENGER. 


MITTEILUNGEN  AUS  MITTELHOCHDEUTSCHEN 

HANDSCHRIFTEN. 

Im  nachlasse  des  am  12.  juni  1812  an  der  landesbibliothek  zu 
Wiesbaden  angestellten,  am  4.  december  1817  entlassenen  und  am 
9.  Oktober  1858  zu  Endenich  bei  Bonn  gestorbenen  dr.  Helferich 
Bernhard  Hundeshagen  finden  sich  die  nachstehenden  stücke  1 — 4 
in  säubern  abschritten  vor,  die  derselbe  wol  herausgeben  oder  jeman- 
den mitteilen  wolte.  Da  Hundeshagen  1817  nach  Bonn  zog  und  gänz- 
lich herabkam,  unterblieb  diese  absieht 

1.  Liebesbrief  ^ 

Vil  Über  brif,  nun  var  mit  heil. 
Du  gewinnest  aller  seiden  teil. 
Als  ich  dich  bescheiden    kan, 
Dich  sieht  mein  frouwe  selber  an. 
5  Daz  were  [ist]  dir  ein  groze  er. 
Dir  widervert  noch  eren  mer. 
Darumb  sei  [Davon  bis]  fro,  daz  ich  dich  sende, 
Sie  beut  nach  dir  ir  weissen  [weisse]  hende. 

1)  Dieses  interessante  stück  ist  nach  einer  aus  Kegensburg  durch  v.  Gemeiner 
mitgeteil^n  handschrift  (original?)  abgedruckt  im  Morgenblatt  für  gebildete  stände 
1815  nr.  167;  ygl.  Zeitschrift  f.  d.  alt.  36,  358.  Der  ältere  druck  enthält  zahlreiche 
abweichongen  von  dem  hier  durch  Roth  gebotenen  texte,  die  ich  —  soweit  sie  ganze 
werte  betreffen  —  in  klammern  oder  unter  dem  texte  hinzufüge.  o.  s. 

ZBXBGHRIFT  F.   DKUTSOmE   PHILOLOGIE.     BD.  XXVIU.  3 


34  HOTH 

Dir  mag  noch  mer  werden  kunt, 
10  Si  list  dich  mit  irem  roten  mund. 

Daz  weite  got,  daz  selbes  [halb  es]  mir 

Mocht  wider  varn,  waz  man  dir 

Grozer  ere  dort  enbeut  [erbeut]! 

Wie  selig  wer  mir  solche  zeit! 
15  So  var  nun  hin,  du  yerst  mit  ere, 

und  gruzze  mir  die  minnigliche  here, 

Gruz  mir  iren  rosen  varben  mund, 

Gruz  sie  von  mir  zu  tausend  stund, 

Gruz  mir  ir  wenglein  rosenvar, 
20  Gruz  mir  ir  spilden  auglein  klar, 

Gruz  mir  ir  helslein  hermelnweiss  [harminweiss], 

Gruz  die  libe  mir  mit  fleisz, 

Gruz  mir  ir  herz  und  iren  sinn  |ire  sinne], 

Gruz  mir  meines  herzens  konigin  [königinnej, 
25  Gruz  mir  ir  danch  und  iren  mut, 

Gruz  mir  die  herzens  frouwe  gut. 

Gruz  mir  sie,  der  ich  gutes  gan, 

Gruz  sie  von  mir  eilendem  man, 

Und  sag  ir  meinen  dienst  von  herzen  gar, 
30  Sie  möge  [Ich  lass  sie]  wissen  offenbar, 

Wie  ich  getracht  hab  lange  stund, 

Dass  [Wo]  ich  ein  frouwe  finden  kunt. 

So  [Die]  minnigliche  wer  gestalt, 

Mit  züchten  fro,  zu  rechte  bald. 
35  Der  wolte  ich  mich  eigen  geben, 

Mein  leib  und  mein  leben. 

Ich  bin  frO;  ich  hab  gefunden, 

Wan  ich  bev  meinen  stunden 

So  trautes  [liebes]  lib  noch  nie  gesach  [nie  ich  sach]. 
40  Euer  äuge  in  mein  herze  brach. 

Da  ich  zuerst  euch  erblickte  [an  erblickte]. 

Vor  vrouden  ich  ersohrickte, 

Ich  dachte,  daz  solde  sie  [die]  sein. 

Die  mir  so  [mir  die]  senecliche  pein 
45  Eeren  [Wenden]  sol,  die  ich  getragen 

35  —  37:   Der  wolte  ich  für  eigen  gebeo    Beide  leib  und  leben    Xan  wol  ich 
hab  euch  fanden 


lUTTXILUNOEN   AUS   MHD.   HANDSCHRIFTEN  35 

So  [Hab]  lange  her  bey  meinen  tagen. 
Ir  seid  [seit's]  ein  engel  an  gemflte, 
und  eine  turteltaub  an  g&te, 

Der  tugend  [Und  seid  der  tugend  ein]  blühender  stam; 
50  Gepreist  sei  [Des  ist  gepreist]  euer  edler  nam! 

Ir  seid  gebild  von  gotes  banden, 

An  euch  ist  kein  fei  vorhanden. 

Ach  herzens  liebste  [herze  liebe]  frouwe  mein, 

Nu  lazzet  an  mir  werden  schein, 
55  Daz  euch  die  werft  des  besten  gicht, 

Ich  hab^kein  ander  [doch  andre]  hofnung  nicht, 

Als  die  ich  gen  euch  frouwe  [froue  gen  euch]  han, 

Des  solt  ir  mich  geniezen  lan. 

In  meinem  herzen  seid  ir  verslossen, 
60  Dar  inne  seid  ir  gar  vervlossen, 

Darin  must  ir  gehauset  sein 

Nu  bis  [Nun  stets  bis]  an  daz  ende  mein. 

Ob  euer  gute  mir  heiles  gan. 

So  helfet  [ratet]  mir  eilendem  man, 
65  Wo  ich  euch  [Wo  die]  heimlich  mög  ergan, 

Daz  ich  euch  frouwe  wol  getan 

Ean  sprechen,  als  ich  willen  han 

Und  doch  on  allen  valschen  wan. 

Nu  lieber  brif,  bis  mir  [mir  ein]  guter  bot, 
70  Damit  verleih  der  liebe  got. 

Dazu  alles  himelische  her, 

Daz  sie  sich  Üblich  gen  mir  ker. 

Amen. 

2.  Tom  mSnch  Felix  ^ 

Ein  heyliger  mönch  einest  was. 
Der  gerne  von  got  las. 
Was  er  geschriben  fand, 
Der  was  Felix  genant 

52  Dess  seid  ir  gar  od  allen  wandel 

1)  Jüngere,  gekürzte  bearbeitang  der  bei  Hagen  Gesammtaben teuer  III,  613  — 
623  abgedruckten  legende;  andere  fassungen  bei  Orimm,  Altdeutsche  wälder  n,  70. 
Zeitschr.  f.  d.  a.  V,  433.  Pfeiffer,  Germania  IX,  260.  Vgl.  Wackernagel,  Litt.-gesch. 
I*,  214.  Gering,  tslendzk  aevent^  11,  120 — 122.  Zu  den  dort  erwähnten  moder- 
nen behandlungen  des  Stoffes  ist  nachzutragen:  Elise  Polko,  Neue  novellen,  6.  folge 
(Letpsig  1866)  s.  277  fgg.  bkd. 

3* 


36  BOTE 


5  Des  momdes  ging  er 

Mit  einem  buch  aus  dem  münster, 

Alda  er  zu  lesen  began 

Und  traf  diese  stelle  an, 

Dass  in  dem  himel  were 
10  Stets  freud  one  schwere 

Ewiglich  one  ende. 

Beyde  äugen  und  hende 

Erhob  er  zu  dem  herm: 

0  got,  ich  glaubte  das  gern, 
15  Was  diss  buch  mir  spricht, 

Doch  ich  begreife  es  nicht 

Da  kam  ein  vogelein. 

Das  war  gar  merklich  cleyn. 

Doch  tat  es  so  minniglichen  sang, 
20  Dass  der  mönch  aufsprang. 

Und  das  buch  verschloss. 

Sein  freud  die  war  gross. 

Im  ward  noch  nyemals  so  wol, 

Sein  herze  war  freuden  voll. 
25  Das  Beste,  so  im  gescheen  was. 

Das  hoechst,  so  er  an  büchem  las 

Dunckte  im  kein  freud  zu  sein 

Als  der  gesang  des  vögeleyn. 

Wer  es  hörte  singen, 
30  Dem  wars  wie  Harfen  klingen. 

Alle  tone  waren  nit  so  süsse 

Wie  dieser  Tone  grusse. 

Dem  heilig  mann 

Nun  in  sinnen  kam, 
35  Dass  er  mögt  das  voglein  fangen. 

Da  flog  dasselb  von  dannen. 

Er  sprach:  Eva,  Hb  vogeleyn 

Du  hast  erfreut  das  herze  meyn. 

Mir  dauchte  gleich 
40  Ich  war  im  hymelreich. 

Deiner  stimme  klang 

Ist  über  allem  menschlichen  gesang. 

Ze  hand  eine  glook  erklang, 

Ze  läutende  den  mittag  gang. 


MITTEILUNGEN   AUS  MED.   HANDSOHBIFTEN  37 

45  Da  begann  der  mönch  zu  bangen, 

Dass  er  nit  ins  kloster  gangen. 

Gross  reu  er  da  empfing, 

Gegen  die  pfort  er  eilends  ging. 

Der  pfortner  zur  pforten  lief, 
50  Der  mönch  aussen  rief: 

Eya  bruder  lass  mich  eyn! 

Der  pfortner  sprach:  wer  magst  du  sein? 

Ich  bin  der  mönch  Felix  gnant, 

Dem  abte  wol  bekant 
55  Wye  seid  ir  her  gekomen, 

Hab  nye  was  von  dir  vemomen. 

Dreissig  Jar  seind  es  an  der  zeit, 

Dass  ich  mich  diesem  haus  geweiht, 

Doch  ich  dich  nimmer  sach. 
60  Der  mönch  zum  bruder  sprach: 

0  lasse  deynen  groben  spott, 

Auch  ich  sah  euch  nye,  bey  Gott! 

Ich  ging  vom  münster  zur  prim. 

Gar  grosse  freud  ich  da  empfing 
65  Von  eynem  kleinen  vögeleyn. 

So  gross  ward  die  Freude  meyn, 

Dass  nicht  gang  ins  kloster  eyn. 

So  ist  mir  die  zeit  entpflogen 

Und  ward  ich  um  die  stund  betrogen. 
70  Der  pfortner  red  gar  unverdrossen: 

Die  pforte  wird  nicht  aufgeschlossen. 

Ich  kann  euch  nicht  einlassen. 

Drum  gehet  gemut  euer  Strassen. 

Der  mönch  begann  zu  flehen, 
75  Er  solle  doch  zum  abte  gehen, 

Dass  er  zur  stelle  käme 

Und  seine  red  vernehme. 

Der  pfortner  zu  dem  abte  ging 

Und  sagte  im  den  anbeging. 
80  Ein  mönch  steht  vor  der  pforten 

Und  spreche  offenbar  von  werten 

Er  sei  gewesen  vierzig  Jar 

In  diesem  kloster  gar. 

Der  abt  die  Ältesten  nam 


38  ROTH 

85  Und  vor  die  pforte  kam, 

Doch  keiner  hat  in  je  gesehen. 

Da  hiess  in  der  abt  ins  siechhaus  gen, 

Wo  ein  viel  alter  mönch  gelag, 

Den  fnig  der  abte  um  die  sach. 
90  Der  sprach:  Do  ich  war  novitius 

Und  läse  in  canonibus, 

In  diesem  kloster  ein  mönch  was, 

Der  gern  von  got  las, 

Der  was  Felix  genant 
95  Zur  prime  zeit  er  einst  entschwand, 

Der  ist  jetzt  zurück  gekommen. 

Das  soll  dem  kloster  frommen. 

Ein  vil  heiliger  man 

Do  in  das  kloster  kam. 
100  Felix  war  es  gewesen  eine  stund  an  zeit. 

Die  däucht  im  eine  ewigkeit, 

Von  stund  an  er  gern  von  got  las 

Und  von  got  begriff  er  das, 

Dass  des  himels  freude  one  ende 
105  Der  her  den  seinigen  zuwende.    Amen. 

3.  Unser  Heben  franen  ritter^ 

Eyn  ritter  ktin  und  weiss. 
Sucht  ritterlichen  preiss, 
Dabey  from  und  dugenthafft 
Maria  zugethan  in  grosser  krafit 
5  Und  liebe,  die  er  ir 
Stets  bot  in  frommer  zier. 
Er  wolt  zu  eym  turney 
Gewinnen  ehren  mancherley 
Nach  ritters  art  einst  reiten. 
10  Am  münster  sah  er  die  mess  bereiten. 
Der  ritter  dachte  fromm  im  sinn 
Zu  hören  eine  mess  zu  ehr  Marien. 
Er  ging  ins  münster  und  hört  die  messe  bass. 
Doch  als  die  messe  nicht  zu  ende  was, 

1)  Jüngere,   gekürzte  bearbeitung  der  bei  Hagen  G.  A.  IQ,  466  Ig.    Hahi 
FAssioiial  142,  75  "      «i^Midnioktea  erztthliiDg.  bid. 


MITTEILUNGEN   AUS   IIHD.   HAND8GHBIFTEN  39 

15  Hub  schon  eine  ander  an. 

Da  wolt  er  nicht  von  dannen  gähn 

Bis  die  zu  end  gesprochen  war. 

So  blieb  er  in  dem  Gottes  haus 

Bis  Mittags  war  die  letzte  messe  aus. 
20  Als  alles  gebracht  zum  ende  was, 

Er  schnell  auf  sein  ross  gesass 

Und  reitet  eilig  zum  tumey 

Onwissend,  dass  es  längst  vorbey. 

Die  leute  ritten  im  entgegen 
25  Und  lobten  ihn  als  wackem  degen 

Auf  Työst  und  schwerthieb  fest 

Noch  keiner  sei  also  gewest. 

Je  keinen  ritter  sye  gesehn 

So  kühn  die^ritterschaflft  begehn, 
30  Dass  er  mit  seinem  grossen  mut 

Erstritten  viel  hohes  gut, 

Dass  ihm  ein  hohes  los  gefallen 

Ehr,  Preis  und  gut  vor  allen. 

Den  ritter  nam  gross  wunder  das, 
35  Do  er  nicht  beim  tumey  was, 

Alsbald  er  begann  zu  schauen 

Ein  wunder  unser  lieben  frauen, 

Die  gestritten  hat  für  in. 

Erzält,  dass  er  am  tumey  kein  gewin, 
40  Dass  er  nicht  dabey  gewesen, 

Die  weil  er  im  münster  messe  hören  lesen. 

Drumb  ihn  sein  hoher  sinn 

Zog  ganz  zu  Marien  hin, 

Marien  weiht  er  seine  ritterschafß; 
45  Im  closter  mit  aller  tugend  kraft. 

Zu  ir  zog  in  sein  ganzer  sin 

Zu  des  himels  konigyn. 

4.  Dlz  ist  ein  segen  fDr  den  Blten.^ 

Rit  vü  böse  ich  beswere 

Dich  bey  der  heiligen  lere. 

Die  got  in  dem  Jordan  hat  entphangen, 

1)  Parallele  zu  dem  Ztschr.  f.  d.  a.  17,  430  mitgeteilten  fiebersegen.      bid. 


40  ROTH 

Daz  du  am  dritten  tag  seyst  vergangen. 

Bit  du  solt  gedencken, 

Daz  sich  Jhesus  Christ  liss  hencken 

An  daz  frone  crucze  here. 

So  virmide  mich  heut  und  immermere. 

Do  Jhesus  an  der  marter  hing 

Und  seyn  bitter  leyd  anfing, 

Do  sprach  ein  Jude  in  seinem  spott: 

Hast  du  den  riten,  herre  gott? 

Wan  ich  den  Biten  nit  enhan 

Und  ich  den  riten  nye  gewan, 

Noch  der  in  nymer  darf  gewynnen, 

Der  disse  wort  gesprochen  kan: 

Ez  ging  sich  über  lande 

Der  gut  herre  sante 

Johannes. 

Da  kamen  zwen  vnd  sibentzig  riten  gegangen:  Herre  meist 
wo  wolt  ir  hin?  Da  wil  ich  in  diesen  walt  und  wil  zwey  vnnd  sibe 
zig  widen .  hawen  und  wil  euch  binden.  Herre  meister,  daz  laut  s 
wir  wollen  euch  geloben,  daz  wir  nimmer  kommen  an,  ez  seye  frau 
ader  mann,  der  dis  wort  gesprechen  kann. 

5.  Ein  new  Ued  Ton  Hans  und  Llenhardt  dem  YltteP. 

1.  Nun  wollen  wir  aber  heben  an 
Ein  newes  lied  zu  singen. 

Was  zu  Augspurg  gesehen  man, 

Es  soll  mir  wol  gelingen. 

Vittel  Hanss  ist  er  genant, 

Vorm  kaiser  er  gelegen  wäre 

Um  ein  Sach,  das  sag  ich  euch  fürwahre. 

2.  Er  kam  gen "^ Augspurg  eingeritten 
Wohl  in  die  werte  Stadt, 

Wann  er  thät  nach  seinen  Sitten, 

Und  auf  das  Rathaus  er  trat 

Auf  dem  Bathaus  solt  er  geschworen  han. 

Das  wollt  er  nicht  gethun, 

Er  woUts  Yor  dem  kaiser  austragen  lan. 

1)  Nach  stark  venuiatalteter  überiiefianuig  miiigeteilt  bei  Lilienoron,  bist  yd 
lieder  nr.  149. 


MITTKILÜNOEN   AUS  MHD.   HANDSCHRIFTRN  41 

3.  Er  stund  bis  auf  den  andern  Tag, 
Man  eilet  also  gach, 

Hans  Yittel  an  den  Eisen  lag, 
Lienhardt  thät  man  es  auche. 
Das  Hecht  liess  man  über  sie  gehn, 
Ihr  Leben  mussten  sie  geben, 
Sollt  das  seyn  Recht  oder  Eben. 

4.  Sie  hiessen  inen  Dinten  und  Feder  bringen, 
Ein  Brief  thaten  sie  schreiben 

Iren  Kindern  vor  allen  Dingen 
Und  ihren  ehelichen  Weihen: 
Um  Unschuld  müssen  wir  sterben, 
So  hilf  uns  Maria  die  reine  Magd, 
Lass  uns  dein  Ejnd  Onad  erwerben. 

5.  Fürsten  und  Herren  mit  Bitten  anliegen 
Herzog  Albrecht  hochgeboren, 

Dem  Bischof  war  sein  Bitt  verzigen. 
Dem  Abt  von  Sant  Ulrich  verloren 
Und  andern  mehr  Thumherrn, 
Dabey  sechshundert  Fräuwlein 
Wolt  man  ihr  Bitt  nit  gewähren. 

6.  Man  zog  die  Sturmglocken  an, 
Die  Söldner  zogen  dort  here, 
Da  liefen  die  Frauen  und  Man 
Und  weinten  gar  sere. 

Sie  stiegen  die  Berlachstigen  hinab, 
Sie  traten  Hende  und  Füsse,  ich  sag, 
Man  meint,  es  kam  der  jüngste  Tag. 

7.  Und  da  man  die  Vittel  führt  am  Tage 
Und  man  ausrufen  wolt  lan. 

Vor  manicher  grosser  Klage 

Das  Rufen  könnt  man  nit  verstahn. 

Da  stunden  die  Vittel  die  werthen  Leut, 

Sie  riefen  dem  Schwartzen  dahere 

Und  redten  im  an  sein  Ehre. 

8.  0  Schwartz,  du^^bist  ein  rechter  Dieb, 
Umb  Unschuld  willst  du  uns  tödten. 
Wir  haben  dir  kein  leid  gethan  nie 
Und  stehn  in  grössten  Nöthen. 


i 


42  BOTE 

Um  Unschuld  müssen  wir  sterben, 
So  hilf  uns  Maria  die  reine  Maid, 
Lass  uns  dein  Eand  Gnad  erwerben. 
9.   Und  da  sie  auf  die  Richtstatt  kamen 
Und  jeder  sein  Beicht  het  gethan, 
Die  brüder  von  einander  Urlaub  nahmen: 
Ach  Bruder  durch  Gott  solt  du  ablan, 
Durch  Gott  solt  du  vergeben, 
Was  wir  um  Unschuld  leiden  müssen, 
So  faren  wir  ins  ewig  leben. 

6.  Wie  man  den  Schwartzen  rieht  ^. 

1.  Augspurg  ist  eine  werthe  Stadt, 
In  einem  Jahr  eben,  ja  eben 
Dem  Burgermeister  es  do  gabt 
Gar  an  sein  Leben,  ja  Leben. 

Die  Vittel  thaten  die  Warheyt  sagen, 
Drumb  man  diesen  ihr  Haubt  abgeschlagen, 
Dem  Kurtzen  es  an  das  Leben  ging, 
Schwartz  und  Taglang  an  dem  Galgen  hing. 

2.  Der  Schwartz  nahm  sich  an  des  Handels  viel, 
Do  er  nur  an  der  Steuer  sass  im  Sause, 

Es  war  ihm  gar  ein  eben  Spiel, 
Da  er  das  Geld  in  Hüten  aussmasse. 
Mangmeister  wollt  kein  Theil  daran  han. 
Er  hub  sich  auf  und  schlich  von  dann, 
Mangmeister  ihm  that  Verrath, 
Und  legt  die  Sache  hintern  Rath. 

3.  Bleib  morgen  daheim  mein  Herre, 
Seine  Frau  gen  den  Schwartzen  sprach. 
Mir  hats  geträumt,  ein  Traum  gar  schwere, 
Dass  man  euch  morgen  fach. 

So  schweig,  so  schweig,  lieb  Freüwelein, 
Bist  du  Kaiserin,  so  will  ich  Kaiser  sein. 
Die  Gewalt  will  ich  über  sie  han, 
Bin  gar  ein  listiger  man. 

4.  Des  Morgens  da  er  ging  in  Rath, 
Man  ihn  mit  den  andern  fangen  that, 

1)  Sehr  abweicheDd  bei  Liliencron,  bist  Volkslieder  nr.  150.  bi 


MITTKILUNGBK   AUS   MHB.   HANDSCHRIFTEN  43 

Den  Schwartzen  warf  man  an  die  Eisen  ein, 

Er  hat  geschenckt  Most  für  Wein, 

Er  hat  gestohlen  also  viel, 

Mehr,  als  ich  euch  sagen  will, 

Mit  seinen  guten  Gesellen, 

Die  haben  ihm  helfen  stehln. 

5.  Der  schwartz  Rapp  macht  ein  Capittel, 
Da  musten  sterben  beyde  Vittel, 

Da  sah  man  Weib  und  Kleinen 
Allenthalben  auf  den  Gassen  weinen. 
Des  Rappen  Nest  das  wurd  zerstört, 
Da  Jesus  Christus  Jahrzahl  wehrt 
Im  Jahr  mit  einem  M  geschrieben. 
Vier  C,  ein  L,  zwey  X  und  sieben. 

6.  An  des  aprillen  achtzehenten  Tagen 
Für  das  Bathaus  kam  ein  Wagen, 
Den  thät  der  Schwartz  betreten, 
Auf  denselben  zu^sitzen  empor 

Ihn  zum  Galgen  führen  vor  das  Thor. 
Da  ward  nm  ihn  kein  Beten, 
Manniglich  sich  erfreuen  that, 
Dieweyl  er  das  Hencken  verdinet  hat 

Nr.  5   und  6    aus   handschrift   des   15.  — 16.  Jahrhunderts,    zwei 
Wätter  folio,  in  Hundeshagens  nachlass. 

QELSENHEIM.  F.  W.  £.  ROTH. 


t>AS  CHEONOLOGISCHE  VEEHÄLTNIS  VON  STEICKEES 

DANIEL  UND  KAEL 

Fast  allgemein  nahm  man  bisher  an,  dass  des  Strickers  poetische 
Tätigkeit  mit  der  dichtung  seines  Artusromans  Daniel  von  dem  blühen- 
cJen  tal  begonnen  habe  (ausser  den  litteraturgeschichten  vgl,  besonders 
^artschs  einleitung'zum  Karl  s.  III);  begründet  wurde  diese  ansieht 
immer  einzig  und  alleinT  durch  die  mancherlei  freiheiten  in  spräche 
Vind  Versbau,  die  der  Daniel  gegenüber  des  Strickers  andern  werken 
zeigen  sollte  (obwol  man  darüber  eigentlich  ohne  Untersuchung  der 
handschriftlichen  Überlieferung  und  ohne  ausgäbe  des_/gedichts  gar  kein 


44  LEITZMANN 

urteil  haben  konnte),  und  die  man  nur  einem  anfanger  glaubte  zu  gute 
halten  zu  können.  Die  Chronologie  der  andern  gedichte  des  StrickeiB 
war  schwankend:  einige  setzten  den  Karl,  die  emeuerung  des  alten 
Rolandslieds  vom  pfaflfen  Konrad,  unmittelbar  nach  dem  Daniel  an; 
Bartsch  versuchte  in  der  oben  citierten  einleitung  eine  reihenfolgo  zu 
begründen,  wonach  der  Karl  etwa  in  den  beginn  der  zweiten  hälfte 
von  des  Strickers  dichterischer  produktion,  jedenfalls  nach  dem  frauen- 
lob  gefallen  sein  solte.  Fest  schien  aber  immer  das  zu  stehen,  dass 
der  Daniel  des  Strickers  erstes  werk  war.  Nur  bei  Wilhelm  Grimm 
finde  ich  in  einer  allerdings  erst  nach  seinem  tode  gedruckten  abband- 
lung  „Deutsche  Wörter  für  krieg"  eine  andere  auffassung;  dort  heisst 
es  bei  golegenheit  des  wertes  ivifjant  (Kleinere  Schriften  3,  527):  „mer- 
kenswert ist  Stricker,  weil  er  in  seinem  Karl  das  wort  absichtlich  in 
allen  den  stellen  übergeht,  wo  er  es  bei  dem  pfafien  Konrad  vor  sich 
hatte  —  nur  erscheint  es  einmal  in  dem  später  gedichteten  Daniel 
und  zwar  im  reim",  wozu  Grimm  in  der  anmerkung  hinzufügt: 
„Stricker  hat  es  aus  Roland,  denn  der  Daniel  ist  später  gedichtet." 
Wie  Grimm  sich  diese  ansieht  begründete,  habe  ich  nicht  auffinden 
können;  trotzdem  er  sie  so  sicher  ausspricht,  hat  sie  doch  niemals 
jemand  geteilt. 

In  jüngster  zeit  nun  hat  Gustav  Rosenhagen,  der  erste  her- 
ausgeber  des  vollständigen  Danioltextes,  in  seinen  Untersuchungen  über 
Daniel  s.  110  und  in  der  ausgäbe  des  gedieh ts  s.  IX,  unabhängig  von 
Grimm  und  ohne  seine  eben  citierte  ansieht  zu  kennen,  die  zeitliche 
Priorität  des  Karl  vor  dem  Daniel  behauptet  Die  kritiker  seines 
buches  haben  sich  nach  beiden  selten  hin  entschieden:  Seemüller  hat 
seiner  ansieht  ohne  rückhalt  zugestimmt;  Meier  und  Singer  haben  — 
allerdings  ohne  nähere  begründung,  als  dass  sie  bekannten  von  Rosen- 
hagens  argumenten  nicht  überzeugt  zu  sein  —  sich  abweisend  dagegen 
verhalten.  Bei  gelegenheit  der  besprechimg  von  Rosenhagens  arbei- 
ten für  diese  Zeitschrift  27,  543  hatte  ich  mich  eingehend  mit  dieser 
frage  zu  beschäftigen  und  will  meine  gleichfalls  von  Rosenhagen  abwei- 
chende ansieht  hier  des  genaueren  darlegen. 

Zunächst  wären  also  Rosenhagens  argumente  für  die  priorität  des 
Karl  zu  entkräften,  was  nicht  schwer  fallen  kann,  da  sie  tatsächlich 
(obwol  er  s.  112  bemerkt  „die  angeführten  stellen  beweisen  nun  klar 
und  deutlich,  dass  der  Karl  älter  ist  als  unser  gedieht")  auf  sehr 
schwachen  füssen  stehen.  Er  findet  nämlich,  dass  die  stellen  im  Da- 
niel, welche  die  Wirkung  dos  geschreis  dos  tieres  schildern,  notwendig 
die  Schilderung  der  Wirkung  von  Rolands  blasen  auf  dem  hom  01i£EUit 


STBIOKEBS  DAMIBL  UND  KARL  45 

im  Karl,  der  dem  Rolandsliede  nacherzählt,  voraussetzen;  die  betreflfen- 
dei:i  stellen  (Roland  10,  4.  18.  214,  30;  Karl  772.  7096;  Daniel  752. 
2900.  2944.  5746.  5766)  hat  er  daher  zweimal  (Untersuchungen  s.  110 
und  ausgäbe  s.  X)  neben  einander  gestelt;  ich  brauche  sie  nicht  aus- 
führlich zu  eitleren.  Mir  scheinen  die  geschilderten  dinge  zu  sehr  auf 
der  band  liegend  und  zu  einfach,  als.dass  man  überhaupt  an  „remi- 
niscenzen"  zu  denken  brauchte.  Der  schall  des  tieres  und  des  hornes 
ist  so  gross,  dass  keiner  den  andern  hören  kann,  und  dass  viele  vor 
schrecken  und  betäubung  wie  tot  zur  erde  nieder  und  von  den  rossen 
fallen.  Diese  naheliegenden  Vorstellungen  sind  in  allen  drei  gedichten 
schmucklos  ausgedrückt,  zwingende  wörtliche  Übereinstimmungen  sind 
nicht  zu  entdecken.  Ich  bekenne  mich  von  Rosenhagens  beweisführung 
gänzlich  unüberzeugt  und  glaube,  dass  andere  bei  vorurteilsfreier  betrach- 
tung  denselben  eindruck  haben  werden. 

Wir  müssen  also  auf  einem  andern  wege  zur  entscheidung  der 
chronologischen  frage  zu  gelangen  versuchen.  Bei  der  vergleichung 
des  Stils  aller  drei  werke  nun  kann  man  folgende  für  die  prioritäts- 
firage  recht  wol  verwertbare  beobachtung  machen:  der  Daniel  ist 
durch  den  Roland  in  sprachlichen  Wendungen  beeinflusst, 
die  im  Karl,  auch  an  den  dem  Roland  entsprechenden  stel- 
len, entweder  vermieden  oder  doch  nicht  mit  der  verliebe 
wie  im  Daniel  gebraucht  sind.  Das  material  ist  nur  gering,  doch, 
wie  mir  scheint,  nur  so  richtig  zu  deuten: 

ie  bax  mide  bax  (Roland  1,  24.  159,  2.  265,  10)  steht  Daniel  5225. 
6488;  im  Karl  fehlt  es  an  allen  drei  stellen,  steht  dagegen  10512; 
später  ist  es  ein  lieblingswort  des  Strickers  (vgl.  frauenlob  1338. 
1581;  gäuhühner  17;  melker  Sammlung  7,  193); 

eilen  (Roland  10,  9.  39,  16.  190,  12.  196,  9.  211,  19.  218,  7. 
221,  8.  222,  4.  225,  23.  226,  4.  227,  2.  233,  3.  273,  18. 
300,  8)  steht  in  der  formelhaften  Verbindung  baldex  eilen  Daniel 
992.  3180.  3928.  5598,  im  Karl  nur  7292.  7584; 

ergremen  (Roland  142,  9.  146,  5.  226,  21.  266,  23)  findet  sich  im 
Daniel  1142.  7480,  im  Karl  nur  5122  (vgl.  auch  Amis  1905); 

gottmäl  (Roland  174,  6)  steht  Daniel  5120;  im  Karl  ist  die  stelle  ver- 
ändert; 

xtbrechen  sam  daz  htwn  (Roland  135,  16)  wendet  der  Stricker  im  Da- 
niel zweimal  an  (2761.  3191),  wo  auch  sonst  (3512.  4429)  das  huhn 
in  vergleichen  auftritt;  im  Karl  steht  die  wendung  nur  an  der  ent- 
sprechenden stelle  (4643); 


46  LEITZMANN,  STBICKEBS  DANUL  UND  KABL 

qmln  (Koland  29,  33.  197,  1)  begegnet  im  Daniel  2094.  2520.  3756. 
3916,  im  Karl  nur  5652; 

den  vergleich  der  kämpfer  mit  arbeitenden  schmieden  finden  wir  zwei- 
mal im  Roland  (145,  18.  174,  8),  zweimal  im  Daniel  (3626.  5050), 
aber  nur  einmal  im  Karl  (5124);  vgl.  darüber  meine  Zusammenstel- 
lung in  Paul-Braunes  Beiträgen  16,  356: 

stn  herxe  ime  spilete  (Roland  210,  29)  reflektiert  sich  in  sin  herze  vor 
vreuden  spute  (Daniel  3012),  während  an  der  entsprechenden  stelle 
im  Karl  die  wendung  vermieden  ist; 

entvnschen  steht  Roland  75,  13  und  Daniel  3293.  3392  (wo  auch  3648. 
5173  hin  vnscJien  und  4397  üf  tmschefi  vorkomt),  während  es  im 
Karl  fehlt; 

endlich  sei  bemerkt,  dass  das  schöne  poetische  bild  si  begunden  einan- 
der väre?i  mit  des  tödes  knehten  (Karl  6592:  gemeint  sind  tötliche 
Verwundungen,  nicht,  wie  Bartsch  in  der  anmerkung  erklärt,  die 
Waffen)  nur  verstanden  werden  kann,  wenn  den  zuhörem  die  stelle 
im  Daniel  4054  er  begimde  im  solhe  siege  geben,  die  wol  des  iddes 
knehte  mohteji  stn  mit  rehte  bekant  war,  an  die  es  deutlich  erinnert. 

Gibt  man  mir  richtigkeit  und  tragweito  dieser  beobachtung  zu, 
so  hätten  wir  uns  die  dichterische  entwicklung  des  Strickers  etwa  so 
zu  denken.  Mehr  als  durch  alle  zeitgenössische  höfische  dichtung  fühlt 
sich  der  Stricker  von  früh  an  ergrüfen  und  erfüllt  von  der  urwüchsigen 
kraft  und  lebendigkeit  der  deutschen  dichter  des  12.  Jahrhunderts,  vor 
allem  vom  Rolandsliede,  das  ihm  frühe  als  eine  art  kanon  erzählender 
poesie  erschienen  sein  muss.  Sein  erster  schriftstellerischer  versuch  ist 
der  Daniel,  im  inhalte  teilweise  ein  kompromiss  mit  der  ihm  unsympa- 
thischen herrschenden  geschmacksrichtung,  in  form,  stil  und  färbe  stark 
beeinflusst  vom  Rolandsliede.  Mangelnder  erfolg  und  wol  auch  erstar- 
ken der  eigenen  Selbständigkeit  hcissen  ihn  dann  die  bahn  des  höfischen 
romans,  auf  der  ihm  lorbeem  nicht  beschieden  waren,  verlassen;  er 
modernisiert  sein  geliebtes  Rolandslied,  wobei  er  jedoch  die  im  Da- 
niel noch  vielfach  hervortretende  archaistische  färbung  der  spräche  und 
des  Stils  vermeidet;  die  grosse  zahl  von  handschriften,  in  denen  uns 
der  Karl  überliefert  ist,  spricht  dafür,  dass  sein  beginnen  beifall  und 
anerkennung  fand,  wenn  er  auch  natürlich  dem  geist  der  Vergangen- 
heit, den  er  verehrte,  nicht  die  herrschaft  über  die  gegenwart  erringen 
konnte.  Erst  später  hat  er  dann  im  gebiete  der  kleinen  erzählung,  die 
er  zum  ersten  male  zur  meisterschaft  bringt,  das  richtige  feld  der  tätige 
keit  für  sein  talent  gefunden. 


IRDMANN,   ZÜB  TEXIKBITIK  DES  ORBOOBIUS  47 

So  muss  es  denn  doch  bei  der  alten  ansieht,  dass  der  Daniel 
des  Strickers  frühstes  werk  ist,  der  Karl  erst  sein  zweites, 
meiner  Überzeugung  nach  sein  bewenden  haben. 

WEQIAR,     14.    OKTOBER   1894.  ALBERT   LETTZMANN. 


ZUE  TEXTKRITIK  VON  HAETMANNS  GEEGOEIUS.   L 

Eine  neue  ausgäbe  des  Gregorius  auf  grund  des  durch  die  auf- 
findung  der  Konstanzer  handschrift  (K)  sowie  der  lateinischen  Über- 
setzung Arnolds  von  Lübeck  (herausgeg.  von  6.  v.  Buchwald.  Kiel 
1886)  erheblich  erweiterten  und  verbesserten  materiales  der  textkritik 
ist  ein  dringendes  bedürfnis.  Ich  hatte  eine  solche  selbst  in  angriff 
genommen,  bin  aber  von  diesem  plane  zurückgetreten,  seitdem  dr. 
K.  Zwierzina  in  der  Zeitschr.  f.  d.  alt.  37,  129—217.  356  —  416  seine 
eingehenden  Studien  über  den  wert  und  die  gruppierung  sämmtlicher 
Oregoriushandschriften  veröffentlicht  und  mir  mitgeteilt  hat,  dass  er 
selbst  die  Veranstaltung  einer  ausgäbe  beabsichtige.  Möge  dieselbe  nicht 
zu  lange  auf  sich  warten  lassen!  Vielleicht  können  ihr  die  beobach- 
tongen  und  bemerkungen  in  etwas  zu  gute  kommen,  die  ich  —  um 
meine  vorarbeiten  und  namentlich  meine  vergleichung  der  hss.  K  und  I 
(jetzt  in  Berlin  auf  der  königl.  bibliothek,  Germ.  qu.  979)  nicht  ganz 
anbenutzt  zu  lassen  —  in  dieser  Zeitschrift  veröffentlichen  will,  und 
zwar  zunächst  zu  dem  texte  der  einleitung,  den  Zwierzina  Ztschr.  f.  d.  a. 
37,  407  fg.  nach  IK  und  den  in  G  erhaltenen  fragmenten  konstruiert 
hat  Ich  zähle  die  170  verse  der  einleitung  für  sich;  am  anfange  des 
hauptwerkes  würde  ich  raten,  von  neuem  mit  1  zu  beginnen,  um  die 
in  allen  lexikalischen  und  grammatischen  hülfemitteln  eingeführte  Zäh- 
lung Lachmanns  beibehalten  zu  können. 

5  fg.  Zwierzina  schreibt:  dax  rieten  im  (dem  herzen)  diu  tum- 
ben  jär;  die  Verbesserung  des  nü  in  K  ist  sehr  ansprechend  und  kann 
sich  gegenüber  dem  mir  der  in  der  einleitung  oft  wenig  zuverlässigen 
handschrift  I  wol  behaupten.  Was  den  Inhalt  der  ganzen  stelle  betrifft, 
80  brauchen  die  iumben,  d.  h.  jugendlichen  jähre  noch  gar  nicht 
vorbei  gewesen  zu  sein,  als  der  dichter  diese  verse  schrieb;  vielmehr 
passt  die  entgegengesetzte  annähme,  dass  sie  noch  in  Hartmanns  frühere 
zeit  zu  setzen  sind,  viel  besser  zu  v.  12  — 16,  was  schon  Naumann 
Ztschr.  £  d.  a.  22,  40  mit  recht  betont  hat  Die  ansieht  Schönbachs, 
der  in  seinen  Untersuchungen  (Graz  1894)  s.  455  den  Gregorius  sogar 


48  EBDMANN 

später  als  den  Iwein  ansetzen  will,  findet  in  dieser  stelle  der  einlei- 
tung  ebenso  wenig  eine  stütze  wie  in  den  bisherigen  beobachtungen 
über  spräche,  stil  und  versbau  beider  dichtungen.  —  V.  6  hat,  wie  ich 
glaube,  K  die  echte  lesart:  7iu  weix  ich  doch  dax  fßr  war,  vgl.  z.  b. 
Iw.  1188  ich  weix  doch  wol,  dax  ex  geschach,  1623  nu  weix  ich  doch 
ein  dinc  wol.  Wenn  IG  beide  für  doch  ein  wol  setzen,  so  ist  darüber 
ebenso  zu  urteilen  wie  über  viele  ähnliche  falle,  die  Zwierzina  selbst 
37,  393  angeführt  hat  —  7  lese  ich  auch  in  K  des,  nicht  der,  was 
Zwierzina  angibt 

21  fg.  sind  von  Zwierzina,  wie  ich  glaube,  richtig  hergestellt 
Über  den  rührenden  reim  rihtet :  b(e)rihtet  s.  zu  99  fg. 

28.  K  bietet  ohne  anstoss:  und  soll  im  sin  sele;  das  mit  in  Gl 
halte  ich  für  einen  unechten  zusatz,  veranlasst  vielleicht  durch  das  mit 
in  V.  27. 

36  fg.  deutet  der  text  von  K  auf  die  ursprüngliche  fassung:  xe 
sprechenne  von  wärheit,  dax  gotes  tville  waere  =  wahrhaftig  (etwas) 
zu  reden  (d.  h.  dichterisch  vorzutragen),  das  Gottes  wille  wäre  (d.  h. 
Gottes  willen  entspräche).  Mit  v.  38  fg.  wird  dann  ein  wider  auf  36 
zurückgreifender  folgesatz  angereiht:  und  (so  zu  reden),  dass  die  grosse 
last  meiner  Sünden  etwas  geringer  werden  möchte.  40  ringer  ist  durch 
IK  sehr  gut  bezeugt;  dagegen  wii-d  die  lesart  von  G  geringet  empfoh- 
len durch  Iw.  4264  geringet  ivart  ir  schoene. 

41.  Von  dem  in  I  und  mit  voller  deutlichkeit  auch  in  K  über- 
lieferten missekeit  ==  missecheit  abzugehen  liegt  kein  grund  vor.  Das 
wort  war  bisher  nur  belegt  im  Pass.  58,  20:  si  (Christus  und  Jacobus) 
wären  an  dem  ayitlitxe  inl  nach  gelich  beide  äne  mhsecheide;  es  kann 
hier  entweder  ebenfalls  bedeuten:  abweichung,  verschiedenes  oder  wn- 
stetes  benehmen  (indem  Hartmann  sich  bald  mit  göttlichen,  bald  mit 
irdischen  dingen  beschäftigt  habe);  oder  es  bedeutet:  abweichung  vom 
rechtcfi  und  guten,  bosheit  oder  Sündhaftigkeit,  vgl.  46  missetät 

51.  In  K  ist  (mit  recht)  ein  abschnitt  bezeichnet,  nicht  in  I.  Die 
mehr  oder  weniger  häufig  in  allen  handschriften  —  teils  durch  Zwi- 
schenräume, teils  durch  Initialbuchstaben  —  bezeichneten  abschnitte 
diuxjhweg  anzugeben,  halte  ich  für  pflicht  des  kritischen  herausgebers. 

57.  elliu  sü7idigiu  diet;  die  in  K  überlieferten  adjectivformen 
sind  nicht  zu  ändern. 

60.  noch  ist  wol  nur  zusatz  von  I;  das  überlieferte  deheifier  (K 
mit  geringer  Verderbnis:  da  kainer)  ist  nicht  zu  ändern. 

71  steht  in  K  hinter  der  ein  7?i  mit  einem  i- punkte  darüber; 
das  bedeutet  bei  diesem  Schreiber:  im,  wie  gleich  darauf  74  im,  ebenso 


ZÜB  TEXTKRITIK   DKS   QREQORIüS  49 

41  mifier,  103  sinyic,  281  ungetviime  und  oft  ähnliche  Wörter  mit  erepa- 
rung  eines  Striches  gesclirieben  sind.  Diese  von  dem  Schreiber  von  K 
gemeinte  fassung  der  im  sich  niht  enruoche  ist  vielleicht  die  ursprüng- 
liche; vgl.  das  Mhd.  wb.  2,  798 **  zweimal  aus  geistlichen  gedichten 
(freilich  ohne  dativ)  belegte  reflexive  f-uochen.  Der  sinn  wäre  dann: 
(Gott,)  der  ihm  sich  nicht  rücksichtsvoll  (d  h.  gnädig,  barmherzig)  be- 
weise; vgl.  138.  Geläufiger  freilich,  aber  in  keiner  handschrift  bezeugt, 
ist  Zwierzina's:  der  sin  niht  enruoche.  Sonst  stimme  ich  in  der  her- 
stellung  der  satzreihen  66  —  78  fast  ganz  mit  Zwierzina  überein;  nur 
betrachte  ich  69  als  beginn  des  nachsatzes  zu  64  fgg.  und  halte  in  70 
das  er  für  fehlerhaften  zusatz  von  K. 

84.  mos,  welches  in  der  bedeutung  sumpf  recht  gut  in  den 
Zusammenhang  passen  würde,  scheint  mir  durch  I  gegenüber  6K  zu 
wenig  gestützt  zu  sein.  Ich  schreibe  mit  GK:  7ioch  gebirge  noch 
wali,  so  dass  auch  dieser  vers  wie  82  und  84  ein  par  von  gegensätzen 
enthält 

97:  abschnitt  in  K,  nicht  in  I. 

100.  I:  er  ivas  komen  in  im  gehalt;  K:  er  tvas  kamen  in  ir 
walt.  Das  zweite  halte  ich  für  das  richtige,  da  gehalt  Mhd.  wb.  1,  623 
nur  in  jüngeren  quellen  belegt  ist,  und  auch  nicht  genau  in  der  hier 
geforderten  bedeutung.  Der  gebrauch  rührender  reime  wie  gewalt  : 
tcait  bei  Hartmann  ist  noch  festzustellen,  vgl,  oben  21  fg. 

108.  vingerbloz  aus  ungebloss  K  halte  ich  für  eine  glückliche 
conjectur  Zwierzina's,  obwol  mir  der  ausdruck  sonst  nicht  bekannt  ist 

110.  defie  Jiett  in  K  ist  doch  wol  zu  ändern  in  dane  fiet  =  do 
enheU 

123.  In  K  steht:  warbeiide  (vgl.  15  arstarh,  16  arwarb  u.  v.  a.) 
*=  werbende  I;  Zwierzina's  tveibende  verstehe  ich  nicht  doch  aus  I 
beizubehalten  habe  ich  keinen  grund. 

138.  be}*uochen  conjiciert  Zwierzina  wol  richtig  aus  verruochen  in 
K,  da  dieses  in  einer  hier  passenden  bedeutung  sonst  nicht  belegt  ist. 

148.  149  sind  von  Zwierzina  glücklich  hergestelt 

154  halte  ich  für  richtig  (nach  K):   ob   ieman  xe  gotes  hulden, 
mit  Überladung  des  ersten  fusses.     I  hat:  ob  ex  xe  g.  h. 

KIEL.  O.    ERDMANN. 


'■nSCHBIIT  F.   DEUTSCHE  PHILOLOGIE.     BD.   XXVIH. 


50 

BEITRÄGE  ZUfi  EEKLÄEUNG  WOLFRAMS  ^ 

L 

1)  Parz.  1,  15  ^.    dix  vliegende  btspel 

ist  tumben  Uuten  gar  xe  snel, 
sine  mugens  niht  erdenken: 
taand  e^  kan  vor  in  tcefiken 
rehie  cUsam  ein  scheüec  hose. 

Diese  stelle,  auf  welche  man  wol  mit  recht  die  bitteren  werte  von  des 
hosen  gesellen  in  Gottfrieds  Tristan  4636  fgg.  bezieht,  hat  —  wie  es 
scheint  —  auch  noch  .  einen  andern  dichter,  den  Stricker,  zu  einer 
polemischen  anspielung  bewogen.  Doch  knüpft  er  nicht  wie  Gottfried 
an  das  bild  von  dem  hasen,  sondern  an  das  von  dem  fliegenden  bei- 
spiel  an.  In  seinem  „Frauenlob''  (Ztschr.  f.  d.  a.  VU,  478  fgg.)  verkün- 
digt er  nämlich  v.  86  fgg.  ein  gedieht, 

daj^  in  den  sintie^i  höhe  sivebe 
und  iedoch  in  der  mä^ 
dai^  ichi^  niht  v  He  gen  lä^ 
nach  stnem  wilden  mtiote, 
da^  ich^  so  habe  i7i  htwte 
da^  man  e^  rinclichen  sefie 
unde  im  doch  der  hoehe  jehe 
da^  e^  7iiht  an  schrien 
weder  die  krän  noch  taten. 

Die  Vorstellung  von  dem  fluge  des  maeres  ist  ja  im  mittelhochdeut- 
schen nichts  ungewöhnliches  (vgl.  Myth.*  747,  Grimm  z.  Freid.  136,  3, 
Frommann  z.  Herb.  13704  u.  a.);  aber  die  nachdrückliche  betonung  des 
Strickers,  dass  sein  frauenlob  nicht  nach  sinem  wilden  muote  fliegen, 
sondern  in  massiger  höhe  sich  halten  solle,  um  weder  unverständlich 
noch  trivial  zu  werden,  scheint  doch  nur  motiviert  durch  die  annähme, 
dass  er  einen  bestimmten  autor  dabei  im  äuge  hatte,  dessen  vliegende^ 
btspel  gar  xe  snel  war.  Er  hat  dann  den  ausdruck,  wie  auch  Albrecht 
im  j.  Tit  Str.  50 *,  einfach  wörtlich  genommen,  wälirend  Wolfram  doch 
offenbar  meinte:  „Dies  gleichnis  von  etwas  fliegendem,  nämlich  von 
der  elster." 

1)  Diese  beitrüge  bilden  die  fortsetzung  zu  den  Zeitschr.  f.  d.  alt.  37,  138  fgg. 
veröffentlichten. 

2)  Nach  Lacbmanus  abdruck  (str.  46  bei  Hahn):    Diu  flüge  dirre  spelle  fuor 
den  tumben  Hüten  für  uren  gar  %e  snelle. 


ZUB  EHKLÄRÜNQ  WOLFRAMS  51 

Die  Vermutung,  dass  die  angeführte  stelle  aus  dem  „Frauenlob" 
eine  spitze  gegen  Wolfram  enthalte,  wird  dadurch  bestärkt,  dass  in 
demselben  gedieht  noch  eine  zweite  äusserung  auf  ihn  gemünzt  zu  sein 
scheint    Es  heisst  nämlich  wenige  zeilen  später,  v.  120  fgg.: 

solt  wh  die  not  besorgen, 

wa^  si  sprechen  begunden, 

die  niht  gemerken  künden 

wa^  ich  sagte  oder  sprceche, 

U7i^  ich  die  schulde  gerceche: 

das,  borgen  iint  dag,  gelten 

die  brcshten  Uhte  ein  schelten 

wei^  ich  selbe  y  wae,  ich  sage 

und  tvelhei^  verte  ich  nach  jage, 

son  darf  man^  ditttschen  Hüten 

niht  anderstunt  bediuten. 
Die  Worte  erinnern  lebhaft  an  die  bekannte  Willehalmstelle  (237,  8  fgg.), 
wo  Wolfram  über  die  dunkelheit  seiner  ausdrucks weise  scherzt: 

seht  wa^  ich  an  den  reche, 

den  ich  dix  mcere  diuten  sol: 

de7i  xceine  ein  tiutschiu  spräche  wol: 

7ntn  tiutsch  ist  etstvä  doch  so  kru7npy 

er  mac  mir  Ithte  sin  xe  tump, 

den  ichs  niht  gähs  bescheide: 

da  silme  tvir  uns  beide. 
Auch  das  wort  rechen  kehrt,  wie  man  sieht,  beim  Stricker  wider. 

Angeregt  sind  die  beiden  polemischen  stellen  im  „  Frauenlob  ** 
offenbar  durch  Gottfried  von  Strassburg,  der  ja  gleichfalls  den  vindce- 
^w  vdlder  lyume,  bei  denen  er  gewiss  zunächst  an  Wolfram  dachte, 
vorwirft  (4682  fg.): 

si  miie^e^i  tiutcere 

7nit  ir  inceren  lä^eji  gdn. 
Natürlich  kann   Wh.  4,  19  fgg.,   wo    der   dichter  von   vielen    tadlern 
seiner  muse  spricht,  der  Stricker  nicht  mit  eingeschlossen  sein:   seinen 
*Qgriff  hat  Wolfram  wol  nicht  mehr  erlebt. 

2)  Parz.  12,  27  fg.:  swer  selbe  sagt,  toie  wert  er  st, 

da  ist  Uhte  ein  ungeloube  bt 
Bäftsch:    „solcher  aussage  wohnt  leicht  ein  Unglaube   (von  seiten  der 
Irrenden)  bei.''     Ähnlich  Simrock:    „da   steht   Unglaube  jedem   frei.'' 
"ÄS  ein  ungeloube  heisst,  ergibt  sich  deutlich  aus  einer  stelle  in  dem 
"^ispiel  „Des  vögleins  lehren",   das  Pfeiffer  in  der  Ztschr.  f.  d.  a.  VII, 

4* 


52  8T08GH 

343  fgg.  veröffentlicht  hat  Eine  gefangene  lerche  erkauft  sich  leben 
und  freiheit  dadurch,  dass  sie  dem  Vogelsteller  drei  gute  lehren  mit- 
teilt; die  eine  davon  lautet  v.  13  fg.: 

stvä  ein  ungeloube  geschiht, 

des  sult  ir  oueh  gelouben  niht. 
Fortfliegend  redet  das  vöglein  dem  manne   dann  vor,   dass  es   einen 
edelstein,  grösser  als  ein  straussenei,  in  seinem  magen  trage.     Als  aber 
der  leichtgläubige  über  den  vertust  unglücklich  ist,  ruft  es  v.  32  fgg.: 

du  hast  übergafigefi 

miiie  lere  %uid  min  gebot. 

HU  verbot  ich  dir  bi  got 

niht  xe  glouben  da^  mcere^ 

daz  ungeloubec  ucere. 
Also  ein  ungeloube  ist  etwas  unglaubwürdiges,  ein  m^ere,  da^  ungelou- 
bec ist.     In   derselben  konkreten   bedeutung  haben  wir  das  wort  oben 
bei  Wolfram:    „wer  sich  selbst  rühmt,    sagt  leicht  etwas  unglaub- 
würdiges, eine  lüge  mit  dabei.** 

3)  Parz.  15,  22:  da^  er  uas  gegenstrite^  vri 

vor  ieslichem  einem  man. 
An  der  Wortstellung  ieslichem  einem  nehmen  Bartsch  und  Buchenau 
(Über  gebrauch  und  Stellung  des  adjectivs  in  Wolframs  Parzival,  Strass- 
burger  dissertation  1887,  s.  23)  mit  unrecht  anstoss.  einem  ist  hier 
nicht  unbestinmiter  artikel,  sondern  Zahlwort;  es  heisst  nicht  „vor 
einem  jeden**  sondeni  „vor  jedem  einzelnen  manne.**  Nur  mehrere 
g^ner  zusammen  wann  Gahmuivt  gewachsen,  so  dass  er  eigentlich 
wie  Gramoflanz  (004,  12  tgg.  685,  4  fg.  15.  705,  19  fgg.  707,  24) 
niwan  mit  xuein  hätte  kämpfen  müssen. 

In  ganz  analoger  weise  tindet  sich  ein  gebraucht  Iw.  5347  fg.: 

wände  ie  sin  einer  slac 
vaste  wider  ir  xwrin  wac, 
wo  der  neueste  horausgeber  nicht  von  seinen  Vorgängern  und  Paul 
(Beitr.  I,  38t))  hätte  abweichen  sollen,  sin  einer  (so  A,  ainiger  dl) 
slac  ist  keineswegs  gleichbedeutend  mit  ein  sin  slaCy  sondern  heisst 
„der  einzige  schlag  von  ihm*  und  steht  gegenüber  den  zwei  schlagen, 
welche  gleichzeitig  die  beiden  gegner  tun.  Eine  reihe  von  handschrif- 
ten  liest  allenlings  sin  eines  slac,  wie  Henrici  in  den  text  gesezt  hat 
Gegen  diese  U>sart  spricht  aber  das  folgende  wider  ir  xwein:  es  müsste 
vielmehr,  um  den  gt^gensatz  zu  sin  eines  auszudrücken,  wider  ir 
xweier  siegen  lauten.  Die  Überlieferung  von  Adl  wird  ausserdem,  wie 
Paul  a.  a.  o.  gezeigt  hat,  durch  das  frz.  original  bestätigt 


ZUR  ERKLÄRUNG  WOLFRAMS  53 

4)  Parz.  367,  19fgg.: 

min  herre  mir  geivalt  vril  tuon, 
20  durch  da:^  wh  kän  decheinen  suon. 

wir  sulen  otich  tohter  lieher  sin  — 

swer  sol  mit  stner  tohter  wein, 
25  stme  ir  verboten  st  dez,  swert, 

ir  wer  ist  anders  als  tvert: 

si  ervnrbt  im.  kiuschecliche 

einen  siin  vil  ellens  rtche. 

des  selben  ich  gedingen  hän. 

Bartsch  sucht  in  der  gesperrt  gedruckton  zeile  unnötig  Schwierigkeiten. 
Er  bemerkt:  „der  ausdruck  ist  dem  erbrecht  entnommen  und  lautet 
vollständig  teile7i  ufid  wein,  wobei  der  ältere  bruder  zu  teilen,  der 
jüngere  zu  wein  pflegt.  Wem  als  orbschaft  vom  Schicksal  eine 
tochter  zufällf  Allein  dann  müsste  es  doch  wol  heissen  eine 
tochter  weht,  nicht  aber  mit  stiier  tochter  weln^.  Dieses  kann 
nur  bedeuten  „vermittelst  seiner  tochter  wählen'',  und  dass  objekt  ist 
aus  dem  zusammenhange  zu  ergänzen,  ausserdem  im  nachsatze  v.  28 
noch  ausdrücklich  genannt  Lippaut  redet  von  einem  söhn,  den  ihm 
das  Schicksal  vei*sagt  hat.  „Was  schadet's?"  tröstet  er  sich,  „mir  sind 
tochter  sogar  lieber.  Denn  wer  sich  durch  seine  tochter  einen  söhn 
(sc.  Schwiegersohn)  wählen  soll  —  si  envirbt  im  usw."  Der  sinn  ist: 
„durch  tochter  kann  ich  mir  söhne  wählen,  während  ich  den  eignen 
söhn  nehmen  müsste,  wie  ihn  das  Schicksal  bescherte.  Darum  sulen 
mir  tohter  lieber  s/w."  25  und  26  enthalten  einen  Zwischengedanken. 
Die  juristische  formel  teilen  und  wein  kommt  also  in  dem  bezeichneten 
verse  gar  nicht  in  anwendung. 

5)  Parz.  487,  1  fgg.     Von    dem    kargen,   nur   aus   wurzeln   und 
kräutern   bestehenden  mahle,   das  Parzival  bei  Trevrizent  genoss,    be 
merkt  der  dichter: 

swa^  da  was  sptse  für  getragen, 
beliben  si  da  nach  iingetwagen, 
da^  enschadet  in  an  den  ougen  niht, 
als  ma7i  fischegen  handen  giht 

Auch  im  Wälschen  gast  526  wird  das  reinigen  der  bände  nach  der 
Mahlzeit  mit  rücksicht  auf  die  äugen  empfohlen,  da^  ist  hilf  seh  und 
9^ot  xen  äugen;   und  Petrus  Alfonsi  sagt  in  der  disciplina  clericalis 

l)  In  ähnlicher  weiso  ist  das  mit  von  Bartsch  misverstanden  826 ,  30,  worüber 
weiter  tmten. 


54  8T08GU 

(ed.  F.  W.  V.  Schmidt,  Berlin  1827)  c.  XX Vm,  9:  post  prandium 
vianus  ablue,  quia  physiciim  est  et  curabile.  ob  hoc  efiim  multorum 
oculi  äeteriorautur,  quoniam  post  prandium  manibus  non 
abhitis  tergniiiur.  Aber  warum  spricht  Wolfram  grade  von  ^fischi- 
gen'' händen?  Galt  die  berührung  der  äugen  mit  ihnen  für  besonders 
Kc^hädlich?  Ich  finde  das  in  der  mhd.  litteratur  sonst  nirgends  ausge- 
sprochen^, obwol  doch  das  verhalten  bei  tische  darin  häufig  genug 
erörtert  wird.  Die  in  rede  stehende  bemerkung  des  dichters  erklärt 
sich  wol  einfach  aus  dem  tage,  an  welchem  der  besuch  Parzivals  bei 
dem  einsiodler  statt  fand:  es  war  der  karfreitag  (448,  7.  470,  1),  an 
dorn  ja  fische  wegen  des  fastengebotes  die  gewöhliche  speise  waren, 
die  meisten  menschen  also  nach  dem  essen  eben  „fischige''  bände 
hatten. 

(>)  Parz.  817,  28.     Bei  der   taufe    des  Feirefiz  zählt   der  priester 
verschiedene  heilsimie  eigenschaften  des  wassers  auf: 

25  von  iva^r  boume  sint  gesaft, 

ira^zcr  früht  al  die  geschafi, 

der  man  für  crvatiure  giht. 

mit  dem  ira^zer  man  yesiht. 

irazzer  gti  maneger  sele  seh  In, 
30  daz  die  engl  niht  liehter  dorften  sin, 
Zoilo  28  winl  gewöhnlich  dahin  verstanden,  djiss  das  wasser  das  äuge 
^frisch  und  sohkräftig"  mache  (vgl.  Bartsch  und  die  Übersetzer).  Ich 
glaube  aber,  ilas  ist  nicht  gemeint:  die  stelle  ist  vielmehr  ganz  wört- 
lich zu  nehmen.  Nach  ilor  ansieht  des  mittelalters,  die  wir  aus  Kon- 
rad von  MegenU^rsr  kennen,  lag  nämlich  in  der  wässerigen  füUung  des 
augt^  (ilem  sg.  glaskörpor)  die  Sehkraft:  K.  v.  M.  10,  9  fgg.  Daz  aug 
ist  tfesetit  in  s^ilnn  rtH'kr,  dnz  sint  sihen  häntel,  da  mit  ist  diu  eristal- 
tisch  f'äuht  rtrhtUlt.  d'ir  an  dts  g^sihtes  kraft  ligt.  93,  10 fgg. 
(der  Mit/  kann  den  nuusohon  blind  machon.)  daz  ist  da  ron,  da^  er 
im  die  cristallischt'n  fhihten  vtr prent  in  detn  augapfely  dar 
an  des  ijesiht^\<  kr^ift  lt\ft.  Nach  di«^or  auftassun^r  konte  Wolfram 
den  priester  w.^l  siii^Mi  lassen:  ,,vermitreUr  des  was5>ors  sieht  man.* 

7^   Tar.':.  S2r>,  ^>:    mit  triityn   niiit^   »in  ad*  r^toz. 
Seine  frühen»   orklarunc    lOerm.  7,  302  tc»,    dass    statt  dderst^z  mit  d 


l  Mir  ui'.rvvh:  vor^U-.ht  K  U;:Vi.;:::i  Mu'.i-'V.vior  SB  IS64  IL  ISS  fg.) 
Ht'Imbr.  7n^  tj:^:. :  ^:  «.••»  :'••<  r.'.V  rfs^-i«'.  «'•*•£  **••'?•  :?  *.■«** ■■''•'!  :U-fur  iurr:h  fzzen 
«»Mtw-r  iuh>r  >..^;.     H;c:   ..a::  Ult  ^'S  sioh     i    uv.:    LiS  ::.ir:  i»v:i>  VoQ  vor  d^m  esäen. 

hüad^  vi'i'u  ;iu^n  schaden 


ZUR  EBElXrüNO  WOLFRAMS  55 

understü^  za  lesen  sei,  hat  Bech  nach  den  bemerkungen  Scherers  in 
der  Ztschr.  f.  d.  österr.  gymnasien  1869  s.  833  (=  Kleine  schritten  I, 
376)  selbst  zurückgenommen  (vgl.  Germ.  19,  55  fg.).  Obwol  eine  ent- 
scheidende parallelstelle  leider  noch  fehlt,  kann  der  sinn  von  miUe  an 
äderstd^  doch  kaum  zweifelhaft  sein:  „freigebig  ohne  pulsschlag",  d.  h. 
^ohne  erregung,  ohne  Widerwillen",  also  etwa  gleichbedeutend  mit  Hart- 
manns mute  äne  riuwe  (Er.  2735,  vgl.  auch  Wh.  462,  8)  oder  Walthers 
(84,  13)  man  such  Ldupoltes  haut  da  gebe7i,  da^  si  des  niht  erschrac. 
Eine  reihe  ähnlicher  ausdrucks weisen  hat  Bech  in  seinem  zweiten  auf- 
satz  (Germ.  19)  zusammengestellt.  Ich  möchte  hier  noch  auf  eine  nie- 
derdeutsche redensart  aufmerksam  machen,  welche  die  Verwendung  von 
ddersto^  in  dem  gedachten  sinne  zu  stützen  vermag:  dar  sleit  my 
nieh  en  oder  na  =  „das  ficht  mich  gar  nichts  an,  das  beunruhigt 
mich  nicht"  Vgl.  Brem.  wb.  I  s.  v.  oder  und  Kosegarten,  Wörterbuch 
der  nd.  spräche  s.  119,  wo  die  formel  aus  Firmenich  I,  292  für  das 
Münsterische  belegt  wird.  Ohne  nähere  geographische  angäbe  verzeich- 
net sie  Berghaus,  Der  Sprachschatz  der  Sassen  I,  10 1.  Im  Mnd.  wb. 
fehlt  sie. 

8)  Parz.  826,  29  fg.:  hie  solte  Ereck  nu  sprechen: 

der  kund  mit  rede  sich  rechen, 
Bartschs  erklärung  „7?z«7  rede,  was  reden  betrifft;  es  könnte  auch  heissen 
der  künde  rede  rechen*''  ist  unzulässig.  Soll  rede  hier  in  dem  sinne  von 
oratio  stehen,  so  kann  mit  rede  sieh  rechen  nur  heissen  „mit  werten  sich 
rächen,  schelten."  Das  wäre  aber  im  zusammenhange  höchst  trivial; 
auch  schalt  Erec  Eniten  ja  nicht,  sondern  bestrafte  sie  vielmehr  durch 
harte  Zumutungen  für  ihr  warnendes  reden.  Folglich  bleibt  für  das 
vorliegende  mit  rede  nur  die  bedeutung  „nach  gebühr,  wie  es  recht  und 
billig  war"  (==  adv.  redelichc)^  die  Benecke  z.  Wig.  1605  (mit  rede  het 
er  den  valschen  man)  belegt  hat 2;  und  es  ist  zu  übersetzen:  „der 
wusste  gehörig  (ordentlich)  sich  zu  rächen." 

1)  Nach  mündlichen  mitteilungen  ist  sie  auch  in  Göttingen  und  Witzenhausen 
bekannt 

2)  Vgl.  auch  M.  v.  Craon  2,  wo  es  Schröder  mit  recht  gegenüber  Haupts  ände- 
Tung  wider  eingesetzt  hat 

KEEL,   JAXUAR   1895.  JOH^VNNES   STOSCH. 


56  DÜNTZER 

DER  AUSGANG  VON  GOETHES  TASSO. 

Das  vollendetste  drama  des  meisters  der  darstellung  und  lösung 
von  herzensirrungen  hat  die  entschiedensten  misurteile  und  misdeu- 
tungen  hervorgerufen,  nicht  durch  eigene  schuld,  sondern  weil  man  bei 
der  beurteilung  des  „Tasso**  den  begriff  von  dramatischer  handlung  zu 
beschränkt  fasste  und  beziehungen  auf  des  dichters  leben  hereintnig, 
worüber  man  den  dichterischen  faden  übersah,  der  die  ganze  dichtung 
durchzieht  und  zu  lebendiger  einheit  zusammenschliesst  Und  doch 
hatte  Goethe,  als  er  an  der  Vollendung  des  „Tasso"  arbeitete,  Herders 
gattin  gebeten,  ihn  nicht  zu  deuten,  obgleich  er  viel  deutendes  über 
seine  eigene  person  habe;  dadurch  würde  das  stück  ganz  verschoben, 
dessen  sinn  die  disproportion  des  talentes  und  dos  lebens  sei;  was 
doch  nur  heissen  kann,  diese  werde  in  dem  Schauspiel  durch  den  erlit- 
tenen Verlust  überwunden.  Leider  geht  die  vorwaltende  richtung  der 
neuern  Goetheforschung  darauf  aus,  persönliches  in  seinen  dichtungen 
auszuspüren,  in  dem  beiden  immer  Goethe  selbst,  in  den  andern  per- 
sonen  abdrücke  seiner  bekannten  zu  entdecken;  ja  man  will  uns  neuer- 
dings gar  einreden,  ein  hauptfehler  seiner  dramen  liege  darin,  dass 
sie  biographisch  seien.  „Selbsterlebtes  in  Goethes  Tasso"  hat 
Wilhelm  Büchner  im  15.  bände  des  „Goethe -Jahrbuchs"  ausgeführt, 
wobei  er  an  das  in  Rom  im  februar  1787  der  frau  von  Stein  gemachte 
bekenntnis  anknüpft,  dass  der  gedanke,  sie  nicht  zu  besitzen,  ihn  auf- 
reibe und  verzehre.  Die  äusserung  desselben  briefes:  „Ich  bin  heute 
konfus  und  fast  schwach**  wird  mit  dem  bekenntnis  von  Goethes  Prin- 
zessin an  Leonore  zusammengestellt,  sie  sei  geschwätzig  und  verbärge 
besser,  wie  schwach  und  krank  sie  sei.  Von  diesem  archimedischen 
punkte  geht  der  neue  entdecker  aus,  um  das  vermeinte  rätsei  zu  lösen. 
Wahr  ist  nur,  dass  bei  der  frühem  dichtung  der  beiden  ersten  akte 
die  glühende  liebe  zu  frau  von  Stein  ihn  so  mächtig  erregte,  dass  er 
einmal  gegen  diese  äusserte,  was  er  heute  geschrieben,  sei  als  anruf 
an  sie  gewiss  gut,  aber  er  wisse  nicht,  ob  auch  als  scene  und  an  der 
stelle;  und  zweitens,  dass  bei  der  spätem  umdichtung  er  der  idealen 
Schwärmerei  für  die  beherrscherin  seiner  ersten  elf  Weimarer  jähre  ent- 
sagt hatte,  die  bei  der  kälte,  womit  die  geliebte  den  aus  Italien  heim- 
kehrenden empfing,  und  bei  dessen  natürlichem  verlangen  nach  sinn- 
licher befriedigung,  die  er  in  seiner  Christiane  gefunden,  nicht  bestehen 
konte.  Übergangen  wird,  dass  er  schon  auf  der  seefahrt  nach  Sicilien 
einen  plan  des  ganzen  ,,Tasso''  entwarf,  und  dass  jener  brief  an  frau 
von  Stein  der  letzte  ausbruch  seiner  wilden  leidenschaft  war,   dass  er 


DER   AUSGANG   VON   GOETHES   TA8S0  57 

dieser  schon  in  Palermo  schrieb,  sein  herz  sei  bei  ihr  und  wider 
brenne  und  leuchte  die  schöne  flamme  der  liebe,  treue  und 
anhänglichkeit.  Deshalb  kann  der  schmerz,  den  ihm  zwei  jähre 
später  die  völlige  abwendung  der  gekränkten  geliebten  von  ihm  erregte, 
auf  die  handlung  des  dramas  keinen  einfluss  gehabt  haben,  wenn  auch 
die  ausführung  von  der  damals  ihn  häufig  ergreifenden  bewegten 
Stimmung  begünstigt  werden  mochte.  Wol  zu  beachten  war,  dass  der 
dichter  auch  die  Schwungkraft  besitzt,  sich  in  die  seinem  wirklichen 
zustande  widersprechendste  läge  zu  versetzen,  ohne  die  ein  dramatiker 
gar  nicht  denkbar  ist.  Dass  der  schluss  genau  ebenso  in  der  gleich- 
zeitigen seelenstimmung  Goethes  wurzele  wie  in  den  beiden  ersten 
akten,  ja  der  bruch  mit  Charlotte  und  dessen  verboten  während  Goe- 
thes italienischer  reise  (?)  die  Vorbedingung  für  den  abschluss  der  dich- 
tung  gewesen  seien,  beruht  auf  blosser  Verwechselung  des  schon  in  Palermo 
entworfenen  planes  mit  der  erst  im  Spätherbst  1788,  nach  abschluss  des 
„Faust**,  begonnenen,  bis  zum  sommer  1789  erfolgten  ausführung.  Wenn 
Büchner  sagt,  zurückgedrängte  liebe  mache  Tasso  wie  Goethe  unglück- 
lich, so  war  im  dichter  damals  die  loidenschaft  der  liebe  zu  frau 
von  Stein  längst  gelöscht;  nur  wünschte  er,  ihr  allerinnigstes  vertrauen 
möge  ihm  bleiben,  empfand  schwer  ihre  kälte  und  ihren  bitterern 
groll.  Dagegen  wird  Tasso  unglücklich,  als  er  seine  glühend  ausgebro- 
chene liebe  von  der  prinzossin  entsetzt  zurückgewiesen  und  so  das 
höchste  glück  seines  lebens  zerstört  sieht.  Solche  vergleichungen  füh- 
ren eben  zu  nichts;  sie  zerstieben  wie  nebelbilder,  wenn  sie  als  beweise 
dafür  dienen  sollen,  selbsterlebto  zustände  hätten  die  dramatische  fabel 
eingegeben,  zu  welcher  der  dichter  die  Überlieferung  umgeschaflfen  hat. 

Auf  den  spuren  SchöUs  wandelnd,  behauptet  Büchner  (s.  184): 
„Goethe  entlässt  uns  mit  dem  gedanken,  dass  Tasso  in  einer  furchtbaren 
gefahr  schwebt**  Er  kenne  sich  so  wenig  mehr,  dass  er  die  Zuflucht 
sogar  bei  Antonio  suche,  obschon  er  in  ihm  den  felson  sehe,  an  dem 
er  scheitern  sollte.     Man  verkenne  die  bedeutung  der  schlussverse: 

Ich  fasse  dich  mit  beiden  armen  an. 

So  klammert  sich  der  schififer  endlich  noch 

Am  felson  fest,  an  dem  er  scheitern  sollte, 

wenn  man  in  ihnen  etwas  anderes  sehe  als  den  versuch  eines  abschlus- 
ses.  Was  damit  gesagt  sein  soll,  verstehe  ich  nicht.  Freilich  ist  es  ein 
abschluss;  es  handelt  sich  nur  um  den  sinn  dieses  abschlusses,  den 
wir  nicht  als  einen  versuch,  sondern  als  eine  dem  dichter  endlich  ge- 
lungene ausführung  betrachten.     Nur  genaue  auslegung  mit  besonderer 


58  DÜNTZER 

erwägung  des  ziisammenliangs  kann  darüber  wirklich  aufklären.  Hier 
werden  wir  bloss  mit  der  anmerkung  abgespeist:  ^Eine  andere  erklär 
rung  der  werte:  ,an  dem  er  scheitern  sollte',  ist  sprachlich  und  sach- 
lich unmöglich."  Wunderlich  mutet  es  uns  an,  wenn  Büchner  von  der 
leicht  errungenen  Stellung  frohgemut  besitz  nimt:  „Hätte  Goethe  es 
auch  nur  für  möglich  gehalten,  dass  dieser  mann  von  Antonio  zur 
Selbstbestimmung  gebracht  wird,  welch  schöner  stoff  hätte  sich  dem 
dichter,  der  die  heilung  des  Orest  geschildert  hat,  geboten?*'  Nun,  er 
hat  es  nicht  bloss  für  möglich  gehalten,  sondern  es  glänzend  geleistet: 
freilich  nur  für  solche,  die  dem  Verständnisse  nicht  widerstreben.  Wie 
eine  schönere  heilung  denkbar  sei,  möchte  ich  wissen.  Ein  bewunderns- 
wertes meistei-stück  ist  es,  wie  Antonios  entsetzte  bestürzung,  zuspräche, 
ruhe,  rührung,  hinweisung  auf  Tassos  dichtcrgabe,  endlich  sein  stum- 
mes nähertreten  und  ergreifen  von  Tassos  band  den  wütenden  allmäh- 
lieh  beruhigen  und  sein  volles  vertrauen  erwecken. 

Halten  wir  uns  zunächst  an  die  von  Büchner  in  ihr  gerades  gegen- 
teil  verkehrten  schlussverso,  so  schweben  bei  dem  bildlichen  ausdruck 
stellen  alter  dichter  vor.  Herr  v.  Tjoeper  hat  einmal  darüber  gespottet, 
dass  ich  so  viel  von  vorschweben  spreche,  und  es  für  ein  leeres 
wort  halten  wollen:  und  doch  wüsste  ich  keine  passendere  bezeichnung 
fär  das  anklingen  bestimmter  dichtei*8tellen  oder  werke  der  bildenden 
kunst,  das  nicht  zu  einer  wirklichen  anspielung  sich  steigert  An 
unserer  stelle  schwebte  zunächst  die  rettung  des  Odysseus  im  fünften 
buch  der  Odyssee  vor.  Auf  der  soefahrt  nach  Sicilien  hatte  Goethe 
den  plan  zu  Tasso  vollständig  entworfen.  In  Palermo  kauft  er  sich 
einen  Homer  mit  lateinischer  Übersetzung,  worin  er  zu  einem  eben 
ihm  aufgegangenen  trauorspiel  „Xausikaa''  die  betreflfenden  bücher  der 
Odyssee,  das  sechste  bis  dreizehnte,  liest,  aber  auch  die  stelle  des  fünf- 
ten vom  scliiffbruch  bis  zum  landen  an  der  insel  der  Phäaken,  worin 
geschildert  wird,  wie  Odysseus,  als  die  flut  ihn  an  schroffe  felsen  zu 
schleudern  droht,  mit  beiden  armen  einen  felsen  fasst,  von  dem 
ihn  freilich  nach  einiger  zeit  die  gewalt  dos  rückflutenden  meeres  weg- 
reisst.  Auch  dürfte  er  im  vierten  buche  die  erzählung  von  der  rück- 
reise  des  Menelaos,  und  in  ihr  den  Untergang  des  Lokrischen  Ajax  an 
den  (tyräischen  felson  g(^h^son  haben.  Uer  held  rettete  sich  aus  dem 
meere  auf  einen  felsen:  aber  dieser,  auf  dem  der  gerettete  übermütig  der 
macht  der  götter  spottet,  wird  durch  einen  blitz  gespalten  und  das 
abgerissene  stück  mit  Ajax  ins  meer  geschleudert.  Seinem  zweck  ge- 
mäss führt  Goethe  das  bild  nur  bis  zum  fassen  des  felsens  aus,  über- 
geht das  hinaufschwingen,  wie  er  es  auch  bei  römischen  dichtem  fimd. 


DER  AÜSQAKO   VON  GOETHES  TASSO  59 

Vergils  Palinurus  rettet  sich  aus  der  meerflut,  indem  er  „mit  geboge- 
nen bänden  den  gipfel  eines  berges  fasst".  Auch  die  stelle  des  Satiri- 
kers Persius  könnte  ihm  bekannt  gewesen  sein  (VI,  27  fgg.),  wo  der 
gestrandete  freund  die  Bruttischen  felsen  gefasst  hat  und  nun  elend 
am  ufer  liegt  Horaz  am  Schlüsse  der  fünften  ode  des  ersten  buches 
bedient  sich  des  bildes  von  dem  aus  dem  Schiffbruch  geretteten,  der 
dankbar  im  tempel  des  meergottes  seine  kleider  aufgehangen  hat  und 
ein  weihetäfelchen  mit  der  abbildung  seiner  rettung.  Dass  Goethe  diese 
stelle  gekannt  hat  und  sie  ihm  im  gedächtnis  geblieben  war,  ergibt 
sich  daraus,  dass  der  aus  der  Leipziger  Zerrüttung  seiner  gesundheit 
gerettete  Student  seinem  leipziger  freunde  Langer  bei  dessen  besuch 
zu  Frankfurt  im  September  1769  in  den  ihm  geschenkten  abdruck  sei- 
ner „Neuen  lieder  in  melodien  gesetzt"  die  werte  aus  Horaz  als  Wid- 
mung schrieb.  Lebhafte  erinnerung  an  stellen  des  Horaz  werden  wir 
auch  weiter  im  Schlüsse  des  „Tasso**  finden.  Aber  nicht  bloss  aus  den 
alten  kannte  Goethe  die  gefahr  des  Scheiterns  und  das  glück  der  ret- 
tung, er  hatte  beides  erlebt,  wie  auch  Horaz,  der  unter  den  gefahren, 
aus  denen  die  gunst  der  musen  ihn  gerettet,  auch  einen  stürm  bei  dem 
Vorgebirge  Palinurus  nent.  Auf  der  rückfahrt  von  Messina  nach  Nea- 
pel wäre  das  schiff,  auf  dem  er  sich  befand,  beinahe  gescheitert,  wo- 
rüber sein  bericht  vom  13.  und  14.  mai  1787  vorliegt.  In  der  meer- 
enge  von  Capri  schwankte  und  schwippte  das  schiff  immer  stärker  nach 
den  schroffen  felsen  hin,  wo  kein  auch  nur  fussbreiter  vorsprung,  keine 
bucht  rettung  bot.  Oben  auf  den  bergen  schrieen  schon  die  ziegen- 
hirten,  unten  strande  ein  schiff,  und  freuten  sich  auf  die  beute.  Ver- 
gebens suchte  man  mit  grossen  stangen  das  schiff  vom  felsen  abzuhal- 
ten; diese  brachen,  und  der  Untergang  schien  unvermeidlich ,  als  endlich 
ein  leiser  Windhauch  sich  erhob,  der  sich  allmählich  verstärkte,  so  dass 
man  die  segel  aufziehen  konnte.  Wenden  wir  uns  zu  unserer  Tasso- 
stelle zurück,  so  geht  scheitern  sollte  freilich  auf  den  durch  das 
Schicksal  ihm  bestimmten  wirklichen  Schiffbruch,  aber  nur  das  schiff 
scheiterte  und  ging  in  stücke  (noch  Klopstock  braucht  die  scheite r). 
Nur  in  gangbarer  Übertragung  spricht  man  auch  vom  scheitern  eines 
menschen,  wie  ähnlich  auch  stranden  gebraucht  wird.  Der  schiflfer 
selbst  hat  hier  das  leben  gerettet,  was  im  gegensatze  zum  scheitern 
durch  das  festhalten  am  felsen  bezeichnet  wird;  das  wegreissen  vom 
felsen  durch  die  flut  ist  durch  die  nichterwähnung  ausgeschlossen. 

Dass  der  dichter  die  heilung  des  Tasso  von  seinem  wahn  im  sinne 
gehabt,  habe  ich  ausser  inneren  gründen  auch  dadurch  erwiesen,  dass 
er  den  schluss    des   dramas  als  Tassos    Verklärung   bezeichnet.     An 


60  DtJNTZER 

Herder  schrieb  er  den  2.  niärz  1789:  „Von  ,Tasso',  der  nun  seiner 
Verklärung  sich  nähert,  habe  ich  die  erste  scene  im  kreise  der  freunde 
publiciert  Deine  frau  und  Knebel  haben  sie  am  meisten  genossen. 
Ich  habe  diesen  prologus  mit  fleiss  dem  werke  selbst  vorausgeschickt** 
Wie  hier  der  erste  akt  als  prologus  bezeichnet  wird,  so  der  schluss, 
wo  Tasso  einsieht,  wie  sehr  er  die  weit  verkannt,  als  dessen  Verklä- 
rung. Als  Herder  am  7.  august  1788  die  reise  nach  Italien  antrat, 
wusstc  er,  dass  Goethe  den  plan  des  „Tasso**,  den  er  auf  seiner  See- 
fahrt entworfen,  zum  teil  schematisiert,  auch  mehrere  einzelne  stellen 
auszuführen  begonnen,  in  derselben  reinen  form,  die  er  der  „Iphigenie" 
gegeben,  noch  vor  ablauf  des  jahres  vollenden  wollte.  Dem  vertrauten 
freunde,  dessen  geschmack  und  urteil  er  so  hoch  schätzte,  hatte  er  viel 
davon  gesprochen,  so  dass  dieser  die  wendung  kannte,  welche  das  stück 
am  Schlüsse  nehmen  sollte.  Doch  der  zerrissene  zustand  seines  dama- 
ligen lebens  gab  ihm  nicht  die  zur  ausarbeitimg  einer  so  feinen,  in  die 
tiefe  der  seele  dringenden  dichtung  nötige  Stimmung.  Freilich  hatte  er 
schon  anfangs  September  ernstlich  die  ausführung  bedacht,  am  7.  bei 
einer  fahrt  im  mondschein  drei  geistreichen  frauen  manches  von  seinem 
plane  erzählt,  am  1.  Oktober  gegen  den  herzog  die  hofFnung  ausgespro- 
chen, über  diesen  ^das  übergewicht  zu  kriogon**,  da  er,  je  weiter  er 
komme,  seiner  sache  um  so  sicherer  werde:  ja  er  las  drei  tage  später 
Herders  gattin  einige  stellen,  denen  diese  beifall  gab.  Aber  gleich 
danuif  Hess  er  den  „Tasso**  ganz  liegen,  so  dass  er  am  ende  des  Jah- 
res beschämt  Herder  bekennen  musste,  dieser  sei  noch  immer  nicht 
fertig,  ja  bald  dürfe  er  von  ihm  nicht  mehr  reden.  Eifrig  nahm  er 
ihn  erst  während  der  anwesenheit  seines  geistreichen  freundes  Moritz 
wider  auf,  so  dass  er  ihn  vor  dessen  abreise  vollenden  zu  können 
hoffte.  Divch  am  18.  januar  17>^9  machte  er  wider  eine  pause.  Herder 
hörte  in  den  beiden  ersten  monaten  des  jahres  von  Tasso  nur  durch 
seine  gattin,  die  ihm  am  20.  februar  die  erste  vor  kurzem  ganz  fer- 
tig gt^wordeno  scene  des  Stückes  sante.  Ihr  gatte  hatte  sie  am  2.  märz 
noch  nicht  erhnlton,  als  (Toethe  die  oben  erwähnte  äusserung  tat  Erst 
mehr  als  vierzehn  tagt»  später  gab  er  Henlors  gattin  die  zweite,  am 
20.  den  gn>ssten  teil  der  <lritten  scene.  So  langsam  ging  es  mit  der 
reinigung,  der  dun*harbeitung  bis  zur  letzten  feile,  nach  welcher  er  sie 
als  fertig,  vollendet,  absolviert  erklärte.  Geschrieben  waren 
damals  sclmn  viele  sconen,  fertig  nur  diese  drei.  Dem  herzog  mel- 
dete er  fünf  wochen  nach  dem  briefe  an  Henler  vom  2.  märz,  seine 
freude  über  die  divi  ersten  sconen  lasse  ihn  desto  mutiger  dem  ende 
entgegengehen:    was   daniuf  hindeutet,   djiss   damals   (am  6.  april)    die 


D£B   AUSGANG   VON   GOETHES   TASSO  61 

erste  ausführuog  schon  recht  weit  fortgeschritten  sein  musste,  wenn 
auch  nur  drei  scenen  fertig  waren.  Bestätigt  wird  dies  durch  die 
sich  unmittelbar  anschliessende  bemerkung:  „Ich  habe  noch  drei  scenen 
zu  schreiben,  die  mich  wie  lose  nyraphen  zum  besten  haben,  mich  bald 
anlächeln  und  sich  nahe  zeigen,  dann  wider  spröde  tun  und  sich  ent- 
fernen." Es  können  nur  die  schlussscenen  des  Stückes  (wol  die  vier 
letzten,  da  das  kurze  Selbstgespräch  in  der  dritten  mit  zur  zweiten 
gezogen  war)  darunter  gemeint  sein,  zu  denen  ihn  der  beifall,  den  der 
herzog  dem  anfang  gegeben  habe,  ermutigte;  denn  so  hätte  er  unmög- 
lich sich  äussern  können,  wenn  es  sich  um  scenen  der  mitte  handelte, 
die  er  noch  unausgeführt  gelassen.  In  demselben  briefe  heisst  es:  sehr 
glücklich  wäre  er,  wenn  er  noch  vor  den  feiertagen  (dem  17.)  die  letzte 
(vierte)  scene  des  ersten  aktes  fertigen  könte,  woran  er  fast  zweifele; 
schicken  werde  er  sie,  sobald  sie  geschrieben  sei.  An  dieser  fehlte  wol 
noch  der  durch  fragen  hervorgerufene  bericht  Antonios  über  seine 
römische  gesantschaft,  der,  wie  so  manche  notwendige,  aber  für  den 
dichter  weniger  ergiebige  ausführungen ,  besonders  schwer  zu  machen 
war,  soUte  er  nicht  zu  sehr  von  dem  anziehenden  leben  des  vorigen 
auftrittes  und  dem  Schlüsse  des  vierten  selbst  abfallen.  Auffallend  ist 
freilich,  dass  er  von  derselbigen  scene  schreiben  neben  fertigen 
gebraucht.  Den  entwurf  wird  er  damals  vielleicht  mit  ein  paar  lücken, 
bis  zum  Schlüsse  von  V,  I  ausgeführt  haben;  aber  fertig,  gereinigt 
waren  auch  damals  nur  die  drei  ersten. 

Schon  hierdurch  allein  wird  Büchner  sonderbarer  versuch  wider- 
legt, die  Verklärung  des  Tasso  durch  die  deutung  wegzuschafTen, 
„dass  der  dichter  ihn  von  den  letzten  schlacken  reinigte,  damit  er  sei 
wie  ein  verklärter  leib'^,  was  dem  Verfasser  freilich  auf  der  band  zu 
liegen  scheint,  obgleich  eine  reinigung,  eine  ausfeihing  himmelweit 
verschieden  ist  von  einer  Verklärung,  einer  höhern  begeistigung,  die 
den  irdischen  stofiF  umgestaltet,  mit  höherm  leben  erfüllt,  nicht  bloss 
die  schlacken  entfernt.  Und  wollen  wir  einmal  annehmen,  Verklä- 
rung habe  von  der  reinigung,  dem  limae  labor  gesagt  werden  kön- 
nen, so  hiesse  seiner  Verklärung  sich  nähern  der  reinigung  sich 
nähern,  bald  zur  reinigung  kommen,  deutete  also  dai-auf,  dass  das 
geschäft  der  reinigung  bevorstehe,  was  hier  gar  nicht  passt  Wollte 
mau  aber  noch  kühner  sein  und  die  vollendete  reinheit  verstehen,  die 
fast  erreicht  sei,  so  würde  man  Goethe  etwas  ganz  unwahres  sagen 
lassen:  denn  so  wenig  war  „Tasso''  damals  der  reinheit  nahe,  dass  erst 
drei  scenen  fertig  waren,  wenn  auch  die  erste  ausführung  bis  auf 
wenige  scenen  vorlag.     Den  dichter  drängte  es  mehr  zur  ausführung 


G2  OÜNTZER 

als  zur  durchsieht  des  ausgeführten:    war   einmal   der  guss  gelungen, 
so  konnte  die  sorgfaltige  ausfeilung  leichter  geleistet  werden. 

Wenn  Goethe  von  den  fortschritten  seiner  dichtung  berichten  wollte, 
so  lag  nichts  näher  als  es  durch  die  angäbe  zu  tun,  bis  zu  welchem 
punkte  der  handlung  er  gekommen  sei;  statt,  wie  sonst,  geradezu  das 
ende  zu  nennen,  wählte  er  die  läge,  in  welche  sein  held  dort  gelangt 
ist,  und  so  braucht  er  Tassos  Verklärung,  da  Herder  die  art  des 
ausganges  des  Stückes  kannte.  Büchner  meint,  bei  meiner  deutung  sei 
ich  von  meiner  philologischen  akribie  entschieden  im  stiche  gelassen 
worden.  Er  sieht  nicht,  dass  die  von  mir  gegebene  sachlich  allein 
möglich  ist,  da  Goethe  unmöglich  das  sagen  konnte,  was  er  ihm  in 
den  mund  legt,  weil  es  unwahr  wäre,  und  dass,  wo  man  zwischen  der 
annähme  einer  sprachlichen  ungenauigkeit,  besonders  im  leichten  brief- 
stile,  und  einer  Unwahrheit  in  dingen,  die  der  redende  genau  wusste, 
zu  wählen  hat,  die  entscheidung  nicht  schwer  fallt.  Freilich  wird 
„Tasso"  am  anfange  vom  stücke  gebraucht,  wogegen  seiner  vor 
Verklärung  sich  auf  das  vorhergegangene  Tasso  als  bezeichnung 
der  person  bezieht;  aber  dies  ist  eine  freiheit,  der  sich  der  ausdrack, 
wenn  ein  misvei^ständnis  kaum  möglich,  des  leichtern  flusses  wegen 
bedienen  kann,  wenn  man  es  nicht  als  nachlässigkeit  entschuldigen 
will.  Einen  ähnlichen  gc^brauch  finden  wir  in  einer  zwallingsstello,  von 
der  Büchner  freilich  wol  nichts  ahnt.  Am  9.  juni  1814  schrieb  Goethe 
von  seinem  fostspiel  „Des  Epimenides  erwachen"  an  Riemer:  „Epime- 
nides  naht  sich  seinem  erwachen",  zur  andeutung,  dass  dieses  bald  bis 
zu  ende  gedichtet  sei;  denn  jener  erwacht  erst  im  einundzwanzigsten  der 
siebenundzwanzig  auftritte  (nach  der  ersten  Zählung).  Auch  nahen 
steht  dort  ganz  ähnlich  wie  hier  nähern.  Wir  erinnern  noch  an  den 
scherz  in  der  „Xenie"  von  1814:  „P]pimenides,  denk'  ich,  wird  in 
Berlin  zu  spät,  zu  früh  erwachen."  Hier  wird  unter  Epimenides 
zuerst  das  festspiel  gedacht,  dann  aber  bei  erwachen  die  person. 
Hienlurch  glauben  wir  unsere  beziehung  der  Verklärung  des  Tasso 
auf  das  erwachen  aus  seiner  verkennung  der  weit  und  dem  wahne,  er 
sei  von  einer  Verschwörung  von  feinden  umgeben,  gesichert,  und  somit 
den  äussern  beweis  erbracht  zu  haben,  dass  das  drama  mit  dessen 
ungeahnt  auf  rauhe  weise  erfolgter  heilung  schliesse. 

Den  innern  beweis  bietet  die  ganze  schlussrede  Tassos,  nachdem 
Antonio  mit  stummer  rührung  zu  dem  unglücklichen  getreten  ist  und 
ihn  bei  der  band  ergriffen  liat.  Sie  ist  von  anfang  bis  zu  ende  von 
der  vergleichung  des  Unglücks  mit  einem  Schiffbruch  beherrscht.  Tasso 
beginnt  mit  der  völligen  Verschiedenheit  ihres  wesens,   das  aber  eine 


DER  HUSaANO  VON  OOBTHIS  TUSSO  63 

gäbe  der  natiir  sei.  Antonio  stehe  „fest  und  still",  wobei  schon  die  ver- 
gleichung  mit  einem  felsen  vorschwebt,  die  gleicb  darauf  hervortritt 
und  am  Schlüsse  widerkehrt:  er  selbst  scheint  nur  die  stumieiTegte 
welle,  ein  spiel  der  ihn  willenlos  umtreibenden  einbildung.  Das  schei- 
nen deutet  auf  Antonios  übersehen  seines  von  der  natur  ihm  verlie- 
henen tiefen  gefühls,  wozu  ihn  dessen  eigene,  ganz  entgegengesetzte 
natar  verleitet  hat.  Dies  tritt  entschiedener  in  der  sich  unmittelbar 
anschliessenden  mahnung  hervor:  „Bedenk'  und  überhebe  nicht  dich 
deiner  kraft!"  die  den  leisen  Vorwurf  enthält,  dass  er  dies  gegen  ihn 
getan  habe.  Einen  solchen  konnte  Tasso  nur  bei  völligster  beruhigung 
und  im  bewusstsein,  dass  Antonio  ihm  nicht  feindlich  gesinnt  sei,  ge- 
gen ihn  erheben,  und  gerade  in  so  leiser,  ihn  nicht  beschuldigender 
weise.  Dies  führt  ihn  zu  einer  weit  ausgeführten,  mit  bewegtestem 
gefühl  ihn  ergreifenden  bildlichen  darstellung  seiner  natur  im  gegen- 
satze  zum  felsen  Antonio,  wobei  auch  der  stürm  leidenschaftlicher 
erregung  als  naturkraft  bezeichnet  wird,  der  sich  die  welle,  das  empfind- 
liche dichterherz,  nicht  entziehen  kann.  „Wind  ist  der  welle  lieblicher 
buhle"  hatte  Goethe  schon  1779  in  der  Schweiz  gesungen,  hier  aber 
ist  von  der  sturmerregten  welle  die  rede.  Mit  unendlicher  rührung 
muss  er  hier  des  seligen  glückes  gedenken ,  das  er  im  wahne  der  liebe 
der  Prinzessin  und  ihres  vollen  besitzes  genossen,  wo  sein  zärtlich 
bewegtes  herz  süsse  himmelsruho  empfunden.  Aber  leider  ist  diese 
höchste  Seligkeit  für  ihn  vorüber.  „Verschwunden  ist  der  glänz,  ent- 
flohn  die  ruhe." 

Nach  dem  diesen  satz  schliessenden  punkte  findet  sich  schon  in 
der  handschrift  ein  gedankenstrich,  dessen  bedeutung  bisher  unbeachtet 
geblieben.     Noch  immer  spuken  in  den  ausgaben  unserer  klassiker  fal- 
sche gedankenstriche,   die  nach  der   unart  der  zeit  häufig  statt  eines 
panktes  gesetzt  wurden.     Da  dieser  gebrauch  heute  nicht  mehr  besteht, 
so  sollten  sie  endlich  ein-  für  allemal  verbanntsein,  zumal  da  sie  nur  zu 
misverständnissen   führen.     Ich    habe    den  unfug  bei  Goethe,    Schiller 
und  Herder  in  meinen  „Erläuterungen"  verfolgt,   ohne  dass  dies  von 
anderer  seite  die  gebührende  beachtung  gefunden  hätte.     So  hat  auch 
die  Weimarische  ausgäbe  keine  rücksicht  darauf  genommen,  weder  bei 
den  werken  noch  bei  den  briefen;    wie   sie  überhaupt  bei  der  inter- 
punktion  grundsätze  aufgestellt  hat,  ohne  genaue  (freilich  nicht  augen- 
blicklich zu  erlangende)  kenntnis  der  Sachlage.     Auch  in  den  briefen 
finden  sich  solche  gedankenstriche,   selbst  statt  Semikolon  und  komma, 
^e  bd.  II  8.  27,  8  fg.     In    den    briefen    der  frau   rat   an   ihren   söhn 
Jessen  sie  sich  fast  seuchenhaft.     Mir  war  dieser  misbrauch  zuerst 


64  DÜNTZER 

in  Herdei-s  handschriften  und  ausgaben  aufgefallen.  Es  verlohnt  sich, 
den  gebrauch  des  gedankenstriches  in  „  Tasse  **  mit  vergleichung  der 
„Iphigenie**  zu  verfolgen,  die  hierin  einige  Verschiedenheit  zeigt.  Nur 
kurz  deuten  wir  den  gebrauch  des  gedankenstrichs  als  parenthesezei- 
chen an  (Tasso  212.  1996.  2384  fg.  Iphigenie  1566.  1718)  und  zur 
Scheidung  von  wechselreden  (Tasso  2899  —  2910).  Im  „Tasso **  findet 
sich  ein  gedankenstrich  geradezu  statt  eines  punktes,  auch  eines  aus- 
rufungs-  oder  fragozeichens  mehrfach  (1542.  1742.  2018.  2123.  2398. 
2536.  2543  nach  lässt.  3252.  3350.  3382.  3384.  3394.  3494  nach 
trägt).  In  einigen  dieser  stellen  könnte  man  meinen,  es  sollte  eigent- 
lich noch  eine  starke  Interpunktion  vor  dem  gedankenstrich  stehen. 
„Iphigenie"  bietet  auch  einen  fall  dieser  art  1632,  wo  man  aber  auch 
lieber  vor  dem  gedankenstrich  noch  punkt  sähe.  „Tasso''  zeigt  ein 
paarmal  gedankenstriche  auch  am  ende  einer  nicht  abgebrochenen  rede 
(196  und  3263),  wogegen  er  das  abbrechen  bezeichnet  1821  (die  zweite 
ausgäbe  hatte  hier  das  wort  „freund"  irrig  gestrichen).  2286.  3162.  In 
der  „Iphigenie"  schliesst  ein  solcher  gedankenstrich  349  die  rede,  wo- 
gegen er  zeichen  des  abbrechens  ist  628.  Entsprechend  dem  heutigen 
gebrauche  steht  der  gedankenstrich  vor  überraschendem  und  bei  der 
scheu,  etwas  auszusprechen.  Im  „Tasso"  gehinen  hierher  2500.  2506. 
3213,  wogegen  1277  der  gedankenstrich  auf  ein  innehalten  deutet, 
weil  Tasso  Antonios  antwort  erwartet,  der  überrascht  schweigt,  wes- 
halb davor  noch  ein  punkt  stehen  sollte.  Dreimal  steht  er  so  in  der 
„Iphigenie"  1852.  1925.  1936.  Eigen  ist  in  dieser  der  gebrauch  der 
gedankenstriche  1889  bei  der  Verwirrung,  worin  Iphigenie  nach  einem 
sie  am  wenigsten  verratenden  ausdrucke  sucht:  „Sie  sind  —  sie  schei- 
nen —  für  (iriechon  halt'  ich  sie."  Häufig  steht  ein  gedankenstiich 
vor  dem  nachsatze  statt  des  sonst  von  Goethe  gebrauchten  Semikolons, 
wenn  dieser  von  grosser  bedeutung  ist  oder  des  gcgensatzes  wegen 
besondei*s  hervorgehoben  werden  soll,  auch  um  ihn  entschieden  nach 
einem  längern  Vordersätze  trotz  seiner  kürze  lebhaft  zu  betonen.  Hier- 
her gehöi-en  Tasso  873  (wo  mir  statt  Mir  zu  schreiben  ist).  945.  1472. 
2249.  2400.  2560.  In  der  „Iphigenie"  finde  ich  keinen  ähnlichen  fall. 
Ein  gedankenstrich  steht  im  „Tasso"  auch  dann,  wenn  das  gesagte 
mit  gesteigerter  kraft  weiter  ausgeführt  wird.  So  steht  1173  — 1177 
„Und  wagte  gern  das  leben,  das  ich  nur  Von  ihren  bänden  habe  — 
forderte  usw.,  3429  fg.  „Und  mir  noch  über  alles  —  Sie  Hess'',  wo 
eine  andere  wendung  eintritt  statt  des  erwarteten  „verlieh  sie". 

Von    dem    gebrauche   eines   einfachen   gedankenstriches   in   einer 
rede  und  innerhalb  eines  satzes  sind  die  fälle,  wo  ein  solcher  zwischen 


DIB  AÜ80AN0  VON  GOETHES  TASSO  65 

einem  mit  starker  Interpunktion  geschlossenen  und  einem  neu  anheben- 
den satze  steht  Hier  kann  er  nur  eine  pause  bezeichnen,  welche  der 
redende  macht.  1927  tritt  eine  solche  ein  vor  der  ausführuug,  welch 
ein  glück  die  nähere  Verbindung  mit  Tasso  für  Leonoren  hat,  2230  vor 
dem  die  eingetretene  Veränderung  einführenden  „Ja**,  2530  vor  der 
antwort,  2543  vor  der  waniung,  sich  nicht  mehr  betören  zu  lassen. 
Goethe  hatte  ihn  hier  nachträglich  hinzugefügt  Die  „Iphigenie''  hat  ihn 
359  bei  der  rückkehr  zur  erzählung,  426  bei  dem  übergange  zur  ret- 
tung,  880  vor  mitteilung  der  ermordung  Agamemnons,  1696  bei  dem 
gegensatze  zum  ewig  währenden  fluch,  1970  bei  der  erinnerung,  wie 
der  könig  Iphigenien  die  rückkehr  zugesagt.  Im  „Tasso''  werden  neben 
solchen  kurze  pausen  bezeichnenden  gedankenstrichen  auch  absätze  ver- 
want  in  den  Selbstgesprächen  IV,  3  und  5,  während  V,  3  einmal  die 
scenarische  bemerkung  „Nach  einer  pause"  steht,  die  sich  auch  V,  5  nach 
3330  findet  Einen  absatz  hat  „Iphigenie''  nur  1718,  wol  weil  hier 
gedankenstriche  als  zeichen  der  parenthesen  gebraucht  sind.  Gedanken- 
striche stehen  so  in  ihr  1243  bei  dem  übergange  zum  schrecklichen  aufruf 
des  Schattens  der  mutter,  1504  vor  der  ausführung  der  frühem  unend- 
lichen freude  im  gegensatze  zum  jetzigen  schrecken,  1516  vor  dem 
übei^ng  zur  darstellung  des  1510  erwähnten  unmöglichen.  Ebendort 
1189  deuten  die  gedankenstriche  vor  und  nach  „Schwelle  brüst!"  eine 
doppelte  kurze  pause  an.  Häufig  bedient  sich  Goethe  eines  gedanken- 
strichs,  wo  der  redende  vorher  etwas  selbst  tut  oder  etwas  von  einem  an- 
dern geschieht,  was  eigentlich  eine  scenarische  bemerkung  angeben  sollte. 
Wir  finden  1189:  „So  soll  es  sein!  —  Hier  kommt  der  rauhe  freund", 
weil  Leonore  den  Antonio  kommen  sieht,  1283  „Noch  einmal.  —  Hier 
ist  meine  band",  weil  Tasso  diese  entgegenstreckt  In  der  „Iphigenie" 
findet  sich  388  gedankenstrich  vor:  „Du  wendest  schaudernd  dein 
gesiebt,  0  könig",  weil  die  priesterin  dies  eben  bemerkt  hat  793  deu- 
tet das  zeichen  vor  „Still!"  darauf,  dass  Pylades  eben  sieht,  wie  Iphi- 
genie  sich  naht  Der  gedankenstrich  vor  882  „Ja  du  verehrest  dieses 
königshaus"  bezieht  sich  darauf,  dass  Iphigenie  ihre  bewegung  über  die 
eben  vernommene  schreckenskunde  nicht  verbergen  kann.  1049  steht 
gedankenstrich  vor:  „Sage  mir  Vom  unglücksergen",  weil  Iphigenie, 
nachdem  sie  den  göttem  freudigsten  dank  dargebracht,  sich  wider  an 
Orest  wendet  1255  finden  wir  den  gedankenstrich  vor  „Wo  bist  du, 
Pylades?"  da  sie,  nachdem  sie  längere  zeit  stehen  geblieben,  davon- 
zueilen begonnen,  was  freilich  auch  eine  am  schluss  stehende  scena- 
rische bemerkung  besagt  Von  ähnlicher  art  sind  die  gedankenstriche 
1265.  1267.  1274.  1286.  1290,  wogegen  darauf  1294  einer  die  anreden 

ZBnGBBDT  r.  DKUT80HB  PHILOLOOIE.     BD.  XXVm.  5 


00  DÜNTZER 

an  die  mutter  und  an  beide  f-ltern  trennt.  1415  tgtr.:  .Mich  dünkt.  i*'h 
höre  jGrewaffnete  sich  nahen.  —  Hierl  —  Der  böte  Kommt  von  dem 
k"'>ni;re  mit  schnellem  schritt."  Zuerst  «riaubt  sie  waftt-nofetöse  zu  hören, 
dann  sieiit  sie  jemanrl  kommen,  zuletzt  erkennt  sie  den  Arka.<.  1607  firg.: 
.Orest  ist  frei,  ;:eh».ilr!  —  Mit  dem  betreit».Mi  0  führet  uns  hinüber. 
::ün>t's:e  winde.  Zur  f'.'lseninsel.  die  der  Gott  bewohnt.-  Der  ffedan- 
konstrioh  bezeichnet  den  überjran^^  zur  dringenden  mahnung,  die  von 
Apoll  ihnen  gnädig'  irewähite  hülfe  zur  vollemlung  ihrer  rettung  nach 
der  heimat  zu  benutzen.  Fvlades  wendet  sich  flehend  an  die  winde, 
was  auch  die  erhebunir  seiner  bände  zum  himmel  andeutet.  1918  fgg. 
Nachdem  Iphigenie  die  (iötter  angefleht,  ihren  kühnen  entschluss  zu 
scirnen,  tritt  sie  zum  k«*pnige,  ihm  den  betrug  zu  verraten.  Der  vor: 
^Ja,  vornimm  o  k<*inig-,  stehende  gedankenstrich  deutet  an,  dass  sie 
'U!u  könige  sich  zurückwendet,  ähnlich  wie  1049.  Dagegen  bezieht  er 
sich  1942  vor:  ..Was  sinnst  du  mir",  darauf,  dass  sie  einige  zeit  auf 
i»inc  günstige  antwurt  gewartet.  Hier  kr)nnte  auch,  wie  vor  1892.  die 
sccnarische  bemcrkuni:?  >tehen:  ..nach  einigem  stillschweigen**  oder 
..nach  einer  i)ausc"  wie  im  .,Tasso*  vor  3311. 

In  diesen  kreis  geh«"»rt  nun  auch   der  gcdankenstrich  nach  Tassos 

\ciso:    „Veischwunden   ist  der  glänz,    entflohn   die  ruhe":    er  vertritt 

«'uu*  sccnarische   bcnierkun;:.     Vor  der  schlussrede  Tassos  hat  Antonio 

ihn  bei  der  band  genommen,  dieser  sie  nicht  zurückgezogen.     Da  Tasso 

:i,>l   lu»i  d(»n  Worten:  „Ich  fasse  dicli  mit  beiden  armen  anl*"   Antonios 

ii  ind   crtrrfift,    muss   lm*  si(»   vorher  losgelassen   liaben.     Dies    ist    eben 

M.iv-h  i»ll'>  geschahen  vur  d«Mi   wi»rten:  „Ich  kenne  mich  in  der  gefahr 

•  iivhi  m»'hr."     Durch  den  fürchterlichr'n  gcdanken  seines  erlittenen  ver- 

iinU-s  ganz   aussi'r  sifh   gerat'^n.    lässt    er   Antonios    band    fahren    und 

Hill   \\\\\  «b'r  gj'bärdr  oine>  vrrzwi'itelndcn,  der  die  band«*  voll  schrecken 

.  liubi.    /.nr  srito.    wir   is  aurh    l|)hig»»nie    1039   tun   muss,    die    1049 

\\uw\  n\  Ori'st  tritt:    wn«:«'g.'n  narh   1093,  wie  die  scenarische  bemer- 

\.4!i;;  brsai;!,  (bfst  sirli  ('iitternt,  damit  der  dichter  Iphigenien  ihr  dank- 

;*i»»-i   allrin   spn'rln'ii    lassen    kann.     Soin   lebhaft  geschautes  verderben 

..  iiiidiMi  Tassn   (Imvli   dir   nnt   drs  strfahrers,    dessen  schitt'  der  stürm 

uiih'ii   aid"  dt'Ui    in»MM'  /t'itrümnn'rt:    es  ist   ein  wirkliches  gesiebt,    das 

iuii  dit'  i'rn'gtf  Einbildungskraft  vorspiegelt: 

ich  kiMine  mich  in  der  gofalir  nicht  mehr, 
l'nd  si'hämr  inieh  nicht   mehr  es  zu  bekennen. 
Kiviic»   ha!  der  beginiHMide  stürm  ihn  nicht  ausser  fassung  gesetzt,  sei- 
.V44  inpf*'!'«'!!    i»i»t   nii'ht   erseiiüttert:    aber  J«'tzt,    wo  er  den  stürm  sein 
.Mj^uuu^Nwerk  am   sehitle   lirginnen   sieht,    kennt  er  sich  nicht  mehr, 


DKR  AUSGANG   VON   GOETHES   TASSO  6? 

er  ist  jetzt  ein  nauta  pavidus,  timidus  (Hör.  carm.  I,  1.  14.  14.  14) 
geworden,  der  vor  schrecken  erblasst  ist  (Ovid  Trist.  I,  4,  11);  wie 
römische  dichter  den  schififer  in  äusserster  not  selbst  weinen  lassen, 
wovon  der  gegensatz  an  einer  sehr  bekannten  Horazischen  stelle  (carm. 
I,  3,  9  —  20)  sich  findet  Auf  ganz  unglaubliche  weise  hat  Büchner 
die  ganz  deutlichen  werte:  ,,ünd  schäme  mich  nicht  mehr,  es  zu  be- 
kennen** misv erstanden,  da  er  sie  auf  Tassos  wirklichen  zustand  bezieht, 
obgleich  dieser  den  festen  boden  des  schiossgartens  unter  den  füssen 
hat  Er  übersieht,  dass  sie  im  bilde  des  entsetzten  schiffbrüchigen 
stehen,  eng  verbunden  mit  dem  vorangehenden:  „Ich  kenne  mich  in 
der  gefahr  nicht  mehr",  also  eine  weiterführung  dieses  vergessens  sind, 
und  macht  den  seltsamen  fehlschluss:  „Also  hat  er  sich  bis  jetzt  ge- 
schämt, seinen  wahren  seolenzustand  zu  enthüllen,  und  was  er  vorher 
über  seine  Zukunft  gesprochen  hat,  ist  ihm  eingegeben  von  dem  stol- 
zen bestreben,  nicht  allzu  klein  vor  Antonio  zu  scheinen."  Und  auf 
einen  solchen  groben  Schnitzer  sich  stützend,  triumphiert  er:  „Wie 
kann  man,  da  Tasso  dies  eingesteht,  die  vorausgehende  partie  als  Zeug- 
nis für  sein  zukünftiges  leben  ansehen?"  Diese  albernheit  dichtet 
Büchner  dem  Tasso  nur  an!  Mehr  bezeichnet  offenbar  den  gegensatz 
zu  der  zeit,  wo  der  stürm  das  schiff  noch  unversehrt  gelassen,  es  bloss 
auf  und  ab  getrieben  hatte.  Solcher  leichtfertigkeit  ist  alles  möglich. 
Aber  auch  abgesehen  davon,  wer  kann  es  für  möglich  halten,  dass 
Tasso  bei  der  anrede  „0  edler  mann"  (3434)  und  dem,  was  weiter  folgt, 
sich  verstelle;  wer  übersehen,  dass  die  verscheuchung  von  Tassos  Wahn- 
vorstellung durch  Antonios  benehmen  auf  das  treffendste  begründet  ist? 
Bei  der  Schilderung  der  Zertrümmerung  des  schiflfes  schwebt  die  vier- 
zehnte ode  des  ersten  buches  des  Horaz,  die  berühmte  allegorie  des 
Staates  als  schiff,  unverkeimbar  vor.  Aber  der  von  der  äussersten  Ver- 
zweiflung hingerissene  erkennt  jetzt,  dass  ihm  in  aller  not  ein  edler 
Ereund  in  dem  geblieben  ist,  den  er  für  seinen  grimmigsten  feind 
hielt  So  tritt  er  denn  zu  diesem,  der  ihn  mit  teilnehmendster  rührung 
anblickt,  und  bietet  ihm  die  band  mit  dem  vollsten  vertrauen,  dass  er 
sein  zuverlässiger  freund  sei.  Freilich  sollte  auch  nach  3450  ein  ge- 
dankenstrich  als  Vertretung  der  scenarischen  bemerkung  stehen;  aber 
auch  sonst  fehlen  mehrfach  die  notwendigen  scenarischen  bemerkungen 
oder  die  sie  ersetzenden  gedankenstriche.  Vermissen  wir  ja  auch  am 
ende  von  II,  4  jede  andeutung,  dass  Tasso  das  wirklich  tut,  was  er 
sagt,  dass  er  den  degen  und  darauf  den  kränz  über  diesen  zur  erde 
legt;  ja  die  wirklich  am  Schlüsse  stehende,  darauf  wenigstens  rücksicht 
nehmende  auweisung:    „Auf  des  füi*sten  wink  hebt  ein  page  den  degen 

5* 


68  DüirrzKB 

mit  dem  kränze  auf  und  trägt  ihn  weg^  hat  Goethe  erst  nachgetragen. 
Wenn  der  dichter  sagt,  er  fasse  Antonio  mit  beiden  händen  an,  so 
schwebt  ihm  schon  das  in  den  beiden  folgenden  versen  ausgeführte 
bild  des  auf  einen  feisen  sich  rettenden  schiffbrüchigen  vor.  Hier  ist 
nicht,  wie  eben,  von  einem  auf  offenem  meere  zerstörten  schiffe,  son- 
dern vom  scheitern  an  klippen  die  rede.  So  (3452)  gehört  der  ver- 
gleichung  an,  da  der  dichter,  statt  mit  wie  anzuknüpfen,  einen  neuen 
satz  anhebt;  es  ist  keineswegs  mit  fest  zu  verbinden.  Den  eigent- 
lichen vergleich  ungspunkt  bildet  die  hoffnung  auf  sichere  rettung.  In 
Antonio  erwartet  Tasso  mit  solcher  Sicherheit  seine  rettung  wie  der 
.schiffbrüchige  von  dem  ihm  festen  boden  bietenden  feisen.  Der  fels, 
an  den  der  schiffbrüchige  sich  anklammert,  statt  sich  vom  meere  ver- 
schlingen zu  lassen,  ist  seine  rettung.  Die  allemeueste  deutung  des 
„Tasso^  fasst  das  anklammern  an  den  feisen  gar  als  ein  „stürzen  ins 
Schwert!^  So  schliesst  denn  das  stück  mit  Tassos  Überzeugung,  dass 
er  in  Antonio  seinen  retter,  seinen  ihm  treu  zur  seite  stehenden  freund 
gewonnen  habe.  Alle  versuche,  welche  man  macht,  die  dauernde  Ver- 
bindung Tassos  mit  Antonio  als  unmöglich  nachzuweisen,  sind  nichtig. 
Tasso  ist  geheilt,  freilich  auf  rauhe  weise,  durch  den  rauhen  Anto- 
nio (1694),  während  Alphons  die  schuld  des  rauhen  arztes  nicht  hatte 
auf  sich  laden  wollen  (338  fg.).  Einen  zweifei  des  Zuschauers,  ob  Tasso 
nicht  wider  in  seinen  wahn  zurückfallen  werde,  lässt  die  rührung  nicht 
aufkommen. 

Eine  äusserst  seltsame  deutung  hat  Louis  Lewes  eben  in  seiner 
Schrift  ^Goethes  f rauengestalten "  von  Tassos  schlussrede  gegeben. 
Über  Tas.sos  zukunft  urteilt  er:  „Das  bittere  geschick,  welches  ihn 
zerschmetternd  getroffen  hat,  wird  freilich  in  zukunft  eine  unversieg- 
lich  sprudelnde  ([iielle  für  seine  lieder  sein,  und  die  poesie  wird  zwar 
immer  wider  die  alten  wunden  aufs  neue  aufreissen,  aber  auch  immer 
wider  heilenden,  lindernden  baisam  auf  dieselben  träufeln.**  Die  schluss- 
stelle  soll  nach  ihm  über  den  eigentlichen  Schlusspunkt  hinausgehen 
und  beides  in  dcT  zukunft  zeigen,  Tasso  also  gleichsam  der  seher  sei- 
ner eigenen  zukunft  sein.  Der  anfang  bis  3445  sei  mit  einem  tiefen, 
aber  ruhig  gefassten,  besinnungsvollcn  schmerz  gesprochen  zu  denken; 
derselbe  ton  solle  in  diesen  Worten  angeschlagen  werden,  welcher  in 
Zukunft  der  bloihcjnde  für  den  dichter  Tasso  sei.  In  den  letzten  acht 
versen  breche  allerdings  die  leidenschaft  hervor,  sie  beweise  aber  nur, 
wie  mit  jenem  poetisch  verklärten  schmerze  auch  das  unmittelbar  in 
der  erinnerung  sich  erneuernde  wideraufleben  desselben  abwechseln 
werde  und  doch  zugleich  für  solche  augenblicke  die  freundschaft  An- 


DKR  A.U8QANG  VON   GOETHES  TASSO  69 

tonlos,  die  hilfe  desselben  und  dadurch  die  rückkehr  zu  jener  poeti- 
schen erhebung  und  Verklärung  des  schraerzes  gesichert  sei.  Und  so 
fehle  denn  auch  nicht  der  trost  einer  echt  tragischen  erhebuug,  wenn 
sie  auch  gegen  den  schmerz  in  den  hintergrund  trete.  Bei  dieser 
phantastischen  deutung  sind  der  offenbare  dramatische  fortschritt  und 
der  wirkliche  gehalt  der  stelle  geradezu  verflüchtigt.  Das  drama  bedarf 
eines  wirklichen  abschlusses,  und  dieser  ist  hier  yortreiflich  gelungen, 
wenn  man  ihn  nur  recht  verstehen  will.  Die  gangbare  art  der  auf- 
fassung  unserer  klassischen  dichtungen  leidet  daran,  dass  man  auf 
kosten  der  dichter  geistreich  zu  sein  trachtet,  unbekümmert  um  das 
Verständnis  aller  einzelnen  stellen  und  sorgfältige  beachtung  der  leitung 
des  ganges  der  handlung,  woraus  allein  die  vollkommene  einsieht  in 
das  ganze  gewonnen  wird. 

„Tasso"  ist  kein  marionettenspiel,  in  dem  die  laune  ihre  wunder- 
lichen Sprünge  macht,  sondern  alles  entwickelt  sich  nach  dem  ausge- 
prägten Charakter  der  hauptperson  und  den  gesetzen  menschlichen  den- 
kens,  fühlens  und  handelns  in  lebendigem  fortschritte.  Tassos  heilung 
ist  das  ziel  der  handlung;  die  Unmöglichkeit  derselben  darzustellen, 
ziemte  kaum  dem  komiker.  Büchner  versichert  ernstlich:  wer  an  einen 
düstem  ausgang,  dass  Tasso  in  der  krankenstube  bleiben  müsse,  nicht 
glauben  wolle,  der  verkenne  Goethes  behandlung  geschichtlicher  stoffe, 
die  wesentlich  der  Überlieferung  folge;  der  erdgeruch,  der  seine  ge- 
sammten  dichtungen  durchwehe  (? !) ,  mache  sich  in  seinen  dramen  dop- 
pelt geltend.  Stärker  kann  man  die  Wahrheit  nicht  verletzen.  Tatsäch- 
lich ändert  unser  dichter  regelmässig  sogar  den  ausgang,  gestaltet 
diesen  entsprechend  dem  Charakter  und  den  Verhältnissen,  die  er  seinem 
helden  gibt  Büchner  stützt  sich  auf  „Götz"  und  „Egmont**,  als  ob 
diese  für  die  in  seiner  reifen  zeit  geschaffenen  meisterwerke  irgend 
zeugen  könnten!  Aber  auch  sie  beweisen  das  gerade  gegenteil.  Den 
Götz  lässt  Goethe  zu  Heilbronn  im  gefangnis  sterben  in  folge  seiner 
Verwundung  und  des  schmerzes  über  sein  eigenes  und  des  Vaterlandes 
Unglück,  in  dem  feigheit  und  treulosigkeit  herrschen.  In  Wirklichkeit 
fährte  er  noch  viele  jähre  auf  seiner  bürg  ein  tatenloses  leben!  Wie 
wesentlich  Goethe  sonst  die  handlung  verändert,  liegt  vor  aller  augon. 
Egmont  stirbt  freilich  wie  in  der  geschieh te  auf  dem  schaffet,  aber  als 
mutiger  held,  in  der  Überzeugung,  dass  der  schmähliche  wortbruch 
und  sein  opfertod  die  tyrannen  stürzen  und  sein  volk  befreien  werden; 
während  er  in  Wirklichkeit  ganz  gebrochen  war  durch  sein  Schicksal, 
nicht  um  das  Vaterland,  sondern  bloss  um  frau  und  kinder  bekümmert 
war,   weshalb  er  untertänig  gegen  den  feigen  tyrannen  war,   der  ihn 


70  DÜNTZBR 

mordete,  um  die  freiheit  zu  unterdrücken.  Büchner  muss  dieses  nicht 
wissen,  er  muss  die  vielen  andern  Umgestaltungen  nicht  kennen,  nichts 
von  .  Schillers  berühmter  beurteilung  gehört  haben,  die  dem  dichter 
seine  Verletzung  der  geschichtlichen  Wahrheit  scharf  als  verderbung  vor- 
rechnete! Goethe  hat  alle  geschichtlichen  stoffe  frei  umgestaltet,  immer 
erst  aus  der  geschichte  eine  dichterische  fabel  gebildet  Laut  sprechende 
zeugen  sind  „IphigQnie",  „Fausf*,  „Die  natürliche  tochter**,  „Der  ewige 
Jude",  der  beabsichtigte  „Wilhelm  Teil".  Und  angesichts  dieser  unleug- 
baren tatsache  soll  Goethe  nicht  gewagt  haben,  Tasso  durch  seinen 
wirklichen  grossen  verlust  und  Antonios  schöne  menschlichkeit  genesen 
zu  lassen!  Büchners  Tasso  wirft  sich  als  unheilbarer  kranker  Antonio 
in  die  arme,  eine  torheit,  die,  nebenbei  bemerkt,  doch  auch  eine  ab- 
wcichung  von  der  Überlieferung  wäre.  Ja  wir  werden  belehrt,  Goethes 
dramen  könnten  uns  sittlich  nicht  befriedigen,  weil  er  zu  sehr  der 
geschichte  folge,  die  er  in  ein  Prokrustesbett  spanne.  Goethes  Tasso 
ein  Prokrustesbett  ist  wirklich  ein  ganz  einziger  gedanke!  Jeder  dra- 
matiker  ist  gezwungen,  sich  auf  einen  geringen  räum  zu  beschränken; 
dies  mit  geschick,  ohne  Verzerrung  zu  tun,  ist  die  aufgäbe  des  drama- 
tischen plans,  und  im  entwerfen  dessolbori  ist  Goethe  unzweifelhaft 
nicht  weniger  glücklich  als  Schiller,  wenn  beide  auch  im  einzelnen 
Verschiedenheiten  zeigen,  wie  jeder  von  ihnen  der  eigenheit  des  Stoffes 
sein  verfahren  ani)assen  musste.  Wer  solche  allgemeine  sätze  aufstel- 
sen  will,  sollte  durch  allergenaueste  kenntnis  der  sache  sich  die  berech- 
tigung  dazu  erworben  haben. 

Ebenso  nichtig  ist  der  beweis,  Goethe  habe  im  stücke  selbst 
andeutungen  gegeben,  dass  Tasso  nie  zur  ruhe  kommen  werde.  Als 
ob  der  dichter  überhau])t  andeutungen  dieser  art  durch  eine  seiner  per- 
sonen  zu  geben  vermöchte,  wie  es  nur  in  einem  prolog  oder  einem 
chor  allenfalls  geschehen  könnte!  Keine  der  handelnden  personen  darf 
darauf  anspruch  maclien,  dass  sie  die  Zukunft  sicher  erkenne,  wie  ja 
selbst  der  kluge  Antonio  in  seiner  behandlung  Tassos  in  den  vier  ersten 
akten  ganz  irre  geht.  Auch  wären  >;olche  hindeutungen  an  sich  undra- 
matisch. Der  dichter  hat  uns  bloss  die  handlung  anschaulich  zu  ver- 
gegenwärtigen. Büchners  nachweise  sind  geradezu  ergötzlich.  Wenn 
Alphons  V,  2  Tasso  wolmeinend  rät,  nicht  durch  zu  strengen  fleiss  und 
zu  grosse  rücksicht  auf  die  stimmen  anderer  seine  dichtung  zu  vorder- 
ben, so  soll  dies  darauf  deuten,  dass  dieser  wirklich  in  Rom  durch  die 
erinnerungen  der  kritiker  in  vci-zweiflung  geraten  werde!  Die  düstei-e 
Schwermut,  die  ihm  V,  4  auf  der  prinzessin  erinnerung  an  den  noch 
auf  ihm  ruhenden  bann  einredet,    in  keiner   Unternehmung  werde  er 


DER    AUSGANG   VON   GOETHES   TASSO  71 

glück  haben,  nie  sich  der  höchsten  Vollendung  seines  gedichtes  freuen, 
müsse  die  Wahrheit  sprechen!!  Wenn  er  unmittelbar  darauf  sich  im 
hirten-  oder  pilgerkleide  nach  Neapel  fliehen,  mit  wildem  haar,  ver- 
düstert, von  staunenden  knaben  umringt,  das  haus  seiner  Schwester 
in  Sorrent  betreten  sieht,  so  ruft  Büchner  jubelnd  aus:  „Wer  kann  im 
ernst  bestreiten,  dass  Goethe  Tasso  diese  Prophezeiungen  (?)  in  den  mund 
legt,  um  auf  sein  späteres  Schicksal  hinzuweisen?"  Mit  demselben 
unrecht  würde  man  behaupten,  dass  Leonorens  wort  von  Tasso  und 
Antonio  (III,  2)  in  erfüUung  gehen  müsse: 

Dann  stünden  sie  für  einen  mann  und  gingen 
Mit  macht  und  glück  und  lust  durchs  leben  hin. 

Der  dramatiker  soll  nicht  im  gange  der  handlung  auf  die  zukunft  hin- 
deuten, wenn  dies  nicht  etwa  durch  die  hanllung  selbst  geboten  wird; 
aber  am  Schlüsse  muss  er  eine  lösung  geben,  die  uns  einen  blick  in 
die  Zukunft  gestattet.  Durch  den  bittersten  verlust  ist  Tasso  von  der 
schwärmerischen  leidenschaftlichkeit,  die  ihn  die  weit  verkennen  Hess, 
geheilt  und  hat  an  dem  als  todfeind  gehassten  Antonio  einen  freund 
und  sicheren  halt  gewonnen;  die  holde  gäbe  der  dichtung  ist  ihm  ge- 
blieben und  sein  verdüsterter  geist  verklärt.     Er  ist  geheilt,  gerettet! 

KÖLN.  H.    DÜNTZER. 


ZU   DEN   KINDER-   UND   HAUSMÄECHEN    DEE 

GEBRÜDER  GRIMM. 

In  nr.  152  der  grossen  ausgäbe  erwidert  „das  hirtenbüblein"  auf 
seine  frage  „Wie  viele  Sekunden  hat  die  ewigkeit?"  dem  könige:  „In 
Hinterpommern  liegt  der  deraantberg;  der  hat  eine  stunde  in  die  höhe, 
eine  stunde  in  diebreite  und  eine  stunde  in  die  tiefe;  „dahin  kommt 
alle  hundert  jähr  ein  vögelein  und  wetzt  sein  schnäblein 
daran,  und  wenn  der  ganze  berg  abgewetzt  ist,  dann  ist  die 
erste  Sekunde  von  der  ewigkeit  vorbei.''  Im  3.  (erläuterungs-) 
bände,  3.  aufl.  s.  256,  wo  W.  Grimm  auch  zu  diesem  märchen  zahlreiche 
parallelstellen  aus  andern  erzählungen  nachgewiesen  hat,  findet  sich 
für  die  obige  bildliche  bezeichnung  einer  undenklich  langen  Zeitdauer 
kein  beleg.  Ähnlich  ist  der  gedanke  im  2.  bände  von  „Des  knaben 
wunderhorn"  (neudruck  der  ausgäbe  von  1806  — 1808)  in  Meyers  Volks- 
büchern nr.  1046—1050,  s.  190: 


72  Zü  GBIMMS  XIMDXS-   UND  HAÜSBIÄBCHKN.    —   Zu  JOHANN  RiSSEB 

„Wenn  berg  und  thal  aufeinander  stand', 

Viel  lieber  wollt'  ich  sie  tragen, 

Als  das  ichs  soll  stehen  vor  dem  jüngsten  gericht, 

Soll  all  meine  sünden  beklagen, 

„Und  kam'  alle  jähr'  ein  vögelein, 

Und  nahm  nur  ein  schnäblein  voll  erden, 

So  wollt  ich  doch  die  hoffnung  haben, 

Dass  ich  könnt'  selig  werden.** 

NOBTHEQl.  R.    SPRENGER. 


ZU  JOHANN  EASSER 


In  dieser  Zeitschrift  XXVI,  480  hat  G.  Binz  über  ein  aus  alten 
bücherdeckeln  von  ihm  zusammengestelltes  exemplar  von  J.  Rassers 
„Spil  von  kinderzucht**  (Strassburg  1574)  berichtet.  Da  dasselbe 
aber  verschiedene  lücken  aufweist,  so  mache  ich  darauf  aufmerksam, 
dass  weitere  exemplare  auf  den  öffentlichen  bibliotheken  zu  Dresden 
und  Wolfenbüttel  vorhanden  sind.  Auch  Merklen  (Histoire  de  la  ville 
d'Ensisheim  2,  191.  1841)  wird  das  stück  gesehen  haben.  Binz  hätte 
noch  bemerken  können,  dass  Rasser  seine  fabel  von  dem  ungeratenen 
Aleator  und  dem  wolgeratenen  Hänslein  ebenso  wie  fünf  jähre  später 
der  Oltener  dramatiker  Schertweg  seinen  Bigandus  aus  Jörg  Wickrams 
Knabenspiegel  (vgl.  Spengler,  Der  verlorene  söhn  im  drama  des 
16.  Jahrhunderts  1888  s.  126)  geschöpft  hat 

Zu  Martins  artikel  über  Rasser  in  der  Allgemeinen  deutschen 
biographie  notiere  ich,  dass  das  titelbild  von  Rassers  zweiter  komödie 
„vom  könig,  der  seinem  söhn  hochzeit  machte"  (1575)  von  C.  Oerdel 
(Über  die  pflege  des  dramas  auf  deutschen  gelehrtenschulen.  Tübinger 
dissertation  1870,  tafel  1)  reproduciert  ist  Ebendort  s.  75  —  89  steht 
auch  ein  auszug  aus  Baumgartens  Juditium  Salomonis  (1561)» 
der  W.  Kawerau  (Vierteljahrsschrift  für  litteraturgeschichte  6,  1)  ent- 
gangen ist 

BERLIN.  J.   BOLTE. 


WOLFTf   RUDOLF  HILDEBRAND  73 

Bndolf  Hildebrand.  ^ 

Sonntag  den  28.  Oktober  1894  starb  in  Leipzig  Rudolf  Hildebrand.  Sein 
tod  kam  nicht  unerwartet:  seit  jähren  war  der  nunmehr  dahingeschiedene  an  die 
krankenstube  gefesselt  —  und  doch  hat  er  rastlos  bis  zum  letzten  tage  für  die  Wis- 
senschaft gewirkt;  so  reisst  sein  tod  eine  klaffende  lücke  in  unsere  reihen.  Fürwahr 
ein  schöner  tod!  Fast  wie  ein  feldherr  auf  dem  schlachtfelde  ist  meister  Hildebrand 
verschieden:  noch  Sonnabend  revidierte  erden  jetzt Ztschr. f. d. a. 39,  1 — 8  abgedruck- 
ten aufsatz  über  Spervogel  und  schrieb  an  einem  aufsatze  über  ^  wache  stehn  und 
dergleichen"  —  mitten  in  der  arbeit  musste  er  abbrechen;  schmerzlos  ist  er  in  der 
nacht  verschieden.  Die  schöne  feier  des  tages,  an  dem  er  das  siebente  Jahrzehnt 
vollendete,  hatte  er  noch  erlebt  und,  tiefgerührt  von  allen  ihm  dargebrachten  zeichen 
der  liebe,  des  dankes  und  der  Verehrung,  es  aussprechen  dürfen,  dass  er  sich  wie 
auf  dem  höhepunkte  seines  erdenlebens  fühle.  Köstlichere  freude  konnte  ihm  nicht 
mehr  zu  teil  werden.    So  klagen  wir  auch  nicht. 

„Völlig  vollendet 
Liegt  der  ruhende  greis,  der  sterblichen  herrliches  muster.** 
Hildebrands  leben  ist  ganz  mit  Leipzig  verknüpft.  Dort  wurde  Heinrich  Ru- 
dolf Hildebrand  sonntag  den  13.  märz  1824  als  söhn  eines  Schriftsetzers  geboren. 
Wie  der  vater  eifrig  bemüht  blieb,  sich  selbst  fortzubilden,  so  sorgte  er  auch  für 
des  sohnes  erziehung  in  aufopferungsvollster  weise.  Zuerst  besuchte  Rudolf  eino 
privatschule;  1836  kam  er  auf  die  Thomasschule,  zu  der  er  spöter  durchgebildet  als 
lehrer  zurückkehren  sollte.  Schon  als  quartaner  gefiel  er  sich  in  dem  wachen  träume, 
wie  er  einst  ein  deutsches  Wörterbuch  schreiben  wolle!  Von  1843  bis  1848  studierte 
er  an  der  Universität  seiner  Vaterstadt  —  anfangs  theologie,  bald  philologie,  die  klas- 
sische und  in  zunehmendem  masse  die  deutsche.  £ng  schloss  or  sich  hierbei  an 
Moriz  Haupt  an.  Wenige  monate  nach  bestandenem  statsexamen  beginnt  Hildebrands 
lehrtätigkeit  an  der  anstalt,  der  er  seine  Vorbildung  für  die  akademischen  Studien 
verdankte.  Bis  1869,  volle  zwanzig  jähre,  ist  er  der  Thomasschule  treu  geblieben; 
dann  übernahm  er  eine  professur  an  der  Universität 

Nicht  eigentlich  das  akademische  lehramt  rief  ihn  ab:   sollte  dieses  doch  zu- 
nächst nur  die  müsse  zur  arbeit  an  einem  gross  angelegten  wissenschaftlichen  unter- 
nehmen gewähren.    Von  anfang  an  war  unserm  Hildebrand  auf  Haupts  empfehlung 
die  korrektur  des  Deutschen  Wörterbuches  übertragen,  welches  die  brüder  Grimm 
seit  1852  herausgaben.    In  seiner  zaghaft  bescheidenen  weise  bat  er  über  der  kor- 
rektur,  hie  und  da  ergänzende  Zusätze  vorlegen  zu  dürfen.    Hierbei  bekundete  er 
alsbald  eine   solche  fähigkeit  zur  mitarbeit,    dass  ihm   zunächst   die  unumschränkte 
eriaubnis   zu   eigenmächtigen    Zusätzen  erteilt,    später  die   bearbeitung  des  buchsta- 
ben  K  übertragen  ward.    Jakob  Grimm  hatte  schon  in  der  vorrede  des  ersten  bandes 
sp.  LXVn  Hildebrands  ungemeine  Sachkenntnis  und  neigung  zur  deutschen  spräche 
gerühmt,   in  der  des  zweiten  (1860)  sp.  VI  ihm  volle  befähigung  zur  mitarbeit  zuer- 
kannt   Nachdem  Jakob  Grimm   1863  gestorben  war,   gewährte  schon   1865  der  rat 
der  Stadt  Leipzig  dem  fortsetzer  des  grossen  nationalwerkes  eine  wesentliche  erleich- 
tenmg  durch  die  eriaubnis,  dass  Hildebrand  auf  drei  jähre  nur  acht  stunden  wöchent- 
lich zu  unterrichten  brauche.    Noch  vor  ablauf  dieser  frist  veranlasste  Julius  Zacher 

1)  Durch  aoskonft  habon   den  Verfasser  zu  dank  verpflichtet  die  henren  Oberlehrer  dr.  Rudolf 
Bildebnmd,   prof.  dr.  Friedrich  Vogt  und  privatdocent  dr.  Georg  Witkowski.   —   Vgl.  namentlich  auch 
üe  nekrologe   in  der  „Zeitschrift  ftlr  den  deutschen  Unterricht",    band  IX,  s.  1  fgg.  (Otto  Lyon);    in 
iflr  tfl^pziger  zeitong"  vom  3.  nov.  1894  abends  und  im  „Leipziger  tageblatt''  vom  4.  nov.  1894. 


74  WOLFF 

in  der  deutsch -romanischon  abteilung  der  philologeu  -  Versammlung  zu  Halle  1867 
einen  beschluss,  die  so  eben  verheissuugsvoll  gestiftete  nationale  gemeiuschaft,  den 
Norddeutschen  bund,  um  Unterstützung  des  nationalen  Unternehmens  anzugehen. 
Die  folge  davon  war,  dass  die  sächsische  regierung  Uildebrand  1869  zum  ausser- 
ordentlichen Professor  der  ^neueren  deutschen  litteratur  und  spräche*  ernannte,  wie 
die  hessische  in  ähnlicher  weise  für  seinen  mitarbeiter  Karl  Weigand  in  Oiessen  sorgte. 
Fünf  jähre  später  wurde  Hildebrands  professur  in  ein  Ordinariat  verwandelt  Inzwi- 
schen hatte  er  1873  die  bearbeitung  des  Imchtaben  A' vollendet  und  die  des  G  begon- 
nen. Wenn  die  arbeit  nur  langsam  vorrückte,  wenn  es  Hildebrand,  auch  bei  si»äterer 
Unterstützung  durch  einen  hilfsarbeiter,  nur  vergönnt  war,  in  der  ausarbeitung  bis 
zum  artikel  ,  Gestade'^  *  zu  gelan^^n ,  so  liegt  der  grund  nicht  nur  in  dem  langen  Siech- 
tum des  In^arbeiters  und  nicht  nur  in  der  äussern  fülle,  die  das  G  (schon  wegen  der 
Zusammensetzungen  mit  e/r-)  umfasst.  sondern  vor  allem  auch  in  der  innem  fülle, 
die  ein  st^hier  unerschöpflicher  reichtum  an  wissen  und  feinheit  hier  ausbreitete. 

Auch  Hildebrands  arl>eit  an  den  s|>äteren  auflagen  (seit  der  2.)  vonWeiskes  ausgäbe 
des  ^Sai'hsenspiegel"  Wrührte  sich  wesentlich  mit  seiner  tntigkeit  als  wortforscher:  im 
glossar  konnte  er  die  entstehung  vieler  werter  aus  alten  rechtszuständen  verfolgen. 
Anderseits  bekundet  seine  fortsetzuug  von  Soltaus  Sammlung  ..Historischer  volksb'e- 
der~  (IS56)  seinen  eifer  und  sein  feinsinniges  Verständnis  für  volksmässige  poesie. 

Xelvn  der  arbeit  am  Deutschen  wörterbuche  ciensr  fortlaufend  die  akademische 
lehrtätigkeit  her.  Si*hon  als  gymnasi-illehrer,  als  lehrer  der  Thomasschule  hatte  Hil- 
debrand ein  privatissimum  für  geistig  rege  primaner  und  Sekundaner  abgehalten:  vor- 
wiegend brachte  er  hier  altdeutsche  dichter  zur  lesung  und  erläuterung.  An  der 
Universität  lehrte  er  in  vorie<uni^?n  und  übuniiren  über  das  Volkslied,  über  Walther 
und  die  minnesänger,  über  das  Nibelungenlied,  die  Oudnm.  den  Sachsenspiegd, 
Wickrams  RoUwagenbüohlein ,  besonders  auch  über  Goethe  und  die  btteratur  des 
IS.  Jahrhunderts  u.  a.  Auch  sonst  besprach  Hildebrand  alleriei  wissenschaftliohe  fra- 
gen mit  den  mitgliedem  seines  kränzchens  auf  gemeinsamen  S{>aziergjingen  in  der 
ihm  oip^neu  gemütvollen  und  izemütliohec  weise.  Die  langwierige  krankheit  n*T4igte 
ihn  in  den  letiten  Jahnen  seine  lehrt:itigkeit  auf  ein  privatis;?imum  einzoschräüiken, 
das  er  mit  um  so  eindringlicherer  Wirkung  in  seiner  w^hnung  abhielt. 

Hildebranis  familionleKm  war  ü^sejniet.  Er  fand  eine  vei^tändnisvolle  fraii. 
mit  dt-r  er21  j;ihTv  ilSv'»3— 7-1^  in  jrlüoklichster  ehe  lebte,  Xai.-h  dem  tode  der  lebens- 
gvfähnis  MieK»r.  ihm  rwei  söhne  ur.i  iwe:  t^vhter  zurück,  von  denen  er  eine  uvhter 
bis  an  s»f:n  lobecserio  im  h.tu<o  Ivhio!:,  so  ias5?  er  ivr  treu  sorcenden  hari  nie  est- 
behrte.  Wenig»^  ;Ahri»  \or  sric»^m  t-iv  traf  H:I:*:rriLi  n:itteü  in  seic^a  s:-?».H 
eis  s.'hwtr:*r  seh!**:  i::r.:.  -ier.  ic  p-:<*r^-:r.!-.ti  h:.irj  srlfcsve wählten  t<>i  seia^:?:? 
stei:  hv  *i:u^i>vv^lU^c  sohr.-:"^.  Nur.  ist  ier  =ir*'>rer  >r!'>:  v.::  :ils  geschie-iee.  :irpi  wir 
bli:ies  c?.::  wehn-.utii^r  iinkKirk-'it  fuf  i:o  rei^r.-?::  fri :!:■?.  die  sein  wiri-ü  in 
ü=5>*rtr  wiss^L-TiSr-h:!?!  ur.i  :;::>••  rr.  I-"!«-r  i:  r-itlr:  hit. 

X::  w.o  w,:vr.i  :':.ke  K:::'.:"  Hi-ie-^rur:  f^ir:?  r-itir'-r-.t  an:  DeutscLrc  wör- 

w-^>t,*  — <.•"-«*•'■-"- .*••    ■••-.■•    ..*•.-■.,*,...    *,,;_...•..--•       *  v#" .»  -     "■ '.  *     »-i '.-"•-- -  '..'-TM    4p^"^'~äia» 

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BUDOLF   HILDKBRAND  75 

dieses  grössten  meisters  unserer  Wissenschaft,  ja  vielleicht  noch  in  weiterem  umfange 
gilt  für  Hildebrand  das  Wörterbuch  auch  als  stiller  mitarbeiter  zum  begreifen  unse- 
rer Vorzeit  wie  unserer  eigenen  gedankenweit.  Die  goschichto  fast  jedes  wertes  wird 
ihm  ein  beitrag  zur  inneren  gescbichte  unseres  kulturlebens ,  ein  Spiegel  der  entwick- 
loDg  unseres  Volkes.  So  betrachtet  Hildebrand  den  wortvorrat  der  deutschen  spräche 
im  höchsten  und  vollsten  sinne  als  nationalschatz.  Wol  lässt  er  dabei  als  getreuer 
Eckart  nicht  ausser  acht,  dass  andre  Völker  meist  dann  erst  in  solchem  umfange  ihre 
geschichte  zu  schreiben  begannen,  wenn  sie  sich  anschickten,  mit  ihrem  leben  abzu- 
schliessen.  Uns  aber  soll  vielmehr  nach  seiner  meinung  der  blick  in  den  Spiegel 
unserer  entwicklung  bald  zur  anfeuerung,  bald  zur  heilung  dienen.  Das  kann  frei- 
lich nur  geschehen,  wenn  die  Wissenschaft  zum  leben  hinstrebt,  nicht  aber,  wenn  sie 
in  Selbstgenügsamkeit  verknöchert. 

Als  denkmäler  und  Zeugnisse  der  kulturentwicklung,    gleichsam  als  abdrücke 
oder  abspicgelungen  vergangener,   aber  noch  fortwirkender  Sitten  und  zustände  sind 
die  Wörter  für  Hildebrand  in  erster  linie  von  interesse.     „Wie  die  spräche  altes  leben 
fortführt^,   lautet  eines  seiner  lieblingsthemata.    Mit  umfassender  gelehrsamkeit  und 
eindringender  sachkentnis  liebt  er  es  nachzuweisen,  wie  viele  Wörter  und  Wendungen 
ein  stück  alter  sitten  und  anschauungen  vor  unsem  blick   zaubern.     Indem  er  die 
redewendungen  bis  auf  ihren  Ursprung  zurück  zuverfolgen  sucht,  greift  er  gern  in  die 
deutschen  rechtsanschauungen  und  -gebrauche  sowie  in  die  sitten  und  gebrauche  des 
Volkslebens  hinein;  das  familienloben  wie  die  öffentlichen  einrichtungen  zieht  er  heran ; 
bald  holt  er  aus  dem  ritterwesen  und  dessen  kampfspielen,    bald  aus  kinderspielen 
aofklärung  über  den  eigentlichen  sinn  unserer  rede.    So  verstand  Hildebrand  meister- 
haft,   uns  gleichzeitig  unsere  spräche  und  unsere  Vergangenheit  lebendig  zu  machen; 
so  strebte  er  die  „freie,    fröhliche  innere  anschauung**  anzuregen,    ein  gegenständ- 
liches,   ein  sach- denken  im  gegensatz  zum  bloss  logischen  oder  wort- denken  auszu- 
bilden.   Hier  wusste  er  sich  ganz  auf  Goethes  bahnen;   er  selbst  vorweist   in   der 
vorrede  zum  V.  bände  auf  dessen  werte  50,  93  fg.  (Hompel  27,  1,  351  fg.).     Mochte 
auch  das  eifrige  spüren  nach  zusammenhängen  und  anknüpfungspunkten  hie  und  da 
zu  voreiligen  hypothesen  führen,   so  besass  doch  Hildebrand  zu  strenge  philologische 
Schulung,   um  sich  nicht  der  uferlosen  phantasieflut  mancher  sprachvergleicher  ent- 
gegenzustemmen.    Sehr  verständig  betonte  er,    dass  es  nicht  die  aufgäbe  des  Wörter- 
buches sein  könne,    ein  wort  über  seine  erste  fest  nachweisbare  form  hinaus  zu  ver- 
folgen,   um  durch  kombinatiori  und  ansetzen   hypothetischer  formen  zu  einer  älteren, 
möglichst  urgeboren  anmutenden  wurzel    zurückzuschreiten.     Desto  entscheidenderes 
gewicht  legte  Hildebrand  auf  entwicklung  des  begriffs  vom  greifbaren  auftreten  bi,s 
zum    heutigen    gebrauche;    auf   entwicklung,    wie    besonders    betont    werden    darf: 
denn  nicht  bloss  auf  statistische  anoinanderreihung  der  wechselnden  gebrauch s weisen 
geht  er  aus,  sondern  er  schreibt  eine  innere  geschichte  des  wertes  und  des  begriffes. 
So  nehmen  manche  artikol  den  umfang  einer  kleinen  abhandlung,    unter  umständen 
selbst  einer  grossen  abhandlung  an;  über  Geist  z.  b.  wird  auf  118  spalten  gehandelt. 
Vielleicht  ist  bisweilen  zu  viel  differenziert,  wo  das  gespannte  feingefühl  unterschiede 
zu  empfinden  glaubte,    die  doch  im  wesentlichen  auf  denselben  grundtypus  Linaus- 
kommen.    Dafür  erhalten   wir  an  der  band  eines  wertes  aber  auch  meist  eine  tief- 
greifende  und    voll    ausschöpfende    scelengeschichte   des   deutschen  volkos,    die  nir- 
gends ihres  gleichen  hat.     Dies  zeigt  besonders  die   meisterhaft   behandelte  gruppe 
"Pr  Wörter  gedanke,  geist,  gemüty  genie,  aus  der  allein  schon  die  epochen  und  wen- 
^üDgen  des  deutschen  gefühlslebens  klar  heraustreten!    Mit  verliebe  und  mit  vollem 


76  WOLFF 

rechte  lässt  er  scharf  den  Umschwung  hervortreten,  der  in  der  deutschen  Volksseele 
Cim  die  mitte  des  18.  Jahrhunderts  vor  sich  gieng:  die  verinnerlichung  und  vertiefuDg 
gelangen  zu  kongenialer  nachzeichnung,  und  auch  das  allmähliche  eintreten  des  aber- 
Schwangs  und  der  verstiegonheit  wird  an  der  wortgeschichte  kenntlich  gemacht  Es 
gehört  zu  Hildebrands  eigenartigsten  Verdiensten,  aufgewiesen  zu  haben,  wie  die 
empfind ungsfnlle  der  genie - i)eriode  bis  auf  Geliert  zurückgeht;  von  ,, Sentimentalität*^, 
von  ,,stunn  und  drang**  wollte  er  da  nichts  hören,  ganz  erfüllt  war  er  von  pietät- 
vollem danke  für  die  positive,  schöpferische  gewalt,  die  sich  in  jener  Überwindung 
des  nüchternen  Verstandes  durch  die  gewalt  des  herzens  offenbarte.  Glücklich  wusste 
er  auch  die  epoche  der  romautik  an  der  ent^icklung  der  begriffe  aufzuweisen.  Einen 
früheren  grossen  abschnitt  unserer  geistesgeschichte  fasst  er  als  unsere  Franzosenzeit 
zusammen,  die  er  bis  weit  ins  18.  Jahrhundert  hinein  datiert.  Im  hinblick  auf  sie 
namentlich  geht  er  von  der  blossen  wortgeschichte  zur  wortkritik  über,  wo  er  findet, 
dass  die  ruhige  entwicklung  eines  deutschen  begriffes,  welcher  der  sache  und  dem 
bewusstsein  nach  längst  vorhanden  war,  von  einem  fremden  eindringling  durchkreuzt 
und  auf  Seitenwege  oder  gar  auf  abwege  gelenkt  ward.  Vom  rein  sprachlichen  boden 
auf  die  gesammte  kultur  ausgreifend,  polemisierte  Hildebrand  ähnlich  gegen  die  soge- 
nannte renaissance:  nicht  eine  widergeburt.  wie  der  name  bedeutet,  sondern  eine 
widererweck ung  des  altertums  fand  statt.  Eine  rechte  widergeburt  sei  nur  aus 
unserer  natur  heraus  möglich  und  freilich  jetzt  vonnöten. 

Gewähren  die  Wörter  so  viel  Stoff  zum  nachdenken  wie  zu  kultur -rückblicken, 
dann  liegt  es  nahe,  sie  zu  solchen  zwecken  methodisch  fruchtbar  zu  machen.  Die 
logik  des  sprachgeistes  soll  die  .. Geistesbildung  nach  dem  innem  zu**  fordern,  zum 
saohdenken  anregen.  Spricht  doch  Hildebrand  als  ziel  des  deutschen  Unterrich- 
tes gleicherweise  aus,  ,dass  jener  Spiegel  der  nation  in  jedem  gebildeten  deutschen 
sich  widerholend  darstelle.''  Daraus  ergibt  sich,  wie  unauflöslich  Wortforschung  nnd 
Sprachunterricht  in  dem  interessonkreise  unseres  mannes  verknüpft  waren.  Sein  lebe- 
lang blieb  er  bemüht,  die  forsohung  und  deren  ergebnisse  auch  der  schule  nutzbar 
zu  machon.  Welche  bedeutung  Hildebrand  dadurch  für  unser  gesammtes  erziehungs- 
wesen  gewonnen,  lässt  sich  schon  aus  jener  schrift  ermessen,  welche  neben  seinen 
(beitragen  zum  Deutschen  wörterbuohe  seineu  namen  vor  allem  in  ehren  lebendig  erhal- 
ten wird:  «Vom  deutschen  spraohuntorrioht  in  der  schule  und  von  deutscher  erzie- 
hung  und  bilduug  ülvrhaupt,  mit  einem  anhang  über  die  fremdwörter  und  einem 
üWr  das  altdeutsche  in  der  sohule-  ^erste  autlage  lSt)7,  zweite  1879,  dritte  1887, 
vierte  ISiK^».  Mit  f»"arTo:for  vertioht  der  Verfasser  hier  folgende  grund-  und  leitsätze: 
1^  «Der  spraohunterrich:  sollte  \v.\i  der  spräche  zudeioh  den  in  halt  der  spräche, 
ihren  lobenscohalt  voll  u::i  frisch  und  warm  erfassen.  •  2»  .IVr  lehrer  des  deut- 
Sieben  S\41te  nichts  lehror..  w,^<  die  sohülor  selbst  aus  sich  finden  können,  viel- 
mehr alles  das  sie  unter  so;!;or  loitiiüg  f.iivion  la>M'K.-  3'  «Das  hauptgewicht  sollte 
auf  die  gesproohene  uiui  cc hörte  spnwho  a^ioct  werden,  nicht  auf  die  geschrie- 
bene und  g^^sohone."  4^  -Das  hv.vhdeut>ch.  ;il<  :w\  des  uaterrivhts,  sollte  nicht  als 
etwas  für  sich  gelehrt  wordt^u  wie  oin  a!Mon^<  latii:!.  sor.iom  im  engsten  anschluss 
an  die  in  der  klasso  v  er::  r.  vi  liehe  v^^lksjsvni.ho  o.ior  h.u;s>iraohe.* 

Im  ein;elr.er.  r.\^.*ht  ll:l.iobr;ir.  i  ::.i:r.;'r:*ivh  d.ArAv,:  aufmerksam,  wie  doch  unser 
panier  spn^obbesi:;  eiicr.:*.:.  \\  ;iv.s  l.r,::i^v  k*.;-.nor.  «^ico"- ::  soh.ifiHjrjakten  entstehe  und 
K*s:ehe:  diese  schopfir.tp^i'^to  ::-.:!i  \\;i!vi:  :r.\  ur.toT-iv:.:  r.inor  aiilriring  des  lehrers  zu 
widerholen.  D.^lvi  ist  >tct.^  a:i  bokH'.ü-.Tos  ;r.:;'.:kr.v.i:Vr. .  bis  sich  w-rn  und  sache  im 
köpfe  dos  s^'hult^rs  voniLiblou      -N.;r  :ehu  so'..:.or  Ä".;j:onbhcke  in  einer  stunde "^  — 


BUDOLF  HILDEBKAND  77 

mft  der  feine  kenner  der  kinderseele  —  ^wo  bleiben  da  leere  und  langeweilel*^  Aber 
er  will  nicht  einmal,  dass  der  lehrer  die  gegenstände  in  die  seele  der  kinder  hinein- 
arbeite, vielmehr  soll  er  sie  hineinspielen  —  in  Schillers  ästhetischem  sinn  des 
b^griffes.  An  das  unmittelbare  leben,  an  die  kindliche  Sphäre  will  er  angeknüpft 
wissen:  die  methode  hat  überall  im  Unterricht  an  die  stelle  des  einseitig  systema- 
tischen Vortrags  zu  treten.  So  soll  denn  also  der  deutsche  Unterricht  nicht  bloss  zum 
logischen,  sondern  zum  begrifflichen  selbstfinden  und  nicht  bloss  zum  selbstfinden, 
sondern  zum  selbstbeobachten  anleiten.  Nimmer  ward  unser  dahingeschiedener  mei- 
ster  müde,  gegen  jenes  rein  gedächtnismässige  wissen  zu  eifern,  das  in  fächern  wol- 
geordnet  ruht,  aber  abstrakt  bleibt.  „Ja,  es  ist  für  eine  frische  zukunft  eine  grosse 
nmkehr  nötig!''  Widerum  berührt  er  sich  eng  mit  Goethe.  —  Man  weiss,  wel- 
chen umfang  der  von  Hildebrand  neu  begonnene  kämpf  gegen  die  Vorherrschaft 
der  geschriebenen  spräche  vor  der  gesprochenen  angenommen  hat  Die  ausartungen 
dieser  bewegung  hat  er  sich  nie  zu  eigen  gemacht  Eng  zusanmien  hieng  mit  die- 
ser rettung  der  mündlichen  rede  seine  fordorung,  dem  hochdeutschen  nicht  eine 
falsche  Vornehmheit,  der  mundart  nichts  schlechtweg  verächtliches  zu  geben.  Ler- 
nen soll  der  schüler  vielmehr  von  seiner  mundart  aus  das  hochdeutsche  und  noch 
vieles  andere. 

Noch  enger  gehen  der  wortforscher  und  der  erzieher  Hildebrand  in  dem 
abschnitte  des  buches  zusammen,  welches  „Vom  bildergehalt  der  spräche  und  sei- 
ner Verwertung  in  der  schule '^  handelt.  Jene  bilder  aus  dem  leben,  die  in  festen 
Wendungen  niedergelegt  sind,  werden  darin  für  den  Unterricht  fruchtbar  zu  machen 
gesucht.  Mit  recht  betont  Hildebrand,  dass  der  überlieferte  verrat  solcher  bildlicher 
redewendungcn  den  eigentlichen  geist,  gehalt  und  reichtum,  das  eigentliche  innerste 
leben  der  spräche  darstelle.  Mit  ihrer  hilfe  müsse  die  schule  wider  eine  deutliche 
anschauung,  eine  gesättigte  bildlichkeit  pflegen;  das  denken  müsse  in  ein  sehen,  ja 
in  ein  bewegen,  ein  mitloben  und  mittun,  ein  nachschaffen  übergehen.  Sehr  fein 
wird  entwickelt,  wie  auch  die  namen  ein  stück  kulturgeschichte  spiegeln. 

Selbst  diefremdwörter,  so  lebhaft  Hildebrand  für  ihre  einschränkung  ficht, 
weiss  er  noch  in  ähnlicher  weise  für  den  Unterricht  fruchtbar  zu  machen.  Denn 
natürlich  bewahrt  ihn  seine  sprachgeschichtliche  bildung  bei  sprachreinigenden  bestre- 
bongen  vor  Übertreibung  und  geschmacklosigkeit.  Mit  glücklicher  Vereinigung  von 
gelehrsamkeit  und  ironie  weist  Hildebrand  nach,  wie  viele  fremdwörter  ihren  gebrauch 
in  Deutschland  der  blossen  bildungsstreberei  verdanken,  und  wie  viel  gedankenlosig- 
keit  sich  dabei  kundgebe.  Auch  die  gesichtspunkte  der  klarheit  und  Schönheit  lässt 
er  in  Verurteilung  des  übermasses  unserer  fremdwörter  nicht  ausser  acht  Eindring- 
lich schärft  er  den  satz  ein:  „Das  bloss  nachgeahmte  und  andern  nur  nachgelebte 
leben  ist  gar  kein  wahres  leben.^  Aber  dennoch  verwahrt  er  sich  dagegen,  alles 
ausweisen  zu  wollen,  was  sich  nicht  schon  fest  eingebürgert  hat.  Nur  müssten  wir 
verstehen,  den  leben  hemmenden  wüst  in  eine  fröhliche  ernte  zu  verwandeln,  die 
leblosigkeit,  die  den  fremdlingen  anhängt,  wider  in  volles  förderndes  leben  umzu- 
setzen. "Wodurch?  Auch  die  fremdwörter,  soweit  sie  nicht  entbehrlich  sind,  will 
Hildebrand  als  kulturbilder  behandelt  wissen,  die  nach  ihrem  Ursprünge  wie  nach  der 
zeit  und  veranlassung  ihrer  einführung  im  Unterricht  gesondert,  somit  in  einen  kul- 
turgeschichtlichen rahmen  gerückt  werden. 

Mit  alle  dem  hat  die  Wissenschaft  nun  freilich  aufgehört,  Selbstzweck  zu  sein; 
sie  ist  in  den  dienst  der  erziehung  wie  des  lebens  getreten.  Hildebrand  tat  diesen 
schritt  mit  vollem  bewusstsein.     Er  war  von  der  Überzeugung  durchdrungen,   dass 


7B 


jede  wisBcnEi:hart  verdorren  qdiI  verknöcliern  r\ 
zurückzieht,  die  aicti  tiiuht  mit  dem  leben  wechselseitig  befruchtet  Darum  stellte 
er  schliesslich  sein  ganzes  iuterease,  soweit  es  nicht  vom  wörterbucho  gefesselt  war, 
ia  den  dienst  des  unterriobtswesens.  Aas  diesem  gründe  begnisste  er  die  begrün- 
dung  dieser  zeitsohrift  ganz  besondere  mit  treude.  wie  ea  Uie  bd.  20,  409  mitgeteilte 
Btello  ans  oiooai  briele  an  ihren  begrüuder  Julii;s  Zacher  bezeugt'.  Spüter  (eeit  18S7] 
beteib*gte  er  sich  eifrig  an  der  ,  Zeitschrift  für  den  deutaeben  uuterrieht ",  die  er  zu- 
gleich ala  Üeiesigster  und  gediegenster  mitorbeiter  forderte.  In  welchem  geiats  er 
dieses  untemebmen  ausgeführt  wiBseo  wollte,  das  bezeugen  sebe  geleiCworte:  für  dos 
Deutsche  handele  es  sieb  jetzt  darum,  „ein  neues  leben  eben  als  Deutsolie  zu  begin- 
nen."  Der  deutsche  oaterricbt  muBse  deshalb  in  den  mittelpunkt  der  erziebung  ti»> 
teo.  Für  uns  seien  Lessing,  Goethe,  Schiller  diejenigen,  die  uns  ,mehr  mensoh* 
werden,  uns  eine  „habere  mensahheit"  erreichen  liessen;  sie  also  stellten  für  Deutsch- 
land die  liutnanitira  dar.  Auch  später  noch  kam  er  mit  foigorechter  bebairlichkrat 
auf  diesen  bedeutsamen  gedanken  zurück:  jetzt  erst  laufe  die  periode  der  sogeDannlen 
rensissaiice  ab,  und  wir  erlebten  dou  beginn  der  deutschen  periode.  In  dieser  denkt 
er  sieb  vor  allen  üoetbe  als  führer.  Im  aosohluas  an  Goethe  mü&se  das  deutsche  in 
die  mitte  der  hüehsten  deutschen  bildung  rücken,  wie  Ja  auch  schon  dos  ausländ 
beginne,  eben  im  aosubluss  an  Goethe,  unserer  geisteswelt  für  das  allgemein  mensch- 
liohe  eine  bestimmende  mittelstellung  einzuräumen. 

So  erhoffte  und  erstroblo  Hildebrand  einen  unmittelbaren  einlluss  der  deutschon 
Philologie  auf  das  leben.  Ihm  war  die  wissonscbaft  eben  nicht  blosse  kalte,  interes- 
selose verstandessBche;  wie  er  sie  ausübte,  war  die  Wissenschaft  vielmehr  zugldch 
ein  Busfluss  des  gemütes  und  des  gewissens.  ^Das  blosse  wissen'^,  rief  er  aus,  ,dftr 
blosse  verstand  gibt  uns  von  einem  gegeustande  nur  die  umrisse  und  die  üäctie,  gibt 
ihn  ODB  nur  als  üoaseres  Schauspiel;  die  färbe  aber  und  den  duft  und  die  seele  oder 
das  volle  leben,  die  tiefe  gibt  uns  allein  die  eigenste  beteUignng,  d.  h.  das  empfin- 
den, das  gemüt!" 

Wie  in  dem  entschlafenen  verstand  und  gefühl,  wissen  und  gemüt  zusammen- 
wirkten, das  offenbaren  besonders  charakteristisch  die  ,  Tagebuch bUitler  eines  sonu- 
tagsphilosopben ",  die  er  18BT  und  1888  in  den  ^Grenzboten'  ebne  seinen  namen 
voröffeutlichte.  Ein  sonntagsphilosoph !  Mit  sichtlicher  Vermeidung  olles  sf stemn- 
tisoben  streut  Eildebrand  denn  hier  ebe  fülle  gelegeutlioher  onregungen  aus.  gan» 
wie  es  für  seine  lehrart  überhaupt  charattoristiach  war.  Mit  verliebe  wirkt  er  auch 
hier  für  gemütsbilduitg  und  nationale  tatkroft.  Nicht  nur  für  gegeaständliches  daa- 
kan  in  Qoetbes  sinne  tritt  Eildebrand  widerum  ein;  auch  für  das  leben,  für  das  bandeln 
gegen  ein  blosses  denken  kämpft  er  im  geiste  von  Ooetties  , Faust",  uud  er  widerfaolt 
Goetbes  ausruf:  „Armer  mensch,  an  dem  der  köpf  alles  ist!"  In  einem  dieser  tagit- 
buchblatter  spricht  er  ,Vom  Euswumenlebon ",  widerum  auf  Goethe  fussend,  dessea 
„liatürliche  tochter*  er  gescbiokt  als  Zeugnis  gegen  den  egoismus  heranzieht  Eia 
andennal  verfolgt'  er  an  der  band  der  litterator  ^Deutsolie  propheieiungeu  über  sie- 
ben Jahrhunderte  hin",    mit  einer  verständnisvoll   rettenden   auslegang  von  Öoethes 

IJ  In  uiiaeter  raituchnft  «rvchiebea  fglgande  irbetton  R,  HildubTvids :  1,  443  i,aiu  tnjDilArilobar 
dxiBuwIuR  aoruuti*"  icgl.  iiwb  II,  ISO);  I.  MB  „dia  bsdaatane  dar  ki^U";  11,  18«  „m  8cUl- 
lanTa11'\  Q,  263  „ini  gcschialila  i1b>  «piachi^fAMa  bei  den  Deul»thea  ouil  RSaieni" ;  11.  tüS  „mr 
aiulnui"i  m,  3&S:  utai^  ron  I>ioU.  «artartiiich  zn  Luthim  ichiiftani  iV,  3H:  Ul>i%e  ma  KbItW) 
tumnut^^ebeu  vim  Uutin.  —    Mchrir?  riiri  üpma  nrbeitsD   mul   dein  juidere  a-nlmatu  aolnHTie  Uilda- 


■  atnd  V 
D  daatuhon  antonlchl.    Lelpiig  IBOiJ, 


sursUtii'  lind  voitra^p 


BT7D0LF  H1I.DKRRAWD  79 

festspiel  nl^GS  Epimenides  erwachen. '^  Gleicherweise  zieht  unser  sonntagsphilosoph 
onsik  und  bildende  kunst,  menschen-  und  tierseele,  leben  und  sterben,  trauer  und 
tmae  heran;  auch  stiftet  er  eine  Versöhnung  zvsdschen  der  guten  alten  zeit  und  dem 
inischhtt,  unter  der  bedingung,  dass  man  den  ton  auf  das  erste  attribut  „gut**  lege. 

Alles  nationale,  alles  volkstümliche  und  alles  individuelle  nährt  Rudolf  Hilde- 
hrand;  das  nächstliegende  heisst  er  uns  ergreifen  —  wie  Goethe,  von  den  kindern 
lernen  —  im  geiste  des  Heilandes.  Denn  er  war  eine  voll  harmonische  und  tief  reli- 
giöse natur.  Engherzigkeit  war  ihm  aber  auf  religiösem  und  nationalem  wie  auf  wis- 
senschaftlichem gebiete  zuwider.  Zuwider  war  ihm  auch  jede  Wissenschaft,  die  nur  an 
der  matene  klebt  Die  einseitig  grammatische  wie  die  rein  physiologische  betrachtung 
der  spräche  wies  er  ab,  ebne  ihr  begrenztes  recht  zu  verkennen:  die  psychologie 
habe  in  der  Sprachwissenschaft  ergänzend  neben  die  physiologie  zu  treten;  ihre  ein- 
holt wird  beiden  gegeben  in  betrachtung  der  spräche  als  kunstwerk,  welches  das 
geistige  leben  in  seiner  ganzen  erschein ung,  seinem  ganzen  wesen  einfängt.  Diese 
hedeutsame  auffassung  ist  für  Hildebrand  bezeichnend:  er  war  eine  künstlerische, 
positive,  schöpferische  natur.  Wie  sehr  seine  persönlichkeit  wol  an  Geliert  erinnern 
mag  —  sein  geist  war  doch  vielfach  Horder  und  Jakob  Grimm  verwani  Demgemäss 
schienen  ihm  in  der  littoratuiwissenschaft  diejenigen  betrachtungsweisen  nicht  anspre- 
chend, die  sich  in  kühlem  feststellen  von  tatsachen,  in  mechanischer  handhabung 
eines  äusseren  apparates  gefielen.  Ihn  fesselte  mehr  die  methode  als  das  System, 
mehr  die  nachschaffende  („rekonstruierende^)  als  die  kritische  seite  der  Wissenschaft. 

Das  erklärt  den  zauber,  den  Hildebrand  als  akademischer  lehrer  ausübte. 
Nicht  freilich  was  man  „schwarz  auf  wciss*^  „nach  hause  tragen''  kann,  erwarben  wir 
bei  ihm ;  aber  anregung  für  alle  Seiten  der  philologischen  arbeit  und  fürs  ganze  leben. 
Von  scheinbaren  nebensachen  aus  und  durch  seitenspiünge  eröffnete  er  ausblicke  ins 
unbegienzte.  An  das  gemüt,  nein,  an  die  ganze  persönlichkeit  der  hörer  wandte  sich 
meister  Hildebrand,  indem  er  zeigte,  wie  viel  mehr  an  dem  philologischen  lernstoff 
haftete  als  etwa  blosses  deukwerk.  So  wusste  er  hunderte  von  jugendlichen  herzen 
zu  begeistern  —  für  die  Wissenschaft  von  deutscher  spräche  und  dichtung  wie  unwill- 
kürlich auch  für  den  moistorlichen  lehrer  selbst.  Doch  weiter  reichte  seine  persön- 
liche Wirkung.  Wer  wäre  je  von  ihm  ohne  anregung,  ohne  erquickuug  gegangen? 
Noch  in  der  langen  krankheit  seiner  letzten  jähre  leuchtete  sein  äuge  auf,  sobald  im 
gespräoh  ein  gegenständ  berührt  wurde,  der  ihm  am  herzen  lag;  und  wie  viel  lag 
ihm  nicht  am  herzen,  zum  besten  unserer  Wissenschaft  wie  unseres  volkos!  Dann 
konnte  er,  je  nachdem  gegenständ  und  Stimmung  es  mit  sich  brachten,  jubeln  und 
weinen,  bcgeisteii  anfeuern  oder  grimmig  auffahren.  Alles  in  ihm  gieng  durch  das 
gemüt.  Wer  ihm  je  als  schüler  oder  freund  nahegetreton  ist,  den  wnrd  sein  bild 
nimmer  lassen.  Und  wie  es  sich  unauslöschlich  in  die  herzen  seiner  jünger  und  in 
die  geschieh tsbücher  der  Wissenschaft  vom  deutschen  eingegraben  hat,  so  steht  es 
mahnend  und  bahnweisend  an  der  pforte  der  zukunft,  auf  dass  unsere  wissenscliaft 
gedeihe  in  Schöpferkraft  und  Wetteifer  mit  dem  frischen,  befruchtenden  leben! 

JEaSL.  ETTOEN   WOLFF. 


80 


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wiUc;r  eiiiPii  fes:-:-.  l  -i*  ijrrj'  r--v  r-L  Iji  :i:;ijJLi:.:ii-r  ^«-.liaiiA*:  tix^  hü^slIL?  lie 
vorämit'jlf  fiufesTtl-iL  "^  *»..'-:..  r-u:  i.:-:!!*!"  "j-  ulien  üäJ  a^*  :t-'  öc  -r^iSte- 
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fiihrlichi'ii  iii-Jex  \:r.u-j'.  ,-:  ^■.-.-  -■■  r  _^-  '^-. •:-  -lj—-  jr'-*  .jv-j-'I  lit^  ^.f:  rii 
( s.  *J»;r»  fj^'g.i  bivtv:  ^iL.j-.L     _ -•   ..:.--...-■_. -1  T;^i■:     -    v--rj-:z.  ll:1  ii»i.i*;i*=  r:»te 

gcbhen  weidoij. 

Ziiiiiiiiis  i.auT.::-.- ..".iv    •  •_    ■    _.'"    .i       !:_    ll:-  ". ".-  >.i-r.'i:   r'-i  inir?  les 

Ki'in«-*  z»'it  1^  ")7  fu  J- ■  --:  -■."■.■:  1  •£  r*.:  i  r  r  "j-"  i^  r.r^rCiLix  r^i*--"  x^ 
«l«Mii  uliciMli-k  ül vr  i:-.-  '.r.'^i-  •  -  .-•  :_--,  --..ir  -t  T-L-r.T-i-r  !i-ir:  i-  i^fr 
von  (iilfia.s  um  Ti-i"  v-. ::.v-.:..i  -.:_••  .' t  -./  .  .-■.'."  .^  ■<  -i^-*  .rc-r:  fc=s:i:(-:iite- 
dif  iiuwJM.-heij  t-iLi^«.-  z--./.:-.  .  ."..:..  ^  ;. .:  .•.:  "r-.i;. :.  :r  NtII--?-.  -r-  i^  -Sät 
j^n.-ii/.i;  von  lirt"  kiK'.k-ii!. .:.  :  .1.  ::'.::  .•--■..:  ..:. .  :r_  ,:^:-  ">-  — -  iiistc-n* 
Itritlun  um  rnai.i.  Z:ij. ::.-.■:  »V.  .  -  .i.^  '  •  :^  Jt.  -11::  -  .  -.  •!  .  r^Ar.ti."-!:- i>i*ni 
«jr  aus  Mtlir  vi?r.-«:Ki.,' ;•.■:.■.:.  ,  •.!.•'.  .-.i-.-.  -.:•*. -ri  ".■...  -ii-  i.  -  i.  :::;•;  Li^-rie  :■:*  $  .:'0»- 
Si«'  i^t  nur  in  vr.viir.:!.  /:-i-. :  i.:  v.-:  j-.j.  .i-.:...l.  .-1-.:..  1:^  fr::i.r:  i^'-"  i«« 
Miitt»:!-  tMner  lian-i-'i.i::*  ;.-::u . .:.-..  :. .  ,:.  .'a--.;.;:  -vLr  -e-LJ-.-.-.  j:  ili  k.::^r:  "«niririi. 
Der  Wo-sti*  vt-rtp't'r  u:-.--.;  :■  Ja,.-...  .-•  ...  A  jla.l-.jii  ^r'  •  :  i:.-  i:-n:rirL  iane- 
Ihmi  «iir  lian«l>«hiilt.-[.  \)K  .'.  '..•.::i...*  :  ::.'.  ^-^  A-.:.  .>  vj::.ar::5':hr  reo?isioQ 
(ilh*  M'^'.  Manu. --L-ir.'*  ■.;.:!:••■:.  ■  .-•  :..:.•  ■.!:■..-.:..!.  L.  T.LiTn.  y^  iirSvr  HÄiirian- 
ri'i'i'iisiim  ini  0.  jaiii.:  ^-..'..^  p,.-. .;.  .-. ;:  ;*;t;  .^r.:.  -.:.■:-:.  EL^'j^iiir:  umgearbeitet 
(s.  H>7  fj^g.j.     V..1   -i.-!  •..■IV..J!  .1.^;  :.a*.*-;  ■:..'.  ^*:  ALjlv=-y  If"'.-.:. ;vr  .>-.':. -^er  ein«  j-r^- 

1)  l<h  i'irirM'j  hi'.'i   !i!:  i   .;/.   lMi::--L >.r.   .'..1  '.   d-.r  au-^a'K-  von  San-Mürte    iSie- 
veustm). 

2)  Iber  (l<-M  ui  j-i'iiit^  ']'■;  !.!■:!-.  Mntrtt.-  nnnt'hon.tu  ."«.  *j.  Paria.  RomaDia  12, 
JT'J;  Zimmer  l'i'.). 


ÜBEB  ZDOfES,   NENNIÜ8  YINDICATÜS  81 

byiais  Bealan  am  810  eine  neue  redaktion  mit  einigen  Zusätzen  und  mit  kürzung 
der  geschichte  des  nordens  veranstaltet,  die  Zimmer  als  ,,nordwelsche  recension'^ 
der  , südwelschen''  (==  Harleian)  gegenüberstellt.  In  lateinischer  gestalt  ist  sie 
rerloren ,  liegt  dagegen  der  irischen  Übersetzung  zu  gründe ,  die  der  irische  dich- 
ter und  annalist  Gilla  Coemgin  vor  1072  angefei-tigt  hat;  daher  ist  diese  von  hervor- 
ragender Wichtigkeit  Auszüge  aus  der  lateinischen  fassung  finden  sich  als  randooten 
in  mehreren  hand<^chriften  der  südwelschen  recension  und  sind  in  einigen  handschrif- 
ten  in  deren  text  aufgenommen.  Eine  solche  handschrift  ist  L  (13.  jh.),  die  ein  spä- 
tes bombastisches  machwerk  (§1.  2)  als  erste  vorrede  vorschiebt  (s.  48). 

Soweit  Zimmer.  Einige  lokalisierungen  und  daten  scheinen  mir  begründet, 
dagegen  was  über  gestalt  und  iohalt  der  älteren  recensionen  erschlossen  ist,  hat  sich 
im  wesentlichen  als  irrig  herausgestellt.  Den  hauptstoss  hat  das  gebäude  erlitten 
durch  Mommsens  nachweis,  dass  die  handschrift  von  Chartres*(9.  — 10.  jh.),  die  auch 
Zimmer  (s.  201  fg.)  gekannt,  aber  in  ihrem  wert  Dicht  erkannt  hat,  eine'abschrift  der 
Hist.  Britt.  enthält  in  der  gestalt,  die  sie  vor  Nennius  gehabt  hat^  Sie  ist  jetzt  all- 
gemein zugänglich  durch  Duchesnes  abdruck  in  der  Kevue  Celtique  15,  174  fgg., 
der  auch  einige  bemerkungen  daran  knüpft*.  Ich  bezeichne  sie  mit  Ch.  Die  vorläge 
dieser  —  im  einzelnen  sehr  fehlerhaften  —  handschrift  war  unvollständig,  so  dass  sie 
leider  mitten  in  §  37  abbricht.  Doch  so  wie  sie  ist,  genügt  sie,  um  auf  den  ersten 
blick  folgendes  zu  lehren:  1.  Auch  der  erste  teil  der  Eist  rührt  in  seinen  wesent- 
lichen bestandteilen  nicht  von  Nennius  her,  sondern  gehörte  schon  dem  älteren  werke 
äo.  Dieses  war  also  nie  als  fortsetzung  von  Gildas  gedacht.  2.  Die  scheinbare 
Unordnung  der  ,,  südwelschen  recension  **  beruht  nicht  auf  ausfaU  von  blättern,  son- 
dern ist  altererbt;  im  gegenteil  hat  Nennius  durch  ein  paar  eingestreute  sätze  den 
weg  gewiesen,  sich  in  dem  etwas  chaotischen  gemengsei  zurechtzufinden.  Also  sind 
auch  die  daten  in  §  16  nicht  erst  später,  beim  kopieren  einer  verwirrten  handschrift 
eingefügt  3.  Die  „nordwelsche  recension'^  hat  also  gleichfalls  nie  einen  „geordneten** 
text  besessen;  sie  ist  nicht  verloren,  sondern  bestand  von  anfang  an,  ausser  in  der 
kürzung  des  Schlusses,  in  ein  paar  rand-  oder  interlineamoten,  wie  sie  noch  mehrere 
handschriften  bieten.  4.  Die  vaticanische  recension  hat  neben  Nennius  eine  handschrift 
des  vornennianischen  Werkes  benützt  und  verarbeitet'.  5.  Das  gleiche  gilt  von  der 
irischen  Übersetzung.  Schon  Heeger  hat  in  seiner  anzeige  des  buches^  —  ent- 
gegen seiner  eigenen  früheren  ansieht  —  .ausgesprochen,  dass  ihre  verständigere  anord- 
nnng  nicht  der  lateinischen  vorläge  (Zimmers  x) ,  sondern  dem  Übersetzer  zu  verdanken 
sei,  was  jetzt  keines  beweises  melir  bedarf.  Mit  recht  bezweifelt  er  auch  die  autor- 
Bohaft  des  Gilla  Coemgin.  Zimmer  (s.  13  fg.)  gründet  sie  auf  den  Untertitel  in  der 
einen  der  4  vollständigen  hss.,  im  Book  of  Hy-Mane  (vor  1423  geschrieben):  In- 
eipit  de  Britania  airte  quam  Nenius  constrvxit;  Qilla  Coemain  ro  impai  % 
Mcotie^  d.  h.  „G.  C.  übersetzte  [sie]  ins  irische*  *.    Die  notiz  könnte  nur  wert  haben, 

1)  Neues  archiv  der  ges.  für  ältere  deutsche  geschichtskunde  19,  283  fgg. 

2)  Ein  störender  druckfehler  ist  dort  s.  176  die  zahl  [11]  statt  [10]  nach  §  9. 

3)  Mommsen,  a.  a.  o.  288. 

4)  Gott  gel.  anz.,  mai  1894,  s.  399  fgg. 

5)  Zimmer  korrigiert  airte  in  aiste  und  übersetzt:  ex  ea,  quam.  Vor  einem 
relativsatz  kann  aber  ex  ea  irisch  nicht  aiste  (este)  heisseu,  wie  ja  wol  Zimmer  sel- 
ber weiss.  Vielmehr  steht  airte  nach  irischer  Schreibweise  für  arte.  Die  Überschrift 
umschreibt  ungeschickt:  Incipit  eulogium  brevissimum  Britanniae  itisulae,  quod 
Ninius  Mvodugi  discipulus  congregavit,  womit  mehrere  Nenniushss.  beginnen;  sie 
gibi  also  eulogium  durch  ars  wider. 

anscmoR  r.  diuisohe  PHiLOLoaiB.   bo.  xxviu.  6 


82  TUUUMiy8K5 

wenQ  sie  in  alto  zeit  hinaufroichto.  Hiergegen  spricht  nicht  nur,  dass  sie  in 
der  parallclhs.  D  (H.  3.  17  Trin.  Coli.,  Dublin)  fehlt ^,  sondern  namentlich  auch 
die  Schreibung  dos  namens.  Der  vorfassor  der  Historia  heisst  für  den  irischen 
üborsotzcr  durchaus  Xcmnitis  oder  Nemntts:  in  §  3  (Todd  's.  24)  liest  D  Numnus^ 
L  NemnUts,  B  Keimnusy  in  der  Überschrift  von  §  13  (Todd  s.  42)  D  und  B  Nemnu», 
L  Nemius  (Todd  s.  Till),  in  §  48  (Todd  8.104)  hat  die  älteste  hs.  U  Nefnnua, 
D  Xeamnos,  L  Xemnes,  nur  B  Xenus,  Die  Überschrift  mit  Xenius  geht  also  nicht 
in  die  zeit  dos  Übersetzers  zurück.  Ist  sie  abor  s[mterer  zusatz,  so  hat  sie  keine 
bodeutung,  da  Gilla  Coemgin  als  Verfasser  aunalistischer  gedichte  auch  in  späteren 
jahrhuudorton  wol bekannt  war,  sein  name  sich  also  leicht  für  ein  historisches  werk 
darbot.  Die  frage  ist  insofern  weniger  wichtig,  als  ein  fragmeut  der  Übersetzung  sich 
bereits  in  dem  vor  llOG  geschriebenen  Lebor  na  h-üidre  ßndet,  sie  also  nicht  spä- 
ter ist  als  das  11.  Jahrhundert  (der  ierminua  post  quem  ist  das  jähr  910;  s.  u.).  Es 
ist  somit  der  zeit  nach  möglich,  aber  freiUch  nach  allem  sonstigen  sehr  unwahr- 
scheinlich, dass  sie  von  Gilla  Coemgin  herrührt. 

Die  grundlage  für  den  Iren  bildete,  wie  sich  aus  Zimmers  untersachongen 
ergibt,  ein  Neunius  mit  randnoten,  die  ^nordwelsche  recension**,  und  zwar  steht  ihr 
im  allgemeinen  hs.  0  am  nächsten  (Zimmer  s.  43).  Heeger  hat  aber  nicht  erklärt, 
ja  merkwürdiger  weise  die  fi'age  gar  nicht  berührt,  woher  die  zum  teil  besseren  les- 
arten  des  Iren  stammen,  die  sich  entweder  nur  in  der  vaticanischen  reoension  oder 
selbst  da  nicht  wideriinden;  und  doch  hatte  sie  Zimmer  s.  19  fg.  zusammengestellt 
Das  rätsei  löst  sich  jetzt  aufs  einfachste.  Der  irische  bcarbeiter  hat,  wie  ein  blick  in 
Todds  ausgäbe  lehii,  verschiedene  andere  quellen  beigezogen.  Eine  derselben  war 
nun  sicher  eine  II ist.  Britt.  in  vomennianisoher  gestalt.  £r  hat  sie  da  verwendet, 
wo  sie  ihm  richtigeres  und  genaueres  zu  bieten  schien  als  sein  Nennms,  dagegen  ihre 
verwoiTenen  pai-tieeu  bei  seile  gelassen.  Aus  ihr  stamt  die  notiz  in  §  31  (Todd  s.  78), 
dass  im  jalire  347  nicht  Uratianus  Aequantius,  wie  alle  Nenuiushss.  lesen,  sondern 
(iratianus  und  Aequitius  „herrschten*^-.  Feiner  hat  er  ihr  offenbar,  wie  die  vatica- 
nischo  n^censiou,  die  zahl  der  12  magi  (§40,  Todd  s.  90),  das  wort  nitilscucwn  (= 
Middclsaxum)  am  schluss  von  §40  (Todd  s.  102)^  und  den  satz:  stagnum  figura 
(der  Ire  las  regunm)  hujus  mundi  est  in  §  42  (Todd  s.  %)  entnommen.  Die  irische 
Version  komt  also  für  die  Neuniustradition  nur  in  dem  grade  in  betracht,  wie  die 
vaticanische  rccousion. 

Stollen  sir;h  so  Zimmei's  misgriffo  als  recht  beträchtlich  heraus,  so  erscheinen 
sio  doch  darum  verzeihlich ,  weil  sie  eigentlich  alle  in  dem  autem  des  zweiten  satzes 
von  §  10  wurzeln.  Und  in  der  tat,  wer  einmal  die  bedeutuug  von  Ch  verkannte, 
konnte  nicht  wol  erraten,  dass  das  aiäem  des  Nennius  den  gegensatz  zu  einer  dar- 
Stellung  bezeichnet,  die  gar  nicht  mehr  vorhanden  ist,  weil  sie  eben  Nennius  in  sei- 
ner itH^ension  unterdrückt  hat.  Es  ist  der  anfang  von  §  10  in  Ch,  den  auch  die 
vaticanische  recension  leicht  geändert  wider  aufgenommen  hat.  Anstatt  nun  Zimmers 
aufstollungen ,  die  duix-h  Mommsens  nachwcLs  fast  alle  in  eine  schiefe  lago  geraten 
NJnd,    einzi4n  zu  durchgehen,    glaube  ich  den  lesern  dieser  Zeitschrift  einen  besseren 

1)  s.  Ileoger,  a.  a.  o.  401  fg.         2)  Rev.  Celt.  15,  178. 

3)  Ih)r  fi filier  des  Nennius  erklärt  sieh  daraus,  dass  in  der  handschrift  i/M2(M- 
jiOJcuHi  und  der  zu  §47  gehörige  satz:  ut  ah  iUicita  ronjunftione  se  scpararei  ans- 
i;vUkiwen,  ab»»r  am  rando  na<.'hgetragen  waren.  Durch  falsclw^  bezieh ung  der  verwei- 
suii^N/oichiMi  kam  der  satz  an  stelle  von  Middtlsaxum  aus  ende  von  §  46  und  letx- 
U>iVBi  wurde  ültersohcn. 


ÜBER   ZIMMER,   NKNUIUS   YINDICATÜS  83 

dienst  zu  erweisen,  wenn  ich  kurz  zu  bestimmen  suche,  wie  sich  auf  grund  des  Zim- 
merschea  buches  einerseits,  der  Bemerkungen  Mommsons  und  Duchesnes  anderseits 
die  gresehiehte  der  Historia  Brittonum  gestaltet. 

Die  handschnft  Ch  führt  den  titol:  Incipiunt.  exberta»  fiiurbaoen^  de  libro 
sei.  Oermani  inventa  et  origine.  et  genelogia  Britonum.  de  aetatibus  mutidi. 
Das  zweite  wort  kann  nur  excerpta  bedeuten ,  da  Nennius  §  3  über  seine  tätigkeit 
berichtet:  Ego  Nennius  . . .  aliqua  excerpta  scribere  curaciy  quae  hebettuio  gentis 
BrÜ€mniae  d^ecerat.  Es  lag  ihm  also  ein  werk  mit  ähnlichem  titel  vor.  Das 
dritte  wort  ist  natürlich  fii  (d.  i.  filii)  Urbaren  zu  lesen  und  erinneit  sofort  an 
Rum  (besser  Run)^  söhn  des  Urbgen,  der  sich  in  §  63  der  Historia  des  Nou- 
nias  ziemlich  unmotiviert  in  den  Vordergrund  drängt  Dort  wird  dem  bericht,  dass 
der  nordhumbnsche  herrscher  £adguin,  ein  Jahr  nach  der  taufe  seiner  tochter 
Eanfled,  mit  12000  mannen  sich  taufen  liess  (nach  Beda  i.  j.  627),  beigefügt:  Si 
quis  scire  voluerit^  quis  eos  baptixavit,  Rum  map  Urbgen  baptixavit  eos;  et  per 
quadraginta  dies  non  cessavit  baptixarc  ornne  ge7ius  Ambrmium^  et  per  praedi- 
eattonem  illius  multi  crediderunt  in  Christo,  eine  notiz,  die  auch  die  Annales 
Cambriae  a.  626  aufgenommen  haben.  £in  namhafter  ?nap  Urbgen  im  7.  Jahrhun- 
dert kann,  da  der  name  nicht  häufig  ist,  fast  nur  ein  söhn  des  brittenfürsten  Urbgen 
(später  üryen)  sein,  der  auf  einem  feldzuge  gegen  den  Nordhumbrerkönig  Theodric 
(572 — 579)  auf  anstiften  seines  brittischen  bundesgeuossen  Morcant  ermordet  wurde 
(Nennius  §63)',  also  ein  bmder  des  sagenbeiühmtcn  Euein  (Ywein,  Owein)  fnab 
Uryen.  Da  Run  map  urbgen  ein  geistlicher  war,  also  latein  konnte,  werden  wir  in 
dem  fUius  Urbagen  der  alten  Überschrift  kaum  einen  dritten  bruder,  sondern  wol 
eben  diesen  Run  zu  sehen  haben.  Diese  Übereinstimmung  des  namens  macht  Duches- 
nes annähme  (a.  a.  o.  187),  der  zweite  teil  der  Hist,  die  geschichte  des  uordens, 
habe  dem  ursprünglichen  werke  gefehlt,  ganz  unwahrscheinlich.  Vielmehr  drängt 
sich  sofort  die  frage  auf,  ob  dieser  söhn  Urbgens,  auf  den  laut  dem  titel  die  excerpta 
de  libro  saneti  Oermani  zurückgehen,  welche  wir  längst  aus  Nennius  als  haupt- 
quelle  der  geschichte  Guorthigims  kannten,  nicht  überhaupt  das  ganze  ältere  werk- 
ohen  verfasst  habe.  Da  der  erste,  in  Ch  erhaltene  teil  keine  daten  liefert,  kann  nur 
der  dort  fehlende  Schlussteil  (ab  §  56  ende)  die  antwort  geben. 

Dieser  gewöhnlich  unter  dem  falschen  titel  gefuialogiae  Saxonum  zusammen- 
gelasste  abschnitt  besteht  bei  Neunius  aus  zwei  ganz  verschiedenen  bestandteilen. 
An  die  kämpfe  Arthurs  wird  §  56  mit  kühner,  nicht  ungeschickter  wendung  eine 
geschichte  des  nordens  von  der  regierungszeit  des  Ida,  den  der  Verfasser  für  den 
eisten  einheimischen  fürsten  der  Nordhumbrer  hält,    bis  auf  Ecgfrid  angehängt.    Sie 

1)  So  Duchesne;  bei  Mommsen:  fu  Urbaeen. 

2)  Weil  in  glossaren  ambro  mit  devoraior  erkläit  wird  und  Gildas  §  14  die  ein- 
fallenden Picten  und  Iren  quasi  ambrones  lupi  nennt,  übersetzt  Zimmer  s.  105: 
,40  tage  liess  er  nicht  nach,  bis  er  die  ganze  röuberbando  getauft  hatte''  (!). 
Ich  brauche  kaum  darauf  hinzuweisen,  dass  der  schluss  der  Hist.  überhaupt  keine 
animosität  gegen  die  germanischen  stamme  durchblicken  lässt,  dass  eine  solche  aber 
gerade  bei  ihrer  taufe  besonders  unangebracht  wäre.  Vielmehr  waren  die  latinisten 
Britanniens  in  Verlegenheit,  wie  sie  „  Nordhumbrer "^  ins  lateinische  übersetzen  soll- 
ten, und  gebrauchten  dafür  den  alten  völkemamen  Ambrones.  Vielleicht  erst  Beda 
hat  die  form  Nordanhymbri  gewagt;  in  dem  von  ihm  citiorten  briefe  des  erz- 
bisohofs  Theodor  vom  jähre  680  heisst  Ecgfrid  noch  rex  Hymbronensium  (Hist 
eccL  4,  17),  eine  leichte  vaiiante  zu  Ambrones. 

3)  Die  Zeitrechnung  bei  Zimmer  95**  verstehe  ich  nicht. 

6* 


84  THURNEYSRN 

steht  in  §  56  ODde  und  in  §  61  endo  bis  §  65.  Störend  schieben  sich  wie  ein  keil 
in  diese  fortlaufende  geschichte  und  zwar  mitten  in  den  bericht  über  Ida  die  §§  57 
bis  61  ein,  enthaltend  genealogieen  der  fürstan  von  Bernicia,  Kent,  Ostangeln,  Meraa 
und  Deira.  Sic  nehmen  zwar  deutlich  auf  jene  geschichte  des  nordens  bezog;  aber 
diese  ihrerseits  lässt  sie  völlig  unberücksichtigt.  Es  finden  sich  selbst  genealogische 
widoi-sprüche.  Nach  §63  ist  Aedlric  söhn  des  Adda,  nach  den  genealogieen  §57 
brudor  desselben;  nach  §65  ist  Ecgfrid  söhn  des  Osbiu,  nach  den  genealogieen 
§  57  ist  Äechßrd  söhn  von  Osbius  bruder  Osguid.  Demnach  sind  die  genealogieen 
nach  Vollendung  der  geschichte  eingefügt  worden'  und  fallen  für  die  veifasserfrage 
ausser  betracht.  Wann  und  von  wem  sie  eingeschoben  worden,  darüber  onten.  Die 
alte  geschichte  des  nordens ,  in  der  §  63  die  erwähnung  Run  map  ürbgens  vorkommt, 
reichte,  wie  Zimmer  s.  96  richtig  konstatiert  hat,  bis  zu  dem  satze:  Ecgfrid  fUius 
Osbiu  regyiarit  noveni  annis,  also  bis  zum  9.  jähre  des  Nordhumbrerkönigs  EcgfHd, 
d.  h.  678/679.  Die  notiz  über  den  tod  des  bischofs  Cudbertus  und  was  in  §  65  wei- 
ter folgt,  sind  spätere  zusätzo.  Nun  ist  klar,  dass  ein  söhn  des  vor  579  gestorbenen 
Urbgen  zwar  sehr  wol  die  taufe  Eduinis  a.  627  erloben ,  aber  unmöglich  noch  nm  679 
schriftsteilem  konnte.  Da  die  erzählung  in  einem  tcnor  weitergeht,  wir  also  kein 
recht  haben,  den  ursprünglichen  schluss  etwa  nach  der  taufe  Eduinis,  vor  §  64  zn 
setzen,  kann  Run  map  Urbgen  nicht  der  Verfasser  des  ganzen  sein. 

Somit  steht  zunächst  nur  fest,  dass  der  Verfasser  des  Jahres  679,  den  ich  in 
ormangelung  eines  namens  im  folgenden  den  „Historiographen*  nennen  will, 
üxcerpto,  die  der  bis  627  lebende  Run  map  Urbgen  aus  einem  Itber  aancti  (oder 
fteati^)  Qermani  ausgezogen  hatte,  zu  einer  geschichte  Britanniens  verarbeitete.  Map 
Urbgen  hatte  diejenigen  stellen  aus  dem  Heiligenleben  excerpiert,  die  sich  auf  Britton- 
füi-ston,  auf  Catell  den  Stammvater  der  könige  von  Powis  (§32 — 35)  und  namentlich 
n\if  Ouorthigirn  bezogen.  Aber  die  ganze  geschichte  Guoi*thigims  stammt  keines- 
falls (iaher.  Bei  seinem  tode  werden  ausdrücklich  zwei  andere  berichte  neben  dem 
des  Über  bcati  Qcrniani  erwähnt  (§  47.  48).  Auch  z.  b.  die  magiergeschichte  §  40  bis 
42,  die  zur  gründung  von  Cuir  Ouorthigirn  führt  und  nichts  christliches  enthält  — 
(iuoiihigirn  flieht  dort  nicht  vor  dem  heil.  Germauus,  sondern  vor  den  Germanen  — ^ 
kann  in  keinem  Heiligenleben  gestanden  haben;  bestätigt  wird  dies  dadurch,  dass  in 
§42  die  Gormanen  gefis  Anglonim  genannt  werden,  während  sie  sonst  in  diesem 
ubNohnitt  (§  36.  45.  46)  Saxofies  heissen.  Der  §  43  verdankt  seinerseits  erst  der  pro- 
|iho/.oiung  in  §  42  seinen  Ursprung.  Dreimal  jagen  sich  die  schlangen  und  Ambro- 
NtUN  vorhoisst:  ^Posiea  gens  nosira  surget  et  gentem  Anglorum  tra9is  mare  dejxciet,^ 
hw  luiti  tatsächlich  das  gcgenteil  einer  völligen  Vertreibung  der  Germanen  eintrat,  hat 
\^\\\  MpftttM'or  die  Prophezeiung  dahin  gedeutet,  dass  Guorthemir,  Guorthigims  söhn, 
MO  il  10) null  auf  die  insel  Tanet  (also  Irans  mare)  verjagt  habe.  Die  Situation  ist 
dum  folf;oiul(Mi  §  44  entnommen,  der  also  älter  ist.  Welche  von  diesen  Zusätzen  auf 
ICuii  ^olb^t,   welche  auf  den  historiographen  zurückgehen,  will  ich  nicht  entscheiden. 

h  Ti sprünglich  wird  an:  auxilium  a  Gcrtnania  petcf^afU  et  aagebantur  tnui^ 
/«Wfti>Wc#-  ^iMii  intermissione  et  reges  a  Oermania  deducebani,  ut  regnarerU  super 
*.VtM  «M  /lV|/^M«»ll<l,  iisqttc  ad  tempus  quo  Ida  reguavit,  qui  fuit  Eobba  fdius  (%56) 
\liiokl  uii^ono blossen  haben:  Ida  tenuii  regiones  in  sinistrali  parte  Brittaniae  i,  e. 
t  ntbi^  Miititt  tt  rcynavit  annis  XU  usw.  (§61).  Der  satz:  ipse  fuit  usw.  (§56 
.«i'htu:i!xt  und  dio  werte  filius  Eobha  (nach  Ida  §  61)  sind  zugleich  mit  den  gencMdo- 

'i)  So  )  47. 


ÜUKR   ZIMMER,   NKNNIüS   VINDICATUS  85 

Doch  scheint  mir  sicher,  dass  jeuer  ausser  den  Excerpta  einiges  weitere  aufgezeich- 
net hatte;  denn  der  hericht  von  Eadguins  taufe  §  63  geht  doch  sicher  auf  eine  notiz 
Yon  ihm  zurück*.  So  ist  denn  die  weitere  Vermutung  gestattet,  dass  die  berichte 
über  filtere  nordbrittische  ereignisse,  violleicht  namentlich  die,  bei  denen  sich  kym- 
rische  spräche  unter  das  latein  mengt,  von  ihm  herrühren.  So  möglicher  weise  schon 
die  12  bella  des  dwaj  hdlorum  Ai*thur  §  56.  Sicherer  der  satz :  Idu  . . .  [jjunxit 
Din  Quayrdi^  guurtk  Bemeich  (§  61),  ,Ida  vereinigte  Din-Guoaroi  (das  heutige 
Bamborough)  mit  Bemicia*^,  nebst  der  notiz  über  die  änderung  dieses  namens  in 
Bebhanbureh  (§  63).  £benso  der  bericht  über  Dutigirn  und  die  zu  seiner  zeit  blühen- 
den Barden  (§  62),  da  Zimmer  s.  103"^  scharfsinnig  erkannt  hat,  dass  et  Neiriyi  durch 
missverständniss  des  a-  aus  Aneirin  entstanden  ist.  Vermutlich  die  notiz  über  Mail- 
cunus  und  Cunedag  (§  62).  Sicher  die  über  die  kämpfe  der  Brittenfürsten  Urbgen, 
Biderch  Hen,  Guallanc,  Morcant  und  den  tod  des  ei*stcren,  der  wol  in  Runs  knaben- 
zeit  fiel  (§63);  der  satz  ,j[Urhgen]  jttgulatus  est  Morcanto  destinante  pro  invidia, 
quia  in  ipso  prae  omnihus  rcgibus  virtus  ma-xima  erat  [in]  iftstauratione  belli^* 
schmeckt  deutlich  nach  familientradition.  Endlich  wol  auch  die  bemerkung  über  die 
eroberung  von  Elmet  (§  63).  Ich  denke  mir  die  sache  etwa  folgendermassen ,  wenn 
auch  hier  natürlich  jede  Sicherheit  aufliört.  Der  historiograph  fand  eine  ziemlich  aus- 
fuhrliche geschichte  Guorthigims  und  manche  notizen  über  spätere  brittische  ereig- 
nisso  vor.  Letztere  brachte  er  in  zusammenhange  indem  er  sie  an  eine  nordhum- 
brische  königsliste  anschloss,  die  ziemlich  genau  derjenigen  cntspi-ach,  welche  von 
Petrie  Mon.  Hist.  Brit.  s.  290  aus  einer  handschrift  des  8.  Jahrhunderts  abgedmckt 
ist;  nur  ist  sie  hier  an  der  band  von  Bcda  bis  auf  Ceoluulf  (Beda  5,  23)  ergUnzt'. 
Anderseits  hat  der  historiograph  den  zweiten  könig,  Glappa,  mit  einem  rcgierungs- 
jahr  übergangen,  weil  er  in  seine  regierung  nichts  einziureihen  wusste.  Sonst  hat  er 
Datigim  und  Mailcunus  an  könig  Ida  (547 — 559)  angeschlossen,  die  kämpfe  von 
TJrbgen,  RiderchHen,  Guallanc,  Morcant  an  die  fünf  königeAdda  (560  —  568),  Aedl- 
ric  (568—572),  Deodric  (572  —  579),  Friodolguald  (579  —  585),  Hussa  (585  —  592); 
es  folgen  Eadfered  Flosaur(s)  592—616,  Eadguin  61G  — 633,  Oswald  633—642, 
Osgoid  642 — 670,   Ecgfrid   (seit  670)  bis  zu  seinem  9.  regierungsjahr*.     Unter  all 

1)  Freilich  auf  eine  misverstandene.  Die  erzählung  Bedas  2,  9  — 14  von  der 
bekehnmg  und  taufe  Eduinis  durch  Paulinus,  sowie  über  dessen  36tägiges  katechi- 
sieien  und  taufen  der  Nordhumbrer  (2,  14)  ist  so  ausführlich,  dass  an  ihrer  glaubwür- 
digkeit  kaum  zu  zweifeln  ist.  Run  kann  also  nicht  die  taufe  sich  selber  zugeschrieben 
haben,  da  wir  keinen  grund  haben,  ihn  für  einen  lügner  zu  halten,  und  da  der 
kämpf  zwischen  Rom  und  den  altchriston  in  bctrcif  der  osterberechnung  damals  im 
norden  noch  nicht  entbrannt  war.  Vermutlich  war  er  bei  der  taufe  anwesend  gewe- 
sen und  hatte  eine  notiz  darüber  hinterlassen,  die  der  historiograph  so  auffossen 
konnte,  als  sei  ihm  die  hauptrolle  dabei  zugefallen.  Auch  der  satz  j,Eanfled  filia 
iUius  Xn.  die  post  Pentecosten  baptismwn  accepit  cum  universis  hominibus  suis'^ 
usw.  sieht  gegenüber  Bedas  ^^anno  DCXXVI.  Eanfled  fdia  Aeduini  regis  bapiix<ita 
cum  XII  in  sabbcUo  Pentecostes'^  (5,  24)  wie  ein  missverständniss  der  zahl  XII  aus. 

2)  Nach  §  63  Din  Quayroi  oder  Bin  Ouoaroi  zu  lesen. 

3)  Sie  lautet:  Anno  DXLVJI  Ida  regnare  coepit,  a  quo  regalis  NordanJiym- 
hrorum  prosapia  ariginem  tenet,  et  Xllannis  in  regno  pemiansit  (vgl.  Beda  5,  24). 
Post  hunc  Qlappa  I  anno.  Adda  VIII.  Aedilric  IUI  Tfieodric  VII.  Friduuald  VI. 
Hussa  VII  Aedilfrid  XXIUI  Aeduini  XVII  O^uald  VIUI  Osuiu  XXVm. 
Ecgfrid  XV.    Aldfrid  XX.     Osred  XI.     Coinred  U.     Osrid  XI.     Ceoluulf  VIII 

4)  Schon  hieraus  ergibt  sich,  dass  der  abschnitt  ^Penda  filius  Pybba  regna^ 
Vit  X  annis'^  usw.  (§  65)  späterer  zusatz  ist,  da  Penda  nichts  mit  der  nordhumbri- 
schen  königsliste  zu  schaüffen  hat 


diesen  regierungeD  aber,  anch  den  spateren,  wo  der  historiograpli  selbetändtg^  i 
tot,  wird  nasser  der  regiernngsdauer  uur  das  erzählt,  was  djrelrt  die  I 
angeht  oder  wobei  Britten  beteiligt  sind.  Wenn  Zimmer  s.  105  dioaeo  teil  e 
Bobichte  der  Angeln  und  Britten'  cetitit,  so  geschieht  es,  weil  er  die  spster  «inge- 
Bohohenen  genealoeieen  mit  hinzurechnat,  die  allerdinga  mebrere  daten  der  iogrin* 
geschieh to  nachtragen. 

Dieser  Brittengeschiehle  von  Ouorthigini  bia  679  hat  der  historiograph  eine 
einleitimg  vorauBgeschtokt.  Sie  ist  uns  glücklicherweise  in  Ch  erhalten,  wenn  aacb 
nicht  ganz  rein,  dach  nur  mit  wenigen,  leicht  aiiszuscheidonden  intcrpolationeo.  60 
können  wir  uns  denn  ein  sehr  genaues  büd  machen  von  der 

BrittengreBchklite  aus  dem  Jalire  679'.  Der  titel  mochte  lauten:  Liri- 
piunl  ejcerpla  filii  Urbagen  de  Ubro  sancli  Germani  inrenla,  er  geiulogia 
Britoiium.  Ncnnius,  der  den  titel  exrcrpta  auch  kennt  (s.  oben  9.  63),  scheint  den 
folgenden  naineo  bereits  nicht  mehr  haben  lesen  2u  können,  Denn  wo  er  sieb  nach- 
weislich nur  diese  quelle  beruft,  nennt  er  sie  unbestimmt:  traditio  relrrum,  gut 
ineola«  in  primo  fuertaU  Brittatmiae  (§17),  tetu»  traditio  aeniorum  nostrorum 
{§  27),  velere»  tibri  peterum  noslrortan  (§  17  anfang)'.  Das»  der  historiograph  als 
hanpttitel  laearpla  filii  Urbagen  beibehalten  hat,  bestätigt  wol  unsere  vermutaog, 
dasH  ihm  nicht  nur  für  das  mittelstück,  sondern  auch  für  den  schlussteil  aufxeioli- 
nujjgen  map  Urbgens  vorgelegen  haben. 

Die  einleitnng  des  workes  (betitelt  de  mtatibus  mundi?)  bildete  eine  unvoB- 
süludige,  mit  Nabucbcdonosai'  abbreohaode  periodisierung  der  Weltgeschichte  §4'  und 
eine  einteiluug  der  weltzeit  in  gex  atlale»  mundi  g  6.  Es  falzte  die  beschreibaag 
der  britannischen  insel  (§  7  —  9),  beginnend  mit  Brilannia  inaula  a  qiiodam  Bnilo 
eotuiäe  Romano  dicla  und  scbliessoud  mit  Britonea  olint  implc^&rUHt  Britamtia»* 
a  mari  utqm  ad  mart*.  Au  diese  erwähuung  der  Britten  sciiloss  sich  sofort,  wol 
mit  dem  soodertitcl  de  getielogia  Britonum,  g  17  an:  7>h  (Uii  Noe  di»isirvmt 
orbem  terrae  in  Ircs  partes  poat  dilupiufa  usw.  Primua  homo  venit  ad  Europom 
de  ganere  Jafeth  Älanua  cum  trihut  filiit  auw,  quorum  iiomina  aunl  Si»»ieion 
Armenon  Neugn.  Htiaieitm  hoAuit  ^uaiuor  filiot:  Franetta  Rontanim  Almanmu 
Brito  usw.  Ab  Hieateione  autem  quatuur  gente»  ortae  «»nf;  Fratwi  Laiini  Al- 
manni  ^^tonea  usw.  Islae  autem  gentea  stibdivisae  aant  per  lotam  Buropam.  Es 
ist  die  noch  MuUenhofl  um  520  entstandene  fränkische  vnlkertafel,  auf  JapheCh  ziirdok- 
gefdbit'.  Dia  lücke  von  Alanus  Bufwlirts  füllt  ein  ansuhliessender  Rtammbanin  aus, 
der  Alauns  dui'ch  eine  leihe  fiktiver  namen  mit  Jouan  (Javan),  dem  aobne  Japheths, 
verbindet  und  Japheths  elaminbaam  bis  auf  Adam  filius  Dei  verfolgt  Dieser  stamm' 
bäum  kann  dem  ursprünglichen  workcbeu  angehören,  da  er  den  Zusammenhang  nicht 
wesentlich  unterbricht.  Die  namen,  die  er  enthält,  tauchen  in  der  irischen  gelehr- 
tenlitteratur  des  10.  und  11.  Jahrhunderts  wider  auf  und  Zimmer  s.  234  fgg.  glaubt, 
sie  seien  aus  Irlond  entlohnt.  Der  umgokohrto  weg  der  entlehnung  ist  mir  wahr- 
scheinlicher. 

1)  Vgl.  Dnchesno  a.  a.  0.,  dem  ich  aber  nicht  durchwog  beistimme. 

2)  80  auch  in  der  einlcitung  g  3:  traditio  netenim  nostrorum. 

3)  Daas  der  spätere  g  ^  nicht  etwa  in  Ch  aosgelasseD,  sondern  von  NoDiiiiis 
erggnzt  ist,  ergibt  aich  aus  seiner  fossung. 

4)  Zu  den  quetlcn  des  abschoitts  vgl.  Zimmer  a.  2C5. 

5)  S.  Eeeger,  Trojanersago  der  Britten  s.  31  fgg.;  Zimmer  s.  232  fg. 


ÜBER  ZDIMKB,  NBNNITJS  YINDICATUS  87 

Nachdem  durch  die  yölkertafel  die  Römer  neben  den  Britten  eingeführt  sind, 
begini  die  geschichte  (§  19  —  20  mitte):  Romani  autefn  cum  aacepissent  dominium 
Mius  mündig  ad  Britannos  miserunt  legatos,  ut  ohsides  et  censum  accipercnt  usw. 
Der  abschnitt  erzählt  Caesars  dreimaligen  angriff  auf  Britannion  nach  verwirrter 
quelle,  in  der  man  Gildas,  Euseb-Hieronymus  und  des  Orosius  bericht  über  Caligu- 
las  (!)  zng  nach  Britannien  unterscheiden  kann^  Das  ist  alles,  was  der  historiograph 
von  den  Römern  zu  berichten  weiss;  er  schliesst  den  abschnitt  mit  dem  satzo:  Tri- 
hu8  vieihus  oceisi  sunt  duees  Romatiorum  a  Britannis,  den  später  Nennius  an  den 
aAfang  seines  §  30  gestellt,  aber  auch  in  §  28  verwertet  hat  Dann  geht  es  sofoit 
weiter  (§  31):  Factum  est  autem  post  supradietum  bellum  quod  fuit  inter  Britones 
€t  Romanos,  quando  duees  earum  occisi  sunt,  et  post  oceisionem  Maximi  tyranni, 
per  XL  annos  fuerunt  sub  metu.  Guorthigimus  regnavit  usw.  Mit  post  oceisio- 
nem Maximi  setzen  deutlich  map  Urbgens  excerpte  aus  dem  leben  des  Gcrmauus 
ein,  da  Maximus  vorher  gar  nicht  enväbnt  worden  ist.  Die  werte  können  kein  spä- 
teres einschiebsei,  etwa  auf  grund  der  iuteipolation  über  die  römischen  kaiser  in  Bri- 
tannien (hinter  §  10)  sein,  da  auch  jenes  Verzeichnis  nicht  mit  Maximu3  abschliesst. 
Im  vorhergehenden  abschnitt  hiess  es ,  Julius  habe  das  Imperium  Britanniae  47  vor 
Chr.  erhalten;  hier,  nur  ein  paar  sätze  weiter,  steht,  die  Sachsen  seien  regnante 
Oraiiano  seeundo  cum  Aequitio,  347  jähre  post  pa^sionem  Christi  von  Guorthigirn 
aufgenommen  worden,  so  dass  die  zwei  daten  unvermittelt  aufeinander  stossen.  Dio 
letztere  vielbesprochene  Jahreszahl  ^  stammt  also  gleichfalls  aus  dorn  liber  S.  Qcrmani, 
Da  sie  nach  dem  Zusammenhang  40  jähre  nach  Maximus*  tod  (f  388  n.  Chr.)  bedeu- 
ten muss,  sehe  ich  in  .cccxluii.  einen  alten  lesefehler  für  .cccxcuii.  (397),  so  dass 
des  Maximus  todesjahr  auf  357  post  passionem  Chr,  angesetzt  war.  Secundär  sind 
die  namen  der  jahresconsuln  aus  Victorius  Aquitanus  oder  Prospor  beigefügt,  aber 
vor  der  einverleibung  in  die.  Eist.,  welche  keine  römischen  Chroniken  benutzt  hat. 

Die  erzahlungen  von  Hengist,  S.  Germanus  und  Guorthigirn  bis  zu  dessen 
tode  (§  31 — 48  mitte)  sind,  wie  der  in  Ch  erhaltene  anfang  zeigt,  von  Nennius  nicht 
verSndert  worden.  Es  folgte,  mit  in  illo  tempore  an  Guoi-thigirns  tod  anknüpfend, 
der  spätere  §  56,  Hengists  tod  und  Arthurs  kämpfe;  endlich,  wie  oben  erörtert,  daten 
ans  der  geschichte  der  Britten,  angeknüpft  an  die  nordhumbrische  königsreihe  von 
vor  der  Ida  bis  zum  neunten  jähre  Ecgfrids  (§  5G  ende,  §  61  ende  bis  §  65  mitte). 

Der  historiograph  ist  also  zwar  nicht  wählerisch  in  seinen  quellen  gewesen, 
hat  aber  ein  einheitliches,  festgefügtes  werkchen  goschaffen.  Diese  einheit  wurde 
bald  durch  interpolationen  gesprengt  und  so  der  boden  für  Nennius'  grosse  erweite- 
rung  vorbereitet 

Interpolatloii  des  alten  werkchens.  Den  ersten  einschub  bildet  deutlich 
der  abschnitt  „de  origine  Britonum*^  in  Ch,  der  sich  zwischen  den  titel  „de  gene- 
logia Britonum^  und  den  zugehörigen  §  17  eingedrängt  hat'.  Dio  vaticanische  recen- 
sion  nimmt  ihn  in  den  §  10  des  Nennius  auf.  Ich  habe  den  eindruck,  dass  ihn  Hee- 
ger.  Über  die  Trojanersage  der  Britton,  —  er  nennt  ihn  bericht  B  —  nicht 
ganz  verstanden  hat  Was  dieser  bericht  über  die  Silvii  soll,  ist  in  der  tat  nicht 
auf  den  ersten  blick  zu  erkennen;  erst  der  Wortlaut  der  quelle,  Euseb-Hieronymus 
a.  Abr.  878,  klärt  darüber  auf.    Dort  heisst  es:  Latinorum  in  Sylvius  Äeneae  filius, 

1)  Zimmer  s.  189.  191.  199.  266.  271. 

2)  Zuletzt  darüber  Zimmer  s.  199—206. 

3)  Dass  er  auch  der  quelle  des  Nennius  urspiünglich  eignete,  geht  aus  dem 
folgenden  hervor. 


88  THüBNKTBElf 

an,  XXIX.  Sylptus  Postfmtnus,  quia  post  mortem  pcttris  editus  ruri  fuerat  edu- 
öatus,  et  Syhii  et  Posthumi  nomen  accepit,  a  quo  omnes  Älbanorum  re^es  Sylvii 
rocati  sunt.  Offenbar  sind  die  Albani  als  „bewohner  Albions*^  verstanden  worden. 
Das  ist  besonders  leicht  begreiflich,  falls  die  quelle  des  interpolators  ans  Iilaiid 
stammte;  denn  der  bewohner  der  englischen  insel  heisst  altirisch  fer  Älban  {mann 
Albions)  oder  Albanach.  Doch  war  das  misverständniss  auch  sonst  möglich^.  Tks 
Torf asser  des  abschnittes  will  also  zweierlei  erklären:  erstens,  wanim  die  (reges)  Bri- 
tones  den  namen  Silrii  führten.  Die  erkläning  lieferte  dieselbe  quelle,  aus  der  die 
nachrioht  geschöpft  war.  Zweitens,  warum  Britannia,  also  auch  die  BritoneSy'a 
quodam  Bruto  consule  Romano  benannt  sind  (§  7).  Hier  hilft  ihm  seine  künde,  dass 
Brutus  erster  konsul  von  Rom,  also  offenbar  bei  dessen  gründung  beteiligt  war;  fer- 
ner dass  er  den  ganzen  westen  erobert  hatte.  Letztere  nachrioht  fliegst,  wie  schon 
mehrfach  bemerkt  worden,  aus  Euseb-Hieronymus  a.  Abr.  1875:  Brutus  (gemeint  ist 
D.  Brutus  Callaious)  Hibenam  usque  ad  Oceanum  subigit.  So  bietet  der  abschnitt, 
den  ich  nach  Ch  und  Vat.  einigermassen  emendiert  hiehersetze*,  keine  Schwierigkeit 
mehr,  sobald  man  im  äuge  behält,  dass  in  der  excerpierten  quelle  vorher  davon  die 
rede  gewesen,  dass  die  Britones  (eigentlich  ihre  köoige)  Siltii  hiessen. 

De  Rornanh  et  Oraeris  trahunt  efgmologiam,  id  est  de  matre  Lovina,  fitia 
Latini  regis  Italtae,  et  pafre  Silrii  Aenea\  filio  Anehisae\  [fiUi  Troi],  filii  Dar- 
dani.  Idtm  Danianus,  filius  Saturn  i  regis  Graecontmf  perrexit  ad  partem  Asiae 
et  Drous  filius  Dardan i  aedifiearit  urbem  Trojae.  Drotts  pater  Priami  et  Aneki- 
sae,  Anehises  pater  Aefieae,  Aeneas  pater  Aseanii  et  Silrii.  Silrius  filius  Aeneae 
et  Larinae,  filiae  regis  Italiae.  Et  de  stirpe  Silrii,  filii  Aeneae  ex  Ijarina,  orti 
sunt  Remus  et  Romulus  et  Brutus,  tres  filii  reginae  sanetimonialis  Reae,  qui 
feeerunt  Romam.  Bruttts  ecnsul  fuit  in  Roma  primus,  quando  expugnarit  HispO' 
niam  ae  iletraxit  in  serritutem  Romae:  et  iH)stea  tenuit  Britanniam  insulam, 
qmrm  habitabant  Britones  Silrii*,  olim  Silrio  Pbsthumo  orti.  Idee  dicitur  Post- 
kumus,  quia  pK^st  mortem  Aeneae  patris  e/us  ftatus  est.  R  fuit  maier  efus  LO" 
rina  semper  ela nutest itM,  quando  fuit  praegnaris:  iiieo  Silrius  dietus  est,  quia  im 
siJn»  natus  est.  Et  ideo  Silrii  dieti  sunt  reges  Roman i  et  Britones,  quia  de  eo 
nati  sunt:  sed  a  Bruto  Britones*. 

]>ie6<?r  einsohub  I,  trio  ioh  ihn  nennen  will,  hat  zahlreichen  weheren  gerufen. 
Zunük^hs:  ermo^l::ht*?  or  üe  reittvstimmun^:  i^einschub  ID:  Quando  regnabat  Btüo 
in  BritijnHhi,  HfH  sM'enics  nttiit''.tt'.it  in  Hisrael,  et  tune  areMa  tesiamenii  potsi" 
dehi^r  ab  aiieHi*:eHis:  Pj<^:i*fHus  ;>»>,*<fr  e/us  regtabat  apud  Latin<:>s.  Der  verfin- 
«r  Üo;»!  üocis  kcr.E:  *m>  der  volkonafel  i,§  17^  Brl:..^  als  ersten  Britten  and  weiss 
455  i^i'^i^-hub  L  iks«  tT,  w>  all^  Fri:^Hes.  den  riTen  SÜriii*  f^ne  und  s(^  des 
Silvvij  r,^n=:u5  w^lt.  Zur  ur.:»?rH.he:iu.::j  d*s  Silv:u<  ;-Br:w'  von  einem  in  T^^Hmr^ 
h*rT^"hT?zien  brii^??  F:*:u=:u>  n:,vh:e  E^.i<<^b  -  HU^rjcvraui  a.   Abr.  906   den   anitts 

^    l±  r-*«S?  alltri^rc?.  iis?  er  Ä:ii:r.  n:r  vi-Iec  feilem^ in  üe  Hist.  acf^ 
nomz:^  wirie.  bilie  =-.::  aIsc  ::>:h:  e:::.  c^a  iLiVjrüurlich-n  text  mian  n  bieten. 
o«  ec  jMcm  c^4«rKft'•4oe  Ch,  ec  yr^^-g^ni^  SUr^ni  Vi:. 
4    "^'.u  I>kBT.'ii»  Oti,  •*  r%j.'*j  Vir. 

ö    ]^::nes  "»Vi*i  t."**  Oh..  y^n^^^Htes  K,^'H^i/9c*^^n  •»•V»  Vas. 
•?    P*f  :M^::i-f;    es  i^  ssirt^  -^-uci  s^rryaatriM:  Ik  eis  scdfierer«   vMIeicIit 


ÜBER  ZDiMER,   NENNIüS   YINDICATUS  89 

geben,  wo  vom  nachfolger  des  Silvios  Postum us  bemerkt  ist:  Latinorum  IUI  Aeneaa 
Syhius,  an.  XXXI.  In  alia  histaria  reperimus,  IV.  iMt.  Sylvium  regnasse ,  La- 
viniae  ei  Melampodis  filium,  uterinum  fratrem  Posthumi,  et  V.,  qui  nunc  hie 
IV.  panitur,  Sylviutn  Äetieam  Posthumi  fUiwn.  Die  nächst  vorhergeheDden  daten 
der  hebräischen  geschichte  sind  bei  Euscb-Hieronymus  a.  Abr.  861:  Hdi  sacerdos 
annis  XL  und  900:  Mortuo  Heli  sucerdote  arca  testamenti  ab  alienigenis  posside- 
iur.    80  gelang  es,  den  ersten  Britten  zeitlich  zu  fixieren. 

Das  ist  alles,  was  Ch  vom  späteron  §  11  enthält.  Allein  noch  blieb  die  lebens- 
geschichte  dieses  Brito  filius  Silvii  Posiumi  zu  schreiben  und  zu  erklären,  wie  er 
nach  Britannien  gekommen;  denn  der  einschub  I  bot  ja  nui':  Britanniam  . .  quam 
habitabant  Britones  . .,  olim  Silvio  Posthumo  orti.  Das  ist  dann  später  durch  den 
&belhaften,  mit  weiteren  citaten  aus  Euseb-Hieronymus  geschmückten  bericht  bei 
Nennius  §  10.  11  (Heegers  bericht  A)  bestens  besorgt  worden.  Er  hat  den  einschub  I 
dort  völlig  verdrängt;  nur  das  verräterische  autem  in  §  10  ist  stehen  geblieben.  Dass 
Nennius  den  kern  dieser  erzählung  selbst  erfunden,  bezweifelt  man  mit  recht,  beson- 
ders da  er  sich  dabei  ausdiücklich  auf  annales  Romanorum  beruft,  eine  quelle,  die 
nach  der  vorrede  §  3  von  den  chrofiica  Hierofiymi  zu  unterscheiden  ist  Heeger 
und  Zimmer  vermuten  irischen  Ursprung;  letzterer  denkt  bei  der  stelle:  in  nativi- 
täte  illius  mulier  mortua  est  . . .  et  voeatum  est  noynen  ejus  Brito  an  ein  Wort- 
spiel mit  irisch  brith  ^geburt*^  (s.  246). 

Wie  dem  auch  sei,  schon  in  hdschr.  Ch,  also  vor  Nennius  hatte  ein  dritter 
adnotator  den  Widerspruch  zwischen  einschub  I,  der  die  Britton  aufDardanus  zurück- 
führt, und  §  17,  wo  als  Stammvater  AJanus  und  weiter  hinauf  Japheth  genannt  ist, 
durch  einen  beide  verschmelzenden  Stammbaum  zu  beseitigen  gesucht  (§  18).  Indem 
er  auf  grund  der  Schlussworte  von  einschub  I:  a  Bruto  Britones  den  Eponymen 
Brutus  mit  dem  Stammvater  Brito  (in  §  17)  identificiert,  setzt  er  einen  Stammbaum 
aus  drei  stücken  zusammen:  1.  von  Adam  bis  Elisa  (Flisa)^  grosssohn  des  Japheth; 
2.  von  Dardanus  über  Aeneas  bis  Hea  Silvia,  tochter  des  Numa  Pampilius  (gemeint 
ist  Numitor);  3.  von  Alanus  über  Hissicion  auf  Brutus  (=  Brito)*.  Dieser  Stammbaum 
nebst  den  notizen  über  die  von  Japheth  abstammenden  Völker  ist  längere  zeit  randnote 
geblieben;  daher  erscheint  er  in  hdschr.  Ch  und  bei  Nennius  an  abweichender  stelle 
eingereiht*. 

Um  die  ganze  genealogienfrage  gleich  hier  im  Zusammenhang  zu  erledigen, 
sei  noch  die  randnote  erwähnt,  die  die  ,nordwelscho  recension*',  d.  h.  wol  ebenfalls 
Nennius  (s.  u.),  zu  §  10  beifügt  und  zwar  zu  der  stelle:  et  erit  exosus  omnibus 
haminibus.  Sie  evenit,  . . .  et  voeatum  est  nomen  efus  Britto.  Die  note  lautet 
(Zimmer  s.  25):  Haec  est  genealogia  istius  Bruti^  exosi  (nunquam  ad  se  nos\  id 
est  Britones  f  ducti,  quandoqtie  volebant  Scotti  nescientes  originis  sui  ad  istum 
damari):  Brutus*  rero  fuit  filius  Silvii  fil.  Aseanii  fil.  Äeneae  fil.  Änchise  fil. 
Capen  fil.  Äsaraci  fil.  TVos  fil.  Äerectonii  fil.  Dardani  fil.  Jovis  de  genere 
Catn  filii  maledicti  videntis  et  ridentis  patrem  Noe.  Tros  vero  usw.  (folgen  nach- 
richten  über  Tros'  nachkommen).     Sic  inveni,   ut  tibi  . . .  scripsi;   sed  haee  genea- 

1)  S.  Heeger,  Trojan  er  sage  s.  25.  Durch  weitere  vermengung  nennen  dann 
einige  hss.  des  Nennius  den  beiden  von  §  10.  11  Bruto  statt  Brito  oder  Britto. 

2)  S.  Monmisen,  a.  a.  0.  239. 

3)  So  San-Marte  und  Zimmer.  Petrie  gibt  als  losart  von  hs.  E  und  N  (bei 
ihm  B  and  C)  Briti  und  unten  Britus,  von  hs.  L  (bei  ihm  A)  Brito. 

4)  ad  saevos  San-Marte. 


90  THURNEYSEN 

logw  nomtcripta  in  aliquo  volioninc  Britanntae,  sed  in  scriptione  mentis  striptortB 
fuii.  Nach  dem  schlusssatz  schreibt  der  Verfasser  diese  uotiz  aus  dem  köpfe  und,  wie 
das  schlechte  latein  des  anfangs  vermuten  lässt,  sehr  flüchtig  nieder.  Darf  man  dort 
in  ad  istum  einen  flüchtigkeitsfelilor  für  ab  isto  sehen,  so  lässt  sich  etwa  folgendes 
herauslösen:  ^Auf  den  Brutus,  dessen  Stammbaum  ich  gebe,  sind  wir,  die  Britten, 
niemals  zuiückgoführt  worden,  obschon  die  Iren,  die  ihre  eigene  Urgeschichte  nicht 
kannten,  von  ihm  bezwungen  sein  wollten*^  ^  Das  bedeutet  wol:  irische  antiqnare 
behaupteten,  jener  konsul  Brutus,  der  den  ganzen  westen  erobert  (s.  oben  b.  88), 
habe  Irland  (und  Britannien)  iK^zwungcn  und  die  Britton  stammten  von  ihm  ab.  Sie 
scheinen  diesen  Brutus  an  die  stelle  des  Brite,  söhn  des  Silvius,  der  anttales  RomO' 
nornm  gesetzt  und  seinem  ahnen  Aeneas  einen  genaueren  Stammbaum  gegeben  zn 
Imben,  als  er  im  alten  einscliub  I  besessen.  Der  brittische  glossator  citiert  diesen 
Stammbaum  nach  dem  godüchtniss,  nimmt  aber  die  thcorie,  dass  der  Stammvater  der 
Britten  Brutus  und  nicht  Britto  gewesen,  nicht  an.  Dass  er  ausdrücklich  bemerkt, 
diese  g^nealogie  finde  sich  in  keinem  buche  Britanniens  geschrieben,  geschieht  wohl 
darum,  weil  ja  einschub  I  der  alten  Bist.,  den  schon  die  Harieian-reccnsion  als  irrig 
und  unverständlich  untcrdriickt  hatte,  allerdings  anklänge  bot,  aber  doch  tatsäch- 
licli  abwich.  Kuum  geht  aber  daraus  hervor,  dass  eine  frühere  reconsion  der 
Bist,  den  titol  Vohimen  Britanniae  geführt  hal)e  (Zimmer  s.  41).  Der  irische 
über.^^etzer  hat  den  stamml»aum  —  mit  einigen  weitem  Zwischengliedern  zwischen 
Cam  und  Juppitor  —  in  den  toxt  von  §  10  eingefügt  (wie  hs.  L)  und  vermittelt  zwi- 
schen Widen  bestandteilon,  indem  er  sowol  den  Britto  als  den  Brutus  der  Hist. 
Britus  nennt.  Kr  bemoikt  zum  Stammbaum  (Todd  s.  3G):  «So  hat  unser  erhabener 
senior  Ouanath  die  gonenlogie  der  Britten  aus  den  chroniken  der  Römer  ausgezogen.* 
Tixld  und  Zimmer  vormuton.  dass  damit  Über  Cuanarh  .Cuana's  buch**  gemeint  sei, 
das  in  den  Tlsterannalen  vom  jähre  467  bis  628  öfters  als  quelle  citiert  wird.  Das 
ist  wahrsohoinlioh.  Dieses  frühe  werk  hat  dann  aber  gewiss  nur  den  älteren  teil  des 
Stammbaums  etwa  bis  auf  Aeneas  oder  Ascanius  enthalten;  denn  die  sage  von  Bru- 
tus, dem  söhne  des  Silvius«  kann  damals  noi*h  nioht  gebildet  gewesen  sein.  Immer- 
hin winl  dadurch  lH>stäti>n.  dass  die  quelle  des  Adnotators  der  ^nordwelschen  recen- 
sion^  in  Irland  zu  suchen  ist. 

Auf  derselK'n  komMnatii»n  des  Brutus  der  raudnotcv  mit  dem  Britto  von 
§10.  11  Ivruht  dann  der  so  Krühmt  gewonlene  Brutus  des  Galfred  von  Monmouth. 

So  hisfrt  die  neue  handschrift  das  lawinenartige  anschwellen  des  genealogieen- 
chaos  mühcl«.'*s  erkennen,  an  dem  bisher  so  viel  verijeblich  herum  geraten  worden  ist, 
weil  eleu  Kn  No!mius  icorade  der  urkem,  eiuschub  I,  fehlt. 

Die  duFv'h  ein<«  Iiub  1  in  das  eiuhoitlirhe  workchen  gerissene  lücke  ist  aber 
früh  riOv'h  durch  in  torpolat  Ivanen  andtTn  in  halt  s  en^eitort  worden.  Der  historiograph 
hatte,  wie  oWn  lomt^rkt,  von  der  römischon  kaisi^rzeit  nichts  zu  berichten  gewnsst 
Dii*s  IvwOiT  einen  kunvi'oTen,  ein  Verzeichnis^  der  impcmtofr^  qui  in  Briianmiam 
r*'»it  r?*/i.*  o::::ul'i:eu,  »rciMuor  eine  liste  der  rv-mischen  herrsoher,  die  in  Britannien 
^nvoilt  hal-^r..  Sic  >teht  ::;  Ch  hinter  einsohub  I-.  Auf  den  ersten  blick  scheint  sie 
aus  IVJa.  Hist.  occl.  1.  *J— 11  ausci^zv^en,  an  den  sie  oft  wörtlich  anklingt  Da 
alvr  die  lvtr.:?-::-.:on  kapit-.I  Km  K\ia  crv^ssenteüs  aus  wortlichen  excerpten  aas  Oro- 

V  Ktwds  anierv  Zimmer  s.  -.'>•  und  o9  fs:..  dem  ich  nicht  folgen  kann. 
•J»  V.u.   br.n^:  olv::f.i'.!<   die    irnivratoriMilist^*  am   anfan^   hinter  den   eaicuii, 
aber  ceändert  nach  i;:m  text  des  Neuuius  §  10  -  20. 


ÜBER  ZIMMKR,   NSNNITIB   VINDICATUS  91 

shis  bestehen,  so  firagt  sich,  ob  die  liste  nicht  vielmehr  direkt  oder  durch  andere 
Zwischenglieder  aus  diesem  geflossen.  In  der  tat  spricht  hiofür  verschiedenes.  Sie 
beginnt  mit:  Julius  imperator  primtis  in  Britaniam  venit  per  Renum  et  Oerma- 
niam  usque  TcMtensis  bellum.  Das  missverständniss,  dass  Caesar  über  den  Rhein 
und  Germanien  nach  Britannien  gelangt  sei,  erkläi*t  sich  leicht  aus  Orosios  VI  8,  23  — 
9,  2,  aber  kaum  aus  Beda  1,  2.  Die  berichte  über  die  folgenden  imperatoren 
2.  Glaadius,  3.  Soverus  (Reversus),  4.  Carausius  tyrannus  (Curatius  tirenus)  ent- 
scheiden nichts.  5.  Canstantinus  Constantini  magni  pater,  vir  iranquilliaaimus ; 
iüe  Constantinus  in  Britannia  morte  ohiit;  qui  Constantinurn  filium  ex  concu- 
lw9a  Helena  ereaiwm  imperatorem  Oalliarum  reliquit;  qui  in  Britannia  obiit. 
Dieser  Constantinus  beruht  wol  auf  einer  voimengung  des  Constantius,  vater 
Constantins  des  Grossen,  mit  dem  britannischen  tyi-annen  Constantinus  (OrosiusYII 
40,  4  fgg.  ^  Beda  1,  11).  Der  satz:  „qui  Gonstantinum  filium*^  usw.  steht  genau 
so  bei  Orosius  VII  25,  16,  während  Beda  1,  8  schreibt:  „kic  Constantinum*^  usw., 
allerdings  ein  unwesentlicher  unterschied.  Es  folgt  6.  Maximus  imperator  in  Bri- 
tania  ordinatur  invitus^  cum  quo  Martinus  sepe  locutus  est.  Den  zusatz  von  Mar- 
tinns  kennt  weder  Orosius  VII  34,  9  noch  Beda  1,9;  er  weist  vielleicht  auf  ein 
Zwischenglied.  Endlich  7.  Qracianus  Valeutiniani  filius,  qui  in  Romam  a  Bre- 
tannia  exiit  et  ibi  a  Maximo  ocisus  est;  cujus  sanguinetn  vindieavit  Eugenius  de 
Maximo,  et  postea  Eugenium  occidit  pro  Valentiniafw  Qraeiano  frater  (etwa  zu 
bessern:  et  postea  Eugenium  occidit  Theodosius  pro  ValefUiniano  Oratiani  fratre). 
Dieser  Qracianus  ist  sicher  ein  misch produkt  aus  kaiser  Gratianus,  dem  söhne  Ya- 
lentinians,  der  nie  in  Britannien  gewesen,  und  dem  britannischen  tyrannen  Gratianus 
(Orosius  VII  40,  4  =  Beda  1,  11).  Der  schluss  kann  gar  nicht  aus  Beda  stammen, 
da  dieser  den  Eugenius  nirgends  erwühnt,  wol  aber  aus  Orosius  YII  35,  11  fgg.  ^ 
Somit  ist  die  liste  nicht  aus  Beda  geschöpft.  In  welchem  verhältniss  steht  sie  nun 
za  ihm?  An  und  für  sich  könnten  zwei  historiker  der  englischen  insel  selbständig 
auf  denselben  gedanken  gekommen  sein,  die  römischen  horrscher,  die  Britannien 
gesehen,  aus  Orosius  auszuziehen;  merkwürdig  wäre  aber,  dass  sie  in  der  excerpie- 
roDg  80  oft  übereinstimmen,  da  das  thema  doch  immerhin  einigen  Spielraum  liess. 
Das  begreift  sich  besser,  wenn  Beda  dasselbe  oder  ein  ähnliches  Verzeichnis  vorlag, 
das  ihm  die  anregung  zu  jenen  kapiteln  gab  und  das  er  dann  nach  Orosius  sehr 
gründlich  ergänzte  und  verbesserte. 

Diese  ansieht  wird  bestätigt  durch  die  von  Zimmer,  Mommsen  imd  Duchesne 
besprochene  legende,  die  sich  gleichfalls  in  jenen  anfangskapiteln  Bedas  findet,  dass 
Lucius  Briltaniarum  rex  durch  papst  Eleuther  das  Christentum  erhalten  habe  *.  Zwar 
stammt  Bedas  text  aus  dem  liber  pontificalis  (um  520  vorfasst,  hs.  seit  ende  7.  Jh.), 
nicht  aber  die  Jahreszahl  167  (Beda  5,  24),  die  zu  papst  Eleuther  nicht  stimmt. 
Die  legende  fehlt  der  liste  in  Ch,  taucht  aber  bei  Nennius  §  22  mit  demselben  datum 
wider  auf".    Der  abschnitt  §  20  mitte  bis  §  29  bei  Nennius,   der  in  Ch  noch  nicht 

1)  Das  ist  der  Owein  oder  Ytaein  ah  Maxen  Wlcdio  „Eugenius,  söhn  des 
tynumen  Maximus*'  der  welschen  Triaden.  Der  nachfolger  des  Maximus  ist  zu  sei- 
nem söhne  geworden. 

2)  8.  Zimmer  s.  140  fgg. ;  Mommsen  a.  a.  o.  291 ;  Duchesne  a.  a.  o.  186  A.  2. 

3)  Hier  heisst  der  papst  Eucharistus;  eljeutlier  mag  in  der  tradition  zu 
euekarfistus  verderbt  worden  sein.  Die  lesart  einiger  hss.  Euaristus  ist,  wie 
Mommsen  zeigt,  eine  gelehrte  verschlimmbesscrung,  indem  kein  pnpst  Eucharistus,  wol 
aber  ein  Euaristus  (96  —  108)  bekannt  war. 


92  THUKNEY8KN 

vorhanden  ist,  erzählt  von  den  Römern  iu  Britannien  und  beruht  deutlich  auf  der 
impcratorenliste  von  Ch,  ergänzt  und  ausgeschmückt  nach  Euseb-Hieronymus  und 
Prosper,  nur  §  27  (und  30)  wol  nach  einer  von  Gildas  abhängigen  secundärqueÜA 
(Zimmer  s.  197.  267).  Nennius  hatte  aber  eine  doppelte  vorläge  für  diese  panignb- 
phen.  Er  citiert  §  27  erstens  die  traditio  seniomm  nostrorum,  welche  7  impero' 
tores  aufzählte;  das  ist  die  liste  in  Ch.  Nur  nennt  er  den  7.  nicht  Oratianus,  son- 
dern durch  irgend  ein  weiteres  missverständniss,  vielleicht  nach  der  Gildasquelle, 
Maximianus  (§27,  vgl.  §29  anfang),  schi-eibt  ihm  aber  taten  des  Maximus  zu. 
Tann  fährt  er  fort:  Romani  autem  dicimt  novem  fuisse,  und  fügt  noch  einen  aliut 
Severus  und  einen  Constantius  bei*.  Er  hatte  also  neben  der  interpolierten  Brit- 
i engeschichte  noch  eine  zweite,  etwas  erweiterte  im peratorenüste,  die  er  als  „römisch* 
bezeichnet.  Aus  dieser  muss,  da  wir  seine  quellen  ziemlich  vollständig  überblicken, 
auch  §  22,  die  legende  von  könig  Lucius  und  das  datuin  167,  übernommen  sein.  So  ist 
das  erweiterte  verzeichniss  der  im])eratoren ,  welche  Britannien  besucht,  gewiss  die 
gemeinsame  (juolle  von  Bedn,  und  Nennius  gewesen.  Femer  wird  aus  ihr  die  angäbe 
stammen,  dass  die  Römerherrschaft  in  Britannien  409  jähre  gedauert  habe  (Nennius  §28). 

Eine  Vermutung  liegt  nahe.  1d  §  10,  für  die  geschichte  des  Britto,  wurden 
annales  liomanonim,  die  nach  Irland  zu  weisen  schienen,  als  quelle  angefühlt 
Hier  wird  die  im  {Kuratoren  liste,  die  den  ei*ston  brittischen  Christen  Lucius  enthielt, 
den  Romani  zugeschrieben.  Beide  abschnitte  sind  erweiterungen  von  kapiteln  der 
vomennianischen  Bist,  wie  sie  in  Ch  vorliegt.  Sollte  es  sich  nicht  um  ein  und 
dieselbe  quelle  handeln?  Zimmer  erwähnt  s.  145,  dass  könig  Lucius  in  der  kym- 
rischen  litteratur  Lcs  (Lies)  heisst  und  gibt  eine  unhaltbare  erklärung.  Nun  bedeutet 
its  altirisch  (aber  nicht  kymrisch)  „  licht '^.  Also  ist  wol  entweder  Les  die  irische 
\.\  ersctzung  von  Lucius  oder  umgekehrt  Lucius  die  latinisierung  eines  irischen  La, 
Sollte  nicht  der  Britanuierköuig  Lucius  nebst  seiner  legende  überhaupt  eine  irische 
erfindung  sein  und  auch  der  Über  pontificaiis  von  nach  Rom  pilgernden  Iren  die 
notiz  übernommen  haben?  Auch  dies  spricht  dann  für  gemeinsamen  Ursprung  bei- 
der abschnitte. 

Hätte  Mommsen  (a.  a.  o.  292  fg.)  mit  der  annähme  recht,  dass  auch  die  namen 
Vurtigemus,  üengist  und  ITorsa  bei  Beda  auf  engen  Zusammenhang  mit  Nenniu 
weisen,  so  hätten  wir  wol  dieselben  annales  Ro^nanorum  als  Bedas  nächste  quelle 
anzusehen;  sie  hätten  dann  also  noch  weitere  bestandteile  der  Hist  Brit.  enthalten. 
Doch  bin  ich  mit  Zimmer  der  ansieht,  dass  Beda  diese  namen  nicht  aus  der  Hist 
haben  muss,  ja  dass  ihre  form  diese  annähme  gar  nicht  empfiehlt  Somit  können 
wir  den  aniiaks  Romanorum  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  nur  die  Britto -geschichte 
und  die  erweiterte  kaiseriiste  zuschreiben.  Über  eventuelle  weitere  bestandteile 
8.  die  folgende  seite. 

Die  ältere  impcratorenliste  zeigt  in  hs.  Ch  vom  und  hinten  einen  auswucha. 
Jemand,  der  wusstc,  dass  vor  den  römischen  kaisern  Caesar  nach  Britannien  gekom« 
men,   diesen  aber  in  dem  Julius  imperator  der  liste  nicht  erkannte,   schickte  ihr 

1)  Das  missverständniss  hat  er  offenbar  aus  seiner  quelle  übernommen,  dia  fSr 
den  ^zweiten  Severus **  die  Epitomo  des  Aurelius  Victor  benutzt  zu  haben  scheint 
(Zimmer  s.  lOG).  Es  mag  auf  einer  älteren  notiz  beruhen,  dass  in  zwei  imperatoreo 
der  alten  liste  je  zwei  personen  zusammengeflossen  sind,  im  5.  Constantius  und  dtr 
t^'rann  Constantinus,  im  7.  kaiser  Oratian  und  der  tyrann  Gratian.  Die  letztere  notix 
ist  dann  fal-schlieh  auf  den  dritten,  Severus,  bezogen  worden  und  durch  ein  weiftenB 
versehen  erscheinen  nun  bei*  Nennius  2  Consta niii  und  2  Severi, 


ÜBER   ZIMMER,   NENNIUS   VINDICATUS  93 

voran,  dass  Gajus  Julius  Caesar,  misstis  ah  imperatore  Latinoy  dreimal  mit  Casa- 
bellaunus  gekämpft  uad  ihn  schliesslich  getötet  habe.  NcDuius  konnte  diesen  passus, 
auch  wenn  er  ihn  vorfand,  nicht  brauchen,  da  er  inhaltlich  mit  §  19.  20  zusammen- 
fällt. Endlich  hinter  der  liste  steht  die  notiz,  Libine  (Leofwine?)  abt  von  Inripum 
(Ripon)  habe  als  jähr  der  Sachsenankunft  500  n.  Chr.  berechnet.  Das  datum  hat  also 
nicht  erst  in  der  ueuzeit  viele  köpfe  beschäftigt.  Aus  dem  verderbten  schlusssatz 
liest  Dachesne  (s.  182)  heraus,  dass  diese  note  a.  801  entstanden  sei.  Neunius  scheint 
de  nicht  gekannt  zu  haben. 

Die  nächste  gestalt,  in  der  uns  die  Biittengeschichte  entgegonti'itt,  ist  der  sog. 
Xeimiiis.  Und  zwar  sind,  wie  Zimmer  mit  recht  annimmt,  die  hss.  die  altertüm- 
Uchsten,  die  den  schluss  ungekürzt  erhalten  haben;  sie  bilden  die 

Harleian-reeension.  Einige  ihrer  neuerungen  sind  schon  besprochen,  so 
der  Wegfall  von  einschub  I,  femer  §  10.  11  (geschichte  des  Britto),  §  20  mitte  bis 
g  30  (die  Römer  in  Britannien).  Ausserdem  ergänzt  diese  recension  die  unvollstän- 
dige Zeitberechnung  in  §  4  durch  die  fragwürdigen  zahlen  von  §5,  von  denen  die 
drittletzte  (Adam  bis  pctssio  Christi  5228  jähre)  wol  auf  Prosper  Tiro  als  quelle 
weist.  In  der  RevueCeltiqueG,  105  fgg.  habe  ich  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass 
eine  entsprechende  rechnung  mit  demselben  hexenoinmaleins  sich  in  dem  um  987 
gedichteten  irischen  Saltair  na  Rann  findet.  Ich  dachte  damals  an  eine  gemein- 
same quelle,  wie  jetzt  auch  Zimmer  (s.  185  fg.).  Da  aber  §  4  und  §  5  sich  erst  in 
derHist.  zusammengefunden  haben,  muss  die  rechnung  des  Saltair  —  wol  indirekt 
—  aus  Nennius  selber  stammen. 

Mit  §  12  — 14  werden  die  sagen  von  der  einwandeiimg  der  Picten  und  Iren 
Bingeschoben  (vgl.  dazu  Zimmer  s.  221  fgg.);  wieso  Duchesne  zweifeln  kann,  ob  nach 
irischer  quelle,  ist  mir  bei  dem  irischen  ausdruck  Dam  Hoctor  „truppe  der  acht 
mano*^  in  §  14  unverständlich  (s.  Zimmer  s.  222).  Da  sie  unmittelbar  hinter  den  aus 
den  annales  Rofnanorum  geschöpften  paragraphen  10.  11  stehen,  obschon  die  berichte 
aber  den  Brittenurspiung  im  §  17  wider  aufgenommen  werden,  können  sie  leicht  aus 
derselben  quelle  geflossen  sein;  dann  ist  deren  irische  herkunft  zweifellos.  Sicher  ist 
die  annähme  darum  nicht,  weil  in  der  vorrede  §  3  auch  armaUs  Scottorum  erwähnt 
werden.  Der  schluss  von  §  14'  (über  Cuneda)  enthält  ein  versehen  des  brittischen 
redaktors,  veranlasst  durch  §  62,  wie  Zimmer  s.  92  gut  nachweist. 

Da  diesen  erzählungen  genauere  daten  fehlten,  lieferten  peri^isstmi  Scottorum 

dem  redaktor,   wol  auf  sein  verlangen,   einige  anhaltspunkte  durch  die  angaben,   die 

in  §  15  niedergelegt  sind.    Wahi-scheinlich  geschah  diess  mündlich   (mihi  nunciave- 

runt);   daher  das  ängstliche  vermeiden  irischer  eigennamen  in  diesem  abschnitt  und 

wol  auch  der  grobe  Schnitzer  in  der  Zeitrechnung,   den  Zimmer  s.  186  fgg.  aufdeckt. 

Der  Paragraph  enthält  den  ältesten  bericht  über  den  irischen  eponymen  Goidel  Glass 

und  seine  auswanderung  aus  Ägypten,   nachdem  Pharao  im  roten  meere  ertrunken. 

Man  beachte,   dass  er  hier  durch  Afrika  wegwandert,   während  er  schon  in   dem 

gedieht  desMael-MuruOthna^  (t887)  und  dann  im  Saltair  na  Rann  (um  987)  auf 

^^mmen  zum  kaspischen  meer  und  nach  Scythicn  fährt,   von  späteren  umgestaltun- 

tnngen  im  L^or  Oabdla  zu  schweigen'.     Doch  ist  hier  nicht  der  ort,   auf  diese 

inachen  gelehrtenfabeln  einzugehen. 

1)  ed.  Todd,  Irish  Nennius  s.  220  fgg. 

2)  s.  Rev.  Celt.  6,  101.     Nicht  geschickt  ist  es  und  führt  leicht  irre,   wenn 
Zinuner  eine  erschlossene  quelle  dos  Lebor  Qabdla  „liber  occupationis*',   das  wol  im 


94  THURNEYSEN 

Es  folgen,  Dachdem  §  15  mit  excerpten  aus  Gildas  abgeschlossen  worden,  in 
§  16  noch  solche  irische  daten,  die  vermutlich  gleichfalls  peritissimi  Scottorum 
geliefert  hatten,  die  aber  in  der  Brittengeschichte  nicht  anzubringen  waren,  yermiadit 
mit  ein  paar  eigenen.  Da  sich  einige  der  älteren  darunter  auf  Patricius*  ankunft  in 
Irland  beziehen ,  mögen  sie  den  anstoss  gegeben  haben  zu  der  nächsten  grossen  Inter- 
polation, das  leben  dos  heil.  Patricius  betrefTend,  §50  —  55.  Dass  sie  erst  von  die- 
sem redaktor  hernihrt,  lässt  sich  freilich  insofern  nicht  strikte  beweisen,  als  eine 
direkte  vergleichung  mit  der  älteren  vorsion  für  diese  teile  nicht  mehr  möglich  ist. 
Da  der  abschnitt  aber  keinesfalls  ursprünglich  ist  und  da  diese  recension  auch  sonst 
irische  quellen  benutzt  hat,  bietet  die  annähme  keine  bedenken.  Die  Patriciuslegende 
ist,  wie  Stokes  (The  Tripartite  Life  of  Patrick  I  s.  CXYIU)  andeutet  und  Zim- 
mer (s.  IIG  fgg.)  näher  ausführt,  aus  zwei  irischen  denkmälcm  geschöpft,  die  aus  der 
zweiten  hälfte  des  7.  Jahrhunderts  zu  sein  behaupten  und  nach  der  Schreibung  der  ein- 
heimischen eigennamen  wirklich  sind,  aus  den  lateinischen  notizen  des  Muirchu  maoca 
Machtheni  und  des  bischofs  Tirechan.  Diese  quellen  werden  also  in  der  vorrede  §  3 
mit  annales  Scottorum  „geschichtsbücher  der  Iren^  gomeint  sein. 

Vor  dieser  interpolation ,  gleich  nach  dem  bericht  über  Quorthigims  tod,  findet 
sich  §  48  mitte  bis  49  ein  abschnitt,  der  sich  speciell  auf  zwei  landstriche  von  Wales 
bezieht,  auf  Buelt  und  Ouorikigimiaun  im  norden  der  heutigen  grafschaft  Breok- 
nock  und  im  süden  von  Kadnor  (Zimmer  s.  07).  §  49  mit  dem  Stammbaum  Feni- 
mails,  des  fürsten  dieser  gogendon,  qui  regit  modo,  aufwärts  über  Guorthigim  bis 
auf  Glovi^^  den  angeblichen  gründor  von  Gloucester,  ist  wegen  der  lebenszeit  dieses 
fürsten  sicher  ein  einschiebsei.  So  wird  auch  §48  (von  Tres  fUios  an)  gleichzeitig 
eingefügt  sein;  er  steht  mit  der  übrigen  geschichte  in  keinem  rechten  Zusammen- 
hang, indem  er  erzählt,  Ambrosius,  qui  fuit  rex  inter  omnes  reges  Britannieae 
gentisj  habe  Pascent,  dem  dritten  söhne  Guorthigims,  diese  zwei  bezirke  geschenkt*. 
Man  darf  wol  eine  landostradition  darin  sehen,  und  mit  recht  schliesst  Zimmer,  dass 
der  interpolator  aus  dieser  gegeud  stamme  oder  in  ihr  gelebt  habe.  Auch  hat  er  die 
zeit  des  fürsten  Fernmail  einigermassen  festlegen  können,  indem  er  in  stammbftnmea 
des  Morgant  Hon  eine  cousino  Femmails,  Braustud,  tochter  seines  väterlichen 
oheims  Cloud  und  frau  eines  südwelschen  fürsten  Arthvael,  entdeckt  hat  (s.  68).  Die 
nächsten  daten  sind:  Arthvaols  und  Braustuds  grosssohn  Bowel  (Hywel)  ist  894  hooh- 
betagt  gestorben;  dessen  söhn  Ewein  (Owein)  erscheint  schon  vorher,  892,  als  fönt 
von  Glamorgan.  Anderseits  ist  Arthvaol  uronkel  von  Kees  f.  Judhael,  dessen  lebens- 
zeit durch  den  tod  seines  bruders  Femvail  a.  775  annähernd  bestimmt  ist  Danach 
setzt  Zimmer  Braustuds  vetter  Fenunail ,  fürst  von  Buelt  und  Outfrihigimiaun,  rond 
um  785—815  an. 

Bevor  wir  uns  zu  den  andern  daten  dieser  recension  und  zum  Schlüsse  des 
Werkes  wenden,  müssen  wir  einen  blick  auf  die  version  werfen,  welche  wir  im 
anschluss  an  Zimmer  vorläufig 

Nord  welsche  reeenslon  nennen  wollen.  Sio  wird  gebildet  durch  die  has. 
GEN  und  IL,  und  unterscheidet  sich  von  der  Barloian- recension:  1)  durch  die  vor- 

11.  Jahrhundert  aus  verschiedenen  bestandteilen  zusammengesetzt  wurde,  selber  wider 
Ijebor  Oalnila  nennt. 

1)  Zu  diesem  namcn  vgl.  eine  Vermutung  von  Zimmer  (s.  174  fgg.). 

2)  Wäre  §  48  alt,  so  müsste  er  wol  schon  aus  dem  liber  S.  Oermani  stun- 
men,  da  nur  dieses  auf  die  provinz  Powis,  zu  der  die  landsohaften  gehören,  benig 
nimmt    Das  ist  aber  ganz  unwahrscheinUoh. 


ÜBER  ZIMMER,   NKNNIV8  VINDICATUS  95 

rede  §  3  (Apologia).  2)  Durch  weitere  gemeinsame  zusätzo,  die  in  KNG  mehrfach 
noch  als  rand-  oder  interlineamoten  erscheinen  (Zimmer  s.  38).  Sie  sind  zusammen- 
gestellt bei  Zimmer  s.  24  fgg. ;  doch  gehört  noch  dazu  s.  42  gruppe  I  und  s.  43  die 
note  zn  §  5  über  Anaraut^  3)  Durch  die  kürzung  des  Schlusses  der  eigentlichen 
Brittengeschichte.  Sie  wird  in  GEL  durch  eine  bemerkimg  motiviert,  die  nach  Petrie 
UBd  San-Marte  in  £  gleichfalls  auf  dem  rande  steht. 

Die  vorrede  (§3)  beginnt:  Ego  Nennius  sancti  Elvodugi  discipulus  cUiqtta 
exeerpta  scribere  euravi,  qtuze  hebetudo  gentis  Britanniae  dejecerat  usw.  und  be- 
richtet: Ego  auiem  eoacervavi  omne  quod  inveni,  tarn  de  annalihus  Romanorum 
quam  de  ehronteis  Sanctorum  Patrum,  id  est  Hieronymi  Etisebii  Isidori  Pro- 
speri  et  de  annaiibus  Scottorum  Saxonumque  et  ex  traditione  veterum  nostrorum. 
Man  sieht,  es  passt  alles  so  haargenau  auf  die  tätigkoit  des  verfassei-s  der  Harleian- 
recension,  dass  ein  zweifei  daran,  dass  dieser  sich  hier  selber  nennt,  gar  nicht  auf- 
kommen kann.  Das  hat  Zimmer  mit  recht  hervorgehoben.  Er  meint  zwar  s.  263, 
den  Isidor  habe  Nennius  nirgends  direkt  benützt;  ich  vermag  es  nicht  geradezu  zu 
widerlegen,  möchte  aber  bei  der  genauigkeit  der  übrigen  angaben  doch  vermuten, 
dass  sich  bei  der  naohprüfung  dieses  oder  ienes  datums  die  möglichkeit  herausstel- 
len wird,  dass  Isidor  mit  beigezogen  wurde ^  Durchaus  unpassend  wäre  anderseits 
die  vorrede,  wenn  sie  sich  nur  auf  die  änderungen  der  „nordwelschen  recension*^ 
beziehen  sollte.  Mit  den  paar  randnoten,  die  diese  beifügt,  hat  jener  apparat  nichts 
zn  schaffen,  und  annales  Saaxmum  konnte  derjenige  gar  nicht  brauchen,  der  gerade 
den  schluss  der  Eist  unterdrückte. 

Eher  kann  man  fragen,  ob  der  name  Nennius  buchstäblich  richtig  sei.  Der 
irische  Übersetzer  las,  wie  oben  s.  82  bemerkt,  Nemnius  oder  Nemnus;  und  die  in 
einer  wol  gleichzeitigen  hs.  erhaltene  anekdote,  die  ihm  die  erfindung  eines  brittischen 
alphabets  zuschreibt,  nennt  ihn  Nemmvus\  Also  zwei  selbständige  quellen  haben 
mn  statt  nn. 

Wie  dem  sei,  seine  zeit  lüsst  sich  aus  den  daten,  die  die  Harleianrecension 
den  früheren  beigefügt  hat,  annähernd  genau  bestimmen.  Drei  Jahreszahlen  beziehen 
sich  auf  die  gegenwart  des  schreibenden.  In  §  5  haben  die  besten  hss.  (Zimmer 
8.  126  fg.):  a  passione  Christi  anni  796,  ab  incamatione  831.  Ist  auch  der  abstand 
von  35  Jahren  von  incamatio  bis  passio  ungewöhnlich,  ein  rechenfehler  also  nicht 
«nsgeschlossen,  so  wird  das  datum  c.  831  n.  Chr.  doch  ungefähr  richtig  sein. 

In  §  16  sind  irische  daten  in  zwei  verschiedenen  Zeitpunkten  eingetragen  worden; 
zuerst  wird  die  ankunft  des  Patricius  in  Irland  a.  405 ,  später  a.  438  n.  Chr.  angesetzt. 
Vor  der  ersten  angäbe  steht:  Ä  primo  anno,  quo  Saxones  venerunt  in  Brittanniam, 
usque  ad  annum  quartum  Mermini  regis  supptäantur  anni  CCCGXXIX  (429). 
Dass  nnter  Merminus  nur  Merfyn  fryeh  verstanden  werden  kann,  darin  stimme  ich 
Zimmer  (s.  164  fgg.)  bei    Merfyn  erbte  Nordwales  von  seinem  Schwiegervater  Cynan 

1)  Dass  diese,  obschon  sie  in  die  irische  bearbeitung  aufgenommen  ist,  bei 
der  ersten  aufzählung  fehlt,  ist  unbegreiflich  und  führt  den  leser  —  man  möchte  fast 
sagen  absichtlich  —  irre. 

2)  Dass  in  §4.  5  kein  Zusammenhang  mit  Isidor  vorliegt,  wie  ich  Rev.  Celi 
6,  105  gemeint  hatte,  hält  mir  Zimmer  s.  185  mit  recht  entgegen. 

3)  Oramm.  Celtica'  XXYII  und  1059,  Zimmer  s.  131.  Dass  unser  Nennius 
gemeint  sei,  ergibt  sich,  wie  Zimmer  gesehen,  mit  Sicherheit  aus  der  angäbe,  er  habe 
die  eifindong  gemacht,  ut  hebitudinem  defeceret  gentis  suae,  eine  deutliche  anleh- 
nung  an  den  anfang  der  vorrede  §  3. 


96  THÜRNE78EN 

Tindaothwy  und  dazu  Powis,  weil  seine  mutter  tochter  dos  Powisfürsten  Cadell  war; 
auch  wird  er,  wie  sein  Schwiegervater,  den  titel  „^önig  aller  Kymry*^  geführt  haben. 
Im  Brut  y  Ty wysogion  der  Myvyrian  Archaiology  (s.  687)  wird  der  tod  Cy- 
nans  sub  a.  814  n.  Chr.  erzählt,  der  tod  von  Cadells  söhn  Griffri  a.  815  und  Mer- 
fyns  antritt  der  doppelherrschaft  a.  818  angesetzt;  danach  wäre  das  4.  jähr  der  regie- 
rung  822.  Die  bedeutend  älteren  Annales  Cambriae  setzen  Cynans  tod  ins  jähr 
816;  Zimmer  zählt  Merfyns  königtum  von  diesem  jähre  an,  also  das  4.  jähr  =  820. 
In  jedem  falle  steckt  in  der  zahl  429  ein  fehler;  aber  als  rundes  datum  dürfen  wir 
c.  820  ansetzen  ^  Damals  wird  der  Verfasser  auch  die  vorausgehenden  irischen  wan- 
derungssagen  in  die  Hist.  eingefügt  haben. 

Nach  dem  späteren  datum  von  Patricks  ankunft  findet  sich  (§16  schluss)  eine 
neue  berechnung  des  gegenwärtigen  Jahres,  die  die  Jahreszahl  859  n.  Chr.  zu  ergeben 
scheint.  Dass  diese  verschiedenen  daten  verschiedenen  personen  oder  verschiedenen 
ausgaben  entsprechen,  wie  man  angenommen,  scheint  mir  durch  nichts  angedeutet; 
im  gegcnteil,  die  vorrede  macht  wahrscheinlich,  dass  die  zusätze  der  Harleianrecen- 
sion  von  einem  manne  und  zwar  von  Nennius  herrühren.  Zu  den  festen  daten  kommt 
noch,  dass  er  früher  ein  discipulus  dos  809  gestorbenen  bischofs  von  Banger,  £1- 
bodgw,  gewesen,  der  in  Wales  eine  wichtige  rolle  gespielt  hatte,  so  dass  die  Schü- 
lerschaft als  ein  ruhmcstitel  erscheinen  mochte.  Nimmt  man  beispielweise  an,  Nen- 
nius sei  bei  Elbodgw^s  todo  18  jähre  alt  gewesen,  so  hätte  er  die  ersten  irischen 
daten  etwa  in  seinem  30. ,  die  orgänzung  der  calculi  (§  5)  etwa  im  40.  und  das  letzte 
datum  (859)  im  68.  lebensjahre  eingetragen.  Doch  kann  er  ein  paar  jähre  jünger 
gewesen  sein.    Jedenfalls  hat  er  ziemlich  sein  lebenlang  für  die  Historia  gesammelt. 

Die  Apohgia  steht  nun  aber  nicht  in  der  Harleian-recension,  sondern  nur  vor 
der  gekürzten,  Zimmers  „nordwclschen^.  Auch  hier  war  sie,  wie  es  scheint,  erst 
nachträglich  eingetragen  wol  in  derselben  kleineren  schrift  wie  die  randnoten,  was 
spätere  kopisten  zum  teil  beibehalten  haben*.  Kann  sie  ursprünglich  mit  dieser 
recension  verbunden  gewesen  sein,  d.  h.  ist  Nennius  auch  veifasser  der  gekürzten 
Historia?  Zimmer  verneint  die  frage,  Heeger  und  Duchosno  bejahen  sie.  Ich  denke, 
mit  recht  Die  die  kürzung  motivierende  note  (Zimmer  s.  31)  schliesst  nach  dem 
bericht  über  Eduini*s  taufe  (§  63):  Si  quis  scire  voltterit,  quis  baptixcunt  eos,  sie 
mihi  Renchidus  episcopus  et  Elbodus  episcoporum  sancttsstmus  tradiderunt,  Run 
map  Urbegfien,  id  est  Paulinus  Eboracensis  archiepiscopus ,  eos  baptixavU;  ei  per 
XL  dies  non  cessavit  haptixare  omne  genus  Amhronum  et  per  praediccUianem  illiue 
multi  crediderunt  in  Christo.  Sed  cum  inutiles  mcigistro  meo,  id  est  Betäano 
presbytero,  visae  sunt  genealogiae  Saxonum  et  aliarum  genealogiae  gentium ,  nolui 
eos  scribere.  Sed  de  civitatibus  et  mirabilibus  Brittanniae  instUae  ut  alii  seriptores 
ante  me  scripsere,   scripsi.    Sie  enthält  also  zunächst  eine  Verbesserung  des  §  63 

1)  Nimmt  man  als  wirkliches  jähr  821  an,  und  rechnete  Nennius  hier  wie  in 
§  5  das  passionsjahr  =:  35  unserer  Zeitrechnung,  so  wäre  DCCLXXXYI  (786)  poet 
passionem  Chr.  das  von  ihm  gemeinte  jähr.  Davon  abgezogen  das  jähr  der  Sach- 
senankunft  347  jo.  pass.  Chr.  ergäbe  439;  in  CCCCXXIX  betrüge  der  rechenfehler 
also  nur  ein  X. 

2)  Nur  so  kann  ich  mir  Petrie's  bomerkung  deuten,  in  allen  hss.,  welche  die 
Apologia  enthalten,  sei  sie  manu  vel  aliena  vel  aliquanto  reeentiori  geschrieben 
(Nennius  s.  48  anm.  b  und  vorrede  s.  66).  Es  ist  doch  immöglich  anzunehmen,  dass 
die  ganze  reihe  von  hss.,  die  schon  an  sich  derselben  recension  angehören,  nfilUg 
den  gleichen  zusatz  nachträglich  aufgenommen  haben. 


ÜBER  ZIMMBB,   KSNNn78   VINDICATÜS  97 

der  Harleianrecension,  wo  Nennius  —  wol  nach  seiner  vorläge  —  geschrieben  hatte: 
Rutn  map  Urbgen  baptixuvit  eoa.  Denn  Run  map  Urbeghen  ist  die  teils  rich- 
tigere teils  altertümlichere  form  des  namens  ^  Die  andere  notiz,  dass  dieser  Run 
gleich  Paulinns,  ei*zbischof  von  York,  sei,  ist  zwar  irrig,  beruht  aber  indirekt  auf 
Bedas  bericht,  dass  Pauli nus  die  Nordhumbrer  getauft  habe.  Als  gewäbrsmänner 
werden  ein  —  unbekannter  —  bischof  Renchidus  und  der  heiligste  bischof  Elbodgw 
genannt,  ersterer  aber  vorangestellt.  Das  dürfte  darauf  hinweisen,  dass  der  Schrei- 
ber die  korrektur  zunächst  Renchidus  verdankt,  der  ihn  auf  irgend  eine  bemerkung 
oder  notiz  Elbodgw's  mag  aufmerksam  gemacht  haben.  Die  berufung  auf  diesen  passt 
sehr  gut  für  einen  ehemaUgen  discipulus  Elvodugi.  Dagegen  darf  man  nicht  anneh- 
men, dass  Nennius  schon  als  schüler  Elbodgw's  an  der  Historia  gearbeitet  habe. 
Kannte  dieser  —  wie  es  nach  obigem  scheint  —  Schriften  Bedas,  so  hätte  er  ihm 
viel  mehr  neue  materialien  zuführen  können  und  wäre  gewiss  viel  öfter  von  ihm 
citiert  worden*.  Es  spricht  also  nichts  dagegen,  dass  Elbodgw  zur  zeit,  als  vorrede 
und  Schlussnote  verfasst  wurden,  seit  lange  tot  war.  Somit  hat  gewiss  Nennius  sel- 
ber nach  der  Harleianrecension,  also  nach  dem  jähre  859  die  gekürzte  recension 
besorgt  und  jenen  passus  beigeschrieben.  Aus  letzterem  lernen  wir  ferner,  dass  der 
alle  Nennius  in  einem  imtergeordneten  Verhältnisse  zu  einem  presbyter  Beulan  stand, 
den  er  magister  meus  tituliert.  Demnach  rühil  gleichfalls  von  ihm  her  die  randnote 
zu  §  10  (s.  oben  s.  89),  welche  die  werte  enthält:  Sic  invent,  ut  tibij  Samuel,  id 
est  infans  magistri  mei,  id  est  Beulani  presbyteri,  in  ista  (d.  h.  der  gegenüber- 
stehenden) pagina  scripsi.  Die  künstliche  Übersetzung  Zimmers  (s.  50)  ist  unnötig. 
Beulan,  dem  Nennius  diese  ausgäbe  wol  bestimmt  hatte,  mag  vor  oder  gleich  nach 
der  Vollendung  gestorben  sein;  der  Verfasser  wendet  sich  daher  in  dieser  nachträg- 
lichen note  an  Beulans  söhn  Samuel.  Die  einzige  Schwierigkeit  bildet  das  schlechte 
latein  im  anfang  der  note,  da  Nennius  sonst  wenigstens  verständlich  schreibt.  Aber 
die  Schwierigkeit  bleibt  immer  bestehen,  wenn  man  die  beiden  stellen,  in  denen  Beu- 
lan genannt  wird,  demselben  autor  zuschreibt,  was  doch  alle  tun;  denn  die  zweite 
hat  glattes  latein.  Darum  habe  ich  oben  s.  90  angenommen,  dass  die  mangelhafte 
spräche  auf  grosser  Mchtigkoit  beruhe. 

Endlich  spricht  auch  der  anfang  der  motivierenden  schlussnote  für  Nennius 
als  Verfasser  der  kürzenden  recension.  In  der  Harleianrecension  hatte  §  61  den 
unverständlichen  schluss:  Ida  fUius  Eobba  . . .  unxit  Dinguayrdi  guurthbemeich. 
Die  kürzende  recension  bringt  wider  eine  wenigstens  halbrichtige  korrektur^:  Ida  ... 
junxit  arcem,  id  est  Din,  Oueirin  et  Ourdbimech:  quae  duae  regianes  fuerunt  in 
una  regionCf  id  est  Deur  a  Bemech,  Änglice  Deira  ei  Bemicia.  Diese  erklärung, 
über  die  Vereinigung  von  Deur  a  Bernech  „Dcira  und  Bemicia"  wird  doch  wol 
schon  ihrer  fassung  nach  von  demselben  manne  stammen  wie  die  bemerkung  zu 
Soemil  in  der  genealogie  von  Deira  §  61 :  ipse  pri?nus  separavit  Deur  o  Bimeich, 
Da  letztere  sich  nur  in  der  Harleianrecension  findet,  kann  sie  nur  vor  oder  von  Nen- 
nius eingetragen  sein.     Auch  diess  führt  also  wider  auf  Nennius. 

1)  In  Urbeghen  ist  wie  in  Urbagen  (Überschrift  in  Ch)  der  auslautende  vokal 
des  ersten  kompositionsgliedes  (Urbi-genus)  bewahrt,  freilich  in  schwankender  Schrei- 
bung. 

2)  Die  irische  Übersetzung  hat  den  papstnamen  Eu(ch)aristus  der  Lucius- 
legende in  Eleutherius  verbessert  Das  beruht  aber  nicht  auf  der  „nordwelschen 
recension*  (Zimmer  s.  141),  sondern  ist  selbständige  besserung  des  irischen  bearbei- 
teis nach  Bedas  schrift  De  temporum  ratione. 

3)  Vgl.  oben  s.  85. 

XKITSGUKIFT  F.   DKUT8CUK  PHILOLOGIE.     BU.    XXVIII.  7 


d8  THUBKBT8SK 

Ob  noch  andere  der  gemeinsamen  rand-  und  interlineamoten  auf  ihn  zurück- 
gehen, mag  dahingestellt  bleiben.  Sicher  nicht  alle.  Denn  die  randnote  zu  §  5  zählt 
6106  jähre  ab  exordio  mundi  usque  ad  XXX  annum  Änaraut  regis  Motiias  (Ang- 
lesey),  qui  regit  modo  regnum  Wetiedociae  regionis,  d.  i.  910  n.  Chr.  (Zimmer 
8.  43  fg.).  Um  diese  zeit  kann  ein  schüler  Eibodgw's  nicht  mehr  gelebt  haben.  Bald 
darauf  scheint  das  archetyp  der  hs.  G  und  wol  auch  die  vorläge  des  irischen  Über- 
setzers kopiert  worden  zu  sein ;  bei  weiteren  Zusätzen  hört  daher  die  übereinstimmong 
der  handschriften  auf. 

Zu  ganz  anderen  resultatcn  ist,  wie  oben  bemerkt,  Zimmer  gelangt,  der  für  die 
Harleianrecension  und  die  „nordwelsche  recension^  verschiedene  Verfasser  annimmt, 
nur  für  die  erstere  Nennius.  Der  §  16  ist  nach  ihm  später  in  das  werk  dos  Nennius 
eingeschoben,  seine  daten  also  für  dessen  lebenszeit  ohne  belang;  in  dem  datum  von 
§  5  sieht  er  einen  grossen  lapsus  (s.  127  fg.)  Er  rechnet  folgendermassen.  Der  Verfas- 
ser der  nord welschen  reconsion  ist  ein  junger  mann,  weil  erBeulan  seinen  magi- 
ster  nennt;  er  beruft  sich  auf  eine  mündhcho  mitteilung  des  bischofs  Elbodgw,  kann 
also  nicht  lange  nach  810  geschrieben  haben.  Nennius,  ein  diseipulua  dieses  bischofs, 
ist  also  noch  etwas  früher  anzusetzen.  Der  fürst  Fermnail,  dessen  Stammbaum  er  §  49 
bringt,  lebte  rundum  785  —  815.  Catell  Dumluc,  den  Nennius  in  einer  glosse  (§35) 
nennt,  ist  der  fürst  CatcU  von  Powis,  dessen  tod  die  Annales  Cambriae  a.  806 
melden  (s.  71  fgg.).  Die  genealogieen  von  Mercia  (§  60)  fügen  am  schluss  den  Stamm- 
baum könig  Ecgfrids  bei,  der  nach  einer  regierung  von  nur  141  tagen  a.  796  starb. 
Also  i.st  796  das  jähr,  in  dem  Nennius  sein  werk  verfassto  (s.  82). 

Abgesehen  davon,  dass  wir  mm  nicht  mehr  so  leicht  wie  Zimmer  über  die 
datcD  der  Harleianrecension  hinwegsehen  können,  ist  auch  Fernmails  lebenszeit  nur 
ungefähr,  durch  generationenrechnung  bestimmt  (oben  s.  94);  sie  kann  sich  leicht 
in  die  20 er  oder  30er  jähre  des  9.  Jahrhunderts  erstreckt  haben,  wo  Nennius  nach 
dem  obigen  eben  an  der  arbeit  war.  Ausserdem  ist  gerade  bei  der  interpolation  von 
§  49  nicht  ganz  zweifellos,  dass  sie  Nennius  und  nicht  einem  Vorgänger  zuzuschrei- 
ben ist 

Mit  Catell  aber  verhält  es  sich  so.  Nach  §  32  fgg.  hat  S.  Germanus  einem 
serrus  des  bösen  königs  Benli,  namens  Catel,  prophezeit  (§  35):  f,Non  defieiet  rex 
de  semine  tuo  —  Ipse  est  Catell  Dumluc  —  et  tu  solus  rex  eris  ab  hodiemo 
die/*  Und  so  geschah  es;  von  seinem  samen  ornnis  regio  Povisorum  regiiur  usque 
in  ßiodiernnrn  diem.  —  Der  satz:  ipse  est  Catell  Durnhic  ist  ein  späterer  einsohub, 
wie  Zimmer  gesehen  und  wie  hs.  Ch  bestätigt;  seiner  fassung  nach  rührt  er  von 
Nennius  her.  Am  nächsten  liegt  gewiss,  dass  mit  ipse  der  Stammvater  der  Powis- 
fürsten  gemeint  sei,  dem  Germanus  die  königswürde  verheisst.  So  haben  es  nicht 
nur  die  kupisten  des  Nennius  verstanden,  die  bei  der  früheren  nennung  des  serpuM 
schreiben:  cui  notnen  erat  Katel  Dumluc  dux^\  sondern  auch  in  den  alten  genea- 
logieen (Harl.  3859)  steht  Catcl  Dumluc  an  der  spitze  der  könige  von  Powis.  Anders 
Zimmer;  er  denkt,  Catell  Dumluc  bezeichne  den  zu  Nennius'  zeit  regierenden  fursten, 
gehöre  also  gewissermassen  zu  semen  tuum.  In  dem  Brut  yTywysogion  den  die 
Myvyrian  Archailogy  s.  685  fgg.  enthält,  auf  dessen  besonderheiten  übrigens  auch 
Zimmer  sonst  nicht  viel  baut,  heisst  es  nämlich  zum  jähre  804:  y  bu  farw  ...  Cb- 
dell  Brenin  Teymlltcg  a  elicir  yr  awr  lionn  Powys  „da  starb  CadeU,   könig  von 

1)  Dux  scheint  die  typische  bezeichnung  der  henischer  zu  sein,  die  nicht  aus 
dem  brittischeii  hochadel  hervorgegangen;  vgl  Arthur  dux  bellorum  §  56. 


ÜBER  ZIMMEB,   NENNIUS  VINDIGATUS  99 

Teymllwg,  das  jetzt  Powis  genannt  wird*' ;  und  in  der  folge  wird  dieser  fürst  mehr- 
faidh.  als  Ckidell  Deymllicg  citiert.  Dass  DeymUwg  mit  dem  obigen  Dumluo  zusam- 
menhängt (durch  den  lesefehle r  Diinüuc)^  ist  an  sich  klar  imd  wird  dadurch  bestä- 
tigt, dass  in  jüngeren  genealogieen  (Zimmer  s.  72)  der  Stammvater  des  geschlechts 
das  epitheton  Deemluc,  eine  andere  Variation  von  *DiimluCf  führt.  Da  jedoch  der 
historische  fürst  gerade  in  den  älteren  quellen  einfach  Catell  (Cadeil)  von  Powis 
heisst*,  80  muss  der  name  Cadell  DeymUwg  in  der  Myv.  Arch.  auf  einer  Verwechs- 
lung mit  dem  urahnen  und  die  erklärung  von  Jhymllwg  =  Powis  auf  einem  nahe- 
liegenden Schlüsse  bemhen'.  Der  name  kommt  also  für  die  bestimmung  der  zeit  des 
Nennius  gar  nicht  in  betracht.  Dann  aber  ebensowenig  das  datum  des  königs  Ecg- 
frid  von  Mercia,  das  nur  in  Verbindung  mit  den  andern  in  die  wagschale  hätte  fal- 
len können  (s.  darüber  imten,  s.  101).  Die  daten  aus  dem  9.  jahrhundeit  in  §  5  und 
§  16  behalten  somit  ihre  volle  beweiskraft. 

Nunmehr  sind  wir  in  der  läge  auch  die  bestandteile  der  zweiten  bälfte  der 
Hist.  Britt  auf  ihren  urheber  hin  zu  prüfen.  Oben  s.  83  constatierten  wir,  dass  der 
schluss  der  Brittengeschichte  zum  alten  bestände  gehört  Als  vennutliche  Interpola- 
tionen wurden  bereits  besprochen  §  48  (von  der  mitte  an)  und  49 ,  femer  das  leben 
des  Patricius  §50 — 55.  Es  bleiben  ausser  dem  anhang,  den  Mirabilia  und  Civi- 
totes,  noch  die 

Oenealogieen  g  57—61.  Sie  nehmen,  wie  früher  s.  84  bemerkt,  häufig  auf 
die  Brittengeschichte,  in  die  sie  eingeschoben  sind,  bezug.  Alle  enthalten  fürsten- 
namen,  die  in  dieser  vorkommen.  Eine  merkwürdige  ausnähme  bildet  nur  die  genea- 
logie  der  Ostangeln  §  59,  indem  sie  keinerlei  beziehung  zur  Brittengeschichte  zeigt, 
auch  nicht  zu  dem  hysterogenen  schluss  des  §  65 :  Penda  .  .  Onnan  regem  Easter- 
anglorum  . .  oecidit;  gerade  dieser  Ostangelnkönig  kommt  im  Stammbaum  nicht  vor. 
Ihre  aofiiahme  lässt  sich  also  nur  so  erklären,  dass  sie  schon  in  der  quelle  direkt 
auf  die  genealogie  von  Kent  (§  58)  folgte  und,  sozusagen  aus  versehen,  mit  abge- 
schrieben wurde. 

Die  genealogieen  beginnen  mit  Bernicia  §  57.  Der  Stammbaum  wird  von 
Woden  über  Ida  bis  auf  die  generation  Aeehfirds  (=  Ecgfrid)  herabgeführt,  des 
letzten  in  der  Hist  erwähnten  königs  (regiert  670 — 685).  Dann  wird  sein  tod  im 
Pictenkriege  berichtet,  der  in  der  Brittengeschichte  von  679  natürlich  fehlte.  Von 
wem?  Das  verrät  wol  der  satz:  et  nunquam  addiderunt  Saxones  Ämbronum,  ut  a 
Pietis  veetigal  exigerent.  Der  Verfasser  bezeichnet  also  die  Nordhumbror,  die  Ambro- 
ne9  (s.  0.  8. 83  anm.  2),  als  Saxanes  Ambronum,  obschon  sie  Angeln  sind.  Mithin  ist 
für  ihn  Saxones  ein  gesammtname  für  alle  Qermanenstämmo  Englands;  demnach  ist  er 
ein  Südkymre,  d.  h.  aus  Wales  oder  umgegend,  wie  noch  heute  in  Wales  alle  Eng- 
linder  iS^sMon  „Sachsen*^  genannt  werden.  Da  nun  auch  der  Verfasser  der  gekürzten 
reoension  von  genealogie^  Saxonum  et  aliarum  genealogicte  gentium  spricht  (oben 
8.  96),  obschon  die  Stammbäume  nur  Angeln  und  Juten,  aber  keinen  einzigen  der 
englischen  Sachsenstaaten  betreffen,  wird  wol  ein  und  derselbe  mann  beide  bemer- 
kungen  verfasst  haben,  d.  h.  Nennius.  So  wird  wahrscheinlich,  dass  auch  die  fol- 
gende notiz  über  Osguids  zwei  frauen  von  Nennius  herrührt;   er  führt  sie  an,   weil 

1)  Catell  Pouis  in  den  Annales  Cambriae  a.  808,  Cadell  bretikin  Potpys  in 
dem  Brut  y  Tywysogion  des  roten  buchs  von  Eergest  (ed.  Rhys-Evans  s.  258). 

2)  Dadurch  verliert  auch  die  von  Zimmer  s.  73  citierte  stelle  der  Jolo  Mss. 
jede  glaubwürdigkeit. 

7* 


100  THURNEY8EN 

dio  eine,  RiemmeUhy  die  grosstochtcr,  dio  andere,  Eanfled,  nach  §63  der  taafling 
des  dort  erwähütcD  Rum  (Run)  map  Urhgen  zu  sein  schien.  Ebenso  geht  dann  der 
Zusatz  zu  Aelfret:  ipse  et  Aedlfred  Flesaur,  der  gleichfalls  auf  §  63  hinweist,  auf  ihn 
zurück. 

Die  zweite  genealogie  §  58,  die  die  fürsten  von  Kent  bis  auf  Ecgberth  (664  — 
673)  herabführt,  ist  mit  rücksicht  auf  Hengist  und  seinen  söhn  Octha  (§  56)  aufge- 
nommen. Die  vorfahren  Uengists  sind  weggelassen ,  weil  sie  schon  in  §  31  der  Hist, 
genannt  waren.  Zimmer  s.  82  fgg.  meint,  die  namen  seien  aus  den  genealogieen  aus- 
gezogen und  an  jener  früheren  stelle  eingefügt  worden.  Eher  werden  sie  doch  dem 
ursprünglichen  werkchen  angehören,  da  der  Stammbaum,  im  unterschied  von  den 
andern  genealogieen,  über  Woden  hinaufgeht  bis  auf  Octa  filitis  Dei  (s.  unten). 

Die  anschliessende  genealogie  der  Ostangeln  §  59  erstreckt  sich  von  Woden 
über  Ouecha  bis  auf  einen  unbekannten  Elric,  der  hier  als  söhn  ÄldtUffJs  (663 — 
713)  erscheint  (s.  unten). —  Die  genealogie  von  Mercia  §60  führt  zuerst  von  Woden 
auf  Pefida  (626  —  655),  der  in  §65  der  Brittengeschichte  vorkam,  und  seinen  bruder 
E(o)ua  (t  t>42).  Dann  folgen  aufsteigende  Stammbäume  von  drei  späteren  mercischea 
fürsten:  1.  Eadlrü  (675  —  704),  2.  Eadibald  (716  —  757),  3.  Ecgfrid  filitis  Offa,  der 
796  (795?)  nur  wenige  raonate  regiert  hat.  —  Die  genealogie  von  Deira  §61  end- 
lich führt  von  Wodai  über  Soeynil  auf  Äedyuin,  von  dem  §  63  handelte.  Sein  und 
seiner  söhne  tod  in  der  schlacht  gegen  Catguollatmus ,  der  in  der  Brittengeschichte 
übergangen  war,  wird  hier  nachgetragen,  vermutlich  gleichfalls  von  Nennius. 

An  diese  verschiedenen  genealogieen  ist  in  §  61  noch  angeschlossen:  1.  der 
Stammbaum  eines  unbekannten  Oslaph^  der  in  6.  geneitition  von  Oagttid  (regiert 
642 — 670)  abstammt.  Rechnet  man  sechs  genorationen  als  rund  200  jähre,  so  war  er 
ein  Zeitgenosse  des  Nennius.  2.  Der  Stammbaum  Eadbyrths,  des  Nordhumbrerkönigs 
von  737  —  758,  und  seines  bmders  Ecgbirth,  der  766  als  erzbischof  von  York  starb. 

Hat  nun  Nennius  nur  ein  paar  zusätze  zu  den  genealogieen  gemacht  oder  hat 
er  überhaupt  den  ganzen  abschnitt  §57 — 61  der  Histaria  einverleibt?  Ich  glaube, 
die  zeit  der  quelle  der  genealogieen,  die  wir  einigermassen  bestimmen  können,  spricht 
für  die  zweite  anschauung.  Sweet,  The  Oldest  English  Texts  s.  169  fgg.,  druckt  ans 
dem  Cotton  ms.  Vespasiau  B  6  fol.  108  fgg.,  einer  lis.,  die  vor  814  von  einem  Nord- 
humbrer  geschrieben  scheint,  eine  reihe  von  genealogieen  ab.  Der  titel  lautet:  Baee 
genelogiae  per  2>ortcs  Brittaniae  regum  regnantium  per  dirersa  loea.  Dann  folgt 
zunächst  ein  abschnitt  mit  Stammbäumen  von  Nordhumbrerfürsten:  1.  von  Eduine 
Aelling  (616  —  6Ü3)  aufwärts  bis  Uoden  Frcalafing  (vgl.  Nennius  §  61);  2.  von 
Ecgfrid  Osuing  (67()  — 685)  bis  Uoden  Frealafing  (vgl.  §  57);  3.  von  Ceoluulf 
(729  —  737)  über  Ecguald  bis  Ida;  daran  angehängt  der  Stammbaum  von  Eadberht 
Eating  (737 — 758),  vgl.  Nennius  §61,  wo  Eadbyrths  bruder,  erzbischof  Eegbirthy 
hinzutritt;  4.  die  genealogie  von  Alhred  (765  —  774). 

Hierauf  vier  genealogieen  von  Mercia:  1.  von  Aedilred  Peftding  aufwärts  bis 
Wodefi  Frealafing;  2.  von  Ardelbald  Alicing  bis  Eoica  Pyhbing;  3.  von  Ecgfrid 
Offtng  bis  Eoica  Pyhbing;  4.  von  Coenunlf  Cudberhting  (796 — 819)  bis  Coenwaih 
Pybbing,  Die  drei  ersten  entsprechen  genau  den  drei  abschnitten  bei  Nennius  §  60: 
Eadlrit,  Eadibald  und  Ecgfrid. 

Nach  einer  genealogie  der  Lindisfari,  die  bei  Nennius  fehlt,  folgt  die  von 
Kent.  Sie  geht  von  Acdclberht  Uihtrcding  (748  —  760)  über  Uihtred  Ecgberhting, 
Ecgherht  Erconberhting  usw.  und  Hengrst  Uitting  hinauf  bi»  auf  Uoden  Frealafing, 
Sie  enthält  also  zwei  generationen  mehr  als  Nennius  §  58,  der  mit  Ercunberi  genuü 


DbEB   ZIMMER,    NENNIITS   YINDICATÜS  101 

Ecgherth  (664 — 673)  abbricht  Das  ist  schon  an  sich  auffällig,  da  die  andern  gleich- 
artigen stammbäame  des  Nennius  nicht  so  früh  schliessen.  Jetzt  wird  sehr  wahr- 
scheinlich, dass  nur  ein  flüchtigkeitsfehler  des  Nennius  vorliegt;  die  ähnlichkoit  der 
naroen  Ecgherth  und  Eadlberth  hat  ihn  die  zwei  letzten  glieder  übersehen  lassen. 

Die  genealogie  der  Ostangeln  führt  von  Aclftcald  Alduulfing  (713—740) 
aofwfirts  bis  Uoden  Frealafing.  Bei  Nennius  §  59  schliosst  dagegen  der  Stammbaum 
mit  Äldul  genuit  Elric.  Schon  Lappenberg  bemerkt,  dass  ein  solcher  söhn  oder 
nachfolger>  Aldulfs  sonst  nirgends  erwähnt  werde.  Da  nun  bei  Nennius  Aldul(f)s 
vater  Edrie  (==  Eäüric)  unmittelbar  vorhergeht,  scheint  mir  zweifellos,  dass  in 
Elrie  nur  ein  durch  diesen  namen  veranlasster  Schreibfehler  für  ^ElfgtuUd  steckt. 

Die  ähnlichkeit  beider  denkmäler  springt  in  die  äugen:  dieselbe  auswahl  der 
Stammbäume  (nur  Angelnstämme  und  Kent)  und  in  allem  einzelnen,  in  der  eintoi- 
lung,  in  den  besonderheiten  der  Ostangeln -genealogie,  überall  die  grösste  Überein- 
stimmung. Da,  soviel  ich  sehe,  die  annähme,  dass  diese  englischen  genoalogieen 
aus  der  Historia  Brit.  ausgezogen  seien,  schon  durch  ihre  form  so  gut  wie  ausge- 
schlossen ist,  so  gehen  beide  auf  dieselbe  quelle  zurück.  Diese  scheint  nach  ihren 
hauptbestandteilen  in  die  mitte  des  8.  Jahrhunderts  zu  gehören,  befand  sich  aber 
wol  796  in  Mercia,  wo  der  Stammbaum  könig  Ecgfrids  eingetragen  wurde.  Bei  spä- 
teren daten  (könig  Ceonwulf)  stimmt  Nennius  nicht  mehr  mit  den  englischen  genca- 
logieen  überein.  Immerhin  sind  wir  damit  der  lobcnszeit  des  Nennius  so  nahe 
gerückt,  dass  kein  grund  vorliegt,  die  einreihung  der  genealogioen  einem  andern 
interpolatar  zuzuschreiben.  Hatte  Nennius  selbst  sie  in  der  Harleianreconsion  ein- 
geschoben, so  begreift  sich  auch  das  urteil  seines  niagister  Beulan  besser,  sie  seien 
inuiiles, 

Nennius,  der  seine  quelle  in  der  vorrede  §  3  annales  Sa<conum  nennt  —  viel- 
leicht erhielt  er  sie  durch  den  Oslaph,  dessen  Stammbaum  §  61  beigefügt  ist  — ,  hat 
wol  einiges  weggelassen',  namentlich  aber  vieles  nachgetragen  und  zwar  aus  britti- 
schen  quellen,  wie  die  brittischen  namen  der  Schlachtfelder  in  §  57  und  61  und  meh- 
rere sonstige  eiuschiebsel  dartun.  Als  zusatz  zu  den  genealogieen  ergibt  sich  nun  aber 
auch  der  bericht  über  die  12  söhne  Idas,  die  7  söhne  Aedlfreds  und  die  3  söhne 
Osguids  in  §  57 ;  doch  stammt  dieser  vielleicht  eher  aus  der  vorläge  als  von  Nen- 
nius selbst  Dagegen  wird  ihm  gewiss  die  auffällige  anordnung  der  genealogieen  zuzu- 
Bohreiben  sein:  Nordhumbrien  (Bernicia),  Kent,  Ostangeln,  Morcia,  Nordhumbrien 
(Deira).  Die  alte  reihenfolge  mag  gewesen  sein:  Kent,  Ostangoln,  Mercia,  Bernicia - 
Deira.  Da  Nennius  an  Ida  (§  56)  anknüpfen  wollte,  musste  er  Bernicia  an  die  spitze 
stellen.  Ähnlich  hat  der  nordhumbrischo  Schreiber  der  englischen  genealogieen  mit 
seiner  heimat  begonnen. 

Femer  bestätigt  sich  jetzt,  dass  der  Stammbaum  von  Hengist  und  Hors  auf- 
wärts über  Woden  bis  auf  Oeta  fi litis  Dei  (§31)  nicht  aus  diesen  genealogieen  aus- 
gezogen ist,  dass  wir  also  nicht  anzunehmen  haben,  die  version  der  hs.  Ch,  worin 
er  sich  bereits  findet,  habe  auch  schon  dio  genealogieen  enthalten.  Freilich  steht 
auch  bei  Sweet  (s.  170)  ein  Stammbaum,  der  über  Woden  Frealafing  hinaufreicht; 
das  ist  aber  gerade  der  der  Lindisfariy  den  Nennius  nicht  bat  Zudem  ist  hier  als 
oberster  Stammvater  Oodulf  Qeoting  (bei  Nennius:  Folctcald  fU.  Oeta)  genannt;   die 

1)  In  den  genealogieen,  denen  Lappenberg  folgt,  ist  nämlich  Äelftcold  nicht 
söhn,  sondern  bruder  Aldulfs. 

2)  Ob  die  vielen  nachlässigkeitsfehler,  von  denen  einige  oben  berührt  worden 
sind,  von  ihm  oder  einer  dazwischenliegenden  vorläge  herrühren,  bleibe  dahingestellt. 


102  THTJRNKYSKN 

notiz,  dass  Geta  fiUus  Bei  sei,  fehlt.  Überhaupt  weichen  die  namen  in  der  Schrei- 
bung zu  stark  ab,  als  dass  direkter  Zusammenhang  angenommen  werden  könnte.  Alle 
andern  englischen  genealogieen ,  auch  die  von  Kent,  gehen  nur  bis  auf  Uoden  Frect- 
lafing  hinauf,  genau  wie  bei  Nennius.  — 

Die  notiz  über  bischof  Cudbertus  am  ende  der  Brittengeschichte  §  65  stammt 
kaum,  aber  die  über  Ecgfrids  tod  sicher  von  Nennius  (vgl.  §  57).  "Wer  den  schloss 
(über  Penda)  beigefügt  hat,  kann  ich  nicht  bestimmen.  Er  nennt  die  Nordhumbrer 
Nordif  gen.  Nordorum,  was  weder  Nennius  noch  der  historiograph  tun.  JedesCaUs 
hat  ihn  Nennius  schon  vorgefunden. 

Die  28  Civitates  (San-Marte  s.  80)  und  wenigstens  ein  teil  der  MlrabUla 
(§  67  fgg.)  standen  ebenfalls  schon  in  seiner  vorläge  nach  seinen  oben  citierten  wer- 
ten: Sed  de  civitatibua  ei  mircUfilibus  Britianniae  insulae  ut  alii  aeriptores  ante 
me  scripserey  scripsi.  Für  die  Civitates  die  einen  excurs  zu  §  7  bilden,  wird  das 
ausserdem  durch  die  altertümliche  Orthographie  der  namen  bestätigt,  auch  durch  das 
fehlen  von  Gloucester,  das  Nennius  wegen  §  49  gewiss  nicht  übergangen  hätte  (Zim- 
mer s.  109).  Die  vaticanische  recension,  welche  die  städtezahl  zu  33  erweitert,  hat 
denn  auch  Cair  Olovi  richtig  beigefügt 

Die  Mirabilia  zerfallen  in  vier  abschnitte ^  Zuerst  (§67  und  §68  anfang) 
4  numerierte  wunder,  betreffend  1.  Loch  Lomond  in  der  schottischen  grafschaft  Dum- 
barton;  2.  die  mündung  dos  flusses  Trcnt  in  den  Humber  (Zimmer  s.  112);  3.  warme 
quelle  bei  Bath;  4.  eine  saline  in  cadem  (regiane?)^.  Diese  bilden  jedesfalls  einen 
alten  stock;  Zimmer  denkt,  die  beiden  ersten  haben  schon  zum  alten  werkchen 
gehört,  was  möglich  ist 

Die  folgenden  10  wunder  (§68 — 74)  sind  loso  angereiht  mit:  Aliud  miraeu- 
lutn  est,  Est  aliud  mirabile  oder  ähnlich.  Die  genannten  lokalitäten  sind:  1.  und 
2.  Sevommündung,  3.  unsicher,  4.  fluss  Wye,  5.  6.  7.  Monmouth-Glamorgan, 
8.  regio  Buelt  (Builth),  9.  quelle  des  J^mer -baches,  der  südlich  von  Hereford  fliesst 
(Zimmer  s.  114);  10.  Cardigan;  also  die  mohrzahl  im  gebiet  des  "Wyo- flusses  von 
seinem  oberen  laufe  bis  zur  mündung.  Zu  wunder  7.  (bei  Chopstow  am  untern  "Wye) 
und  zu  9.  (gitifschaft  Hereford)  bemerkt  der  erzähler:  ego  prohavi,  Dass  das  10.  wun- 
der späterer  zusatz  sei,  scheint  mir  durch  Zimmer  s.  111  nicht  erwiesen. 

Den  dritten  abschnitt  bildet  §  75  mit  4  numerierten,  summarisch  aufgezählten 
wuudom  der  insol  Anglosey,  den  vierten  §  76  mit  zwei  wundern  Irlands.  Die  beiden 
letzten  gruppen  scheinen  nur  in  hs.  I  Überschriften  zu  tragen:  De  mirabililnu  Mo- 
niae  insulae  und  De  mirabilibus  Hibemiae.  In  der  urhs.  sollten  sie  offenbar  nach- 
träglich eingetragen  werden,  da  der  text  auf  sie  bezug  nimmt  Doch  lagen  sie  auch 
dem  irischen  Übersetzer  vor,  der  Monia  als  insel  Man  missverstanden  hat 

Alle  diese  wunder  finden  sich  sowol  in  den  guten  hss.  der  Harleianreoension 
als  in  der  gekürzten,  sie  sind  also  von  jenen  in  diese  herübergenommen  wor- 
den, da  nichts  zur  umgekehrten  annähme  zwingt.  Sie  führen  uns  zur  frage,  wo 
Nennius  gelebt  und  geschrieben  hat  Für  Nord wales,  wol  speciellAnglesey 
spricht:  1.  er  war  schüler  des  bischofs  von  Bangor,  Elbodgw;  2.  vier  wunder  Ton 
Anglesey  sind  an  später  stelle  angehängt;  3.  am  rande  der  urhs.  der  gekürzten  recen- 
sion wird  um  910  ein  datum  nach  Anaraut,  fürsten  von  Anglesey  und  herrscher  über 

1)  Vgl.  Zimmer  s.  110,  dem  ich  aber  auch  hier  nicht  in  allem  folgen  kann. 

2)  Ich  weiss  nicht,  ob  es  bei  Bath  salinen  gibt  Potrie,  der  wol  in  eadenh  als 
in  Britannia  versteht,  bezieht  es  auf  die  saline  bei  Chester. 


ÜBER  ZniMKB,   NKNNIüS    VINDICATÜS  103 

Nordwales,  berechnet  Nach  dem  Süden  (süd-osten)  von  Wales  weisen:  der  Stamm- 
baum Femmails,  des  forsten  von  Buelt  und  Quorthigimiaunj  in  §  49  und  die 
Mirabilia  aus  dem  Wye-gebiet.  Da  der  "Wye-fluss  an  Builth  vorbeiströmt,  wird 
man  mit  Zunmor  für  sehr  wahrscheinlich  halten,  dass  beide  abschnitte  denselben 
Verfasser  haben.  Anderseits  erlaubt  der  abweichende  stil,  in  dem  die  wunder  von 
Anglesey  erzählt  werden,  keinen  sichern  schluss  auf  die  Verschiedenheit  der  Verfas- 
ser, es  könnte  nur  der  Zeitpunkt  der  eintragung  ein  verschiedener  sein. 

Wir  erhalten  also  folgendes  bild  von  Nennius  tätigkeit.  In  seiner  jugcnd  war 
er  Schüler  des  berühmten  Elbodgw,  bischof  von  Bangor,  der  768  die  römische 
osterbereohnong  bei  den  Eymren  eingeführt  batte  und  809  starb.  Entweder  kam  er 
später  eine  zeit  lang  nach  Südost -Wales  und  begann  dort  die  alte  Brittengoschichte, 
die  er  aufgefunden,  weiter  auszuarbeiten;  oder  er  erhielt  ein  exemplar  derselben,  in 
das  kurz  vorher  in  Südost -Wales  einige  zusätze  eingetragen  worden  waren.  Jedes- 
£alls  vollendete  er  sie  später  inNordwales,  wahrscheinlich  auf  Anglesey.  Er  erscheint 
dort  abhängig  von  einem  presbytor  Beulan,  den  er  seinen  magiater  nennt.  An  der 
erweiterung  der  Brittengoschichte  arbeitete  er  mindestens  seit  c.  820  und  hatte  bis 
oder  nach  859  ein  exemplar  seines  Werkes  fertig  gestellt.  Es  liegt  den  hss.  der  Har- 
leianrecension  zu  gründe.  Da  der  prosbyter  Beulan  die  eingeschobenen  genealogieen 
englischer  forsten  überflüssig  fand,  Hess  er  sie  in  der  definitiven  ausgäbe,  die  er 
bald  darauf  besorgt  haben  mag,  weg,  zugleich  aber  auch  den  alten  schluss  der  Brit- 
tengeschichte,  in  den  sie  verarbeitet  waren  (also  §57  —  65).  NachträgHch  fügte  er 
diesem  exemplar  bei:  1.  eine  motivierung  der  kürzung,  worin  er  zugleich  einige 
partieen  des  unterdrückten  Schlusses  wider  aufnahm,  nämUch  solche,  bei  denen  er 
Verbesserungen  seiner  früheren  lesarten  anzubringen  hatte;  2.  die  vorrede  zum  gan- 
zen werke,  eine  wahrheitsgetreue  aufzählung  seiner  quellen;  sie  kennzeichnet  ihn  als 
einen  sehr  bescheidenen  mann  und  erklärt  dadurch,  weshalb  er  so  lange  jähre  mit 
dem  absohluss  gezögert;  3.  eine  randnote  zu  §  10,  die  er  an  Beulans  söhn  Samuel 
richtet,  was  vielleicht  auf  den  inzwischen  eingetretenen  tod  seines  „magisters*^ 
schliessen  lässt;  endlich  vielleicht  noch  andere  kloine  randbomerkungen.  Das  ist  die 
^gekürzte  recension  mit  randnoten*^,  die  sich  noch  um  910  in  Nordwales  oder  Anglesey 
befiand,  und  auf  die  auch  die  irische  Übersetzung  des  10.  oder  11.  Jahrhunderts  zu- 
rückgebt Nun  gibt  es  aber  auch  hss.  der  gekürzten  recension  ohne  diese  zusätze 
(hauptvertreter  scheinen  DE).  Ob  sie  aus  der  definitiven  ausgäbe  vor  eintragung 
der  noten  geflossen,  oder  wie  sie  sich  zu  den  andern  Versionen  verhalten,  wird  wol 
die  kommende  edition  zeigen. 

Ich  lasse,  wie  Zimmer  s.  265fgg.,  ein  Schema  der  Historia  des  Nennius 
nach  dem  abdrucke  von  San-Marte  folgen.  So  werden  die  abweichungon  übersicht- 
licher zu  tage  treten.  Was  sich  schon  in  der  um  679  im  norden  verfassten  Britten- 
geschichte  fand,  nenne  ich  ,fUrsprünglich'^;  doch  berücksichtige  ich  nur  die  haupt- 
bcstandteUe  der  einzelnen  paragi*apheu ,  führe  auch  nur  die  hauptquollen  an. 

§  1.  2.  Prologus:  Spätere  rhetorische  ausarbeitung  der  echten  vorrede  des  Nennius. 

§3.  Äpohgia:  Vorrede  des  Nennius,  nachträglich  der  definitiven  ausgäbe  bei- 
gefügt.   8.  oben  s.  95.  96  fg. 

§4.  Unvollständige  OcUculi,  ursprünglich.     S.  oben  s.  86. 

§  5.  Ergänzung  der  Calctili  durch  Nennius  um's  jähr  831.  S.  oben  s.  86  anm.  3. 
93.  96.  99. 

§6.  Calculi:  die  6  weltalter,  ursprünglich.    S.  oben  s.  86. 

§  7 — 9.  Beschreibung  Britanniens,  ursprünglich.    S.  oben  s.  86. 


104  THimNKYSRN 

§  10.  11.  Geschichte  nnd  zeit  des  Britto,  sehn  des  Süvius.  Von  NeoDius 
hauptsächlich  auf  grund  der  (irischen?)  annales  Romanorum  eiogesohobeD  an  stelle 
einer  älteren  interpolation  (einschub  I) ;  s.  oben  s.  87  fg.  89..  In  den  schluss  von 
§  11  ist  ein  zweites  älteres  einschiebsei  verarbeitet;  s.  oben  s.  88  fg.  —  Stammbaum 
des  Bnäus  (Britus)  exosus  nach  irischem  bericht,  späte  randnote  des  Nennios  zur 
definitiven  ausgäbe  §  10;  s.  oben  s.  89  fg.  97. 

§  12  — 14.  Einwanderung  der  Picten  und  Iren;  von  Nennius  beigefügt  nach 
irischen  quellen  (annales  Eotnanorum?).    S.  oben  s.  93. 

§  15.  16.  Daten  zur  sagenhaften  und  wirklichen  geschichte  der  Iren,  yon perü 
tisstmt  Scottorum  dem  Nennius  mitgeteilt  und  der  hauptsache  nach  um  820  aufge- 
zeichnet; ein  nach  trag  um  859.    S.  oben  s.  93  fg.  95.  99. 

§  17.  A.  Ursprung  der  Britten  nach  der  fränkischen  völkertafel,  ursprüng- 
lich, s.  oben  s.  86.  6.  Stammbaum  von  Adam  bis  Älanus,  ursprünglich  oder 
früher  einschub;  s.  oben  s.  86. 

§  18.  Stammbaum  des  Brutus,  söhn  des  Hissicion.  Yomennianischer  susatx, 
schon  in  Ch;  s.  oben  s.  89. 

§  19  —  20  erste  hälfte:  Caesars  angriffe  auf  Britannion ,  ursprünglich.  8.  oben 
8.  87. 

§  20  mitte  bis  §  30.  Die  Römerherrschaft  in  Britannien.  Von  Nennius  eingefügt, 
hauptsächlich  auf  grund  von  zwei  listen  der  imperatoren,  welche  Britannien  besucht, 
einer  kürzeren,  die  früh  in  die  Hist.  eingeschoben  worden,  und  einer  erweiterten,  wol 
in  den  annales  Romanorum  enthaltenen ;  mit  Zusätzen  aus  Hieronymus  und  Prosper, 
auch  Gildas  (?).   S.  oben  s.  90—92.    Zur  Luciuslegende  (§  22)  vgl.  s.  91  fg.  97  anm.  2. 

§31 — 48  mitte.  Geschichte  von  Hors  und  Hengist,  Guorthigim  und  S.  Ger- 
manus, ursprünglich;  beruht  grossenteils  auf  Map  Urbgen's  excerpten  aus  einem 
über  saneti  (oder  beuti)  Oermani.   S.  oben  s.  83.  84.  87. 

§  48  mitte  bis  §  49.  Über  das  fürstengeschlecht  von  Buelt  und  Öuorthigir^ 
niaun,  eingeschoben  entweder  von  einem  Südwelschcn  kurz  vor  Nennius  oder  von 
Nennius  selbst.    S.  oben  s.  94.  98.  102  fg. 

§50 — 55.  Leben  des  heil.  Patricius;  wol  sicher  von  Nennius,  nach  xwei 
irischen  quellen.    S.  oben  s.  94. 

§  56.    Brittengeschichte  von  Hengists  tod  an,  ursprünglich.   S.  oben  s.  87. 

§57  —  61,  z.  13  (bis  zu  den  werten:  de  fuUione  eorum).  Genealogieen  der 
fürsten  von  Bernicia,  £ent,  Ostangeln,  Mercia,  Deira  (Nordhumbrien).  Von  Nennius 
hineinverarbeitet  nach  einer  quelle,  die  oder  deren  vorläge  sich  796  in  Meroia  befand. 
S.  oben  s.  84.  99  fgg.  Diesen  abschnitt,  sowie  die  zwei  folgenden  hat  Nennius  in 
der  definitiven  ausgäbe  woggelassen. 

§  61  (von  Ida  fil,  Eobba  an)  bis  §  65  (bis:  Eegfrid  . . .  regnavü  IX  anndi). 
Schluss  der  Brittengeschichte,  ursprünglich.    S.  oben  s.  83  fgg. 

§  65  rest.    Verschiedene  Zusätze,  meist  vomennianisch.    S.  oben  s.  102. 

[§66.    Anfang  der  Annales  Cambriae  in  hs.  A]. 

S.  80.  Civitates;  excurs  zu  §  7,  vomennianisch  imd  ziemlich  alt  S.  oben  s.  102. 

§  67  —  68  anfang  (Quartum  miraculum).  Grundstock  der  Mirabüta  BriUm' 
niae,  Vomennianisch;  die  zwei  ersten  wunder  vielleicht  ursprünglich  oder  sehr 
früher  anhang.    S.  oben  s.  102. 

§  68  (von  Aliud  mira^dum  an)  bis  §  74.  Zehn  wunder,  meist  aus  dem  gebiet 
des  Wye-flusses;  entweder  von  einem  Südwelschen  kurz  vor  Nennius  oder  von  Nen- 
nius selbst.    S.  oben  s.  102  tg. 


ÜBER  ZIMMER,   NKNNIÜS   VINDICATUS  105 

§  75.    Mirabüia  von  Anglesey.    Von  Nennius.    S.  oben  8.  102.  103. 

§  76.    Mirabilia  von  Irland.     Wol  von  Nennius.     S.  oben  s.  102. 

Von  einzelheiten  in  Zimmers  buch  möchte  ich  besonders  hervorheben:  die 
nachrichten  über  die  irischen  ansiedelungen  in  Wales  und  auf  der  comischen  haib- 
insel  (8.  84  fgg.),  die  meines  wissens  noch  nie  so  vollständig  zusammengestellt  wor- 
den sind,  und  den  nachweis,  dass  die  südlichsten  derselben  trotz  Nennius  §  14  durch 
Canedag  und  seine  söhne  nicht  vertrieben  worden  sind  (s.  93),  ein  für  die  Ogham- 
ioschriften  in  Südwales  wichtiges  resultat  Femer  die  Vermutung,  dass  der  erweiterte 
Servius-kommentar  zu  Virgil  aus  Irland  stamme  (s.  238  fgg.).  Für  verunglückt  halte 
ich  dagegen  die  parabase  über  den  Irenapostel  Patrick  (s.  146  fgg.),  für  ebenso  ver- 
unglückt wie  Zimmers  artikel  in  der  Ztschr.  f.  d.  a.  35 ,  1  fgg. ,  auf  den  er  sich  stützt 
Da  er  mit  einer  gewissen  verliebe  immer  wider  darauf  zurückkommt,  möchte  ich  die 
gelegenheit  nicht  vorübergehen  lassen,  einmal  entschiedenen  Widerspruch  gegen  seine 
au&tellungen  einzulegend  Seine  those  ist:  Patricius,  den  das  Irland  des  mittelalters 
und  der  neuzeit  als  seinen  hauptapostel  verehrt,  war  in  Wirklichkeit  ein  wenig  bedeu- 
tender britüscher  priester  Sucat,  der,  vom  heil.  Gormanus  von  Auxerre  gesant,  dem 
Pelagianismus  der  bereits  bekehrten  Iren  entgegentrat,  dann  namentlich  gegen 
den  Volksaberglauben  ankämpfte  und  zwischen  457  und  461  als  erster  bischof  in  dem 
von  ihm  zum  bischo&sitz  erhobenen  Armagh  starb,  ohne  dass  er  in 'der  nächsten 
folgezeit  über  seine  diöcese  hinaus  einen  besonderen  ruf  genossen  hätte.  Durch  eine 
lange  reihe  bewusster  fälschungen,  die  namentlich  vom  8.  bis  11.  Jahrhundert  von 
Armagh  ausgiengen,  wurde  der  mann,  dem  man  durch  eine  Verwechslung  den  namen 
Patricius  beilegte,  zu  seiner  späteren  berühmtheit  hinaufgeschwindelt.  —  Oewiss  eine 
sensationelle  enthüUung! 

Nun  wird  man  zwar  ohne  weiteres  zugestehn,  dass  die  ältesten  aufzeichnun- 
gen  über  Patricius  viel  legendarisches  enthalten ;  auch  dass  er  niemals  in  Rom  gewe- 
sen, ergibt  sich  jetzt,  wo  die  ältesten  quellen  durch  den  di-uck  zugänglich  sind,  als 
sehr  wahrscheinlich.  Dass  ferner  manche  äbte  und  bischöfe  von  Armagh  nach  kräf- 
teo  ihren  einfluss  zu  erweitern  strebten,  erscheint,  da  sie  ja  menschen  waren,  recht 
glaublich.  Aber  von  da  bis  zu  dem  Zimmerschen  Zerrbild  ist  noch  ein  sehr  wei- 
ter weg. 

Seine  beweise.  Prosper  meldet  in  seiner  chronik  zum  jähre  431:  Ad  Scottoa 
in  Christitm  eredentes  ordinatus  a  papa  Caelestino  Palladiua  primus  episcopus  mit- 
iitur.  Also  —  schliesst  Zimmer  —  die  Iren  waren  damals  bereits  Christen,  und  Palla- 
dios  wird  ähnliche  zwecke  verfolgt  haben,  wie  Germanus  von  Auxerre  auf  seiner 
429  unternommenen  reise  nach  Britannien,  nämlich  die  Unterdrückung  der  pelagia- 
nischen  ketzerei;  der  Britte  Sucat  (=  Patricius),  den  auch  die  spätere  legende  mit 
Oermanus  verbindet,  ist  demnach  offenbar  zu  demselben  zwecke  nach  Irland  entsant 
worden,  um  Ordnung  in  der  schon  bestehenden  kirche  zu  schaffen,  nicht  um  Irland 
zu  bekehren.  —  Sonst  pflegt  man  zugleich  mit  der  notiz  aus  Prospei*s  chronik  eine 
zTweite,  sie  ergänzende  stelle  anzuführen,  die  Zimmer,  ich  weiss  nicht  weshalb,  bei 
Seite  Iftsst  Sie  steht  in  dem  um  435  von  Prosper  verfassten  Liber  contra  collato- 
rem  kap.  21  und  sagt  von  dem  vener abilis  memoriae  pontifex  Caelestinus  aus:  Nee 
vero  aegniore  cura  ab  hoc  eodem  morbo   (dem  Pelagianismus)  Brttannicts  liberavii, 

1)  Weni^tens  soweit  sie  Patrick  betroffen.  Die  abenteuerliche  hypothese,  dass 
tuaüia  FSne  (eine  alte,  halb  poetische  bezeichnung  der  Iren)  eigentlich  die  nor- 
dischen Vikinger  bezeichnet  habe,  verlangt  wol  keine  specielle  Widerlegung. 


106  THURNBYSElf 

qiiando  quosdam  inimieos  gratiaej  solutn  suae  originis  oeeupatUes,  etiam  ab  ülo 
secreto  exclusU  oceantf  et  ordinaio  Scotts  episcopo,  dum  Romanam  insuiam  stu- 
dei  servare  Catholicam,  fecit  eiiam  barbaram  Christ ianam.  Mir  scheint,  da  steht 
etwas  von  heidenmission  und  Irlands  Christianisierung  in  der  ersten  hälfte  des  5.  Jahr- 
hunderts, und  Muirchu  maccu  Machtheni  hätte  eigentlich  Zimmers  tadel  (s.  149)  nicht 
▼erdient,  wenn  er  jene  notiz  des  Prosper  umgestaltet  zu:  Palladius  ordinaius  et 
missHS  ftierat  ad  fiane  insolam  sub  brumali  rigore  positam  eonvertendam ,  mag 
immerhin  als  motiv  für  die  sendung  mitgewirkt  haben,  dass  man  die  eben  dem  Chri- 
stentum sich  erschlicssende  inscl  nicht  den  Pelagianern  in  die  bände  fallen  lassen 
wollte. 

Das  ist,  was  man  in  Rom  von  den  anfangen  des  Christentums  in  Irland  wnsste. 
Als  man  aber  auf  dieser  insel  selbst  im  7.  Jahrhundert  daten  und  materialien  zur 
geschichto  der  irischen  kirche  zu  sammeln  begann,  strömte  zwar  eine  reiche  fülle 
von  notizen  und  angaben  über  den  brittischcn  Irenbekehrer  Patricius  zusammen, 
glaubwürdige  und  unglaubwürdige;  aber  von  Palladius,  den  man  doch  aus  Prosper 
kannte,  keine  spur  und  kein  wort.  Das  geht  deutlich  aus  der  art  und  weise  hervor, 
wie  die  biographen  des  I'atricius  im  7.  Jahrhundert,  Muirchu  maccu  Machtheni  und 
Tirechan,  sich  mit  Palladius  abfinden.  Der  erstero  lässt  seine  mission  scheitern: 
Nam  neque  hi  feri  et  inmites  Iwmines  facile  receperunt  doctrinam  ejus,  neque  et 
fpse  voluit  fransigere  tcntpus  in  terra  non  sua\  sed  rerersas  ad  eum  qui  mtsit 
illum.  Auf  der  heimreise  stirbt  er  aber  in  Britonum  finibus^.  Anders  Tirochin 
(ebend.  s.  332):  Paladius  episcoptts  [a  Celestino]  primo  mittitur,  qtii  Patricius 
alio  nomine  appcllabatur;  qui  martyriiim  passus  est  apud  Scottos,  ut  tradunt 
sancti  antiqui.  Deinde  Patricius  secundus  . . .  mittitur,  cui  Hibertna  tota  credi' 
dit,  qui  et  eam  pene  totam  baptixarit.  Also  Palladius  wird  mit  dem  legendarischen 
„Alt- Patrick**  (Sen-Phatric)  identificiort,  der  in  Irland  den  märtyrertod  erlitten 
haben  sollte'.  Dass  dies  keine  böswilligen  fälscliungen  sind,  sondern  einfach  naive 
versuche,  den  mangel  an  nachrichten  über  den  verschollenen  Palladius  zu  orkläreD, 
wird  jodermann  zugeben.  Also  das  christliche  Irland  dos  7.  Jahrhunderts  weiss  nichts 
von  Palladius,  aber  sehr  viel  vom  heil.  Patricius,  dem  es  seine  bekehrung  zuschreibt 

Aber  ^Bcda,  mit  der  irischen  kirchcngeschichte  wolvertraut,  kennt  Patrick  in 
der  Eist.  eccl.  absolut  nicht**;  das  ist  Zimmers  hauptargumcnt  (s.  148).  Von  den 
anfangen  des  Christentums  in  Irland  ist  aber  Beda  überhaupt  nichts  bekannt  als  die 
notiz  in  Prospers  chronik,  die  er  jedesmal  wörtlich  anführt,  wenn  er  darauf  zu 
sprechen  kommt  (Eist.  eccl.  1,  13  und  5,  24;  Chronic on  unter  TJieodosius  mtnor); 
irische  berichte  lagen  ihm  also  keine  vor.  Auch  später  erwähnt  er  nur  solche 
Iren,  die  auf  der  englischen  insel  geweilt  haben,  wie  den  Pictcnapostel  Columba  und 
seinen  nach  folger  Adamnan  oder  die  geistlichen,  die  bei  den  nordhumbrischen  Angeln 
tätig  waren.  Von  der  inneren  geschichto  der  irischen  kirche  bringt  er  nichts  als  bei 
gelegeuheit  des  Streites  um  die  osterborechuung  die  angäbe,  dass  die  Süd  -  Iren  yam- 
dudum  ostem  nach  römischer  art  berechnet  hätten  (Eist.  eccl.  3,  3),  aber  nichts 
von  all  den  irischen  heiligen,  von  den  grossen  klostergiiindungen  in  Irland  usw. 
Wenn  er  also  „mit  der  irischen  kirchengoschichte  wolvertraut**  war,  so  scheint  er 
von  seinen  kenntnisson  keinen  gebrauch  gemacht  zu  haben. 

1)  Stokes,  The^Tripartite  Life  of  Patrick  (Rer.  Britann.med.  aev,  serip- 
tores),  s.  272. 

2)  Vgl  d'Arbois  de  Jubainviüe,  Rcv.  Gelt.  9,  111  fg. 


ÜBER  ZIMMBR,   NENNIÜS  YINDICATÜS  107 

Diesem  arffumerUutn  ex  aüetUio  steht  gegenüber,  dass  die  Iren  selber  seit 
dem  6.  Jahrhundert,  wo  sich  nur  eine  gelegenheit  findet,  den  Patricius  nennen  und 
zwar  als  ihren  anerkannten  Schutzpatron  und  heiligen  ^  Dass  der  primat  der  „nach- 
folger  Patricii^,  wie  sich  die  äbte  und  bischöfe  von  Armagh  betiteln ,  von  Iren  jemals 
bestritten  worden,  kann  ich  nicht  entdecken*.  Hat  es  also  zur  zeit,  als  Patrick 
nach  Irland  kam,  dort  schon  einige  Christen  gegeben,  so  hat  jedesfalls  seine  mächtige 
persönlichkeit  und  seine  wirkungsvolle  tätigkeit  alles  frühere  in  schatten  gestellt  und 
dem  gedächtniss  entschwinden  lassen. 

Der  irische  name  Patric  (Pairaicc)  ist  einfach  lat.  Patricius  mit  weggelas- 
sener endung,  also  —  sagt  Zimmer  —  „nur  gelehrtenfabrikat  des  7.  Jahrhunderts. '^ 
Dass  heiligennamcn  die  lateinische  form  beibehalten,  pflegt  sonst  nicht  gegen  ihr  alter 
zu  sprechen;  ist  es  nötig,  an  Bonifaz  zu  erinnern?  Zum  überfluss  kennen  wir  aber 
wirklich  eine  volkstümlichere  irische  form,  das  gut  bezeugte  Cothrige  Cothraige* 
aus  älterem  *Qwathriche,  das  so  regelrecht  wie  denkbar  lat.  Patricius  widergibi 
Auch  Zimmers  zweifei  an  der  echtheit  der  Confessio  S.  Patricii  (Zs.  f.  d.  a.  35, 
79  A.)  überschreitet  meines  erachtens  die  gi*enzen  des  berechtigten  skepticismus  und 
hat  keinen  andern  grund  als  seine  vorgefasste  meinung.  Pflugk-Hai*tungs  ähnliche 
versuche  (Heidelberger  jahrbb.  HI,  71  fgg.)  zeigen  nur  von  neuem,  wie  schwer  es 
hält,  innere  gründe  für  diese  imechthoitstheorie  aufzutreiben. 

Es  hätte  keinen  wert  im  einzelnen  zu  verfolgen,  wie  Zimmer  nun  in  jeder 
legende,  sobald  sie  Patricius  und  Armagh  günstig  ist,  „aus  habsucht  und  herrsch- 
sucht  entstandene  lügen  <^  sieht.  Aber  die  hauptstelle  (Ztschr.  f.  d.  a.  35,  75  fgg.), 
auf  die  er  sich  auch  jetzt  wider  (s.  149  fg.)  beruft,  darf  ich  nicht  übergehen.  Sie 
handelt  von  der  lex  Patricii. 

Von  den  verschiedenen  durch  die  irische  geistlich keit  erlassenen  leges  (ir.  cdin) 
hat  im  Zusammenhang  Petrie,  Antiquities  of  Tara  Hill  s.  171  fgg.,  gesprochen. 
Über  ihren  inhalt  meldet  eine  glosse  zum  24.  September  des  Iheiligenkalenders,  der 
Oengus  zugeschrieben  wird,  folgendos:  „Das  sind  die  vier  cdin  Irlands:  1.  die  cdin 
Patricks,  keine  geistlichen  zu  töten;  2.  die  cdin  von  Dari  Caillech,  keine  kühe  zu  töten; 
3.  die  cdmAdamnans,  die  frauen  nicht  zu  töten;  4.  die  cdin  des  sonntags,  am  Sonn- 
tag nicht  zu  übertreten."*  Die  letztgenannte  cdin  kommt  für  uns  nicht  in  betracht, 
da  sie  erst  ende  des  9.  Jahrhunderts  auftritt. 

Unter  den  übrigen  „gesetzen*^  ist  das  älteste  die  cdifi  Ädamndin  oder  lex 
innoeentium,  das  nach  der  einen  nachricht  die  frauen  von  der  pflicht  des  kriegs- 
dienstes  befreite,  nach  der  andern  das  töten  von  frauen  und  kindem  im  kriege  ver- 
hindern sollte.  Adamnan,  der  nachfolger  Columbas  als  abt  von  Hi  (Jona),  brachte 
es  in  den  90er  jähren  des  7.  Jahrhunderts  in  Irland  zur  geltung  (das  datum  schwankt 
zwischen  693  und  697).  Als  seine  reliquien  im  jähre  727  nach  Irland  übergeführt 
wurden,  wurde  das  gesetz  erneuert.  Dies  scheint  der  lex  Patricii  gerufen  zu  haben, 
welche  das  erschlagen  von  geistlichen    (clerici)   in  den  nimmer  ruhenden   raub- 

1)  Die  Zeugnisse  bei  Stokes,  a.  a.  o.  s.  CXlV. 

2)  Selbst  in  dem  verhältnismässig  unabhängigen  Süden,  in  Munster,  begrün- 
dete man  den  anspruch  der  fürsten  von  Cashel  auf  die  königswürde  über  ganz  Irland 
mit  einer  Weissagung  von  Patricks  Schutzengel  Victor  (Leabhar  na  g-Ceart,  ed. 
0*Donovan,  s.  30). 

3)  S.  Stokes  a.  a.  0. ,  Index  s.  601 ;  von  Tirechdn  in  Cothirthiacus  latinisiert 
(ebend.  302). 

4)  S.  Potrie,  a.  a.  o.;  Stokes,  Calendar  of  Oengus,  s.  CXLVHI. 


108  THÜRNETSEN 

Zügen  und  kriegen  verbot.  üioUlsterannalen  berichten  a.  733:  Commotafio  marti- 
rtitn  Petir  ocus  Phoil  oeiis  Phatraicn  ad  legem  perficiendam ,  was  Zimmer  wol  mit 
recht  auf  die  lex  Patricn  bezieht.  Also  reliquien  von  Petrus,  Paulus  und  Patricias 
wurden  „comniutiert**,  um  die  lex  perfekt  zu  machen;  d.  h.  vermutlich:  sie  wurden 
von  ihren  bisherigen  Standorten  entfernt  und  irgendwie  mit  der  lex  verbanden 
(daher  wol  der  namo  lexPntricii)^  die  von  da  an  als  wertvollstes  besitztum  Annaghs 
erscheint  und  von  jedem  flür»htonden  abt  mitgenommen  wird^  Den  erfolg  lehren  die 
Ulsterannalon  a.  736':  lex  Patricii  tenuit  Hiiemiam.  Gewi.ss  ist  das  ein  zcugniss 
für  die  macht  der  geistlichkoit  und  auch  für  die  bodeutung  Annaghs  in  jener  zeit; 
al)er  unberechtigte  übergriffe  Armaghs  gegen  andere  diöcesen  gehen  daraus  nicht  her- 
vor, da  das  gesctz  natürlich  alle  geistlichen  Irlands  schützen  sollte.  Freilich  mag  es 
bald  eingeschlafen  sein.  .\ber  in  der  zweiten  hälfte  dos  8.  Jahrhunderts  und  am 
anfang  des  9.  hören  die  oft  orfolgreichen  bemühungcn  der  bischöfe  und  äbte  von 
Armagh  nicht  auf,  dieser  lex  bei  den  irischen  fürstcn  und  ihren  Untertanen  geltung 
zu  vorschaffen.  Man  vergleiche  die  datcn  der  Ulsterannalen:  a.  766  lex  Patrieii 
(also  emeuorung  des  gesotzos);  a.  782  Promulgation  der  edin  Patrieii  in  Cruachoi 
(Connaught)  durch  Dubdalcthe  { bisch of  von  Armagh)  und  Tipraite  mac  Taidg  (füist 
von  Connaught);  a.  798  lex  Patrieii  über  nonnaught  durch  Gormgal  mac  Dindataig 
(abt  von  Armagh);  a.  80.5  lex  Patrieii  durch  Aedh  mac  Neill  (oberkönig  von  Irland) 
—  vermutlich  ein  letzter  erfolg  Gormgals,  der  in  diesem  jähre  starb  — ;  a.  822  lex 
Patrieii  über  Munster  durch  Feidlimid  mac  Cremtainn  (fürst  von  Munster)  und  Artri 
mac  Concobair,  bischof  von  Armagh;  a.  824  lex  Patrieii  über  die  drei  (provinzea 
von)  Connaught  durch  (denselben)  Artri  mac  (Uoncobair.  Inzwischen  war  ein  zweitos 
Schongesetz  aufgekommen,  das  verbot,  „die  kühe  zu  toten",  d.h.  die  rinder,  die  man 
bei  den  raubzügen  nicht  wegtreiben  konnte,  hinzuschlachten,  was  vermutlich  öfters 
hungei-snot  erzeugt  hatte.  Das  ist  die  lex  Darii.  Sie  wird  für  Connaught  zuerst 
erwähnt  a.  811  (d.  i.  812)  und  widerholt  a.  82.');  die  Ui -Neill  nahmen  sie  an  a.  812*. 
Alle  diese  gesetze,  die  man  völkcrreohtliche  nennen  möchte,  sind  dann  natürlich  in 
den  folgenden  Wikinger -wirren  untergegangen. 

Wir  hal>en  oben  angenommen,  dass  jene  glosso  den  inhalt  der  lex  Patrieii 
richtig  fingebe.  Und  man  wird  zugestehen,  dass  ein  gesctz  zum  schütze  der  geist- 
lichen im  kriegf  sich  trefTlich  cinrcilit  zwischen  oim^s  zum  schütze  der  frauen  und 
eines  zum  schütze  dos  viohstandos.  Freilich  gab  os  aucli  andere  deutungen  des  aas- 
drucks rdin  Patrairc^  die  —  äusserlich  betrachtet  —  auf  derselben  stufe  stehen  wie 
jene  notiz,  indem  ja  wol  alle  diese  angaben  aus  einer  zeit  stammen,  wo  die  wirk- 
liche lex  Patrieii  verloren  und  halb  verschollen  war.  So  steht  in  der  vorrode  des 
grossen  gesetzbuches  Senrhas  mor^  dieses  selber  sei  die  edin  Patraic^.  Das  gesetz- 
buch  lAihar  Aiele  beruft  sich  in  der  abhandlung  über  pfander  dreimal  auf  die  edin 

1)  Vgl.  Ulsterann.  a.  810:  Nuadha,  abt  von  Armagh,  migrarit  nach  Connaagfat 
eum  lege  Patrieii  et  eum  armario  ejus;  a.  834:  Dermait  (abgesetzter  abt  von  Ar- 
magh) gieng  nach  Connaught  eum  lege  et  vexillis  Patrieii,  —  Im  Chronicon  8co- 
torum  lautet  der  schluss  der  ersten  notiz  (hier  a.  811):  eum  lege  Patrieii  et  eon-a- 
edin  („mit  seiner  edin*^)^  als  ob  lex  und  edin  zweierlei  wären;  das  ist  offenbar  ein 
versehen  dieser  späteren  quelle. 

2)  Die  Ulsterannalen  datieren  in  der  regel  um  ein  jähr  zu  früh,  was  auch 
für  die  folgenden  daten  gilt 

3)  A.  813  wird  noch  eine  lex  Quiarani  erwähnt,  von  deren  inhalt  wir  nichts 


I* 


^^  '  '  Lawb  and  Institates  of  Ireland  I,  18. 


ÜBER   ZIMMEB,   NENMT78   VIN1>1GäTUS  109 

Patraie  (a.  a.  o.  UI,  s.  150.  323.  325);  ich  finde  im  Sencfias  m6r  I,  276  fgg.  wol 
ähnliches,  aber  nichts  genau  entsprechendes.  Über  die  entsteh iing§zeit  des  grund- 
stockes  des  Senchas  steht  noch  sehr  wenig  fest*.  Dass  es  wirklich  die  lex  Patricii 
der  alten  annalen  sei,  ist  schon  darum  unwahrscheinlich,  weil  man  nicht  begriffe, 
welch  gros.sos  Interesse  die  bischof  -  äbte  von  Armagh  an  seiner  annähme  gehabt  haben 
sollten,  und  weshalb  ein  gesetz  solchen  inhalts  alle  paar  jähre  hätte  aufgefrischt  wer- 
den müssen'. 

Hennessy,  der  herausgeber  der  ülsterannalen ,  nennt  s.  234  anm.  1  die  lex 
Patricii  ein  „System  of  collecting  tribtäe^'  und  verweist  dabei  auf  eine  stelle  in 
einer  schrift  von  Reeves,  die  mir  nicht  vorliegt.  Zimmer  (Zs.  f.  d.  a.  35,  75)  nimmt  an, 
die  lex  habe  „neben  anderm  auch  die  anspräche  Armaghs  auf  den  primat  und  sein 
recht  auf  erhebung  von  kirchensteuem  enthalten",  ja  sie  sei  der  liber  angeli  des 
buches  von  Armagh,  in  dem  alle  die  ansprüche  vorkommen,  welche  die  bischof - 
abte  von  Armagh  auf  grund  ihras  primates  erhoben  (s.  79  anm.).  "Worauf  er  sich 
aber  bei  dieser  annähme  stützt,  weiss  ich  nicht  zu  sagen,  da  er  sie  nicht  begründet 
hat*.  So  sind  ihm  mm  alle  oben  augeführten  daten  Zeugnisse  für  einen  hundertjäh- 
rigen kämpf  Armaghs  um  den  Primat.  Wir  können  ihm  auf  diesem  wege  nicht 
folgen. 

Also  bleibt  es  vorläufig  dabei,  dass  Patricius,  seit  wir  überhaupt  Zeugnisse 
aus  Irland  besitzen,  als  der  bekehrer  und  patron  der  Iren  galt,  und  dass  der  primat 
seiner  nachfolger  niemals  angezweifelt  wurde,  wenn  man  sich  auch  natürlich  den 
praktischen  konsequenzen ,  die  die  bischöfe  und  äbte  von  Armagh  daraus  zogen ,  nicht 
immer  ohne  weiteres  gefügt  haben  wird.  Das  bat  aber  mit  der  anerkennimg  des 
primates  ebensowenig  zu  tun  wie  auf  dem  festlande  der  widerstand  gegen  die 
ansprüche  der  nachfolger  Petri. 

Zimmers  Nennius  hat  als  anhang  (s.  291  fgg.)  einen  abschnitt  „Über  die  His- 
pericaFamina  und  andere  Süd westbrittannische  denkmäler  des  6.  Jahrhunderts.''  Er 
handelt  von  dem  keltischen  kunstlatein  der  Hisperica  Famina,  des  Luxemburger 
fragments,  des  sogenannten  hymnus  loricae  und  des  alphabetischen  gedichts,  dasBeth- 
man  in  der  Ztschr.  f.  d.  a.  5,  207  fgg.  und  Stowasser  in  seinen  Stolones  latini  (Wien 
1889)  herausgegeben  haben.  Da  ich  in  diesem  abschnitt  widerholt  mit  entschiedener 
missbilligung  citiert  werde  (s.  292.  299.  311*),  mich  aber  imschuldig  fühle,  möge  der 
leser  verzeihen,  wenn  ich  noch  mit  ein  paar  werten  darauf  eingehe.  Zimmer  tadelt 
mich  vornehmlich  darum,  dass  ich  irrtümer  Stowassers  ungerügt  gelassen  habe. 
Daraus  geht  hervor,  dass  wir  das  amt  eines  recensenten  sehr  verschieden  auffassen. 
Ich  halte  es  natürlich  nicht  für  meine  pflicht,  vor  allem  die  fehler  aufzusuchen  und 
wie  ein  schullehrer  unter  jeden  lapsus  einen  roten  strich  mit  ausrufungszeichen  zu 
setzen;  sondern  womöglich  anzugeben,  was  in  der  anzuzeigenden  schrift  brauchbar 
erscheint  oder  durch  leichte  korrektur  brauchbar  wird.  Polemik  scheint  mir  im  all- 
gemeinen nur  da  am  platze,  wo  die  fehler  des  Verfassers  den  falschen  schein  der 
Wahrheit  an  sich  tragen,  also  andere  täuschen  könnten.     Dass  dies  nicht  der  fall  ist, 

1)  Zimmers  angaben  (a.  a.  o.  35,  85  fgg.)  beruhen  auf  seiner  Wikingertheorie, 
sind  also  wertlos.  [Vgl.  jetzt  auch  d'Arbois  de  Jubainville,  Etudes  sur  le  droit 
celtique,  I.  Cours  de  litterature  celtiqne,  Tome  VIL] 

2)  Vgl.  auch  Zimmer  a.  a.  o.  s.  87. 

3)  Jene  stelle  bei  Keeves  scheint  nicht  seine  grundlage  zu  bilden,  da  er  sie 
nicht  erwähnt. 


HO  THCRNETSEN 

wenn  jemand  aus  altbretonischen  glossen  auf  schottischen  uispning  eines 
schriftetückes  schliesst  (Zimmer  s.  299),  wird  er  mir  zugeben,  und  dass  ich  nicht 
dadurch  zur  billigung  des  resultats  bewogen  wurde,  vielleicht  glauben.  Dass  aber 
das,  wab  ich  selber  ausgesprochen,  so  sehr  irrig  gewesen,  davon  haben  mich  Zim- 
mers ausführungon  nicht  überzeugt 

Nachdem  Geyer  und  Stowasser  im  Archiv  für  lat.  lexicographie  an  dem 
latein  der  Hisp.  Famina  herumgerätselt  hatten,  sante  ich  die  Archiv  3,  548  abge- 
druckte notiz  ein ,  dass  durch  die  lateinischen  und  altbretonischen  glossen  des  Lozem- 
burgcr  fragments  das  verständniss  dieser  spräche  erschlossen  werde.  Sie  wurde  vor 
dem  druck  durch  Wölfflins  Vermittlung  Stowasser  bekannt,  der  dann  das  fragment 
neu  abdruckte  und  bei  seiner  ausgäbe  der  Hisp.  Fam.  benützte.  Ich  glaabte  damals, 
einige  der  Luxemburger  glossen  bezögen  sich  direkt  auf  die  erhaltenen  Hisp.  Farn., 
ein  irrtum,  den  Stowasser  verbessert  hat.  Dagegen  schien  und  scheint  mir  sein  von 
Zimmer  s.  298  gebilligter  schluss  unberechtigt,  die  Hisp.  Fam.  seien  eine  gekürzte 
bearbeitung  eines  älteren  werkes.  Wahrscheinlicher  ist  mir  immer  noch,  wie  ich 
Archiv  4,  341  ausgesprochen,  dass  in  kap.  1 — 5  der  Hisp.  Fam.  der  alte  grand- 
stock erhalten  ist,  das  muster  sowol  für  die  fortsetzer  als  für  direkte  nachahmer. 
In  jener  notiz  wies  ich  ferner  darauf  hin,  dass  diese  latinität  von  Kelten  herrühn 
und  sc^tzte  mit  rücksicht  auf  die  altbretonischen  glossen  des  Luxemburger  fragments 
hinzu:  „vielleicht  von  einem  bri  tuschen  Kelten*^ ;  ähulich  jetzt  Zinuner.  Diebedeu- 
tung der  glossen  ist  gewiss  nicht  zu  unterschätzen;  denn  ein  solches  denkmal  kann 
nur  entweder  vom  Verfasser  selber  oder  von  einem  schüler,  dem  er  es  erklärte,  so 
richtig  glossiert  worden  sein;  das  lehren  ja  die  vergeblichen  versuche  neuerer,  dieeei 
latein  ohne  die  glossen  zu  verstehn,  deutlich  genug.  Aber  die  bedeutung  der  unter 
die  lateinischen  gemischten  altbretonischen  glossen  wird  dadurch  sehr  verringert, 
dass  sie,  wie  ich  obend.  3,  547  an  der  missverstandenen  glosse  zu  samo  nachwies,  erst 
aus  lateinischen  übersetzt  sind.  Sie  zeugen  also  direkt  nur  für  die  bretonische  her- 
kunft  dos  Luxemburger  blattes,  nicht  für  die  seiner  vorläge,  also  auch  nicht  für  die 
der  nalie  vona^aiiton  Hisperica  Famina;  darum  schrieb  ich  „vielleicht*^.  Als  ioh 
dann  gelegentlich  der  anzeige  der  Stowasserscheu  ausgäbe  die  ganzen  Hisperica 
Fam  in  a  genauer  durchsah,  ergab  sich,  dass  in  der  tat  jener  schein  getrogen,  dass 
vielmehr  —  mit  A.  Mai  und  Stowasser  —  ein  Scottus  oder  mehrere  Seotti  als  Ver- 
fasser anzunehmen  seien  (Archiv  4,  341).  Das  bestreitet  Zimmer.  Die  entschei- 
denden stellen  sind  die,  wo  scotiigenus  vorkommt,  seite  9,  23  und  10,  8  der  Stowas- 
serschen  ausgäbe. 

Dio  Hisp.  Fam.  schildern  das  treiben  einer  christlichen  latoinschule,  die  man 
sich  ^«wiss  in  einem  klostor  zu  denken  hat.  Kap.  10  wird  beschrieben,  wie  eine 
mahlzcit  bo reitet  wird.  Dann  handelt  es  sich  darum,  wer  fähig  sei,  die  gelehrten 
horrsohufton  zum  essen  zu  bitten  (Quis  tales  posc€t  possores?)  Da  sagt  einer 
(kap.  11):  ,,Xim  au^onica  me  subligat  catcna^;  ob  hoc  scottigenum  haud  cripi" 
tumh  euhtgium  . .  (folgt  ein  unklarer  satz ;  bedeutet  amicUoa  „  hunde*^  ?).  Venutii 
^xctMcnt*  acculary  parca^  amplccti  stib  numine  aliinonias*^  usw.  Ich  verstehe: 
„Die  ausonische  kette  bindet  mich  zwar  nicht  (d.  h.  ich  spreche  kein  gewähltes 
latein*);   darum  knarre  ich  doch  nicht  irische  rede  (d.  ich  kann  immerhin  so  viel 

1)  Stowasser  und  Zimmer  fassen  diesen  satz  als  frage,  was  möglich,  aber 
nicht  notwendig  ist 

.2)  fjccuiant  ms.  und  Stowasser. 

3)  Oder  als  frage:  „Bin  ich  nicht  ein  guter  lateiner?*^ 


ÜBER   ZIMMER,   NENNIÜS   YINDICATUS  111 

Latein  sprühen ,  um  zum  essen  einzuladen)  . . .  Mögen  die  gütigen  hen*8chaften 
gemhen,  das  karge  mahl  unter  freiem  himmel  einzunehmen*^  usw.  Zimmer  fasst 
scoHigenum  eulogium  ,, irische  wolredenheit*^  als  „latein,  wie  es  die  Iren  sprechen*^; 
der  Terfasser  blicke  verächtlich  auf  dasselbe  herab,  sei  also  selber  kein  Ire. 
Näher  liegt  die  annähme,  dass  scottigenum  eulogium  nach  art  dieser  latinisten  ein- 
fach für  scottieum  eloqutum  gdsetzt  ist.  Darauf  scheint  mir  auch  die  stelle  in  kap.  2 
zu  weisen,  aus  welcher  der  ausdruck  ausonica  catena  entlehnt  ist.  Dort  wandelt 
die  schaar  der  gelehrten  prächtig  einher,  als  plötzlich  ein  abscheulicher  rüpel  (eigent- 
lich „drache*,  horrendua  chelidms)  ihnen  naht  und  spricht:  Novello  temporei  gloha- 
mtnis  cyclo  hispericum  arripere  tonui  sceptrum;  ob  hoc  rudern  stemico  logum  ao 
exiguus  serpit  per  ora  rivus.  Quod  si  amplo  temporalu  aevi  stadio  ausonica 
me  aUigasset  catena,  sonoreus  faminis  per  guttura  popularet  haustus  ac  inmen- 
sits  urbani  tenaris  manasset  faitcihus  iollus,  d.  h.  „erst  seit  kurzem  habe  ich  latein 
zu  lernen  unternommen;  deshalb  ist  meine  rode  rauh  und  fliesst  kärglich.  Hätte  mich 
die  ausonische  kette  schon  lange  zeit  gefesselt,  so  würde  sie  wolklingend  und  voll 
hervorströmen.'^  Er  wird  nach  einigem  hin-  und  herraten  als  gewesener  schafhirte 
erkannt  und  ihm  der  rat  erteilt,  aufs  land  zu  seiner  mutter  und  zur  alten  beschäf- 
tigong  zurückzukehren  (kap.  3).  —  Also  auch  hier  steht  der  „ausonischen  kette*^  die 
Sprache  der  weniger  gebildeten  desselben  landos,  nicht  eines  ausländers  gegenüber. 

Die  andere  stelle  findet  sich  in  dem  bericht  über  die  genossene  mahlzeit  in 
kap.  11,  ende:  Farriosas  sennoaia  niotibus  corrosinius  crustellas,  quibus  Uta  scot- 
tigeni  pulularit  conditura  olei  „mit  zahnbewegungen  zernagten  wir  die  mehligen 
kuchen  (die  brote),  denen  die  aufgestrichene  brühe  irischen  Öles  entquoll.*^  Zimmer 
meint,  die  Hisp.  Fam.  seien  in  einem  brittischen  kloster,  das  auch  irische  mönche 
enthalten  habe,  verfassi  „Dass  einzelne  irische  confratres  das  einheimische  öl  gele- 
gentlich rühmten,  ist  doch  auch  ganz  gut  denkbar*^  (s.  294);  und  er  sieht  in  der 
er  wähnung  dos  irischen  Öles  einen  —  mir  in  diesem  Zusammenhang  unverständ- 
lichen —  spott  brittischer  mönche.  Das  sind  aber  doch  nur  ausfluchte;  die  werte 
weisen  eben  auch  nach  seinem  gefühle  auf  einen  Iren ,  sagen  wir  doch  geradezu  nach 
Irland.  Dass  übrigens  scottigenum  oleum  wirkliches  öl  bedeute,  halte  ich  für  aus- 
geschlossen; es  verstösst  gegen  die  grundsätze  dieser  latinisten,  öl  „öl*^  zu  nennen. 
Ob  damit  butter  oder  dickmilch  oder  sonst  etwas  gemeint  sei,  was  man  aufs  brot 
streichen  kann,  lasse  ich  gerne  dahingestellt 

8towasser  hat  Archiv  3,  168  nachgewiesen,  dass  sich  kap.  5  der  Hisp.  Fam. 
ans  Charisius  erklären  lasse.  Zimmer  macht  wahrscheinlich,  dass  das  recept  für 
diese  ganze  latinität  bei  Martianus  Capella  zu  suchen  sei  (s.  330  fgg.)'  Aber  dem 
umstand,  dass  uns  keine  in  Irland  geschriebene  handschrift  des  OapeUa  erhalten  ist, 
ein  argument  gegen  den  irischen  Ursprung  der  Hisp.  Fam.  zu  entnehmen,  halte  ich 
für  zu  kühn.  Zum  mindesten  der  abschnitt  kap.  6  — 13,  vermuüich  aber  das  ganze 
stammt  aus  Irland.  Gerade  die  vielfältige  berührung  irischer  und  bretonischer 
mönche  macht  begreiflich,  wie  glossen  dieser  litteratur  ins  bretonische  übersetzt  wer- 
den konnten.  — 

Der  Hymnus  loricae  sodann  ist  bis  jetzt  nach  4  hss.  veröffentlicht;  erstlich 
mehrfach  nach  hs.  K,  einer  Kölner  hs.  des  9.  Jahrhunderts,  zuletzt  nach  neuer  kol- 
lation  von  Zimmer  s.  337  fgg.;  femer  nach  hs.  0,  einer  Cambridger  hs.  (BibL  Publ. 
Cantab.  LL  1.  10  fol.  43),  die  der  ersten  hälfte  des  9.  jahrh.  anzugehören  scheint  \ 

1)  S.  Sweet,  Oldest  English  Texts,  s.  171.  Auf  die  beiden  englischen 
handschriften ,  die  Zimmer  entgangen  sind,  hat  mich  Stokes  aufmerksam  gemacht 


112  THÜRNEYSRN 

nebst  den  altonglischcn  gloBsen  abgedruckt  beiCockaync,  Leechdoms  otc.  of  early 
England  I,  LXVI  fgg.;  ebenda  die  Varianten  der  (daraus  kopierten?)  hs.  H  (Brit 
mus.,  Harl.  585  fol.  152);  endlich  nach  hs.  B,  dem  irischen  Lebor  Brecc  (14.  jahrh.), 
nebst  den  irischen  glossen  bei  Stokes,  Irish  Glosses  s.  133  fgg.  Die  Unterschrift  in 
E  lautet:  Explicii  hyrnnus  quem  Lathacan  scotigena  fecit;  die  Überschrift  in  C: 
Hanc  luricam  Loding  cantavit  ter  in  omne  die;  dagegen  in  B:  OiUus  hanc  lori^ 
cmn  fecit  ad  dcmones  expellendos  eos  qui  adversarenrnt  Uli.  Perpfenit]  angelus 
ad  illum  et  dixit  Uli  angelus:  Si  quis  homo  frequentatferit  illam,  addetur  ei 
secfiäum]  aeptimm  annis  usw.  Ijaidcend  mae  Büithbamiaig  renit  ab  eo  in  inso- 
lam  Hiherniam  y  trajistulit  et  partavit  super  altare  safieti  PcUrieii  episeopi.  SaflJ» 
V08  nos  facere.  Amen.  Dieser  Oillus  ist  Gildas  sapiens  (f  um  570),  Laideettn 
(Ijaidgenn)  mae  Baith  -  Bannaig  ein  bekannter  irischer  kleriker,  der  am  12.  janoar 
661  gestorben  ist  (Zimmer  s.  302);  gewiss  ist  er  auch  mit  Lathctcnn  und  Ijoding  der 
andern  hss.  gemeint  Unter  diesen  naohrichten  schenkt  nun  Zimmer  der  letzten,  in 
der  jüngsten  hs.  enthaltenen  glauben,  und  zwar  deshalb,  weil  es  im  Hymnus  vers  5  fg. 
hcLSst:  ut  fian  seciim  trahat  me  mortalitas  \  hujua  anni  neque  mundi  vaniias. 
Eine  der  grossen  mortalitaies ,  die  Irland  a.  664  und  683/684  verheerten,  habe  Laid- 
cenn  nicht  erlebt,  wol  aber  Gildas  das  „grosse  sterben''  in  Britannien  a.  547;  also 
sei  dieser  wirklich  der  Verfasser.  Dass  Laidcenn  nicht  ah  eo  (von  Gildas)  nach  Irland 
kommen  konnte,  indem  er  ein  Jahrhundert  später  gelebt  hat,  stört  Zimmer  nicht;  er 
beseitigt  es  durch  conjectur  {inrentam  ah  eo,  s.  305).  Aber  muss  denn  die  mor- 
talitas gleich  eine  solche  gewesen  sein,  die  ganze  länder  verheerte?  Die  vorrede 
des  Lebor  Brecc  trägt  so  deutlich  den  Stempel  junger  erfindung,  indem  sie  den  Hym- 
nus so  heilig  und  wirksam  als  möglich  erscheinen  lassen  möchte,  dass  die  grössere 
glaubwürdigkeit  der  kürzeren  und  älteren  notizen  mir  nicht  zweifelhaft  ist  Demnach 
hat  der  Ire  Laidcenn  im  7.  Jahrhundert  die  lorica  gedichtet 

Dagegen  das  alphabetische  gedieht  von  St  Omer,  indem  jede  Strophe, 
so  weit  tunlich,  mit  einem  griechischen  werte  beginnt,  wird  brittischen  Ursprungs 
sein  nicht  nur  wegen  dor  brittischen  glossen ,  die  ja  gleichfalls  übersetzt  sein  könnten, 
sondern  namentlich  auch  wegen  dos  metrums;  vgl.  meine  anzeige  Archiv  6,  593, 
auch  Rev.  Colt  11,  86  fgg. 

Nacrh  Zimmer  sind  dagegen  alle  diese  werke  um  die  wende  des  5.  zum  6.  jh. 
aus  der  berühmten  schule  lltuts  in  Llanilltyd  fawr  (Glamorgan)  hervorgegangen,  als 
dessen  bedeutendster  schüler  eben  Gildas  erscheint.  Dass  eine  nahe  verwantschaft 
diese  spätlateinischen  produkte  verbindet,  verkenne  ich  nicht;  aber  dass  man  sie  zeit- 
lich und  örtlich  so  eng  l>esch ranken  dürfe  oder  gar  müsse,  halte  ich  für  unerwiesen 
und  unwahrscheinlich.  Man  vergleiche  etwa  des  Iren  Muirchu  maccu  Machtheni  im 
7.  Jahrhundert  geschriebene  vorrede  zu  Patricks  leben  (Stokes,  a.  a.  o.  s.  269)  oder 
die  angeblichen  verse  des  Nennius  (Sau-Marte  s.  22),  die,  mögen  sie  echt  oder 
unecht  sein,  ja  sicher  viel  später  als  das  6.  Jahrhundert  fallen;  ist  es  nicht  Cut 
genau  dieselbe  technik  und  derselbe  geschmack,  wie  sie  bei  Gildas  oder  in  den  oben 
besprochenen  werken  hervortreten?  Die  ähnlichen  „kunstwerke*^  in  irischer  Sprache, 
die  mich  in  erster  linie  zur  beschäftigung  mit  dieser  an  sich  unerquicklichen  litteratar 
geführt  haben,  hängen  meines  erachtens  aufs  engste  mit  den  lateinischen  zusammen 
und  setzen  gleichfalls  eine  lange  dauor  dieser  geschmacksrichtung  voraus.  Der  schluss- 
abschnitt  Zimmers  hat  mich  also  nichts  weniger  als  überzeugt 

[Korrekturnote.  Inzwischen  ist  Mommscus  ausgäbe  der  Historia  Britto- 
num  ezBdiienen  (Monumenta  Germaniae  Historica,   Aactorum  antiquisai- 


ÜBER  ZIIOISB,   NBNNIÜS   VINDIOATÜS  113 

mornm  t  XUI  p.  I,  Chronica  minora  UI,  1).  Sie  scheint  mir  die  obigen  auf- 
stellungon,  von  kleinigkeiten  abgesehen,  nur  zu  bestätigen,  wenn  auch  Mommsen  sel- 
ber in  der  Schätzung  der  irischen  bearbeitung  der  ansieht  Zimmers  folgt  Insbeson- 
dere zeigt  Mommsen  s.  168,  dass  Isidors  Chronica  in  der  tat  benutzt  sind,  und  zwar 
schon  in  der  Harleianrecension  §  29;  diese  ist  also  sicher  von  Nennius  verfasst  (s.  oben 
s.  95).  Femer  ergibt  sich,  dass  die  hss.  DE  (Mommsens  PQ)  und  ihre  verwandten 
aufs  engste  zur  gekürzten  recension  gehören  (oben  s.  103),  nicht  nur  in  bezug 
auf  die  kürzung,  sondei-n  auch  auf  die  textgestalt;  sie  stellen  also  des  Nennius 
^definitive  ausgäbe*^  ohne  die  secundären  zusätze  dar.] 

PREIBÜBO  I.   B.  B.   THÜBNBT8XN. 


Herders  persönlichkeit  in  seiner  Weltanschauung.  Ein  beitrag  zur  begrün- 
dung  der  biologie  des  geistes.  Von  dr.  Eagen  Ktthnemann.  Berlin,  F.  Dümm- 
1er.  1893.    XVI  und  269  s.    5  m. 

Nachdem  die  Herderforschung  lange  im  interesse  der  litterarhistoriker  in  den 
hintergrund  getreten  war,  hat  sie  in  den  beiden  lezten  dccennien  einen  höchst  erfreu- 
lichen aufschwung  genommen.  1871  schrieb  der  pfarrer  A.  Werner  sein  durch  freie 
auiTassnng  und  anziehende  darstellung  ausgezeichnetes  buch  „Herder  als  theologe^; 
1877  begann  das  nun  nahezu  vollendete  monumental  werk  der  kritischen  gesamtaus- 
gabe  von  Suphan;  die  80er  jähre  brachten  uns  endlich  in  der  umfangreichen  mono- 
graphie  Hayms  eine  musterleistung  emsigen  bienenfleisses,  tiefeindringenden  Ver- 
ständnisses und  sichern  urtoiles.  Durch  diese  bedeutenden  arbeiten  ist  das  vorhandene 
material  ausgeschöpft  und  zukünftigen  Herder- Studien  eine  feste  grundlage  gegeben. 
Wenn  nun  eine  neue  dai'stellung  von  Herders  geistesentwicklung  neben  die  erwähn- 
ten werke  tritt,  so  wird  sie  zunächst  durch  erschliessung  neuer  quellen  oder  durch 
einführung  neuer  gesichtspunkte  ihre  daseinsberochtigung  zu  erweisen  haben. 

Unter  den  jungem  kräften ,  die  sich  neuerdings  der  eiforschung  Herders  zugewant 
haben ,  begegnet  der  name  des  Verfassers  nicht  zum  ersten  male.  Schon  früher  hat  er 
in  Kürschners  Deutscher  national  -  litteratur  die  Humanitätsbriefe  (band  77,  IT)  und  die 
Ideen  (77,  I)  herausgegeben  und  mit  sehr  eingehenden  einleitungen  begleitet;  ausserdem 
enthalten  die  Michael  Bemays  gewidmeten  „Studien  zur  litteraturgeschichte*^  (Hamburg 
und  Leipzig  1893)  auf  s.  135  — 155  von  ihm  eine  abhandlung  „Herders  lezter  kämpf 
gegen  Eani*^  Lassen  sich  diese  Publikationen  als  Vorstudien  zum  zweiten  buche  des 
Torliegenden  Werkes  fassen ,  so  erfahren  wir  aus  der  kurzen  Vorbemerkung  weiter,  dass 
das  erste  buch  von  der  philosophischen  fakultät  der  Universität  Berlin  mit  einem 
preise  gekrönt  ist  Diesen  Vorläufern  und  der  mehrjährigen  Versenkung  in  Herders 
philosophische  Schriften  verdankt  das  vorliegende  buch  augenscheinlich  die  ungemeine 
knappheit  der  darstellung,  durch  die  es  möglich  wurde,  auf  weniger  als  250  Seiten 
den  gesamten  philosophischen  entwicklungsgang  Herders  darzulegen  und  kritisch  zu 
beleuchten.  Oleichwol  ist  es  von  den  frühem  arbeiten  des  Verfassers  durchaus  ver- 
schieden: jene  wollen  die  einzelnen  Schriften  Herders  möglichst  erschöpfend  in  ihrer 
Innern  struktur  erklären,  aus  den  psychischen  motiven  des  denkers  ableiten  und 
danach  die  Stellung  jeder  schrift  in  der  geschichte  Herders  wie  der  Wissenschaft 
bestimmen ;  dagegen  ist  hier  das  interesse  durchaus  der  gesamtrichtung  und  -entvnck- 
Inng  Herders  zugewandt,  und  von  den  einzelnen  werken  wird  nur  dasjenige  in  betracht 
gezogen,  was  für  die  orkenntnis  dieser    gesamtentwicklung  wichtig  ist. 

ZmSCUBIFT  F.   DKUTSCHK  PHILOLOOIE.     BD.  XXVUI.  8 


114  MKTER 

Damit  ist  zum  teil  schon  angedeutet,  was  den  Inhalt  und  wert  des  buches 
ausmacht  Unbekanntes  material  ist  darin  nirgends  mitgeteilt  oder  verarbeitet  Wer 
also  den  wert  oines  buches  nur  nach  dem  stofflich  neuen,  das  es  enthält,  abwägt, 
der  kann  es  getrost  ungelesen  lassen;  er  wird  weder  neuen  funden  noch  tatsächlichen 
berichtigungcn  begegnen.  Wer  aber  sinn  hat  für  eine  eigenartige  und  urperBönliche 
ait,  die  dinge  zu  sehen,  der  wird  das  buch  nicht  ohne  reichen  genuss  und  tiefgebende 
anregung  aas  der  hand  logen.  Allerdings  mühelos  wird  dieser  genuss  nicht  sein, 
zumal  für  leser,  die  dem  Verfasser  zum  ersten  male  begegnen.  Vielleicht  wer- 
den solche  gut  tun,  sich  zunächst  durch  die  erwähnten  frühem  Schriften,  die 
leichter  verständlich  sind,  mit  der  art  des  Verfassers  vertraut  zu  machon,  um 
dann  aus  dem  jezt  vorliegenden  abschliessenden  werke  den  vollen  gewinn  ziehen  zu 
köimon. 

£s  kann  hier  nicht  meine  aufgäbe  sein,  ein  ondgiltiges  urteil  zu  flKllen  oder 
gar  einzolhciten  herauszugreifen  und  zu  kritisieren;  vielmehr  will  ich  nur  versuchen 
in  kurzem  zu  zeigen,  worin  das  eigentümliche  der  methodc  des  Verfassers  besteht  und 
welcher  gewinn  der  Wissenschaft  aus  ihr  erwaclisen  kann. 

Über  sein  Verhältnis  zu  Haym,  das  uns  zunächst  interessiert,  äussert  sich 
der  Verfasser  selbst  in  einer  anmerkung  auf  s.  35  fg.:  ^Ilaym  bespricht  bei  den  ein- 
zelnen werken  die  gcdaukon,  weist  die  abhängigkeit  dieser  von  anderen  denkem  im 
einzelnen  nach,  bemerkt  die  keime  späterer  arbeiten  Hei-ders  und  berührt  endlich  den 
Zusammenhang  der  gedankeu  mit  Herders  lobciisstolluug  und  sonstigen  beschäftigun- 
gen.  Er  ist  beschreibender  anatom,  für  den  jeder  kürpcr  etwas  abgeschlossenes,  fer- 
tiges, seiendes  ist,  der  also  die  entwicklungsgosclüchte  nur  insofern  mit  vertritt,  als 
die  einzeln  präparierten  stü(;ko  sich  als  glieder  einer  entwicklungsreihe  aufweisen  las- 
sen. Mir  kommt  es  darauf  an,  dio  treibenden  motive  in  den  arbeiten  Herders 
zu  erkennen,  danach  die  gedanken  im  Verhältnis  zu  seinem  gesamtlebcnsgefühl  zu 
begreifen,  zu  begreifen,  wie  er  das  einzelne  im  ganzen  seines  lebensbaues  fühlt,  die 
ganze  gedanken  hildung  also  auf  die  ursprünglichen  lebensrichtungen  seiner  Persön- 
lichkeit zurückzuführen  und  so  das  immer  feste,  den  gedanken,  als  ein  ewig  flies- 
sendes,  nämlich  als  ein  dement  psychologischer  entwicklung  zu  erweisen.  Ich  treibe 
also  diese  arbeit  als  psych olog,  oder,  um  den  vergleich  zu  ende  zu  führen,  als 
biolog. " 

Weiter  entwickelt  und  bogründet  wird  diese  betrachtungsweise  in  der  kurzen 
einleitung  (s.  1  —  3).  Auch  die  angeblich  rein  objektive  forschung  scheint  im  zusam- 
menhange zu  stehen  mit  dem  ethischen  lebensideale  einer  zeit.  Die  ethische  gnind- 
überzeugung  der  modernen  weit  ist  die  von  dem  unendlichen  und  einzigen  werte  des 
Individuums.  Daraus  ergibt  sich  für  die  Wissenschaft  die  fordorung,  in  allen  geistee- 
erzeugnissen  die  persönlichkeit  des  erzeugei's  zu  fas.sen,  sie  als  erleben  der  individuel- 
len seelc  zu  vorstehen.  Sind  jene  aber  lebendige  gebuiten  einer  lebendigen  seele,  so 
ist  es  nicht  genug  und  unstatthaft,  in  ihnen  nur  die  einzelnen  gedanken  und  züge  zu 
untersuchen  und  sie  danach  in  zusammenhänge  zu  ordnen;  sie  müssen  vielmehr  als 
Organismen  eben  aus  ihrer  psychologischen  entstohung  erklärt  werden.  Ja,  die  ganze 
Weltanschauung  des  denkers  muss  vei'stunden  werden  aus  den  Innern  motiven,  die  sie 
aus  seiner  socio  hervorti'eiben,  aus  der  oigonart  seines  geistigen  erlebons.  Mit  der 
durchgeführten  psychologisdion  aualyso  der  HordtM-schon  philosophie  ist  aber  zugleich 
ihre  kritik  gegeben,  indem  sich  zeigt,  inwieweit  die  seelenvorgjinge  des  denkers  zu 
reiner  entwicklung  hinstrebeu,  inwieweit  die  art  seines  deukens  zur  erzeugung  der 
wisseiiBchalt  tauglich  ist 


ÜBER  KÜHNEliANN,  HEBDIR  115 

Wir  wollen  nnn  sehen,  wieweit  der  Verfasser  den  so  formulierten  forderungen 
genügt  hat,  indem  wir  mit  flüchtigem  blicke  den  inhalt  des  buches  durchmustern. 

Das  erste  buch  verfolgt  die  „entwicklung  der  geschichtsphilosophie  und  Welt- 
anschauung Herders^  von  1767  —  1784  und  zerfallt  in  zwei  kapitel:  1.  entstehung  und 
ausbreitung  der  grundanscbauungon  (1767  — 1770);  2.  religiöse  begründung  der  Welt- 
anschauung Herders  (bis  1784).  Schon  der  erste  abschnitt,  die  besprechung  der  Frag- 
mente, zeigt  das  verfahren  des  Verfassers.  Er  lässt  den  ganzen  bunten  reichtum 
des  Werkes  zur  seite  liegen  und  greift  nur  ein  stück  als  eigentümlich  Herderisch 
heraus,  den  roman  „Von  den  lebensaltern  einer  spräche'^,  um  daran  Herders  grund- 
anschauung  von  der  spräche  festzulegen,  ihm  sein  Verhältnis  zu  Hamann,  Winckel- 
mann  und  Kant  zu  bestimmen  und  endlich  die  art,  wie  sich  Herders  anschauungen 
bilden,  zu  untersuchen.  Als  urphänomen  wird  die  ästhetische  feinfühligkeit 
gefunden,  „welche  das  Sprachkunstwerk  als  ein  ganzes  in  dem  tone,  in  der  eigenart 
seiner  empfindung  begreift,  darum  den  seelenzustand  des  dichters,  des  volkes  in  ihm 
deutet  und  so  aus  dem  ästhetischen  genusse  heraus  in  psychologischer  betrachtung 
dichter,  Völker,  zeiten  verstehen  lernt. *^  Aber  diese  anschauung,  im  innersten  erle- 
ben wurzelnd,  will  nun  wider  ins  leben  hinüberströmen;  sie  strebt  fort  zu  pädago- 
gischer Wirkung  in  einer  reform  der  deutschen  dichtung,  und  sogleich  offenbart  sie 
ihre  schwäche:  den  man  gel  an  abgrenzung  und  an  einem  einheitlich  belebenden 
mittelpunkte,  an  einem  bestirnten  ideal,  das  ihr  als  ziel  der  entwicklung  vorschwebt 
—  Unter  ganz  denselben  gesichtspunkten ,  wie  die  spräche,  sucht  Herder  an  der 
band  der  Hebräer  die  religion  als  ausdruck  nationaler  kultur  zu  erfassen. 

Die  folgenden  werke  zeigen  die  fortschreitende  ausbreitung  der  grundanschau- 
ongen.  In  der  Archäologie  des  morgenlandes  erweitert  sich  Herders  ansieht  von 
der  poesie  zu  einer  lebensanschauung:  „Die  ursprünglichen  leidenschaften  verflüch- 
tigen sich  in  gemachter  kunst.*^  Indem  er  die  mosaische  Urkunde  als  gedieht,  aus  der 
naturempfindung  des  morgenlandes  heraus,  deutet,  befreit  er  sich  von  den  dogma- 
tischen schranken;  derselbe  sinn,  der  die  eigenart  der  alten  dichtung  versteht,  tritt 
für  das  eigenrecht  modemer  denkweise  und  wissenschaftlicher  forscbung  ein.  Aber 
das  wort  „natur*^,  mit  dem  Herder  die  werke  der  griechischen  kunst,  wie  der 
hebräischen  litteratur  bezeichnet,  verleiht  dieser  dichtung  einen  heiligen  glänz,  „einen 
Schimmer  von  Jugend,  von  glück  und  fülle,  von  goldener  zeif^;  es  drückt  sein  ver- 
langen nach  ursprünglichem  leben  aus,  es  trägt  seine  Stimmung  des  menschlichen  in 
sie  hinein. 

Das  Vierte  kritische  Wäldchen  versucht  eine  theoretische  begründung  die- 
ser interpretationsweise  auf  psychologischer  grundlage.  Aber  die  mängel  der  theorie, 
das  fehlen  scharfer,  grenzbestimmender  begriffe  und  das  abstrakte  schematisieren 
verraten  uns  seine  geheime  absieht:  nicht  Spekulation,  sondern  belebung  des  ästhe- 
tischen genusses;  den  ursprünglichen  quellen  des  menschlichen  lebens  ist  der  ästhe- 
tikor  wie  der  pädagoge  zugewant. 

Im  Reisetagebuche  von  1770  haben  sich  Herders  anschauungen  in  die  ganze 
breite  des  historischen  problems  ausgedehnt:  das  ziel  einer  geschichtsphilosophie  als 
einer  Universalgeschichte  der  bildung  der  menschheit  steht  fest,  die  grundlage  bilden 
die  naturgesetze,  die  methode  ist  die  psychologisch -genetische  deutung,  die  gesin- 
nong  die  eines  erziehers  der  menschheit  (s.  29). 

Mit  der  betrachtung  der  spräche  begann,  mit  der  reifen  frucht  dieser  Studien 
„Über  den  Ursprung  der  spräche*^  schliesst  die  erste  periode  der  Herderschen  ent- 
wicklung,   deren  inhalt  die  ausweitung  der  grundanschauung  in  die  historischen  pro- 

8* 


116  METER 

blome  bildet  Diese,  ausgehend  vom  ästhetischen  geniessen,  geförbt  in  der  festste- 
henden grundstimmung  der  humanität,  verleugnet  nicht  ihr  entstehen  ans  der  per- 
sönlichkeit des  denkers.  So  empfindet  er  diese  ganze,  reiche  weit,  so  noch  die  psy- 
chologische theorie  als  ein  element  persönlichen  lebens.  Aber  die  theoretischen 
gedanken,  als  die  letzten  ausläufer  dieses  Vorganges,  haben  nicht  mehr  die  kraft  zu 
methodischem  durcharbeiten  der  probleme;  so  münden  sie  in  entwürfen  und  einfal- 
len, die  die  voreilige  hast  sogleich  für  ausätze  zur  reform  der  Wissenschaft  nimmt;  so 
zerflattem  sie  in  unruhigen  lichtblitzen  in  der  weite  des  alls. 

Die  zweite  periodo  begint  mit  rein  litterarischen  arbeiten,  die  noch  einmal 
den  keim  der  Herderschen  gedankenbildung,  das  reizbare  ästhetische  gefühl,  vor  äugen 
führen,  und  zwar  jezt  an  dem  beispicle  der  volkspoesie  und  Shakespeares.  Wider 
wird  die  dichtung  als  spräche  der  natur,  als  natur  bezeichnet;  wider  begegnet  (wie 
bei  spräche  und  plastik)  das  bild  der  seelo,  die  sich  einen  körper  schafft:  aber  es 
zeigt  sich,  dass  es  mehr  als  bild  ist:  „Die  ahnung  taucht  auf  von  der  natur  als 
einheitlicher  crscheinungsweiso  eines  geistos  in  wirkenden  kräften  ... 
Eine  metaphysische  gesam  tan  schauung  scheint  herauszuwachsen  aus  Herders  art 
geistige  erscheinungen  zu  deuten"  (s.  39). 

In  überraschender  mUchtigkoit  und  grossartigkcit  erscheint  diese  ausgebildet  in 
den  theologischen  Schriften  der  nächsten  jähre.  Auch  hier  begint  Herder  mit 
der  ästhetischen  interpretation :  er  erklärt  die  Genesis  als  ein  morgcnländisches  gedieht 
Aber  indem  er  das  Verständnis  dieses  gedichtes  aus  seiner  eignen  naturanschauung 
belebt,  trägt  er  sein  eignes  selbst  in  dasselbe  hinein,  findet  er  in  ihm  die  gedanken, 
die  er  als  sein  eigenstes  empfand.  £s  ist  nur  ein  ausdruck  dieses  den  gedanken 
anhaftenden  lebensgefühls,  wenn  er  sie  auf  göttliche  Offenbarung  zurückführt  Dieser 
geheime  sinn,  dieser  psychologische  gchalt  des  gottesbcgriffes  bildet  den  centralpunkt 
für  das  Verständnis  Herders;  er  komt  daher  in  Jedem  abschnitt  zur  spräche.  (Vgl. 
s.  56.  57.  59.  85.  99.  150  fgg.  198.)  Gott  ist  in  Wahrheit  nur  der  objektivierte  aus- 
druck seiner  gcdankenbildung;  er  gibt  seinen  gedanken  eiuheit  und  schwung,  er  erhält 
ihnen  die  lebcnswärme,  aus  der  sie  geboren  wurden;  er  stempelt  sie  für  Herder  als 
eignen  besitz  und  schliesst  sie  ihm  ab  gegen  seine  zeit.  Auch  der  pädagogische 
drang  komt  nun  in  gott  zur  ruhe:  die  ganze  geschichte  erscheint  als  eine  direkte 
göttliche  erzieh ung  des  menschengeschlechts ;  diese  aber  spiegelt  nur  das  ideal  einer 
erziehlichen  Wirksamkeit,  wie  sie  Herder  selbst  als  höchstes  lebensziel  vorschwebte.  — 
Da  aber  diese  cinheit  lediglich  in  Herders  gemüte  besteht,  nicht  im  systematischen 
zusammenhange  der  gedanken  unter  sich,  so  tut  sich  hier  die  grosse  gefahr  für  Her- 
ders denken  auf,  die  in  dt>r  letzten  anläge  seiner  persönlichkeit  wurzelt  „Gibt 
gott  als  uame  für  ihr  innerstes  wollen  ihr  schwung  und  kraft,  so  bezeichnet  er  auch 
als  name  ihrer  wilkür  und  schwäche  den  ort,  an  dem  ihr  Verständnis  endet*  (s.  59). 

Die  religiösen  gedanken  treten  nun  aus  ihrer  absonderung  heraus  und  strömen 
über  in  die  benaohbartcn  gebiete  der  geschichte  und  Psychologie.  Beide  werden 
in  die  religiöse  Weltanschauung  Herders  eingeordnet,  mit  seinem  lebensgefühle  durch- 
drungen und  ti-agen  nun  das  gepräge  seiner  persönlichkeit  Wenn  dann  jene  gedan- 
ken in  den  80er  jähren  sich  wider  in  besondem  Schriften  sammeln,  so  zeigen  sie 
einen  wesentlich  veränderten  charaktor.  Das  überkühne,  jugendliche  ungestüm  der 
ersten  entdecke rwonne  ist  verflogen;  sie  sj>rechen  sich  ruhiger,  abgeklärter  aus.  Sie 
sperren  nicht  mehr  ein  besonderes  gebiet  der  forschüng  für  Herder  ab  und  beengen 
seinen  gesichtskreis;  in  die  ganze  breite  der  weit  haben  sie  sich  ergossen  und,  indem 


ÜBEB  KÜHNEMANN,  HBBOER  117 

sie  seiner  forschung  überall  freien  lauf  lassen,  sie  ihm  als  persönliches  leben  zugeeig- 
net und  zum  gottesdienste  geweiht 

Mit  dieser  beruhigung  der  gedanken  und  ausbreitung  der  religiösen  grundstim- 
mung  hat  Herders  geist  seine  reife  erreicht.  Die  vier  preisschriften  der  jähre  1775  — 
1781  bestätigen  diese  auf  litterarhistorischem  gebiete.  So  sind  die  für  Herders  ge- 
Schichtsphilosophie  konstituierenden  momente  nun  alle  in  ihrer  endgiltigoD  form  zusam- 
mengeschossen, und  es  schliesst  die  erste,  gleichsam  aufsteigende  hälfte  Ton  Herders 
entwioklung. 

Das  zweite  buch  stellt  uns  die  Vollendung  der  geschiohtsphilosophie 
nnd  Weltanschauung  Herders,  den  höhepunkt  seines  Schaffens  in  den  „Ideen*', 
vor  äugen,  deren  analyse  den  hauptteil  des  vorliegenden  buches  bildet  (s.  105 — 216). 

Der  erste  abschnitt  gibt  eine  „genetische  entwicklung  des  werks**, 
er  erklärt  dessen  struktur  in  ihrem  herauswachsen  aus  der  geistesform '  des  Schöpfers. 
Drei  paragraphen  behandeln  Herders  weit-,  menschheits-  und  geschichtsbild.  In  dem 
ersten  wird  besonders  das  entwerfen  im  steten  hinblick  auf  den  menschen ,  das  huma- 
nisieren der  gesamten  natur  hervorgehoben;  im  zweiten  die  Unsicherheit  des  ansatzes 
der  geschichte  und  die  schwankende  bedeutung  der  begriffe,  welche  den  Übergang  zu 
ihr  bilden  imd  ihr  weg  und  ziel  bestimmen  sollen,  wie  tradition  und  humanität. 
Die  erste  z.  b.  erscheint  in  dreifachem  sinne:  „erst  besagt  sie  einfach  das  weiter- 
geben der  bildung  durch  erziehung  und  spräche,  dann  kann  sie  als  starre  tradition 
das  stagnieren  des  historischen  lebens  bezeichnen,  schliesslich  wird  sie  im  gegenteil 
die  fortbildende  kraft  der  geschichte,  und  als  solche  ist  sie  die  stimme  gottes'^  (s.  125). 
In  den  historischen  teilen  der  „ Ideen ^  sehen  wir  endlich,  wie  nach  der  ruhenden 
beschreibung  der  asiatischen  kulturen  bei  der  darstellung  des  Griechentums  im  13.  buche 
und  wider  bei  der  entstehung  des  neueren  Europas  der  entwicklungsgedanke, 
der  die  kultur  eines  volkes  in  ihrer  gesamtheit  aus  dem  nationalen  leben  und  erleben 
verstehen  lehrt,  durchbricht,  aber  nicht  stark  genug  ist,  um  auch  im  bewustsein 
des  denkers  und  in  den  principiellen  erörterungen  der  theoretischen  bücher  klar  erfasst 
zu  werden,  sondern  hier  in  abstrakter  metaphysik  untergeht  Wie  wenig  formende 
kraft  diese  grundgedanken  haben,  erhellt  auch  daraus,  dass  einzelne  stücke  aus  frü- 
heren Perioden  Herders,  die  mit  seiner  gereiften  anschauung  im  Widerspruch  stehen, 
wie  die  lehre  vom  unterrichte  der  Elohim ,  unverändert  in  die  „Ideen*  herübergenom- 
men sind,  ohne  dass  er  diesen  Widerspruch  empfunden  hat 

Das  hauptstück  des  ganzen  buches  ist  der  zweite  abschnitt:  „Das  werk 
und  der  mensch.  Die  entstehung  der  Wissenschaft  aus  der  Persönlich- 
keit*^ Zwei  hauptfragen  werden  aufgestellt:  1.  „Wie  lebt  die  persönlichkeit  sich  aus 
in  ihrem  werke?''  2.  „Entstehen  in  den  gedaiikenformen  der  persönlichkeit  die  gedan- 
ken der  wissenschaftlichen  geschichtsphilosophie?*'  Aus  der  ästhetischen  empfindung 
giengen  die  gebilde  der  Herderschen  geistcswolt  hervor;  indem  aber  jene  sich  mit  die- 
sen zugleich  überliefern  will,  erhalten  diese  ein  Selbstgefühl  und  werden  gleichsam 
lebendige  wesen.  Erst  wenn  sie  durch  das  gefühl  der  glückseligkcit  in  sich  abgeschlos- 
sen und  zu  künstlerischen  gestalten  abgerundet  sind,  genügen  sie  den  bedürfnissen 
dieser  reizbaren  seele;  „sie  predigen  nun  deutlich  das  ideal  der  Herderschen  seelen- 
vollendung,  dessen  tätige  darstellungcn  sie  stufenweis  waren.*'  Die  theoretischen 
begriffe  widerholen  nur  in  allgemeinen  ausdrücken  den  Vorgang  der  gcdankenbildung. 
In  gott  endlich  schliessen  sich  die  gedanken  zu  einer  einheit  zusammen  (vgl.  o.): 
yGott  ist  die  ganze  Herdersche  scele  lebendig  in  ihrem  werke"  (s.  169). 


118  MEYER 

Aber  wie  nicht  das  reine  streben  nach  erkenntnis,  sondern  ein  Ssthetisobes 
interesse  diese  weit  hervorgetrioben  hat,  so  vermag  sie  auch  den  ansprüchen  der 
Wissenschaft  nicht  zu  genügen.  Indem  die  gedanken  ihrem  Urheber  etwas  anderes 
scheinen  (tatsachen,  in  gott  gegründete  Objekte),  als  was  sie  sind  (bewustseinszustand 
des  Subjekts),  sind  die  „Ideen '^  kein  solbstbewustsein  in  gedanken.  Wol  erreicht  der 
gedanke,  überall  den  Ursprüngen  zugewandt,  die  entwicklungsgeschichte,  ja  er  ver- 
mag selbst  die  durchgehende  entwicklung  zum  europäischen  Staatensystem  zu  fassen; 
aber  das  begleitende  stiminungsmomont  bricht  ihm  stücke  aus  dem  geschichtlichen 
gesamtbilde  (staat,  verstandoskultur),  und  indem  es  sich  auch  in  den  theoretischen 
begriffen  dui*chsetzt,  bringt  es  die  lebendige  entwicklung  der  gedanken  zum  stehen. 
Der  sieg  der  motaphysik  bezeichnet  das  erlahmen  der  lebenskraft  in  den  gedanken. 
Diese  theoretischeD  begriffe,  nur  der  Stimmung  zum  ausdruck  verhelfend,  sind  keine 
zeugungskräftigen  leitgedanken  zur  erforsch ung  der  probleme,  wie  sie  andrerseits 
auf  die  gestaltung  der  lebensvollen  bilder  keinen  einfluss  haben.  Wie  sie  sich  nicht 
in  lebendigem  fortwachsen  in  den  Zusammenhang  der  probleme  ausbreiten  und  zu 
einem  Organismus  der  arbeit  auswachsen,  so  sind  sie  „der  zustand  einer  in  ihrem 
gefühl  beharrenden,  in  ihrem  gefühl  isolierten  pcrson,  ein  gefühlszustand ,  der  als 
gedanke  sich  überliefern  will,  aber  nicht  zur  reinen  erkcnntnis  sich  entwickelt''  (s.  189). 
Indem  endlich  die  begriffe  lebendige  pei*sonen  werden,  bauen  sie  jenseits  der  wirk- 
lichen eine  geistige,  transscendente  weit.  So  findet  der  naive  realismus,  der  die  dinge 
als  fertig  gegeben  nimmt,  seine  ergänzung  in  der  metaphysik.  —  Wenn  also  das  werk 
als  erkenntnis  morsch  ist,  so  liegt  die  erste  Ursache  in  der  starren,  ruhenden  Stim- 
mungssittlichkeit, die  nur  dem  einzelnen  ein  abstraktes  ideal  bietet,  ohne  Verständnis 
für  die  erzeugung  der  kultur  in  der  Zusammenarbeit  aller.  Die  abneigung  Herden 
gegen  den  staat  wurzelt  in  der  gegen  den  staat  seiner  zeit.  So  ist  sein  denken  durah 
eine  tiefe  kluft  getrennt  von  der  praktischen  berufsarbeit;  es  geht  ihm  nur  am  hon- 
zonte  seines  wirklichen  daseins  auf.  Der  theoretische  mangel  erweist  sich  als  eine 
sittliche  schwäche:  der  gedanke  ist  lahm,  weil  nicht  Herders  ganzes  leben  gedanke 
wird. 

So  führt  die  genaue  analyse  des  einzelnen  denkers  selbst  zu  dem  ideale  der 
reinen  denkeq)ersönlichkeit,  die  in  klarem  solbstbewustsein  ihr  leben  in  gedanken  aas- 
prägt; die,  indem  sie  den  menschen  in  seiner  geschichtlichen  bedingtheit  erlasst  und 
die  kulturtaten  auf  seelische  bewegungen  zurückführt,  auch  die  geschichtsphilosophie 
erzeugt  als  ein  glied  im  complex  der  Wissenschaften,  auf  alle  gestützt,  allen  zu  ihrer 
Vollendung  notwendig,  und  so  in  der  reinen  ausbildung  des  gedankens  als  ihres  sitt- 
lichen berufes  selbst  ein  stück  idealer  kultur  verwirklicht. 

Das  folgende  kapitel  behandelt  den  „verfall  der  geistesform  Herders.'^ 
Alle  den  „Ideen*'  gleichzeitigen  oder  späteren  Schriften  sind  nur  auswickelungen  aus 
dem  Inhalt  des  hauptwerkes,  entstanden,  indem  die  hier  zu  einem  Weltbilde  znsarn- 
mengefassten  demente  sich  sondern  und  zerbröckeln,  mit  immer  deutlichem  zeichen 
des  Verfalls.  Zurückschi-eitend  nimmt  Herder  die  bestrebungen  seiner  Jugend  wider 
auf,  und  vor  allen  problemen  versagt  seine  kraft;  es  bleibt  nur  der  drang,  erzieh* 
lieh  zu  wirken.  In  diesem  dränge  aber  offenbart  sich  uns  Herders  eigenster,  ursprüng- 
licher beruf.  Mit  diesem  dränge  von  seiner  zeit  abgewiesen,  gestaltet  er  sein  ideal 
jenseits  der  Wirklichkeit  in  dem  plane  der  göttlichen  erziehung  des  menschen- 
geschlechtos;  die  gedanken  selbst,  aus  seinem  lebensgefühle  zu  personen  belebt 
und  nach  einem  feststehenden  ethischen  ideale  gerichtet,  sind  gleichsam  seine  zög^ 
linge.     So  ist  sein  ganzes  denken  nur  abgelenkter  beruf.     Zugleich   ersdieint  aber 


t)BER  KtJHNEMlNN,   HIRDBR  119 

seine  unYollkommeiiheit  in  ihrer  sozialen  bedingtheit:  er  fällt  ein  opfer  der  zeit,  die 
seinem  wirkongsdrange  nicht  das  rechte  feld  bot,  die  ihm  nicht  gestattete,  seine  per- 
sönlichkeit rein  in  taten  auszuprägen.  Reine  darstellungon  der  persönlichkeit  aber 
waren  die  werke  der  männer,  die  er  nicht  mehr  verstand  und  in  denen  die  zeit  über 
ihn  hinausschritt,  die  philosophie  Kants  und  die  kunst  Goethes. 

Der  Schlussabschnitt  „Zur  biologie  des  geistes^  (s.  248  —  269)  zieht  aus 
der  ganzen  früheren  Untersuchung  den  methodischen  gewinn;  er  ist  für  den,  der  sich 
über  das  vorliegende  buch  und  die  Stellung  seines  Verfassers  ein  urteil  bilden  wül, 
der  wichtigste.  Indes  muss  ich  mir  hier  eine  eingehende  zergliedcnmg  versagen; 
wie  ja  auch  die  vorstehenden  bemerk ungen  in  keiner  weise  den  reichen  Inhalt  des 
Werkes  erschöpfen  konnten,  vielmehr  nur  das  verfahren  des  Verfassers  und  die  rieh- 
tung,  in  der  sein  forschen  sich  bewegt,  zu  charakterisieren  suchten. 

Kühnemann  fühlt  sich  im  gegensatzo  zu  einer  geschichtschreibung  der  philo- 
sophie (und  natürlich  auch  der  littoratur) ,  welche  die  einzelnen  gedanken  und  Systeme 
als  etwas  für  sich  bestehendes  und  als  fertig  gegebenes  hinnimt,  den  bestand  registriert 
und  nach  äusserlichen  merkmalen  ordnet.  Dagegen  gilt  es  für  ihn,  den  gedanken 
zu  fassen  als  erleben,  als  seelenbewogung  der  denkerpersönlichkeit  in  seiner  psycho- 
logischen und  sozialen  bedingtheit,  und  so  an  stelle  des  naiven  realismus,  der  die 
dinge  als  gegeben  voraussetzt,  den  Idealismus  zu  setzen,  der  allein  der  wahre  realis- 
mus ist,  insofern  als  nur  er  die  wahre  realität  ergreift,  „den  psychischen  proccss,  in 
dem  die  weit,  sei  es  in  Wissenschaft,  in  sittlichem  leben  oder  in  kirnst,  als  reine 
darstellung  der  persönlichkeit  lebenskräftig  erzeugt  wird*^  (s.  260). 

Man  sieht,  der  gegensatz  ist  derselbe,  welcher  vorhin  zwischen  Herder  einer- 
seits und  jenen  Vorbildern  reinen  erlebens  und  kulturschafifens,  Kant  und  Goethe, 
andrerseits  festgestellt  wurde.  So  ist  denn  die  arbeit  des  Verfassers  ein  baustein  zu 
der  gewaltigen  kulturarbeit,  die  uns  jene  grossen  genien  als  ihr  kostbarstes  Vermächt- 
nis hinterlassen  haben:  sie  ist  die  begründung  der  geistesgeschichte  im  Kantischen 
sinne,  gegründet  auf  das  sichere  fundament  einer  transscendentalen  kritik,  d.  h.  der 
Untersuchung  der  bcdingimgen  ihrer  möglichkeit,  der  gesetzc  ihrer  erzeugung.  Dies 
ist  der  sinn  jener  einleitenden  programmsätze.  Nun  wird  auch  das  zusammenwirken 
philosophisch  -  systematischer  und  psychologisch -historischer  forschung  klar:  soll  der 
einzelne  nach  der  art,  wie  seine  persönlichkeit  sich  rein  in  kulturtaten  darstellt,  ver- 
standen und  gewertet  werden,  so  bedürfen  wir  des  Ideals  der  rein  entwickelten  per- 
sönlichkeit als  massstab;  andrerseits  kann  nur  die  genaueste  analyse  des  einzelfalles 
uns  die  bedingungen  für  die  Verwirklichung  jenes  Ideals  lehren. 

Dieses  schauen  des  innersten  lobens  in  den  äusseren  werken  der  menschen, 
dieses  au&püren  der  inneren  treibenden  motive  ist  eine  künstlertugend.  Heinrich 
V.  Kleist  redet  einmal  (Briefe  an  seine  Schwester  Ulrike  hsg.  v.  A.  Koberstein  s.  49) 
von  einer  ihm  von  der  natur  verliehenen  klarhoit,  die  ihm  zu  jeder  miene  den 
gedanken,  zu  jedem  werte  den  sinn,  zu  jeder  handlung  den  grund  nennt,  und  bezeich- 
net damit  ein  hauptgeheimnis  des  dichterischen  Schaffens.  In  der  tat,  um  in  dies 
innerste  heiligtum  der  dichter-  und  denker- Werkstatt  einzudringen,  und  die  natur  in 
ihrer  geheimsten  arbeit  zu  belauschen,  dazu  bedarf  es  des  künstlerischen  schauens, 
das  vermag  nur,  wer  in  sich  selbst  die  wunder  schöpferischen  erlebens  erüahren  hat 
^Wir  bedürfen  mehr  als  den  gliedernden  Scharfsinn  des  Verstandes,  wir  verlangen 
die  sittlich  erlebende,  die  anschauende  vemunft''  (s.  259). 

Künstlerisch  ist  denn  auch  der  eindruck  des  ganzen  buches.  Wie  eine  gewal- 
tige tzagödie  rollt  sich  dies  merkwürdige  denkerschicksal  vor  uns  ab  mit  scharf  mar- 


120  MCTCB,    tetS  KlttlNIkUNN.  BEHPBB 

kiertan  eiiiBiihnitten.  Drei  akte  bilden  dan  nutsteigeiideti  teil:  (Us  erolMriuieUi 
sich&uHbreitoD  in  die  weit,  dann  da»  fioden  des  eigticin  selbst,  endlich  die  gestaltunc 
doc  weit  zii  eiuoin  abdracke  der  eignen  persünlicfakdit  Dittin  aber,  auohAvta  der 
hiihepuakt  überschritten,  folgen  verfill  und  ItatastropLo  in  immer  Bchoellomm  tempo, 
mit  not  wendig  kcit  sieb  ergebend  ans  der  ersten  anläge  dos  Herderscban  geiatss  and 
den  umstAnden  und  verhältnisaen ,  die  Um  umgaben.  Audi  im  einselnen  spürt  man 
diese  dramatiache  anUge:  so  in  den  häuBgen  hindeutuDgen  auf  dna,  was  nun  kom- 
men mnsa;  in  der  tragischen  ironie  <vgl.  s.  60);  b  starken  kontrostfin,  vti»  a.  139; 
„fiebernd  vor  erwartung  greifen  wir  nach  den  pliilosopliisclien  abfloliuitten  des  driltan 
teils,  welcLe  die  priocipien  der  ge3chicbts|jhilosoptiie  vorlegen.  —  Wokhe  eolUu- 
schongl  Nichts  als  die  alten  bekannten  abstraktiunen !"  Hierher  gehört  «ach  ilnr 
analytische  aofbau  des  buches,  no  zugleich  mit  dem  fortscbrciten  der  hnndlung  die 
erkenntnis  rüokschreitead  iu  die  eretea  nraachen  eindringt  Es  geht  uns  beim  leMm 
desselben  wie  bei  einer  bergbesteigong:  je  höher  wir  auTwärts  gelangen,  um  80  W*^ 
ter  dehnt  sich  der  borixont,  um  so  vollständiger  erhellt  sich  der  zurüotigelegto  mg. 

Künstlerisch  wirkt  endlich  auch  der  atil  des  buches.  Eine  wigeSthro  rontal* 
Inng  von  der  ticbreibart  dos  ver&sser^  kann  der  Icser  schon  aus  meiner  inhalhsangili» 
untoehmen.  die  ich  vielfach  mit  den  werten  des  bnobes  selbst  gegebnn  habe,  Nir- 
gends verlfillt  der  verfassar  in  leere  Schönrednerei;  kein  wort  steht  lediglich  als  Uio- 
gende  phraso  ila,  vielmehr  erfordert  und  erträgt  jedes  die  genaueste  prüfung  mid 
wägong  seines  inholtes.  Die  künstlerische  gestaltnng  der  gedankeu,  die  eich  oü  ra 
grosser  Wirkung  erhebt,  ist  in  der  anläge  und  dem  zweoke  des  buches  begiüiidot, 
welches  nicht  nur  dem  verstände  des  lescrs  objektive  erkenntnis  übermitteln,  eondent 
ihm  in  den  gedankeu  das  Seelenleben  der  schaffenden  Persönlichkeit  zu  fühlen  gebu 
und  in  ihrer  kritik  ein  ideal  der  Wissenschaft  und  dos  lebons  predigen  will.  DisMr 
lebensgehait  der  gedonkon  verlangt  nach  künstlerischem  auadruck,  tun  als  l«bn 
empfunden  zu.  werden.  Am  Schlüsse  des  buches,  wo  die  arbeit  der  erkenntnis  gettn 
ist,  sammelt  sich  das  begleitende  gefühl  zu  selbstGndigem  ausdruck  in  einer  BtiB> 
mnnggvoUan  zukunftsphantaHie,  wie  in  volltönenden  Schlussakkorden. 

Aber  wie  viele  künstlerische  momente  auch  in  dem  buche  zusammen  wirk«, 
der  zweck  und  plan  des  ganzen  ist  nicht  ästhetisch,  sondern  wissenschaftlick. 
Nicht,  am  das  geschaut»  im  bilde  festzuhalten  und  das  gorübl  des  lesers  in  SsÜi»- 
tischem  gemessen  ruhen  zu  lassen,  versenkt  sich  der  Verfasser  in  Herders  seoleo- 
leben,  sondern  um  an  diesem  einen  so  tief  imd  umfassend  durchforeubten  beispialo 
die  gesetse  des  geisteslebens  überhaupt  zu  studieren,  und  am  aus  ihm  die  maÜiodot) 
lainen,  wissenschaftlichen  donkena  abzuleiten. 

Die  inssere  ausstattung  des  bucbes  verdient  uneingeschränktes  lob;  Moh 
die  korrektuT  ist  sehr  sorgtSltig.  Solu  erwünscht  ist  das  ausführliche  inhaltsvenaid» 
nis.  Was  den  ausdruck  betrifft,  so  sind  einige  aoffallende  Wortbildungen  zu  enrlb- 
nen;  wesenbar  (s.  6Tj,  uatiix^gemäaeig  (s.  127),  „Orieohenbeit"  statt  des  tms  ans  Bdnl- 
ler  geläntigen  .Griechheit*  (s.  137),  ontgegensats  |s.  252).  Bisweilen  finden  aieh 
weniger  geschickte  oder  unklaro  satzbildungen;  so  s.  75:  Die  bedeatnng  nmeMr 
yolkommenbeit  ist  Schönheit;  s.  90:  kämpf  um  sich  selbst;  s.  137:  der  Staat  ab  im 
eittliohe  klima.  der  das  werk  des  güustigeQ  physischen  fortsetzt;  a.  2dä:  Wie  anihns 
ihr  (der  wissonscbaR)  sprachlicher  bmder,  die  poeaiol;  rgL  noch  s.  181-  196  obaiL 

Dass  die  methode  des  Verfassers  allgemein  angenommen  werden,  dass  sl«  sobillB 
maohoQ  werde,  glaube  ich  natürlich  oidit;  dazu  ist  sie  in  sehr  persCoIiob,  zu  aAr 
•in  piodnkt  von  »eltea  vereinigten  fiüAoren,    Aber  diu  mahnung  wird  die  UttBiMu^ 


GERING,  ÜBER  BÜGGE,  BIDRAG  HL  SSALDEDIGTNINOENS  BIST.  121 

geschichte  allerdings  daraus  entnehmen  können  —  und  dies  scheint  ihr  heute  beson- 
ders not  zu  tun  — ,  dass  es  mit  dem  feststellen  und  ordnen  von  sogenannten  tatsachen 
nicht  getan  ist,  sondern  dass  es  die  aufgäbe  der  geistes-  so  gut  wie  der  naturwissen- 
schaft  ist,  die  yerwirrende  fülle  der  erschein ungen,  die  sich  den  beobachtenden  sin- 
nen und  dem  forschenden  verstände  bieten,  aufzulösen  in  ein  spiel  von  gesetzen,  und 
so  «was  in  schwankender  erscheinung  schwebt,  zu  festigen  mit  dauernden  gedanken.'^ 
Als  ein  schritt  zu  diesem  ziele  sei  die  vorliegende  schrift  hier  dringend  empfohlen. 

GÖTTINGEN.  HEINRICH  MEYER. 


Bidrag  til  den  seldste  skaldedigtnings  historie  af  Sophns  Bagge.    Christia- 
nia,  H.  Aschehoug  &  Co.  1894.    (VUI),  184  s.    3,50  kr.  (=  3,95  m.). 

Das  vorliegende  buch,  das  von  neuem  die  ausgebreitete  belesenheit  und  das 
ungemeine  kombinationstalent  des  ausgezeichneten  norwegischen  gelehrten  auf  das 
gl&tzendste  betätigt,  ist  der  eingehenden  Untersuchung  der  unter  dem  namen  Bragis 
des  alten  überlieferten  fragmente  und  des  dem  norwegischen  dichter  tjö{)olfr  or  Hvini 
zugeschriebenen  Ynglingatals  gewidmet.  Buggo  sucht  den  (bereits  Beitr.  13,  201 
angekündigten)  beweis  zu  führen,  dass  diese  dichtungen,  die  man  bisher  in  das  9.  Jahr- 
hundert zu  setzen  pflegte,  einer  so  frühen  zeit  nicht  angehören  können,  und  will  sie 
der  2.  hälfte  des  10.  Jahrhunderts  zuweisen. 

Seine  behauptung  sucht  Bugge  zunächst  durch  sprachhistorischo  deductionen 
zu  erhärten.  Ein  hauptargument  des  verfassei-s  ist,  dass  die  synkope  der  schlusssil- 
ben vokale,  zum  mindesten  die  synkope  des  u,  im  9.  Jahrhundert  in  Norwegen  noch 
nicht  eingetreten  sein  könne,  da  noch  in  der  runeninschrift  des  schwedischen  Eök- 
steines,  die  er  um  900  ansetzt,  die  formen  sirandu,  suttUy  fiarti,  karuR  sich  finden, 
in  der  dänischen  Inschrift  von  Heinsos,  die  dem  9.  Jahrhundert  angehören  soll,  ebenfalls 
sunu  (acc.  sg.)  begegnet  u.  a.  m.;  durch  einsetzung  der  unsynkopierten  formen  in  die 
Strophen  Bragis  (ich  spreche  zunächst  nur  von  diesen)  würde  aber  ihr  metrischer  bau 
zerstört  Ich  will  hierauf  nicht  entgegnen,  dass  keine  einzige  norwegische  Inschrift^ 
die  erhaltung  des  u  auch  für  das  westskandinavische  bezeugt,  da  die  sprachentwick- 
lung  doch  wol  im  ganzen  norden  im  wesentlichen  gleichmässig  vor  sich  giong.  Auch 
den  einwand,  dass  mir  —  bei  aller  achtung  vor  den  glänzenden  ergebnissen  der 
modernen  runenforschung  —  die  datierungen  der  einzelnen  denkmäler  noch  keines- 
wegs sicher  erscheinen,  will  ich  nicht  erheben,  sondern  einfach  annehmen,  dass  Bugge 
mit  seiner  behauptung,  u  sei  im  9.  Jahrhundert  noch  nicht  synkopiert  worden,  im 
rechte  ist  Wenn  er  aber  daraus  den  schluss  zieht,  das  die  gcdichte  von  Bragi  die- 
sem Jahrhundert  nicht  angehören  können,  so  muss  ich  gegen  die  zulässigkeit  einer 
solchen  beweisführung  protest  erheben.    Nur  soviel  liesse  sich  behaupten,   dass  die 

1)  Von  norwegischen  inschriften  aus  dem  Jahrhundert,  das  der  besiedelung 
Islands  vorauf  gieng,  haben  sich  —  wenn  die  datierung  richtig  ist  —  nur  zwei  erhal- 
ten, die  von  Valby  imd  Gimsö,  und  auf  beiden  sind  formen,  die  für  die  Streitfrage 
entscheidend  wären ,  nicht  anzutreffen  (auf  dem  steine  von  Gimsö  steht  zwar  NafRsun, 
aber  Bugge  behauptet,  dass  indem  enklitisch  an  den  genetiv  eines  eigennamens  ange- 
hängten sunuR  die  synkope  weit  früher  vollzogen  sei  als  in  dem  isoliert  stehenden 
worte).  Überhaupt  glaube  ich,  dass  im  9.  Jahrhundert  die  sitte,  zum  andenken  an 
verstorbene  runensteine  aufzurichten,  in  Norwegen  aus  der  mode  gekommen  war, 
denn  sonst  hätten  die  isländischen  kolonistcu,  die  so  zäh  an  den  alten  gebrauchen 
hiengen,  auch  diesen  in  der  neuen  heimat  sicherlich  beibehalten.  Bekanntlich  aber 
wdss  keine  Islendinga  saga  von  runcn steinen  etwas  zu  erzählen. 


122  OEBINO 

form,  in  der  wir  heute  diese  gedichte  lesen,  nicht  die  des  9.  Jahrhunderts  ist,  weil 
sie  es  eben  nicht  sein  kann,  da  in  den  vier  Jahrhunderten,  die  zwischen  der  entste- 
hung  jener  Strophen  und  unseren  handschriften  liegen,  nicht  bloss  die  sprachfoTmen 
sich  geändert  haben,  sondern  möglicherwoiso  auch  die  metra  eine  Umwandlung  erlit- 
ten. Wenn  es  der  zufall  gewollt  hätte,  dass  sich  Ton  dem  goldenen  horoe  und  der 
auf  ihm  eingeritzten  inschrift  eine  kundo  bis  in  die  litterarischo  zeit  erhalten  hätte, 
so  würde  diese  inschrift  in  einem  codex  dos  13.  Jahrhunderts  wahrscheinlich  lauten': 

Hlegestr  Hyltingr  hom  pat  orfak  (oder  gorßak), 
Bugge  würde  von  seinem  Standpunkte  aus  die  nachricht,  dass  diese  zeile  in  uralter 
zeit,  lange  vor  der  boBiedelung  Islands  abgefasst  sei,  für  erfunden  und  die  inschrift 
für  unecht  erklären,  da  das  metrum  des  fornyrdislag-verses  durch  die  widerhcrstel- 
lung  der  ursprünglichen  sprachformon  zerstört  würde.  Dies  wäre  jedoch  ein  fehl* 
schluss,  denn  der  auf  dem  goldenen  home  stehende  vers: 

Ek  HletcagastiR  HoÜingaR  hortia  tawido,  d.  i. 

X]  JLX1.X  I  ZXX    II   JLX   I  y^XX 

war  zu  seiner  zeit  eine  vollkommen  korrekte  langzoile  im  „fomyrdislag*  •,  das  eben 
damals  auftakto  und  mehrsilbige  Senkungen  noch  gestattete.  Ob  dem  „drottkvaett*, 
falls  es  vor  der  durchfülinmg  der  syukopiorungsgesetze  schon  bestand,  nicht  diesel- 
ben freiheitcn  eingemumt  waren,  können  wir  nicht  wissen;  jedesfalls  aber  wäre  es 
voreilig  diose  möglichkoit  zu  läugnen. 

Auch  die  tatsache,  dass  bei  Bragi  bereits  einzelne  keltische  lehnwörter'  sich 
finden,  kann  meines  eraclitens  nicht  beweisen,  dass  die  gedichte  erst  im  10.  Jahrhun- 
dert abgefasst  sind.  Wir  wissen,  dass  schon  gegen  ende  des  8.  Jahrhunderts  (795) 
die  nordischen  wikinger  an  den  irischen  küsten  erschienen,  und  es  ist  daher  zweifel- 
los, dass  sie  den  weg  zu  den  nordschottischen  inselgruppon,  die  auf  ihren  zügeo 
nach  Westen  eine  natürliche  ctappe  bildeten,  weit  früher  müssen  gefunden  haben. 
Nehmen  wir  an,  dass  dies  um  750  geschehen  sei^,  so  lag  fast  ein  volles  Jahrhundert 
zwischen  don  ersten  berührungcn  der  Normannen  mit  den  Kelten  imd  der  zeit,  in 

1)  Vgl.  Buggo,  Tidskr.  for  phil.  VI  (1865)  s.  317. 

2)  Ihr  lassen  sich  z.  b.  altsächsischc  vei-se  wie 

lithocüspun  hilücan  (Hei.  2724) 

an  die  seito  Stollen,  die  ich  nicht  mit  Sievers  für  „erweiterte*^  A,  sondern  für  alter- 
tümliche A  ansehe.  In  einer  foniyrdislag- Strophe  der  Röksteininschrift  steht  neben 
4  silbigen  halhzoilen,  die  genau  den  regeln  der  späteren  altn.  metrik  entsprechen, 
auch  eine  5silhige: 

Strandu  Ilraidmararj 

also  ein  „erweitertes''  I),  das  durch  die  synkopierung  des  u  zu  einem  regelmässigen 
I)  worden  nuissto.  Vgl.  forner  vorse  mit  auftakt  wie:  m  icange  mdrir,  ek  Wiwar 
aftcr  (Buggo,  Norgos  inskrifter  med  de  »Idro  runer,  s.  24). 

3)  Buggo  meint,  dass  in  Bragis  fragmenten  auch  ein  französisches  lehnwort 
entlialten  ist,  nämlich  rostn  „lärm*',  obgleich  ein  verbum  rttsta  „lärmen*^  noch  heute 
im  schwedischen  und  non/^ogischen  lebendig  Lst  Allerdings  ist  es  bedenklich,  dieiee 
neuiiurdischc  wort  zu  rösta  in  boziehung  zu  setzen,  da  der  Übergang  von  6  za  u 
sonst  nur  in  der  pi-oklise  erfolgt  zu  sein  scheint  (z.  b.  norweg.  gtidag  <  god  dag\ 
aber  nicht  minder  unwahrscheinlich  ist  die  annähme,  dass  dasselbe,  kaum  säur 
gebräuchliche  wort  zu  zwei  verschiedenen  zelten  nach  dem  norden  importiert  aoin 
sollte. 

4)  Schon  um  725  musstcn  sich  die  irischen  anachoreton  infolge  der  aoffrille 
nordischer  i>iraten  von  den  Fieröei-n  zurückziehen  (Zimmer,  Ztschr.  f.  d.  a.  32,  231). 


ÜBER  BÜGQE,  BIDBAO  TIL  SXALDEDIOTNINaENS  EIST.  123 

welcher  Bragi  nach  der  gewöhDlichen  annähme  seine  dr&pas  vorfasste,  und  dieser 
seitraam  war  kng  genug,  dass  ^die  impulse  von  den  keltischen  völkem  selbständige 
formen  sich  schaffen  konnten.*^ 

Femer  meine  ich,  dass  die  konsequenzen  der  Buggischcn  hypothese,  nach  der 
die  fragmente  Bragis  eine  fälschung  des  10.  Jahrhunderts  sein  sollen,  eine  reihe  von 
nnwahrschoinlichkeiten  ergeben.  Dass  ein  dichter  Bragi  um  die  mitte  des  9.  Jahr- 
hunderts wirklich  im  westlichen  Norwegen  gelebt  hat,  gibt  Bugge  selber  zu.  Er 
räumt  femer  ein,  dass  Ragnarr  lodbrök  (dessen  person  allerdings  von  der  sage  mit 
einem  üppigen  gewinde  fabelhafter  erzählungen  umrankt  und  zu  einem  typus  des 
wikingertums  ausgestaltet  ist)  möglicherweise  mit  dem  dänischen  piratcnführer  (dux*) 
Ragneri  identisch  ist,  der  um  845  in  Frankreich  brandschatzte  und  bald  darauf  an 
der  pest  starb.  Er  meint  endlich,  dass  wir  den  schwedischen  könig,  den  die  islän- 
dischen quellen  Bj<^ra  at  Haugi  nennen,  in  dem  „rex  Bem*^  widerfindon,  mit  dem 
nach  der  Vita  Anskari  von  Rimbert  der  apostel  des  nordens  kurz  vor  830  in  Schwe- 
den zusammentraf.  Die  beiden  fürsten  und  der  dichter  waren  also  Zeitgenossen,  und 
es  empfienge  mithin  die  isländische  tradition,  nach  welcher  Bragi  zu  Ragnarr  und 
BJQm  in  beziehungen  stand,  einen  rückhalt  in  der  beglaubigten  geschichte.  Nun 
glaubt  Bugge  überdies  den  beweis  führen  zu  können,  dass  in  Bragis  Strophe,  die 
die  sage  von  Qylfi  und  GeQon  behandelt,  suecismen  sich  erhalten  haben!  Wenn 
das  wahr  ist  (ich  hege  meine  bescheidenen  zweifei),  so  würde  jeder  vorurteilsfreie 
mensch  darin  eine  bestätigung  der  nachricht  finden,  dass  Bragi  sich  tatsächlich  in 
Schweden  bei  BJQm  at  Haugi  aufgehalten  und  dort  seine  Strophe  verfasst  hat.  Stammt 
diese  dagegen  erst  aus  dem  10.  Jahrhundert,  so  ist  sie  das  werk  eines  fälschors,  der 
80  raffiniert  war,  dass  er  absichtlich,  um  seinem  falsißcate  den  schein  der  ochtheit 
EU  geben,  schwedische  formen  einflickte!  Und  dieser  raffinierte  falscher  war  zugleich 
80  geistesarm,  so  vollständig  aller  eigenen  gedanken  bar,  dass  er  seine  produkte  müh- 
sam aus  dem  material,  das  ihm  ältere  gedichte  darboten,  zusammenleimen  musste: 
er  hat  —  als  ein  wahrer  skdldaspillir !  —  die  Ham{)ism(Jl  und  Härbar{)sljü{),  die  Atla- 
kTi|>a  und  Helgakvi[>a  geplündert,  nicht  minder  Haraldskvae{)i  und  Ynglingatal,  die 
Arinbjaraarkvi|)a  und  andere  gedichte  von  Egill  Skallagrimsson ,  den  Einarr  sk&la- 
glamm,  Vetrhf)i  und  I'orbJQm  disarskald!  Mir  scheint  es  wahrscheinlicher,  dass  die 
parallelen,  welche  Bugge  aus  diesen  dichtungen  zu  den  fragmenten  Bragis  beibringt, 
aus  reminiscenzen  an  den  alten  skalden  sich  erklären,  wie  ich  dies  z.  b.  (Arkiv  VII, 
66)  für  fj6{)olfs  HaustlQng  nachzuweisen  versuchte*. 

Bei  dem  Ynglingatal  (um  nun  zu  diesem  mich  zu  wenden)  kann  man  frei- 
lich nicht  den  einwand  erheben,   dass  das  metmm  im  laufe  der  zeit  geändert  sein 

1)  Nach  Bugges  ansieht  kann  der  Verfasser  unserer  fragmente  nicht  jenen 
historischen  dux  besungen  haben,  da  das  prädikat  Pengilly  das  er  ihm  beilegt,  im 
altn.  nur  den  „könig*^  bezeichne.  Aber  die  bodeutung  des  wertes  kann  sich  in  spa- 
terer zeit  verengert  haben;  ags.  pefi^el  bedeutet  nur  „princeps,  dominus''. 

2)  Ich  bin  weit  davon  entfernt,  heute  noch  alles  aufrecht  zu  erhalten,  was 
ich  in  meiner  kleinen,  schnell  hingeworfenen  gelegenhcitsschrift  (Kv{e[)abrot  Braga 
ens  gamla,  Halle  1886)  gesagt  habe,  und  gebe  gerne  zu,  dass  manches  darin  „ver- 
fehlt" und  übereilt  ist.  Wenn  aber  Bugge  meint,  dass  in  der  halbsti-ophe  Nema  svdt 
goß  usw.  (nr.  2  meiner  ausgäbe)  die  lesart  des  Regius  und  Wormianus  durch  Haust- 
lQng 1  gestützt  werde,  so  glaube  ich  doch  darauf  aufmerksam  machen  zu  müssen, 
dass  der  text  dieser  Haustl<^ng- Strophe,  wie  Bugge  ihn  citiert,  ohne  allen  zweifei 
corrumpiert  ist,  und  dass  ich  die  gründe,  die  ich  im  Arkiv  a.  a.  o.  für  meine  her- 
stellung  derselben  beigebracht  habe,  noch  immer  für  stichhaltig  ansehe. 


124  GEBING 

könno,  denn  hier  hat  selbstverständlich  schon  in  dem  original  des  diohters  der  regel- 
mässige Wechsel  zwischen  drei-  und  viersilbigen  versen  bestanden.  Wenn  aberBogge 
aus  dem  umstände,  dass  die  einsetzung  unsynkopicrter  formen  in  das  gedieht  das 
metram  zerstört,  den  beweis  herleitet,  dass  das  Ynglingatal  erst  im  10.  Jahrhundert 
entstanden  sein  könne,  so  geht  er  dabei  von  der  durchaus  unwahrscheinlichen  —  wir 
können  geradezu  sagen:  unmöglichen  —  Voraussetzung  aus,  dass  uns  die  Strophen 
l^'6{)olfs  in  ihrer  echten  und  unverfälschten  gestalt,  wie  sie  aus  dem  munde  des 
dichters  kamen,  erhalten  seien.  TVor  kann  die  möglichkeit  läugnen,  dass  verse,  die 
durch  den  eintritt  der  synkope  unkorrekt  geworden  waren,  durch  die  abschreiber 
geändert  sind  ^  und  dass  an  anderen  stellen  unabsichtliche  modifikationen  der  ursprüng- 
lichen lesart  eindrangen?  Bugges  beweis  stützt  sich  auf  drei  (ganze  drei!)  verse. 
Der  erste  ist  Yngl.  28^:  hasfis  hjqrr.  Das  habe  im  9.  Jahrhundert  nach  Bugge  noch 
lauten  müssen:  hcefis  hertiR^  was  einen  unmöglichen  vers  ergäbe.  Setzen  wir  aber 
die  beiden  Wörter  um  (was  herausgcbcr  aus  metrischen  gründen  unzählige  male  getan 
haben),  so  erhalten  wir:  heruR  hcefis y  einen  vers,  der  genau  ebenso  richtig  ist  wie 
magar  poris  in  Egils  Arinbjamarkvi{)a  14'  (Sievers,  Altgerm,  metrik  §71,  4  6). 
Ebenso  lässt  sich  bragnings  btiraR  (überliefert  ist  bttrs)  32'  umstellen  zu  burtUt 
bragningsj  vgl.  hqfnp  heiptro'kt  49'.  Somit  bliebe  als  einziger  vers,  der  sich  nicht 
ohne  weiteres  emendieren  lässt,  vif  foldar  Prqm  52*  übrig,  und  auf  diesen  vers 
allein  eine  hypothese  zu  begründen,  dürfte  doch  etwas  verwegen  sein.  Wer  kann 
beweisen,  dass  nicht  prqm  an  stelle  eines  anderen  wortes  getreten  ist,  das  schon  im 
9.  Jahrhundert  einsilbig  war?    Vgl.  z.  b.  jar^ar  akatU,  Sn.  E.  I,  328. 

Die  sprachliche  form  des  Ynglingatals  kann  also  kaum  beweisen,  dass  das 
gedieht  erst  im  10.  Jahrhundert  entstanden  ist.  Ebensowenig  kann  dies  aber  aus  dem 
vorkommen  des  wortes  flrvmingr  geschlossen  werden,  das  Bugge  wol  mit  recht  als 
„flämisches  schwert*^  erklärt.  Denn  daraus,  dass  die  Norweger  erst  um  820  an  den 
küsten  Flanderns  zu  beeren  versuchten,  folgt  nicht,  dass  sie  in  Flandern  verfertigte 
Waffen  damals  zuerst  kennen  lernten;  diese  können  ja  auf  dem  handelswege  weit  frü- 
her nach  dem  norden  importiert  worden  sein,  wie  ja  auch  die  Damascener  klingen 
lange  vor  den  kreuzzügon  in  Europa  bekannt  waren.  Beweisend  ist  es  auch  nicht, 
dass  bei  !'j6[)olfr  poetische  formoln*  und  eigennamen  sich  finden,  die  auch  in  den 
eddischen  gedichten  vorkommen,  denn  die  ersten  waren  zum  grossen  teile  altes  erb- 
gut  und  die  letzton  beweisen  doch  höchstens,  da.ss  die  mythen,  in  denen  die  träger 
der  namen  auftreten,  dein  l'j6{)olfr  sowol  wie  den  dichtem  der  Edda  geläufig  waren. 
Erst  dann  könnte  von  einem  beweise  die  rode  sein,  wenn  es  sich  erhärten  liesse, 
dass  jene  mythen  im  9.  Jahrhundert  noch  nicht  entstanden  waren.  Bugge  ist  ja 
allerdings  dieser  ansir^ht,   aber  die  zum   teil    halsbrechenden   etymologien,    die   den 

1)  Dass  ältere  dichtungen  umgearbeitet  wurden,  um  den  anforderungen  einer 
moderneren  techiük  zu  genügen ,  ist  aus  der  mhd.  litteratur  bekannt,  und  in  unserem 
falle  war  das  eine  kleinigkeit.  Wir  dürfen  nicht  vergessen,  dass  „die  sprachform  in 
den  ältesten  islündischen  und  norwegischen  handschriften  in  allem  wesentlichen 
dieselbe  ist,  wie  die  in  der  spräche  der  runeninschrifteu  von  800—1000*  (Wimmer, 
Die  runenschrift  s.  341). 

2)  Kenntnis  der  VolnspiJ  soll  durch  Yngl.  21 :  ßd's  brarfr  tveir  \  at  bqnuyn 
urfttsk  (vgl.  Vsp.  54:  hrnfir  munu  bcrjask  \  ok  ai  fM^num  rerßask)  bewiesen  werden! 
Aber  rn-pa  at  bann  ist  eine  uralte,  geraeiiigermanische  fomiel  (vgl,  Hildebrands- 
lied 54.  Beow.  7)87.  2203,  Hei.  644),  die  jedem  dichter,  der  davon  zu  berichten 
hatte,  dass  jemand  seines  kindes  oder  seines  bruders  mörder  wurde,  sich  von  seihst 
aufdrängen  musste. 


ÜBSR  Büees,  fiiDBAa  hl  skaldediqtninqens  hlst.  125 

fremden  orsprong  der  heidnischen  götterlehre  erweisen  sollen  (Byleistr  <^  Beelxebub, 
Ihrnföir  <;  Phoroneua,  Oarmr  <Z  Cerberus  u.  a.  m.),  werden  ausserhalb  des  nordens 
wenige  gläubige  finden.  Dass  VS  der  heilige  geist  sei ,  hat  schon  E.  H.  Meyer  in  sei- 
nem buche  über  die  eddische  kosmogonie  behauptet  und  Bugge  spricht  es  nach;  wir 
dürfen  aber  wol  fordern,  dass  er  zunächst  den  beweis  liefert,  dass  das  dem  got.  weihs 
entsprechende  adjectiv  noch  zur  zeit  der  wikingerzüge  in  den  skandinavischen  spra- 
chen existierte^:  in  den  litterarischen  donkmälem  ist  es  ebensowenig  wie  in  runen- 
inschriften  gefunden  worden,  und  auch  die  ags.  spräche  kennt  es  nicht'.  Dass  der 
götter-  (und  zwergen-)  name  Vili  (wofür  bei  Egill  die  nebonform  Viltr  begegnet) 
mit  vili  ^lYoluntas*^  identisch  sei,  soll  auch  erst  bewiesen  werden.  Vorläufig  beharre 
ich  bei  der  ansieht,  dass  die  Skandinavier  (ebenso  wie  die  Inder,  Griechen  und  Li- 
tauer)' selbständig  darauf  gekommen  sind,  eine  trias  an  die  spitze  ihres  götterstaates 
zu  stellen ,  und  nicht  erst  durch  die  heilige  trinität  der  christlichen  kirchenlehre  dazu 
angeregt  wurden. 

Gewichtiger  sind  zweifellos  die  historischen  gründe,  die  Bugge  für  die  spä- 
tere datierung  des  Ynglingatals  ins  feld  führt.  Nach  der  angäbe  Snorris  in  der  vor- 
rede zur  Heimskringla  wäre  I^j6)>olfr  or  Hvini  dichter  des  königs  Haraldr  schönhaar 
gewesen  und  habe  auch  auf  könig  R^gnvaldr  hei[>umh8Bri ,  einen  söhn  des  Ölafr  geir- 
Bta|)aälfr  und  brudersohn  Halfdans  des  schwarzen,  das  Ynglingatal  gedichtet.  Diese 
nachricht,  die  in  anderen  quellen  widerholt  wird,  sucht  Bugge  als  falsch  zu  erwei- 
sen. Er  meint,  dass  sie  nur  aus  missverstandenon  angaben  im  Ynglingatal  selbst 
construiert  ist  und  dass  ein  könig  R^guvaldr  von  Yestfold  oder  Grönland,  der  ein 
Zeitgenosse  von  Haraldr  schönhaar  gewesen  sein  soll,  gar  nicht  existiert  hat,  da 
diese  landschaften  von  anfang  an  zu  Haralds  reiche  gehörten  und  nur  während  seiner 
abwesenheit  sein  oheim  Guttormr  in  der  Vlk  als  Stellvertreter  die  regierung  führte. 
Daher  glaubt  Bugge,  dass  das  Ynglingatal  einen  britannischen  könig  nordischer 
abkunft  gefeiert  habe,  wenn  er  es  auch  nicht  wagt,  einen  bestimmten  R^gnvaldr  aus 
dem  10.  Jahrhundert  (die  quellen  kennen  aus  jener  zeit  mehrere  „könige*^  dieses 
namens)  als  denjenigen  zu  bezeichnen,  dem  das  gedieht  gewidmet  ist.  Diese  mei- 
nuDg  ist  deshalb  nicht  unwahrscheinlich,  weil  auch  die  norwegischen  könige  in  Dublin 
ihr  geschlecht  von  den  Ynglingom  ableiteten,  imd  sie  gewinnt  an  glaubwürdigkeit 
durch  den  von  Bugge  geführten  nach  weis,  dass  irische  gedichte  aus  dem  10.  Jahr- 
hundert und  noch  früherer  zeit  nach  form  und  Inhalt  so  genau  mit  dem  Ynglingatal 
übereinstimmen ,  dass  sie  geradezu  als  Vorbilder  desselben  betrachtet  werden  müssen '. 
Endlich  macht  Bugge  darauf  anfmerksam,  dass  in  der  zweiten  hälfte  des  10.  Jahr- 
hunderts tatsächlich  ein  Norweger  mit  dem  namen  I^j6[>olfr  or  Hvini  gelebt  hat,  da 
unter  den  beiden  Olaf  Tryggvasons,  die  mit  ihm  auf  dem  „langen  drachen*^  in  der 
Schlacht  bei  Svoldr   kämpften,    ein  l'orgrimr   or  Hvini  l'j6|>olf8son   erscheint,   nach 

1)  Zu  iceihs  stellt  man  das  st.  n.  ve  „tempel*^  (ags.  icih,  tcioh;  alts.  f4nh)  und 
das  pl.  tantum  vear  „ götter '^'y  aber  das  adjectiv  selbst  hat  sich  nur  in  den  alten 
eigennamen  auf  -ver  erhalten,  faUs  die  deutung  Bugges  (Norges  indskrifter  med  de 
ffildre  runer  s.  12)  richtig  ist 

2)  Vgl.  meine  ausführungen  in  der  Theol.  Utt.  zeitung  XVH  (1892)  sp.  42. 

3)  Ich  möchte  mir  aber  doch  erlauben,  einen  ganz  bescheidenen  zweifei  zu 
äussern,  ob  die  keltische  philologie  (die  doch  noch  tief  in  den  kinderschuhen  stecken 
muss,  wenn  einer  ihrer  bedeutendsten  Vertreter  es  sich  nicht  zutraut,  eine  vollständige 
tibersetzung  von  einem  schwierigeren  texte  zu  geben)  wirklich  schon  soweit  vorgeschrit- 
ten ist,  dass  sie  eine  genaue  datierung  der  alten  denkmäler  vornehmen  kann?  Mir  wird 


126  6KRXKG,   ÜBEB  BÜGOB,  BIDBAG  TIL  SKALDEDIOniCYOENB  HIBT. 

Bagge  ein  söhn  des  Verfassers  des  Ynglingatals.  den  man  also  mit  einem  alteren  dich- 
ter gleiches  namens,  der  zu  Harald  schönhaars  Zeiten  gelebt  haben  mag,  verwechselt 
hat.  Dieser  jüngere  {^j6{>olfr  or  Hvini  kann  dann  auch,  wie  die  isländischen  quellen 
berichten,  auf  den  dänischen  jarl  Strutharald  (f  um  985)  gedichtet  und  für  I'orleifr 
spaki,  den  Zeitgenossen  von  Olaf  Tryggvason  und  Eiiikr  jarl,  die  Hanstl^ng  verfasst 
haben,  währeod  es  für  ausgeschlossen  gelten  muss,  dass  ein  skalde  Harald  schön- 
haars noch  gegen  ende  des  10.  Jahrhunderts  am  leben  war. 

Ich  meine  also,  das  wir  —  nicht  aus  sprachlichen  und  metrischen  gründen 
(diese  versagen,  wie  ich  oben  erwiesen  zu  haben  glaube,  den  dienst)  —  wol  aber  auf 
gmnd  historischer  und  litterarhistori2»cher  indicien  das  Ynglingatal  mit  Bugge  in  das 
10.  Jahrhundert  werden  versetzen  müssen.  Aber  ich  sehe  nicht,  dass  wir  dadurch 
genötigt  sind,  auch  für  die  fragmente  Bragis  eine  spätere  entstehungszeit  anzuneh- 
men, zumal  da  einzelne  spuren  altertümlicher  sprach-  und  versformen  in  ihnen  noch 
deutlich  sichtbar  sind'.  Dass  in  den  eddiscben  licdern  eine  einfachere  und  schmuck- 
losere darstüUung  herrscht',  beweist  gar  nichts,  da  diese  lieder  und  die  skaldischen 
druttkvaettstrophen  ganz  inconimensurable  grossen  sind  und  beide  dichtweisen  noch  lange 
neben  einander  herlaufen.  Übrigens  hege  ich  schon  seit  längerer  zeit  ernste  zweifei, 
ob  man  nicht  neuerdings  die  älteren  schichten  der  eddischen  lieder  zu  spät  datiert. 
Die  frage  würde  erledigt  sein,  wenn  die  behauptung  Zimmers,  dass  die  Nibelungen- 
sage  in  ihrer  jüngeren  gestalt  bereits  gegen  ende  des  9.  Jahrhunderts  durch  nor- 
wegische Wikinger  nach  Irland  verpflanzt  worden  sei,  als  richtig  sich  erwiese.  Aber 
die  parallelen  zwischen  irischer  und  nordischer  heldensage,  auf  welche  Zimmer  auf- 
merksam macht,  sind  nicht  zahlreich  und  nicht  charakteristisch  genug,  um  beweia- 
kräftig  zu  sein:  auch  schiesst  er  augenscheinlich  in  seinem  eifer,  möglichst  viel  im 
irischen   leben   und   dichten  auf  nordischen  einfluss  zurückzuführen,   über  das  siel 

es  schwer  daran  zu  glauben,  dass  eine  so  rohe,  barbarische,  phrasenhafte  und  geistlose, 
von  den  gröbsten  zoten  wimmelnde  poesie  befruchtend  auf  die  skandinavische  soUte 
eingewirkt  haben.  Diese  kann  keine  bessere  folie  empfangen,  als  die  irischen  „helden- 
sagen**  des  „älteren  kreises"^  (man  vergleiche  z.  b.  die  schöne  geschichte  von  den  kbni- 
ginnen  (!),  die  sich  dadurch  unterhalten,  dass  sie  einen  Schneehaufen  mingendo  zum 
schmelzen  bringen ,  und  auf  diejenige ,  die  in  diesem  geistreichen  sport  den  sieg  davon 
trägt,  so  eifersüchtig  werden,  dass  sie  sie  töten:  Ztschr.  f.  d.  alt  32,  218).  Die  viel- 
gerühmte „kultur*"  des  volkes  wird  ausserhalb  des  bereiches  der  klöster  nicht  gross 
gewesen  sein;  offenbar  war  das  pygmäengeschlecht  der  Iren  körperlich  und  geistig  den 
Germanen  nicht  gewachsen,  eine  inferiore,  für  fremdherrschaft  und  geistige  knech- 
tung  prädestinierte  rasse. 

1)  S.  Kv?L'{)abrot  Braga  ens  gamla  s.S.  Gegen  zwei  von  den  dort  aufgestell- 
ten behauptungou  hat  Bugge  widersprach  erhoben:  das  von  mir  aus  dem  handschiift- 
lichen  apir  hergestelte  apt,  das  ihm  1888  noch  plausibel  ei'schien  (Om  runeindskriften 
pan  Hökstoncn  og  ])aa  Founaasspiunden  s.  6),  beanstandet  or  jetzt  wol  mit  recht  auf 
grund  der  von  Uj.  Falk  gemachten  einwendungen,  und  Ermenrekr  betrachtet  er  als 
eine  unnordische  namensform,  die  schon  bekanntschaft  mit  der  südgermanischen  sage 
verrate  (V). 

2)  Gegen  die  auch  von  Bugge  (s.  111)  citiorte  äusserung  von  Steenstmp,  der 
sich  darüber  wundert,  dass  schon  um  850  die  norwegische  poesie  so  schwerfallige 
bilder  solle  gekannt  und  bei  den  zuhörcm  eine  so  grosse  gelehrsamkeit  solle  voraus- 
gesetzt haben,  hat  schon  Gust.  Storni  (Kritisko  bidrag  til  vikingetidens  historie  s.  45) 
mit  recht  eingewandt,  da.ss  mau  nicht  a  priori  die  einfachere  poesie  für  die  ältere 
erklären  dürfe.  Sollte  das  ein  kritisches  princip  werden,  so  behauptet  vielleicht  ein 
gelehrter  des  3.  Jahrtausends,  dass  Goethe  und  Heine  vor  HofEmannswaldau  gelebt 
haben. 


XOGK,   ÜBIR   W0LF8KRHL,   OERBiANISCHB   WERBUN688A6RN  127 

hinaus^,  und  die  etymologischen  partien  verraten  hier  und  da  eine  ungenügende  kennt- 
nis  der  nordischen  spräche'.  Es  wäre  aber  interessant  zu  erfahren,  wie  Bugge  zu 
der  bypothese  Zimmers  sich  stellt. 

Bugges  ausführungen  haben  mich  also  nur  teilweise  überzeugt  Oleich wol 
stehe  ich  nicht  an,  sein  buch  zu  den  bedeutendsten  werken  zu  rcchnen,  die  auf  dem 
gebiete  der  altnordischen  litteraturgeschichte  erschienen  sind,  da  er  eigentlich  zuerst 
die  frage  nach  der  echtheit  der  ältesten  norwegischen  skaldendichtungen  in  üuss 
gebracht  hat  Die  zweifei,  die  andere  vor  ihm  geäussert  haben,  wollen  wenig  besa- 
gen gegenüber  diesem  mit  der  ganzen  wucht  solider  gelehrsamkeit  und  kritischen 
Scharfsinns  unternommenen  angriffe.  Dass  die  gelegentlichen  bemerkungen  über  ein- 
zelne schwierigere  stellen  in  den  werken  altnordischer  dichter  sehr  vieles  richtige 
und  treffende  enthalten  und  das  Verständnis  dieser  poesie  erheblich  fördern,  sei  zum 
Schlüsse  noch  besonders  hervorgehoben'. 

1)  Zu  streichen  ist  z.  b.,  was  Zimmer  (Ztschr.  f.  d.  a.  32,  332)  über  nord- 
germanische züge  in  der  irischen  Ercoilsage  vorträgt:  das  isländische  Jieatavig  war 
etwas  ganz  anderes,  als  was  Weinhold  im  Altn.  leben  (auf  das  Zimmer  sich  beruft) 
daraus  macht 

2)  So  operiert  er  z.  b.  in  seinem  versuche,  ir.  fiann  aus  altn.  fjdndi  herzu- 
leiten (Ztschr.  f.  d.  a.  32,  92)  mit  der  lediglich  neuisländischen  pluralform  fendr; 
für  lagdir,  Ic^äa  (ebda  s.  152)  wäre  lagäir,  layda  zu  setzen,  was  dem  ir.  kegda 
nicht  mehr  genau  entsprächo. 

3)  Ich  freue  mich  konstatieren  zu  können,  dass  die  s.  126  anm.  gegebene  erklä- 
ruDg  von  Strophe  6  der  Arinbjamarkvit)a  im  wesentlichen  mit  der  kürzlich  (SagabibL 
in,  310)  von  mir  vorgeschlagenen  zusammentrifft  Dass  die  stelle  eine  anspielung 
auf  den  m^-thos  von  Qbinn  und  6unnlQ{>  enthält,  dürfte  wol  nicht  mehr  bezweifelt 
werden.  Nur  in  der  erfiärung  des  Wortes  maki  weichen  wir  von  einander  ab:  ich 
würde  Bugges  auffassung  (als  der  einfacheren)  den  vorzug  geben,  wenn  tnctki  in  der 
bedeutung  „conjux**  schon  im  altn.  nachweisbar  wäre. 

£IIL,   16.   DICBB.   1894.  HUGO   QKRINO. 


Germanische  werbungssagen.    Von  K.  WoiCskelil.    I.  Hngdietrich.    Jarl  Apol- 
lonius.    Dannstadt,  A.  Bergsträsser.  1893.    33  s.    1  m. 

Die  vorliegende  arbeit  ist  zunächst  nur  ein  aus  zwei  teilen  bestehendes  frag- 
ment,  das  jedoch  bereits  das  endziel  des  angekündigten  werkes  ahnen  lässt:  der  Ver- 
fasser will  die  germanischen  werbungssagen  aus  einem  altgermanischen  naturmythus 
erklären  und  in  engsten  Zusammenhang  mit  dem  nahanarvalischen  Dioskurenpaare  des 
Tacitus  bringen.  Im  ersten  teile,  in  dem  ganz  am  Schlüsse  die  Werbung  Hugdietrichs 
verarbeitet  wird,  soll  der  riese  Vasolt,  wie  er  uns  im  Eckenliede  und  bei  Caspar  von 
der  Ron  entgegentritt,  als  sturmdämon  erwiesen  werden,  dessen  kraft  in  seinem 
haupthaare  hegt,  in  dem  die  sturmgebärende,  flatternde  wölke  symbolisch  dargestelt 
sei;  durch  sein  „weibliches'^  haar  sei  Vasolt  das  mythische  parallelstück  zu  dem 
priester  jener  Dioskuren,  der  tnuliebri  omaiu  geschmückt  war.  Mit  Vasolt  deckt 
sich  der  stumigott  Odinn,  nur  dass  dieser  nirgends  mit  weiblichem  haare  erscheint 
Aber  auch  dies  wird  aus  der  Überlieferung  herausconjiciert:  Odinn  ist  bei  Rindr  erst 
zum  ziele  gelangt,  als  er  in  weibsgestalt  zu  ihr  getreten  war;  diese  frauengestalt  ist 
aber  das  jüngere,  ursprünglich  waren  es  nur  die  weiblichen  haare,  durch  die  er  zu 
seinem  ziele  kam  (s.  23).  An  Odins  stelle  ist  in  der  süddeutschen  sage  Hugdietrich 
getreten,  der  die  Hildeburg  gewint,  indem  er  als  Jungfrau  verkleidet  bei  ihr  eindringt. 
Natürlich  wird  auch  die  Hartnngensage  mit  verarbeitet.    Hier  baut  Wolfskehl  blind- 


128  jnaczEK 

lings  aaf  Müllenhoffis  deutung.  —  Der  Verfasser  ist  unstreitig  in  der  litteratnr  seines 
themas  wol  bewandert,  allein  ihm  fehlt  ein  weiterer  blick  and  mit  ihm  die  wün- 
schenswerte kritik  der  quellen  und  der  litteratur.  Seiner  methode  vermag  ich  eben- 
sowenig beizustimmen  wie  dem  resultate  seiner  forschung. 

Im  zweiten  stück  (Jarl  ApoUonius)  wird  das  gedieht  „vom  TTeltweib^  (Hoif- 
mann.  Hör.  bclg.  11  nr.  14)  mit  der  Apolloniussage  in  der  I^idrikssaga  zusammen- 
gebracht Ich  halte  diesen  beweis  für  gelungen.  Die  tatsache  lässt  sich  auch 
geschichtlich  leicht  erklären:  das  niederdeutsche  lied  oder  die  sage,  aus  der  es  geflos- 
sen, kam  mit  anderen  stofTen  nach  Norwegen,  wo  sie  der  sagaschreiber  an  die  Iron- 
sage  angeknüpft  hat  Dagegen  mythischen  hintergrund  hier  zu  wittern,  halte  ich  für 
ebensowenig  angebracht  wie  in  der  Hugdietrichsage. 

LEIPZIG.  B.  MOOK. 


Die  spräche  der  skalden  auf  grund  der  binnen-  und  endreime,  verbunden  mit 
einem  rimarium  von  Bernhard  Kahle.  Strassburg,  Karl  J.  Trübner.  1892.  Vlll 
und  303  s.     7  m. 

Das  buch  Kahles  zerfällt  in  zwei  teile:  einen  darstellenden,  der  nach  einem 
einleitenden  kapitel  über  die  rcimtechnik  der  skalden  in  drei  abschnitten  vokalismus, 
konsonantismus  und  einigte  punkte  der  formcnlchre  behandelt  und  dann  auf  zwei  Sei- 
ten die  ergebnisse  zieht,  und  einen  statistischen,  das  rimarium,  das  von  seite  93  bis 
zum  Schlüsse  des  buches  reicht.  In  dem  kapitel  über  die  reimtechnik  konstatiert 
Eahlo  zunächst  auf  grund  statistischer  tabellen  das  allmähliche  seltenerwerden  der 
vollreime  in  den  ungeraden  verszcilen  und  analysiert  dann  die  reimbindungen  der 
konsonanten,  zunächst  nach  der  zahl  der  gebundenen  konsonanten  (einfacher  konso- 
nant:  einfachem  konsonanten,  einfacher  konsonant:  erstem  konsonanten  einer  gmppe, 
usw.),  dann  nach  der  ait  der  konsonanten  (muta:  muta  -f-  liqu.,  usw.),  woran  sich 
belege  für  die  bindung  tonloser  und  tönender  konsonanten  schliessen.  Die  dankens- 
werten und  ileissigen  Zusammenstellungen  leiden  nur  daran,  dass  das  induktionsma- 
terial  nicht  vollständig  ist;  eine  auswahl  von  fünf  skalden  aus  dem  11.  bis  14.  Jahr- 
hundert, wie  sie  z.  b.  Kahle  bei  der  Untersuchung  über  das  abnehmen  des  voUreimes 
an  ungeraden  stellen  zu  gründe  logt,  gewährt  doch  wol  nur  unsichere  Schlüsse.  Aach 
die  druck-  oder  rechenfehlor  sind  störend,  die  in  den  statistischen  tabellen  schlimm 
gehaust  haben;  so  z.  b.  ergibt  die  Zusammenstellung  unter  1)  in  der  tabelle  aaf 
Seite  G  nicht  560,  sondern  554,  wodurch  die  procentzahl  von  10.71  auf  10,83  steigt; 
die  summe  80  unter  1;  auf  scite  12  oben  stimmt  weder  mit  den  einzelnotierangen 
des  Verfassers,  denn  diese  geben  addiert  75,  noch  mit  der  wirklichen  zahl  der  fülle, 
denn  bei  pjopölfr  hvmverski  ist  10  zu  14  zu  korrigieren  und  die  gesammtsumme 
beträgt  alsdann  79;  und  dergleichen  noch  öfter.  Wer  also  in  die  läge  kommt,  sioh 
dieser  statistischen  tabellen  bei  einer  arbeit  zu  bedienen,  der  wird  nicht  umhin  kön- 
nen, flcissig  na(;hzuaddieren  und  procente  zu  berechnen,  was  für  einen  philologen 
nicht  immer  die  angenehmste  arbeit  sein  dürfte.  Auch  die  citatenziffem  sind  von 
druckfehlom  nicht  frei;  so  begegnen  z.  b.  imter  den  wenigen  citaten  aus  Wiaen  in 
tal>olleXI  (s.  23)  die  fehler  flo  (sie):  tiva  ßjöp  hv.  Wis.  19  statt  9,  Seite  24  seile  2 
14  für  15,  und  auch  andere  druck  fehler  haben  sich  eingeschlichen:  Brage,  Bagn.  dr. 
2,  3  heisst  es  bei  Wisen  mcere,  nicht  mrfce;  leipipir  L  leipipir  (im  zweitnäohsten 
citat);  für  Skül.  in  zolle  2  der  tabelle  (sub  a)  muss  Skul.  stehen,  wie  überhaupt  mit 
den  abbreviaturen  Ein.  Skdl.  [Einarr  skälaglamm]  und  Ein.  Skul.  [Einarr  Skolason] 


t^BER  KAHlK,  8t»RA0Hfi  DKR  SKALDE}^  1^ 

der  dmokfehlerteuftil  sein  böses  spiel  getiieben  bat;  ich  notiere  nur  aus  dem  ersten 
kapital,  dass  s.  16  Skul.  für  Skäl.  steht,  ebenso  s.  18  z.  5,  umgekehrt  Skäl,  für 
Skul.  8. 19  oben,  s.  21  sub  IX  a  [wo  es  übrigens  Wts.  58  heissen  muss],  s.  23,  s.  27 
2.  9  und  13.  —  Die  unkorrektheit  des  druckes  betrifft  übrigens  gleichmässig  das 
ganze  buch,  und  es  darf  in  dieser  beziehimg  fast  als  ominös  angesehen  werden,  dass 
dem  leser  gleich  auf  einer  der  ersten  Seiten  unter  anderen  kleinen  fehlem  die  merk- 
würdige gleichung  „7,  =  erste  hälfte*^  entgegentritt!  Die  Unsicherheit,  die  den 
benutzer  des  buches  zwingt,  jedes  citat  nachzuschlagen,  ist  bei  einem  werke,  dessen 
grosster  teil  als  nachschlagebuch  dienen  soll,  unangenehm,  und  im  Interesse  des  ver- 
fMSsers,  von  dessen  fleiss  und  ehrlichem  streben  die  ganze  mühsame  arbeit  zeugt, 
moss  man  diese  äusseren  mängel,  die  sich  bei  genauer  korrektur  hätten  vermeiden 
lassen,  beklagen,  um  billig  zu  sein,  darf  man  allerdings  nicht  vergessen,  welche 
Schwierigkeiten  die  korrektur  einer  aus  tausenden  von  citaten  bestehenden  arbeit 
bereitet 

Die  Kapitel  U — TV  beschäftigen  sich  mit  den  folgerungen,   die  sich  für  die 
giammatik,   speciell  die  lautlehre  aus  den  reimen  ergeben;   Kahle  geht  ausführlich 
auf  die  fragen  des  u-  und  i^-umlautes  ein,  und  gibt  ein  (allerdings  kaum  ganz  hin- 
reichendes)  resume   über   die   schwankenden  und  widerstieitenden   erklärungen  imd 
Untersuchungen  des  problems,  wobei  er  sich  hauptsächlich  Wadstein  anschliesst.    Es 
folgt  die  behandlung  der  brechung  und  einiger  anderer  vokalischer  probleme,  wobei  — 
wie  überhaupt  in  diesem  kapitel  —  das  durcheinander  historisch -polemischer  betrach- 
tongen  und  der  darstellung  des  in  skaldenreimen  gegebenen  matorials  vielleicht  unver- 
meidlich war,  aber  die  Übersicht  über  die  tatsächlichen  Verhältnisse  etwas  unbequem 
macht    Kürzer  und  übersichtlicher  ist  der  konsonantismus  behandelt,  auffallend  kurz 
das  „Aus  der  formenlehre*  überschriebene  kapitel.    Gerade  an  diesem  letzten  zeigt 
sich,   dass  die  spräche  der  skalden  nicht  auf  grund  der  binnen-  und  endreime  allein 
dargestellt  werden  kann,   sondern  zum  mindesten  auch  die  zeugmsse  der  metrik  ein- 
gezogen werden  müssen;  und  damit  ist  der  schwache  punkt  in  der  anläge  des  ganzen 
Werkes  berührt:   die  allzu  kleine  basis,   auf  der  sich  das  gebäude  einer  darstellung 
der  skaldensprache,   mit  andern  werten   der  norwegisch -isländischen  sprachentwick- 
long  in  einer  zeit,   für  die  uns  die  skaldenfragmente  (und  Eddagedichte)  fast  allein 
anakunft  geben,   erheben  soll.    Und  ist  diese  enge  basis  (die  der  Verfasser  übrigens 
noch  enger  gezogen  hat  als  es  wünschenswert  wäre,  denn  er  berücksichtigt  ohne  ersicht- 
lichen grund  nicht  das  ganze  überlieferte  material)  auch  ausreichend  gesichert?    Bei 
Untersuchungen,  wie  die  in  Kahles  buche  angestellten  sind),   muss  die  textkritik  eine 
Tollkommen  gesicherte  grundlage  bereits  geliefert  haben,  ehe  eine  auf  formelle  beob- 
achtung  gegründete   abloitung   sprachhistorischer   resultate   beginnen   kann.     Wisens 
Carmina  Nornsna  sowie  die  Unger'schen  ausgaben  der  Hoimskringla  und  Konunga- 
sögur  können  diesen  anspruch  nicht  erheben;  ehe  aber  eine  ausgäbe  der  skalden  mit 
YoUstindigem  kritischen   apparat   vorliegt,    ist  es   überhaupt   fraglich,    ob   ein  ver- 
such,  die  Sprache   der  skalden   darzustellen,   zu  abschliessenden   resultaten  führen 
kann.    Die  antwort  wird  wol  im  allgemeinen  verneinend  ausfallen,  und  damit  ergibt 
sich  auch  ein  billiges  urteil  über  die  schwachen  Seiten  von  Kahles  versuch;  der  dar- 
stellende teil  muss  schon  wegen  der  beschaffenheit  des  benutzten  materials  an  wert 
hinter  dem  Rimarium  zurückstehen,  und  die  beständige  bczugnahme  auf  sprachhisto- 
rische theoreme,  die  in  ihrem  umfange  weit  über  das  gebiet  der  skaldensprache  hin- 
ftosreichen,  zeigt  am  deutlichsten,  dass  die  meisten  der  hier  berührten  probleme  ihre 
ISsong  nidit  auf  diesem   engbegrenzten  gebiete  finden   können,     unbillig  wäre  es, 

ZmSCtfBIFT  F.   DBUTSOHB  PHILOLOGIB.     BD.  XXVIH.  9 


130  BERNHARDT 

darüber  die  anerkennimg  für  deo  fleiss  und  die  ehrliche  mühe,  die  sich  der  Verfas- 
ser gegeben  hat,  zu  vergossen,  und  den  nutzen  unbetont  zu  lassen,  den  das  Rimariam 
für  grammatische  und  metrische  zwecke  bietet ;  ganz  leicht  zu  heben  sind  freilich 
seine  schätze  nicht,  denn  auch  hier  muss  der  benutzer  erst  die  nachprufong  der 
citate  und  richtigstellung  der  nicht  seltenen  druckfehler  vornehmen ,  und  kein  registor 
hilft  dem  benutzer,  der  aus  der  menge  gleichgiltiger  belege  diejenigen  hervorsuchen 
will,  die  etwa  über  das  vorkommen  von  doppelformen  (wie  z.  b.  fram  und  framm^ 
fyrdar  und  firdar  usw.)  auskunft  geben, .  oder  sonstwie  wert  für  die  beleuchtung 
einer  wortform  oder  grammatischen  oi-scheinung  besitzen.  Ein  solches  Wortregister, 
das  die  stellen  anführte,  an  denen  ein  wort  nach  seinen  verschiedenen  grammatischen 
Seiten  behandelt  ist,  würde  viel  dazu  beitragen,  die  wertvollen  belege  und  erörte- 
terungon,  die  sich  zu  einzelnen  formen  und  glossen  in  dem  buche  finden,  hen^orzu- 
heben  und  leichter  zugänglich  zu  machen;  es  würde  vielleicht  auch  bei  der  arbeit 
selbst  den  Verfasser  auf  manche  versehen  aufmerksam  gemacht  haben,  die  sich  bei 
der  isolierten  betrachtung  der  einzelnen  verszeilen  eingeschlichen  haben  (vgl.  z.  b. 
die  bemerkungen  Finnur  Junssons  Ark.  f.  nord.  iil.  IX,  384),  ihn  manches  haben 
scheiden  lassen,  was  nach  der  reimrubrik  jetzt  zusammengeworfen  steht  (so  z.  b. 
vermindert  sich  die  zahl  der  beweisstellen  für  j  als  Spirans  auf  s.  69  um  die  Mle, 
wo  g  iutervokalisch  vor  palatalen  vokalen  steht;  sowol  die  Schreibungen  isländischer 
handschriften  (z.  b.  seür)  als  auch  die  moderne  ausspräche,  die  ein  so  feiner  pho- 
netiker  wie  Heniy  Sweet  in  diesen  fällen  konstant  als  halbvokal,  nicht  als  Spirans 
notiert  —  vgl.  z.  b.  die  Spocimens  of  Icelandic  in  seinem  Handbook  of  Phonetics  — 
machen  rätlich,  diese  fälle  von  den  übrigen  abzusondern)  u.  dgl.  m.  Seit  dem 
erscheinen  des  buches  sind  teils  direkt  durch  recensionen  berufenerer  fachmänner, 
als  roferent  es  ist,  teils  indirekt  durch  verschiedene  abhandlungen  und  werke ,  von 
denen  besonders  Gislasons  Udvalg  af  oldnordiske  slgaldokvad  zu  nennen  ist,  ver- 
schiedene einzelheiten  im  darstellenden  teile  korrigiert  und  überholt  worden;  dieser 
umstand  verwehrt  mir,  der  ich  erst  in  letzter  stunde  als  ersatzmann  die  anzeige  des 
buchüs  übernommen  habe,  vom  heutigen  bereicherten  Standpunkte  unsres  wissens 
aus  ein  vor  drei  jähren  erschienenes  buch  in  einzelheiten  zu  kritisieren,  über  die  der 
Verfasser  selbst  inzwischen  seine  meinung  berichtigt  haben  dürfte.  £s  liegt  in  der 
art  eines  solchen  grammatisch -statistischen  werkes,  dass  seine  mängel  mehr  ins  aoge 
fallen  als  der  nutzen,  den  es  gewährt.  Dieser  nutzen  wäre  noch  grösser  gewesen, 
wenn  der  Verfasser  das  ganze  material  in  sein  Rimarium  aufgenommen  hätte;  doch 
auch  so  bleibt  neben  dem  vcifrühten  und  unzulänglichen  in  der  arbeit  der  wert  der 
tatsächlichen  beobachtungen  und  belege  bestehen  und  gibt  dem  Verfasser  das  anrocht 
auf  dankbare  anerkonnung  seiner  mühe. 

BRESLAU.  0.   JIRICZEK. 

über  den  oinfluss  des  hauptsatzes  auf  den  modus  des  nebensatzes  im 
gotischen.  Von  prof.  dr.  V.  £.  Mourek.  Aus  den  Sitzungsberichten  der  köoigL 
böhmischen  gesellschaft  der  Wissenschaften;  vorgelegt  am  5.  december  1892  (s.  263 
bis  296). 

In  meiner  abhandlun^'  „Der  gotische  optativ*^  (Ztschr.  VIII,  1  —  38)  habe  ich 
in  bezug  auf  den  einfluss  des  hauptsatzes  auf  den  modus  des  nebensatzes  folgende 
regeln  aufgestellt: 

1.  (Bedingungssatz.)  Fällt  die  bediugung  in  die  Zukunft,  oder  widerholt  sich 
dieselbe  in  gegen  wart  und  Zukunft,  und  enthält  der  hauptsatz  den  imperativ  oder  den 


ÜBER  MOURRK,  OOT.  MODUSLEHRE  131 

adhortativns,  oder  ist  er  selbst  ein  fiualsatz  im  optativ,  so  schien  dem  Goten  auch 
die  bedingang,  von  der  jener  abhängt,  in  die  Sphäre  des  gedachten  zu  gehören,  und 
der  Sprachgebrauch  erforderte  den  optativ.  Dasselbe  gesetz  gilt  von  den  relativ-  und 
temporalsätzen  und  ist  auch  im  ahd.  in  kraft  (s.  26). 

2.  (Relativsatz.)  Häufiger  findet  sich,  wie  im  ahd.,  der  optativ  in  solchen 
relativsätzen,  die  einen  künftigen  oder  in  gegen  wart  und  zukunft  sich  widerholenden 
üH  bezeichnen,  an  den,  wie  an  eine  bedingung,  das  eintreten  der  handlung  des 
hauptsatzes  gekuilpft  ist;  an  die  stelle  des  saei  könnte  jaiai  hos  treten,  und  im 
griechischen  steht  oder  müsste  doch  nach  dem  klassischen  sprachgebraucho  äv  mit 
dem  coigunctiv  stehen.  Auf  diese  relativsätze  also  findet  die  regel  der  bedingungssätze 
anwendung:  sie  stehen  bei  nachfolgendem  (richtiger  „übergeordnetem*^)  imperativ, 
adhortativus  und  bei  übergeordnetem  finalsatze  im  optativ.  Doch  ist  wahrzunehmen, 
dass  die  regel  nicht  ganz  so  streng  durchgeführt  ist,  wie  bei  den  bedingungssätzen 
(8.  33). 

3.  Der  optativ  steht  femer  ausnahmelos  im  relativsätze,  wie  im  ahd.,  wenn 
die  existenz  des  im  relativsätze  umschriebenen  begriffes  durch  eine  negation  im 
bauptsatze  geleugnet  oder  durch  die  fragende  (hypothetische)  form  desselben  als 
unsicher  hingestellt  wird  (s.  35). 

4.  (Temporalsatz.)  Ganz  wie  im  bedingungs-  und  relativsätze  steht  der  opta- 
tiv bei  hife  und  fan,  wenn  der  hauptsatz  eine  aufforderung  enthält  oder  ein  finalsatz 
übergeordnet  ist  und  der  nebensatz  ein  einzelnes  künftiges  oder  in  gegenwart  und 
Zukunft  sich  widerholendes  ereignis  bezeichnet  (s.  37). 

Ganz  ähnliche  sprachliche  erscheinungen  hat  0.  Erdmann  bei  Otfrid  und  ande- 
ren ahd.  Schriftstellern ,  auch  im  mhd. ,  teilweise  sogar  im  nhd.  nachgewiesen ,  s.  Unter- 
suchungen über  die  syntax  Otfrids  §  232  fgg.;  Grundzüge  der  deutschen  syntax  §  192 
te-  Vgl.  auch  für  das  mhd.  Bock,  QF.  27  (Strassburg  1878);  Weingartner, 
Programm  Troppau,  1881,  sowie  die  eingehenden  Untersuchungen  von  üllsperger, 
Programme  des  Staatsgymnasiums  in  Smichow  1884 — 1886. 

Gegen  meine  aufstellungen  wendet  sich  der  in  der  Überschrift  bezeichnete  auf- 
satz  Monreks.  Monrek  leugnet  zwar  die  „assimilierende*^  kraft  des  Optativs  im 
haaptsatze  nicht  ganz,  schreibt  ihr  aber  geringe  Wirksamkeit  zu;  zur  erklärung  des 
Optativs  im  nebensatze  komme  man  überall  mit  dessen  eignen  umständen  aus.  Dem 
imperativ  im  hauptsatze  erkennt  er  eine  einwirkung  auf  den  modus  des  hauptsatzes 
gar  nicht  zu,  der  negation  nur  eine  beschränkte. 

Seine  darlegung  hat  mich  nicht  überzeugt,  und  es  liegt  mir  ob,  das,  was  ich 
vor  17  Jahren  behauptet  habe  und  noch  für  richtig  halte,  zu  verteidigen.  Zuvörderst 
ein  Zugeständnis:  um  möglichen  misvcrständnissen  vorzubeugen,  hätte  ich  auf  s.  26 
vielleicht  das  dort  aufgestellte  gesetz  so  fassen  sollen:  Fällt  dio  bedingung  in  eine 
noch  nicht  gewisse  zukunft  oder  widerholt  sich  dieselbe  in  gegenwart  und  zukunft, 
und  enthält  der  hauptsatz  den  imperativ  oder  den  adhortativus,  oder  !st  er  selbst  ein 
finalsatz  im  optativ,  so  pflegt  der  Gote  im  nebensatz,  wenn  dessen  inhalt  es 
gestattet,  den  optativ  zu  setzen.  Dass  ich  nicht  meinte,  der  optativ  stehe  auch  im 
Widerspruche  mit  der  beschaffenheit  des  nebeusatzes  imd  mit  der  logik,  ergibt  sich 
übrigens  aus  meiner  darstellung  auf  s.  27  von  selbst. 

Eine  erklärung  der  erscheinung  versucht  Erdmann  in  den  Grundzügen  §  196. 
Ich  möchte  noch  einen  versuch  zur  em'ägung  geben.  Wilmanns  gibt  in  seiner  Deut- 
schen grammatik  s.  194  folgende  erklärung  des  umlauts:  Das  %  wurde  in  der  weise 
in  die  Stammsilbe  angenommen,  dass  die  zunge,  noch  ehe  sie  den  trennenden  konso- 

9* 


oaDten  artilnili«1e,  schon  die  stellniiK,  die  das  i  verlangte.  eimoDehmra  tnahtM^ 
Was  hier  auf  phooetiachL-in  gebiete  vorgietig.  könnte  aiuh  aucli  aaf  ilem  logiarluia 
ereignet  Iialn-n;  nämlicii  der  dem  Kebiet>]  de«  vorgesteUten  angehörigo,  fast  imnior 
nachroi^nde  liauphwtz  künnt«  den  nebensatz  in  dies  gebiet  hineingeEOKen  halmn. 
Freilich  darf  m&n  sich  den  vurgung  nicht  nht  ganz  anbewusst  deul^on;  tlaa  btfwdMii 
die  wol  überlegtfin,  von  mir  anf  a.  27.  34  angaliilirten  auanabmou. 

Uourek  bsudelt  xuerst  von  den  bediDgungasitien.  Den  s.  30  von  mic 
angeführten  l>elegeu  rtir  dae  aufgestallto  gesetz  habe  ich  11  aasnahtui>a  gegenttber- 
gestellt,  die  teÜ»  darauf  bembuu,  dssa  die  bedingnng  iweifelloa  Uta^lii^  Ist  (e.  k 
Joh.  XVlll,  &  jabai  hu  mit  sakeifi.  hiip  pant  gaggan  tS  —  rijrtiK),  wohin  die  Ulli 
mit  dem  prlkteritum  gehören  (x.  b.  Bäm.  SI,  17  jabai  rumai  Pixe  tute  usbmliModt 
dun,  ip  pu  inlTuxgißa  varat  —  ni  hop  ana  fan*  axtami,  oder  dus  sie,  aatBpn- 
chend  der  ansieht  dea  angeredeten.,  für  den  aogenbiick  als  t&lsSchlicIi  angeDtimiaw 
wird  {hierher  auoh  das  von  mir  ttbereehone  Mt.  XXVII,  42),  leils,  wie  icb  danute 
annahm,  auf  naciiüissigkeit  de»  tlbersetzei's  oder  unrichtiger  überliebtning  xurücksti> 
fiihren  sind  (Rom.  Xm,  4.  I.  Kor.  VII,  12  gautilja  ül.  U.  Kor.  X,  7:  bei  übtib 
geoi'dDetem  finalsatze  II.  Kor.  IX,  4).  Monrok  hat  noch  drei  wnitere,  von  mir  Qbar^ 
sohene  stellen  dieser  art  nachgewiesen  (I.  Kor.  VII,  15.  21.  Oal.  V,  Ifi).  S«hen  wir 
von  den  Wien  «irklicber  oder  angeuommeoer  tatsSchlicLkeit  ab,  so  stehen  den  3G 
von  mir  gegebenen  belegen  T  ausnslimen  gegenüber;  mt^i?  beUauptang  (k.  27)  ,& 
auanabmen  sind  selten'  dürfte  demnach  unanfechtbar  sein.  Ober  einige  von  Monall 
falsch  ausgelegte  stellen  s.  unten. 

Über  die  ausnobnien  darf  maa  sich  nicht  wundem;  sie  stehen  in  gloJcher  nSbt 
mit  niancbcu  anderen  grammatischen  Unregelmässigkeiten  der  gotischen  übeiMtiui^ 
WulfUa  &:id  keine  litteruiisoh  durchgebildete  und  gefeatigto  spräche  vor;  wenn  m 
nicht  übel-all  mit  atienger  folgericbtigkett  verfShrt,  so  iBt  sein  werk  im  ganzen  darin 
nicht  weniger  der  bewunderung  wert  Vielleioht  ist  dnber  der  verdacht  unricbtigK 
Überlieferung  für  jene  stellen  unbegründet 

Neben  diesen  ausnahmen  fuhrt  Uourek  als  beweis  gegen  das  von  mir  aufgo- 
atsllte  gesotx  furner  an,  dass  der  modus  de»  nebensatiefi  neben  imperativisiihem  haup^ 
sstxe  biswoileii  wechsele,  welche  fülle  ich  auf  s.  27  einzeln  ürkIHrt  liabo;  fomvr,  dia 
sich  der  o|itativ  des  nebeosatzee  aaeh  bei  indicativ  im  hnuptsatie  finde  (s.  mmif 
abhandluug  s,  24),  was  niemand  als  beweis  gegen  meine  anaführungeu  anseben  wird; 
enitliuh,  dass  der  optativ  des  nebeiiaatxes  in  allon  Men  aus  dessen  eigner  beschaf- 
fonbuit  erklärbar  sei:  er  sei  outwoder  eukliv  (d.  h.  er  drücke,  neben  der  bedingoag^ 
den  wünsch  des  redenden  aus),  oder  dubltativ  (d.  h.  er  stelle  die.  bvdingung  ala 
Kweifelhaft  hta),  oder  potentia).  Die  beiden  letzten  kategoriou  fallen  im  gmnda 
Kusamiiieu;  die  erste  erkenne  iuh  nicht  an:  ich  glaube  nicht,  dass  ein  bodingungsotli 
«einer  form  aouU  so  gustaltet  werden  könne,  dass  daiaus  der  wünsch  des  reden- 
den, dio  bodiogung  möge  sich  verwirklichen,  xn  erkennen  iiei.  ^Buktiv"  tiull  i.  h, 
■ein  Mo.  IX,  2'i  jabni  mageia,  hilp  imaara;  wenn  ich  Mourek  reolit  versteha,  nll 
alsoj'oAaima^in«  dort  bedeuten:  ,w0nn  du  kannst —  und,  dass  du  könnest,  wünsdiia 
wir."  Dies  holte  ich  (nr  undenkbar.  Auf  solche  weise  erklärt  Uouiek  .loh.  Xü,  SV, 
eine  sloUe,  die  ieh  als  deutliehen  beweis  lur  den  einfluss  dea  adhortaÜTOs  her- 
vorgehoben batta:  ^abai  mit  kas  andbak^ai  (und  das  wünsche  ich),  taut  laid- 
jai  —  jah  jahai  ha«  mia  aitdboMiip  (ob  er's  tut  oder  nicht,  ist  seine  andi^ 
Ul  will  ee  nicht  entscheiden,  aber  aicher  ist:)  aiperaip  ifta  otfo.*  Ist  das  and- 
takffon  an  xwelter  KtoilD  weniger  wüiisubeuitwert,   als  au  der  ernten?    Wohu  daaa 


ttSEB  KODßEK,   r,OT.  jiohuhi.bhrr  133 

Ltfto  r«rechJcdeDe  Wendung  des  gedaiikens,    weaa  nicht  der  eiufluss  der  verschieden 
LgOfttalteten  hauptsübe  eie  hervorrief? 

Potealial,   d.  h.  sabjektive  snDahnie  und  uogewissheit  über  doü  eintreten  der 
ingnng  Busdiückeod ,    ist  der  optativ  des  nebensatzes  in  alleti  dieson  fallen.    Ob 
r   aooh   .ironisch   potential"    aein   könne    (jabai   kras    habai   au»o»a   hausjandona 
a  jemand  etwa  ohrea  bat  zum  hören  —  und  er  düj-fte  sie  wol  iiaben'  s.  272) 
lir  sehr  zweifelhaft. 

Drei  stellen,  die  Moorek  anter  den  aasnabmeo  auffährt,  hat  er  entschieden 
li  aufgefasst.  Zu  JoL  IX,  22  getqepun  gia  Jtidaitia,  ei,  jahai  hraa  ina  atui- 
I  iaiMail*  Xristii,  utana  synagogaia  aairpai  bemerlit  er,  jabai  hae  and/iaihaiti  sei  ein 
I  irrealer  vnrdei^atz,  was  undenkbar  ist;  in  direMer  rede  würde  es  heissen: /o^V  Aro« 
1  attdhaitai  —  icairpai.  LI.  Kor.  XI,  20  [iispiilaip,  jabai  hias  ixris  gaßwaiß 
gehört  nicht  anter  die  ansnahnien  von  moiner  rogel,  denn  ttspiilaip  ist,  wie  das 
grieobisohe  iaiix^aSt  yaQ  beweist,  indicativ,  II.  Eor.  XIII,  5  gehört  ebenso  wenig 
dun;  der  «abt  mit  nibai  (nisi  forte  — )  ist  von  den  imperativen  fraisip  und  tauseip 
dnrch  einen  zwischenaatz  getrenut,  so  dass  jene  keinen  einllass  üben  konnten. 

Auf  9.  271  wirft  mir  Mourek  Widerspruch  vor;  .Jabai  mit  optativ",  sagte  ich 
».  24,  , bezeichnet  die  bedingung  als  rein  gedacht;  ob  sie  sich  verwirklichen  kann 
oder  nicht,  kommt  nicht  in  betracht.'  Dies  soll  sieh  mit  s.  2  nicht  vereinigen:  „Es 
Bndet  (beim  optativ)  ein  subjektiver  anteil  des  redenden  von  grösserer  oder  geringe- 
rer stärke  statt,  durch  welchen  sich  die  aussage  als  wünsch,  geheiss,  vermataog 
od«r  annähme  darstellt."  Unter  , annähme"  verstand  und  verstehe  ioh,  was  ich  s.  2i 
■te  ,rein  gedacht"  bcMtchnote,  z.  b.  ((  in  .inp«  lof^  ßi-Xon  titelt;  xitxti.  ila/iivos 
fXOK  iiv,  Nixai/'Siv,  iJ  V0V  t^di  (denken  wir  uns  einmal,  nehmen  wir  an,  dass  — ). 
ftber  den  unterschied  dieser  satzart  von  jabai  ^  ft  mit  indicativ  (eines  hanpttempua) 
möge  sieh  Mourek  aus  einer  beliebigen  soliutgramniotik,  z,  b.  der  grieohiachen  von 
Oattius  §  536.  546,  oder  aus  meiner  gotischen  %  182  unterrichten.  Bei  seiner  delini- 
tion  der  letztgenannten  satzform  (s.  268)  vermisse  ich  klarheit. 

Ich  gebe  noch  folgende  zahlen  zur  orwüguug:  jabai  mit  indicativ  des  präsens 
"fladet  sich  nach  Schulze  Glossar  I36mal,  teils  griechischem  tt  mit  indicativ  des  prae- 
Itetu,  teils  frir  mit  conjuDotiv  des  praesens  oder  aorists  entsprechend.     Mit  dem  opta- 
l>  fiv  des  praesens  steht  jabai  4ämal;   darunter  36mal  so,   dass  imperativ  oder  adhor- 
>  titivuB  oder  ein  finalsatz  im  optativ  übergeordnet  ist;   da  ist  doch  wol  der  HchtuRs 
ger«;btfertigt,  dass  nicht  zufall  gewaltet  hat,  soudem  ein  sprachliches  gosetz  vorliegt 
Im  zweiten  abschnitt   redet  Mourek  von   den  rülativsHtzcn.     Wie   ich  anf 
B.  33  deutlich  gesagt  habe,  handelt  es  sieh  dabei  imi  die  rcJativsStze,  die  einen  künf- 
tigen  oder  in  gegenwart  und   zukunft  aich  widerholenden   fall  bezeichoen  und  dnroh 
cinon  bedingungssatz  ersetzt  werden  können.    Den  unterschied  zwischen  Sätzen,    wie 
,wcr  gestohlen  hat,   ist  ehrlos"  und  „dieser  mann,   der  gestohlen  bat,   ist  ehrlos" 
«cheint  aber  Mourek  nicht  anzuerkennen;  indem  er  es  untemimnit  meine  regel,  dass 
jene  bj'pothetischen  relativsätze  im  optativ  stehen,  wenn  ein  imperativ  oder  adhorta- 
tivus  oder  finaler  optativ  übergeordnet  sei,    zn  widerlegen  (,von  einer  solchen  regel 
kann  gar  nicht  die  rode  sein"),  führt  er  eine  menge  von  beispiclen  an,  die  gar  nioht 
hterbin  gehören,    weil  der  relativsatz  teils  tats&chliohes  aus  der  gegenwart  enthält, 
träls  sogar  vergangenes  bezeichnet;  diese  stellen  sollen  beweisen,  dass  der  modus  dea 
haoptsatxcs  ohne  cinfluBS  floi!  Sohon  sein  erster  beleg  gehört  nioht  hiertier:  inMt.X,27 
falti  qipa  itwii  in  riqixa,  giPaip  in  tiuhada  (M  kfya,  nicht  ü  äv  X/yxo)  bedeutet 
fatei  ^ipa  Mvü  „das,    was  ich  euch  (jetzt  tafsächlich)   sage",  nicht  ,was  ich  euch 


134  amaiauan 

künltig  etwa  sagen  werda."  Ebonso  uniicbtig  ist  dus  zweite  beispiol  gewäbll,  mit 
dem  pniet«nluni :  Mc.  I,  44  atbair  fram  gahraincimti  Jicinai  ^alei  anahaup  Sloaei. 
Moureka  auf  solche  belege  bef^ründeto  beweis füb mag  btt  daher  durchaus  hfo^lig. 
Bas»  das  gosetü  nicht  ohne  ausDahme  durchgeführt  ist,  dass  zuweilen,  wo  man  de» 
Optativ  erwartet,  der  futuriscbo  iodicativ  des  praesoDG  steht,  habe  ich  selbst  s.  34 
aaerkannt 

Auch  dass  bei  übergeordnetem  Ga&lsatze  im  relativsatzo  der  optativ  stehe, 
loagnet  Mourek-,  aber  auch  hier  hut  er  seine  belege  lutn  teil  übel  gewshlt.  In 
Joh.  V,  3C  {po  waurstica,  Poei  atynf  mis  atta,  ei  ik  taiijau po)  ist  nicht  der  final- 
sats,  soadeiQ  der  relativsatz  üborgeoi'dDet.  In  KoL  IV,  16  [iiipUlatde]  poei  iai  im 
Laudeikaion  («')  jus  unaiggiraid  liegt  kein  liypothetisuher  relativsatz  vor;  ebenso 
wenig  Mo,  X,  35.  U,  Kor.  XU,  G,  I,  Thess.  IV,  ]2.  Mehrere  belege  waren  am 
praeteritum  als  nicht  hierher  gehörig  auf  den  eisten  blick  zu  erkennen. 

Bei  Houreks  eigener  erklärung  der  D|)tative  wird  der  euktiv  wider  mit  hetUD- 
gCEOgen,  z.  b.  Pbil.  3,  lü  swa  managai  awe  sijaima  fullawilana,  pata  hugjaima 
(also  n^le,  die  wir  vollkommen  sind",  mit  dem  nebangedanken  ,dass  wir  es  doch 
alle  wären?').  In  I.  Thosa,  V,  21  Pala  goP  sijai  gahabaip  soll  syoi  potontial,  in 
Epb.  V,  10  tjakiiiaandavx  palei  aijai  wailagoieikaip  fratgm  dubitativ  eein;  iuli  ver- 
mag keioon  unterschied  xu  erkenuen. 

Noch  aufTallender  als  in  den  bisher  besprocbeneu  abschnitten  tritt  ooklaiheit 
des  granimatischen  wissens  und  denkens  in  dem  hervor,  was  Mourek  über  den  optft- 
tiv  nach  negativem  haoptsatze  sagt  In  dem  satze  Lac.  I,  61  ni  aitukun  i»t  ü* 
kiaya  peinamma  aaei  kailaidau  Panirna  iiatnin  trifft  die  nogation  den  inhalt  d08 
nobensatzes:  das  nennen  mit  diesem  uonieu  fmdet  nicht  statt.  Dagegen  ML  X,  3? 
aaei  frijoP  attan  seiiuma  aippau  aipciti  aeina  ufar  mik,  nist  meina  wairPs  ttiSl 
Rie  ihn  nicht;  es  sind  ja  rWc  vorhanden,  in  denen  das  mehv-liebea  stattßndet.  TgL 
Joh.  XU,  35  siMi  gaggip  m  riqixa,  ni  wait  hvap  gaggip  usw.  Nur  auf  jene  erste 
gattung  von  Sätzen  bezieht  sich  meine  regel,  dass  hier  der  optativ  stehe;  sie  erl^det 
keine  ausnähme;  die  von  Mourek  zur  Widerlegung  angeführten  beispiele  geböm 
sämtlioh  der  zweiten  an,  soweit  sie  nicht  —  ein  ebenso  auITallender  Irrtum  —  ioill- 
lekte  fragesätze,  nicht  relativsätze,  sind,  wie  Job.  VII,  27  Xri»ttu  Upe  qimip,  m 
matma  tcail,  hrapro  ist, 

Bai  übergeordneter  frage  ist  zu  onteKuheideo ,  ob  die  frage  oegativon  sinn  bat . 
und  rhetorisch  ist,  und  ob  die  darin  liegende  negation  sieh  auf  den  nebensatji  erstreckt; 
in  diesem  falle  ist  der  optiitiv  erforderlich,  z.  h.  U.  Kor.  Xil,  13  li-a  ial  pi%si  tteatoi 
meseip  ,ihr  habt  uiohts  entbehrt';  U,  2  hvaa  üt  aaei  gailjai  mik  „niemand  er&wt 
mich.-'  Ganz  anders  geartet  sind  falle,  wie  Lc.  XX,  2  hos  ist  naei  gaf  put  ßata 
tcaiilufni,  denn  das  geben  hat  stattgefunden;  vgl.  Lc-TI,  3  niu  pata  uaauggmd 
palei  galaiciila  Davfid  usw.  Auch  hier  wirft  Mourek  die  verschiedenen  arten  dURh 
einander;  doch  hat  er  eine  von  mir  ubei-sehene  ausnähme  von  meiner  regel  magt- 
führt;  i.  Kor.  IV,  T  h/a  hahaia  Patei  nt  namt,  wo  man  »emeis  ei'wailot'. 

Ebenso  wenig  glück  wie  mit  den  relalivsätzen  hat  Mourek  mit  den  temp«* 
ralsätzen  gehabt  Meine  behaaptung  ging  dahin,  dass  temporalsätze  der  Eoküfi 
mit  ^n  and  bipe  bei  übargeordnelom  imperativ,   adhortativus ,   finalsatze  im  optatlT 

1}  In  meiner  abhandlung  hiitte  ich  die  andeis  gearteten  sfitze  Lc.  VU,  40  hu 
ist  m  aati  frauaurhtim  aflelai  und  Me.  XIV,  H  kar  »ind  salipitos  parei  palfat 
—  matjati  unterscheiden  sollen;  aflelai  drückt,  wie  Uonrek  richtig  sagt,  den  iweifel 
dur  pliarisfier  aus;  parei  matjau  ,wo  ich  essen  könnte'. 


ÜBER  MOUBEK,  GOT.  MODUSLEHRB  135 

stehen.  Dass  bei  utäe  and  und  ßatei  der  Sprachgebrauch  zwischen  optativ  und 
(fnturischem)  praesens  schwankt,  habe  ich  selbst  konstatiert.  In  einem  falle  I.  Kor. 
XIV,  26  ha  nu  ist,  fan  samaf  garinnaip?  nahm  ich  eiufluss  des  fragenden  haupt- 
Satzes  an^.  Von  einer  einwirkung  der  negation  im  hauptsatze  habe  ich  überhaupt 
nichts  gesagt;  sie  könnte  bei  temporalsätzcn  nur  in  Verbindungen  wie  griechisch  odx 
fanv  6n6n  eintreten,  und  solche  kommen  nicht  vor. 

Mourek  will  zuerst  beispiolo  des  indicativs  nach  hortativem  hauptsatze  anfüh- 
ren; mit  Pan  ist  nur  ein  von  mir  erwähntes  zu  finden:  Mc.  XIII,  29  stcah  jah  jus, 
Pan  gasathiß  ßata  tcairßan,  kunneißy  wo  Mourek  erklärt:  „gesetzt  den  fall,  ihr 
sehet  dies  werden'^,  eine  hypothetische  bedcutung,  die  ßan  nicht  hat;  vielmehr 
scheint  der  indicativ  des  praesens  das  zweifellos  in  zukunft  zu  erwartende  zu  bezeich- 
nen, wie  Mc.  XU,  23  in  ßixai  tisstaasaiy  ßan  usstandand,  harjamma  ixe  tcairßiß 
qens  und  sonst  Sodann  folgen  beispiele  des  indicativs  neben  fragendem  hauptsatze, 
die  wider  zum  teil  ein  praeteritum  enthalten,  also  gar  nicht  hierher  gehören;  dann 
eine  aufzahlung  von  temporalsätzcn  im  indicativ  nach  negativem  hauptsatze,  dessen 
„negation  offenbar  auch  den  inhalt  des  nebensatzes  trifft*^;  hierbei  herscht  dieselbe 
Unklarheit,  wie  bei  den  rclativsäten ,  vgl.  Mc.  XII,  25  ßan  usstandand,  ni  liugand 
ni  liuganda.  Mt  XXVII,  12  mißßanei  wrohißa  vas,  ni  waiht  andhof.  Wie  Mou- 
rek meinen  konnte,  der  nebensatz  werde  hier  von  der  negation  des  hauptsatzes  be- 
troffen, ist  mir  unverständlich.  Dass  die  von  finalsätzen  abhängigen  temporalsätze 
im  optativ  stehen,  wofür  ich  neun  belege  angab,  „ist  gewiss  nur  zufall*^. 

Bei  Moureks  eigener  erklärung  des  Optativs  in  temporalsätzcn  tritt  auch  hier 
der  „euktiv*^  mit  auf,  z.  b.  Ix.  I,  20  sijais  ßahands  und  ßana  dag  ei  wairßai  ßata, 
bei  dem  werte  dos  engeis  an  Zacharias:  er  würde  also  sagen:  „sei  stumm  bis 
auf  den  tag,  da  dies  geschieht,  und  dass  es  geschehe,  wünsche  ich.*^  Das  heisst 
zwischen  den  zeUen  lesen. 

Ich  kann  auch  bei  diesem  abschnitte  nicht  finden ,  dass  das  von  mir  behauptete 
von  Mourek  irgendwie  widerlegt  wäre. 

Es  folgen  nun  die  aussagesätzo',  d.h.  die  von  einem  vorbum  der  rede,  der 
Wahrnehmung,  des  wissens  und  meinens  abhängigen  nebensätze  mit  e»\  ßatei  und  die 
sogenannten  indirekten  fragen.  Mourek  erklärt  hier  den  optativ  „in  den  meisten  fäl- 
len*' für  dubitativ,  indem  der  redende  seine  zweifcl  über  die  richtigkeit  der  aussage 
andeute  (s.  289);  in  anderen  fallen  sei  er  „eher  potential*^  (s.  291),  wie  Mt.  IX,  28 
ga-U'laubjats  ßatei  magjau  ßata  taujan?  Nach  den  verben  des  wollens  und  der 
willensäusserung  soll  er  „euktiv  (hortativ,  final) ^  sein;  fallen  diese  drei  kategorien 
zusammen?  Als  final  betrachtet  Mourek  eigentümlicher  weise  (s.  292)  auch  die  Opta- 
tive, wie  Mc.  Vin,  2  ni  haband  Iva  matjaina.  Was  die  von  verben  der  rede,  der 
Wahrnehmung,  des  wissens  und  meinens  abhängigen  Sätze  betrifft,  so  stimmt  Moureks 
ansieht  mit  der  meinigen  (s.  12.  13)  und  der  Erdmanus  (Grundzüge  §  198,  nicht  194, 

1)  Ich  glaube  jetzt  eher,  dass  hier  ein  Schreibfehler  (für  garinniß  vorliegt; 
den  optativ  weiss  ich  nicht  zu  erklären.  Gelegentlich  bemerke  ich  gegen  Mourek, 
dass  ßande(i)  stets  causal,  nicht  zeitpartikel  ist;  Joh.  XII,  35.  36,  wo  es  für  'itag  zu 
stehen  schien,  haben  die  besten  handschriften  und  namentlich  der  Alcxandrinus ,  der 
dem  gotischen  texte  am  nächsten  steht,  ut^y  wonach  meine  ausgäbe  zu  berichtigen  ist. 

2)  Der  begriff  „aussagesatz*^  ist  hier  über  das  ihm  dem  Wortlaut  nach  zukom- 
mende gebiet  ausgedehnt,  eine  ungenauigkoit,  deren  ich  mich  selbst  (s.  12)  schuldig 
gemacht  habe.  Mourek  rechnet  hierher  auch  die  nebensätze  nach  verben  des  wollens  und 
der  willensäusserung,  wie  befehlen,  bitten  u.  dgl.  Auf  keinen  fall  durfte  er  Lc.  I,  43 
hvaßro  mis  ßata,  ei  qemi  aißei  fraujins  meinis  at  mia'^  hierher  rechnen  (s.  289). 


138  ^^^^^ 

I  wie  Uonrek  s.  285  citierL  196. 197)  nberein;  du  veHiältms  des  redeodeu  xn  der  von  Ihm ' 
\  bericbtoten  aussage  odor  mainimg,  sein  färwahrhalteo  oder  Bein  xwaifel  und  mÜm 
Tanreifoiig  sind  es,  die  den  modus  beifitimmen-  Xat  in  wenigen  fällen  (x.  14)  flaabte 
iob  den  optativ  aos  dem  Verhältnis  gnunmatiscber  abbängigkeit  an  sich,  and  io  dar 
indirekten  &age  (b.  IT)  durch  den  eiuQuss  eiuea  ubergeordneteii  Optativs  erklären  ta 
müssen.  Man  siebt  unter  diesen  oinstiinden  nicht,  neloben  gegner  Uour^k  (a.  SSE 
,dip  regel  (welche?)  wird  voUkonunen  hinfällig*)  zu  widerlegen  sucht,  indtun  er  ein« 
lange  reibe  von  auasagesätien  and  indirekten  fragen  im  indicativ  neben  adbortatire», 
fragendem,  finalem,  hjrpothetiscbem  h&uptsatze  anfuihlt;  die  indicativischen  aasaagit- 
sAtze  nach  negativem  bauptaatze  vül  er  nur  anführen,  ohne  viel  gewicht  darauf  n 
l«£en,  da  man  dberall  darauf  lünweisan  könne,  dass  die  n^gation  dun  inhalt  dos 
baaptaatzes  nicht  direkt  treSe.  Ich  will  noch  bemerken,  das»  er  die  delibenbv«n  ta- 
gen von  den  in  seinem  sinne  dubitatiTcn  hätte  scheiden  scJlen:  Pbil.  I,  22  hapar 
tealjau,  ni  kann  enthalt  einen  anderen  optativ  ala  MtXXTU,  40  I«l  «t  »aänm 
qimaiu  Belias  nasjan  ina. 

Im  letzten  absabnttt  bandelt  Moarak  von  den  folgesätien  tind  suobt  MOh 
hier  nachzuweisen,  dasa  kein  einQuss  des  hnuptsatzes  stattfinde  and  dar  modus  tidi 
aaBBohtiessUch  nach  dem  inhalt  des  nebenaatzas  selbst  richte.  In  der  tat  iat  eiii  aal* 
chsi  einfluss  kaam  wahmehmbar  und  der  indicativ  überwiegend!  einige  Ule  dM 
Optativs  nach  atcaei,  neiaice  glaubte  und  glaube  ich  jedoch  durch  das  verbilmia  gnni- 
matischer  abblngigkeit  erklüroo  zu  müssen  {s,  22)  und  kann  Moureks  aosleKung  nicht 
billigen;  IL  Eor.  VIll,  5.  6  z.  b.  kann  der  optutiv  sv\ui  brdeima  unmugUuh  final 
Bein.  n.  Kor,  1,  8  ufarassau  kauridai  teesum  ufar  mäht,  luvituic  tkamaidtätin» 
um  jah  liban  erklärt  er  „so  dass  wir  uns  bald  |d.  b.  beinahe)  geschämt  hitttna*; 
der  ausdmct  des  „beinahe"  dürfte  dann  nicht  Icbleo.  Eber  kann  iah  mioli  mit  smdm 
biimerknngen  zu  ßom.  YH ,  ö  {»icati  skalkinotaa  beabsichtigte  lulge)  nnd  IL  Kor.  IIl,  7 
(»loa«*  Ml  makledeina  xuHjua  txraeli»  fmrweiljan  ,so  dass  —  niobt  im  stände  gew»« 
Ben  wären")  befreonden. 

Zum  schlnas  werden  die  elüpliBcben  (Atze  mit  ni  palei  ißtti}  bcsprocbon,  dia 
Hoorek  als  canssl  betrachtet  Unzweifelhaft  ist  Job.  VI,  2ti  causa],  wo  der  iudioaÜ* 
steht;  nicht  wol  denkbar  aber  s.  b.  Phil.  IT,  11.  17.  Ich  glaube  nach  wie  vor,  4att 
diese  Sätze  eine  irrige  ansieht  ablehnen  aollen  und  dass  man  üie  sich  dan-.b  gtßa  odet 
tkal  ahjan  (man  muss  annehmen)  vervollständigt  zu  denkm  hat. 

Am  Schlüsse  meiner  beurteilung  angelangt,  fasse  ich  meine  meinaug  dahik 
zusammen:  was  Mourek  in  botreS  der  bedingangs-,  relativ-  und  temjioralsftUa  bit 
beweisen  wollen,  hat  er  nicht  bewiesen;  seine  ansichteu  über  anssoge-  nnd  folges&M 
enthalten  nichts  wesentlich  neues. 

Die  eruente  bescböftigung  mit  der  frage,  inwieforn  im  deutschen  der  iianpt- 
sati  auf  den  modus  des  nebensatzes  einwirke,  hat  mich  veranlasst  die  gedicbto  Wal- 
thors von  der  Vogelwoide  daraufhin  durchzosoben';  ich  glaubte  schon  Unglt 
bemerkt  lu  haben,  doss  im  mbd.  vresentlich  derselbe  spniohgelirauuh  htmobo,  wie 
im  gotiscbcn  und  abd.  Dies  liat  sich  txistätigt,  und  es  sei  mir  gestattet  für  die  ühot» 
ntnsümmung  einige  belngo  ta  gcbi^n.     Die  stellon  cltiore  ich  noch  lAobmanne  "ifflnln 

Bedingungssätze,  die  einem  imperativ  untergeordnet  sind,  stehen  im  optativ: 
50,  33  »ifh  Htdtr  an  min^i  ftivf,    »S  du  bn^  r»miigt»t.    85,  34  frotfe'n  Ul  ittek 

fl)  Vgl  auch  die  dissertation  von  Kneppor,  Tmnpora  und  mudt  bei  WalBisr 
von  der  Vogelweide.  Münster  1889.  Nicht  alle  hierher  gehörige  Slle  ■  ■  ■  - 
gen&gend  erwogen.  o.  i 


tiBEB  MOÜRKK,   GOT.  MODÜSLEIHUC  137 

niht  verdrießen  miner  rede,  ob  si  gefüege  st.  69,  16  welket  du  mir  helfen,  so 
hilf  an  der  xU;  si  abe  ich  dir  gar  unmaxe,  daß  sprich  endeliche. 

Ebenso  neben  adhortativem  optativ:  74,  6  si  mir  ieman  lieber,  maget  oder 
wipf  diu  helle  müeße  mir  gexemen. 

Neben  optativischem  nebensatze:  28,  24  ^  abe  er  so  here,  daß  er  ddxuo  sitxe, 
so  wünsche  ich,  daß  sün  ungetrimve  xunge  müsße  erlamen. 

Relativsätze  neben  imperativ  stehen  im  optativ:  55,  6  nü  tue  mir,  swie  du 
weilet.    19,  37  wol  üf,  stcer  tanxen  welle  nach  der  gigen! 

Ebenso  nach  wünschendem  oder  aufforderndem  optativ:  19,  2  swer  nu  des 
ftehes  irre  ge,  der  schouwe,  wem  der  wei^e  ob  sime  nacke  sti.  20,  4  der  in  den 
Sren  siech  von  ungesühte  si  —  daß  ist  min  rät  —  der  laß  den  hof  xe  Dürefigen 
fri.  11,  13  swer  dich  segene,  H  gesegent;  swer  dir  fluoche,  st  verfluochet.  Recht 
bezeichnend  ist  42,  15  swer  verholne  sorge  trage,  der  gedenke  an  guotiu  wip:  er 
wirt  erlost,  verglichen  mit  93,  17  swer  guotes  wibes  minne  hdt^  der  schämt  sieh 
aller  misseiät. 

Bei  übergeordnetem  optativischem  nebensatze:  5,  15  nü  hite  in,  daß  er  uns 
gewer  durch  dich,  des  unser  dürfte  ger. 

Wie  im  gotischen,  so  wechseln  auch  bei  Walther  zuweilen  die  modi  neben 
einem  hauptsatze:  71,  14  der  min  xe  friunde  ger,  und  wil  er  mich  gewinnen,  der 
Idjß  alselhe  unstcetekeit.    Vgl.  29,  34. 

Besonders  auffallend  sind  einige  stellen,  in  denen  der  optativ,  infolge  der 
abhängigkeit  von  einem  imperativ  oder  optativ,  über  sein  gebiet  hinaiisgreifend,  un- 
zvreifelhaft  tatsächliches  bezeichnet.  So  in  dem  gebet  an  Christus  24,  24  als  ir 
(der  Jungfrau  Maria)  der  lieilic  enget  j)flcege  —  als  pflig  ouch  min,  und  sogar  in 
einem  causalsatze:  70,  35  so  ich  in  underwilen  gerne  sceJie^  so  ist  er  von  mir 
anderswä;  sit  er  dd  also  gerne  si,  so  si  ouch  da.  Vgl.  die  anmerkungen  von  Wil- 
manns  in  seiner  ausgäbe  zu  29,  26.  51,  22.  Auch  elliptischer  ausruf  pflegt  den 
optativ  nach  sich  zu  ziehen,  selbst  wenn  er  nicht,  wie  das  oben  angeführte  wol  üf, 
swer  tanxen  welle  nach  der  gigen,  eine  auffordorung  enthält.  So  28,  21  er  scJialc, 
in  swelhem  leben  er  si,  der  dankes  triege;  22,  31  er  gouch,  der  für  diu  xwei  ein 
anderß  kiese. 

Die  angeführten  beispiele  sind  aus  einer  weit  grösseren  zahl  ausgewöhlt.  Aus- 
serhalb solcher  Satzgefüge  ist  der  optativ  des  praesens  im  bedingungs-  und  rolativ- 
satze  zwar  nicht  unerhört,  aber  selten;  41,  25  rüemtere  und  lügemere,  swd  die  sin, 
den  verbilde  ich  minen  sanc,  und  ist  äne  minen  danc,  obs  also  vil  genießen  min. 
20,  22  belibe  er  dort^  so  lachent  ir;  kom  er  uns  friunden  wider  hein,  so  lacJien 
wir.  Unverständlich  ist  mir  der  optativ  5,  27  daß  üßdem  worte  ertcahsen  si  (Chri- 
stus aus  der  Verkündigung),  da^  ist  von  kindes  sinneti  fri  [s.  Erdmann,  Orundzüge 
§  203]. 

Unbedingt  notwendig  ist  freilich  der  optativ  des  bedingungs-  oder  relativsatzes 
nach  übergeordneter  auffordorung  oder  finalem  optativ  nichts  ebenso  -wenig  wie  er  im 
gotischen  folgerichtig  durchgeführt  ist.  Nicht  häufig  sind  jedoch  bedingungssätzc,  die 
sich  der  regel  entziehen,  wie  95,  33  spotte  er  niht  darumbe  min,  ob  im  sin  liep 
ihi  liebes  tuot.  Relativsätze  solcher  art  sind  häufiger:  110,  22  daß  müeße  uns  bei- 
den wol  werden  vollendet,  swes  ich  gctar  an  ir  hidde  gmnuoten.  Wilmauns  s.  135 
swer  küssen  hie  xe  mir  gewerben  wil,  der  werbe  ab  eß  mit  fuoge.  Auch  das  go- 
tische hat  bei  den  retßlivsätzen  mehr  ausnahmen, 


138  SIEBS 

Beim  rückblick  auf  die  ganze  abhandluDg  erkenne  ich  an,  dass  Moarek  auf 
seine  arbeit  grossen  fleiss  verwant  hat;  aber  es  ist  ihm,  wie  mir  scheint,  nicht  gelun- 
gen zu  beweisen,  dass  im  gotischen  der  modus  des  hypothetischen,  relativen  und 
temporalen  nebensatzes  von  dem  des  hauptsatzes  ganz  unabhängig  sei,  und  seine 
beweisführung  selbst  verrät  bisweilen  unzureichende  grammatische  Schulung. 

Von  demselben  Verfasser  liegt  mir,  ein  beweis  eifriger  und  fleissiger  fortsetzung 
seiner  Studien,  ein  stattlicher  quartband  vor,  betitelt:  Syntaxis  slozen^oh  v§t  v 
gotstinc,  erschienen  in  den  Schriften  der  kgl.  böhmischen  gesellschaft  der  Wissen- 
schaften, Prag  1893.  IX  und  334  s.  4.  Ein  auszug  in  deutscher  spräche  (Syntax 
der  mohrfachen  sätze  im  gotischen)  ist  s.  287  —  334  angehängt,  aus  dem  ich 
hier  nur  entnehme,  dass  der  Verfasser  (s.  312  u.  a.)  die  anschauungen  der  oben 
besprochenen  monographie  im  wesentlichen  festhält.  Auf  s.  301 — 304  werden  die 
merkwürdigen  gotischen  beispiele  von  moduswechsel  in  beigeordneten  Sätzen  scharf- 
sinnig besprochen.  Genauer  auf  das  einzelne  einzugchen  muss  ich  mir  hier  versagen, 
namentlich  wegen  meiner  Unkenntnis  der  böhmischen  spräche,  in  welcher  der  haupt- 
teil des  Werkes  gcschiieben  ist.  Doch  bemerke  ich,  dass  die  gotischen  belegstellen 
in  dem  hauptwerko  durchweg  völlig  ausgedruckt  sind,  so  dass  ein  ungefährer  über- 
blick über  den  gedankengaug  des  Verfassers  auch  dem  der  böhmischen  spräche  unkun- 
digen leser  möglich  wird.  [Eben  giong  mir  noch  zu:  Mourek,  zur  syntax  des  ahd. 
Tatian.  Sitzungsber.  der  k.  böhm.  akad.  vom  12.  oktbr.  und  17.  decbr.  1894.  Prag, 
in  comm.  bei  Fr.  Rivnac.    28  und  51  s.     o.  e.] 

ERFURT  IM   OKTOBRR   189i.  E.    BRR.VHARDT. 


MISCELLEN. 

Zar  altsächsisehen  bibeldichtang/ 

Im  folgenden  will  ich  zu  der  in  so  vortrefflicher  ausgäbe  erschienenen  altsäch- 
sisehen (tenesis  einige  bemerkungen  machen,  wie  sie  sich  mir  bei  der  Interpretation 
und  quellen forschung  ergeben  haben. 

I.  bruchstück. 

Vers  10.  Die  handsohiift  hat  thr:  das  abkürzungszeichen  (meistens  erscheint 
es  ja  deutlicher,  vgl.  z.  b.  v.  305)  glaube  ich  noch  zu  erkennen.  Es  liegt  kein  grund 
vor,  them  in  thes  zu  ändeiii,  weil  es  von  dem  ags.  Übersetzer  missverstanden  ist 
iorogon  for  them  ahla  bedeutet  ^angst  haben  vor  dem  Schicksal*^.  Dass  sid  auch  im 
as.  in  diesem  sinne  gebraucht  werden  konnte,  dazu  mussten  Wendungen  wie  vers  1/2 
ubih  gimarakot  imkaro  selbaro  sld  führen;  for  mit  dem  dativ  findet  sich  in  der 
gleichen  bedeutung  auch  Hei.  4757  drobde  for  themu  döde. 

Vers  12  fgg.  In  der  Vulgata,  der  sieh  ja  der  dichter  hauptsächlich  ansohliefist, 
wini  ül>er  die  folgen  des  süudenfallcs,  von  denen  das  erste  bruchstück  handelt,  gar 
nichts  gesagt;  ebensowenig  in  den  lateinischen  kommentaren  zur  Genesis.    Gedanken, 

1)  Vgl.  meine  Übersetzung  und  abhandlung  in  der  beilage  zur  Allg.  zeitung 
vom  23.  febr.  181>5.  —  Ferner  haben  inzwischen  über  die  as.  Genesis  gehandelt, 
konnten  aber  im  folgenden  nicht  mehr  berücksiehtigt  werden:  Eoegei,  R.,  Gesch.  d. 
deutsi^hen  litteratur,  ergünzunjisheft.  Strassburg  1895;  Sijmons  (Versl.  en  mededeeL 
der  kgl.  akad.  van  wetenseh.  III.  r.  XI,  14\^  fgg.  —  mir  leider  noch  nicht  zugäng- 
lich); Holthauscn  und  Jellinek  (Zs.  f.  d.  a.  39,  52  fgg.;  151).  Betreffs  v.  10 
treffe  ich  mit  Koogel  und  —  wie  die  red.  mir  gütigst  mitteilt  —  mit  Sijmons,  betreib 
v.  22  mit  Koegei  und  Holthauscn  zusammen. 


ZUR   ALTSÄCH6ISCUEN   BIBELDICHTUNO  139 

wie  sie  der  scbilderung  der  böUe  (v.  2 — 5}  zu  gründe  liegen,  mochten  dem  dich- 
ter vielleicht  aus  manchen  homilien  geläufig  sein,  man  vgl.  z.  b.  den  Homiliarius 
des  Paulus  Diaoonus  nr.  LX,LXn  (Migne,  Patrol.  95,  1206.  1209).  Anders  aber  ist  die 
komposition  in  vers  14  bis  23  zu  beurteilen:  da  ist  doch  gewiss  eine  in  sich  abge- 
rundete dichterische  vorläge  anzunehmen.  Siovers  hat  diese  bekanntlich  in  den  vei-sen 
des  Alcimus  Avitus  III  (de  sententia  Dei),  323  fgg.  erkennen  wollen,  s.  Mon.  Germ, 
auci  ant  VI,  2  pag.  233.  Da  heisst  es :  „  Die  elemeute  brechen  ihre  fesseln.  Das 
meer  erregt  der  stürm,  und  es  schwellen  die  wogen.  Vom  schwarzen  himmel  herab, 
zur  strafe  für  die  undankbare  menschheit,  giesscn  die  wölken  hagelschauer,  und 
der  himmel  neidet  der  erde  das  grün.  Ja  die  erde  selbst  erbebt  und  will  trügerisch, 
was  auf  ihr  herrlich  erwuchs,  vernichten.  Das  war  damals  beschieden  dem  erstou 
menschenpaare.'^  Demgegenüber  lässt  der  altsächsiche  dichter  den  Adam  klagen  über 
hunger  und  durst,  über  stürme  von  allen  himmelsrichtungen ,  über  hagelschauer  und 
kälte,  über  hitze,  die  sie  nackt  ertragen  müssen,  und  über  den  mangel  an  allem 
lebensunterhalt  Das  einzige  gemeinsame  motiv  sind  also  die  hagelschauer.  Ferner: 
hätte  der  Sachse  hier  den  Avitus  benutzt,  so  würde  er  sich  gewiss  bei  der  Schilde- 
rung der  höUe  (vers  2  fgg.)  ebenfalls  an  ihn  angeschlossen  haben ,  vgl.  v.  204  fgg. 

Ängustaiur  hunius  strictumque  gettientibus  orbetn 

Terraruni  finis  non  cenntur  et  tarnen  instat. 

Squalet  et  ipse  dies,  causantur  sole  sub  ipso 

Subductam  luceni,  caelo  stispensa  renwto 

Ästra  gemunt  tactusque  prius  vix  cemitur  axis. 

Ich  möchte  vielmehr  eine  beeinflussung  durch  das  gedieht  in  Oenesin  ad  Lconem 

papam  annehmen,   welches  im  5.  Jahrhundert  von  einem  gewissen  Hilarius^  ver- 

fasst  ist    Es  heisst  da  (ed.  Peiper,  Corp.  Script,  ecclesiast.  XXIII,  237)  v.  164  fgg.: 

culpa  cmnes  sequitur,  peccato  obnoxia  vita 

debilitat  vires,  caelo  venietUiu  dona, 

aethere  demissus  paulatim  deficit  ignis. 

frigore  peccati  torpentia  corda  rigescunt: 

cura  cibi  ventrisque  subit  et  cura  tegendi 

corporis,  et  sacrum  subeunt  mortalia  pectus. 
Femer  v.  175  fgg. 

tum  primum  venti  coepere  incunibere  tcrris, 

intempestivus  descendere  nubibus  iniber: 

ftämina  tum  primum  caelo  deiecta  sereno^ 

horrida  tum  grando  turbatos  verberat  agros. 

tonitrua  altisono  in  fr  actus  murmurat  aether. 

Vors  22.    Ich  vermute  ni  te  skadowe  ni  te  scüra,   also  einen  vers  nach 

dem  typus  A;  vgl.  231a,  272  a.    In  zeile  9  der  handschrift  glaube  ich  hinter  biuoran 

drei  m- striche  und  dann  die  roste  eines  t  zu  erkennen;   das  dann  folgende  deutliche 

e  und  sk  sowie  meine  weiteren  ergänzungen  stimmen  zu  Braunes  angaben   (s.  43). 

Der  sinn  ist:  „und  wir  haben  hier  keinerlei  schütz,  weder  schatten  (gegen  die  sonne) 

noch  schirmdach  (gegen  das  Unwetter),  und  es  sind  uns  hier  keinerlei  Vorräte  zum 

mahle  gegeben,    seür  bedeutet,  wie  noch  heute  in  ndd.  gcgenden,  „schauer  =  schirm- 

dach'^  und  ist  bereits  von  dem  ags.  übei*setzer  misvorstanden  worden;   scat  fasse  ich 

nicht  mit  Braune  als  „geld",  sondern  allgemeiner  als  „besitz,  verrat". 

1)  Keineswegs  ist  es  Hilarius  von  Poitiers,  wahrscheinlich  auch  nicht  üilarius 
von  Arles  (429 — 449);  es  hat  im  5.  Jahrhundert  viele  Hilai'ü  in  Gallien  gegeben. 


140  SISBS 

n.  bruchstück. 

Vers  32— -42.  Mit  recht  meint  Braune  (s.  33),  dass  es  wenig  nützen  würde, 
einzelne  kleine  gedanken  des  dichters  als  gelehrte  reminiscenzen  nachzuweisen.  Ich 
tue  es  hier  auch  nur,  um  zu  zeigen,  dass,  wie  der  Verfasser  des  Heiland  die  expo- 
sitiones  zu  den  evangelien,  so  der  dichter  des  alten  testamentes  die  Genesiskommen- 
tare (etwa  des  Isidor,  Beda,  Alkuin,  Hraban  und  Angelom)  benutzt  hat  Welche 
von  diesen  erklärungen  ihm  vorgelegen  haben,  wissen  wir  natürlich  nicht;  wir  sehen 
nur,  dass  ihm  die  in  jenen  kommentaren  stets  aufs  neue  wideriiolten  deutungen 
bekannt  waren.  So  wird  die  frage  Gottes  (v.  32/33)  durch  den  zom  motiviert,  v^ 
z.  b.  interrogat  Deua  Cain  non  tamquam  ignarus  eum^  a  quo  diseat,  sed  tarn- 
qttam  iudex  reum^  quem  puniat  (Beda,  Alkuin  und  Hraban ,  MigneOl,  66;  100,  525; 
107,  504).  Ebenso  vgl.  zu  v.  40—42  z.  b.  Isidor  (a.  a.  o.  83,  224)  fallax  mim  Cain 
interrogatio  oder  Beda's  Hexacmeron  (91,  66)  (responsio)  stulta,  cum  iUum  falli 
posse  putdbat  oder  Alkuin,  Interr.  et  respp.  in  Genesin  (100,  525)  cui  Cain  ad 
eumulum  peceati  sui  fallaeiter  ac  süperbe  respondit;  vgl.  Angelom,  Migne  115,  148. 
Es  ist  nun  auch  begreiflich,  dass  der  dichter  gerade  solche  stellen  der  Vulgata, 
die  den  kommentatoren  Schwierigkeiten  machten,  fortgelassen  hat,  vgl.  unten  v.  164  fgg. 
277  fgg. 

Vers  72  fgg.  Höchst  auffällig  ist  die  fassung  des  Urteils:  dem  mörder, 
der  zur  strafe  friedlos,  also  doch  flüchtig  (vgl.  ags.  flf/ma)  sein  müsste,  wird  friede 
gesetzt,  und  in  frieden  (an  treuwa)  mag  er  leben;  dann  aber  heisst  es  fluhtik  sealt 
thii  endi  fredig  Ubbian.  Eine  solche  inkonsequenz  sollte  man  dem  dichter,  der  sich 
im  Heliand  mit  den  schwersten  Widersprüchen  gewant  auseinandersetzt,  nicht  zu- 
trauen! Auch  der  ganze  folgende  abschnitt  fällt  gegen  das  übrige  werk  bedeutend 
ab:  die  übermässig  breiten  klagen  v.  87b  bis  95a  könnte  man  ohne  schaden  entbeh- 
ren, und  die  langweiligen  widcrholungon  (v.  103  fgg.  und  v.  115  fgg.)  sind  ebenso 
unbegreiflich  wie  die  plumpe  anknüpfung  v.  140. 

m.  bmclustück. 

Vers  160  fgg.  Dass  —  wie  Braune  meint  —  die  auffassung  des  Wortes 
(abcrnacidum  im  kirchlichen  sinne  zu  der  Schilderung  dos  Opfers  geführt  habe,  ist 
nicht  notwendig:  der  dichter  hat  wahrscheinlich  an  die  erwähnung  des  altars  in  Mamre 
(Gen.  13,  8)  angeknüpft. 

Vers  164  fgg.  Abraham  erblickt  die  drei  engel  und  geht  ihnen  entgegen, 
verneigt  sich  aber  vor  Gott  allein.  Die  göttliche  einheit  gegenüber  der  dreiheit 
(bekantlich  wird  diese  stelle  von  den  kommentatoren  mystisch  auf  die  dreieinigkeit 
gedeutet)  ist  schon  v.  158  hervorgehoben  worden.  Eine  parallele  dazu  bietet  Clau- 
dius Marius  Victor  in  seiner  Alothia  HJ,  644  fgg.  (ed.  Sc^henkl,  Corp.  Script  eocles. 
XVI,  431):  iuxta  acdes  quippe  sedenti 

Tres  subito  adstiterunt  auguMa  luee  micantes, 

Abrahatu  tanti  stifnuhtus  imagine  uisus 

procurrit  dominumque  solo  prostratus  adorat 

unum ,  cwn  tres  miretur 

Mit  Ol.  Marius  Victor  hat  unser  dichter  femer  gemein,   dass  er  die  Verhandlungen 
zwischen  Gott  und  Abraham  bedeutend  abkürzt,  vgl.  673  fgg.: 

uliro  ausus  dominum  scitari,  an  perdcret  urbem 

errantis  populi  per  crimina  cuneta  nocentum, 

quinquaginia  probos  ciues  si  forte  tulisset. 


»' 


ZÜB  ALT8ACH81SCHBN  BIBELDICHTUNG  141 

jian  perdam"  diocii,  dehine  percuncicUto  blanda 
deducens  sensitn  numerum  ueniarnque  Idcesaens 
supplieiter  summasque  ipsis  minuente  recursu 
uaque  deeem  fneruit  responsum  auferre  parentis, 
et  ne  se  totam  domini  dementia  mitis 
proderet,  in  medio  famiulum  sermone  reliquit 
tendentem  ulterius  seque  in  stta  regna  recepit, 

Vers  180.  mwardas  als  „ pries ter*^  oder  „mäiiner  des  rechtes*^  aufzufas- 
sen ,  gibt  gar  keinen  sinn.  Einmal  wären  doch  diese  «gerechten^  der  strafe  nicht  mit 
verfallen  gewesen,  dann  aber  sind  es  auch  nach  der  allgemeinen  auffassung  die  sün- 
digen Sodomiten,  deren  gesohrei  zum  himmel  dringt,  vgl.  z.  b.  Alkuiu,  Interr. 
et  respp.  in  Genesin  (Migne  100,  542):  quaeritur  quare  de  coelo  vindicta  data  est 
super  kabitatores  impios  eivitatuin  illarurn?  Quia  clafnor  peccantium  ,in 
eoelum  ascendisse  dicüur;  idcireo  de  coelo  puniendi  erafvt.  Ich  halte  nun  zweier- 
lei für  möglich:  entweder  cButuirdas  steht  für  euuiuirdas  und  ist  adverbialer  gonitiv 
wie  fordwardas  „immerzu^;  oder  —  und  damit  wäre  auch  die  Schwierigkeit  der 
all  Iteration  gelöst  —  in  der  vorläge  stand  dwarda,  nom.  plur.  part.  praet.  zu 
äwerdian,  also  „die  verderbten*^.  Das  acceutuierte  d  konnte  leicht  als  ca  verlesen 
werden  (vgL  anuuerdit  v.  125  und  Braunes  anmerkung  dazu) ,  und  damit  lag  das  mis- 
verständnis  nahe.  —  Erwähnt  sei  nebenbei,  dass  bei  Bosworth- Toller  s.  25  im  ags. 
€»'U;erd  verzeichnet  und  als  „gesetzbrecher'^  gedeutet  ist;  ein  citat  fehlt  leider. 

Vers  277  fgg.  Hier  ist  ebensowenig  wie  in  vers  167  fgg.  von  der  bewirtung 
der  engel  die  rede  (Gen.  18,  4  fgg.  19,  3  fgg.).  Das  scheint  auf  den  einfluss  der 
kommentare  zurückzugehen,  die  sich  zu  erklären  mühen,  was  immer  der  göttlichen 
natur  zu  widerstreiten  scheint.  So  fehlt  auch  die  erwähnung  Segors  als  einer  occa- 
sie  infidelitatis  (Alkuin,  Interr.  et  respp.  100,  542)  u.  a.  m.  Ich  darf  es  mir  ver- 
sagen, die  einschlagenden  stellen  der  kommentare  hier  alle  anzugeben. 

Vers  287.  Gemäss  der  forderung  des  typus  C  lese  ich  fora  daga  huoani 
„vor  tage  der  hahn.*^  Die  handschrift  widerspricht  dem  durchaus  nicht,  es  kann 
hier  mit  demselben  rechte  huoani  gelesen  werden  wie  etwa  vers  240  tehani.  Das 
uoa  statt  ö  macht  keine  Schwierigkeit,  vgl.  duoas  duoan  v.  190.  233.  Und  dass 
man  das  neutrale  hon  (gen.  comm.)  „huhn  (hahn,  henne)^  mit  dem  maskulinsuffix  der 
/a- Stämme  versah,  um  mit  hdni  den  hahn  zu  bezeichnen,  ist  doch  nicht  minder  begi'eif- 
lich  als  wenn  z.  b.  ahd.  kalha  für  vitula  gebraucht  wird.  Übrigens  scheint  im  Har- 
lingischen  Ostfriesisch  ein  ganz  ähnlicher  fall  vorzuliegen,  wenn  bei  Cadovius- Müller 
heyne .  „die  henne*^  heisst  (auf  altes  *h6nj6'  zurückweisend).  —  Mit  der  ansieht  Gallee^s 
dass  hier  dem  sinne  nach  ein  wort  für  hahn  nicht  am  platze  sei,  kann  ich  mich 
ebensowenig  befreunden  wie  mit  der  gewaltsamen  koigektur  liomon  (Tijdschhft  v. 
nederl.  taal-  en  letterkundc,  letztes  heft).  Die  Umschreibung  ühtfugal  verlangt 
meinem  gefühl  nach  geradezu  die  aufnalime  jenes  begriffes  durch  die  geläufigere 
bezeiohnung. 

Vers  321  fgg.  lese  ich: 

al  ward  farspildit 

Sodomarikiy  thai  is  segg(i)o  entg 

theg  nigietias;  ac  thus  bidödit 

an  dodseuj  so  it  noh  te  daga  stendit 

fluodas  gifullit. 


142  S.   MEYER,    ZUR  ALUT.   DOPPKLKONSONANZ  IM  HRUAND 

d.  h.  ^ganz  Sodom  ward  zerstört,  dass  vou  seinen  männem  keiner  irgendwo  erwuchs, 
sondern  so  ertötet  im  toten  meere,  wie  es  noch  heute  daliegt,  flutengefnllt*  Ob 
9^99(i)o  oder  sun(i)o  ergänzt  wird,  ist  gleichgültig;  in  dem  theg  praet  sg.  zu  ikthan 
(plur.  thigun  v.  104.  118)  macht  das  g  keine  Schwierigkeit;  nigienas  kann  als  adver- 
bialer genitiv  oder  auch,  falls  man  mnfijo  statt  seggfijo  ergänzt,  als  possessiver 
genitiv  aufgefasst  werden.  Dass  der  des  Stabreims  unkundige  Schreiber  jene  verderbte 
stelle  der  vorläge  schliesslich  (vgl.  die  rasur)  nicht  durch  thus  —  so,  sondern 
durch  das  ihm  geläufigere  so  —  so  ergänzte,  kann  nicht  wunder  nehmen;  so  in  der 
alliteration  findet  sich  auch  v.  218. 

Vers  335  fgg.  Dass  das  weib  des  Lot  versteinert  heute  noch  dastehe  und 
in  ewigkcit  stehen  werde,  ist  die  auffassung  der  kirchenväter  (schon  Clemens  Rom.  ad 
Cor.  I,  11;  Irenaeus  u.  a.).  Eine  parallele  bieten  auch  die  verse  121/22  eines  unbe- 
kannten auiors  „de  Sodoma^*  (Corp.  Script,  eccl.  XXm,  218): 

durat  enim  adhue  nuda  statione  sub  aetkra, 
nee  pluuiis  dilapsa  situ  nee  dirtUa  uentis. 

Zum  Schlüsse  noch  ein  wort  über  die  heimat  der  handschrift  Aus  den  auf  Mag- 
deburg bezüglichen  eintragen  scheint  mir  —  gegen  Zangemeister  s.  207  —  mit  Sicher- 
heit hervorzugehen,  dass  gerade  dieses  nicht  in  frage  kommt;  auch  braucht  nicht 
an  ein  benachbartes  kloster  gedacht  zu  werden.  Aus  den  nekrologischen  notizen 
lässt  sich  schwerlich  etwas  gewinnen.  Von  den  beiden  ndd.  namensformen  vermag 
ich  Wolfliedan  nicht  nachzuweisen';  Ibet  erscheint  zweimal  in  den  Traditiones  Cor- 
beienses  (ed.  AVigand,  Leipzig  1843),  und  zwar  als  Ibet  §  197,  als  Ibed  §  188.  Dass 
das  kloster  Corvey  im  9.  Jahrhundert  viele  mönche  aus  den  edelsten  geschlechtem  der 
Sachsen  zählte,  lehrt  uns  die  Translatio  Sancti  Viti:  „augebatur  tarnen  quotidie 
numerus  monaehorum  ex  nobilissimo  Saxonum  genere**  (Jaffe,  Mon.  rer.  germ. 
I,  10);  auch  in  den  Annales  Corbeicnses  ist,  wie  in  so  vielen  ndd.  nekrologien,  der 
todestag  des  köuigs  Heinrich  verzeichnet;  und  eine  beziehung  des  klosters  Corvey  zu 
Magdeburg  ist  durch  die  übortitigung  der  reliquien  des  heiligen  Justinus  gegeben 
(Annal.  Corb.  z.  j.  949). 

GRKIFSWAU),  31  >.   JANUAR   1896.  THEODOR  SIEBS. 


Zur  alliterierenden  doppelkonsonanz  im  Heiland. 

Durch  Behaghels  scharfsinnige  argumentation  in  dieser  Zeitschrift  XXVII,  563 
scheinen  mir  meine  ausführungen  keineswegs  widerlegt  Es  bildet  sich  durch  sva- 
rabhakti  ja  nicht  immer  gleich  eine  volle  silbe,  und  im  vorliegenden  falle  ist  gewiss 
nur  ein  leichter  vorklang  anzunehmen,  grade  genügend,  um  den  anlaut  von  frotoro 
dem  von  ferahes  anzunähern;  fero  bleibt  deshalb  doch  metrisch  eine  silbe.  Ohne 
einen  leisen  zwischenvokal  sprechen  wir  überhaupt  solche  gruppen  kaum  je  ans. 

Wie  man  übrigens  immer  über  die  alliterierende  doppelkonsonanz  denken  mag  — 
die  tatsache,  dass  die  alten  dichter  fr  nicht  gern  auf  f  reimten,  glaube  ich  erwiesen 
zu  haben,  und  wenn  ein  spiel  vorliegt,  so  haben  sie  es  gespielt,  nicht  ich. 

BERLIN,   3.  JAN.   1895.  RICHARD  METER. 


1)  Der  fränkische  Wolßetan  (Droncke,  Cod.  dipl.  Fuld.  nr.  220.  221)  kommt 
natürlich  nicitt  in  betracht 


NRÜE  KRSOHXraüNOBN  143 

NEUE   ERSCHEINUNGEN. 

Bisehoff,  Th«,  und  Sehmidt,  A.,  Festschrift  zur  250j(ihrigen  Jubelfeier  des 
Pegnesischen  blumenordens.   Mit  vielen  abbildungen.  Nürnberg,  J.  L.  Schräg. 

1894.  XVI  und  532  s.    8  m. 

Die  acht  aufsätze  dieses  bandes  beziehen  sich  hauptsächlich  auf  Hars dör- 
fers leben,  wirken  und  Schriften. 
Breul,  K.,   a  handy  bibliographical  guide   to  the  study  of  the  German 

language  and  literature.    For  the  use  of  students   and  teachers  of  German. 

London,  Hachette  &  Co.  1895.    XVI  und  133  s. 

Diese  praktisch  angelegte  bibliographie  ist  ein  neuer  beweis  für  den  ernst 

und  die  gründlichkeit,  mit  welcher  in  jüngster  zeit  auch  in  England  germanistische 

Studien  betrieben  werden. 
Egrils  saga  Skallagrfmssonar  nebst  den  grösseren  gedichton  Egils  herausgegeben  von 

Fi nnur  Jonsso n.   Halle,  Niemeyer  1894.    (Altnordische  saga-bibliothek,  heft  3.) 

XXXIX,  334  s.    9  m. 
FVrster,    Karl,   Der  gebrauch  der  modi   im  ahd.  Tatian.     Kiel,   diss.  1895. 

IV  und  62  s. 
Graz,  Friedr.,  Die  metrrk  der  sog.  Caedmonschen  dichtungen  mit  berück- 

sichtigung  der  verfasserfrage.     Weimar,  Emil  Felber.  1894.    Vni,  109  s.    (A.  u. 

d.  t:  Studien  zum  germanischen  alliterationsvers,  hrsg.  von  M.  Kaluza,  heft  ÜI.) 
Hanffen,  A.,  Die  deutsche  Sprachinsel  Gottschee.    Geschichte  und  mundart; 

lebensverhältnisse,  sitten  und  gebrauche;  sagen,  märchen  und  lieder. 

Quellen  und  forsch ungen  zur  geschichte ,  litteratur  und  spräche  Österreichs  IIT. 

Mit  4  abbildungen  und  einer  sprachkarte.     Graz,   Verlagsbuchhandlung  ,fStyria'^ 

1895.  XVI  und  466  s. 

Holthausen,  Ferd.,   Altisländisches   elementarbuch.     Weimar,   Emil  Felber. 
1895.    XV,  197  s.    4  m. 

A.  u.  d.  t:  Lehrbuch  der  altisländischen  spräche,  I.  teil.    Derselbe  enthält 
eine  kurzgefasste  laut-  und  formenlehre,  sowie  auch  einen  abriss  der  wortbildungs- 
lehre  und  syntax.    Der  11.  teil  soll  altnordische  lesestücke   nebst  einem  glossar 
bringen. 
Leltzmann,  JA.,   Tagebuch  Wilhelms   von  Humboldt   von   seiner  reise   nach 
Norddeutschland  im  jähre  1796.    [Quellenschriften  zur  neueren  deutschen  littera- 
tur und  geistesgeschichte  III.]    Weimar,  E.  Felber.  1894.    X  und  163  s.    3  m. 
Die  Sammlung  —  welche  mit  briefen  Wilhelms  von  Humboldt  an  Nicolo- 
vius,  herausgegeben  von  R.  Haym,  eröffnet  wurde  —  wird  durch  dieses  tagebuch 
(aus  Humboldts  nachlass  in  Tegel)  über  eine  reise  von  Berlin  nach  Stettin,  Stral- 
sund, Rügen,  Rostock,  Lübeck,  Eutin,   Hamburg  um  ein  nach  vielen  Seiten  hin 
interessantes  stück  bereichert.    Unter  den  zahlreichen  berichten  über  persönliche 
begegnungen  und  gespräche  sind  die  auf  Eosegarten,   Voss  und  Klopstock 
^züglichen  hervorzuheben.    Die  erläuterungen  des  herausgebors  s.  119  — 152  sind 
Vielfach  belehrend;   im  anhange  s.  155  fg.  ist  ein   gedieht   von  Sophie  Reimarus 
^Xi8  dem  jähre  1793  („  Unser  theeiüch*^)  veröffentlicht    Die  ausstattung  ist  gut; 
<)ennoch  wäre  ein  niedrigerer  preis  des  buches  wünschenswert  gewesen.      o.  e. 
**^er-Fraiireuth,  Karl,  Die  ritter-  und  räuberromane.    Ein  beitrag  zur  bildungs- 
^eschichte  des  deutschon  volkes.    Halle,  Niemeyer.  1894.    IV  und  112  s.   2,60  m. 
Wie  in  einer  schon  1881  erschienenen  Schrift  die  lügendichtungen  bis 
^nf  den  „Münchhausen**,   so  charakterisiert  der  Verfasser  hier  die  umfangreiche 


144  NACHEIGHTEN 

litteratar  der  ritter-  und  räuberromane,  die  seit  etwa  1775  bis  in  unser  Jahrhundert 
hinein  ihr  grosses  publiknm  fanden.  Ihr  anschluss  an  bedeutende  anregungen  der 
genieperiodo  und  der  romantik  wird  klar  dargestellt;  charakteristische  stilproben 
sind  in  ausreichendem  masse  mitgeteilt 

Musenliis,  Andreas,  Vom  Hosenteufel.  Herausgegeben  von  Max  Osborn. 
[Neudrucke  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  125.]  Halle,  Niemeyer.  1894.  XXX 
und  27  s.    0,60  m. 

Die  scharfe  und  derbe  schrift  des  genendsuperintendenten  der  mark  Bran^ 
denburg  gegen  den  unfug  der  pluderhosen  ist  nach  der  ersten  ausgäbe  (Frank- 
furt a.  0.  1555)  abgedruckt;  über  bemerkenswerte  Varianten  späterer  ausgaben, 
sowie  der  niederdeutschen  Übersetzung  gibt  die  einieitung  s.  XXITT — XXX  aus- 
kunft.  Die  einieitung  enthält  ausserdem  sehr  lehrreiche  kulturhistorische  und  bio- 
graphische angaben. 

Pipplng,  Hago,  Zur  lehre  von  den  vokalklängen.  Neue  Untersuchungen  mit 
Hensen's  sprachzoichner.  Separatabdruck  aus  der  Zeitschrift  für  bioiogie  31, 
524—583.    München  1894. 

Über  die  theorie  der  vokale.    Aus  den  Acta  societatis  scientiarum  Finni- 

cae  XX,  2.    G8  s.  4^  und  6  tafeln.    Helsingfors  1894. 


NACHRICHTEN. 

Die  ausserordentlichen  professoren  dr.  Rudolf  Henning  in  Strassburg  und 
dr.  Philipp  Strauch  in  Halle  sind  zu  Ordinarien  ernannt.  An  die  Universität 
Rostock  ist  als  nachfolger  K.  Bechsteins  dr.  Wolf  gang  Golther,  bisher  privatdooent 
in  München,  berufen. 

An  der  Universität  Basel  hat  sich  dr.  Gustav  Binz  für  englische  philologie 
habilitiert 

Dem  privatdocenten  dr.  Johannes  Stosch  in  Marburg  ist  der  titel  einos  Pro- 
fessors verliehen.  Derselbe  ist  sodann  nach  Kiel  übergesiedelt  als  mitarbeiter  an 
band  XI  des  Deutschen  wöiierbuches.  Er  hat  auch  dort  in  der  philosophischen  lakul- 
tät  die  venia  legendi  erhalten.  —  Die  weiterführung  von  band  IV,  1,  2  des  DWb. 
ist  nach  dem  tode  Hildebrauds  von  lieferung  12  an  dem  prof.  dr.  H.  Wunderlich 
in  Heidelberg  übertragen. 

Am  17.  febr.  verstarb  zu  Halle  a.  S.  der  gymnasialprofessor  a.  d.  dr.  Juliiis 
Opel,  der,  besonders  durch  seine  forschungen  zur  geschieh te  des  30jährigen  krieges 
bekannt,  gelegentlich  auch  das  gebiet  der  deutschen  litteraturgeschichte  berührte  und 
einen  schätzenswerten  boitrag  zur  Waltherforschung  geliefert  hat  {Min  guoter  Uase- 
ncere^  Halle  186(3).  Unsere  zeitschi'ift,  zu  der  er  mehrere  durch  Sachkenntnis  aas- 
gozcichnote  recousionon  beisteuerte,  betrauert  in  ihm  einen  ihrer  ältesten  mitarbeiter. 


BeriehtJgrang.     Auf  s.  32  z.  28  ist  zu  lesen:   Übersetzung   des  niederläo' 
dischen;  s.  33  z.  8  und  10:  Isegrim  (statt  Roinke). 


Halle  a.  S.,  Bachdrackerel  des  Waisenhauses. 


ZUE  ALTSÄCHSISCHEN  GENESIS. 

Die  folgenden  anspruchslosen  bemerkungen  sind  zum  teil  wider- 
holt aus  einer  in  der  letzten  Oktobersitzung  der  kgl.  niederländischen 
akademie  der  Wissenschaften  gelesenen  und   in   den   Sitzungsberichten 
derselben   abgedruckten^   abhandlung  über  Zangemeisters  fund  in  der 
Yaticana.     Während   es   nicht  in   meiner   absieht  liegen   konnte,   die 
eigentliche    wesentlich   referierende    und   —    mit  einer  einzigen    aus- 
nähme  —   Braunes   sorgfältigen   erörterungen   durchweg   zustimmende 
abhandlung  in  deutscher  bearbeitung  zu  erneuern,   glaubte   ich   aller- 
dings mit  einer  widerholung  der  hinzugefügten  kritischen  anmerkungen 
an  einer  für  die  deutschen  fachgenossen  weniger  entlegenen  stelle  keine 
überflüssige  arbeit  zu  verrichten.    Inzwischen  haben  nun  auch  andere 
ihre  beobachtungen  veröffentlicht 2,  und,  wie  sich  nicht  anders  erwarten 
liess,  trafen  sie  mit  den  meinigen   in  vielen  punkten  zusammen.   Indem 
ich  nun  einerseits  mit  rücksicht  auf  die  in  der  note  angeführten  arbei- 
ten manches   nicht   mehr   oder   doch   nur  kurz  zu  berühren  brauche, 
geben  mir  dieselben  andererseits  veranlassung  zu  einigen  neuen  bemer- 
kungen^ die,  wie  die  älteren,  dem  verehrten  horausgeber  für  eine  neu- 
ausgabe  des  textes   zur   erwägung   empfohlen  sein  mögen.     In   bezug 
auf  die  hauptfrage,  die,  von  dem  neuen  funde  angeregt,  noch  der  ent- 
scheidung  harrt,  die  beziehung  der  alttestamentlichen  bruchstücke  zum 
Heliand,   bin  ich  zwar  vorläufig  anderer  ansieht  als  Braune  und  Koe- 
gel   (s.  meine  angeführte  abh.  s.  145  — 148).     Da   aber   Sievers   (diese 
«tschr.  XX Vn,  534)   eine   besondere   abhandlung   darüber  in   aussieht 
gestellt  hat,   scheint  es  geraten  dei-selben  nicht  vorzugreifen   und  auf 
eine  erörterung  dieses  punktes  bis  nach  ihrem  erscheinen  zu  verzichten. 

1)  Yerslagen  en  mededeelingen  der  kon.  akademie  vau  wotenschappen ,   afdee- 
%  Letterkunde,  3«  reoks,  XI,  123—154. 

2)  Folgende  beitrage  zur  as.  Genesis  sind  mir  bekannt  geworden:  R.  Koegel, 
"ösoliichte  der  deutschen  litteratur  bis  zum  ausgange  des  mittelalters.    Ergänzungs- 

^Gtt  2M  band  I :  Die  altsächsische  Genesis.    Strassburg  1895 ;  die  reoension  der  Zange- 

"*®iöter-Bramie'8chen  publication  von  E.  Sievers  in  dieser  ztschr.  XX VII,  534  fgg.; 

^'    Holthausen,    Zoitschr.  f.  d.  a.  XXXIX,  52  fgg.;    M.  H.  Jellinek,    ebd.  151; 

*   ll.  Gallee,  Tydschr.  voor  nederl.  taal-  en  letterk.  Xm,  303  fgg.  [nach  abschluss 

^*^     manoscr.  erhalte  ich  Gallee's  reconsion  in  Taal  en  letteron  V,  123]. 

7.  DBÜTBOHE  PHILOLOOIS.     BD.   XXVUI.  10 


146  8YM0NS 

V.  9  fg.:  Nu  uuit  hriuuig  mugun 

sorogon  for  thes  siäa, 
Dass  das  the  stda  der  hs.  nicht  mit  dem  herausgeber  zu  thes  s.,  son- 
dern zu  them  stäa  zu  ergänzen  ist,  hat  auch  Koegel  s.  9  erkannt 
Braune  ist  denn  auch  zu  seinem  thes  nur  durch  ein  leicht  begreif- 
liches vorsehen  gelangt,  indem  er  bei  der  constituierung  des  textes 
die  ältere  lesart  for  his  side  in  dem  enstprechenden  verse  der  ags. 
Genesis  (800)^  zur  richtschnur  nahm,  dann  aber,  als  er  für  den  druck 
den  ags.  text  nach  Wülkers  neuer  collation  aufnahm  und  damit  for 
pts  side  herstellte,  die  discrepanz  mit  dem  alts.  texte  nicht  weiter 
beachtete.  Einer  brieflichen  mitteilung  Braunes  entnehme  ich,  dass  er 
jetzt  über  dem  the  in  der  originalphotographie  noch  einen  schwachen 
rest  des  geschwungenen  strichs  über  dem  e  zu  erkennen  glaubt;  im 
lichtdruck  ist  der  strich  zu  einem  punkte  reduciert.  Damit  wäre  tkem 
auch  handschriftlich  gesichert.  Der  sinn  der  stelle  ist  also  nicht: 
„besorgt  sein  wegen  dessen  (Gottes)  ankunft",  aber  auch  wol  kaum 
mit  Koegel  „bei  dieser  Sachlage,  unter  diesen  umständen.''  Dass  „die 
Ursache  der  sorge  sowol  im  altsächs.  wie  im  althochd.  und  mittelhochd. 
mit  umbi  oder  bi  ausgedrückt  wird**,  ist  im  allgemeinen  wol  richtig, 
doch  auch  for  findet  sich  in  dieser  Verwendung,  so  Hei.  1880*,  Otfr. 
IV,  7,  21,  auch  im  ags.  Gudl.  209.  Adam  und  Eva  dürfen  in  sorge 
sein  wegen  ihres  Schicksals,  das  Eva's  wankelmut  ihnen  beiden  bestimmt 
hat  (vgl.  V.  1  fg.).  Bemerkenswert  ist  allerdings,  dass  das  as.  sid  sonst 
in  der  hedeutung  „sors,  fortuna,  conditio'',  die  im  ags.  geläufig  ist 
(Grein  II,  444),  nicht  kennt,  allein  auch  für  v.  2  unserer  bruchstücke 
ist  diese  bodeutung  anzusetzen. 

Y.  14.  Zu  diesem  verse  bemerkt  Braune  s.  56:  „Die  ags.  ände- 
rung  071  pys  lande  ist  weniger  gut,  da  on  thesum  üohta  uuesan  syno- 
nym mit  lihhictfi  ist  und  thit  Höht  immer  „dieses  leben"  bedeutet^ 
Der  Vorwurf  gegen  den  ags.  bearbeiter  ist  aber  unberechtigt,  denn  thit 
Höht  hoisst  sowol  in  unseren  fragmenten  (s.  namentlich  128  them  thiU 
Höht  (jiscuop  -^  Hei.  3058.  5086),  als  im  Hei.  regelmässig  „diese  weit" 
und  ist  verschiedentlich  mit  thit  to/id  völlig  identisch:  vgl.  z.  b.  Gen.  76 
libbeayi  an  thesum  landa,  \  so  lango  so  thu  thit  liaht  utmroSy  wo  Koe- 

1)  DtiDach  erklärt  denn  auch  Grein  die  stelle  im  Sprachschatz  U,  444  als 
„ejus  (Gottes)  adventus." 

2)  Die  stelle  lautet:  far  thiu  gi  sorgon  sculun^  \\  that  tu  tliea  man  ni  mii- 
ghi  I  mddgcthtihti y  \\  uuillcan  auuardien.  Far  thiu  kann  dein  zusammenhange  nach 
nicht  ,, deswegen ^^  bedeuten;  es  ist  von  sorgon  abhängig  und  wird  durch  den  sats 
mit  tfiat  näher  bestimmt:  „dafür  sollt  ihr  sorgen,  dass  usw." 


ZUR  ALTSÄCHS.    GENISIS  147 

gel  s.  12  den  ausdruok  misversteht  (s.  u.  zu  V.  30).  333.  Hei.  1683  und 
Sievers  Hei.  s.  406  unter  erde.  Das  ags.  on  p^s  lande  wesan  ist  somit 
ebensowol  eine  Variation  von  libba7i,  wie  der  entsprechende  ausdruck 
im  as.  texte. 

V.  17:  kumit  haglas  skion    himile  hiteiigi, 

Jioglas  skion  (im  ags.  dafür  hce^les  scür  808)  ist  offenbar  ^hagelwetter'' 
(Braune  s.  56.  Koegel  s.  9).  Aber  für  biterigi  kommen  wir  hier  mit 
der  von  Braune  angesetzten  bedeutung  „nahe  an  etwas  heranreichend" 
kaum  durch.  Passend  ist  sie  für  v.  311,  bei  der  Zerstörung  Sodoms: 
Üiuo  uuarä  ihär  gihlunn  mikil  \  himile  bitengi:  das  gewaltige  getöse 
dringt  zum  himmel,  wie  in  den  beiden  Otfridstellen,  wo  sich  himilo 
gixengi,  himile  gixango  findet  (I,  20,  10.  IV,  26,  27),  das  laute  wei- 
nen der  frauen.  Aber  ein  „nahe  an  den  himmel  heranreichendes  hagel- 
wetter*'  ist  wunderlich.  Aus  der  ursprünglichen  bedeutung  des  adjek- 
tivs  „conjunctus,  propinquus"  (sibbeon  bitengea  Hei.  1440,  vgl.  ags. 
^eten^e  bei  Grein  I,  463,  sowie  an.  tengja  „zusammenbinden",  tengäir 
„verschwägerung"  usw.)  entwickelt  sich  im  räumlichen  sinne  sowol  der 
begriff  des  heranreichens  an  als  des  lastens  auf.  Letzterer  findet  sich 
z.  b.  im  Beow.  2759  ^eseah  —  joW  ^Uiinian  gründe  ^eien^e  „auf 
dem  boden"  und  ist  auch  hier  anzunehmen:  „das  den  himmel  be- 
deckende hagelwetter."  In  übertragenem  sinne  vgl.  auch  Hei.  4624, 
wo  Satan  dem  Judas  sero  biiengi  ...  umbi  is  herta  wird  (introivit  in 
eam  Satanas  Job.  13,  27). 

V.  22.  Wie  ich  in  dem  angeführten  artikel  s.  150,  haben  auch 
Koegel  s.  9  fg.  und  Holthausen  Ztschr.  f.  d.  a.  XXXIX,  52  fg.  hervor- 
gehoben, dass  scür  in  dem  leider  zerstörten  halbverse  22'  nicht  „wet- 
ter**  heissen  kann,  wie  der  herausgeber  es  im  glossar  fasst,  sondern 
„schütz,  schirm",  eine  im  as.  bisher  imbelegte,  aber  sowol  aus  dem 
ahd.  und  mhd.  wie  aus  dem  mnd.  genügend  bekannte  bedeutung.  Grade 
auf  sächsischem  gebiete  sind  schür  und  schüre  noch  heutzutage  sehr 
geläufige  bezeichnungen  für  die  aUerprimitivste  Schutzvorrichtung  gegen 
das  wetter:  vier  pfähle  mit  einem  dache  darüber  sind  eine  schür. 
Der  Zusammenhang  der  stelle  fordert  diese  bedeutung  entschieden: 
Adam  und  Eva  haben  keine  kleidung  (umiuerid  miä  giuuädi)^  keinen 

schütz  gegen  frost  und  hitze  (uuiht te  scüra)^  keine  speise  {scat- 

tos  uuiht  te  meti),  Holthausens  ergänzung,  welche  sich  den  spuren 
der  hs.  genau  anschliesst,  [ni  l]e  skfadmiica  ni]  te  scüra,  ist  gewiss 
richtig.  Weim  das  ags.  dafür  tö  scursceade  hat,  so  dachte  der  Über- 
setzer vermutlich  an  das  ihm  allein  bekannte  scür  „tempestas",  traf 
aber  trotzdem  den  sinn  der  stelle. 

10* 


148  8YH0N8 

V.  30  fg.:  legarbedd  utmran 

guman  an  griata. 

Auch  in  der  auffassung  dieser  stelle  treffen  meine  ausführungen  s.  150  fg. 
mit  denen  Holthausens  s.  53  zusammen;  s.  auch  Koegel  s.  12.  Unstrei- 
tig ist  uuäran  inf  -=»  tiuaron^  guman  acc,  noch  abhängig  von  Uet 
28;  legarbedd  uuaran  heisst  ^die  lagerstätte,  das  totenlager  hüten.* 
Ergänzend  sei  zu  Holthausens  erörterung  der  stelle  noch  folgendes  hin- 
zugefügt Mit  legarbedd  uuaran  lässt  sich  völlig  vergleichen  die  ags. 
formel  wcelreste  vm^iian  Beow.  2902,  mit  unmittelbar  vorangehendem 
deddbedde  fcest  =  le^erbedde  fcest  1007;  le^erbedd  ist  also  „toten- 
lager", anderswo  sogar  „grab"  (Rede  der  seele  158),  dagegen  legarbedd 
Hei.  1852  „krankheif,  eigentlich  „krankenlager"  (das  simplex  legar 
zeigt  die  gleiche  entwicklung). 

Waran  c.  acc.  in  der  bodeutung  „teuere"  findet  sich  in  unseren 
fragmenten  noch  dreimal:  76  so  lungo  so  thu  thit  lialit  uuaros  „so 
lange  du  auf  dieser  weit  weilst"^,  IGl  tkuo  fimdun  sia  AbraJiama 
.  .  .  .  uuaran  mna  uv/lhsiedi  „bei  einem  tempel  stehen"  (durchaus 
identisch  dem  sinne  nach  mit  bi  enum  ala  standan  160^)*,  endlich 
216  that  land  uuaran  „im  lande  bleiben"  (vgl.  237  fg.).  Braune  hat 
also  ganz  recht  daran  getan,  „die  verschiedenen  uuaran  uuarön^  (Koegel 
s.  12)  nicht  zu  trennen,  da  sie  eben  nicht  verschieden  sind;  nur  muss 
die  Verbindung  legarbedd  uuaran  im  glossar  hinzugefügt  werden. 

Über  gi^iai  sei  noch  bemerkt,  dass  nur  die  bedeutung  ^sand, 
kies",  nicht  „ufer"  (trotz  97)  zu  belegen  ist;  vgl.  ausser  den  Heliand- 
stellen:  glarea.  id  est  arena.  grat  (1.  griat)  in  den  Oxforder  Vergilglos- 
sen  (Ahd.  gl.  II,  725  \  Gallee,  Alts,  sprachdenkm.  s.  157).  Doch  heisst 
au  griata  an  unserer  stelle  vielleicht  „im  staube",  wofür  Hei.  1373 
sprechen  kininte:  ihan  it  te  tiuihti  ni  dög,  \  ac  it  firifio  bam  \  fötun 
spurnat,  ||  gumon  an  greote  (ad  nihilum  valet  ultra  nisi  ut  proiciator 
foras  et  conculcetur  ab  hominibus  Mt  5,  13). 

V.  33  fg. :  frdgoda  huuär  he  liabdi  is  bröäar  thuo, 

kindiungan  kuman. 

1)  Koogels  übcrsctzuug  „so  lange  als  du  dieses  licht  schauest ^^  {uuaron  zu 
gr.  fopdoj)  ist  nicht  zu  billigen,  da  thit  liaht  eben  „diese  welt^^  bedeutet  (s.  oben 
zu  V.  14).     [LTber  -an  neben  -on  s.  jetzt  van  Helten  Idg.  Forsch.  V,  351]. 

2)  Auch  hier  ist  Koegels  erinnorung  an  die  Cyuwari  kaum  am  platze;  freilich 
seine  Übersetzung  „im  begriffe  die  lieilige  statte  zu  besuchen ^^  stimmt  nicht  dazu.  Es 
ist  doch  klar,  dass  161*  nur  epische  Tariation  ist  von  160^  und  keinen  neuen  gedan- 
ken  entliält. 


ZÜB  ALT8Ä0H8.   GENSSIR  149 

Holihaasens  bedenken  (s.  53  fg.)  gegen  die  von  Braune  angenom- 
mene transitive  Verwendung  von  human  teile  ich  vollständig,  nament- 
lich auch  seine  ablehnung  der  analogie  der  altn.  construction  koma  ein- 
hverjum.  Auch  seine  Vermutung,  dass  in  kumafi  ein  acc.  sing,  guman 
stecke  als  epische  Variation  zu  bröäar,  halte  ich,  wie  die  Interpunktion 
andeutet,  für  richtig.  Es  ist  aber  wol  nicht  einmal  nötig  einen  eigent- 
lichen Schreibfehler  anzunehmen;  es  genügt  in  kuman  eine  allerdings 
seltene,  aber  nicht  beispiellose  Orthographie  zu  sehen.  Will  man  cu- 
mono  „senatorum",  cumiski  „senatum"  und  verschiedene  formen  mit 
inL  c,  k  in  den  Düsseldorfer  Prudentiusglossen  (neben  gumiskias 
^senatus",  gvsmiki  [1.  gumiski\  „senatum"  u.  a.)^  nicht  gelten  lassen, 
so  darf  doch  an  sleka  „occisioni"  im  Essener  Evangeliar  (Gall6e,  Alts. 
sprachdenkm.  s.  34),  suikle  Hei.  3577  M,  und  an  die  ausl.  gutturalen 
explosivae  in  V  selber  erinnert  werden,  die  Koegel  s.  15  fg.  unter  den 
beweisen  für  die  angehörigkeit  des  Schreibers  der  hs.  zum  hochdeut- 
schen Sprachgebiete  anführt. 

V.  77.  Anlässlich  der  anmerkung  Braunes  über  forhudtan  (s.  58), 
dessen  anlaut  durch  den  Stabreim  an  unserer  stelle  gesichert  wird, 
weist  mich  Cosijn  auf  die  möglichkeit,  dass  auch  in  ahwet  (=  ähtvcett?) 
der  ags.  Gen.  406  ein  as.  forhuätid  stecken  könnte.  In  der  phrase 
dhwet  hie  from  his  hyldo  fordert  der  Zusammenhang  die  bedeutung  „ver- 
treiben, Verstössen",  während  ags.  dhivettan  „anregen"  heisst  (Grein  I, 
25;  vgl.  das  Simplex  hwettan  „acuere,  instigare,  excitare"  11,  118). 
Den  hier  geforderten  sinn  dagegen  gewährt  ahd.  firimdxxaji  „recusare" 
(s.  die  belege  bei  GrafF  I,  1087  fg.).  Vielleicht  hat  also  der  ags.  bear- 
beiter  in  seinem  original  etwa  forhuätid  (im  is  huldi)  gefunden  und 
die  ihm  nicht  verständliche  wendung  umgebildet  zu  dem  lautlich  an- 
klingenden dhwet  (t)  usw. 

V.  114  — 116.  In  der  herstellung  dieser  verse  bin  ich  (a.  a.  o. 
s-  151  fg.)  mit  Sievers  (diese  ztschr.  XX Vn,  535  fg.)  zusammengetrof- 
fen.    Sie  sind  abzuteilen: 

hie  loböda  thuo  mest     liodio  barnun, 

godas  huldi  gumun:      thajian  qudmun  guoda  fnann, 

uuordu?i  uuisa  usw. 

Holthausens  ergänzungsvorschläge  (a.  a.  o.  s.  54)  werden  durch  diese 
einfache  remedur  überflüssig. 

1)  AUe  vier  formen  (Ahd.  gl.  II,  581«*.  583".  587  ^^  589")  von  derselben, 
sächsischen,  hand  (s.  Oallee,  Alts,  sprachdenkm.  s.  128  fg.).  Möglicherweiso  stammen 
die  mit  e  aber  doch  aus  einer  hochd.  vorläge. 


150  STHONS 

V.  154  fg.:  Jiabdun  im  sd  uilu  fiunda  barn 

uammas  geuuisid. 
Braune  (s.  60)  versteht  fiunda  barn  von  den  Gott  feindlich  gesinnten 
Sodomieuten  und  ist  dadurch  genötigt,  uuisian  als  „zeigen,  beweisen*' 
aufzufassen,  in  einem  sinne  also,  den  das  wort  in  den  altgerm.  spra- 
chen und  specicU  im  as.  nicht  hat.  Ähnlich  übersetzt  Eoegel  (s.  4)): 
„es  hatten  die  teufelskinder  sehr  viel  böses  getan.^  Dass  aber  mit 
fiunda  barn  nicht  die  Sodomiten,  sondern  die  teufel  gemeint  sind,  wie 
Hei.  3604,  wird  durch  die  nähere  ausmalung  in  Y.  256  fgg.  über  allen 
zweifei  erhoben:  uuas  thdr  fiundo  gima^ig,  ||  uuredaro  uuihieo,  \  thea 
an  tluit  uuam  Jiabdun  0  thea  üudi  farledid,  wozu  man  halte  Hei.  2502. 
2989  fg.  3356  fgg.;  fiund  und  uuikti  sind  Synonyma.  —  An  der  drit- 
ten stelle  freilich,  wo  unsere  fragmente  den  plural  fiund  bieten  (294X 
muss  man  darunter  die  Sodomiten  verstehen,  wol  als  die  feinde  Loths.  — 
Zu  übersetzen  ist  V.  154  fg.  demnach:  „es  hatten  die  teufel  sie  so  viel 
böses  gelehrt." 

V.  177  fg.:  y^Ni  uuilli  ik  is  thi  mithaii  nu,^  quad  Zu', 

Julian  holdan  nian,     hü  min  hugi  gengit^ 
Mit  recht  bemerkt  der  herausgebor  (s.  61):    „Im  Hei.  helan  und  com- 
pos.  stets  c.  dat.  pers.  und  acc.  rei  verbunden";   so  auch  bimida^i  an 
der  einzigen  stelle,   wo   es   in   der   bedeutung  '„verbergen"    erscheint 

(3803).     Man  darf  also  die  frage  erheben,   ob  nicht  auch  hier  tht 

holdan  man  als  dativ  zu  fassen  sei;  die  schwache  form  des  adjektivs 
nach  dem  pron.  pers.  bedürfte  keiner  rechtfertigung,  und  is  in  ii  zu 
ändern  wäre  auch  einfach  genug.  Im  ags.  freilich  ist  der  gen.  rei  bei 
ffiidau  keineswegs  unerhört,  sogar  bei  i)ersönlichem  object,  z.  b.  for- 
don  ic  min  mäd  Cura  Fast  (Sweet)  23,  11:  es  könnte  also  auch  eine 
mischconstruction  vorliegen. 

V.  180**:  7iu  hruopat  thc  cetiiuirdas  te  mt 

Holthausen  (s.  54  fg.)  hat  sich,  wie  ich  (a.  a.  o.  s.  152  fg.),  um  die 
beseitigung  der  ceuuardas  bemüht.  Der  metrische  anstoss  war  natür- 
lich an  erster  stelle  bestimmend:  die  allitteration  von  ce-utidrdas  auf 
dem  zweiten  compositionsgliede  ist  nicht  nur  „aufFällig"  (Braune  s.  61), 
sondern  geradezu  unduldbar.  Gelegentliche  ton  verrückungen,  wie  wn- 
tnidnda  uuini  Hei.  70  u.  ä.  (s.  Rieger  Ztschr.  f.  d.  ph.  VII,  18  anm.), 
uuerolMhtuidscm  Musp.  37,  können  diese  äbnormität,  noch  dazu  im 
hauptstabe,  nicht  rechtfertigen.  Dazu  kommt,  dass  sich  mit  den  „prie- 
Stern",  die  tag  und  nacht  dem  herrn  die  Sünden  der  Sodomiten  klagen, 
doch  auch  nicht  viel  anfangen  lässt  Indem  ich  theie  uuardas  abteilte, 
glaubte  ich  darunter  die  engel  verstehen  zu  dürfen,   die  im  HeL  2599 


ZUR  ALTSACHS.    GENESIS  151 

helaga  hdkmuuardos,  in  unseren  fragmen ten  306  helega  uiiardos  ge- 
nannt werden;  vgl.  noch  Hol.  1088.  2481.  Ähnlich  Holthausen,  der 
the[s](B  uuardas  lesen  will,  mit  bestimmter  beziehung  auf  die  gott 
begleitenden  engel.  Der  Orthographie  wegen  sind  die  formen  site,  sif 
303.  254  zu  vergleichen. 

Koegel  bemerkt  s.  71,  durch  meine  bessorung  werde  dem  verse 
allerdings  geholfen,  „nur  wollen  leider  die  engel  nicht  recht  in  den 
Zusammenhang  passen.^  Jedesfalis  besser  als  die  priester;  doch  muss 
zug^eben  werden,  dass  auch  die  engel  etwas  fremdartig  auftreten. 
Die  verse  180  — 184  sind  offenbar  hervorgerufen  durch  Gen.  XVIII,  20: 
clamor  Sodomorum  et  Gomorrhae  multiplicatus  est  et  peccatum  eorum 
aggravatum  est  nimis.  Descendam  et  videbo,  utrum  clamorem,  qui 
venit  ad  me,  opere  compleverint.  Der  alts.  dichter  scheint  den  ctomor 
in  der  weise  gedeutet  zu  haben,  dass  das  gerücht  von  den  frevel  taten 
der  Sodomiten  dem  herrn  durch  seine  engel  vermittelt  wird.  Eben 
deshalb  denke  ich  auch  lieber  an  die  engel  überhaupt,  als  an  die  bei- 
den gott  begleitenden  engel,  wie  Holthausen  will^. 

V.  182  fgg.:  Nu  uilli  ic  selbo  uiiitan, 

ef  thia  mann  under  htm  sidic  7nen  fremmiatj 
uueros  uuanidädi. 
Die  notwendigkeit ,  hier  ein  verbum  uuiian  „sehen,  zusehen''  anzu- 
setzen (Braune  s.  61),  das  der  Heliand  nicht  kennt  und  dessen  existenz- 
berechtigung  im  germ.  überhaupt  mindestens  zweifelhaft  ist,  muss  trotz 
dem  videbo  der  quelle  in  abrede  gestellt  werden.  Es  genügt  uuitan 
„wissen,  in  erfahrung  bringen"  völlig.  Auch  mit  dem  „einzigen  beleg 
in  der  ags.  poesie"  (Gen.  511)  steht  es  bedenklich:  nach  Junius  und 
Wülker  hat  die  hs.  an  der  betreffenden  stelle  siteäy  und  diese  lesart 
gibt  einen  trefflichen  sinn.  Bequemlichkeitshalber  (vgl.  v.  513  fg.), 
meint  Satan,  bleibt  gott  ruhig  sitzen  und  bedient  sich  eines  boten; 
vgl.  auch  V.  667  hwcer  h6  sylf  sited. 

V.  209**:  ihanna  uuilli  ik  iro  ferah  fargeian. 

Mit  rücksicht  auf  die  parallelstelle  236  (vgl.  auch  221^),  sowie  auf  die 
bedeutung  von  fargeian,  das  nicht  „schonen",  sondern  „schenken" 
heisst,  wird  zwischen  ik  und  iro  noch  im  einzuschalten  sein.  —  Dass 
auch  V.  236,  nach  beseitigung  des  interpolierten  ferahtera  manno,  als 
zweiter  halbvers  zu  235'  zu  fassen  sei,   vermuten  Braune  s.  62  und 

1)  An  die  von  befreundeter  seite  mir  angedeutete  möglichkeit,  dass  der  dich- 
ter durch  misverständniss  des  clamor  Sodomorum  unter  uuardas  die  bürger  von 
Sodom  verstanden  habe,  deren  geschrei  zum  ohr  des  herrn  dringe  (vgl.  ags.  hurh- 
weardas  Exod.  39  und  dazu  Cos^'n  Beitr.  19,  458),  mag  ich  doch  nicht  glauben. 


152  STMONB 

Sievers  a.  a.  o.  s.  536  gewiss  mit  recht  Meinen  ergänzungsTersnch 
(a.  a.  0.  s.  153)  nehme  ich  zurück,  und  Eoegels  annähme  (s.  31)  eines. 
„paroemiacus^  leuchtet  mir  hier  so  wenig  wie  anderwärts  ein. 

Y.  254.  karm  hier  und  v.  314^  von  Braune  zu  ahd.  queran 
,,seufzen",  von  Koegel  s.  12  zu  ahd.  chara  ,,klage^  gestellt,  ist  nach 
Braune  s.  62  „bisher  in  keiner  germ.  spräche  belegt^  Das  wort  ist 
aber  doch  wol  identisch  mit  ags.  dmiy  cyrm  „lärm,  geschrei^  (i-stamm? 
oder,  wahrscheinlicher,  nach  dem  abgeleiteten  verbum  drmany  cyrman 
vokalisiert,  da  das  germ.  ein  suffix  -mi-  für  derartige  biidungen 
nicht  kennt:  s.  Eluge,  Nom.  stammbildungslehre  §  152),  vgl.  mnl.  nnl. 
carrnen,  kermen,  auch  mnd.  und  in  rheinischen  quellen  (Lexer  I,  1520) 
belegt.  Der  ausdruck  fegero  karm  bedeutet  nicht  sowol  das  „seufzen*^ 
der  todgeweihten,  als  ihr  schreien  oder  jammern. 

Y.  258  fg.:  that  lön  uuas  thuo  (h)at  handum 

mikil  mid  mordhii,  that  sia  oft  men  dribun. 
Koegels  Übersetzung  der  stelle:  „da  nahte  die  gewaltige  Vergeltung 
band  in  band  mit  dem  tode,  Vergeltung  dafür  usw.^  (s.  7)  ist  gewiss 
unrichtig,  at  handum  heisst  „nahe  bevorstehend **,  wie  altn.  fyr(ir) 
hqndmn  (z.  b.  Grip.  26®.  36^),  nnl.  ophanden  (mnl.  in  gleicher  bedca- 
tung  auch  ayi  hant,  te  haiide,  voor  hande  Yerdam  III,  106),  und  mid 
moräu  ist  mit  Iwi  zu  verbinden;  die  gewaltige  Vergeltung  tritt  auf 
als  morä. 

Y.  264  ^  Das  metrisch  unzulängliche  adalknöslas  (adain  kfitflas 
hs.)  bessert  Holthauscn  s.  55,  wie  ich  (a.  a.  o.  s.  153  fg.),  in  adaliknös-^ 
UiJS,  unter  Verweisung  auf  adaligeburdco  Hei.  2985  M  (ediligiburdeo  C). 
Koegel  s.  29  nimmt  wider  ohne  genügenden  grund  einen  „paroemia- 
cus^  an. 

Y.  275.  luokoian  (ags.  löcian)  „schauen*'  findet  sich  zwar  nicht 
im  Heliand,  war  aber  bereits  belegt  in  den  Strassburger  glossen  (Gal- 
16e,  Alts,  sprachdenkm.  275):  so  siu  (columba)  umbilocodK 

Y.  287  fg.:  a7i  allara  selida  gihimem    ühtfugal  sang, 
fora  daga  *huoam. 

D^s  deutlich  überlieferte,  aber  verderbte  huoam  hat  bereits  verschie- 
dene besserungsversuche  heiTorgerufen.  Der  herausgeber  ist  s.  63  ge- 
neigt, nach  einer  Vermutung  Kluges,  hiW7t  darin  zu  suchen,  indem  er 

1)  Dass  auch  a.s.  frcäig  ,,  flüchtig ^^  schon  in  den  Düsseldorfer  Prudentiusglos- 
sen  belegt  war,  bemerkt  Uolthausen  s.  56.  Er  hätte  hinzufügen  können,  dass  sich 
an  der  betreffenden  stelle  {flühtigun  endi  frethiün  „defugas"  Ahd.  gL  11,  583*'. 
Galice  s.  141)  sogar  dieselbe  allitterierende  Verbindung  findet,  wie  Gen.  75. 


ZUR  ALTSÄCHS.   OENESIS  153 

an  Otfiids  singendes  huhn  (IV,  13,  36..  18,  34)  erinnert,  das  ebenso 
als  epische  Variation  des  den  morgen  verkündenden  habnes  erscheint, 
wie  es  hier  der  fall  sein  würde.  Allein,  abgesehen  von  dem  metrisch 
anstössigen  halbverse,  welcher,  wie  Braune  natürlich  nicht  entgangen 
ist,  durch  einsetzung  von  hium  entstünde,  wäre  die  corruptel  eines 
so  gewöhnlichen  wertes  schwer  begreiflich,  und  das  singende  huhn 
scheint  mir  wenigstens  nach  dem  schönen  ühtfugal  recht  ernüchternd 
zu  wirken  und  besser  für  Otfrid  zu  passen  als  für  imseren  dichter. 
Koegels  einfall  kuöna  (ags.  hw4ne)  s.  29  wird  vermutlich  wenig  bewun- 
derer  finden.  Der  sinn  des  halbverses  kann  allerdings  kaum  ein  ande- 
rer gewesen  sein  als  „vor  tagesanbruch".  Holthausen  sucht  diesen  zu 
gewinnen  (s.  55)  durch  änderung  von  huoam  in  fruoiam;  die  änderung 
ist  jedoch  ziemlich  gewaltsam,  und  „vor  frühem  tage^  wird  der  Alt- 
sachse wol  so  wenig  gesagt  haben  wie  wir.  Beachtenswerter  ist  Gal- 
16e's  conjectur  fora  dagalioman  (Tijdschr.  voor  nederl.  taal-  en  letterk. 
Xin,  303  fgg),  die  sich  nach  seinen  ausführungen  graphisch  wol  ver- 
teidigen lässt  und  dem  sinne  voll  genüge  leistet.  Freilich  ist  das  com- 
positum bisher  nicht  nachgewiesen,  das  von  G.  aus  Cleasby-Vigfüsson 
beigebrachte  nord.  dagsljömi  ist  keine  alte  bildung. 

In  der  anm.  teilt  Braune  eine  zweite  Vermutung  Kluges  mit,  der 
auf  ags.  dcegwöma,  dcegrMwöma  „das  rauschen  des  anbrechenden  tages*', 
zu  wöma  „lärm*'  hinwies:   s.  die  belege  bei  Grein  I,  184  fg.  und  we- 
gen der  zu  gründe  liegenden  mythischen  Vorstellung  J.  Grimm,  Andr. 
und  El.  s.  XXX  fg.     Der  gedanke,   dass  das  von  J.  Grimm  vermisste 
as.  uuömo  in  dem  rätselhaften  huoain  stecke,   scheint  in  der  tat  aller 
erwägung  wert.     Stand   in   der   vorläge   etwa    fora   dagafuiw7nä\    so 
konnte,  worauf  mich  mein  College  van  Holten  aufmerksam  macht,  der 
Schreiber  in  dem  ihm  nicht  mehr  bekannten  werte  fuu  leicht  als  hu 
verlesen,    und  die  anticipierung  des  a  entspräche  durchaus  seinen  ge- 
wohnheiten.     So   sei  fora  dagas  uuoman  nach  Kluges   Vorgang   aufs 
I      neue  der  erwägung  empfohlen. 

Bedenken    erregt    auch   Holthausens    verschlag,    wegen   der   auf 

alkra  im  gegensatz  zu  v.  255   und  den  von  Behaghel  Germ.  21,  147 

Angeführten  Heliandstellen   ruhenden   alliteration   (s.  Braune  z.  st),   in 

^-  287^  umzustellen  sa7ig  ühtfugal.     Dass  das  verbum  den  hauptstab 

^^■^^ige,   Hesse  sich  allerdings  in  dor  Schilderung  verteidigen.     H.  ver- 

^^ist  selbst  auf  den  unmittelbar  vorangehenden  zweiton  halbvers  nd- 

1)  Der  strich  über  dem  vocal  als  abkürzung  eines  n  auch  in  scidü  232,  gi- 
'^^'■^-  285. 


154  SYHONS 

hida  vioragan  und  auf  Sievers  Altgerm,  metrik  §  24,  3;  s.  auch  Koe- 
gel  a.  a.  0.  s.  32.  Aber  die  Umstellung  zerstört  den  rhythmus,  wie 
jeder  sich  beim  lauten  lesen  überzeugen  wird.  Die  zeile  hat  gekreuz- 
ten Stabreim  mit  der  gewöhnlichen  reimstellung  abab  (vgl.  auch  v.  153. 
29.3),  wodurch  auch  Braunes  bedenken  sich  erledigt 

V.  321  fgg.    Diese  schwierigste  stelle  unserer  fragmente  lautet  in 

der  hs.  aluuard  farspildit  sodomariki  that  is  etiig  theg  nigehias 

ac  sobi  dödit  aiidod^eii;  Braune  gibt  sie  im  texte  folgendermassen: 

al  uuard  farspildit 

Sodomariki:     that  is odg 

*theg  7iigienaSy     ac  so  bidödit 
an  dodseu,  usw. 

In  der  anm.  s.  64  meint  er,  indem  er  sich  über  die  ausfüUung  der 
lücke  der  Vermutungen  enthält,  323**  könne  durch  eiufügung  von  uuarä 
nach  bidödit  hergestellt  werden,  wenn  nicht  etwa  ae  so  bidödit  mit 
zu  324*  zu  ziehen  sei.  Dem  letzteren  vorschlage  ptlichtet  Sievers 
(diese  zeitschr.  XXVII,  536)  mit  der  oinschränkung  bei,  dass  die  lücke 
nach  ac  so  anzusetzen  sei,  also:  ac  so  —  [uuard],  0  bidödit  an  dod- 
seu.  Auch  Koegel  s.  29  entscheidet  sich  in  ähnlicher  weise.  Mit  Sie- 
vers trifft  in  der  trennung  zwischen  v.  323  und  324  Jellinek  Ztschr.  f. 
d.  a.  XXXIX,  151  zusammen;  er  ergänzt  ac  so  [bithuungan  tiuardj,[\ 
bidödit  an  dodseu. 

Was  zunächst  v.  322 ^  323*  (nach  Braunes  Zählung)  anbetrifft, 
so  hat  Jellinek  erkannt,  wie  ich  (a.  a.  o.  s.  154),  dass  in  dem  hand- 
schriftlichen lautcomplexe  nigehias  nicht  mit  dem  herausgeber  nigenaSj 
sondern  7ii  ginas  (das  übergeschriebene  i  soll  wol  besserung  des  e  sein) 
zu  suchen  ist.  Die  parallelstelle  des  Heliand,  wo  die  Zerstörung  So- 
doms  geschildert  wird,  that  tMr  cnig  gnynono  ?d  ginas  (4369),  erhebt 
diese  auffassung  fast  zur  evidenz.  Auch  die  „ergänzung*'  von  segg 
(.Sodomariki)  scheint  sicher.  Die  einfachste  annähme  ist  nun  aber, 
dass  dieses  segg  versclmcben  in  theg  wirklich  vorliegt  und  die  lücke  in 
V  nach  is  bedeutunglos  ist;  d.  h.  der  auch  sonst  voreilige  schreiben 
hatte  segg  vermutlich  zu  früh  geschrieben  und  fuhr  dann  nach  cwi" 
gedankenlos  fort  mit  dem  synonymum  thegfan],  bemerkte  aber  spätem" 
seinen  irrtum,  tilgte  das  anticipierte  segg,  vergass  jedoch  tJieg  in  se§r  ^ 
zu  ändern.     Bei  dieser  annähme  erhalten  wir  die  tadellose  langzeile: 

Sodomariki,    that  is  enig  segg  ni  ginas.^ 
1)  Dioso  iassuDg  der  zoile  verdanke  ich  Cosijn. 


ZUR  ALT8ÄCH8.   GENESIS  155 

Für  das  folgende  ac  so  bidodit  an  dodseu  bleibt  dann  nur  der 
raum  einer  halbzeile  übrig,  wenn  man  nicht  eine  durch  nichts  indi- 
eierte  lücke  in  der  Überlieferung  annehmen  will.  Er  genügt  auch  völ- 
lig, wenn  man  mit  Cosijn  (in  meiner  oben  citierten  abhandlung  s.  154) 
und  Holthausen  s.  55  Mdod  it  liest  Ein  verbum  H-dödiaii  „töten", 
in  seiner  bedeutung  nicht  abweichend  vom  simplex,  ist  ja  immerhin 
denkbar  (vgl.  bibrengean,  bifellean  u.  a.),  aber  unbelegt  Und  der 
ausdruck,  ein  riki  oder  eine  Stadt  „töten'',  ist  äusserst  seltsam.  Mit 
der  lesart  btdod  it  entgeht  man  sowol  diesen  Schwierigkeiten  als  der 
notwendigkeit  einer  einfügung  von  tiuarä.  Allerdings  muss  man  den 
accent  von  bidödit  für  falsch  erklären,  doch  der  fall  steht  nicht  allein 
(s.  Holthausen  a.  a.  o.  und  Braune  s.  22).  bidmi  „harren,  bleiben" 
findet  sich  im  Hei.  4947  M  =  bidan  C,  wozu  Holthausen  mit  recht 
auf  altfries.  bidia  verweist  Zur  Verwendung  ist  zu  erinnern  an  den 
ags.  Phoenix  47  se  cedela  won^  . . .  bideä  swd  ^eblöwen  od  bceles  cynie, 
wo  l^da7i  synonym  ist  mit  seomiaii  v.  19  und  tounian  v.  82. 

Die  ganze  stelle  würde  also  lauten: 

al  uuard  farspildit 
SodamartH,     that  is  enig  segg  ni  giiias, 
ac  80  btdod  it  an  dodseu^    sö  it  noh  ie  daga  stendit 
fluodas  gifiiUit; 
d.  h.  „ganz  Sodom  ward  zei-stört,  dass  kein  mann  mit  dem  leben  davon 
kam,   aber  so  verharrt  es  im  toten  meer,   wie  es  noch  heute  dasteht 
mit  flut  erfüllt"  —   Metrisch  wäre  dann  v.  323*  aufzufassen  als  ein 
vers  vom  typus  C  mit  einfacher  allittoration  und  sechssil  biger  eingangs- 
senkung  (belege   für   diese   rhythmische   form   aus  dem  Hei.  s.  Beitr. 
12,  328). 

GROJNTNGEN,   30.  MÄRZ    1895.  B.    SYMONS. 


Nachtrag. 

Nachdem  die  vorstehenden  bemerkungen  sich  bereits  in  den  bän- 
den der  redaction  befanden,  erhielt  ich  durch  die  gute  derselben  einen 
correcturabzug  des   [im  ersten  hefte  dieses  bandes  s.  138  — 142  abge- 
druckten] aufsatzes  von  Th.  Siebs:  „Zur  altsächsischen  bibeldichtung**, 
Solcher  neben  schätzenswerten  nachweisen  von  quellen-  und  parallel- 
^^^llen  auch  textkritische  beitrage  enthält     Mit  dem  oben  vorgebrach- 
^^^  berühren  sich  seine  bemerkungen  zu  v.  10  —  wo  aber  mit  unrecht 
^bauptet  wird,    der  ags.  Übersetzer  habe  das  tlie7n  der  vorläge  miss- 
^X^tanden,   während  er  doch  nur  durchaus  sachgemäss  den  as.  dativ 


156  WILKSN 

durch  den  ags.  instrumentalis  ersetzte  —  und  zu  v.  22.  In  anderer 
richtung  dagegen  wie  die  oben  mitgeteilten  bewegen  sich  Siebs'  be&- 
serungs-  resp.  ergänzungsvorschläge  zu  v.  180.  288  und  322  fgg.:  es 
möge  an  dieser  stelle  die  bemerkung  genügen,  dass  sie  mich  nicht 
überzeugt  und  mir  demnach  keine  veranlassung  geboten  haben,  ände- 
rungen  im  vorstehenden  vorzunehmen. 

GRONINGEN,   9.  APRIL   1895.  B.    S. 


DER  FENEISWOLF. 
Eine  mythologische  Untersuchung. 

I. 

Begriff,  umfang,  einteilung  der  mythologie;  methode  der 

forschung. 

1.    „Unter  mythologie  verstehen  wir  die  summe  der  bUder  und 
dichtungen,   in  denen   ein  volk  seine  religiös -poetischen  anschauungen 
von  der  es  umgebenden  natur  und  den  in  ihr  wirkenden  kräften,   die 
es    als    persönliche    wesen    aufFasste,    ausgeprägt    hat;    wir   verstehen 
darunter  auch  die  Wissenschaft,   die  bestrebt  ist  den  gehalt,   gang  und 
umfang  der  in  diesen  dichtungen  enthaltenen,   inneren  geistigen  ent- 
Wickelung  darzulegen  und  deren  aufgäbe  daher  notwendig  eine  histo- 
rische isf     (MüUenhoflf,  Deutsche  altertumsk.  V,  157.)  —  Der  in  den^ 
vorstehenden   worten    ausgesprochenen   ansieht    des    um    die    deutsche» 
mythologie  hochverdienten  forschers  kann  ich  mich  zunächst  darin  an— 
schliessen,    dass   auch   ich    den   ausdruck   mythus,    der   ursprünglich 
überhaupt  nur  wort,    erzähl ung  bedeutete,   aber  schon  im  griechischen. 
alteilum  oft  den  nebensinn  des  erdichteten,  der  Wahrheit  nur  ähnlicheik^ 
wertes  annahm  (==»  koyog  ifjevdfjg  eiA,oviUov  äXi^d'eiav)   in   der   wissen- 
schaftlichen  spräche    auf  die   darstellung    der   von   erscheinungen   deir^ 
natur  im  menschengemüt  veranlassten  eindrücke,   welche   namentlicfaB. 
in    der   urzeit   mancherlei   täuschungen   und    ungenauigkeiten    in  siel»- 
schloss,  einschränken  möchte;  jeder  echto  mythus  ist  mir  also  ursprüng- 
lich ein  „naturmythus*'  ^ 

1 )  Einige  forscher  reden  auch  von  einem  historischen ,  einem  religiöson  myth 
noch  andere  glauben  die  darstellung  des  Seelenlebens,   welche  für  mich  im 
sinne  zum  naturlebcn  selbst  gehört  (vgl.  §§2,  12  und  19)  von  letzterem  trennen 
müssen.    Ob  die  sog.  kultusmythen  sich  auf  naturmythen  zurückführen  lassen, 
für  die  german.  mythologie  eine  frage  von  untergeordneter  bedeatang. 


DER  FSNBISWOLF  157 

2.  Gehen  wir  nun  zu  einer  näheren  betrachtung  der  an  die  spitze 
dieses  kapitels  gestellten  definition,   so  fragt  es  sich  zunäx^hst:   welcher 
art  sind  die  von  Müllenhoff  erwähnten  bilder?     Ziemlich  in  demsel- 
ben sinne  gebraucht  Wislicenus  (Symbolik  von  sonne  und  tag  s.  14) 
das  wort  symbol  („das  s.  ist  ein  bild");  namentlich  lässt  sich  die  von 
Wislicenus  als   „niedere"   Symbolik  bezeichnete  stufe   (s.  20),   auf   der 
nur   gegenstände   der   unbelebten   natur    nebst    einfachen   geraten    des 
menschen,    welche    letzteren    auch   ich   als   anhang   des   naturgebietes 
betrachten  möchte  (heisst  doch  z.  b.  der  obere  mühlstein  dem  Griechen 
oyoc),   den    „bildem"   MüllenhofFs   vergleichen,   während   die    „höhere" 
Symbolik,  die  belebte  wesen,  namentlich  den  menschen  selbst  zur  ver- 
anschaulichung gebraucht  und  der  sich  daraus  entwickelnde  „mythus" 
(Wisl.  s.  85,  88)   den   „dichtungen"   in  der  definition  Müllenhofifs  ent- 
spricht —  Während  aber  Müllenhoff  durch  nichts  andeutet,    dass  zwi- 
schen „bild"  und  „dichtung"   in  diesem  falle  neben  der  verwantschaft 
auch  eine  disharmonie  besteht,   so  hebt-  diese  Wislicenus  ausdrücklich 
hervor:    „bei  der  bildung  des  mythus  wird  das  symbol  umgewandelt 
und  als  solches  aufgelöst"   (s.  85).     Auf  den  grund^  weist  eine  frühere 
stelle  hin  (s.  14),   wo  es  heisst:    „das  symbol  ist  ein  bild.     Erzeugen 
von  blossen  bildern  aber  ist  nicht  die  absieht  des  geistes  bei  der  sym- 
boibildung.     Nicht  aus  dem  streben  phantastische  Vorstellungen   ohne 
realität  zu  schaflfen,  sondern  aus  dem  streben  der  versinnlichung  wirk- 
lich   bestehender    Verhältnisse    ist    das   symbol    hervorgegangen.     Der 
geist  meint  im  symbol  wirklich  das  innerste  wesen  des  angeschauten 
g^nstandes  zu  erfassen.     So  kann  man  sagen,    das  symbol   entsteht 
AUS  der  absieht  zu  erkennen  . . .  jedes  symbol  schliesst  auch  urteile 
^ö  sich,   denn  es  wird  von  denselben,    die  es   geschaffen  haben,   für 
^ahr  gehalten." 

3.  Ist  diese  auffassung  richtig 2,   so  werden  wir,   auch  wenn  wir 
^ö    Yon  Müllenhoff  gewählten  ausdrücke  „bilder  und  dichtungen"  bei- 

1)  Genauer  darüber  handle  ich  noch  in  §  15.  —  Die  terminologie  der  einzel- 
^^^  forscher  ist  bez.  dieser  fragen  eine  verschiedene:  Laistner  (Nebelsagen  s.  116) 
^tersobeidet  gleiohnis  (^  symbol  Wisl.)  und  mythus;  Mannhardt  (Götter weit  der 
deatschen  und  nord.  Völker  s.  17  fg.)  mythische  anschauung  (s.  22)  oder  naturbild 
(8.  17,  24,  25)  und  wirklichen  mythus;  symbol  vei-wendet  Mannhardt  in  anderem 
^^o  (s.  25)  als  Wislicenus.  —  Baor  (Germ.  33,  9  fg.)  geht  vom  primitiven  mythus 
*^s  im^  (jaujj  2\x  fabel,  sage,  cyklus  weiter.  Seine  scharfsinnige  auffassung  lei- 
det nnf  daran,  dass  sie  mehr  auf  widerkehronde  als  auf  ruhende  erscheinungen  im 
^tuileben  anwendung  findet. 

2)  Derselben  ähnlich  ist  z.  b.  die  von  Laistner  (a.  a.  0.  236)  im  anschlnss  an 
^^"^  meieorologen  Kämptz  vorgetragene.    Auch  hat  schon  W.  Müller  (Mythologie  der 


158  WILKEN 

behalten,  sie  doch  so  zu  sagen  im  sinne  von  Wislicenus  interpretie- 
ren müssen.  —  Wie  steht  es  ferner  mit  der  erklänmg,  wonach  in 
diesen  bildem  usw.  die  ,,religiös-poetischen^  anschauungen  eines 
Volkes  von  der  natur  ausgeprägt  sind?  Da  hier  sehritt  für  schritt 
zu  gehen  ist,  blicke  ich  zunächst  nur  auf  das  attribut  poetisch 
hin.  Meine  meinung  darüber  ist  teilweise  schon  durch  das  vorher- 
gehende klar  gelegt  Poetische  anschauungen  liegen  in  den  mythen  ja 
zweifellos  vor,  aber  gerade  in  den  ältesten  mythenkeimen  ist  doch  die 
poesie  im  ganzen  nicht  nur  eine  niedrige,  teilweise  selbst  grobsinn- 
liche, sondern  es  werden  uns  diese  eigenschaften  gerade  dadurch  ver- 
ständlich, dass  diese  mythen  nicht  als  gedichte  in  unserem  sinne,  son- 
dern als  erste  versuche  einer  naturerklärung  sich  darstellen^.  Soll 
aber  der  ausdruck  „poetische"  anschauungen  zunächst  nur  besagen, 
dass  diese  anschauungen  von  objektivem  anschauen  und  begreifen  der 
natur  noch  weit  entfernt  waren,  in  diesen  urteilen  mehr  dichtung  als 
Wahrheit  sich  zeigte,  soll  somit  in  dem  attribut  „poetisch"  eher  ein 
mangel  als  ein  vermögen  hervorgehoben  werden,  so  kann  der  ausdruck 
auch  für  die  älteste  zeit  übernommen  werden,  der  für  die  spätere  in 
etwas  anderem  sinne  zutrifft*. 

4.  Was  femer  das  attribut  „religiöse"  betrifft,  so  ist  hier,  wo 
wir  es  lediglich  mit  naturreligionen  zu  tun  haben,  nicht  etwa  zweifel- 
haft,  dass  wir  in  den  mythen   eine   der  wichtigsten    quellen   unserer 

deutschen  Heldensage  s.  8)  insofern  bedenken  gegen  die  definition  MüUenhofifiB  geäusseit, 
als  die  dichterische  behandlung  oft  gerade  die  Veränderungen  des  mythus  bedingt 
^Es  ist  ein  verhängnisvoller  irrtum,  wenn  einige  dichtung  und  mythus  nicht  von 
einander  scheiden.*^  Auch  Baer  (Germ.  a.  a.  o.)  betonte  mit  recht,  dass  die  mehr 
passive  poesie  des  mythus  von  der  eigentlichen  (mehr  aktiven)  poesie  zu  tremoen  sei. 
Irreführend  scheint  mir  dagegen  der  ausspruch  desselben  (a.  a.  o.  s.  5):  nicht  der 
erkenntniswert,  der  gefühlswert  bestimmt  die  mythen-,  wie  jede  begrifiisbildang, 
HO  gern  ich  anerkenne,  dass  die  am  meisten  auf  das  gemüt  einwirkenden  erachei- 
nungen  die  wirksamsten  faktorcn  der  mythenbildung  wurden.  Dass  aber  eine  ^auf- 
fassung  des  unbegreiflichcu  nach  analogio  des  begriffenen^^  nur  stattfinden  konnte, 
wenn  ein  tiefer  eindruck  das  gemüt  aufregte,  wird  durch  die  w.  u.  §  5  fjg.  ansfoh- 
rungen  widerlegt  werden. 

1)  Auf  die  rohheit  der  ältesten  mythischen  anschauungen  hat  nameDtlich 
W.  Schwartz  Nnderholt  (z.  b.  Ursprung  der  mythol.  s.  11)  hingewiesen;  dass  in  die- 
sen ältesten  mythen  doch  auch  der  erste  versuch  eines  naturerkonnens  vorliegt,  deu- 
tet derselbe  mehr  gelegentlich  an  (z.  b.  a.  a.  o.  s.  13). 

2)  Vgl.  M.  Müller,   Vorlesungen  über  den  Ursprung  und  die  entwiukelung  der 
rel.  s.  316:  vieles,  was  für  uns  poesie  ist,  war  für  sie  prosa;  was  uns  wie  ein  über— 
mass  von  phantasie  erscheint,   war  wirklich  mehr  folge  einer  unbeholfenheit  in  ddxr 
auffassung  usw. 


DKR  FEKBISWOLF  159 

kenntnis  von  der  religion  eines  Yolkes  besitzen,  wol  aber,  ob  alle 
mythen  von  vom  herein  religiösen  Charakter  hatten.  Auch  in  jenem 
weiteren  sinne,  in  dem  die  lehre  von  den  dämonen  schon  der  religion 
zugerechnet  wird,  glaube  ich  doch  die  frage  nicht  unbedingt  bejahen 
zu  dürfen.  Können  wir  nach  den  Systemen,  in  die  später  die  mythen 
gebracht  sind,  auch  jeden  mythus  an  die  gestalt  eines  gottes  oder 
heros^  oder  riesen  oder  an  elbische  geister  anknüpfen,  so  fehlt  es 
andererseits  doch  nicht  an  anzeichen,  dass  es  in  alter  zeit  auch  eine 
naiv-poetische  naturbetrachtung  ohne  eigentlich  religiösen  Charakter 
gab.  Man  braucht  dabei  nicht  an  das  kaum  bemerkliche  religiöse  de- 
ment in  dem  leben  einiger  naturvölker  (namentlich  in  Australien)  zu 
erinnern;  da  überall  auch  rückfällo  in  der  kultur  vorkommen  2,  sind 
derartige  beispiele  nicht  ohne  weiteres  entscheidend,  um  so  mehr  als 
auch  ein  verschiedener  grad  religiöser  Veranlagung  bei  verschiedenen 
Völkerrassen  mehr  als  wahrscheinlich  ist  Man  muss  also  die  Urkunden 
des  betreffenden  volkes  selbst  prüfen,  dessen  religiöse  entwickelung 
man  begreifen  will  Auf  nordischem  gebiet  bietet  eines  der  deut- 
lichsten beispiele  für  eine  noch  nicht  durchweg  religiös  accentuierte 
naturbetrachtung  eine  allerdings  mehrfach  misdeutete  stelle  der  Her- 
vararsaga. 

5.  Die  dieser  sage  eingefügten,  teilweise  viel  älteren  rätsel^  geben 
eine  zwar  nicht  im  modernen  sinne,  doch  relativ  objective,  rein  äusser- 
liche  naturbetrachtung  wider,   welche  erscheinungen   der   belebten  wie 
unbelebten  natur,  ja  erzeugnisse  des  menschlichen  fleisses  dicht  neben 
einander  stellt  und  nur  nach  äusseren  ähnlichkeiten  beurteilt.     Da  wer- 
den so  nach  einander  der  trank  mungät  nach  seinen  Wirkungen,   der 
gang  über  eine  brücke,   der  nachttau  als  mittel  gegen  den  durst,   der 
hammer  des  goldschmiedes,  der  nebel,  der  anker,  der  rabe,  der  lauch, 
die  blasebälge,   der  hagel,   der  mistkäfor  usw.  vorgeführt  und  die  art 
der  betrachtung  ist  weder  unpoetischer  noch  weniger  volkstümlich  als 
manche  Strophe  der  Edda*.     Hier  wollen  wir  nur  die  Strophe  über  den 
nebel  (Herv.  saga  ed.  Bugge  238)  betrachten.     Sie  lautet  in  Übersetzung: 

1)  Mit  diesem  namen  bezeichne  ich  den  holden,  der  als  unigostaltong  eines 
gottes  anzusehen  ist 

2)  So  bezeugt  es  z.  b.  für  die  Tupende  in  Süd  -  Afrika  Wissmann  (unter  deut- 
scher flagge  quer  durch  Afrika,  kleine  ausg.  s.  60),  vgl.  im  allg.  Max  Müller  Über 
den  nrspr.  u.  die  entw.  der  rel.  s.  74. 

3)  Im  Grundriss  der  german.  phil.  II,  1,  133  hebt  Mogk  hervor,  dass  dieser 
^*8B  ältere  lieder  zu  gründe  liegen,  vgl.  auch  die  folgende  anm. 

4)  Mogk  a.  a.  0.  s.  80:    „eine  rätselsammlung,    die   sich   in  jeder   beziohung 
aebeo  die  Vafl»r.  stellen  kann.** 


160  WILESN 

„Wer  ist  der  mächtige, 

Der  die  marken  durchfahrt? 

Seen  und  sümpfe  verschlingt  er. 

Den  wind  er  fürchtet, 

Doch  wenig  den  menschen, 

Dem  Schimmer  der  sonne  er  schadet**  ^ 

Dann  folgt  die  antwort:  ,,Das  ist  der  nebel;  vor  ihm  sieht  man  die 
see  nicht,  aber  er  verschwindet  gleich,  wenn  der  wind  kommt,  men- 
schen können  ihm  nichts  anhaben;  er  lähmt  den  schein  der  sonne."  '  — 
Wenn  Uhland  in  seiner  gelegentlichen  besprechung  des  rätseis  (Genn. 
4,  85)  sagt,  dass  hier  kein  (eigentlicher,  zur  Personifikation  fortge- 
schrittener) mythus  vom  nebel  vorliegt,  so  ist  dies  zweifellos  richtig, 
aber  die  werte:  „mit  der  ausgesprochenen  lösung  des  rätsols  schwin- 
det die  scheinbare  persönlichkeit  des  finstem  ungenannten^  werden 
durch  die  errungenscliaften  jüngerer  forscher  glänzend  widerlegt  Bei 
diesen  hat  der  „finstere  ungenannte"  glücklich  einen  mythologischen 
namen  gefunden.  Es  ist  der  Fenriswolf,  von  dem  es  ja  Vafj)r.  46,4 
(Sijmons)  heisst,  dass  er  die  sonne  verschlingen  soll*.  —  Da  nun  auch 
der  nobel  dann  und  wann  als  fuchs  oder  wolf  aufgefasst  wird,  so 
stimmt  die  erklärung  zu  dem  quellenzeugniss  ja  „in  jedem  zuge." 

6.  Wer  entweder  selbst  sieht  oder  durch  Uhland  sich  daran  erin- 
nern lässt,   dass  hier  noch  kein  mytlius,   sondern  nur  ein  spielender 
ansatz  dazu  sich  findet,   dem  werden   leicht   ähnliche  „mythenkeime**' 
auch  sonst  in  der  litteratur  aufstossen,   wenn  auch  in  unseren  „alten*" 
quellen,   die  schon  sämtlich  einen  geordneten  götterstaat  voraussetze 


1)  Der  von  Uhland  (vgl.  im  text  das  folg.)  benutzte  text  (Herv.  saga  171 
s.  150  fg.)  bietet  die  Varianten  enn  myrkvi  („der  dunkle")   statt  enn   mikli   („di 
grosse"). 

2)  In  der  antwort  erhält  der  von  ühland  benutzte  text  noch  die  angäbe:  „! 
finstere  nebel  steigt  auf  aus  Gyniis  (des  meergottes)  sitzen  und  verschliesst  des 
mels  anblicL" 

3)  Einer  gelegentlichen  bonierkung  F.  Magnussens  (Den  seldre  Edda  IV,  22 
wonach  das  rätsel  der  Herv.  auf  Fenrir  zu  beziehen  sein  möchte,   ist  leider  anc 
lAistner  (Nebels,  s.  30)  gefolgt.    Aber  wenn  dieser  gelehrte,  durch  Mannhardt  (1 
genwolf  ()1)    bestimmt,    bei  F.  zunächst   „an    den  gewittcrsturm,   der   den   himm^ 
mit  iinstomis  umhüllt ^^  dachte,  dann  aber  lieber  an  „winterliche  mächte  der  finstfr:^^ 
nis"  denken  wollte,   so  stimmt  keine  dieser  orklärungen  zu  einem  wesen,   das  h^^ 
zum  Weltuntergange  in  feston  gewahrsam  gebracht,   auch  vorher  nichts  furchtbar"*^ 
verübt  hat.     Man  vergesse  nicht,    dass   der  wolf  iinter  umständen   sogar  weit 
wesen  bezeichnet  (vgl.  §  14).     Auch  das  von  J^aistner  citierte  „wolfsalter"  hat 
dem  Fenriswolfe  nichts  zu  tun,  vgl.  kap.  in,  §  7  gegen  ende. 


nER    rZUBISWOLF  161 

uft  etwas  hinweggedficht  werden  muss.     Betrachten  wir  z.  b.  Gylfagin- 

ning  10  die  aogabe  über  nacht  und  tag,   so  ist  von  der  aufTassiing, 

dass  sie  allvater  an  den  hiuimel  gesetzt  habe,  leicht  abzusehen;    doss 

sie   die  ei-de  mit  einem  gespann  in  bestimmter  widerkehr  umkreisen, 

kann  ursprünglich  uhne  jede  beziehung  auf  die  götter  geglaubt  sein. 

Aach  die  weitere  angäbe,  dass  vom  gebiss  des  pferdes  der  nacht  der 

[  sogenannte  nadittau  horabtrieft,  von  der  leuchtenden  mahne  des  tages- 

3a  aber  luft  und  erde  erleuchtet  werden,  lässt  noch  keine  deutliche 

ehung    auf  freundliches  oder   feindliches  Verhältnis  zur  menschen- 

felt  erkennen.     Da   die  meisten   naturerscheinungen    aber   nach    einer 

I  dieser  beiden  seiton  beb-aclitet  werden  können,    so  wurde  jene  einfach 

I  piiysikalisch-mythische  auffassung.  welche  die  erhabeneren  naturvor- 

I  gäiige,  z.  b,  die  am  himmel  mit  anderen,  dem  menschen  näher  liegen- 

I  ■'en    erscheinungen  einfach   verglich,  meist  bald  dnrch  eine  mitbetei- 

■  %ittig  des  menschlichen  gemütes  in   furcht   oder   frommer   Verehrung 

einer  betrachtung  gewandelt,  von  der  aus  man  die  naturgebiote  als 

►'•"Icnngsk reise  dem  menschen  an  macht  überlegener,   bald  woltätiger 

Wd    schädlicher   dämonen    betrachtete,    was    endlich    unschwer   dazu 

f»t*te,  diese  geisfer  auch  als  sittlich  bestimmte,  gute  oder  böse  mächte, 

iiBiiaehen,  mit  welcher  Unterscheidung  die  verehning  der  götter  in 

sinne  des  späteren  heidentums  im  principe  gegeben  war'.     Musb 

sich   auch   davor  hüten,   die  entwickelung    dos   menschlichen   be- 

*i»ssrscins  der  niitur  gegenüber  nach  einer  toten  forme!  oder  Schablone 

"""nudeln  zu  wollen,  liegt  dem  besonnenen  urteil  vielmehr  das  geständ- 

""*     nahe,   dass  keime  der  scheinbar  höheren  auffassung  schon  in  der 

it^^Gdoren"  liegen  müssen  und  dass  günstige  umstände  oft  einen  keim 

sfcVir  rasch  zui-  iriebkraft  bringen,  dass  somit  die  eben  angedeuteten  drei 

^'w^n   der   niiturbetrachtung  nicht  notwendig  immer  als  chronologisch 

1)  Es  wild  leicht  erkannt  «ciileii,  dass  disBe  betraohtungaweisp  mohi'  in  den 
I  ^itsgaogs-,  als  in  dea  eadpankten  der  vou  Wisliceuus  entspricht.  Dieser  iindot  s.  88 
|'*ti  der  iiidtvidualisicrung  der  persäiüicbkeit  das  rür  den  niythua  charalfteristisohe, 
id  dio  .,wahie  beaoaderheit"  inosrhalb  der  sfibära  des  symbob  nicht  erreicht 
1  käone.  Aber  gerade  der  ssitz  „daa  Symbol  betrachtet  die  persönlichlioit  ttls 
gsbagriff-'  iat  sehr  anriKihtbar.  Mit  üiFtigon  gniadeu  bst  Vi.  Bohwsrtz  (Poet. 
Dach.  I,  154  fg.)  EQ  lieweisuD  gesucht,  dass  in  der  uriteit  die  soniic  dos  uouoii 
Bl^es  oder  die  nach  d«in  UDWottor  neu  erschoinendo  als  ein  ganz  neues  weson  botrach- 
,  wuxu  uuth  Vaffir.  47  deutlich  stitimit-  erst  allmählich  lentto  man  die  Identität 
den  vuracliiedenen  liyjiostason  der  sonne,  des  mondes  usw.  sich  lelgendeo 
orkennen,  —  Nur  in  dem  Freieren  sinne  ako,  dass  eine  ethische  indivi- 
h  iluiitisjening.  ein  moralischer  cbarakter  dem  syrnbole  noch  nieht  zukommt,  kann  ich 
i«uer  aufTassaag  von  Wislicenus  beipQichlea. 

.  xxvin.  11 


162  WILKBN 

scharf  geschiedene  perioden  gelten  müssen  (vgl.  u.  n.  4  und  §  13),  so  wird 
andererseits  doch  für  eine  methodische  mythenerforschung  kaum  ein 
anderer  weg  offen  stehen  als  der  in  jenen  drei  stufen  sich  darstellende, 
wobei  leicht  zu  bemerken  ist,  dass  zwar  die  älteste  zeit  allen 
gegenständen,  auch  den  für  uns  toten,  eine  art  von  beseeltheit  zuge- 
stand^, die  volle  menschenälmliche  persönlichkeit  den  naturmächten 
aber  erst  zugleich  mit  der  sittlichen  bestimmtheit  geliehen  werden 
konnte. 

7.  Um  die  angenommenen  drei  stufen  an  einigen  nahe  liegenden 
beispielen  zu  erläuteni,  so  stellt  sich  zu  der  naiv  physikalischen  be- 
trachtung  des  nebeis,  die  wir  in  dem  rätsei  der  Hervararsage  (vgl- §5) 
fanden,  eine  art  von  dämonischer  auffassung  desselben  phänomens  in 
jenen  sagen  vom  „nobelmännlein^,  die  zuerst  Uhland  mitgeteilt  hat, 
während  sie  jetzt  in  reicherer  fülle  vorliegen;  zu  einer  ethischen  be- 
stimmtheit konnte  der  nebel  nur  in  unsicheren  ausätzen  gelangend  — 
Dass  auch  bei  dem  gewitter  nicht  etwa  die  dämonische  auffassung 
die  älteste  war,  geht  einmal  aus  den  Zeugnissen  über  die  auffassung 
der  naturvölker  hervor  3,  andererseits  wird  es  auch  durch  die  erwägnng 
bekräftigt,  dass  erst  mit  der  gewinnung  fester  Wohnsitze  und  geregel- 
tem anbau  der  felder  der  blitzschlag  (nebst  dem  hagel)  seine  verderb- 
lichste Wirkung  zeigen  konnte;  doch  hatte  eine  höhere  kultur  auch  die 
woltätigen  folgen  solcher  erscheinungen  kennen  gelehrt,  so  dass  wir 
den  donnerkeil  allmählich  aus  der  band  dämonischer  wildgesellen  in  die 
der  höchsten,  die  menschenweit  schirmend  umwaltenden  gottheiten  waa — 
dern  sehen*.  —   Wählen  wir  das  dem  blitze  so  nahe  stehende  feuer 

1)  Man  nennt  diese  Weltanschauung  jetzt  gewöhnlich  animismus.  Über  dm.« 
poetische  berechtiguiig  derselben  handelt  Glimm  M^-th.^  539;  von  ihr  aus  werd^  ^ 
manche  verwandolungssagen ,  z.  b.  die  von  menschen  in  steine  (w.  n.  §  16)  eher  ve^c" 
ständlich. 

2)  IThland,  Germ.  4,  82—87;  seitdem  hat  L.  Laistner  in  seinem  gehaltvoU^a^ 
buche  Nebelsagen  (Stuttg.  1879)  sehr  viel  neues  hinzugefügt,  vgl.  namentlich  s.  1^^ 
fg.  —  Insofern  der  nebel  im  liochgcbirge  und  an  der  see  auch  eine  unheimlich  finste^V 
macht  werden  kann ,  sind  auffassuugen  erklärlich  wie  die  von  Laistner  s.  235  belegt^^ 
wo  mau  im  nebel  den  teufel  verborgen  glaubte. 

3)  So  weit  diese  Völker  von  einer  richtigen  erklärung  dieser  Vorgänge  natu  .:^ 
lieh  auch  entfernt  sind,    so  betrachten  sie  donner  und  blitz  doch  zunächst  nur  » 
auffällige,    gelegentlich    sogar    zum   scherz   auffordernde   phänomene,   vgl.  Schwär"   "^ 
Poet  naturansch.  II,  123  fg.     Dazu  stimmt  die  angäbe  Wissmanns  (vgL  oben  8.11 
n.  2):  ein  gefühl  der  furcht  l)eini  leuchten  des  blitzes  und  grollen  des  donners  keiL: 
der  söhn  der  wildnis  nicht  (a.  a.  o.  s.  57). 

4)  Das  augeführte  ist  nicht  so  zu  verstehen,  als  ob  immer  eine  feist  von 
huuderten  zu  dieser  entwickelung  nötig  gewesen  sei.    Vielmehr  sind  geistig  re 


I 


so  zeigt  es  &ich  einfacli  als  verzehreDdes  element  aufgefasst  in  dem 
Logi  der  Gylfag.  (c.  46);  als  dämonisches,  die  weit  selüiesslicli  ver- 
nichteades  wesen  in  Surtr  (Qylf.  51);  als  ethisch  bestimmte,  in  diesem 
falle  fast  diabolische  Persönlichkeit  in  Äsa-Loki  (Gylf.  33).  Verglei- 
chen wir  diese  drei  gestalten  näher,  so  ergibt  sich  folgendes:  in  Surtr 
ist  die  in  Ijjgi  nur  eben  angedeutete  poi'sonificierung  so  weit  gediehen, 
dass  nun  das  element  von  ihm  selbst  untefschiedeu  werden  kann  {hann 
heßr  logarida  sverä  —  ok  mu»  bremia  alUm  fieirn  med  eldi,  vgl.  auch 
Wisl.  s.  89);  in  Loki  eiidlicb  ist  die  Persönlichkeit  so  durchgebildet 
wie  bei  wenig  anderen  erecheiniingen  der  nordischen  mythologie^  er 
tritt  (in  Lokaseuna)  allein  dem  ganzen  göttcrstaat  entgegen,  weiss  Bnldrs 
tod  herbeizufiiliren  usw.  —  Aber  diese  eutwickelung  nach  der  geistig- 
sittlichen Seite  bedingt  zugleich  eine  ontferuung  von  der  natürlichen 
basis  der  mythischen  Vorstellung,  die  ihre  alte  bedeutung  nie  ganz  ein- 
büsst:  so  sehen  wir  nicht  nur  im  letzten  kämpfe  Loki  von  dem 
noch  mehr  physisch  gehaltenen  Surtr,  der  die  weit  in  flammen  setzt, 
überragt,  sondern  selbst  bei  dem  mehr  scherzhaften  wettkampfe  im 
essen  (tiylf.  46)  erliegt  Loki  seinem  rein  elementaren  nebonbuhler 
Logi*.  —  ■Während  die  sonne,  rein  physikalisch  betrachtet,  von  der 
Urzeit  als  ein  eher  mit  goldenen  borsten  {=  strahlen)  aufgefasst  wer- 
den konnte',  ist  ihre  für  den  menschen  woltätige  macht  ganz  besonders 
in  dem  gotte  Freyr  ausgeprägt  (Gjlf.  24,  Yngls.  c.  12),  welchem  die 
spätere  mythülogie  dann  jenen  eher  als  attribut  beigab,  vgl.  Skälda 
c.  35.  —  Fehlt  es  diesem  gotte  an  sittlicher  bestimmtheit  auch  nicht 
,Töllig,  so  tritt  diese  widerum  doch  weit  deutlicher  in  dem  eddischen 


Tülker  z.  b.  durcli  die  gewittervorgänge  sehr  früh  zoi  vorstellang  d&mooiacher  und 
(gleichzeitig  vielleicht}  auch  gättUcbor  luücbte  gelangt  Dena  indem  die  fiusterea  wol- 
len, die  den  regen  zurück  zuhalten  Buhieneii,  dimouisch  gefoEgt  wurden,  sah  man  i» 
dem  die  wollten  teilenden  blitz  das  schwert  eines  göttlichen  wesens;  vgl.  z.  b. 
TAjit,  Urspr.  der  myth.  181  —  190,  282  fg.;  das  briiileD  des  donnere  wiiil  meist 
walken nngotü in eu  zugeschrieben.  Seltener  wird  in  unseren  quellen  der  bUtx 
it  eioein  dämonischen  wesen  beigelegt,  wie  z.  b.  dem  Geirr^r  in  der  erxShIung 
Uda  c.  18  (ProB.  Edda  108,  6  fg.). 

1)  Tgl.  den  warmen  hinweis  auf  Loki  und  Sigyn  ab  Objekt  filr  eine  künst- 
darsteUdog  (die  seitdem  mehrfach,  z.  b.  von  Märten  Eskit  Vinge,  versucht 
N.  M.  Peteraeu  am  schluss  seiner  Nordisk  nifthologi. 

2)  Über  das  Verhältnis  von  Loki  zu  Surtr  vgL  auch  meine  Untersuch,  zur 
Edda  B.  rJl, 

3)  Diese  deiilung  des  obers  OnllinbursU  geben  F.  MagiiuHHen  ILex.  mythul.); 
rtl,  Poet,  naturanscb.  I,  122;  Kubn^  Über  die  entwickeliingsslufen  der  mythol. 


164  WILKEN 

Baldr  hervor,   der  aber  gerade  wegen  dieser  betonung  des  ethischen 
Charakters   (z.  b.  Gylf.  22)    zu    den   jüngsten   Schöpfungen   des   altnor- 
dischen götterglaubens  gehört  haben  muss;  spuren  von  einer  wirklichen 
geltung  desselben  im  Volksleben  finden  sich  nichts  —   Diese  beispiele 
dürften  vorläufig  genügen,   um  statt  der  neuerdings  beliebten  und  in 
einigen  fallen  auch  ausreichenden   Unterscheidung  „niederer*^  von  ^hö- 
herer" mythologie,   welche  doch  das  verurteil  erwecken  kann,  als  ot 
die  geistigere  aufTassung  so  zu  sagen  nur  ein  komparativ  der  natür- 
lichen gewesen  sei*,  die  oben  angenommenen  drei  stufen  der  mythen- 
bildung  soweit  zu  empfehlen^  dass  sie  als  die  einfachste,  dem  gewöhn- 
lichen ent wickelungsgange  wirklich   entsprechende   bezeichnung   gelten 
können'*.     Ist  aber  erst  auf  der  dritten  stufe,  die  von  sittlich  bestimm- 
ten wcsen  handelt,  ein  eigentlicher  göttorglaube  möglich,  so  ergibt  sich 
daraus,  dass  ich  Müllenhoffs  fassung  „religiös -poetische  anschauungen^ 
doch  auch  nur  in  dem  sinne  adoptieren  kann,   dass  ein  gewisser  keim 
religiöser  naturbctrachtung  der  ältesten  mythischen  zeit  schon  angehört*; 
dasselbe  Verhältnis  ergibt  sich  bez.  des  ausdrucks  „den  in   ihr  wirken- 
den  kräfton,   die   es   als   persönliche   wesen   auffasste'',   vgl.    oben  §6 
gegen  ende. 

8.  Noch  richtiger  wäre  es  violleicht  der  ersten  stufe  (der  des 
mythischen  Symbols  oder  der  physikalischen)  nur  eine  äussere  verglei- 
chung  femerliegender  mit  alltäglichen  erscheinungcn  zuzusprechen,  dw 

1)  Dass  von  niännliithcn  gotthoiton  (anäser  Tyr)  oigentlich  nur  I^orr,  Otlini^ 
und  Freyr  (nebst  Nj<^rdr)  eine  altbegründete,  fostgewurzolte  vorelining  im  nordö» 
genossen  haben,  hat  H.  Potorsen  überzeugend  nachgewiesen;  vgl.  Om  nordboemöS 
gudodyrk.  s.  98.  -  Ül>er  Baldr  vgl.  auch  Mogk  in  Pauls  grundriss  1,  1062  fg.  Dat^^ 
dieser  sittlich  liöchststehendo  zugleich  als  der  physisch  schwächste  gott  gedacht  wonX^ 
geht  aus  Gylf.  49  deutlich  her\'or. 

2)  Vgl.  oben  s.  157  anni.  1. 

3)  In  teilweise  iUinlicher  weise  hat  llenne  (Die  deutsche  volkssage  s.  3)  dnr^ 
stufen  (tiergestalt,  diimonen,  nienscliengestalt)  unterscliieden ,  doch  sind  die  abw^^^ 
chungen  schon  auf  der  ersten  stuf(>,  die  ich  keinesweges  auf  tiergestalteo  beschränke  ^ 
deutlich  und  treten  aucrh  sonst  vielfach  hervor,  vgl.  u.  s.  Iö6  anm.  2. 

4)  l)a.ss  andererseits  die  religion  nicht  lediglich  aus  der  naturbctrachtang  ab&  "■- 
hnten  sei,  betont  mit  recht  Mannhardt  (a.  a.  o.  37):  „Ein  gewöhnlicher  irrtu^^^ 
dem  wir  entgegentreten  mü.ssen,  ist  es,  dass  mythologie  und  religion  SGhlechtl:»-  ' 
eines  seien."  Über  die  allmähliche  Vermischung  beider  handelt  Mogk  im  Anz.  C^"^ 
indog.    sprach-   u.    altk.    III,    s.  23.     Vgl.    übrigens    auch    Wislicenus,   Loki   s. 

AV.  Schwartz,   Poet,  naturanscli.  II,  VIII  fg.   und   die  beachtenswerten  ausfühnm^^ 
M.  Müllers  l'ber  ui-sprung  und  entwickeluug  der  religion,  besonders  in  der  2.,  4., 
und  (5.  Vorlesung.  —    Eine  völlige  Scheidung  religiöser  (hieratischer)  und  v< 
lieber  mythen  hat  0.  Gruppt^  versucht.    (Die  griech.  culte  u.  mythen,    vgl.  Mogk 
Pauhj  Grundriss  1,  993.) 


166 

■beide  aucb  im  luacLtbereiche  dos  menschen  liegeu  köuuen  (vgl.  für 
Hwtütmi  fall  z.  b.  die  in  §  5  angefahrten  belspiele  äus  der  Hervararsaga 
HtoSBOr  dem  hagel,  nebel,  nachttau);  derartige  eymbole  kann  jedes  jabr- 
Hluindert  neu  bilden,  vgl,  das  „schnaubende  dampfross",  das  „elastische 
mhlilroas*'  unserer  zeit.  Aber  von  diesen  raythenkeimen  sind  nur  die 
Bb  höherer,  persönlicher  auffassung  gelangt,  die  sich  auf  Objekte  bezio- 
^pi,  welche  wenigstens  nicht  ganz  oder  überhaupt  gar  nicht  in  den 
|nllen  des  menschen  gegeben  sind  und  demnach  auch  als  nach  belie- 
ben «lern  menschen  freundlicli  cider  feindlich  gegenübertretend  gedacht 
»»erden  konnten,  so  z.  b.  das  feuer,  der  wind  und  ziemlich  alle  in  den 
Edden  berührten  mythonstoffe.  Hier  entwickelte  sich,  durch  bereits 
fnlber  wirksame  momente  des  gomütslebens  (auf  die  n. '  s.  161  zu  anfang 
kiirss  hinweisen  wollte)  untoretützt,  bald  die  dämonische  resp.  religiöse 
anffassung  der  naturohjekte ,  wobei  ich  nicht  zu  irren  glaube,  wenn 
ich  den  anlangen  dieser  „höheren"  stufe  nur  für  die  menschenwolt  im 
o^ozcn  bedeutsame  erscheinungen  als  „gehobene"  mythonstoffo  zuge- 
stehe (vgl.  §  11  gegen  ende),  während  jede  berücksichtigung  rein  loka- 
"T  erecheinungen,  weil  nicht  geeignet  ohne  weiteres  auf  das  gomüt 
jedes  hijrors  zu  wirken,  einer  jüngeren,  mehr  subjektiv  gerichteten  zeit 
Äe^»ö^en  winl.  Dabei  ist  meist  eine  irgendwie  auffällige  lokaütät  mit 
«hon  vorhandenen  mjtheo  in  beziehung  gebracht,  vgl.  für  das  gebiet 
''W:  heldensage  z.  b.  Beiger,  Die  mykenische  lokalsage,  Berl.  1893, 
"■  3  fg.  Während  auch  Hirschfeld  in  den  Untersuchungen  zur 
"*baKfnna  (Acta  germ.  I,  1  fg.)  gelegentlich  (s.  57)  die  verliebe  der  jün- 
gereu  Eddalieder  für  „geographische,  wirkliche  namon"  betont,  ist  er 
wob  selbst  mehrfach  beflissen  eddische  mythen  auf  Island  zu  lokali- 
™äi"en.  Wer  aber  in  dieser  weise  sucht,  findet  leicht  mehr  als  genug'. 
9.  Konnte  ich  so,  wenn  auch  nicht  ohne  verschiedene  vorbehalte 
«ö»'  von  Müllenhoff  gegebenen  definition  der  mythologio  im  ganzen 
."^i^h  aDS<.'hlteBsen ,  so  bedarf  dieselbe  doch  im  Interesse  der  nachfolgen- 

r  Untersuchung  noch  einer  mehrfachen  ergänznng.  —  Zunächst  möchte 
1)  8u  bat  E.  a.  a,  o.  s.  23  glüokliüh  die  HUdamiittar  Aufgefunden;  „zwölf 
KFQ^tao,  in  tnaer  doppelten  reibe  geordnete  Icessel  voll  IcocheoiIeQ  Schaumes,  welche 
**ül)enil  und  spritzend  uneruiesslichB  säuleo  eines  dichten  dampfea  in  die  luft  aus- 
**i>deu.  die  aicli  dann  aiislreiteo  und  die  strahlen  der  sonne  verdunketn."  —  Wenn 
*^  dnou  beisKt;  ,, jeder  dieser  kessel  gibt  ein  bild  des  Feorisulfr",  so  ft'ligt  man  sich 
doch:  warum  Iwrichten  die  Edden  dann  niobt  gleich  von  einem  dutiend  aoloher 
•'ölfti?  _  fl^ig  gjt  die  leugnise  für  allgemeine  Verbreitung  des  betr.  mythus  im  nor- 
^^  "iai,  habe  ich  s.  162  anm,  4  hervorgehoben;  auob  das  stimmt  nicht  rocht  f^^ 
HP^düchoni  Ursprünge  desselben,  ^^M 


166  WILEKN 

ich  den  ausdruck  „bilder^  oder  „Symbole^,  den  ich  zur  unterscheidimg 
der  stufe  physikalisch -mythischer  bctrachtung  von  dem  ausgebildeten 
(dämonischen,  resp.  religiös -ethischen)  mythus  für  unentbehrlich  halte, 
gegen  die  bedenken  verteidigen,  die  W.  Schwartz  (ürspr.  der  myth. 
s.  12)  wenigstens  gegen  den  ausdruck  „Symbolik"  erhebt;  der  hochver- 
diente gelehrte  meint  z.  b.  in  den  tieren  der  ältesten  mythenkeime 
nicht  etwa  symbole  göttlicher  kraft,  sondern  für  den  glauben  jener  zeit 
wirklich  existierende  wesen  erblicken  zu  müssen  K  Diesem  Standpunkte 
trete  ich  insofern  unbedenklich  bei,  als  einmal  jene  ältere  „symbo- 
lische" mythenerklärung,  die  jedem  durch  einfache  vergleichung  sich 
leicht  erklärenden  zugo  des  mythus  einen  verborgenen  sinn  unter- 
schiebt', auch  an  mir  keinen  anwalt  findet,  andererseits  auch  zugegeben 
werden  muss,  dass  die  vergleichung  zweier  wesen  in  der  älteren  zeit 
etwas  mehr  als  eine  poetische  metapher  war,  vielmehr  momentane 
gleichsetzung  in  vielen  fällen  voraussetzt.  Immerhin  lässt  schon  der 
reiche  Wechsel  der  gewählten  bUder  (vgl.  z.  b.  für  die  sonne,  den  mond, 
die  steme,  die  wölke  das  register  bei  Schwartz  a.  a.  o.)  erkennen,  dass 
eine  gleichsotzung  dieser  art  doch  sehr  leicht  wider  aufgehoben  werden 
konnte,  um  einer  andern  platz  zu  machen,  so  dass  mehr  ausnahms- 
weise für  eine  naturerscheinung  auch  nur  eine  bilderreihe  in  gebrauch 
kam'.  Man  wird  also  ebenso  dem  historischen  Standpunkte  gerecht, 
wie  man  sich  den  leichten  Übergang  der  bilder  in  die  eigentlichen 
mythen  hinreichend  erläutert,  wenn  man  die  bildersprache  der  altmy- 
thischen zeit  als  eine  ungemein  lebendige,  zu  wirklicher  gleichsetzung 
in  manchen  föllen  leicht  führende  vergleichung  sich  klar  macht 

10.  Zunächst  beschäftigt  uns  nun  die  doppelfrage :  welche  objckte 
sollten  durch  jene  bildersprache  so  zu  sagen  übersetzt  werden  und 
welche  bilder  standen  der  urzeit  als  allbekannte  werte  und  somit  als 

1)  A.  a.  0.  s.  VI:  ,, stürm,  blitz  usw.  sind  symptomo  der  wesen  und  des  trei- 
bens  einer  andern  weit." 

2)  Vgl.  dar.  Schwartz,  Toet,  natunmseh.  I,  221  anm.  Mohrfach  neigt  zu  die- 
ser art  von  Symbolik  unter  den  neuem  forschem  auch  lienne  (vgl.  oben  s.  164  n.  3), 
wenn  er  z.  b.  s.  3  von  den  tieren  sagt:  ..dieser  umstände  wegen  glaubte  man  höhere 
wesen  in  ihnen  verl>orgen  und  verehrte  dalier  solche  unter  der  gestalt  der  tiere."  — 
Dieser  für  einige  vülker  des  Ostens  vielleicht  passende  satz  lässt  sich  aus  deutsdier 
Tolkssage  nur  in  jenem  beschränkten  umfange  erweisen ,  in  dem  z.  b.  auch  E.  H.  Meyer 
(liemi.  myth.  s.  93)  für  eine  ähnliche  ansieht  einzutasten  geneigt  ist. 

3)  So  werden  sonnen  -  und  mondfinsteraisse  wol  lediglich  als  durch  raubeiisofae 
tiere  (wi.iIfo.  drachon)  verursachte  Schwächungen  des  sonnen-  oder  mondlichtes  auf- 
gefasst.  —  Über  den  Wechsel  der  bilder  für  da.sselbe  phänomen  sogar  in  einem 
mythus  vgl.  z.  b.  Mannhardt,  Gotter\^elt  s.  204. 


DER   FBJRISWOLP  187 

litte!  zum  (iolmetschenlienste  zur  veifügung?  die  letztere  trage  beant- 
'ortet  sich  fast  von  selbst:    wie    uns   jede    europäische   spräche   noch 
t  manche  belege  dafür  bietet,  dass  man  neue  crscheinungen  (nament- 
rb  tiere  und  pflanzen  der  fremde)  nicht  etwa  mit  einem  ganz  neuen, 
■  viele  unveratändlicbon  namen  zu  bezeichnen,   sondern  an  bekann- 
o  wesen   der   h&imat   durch  die   bcnonming  anzureihen  suchte,   ganz 
mbekümmert  um  wissenschaftliche  giuppierung ',    so  wurden  auch   die 
rscbeinungen  der  mythischen  weit'  mit  den  bt-kanntereu  grossen  ver- 
liehen,   welche  den  menschen  täglich  umgaben.     Am  häufigsten  wur- 
en  die  höher  entwickelten,    teils  zabmen,    teils  wilden  tiere^  zu  dio- 
em  dolmetscherdiensle  herangezogen,  doch  auch  die  nienschengestalt, 
izen,  steine,  einfaches  haiisgorät  waren  keinesweges  ausg^chlossen. 
fnter  derartigen  Bymboleo  noch  eine  historische  Stufenfolge,  etwa  vom 
obelebten    zum    belebten    (zuniichst    tierischen)    symbol    anzunehmen, 
theint  bei  schärferer  betrachtung  ziemlich  wertlos*,  da  die  lebendige, 
•j  oder  halb  animistische  auffassung  der  urzeit  solche  Unterscheidung 
Bum  gestattet,  auch  andere  gründe  noch  dagegen  sprechen*.  —    Nur 
ist  nicht  zu  verkennen,   dass  auf  den  stufen  dämonischer  und 


1)  Vgl.  ausdrücke  wie  hippopotamus  (nUpferd),   camelopardalia  (giraffe),   stra- 
imelas  (strausa).  walrass,  seebund,  seelöwe  usw.     Die  betanate  bezeichoung  des 

ephanten  als  büs  Luca  oder  Lucauus  seitena  der  Riinier  i;ur  zoit  des  Pyrrhus  läast 
a  von  einigen  forschem  vorgoBchlagene  aWeituDg  von  clephiw  aus  dem  somit,  aleph 
E  riiid)  sehr  natürlich  erscbeiaeo.  AuE  ok'phaa  gebt  dann  wider  gat.  olbaodUE 
>c  lumel)  zurück.  Bez.  der  pflaiizeuwolt  genügeo  wol  folgcade  beiapiele;  baum- 
,  butterbauni ,  deuterber  kalTeo,  türkiscbor  woizen,  crdapfol,  kartoffel  (für  Ur- 
1-^  truffel,  vgl.  Grimin,  U.  wb.  a.  v.).    S,  auch  Beer,  Genn.  33,  11. 

2)  Vgl.  g  11   KU  anfang. 

3)  Eine  Übersicht  der  für  die  mythologischen  TorGtellungen  wicbtigcreu  tiere 
ibt  ausser  On'umi,  Ui/th.*  54G  fg.  z.  b.  Maimhardt,  EomdäiuaneD  e.  1.  Vgl,  auch 
ng.  de  GubematJB,  Die  tiere  in  der  iudogerm.  mythologie,  E.  H.  Meyer,  Genn. 
lyth.  93.     Wenn  aber  dieser  namhafto  golobrto  a.  a.  o.  bobauptet:    „nicht  die  tie- 

Khen   Urbilder   der  Wirklichkeit,   suoderu   ibns   überirdisohon   abhilder    waren    die 
lasgebenden  figuron  der  mythischen  fauna",   so  möchte  ich  mich  vielmehr  mit  der 
nerkuQg  begoügen,  dass  die  irdische  tierweit  nicht  immer  ausreichte  zur  interpre- 
ttion  mythischer  Vorgänge,   daher  die  häufige  Verwundung  des  drachen,   d,  h.  der 
sAügclten  Rchlang<^,   des  flügol-pferdes,  -rindes  usw.    Solche  gestalten  lassen  sich 
lengesetzten  sohnftzeicbea ,    die  douh  uur  einen  laut  bczoichnon  sollen,    ver- 
ieiobeD.     Uor  flügel  bezeichnet  diese  woseu  als  dom  Inftreiuho  oder  dem  hinimeta- 
e  augehörig. 
•t)  Dazu  neigt  WiBÜeenua,  Symb,  b.  2t)  fg..   66  fg.  und  in  aeiner  weise  auoh 
Bhwutx  (FoeL  uat.  I,  SIX);  vgl.  aber  Hannhardt,  Eonidäm.  s.  Tu  sub  II  und 

5)  So  hebt  Schwartz  selbst  hervor,  dass  als  unbelebte  Symbole  oft  Werkzeuge 
1  erscheinen,  die  historisch  doch  nicht  der  alleiättesten  zeit  angehären, 


I 


J 


ethischer  betrachtung  ursprünglicher  uaturphänomene  man  sich  der  Tar- 
mensclilichuog,  resp.  Vergötterung  immer  mehr  näherte:  für  die  dämo- 
nische auffassimg  genügte  oft  noch  eine  tiergestalt,  neben  welche  ab« 
die  httlbmenschliclie '  immer  häufiger  hiutrat;  für  die  ethisch -religiöse 
auö'assmig  war  die  menschliche  das  minimum,  während  nicht  seltra 
auch  die  übermenschliche,  d.  h.  idealisiert  menschliche  eintrat. 

U.  Fragen  wir  weiter  nach  den  objokten  der  vergleich luig,  so  ist 
als  die  eigentlich  „mythische"  weit  zwar  mit  W.  Schwartz  (Ursp.  s.  1!) 
„eine  den  menschen  geheimnisvoll  umgebende,  andere  weit,  die  nur  mit 
ihren  Symptomen  in  diese  hineinragte"  anzuerkennen,  aber  ich  möchte 
doch  nicht  gerade  sagen  „der  glaube  an  diese  weit  war  der  urquoll  der 
mythologie",  denn  es  handelte  sich  bei  jenen  Symptomen  docli  um 
sichtbare  oder  sonst  leicht  zu  konstatierende  dinge  und  die  bilde^ 
Sprache  des  mythus^  ist  zunächst  als  erkläruugsversucb  dieser  zum 
guten  teil  ganz  unbestreitbar  vorhandenen  weit  zu  betrachten,  vgl.  oben 
§  2,  Wisl.  Symb.  s.  14.  —  Dagegen  stimme  ich  Ä.  Kuhn  und 
W.  Schwartz  wlderum  darin  zu,  dass  sie  mit  nacbdi'uck  die  erschei- 
nungen  am  bimmel  als  diejenigen  betont  haben,  die  als  der  erste  und 
wichtigste  weitteil  der  mythischen  weit  sich  uns  darstellend  Ist  aber 
der  von  A.  Kuhn  zur  begründang  dieses  Standpunktes  vorgebrachte 
biaweis  darauf,  dass  „das  indogermanische  urvolk  in  seinen  stamm- 
sitzen  schwerlich  ein  grosseres  meer  kannte",  nicht  durch  andere 
gründe  zu  verstärken,  resp,  zu  orsotzon?*  Dürfen  wir  nicht  sagen, 
dass  der  himmol  1)  durch  die  menge  der  hier  sich  darbietenden 
Erscheinungen,  die  zu  direkter  wie  indirekter  (vgl.  §  13)  vcrgleicUung 
auffordern,  2)  aber  auch  durch  ihre  grosse  verschiedenartigkeit 
hinsichtlich  teils  periodischer,  teils  momentaner  bewegimg  und  veriin- 
denmg,   teils  wider  scheinbarer  ruhe   und  Stetigkeit '^,    3)  endlich  im 

1)  Baib  mensch  lieh  neoDO  ich  nicht  nur  iniBuhuiigeD  von  tier-  und  mcusohea- 
gestolt,  sonderu  auoli  die  auffasBuog  der  iQBQscb lieben  gestalt  in  vorgröbertetn  odlt 
vaiitoinertem  niassstabo  (riesoü,  aworge). 

2)  Fassead  vergleicht  U  Laistuer  (a.  a,  o.  208)  die  ti]iriti:he  des  mjrthoa  dir 
hieroglypheoschrift 

3)  So  bübandelt  Sohwnrtz  b  aoiaen  nPoetiacheo  natunLuscb."  suuächBt  noi 
die  mythinchoD  bexeichuungen  für  die  am  bimtnDl  eich  zeigeudou  pbitnoniene,  n» 
denen  aber  die  übrigen  siüh  oIh  abgeleitut  m'gebeii. 

4)  Herahkunft  des  Teuors'  b.  2rj.  —  Bekacutlidi  Dohmen  heut  zu  tago  vialc 
foischer  nicht  mehr  das  iunore  Asien  als  urheitnttt  der  Indogormaueu  SJi. 

5)  Mit  reoht  hebt  W.  Schvmrtz  a,  a.  o.  I.  XVU  fg.  hervor,  dnss  Bonns  und 
geatirno  weit  weniger  Belbständig  iWe  Djythologisuliou  Vorstellungen  bedingten,  als  die 
verimderungGu ,    welche  mit  ihnen  vureugthen  schienou,   die  lunächst  die  aubnerk- 


Iiinblick  darauf,    dass   den  Wirkungen   der    am    himmel   vorgehenden 

dinge  kein  erdbewohner  iuitih  nur  auf  24  stunden  sich  völlig  entzielien 

taon,   millionen  von  menschen  aber  von  regen  und  Sonnenschein  bez. 

existent  direkt  abhüngig  sind,   eine  ganz  unbestreitbare  präpon- 

>raiiz  geniesst?     Alle   anderen   gehicie   der  raythisoben   weit  stehen 

icht  nur  zurück,   sondern  finden  sozusagen  ihre  vorspiele  in  orschei- 

Ungea  der  Inft  und  des  Weltraumes:  so  die  untorwolt  im  wolkonschat- 

a  und  nachtgrauen,  die  meeres-  oder  flussüberschwemmung  im  wol- 

iObruch,  das  gobirge  der  erdo  im  wolkonberg  usw.' 

Auf  den   dritten   der   oben  genannten  gründe   aber  löge   ich  das 
;to  gewicht:'  so  sind  denn  auch  nur  die  in  allen  gegenden  bedeut- 
hervortretenden  Phänomene   des   luftraumes   als   primäre    mythen- 
zu  betrachten,  während  allerdings  auch  dieser  mythische  weitteil 
^igB  aecundäre  mytbenbildungen  aufweist'. 

12.  Biese  Unterscheidung  primärer  und  secundarer  er/eugnisse  der 
rthunwelt  legt  violleicht  die  woitei«  frage  nahe:  „ist  nicht  auch  eine 
leidung  zwischen  eigentlichen  naturmythen  imd  solchen  mytlien  nötig, 
aus  dem  seelenglaubon  hervorgegangen  sind?"  (vgl.  s.  156  anm.  1).  — 
verdienstiich  nun  auch  die  schärforo  beachtung  des  seelenghiubens, 
►  sie  in  den  letzten  decennien  sich  zeigte,  zweifellos  ist,  so  ist  doch 
äer  die  hlatoriscbe  priorität  des  seelonglaubans  ii^endwie  erwiesen* 

^'«»-Veil  tussoiteu,  Woku  Senecn,  Quaest.  aat.  VI]  (gu  anlang)  verglichen  wird.  —  Abar 
"••^Viiirrn  diu  an  so  vielen  liimmelskörpcm  benierkbareu  vorändermigen  die  aulfaaaung 
It"*"«»)!!  uud  geschürft  hatten,  konnte  es  doch  nicht  fehlen,  dass  nun  auoh  bei  schein- 
uubeweglicbeD  körpürn  gefragt  wurd«:  „werden  diese  niemolH  ihi'en  Standort 
Üibt  es  wirklich  eine  dauer  im  wechaol'"' 

1)  Natürlich  ist  dies  nicht  auf  die  form  zu  beliehen,    die  man  von  der  erde 
C  kannte,  aber  daranr.  dass  die  mögliuhkeit  eines  öfFnens  der  berge  und  des  gewin- 

s  goldener  scIiätKe  ans  ihi-em  schosite  zuerst  am  hinimol  sich  daratellte.     Der  ein- 
1  Wildnis  der  utsiirüoglicheu  erde  gegeuüber  war  der  biiumel  gewissermassen 
i  für  einen  landbenohner  unaei'ui  tage  die  giiis^vtadt  mit  ilircn  immer  neuen, 
n  stauoea  ude'  nachdenken  reizenden  eindrücken. 

2)  Tgl.  Schwortu  a.  a.  o.  D,  XIV:  „der  mensch  huldigte  nur  dem,  den  er  in 
cht«n  Veranlassung  zn  haben  gbubte."    Dieser  gedauke  wird  durch  das  dort  cltierte 

aobischo  intivhpQ  sehr  lebendig  erläutert. 

3)  Ijishier.  der  mit  so  grossem  erfolge  den  nybetnagen  nachgefursuht  hat,  vor- 
iDt  daroiu  nicht,  dass  der  grösste  teil  dieser  uagcu  nicht  der  ältesten  zeit  angehört, 

mehr  ttsilweiso  wenigstens  eine  Umbildung  aus  astralen  sagen  sicli  wahrscheinlich 
1  liast.  vgl.  8.  105,  I2S,  209. 

4)  V^.  Uogk  in  Pauls  Gnindriss  I,  998;  nach  dieser  seile  neigt  ausser  Yods- 
r  (Bigvsda  og  Edda  1890)  neuerdings  ancb  E.  H.  Meyer  (Oerm.  mytb.  1891)  und 

r  (Cli}Ct(ii;glaubn  und  götteraagau  der  Oernianen  1804).    Scheinbar  einleuchtend 
i  letstorer  s.  3:    „vom  glauben  an  seelengcister  ist  es  nur  ein  schritt  eut  natur- 


170  vnjnH  

noch  seibat  eine  Scheidung  dt's  stotfes  in  „dämouische"  (d.  h.  hier  Haa 
natnrgebiet  entnommpne)  und  „dem  seelcoglauben  Angehörende"  mjtbai 
als  innerlich  berechtigt  zu  betrachtend  —  Dass  an  die  gestorbenen 
ohcr  gedacht  sei  als  an  die  lebenden,  kann  niemand  behaupten;  dja 
seele  des  lebenden  aber  steht  dem  naturgebiet  nicht  nur  nahe,  sondern 
ist  an  das  atmen  geknüpft.  Dieses  ist  ein  natürlicher  Vorgang;  er  wird 
zeitweise  sogar  hörbar  und  (bei  einigen  kältegraden)  deutlich  sichtbar. 
Dies  atemwölkchen  ergibt  bei  gehöriger  Verstärkung  den  von  Laistnm 
sog.  „seelennebe!"',  ebenso  wie  der  hörbare  hauch,  ähnlich  verstärkt, 
zu  jenem  Sturmwinde  passt,  in  dem  ein  seelenhoor  vorüberstünnen 
sollte;  aurh  die  auffassung  des  Schattens  als  eines  sn  zu  sagen  eee- 
lischen  begleiters  des  körpci^  stimmt  zu  der  ansieht,  dass  der  seeleD- 
glaube  der  urzeit  (in  ausgleichuug  der  sog.  animistischen  aufTafisong 
des  für  uns  unbelebten)  in  der  seele  nur  eine  feinere  art  von  materie 
sah,  dio  nach  dem  tode  des  menschen  neue,  aber  auch  dann  dem 
naturbereich  nicht  entnommene  Verbindungen  eingieng'. 

13.  Dagegen  erscheint  mir  ausser  der  trennung  primärer  und  secun- 
därer  mythenstoffe  noch  eine  art  der  Unterscheidung  notwendig:  die 
des  direkten  und  indirekten  symbols*.  Das  erste  findet  sich,  wenn 
ich  die  sonne  z.  b.  einem  goldenen  balle  vergleiche;  das  zweite,  vreOD 
ich  eine  Sonnenfinsternis  dem  angrifT  eines  wolfes  zuschreibe.  Dort 
wird  ein  deutlich  sichtbares  objekt  mit  einem  anderen,  näher  liegenden 
verglichen:  hier  handelt  es  sich  um  Verdeutlichung  von  Vorgängen,  die 
zwar  mit  den  sinnen  wahrgenommen  werden,  so  jedoch,   dass  dien 

beseeluDg."  —  Aber  war  dieser  sdiritt  nicht  längt  gemacht?  Qilt  niotit  der  B>ta: 
„der  meoBch  ist  das  lovss  aller  dinge"  am  allermeisteii  gerade  für  das  kindesillaT 
der  menRchheit?  Der  mensch  lebt,  xo  vermutet  er  überall  lebenBEpuren ;  die  bew«' 
gDDg  dos  winden,  des  Wassers,  mancher  gestiroe  bestärkt  ihn  in  Heiiior  meinang. 
Selbst  wo  die  natnr  gaoif  sUrr  erachdot,  liegt  ihm  der  gedanke  des  schlämmen 
D&her  als  der  des  todes,  vgl.  noob  Cbumisso:  „dio  schStze,  die  schliunmemden  alle, 
die  unter  der  erde  siitd.'^  Oder  die  leblosen  massea  sind  wenigstens  wobnungont 
werke  lobendi|wr  wesen  —  ,voa  geistern  der  tipfo  erbaut"  ii.  iihnl. 

1)  Diese  schfidung  versucht  Mogk  a.  a.  o. 

2)  Gemeint  ist  ein  nebelstreifen  oder  eine  nubelwolke,  die  als  andeatong  tänn 
Beelooschar  aiJgefaaat  wurdü  (L  neb.  a.  118). 

3)  Immerhin  darf  man  mit  H.  Müller  (a.  a.  o.  a.  100)  anerkennen,  daaa  Bit 
der  beobacbtong  des  sohattens  und  des  atems  sich  die  ideo  von  einem  etwas,  4M 
vom  korper  verschieden  ist  und  doch  eine  art  von  leben  besitzt,  langsam  herror- 
arbeitet,  dass  hier  die  Übergänge  vom  materielleo  zum  tmmaterielleu  sich  finden. 

4)  Aach  bei  den  von  mir  vorgeschlagenen  trcunangon  handelt  es  sich  nickt 
um  unverrückbar  feste  grenzbestimmtingen .  nur  um  mitl<.d,  die  Orientierung  attt  4m 
mythologischen  gebiete  zu  erleichtern. 


171 

Wahrnehmung  zunächst  nur  die  Wirkung,  nicht  die  Ursache  mitteilt  >, 
Den  Übergang  von  der  einen  zu  der  anderen  klasse  bildeten  vielleicht 
die  ge Witterphänomene,  die  in  ihrer  raschen  und  fllr  unsere  wahmeh- 
IQUiig  etwas  verschobenen  reihenfolge  eine  auch  nur  annähernd  objek- 
tive aufTassung  ungemein  erschwerten.  Zu  den  eigentlich  indirekten 
«ymbolen  aber  rechne  ich  z.  b.  die  bezeichnung  des  windes  als  einea 
adlers,  die  des  echos  als  zwergrode  (dvergamäl),  die  erkläning  von  son- 
Venfineternissen  in  der  bekannten  weise  (vgl.  oben);  hierher  gehört  auch 
die  auffassung  der  nacht  als  einer  realen,  bald  auch  persönlich  gefass 
ten  grosse.  Nur  mit  dem  indirekten  symbol  zu  messen  war  ferner  das 
Terbalten  der  seele  im  täglichen  leben,  im  schlaf,  im  träum,  nach  dem 
tode  des  menschen  usw.  Man  siebt  aus  dieser  kurzen  aufzählimg, 
es  sich  hier  um  die  wichtigsten  aller  fragen  handelt,  und  ist 
;  auch  theoi'etisch  geneigt  der  urzoit  zimächst  mehr  ein  interesse 
4ui  den  deutlich  sichtbaren  erscheinungen  der  lebeweit  zuzutrauen,  so 
'Eegt  doch  selbst  für  ein  kindliches  geniüt  die  frage  zu  nahe:  wie  ist 
der  Wechsel  von  tag  und  nacht,  schlaf  nnd  wachen,  leben  und  tod  zu 
telclüren?  um  annehmen  zh  können,  dasa  irgend  ein  menachenalter  sie 
jgftnelich  vernachlässigt  habe;  gerade  die  Schwierigkeit  des  problems 
Ißflegt  ja  auch  den  reiz   zu  erhöhen*.  —    Die  prioritfit  der  direkten 

1)  H.  MüUer  (a.  a,  o.  4.  vorles.)  uuterscheidot  anter  den  otu'ekten  der  uiftlii- 

I  natürbotrachtung  groifliaro,  balligraifbani  nnd  iiiigreifb»ro  gegeuetände;  letttem 

mÜGSteD  nach  dem  grade  der  deiitlichkeit,    deo  sie  für  gesiebt  oder  gebör  dar- 

öeten,  eigentlich  wider  gesoodert  nerdoo.    Für  diu  zweuttj  dieser  abhandlung  genügt 

fodesralte  die  ohim  vorgesublogene  teilung. 

8o  ist  die  frage:  wer  ist  der  BL'huellste?  auch  in  voUcatüinlioben  lireiaen  eine 
beliebte  und  von  alters  her  eifrig  erörterto  (vgl,  Laisbier  a.  a.  o,  187,  322),  —    Be- 
:eD  möchte  icb  hier  auch,    dass  es  ausser  jeuer  direkten  natnrbetracbtuDg,   die 
reinsten  in  den  Symbolen  der  orzeit  sich  ausprägte,   auch  in  dieser  xeit  an  iiidi- 
nkteo  eablüSBnu  nicht  g<'tt<b1t  haben  kann,  die  stwaa  tiefer  in  den  urgrund  des  aioht- 
m  DJnEudringen  bemüht  waren.    Erinnert  sei  hier  an  die  schöDC  darlegung  M.  Hül- 
,   iler  Bosfübrt,   wie  mit  der  wabraehmnng  des  endlichen  gleichzeitig  such  eine 
(ich  würde  sagen  indirekte)    auffassung  des  ooeodlicben  gegeben   sei.    vgl. 
*.  Q.  8.  40,  41 .  Büwio  über  die  bezeiohnnng  des  übemattirlichen  bei  den  Melanosiem 
Ö9  %.    Hier  erliebt  sieb  die  frage:  gab  es  monotb eistische  glaubonskeime  acboD  bei 
a  heidnisoheii  Nordgermanen?    Allerdings  siod  die  betreffenden  stellen  der  Vatna- 
ria  ai«a,    s.  b.  c.  37  (Fornsqgur  ed,  Mob.  u.  Tigf.  s,  59)    ,du  tII  ek  heita  ü  {«od, 
'  BÖlina  heHr  skapat,  [>viat  ek  träi  bann  niiittkiistan'^  vielfach  aL^  in  ohristliuber  »eit 
len   betrachtet  (die  lit.  a,  bei  E,  H,  Meyer,    Genn.  myth,  s,  295)   und   die 
ttfl  anl^eiehaung  der  betreffenden  saga  ist  bekannt,   doch  vorsucbtn  Ddring,  Über 
und  Stil  der  iai,  saga  a.  23,    eine  vcrmittelang  zwischen  heidentum  und  chri- 
m  als  t(Hiden7  des  verfasaers  wahrscheinlich  zu  machen.    Ohne  zweifei  Christ- 
beeinflosst  ^nd  stellen  wie  Oylf.  c.  3  und  5,  vgl,  üntersoob.  b.  70  fg. 


172  WILKEN 

Symbole  möchte  ich  daher  auch  nur  in  dem  simie  vertreten,  dass 
wenigstens  die  umgekehrte  folge  wenig  glaublich  ist,  dann  auch  im 
hinblicke  darauf,  dass  eine  jüngere  form  der  mythenbildung,  die  my- 
thische allegorie,  sich  vom  indirekten  symbol  abzuleiten  scheint,  vgl. 

§  17. 

14.  Kehren  wir  aber  zunächst  zu  den  oben  in  §  10  besprochenen 
mittein  der  vergleichung  zurück,  so  konnte  aus  dem  an  und  für  sich  ziem- 
lich beschränkten  kreise  von  wesen  oder  dingen,  die  der  urzeit  dafür 
geignet  schienen,  einerseits  jedes  einzelne  auf  verschiedene  Objekte 
angewandt  werden^;  andererseits  konnte  dasselbe  objekt  durch  ver- 
schiedene bilder  bezeichnet  w^erden,  je  nachdem  die  eine  oder  andere 
Seite  ins  äuge  gefasst  war 2.  Erwägt  man  ferner,  dass  jede  vergleichung 
mit  lebenden  wesen  insofern  eine  dreifache  sein  kann,  als  sie  sich 
entweder  nur  auf  das  äussere  oder  nui*  auf  das  innere  (den  Charakter) 
oder  endlich  auf  beides  zugleich  richten  kann,  so  wird  die  möglichkeit 
des  fehlgreifens  bei  der  erklärung  noch  deutlicher  sein.  Wol  darf  man 
sagen,  dass  die  erste  jener  drei  arten  in  der  urzeit  bevorzugt  war, 
aber  bei  jedem  indirekten  symbol  fehlt  ja  auf  der  seite  des  Objektes 
das  sichtbare  äussere;  hier  muss  man  sich  an  die  Wirkung  halten  und 
diese  ist  gewissorniassen  als  Symptom  innerer,  geistiger  eigenschaften 
zu  fassen,  man  denke  an  die  „Schnelligkeit"  des  windes,  die  zu  einer 
vergleichung  mit  dem  adler  führte.  Damach  ist  es  erklärlich,  wenn 
W.  Schwartz  a.  a.  0.  II,  XIV  von  „einem  gewissen  chaos  gläubiger 
voi-stellungen '^  redet,  wenn  A.  Kuhn  (Entwickel.  der  myth.  s.  123)  in 
Übereinstimmung  mit  M.  Müller  von  der  „polyonymie  und  metony- 
mie"  als  einem  nicht  unwesentlichen  faktor  der  mythenbildung  redet, 
indem  die  ältere  zeit  sich  oft  selbst  in  der  richtigen  auffassung  der 
Symbole  verirrte^.  Wie  eine  grosse  anzahl  grammatischer  formen  heut- 
zutage als  „nach  falscher  analogie"  gebildet  betrachtet  werden,  schaben 
einige  mythische  olemente  nicht  etwa  nur  andere  zurückgedrängt,  son- 
dern ebenso  oft  sie  sich  selbst  assimiliert  und  so   ihre  deutung  beein- 

1)  Dor  si>oer  als  bild  des  lichtstrahles  konnte  z.  b.  sich  ebensogut  auf  den 
blitz-,  wie  auf  den  Sonnenstrahl  beziehen,  und  so  wird  der  Speer  Gimgnir  von  den 
forschem  verschieden  gedeutet. 

2)  Sollte  dor  l)litz  als  waffo  erscheinen,  so  wurde  er  spocr  oder  zahn  eines 
ebors  genannt;  sollte  vor  Jilloni  die  Schnelligkeit  betont  werden,  so  hiess  er  geflügelt, 
ein  pfeil,  ein  dahin  schiessender  fisch.  Schwartz,  Poet,  naturansch.  II,  90,  1)6  fg.  — 
Vgl.  auch  8.  lOG  anm.  ,'{  geg»*n  ende. 

3)  Es  scheint  mir  auch  keinen  wesentlichen  untei*schied  in  der  auffassung  zu 
ergeben,  wenn  Heer  (Germ.  33,  7)  wol  mit  recht  die  homonymie  nicht  eigentlich  als 
mythen bildendes,  nur  als  mythimfort-  oder  umbildendes  dement  anerkennen  will. 


(nsst  Je  Läufiger  und  beliebter  ein  symbul  war  (wie  z.  b.  wolf,  fuchs, 
rogol,  Speer),  nm  »o  stärker  ist  die  gefabr  des  irrtums  bei  der  aus- 
egung'.  Hier  handelt  es  sich  nicht  etwa  darum,  einen  weg  nur  zu 
finden,  sondern  aus  einem  wirrsa!  sich  kreuzender  pfade  den  richtigen 
ausfindig  zu  machon  und  ihn  bis  aus  ziel  zu  veiiblgen. 

15,    Nicht  zu   vergessen  ist  ferner,    dass  die  entwickeiung  nie  in 

ganz  gerader  linie  verlief,    da  der  urzeit  wot   nur  mythische  symboie 

einer  naiven   naturdeutimg  zukamen,    während   der  poetisch 

■bgemndete  mythus,  wenn  nicht  geradezu  ein  misverständnis,  so  doch 

eine  freiere  fortbildung  des  kernes  in  einer  veränderten  richtung  unf- 

weist*.     Dieser  entwickelungsgang  ist  nur  insofern  ein  natürlicher  zu 

nennen,   als  die  alte  symbolsprache  ilu^n   zweck  einer   deutung   dor 

OKtur Vorgänge  bald  nicht  mehr  erfüllte,  da  die  längere  gewöhnung  und 

Kbärfere  beobochtung  den  menschen   bald  eine  mehr  prosaische   und 

Öüclitenie  Huffassung  der  naturei-seheinungen  lehrte.     Entweder  kimnte 

Ütm  neben  den  bildlichen  iillniählich  der  unbildliche  ansdruck  als  der 

'läufigere  treten,  bis  der  erstere  ganz  verdrängt  wai-^  oder  es  erhielt 

der  bildliche  ausdruck  und  gewann  sogar  an  selbständiger  bedeu- 

g,   vgl.  im   »llgemeinen   Wislicenus,   8ymb.  a.  85  fg.;    Loki  s.  2.  3. 

^*      di^em  falle  aber  verlor  oder  lockerte  sich   die  feste  beziehung  zu 

"^n  nattirobjekten   und   so   konnte   er  nur  um   so    freier   von    mensch- 

""^tien  Vorstellungen  erfüllt  werden.     Erst  in   dieser  zeit  kam  die  poe- 

*l^<-=lie   uusgestaltinig   zu    ihrem    vollen   rechte,    vgl.    den    in    n,  2   be- 

*I*»'wheneu   Phaetonmythus.    —    Bemerkenswert    ist    aber,    dass  jenes 

"^»«bindesmässige  element,  jene  richtung  aut  das  erkennen,   die  wir 

"^     den   alten  Symbolen   fanden,    in  der  späteren  zeit   sich  doch  nicht 

1}  Ang.  de  (luberuittis,  desseu  Htiuidputikt  ich  freilich  nur  iu  oinKclhelten  teile, 
*1«s  «chou  daj'aut  hin,  das.s  der  wolf  io  lier  sage  kuineswegest  immer  eine  den  göt- 
^"tu  und  b«iroon  feindliche  natur  zoigt:  Di»  üere  iu  der  mdog.  inyth.  s.  4S0.  ~-  Vgl. 
«Dh  w.  u.  uap.  IU,  §8  OBd  9. 

2)  In  dem  Sisyphosmythus  dc>v  Epätereti  zeit  ist  gÜDzIioh  verkanut,  dass  der 
gvirUlxte  stein  eigeutljoh  die  »uttoe  (so,  iicd  wo)  am  richtigsten  Kuhn,  Eotvickel. 
d  147)  oder  eine  nubclmasse  (so  Laistner,  Nebelsagen  41  fg.,  vgl.  aber  209)  bedeu- 
tet«; in  dem  Fhaethoniiiytlins  ist  das  (ibysibalische  phänomen  des  (Hchein baren)  ver- 
aiukeus  der  sonnt.'  ins  moer  durch  poetisebe  aussclunüokang  und  otlüsche  fiirbung 
iwar  uioht  ganz  vun  dem  alten  gmude  losgerissen,  aber  doch  in  eine  ganz  ander« 
twIeuDlitnng  gesetzt;  vgl.  Maiinhardt,  Götterwelt  29,  30,  36. 

3)  Dur  schon  s.  168,  anm.  2  citieite  vergleich  Laistneni  (Nebels.  206)  liesso  sich 
wol  nutiti  pasdender  so  verwenden,  dass  wir  die  eigentliche  bilderapracbe  des  mythus 
nil  d«r  hiproglyphenschrirt,  die  unbildliche,  doch  in  poetisoher  Sprache  vorgebrachte 

Jerung  als  transsuription  desselben  gedaukeiiN  uebeueiuander  haiton.    Daxu 
^bt  nanieutlich  die  VglusiNl  mehrCach  gelegeuheit,  vgL  cap.  Tll,  §  lü. 


174  WILKIN 

Yöllig  verflüchtigt  hat;   es  musste  sich  aber  jetzt  mit  der  au%abe  be- 
gnügen,  in  dem  „chaos^  der  alten  Symbole  gewissermassen   Ordnung 
zu  schaffen  und  wenigstens  die  gröbsten  Widersprüche  des  unmerklich 
gebildeten  Systems  auszugleichen.     Und  gerade  weil   die  abhäogigkeit 
der  alten  symbole  von  den  naturvorgängen  halb  oder  auch  ganz  ver- 
gessen war,  mussten  nun  andere  Verknüpfungen  gesucht  werden:  genea- 
logieen,   eben  und  bundesbrüderschaften  wurden  angenommen,  die  für 
den   forscher   oft  auf  den   ersten  blick,   teilweise  erst  allmählich  als 
das  werk  der   „konstruierenden"   oder  mythen- ordnenden  periode  sich 
zu  erkennen  geben  und  nicht  selten  auf  falsche  fahrte  gelockt  haben. 
In  die  urzeit  reichen  sie  selten  zurück,   weil  diese  sich  meist  begnügt 
die  einzelnen  Vorgänge   als  solche   aufzufassend     Nur  wo   Übergänge 
wie  die  von  nacht  zu  tag,  von  Sonnenlicht  zu  wolkendunkel  sich  dar- 
boten,  lag  es  von  jeher  nahe  einen  Zusammenhang   zwischen   beiden 
potenzen  anzunehmen ,  und  so  mag  schon  die  urzeit  die  nacht  als  mut- 
ter  des  tages  betrachtet  haben  ^.     Sicher  ist,   dass  solche  Vorgänge  das 
mythische   „denken"   mehr   noch   anregten    als   ruhende  orscheinungeo. 
und  um  so  mehr,  je  rascher  imd  auffalliger  sie  sich  ablösen'.   Daher  ist 
es  nicht  abzuweisen,  mit  W.  Schwartz  (vgl.  s.  168  anm.  5)  in  den  ersehei 
nungen  des  Sturmes,  des  ge witters  und  des  wolkenhimmels  die  fruclE^ft 
barsten  keime  mythischer  Vorstellungen  anzuerkennen;   diese  vorgän^ 
legen  jedoch   den    gedanken    eines    kampfes   weit   näher   als    den    ^^ 
friedliche  Verhältnisse.     Man  darf  daher  im  ganzen  in  polemische 


1)  Vgl.  W,  Müller,  Zur  mythol.  der  griech.  und  deutschen  heldensage  s.  U 
der  auch  seiuerseits  dem  vou  Beer  (Beitr.  von  Paul  u.  Braune  XÜI,  1  fg.:  Der  a^'^^o 
des  spiolniaonsgcdichtes  Orendel)  ausgesprochenen  grundsatze,    dass  jede  genealo^^ 
in  der  göttersage  accessorisch  sei,   im  wesentlichen   beistimmt.     Diesen  standpuc» 
vorfolgte  Beer  weiter  Germ.  33,  12  fg.    Im  ganzen  ähnlich  urteilt  schon  Wislicen«-^ 
I/)ki  s.  23,  27. 

2)  Vgl.  Gylf.  c.  10,  wo  das  mytli.  grundmotiv  freilich  schon  mit  jüngeren  «:  "* 
Sätzen  vermengt  ist.  —  Ähnlich  auch  bei  den  Griechen  (Hesiod ,  Theogonie  1 24  Ig  —  ~ 

3)  Mächtiger  noch  als  das  gewöhnliche  abenddunkel  musste  die  umnachtiB.^ 
des  himmels  mitten  am  tage,  die  das  gewitter  meist  zeigt,  die  gemüter  ergreif^^ 
namentlich  in  Verbindung  mit  stürm,  blitz,  donner,  hagel,  regen  und  regenbog^^ 
Dies  alles  und  die  widerkehr  der  sonne  oft  in  einem  massigen  bruchteil  eii:^ 
stunde!  —  Gleich wol  möchte  ich  nicht  unbedingt  mit  Beer  (a.  a.  o.  11)  behaupt^^ 
,,mit  atmosphärischen  mythen  (betr.  wölken,  wetter,  nebel)  hat  die  mythik 
nen*^  oder  mit  E.  H.  Meyer  nur  gewitter-,  wind-  und  wolkengottbeiton  als 
thische  mächte  anerkennen ,  so  geistvoll  diese  theorie  auch  verfochten  ist  Gründli^^ 
kenner  der  indischen  mythenweit  wie  Hillebrandt  und  Oldenberg  (Ved.  myth.  1  X  ■ 
betonen  neuerdings,  dass  gei*ade  die  „unstete  natur  des  blitzes  seiner  entwiokel«:*^ 
zu  einer  gottheit  nicht  günstig  sei.*^ 


DEB  FINR18W0LF  175 

▼erhältüissen  weit  eher  als  in  genealogischen  angaben  spuren  einer 
alten  tradition  vermuten;  nur  bedarf  es  bei  der  nordischen  mythologie 
doch  auch  nach  der  ersten  seite  besonderer  vorsieht,  da  namentlich  die 
lagnarek-mythen  zu  einer  Vervielfältigung  und  Steigerung  einfacher 
kampfesmotive  vielfach  anlass  gegeben  habend  —  Fast  alle  diese  teils 
freundlichen,  teils  feindlichen  beziehungen,  .  durch  die  der  poetische 
reiz  eines  mythus  oft  nicht  wenig  gewonnen  hat,  müssen  als  bei  werk 
erkannt  und  bei  seite  geschoben  werden,  soll  der  kern  der  mythischen 
Vorstellung  uns  deutlich  entgegentreten. 

16.  In  diesem  zusammenhange  mag  auch  an  die  neigung  mythischer 
naturbetrachtung  erinnert  werden,  auffallige  erscheinungen  (z.  b.  in  der 
tierweit)  auf  ein  bestimmtes  datum  innerhalb  der  geschichtlichen  ent- 
wickelimg  und  einen  bestimmten  anlass  zurückzuführen.  Beispiele  die- 
ser historisch  -  aetiologischen  darstellung  geben  ausser  den  cap.  V, 
angeführten  stellen  aus  Gylf.  z.  b.  auch  Grimms  Märchen  nr.  171 — 173 
(Zaunkönig,  schölle  usw.)  und  Grundtvig,  Dänische  volksm.,  übersetzt 
von  Strodtmann,  2.  samml.  s.  16.  Hierhin  gehören  auch  viele  ver- 
wandlungssagen  *. 

17.  Doch  nicht  bloss  in  jener  Ordnung  und  äusseren  Verknüpfung 
(§  15)  oder  dieser  hinneigung  zu  historischer  datierung  (§  16)  erwies 
sich  das  verstandesmässige  element  in  der  mythologie  weiterhin  tätig: 
bei  der  reicheren  entfaltung  des  geisteslebens  lag  es  nahe  genug,  nun 
^uch  Phänomene  dieser  geisteswclt  in  ähnlicher  weise  vergleichend 
^ÄTzustellen  wie  früher  die  naturvorgänge.  Diese  geistesmythen  mag 
'öftU  mythische  „allegorien"  nennen,  um  sie  von  den  eigentlichen  natur- 
'^ythen  scheiden  zu  können,  aber  der  unterschied  beider  darf  nicht 
^^    scharf,   so  gegensätzlich  gefasst  werden,  wie  dies  von  dem  sonst  so 

1)  Dass  die  ragnarekmytlieii  iu  der  uns  vorliogendon  gestalt  ein  produkt  der 
^kiugerzeit  seien,  hat  schon  Hammerich  (Oni  ragnarokmythen  s.  39  fg.)  wahrschoin- 

^^    gemacht;   einzelne  zügo  begegnen  überhaupt  nur   in   der  darstellung  der  pros. 
*^<i«.    Vgl.  Simrock,  D.  myth.'  s.  114;  meine  Untersuch,  s.  106;  MüUenhoff,  D.  alt. 
>    152;  Beer  a.  a.  o.  13. 

2)  Von  diesen  sind  in  der  germ.  mythol.  die  versteinorungssagen  (Orimm, 
***y^li.*  8.  457  u.  nachtr.)  wol  die  wichtigsten  sowie  die  nahestehenden  verwüstungs- 
^Jgon  (zur  strafe  für  ein  unrecht,  vgl.  z.  b.  "Wolf,  Niederl.  sagen  nr.  21,  22; 
.     -    Üüller  und  Schambach,  Niedersächs.  sagen  nr.  70),    während  die  verwandelung 

pflanzen  und  tiere  (vgl.  die  dichterische  behandlung  in  Ovids  Metamorphosen)  bei 
^*  seltener  begegnet,  abgesehen  von  den  (anders  zu  beurteilenden)  temporären  ver- 
^^^idelungen  in  wölfe,  katzen,  baren  usw^.,    Grimm,  Mj^h.*915fg.  —  Ganz  verein- 

^It  stehen  angaben  wie  diese:  „alle  tiere  sind  verwünschte  menschen"    (Haas,  Rü- 

^'ische  sagen  und  märcheu  s.  135  (vgl  s.  146). 


176  WILEEN 

besonnenen  Wislicenus  (Symb.  s.  16  fg.)  geschehen  ist^  —  Das  wort 
dllrjYOQia  bedeutet  eigentlich  nur  „vergleichung,  bildlichen  aiisdrack^  und 
nicht  die  Schönheit  ist  das  erste  oder  einzige  ziel  allegorischer  darstel- 
lung,  sondern  das  bedürfnis  der  verdeutUchung,  der  Verkörperung  eines 
gedankens  legt  ihr  die  wähl  sinnlicher  bilder  nahe;  das  bewusste  ver- 
fahren darf  ihr  dabei  auch  nicht  zum  vorwürfe  gemacht  werden,  da 
dies  mit  der  fortschreitenden  geistesbildung  von  selbst  gegeben  war*. — 
Das  wort  dUr/YOQia  ward  aber  neben  dem  oben  erwähnten  allge- 
meinen sinne  spociell  auch  so  gebraucht,  dass  man  eine  mythendeu- 
tung  so  nannte,  die  sich  nicht  mit  dem  zunächst  liegenden  sinne 
begnügte.  Mag  man  die  widerholten  misgriffe  „allegorischer"  erkläning 
verurteilen,  historisch  ist  es,  da  man  es  bei  jenem  allegorisieren  meist 
auf  abstrakte  oder  geistige  potenzen  abgesehen  hatte  ^,  jedenfalls  gerecht- 
fertigt, nun  auch  auf  mythischem  gebiet  solche  Schöpfungen  allegorien 
zu  nennen,  die  nacli  einem  sinnlichen  ausdnick  für  etwas  unsinnliches 
suchen;  dieser  auffassung  neigt  sich  auch  Wislicenus  seinerseits  zu*. 
Wenn  nun  auch  eine  solche  allegorie  (wie  z.  b.  die  von  Hercules  am 
Scheidewege)  gewissermassen  das  widei'spiel  des  mythischen  Symbols 
darstellt,  das  ja,  von  dem  naturvorgang  ausgehend,  mehr  und  mehr 
vergeistigt  zu  werden  pflegt,    so  stellt  doch  die  betrachtung  der  indi- 

1)  Dersolbe  scheint  mehr  an  die  allegorie  als  poetisches  oder  rhetorisches 
kunstinittel  als  an  das  gedacht  zu  haben,  was  auf  mythologischem  gebiete  [tassend 
so  genannt  wird.  Die  unleugbaren  bedenken  gegen  die  künstlerische  Verwendung  der 
allegorie  sollen  hier  nicht  bestritten  worden. 

2)  Wenn  Wislicenus  a.  a.  o.  sagt:  „der  geist  kann  nie  meinen,  dass  er  durch 
ein  sinnliches  bild  das  innerste  wcseu  einer  unsinnlichen  Vorstellung  ergriffen  habe  . . 
darum  katm  hier  die  absieht  nicht  auf  die  crkcuntnis,  sondern  nur  auf  bildliche  dar- 
stellung  gerichtet  sein"  —  so  wird,  glaube  ich,  überechon,  dass  einzelne  selten  ein^r 
Vorstellung  recht  wol  durch  ein  sinnliches  bild  deutlicher  werden  können;  darauf 
beruht  ja  die  berechtigung  des  gleichnisses  und  der  paramythie. 

3)  So  wurde  noch  in  der  refonnationszeit  die  lica  und  Rahel  der  Genesis  von 
Flacius  auf  die  philosophio  und  thoologie  bezogen,  vgl.  Zöckler,  Handb.  der  theol. 
wiss.  I,  Ü57. 

4)  Dagegen  ist  eine  schon  bei  Cicero  (Orator  27,  §0.S,  94  Jahn)  belegte  an- 
wendung,  wonach  allegorie  für  eine  in  längerem  zusammenhange  durchgeführte  meto- 
nymie  (oder  niot'ij)her)  gobrauc^ht  wird,  für  den  mythulogen  wertlos,  da  ihm  dit» 
weiter  durchgeführte  metapher  {=  symbol)  zum  eigentlichen  mj'tluis  wird.  —  Die 
grammatischen  abhandlungcn  der  Snorra-Edda  fassen  als  metaj)hora  auch  die  von  mir 
als  allegorie  bezeiclinete  ausdrucksweise;  mit  letzterem  namnn  belegen  sie  nur  solche 
bildliche  ausdrücke,  deren  wahrer  siim  erst  durch  schärferes  nachdenken  gefunden 
wird,  z.  b.  die  ironie  und  das  rätsei  (Kph.  II,  l.')8  fg.  17S  fg.)  —  Als  quellen  der 
abhandlung  sind  desDonatus  Ars  minor  sowie  das  3.  buch  der  Ai*s  maior  zu  betrach- 
ten, s.  Olsens  ausg.  s.  XXXVIII. 


177 

i  Symbole  schon  eine  innere  Verbindung  beider  gebiefe  vor  äugen. 
I  ich  von  der  an  der  Oberfläche  des  wassers,  an  den  blättern  der 
in  Staubwirbeln  usw.  sichtbaren,  raseben  bewegung  auf  einen 
^heber  derselben  schliesse  und  ibm  (nach  dem  raschen  fortschreiten 
jener  bewegtmg)  vor  allem  die  eigenscbaft  der  Schnelligkeit  zuschreibe, 
I  steht  dieser,  zwar  durch  sinnhche  eindrücke  spürbare,  aber  sonst 
m  sinnen,  unbekannte  Urheber  schon  auf  dem  übergange  zu  den 
l^edsiikenweseii,  welchen  die  allegorio  sinnliches  leben  zu  leihen  ver- 
'Sacht'. 

18.  Sind  wir  somit  keineswegos  berechtigt  der  aUegorie  das  so 
lange  genossene  gastreeht  in  den  grenzen  der  mythologie  plötzlich  zu 
^kündigen,  können  wir  anerkennen,  dass  einzelne  allegorien  relativ  alter- 
ttmliches  gepräge  zeigen,  auch  nicht  ohne  jeden  poetischen  reiz  sind*, 
to  ist  andererseits  doch  festzulialten ,  dass  wir  bei  einem  mythiscbeu 
gebilde  jeder  art  dann  die  geltung  als  allegurie  uns  gefallen  lassen  dür- 
fen, wenn  eine  erkläruug  im  sinne  des  naturmythus  sich  ungezwungen 
^cfat  durchführen  lässt.  Wo  aber,  wie  z.  h.  bei  dem  Fenriswolfe,  nur 
ne  gewisse  Schwierigkeit  dos  nachweises  vorliegt,  ist  dieser  fall  noch 
lltcht  gegeben,  imi  so  weniger,  weil  alle  das  gemüt  mächtiger  bewe- 
genden und  weite  kreise  durchdringenden  mythischen  momente  irgend- 
wie in  der  sichtbai'ea  Schöpfung  zu  wurzeln  pflegen,  vgl.  s.  163  den 
der  n.  2  voi-angehendon  text.  Nicht  einmal  bei  dem  schifie  Naglfar 
J8t  es  geraten,  entweder  der  mislungenen  otymologie  in  Qylf.  c  51  zu 
iBebe  an  ein  schiff  aus  nageln  verstorbener  menschen  zu  denken,  da 
,  solches  falirzeug  nur  als  allegorio  eine  art  von  sinn  hätte'  oder 
nach   der  geisti'eicheren   deutimg  eines  jetzt   lebenden  foi-schors  an  ein 

1)  Aoc'h  ist  za  beachten:    da  jede  erkonntiiis  von  der  DBtar  ausgebt  (nihil  est 
iotellectu,   quod  dod  fuerit  in  tieasibusj,   sd  stellt  die  zuriickbexiehnog  geistiger 

itegliCFe  auf  ein  der  sJaaenwGlt  entnomnienes  bild  gewis-s^rmasson  eiaeD  Datürlichen 
ikreislaiit  des  erkennens"  dar.  In  etwas  anderem  sinne  gebrauchte  einen  ähnliehen 
Wtsdruck  G.  H.  Mejer,  Germ.  myth.  a.  11. 

2)  Von  allegorien  auf  dem  gebiete  der  ajtoord.  mythol.  neane  ich  aiuser  Dagr 
Nütt,   die  noch  als  indirelite  Symbole  gelt^u  können,    namentlich  EUi  und  Ungi 

IJB  Oylf.  4(J  und  47    (ffi4gi  —  pal  vnr  htgr  mmn).     Ferner  geboren  hierher  die  in 

Qf It  35  als  gefolge  der  Frigg  genannten  weiblichon  gottbeiteti  wie  f^^fu,  I/)fn,  Vnr 

'.     Aber  auch  gestalten  wie  der  unieae  Yniir  dürfen  a!s  Allegorien  gelten,  da  dio- 

2.  b.  den  gedanken  eines  gemeinsamen  Ursprunges  der  riesenweit  von  einem  oin- 

ireseu  in  einem  der  sianenwelt  entlehnten  bilde  ausdrückt,  Gylf.  c.  &. 

3)  Dieser  sinn  könnt«  nur  der  sein,  das  sehr  langsame  heranrüubon  des  weit-' 
Bnterganges  zu  värdeutliclien  (Grimm,  Mytii.'  %  (iT9);  ein  solcher  gedauke  liegt  den 
(BgnarBk-mythen  sonst  jedoch  ganz  fem. 

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I. 


DER  FENBI8W0LF  179 

hoff 8  u.  a.^  geeignet  ist  den  beregten  mangeln  ausgleichend  gegen- 
überzutreten, halte  ich  es  lieute  nicht  mehr  für  geboten  die  Warnungen 
früherer  jähre  zu  widerholen*.  Ohne  in  meinem  misstrauen  gegen 
eine  vorwiegend  etymologische  mythendeutung  anderen  sinnes  gewor- 
den zu  sein;  ohne  zu  meinen,  dass  direkte  vergleichung  von  mythen 
verschiedener  Völker  im  ganzen  wertvollere  resultate  liefern  wird  als 
eine  genaue  philologisch -historische  prüfung  des  einzelmythus,  der  an 
anderem  orte  gefunden,  doch  nicht  mehr  ganz  derselbe  ist,  so  kann 
andererseits  diese  philologische  erklärungs weise  doch,  glaube  ich,  in- 
direkt aus  den  gesicherten  resultaten  der  vergleichenden  forsch ung 
insofern  nutzen  ziehen,  als  die  kenntnis  und  beachtung  einiger  allge- 
meiner gesetze  der  mythen -bild ung  und  fortpflanzung  unserer  kombi- 
nation,  wo  wir  auf  diese  angewiesen  sind,  engere  schranken  zu  ziehen 
und  für  uns  somit  die  möglichkeit  des  irrens  zu  verringern  geeig- 
net ist  3. 

21.  Von  einigen  selten  glaube  ich  die  frage  zu  hören:  gibt  es 
auf  diesem  gebiete  allgemeine  gosetze,  die  zweifellos  anerkannt  sind? 
Vielleicht  nicht;  aber  was  ich  nicht  im  sinne  eines  axioms  anwenden 
darf,  lässt  sich  doch,    wenn  es  durch  manche  beispiele  gestützt  ist*, 

1)  Ausser  dem  5.  bände  der  Deutschen  altertumskunde  und  verschiedenen 
whandlungen  kommen  für  genaueres  Studium  auch  die  vorreden  zu  W.  Mannhardts 
^ythol.  forschungen  (Strassb.  1884)  in  betracht,  deren  eine  von  Müllenhoff  selbst, 
^©  andere  von  Scherer  herrührt. 

2)  Vgl.  namentlich  meine  anzeige  von  Cox,  Mythology  of  the  Aryan  Nations 
***  den  G.  G.  A.  1872,  st.  3.  —  Wenn  Scherer  in  seiner  vorrede  zu  Mannh.  Forsch. 
y^^L  die  vor.  n.)  s.  XIV  bemerkt,  dass  diese  anzeige  MüllenhofFs  vollen  beifall  hatte, 
***dererseit8  berichtet,   dass  M.  „Benfeys   beratende   stimme   hinter  ihr  vermutete", 

Scheint   letzteres  eine  gelegentliche  crklärung  von   meiner   seite   nalie   zu  legen. 
>ixie  gründe,   weshalb  er  selbst  die  anzeige  nicht  gerne  schriebe,   hatte  Benfey  mir 
gesprochen  und  mich  so  zur  übernalimo  aufgefordert,  für  die  einzelhoiten  der  aus- 
TiiDg  bin  ich  allein  vci-antwortlich.    Die  wenigen  ausnahmen  sind  in  der  anzeige 
(z.  b.  die  ablehnung   der  Daphne-etymologie  M.  Müllers   durch   „kompetente 
^^^^titäten*)  genügend  angedeutet  (s.  85). 

3)  Von  einem  ähnlichen  Standpunkte  hat  vor  einigen  jähren  Beer  (Germ  33,  3) 
.  **''^iif  hingewiesen,  „dass  man  anfängt  über  Schwaitz'  einseitigkeit  und  kritischen  ver- 
*^'Majgen  zu  vergessen,  wieviel  man  ihm  verdankt",  wozu  neuerdings  die  äusscrung 
"^^  Oldenbergs  (ReÜg.  des  veda  s.  34)  stimmt.  —  Dass  auch  der  standpimkt  der  histo- 

^^b-kritischen  erforschung  eines  spocialgebietes  nicht  ohne  weiteres  von  der  gefahr 
^^^xagrosser  kühnheit  in  den  kombinationen  entbindet,  haben  „berühmte  muster"  auch 
^*^^its  bewiesen.    Vgl.  Mogk  a.  a.  o.  s.  993,  §  12. 

4)  Ich  rede  hier  von  solchen  gesetzon,  wie  sie  z.  b.  Mannhardt  im  2.  cap. 
^**i«r  ,Götterwelt"  oder  Schwartz  in  verschiedenen  Schriften,  besonders  im  „Ursprünge 
^^^    mythologie"  aussprachen.     Allerdings   dürfen   diese  gesetze   (z.  b.  das  von  der 

12* 


180  WILKEN 

sozusagen  probeweise  als  regulativ  verwenden,  und  gelangt  man  so  zu 
befriedigenden  resultaten,   d.  h.  zu  erklärungen,   die  ungezwungen  die 
ganze  entwickelung  des  mythus  klar  legen  ^,   so  ist  wider  ein  weisser 
stein  gewonnen,   der  den  angefochtenen  grundsatz  verteidigt;   anderes- 
falls  würde  auch  ich  bald  einem  solchen  grimdsatze  meine  folge  ver- 
sagen.  —   In  dieser  weise  sozusagen   eine  gegenseitige  kontrolle 
vergleichenden  Standpunktes  und  desjenigen  der  Specialforschung 
streben  scheint  mir  die  aufgäbe  der  nächsten  zeit  zu  sein'. 

22.  Ähnlich  aber,  wie  zu  der  vergleichenden,  linguistischen  stellt 
sich  die  philologische  richtung  auch  zu  der  anthropologischen  und  ver- 
wandten richtungen  der  mythenforschung.  Sind  in  neuerer  zeit  manche 
forscher  geneigt  gewesen  dem  „seclenkult"  eine  dominierende  Stellung 
in  der  mythologie  einzuräumen,  so  ist  einiger  schönen  ergebnissc 
dieser  forschungsweise  ungeachtet  daran  festzuhalten,  dass  die  beseelt- 
hoit  der  natur  erst  von  dem  kult  der  abgeschiedenen  seelen  abzuleiteci, 
ein  hysteronprotoron  ist,  das,  unerkannt  bleibend,  noch  zu  grol>€Mi 
irrtümern  anlass  geben  könnte^. 


IL 

Litteratur,   Zeugnisse. 

I.    Der   mythische   Fenriswolf   wird   auch    dem    oberflächlichste* 
kenner  der  nordischen  göttorsage  nicht  unbekannt  sein;   dass  die 


Priorität  der  himmlisrhou  gowiisser  vor  den  irdischen)  nicht  in  so  mechanischer 
angewandt  werden,  wie  in  dem  sonst  vielfach  dankenswerten  buche  von  Henne 
deutsche  volkssago  1874),  wo  es  s.  374  heisst:  ,,dein  gegenüber  (d.  h.  den  sagen 
opfern,    die  ein  gewü^ser  jährlieh  verlangt)  steht  die  heilkraft  vieler  wasser;   d^ 
der  himmoK  der  sich  im  wassor  spiegelt,  bringt  sowol  leben  als  tod.*  —  Am  wei 
sten  gesichert  wai-en  die  gesotze,  welche  A.  Kuhn  u.  a.  über  die  i)orioden  der  myth 
bildung  aufzustellen  vorsuchten. 

1)  Mit  recht  meinte  Mülleuhoff  (Scherers  vorrede  zu  Mannhardts  Forsch,  s.  IlX^*"  '^ 
deutung  sei  überhaupt  nicht  so  wichtig,  als  geschichte  des  m^Üius. 

2)  Von  einem  ähnlichen  Standpunkte  scheint  auch  Laistner  in  seinen  ,Ne 
sa^'frü*  ausgegangen    zu   sein    (vgl.  sein  nach  wort  s.  207  fg.);   ja,    schon  Mann 
i-trebte  von  der  komparativen  methode  immer  mehr  der  philologisch  -  historischen 
Wahrend    aber   diese    Unden    forscher   von  der  vergleichenden  richtung   ai 
«ffj.f'fiehlt  sich  für  die  gegen  wart,   glaube  ich.   das  ausgehen  von  dem  philologiscft^ 
*:l4irj'jpunktf.-. 

Ij)  Vgl.  s.  lOi)  anm.  4.  —  Um  hier  zum  schluss  noch  ein  werk  zu  nennen,  in  <S. 
r#«;-ofjij*.fje   Verwertung  aller  bisherigvn  Systeme  mythologischer  forschung  sich 
vy   f>-k«;nDe  ich,    dass   die  „Vedische  mythologie  von  H.  Oldenberg*  noch 
\'yii   luir  citiert   sein  würde,    wenn   das   gehaltvolle  werk  mir  nicht  erst  kan 
»^Acbluja?!  dieser  abhandlung  zugegangen  ^üre. 


1- 

I 

TD 


xn 


ist 

Cnrt^  sehr  verscliietipiio  wege  eingeschlagen  hat,  ist  gelegentlich  schon 
-^.  l  60  n.  3  berührt  worden.  Kaum  irgend  eine  möglichkeit  ist  unver- 
sncilit  geblieben.  Den  einen  ist  Feorir  ein  sturmdäraon  (W.  Scb 
tJr^sprung  der  niythol.  b.  66,  vgl.  W.  Mannhardt,  German.  mythen 
I.  198  nnd  El.  H.  Meyer,  Vijl.  201  und  German.  mythol.  107,  wel- 
cher letztere  aber  auch  an  Äpokal.  13,  2;  19,  5;  Jes.  63,  3  denkt), 
der»  andern  ein  wasserdämon  (Weinhold,  Die  riesen  des  german. 
mytlius  s.  249;  Mogk  im  GrundiTss  der  german.  phü.  von  H.  Paul 
I,  1045),  Finn  Magnussen  (I^x.  myth.  68,  69;  ^Eldre  Edda  IV,  227) 
da.<r?hte  teils  an  den  abgrund,  teils  an  das  unterirdische  feuev;  auch 
Besrgmann  (Fascin.  de  Oulfi  s.  288)  wollte  in  Fenrir  eine  bezeich- 
ntiug  der  „feux.  souterrains,  qui  sont  lancfe  au  cio!  par  les  volcans" 
ert»licken  (ähnlich  Wisliconus,  Loki  s.  27  sowie  neuerdings  Hirsch- 
fol  d,  Tgl.  cap.  I,  §  8),  während  N.  M.  Petersen  (Nord,  mythol.'  392) 
sit^fc  mit  dem  „irdischen  feuer,  welches  das  menschonlebcn  in  allen 
seinen  richtungen  in  bewegung  gesetzt  hat",  begnügte.  Auch.  J.  Grimm 
(Vl^th.'  s.  202)  war  geneigt  Fenrir  als  „widergeburt"  des  ihm  als 
feixergort  (s.  200)  geltenden  Loki  zu  fassen,  älmlich  wie  neuerdings 
S.  Bugge  (Studien  über  die  entstehung  der  nord.  götter-  und  helden- 
|BB»^ren  8.414)  die  gefangenscbaft  des  wolfes  Fenrir  nur  eine  „differen- 
Btieinng  von  Lokia  gefangenscbaft"  nennt,  welcher  letztere  ihm  freilich 
■«tnbch  =  Lucifer  ist.  J.  Grimm  gegenüber  haben  W.  Müller  (Ältd. 
Iielig.  s.  173)  und  neuerdings  K.  Müllenhoff  (D.  alterturaskunde  V, 
I  13S)  den  wolf  als  däuon  oder  „urwolf"  der  finsternis  gefasst.  Spe- 
Icieller  als  „dämonisches  wesen  der  nächtlichen  finsternis"  fasst  ihn 
lUannhardt  1860  in  seiner  „Götterwelt  der  deutschen  und  nordischen 
r  ^'Ölker"  s.  264.  Später  variierte  er  diese  ansieht  wider,  vgl.  s.  160 
•  3)^  wo  auch  die  deutung  „nebol"  erwähnt  ist.  —  Einigen  forschem 
I  "lochte  die  natürliche  grundlage  des  mythus  nicht  mehr  erkennbar 
■"oheinen;  an  allegorische  deutung  streift  /.  b.  die  erklaning  von  Sim- 
1  roci  (D-  mythol."  s.  97):  „indem  Fenrir  zum  verderben  der  gotter 
timmt  ist  und  später  selbst  den  weltenvater  verschlingt,  ist  das  ver- 
^^ibon  der  weit,  ihr  Untergang  selbst  in  ihm  dargestellt."  In  etiras 
"Üiiiliperer  fassung  des  gedankens  nennt  Fr.  Kauffmann  (Deutsche 
**lythol. '  s.  112)  Fonrir  den  „schauererregenden  wolf,  dem  die  götter 
"*eim  letztem  kämpfe  unterliegen." 

2.  Diesen  ansichten  Hessen  sich  als  Variationen  noch  einige 
hadere,  z.  b.  der  von  mir  (Untersuch,  zur  Snorra-Edda  s.  121)  vorge- 
tngene  erklämngs versuch  anreihen,  wenn  ich  nicht  im  begriiTe  wäre 
fliesen  letzteren  durch  eine  neue  erklärungs weise  zu  ersetzen,    die  den 


182  WILKEN 

kern  dos  mythus  in  methodischer  weise  zu  ermitteln,  die  erweiteru. 
gen  festzustellen,  in  den  bisherigen  erklärungen,  soweit  sie  mir  bekaik.  xt 
geworden,  das  richtige  von  dem  unrichtigen  zu  sondern  versucht  he^t; 
ich  gehe  aus  von  einer  kurzen  betrachtung  der  quellenzeugnisse. 

3.  Schlägt  man  das  namenregister  einer  ausgäbe  der  Liede  r- 
Edda^  auf,  so  findet  man  s.  v.  Fenrir  und  Fenrisulfr  meistens  5  steri- 
len aufgeführt,  von  denen  die  erste  (VqI.  40,  2)  dunkel  und  zweideutifx 
ist,  die  andere  (Vafpr.  46,  4  -=  47,  2)  nur  eine  nebenströraung  der 
tradition  aufweist,  die  ähnlich  auch  in  dem  sehr  späten,  in  den  neueren 
ausgaben  meist  fehlenden  Hrafnag.  Odins  23,  4  zu  erkennen  ist  *. 
Deutlicher  und  im  ganzen  der  haupttradition  gemäss  sind  die  anspio- 
lungon  in  Lokas.  (prosa  vor  str.  1,  z.  6;  str.  38,  4).  Zu  diesen  4 —  5 
stellen  kommen  dann  allerdings  noch  etwa  doppelt  so  viele,  in  denen 
der  wolf  Fenrir  nur  als  ulfr  bezeichnet  ist  (VqI.  58,  2;  Vaf|)r.  53,  1  ; 
Hym.  24,  4;  Lokas.  10,  1;  39,  3;  41,  1;  58,  3;  Hyndl.  42,  1;  45,  -4); 
ausserdem  das  wahrscheinlich  verderbte  t>üt  ulf  vega  VqI.  55,  4  naob 
R.  Doch  geben  auch  diese  stellen  nur  kurze  andeutungen  über  de» 
offenbar  als  allgemein  bekannt  vorausgesetzten  mythus  3. 

4.  Die  prosaische  Edda  gibt  neben  stellen  von  geringereiaa 
belang  wie  Gylf.  c.  25;  38  (ulfrinn  =-  48,  4  Wk);  Eptinn.  Eddu;  Skäldsl«- 
c.  9;  11;  16;  Fenrir  als  riesenname  c.  75  =  Kph.  I,  555;  als  wolfsnartm^ 
Kph.  I,  591;  II,  455;  HÄtt.  56,  7;  zu  Kph.  11,  431  —  32,  515  v^l- 
excurs  II)  doch  auch  die  einzigen  zusammenhängenden  berichte  üi 
den  Fenriswolf,  namentlich  in  Gylf.  c.  34  und  51;  in  ersterem  CJ 
wird  die  fesselung,  in  letzterem  bcfrciung,  kämpf  und  tod  des  wolffes» 
berichtet*.  Diese  beiden  cap.  haben  unschätzbaren  wert,  doch  ra 
man,    des   kompilatorischen   Charakters   der  Gylf.  eingedenk,   sich 

1)  Itei  don  citat^n  ist  die  ausgäbe  von  B.  Sijmons  (Hallo  1888),  für  die  do*^ 
nicht  onthaltenen  lieder  dio  von  Th.  Möbius  (Lpz.  18G0),  boi  oitaten  aus  der  f> «"<-»* 
saischon  oder  Snorra-Kdda  und  dort  citicrten  skaldcnliedorn  die  grosse  Koi)enhage»>*^'^ 
aitögabo  (Kph.),   bei  citaten  nach  zeilen  meine  ausgäbe  (Paderb.  1877)   daneben      ^° 

gründe  gelegt. 

*J)  Über  diese  nebcnströniung  vgl.  cap.  VII,  §  11. 

3)  Pas  wort  tdfr  wird  an  manchen  der  angr'führten  stellen  (z.  b.  Lokas.  10»       *^ 
hwnaho  zum  oigonnamen,    was  nordische  herausgober  teilweise  auch  durch  wähl 
■n4iu:^kol  auerkaimt  haben;  andererseits  wird  in  Uelg.  ifund.  I,  39,  2  mit  rei^t 

ifr  :{«chriebon,   da  das  wort  hier  nur  ^bezeichnung  eines  gerährlichen  wol^*^ 
:-  ist    (H.  Gering.)     Nach  beiden  seiton   al>er   belegt   der  sprachgebnt«»*''* 
Verbreitung  des  betr.  mythus. 

2a  jenem  hauptbericht  in  Gylf.  und   don  kurzen  anspielungen  in   bei^i^" 
ans  der  übrigen   idtnord.   litteratur   noch   einige   Zeugnisse,    ^\mXC^ 


/atllie  scburfer  naclipi'iifuug  im  einzelueu  nicht  überhubea  wälinea.  Ehe 
icfa  jedoch  (in  c.  V)  eine  kritische  suDderung  jener  berichte  versuche, 
sj'r»ci  noch  einige  Vorfragen  zu  erledigen. 


IIT. 

Namen   und  boinameii. 

1.  Von  den  env'äbnten  Vorfragen  sind  zunächst  drei  in  diesem 
ca.;^>.  zu  besprechen:  ist  Fenrir  der  name  des  wolfes  selbst?  können 
wi-ar  diesen  mit  einiger  Sicherheit  erklären?  können  wir  aus  den  bei- 
n^amen  des  woifes  irgendwelche  aufscbliisse  über  sein  weaen  gewinnen? 

2.  Die  erste  frage  wird  vielleicht  überraschen.  Da  an  den  in 
c-  H,  §3  citierten  stellen  der  Lieder-Edda  (mit  ausnähme  dos  proaa- 
*'i->r»gangs  zu  Lokaa.)  das  einfache  Fenrir  begegnet  und  zweifellos  den 
w^«z»lf  F.  bezeichnet,  scheint  die  frage  kaum  berechtigt  zu  sein;  sie  wird 
ir»  einer  neueren,  sehr  verdienstlichen  darsteliung  der  nord.  mytholo- 
?i^'  auch  nur  gestreift  mit  den  werten  „Fenrir  oder  der  Fenrisulir, 
'"^  »  «  ihn  skttldische  tautologie  nennt"  Aber  gerade  in  echt  skaldischen 
*»-"»  «drücken  wie  Ulfs  föstri  (Sk.  9),  Ulfs  bdgi  (Sonart.  24,  2),  Ulfs 
'^^/r  (=  leifar)  Kph.  1,  266  n.  7  und  den  ähnlich  gebildeten  Ulfs  faäir 

^skas.  10,  1,  Ulfs  hniibrödir  Hym.  24,  4  zeigt  sich  der  kürzeste  aus- 
^^uck,  welcher  möglich  war,  der  zunächst  nur  als  abkiirzung  von  Fen- 
^"^^-sulfr  eine  erklärung  findet;  dasselbe  iilfr  begünstigt  auch  die  Lie- 
1  *i«r-Edda  (vgl.  c.  II,  3)  entschieden  mehr  &\?,  Fenrir.  Beiläufig  bemer- 
kend, dass  mir  von  skald.  tautologie  in  dem  sinne,  dass  zu  einem 
""^elleicht  nicht  ganz  deutlichen  ausdruck  (wie  Fenrir)  ein  zweiter  in 
Erläuterndem  sinne  (wie  hier  ulfr)  hinzuträte,  kein  beispiel  bekannt 
Ist',   lege  ich  mehr  gewicht  darauf,   dass  eine  solche  „tautologie"  in 

*lie  aar  einzelne  teile  dos  mythus  beleuchtet  werden,  unter  ibuon  ist  von  liiicbEtoni 
Utur  und  gewicht  die  6.  Etrnphe  der  E^rilismAl  (bald  nach  935)  sowie  die  20.  strophs 
<tsr  Hi'ikoaarmül  (bald  nach  95ü  verrasst);  von  blossee  anapieluutjen  auf  dun  mythua 
VoD  mm  leil  nouh  höherem  alter  nenne  ich  die  stropbe  des  Eyviudr  in  Rph.  111,  460; 
Yo^gatal  Vlil  (Vigf.  Corp.  poet.  H;  Yngls.  o,  20);  HauBtlqng  8  (Vigf.;  Kpb.  I,  310); 
Sonartorteb  24,  2;  25,  2  noch  Egilss.  ed.  Jönsson  s.  367;  Bagnarediü]m  4  (Vigf.;  Kph. 
1,  43());  lerner  Kph.  11,  630.  Einige  weitere  belege  aus  den  verseil  der  sagas  siebe 
W  Egilsson  Lex.  poet.  s.  v.  Fenrir,  endlich  Merlinusspa  11,  118  (Vigf.  Corp.  poeL 
U,  376)  und  aas  der  rimnrpoesie  l*rymlur  od.  Mob.  1,  2. 

1)  Tgl.  Mogk  in  Pauls  gmndr.  I,  1045. 

2)  Wenn  der  skaldiBche  ausdi-uolt  tmi  breit«  neigt,  so  geschieht  es  gerade  in 
dem  umgekehrten  bestrebeD  füi'  den  einTachen,  als  trivial  geltenden  ansdnick  einen, 
künatlicb  gebildeten  zu  wühleu,    der  das  nachdenken  etwas  mehr  beschäftigt, 


184  WILKBN 

diesem  falle  auch    eine  äuösei*st   selten    belegte   abweichung  von  dem 

altirorinanischen  sprachgebraucho  darstellen  Avürdo.    In  eigentlicher  kom- 

position  kann  die  species  durch  das  genus  expliciert  werden  (vgl.  eich- 

bauni,    Walfisch    u.  ä.,   Grimm  11^,  440  fg.),    nicht   in   uneigentlichor, 

,iri»notivischor:    hier  kennen  die  germanischen   sprachen  einen  explica- 

fiv«'n  genetiv  von  alters  her  nicht.     Ganz  besondei-s.gilt  dies  von  der 

imnlisrhen,   mit  hilfe  des  gen.  subiect.  oder  obiect.  ausgeführten  keih 

niiiff  oder  Umschreibung  (vgl.  u.  a.  Vigt^  Corp.  poet.  II,  447  fg.,  meine 

Kritri-s.   zur  Sn.  Edda  s.  190  anm.  117);    ebensowenig  wie  Mdna(jarmr 

Mwnals  bedeuten  könnte  „ein  hund  MÄni'',  ebensowenig  wol  auch  Fcnrh' 

nlfr   ^eiii   wolf  Fenrir".  —   Man   hat   die  anomalie   zwar  gelegcntlioli 

.iujffi    hlnweis   auf  Yggdrasill   (Vijl.  19,  1   nach  den  meisten  hss.)  - 

) lij/ilntsib  iiskr  zu  erledigen  gesucht^,    das   in    demselben  sinne  VqI. 

li",   I    sowie   in  den  Grm.   (str.  29  fg.)  siebenmal,   auch   in  der  Prosa- 

l'ldda  sti'ts  bi^egnet,  wo  nicht  das  einfache  aslr  genügend  schien.    Mit 

iinM.'iii    mir   an    einer   stelle   und  nicht    ohne   Widerspruch  einer  der 

iilrsU'ii    hss.   belegten  Yggdrasill    hat  es  demnach   nicht  eben  viel  auf 

^u  ii    v'pMjUbor  dem   sonst  völlig  konstiuiten   spnichgebniuch -.    Gleioh- 

■.>i»l   will    u-h   die  analogie  dieses  wertes  nicht  ganz  von  der  band  wci- 

^tii,    'ia    riach    drei    selten    sich    eine   gewisse    ähnlichkeit   mit  unserin 

■iUMii   -t'i^t.     Kinmal  begegnet  der  anomal  verkürzte  ausdruck  in  bei- 

m    aiU'ii   niemals  in  prosa,   wo  nur  der  vollständige  oder  der  normal 

.  ikui/.u^    iiu.-idruck    (ash\    resp.  7(1  fr)    sich   findet      Zweitens   ist  der 

.i.iiuii  \nkar/.te  auch  nur  da  in  der  poesiu  zu  treften,  wo  ein  gewi^ 

»v.iii;;    dos    mctrums   mitzuwirken    scheint^.      Drittens    endlich  is^t 

=  .«*v     iiiiiiaie  Ncrkürzung  hier  ohne  gefahr  für  das  richtige  verständ- 

..•.L     A!.-*     luraflioii  /''>/•/•  j;esagt  wird  fcUir  furnjnts  i/oda  fingst nlla   --=    l»«^' 
.^^ k^.iui'U'iurn  nnuitium  antistitis.  (Kph.  I,  2!U ,  IJL  lM.) 

^>/,furtisill  dor   nauio    dtji*  esobt:   s»m,    winl  iieuordinjrs   von   Kii'J^* 
■  .uiii>nd«;o  uiiivei-sity  ropoHor  ISO."),  fiWjr.  .'>)   •jelougiiftt.     Y.  wäre  u^^' 
.L*v.iic  ki'iininj;  für  SlcipHt'r.    H.  (!.] 

;av    '<yMii»»s  au  der  betrrffmdL'n   stollo   mit  cod.  r   Yyr/drasih  (-^' " 
.  .  üjitiiiouiiMi  aualogio  gemib^s. 

^uc  Vt^«;.  10,  'J  i'in«  langzoilc  wie 

.»k  f'iuhii  ßar  Fcnrinftffs  kimh'r 
x;.jii.    das  iMnrat:iie   /<//>  wiiitl«'    aI»or   dorn    stabroimö    und   >i*=^ 
-•V-'-      ^^^'l    ^^^   "^"  *"    ^'^^l-   ^^'  J    der  gen.    Yggdranils.   da 
.— ^    •-»•^'•'  '-^'i;^*»^  ^W\\\,    otwas  auffällig'  (HugpS  Stud.  s.  421),  a^' 
4.    :*i*cu  >kaldisL*hou  wtirtstfllun«:,  an  welche  anklänge  auch  sr-^ 
.  o^   tiiä«>u    \\\m\.  \\\.  Xk  1      'J  nach   H)   darf  man  doch  ai-**- 
tuit  iKid.  r  uutVecht  erhalten. 


■UV» 


185 

nis,  da  YggdrasUI  wie  Fenrir  nur  noch  in  der  Verbindung  mit  askr, 
rcsp,  tilfr  vorkanieü,  nncli  ihrer  besondoi-en  bedeutung  aber  wol  schon 
nnverstiißdlich  geworden  waren '.  Ich  glaube  also  die  Verwendung  von 
Fenrir  =  Feuriswolf  nur  als  eine  aus  den  angeführten  gründen  erklär- 
liche Hcenz  des  poetischen  Sprachgebrauches  namentlich  der  Ijeder- 
Eddfl,  seltener  der  sbalden  (2.  b.  Kph.  UI,  460)  ansehen  zu  dürfen*. 

3.  Wie  steht  es  nun  mit  der  erklärung  des  schon  frühe  unver- 
stänilljeli  gewordenen  wnrtes  seitens  der  neueren  forscher?  Weder 
J.  Grimms  noch  Bergmanns  deuteversiich  bat  beifall  gefunden*;  die 
mehrzuhl  der  heutigen  niythologen  acheint  zu  einer  anknüpfung  an 
/"«».  n.  (=  sumpf,  meer)  geneigt  zu  sein.  Allerdings  ist  schon  die 
pramniH tische  ableitung  nicht  ganz  gesichert;  nach  dieser  seite  hat 
neuerdings  Hellquist  der  sache  anfmerksamkeit  geschenkt,  ohne  jedoch 
21  ganz  gesicherten  resultaten  gelangt  zu  sein*.  Weit  schwieriger 
noch  Heheint  mir  die  sachliche  begründung.  Da  Fenrir  bei  jener 
annähme  mit  Fe/isaUr  und  wol  auch  mit  Fenja  verwant  sein  müsste, 
deren  ableitung  von  fen  n.  jedenfalls  einfacher  wäre,  so  will  joh  eine 
"Urzt;  betrachtung  dieser  beiden  worte  vorausschicken. 

4,  Bei  Fenaalir,  der  wohnnng  der  göttin  Frigg,  wird  fmi  bald 
""  sinne  des  skaldisehen  Sprachgebrauches  mit  „meer"  (Bugge,  Mogk, 
'''iltlieri,  bald  dem  gewöhnlichen  usus  gemäss  mit  „sumpf  oder  „teich" 
(80  namentlich  Edzardi,  Germ.  27,  330  fg.  und  neuerdings  Hoffory,  Edda- 

1)  Diosor  uuistaQd  ist  nicht  obii>3  gewicht.  WiUtrend  im  nhd.  z.  b.  nieinand 
^^  kötiigiwoha  einfach  könjg  ssgoa  daif,  wii-d  das  ganz  analoge  vettoi  (^  vetturs- 
**«>!  odor  kleiner  votier)  uabedetiklioh  gobranoht,  da  vetter  im  ursprüogliohen  Biune 
'^^    VBterbmder)  veraltet  iat. 

2)  Auch  die  beiden  von  Sohullerus  in  Pauls  Beitr.  XU,  22Ü  noch  aogeführtea 
~™Bpie1e  stellen  ttio  sauhe  nicht  anders  dar.     Die  schwierige  strophe  Grm.  ',^1    (vgL 

*Kt»  Lüning  und  Uiillenhoff,  D.  alt.  V,  116)  wird  nur  noch  dankler,  wi'nn  man 
^^f'^Titnir  fdr  den  nanion  des  Knuibes  selbst  hält  und  nicht  rilntr  sonstiger  tuialogie 
S^tijteH  :=  woir,  zanberwescD  fosst.  —  Olasir  (Skülsk.  32  nnd  34)  ist  nicht  ohne  wei- 
^*«  =^  (ilaaislunilr,  sondern  die  uraprüngliiJie  bodeutiing  von  Glanir  (=  der  glont- 
'^'^bu,  glasähnlicbo,  eine  bezeichnang  des  hiinmels  ähnlich  dem  „glasüerg*  unserer 
^Är<^en)  ist  der  Sn.  EdJa  nicht  melir  dsuth'cli;  so  konnte  auch  hier  Oltutr  wider 
vbkürKung  für  Glasiniuiuir  stehen,  zumal  andere  coni[io3it&  von  ölaair  (wie  Ola- 
*'*air)  dem  sprafh gebrauche  der  Prosa-Edda  fremd  sind. 

3)  Der  erstore  (Myth.'  8.'202  liatto  gefragt:  got.  fanareia?  doch  nicht  flthnen- 
^ r,  pannifer9    Bergmann  hatte  (Fase,  de  GulÜ  s.  288)   an  ags.  fmn,   ahd.  feim 

•»«»Bart 

4)  Im  Arlriv  Tdr  nord.  filol.  7,  s.  24  und  173.  Der  an  craterer  stelle  gepibenen 
^^tuog  {Fmrir  =  Fet^arr,   wie   Vtdrir,   Snütrir  =  Viäurr,   Sti/ttirr)   mcichte  ich 

I   als  der  s,  173   nach  Grimms  Vorgänge    wider 
txnng  von  -rir  mit  got  -areis. 


stud.  1,  26),   gelegentlich   auch   mit   „marschlaud"    (N.  M.  Peteasen, 
mytb.  187)    überaetzt.     Diesem   schwankea  gegenüber  koastaüere  icfcq 
zunächst,   dass  keine  der  vorgeschlagenen    deutuogeu    für  eine  woh_ 
niing    der    himmelsgöttin   recht   passen   will,    wie    denn    auch    Edzan^^ 
a.  a.  o.  Ü35  ehrlich  einräumt,  „wenn  auch  in  unseren  eddischen  quellea 
diese  auffassnng  (einer   unterirdischen  teichwohnung  der  göttin  Frig^ 
Idon-Hel)   nicht  mehr  hervortritt"    und   bestimmter  noch  338   so   sia% 
äussert    „  da    der   dichter   sich    Ferisalir    wol    als    himmlischen    wohcx— 
sitz   dachte"    usw.  —    Veränderungen  der   mythisclien  auffassung  iru 
laufe  der  zeit  sind  ja  nun  freilich  ausserordentlich  häufig,  aber  diese 
fülle  der  beispielo  gestattet  doch  auch  eine  axt  regel  für  den  gang  der 
Veränderung  aufzustellen.    Wer  den  Schriften  von  A.  Kuhn,  W.  Schwartz 
und  ihrer  nachfolger  mit  besonnener  kritik  gefolgt  ist,   dem  wird  der 
satz  ^  trotz  mancher  Überspannung  iin  einzelnen   ^   im  ganzen   dach 
als  bewiesen  gelten,   d<iss  der  gang  der  lokalen  veröaderung  auf  echt- 
mythischem  gebiet  von  oben  nach  unten,  von    den  himmlischen  wol- 
kenbergeu  zu  den  irdischen  bergen,  von  den  „oberen"  wassern  zu  deQ 
gewässern  der  erde  führt  und  nicht  umgekehrt'.     Dass  die  untorwelts- 
göttin  Hei  ursprüuglich  die  „verhüllende"   wölke  am  himmel  bedeutete, 
ist  leicht  zu  sehen;  ihre  Identität  mit  l'rigg  lasse  ich  hier  dahingestellt; 
die  annähme  eines   „älteren"  unterirdischen  Wohnsitzes  der  Frigg  tAnat^ 
wo  unsere  quellen  einen  himmlischen  im  sinne  haben,  verstösst  gegen 
die  eben   angefiilirte  „analogia  mythica"  *.     Gerade  wer  Feiisahr  für 
einen   älteren   mythischen  ausdruck   hält,    wofür   mehrerc  gründe  spre- 
chen',  wird   zu   der  von   Edzardi   vorgeschlagenen   lokalverlegung  sinli 

1|  Vgl.  z.  Ii.  Schwarte,  Poet,  natutansch.  II,  s.  0  oben,  200.  —  Es  tuodA 
sich  hior  uiulit  um  erzähl un gen ,  wekhe  historiscbe  erktilrung  eioea  auHfiUigian  pUo» 
tnens  bezwecken  wie  die  GylL  II  {=  14,  10;  15,  4  Wk)  berichtBt«D,  vgl.  ci^i.I,  U. 
wäbrend  uns  Oylf.  10  ein  boispiel  liefert,  wie  dinge,  die  „zwiscben  erd«  und  bin* 
mel'  sieb  zeigten,  z.  h.  daa  lag-  und  aacbtwerdan ,  goToo  und  iui  ganzen  mit  tmU 
aoF  oinen  bimmliBuhen  ursjirung  zurückgeFülirt  werden.  ÄhaÜcli  liegt  es,  weoa  dil 
augeu  des  getuteten  Sturmriesen  Pjaü  von  den  gottern  als  Sterne  zum  himmel  eAo- 
ben  werden  (Brag.  56  =  96,  9  WL). 

2)  Ob  der  nohnaitz  der  gotter,  von  wo  aus  sie  nach  der  darstclluug  tob 
Ojlt  34  die  Hei  nauh  Nillhüim  und  den  midgarihormr  in  die  tiefe  aeo  norbn,  im 
bimmel  war,  darüber  wird  a.Y.  3,  u.  TI  und  oxu,  I  weitisr  gehandelt  weiden.  Bui 
kattadi  in  jenem  berioht  (38,  2,  5  Wk.)  =^  herubwarf  zu  verstehen  iiei,  erkaa- 
nsn  auch  die  übersetzei'  an  (lieiecdt  Eg-,  ähnlich  iSimrcck).  Niuht  ganz  unähnlich 
ist  die  griechische  sage  vom  stürze  der  Titanen  in  den  Tartaros  (Hes.  Theog.  SIT  fgj 
vgl.  eio.  I. 

3)  Vereinzeltes  vorkommen  in  verschiedenen  quellen  (Vijl.,  Gylf.,  SkÜda  19) 
deutet  meitit  auf  hiihereä  alter;  ebenso  schobt  mir  diuj  febleu  dos   namens  in  dun  M 


DER  FENRI8W0LF  187 

it  berechtigt  fühlen;  dasselbe  gilt  auch  von  der  ansieht,  Fen^alir 
=  meersäle.  —  E.  H.  Meyers  ansieht  aber  (Germ.  myth.  189,  269), 
an  die  feuchten  „wolkensälo"  denkt,  ist  mit  der  von  mir  vertre- 
in  eher  zu  vereinigen. 

5.  Ein  ähnliches  resultat  ergibt  sich  deutlicher  noch  aus  der 
achtimg  des  wortes  Fenja.  Es  ist  der  name  jenes  riesenmädchens, 
zusammen  mit  der  befreundeten  Menja  dem  grausamen  könig 
li  gold  mahlen  soll,  schliesslich  aber  dem  unersättlichen  zwingherrn 
eil  mahlt.  Von  dem  seekönig  M^singr  auf  ein  schiff  gebracht,  sol- 
beide  salz  mahlen;  als  auch  dieser  sich  unersättlich  zeigt,  versinkt  das 
9f  im  meer;  seitdem  ist  die  see  salzig  (Skäldsk.  c.  43).  —  Wenn  man 
mkt,  dass  geschwisterwesen  (vgl.  s.  188  n.  1)  im  mythus,  nament- 
wenn  es  sich  nicht  um  hervorragende  göttergestalten  handelt  (vgl. 
diese  cap.  IV,  1)  meist  nur  Vervielfältigungen  derselben  Vorstellung 
^  so  können  wir  bei  der  erklärung  von  Menja  wol  ebensogut 
ehen  wie  von  Fenja\  ersterer  name  wird  von  „men"  haisschmuck, 
hmeide  abgeleitet,  was  zu  dem  goldmahlen  vortreflflich  passt^.  Auf 
wasscr  deutet  eigentlich  nichts,  wenn  man  den  mythus  ohne  ein 
lologisches  verurteil  zu  gunsten  von  fett  n.  betrachtet.  Allerdings 
inkt  die  mühle  schliesslich  im  meer,  aber,  erst  nach  gewaltsamen 
Strophen,  nicht  wie  A.  Kuhn  1847  (bei  Haupt  VI,  134)  noch  an- 
:  die  mühle,  welche  gold  mahlt,  steht  ja  auf  dem  gründe  des  mee- 

Dio  auffassung  beider  mädchen  als  ursprünglicher  meerjungfrauen 

land,  Mogk)   erscheint  mir  darnach  ebensowenig  gerechtfertigt   als 

erklärung  „gold,  das  im  sumpfe  verborgen  liegt",  die  Grimm  (Myth.* 

u.  nachtr.)  jenem  mehrbesprochenen  fen  zu  liebe  für  das  von  bei- 

mägden   gemahlene  gold  gab.     Das  richtigere  sah  A.  Kuhn  1858 

einer  „Herabkunft  des  feuers^  (vgl.  zweiter  abdr.  1886  s.  90,  102) 

im  anschluss  an  ihn  Simrock  (D.  myth.^  317),  welche  in  der  gold- 

glücksmühle  die  so  oft  als  rad,   Scheibe,    stein  vorgestellte  sonne 

nnten;    die  mahlenden  mägdo  vervollständigen  dann  das  bild  der 

üngeres  mach  werk  enthaltenden  Verzeichnis  der  götter>vohnungen  in  Grm.  eher 
insten  dieser  ansieht  als  gegen  sie  zu  sprechen. 

1)  Während  z.  b.  Gylf.  35  als  tochter  der  Froyja  nur  Ilnoss  genannt  wird, 
ihr  Yngliugas.  13  zwei  tijchter  (Hn.  und  Oersimi)  zugewiesen,  deren  namen 
ich  dasselbe  bedeuten.  Bekannt  sind  ferner  die  neun  Schwestern,  welche  müt- 
?s  gottes  Heinidallr  sind  (Gylf.  27),  also  sich  sehr  nahe  stehen  müssen  und  die 
ir  des  meergottes  -Egir,   welche  meeroswogen  bedeuten.    (Kph.  II,  493.)  —    An 

ereiden,  Danaiden  usw.  der  griechischen  sage  sei  nur  kurz  erinnert. 

2)  Zu  Menja  stellen  sich  als  etymologisch  verwante  auch  Mejiglqä  und  andere 
figen  (Vigf.  s.  v.  ^nen)^  in  denen  men  stets  =  gold  oder  goldschmuck  ist. 


188  WILKKN 

sonnenmühle  wol  nur  ebenso  wie  die  rosselonkcrin  Söl  mit  den  bei- 
den sonnenrossen  (Gylf.  11)  das  bild  des  leuchtenden  sonnenwagens 
ergänzte  —  Unter  den  neueren  forschem  ist  Laistner  (Nebelsagen 
s.  323  —  331)  geneigt  die  mühle  Grotti  zunächst  als  schueemtihle  (salz  «• 
Schnee)  zu  fassen,  die  als  wettemiühle  im  weiteren  sinne  freilich  auch 
zu  Zeiten  sonnengold  zu  mahlen  im  stände  gewesen  sei.  Dass  der 
mythus  nicht  ursprünglich  dem  meere  angehörte,  dass  man  ^den  namen 
die  beziehung  auf  die  see  angebildet  habe"  wird  s.  330  mit  recht 
betont;  über  die  s.  324  versuchte  Zusammenstellung  von  Fenja  mit 
fqnii  =  schnee  entscheide  ich  nicht.  An  die  gewitterwolke  als  hand- 
mühlo  denkt  E.  H.  Meyer  Germ.  myth.  90,  Fenja  und  Menja  fasst 
derselbe  als  sturmriesinnen  s.  155,  wo  auch  die  etymologische  frage 
berührt  ist. 

6.  Selbst  wer  den  ausführungen  in  §  3  —  5  nicht  in  jeder  ein- 
zelheit  beipflichtet,  wird  doch  soviel  zugestehen  müssen,  dass  jenes 
Fen-  in  den  besprochenen  mythischen  namen  nicht  mit  irgendwelcher 
Sicherheit  auf  fen  ==  sumpf  oder  meer  zurückzuführen  ist  und  bei 
dem  an  fen  vielleicht  nur  anklingenden  werte  Fenrir  sich  diese  ver- 
wantschaft  in  einem  noch  viel  zweifelhafteren  lichte  darstellt  —  Zum 
glücke  ist  die  etj'^mologie  nicht  die  einzige  pfadfinderin  der  mytliologie; 
Aver  sich  hier  zu  einem  ehrlichen  „non  liquef  bequemt,  der  hat 
wenigstens  irrwege  vermieden  und  sich  die  möglichkeit  offen  behalten 
auf  anderem  wege  sein  ziel  zu  finden ^ 

7.  Auch  von  den  bei  namen  dürfen  wir  nicht  allzuviel  ausbeute 
hoffen.  Zunächst  scheiden  alle  die  von  selbst  aus,  die  nur  genea- 
logische bezieh ungen  aussprechen,  vgl.  darüber  c.  IV.     Die  meisten  der 

1)  Da  sich  in  der  Charakteristik  der  beiden  mägde  nirgends  ein  unterschied 
zeigt,  da  sie  nach  str.  11  langjährige  gespielinnon  und  nach  str.  9  auch  verwante 
sind,  so  durften  sie  oben  wol  als  gcschwisterwesen  bezeichnet  werden.  Violleicht 
sind  nur  darum  zwei  inahlcnde  genannt,  weil  wol  auch  im  norden  an  der  handmühle 
nicht  selten  von  zwei  mägden  zusammen  gearbeitet  wurde  (vgl.  für  das  morgenland 
Matth.  24,  41  und  Riehm,  Uaudwb.  des  bibl.  alt.»  s.  1042). 

2)  Vgl.  W.  Schwartz,  Urspr.  der  mythol.  XXI.  —  Beiläufig  sei  hier  übrigons 
bemerkt,  dass  für  jenes  fen  n.  selbst  die  angeführten  deutungon  noch  nicht  er- 
schöpfend zu  sein  sch(unen.  Dem  verwanton  sanskr.  werte  paf'ika  wird  auch  die 
bodeutung  „staub "^  beigelegt  (Schade,  Altd.  wb.  s.  v.  fenni)\  diese  würde  uns  jeden- 
falls vom  wasserdämon  entfernen,  violleicht  sogar  zu  gemahlenem  goldstaube  füh- 
ren. —  Andererseits  wäre  eine  entfernte  v(»r>vantschaft  mit  g.  fön,  n.  funa  =  fouer 
nicht  ganz  undenkbar,  wird  doch  z.  b.  auch  mhd.  retccn  oder  väwen  (Lexer  s.  v. 
rcwen)  zu  derselben  wurzel  (skr.  pü  -  reinigen  Fick'  126)  gestellt.  —  Unter  eine 
andere  beleuchtung  wird  die  frage  noch  in  cap.  VIII,  1  gestellt  werden. 


übrigen  beinainen  küQnou  auch  andere  wülfe  bezeichnen,  so  zunächst 
vitnir  {\a.f\>r.  ö3,  4;  Grm.  23,  4)  nebst  Hröävitnir,  das  Lokas.  39,  1 
deatlich,  etwas  weniger  bestimmt  Grni.  39,  3  auf  unseren  wolf  weist; 
der  Grm.  21,  1  genannte  pjöilvUnir  ist  zwar  etwas  rätselhaft,  aber 
mohrfach,  z.  h.  von  MüUenhofl'  (D.  altert  V,  116)  ais  „Fenrir  oder 
einer  seiner  grossen  söhne"  gedeutet.  —  Während  jenes  vitnir  (und 
kompos.)  der  VqI.  fremd  sind,  kommt  dort  von  andem  boinanien  des 
Wolfes  zunächst  vald^r  VqI.  54,  2  sicher  in  betracht;  in  zweifei 
sind  die  herausgeber  bei  jqtuun  V<jl.  47,  2  und  dem  der  hs,  H  ent- 
nommenen Surtar  sefi  47,  4;  das  erste  beziehe  ich  auf  Loki,  vgl. 
c  IV,  2;  über  das  zweite  ist  ebendort  gehandelt.  Es  bleibt  noch  ein 
kleoblatt  zweifelhafter  benonnungen  aus  der  Vijl.  übrigi  freki,  Garmr 
und  vargr.  Das  erste  dieser  worto  ist  einer  der  bekanntesten  wolfs- 
nanien*;  die  beziehung  auf  den  Fenriswolf  ist  Vgl.  51,  3  sicher,  dar- 
oacli  auch  44,  2  und  sonst  in  der  stefstrophe  (vgl.  darüber  Sijmons 
zu  Str.  44)  wabi-scheinlich.  Dagegen  ist  der  in  derselben  str.  44,  1 
geoannte  OamiT  ebensowenig  wie  der  in  Gnu.  44,  4  bezeugte  Garmr 
auf  Fenrir  zu  beziehen;  die  gründe  hat  Müllenlioff  a.  a.  o.  138  mit 
nachdruck  hervorgehoben;  hinzufügen  liesse  sich,  dass  Fenrii"  wegen 
der  mchensperre  nicht  bellen  oder  heulen   kann,   so   lange  er  gefesselt 

last,  wenn  auch  Gylf.  c.  34  (=  42,  5)  das  ffre?ijar  iüiHga  ungenau  erst 
liacli  erwähnung  der  maulsperre  bietet;  die  worte  fyr  Onijtahelli  mttss- 

;leD  aber,  von  Fenrir  verstanden,  die  fortdauer  der  fesselüng  bezeich- 
nen, da  er,  frei  geworden,  sofort  losbricht  (H&konarraÄl  20).  Der 
vargr  in  Yqi.  39,  5  wird  am  einfiu?hsten  auf  den  im  vorhergehenden 
Tetse  genannten  drachen  Nlilhqggr  bezogen  (so  auch  Müllenhuff);  der- 
selbe gelehrte  deutet  in  44,  5  \vegen  des  dabei  stehenden  vindqUl  die 
vargqld  wol  mit  recht  auf  die  zeit  der  „sonnenwölfe"  oder  (eschatolo- 

,ipach  gefassten)  Sonnenfinsternisse.  Eine  boziebung  auf  den  Feuriswolt 
wfire  wol  höchstens  in  dem  i^args  der  nur  teilweise  noch  lesbaren 
str.  55  (nach  E)  zur  not  denkbar,  vgl.  die  fassung  der  betreffenden  str. 
(=^  ßl)  bei  Grundtvig,  Seem,  Edda  1874  sowie  die  ältere  Vermutung 
If.  Magnussens  im  Lex.  niyth.  859.  —  Dass  die  zur  vertauschung  so 
geneigte  ataldische  technik  unter  den  rargs  heiti  (Kph.  I,  591}  auch 
Fenrir  bietet,  bedeutet  so  gut  wie  nichts. 

8.    Der  grund,    weslialb   ich   dies  negative   resultat  bezüglich  des 
beinamena  vargr  so   bestimmt  hervorhebe,    ist  folgender.     Neben  ulfr 

1)    Bekanotlich    heissen    aUL-h    (.Iiüds   wölte    Gert   aud   Frfki.    [Gylf.  38    n&ch 
Orni.  19. 1 


190  fflLKBI 

ist  vargr  nach  aiiswois  der  wbb,  (]er  verbreltetste  naine  für  den 
im  norden.'^  Wenn  auch  beide  worte  im  sprachgebrauche  sich  nidit 
selten  so  nahe  stehen,  wie  das  Sprichwort:  raita  ritrgar  nie3  tUftim 
erkennen  Ifisst,  so  ist  andererseits  die  scheidimg  doch  unschwer  auf- 
zufinden: vargr  ist  das  gefrässige,  iinheimlicho  raubtier,  daliPr  auch 
von  raenscblichen  Verbrechern,  sofern  sie  ruchlose  raubtierart  zeigten, 
gebraucht  (cargr  i  v^tim),  aber  nie  als  faniilienname  verwandt.  Dage- 
gen bezeichnet  ulfr,  zwar  aucli  das  raubtier,  aber  mehr  von  seiten  der 
kühnbeit  und  stärke  betrachtet,  so  dass  man  sich  nicht  verwundern 
darf,  sehr  zalilreiche  familiennamen  davon  abgeleitet  zu  finden';  mu 
könnte  vart/r  mit  raubwolf,  ulfr  mit  edelwolf  übersetzen.  Nun  ist  es 
höchst  bemerkenswert,  dass  zwar  die  der  sonne  und  dem  moude  nacb- 
stellenden  wölfe  häufig  genug  raryar  genannt  werden*,  aber  der  nadi 
späterer  genealogischer  Verknüpfung  (vg).  c.  IV}  mit  ilmen  nahe  vM- 
wantfi  Fenriswolf  in  prosaischen  texten  stets,  in  der  poesie  ziemlicb 
ebenso  konstant  ulfr  und  zwar  oft  ohne  jede  weitere  bezeichnung  ge- 
nannt wird,  so  dass  er  gerade  hierdurcii  von  den  in  der  nord.  mytho- 
iogia  oben  so  bekannten  sonnenwölfen ,  den  raryar,  unterschieden 
wurde.  Dieser  umstand  verbietet  allein  schon  in  dem  Fenriawolf  ein 
von  anfang  an  als  unhold  oder  götterfeind  aufgefasstes  wesen  zu. 
erblicken;  es  ist  vielmehr  zu  erwarten,  dass  ulfr  entweder  aadh  diA 
edleren  seiten  der  wolfsnatur  ausdrücken  sollte  oder  dass  hier  über- 
haupt nur  ein  iiugserlicber  vergleich  (s.  c.  I,  g  14)  mit  einem  wolfe 
beabsichtigt  war.  —  Wenn  dieser  wolf  in  den  EirtksmÄl  str.  6  idfr  inn 
kqsvi  (der  graue  wolf)  genannt  wird,  so  ist  entweder  nur  ein  poetisch- 
lebendigerer  ausdruck  gewählt,  da  der  wolf  in  poetischem  ausdruck 
sehr  häufig  so  genannt  wird^  oder  es  kann  das  wort  fiir  die  sjmboUk 
selbst  bedeutuug  haben,  so  dass  bei  einer  „üusserlicheu"  vergleichung 

1}  Vigf.  s.  V.  ülfr  ni  fülirt  etwa  30  vou  diesem  worte  abgeleitete  (tigennUMa 
auf,  duniEite'r  kÜQigsiiaineii  wio  Ilniitulfr  =^  Hr6lfr.  So  niog  aaoh  das  kSoig^g»- 
geBchloobt  der  Tlflngar  (Hyodl  11,  4)  voo  alfr  absiileiten  Heiu. 

2)  Su  Oyir.  12  (^  15,  23)  in  ijatnla  gygr  fmdir  ai  smuim  marifa  J^m  ot 
aUa  i  vargs  Ukjum,  vgl.  auch  o.  50  (=  80,  10);  dButüeher  uoch  spricht  die  Har- 
vorarsagiL  (ed.  Buggo  s.  246)  oh  kappatk  um  pat  mrgar  drull  —  pal  tr  »Gl,  tat  Sk- 
ok  H.  heita  vargar,  pat  eru  ulfar  nsw.  —  Aus  Ihre  üial.  lex.  1Ü5  wies  Oritnin, 
Uftli.*  588  die  ausdrSoke  solvarg,  soiulf  Cur  die  aebensonne  nacb;  an  don  angcd&hp- 
teil  stellen  soiieiat  der  vargr  der  eigentlich  beKeicbnende  aasdruck  xn  sein,  au  dan 
teflweise  ulfr  als  der  docIi  allgemeiner  bekannte  wolfsnanie  hinzutritt 

3)  Bvlega  aus  TentchiedBuen  spracbeo  gab  achoo  J.  Qrimm,  vorrodu  eu  IMnfa. 
Fucha  XXXV,  ausserdem  vgl.  dio  uord.  wbb.  —  Als  yrdil^ri  bezeii^ljuen  den  woB 
die  NafQa}>uItir,  Kpli.  I,  ;>91- 


DKR   FBNRISWOLF  191 

r^edesf&IIe  auch  die  fnrbo  in  betracht  kUme.  Doch  auch  in  diesem  falle 
Tdarf  man  bei  „grau"  nicht  gleich  an  die  düsterste  lUrbung  denken, 
J  wird  doch  z.  b.  auch  eine  eisen-  oder  stalilrüstting  und  von  dem  skal- 
I  den  Sküli  (Kph.  I,  330  gräiuterks  Mäna)  sogar  das  mondlicht  „grau^ 
I  genannt.  —  Auch  dies  attribut  macht  also  den  wolf  Fenrir  noch  nicht 
ohne  weiteres  zu  einem  dämon  der  finstemia'. 

9.  Der  einzige  dem  Fenriswolf  allein  zukommende  beiname  Vä- 
nargaitdr  begegnet  seibat  nur  in  der  spräche  der  skalden,  ist  aber 
insofern  nicht  ohne  bedeutung,  als  der  aus  dem  munde  des  gefesselten 
Wolfes  hervorbrechende  schäum-  oder  geiferflusB  Vdn  in  der  skaldischen 
traditton  feststand  und  als  besonders  charakteristisches  kennzeichen  galt 
(vgl.  c.  V,  VI,  i;  9  gegen  ende;  exe.  II);  übrigens  ist  diese  be- 
zeichnung  wol  derjenigen  der  weltschlange,  dem  älteren  und  reicher 
bezeugten  ausdruek  Jqrmungaiidr  {z.  b,  VqI.  50,  2)  nachgebildet*  und 
soll  die  verwantschaft  der  beiden  angeblichen  söhne  Lokis,  die  ihm  die 
riesiu  Angrboda  geboren,  uuch  lautlich  darstellen.  Das  wort  yaiutr 
selbst  wird  jotzt  meist  als  „zauberwosen"  gefas.st  und  scheint  so  dem 
sinne  nach  mit  dem  oben  erwähnten  ritnir  verwant  zu  sein.  Da  diese 
etwas  dämonisch  gefärbten  beiworte  aber  neben  dem  einfachen  ttlfr 
uAer  Fcnrimlfr  entschieden  zurücktreten,  teilweise  auch  als  skaldischea 
beiwerk  sich  verraten,  berechtigen  sie  uns  nicht  in  dem  „wolfe"  ein 
v(in  Anfang  au  dfimonisch  aufgefasstes  ungeheuer  zu  erblicken. 

IV. 
Genealogische  und  polemische  beziehungen. 
1.  Schon  in  cap.  I,  g  14  ward  hervorgehoben,  dass  es  zwar  in 
den  urmython  an  verwantschaftlichen  beziehungen  göttlicher  wesen 
nicht  völlig  fehlt,  der  grössere  teil  aber  der  genealogien  auf  mytholo- 
gischem feldo  nicht  der  naiven,  sondern  der  konstruktiven  myüien- 
periode  angehört,  eine  in  unseren  quellen  sich  findende  genealogische 
Verknüpfung  also  sehr  leicht  eine  irrige  sein  kann.  Übereilt  würde 
auch    die  annähme    sein,    dass    gemeinsame    zurückführnng    mehrerer 

H  Wer  Sil  die  Qrfien  der  grieuliiachen  sage  sich  erinnern  sollte,  darf  nicht 
de«  lonehtenden  Eaho  vergeasen,  der  eine  andere  seito  dieser  gewittenrosen  d&rstellt, 
»gl  W.  Schwartz.  ü?BpT.  der  myth.  a.  192  fg. 

2)  Vgl.  auch  Vigf.  Cwp.  poet.  bor.  II,  471:  the  Wolf,  the  mi^ty  monster  — 
is  Ibm  mentioDed  by  the  poets  tban  tlio  sorpent,  —  Doch  vgl,  s.  134,  Kam.  1.  —  Dio 
bemTlniDg  im  Oloss.  der  Pros.  Edda  s.  v.  Ji/rmunganär,  wonach  diese  hezeichnung 
unprUjiglich  vielleicht  dein  fenrir  gebfihre,  ist  zu  atreicheo. 


192  WILKEN 

mythischer  wesen  auf  einen  gemeinsamen  „vater"  in  dieser  konBtr. 
periode  notwendig  den  sinn  einer  Wesensgemeinschaft  ausdrücke,  sei 
es  der  kinder  mit  dem  vater,  sei  es  der  geschwister  unter  sich.  Mögen 
nicht*  selten  geschwister,  namentlich  Schwestern  dieselbe  mythische 
Vorstellung  nur  mit  der  nuance  der  Vervielfältigung  ausdrücken,  vgl 
c.  III,  §  5;  mindestens  ebenso  oft  ist  —  in  der  griechisch-römischen 
wie  in  der  deutschen  mythologie  —  das  geschwisterverhältnis  der  typi- 
sche ausdruck  geworden  für  die  gemeinsame  Unterordnung  unter  einen 
höheren,  welcher  einer  aus  älterer  zeit  noch  lange  fortwirkenden  patri- 
archalischen auffassung  gemäss  als  2)^äter^  dieser  wesen  bezeichnet 
wird^.  An  den  homerischen  Zevg  TtatrjQ  und  den  römischen  Jupiter 
als  „divom  pater**  (z.  b.  jEneis  I,  65)  nur  kurz  erinnernd,  weise  ich 
hier  namentlich  auf  die  Stellung,  welche  Oäinn  allmählich  im  norden 
gewonnen  hatte,  hin.  Die  einst  mächtigeren  götter  T^r  und  törr  fin- 
den wir  in  unseren  quellen  ihm  untergeordnet  2;  der  zweite  wird  nun 
immer,  der  erste  wenigstens  gelegentlich  zu  den  söhnen  Odins  gerech- 
net^. Dieser  patriarchalisch  gefassten  gruppierung  der  äsen  um  den 
allvater  Ödinn,  wie  sie  Gylf.  20  so  anschaulich  schildert:  ok  svd  sem 
qnnur  guäin  ei^i  mdttug,  pä  pjöna  Mnum  qU  svd  \sem  bqni  fodur, 
entspricht  nun  in  unseren  quellen  offenbar  die  gegengruppierung  der 
den  göttern  feindlichen  wesen  um  Loki,  der  namentlich  als  vater  der 
Hei,  der  weltschlange  und  des  Fenriswolfes  gefasst  wurde,  vgl.  Gylf.  34 
anf.,  wozu  viele  stellen  der  Lieder-Edda  sowie  auch  der  älteren  skal- 
den  stimmen*.  Ihrem  wesen  nach  zeigen  jene  diei  wesen  wenig  Ver- 
wandtschaft mit  dem  verschlagenen  Loki,  so  dass  F.  Magnussen  einmal 
bemerkte,  ihr  vater  sei  wol  eher  Ütgarda-Loki  als  Äsa-Loki  gewesen. 
Aber  der  ersterc  hätte  zu  einem  führer   im  kämpfe  wider  die   götter 

1)  Solcher  typischen  ausdnicksweisen  finden  sich  mehrere;  die  verschmelzang 
des  äsen-  und  vanon-kultes  stellt  Yngls.  4  und  Bragar.  57  als  einen  friedensschluäs 
mit  geiselstellung  dar;  vielleicht  ist  ähnlich  zu  beurteilen  die  blutmischung  (Loks.  9) 
oder  die  heirat  zweier  göttlicher  wesen  (Gylf.  23). 

2)  Ein  genauerer  nachwois  für  das  ältere  Verhältnis  wird  nach  den  arbeiteo 
von  H.  Petersen,  K.  Weinhold  u.  a.  wol  unnötig  sein,  vgl.  übrigens  neben  Untersuch, 
zur  Snorra-Edda  s.  101  a.  148  und  s.  295  hier  w.  u.  s.  197  anm.  1.  Mit  recht  bäh 
an  dem  früheren  vorrang  des  gottos  Ti/r  auch  W.  Oolthor,  Götterglaube  und  götter- 
sagen  der  GeiTiianen  s.  18  fg.  fest. 

3)  Vgl.  Untersuch,  s.  115,  a.  212.  —  Wo  die  betr.  wesen  von  so  untergeord- 
neter art  sind  wie  menschliche  beiden  oder  valkyrjeu  im  vergleich  zu  Odinn,  kennt 
die  nord.  spräche  den  ausdruck  oskas^ynir  (adoptivsöhnc),  oskmey.  (vgl.  die  wbb.). 
Wir  könnten  hier  von  „im  dieusto"  Odins  stehenden  menschen  reden. 

4)  Gewöhnlich  wird  aber  hier  nur  eines  der  kinder  mit  dem  vater  genannt 
oder  zwei  geschwister  (ohne  den  vater),  vgl.  s.  194  anm.  1. 


pK^lecbt  getaugt,  also  auch  nicht  zum  „Täter"  dee  woIfes  im  sinne 
I  der  konstr.  periode.  Doch  vergisst  diese  im  vorliegenden  falle  nicht 
den  drei  „idealen"  goschwistem  wenigsten  eine  mutter  zu  geben, 
deren  nanie  schon  ausdrückt,  welclie  Vorstellung  mit  dazu  führte,  jene 
drei  nesen  »k  gesclinister  aufzufassen:  es  ist  die  riesln  AngrOoäa,  die 
furcht- bieterin  oder  -erweckerin'. 

2.  Im  anscbluss  an  die  besprechung  der  genealogischen  Ver- 
knüpfung dos  wülfes  mit  Loki  möchte  ich  hier  die  schon  im  vorigen 

■  C*p.  §  ^  berührten  ausdrücke  in  Vijl,  47,  in  denen  es  zweifelhaft  war, 
»vb   sie  »uf  Loki   oder  Fenrir  sich   beziehen,   kui-z  erörtern.     Zunüchst 
r47,  2:    en  jqtnun  losnar.     MüUeuhoff  hat  I).  alterk.  V,  146   beide  auf- 
l  fassungen   für  zulässig  erklärt,   die   deutung  auf  Fenrir  jedoch   bevor- 
I  Kugt.     Aber  I^oki,   der  söhn  des  ricsen  KArbauti  und  ursprünglich  wol 
lidentisch  mit  dem  echt  riesischen  Ütgarda-Lobi,   hat  jedenfalls   noch 
ifaereo  Anspruch  auf  den  namen  ji/tumi  als  Fenrir,  der  allenfalls  auch 
ftpo  beissen  könnte*.     Doch  wird  letzterer  in  dor  Tgl.   (aueb  nach  Mül- 
mboff)  sonst  als  frekt  bezeiclmet  (cap.  IV,  7);   auch  war  die  fesselung 
(Zolcis  in  str.  35  ausdrücklich  erwähnt,  so   doss  wir  auch  sein  freiwer- 
i  hier  wol  eher  zu  finden  berechtigt  sind.     Endlich  entspricht  einer- 
nits  der  ausdruck  renna,  der  Vol.  44,  2  von  freid  gebraucht  ist,  genau 
fai-a    (vom    wolfe    Fenrir    in    Hükonai'm.  20   gebraucht)    und    die 
sondere  hervorhebung  der  fessel  in  jeuer  strophe  lässt  an  die  berüJim- 
Mite  aller  fesseln,    Oleipnir,    mit  recht  denken;    andererseits  entspricht 
i  dem  loskommen  des   „riesen"  in  sti-.  47  vorangebende  ersebüttem 
Edes  weltbaumes  ganz   der  Schilderung,    die  Oylf.  50  von  dem  gefessel- 
ten Loki  macht:  seine  krampfliaften  Zuckungen  rufen  erdbeben  hervor. 

3.  Bei  VqI.  47,  4  kann  sogar  der  zweifei  entstehen,  ob  nicht 
vielleicht  der  40,  4;  41,  1  erwähnte  tungls  tjugari  hier  gemeint  sei: 
da    der  scbluss  von  47   aber    nur   in    der   bs.  H   überliefert    und    wol 

1)  Nwh  diesen  ausfülirungeu  wird  iiiar  aain,  wie  woit  ich  der  aosicht  von 
Ifogk  (im  Gniiidr.  der  germ.  |itiil.  I,  1045)  jiuge  Tabolet  hat  aia  (die  weltsch lange) 
in  die  sippe  Lukis  gebraclit  —  aiitli  Fcoriv  ist  später  iu  Loliis  sippe  gelioiiiineii''  zu- 
BtJmroen  kann,  wie  wuÜ  uicM. 

2)  Bs  wird  der  weitere  gau);  der  uutersuohuog  nouh  deutlicher  teigen,  nameDt- 
lieb  in  cap.  T.  VI,  dass  erst  die  Verdunkelung  nnd  dümonisuhc  aufrassiiug  du§  ulfr 
ihn  EQ  einem  vitnir,  gandr,  varyr  machte  und  so,  da  vargr  iu  dar  skaldischeu 
«praclie  etwa  =  Irolt  ist  (kundr  er  eargr  eäa  troll  bcvna  Kpli.  11,  513),  sdiliesa- 
Uch  auch  als  troll  oA&t  jqtuHii  bescivhasD  liess;  den  um gehelirten  Standpunkt,  wonach 
PVnrir  nur  getngentlicb  in  „wolFi^gestalt"  auftritt,  nimmt  z.  b.  Schade  im  Altd.  wb. 
B.  V.  Ftitrir  ein.  Vgl.  s.  11)4  ^i,  1.  —  Heine  anfTassiing  l>)kls  kann  hier  nicht  ein- 
gt-huüU  bugruadet  werden. 

IKtnuantirr  r.  DKUtncUK  ri ii  1.01.011  ir.    nn.  xxriii.  13 


194  WILKEK 

irgendwie  verderbt  ist,  fallt  die  entscheidung  der  frage  nicht  ganz 
leicht.  Der  ausdruck  Surtar  sefi  kann  jeden  riesen  oder  riesenverwan- 
ten  unhold  bezeichnen;  bezieht  man  den  ausdruck  auf  Penrir,  dann  ist 
die  auch  von  Sijmons  recipierte  konjektur  Müllenhoffe  hleypir  für  gley- 
pir  und  die  erklärung  pmm  =  pan  allerdings  ansprechend  und  dieses 
of  hleypir  entspräche  dann  wider  dem  in  §  2  besprochenen  retina  der 
str.  44,  im  andern  falle  möchte  ich  gleypir  behalten,  aber  für  pann 
mit  Munch  und  Möbius  pd  (auf  allir  bezogen)  lesen.  [Vgl.  aber  auch 
Rud.  Much,  Zeitschr.  f.  deutsches  alt.  37,  417  fg.  H.  G.]  AUir  ä  hd- 
vegufn  aber  fasse  ich  nicht  als  „die  in  den  regionen  der  Hei*'  (Müllenh. 
V,  147),  sondern  =  „die  auf  dem  wege  zur  Hol  sind**,  vgl.  troää  fialir 
ftelveg  52,  4  nebst  56,  2  und  41,  1.  —  Ist  diese  ältere  aufiassnng  nicht 
am  ende  die  einfachere? 

4.  Während  die  in  §  1  dieses  capitels  besprochene  genealogische 
Verknüpfung  des  wolfes  mit  Loki  zwar  un ursprünglich  ist,  aber  schon 
in  der  skaldischen  wie  eddischen  tradition  fest  begründet,  somit  relativ 
alt  erscheint^,  ist  eine  andere  genealogische  Verknüpfung,  die  V<jl.  40,  2 
vorführt,  nicht  so  konsequent  durchgofülirt  worden.  Der  ausdruck 
Fenris  kindir  kann  (vgl.  MüUenhoflf  a.  a.  o.  124)  entweder  „wesen  von 
der  art**  oder  „kinder  und  abkömralinge  **  des  Fenrir  bezeichnen  — 
„auf  jeden  fall  wölfe**.  Da  nun  zu  den  bekanntesten  wölfen  der  nor- 
dischen mythologie  SkoU  und  Hau  gehören,  letzterer  aber  Grm.  39,  3 
als  söhn  des  IIrö(tvit?iir,  welchen  namen  wir  cap.  III,  7  als  beinamen 
des  wolfes  Fenrir  kennen  gelernt  haben,  erscheint,  so  lässt  sich  aller- 
dings  eine   entscheidung   im  sinne   der  Vaterschaft   des  Fenrir  beiden 

1)  Für  die  skaldische  b'aditioa  vgl.  jetzt  Finnur  Jönsson  im  Arkiv.  f.  nord. 
fil.  IX,  9.  —  Hier  wird  hervorgehoben,  dass  die  woltschlange  bei  den  ältesten  skal- 
den  mehrfach  erwälint,  aber  nicht  ausdrücklich  als  I^kis  kind  bezeichnet  wird;  die 
belege  für  Fenrir  und  Uel  in  dieser  bczioliung  sind  ebenda  gesammelt.  —  In  der 
Lieder -Edda  scheint  nur  für  den  wolf  die  genealogische  Verbindung  mit  Loki  direkt 
bezeugt  zu  sein  (Ix)kas.  10,  1),  indirekt  geht  dieselbe  für  die  weltschlaoge  aas 
Hymkv.  24,  4  hervor.  —  Die  nahe  liegoudo  Wahrnehmung,  dass  in  jeuer  genoalogi- 
sehen  Verbindung  mit  I^oki  der  grund  hegt,  weshalb  Fenrir  auch  einmal  (in  einem 
nachtrage  zum  hauptregistcr  ziemlich  an  letzter  stelle!)  unter  den  riesen  aufgeführt 
wird,  Kph.  I,  555  hätte,  zumal  bei  dem  geringen  mythologischen  werte  der  Nafna- 
|)ulur,  davor  bewahren  sollen,  den  wolf  zu  einem  dämon  zu  machen,  der  in  wolfe- 
gestalt  den  moud  oder  die  sonne  verechlingen  soll  (Schade,  Mogk).  Und  E.  H.  Meyer, 
der  Germ,  mythol.  144  (entsprechend  seinem  Systeme,  wonach  den  dämonen  in  tier- 
gestalt  die  in  menschengestalt,  d.  h.  unter  andern  die  riesen,  historisch  folgen)  von 
dem  tierdämonischen  prototyp  des  riesen  Ymir  redet,  hätte  s.  142  besser  den  zwei- 
deutigen ausdruck  vermieden:  olbon  erscheinen  selten,  riesen  oft  als  ticrdänionon, 
wobei  u.  a.  der  Fenriswolf  als  beispiol  angeführt  wird. 


DER  MUmSWOLF 

'ölfen  gcgouüber  kaum  anfechten  und  die  zweite  der  obigen  erklärun- 
en  von  Fenriä  hiiidir  scheint  somit  näher  zu  liegen.  Der  einwand, 
Bss  von  einer  vatorechaft  bei  einem  wosen,  welches  nach  Gylf.  34  in 
ingen  Jahren  bereits  gefesselt  wurde  und  so  bis  zum  weltende  verhar- 
an  sollte,  nicht  wol  die  rede  sein  könne,  verliert  sein  gewicht,  wenn 
rir  auch  hier  an  jene  ideale  Vaterschaft  denken,  die  wir  in  §  1 
ieses  capitels  bei  Loki  besprochen;  die  alte  im  eisenwaldo  darf  dann 
war  nicht  mit  Angrboda  gleichgesetzt  werden,  aber  doch  wol  als  nach 
irem  vorbilde  konstruiert  gelten.  Zu  der  „idealen"  Vaterschaft  stimmt 
Bch  der  umstand,  dass  diese  Fenris  kiudir.  die  ziemlich  zahlreich 
ewesen  sein  müssen  {verdr  af  pnni  qlliim  Vijl.  40,  3),  in  ihrer  haupt- 
laase  jenen  fifliiugir  zu  entsprechen  scheinen,  welche  Vgl,  51,  3  auch 
n  gefolge  des  wolfes  if'reki),  aber  ohne  besondere  botonung  einer  ver- 
'antschuft  mit  ihm  anfiilirt>;  sie  scheinen  den  wolf  in  ähnlicher  weise 
um  letzten  kämpfe  zu  begleiten  wie  die  einfierjar  den  Ödinn*. 

5.  Wenn  auch  die  Fenris  Idiidir  sich  deutlich  bezeugt  nur  in  der 
'qI.  finden,  so  fehlt  es  doch  nicht  an  anzeichen  noch  kühnerer  kom- 
inationen  in  der  bezüglichen  richtung.  Während  als  verschlinger  der 
jnne  nach  dem  zeugniss  beider  Edden  (Grm.  39,  1;  Gylf.  12  vgl.  mit 
■1)  sowie  der  Hervararsaga  {s.  246  Bugge)  der  wolf  Skoll  (Skalli  Herv.) 
enannt  wird,  legt  Vafl)r.  46  und  47  dieselbe  rolle  dem  wolfe  Fenrir 
ei;  vgl.  auch  Hnifnag.  23,  4.  Dass  hier  wol  nui-  eine  freiere  fortbil- 
ung  der  in  §  4  bereits  besprochenen  genealogischen  Verhältnisse,  jcden- 
Jls  keine  nllg(^mcin  recipierte  auffassung  zu  tage  tritt,  wird  schon 
Eunus  deutlich,  dass  in  Gylf.  53  die  letztere  jener  beiden  Strophen 
itiert,  aber  nui-  bezüglich  der  tochter,  welche  die  sonne  vor  ihrem 
Kle  gewonnen  huben  soll,  als  zeugnls  benutzt  wird,  während  der  ver- 
in  cap.  51  den  sonuenwolf  ganz  deutlich  von  dem  Fenriswolfe 
iterschoidet  (vgl.  81,  11  mit  K2,  5  fg.  Wk.);  zu  demselben  ergebnis 
jede  besonnene  sagenkritische  Untersuchung*. 


1)  Da  Lüki  nach  VqI.  51 ,  4  rahrtgenosso  des  wolTos  ist,  so  mag  der  aosdniok 
ainnar,   dea  Gylf.  51  (83,  4  Wk.)   für  diks  gcfülgo  des  Loki  gebraucht,  jene 

ioscbliesson  »oUen.  Bei  letiterom  worte  halte  ich  eine  iiberBetiung 
tb  analogie  dos  ags.  flfel  (riese)  uju  so  berechtigtor,  als  das  wort  etymologisch 
iftclist  aaf  körperliche  grosse  hinweist  (vgl.  Fick  s.  v.  femfta)  und  auch  der  gewöhn- 
la  nordisube  Sprachgebrauch   (=  tolpel)  siüh  leicht  erlUutert  im  hiablicko  aof  das 

esen  der  meisten  riesan,  vgl.  Vigf.  und  Gering  x.  v.  api. 

2)  Da  die  einker/ar  aia  6»kasijnir  des  gottes  gelten  (vgl.  s.  192  aam.  3],  so  ist 
anabgie  eq  deu  Fmrü  kindir  um  so  einleuchtender. 

3)  Qrimnis  versuch   (Myth.*,  uachtr.  s.  83)   in  üifri^tll  den  moad  zu  sehen, 
an  Kph,  I,  59^;  würde  überdies  diu  mythologische  Schwierigkeit  nicht  heben. 

13* 


1  Oß  WILKKN 

6.  Nur  dies  darf  zugegeben  werden,  dass  die  gleiche  bezeich- 
nung  als  wölfe  —  mag  sie  auch  bei  den  sonnenwölfen  auf  indirektem, 
bei  dem  Fenriswolf  (vgl.  c.  V,  YI)  wahrscheinlich  auf  direktem  ver- 
gleiche beruhen  (diese  termini  sind  erläutert  c.  I,  13),  sobald  auch  der 
Fenriswolf  aus  irgendwelchem  gründe  eine  dämonische  auffassung  erfuhr, 
die  Versuchung  sehr  nahe  legte,  diese  verschiedenen  wölfe  nicht  nur 
genealogisch  zu  verknüpfen  (wie  den  Fenriswolf  mitLoki),  sondern  sie 
auch  sozusagen  als  mythologische  konkurrenten  und  zu  gelegentlicher 
vertauschung  geeignete  wesen  erscheinen  su  lassen,  ohne  die  schweren 
bedenken  gegen  einen  solchen  Synkretismus  in  die  wagscbale  des  orteils 
fallen  zu  lassen.  Doch  kann  hiervon,  da  die  vertauschung  weder  all- 
gemein noch  auch  nur  in  dazu  neigenden  kreisen  mit  konsequenter 
schärfe  auftritt,  erst  in  cap.  VII,  6  weiter  gehandelt  werden. 

7.  Schon  in  cap.  I,  14  wurde  darauf  hingewiesen,  dass  pole- 
mische Verbindungen  zum  teil  echt  mythischen  wert  haben  können, 
sofern  sie  nämlich  nicht  etwa  nur  die  kehrseite  idealer  genealogieen  und 
Verbrüderungen  darstellen.  Dies  letztere  trifft  nun  auch  bei  dem  Fen- 
riswolfo  teilweise  zu,  bei  dem  ich  die  foindschaft  gegen  götter  und 
menschen,  welche  unsere  quellen  widerholt  (namentlich  Gylf.  51)  bezeu- 
gen, teils  auf  rechnung  des  leicht  irreführenden  namens  „wolf"  (vgl. 
§  6),  teils  auf  die  der  g(>nealogischen  Verbindung  mit  Loki  setzen  muss^ 
Zwar  bezeugt  sich  diese  feindliche  Stellung  andeutungsweise  schon  in 
den  ältesten  unserer  ([uellen;  aber  diese  alle  kennen  auch  bereits  die 
Verbindung  mit  Loki.  Etwas  anders  ist  es  mit  der  rolle  des  gottes  Tfr, 
wie  sie  in  dem  berichte  von  der  fesselung  des  weites  in  Gylf.  34  sich 
findet.  Diese  gestalt  tritt  dem  wolfe  in  einer  weise  gegenüber,  dass 
man  den  godanken  zunächst  ansprechend  finden  kann,   in  l^r  gewis- 

Dieso  liogt  dann,  dass  die  soDDonwölfo  (rcsp.  der  sonnen-  und  mondwolf)  nach  den 
o1»en  f^oniinnti.'n  zouguisson  als  rastlose  Verfolger  die  sonne  oder  don  mond  bedrohen, 
während  der  Fenriswolf  hilflos  f^efesselt  liegt  und  seine  eigene  freihcit  erst  vom  welt- 
untergangi.'  erwartet.  —  Khcr  Hesse  sich  noch  mit  Müllenhoif  und  Simrock  dann 
denken,  in  Vaf]>r.  IG  nur  eine  poetis(the  freihoit  des  ausdrucks  zu  finden,  so  dias 
unter  dem  namen  Fenrir  hier  der  sonnenwolf  Sk.  zu  verstehen  sei;  doch  sind  denur- 
tige  einfache  nanieusvei'tauschungen  <wie  Nafina  oder  lörun  für  Idunn  Hrafn.  8,  2; 
15,  1)  der  älteren,  auch  skaldischeu  dichtung  keineswegs  geläufig,  vgl.  UnterBOcL 
s.  200,  2!)G.  —  Die  an  letzterer  stelle  im  anschluss  au  Gislason  geäusserte  ansieht 
halte  ich  auch  jetzt  fest  gegeuül>er  der  etwas  freieren  von  £.  H.  Meyer,  Oeim- 
mvth.  s.  H4. 

1)  Mag  auch  mit  dem  losbrechen  des  wolfes  der  Weltuntergang  beginnen  (vgl 
c.  VI«  10  gegen  ende),  so  fasst>n  die  nordischen  quellen  doch  nicht  ihn,  soodeiii 
als  den  eigentlichen  gütterfeind^(Oylf.  33,  Sk.  IG). 


UKB  mNmS«OLF  197 

1  das  mythische  komptement,  den  geborenen  gegonsatz  des  wol- 
1  Fenrir  zu  finden.  Von  diesem  standpunltte  aus  sind  hervorragende 
brscher  [Tgl.  cap.  II,  I)  dazu  gekommen,  in  dem  gegner  des  gottes  Tjr 
Üaen  dämon  der  finsterniss  zu  finden.  Wird  nun  auch  neuerdings  die 
l^tung  des  gottes  TJr  als  eines  Vorgängers  von  ödinn  im  principat  der 
gOtter,  teilweise  sogar  seine  geltung  als  himmelsgott  überhaupt  bestritten', 
so  kann  ich  diesen  letzteren  Standpunkt,  der  für  meine  aulTassung  des 
Fienriswolfes  eigentlich  der  bequemste  wäre,  doch  durchaus  nicht  adoptie- 
Es  genügt  mit  die  dreifache  forderung:  1)  Unterscheidung  des  späte- 
1  kriegsgottes  Tfr  von  dem  älteren  himmelsgotto  TCr  auch  in  Gylf.  34; 
I  anerkeanung,  dass  himmlische  Üchtgütler  ursprünglich  stets  tages- 
götter  sind*  und  3)  dass  der  gegensatz  zwischen  Tj'r  und  Fenrir  ein 
mehr  äusaerlieher  als  innerlicher  ist,  da  die  fesaetung  des  wolfes  nur 
«Ib  notwendige  Vorbeugung  künftiger  gefahren,  nicht  wegen  echon  ver- 


1)  Bedenken  gegen  die  etymologische  gleichaetzung  des  gottes  T^-r  mit  Ztil-i 
nwie  gegen  die  annabuo,  TjT  habe  in  ülterer  zeit  im  Dordeu  die  rolle  gespielt, 
ralche  später  Odba  eiDnahm,  sind  neuerdings  DameDtlicli  von  Beer  (Germ.  33,  4  fg.), 
i.  H.  Meyer  (Germ,  mytii.  220)  und  0.  Bremer  (Indogerm,  forsuhungen  111,  301; 
feses  letilo  oilat  verdanke  ich  einem  gütigen  winke  H.  Gerings)  nicht  ohne  nachdrack 
toi^bnabt;  die  begründang  ist  Tür  mich  aber  nur  eine  teilweise  überzeugende.    Die 

tymol.  gleich  Setzung  mit  Ziif  mag  gerne  dabinfahren;  es  mag  auch  ohne  weiteres 
den,  daS3  eine  so  einheitliche  ziutammonfassung  des  gotterütoates,  wie 
dici  ^odhiuische"  zeit  kannte,  früheren  prioden  fremd  war  —  aber  wer  wie  Beer 
1  oatneu  Tjr  ,der  leachtende*  erklärt  und  loitnUirt  (a.  5),  ,dass  auf  iiidogerman. 
/o  den  göttein  dio  eigenschatt  des  leuohtens,  glänzens  als  weeeotlich  Kugeaehiie- 
I  wurde,  mithin  ihre  atmosphüiiBche  natur  dominierte",  der  scheint  mir  nicht 
'berechtigt  zu  sein  aus  gründen  strengerer  otymologie  wenige  zeilea  vorlier  zu  sagen, 
einem  deutsclion  himmelsgott  Tiv  keine  rede  sein  könne'.  —  Ähnlich 
r  auch  bei  Bremer  der  unterschied  von  der  Slteren  auffasaung  melir  in 
a  urgiert,  als  sachlich  begründet  zu  sein.  Wie  wenig  zutreffend  die  hemerkung 
;,  nur  diu  etymologio  Tyr  =  Zfüg  habe  die  annähme  einer  alleren,  höheren  rolle 
8  gottea  hervorgerufen,  geht  ans  W.  Müller,  Altd.  rol.  232  hen-er;  Schon  Bubm, 
1  Odin  186,  ISO  erkannte,  dass  der  kultiis  dieses  gottes  im  norden  älter  sei  als 
'4er  dM  öttion.  Wenn  es  in  der  griecb.  röm.  germ.  mytliologie  keine  kriegsgütter 
^bt,  die  nioht  hift-  oder  himmelsgütter  gewesen  sind  (vgl.  äres  und  Athene,  Ma- 
meni-Mani,  Jupiter;  ausser  T^r  auch  Odinn).  so  wird  es  bei  Tj'r,  dessen  name  nicht 
widerstrebt,  sich  wol  ähnlich  verhalten,  und  wenn  TJr  ,im  besonderen  den  gottes- 
nsmen  trügt',  den  im  weiteren  sinne  auch  andere  götter  (tivar)  führen,  so  scheint 
mir  der  schluss  näher  zu  liegen,  dass  dieser  gott  eine  hervorragende  rolle  unter 
ihnen  wonigsteas  in  alter  zeit  besessen  haben  muss,  als  dass  gerade  hierin  ein  beueis 
für  eeiu«  rolle  als  (ursprünglicher)  ki'iegsgott  zu  ündeu  wäre.  —  Vgl,  s.  193  onin.  2. 

2)  Dass  die  macht  der  bimmlisohen  an  den  tag  gebunden  ist,  geht  schon  aus 
dem  bekannten  sngenxuge  hervor,  dass  ihre  gegner  bei  anbruch  des  tageslichtes  in 
ilire  gewalt  fallen,  versteinert  werden  (Vigf.  a.  v.  <Ui'jaj. 


108  SCUÖNBACU 

übter  gcwalttat,  ja  nicht  einmal  wogen  grausamer  oder  sonst  „wöl- 
fisclier"  Sinnesart  erfolgte  Wird  dies,  das  im  einzelnen  in  den  folg^- 
den  capiteln  näher  zu  begründen  ist,  vorläufig  zugegeben,  so  ergibt 
sich  als  rosultat  der  bisherigen  Untersuchung  (in  cap.  HI  und  IV),  dass 
eine  dämonische  auffassung  des  wolfes  aus  seinen  beinamen  mit  unrecht 
gefolgert  wird  (cap.  HI,  8),  aus  den  genealogischen  Verbindungen  nur 
scheinbar  und  aus  der  gegenüberstcllung  mit  T^r  nur  soweit  wirklich 
sich  begründen  lässt,  dass  eine  gewisse  bezichung  des  wolfes  zur  nacht 
wol  nicht  bestritten  werden  darf.  Aber  zeigt  die  nacht  etwa  bloss 
schrecken,  dunkel  und  finstemiss?^ 

1)  Man  vgl.  z.  b.  diesen  boricht  mit  dem  von  dorn  schmiede,   dor  Bonne  und 
mond  für  sich  verlangt  (Oylf.  44)  oder  mit  der  erzäldung  von  Hnrngoir. 

2)  Vgl.  Grimm,  Myth.*C14:  beide,  tag  und  nacht,  sind  hehro  woson. 

(Schluss  folgt.) 


ZUM  IIUUENDIENST  ULRICHS  VON  LIECHTENSTEIN. 

Die  Vorbereitungen  zur  zweiten  aufläge  meines  buches  Über  Wal- 
ther von  der  Vogelweidc  sowie  die  zurüstung  meines  anteiles  an  der 
„Geschichte  der  stadt  Wien*'  haben  es  mir  nahe  gelegt,  die  dichtungen 
Ulrichs  von  Liechtenstein  neuerdings  genau  durchzunehmen.  Ich  hatte 
das  schon  widerholt  getan:  1882  vgl.  Zeitschr.  f.  d.  a.  26,  307  fg.,  1888 
zum  behufe  der  recension  von  Bechsteins  ausgäbe,  DLZ.  1888  s.  1112  lg. 
Dort  hatte  ich  bereits  einen  aufsatz  über  den  dichter  versprochen,  diese 
zusage  jedoch  im  Anz.  f.  d.  a.  15,  378  wider  zurückgenommen,  weil 
damals  die  Veröffentlichung  einer  historischen  studio  über  den  Liechten- 
steiner durch  meinen  freimd,  herm  Alfred  von  Siegenfeld,  in  naher 
aussieht  stand.  Seither  erfahre  ich,  dass  diese  publikation  sobald  nicht 
erfolgen  wird,  und  zögere  nun  nicht  mehr,  meine  arbeit  den  fachgenos- 
son  vorzulegen.  Ich  beabsichtige  damit  keineswegs  die  in  jedem  be- 
trachte unzureichende  ausgäbe  dos  „Frauendienstes**  durch  Bechstein 
durchweg  zu  berichtigen:  das  mag  joder  philologische  loser  unschwer 
für  sich  besorgen.  Auch  will  ich  nicht  erschöpfendes  über  die  vor- 
kommenden Persönlichkeiten  mitteilen:  ich  vermöchte  das  gar  nicht, 
und  meine,  es  genüge  einmalige  urkundliche  Sicherung  eines 
für  die  zwecke  unseres  faches.  Darum  habe  ich  mich  bei  der 
nutzung  des  materiales  beruhigt,  das  ich  zur  band  hatte.  Mit  Stü. 
sind  die  zwei  bände  des  Stoirischen  Urkundenbuches  gemeint,  di€ 
1875  und  1879  zu  Graz  erschienen  sind.    Siegel  eitlere  ich  nach 


prüchtigea  tafeln,  dio  herr  von  Siegenfeld  (Nürnberg  1893),  der  5 
nsclio  Uradel  (als  IV,  7  dos  „Neuen  Siobmaclior ")  herausgegeben  hat, 
zur  zeit  noch  leider  ohno  kommentar».  —  Jedesfalls  wlinsclie  ich,  dasa, 
was  ich  auf  diesen  blättern  biete,  zum  verständig  des  seltsamen  inau- 
nes  und  seines  werkes  etwas  beitragen  möge. 

10,  16.  Will  man  mit  ßechstein  die  lesung  der  hs.  festhalten,  dann 
Terlangt  es  der  natürliche  satzton,  dass  ich  (wie  gleich  dann  10,  29  u.  ö.) 
inkliniert  werde  und  auf  ir  die  hebung  falle.  —  18,  18  vgl.  Walther 
69,  26.  —  Aus  21,  13  fgg.  ersieht  man  deutlich,  dasa  dieses  verhält- 
,<ius  eine  wdnminae  ist;  der  höhe  muot  21,  17.  19  vgl.  lö,  26,  19,  4. 
22,  20  usw.,  um  dessentwillen  es  unternommen  wird,  ist  dafür 
leichnend.  —  22,  29  Laclimanns  einschaltung  dock  beweist,  dass  er 
die  notwendigkeit  fühlte,  den  satz  mit  dt-r  vorhergehenden  Strophe  in 
bezug  zu  eetzen.  Vielleicht  wird  derselbe  zweck  besser  erreicht  durch: 
wil  des  ich  niht  iresen  bot.  —  24,  ö  fgg.  Die  Weigerung  des  arztes, 
vor  dem  monat  mai  zu  operieren  erklärt  sich  aus  dem  in  aderlass- 
ttod  planetenbüchem  verzeichneten  glauben,  dass  jedes  siechtum  im 
Donat  mai  am  besten  heile.  Vgl.  schon  Wilhelm  von  Conches,  Do 
ibilosophia  mundi  lib.  2,  cap.  26.  27  (Migne,  Patrol.  lat  172,  67  fgg.).  — 
24,  32  Der  knappe  bekreuzt  sich,  weil  er  Ulrich  für  verrückt  (25,  10) 
fiA&e  bezaubert  hält.  AVenn  man  den  zustand  der  damaligen  Chirurgie 
I  Deutschland  (besser  war  es  damit  in  Italien)  bedenkt,  und  dass  jeder 
fiinAicfae  knochenbruch  oft  zum  tode  führte  (vgl.  das  ende  herzog  Leo- 
^Id  V.  am  31.  december  1194  in  Graz),  so  darf  die  besorgnis  des 
nappen  25,  11  fg.  nicht  verwundem.  Ein  magister  Cknnradits  pki- 
icu8  von  Graz  ist  im  2.  bände  des  Steir.  Urkdb.  mehrfach  bezeugt 
ind  erhält  (s.  541)  1213  einen  zehnthof  bei  Hitzendorf  vom  orzbischof 
Eberhard  U.  von  Salzburg  zum  geschenk.  —  26,  16  Es  ist  gar 
ein  grund  vorhanden,  mit  Bechstein  an  dor  richtigkeit  der  lesart 
^tnpal  zu  zweifeln:  die  modernen  vergleiche  in  solchen  fallen  (eine 
Ihnst,  ein  kiudskopf,  oino  kegelkugel)  sind  um  nichts  geschmackvoller 
ind  treffender.  —  28,  2  fgg.  Bechstein  mag  wol  recht  haben,  wenn 
r  diese  grüne  salbe  für  pappelsalbe  hält,  denn  das  Klostemenburger 
rziicibuch  des  12.  Jahrhunderts  sagt  1.  buch,  b.  XIV.  (meiner  absclirift): 
iroü  den  päppeln;  papeln  sint  cliali  und  veukt  an  dtmt  ersten  yradu 
t  brreJuint  diu  geswer  diu  von  bliiot  sint  und  machcnl  dax  vmrch 
^iter).  VgL  Konrad  v.  Megenberg,  Buch  dor  natnr  340,  5  fgg.,  wo 
s  von  der  pappelsalbc  heisst:  dax  iM  gar  guol  xuo  vil  dingen  und 
1)  Die  Steir.  reiinchroDil:  wird  nntürlicb  nnuii  Seumüllera  tivfFlicbiii'  ausgabt- 
igofuhn. 


200  SCHÖNBACH 

haixt  xe  latein  diapopylicru.  —  und  wax  mixwendiger  wvnden  ist  an 
dem  hib,  die  haut  ex  gar  krefticldch.  Sie  war  damals  schon  in  apo- 
theken  zu  kaufen,  vgl.  Megenberg  5,  23  fgg.  Nimmt  man  das  an, 
dann  findet  sich  noch  ein  weiterer  grund,  weshalb  der  arzt  den  liedi- 
tensteiner  auf  den  monat  mai  bestellt,  denn  Megenberg  sagt  von  der 
bereitung  der  salbe  aus  dem  „pappelharz"  339,  32  fgg.:  aber  der  ist 
d^r  pcst,  den  man  in  dem  maien  saynent  und  maeht  man  den  harx 
also:  man  nimt  die  probsen  oder  diu  knögerlein,  diu  xe  laut  söUen 
sein  u'ordcJiy  und  sendet  die  in  ungesalxenr  putem,  diu  neur  von 
rijidermilch  kämt  und  die  in  dem  maien  gemacht  ist,  und  dax  sendet 
man  mite7iandcr,  unx  ex  xemäl  grüen  trirt.  dar  nach  seiht  man  ex 
durch  ain  tuoch  und  tuot  ex  in  erdein  häfcn,  —  30,  23  1.  (sd  mich 
besexen)  nnhtes  habent  die  sorge  alsamt  die  schar.  —  31,  20  bi  der 
Muor,  also  wol  in  Murau,  oberhalb  dessen  die  Frauonburg  lag,  nach 
der  sich  Ulrich  in  den  nächsten  versen  begibt,  vgl.  159,  14.  210,  24*.  — 
32,  12  Die  bedeutung  kiis  =«  bürg  ist  nicht  so  selten,  wie  Bechsteins 
anm.  meint,  und  sogar  heute  noch  verschiedentlich  zu  belegen.  Wel- 
ches der  markt  ist,  der  19  erwähnt  wird,  lässt  sich  bei  den  verschie- 
denen möglichkeiton,  die  das  Murtal  darbietet,  nicht  ausmachen;  die 
stat  38,  5  ist  wahrscheinlich  Judenburg,  die  einzige  civitas  in  der 
nähe,  ein  platz,  der  schon  am  anfang  des  12.  Jahrhunderts  markt-, 
maut-,  zoll-  und  stapelrecht  besass  (Steir.  Urkundenb.  1,  111)  und  am 
ende  des  12.  Jahrhunderts  zur  Stadt  erhoben  war  (v.  Muchar,  OescL 
d.  herzogt.  Steiermark  2,  134.  3,  131  fg.).  —  33,  17.  25  Wol  eine 
7nissa  iHissa,  jmvata  oder  specialis  (Du  Gange  5,  414.  417  fg.),  wie 
sie  auf  reisen  üblich  war  und  noch  ist  Dass  dabei  von  singen  gere- 
det wird  33,  10.  18.  23,  hindert  diese  auffassung  nicht,  weil  das  nu 
ein  formelhafter  ausdruck  ist  —  44,  6  (57,  8.  59,  14)  Deutsche  gebet- 
bücher  gab  es  damals  noch  nicht,  die  frau  verstand  also  latein.  Da 
der  empfehlung  des  buches  die  werte  beigegeben  sind  gegen  der  nakif 
so  ist  es  nicht  als  ein  gewöhnliches  psalterium  täuschend  au^fiissl 
sondern  als  ein  tagzeitenbuch,  das  ja  auch  ungefähr  dem  umfange  voa^^^" 
Ulrichs  gedieht  entsprach.  —  44,  27  Bechsteins  komma  ist  unberech-^ — -* 
tigt,  denn  28  stehen  gen.,  nicht  dat  —  52,  24  Der  vers  hat  nidi 
drei  hebungen,  wie  Bochstein  meint,  denn  der  sinn  fordert  die 
nung  ^n  h&xc  tmd  din  lip.  —  52,  32;  53,  1  Die  Umstellung 
manns  scheint  mir  bei  der  oft  so  gewundenen  ausdrueksweise  Ulrichs^  ^^^ 

1)  Es  kann  übrigens  nach  den  Zeugnissen  des  Steir.  IJrkdbachs  ebensogut 
dorf  Mure,  Mura  bei  dem  benachbarten  Judenburg  gemeint  sein. 


i 


ZV    ULRICH    TON    LKCHTKN8TK1N 

nicht  hinreichend  begründet;  auch  passt  die  widcraiifiiahmo  durch  des, 
die  den  entgegenstellenden  satz  einleitet,  besser  zur  liaudschriftliehen 
Ordnung. —  53,  8  fg.  Wie  sich  Bechstein  den  Zusammenhang  der  steife 
denkt,  wenn  die  beiden  verse  fehlen,  ist  mir  unklar.  —  53,  26  Viel- 
leicht nur  u^x  schadet  der  riehen  heide?  das  passt  zum  folgenden: 
btuomen  mag  durch  den  Schreiber  hereingekommen  sein.  Es  scheint 
mir  merkwürdig,  dass  heide,  dieses  lieblingswort  der  minnesänger,  nur 
an  dieser  stelle  des  Frauendienstes  im  reim  steht  — ■  5;-),  30  Laohmann 
hat  nicht  hloss  ans  metrischen  gründen  abe  hinzugesetzt,  sondern  aus 
dem  richtigen  gefühle,  dass  bluomen  brechen  hier  eben  nicht  in  der 
gewöhnlichen  formelhaften  weise  verwendet  ist  —  54,  32  vertreten  ist 
hier  ein  ausdruck  der  rochtssprache  aus  dem  verhältniss  des  defensor, 
patronns,  vgl.  Haltaus  190C  fg.  —  59,  21  ist  er  dem  si  ie  an  gestget.  — 
60,  25  fgg.  übersetze  ich:  „mancher  spricht,  was  ilin  sein  herz  nicht 
(anders)  zu  lehren  weiss,  ausser  dass  es  durch  fremden  einfluss  sich 
bemüht,  klug  zu  werden,"  Diese  worto  werfen  dem  Liechtensteiner 
torheit  vor  und  zugleich  trauen  sie  ihm  zu,  er  lasse  seine  ncigung 
nicht  durch  inneren  antrieb,  sondem  durch  äussere  ein  Wirkungen, 
mode  u.  dgl.  bestimmen.  —  61,  28  Wie  vorsichtig  man  eine  mhd. 
Altersbestimmung  durch  kint  beurteilen  muss,  lehrt  dieser  vers:  swie 
bind  ich  roH  den  jären  si  —  der  Liechtensteiner  war  damals  24  —  25 
jähre  alt.  —  62,  13  Igg.  Das  turnier  zu  Friesach  ist  ein  historisches 
ereigniss,  wenngleich  Ulrich  manche  Irrtümer  in  bezug  auf  die  von 
ihm  erwähnte  anwesenhoit  bestimmter  personen  begangen  hat  Das 
datum  ist  63,  12  deutlich  angegeben,  denn  Philippus  ist  der  apostel 
(I.mai),  wenn  er  ohne  znsatz  genannt  wird,  und  dann  allein  gemeint. 
Von  den  kirchenfürsten ,  die  Ulrich  beim  turnier  erwähnt,  hat  Eber- 
hard n.  von  Salzburg  (Frauend.  68,  13)  am  2.  mai  1224  in  Friesach 
oino  Schenkung  herzog  Leopolds  VI.  von  Österreich  an  das  kloster  Ad- 
mont  bestätigt,  Steir.  Urkdb.  2,  308  fg.  Am  22.  april  1224,  also  acht 
tage  vor  dem  turnier  beurkundet  herzog  I^eopold  zu  Graz  seine  Ver- 
mittlung im  sti'eite  zwisclien  Wulfing  von  Stubenberg  und  dem  spitale 
am  Sommering.  (Am  24.  april  urkundet  er  zu  Jndenburg,  Steir.  Urkdb. 
2,  307  fg.,  befand  sich  also  auf  dem  wege  nach  Friesach.)  Dabeisind 
als  ausfertiger  mit  unterzeichnet  Eberhard  von  Salzburg  und  bischof 
Etbert  von  Bamberg  (Frauend.  77,  27),  als  zeugen  die  bischöfe  von 
Chiemsee  und  von  Seckau,  die  also  wol  zu  den  68,  13  fg.  erwähnten 
zehn  gehört  haben  werden,  ferner  Heinricus  marchin  Ystrie  (65,  6), 
DicpoMus  marchio  de  Hohenburrh  (Rfi,  1 1 ,  auch  von  Vohburg  genannt), 
Meinhardus  st-nit/r  et   Meiiihurdus  junior   vumifes   de    Qorx    (65,  15), 


202  8CUÖNBACII 

Ebcrhardus  nolnUs  de  Slu^ilboxh  (65,  27),  Heinricus  et  Wenüiardu» 
nobiles  de  Schoumbcrch  (65,  31),  Liutoldu^  riobilia  de  Pekah  (66,  4. 
72,  19?),  Cholo  de  Truhsen  et  Cholo  fiUiis  suus  (67,  1),  Beimbcrius 
de  Mtireke  et  Reinbertus  filius  suus  (66,  19),  Hademarus  de  Chun- 
rwgen  (67,  17),  Ilermannus  de  Chranchbcrc  (66,  29),  Hartnidus  de 
Orte  (66,  115),  Lintoldus  et  Uolricns  de  Wildoniu  (66,  15?),  Heinricus 
et  Offo  jmtres  de  Puten  (66,  31),  Otto  et  Ortolfus  fratres  de  Graei 
(67,  3  fg.).  Aus  der  vergleichung  dieser  und  anderer  Urkunden  (z.  b. 
der  kaiser  Friedrichs  IL  vom  febniar  1237  —  Steir.  Urkdb.  2,  454  fgg., 
aucli  von  Karajan  schon  erwähnt  s.  667 —  wo  noch  stehen:  comes  Ul- 
riciis  de  Phanvenberc  65,  25  fg.;  Ilademnrus  et  Bapoto  de  Sclioencn- 
bere  67,  28;  come.'i  Willehclmus  de  liunenberc  65,  19;  comes  Ileniiatir 
Hus  de  Ortcnbiirc  65,  24)  ergibt  sich  erstens:  Ulrich  hat  die  leuto 
keineswegs  zufällig  an  einander  gereiht,  wie  sie  ihm  etwa  einfielen, 
sondern  im  ganzen  nach  ihren  rangverhältnissen  luid  ihrer  bedeutung 
(66,  9  fgg);  zweitens,  und  das  trifft  teilweise  mit  dem  ersten  zusam- 
men, er  hat  —  andoi-s  lässt  es  sicli  nicht  erklären  —  als  er  einund- 
dreissig  jähre  nacli  dem  turnier  zu  Friesach  es  unternahm,  die  damals 
dort  anwesenden  aufzuzählen,  wahi-sclieinlicli  eine  wichtigere  Urkunde 
jener  zeit  zur  hand  gehabt  und  durch  ihre  zeugen,  die  er  sich  vor- 
lesen Hess,  sein  gcdächtniss  aufgefrischt,  allerdings  hat  er  dabei  auch 
fehler  (vgl.  noch  zu  66,  5.  78,  3)  mit  aufgenommen.  Aus  blossem  ver- 
höi-en  bei  solcher  gelegcnhcit  vei'stoht  sich  der  Lintolt  von  Peiiach, 
Pctach  66,  1.  72,  19.  Zwar  gibt  es  auch  einen  Liutoldus  von  Pettau, 
der  mit  seinem  bruder  Pcrhtoldus  eine  Urkunde  von  1224  bezeugt  (Steir. 
Urkdb.  2,  316),  allein  niemals  lautet  der  uame  des  geschlechtes  und 
der  Stadt  l\'ttaii  urkundlich  auf  ach  aus,  wie  das  hier  zweimal  durch 
den  reim  bezeugt  ist.  Daher  hat  v.  d.  Hagen  recht,  der  MSH.  4,  329, 
anm,  2  meint,  das  heutige  Prc/i/an  oberhalb  Giaz  sei  hier  zu  verste- 
hen. Neben  dem  selteneren  auslaut  auf  a  ist  in  den  Urkunden  die 
zweite  silbe  gewölmlich  ccuch,  kkab,  rcah,  kah,  cchac  geschrieben.  — 
Der  name  Leutolds  von  Peggau  kommt  im  1.  und  2.  bände  des  Steir.  — " 
Urkdb.  von  1188  — 1240  vor,  wahi-scheinlich  sind  das  zwei  personen,  ^ 
vat(T  und  söhn.  Da  nun  Lintoldus  et  Rapoto  pueri  de  PekaJi  1223 
vorkommen  (sein  siegel  von  1234  tafel  6),  so  wird  der  von  Ulrich 
erwähnte  deren  vater  Leutold  sein.  Ein  zweiter  Verstoss  in  der 
ist  bekanntlich  von  Kummer  (Das  ministerialengeschlecht  von  Wil— ^-Ä^^" 
donie  s.  32  fg.)  aufgedeckt  worden.  Damach  ist  der  66,  15  genannte^^^^ 
Htrfuif  ron  WlUhn  1224  bereits  vei-storben,  und  war  ein  WildonieK'' 
anfangs  mai  in  Friesach,   dann  wird  es  einer  von  den  beiden  in  der-^^« 


f'Grazer  Urkunde  vorkommenden  gewesen  sein.  Ich  schüesso  daraus,  daes 
*  die  roü  Ulrich  bei  seiner  daretellung  benutato  urkuncle  noch  vor  1224 
ausgefertigt  war.  Ist  meine  atiffassiing  riclitig,  dann  entfallen  die 
an  diese  eat^he  geknüpften  Iblgerungen  von  Kummer  und  Bechsteia 
«.  XXV).  -^  66,  1  fgg.  Im  Steir.  Urkdb.  ist  Ollo  de  Lengenbach 
(in  Niederösterreich),  ecclesiae  jiiajwis  hnnadrocaivs  von  1220  — 1236 
Mtzeugt.  —  66,  5  Auch  hier  liegt  wahischeinlich  ein  irrtuni  vor;  Ul- 
rich wird  nach  dem  gehör  einen  sehr  wol  bezeugten  Konrad  von  San- 
Bck  bei  Cilli  für  einen  edlen  von  Hchoeneck  bei  Seniriaeh  oberhalb 
Graz  gehalten  haben;  unter  den  vielen  wirklichen  Schreibungen  für 
Saoeck  kommt  ein  Schoeneck  niemals  vor.  Ich  bemerke  übrigens  aus- 
flrücklich,  dass  der  fehler  auch  auf  dem  wego  von  Ulrichs  diktat  znr 
Biederschrift  seines  sekretars  begangen  worden  sein  kann.  —  66,  6 
Dieser  Kärntner  edle  ist  wahrscheinlich  Engelbert  von  Auersberg,  der 
m  4.  juni  1217  zu  Friesach  eine  Schenkung  herzog  Iteopolds  an  Aas 
beirische  cisterzienserkloster  Renn  unterfertigt:  v.  Muehar,  Gesch.  d.  her- 
»gt,  Steiermark  5,  78.  Ein  Herbord  von  Auersberg  urkundet  für  das- 
lelbe  Stift  1256:  Muehar  5,  263,  —  66,  8  das  Siegel  des  herra  Diet- 
lar  von  Potenstein  tafcl  7.  —  66,  13  Das  ist  jcdesfalls  der  ältere 
ffartnidus  de  Ort  (in  Oberösteri-cich  am  Trauuaee),  der  nach  den  zeug- 
n  des  Steir,  Urkdb.  (von  1170  bis  zu  seinem  tode  1221))  das  von 
Dlrich  ihm  gespendete  lob  verdiente.  Sein  söhn  Hcrtnidus  beginnt 
1229  ab  (Steir.  ürkdb.  2,  359)  zu  Urkunden  und  war  nach  dem 
(teir.  Urkdb.  2, 464  fgg.  ein  besonderer  freund  Ulrichs.  —  66,  17  Willvinc 
ron  Stubenberg  ist  im  Steir.  Urkdb.  von  1210  bezeugt  bis  1230,  wo 
■  starb.  Sein  söhn  WiHvinc  urkundet  noch  1240  als  piier.  —  66,  21 
fSuodolf  von  lias  =  Rosogg  bei  Villach  in  Kärnten  fiudot  sich  von 
1195  ab  häufig  unter  den  steirischen  ministerialen.  —  66,  29  Dieser 
Icrinann  von  Kranichsborg  hatte  seine  bui-g  in  Niederösterreich,  Öat- 
ich  bei  Glocknitz,  war  also  dort  ein  unmittelbarer  nachbar  von  Ulrichs 
toterreichischen  besitzungen.  Er  zeugt  im  Steir.  Urkdb,  von  1220  — 
1236.  —  Dasselbe  gilt  von  den  Püttuera  bei  Neimkirchen  Nöst  66,  31, 
lie  oft  in  steirischen  Urkunden  vorkommen.  —  67,  1  Die  beiden  sind 
Eimtner  (Trixen  bei  Völkermarkt),  söhne  eines  altern  Choio,  und  bezeugen 
pftmala  steir,  Urkunden.  —  67,  3  fg.  Diese  Otto  und  Ortolph  von  Graz 
jnd  B<)bne  des  burghauptmanns  Olakar:  doch  ist  dieser  Ortolph,  der 
i  Steir.  Urkdb.  bis  etwa  1240  bezeugt  ist,  zu  unterscheiden  von  dem 
>rtol{^,  der  nach  Mncbar4,  528  in  den  achtziger  jähren  des  12.  jahr- 
mnderts  in  das  kloster  Adniont  eingetreten  ist  —  67,  7  (Hacker  de 
W<4chenstain  (im  Ennstat  bei  Liezen)  ist  im  Steir.  Urkdb.  bezeugt  von 


204 

1208—1222  nnd  als  offlcialis  dtinsse  (Theodora)  noch  1228.—  67,11 
Ekchardus  de  Thmme,  ein  Salzburger,  ist  im  Steir.  Urkdb.  bezengt  too 
1195—1245,  sein  sieget  von  1245  tafol  12  vgl.  Steir.  Reiraciir.  36221 
68815.  —    67,  15  Ein  Kärntner,  bei  St.  Veit  ansässig.  —   67,  19  Ist 
das  Gorizen    (urkundlich   Gon'sin)   in  den  Windischen  Bücbeln   in  Dli- 
tereteiemiiirk?   eia  Wulnng  ist  1245   bezeugt,    St.  Urkdb.  2,  541,   v^ 
aber  v.  Karajan  s.  675,  —    67,  25    Das   wird    Ulricus   Strx  de  Trotä- 
maiiestorf  sein,  von  dem  zwei  Siegel  von  1240  tafel  9  stehen.  —  67,  26 
Otto  von  Ottonstein  (in  Niederöat,   pfarro  Allen tsteig),  zeugt  1243  bei 
einer  Urkunde  herzog  Friedrichs  IL  für  Seckau.   —    67,  28  Schönherg 
bei  Langenlois,  Niederöst,,  bei  Muchar  ist  Hatmar  bezeugt  von  1224— 
1269,  Siegel  von  1245  tafel  13.  —    67,  30  Heinrich  von  Hackonbei^ 
(bei  Stinkenbrunu ,  Niederöst.),    bei   Muchar   bezeugt  von    1224  —  43. 
Das  adj.  karc  hier  versteht  Sprenger,  Germania  37,  174  fg.  richtig,  r^ 
Prauend.  609,  31,  wo  Lachmanns  voischlag  überflüssig  ist,  und  die  heu- 
tige inneröst.   bedeutung  von    „kUig"   =   geizig.     Dagegen   ist  268,  22 
an  guoic  icis   nicht   zu    ändern,   denn    das    beisst  eben    „sparsMu"  in 
tadelndem  sinne.  —    67,  31  Sollte  damit  KienacL  bei  Irdning,  Oberst-, 
gemeint  sein?    ein  Ulricus  de  Cinnwn  kommt  1201   im  Steir.  Urkdte. 
2,  73  vor.  —  68,  3  Nur  dio  so  reich  waren,  dass  sie  ritterliche  genoo^ 
een  mitbrachten,  sind  mit  namen  aufgezählt  worden;  die  anderun  kamu  — 
allein,  d.  h.  jeder  nur  mit  einem  knecht.     Die  angäbe  ist  so  vag,  woäl 
sie  nur  verdecken  soll,   dass  Ulrich  ausser  den  namen,   an  die  sein 
Urkunde  ihn  erinnerte,  keine  wusste.    Vgl.  übrigens  John  Meier,  Beitr. 
15,  327.  —  68,  10  Darnach  doppelpunkt.  —  TO,  1   Die  znhlen  sind   il 
der  ganzen  darstellung  nur  paradigmatisch ,  zu  wahren  angaben  reicht 
das  gedfichtniss  nicht  aus.  —  70,  13  1.  den  e  dii  Icl  vil  ritterlich.  — 
72, 1  Das  handschriftliche  frö  iiiit  vruo  ist  zwar  ganz  modern  empfunden*' 
nber  eben  deshalb  unbrauchbar.  —  72,  23  Es  könnte  immerhin  Staio 
heute  ein   blühender   markt   bei  Preding  sw.  von  Graz,   gemeint  böx 
die    Schreibung    Stemit    kommt    vor    und    bei   Muchar   finden   sich  ii 
13.  Jahrhundert  zwei  genannte  von  diesem  orte.     A'^gl.  aber  die  bemei 
kung   im    register   8,  405    über   die    verschiedenen    Ortschaften    dies« 
namens.  —  73,  25  Das  siegel  Hugonis  de  Tufers  von  1212  tafel  2.  — 
74,  1  fgg.  An  der  erzählung  merkt  man  die  bedeutung  HadomarK  W 
Kuenring.  —  75,  8  Lemjenbure,  heute  Ijomberg  bei  Cilli,  gehörte  den©' 
von  Saneck,  deren  viele  im  Steir.  Urkdb.  und  bei  Muchar  vorkomnioi»  - 
ein  lAupolt  ist  nicht  darunter.  —    76,  30  Man  halte  diese  stelle  r«* 
Beclistcins  bcmerkung   2ir>,  1    seiner  ausgäbe.   —    77,   14    d4    der  h^^ 
(Bechsl.)  miiss  fortbleiben.  —  77,  2ö  Berthold  von  Amiechs  war 


zu  ULRICH   VON   UKCHTEN8TEIN  205 

von  Aqiüleja  vom  27.  märz  1218  bis  23.  mal  1251.  —  78,  2  Auch  hier 
liegt   ein  versehen  Ulrichs  vor.     Gemeint  ist  Heinrich  III.  von  Taufers. 
Bischof  von  Brixen  war  jedoch  bis  zum  17.  juli  1224  Berthold  I.  von 
Neifen,  erst  dann  Heinrich  bis  zum  18.  november  1239,   der  also  wie 
der  nachstangefühiie  kirchenfiirst  gleichfalls  mit  seinem  Vorgänger  ver- 
wechselt ist.  —    78,  3  von  Paxxotiwe  bischof  Rüedeger.     Gemeint  ist, 
wie  schon  Lachmann  zeigte,  Gebhard  L,  graf  von  Pleien  und  Mittersill, 
der  von  1222  — 1231   bischof  von  Passau  war;    er  ist  hier  mit  seinem 
nachfolger  Rüedeger  von  Radeck  verwechselt   (vorher  nicht  „bischof'^, 
^ie  V.  d.  Hagen  meint  4,  332  anm.  3;    sondern  „propst**  von  Chiem- 
see),  der  diesen  bischofstuhl  1233  —  1250  inue  hatte.     Da  auch  er  zur 
zeit   der  abfassung  des  Prauendienstes  bereits  verstorben  war,   ist  der 
iiTtuin  wol  erklärlich.  —   78,  23  Mit  einem  bedeutungsübergange,   der 
^^i  nilat  Campus  seine  vollständige  analogie  findet  (Du  Gange  2,  67  fg.) 
heisst  velt  hier:    „kämpft  an  sich.  —    79,  21  1.  siis  ximirt  diser  sich, 

• 

J^ner  so,  —  79,  29  Ob  das  nicht  schon  ein  zeugnis  ist  für  den  späteren 
wöhrenhold"    (Lexer  unter  erhalt)^   dessen  stelle  ja  in  älterer  zeit  ein 
vornehmer  mann  einnahm?     Das  würde  erklären,  warum  der  markgraf 
hier  zuerst  genannt  wird.  —    81,  16  Die  Vermutung  Bechs  (bei  Bech- 
stein)  wird  bestätigt  durch  551,  26  fgg.:  sin  lip  tmcox  in  der  eren  tor 
^^it  hohem  lobe  e  komen  sin,  e  sin  läx  hi  ir  herxen  schrtn,  —  81,  26 
^^hte  gehört  zu  gar,  nicht  zu  roten.  — .  82,  14  und  16  wird  man  viel- 
leicht  einklammem    dürfen.     Die   frauen   hatten   also    boten   geschickt, 
^Di  baldigst  von  den  taten  ihrer  minner  zu  erfahren,    wol  auch,   um 
°^it   ihnen  in  beziehung  zu  bleiben.  —    82,  26   Ob  die  vromen  nicht 
Wer  wie  81,  16.  167,  2  eine  art  terminus  technicus  ist:  die  anerkannt 
^ackeren,  bei  denen  adel  und  tüchtigkeit  sich  verbinden?     Waitz  zählt 
*^erfgsch.  5*  ed.  Zeumer  s.  434  fgg.  verschiedene  lateinische  titulaturen 
^^öses  Inhaltes  auf.  —  84,  31  Zu  Sprengers  bemerkung  (Germ.  37,  175) 
^Sl.  94,  25:  da  was  von  dringeii  ungertiach.  —  86,  9  fg.  Nur  ein  Wintlier 
^    Toxenbach   (bei  Kirchstetten  Nied.-Öst.)   ist   im   Steir.  Urkdb.  1228 
^*ö^  —  86,  20  Ist  das  nicht  Vigaun,  der  ort  des  bekannten  zuchthau- 
^^^    für  weiber?  —    89,  26  Heinrich  von   Lienz  (im  Pustertal)  scheidet 
''^^^  als  einer  der  vier  ernannten  richtor  einen  sti-eit  zwischen  seinem 
^^*^,  dem  grafen  Meinhard  von  Görz,  und  dessen  oheini,  dem  patriar- 
^^^  Berthold  von  Aquileja,  Steir.  Urkdb.  2,  419  fg.     Er  ist  ohne  zwei- 
Xden tisch  mit  dem  burggrafen   {ca^tellamis)  von  Lienz,   einem  der 
^S^sebensten  ministerialen  des  grafen  Meinhard.  —    90,  8  Heiimcus 
ius  de  Tribanstüinchel  (bei  Baden,  Nied.-Öst)  kommt  seit  1209 
lir.  Uikdb.  vor.     Doch  kann  die  Urkunde,  die  er  am  10.  mai  1224 


306  SCBäHBACB 

ZU  Gleink  in  Ober-Österreich  (Steir.  ürkdb.  2,  309  fg.)  soll  ontenieidi- 
net  haben,  nicht  richtig  datiert  sein,  wie  schon  der  herau^eber  m- 
merkte,  denn  eben  damalä  weilte  er  nach  Ulrichs  zeugniss  in  Friesach, 
das  weit  davon  liegt  Dieser  umstand  wjire  freilich  nicht  entsebeideod, 
aber  die  urkundo  sagt  ausdrücklich  Auslrie  et  Styrie  sfciuido  Z/tupoldo 
presidentc  und  der  herzog  war  damals  gewiss  in  Friesacb.  Da  Heiu- 
rich  von  Tribuswinkel  identisch  ist  mit  Heinrich  von  "Wasserbei^ 
(t.  Siegenfeld,  tafel  5),  ist  er  der  Schwager  Ulrichs,  —  91,  25  CUidl 
von  Murberg  ist  ein  steirischer  edler,  sein  sitz  lag  bei  Radkersbtii)^ 
(und  nicht,  wie  v.  Earajan  meint,  in  Nied.-Öst).  Er  kommt  im  Stdr. 
Urkdb.  1218  und  1232  vor,  bei  Muchar  1216  —  1252.  Er  gehörte  zd 
den  angeseheneren  ministeriaJen  und  wol  auch  zu  den  perBonlichan 
freunden  Ulrichs,  da  er  1232  die  Schlichtung  eines  Streites  zwischen 
den  Liechtensteiner  brüdem  und  dem  kloster  S.  Lambi'echt  durch  die 
herzogin  witwe  Theodora  bezeugt,  Steir.  Urkdb.  2,  397  fg.  Daram  wirf 
er  auch  wol  hier  so  gelobt  —  92,  16  Ist  dadurch  nicht  dieser  Wol- 
kensteiner als  ein  minnesänger  bezeichnet?  Das  wäre  dann  der  dritte 
von  Ulrich  erwähnte  neben  Gottfried  von  Totzeiibach  und  ZachSus  von 
Himmelberg.  —  92,  17  Otto  de  Wascti  ist  im  Steir.  Urkdb.  von  1209  — 
1233  nachgewiesen,  er  war  ein  bruder  des  propstes  Dietrich  von  Gurk, 
pfarrers  zu  Ädriacb.  Er  gehört  wol  sicher  nach  Steiermark,  viell^dit 
sogar  in  die  nacbbarschaft  Ulrichs.  —  93,  1  Otto  von  Metssau  (bei 
Hom  in  Nied.-Öst),  ein  angesehener  herr,  dessen  geschlecht  sf&ast 
mehrfach  mit  stelrischon  edlen  sich  verschwägei-te,  ist  bei  Muchar  von 
1224^ — 1265  bezeugt  Er  wird  auch  später  von  Ulrich  stark  hervor- 
gehoben. Sein  name  gehört  in  den  text;  ein  „wagniss"  darin  zu  findöili 
ist  kindisch.  —  93,  9  Hier  ist  nicht  das  steirische,  sondern  das  be- 
kanntere kämtner  Osterwitz  gemeint  oberhalb  S.  Veit  (jetzt  die  herr- 
liche bürg  der  KhevenhüUer  auf  dem  isolierten  bergkegel);  in  dem 
geschlechtc  war  das  scheukenamt  von  Kärnten  erblich.  Das  Steir.  Uit 
kennt  aus  dieser  zeit  nui'  Palduit'inus  und  Eeittherus,  bei  Muchar  ist 
auch  Hermann  belegt  Das  aiegel  seines  bruders  Ortolf  von  1233 
(Krauend.  203,  U  fg.)  tafel  6.  —  93,  25  Fridberc  ist  ein  fehler,  es  ist, 
wie  Lachraann  schon  im  nnmensverzeichniss  anmerkte,  Vribcrc  gemeint, 
heute  Freiberg  bei  S.  Veit  in  Kärnten.  Hadoldits  et  Ohmio  ßlius  ^va 
de-  Vrielierg  bezeugen  im  St.  Urkdb.  2,  20  eine  Urkunde  herzog  Ulridu 
von  Kärnten  für  S.  Paul  1192,  vgl.  Steir.  Reimchr.  60604  fg.  —  94,  I 
Die  Vermutung  v.  Karajans,  diese  herren  gehörten  nach  Tirol,  ist  irrig: 
das  heutige  Piix  ist  gemeint  zwischen  Murau  und  Scheifling  in  CH»W> 
Steiermark.     Das  St  Urkdb.  2,  390  führt  sie  beide  zusammen   in  f^oer 


I.  lAjnbrechter  Urkunde  als  zeugen  an,  dann  Otto  noch  1234,  Dietrich 

1239,  Tgl.  Muchm-  2,  95.   5,  224.     Die  brüder  wai-eu  nachbam  Ulrichs, 

deinen  sich  aber  nach  seinem  urteile  hier  und  207,  13  fg.  mit  ihm 

ibeneo  wenig  vertragen   zu  haben  wie   die   noch  näher  gelegenen  Kat- 

cher.  —  95,  6  fgg.  Nach  6  doppelpunkt,  nach  7  komma.  —  96,  3  fgg. 

Jber  die  starken  und  zahlreichen  niederlassungen  der  jiiden  in  Steier- 

jiark  und  Innerösteneich  überhaupt,  vgl.  Muchar  bes.  3,  136  fgg.  362  fg. 

lei  Friesach  scheinen  sie  ziemlich  häufig  gewesen  zu  sein,  gab  es  doch 

chon  um  1130  in  der  nähe  eine  via  judeonnn,    Steir.  ürkdb.  1,  135. 

Fie  sehr  sich   die  Verschuldung  des  steirischen  adels  später  steigerte 

i  im  15,  Jahrhundert  ein  grosser  teil  von  ihnen  Juden  zu  gläubigem 

tte,  ist  eine  den  historikern  wolbekannte  talsache.  —   96,  15  Das 

!omma  darf  nicht  fehlen.  —  96,  30  fg,  Damach  kann  die  herrin  doch 

llicbt   sehr  weit   gewesen   zu  sein,   vgl.  99,  9.   —    Ich   bemerke  noch, 

i  nach  Mufhars  vermerk  5,  101,    der  sich   dabei   auf  eine  Urkunde 

ns  S.  Paul  beruft,   die  Versammlung  von  Friesach  am  15.  mai  1224 

iseinander  gegangen   ist  —    98,  2  Die    eraendaüon   Lachmanns   war 

fthr  wol  überlegt:  dax  kh  weincnt  (weineits  L,  wanes  C)  ihl  erwache 

md  durchaus  sachgemä-ss.    Denn  erwacften  mit  dem  gen.  kann  nach  gr.  4, 

t72  und  den  von  den  Wörterbüchern  gesammelten  stellen  heiäsen:  aus 

rwas  erwachen,  släfes,   troutnes;  oder  über  etwas,  d.  h.  in  folge  von 

mva.     So   bei  Ebernand   von  Erfurt  232:    der  kunec  erwahte  der  ge- 

•Mkt  =  in  fulgo  des  geträumten.    MSH.  3,  HSa:  des  ttitiox  «>*  saläe 

"Vfoclien.     Nun  aber  findet  keines  von  beiden  statt:    weder   soll   der 

lager   aus   noch   in    folge   des  weinens  erwachen.     Der  träum,   wän, 

ßwahrt  ihm   viel   mehr  freude   und  er  wünscht,   das3  er  nicht  daraus 

i  weinen,  weinend  erwachen,  nicht  weinen,  sondern  lachen  (98,  3) 

;e.    Der  Schreiber  von  C,  der  wäjics  einsetzte,  bat  die  stelle  rich- 

r  beurteilt  als    Bechetoin.    —    98,  S  Vgl.  Paul,  Mhd.  gr.*  §  339. 

iehalb  wird  mir  ihr  trost  nicht  fehlen,   dass  sie  (nämlich)  mich  bei 

ir  lasse   usw."   =   98,  12  dax   ich  stelic  immer  st?  —    99,  27  fg.  I, 

E  ba  Ml  gar.  dö  daz  geschach,  nu  miiget  ir  hceren  wie  er  sprach.  — 

Vie  formelhaft  das  alles  ist,  mag  man  sehen,  wenn  man  die  wörtliche 

kbereinätimmimg  Ewischen  dieser  stelle  und  57,  17  fgg.  vergleicht    Dass 

Ilricbs  herrin,   diese  vornehme  dame,  von   dem  turnier  zu  Eriesach 

doht  sollte  gewusst  haben  (100,  5  fg.),  ist  unglaubUch;  in  der  tat  war 

!  sehr  wol  unterrichtet,   wie  101,  19  fg.  zeigt,    wenn  man  95,  9  fgg. 

i  nimmt.     Ich  denke,  beide  fraucnziramer  haben  schon  damals  den 

iiecbtensteiner  zum  narren  gehalten.  —    101,  4  Nach  dem  1.  und  2. 

mde  des  Steir.  Urkdb.  ist  die  in  älterer  zeit  (bis  ins  14.  jahrli.)  allein 


gütige  form  ileü  sluvisclien  ort^nameos  Libenx  (heule  Loibnitz, 
von  Gra^);  daher  ist  das  durch  v.  Xarajan  wider  die  bs.  voi^eechU- 
gene  Leibern  unrichtig.  —  102,  20  Ancli  daraus  (der  ritt  im  wiotei^ 
ergibt  sich,  dass  es  von  Ulrichs  Frauenburg  zur  niftel  nicht  sehr  -weit 
war.  Die  hohe  Stellung  der  frau  bezeichnen  wider  102,  29  fgg.  Zu 
ihr  scheint  es  weit  103,  17,  immerhin  aber  war  es  keine  reise  und 
doch  so  nahe,  dass  man  den  boten  des  Liechtensteiners  kannte.  & 
soll  daher  103,  23  fg.  ein  anderer  böte  gewählt  werden,  dessen  prove- 
nienz  man  nicht  weiss.  105,  23.  118,  6  fgg,  zeigen  sich  die  Schwierig- 
keiten, einen  solchen  zu  finden.  —  106,  25  Auch  jetzt  noch  wird  in 
Österreich  oft  Tiifst  gesprochen.  —  107,  11  Dieses  feld  diu  Merre  ist 
heute  die  Mahr,  mit  einer  kleinen  ortscliatt,  nicht  gauz  eine  sttinde 
TOD  Brixen.  Vgl.  Staffier,  Tirol  und  Vorarlberg  11,  2  s.  103  fg.  (das 
gasthaus  „in  der  Mahr"  ist  der  Schauplatz  von  Boseggers  roman.)  Fer- 
ner Zingerle,  Sitzber.  der  Wiener  ak.,  phil.-hist.  kl.  55,  608.  —  108,  28 
Die  summe  ist  natürlich  eine  poetische  hyperbel.  —  109,  20  In  der 
ärgerlichen  drohung  ist  besniden  =■  kastrieren  ganz  am  platz.  (Viel- 
leicht war  der  „meister"  auch  nur  ein  viehdoktor,  der  solche  gescbäfte 
selbst  besorgte.)  besiniden  wäre  ohne  zusatz  nicht  verstandlich,  und 
das  hatte  Ulrich  nicht  durch  got  zu  luxen  brauchen.  —  Man  stellt 
übrigens  aus  der  ganzen  geschichto,  wie  vorhiiltnissmässig  selten  schwere 
Verletzungen  bei  diesen  turnioren  vorkamen.  —  HO,  5  fgg.  Es  ist  lehr- 
reich zu  sehen,  dass  von  Ulrichs  betrübter  Stimmung  auf  dem  ritt  nack 
Bozen  in  diesem  liede  nichts  zu  merken  ist.  —  112,  2  I.  tnii  trimee 
in  dt'enstes  tmdfrltiti. —  117,  14  der  'c/f  miiss  da  technischer  ausdnick 
sein.  —  118,  i  pliieten  ist  mundartliche  fonu,  —  122,  13  fgg.  Zwi- 
schen dieser  stelle  und  126,  12  fgg.  besteht  schon  das  enge  verliültnis, 
tlas  für  lied  und  erzählung  in  den  späteren  partien  des  Frauendieiutet 
bezeichnend  ist  —  124,  1  (gg.  Damit  überschreitet  der  koecht  seinM 
auftrag,  aber  vielloicht  im  anschluss  an  das  lied.  —  124,  13  dax  — 
dA  ex.  Ulrich  wird  wider  auf  standesgemässe  minne  verwiesen.  Da  er 
ein  dienstmann  war,  so  ist  darnach  die  herrin,  wie  sich  von  selbst  ve^ 
steht,  adelig  gewesen.  —  124,  19  Itttnp  und  l(p  dürfen  wegen  stu 
nicht  zusammengeschrieben  werden,  —  124,  30  =  119,  20.  —  127,26 
Der  ausdruck  liisst  keine  Schlüsse  auf  den  stand  der  herrin  zu,  weil  «■ 
offenbar  übertrieben  ist  —  128,  17  fgg,  Der  knecht  gibt  die  bolscbaft 
ungenau  wider  und  spricht  viel  weniger  nachdrücklich  als  die  herriD. 
Das  kann  durch  die  forderungen  der  poetischen  technik  nur  tcilwviM! 
entschiddigt  werden.  —  129,  12  1.  so  wil  ich  gerne  ir  dieiirn  bax.  — 
130,  6  fgg.  War  Ulrich  damals  schon  verheiratet?  —  130,   15  Darnach 


zu    ÜUUCH    yON   ttecUTENSTEW  209 

ist  ucb  Ulrich  zwei  monate  in  Rom  aufgehalten,  die  ganze  fahrt  hat 
•ntsprechenii  länger  gedauert.  Scliwerlich  Ist  sein  ziig  als  wallfahrt 
mofztifassen.  —  131,  9  Da  Ulrich  32mal  e:e  reimt,  so  ist  das  kein 
{gnind,  das  allerdings  auch  sonst  unbequeme  hebet,  etwa  in  strebet  zu 
.»erändern.  —  131,  21  tgg.  Diese  darlogung  passt  nur,  wenn  Ulrich  das 
«ied  auf  der  fahrt  nach  Rom  oder  in  Rom  selbst  dichtete.  Nach  130, 
17  fgg.  131,  29,  132,  2  ist  es  auf  dem  rückwege  entstunden.  Solche 
Inkongruenzen  bedeuten  an  sich  nicht  viel,  verdienen  jedoch  wegen 
landerer  ähnlicher  falle  angemerkt  zu  werden.  —  132,  1  Man  könnte 
deuten  an  ilax  ieks  i/it  saiidir  bl  im  in,  wofern  ausser  diesem  nicht 
noch  fünfmal  m  :  n  nach  ir  im  Frauend.  reimte,  ttitrch  in  wäre  neu- 
'llochdeutsoh.  —  132,  8  Was  soll  das  heissen?  Tumiergegner  wurden 
'Sicht  vindii  genannt,  kriegerische  Unternehmungen  können  aber  nach 
lor  darstollung  132,  2—13.  133,  18  —  20.  29  —  31  unmöglich  gemeint 
Ich  vermute  bi  den  Wmden.  d.  h.  im  windischen  Untersteier- 
irk-  Ortsnamen  Winden,  Weyiden  gibt  er  inner-  und  ausserhalb  Steier- 
narks  genug,  da  wäre  jedoch  der  artikol  unpassend.  —  132,  23  lach- 
jnanns  Vermutung  nlwiu  Uet  möchte  ich  in  den  text  setzen.  Nicht 
^oss  wegen  134,  1,  sondern  besonders  weil  das  beigesetzte  aber  nach- 
Irucksvoll  gebraucht  wird,  um  die  leistungsföhigkeit  Ulrichs  in  neuen 
(dem  zu  bezeichnen.  —  135,  30  Wenn  man  es  mit  dem  Inhalte  so 
insttichor  lieder  überhaupt  genau  nehmen  dürfte,  wäre  der  satz  so 
\iäxe  mich  pri.  hier  wenig  passend,  denn  die  herrin  will  ja  ohnedies 
«ichts  von  Ulrich  wissen.  —  137,  IG  mengen  ist  hier  nicht  gut,  denn 
i  kann  dem  boten  nicht  vorwerfen,  dass  er  den  frieden  durch  zwi- 
lebenträgerei  gestört  habe.  Aus  demselben  gründe  ist  Sprengers  vor- 
schlug (Oerra.  37,  176)  meine  unzweckmässig.  Vielleicht  megenen  — 
Teigrößsem,  weil  der  böte  den  schaden  an  Ulrichs  finger  übertrieben 
llatte.  —  137,  23  fg.  er  habet  da  mit  dl  wol  nach  ger  in  iwemt  die- 
Itäi  gröziu  sper?  —  139,  3  fg.  Easendorf  bei  lieibnitz  gehört  später 
t  den  Stubenbergschen  gutem,  einen  genannten  Ulrich  finde  ich  nicht 
Tgl.  T.  Zahn,  Ortsnamenbuch  s.  v.  Hasendorf.  —  140,  7  Wai-um  geht  der 
^te  heimlich  zu  Ulrich?  Er  steht  doch  in  seinem  dienst,  und  wurde 
•  finger  heimlich  abgeschlagen,  so  brauchte  doch  deswegen  der  knecht 
ÜcAt  verholen  zu  kommen.  Vielleicht  uto  ir?  Ebenso  wird  140,  14 
and  anderwärts  durch  das  einfache  personalpronomen  die  herrin  bezeich- 
net —  140,  23  Eine  botschnft  rihtet,  der  sie  meldet,  aber  nicht  der 
■Jen  boten  beauftragt.  Daher  wird  es  bei  Lachmanns  tihteji  bleiben 
DÜBAcn.  —  141,  10  Dass  „die  glicdmassen  früher  schlanker  waren  als 
heute",  wie  Bechstein  meint,  glaube  ich  nicht  Desgleichen  nicht,  dass 
attKtaan  «.  DuoracHB  pinLOLooiB.  bd.  xivm,  14 


210 

der   abgeschlagene   finger   dor   kleine    der   rechten    band   gewesen  sei. 
denn  der  hätte  als  krummer  das  führen  der  waffen  nicht  erschwert  (138, 
28),   was  bei  einem  der  drei  niitüeren  sicher  der  fall  war;   auch  hätte 
Yon  ihm  nicht  108,  1.    150,  29.    151,  11.  17.    155,  17   f:;esagt  werdeo 
können,    er  sei   üi   di-i-  hant.  —   143,  20  komma,  21  in  klammer.  — 
144,  3  1.  und  verwiirht  in  manigfii  spot,    tiilschlich   zum  spott  umg«^ 
bildet,  gedeutet  —    145,  6  fgg.  Es  zeigt  sich  (vgl.  129,  17  I'gg.),   diws 
dieses  büchlein  und  der  text  von  Ulrichs  erzählung  so  zu    einander 
stehen,  mo  später  lieder  und  contest.  —  145,  28  1.  in  minen  aeneden 
dingen?  —  147,  6  I.  zum  teil  mit  Seherer,  Anz.  f.  d.  a.  1,  252:  wr- 
werbenne  ir  werde  minne.  —    149,  17  Vielleicht  hatte  Ulrich  damals 
geheiratet.  —   155,  11  Darnach  komma,  nach  12  Strichpunkt  mit  einem 
Übergang,    der  gar  nicht  so  selten  ist.  —    155,  24  fgg.  Ich  bleibe  bei 
meiner  Ztschr.  f.  d.  a,  2ß,  317  geäusserten   ansieht.     Nach  Ulrichs  he- 
rieht  8.  140  fg.  ist  der  finger  nicht  einbalsamiert  worden;    ein  solches 
faulendes  oder  vertrocknetes  glied  wird  aber  der  emp&ndung  des  13. 
Jahrhunderts  wie   unserer  heutigen  nicht  anders  denn  widerwärtig  lot- 
gekommen  sein.   —   156,  29  fgg.  Nun  tUllt  ihm  nach  der  gescliichte  nut 
dem  finger  der  ganze  plan  der  Venusfahrt  ein:  es  ist  deutlich  dass  die 
dinge  in  der  erzählung  enger  zusammenhängen  als  im  wirklichen  ve^ 
lauf.     Der  einfall   157,  9,    160,  11  fgg.,  den  schein  einer  pitgerfabrt  nach 
Rom  anzunehmen,    ist   nicht  glücklich,   weil  Ulrich   doch   eben   ostem 
1226  (130,  15)  eine  solche  wirklich  durchgeführt  hatte.  —   157,  18  Die 
Vermutung  Bechsteins,    es  sei  Oregorien  statt  Oi-orien   tage  zu  schrei- 
ben, ist,  abgesehen  von  162,  30.   164,  27,  an  sich  falsch:   der  termin — 
tag  Gregor  Rillt  auf  den  12.  märz,    nicht  auf  den  29,  april,    und  do*" 
grosso  termintag  Georg,  der  in  den   erzdiöc«sen  Salzburg  und   ÄquUe) 
am  24.  april  gefeiert  wurde,   ist  wirklich  als  der  anfang  des  sommi 
angesehen  worden.  Vgl.  Grotefend,  Zeitrechnung*,  1,  73.  77.  —  158,  ä€ 
auch  hier  lässt  die  ausdrucksweise  schliessen,  dass  Ulrichs  lierrin  niete' 
allzuweit  von   ihm  wohnte.  —    Die  dame   scheint  159,  5  fgg.  wie   eim* 
aristokratin  von  heute  freude  am  sport  gehabt  zu  haben.  —   160,  13  fj^- 
üm  tasche  und  stab  zu  bekommen,  braucht  er  einen  priester.     Beide: 
trüberen  wirklichen  Romfahrt  war  das  nicht  nötig.  —   161,  4  Der 
druck   darf  nicht  verwundern:    Venedig  war    im   nüttidalter    der    eist* 
perlenmarkt  der  weit.  —   163,  5  tgg.  Es  ist  dui-chaus  nicht  nötig  aiuttt— 
nehmen,   dass  die   ringe  steine   hatten:    sie   kommen    von   Venus,   Ü' 
gotiimie   über  die  minne   ist,    und   werden   von  ihr   mit  wundcrbaroJ 
kraft  begabt.  —    Die  bedingungen    des   ausschreibens   zeigen,   daas   e^ 
mit  dem  ganzen  für  alle  vorstäudigen   auf  ein  heiteres  spiel  abgeseiioö 


«p 


ZD    ULRICH    TON    UBCHTSNSTHN  211 

i'^lir-  Denn  wurde  Ulrich  =  Venus  am  ersten  tage  geworfen,  so  war 
IdÜe  fohrt  zu  ende.  Und  mochte  Ulrich  auch  noch  so  stark  sein,  sicher 
l'irfir  er  nicht,  das  sieht  man  aus  der  affaire  zu  Brixen.  Er  mu^iiste  also 
PTon  vornherein  auf  die  rücksicht  Seinerstandesgenossen  rechnen,  damit 
'  ihm  sein  spiel  nicht  verdorben  werde.  ~  165,  7  Vielleicht  der  busH- 
neti  blasen  tüie  erhal,  vgl.  192,  8.  Lachraanns  erhal  wirt  bleiben  müs- 
sen, vgl.  215,  23.   257,  27.   452,  29.  454,  11.  459,  3.  460,  5.  487,  7,  — 

165,  18  Bechsteins  noch  nie  wäre  neuhochdeutsch;  vielleicht  e  nie?  — 

166,  1  Natürlich  auch  verkleidete  knechte.  —  166,  17  fgg.  Diese  atelle, 
zusammengehalten  mit  {176,  26  fgg.)  161,  2.  201,  7.  218,  26  fgg, 
scheint  mir  zu  beweisen,  dass  172,  13  tgg.  nicht  gemeint  ist,  die  zöpfe 
seien  in  einem  netz  getragen  worden  (was  ganz  wider  ihre  art  wäre), 
sondern  dass  darunter  nur  das  bewinden  der  zöpfe  mit  perlen  zu  ver- 
stehen ist,  durch  die  das  haar  liervorsieht  —  168,  9  fgg.  Das  gespräch 
zwischen  dem  grafen   imd   dem  podestä  ist  wol  zu  beurteilen  wie  die 

»reden  in  der  historie  des  Thukydides.     Die  Weigerung  des  podestä  wird 
auf  politischen   gründen   beruht  haben.     Dass  seiu   name  nicht   beson- 
ders  genannt   wird,    hat  nichts    auffallendes:    der   titel    bezeichnet    ihn 
Mo  länglich,  wie  etwa  kirchenfürsten.  —    170,  13  Gegenüber  der  anm. 
f.  Karajans  s,  671  ist  festzustellen,  dass  Lantfridus  de  Eppenstain  im 
Steir.  Urkdb.  von  1202  — 1227  nachgewiesen  ist,    1242  wird  er  von 
seinen   Wiidoncr    verwanten    als    lange    verstorben    bezeichnet.     Nun 
tonimt  in  einer  S.  Lambrechter  Urkunde  von  1232  (Steir.  Urkdb.  2,  390) 
wirklich  ein   Linifridtis  de   Eppenstain    vor;    es  wäre   also    ganz   wol 
laögüch,  dass  in  der  tat  die  beiden  nicht  zusammenfallen.  —  Dem  Ep- 
pensteiner  wird  nur  ein  spoerstechen  bewilligt,  weil  der  so  viel  mäch- 
tigere  graf   von    Görz   nicht   mehr   als   zwei    speere    bi-echen  darf   — 
I  **ö,  32  fgg.    Ich   bemerke    zu    dieser   boschreibung    der  helmzier   und 
■t^^n   späteren,    dass  Ulrich   bei   der   abfassung  seines  gedichtes  höchst 
P**hr8cheinlich  siegol  der  berren,  die  er  erwähnt,  vor  sich  hatte.   Denn 
"ö'iie   Schilderungen    sind    heraldisch,  ganz    genau,    die  sachgemässen 
^'^bniacfion  ausdrücke  werden  angewendet  und,    soweit  die  Siegel  uns 
■halten  sind,    können   wir   ihre   völlige  Übereinstimmung   mit  Ulrichs 
**tten  feststellen.     Auch  das  erklärt  sich  am  besten,    wenn  er  urkun- 
®**    vor  sich  hatte,    an  denen  die  siegel  befestigt  waren;    einzelne  sie- 
|^*stöcke  oder  abdrücke  sind  ihm  schwerlich  zur  Verfügung  gestanden. 
^    half  er  also  seiner  eriniierung  nach,  anderesfalls  wäre  seine  genauig- 
^it  gnr  nicht  zu  verstehen.  —  Dagegen  sind  die  kleiderbeschreibimgen 

f'^irlich  idealisiert  —  173,  4  Er  Hess  das  ross  courbettieren ,  vgl, 
S  ,  23.  —  173,  17  Die  brücke  zu  Treviso  geht  über  den  Sile.  — 
.    -  14* 


174,  8  Hier  werden  sechs  Speere  verstücbeD,  170,  10  hatte  der  podesU 
nur  zwei  erlaubt.  Mit  dem  grafen  von  Oön  zu  stechen,  war  offeabtr 
für  Ulrich  eine  grosso  ehre:  deshalb  wird  das  ausfuhrlich  bescbriebeo. 
Hingegen  wird  die  tjoate  mit  dem  Eppensteiner  sehr  kurz  abgetan;  die 
Sache  wäre  da  beinahe  ernst  abgelaufen  174,  29  tgg,  auch  erhält  Ul- 
richs geguer  keinen  ring.  —  174,  10  Vielleicht  erklärt  sich  die  lücke 
durch  ein  versehen  aus  ich  sanl  xehuiit.  —  177,  17  An  den  morgend- 
lichen buhurt  von  500  rittern  zu  ehren  Ulrichs  glaube  ich  nicht:  das  ist 
mit  dem  verbot  des  podestä  ganz  unvereinbar.  —  178,  17  fgg.  Der  tag 
muss  eine  kirchhebe  feier  gehabt  haben,  sonst  wäre  keine  missa  sotemnJs 
gesungen  worden,  bei  der  allein  opfergang  and  durreJchung  des  paoe 
stattfindet.  Es  war  montag  26.  april  1227;  der  sonntug  vorher,  Hise- 
ricordia  doniini,  wai'  dieses  jähr  in  der  erzdiöcose  Aquileja  mit  dem 
Marcusfeste  (duplex)  und  der  Letanla  ni^or  zusammengefallen.  Der  feier- 
liche bittgang  wurde  daher  von  sonntag  auf  montag  verschoben  und  M 
erklärt  sich  das  hnchamt  des  26.  und  das  zusammenströmen  von  mCtt- 
schen,  das  Ulrich  erwähnt  (179,  28  fgg.),  die  an  der  prozession  tail- 
nehmen  wollten.  —  178,  21  Die  darstcllung  ist  ganz  formelhaft,  f^. 
194,  23  fg.  279,  29  fgg.  282,  27  tgg.  —  180,  29  Nach  dem  Stoir.  Orkdb. 
waren  die  Murecker  (südöstlich  von  Leibnitz)  ein  sehr  starkes  gcschlecht, 
auf  einer  lu-kunde  von  1212  sind  ihrer  vier  unterzeichnet  Kin  Rmn- 
beitua  de  Murcke  starb  1212,  dessen  söhn  Reimbertits,  EeginherttU 
ist  von  1212  ab  nachgewiesen,  war  1224  landrichter  der  Steiernuffk 
und  vor  1240  gestorben.  In  der  oben  besprochenen  Urkunde  von  1224 
stehn  vatoi'  und  söhn  Reinbert  neben  einander,  der  jüngere  wird  da* 
hier  von  Ulrich  erwähnte  sein.  Siegel  von  1150.  1198.  1212.  122(1 
1231  tafel  1.  2.  4.  5.  —  181,  21  I.  sin  sper  er  durch  den  schiU  nrir 
stach.  —  181,  30  Fälschlich  bei  v.  d.  Hagen  4,  340  Plinlenberg.  Bs 
ist  wol  Plinteiibach  in  der  Pettauer  mark  gemeint,  Steir.  ITrkdb.  l,  1-13 
von  1130.  Muehar  2,  42;  jetzt  eine  gemeinde  im  bezirk  Langonbacb. 
zwischen  Mur  und  Drau-  —  181,  31  Von  den  walschen  rittern  wusstu 
Ulrich  wol  schon  damals  die  namen  nicht,  vgl.  182,  19  fg.  191,  6  fg. 

182,  18  Diis  ist  natürlich  der  graf  Meinhard  von  Görz  von  1G7,  24. 

183,  16  wird  zum  nächsten  absatz  gehören,  denn  dass  in  Sacile  nng** 
fahr  huudert  ritter  beisammen  sind,  ist,  da  nur  der  graf  von  Oörz  oD' 
seine  zwölf  mit  Ulrich  tjostieren,  allerdings  bemerkenswert.  —  184,  ■ 
Spengenberg  (heute  Spilimbergo)  am  Tagliamento.  Vgl.  v.  Zalm,  Deu* 
sehe   bürgen   in   Friaul  s.  56  fgg.   und    die    zierlichen    bilder   dazu.    — 

184,  27  fgg.   Da  scheint  Ulrich   ein   kunststück  gemacht  zu  habru   " 

185,  12   Wenn  Ulrich  den    hcliu  abbindet,    ist  das   immer  ein  zeich** 


zu  ULRICH  VON  LIISCHTKNSTEIN  213 

er  genug  hat     Es  mochte  ihn  nach  einem  zweiten  zusammenstoss 
mit:  dem   gefahrlichen  Spengenberger   nicht  gelüsten.  —    185,  20  fgg. 
Wirklich  ein  mädchen  als  botin?    Das  wäre  wie  in  den  Artusroma- 
nc^in.  —  186,  25  Wie  hier,  auch  schon  184,  19:  frauenritter  haben  eine 
rt^e  als  zeichen.  —    188,  14  fgg.  Die  reflexion  steht  in  Zusammenhang 
dfiM3iit,   dass  königin   Venus   dem   ritterspiel   zusieht,   vgl.  194,  1  fgg. 
Solche  allgemeine   sätze   sind   bei  Ulrich   sehr   selten.  —    189,  12  fg. 
Jedesfalls  eine  missa  privata.  —  191,  30  Vielleicht  wegen  des  1.  mai.  — 
193, 19  Finkenstein  unterhalb  Villach,  das  Siegel  tafel  3.  —  195,  1  fgg. 
Warum  ist  Ulrich  so  erzürnt?     Fürchtete  er  Störung  seines  Unterneh- 
mens, wenn  seine  leute  durch  fremde  beeinflusst  wurden?  —    196,  29 
Steir.  Urkdb.  kennt   nur   einen  Offo   von  Frauenstein  (in  Kärnten  bei 
St-  Veit)  von  1231,   Muchar  aus  dem  13.  Jahrhundert  nur  einen  Gun- 
daker  von  1261.  —  197,  6  Das  ist  schwerlich  der  bei  Muchar  und  im 
Steir.  Urkdb.  von  1194 — 1224  nachgewiesene  Rudolf  von  Ras  (so  auf 
dem   Siegel  von  1216  — 1220,   tafel  3,   das   mit  dem  von  Finkenstein 
identisch  ist),  sonder  dessen  söhn.     Eine  Gertrud  von  Mureck  vermählt 
sich   1253  einem  Rudolf  v.  R.,  Muchar  5,  255.  269.  —   197,  19  Nach 
leit  Strichpunkt   —    199,  3.  5  Gotefridiis  de  Havenerburc   (heute  Ha- 
fenberg neben  St  Ulrich  bei  Feldkirchen  in  Kärnten)  ist  im  St  Urkdb. 
von   1220  — 1239  bezeugt,  sein  Siegel  von  1230  tafel  5,  zusammen  mit 
seinem  bruder  Arnold  in  einer  St  Veiter  Urkunde  vom  10.  Januar  1220. 
I^ie   Schreibung  -biirch,    -btirc   ist   urkundlich   belegt  und   darf  daher 
Dicht  angetastet  werden.  —    199,  7  Wenn  man  gar  statt  vtl  ergänzt, 
so  erklärt  sich  das  versehen.  —  199,  8  TreflFen  in  Kärnten  bei  Villach 
von    dem   in  Krain   zu   unterscheiden.     Das  Steir.  Urkdb.  weist  1192 
©uien  WiUclielmus  de  Tr.  nach,  Cholo  nicht  —    199,  10  Zachaeus  de 
^yrnelberch  (bei  Feldkirchen  in  Kärnten),  urkundlich  1239,  St  Urkdb. 
^?  490.  —  199,  16  Die  Verspottung  hat  in  dem  kopfputz  gelegen,  der 
*'s    helmzier  angebracht  war,  vgl.  204,  26  f.  205,  4.  —  Auch  der  dritte 
'^^^i   ist  übrigens  ein  halber  feiertag  gewesen:  Invontio  crucis.  —  200,  11 
^^^^hmann  ändert  mit  recht  der  in  des^   weil  es  sich  auf  den  ganzen 
^t^    —  Uit  tuon  beziehen  muss,  nicht  auf  hii  allein.  —  Violleicht  war 
^^ch  so  erzürnt,   weil  der  Himmelberger,    ein  konkurrent  im  minne- 


:,  ihn  nicht  blos  verspotten,  sondern  auch  werfen  wollte. —  200,  28 
^ofes  gert  der  hs.  ist  widersinnig.  —  201,  11  dax  heisst  hier:  wenn, 
^^«em,  gesetzt  dass.  —  201,  26  Chunradus  de  Lebeiuich  (südlich  von 
f*^  Teit  in  Kärnten)  ist  im  Steir.  Urkdb.  von  1203  —  1231,  stets  mit 
^«ren  K&rDtnem  zusammen  belegt  —  202,  1  von  dem  Berge  Jdeob, 
dudi  y.  Kar^jan  in  der  anm.  nachgewiesene  AdalberUis  ist  ein 


Oberösterre icher  (heutige  bezirk shauptmaunschaft  Perg).  Ich  dachUl 
zuerst,  es  wäre  vielleicht  ein  Vriberger  gemeint,  weil  ein  Jacobu»  {der 
name  ist  selten)  tfc  Frtberch  1236  in  einer  St.  Veiter  Urkunde  vor- 
kommt, aber  eine  Urkunde  von  1214  Steir.  Urkdb,  2,  20  bietet  Otto 
und  Friedrich  de  Perge  unter  stcirischen  und  kärntischen  odlen  (v.  d. 
Hagen  4,  344  anm.  1  verwechselt  die  geschlechter)  j  auch  ist  Frütarieh 
de  Perge  in  der  Urkunde  unterzeichnet,  deren  faksimlle  dem  i.  bände 
Muchars  beigegeben  ist  —  202,  4  Teinach  westl.  von  Klagenfurt,  östl. 
von  Völkermarkt.  Nur  ein  Seinrtctts  de  T.  ist  1239  nachgewiesen  Steir. 
TTrkdb.  2,  481  in  einer  Urkunde  von  Unterdrauburg.  —  202,  5  vgL 
67,  15.  Un  diese  zeit  wird  im  Steir.  Urkdb.  nur  Leo  und  Chunradtis 
de  i^.  erwähnt.  Hat  vielleicht  Ulrich  ein  versehen  begangen?  —  202,  10 
Ein  Siegel  Eenrici  de  Orifctifels  von  1246  tafel  14.  Eine  Mechtildis 
V.  Gr.  von  1251  Muchar  5,  238.  —  202,  13  Gumctz  an  der  Ourk, 
Östl.  von  Elagenfurt,  westl.  von  Grafenstein.  Ältere  angehorigG  des 
geschlechtes  im  Steir,  Urkdb.  von  1161  — 1185.  Ein  sieget  von  1235 
des  Heairicus  de  Qurnx  =  dem  Greii'enfelser  tafel  7,  Siegel  des  Offo 
de  G.  von  1217  und  1238  tafel  3  und  8.  —  202,  16  Grafenstein  etwas 
oberhalb  Gurnitz  an  der  Gurk.  —  Hairicus  de  Oravenstaine  im  Steir. 
Urkdb.  von  1222  —  1240.  Grafensteiner  siegel  von  1239.  1248  tafel  9. 
15,  Henricus  1240,  tafel  10.  —  203,  9  nSeh  tjoste  get-nde?  —  203,  21 
ist  (wie  schon  v.  d.  Hagen  4,  344  anm.  9  vermutete)  der  jüngere  Wi- 
cfmrdus  de  Karlisperch  (südöstl.  von  St.  Veit  in  Kärnten),  der  im  Steir. 
Urkdb.  von  1214—1239,  bei  Muchar  5  bis  1248  bezeugt  ist.  Sein 
Siegel  von  1214  tafel  2,  von  1248  als  marschall  tafel  15,  (Heinrivas 
von  1245  tafel  12).  —  203,  25  Herr  Emjelrammus  de  Straxpurcb  ist 
in  sieben  stücken  des  Steir.  Urkdb.  von  1225  — 1235,  dai'unter  viermal 
mit  einem  bruder  Engelbertus  bezeugt  Welchem  von  beiden  das  Rie- 
gel tafel  10  (ein  älterer  Hartwiciis  tafel  3)  gehört,  ist  aus  der  beschä- 
digten legende  nicht  zu  ersehen.  —  213,  32  Angehörige  dieses  gescblech- 
tes  sind  im  Steir..  Urkdb.  von  1187  — 1234  bezeugt,  ein  Siegfried  tat 
nicht  darunter.  —  204,  7  1.  vü  gerne  wol  haben  bejaget.  —  205,  16 
Darin  sehe  ich  nichts  von  der  „edlen  gros.smut  Ulrichs",  die  Bechstein 
hervorhebt:    der  Himmelborger  hatte  seinen  speer  ritterlich  verslocbeo 

205,  6,    also  gebührte   ihm   der   ring  gemäss  Ulrichs  ausschreiben.  — 

206,  17  gar  werden  in  dem  hier  geforderton  sinno  ist  unmöglich,  Lach- 
manns ivert  muss  deshalb  bleiben.  —  200,  18  Hs.  sc/ieufiie  rar.  Idcb- 
mann:  schiumevar,  schaumfarbig.  Bechstein  meint  im  glossar:  ,,etnt: 
schaumbedeckt".  Das  liegt  aber  nicht  in  dem  worte  rar.  Und  warum 
gerade  hier  „schaumbedeckt"   nnd  sonst  bei  keinem  buhurf?     Zudem, 


21Ö 

bei  der  amhüllung  der  pferde  hatte  man  ja  den  schäum  (noch  dazu 
in  abendlicher  dämraerung)  nicht  sehen  können.  Die  sache  liegt  andere. 
Der  buhurt  in  Friesach  beginnt  spät,  bereits  nach  Ulrichs  tagereise. 
Das  spiel  werte  unx^  an  den  Shent  gar  ■ —  der  lac  was  vil  nach  xer- 
g&n:  dd  muostett  si  tr  buhurt  lun.  i^ic  haben  also  bis  in  die  däm- 
merung  Ijoatiert.  Da  mochten  die  rosse  leicht  sch&menvar  geworden 
sein:  aussehend  wie  schatten,  gespenster.  Vgl.  Lexer  unter  scheme, 
der  citiert  Ges.  Abent.  2,  598,  )31:  ich  iml  mich  machen  als  ein  schem 
gevar;  608,  373:  ex  ist  gmfalt  als  ein  schcftn.  —  ^06,  30  Das  heutige 
Kendeck  mit  der  bürg  liegt  zwischen  Nenmarkt  und  Friesach  auf  stei- 
rischem  boden.  Um  1227  aind  im  Steir.  Urkdb.  ein  Cfotscalnis^  Wul- 
mngus  und  Arnoldus  nachweisbar,  kein  Konrad.  Vielleicht  hat  sich 
Ulrich  geirrt.  —  208,  17  In  einer  St.  Lambrechter  Urkunde  vom  9.  juni 
1232  (Steir.  Urkdb.  2,  390)  sind  Heinricus  de  Sck&vlick  und  Hsmtffits 
de  Sch&vlich  hinter  einander  (nach  ihnen  Dietrich  und  Otto  von  Puchs) 
als  zeugen  genannt.  Er  scheint  ein  freund  des  dichtere  gewesen  zu 
»ein.  Seiner  ausstaffierung  nach  hat  wenigstens  er  wol  gewusst,  wer 
die  königin  Venus  war.  Aber  war  das  überhaupt  geboimuis?  —  209, 
31  fgg.  Warum  diese  einschaltung  gerade  hier?  Die  hat  doch  nur 
sinn,  wofern  die'herrin  sich  in  oder  bei  Judenburg  aufhielt.  Vgl.  210, 
24.  28.  Da  beeilt  er  sich,  nennt  keine  ritter  mit  namen.  Damit  die 
herrin  nicht  erkannt  werde?  —  211,  23  Der  Gundaker  von  Steier- 
.  Btunhemberg,  der  im  Steir.  Urkdb.  von  1190  bis  1218  belegt  wird,  ist 
jedeefalls  ein  älterer  als  der  67,  9.  260,  31.  261,  22  und  offenbar  der 
bei  Muchar  5,  148  im  jähre  1236  vorkommende,  dessen  Siegel  von 
1240  sich  tafel  10  findet.  —  211,  29  Sifridus  de  Torml  (heute  ein 
iMUenihof  im  Paltental)  bezeugt  am  27.  juni  1214  eine  Urkunde  auf 
borg  Steier  unter  anderen  obersteirischen  herren.  —  212,  30  Dieser 
WalvtTK  (I.)  de  Stulnnberc  ist  im  Steir.  ürkdb.  1210  —  1230  (seine 
Witwe  Gertrud  1230)  bezeugt  Sein  söhn  Wuhiitie  (11.)  heisst  1240 
noch  puer.  Dieser  Stubenberger  auf  Kapfenberg  wird  sehr  gelobt,  hier 
nnd  215,  8  fgg.,  wol  insbesondere  wegen  seiner  macht  und  seines  reich- 
toraes.  Auch  er  wird  wol  213,  3  gewusst  haben,  wer  hinter  frau  Ve- 
nus steckte:  darum  seine  gastfreuodschaft  —  216,  14  Kinnenberc  ist 
schon  im  13.  Jahrhundert  eine  veraltete  form,  die  Urkunden  schreiben 
aueachliesslich  nd.  —  216,  17  und  220,  16  Wie  das  register  Lachmanns 
schon  vermutet,  ist  an  beiden  stellen  dereelbe  gemeint  In  einer  Ur- 
kunde eben  des  jahres  1227  bestätigt  herzog  Leopold  (VI.  von  Öster- 
reich, 111.  von  Steiermark)  den  briidem  Olto  et  Hermannus  de  Chind- 
herch  (auf  Kindberg  sitzt  Otto,  wie  Ulrich  216,14  sagt),  die  er  proprii 


216  SCHÖNBACH 

homhies  7iosiH  nennt,  dass  sie  auf  güteransprüche  wider  das  kloster 
Admont  verzichten.  Vielleicht  waren  sie  vögte  von  Eindberg,  die  aus 
Buchau  stammten,  welches  bei  Admont  liegt.  Ulrich  mochte  sich  die 
spässe  217,  5  fgg.  erlauben,  weil  Otto  von  Buchau  niedrigeren  ranges 
war  (ein  Buchbach  liegt  in  Niederösterreich  bei  Neunkirchen,  vgl.  Nie- 
derösterr.  Weist,  ed.  Gustav  Winter  1,  276  fgg.).  —  219,  24  Nicht  O/- 
iacker,  aber  Otto  der  Trage  (vielleicht  ein  Irrtum  Ulrichs)  erscheint 
1216  als  zeuge  in  einer  Stubenbergischon  Urkunde  an  das  kloster  Beun, 
worin  es  sich  auch  um  hufen  bei  Kindberg  handelt,  unter  anderen 
herren  aus  dem  Mürztal.  Ausserdem  noch  ein  Chunradus  de  Trage 
in  einer  Urkunde  von  1232  unter  Mur-  und  Ennstaler  herren  und  1242 
Otto  Trage  plebanus  de  Suiverehirehen,  —  220,  9  Einen  Friedrich  von 
ßeichonfels  (ob  er  aber  zu  diesem  hier  gehört?)  citiert  Mucbar  6,  91 
aus  einer  Urkunde  von  1293.  —  Man  wird  sich  bei  der  Schwierigkeit, 
diese  namen  aus  dem  Mürztale  nachzuweisen  (vgl.  v.  Earajan  s.  674), 
an  die  worto  Ottos  von  Buchau  216,  29  fgg.  erinnern  müssen:  vitn 
munt  von  wärheit  tu  des  g^iht:  in  disem  tat  ist  ritter  niht  gesexxen 
di  der  tjoste  pflegen.  Es  werden  also  kleine  leuto  sein,  die  Ulrich 
nennt,  die  deshalb  in  Urkunden  nicht  oder  sehr  selten  vorkommen. 
Die  Ursache  davon  mag  in  der  Verteilung  des  besitzes  im  Mürztal 
gelegen  sein.  —  221,  29  fgg.  Dieser  ganze  sonst  so  schwer  zu  erklä- 
rende besuch  Ulrichs  bei  seiner  frau  verliert  alles  wunderbare  durch 
den  schönen  nachweis  horm  Alfreds  von  Siegenfeld,  dass  der  Liechten- 
steiner zugleich  in  Niederösterreich  ansässig  war  und  auf  der  bürg  Tem- 
berg,  fünf  kilometer  von  Glocknitz,  hauste.  Da  stimmt  nun  seine 
erzählung  aufs  beste  mit  den  umständen  des  ortes  und  der  zeit  Die 
rast  daheim  ist  also  ungefähr  in  die  mitte  der  Venusfahrt  gelegt  wor- 
den. —  225,  3  Eine  niedliche  Übertreibung.  —  225,  21  Im  Steir. 
Urkdb.  2  ist  Perktoldus  de  Emberberch,  dapifer,  seneschalcus  von  1197 
— 1246  bezeugt.  Sein  siegel,  das  mit  der  beschreibung  des  Wappens 
225,  17  fgg.  genau  stimmt,  tafel  14.  15  von  1247.  1249.  Es  ist  der 
zeit  nach  ausgeschlossen ,  dass  nach  v.  Earajans  Vermutung  dieser  Bert- 
hold der  beim  tode  Ottokars  von  Böhmen  erwälmte  sei.  —  226,  lY 
Wenn  man  die  Verletzungen  Ulrichs  auf  dieser  fahrt  zusammenrechnet: i 
muss  er  am  ende  ziemlich  verhauen  gewesen  sein.  —  228,  14  Weile:?! 
fürchtete,  in  den  verdacht  der  untreue  zu  kommen.    Vgl.  230,  28  ua.^ 

jenen  verfall  zu  Villach  195,  1  fgg.  —  231,  4  Sie  gibt  ihm  ja  nichts. 

231,  10  Etwa:  ^van  xornic  munt  niht  lacJien  mit,  vgl.  475,  11.  51  ©, 
30  fg.  520,  13.  548,  13  fgg.  —  In  der  Neustädter  episode  ist  nidi^ 
alles  klar.    Ich  sehe  allerdings  keinen  ausreichenden  grund,  an  ihrar 


zu  ITLRICH  VON   LIECHTENSTEIN  217 

Wahrheit  zu  zweifeln,  obgleich  sie  eine  Steigerung  der  Villacher  geschichte 
bezeichnet  und  die  „treue"  Ulrichs  in  das  beste  licht  setzt.  Einzelnes 
mag  die  lokalhistorie  genauer  zu  bestimmen  gestatten,  z.  b.  die  läge 
des  badehauses  ausserhalb  der  Stadt  226,  32.  Die  versc  228,  10  fgg. 
nehmen  den  inhalt  dos  briefes  vorwog.  228,  12  er  ziehe  ich  auf  den 
brief;  wie  sollte  der  knappe  das  durch  gebärden  ausdrücken?  Dagegen 
ist  230,  5  Bechsteins  auffassung  von  gef rinnt  richtig,  die  Sprengers 
(Germ.  37,  176)  falsch.  Auf  eine  ganz  vornehme  dame  als  Urheberin 
der  ehrung  deutet  schon  der  aufwand,  den  das  verursachte:  Wiener 
Neustadt  war  lange  ein  hauptsitz  der  Babonbergischen  hofhaltung.  Dass 
rosen  ins  bad  gestreut  wurden,  ist  nichts  ungewöhnliches.  Der  käm- 
merer  spricht  jedesfalls  hier  die  gedanken  aus,  die  Ulrich  bewogen, 
über  das  ganze  vorkommniss  vorsichtig  zu  schweigen.  —  235,  23  Es 
ist  dem  ritterlichen  stände  gemäss,  tut  ihm  keinen  abtrag,  ein  hofamt 
bei  der  königin  Venus  zu  übernehmen.  —  236,  23  rlten  =»  tjoste  rei- 
ten, der  herr  kommt  nächstens  selbst.  —  238,  32  toix  ist  hier  „glän- 
zend", weil  der  hämisch  gefegt  wurde.  —  241,  10  Man  sieht,  wie  vor- 
sichtig Ulrich  sein  musste.  —  241,  17  fg.  242,  1  Der  böte  nimmt  noch 
Walthers  werte  auf  Das  folgende  ist  ganz  formelhaft  dargestellt:  zu 
241,  19  fgg.  vgl.  325,  25  fgg.,    zu  241,  31  fg.    326,  7  fg.   353,  5  fg.  — 

241,  25  1.  er  sprach:   nu  stet    üf,    lät   sin  gnuoc.     Vgl.  21,  29.   — 

242,  21  Bechsteins  anmerkung  ist  in  der  tat  unbegreiflich  (vgl.  Meier, 
Beitr.  15,  331).  Ulrich  war  bei  der  lierrin  page  gewesen,  sie  wirft 
ihm  41,  25  fgg.  seine  Jugend  vor,  eine  anzahl  von  jähren  dient  er 
schon  um  ihre  minne:  sie  muss  mindestens  in  den  ersten  dreissigen 
gewesen  sein.  Allem  anscheine  nach  war  sie  eine  sehr  kluge  dame, 
ihren  hohen  rang  bezeugt  auch  hier  wider  Ulrichs  freude  über  das 
geringe  unverbindliche  geschenk.  —  244,  17  fgg.  Der  kneclit  spricht 
mit  diesen  ausdrücken  den  verdacht  eines  zärtlichen  abenteuers  aus.  — 
244,  25  fgg.  Hier  ist  die  Situation  ganz  unklar.  Wo  ist  das?  Vor 
Möllersdorf  oder  hinter  Möllersdorf?  Vgl.  239,  26.  243,  27.  246,  4. 
Man  weiss  nicht,  wo  die  ritter  warten.  Ulrich  hat  über  die  botschaft 
den  faden  verloren.  —  247,  22  fgg.  Der  domvogt  war  also  ein  rechter 
frauenritter,  vgl,  276,  15  fg.  —  250,  4  1.  —  nndertvinden ;  füegt  ex 
sich,  — .  Der  ausdriick  von  m  7  versteht  sich  daraus,  dass  der  dom- 
vogt marschall  der  königin  Venus  ist  und  also  in  ihrem  namen  die 
ritter  einlädt.  Vermutlich  hat  aber  er  die  kosten  getragen.  —  251,  9  fgg. 
ist  eine  ganz  vortreffliche  bemerkung  über  die  frauen,  die  den  kenner 
beweist  Den  nächsten  gedanken  17  fgg.  nimmt  Ulrich  im  Frauenbuch 
weiflänftig  auf.  —   252,  17  fgg.  Die  erzählung  wird  hier  ganz  formel- 


218  BCBÖNBACB 

haft,  der  dichter  gerät  immer  wider  auf  die  friiliereu  reiml 
uiid  gedanken:  vgl.  253,  28  — 32  =  242.  4  fg.  15  fg.;  254,  2  =  242,  24; 
254,  5  fgg.  =  242,  18  fgg.;  254,  10  fgg.  =  242,  14  fgg.  JedeeüUla 
kann  die  herrin  jetzt  nicht  auf  ihrem  steirischen  schloss  nahe  bei  Judon- 
burg  gewesen  sein.  Uli-ich  lässt  sich  die  botschaft  von  dem  knappai 
in  amsehreibung  widerholen.  Das  turnier  stand  schon  in  der  ausscbni- 
bung,  zur  pracht  des  aufzuges  entschliesst  sich  aber  Ulrich  eist  jebet  — 
256,  25  fgg.  Formel  des  relsesegens.  —  257,  1  fgg.  Mau  ersieht  daraus, 
dasfi  das  unternehmen  in  Wien  ernster  war.  —  259,  1  fgg.  Hier  erfahrt 
man  nichts  über  Ulrichs  plan  von  "255,  1  fgg.,  sondern  erst  288,  28  fgg. 
—  262,  10  liurt  kann  gewiss  niemals  „niederreiten"  bedeuten,  auch 
hier  nicht,  sondern  ein  solches  gedräuge  (261,  25  fgg.)  und  stosaen, 
duss  dabei,  ohne  eigentliches  tjostieren,  arge  Verletzungen  vorkamen. 
Ulrich  raii8.ste  also  sehr  geschickt  reiten,  um  unter  der  menge  Beine 
Ijosto  ausführen  ku  können.  267,  5  sieht  man  das  ganz  genau.  — 
263,  16  Heute  noch  „aturü  und  stäche"  als  bestandtoilo  alter  Eraa^ 
tracht  im  Montavon,  Voi-arlberg.  —  266,  4  fgg.  Daran  ist  sicher  etwM 
gewesen,  denn  tatsächlich  tjostiert  der  Kuonringer  nicht  mit  Ulrich, 
sondern  stellt  einen  andern  269,  IT  fgg.  Vgl.  auch  die  gegonsätzlicfae 
hervorhebung  266,  22  fgg.  268,  6  fgg.  —  271,  11  BSsinperge,  A*- 
sinberge  liegt  in  Niederösterreich ,  Viertel  unter  dem  Wiener  Wald, 
Ckunmdm  de  B.  ist  im  Steir.  Urkdb.  1,  298.  356  circa  1150  —  1155 
bezeugt;  ein  Ekkhard  von  I'uschinborge  Muehar  4,  532.  Merkwürdig 
ist,  dass  ein  Poppo  von  Pusenback  1195  (im  Steir,  Urkdb.  2,  35  fg.)  io 
einer  Admonter  Urkunde  orscheiut.  Der  name  ist  so  selten,  dass  die 
Übereinstimmung  aufTällt.  —  271,  19  Ansciiau  in  Niederosternäcb. 
Müllers  Baben berger  regesten  weisen  ßtidigenis  de  Anschotce,  Ant- 
schowe,  Ä)ishaive,  Äitschaive  in  fünf  Urkunden  von  1209 — 1230  als 
zeugen  auf.  Der  in  einer  Urkunde  von  1263  erwähnte  Rugeri  ist  wol 
noch  zu  jung,  um  mit  dem  hier  erwähnten  zusammenzufallen.  V^ 
den  Liber  fundationum  monasterü  Zwetlensis,  Fontes  rerum  Austria- 
camm  3,  398  fg,  Dort  auch  ein  Giiiidacharus  de  Atishawe, 
riaUs  Aiistnae.  —  Es  hängt  also  der  name  nicht  mit  Anjou 
men,  wie  v.  d.  Hagen  4,  354  anm.  2  will,  obzwar  das  auftreten  bei 
Wolfram  und  <lie  Verbindung  mit  Steiermark  dort  sehr  zum  nachden- 
ken auffordert.  —  273,  9  fg.  Das  siegel  des  Ädalbero  dapifer  de  Vets- 
bereh  von  1244  —  46  tafel  11.  —  273,  21  1.  da  s.  23.  —  274,  20  fgg. 
Ulrich  tjostiert  nicht  mit  seinem  bruder  Dietmar,  sondern  schickt  den 
kämmerer.  Da  muss  es  ja  dem,  der  es  noch  nicht  wusste,  offenbar 
geworden   sein,    wer  die   königin  Venus  war.  —    275,  25  fgg.  Warum 


zu   ULRICH  VON   LIECHTENSTEIN  219 

in  Feldsberg   eine   besondere   bekanntmachung?  —    276,  4   Entweder 
schcener,  woran  Bechstein  denkt,  oder:   da  manc  schwmii  i>rowe  die- 
nest vant    Dann  hätte  den  5  guten  bezug.  —    276,  9  fgg.  Der  ritter 
wird  gelobt  in  der  art  wie  der  domvogt  von  Regonsburg.     Das  ist  der 
Sifrii   Weise,   den  Seemüllers  anm.  zum  ßeimschr.  6910  vormisst.  — 
281,  32  Gerade  die  folgende  Strophe  beweist,  dass  Lachmanns  emendation 
richtig  ist  —  282,  14  1.  bix  dax  ma?ix  ewangelje  las.     Ich  weiss  nicht, 
weshalb  an  diesem  samstag  ein  hochamt  sollte  gehalten  worden  sein, 
es  wäre  denn  wegen  der  festlichen  Versammlung.     Er  liegt  allerdings 
in    der  oktav  von  Christi   himmelfahrt  und  im  kalender  der  Passauer 
diöcese   ist   Helena   besonders   ausgesetzt,   aber   das   genügt   nicht.   — 
282,  29  fg.  Ulrich  wollte  auch  dadurch  sein  benehmen  als  frauenhaft 
bezeichnen.  —  288,  21  Choh  de  Vronhofen  (es  gibt  mehrere  Frauen- 
tiofer  in  Niederösterreich)  findet  sich  als  zeuge  in  zwei  Urkunden  her- 
zog  Friedrichs  II.  vom  12.  juli  1242,    ausgestellt  zu  Tobel   in  Steier- 
mark. —    291,  1  fgg.  Sein  lob  lässt  Ulrich  durch  andere  verkündigen. 
Das    arrangement   der   scene  zeugt  von  künstlerischem  geschick.     Der 
kämmerer  war  natürlich  der  rechnungsführer.  —  293,  4  des  künde  7mr 
lieber  niht  gesln?  —  297,  4  Ich  glaube,  das  ist  die  einzige  stelle,  wo 
Ulrich  sich  gegen  die  widerholung  einer  beschreibung  sträubt,    er  ist 
sonst  gar  nicht  heikel  darin.  —    300,  29  Die  teilnähme  des  boten  ist 
wol,  ebenso  wie  an  früheren  stellen  seine  mitfreude,  ein  künstlerisches 
mittel.  —  303,  28  Wenn  iht  ergänzt  werden  soll  (vgl.  306,  30),  dann 
möchte  ich  es  zwischen  Mt  und  m  setzen,  weil  sich  dann  ein  verlesen 
des  Schreibers  leichter  erklären  liesse.    Vgl.  304,  1.    305,  4,  —  307, 
21  fgg.  Es  fällt  auf,   dass  der  eigene  Schwager,   von  dem  dieses  zeug- 
niss   für  Ulrich   ausgeht,    ei-st   304,  30  fgg.   als   anwesend   bezeichnet 
wird  und  nicht  früher  erAvähnt.  —  308,  4  1,  dir  st  des  pfant  diu  scelde 
min.   Vgl.  18.  —  311,  25  Auch  wlse  spricht  für  Lachmanns  gtiote  im 
nächsten  vers.     Vgl.  268,  22.   —    312,  26  in,   glaube  ich,    ist   pron. 
pers.,  erst  27  steht  in.     Das  ganze  muss  mit  den  Kuenringern  vorher 
verabredet  worden  sein,  vielleicht  sollte  durch  das  turnier  eine  aussöh- 
nung  bewirkt  werden.     Es  liegt  jedesfalls  vieles  zwischen  den  von  Ul- 
rich erzählten  dingen,   was  nicht  mitgeteilt  wird.  —    313,  12  Da  hat 
also  wahrscheinlich  Heinrich  von  Kuenringen  die  schaar  Ulrichs  durch- 
brochen. —  316,  13  fgg.  Das  ist  dem  boten  erst  eingefallen,   nachdem 
der  Wasserberger  307,  31  fgg.  den  gedanken  gehabt  hatte.  —  318,  22  fgg. 
JedesfiEÜls  wider  nach  Temberg,   von  da  319,  1  nach   dem  steirischen 
lÄechtenstein.  —  319,  21  fgg.  Woher  weiss  der  böte  das  alles?    Diese 
ftussenuigen  waren  doch  in  seiner  ab  Wesenheit  gefallen.    Man  sieht  die 


220  SCHÖNBACH 

poetische  erfindung.  Ebenso  320,  7  fgg.  Es  sind  überhaupt  versdiie- 
dene  inconcinnitäten  vorhanden:  nach  321,  25  fgg.  scheint  die  dame 
fast  verliebt,  was  weder  mit  dem  früheren  noch  dem  späteren  stimmt  — 
323,  24  fgg.  Das  würde  schwerlich  so  einfach  berichtet  werden,  wenn 
es  wahr  wäre.  —  328,  17  fgg.  Die  äusserungen  des  boten  sind  hier  in 
der  Sache  nicht  wesentlich  verschieden  von  denen  327,  17  fgg.,  er  sieht 
das  unternehmen  auch  dort  als  unmöglich  an.  Nur  wird  hier  die 
Schwierigkeit  mehr  hervorgehoben,  um  das  interesse  an  der  sache  zu 
steigern.  —    331,  22    hohr?    vgl.   aber  Sprenger,    Germ.  37,  177.  — 

335,  20  fgg.   Ist  ebensowenig  glaublich,   wie   dass   ihm   das  bedenken 

336,  21  fgg.  erst  hinterdrein  kommt  —  338,  1  Zu  xil  vgl  mein  glos- 
sar  zu  den  Steir.  Kämt  Taidingen  s.  666  unter  xeillach.  —  389,  12 
Diesmal  ist  er  also  mit  ihnen.  —  340,  9  Es  ist  nur  an  lause  zu  den- 
ken, vgl.  31  fg.  342,  7  fgg.  wo  natürlich  Ungeziefer  gemeint  ist  (man 
denke  an  Thomas  Platters  Selbstbiographie)  und  der  ivälhi^ch  man  (wie 
Schotten  usw.)  nur  den  fremden  fahrenden  bezeichnet  —  342,  13  fgg. 
Die  reflexionen  werden  um  so  häufiger,  je  weniger  historisch  die  erzäh- 
lung  wird.  —  345,  15  fgg.  Das  ist  eine  ganz  unwahrscheinliche  Über- 
treibung, um  das  interesse  an  dem  beiden  zu  steigern.  —  347,  14  Ohne 
zweifei  ist  Lachmanns  Verbesserung  richtig.  Wenn  twhigen  intransitiv 
sein  sollte,  dann  müsste  es  doch  heissen  i'dtem  m,  und  was  wäre  es  mit 
dem  an  des  folgenden  verses?  Vielleicht  ist  mir  statt  mit  der  hs.  zu 
lesen?  —  347,  29  fgg.  Die  beschreibung  ist  so  weitläufldg,  weil  alle 
pracht  bis  zur  undeutlichkeit  hier  gehäuft  werden  soll.  —  351,  2  fgg. 
vgl.  355,  25.  Das  ist  heute  nicht  so.  Man  bedenke,  dass  die  Zusam- 
menkunft in  gegenwaii:  aller  frauen  der  herrin  vor  sich  geht  —  Der 
wünsch  351,  11.  31  scheint  mir  ebenso  formelhaft  wie  349,22.  Ulrich 
erhält  352,  20.  32  bestimmte  Zusicherungen;  vielleicht  will  man  ihn 
damit  bloss  wegschaften.  —  353,  18  rehte  heisst  „in  richtiger  weise'', 
ton  rchtc  =  „von  rechts  wegen",  nur  dieses  ist  hier  möglich.  Der 
Schreiber  hat  von  dem  /?  in  man  auf  das  in  von  sich  versehen.  Vgl. 
Sprenger  a.  a.  o.  178.  —  354,  28  1.  tnot  mir  ivie  iicer  gendde  sL  — 
355,  18  ffrg.  Sind  sie  im  Speisezimmer  allein?  —  358,  21  fgg.  Er  fürch- 
tet die  „schände'^  des  misserfolges.  Man  sieht,  wie  formelhaft  das  alles 
ist.  —  365,  21  Die  rise  (Bechsteins  orklärung  im  glossar  ist  falsch) 
könnte  als  auffallige  lokalbestimmung  die  mögliclikeit  gewähren,  diese 
bürg  noch  ausfindig  zu  machen.  Freilich,  Vischcrs  schlösserbuch  reicht 
dazu  nicht  hin.  —  366,  13  fgg.  27.  374,  9  Die  auffassung  des  Selbst- 
mordes ist  lehrreich.  —  368,  1  Jetzt,  nach  ein  paar  tagen,  wird  er 
erst  an  den  knecht  mit  den  pferden  denken!  —  368,  13  fgg.  Lachmann 


Zu  ULRICH  VON  LIECHTENSTEIN  221 

hat    im  gesetzt,  hauptsächlich  wegen  der  nächsten  verse  15  fgg.,  nicht 
wegen  der  vorhergehenden,   und  hat  daran   recht   getan.   —    370,  17 
€liz£    wcere  ir  alle  xU  gehax?  vgl.  374,  1  fg.  —  371,  31  fg.  Er  hat  also 
den    Worten  des  knechtes  nicht  geglaubt,   was  bei  der  Unverschämtheit 
der     lüge,   besonders  370,  25,   nicht  zu  wundern  war.  —    375,  9  fgg. 
Wenn  die  bürg  so  bewacht  war,  wie  sind  die  früheren  scenen  bei  der 
Htz^   möglich  gewesen?  —  377,  22  Ich  habe  mich  Ztschr. f. d.  a.  26,  313 
geirrt:  es  ist  gewiss  das  niederösterreichische  Wasserberg  gemeint.  Vgl. 
oben  zu  90,  8.  —    383  nach  9  lese  ich:    sage  allen  mtnen  daric  der 
m  werden  vroweti  mtn  —  davon  sind  die  genetive  12  abhängig.  — 
grosse  lobpreisung  der  dame  steht  im  3.  büchlein  unmittelbar  vor 
deni.  abbruch  des  Verhältnisses.     Das  bedenken  des  knappen  379,  5  fgg. 
ist    ^vrol  nur  das  künstlerische  verspiel  dazu.  —  393,  14  fgg.  Der  wünsch 
S^ht  also  weiter.     Mit  dem   3.  büchlein  ist  die  sache   eigentlich   aus, 
liöd    XII  steht  dazu  in  derselben  beziehung  wie  die  spätesten  lieder  zu 
den    sie  umgebenden  epischen  versen.  —    395,  9  Die  stelle  ist  merk- 
^^tirdig.     Fällt  das  einem  junge^i  dichter  ein?  —  397,  1  fgg.  ist  eigent- 
lioh   schon  eine  absage.     Vgl.  403,  6.     Die  menge  der  hier  aufgehäuf- 
lieder  ist  ein  zeichen,    dass  es  nichts  mehr  zu  erzählen  gibt.  — 
,  12  fg.  fasse  ich  durchaus  nicht  so  wie  Bechstein.     Es  stimmen  ja 
^ncli  die  lieder  nicht  damit,   in  denen   doch  eine  solche  gunst  zuerst 
^^m  Vorschein  kommen  müsste.  —    409,  19  fgg.  ist  ein  klagelied,   das 
zur   ianzweise  schlecht  passt  und  ebensowenig  zu  den  versen  410,  26  fgg. 
411,  27  fgg.     Kann  man  sich  wol  denken,  dass  ein  bisher  so  genau  in 
seinem  verlaufe  geschildertes  verhältniss,  Avie  das  erste  Ulrichs,   plötz- 
lich  so   gar   nichts   zu  berichten  gibt,   wie  das  hier  der   fall   ist?  — 
41 X,  27  Die  absage  ist  da  schon  vollzogen.  —  413,  11  fgg.  vgl.  415, 
^1     fgg.   Wahrscheinlich    hatte    die    dame    das   missglückte   rendezvous 
'Jlrichs  erzählt.  —  418,  27  fgg.  Ich  denke,  dass  hier  zuerst  im  Frauen- 
^^nst  die  epischen  Strophen  ausdrücklich  den  inhalt  des  nächsten  lie- 
dös  angeben.  —  Es  wird  dann  bei  den  folgenden  liedem  allem  anscheine 
^^Cih  auf  das  technische  mehr  gewicht  gelegt.     Ein  Zusammenhang  zwi- 
^clx^n  den  erlebnissen  des  erzählers  und  dem  Inhalte  seiner  lieder  ist 
'^^^^It  mehr  sichtbar.  —  434,  11  fgg.  Also  ist  wol  auch  dtis  Frauenbuch 
gesprochen  mit  ihr  entstanden.     Vgl.  442,  24  fgg.  —    438,  10  fg. 
Äier  ist  ein  treibendes  motiv  für  Ulrich  das  conventionelle,   das  ge- 
^^IXschaftliche  ansehen,  dass  man  nämlich  tut,  was  guter  brauch  ist.  -- 
^^S,  6  fgg.  Die  ganze  Überlegung  zeigt,  dass  da  von  wirklicher  neigung 
^^1^«^  rede  ist  —  452,  19  Bezeugt  sind  im  Steir.  Urkdb.:  Ortolfus  de 

(heute  Stretweg  bei  Judenburg)  1220  —  45,  Albertus  1220  — 


1227,  frater  ejus  Otto  1227.  Dann  Dltimarus  et  Chtmraditi 
de  Stretwieh  als  zeugen  für  einen  vergleicli  zwischen  den  bräd* 
liechtenstein  und  dem  kloster  St.  Lambrecht  am  4.  September 
(2,  398).  Ortolf,  Dietmar,  Konrad  am  2.  nov.  1245  in  Kraubath.  El 
waren  die  nächsten  nachbarn  des'  Liechtensteiners.  —  453,  18  In  der^ 
selben  Urkunde  von  1245  auch  Chunradus  de,  Suvrotc,  östlich  von 
Murau  an  der  Miir.  —  454,  4  Es  ist,  wie  schon  v.  Earajan  vermutete 
und  V.  d.  Hagen  4,  367  anni.  4  annahm,  Piiks  aus  Piths  verschiiebeo, 
welches  dem  gange  der  darstellung  angemessen  ein  wenig  östlich  T(m 
Saurau  gegen  Selieitting  zu  liogt.  Orisfän  ist  freilich  im  Steir.  ürkdfa. 
nicht  zu  belegen,  auch  bei  Mnehar  nicht.  Aber  es  ist  hier  die  unmit- 
telbare nachbarschaft  Ulrichs  angeführt  Auch  der  454,  17  genannte 
Eppensteiuer  ist  einer  der  nächsten  nachbarn.  —  Im  atigemeinen  wird 
jeder  leser  walirnehmen,  um  wie  vieles  weniger  lebendig  die  Artnsfabrt 
beschrieben  ist  als  die  Venusfahrt.  Ein  guter  spass  darf  eben  nicht 
widerholt  werden.  ^  455,  15  Kraubath  liegt  ungefähr  in  der  mitte 
des  weges  zwischen  Knittelfeld  und  Leobeii.  —  456,  0  fgg.  Das  ist  wol 
nur  eine  entschuldigung  aus  Verlegenheit.  Ulrich  verzichtet  sonst  und 
auch  später  nicht  auf  die  beschreibung  seiner  siege.  —  45lS,  18  Brück 
an  der  Leitha,  das  Berhstein  meint,  liegt  wol  nicht  auf  der  steiriscJieai 
Strasse,  die  hier  über  Brück  an  der  Mur  geht.  —  458,  26  Ilermanntu 
de  Chrotendorf  (oberhalb  Eapicnberg  an  der  Müi-z)  ist  in  der  schon 
erwähnten  Kraubather  Urkunde  vun  1245  als  zeuge  angeführt,  3t«lr. 
ürkdb.  2,  575.  —  458,  28  Ich  zweifle,  ob,  wie  v.  Karajan  will,  der 
Spiegelberger  Heinrich,  der  459,  20  tg.  vorkommt  und  im  Steir.  Urkdb. 
1218  — 1245  zu  belegen  ist,  mit  dem  hier  genannten  Dietmar  von 
Mure  einem  hauso  angehört  Spiegelberg  liegt  nordwestlich  oberhalb 
Knittelfeld.  Ulrich  nennt  ritter  mit  namen  aus  der  tafeirunde  {z.  b. 
den  Eppensteiner  454,  21),  von  denen  er  nicht  sagt,  dass  sie  die  be- 
dingung  erfüllt  haben.  —  459,  9  noch  bezieht  sich  hier  aufBnick.  — 
460,  20  Orfolf  von  Kapfetilierc  schon  richtig  bei  v.  d.  Hagen  4,  368 
anm.  4.  Er  ist  Steir.  Urkdb.  2,  308  im  jähre  1230  bezeugt,  dann  rub 
dem  jähre  der  Artusfahrt  1240  (s,  493.  495)  am  15.  juli  zu  Passail  als 
einer  der  vier  Schiedsrichter  über  eine  zehentsache,  die  der  ben 
von  Stubenberg  viililes  suos  nennt.  —  461,  9  Landseo  in  Ungarn, 
nördlich  von  Pinkafdd.  Brrhengenis  de  Landcserc  ist  von  1197  ab 
bezeugt,  etwa  bis  1250,  wofern  es  derselbe  ist  Zwei  siegel  von  ihn 
aus  den  jähren  1249  und  1250  tafel  16.  Sein  brnder  ist  Rudolf  ron 
Stadeck.  —  4fil,  II  Es  gibt  zwei  Hohenwang,  links  und  rechts  tob 
der  Mürz  zwischen  Krieglach  und  Langenwang.     Gemeint  ist  sicher  dis 


zu  ÜLBIOH  VON  LIECHTENSTUN  223 

am  rechten  ufer  derMürz,  eine  bürg,  dessen  ruine  noch  steht.  —  461,  27 

Arnstein  liegt  in  Niederösterreich,  westlich  von   Wiener  Neustadt.    Im 

Steir.  Urkdb.  ist  nur   ein  Wichardiis  nachgewiesen  von   1233  — 1237, 

sein   Siegel  tafel  7.     Urkundlich  heisst  es  Arensteine,  vielleicht  auch  so 

im    vers.     v.  d.  Hagen  4,  368  anm.  9  vennutet,  ein  söhn  Ottos  von  A., 

Albere,  sei  hier  gemeint,  der  um  1270  bezeugt  ist.  —   462,  28  wart? 

Vgh  Sprenger  a.  a.  o.  178.  —     465,  21  vgl.  Steir.  Reimchr.  6129.  — 

468,  25  Henricus  pincerna  de  Hauchspach  (Hausbach  in  Niederöster- 

reicb  östlich  bei  Glocknitz)   ist  im  Steir.  Urkdb.  von  1241  —  46  nach- 

gre\^iesen,  siegel  von  1244  tafel  11.  —  469,  9  fgg.  Die  stelle  des  liedes 

44:2,  3  fgg.  ist  also  aufgefallen,  das  erklärt  auch  die  parodierung  durch 

Steinmar.  —   469,  22  fg.   Die  historische  Stellung   der   beiden  brüder 

(naoh  26  fgg.  besondere  günstlinge  herzog  l'riedrichs  IL),   vornehmlich 

Heinrichs  in  der  steirischen  Reimchronik   (7202  fgg.),   ist  bekannt  ge- 

öug.  —  472,  9  Zu  V.  Karajans  anm.  vgl.,  dass  im  Steir.  Urkdb.  2,  112 

IQ    oioer   Urkunde  von  1204  ein  Meinhardus  de  Vroberch  nachgewiesen 

ist,      der  wol  zu  alt  für  diesen  hier  wäre.   —    472,  25   Ein  DitHcus 

^O'S^ho  findet  sich  1233  im  Steir.  Urkdb.  2,  414;    er  gehört  aber  nach 

Kumten,  somit  schwerlich  zu  diesem  geschlecht,  vgl.  v.  d.  Hagen  4,  372 

^'^O:!.  1.  —    472,  27  Diiricus  pincerna  de  Dobra  (Niederösterreich  bei 

^^a.ldreichs)   ist  im  Steir.  Urkdb.    dreimal   von  1243 — 45  bezeugt.  — 

'^'^3,  5  Das  Steir.  Urkdb.  hat  einen   Ulrictis  mareschalcus  de  Valchen- 

^fe^nc  1217.  18  und  Ber^nhardus  frater  ejm  1217.   —    473,  15  Pott- 

^^h^ich  oberhalb  Neunkirchen,  Niederösterreich.     Falsch  bei  v.  d.  Hagen 

*5    373  anm.  4.  —   474,  13  Vgl.  Steir.  Reimchr.  1321  fgg.  —   474,  25 

-^iti   Rapoto  de  Valcheyiberch  (Niederösterreich  bei  Zwettl)  ist  im  Steir. 

^^kdb.  2,  95  im  jähre  1202  bezeugt,   somit  wol   der   vater   des   hier 

^i"w  ahnten.     Drei  Rapotos   kommen   in   der  Steir.  Reimchr.   vor.     Ich 

^^öTierke,  dass  die  beschreibung  der  Venusfahrt  von  der  des  Artuszugs 

^Gli  auch   dadurch    unterscheidet,    dass   dieser   häufig   bei   der   ersten 

^^'^v^ ähnung   der   ritter   Charakterschilderungen   beigegeben  werden,    die 

^^^•^  fehlen.    Vielleicht  sollte  dadurch   das  Interesse  an  den  Vorgängen 

^^l^st  ersetzt  werden,  das  diesmal  mangelte.  —  477,  2  CJiadoldus  Waho 

^^^ir.  Urkdb.  2,  406  von   1233.     v.  Krones,  Österr.  Gesch.  1,  629.  — 

,  3  Das  muss  in  dem  fehlenden  stehen,  dass  Dietmar  von  Liechten- 

n  den  namen  Oäwän  gewonnen  hat.  —  494,  8  Im  juni  1240  wurde 

^^^^  herzog  durch  den  päpstlichen  legaten  Albert  Beham  mit  bann  und 

,^"^^rdict  belegt,  am  13.  juli  erfolgte  das  bündniss  des  herzogs  mit  den 

rlich  gesinnten  bischöfen  wider  Baiem.  —  495,  7  fgg.    Die  stelle 

ailfisafii8sen  wie  Bechstein  tut:  die  teilung  geschieht  nach  dem 


224  SCHÖNBACH 

ränge.  Allerdings  mag  nebenher  noch  wie  beim  tumier  zu  Friesai 
gleichheit  der  kämpfer  angestrebt  worden  sein.  —  497,  11  fgg.  D 
früher  am  meisten  gelobten  finden  sich  jetzt  in  Ulrichs  schar,  umg 
kehrt  in  der  anderen  die  getadelten  gegner.  —  499,  27  Das  wird  kau 
das  oberösterreichische  geschlecht  sein,  aus  dem  Steir.  ürkdb.  2,  2 
um  1215  ein  Ulricus  nachgewiesen  ist  —  510,  7  fgg.  Die  stelle  i 
ungemein  bezeichnend  für  die  poetisierung  des  Wächters  im  tageliede.  • 
510,  14  maget  wird  nämlich  schon  durch  das  geschlecht  gehoben  ui 
geadelt.  —  528,  4  Der  Henricus  Scriba  (landschreiber)  Sttfriae  w 
von  Marein  und  ein  söhn  Reinberts  von  Mureck,  später  pfarrer  V( 
Gratwein  bei  Graz.  Er  ist  von  1222  — 1243  bezeugt  Aber  der  j 
wahrscheinlich  hier  nicht  gemeint,  sondern  der  notarius  Heinric^ 
Faba,  der  mit  dem  notaHus  Ootscalcus  am  1.  märz  1246  eine  urkun 
herzog  Friedrichs  IL  zu  Himberg  ausfertigt,  Steir.  ürkdb.  2,  581  fg. 
544,  7  (gotes)  llchnam  ncmen  heisst:  kommunizieren.  Vgl.  über  solc 
kommunion  in  extremis  Sattler,  Die  religiösen  anschauungen  Wolfrai 
von  Eschenbach  (1895)  s.  82  fg.  —  589,  27  fgg.  Das  scheint  doch  e 
sehr  beachtcnsweiies  selbstbekenntniss  Ulrichs.  —  593,  5  getihtet  he« 
also  hier  nur:  ritterliche  taten  in  eigener  person  von  sich  erzählt  ha 
Es  sei  mir  gestattet,  noch  ein  paar  bcmerkungon  zum  „Fraue 
buch"  anzuschliessen.  601,  27  Wenngleich  das  gewand  der  frau  ko: 
bar  ist,  braucht  es  doch  nicht  gleich  ein  Überwurf  von  zobel  zu  se 
xobel  ist  damals  schon  allgemeines  wort  für  pelzwerk  geworden,  beso 
dors  für  schwarzes,  das  nach  31  fg.  gemeint  ist  —  603,  1  (601,  9) 
beiden  stellen  ist  jedesfalls,  wie  Lachmann  annahm,  dasselbe  wort  g 
meint  Aber  Haupts  emendation  fülen  (Ztschr.  f.  d.  a.  15,  247) 
unrichtig,  weil  die  stelle  der  Litanei,  auf  die  sie  sich  stützt,  fals 
aufgefasst  ist.  Und  Lexeiis  bloss  auf  die  erste  der  beiden  stellen  si 
beziehende  erkläiung  von  füllen  ^  „bedecken,  bekleiden"  3,  563  ste 
ganz  vereinzelt  Desgleichen  kann  ich  an  Sprengers  wilen  (Germ,  c 
180  fg.)  nicht  glauben.  Etwa  das  verbum  veliven?  wullenen,  wolle 
trauergewänder  anlegen,  würde  gut  passen,  wenn  es  belegt  wäre. 
605,  29  Witwen  wählen  otl  das  geistliche  leben,  d.  h.  sie  nehmen  d 
Schleier  einer  nicht  zu  strengen  religiösen  genossenschaft  statt  ein  zw* 
tes  mal  zu  heiraten.  Das  ist  auch  ein  rat  der  kirche.  —  606,  15 
wird  wol  in  die  zu  ändern  sein.  —  612,  2  1.  und  ex.  ie  man  da  ve 
hiuit,  —  612,  21  Die  otymologie  beruht  darauf,  dass  kleine  schon  hait; 
sächlich  „klein,  gering"  heisst,  nicht  mehr  „zierlich".  Ähnlich  sU 
es  heute  mit  den  fällen,  wo  nur  blumen  geschenkt  werden  dür£4 
Vgl.  Wälsch.  gast  1338  fgg.  —    613,  1   Lachmanns  änderung  ist  W 


zu   DLRIOH   VON    UEOHTESBTEIM  U2ö 

heilig  walirscliemlich:  tut  die  frau  den  schreio  ihres  herzens  auf,  dann 
gibt  sie  ihrem  liebhaber  etwas,  itire  minne,  heraus,  nicht  drio;  1,  und 
mSii  im  reine  minnc,  so  kann  sie  trotz  612,  24  heissen,  vgl.  613,  12.  — 
|d13,  8  trlhen  =  fürttreiben,  austreiben,  wie  eiiiea  leprosen.  Vgl.  Du 
ICuge  5,  67:  Loprosi.  Vielleicht  ist  dabei  auch  an  das  feniininum  irlbe 
I  gedacht,  das  Berthold  von  Regonsburg  braucht.  —  613,  21  sicaeheii 
\  ^mmen  wäre  möglich  trotK  des  Singulars  iin  folgenden  verso.  Jedes- 
f  falls  sind  hier  beziehungen  der  ritterfraucn  zu  hausdienern  und  koech- 
|tea  gemeint  Sie  scheuten  bei  ritterlichen  freunden  die  gefahren  der 
hiote  615,  27  fgg.  —  614,  31  1.  g.  iu  xuo  g.  —  615,  8  1.  ie  miniier.  — 
^16,  18  fgg.  Vgl.  Wilda,  Strafrecht  858  fg.,  wo  allerdings  die  hier  an- 
geriebenen strafen  nicht  vorkommen.  Aber  Osonbrügger  hat  im  Alam. 
8tr«»frecht  die  entsprechenden  Sätze  beigebracht.  —  618,  11  fgg.  Die 
viei-te  kategorie  l&te<jiu  wip  sind  nach  620,  7  fgg.  626,  27  fgg.  628,  14 
un. "verheiratete  ihrem  vermögen  nach  selbständige  ft-auen,  die  über  sich 
selbst  verfügen  dürfen,  unter  keiner  Vormundschaft  stehen.  Auch  die 
fünfte  gruppe  fritnidhi  scheinen  unverheiratet,  maitressen  620,  13  fgg. 
628,  31  fgg.  mit  17  von  rehlc  sind  hören  ausgeschlossen.  —  618,  32 
nia/i  der  hs,  kann  bleiben.  —  619,  11  Vielleicht  wan  erx,.  —  Zu  622, 
7.  9.  11.  13.  17  ist  zu  vergleichen  Freidank  60,  13.  88,  26.  90,  5.  26; 
t**,  14.  90,  7;  90,  1.  88,  25;  89,  3.  —  622,  16  I.  des  top  im  üf  da 
f*Qfte  gäl.  —  624,  7  fgg.  Der  unterschied  zwischen  dem  ersten  und 
zweiten  falle  liegt  iu  der  grösseren  dringlichkeit,  mit  der  hier  der  rat 
gegeben  wird.  —  625,  19  1.  ßegt  sich  —.  —  629,  13.  15  I.  «»7  si 
**"'»  ab  HÜii  xe  koaeinan  (Lexer  1,  1673)  —  aß  sols  doch  lös  mit  im 
•*  »in.  Vgl,  632,  3  Ws  =  kokett.  Denn  das  adj.  mitlös  wäre  in  einer 
*6lse  gebildet,  wie  sie  mhd.  sonst  nicht  vorkommt;  niitesam  ist  nicht 
^  vergleichen.  —  630,  20  1.  dax  er  si  xe  — .  —  634,  1  1.  u?id  läl 
«»-  libes  e.  phl  —  634,  6  I.  dax,  Mi  man  für  u.  n.  —  636,  2  l 
gfjpit,  so  jage,  sv  jage  6t  dar.  —  636,  13  I.  dax  bewiirai.  — 
20  Vielleicht  von  der  h.  h.,  denn  die  ewige  Seligkeit  vor  gott  zu 
"o-utje  setzen,  wäre  doch  wunderlich,  —  638,  29  guot  vor  wip  wird 
reimwort  des  fehlenden  verses  sein.  Vgl.  639,  9.  16.  —  640,22  %g. 
^1-  MSF.  23,  11  fg.  —  642,  1  siht  einzuschalten  ist  bei  der  bescbaf- 
"^^oit  von  Ulrichs  versen  überflüssig.  —  644,  3  fgg.  Die  rollen  sind 
.  *"t*»uBcht,  die  komposition  geht  in  die  brüche. 


OR.VZ,  FASINAC 


ASTON  B.  SCHÖ.VBACU. 


226  SCHÖNR 

ZUM  GOETHETEXT. 

1.  Band  26  der  Weimarer  ausgäbe  enthält  den  ersten  t 
„Dichtung  und  Wahrheit"  und  am  Schlüsse  den  abdruck  eines 
schriftlichen  auszuges  von  „Manon  Lescaut",  der  von  Riemen 
vermutlich  unter  Goethes  diktat,  geschrieben  und  von  Goethe  m 
Stift  durchkorrigiert,  schliesslich  aber  doch  nicht  in  die  biograpl: 
genommen  worden  ist.    Den  schluss  desselben  bilden  (s.  381)  die 

„  Der  mittelmässigste  Roman  ist  noch  immer  besser  als  die 
massigen  Leser;  ja  der  schlechteste  participirt  etwas  von  der  V 
lichkeit  des  ganzen  Genies." 

Die  kurze  bemerkung  über  den  Zusammenhang  habe  i 
interesse  des  lesers  vorausgeschickt,  und  füge  nun  noch  hinzu 
man  das  Riemerscho  blatt  getrost  noch  einmal  prüfen  möge,  i 
richtige  lesung  zu  finden.  Denn  „des  ganzen  Genies"  ist  unve 
lieh,  aber  Riemer  hat  zweifellos  geschrieben:  „des  ganzen  Gern 

2.  Ich  habe  den  eindruck,  dass  die  Schriften  der  Goethe - 
Schaft  sehr  sorgfältig  korrigiert  werden  und  erinnere  mich  nicht 
störenden  druckfehlern  begegnet  zu  sein.  Darum  sei  kurz  bemerk 
bd.  2  s.  166  oben  es  natürlich  heissen  muss: 

„Der  sumpfige  Theil  ist  mit  einem  Wassergras  bewachse 
muss  sich  auch  dadurch  nach  und  nach  heben,  obgleich  Ebl 
Fluth  beständig  daran  rupfen  und  wühlen  und  der  Vegetation 
Ruhe  lassen." 

Im  druck  steht  haben  statt  heben. 

3.  Dagegen  will  ich  noch  auf  ein  unliebsames  versehen  au 
sam  machen,  das  zwai*  nicht  einen  Goetliischen  text  selbst  ges< 
hat,  aber  doch  einen  auf  den  dichter  bezüglichen  bericht  är 
entstellt 

Im  Goethe -Jahrbuch  bd.  14,  1893  hat  0.  Günther  brie: 
Lotte  Kestuer  und  ihrer  tochter  Clara  veröffentlicht,  welche  übei 
besuch  in  Weimar  im  jähre  1816  und  über  ihre  persönlichen  bei 
gen  mit  Goethe  nachricht  geben.  Leider  fehlt  jede  nähere  angab 
diese  briefe,  und  es  ist  nicht  einmal  gesagt,  wo  und  in  welcher 
lung  sie  sich  befinden. 

Auf  s.  286  (mitte)  schreibt  Clara  Kestner  über  einen  besu 
Goethe  unter  anderem  folgendes: 

„Nach  Tisch  fragte  ich  nach  einer  sehr  schönen  Zeichnui 
immer  meine  Äugen  auf  sich  zog,   er  Hess  sie  mir  herunter  n 


ZUM  GOKTHJSTEXT  227 

und  erzählte  mir  sehr  artig  die  Geschichte  davon,  sie  war  von  einer 
dame,  Julien  dachte  er  mit  grosser  Auszeichnung  und  besonders  ihres 
Talents/ 

So  steht  gedruckt,  und  es  liegt  auf  der  hand,  dass  der  satz  durch 

eine   lücke   hinter   dem   werte   Julien   unverständlich    geworden    ist 

iMöglich  wäre,   dass  in  der  druckerei  eine  zeile  ausgefallen  ist;    aber 

^^wahrscheinlicher  ist,   dass  der  fehler  im  manuskript  begangen  wurde- 

Uach  „Julien"  ergänzt   sich   mit   ziemlicher   Wahrscheinlichkeit:    „von 

EglofTstein",  und  sehr  viel  mehr  als  etwa:  „dieser  dame"  wird  im  fol- 

greflden  schwerlich  ausgefallen  sein,   so  dass  wahrscheinlich  eine  zeile 

übersprungen  worden  ist,    als   man   von   dem   Originalbriefe   abschrift 

nalixn.     Vermutungsweise  wird  man  also  ergänzen  können: 

...  „sie  war  von  einer  Dame,  Julien  (von  EglofFstein.  Dieser 
JDanae  ge-)  dachte  er  mit  grosser  Auszeichnung"  usw. 

Vielleicht  ist  es  der  mühe  wert,  noch  auf  eine  kleinigkeit  hinzu- 
'W'eisen,  welche  als  ein  gutes  beispiel  für  die  wandelungen  des  sprach- 
g6l>xauchs  gelten  kann. 

Am  Schlüsse  jenes  aufsatzes   (s.  289)   wird  aus  einem  briefe  von 
ClÄxa  Kestner  noch  eine  äusserung  ihrer  mutter  mitgeteilt:  In  Weimar 
falle  ihr  besonders  noch  eins  auf:    „man  hat  hier  so  fatale  Vorurtheile 
gogen  den  Adel,  viel  ärger  als  bei  uns." 

Erwägt  man  den  Zusammenhang,  die  persönlichkeiten  von  mutter 
vuad  tochter  Kestner  und  vor  allem  die  bekannten  damaligen  gesell- 
schaftlichen zustände  von  Weimar  wie  von  Hannover,  so  können  diese 
Worte  unmöglich  etwas  anderes,  als  verurteile  zu  gunsten  des  adels, 
l^övorzugung  des  adels  bedeuten. 

Heutzutage  dagegen  würde  der  ausdruck  verurteile  gegen  den 
^^l  in  keinem  anderen  als  im  feindseligen  sinne  verstanden  werden 
können. 

KIEL,   AFBIL    1895.  A.    SCHÖNE. 


15' 


OSKAR  ERDMANN. 

(Gcdäclitnis warte,  gesprochen  um  17.  juui  180^  tn  der  sula  der  Universität  zu  1 

Hochanselmüche  vorsamiiiluDgt  Wälirend  unsere  stadt  die  letzte  band  anlegt, 
am  sich  xa  dem  grossen,  nahe  beverstelieDdeu  feste  zu  scbmückeu,  und  üboraU  fr^- 
lich  die  ftaggeu  und  wiuipel  flattern,  liat  unsere  Universität  ihre  fahne  auf  lialbmwt 
geliisst,  um  einem  ihrer  mitglieder  die  letzte  ehre  za  erweisen.  Zum  zweiten  male  . 
innerhalb  weniger  inoiidea  hat  die  philosophische  faknltSt  aai  mit  ihr  die  gosammta 
hocIiBchule  den  tod  eines  hochverdiontoD  und  hochgeachteten  golehrteu  zu  beklagen, 
und  der  frische  vertust  ruft  noch  einmal  die  erinnerung  an  den  vorausgegange- 
noD  coUegoQ  wach,  zumal  da  das  leben  und  das  Schicksal  der  beiden,  die  so  schnell 
sich  gefolgt  sind,  in  so  merkwürdiger  woise  übereinstimmen.  Beide  sind  der  deal- 
schen  ostmark  entsprossen,  die  iu  grauer  vorzeit  die  lieimat  des  reichbegabteBteo  nul 
KUglciub  unglücklichsten  gennanischeu  Stammes  genesen  ist,  dann  aber  für  jahrinm- 
derte  von  Litauom  und  Slaven  überschwemmt  war,  bis  das  schwurt  der  onlensiittv 
den  altgermunisehen  boden  für  Deutsehland  und  die  deutsche  cultur  zurückgewuo; 
heider  wiegen  standen  in  protestantischen  pfarrhtusern ,  die  unserem  volle  sehen* 
viele  hervorragende  männcr  erlogen  haben-,  beide,  die  auf  der  Berliner  univereitlt 
als  studierende  gemeinsame  ziele  verfolgten  und  hier  auch  persönlich  sich  nahe  trttu, 
babcn,  nauhdem  sie  längere  zeit  im  schulfaehe  tatig  waren,  durch  opfer  und  entbeii- 
nmgeu  init  eiserner  energie  den  weg  zu  der  akademischen  lauflialui  sich  eröffnet,  w 
sind  dann  endlich  hier  wider  zusammengetroffen,  um  noch  eino  kurze  reihe  von  jib- 
ren  segensreich  neben  einander  zu  wirken  —  und  beide,  die  fast  noch  auf  der  sät 
tagshöhe  des  lebens  standen,  hat  nun  kurz  hintereinander  ein  jäher  tod  eraiU: 
Gustav  Glogan,  nachdem  er  kaum  den  geheiligten  boden  Attitaa,  das  land  aaan 
Sehnsucht,  betreten,  wird  dort  das  opfer  eines  grausamen  missgeschiokes,  und  Oakic 
Erdmano  kehrt  aus  dem  deutscheu  Athen,  wo  jetzt  alljährlich  in  der  liebiiciliaii 
pfingstzeit  die  (Joethegemeinde  dem  andenken  an  den  grössten  genius  unseres  Tollifl 
pietätvoll  huldigt,  aus  doD  idyllischen  tälem  Thüiingens,  in  denen  er  erholuiig  «> 
finden  hoffte,  zu  dem  hüuslicben  herdo  nur  zurück,  um  hier  zu  storben. 


Die  lubensgesohichtc  unseres  verowigten  oollogen  ist  einfach,  wie  dies  b«i  deut- 
schen gelehrten  zu  soiu  pQegt.  Hermann  Oskar  Theodor  Erdmann  wurdft  am 
U.  febnutr  184U  zu  Thurn  geboren,  der  altchru'üi'digen  WeichsehitAdt,  von  ilei 
ja  gegenwartig,  seit  Gustav  Froyiag  sio  so  anschaulich  geschildert,  alle  gebil- 
deten ein  greifbares  bild  vor  äugen  haben.  Sein  vater',  aus  einem  alten  pred^r* 
geschlechte  stammend  —  schon  der  grosgvater  und  der  urgrossvater  unseres  freamtw 
waren  geistlloha  gewesen  —  wirkte  dort  seit  mehreren  jähren  als  pfairer  au  der  nev 
städtischen  kircho,  wurde  aber  schon  1855  nach  Altfelde  im  Marienburger  wordw 
versetzt  Von  ihm  empfieng  der  knabe  den  ersten  unteriicht,  bis  er  1859,  (ut  die 
secunda  reif,  das  Thoruer  gymnasium  bezog.  Hier  wird  Wilhelm  Arthur  Faseaw 
(der  söhn  des  Breslauer  philologeu),  der  erst  vor  kurzem  als  direkter  aa  die  etwas 
verwahrloste  anstalt  berufen  war  und  sie  schnell  zur  blute  bi'acbte,  in  Erdmann  4ia 
liehe  zur  altertumswissensohan  geweckt  oder  die  von  dem  geistig  bedeutenden  vatet 
gelogton  keime  duruh  die  macht  seiner  persünlichkeit,  die  uiif  keinen  der 
Bchülor  ihre  Wirkung  verfehlte,  gefördert  haben.  Nach  glänzend  bestandenem 
ritätsexamon   gieng   Erdmann   im   herbst  1863    nach  Leipzig,   um   klassiscfae 


gernianisdio  philologie  zq  studieren.  Ton  den  profesBoren,  die  dfunsls  dort  lehrten, 
acheinen  ihn  Zarncke  dnrcb  die  sprudelnde  leboudigkeit  seiaeB  geiBtroUen  Vortrages 
erg  Curtius  durch  seine  ruhige  klarheit  besonders  angezogen  eu  beben,  da 
«r  keine  Vorlesung,  die  von  diesen  beiden  angekündigt  wurde,  versäumte;  dass  aber 
der  ideal  ungelegte  Jüngling  sich  nicbt  darauf  beBohränlite,  das  tu  hören,  was  für 
examen  und  amt  unbedingt  notig  war,  ventoht  sieb  von  selbst:  so  Hess  er  von 
Joh.  Overbock  dtm  Verständnis  für  die  bcrrlichkeit  der  bellonisahen  kunst  sich  erofT- 
nen  und  erstreckte  auf  dem  germanistischen  gebiete  seine  stndien  auob  auf  das  damals 
infolge  der   unzureichenden   hilfsmitte!   nooh   schwer   zugiiogliche   altnordiscbe.     An 

r  Bttriiner  boubschule,  die  er  im  herbst  1865  bezog,  waren  Hüllenhoff,  der 
bedeatenden  einfluss  auf  ihn  gewann,  Mor.  Haupt,  Kirchhoff,  Trendelenburg 
intlial  seine  lebrer,  Ibreo  abachluss  fanden  seine  akademischen  Studien 
<Uf  der  Universität  der  heimatlichen  provinz,  an  der  er  die  letzten  beiden  Homester 
gerbst  66  bis  herbst  6T)  verbrachte;  hier  bat  Oskar  Schade,  der  in  seinen  semi- 
■trübUDgen  mit  besonderer  verliebe  Otftid  zu  interpretieren  pfiegte,  Erdmanns 
mteresse  für  die  ahd.  Messiado  erregt,  der  er  später  eine  so  erfolgreiche  tatigkeit 
mgowendet  hat;  ausserdem  börto  er  nur  noch  Lebrs,  FriedlKnder  und  den  lüsto- 
tiker  Nitzsch,  einst  auch  die  zierde  unserer  Christiana-AIborlina,  mit  dem  er  vou 
nütterlioher  seite  verwandt  war'.  Im  herbst  1S07  promovierte  er  zu  Königsberg  mit 
lüieT  Abhandlung  über  die  syntax  des  Pindar'  —  die  wähl  des  Stoffes  Ist  symptoma- 
bBob,  da  s}-otaktische  Untersuchungen  das  hauptgebiet  seiner  forschong  geblieben  sind, 
Sn  derselben  zeit  bestand  er  auch  das  examen  pro  facultate  doo-endi,  unterrichtete 
itihrend  seines  probojohrs  am  Friedrichscollegium  zu  EQuigsherg  und  ward  1S68  au 
gjrmiiasium  zn  Graudens  angestellt,  wo  er  wenige  jabro  darauf  (1871)  auch  einen 
«igenen  hausstand  begründete. 

Hier  in  Graudenz  kam  ihm  —  es  war  eine  fügung,  die  für  sein  späteres  schiuk- 

1  eDtscboidond  sein  sollte  —  das  preisaussclireiben  der  Wiener  akademie  vom  28.  niai 
1869  in  die  bände,  die  eine  testamentarisch  gestiftete  summe  von  500  gülden  für  eine 
daTBtelioDg  von  Ütfrids  syntax  ausBetzte*.  Erdmann,  der  kurz  vorher  schon  eine 
Uedne  Studie  über  Otfrid  veröffentlicht  hatte',   war  sofort  entschlossen  sich  um  die- 

I  preis  zu  bewerben,  und  es  gelang  ihm,  trotz  der  vielfachen  arbeit,  die  das 
jchnlamt  ihm  auferlegte,  mit  aufbietuog  aller  seiner  krüfto  das  werk  rechtzeitig  su 
rvollendeo  und  einzuschicken.  Der  erfolg  war  mehr  als  zweifelbaft  —  denn  es  war 
Wonnszusehen,  dass  anerkannte  kenner  Otfrids  an  der  eoncurrenz  sich  beteiligen  wür- 
den. Um  so  grösser  war  die  freude,  als  im  sommor  1871  von  Wien  die  nachriebt 
,  dass  Erdmann,  der  unbekannte  gymnssiallehrer,  die  palme  errungen  habe. 
Su«  ,ÜDtotsuchungen  über  die  syntax  der  spräche  Otfrids",  welche  1874 — 76  in 
"1  bSnden  zu  Halle  erschienen  and  von  der  kritik  mit  einstiminigem  lobe  begrüsat 
anirdon*,  lenkten  dann  die  auTmerksamkoit  weiterer  kreise  auf  den  Jungen  Verfasser. 
"rofeesor  Julius  Zacher  in  Halle,  der  kurz  zuvor  eine  Sammlung  eommentierler 
gaben  von  altdeutschen  litteraturdenkmälorn  ins  loben  gerufen  hatte,  übertmg  ihm 
IBr  diese  „Oermauie tische  handbibb'othek"  die  bearteitung  des  Otfnd.  Um  diese  aus- 
,  war  eine  nochmalige  vergleicbung  der  handsohriften  nubediegt  erforderlich. 
,  der  inawischen  (187i)  an  das  neubegründete  Wilhelma-gymnasium  in  Ko- 
i  berufen  war,  wo  er  bald  zum  Oberlehrer  aufrüukte,  □ntemabm  dosliolb  im 
r  1879  eine  reise  nacb  Wien,  wo  er  die  dort  beflodliche,  wahrscheiolicb  von 
Otfrid  eigenhändig  covrigierte  handscbrift  geuau  untersuchte  und  im  anregenden  ver- 
kohr  mit  den  dortigen  gelehrton  genussreiohe  wochen,   die  tir  selbst  immer  zu  den 


scbÖDsten  seine«  lebons  gerechnet  hat,  vethmchte.  Dio  Ileidelberger  haadschiift  dnrfis 
er  durult  die  donliODSwerlo  liberalitlit  der  groasherzogl,  bibliothokBTenraltang  in  Kä- 
nigsberg  selbst  bcoatzco.  Dia  ^rgeliuisBo  dieser  Douen  collationea  stellte  Entmann  in 
aoinor  Bciirifl:  ,Ühei'  die  'Wiener  und  Heidelberger  huidschrirt  des  Otfrid'  zosanun«», 
die  infolge  oinea  gutachtona  vou  MüllenliofE  1880  in  den  abhaadlongen  der  königL 
akademie  der  wissenBchnften  zu  Berlin  verüfFontlicbt  ward'.  Zwei  jähre  Epator  erachiea 
dann  bereits  die  grosse,  mit  variantenapparat,  ausfühi'licher  eiiileituug  tiad  reichhal- 
tigem commoDtar  versehene  ausgäbe  in  der  „OennanisL  handbibliothek*  (llall«  1882), 
und  fast  gleichzeitig  auuh  ein  kleiner,  für  den  gebrauch  in  vorleaungon  bestimmte 
abdiack  des  textea  mit  kurzem  glossar'. 

Der  erfolg,  den  diese  iiissenschafdichen  pnblroationen  hatten,  and  dor  ^äiik> 
liebe  umstand,  diiss  Erdmann  in  einer  Universitätsstadt  angestellt  war,  hatten  ihn 
inzwi.'vhen  tu  dem  entschlösse  bewogen,  seine  krüFle  nnd  fühigkeiton  auch  der  stu- 
dierenden Jugend  nutzbar  m  machen.  Er  habilitierte  sich  daher  im  sommor  1863  in 
Königsberg  uod  eröFhete  seine  akademische  tätigkeit  am  20.  juni  mit  einer  oatritt»- 
Vorlesung  über  die  geschichtliche  ontwickelung  der  deutschon  sjntax.  Aber  die  lasten, 
die  der  do])pelto  beruf  ihm  anferlegte,  maohten  sich  bald  fühlbar,  und  er  b«igräs6te 
es  daher  als  eine  ei'lösang,  als  er  im  sommer  1685  als  ausserordentlicher  profesaiB' 
nach  Breslou  beruron  ward,  wenn  auch  seine  materielle  lago  dadurch  nicht  nnar- 
heblich  sich  verschlechterte.  Zunächst  aber  machte,  nachdem  die  übersiedelnog 
erfolgt  war,  der  gesundlieitszustand  Erdmanos  einen  lungeren  aufenthalt  in  einem 
Bchlesiachon  kurorto  notwendig,  der  ihti  anschomend  wider  herstellte,  aber  ein  ver- 
borgenes übel  nicht  mehr  vollständig  beseitigen  konnte.  Scheu  ehe  er  der  kur  sicft 
unterzog,  war  trotz  der  körperlichen  leiden  der  erste  band  seiner  Ginindzäge  der  denU 
Hchon  Syntax  üum  abschlusse  gebracht  worden;  er  ei'schien  1886  sn  Stattgart*.  Bv 
zweite  band  ist,  obgleich  die  vorarbeiten  doxu  längst  vollendet  sind  —  die  sarani- 
lungen  für  das  werk  halte  er  bereits  als  gymnasiallehrer  begonnen  —  leider  Dtdit 
erschionen,  doch  ist  aussieht  vorhanden,  daas  ein  schülor  des  v erat orbonen  aofgnuid 
dos  nachgelassenen  bandseh riftlichon  materials  das  werk  vollenden  wird".  —  DicM 
Oniudzüge  sind  das  letzte  buch,  das  Erdmann  verölfentiiebte;  weder  in  seinen  Btw- 
lauer  jahrou,  wo  er,  nm  seine  einnahmen  zu  vermehren,  die  leitung  einer  bollotii- 
Btisehen  monatsscbrift"  übernommen  hatte,  noch  hier  in  Eiel,  wo  er  als  iMihteiga 
Vugts,  nachdem  or  schon  früher  einmal  vorgeschlagen  war,  seit  dem  Kerbst  1889 
als  ordentlicher  professor  gewirkt  hat,  hat  er  Sammlung  und  maSGe  zu  andauern- 
der produktiver  arbeit  finden  küuuon  —  die  berufsgesehafte,  neue  Vorlesungen,  ext- 
mina,  hier  in  Eiel  dann  auch  die  leitong  der  Zeitsohrilt  für  deutsche  Philolo- 
gie, in  deren  redaction  er  auf  meine  bitte  unmittelbar  nach  seiner  übutsiedelnng 
hierher  eintrat  und  für  die  er  mit  unermüdlichem  eifer  und  soltenem  organtsida- 
risohem  goschiok  tütig  war,  wie  er  auch  diu-ch  eigene  kleine  aufsätze  und  reccnsiooen  do 
förderte"  —  alles  dies  war  vollauf  genügend,  seine  kiüfto  zunächst  ganz  in  ansprach 
EU  nehmen.  Als  er  sich  in  den  neuen  Verhältnissen  eingerichtet  hatte  und  freiar  sa 
atmen  bognun,  fasste  er  den  plan  zu  einer  ausgäbe  des  Uartmaunsohen  Gregorioa,  in 
welcher  die  neuentdeckten  h  and  Schriften ,  die  er  bereits  copiert  oder  verglichen  bfttlo, 
Eur  liersfellnng  eines  liritisohen  textos  vei-weadet  werden  sollten,  gab  das  nntem^ 
men  aber  auf,  sobald  er  erfuhr,  dass  ein  anderer  gelehrter  für  dasselbe  werk  bereits 
umfangreiche  voroi'beiten  gemacht  habe".  Da  wurde  im  vorigeu  jähre  von  der  faä- 
teudeu  stelle  aus  die  anfrage  an  ihn  gerichtet,  oh  er  bereit  sei,  an  dem  ji^i  imbu 
aationklwerke  mitzuwirken,    das   die  begründer   unserer  Wissenschaft,   die  gebritte 


Grimm,  begomieD  haben  und  liaa  noch  immer  der  vollendiing  harrt  —  und  noch  kur* 
aem  sghwaDken  sagte  or  zu.  Mit  grösster  begaistei-UDg  nahm  er  sogleiah  die  arbeit 
dem  Dcataciien  wörtorbucho  auf,  Tür  das  er  den  von  Lexer  noch  uieht  erledigten 
des  T  und  das  TJ  übernommen  liatte,  und  wir  durften  hoffen,  zumal  ihm  auf 
m  woQSch  eine  jüngere  kralt  als  heiter  und  niiUrbtiter  an  die  seite  gesetzt  wor- 
war,  dass  die  ersten  lieferungen  von  Eeinor  iiand  uns  bald  TOiüegen  würden. 
Auch  diese  hoffnung  hat  sein  vorzeitiger  tod  vereitelt,  und  der  absohloes  des  liesen- 
werkes,  an  dem  nun  schon  fast  ein  halbes  Jahrhundert  hindurch  eine  generation  nach 
der  anderen  arbeitet,  Ist  wider  weitet  in  unabsehbare  ferne  goriickt. 

War  somit  die  wisse QSchaftliche  tütigkeit  Eidmacns  in  seinen  letzten  lebeciB- 


d  erfolg  seines  afca- 
II  erfreuten  steh  seine  Vorlesungen 

;  über  altdeutsche  grammatik  und 
mittolhochdeutaohen  zeit   (Otfiid, 

nen  collegien  auch  mit  besonderer 
r  litteratiir,  Lessing,  Uoethe' 


jfthren  eine  beschränkte,  se  hat  e 

sehen  lehramtes  gewaltet.  Schon  in  Breslau 
«Ines  lebhaften  Zuspruches.  Er  las  dort  nicht  t 
xaetrik  and  über  hervorragende  werke  der  alt-  u 
Bjuiniann,  Gudrun"),  sondern  er  behandelte  in  i 
irliebe  die  beroen  der  zweiten  hlütenepocho  uns 
id  Schiller;  ood  dass  er  hier  seinem  auditorium  reiche  Anregungen  bot,  beweist  die 
imor  steigende  zahl  der  oommilitonen,  die  um  sein  katheder  sich  scharten  und  keines- 
^  der  philosophischen  fokultät  allein  angehörten.  Hier  in  Eiel  hat  er  dann  den  ki-eis 
rorlesungen  noch  beträchtlicii  erweitert  Vor  allem  sind  hier  zu  nennen  die 
össerea  litteraturgeschichtlichen  collegia  über  die  ältere  poriode  bis  zur  teforniation 
id  über  das  18.  Jahrhundert,  das  ihm  durch  spedalstudien  besonders  verb-aut  war  — 
gehörte  zu  den  wenigen,  die  Klopstook"  nicht  nur  gelesen,  sondern  ginindhcb 
idiert  haben  und  von  seiner  genauen  bekanntschaft  mit  der  epoche  der  stüimer  und 
Ittiger  zeugen  zwei  kleine  noch  in  Königsberg  verfasste  ahhandlungen  über  Klin- 
r"  sowie  mehi'ere  recensionen  in  gelelirten  Zeitschriften"  —  femer  eine  ausfübr- 
ihe  Vorlesung  über  das  Nibelungenlied"  nnd  ein  publicum  über  stoFf  und  methode 
s  deutschen  Unterrichts,  einen  gegenständ,  über  den  er  infolge  seiner  laugjährigen 
tigkeit  als  praktischer  schulmann  semen  zuhörem  die  reichsten  erfahrungon  und  die 
achtbarsten  winke  für  ihren  späteren  beruf  mitzuteilen  im  stände  war". 

Auch  in  diesem  Semester  hatte  er  wider  einen  verhältnismässig  grossen  kreis 

rabogieriger  und  dankbarer  suhüler  um  sich  versammelt,    daneu  er  den  eutwioke- 

ngsgang  unserer  litteratnr  im  vorigen  Jahrhundert  sohilderto  und  in  seinem  Seminar 

3as  vollendetste  werk  des  hebeuswurdigen  Hartmann  von  Aue  erklärte,   an  dem  seit 

tten   tagen  Karl  Laehmanns  schon  unzählige  jünger  der  nationalen  Wissenschaft  die 

Iberhelle  mbd.  spi'ocho  und  die  regeln  ihres  fein  durchgebildeten  verebaus  gelernt 

id  in  der  methode  der  textkritik  sieh  geübt  haben.     Waren  die  Vorbereitungen  für 

aee  votlesougeu  und  die  redactionsgesohfifto  erledigt,  so  sass  Erduiann  bis  tief  in 

B  nacht  in  emsiger  arbeit    an  dem  wörterbuche.     Nach  so  angestrengter  tätigkeit 

itte  er  das  bedüi-fnis,   sobald  ferien  ointiatuu,   dui'ch  kleinere  reisen  sich  zu  erho- 

0  nnd  aufzufrischen.     So    begrüasto   er   denn   auch    diesmal  dos   herannahen   des 

pfingstfestes  mit  freuden.    Er  wollte  die  wenigen  tage  dazu  benutzen,   um  in  Berlin 

nnd  Halle  liebe  verwandte  und  freunde  zu  besuchen,    einen   kurzen  ausDug   iu   das 

ramanliscbe  tal  der  Schwarza  zu  machen  und  schUesslioh  in  Weimar  an  der  general- 

Tersammlung  der  Goethe  -  gesellschaft  teilzunehmen.    Fröblichea  horzens  trat  er  die 

lae  an  und  führte  sie  seinem  plane  entsiirechend  aus.    Noch  in  Weimar  war  er 

laeheintjnd  rüllig  gesund  und  verkclii-te  heiter  mit  den  freunden  und  fachgcnossen, 

B  er  dort  vorfand.     Aber  auf  der  heimfahi-t  stellte  sich  ein  heftiges  übelbefinden 


232  GEBING 

oin,  uud  als  er  in  dor  naclit  vom  10.  zum  11.  hier  angelangt  war,  £uid  derim 
morgen  horbeigomfoiio  hausarzt  den  zustand  schon  so  bedenklich,  dass  er  den  bei- 
rat  eines  älteren  collcgen  glaubte  in  anspruch  nehmen  zu  müssen.  Alle  angewandten 
mittel  erwiesen  sich  als  erfolglos,  und  am  mittwoch  ward  es  den  behandelnden  inten 
klar,  dass,  wenn  eine  rettung  überhaupt  noch  möglich  sei,  diese  nur  durch  eine 
Operation  herbcigcfülirt  werden  könne.  Mit  männlicher  ruhe  und  kaltblütigkeit  gab 
dor  kranke  seine  ein  willigung  zu  diesem  letzten,  verzweifelten  versuche,  der  leider 
vergeblich  war.  Am  abend  des  13.  ist  er  sanft  entschlafen ,  nachdem  er  vor  wenigen 
monaton  das  49.  lebensjahr  vollendet  hatte. 

Dieses  vorzeitig  abgeschlossene  leben  hätte  noch  schöne  fruchte  zeitigen  kön- 
nen,   aber  es  ist,    so  kurz  es  war,   schon  ein  reiches  und  gesegnetes  gewesen,   iof 
eine  ehrende  en/vähnung  in  den  Jahrbüchern  der  gormanischen  philologie  würde  Erd- 
mannschon  anspruch  machen  können ,  wenn  er  nichts  als  seine  Untersuchung  über  die 
handschriften  des  Otfrid  voröfTontlicht  hätte,    über  deren  gegenseitiges  Verhältnis  vor- 
her verschiedene  meinungon  bestanden  hatten,  wenn  auch  Lachmanns  genialer  intni- 
tion  die  priorität  des  AVicner  codex  bereits  klar  geworden  war  und  auch  Kelle  sch(m 
mit  gewichtigen  gründen  behauptet  hatte,    dass  dieselbe  handschrift  die  quelle  der 
übrigen  gewesen  sei.     Das  richtige  ist  hier  durch  Erdmann,   der  die  verschiedenen 
in  den  beiden  Codices  erkennbaren  schreiberhände  zuerst  genau  unterschied,  mit  vol- 
ler evidcnz  endgiltig  festgestellt  worden.     Als  ein  geradezu  bahnbrechendes  werk  ist 
sodann  seine  Otfridsyntax  zu  bezeichnen,  in  der  auf  einem  lange  vemachlSssigten 
gebiete,    das  bekanntlich  auch  Jacob  Grimm   in   seiner  Deutschen  grammatik  nicht 
vollständig  durchmessen  hatte,    eine  musterleistung  schuf,   an  die  nachher  zahlreiche 
nach  folger,    berufene  und  unbeioifene,   angeknüpft  haben,  —    und  ebenso  musteiluft 
ist  seine  grosse  Otfridausgabe  durch  die  liebevolle  Versenkung  in  den  geist  des  alten 
elsassischen  dichters,    die  sorgfältige  beobachtung  seines  Sprachgebrauches  und  seiner 
verskunst,  und  die  nach  Weisung  der  mitunter  schwer  zu  ermittelnden  quellen.   Sodann 
hat  Erdmann    in  seinen  Gmndzügen  zum  ersten    male   seit  Jac.  Grimm  wider  eine 
comparative  behandlung  der  deutschen  syntax  versucht,  freilich,  da  er  nur  das  goti- 
sche und  die  drei  peiioden  des  hochdeutschen  in  den  ki-eis  seiner  betrachtung  zog,  in 
weit  engeren  grenzen ,  als  sie  des  grossen  meisters  weitsohauender  blick  umspannte  — 
dafür  aber  auch  mit  eingehenderer  erörtei-ung  der  details. 

Unsere  Universität,  an  der  er  kaum  sechs  jahi'e  gelehrt  hat,  vnrd  dem  dahinge- 
schiedenen ein  dankbares  andenken  bewaliren,  und  allen,  die  ihn  kannten  und  schätz- 
ten, wird  der  treue  freund,  der  gerade  und  furchtlose  mann,  der  aus  seinen  antipa- 
thicu  kein  hehl  machte,  aber  auch  mit  warmer  anerkennung  des  guten  und  tüchtigen 
nicht  kargte,  der  ehrliche,  besonnene,  zuverlässige  forscher  unvergesslich  seio.  Nicht 
vergebens  hat  er  gelebt,  und  ich  möchte  glauben,  dass  er  dem  finsteren  Schnitter, 
dessen  band  er  über  sich  sah,  deswegen  so  fest  ins  äuge  bh'ckte,  weil  dieser  tröstende 
gedauke  ilm  umschwebte.  Denn  wenn  es  etwas  gibt,  das  uns  mit  dor  niohtigkett 
und  Vergänglichkeit  des  lebeus  zu  versöhnen  im  stände  ist,  so  ist  es  das  bewusstsein 
treu  erfüllter  pflicht  und  die  hoffnung,  dass  von  den  Samenkörnern,  die  wir  aus- 
gestreut, das  eine  oder  das  andere  aufgehe  und  fruchte  trage. 


Anmerkungen. 

1)  Hans  Hermann  Siegfried  Albert  Erdmann,  geb.  30.  december  1815  la  Alt- 
felde, 1842  Prediger  der  St.  Georgengemeinde  zu  Thom,  1849  nach  Altfelde 


NRKKOLOa  233 

1855  superiDteDdent  daselbst,  dann  in  Fr.  Holland,  schliosslich  (seit  1873)  in  Tilsit, 
i?fo  er  am  27.  febr.  1882  starb.  Vgl.  den  nokrolog  im  (Königsberger)  Evangelischen 
gemeindoblatt  XXXVU  (1882)  nr.  11. 

2)  Erdmann  gehört  zu  der  nachkommonschaft  des  Wittenberger  general- 
suporintendenten  Karl  Ludwig  Nitzsch  (1751  — 1831),  die  eine  als  nianuscript  für 
die  familio  gedruckte  „Übersicht*  von  G.  Stier  (3.  ausg.,  Zerbst  1884)  verzeichnet. 
£iDO  verhältnissmässig  grosso  zahl  namhafter  gelehrten  ist  diesom  goschlcchto  ent- 
sprossen: ausser  dem  im  texte  genannton  historiker  Nitzsch  der  zoologe  Chr.  Lud- 
wig Nitzsch  in  HaUe  (1782-1837),  dio  theologen  Karl  Iram.  Nitzsch  (1787  — 
1868;  prof.  in  Berlin)  und  Friodr.  Aug.  Berthold  Nitzsch  (prof.  in  Kiel);  der 
Philologe  Greg.  Wilh.  Nitzsch  (1790  —  1861,  prof.  in  lioipzig);  der  kürzlich  ver- 
storbene g>'mnasialdiroktor  und  schuli-at  Gottl.  Stier  in  Dessau  (1825  —  95);  der 
physiolog  Felix  Hoppe-Soyler  (prof.  in  Strassburg);  der  germanist  Fricdr.  Vogt 
<j)rof.  in  Breslau)  u.  a. 

3)  De  Pindari  usu  syntactico.    Halle  1867.    8. 

4)  S.  Ztsch.  VI,  252. 

5)  Bemerkungen  zu  Otfrid.    Ztschr.  I,  437  —  42. 

6)  Vgl.  L.  Tobler,  Ztschr.  VI,  243  —  48;  E.  Windisch,  JLZ  1874  nr.  45;  1876 
nr.  49;  P.  Piper,  Germania  XIX,  437  —  43;  llolzmann,  Ztschr.  f.  völkerpsychol.  VIIT,  4; 
I.  Kölbing,  Litt,  contr. -bl.  1877  nr.  3;  Revue  critiquo  1876  nr.  22. 

7)  Vgl.  J.  Zacher,  Ztschr.  XII,  496  —  500. 

8)  Ein  ausschnitt  aus  dem  Otfridcommentar  war  bereits  in  den  Beiträgen  zur 
deutschen  philologie  (Halle  1880)  s.  85— 118  mitgeteilt  worden.  Die  übrigen  publi- 
cationen  Erdmanns  zur  Otfridphilologio  stelle  ich  nachstehend  kurz  zusammen:  Über 
Otfrid  II,  1,  1—38  (Progr.  des  gymnaaiums  zu  Graudonz  1873).  Zur  erklärang  Ot- 
frids,  Ztschr.  V,  338—49.  VI,  446—  49.  Zur  abwehr  in  Sachen  Otfrids,  Litt,  contr.- 
bl.  1882,  sp.  982  nnd  Litt,  blatt  f.  germ.  u.  rom.  phil.  1882,  sp.  293  fg.  Anzeige  von: 
Otfrids  Evangelienbuch  hsg.  von  P.Piper,  Ztschr.  XI,  80  — 126.  Anzeige  von  Kelle, 
Glossar  zu  Otfrids  Evangolienbuch,  Ztschr.  XI,  238 — 39.  Kleine  nachtrage  zu  Otfrid, 
Ztschr.  XVI,  70.  Anzeige  von:  P.  Schütze,  Beiträge  zur  poctik  Otfrids,  Ztschr.  XX, 
380 — 81.  Anzeige  von:  lioeck,  Die  homilien- Sammlung  des  Paulus  Diaconus  dio 
unmittelbare  vorläge  Otfrids,  Ztschr.  XXIII,  474 — 75.  Anzeige  von:  Tesch,  Zur 
cntstehungsgeschichte  des  Evangelionbuches  von  Otfrid,  Ztschr.  XXIV,  120—122. 
Anzeige  von:  Ingenbleek,  Der  einfluss  des  reimcs  auf  Otfrids  spräche,  Anz.  f.  d.  alt 
VI,  219 — 21.  Anzeige  von:  Sobel,  Die  accente  in  Otfrids  Evangelienbuch ,  Anz.  f.d. 
alt.  EX,  239—41. 

9^  Die  ungünstigen  Verhältnisse,  die  während  der  ausarbeitung  des  buches 
obwalteten,  haben  leider  den  Verfasser  verhindert',  seine  materialsam mlungcn  zu  ver- 
vollständigen (wie  denn  das  niederdeutsche  und  die  litteratur  des  15.  Jahrhunderts 
gänzlich  unberücksichtigt  geblieben  sind)  und  verschiedene  kleine  Unebenheiten  ver- 
anlasst Gleich wol  sind  dio  scharfen  angriffe,  die  einzelne  kritiker  gegen  das  werk 
richteten,  zum  grösseren  teile  unberechtigt.  Vgl.  H.  Paul,  Litt,  centr.-bl.  1886,  nr.  5; 
O.  Behaghel,  litt  bl.  f.  germ.  u.  roman.  phil.  1887,  nr.  5;  John  Ries,  Deutsche  lit 
ztg.  1887,  nr.  20;  K.  Tomanetz,  Anz.  f.  d.  alt.  XIV,  1  —  32  und  Ztschr.  f.  d.  österr. 
gymnasien  XXXIX,  72—76;  H.  Klinghardt,  Ztschr.  f.  d.  phil.  XXI,  110—116; 
£.  Martin,  Ztschr.  f.  d.  deutschen  Unterricht  I,  562  fgg.  Auf  zwei  dieser  recensionen 
hat  Erdmann  sich  veranlasst  gesehen  zu  antworten:  s.  Litt.  bl.  f.  germ.  u.  rom.  phi- 
loL  1887,  sp.  328—29  und  Deutsche  litt. -ztg.  1887  nr.  26. 


234  GDtIKQ 

10)  Wie  eifrig  Enimann  allo  neuoron  erecheinungen  anf  dem  gebiete  der  daot- 
sehen  syotaxTei'folgte,  beweist  die  stattüohc  miho  von  rccoDsiooeD,  die  er  in  anMre 
zeitacliiift  und  in  den  Anzeiger  fni'  deutaohes  altertnra  liofcrte:  Anzeige  von:  Barak- 
linrdt,  Per  gotische  coi^jnnctiv ,  Ztsohr.  IV,  455— üO;  von:  A.  Kühler,  Der  syntfiküschs 
gohmnoh  des  Optativs  im  gotischen,  Ztschr.  V,  21S — 216;  von:  Piper,  Über  dao 
gebrauch  des  dativa  im  üUilas,  Helinnd  und  Otfrid  —  Holler,  Über  den  iustnuneD- 
t^  im  Heliaud  und  das  homerische  sufüx  )fi  —  Arndt,  Versuch  einer  zasammenBlel* 
liuig  der  altsUchs.  declinaliou  nud  ooujugutJoD  und  der  wichtigsten  regeln  der  synbu, 
Ztschr.  VI,  120—126;  von:  Apett,  Bemerkungea  über  dco  aco.  o.  inf.  im  ahd.  und 
mhd.,  Ztachr.  VII,  244—40:  von:  Kyoast,  Die  temporalen  adverbiabätze  bei  Hart- 
manu  von  Aue,  Ztschr.  XIII,  128;  von:  Boetteben,  Der  zusammengesetzte  satz  bei 
Bertliold  von  EegensUirg,  Ztschr.  XVII,  128;  von:  Ullaperger,  Über  den  modusge- 
brauch  iu  nibd.  relativ sützen-,  von:  Wunderlich,  über  den  satzbau  Luthers,  Zteoht. 
XXn,  491—93;  von:  Scbachinger,  Die  coogrucnz  in  dor  nibd,  spräche,  Ztschr. 
XXm,  378—79;  tob:  Wunderlich,  Der  deutsche  satzhau,  Ztschr.  XXVI,  275— 7!l 
von:  Poeschel:  Die  Stellung  des  Zeitwortes  nach  und,  Ztschr.  SXVII,  2(J0  — 72;  v«; 
Behaghel:  Die  modi  im  Heliand,  Anz.  f.  d.  alt.  IH,  79—86;  von:  Book,  Über  einigt 
fülle  dos  coigunativB,  Anz.  F.  d.  alt  IV,  342—51;  von:  Behaghel,  Die  Zeitfolge  <hir 
abhängigen  rede  im  doutschoD,  Anz.  f.  d.  alt  V,  361 — 71;  von:  Tomanetz,  Die  r^ 
tivsätze  bei  den  ahd.  Übersetzern  des  8.  and  9.  Jahrhunderts,  Anz.  f.  d.  alt  V,  371— 
373;  von:  ßost,  Die  syntax  des  dativos  im  abd.  und  in  don  geistlichen  diohtoi^ 
der  Übergangsperiode  znni  mhd.,  Auz.  f.  d.  alt.  VI,  87—88;  von:  Maurer,  Diewidw- 
holnng  als  priucip  dor  bilduug  von  relativsiltzen  im  ahd.,  Anz.  f.  d.  alt  VII,  195— Ml 
von:  Hies,  Subject  und  praediotttsverbum  im  üeliand,  Anz.  E.  d.  alt.  Vll,  191—95; 
von:  Hittmair,  Die  partiket  be  iu  dor  mittel-  und  ueohocbd.  vcibalcomiwaitioo,  iu- 
f.  d,  alt  IX,  165—67;  von:  Kern,  Die  deutecho  Satzlehre,  Anz.  f.  d.  alt  IX,  30B— 
306;  von:  Starker,  Die  wortstellnog  der  nachBfitze  iu  den  ahd.  übersetzwigen.  An» 
r.  d.  alt  IX,  308  —  309;  von:  Doifeld,  Die  fuuction  des  proofixes  jw  in  der  compoÜnsB 
mit  verbis,  Anz.  f.  d-  alt  XII,  178 — 79;  von:  Ullspergor,  Der  modusgebrauob  na 
mbd.  rolativsätzen,  Anz.  f.  d.  alt.  XII,  352.  Dazu  kommen  noch  einige  kleinere  idb- 
sUindige  aufsStze  tiber  syntaktische  fragen:  Über  got.  et  und  ahd.  l/iax,  Ztschr.  Vllls 
43 — 53;  tiber  einteitung  und  benonnaog  der  nebensätze  in  der  dentscheu  gruuia- 
tik,  Z».  f.  d.  deutschen  Unterricht  I,  157  — 172;  Zur  guachicbtliolien  bntracbtuai;  ta^ 
deutschen  syntox,  ZUchr,  f.  völkerpsychol.  XV,  387  —  413;  Partiuip  des  practenlUBS 
in  passivischer  bedeutaog  mit  haben  statt  mit  sein  vorbundon,  Ztsohr.  XX,  2i(; 
Über  eine  conjectur  in  der  neuen  Lutherausgabe  (bespricht  den  gebrauch  von  Ut 
im  nachaatze),  Ztschr.  XXUI,  41—43;  Noch  einmal  iä(«  im  bedingungssalze,  Zttolir- 
XXV,  431.  Syntaktisches  behandelt  auch  Irdmauns  nacbtrag  zu  Fi'änkeU  bespi«ohin|F 
der  Festschriften  für  R.  Bildobraud  (Ztschr.  XXVH,  415  —  16),  und  ebunso  sind  s«iD» 
recensionen  von  Sieveis'  ausgäbe  dor  Murbachcr  hyrauen  (Ztschr.  VI,  236— ttj 
und  von  dem  Erglinz ungsban de  zur  Ztschr.  f.  dentsche  philol.  (Wissensch.  monilclA- 
1875,  8.  54  —  60)  zum  grösseren  teile  syntaktischen  inhalts. 

11)  Nord  und  süd,  wo  er  auch  später  uoeh  kurze  besprechungen  über  vat^ 
der  sohoaen  littemtnr  veröffentlichte. 

12)  Ich  stelle  die  recensionen,  soweit  sie  nicht  an  anderer  stelle  erwihnt  änt*» 
hier  zusammen.  Anzeige  von:  H.  Boettoken,  Die  epische  kunst  Ueinriohs  v.  Vd-~ 
duku  und  Uartmauns  von  Aue,  Ztschr.  XXIII,  3.')4;  von:  Heyne,  Deufsohoa  wW««— ' 
buch,  Ztschr.  XXm,  362—04  und  XXVI,  132-34:    von:    Eberhard -Lyon, 


NEEBOLOG  235 

07m.  handwörterbuch  der  deutschen  spräche,  Ztschr.  XXIII,  364  —  65;   von:   Kelle, 
Untersuchungen  zur  Überlieferung,  Übersetzung  und  gmmmatik  der  psalmon  Notkors, 

Ztschr.  XXIII,   380—81;    von:   Wustmann,   Allerhand  sprachdummheiton ,    Ztschr. 

XXIY,  560—62;  von:  Kelle,  Geschichte  der  deutsch.  Utteratur,  Ztschr.  XXVI,  113—19; 

Fon:    Lachmanns  briefe  an  Haupt  hsg.  von  Yahlen,   Ztschr.  XXVI,  267  —  68;   von 

W^ackernagel-Martio,  Geschichte  der  deutschon  litteratur,  Ztschr.  XXVII,  264—66. 

13)  Die  vorarbeiten  zu  der  ausgäbe  sind  z.  t.  verwertet  in  dem  aufsatze:  Zur 
textkritik  von  Hartmanns  Gregorius,  Ztsclir.  XXVIII,  47 — 49,  dem  ein  zweiter  arti- 
kel  noch  folgen  sollte;  vgl.  auch  die  anzeige  von  Schönbachs  buch  über  Hai'tmann 
von   Aue,  litt,  centr.-bl.  1895,  sp.  130—32. 

14)  Zeugnisse  eingehenderer  beschäftigung  mit  der  Gudrun  sind  die  beiden 
anfsUtze:  Lamprechts  Alexander  und  die  Hilde- Gudrun -dichtuog  (Ztschr.  XVH,  223 — 
226)   und:  Zur  Kudrun  (ebda  127  —  28). 

15)  Vgl.  Erdmanns  anzeigen  von  Breitmaiere  Goethecult  und  Goethephilologie 
(Ztschr  XXV,  287—88)  und  von  Blumes  ausgäbe  der  Goethischen  gedichte  (Ztschr. 
XXVI,  277—80). 

16)  Vgl.  Erdmanns  aufsatz:  Zum  einfluss  Klopstocks  auf  Goethe,  Ztschr.  XXIH, 
108  — 109  und  die  anzeigen  von  Hamels  Klopstockstudien  (Ztschr.  XI,  371  —  72. 
XII,  380 — 81)  und  von  Munckers  und  Pawels  ausgäbe  der  Oden  (Ztschr.  XXH, 
497  —99). 

17)  Über  F.  M.  Klingers  dramatische  dichtungen  (Progr.  des  kgl.  Wilhelms - 
gymnasiums)  Königsberg  1877  (vgl.  M.  Kieger,  Ztschr.  IX,  493—96);  über  Klingers 
verbältnis  zu  Kant,  Altpreussische  monatsschrift,  XV,  57  —  66. 

18)  Anzeigen  von:  Rieger,  Klinger  in  der  stürm-  und  drangperiode,  Ztschr. 
XU,  382;  von:  Klingers  Otto  ed.  Seuffert,  Ztschr.  XIH,  127  —  28;  von:  Lenz,  Die 
sicilianische  vesper  ed.  Weinhold,  Ztschr.  XX,  255;  von:  Pfeiffer,  Klingers  Faust. 
Ztschr.  XXIII,  381—82  und  Anz.  f.  d.  a.  XIV,  93—94;  von:  Lenz,  Gedichte  ed. 
Weinhold,  Ztschr.  XXIV,  410—11;  von:  E.  Schmidt,  Lenz  und  Klinger,  Anz.  f.  d. 
alt.  T,  375—80;  von:  E.  Schmidt,  H.  L.  Wagner,  Anz.  f.  d.  alt.  V,  374—75.  — 
I^o  lütere  epoche  des  18.  Jahrhunderts  behandeln  die  anzeigen  von  G.  Krause,  Frie- 
<^ch  der  gi-osse  und  die  deutsche  litteratur  (Ztschr.  XVII,  127  —  28)  und  von  Reiche, 
Zu  Gottscheds  lohrjahren  in  Königsberg  (Ztschr.  XXV,  565 — 66). 

19)  In  der  handschriftonfrage  stand  er  auf  Lachmanns  Standpunkt,  war  aber 
^oit  davon  entfernt,  seine  kühnen  hypothesen  und  athotesen  sämmtlich  zu  billigen. 

20)  Vgl.  den  aufsatz:   Betrachtiingon  über  handbücher  zur  litteraturkunde  mit 

^^sonderer  beziehung  auf  Kluge,  Auswahl  deutscher  gedichte  (Ztschr.  f.  d.  deutschen 

löterricht  H,  210 — 218),  sowie  die  bcsprcchungcn  von  R.  Lohmanns  buch  Über  den 

<^®^tschen  Unterricht  (Ztschr.  XXIV,  411  —  19);   von  Korns  Methodik  dos  deutschon 

^tördchts  (Anz.  f.  d.  alt.  X,  297  —  98  und  XIV,  284);  von  G.  Gerber,  Die  spräche 

^Unst  (Ztschr.  f.  d.  deutschen  Unterricht  I,  363  fgg.)  und  von  desselben  Verfassers 
^oh;  Die  Sprache  und  das  erkennen,  (ebda  I,  372). 

KIBL.  HUQO  GERING. 


236  GERINO 

LITTEEATUE. 
NEUERE  SCHRIFTEN  ZUR  RÜNENKUNDE. 

1)  Sonderjyllands  historiske  runomindesmsDrker  af  dr.  Lad?.  F.  A.  Wi..s( 
mer.  Kjobenhavn  1892.  (Festskrift  fra  KjobeQhavns  aniyersitet  i  anledniog  ^ 
dorcs  majosta)ter  kong  Christian  IX'  og  dronning  Louises  galdbryllnp  den  26.  Tnaj 
1892.)    55  s.    gr.  4.     (Nicht  im  buchhandel.) 

2)  De  tyske  runemindosma^rkor  af  LadT.  F.  A.  Wimmer.    KjebenhaTn  189^. 
(Sjcrtryk  af  Arboger  for  nordisk  oldkyndighed  og  historie.)    82  s. 

3)  Norges  indskriftor  med  de  a^ldre  ruDer.  Udgivne  for  det  Norske  historüke 
kildeskiiftfond  vcd  Sophus  Bugge.  1  ste  og  2det  hefte.  Christiania  1891—91 
152  s.    4. 

1)  Die  unter  1)  genannte  festschrift  ist  (wie  die  im  jähre  1887  erschienene 
monographio  über  den  taufstein  von  Akirkeby  auf  Bomholm  —  vgl.  Z.s.  21,  487  fgg.—) 
ein  Vorläufer  des  von  Wimmor  seit  langen  jähren  vorbereiteten  und  jetzt  im  drucke 
befindlichen'  grossen  cori)us  der  dänischen  runenschriften.  Sie  behandelt  4  mnen- 
steine,  welche  sämtlich  in  der  nähe  der  ehemaligen  südgrenze  des  dänischen  reiches, 
am  Danevirko  bei  Schleswig,  gefunden  sind  und  vor  den  meisten  denkmäleni  der- 
selben art  sich  dadurch  unterscheiden,  dass  sie  von  historisch  bekannten  pentonen 
errichtet  sind  oder  historisch  bekannte  personon  nennen  und  somit  die  möglichkeit 
einer  datierung  bieten,  die  nicht  lediglich  auf  sprachliche  indicien  sich  stützt  and 
daher  eine  weit  grössere  Sicherheit  gewährt. 

Zwei  von  diesen  steinen,  der  1767  im  Selker  noer  gefundene  ^Wedekpang- 
stcin**  (jetzt  im  schlossparke  von  Luisenluud)  und  der  1887  entdeckte  „Gottorpstein 
(jetzt  im  museum  schleswig-holsteinischer  altcrtümer  zu  Kiel)  hat  eine  und  dieselbe 
person  aufstollen  lassen,  Äsfridr,  die  tochtor  eines  dänischen  fürsten  Ödinkarr,  welche 
mit  einem  könige  Onüpa  verheiratet  war  und  diesem  einen  sehn  namens  Sigtryggr 
gebar,  der  nach  des  vaters  tode  ebenfalls  den  königstitcl  führte.  Dem  andenken  an 
diesen  söhn  sind  beide  steine  geweiht,  deren  inschriften  -nach  Wimmers  lesung  fol- 
geudennassen  lauten: 

a)  Asfrißr  karßi  kmnbl  ßaun  ({ft  Siktriku  sun  sin  q  ui  Knttbu,  d.  i.  Aafnd 
errichtete  dies  denknial  nach  (zum  gedächtnisse)  ihrem  sehne  Sigtrygg  auf  dem  bei- 
ligtunio  (der  geweihten  grabstätte)  Gnupas; 

b)  Ui' Asfrißr  karßi  hihl  ßatisi  tutir  Ußinkars  qft  Siktriuk  ktmuk  sun  m 
aukKnnbUj  d.  i.  Wi-Asfrid  errichtete  dieses  denkmal,  Odinkars  tochter,  nach  (»■ 
gedächtnisse)  könig  Sigtrygg,  ihrem  und  Gnupas  sehne. 

Von  den  namen,  die  diese  beiden  inschriften  enthalten,  werden  Gnupa  und 
Sigtryggr  auch  in  historischen  Schriften  des  mittelalters  genannt  Den  Gnüpi 
erwähnt  zuerst  der  bekannte  sächsische  chronist  Widukind  von  Corvey,  wdchcr 
in  seinen  Res  gcstao  Saxonicae  I,  40  berichtet,  dass  der  deutsche  könig  fleinrich  L 
nach  dem  glücklichen  feldzuge  gegen  die  Ungarn  (933)  seine  waffen  gegen  die  Dlwn 
gewandt  habe,  um  ihren  raubzügen  nach  den  friesischen  küsten  ein  ziel  zn  setxen; 
er  habe  sie  besiegt,  zur  Zahlung  eines  tributs  gezwungen  und  ihren  könig  Chnuhi 
genötigt,  sich  taufen  zu  lassen.  Diese  von  einem  Zeitgenossen  der  königo  Heinrich L 
und  Otto  1.  herrührende  nachricht  ist  unbedingt    zuverlässig;   sie  wird  aacfa  dutb 

1)  [Der  erste  halbband,  die  historischen  denkmäler  umfassend,  ist  soetei 
erschienen.    Juni  1895.    H.  G.] 


237 

[  dor  Curvoyer  uuaalea,  ilasi  Huinricb  im  jakre  1134  ilie  Danen  unterworfou 
habe,  bestätigt.  SodtmD  fiDden  wir  Gnupa  bei  Adam  von  Bremen  wider.  Diesor 
■Blor,  der  ein  Jahrhundert  nach  Widukiad  die  (iesta  puntifiaum  eodosioe  Hitinmalmr- 
a  Bcluieb  und  für  seine  beriobta  ülior  däiilBuhe  goacliichte  mündliche  mitteilungen 
.dee  konigs  Sven  Estridssou  benutzen  durfte,  erzjtiilt  (I,  üO),  doss  uauh  der  ,nomuui- 
Sischea  niedcrlago'  (d.  h.  noch  der  Lowoner  soblacht  vom  jalire  891)  ein  tönig 
aEelligo''  in  Dänemark  geherrscht  habe;  diesem  sei  eiD  könig  sehwedisclier  ablcunft, 
.lUuneiis  Olaf,  gefolgt,  der  das  dänische  reich  unterworfen  mid  die  kröne  auf  seine 
aShne  Chnob  und  Gurd  vererbt  habe.  An  einer  anderen  stolle  (I,  54)  beridilet 
Adam  ferner,  dass  auf  Olaf,  der  mit  seinen  söhnen  in  Dtinemark  geherrscht  babe, 
1  könig  namenw  Sigerich  gefolgt  sei;  dieser  sei  aber  nach  kuiEer  zeit  von  ,Har- 
degOD'',  dorn  sobno  ävena,  der  aus  , Nortniannia "  kam,  des  reiches  beraubt  wor- 
iden.  —  Die  dritte  quelle  ist  die  grossere  Olafs  aaga  Trj'ggvasonar  (geschrieben  um 
1300),  welche  cap.  U3  {FMSI,  116)  folgende  nofiz  enthält:  , König  Gorni  zog  mit 
■nnem  beere  in  dat>  reich  iu  Dünemark,  welches  Betdgotalaad  genannt  ward,  gegen- 
.W£rtig  aber  Jütland  heisst,  gegen  den  könig.,  der  dort  herrechCe  und  den  namen 
'JSnüpa  führte;  sie  kämpften  in  mehreren  schlachten  mit  einander  und  das  ende 
..var,  dass  Gorm  jenen  konig  erschlug  und  sein  reich  sich  unterwarf;  darauf  wandte 
^oh  Gorm  gegen  den  könig,  der  SilfraskaUi  biess  und  kämpfte  mit  ihm,  und  Gorm 
^■T  allezeit  siegreich  und  fällte  sohliesslich  auch  diesen  kÖnig.  Dann  gieng  er  naoh 
JIGtland  hinauf  und  fuhr  so  gewaltig  mit  dem  heurschüde  drein,  doüa  er  alle  köiüge 
■fidlicb  bis  zur  Schlei  vernichtote." 

Dui'cb  combiuntion  dieser  aacbrichteu  mit  den  Inschriften  der  beiden  steine 
ijgätaigt  Wimmur  zu  dem  Schlüsse,  dass  gegen  aofang  des  10.  Jahrhunderts,  während 
1  der  alte  über  Danemark  herrschte,  ein  schwedischer  wikiiig,  namens  Olaf,  bei 
BeiflabJ  (Schleswig)  sich  festgesetzt  und  eine  berrschaft  hegrüadet  babe,  die  er  auf 
rinnen  sehn  Gnüpa  vererbte.  Dieser  verstärkte  seine  macht  durch  seine  Vermählung 
Mt  Astrid,  der  tochter  eines  jütischen  hüuptlinga  Odinkar,  wurde  aber  von  Heiu- 
ifich  L  besiegt  und  zur  taufe  genötigt  (934).  Als  er  dann  (durch  die  Deutsohen 
tnterstutzt?)  sein  reich  nach  norden  auszubreiten  versuchte,  geriet  er  mit  dem  Dänen- 
kSnige  Gorm  iu  kämpf  und  fund  In  diesem  seinen  Untergang.  Seine  berrschaft  war 
,iedocb  nicht  vernichtet.  Die  witwe  liess  ihm,  als  protest  gegen  die  erzwungene 
taufe,  nach  heidnischer  sitte  ein  prächtiges  grahdenkmal  errichten  und  regierte  wei- 
,  zusammen  mit  ihrem  söhne  Sigtrygg.  Dieser  fiel  jedoch  (am  950)  im  kämpfe 
^n  Harald  blauzabu.  Die  mutter  tiess  auf  der  gehedigten  grabslätte  (uij  dos 
tera,  nach  der  sie  selbst  den  namen  Wi-Asfrid  führte,  nun  auch  dem  söhne  die 
nhestätte  bereiten  und  zu  seinem  andenken  zwei  ruuensteine  errichten,  einen  mit 
schwedischer  (a)  uod  einen  mit  dänischer  inschrift  (b). 

Dass  diese  datstallnng  im  wesenthchen  richtig  ist,  uuterhegt  keinejii  zweifol. 
Sie  Tou  Qermann  MÖUor  erhobenen  einweuduugen '  sind  —  von  einem  gleich  näher 
,n  berührenden  punkte  abgesehen  —  behtnglus  und  erledigen  sich  durch  die  höchst 
,*ahi«cheinlicho  annähme,    dass  Adam  von  Bremen  den  tod  des  Sigerich   (d.  i.  Sig- 

1)  Anzeiger  f.  deutsches  altert  19  (1893)  s.  11 — 32.  Diese  anzeige  Möllers 
tl  eine  kleine  litterarische  fobde  zwischen  ihm  und  Wimmer  zur  folge  gehabt,  die 
<iea  verliand langen  der  kgl.  dänischen  gesellschaft  der  wisaensobaftou  sich  abge- 
rteli  iiat.  Auf  Wimmets  erwideruiig  (Oversigt  over  det  kgl.  danske  vidcnakabs  sel- 
»l»  forhandliugor  1893  s.  112  —  1331  erfolgte  eine  roplik  Möllers  (ebila  s.  205  —  273) 
■*J*  eine  duplik  Wimmera  (ebda  375  —  284),  auf  welche  MuUer  noch  eimal  (ebda 
^  ^7o_nj3)  antwortete. 


t'TSP'J.  der  nach  aeiuer  Chronologie  bald  naoL  911  erfolgt  würe,  mindestoos  un»  ein 
menBchenalter  ko  frilb  BDgcsetzt  bat.  Wie  UDgenau  Sven  Estridssons  mitteiluugifii 
gewesen  sind,  ergibt  sich  aus  Adams  bokäQobiis,  „dass  er  nicht  wisse,  ob  alle  die  von 
ihni  goDauiiUD  daDischeo  könige  oder  tjramieD  gleicbzeilig  oder  nach  ebander  regürt 
hättou."  Wir  hak'D  also  dorchaas  nicht  nötig,  deu  Gaupa,  von  dem  Widokiod  and 
dio  Ulafs  BHsa  erzählen,  rar  eioen  jüogonin  DaohkomroeD  oder  verwandten  des  von 
Adam  envAhnten  gleichnamigen  niannes  ta  halten,  vielmehr  sind  beide  ohae  >Ila 
frage  ideottsch.  Zweifelhaft  ist  meines  olllcbteDS  nur,  ob  Wimmers  hypothe^e,  iaai 
Stgtrygg  dQTch  Harald  blauzalia  (c.  935 — 85)  gefallen  sei,  richtig  ist.  Diese  b^^pothest 
ist  nämlich  nur  möglich,  wenn  wir  mit  Wimmor  annuhmen,  daas  Adams  beritdit 
von  .Hardegott"  einen  doppelten  fehler  enthilt;  „Hardugon"  ist  uoüh  Wimmer  eine  T«r- 
derbnis  aus  iHaraldua'  und  Btatt  „filius  Svein"  müsste  „pater  Svcin"  eingesetzt  wor- 
den; Korthrnonnia  endlich  wfire  als  Norwegen  su  verstehen  und  dio  Worte  ,veDi«n* 
B  Korthmanoia'  bezögen  sieb  aof  Harald  blauzahns  heerfahrC  untnittelbar  oacli  den 
toda  des  norwegischen  känigs  Harald  graupeis  (nm  065),  auf  der  er  sii^  in  NoTve- 
gen  baldigen  Uoss  und  Hakon  jarl  als  Statthalter  einsetzte.  Ich  möchte  eher  glaaben, 
dass  (wie  Mfiller  and  neuerdings  Gustav  Storm'  annahmen),  Eardegon  cino  entstellnog 
von  Eardaknat  ist,  and  dass  mit  diesem  wirklich  der  vater  Gorms  das  alten  gomeiat 
ist;  dass  dieser  Hardaknnt  als  gegncr  Sigtryggs  genannt  wird,  beruht  aber  auf  dor 
«Qlküriichen  cbronologie  Adams,  der  die  schwedischen  kleinfürsten  iu  Soblsswig^ 
welche  tatsächlich  Zeitgenossen  von  Gönn  und  Harald  waren,  zu  Vorgängern  diee« 
ISnige  gemacht  hat  Storni  (in  dem  unten  angoführten  artikol)  Bocbt  Winiuers  hypo- 
these  direkt  zu  widerlegen:  aber  seine  behauptuag,  dass  der  Sigtry^  unsrer  baden 
steine  mit  dem  kotu'ge  Setricus  ideutisch  sei,  der  nach  Flodoard  von  Beims  im  jah» 
943  im  kämpfe  gegen  den  westfränkiscben  könig  Ludwig  fiel,  ist  doch  schliesslich  anch 
nur  eine  hypothese,  für  die  ein  zwingender  beweis  nicht  erbracht  worden  kann,  obwol 
ich  ihre  möglichkeit  oder  Wahrscheinlichkeit  nicht  in  abrede  stelle.  Wäre  Stoimt 
annähme  richtig,  so  stände  ja  für  die  errichtnug  der  beiden  steine  ein  sicheres  dabo 
fest,  das  eiuh  von  Wiinmers  aus  runologischcn  gründen  gefolgerter  datierung  (um  9S0) 
nur  sehr  wenig  entfernte.  Zu  einem  in  jedor  boziehung  sichern  resoltat  werden  wif 
ab«r  bei  der  dörftigkeit  und  nuzuverläs^igkeit  der  quetlon  schwerlich  jo  gelangen. 

Günstiger  steht  die  sache  mit  den  beiden  anderen  steinen,  dem  von  Hodebf 
(c),  welcher  bereits  1796  gefunden  wurde  und  gegenwärti);  ebenfalls  im  [latb)  U 
Loieeulund  sieb  befindet,  und  dem  Danevirkestoin  (d),  der  seit  1857  bekuni  ilt 
nnd  auf  der  spitze  des  Tvobcrgs  bei  Bostrap  (sw.  von  Schleswig)  auf  seinem  alUta 
platze  jüngst  wider  aufgerichtet  wurde.  Dia  insciuiften  der  beiden  steine  lauten  UKik 
Wimmers  lesung: 

c)  piirtf  risp*  alin  ßqnai  himfiigi  Seim  eftir  Erik  filaga  »in  iaa  uarp  Utt^r 
pa  trekiar  »atu  tan  Ilaipa  bu  tan  hart  uas  tturi  niair  IrcgR  harpa  hipr.  1  >- 
Forolf,  der  gofolgsmann  Svens,  errichtete  diesen  stein  nach  (zum  godächtnis)  seisM^ 
genossen  Erik,  welcher  starb,  als  die  mänuer  um  Uedohy  sas.seu  (H.  belagerten);  ^ 
aber  war  steuennann  (schifTskapitän),  ein  ausserorduntlioh  braver  mann; 

d)  Suin  kunukr  sali  ttin  uftir  SkarPa  sin  kimpiija  iaa  uim  faria  HWf^ 
arp  latipr  al  Hipa  bu,   d.  L  kÖnig  SvoQ  enichtoto  diesen  stein  nach  (niB* 

godäcbtnis)  seinem  gefolgs manne  Skarfii,  der  westwärts  (nach  England)  gofahrwi  nf* 
jetzt  aber  bei  üodoliy  starb. 

I  (N«n»-> 


Die  beiden  zweifelloa  gleiulizeiCigeQ  deokciäler,  die  nach  ansneis  der  schiift 
(fts  «erdea  bureits  pouktierCe  ranoa  augeweiidetj  und  der  spräche  um  das  Jahr  1000 
datiert  werden  müssen,  beziehen  sich,  wie  Wimmer  ausfülirt,  sicher  auf  doEselbe 
ereigniss,  eine  belagerung  ron  Schleswig,  uud  der  „Sven"  in  u  ist  ohne  frage  mit 
dorn  .fcöoige  Sven"  von  d  idootisch.  Dieser  küuig  Sven  kann  kein  anderer  seiu,  als 
Sven  gabelbart  (c.  (185  —  1014),  der  994  und  995  iu  Eugload  kilniiifte.  Während 
seiner  abweaeoheit  wurde  Suhli^swig  too  dem  Schnedenkönig  Erik  dem  aitigreichen ,  der 
üch  an  den  Dänen,  die  seiner  zeit  Beinen  ocffen  Styi'biqm  unterstützt  hatten,  rächen 
wollte,  erobert  und  geplündert  Die  Schweden  setztun  sich  in  der  Stadt  fest,  und 
die  erste  aufgäbe,  die  Svea  nach  seiner  hetuikehr  zu  vollbi'iiigen  hatte,  war,  die 
fremdeD  eindriuglinge  zu  vertreiben,  was  ihm  nach  dem  Zeugnisse  unserer  steine 
auch  gelang.  Eiaem  seiner  gefutgsleute,  der  während  der  helagerung  gefallen  war, 
Skar^ii  —  vielleicbt  demselben  manne,  der  nach  Snorres  Ueimslu'ingla  (Ül,  Baga  Tryggr. 
o.  46)  an  dem  unglücklichen  zuge  der  JemsTikinger  noch  Nonvcgen  teilgeDommen 
h&tte  —  weihte  der  könig  selber  auf  dem  steine  d  eben  ehrenden  nachruf;  einem 
uideren  manne  in  gleicher  Stellung,  Erik,  wurde  von  seinem  kameraden  l*orolf  der 
denkatein  c  gesetzt.  Anhangsweise  macht  dann  Wimmer  noch  darauf  aufmerksam, 
dass  einem  dritten  krieger  Svens,  der  ebeafalls  bei  Hedeby  Gel,  wahmcbeinlich  der 
kleinere  stein  von  Äorbus,  dessen  insehrift  nur  verstümmelt  erhalten  ist,  als  denkmal 
gestiftet  ward:  sie  besagt,  dass  ein  dänischer  krieger,  dessen  aamen  bis  auf  das 
■chliessende  R  zerstört  ist,  seinem  kameraden  Amundi,  der  hei  Hedebjr  starb,  den  stein 
erriehtet  habe  —  der  grössere  steiii  von  Äarbua  enthält  dagegen,  wie  es  seheint,  eine 
etinnening  an  die  sagenberühmte  schlaeht  von  Svoldr,  denn  ihn  weihten  vier  äber- 
Ubende  kämpfer  ihrem  genessen  Ful,  der  ,driiussen  im  osteu"  fiel,  als  „die  könige 
1  mit  einander  kämpfton*.  —  Man  sieht  also,  dass  diese  steine  neben  dem  sprachlichen 
l  i/ae  bezeugen  als  älteste  denkmäler  die  aus  dem  umordisohen  entwickelte  estskaedi- 
I  UTJMhe  mondart)  auch  ein  sehr  bedeutendes  historisebes  Interesse  besitzen. 

2)  Die  zweite  sulirift  Wimmers  müssen  wir  Deutsche  mit  ganz  besonderer 
e  begrüssen,  weil  sie  sich  ausschliesslich  mit  unseren  heimischen  runendeukmälem 
I  Whäftigt  und  das  leider  so  sehr  dürftige  material  duruh  swei  überaus  wertvolle 
ICuuke,  die  bisher  noch  nirgends  pubüciert  waren,  bereichert  Es  sind  dies  zwei  sit- 
BWTte  spoDgen,  die  18S5  bei  Bezenye  (3  meileu  so.  von  Presaburg)  auf  einem  grossen 
iLbnissplatze  aus  der  zeit  der  Völkerwanderung  in  einem  fraaeograbe  gefunden 
d«D,  Dass  Leide  Spangen  Inschriften  tragen,  ward  jedech  erst  1893  von  prof. 
iftel  in  Buda-Pesth  entdeckt,  der  mit  rühmenswerter  Selbstlosigkeit  die  veröffant- 
Vltug  dem  bewährtesten  runolegen  überüess.  Die  Schmuckstücke  entstammen  augen- 
^^inlich  derselben  werkstütte,  und  die  runen,  die  ^ch  auf  ihnen  Ünden,  sind,  wie 
"Urinier  vennutet,  von  derselben  iieraen  eingeritzt.  Auf  der  ersteo  spange  (a)  steht 
'"^t<ahiii  ury'a,  was  Wimmer  iweilellos  richtig  zu  Qodaliild  vniiija  ergänzt;  auf  der 
••«äten  (b)  ÄTsipoda  segim.  Somit  bestehen  die  iasohrifteu  nur  ans  je  zwei  werten; 
'"^  «iaem  weiblichen  eigennamen  und  einem  aegonswort.  Godahild  ist  ein  sehr 
wtaimter  name;  Araipoda  dagegen  ist  bisher  noch  nicht  nach  gewiesen ,  wel  aber  kom- 
"^Q  die  beiden  gliuder,  aus  denen  das  compositum  zusammengesetzt  ist,  auch  ander- 
*äi:ta  in  frauennauien  vor:  ahd.  -poda  st.  -bota  in  Siboda  (d.  i.  Si^boda?)  und 
t'in|)n[a  (d.  i.  liudboda?),  altn.  in  Angrboda  und  Aurboda;  Ar»i-  freilich  nur  ein- 
""^  in  ahd.  Arsirid,  dos  Föratemano  aus  dem  verbinde rungsbuch  von  St  Peter  in 
""zbitTg  belegt.    Der  a-rune  in  Arsipoda  geht  noch  ein  eigentümliches  zeieheu  vor- 


sUH,  ilsB  wie  oiu  circomllcx  {^)  Ausaieht  uuil  von  Wimniitr  anck  als  ebfl! 
erklärt  wird,  ob  mit  recht,  tat  mir  zweifelhaft,  da  die  venrendiuig  roa  taxeSrnm 
runoainscb ritten  sonst  oirgeiiiifi  sich  findet  Dagegen  sttiht  d&s»ollio  Minhoii  m 
Bohlnsee  dor  insohrift  des  Brauuschweiger  reliquienkikttOiciie  (StojihoDB  I,  391  i  Bo^ 
Norges  tadakrifter  msd  de  ^Idre  riuier  b.  119),  also  gewissorraassmi  *lti  iutiiryiuillia, 
und  es  dürfte  moglitdi  »ein,  dims  es  in  almliclmm  siuis,  DlLuüioh  nls  «alMiguumlm 
ttuvli  auf  der  ongariBcheu  spauge  b  zu  fassen  lat,  was  bereits  Sieven  alH  venniituj 
aosaprach.  Wimmer  dagegen  ableluLt,  Die  beiden  franennamen  bezeichneD  uacli  War 
mer  nicht  die  besitKerinnea,  Gondern  die  eohenkerinoen  der  apaugen,  di*  lid- 
leicht  Doiiuen  in  dem  um  das  juhr  700  gegründeten  St  Puters -klustuT  £U  SaUlnui 
gewesen  Heien  und  einer  neu  getauften  Schwester  im  ostcn  diu  kostbuva  «ulimilct 
gegeustüode  mit  eiuem  frommen  wünsche  überaaadt  hatten.  Auf  Baiem  waift  jl 
unzweideutig  das  aulaulundo  p  in  -puiia,  und  nur  in  Sakburg  ist  bisher  du  unk 
unerltltLrte  eletnent  Ärai'  iu  einem  iiamenbudie  des  6.  Jalirlmnderta  Uiuiugti  in  ^ 
ersten  beiden  docenmen  desselben  setzt  alier  Wimmer  aus  runologiBoban  grütutai  dis 
spangeninschiiften. 

In  dem  Übrigen  teile  seiner  scluift  behandelt  Wimmer  die  wicbtig»teii  iIit 
schon  früher  bekanutun  deutauhen  runeudeokuiäl^r,  von  denen  er  vier  (die  Kgniffi 
von  Oathofcn,  Frailanborsheim,  Engere  und  Kerlich)  aufs  neue  in  Ko|)enbagea  mIM 
aorgflUtig  untei'suoht  hat,  und  ergreift  dabei  natürlieh  die  gelegenbeit,  sich  mit  Bnr 
nings  buche  auseinander  zu  sollen.  In  der  abltjlmang  mehrerer  von  Hnaning  n** 
gesulilagenor  deutungeu  tiiSt  er  mit  mir  (vgl.  Zeitschr.  33,  354  fgg-)  inHUDinco,  in 
aUgemeinen  aber  lässt  inuines  oniuh.tena  seine  kritik  dem  verdionsüiebeu  werk«,  iM 
Bugge  günstiger  und  billiger  beurteilt,  uiuht  gouügtindo  gereohtigkoit  widurlllUiB- 
Über  die  resultate  seiner  forschungen  sei  im  folgenden  kui'K  referiert. 

Die  insohrift  der  Spange  von  Engers  ist  oat^h  Wimnier  von  Honniug  mit  aiiwil 
für  eine  ^schung  erklArt,  und  mau  wird  nach  den  aussagen  der  beamtan  doe  Tonn- 
ser  musoums  an  der  echtheit  nicht  zweifeln  dürfeu,   zumal  da  auch  einige  lag"' 
scheinlich  olts  risse  ei-st  nach  dem  «inritzen  der  schiift  öntstondim  sein  kdnnen.  lli> 
iusuhrifl  Itiub  lietiachtet  Wimmer  (wie  gegim  und  iruif/a  auf  den  sjiangaa  voo  Bt- 
ieaye'f  als  einen  Segenswunsch  und  in  der  tut  kann  leidi  sehr  wul  „heil"  oder  ,mC|k' 
bedeuten   (vgl.  z.  b.  Ile!.  497  liudiun  te  leoba).  —    Auf  der  »pange  von  FretliB- 
bershoim  erklärt  Wimmer  natürlich  die  ersten  drei  noito  (Boao  leraet  rurw]  sbti» 
wie  die  deutschen  gelehrten,    die  sich  mit  diesem  denkmal  hoschfiftigt  htbM  \W 
sieht  er  runa  wol  mit  recht  für  den  aec.  plur.  au);  die  drei  letzten  worto  li 
von  Bioger  (Ztschr.  5,  375  fgg.)  un<l  Henning  abwuicbend;  pk  UtUina  i/adH,   wü« 
zn  pik  Dalitia  goäda  ,te  Dalinam  donavit"  eigiiiixt.    Henning  halt«  zwisclian  jm/f^f'/ 
und  gofdjdfaj  geschwankt  und  Daprna  statt   Daliiia   gclcson,    nacli   WiminuT  ■ 
jedoch  die  beiden  d  in  godii  mit  Sicherheit  erkounhar,    und  din  drittn  runa  in  it 
weiblichen  namen  ist  deutlich  ein  l^  wenn  auch  der  schilgslrich  nicht  von  der  >fK 
des  senkreohtou  ausgebt,   »ondam  etwas  tiefat  steht    Dar  »aiuo  üaliua  (il,  k  M* 
Unna)  ist  zwar  fast  nirgends  bezeugt,    errc^  aber  keine  bedenken,    da  im  abl  i» 
männliche  oigennomo  Talto  sieb  Undet  und  die  endung  -inrin  {<.  inju)  i»  «''iMn^i" 
namen  mehrfach  vorkommt  {WnlahÄtma,    Förstoniauu  1231,  Zai'ji'"" 
I36Ü  usw.).    Über  die   casusform   IJalina   hat  Wiinmer  »ich    uiiln 
natürlich  kann  es  nur  der  acc,  sein,  uiobt  der  nom.  (voo.),    veel  I - 
müsstn.    Auch  eine  datierung  der  inschrift  hat  Witr 
ist  ala  unsere  litterarischen  denkmäler,  beweist  das  aalaui 


NEÜSBE  SCURIFTEN  ZUR  RÜNBNKTTNDB  241 

im  8.  Jahrhundert  geschwunden  war,  und  das  un verschobene  t  in  demselben  werte: 
wir  werden  sie  wol  in  das  6.  Jahrhundert  zu  stellen  haben.  —  Zu  einer  sicheren 
deutung  der  inschriften  auf  den  spangen  von  Osthofon  und  Charnay  zu  gelangen, 
hält  Wimmer  für  hoffnungslos:  auf  der  ersten  fehlt  wahrscheinlich  der  anfang,  der 
auf  dem  verlorenen  teile  der  hbula  gestanden  haben  dürfte,  und  aus  den  erhaltenen 
Wörtern  {go . . ;  fiirad .  .  de:  ofileg)  lässt  sich  ein  sinn  nicht  gewinnen  —  und  auch 
für  die  legende  der  zweiten  (ußfnfai :  tddan :  liano)^  die  bisher  allen  erklärungsver- 
suchen  trotz  bot,  scheint  er  weitere  bemühuugen  für  fruchtlos  anzusehen.  Dennoch 
möchte  ich,  auf  die  gefahr  hin,  die  zahl  der  verfehlten  hypothesen  imi  eine  zu  ver- 
mehren, eine  Vermutung  nicht  zurückhalten.  In  ußfnßai  suchte  Henning  (und  neuer- 
dings Bugge,  Norges  indskrifter  s.  140  —  s.  u.  s.  244)  den  opt.  praes.  eines  compo- 
situms  von  finßan;  es  ist  jedoch  auch  eine  andere  annähme  möglich,  nämlich  das 
wort  als  dat.  sg.  zu  erklären,  und  zwar  als  dat.  sg.  eines  männlichen  i- Stammes. 
Dass  diese  stamme  ihren  dat.  einmal  wie  die  feminina  mit  der  endung  -ai  bildeten, 
also  *balgai  wie  anstai,  ist  heute  allgemein  anerkannt.  Nehmen  wir  nun  mit  Bugge 
a.  a.  0.  an,  dass  in  ußfnßai  das  n  an  eine  falsche  stelle  gekommen  ist  (wie  das  r 
in  ßurlf  statt  ßiUfr  auf  dem  steine  von  Hedoby),  und  dass  es  eigentlich  hinter  dem  u 
hätte  stehen  müssen ,  so  Hesse  sich  unßfßai  zu  [h]unß]a]faßai  ergänzen.  Der  abfall 
des  h  im  anlaute  hat  auch  in  Iddan  stattgefunden,  da  dieses  wort  (dat.  sing.)  doch 
wol  mit  Henning  als  koscform  eines  mit  Hildi-  zusammengesetzten  namens  erklärt 
werden  muss,  und  auch  das  ß  als  bezoichnung  der  tönenden  spirans  (für  die  das 
gotische  bereits  d  ver^vendet)  findet  bostätigung  in  der  Schreibung  Burgtmximies 
(Wackemagel ,  Kl.  Schriften  III,  339).  lAano  ist  mit  Bugge  als  nom.  sing,  eines  weib- 
lichen eigennamens  zu  fassen,  dessen  etymologie  allerdings  Schwierigkeiten  macht. 
Der  von  Bugge  verghcheno,  aus  viel  späterer  zeit  bezeugte  name  Ltanhalm  bringt 
uns  nicht  weiter,  da  im  6.  Jahrhundert  der  diphthong  la  in  einem  germanischen 
Worte  kaum  möglich  ist.  Wenn  man  also  nicht  annehmen  will,  dass  zwischen  den 
beiden  vokalen  ein  konsonaut  ausgelassen  ist  (und  welcher?),  so  bleibt  kaum  etwas 
anderes  übrig,  als  Liano  für  eine  gcrmanisiemug  des  lat.  Loaena  (gr.  ^^luvn)  zu 
erklären,  das  bekanntlich  als  eigenname  verwendet  ist;  übrigens  könnte  ja  auch  Idda 
eine  romanische  geliebte  gehabt  haben.  Die  Übersetzung  würde  also  lauten:  „Liano 
dem  centurionen  Idda**,  was  sich  zum  mindesten  durch  seine  einfachheit  empfiehlt.  — 
Was  man  «luf  der  spange  von  Hohenstadt  früher  als  runen  ansah,  sind  auch  nach 
Wimmer,  der  hierin  mit  Henning  übereinstimmt,  nur  zufälhge  ritzen  im  silber; 
ebensowenig  sind  auf  den  spangen  von  Oandersheim  und  Flomborn  schriftzüge 
zu  erkennen.  —  Unecht  sind  die  inschriften  auf  dem  speerblatte  von  Tore  eile  und 
auf  der  Kerlicher  spange,  die  auch  Henning  für  fiilschungen  hält.  —  Über  die 
spange  von  Balingen  äussert  Wimmer  nur,  dass  Söderbergs  lesung  der  ersten  4  zei- 
chen {ahlf)  nicht  richtig  ist,  er  verzichtet  aber  auf  eine  deutung  der  inschrift,  welche 
er  um  700  ansetzt,  da  ihm  das  original  selbst  nicht  vorgelegen  hat.  —  Das  Ber- 
liner thonköpfchen  endlich  ist  aus  der  reihe  der  „deutschen"  dcnkmäler  zu  streichen, 
da  die  runenzeichen  durchaus  mit  den  jüngeren  nordischen  typen  übereinstimmen; 
deutbar  ist  die  Inschrift,  welche  dem  12.  Jahrhundert  angehört,  nicht,  da  sie  ver- 
mutlich nur  die  anfangsbuchstabon  von  Wörtern  enthält. 

3)  Bugges  grosses  werk,  von  dem  erst  2  lieferungen  vorliegen,  wird  sämt- 
lidie ' norwegische  runeninschriften  behandeln,  welche  mit  dem  älteren  (gcmcinger- 
nanisoSieii)  aiphabet  von  24  zeichen  geschrieben  sind.     Er  ordnet  diese  inschriften 

«»  r.  ixiDTaaHK  Philologie,    bd.  xxviii.  16 


242  OEBINO 

geograpliisch,  indem  er  im  üusserstoD  eüdoGten.  \d  SmaalensDO,  beginnt 
hier  saa  weiter  nach  nw.  vorsohrcltet.  In  den  l>eidt.'D  hefton  äad  erat  6  deokniS]«! 
beaproobon:  die  runeDsteinc  von  Tune,  Einang  und  By,  der  brakteat  vod  Fredribsslid, 
die  bronxefiguT  von  Froshov  und  die  apange  von  FaDDuoä.  Ich  besctiräiilEe  mich  «idi 
dam  BnggischeD  buche  gegenüber  jm  wosentlicbau  auf  ein  refemt 

Dio  juschrift  des  TanesteiRes  (iir.  1),    welche  Bugge  in  die  erste  bälfte  de« 
6.  jahrhimderts  aetzt,   rührt  von  zwei  Teraebiedenen  bänden  bor.    Ton   der   ei 
alammen  dip  allitnviL'ruridpD ,  ^oii(neo((iT;<f(!i.  geschriobnnen  langEeileo; 
Ek  Wmaa     afler  Wuduride 
jciladahalaiban      woTohto  rfunoRj 
,ich  Wiw  macbto  dioae  runen  nach   (zum  gedäcbtuisse)   dem    gefolgschartsgen 
Wodurid."     Die  von  dem  zweiten  ateinbauer  uingehauenen  werte  liest  Bugge: 

[aftfjB  Wodaridc  staina  [....]  pryoti  dohlriR  dalidan  (J,  i.  daüidun) 
bija  syosiir  (d.  i.  siJijoatir]  arbijano 

„nach  (zum  gedäohtnis)  dem  'Wodurid   [beisei ebneten]    drei  töchter  den  sl 
die  uächstverwandten  von  den  erben  teilten  das  erbe.*^ 

Während  der  erat»  teil  der  inachrirt  [einsubliesslieb  der  ergSnzung) 
riolitig  gedeutet  int,  erregt  die  erkläroog  des  zweiten,  fär  die  Bugge  aelbsl  erat  nacA 
mehrfacliem  schwanken'  sich  entsahicden  hat,  voi'schiedens  bmlenken.  Zunächst  ist 
es  aoflalloud,  dass  die  4uial  vorkonnuende  rune  0<  welche  sonst  den  lantwprt  ödob 
nasalierten  n  hat,  auf  unserem  denkmal  (was  schon  Gudbr.  Vigfüsson  in  seinem  Cor- 
pus poet  bor.  —  natürlich  oline  jede  begründung  —  behauptet  liatte),  j  bedeatea 
solL  Indesaeu  lüaat  sich  dieKe  annähme  durch  die  iUinlichlieit  der  beiden  zeichao, 
väluhe  eine  varwechaelung  zur  folge  haben  konnte,  rechtfertigen,  zumal  da  man  mf 
diesem  wege  zu  lei:ibter  erkliirbaren  wortformen  gulangt.  Sodann  ist  dio  Wortstellung 
in  der  ersten  satzhäiße  (adverbiale  bestimmung,  objekt,  verbum,  subJett)  so  seltaani, 
dass  sie  in  prosaisclier  rcdo  kaum  wider  so  vorkommen  dürfte.  Sie  Mast  aicb,  meine 
ich,  nur  erklären,  wenn  man  annimmt,  dass  den  runenschreiber 
abaicht  leitete,  etwa  die,  dasselbe  subjett  Tür  die  beiden  asjudetisch  neben 
gestellten  Sätze  zu  verwenden,  sodsHB  wir  also  ein  nah  xowoo  zu  atahiioreo  bfitten: 
,nach  Wodurid  bezeiclineten  den  stein  (auch)  die  drei  töchter,  (sie)  teüten  als  nichst- 
venvandte  unter  den  erben'  das  erbe".  Die  erwiihnung  der  erbtciluug  auf  Mnom 
grabatoiUQ  (dio  Bugge  übrigens  auch  aus  sgiäterer  zeit  belegt),  l&sst  sich  für  unsern 
fall  vielleicht  dadurch  erklUran,  dass  die  drei  töchter  erst  nach  einem  reclitsstr^ite  mit 
den  übrigen  erben  in  den  besitz  dea  nacblasses  gelangten  und  nun  den  stein  tugleiob 
2U  einem  denkmal  des  siegreich  durch ge führten  processes  machten.  Bugges  mcinimg, 
doas  dio  sU^ontir  arhijano  und  die  ^r^or  dakirir  verschiedene  personea  soian,  hall» 
ich  zum  mindesten  für  höchst  unwahrscheinlich. 

1)  Pieaca  schwanken  hat  sogar  die  drucklogung  des  ersten  lieftee  üb«rd«uct 
Es  macht  einen  seltsamen  oindruck,  dass  auf  dem  5.  (am  1.  juli  1891  gedruckten) 
bogen  mebrorea  zurUuk genommen  wird,  was  auf  dem  4.  (der  wn  13.  Juni  dio  presse 
verliessj  liebauplet  war.  Konnte  der  druck  nicht  so  lange  verschobcu  werden,  ttia 
Bugge  seine  uiitci-auchungeu  über  daa  erate  denkmal  abgeschioasen  hatte?  Won 
diiwe  überhastung?  Bei  einem  werke  von  ao  monumentaler  bedentung  war  es  docb 
wahrhaftig  kein  unglück,  wenn  die  1.  liefemng  ein  paar  wochen  später  ansgegobM 
wurde. 

2)  Erbe  ist  hier  natürlich  zu  verstehen  als  .jemand  der  auf  den  aacblHi 
anspräche  erhebt".  Damit  eiloüigen  sieb  die  cinwenduugou  von  Fr.  Burg  (Zs.  f.  «L  ^ 
38,  174  fg.),  deren  gewiobt  dui'Ch  ein  paar  deplacierte  witzchon  nicht  verstiirkt  wird. 


Nr.  2  und  3,  dnn  urakteaten  von  Fredritatad  and  die  bronzeSgur  von  Froi- 
kÖDnen  wir  übei'spriugen,  da  es  zweifelliaft  ist,  ob  die  auf  diesea  gegeusUuiden 
.(ängegmbeoeii  zoichon  wirklicli  nin'jo  sind,  und  eine  sichere  deutung  völlig  ausge- 
BcUossen  scheint  —  Nr.  4  ist  die  erst  1877  aufgefundene  spange  von  FonnaaB, 
-welche  Buggo  bereits  1683  in  don  K.  Tittorhets  hiatorie  och  antirjvitets  bandtiiigBr 
mineD  mit  der  ioschrift  dos  Rökstcns  ausführlich  behandelt  hatte.  Seine  dort 
■egebeoe  deutang,  welche  hier  itn  wesentlichen  widerholt  wird,  gebort  meines  erach- 
zn  dem  besten,  wtis  auf  diesem  schwierigen  gebiete  je  geleistet  ist;  sie  ist  eio 
Aenes  nihnioBzeugDis  für  die  glänzende  divinatorisuho  be^bung  des  aosgezeichnetea 
gelefarten.  Die  erklärung  war  hier  mit  besonderen  Schwierigkeiten  verknüpft,  da  die 
.Wörter  der  insohrift  stark  verkürzt  sind,  mitbin  eine  ganze  anzabl  von  zeichen  ergänzt 
.werden  mossten.     Änf  der  Spange  steht: 

fighklR  u'kshu  ingRiangarbse  ihspidulll, 
s  Bngge  fotgendermaason  herstellt: 

[A]i^[i]l[a]sk[a]l[k]R  \V[a]kfr]»  ImMiügR  sa  fi.Jng{iMa]>-bfiMkJe 
[ojih  tpi[n]iiui   Ifijl,    d.  h. 

,AJigelakalk,  Wakrs  hausgeno&so  von  Ingesarv,  besitzt  die  goto  nadel.'" 
Die  wahrscheiniichkeit ,  doss  diese  deutung  das  richtige  getroffen  hat,  wird 
durch  den  umstand  bedeutend  erhöbt,  dass  Bngge  nach  dem  nbscblusse  seiner 
it  erfahr,  dass  in  der  schwedischen  laudscliaft  Dolame,  die  mit  dem  norwegischen 
Bendalen,  wo  die  spange  gefunden  ward,  grenzt,  tatsächlich  ein  ort  namens  Ingisartf 
aerte,  wie  auob  dentelbe  name  uocb  einmal  in  Ilelsingliind  (nicht  aber  in  Norwe- 
gen) sich  widerfiiidot  Bagge  schliesst  daraus,  dosa  der  oigontömer  der  spange, 
welcbe  in  das  7.  Jahrhundert  zu  setzen  ist,  wahisch  ein  lieb  in  Dalamo  oder  dot^h  im 
nördlichen  Schweden  zu  hauso  war, 

Nr.  5,  der  runonstein  von  Einang,  nach  Bugge  um  die  mitte  des  5.  jahr- 
^nndertB  zu  datieren,  anthttlt  nur  die  4  werte:  DagaR  ^oR  ruva  fnikido.  Bugge 
tfit  an  seiner  früheren  deutung  fest,  nach  welcher  fiaR  als  acc.  plur.  des  denonstra- 
rtivpronomens  zu  fassen  ist  (=  a!tn.  p'tr)  und  riino  ebenfalls  acc.  pl.  (=^  altn.  nifutri. 
!«r  ubereetzt  abo:  „Dag  schrieb  diese  runon."  Wimmer  dagegen  hatte  ßaR  als  adverb 
«rklÄrt  und  rtino  als  acc.  sg.  bozeiohnet;  demgemäss  würde  zu  übersetzen  sein:  .Dag 
schrieb  dort  die  rane,"  Aber  das  adv.  paR  {das  überdies,  wie  Bugge  nachweist, 
aonst  stets  mit  r,  niemals  mit  R  geschrieben  wird)  acheint  mir  dem  sinne  nach  unniög- 
,  da  man  vielmehr  her  erwarten  sollte;  auch  wäre  der  collectivo  Singular  runo 
HLffallenil.  Ich  halte  dalior  die  erklärung  Buggoa  für  die  richtige,  wenn  man  auch 
genöügt  ist,  mit  ihm  hinter  mno  ein  R  zu  ergänzen. 

Das  letzte  iu  den  beiden  heften  behandelte  norwegische  denkmal  Ist  der  seit 
dem  18.  Jahrhundert  bekannte  runonstein  von  By  (nr.  6),  den  Buggo  in  die  mitte  dos 
7-  Jahrhunderts  setzt     Er  liest  .''eine  Inschrift; 

tiriiaR  BroRaR  llroReR  orle  fiat  aRina  «fp]l  Atai[b]u  dB  (d.  i.  dohluH) 
V*f^  {d.  t.  nmoR  ntarkide  paR  Ehali) 
and  BbeiBotzt:  ,der  kriegerhSuplIing  Hror  Hrors  söhn  machto  diese  Steinplatte  nach 
(znin  gedächtuis)  der  (seiner)  tochtcr  Alaiv;  diese  moen  schrieb  Eh.'  —  eirilaS  (= 
i.jarl,  ags.  eorl)  ist  ans  eriloR  entstanden;  das  e>  der  ersten  silbe  botraobtet 
'^tlgga  als  bezeichnuDg  des  arsprnn glichen  kurzen  «,  das  im  begriffe  war,  sich  dem  i 
r  ttAgoaivn  silho  zu  assiniiliercn :  in  weiterer  eutwickelung  musale  erilali  zu  *iVi7' 
ifrenlen,  das  jedoch  durch  Jnrl  {eine  bilduug  nach  der  analogie  der  pliiralformen)  ver- 

16' 


244  GERING 

drängt  ward.  —  ITrarer  ist  oin  patronymicum  mit  dem  sufiix  -ja,  das  in  dem  Ihe-w^^ 
trulafir  des  Istabysteiiics  ein  seitenstück  hat,  wie  auch  in  anderen  ar.  sprachen  d.^] 
gleichen  bildungen  begegnen  (gi*.  T(l«/j(oviog,    ÄQÖvtog  usw.),    während  sie  in  dl^i 
historischen   altnordisch  gänzlich  mangeln.  —    aRina  (acc.  sing,  eines  st.  n.)  ist     ^ 
von  dem   veränderten  geschlecht  abgesehen   —   dasselbe  wort  wie  altn.  arimiy      ^ 
„Steinplatte,    herd",  ahd.  arhij    n.  „altaro,   templum",  erin,  m.  ^fassboden,  tearie" 
(noch  heute  in  ober-  und  binnendeutschen  diall.  ehren j  öhrcn),  —   upt  (wahrscivefn. 
ich  opt  gesprochen)  ist  durch   den   einfluss  «der  labialvorbindung  aus  ept  entstancleo; 
die  Schreibung  mit  n  findet  sich  auch  auf  anderen  runeudenkmälem.  —    Alaib94  ki 
der  acc.    des  frauennamens,   der  in  dem  historischen  altnordisch  Alof  oder  (ihf  ge- 
schrieben wird.  —  Die  deutung  d(;r  letzten  vier  runen  kann  natürlich  nur  eine  hyjio. 
thoso  sein,  die  Jedoch  im  ganzen  nicht  unwahrscheinlich  ist:  dass  der  namo  des  ninea- 
ritzcrs  mit  der  der  rune  \  identisch  gewe.sen  sei,   ist  ein  glücklicher  gcdankc;   nur 
möchte  man  wünschen,  dass  die  existonz  dieses  weites  als  cigenname  besser  beglaa- 
bigt  werde,  als  durch  die  inschrift  des  braktoaten  vonAasum,  deren  Icsung  mir  doch 
höclist  problematisch  ei*scheint.  —    Bemerkenswert  ist  es,  dass  in  der  Inschrift  zwei- 
mal die  rune  Ji  im  iulaut  ers(;hoint  (in  IlroliaJt  —  IlroRiR  und  in  aRina;  beide  Wör- 
ter haben   also  ui-si)i'ünglich  ein  s  enthalten;    durch  das  erste  erhält  die  von  Kluge 
aufgestellte  etymologie  von  nhd.  rühren  «^  got.  hröxjan)  bcstätigung  —  der  von  ihm 
vermisste  „auswärtige"  rei»räsentant  der  wurzel  krds  ist  von  iUigge  in  priech.  xfom'- 
vvfii  <^  *xHuiGvvui  gefunden  —  und  aRina  stellt  er  zu  lat.  ara  <^  asa,  osk.  aso. 
An  die  deutung   der  inschrift  von  By  hat  Buggo  noch  zwei   sehr  wertvolle 
exkurse  angeschlossen,    von  denen  jedoch  nur  der  erste  (über  die  nino  1»)  in  beft  2 
vollständig  enthalten  ist.     Er  führt  hier  den  m.  e.  vollständig  gelungenen  nachwcis, 
dass  dies  vielumstrittene  zeichen  den  lantwert  eines  zwischen  e  und  i  in  der  mitte 
liegenden  vocoles    (also  eines  geschlossenen  e)   repräsentiere,    stimmt  also  hierin  mit 
Henning  überein,  dessen  ansiclit  ich  schon  1890  (Ztschr.  23,  359  anm.  1)  boigepflicb- 
tet  habe.     Besonders  schätzbar  ist  dieser  exkure  ferner  dadurch,  dass  Bugge  mehrere 
unserer  deutschon   runoninschriften  aufs  neue  behandelt  hat.     Die  zweite  hälfte  der 
Freilaubershcimer  spangeninschrift  liest  er   (von  Henning  und  Wimmer  gänzlich 
abweichend)  odifio  mal  ina  f/oim/i]  „der  Segnungen  zeichen  (d.  h.  das  kreaz)  behüte 
ihn";    auf  der  spango   von  Osthofen  glaubt  er  die  woi*te:   god  furadli]  mi  OpU 
„gott  sorge  für  mich  Offil''  zu  erkennen;  die  zeichen  auf  der  grösseren  Nordendor- 
fcr  spango  ergeben  ihm   die  logende:    Ao  a[n]  fjcnbin'nic   „Ao  an  Leubwine";  die 
der  kleineren:    Ih'rilio  eik   „ich  B.  habe"   (also  bragarmal  auf  deutschem  iKHien?!); 
auf  der  Spange  von  Ems  steht  nacli  Bugge  nicht  Madany  sondern  Madali.    Endlich 
wird  aurh    für  die    inschrift  der  Charnayspange  eine  neue  deutung  vorgcschlageD: 
l'if/ia  fajti  Iddan  Liauo  eia  „Es  gönnte  (d.  h.  schenkte)  dem  bräutigam  Idda  liwo 
sie  (nämlich  die  spango)".     Alle  diese  deutungsversuche  werden  von  Buggo  nur  unter 
reserve  ausgosprocrhen :    er  macht   mit  recht  darauf  aufmerksam,    da.ss  wir  uns  hier 
auf  einem  weit  M-h wankenderen  gründe  bewegen,    als  im  norden  und  England,  weil 
das  matorial  so  äusserst  gering  und  die  inschrifteu  zum  grossen  teile  sehr  undeutlich 
und  schwor  lesbar  sind,  und  er  warnt  davor,  mit  den  lesungon  wie  mit  gesicherten 
resultaton  zu  oponeron.     Ich  muss  denn  auch  gestehen,    dass  mir  seine  sämmtÜcheo 
doutungon  mehrfache  bedenken  erregen ;  namentlich  muss  ich  gegen  die  erklärung  der 
inschrift  von  Charnay  donsoll)on  (iinwaud  widerholen,  den  ich  seiner  zeit  gegen  Hen- 
nings lesung   geltend  machte:    für  mich    ist   die    möglichkoit,    dass   ein   noch  niclit 
erwähnter  gegenständ  durch  ein  pronomen  bezeichnet  sein  könnte,  ausgeschlossen.  Sb 


NEUERE   SCHRIFTEN   ZUR  RUNENKUNDB  245 

-igener  deutungsversuch ,  der  von  Bugge  die  Umsetzung  einzelner  zeichen  entlehnt, 
iiö  runon  l^ta  aber  von  der  eigentlichen  inschrift  ausschliesst,  worin  ich  mit  Wim- 
otier  zusammentreffe  (vgl.  Ztschr.  23,  359  und  Wimmer,  Do  tyske  runemindesmaerker 
s>  78),  ist  oben  s.  241  fg.  mitgeteilt. 

Auf  die  fortsetzung  des  2.  exkui*ses,  der  die  gotländischo  inschrift  der  spange 
^on  Etelhem  (mik  Märila  worta)  behandeln  wird,  dürfen  wir  besonders  gespannt 
^eio,  da  derselbe  den  nachweis  zu  bringen  verspricht,  dass  der  dialekt  der  insol 
Ootland  ursprünglich  nicht  ein  skandinavischer,  sondern  ein  gotischer  gewesen  ist. 
Auch  sonst  wird  das  weiter  fortschreitende  werk,  dem  wir  rüstige  förderung  wün- 
schen, für  die  Wissenschaft  sicherlich  reiche  ertrage  liefern  und  viel  neue  resultate 
Zu  tage  schaffen:  so  dürfen  wir  z.  b.  wol  erwaiton,  dass  die  auf  s.  143  ausgesprochene 
meinung,  die  runenschrift  sei  von  einem  gotischen  stamme  erfunden,  nicht  ohne  ein- 
gehende begründung  bleiben  werde.  Dieselbe  ansieht  findet  sich  ja  bekanntlich  schon 
bei  Henning  (Die  deutschen  runendenkmäler  s.  152). 

Die  äussere  ausstattung  des  norwegischen  runenwerkes  könnte  besser  sein:  es 
vrird  in  dieser  beziehung  hinter  Hennings  buche  und  namentlich  auch  hinter  dem  im 
drucke  befindlichen  Wimmerschen  corpus  der  dänischen  runeninschriften  (von  dem 
Lch  einzelne  aushängebogen  bereits  im  vorigen  herbste  einsehen  durfte)  zuiückstehen. 
Namentlich  ist  es  zu  bedauern,  dass  verschiedene  ältere  illustratiouen  einfach  repro- 
duciert  wurden,  obgleich  Bugge  ausdrücklich  hervorhebt,  dass  sie  ungenügend  und 
fehlerhaft  sind  (vgl.  s.  92  anm. ,  s.  94  anm.  1  u.  ö.).  Diesem  mangel  wird  auch  durch 
die  dankonsweiien  zwei  phototypien  einzelner  teile  des  Tunestoines,  welche  neu  ange- 
fertigt wurden,  nicht  genügend  abgeholfen.  Die  correctur  ist  mit  grosser  Sorgfalt 
ausgeführt,  und  es  sind  daher  nur  einzelne  kleinigkeiteu  zu  berichtigen.  S.  3,  z.  2 
V.  0.  lies:  Pauls  Grundiiss  H,  2;  s.  22,  z.  11  v.  u.  ist  ein  und  derselbe  beleg  zwei- 
mal angeführt,  denn  der  stein  von  Hobro  (Thorsen  Jyll.  ur.  40)  ist  mit  Liljegr.  ur.  1499 
identisch;  dasselbe  ist  zu  s.  100,  z.  20  v.  o.  zu  bemerken,  da  die  nr.  45**  und  85  bei 
Stephens  einen  und  denselben  brakteaten  bezeichnen;  a.  26,  z.  9  v.  u.  lies:  sanmien; 
8.  27,  z.  IG  V.  u.  ist  das  citat  Liljegr.  1099  falsch,  doch  war  ich  ausser  stände  es  zu 
verificieron;  s.  32,  z.  4  v.  o.  lies:  Brugmann;  s.  65,  z.  11  v.  o.:  Ghv.  16,  7;  s.  66, 
z.  7  V.  u.:  Skääng;  s.  85,  z.  8  v.  o.:  Runverser  164;  s.  109,  z.  17  v.  u.  hätte  gesagt  wer- 
den müssen,  dass  das  upländische  Björkö  (Liljegr.  nr.  334)  gemeint  ist,  da  orte  dessel- 
ben namens,  bei  denen  ebenfalls  ninendenkinäler  gefunden  sind,  auch  in  Söderman- 
land  und  Smaland  liegen;  ebda  z.  2  v.  u.  lies:  fa^uRfor  fapur\  s.  119,  z.  6  v.  o.: 
Dyb.  fol.  I  (bis);  s.  129,  z.  23  v.  o.:  Strarup;  ebda  z.  22  v.  o.  ist  die  typographische 
widergabe  der  rune  //  gänzlich  verunglückt;  zu  s.  147,  z.  1  v.  o.  ist  hinzuzufügen,  dass 
der  in  der  Themse  gefundene  „gegenständ**  auf  s.  120  ausführlich  behandelt  ward. 

KIEL,   5.  MÄRZ  1895.  UUQO   GERING. 


Germanische  mythologie.     Von  Elard  Hug^o  Meyer.     Berlin,  Mayer  &  Müller. 
1891.     [Lehrbücher  der  germanischen  plülologie  I.)     XI,  354  s.     5  m. 

„Die  herleitung  der  wichtigsten  mythcnmasson  aus  den  eindrücken,  die  der  tod, 
der  träum  und  der  beherrschende  dreiklang  der  drei  hauptwettere racheinungon  her- 
vorrufen, ist  hier  zum  ersten  male  dunrhgefühit.  Werden  diese  Vorgänge  im  ganzen 
als  die  richtigen  grundlagen  der  mythenbildung  anerkannt,  so  bin  ich  zufrieden" 
(Vorwort).    Eingehender  hat  der  Verfasser  über  begriff  und  aufgäbe  der  mythologie 


s.  9  fgg,  gesprocben.  Nur  beaoadera  eiudrucka volle  Vorgänge  des  meDschenlebena  ii 
der  natur  seieo  im  stände  gewesen  zur  bildung  lubensfähiger  mython  animvgen:  gubnrt, 
brankheit,  tod,  alpdruob,  traiim,  gowitter,  wind,  Wolkenzug  (sonue,  tnotid  utid  stern«, 
tag  und  nacht,  hinimel  und  orde  Bpielen  uubedeutendu  nebenrolldn).  Die  aus  diaewi 
„woltgegenstündeo"  nusammengesetzteu  niytheo  sind  ku  glaubeusartikeln  geworden 
und  haben  die  gniudlageu  der  religiuu  gobildut  Der  cultus  ist  ein  sgiitigelbild  Jeniir 
mytheu ,  doch  überwiegt  in  ihm  daa  sittliche  wie  in  der  niythologie  das  phontoatiMfae. 
Das  phantastische  erscheict  in  einer  niedorn,  den  aosprächeti  des  gemiiinon  volios 
dienenden  form  als  seelenglaube ,  maienglaube,  naturdämonenglaube ;  in  einer  aus 
den  böberen  ständen  bervorgegangonea  prioster-  und  aristoknitesinjtbDlogii,'  als  diino- 
nanglaube,  göttcrglaube,  heroenglaube. 

Was  zunäobfit  diese  sonderung  zwischen  volks-  und  ariatokratenmytbologie  botriSI; 
so  setzt  sie  sich  io  widersprucb  mit  den  ergebnisson  der  gescbicbte  imaeror  pM 
Wir  haben  uns  an  dieso  um  so  mehr  zu  halten,  als  nach  Meyer  (g  11]  uuter  myttiK 
logio  za  verstehen  ist  die  summe  der  bilder  und  dicbtungou,  in  denen  die  retigiCA- 
poetiscbüu  aoBchauungen  eines  Volkes  von  gewissen  vergangen  des  menSühenlabMia 
und  der  nstur  ausgepiägt  sind.  Die  mythelogic,  wie  auch  Müllenhoff  sie  gefasst  i 
Ben  wollte  (Manohm'dt,  Mjthol.  forsch,  s.  E£.  DA.  V,  157),  war  ein  eigenatliger 
bestaridteil  der  dicbtung.  Folglich  hätte  sie  mit  der  littoraturgeschicbte  in  erster  L 
fühlung  zu  behallon.  Gerade  Müllenhoff  bat  nun  aber  als  testen  eokstein  seiner  (cn- 
sohung  nurgestcllt,  dass  wir  nur  eine  obsrakterform  in  allen  änsseniagon  des  ger- 
manischen lelwns  sich  darstellen  sehen  {DA  I,  YU)  und  wir  wissen,  dass  es  die 
gormanisuhcn  Volksdichtung  ist,  in  der  er  jonon  charakter  widorzufinden  ^luibto. 
Es  ist  „die  noch  in  nngstrouutor  einbeit  scbafFende  naturkraft  des  geistes^, 
wir  unsere  älteste  poesie  verdanken,  die  unter  dem  ganzen  volke  gelebt  hxt,  eio 
lebendiges  buch,  wahrer  gcschiohto  voll,  eist  im  hohen  mittelalter  mit  der  ein] 
der  natioD  uns  vertoren  gegangen.  Lilieucron,  ein  zweiter  Vertreter  dieser  lichtintg, 
sagt  in  der  vorrede  zu  seinen  Volksliedern:  „die  alte  velksdiditung  war  berufon, 
ganze  religiöse,  sittliche  und  geistige  entwicklung  des  Volkes  während  der  frülMO 
stufen  seines  lebens  zu  umFassen,  die  summe  der  geistigen  entwicklung  ist  in  jenso 
Zeiten  noch  ungeteiltes  gesamtgut  des  ganzen  volkos  gewesen,  d.  h.  mit  andern  «or- 
ten, in  jenen  alten  zeiteu  war  die  Wechselwirkung  zwischen  den  trägeru  der  bildaog 
und  der  grossen  masse  in  cbeu  dem  masse  leichter,  als  der  stofC,  den  es  mitioteSoi 
galt,  einfacher  gedacht  und  geformt  war.  Es  erscheint  aber  dieser  stoff  als  eine  tiaf- 
sinnige,  allen  gemeinsame  Volksbildung,  welcher  noch  kein  gegonsatz  eim 
andern  dicbtung  oder  darstell ungsart  gegen ütwrsteht.*' 

Wol  kennen  wir  heutzutage  den  begriff  der  Volksdichtung  nicht  mehr  im  täaM 
von  Herder  ond  den  Bomantikoni  vortreten,  aber  es  iat  bekanntlich  das  crgehnis  «W 
allseitigen  Würdigung  der  alten  kultiir,  dass  wir  sie  als  ein  „ungeteiltes  gesamigut  da 
ganzen  Volkes"  betrachten:  folghch  ist  das  Meyerschc  System  unserem  gonniiil- 
Rehen  altertum  nicht  confoim.  Seine  niythologie  ist  mit  den  grundlageu  der  itd- 
sehen  philologie  unvereinbar. 

Die  heute  so  beUebte,  aber  meiner  ansieht  nach  widersinnige  untoischeidini 
zwisubeu  niederer  und  liöbercr  mytbologie  ist  ja  auch  von  einem  manne  nusgegtt- 
gen,  dem  altdeutsche  kultur  und  jiuesic  fremd  war.  Aber  es  ist  bedauerlich,  dK 
sieh  innerhalb  der  deutschen  philologie  forscbor  gefunden  haben,  dio  sich  von  j«DM 
leeren  Schlagwörtern,  Schwarzons  haben  iri-o  leiten  lassen.  Nach  dem,  was  loh  M 
der   geschichte    unserer  wissensebaft  und   unserer    hultur  gelernt   habe,    ist  u  fU 


ÜBER    B.  n.  UKVEB,    (lERlUSISClIE    llVTROWKilK  247 


eineo  ■netbodi.sch  arbeite nduu  philulogou  uniuöglioh,    die  mythologische  iiljeilieroruug 
des  altortntns  anf  xwei  bildungssohichten  des  voUcea  zu  veileilen. 

Fernerhin  moBS  ich  entachiedonaten  einspnich  erhoben  gegen  die  meloorolo- 
gische  und  psydiopatbologiscbe  uiythendeutung.  Hüllonhoff  hat  den  unabänderliuben 
gnmdsatz  anfgestellt,  dasa  es  sich  für  die  philotagon  nicht  um  dentung,  Bondoru  um 
gescbicbto  dos  mytbus  bändle.  Wenn  Meyoi'  diesen  grundsntt  ])reisgibt,  ist  er 
witlerum  über  die  grenzen  der  deutschen  philelogie  hinaus.  Ausserhalb  der^deut- 
sehen  pbilologie  gibt  es  aber  keine  deutsche  mythologie.  Es  liegt  in  der  boschaffen- 
hoit  nnseres  materials  begründet,  dass  nur  ein  philologe  die  mythologische  überlie- 
Ibrang  verarbeiten  kann.  Das  ist  ja  wol  auch  die  ansieht  des  Verfassers,  denn  er 
tejne  germanische  mythologie  in  einer  sorie  von  Lehrbüchern  der  pbilologie  erscbei- 
lassen.  Was  Mannbarilt  leider  so  spät  orkantit  hat,  ist  Heyur  noch  nicht  klar 
geworden:  dass  erst  im  lichte  der  philologbuhen  einzelorklfirnng  die  aufgäbe  des 
mjthologen  wissen scbaftlicb  begrenzt  erscheint.  Non  sagt  aber  Ueyer  (§  17),  seine 
soffassung  des  begriffs  mythologie  berühre  sieh  mit  dem,  was  wir  heute  jibÜDsophie 
nonneu.  Er  gehört  also  noch  zu  denen,  deren  eiuseitigkeit  W,  Grimm  vergebens 
betont  hat,  so  lange  für  sie  die  aufgäbe  darin  bestehe,  „das  verborgene  philoaophem 
in  der  doppelten  üherkleiilung,  in  welcher  es  Jetzt  sich  darstellt,  aufzusuchen.  Was 
dabiu  sich  deuten  lässt,  muss  als  der  eigentliche  inhait  hervorgehoben,  alles  andere 
als  iiichtasAgend  zurückgelassen  werden"  (Hs'  447).  Pem  forscher  verschwindet  dabei 
jode  hesunderhi^it  einer  bestimmten  zeit,  eines  bestimmten  volks,  einer  bestimmten 
koltnr.  Es  ist  bezeichnend,  dass  diese  richtuiig  heute  nur  noch  in  der  voterlands- 
]os«n  sog.  vergleichenden  mythologie  vertreten  ist  Eine  vergleichende  mythologie  hat 
jedoch  vorerst  noch  gar  keine  existenzborcchtigung.  Gerade  die  „vergleichende  my- 
thologie' bat  aber  bei  uns  gennanisten  am  meisten  unbeil  angerichtet.  Das  einzige 
heil  liegt  darin,  sich  von  ihr  gänzlich  los  zu  machen  und  sie  als  gar  niclit  vorhan- 
den EU  betrachten.  Su  wird  es  in  der  klassischen  and  semitischen  philologie  gohal- 
toa  und  das  ist  nachahmenswert.  Es  ist  dringend  erforderlich,  dass  wer  über  ger- 
manische mythologie  schreiben  will,  hei  männem  wie  Wellhausen,  Bohde',  Wilamo- 
wila,  Cuitius  anfrage  und  bei  ihnen  sich  tats  erhole.  Mit  welcher  Überlegenheit 
haben  diese  m&nner  sich  über  den  Standpunkt  erhoben,  auf  dem  Meyer,  Rodiger  u.  a. 
stehen  geblioben  sindl  Es  wiire  vielleicht  ganz  nützlich,  an  dieser  stelle  die' an- 
Mhauuügen  eines  Wellhausen  zu  skizzieren,  aber  ich  ei'spare  es  mir  und  verwaise  auf 
seine  „Reste  des  ai-ahischen  heidentums'.  Den  nagel  auf  <len  köpf  getroffen  hat  Cur- 
tius  (Borl,  Sitzungsber.  1890,  1141  fgg-),  wenn  or  den  grundfehler  der  neueren  darin 
«tfcoDut,  dass  man  die  novellistischen  tündeloien  der  jioeteii  mit  dorn  iuholt  volks- 
ilicher  gottesideen  zusammengelAn ,  die  mythologie  zu  einem  rätselspiel  gemacht, 
den  menacblivlien  keim  aller  religion  ausser  acht  gelassen  habe;  noch  niemand 
ibe  erklärt,  wie  ein  vernunftbegabtes  volk  dazu  kommen  konnte,  z.  b.  ans  dem 
inde  die  idee  einer  gotlheit  zu  gewinnen.  Sehr  klar  ist  die  grundlegende  formulie- 
ig  der  Probleme  hei  Wilamowitz,  Hippolytos  s.  23  fgg.  Ich  berufe  mich  auf  sie 
lit  besonderem  nacbdruuk,  weil  ich  nirgends  sonst  ebenso  zutreffend  meinen  eignen 
idpnnkt  ausgesprochen  gefunden  habe.  Er  sagt:  „Der  boliebteslc  aber  ^nzlich 
iinen  gott  zu  verstehen,  geht  von  der  von  ihm  erzählten  gescbichte  aus. 
betraobtet  sie  als  eine  art  rätsei,  sucht  sie  zu  deuten  mit  einer  Sicherheit,  dass 
sich  darüber  wundert,    weshalb     die  menschen    der  vorzeit  so   viele   hübsohe 

1)  Vgl.  namentlich:  Die  religion  der  Uriechon.     Heidelberg  1891). 


248  KAUFFUANN,    ÜBKR    ]l,    U.    BSV 

geechichten  für  ein  paai'  baiiaJo  dingt)  ausgedacht  haben,  wie  (jass  es  so  BeJir  beqncot 
üt,  gütter  KUgleich  eu  fosseD  nad  zu  verflüclitigsu.  Denn  tnoistoos  dreht  »icba  uau 
Wetter.  Wir  müssen  mimittelbar  und  ooncret  empfiuden,  wie  die  mensühen.  In  dwen 
herzen  die  götter  ontätaaden  sind,  dann  orscbeineo  sie  uns.  Es  ist  mühsamer  als  du 
mythologische  rätaelratcQ,  aber  an  dem  ergebnis  iindet  auch  unser  herz  befrienliguiig, 
Ad  die  götter  haben  sich  nie  an  heroen  DovelleDStotTe  gokiiü|ift  (Hiogonde  wotin), 
Die  träger  der  novellenmotive  sind  überhaupt  gleichgültig.  Das  der  uovelie  za  gnind* 
liegende  motiv  ist  TOn  so  allgemeiner  gültigkcit,  dass  es  so  wenig  auf  einen  uu- 
gaogspunkt  zurückgeführt  werden  darf,  ^vie  dem  veilohcn  und  der  nachtigall  v« 
botaniliern  und  xoologen  eine  bestimaite  heimat  zugewiesen  werden  kann'  usw.  Hn 
gehe  von  der  loktüxe  des  Bippolytos  an  die  Idg.  mytben  oder  die  vorliegende  gena. 
mythülogie  oder  etwa  auch  an  Scherers  pootik  und  man  wird  über  die  ganze  ara- 
seÜgkoit  dar  modernen  natnrmytholü^e  aufgeklärt  sein. 

Meyer  gebt  nun  keineswegs  in  dersolbon  auf.  Aach  er  berück siobtigt  vorwogt 
des  peraönlicheu  tnensohenlebens.  Aber  seltsam  er  ^ireise  wShIt  er  daraas  ntu  tnin 
und  tod.  Warum  uicbt  auch  geburt?  Gehört  . gebort"  etwa  nicht  zu  dem  gn» 
artigen  wechsellehen  der  weltgegenstünde?  (§  \ü  ~-  doch  vgl.  g  12.)  Aber  Ui^Ri 
systeiM  fordert  die  ausschliessung.  Denn  bloss  der  gefühlswert  bosümmo  die  nijüien. 
Es  handelt  sich  für  ihn  also  nur  um  eine  nuüwabl  der  erfalirungeu  einer  »inxelawlt. 
Für  ihn  ist  mythologie  sache  des  Individuums  und  zwar  nicht  einmal  des  ganiot 
iodividuums.  Die  philosophisuhe  wie  ilio  völkerpsychologische  etkik  <ler  gogenmt 
steht  auf  ganz  anderem  bodeu.  Sie  geht  von  der  nie  bcatritteuea  tatsache  aw,  dM 
religion  zu  allen  zelten  nicht  sacbe  der  eiuzelseole  oder  oinzelplinataste  gewesug  i>t, 
sondern  sacho  der  gesollachaFt,  üffcntliobo  angelogenheit  Aas  dem  gernuinsotulb- 
lebeu  der  alten  vülker  heraus  ist  die  blaue  blume  der  mythologie  entsprossen;  Re- 
gion ist  eine  erschcinung  des  praktiachen  lebeea  wie  Sitte  und  recht.  Wer  ddtfta 
luigestraft  eine  oinzelüberlieferung  der  alten  sitto  oder  des  alten  rechts  auf  UUii 
donner  nnd  wölken  deuten?  Warujn  lassen  wir  dum  religionshistoriker  und  mjtbol»- 
gen  zu,  was  wir  dem  recbtahisluriker  wehrenV  Hei  aller  anorkenuung  für  di«  im 
buche  aufgestapelten  reiclilialtigen  inaterialsammlungen  muss  ich  aus  den  im  vetateban- 
den  entwickelten  gründen  dos  Meyerscbe  werk  als  verfehlt  und  unfrurhtbar  ablehaca. 

JENA.  FB.    UUFFtUNN, 

Die  redaetion  glaubt  es  nicht  utigerügt  lassen  zu  sollen,  dass  der  vortefS 
diesem  buche  emo  so  elende  aiisstaltung  gegeben  hat,  wie  dies  bei  wbseDBchsfÜicbM 
werben  in  Deutschland,  und  besonders  bei  gennanistischen,  bisher  unerhört  war.  Ehi 
so  blasser  nnd  schinioriger  druck  auf  so  jHmmertichem  papier  —  dio  ufüdu,  uu  dir 
or  hervorgegangen  ist,  hat  sich  voi'Sichtiger  weise  nicht  genannt  —  ist  ans  nodi 
nicht  vorgekommen.  Sollten  diesem  1.  bände  von  „Lehrhüebem  der  gonnanitcblB 
Philologie"  noch  andere  von  gleicher  äusserer  beschaffenheit  folgen,  so  wäre  d«  «i» 
Versündigung  gegen  die  augon  der  Studenten,  welche  diese  bücher  benutzen  seUsa. 


Neuhochdeutsche  uiotrik.     Ein  handbuch  von  J.  Htnor.    Strasaburg,    Irvloin- 
1893.     XVI  und  töO  s.     10  m. 

Weit  ausgreifend  und  tief  eindringend  fasst  Minor  seinen  stofF  an,  und  beinh* 
scheint  es,  als  ob  unter  dieser  fülle  des  inholtes  die  kunst  der  dorsteUuug  not  itÜit 
Rein  ftoaserlich  schon  fällt  es  auf,  dass  abgesehen  von  dem  Vorworte  und  mner  kof- 
zen  cinleitung  die  gliederung  so  gmi  auf  das  prineip  der  iitilerurdnuug  vu 


WUMDERLICU,    ÜBER  ULVOR,   NHD.    METRIK  249 

In  8  abfichnitten,  die  alle  gleichon  rang  beanspruchen,  werden  fragen  aufgeworfen,  die 
/'Or  grappeDbildung  eigentlich  herausfordern.    Die  Untersuchung  über  das  woson   des 
rhythmus  nimmt  sich  wie  die  gegebene  oiuleitung  in  den  stoff  selbst  aus;   Quantität 
ood  accent,  wie  sie  der  Verfasser  im  zweiten  und  dritten  abschnitt  behandelt,  füliron 
uns  das  Sprachmaterial   nach    der  seite  vor,   au  der  die  motrik    cinsotzt,   während 
der  vierte  abschnitt  (der  versfuss  oder  der  tatt)  die  metrischen  oiiiwirkungen  auf  die- 
ses material   kennzeichnet.     In  den  abschnitten  V — VIII  entfaltet  sich  dann  recht 
eigentlich  die  gcschichto  der  neuhochdeutschen  metrik:  die  entwicklung  der  vcrsgat- 
toogen,  der  reimkünste,  der  Strophenformen. 

Freilich,    so  ungezwungen  sich  diese  gliederung  aus  der  tatsächlichen  dai*stel- 
loDg   dos  Verfassers  ergibt,   so  wonig  cutspricht  sie  den  theoretischen  ausführuugcn, 
die  das  etwas  abstrakte  vorwort  darlegt.    Indem  wir  ein  band  buch  der  motrik  auf- 
zasohlagen  meinen,  wird  uns  diese  Wissenschaft  dort  vielmehr  möglichst  ferne  gerückt 
als  eine  lehre  von  den  „  principien  der  verskunst  **  (s.  XII).     Ausdrücklich  wird  die 
»einführung  der  metrischen  formen  in  die  dichtung"  aus  dem  beobachtungsgebiet  aus- 
geschlossen;   „das  historische  kommt  daher  hier  erst  in  zweiter  linie   in  betrachf^. 
Nun  scheint  es  uns,  dass  schon  eine  principieulehre  der  metrik  den  boden  unter  den 
füssen  verliert,  wenn  sie  ihre  einsieht  in  das  wesen  der  metrischen  formen  nicht  aus 
den  Schicksalen  zieht,    die  diese  in  der  geschichte  der  dichtung  erlitten  haben.    Ein 
handbuch  aber  der  metrik  wird  schon  durch  seine  auf  das  praktische  gerichteten  auf- 
gaben an  das  geschichtlich   gegebene  gewiesen.     Und  ein  handbuch  der  neuhoch- 
deutschen motrik  vollends  hat  durch  den  zeitlichen  rahmen,    den  es  in  den  titol 
aufnahm,   das  ziel  so  bestimmt  abgesteckt,    dass  für  die  allgemeine  erörterung  der 
principien  gegenüber  der  darstoUung  der  entwicklung  in  der  nhd.  poesie  höchstens 
der  Spielraum  einer  einleitung  übrig  bliebe.     Minor  hat  diese  folgerungen  nicht  gezo- 
gen; ihn  verlocken  vielmehr  dogmatische  tendenzen,  ihn  reizt  die  naturwissenschaftliche 
Seite  seiner  aufgäbe,   aber  trotzdem  tritt  der  geschichtliche  faden,    der  die  tatsachen 
verknüpf]^    immer  wider  zu  tage.    Das  historische  moment  erzwingt  sich  sein  recht 
selber  und  nötigt  den  Verfasser  in  der  tat  die  grenzlinien  zu  überspringen,    die  er 
sich  grundsätzlich  gezogen  hatte.    Vor  allem  gilt  dies  für  die  letzton  vier  abschnitte 
<^es  buches  (s.  183  —  472),   in  denen  ganz  entschieden  die  einführung  der  metrischen 
formen  in  die  dichtung  den  vorrang  behauptet.     Dem  gegenüber  zeichnet  sieh  aller- 
^">g8  der  erste  teil  (s.  1  —  1S3)  mehr  durch  principiello  erörterungen  aus,  und  auf  ihm 
"«niht    auch  das  Schwergewicht   der  wissenschaftlichen   tat   des  Verfassers.     Es   ist 
^'^gemäss  auch  nur  natürlich,    dass  abweichende  auffassungen  vor  allem  an  diesem 
t^rsten  teil  ansetzen.    Wir  lesen  (einleitung  s.  1):    „Aber  wie  verschieden  wird  nicht 
^^  Und  derselbe  vers  von  veföchiedenen  gelesen   und  wie  wenige  verstehen   verse 
^zutrageQ?     Wie  soll  man  sie  überhaupt  lesen:    scandiorend  nach  dem  vers- 
®^honia  oder  recitierend  nach  dem  sinn?    Und  wenn  man  nun  auch  die  kuust  des 
^'utigQu  Vortrags  besässe,    so  könnte  man   doch   nicht  immer  zugleich  vorti-agender 
Unbefangener   zuhöror,    beobachteter   und    beobachter,    Subjekt    und   objokt   der 
'^'^iuchung  sein.     Vielleicht  dass  wir  einmal  in  dem  phonographen  ein  tlieoretisohes 
**K2eug  erhalten,    um  auch  den  kunstvollen  voi-trag  von  verson  zu  fixieren."     Die 
~^®,    die   hier  aufgeworfen  wird,    gehört   mehr  in  die  lehre   vom  Vortrag   als   in 
'^  Uiotrik.    Der  metriker  fi-agt  nicht  sowol   „wie  soll  mau  die  verse    lesenV 
8^ndorn  „wie  werden  sie  gelesen?"     Er  steuert  nicht  so  sehr  auf  die  zu  eri-ei- 
^"ide  norm  zu  als  auf  die  erkenntnis,    wie  weit  die  absiebten  des  dithters  /^ehen 
^   Wie  sie  von  seinen  Zeitgenossen   und  nachkommen  erfasst  worden  sind.    Minor 


250  W'UNDERUCH 

selbst  sagt  an  anderer  stelle    (vorwort  I):    „Die  hauptfrago   bleibt  in  der   neuhoch- 
deutschen  mctrik  immer:    ist  der  vom  dicliter  beabsichtigte  rhythmus  auch  wirklich 
in  den  werten  und  Sätzen  enthalten?   oder  wie  verhält  sich  ihr  natürlicher  rhythmus 
zu  ihm?**     Auf  solche  fragen  bereitet  sich  aber  die  antwort  vorwiegend  im  bereich 
der  litteraturgeschichte  vor,   für  ihre  lösung  bieten  sich  philologische  hilfsmittel  dar, 
die  der  Verfasser  gerade  geneigt  ist,   aus  der  mctrik  auszuweisen.    Die  natorwisseo- 
Schaft,    die  er  breit  an  deren  stelle  setzt,    ohne  freilich    damit   gewisse   spielcr»en 
moderner  philologie  befürworten  zu  wollen,    kann  nur  im  dienst  der  philologiscben 
methode  hier  von  nutzen  werden.     Und  an  stelle  der  exakten  messungen  des  instra- 
mentes,  die  erst  von  fernerer  zukunft  erhofft  werden,  könnten  schon  jetzt  die  unbe- 
fangenen   beobachtungcn   des   littcrarhistorikers    gute  dienste  leisten.     Minor  selbst 
bietet  dafür  das  beste  beispiel  durch  die  belege,  die  er  gelegentlich  aus  dem  reichen 
schätze  seiner  erfahr ung  beibringt.    Allerdings  dürfte  hier  die  freude  an  einer  künst- 
lerischen norm  nicht  gar  zu  beeinträchtigend  vor  den  mannigfaltigkeiten  stehen,  die 
das  tägliche  leben  in  Wirklichkeit  bietet. 

Der  erste  abschnitt  (s.  7 — 42)  behandelt  den  rhythmus  und  stellt  recht  eigent- 
lich das  Programm  des  buches  auf,    weshalb  auch  hier  vor  allem  die  andentungen 
des  vor^^'ortes  erweiterung  finden.     So  greift  gleich  die  gronzlinie,   die  zwischen  der 
metrik  und  der  musik  gezogen  wird,  auf  diese  ausfuhrungen  zurück.     In  dem  bestre- 
ben,   die   gebiete  reinlich  zu  scheiden    und   keinerlei   beiwerk    zuzulasen,   war  dort 
selbst  die  komposition  als  faktor  in  der  metrischen   beurteilung  eines  liedes  Twndweg 
abgelehnt  worden.     Wir  haben  „nirgends  die  absolute  gewissheit*,   dass   „der  kom- 
]>onist  auch    (wirklich  dem  natürlichen  rh\-thmus  treu  gebheben  **  ist   (s.  TDI).    Wol 
aber  vermag  meines  erachteus  ein  historischer  sinn  aus  der  Verschiedenheit  der  Wir- 
kungen,   die  ein  lied  in  maimigfaltigen  kom|>ositionen  widerspiegelt,  bedeutsame  auf— 
Schlüsse  über  das  wesen  des  rhvthmus  zu  ziehen.    Es  wäre  freilich  verkehrt,  wollten 
wir  nicht  zugestehen,   wie  scharf  schon  Minor  das  wesen  des  rhythmus  erfasst  und 
welch  bündigen  ausdruck  er  diesem  gegeben  hat  (s.  7  fgg.)-    Treffend  vor  allem  knnn- 
zeichnet  er  ihn  in  der  art,    wie  er  sich  im  neuhochdeutschen  verse  geltend  macht: 
,lA»se   ich  gute  verse    bloss    nach    dem   sinn   vor   (s.  IS),   so   entsteht   das   gefühl 
für  den  rhythmus  in  mir,  der  in  ihnen  liegt.    Das  behanoingsvermögen  macht  sieht 
geltend  und  hält   ihn   fest.    lA»se  ich  weiter,    so  bringt  mir  der  folgende  satz  nichfc 
nur  denselben   rhythmus  wider  in  erinnerung,    sondern  ich  hal»e  auch  das  iHjdürfniSy 
in   dem  angi.»faugeiien  rhythmus  fortzulesen ,   der   rhythmus   trägt  jetzt  auch  de» 
satz.*"     Die  Voraussetzungen  des  rhytlimus  sind  (s.  12)  «die  dauer  und  die  stärke*, 
in  der  Vereinigung  beider  demente  entsteht  ei"st  die  künstlerische  Wirkung.     Auf  denm. 
gebiete  der  musik  schaltet   der  rhythmus  mit  l>eidcn   werten,  quantität  und  accent^ 
nach  freiem  ermessen,    in  der  metrik  hat  er  au   der  natürlichen  quantität  oder  deC 
prosudie  der  sillK?n  und  in  dem  natürlichen  accent  gege]»ene  grossen,    mit  denen  er' 
sieh  aust'iuandersetzen   nuiss.     An    diese  ausführungeii   knüpft  sieh    eine  darstellon^ 
des  verhältLisses,    in  dem  der  antike   vers  zum   deutschen  verse  steht.     Diese  dar — 
Stellung  gehört  in  uusenMi   Zusammenhang,    weil    aus  dem  gesagten  folgt,    dass  die 
bezeichnung    quantitierender.    accentuierender    vers   als    einseitigkeit    zuriickgewiesef 
wenien  muss.     Die  quantität  behält   im  deutschen,    der  aeccnt  im  griechischen  vei 
nicht  s«^   hartnä«kiL'  den    in   der    prosa  In^haupteten   weit,    darum    erzwingt   sich 
quantität  im  gri'.rhi^clien.    der  accent  im  deutschen  verse    die    grössere   beachtunÄ*- 
Diesen  lH>iden  vorU'dinirun.izen  «les  rhythmus   ist   nun   der  zweite  und  dritte  abscbni*-  * 
gewiiünet.     Minor  spricht    (s.  IX)    von   dem  ,,in  der  theorie  und  in  der  praxis  «tJJ 


i 


ÜBRB   inNOR,    NHD.   METRIK  251 


unbegreifliche  weise  misachtoten  satzaccent''.  Diese  klage  dürfte  jedoch  —  für  die 
theorie  wenigstens  —  viel  eher  die  ^quantität*'  hetroffen.  Auch  bei  Minor  selbst  ist 
dieses  kapitol  vielleicht  am  wenigsten  abgerundet,  dagegen  fast  am  reichsten  bedacht 
mit  selbständigen  äusserungen  oder  mit  anregenden  hinweisen  auf  eine  littoratur, 
der  man  nicht  leicht  in  ähnlichen  werken  begegnet.  Einwendungen  lassen  sich 
aach  hier  natürlich  leicht  erheben.  Es  fragt  sich  schon,  ob  die  quantität  nicht  bes- 
ser erst  nach  dem  accont  abgehandelt  worden  wäre ,  weil  sie  doch  sehr  stark  unter 
\  den  Schwankungen  dieses  faktors  leidet.  Die  prosodische  beschaffenheit  der  einsil- 
[■  big«!  Wörter  (s.  46)  hätte  dann  sicherere  und  festere  umrisse  erzielt.  Dass  es  „im  nhd. 
[  keine  konsonantische  längen*^  mehr  gebe  (s.  44),  diese  aufstellung  lässt  jedenfalls  die 
'  mnndarten  ausser  betracht  Von  interesse  natürlich  ist  das  urteil,  das  Minor  (s.  53) 
:  über  das  kinderlied  und  die  auszählsprüche  fällt.  Ihm  steht  die  „metrische  kunst*^ 
hier  ,auf  ihrer  tiefsten  stufe''.  Nicht  ganz  objektiv  jedoch  ist  es,  wenn  er  behaup- 
tet, man  wolle  diese  formen  neuerdings  „als  das  ideal  einer  nationaldeutschen  metrik 
hinstellen. '^  Die  richtung,  um  die  es  sich  hier  ernstlich  handelt,  ist  doch  in  erster 
hnie  auf  erkenntnis  der  Vergangenheit,  nicht  aber  auf  normen  für  die  gegen  wart 
bedacht.  Für  den  accent,  sowol  was  den  woi-taccent  als  was  den  satzacceut  betiifft, 
lagen  schon  ergiebige  vorarbeiten  bereit.  Minor  hat  das  material  durchgängig  selb- 
ständig verwertet  und  sowol  daraus  wie  auch  aus  eigenen  beobachtungen  manches 
neue  za  tage  gefördert.  Wie  schon  für  die  quantität  oben  (s.  44),  so  ist  auch  hier 
^  den  accent  die  physiologische  gmndlage  breit  herausgearbeitet  (vgl.  s.  61  u.  a.), 
die  auch  zur  versetzten  botonung  (s.  125)  und  später  zum  Verhältnis  von  wortfuss  und 
Tersfuss  (s.  158),  zur  satzpause  (s.  193)  und  zur  caesur  (vgl.  s.  260)  mancherlei  auf- 
schlösse gibt.  Namentlich  auf  den  nebenaccent  fallt  aus  ihr  helleres  licht  (s.  77): 
nzwei  expirationsstösse  hinter  einander  bereiten  uns  Schwierigkeiten  und  verursachen 
eine  kloine  Stockung;  ein  schwächerer  druck  vermag  sich  wol  nach  einem  stärkeren 
stoss,  aber  nicht  vor  ihm  geltung  zu  verschaffen.*  „Selten  steht  daher  der  neben- 
accent unmittelbar  nach  dem  hauptaccent,  niemals  unmittelbar  vor  dem  haupt- 
accent» 

Bei  der  lehre  vom  satzaccent,  die  meines  erachtens  zum  eigenen  schaden  erst 
Mch  dem  wortaccent  abgehandelt  wird*,  nimmt  Minor  nur  gegen  Behaghel,  nicht 
*^r  auch  gegen  Reichel  Stellung  (s.  87) ,  mit  dem  er  sich  doch  gerade  in  den  grund- 
^fÄgen  vielfach  berührt.  Er  hebt  mit  recht  die  relative  natur  des  satzaccentes  her- 
vor, die  eine  einseitige  erklärung  aus  einem  princip  ausschliesso.  Er  unterscheidet 
den  logischen  accent,  den  Behaghol  in  ei*ster  linie  berücksichtigt  hat,  vom  empha- 
«scben,  mit  dem  er  sich  an  Moriz  anlehnt  (s.  64).  Daneben  wird  aus  dem  gram- 
Diatischen  Verhältnisse  der  Satzteile  unter  einander  ein  grammatischer  accent  erschlos- 
8®i«  Es  lässt  sich  nicht  sagen,  dass  in  diesen  namen  oder  dass  in  dieser  dreifachen 
SJiodenmg  das  wesen  des  satzaccentes  sich  erschöpfe,  vielmehr  liegt  der  wort  dieser 
Abstellung  mehr  darin,  dass  der  Verfasser  belege  und  beobachtungen  für  sie  beibringt, 
^  zu  neuer  gruppenbildung  anregen.  Namentlich  mit  einem  sekundär  zugelassenen 
P^cip,  nämlich  der  rhythmischen  gewichtsverteilung  des  accentes  ist  er  den  abso- 
luten regeln  Reicheis  gegenüber  im  vorteil.  •  Denn  wenn  freilich  auch  dieser  gelegent- 
^^  (8.33)  mit  rhythmischer  accentverrückung  operiert,  so  hat  er  ihr  doch  wenig 
^\i8&  auf  seine  theorien  gestattet.     Dagegen  berührt  sich  sehr  nahe  mit  ausführun- 

1)  Minor  gesteht  (s.  99)  eigentlich  nur  dem  wortaccent  bedoutung  für  die 
"jw  za.  Warum  behandelt  er  dann  den  satzaccent  so  eingehend?  Weil  in  ihm 
«ö  entacheidung  für  den  wortaccent  liegt;  s.  u. 


252  WUNDRRLICH 

gt.^n  Kcichols  (8.  27.  31)  die  krUrtige  h(M*vorhobung  der  zusamnioufassendon 
des  accontcs:  „Ich  glnubo  der  acccnt  hat  die  neigung  aufzusteigen  und  bei  mehreren  zi 
zusanimcngohörigen  Satzgliedern  auf  dem  letzten  zu  kulminieren  (s.  93).  Diese  ne^i- 
gung  haben  wir  schon  bei  den  imeigentlichcn  kompositionen  beobachtet  und  sie  crkls^  rt 
zalilreiche  erscheinuiigon ,  für  die  sich  sonst  kein  einleuchtender  grund  anführen  liess«^. « 

Am  sclilussü  (8.  103)  empfiehlt  Minor  i)raktische  Übungen  über  den  accent  anzx]. 
stellen.     Vier  hauptai*ten   werden   untoi*sohieden  und   dem  entsprechend  der  eingaii^ 
des  AVilhelm  Meister  mit  acoenten  versehen,    über  die  sich  namentlich   in  bczug  auf 
den  „grammatischen  accent*^  streiten  liesse.    "Wir  erhalten  aber  damit  für  die  Unter- 
suchung ein  litterarichcs  material  in  geschlossenem  zusammenhange,  wie  wir  es  schon 
im    vorhergellenden    oft   statt   der  willkürlic^h   erfundentm    belege   gewünscht    hätten. 
Aus.serdcm  enthält  die  reihonfolge  der  beobachtungeu ,  die  der  Verfasser  empfiehlt,  eine 
gewisse  kritik   der  reihenfolgo,    die    er   selbst   eingehalten  hat     Die  festsetzung  der 
hauptaccente  der  stanmisilben  in  den  mehrsilbigen  Wörtern,  mit  der  begonnen  werden 
soll,  steht  in  der  mitgeteilton  prol>e  ganz  unter  der  horrschaft  dos  satzaccentos.    AU 
zweiter  Vorgang  folgt  die  accoutbostimmung  „der  einsilbigen  wörtor  auf  grund  d«r 
regeln  für  die  Satzbetonung**  und  ei^st  in  dritter  linie  kommt  der  wortaccent  zur  ent- 
scheidung  der  nebenaccente  in  frage. 

Vom  natürlichen  accent  geht  die  darstellung  zum  vei-saccent  über  und  erregt 
besonderes  interesso  natürlich  da,  wo  sie  den  wideretreit  der  beiden  acccutc  bespricht. 
Minor  unterscheidet  drei  formen  dieses  Widerstreites.  Die  ersten  lieiden  fallen  unter 
dem  gesanimtbegriff  der  vei^setzten  betonung  zusammen  (vgl.  112  fgg.),  bei  der 
ein  accent  den  andern  niederzwingt.  Der  versaocent  siegt  vor  allem  bei  derjenigen 
dichtung,  die  eine  inin'gero  fühluug  mit  der  musik*  sucht.  So  ist  mit  recht  hervor- 
gehoben, wie  bei  Arndt  der  dactylischo  rhythmus  die  i>rosaische  betonung  einfach 
mit  si(!h  reisst,  weshalb  gerade  dieser  dichter  sich  nicht  als  beispiel  für  natürliche 
betonungsverhältnisse  verwerten  la.^se.  Dagegen  siegt  der  wortaccent  am  häufigsten 
in  derjenigen  dichtung,  die  anlehnung  an  die  prosa  sucht,  vor  allem  im  fünffüssigen 
Jambus  des  dramas.  Minor  hat  hier,  wie  auch  sonst  gelegentlich,  gerado  in  den 
frciheiten  dieses  vei-ses  überraschende  ausblicke  in  die  vergleichende  metrik  eröffnet 
in  erster  linie  in  das  wesen  dos  romanischen  verses.  Den  häufigsten  aasgleich  bei 
dem  widerstreit  der  aceento  liefert  nun  der  dritte  fall,  die  schwebende  betonung 
(s.  110  fgg.).  Minor  stellt  diese  erscheiuung  klar  und  einfach  dar.  In  ^^  Freikeit 
ruft  die  Vernunft,  freiheit  die  wilde  begierde^  stoBson  versaccent  und  satz- 
acceut  zusammen  und  halten  die  betonung  in  der  schwebe,  ein  ausgleich  tritt  dadurch 
ein,  dass  man  tonhiUie  und  tonstilrke,  die  sonst  an  dem  einen  acconte  vereinigt  haf- 
ten, ti*eimt  und  auf  die  beiden  ebenbürtigen  gegner  nun  verteilt.  In  der  widoiiioluog 
erhält  also  freiheit  die  tonhöhe  auf  der  ersten,  die  tonstärke  auf  der  zweiten  silbe. 

Im  viertiHi  abschnitt  (s.  132  fgg),  der  den  vei'sfuss  oder  den  takt  behandelt, 
wird  in  betrelT  der  taktdauor  eine  sehr  wichtige  beobachtung  gemacht,  die  die  ein- 
zelnen Versgattungen  strenge  unterscheiden  hilft  Vor  allem  das  daktylische  vers- 
ma'^s  lässt  erkennen,  thiss  bei  der  rogelmüssigen  widergabe  des  reinen  Schemas  die 
taktdauer  leichter  verletzt  werden  kann,  als  wenn  die  spondeen  eingemischt  sind, 
in  den  gemischtx'u  vci'sen  kommt  es  auf  strenge  eiuhaltung  der  taktdauer  an,  wenn 
der  rhythn)us  deutlich  sich  einprägen  soll;   hier  also  kommen  die  Senkungen  recht 

1)  Für  Hans  Sachs,  d(?n  der  Verfasser  hier  neben  Arndt  nennt,  hat  »whon 
Braune  (Litt,  centrulblatt  1804  nr.  1)  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  seine  acoente 
n»ehr  vom  äuge  als  vom  olir  beeinflusst  werden. 


ÜBER  BflKOR,   NUD.   IIITRIK  253 

eigentlich  in  betracht.  Dio  mittel  zur  herstellung  einsilbiger  Senkungen  (s.  173  fgg). 
sind  nicht  so  ganz  befriedigend  dargestellt.  Die  frage  der  elision  und  der  apokope 
wenigstens  wird  zu  wenig  mit  borücksichtigung  der  lautlichen  Verhältnisse  behandelt. 
Dagegen  fällt  für  die  frage  des  hiatus  (s.  178  fgg.),  der  allerdings  auch  in  der  litte- 
ratur  ergiebiger  behandelt  ist,  eine  i*eiho  trefFcndor  bemerkungcn  ab. 

Mit  dem  5.  abschnitt  beginnt  das  litterarhistorischo  moment  sich  mehr  in  den 
Vordergrund  zu  schieben,  hier  nimmt  auch  die  darstellung  immer  mehr  die  form 
einer  abrundung  und  Zusammenfassung  der  vorarbeiten  an.  Die  eigenart  des  Verfas- 
sers prägt  sich  am  deutlichsten  in  seinen  beitragen  zum  „Enjambemeuf*  aus,  in  sei- 
nem bemühen,  den  „versschluss**  möglichst  unabhängig  von  bisherigen  anschauungen 
zu  erfassen.  Schwierigkeiten  häufen  sich  auf  Schwierigkeiten  unter  der  band  Minors 
nnd  man  könnte  fast  fragen,  wem  damit  gedient  sei?* 

Die  einzelnen  versarten  erfahren  eine  liebevolle  und  aufklärende  darstellung. 
^^ir  heben  die  gedrungene  Übersicht  auf  s.  334  heraus.     „Es  ist  aber  wol  festzuhal- 
ten ,   dass  der  moderne  knittelvers  mit  dem  Hans  Sachsischen  vers  nichts  zu  tun  hat. 
^'ie  man  sich  diesen  auch  zurechtlegen  mag"   (vgl.  s.  323),  „über  jedem  zwoifel  steht 
allein   die  festbestimmte  silbenzahl,   gerade  diese  aber  fehlt  dem  knittolvei"se.    Von 
^^n     vierhebigen  jambischen    oder   trochäischen    versen   untei'scheidet   er   sich    eben 
dadurch,    dass  auftakt  und  Senkungen  fehlen  oder  auch  mohi*silbig  sein  können.     Er 
ents|»richt  also  wol  dem  altdeutschen  vierhebigen  reimvers,  aber  nicht  dem  vers  des 
Dans  Sachs.     Von  diesen  beiden  aber  unterscheidet  er  sich  wider  dadurch,    dass  die 
roimsteilung  meistens  frei  ist." 

Besonders  warm   nimmt  sicli   Minor   der   freien  rhj'thmen  an,    dio  er   (wenn 

auch  in  deutlicher  anlehnung  an  Ooldbock-IiOewe)   aus  eigenen  zutaten  beleuchtet. 

M Cochem  leser  gegenüber  ist  es  übrigens  auch  heute  noch  notwendig,    diese  rhyth- 

^^^i  als  formen  der  poesie  zu  verteidigen,    wie  ein  blick  in  die  tageskritik  deutlich 

dai"tut.    Gelegentlich  der  Stabreime  nimmt  Minor  auf  Jordan  bezug.     Der  vers  Richard 

^  agners,    der  meines  erachtcns  weson   und   anläge   des  Stabreims    viel   innerlicher 

®**fa8St  hat,  scheint  wegen  seiner  Verbindung  mit  der  musik  ausgeschlossen  worden 

^^^  sein. 

Schöne  beobachtungen  enthüllen  sich  bei  der  darstellung  des  endreimes.  Vor 
^em  ist  es  das  Verhältnis  des  reimes  zum  sinn,  die  gegenüberetellung  von  bedeu- 
^uden  reimwörteni  und  von  mmfüllseln ,  die  sinnliche  kraft  des  reims,  die  hierzu 
anregten.  Zu  der  empfindungsskala  der  vokale  (s.  358)  hätte  sich  noch  anziehen  las- 
sen, was  Helmholtz  über  die  eigentöno  der  vokale  sagt^  Unter  den  Strophen  formen 
(8.  382  fgg.)  kommt  auch  die  Nibelungenstropho  (s.  409)  zur  besprechung,  allerdings 
ohne  dass  der  gegenwärtige  stand  dieser  frage  und  die  Stellung  des  verfassci-s  deut- 
lich sich  kennzeichneten.  Merkwürdig  ist  es  überhaupt  und  für  unsere  neuhoch- 
deutsche metrik  überaus  bezeichnend,  wie  wenig  der  Verfasser  auf  den  älteren  deut- 
schen vers  bezug  nimmt.  Freilich  ist  er  auch  einer  reihe  von  paralleh^n  ausgewichen, 
die  sich  eigentlich  ungesucht  ergeben  hätten  (s.  122.  149.  169.  219). 

Beim  sonett  ist  wol  in  anlehnung  an  die  reichhaltige  litteratur  dieser  strophe 
das  Verhältnis  zwischen  form  und  inhalt  in  die  darstellung  eingewoben,  es  logt  uns 
den  wünsch  nahe,  dass  die  metrik  überhaupt  dieser  frage  mit  neuen  kräften  nach- 
spüre.    Sie  gehört  zu  den  reizvollsten  aufgaben  in  der  geschichte  der  dichtung. 

1)  Vgl.  hierzu  noch  den  nachtrag  auf  s.  486. 

2)  Lehre  von  den  tonempfindungon  s.  163  fgg.     Bi-aunschweig  1862. 


254  WUNDERLICH 

AVir  sind  am  eudo.  Es  ist  kaum  angebracht,  darauf  hinzuweisen,  dass  x^it 
den  einwänden,  die  da  und  doit  zu  erheben  waren,  nicht  alle  bedenken  und  zweiTe], 
zu  denen  das  buch  anregt,  ausgesprochen  sind.  Denn  wo  solch  ein  weites  ge^'Siet 
umgepflügt  worden,  kann  nicht  jede  schölle  der  anderen  gleichwertig  sein.  Aber  <i^j 
samo,  der  darein  gestreut  wurde,  ist  keimkräftig  und  tragfahig;  und  die  fmcht,  di« 
aus  den  guten  stellen  spriosst,  ist  so  reich  und  dicht,  dass  sie  auch  den  stein i^v^n 
bodcn  überschatttit 

HRIDRLBERG,  30.   DRC.   1894.  H.   WUNDERLICH. 


Der  althochdeutsche  Isidor.  Facsimile  -  ausgäbe  des  Pariser  codex  nebst  kriti- 
schem texte  der  Pariser  und  Monseer  bruchstücke.  Mit  einleitung,  granunfl.' 
tischor  darstcUung  und  ausführlichem  glossar.  Von  G.  A*  Heneh.  [Qudlcn  und 
forschungon  72.]  Strassburg,  J.  Trühner.  1893.  XIX  und  196  s.  Mit  22  tafeln- 
20  m. 

Hench  hat  seiner  ausgalxj  der  Monseer   fragmonto   (vgl.  Ztschr.  XXV,  117  )• 
in  denen  ja  auch  bruchstücke  dos  althochdeutschen  Isidor  dargeboten  waren,  nmö 
eine  gosammtausgabo  der  für  Isidor  vorliegenden  texte  folgen  lassen.      Die  eigent^ 
liclie  arbeit   hat  sich  hier  natürlich    dem  Pariser   codex  zugowant,    wenn  auch  fä^ 
die  Monseer  fragmonte  einige  bcsserungen  und  ergänzungon  zu  bemerken  sind  (vgl' 
XXXUl,  5).     Aus  dem  Pariser  codex  hatte  schon  Kölbing  (Germania  XX,  378  fg-^ 
zahlreiche  lesarten  der  ausgäbe  von  "Weinhold  bcriclitigt;   Hench  bestätigt  auf  grün  J 
neuer   zweimaliger   collationen   eine    reihe   dieser  bcjsserungen   (vgl.  VI,  7;    VII,  8  ^ 
VIJl,  7;  IX,  11  u.  a.),  andere  werden  von  ihm  zurückgewiesen  (IV,  1).    Durch  dicr 
beigäbe   der   p}iotogra])hischen   abdrücke   sind   wir   in   den    meisten   fallen    in   stände 
gesetzt,    die  richtigkoit  dieser   angaben    zu   prüfen,    nur   in   II,  17    bei   der  IcsongT 
himilflemjciidem  worden  wir  im  Stiche  gelassen.     Kolbing  (s.  378)  gibt  an:  ,zu  Afmi- 
IcB  bemerke  ich,    dass  es  übor  ü  geschrieben  und  wol  zu  erkennen  ist*^,   während 
Hench    entgegnet,    „keine   spur   von   es    über  */,   wie  Holtzmann    und  Kölbing  be- 
haupten,   sicher  nie  geschrieben.**     In  dem  photographischen  abdruck   entzieht 
uns  ein  tintenfleck  die  möglichkeit,   irgendwelche  Vermutungen  über  diesen  Wider- 
spruch zu  trelTon,  und  der  herausgeber  stellt  nicht  einmal  die  erwägung  an,  ob  nicht 
vielleicht  gerade  liier  die  lösung  des  rätseis  ruht.    Über  Kölbing  hinaus  gehen  andere 
lesungen,    so  gleich   I,  2.  3  himi'lo  garawi  frnmida   für   himilo   garmeida.     Die 
wichtigste  entdockung  in  der  handschrift  betrifft  jedoch    das    lied    auf  den  heiligen 
Anianus    (vgl.  (;inl.  s.  XI),    das    sich    als   späteren    zusatz   erweist     Damit  fällt 
für    die    Vermutung   Holtzmanns,    dass    die    handschrift   in  Orleans   entstanden  sei, 
die  wichtigste  stütze,   und  danach  ist  die  anmerkung  in  Denkmäler'  11,  8.350  zn 
berichtigen. 

Die  selbständige  l>etätigung  des  herausgebers  am  texte  macht  sich  haupt- 
sächlich in  konservativer  richtung  geltend.  Einige  änderungon  AVeinholds  sind  mit 
recht  von  ihm  wider  beseitigt  (XXXIV,  9.  10;  XXXV,  10),  einige  irrtümer  des  Ori- 
ginals hübsch  auf  die  vormutli(^he  Ursache  zurückgeführt  (IX,  13;  XXFV,  5).  Die 
noten  konnten,  da  der  ])nläogra])hische  apparat  in  den  phototypien  enthalten  ist,  anf 
ein  minimum  beschränkt  worden  und  geben  vorwiegend  mitteilungen  zum  lateini* 
scheu  texte. 

Der  löwenantoil  fiel  der  grammatischen  darstellung  imd  dem  glossar  hl  Mit 
recht  beginnt  die  lautlehi'o  gleich  mit  einer  eingehenden  Untersuchung  über  die  fi^ 


bentrenDung.  Nur  mrti  der  herausgeber  lücr  mehrero  formen  zusammen.  Aat- 
scbliLsse  Für  die  aussproobe  Rind  am  aicbereten  am  zeltoiischluBse  xu  gewinuen;  bier  ist 
dt^  Stellung  des  oinfachen  konsonanten  im  iolaut  {hei  legim  XXVI,  14),  die  Zer- 
legung der  di|)bthoDge  (XV,  20  glte  tat)  aiüher  von  interoase.  Innerhalb  der  Zeilen 
ü»C  scbciat  mir  dos  grapliiscbe  momeat  zu  übemiegeu.  Hier  sind  es  in  erster 
Knie  die  buchstabeu,  die  ein  zusammenwirken,  einen  anscbluss  begünstigea  odor 
Techindem.  lu  manebeo  ähulichon  rSllim,  die  ftencb  für  die  lautlehre  auanutsen 
mücbiä,  läSBt  siab  überdies  seine  angäbe  aus  der  |ibot4)typio  bericbtigen.  In  I,  21 
Am-t^tgal  finde  icb  keine  bemerkenswerte  lüeke,  in  XLIU,  I  uurxa  stellt  das  %  tod 
I  gleich  weit  ab  wie  von  r.  In  anderen  belegen  überwiegt  das  begriSlicbe  resp. 
ciobgische  moment,  vgl.  XXXVI,  4  bis  scof  heil. 

In  der  lautlehre  ist  im  allgemeinen  ein  entschiedener  fortsohritt  gegen  die 

Vfraiiere  ausgäbe  hervorKuhebcn.    Allerdings  wird  auch  jetzt  noch  gar  manobes  dar- 

■galt^  und  ausgeEp rochen,    was  nicht  sigenilicb  in  den  rahmen  das  Isidcr  gehört; 

»r  diese  ausfilhrangen  bieten  doch  nicht  mehr  referat,  Rondem  eigenes  urteil,   und 

B  tnüiifon  an  schwolKinde  fragen  der  litteratur  an.    In  vielen  fällen  ergibt  sieh  die- 

r  Übergang  augeiwungon  aus  der  doistullung  selbst.    S.  03  lallen   zu  der  von  8ie- 

8  beobachtetet]  aowenduag  der  längen be Zeichnung  neue  beobachtungen  ab;   s.  05 

'den  die  Schwankungen  der  quontität  unter  dem  etnflusa  der  tcnschwankung  unter- 

bt,    und  s.  68  fgg.  treten  die  vokale  der  nichtbaupttanigen  süben  in  den  vorder' 

I  der  bctrachtung.     Auch  hier  widerum  wird  die  Quantität  in  frage  gezogen  und 

Ige  im  allgemeinen  als  Seltenheit  feBtgestellt    Synkope  und  assimilatioD  ergeben 

bvmorkenswertos.     Boi    der  darstellung  des   consonuatisinas  interessiert   vor 

die  deutung  der  zeichen  eh  und  gli.    Für  ch  verteidigt  Hench  den  chnrakter 

Bpirata,   den  er  aucli  —  aber  auf  der  Vorstufe  der  spirantisierung  —  für  Abb 

^i^ttcbe  gh  lu  ansprach  niniuit.    Im  allgemeinen  berührt  dos  bestreben  woltucnd, 

^  soiieinbaro  regellosigkeil  bestimmter  Schreibungen  zu  entwirren.     Bald  auf  phoue- 

A<*  gmndlago  als  einwirkuug  bestimmter  aiükulatiouGEtelleu  {vgl.  s.  81  die  wider- 

<Ies  germanischen  p,   das  nach  vokaiea  und  r  tönende  spirans  geblieben  {dh\ 

t  und  n  media  geworden  ist  ((/)],  Ittld  auf  groi>hischer  giundlago  als  neigungen 

'  ■XTtümor  der  scbrciber  lassen  sich  die  meisten  Widersprüche  löaou,   und  Heuch 

»cht,   wenn  er  s.  111  Weinbolds  aufTassung  der  lautbezelcbnung  im   Isidor  ala 

,  meehnnisuhen   mischnng    des  mitteldeutschen    mit  dem  bairisohen*  zuruck- 

Heuuh  hat  in  etwas  knappem  berlchto  über  die  früliero  litteratur  als  dialekt- 

.    doB  abd.  Isidor  djiä   südliche  Rhelufranken  aufgestellt,   dem  nur  wenige  und 

'^^    10  bewältigende  erscheinuugoo  entgegenstehen. 

Der  ausdntok  der  darstellung  ist  flüssig  und  für  einen  ausländer  anftiUlig  cor- 

In  den  aumerkungen  verrät  sieh  der  Amerikaner  duruh  starke  kürzungen  wie  in 

^^lien   angeführten   stelle;  nur  selten   begegnen    kleine  Verstösse   wie  s.  13   anm.: 

4hold  will  den  xweiten  dhen  streichen.    Einige  druckfebler  worden  schon 

arar.  oentralblatt  (1804  s.  189)  gerügt;   störend  sind  sie  vor  allem  bei  uitateu 

1.  2fi,  14).     Unrichtig  ist  es  auch,   wenn   8.61  von  der  uralautform   newiin 

,  dosB  sie  zweimal  erscheine.    Sie  Ist,  wie  auch  das  glossar  bezeugt, 

bftiiRgor  belegt 

II.    WÜNDBHUCH, 


256  WUNDERLICH 

Deutsche   godichto   des    12.  Jahrhunderts.    Herausgegeben  von  Kaii  Knun. 

Halle,  Niemeyer.  1894.    X  und  284  s.    7  m. 

In  der  litteratur,   die  sich  mit  der  dichtung  des  12.  Jahrhunderts  beschäftigt. 
ist  der  name  des  herausgeben  nicht  mehr  fremd.    Gründliche  belesonhcit  und  abWl- 
gcndo  besonncnhoit   sind  ihm  auch  bei  seinem   neuen   grösseron   unternehmen  tren 
geblieben;   dazu  erfreut  uns  die  uncrschrockenheit,   mit  der  Kraus  allen  fragen,  die 
irgendwie  in  den  stofF  einschlagen,   entgegengeht  und  nachspürt.    Kein  problem  wird 
behutsam  umgangen;   auch  abseits  liegende  gebiete  werden  gestreift  und  oft  mit  vie- 
lem glück  erschlossen.    Solchor  reiclihaltigkeit  gegenüber  muss  das  urteil  des  refe- 
renten  auf  gleichmässigo  prüfung  des  ganzen  dargebotenen  verzichten;    zastinunnog 
und  abwehr  müssen  an  einzelnen  punkten  ansetzen  und  sich  für  das  übrige  in  aOge- 
meinoro  formen  kleiden. 

Es  sind  ganz  verschicdcnwortige  gedichte,  die  in  unserer  Sammlung  zosam- 
mentreten.  Vorschiedonor  herkunft,  verschiedenen  stils,  tragen  sie  als  gemeinsames 
kennzeichen  nur  d'u)  zugohörigkoit  zum  12.  Jahrhundert  und  den  Charakter  kleinerer 
geistlicher  gedichte.  Pas  war  auch  das  entscheidende  moment  für  die  auswahl  die- 
ser an  den  orten  ihrer  veiöffcutlicbung  teilwciise  vergrabenen  sprachproben.  So  ist 
die  Sammlung  wol  geeignet,  die  zügo,  die  das  12.  Jahrhundert  seiner  geistlichen  dit^i- 
tung  aufgeprägt  hat,  im  Zusammenhang  und  in  ihrer  entwicklung  deutlicher  hervor- 
treten zu  lassen,  als  (»s  bisher  der  fall  war.  Namentlich  wenn  wir  aus  den  reich- 
haltigen anmerkungen  des  hcrausgobers  die  färben  entnehmen,  die  das  bild  bcleb»iu 
sind  ^vir  gar  wol  im  stände,  mittelst  der  13  gebotenen  texte  uns  ein  bild  jener  dich- 
tung zu  machen. 

Wo  es  irgend  möglich  war,  hat  der  herausgebcr  die  handschriften  von  nenem 
eingesehen,  was  nicht  ohne  ergobnisse  blieb  und  die  vordionstlichkeit  der  collatioii 
auch  gut  edierter  texte  widenun  bestätigt.  In  der  widergabo  des  textes  schliesst 
sich  der  herausgebor  ganz  nahe  an  den  dij)lomatischon  abdruck  an,  ein  verfiih- 
reu,  für  das  neben  den  allgemeinen  gründen  hier  noch  die  besonderen  Verhält- 
nisse des  inhaltes  sprechen.  Wenn  Kraus  (einleitung  s.  5)  es  als  wünschenswert  be- 
zeichnet, „dass  der  mitarbeitende  leser  in  den  stand  gesetzt  wird,  die 
gewohnheiten  des  Schreibers  sowie  das  lautbild  einzelner  stellen  auf 
bequeme  weise  zu  überschauen **,  so  gilt  dieser  wünsch  eigentlich  für  alle  unsere 
texte.  Gerade  die  „ergänzungcn"  und  „conjecturen"  auch  neuerer  zeit  lassen  so  viel- 
fach die  lebendige  auschauung  von  der  beschaffonlieit  unserer  handschriften  vermis- 
sen, statt  deren  dann  herausgol)cr  und  loser  sich  genie  eine  „Sicherheit  vortäu- 
schen, wo  sie  nicht  zu  erreichen",  eine  „regelmüssigkeit.  wo  sie  nicht 
vorhanden  ist.'' 

Bei  den  dic.htungon  aus  unserer  mhd.  blütezeit  wird  dieser  misstand  immer 
unvernu'idlich  sein.  Doim  liier  wollen  auch  die  geniessenden  leser  berücksichtigt  wer- 
den, und  ihr  augo  darf  man  nicht  durch  das  beleidigen,  was  nur  dem  „mitarbeiten- 
den'* loser  fronunt.  Dagegen  Ixn  texten  von  so  wenig  künstlerischem  werte,  wie 
dvu  vorliogondi'n,  war  die  eiitschcidung  leichter.  Tinter  den  änderungen,  die  der 
hei*ausgel>or  am  tt'xto  vornimmt,  ompfiohlt  sich  die  absetzung  der  vorszeilon,  dicbes- 
serung  verderbter  stellen  und  die  ergänzung  von  lücken  —  vor  allem  in  der  beschrSn- 
kung,  die  Kraus  sich  auferlegt  hat.  Mit  erfreulicher  konsequenz  ist  hier  überall  der 
räum  innegehalten,  der  nach  genauester  berechnung  auch  wirklich  zur  Verfügung 
steht.  In  wie  weit  die  einführung  der  interi)unktion  mehr  der  bequemlichkeit  als  der 
mitarbeit  des  lesei*s  entgegiMjkommt,    ist  eine  frage  für  sich.     Auch  die  , Umsetzung 


Cbkr  k 


257 


>  abwtuclicuiiiiaii  rorroen  der  reimwortur  ia  die  dam  dichter  g 
Effnst  den  hypiitheaen  und  der  unsichorhoii  ein»  MatertüTO;  freilich  iti  der  beBonoe- 
n  haudliabung  des  berouegebers  ist  sie  gi?eignet,  deo  absiebten  i  die  er  dabei  im 
Wgn  hat,  ta  dlout'n.  An  die  texte  aelbet  sclilieBsen  sich  ,ab!iaBillimgeu  und  anmet- 
ungeu*.  Die  abhaodluugen  bringen  den  toictkritisoboii  apparat  and  die  stofiigeschiuhte 
»  eümlniin  deuiinials  in  nbgerundetei'  darstelluag  vur  atigen,  die  anmerkuDgOQ 
8  grammatische  und  sälistische  matsrial  vor;  sie  freilich  kssen  die  ordnende 
pJ  sichtende  band  trotz  aller  zugestfiodnisae,  die  man  geneigt  ist,  an  diese  form  der 
iretellang  in  machen,  entschieden  vermissen. 

Die  reihe  wird  sräffnet  durch  das  schon  von  SchonbacU    (Zs.  t.  d.  a.  XXX 11, 

—373)  verüffentlichte  gedieht  ,von  Christi  geburf,    bei  dem  sich  Kraus  im 

sentlichen  auf  die  zogabe  der  anmcrkuagen  bescbrSntt  hat    Zu  dem  verae  49  u 

i  ttU  dad  buch  quii,  der  an  und  für  stell  auch  als  liauptsatz  gelesen  werden  liönnte 

i'ortBtellung,   würe  es  nicht  uiinützlich  gen'csen,   die  stelle  ans  Karlmeinct 

n  Wortlaut  anzuführen:  Im  id  ah  dat  buch  quyl.  So  was  id  an  der  tespir 

Für  das  zweite  stück,    den  ,Rbeinauer  Paulus'  hatte  sich  Kraus  mit  der  von 

r  herausgegebenen  Milstätter  söndenklage  (Zs.  f.  d.  a.  XX)  auseiDanderzuaetzen, 

eo  teil  unseres  gedichtes  in  veränderter  anordnung  enthält.    Ton  den  beweis- 

,   die  ßödiger  für  eioon  anderweitigen  varfasser  eben  dieses  teils  vorführt,   ist 

im  Stande,  einige  zu  entkrütteii.    Er  geht  aber  nicht  so  weit,  nun  die  untcil- 

eit  des  ßheinauer  Paulus  zu  behaupten,   trotzdem  er  die  lautlioheu  und  ortbo- 

'■phiflchen  Verhältnisse  des  denkmals  einheitlicli  darstellt.    Es  wird  hiebei  von  einem 

"tlcbeo  des  Notkersohon  kanons"  gesprochen    „allerdings  mit  bcschränknng  auf  die 

nttalis",  die  belege  zeigen  aber  auch  Tür  diese  mehr  die  ansjitze  als  die  regelmässi- 

t  ansfuhrung.     Unter  den  anmerkungen  i'agen  hier  die  syntattischen  hervor,   so 

J9/40  der  begrabitt  wus,   utidi  du  in  isxe  ßtexej  uffslen  und  eu  vers  107, 

s  gab,  die  bediugungen,   anter  denen  das  pron.  pers.  fehlen  darf,  von  s.  88 

I  behandeln.    So  verdienstliub  diese  syntaktischen  cKkurse  sind,    zu  denen 

luel  seine  santmlungen  geöffnet  hat,  so  hätten  sie  doch  durch  eine  übersichtlichere 

1  linappore  anordnung  gewonnen.    Gerade  in  der  10  eeiten  umfassenden  reihe  von 

Q  für  die  ellipse  des  jiersonalpronomons  «eigt  sich  das  deutlich.     Allerdings  ist 

'  wenigstens  eine  gliedei-ung  versucht,   aber   sie  geht  mehr  änsscriich  von  dem 

9  belege  eiupasst,  statt  dass  aus  den  besonderen  verhältnls- 

t  der  einxolnen  belege  die  Unterabteilungen  gewonnen  worden  wären. 

Besonders  hübsche  ergebnisso  bietet   die   abhaudlung   zum  Baum  garte  nborgsr 

p'abaunes  Baptista'  (HI)-    Zunächst  werden  die  bemerkungen  des  früheren  her- 

gebeiB  Vomberg  auf  grund  von  genauen  messungen  mit  dem  cirkel  Kurückgewio- 

Ba,  sodann  ergeben  sich  interessante  aufschlüese  über  das  interponktionssystem  der 

dsohrift,   das   die  zeilensehlüase  markiert  und    die  Strophen   zusammensohliesat. 

n  wia  die  sinnesabschnitte  durch  grosse  anfangsbuchstaheu  abgehoben  und  durch 

1  forUaofood  registriert  werden.     Auf  der  gmndlnge  dieser  einzelheiten  baut  nun 

r  heniuBgeber  weiter.    Er  macht  es  wahracheinlich,  dasa  der  abschreibar  mit  ihnen 

dich  genau  an  die  voilago  sich  anschliesst,    und  somit  worden  rüctechlüsse  auf 

■  geiiaaigkeit  der  abschrift  miüglich.     Ausserdem  entspringt  daraus  eine  handhabe, 

B  die  lüoken  zwischen  deu  fragmenten  auszumessen  aod  von  solcher  kenntniss  aus 

bi  von  Mone  za  widerlegen  (s.  105).     Auch  die  ansiohten,   die  bei  anderem 

1  gedichten  über  beabsichtigte  Symmetrie  der  sinnesabEchnitte  geäussert  und 

jewebrt  worden  sind,   erhalten  ans  dieses  ausführungen  eine  neue  stütze.    Naoh 

.».  »ivin.  17 


feststellnng  der  tormini  a  quo  {E^Eolieit)  nud  ante  quem  (Kaiserchronitl  lelint  I 
auch  die  Vermutung  Sclierers   (QF  XJI,  69)   ah,    dass  das  gedieht  von  Arnold,  «lern 
dichter  der  Siebcnzobl   and  der  Juliane,    herrühre.     Unter  den   annierkoagen  i 
einige  ex^urse  zum  stil  und  foi'uielsuhat:«  hcrvorzuhebeD  (vgl.  s\x  z.  37.  fil.  5S), 
Tielfaohe  einblioke  in  die  technik  jener  zeit  gewähren. 

Ein  aaderer  Johaoaes  Baptista,  der  des  Ädelbreht,  reiht  Bicli  als  ar.  IT 
an  nnd  gibt,  da  die  biatter  jetzt  verstcholien  sind,  dem  herausgeber  gelegenheit,  ) 
textkritische  methode  an  absubriften  aus  neuerer  zeit  zu  erproben,  Dosbalb  neh 
hier  anch  die  cuujäcturen  in  den  anmerkungen  einen  breiteren  räum  ein  ab  sddkI. 
Vor  andern  mochte  ich  hier  die  conjectur  zu  z.  32  hetvorbeben,  die  graphisch  uirf 
atiÜBtisch  mit  vielem  glück  verteidigt  wird.  Dagegen  treffen  die  anmerkungen  n 
t.  7  and  z.  65  niulit  ganz  das  richtige.  Im  ersten  falle,  wo  es  sich  um  den  gtva- 
men  Zauharias  handelt,  der  stumm  bleiben  soll  xnxe  an  den  lach  .  ■  dax  äai  ittW 
uieriie  gebom  dax^  got  darxu  hat  erkom  dax  er  itrde  ein  erweUe»  wk  kann  mu 
nicht  von  einer  inkongruent  der  niodJ  sprechen,  noch  weniger  diese  aus  den  ȟb 
Kraus  angezogenen  fölleu  belegeoi  es  ist  der  Wechsel  der  modi  hier  vielmehr  gui 
natürlich  und  in  der  Verschiedenheit  des  Zusammenhanges  begründet.  Im  iireias 
falle  da  dax  die  wage  vemaman  (s.  85)  ist  mir  das  von  Emus  gegen  Mone  unä 
Vomberg  eingeführte  demonstratio  lu  dieser  Stellung  und  als  obJekt  nuffüllig:  4>e 
belege,  die  Kraus  beibringt,  zeigen  es  stets  in  anderer  Stellung.  Auch  dnaa  to 
Schreibung  den  in  z.  73  an  den  ahtoden  tage  mit  bolegen  beleuchtet  wird,  in  d«aMk 
es  sich  unzweifelhaft  am  die  suhwauhe  flexiun  des  adjectivs  handelt,  scheint  mir 
verfehlt.  Andererseita  habe  ich  zu  z.  54  dta.  gebot  im  min  Irerihtin  (jder  b 
sehon  zu  III  z.  76  die  belege  vonnisst,  die  zn  VII,  102  gegeben  werden.  El 
htitt£  die  stelle  192 — 194  wol  auch  xa  bemerkungen  onlass  geben  kennen,  «o  Jutiu— 
nes  den  henker  ins  geßngnia  treten  aieht  und  es  dauu  weiter  beisst:  dat  fcmW  *r 
im  neiete,  die  iiendt  hinne  breitte.  de»  lials  er  im  ab«  sluoeh.  Zu  dem  Irar 
stück  von  S.  Teil  (V),  dessen  Verfasserschaft  für  den  obengenannten  Adolbrehi  ol 
bleibt,  hat  Kraus  an  zeile  52  eine  reihe  von  belegen  für  die  mhd.  parotaxe  tDfl^-' 
knüpft  s.  141  — 146.  Auch  hier  hätte  sich  empfohlen,  die  eiozeloen  luomento  «dliT' 
for  horauBzuarbeiten.  In  dein  Satzgefüge  ein  heiden  hia  hyliu  der  »ax  in  «nw<^ 
land'  gotes  e  niht  erckand'  handelt  es  sich  einerseits  um  die  asyndetiietiCT 
satzverknüpfung,  die  Grimm  dr,  IV  s.  950  behandelt,  und  anderareeits  um  den  «öl- 
te neron  fall  der  subjektellipsä  hei  sotoher  asyodesia,  den  Grimm  Qr.  IV  B.3Ifl* 
Müllenhoff  Denkm.  XXXll,  1.  M  u.  a.  belegen.  Bei.den  MnccaUaern  (VI)  w- 
wirft  Kraus  zahlreiche  ei^llnzuugou  von  Bartsch  auf  gmnd  seiner  genaue 
gen  der  lacken.  Der  Fatricius  (VH)  führt  in  erster  linie  lu  einer  unteniicfaiu^ 
der  vorläge,  deren  foststellung  nun  eine  hübsche  darlogung  der  toclinik  des  beart«- 
teni  ennöglicht  „Von  der  Zukunft  nach  dem  todo"  (VUI)  und  S.  Paulos(II> 
werden  von  Kraus  wider  als  ein  einheitliches  werk  angesprochen,  in  dem  nr.  VUJ 
die  rolle  einer  eplsodo  spielt.  Für  den  Albanus  (Xl  gewinnt  Kraus  auf  grund  a 
eingehenden  quellenonteTsnchung  genauere  Zeitbestimmungen.  Er  erkennt  den  "^ 
mundus  als  Verfasser  der  lateinischen  vorläge  und  beweist  dies  aus  rh]>thmiKh«^  ' 
figuien,  die  in  dem  lateinischen  müI  de«  Trausmundua  ebenso  wie  in  der  lateinisdx** 
Albannalegendo  am  satzachlusse  zu  belegen  sind.  Damit  kommen  wir  anf  die  jlhr^ 
nauh  1178,  genauer  vielleicht  nach  1186  und  auf  das  kloster  Clairvee 
Bueh  die  mosol fränkische  heimat  des  deutschen  gedichtes  leicht  Jn  beiicbug 
setzen  ist.     Beim  Taudalus  (XI)  widersprochen  tiieh  nach  Kraus  die  a 


ÜBEB  KRAUS)  QEDICHTE  DBS  12.  JAHRHÜNDEBTS  259 

die  ans  den  reimen  zn  erscbliessende  mnndart  dos  Originals,   die  auf  Mittelfranken 
weist,  indess  die  erstere  für  Hessen  spricht.    Aucli  hier  wird  die  arbeitswoise  dos 
dichtere  anschanlich  geschildert.    Christus  und  Pilatus  (XTT)  und  ein  sehr  frag- 
^nentarischer  Andreas  (XUI)  machen  den  beschluss.    Man  sieht,   dass  höhere  und 
niedere  kritik  beim  herausgeber  in  roichem  massc  zur  geltuug  gekommen  ist;  um  so 
erfreulicher  berührt  es,  dass  don  texten  gegenüber  beide  formen  der  kritik  so  behut- 
sam auftreten,   vor  allem,   dass  die  metrik  in  diesen  texten  eine  sichere  und  unge- 
*rtil>te  quelle  für  ihre  Untersuchungen  vorfindet. 

HEmSLBEBO,  81.  JANITAB  1895.  H.   WTINDKBLICH. 


^o  >^  high  german.  A  comparative  study  by  William  WInston  Talentin,  lato 
l)rofessor  of  modern  languages  Randolph-Macon  College,  Virginia.  Edited  by 
Jk.  H.  Keane,  b.  a.  late  professor  of  hindustani  university  collego,  London. 
2  volumes.  London,  Isbister  &  CJo.  1894.  XIV  und  456,  X  und  444  s.  Gebun- 
den 30  sh. 

Es  ist  sehr  bemerkenswert,  dass  schon  vor  dem  jüngsten  grossen  aufschwunge 
ddx*  akademischen  Sprachstudien  in  Amerika  dort  drüben  jenseits  des  oceans  ein  werk 
wi^  das  vorliegende  hat  entworfen  und  der  Vollendung  nahe  gebracht  werden  können. 
D^X"  Verfasser,  geboren  1828  in  Richmond,  Virginia,  betrieb  schon  als  junger  mann 
®*^»rig  grammatisch -philologische  Studien,  die  er  1860 — 1865  an  europäischen  bildungs- 
stÄt.1»n  (Paris,  Berlin,  Florenz)  fortsetzte.  Von  1868  —  1871  wirkte  er  als  professor 
&i3^  Randolph-Macon  College;  dann  hat  er  ohne  öffentliche  lehrtätigkeit  seine  gelehr- 
tere arbeiten  weiter  geführt.  Als  frucht  derselben  hinterliess  er  bei  seinem  tode 
(1-7.  febr.  1885)  das  vorliegende  werk  nahezu  vollendet;  der  (vor  dem  erscheinen 
öboufalls  verstorbene)  Londoner  herausgeber  hat  sich  bei  seinen  Zusätzen  beschrän- 
ig  auferlegt  und  im  wesentlichen  nur  das  zum  druck  gebracht,  was  den  ansichten 
absiebten  des  Verfasser  entsprach.  Weitere  sprachvergleichende  arbeiten  des 
voirfassers  sind  unvollendet  geblieben  (vgl.  das  vorwort  zum  I.  bände  s.  VI). 

Das  werk  legt  zeugnis  davon  ab,  dass  der  Verfasser  in  mühevoller  arbeit  und 
lÄii:  Verständnis  die  fortschritte  der  deutschen  Sprachwissenschaft  verfolgt  hat.   Merk- 
licsli  blickt  namentlich   das   Studium   der  älteren   werke  von  J.  Grimm,   K.  Heyse, 
Solileicher,  Kehrein,  Vemaleken  hindurch;  aber  auch  die  resultate  späterer  linguisti- 
ficslier  forschungen  mit  einschluss   von  y,  Vertier' s  law**^  und  der  arbeiten  der  y,new 
9^€Mmmarian8^  sind  verwertet.    Auf  grund  solcher  arbeiten  bietet  der  Verfasser  eine 
vollständige  darstellung  der  nhd.  spräche  für  Engländer,  in  einer  zum  teil  eigentüm- 
"<5lien,  stets  übersichtlichen  und  praktischen  anordnung   (I:  phonology;   11:  morpho- 
*^^9y;  IQ,:  Syntax;   die  weitere  gliederung  des  einzelnen  ist  aus  den  sorgfältig  gear- 
beiteten inhaltsverzeichnissen  zu  ersehen.    Fast  überall  zeigt  sich  gründliche  kenntnis 
®®  gegenwärtigen  nhd.,   dabei  auch  beachtung  der  in  der  lebenden  spräche  vorkom- 
'^©öden  Schwankungen,   sowie   dos   Unterschiedes   zMrischen   gewähltem   und    volks- 
^^**^ichem   ausdruck.      Sodann   ist   der   Verfasser   —    freilich   nicht    in  allen   teilen 
Ä*®>cliinässig  —  bemüht,   den  gegenwärtigen  gebrauch  historisch  zu  begiünden  durch 
*y**Ückgehn  auf  die  älteren  perioden  der  spräche.    Ich  kann  hier  und  für  die  leser 
r^^öir  Zeitschrift  nicht  alle  teile  des  umfangreichen  werkes  genau  durchgehen;   doch 
^^^  ich  im  allgemeinen  mit  anerkennung  für  die  ernste,   keiner  Schwierigkeit  aus- 
^^^^hende  arbeit  des  ver&ssers  mein  urteil  dahin  aussprechen,   dass  die  darstellung 

17* 


260  £BDMAKN,   ÜBER  VALENTIN,   NEW  HIGH   GEBMAN 

gründlich,  klar  und  lehrreich  ist,  und  dass  man  kaum  eine  wichtigere  frage  d( 
und  formenlehre,  der  Wortbildung  und  der  syntax  des  nhd.  unberückaichtigl 
wird;  nur  die  moduslehre  ist  auffallend  kurz  behandelt. 

Dieser  allgemeinen  anerkennung  muss  ich  freilich  einzelne  ausstellungeii 
lassen.  Bisweilen  hat  sein  lehreifer  den  Verfasser  zu  weit  geführt,  indem  e 
zu  regeln  versucht,  die  in  unserer  spräche  entweder  überhaupt  nicht  geregt 
oder  doch  anders,  als  er  angibt.  Dies  gilt  z.  b.  von  der  declination  der  eige 
im  Singular  und  plural  I,  s.  139  fg.;  dort  sind  nicht  nur  die  guten  Karle  h 
guten  Luisen  erbarmungslos  durch  alle  casus  abgewandelt  (später  steht  als  | 
der  kleinen  Luisen ,  was  auf  einem  anglicismus  beruht),  sondern  auch  die  fr 
ten  Schlegel  und  die  geistreichen  Vossen  (so!).  Unser  alter  Eutiner  J.  H.  Va 
gegen  das  gewählte  bciwort  vielleicht  ebenso  lebhaften  einspruch  erhoben  wi( 
die  schwache  declination  seines  namens!  Unnütz  ist  die  zahlenmässig  gegobei 
sieht  der  ablautenden  verba  s.  257;  die  folgende  ointeilung  derselben  ist  für  d 
dierenden  der  historischen  grammatik  sogar  gefährlich,  denn  sie  ist  aussch] 
nach  den  gegenwärtigen  nhd.  gestaltungen  des  vocales  der  Stammsilbe  gegebe 
durch  an  vielen  stellen  die  zurückführung  auf  die  alten  ablautsreihon  erschwe 
An  manchen  stellen  finden  sich  fehlerhafte  wortformen,  die  ein  im  lebendigen  gei 
der  correcten  deutschen  spräche  sich  bewegender  Schriftsteller  nicht  hätte  sc 
oder  unverbessert  durchlassen  können.  Vielleicht  nur  druckfehler  (obwol  de 
sonst  recht  sorgfältig  ist)  sind  pütxhändlcrin  I,  140;  er  liat  geschicollt^  gcst 
II,  80;  schnittschuh  laufen  11,  343;  aber  sicher  keine  druckfeliler  (wie  sich  j 
zusammenhange  ergibt)  liegen  vor  bei  log  als  praet.  von  liegen  I,  259;  cn 
als  part  praot.  I,  260;  die  mamacfis  (pl.  zu  inamn  I,  151);  dazu  erwähne 
litterarische  versehen  II,  343  Kleists  öden  (statt:  Klnpstocks)^  sowie  dass  I,  i 
zum  8.  Jahrhundert  gezogen  wird.  Solche  fehler  kommen  freilich  nur  vercinz 
aber  sie  rechtfertigen  den  wünsch,  dass  Engländer  bei  einem  so  eingehenden  { 
der  deutschen  spräche,  wie  dieses  werk  Valentins  es  voraussetzt,  auch 
benutzen  mögen,  die  in  deutscher  spi'ache  von  Deutschen  geschrieben  sind, 
berufung  auf  einzelne,  bei  gelehrten  schriftsteilem  vorgekommene  „satz-ung( 
II,  443  genügt  nicht,  um  das  deutsche  gegenüber  dem  modernen  englisch 
zusetzen. 

Die  ausstattung  des  Werkes  ist  sehr  gut;  störend  wirkt  jedoch  der  u: 
dass  die  angeführten  deutschen  Wörter  mit  denselben  ty|>en  gedruckt  sind,  > 
englische  tcxt.  Für  die  in  Deutschland  noch  immer  weit  verbreitete  fractu 
lege  ich  kein  wort  ein;  aber  mau  hätte  ja  gesperrte  oder  cursive  lettem  an 
können. 

KIEL.  0.   KRDMANN.    (f) 

Zwei  altdeutsche  rittormärcn  (Moriz  von  Craon,  Peter  von  Staufen 
neu  herausgegeben  von  Edward  Schr^Mer.  Berlin,  Weidmann.  1894.  I 
103  s.    3  m. 

Massmann  und  Haupt  haben  für  Moriz  von  Craon,  Jänicke  für  Peter  vo 
fenberg  noch  mancherlei  zu  tun  übrig  gelassen:  so  ist  es  denn  mit  dank  zu  be^ 
dass  Schröder  uns  eine  reinliche  und  hübsche  nouausgabe  beider  gedichte  a 
art  „einführung  in  die  ritterliche  opik  sowol  der  frühen  blute  wie  des  fortsei 
den  Verfalls*^   (s.  V)  darbietet.     Die  einleitnng,    die  über  alle  wesentlioheo 


LBITZMANN,    ÜBKB   SCHRÖDER,   ZWEI   RITTERMÄRKN  261 

genaue  anskunft  gibt,   bietet  vielerlei  neues  und  anregendes:   vor  allem  erfahren  die 
historischen  grandlagen  beider  erzählungon  und  die  personalien  der  holden  und  dich- 
ter zum  ersten  male  eingehende  beleuchtung;  die  frago  nach  dor  vorläge  der  grossen 
Ambraser  Sammelhandschrift  wird  fördernd  behandelt;   chronologisch  ist  nach  Schrö- 
ders blendender  darlegimg  der  Moriz  von  Craon  zwischen  Gottfrieds  Tristan  und  Her- 
borts Trojadichtung  zu  setzen,   eine  datierung  die  wol  künftig  als   feststehend  wird 
betrachtet  werden  müssen;   als  dichter  des  Peter  von  Staufenberg  wird  ein  Egenolf 
von  Staufenberg  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  nachgewiesen,    der,   in  umfassendem 
Stadium  Konrads  von  Würzburg  lebend,   das  gedieht  um  1310  geschrieben  hat.     Zu 
S.IX.    möchte  ich  bemerken,    dass  mir  im  Moriz  von  Craon  aus  vers  59.  861.  1097. 
1701     eine  reimbindung  e  :  en  wahrscheinlich  vorkommt,    die  den  dort  aufgeführten 
reimerscheinungen  beizufügen  wäre.  —  Mit  dor  gestaltung  der  texte,  zu  der  Schrö- 
der noch  Zeitschr.  f.  d.  a.  38,  95  erläuterungen  gegeben  hat,   kann  man  durchweg 
einverstanden  sein,   namentlich  soweit  principielle  fragen  in  betracht  kommen.    Roe- 
the  vordankt  der  herausgeber  ein  paar  glänzende  korrekturen  im  Moriz  von  Craon: 
nur  aie  zu  787  ist  überflüssig.    261/62  und  396  wäre  ich  bei  Haupts  lesart  geblie- 
ben;   O30  hätte  die  handschriftliche  lesung  bewahrt  bleiben  sollen;  die  änderungen  in 
den  Viersen  91.  617  674  haben  mich  tiotz  Schröders  versuchten  begründungen  nicht 
überzougt.    "Warum  ist  1169  das  handschriftliche  bix  in  unx,  verändert,  dagegen  466. 
1332.     1379.  1515.  1631  stehen  geblieben?    Der  text  des  Staufenbergers  repräsentiert 
einon     ganz  wesentlichen  fortschritt  gegen  Jänicke.  —    Leider  wird  es  immer  mehr 
mode    die  real-  und  stilerklärung,   überhaupt  alles  im  engeren  sinne  erläuternde  bei 
aTisgul>en  mittelhochdeutscher  dichtungcn  zu  imterdrücken.    Auch  in  dem  vorliegen- 
den  bändchen   sucht   man   vergeblich   nach   eigentlichen  anmerkungen.    Das  muster 
Lachmanns  und  Haupts  in  diesem  punkte  verdient  keine  nachahmung.  —   Im  Moriz 
von  Craon  fehlen  211.  433.  1288.  1565.  1574  schliessende  anführungszeichen. 

WEIMAR,   17.   JANUAR   1895.  ALBERT  LEITZMANN. 


Zum  Rosengarten.    Untersuchung  des  gedichtes  H  von  dr.  Georg  Holz«    2.  aus- 
gäbe.   Hallo,  Niemeyer.   1893.     151  s.     3  m. 
^ie  gedichte  vom  Rosengarten   zu  Worms,   mit  Unterstützung  der  königlich 
sächsischen   gesellschaft   der  Wissenschaften   herausgegeben  von  dr.  Georg  Holz. 
Halle,  Niemeyer.  1893.     CXIV  und  274  s.     10  m. 

£ine  dor  schwierigsten  und  teilweise  undankbarsten  aufgaben  der  mittelhoch- 
deutschen text-  und  Sagengeschichte  hat  hier  eine  geradezu  meisterhafte  lösung  ge- 
funden.    Es  gibt  kaum  einen  mittelalterlichen  toxt,    der  uns  fast  in  allen  gesichts- 
punkten  der  wissenschaftlichen  betrachtung   grössere  und  peinlichere   rätsei   aufgab, 
als  der  Grosse  rosengarten.    Mit  einer  genialen  Sicherheit,   besonnenheit  und  gründ- 
lichkeit  geht  Holz  in  seinen  beiden  büchora  zu  werke,  die  von  einer  eminenten  bega- 
bung  für  textkritische  fragen  zeugen.    Niemand  wird  von  dem  Studium  derselben  ohne 
reiche  belehrung  scheiden,  niemand  gewiss  auch  ohno  den  eindruck,  von  mustergültigen 
arbeiten  kenntnis  genommen  zu  haben.     Ich  bekenne  mich  von  allen  aufetoUungen 
des  Verfassers  bis  in  die  kleinsten  einzelheiten  hinein  vollkommen  überzeugt;  manche 
anfanglich  aufsteigende  zweifei  schwinden  gänzlich,  je  mehr  man  inne  wird,  wie  alles, 
was  Holz  auseinandersetzt,  in  einem  festgeschlossenen  strengen  zusammenhange  steht. 
Meine  besprechung  kann  daher  bis  auf  geringe  kleinigkeiten  nur  referierend  sein. 


262  LEHZIUH.-J,    ÜBER    BOLZ,    ROSEtJOABTEN 

In  der  zueilt  geniumtüu  sctirift  gruppiert  das  erste  kapitel  (§  1 — fi)  dfe" 
gosammte  üborücCorung,  die  aeit  Philipps  buch  (Halle  1S79)  einige  wertvolle  boreiolw- 
ruDgon  erfahren  hat;  dos  tbenia,  dos  der  verlasser  sieb  vorgeoomiueo,  ist  die  anlur- 
saohung  der  Bosengartenredaktienon  II''  (hauptsüc blieb  vertreten  durch  die  <roa  Bartsch 
GermaDia  4,  1  herausgegebene  rommersf eider  handschrift  und  die  fragmente  eiwr 
czeobischeu  übetsetziing,  von  der  Holz  in  §  4  eine  neue  riickübersetzung  gibt),  f{in  der 
von  Wilhelm  Orimra  1836  horausgegebonen  Fraukturtor  handachrift)  and  U*  (au 
einer  Heidelberger  and  einer  Strastiburger  iiandschrift  gedruckt  in  Ton  der  Hagem 
Heldenbuch  1820),  sowie  ihres  gegenseitigen  verbütnisaea.  Hit  diesem  Teiiifittuii 
tiescbäftigt  sich  das  zweite  kapitel  (§  T  — 19),  an  dessen  schlusa  wir  die  übenaDgnng 
gewinnen,  dass  der  von  Philipp  näher  untersucht«-  tezt  I  dem  vorauszosetzendtn 
urgedichte  am  niLcbBton  kommt,  währeod  U  nnd  HI  jüngere,  von  eioander  niub- 
hängige  bearbeitungen  sind,  und  dass  die  redaktion  f,  die  nüher  zu  II*  als  zu  U^ 
stimmt,  aus  I  und  11  kontaminiert  ist  Drei  weitero  kapitol  hringeu  znr  besISt^iinj 
dieser  aufsttiHungen  die  einzoluntersUGhnng,  die  fast  vere  für  vers  durchgeführt  wird. 
Dos  dritte  (§20 — 38)  untersucht  den  text  11":  er  ist  im  wesentlichen  eine  kür- 
zende bearboitung  des  Originals  im  Hildebrsadston,  dessen  überliefenuig  jcduoh  leider 
sehr  lüokenboft  ist.  Kapitel  4  (§  3'J  —  50)  bespricht  die  rcdottion  /,  eine  wenig 
verbreitete  konlamination  aus  I  und  11  auf  grond  älterer  und  besserer  rorligra, 
kapitol  5  (§60  —  66)  endlich  die  fassung  H*.  Im  Schlussparagraphen  (a.  150)  wild 
dann  der  so  gewonnene  Stammbaum  aller  Überlieferungen  aargestcUt  —  Der  in  dff' 
czechiaohen  überaetzung  erscheinende  name  von  Volkers  muftor  Perchylia,  zuglodl 
einer  Schwester  der  Brunbitd,  soll  nach  s.  15  anmerkung  1  frei  erfanden  sein;  <r 
beruht  vielmehr  auf  verworrener  kenntuis  verwanter  sagan:  in  der  Vglsungaaaga  33 
ersohoint  eine  Schwester  Bnmhilds  mit  dem  namen  Bfkkhildr  ala  gemahlin  Heimini 
(vgl.  Grimm,  Heldensage  s.  350).  Die  s.  30  angenommene  entlehnung  aus  Alpbart  id 
mindestens  «weifelhaft 

Die  einleitung  zur  ausgäbe  zerfällt  in  6  kapitel,  von  denen  vier  (s.!!— 
XXXI  die  überüeferung  und  ihre  gruppioning,  s.  XXXI  — Uli  der  kontamioierta 
text  C,  s.  Lni— LXIX  die  kürzende  bearbeitung  P,  s.  LXX  — LXXHI  fremde  Iwt- 
beituugen)  textkritischeo  fragen  gewidmet  sind.  Hier  kehren  im  wesentlichee  d)B 
bekannten  resnltate  wider,  durch  viele  scharfsinnige  einzelbeobachtuugen  orhttrtet  Kur 
die  redaktioo  F  wird  mit  recht,  worauf  schon  Singer,  Anz.  !.  d.  altert.  17,  36  liiit- 
deutete,  etwas  weiter  vom  urgedichte  entfernt  iiml  an  D  angenähert.  Die  vomi)^ 
rende  masae  der  einzelbeiten  wird  in  sehr  klarer  dieposition  und  in  gewandtem  stil 
zur  daistellung  gebracht  Das  fünfte  kapitel  (s.  LXXIV— C)  behandelt  hoimat,  attff 
und  spatere  geschiehte  des  gedichts:  der  älteste  Rosengarten  ist  entstanden  im  bti- 
riscb-oaterreicbischen  Sprachgebiet,  D  in  Thüringen,  C  in  Rheinfrankon ;  keine  dv 
rodftktionen  ist  älter  als  1250,  keine  jünger  als  132.^.  Endlich  wird  im  letzten  iMfir 
tel  (a.  C — CXrV)  die  sage  behandelt:  auch  hier  zeichnet  aiuh  die  vergleichende  dw^ 
Stellung  wider  durch  besondere  klarheit  aus.  —  Es  folgen  dann  die  texte  A  (s,  1  -  6T), 
D  (B.  69—215)  und  F  (a.  217  —  233);  kritische  aumerkuageu  (s.  234—255)  und  «a 
sehr  notwendiges  nauienverzeichuis  (s.  256— 274)  machen  den  beschluss.  Schincn- 
lich  vermisse  ich  erklärende,  auf  spräche,  etil  und  realien  eingehende  aniuerkungn« 
die  ein  reiches  feld  von  interessanten  betrachtungen  darbieten  könnten;  die  tMÜHi— 
künde  kann  aus  den  Rosengärten  reichhaltigen  gewinn  ziehen;  ebenso  bütte  der  zuetB' 
menflnss  echt  volksepiscber  and  spielmuinsroilssiger  erzühlnngskunst,  ein  intArasttst^ 
kapitel  der  atilgescbicbte,  nAber  beleuchtet  werden  können.     Indcäs  sbd  wir  tnrtriW* 


SABRA.ZIN,    t)BRB  FBÄNKEL,   SHAKESPEARE   UND   DAS   TAGELIED  263 

HoljK  für  dio  schöne,  langersehnte  ausgahe  von  herzen  dankbar  und  hoffen  ihm  noch 
Öft&MT  auf  diesem  seinem  eigensten  gebiete  zu  begegnen. 

WEDCAB,   12.   JANÜAE  1896.  ALBERT  LEITZMANN. 


Sh  £L  lospeare  und  das  tagoliod.  Ein  beitrag  zur  vergleichenden  littoraturgeschichte 
cier  germanischen  Völker.  Von  dr.  Ludwig  FrUnkel.  Hannover,  Helwing.  1893. 
AiTI,  3,  132  8.    3  m. 

Der  Verfasser,    der  neuerdings  noch  viele  bausteine  zu  einer   goschichte   des 
dr£i.a3:ias  und  der  fabel  von  Romeo  und  Julia  beigebracht  hat,  sucht  in  dieser  von  aus- 
gob» x-eitcter  imd  vielseitiger  beleseuhoit  zeugenden  schrift  nachzuweisen,  dass  dio  söge- 
Dsucmte  tagelied-scene  (HI,  5)  der  tragödio  Shakcspeare*s  durch  deutsche  oder  nieder- 
ländische tagelieder  beoinflusst  oder  angeregt  worden  ist. 

Ich  kann,   wie  wol  die  meisten  beurteiler,    den  nach  weis  nicht  als  gelungen 
ansehen. 

Allerdings  legen  die  mehrfachen  Übereinstimmungen  in  poetischen  motivcn  und 

im    aasdruck  einen  solchen  schluss  sehr  nahe;   nicht  leicht  wird  sich  ihm  entziehen 

lormen,  wer  frisch  von  der  lectürc  der  entsprechenden  lieder  Wolframs  von  Eschen- 

baeti  oder  "Walthers  von  der  Vogelweide,    vom  Studium  dos  mhd.  minnesangs  über- 

bau.pt,  oder  '  älterer   deutscher   Volkslieder   an  jene   scene   Shakospeare's   herantritt. 

Dennoch  scheint  Fränkels  annähme,   der  ich  früher  selbst  zuneigte,   mir  jetzt  irrig; 

und  gerade  die  ausführungen  des  Verfassers  haben  meine  abweichende  ansieht  noch 

^festigt 

Fränkel  dehnt  seine  vergleichenden  betrachtungen  sehr  weit,  fast  über  die 
g&Qze  erde  aus.  Er  zieht  nicht  bloss  romanische,  slawische,  griechische,  sondern 
^gv  ägyptische,  indische,  chinesische,  malayische,  afrikanische,  neuseeländische 
lieder  oder  fabeln  heran;  auf  der  einen  soite  (91)  citiert  er  Aristophanes'  „Vögel**,  auf 
'ier  folgenden:  „Komm  herab  o  madonna  Tberesa**.  So  zeigt  er  selbst,  dass  vieles 
^OQ  dem,  was  er  gern  als  charakteristische  Übereinstimmung  zwischen  Shakespeare  und 
dem  deutschen  tagelied  hinstellen  möchte,  gemeingut  der  poesie  verschiedener  zeiten 
^<i  Völker  ist. 

Er  scheint  nicht  genügend  beachtet  zu  haben ,  dass  übereinstimmende  poetische 

''jötive,  vergleiche,   redewendungen  sich  oft  auch,   mehr  psychologisch    als  litterar- 

'^'storisch,    aus  der  übereinstimmenden  Situation  und  Stimmung  erklären  lassen.     Be- 

^ö^Jers  leicht  werden  aber  stamm-  und  geistesverwandte  dichter  wegen  ihrer  ähn- 

^Qeti  auffassungs-  und  fühlweise,  auch  unabhängig  von  einander  zu  einer  ähnlichen 

P^tiöQhgQ  gestaltung   desselben   Stoffes   kommen.     Daher  darf  man  wol   auf  paral- 

the  day  is  hroke  —  der  tag  bricht  auf 

it  is  not  yet  near  day  —  ex  ist  dem  tage  unfiähefi 

teilt  thou  be  gone  —  war  gäkest  also  balde 

***    gewicht  legen.     Dass  der  ritter   aufbrechen  will,    die  geliebte   ihn  zurückhält, 


von  tagesanbruch  gesprochen,   dass  tag,    Sonnenschein,    lerchensang  verwünscht 
.    ^en,  dass  abschied  genommen,  nach  der  widerkehr  gefragt,  gott  angerufen  wird, 
^7^^  dooh  so  selbstverständliche  consequenzen  der  Situation,  dass  man  wegen  solcher 
^^'^^diDstimmenden  Wendungen  keine  nachahmung  anzunehmen  braucht 


264  SARRAZIN 

Will  man  aber  nach  Vorbildern  dieser  scene  suchen,  so  bietet  sich  waiigstd^^^ 
eines  in  einer  englischen  dichtting,  die  Shakespeare  nachweislich  gekannt  hat 
kol  meint  zwar  (s.  31),   dass  die  ,,Ballad  of  Two  Lovers*^  in  England  der  ,einz 
tagelicdmässiger  Stimmung  vorwandte  klang '^  vor  Shakespeare  sei.    Er  scheint  a 
die  tagelied  -  scene  in  Chaucor's  Troilus  and  Creseide  übersehen  zu  haben. 

B.  in,  V.  1415  But  whan  the  cock,  commune  astrologer 

Qan  an  hie  hrest  to  heate^  and  after  crowe, 

Ä9id  Lucifer,  the  daies  fnessanger, 

Oan  to  rtsCf  and  out  hia  beames  throwe, 

— than  anonc  Creseide 

With  herte  sore,  to  TroiliLS  thus  seide: 

„Mine  Jicrtes  lifCf  my  trust,  all  my  pleasaunce, 

That  I  was  bome  alaSf  that  me  is  tüo, 

That  day  of  us  mote  make  disceveraunce, 

For  time  it  is  to  rwe,  and  hence  go, 

Or  eles  I  am  lost  for  ever  mo  : 

0  night  alas,  tchy  n*ilt  tfiou  over  us  hove, 

As  long  as  whan  Alcmena  lay  hy  Jove^^ 

This  Troilus    —     —    —     —     — 

Oan  tJiere  witJiaU  Creseide  his  lady  dere 

In  amies  straine,  and  hold  in  lovely  manere 

„  0  crucll  day ,  accuser  of  the  joy 

Thai  night  and  love  have  stole,  and  fast  ywrien, 

Accursed  be  thy  Coming  into  Troie, 

For  erery  bowre  hath  one  of  thy  bright  eyen: 

Envious  dayt  what  list  thec  so  to  spien, 

What  hast  thou  lost,  tchy  seekest  thou  this  place?" 

Da  nun  Shakespeare  Chaucer's  epische  dichtung  dramatisiert  hat,  da  er  schon 
in  einem  jugenddrama,  dem  Kaufmann  von  Venedig  (V,  1)  darauf  anspielt,  so  ist  es 
gar  nicht  unwahrscheinlich ,  dass  er  bei  der  abfassung  der  tageliedscene  durch  Chn^xiooi 
angeregt  und  bceinflusst  wurde.  Jedosfalls  lag  ihm  diese  heimische  dichtung  nüb^' 
als  deutsche  oder  holländische  liedor. 

Allerdings  dient  bei  Chaucer  der  bahn,  nicht  die  lerche  als  wecker;  und  "voß 
der  nachtigall  ist  gar  nicht  die  rede.    Hatte  Shakespeare  aber  wirklich  nötig  diö^^ 
l>oetischen  requisitcn  erst  aus  deutschen  liedom   zu   borgen?    Fränkel   sagt  (s.  92)- 
„Das  auftreten  der  uachtigall  bei  Shakespeare  ist  also  ein  erbstück  des  tageliedes.' 
Dieser  aussi)ruch  ist  charakteristisch  für  den  Stubengelehrten,   der,  ohne  viel  eig^^ 
naturboobachtung  und  phantasio,  in  jedem  poetischen  bilde  litterarische  beeioflussoO^ 
wittert. 

Als  der  achtzehnjährige  William  Shakespeare  im  sommer  1582  sein  erstem 
verstohlenes  liebcsglück  genoss,  im  dorfe  Shottery  bei  Stratford,  hat  er  gewiss  von 
deutschen  oder  holländischen  tageliedem  nichts  gowusst;  aber  nachtigallen-  und  Itf' 
chensang  hat  er  sicher  oft  genug  gehört.  Als  er  etwa  10  jähre  später  Bomeo  toA 
Julia  dichtete,  wird  er  sich  ohne  zweifei  seiner  eigenen  Jugendliebe  erinnert  haben. 
Der  zaubor  von  Shakespeares  dichtung  beruht  ja  zum  grossen  teil  auf  fliror  llltB^ 
frische  und  unmittelbarkeit.  Moderne  commentatorcn,  philologen  und  litteimriiiitoP" 
ker  lassen  sich  aber  oft  dem  kaisor  von  China  in  Andersen*s  mäiohen  vm^M^ßi 


ÜBER  FRÄNKEL,  SHAKESPEARE  UND  DAS  TAQEUKD  265 

lur  auf  die  musik  der  künstlichon  nachtigall  hören  wollte,  die  sich  wie  ein  uhr- 

aufziehen  liess,  und  darüber  den  natürlichen  gesang  des  unspheinbaren,  grauen 

ins  vergass.    Es  kann  indessen  zugegeben  werden,   dass  bei  den  dichtem  der 

renaissance,    auch  bei  Shakespeare,   die  nachtigall  mitunter  eine  conventioneile 

spielt.    Dann  ist  sie  aber  nicht  ein  orbstück  dos  tageliedes,   sondern  vielmehr 

jr  mythe,   hoisst  Philomele  und  singt  ihr  trauriges  lied  von  verlorner  Unschuld. 

auffassimg  tritt  in  Shakespeares  „Rape  of  Lucrece*  hervor,  an  einer  stelle,  die 

sonst  eine  grosso  ähnlichkeit  mit  unserer  scene  hat,   aber  von  Fränkel  mork- 

iger  weise  nicht  beachtet  worden  ist. 

Ljucr.  1079    By  this,  lamenting  Philomel  had  ended 

The  tcell'tun'd  ivarble  of  her  nightly  sorrow. 
And  solemn  night  vnih  slow  sad  gait  descended 
To  ugly  hell,  when,  lo,  the  blushifig  morrow 
Lends  light  to  all  fair  eyes  that  light  will  horrow; 
But  cloudy  Lucrece  shatnes  herseif  to  see 
And  therefore  still  in  night  wotM  cloister'd  be. 
RevecUing  day  through  every  cranny  spies, 
And  seems  to  point  her  otU  where  she  sits  weeping; 
To  whom  she  sobhing  speaks :  „  0  eye  of  eyes, 
Why  pry'st  thou  through  my  window?  leave  thy  peeping: 
Mock  with  thy  ticUing  beams  eyes  that  are  sleeping: 
Brand  not  my  foreliead  with  thy  piercing  light, 
For  day  hath  nought  to  da  what's  done  by  night," 


The  Utile  birds  that  tune  their  moming's  joy 
Make  Jier  moans  mad  with  their  sweet  melody 

,y  You  mocking  birds"  quoth  she,  „your  tunes  entomb 
Within  your  hollow-swelling  feather'd  breasts, 
And  in  my  hearing  be  you  mute  and  dumb: 
My  restless  discord  loves  no  stops  nor  rests; 

f,  Come,  Philoiyiel,  that  sing' st  of  ravishment, 
Make  thy  sad  grove  in  my  dishevell'd  hair: 
As  tJie  dank  earth  weeps  at  thy  languishment. 
So  I  at  each  sad  strain  will  strain  a  tear. 
And  with  deep  groans  the  diapason  bear; 
For  bürden 'Wise  TU  hum  oti  Tarquin  still. 
White  thou  ofi  Tereus  descanfst  better  skill. 
Wie  ich   in  dem  aufsatze  „Zur  Chronologie  von  Shakespeare's  jugenddi'amen*' 
b.  d.  deutschen  Shakespeare -gesellschaft  bd.  XXTX)  wahrscheinlich  gemacht  zu 
1  glaube ,  wurde  Lucretia  kurz  vor  Romeo  und  Julia  gedichtet.    Wir  dürfen  daher 
itierte  stelle  als  eine  Vorstudie  zu  unserer  scene  ansehen.    Die  contrastierung 
lachtigallen -  und  lerchensang,  die  Verwünschung  des  letzteren,  die  grelle  disso- 
z wischen  dem  frohen  morgenlied  der  vöglein  und  der  verzweifelnden  trauer  der 
—  das  alles  ist  in  der  Lucretia  schon  vorgebildet. 

Hier  hat  aber  die  einführung  der  Philomele  eine  ganz  prägnante   bedeutung 
beruht  auf  einer  sehr  naheliegenden  ideenassociation.     Denn  wie  Lucretia  von 


266  SARBAZIN 

TarqainiuH,  8o  war  Philomolo  von  Tereus  geschändet  worden.  Shakespeare  hatte 
beide  geschichten  in  Chaucor's  legende  von  den  guten  frauen  gelesen,  ebenso  wie  die 
von  Dido,  Cleopatra,  Thisbe,  Medea,  Ariadne,  auf  welche  er  ebenfalls  mit  vorli^ 
anspielt.  Deutlicher  noch  als  in  Eomeo  und  Julia  steht  Shakespeare  in  der  epischen 
dichtung  von  Lucretia  unter  dem  banne  Chaucer's.  Er  hat  darin  nicht  nur  die 
7 -zeilige  ^Chaucer'^ - strophe  angewandt,  in  der  Troilus  and  Creseide  gedichtet  ist» 
sondern  er  ist  auch  in  der  darstoUungsweiso  und  im  ausdruck  vielfach  von  Chancer 
beeinflusst^  Da  nun  Chaucer  bekanntlich  von  nachtigallen-  und  lerohensang  beson- 
ders gern  schwärmt,  so  mag  man  diese  motive  auf  ihn,  eher  als  auf  deutsche  tage^ 
liedor  zurückführen,  wenn  man  durchaus  ein  litterarisches  vorbild  haben  wilL 

AVio  leicht  sich  übrigens  auch  die  lerche  der  tagelied- Situation  einfügt,  geh^ 
aus  folgender  stelle  von  Shakespeare's  Venus  und  Adonis  hervor,  die  Fränkel  eben^ — 
falls  übersehen  hat: 

Ven.  853   Lo,  Jiere  the  getitle  lark,  weary  of  resf, 

Froin  his  moist  cabinet  niounts  up  on  high. 
And  wakes  the  Momingy  from  wlwse  silver  breast 
The  sun  ariseth  in  hi^  majesty. 

Die  lercho  weckt  die  schlafende  Aurora,  von  deren  busen  sich  der  Sonnengott  erhebt 

widorum  ein  antik -mythologisches  bild.    liier  und  in  dem  bekannten  liodo  aus  Cymb^- 
line  ist  die  einwirkung  Chaucere  ganz  deutlich: 

Knightes  Tale  1493  The  besy  larkej  the  nicssager  of  day, 

Salewith  in  hire  song  the  rnonce  gray; 
And  firy  Phebus  riseth  up  so  bright 


So  lassen  sich  alle  poetischen  motive  der  tagelied -scene,   welche  Fränkel 
einwirkung  deutscher  tagclieder  zurückführt,   entweder  aus  eigenen  erinnorungon  ud 
einfacher   naturboobachtung   oder   aus   euihcimischor  tradition,    in  welche  klassisch 
mythologische  Vorstellungen  hin  ein  spielten,  ungezwungen  erklären. 

Wenn  ich  so  in  der  hauptsacho  die  ergobnisse  von  Fränkcls  schrift  ablehne 
muss,   so  erkenne  ich  gern   an,    dass  er  im  einzelnen  manches  interessante  mate: 
zur  gusühiühte  des  tagelieds,  zur  entwicklung  des  naturgefühls  beigebracht  hat 

AVas  der  Verfasser  s.  34  fgg.  über  litterarische  beziehungen  zwischen  HoUan« 
und  England,  über  die  hypothese  von  Shakcspeare*s  aufenthalt  in  Holland  sagt,  isi 
dankens-  und  beachtenswert,  genügt  aber  durchaus  nicht  um  Shakespeares  bekannt-^ 
Schaft  mit  holländischen  oder  deutschen  liedern  wahrscheinlich  zu  machen.  Des  dich-- 
tei-s  geistige  und  litterarische  intci*essen  gingen,  dem  zuge  der  zeit  folgend,  vielmehr' 
nach  Frankreich  und  Italien  als  nach  Deutschland.  „Die  fülle  germanischen  wesena, 
die  uns  aus  seineu  werken  eutgegenströmf,  ist  oft  genug  hervorgehoben  worden,  und- 
soll  hier  keineswegs  geläugnet  werden.  Aber  sie  ist  durchaus  dem  heimatlichen, 
englischen  boden  entsprossen,  und  nicht  durch  den  einfluss  deutscher  poesie  genährte 
worden. 

Gerade  in  der  tagehed- scene  kann  ich  wenig  eigentümlich  germanisches  ent — 
decken.    Fränkel  erwähnt  selbst,  dass  in  einigen  punkten  (gegenüberstellung  von  nach^ 

1)  Der  oben  citierte  vers 

Lucr.  1086  Revcaling  day  through  cvery  cranny  spies 
ist  z.  b.  gewiss  eine  eriimeruug  an 

Troil.  III,  1453  Enviotis  day,  what  list  tfiee  so  to  spien. 


ÜBER  FBÄNKEL,  SUAK£SPEARB  UND  DAS  TAQEUED  267 

ti^Sflül  und  lerche,    Verwünschung    des   lerchensanges)   provenzalische,    französische, 
italienische  tageliederi  näher  stehen   (s.  93.96).    Die  kühne  personification  des  tages, 
dox*  wölke,   das  ^antlitz  der  Cynthia*^  ist  mehr  in  romanischem  als  in  germanischem 
Stil'    Die  ähnHchkeit  einer  scene  aus  Luigi  Groto's  Adriana,   welche  Klein  nachge- 
wiesen, ist  doch  sehr  auHallend  und  nicht  ohne  weiteres  bei  seite  zu  schieben,   wie 
Fränkel  getan.    Sie  wird  noch  merkwürdiger  durch  den  von  Klein  ausführlich  dar- 
gelegten,  von  Fränkel  ignorierten  umstand,   dass  auch  die  in  beiden  ditimen  unmit- 
telbar danach  folgenden  scenen  sehr  ähnlich  sind. 

Das  lokalkolorit  der  scene  ist  in  harmonie  mit  dem  ganzen  drama  und  stimmt 
za    dem  Yorausgesetzten  schauplatze.   Der  granatapfelbaum  ist  in  Oberitalien  gewiss 
mehr  zu  hause  als  in  England   oder  in  Deutschland;   dass   die   sonne   über   hoben 
bergen  aufgeht   {stände  tiptoe  on  the  misty  inountain-tops)   trifft   für  Verona  zu. 
iianche  Shakespeare -forscher  (z.  b.  K.  Elze,  M.  Koch,  H.  Isaac)  mutmassen  wogen 
des  überraschend  getreuen  lokalkolorits  in  den  meisten  italienischen  dramen   (beson- 
<iei^  Kaufmann  von  Venedig,  Zähmung  der  widerspänstigen ,  Othello),  wegen  einiger  be- 
^Äöntschaft  nut  italienischer  Umgangssprache,  die  Shakespeare  besonders  in  der  Zäh- 
lung  der  widerspänstigen  verrät,    wegen  der  kenntnis  Giulio  Romano's  und  seiner 
gömälde,   dass  der  dichter  (etwa  in  den  jähren  1592 — 93)   sich  in  Oberitalien  auf- 
gehalten.    Ich  gestehe,   dass  ich  mich  dieser  ansieht  zuneige,   die  ich   an  anderer 
stelle  mit  neuen  gründen  zu  stützen  hoffe.    Von  dieser  annähme  aus  würde  sich  die 
^elbewunderto  italienische  atmosphäre  der  tragödie  leichter  erklären.    Jedesfalls  gehört 
^JHoo  und  Julia  in  die  „  italianisieronde  *  periode  von   Shakespeare's   dichterischer 
eQtwicjj^mg  und  zeigt  viel  mehr  italienische  als  deutsche  geistosrichtung. 

KIEL,  DEOEMBBS  1894.  Q.   SABRAZIN. 


^^T  einfluss  des  reims  auf  die  spräche  Wolframs  von  Eschenbach.    Von 
Willy  Hoffmann.    Strassburg,  diss.  1894.    69  s. 

Der  Verfasser  dieser  lebhaft  und  anziehend  geschriebenen  dissertation  legt  nach 
hoffenden  allgemeinen  bemerkungen  über  die  dichterische  eigentümlichkoit  Wolframs 
zunächst  dar,  dass  der  reim  für  den  dichter  keineswegs  nur  eine  lästige  und  been- 
ß'^iido  fessel  gewesen  sei,  vielmehr  oft  ihn  zn  neuen  bildem  und  Wendungen  angeregt 
"Äl>e  (Herder  nennt  einmal  den  reim  die  „Werbetrommel  der  gedanken").  Auch 
^^^tiiiimte  Stileigentümlichkeiten  Wolframs  sind  durch  den  reim  wesentlich  gefördert, 
herauf  weist  dr.  Hoffmann  für  eine  anzahl  gut  ausgewählter  substantiva  (*t7,  site^ 
^^^ftf  kür,  schin  u.  a.;  eigennamen  s.  22  fgg.),  adjectiva  (genial ,  getan,  gerar  u.  a.), 
verba  (verbern,  vermtden,  vergexxen,  bedenken,  sich  bewegeti  u.  a.),  und  adverbiale 

"^^tirnmungen  (s.  52)  gebrauch  und  Wirkung  im  reime  nach.    Aus  der  syntax  wird 

'^^U'   i3ie  Wortstellung  s.  60  berührt. 

.  1)  Obwol  ich  an  belesenheit  nicht  mit  Fränkel  wetteifern  kann  und  will,  möchte 

*^*\  ^och  noch  eine  parallelstelle  aus  einer  spanischen  romanze  hinzufügen,    die  mir 
^^lulllig  aufgestossen  ist: 

Por  el  mes  era  de  mayOy 

ctMndo  hace  la  ealor 

cuando  canta  la  calandria 

y  responde  el  rtiysefior, 

cuando  los  enamorados 

van  d  servir  al  amor 

(Primavera  y  Flor  de  Romances  n,  16;  nr.  114a.) 


268  EKDMANN 

Ihren  vollen  wert  für  die  orkonntnis  der  eigentümlichkeit  Wolframs  v 
freilich  diese  einzelnen  nachweise  erst  erhalten,  wenn  für  joden  fall  anch  der  gel 
anderer,  sowol  höfischer  als  volkstümlicher,  dichtungen  verglichen  würde,  w£ 
Verfasser  meistens  nicht  getan  hat.  Mehrere  der  hervorgehobenen  substantiva,  ns 
lieh  sin,  schtn,  Up,  fiant  kommen  ja  überhaupt  bei  mhd.  dichtem  häufig  im 
vor.  Für  die  s.  22  fg.  gegebenen  procentangaben  der  eigennamen  im  rein 
einer  meiner  zuhörer,  herr  R.  Kraut  bei  einer  an  Hoffmanns  arbeit  angekn 
besprechung  in  unserem  germanistischen  sominar  einige  ergänznngon  dieser  ai 
gebracht,  die  ich  nebst  einigen  anderen  von  ihm  gemachten  bemerkungen  übe 
zelheiton  der  besprochenen  arbeit  mit  seiner  Zustimmung  hier  einfüge. 

„Die  procentangaben  der  eigennamen  im  reime  mögen  durch  folgende 
ergänzt  werden:  Der  Arme  Heinrich  mit  24  eigennamen  im  reime,  d.  i.  1,6  V> 
reime  (mit  dem  procentsatz  im  Iwein  übereinstimmend),  Gregorius  nur  0,84  ' 
eigennamen  im  reime),  Walther  von  der  Vogelweide  0,8  7o  (36  eigennamen  im  i 
Wolframs  Titurel  4,7  7o  (32  eigennamen  im  reime).  Die  Zählung  des  verfass 
der  „Küdrun"  (3,9  %)  variiert  mit  der  meinigen  (4,1  7o  ==^  281  eigennamen  im 
um  ein  geringes.  Natürlich  wurden  bei  diesen  Zählungen  personificierte  abstrac 
frou  Scßlde,  frou  Minne  u.  ä.  nicht  als  eigennamen  gerechnet,  da  eine  solch 
sonificierung  die  Stellung  des  wertes  im  reime  wol  kaum  beeinflusst  hat. 

Um  jedoch  den  gebrauch  der  namon  im  reime  genau  festzustellen, 
meines  erachtens  eine  derartige  Zählung  nicht  vollständig  genügen.  Man  sollte 
nur  zählen,  wie  viel  procent  aller  reim  Wörter  namcn  sind,  sondern  auch,  wi 
procent  aller  fälle,  in  denen  ein  eigenname  gebraucht  wird,  auf  die  reimstello  t 
Das  resultat  für  diese  zweite  art  der  Zählung  wäre:  Küdriin  281  :  2492  =  11. 
(wie  oben  sind  auch  hier  die  binnonreime  unberücksichtigt  geblieben),  A.  Hc 
24  :  38  =  63,1  7o>  Gregorius  34  :  72  =  47,2  7o,  Titurel  32  :  189  =--  17  7o- 

Femer  seien  mir  noch  folgende  bemerkungon  gestattet.  Die  reihenfolj 
citatzahlen  könnte  an  manchen  stellen  besser  geordnet  sein,  z.  b.  s.  25,  z.  3 
P.  761,  8.  311,  6.  413,  17.  S.  27,  z.  9  v.  u.:  P.  224,  5.  212,  2.  S.  55 
P.  752,  5.  640,  15,  S.  55  z.  11  —  12:  P.  781,  1.  Wh.  117,  27  usw.  —  P.  ; 
(im  letzten  falle  mag  ein  dmckfohler  vorliegen).  Wo  nicht  innere  gründe  eine  i 
reihonfolge  vorschreiben,  sollte  man  doch  die  natürUche  folge  der  zahlen  beobs 

Ebenso  würden  die  bemerkungen  über  einige  Unklarheiten  in  der  ausd 
weise  Wolframs  zu  anfang  des  abschnittes:  II  „A^jektiva*^  passender  an  einem  i 
platze  erwähnt  worden  sein,  vielleicht  unter  den  schlussworton  der  abhandlung. 

Übrigens  beginnt  der  Verfasser  mit  recht  bei  aufzählung  der  stereotyp  im 
gebrauchten  ac^ektiva  mit  dem  echt  Wolframischen  gemdl.  Die  überzeug 
Schlüsse,  welclie  dr.  Hoffmann  s.  37  aus  der  anwendung  dieses  wertes  auf  di< 
stehungszeit  des  Titurel  nach  dem  Parzival  zieht,  sind  besonders  wichtig. 

Zum  Schlüsse  mögen  einige  druckversehen  ihre  berichtigung  finden: 

S.  20,  z.  21:  P.  644,  18  statt  17. 

„  27,  ,14:  Wh.  27,  14     „      13. 

,  28,  ,12:     ,   151,13     „      14. 

„  32,  „15:  P.  358,  23     „      22. 

,  37,  „    4  V.  u.:  P.  405,  17  statt  16. 

,  55,  „    9     ,     :    „  119,  11     ,     12. 

55,  „    1     „     :  Wh.  55,  23.    265,  2  statt  P.  55,  23.   265,  2, 


ÜBEB  HOFFMANN,    HEIM   UND   SPRACHE  WOLFRAMS  269 

(Auch  sind  diese  zahlen,   ebenso  wie  z.  2  v.  u.:   F.  822,  9  statt  29  richtig  einzu- 
reiben.) « 

8.  56,  z.  6:  Wh.  285,  21  statt  22. 

,  56,  r,  lÖ  und  11:  Wh.    „     P." 

Soweit  herr  Kraut    Im  allgemeinen  bilden  die  nachweise  und  erörtorungen  des 
heim  dr.  Hoffmann  eine  sehr  willkommene  ergänzung  zu  den  früheren  arbeiten  (von 
Bötticher,   Kinzel,   Kant  u.  a.)   über  Wolframs  stil.    Neu  und  eigentümlich  ist  der 
am  Schlüsse  der  arbeit  s.  63  fgg.  gemachte  versuch,  ein  deutliches  und  anschauliches 
bild    von  der  entstehung  der  Wolframischen  werke  zu  gewinnen.    Hoffmann  meint, 
der  des  lesens  und  Schreibens  unkundige  dichter  habe  sich  die  französischen  quellen 
(widerholt?  erst  ganz,  dann  von  neuem  die  einzelnen  ihn  gerade  interessierenden  teile?) 
vorlesen  lassen;   er  habe  dann  in  ruhiger  meditation  den  inhalt  des  gehörten  ver- 
arbeitet und  in  deutsche  verse  gegossen ,  die  jeweilig  entstandenen  stücke  aber  einem 
kreise  begierig  lauschender  zuhörer  am  Eisenacher  hofe  persönlich  vorgetragen,  wobei 
lebhafte  anrede   des  hörerkreises  sowie  unmittelbare  improvisation  vieler  stellen  in 
ausgedehntem  masse  möglich  war.    Schliesslich  seien  die  so  entstandenen  werke  aus 
der    erinnerung  diktiert  und  dadurch  schriftlich  fixiert  worden.     Diese  Vermutungen 
Hoffmanns  haben  viel  ansprechendes  und  passen  zu   der  ausdrucksweise   und  dem 
Inhalte  von  Wolframs  dichtungen. 

Bedauerlich  ist  der  mangel  eines  inhalts Verzeichnisses,  das  doch  sonst  bei 
Strassburger  disseiiationen  nicht  fehlte.  Die  sorgfältige  anfertigung  eines  solchen 
"Ätte  dem  Verfasser  anlass  geben  können,  manches  an  andere  stelle  zu  bringen  und 
euii|Fe  nur  beiläufig  gemachten  erwähnungen  zu  besonderen  abschnitten  auszuarbeiten ; 
'^Äcliirch  wäre  nicht  nur  der  bequemlichkoit  des  lesers  gedient,  sondern  auch  die  arbeit 
®®*l>5it  vollkommener  geworden.  Hoffentlich  lässt  dr.  Hoffmann  sich  bei  späteren 
^^^iten  eine  solche  Unterlassung  nicht  wider  zu  schulden  kommen. 

KIEL.  0.   ERDB£ANN.    (f) 


^^stus  Betulius,  Susanna.  Herausgegeben  von  Johannes  Bolte.  Mit  einem 
bilde  und  einer  notenbeilage.  [Lat.  litteraturdenkmäler  des  15.  und  16.  jalirhun- 
derts,  herausgegeben  von  Max  Hemnann  und  Siegfried  Szamatöisld,  8.]  Ber- 
lin, Weidmann.  1893.    XVHI  und  92  s.     2,20  m. 

Sixt  Birck,  latinisiert  Xystus  Betulius  oder  Betuleius,  war  der  erste  Vertreter 
^er  von  Onapheus  geschaffenen  neueren  biblischen  komödie  in  Deutschland,  denn 
Beine  1537  erschienene  Susanna,  die  er  aus  der  1532  erschienenen  deutschen  Susanna 
ins  lateinische  übertrug,  war  die  erste  komödie  dieser  gattung  in  Deutschland.  Nicht 
nur  aus  diesem  gesichtspunkte,  sondern  auch  wegen  der  hohen  bedeutung,  die 
die  Susanna  Bircks  als  dramatisches  kunstwerk  beanspruchen  darf,  hat  sie  in  der 
rüstig  fortschreitenden  Sammlung  der  Lat  litteraturdenkm.  einen  platz  gefunden. 
Bolte  hat  dem  neudruck  eine  kurze  lebensskizze  des  Verfassers  vorausgeschickt,  in 
der  er  den  geburtstag  Bircks  (24.  febr.  1501)  feststellt  und  nachweist,  dass  Birck, 
der  seine  humanistischen  Studien  in  Erfurt  und  Tübingen  gemacht,  unter  dem  31.  de- 
cember  1524  in  der  Baseler  matrikel  verzeichnet  ist  In  Basel  lebte  er  dann  als 
funolus  und  korrekter  in  den  grossen  druckereien  Cratanders,  Frobens  und  Bebeis, 
ward  1530  Schulmeister  an  St  Theodor  in  Klein -Basel,  wurde  am  10.  februar  1563 
mMgabsr  promoviert   (es  war  die  erste  promotion  seit  der  widereröffhung  der 


270  HOLSTEIN 

Universität),   in  demselben  jähre  als  rektor  des  neuen  St.  Annagymnasiams  za  lo^ 
bürg,  seiner  Vaterstadt,  berufen  und  starb  am  19.  juni  4554. 

Bekannt  ist,  dass  Bircks  dramatische  tätigkeit  in  zwei  Zeitabschnitte  zeifiDt. 
einen  Baseler  und  einen  Augsburger;  aber  unbekannt  war  bisher  die  von  Holte  va& 
des  Nysäus  biographie  entnommene  tatsache,  dass  der  ersten  periode  seine  deut- 
schen, der  zweiten  aber  die  lateinischen  Schauspiele  entstammen.  Wir  hibeii 
6  deutsche  imd  7  lateinische  Schauspiele,  insofern  man  zwei  stücke,  die  zwei  muer 
Schüler,  Martin  Ostormincher  und  Johannes  Entomius,  aus  dem  deatschen  originiL 
ins  lateinische  übertrugen,  dazu  rechnen  darf. 

Am  Schlüsse  der  einleitung  stellt  Bolte  eine  veigleichung  der  deatschen  mit 
der  lateinischen  Susanna  an,   indem  er  die  analysen  beider  gibt     S.  IX  folgt  ä» 
bibliographie.    Es  werden  9  verschiedene  drucke  der  Susanna  mit  ihren  standoitoi. 
nachgewiesen  und  zwar  aus  den  jähren  1537  — 1564.    Von  der  Kölner  ausgäbe  toh 
1539  ist  ein  exomplar  auch  in  Göttingen.    Dem  neudruck  ist  die  erste  Augsbnrger" 
ausgäbe  von  1537  zu  gründe  gelegt,   aber  auch  die  in  der  Oporinschen  Sammlung' 
von  1547   vorliegende   zweite   bearbeitung  des   dichters   mit  herangezogen   worden. 
Auch  die  in  dieser  ausgäbe  gegebenen  scenenüberschriften  sind  abgedruckt  worden. 

Sehr  wichtig  ist  Boltes  bemerkung,  dass,  während  Gnapheus  eine  grosse  zahl 
von  Versen  des  Piautus  und  Torenz  seinem  Acolastus  wörtlich  einverleibt  und  seinerm 
Wortschatz  im  wesentlichen  aus  den  genannten  beiden  dichtem  entlehnt  hat,  Bircic: 
selbständiger  im  lateinischen  ausdruck  verfährt  und  wirkliche  entlehnongen  aas  de 
komikem  vormeidet.    Dagegen  hat  er  den  zweiton  akt  vom  Hippolytus  des  Senc 
benutzt,  um  die  verbrecherische  leidenschaft  der  beiden  greise  zu  schildern. 

Eine  reihe  benutzter  stellen  antiker  autoren  führt  Bolte  s.  XII  fgg.  an 
beweist  auch  hier  sich  als  guten  kenner  der  litteratur. 

Einen  besonderen  schmuck  erhält  die  ausgäbe  durch  die  beifügung  der  viei 

stimmigen  melodie  des  eingangschores  aus  der  Kölner  ausgäbe  von  1538,  sowie  eine-sS' 
holzschnittes  des  Augsburgor  maiers  und  formenschneiders  Jörg  Brem  des  jüngert-^ 
aus  dem  jähre  1540,  der  mehrere  bildliche  darstellungen  aus  der  geschichte  de:** 
Susauna  bietet  und  dossen  original  sich  im  königlichen  kupferstichkabinet  zu  Bellica 
beßndet 

WILHELMSHA\'EN.  H.    HOLSTEIN. 


Philipp  Melanchthon  Dcciamationes.  Ausgewählt  und  herausgegeben  von  Kall 
Hartfelder.  Zweites  heft.  [Lat.  litteraturdenkmäler  des  15.  und  16.  jahriiundeitt, 
herausgegeben  von  Max  Hemnann,  9.]  Borlin,  Weidmann.  1894.  XVI  und 
38  s.     Im. 

Schon  bei  der  herausgäbe  des  ersten  heftes  (1891 ;  vgl.  diese  Zeitschrift  XXVI, 
491  fg.)  war  die  absieht  ausgesprochen,  noch  andere  aus  den  übrigen  gebieten  Me- 
lanchthonischer  declamatioues  ausgewählte  stücke  zu  veröffentlichen.  Der  rastlos  und 
unablässig  auf  dem  grossen  felde  der  geschichte  des  humanismus  und  der  refonnaticm 
mit  hervorragendem  erfolge  tätige  Hartfelder  ist  seinem  schönen  Wirkungskreise  duich 
einen  frühzeitigen  tod  entrissen,  und  es  war  ihm  nicht  mehr  vergönnt,  die  fortsetmg 
der  angefangenen  arbeit  zu  sehen.  In  seinem  nachlasse  fand  sich  aber  ein  dnuik- 
fertiges  maniiscript,  das  nun  der  herausgeber  der  Ijat  litt.- denkm.  als  einteanBVW- 
mäclitnis  bekannt  gibt.  Es  sind  vier  widerum  schulfragen  bdbanddnde  radan.  b 
der  ersten  spricht  Mehuichthon  von  den  akademischen  gradea  (de  gnMÜboa  diMHAte^^ 


ÜBEB  LAT.   LITT.   DKM.   Vm.   IX  271 

deren  aofrechthaltung  von   ihm  niit  unerbittlicher  strenge  betont  wurde,   da  er  in 
ihnen  eine  bürgschaffc  für  ein  geordnetes  und  methodisches  lernen  sah.    Denn  auch 
ao  der  Wittenberger  hochschule  war  am  anfang  der  zwanziger  jähre  die  strenge  stu- 
dienordnung  früherer  zeit  aufgelöst,   wobei  die  artistenfakultät  am  meisten  benach- 
teilig war.    Die  zweite  bei  gelegenheit  einer  magisterpromotion  gehaltene  rede  han- 
delt    ,de  ordine  discendi'^;   sie  geht  unter  Grucigers  namen,   ist  aber  sicherlich  von 
Melanchthon  verfasst  worden.    Ihre  abfassung  fällt  etwa  ins  jähr  1531,   wo  Cruciger 
doceiit  der  philosophischen  fakultät  war.     Auch    diese   rede  zeigt,   dass  der  grosse 
misstand  im  Studienkreise  der  hochschule  noch   nicht  gehoben  war,   und  dass  sich 
anclx  jetzt  noch  die  Studenten  mit  übergehung  der  artes  inferiores  d.  i.  der  vorberei- 
tenden  Studien  in  der  philosophischen  fakultät  möglichst  schnell  zu  den  artes  supe- 
rioiros  d.  i.  den  eigentlichen  faohstudien  der  drei  oberen   fakultäten   drängten.    Die 
dritte  rede  „de  restituendis  scholis"  schrieb  Melanchthon  für  den  1540  an  die  Univer- 
sität   Frankfui-t  a.  0.  als  lehrer  berufenen  Schotten  Alexander  Alane  (Alesius),   der 
mit      ihr   seine   akademische   tätigkeit   daselbst   eröffnete.    In  der  vierten  von  Yitus 
Winshemius   (Vitus  Oertel  aus  Windsheim)   vorgetragenen   rede  „de  studiis  linguae 
Gra^cae"  tritt  die  starke  betonung  des  theologischen  hervor,  in  der  Melanchthon  dem 
2'ig?^  der  zeit  folgte,  die  im  laufe  des  1(3.  Jahrhunderts  sich  mehr  und  mehr  vom  rei- 
^eci     humanismus  abwandte  und  der  theologischen  richtung  grösseren  Spielraum  gönnte. 

Am  Schlüsse  der  die  nötigen  bomerkungcn  über  den  Inhalt  und  die  Persönlich- 
keit: der  vortragenden  enthaltenden  einleitung  gibt  Hartfelder  ausser  den  biblographi- 
8ca.ci^  bemerkungen,  die  übrigens  von  Max  Herrmann  durch  die  angäbe  der  verschie- 
dene ^n  lesarten  vervollständigt  worden  sind,  einige  erklärende  anmerkungen  zum  text. 
^^s^er  selbst  ist  widerum  sehr  korrekt,  nur  ist  mir  die  doppelte  Schreibung  exsilium 
(^^  -•    10)  und  exiUo  (17,  16)  aufgefallen. 

WILHELMSHAVEN.  H.   HOLSTEIN. 


i 


-^.  Bürger's  werke  herausgegeben  von  Eduard  Orisebaeh.  Mit  einer  biogra- 
phischen einleitung  und  bibliographischem  anhange.  5.  vermehrte  und  verbesserte 
Auflage.    Berlin,  G.  Grote.  1894.    LXXVm  und  504  s.    4  m. 

Diese  ausgäbe  (deren  erste  aufläge  in  unserer  Zeitschrift  5,  233—238  bospro- 
^""^^Ä  wurde)  erhält  einen  besondem  vorzug  dadurch,  dass  auch  dem  prosaiker  Bür- 
ß^^^    sein  recht  geschieht    Seine  kleineren  Schriften  und  abhandlungen  sind  jetzt  von 
^^"Xsebach  vollständiger,  als  in  irgend  einer  früheren  ausgäbe,  und  zwai*  jedesmal  auf 
^'^'^Xnd  des  im  anhange  angegebenen  ersten  di*uckes,  mitgeteilt.    Sie  haben,  wie  schon 
^^Xilich  in  dieser  Zeitschrift  27,  414  mit  recht  hervorgehoben  wurde,  auch  heute  noch 
^^uemden  wert     Deutlich  lassen   sie   erkennen,   wie  eifrig   und   erfolgreich  Bürger 
^^e  grosse  natürliche  begabung  auch  in  den  dienst  der  wissenschaftlichen  erkenntnis 
^r  muttersprache  zu  stellen  bemüht  war,    und  wie  ernst  er  es  in  seinen  späteren 
Qottinger  jähren  mit  der  aufgäbe  nahm,  durch  lehre  und  beispiel  auf  die  hebung  des 
deutschen  stils  und  Versbaues  zu  wirken.    Die  in  die  vorUegende  ausgäbe  nicht  auf- 
genommenen prosaischen  Übersetzungen   und   bearbeitungen   fremder  werke,   welche 
Bfiiger  gemacht  hat,  verzeichnet  der  herausgebor  mit  dankenswerten  bibliographischen 
oiohweisangen  s.  501  fg.;  vom  „Münchhausen'^  hat  Grisebach  bekanntlich  selbst  eine 
ton  emgehenden  Untersuchungen  begleitete  ausgäbe  erscheinen  lassen  in  der  „coUec- 
tip     '^emaiin^  Stattgart  (iSOl). 


Bürgers  gediehto  Binil  schon  in  drei  usBoren  ausgaben  gesammelt  und 
tisch  bearbeitet:  tod  Sauer  in  Kürsohners  D.  nat  litt.  bd.  TS  (1864),  vod  Orisel 
in  der  , jubelaasgnbe "  (Berlin  18S9)  und  von  Berger,  Leipzig,  bibl.  Institut  (I8ä]  < 
Jede  dieser  drei  ausgabeo  liat  ihre  Vorzüge  und  dient  den  bodürfnissea  dee  littai^^ 
turforschei's  und  des  liebhabers  der  Bürgerschen  dichtuug.  Xq  nnserer  för  wsib^^-i 
kreise  bestimmten  gesammtansgabo  von  Bürgers  werken  bat  Grisebach  die  gedic&fc^ 
neu  geordnet;  L  balladeu  und  romanzen,  voran  die  drei  glünzendstan  I»I1h1k:^- 
Bohöpfungen  Bürgers:  Lenore  —  Der  wilde  Jäger  —  Des  plarrers  toelit«r  »on  Tti^' 
benhaln  (diese  vom  herausgeber  besonders  hocbgostellt  s.  XXTI  fg.);  die  ttbngeo  iv^ 
allgemeinen  in  chronologischer  folge,  die  Jedoch  uiehrmals  (wegen  sachlicher  oi^*^ 
formeller  boi-iihrangen?)  unterbrochen  ist  H.  lieder  an  Molly,  meist  in  «linui^ — 
logischer  folge.  III.  Sprüche  und  vermiacbte  gedichte;  hier  gibt  der  henu*-^ 
geber  nur  eine  nuswabl,  die  aber  nichts  bedeutendes  und  ebarakteris tisch i 
läset.  Als  „auliang"  folgen  bearboitnngen  fremder  gedichte  durch  Bürger,  von 
die  zwei  letzten,  wahrscheinlich  zuerst  von  H,  0.  B.  Franke  entwoifenoii,  in  särant:-- — 
liehen  Oöttinger  gesammtaiisgabon  (und  auch  bei  Berger,  nicht  bei  Sauer)  ft'hleo, 

Der  zweck  dieser  auordnung  der  gedichte  war  offenbar,  dem  leser  gleich  ti^ 
anfange  des  bondoH  das  anziehendste  und  bedeutendste  zu  bieten.  In  ähnlicher  wtiiB« 
beabsichtigte  ja  Schiller  eine  neuordnuog  seiner  gedichte  auszuführen,  und  unter sw 
nen  neueren  herausgebem  bat  Boxberger  in  Kürschners  D.  nat.  litt.  bd.  1]6  o»'' 
solche  versuoht  Aber  ohne  Willkür  und  ohne  unzutrüglieb ketten  gebt  es  doch  b^ 
einer  solchen  nenordnung  nicht  leicht  ab,  auch  nicht  bei  Grisebaoh.  Unter  die  ,baK- 
ladeu  und  romauzen"  hat  er  auch  rein  lydsobe  gedichte  eingereiht,  t.  b.  75.  TS-  T9 
7Ö.  Die  „lieder  an  Molly"  geben  in  ihrer  folge  eine  deutliche  und  ergreifende  eiE^ — 
sieht  in  den  verlauf  von  Bürgers  liebesleiden  schaff  and  liebeslyrit;  aber  eben 
diesen  verlauf  deutlich  hervortreten  zu  lassen,  hat  der  herausgeber  hier  nnch  d 
taugen  eingereiht,  die  unter  die  Überschrift  der  abtcilung  nach  ihrem  wortsinne  i 
passen,  wie  die  , Männorkeuschheit "  s.  97,  die  nicht  an  Holly  gerichteten  soi 
s.  HS  und  am  Schlüsse  das  schöne  sonett  „An  das  herz"  s.  137.  Als  go' 
recensent  wollte  ich  diese  kleinen  Unebenheiten  nicht  verschweigen;  besonderes  gevi^K 
auf  sie  zu  legen  liegt  mir  fem,  znmal  einem  manne  gegenüber,  der  als  feinsinnig' 
iiebhaber  und  bewährter  kenner  der  Bürgeraoheu  dichtung  sieh  sehi 
recht  darauf  erworben  hatte,  diese  neue  Ausgabe  DBoh  seinem  sinne  zu  gestalten. 

Die  genannten  eigensohaften  bewährt  Grisebach  namentlich  auch 
gehaltenen,  aber  sehr  inhaltreichen  (auch  durch  interessante  beigaben  aus  Bürger 
briofeu  bereicherten)  einloitung.  Mit  kundiger  band  hat  er  sin  anspivuhenilea  ud 
lebenswahres  bild  von  dorn  menschen,  dichtoi'  und  Schriftsteller  Bürger  entworfau.  5 
die  schatten  dieses  biides  sind  nicht  vertuscht,  aber  sie  sind  nicht  in  den  vordeignini*^ 
gerückt,  wie  es  bei  anderen  darstellern  aus  befangenheit  oder  nngesebick  geschehen 

Die  verlagsbaudlung  hat  die  ausgäbe  in  papier  und  druck  gut  ausgeslxttet  i 
dabei  den  preis  sehr  bilhg  gestallt.     Es  ist  ihr  eine  günstige  aufnahi 
bei  allen,   die  der  bedeutsamen  gestalt  Q.  A.  Bürgots  teilnehmend  näher  tretcm  wol- 
len.   An  seinen  besten  Schöpfungen  in  poesie  und  prosn  ist  auch  heute,   mehr  ■ 
hundert  jähre  nadi  seinem  tede,   noch  nichts  veraltet,   ued  gerade  die  voiüegM« 
ausgäbe  ist  sehr  dazu  geeignet,  auch  in  weiteren  kieiseu  das  gefühl  und  die 
ms  von  Borges  hedeutung  lobendig  zu  erhalten. 


MaTTOTAS,  ÜBKR  HÄRRMaKN,  ALBRECHt  V.  EYB  273 

Schriften  zur  germanischen  philologie,  herausgegeben  von  dr.  Max  Koediger. 
VU.  heft:  Albrecht  von  Eyb  und  die  frühzeit  des  deutschen  humanis- 
mus,  von  dr.  Max  Hemnaiin.    Berlin,  Weidmann.  1893.    VU  und  437  s.    10  m. 
Der  zweck  des  buches  ist:   einen  boiti*ag  zu  bieten  zur  geschieh to  der  auf- 
Dahrne  des  humanismus  in  Deutschland,  insonderheit  in  Franken;   ferner:  den  beweis 
dafür  zu  bringen,   dass  'nicht,    wie  sonst  angenommen  worden,    Niclas  von  "Wyle, 
8on<iem  Albrecht  von  Eyb  der  erste  deutsche  humanist  gewesen;,  endlich,   dass 
hamanistische  tätigkeit  in  Deutschland  schon   unmittelbar   nach  beginn  der  zweiten 
bälfte  des  15.  Jahrhunderts  nachzuweisen  ist    In  Franken  begünstigen  den  humanis- 
mcLS  besonders  die  geistlichen  fürstenhöfe.    Er  ist  durchaus  von  süden  zu  uns  gekom- 
men; unter  den  Deutschen,    die  sich  ihm  unabhängig  von  Aoneas  Sylvius  in  Italien 
in   dje  arme  geworfen  haben,  ist  der  bedeutendste  Albrecht  von  Eyb,  der  zugleich 
die  fühlung  mit  dem  volke  nicht  verlor  und  die  schönste  prosa  schrieb,  die  wir  vor 
1500  haben. 

Er  ist  auf  schloss  Sommersdorf  in  der  nähe  von  Anspach  am  24.  august  1420 
geboren,   wo  er  seine  Jugend  verlebte  und  wo  besondere  seine  mutter  Margarete 
nnd  sein  vater  Johann  von  Eyb  einfluss  auf  seine  erzieliung  ausübten.    Die  Uni- 
versität Erfurt,   die  er  1436  mit  seinem  jüngeren  bruder  bezogen  hatte,    musste  er 
anfang  1438  infolge  des  todes  dos  vaters  wider  verlassen;    nach  dessen  letztem  wil- 
len  sollte  Albrecht  geistlich  werden.     Das  familienoberhaupt  war  jetzt   der   älteste 
söhn,    Ludwig,    bekannt  als  kanzler  des  markgrafen  Albrecht  Achilles  und  als  Ver- 
fasser der  Hohenzollerschen  denkwürdigkeiten.    Der  sparsame  bruder,    der  die  über- 
^ugung  hatte,   dass  das  , blosse  sichumhertreiben''  auf  Universitäten  keinen  zweck 
^^,    sorgte  zunächst  dafür,    dass   die   versäumte  wissenschaftliche  Vorbildung  der 
boideu  jungen  Studenten  nachgeholt  werde,  und  schickte  sie  1439  auf  die  lateinische 
schule    nach    Rothon  bürg   a.  d.  Tauber.     Als   nach    zweijährigem   gemeinsamen 
s^nlbesuch  der  jüngere  bruder  Wilhelm  infolge  eines  heftigen  Streites  mit  Ludwig, 
dör  die  herausgäbe  des  väterlichen  erbes  weigerte ,  deutschritter  geworden  war,  kehrte 
•abrecht  allein  nach  Rothenburg  zurück.    Besser  ausgerüstet,  als  das  erstemal,  bezog 
er  1444  abermals  die  Universität  Erfurt,  nachdem  er  die  an  wartschaft  auf  eine  dom- 
»^ermstelle  in  Eichstätt  erhalten  hatte.    Schon  nach  einem  halben  jähre  vertauschte 
®^  Krfurt  mit  Pavia,   wo  er  bis  1447  verweilte.     Der  berühmteste  lehrer  der  hoch- 
*^^e  war  damals  Balthasar  Rasinus,   dem  Eyb  namentlich  bei  seinem  späteren 
"^^Tich  der  Universität  nahe  trat.     Aus  dem  besonderen  kapitel,   welches  dem  manne 
Sö'Wi^met  wird  (s.  56  fgg.)?  heben  wir  nur  hervor,  dass  er  nicht  nur  ein  bedeutender 
J^Uist,  sondern  vor  allem  ein  vorzüglicher  kenner  und  crklärer  des  Plautus  war,  von 
<*essen  nouaufgefundenon  12  komödien  er  eine  abschrift  des  archetypus  besass,    der 
^^   im  besitze  des  cardinals  Oreini  befand.    Damals  hörte  Eyb  nur  Teronz  bei  ihm. 
"^    august  47  verliess  er,   veranlasst  durch  die  politischen  ^\drren,   die  nach   dem 
^ö   ^es  Protektors  der  hochschule,  des  herzogs  Philippe  Maria  von  Mailand,  ointra- 
*^3     Pavia  und  begab  sich  nach  Bologna.    Im  anschluss  an  die  von  Friedländer 
^^^   ^Calagola  herausgegebenen  Acta  nationis  germanicae  univ.  Bononiensis   gibt  der 
.^^"ftlfiser  (s.  65  fgg.)  eine  statistische  Zusammenstellung  über  den  besuch  der  univer- 
^^^t   Ton  selten  deutscher  Studenten  für  die  zeit  von  1433  —  59,  von  denen  der  Nürn- 
ir  Job.  Pirkheimer,  der  vator  Willibalds,  besonders  hervorgehoben  wird,  der 
anderen  landsleuten  gleichzeitig  mit  Eyb,  jedenfalls   aus   denselben   gründen, 
Yen  den  docenten  hat  namentlich  einfiuss  auf  diesen  ausgeübt  Job. 
werk:   De  pudicicie  sine  castitatis  laudibus  jenem  den  anstoss  zur 

•HB  FHILOLOOa.    BD.XXVm.  18 


274  MATTHIAS 

abfassung  seiner  Schriften  über  ehe  und  fraaen  gegeben  hat  Ende  48  wurde  Eyl 
mit  vielen  anderen  von  Bologna  durch  die  pest  vertrieben  und  wandte  sich  wabi 
scheinlich  nach  Padua.  1449  erhielt  er  ein  Bamberger  kanonikat,  zunächst  ohs 
in  den  genuss  der  pfründe  einzutreten,  zugleich  die  einkünfte  einer  pfarre  in  S wann 
(=  Schwanenstadt  in  Oberöstorreich).  1450 — 51  finden  wir  Eyb  zum  zweiten  ma 
in  Bologna,  von  wo  er  im  sommer  des  letzteren  Jahres  notgedrungen  nach  hau.« 
zurückkehrte,  weil  einerseits  der  bruder  Ludwig  sein  geld  nicht  mehr  nach  Italic 
schicken  mochte,  andrerseits  Eyb  in  den  genuss  der  Bambergor  pfründe  nur  gehu 
gen  konnte,  wenn  er  gemäss  einem  paragraphen  des  Statutes  mindestens  ein  ja) 
lang  persönlich  an  ort  und  stelle  weilte.  Welchen  umfang  die  humanistischen  sti 
dien  Eybs  während  seines  ersten  aufcnthaltes  in  Italien  gehabt,  läset  sich  einige 
massen  aus  der  Zusammenstellung  der  in  dieser  zeit  entweder  von  ihm  selbst  geschri« 
benen  oder  erworbenen  handschriften  ersehen,  die  jetzt  zwar  in  verschiedenen  bibli< 
theken  zerstreut  sind,  sich  aber  durch  den  eigentümlichen  einband,  durch  dasEybscI 
Wappen,  endlich  durch  einzeichnungen  als  bostandtcile  seiner  bücherei  Charakter 
sieren. 

Zu  Bamberg  tröstete  sich  Eyb  über  die  unfreiwillige  trennung  von  Italic 
dadurch,  dass  er  zur  fedcr  griff  und  damit,  soweit  unsere  kenntnis  reicht,  ds 
früheste  beispicl  humanistischer  schriftstellerei  eines  deutschen  ai 
deutschem  boden  gab.  Hier  entstehen  zuerst  zwei  kleine  lateinische  traktate :  I 
speciositate  Barbare  puellulae,  seinem  hauptteile  nach  vielleicht  eine  auf  persönUcI 
erlebnisse  zurückgehende  beschreibung  einer  schönen  Bambergerin  im  tone  des  hohe 
liedes  (s.  100 — 102);  2.  Appellacio  mulierum  Bambergensium,  eine  überaus  friv 
gehaltene,  der  Oratio  Heliogabali  des  Leonhard  Bruni  nachgebildete  klagerede  d 
Bamberger  frauen  über  unwillfährigkeit  der  männer  (s.  104  — 107);  3.  eine  aben- 
mahlspredigt;  4.  lobspruch  auf  Bamberg  (z.  t  abgedruckt  s.  109  fgg.))  &Qch  diese 
lateinischer  spi*ache.  Wie  unbehaglich  sich  Eyb  in  Bamberg  ftlhlte,  gebt  aus  eine 
an  italienische  freunde  gerichteten ,  nach  humanistischer  weise  für  die  veröfifentlichai 
bestimmten  briefo  hervor  (s.  111  — 114).  Im  Oktober  trat  er  endlich  in  den  genu 
der  pfründe,  deren  einkünfte  (s.  114  fg.)  ihm  die  möglichkeit  gewährten,  seine  hum: 
nistischen  Studien  in  Italien  unabhängig  von  dem  guten  willen  des  bruders  foitzusetze 
Zu  anfang  des  jalires  1453  finden  wir  ihn  abermals  in  Bologna,  wo  er  zu  eine 
der  procuratoren  der  deutschen  nation  gewählt  wurde.  Unsicher  ist,  wie  lange  se 
aufenthalt  währte;  jedesfalls  nicht  bis  zum  Studienjahre  1455/56;  denn  sonst  hat 
Eyb  gewiss  nicht  versäumt,  den  in  diesem  jähre  zuerst  auftretenden  lehrer  des  gri 
chischen,  Lianorus  de  Liunoris  zuhören;  des  griechischen  aber,  sogar  der  schri 
ist  er,  wie  seine  handschriften  beweisen,  völlig  unkundig  geblieben.  Von  Bologi 
aus  trat  er  auch  in  littcrarische  Verbindung  mit  der  zweiten  statte,  wo  in  Italien  Den 
sehe  sich  zalilreich  zusammenfanden,  mit  Rom,  namentlich  mit  einem  ihm  befreui 
deten  landsmanne,  dorn  humanisten  Joh.  Rot.  Durch  grosse  büchereiukäufe  gen 
er  in  schulden;  bruder  Ludwig  gewährte  eine  ausserordentliche  bewilligung  von  2( 
gülden  erst  dann,  als  Albrecht  droht,  falls  der  bruder  sein  verlangen  nicht  erfüll 
dem  geistlichen  stände  überhaupt  den  rücken  kehren  zu  wollen! 

Die  bibliothek  unifasste  namentlich  juristische  und  humanistische  handschii 
ten;  unter  letzteren  sind  die  wichtigsten  zwei  Plaut uscodicos,  von  denen  der  ersl 
die  8  schon  längst  bekannten,  der  zweite  von  den  neuentdeckten  komoedien  die  Bü 
chides,  die  Mcnaechmi  und  den  Poenulus  enthält  Ausser  20  namhaft  gemaehtB 
bänden  muss  die  büchoi-sammlung  noch  andere  umfasst  haben,   wie  aus 


ÜBER  HERRMANN,  ALBRECHT  VON  RYB  275 

absciiriften  von  der  band  des  Nürnberger  arztes  Hartmann  Schedel  hervorgeht, 
der  14^  in  Eichstätt  gewesen  ist 

Im  Vordergründe  stehen  während  des  zweiten  aufenthaltes  in  Italien  Eybs 
Plaix  tusstudien,  die  er  namentlich  in  Pavia  unter  leitung  des  schon  erwähnten 
Easiixias  machte.  Die  zahllosen  rand-  und  zwischennotizen,  welche  die  zweite  Plau- 
toshaTidschrift  enthält,  und  in  denen  wir  zum  grössten  teile  erläute rungen  jenes  leh- 
rere  ^cu  sehen  haben,  ermöglichen  es,  uns  ein  anschauliches  bild  von  der  art  der 
Plautxxsinterpretation  in  den  Vorlesungen  der  damaligen  universitätsprofessoron  zu 
machi^n  (s.  161  fgg.)-  Neben  humanistischen  Studien  betrieb  Eyb  auch  juristische, 
besoci.<Jers  in  Pavia  unter  leitung  des  Catone  Saccus,  der  auch  humanistische 
Interessen  hatte  (165  fgg.)  imd  dos  Giacomo  Ricci.  Am  7.  febr.  1459  erwarb  er 
sich  <üe  juristische  doctorwürde;  in  demselben  jähre  ernannte  ihn  auch  der  neue 
pabst  Pius  n.  (Aenoas  Sylvius)  zu  seinem  cubicularius.  Im  novomber  dessel- 
ben j «ihres  ist  Eyb  wider  in  Eichstätt,  gleichzeitig  hat  er  seine  Margarita  poetica 
vollen det  (s.  174). 

Die  betrachtung  dieses  werkes  wird  eingeleitet  durch  einen  kurzen  abriss  der 
gesclüichte  der  beredsamkeit,  wobei  die  Praocepta  des  Aeneas  Sylvius  aus  einem 
beso neueren   gründe   eine  ausführlichere  berücksichtigung  finden.     Die  beiden  ersten 
traktai.te  der  Margarita  poetica  nämlich  stimmen  wörtlich  mit  den  Praecepta  überein; 
«ß  ein  plagiat  Eybs  ist  kaum  zu  denken,    da  der  erzbischof  von  Trier,    dem  diese 
gewidmet  sind,  auch  am  Schlüsse  der  Margarita  unter  denen  genannt  wird,  denen  das 
werk:    zugeeignet  ist.    Mit  hilfe  einer  Berliner  handschrift  der  Praecepta  nun,  in  wel- 
cher    statt  Eneas:   Alberthus  und  Alb.  Eyb  als  Verfasser  bezeichnet  wird,   weist 
Herrxöann  nach,  dass  diese  überhaupt  von  Eyb  herrühren  und  eine  Jugendarbeit  von 
^Di    sind  (entstanden  zwischen  1457  und  59),    die,   weil  sich  der  Verfasser  nur  bei- 
läufig  im  texte  genannt  hatte,    von  einem  oberflächlichen  humanisten  falschlich  dem 
Aeaoas  zugeschrieben  und  den  werken  desselben  einverleibt  worden  sind;   so  dass 
*^    ^yb,    als  er  die  beiden  traktate  der  Marg.  schrieb,   nicht  den  Aeneas,    sondern 
soiuo  eigne  Jugendarbeit  benutzte.    Es  folgt  nun  eine  ausführliche  analyse  ihres  inhal- 
^®    (185  — 195),   aus  welcher  hervorgeht,   dass  der  Verfasser  zwar  ein  lehrbuch  der 
^^Un anistischen  rhetorik  liefern  wollte,   dass  er  aber  fort  und  fort  in  allgemein  sti- 
^^"tische  und  sogar  speciell  epistolographische  Vorschriften  hineingerät;   einen  gi'ossen 
'^U.iti  nehmen  die  musterbeispiele   aus  klassischen  autoren  ein,   der  mehrzahl  nach 
*^'^ommen  einem  von  Eyb  während  des  ersten  italienischen  aufenthaltes  erworbenen 
^^^d  von  ihm  selbst  fortgeführten  citatenbuche  (s.  91  fgg.);   den  schluss  bildet  eine 
^^»*ümlung  von  umfangreicheren  mustorbeLspielen  humanistischer  stilkunst,  enthaltend 
^^  fast  ausnahmslos  gesprochene  reden  verschiedener  Verfasser.    Der  epüog  enthält 
^Xisser  anderem  eine  rechtfertigung  der  neuen  Wissenschaft,    als  deren  erster  verkün- 
'i^r  Eyb  in  Deutschland  auftritt,  sodann  eine  widmung  des  dem  bischof  von  Münster 
angeeigneten  buches  an  noch  15  humanistisch  gebildete  männcr;   unter  den  8  welt- 
lichen befindet  sich  auch  sein  lehrer  Rasinus.    Aus  der  von  Herrmann  in  Eichstätt 
Entdeckten  Originalhandschrift  geht  deutlich  hervor,   dass   das  werk,   welches   erst 
1472  gedruckt  ist,  bereits  1459  ziun  abschluss  gebracht  war.    Aus  den  15  verschie- 
flenen  drucken,   die  der  Verfasser   am  Schlüsse  dos   kapitels   aufzählt,   ergibt  sich, 
"Welche  Verbreitung  das  buch  bis  zur  blute  des  humanismus  gefunden:   der  erfolg  ist 
mmeniüch  der  auswahl  klassischer  texte,  die  es  bot,  zu  danken;   „als  die  glänzende 
ipereinigiuig  der  philologie  und  des  buchdruckes  den  Deutschen  die  antiken  autoren  selbst 
in  die  liaad  gab,  da  war  es  mit  der  Wichtigkeit  der  Margarita  für  immer  vorbei  (s.  214). 

18* 


27G  MATTHIAS 

Nach  Eichstätt  zurückgekehrt,  setzte  £yb  durch,  dass  or,  zuwider  den  stata- 
ton,  welche  keinem  aufnähme  in  das  kapitel  gewährten,  der  schon  3  blutsverwandte 
darin  sitzen  hatte,   die  vollen  einkünfte  eines  domherm,   sowie  sitz  und  stimme  im 
chor  und  kapitel  bekam.    Bischof  war  damals  der  humanistisch  gebildete  Johann  HL, 
der  bimdcsgcnosse  des   benachbarten  Albrecht  Achilles,   ein   freund   des  Aencas 
Sylvius,   dem  eine  ebenso  eingehende  betrachtung  gewidmet  wird,   wie  den  seinem 
genossenkreisc    angehörenden   Joh.  v.  Heldburg,    Joh.   Mendel,    Joh.    Heller, 
Wilh.  v.  Rcichenau,   endlich  Hieronymus  v.  Eichstätt    (eigentlich  H.  Roten- 
bock),  dem  einzigen,  der  in  hiunanistischom  sinne  schriftstellerisch  tätig  ist  (s.  215  fgg.> 
Man  würde  aber  irren,   wenn  man  von  diesem  kleinen  kreise  litterarisch  gebildeter 
münner,   in  welchem  £yb  verkehrte,    einen  schluss  machen  woUto  auf  das  geistige 
nivcau  des  übrigen  klerus;   die  mehrzahl  der  geistlichen  ist  in  trägheit  und  genuss- 
sucht  versunken,   und  selbst  bessergesinnte  sind  auf  äusserlichkeiton  und  materiellen 
gewinn  bedacht;  auch  Eyb  gehört  unter  diese.    In  den  kämpfen  zwischen  den  Wittels- 
bachem  und  den  fränkischen  Hohenzollom ,  in  welche  auch  Eichstätt  dadurch  verwickelt 
ward,    dass  bischof  Johann  als  Vermittler  fungierte,   finden  wir  Eyb  als  agenten  des 
markgrafcn  tätig.    Dieser  bemühte  sich,   um  den  einfluss,   den  durch  Eyb  auf  das 
Eichstätter   und   Bambergor   kapitel   hatte,   auch   auf  Würzburg  auszudehnen;  ihm 
die  fetteste  Würzburger   pf runde,   die  erledigte  pfarrei  Hassfurt,   zu  verschaffen. 
Eyb  begab  sich  persönlich  nach  Rom  (1464),    um  seine  wähl  auch  wider  den  willen 
dos  zollemfüindlichen   Würzburger   bischofs  Johann   durchzusetzen.    Es   gelang  ihnk. 
zwar  nicht,   da  die  pfründe  ein  anderer  bekam,   der  ihm  allerdings  100  gülden  jähr^ 
lieh  abgäbe  zahlen  musste;   dagegen  erhielt  er  als  ei'satz  das  Würzburger  archidia^ 
konat  Ipphofen.     Als  er  in  Würzburg  dem  \viderstrebenden  bischof  gegenüber  seixa 
recht  persönlich  geltend  zu  machen  suchte,    wurde  er,  jedesfalls  auf  veranlassuag 
jenes  gewalttätigen  mannos,   von  zwei  herren  von  der  Tami  auf  deren  schloss  en^- 
führt  und  gefangen  gehalten.     Es  verwendeten  sich  für  ihn  sowol  markgraf  Albrecbt^ 
als  der  bischof  von  Bamberg;  besonders  mit  rücksicht  auf  den  letzten  wurde  er  zvrax 
freigelassen,  doch  nicht  eher,  als  bis  or  alles  unterschrieben,  was  seine  kerkermei^t^' 
verlangten,    vur  allem  vorzieht  auf  Ipphofen  geleistet  hatte.     Da  aber   dieser  not- 
gedrungcne  verzieht  trotz  aller  bemühungon  nicht  rückgängig  gemacht  worden  konx»*^ 
begab   sich  Eyb  zum  zweiten  male  mich  Rom  und   nahm  den  ersten  aufenthalt     ^^ 
Man  tu a,  im  dem  hofe  der  Gonzaga,   wo  er  gute  aufnähme  fand  durch  vennittluX*^ 
der   uichto   seines   gönnors,    Albrocht  Achilles,    Barbara,    markgräfin  von  Mant^«** 
deren  lob  er  im  Ehebüclilein  vorkündigt.    In  Rom  setzte  er  zwar  eine  entscheidu'^ 
iU)i>  pabstes  zu  seinen  gunsten  durch ;  die  Würzburger  aber  kehrten  sich  nicht  dar^^' 
Auch  die  bemühungen  Eybs ,  nach  der  walil  des  domprobstes  Wilhelm  von  Reicheo^^ 
zum  bischof  von  Eichstätt  (nach  Johanns  todo,  1464)  einige  von  dessen  pfründen    '^ 
erlangen,  bUeben  erfolglos. 

Weit  weniger  bedeutungsvoll,  als  Eybs  politische  tätigkeit,  ist  seine  juristiscl^^ 
(H.  'J58  fgg.)i    die  namentlich  in  der  erteilung  von  rechtsgutachten  bestand;   di^ 
m(M.sten  davon  sind  in  lateinischer,   nur  wenige  in  deutscher  spräche  abgeüeisst  tiBä 
haben  inhaltlich  für  unsere  zeit  geringes  interesse. 

Mehr  wert  haben  für  uns  seine  in  dieser  zeit  entstandenen  lateinischoo 
.schrift(>n  über  che  und  frauen,  beides  ein  lieblingsthema  Eybs:  ClarissimanUB 
fominarum  laudacio,  die  Niclas  von  Wyle  in  seinen  Translationes  stillschweigetfi 
übertragen  hat;   Invectiva  in  lenam;    An  viro  sapienti  uxor  sit  ducenda,   alle  drai 


Das  Ehel 

»■  «i«rgl.  zusammen f aast,  nr 

«cliöjisten  deutschen  bnoher 

sungBii,  welche  die  c 


mosaikarbeiten,    GntataoileQ  durch  zssammoDrüguug  nBrnentLicb  klossiGuhor  citate;  die 
letzt«  ist  die  vorlliuferin  seines  Ehebücbleina. 

Nachdem  der  verraascr  an  3  navellcn  (Ouiscacdus  und  SigiainoDda,  Hanna, 
Alt>^Lniis)  äie  in  dem  Ebebüchlein  aiifnaJime  fanden,  iind  einem  dialoge  (De  nobüitate), 
dei-  dem  Spiegel  der  aitten  einverleibt  ist),  die  von  Eyb  in  dieKen  stücken  beobach- 
tetcsia  priocipien  der  nocherzJÜiliing  festgestellt  hat  (s.  287  fgg.),  untersuebt  er  an  der 
band  der  so  gewonnenen  resnltate,  mit  welchem  rechte  neuerdbgs  Strauch  das  auo- 
nynio  werk  Qhseldis  jenem  zugeBchrieben  habe.  Er  weist  überzeugend  nach,  daGs  es 
□iclit  von  Eyb  herrülirt,  daas  dieser  vieiraehr,  als  er  die  novelle  in  Boinom  Ehebüch- 
leita     benutzte,  ein  plagiat  an  dem  linbelianntea  Verfasser  begangen  bat. 

3üch!ein.  weiches  alle  früheren  arbeiten  Eybs  über  trauen,  ehe 
id  dem  rate  von  Nürnberg  gewidmet  ist,  gehört  zu  den 
n  der  beginnenden  nenzeit.  Nach  besprecbiing  der  auf- 
D  jüdischen,  griechischen,  römischen  und  früh -christlich - 
Mlkolastischon  Schriften  gefunden  hat,  wird  der  stand[mukt,  welchen  der  humaGismus 
"<  dieser  frage  einnimmt,  aas  Schriften  des  Franciscus  Barbarus  (De  re  uxoriuj  und 
•"oSTSios  (An  soni  sit  usor  ducenda)  voranscbaulioht-  Die  bedeutendste  schrift  über 
'''s^'^n  gegenständ  jedoch  ist  Eybs  Ehebüclilein ,  welches  die  ehe  von  rein  mensoh- 
'"^«»m  siandjinnkte  aas  betrachtet,  ohne  sich  auf  die  damals  so  beliebten  juristischen 
«b^XVagen  einzulassen.  Es  folgt  sodann  eine  eingehende  besp rech ung  über  entstehung, 
^0**^  jiosition  und  inhalt  des  ganzeu  Werkes,  das  scbliessüch  (auf  s.  345 — 365),  wie 
der-  Verfasser  selbst  sagt,  sich  eine  jaeriinückung'  gefallen  lassen  muss,  d.  h,  einen 
i^'^lKneis  aller  sätze  und  sätzchen,  die  Eyb  seinen  eignen  früheren  sohriften  oder  den 
''t>^itcn  anderer  entlehnt  hat. 

Entgegen  dem  in  streng  humanistischem  geiste  geschriebenen  Ehebüchlein  ruht 
^*^  Spiegel  der  sitten  entsprechend  dem  geaohmacke  der  geistlichen  würdenträ- 
&^  ■,  denen  das  buch  gewidmet  ist,  wesentlich  auf  scholastisch -patristiscber  grond- 
l'S^  ;  die  citate.  aus  denen  auch  dieses  buch  zum  teil  bosteht,  sind  demnach  der 
malirzahl  nach  den  tircheaväteiTi  und  Scholastikern  entnommen.  Nach  einet  einge- 
hevacJon  besprechung  dos  inhaltos  folgt  der  beweis,  dass  der  deutsche  Spiegel  der  sitten 
iich,lB  bt,  als  eine  Übertragung  einer  fremden  lateinischen  ai'heit,  die  Eyb  durch 
«trüge  znsätze  erweitert  hat.  Die  druckleguog  des  Werkes,  die  er  nicht  mehr  zu 
riiiea  vermochte,  erfolgte  erat  3ti  jähre  nach  seinem  tode  durch  seinen  neffen 
kbriel  von  Eyb.  Beifall  fand  indes  das  werk  auch  jetzt  nicht,  eine  neue  aufläge 
pilelile  es  nicht,  um  so  grössere  Verbreitung  fand  der  anhang  des  buche.s:  Plautus 
I  Ügolino  Pisani  in  deutschem  gewande. 

Zu  bedauern  ist  das  spÜte  ei'scbeinen  der  dramenübertragungen,     1474,  als 

>  eostanden,    kannte  man  ans  dem  lateinischen  altertume  in  deutscher  Übersetzung 

]  Boethiiis;    IGU  dagegen  waren  bereits  die  meisten  alten  antoreo  übertragen, 

daxu  in  Schulbuch müssiger  wörtlichkeit,    im  vergleich    zu  welcher  Eybs    freie 

•"tragnngs weise  ansloss   erregte.    Seine  boarbeitnng  ist  ein  gemisch  von  erzshlung 

*  handluiig,  insofern  durch  zahlreiche  erläuternde  bemerkungen  der  oft  verwickelte 

'  önionhaug  klar  gemocht  wird.    Auf  des  Rasinus  erlitutomngen   gehen   offenbar 

'  besonders  in  den  Mi^naechmi  und  Baochides  vertretenen  soenisohen  bemorkongou 

1  anscbliisB   an    die  lateinische  vorläge  sind  in  den  Menaechmi  und  der 

vor  beginn  des  dialoges  joder  Bceno  die  namen  der  in  ihr  redenden  por- 

I  genannt,  wofür  die  Bacohides  eine  in  zusammenhängender  darsteUnng  gogehcne 

kbt  haben  der  , namen  der  persunen  in  disem   pücblin  genannt  und  gemeldet." 


27S  MATTHIAS 

AkteiDtoUuiig  ist  nicht  yorhaudon.  Nicht  bloss  die  mehrzahl  der  namen  ist  durch 
deutsche  ersetzt  (Ilointz,  Fritz,  £untz;  Barb,  Metz,  Ness);  die  ganzen  stücke  sind 
germanisiert  und  darin  besonders  besteht  Eybs  verdienst  und  der  wert  seiner  Über- 
tragung. Dio  Personen  reden  nicht  nur  deutsch,  sondern  empfinden  auch  deutsch; 
so  sind  boisi)icls weise  alle  anspiolungen  auf  antiko  Verhältnisse,  namentlich  auch  die 
heidnischen  götter  beseitigt;  der  reiche  S])nchwörter-  und  sentenzensdiatz  des  Flau- 
tus  ist  möglichst  in  deutsche  münze  umgeprägt.  Das  gab  oft  anlass  zu  Weiterungen 
oder  kürzungon;  ebendazu  führte  das  streben,  allzu  anstössiges  zu  beseitigen  oder 
zu  verschleiern,  femer  dunkolheiten  des  lateinischen  textos  aufzuhellen,  endlich,  die 
epigrammatische  kürze  des  römischen  komikers  durch  dio  behagliche  füUo  zu  ersetzen, 
die  dem  deutschen  stilgefüge,  zumal  für  die  alltigsredo  entsprechend  ist  Diesen 
vielfachen  bemühungen  entspricht  der  erfolg:  die  lektüre  der  dramcnübertragungen 
^ist  noch  heuto  ein  gonuss,  welcher  der  beschäftigung  mit  den  originalen  beinahe 
el>enbürtig  an  die  seito  tritt" 

Das  letzte  (X.)  kapitel  (s.  398  fgg.)  behandelt  den  lebensaus  gang  Eybs.  Es 
ist  aus  seinen  letzten  lebensjahren  nur  wenig  bekannt  Schon  früher  war  erwähnt 
worden,  dass  er  in  Bamberg  dem  heiligen  Sebastian  eine  kai^ellc  geweiht  habe.  Nun 
weist  der  verf;isser  auf  einen  Münchener  codex  hin,  in  welchem  sich  godichte  ab 
erläuteruiigiMi  zu  fodorzeichnungen  besonders  astrologischen  Charakters  finden.  Wäh- 
rend die  meisten  gedichte  sich  schon  in  älteren  kalcndcrn  nachweisen  lassen,  sind  5 
davon  original  und  unzweifelhaft  Eybs  eigen  tum  (s.  409 — 416);  denn  sie  sind 
nit'hts,  als  versifioiorte  konisätze  des  Spiegels  der  sitten  und  des  Ehcbüchlcins ;  und 
die  Vermutung  des  Verfassers,  dass  bilder  und  verse  die  wandtlfiche  jener  Scbastian- 
kapelle  geziert  haben,  scheint  mir  das  richtige  zu  ti-effen. 

Am  '24.  juli  1475  ist  Eyb  im  55.  lebensjahre  gestorben.  Eine  schlussbetrach- 
tung  gibt  nochmals  in  kürze  einen  ül>erbHck  über  die  Stellung,  die  Eyb  in  der  ge- 
sohii-hte  der  deutschen  litreratur  einnimmt,  und  erklärt,  warum  die  nachweit  bisher 
sich  gegen  ihn  so  undankl>ar  ennesen  hat. 

D;is  ungefähr  ist  der  iuhalt  des  baudes,  welcher  zunächst  als  ergänzung  und 
erläiitoniug  zu  den  Ividen  ersten,  dem  Ehebüchleiu  und  den  Dramenübertragungen, 
an/u>t»hen  ist:  während  diese  viele  dankKire  leser  finden  werden,  wird  der  dritte 
und  haupTteil  ausserhalb  des  enp^ten  kreises  der  fachgenossen  im  Zusammenhang 
la-im  von  jemand  gelesen  worden.  Zum  teil  liegt  das  ja  am  stoflf.  Eybs  persönlich- 
kei:  i>t  niehts  weniger,  :ds  eine  btHloutendo;  es  fehlt  überhaupt  in  der  frühzeit  des 
douTsohen  humauismu<  an  herverra^ienden  geistern.  Die  mit  der  grössten  Sorgfalt 
aufcosv.  hten  und  aufgehi-Uten  leKMis>ohioksalo  des  mannes  sind  im  grossen  und  gan- 
roü  uninteressant:  ;üu^li\l:r^s  eilt  vi»n  .Tvh.  Rot  und  Balthasar  Rasinus.  Verdient  letzterer 
woniiTS'or.s  .'ü<  erster  nusiCir^T  des  Tlautus  und  als  treisticer  urheber  von  Evbs  dra- 
iy.o:iüK^rtnu:nr.ani  eiüiires  inten^sse.  so  i<t  v.-'n  dvn  meisten  anderen  Persönlichkeiten, 
TV.::  i;or.en  Kyb  in  Ivnihir.Uf:  p^kinnnen  v>dor  in  v».  rbicdimg  getreten  ist,  kaum  mehr 
i".;  I-.t" (. l:tciu  ;Us  dass  sie  in  l;,Alion  stuii-,^rt  haU^n  ■■der  Verfasser  von  inhaltleeren 
j'r.:r.kTviei:  vvi-,  r  sohroiU^r  VvMi  Ivlnngloson  br.efoii  gewesen  sind.  Dafür,  dass  beson- 
v;ors  :r.  .ier  ers-t:^::  h;ilfte  des  bueV.es  v.mi  so  vi-l-'u  ;;ii:orjW)rdneten  ]^rsönÜchkeiten 
U'^,:  v.r.  s.^  \.-.^"-r::  v.y\v\h!:cen  vi:;'.c\^n  iiie  rt^.:-.  :s!  dürfen  wir  natürlich  den  verfas- 
SOI  v.::\'.  :ur  ^tv•ar.:^v:r:;ir.c  .:e»o'..  Alvr  .:ri>  :>:  ul»er:ius  zu  bedauern,  dass  er 
sisTh  a::V.T  i::\'Sscr.^  b.'S.V.nüikunj;  aii:or«Y^,  dAs>  rr  die  vielen  unwesentlichen  dinge 
..:ii  .;r.wioh::o"v.  i^rs. :  V\*hkei:en  r.irht  Vurrer  IvV.aruioh.  d.^ss  er  nicht  überhaupt 
■::ue  cinie  mor.c^-  >t.:V   .:;m   Ivni  j>^«.rfon    eicr  woniis^tens   nur   nebenbei  in   der 


ÜBSR  HSRBHANN,  ALBRECHT  VON  KTB  279 

anmerknng  abgetan  hat;  der  umfang  des  buches  (über  400  selten)  wäre  dadurch  ganz 
erheblich  beschränkt,  seine  lesbarkeit  bedeutend  erhöht  worden.  Erklärlich  ist  ja 
diese  ausführlichkeit;  in  den  meisten  fällen  hat  es  unsäglichen  üeiss  und  unendliche 
mühe  gekostet,  um  über  dieses  so  dunkle  gebiet  unsror  litteraturgcschichte  einiges 
licht  zu  verbreiten.  Die  freude  des  forschers,  der  es  zimi  ersten  male  betritt,  ist 
wol  begreiflich;  aber  er  darf  nicht  vergessen,  dass  er  in  einer  gegond  wandelt,  die 
besondere  reize  nicht  hat,  und  dass  der  bericht  über  die  reise  im  höchsten  grade 
ermüdet,  wenn  über  alles  und  jedes,  was  sich  dem  äuge  dargeboten  hat,  mit  glei- 
cher gründlichkeit  und  ausführlichkeit  berichtet  wird.  Das  ist  aber  leider  geschehen; 
man  höre  ein  beispiel  für  viele:  Von  dem  oben  erwähnten  Joh.  Rot,  dem  der  Ver- 
fasser eine  hervorragende  begabung  als  humanist  zuzuschreiben  selbst  weit  entfernt 
ist,  wird  zunächst,  wie  von  vielen,  eine  ausfühiiiche  lebensbeschreibung  gegeben 
(s.  127  fgg.);  sein  lob  wird  verkündet  dui'ch  einen  brief  des  kaiserlichen  kanzleibeam- 
ten  Joh.  Tröster  (den  sein  gönner,  Aeneas  Sylvius,  einen  homo  subagrestis  nennt) 
an  dessen  kollegen  Wolfg.  Forchtenauor;  diesen  Tröster  fordert  ßot  auf,  sich  in  einer 
Schrift  über  das  wescn  der  liebe  zu  äussern.  Sodann  behauptet  er  in  einem  anderen 
schreiben  an  den  angesehensten  deutschen  Juristen  Gregor  Heimburg  imter  anderem, 
die  „rhetorik''^  sei  hoch  erhaben  über  die  Jurisprudenz.  Heimburg,  dessen  Stellung 
zum  humanismus  erörtert  wird  (s.  134  fg.),  weist  diese  behauptung  sehr  entschieden 
zurück  (s,  135  fg.);  Kots  duplik  ist  eine  förmliche  abhandlung,  die,  wie  der  Verfasser 
selbst  sagt,  nur  von  massigem  interesse  ist  und  deren  schwülstiges  pathos  abstösst 
(s.  136);  Rot  rühmt  sich  seines  angeblichen  sioges  über  den  Juristen  in  briefon  an 
seine  freunde,  unter  denen  auch  Eyb  ist  (s.  137);  der  brief  ist  nicht  erhalten;  sein 
inhalt  stammt  aus  einem  schreiben  des  Andreas  Bavarus,  den  Eyb  als  antwort  auf 
das  diesem  mitgeteilte  schreiben  Rots  erhielt;  nebenbei  wird  der  inhalt  eines  bitt- 
schreibens  des  Bavarus  an  den  Salzburger  kanzlor  Bemh.  v.  Erayburg  mitgeteilt; 
s.  139  folgt  jene  antwort  auf  den  Eybschen  brief,  in  welcher  „in  unlogischer  weise" 
entwickelt  wird,  dass  Rot  überhaupt  kein  himianist  sei  —  usw.  usw.:  12  selten,  durch 
welche  man  sich  mit  seufzen  hindurchwindet,  und  deren  inhalt  auf  eine  seite  zusam- 
mengedrängt werden  musste.  Denn  was  soll  die  ganze  auseinandcrsetzung?  Envei- 
sen,  dass  die  humanistische  bildung  bei  männern  vom  schlage  Rots  in  der  kunst 
besteht,  in  glänzenden  phrasen  über  jedes,  auch  das  nichtssagendste  thema  reden  zu 
können.  Das  war  mit  wenigen  worten  gesagt  und  statt  den  inhalt  der  langatmigen 
briefe  zu  widerholen,  hätte  sich  der  vertasser  darauf  beschränken  sollen,  kurz  auf 
die  darin  behandelten  gegenstände  hinzuweisen.  Andre  umfangreiche  betrachtungou 
liest  man  zwar  mit  grossem  interesse,  z.  b.  die  über  die  Verfassung  der  lateinischen 
schule  in  Rothenburg  a.  d.  Tauber,  über  die  einrichtung  der  italienischen  Universi- 
täten, über  die  geschichto  der  rhetorik  (als  olnleitung  zur  Margarita  poetica),  über 
Schriften  betreffend  f rauon  und  ehe  (als  einleitung  zum  Ehebüchloln)  usw. :  aber  es 
sind  doch  dinge,  die  mit  Eybs  Persönlichkeit  und  werken  oder  mit  der  frühzeit  des 
deutschen  humanismus  nur  in  losem  zusammenhange  stehen ,  deshalb  nicht  in  solcher 
ausdehnung  behandelt  werden  durften,  dass  man  das  themä  des  buches  zeitweise 
ganz  aus  den  äugen  verliert.  Die  zerpflückung  des  Ebebüchleins  möchte  man  über- 
haupt an  dieser  stelle  missen  und  lieber  unter  dem  texte  (heft  1)  sehen;  denn  ohne 
diesen  weiss  man  hier  mit  den  10  selten  citaten  tatsächlich  nichts  anzufangen. 

Was  wir  an  dem  buche  auszusetzen  haben,  bezieht  sich  ausschliesslich  auf 
die  art  der  darstellung  und  die  komposltion,  nicht  auf  den  inhalt.  Dieser 
beruht  zum  grossen  teil  auf  solchem  material,   welches  —  oft  aus  den  entlegensten 


winkeln  —  berbeizoscIialTen  der  verTassor  leoine  zeit  und  niüho,  vormatlicli  ancli  trä>^ 
kosten  gescheut  haL     Auf  gntnd  dieses  m&tadab  ist  es  ihm  gelungen,  uachzuweis?««^ 
dofis  Eybs  ^rsöniicbkeit  und  Schriften  dMh  etwas  mein  koacb-tung  verdienen,  4l« 
ihnen  nach  der  bescheidenen  roUo,   die   sie   in  den  meisten  litteratitrgeEcliichteD  ftpi^^ 
leu,    tiisber  zuzukonimeo  schieu.    Kurz  z.  b.  (Gesoh.  d.  litt.  1,  788)  emähnt  in  d«r 
vita  Efb»  die  dramen Übertragungen  gor  niuht-    an  der  sleüe,    wo  er  von  ihneo  redet 
(ebda  715''),    sagt  er;    Ilans  Nydbardt  war  der  erste,  welcher  einen  voisnch  der  txt 
(der  übereetzung  aus  dem  lateinischen)  machte:  er  übersetzte  don  Gunndi  dasTemu, 
der  111  Ulm  im  jähre  14S6  im  druck  erschieD.    Ihm  folgte  eiu  unbekannter,  dar  den 
Terenz  voilstitudig  verdeutschte  (Strassb.  14!I9);    und  im  Jahre  1511    üboreatite  Al- 
brecht von  Eyb  dio  Meuächmen  und  die  Bacehidea  des  Plantus;    Kurz  verwechselt 
alsu  die  zeit  des  dniukes  mit  der  2eit  der  abfassung  und  weist  diuuit  £;h  in  der 
gesehicbte  der  übersetzungslitteratur  eine  ganz  falsche  stelle  an. 

Auch  im  einzelnen  gelangt  der  Verfasser  zu  ganz  neuen  and  oft  überiaacbn— 
den  reaultaten.  Ich  erinnere  nur  an  den  nauhweis,  dass  die  Praecepta.  die  bis  jetst 
in  den  opcra  des  Aeccas  Sflvius  stellen,  Eybs  eigentum  sind  (a.  179  fgg.),  tot  ilbi^ 
aber  an  die  Untersuchung  über  die  deutsche  Orisardis  (301  —  311),  deren  erg«lid^ 
durah  dio  entdcckung  dos  wirklichen  antors  (Eth.  Gross,  einl.  s.  VI)  eioo 
II  hat. 

PROF.  na.  MATtBUB. 


E.  T.  A.  Hoffmann.    Sein  leben  und  seine  werko.    Von  Oeorf  ElUnger.    Harn.— 
bürg  und  Leipzig,  Leopold  Voss.    I8[>4.    XU  und  230  s.    5  m. 

Das  intcresso  ou  noSmauns  werken,  das  nie  ganz  erloschen  war,  ist  sdK 
einem  Jahrzehnt  beständig  im  wachsen;  das  beweist  dio  grosse  zahl  der  neuen  auf- 
lagen, in  deneu  HoSmaans  Schriften  in  deutscher,  franzijsischer,  englischer  mul 
italienischer  spräche  alljährlich  eracbeinon.  Die  Wissenschaft  dagegen  hat  sich  wt 
einem  halben  jahrhandort  fast  gar  nicht  mit  diesem  dichter  beschAftigt.  Hitxigs  bio— 
gmphie  ist  1823,  die  von  Eunü  1836  erschienon,  und  die  spärlichen  weiteren  ergt^ 
nisso  der  forscbung  haben  Boxberger  und  Uax  Koch  in  ihren  litterarhistorischea  ein-' 
leituugen  zur  Hompelschen  Hoffmannausgabe  and  zum  147.  bände  der  Doutschen  nitio- 
nollitteratur  aofgozäblt  und  verweitet 

Das  bedürfnis  nach  einer  neuen,  anf  selbstündiger  forscbung  beruhenden  Uo- 
grapbie  war  also  entschiedeo  vorhanden,  und  im  ganzen  wird  dieses  bedürfnis  dutoh 
GUingera  buch  in  erfreulicher  weise  befriedigt 

In  22  kapiteln  sbd  Hofiinaous  werke  im  auschluss  an  seinen  lebensgang,  ia 
ohronologischer  Ordnung  untersucht.  Eine  zusanimeofassung  dieser  zahlrcicfasn  kap' 
tel  in  4  oder  5  grässero  gruppen  Wäre  der  übcniicbUichkeit  wegen  violleidit  in. 
empfehlen  gewesen. 

Ausser  der  ausführlichen  und  einsichtigen  darlegung  der  einflüsse  des  oH^ 
preuBsischen  volksoharakters  auf  Qoffmann  bringt  Elltnger  über  den  lebensgang  it^ 
dichters  nicht  viel  neues. 

Die  Pedanterie  von  Bitzig  und  Ennz  kam  der  kenntnis  von  HoEhianns  lebMB — 
lauf  insofern  zu  gute,  ab  sie  wenig  tatsächliches  ausser  acht  liess,  während  eu*  !** 
der  beurteilung  dieser  tatsachen  freilich  häufig  irre  gieng.  Diesen  fehler  hat  Ellto|0'' 
Dun  auszugleichen  gesucht,   iodein  er  auch  Boffiuanns  schwächen  in  das  licbl  liuW 


ÜBKB   SLLINQKB,   E.  T.  A.  UOFFMANN  281 

dnsiclitigen  and  nachsichtigen  beurteilong  setzt  Neu  sind  in  der  lebensbeschreibong 
der  name  der  frau  Hatt,  einige  daten  über  Hoffmanns  eitern  und  über  die  kraft- 
genialische Fosener  zeit,  für  die  Ellinger  in  den  Denkwürdigkeiten  des  Posener 
Juristen  J.  L.  Schwarz  eine  neue,  freilich  trübe  quelle  entdeckte  (s.  26.  196  —  98). 
Mit  gutem  kritischen  urteil  sind  die  autobiographischen  elemente  aus  Hoffmanns  wer- 
ken herausgeschält  und  geschickt  in  die  lebensdai*stellung  verwoben.  Die  pflicht  der 
nachprüfung  überlieferter  daten  (s.  VH)  hätte  als  selbstverständlich  nicht  betont  wor- 
den dürfen. 

Mit  recht  hat  Ellinger  das  hauptaugenmerk  auf  die  quellen  gerichtet,  aus 
denen  Hoffmann  schöpfte.  Teilweise  wai-en  diese  bereits  bekannt,  teilweise  aber 
bedurften  sie  wie  bei  Bameaus  neffen  (s.  80.  214)  oder  bei  der  figur  des  rats  Krespel 
(s.  130.  221)  noch  näherer  Untersuchung;  vielfach  hat  Ellinger  sie  neu  aufgefunden. 

Vor  allem  hat  er  nachgewiesen,  dass  der  bisher  überschätzte  einfluss  von 
J^an  Paul  auf  Hoffmann  nur  von  kurzer  dauer  war.  Er  reicht  bis  zur  AVarschauer 
zöit,  in  der  Hoffmann  den  werken  der  romantikor  näher  trat.  Aber  auch  bis  dahin 
gieng  Jean  Pauls  einwirkung  nicht  bis  zu  Stoffentlehnungen,  während  Hoffmanns 
abhängigkeit  von  Wackenroder,  Tieck  und  Novalis  in  form  imd  inhalt  seiner  Schrif- 
ten durch  Ellinger  mit  Sicherheit  nachgewiesen  ist.  Bei  diesen  quellenuntersuchungen 
2oigt  sich  Ellinger  mit  wenigen  ausnahmen  (z.  b.  s.  148  fg.  Kater  Murr)  glücklich 
und  massvoll.  Besonders  gelungen  scheinen  mir  die  bemerkimgen  über  die  geistes- 
verwandtschaft  Callots  mit  Hoffmann  (s.  75).  —  Gern  wüsste  man  näheres  darüber, 
^B  Rochlitz  (s.  79)  auf  das  seltsame  thema  kam,  das  zu  der  figur  des  Kreisler 
fölirte. 

Diese  reichlichen  quellennachwoiso  rücken  Hoffmanns  Stellung  in  der  litteratur- 
geschichte  in  klareres  licht,  wählend  man  bisher  ihn  bald  neben  Jean  Paul,  Müllner, 
W'enier,  ja  neben  Uhland  und  E.  K.  F.  Schulz  gestellt  hat.    Zugleich  klären  uns 
<"eso   quellenforschungen  über  Hoffmanns  schaffensweise  auf,  bei  der  Ellinger  mit  recht 
^^    Otto  Ludwigs  Selbstbekenntnisse  (s.  174.  187)  hinweist.     "Wir  sehen  jetzt  deut- 
"^^,     wie  Hoffmann  Überlieferungen  mit  phantasiegebilden   und   eigenen   erlebnissen 
^^   einem  ganzen  künstlerisch  verband,   das  er  dann  durch  das  medium  seiner  unge- 
wöhnlich scharfen  beobachtungsgabe  uns  menschlich  nahe  bringt.    So  erhalten  selbst 
^*^   tollsten  ausgeburten  seiner  phantasie  ein  gewisses  reales  leben. 

Auch  Ellingers  urteilen  über  die  einzelnen  werke  des  dichters  wird  man  meist 

^^Pflichten.    Das  fräulein  von  Scudery  (s.  139  fgg.)  stellt  er  aber  wol  etwas  zu  hoch, 

^'^^    das  „Spielerglück**  rechne  ich  nicht  zu  den  „wolgelungenen"  erzählungen  (s.  142), 

öuix   gerade  die  einkleidung,    die  Ellinger  lobt,    halte  ich  für  einen  misgriff,    weil 

^^i'ch  die  gleichförmigkeit  der  drei  ineinander  geschobenen  spielergeschichten  keine 

^^^   sollen  geltung  kommt. 

Ausser  den  fruchten  einer  gründlichen  durcharbeitung  des  zugänglichen  mate- 
.^*s    für  Hoffmanns  juristische  tätigkeit,  enthält  Ellingers  biographie  nun  endlich  auch 
®    erste  eingehendere  Würdigung  des  musikors  Hoffmann. 

Ellinger  hat  die  zahlreichen  kompositionen ,    die   noch  vorhanden  sind,   einer 

SOii^^Q^  durchsieht  unterworfen,   sie  geschmackvoll  analysiert  und  ihnen  einen  be- 

^**xinten  platz  in  der  geschichto  der  musik  angewiesen.    Die  mehrfach  aufgetauchte 

_j.^^^^ung,   dass  Hoffmann  ein  Vorläufer  Wagners  gewesen  sei  (s.  193),    wii-d  durch 

^**^  erörtemngen  auf  das  richtige  mass  beschränkt. 

Wie  wichtig  HofEmanns  musik  -  ästhetische  Wirksamkeit  auch   für  seine  litte- 
schriften  ist,   beweist  der  von  Ellinger  entdeckte  aufsatz  über  „Alte  und 


282  BHEDFBLDT 

neae  kirchoninusik*^.  Wie  dio  bekannto  besprechong  dor  Beethovensohea  C-dv- 
niosso  kehrt  Dämlich  auch  dieser  aufsatz  teils  wörtlich,  teils  in  freierer  benntzung  in 
den  Serapions-brüdem  (s.  74.  201  — 13)  wider.  Ebenso  hat  Ellinger  die  mosikreoeii- 
sionen  zum  ersten  male  untersacht,  deren  wert  für  HofFmanns  persöulidikeit  und 
seine  allgemeinen  kunstanschauungen  äusserst  bedeutend  ist ;  einige  davon  hat  er  iIh 
Hoffmanns  eigentum  erst  nachgewiesen. 

Dor  schluss  des  buchcs  sammelt  einige  urteile  über  Hoffmann,  unter  denen 
das  von  Carlylo  (s.  181)  fehlt;  dann  wird  Hoffmanns  einwirkung  auf  die  poesio  und 
musik  dor  ihm  folgenden  zeit  kurz  erörtert  Mit  recht  ist  Willibald  Alexis  (s.  185) 
trotz  seines  eigenen  Widerspruches  zu  Hoffmanns  schülem  gezählt;  unter  Hofifounns 
direkten  nachfolgorn  scheint  mir  Weis  flog  (s.  36.  183)  doch  unterschätzt 

Ellinger  ist  mit  seiner  biographie  dem  weitverzweigten  schaffen  Hoffmanns 
entschieden  gorecht  geworden;  dio  wärme,  mit  der  er  Hoffmann  bewundert,  artet 
nirgends  in  blinde  lobproisung  aus;  nur  in  einem  punkte  ist  uns  meines  erachtens 
Ellioger  crheblichos  schuldig  geblieben:  die  wonigen  allgemeinen  betrachtungen  über 
Hoffmanns  stil  sind  nicht  genügend.  Ist  er  originell?  Hat  er  Wandlungen  erfahren? 
Mir  fällt  da  die  s.  41  mitgeteilte  anekdote  auf.  Bei  Fouque,  der  dieselbe  anekdote 
erzählt,  lauten  Hoffmanns  worte  anders,  weniger  charakteristisch,  während  sie  bei 
Ellinger  durchaus  das  geprägo  tragen,  das  später  den  Schriftsteller  auszeichnete.  Die 
anekdote  fällt  noch  vor  die  schriftstellerische  tätigkcit  Iloffmaims  und  ist  deshalb  mei- 
ner ansieht  nach  in  diosor  hinsieht  doppelt  bedeutend. 

Ellingers  buch  ist  trotz  dieser  geringen  ausstellungen  mehr,  als  ein  ^enster 
grösserer  versuch*'  (s.  VIII),  auch  die  darstellungswoise  ist  mit  einigen  kleinen  aus- 
nahmen lobenswert. 

LBIPZIQ.  CABL  HEIlfE. 


Eichondorffs  jugonddichtungon.    Von  Eduard  USber.    Berlm,  C.  Vogt  1894- 
80  s.     1,80  m. 

Dio  jugenddichtungon  Eichendorffs,  denen  die  vorliegende  Untersuchung  gewi^' 
met  ist,  la.ssen,  wio  der  Verfasser  am  Schlüsse  seiner  arbeit  (s.  77  —  80)  im  einielncö 
nachweist,    fast  schon  don  ganzen  Eichendorff  erkennen.    Das  hat  der  Verfasser  voo 
„Ahnung  und  gcgonwart*'  mit  dem  Messiasdichter  gemeinsam:  beide  stebn  bald  n»c^ 
ihrem  ersten  hcrvoi-treten  so  zu  sagen  als  „fertig**  und  in  sich  abgeschlossen  da;  ei^^ 
tiefgehende  innere  entwicklung  und  uniwandelung  ihres  wesons  haben  beide  spftt«?^ 
nicht  mehr  durchgemacht.    Die  themata  ihrer  Jugend  bleiben  wälirend  ihres  gau**** 
folgenden  lebens  die  vorhei'schenden  und  werden  nur  in  einigen  punkten  modifici^^ 
und  variiert. 

Daraus  ergibt  sich  aber  die  Schwierigkeit,  ihre  poetische  Wirksamkeit  in  scb**^ 
geschiedene  perioden  zu  sondern.  Höher  gesteht  dies  für  Eichendorff  selber  zu  (voT* 
wort  s.  3).  Dun  schluss  für  dessen  Jugendzeit  setzt  er  in  die  jähre  1815  und  16,  ^^ 
zeit  der  rückkehr  Eichondorffs  aus  den  befreiungskriegeu  und  seines  eintritts  in  d^^ 
preussischen  Staatsdienst  (dcc.  1816).  Man  kann  ilim  darin  zustimmen,  wiewol  m^^ 
auch'.z.  b.l^sohon  das  jähr  1811,  in  welchem  der  roman  „Ahnung  und  gogenwaf^ 
l)eendigt  wurde,  als  einen  solchen  grenzpunkt  ansehen  könnte. 

Dio  ältesten  erhaltenen  i)oetischen  versuche  Eichendorffs  reichen  bis  in  Bt^^^ 
Breslauor  gxnnnasiastonzoit  HSOl — 4)  zuriick.  Den  so  1)egronzton  zoitraum  von  ^* 
bis  15  jähren  hat  Höber  eingehend  studiert  und   gesdiickt   behandelt,    Yial 


ÜBKR   HÖRER,   EICllKNDOKFFS   JUGENDDICUTUNQIäN  283 

freilich  wird  man  kaum  orwarten;  Minors  giündlicher  aufsatz  ^Zum  Jubiläum  Eichen- 
dorffe*  Ztschr.  XXI,  214 — 232  konnte  nur  im  einzelnen  ergänzt  und  weiter  ausge- 
baut werden. 

Höber  zerlegt  seinen  stoff  in  zwei  teile:  der  erste  (s.  7  —  47)  handelt  von  den 
Jugendgedichten  (im  engeren  sinne!),  der  zweite  (s.  49  —  75)  von  dem  romane  „Ahnung 
ODd  gegenwarf^.    Im  ersten  teile  scheint  mir  der  Schwerpunkt  der  arbeit  zu  liegen, 
wie  donn  ja  auch  EichendorfTs  rühm  und  bedeutung  hauptsächlich  auf  seiner  lyrik 
beruht.    Nach   einer  kurzen   angäbe  der   ersten  drucke   der  Jugendgedichte   werden 
diese    in  drei  „perioden"  geschieden,   welche  durch  die  jähre  1807,  1811  und  1815 
begrenzt  sind.    Die  poesie  der  schul-  und  Studienjahre  (s.  9 — 19)  biotot  nicht 
viel  hervorragendes,  enthält  aber  schon  fruchtbare  keime  für  die  spätere  entwicklung 
natur,    religion   und  der  widerstreit  von  dichtung  und  leben  bilden  schon  hier  die 
baupt±homata.    In  der  zweiten  periode  1808  bis  1811  (s.  19—39)  haben  der  aufent- 
balt  in  Heidelberg  (Des  knaben  wundorhom!),  die  liebe  und  die  Zeitverhältnisse  Eichen- 
dorfif    auf  die   höhe  seines  lyrischen   Schaffens  emporgehoben.     Einige  religiöse  und 
stimnaiuigslieder  erinnern  freilich  noch  ganz  an  die  vorige  periode  und  wären  darum 
vielleicht  besser  gleich  zu  [dieser  gezogen  worden  (vgl.  s.  22).    Die  hauptmasse  der 
gediolite  dieser  zeit  ordnet  Höber,   im  anschluss  an  eine  offenbar  zufällig  getane 
äussorung  des  dichters,  nach  folgenden  gesichtspunkten  (s.  24fgg.):   Sehnsucht,  früh- 
iJDg,    liebe,  hoimat,  Goethe.    Eine  wunderliche  Zusammenstellung!    Höber  hätte  sicher- 
lich    iDesser  getan,   wenn  er  die  anordnung  der  zweiten  Leipziger  ausgäbe  von  1864 
befolgt  hätte;   sie  entspricht  doch  wol  Eichendorffs  eigenen  ansichten  und  absiebten, 
vgl.  IDietze  in  seiner  ausgäbe  Eichendorffs  bd.  1 ,  405.    Der  abschnitt  „Goethe*  nimmt 
sich      neben  den  anderen  doch  gar  eigentümlich  aus;   man  könnte  danach  vermuten, 
^s*   Goethe  in  einer  anzahl  von  liedem  gefeiert  worden  wäre.    Im  gegenteü,  das  ein- 
^gö  ,    welches  Höber  anführt  („Ach  von  dem  weichen  pfühle",  vgl.  s.  28)  ist  nur  eine 
parodie  des  Goetheschen  gedichtes:  „Nachtgesang''.    Wol  hat  der  meistor  auf  den 
jungen  lyriker  mächtig  gewirkt;   aber  das  gehört  doch  mehr  zur  allgemeinen  Cha- 
rakteristik.   Ausserdem   könnte  man   gegen  jene   gruppierung   einwenden,    dass   bei 
Eicliondorff  —  wie  auch  Höber  selber  zugeben  muss  (s.  25)  —  liebe,  natur  und  früh- 
es    sich  häufig  gar  nicht  von  einander  trennen  lassen.    Hieran  reiht  Höher  sodann 
nocli   zwei  abteilungen:  Romanzen  und  Zeitgedichte  (s.  28  —  35).    In  dem  sehr  lesens- 
werten abschnitte  über  die  romanzen,   von  denen   er   manche  lieber   lieder  nennen 
mochte  (s.  28),   weist  er  für  mehrere  nicht  ohne  glück,   aber  auch  nicht  ohne  vor- 
iger (vgl.  Dietze  a.  a.  o.  s.  404)  die  „  quellen  **  nach ;  auch  für  „  Das  zerbrochene 
'mglein'*,  Eichendorffs  bekannteste  und  berühmteste  Schöpfung,  findet  er  wol  mit  recht 
nnndestens  eine  sehr  interessante  parallele,  wenn  nicht  die  anregung  in  zwei  Strophen 
aus  Des  knaben  wunderhom  (teil  I.  Heidelberg  1806,  s.  103:  „Des  müUors  abschied*). 
unter   den    „  Zeitgedichten  *   hätte   bei   der  besprechung  von  „Der  jäger  abschied" 
(8.  34  fg.)  die  durch  Lyon  in  der  Zeitschr.  f.  d.  d .  u.  IV,  76  fgg.  und  Koch  in  dersel- 
^^  Zeitschrift  VI,  348  fg.  vertretene  auffassung  erwähnt  werden  können,   obwol  ihr 
awt>h   den  umstand,   dass  das  lied  bereits  1810  gedichtet  ist,   der  boden  entzogen 
^!^^'     In  der  dritten  periode   (1812  bis  1815)   stehen   die   zeitgedichte   oben  an. 
^'»^  jedoch  Höber  die  liebeslieder  aus  diesen  jähren  als  „nichtssagend  und  flach** 
^-^iohnet  und  meint,  dass  sie  gegen  die  früheren  entschieden  zumckständen,  so  ist 
^f  4och  wol  ein  zu  hartes  urteil  gegenüber  so  tief  empfundenen  liedem  wie  „Neue 
^^*^*    (Han,  mein  her«,  warum  so  fröhlich),   „An  Luise**    (Ich  wolt'  in  liedern  oft 

'  und  gGlüok**  (Wie  jauchzt  meine  scele).  —    Am  Schlüsse  einer  jeden 


284  8CHMEDE8 

dieser  drei  „perioden*^  ist  ein  abschnitt  über  „spräche  und  metrik*'  angehängt,  der 
aber  wichtige  fragen  der  eigentlichen  motrik  (z.  b.  den  gebrauch  zweisilbiger  worte  in 
der  Senkung)  gar  nicht  berührt. 

Die  Charakteristik  und  ästhetische  Würdigung,   welche  Höber  von  dem  ronuue 
„Ahnung  und  gegen  wart  *^  gibt,   muss  als  recht  gelungen  bezeichnet  werden.    Kar 
hätte  der  Verfasser  meines  crachtens  etwas  näher  auf  die  teohnik  und  Ökonomie  des- 
selben eingehen  können.    Sonst  findet  er  den  hauptmangel  des  romans  mit  recht  io 
dem  fehlen  der  plastik  bei  darstellung  der  personen  und  Torgänge  (s.  61).   Die  zusam- 
menhänge mit  „Wilhelm  Meister^  imd  den  romanen  der  romantiker  werden  eingefaeod 
besprochen.    Dabei  scheint  dem  Verfasser  das  buch  von  Donner  „Der  einfluss  Wil- 
helm Meistors  auf  den  roman  der  romantiker*^,   Berlin  1893  (211  Seiten!),   angezeigt 
von  Minor  DLZ  XY,  sp.  743  —  745 ,  entgangen  zu  sein.    Eine  direkte  nachahmung  des 
Goothischen  meisterwerks  nimt  Höber  nicht  an;   Eichendorff  habe  seinen  gcist  und 
seine  natur  auch  in  dem  ausgoprägt,   was  er  von  dort  herübergenommon  (s.  70).  — 
Im  letzten  abschnitte  worden  „biographische  grundlagen  zu  dem  romane*^  aufgedec^ 
in  bezug  auf  das  lokal  und  auf  die  Charaktere.    Hier  wäre  es  vielleicht  interessanter 
gewesen,   anstatt  nach  einem  „modell*^  für  den  minister  u.  a.  zu  suchen,   die  fragB 
zu  erörtern,    ob  Eicliendorff  bei  der  Zeichnung  des  dichters  Faber  eine  bestirnte  per- 
sönlichkeit im  augo  geliabt  habe. 

Im  ganzen  wird  man  das  buch  Ilöbers  nicht  ohne  genuss  und  belehnmg  lesen. 
Sein  Stil  ist  glatt  und  flüssig,  wie  die  vorse  seines  dichters  Eichendorfif  selbst;  aof&l- 
lond  ist  jedoch  der  ausdruck:  „vorfassungszeit  des  gedichtes*^  s.  43;  vgL  s.  49  und  75- 
Auch  von  druckfehlem  ist  das  buch  fast  völlig  frei.  Ich  habe  nur  notiert:  „den^ 
statt  „dem**  (in  einem  citat!)  (s.  43),  „zweite**  statt  „dritte**  (s.  31  z.  6  v.  u.)  und. 
zweimal  (s.  7  anm.  1  und  s.  71  anm.  1)  „Herrmann**  statt  „Hermann**. 

KIEL.  AUGUST  BBEDFELDT. 


Die  vaganten-strophe  der  mittellateinischen  dichtung  und  das  verhält  — 
nis  derselben  zu  mhd.  strophonformen.  Ein  beitrag  zur  Carmina- Barana  — 
frage.  Von  dr.  J.  Schreiber.  Strassburg  i.  E.,  Schlesier.  1894.  2  blL  w 
204  s.    f)  m. 

Das  erste  kapitcl  der  unter  gleichem  titel  teilweise  schon  als  Strassburger  dis- 
sertation  erschienenen  schiift  handelt  vom  bau  der  sogenannten  Vagantenstrophe. 
Verfasser  sieht  in  ihr  —  wie  mir  scheint,  nüt  recht  —  eine  selbständige,  in  der  latei^ — 
nischen  rhythmendichtuiig  des  12.  Jahrhunderts  auf  französischem  Sprachgebiet  ent— 
staudene  fonn.     Ob  für  die  13silbi^e  vagantenzeile  ein  vorbild  in  der  quantitierendei»' 
lateinischen  poosie  gesucht  worden  dai'f ,  will  ich  dahingestellt  sein  lassen:  sicher  is^ 
aber  dies  vorbild  nicht  der  hexamctor  gewesen,  wie  Schreiber  zu  glauben  geneigt  ist^ 
Dem,  was  über  die  verschiedene  Verwendung  von  auftakt,  zusatzsilben  im  versinnenL« 
taktwechsel,   caesur-  und  versschluss,  reim  und  caesurreim  in  der  vagantenzeile  bem 
französischen,  englischen  und  deutschen  dichtdhi  gesagt  wird,  kann  ich  im  allgemein 
uon  zustimmen.     In  den  folgenden   kaj)iteln  untersucht  Schreiber   die   gedichte  der* 
Bcnedictbeurer  handschrift,   deren  form  die  vagantenstrophe  in  ihrer  ursprüngUcheo 
oder  in  modificierter  gestalt  ist,  auf  ihre  tochnik,  um  auf  die  ergebnisse  dieser  Unter- 
suchung  gestützt  zeit   und  ort  ihrer   entstohung   nachzuweisen.     Nun   ist  nicht  H» 
loujrnen,    dass  neben  inhalt  und  ausdruck,   die  übrigens  auch  Schreiber  in  der  rpgel 
gebührend  in  betracht  zieht,    besonderheiten  der  form  für  die  bestimmung  des  diok* 


IjBEB  SCnREIBEtt,  vaoantknstrophe  285 

rs  oder  mindestens  seiner  zeit  von  bodeutong  sind.  Es  ist  nur  schlimm,  dass  bei 
iT  entschieden  oft  recht  mangelhaften  Überlieferung  der  gedichte  in  der  Benedict- 
iurer  handschrift  für  derartige  Untersuchungen  hier  der  sichere  boden  fehlt.  Der 
Nasser  ist  sich  dieser  Schwierigkeit  bewusst  imd  hat  in  mehreren  fällen  versucht, 
ch  erst  einen  kritischen  text  als  grundlage  herzustellen.  Dass  ihm  dies  gelungen 
3i,  kann  ich  nicht  zugeben.  Ein  lesbarer  text,  wie  Schreiber  ihn  in  solchen  fällen 
leist  wol  erhält,  ist  eben  noch  lange  kein  kritischer.  Zudem  leiden  die  teile  des 
uches,  die  sich  mit  textkritik  befassen,  an  einer  gewissen  Unübersichtlichkeit.  Der 
erfasser  hätte  besser  getan,  wenn  er  einfach  seine  recension  abgedruckt  und  mit 
iinem  ganz  knappen  kritischen  apparat  begleitet  hätte.  Jetzt  ist  nicht  allemal  klar 
m  sehen,  wie  er  denn  eigentlich  lesen  will.  So  ist  (s.  26)  zu  OB  XIX,  17,  5  nichts 
bemerkt;  es  scheint  aber,  dass  Schreiber  die  lesart  Schmellers  beibehalten  will:  dann 
aber  hat  er  (s.  27)  für  dies  gedieht  einen  taktwechsel  zu  wenig  ^gegeben. 

Für  die  meisten  gedichte,  die  Schreiber  in  den  kreis  seiner  untersuchimg 
gezogen  hat,  nimmt  er  französischen  Ursprung  an.  Einige  weist  er,  zum  teil  in 
Übereinstimmung  mit  Giesebrecht,  dem  Walther  von  Chätillon  zu,  nicht  ohne  Wahr- 
scheinlichkeit. Die  annähme  dagegen,  dass  dieser  Walther  und  der  Archipoeta  iden- 
tisch seien,  ist  entschieden  abzuweisen:  was  an  gründen  dafür  vorgebracht  wird,  ist 
Dicht  stichhaltig.  Nur  ein  kleiner  teil  der  gedichte ,  und  entschieden  nicht  der  bessere, 
^t  nach  des  Verfassers  ansieht  mit  bestimmthoit  auf  deutsche  vaganten  zurückzufüh- 
^n.  In  nicht  wenigen  fällen  freilich  kommt  er  über  etwas  zaghaft  geäusserte  ver- 
latungcn  nicht  hinaus;  zuweilen  sieht  er  sich  sogar  in  einem  dilomma,  aus  dem  er 
ßa  ausweg  nicht  findet  (vgl.  z.  b.  s.  68  zu  CB  50).  Wie  weit  im  einzelnen  die  auf- 
ellvLogen  des  Verfassers  berechtigt  sind,  kann  mit  rücksicht  auf  den  beschränkten 
Ulli  hier  nicht  dargelegt  woi*den. 

Nur  über  seine  auffassung  der  beziehungen  zwischen  den  lateinischen  gedich- 
^  und  den  ihnen  beigegebenen  deutschon  Strophen  ist  noch  ein  wort  zu  sagen:  soll 
doch  die  schrift  vor  allem  ein  beitrag  zur  iösung  der  frage  sein,  ob  wir  in  diesen 
'öpien  nachbildungen  der  lateinischen  oder  umgekehrt  ihre  Vorbilder  zu  sehen 
t^n!  Der  Verfasser  verficht  die  Originalität  der  lateinischen  gedichte.  Ob  seine 
isfülinmgen  im  einzelnen  geeignet  sind,  irgend  jemand,  der  anderer  ansieht  ist,  zu 
itohien,  scheint  mir  zweifelhaft.  Höchstens  könnte  man  ihm  hier  und  da  zugeben, 
*ss  die  lateinischen  Strophen  nicht  gut  unmittelbar  nach  dem  vorbilde  der  ihnen  bei- 
3gebenen  einen  deutschon  entstanden  sein  können,  womit  denn  aber  doch  das  gegen- 
'il  noch  nicht  ohne  weiteres  erwiesen  ist.  Mir  scheint,  die  frage  ist  überhaupt 
icht  so  einfach  zu  fassen,  wie  Schreiber  es  tut.  Es  bleibt  eine  erklänmg  möglich, 
10  <^s  Verhältnis  zwischen  lateinischem  gedieht  und  deutscher  strophe  überhaupt 
'^«t  oder  doch  jedesfalls  für  einen  teil  der  fälle  nicht  als  das  von  vorbild  und  nach- 
iQiung  ansieht.  —   Unangenehm  sind  mir  in  dem  buche  zahlreiche  druckfehler  auf- 

WANDSBECK,   28.  FXBB.   1895.  J.   SCHMEDJSS. 


Erklttrung. 

Eossinna  macht  mir  (Beiti*.  20,  259)  den  Vorwurf,  dass  ich  den  Verfasser 
*^  von  ihm  angegriffenen  artikels,  der  unlängst  in  dieser  Zeitschrift  veröffentlicht 
'^^e,  nicht  auf  seine  „Unterlassungssünden"  hingewiesen,  d.  h.  auf  die  von  ihm 
^^t   berücksichtigte,   denselben  gegenständ  betreffende  neueste  litteratur  ihn  nicht 


aufmerksam  gemaaht  hab«.  Ich  muss  diesen  vorwurf  als  durchaus 
rüokweisoQ.  Wcan  K.  meint,  dass  mir  dio  gesammte  [aclilitteratui  unmittelbar  lud) 
ibrom  erscheiaen  zugänglich  aei,  so  ii^t  das  eine  anschauuug,  die  seine  eigene  i^D' 
Rtige  löge,  jetleraejt  buh  don  reichen  achätr.en  der  Berliner  kgl.  bibliothek  scliüpfeo  m 
können,  auch  hei  anderen  minder  glücklieben  sterblichen  voranaEetzt,  nod  wene  « 
mix  xuuiutet,  dass  ich  die  ganze  ungeheure  niasse,  die  jährlich  prodnciert  vird, 
sofort  lesen  nnd  verdauen  müsse,  so  ist  das  einfach  eine  lache rlicbkeit-  Wtobn 
wandert  sich  K.  darüber,  dass  dem  betr.  artikel  die  spalten  meines  organs  geöfln«! 
seien,  obwol  ich  gbichKoitig  in  einer  fuaanole  erklärt  habe,  dass  die  &a.';riihntDe«o 
des  verlassers  mich  nicht  überzeugt  hätten;  er  verschweigt  aber,  dass  dio  grünila, 
weshalb  die  anfcabme  erfolgte,  in  derselben  fussnote  ausdrücklich  angegeben  sind. 
Im  übrigen  glaube  ich,  dasa  Jeder  beransgeber  dagegen  protestieren  wird,  dass  mw 
ihn  für  alles,  was  er  in  seiner  Zeitschrift  veröfTontlicht,  für  jede  hypothese,  die  seiM 
mitarbeiter  auesprochen,  verantwui-tlich  macht;  die  Verantwortung  hat  zun&ehat  unlw- 
dingt  der  autor  zu  tragen.  Niemandem  i.  b.  ist  es  eingefallen,  die  zalillosen  sclimtHT, 
die  in  Haupts  ztschr.  oder  in  Pfeiffers  Germania  auf  nordischem  gebiete  b^aogM 
worden  (man  erinnere  sich  u.  a.  der  dilcttantischon  runendeiitungen  Dietrichs  nd« 
der  durch  sachkemitnis  durchaus  ongotrübton  eroTterungeo  Jordans  über  don  Oddrünu- 
grätr),  den  heraosgebem,  die  nicht  skandinavisten  vom  fach  waren,  zur  last  zn  leeea 
und  ebensowenig  hat  —  um  ein  beispiul  aus  der  nllerjüngsten  vergangenhdt  au  wüh- 
len —  Rud.  Much  den  redakteur  der  Boitrilgo  darüber  zur  rede  zu  etellcn  viS^ 
erdreistet,  warum  ein  aufsatz,  den  jener  als  „schutt"  bezeichnet,  der  ,hinmg- 
geräumt  werden  müsse",  in  diesem  organ  zxa  vereSentlichung  zugeli 
Km.,  JIM  1890.  mroo 


NEUE  ERSCHEINUNGEN. 


Albertus,  Lniircntliis,  Deutsche  grammatik,  [1573]  herausg.  von  Carl  Müller- 

Kraureuth.     Strassburg,  Trübner,  18SI5.    XXXIV  (ü).  159  s.   3  m.     (A.  u.  d.  t 

Ältere  deutsche  grammatiken  in  neudmuken,  herauag.  von  John  Meior.  I1I.| 
Berlit,  Georg«  Rudolf  Hildebrand,  ein  eriunerongsbild.     Leipzig,  Tenbner.  18S& 

(Sonderabdruck  ans  den  Neuen  Jahrbüchern  für  klasa.  pbilol.  und  pAdag.)    41  i. 

I  m. 
Bolte,  J-,   nnd  B«elrauiD,  W.,   Niederdeutsche   Schauspiele   älterer  Etit 

(Drucke  des  Vereins  für  od.  Rprochforachung  IV.)    Norden  und  Leipzig,  D.  Softao. 

1895.    48  und  164  a.    3  m. 
Brnekner,  IVUti.,  Die  spräche  der  Laugobardcu.    Stnu^sburg,  Trübner.   1696. 

XVI,  338  s.    (QF.  75.)    8  m. 
Coek,  Albert  B.,   Exerciaes   in  Old  English.     Boston,  Oinn  &  oo.    189b,    fV, 

tW  s.     1.60  m. 

Übungsstücke  zum  übersetzen  aus  dem  englischen  ins  aogelsücbsische. 
PUntüer,  H.,   Goethe,   Karl  August  und  Ottokar  Lorenz.    Dresdeo.  V- ff. 

Esche.  1895.     126  s,       m. 

Gegen  I/)ronz,  Goethes  politische  lehrjaliro  (Berlin,  1893). 
Elster,  E.,  Die  aufgaben  der  litteraturgescbichte.    Akademischo  ai 

Halle,  Niomeyor.  1894.    H  und  22  s.    0,80  m. 


287 

Fabrlttw),  ItaiH,  Das  büohlein  gloiclistimmcDdcr  wiirtor  aber  angleichs 
vorstaDiles  |1531]  Lsg.  von  John  Meier,  Straasbiirg,  Trübner.  1895.  TtT.n 
(TP),  44  s.  2  m.  (A.  u.  d.  t, ;  Ältero  dentscho  grammatikeD  iu  noiidniokon,  iisg. 
von  John  Meior.  I.) 

Hutimr,  Oskar,  Die  di^atEchen  altortämer  dos  Niliclnngonliedes  und  der 
Kndrnn.     Cothon,  0.  Schulne.  18Ö4.     VID,  551  a. 

Ilfrt,  Herrn.,  Der  indogormaniBciio  akzont,  oin  liandbuch.  8tTas.sburg,  Trüb- 
ner. I«D5.    XXBI,  356  b.    9  m. 

nubiior,  Rudolf,  Jacob  Orimm  und  das  deutsche  rocht.  Mit  einem  anhange: 
ungedmokte  briafe  an  J.  Grimm.  Göttingen,  Dieteriuh.  1895.  VIll  und  187  8. 
4  m. 

Lieht« nber);er,  H.,  Histoire  de  \a  langue  allouiando.  Paris,  Ä.  Laisnoy,  ]8flC, 
XIV  und  479  8.    7,50  frca  =  6  m. 

Uker,  Vnnx  von.  Das  Kanariorbucb.  Geschichte  ond  gesittang  der  Oerma- 
non  aur  den  kauarischen  inseln.  Aus  dorn  naohlasso  horau-sgogeben.  HuQchi>n, 
J.  Schweitzer.  I8!)5.    (IV),  053  s.    8  m. 

Die  aufflätze,  die  der  verfasset  vor  Jahren  in  der  Augsburger  Allgem.  zeitung 
YCTöffoD (lichte ,  sind  hier  zu  eioem  buche  erwtntert,  Einer  Widerlegung  bedarf  die 
hypolhese,  dass  die  Guaudscben  auf  den  kanarischen  inseln  reste  der  Vandaleo 
gewesen  seien,  für  philologiseh  gebildete  lesar  nicht. 

■ngnäiiann,  Elrikr,  Odins  horso  YggdraailL  London,  Society  for  promotiog 
Christian  knowledge,  1895.     64  s. 

Keringer,  Rud.,  und  Hajer,  Karl,  Torsprechen  und  verlesen,  eine  psycho- 
lugi.sGh  -  linguistische  Studie.    Stuttgart,  Guschen.  1895.    XIY,  204  8.    4,50  m. 

Bentsch,  Job.,  Lucianatudien.  Beilage  zum  gymn.-programm  Plauen  i.V.  1895. 
44  s.    4. 

1:  Lncian  und  Voltaire,  oino  vorgleichende  Charakteristik  (s.  1—14),  — 
11:  das  totongespräch  in  der  littoiatnr  (s,  15—40;  s.  33  fgg.  werden  die  nach- 
«irkmigen  Luoians  iu  Deutschland  mit  ausgebreiteter  litteraturkenntnis  verfolgt).  — 
Drei  weitere  Studien  stellt  der  Verfasser  in  aussiebt. 

B«nt«r,  F.,  Friedrich  Küokert  und  Joseph  Kopp.  Beilage  zum  programm  dea 
gymnasiums  zu  Altona.    1895.    4S  s. 

Diese  fortsetzung  der  programm -abhandlungen  von  1888  und  1893  enthält 
17  briefe  des  diohters  an  seinen  Erlangor  freund  Kopp  ans  den  jähren  1837—42, 
einige  briefe  an  Karl  von  Raumer  und  mehrere  gediohle  Rückerts, 

Rid«lerborT,  Kdoo,  Sophie  von  La  Roche,  die  schfilerin  Richardsons  und 
Rousseans.    Göttingen,  diss.  in  comm.  bei  reppmüller.  1895.     109  s.     2  m. 

SWHler,  Fre4rik,  Das  Nibelungenlied,  Siegfried  der  schiangenlöter  und 
nagen  von  Tronje.  Eine  mythologische  und  historische  Untersuchung.  Stock- 
holm, P.  A.  Norstedt  &  süner.  1895.    AJl),  124  a.    3,60  m. 

Sf-falH^er,  O.,  Studien  über  das  tagolied.  Ein  beitrag  zur  litteraturgeschichte 
des  mittelalters.    Jena,  H.  Fohle.  1895.     IV  und  89  8.     1.80  m, 

t<«binidt,  B.,  Der  vooalismus  der  Siegerländor  mundart.  Halle,  Niemoyer. 
1894.     136  8.    3,60  m. 

Sebitn»,  A.,  Über  die  Alkestis  des  Euripides.  Rode  am  27.  janunr  1895. 
Kiel,  univeiaitStsbuchhandlung.    27  s. 

8.16.  25  —  27  über  Wielands  Singspiel  und  Goethes  schwank  ,Oötter,  Lei- 
den und  Vieland  ',  mit  wortvoUen  nachweisen  über  die  von  Goethe  bennteten  quollen. 


2B8  N£UE  KRSCHfimüKQBN.      NACHRICUTKN 

Hteinmeycr,  £•  und  Sierers,  £.,  Die  althochdeutschen  glossoD.  3.  band: 
Sachlich  geordnete  glossaro  bearb.  von  E.  Steinmeyer.  Berlin,  TVeidmann.  1895. 
Xn  und  723  s. 

ThomasiuS)  Chr.,  Von  nachahmung  der  Franzosen.  Nach  den  ausgaben  von 
1687  und  1701.  Herausgegeben  von  August  Sauer.  [Deutsche  litterahirdeni- 
niale  dos  18.  und  19.  jahrhundeits,  nr.  51  (=  neue  folge  nr.  1).]  Stattgart  1894. 
IX  und  50  s.    0,60  m. 

porkelsson,  Jon,  Islensk  sagnord  med  {>älogri  mynd  i  nütid  (verba  practe- 
ritopi-aesentia).    Reykjavik  1895.    IV  und  80  s. 

Tyrol,  Fritz,  Lcssings  sprachliche  revision  seiner  jugenddramen.  I3er- 
ün,  C.  Vogt.  1893.    70  s.     1,80  m. 

Der  Verfasser  vergleicht  die  revidierte  ausgäbe  von  Lessings  jogenddnuneo 
im  1.  und  2.  bände  der  Lustspiele  (1767),  sowie  die  „Miss  Sara  Sampson*^  von 
1772  mit  der  ersten  ausgäbe  in  den  Schriften  (1754—56).  Die  vergleichnng 
erstreckt  sich  auf  alle  einzclheiton  der  tlexion,  des  Wortschatzes,  der  Wortfügung 
und  dos  Stiles.  Die  ergebnisse  der  Untersuchungen  werden  am  Schlüsse  (s.  70) 
allgemein  charakterisiert  durch  den  satz:  Lessings  princip  bei  der  revision  seiner 
jugenddramen  war,  mit  möglichst  eleganter  form,  aber  unter  Währung  des  ganzen 
spraclireichtums,  eine  möglichst  grosse  kuappheit  und  prägnanz  des  ausdrucks  za 
verbinden. 

Vetter,  Ferd.,  Die  neuentdeckte  biboldichtung  des  9.  Jahrhunderts.  IGk 
dorn  tüxt  und  der  Übersetzung  der  ueuaufgefundencn  vatikanischen  bruchstucke. 
Basel,  B.  Schwabe.  1895.    47  s.     1,50  m. 

Wamatseh,  0.,  Beiträge  zur  germanischen  mythologie.  Gynin. - progr.  Bea- 
then  0.  S.  1895.     20  s.  4°. 

1.   Logi  —  Loki  —  Prometheus.     2.   Odin  Widrir  —  Wunderer.     Anhang: 
Altnordische  sagen  auf  dem  gyumasium. 

Wimmer,  Ludv.  F.  A.,  De  dausko  runemindosmasrker.  Afbildningeme  udfoite 
af  J.  Magnus  Petersen.  I.  De  historisko  i*unemindesmsorker.  Kobenhavn,  G)'l- 
deudal.    1895.     174  s.     gr.  4.    25  kr.  =  28,13  m. 

NACHRICHTEN. 

Am  13.  juni  verstarb  zu  Kiel  der  ordentl.  professor  der  deutschen  phiiologie, 
dr.  Oskar  Erdmanu  (vgl.  oben  s.  228  fgg.);  am  6.  juli  zu  Berlin  der  ordontL  pro- 
fessor der  englischen  spräche  und  litteratur,  dr.  Julius  Zupitza  (geb.  4.  Januar 
1814  zu  Korpon),  der  sich  durch  seine  mittclliochdoutschcn  arbeiten  auch  um  dio 
deutsche  phiiologie  bleibende  Verdienste  erworben  hat  imd  vor  jähren  auch  unserer 
Zeitschrift  einzelne  beitrage  lieferte;  am  9.  august  zu  Kopenhagen  der  runolog  George 
Stephens  (geb.  13.  docember  1813  zu  Liverpool). 

Der  ausserordentl.  professor  dr.  Th.  Vetter  in  Zürich  wurde  zum  Ordinarius 
ernannt-,  der  ordentl.  professor  dr.  J.  Bächtold  in  Zürich  an  die  Universität  Leipzif 
berufen. 

Habilitiert  haben  sich:  für  germanische  phiiologie  in  München  dr.  Fr.  Fao- 
zer,  für  neuere  litteraturgoschichte  in  Jena  dr.  R.  Schlösser  und  in  Münster  dr. 
F.  Schwering. 

Ualle  a.  S. ,  Baohdxiickeiei  dos  WaiMnhaues. 


DDE  GÖTTIN  NEKTHUS  UND  DEE  GOTT  NIOKPR 

Wie  bekannt,  beschreibt  Tacitus  in  seiner  Germania  kap.  40,  wie 
sieben  kleinere  stamme  gemeinsam  die  göttin  Nerihus  „Terram  matrem" 
auf  einer  insel  im  ocean  verehrten.  Die  sprachliche  identität  von  Ner- 
ihus und  Niqrpr  liegt  offen  zu  tage,  und  dass  Niqrpr  eine  art  männ- 
licher entsprechung  zu  Nerthus  ist,  hat  man  schon  längst  einge- 
sehen. 

Schon  Munch  hat  in  seinem  buche  „Det  norske  folks  historie**  I. 
1.  s.  57  betont,  dass  man  eine  männliche  und  eine  weibliche  gottheit 
Nerthus  gehabt  habe:  „Wenn  es  an  einer  stelle  in  unsern  alten  denk- 
mälem  heisst,  dass  Njerd  mit  seiner  Schwester  verheiratet  gewesen 
sei,  bevor  er  unter  die  Äsen  aufgenommen  worden,  so  wird  damit 
deutlich  genug  auf  eine  männliche  und  eine  weibliche  gottheit  Nerthus 
hingezielt,  gleichwie  man  einen  Frauja  und  eine  Fraujo  hatte;  mit 
andern  werten,  der  männliche  Nerthus  (Njerd)  und  Frauja  (Frey) 
sind  nur  verschiedene  namen  für  eine  männliche,  die  weibliche  Ner- 
thus (Jerd)  und  Fraujo  nur  verschiedene  namen  für  eine  weibliche 
hauptgottheit,  nämlich  jene  für  Wodan  (Odin),  diese  für  „mutter  erde*' 
(Frigg).^  Wie  Munch  hier  bemerkt,  ist  Freyr  eigentlich  mit  Niqrpr 
und  Freyja  eigentlich  mit  der  weiblichen  iVer/Aws  identisch;  seine  auf- 
fassung  ist  aber  im  übrigen  nicht  richtig. 

Die  nahe  Verwandtschaft  zwischen  Freyr-Freyia  und  Nerthus- 
Niqrpr^  ergibt  sich   unter  anderm  auch    daraus,    dass  der  upsalische 

1)  Die  identität  von  NiQr[)r  und  Nerthus  wird  auch  dadurch  befa-äftigt,  dass 
Niqrpr  im  Codex  regius  der  Snorra  Edda  (I,  260,  anm.  12)  vagnagtiä  genannt  wird. 
Diese  lesart  ist  nänüich  sicher  die  ursprüngliche,  und  es  muss  hierbei  beachtet  wer- 
den, dass  nach  der  beschroibung  des  Tacitus  der  wagen  im  Nerthus -kultus  eine 
grosse  rolle  spielt  (gleichwie  der  wagen  in  dem  upsalischen  Frey -kultus  von 
grosser  bedeutung  ist;  vgl.  die  Flateyjarbok).  Der  Ck)dex  regius  hat  als  antwort  auf 
die  frage  „Hvemig  skal  kenna  Njqrd?^^  folgendes:  Svä,  at  kalla  kann  vagna  gud 
eda  vana  nid  [nach  Sn.  E.  I,  260  anm.  13  hat  dort  ursprünglich  vapna  nid  gestan- 
den] eda  van.  Cod.  W.  hat  vanga  gud,  Cod.  upsal.  dagegen  vana  gud,  was  vom 
herausgeber  der  1848*°'  ausgäbe  in  den  text  eingesetzt  worden  ist  und  von  ihm  als 
die  richtige  lesart  betrachtet  wird.    Das  ursprüngliche  vagna  gud  ist  im  Cod.  upsal. 

SmSOHRIFT  P.   DKUTSCHK  PHILOLOOIl.     BD.  XXVm.  19 


Frey-kiiltua,  wie  er  in  der  Flateyjarbök  I,  338  beschrieben  wird,  nihM 
mit  der  beschreibuug  übereinstimmt,   die  Tacitus   (kap.  40)   vom  Net — * 
thuS'kuUus  gibt    Darum  hat  auch  kaum  ein  mytholog  bezweifelt,  di^c^ 
man  ea  hier  mit  einunddemseJben  kiiltus  zu  tun  hat.  , 

In  der  (svensk)  Historisk  tidskrift  1895  s.  157  fgg.  habe  ich  !.■ 
einem  aufsatze  „Gm  Ynglingar  säsom  uamn  p^  en  svensk  bonungE«-) 
ätt"  gelegenhcit  gehabt,  diesen  gegenständ  nebst  ein  paar  damit  in  vew* 
bindung  stehenden  fragen  zu  behandeln.  loh  gebe  zueret  ein  knnn 
rofei'at  der  resultate,  zu  denen  ich  diirt  gekommen  bin.  Freys  beneai- 
nung  higunarfreyr  iat  aus  einem  älteren  Int)una  drfreyr  „Emtetierr 
der  Ingvinen"  entstanden,  wie  Outjia  aljmig  „der  Goten  altliing"  in 
der  geschichte  Gotlands  2  Gut7iatpirig  (geschrieben  (futnal  ping)  gewo^ 
den  ist  Vgl.  mit  drfreyr,  dass  Frcyr  als  gott  des  Wachstums  und  tkr 
&ucl]tbarkcit  verehrt  wird,  und  besonders  seine  benennung  rfn/w/l  in 
der  Sn.  E.  I,  262.  Die  ältere  form  für  Yngvifrcifr  Ist  wahrscheinlicli 
Ingtcirtfretfr  „der  Ingvinen -herr*  gewesen  (das  n  ist  in  nnaccen- 
tuJerter  silbe  vor  f  verloren  gegangen);  vgl.  ags.  tngunne,  benennang 
für  Ost-Dänen  {vielleicht  auch  Yngt^in  v.  1.  zu  Ytiguni  in  der  Heims- 
kringia  ed.  Finnur  Janssen  I.  33).  Nach  Tacitus  (kap.  2)  wohnten  dit 
IngBBvones  (Ingva^ones)  „proximi  ocoano",  d.  h.  an  der  Ostsee  oder  u 
der  Nordsee  oder  an  diesen  beiden  meeren ,  und  es  waren  ing\-a?oniBdl« 
(ingvinischc)  stamme,  welche  die  Nortbus  verehrten;  vgl,  Much,  Bei- 
träge  XVII,  178  fgg.  Im  Beowulf  haben  wir  eine  andeutung,  dw 
die  Ingvinen  im  östlichen  Dänemark  {Schonen}  wälirend  einer  etw* 
späteren  zeit  einen  liierrait  verwandten  kultus  gehabt  haben  (vgl.  Hef- 
mann Möller,  Das  alteuj^l.  epo8  43,  Much  in  der  angef.  abb.  197;  SiyH 
Seifing  —  Skiold  Skanuiif/a  goä,  Flateyjarbök  III,  246).  Wie  di» 
nanien  Ingunarfrei/r,  Yrigpifreyr  andeuten,  ist  der  upsaliscbe  PtSf- 
kiiltus  aus  dorn  lande  der  Ingvinen  narii  Schweden  gebracht  worden- 
Ynglingar  als  nanie  der  iilten  Svea-könige  ist  darum  völlig  berechtigt 
und  beruht  nicht  auf  einem  missverständnisse  der  Isländer,  wie  Noreen 
(Uppsalastudier  223)  gemeint  hat     Die  Svea-königo  betrachteten  eÜ 

durch  beeinilaBSiuig  des  Tolgenden  tana  nid  fda  van  zn  Dana  g*iä  verdArbt  ln)^ 
deo.  Der  EchraiW  des  Cod.  W.  hat  «agna  yttä  ralschljch  als  catiga  gud  ai\tptii* 
(vgl.  oeusohw.  dial,  vAng  bL-bauCox  stück  land),  weil  er  Ni<jr[ir  &1s  eine  gottfa«il  ilM 
Wachstums  kannte.  Schon  Raak  betrachtete  ragtta  gvd  als  die  riubtige  losuL  Gigai 
diPGe  auTfassuDg  haben  die  [s.  2fj2)  für  Freijr  nngeTührten  epitheta  Vatta-yi^  <i 
Fana-nulr  ok  Vimr  iama  beweiskvaft,  und  dies  iiraeoweDi'ger,  bIs  der  schrdbn  4m 
Cod.  regins  iirBpriinglich  Vagnagvd  als  eiu  ojiithetoa  Freys  geschrieben  bat;  vgL  t.2B) 
anm.  4.    kaxh  im  Frey-kaltus  spielte,  wie  erwähnt,  der  wagen  eino  wichtige  nO^ 


NIRTHUS  UND  NI0RI>E  291 

als   abkömmlinge  von  YngvifreyVy  Yngvi  Freyr,   von  welchem  namen 
Ynglingar  abgeleitet  ist. 

Bei  diesem  Sachverhalt  fragt  man  sich  aber:  wie  kommt  es,  dass 
Tacitus  nur  von  einer  weiblichen  Nerthus  spricht,  während  die  isl. 
mythologie  mir  einen  männlichen  NiQr{)r  kennt?  "Wie  kommt  es  fer- 
ner, dass  der  ingvaeonische  (ingvinische)  kultus  der  göttin  Nerthus 
in  späteren  zeiten  wesentlich  als  kultus  des  gott es  Freyr  auftritt,  wäh- 
rend die  göttin  Freyja  eine  mehr  untergeordnete  Stellung  einnimmt? 
Und  wie  kommt  es  schliesslich,  dass  Freyr  und  Freyja  jene  wenig 
charakteristischen  namen  „herr"  und  „herrin*'  erhalten  haben? 

Ich  glaube,  dass  man  für  alle  diese  fragen  eine  gemeinschaft- 
liche antwort  finden  kann,  und  dass  es  die  Veränderung  der 
spräche  gewesen  ist,  die  hierbei  eine  wesentliche  rolle  gespielt  hat. 

Der  name  Nerthus  (*Nerpux)   ist,    wie  bekannt,    ein  weiblicher 

tt-stamm.     Nun  lehrt  uns  die  gotische  grammatik,  dass  schon  zu  Wul- 

filas  zeit  diese  stamme  in  der  spräche  sehr  schwach  repräsentiert  waren. 

Während  bei  Wulfila  eine  menge  männlicher  w-stämme  sich  finden, 

gibt  es  nicht  mehr  als  vier  Wörter,   von  denen  man  mit  gewissheit 

^eiss,    dass   es   weibliche  w- stamme   sind   {handus,   waddjus,  asilus, 

^n7ius:   Braune,  6ot  gr.^  §  105**).    In   den  nordischen  sprachen  sind 

<Jie  weiblichen  w-stämme  gänzlich  ausgestorben,  und  schon  in  den 

^testen  nordischen  handschriften  begegnen  uns   (neben  dem  neutralen 

f^   nur  männliche  ?^-stämme;   diese  aber  sind  sehr  zahlreich:   fiqrpr, 

^f^ldr,  hiqrtry  kiqlr,  miqpTy  biqrn  usw.  usw. 

Hiermit  steht  in  Zusammenhang,  dass  gewisse  alte  weibliche 
*"8täöime  im  isländischen  in  männliche  ^^-stämme  übergegangen  sind. 
■^^^  ist  der  fall  mit  folgenden  (siehe  Tamm,  Fomnordiska  fem.  afledda 
P^  H  och  pä  ipa,  s.  25  fgg.):  got.  mahts,  ahd.  altsächs.  mäht,  ags. 
^^c[ht  f.,  altschw.  vaiimcety  aber  isl.  mdttr  m.  —  mnd.  dracht,  mhd. 
^^^Aty  altschw.  drcet  f.,  aber  isl.  drättr  m.  —  ahd.  slaht,  altschw.  ste/ 
^•>   aber  isl.  slättr  m. 

Da  diese  alten  weiblichen  i-stämme  im  nom.  sg.  das  lautgesetz- 
^^he  -r  beibehalten  hatten  (vgl.  got.  mahts  usw.),  während  die  meisten 
^^itiina  die  nom.-endung  -r  nicht  mehr  hatten,  und  da  die  flexion 
"^^ser  weiblichen  i- stamme  in  mehreren  kasus  mit  der  flexion  der 
^*iiitil.  «^- Stämme  zusammenfiel,  so  nahmen  mdttr  usw.  dasselbe  genus 
^^d  dieselbe  flexion  wie  diese  an. 

Gleichwie  diese  Wörter  auf  grund  ihrer  form  das  genus  (und  ihre 
^^klination)  verändert  haben,   so  lassen  sich   auch  beispiele  anführen, 

19* 


welche  zeigen,   d&ss   beneDnimgen   lebender  oder  als  lebend  gedacht 
wesen  ans  demselben  gründe  aus  inasculinis  feminina  geworden  sind. 

Im  lateinischen  wui'de,    wie  bekannt,   Luna  auf  grund  der  fui_ 
des  Wortes  (vgl.  mensa  usw.)  als  göttin  aufgefassL     Nach  der  nordisch«:» 
mythologie  hingegen  war  Mdni  der  bruder  der  sonne,  natürlich  weLfl 
das  wort  eine  raaskul.  form  {vgl.  harii  usw.)  hatte.     Nachdem  indeesessl 
im  älteren   neitscbwed.  formen   auf  a  (minia)    aus  den  obliquen  kasiLsj 
teilweise  in  den  nom.  eingedrungen  waren,  findet  man  bei  dichtem  di 
18.  Jahrhunderts  mäna  als  femininura  aufgefasst.     Ja,   iiu   direkten 
gensatze   zu   dem  in   der  isl,   mythologie  vorliegenden  Verhältnis  nenn 
der  dichter  Stagnelios   den  mond   die  Schwester  der  sonue.     Hierbe: 
hat  jedoch  auch  die  elnwirkung  des  lateinischen  Luna,  franz.  la  Ihu, 
eine  rolle  spielen  können.    Vgl.  Tegnfer,  Om  genus  i  avenskan  s.  139fggi 

Beda,  der  namo  des  gelehrten  angelsächs.  theologcn,  ist  in  Schwe- 
den als  taufname  für  frauen  recht  gebräuchlich  geworden,  weil  Beda, 
gleich  den  meisten  schwedischen  frauennamen,  auf  <i  ausgeht  [Anna^ 
Htlda,  Greta  usw.);  vgl  Norrman  in  Sv,  landsm.  V],  nr.  7,  s.  14;  Tep- 
nör  a.  a.  o.  114. 

Man  hat  im  isl.  mehrere  beispiele  dafür,  dass  weibliche  t-stfimn» 
ihre  flexion  als  t'-stämme  beibehalten  haben,  aber  maskulina  geworden 
sind,  weil  sie  die  nom.-endung  -r  ungewöhnlich  lange  bewahrtai» 
z.  b.  got.  gabaiirjis,  altschw.  byrp  f  :  isl.  biirpr  ra.;  ahd.  scurt,  altscliw- 
akyrp  f.  :  isl.  shirpr  m.;  altschw.  styltl  L  :  ist.  stuldr  m.  (Tamm,  a,  a  »- 
B.  26.) 

Das  Verhältnis  ist  in  den  jüngeren  nordischen  sprachen  z.  t.  daasolb^ 
gewesen  mit  dem  worte  veptlr  „a  „wight",  being;  esp.  of  superDütanl 
beings.*"  Dies  ist  im  altisl.  femininum  (vgl,  got.  waShls  f).  Da  Ji» 
wort  aber  die  sonst  für  maskul.  chai'akteristische  nom.-endung -r  halte« 
wurde  es  sowol  im  neuisl.  (Erik  Jousson,  Oldnordisk  ordbog)  als  lodi 
im  neuschw.  maskulinum.  Darum  fasst  man  nunmehr  in  Schweden 
en  väiler  als  ein  männliches  wesen  auf.  Bietz  nimmt  väUtr  oder 
vetler  m.  „erdgeist,  watdgeist,  irrwisch,  schutzgeist"  in  sein  wörtertradi 
auf;  im  plur.ywrf-,  hol-,  skogs - vätiar,  aber  auch  vätlrar. 

Es  scheint  mir  in  sehr  guter  Übereinstimmung  mit  den  hier  U- 
geführteu  genusentwickelungen  und  besonders  mit  der  genasveriind»- 
rung  bei  dem  mytliischen  wesen  en  väiter  zu  stehen,  wenn  ich  flir 
Neiihus  :  Niqrpr  :  Freyja  :  Frcyr  folgende  entwickelung  aauehme. 

Tacitus  spricht  nur  von  einer  göttin  AV(Ams.  Da  nun  dio  weä- 
lichen  M-stamme  schon  früh  äusserst  scliwaeh  vertreten  oder  gar  ii 
aussterben  waren,   man  aber  eine  menge  männlicher  u-stürome  halt 


no    ist  es  möglich,  dass  dieBer  umstand  es  veranlasste,  dass  man  Ner- 

m^i^s  (*Nerptix)  nicht  nur  als  femininum,  sondern  auch  als  masiulinum 

Bd.  tk-  nicht  nur  als  göttin,  sondern  auch  als  gott  auft'asste,  so  dass  man 

fcclion   früh   neben    einer   weiblichen   Ncrthus   auch    einen    männlichen 

Bfe^-ähiis  bekam.     Aber  wenn  es  auch  vielleicht  zu  kühn  wäre  anzu- 

Bettxnen,  dass   dieser  umstand   den    ersten  Impuls  zur  bildung  eines 

fcä.»anlichen  Nerthus  gegeben  habe,   so  ist  man  doch  wenigstens  voll 

ioer-«3chtigt  anzunehmen,  dass  man,  da  die  volksphantasie  sich  einemänn- 

lictie  entsprechung  zur  göttin  Nerthus  dachte,    d.  h.  Ihren  galten  und 

briKier,   diese   männliche   entsprechung  denselben  namen  bekommen 

Hess,   den  die  göttin  hatte,    weil   ihr  name   der  form  nach  männ- 

licti  (maskülinum)  war. 

Nun  ist  es  indessen  selbstvoi^tändlich,  dass  der  glaube  an  einen 
L-männlichen  und  eine  weibliche  Nerthus  mit  vollkommen  identischen 
Knamon  es  erforderte,  dass  man  den  gati  Nerthus  und  die  göttin  Nerthts 
■in  irgend  einer  weise  von  einander  unterschied.  Man  tat  dies  dadurch, 
Idass  man  die  erstere  Nerthus  (Niqrpr)  freyr  „Nerthus,  den  herra", 
■die  letztere  Nerthus  (Nifjrpr)  freyja  „Nerthus,  die  herrin"  •  nannte. 
H  Da  indessen  die  Wortklasse  (der  w-stamme),   zu  welcher  Nerthus 

Mg^berte,  ihre  feminina  immer  mehr  verlor,  während  die  männlichen 
nroiTte  weiter  fortlebten,  fasste  man  Nerthus  immer  deutlicher  wesont- 
fflict  als  ein  männliches  wesen  (einen  gott)  auf,  während  die  weibliche 
^"^^-ihus  (die  göttin)  immer  mehr  in  den  hintergrund  trat.  Indess  spal- 
tete sich,  wie  dies  auch  sonst  bei  der  bildung  mythischer  pei-sönlich- 
^k&iten  oft  geschehen  ist,  Neiihus  (Njqrpr)  freijr  in  den  gott  Nerthus 
■f^^itQr^^  und  den  gott  Freyr;  Nerthus  (Niqrpr)  freyja  hingegen  in 
■w.^   göttin  Nerthus  (Niqrpr)    und  die  göttin  Freyja.     Bei   dieser  spal- 

■  tCttig  war  aber  aus  dem  genannten  gründe  der  gott  zur  hauptperson 
B  E^'vrordeQ ,   während  die  göttin  an  bedeutung  eingebüsst  hatte.     Und 

H  1)  Id  der  zeit,  vro  man  erst  onfiag  freip-  und  fret/ja  dem  iiamea  als  epithetn 

H  beiMilegeii,    |jatt«n  sie  gewiss  ältere  formen;   doch   interessiert  uns  dies  in   dit>s«tn 

■  «uararoenhange  nicLL  —  Es  ist  möglich,  dass  man  in  porgrimr  porsleinssons  bei- 
H  ntunen  freyagopi  eine  entinerung  daran  hat,  das»  freyr  ursprüuglioli  ein  appellativtim 

■  (fierr"  ist    E;rbyggja  saga  kap.  11  erzählt  von  diesem  Porgrimr:  Pann  stein  tjaf 

■  partt^nn  Pör,  ok  Had  tera  skyldu  hofgoda,  ok  kallar  kann  porgrim.  In  überoin- 
H  stimmang  hiermit  stand  er  als  mann  dem  boF  auf  pöranea  vor.  Henr;  PeterGen: 
H  Om  Sordboemta  gudedyrkehe  og  gudelro  i  Itedenold  s.  34  mit  anm.  1  will  Porgrima 
H  DaineD  frofsgoHi  darans  erklären,  dafia  sich  in  dem  tempol  ausser  t'ors  bild  vei-mut- 
H  lieb  auch  ein  bild  Freys  befunden  habe.  Da  indessen  von  einem  derartigen  bilde 
H  Fnys  nirgends  die  rede  ist,  so  dürft«  man  freyagodi  eher  als  ,des  berrn  (d.  h.  hier 
H  }^hb)  godi"  dentei];  vgl.  ,priester  des  benn". 


294  KOCE,  NEBTHTTS  UND  NI0B|*B 

darum  tritt  also  in  der  nordischen  mythologie  der  gott  Freyr  als  einu   t 

der  meist  verehrten  götter  in  den  Vordergrund,    während   die  götti Q 

Freyja  einen  mehr  untergeordneten  platz  einnimmt 

Nachdem  aber  Kiqrpr  (Xerthiis)  freyr  sich  in  dieser  weise  L-i^^i 
Niqrpr  (Nerihus)  und  Freyr j  Niqrpr  (Xerthus)  freyia  in  Xiqrpr  (Ner^  ' 
ihus)  und  Freyia  gespalten  hatte,  wurde  Xiqrpr  allein  sowol  vo: 
der  männlichen  als  auch  von  der  weiblichen  gottheit  gebraucht,  ohn 
die  näher  bestimmenden  epitheta  freyr  und  freyia,  welche  ja  nui 
nomina  propria  geworden,  andere  gottheiten  bezeichneten.  Da  abei 
wie  erwähnt,  in  den  nordischen  sprachen  sämtliche  weiblichei 
w- Stämme  verloren  gegangen,  und  die  wie  Xiqrpr  flektierten  wörte: 
fiqrpVy  shiqldr,  kiqlr,  biqrn(n)  usw.  alle  männlich  waren,  so  schwane 
das  bewusstsein  davon,  dass  Xiqrpr  femin.  sein  (d.  h.  von  einer  göt- 
tin  gebraucht  werden)  könnte,  ganz  und  gar,  und  es  wurde  aus 
schliesslich  als  mask.  gebraucht,  oder  mit  andern  worten  Xiqrfi 
ausschliesslich  als  gott  aufgefasst. 

Man  könnte  sich  vielleicht  versucht  fühlen ,  in  Skapi,  welche  nacl 
der  isländischen  mythologie  Xiqrps  gattin  war,  eine  erinnenmg  an  dii 
ent Wickelung  zu  sehen,   welcher  die  mythische  persönlichkeit  Xerthus  — 
Xiqrpr  unterworfen   gewesen  ist.     Der   name  Skapi   (gen.  Skapa)  hA^*^ 
nämlich  eine  maskuline  form,   obwol  er  der  name  einer  göttin  is*- 
Man  fragt  darum:    ist  Skapi  während  einer  etwas  früheren  periode  al^ 
mann  di^r  Xiqrpr  aufgefasst  worden,  welche  damals  noch  als  frau  au'ff"— 
gofasst  werden  konnte?     Als  stütze  hierfür  Hesse  sich  anführen,   da&±=5- 
Skapi  nach  der  Snorra-Edda  I,  212  in  einer  sehr  mannhaften  weis^ 
auftritt   und    räche    für   ihren  vater  heischt    (Efi  Skaäij   dvttir  pjai.^^ 
jqtuns,  iök  hjdlm  ok  bry)ija,   ok  qll  henäjm,    ok  ferr  til  Asgards,  dt 
hcfna  fqdtir  sbis).     In  der  V(;|lsunga  saga  wird  von  einem  manne  mit 
dem  uamen  Skapi  gesprochen,  was  aber  nach  Symous  (Beitr.  III,  29:2) 
und  Müllenhofl'  (Zs.  f  d.  a.  XXIII,  IIG  fg.)   auf  einem  mis Verständnis 
beruhen  soll.     Vgl.  auch  Sievei*«,  Ber.  der  kgl.  sächs.  gesellsch.  d.  wis- 
senscli.  189-i  s.  141. 

Es   ist  jedoch   nicht   wahrscheinlich,    dass   diese   frage  nach  der 
ursprünglichen   natur   der   Skapi   bejahend   beantwortet   werden   kann, 
aber   die    oben    aufgestellte  theorie    über  Xerpus  -  Xiqrpr    und  Freyr- 
Freyja  ist  in  keiner  weise  davon  abhängig. 

LVNl),    IM    MAI    1895.  AXEL   KOCK 


BECH,   Zu  DEM  VON  BÜWENBÜBO  295 

ZU  DEM  YON  BÜWENBUEC. 

Ungenügend  erklärt  finde  ich  unter  den  liedern  des  von  Buwen- 
irg  bei  v.  d.  Hagen  MS.  U,  262*  (IV,  2)  =  Bartsch,  Schweiz.  MS. 
Xin,  4  folgende  Strophe: 

Ich  wände  mi  mtp  vo7i  iper  haben  vunden, 

dö  ich  erst  ersach  die  minnecltchen: 

?iü  stvachet  st  an  ere?i  xallen  stujiden, 

dax  ich  st  xe  haye  tvil  geliehen. 

e^  ist  übel  umb  ein  schoene  bilde, 

dax  im  wont  kein  tvandel  bt, 

da^  si  machet  eren  vri; 

doch  swie  triuteloht  si  st, 

sost  ir  mtplich  güete  worden  ivilde, 

fragt  sich  hier,  wie  man  die  ausdrücke  tper  und  haye  aufzufassen 
t>e.  Weigand  setzt  in  seinem  D.  wörterb.^I,  864  an  „die  iper,  die 
inblätterige  ulme",  und  denkt  an  das  „franz.  ipr^aUy  span.  ohne  de 
"•e^;  ei?i  tvtp  von  tper  fasst  er  als  „ein  wolgewachsenes  weib";  ihm 
^  in  dieser  auffassung  Lexer  I,  1448.  Aber  dem  deutschen  mittel- 
er war  das  wort  in  diesem  sinne  noch  unbekannt  Noch  mehr 
wierigkeiten  hat  hoye  gemacht.  Oberlin  I,  699  verstand  darunter 
num,  hoei,  heu,  ähnlich  v.  d.  Hagen  in  MS.  III,  705,  wo  er  zu 
fe  bemerkt:  „undeutlich  —  etwa  eppich  oder  heu*',  ebenso  das  Mhd. 
rtrb.  I,  752  s.  v.  tper.  Bartsch  nimt  das  wort  =»  heie,  „eine  ramme 
txiit  man  pfähle  einschlägt",  vgl.  Schmeller- Fromm.  I,  1021  und 
yne  im  D.  wörtrb.  IV,  2,  1731  sowie  GermanialS,  262  —  63.  Sollte 
frau  mit  einer  „ramme**  verglichen  worden  sein,  dann  durfte  wol 
artikel  vor  hoye  nicht  fehlen.  Aber  auch  dann  würde  der  aus- 
^ck,  selbst  wenn  der  dichter  ein.  swache^  oder  boesex  wip,  wie  es  in 
vorhergehenden  stropho  heisst,  im  sinne  hatte,  zu  stark  an  das 
bojische  streifen.  Das  richtige  hat  offenbar  v.  d.  Hagen  schon  ge- 
en,  wenn  er  in  MS.  IV,  539  von  unserer  stelle  sagt:  „der  wunder- 
te ausdruck  gegen  eine  ihn  (den  sänger)  abweisende  schöne,  „„er 
tinte  ein  weib  von  Iper  gefunden  zu  haben**",  geht  doch  wol  auf  die 
clerländische  stadt  Ipern,  welche  damals  schon  durch  ihre  schönen 
ge  berühmt  war;  Hoye,  dem  der  dichter  die  spröde  vergleichen  will, 
^ste  dann  etwa  schlechtere  zeuge  geliefert  haben.**  Ebenso  richtig 
^int  mir,  was  er  dort  in  der  anmerkung  dazu  sagt:  Oberlins  glos- 
erklärt hoye  durch  heu,   übergeht  aber  den  gegensatz  iper.^     Dass 


296  BECH,   zu  DEM  VON  BÜWENBTTRC 

die  flandrische  Stadt  Hoye,  das  jetzige  Huy  an  der  Maas,  hier  im  ge- 
gensatz  zu  Iper  steht,  sowie  dass  die  hier  gewebten  tuche  einen  gerin- 
geren wert  hatten  als  die,   welche  Ipem  in  den  handel  brachte,   dafür 
sprechen  unter  andern  folgende  stellen:  nach  dem  stadtrecht  von  Mün- 
chen,  herausg.  von  Fr.  Auer,   §  495  (s.  186)  sollten  die  underchaufd 
von  ainem  tuch  von  Eyper  VI  dn.  und  von  ainem  swären  iuoch  von 
Dom  oder  von  ainem  von  Eoy  IUI  dn,  und  von  den  andern  II  dn, 
%Q  Ion  nemen;   in  den  rechten  und  freiheiten  der  Stadt  Wien  herausg. 
von  Tomaschek  s.  7  (13.  jahrh.)  heisst  es:  xwelf  tuoch  von  Eypper  ist 
ein  soum;  sehxehniu  von  Hoy  ist  einsoum;  ebenso  in  einer  jüngeren 
fassung  daselbst  s.  94.     Sonst  ist  zu  verweisen  auf  Ztschr.  XXIV,  534, 
wo  pannum  Hoiense  erwähnt  wird,   und  auf  die  Chroniken  der  frän- 
kischen Städte  I,  100  und  222,  wo  Hoye  unter  den  Städten  erscheint, 
in  denen  die  Nürnberger  zollfreiheit  besassen.    Über  die  tuche  von  Ipem 
vgl.  ausser  Schultz,   Höf.  loben  I,  255,  8   noch  Strauch  zu  J.  Enikels 
Weltchronik  22473;    Gauriel  von   Muntavel  2300   von   Ipper   blä   ^n 
schaprün;  Cod.  dipl.  Silesiae  III  (=  Henricus  Pauper)  s.  20  ■  und  27* 
pannus  de  Ipir;    ebenso  VIII,   s.  7;   s.  117  yperisch  tüch;   lU,  s.  28 
und  29  panni  Yperenses;  Ofener  stadtrecht  s.  275**  de  uno  panno  Ipri 
Dem  zusammenhange  nach  könnte  man  auch  versucht  sein,   iper  und 
hoye  gleich  wie  arraz  als  metonymische  bezeichnungen  für  die  an  den 
betreffenden  orten  gefertigten  Stoffe  zu  nehmen.    Jedesfalls  ist  der  sinn 
der   vier    ersten   zeilen    obiger   Strophe:    bei   seinem   ersten   begegnen 
glaubte  der  sänger  ein  weib  so  kostbar  wie  das  tuch  von  Ypem  gefun- 
den zu  haben;  jetzt  erscheine  sie  immer  geringer  an  ehren,   so  dass 
er  sie  mit  dem  stoflfe  von  Hoye  vergleichen  wolle.     Über  die  kürze 
des  ausdrucks  xe  Hoye  vergleiche  man  die  lesenswerte  bemerkung  bei 
Kraus,  Deutsche  gedieh te  des  12.  jahrh.  XII,  45,  s.  249.     Ob  die  tächer 
von  Hoye  denen  von  Ypem  gegenüber  noch  ein  besonderes  merkmal 
hatten,  welches  den  spott  des  dichters  deutlicher  hervortreten  Jiess,  ist 
mir  unerfindlich  geblieben. 

ZEITZ,    APRIL    1895.  FEDOR  BECH. 


WILK£N%   DER   FENRISWOLF  297 

DEE  FENEISWOLF. 
Eine  mythologische  Untersuchung. 

(Schluss.) 

V. 

Der  kern  des  mythus. 

1.   Den   schon   mehrfach   kurz   berührten   hauptbericht   der  Gylf. 
(cap.  34  und  51)  haben  wir  hier  genauer  zu  betrachten.     Während  zu 
dem  letzteren   cap.  die  Liederedda  viele  ausführliche  parallelen  liefert, 
wenn  nicht  geradezu  dem  berichte  zu  gründe  liegt,   findet  sich  über 
die  fesselung  des  wolfes  (cap.  34)   bei  ihr  und  den  skalden  nur  hier 
und  da  eine  flüchtige  notiz.     Dies  capitel  ist  also  von  besonderer  Wich- 
tigkeit, freilich  auch  von  entsprechender  Schwierigkeit.     Dass  der  leben- 
dig und  frisch  gehaltene  bericht  altes  und  jüngeres  in  ziemlich  bunter 
mischung  darbietet,   erkannte  schon  Bergmann,   Fase.  s.  288:   le  sujet 
d'un  conte  populaire,  d'une  dato  relativement  post6rieure,  mais  qui  est 
remarquable,    et  pour  le  fond  mythologiqiie  et  pour   la  forme   de   la 
JJarration.  —  Mogk  (bei  Paul  u.  Braune,  Beitr.  VII,  270)  unterscheidet 
^it  fug  die  genealogische  einleitung,   wenn  auch  noch  nicht  mit  be- 
stimmten gründen,   von  dem  berichte  der  fesselung   selbst:    „ob   die 
beiden  ersten  berichte  (geneal.  art)  auf  alte  Überlieferung  zurückgehen, 
oder  nur  von  dem  Verfasser  der  Gylf.  aus  dem  bestehenden  erschlossen 
sind.^   wird  sich  nicht  entscheiden  lassen  i;   für  die  fesselung  des  Fen- 
nswolfes  jedoch  müssen  wir  benutzung  eines    in   galdralag  verfassten 
S^dichtes  annehmen.**  —   Mir  scheint  es  richtiger,  die  in  Gylf.  34  (so- 
^ö    in  Kph.  n,-432,  515)   teils  direkt  überiieferten,   teils  durchschim- 
'^öi'iiden    Stabreime    lediglich    als   schmuck    der   poetischen    prosa   zu 
betrachten*;   sollte  aber  selbst  die  ganze  fesselung  des  wolfes  in  ähn- 
lichen memorialversen,   wie  wir  sie  Grm.  11  — 17,   Alvlssm.  10  fjsr.  fin- 
^^^^  ihm  vorgelegen  haben,  so  würde  der  autor  von  Gylf.  34  das  beste 
v^otn  poetischen  Standpunkte  aus),  die  lebendige  Schilderung  der  beiden 

1)  Meine  ansieht  s.  oben  c.  IV,  §  1;  auch  s.  193  anm.  1  und  s.  194  anm.  1.  — 
*^   das  folgende  vgl.  Untersuch,  s.  114. 

2)  Einen  bericht,  in  dem  sich  vielleicht  namen  wie  Wilhelm  und  "Walter, 
*W.degard  und  Hedwig  beisammenfönden ,  würde  ich  selbst  dann  noch  nicht  „auf  eine 
poetische  quelle  in  Stabreimen*  zurückführen,  wenn  er  nach  „allmählich  stärker  wer- 
J^^^m  Sturme*  das  schiff  schliesslich  „mit  mann  und  maus*  verloren  sein  liesse. 
"^®®  Volkstümliche  erzählungen,   märchen  und  schwanke   gerne   durch  eingestreute 

^^  belebt  werden,  kann  man  schon  aus  dem  ersten  märchen  in  Grimms  Sammlung 


298  WILKXN 

Parteien  und  die  auch  den  leser  „fesselnde"  durchführung  der  intrigo 
doch  selbst  hinzugetan  haben. 

2.  Um  den  bericht  im  einzelnen  zu  prüfen,  empfiehlt  es  sich  vo 
ihm  folgende  fragen  beantworten  zu  lassen: 

1)  wann  und  wo  wurde  der  wolf  gefesselt? 

2)  aus  welchem  gründe  geschah  es? 

3)  welche  persönlichen  mächte  beteiligten  sich  dabei? 

4)  welche  sachlichen  mittel  wurden  benutzt? 

5)  darf  der  wolf  je  auf  befreiung  hoffen? 

3.  Bei  der  ersten  frage  lässt  sich  das  wann?  sehr  leicht  er! 
digen.  Die  genealogische  Verknüpfung  mit  Loki  und  Angrboda  hat  d 
Vorstellung  veranlasst,  dass  die  drei  geschwister  zunächst  in  Riesenhei 
aufwachsen  und  von  dort  erst,  um  sie  unschädlich  zu  machen,  zu  d€ 
göttem  geführt  werden,  bei  denen  der  wolf  verbleibt,  während  seil 
geschwister  einen  andern  wohnort  erhalten.  Erkennen  wir  jenen  fr 
heren  aufenthalt  in  Riesenheim  als  „konstruiert*',  so  darf  der  aufer 
halt  des  wolfes  bei  den  göttern  als  ursprünglich  gelten;  ja  selbst  seil 
fesselung  ist  (nach  dem  in  cap.  I,  16  besprochenen  gesetz)  vielleic 
nur  als  künstlich  historisierte,  im  gründe  gleichfalls  auf  einen  ursprün 
liehen  zustand  zurückzuführende  handlung  anzusehen.  Ist  die  rolle  d 
gottes  T^r  (vgl.  weiter  unten  zu  fr.  3)  im  sinne  eines  tagesgottes  au 
zufassen  und  der  verlust  der  band  als  Schwächung  seiner  macht  anz 
sehen,  so  würde  als  einzige  genauere  Zeitbestimmung  zu  der  eb^ 
gegebenen  noch  „die  nachtzeit"  sich  ergeben.  —  Auch  bez.  des  w< 
würde  die  sache  einfach  liegen,  wenn  nicht  der  bericht  in  Gylf.  duM 
spätere  zusätze  getrübt  wäre.  Dieser  bericht  sagt  zunächst  (vgl.  obei 
dass  die  götter  den  wolf  heivia,  also  in  ihrer  eigenen  heimat^  aufg" 
zogen  hätten.  Wo,  wie  hier  mit  nachdruck  und  im  gegensatz  zu  me« 
und  unterweit  von  der  „heimat  der  götter"  geredet  wird,  kann  w« 
nur  der  himmel  gemeint  sein  2,  und  dafür  scheint  in  diesem  falle  auc 
der  umstand  zu  sprechen,    dass  auf  die  heiligkeit  des  lokals,   wo  d< 

1)  Wol  nur  riammorich  (Om  Ragn.  mythcn  s.  133)  hat  diese  angäbe  sowc 
Vorwort  et,  da.ss  er  den  wolf  ausdrücklich  in  Asgard  gefesselt  sein  lässt.  Aber  die» 
aiisdruck  ist  vielleicht  absichtlich  in  Gylf.  nicht  gebraucht,  weil  der  anklang  an  As 
gerade  jene  zeit  dann  leicht  an  einen  irdischen  wohusitz  denken  liess. 

2)  Als  götterwolmsitz  im  weiteren  sinne  kann  freilich  auch  das  hochgebirj 
gelten,  das  in  die  wolkenregion  hinein,  teilweise  noch  über  dieselbe  hinausragt  Ma 
denke  an  die  art,  wie  der  Olymp  bei  den  Griechen  als  götterwohnsitz  galt,  vgl.  NJ 
golsbach,  Homer,  theol.'  s.  18  —  20.  Endlich  gibt  es  auch  irdische  wohositie  dl 
götter  ohne  diese  beschränkung,  vgl.  darüber  weiter  unten  exe.  I. 


wolf  gefesselt  wurde,  mit  besonderem  nachdrucke  hingewiesen  wird'. 
Da  nun  diese  stelle  (42,  9  — 11  Wk)  sich  gerade  am  ende  des  ganzen 
fesselberichtes  findet,  so  scheint  die  sonst  allerdings  durch  einige  aus- 
drücke nahegelegte  Vermutung  ausgeschlossen  zu  sein,  dass  mit  heima 
nur  der  erste  aufenthaltsert,  wo  der  wolf  gefüttert  wurde,  gemeint 
sei,  während  er  später  andernortcs  gefesselt  sei".  Für  die  Identität  des 
lükals  spricht  auch  die  erwagung,  dass  die  genaue  angäbe  des  aufent- 
baltes  der  andern  beiden  geschwister  eine  solche  auch  bez.  des  wolfea 
erwarten  Hesse,  wenn  der  Verfasser  nicht  eben  mit  jenem  heima  schon 
genug  getan  zu  haben  meintet     Ist  endlich  die  Vermutung  gegründet, 

1)  Mit  der  betretfenden  wemlimg  (,svd  mikiU  eirdu  guSin  vi  »in  ok  grida- 
»(rtÄO  vgl.  Gjlf,  49  (T4,  22  Wk)  dio  angäbe  bei  dem  tode  des  himmlischan  liohtgot- 
les  Baldr:  en  emji  tnälli  hcfna;  Par  car  svä  mikill  gridastattr.  —  In  beiden  fal- 
len soll  ungeachtet  dar  nonäherung  der  dai'stellung  an  meiiscblicho  voihältnisse  danm 
erinnert  werden,  dass  die  geschilderten  Vorgänge  einem  audern  gebiete  als  der  men- 
schen-weit  angehüien. 

2)  Daau  könnte  mnäcliat  der  satz  40,  12  verloiten;  fid  föru  leairtiir  üt  t 
ratn  fai  er  Amsvartnir  hcilir,  i  höhn  ßann  er  Lyagri  er  kalladr,  weiterhin  aber 
^^1  O  —  13  die  angäbe,  wonach  die  B.ien  den  feseelliaft  tief  in  der  erde  befestigt  haben 
solleo,  _  Kann  nun  auch  sonst  dei'  biuimel  wol  als  eine  .mythische  landsohaft" 
(^-  El-  Meyer)  mit  1>erg,  C:U,  fliisseu  usvv.  lieseichnet  werden,  so  scheint  niir  diese 
0™lSruQg  doch  für  die  letKto  stelle  nicht  attsreioheod.  In  beiden  ffillen  verrät 
"™"*n  die  fülle  skaldifloh  gefSrbl  nnmen  für  leblose  dinge,  aus  welcher  riuolle  diese 
""•öitumngeu  gedüasen  sind;  der  skaldische  Ursprung  wird  zweifellos  dui'ch  verglei- 
chong  der  beiden  berichte  in  der  Sk/dda  |Kph.  H,  413.  515).  wo  eine  noch  grössere 
™^  solcher  nonieu  begegnet;  s.  auch  g  6  und  exe.  II.  —  Über  ärösi  fyrir  Lotaa. 
"      l  vgl.  §  6. 

3)  DasK  der  nutor  tou  Gylf.  durch  den  onhemeiistiBohen  Standpunkt,  der  mehr- 
■Mnti  bei  i|jm  durchblickt,  allerdings  gerade  in  solchen  fragen  leicht  'irregeführt  wer- 
1  ^^a.  und  einen  mnngel  an  bonsequenz  Terschuldcn  konnte,    wird  in  exo.  1,2  c)  noch 

I  "äW  dargelegt  worden.  —  Unter  deu  neueren  forachem  können  die  freunde  des  ,meer- 
1  ^Imoü'  Feiirir,  abgesehen  vou  der  otymologiMchen  varlmüpfung  mit  feit,  die  o.  in, 
ä  beleuchtet  ist,  unr  aus  jitngeren  aobetiEÜgon  eine  stütze  ihrer  ansieht  gewin- 
wonach  ohne  weiteren  Fenrir  mit  sonnen-  und  mondwolf  gleichgesetzt  wird 
(Tgl.  s.  195  anm.  3)  und  das  (doch  aUabondlich  in  aller  ruhe  geschehende)  vorsinken 
I  der  sonne  im  meero  als  urbild  für  das  gewaltsame  gesohjok  der  sonne  am  weitende 
f  (Vafjir-  46)  gofasst  wird  (Mogk  im  Gruudriss  I,  1045).  Die  anhlingor  des  „stumi- 
I  aolfes"  stehen  moiner  ansieht  schon  nabsr,  da  sie  dio  luft  als  sphaere  dea  wotfes 
I  ussben.  Aber  mag  der  wolf  auch  oft  genug  den  stürm  bedouteu:  ein  bis  zum  weit- 
I  Untergang  gefesselter  stürm  hört  doch  auf  stürm  zu  sein;  infolge  der  niaulsperro  ist 
I  ilun  seibat  das  heulen  vorwcbi't.  Den  Vertretern  unterirdischer  fesselung  des  Wolfes 
I  gegenüber  betonte  Müllenhoff  (D.  alt  V,  13ä,  lÖÜ)  mit  recht,  dass  ,der  woU  kei- 
r  Unterwelt  und  in  ihrem  bereicbe  gefesselt  liegt'  —  Zur  stütze  mei- 
ohl  sei  noch  an  fiiriksm&l  str.  6  erinnett:  ,.cs  sieht  der  grane  wolf  (drohend) 
t  Wohnsitz  der  güttor."    ünteriidisch  gefesselt  ist  er  also  gewiss  nicht,    der 


300  WILKRN 

dass  jenes  „füttern  des  wolfes*'  durch  T^r  nur  eine  ungehörige  hineiicn- 
mengung  des  jüngeren  kriegsgottes  Tyr  in  die  rolle  des  älteren  natiL  .»- 
gottes  verrät    (vgl.  weiter  unten  §  5),    so  könnte  von  einer  Unterschei- 
dung des  iokals  der  fütterung  von  dem  der  fesselung  erst  recht  kein  e 
rede  sein. 

4.  Die  zweite  frage  beantwortet  unser  bericht  scheinbar  so  bün- 
dig, dass  sich  Gangleri  sogar  darüber  verwundert,  warum  sich  die  göt- 
ter  denn  mit  der  fesselung  eines  so  gefährlichen  wesens  begnügt,  nicht 
seine  Vernichtung  erstrebt   hätten.     Gleichwol  ist  die  begründung  der 
fesselung,  die  cap.  34  gibt,  eine  rein  äusserliche;  im  hinblicke  auf  den 
Charakter,  der  dem  wolfe  geliehen  wird,  erscheint  sie  unmotiviert  (vg-1. 
s.  198,  anm.  1).    Ein  wesen,   das   nach   glücklichem  zerreissen  zweier 
fesseln  bei  dem  dritten  versuche,  zu  dem  man  ihn  bereden  will,  rutiig: 
erwidert:    ef  p4r  bindit  mik  si)ä  at  ek  fce  eigi  leyst  fniky  pä  munii^ 
p4r  svd  cetla,   at  vi4r  mun  seint  vera  at  tdka   af  ydr  hjdlp;    öfiis^ 
em  ek  at  lata  petta  band  d  mik  leggja,     En  heldr  en  p4r  fr^it  yn.^9^ 
hugar,  pä   leggi  einhverr  ydar   hqiid  sina  i  murin  mär  at  vedi, 
petta  se  falslaust  gqrt  —  erinnert  eher  wol  an  den  biblischen  Simso 
der  Delila  gegenüber  oder  den  nordischen  Sigurdr  Beginn  gegenübe 
als  an  einen  ti-otzigen,   prahlerischen  ricsen  oder  gar  ein  die  weit 
drohendes  ungetüm.     Diese,   bisher  wenig  beachtete,   ideale  zeichnun-S 
des  Wolfes  darf  um  so  weniger  etwa  als  jüngere  färbung  verdächti^^ 
werden,   als  sie  ganz  im  gegensatze   zu   der   dämonischen   auffassiio^ 
des  Wolfes  steht,  welcher  der  Verfasser  von  Gylf  sonst,  sowol  hinsiclit- 
lich  der  genealogischen  Verknüpfung  mit  I-ioki  als  auch  bez.  des  letzte« 
kampfes  gegen  die  götter,  volle  rechnung  trägt.     Liegt  so  im  Charakter 
des  wolfes  ^  keine  spur  einer  erklärung  für  die  handlung  der  götter,   so 
bleibt  als  grund  nur  die  furcht  vor   dem  später   (d.  h.  am  ende  der 
weit)  zu  erwartenden  unheile.     Dies  besteht  aber  nach  der  aufifossung  von 
Gylf  nicht  im  verschlingen  der  sonne,  da  w//rmw,  welcher  nach  81,  H 
die  sonne  verschlingt,   schon  wegen    des   annarr  tilfrinii  82,  1,   der 
den  mond  fasst,  der  scmnonwolf  SkoU  sein  muss,  nicht  der  erst  spater 
(82,  5)  freiwerdcndo  Fenrir.     Es  bleibt  also  nur  (nach  Gylf.)  der  kämpf 
mit  Ödinn   übrig.     Nun  ist  aber  nicht  zu  vergessen,    dass  sämmtlicb^ 
einzelkämpfe    der    götter    am    weltende,    soweit    sie    nicht    als  jung© 

Wohnsitz  der  götter  ist  vielmehr  auch  als  ort  der  fesselung  zu  betrachten,  da  «n 
gefangener  zunächst  seinen  kerkcr  vor  äugen  hat. 

1)  Die  reden  kurz  vor  der  fesselung  sind  nämlich  die  einzigen,  welche  dest 
wolfe  überhaupt  beigelegt  werden,  aus  ihnen  allein  können  wir  seinen  cbankttf' 
erkennen.  —  Über  den  freigewordenen  wolf  vgl.  §  7. 


ersa.tzdichtuDg  in  Gylf.  sich  darstellen  (so  namentlich  der  des  gottea 
T^r)  nur  auf  einer  fortschieb  img  älterer  kampfesmythen  beruhen  {vgl. 
B.  1  75,  anm.  1).  Die  scheinbar  einzige  ausnähme  (der  kämpf  öiÜns 
und  Vidars  mit  dem  wolfe  Feiirir)  wird  als  ähnlich  entstanden  in 
cap.  "VII  nacbgewieseo  werden,  nur  mit  dem  unterschiede,  dass  dieser 
karapf  sich  eigentlich  auf  andere  wülfe  bezog'.  Dies  alles  envogen, 
bleibt  als  erklarung  nur  übrig,  dass  irgend  ein  äusserer  umstand, 
wi©  er  die  benennung  „wolf"  veranlasste,  so  auch  —  bei  der  kind- 
liclion  auffassung  älterer  zeit  —  eine  besondere  furcht  drohenden  un- 
hails  zu  rechtfei-ligen  schien*. 

5.  Auf  die  dritte  frage  gibt  Gylf,  34  zwar  reichliche  auskunft, 
aber  die  einzelnen  angaben  stehen  nicht  in  vollem  einklange.  Nach 
der  art,  wie  Ällfijdr- ödinn  zunächst  38,  1  den  beschluss  veranlasst, 
die  drei  gefährlichen  wesen  aus  Riesenheim  fortführen  zu  lassen,  wie 
er  dann  39,  17  von  den  zwergon*  sich  das  geeignete  band  zur  fes- 
seliing  verschaiFt,  befremdet  es  schon,  wenn  nun  doch  bei  der  fess&- 
lutig  ein  anderer  gott,  T^r,  die  hauptrolle  spielt,  indem  er  für  die 
Sache  der  götter  geradezu  eintritt,  obwol  ihm  von  denselben  wenig  ge- 
dankt wird;  die  wendung  pd  lilöffu  alUr  nema  Tyr  42,  l  erinnert 
schon  an  den  spott  m  Lokas.  38.  Nun  ist  gerade  die  aufopferung  der 
band  des  gottes  Tfr,  mit  der  einige  neuere  erklärer  sich  ziemlich  leicht 
""finden*,  eine  der  am  besten  bezeugten  tateachen  in  dem  ganzen  fes- 
solakte,  zu  Gylf.  (25  und  34)  tritt  Skälda  9,  Lokas.  38,  39;  prosa  vor 
.  Am  stärksten  scheint  mir  jedoch  der  Widerspruch,  sofern  man 
"^\  buchstäblicher  auslegung  stöben  bleibt,  wenn  T^r  zunächst  den 
"olf  füttert,  so  lange  er  frei  ist,  während  bei  dem  gefesselten,  der  erst 
I  röcht  solches  dienstes  bedürfte,  offenbai-  an  ein  füttern  ebenso  wenig 
'  Bftäacht  wie    im    geringsten    davon   gesprochen    wird.     Der   autor  von 

1)  Auch  wer  jeDär  arguroentation  hier  noch  nichl;  fulgao  wUl,  wird  anerkenneD, 
Im  ta  dem  früberuD  [eben  des  wolfes  kein  grund  zu  besorgnissec  Ug. 

2)  Diese  furcht  erschoint  orlilüilicher,    wenn  räumliche  nähe  des  gefefiseltea 
i  götter  immer  an  das  zeitlich  allerdings  noch  weit  entfernte  uuhoil  gemahnte; 

fgL  s.  299  aom.  3  gegen  ende.  ~  Dbsb  dio  gütter  den  wolf  täglich  wauhsen  sahen ,  ist 
nur  aus  der  ungiibe  erschlossen,  dass  er  bei  den  güttera  aufwuchs;  und  da  er 
r  Unheil  anrichten  aoll,   ist  Bolchea  von  ihm  schon  prophezeit  wordeu.     Vgl.  die 

I  trefflicheu    bemai-kungan    Beere   über    die    gewöhnliche  ausgeataltong    eines   mjihua 

\  Oerm,  33.  10  fg. 

3)  Da  die  xwerge  hier  für  uns  nur  als  verfertiger  des  bandes  Gleipnir  interesse 
Kbabea,  60  wü!  ich  über  sie  §6  handeln. 

4)  , Möglicher  webe  ist  diese  fabel  ü\%t  ßiünduug  spaterer  zeit"  (P.  Kauffmann, 
mythol.*  s.  82). 


302  WILEEN 

Gylf.  betrachtet  beide  angaben  als  beweise  von  der  besonderen  kühn- 
heit  des  gottcs  Tyr,  ohne  sonst  irgendwie  die  Wahrscheinlichkeit  seines 
berichtes  zu  prüfen;  eine  solche  einseitigkeit  des  Standpunktes  ist  aber 
nicht  jedem  beurteiier  gegeben.     Fasst  man  das  füttern  des  wolfes  im 
bildlichen  sinne  ^,   so  ist   zwar   der  Widerspruch   etwas  gemildert,  das 
fremdartige  des  tones  aber  keineswegs  beseitigt*.    Da  nun  T^r  als  nlfs 
föstri  sich  zwar  in  der  prosaischen  Edda  mehrfach  (ausser  Gylf.  34  auch 
Sk.  9),   aber   in  der  Liederedda  nicht  bezeugt  findet,   so  tritt  zu  den 
inneren   doch   auch  ein   äusserer  grund  hinzu,   die  betreffende  angabo 
als  einen  jüngeren,  ursprünglich  in  anderem  sinne  verstandenen  zusafcB 
zu  betrachten.     Minder  wichtig  ist  es,  den  speciellen  an  teil  der  beiden 
götter  ödinn  und  T^r  an  dem  fesselwerke  schon  jetzt  genauer  festzu- 
stellen^;   da   beide  zweifelsohne  zu  den  himmels-  und  tagesgottheitea 
gehörten*,   so    kann  die  beantwortung  der  dritten  frage  vorläufig  so 
lauten:    dieselben  götter,   welche  den  wolf  in  ihr  gebiet  zogen,  fessel- 
ten  ihn   auch   dort  mit  hilfe  der  zwerge  —   beide  angaben   sind  (mit 
rücksicht  auf  §  3)    vielleicht   sogar   als   ursprünglich   identisch  zu  be- 
trachten. 

1)  Den  wolf,  rabon,  adlor  füttera  ist  der  nord.  poosie  ein  sehr  geläufiger  aus- 
dnick  =  feinde  fällen,  vgl.  Untersuch,  s.  114.  —  Dass  dies  füttern  des  wolfea« 
durch  Tyr  die  pflege  des  „widernatürlichen  krieges"  bedeute  (Simrock,  D.  mjlh-  ' 
8.  113)  geht  aus  unseren  quellen  nicht  hervor,  AV.  Müller  (Altd.  rel.  224)  wollte  in 
dem  von  dorn  wolfe  der  finsternis  geschädigten  ornährer  desselben  den  der  nacht  vor- 
angehenden, nun  verdrängten  tagesgott  sehen,  was  in  doch  wol  allzukünstUchor  f»s- 
suug  einen  nicht  ganz  unrichtigen  gedanken  enthält,  vgl.  cap.  VII,  §  2.  —  Vfx^ 
versuche,  auch  den  verlust  der  band  auf  den  kriegsgott  zu  l>eziehen  (einen  ders«4be*ö 
beleuchtet  W.  Müller  a.  a.  o.  s.  223),  sind  in  neuerer  zeit  mit  geringerem  nachdmcl^ 
hervorgetreten:  sie  führen  zu  mehr  oder  minder  sj)ielenden  crklärungsweisca  de^ 
mythus. 

2)  Während  der  ausdruck  (38,  If))  ulfinn  faddn  crsir  hcima  (in  dem  schlich-' 
ten  sinne  =  den  wolf  Hessen  die  g()tter  bei  sich  aufwachsen)  niemand  befremder* 
wird,  ist  die  angäbe,  nur  Tyr  habe  gewagt  ihm  seine  speise  zu  geben,  schon  danio' 
wunderlich,  weil  die  götter  in  dem  weiteren  bericht  sich  doch  sogar  in  der  absidi*^ 
den  wolf  zu  fesseln  an  denselben  heranwagen.  Ist  es  bildlich  gemeint,  so  pass"^ 
wider  die  angäbe  nicht,  weil  dieser  wolf  nicht  auf  die  Schlachtfelder  der  erde  eiled 
kann,  sondern  bei  den  götteni  weilt;  wäre  der  sinn  ursprünglich  ähnlich  gemeint wi*? 
bei  dt;n  wölfen  <.)dins  Grm.  19,  so  sähe  man  aus  (jylf.  34,  wie  eine  einfache  8ach<3 
auch  selir  unglücklich  ausgedrückt  werden  kann.  Endlich  ist  noch  zu  bemerken^ 
dass  der  skald.  ausdrurk  ulß  fustrt  nur  bei  freierer  Interpretation  zur  stütze  }eo»T' 
angäbe  in  Gylf.  dienen  kann,  denn  f6i*(ri  wird  sonst  nicht  vom  fütterer  gebiaucbfc^ 
sondern  vom  ptlegevater;  füttern  wird  durch  scifjaj  gefa  m<U,  gistingy  tmdbfN 
älmlich  ausgedrückt. 

3)  Vgl  dazu  cap.  VH  §  2.  4)  Vgl.  s.  197  toxt  und 


DEB  FENBISWOLF  303 

6.  Als  wirklich  bedeutendes  mittel  der  fesselung  stellt  sich,  um 
beantwortung  der  vierten  frage  überzugehen,  nur  das  band  Gleip- 

dar  und  für  unmöglich  halte  ich  es  nicht,  dass  ursprünglich  über- 
3t  nur  dies  eine  erwähnt  war.    Es  war  ein  werk  der  zwerge  und 

wunderbarer  art^.  Da  jedoch  auch  die  namen  Laeding  und  Drömi, 
entlich  der  erstere,  altertümlichen  klang  haben  2,  da  auch  die  gute 

bandes  Gleipnir  dadurch  in  passender  weise  gehoben  wird,   dass 

wolf  schon  zwei  starke  fesseln  gesprengt  hatte,   als  er  mit  G.  gc- 

Jen  wurde,  so  ist  die  Steigerung  der  bände  von  1  auf  3  wol  jeden- 

für  eine  sehr  alte,  mit  dem  mythus  völlig  verwachsene  erweiterung 
haltend  Anders  verhält  es  sich  mit  der  angäbe:  pd  töku  peir 
na  or  fjqtrinum,  er  Gelgja  heitir  ok  drögu  henni  i  gegnuin  heUu 
la,   sü  heitir  Gjqll,   ok  felldu  hellmia  langt  l  jqrä  nidr;  pd  töku 

mikinii  stein,  er  pviti  heitir  ok  sktitu  hdnum  enn  lengra  l  jqrä- 

ok  hqfäu  pann  steiji  fyrir  festarh^elinnK  Hier  lässt  sich  die 
dische  liebhabcrei  der  namenhäufung  nicht  verkennen;  in  der  sache 
nten  diese  weiteren  vorsichtsmassregeln  nur  von  der  pedantischen 
>rgnis  ausgehen,  der  wolf  könnte,  auch  wenn  er  das  band  Gleipnir 

1)  So  häufig  auch  in  den  jüngeren  sagas  die  zwerge  als  verfertiger  von  waf- 
Jnd  kostbarkeiten  aller  art  erscheinen  (Vigf.  s.  v.  dvergr),  so  darf  als  die  ältere 
tssung  doch  die  gelten,  wonach  nur  dem  boreiche  der  natur  angehörigo  „wun- 
^re"  dinge,  wie  z.  b.  das  Sonnenlicht,  der  blitz  als  von  den  zwergen  geschmiedet 
»einen;  eine  nicht  vollständige,  aher  doch  zu  beachtende  aufzählung  von  6  boson- 

berühmten  werken  dieser  art  gibt  Skj'dda  85;   hinzufügen  Hesse  sich  namentlich 

Bnsinga   mon    (nach  der  Olafss.  Tryggvas.  von  zwergen  verfertigt)   und  unser 

Ol.  —    Ist  man  nun  mit  E.  H.  Meyer  (G.  myth.  117)  der  ansieht,   dass  unter 

elbon  die  luftelben  die  ursprünglichsten  und  massgebenden  sind  und  dass  der 

dcergar,    obwol  vorzugsweise  den  borg-  und   erd-olben    gehörig,    doch    auch 

ben  beigelegt  wird  (a.  a.  0.  118),  so  werden  wir  durch  dieses  werk  der  „zwerge" 

i-ider  an  himmel  und  luftraum  gewiesen.    Die  scheinbai'  irdische  natur  der  Stoffe 

>andes  spricht  nicht  dagegen,    vgl.  Untersuch,  s.  114.     Dass  jene  6  Stoffe  sich 

er  erde  nicht  mehr  finden,    weil  sie  alle  zu  dem  bände  verbraucht  sein  sollen 

II,  431),    ist  analog  joner  neigung,    alles  bestehende  auf  ein   bestimmtes  histo- 

58  datum  zurückzuführen,  vgl.  in  Gylf.  15,  4 — 9;  76,  12;  80,  5  u.  0.  cap.  I,  16. 

dies  band  aus  „unsichtbaren  dingen"  geflochten  sei  (Mogk),   trifft  ganz  meine 

ing,    nur  möchte    ich  vom  mythischen    Standpunkte  aus  hinzusetzen  „für  den 

shen  unsichtbaren  dingen*'.  —    AVo  aber  fanden  sich  solche,    die  doch  zugleich 

^reiche  der  götter  liegen  sollen,  anders  als  am  himmel? 

2)  Vgl.  die  betr.  ail.  im  Glossar  zur  pros.  Edda. 

3)  Denkbar  ist  auch,  dass  die  drei  namen  ureprünglich  nur  Varianten  für  ein 
Mraren. 

4)  Vgl.  8.  299  anm.  2;  eine  etwas  genauere  besprochung  der  einzelheiten  findet 
ioi  ez0.IL 


304  WILKKN 

nicbt  zu  zerreissen  vermöge,   es  doch  mit  sich  fahren,   wenn  es  nicbt 
gut  in  der  erde  versichert  sei.    Überdies  ist  dem  gefesselten  wolle  nwh 
der  rächen  durch  ein  schwort  gesperrt!     Da   dieser   zug    alt  zu  seio 
scheint  1,   war  um  so  weniger  grund  zu  jener  ängstlichen  vorsieht,  dio 
wol  auf  einer  nachahmung  der  fesselung  Lokis  beruht,  aber  erst  her- 
vortreten konnte,  als  das  ursprüngliche  lokal  für  die  fesselung  des  wol— 
fes   ganz   oder  halbweges  vergessen  war.     Von   dem   gefesselten  Loki 
unterscheidet  sich  Fenrir  aber  wie  in  anderer  hinsieht,  so  auch  beson- 
ders durch  die  rachensperre  und  den  fluss,   in  dem  er  gefesselt  lieg^ 
und  durch  den  nach  der  auffassung  von  Gylf.  (40,    12  fg.)   sein  ent — 
weichen  wol  noch  mehr  erschwert  werden  soll  (vgl.  äräsi  fyrir  Lokas. 
41,  1)'.     Ist  dieser  fluss  Amsvartnir  aber  nicht  vielmehr  im  gründe 
nur  der  schaumfluss,  nach  welchem  Fenrir  den  beinamen  Vätuir  gatid^^ 
erhielt  und  der  in  skaldischen   berichten   schon   zu   zwei  Aussen  vora. 
solcher  fülle  wurde,   dass  alle  flüsse  als  „Speichel  Fenrirs**  bezeichna'fc 
werden  können?  (Kph.  11,  515).  —  Vgl.  cap.  VI,  §  9. 

7.  Auf  die  fünfte  frage  endlich  erteilt  Lokas.  39,  3 — 4  unci 
ähnlich  Gylf.  34  (=  42,  16)  auskunft;  wörtlich  ebenso  heisst  es  ab^x" 
auch  vom  gefesselten  Loki  in  Gylf.  50  (80,  20):  par  Uggr  kann  (ibqm-  — 
dum)  tu  ragimrekkrs,  Dass  er  dann  frei  werden  soll,  wird  vom  wolffe 
sogar  mit  noch  grösserem  nachdruck  (so  schon  in  H4konm.  20)  bezeug  ^ 
als  vom  götterfeinde  Loki^,  aber  den  kämpf  mit  ödinn  lassen  keines- 
wegs alle  Zeugnisse  so  bestimmt  darauf  folgen,  wie  wir  es  nach  Gylf.  5! 
V(jl.  53  fg.  anzunehmen   gewohnt   sind*;    und  wenn  Hyndl.  45,  3— 


1)  Er  vrird  durch  dio  kenning  „sparri  Fenris  varra**  =  Schwert  bei  Eyvinc 
skaldasp.  (Kph.  LEI,  460)  schon  für  das  zehnte  Jahrhundert  belegt.  —   Die  übereii^^ 
Stimmung  mit  einem  bilde  des  Sachsenspiegels  (Simrock,  D.  myth."99)  halte  ich  üt — 
zufällig;   gerichtlich  geächtet  (vervestet)  ist  der  Fenriswolf  niemals.    Damit  fallt  fiu- — 
mich  auch  die  deutung  Simrocks  fort. 

2)  Vgl.  exe.  II,  2.  —  Zunächst  sei  bemerkt,  dass  mich  ausser  den  oben  ge— "^ 
nannten  noch  folgende  gründe  verhindern  in  der  gefangenschaft  des  wolfes  nur  do^^ 
^differenzicrung  von  Lokis  gefangenschaft^  zu  sehen  (Bugge,  Studien  I,  414).  Lokr:^ 
wird  gefesselt  1)  unterirdisch,  2)  mit  sichtbaren  fesseln,  3)  wegen  bereits  begaogene^^ 
Untaten.  —  4)  hass  und  liebe  nimmt  an  seinem  geschicke  auteil  (Skadi,  Sigyn). 
Einzelne  zügc  mögen  in  beiden  fällen  typisch  sein  für  die  populäre  erzählong  eine 
fesselung,  vgl.  ausser  Bugge  a.  a.  o.  412  fg.  auch  Simrock,  D.  myth.'  s.  90. 

8)  Nur  in  dieser  fassung  kann  ich  den  gedanken  Müllenhoffs   (a.  a.  o.  150 

„das  losbrechen  des  wolfes  ist  übcrliaupt  die  Vorbedingung  zum  allgemeinen  aufbniol^^ 
der  weitmächte  und  zu  dem  umstürze  dieser  weit"  mir  aneignen.  —  Die  fthnlichlEBr'' 
mit  den  angaben  über  Loki  fasse  ich  nur  als  äusserliche  angleichung. 

4)  Zunächst  ist  zu  beachten,   dass  Eiriksm.  6  nur  ein  (drohendet)  hiil^ 
des  wolfes  auf  den  göttersitz  kennt,  Hakonm.  20  nur  ein  losstäxmen  dl»  " 


DRR   FBNRISWOLF  305 

aasdrücklich  diesen  kämpf  als  das  letzte  bezeichnet,  worüber  man  mit 
einiger  sicberheit  reden  dürfe,  so  darf  eine  kritische  betrachtung  wol 
noch  einen  schritt  weitergehend  auch  diesen  kämpf  aus  der  gesicherten 
Überlieferung  ausscheiden.  Befreiung  von  seiner  fessel  darf  der  wolf 
naoli  allen  Zeugnissen  am  weltende  hoffen;  ob  mehr  von  ihm  in  alter 
zeit  geglaubt  wurde,  steht  vorläufig  nicht  fest. 


VI. 
Erklärung  des  kernes. 

1.  Fassen  wir  die  im  vorigen  capitel  erhaltenen  antworten  auf 
di©  fünf  fragen  kur2  zusammen,  so  ergibt  sich:  ein  wesen,  das,  sei  es 
nur-  die  gestalt,  sei  es  auch  den  Charakter  eines  „  edelwolfes '^  (vgl. 
cap-  in,  8)  besitzt,  ist  von  den  göttern  seit  alter  zeit  am  himmel  ge- 
fesselt, weil  sie  von  diesem  wesen  unheil  für  sich  und  die  weit  besor- 
gexx.  Die  götter  vollbringen  das  schwierige  werk  nur  mit  liilfe  der 
zworge  (der  geheimen  naturkräfte);  diese  liefern  ihnen  ein  unsichtbares 
band,  welches  bis  zum  weltende  den  wolf  gefesselt  hält  —  Einiges 
spricht  dafür,  dass  die  fesselung  bei  nacht  geschehen  ist  (vgl.  cap.  IV, 
§  7  gegen  ende). 

2.  Wird  nun  gefragt:  welches  wesen  ist  gemeint?  so  bedarf  es 
^^Ueicht  noch  des  ausdrücklichen  hin  weises,  dass  die  persönliche  auf- 
fassung,  an  die  wir  uns  gewöhnt  haben,  an  und  für  sich  nicht  not- 
wendig ist  Da  wir  gesehen,  dass  die  genealogische  Verknüpfung  mit 
'^ki  und  Angrboda  der  konstruierenden  periode  angehört,  da  keine 
andere  Verwandtschaft  sich  als  echter  und  ursprünglicher  erwiesen  hat, 
^^s  hindert  uns  anzunehmen,  dass  der  „wolf"  überhaupt  nur  äussere 
ähnlichkeit  mit  einem  lebewesen  dieser  species  gehabt?     Verschiedene 

a'^f  den  wohnsitz  der  menschen  berichtet  wird.    Diese  angäbe  ist  mit  der  eddisclien 

aiuTassang  kaum  zu  vereinigen;   diese  schweigt  von  den  menschen,    weiss  dafür  aber 

einen    kämpf  mit  den    göttern  Odinn  und  Vidarr   zu  berichten.     Den  ersten   dieser 

*ainpf^tennt  von  den  älteren  skalden  wol  nur  Egill  Skallagr.  und  der  zeitliche  unter- 

^Qieci  zwischen  den  beiden  zu  anfang  dieser  anm.  genannten  gedieh ten  und  Egils  Son- 

'^^rtorrei:  (975  nach  Gudm.  torlaksson,  üdsigt  over  de  norsk-isl.  skalde  s.  24)  ist  nicht 

®.   ®^c>lich;   da  jedoch  bei  Egill  die  isländische  poesie  sich  zuerst  selbständiger  neben 

^    ^Norwegische  stellt,   so  könnten  neben  den  zeitlichen  hier  lokale  differenzen  in 

®^   ^nfiassuDg  in  betracht  kommen.    Nicht  zu  übersehen  ist  ferner,   dass  der  kämpf 

^   "^^Ifes  mit  VidaiT  zwar  V<?1.  54  bezeugt  ist,   aber  gegen  ü  H,  und  dass  zu  den 

'^    -KfilleDhoff  a.  a.  0.  152  angeführten  gründen  für  die  Streichung  dieser  str.  sich 

^^*^   mdero  finden  dürften.    Für  mich  wichtigere  gründe  werde  ich  noch  in  cap.  VII 


FHILOLOGII.     BD.  XXVUI. 


20 


■grÜBde,  welche  für  diese  auffaBsimg  sprechen,  sind  schon  oben  {x-  l> — 
icap,  V,  g  4  sclil.)  angeführt  Dazu  kommt,  dass  die  bisherigen  erkii — 
I  rungsvcrsuche  schon  alle  klassen  von  lebewesen  su  zu  sagen  erschSpflfc 
haben  (vgl.  cap.  II,  1),  ohne  Überzeugungskraft  zu  besitzen.  Daaa  e*^ 
sich  eigeutlicL  um  ein  lebloses  geschöpf  handelt,  scheint  aus  eine^ 
stelle  unserer  Überlieferung  wenigstens  indirekt  horvorzngiJieQ.  liwsft 
man  die  worte  in  Gylf.  34  (=-  42,  3,  4),  welche  die  rachensperre  nüA 
hilfe  des  Schwertes  schildern,  die  bis  zum  Weltuntergang  dauern  soll, 
so  ist  es  um  so  schwerer  hier  an  ein  lebendes  wesen  zu  denken,  d^ 
von  keinem  freund,  keiner  froundin  die  rede  ist,  welche  die  not  d^^sA 
gcinngenen  linderte  Dass  diesem  einen  mehrere  züge  gf^nübergo- 
stollt  werden  kömien,  welche  nur  von  einem  lebenden  wesen  scbeinea 
verstanden  werden  zu  können,  ist  richtig;  aber  wird  bei  einem  so  allen, 
so  beliebten  und  deshalb  doch  auch  wol  viel  variierton  niythus  das 
ursprüngliche  anders  als  in  seLwachen  spuren  zu  erkennen  sein?  —  I 
Die  aulfassung  als  lebewesen  musstc  natürlich  vorangehen,  ehe  man  «n  I 
eine  genealogische  Verknüpfung  mit  Loki  usw.  dachte.  I 

3.  Fragt  man  weiter  nach  den  gebieten  nicht  lebender  wesen,  j»  I 
welchen  entlebnungen  von  tiernamen  sich  etwas  häufiger  finden,  »»  I 
lautet  die  antwort:  in  der  pflanzenv^elt  und  am  Sternenhimmel.  la  I 
unserem  falle  kann  nur  der  letztere  in  betracht  kommen,  was  durclt  I 
vergleichung  mit  §  1  unseres  capitels  sich  von  selbst  ergibt  Die  be-  I 
trefTende  annähme  lässt  manche  Schwierigkeit  in  neuem  licht  erscbeJ-  I 
nen:  ein  am  biumel  befindliches  Sternbild,  das  einem  wolfe  mit  leuch-  I 
tenden  augeu  und  aufgesperrtem  rächen  glich,  scheint  die  well  (i 
bedrolien'j  aber  mit  unsichtbarer  fassel  wird  es  gehalten  bis  ziun  «elt' 

1)  Tgl.  Gfir,  51)  die  nocti  peialichcre  Inge  dos  Loki,  welche  jodoch  dorebsoH 
gattiu  Sigyn  gelindert  wird.  Ist  es  auch  schoinhar  padantisch  za  (ragen:  wer  pbt 
dem  geknobeltea  woU  die  nötige  nahruDg,  ntn  das  leben  xu  erbalteti,  weno  er  üki- 
liftupt  ein  lebewesen  ist?  so  glaube  ich  doch,  dosa  der  mythos  aoch  liier  öhulicbiri' 
io  Gylf.  50  die  mögiiclikeit  der  leben serbaltmjg  angedeutet  hätte,  wenn  dur  imH 
ursprüagltoti  lebend  gedacht  v&re.  Dam  kommt  noch,  dass  l/tki  sowol  wio  die  nv- 
stea  IQ  ähnlicher  läge  befindlichen  (so  z.  b.  Prometheus)  wegen  irgend  einer  fChvSi 
gefesselt  erscheinen;  diese  schuld  ist  hier  aber  entweder  so  geling,  dass  n»an  da 
woir  als  untic huldigen  ansehen  inuss,  oder  so  gross,  dass  man  mit  UangleTi  b»fn 
mässte:  warum  töteten  die  göttor  ein  so  gefährliches  wesen  nicht?  vgl.  o.  V,  $  4- " 
Ueine  bedenlien  werdeu  auch  durch  einen  binblick  auf  den  gefesselten  UgsithilB»- 

bei  Saxo  (ed.  Holder  294)  nicht  verringert,    denn  der  autor  tiflgt  hier  et>  nark  m^      i 
dies  er  absichtlich  jede  milderuug  zn  verschmühen  scheint.  l 

2)  In  der  Schilderung  des  freige wordenen  weites  Oylf.  51  (=  82,  13— 15J  B*  1 
xuiiUuhat  die  nbertreibenUe  darstolluDg  den  weit  geöffneten  rachens,  der  d«n  iwisdiBB—  m 
ranai  xwisohen  bimmel  und  erde  ausfällen  soll,   anf  das  richtige  mass  Euräcktafii'**     fl 


Untergang:  erst  dann  kann  es  herabstürzen  auf  die  weit  und  Hchaden 
stiften.  —  Hier  ist  namentlich  die  Schwierigkeit  der  zweiten  frage  (in 
cap.  V)  ganz  beseitigt;  die  zurückführiing  eines  für  unsere  moderne 
auffasHung  mit  der  weltschöpfuog  verknüpften  aktes  auf  ein  betiebigee 
datum  in  der  geschichte  der  weit  und  der  götter  entsprielit  der  cap.  I, 
§  16  erwähnten  neigiiug  naiv-aetiologischer  naturbetrachtung.  Der 
H'-haumfiusB  findet  Jetzt  auch  seine  erklarung,  vgl.  w.  u.  §  9. 

4.  Gibt  es  aber  neben  inneren  grtlnden  auch  irgend  ein  äusseres 
Mugnis  zur  stütze  dieser  ansieht?  Dass  es  ein  Sternbild  des  wolfes 
(Lupus,  besti«)   auch  für  unsere  astrouomie  gibt,  kann  hier  nicht  ins 

I  göwicht  fallen;   es  gehört  der  südliehen  halbkugel  an   und  wird  eist  in 
lÜdeuropa   etwas    deutlicher   sichtbar.     Es    müsste   also    ein   jetzt   mit 
Biderem  namen  benanntes  stembild  sein,  an  das  wir  zu  denken  hätten. 
tekanntlich  sind  aber  die  aus  dem  altertum  übernommenen  bezeich- 
iongen  der  Sternbilder  mit  dem   Christentum   und  der  lat  schrift  auch 
■ch  dem  norden  gedrungen  und  haben  die  einheimischen  namen  im 
I  jBiizen  verdrängt'.     Nur  in  wenigen  fällen  kennen  wir  alte  und  neue 
bezeichnung  des  Sternbildes;    bisweilen  hat  sich  die  alte  zwar  erhalten, 
'"U"   sind   aber  über  die  bedentung  im  unklaren  *.     Dass  es  ein  stem- 
bim  des  wolfes  im  norden  gegeben  habe,  könnte  aus  Grm.  10,  3  schwer- 
lich mit  recht  gefolgert  werden^;    bessere  gründe  für  die  existenz  von 
sterabildora   mit  dem  namen   des    wolfes,  adlors   und  raben  mag  die 
schrift  „Norroen  stjqmumjfn"  enthalten  haben,   die  wol  nicht  gedruckt 
•^^i  aber  von  K.  Magnussen  JCldre  Edda  I,  208  erwähnt  wurde. 

5.  Erst  die  letzten  decennien  haben  stichhaltige  belege  für  die 
otistenz  eines  Sternbildes  „der  Wolfsrachen"  erbracht  1860  teilte 
"-  Gtslason  in  seinen  bekannten  ,44  Praver  af  oldnordisk  sprug  og 
"teratur"*  b.  476  fg.  einen  von  ihm  „ StJQrnumtjrk "  bezeichneten  ab- 
^•^liaitt  aus  der  hs.  1812  der  alten  kön.  Sammlung  in  Kopenhagen  mit; 

•*o;  dagegen  kann  der  aoadruGk  etdar  brenna  or  augum  hans  ok  iiqautn  ohne  wei- 
"•^^  auf  ein  Sternbild  bezogen  werden.  —  Wie  gut  [losst  nicht  auch  Eiriksroäl  0  »fr 
"»'■  usw.  auf  ein  aternbild,  vgl.  cap.  in  §  8  ex.,  wo  schon  betont  ist,  dass  , graues" 
"^^'t  auch  dem  momie  hoigelegt  wurde. 

1)  Tgl.  die  abschnitte  über  steme  in  Grimms  Hyth.*  (reg.  s.  steme)  sowie 
•^«hn  und  Schwarte,  Nordd.  sagen  s.  457,  WestfiU.  sagen  H,  s.  85—88. 

2)  So  bez.  der  äugen  des  fjazi  Brag,  56  (=  96,  9)  und  der  Kohe  Qrvaudila 
SHlda  17  (105,  15). 

3)  An  die  mügliehkeit  dachte  F.  Magnussen;  vgl,  die  w.  u.  ioi  tCNt  genannte 
*^nft  desselben. 

4)  Dieselben  sind  auch  unter  dem  titel  ^S^'nisbük  islenkrar  tungu  —  i  furnüld" 


der  betreffende  teil  der  handschrift  wird  von  dem  kundigen  herausgeber  dar 
mitte  des  14.  Jahrhunderts  zugewiesen.  Hier  heisst  es  s,  477  z.  23  ^: 
Ändromeda,  lUttir  Cephei,  hona  Persei,  sitr  i  mjöikhring  par  aem  r* 
kqlluni  Ulfs  k^Qpt  i  niUli  fiska  ok  Cftssiopeam  ok  „ariecenj"  med  pri- 
hyrningi  er  hün  heftr  at  bahi  s4r  usw.  Leider  lassen  die  worte:  par 
sein  t'4r  kqllum  ülfs  lg<ipt  es  nicht  ganz  deutlich  erkennen,  ob  ein  teil 
der  milchetrasse  selbst  oder  ein  stembild  in  der  nähe  derselben,  das 
dann  entweder  ganü  oder  toilweise  dem  antiken  sternbiide  Ändromeda 
entsprochen  hat,  im  norden  mit  dem  namen  „Wolfsrachen"  bezeichnet 
wurde.  Die  an  und  für  eich  wol  mehr  sich  empfehlende  beziehnng 
auf  ein  stembitd  wird  auch  durch  eine  zweite  stelle  derselben  hand- 
schrift, welche  partie  jedoch  um  vieles  älter  ist  und  um  1200  ai^esetn 
wird,  bestätigt  In  diesem  älteren  teile  finden  sich  einige  isländisch- 
lateinische  glossen,  die  zuerst  für  sieh  in  der  Ztschr.  f.  d.  phil.  IX. 
385  fg.,  dann  mit  dem  ganzen  ältesten  teile  der  ha.  in  der  ausgäbe 
von  Larsson:  Äldsta  delen  af  cod.  1812  4"°  gml.  kgl.  samling  Köben- 
havn  1883  {Samfund  til  udgiv.  b.  IX)  ediert  sind.  Hier  findet  sich 
fi.  43  z.  30  als  glosse  für  Hyades  ulfs  keptr,  also  ^  ulfs  kjQptr^  bei 
Gfsiftson.  Wenn  ich  gleichwol  bedenken  trage,  das  jüngere  Zeugnis 
einfach  nach  diesem  äJteien  zu  korrigieren,  so  beruht  das  auf  folge&- 
dera  gründe. 

6.  Nicht  zu  verschweigen  ist  zunächst,  dass  der  erste  abdruck 
der  glossen  wie  bei  anderen  worten  so  auch  bei  ulfs  keptr  eine  andere 
lesung  zeigte.  Da  Jedoch  H.  Gering,  dem  wir  die  erste  genauere  kennl- 
nis  des  interessanten  denkmals  verdanken,  über  die  Schwierigkeit  der 
aufgäbe  und  die  beschränkte  zeit,  die  ihm  selbst  dafür  zu  geböte  stand, 
Ztschr.  f.  d.  phil.  IX,  s.  392  eingehend  berichtet,  so  dürfen  diese  ab- 
weichungen  nicht  befremden  und  wird  die  ausgäbe  von  Larsson  als  die 
neuere  und  allem  anschein  nach  mit  grösstor  Sorgfalt  angefertigte  bin- 
sichtiich  der  lesung,  wo  dieselbe  nicht  ausdrücklich  als  zweifelhaft  ange- 
geben ist,  vertrauen  verdienen.  Meine  zweifei  beziehen  sich  doninadi 
nicht  auf  die  lesung,  sondern  auf  die  richtige  beziehung  des  woiKb 
ulfx  keptr,  was  durch  einen  abdruck  der  nicht  umfangreichen  stelle, 
die  von  stenibüdem  handelt,  deutlich  werden  wird,  wobei  übrigeu 
nicht  alle  abweichungen  des  textes  bei  0.  (Gering)  von  dem  bei  I* 
(Larsson)  aufgeführt  sind.  Die  zeilen  sind  nach  Ln.  nicbt  in  spalttn, 
sondern  quer  über  die  seile  zu  lesen. 

Ij  Vigf,  führt  die  formen  keplr,  hjaplr  (liller  kjqjilr)  unil  keyplr 


DER  FBNRI8W0LP 

elix 

sinosura  ^ 

Ursa  niaior 

Ursa  mi7ior 

ulfe  keptr' 

VII  St....* 

Hyades 

Plyades 

6 

ide^ 

Arcttirus 

Aramec^ 

kyndil  st 

idem 

Alaba^^ 

Canicula 

solii 

309 


Äl..,ph . . 


Elyos 


oge^ 

Atiriga 

arl* 

Orion 

su|)rst 

Wega 

d  ^ 

Sirius 

•  •  •  • 

Celum 


Uranits^^  Et  her  Aer 

Nicht  immer  wird  das  lateinische  wort  durch  ein  isländisches  glossiert; 
gleich  die  erste  zeile  zeigt  zwei  ab  weichungen,  vgl.  auch  w.  o.  sol 
=  Elyos.  Gegen  ende  des  denkmals  finden  sich  isländische  werte 
gar  nicht  mehr,  vgl.  anm.  12;  mögen  auch  einige  dieser  glossen  ver- 
blichen sein,  so  scheint  doch,  da  neben  20  lateinischen  jetzt  nur  7  isl. 
Worte  lesbar  sind  ^3,  von  anfang  an  wol  kaum  eine  gleichmässige  glos- 
sierung  beabsichtigt  zu  sein,  vielmehr  neben  dem  hauptgedanken  urspmng- 
lich  griechische  oder  arabische  ausdrücke  durch  echt -lateinische  zu 
glossieren,   der  andere,  auch  einige  isländische  sternnamen  aufzuzeich- 


1)  =  Cynosura  Ln.  (d.  h.  Laresons  noten  s.  51). 

2)  Wahrscheinlich  vagntoge  zu  lesen  Ln. 

3)  Nach  G.  VII  . . . 

4)  Nach  G.  VII  stfirjni. 

5)  Nach  G.  fiosakarl. 

6)  Nach  G.  eticcyle  (aach  nach  Ln.  möglicherweise  cuccyle  (=  suculae  G.). 

7)  G.  idein,  nach  Ln.  vielleicht  so. 

8)  G.  Aranaec,  nach  Ln.  Ara^nec  wol  identisch  mit  dem  sternnamen  Alamee 
(»Q  der  Andromeda). 

9)  Nach  Ln.  wahrscheinhch  hundstime  oder  -stiama. 

10)  Alaha  =  alba  (daggryning  Ln.). 

11)  An  dieser  stelle  würde  sol  (so  G.)  das  isländ.  wort  für  sonne  sein,  weil 
®*^  acceut  in  der  handschrift  sich  nur  bei  isländ.  werten  zu  finden  scheint,  vgl.  L. 
®*  ^n ;  dagegen  wird  s.  39 :  stinna  heiter  sol  (nach  dem  folgenden  Fispena  heiter 
^ars ^  Stilbon  h.  mercurius)  sicher  das  lat.  wort  gemeint  sein,  und  so  wahrschein- 
"^h    j^^cjj  |j|g|.^  ^JJ^  tjßi  L   der  accent  fehlt. 

12)  Über  Ur.  hat  nach  Ln.  keine  isländ.  glosse  gestanden,    sondern  das  wort 
^Is  synonym  mit  Celum  im  vorhergehenden  zu  fassen. 

13)  Zu  den  lat.  ist  suculae  (vgl.  anm.  0)  gerechnet,    sol  aber  weder  zu  den 
^    xxoch  zu  den  isl.  gezählt  (vgl.  anm.  11).     Übrigens  sind  einige  dieser  7  namen 

/*c*i   nur  Übersetzungen  aus  dem  lat. ,  vgl.  die  folgende  anm. 


310  WILKKN 

nen  sich  in  mehr  sekundärer  weise  geltend  gemacht  za  haben.  Diese 
ansieht  wird  gestützt  durch  vergleichung  des  jüngeren  abscbnittes  der- 
selben liandschrift,  den  Glslason  edierte  (vgl.  §  5).  Hier  finden  ach 
neben  reichlich  50  lateinischen  oder  einfach  aus  dem  lateinischen 
übersetzten  bezeichnungen  von  Sternbildern  nur  noch  3  oder  4  altnor- 
dische^; dass  die  kenntnis  derselben  mit  jedem  Jahrhundert  sich 
minderte,  ist  begreiflich,  aber  selbst  um  1200  wird  kaum  ein  u 
diseher  gelehrter  noch  eine  vollständige  kenntnis  der  alten  stenmami 
besessen  haben  *.  —  Die  nur  beiläufige  einführung  der  nordischen 
namen  in  dem  jüngeren  denkmal  ergibt  sich  auch  daraus,  dass  sic^li 
dasselbe  als  Übersetzung  aus  einem  lateinischen  texte  deutlich  verrät  *; 
für  die  secundäre  geltung  der  isländischen  glossen  in  dem  älteren 
die  analogie  der  glossenähnlichen  aufzählung  der  planetennamen  in  de: 
älteren  teile  der  hs.  s.  39,  z.  12 — 40,  2  sprechen.  Hier  steht  zunäcfai st 
immer  der  aus  dem  griechischen  entlehnte,  dann  der  echt  lateinis<b^ 
name,  endlich  wird  der  nordische  erwähnt,  der  aber  in  diesem  Ml« 
nur  auf  gelehrter  konstruktion  beruht:  Mars  =  Tj^r  usw. 

8.   Was   folgt  aus   diesen  bemerkungen?     Dass  wir   bei  dem  ixi 
§  7  wider  abgedruckten  glossenstücke   allen    grund   haben,   die   bezi^^- 
hung  der  einzelnen  glossen  sorgfiiltig  zu  prüfen;  wie  wenig  konsequerB ^ 
in  der  anordnung  herrscht,   geht  schon  daraus  hervor,   dass  bald  daEfc^ 
schwierigere  (gricch.)  wort  über  dem  bekannteren  lateinisclien  worte  stel»t-, 
bald  umgekehrt,  z.  b.  sol  ühevElyos.  —  Dass  sucuhie  (vgl.  s.  309,  annLG>^ 
als  glosse  zu  dem  darunter  stehenden  Arctnrus  gezogen,   der  astroa<=^-' 
mie  ins  gesiebt  schlägt,   ist  klar;    verbindet  man  es  mit  dem  darüb 
stehenden  Hyadv^,   so  ist  man  in  der  sache  jedenfalls  im  rechte,  al>' 


1)  So  wird  birnur^  kerrugjetir^  gridungrj  rtUrj  vatnkarl,  ateingeit  u.  a., 
auch  ormr  (=>  draco),  finngdlkn  (^=-  sagittarius)  und  {li)nisa  =  dclphinus)  übcrsetzu.ng' 
aus  dem  lat.  seiu ,  da  überall ,  wo  der  altnordische  ausdnick  wirklich  im  volko  lebte, 
oin  sem  rer  knllton  hinzugefügt  ist;    freilich  erregt  selbst  hier  einiges  den  verdacbt 
der  entlehnung,    so  bredramark  ncbou  gemini  477,  8  und  (ttu  z.  15  (=  etu^  vach 
der  läge  nach  zu  dem  krippchen  iin  sternbild  des  krebses  stimmend).     So  bleiben  in 
gründe  nur  raguy  krennnvagn  (476,  8)    und  ulfs  kj<^tr;    denn  auch  VII  itimi  ist 
wol  kaum  für  ursprünglich  zu  halten,    da   die  angebliche   siebenzahl    der  Flc|jtdeD 
schon  von  den  alten  betont  wird. 

2)  Neben  den  einlieimischen  scheinen  aber  auch  die  griechischen  und  arabiBcfaeD 
namen  um  1350  minder  bekannt  zu  sein  als  um  1200. 

3)  Während  i  vnlli  bei  nordischen  Wörtern  den  gen.  regiert,  folgt  bei  solchn. 
die  aus  dem  lateinischen  text  übernommen  sind,  mehrfach  (nicht  immer)  der  acCn 
von  dem  vorhergehenden  inter  des  lateinischen  grundtextes  abhängig,  vgl  477,  W 
I  milli  krabba  ok  vicyjar  mit  19  /  vi.  liram  ok  Casstopeam,  24  t  m.  fisea  ok  Cot 
niojßcam,    Ähidich  auch  ttl  Ändromedam  {=  ad  Andr.  478,  7). 


DER  FENBISWOLF  311 

WOZU  gehört  nun  ulfs  keptr?  —  Liest  man  die  zeilen  von  links  nach 
röchts,  so  sind  die  beiden  „idera"  mir  unverständlich;  liest  man  umge- 
kehrt, so  ist  nun  wenigstens  in  dem  einen  falle  geholfen:  Sirius  (hund- 
stirnej  vgl.  anm.  9);  ideni  Canicula,  —  Auch  die  bezeichnung  supr- 
stjama^  würde  dem  am  südlichen  himmel  sich  zeigenden  Sirius, 
allenfalls  dem  Orion  zukommen  können;  als  glosso  zu  Wega  gezogen, 
scheint  sie  widerum  nicht  an  ihrem  platze.  Mag  einzelnes  dieser  art 
auf  Tersehen  des  Schreibers  beruhen,  so  scheint  die  ursprüngliche  an- 
ordnung  des  Stoffes  schon  durch  die  gelegentliche  aufnähme  einiger  alt- 
nordischer werte  in  das  griech.- lateinische  glossar  verdunkelt  worden 
zu  sein. 

9.   Diese  bedenken  sollen  jedoch  den  wert  des  schon  durch  sein 

alter  so  merkwürdigen   denkmals   nur  vor   unkritischer  Überschätzung 

sichern;  da  namentlich  die  beiden  ersten  zeilen  sonst  durchaus  richtige 

angaben   enthalten,   sind  wir  nicht  berechtigt  ulfs  keptr  als  nordische 

bezeichnung  eines  Sternbildes  anzufechten;  tritt  dieser  angäbe  doch  die 

^6i  Gfslason  Prever  s.  476,  24  bestätigend   zur  seite.     Dass   dort   ein 

anderes  sternbild  diesen  namen  erhält,   beweist  die  Unabhängigkeit  des 

J^^geren  berichtes.  Für  welche  erklärung  soll  man  sich  aber  entscheiden? 

^eide  angaben  ganz  zu  vereinigen   könnte   nur   in   ganz  gewaltsamer 

^öise  versucht  werden  2;   sobald  wir  aber  tdfs  keptr  als  an.  glosse  zu 

^ycides   (lat.  glossiert  durch  suculcie)   fassen  und   bei  diesen  auch  an 

-^Idebaran  und  die  zu  den  hörnern  des  stieres  gerechneten  steme  den- 

^^^5    so  erhalten  wir  widerum  ein  die  milchstrasse  berührendes  stern- 

^^Icl    (köpf  des  stieres),   nicht  eben  weit  von  der  Andromeda  entfernt^. 

^^    die  nähe   der   milchstrasse   in   dem   Jüngern   denkmal  so   nach- 

"^^cklich  betont  wird  (vgl.  §  5),   ist  dieser  umstand  sicher  nicht  ohne 

1)  Das  wort  über  Wega  ist  nicht  deutlich  zu  lesen;   scheint  aber  ungefähr  so 
5^Xa\itet  zu  haben. 

2)  Es  müsste  dann  Äramec  =  Älaniec  gefasst   (vgl.  anm.  8)   und  mit  tdfs 
^^jotr  verbunden  und  dieses  als  glosse  zu  dem  fremden  werte  betrachtet  werden. 

3)  Je  näher  die  Sternbilder  sich  stehen,  desto  leichter  ist  natürlich  die  über- 
^^^Bgung  des  namens  von  dem  einen  auf  das  andere  denkbai*.  Ist  die  ältere  angäbe 
^e  richtigere,  so  empfiehlt  es  sich  wol  die  (nach  späterer  auffassung  an  den  hörner- 
^pitzen  des  stieres  stehenden)  steme  ß  und  C  in  dem  stembilde  des  stieres  als  die 
bezeichnung  der  beständig  gesperrt  erscheinenden  kiefern  des  „wolfes*  zu  fassen. 
t)er  von  den  hörnern  eingefasste  räum  kann  füglich  als  ein  gegen  die  milchstrasse 
^eöfEneter  rächen  aufgefasst  werden.  Für  unnötig  halte  ich  es  etwa  auch  nach  dem 
X^u^hensperrendcn  Schwerte  am  himmel  zu  suchen;  zeigt  sich  ein  kiefer  immer  aufge- 
gesperrt,  so  muss  der  zusammenschluss  künstlich  verhindert  sein  und  so  lässt  sich 
das  sperrende  schwort  leicht  hinzudenken;    dasselbe  gilt  von  dem  bände  Gleipnii. 


312  viuiM 

gewicht;  die  mögüclikeit,  dass  der  dem  maule  des  gefussellen  wolfee 
entströmeDde  scliaumfluss,  nach  dem  er  seinen  charakterisrischen  bei- 
Dämon  Vänargandr  erhielt ',  niclit  erst  dem  ausschmückenden  eifw 
skaJdischer  dichtung,  sondern  bereits  dem  kerne  des  mythus  angehört 
habe,  darf  hier  nicht  verschwiegen  werden.  Wir  würden  dann  in  dem 
sehaumfluss  Vän  eine  alte  bemchnuug  der  milchstrasse  vor  uns  babea, 
älter  wabrseheiulicb,  als  die  etwas  abstrakt  gefasste  bezeichnung  vetrar- 
braut  (winterwog),  um  ton  noch  jüngeren  benenuungen  und  der  Über- 
setzung aus  dem  lat.  „lactea  via"  ganz  zu  schweigen.  Dass  die 
nähe  eines  flusses  immer  als  charakteristisch  für  den  ort  galt,  wo  Ken- _ 
rir  gefesselt  lag,  geht  aus  der  kurzen  andeutung  der  Lokas.  41,  I:  ulf 
sär  liggja  drösi  fyrir  aweifeflos  hervor;  der  ursprüngliche  schaumfluaa 
ißt  freilich  mit  der  zeit  nicht  nur  verdoppelt  (vgl,  cap.  V,  6  und  exe.  IIj, 
sondern  hat  wol  auch  die  Vorstellung  des  flusses  Amsvartnir  erst  tw- 
anlasst. 

10.  Als  völlig  gesichert  und  wesentlich  für  unsere  Untersuchung 
betrachte  ich  jedoch  nur  die  tatsucho,  dass  der  am  himmel  von  den 
göttem  mit  geheimnisvollem  band  gefesselte  und  zum  beständigen  an^ 
sperren  der  kiL'fem  genötigte  wolf  ui-sprünglich  das  Sternbild  ulfs  keptr 
bedeutete.  Das  wort  keplr  selbst  wird  vom  Fenriswolfe  sowol  82,  13 
wie  84,  6  und  11  (Gylf.  fil)  mit  nachdruck  gebraucht;  wenn  an  diesen 
stellen  der  sing,  immer  nur  den  einen  halbkiefer  bezeichnet,  ao  d«rf 
daraus  ein  einwarf  gegen  die  gegebene  erklärung  nicht  abgeleitet  wer 
den.  DflSB  auch  der  sing,  den  gesamt-kiefer  (über-  und  Unterkiefer) 
bezeichnen  konnte,  geht  aus  stellen  wie  svd  al  rifnadi  kjaptrinn  (Orett 
05.  Vigf.),  der  redensart  halda  kjapti  (—  maul  halten  ebd.)  und  dem 
komp.  ffar(tarlg'<plr  {—  the  opening  of  a  Qord)  deutlich  hervor;  düt 
letzte  belegt  überdies,  dass  le/>iiUr  recht  wol  auch  den  geöffneten  rächen 
(gesamtkiefer)  bezeichnen  konnte.  —  Es  bandelt  sich  nun  darum,  von 
diesem  so  vei-standenen  kerne  aus  alle  erweiterungcu  der  mytfaiscjios 
traditioii  in  ihrer  sagen  -  historischen  entwickelung  zu  verfolgen;  hof- 
fentlich zeigt  es  sich,  dass  von  dem  gewonnenen  Standorte  nicht  nur 
einzelne  punkte,  sondern  alle  seilen  der  entwickelung  sich  befriedigend 
erläutern  lassen.  Der  kern  des  mythus  ei'gibt  strenggenommen  nur^ 
mythisches  symbol  (vgl.  kap.  I,  §  2);  als  punctum  saliens  für  die  pe^ 
sönliche  auffassung  des  wolfes  und  die  entwickelung  eines  dSmoniecb 
gefärbten  mythus  ist  die  schon  dem  kern  Angehörige  Vorstellung  von 
dem  ü'eiwerden  des  gefesselten  wolf^  (vgl.  cap.  V,  §  7)  zur  zeit  dt* 


1)  Vgl.  ü,  in,  §9, 


313 

weltuntorganges  anzuseilen;  koimto  mau  ihn  sich  da  nicht  leicht  als 
nur  gewaltsiim  der  ü'cien  Bewegung  beraubt  und  mm  vun  rachedurst 
gegen  die  götter  beseelt  vorstellen? 


VII. 
Betrachtung  der  erweiterungen. 
1.  Hier  ist  vor  allem  die  auEmersanikoit  au/  drei  gebiete  zu 
richten:  die  teilnähme  des  gottes  Tjr  an  der  fossohmg,  die  beziehun- 
geo  des  dämomsch  aufgefassteu  wolfes  zu  Loki  und  dem  sonnonnolfe, 
der  kämpf  des  befreiten  götterfeindes  mit  ödinn  und  Vfdarr'.  —  Was 
das  erste  gebiet  betrifft,  seist,  wie  schon  oben  bemerkt',  T«r  als  ulfs 
föstri  unvereinbar  mit  seiner  rolle  bei  der  fesselung;  man  könnte  dar- 
nach seine  teilnähme  an  derselben  entweder  verwerfen  oder  auch  hier 
lediglich  dio  kühnheit  des  kriegsgottes ,  der  blindlings  seine  rechte 
'  opfert,  finden;  letzteres  ist  etwa  der  Standpunkt  der  Gylfag.  Wer  aber 
i  den  bericht  in  Gylf.  34  eingehend  prüft,  der  wird  doch  eher  zu  dem 
umgekehrten  resultate  kommen.  Jener  höhn  der  götter  über  das  be- 
nehmen ihres  opferfreudigen  genossen,  den  42,  1  auszudrücken  scheüit', 
Terrät  uns,  dasä  eine  jüngere  zeit,  welche  im  stillen  dachte,  wie  sie 
die  götter  offen  ihre  gesinnung  ausdrücken  liess,  sich  in  die  handlungs- 
weise,  welche  T^r  zeigt,  nicht  mehr  zu  finden  vermochte.  Ahnlich 
klingt  der  spott  Lokis  in  Lokas.  38,  3  —  4;  und  demselben  geisto  ent- 
sprungen ist  auch  der  versuch,  den  mutigen  kriegsgott  beim  letzten 
kämpfe  nicht  ganz  ohne  gegner  zu  lassen,  indem  mau  ihn  dem  hunde 
Garmr  gegenüberstellte,  während  die  ehre  des  kampfes  mit  dem  wolte 
vielmehr  Ödinn  zu  teil  ward.  Wahrend  hier  (in  Gylf.  .51)  bei  der  jün- 
geren Sagenbildung  der  altere  gott  einfach  die  rolle  übernehmen  muaste, 
welche  ihm  der  veränderte  volksgeist  noch  gönnte,  geriet  bei  dem  in 
seinen  grundzügen  älteren  berichte  in  Gylf.  34  der  ältere  gott  allmäh- 
lich in  eine  schiefe  Stellung  neben  dem  jüngeren,  der  durch  die  beschaf- 
fung  des  bandes  Oleipnir  seine  geistige  Überlegenheit  an  den  tag  zu 
legen   scheint     Hier  ist  älterer    und   jüngerer   bestand   so    ineinander 

1)  Diese  gebiete  haben  was  vorlüufii;  sohoii  m  cap,  fV,  teilnreiBe  auch  V  beBch&f- 
tigt;  uiuwte  das  resultat  dort  meist  eio  negatives  sein,  so  Icöaneu  wir  jetzt  nach  dem 
in  uap.  VI  gewobuHnen  Btandpunkte  auch  positive  ergebniAse  ttoSen, 

2)  Vgl.  cap.  V  §  5. 

3)  Vielleicht  gilt  der  höhn  zunächst  dem  wolte,  aber  die  götter  scheiaen  doch 
gleioligiltig  gegen  den  vertnst  ihres  geuosaeo  zu  sein. 


nriir 


gewirrt,   dass  eine  Scheidung  nur   für  ilie   hauptpuiibte    wird   gelinger» 
können '. 

2,    Der  Schlüssel  für  die  richtige  erkläriing  liegt  sagen  geschichtlich 
in  dem  yeretändnisso    des   gottes  Tfr   als   eines   älteren    gerniaiiiscbvo 
himmelsgottes;    iihilologisch- exegetisch   in   der  richtigen  auffawäung  des 
ausdruckes  „zum  pfände  legen,   als  pfand  setzen",   der  sowol  Qy\f.2i 
wie  34  in  einer  weise  hervortritt,  dass  es  sich  hier  um  keinen  neben- 
sächlichen    zug    handeln    kann.      Nach    der    erstereu    seite    bedari  k 
hier  nach   der  s.  197,  anra.   1   gegebenen   aiiseinandersetzung   nur  itf 
erneuerten  hinweises,  dass  einst  auch  bei  den  Germanen  Tyr  eine  ähn- 
liche dominierende    Stellung    einnahm    wie   Za';,'  tei   den    Griechen*; 
daraus  ergibt  sich  ohne  weiteres  ein  gewisses  eintreten  für  die  soohe 
der  übrigen  götter,    ohne  dass   sich    darin,    wie    es  Qylf.  34   scheLoOD 
könnte,   ein  blinder  wagcmut  verrät;    dass  T^r  andererseits   nicht  etwa 
im  auftrage  oder  als  untergeordnetes  Werkzeug  Odins  handelt,  ist  sclbet 
aus  dieser  getrübten   quelle  noch    ersichtlich.     Noch  mehr   wird  jener 
vonvurf  der  toUkühnheit  widerlegt,    wenn  man  sich  klar  macht,   w« 
der  ausdruck  „zum  pfände  setzen",  wo  er  von  einer  gottheit  gebraucht 
wird,   eigentlich   bedeutet.     Man  erinnere  sich  zunächst  der  gewaltigen 
ausdehnung  der  redensarten   „ein  pfand  geben,  nehmen"  und  ähnlicher 
in  allen  germanischen  sprachen  des  mittelaltere,  vgl.  Grimm.  lUicbtsalt 
618  fg.,  für  das  mbd.  Sprachgebiet  besonders  Zarncke  im  Mhd,  wb.  U*, 
477,  Lexer  s.  v.  pMtit;  für  das  nordische  gebiet  s.  die  wbb.  s.  v.  rof, 
vcdja   und  pantr.     Im  sprachgebrauche   der   beiden   Edden    bandelt  es 
sich  namentlich  um  den  untei-schicd,    ob  götter  oder   riesen  eine  wette 
eingeben;   diese  wagen  auls  geratewol  selbst  das  liaupt  und  verlieren 
es,  vgl.  Vaffir.  19,  3;    55,  3.  —    Den  Übergang  zu  den  göttern  zeigt 
Loki,   der   zwar   leichtsinnig   wettet,   sicii    aber  durch  gowaudtfaeit  xn 
rettan  weiss  ^  —    So   findet  sich   nun   bei   den  göttern  wol   auch  sonst 

1)  Aus  diesom  grimde  ist  die  frage  in  diesem  cap.  noch  einmal  im  tusumnos- 
hsnge  aurgeDommoD  wordoD. 

2)  Vgl  ausser  älteren  belegen  (Grimm,  Myth.*  a.  162)  namentlich  BoBocT- 
Der  germimiBche  bimmelHgott  (Eddastudien  1,  145  fg.)  und  die  dort  bitiertdn  «cfartf- 
ten.  Über  die  Hchicksole  des  gottes  bei  verschiedeoeu  iadog.  Völkern  v^.  KiM 
Herabkunft*  a.  6  fg. 

3)  In  der  eraihlniig  Skälda  35  ist  der  suhlass  des  cap.  (von  Jki  baä  dftryrim 
112,  21  an)  ab  spätere  erweitening  zu  betrachten.  ~  Von  einer  leiditsiuuig<?D  »ri>* 
der  hofleute  kücig  Olafs  berichtet  Nornog.  [»Itti'  c.  11  und  IIl;  beachte  tiier  die  mi- 
DUDg:  tedid  eicki  optar  vüt  ökutma  menn  usw.)  diese  art  dos  wettcns  war  ebeo  6f 
bei  unverständigen  üliUdie. 


315 

eic:».    trotten,   das  an  die  laune  der  riesen  oder  an  menschliche  verhält- 
oisiee  örinnert';  wo  aber  die  betr.  eiiiäbluag  echt-mythischen  Charakter 
i^i^t,   da  ist  das  zu  „pfände  setzen'*  der  götter  nicht  nur  ein   formell 
freiwilliges,    sondern   auch  ein   wolüberlegtes,   bleibenden    vertust   aus- 
«iVkliessendes  handeln.     Wie  der  einhändige  T^r   am  hosten  dem   ein- 
**igigen  ödinn  sich  vergleichen  lässt,  so  bietet  auch   das  verpfänden 
^6s  auges  an  Mfmir  die  passendste  parallele  für  die  Verpfändung  der 
Hind   au   den  Fenriswolf  (W.  MiUler,  Altd.  rel.  224);    wie  jenes   wahr- 
scheinlich  nur  die  momentane   Verschleierung  des  sonnenauges    durch 
eine  wölke  bedeutet',  die  für  den  himmelsgott  keine  wirkliche  einbusse 
ist,  ähnlich  steht  es  auch  mit  dem  verpfänden  der  band.     Die  tatsache, 
I     dass  Sternbilder  von  uns  meist  nur  bei  nacht  erblickt  werden,  verschob 
sich  vor  der  naiv-pbjsikalischen  bctrachtung  der  alten  zeit  dahin,  dass 
nur  in  der  naehtzeit  den  gottern   die  befestiguag  der  gestirne,    speciell 
des  „Wolfsrachens"  am  himmel  möglich  gewesen  sei,  und  da  der  himm- 
lische licbtgott  wesentlich   tagesgott   war',   so  musste  er  zur  naehtzeit 
irgendwie  geschwächt  sich  zeigen,  so   dass  das  verpfänden  der  band 
ursprünglich  wol  das  zeitweise  verschwinden  des  tagesUchtes  überhaupt 
bezeichnet*.     Denn  diese  band  scheint  eine  ähnliche  bedeutung  zu  haben 
wie  das  schwert  des  gottes  Preyr  in  dem  Gerdr-raythus';  die  gewöhn- 
lich mit  dem  schwert  bewaffnete  band  des  gottes  wird  diesem  Schwerte 
selbst  gleichgesetzt  werden   können;    dies  aber  bedeutet  den  strahl  des 

1)  Tgl,  hier  DamaDtlich  Sbäldsk.  c.  IT  (101,  6)  und  pnwseiDleitung  zu  Orm. 

I.  21  rg. 

2)  Wäbrend  mao  meistens  von  dem  Widerschein  der  sonne  im  WKSser  rodet 
(so  auch  Mogk  im  Grandr.  der  germ.  phil.  I,  1047),  wobei  wol  gsr  nach  ganx  jan- 
gea  qutilloD  {i.  b,  Bimur  M  Vi^lsungi  1,  6)  liieuev  Widerschein  als  eiu  zweites  au^ 
gefasst  wird,  ist  der  ursprünglii.'he  sinn  wenigstens  beillLufig  zum  ausdruok  gobmcht 
Yon  demselben  fotscher  s.  1079:  „die  int  meer  oder  hinter  den  wollieD  verschwindende 
sonne  mag  den  myUiua  haben  enlstoboo  lassen."  -^  Au  die  wolte  möolite  ich  vor- 
Uufig  allein  dcoken.     (Kuhn,  Herabkunft  s.  117.) 

3)  Vgl.  a.  197,  anm.  3;  schon  Grimm,  Mjth.'  ICl  sagt:  ,an  den  begriff  des 
bimmels  grenzt  der  des  leuchtenden  tages." 

4)  Soweit  kann  ich  also  der  ansieht  W.  UüUers,  Maoohardts,  MüUeDhoffs, 
HofforyB  mich  anschliessen,  die  aus  dor  roile  dos  goltea  TJr  dem  wolfe  gegeoübor 
den  auhluss  zogen,  dass  letzterer  eb  woif  der  „finatemiss'  sein  niässe;  vgl.  a  IV,  T. 

5)  Dieser  ist  von  Simrock,  D.  myth.  *  s.  61  fg.  im  ganzen  wol  richtig  gudou- 
tet;  wie  „dieser  mjtbns  mit  dem  von  dem  letzten  kämpfe  ttra|)rüaglich  io  keiner  ver- 
bioduut'  stand",  ebenso  wenig  trifft  die  auffassung  der  Lokas.  (£J9,  1),  wo  der  Ver- 
lust des  gottes  TJ'r  als  ein  bleibender  aufgefasst  n-ird,  den  ursprünglicbon  sinn  des 
mythus. 


316  WILKEN 

lichtgottes,   der   hier   kollektiv  za  fassen  ist     Ähnlich  auch  Schwarte 
(Poet  naturansch.  II,  102);  doch  ist  ihm  T^r  ein  gewittergott 

3.  Dürfen  wir  hiernach  wol  annehmen,  dass  ursprünglich  bei  l&t 
fesselung  des  wolfes  T^r  etwa  die  rolle  einnahm,   welche  spater  ödict^^ 
erhielt,    so  sind  hier  doch  noch  einige  fragen  zu  erledigen.    Zunäclft^ 
die:   ist  auch  das  zauberhafte  band  von  diesem  gotte  beschafft?    Di^^ 
zu   behaupten   sind   wir  nicht  berechtigt;    wenn   wir  aber  annehmet* 
dass   ursprünglich   nur  von   einem  bände  die  rede  war   (vgl.  cap. 
§6),   so  genügte  auch  völlig  die  angäbe,  dass  die  götter,   allgemein^ 
gefasst,   dies  gefertigt  oder  von  den  zwergen  sich  beschafft  hätten; 
Gylf.  34  aber  soll  sich  Odins  Weisheit  als  die  letzte  Zuflucht  der  gö 
darstellen.     Femer:  ist  die  auf  skaldische  quellen,  die  hier  aber  vol 
tümlich  gefärbt  scheinen,  zurückgehende  angäbe,  dass  dieses  band 
6  (seitdem  auf  der  erde  angeblich  nicht  mehr  vorkommenden)   Stoffe 
gefertigt  sei\   als  dem  kerne  angehörig  zu  nehmen  und  wie  ist  sie  c 
erklären?     Ohne  die  betr.  angäbe  in  jeder  einzelheit  mit  bestimmtheÄ^ 
als  ursprünglich  in  ansprach  zu  nehmen,  glaube  ich  doch,  dass  wir  i 
ganzen  hier  auf  sicherem  boden  stehen;    auch  die  erklärung,   dass  ei 
aus  solchen   stoflen  gefertigtes  band   im   gewöhnlichen  sprachgebrauc 
als  ein  ^unsichtbares'^  bezeichnet  würde,    wird  kaum  ernstlich 
det  sein:  ist  hier  doch  das  negative  und  abstrakte  dos  prosaischen 
drucks  in  der  spreche  des  mythus  glücklich  genug  überwunden'. 

4.  Vielleicht  habe  ich  auf  den  einwurf  noch  zu  antworten:  kan 
ein  wolf ,  der  für  seine  Sicherheit  ein  pfand  begehrt  und  im  verlauf  d 
berichtes  auch  die  band  des  trügerischen  gottes  abbeisst,  als  ein  ursprün, 
lieh  unpersönliches  wesen  gelten?    Doch  genügt  es  wol  daran  zu  eri 
nern,  dass  eine  gewisse  spielende  art  der  persönlichen  aufiTassung  auc^ 
unbelebten  mythischen  Symbolen   gegenüber   zulässig  ist';   wem  a 


1)  Vgl.  ausser  cap.  V,  G  auch  Untersuch,  zur  Sn.  Edda  s.  114,  anm.  206. 

2)  Wem  eine  solelie  erklärung  Daeli  aualogie  des  Augusteischen  ,ad  Kai.  Gi 
i»is  solveri'*  nicht  in  den  sinn  will,  der  niuss  entweder  an  einen  nebelstreif, 
Knndähnlicho  reihe  kleiner  stern»»  {wie  sich  z.  h.  im  stembilde  der  Andromcda  eS^^" 
sog.  planetaiisoher  nebt»l  findet,  vgl.  A.  F.  Möbius,  Ilauptsätze  der  astronomie  189:**^' 
s.  U><)  Oller  er  inüsste  mit  Sehwartz  (Ursprung  der  myth.  s.  151)  an  den  blitxfed^^^" 
denken.  ,niit  dem  der  sturnieswolf  gefesselt  wird.*  —  Aber  weder  kann  ich  e^^** 
wesi»n.  das  erst  Um  dem  untergange  der  weit  loszustürmen  beginnt,  als  Sturmes wc^^" 
anerkennen,  noeh  ist  die  blitzosfessel,  mit  der  auch  Zeus  (nach  IL  A,  400)  nur 
seit  worden  ..sollte^  und  andere  götter  nur  für  lieschränkte  zeit  gefesselt 
be.sonders  geeignet  ein  ungeheuer  bis  zum  Weltuntergänge  festzuhalten. 

3)  Vgl.  8.  1G2  anm.  1.  —    Wie  gross  jedoch  der  unterschied   zwischen  Wc 
poetischer  )H?n>onifikation  und  wirklich  lobend  gedachten  wesen  ist,   beweist  ein 


das  ftbbeissen  der  band  des  T^r  denn  doch  zu  stark  sein  sollte,  dem 
steht  es  frei,  in  diesem  zuge  eine  erst  in  der  zeit  der  dämonischen 
autTassung  des  wolfes  geschehene  vergröberimg  der  älteren  aussage  zu 
erbliclien,  weiche  den  gott  einfach  seine  hand  verpfänden  liess. 

Zweifellos  gehört  dieser  späteren  zeit  alles  das  an,  was  die 
genealogische  Verknüpfung  mit  Loki,  der  Hei  und  dem  Midgardsonnr 
betrifft.  Wie  schon  am  schluss  von  cap.  VI  angedeutet  wurde,  gieng 
die  dämonische  aufTassung  in  diesem  falle  wol  sicher  von  der  Vorstel- 
lung aus,  dass  der  wolf  am  weltende  seine  fessel  brechen  werde.  So 
mochte  die  Weissagung  schon  Jahrhunderte  lang  gelautet  Laben,  ohne 
i  die  gemiiter  besonders  dadurch  erregt  wurden;  erst  als  die  vor- 
jBtellung  vom  Weltuntergange  melir  und  mehr  in  die  form  eines  erbitter- 
kampfes  der  götter  und  riesen  urageschmolzen  wurde,  welcher 
Wechsel  wahrscheinlich  nicht  sehr  lange  vor  dem  beginne  der  wikin- 
gerzüge,  teilweise  noch  während  derselben  sich  vollzog,  erst  da  wurde 
der  gefesselte  wolf  für  den  fall  seines  freiwerdens  ein  gefiirchteter  feind 
der  götter  und  der  von  diesen  bisher  beschützten  menschheiL  Diese 
lebhaftere  enipfindnng  verlieh  dem  bisher  nur  im  sinne  des  animismus 
^belebten  wolfe  eine  etwas  vollere,  mythische  Persönlichkeit  und  so  kam 
man  dazu,  sich  jetzt  auch  nach  einem  vater  und  nach  geschwistem  für 
dieses  enfant  terrible  umzusehen';  es  war  der  augenblick  gekommen, 
^wo  das  mythische  bUd  aus  der  anschauung  übergeht  in  die  tradition, 
wo  der  loslösungsprocess  von  dem  natürlichen  hintergrunde  anfängt 
nä  es  gleichsam  zum  freien  eigentum  des  menschlichen  geistes  wird, 
lex-  die  in  demselben  liegenden  keime  nun  auf  religiösem  wie  histo- 
ischem  —  boden  verwertet."  (Schwartz,  Die  poet.  natuiansch.  b.  II 
1.  XX.)  —  Jetzt  konnte  auch  erzählt  werden,  dass  dieser  wolf  in  Rie- 
Benheim  aufgewachsen,  mit  gevvaJt  den  göttem  zugeführt  sei  usw.* 

6.  Aber  neben  der  genealogischen  Verknüpfung  zeigte  sieh  uns 
hei  genauerer  betrachtung  des  mythus  in  cap.  V,  g  6  noch  eine  andere 
Verbindung,   Ja  beinahe  Verschmelzung  des  wolfes  rait  Loki.     So  bald 


aicb  d 


im  den  niemand  v 
und  liebe  oiuib  wj 


■iler  sieb  kümmert, 
vor  sieb  bemühen 


1  aoilereD  vater  denken  knnnle  als  I^oki,  ist 


Bcbilderiiug  deü  gefesselten 
it  der  des  gebimdenon  Loki,  um  d 
'gt.  cap.  T,  6;  VT,  2). 

1]  Weshalb  man  füglicb  au  kei 
i»p.  IV,  1  dargetao  worden. 

2)  Zur  „loEtÖfiung  von  dem  natürlichen  hbtergruDde*  trug  in  diesem  falle  aucb 
wol  der  80  vieldeutige  name  „wolf*  mit  bei;  selbst  da,  wo  man  die  beziehung  auf 
tin  Sternbild  noch  kannte,  entstand  allmäblich  iweifel,  welohea  stembild  gemeint  sei 
(Tgl.  cap.  VI,  5). 


318  WtLKEN 

nämlich  die  Vorstellung,  dass  das  gefesselte  tier  am  himmel  zu  sache^ 
sei,  so  weit  verblasst  war,  dass  man  es  nur  noch  von  den  göttera  i^ 
ihrem  machtbereich  ^  gefesselt  wusste,  so  schwand  die  bestimmte  Unter- 
scheidung zwischen  diesem  gefesselten  wolfe  und  dem  von  den  gött&n^ 
in  einer  felshöhle  gefesselten  „vater*'  desselben  mehr  und  mehr,  ^sö 
grundverschieden  auch  Ursachen  und  sonstige  umstände  in  beiden  fta-l- 
len  ursprünglich  waren*.  Nach  einer  seite  trat  eine  gewisse  ähnlicÄn- 
keit  der  behandlung  ein:  wie  der  wolf  von  dem  unscheinbaren  ban«3e 
Gieipnir,  so  wurde  Loki  mit  den  därmen  seines  sohnes  Narfi  gebu: 
den;  in  beiden  fallen  erlangte  das  anfangs  weiche  band  erst  nach  d 
anlegung  härte  und  festigkeit^.  —  Wenn  diese  ähnlichkeit  sich  vi(^l- 
leicht  ohne  entlehnung,  nur  durch  anlehnung  an  populäre  vorstellu«^- 
gen  in  beiden  fällen  erläutert*,  so  verhält  es  sich  wol  anders  mit  jenc?r 
fortsetzung  der  fesselung,  die  Gylf.  34  von  den  werten  pd  iöku  "pe-dr 
fesiina  an  (=  41,  9  — 14)  zur  weiteren  Sicherung  des  werkes  nocrt 
glaubte  anfügen  zu  können.  Hier  erinnern  wider  die  beiden  stein»  ^ 
GjqU  und  Pviti  in  Gylf.  34  an  die  drei  für  das  hindurchziehen  de^ 
därme  durchbohrten  eggsteina,  die  in  Gylf.  50  zur  Sicherung  des  gefes^ 
selten  Loki  dienen,  wie  denn  auch  in  dem  betreffenden  satze  in  c.  J-* 
(mehr  noch  in  der  parallelstelle  Kph.  II,  s.  431)  die  lokalschilderun^ 
der  in  cap.  50  (=  80,  7  — 13)  sich  nähert  Von  welcher  seite  di*-' 
entlehnung  ausgieng,  kann  nicht  zweifelhaft  sein:  auch  wer  unsere  au^" 
fassung  des  am  himmel  befestigten  wolfes  nicht  teilte,  müsste  aus  dec33 
umstände,  dass  in  cap.  34  an  das  band  Gieipnir  noch  eine  andere  fest^ 
(bald  Gelgja,  bald  Hraeda  genannt)  angeknüpft  erscheint,  ersehen,  ai 
welcher  seite  künstliche  Verknüpfungen,  wo  die  ursprünglichere  fassun 
vorliegt. 

7.  Wenn  aber  die  Verknüpfung  des  „wolfes*'  mit  Loki  im  wesenfc^ 
liehen  nur  im  hinblick  auf  den  dämonischen  Charakter  beider  und  di^^ 
rolle,  welche  beide  im  Weltuntergänge  zu  spielen  hatten,  sich  yoIIzo^^'» 
so  kann  für  eine  andere  Verbindung  sogar  eine  gewisse  lokale  grunA^ 
higo  angegeben  werden;  vgl  cap.  IV,  §  6.  Erinnei*t6  man  sich  nämlich  1-* 
bei   dem  wolfe  noch  daran,   dass  er  am  himmel  zu  suchen  war, 


1)  Vgl.  über  das  heima  in  Gylf.  34  oben  cap.  V,  3. 

2)  Als  vcn$chioden  uach  grund,    physischem  lokal  und  ursprünglich  auch  d«:?: 
niittclu  diT  Fesselung  sind  beide  mythen  schon  in  cap.  V.  6  nachgewiesen. 

3)  Vgl.  einerseits  in  G.  34  die  werte:  oh  er  kann  spymdi  vid,  pd  haräna 
batuiH  usw.  (=  11,  15,  16);   andererseits  in  c.  50  die  worte:  ok  uräu  ßau  b^  ö' 
Jdrni  (=-  80,  13). 

4)  Vgl.  Simrock,  D.  myth.»  s.  90. 


DER  FBNRISWOLF  31 9 

lusste  er  von  dem  augenblicke  dämonischer  auffassung  an  jenen  wöl- 
sn  bedeutend  näher  rücken,  die  man  sich  längst  als  der  sonne  und 
[em  monde  feindliche  ungeheuer  des  luftraumes  gedacht  hatte  ^.  Der 
tarke  unterschied,  der  darin  lag,  dass  der  wolf  des  Fenrir  am  himmel 
gefestigt  war,  jene  wölfe  dagegen  widerholt  gegen  die  sonne  vorgin- 
;en,  ja  nach  jüngerer  auffassung  dieselbe  unablässig  verfolgten  2,  konnte 
nsofern  etwas  an  bedeutung  verlieren,  als  der  wolf  des  Fenrir  wenig- 
tens  am  ende  der  tage  seine  freiheit  wider  erlangen  sollte.  Für  die- 
en  Zeitpunkt  ergab  sich  die  Verschmelzung  daher  am  einfachsten  und 
ie  ist  an  dieser  stelle  in  der  nordischen  mythologie  unserer  quellen 
ach  einer  seite  konsequent  durchgeführt  3;  für  die  früheren  momente 
eg-nügte  man  sich  oft  damit,  eine  genealogische  Verbindung  in  der 
eise  anzunehmen,  dass  der  wolf  des  Fenrir  zu  den  sonnen wölfen  in 
11  ähnliches  Verhältnis  rückte,  wie  es  Loki  ihm  gegenüber  schon  ein- 
Btlim.  Scheint  es  gelegentlich  so,  als  ob  man  auch  für  diese  frühere 
öit  eine  identificierung  des  „Fenriswolfes*'  mit  dem  berühmtesten  son- 
enwolfe,  dem  wolfe  SkoU,  versucht  habe,  so  ist  doch  die  fassung  der 
ez.  angäbe  wol  nicht  ohne  grund  recht  dunkel  und  zweideutig  ge- 
lalten. 

1)  Nach  dem  gnmdsatze  „je  weiter  ein  mythus  (ohne  den  yerdacht  künst- 
icher  Übertragung)  ausgebreitet  sich  zeigt,  für  desto  älter  ist  er  zu  halten '^  ist  der 
'Mythus  von  den  die  sonne  bedrohenden  wölfen  älter  als  die  meisten  göttermythen 
'®s  Qordens,  da  er  nicht  nur  für  das  südgermanische  gebiet  sichere  Zeugnisse  besitzt 
^HniBij  Mythol.*  203),  sondern  verwandte  Vorstellungen  bei  den  entferntesten  völ- 
®*^  sich  finden  (ebenda  588  fg.).  Andererseits  pflegen  diese  ältesten  Vorstellungen 
^  laufe  der  Jahrhunderte  in  den  litterarisch  tonangebenden  kreisen  entweder  zurück- 
^^^^^ngt  oder  doch  variiert  zu  werden:  dies  zeigt  sich  auch  bei  den  sonnenwölfon 
^  nordischen  gebiet.  Die  namen  der  beiden  wölfe  kennen  wir  nur  noch  aus  je  einer 
"Mahnung  in  der  Liederedda  (Grm  39),  in  Gylfag.  12  und  in  der  Hervarars.  (ed. 
"^ge  246:  Skalli  ok  Hatti);  die  Skalda  bietet  die  namen  nur  in  den  Nafna{)ulur  Kph. 

^dl,  in  besserer  fassung  II,  484;  in  der  skaldischen  dichtung  war  zwar  die  ver- 
jüng nicht  ganz  verschollen  (vgl.  z.  b.  hvelsvelgr  himins  Vigf.  s.  v.  svelgr,  Mül- 
"^-  Y,  147),  aber  offenbar  veraltet.  Volkstümliche  ausdrücke  wie  solvarg,  solulv 
^^en  mehr  und  mehr  zunächst  auf  die  im  norden  ziemlich  häufigen  nebensonnen 
^^^en,  nicht  auf  die  veranlasser  der  eigentlichen  Sonnenfinsternisse.  Dieses  auffäl- 
lt zurückweichen  der  ererbten  Vorstellung  lässt  schon  a  priori  eine  teilweise  ver- 
^^ohung  mit  jüngeren  mythengebilden  vermuten. 

2)  Seitdem  man  aufgehört  hatte  bei  jeder  Sonnenfinsternis  oder  nebensonne  die 
^"^chtung  der  sonne  zu  befürchten ,  hielt  man  diese  phänomene  doch  als  Vorzeichen 
•^^f tiger  ereignisse  im  Systeme  fest  und  liess  vorläufig  sonne  und  mond  tag  für  tag 
^^  jenen  wölfen  verfolgt  werden,  denen  sie  schliesslich  unterliegen  sollten,  vgl. 
5^^.  12. 

3)  Die  genaueren  nachweisungen  finden  sich  in  den  folgenden  §§. 


320  WILKEN 

8.  Dass  iü  beziig  auf  die  letzten  kämpfe  der  götter  eine  ve^ 
Schmelzung  des  Fenriswolfes  mit  dem  sonnenwolfe  SkoU  stattgefunden, 
dass  der  erste  hier  an  die  f;telle  des  zweiten  getreten  sei,  scheint  mir 
aus  folgenden  gründen  deutlich  hervorzugehen.  —  Gylf.  51  unterschei- 
det allerdings  den  Fenriswolf  von  den  beiden  wölfen,  die  sonne  und 
mond  verschlingen,  was,  historisch  betrachtet,  ganz  richtig  ist;  aber 
wie  auffallig  ist  es  doch,  dass  die  götter  den  unholden  nicht  irgendwie 
entgegentreten!  Man  vergleiche  hier  die  art,  wie  Gylf.  42  der  baumei- 
ster,  der  sich  sonne  und  mond  als  lohn  ausbedungen  hatte,  von  ^nr 
abgelohnt  wurde  (54,  14  W).  —  Der  kämpf  aber,  welchen  Ödinn  and 
Vldarr  gegen  den  Fenriswolf  kämpfen,  streitet  ganz  gegen  die  analogie 
der  übrigen  ragnarok- kämpfe.  Überall  sonst  erliegt  der  gott  ebensognt 
wie  sein  dämonischer  gegner^  und  die  sache  der  götter  siegt  nur  inso- 
fern, als  in  der  erneuten  weit  die  mächtigeren  götter  in  ihren  söhnen, 
einige  der  minder  mächtigen  selbst  wider  erscheinen*.  Dass  in  dem 
götterkampfe  alle  götter  gefallen  sein  werden,  wird  Gylf.  52  zu  anfang 
mit  grösster  deutlichkeit  gesagt  Aber  wie?  Nachdem  Ödinn  gefallen 
ist,  tritt  ja  sein  söhn  Vldarr  „sofort  darauf**  (pegar  epiir)  an  seine 
stelle,  bekämpft  den  wolf  mit  glück  —  und  scheint  die  weit  zu  über- 
dauern. Darnach  heisst  es  in  einer  der  neuesten  bohandlungen  der 
Deutschen  mythologie^  anscheinend  korrekt:  „so  wird  denn  Vfdarr, 
wenn  die  grossen  götter  gefallen  sind,  ihren  thron  einnehmen.**  — 
Aber  diese  annähme  ist  voreilig.  Die  VqI.  lässt  allerdings  Vfdarr  den 
vater  rächen  (54,  4),  deutet  aber  mit  keiner  zeile  an,  dass  Vldarr  auch 
nur  neben  den  str.  62  und  63  genannten  göttern  eine  rolle  in  der 
erneuten  weit  gespielt  habe.  In  Vatpr.  51,  1  —  2  wird  freilich  gesagt 
dass  Vfdarr  und  Vau  die  heiligen  göttersitze  bewohnen  sollen,  wenn 
die  flamme  des  Surtr  erloschen  ist;  aber  diese  werte  heben  den  Vfdarr 
nicht  einmal  vor  dem  sonst  so  wenig  genannten  Vali  hervor;  in  der 
zweiten  hälfte  der  Strophe  werden  dann  noch  Modi  und  Magni  als  in 
der  erneuten  weit  an  die  stelle  ihres  vaters  Pörr  tretend  genannt;  daraus 
wird  wahrscheinlich,  dass  wie  bei  Modi  und  Magni  so  auch  bei  Vfdarr 

1)  Nur  eine  scheinbare  ausnähme  bildet  der  im  kämpfe  gegen  Freyr  über- 
lebende Surtr,  der  schliesslich  die  weit  in  flammen  vernichtet.  Da  er  ein  feuerdimon 
i.st,  so  ist  anzunehmen,  dass  er  als  mit  der  llamme  .selbst  ersterbend  gedacht  wurde; 
als  die  weit  überlebend  mag  ihn  nur  eine  version  aufgefasst  haben,  die  Oylf.  52  in 
der  hs.  U  überliefert  ist     (Vigf.  s.  v.  Surtr.) 

2)  Auf  die  frage,  weshalb  nicht  Ödinn,  Porr,  Freyr  selbst  widererscheinen. 
ist  die  antwort  nicht  schwer  zu  finden,  doch  berührt  dies  die  vorliegende  Unter- 
suchung nicht 

3)  Fr.  Kauffmann,  D.  mythoL'  s.  93. 


in  Vafpr.  nur  an  ein  auftreten  in  Vertretung  des  gefallenen  vaters  zu 
denken  ist  Dass  aber  Vldarr  nicht  gerade  als  princeps  deorum  an 
Odins  stelle  treten  sollte,  sondern  vielmehr  ein  neuer,  ungenannter 
gott  dies  amt  anzutreten  hatte,  geht  aus  einer  vergieichung  von  VqI.  65 
mit  Hyndl.  45  ganz  deutlich  hervor.  Nicht  übersehe  ich  schliesslich 
die  bemerkung  in  Gylf.  53:  Vidarr  ok  Vali  Ufa,  svd  at  eigi  hefir 
stmnn  ok  Surtalogi  gra?i(lat  peim;  aber  diese  werte  sind  entweder 
einfaches  raisverständnis  von  Vaf|)r.  51  (Fl  ok  V,  byggja  v4  goäa,  pä 
er  sloknar  Surta  logi)^  oder  sie  suchen  diese  angäbe  in  einklang  zu 
bringen  mit  der  aus  der  darstellung  von  c.  51  indirekt  sich  ergeben- 
den tatsache,  dass  Vidarr  im  kämpfe  nicht  wie  alle  anderen  götter  ge- 
fallen ist,  ohne  zu  bedenken,  dass  der  Widerspruch  gegen  c.  52  anf. 
{er  . .  dmid  qll  ,..  guäin  ok  allir  einherjar  ok  allt  mannfölk)  nur  um- 
soraehr  ins  gewicht  fällt.  Man  wende  nicht  ein,  dass  ja  auch  Vali, 
Modi,  Magni,  Hoenir  am  leben  geblieben  sein  müssen;  hier  ist  der 
Widerspruch  lange  nicht  so  scharf,  da  die  genannten  götter  nicht  direkt 
am  kämpfe  teilgenommen  hatten.  Wenn  selbst  ein  menschenpaar  dem 
verderben  entgangen  sein  soll  (Vafpr.  45),  warum  nicht  auch  einige  göt- 
ter? Aber  die  am  kämpfe  beteiligten  mussten  doch  wol  alle  am  boden 
liegen,  ehe  Surtr  daran  denken  konnte,  die  weit  durch  feuer  zu  ver- 
derben (Gylf.  51  =  84,  14).  So  widerstrebt  der  kämpf  mit  dem  Fen- 
riswolfe  schon  mit  rücksicht  auf  die  rolle  Odins,  aber  weit  mehr  mit 
hinsieht  auf  diejenige  Vldars  der  analogie  aller  anderen  kämpfe,  die 
Gylf.  51  berichtet;  die  dissonanz  löst  sich  sofort,  wenn  wir  anerkennen, 
dass  dieser  kämpf  ursprünglich  eine  Sonnenfinsternis  meinte,  und  der 
Fenriswolf  mit  dem  wolfe  Skoll  die  rolle  getauscht  hat.  Für  diese  auf- 
fassung  sprechen  namentlich  folgende  gründe:  a)  der  ausdruck  gleypir 
(devorat)  wird  ebenso  von  dem  wolfe  gebraucht,  der  die  sonne  ver- 
schlingt, wie  von  dem  Fenris wolfe  Ödinn  gegenüber.  Da  bei  allen 
anderen  göttem  ein  erliegen  nach  rühmlichem,  zum  teil  nach  sieg- 
reichem kämpfe  berichtet  wird,  so  wäre  das  klägliche  Schicksal  des 
höchsten  gottes,  der  einfach  verschlungen  wird,  recht  auffällig,  wenn 
hier  nicht  eine  alte  vorläge  benutzt  ist,  welche  eigentlich  nicht  den 
letzten  kämpf  im  sinne  hat.  Dieses  auffällige  tritt  noch  etwas  drasti- 
scher in  Lokas.  58,  4  hervor:  ok  svelgr  allan  Sigfqdur,  doch  darf  diese 
Wendung  nicht  lediglich  aus   der   absieht   des   dichters,    humoristische 

1)  Die  angozogeuen  worte  in  yaf[)r.  enthalten  nüinlich  gar  keine  aussage 
über  die  teilnähme  oder  nichtteilnahme  beider  götter  ani  letzton  kämpfe  oder  ihre 
Schicksale  in  demselben,  sondern  beziehen  sich  lediglich  auf  die  zeit  nach  dem  erlö- 
schen des  weltbrandes. 


ZIOTSCHRIFT   F.    DEÜTSCHK   PHILOLOGIE.      BD.    XXVIH. 


21 


322  WII.KBN 

Wirkungen  zii  erzielen  (Hirschfeld,  zur  Lokas.  47),  erklärt  werden,  da 
sie  sachlich  dem  besprochenen  ausdruck  der  Gylf.  gleichwertig  isL 
fi)  dass  die  räche  für  den  getöteten  vater  trutz  der  anaJogie  aller  ande- 
ren ragnarak- kämpfe  sofort  erfolgt,  erklärt  sich  aus  dem  umstand«, 
dasB  eine  Sonnenfinsternis  nur  einige  stunden  zu  dauern  und  für  den 
mensclien  mit  dem  gedanken  an  die  baldige  widerkelir  des  lichtes  ver- 
bundcu  zu  sein  pflegt.  ;•)  das  auft'eissen  des  rachens  durch  Vidair 
erinnert  wider  daran,  dass  die  sonne  gewissermassen  einen  freien  aas- 
weg  gewinnen  sollte,  um  ihrem  gefängaisse  zu  entkommen'. 

9.  Nehmen  wir  an,  dass  jenes  auffällige  schweigen  über  ein  ein- 
treten der  götter  für  sonue  und  mond  sich  dadurch  erklärt,  ilass  der 
kämpf  Odins  und  Vidars  gegen  den  Fenriswolf  im  gründe  eben  ein 
„kämpf  um  die  sonne"  war,  so  tritt  als  d)  noch  ein  anderes,  für  sich 
allein  freilich  leichter  wiegendes  moment  hinzu:  bei  der  erwähuungdi» 
Schuhes,  mit  dem  Vtdarr  in  den  rächen  dos  wolfes  tritt,  heisst  ee 
Gylf,  51 :  pvi  skal  ßeint  Ifjönim  brott  Lasla  sd  madr,  er  ai  pvi  viä 
l/yggja  at  koma  daunujn  al  lidi.  —  AVas  haben  diese  worte  mit  einer 
Sonnenfinsternis  zu  tun?  Doch  soviel,  dass  auch  hier  der  bei  det 
naiv -populären  auffassung  einer  finsternis  am  himmel  immer  he^vu^ 
tretende  gedanke,  dass  man  den  kämpfenden,  anscheinend  unterliegeur 
den  lichtwesen  da  droben  zu  hilfe  eilen  solle*,  in  einer  allerdings  etwas 
veränderten  fassung  widerkehrt, 

10.  Aber  es  lassen  »ich  für  die  vorgeschlagene  deutung'  noA, 
andere  Zeugnisse  beibringen,    deren  gewicht  dadurch   kaum   verminOeit 

1)  Vgl.  die  belege  für  ähnliche  voretellimgon  bei  Orimni,  Mythol.*  b. 
ilanuiter  die  ootiz:  in  aJU'a  kalondern  werden  dio  ünstemiBse  so  dargestellt, 
xwei  drauhoti  sonne  und  mond  im  rochen  haben. 

2)  Vgl.  die  id  der  vorigen  ftom.  citlerte  stelle  aus  Gritum  snwio  Schwartt, 
Poet,  naturauacli.  1,  21  r>,  di<r  übrigeos  die  Verdunkelung  der  ttnnae  im  g«witter  tb 
die  eigentliche  grundlage  dieser  voretellungen  betrachtet.     (Urspr.  dei'  myth.  78  fg.l 

3)  Bui  dieser  deutung  habe  ich  nur  naf  die  hauptfragen  gewiubt  gelegt  Da» 
Udinu  niuht  nur  luft-  und  himmelegott,  aundeiu  auch  sjieoiell  Sonnengott  war,  ist 
u.  a.  von  Simroek,  D.  myth. *  20f)  fg.  im  ganzen  richtig  nachgewiesen,  wenngliscb 
ich  in  nianchen  einzolheiten  abweiohe.  —  Sollte  man  mir  vurhalteD,  duss  HkIi  int 
gewöbnlicbeu  finstemis  ja  dieselbe  sonue  sich  wider  zeige,  nicht  ein«  andere,  M  bÜ* 
det  die  von  i^bwnitz  (Drspr.  72)  beRprochene  ansieht,  dass  die  aoiine  aus  dem  (•■ 
witterbnd  gleichsam  „veijüngt"'  herrorgeht,  den  übeigaug  zu  der  nur  wenig  kübonWi 
dass  nach  einer  gewaltsamen  kiihuitrophe  ein  Jüngeres  sonnecwesen  od  die  atalla  d> 
älteren  tritt,  entweder  nur  im  sinne  der  eruenerung  wie  Vaftr.  47,  1  (eÜH  dUMr 
berr  älfriitUl  usw.)  oder  mit  dein  neben  gedanken  der  räche  für  das  von  bniH 
heHiegte  sonnenwesen,  so  in  dem  mytbuH  von  fjoldr  und  Vali  nach  VegtemsknlhU 
und  Hyudl.  30.    Dieser  letztere  mythus  kommt  dem  von  Udinn  ■=  Vidarr  am  BKk- 


tir.a  KKSW8W0U'  323 

ird,  dass  sie  nur  in  einem  toüe  unsei-er  quellen  hervortreten;  gerade 
)  wird  es  am  deutÜclisten,  dass  nicht  etwa  ursprüngliche  Identität 
(der  auch  nur  nahe  Verwandtschaft  des  Fenriswolfes  und  des  aonnen- 
olfes  bestand^,  sondern  dass  diese  gleiehsetziing,  weil  sie  im  gründe 
miasverständnis  beruhte,  nur  langsam  sich  vollzog  und  niemals  zu 
larmoniscber  durchbildung  gelangen  konnte.  Die  vulgatauftassung,  die 
»ir  in  g  7  und  8  besprachen,  blieb  gewissermassen  auf  halbem  wege 
ihen:  sie  übertrug  für  den  letzten  kämpf  die  rolle  des  sonnenwolfes 
luf  den  Fenriswolf,  liess  jenen  aber  als  verschlinger  der  sonne  an 
leioem  alten  platze;  kühner,  aber  durchaus  konsequent  verfährt  Vafpr. 
16  und  47  (und  darnach  Hrafnag.  Odins  23),  wo  der  Fenriswolf  auch 
tls  verderber  der  sonne  genannt  wird'.  Nun  war  es  möglich  den 
campf  Odins  mit  dem  Fenriswolfe  als  ein,  wenn  auch  verspätetes  ein- 
reten  für  die  gefälirdete  sonne  aufzufassen;  ein  bedenken  wurde  in 
euer  späteren  zeit  darin  nicht  mehr  gefunden,  dasselbe  mythische  mo- 
iv  in  doppelter  ausprägung  sich  folgen  zu  lassend  Aber  in  volks- 
ÄBisen  musste  die  erinneriiug  an  die  alten  sonnenwiiife  doch  fester 
laften;  der  versuch,  sie  in  den  Fenriswult  aufgehen  zu  lassen,  fand 
«ch  wol  darin  eine  Schwierigkeit,  dass  in  den  ^nebensounen"  sich 
lern  äuge  deutlich  eine  Vielheit  von  wolfen  darbot*,  die  einem  mytho- 
Dgischen  systom  zu  liebe  auf  den  einen  Fenriswolf  zu  reducieren  doch 
licht  wol  tunlich  erschien.  Uanz  hat  es  freilich  auch  nicht  an  dem 
rersucbe  gefehlt  in  wesen  gleicher  art,  den  Fenris  hindir,  den  gefähr- 
icben  Wolf  zu  vervielfältigen, 

11,  Ehe  wir  auf  diesen  versuch  näher  eingehen,  ist  die  frage  zu 
.ntworteo:  kennt  auch  die  Vqluspä  jene  gleichsetzung  des  Fenriswot- 
e  mit  dem  sonnenwolfo  oder  nit^ht?  Str.  57,  1  scheint  dagegen  zu 
)rechen:  aber  gerade  diese  Strophe  will  richtig  verstanden  sein,  Ihre 
Ktische  Wirkung  beruht  zumeist  darauf,  dass,  nachdem  die  einzelnen 
lythen,  welche  als  für  den  Weltuntergang  bedeutende  uns  vorgeführt 
urden,  an  unserem  äuge  gleichsam  vorübergezogen  sind,  zum  schluss 

en.     Über  Vidarr  vgl.  uoch  Untereucb,  s,  118  anm.  222;  s.  132  fg.  —  Über  Va!\,r. 
47,   1   handelte  in  ühDÜclicin  s'iaae  schon  Mülk-nhoff,  D,  alL  V,  127, 

1)  Juh  denke  hier  an  die  auffassiiiig  des  Fenriswolfes  als  eines  stunnwolfes 
oder  eines  die  sonne  verechlingenileii  v-nsserdäu)oi)s  d.  ähnl. 

2)  Dass  dioHe  darstellung  nicht  ursprünglich  »ein  kuin,  wurde  sobon  cap,  IV,  5 
dargetan. 

3)  D«r  banipf  mit  dem  sonDengotte  Odinn  ist  natürlich  im  grande  gleich  dem 
mit  Jer  unp^rsönhuh  gefussten  Bonno,  —  Doch  ähnliches  findet  sich  sonst,  vgl,  Mann- 
hardt,  Götterwelt  204. 

4)  Vgl  s.  319  anm-  1, 


3ä4  WILKEK 

noch  einmal  das  thema  des  Weltuntergangs  zwar  mit  poetischer  knft, 
aber  ohne  mythische  bildersprache,  gleichsam  als  physikalisches  gemälde 
uns  vorgeführt  wird  K     Wenn  hier  also  von  der  sonne  nur  gesagt  wird, 
dass  sie  sich  verdunkelt,  so  darf  dies  doch  nicht  als  beweis  dafür  gel- 
ten, dass  der  VqI.  eine  gewaltsame  Vernichtung  der  sonne,  sei  esdoich 
Skoll  oder  Fenrir  ganz  unbekannt  sei;    der  ausdnick  tär  sortna  erin- 
nert zunächst  sehr  an  die  Wendungen   er  pd  kdUat  sorte  d  solo  (hs- 
ä  tungle)  und  verdr  enn  stiindom,  at  sorta  berr  d  tunglei,  mit  denen 
im  astronomischen  abschnitte  der  hs.  1812  (ed.  IJarsson  37,  25;  38,  2) 
die  regelmässige  Verfinsterung  der  sonne  und  des  mondes   bezeichnet 
wird;    vgl.  auch  MüUenhofF,   D.  alt.  V,  126  unten.     Der  ausdnick  d&x 
YqI.  will  also  das  Schicksal  der  sonne  am  weltende  gewissermassen  &1^ 
eine  „chronische"   Sonnenfinsternis  bezeichnen,   und  wir  dürfen  erwar- 
ten, dass  in  anderen  partien,  wo  die  mythische  bildersprache  vorherrsctt:. 
auch  die  Vgl.  uns  sei  es  einen  bcricht,   sei  es  doch  eine  andeutum^ 
gibt,   wie  nach   dieser  andern  darstellungsweise  sich  das  Schicksal  de«" 
sonne  gestalten  wird.     MüUenhofF  hat  neuerdings  vormutet*,  dass  in  V<^I. 
40,  4  der  betreffende  bericht  vorliege,   wobei  er  jedoch  gezwungen  ü 
tungl  in  dem  für  den  norden  ganz  ungewöhnlichen  sinne  ^gestim" 
allgemeinen  (hier  =  sonne)  zu  nehmen.     Diesem  Standpunkte  kann  ict» 
aus   folgenden   gründen    mich    nicht   anschliessen :    1)   das   wort  tun^i 
scheint  ursprünglich  die  bei  nacht  sichtbaren  fixsteme,   namentlich  di^^ 
von  stärkerer  leuchtkraft,   zu  bezeichnen 3;    2)  eine   Zusammenfassung 
dieser  fixsteme  mit  der  von  uns  ja  auch  als  fixstern  erkannten  sonm.^ 
lag  dem  Standpunkt  nicht  nur  des  nordens,   sondern  der  älteren  zei  ^ 
überhaupt  fem*.     3)   die  Übertragung   des  wertes   auf  den   mond 


1)  Dio  poetische  kraft  dieser  uad  der  als  gegODStrophe  zu  ihr  sich  darstelle 
den  Str.  59  hebt  auch  Mülleuhoff,  D.  alt.  V,  28  hervor,  jedoch  ohne  den  specißsch^' 
unterschied   von   den  meisten  übrigen   Strophen   zu  beleuchten.     (Vgl.   dazu  8. 17! 
aum.  3.) 

2)  A.  a.  0.  125  fg. 

3)  Von  den  beiden  erklärungen ,  die  Grimm ,  Mythol.  *  584  zur  erwfigung  stdl'^^— 
zieht  Schade,    Altd.  wb.  s.  v.   xungal  wol  mit   recht   die   zweite  vor,    wonach  di  *=^ 
(nächtlichen)  gostirne  (ursprünglich  aber  wol  nur  die  fixsteme)  von  ihrem  flammeiB.  - 
den ,  glitzernden  scheine  als  züngclude  himmelsflammen  bezeichnet  worden.  —  Wen^^^ 
auch  Schade  die  sonne  nicht  direkt  ausschliesst,   so   erhellt  doch  der  gewöhnüdi  «^^ 
Sprachgebrauch  des  nordens  aus  stellen  wie  Gylf.  9  (sol  ok  himintungl  vdru  tti^  ^ 
und  VqIss.  12  (=  170,  27  W:   pd  er  nött  Mir,  ef  per  sfdid  eigi  himifütmgl)\  di*^ 
ältere  bedeutung  ist  nämlich  im  nord.  kompos.  himintungl  erhalten;    vgl  aach  di^' 
folgende  anm. 

4)  AVenn  in  astronomischen  Schriften,    die  auf  lateinischen  vorlagen  berahecs^ 
himintungl  im  sinne  unseres  „weltkörper  •*   begegnet   (s.  die  cap.  VI,  §5  erwIliBt** 


HER    fEHRISWOL;  32& 

Kein  bedenkea,  weil  für  die  mythische  aufi'assung  der  mond  gewisser- 
1  als  köiiig  der  nacht,  als  fürst  und  führet  der  kleiueren  fixsterne 
Brscbeiiit'.     4)   auch  in  anderen  germanischen  sprachen  wird  das  wort 

tunffl  im  ganzen  ähnlich  gebraucht,  von  der  sonne  nur  da,  wo  eine 
»erwechseluDg  gar  nicht  möglich  ist*.  5)  auch  die  folgende  strophe 
nötigt  nicht  zu  der  von  MüUenhoff  geforderten  auffassung.  Weshalb 
nämlich  in  dieser  strophe  nur  von  einem,  nicht,  ivie  so  oft  (z.  b.  42, 
43)  von  mehreren  wesen,  die  irgendwie  Verwandtschaft  zeigen,  geredet 
■werden  dürfte,  ist  schwer  verständlich;  derraondwolf,  von  dem  41,  1—2 
handelt,  steht  jedenfalls  dem  Schicksal  der  sonne,  das  41,  3  —  4  be- 
i  wird,  nicht  so  fern,  dass  nicht  von  dem  einen  auf  das  andere 
in  derselben  strophe  übergegangen  werden  könne,  zumal  da  sich  so 
eine  passende  Steigerung  von  dem  kleinen  zum  grösseren  himmelskör- 
per  ergibt.  Man  braucht  also  nicht  gerade  zu  meinen,  dass  „die  verfin- 
Btentogen  der  sonne  von  dem  mondwolfe  herrühren",  wenn  man  lungls 
'  In  Str.  40  auf  den  mond  bezieht;  man  braucht  auch  nicht  die  Inter- 
punktion der  älteren  ausgaben  zu  ändern.  Ist  es  nämlich  richtig,  dass 
in  der  prophetischen  Schilderung  der  vala  ein  historischer  fortschritt 
neb  zeigt,  was  durchaus  Müllenhotfs  Standpunkt  ist,  so  dürfen  wir  in 
«tr.  41  ebensowenig  wie  in  40  an  gewöhnliche  sonnen-  und  mondfin- 
«teniisse  denken*,  da  sowol  Baidrs  tod  wie  die  fessetung  Lokis  als 
«chbn  vor  einiger  zeit  (str.  33  — 35)  gescliehen  uns  dargestellt  sind. 
Jen  gründen  str.  42,  43  in  Gylf.  unberücksichtigt  geblieben 
sind,  kann  zweifelhaft  sein;  jedenfalls  stellen  aber  diese  ebenso  wie  die 
Blefetr.  44  keinen  erheblichen  fortschritt  in  der  handlung  dar;  wir  sind 
M>mit  berechtigt  auch  str.  45  mit  40  und  41  näher  zusammenzufassen 
und  für  diese  strophengruppe  die  durcli  44  deutlich  angezeigte  eschato- 

»gische  beleuchtung  im  ganzen  gelten  zu  lassen.  In  diesem  sinne  hat 
h  der  Verfasser  von  Gjlf  51  die  sache  angesehen  und  str.  41,  3  kann 


von  LaissuD.   indox   a.  v.  himentiini/l),    so   hat  dies  für  den  eigenÜicb  oor- 

sprachgebraucb  iiuiue  beduutuDg;    uach  dieseru  wurde  die  sonne  nelbst  vom 

»,  um  Bo  mehr  von  alleu  andern  gestirneu  bestimmt  geschieden  (Gylf.  10  und  U). 

1)  Vgl.  Grimm,  Mytbol.*  nachtr.   zu  s.  Ii02.     Zu  den  belegen   lüge  nouh  u.  a. 

vartK,  Poet  naturanach.  I  reg.  g.  stt'ruenköüigiu ;   am  oSuhsten  liegt  uds  jetzt  in 

itlers  par.  u.  rütsel  nr.  ü  dss  bild  vom  moode  als  dem  bitten  der  stemenherde. 

^)  Vgl.  i.  b.    für  das   ogs.  apraühgebiet  Leu,  Ags.  glossur  a.  198,  32  fg.  — 

Lnob  der  nhd.  spraubgebrauch  kann  zwar  die  üonne  ,den  starD"-  des  tages  uonnon, 

»r  gewöhnlich  denkt  man  bei  dem  werte  .steiT)"  mir  an  die  bei  nacht  sichtbaren 

atime. 

3}  Der  ausdnjuk  sorlna  an  und  für  Muh  würde  dies  erlauben,  vgl.  den  anfang 
!ses  §. 


326  WILKKN 

dann  sehr  wol  für  sich  als  Schilderung  des  fimbtilvetr  gelten  (ekki  iiyfr 
solar;  peir  vetr  fara  prir  smnan,  ok  ekki  sumar  i  mtUum  (=  81, 6 W). 
Mit  vedr  qll  vdlynd  (41,  4)  wird  wol  schon  auf  das  thema  hingedeutet 
das  in  str.  45  (vi?idqldy  vargqld)  eine  reichere  ausführung  findet*.  Sollte 
man  mich  fragen,    wie  bei  meiner  auffassung  sich  das  svqrt  veräa  sH- 
skin  in  41,  3  zu  söl  t&r  sortna  in  57,  1  verhalte,  so  ist  zu  erwidern, 
dass  str.  57  vor  allem  die  physikalischen  momente  noch  einmal  kollek- 
tiv hervorhebt   (vgl.  den  anfang  dieses  §);    der  historische  Standpunkt 
ist  insofern  gewahrt,  als  der  schluss  der  Strophe  auch  einen  fortschritt 
in  der  handlung  zeigt:  die  Vernichtung  der  weit  durch  feuer.     Für  den 
anfang   von    str.  57    ist   dagegen   teilweise    widerholung   bereits  früher 
gegebener  data  anzunehmen*;    dass  in  söl  ter  sortna  an  und  für  >ich 
nicht  die  Vollendung  der  in  str.  41   geschilderten  Verfinsterung  liegen 
kann,    ist  deutlich   daraus,   dass  taka  c.  inf.  ja  das  „ angreifen **   oder 
„anfangen''  bezeichnet;    es  ist  für  mich  also  lediglich  widerholung  des 
früheren  ausspruchs,  der  hier  aber  durch  seine  Verbindung  mit  anderen 
ragnarek-motiven  bedeutend  an  kraft  gewinnt,  so  dass  der  „chronische" 
Charakter   dieser  finsternis  jedem    leser   deutlich   werden   muss.     Jetzt 
erst  kann  ich  an  die  boantwortung  der  im  anfange  dieses  paragraphen 
aufgeworfenen  fi-age  denken.  —  Nach  der  gegebenen  deutung  wird  zwar 
nicht  die  Verfinsterung  der  sonne  dem   mondwolf  zugeschrieben,   aber 
str.  40,  41  behalten  so  lange  etwas  autlälliges,  als  man  annimmt,  da,*« 
in  str.  40,  3 — 4  sowie  in  41,  1  —  2  das  Schicksal  des  mondes  in  bild- 
lich-mythischer,  in  41,  3 — 4  das  der  sonne  in  nicht- bildlicher  darstel- 
lung  uns  vorliege.     Der  Wechsel   beider  darstellungsformen  würde  erst 

1)  Gerade  Müllculioff  wies  a.  a.  o.  141  darauf  hin,  dass  vindt^ld  und  rarg^ 
^zusammeu  dem  letzten  grossen  wiutcr  angehören,  wenigstens  nach  der  beschrei- 
bung  der  Gvlf.**  —  Aber  nach  dieser  müssen  wir  auch  str.  41,  3  —  4  ebenso  auf- 
fassen und  dürfen  hier  nicht  an  gewöhnliche  ünsternisso  denken.  Der  ßntbuhetr  ist 
wol  als  ein  potenzierter  nordischer  polarwiuter  aufzufassen,  seiner  Wirkung  nach  einer 
„ chronisj'hen **  sonni'nfiusternis  ni(;ht  unähnlich,  weshalb  der  mythische  stand]>uokt 
beide  motivo  verschmelzen  konnte  unbeschadet  der  ganz  verschiedenen  physikaliscfaeu 
Ursachen. 

2)  Was  die  Wendung  aiyr  fohl  i  mar  betrifft,  so  besagt  sie  freilich  etwas 
mehr  als  die  mythischen  Wendungen  in  str.  50  und  55,  die  das  anrücken  dos  mid- 
gardüitnnrj  des  dämonisch  aufgefassten  Weltmeeres,  gegen  die  götter  schilderu,  akr 
jener  erstere  ausdruck  darf  nicht  zu  sehr  urgiert  werden,  da  strenge  genommen  vom 
Standpunkte  der  VqI.  aus,  welche  die  erde  in  str.  59  aus  dem  meere  wider  aufUa- 
chen  liisst,  die  Zerstörung  mit  einem  versinken  im  meero  abschlicssen  müsstc.  S<.'hon 
Müllenhoff  a.  a.  o.  28  hob  hervor,  dass  in  dieser  stropho  der  dichter  „unbekümnwrt 
um  die  causalität  des  hergaugs  und  seines  Zusammenhanges  . .  sich  begnügt  ein  eria- 
benes  bild  für  die  anschauung  hinzustellen.*^ 

j 


DER   FKNRISWOLF  327 

dann  kunstgerecht  sein,  wenn  wir  in  40,  2  uns  an  die  aufifassung  der 
VafJ)r.  (46,  4)  in  der  weise  erinnern  dürften,  dass  wir  bei  dem  gen. 
Fenris  in  gedanken  ergänzen  „des  sonnen  verderbers  *^.  Dann  ist  auch 
für  die  sonne  die  mythisch -bildliche  ausdrucksweise  soweit  gewahrt, 
dass  wir  die  alleinige  hervorhebung  des  mythischen  „mondräubers^ 
nicht  mehr  beanstanden  dürfen;  bei  der  nichtbildlichen  fassung  in  41, 
3  —  4  aber  wird  eine  besondere  betonung.des  mondes  neben  der  so 
Tiel  wichtigeren  sonne  nicht  notwendig  erscheinen  K  Und  warum  sollte 
diese  auffassung  unmöglich  sein?  Dass  manche  gerade  der  älteren 
mythischen  züge  von  der  VqI.  nur  angedeutet,  nicht  eigentlich  erzählt 
werden,  ist  jedem  aufmerksamen  leser  des  gedichtes  bekannt,  so  steht 
es  z.  b.  auch  mit  der  fessehmg  des  Fenriswolfes;  vgl.  die  freilich  nicht 
ganz  zu  meinem  Standpunkt  stimmende  darlegung  MüUenhofFs  a.  a.  o. 
139.  —  Ebenso  wird  der  umstand,  dass  die  gleichsetzung  des  Fenris- 
wolfes mit  dem  sonnenwolf  nicht  dem  ursprünglichen  Standpunkte  ent- 
spricht*, für  alle  diejenigen,  welche  in  der  VqI.  zwar  nicht  eine  nach- 
bildung  der  sibyllinischen  orakel,  aber  doch  eine  von  fremden  einflüssen 
nicht  ganz  unabhängige,  namentlich  aber  in  neuer  gruppierung  und 
beleuchtung  alt- einheimischen  Stoffes  sich  mit  glück  versuchende  dich- 
tung  zu  sehen  gelernt  haben  ^,  keine  beanstandung  der  oben  gegebenen 
auffassung  in  sich  schliessen. 

12.  Kehren  wir  zu  den  §  9  schluss  erwähnten  Fenris  kindir  zu- 
rück, so  können  wir  uns  jetzt  kürzer  fassen.  Das  wichtigste  dürfte 
eben  dies  sein:  nachdem  einmal  das  „freiwerden  des  wolfes^  zu  einem 
feindlichen  ansturm  auf  die  bisherige  weltordnung  geworden  war,  durfte 
es  an  einem  kämpfe  zwischen  dem  hauptvertreter  derselben  und  dem 
wolfe  nicht  fehlen.  Man  entlieh  dieses  kampfmotiv  aus  dem  sagon- 
schatze  des  älteren  „sonnenwolfes",  der  ja  gleichfalls  dem  himmelsraume 
angehörte,  worauf  sich  eine  gleichsetzung  des  Fenriswolfes  mit  dem 
sonnen  wolfe  in  manchen  kreisen,  doch  nicht  ohne  Widerspruch  gründ- 
licherer kenner  vollzog*.  Da  jedoch  dieser  sonnenwolf  vielfach  in  einer 
mehrheit  von  wölfen,  die  gemeinsam  die  sonne  angreifen,  wol  auch  in 
Verbindung  mit  einem  Verfolger  des  mondes  gedacht  wurde,   so  schien 

1)  Es  ergibt  sich  violmehr  so,  da  vorher  der  mond  eingehender  behandelt  ist, 
ein  angenehmer  Wechsel  in  der  darstellungs weise. 

2)  Vgl.  cap.  IV,  §  5. 

3)  Dass  die  feststellung  der  richtigen  mitte  zwischen  den  extremen  ansichten 
über  alter  und  bedeutung  der  Vgluspa  noch  nicht  vollständig  gelungen,  ist  freilich 
zuzugeben. 

4)  Vgl.  die  cap.  IV  §  5  besprochene  haltung  des  autors  von  Gylf. 


328  WILKRN 

es  imerlässlich  auch  für  eine  solche  mehrheit  von  wölfen  räum  zu  las- 
sen, die  sich  jedoch  durch  die  bezeichnung  Fenris  kindir  demjenigw 
unterordnen  mussto,  der  als  ihr  geistiger  vater  in  dem  sinne  gdten 
konnte,  als  in  ihm  das  princip  des  kanipfes  gegen  die  alto  weltordnung 
am  deutlichsten  ausgeprägt  war.  Erleichtert  ward  diese  Vervielfältigung 
durch  die  analogie,  welche  die  Vervielfältigung  des  luftgottes  ödinn  in 
den  valkyrjur,  später  auch  in  den  eiiihefjar  darbot^;  auch  Loki  findet 
sich  in  Gylf.  51  an  der  spitze  der  Ileljar  sitüiar,  Hrymr  als  führ&K" 
der  hrUnptirsary  Surti*  als  haupt  der  Müspellssynir.  Aber  eine  koose — 
quente  durchbildung  dieser  jüngsten  mythcnschichten  ist  nicht  meb.:M 
erfolgt*-:  aus  der  wüsten  masse  ioner  Fefms  kbidir  oder  fiflniegir,  wL«« 
Vgl.  51,  3  sie  selbst  oder  sehr  ähnliche  wesen  nennt,  ragt  nur  ein  ^ 
gestalt  besonders  hervor,  der  tungh  tjugari  (Vgl.  40),  dessen  identit^fc^t 
mit  dem  mduayannr  in  Gylf.  12  nicht  zu  bezweifeln  ist,  sobald  nuL:a3 
tu}igl  dem  herrsehenden  sprachgebrauche  gemäss  übersetzt  Auf  di  ^ 
weitere  frage:  Ist  mdnagarmr  auch  dem  wolfe  Hati  gleichzusetzen  --' 
Avird  die  antwort  im  nächsten  capitel  gegeben  werden. 


VIII. 

Rückblick  und  Umschau. 

1.  Die  cap.  III  ^  ^  ausgesprochene  Zuversicht  auch  ohne  rück- 
sicht  auf  die  etymologische  bedeutung  des  wortes  Fenrir  den  mythu-ö, 
der  an  diesen  namen  sich  knüpft,  erklären  zu  können,  hat  mich  hof- 
fentlich   nicht    getäuscht:    wir   haben   in   der   drohenden   gestalt  eine?» 

1)  Vgl.  s.  192,  anm.  3. 

2)  So  ist  es  mir  allerdings  wahrscbeiDlich ,  dass  die  Hcljar  sinnar  in  Gylf.  {>  ^ 
mit  den  fiflmcf/ir  in  V(>1.  51  (jene  freilich  von  Loki,  diese  vom  Fenriswolf  geführt* 
ziemliuli  zusamnumfallen ,  da  in  l>eiden  fällen  nur  der  gegensatz  gegen  die  schare" 
der  götter  ins  gewicht  zu  fallen  scheint,  aber  beweisen  lässt  es  sich  nicht.  Auch  isf* 
nicht  zu  übersehen,  dass  der  am  himmel  befestigte  wolf  natürlich  zunächst  diunone«^ 
des  luftraumes.  der  in  der  erde  gefesselte  Loki  scharen  der  unter  weit  mit  sich  fuli^ 
reu  wird.  Der  einwurf  Lünings  (zu  Vi^l.  50)  „Hehj  bleiche  schatten  können  nicb-*^ 
kämpfen*  erledigt  sich  durch  genauere  betrachtung  des  prosaischen  sprachgebraucli*» 
in  Wendungen  wie  Ikljarmadr  u.  ähnl.  (vgl.  Vigf.).  Liegt  in  solchen  ausdrücke*^ 
schon  christlicher  einfluss  vor  oder  nicht?  —  Der  oben  besprochene  maugel  an  koa^ 
Sequenz  ist  am  d«Hitlichsten  darin  zu  erkennen,  dass  selbst  die  relativ  systematisch*? 
darstellung  in  Gylf.  zwar  ein  msten  der  cinhcrjar  zum  kämpfe  gegen  den  wolf  (caf  ■- 
51  =83,  12;  vgl.  Gnn.  23,  4)  und  ebenso  ein  gefallensein  derselben  (o.  52  =  87,*  * 
berichtet,  aber  eine  teilnähme  am  kämpfe  nirgend  erwähnt.  Wie  leicht  konnten  »^ 
den  fifhnrtjir  im  gefolge  dos  wolfes  gegenübergestellt  werden! 


DSR  FKNRISWOLF  329 

^olferachens"  am  himmel  das  mythische  symbol  gefunden.  Frühe 
raonisch  gefärbt,  zeigte  der  wolf  ursprünglich  neben  feindlicher  hal- 
ng  gegen  die  himmlischen,  die  ihn  so  ohne  mitleid  gefesselt,  mehr 
ch  bedrohung  der  hilflosen  menschenweit  unter  ihm;  vgl.  Eiriksm.  6, 
ikonarm.  20.  Auf  Island  erst  scheint  die  einreihung  eines  götter- 
aipfes  mit  dem  wolfe  in  die  reihe  der  andern  ragnarek- kämpfe  sich 
Izogen  zu  haben,  vgl.  cap.  V,  letzte  anm.,  wogegen  das  zeugnis  der 
J.  nicht  entscheidet,  vgl.  die  angeführte  anm.;  überdies  sind  die  von 
Jlenhoflf,  D.  alt  V,  9,  11  usw.  angeführten  gründe  für  norwegische 
mat  der  echten  Strophen  mir  nie  überzeugend  gewesen.  —  Noch 
ibt  das  s.  188,  anm.  2  zu  ende  gegebene  versprechen  einzulösen: 
bez.  frage  noch  einmal  von  einer  andern  seite  ins  äuge  zu  fas- 
ln der  tat  stellt  sich,  sobald  ulfs  keptr  als  name  eines  stern- 
les  nachgewiesen  ist,  die  in  cap.  II,  §  3  angeführte  tatsache,  dass 
aches  ulfr  in  der  Liederedda  (ähnlich  aber  auch  in  den  andern 
Uen)  häufiger  sich  findet  als  Fetiris  ulfr,  in  ein  neues  Hcht:  die 
Qiutuüg  ist  jetzt  nicht  abzuweisen,  dass  als  eigentlicher  name  ulfr 
ler  ebensogut  üblich  war,  wie  der  ausdruck  „wagen''  für  das  stern- 
\  am  himmel  ursprünglich  genügte;  der  zusatz  Fenris  würde  sich  dann 
lieh  verhalten  wie  zu  reiä  hinzugetreten  ist  Roffnis^,  zu  altschwed. 
feil  ein  Karle  \  zu  nhd.  „  wagen '^  der  erläuternde  gen.  himmels-; 
dein  grossen  und  kleinen  baren  scheint  ein  solcher  zusatz,  der  das 
hoinungsgebiet  derselben  deutlicher  bestimmte,  noch  jetzt  entbehrlich 
sein.  Die  erklärung  eines  beinamens  kann  nicht  dieselbe  bedeu- 
2:  beanspruchen  wie  die  des  hauptnamens,  der  uns  jetzt  ganz  deut- 
ist; bei  jenem  wäre  zwar  die  möglichkeit,  dass  Fenrir  als  name 
^s  gottes  oder  riesen  ursprünglich  gemeint  sei ,  a  priori  nicht  ausge- 
ossen;  es  hat  sich  uns  dafür  aber  nicht  der  geringste  anhält  erge- 
So  scheint  einzig  das  erscheinungsgebiet  des  ulfr  ernstlich  in 
acht  zu  kommen  und  nur  die  wähl  zu  bleiben,  ob  der  „himmel'' 
ganzen  oder  jener  besondere  teil  desselben  gemeint  sei,   nach  dem 


1)  Sigdr.  15.  —  Die  beziehung  auf  den  grossen  bär  nimmt  z.  b.  Vigfüsson 
<Aer  in  der  betreffenden  Strophe  noch  mehr  sterunamen  vermutet  (Corp.  poet  I, 
5l.  469). 

2)  Ähnlich  auch  engl.  Charles  wain,  Grimm,  Myth.**  604;  dieser  ist  geneigt, 
^inn  oder  torr  (nach  einer  altschwed.  chronik)  als  älteren  besitzer  zu  denken; 
t^er  in  den  stjqrmimqrk  ed.   Gislason    (44  Provor  s.  476)    neben  dem  einfachen 

(=  ursa  maior)  kcennavayn  ^^  ursa  minor  gebraucht  ist,  so  ist  wol  karlavagn 
**Undform  für  Charles  wain  anzusetzen.  Den  gen.  pl.  vagna  (=  ursarum)  bio- 
KU  Edda  Sk.  cap.  23. 


330  wiLKtn 

aucb   der  einzige,    dem  „wolfe''   sonst   noch   speeidl   znkomniende  bw- 
name,  nämlich   Vänargandr,  gebildet  ist  *. 

2.  Vielleicht  befremdet  es  einige  leser,  dass  bislier  noch  nicht 
auf  VqI.  57,  2:  hverfa  af  himni  fieidar  stjqrttvr  als  beleg  daTur  hin- 
gewiesen ist,  dass  das  verschwinden  oder  verdunkeltwerden  der  gestime 
auch  der  nordischen  Vorstellung  als  einer  der  wichtigsten  faktoren  du 
Weltunterganges  galt  Mim  hat  freilich  diesen  in  unseren  quellen  bw 
oberflächlicher  betrachtung  etwas  vereinzelt  dastehenden  ausspruch  der 
Seherin  als  entlehnung  aus  einigen  stellen  des  neuen  testamentes  b^ 
trachten  wollen*;  aber  zu  einer  solchen  annähme  worden  wir  um  so 
weniger  gezwungen  sein,  je  mehr  wir  im  stände  sind,  die  betreffende 
Vorstellung  nicht  nur  als  eine  aUgemein  menschliche,  somit  auch  dem 
norden  nicht  fremde',  sondern  dieselbe  auch  in  ihrer  älteren,  specifisdi 
nordischen  ausprägung  nachzuweisen,  wo  danu  der  bildliche  ausdruck 
nicht  fehlen  darf.  So  betrachtet,  weist  die  betreffende  verszeile  der 
Vijl.  nur  den  verblassten,  jüngeren  ausdruck  neben  dem  älteren,  noch 
in  lebendiger  büderspraclie  gehaltenen,  den  andere  quollen  uns  bewahrt 
haben  in  der  fassuug:  „der  Fonriswolf  stürzt  sich  entfesselt  auf  die 
Wohnungen  der  menacben"*.  Allerdings  ist  in  diesem  falle  der  kon- 
struierenden mythenzeit  die  Zusammengehörigkeit  des  unbildlichen  und 
bildlichen  ausdnicks  ganz  entgangen;  sonst  würde  der  autor  von  üylC, 
der  in  c.  51  (82,  5)  richtig  die  Überflutung  der  erde  durch  das  meer 
auf  das  gebahren  des  midgaräsormr  zurückführt,  d.  h.  im  gründe  hier 
zwei  verschiedene  darstellungsweisen  desselben  faktums  ahut,  imd  der 
für  den  unbildlichen  ausdruck  in  VqI.  57,  1:  aöl  t^  sortnn  mit  recht 
die  ältere  bildliche  ausdrucks weise  eintreten  lässt  (Sl,  11),  sicher  hier 
ebenso  wie  in  den  angeführten  fallen  verfahren  sein.  Aber  da  er  sich 
verleiten  Hess,  82,  1  das  verschwinden  der  Sterne  gewiasermassen  als 
folge  der  katastropbe,  die  über  sonne  und  raond  ergangen,  hinzustel- 
len, während  Vc}l.  57  beide  momcnte  durch  das  dazwischentretonde 
sigr  fold  l  war  deutlich  trennt,  so  war  er  nun  genötigt,  als  physische 
grundlage  für   das  freiwerden  des  wolfes  jene  erdbeben  heranüuziebn, 

1)  Vgl,  ca|>.  111,  §  9.  —  Da  schon  iu  der  s.  183  aum.  4  cilierten  attnpb»  im 
Eyviodr  dos  achwert  als  rauhensperre  des  wolfes  drwtihut  ist,  darf  wol  snch  te 
dadurch  verursachte  geiferlliiss  n!s  alcbegrundet  gölten. 

2)  So  Sohullums  (Paul  u.  Brauno,  Boitr.  12,  2Ö7  fg.)  und  E.  H.  Hfy«r.  Tt 
luH|)a  H.  'i\'i. 

3)  Dies  ist  der  atondpunkt  von  Hoffory  (Edilostudion  I,  126  fg.). 

4)  Hikouann»!  20. 


die  er  selbst  c.  50  (=  80,  13)  mit  grosserem  recht  auf  die  zuckungon 
des  iii  der  erde  gefesselten  Loii  zurückgefülirt  hatte'. 

3.  Leichter  noch  wird  die  vorgeschlagene  erkläriing  eingang  fin- 
den, sobald  wir  erkennen,  dass  derselbe  gedanke  auch  einem  andern 
mythus  zu  grunde  liegt,  dessen  deutung  noch  einfacher  ist  Bei  dem 
schiffe  Nagtfar,  das  erat  am  ende  der  weit  flott  wird,  ist  bereits  von 
einigen  forschem,  wenn  auch  mit  zweifei,  an  ein  sternbiJd  gedacht 
worden*.  Da  nach  nordischer  Vorstellung  die  weit  durch  wassor  und 
feuer  zu  grunde  geht,  letzteres  aber  nach  VqI.  57,  4  bis  an  den  him- 
mel  schlägt,  so  ist  der  gedanke  nicht  wesentlich  kühner  zu  nennen, 
dass  auch  die  meereswogen  so  hoch  schlagen  und  das  stembiid  nun 
von  der  flut  davongetragen  wird.  Der  name  selbst  bietet  in  diesem 
falle  gar  keine  Schwierigkeit,  sobald  man  sich  erinnert,  dass  eino  ver- 
gleichimg  der  steme  mit  goldenen  oder  silbernen  nageln  aus  alter  zeit 
vielfach  bonougt  ist*;  das  „nagelfahrzeug"  war  somit  kein  unpassender 
nnmc  für  ein  stemhild*.  Die  Verwirrung,  welche  namentlich  der  be- 
richt  in  Gylf.  zeigt,  rührt  daher,  dass  man  hier  bei  vayl  nicht  an  gold- 
oder  silber-nägel,  sondern  an  den  nagol  des  menschlichen  körpers 
dachte;  so  gelangte  man  zu  der  bizarren  Vorstellung  eines  aus  den 
unbeschnittenen  nageln  versforbonor  erbaute»  fahrzeuges.  Dies  schiff 
liesse  sich  aUerdings  mit  den  auch  sonst  bezeugten  totonschiffen* 
vergleichen:  aber  diese  sind  fortig  und  stehen  in  dienst  lange  vor  dem 
untergange  der  weit     Andererseits  ist  auch  die  von  Grimm  versuchte 

!)  Die  Worte  ßd  rerttr  Fenrimilfr  lavss  (82,  5)  köDuen  noch  unmittelbar  i am 
vorhergehünden  Katze  gezogen  werden,  oder  man  mtiss  za  dem  ^oofceo,  dass  alle 
fesseln  und  bände  dann  Hich  lönen,  in  den  folgendeD  bUtsea  drei  boispiele  finden:  das 
losbrecbeu  des  Fcnriswolfes,  das  wüten  des  meereu  über  die  ihm  gezogene  grenze 
hinaus,  das  llottwerdon  des  aohiffes  Naglfar.  —  Der  nächste  grössere  absatz  beginnt 
dsno  mit  den  Worten  J  ptaaum  gnii  (89,   18). 

2)  So  von  F.  Magnussen  (Lex.  mythol.  s.  v.  Naglfari):  N.  ^  elavatum  navi- 
gium  sive  cUvi  Toj-ina  apparaus,  undu  coineUe  bem>  foret  adspUndum;  hae  slelloo 
mala  nuncla  purteudere  ])utabautur.  —  Aber  bei  einem  kometen  fallt  gerade  das  wieh- 
tigste  vergleiuhungHglied  Tort,  die  unbewegUcbkeit  bis  eum  welüintorgangc.  .an  einen 
Gxstern  hatto  ich  daher  schon  Untorsiicb.  z»  So.  Edda  s.  131  a.  gedacbt,  bei  migl 
allerdings  mehr  an  einen  glänzenden  gegenständ  überhaupt,  wozu  der  schwertname 
Naglfari  (Sn.  Edda  Kph.  1,  566)  stimmen  würde,  doch  vgl.  diu  Tolgcndo  amn.  — 
Nahe  meiner  Jetzigen  HufTossung  kommt  die  von  Wislluenus  8ymb.  von  sonne  und  tag 
B.  81,  83,  wo  Jedoc'h  einigen  oebenzügen  zu  viel  gawicht  beigelegt  wird. 

3)  Belege  namentlich  bei  Schwartz,  Pool,  naturwisch.  I  reg.  s.  sterne  =  nägel. 

4)  lob  erinnere  an  die  Argo  oder  das  „schitf"  unserer  astronomie. 

I  5)  Vgl.  Henne,  Deutsehe  volkssnge  s.  448  Tg.  —   Über  Noreons  erkHiniog  vgl. 

I  B.  332  anm.  i. 


332  WILKEN 

deutuDg^,  als  ob  der  kern  des  mythus  in  dem  gedanken  li^,  der 
Weltuntergang  sei  noch  fern,  so  lange  das  verderbliche  schiff  nicht  fer- 
tig gebaut  sei,  schwerlich  der  ursprüngliche.  Davon,  dass  der  bau  des 
Schiffes  noch  im  werden  sei,  weiss  auch  Gvlf.  nur  an  der  einen  stdte 
zu  berichten,  wo  der  wünsch,  eine  pflicht  gegen  die  verstorbenen  ein- 
zuschärfen, den  mythologischen  Standpunkt  wol  etwas  verschobon  hat 
(c.  51;  =  82,  8  — 11);  an  einer  frühern  stelle  (c.  43)  heisst  es  einfiwrlÄ-, 
dass  es  das  grösste  schiff'  sei  2.  Auch  an  der  späteren  stelle  findet  auf- 
merksame betrachtung  leicht,  dass  der  hauptgedanko  des  Schriftstellers 
der  82,  3  —  4  auf  die  Sprengung  aller  bände  und  fesseln  im  naturlebe« 
hingewiesen  hatte,  nur  darauf  gerichtet  war,  in  dem  freiwerden  d^w 
Fenriswolfes,  dem  ungehemmten  ansturm  des  Midgardsormr,  endlicri 
dem  loskommen  des  schiffes  Naglfar  gewissermassen  die  mythische  bil- 
dersprache  an  die  stelle  der  physikalischen  betrachtung  zu  setzen,  nicbil 
aber  zu  einem  anderen  gedankenkreise  sich  zu  Avenden.  Auch  ist  de* 
autor  nach  seiner  moralistisohen  abschweifung  (über  abschneiden  de^r 
nägel)  genötigt  noch  einmal  ausdrücklich  das  „flottwerden**  des  schif- 
fes anlässlich  der  grossen  Überschwemmung  zu  betonen;  mehr  hatte  e-r 
auch  in  seiner  quelle  (VqI.  50,  4)  nicht  gefunden.  Es  erscheint  mix 
nun  unmöglich,  dies  so  stark  betonte  flottwerden  als  mit  der  Vollen- 
dung des  schiffes  zeitlich  nahe  zusammenfallend  zu  denken;  dann  würA^ 
gerade  die  endliche  Vollendung  als  solche  betont  worden  sein;  jeftct 
müssen  wir  wol  an  ein  schiff  denken,  das  schon  Jahrhunderte  auf  dÄS 
flottwerden  geharrt  hat  Im  gründe  scheint  auch  J.  Grimm  dieser  arm- 
siclit  nahe  zu  stehen,  wenn  er  die  beiden  sätze:  „Fenris  ülfr  wird  Iüs»  • 
Naglfar  flott*"  als  sätze  verwandten  iuhaltes,  welche  zusammen  die  sigc^ 
natur  dos  beginnenden  Weltunterganges  zeigen,  aneinander  rückt'.  End- 
lich kommt  in  betracht,  dass  auch  der  Gylf.  10  als  erster  gemahl  der  f 
nacht  uns  genannte  Nagifari  oline  jede  Schwierigkeit  als  ein  persönli«?** 
aufgefasstes  Sternbild  sich  erklären  lässt*. 

1 )  My th.  **  679  anm.  4  und  uachtrag. 

2)  Dieselbe  augabe  findet  sich  allerdin^  von  dem  schiffe  Baldrs  iu  c.  49  1==^ 
75,  13).  Darf  man  aus  dur  Zusammenstellung  mit  dem  wolkenschifTo  SkidbUdn^ '' 
iu  c.  48  alK»r  nicht  so  viel  scliliessen,  dass  es  sich  auch  bei  Naglfar  um  ein  wiilt^ 
lidi  der  anschauung  entnommenes,  also  echt  mythisches  motiv  handeln  muss?  Ek^' 
schiff  aus  menschennägeln  wäre  nur  für  eine  allegorie  geeignet.  —  (VgL  cap.  I,  §  1^-^ 

3)  A.  a.  o.  ()79. 

4)  Vgl.  den  ähnlicli  gebildeten  Mundilfari,  der  als  vater  der  sonne  und  d^^ 
mondes  z.  b.  Vaf[)r.  23,  1  genannt  wird;  auch  hier  ist  wol  an  ein  gestim  oder  de*** 
himmol  selbst  zu  denken.  Letzterer  ansieht  sind  F.  Magnussen,  JEIdrc  Edda  IV,  2^— 
und  Vigfüsson  s.  v.,  der  wol  mit  rocht  an  m(^/uJtdl  (=  handle,  espec.  of  a  handnil^-^ 


r 


4.  Lassen  wir  diese  erklämng  als  richtig  gelten,  so  erhalten  wir 
ein  schönes  seitenstück  zu  jener  des  Fenris-mythiis.  In  beiden  fallen 
hat  der  umstand,  dass  gestime  aus  der  klasae  der  fixsterne  erst  am 
Weltuntergange  ihren  festen  platz  verlieren,  zu  einer  ankoüpfung  an  die 
iagnar»k-mjthen  und  so  zu  einer  dämonischen  aulTassuog  anlass  gebo- 
ten. Diese  äussert  sich  in  dem  einen  falle  nur  darin ,  dass  die  feinde 
äer  götter  das  flottge wordene  schiff  zum  angrJB'  gegen  die  alte  welt- 
ordnnng  benutzen;  in  dem  anderen  falle,  wo  die  gestalt  eines  wolfea 
betracht  kam,  lag  der  gedanke  sehr  nahe,  diesen  wolf  selbst  in  die 
ichar  der  götterfeinde  einzureihen,  beseelt  von  dem  wünsche,  für  die 
icbmacb  so  langer  fesselung  an  den  alten  göttcrn  räche  zu  nehmen.  — 
beiden,  wie  ich  glaube,  völlig  gesicherten  gestirnmythen  lässt 
neb    vielleicht    noch    ein    dritter    mythus    anreihen,    der    sonst    grosse 

KJnnert  Sollen  wir  aber  <lanim  an  die  Umdrehung  des  himmels  denken?  wosslen 
I  alten  von  derselben?  Wahrscheinlicb  ist  Mundilfari  ein  alter  naoie  der  soane 
vgl.  cap.  ni,  g  5.  Jedenfiüls  ist  der  Naglfari  in  Gylf.  10,  der  erste  gemabl  der 
STött,  die  hier  durchaus  nicht  in  lifimonisoher  auffossuug,  sondeiTi  als  niuttev  der 
«nie,  des  tagos  erscheint,  eher  geeignet  ein  licht  auf  die  eiklärnng  des  Wortes  zu 
Verden,  als  der  schwertuame  Naglfarr,  der  unter  ca.  170  andern  in  den  Nafna}>ulur 
Eph.  I,  506)  begegnet.  Dass  von  so  viel  natneu  nicht  alle  wirtlich  bedeutsame  sein 
Snnen,  liegt  anf  der  hand;  neben  mistilieinn  (ebd.  564),  Hoddmimir,  Brimir,  Fdf- 
tir,  Nidhqggr  befremdet  auch  Naijlfari  uicht  (vgl.  s.  331  aum.  2),  welulies  wort 
loreen  (Altoord.  gramm.'  §'-^ül,  3)  übetsetit  „der  iwischoa  leichen  Tdlirt'.  Die 
uda  gegebene  geistvolle  deutung  für  Naglfor  =^  totensuhiS  liesse  sich  sachlich  mit 
Keiner  oben  gegebcneo  darlegung  wol  vereioigeti,  da  dieses  schiff,  das  erst  am  welt- 
mtergange  Sott  wird,  wo!  weder  aus  holz  noch  aus  menschennftgeln  gebaut  ist  und 
■denhlls  einem  stembilde  näher  stehen  müsste  als  dem  betannlen  .äiegenUen  Hol- 
Inder'^,  dem  gespenaterschiff  späterer  zeit,  das  von  H.  Heiue  wegen  seines  unstäten 
H&herfahrens  dem  „ewigen  Juden '^  verglichen  (Grimms  wb.  s.  v.  HoUitnder)  und  von 
9ork,  Myth.  der  volkss.  939  fg,  auf  Inftspiegelungen  zurückgeführt  wird.  —  Verdanke 
üh  den  hinweis  auf  die  von  mir  übersehene  stelle  Noreena  einem  freundliehen  winke 
I.  Geringe,  so  ist  mir  ein  anderes  bedenken  nachtriglich  selbst  aufgestossen.  Die 
[Bwöhnliohe  spräche  untereoheidet  nagl  =  unguis  von  nagli  ^^  claviis;  wäre  nach 
ler  oben  gegebenen  erkläiiing  nicht  Naglafar  za  erwarten?  Aber  eutweder  ist  diese 
Bttetscheidung  der  filteren  spräche  fremd  gewesen  oder  sie  ist  wenigstens  für  die 
mmposita  nicht  strenge  durchgeführt,  vgl.  naglfaslr  =  nagUtfastr  (Vigf.)  ~~  Gerade 
'  die  spätere  geltung  von  nagl  —-  unguis  bat  vielleicht  die  auffassung  von  Gflf,  51 
varanlusst,  —  Es  erscheint  nur  also  nicht  geboten  die  oben  gegebene  auffassiing,  die 
den  nnalogien  des  betreffenden  mythol.  gebieti;»  gerocht  wird  (vgl.  h.  331  anni.  3),  noeh 
en  verlindern,  am  wenigsten,  wenn  Noroen  nicht  an  ein  wirklich  den  oaturreichen 
angehöriges  gebilde,  sundem  au  ein  „toteeschlff'  der  phsntssie  gedacht  haben  sollte, 
«twK  mit  der  besttmmung.  die  beim  Weltuntergänge  sterbenden  in  sich  aufzanebmea. 
■■  Einer  soloben  Allegorie  kann  ich  einen  plstz  unter  den  alteren  inytheu  nicht  einrau- 
■  von.  Tgl.  cap.I,§18. 


334  mixKH 

gell wierigkei ton  bintet.    wenn  nicht  eine  ähnliche  orklAning  ptal 
fen  darf. 

5.   "Wenden  wir  uns  nunmehr  zu  der  am  ende  von  cap.  1 
geworfenen  frage.     In  der  stefstrophe  der  Vgl,   die  zuerst  als  Str.  U 
(bei  SijmoDs),    zuletjtt  als  str.  58  begegnet,    liüisst  e»  za  anfang:  Geyr 
nü  Garmr  mjqk  fyr  (häpahelli.    Nncli  dem  zeitworte  yeyja  (=-  bellen) 
zu  schlioäsen  und  nach  dem  ausdrücklichen  Zeugnisse  der  Grm.  44,  *: 
eil  huiida  (cextr  er)  Oaniir  haben  wir  an  einen  hund  zu  denken.    Wes- 
halb  ist  er  aber  der  beste   hund?     Auf  diese  fi-age  antworli:t  Mülleo- 
hofl' V,  138:   weil  er  in  das  reich   der  Hei  allein  die  ihr  verfsllontin 
und  angebörigen   eingehen   und  keinen  wider   hemus   Iftsst,  —  Sollt« 
hier  nicht  die   erinnerung  an    den  grieoh.  Kf^(itqoi^  in  die  nonti«!»« 
mythologie  eingetragen   sein?     Der  autor  von  Gylf.  berichtet  in  c.  51  : 
pä  er  6k  lauss  ordinn  hntutrinn  Garmr,   tr  buridinn  er  fyrtr  (hiipr»- 
helli;    hatm  er  U  meata  forad;    hann  ä  vig   möti    T^  ok  rrrär  kvtü"^ 
odruw   at  skada.     Dass   die    letzte   angäbe  nur  eine  xiemUch  juo^ 
ausscbmückung  des  letzton  kampfes  sei,  ist  schon  mehritich  {t.  h.  t»0 
Simrock,  D.  myth."  121)  mit  recht  behauptet  worden;  wenn  aberd 
gelehrte  fortfährt  „einen   hund   namens  Garm.   der  die   krttc  (ipreD^eXi 
und  an  dem  kämpfe  tt'il  nehmen  konnte,   gibt  es  gar  nicht",   hu  kul* 
ich  dieser  ansieht  nur  soweit  folgen:   zu  den  alten  üborlieferungen  i^ 
nordens  gehört  der  hund,  als  Wächter  der  belle  aufgefaast,  achwerüdH 
schon  das  schweigen  von  Gylf.  34  (=  38,  9  — 13),  wo  der  h«n.shalt de*" 
Hei  ausführlich  registriert  wircli,  fallt  hier  ins  gewicht —   Aber  dtfiJi*» 
sind  wir  durchaus  nicht  berechtigt  den  autur  von  Gylf,  seine  weishii* 
nur  aus  einem  misverständnis  der  oben  erwähnten  stefetrophi?  sdifipfe«»- 
r.a  lassen  und  uns  selbst  mit  einer  gleichsetziing  von  Garmr  und  fn»— 
rir  zu  beruhigen.     Gegc-n  diese  Vermischung  hat  Müllenhoff  it.  a.  "-  oi* 
TüUem  recht  verwahi'ung  eingelegt.;  als  hund  (nicht  als  wolt)  heteiduiff 
wird  Garmr  zweifellos  namentlich  Grm.  44,  4.     Aber  braueben  wir  il** 
attribut  ceztr  an  dieser  stelle  für  mehr  zu  halten  als  der  „namhaftetl^« 
bekannteste"?    Mehr  wissen  wir  jedenfalls  noch  von  ihm  als  von  ilm 

I)  TJoter  dem  angeflihrton  Uausgorät  lindct  siuli  xwtir  nuuiuhcs,   Um  aoriB'* 
aIl(«gorie  ans  jiingarer  zeit  xa  lietraobteu  ixt,   ahor  dannbmi  Tchlt  ea  ni'^h 
Utcren  xngBu    (vgl.  x,  b.  Simrüuk,  Hyth.'  s,  304),    yeaiu   ioli    Dain«<iitIioli 
/itmit  al»  nuiie  deg  (rasch  xuKuhlagtioden)  tonm  roohiu.',   das  aus  ao  viel  i 
mjlmhen    bekannt    ist,    nrspninglich    aber   wul   dar   tür  das   wotkenbürg««  snpli** 
(Grimm,  Mytli,'.  SU  fg.,  vgl.  Sohwarbi.  Hrspr.  177).     Nnchlräglich  fttilt  mir  du«    ^ 
reivhon.'  register  FVd  Milium  Htfja-r,   du  ood.  A  1=  746)  darUet«t,    widnr  ia 
aug«n  (EpU.  IT,  494);   hier  lindut  aioli  ii.  s,  au(?li  eiu  huiid  der  Hai  aii^iinibfii  < 
^  nicht  Oariar  getmnot,  siinderu    l'aningi  (wol  «u  runr    =  goL  vans). 


DER  FENiusnüLr  335 

habicht  Häbr<5k,  der  au  dciselben  stelle  mit  aiiszoichnung  genannt 
ist;  jüngere  Yorstellung  mag  in  beiden  fallen  zu  gründe  liegen.  Gleicb- 
vobl  halte  ich  den  bund  Garmr  nicht  für  eine  blosse  erfindung  jünge- 
rer zeiti;  auch  die  möglichkeit  eines  bereits  in  Vijl.  und  Grm.  vorlie- 
[enden  misverstämlnisses  oder,  was  dasselbe  besagt,  einer  allmählichen 
»■ersohiebung  älterer  Vorstellung  kommt  in  frage. 

6.    Wenn   ich   an   den   (nur)    in    Gyll'.  10    erwähnten   Mänagarmr 
r  erinnere,  so  wird  die  frage  anscheinend  noch  verwickelter.     Denn 
i  Gylf.  von  ihm  berichtet,  ist  inhaltlich  so  bedeutsam,  dass  man  für 
Jen   unhoJd,    der  offenbar  dem  hmgis  tjtigari  in  Vq[.  40,  4  entspre- 
ihen  soll,  anscheinend   mit  recht  nach  dem  geläufigeren  nanien,  der 
lieh  anderswo  finden  müsse,  gesucht  hat.     Zwei  gleichsetzungen  sind 
i&meutlich   versucht  worden:    a)   mit  dem   hunde  Garmr,    b)   mit  dem 
ivolfe  Hati,  der  häufig  als  verachlinger  des  mondes  aufgefasst  wird.  — 
iegm  a)  hat  sich  Simrock  s.  24;  gegeu  die  häufiger  (so  auch  von  Sim- 
«cfc)  angenommene  gleichsetzung  mit  Hati  neuerdings  Mi>gk  (in  Pauls 
teiträgen  VI,  526  fg.)  nicht  ohne  begründung  ausgesprochen.   —    Von 
leiden  gleichsetzungen  ist  die  sub  a)  lautlich  die  näher  liegende.     Das 
compositum  A/dnagai'mr  lässt  sich  doppelt  auffassen:  einmal  kann  garmr 
lach  dem  berühmtesten  hunde  die  gattung  hund  überhaupt  bezeichnen; 
lei-   mundhund   kann   dann  sehr  wol   die  bezeichnung  eines  den  mond 
rerfolgenden    wolfes   sein.     Andererseits   kann   aber  auch,    ähnlich  wie 
Üfr  (=  wolf  am  himmel)  durch  den  davortretenden  genet  Fenris,   so 
3armr  durch  das  davortretende  Mdna  nur  näher  bestimmt  sein,  ohne 
i  ein  anderes  wesen  gemeint  wäre.     Folgen  wii-  dieser  analogie,  ao 
t  freilich  die  fi-ago  nahe:  wie  kann  Garmr,  der  nach  Gylf.  51  gefes- 
^t  vor  einer  telshöhle  liegt,    mit  dem  den  mond  verschlingenden  Mä- 
ttmr  identisch  sein?     Dass  Gui-mr  schliesslich  frei  wird,   berichtet 
war  auch  Gylt".,  aber  damit  ist  er  noch  nicht  im  stände  von  seiner 
leLshöhle  aus,    die  Müllenhoff  wol   nicht  mit  unrecht   an   den   eingang 
■  unterweit  verlegt,  den  mond  anzugreifen.     Eine  lösung  des  wider- 
pruches  ergibt  sich   für  den    leser,    der   den   vorhergehenden  capiteln 
nnerUcb    gefolgt   ist,   sehr    bald.     Bei    dem    hunde    Garmr   bat   schon 
Magnussen  (Lex.  royth.  s.  v.  Garmr)  bemerkt:  Garmum  forsitan  vete- 
is  Sueci  appellaverint  uream  maiorem  in  coelis,   quae  etiamnunc  ab 

1)  NeuerdiogH  hat  DauieDtUch  Bugge  (Studien  über  die  nord.  götter-  und  hel- 
iBsagO,  fibern.  vou  Brenner  s,  IT9)  den  nanion  aelbst  als  iiaubbildnog  von  CerberoB 
tncbtet;  zQstiramend  verhielt  sich  Et.  H.  Moyer,  Vyl.  180.  Dagegen  vgl.  nuinent- 
h  Hogk  im  kaz.  Für  indog.  sprich-  ii.  altli.  111,  30  (neunorw.  garma  ^  brnle, 
laen  210). 


eorum  posteris  vocitatur  SlorracbeD  seil.  Canis  graudis  sivp  ruHsimi»; 
daran  schliesst  sich  ein  hinweis  auf  den  bekanntlich  einem  anileni 
sterabilde  (dem  Sirius)  von  den  alten  beigelegten  namen  hnnds- 
stem  (canicula).  —  Von  hier  aus  den  mythits  zu  erklären  würde  ich 
HO  etwa  versuchen.  Von  der  ursprünglichen  bedeutung  als  stembild 
erhielt  sich  nur  eine  schwache  erinnerung;  ausser  dem  namen  nnd  da 
bezeichnung  „hund"  kommt  vielleicht  die  angäbe  von  Gylf.,  wonich 
der  hund  zunächst  gebunden  ist  und  erst  bei  dem  Weltuntergänge  ftw 
werden  soll,  in  betracht  und  würde  sich  ziemlich  genau  mit  der  betref- 
fenden angäbe  über  den  Fenriswolf  decken.  Doch  ist  zuzugeben,  dasa 
.  hier  auch  der  zufall  sein  spiel  haben  kann ,  pflegen  doch  au<'.h  gewöhn- 
liche hunde  oft  an  der  kette  zu  liegen.  Jedenfalls  müsste  eine  Ver- 
schiebung im  lokal  stattgefunden  haben:  während  bei  dem  gefesselteo 
Wolfe  nur  jüngere  zusätze  an  einen  vom  himme!  unterschiedenen  ort 
der  fesseluDg  denken  ^  liegt  es  bei  dem  hunde  Gaimr  so,  dass  er  nur 
auf  dem  wege  der  kombiiiation  an  den  himmel  zurückversetzt  werden 
kann.  Auf  welche  weise  die  lokal -Verschiebung  in  diesem  falle  erfolgt 
ist,  steht  dahin:  als  erinnerung  an  den  alten  zustand  könnte  gelten, 
dass  auch  die  spätere  sage  wenigstens  den  Mänagarrar  noch  als  monii- 
verderber,  somit  als  ein  im  luftreicb  waltendes  wesen  kennt.  fr«li(* 
auch  in  dämonischer,  den  göttern  feindlicher  Stellung*,  was  am  deut- 
lichsten Gylf.  12  (=  16,  1—4),  aber  wol  auch  in  dem  Gylf  51  berich- 
teten kämpfe  des  getles  TVr  gegen  Garmr  sich  ausspricht,  der  in  die- 
sem falle  unbedenklich  gleich  Mänagarmr  zu  setzen  ist*.  —  Wie  steht 
es  endlich  mit  Hali?  Dass  dieser  ursprünglich  als  sonneuwolf  gegol- 
ten hat,  ist  von  Mogk*  ziemlich  wahrscheinlich  gemacht  worden;  d» 
aber  das  Verhältnis  von  sonne  und  mond  in  der  mythischen  zeit  ein 
weit  engeres  war,  das  Schicksal  beider  himmelstörper  eng  aneinander 
geknüpft  zu  sein  schien",  so  darf  für  die  konstruktive  zeit  die  voistel- 
lung  nicht  abgewiesen  werden,  dass  Hati  zunächst  den  mond,  ala  Vor- 
läufer der  sonne  aufgefasst,   verfolge,   wodurch  eine  gewisse  bedrobnng 

1)  Vgl.  cap.  V,  §  3  und  6. 

2)  UuDile  als  wiichter  ienai  aueh  die  deutsche  voUissage  ni«Kt  in  etwas  tttiiM'- 
nisohar  fiu-baag,  vgl.  Henue,  Die  deutsche  volkssHge  a.  60  fg.;  E.  H.  Meyer,  G«nn- 
uiyth.  lOS. 

3)  Der  nuisdrufik  hnnii  er  il  nifsta  foraä  pasit  genau  zu  dur  (Sylt  13  voi 
UAd.  gegebetiuii  sdiildening.  witbreud  wir  von  Gannr  ja  nur  wissen,  A»»%  er  gafi** 
seit  liegt  und  zeitweise  bellt. 

4)  In  Pauls  Beitr.  VI,  5-26%. 

5)  Vgl.  Sfliwiulz,  D[e  |ioet.  natarauscb.  I  reg.  a.  v.  nioud  (und  sonne,  iw 
baltuis  beider!. 


'der  sonne  selbst  gegeben  blieb  l  Bleibt  uns  also  Hati  in  gewissem 
tine  ein  niondwolf,  so  ist  fiir  den  Jldnagarmr  als  für  eine  jüngere, 
>er  eben  deshalb  mächtigere  yorstellung,  noch  immer  soviel  platz, 
er  denselben  gedauken  in  noch  dämonischerer  färbiing  ausprägt, 
.entlich  in  beziig  auf  den  Weltuntergang.  Liegt  auch  der  gang  der 
itwickolung  hier  lange  nicht  so  klar  vor  äugen,  wie  bei  dem  Fenris- 
olfe,  so  lässt  sich  doch  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  folgende  formel 
afstellen:  Skqll  :  Fenris  ulfr  =  Hati  :  Mdnagarmr*.  Als  ältere  form 
Ir  Fenristilfr  wäre  dann  noch  iilfr,  fiir  Mänagarmr  Garmr  anzu- 
ätzen, wobei  die  Verschiedenheit  der  formen  auch  solche  in  den  bedeu- 
in  einschliesst,  in  dem  die  längeren  formen  schliesslich  nur  noch 
■om  eschatologisch  aiifgefassten  „wolf  und  „hund"  gebraucht  wurden 
inbeschadet  ursprünglicher  Identität  der  Vorstellungen'. 

7.  Da  jedoch  der  in  §§  5  und  6  besprochene  Garmrmythus  nicht 
u  so  greifbaren  resultaten  führt,  wie  die  früher  besprochenen,  so  will 
eh  für  jetzt  darauf  verzichten,  die  frage  weiter  zu  verfolgen,  aufweiche 
[er  gang  der  Untersuchung  sonst  gewissermassen  hinweist:  haben  wir 
nsser  den  besprochenen  noch  andere  mythen,  zu  denen  die  gestime 
nla&s  gegeben  haben,  ohne  dass  diese  beziehung  der  späteren  zeit 
leotlich  geblieben  ist?  Eeinesweges  möchte  ich  diese  frage  mit  nein! 
«antworten,  mag  auch  die  astrale  erklär ungsweise  durch  die  oinseitig- 
»it  räniger  forscher  äusserlich  etwas  in  miskredit  gekommen  sein.  — 

1)  Wenn  Mogk  0.0.0.  528  sagt;  Skqll  ist  dem  BODDSDwageii  gefolgt,  hat  vor 
er  SSI  zur  seite  doi'  roäse  diese  in  schi'dcken  gesetzt  —   so  Hesse  sich  das  fiir  ein 

«iDmaliges  factum  recht  wol  hören,  aber  nicht  für  ein  täglich  sich  widerholeodes 
|>hiinomeu.  Die  dar^ellong  in  OyU.  ist  allerdings  niuht  ursprüngliah,  aber  insofern 
nicht  nogesohiott,  als  die  eile  des  scheinbaren  soonenlanfeü  darcb  die  furcht  vor  den 
iröUen  begründet  wird,  dio  sie  verfolgen,  womit  zugleich  eine  art  sjstem  ia  die  sonst 
fnr  die  mtere  zeit  so  regollosen  rmstenusse  gebracht  wird.  Dann  Dämlich  sind  die 
Wölfe  (voräbergobend)  im  stände  sich  der  sonne  zu  bemächtigen,  für  gewöhnlich  ist 
sie  nur  bedroht  und  zwar  auch  von  dorn  voraneilenden  woIfe,  da  sloh  dieser  ja  wrück- 
wfliiden  ktmn:  sie  weiss  vor  und  hinter  slcii  den  fcind. 

2)  Teilweise  ähnlich  Hchon  Simrock,  Uyth.*  s.  24,  ausserdem  vgl.  Untersuoli. 
iQf  Sn.  Edda  3.  83. 

3)  Wer  sieh  daran  stossen  sollte,  daes  Garmr  immer  als  bund,  Mänagarmr  dage- 
gen als  wolf  be^oichnut  wird,  dw  möge  ansser  dem  b.  33(1  anm.  3  angeführten  aeug- 
oisse  auch  die  Btollo  lietranbten,  wo  es  ln'isat:  tjll  eäpn  eni  IroU  ok  targar  ok  hund- 
ar  futrkUrSa  usw.  K|>h.  11,  512.  —  ^o  gut  nun  dem  lungU  fjügari  i  Irotls  liatni 
der  Vijl.  iO  in  Gylf.  12  gogeoübersteht:  foedir  at  soimm  marga  jqtna  ok  alln  i 
rarff»  llkjum  .  .  ok  »pii  er  tagt,  at  af  itUinni  ftrUr  ad  eian  nnUtkattr,  er  kallaär 
er  Mänagarmr  —  ebensognt  kann  aneh  diesem  rargr  im  skaldisehen  Sprachgebrauch 
wider  der  band  Oarmr  entsprechen. 


Die  möglichkeit,  dass  erst  nach  dem  bereits  vorhandenen  mjlhns  fia 
Sternbild  ulfs  h/Qplr  genannt  wäre  (nach  analogie  der  cap.  M,  4 
erwähnten  fälle)  ist  üwar  nicht  völlig  abzuweisen',  aber  wäre  dann 
nicht  Fenris  ulfs  oder  Fenris  kj(iplr  zu  erwarten,  da  man  gerade  am 
himmel  dofh  auch  an  andere  wölfe  denken  konnte,  wenn  nicht  ^ 
ursprüngliches  sternbild  gemeint  war?  In  diesem  falle  aber  genügt 
wolf,  vgl.  löwe,  adler,  Widder,  schwan  usw.  Doch  eine  nötigung  auf 
jene  frage  hier  näher  einzutreten  liegt  nicht  vor.  So  möge  zum  üicblus 
nur  der  nachweis  geführt  werden,  dass  gestirnmythen  wie  die  vom 
Fenriswolf  und  dem  schiff  Naglfari  der  „analogiu  mythica"  und  somit 
der  inneren  glaub  Würdigkeit  nach  keiner  seite  hin  entbehi-en. 

8.  Die  bis  auf  den  heutigen  tag  bekannte  bezeichnung  von  steru- 
bildem  durch  tiornamen  führte  bei  der  sinnlich  lebhatten  aiiffa^img 
der  altmythischen  zeit  widerholt  zu  der  Vorstellung  einer  bedrohung. 
resp.  Verfolgung  einiger  stembilder  durch  andere,  was  namentlich  in 
der  griechischen  litteratur  leicht  sich  belegen  lässt*.  —  War  einmal 
ein  Sternbild  als  ein  aufgesperrter  woltsrachen  aufgefasst,  so  lag  di« 
Vorstellung  hierin  eine  bedrohung  aller  anderen  bewohner  des  himmols 
zu  erblicken  um  so  näher,  als  man  bei  sonnen-  oder  mondfistemis 
und  der  bildung  von  nebonsonnen  die  grossen  lichtkörper  von  wölfen 
bedroht  glaubte;  wie  leicht  vermischte  sich  direkte  vergleichung  mit 
indirekter!'  Und  jene  bedi-ohung  der  wichtigsten  weltkörper  zog  ohne 
weiteres  die  götter  in  mitleidenschaft*  j  ja  auch  die  menschen  scheioen 

1)  So  sogt  E.  H.  Ueyer.  Qenu.  inytti.  10:  „stembilder  werden  fast  durchweg 
nar  als  liimmLsche  eriiiDerangsbilder  an  andersartige  sagen  aufgefasst. "  Aber  and 
nicht  fast  überall  durch  die  jüogoreu  bUducgcD  die  ölterea  etwas  in  den  hintergmnd 
gedrängt?  —  über  ältere  and  jüngere  BterabUdmythen  vgl.  zuaiiohst  Orimms  Mytlt* 
009  fg.  uiid  die  ron  Ibm  oitiert«  üuasenmg  Buttmanns,  „dass  man  nicht  damit  witiai^ 
die  vollständige  gestalt  am  himmet  za  entwerfen,  dass  es  genügte  ein  stock  dana 
herauszufinden"  —  so  in  unserem  falle  den  raohen  eines  woIfes. 

2)  Tgl.  aoBSer  Homer  t  273  (fast  =  Z  487)  zunächst  Hesiod  W.  n.  t.  615: 
tvT  &v  IJkijiäSig  aBfvoi  Sßpifiov  *£lfI<ai>o;  rffvyoiiaai  n/nitustv  und  dazu  PnUv. 
Oriectu  inyUi.'I,  351.  —  Dass  die  alexandrinische  litteraturperioda  sehr  viel  bexi#- 
hungen  auf  die  steme  bietet,  ist  bekannt;  wahrecboinlich  auf  anregnngen  von  dort 
geht  die  gleichfalls  starke  benutsug  der  stembilder  in  der  röm.  dichtung  tnrock,  '^1 
Härder,  Astrognostiache  bemerk,  zu  den  röm.  dichtem  (auscige  von  E.  Maaa  m 
D.  litt,  zeit  XIV,  2fl). 

3)  a  oap.  I,  g  13. 

4)  Tgl.  Oylf.  42,  wo  dio  forderung  des  baunieisters  aus  Bieseuheim  Bonne  aal 
mond  als  lohn  zu  erhalten  als  eine  herauafordenmg  der  götter  betncbtat 
dot  wird. 


bei  derartigen  Vorkommnissen  keineswegs  bloss  znschauer  zu  sein'.  — 
Kein  wiinder  also,  dass  ein  stembüd  ^der  Wolfsrachen",  sobald  er  ein- 
mal personificiert  war,  zu  dem  ärgsten  feinde  der  götter,  zu  einem 
■gefälirtichen  gast  auch  für  die  Vorstellung  der  menschen  wui-de», 

Etwas  seltener  in  alten  quellen  ist  die  bervorhebung  der 
festigkeit  und  guten  Ordnung  der  fixsternWlder.  Das  „beer  des  him- 
bozieht  sieh  auf  dieselbe,  vgl.  Riehm  a.  a.  o.  1572.  In  dem 
■■buche  Hioh,  das  auch  sonst  auf  die  gestirne  bezug  nimmt  (z.  b.  cap. 
,  9)  fragt  c.  38  v.  31  gott  den  Hiob:  ^kannst  du  die  bände  der  sie- 
ben Sterne  zusammenbinden?  Oder  das  band  des  Orion  auflösen?" 
..(Luther)  oder  nach  Reuss  (Hiob  1888):  „Bist  dns,  der  der  Plejaden 
bände  knüpft?  Kannst  du  Orions  fesseln  lösen?"  Zu  dieser  auf- 
Assung  stimmen  (so  weit  ich  sehe)  die  ausleger  ausser  Diilmann,  der 
,  zu  Hiob  18G9)  für  den  letzten  halbveis  die  Übersetzung  ver- 
langt: „Kannst  du  Orions  zugseile  lockern?"  Es  soll  sich  dann  darum 
undeln,  dass  durch  lockerung  der  seile,  an  welchen  Orion  geschleppt 
Irird,  er  zu  einer  gewissen  zeit  höher  am  Itimmel  steigt,  zu  einer  andern 
■rieder  tiefer  sinkt^  —    Auf  jeden  fall  ist  in  dem  betreffenden  verse 

1)  Vgl.  Schwarte,  Ür9|ir.  78,  79;  Kuhn,  Herabkunft' 48,  anm.  1  naoh  Birlin- 
r  (währmid  der  Bonnpufinaternis  ffillt  gilt  auf  die  erde). 

2)  Es  mag  hior,  da  der  Feuriswolf  vaa  eintgeu  foiscliem  mit  Lok i  und  Luuifer 
[leiuhgosetzt  wurdit  (cap.  IT,  I),    woDigGtens  beiläufig  daran   eriouert  worden,   dass 

^^■fir  aweite  name  ja  BigODÜicb  den  morgeoBtorn  bedeutet,   Jos.  14,  12  (wie  bist  du 

tnn  hinimel  gofalleu,  du  Hcliöner  morgen stern?)  büdlich  den  lionig  von  Babe!  meinte, 

t  der  aliegorisclieD  orkliLniug  der  kirchonvätcr  seit  Hieronytnus  den  gefalleDon  enget, 

BD  satan  bezeichnete  (vgl.  n.  a.  Biebin,  Hanriw.  des  bibl.  alt.'  art  sterne,  b.  1573).  ^ 

äe  dfimoniscbe  auffoEsung  gieng  in  diesem  falie  nicht  von  der  gestalt  des  atorabil- 

ea,   sondern  von  der  Vorstellung  des  vom  hinimel  gafallensoins  ans.    Auch  für  die 

[^nord.  mytli.  mag  beachtet  werden  der  ausspruch  Biehm»  a.  a.  o.  1572:  ,die  alte  aof- 

fasaung  der  gestimo  als  lebendiger  weseu  ist  nicht  ohne  alle  nochwirkong  geblieben, 

wie  denn  auch  in  der  Torstelluög  dca  himmeUhoores  die  der  engel  (noid.  etwa  = 

.  diünooen)  uod  der  Sterne  Öfter  ioolonnder  Uiusst.''     Auch  dem  iadog.  gebiet  ist  diesa 

UTOTstallung  nicht  gaun  fremd,    vgL  über  die  , Verkörperung  (der  seelea]  in  Sternen* 

Ideoberg,  Ted.  m^ib.  s.  504. 

3)  Das  bebr.  wort  k'ssil  1^=  Urion)  iHideutet  zunächst  tor  oder  frevler,   dann 
,   es  gibt  forscher,   welche  den  am  bimniel  gefesselten  riesen  der  eomitischen 

momie  auch  in  direkle  boziehuiig  eu  dem  griech.  Orion-mythos  setzen,  vgl.Prel- 
KIbt,  Oriech.  mytb.'  s.  350  anm.  2).  —  Wie  bei  dem  Orion,  so  nahm  auob  bei  dem 
I  jtemtülde  der  Flejodcn  die  hebr.  aurfa&sung  ein  batii)  an,  das  die  einzelnen  stenie 
IsnBammenfassto,  vgl.  Uiob  38,  31  uud  Biohm  o.  a.  o.  s.  1573.  —  Bei  dem  stombilde 
Idsr  fiaehe  nahm  auch  die  europ.  astronomie  frülierer  zeit  ein  band  an,  vgl.  Stjqnin- 
l'SIQrk  in  44  Pr.  ed.  Gislason  8.  478:  en  sporänr  fiskanna  knytiir  aaman  med  nqh- 

22* 


also  die  Vorstellung  zu  finden,  das8  jede  lösung  odor  lock" 
unsichtbaren  baiides,  an  welclioni  die  sternbüdor  gehalten  wi 
menscheu  ebenso  unmöglich  ist  wie  ihre  anfängliche  verlcQüpIiii 
zeigt  sieb  hIso  hier  eine  schöne  parallele  zu  der  nordiBchen  ai 
dass  die  götter  mit  dem  von  den  zwergen  wunderbar  gewirkten 
den  Fenriswolf  am  himmel  befestigt  haben.  —  Während  die  vnl 
soweit  ich  jetzt  sehe,  sich  dieser  seite  der  betraclitung  weniger  zuoelgL 
sind  es  einige  kunstdichter  neuerer  zeit,  namentlich  Schiller,  die  hlor 
ergänzungs weise  genannt  werden  können'.  In  den  betreffenden  atelleo 
wird  wol  niemand  eine  rerainiscenz  an  die  oben  besprochene  Hiobstelli- 
suchen;  es  handelt  sieb  um  das  natürlich  gegebene,  das  jede  pocii»di 
gestimmte  auffaasung  orgreifen  muss,  wenn  sie  den  gedanki'u  dt^r  uu&b- 
äuderlicben  ordnung  in  einem  altbekannlen  bilde  ausdrücken  wilb 
weder  die  erde  selbst  noch  die  sonne  kommt  in  demselben  maeso  i» 
betraclit*. 

10.  AJs  kehrseite  dieser  festigkeit  des  fissternhimmels  komnt 
dann  zunächst  in  der  jüdisch-christlichen  cschatologie  der  gedanke  zom 
ausdruck,  dass  auch  diese  festeste  der  sichtbaren  sohöpfungu»  golU» 
dem  Untergänge  geweiht  ist;  belege  aus  der  kirchlichen  oder  von  kird>- 
lichen  motlven  aiisgehendon  volkslitteratui'  sind  nicht  spärlich  vorban- 
den*. Daneben  treffen  wir  nun  auch  in  den  nordischen  ragnsrak- 
mythen  dieselbe  Vorstellung.  Dass  sie  unabhängig  vom  chrütcotnmi 
entstehen  konnte,  ist  mir  nicht  zweifelhaft,  da  hier  nur  die  nmkebrat^ 
des  im  vorigen  paiagraphen  beeprüchenen  gedankens  vorließ*;    atiffiU- 


1)  In  Schillerg  pantbeln  heig.st  es  von  den  aleraen:  wie  wir  eia  houli 
sehen,  »ab  sie  der  allei^tste  greis;  in  der  Jougfr.  von  Orl.  11,  7:  eher  risM  ihr 
einen  Bteni  vom  himmelswagen;  im  W.  Teil  U,  2:  die  droli''D  hwigen  aoTertasCH^ 
lioli  und  unzerbredilioh  wie  die  stene  salbst  —  Vgl,  auch  O.  Kinkel,  Em  gcistluA 
nboDdlied  str.  4:  in  gleichem,  festem  gleise  der  goldne  wagen  geht. 

2)  Die  erde  nicht,  weil  sie  durch  nieeres wogen ,  Btrömo,  erdbeben,  isrdstänt 
gelegentlivh  bedroht  wird;  die  sonoo  nicht,  weil  sie  scheinbar  eine  rastlose  waadbis 
isL  Der  tnond  ist  geradezu  zur  bezeichnuog  der  vorOnderlichkeit  beoutzt  wonka. 
vgl.i  .es  koun  Ja  nicht  immer  so  bleiheo  hier  unter  dem  wechsehüdea  uiottd*  Mwit 
den  ansdrucb  kuDs  (mbd.  lüne  von  lat.  luoaj. 

3)  Vgl  Eunächst  Griniin,  Myth.  *  nachtr.  zu  a.  682. 

4)  Im  allgemeinen  ist  freiliob  ta  bemurlien,  dass  sohon  d«r  gedanba  W  <b 
wolgoordneta  Symmetrie  des  sterohiinmels,  mehr  noch  der  an  die  einstige  ienttrm( 
desselben  der  ältesten  mythenzeit  nicht  angohüren  wird  faucti  das  buch  lltob  airl 
voo  Dillmazm  i.  b.  orgt  id  die  zeit  zwischen  Josaja  und  Jeteny«  gesetzt,  eiul.  b.  XXVH): 
während  die  §  ä  besprochenen  verhlltniase  in  böuh?tes  altertum  hinaufraiohnD.  —  Om 
aber  Jede  poetisclie  woltbetrachtung,  die  ihren  bllcli  auf  das  ganza  richtt>t,  iSi  &■ 
Sterne  als  das  feateste  in  der  sichtbaren  weit  und  ihren  »tun  als  das  ciubnobM  te 


DEB  FENBI8W0LF  341 

lig-    aber  bliebe  es  jedesfalls,   wenn  die  nordische  mythologie  für  einen 
so     grandiosen  gedanken  von  je  her  nur  die  milde  fassung  von  VqI.  57,  2 
gö bannt  hätte,   der  ebenso  gut  das  tägliche  erbleichen  der  gestime  in 
d^r  morgendänimerung  meinen  könnte.    Den  kräftigeren  und  noch  in 
löVi  endigem  bilde  gehaltenen  ausdruck  für  denselben  gedanken  glaube 
ioli  in  den  mythen  vom  Fenriswolf  und  dem  schiffe  Naglfar  nachgewie- 
sen zu  haben. 


Excnrs  I. 

Die  heimat  der  götter. 

1.  Die  verschiedenen  ansichten  über  den  wohnsitz  der  götter  zu 
prüfen  könnte  den  stofF  einer  umfangreichen  abhandlung  ausmachen; 
bei  der  nordisch -deutschen  mythologie  zeigen  sich  besondere  Schwie- 
rigkeiten. Wenn  J.  Grimm,  Myth.*  682  fg.  die  verschiedenen  angaben 
der  quellen  mehr  neben  einander  stellte,  ohne  die  differenzen  scharf  zu 
beleuchten,  hat  Simrock,  D.  myth.^s.  35  —  46  diese  angaben  zu  einem 
symmetrischen  plane  des  Weltalls  zu  kombinieren  gesucht,  damit  aber 
mehr  den  aufgaben  der  konstruierenden  als  der  kritischen  periode  ent- 
sprochen. Da  hier  nicht  alle  einzelheiten  geprüft  werden  können,  will 
ich  nur  folgendes  betonen.  Schon  die  neimzahl  der  weiten  lässt  sich 
nur  dann  als  arithmetische  zahl  behaupten,  wenn  Niflheim  und  Niflhel 
scharf  unterschieden  werden,  was  bedenklich  ist^.  Weit  gewagter  ist 
aber  die  gruppierung  der  9  weiten  in  3  über-,  3  unterirdische,  3  auf 
der  erde  befindliche.  Nur  bei  annähme  dieser  weltverteilung  aber 
besteht  für  Midgardr  der  anspruch  „in  der  mitte  aller  neun  weiten" 
zu  liegen  (Simr.  s.  40).  Wenn  der  verdiente  forscher  seine  ansieht 
damit  stützt:  „wie  schon  der  name  sagt'',  so  kann  ich  nicht  beistim- 
men. Das  wort  miägarär  erscheint  in  allen  germanischen  sprachen 
vom   gotischen   an,   hat   überall   aber   nur  die  bedeutung   „erdscheibe 

weltaoflösuDg  betrachten  muss,  belegt  z.  b.  auch  Lenau  in  seinem  gedichte  „Die 
Zweifler*.  Hier  heisst  es:  „Wenn  ich  dem  ströme  (der  Vergänglichkeit)  zu  entfliehen 
meine,  aufblickend  zu  der  steme  hellem  scheine:  ich  habe  mich  getäuscht!    Ich  seh 

erbleichen  die  steme  selbst Einst  wird  vom  raschen  flug  ihr  strahlend  beer, 

ein  müdes  schwalben volk ,  heruntersinken.  Dann  brütet  auf  dem  ocean  die  nacht, 
dann  ist  des  todes  grosses  werk  vollbracht"  usw. 

1)  Schon  Untersuch,  s.  38  anm.  44  und  deutlicher  im  Gloss.  s.  Niflhel  habe  ich 
diesen  Standpunkt  eingenommen;  ausführlicher  handelte  darüber  Mogk  in  Pauls  Bei- 
trägen 6,  521  fg.  Christliche  einflüsse  vermutet  hier  E.  H.  Meyer,  Germ.  myth.  173, 
vgl  das.  auch  188. 


inmitten  des  amzSiinenden  oceans"  (SeliaHe,  Ältd.  wb.  9.  mirtigaril'. 
Einen  andern  sinn  ergibt  aach  das  von  Simrock  cttierte  quelleDnute- 
rial,  namentlich  Gylf.  8  nicht;  was  den  an  und  für  sich  etwas  zwri- 
deutigon  ausdruck  ü  müijum  helmi  Gylf.  9  betrifft',  so  zeigt  sowol  dw 
Zusammenhang  wie  vergleich  von  Formiili  c,  3  und  4,  dass  unter 
heimr  hier  miägardr  zu  vorstehen*,  Asgarär  somit  auf  der  orde  xd 
suchen  ist  Im  hinblick  auf  diese  und  andere  stellen  bin  ich  dar  vor' 
liebe  einiger  forecher,  die  götter  nur  als  ,,himmiisehe'*  wesen  gelten 
zu  lassen,  in  meinen  Untersuch,  zur  Snorra-Edda  s.  78,  Si,  87,  131 
anm.  274  bestimmt  entgegengetreten.  Jetzt  bin  ich  geneigt  in  einigen 
dieser  stellen,  namentlich  in  den  angaben  der  pros.  Edda  über  äsgar^ 
(c  9  —  13,  6,  9;  c.  14  =  17,  17;  c.  15  -=  21,  f.,  6)  als  einen  irdi- 
schen Wohnsitz,  von  dorn  aus  die  äsen  sich  zu  ihrer  himmlisclien  ge- 
richtsstätte  (am  Urdarbrunnr)  begeben,  doch  einen  stärkeren  einfluss 
des  im  Formäli  besonders  klar  ausgesprochenen  Standpunktes  der  proa. 
Edda  anzuerkennen,  als  ich  dies  Untersuch.  131  anm.  274  für  zulässig 
hielt*.  Jetzt  kann  ich  meine  ansieht  hierüber  in  folgende  vier  sätae 
zusammenfassen : 

2.  a)  der  ältesten  mythischen  zeit  war  allerdings  jede  schaife 
grenzlinie  fremd,  namentlich  zwischen  laod-  und  Inftwesen,  vgl  W, 
Schwartz,  Ursprung  s.  12:  „es  verschmolz  himmel  und  erde  flir  äe 
(die  menschen  dieser  zeit)  in  einander"  und  Henne  (Deutsche  vollcssage 
s.  5)  von  den  elementargeistern:  „eigentliche  luft-  oder  feuerweeen, 
welche  von  den  erdwesen  zu  trennen  wären ,  kennt  die  dentscho  rolks- 
sage  nicht".  Aber  auch  über  die  Vorgänge  am  gestirnten  hinimel  be- 
merkt dei'selbe  3.  8:  „sie  alle  giengen  zwischen  hinuuel  und  erde  vor". 
Daraus  erläutert  Henne,   dass  neben   himmlischen    (meist  männlkiiai) 

1)  Mogk  (GnuidriBB  der  germ.  phil.  I,  1114)  will  zwar  den  ausdruck  davM  \&P- 
leiten,  dasB  die  erde  sich  iu  der  mitte  Kwischeu  tiimmel  und  Unterwelt  befiode,  deck 
stimmt  seine  au^osauug  sonstt  mehr  zu  der  luoinigen  als  zu  der  Simrooks. 

2)  Auch  Grimins  Übersetzung  „im  mitlel punkte  der  weit"  (Mytli.*  682)  bdit 
die  imklarbett  nicht;  nach  dem  folgenden  zu  schliesseo  scheint  Orimm  an  ein  bimai- 
lisches  JUgardr  und  Valligll  zu  denlton. 

3)  In  den  (auoh  von  der  hs.  ü  dargebotenen]  ersten  onpp,  des  Fomili  vM 
heimr  sowol  wie  verqld  aar  von  dar  erde  gebraucht;  dem  anfang  von  Form,  o,  4  oai- 
spricht  Oylt.  9  i-  13,  5-7). 

4)  Nicht  zu  uborsohen  ist  freilich,  Am»  auch  Vijl  7,  8,  sowie  ßO.  61  dit 
troibon  der  gotter  inldavcjllr  in  olwas  irdischem  liebte  erscheint,  dodi  bodtirfMi  dm 
Strophen  einer  besonderen,  eingehenden  Untersuchung.  Dio  Schwierigkeit  dies«'  bv 
geo  erboUt  anch  aus  Hogls  finssomug  (Omudiias  der  germ.  phil.  I,  UM):  .«lAta 
rnan  kagtx&i  versetzte,  darüber  geben  uns  die  quellen  keinen  ao^hlnss.* 


343 

Kid  auch  irdische  (meist  weibliche)  pottheiten^  hervortraten.  Wenn 
r  satz  auch  keineswegs  so  schroff  au  viirstehon  ist,  als  ob  es  nicht 
titicli  weibliche  Uiftgottbeiten  gäbe,  so  lUsst  doch  auch  er  eine  gewisse 
präpondernnz  der  himmlischen  götter  schon  in  den  noch  fliessenden 
^Qzen  der  ältesten  zeit  ganz  gut  erkennen.  Dieses  Verhältnis  stellt  sich 
b)  in  der  historischen  zeit  zunächst  noch  klai-er  heraus,  indem 
üer  die  götter  oft  geradezu  „himmlische"  ^  der  hauptgott  namentlich 
(  himnielsgott  gefasst  wird.  Eine  erinnernug  an  die  frühere  freiheit 
yieb  darin  bewahrt,  dass  es  auch  erd-,  wasser-,  unterweltsgötter  gab, 
8  der  Wohnsitz  der  himmlischen  oft  nur  in  der  nähe  des  himmels, 
höheren  bergen  gedacht  wurde;  vgl,  cap.  V,  §  3,  Dieser  stand- 
Kinkt  ist  uns  aus  Homer  geläufig;  im  ganzen  ist  es  auch  der  der  lAe- 
-Edda.  Bisweilen  freilich  worden,  wie  im  lat.  nur  superi  und 
Dferi,  so  nur  die  himmlisch -irdische  asenwelt  von  dem  reiche  der  Hei 
mterschieden ,  so  namentlich  Vijl.  43".  Hier  gehört  gewissermassen 
Jles,  was  von  der  sonne  beschienen  wird,  zum  göttergebiet,  Umge- 
»hrt  kann  auch  die  den  göttem  ähnliche  macht  der  riesen  bisweilen 
ine  annäherung  des  göttergebiotes  an  das  der  riesen  erläutern*,  was 
{  äusserste  consequenz  eine  Verlegung  von  Valh^ll  in  die  unterweit 
Lch  sich  ziehen  könnte,  die  aber  nur  für  sehr  späte  zeit  (d.  h.  für  die 
r.  c.)  zuzugeben  ist^.  —  Dieser  im  ganzen  geordnete  und  übersicht- 
iche  zustand  crlUhrt 

1)  Dieser  ausdmcli  boU  liier  die  niedoren  gottheiun  mit  oinsohlieBsea,  weil 
:  ältesten  zeit  mehr  eine  dämoneu-,  ala  irirkliühu  gölten' erehrang  zukam,  vgl. 
..I,  §6. 

2)  Vgl.  OldeoUerg,  Ved.  myth.  IM,  176,  347.  —  Wie  namentlich  die  grieoli. 
qrtbologie  klar  orteiinen  läsRt,  sind  die  gotter  nicht  die  von  jeher  nuBRchliesalioh 
Itinim li sehen "  gewesen,    vielmehr   haben   die  Titanen   {d&monen)   einen  mindestens 

3  alten  ansprnt^h  darauf  und  werden  auch  bei  Homer  noch  OtgafiaivK  genannt, 

.  b.  £898;   vgl.  Autenrietb,  Wb.  zu  den  hom.  ged.  und  die  dort  citiertoa  belege. 

I  uiiteiBohiede  von  ihneu  »ber  sind  es  die  gütter,  die  den  himmel  (de  Tacta)  in  Bgiä- 

iv)\   wie  die  Titauen  in  die  tiore  wandern  musslen,  so  im 

aus  einem  alteren  gonitterfitrom  abgeleitete  Midgardsormr, 

L  B.  186,  aum.  2. 

3)  Mit  Schullerus  (vgl,  s.  330,  anm.  2)  fitimroe  ich  darin  üherein,  dass  diese 
Dphe  für  sich  botratOitet  werden  muss  und  wol  nicht  4ä  als  ursprünglich  vorher- 
leod  voraussetzt. 

4)  Neben  V&f[)r.  15  and  16  (vgl.  dazu  Unterauch.  a,  78  anm.  43)  kommt 
neutlich  Gnu.  11  tu  betracht,  wo  t'ryinheimr  unter  den  gütterwohnsitzen  wol  des- 
Ib  erscheint,  weil  Pryms  tochter  Skiidi  unter  die  götter  aufgenommen  war. 

5)  Wenn  Mogk  (Grundriss  I,  1110)  sogar  die  Valhgll  der  Gnu.  (namcntÜch 
1  wogen  Str.  21  und  23)  in  die  unterweit  versetzen  mächte,  so  kann  ich  dem  nicht 

für  die  zeit  Saxos  sind  Bolche  Vermischungen  möglich,  vgl.  fdg.  anm. 


344  WILXIEN 

c)   in   der  euhemoristischen   periode   des   nordens   eine  nicht 
unwesentliche  Verschiebung.     Zunächst  der  gedanke,  die  götter  des  nor- 
dens mit  denen  des  klassischen  altertumes  als  gleichartig  zusammenzu- 
fassen und  ihrer  historischen  bedeutung  irgendwie  gorecht  zu  werden, 
dann  der  wünsch  sie  dem  einen   cliristlichen   gotte,   der  nun  selbst 
zunächst   als   himmelsgott   aufgefasst   wurde,    bestimmt    unterzuordnen 
liess  die  irdische  seite  und  irdische  Wohnsitze  der  götter  wider  bevor- 
zugen^.    Wenn  einst  die  götter   der  Griechen   im  Olymp   nur  wenig 
über  der  erde,   so  sollten  diese  äsen  ursprünglich  im  mittelpimkt  der 
erdoberfläche,  der  auch  als  geistiges  centrum  gedacht  wurde,  ihr  wesen 
getrieben  und  von  dort  nach  norden  gewandert  sein*.     Wie  aber  dies^ 
quasi -historische  auffassung  sich  nur  zufällig  hier  und   da  mit  histo- 
rischen Wahrheiten  deckt,   so  ist  auch  der  versuch,   der  in  Gylt  ge- 
macht ist,  zwischen  irdischem  wohnsitz  und  liimmlischcm  Wirkungskreis 
der  hauptgötter  zu  unterecheiden  ^  kcinesweges  mit  konsequenz  durch- 
geführt,  vielmehr  verwickelt  sich  der  Verfasser   oft   in  Widersprüche*, 
nicht  selten  drückt  er  sich  zweideutig  aus^  —    Wir  sind  daher  genö- 
tigt, wo  uns  derartige  berichte  vorliegen,  gewissermassen  die  darunter 

1)  Sio  sollton  jetzt  etwa   als  horoen  erscheinon.     Die   nocli   stärkere  hetib- 
drückung  der  götter,  wie  sie  schon  bei  Saxo,  mehr  noch  in  den  deutschen  und  ags- 
quellen  zu  erkennen  ist,    wird  für  die  forschung  weniger  leicht  irreführend  als  der 
gemilderte  euhemerismiis  eines  Snorri  (in  Ynglingasaga)  \md  des  verf.  von  Gylfag.  -^ 
Vgl.  über  die  herabrückung  des  himmlischen  Schauplatzes  auf  die  orde  auch  Meyer, 
Germ.  myth.  s.  93. 

2)  Das  centrum  hebt  natncntlich  Formali  zu  Gylf.  3  und  4  (sowie  Gylf.  9)  h^^' 
vor.    SnoiTi  lässt  die  äsen  wenigstens  auch  aus  Asien  kommen  (Ynglings.  2). 

3)  Diese  art  der  schoidung  ist  wenigstens  eher  mit  den  quellen  in  einklang  ^^ 
bringen  als  die  an  imd  für  sich  auch  mögliche  umgekehrte,  welche  Simrock  bev^**^ 
zugt:  Asgaid  liegt  ihm  über  der  weit  und  die  äsen  reiten  hinab  zur  gerichtsstätt*^ 
Aber  sollte  auch  Grm.  31  an  und  für  sich  recht  haben,  hier  kommt  es  wesentli*-"' 
auf  die  darstellung  von  Gylf.  an,  die  für  diese  iMjriode  unsere  hauptriuelle  ist  a«'* 
c.  15  (=^  21,  f),  6)  heisst  es  ganz  deutlich:  hrcm  dag  rida  cesir  ßangai  upp  U^^ 
Eifrigst  brütia,  d.  h.  sie  reiten  von  ilirem  (irdischen)  Wohnsitze  hinauf  zu  der  ^^ 
richtsstätte  am  Urdarbrunnr. 

4.)  Auch  Gylf.  kennt  götterwohnungen  am  himmel,  so  in  c.  17  und  22,  w«^ 
auch  27  und  32;  von  stärkerem  gewicht  ist.  dass  Odins  hochsitz  Hlidsl^jalf  na^*' 
c.  9  in  dem  irdischen  Asgardr,  nach  c.  17  in  dem  himmlischen  Valas^jälf  zu  sucb^^ 
ist  —  Während  sonst  der  Wirkungskreis  ein  himmlischer  ist  (namentlich  cap.  lO) 
scheint  nach  c.  14  auch  an  ein  gerichtshalten  unter  den  menschen  zu  denken  zu  sei^ 
((Uema  med  ser  orlqg  manna  17,  13). 

5)  Über  die  läge  von  ValhQÜ  drückt  sich  der  Verfasser  c.  2  so  aus:  G.  s(i p^f 
hdva  hqU,  svd  at  varla  mdtti  sjd  yfir  hatia.  Ähnlich  vorsichtig  heisst  es  cap-  ^ 
von  Asgardr:  paäan  af  gerdux  mqrg  iidindi  ok  greinir,  badi  d  jqrd  ok  %  lopti^ 


liegende  ältere  aiiffassimg  (=  b)  durch  kombination  wider  zu  gewinnen, 
welchen  Standpunkt  ich  mit 

d)  als  den  kritischen  bezeichne.  —  Von  diesem  aus  werden 
wir  überall,  wo  an  textkritisch  unverdächtigen  stellen  mit  besonde- 
rem nachdruek  von  dem  wohnsitz  oder  der  heimat  der  götter  die  rede 
ist,  nicht  an  oLnon  wohnsitz  im  unterschiede  vom  wirkungsgebiet ,  son- 
dern an  den  himmlischen  wohn-  und  wirkungsraum  der  götter  im 
unterschied  von  den  anders  belegenen  gebieten  der  riesen,  zwerge  und 
menschen  zu  denken  haben.  So  wird  das  ragna  tiJQt  (sedes  deorum) 
VqL  41,  2  von  den  erkiärern  (auch  von  MtiUenhoff,  D.  alt  V,  126)  auf 
den  himmei  gedeutet  und  dass  ich  nicht  irrte  in  Gyif.  34  das  fieddu 
tEsir  heima  =  domi  nutriebant  asae  auf  den  liiramel  zu  beziehen, 
lässt  sieh  schliesslich  auch  dadurch  erhärten,  dass  gerade  diesem  wohn- 
sitz besondere  heihgkeit  und  unverletzlichkeit  zugeschrieben  wird  (c,  34 
8chluss  — ^  42,  9  — 12),  ganz  ebenso  wie  der  himmlischen  gerichtsstätte 
am  ürdarbrunnr  (c.  15  =  20,  4,  5).  Auch  wurde  schon  c.  V,  §  3 
daran  erinnert,  dass  in  der  Schilderung  dos  todes  des  lichl^ottes  Baldr, 
wo  wider  an  einen  Vorgang  in  der  sphäre  des  himmels  zu  denken 
ist,  ein  ähnlicher  hinweis  auf  die  heiligkeit  des  ortes  sich  findet  (Oylf. 
49  =  74,  22  —  23),  während  an  anderem  orte  derselbe  Ixiki,  der 
zuerst  geschont  werden  musste,  nuu  ohne  weiteres  gefangen  werden 
konnte  ((ijif.  50  -^  80,  6)i.  —  So  stimmt  liier  alles  zu  der  cap.  V, 
§  3  gegebenen  erklärung. 


Exenrs  U. 

Die  einzelbeiten  des  beriehlos  von  der  fesselimg  des  wolfes. 
1.  Bei  demjenigen  teile  der  fesselung,  welcher  auf  das  verpfänden 
der  band  seitens  des  gottes  T^r  folgt,  ist  zunächst  eine  etwas  verschie- 
dene anordnung  der  erzähluog  in  U"  zu  bemerken,  welche  ich  der  in 
W  R  iu  meiner  ausgäbe  der  pros.  Edda  41,  9  fg.  vorgezogen  habe, 
da  die  wovte:  p4  er  rBnirnir  sä,  at  ulfrinn  var  btmdirm  med  fullu 
da  auffallig  stehen,  wo  unmittelbar  darauf  eine  weitere  Versicherung 
der  fessel  noch  folgt.  —  Dazu  kommt,  dass  bei  den  früheren  versuchen 
der   fesselung  gemäss  der  angäbe  39,  11   der  wolf  erst   dann    scheint 

1]  Dass  der  anterschied  im  loluü  das  ontscheidende  ist,  geht  daraus  horvor, 
dass  die  c.  49  zu  guuateQ  Baldi«  gesL-hworouen  etdc  (73,  10)  nBtiirticIi  nni  woDigsten 
Minem  mörder  hätten  frommen  liÖQueo;  dieser  nmsste  duruh  den  ort  selbst  ge- 
Bcbutzt  sein. 


346  WILKEN 

die  fessel  gesprengt  zu  haben,  als  die  äsen  erklärt  hatten,  dass  sie 
ihrerseits  fertig  seien.  So  muss  man  erwarten,  dass  der  wolf  auch  in 
diesem  falle  erst  das  „fertig!**  der  götter  abwartete,  bevor  er  sich  gegen 
den  boden  stemmend  seine  kraft  an  der  fessel  erprobte:  dieser  forde- 
rung  enspricht  der  U-text  gleichfalls  eher. 

2.  Eine  noch  weitere  annäherung  an  die  art,  wie  Lokis  fesse- 
lung  gedacht  wurde  (vgl.  cap.  V,  §  6)  zeigen  die  kurzen  berichte 
in  den  handschriften  A  und  M  (Kph.  II,  431  und  515).  Während  man 
nach  ü  W  R  sich  den  wolf  auf  einer  insel  gebunden  und  nur  die 
fessel  in  die  erde  gegraben  zu  denken  hat,  ist  nach  M  und  A  von 
einem  hügel  {höll  ^  htdll)  auf  der  insel  die  rede,  in  welchem  sich 
der  pflock  Pviti  befindet,  was  so  gemeint  zu  sein  scheint,  als  ob  der 
wolf  selbst  in  dem  hügel  gefesselt  gedacht  werde;  die  knappe  fassung- 
dieser  texte  erlaubt  freilich  kein  ganz  sicheres  urteil.  Es  erübrigt  end- 
lich eine  kurze  betrachtung  der  einzelnen  namen,  die  bei  der  fesselunf 
uns  genannt  werden.  Sie  mögen  hier  in  alphabetischer  folge  aufgeführt 
werden. 

1.  Amsvartnir  {Aurs^vari?ier  H  nach  Kph.)  zu  svartr  gehörig,  der 
fluss  in  welchem  Fenrir  gefesselt  liegt. 

Drönii,  ein  auch  sonst  im  an.  nicht  unbekanntes  wort,  nach  VigL 
=  engl,  thnmis,  name  der  zweiten  fessel. 

Oehfja  ist  nach  UWR  name  eines  an  die  fessel  Gleipnir  geknüpf- 
ten Strickes,   nach  AM  (Kph.  II,  431)  die  eines  riegeis  oder  pflockes- 
Zu  der  ersten  bedeutung  passt  besser  die  kenning:  gelgju  (=  fiinis  == 
bmujs  oder  hrings)  gdlgi  =-■  brachium  (insofern  der  ring  am  arme  hängt)- 
Nach  Egilsson  Lex.  poet.  s.  v. 

Ginul  heisst  in  M  das  loch,   das  in  den  pflock  Pviti  gebohrt  ist: 
(wol  zu  gin,  gina). 

Gjqll,  name  des  felsens,  durch  den  der  strick  Gelgja  nach  üWK 
gezogen  wird,  wol  zu  gjalUi,  vgl.  auch  Ojallar-bru,  -hörn  (Vigf.)- 

Gjolnar  heissen  die  barthaare  des  wolfcs  (granar)  in  A  und  M; 
Vigf.  vgl.  engl,  gills  =-=  kiemcn. 

Gleipnir,  name  der  dritten  fessel.  Die  erklärung  ist  zweifelhaft; 
an  glegpa  erinnert  Egilsson  anlässlich  des  kompos.  hardgleipnir  in  ein^r 
Strophe  der  Pörsdrapa  des  Eilifr  (Kph.  I,  296  =  HI,  33).  Die  bedeu- 
tung „w^olf "  beansprucht  er  jedoch  nur  für  die  betreffende  stelle.  Vigf 
erklärt  the  lissom  (^  der  glatte).  Vgl.  noch  norw.  glipa  =  ofiFen  stehen, 
klaffen;  dän.  glippe  =-  gleiten,  ausgleiten;  glippe  =  blinken,  bünzeb 
(Kaper). 


DEB   FENRI8W0LF  347 

II  steht  in  A  wol  minder  richtig  für  Oinul, 

tu  hoisst  in  A  und  M   der  strick,   welcher   in   UWE  den 

gja  führt.     Wol  ==-  krcexla, 

wi  wird   die  insel  genannt,   auf  der  Fenrir  gefesselt  liegt 

idt  mit  lyng  -=  heidekraut?     So  N.M.Petersen,  Nord.  myth. 

Wol  zufällig  ist  die  ähnlichkeit,   dass  in  morgenl.  sprachen 

:rasso  als  via  straminis  oder  paleae  bezeichnet  wird  (Grimm, 

i  anm.)  vgl.  w.  u.  §  4  gegen  ende. 

rigr   (Leuä-  R),   name  der  ersten  fessel.     Nach  Mob.  Anal. 

[  zu  lauil  f.  =  draht. 

^/^/r,  name  des  hügels  auf  der  insel  Lyngvi  nach  A  und  M, 

(sive  ubique)  coruscans  aut  rosplendens  (=  Oütiiir  mit  dem 

Ion  6-/-),  Finn  Magnussen,  Lex.  mythol.  68. 
(var.   Vam  U,    Van  H,    Von  S    nach    Kph.  I,  112).     Die 
Van  ist  zwar  durch  das  Wortspiel  mit  vdn  =»  spes  in  der 

I,  630  anscheinend   als  die  richtige  erwiesen;   ist  aber  die 

auffassung  gegen  irrtum  gefeit?    Jedenfalls  müsste  dies  vdn 

iimonischon  auffassung   des   wolfes   im   sinne   von    „despair, 

igf.  s.  V.  vdn  III)  genommen  werden;  die  varr.  lassen  allon- 
an  vamiit  =  vqmni  oder  mit  Grundtvig  (Petersen,  Nord. 
an  ags.  ican,  won  —  schwarz  denken.     Kann  ein  schaum- 

ii  „schwarzfluss''  hoisscn? 

name  des  in  A  und  M  hinzugesetzten  zweiten  flusses;   be- 

m.  und  ags.  (misery  Vigf.)- 
(var.  pötti  M)   wird  in  A  und  M  einfach  als  hoill   (pfähl, 
den    andern   hss.    als   stein  bezeichnet,    der   als  festarhcell 
für  den  strick  Gclgja  dient.     Zu  dieser  letzten  auffassung 

'  sonstige  gebraucli  des  wertes  =  stein  (Vigf.  s.  v.,  Egilsäon, 

s.    V.). 

nd  einige  der  angeführten  werte  auch  nicht  ohne  lexikalisches 
so  weisen  doch  schon  die  vielen  varr.  der  Überlieferung  auf 
ganz  gesichorte  tradition  mit  jüngeren  Zusätzen  hin*.     War 

:nn  es  schwer  oder  unmöglich  ist,  den  ältesten  kern  der  fossclungsberichte 
szuschiilen,  so  ist  mit  einiger  Sicherheit  doch  nach  abzug  der  evident 
iteii  ein  mittlerer  stand  der  überliefening  in  den  drei  fes.selnamen  Lcp- 
/,  GlcApnu\  in  den  angaben  über  die  Stoffe  zu  der  letzten  (vgl.  Kph. 
gge,  N.  F.  s.  335;  meine  Unters,  zur  Sn.  Edda  s.  114);  in  der  angäbe, 
auf  einer  insel  gefesselt  liege,  ein  seh  wert  seinen  rächen  8pen*e,  ein 
dem  m.iule  entrinne,  zu  erkennen.  —  Der  rest  ergibt  sich  teils  als  blosse 
ug  des  älteren  bestandes  (so  Vil  neben  Vdn\  die  fessel  Öe/^a  neben  den 


348  WILKEN,   DER   FENHI8W0LF 

schon  in  den  einfacheren  berichten  der  sinn  des  mythus   verdunkelt, 
so  wird  die  skaldische  tradition  nur  durch  glücklichen  zufall  hier  und 
da  richtiges  bewahrt  haben.     Aber  von  irgend  einer. einzelnen  angäbe, 
z.  b.  von  dem  namen  Lyngvi  aus  eine  erklärung  des  mythus  zu  ver- 
suchen (N.  M.  Petersen  a.  a.  o.)  kann  unmöglich  zu  gesicherten  ergeh- 
nissen  führen;    man  erinnere  sich  hier  nur  an  den  namen  Lyngvi  fä 
heldenname.     Sollte  man  versuchen  mit  hinweis  auf  Änisvartnir,  viel- 
leicht auch  Vän  einen  dämon  der  finstemis  in  Fenrir  nachzuweisen,  so 
würde  der  hügel  Slglitnh'  diese  finstemis  jedesfalls  auf  die  stemerhellte 
nacht  reducieren.     Wollte   man   den  wasserdämon  mit  einem  hinweis 
auf  den  fluss,  in  dem  Fenrir  gefangen  liegt,  zu  retten  suchen,  so  darf 
nicht  übersehen  werden,   dass  die  skaldischo  Überlieferung  weit  mehr 
gewicht  auf  die  aus  dem  maule  des  wolfes  fliessenden  ströme  legt:  wr 
II  falla  or  mtarni  honmn  —  ok  er  pvi  r6tt  at  kalla  votn  hrdka  hans 
(Kph.  II,  431).     Diese  schaumflüsÄC  sind  von  meinem  Standpunkte  aus 
ohne  Schwierigkeit  zu  deutend  —  Sollte  man  endlich  einwenden,  dass 
das  von  den  skaldon   vorausgesetzte   lokal  jedesfalls   nicht   als  himm- 
lisches sich  darstelle,   so  ist  vielmehr  zu  betonen,   dass  die  fesselung 
auf  einer  flussinsel  (wobei  nach  der  jüngeren  auffassung  die  wasserarme 
in  ähnlicher  weise  natürliche  schranken  bilden  sollten  wie  bei  dem  zwd- 
kämpfe,  der  hölmganga)  zunächst  wol  verbietet  an  einen  aufenthalt  sei 
er  unter  der  erde  oder  in  der  wassortiefe  zu  denken;    die  erdober- 
fläche  aber  gibt  so  viele  berührungen  mit  der  wölken-  und  luftregion, 
und  so  gemissermassen  auch  mit  der  himmlischen  heimat   der  götter-, 
dass   hier   die   grenze   von  jeher   eine   schwankende   war*.     Allcsfaüs 
könnte  man  sogar  versucht  sein  bei  bei  der  insel,  auf  der  Fenrir  gefes- 
selt lag,  an  einen  jener  inselartigen  himmelsräurae  zu  denken,  die  voi* 
den  ai-men  der  milchstrasse  umflossen  sind.  z.  b.  an  die  inscl  zwischcti 
der  Cassiopeja  und  dem  schwank;  doch  genügt  mir  der  nachweis,  d»s^ 
irgendwie  triftige  gründe  gegen  meine  erklärung  des  mythus  auch  aH-* 
der  skaldischen  terminologie  sich  nicht  ergeben. 

drei  früheren),  teils  als  einwirkung  des  mythus  von  der  fesselung  Lokis,  vgl.  cap.  "^ 
§0;  VII,  §4). 

1)  Cap.  VI,  §  9  gegen  ende. 

2)  Vgl.  excurs  1,  §  2. 

3)  Von  andern  inöglichkoiteu  nur  noch  diese:  wird  das  Ojallarhom  von  Maa^' 
hardt  (Oöttenvelt  259)  richtig  auf  den  donner  bezogen,  so  kann  der  felsen  Gj<^^ 
ursprünglich  als  dröhnender  wolkenberg  gemeint  sein.  Auch  die  Gjaüarbru  suct* 
derselbe  forscher  s.  320  am  himmel. 

ST.VÜK,   DECBR.    1894.  E.   WILEEN. 


ZUR  ERKLÄRUNG  VON  GOETHES  FAUST. 

(Vgl.  die  früheren  bomerkuugen  Ztsc'Ur,  XXIII.  451 -IST.    XXIV,  506—510. 

XXTI,  141.) 
I,  525  (878)    Bürgprniiidclieu.    Sie  liess  mich  Kwar  in  Sanct  Andreas 

Naclit 
Den  kiinft'gen  Liebsten  leiblicli  sehen  — 
Diu  Andre.  Mir  zeigte  sie  ilin  im  Kiyatall. 
Schröer  erinnert  an  das  geistersehen  in  der  glaslinge!  im  Oross- 
kophta.  Entgangen  ist  ihm  die  erzählung  vom  krystallschauon  in  den 
Deutschen  sagen  dor  brüder  Grimm  bd.  1,  ni-.  119,  wo  der  ganze  Vor- 
gang ausführlich  geschildert  ist.  £s  ist  nicht  unmöglich,  dass  Goethe 
von  dieser  erzählung  aus  der  quelle  {Job.  Rüsts  Zeit  Verkürzung)  kennt- 
nis  gehabt  hat.  Vielleicht  bezieht  er  sich  aber  auf  die  in  Deutschland 
noch  weit  verbreitete  Verwendung  des  zauborspiegels,  in  dem  der 
Zauberer  oder  die  zanberin  dem  fragenden  inädchon  den  künftigen  gal- 
ten zeigt  Vgl.  darüber,  auch  über  die  herstellung  eines  solchen  zau- 
berspiegels,  Ad.  Wuttke,  Der  deutsche  volksaberglaubo  der  gegenwart. 
2.  aufl.  Berlin  1869  §  354.  Da  im  Deutschen  Wörterbuche  ein  nach- 
weis  für  krystaU  ^  Spiegel  fehlt,  so  gebe  ich  einen  solchen  vom 
jähre  1815.  Er  findet  sich  in  Langbein.s  bailade  „Die  büsserin"  (Neue 
Terbess.  aufl.  der  neueren  gediehte.  Leipzig,  Dyk;  o.  j.  s.  210).  Hier 
wird  erzählt,  wie  ein  zauberer  durch  seine  kunst  auf  bitten  ihres  ge- 
mahls  bewirkt,  dass  eine  eitle  frau  statt  ilires  bildes  das  eines  Scheu- 
sal» im  Spiegel  erschaut:  „Doch  als  sie  einen  Monat  lang  Sich  ehrlich 
ohne  Heuchelzwang,  Als  Biederweib  gehalten,  Verschwand  der  Dunst 
Der  scliwarzen  Kvmst  Und  ihr  geheimes  Walten.  Und  wieder  fand, 
mit  Jubelschall,  Die  Dom'  in  jeglichem  Er^'stall  Den  Schatz,  den  sie 
verloren." 

1058  (2011)  Der  Geist  der  Modicin  ist  leicht  zu  fassen; 
Ihr  durchstudirt  die  gross'  imd  kleine  Welt 
Um  es  am  Ende  gehn  zn  lassen 
Wie's  Gott  gefällt 
Was  unter  der  gross'  und  kleinen  Welt  zu  verstehen  sei,  ist  bei 
iDüntzer,  v.  Loeper  nnd  Schröer  nicht  erklärt     Wir  haben  hier  offen- 
ftiar  eine  Verdeutschung  von   Makrokosmus   und  Mürokosmus   (s.  v.  65 
^g.  und  1449).     7m  vergleichen  ist  auch  die  im  D.  wb.  VI,  196  ange- 
ihrte  stelle  aus  Hübners  Handlungslo.icican   (v.  j.  1722)  Uli;    „unser 
izer  leib,  der  mikrokosmus,  oder  kleine  weit,  ist,  in  ansehuDg  des 
nacrocosmi,  oder  des  grossen  woltgebäudos,  eine  machina,  wie  die 
neuen  medici  solchen  vielfaltig  machinam  corporis  humani  betitteln." 


Zur  scene  in  Auerbatrhs  keller  1720  (2073)  fgg.  ist  zu  bemeilen, 
dass  Zeche  uioht  nur  eine  zechgesellscbaft,  sondern  geradezu  ein  Wirts- 
haus bezeichnen  kann.  Tgl.  langbeins  Neuere  gedicite  a.  478: 
Sieb,  da  brach  ein  Trupp  Studenten 
Wild  au3  einer  Zech'  hervor. 
Bezüglich  des  namens  Brander  hat  Härtung  an  brand  =  rausch 
erinnert  (s.  Goethes  Faust  erl.  v.  H,  Düntzer,  Leipzig,  Dyk'sclie  buchL. 
1857.  S.  264),  Nun  ist  zwar  dieser  ausdnicit  nicht  nur  in  studentischeD 
kreisen,  sondern  auch  in  Baiom  (s.  SchmeUer,  B.  W.  I',  360)  und  an 
Rhein  |9.  Kehrein,  Volkssprache  und  volkssitte  im  herzogtuni  Nasssu 
I,  91)  allgemein  bekannt;  auch  nennt  mau  dort  nach  einer  bemerknng 
KiehU  in  „Land  und  leute"  einen  vollendeten  zecher  einen  tüchtigen 
„brenner".  Doch,  sclieint  mir  der  narae,  so  ausgelegt,  nicht  chank- 
teristisch  genug.  Ändere  erinnern  an  brandfuchs  =  studeut  im 
zweiten  halbjahre  (eigentlich:  fuchs  mit  scliwarzem  bauche,  schwarzer 
achwanzspitze  und  schwarzen  laufen);  aber  auch  diese  ableitung 
wenig  wahrscheinlich,  denn  Brander  im  Faust  ist,  wie  auch  Scbrüer 
bemerkt,  ein  alter  hursch,  der  den  andern  gegenüber  eine  gewisse 
Überlegenheit  zeigt  In  Nassau  (s.  Kehrein  a.  a.  o.)  sagt  man:  Dat 
ess'n  kert,  me'rt  brmid,  wofür  man  sonst  die  bezeicJinung  hat:  „Du 
ist  ein  kerl,  wie  ein  bäum."  Ein  „brander"  wäre  danach  ein  dickor, 
starker  mensch.  Ob  die  im  D.  wh.  angeführte  schweizerische  beeücb- 
nung  bratuier  -=  böses  weih  hiermit  zusammenhängt,  oder  ob  sie,  wie 
Grimm  annimmt,  auf  das  „bnmdschiff"  zurückgeht,  vermag  ich  obäA 
zu  entscheiden. 

3222  (3575)  Das  Kränze!  reissen  die  Buben  ihi-, 

Und  Häckerling  streuen  wir  vor  die  Thür. 
Diese  sitte  erwähnt  Gottfried  Kinkel  in  seiner  im  oberen  Ahrtale 
spielenden  novelle  Margret  (1847),  abgedruckt  im  Doutschon  novellen- 
schatz,  herausgegeben  von  Paul  Heyse  und  Hermann  Eiu-z  4,  233: 
„So  fügte  sie  sich  dem  uTirecht,  das  stets  den  unglücklichen  verfolgt; 
aber  mit  blutsverwandten,  die  so  nnbrüderlich  an  ihr  gehandelt  hatKs, 
vermochte  sie  nicht  mehr  zu  leben,  und  die  Vorstellung  war  dir 
unerträglich,  dass  eine  boshafte  band  violleicht  auf  dorsolbeo 
schwelle  des  Vaterhauses  ihr  häksei  streuen  könnte,  wo  eiiHt 
an  jedem  ei-sten  maitag  grünes  mailaub  für  sie  geprangt  hatte,"  la 
der  von  Schröer  citierteu  stelle  aus  Sclimeller  II*,  803  ist  nur  d«f 
strohkranz  erwähnt,  und  der  Strohmann,  der  „ullzulustigon"'  dima 
vor  das  fenster  gestellt  wird. 


3437  Und  unter  deinem  Herzeu 

Regt  sich 's  nicLt  quillend  schon, 
Und  ängstigt  dich  und  sich 
Mit  ahnungsvoller  Gegenwart? 
Die  verae  lauteten   in  ursprünglicher  gestalt  nach   der  Göchhau- 
senschen  abschrift  (herausg.  von  Erich  Schmidt    2.  abdr.    Weimar  llSf*8): 
(T.  1324]  Und  unter  deinem  Herzen, 

Schlägt  da  nicht  quillend  schon, 
Brandschande  Maalgeburt! 
Und  ängstet  dich  und  sich 
Mit  ahnde  voller  Gegenwart 
Ton  den  später  getilgten  werten  brandschande  und  maalgeburt, 
die,  soviel  ich  weiss,  bisher  noch  nicht  erklärt  sind,  ist  das  erste 
unzweifelhaft  eine  Zusammensetzung  mit  brand  iu  der  im  Deutschen 
wb.  bd.  II,  296  sp.  11  verzeichneten  hedeutung:  „brand,  mola,  unzei- 
tdg  abgehende  leibesfrucht  .  .  .  gloJcbsara  verbi-annte  leibesfruclit  oder 
gestocktes  schwarzes  blut."  Bei  maal  könnte  man  an  mftl  in  der 
bedeutung:  flecken,  aündliche  bofleckung  (vgl.  Weigands  Deutsch,  wb. 
n,  14)  denken;  wahrscheinlicher  ist  es  jedoch,  dass  wir  darin  nichts 
anderes  als  eine  volksetymologische  umdeutung  des  lat.  mola  zu  erken- 
nen iiaben.  Dies  wird  in  Flinius  nat  bist  7,  15,  13  folgen dermassen 
erklärt:  „Ea  est  caro  informis,  inanima,  terri  ictum  et  aciera  respuens: 
et,  ut  partus,  alias  letalis,  alias  una  senescens,  aliquando  alvo  eitatiore 
excedens.  Simile  qulddam  et  in  viris  in  ventre  gignitur,  quod  vocant 
scirrhon,"  Auch  ins  englische  ist  das  lat  mola  in  der  form  mole  [^a 
mass  of  fleshy  matter  generated  in  the  uterus."  WebsterJ  eingedrun- 
gen; ebenso  findet  sich  müle  in  dieser  bedeutung  in  jedem  französi- 
schen wörterbucbe. 

II,  397  (5009)  Der  Bauer,  der  die  Furche  pflügt, 

Hebt  einen  Goldtopf  mit  der  Scholle, 
Salpeter  hofft  er  von  der  Leimenwand 
Und  findet  golden-goldne  Rolle, 
Erschreckt,  erfreut  in  kümmerlicher  Hand. 
Ztschr.  XX in,   401  habe    ich    schon  bemerkt,    dass    küramer- 
lieh   hier  in   der  bedeutung  von  „ärmlich"   steht     Ich  bemerke   dazu 
noch  folgendes:    Im  mnd.  ist  kummer  =  not,   mangel;    diese  bedeu- 
tung   ist   auch    in   neueren    mundarten    (s.  Woestes  Westfälisches   und 
Stürenburgs  Ostfriesisches  wb.)  noch  lebendig.     Überhaupt  ist  kummer 
in  seiner  gemeinhochdeutschen  bedeutung,  wie  Vilmar  im  Kurhessischen 


352  SPRENGKB 

idiotikon  s.  231  bemerkt,  in  manchen  gegenden  bei  dem  volke  durch- 
aus nicht  üblich  und  ihm  nicht  einmal  verständlich.     Auch  in  der  ve^ 
bindung   „hunger    und   kummer    leiden**    sind    hunger    und    kummer 
ursprünglich  Synonyma.     Ebenso  ist  „Es  geht  ihm  kümmerlich*'  =  ^er 
leidet  mangel  und  not".     Goethe  gebraucht  hier  also  das  adject  küm- 
merlich in  einer  bedeutung,   die  das  adv.  noch  allgemein  hat    Im 
übrigen  bemerkt  Schröer  mit  recht,   dass  nicht  die  band,   sondern  der 
bauer  kümmerlich  ist;    doch  ist  das  wort  nicht  in  dem  im  D.  wb.  5, 
2605  angegebenen  sinne  zu  fassen,   sondern    durch    „mangel   leidend, 
nothaft"  widerzugeben.     Die  dichterische  freiheit,   die  sich  Goethe  ge- 
nommen,  ist  nicht  grösser  als  wenn  z.  b.  Fr.  Hebbel  in  „Mutter  und 
kind"  7.  gcsang  (Werke,  neueste  ausg.  bd.  VIII,  s.  261  z.  5  v.  u.)  vom 
„dürftigen  pfennig**    spricht.  —    Es   mag  noch  bemerkt  werden,   dass 
Salpeter   (sal  pctrae  oder  pafrae)   ein   gepriesenes  heilmittel    der  alten 
zeit  war. 

3190  [7802]  Das  war  ein  Pfad,  nun  ist's  ein  Graus. 

Zu  meiner  bemerkung  Ztschr.  XXVI,  141  trage  ich  jetzt  eine 
stelle  aus  Joremias  Gotthelf  (Werke,  Cottasche  volksausg.  bd.  3, 
s.  122)  nach,  in  welcher  graus  in  völlig  gleicher  bedeutung  erscheint, 
wie  in  der  dort  angeführten  aus  Lichtwer.  Es  heisst  hier  in  der 
erzählimg  „Barthli,  der  Korber"  nach  einer  durch  ein  gewitter  ver- 
anlassten Verwüstung:  „Die  ganze  nacht  stand  der  gestrige  nach- 
mittag vor  seinen  (des  mädchens)  äugen,  als  wie  ein  grosses  bew^- 
liches  gemälde.  Es  dachte  nicht,  es  schaute  nur,  fühlte  die  angst  rie- 
seln durch  mark  und  bein;  es  war  ihm  das  herz  eingeklemmt,  dass 
es  oft  kaum  athem  hatte,  und  doch  war  ihm  wol  dabei,  es  war  ihm, 
als  ob  hinter  dem  graus  die  sonne  stehe  und  bald  schöner  als  nie 
scheinen  werde  und  die  greuel  verklären  und  alles  vergehen  ...  Zu 
greuel  vgl.  Faust  11,  5458  (10,069):  Steigst  ab  in  solcher  Gräuel 
Mitten,  Im  grässlich  gähnenden  Gestein? 

II,  5524  (10136)  (Mephistopheles) 

Ich  suchte  mir  so  eine  Hauptstadt  aus. 
Im  Kerne  Bürgernahrungsgraus, 
Krummengo  Gässchen,  spitze  Giebeln, 
Beschränkten  Markt,  Kohl,  Rüben,  Zwiebeln; 
Fleischbänke,  wo  die  Schmeissen  hausen. 
Die  fetten  Braten  anzuschmausen ; 
Da  findest  du  zu  joder  Zeit 
Gewiss  Gestank  und  Thätigkeit. 


^^^^^^■^^V  ZV   OORTHICR  853 

Im  ersten  buche  von  Dichtung  und  Wahrheit  [Hempels  ausg.  s.  14) 
berichtet  Goethe:  „Man  verlor  sich  in  die  alte  Gewerbstadt,  und  beson- 
ders  Markttages  gern  in  dem  Gewühl,  das  eich  um  die  Bartholomäus- 
kirche Iienini  versammelte.  Hier  hatte  sich  von  den  frühsten  Zeiten 
an  die  Menge  der  Verkäufer  und  Krämer  über  einander  gedrängt,  und 
wegen  einer  solchen  Besitznahme  konnte  nicht  leicht  in  den  neuern 
Zeiten  eine  geräumige  und  heitere  Anstalt  Platz  finden.  Die  Buden 
des  sogenannten  Pi'arreisen  waren  uns  Kindern  sehr  bedeutend,  und 
wir  trugen  manchen  Batzen  hin,  um  uns  farbige,  mit  goldenen  Thie- 
ren  Ijodruckte  Bogen  anzuschaffen.  Nur  selten  aber  mochte  man  sich 
über  den  beschränkten,  vollgepfropften  und  unreinlichen  Markt- 
platz hindrängen.  So  erinnere  ich  mich  auch,  dass  ich  immer  mit 
Entsetzen  vor  den  daranstossenden,  engen  und  hasslichen 
Fleischbänken  geflohen  bin."  Die  vergleichung  beider  stellen 
ergibt  deutlich,  dass  Goethe  bei  der  abfassung  obiger  verse  des  Faust 
Frankfurter  Jugenderinnerungen  vorschwebten.  Zugleich  bietet  die  an- 
geführte stelle  von  „Dichtung  und  Wahrheit"  einen  weiteren  beweis 
dafür.,  dass  Bürgernahrungsgraus  nicht  mit  Schröer  als  ein  „Stein- 
haufen, in  dem  sich  der  bürgcr  nährt"  zu  fassen  ist.  Der  eigentüm- 
liche Ausdruck  soll  vielmehr  bezeichnen,  dass  die  in  den  folgenden  ver- 
sen  aufgezählten  gegenstünde  der  bürgerlichen  nahrung  (d.  h.  hier  in 
dem  sinne,  wie  er  in  Luthers  Kleinem  katechismus  erscheint,  alle  zur 
erwcrhung  desselben  dienende  hantiening)  Mephistopheles  absehen  erre- 
gen, wie  einst  den  jungen  Goethe  in  Frankfurt  das  entsetzen  vor  den 
hasslichen  äeisclibänken  in  die  flucht  trieb. 

Interessant  ist  es  zu  sehen,    wie  einer  unserer   neusten   schrift- 

■  steiler,  Alfred  Friedraann,  in  seiner  novelle  „Die  erzählung  des  Hen- 
kers von  Bologna"  (Reclams  Universal-biblioüiek  2871,  72  s.  83)  Goe- 
thes verse  in  prosa  aufgelöst  bei  einer  Schilderung  des  alten  Bologna 
verwandt  hat:  „Andrea  strich  durch  krum-enge  gässcheii,  an  spitz- 
nebligen  bauschen  vorbei;  auf  einem  beschränkten  markte  bot  man 
den  mit  körben  dahinhuscbendeu  mägden  kohl,  rUben,  zwiebeln,  citro- 
nen,  orangen,  getrocknete  trauben  an.    Über  den  fleischbänken  schwärm- 

rten  die  schmeissfl legen  als  erste  festgenossen  zu  den  fetten  braten,  und 
fehlte   nicht  an   lärm    und  geschrei,  üblem  genich   und  allerhand 

Eiflilender  tatigkeit.'^ 

6604  (11216)  Die  bunten  Vögel  kommen  morgen, 

Für  die  werd'  ich  zum  Besten  sorgen. 
(  scheint  mir  natürlicher  unter  den  bunten  vögeln  mit  Düntzer  das 
lolle,  ausgelassene  matrosenvolk  zu  veratehen,  als  die  buutbowimpelten 
1.  xxvin,  23 


3'A  i»Cnt7.er 

Rchiffo.  Auch  Schröer  erinnert  daran,  dass  Goethe  mit  dem  auüdruA 
\i\f:(A  eine  vfjlksmasse  zu  bezeichnen  pflegt.  Sollte  dem  dichter  viel- 
leicht  die  volksctymologischo  form  vapelbunte  für  vagabund  vunre- 
scli\vcl)t  haben?  Ähnliches,  wie  die  anlehnung  an  die  alte  sprichwürt. 
liehe  rodensart  ^stank  für  dank^  v.  6576  (11188)  fgg.  [vgl.  Redentiner 
spiel  V.  13S0,  1429 1,  macht  dies  nicht  unwahrscheinlich. 

NOKTHErM.  R.    Sl'RENOER. 


LTTTERATUR 

rioothü's  werke.  H«'rjiiisr,'egobcn  im  aufti'ngt.*  der  grossherzotrin  S'-phie  v-n  Sai- 
son. I.  band  i;5,  1.  1(3,  17  und  24;  III.  band  G.  IV.  Iwind  1'»,  lH.  W-irüiT- 
llerniaim  ßöhlau.    1801. 

Von  den  vier  bänden  der  eigentlichen  werko  haben  wir  Dur  zwei  cih-r  :j 
l» sprechen,  da  von  dein  dreiz(jhnten  noch  die  zweite  abteilung  aussteht,  die  i^vr^ 
■i'?r  ungedruckt«»n  bearUntung  vt»n  Kotzebue's  „Schutzgoisl"  ^Paralipoinoua'  üri  j::- 
Ir?arten  zu  den  stücken  der  ersten  al»teilung  bringen  wird,  der  vienindz^anz.:«:^ 
rl-»!;  »iie  Innden  ersten  büclier  von  , Wilhelm  Meisters  wanderjahren  -  uhLe  •!:■■  l-*— 
■i::-  r.  ^ibt.  Der  r^echsz«*linte  entspiicht  wesenflic^h  dem  dreizehnten  der  au^ira'--  i**:— 
•  :  han-i:  hinzugetreten  sind  aus  dem  vierten  bände  der  grosse  ma.<k^TiZij  v  rs 
:  v-nil-. r  ISIS  und  aus  dem  gednukten  naehla.ss  das  ^Requiem  d».*s  froh>vc  iraLt  — 
i  -  ; v.rhundorts- ;    zum  ei"sten  male  erscheinen  hier  ,,Sohillers  totenfeior"  v-a  NV^ 

:.  .:  r:r.v::i  facsimile  der  luiudsehrift)  und  zweiundzwanzig  verse  einer  .Kactai   r;'-. 
:'::.. 3*:. r.-iVsto"   (KSIT),    deren    entwürfe    sehnn   aus  dem  briefweth«?l   Hii:  Z-.S" 

.  1.1-:  -.xar-n.     Die   Iwrausgabe  war  unter  bewährte  Goethekenner  vonoJt  w  :j : 

-  L  j-.iLZvn  re!«"li«.'n  schätz  liandsi-hriftlicher  Überlieferung  und  der  ma>Si-':-r.i-^ 
:•-  L-  .  rr-.il:  Is  nicht  na«'h  durchaus  übereinstimmenden  ansichten,  ven»-.':-:  b^-— 
-     .   •  ':.   :.;r  «iie  kritik  dieser  mannigfaltigen  dichtungen  ein  sicherer  bodec  C'-'^  -  ' 

I'.::  ca-.'mj:  bildet  das  .,  Neueröffnete  moralisch -politische  puppensik;'.  -:>^ 
.    ..::-i  -  r.:!  i--  im  jähr»»  1774  der  ..Drolo;:'',  das  „.lahrmarktsfest*  und  «IV-.rPr-'     j 
-.  ■  ■.  war:-.:  hier  tritt  zwischen  dii^  beiden  b'tzten  stücke  etw;L««  auff.ul-ii  ..I'i^■ 
:  .  ..  «■•   '.   ::  r.v.iL  i' r-wiiliMii"   von  il7Sh:  jodes  der  vier  stücke  mit  au^r.ab::-  i-*' 
.  _i'-    hat   »in   b'^^'»n«ii'ros  titelblatt;   ja    das    inhalisverzeiehDis    hat    ai-lI  -I'*' 
.       -■-.  •■  .::.:■:  ca^  ..ruppruspiel**  gest.'llt,  ..l\iter  Bn^y"  davon  au-sgcschlvT^f^exL  '^- 
".-     -..■..  i-   ■  ■  l.,i.i|  Tiüii;  i>.  iUCi,  die  bi'handlung  des  textes  des  „JahnuarKA'*"-^" 
■  -. ::    -  :-.•]%'  -liiio  iit'S>i»n  iroiu'limigung  erfolgt,   vielmehr  dürfte  ^:»=>':  -' 
.. .'  ■  r>  .  "..^■. >timmt  habi^n.  da  b*^<timn;ungen  über  ändening«''n  it  *;i':  ^v 
>      ;:  w.  rk"  p  ti\  iTon  weni-nu  wie  wir  es  von  der  ,, Italienis-.be!:  :->' 
■  ..-  ..:::.•*  wi^^i:!.    os  von  drm  titel  „Dichtung  und  wahii.?::*  r--* 
.;.  >•.    •.:. ;  >.^  au«. I;  \'i\  drii  ansti'-ssigen  stellen  im  ,..Tahr7r.ar£t.*:-^v 
;  .,.■.:  I  .^i :':.,.: vi: ce:;  hr.';  i>chrift  des  ,,rrologs''  hat  ab»--,  i-ir'- 

-    .  i>       ..  ;i:.    ::  :  >:■'.'.:*.  cr^rlun,   wv^K»i  es  aufTällt,   dass  vor*  l^  i- - 
:  ..  "v  •'.  ..W:V."  ^:;•,;T  ..Mi:t"  steht,  so  dass  luan  „Will**  >an  is? 
..}i.-.Z':\"  ;  •' :■  .,M;;:*^*'  :V.r  lvab>i'htiirt  halten  muss.    Bio  vencnnmc  fl  3 


-  ft  ^    • 


ßDER  OOETUES    WEHKK   (wElll.    AtfSO.)  m5 

stemme  aus  der  im  jähre  lTt$2  der  berzogin-mutter  goscheolihia  lioiidBcbriftlicheD 
sammlang  seiner  „Un gedeckten  Schriften"  scheint  uns  daiiurch  widerlegt,,  dass  Goethe 
di<we  178(1  an  Herdor  pb,  um  sie  für  den  druck  durubzugeben;  ist  doch  kaum  onzu- 
nebinen,  Goethe  habe  sich  sein  gescheok  ia  dieaem  zwecke  zurückgeben  lassen,  um 
es  als  sein  eigentum  zu  benutzen,  Freilich  stammt  die  in  schrift  und  papier  ganz 
ähnliche  handschrift  der  „Lila"  und  der  „Vögel"  sowie  die  der  „Briefe  aas  der 
Schwell"  aus  jenem  gescheut,  aber  diese  tragen  anoh  die  aufauhriften  „Ooethe's 
ungedmckte  schrifton  I.  heft,  II.  heft"  und  auf  dem  dockel  das  wappen  der  herzogin- 
mntter  und  sind  nicht  von  Herder  durchcorrigiert  Ebensowenig  war  die  hand- 
schrift des  siogstücks  „Jery  und  Bätely"  trotz  der  gleichhoit  von  schrift  und  papier 
in  dem  besitze  von  Anna  Amab'a;  sira  ist  nicht  als  heft  vou  Goethe'a  „üngedruckien 
Schriften''  bezeichuet,  trügt  auch  nicht  das  wappen  der  herzogin,  und  Goethe  bat 
feie  mit  nach  Italien  genommen,  um  sie  zum  dmcke  davchznsehen.  Auf  die  selt- 
same annähme,  Goethe  habe  sich  die  einst  der  berzogin •  mntter  geschenkten  band' 
schrifton  zur  dm'ebsicht  für  den  druck  geben  lassen,  nnd  sie  niuht  zuräckerstattet, 
würde  man  nicht  geraten  sein,  hätte  man  sich  erinnert,  dass  Goethe  schon  1781,  ehe 
er  kostbar  gebimdena  hefte  zu  ihrem  geburtstag  dieser  verehrte,  ohne  Zweifel  gleich 
geschriebene  abschriften  auf  gleichem  papier  als  weihnaohtsgeselienk  der  frau  \.  Stain 
gegeben,  diu  or  dann  binden  lassen  wollte.  Tgl.  meine  -„Charlotte  vou  Stein*  1,  105  fgg. 
Von  ihr  sich  die  abschrifteu  der  stücke  zu  erbitten,  die  er  unter  seinen  papieren 
nicht  fand,  lag  sehr  nahe.  Wir  wisscu,  dass  er  sich  von  ihr  die  abschrift  seiner 
,lpbigenie'  geben  lieas,  um  sie  Wiei^id  zur  durchsieht  mitzuteilen.  Die  vorhan- 
denen abschriften,  die  sich  aus  dem  geschcnke  an  die  herzogia-mutter  im  Goethe- 
archiv fanden,  erhielt  Goethe  wol  erst  nach  ihrem  lode  zurück. 

Zum  „ Jabrmarklsfesf "  hatte  Goethe  Herders  ünderungen,  besonders  seine 
Batzzeichuung,  benutzt;  diese  nahm  er  eicht  alle  auf,  aber  zuweilen  eine  ungehörige. 
8.  4  batte  Herder  das  rheinische  „onjonirt"  (von  cujon,  schelm,  das  sich  in  , Pater 
Bre;"  280  findet)  nicht  verstanden,  uud  deshalb  durch  ein  NB.  beanstandet.  Goethe 
sMzte  dafür  ohne  not  „  sobikanirt".  Dass  494  dos  von  Herder  angenommene  „bfilf" 
sohleciiter  sei  als  Goethes  „hülf",  hat  der  horausgeber  bemerkt.  Mit  rocht  bat  dieser 
■neb  184  manch'  statt  des  ITBÖ  aus  versehen  hereingekommenen  die  hergestellt 
Verfehlt  aber  ist  seine  Vermutung  zu  179,  „panlon"  sei  abkürzung  von  „pantomime"; 
«8  war  wol  eine  gajigbare  hezeichnung  des  zigouneibarscbeo,  die  Ooetho  sich  gemerlit 
hatT^.  Dagegen  scheint  das  zuerst  nach  403  vorkommende  .Marda*  zur  bezeichnung 
des  marktschruiera  wol  ein  im  freund eskreise  beliebter  scberzhafter  ausdnick.  In  den 
auftritton  zwischen  Ahasverns  und  Hamon,  worin  zwei  lücken  nach  Solzmanns  exem- 
plar  ausgefällt  sind  (s.  401  fg.),  war  27  „tapfer"  eine  verfehlte  Vermutung  Hommsene 
für  ^tapfern",  die  nur  statthaft  wfire,  stände  vorher  sie  statt  wir.  „Tapfer"  war 
gangbares  heiwort  der  kinder  im  siune  voa  „stark'. 

Beim  „Neuesten  von  Plunderswoilem "  werden   aus  dem  Wiener  druck  von 
1817,  der  gewöhnlich  für  oinen  oacbdruck  der  gleichzeitigen  Cotta'scben  ausgäbe  gilt, 
die  merkwürdigen  abweichungen  von  dieser  angeführt,   weil  sie  mit  den  hondsohrif- 
ten  übereinstimmen.    Gleichzeitig  hat  Seuffort  im  « Goethe- Jahibuch*  XV,  157  — 170 
Untersuchungen  über  diese  Wiener  ausgäbe  in  bezug  auf  die  erzöhlung  „Die  guten 
treibcr''  nngestellt,  woraus  sich  ergibt,  dass  bei  ihr  eine  andere  vorläge  benutzt  wor- 
den sein  müsse.    Goetlie  hatte  wirklich  von  den  in  der  früheren  Cotta'scben  ausgäbe 
■kocii  nicht  gedruckten  dicbtungen  aliscbriftoo  nach  Wien  gesohiekt,    worin  man  aus 
mßar  bandsohrift  mehrere  stellen  aufgenommen  hatte,  welche  in  der  früher  noch  Stutt- 
L.  23* 


gart  geschiukteu  druck  vorläge  verändoit  waren.  Späler  lies«  er  einoQ  aUtui;!  Im 
„riivaa"  mit  Tei'beaspmng  dor  druck fiihlei'  oiwh  Wiea  abgehau.  Dlo  afa««idiu^ 
in  B  I  haben  demnach  nur  gescbichtlidbon  wert  gagenuber  den  Mr  die  Cuta'wlitf 
ausgal)B  Trfitgi^Btütcii  lesarl«ii.  8.406  fg.  linden  wir  niDu  oinlritung,  wcldw  üwitbe 
fn  dem  .Npuesten"  luii  (i.  daceinber  (dem  Nikoliutag?)  1827  (ilr  Ticfnrt  giaiiri»- 
ben,  wo  das  botreSende  bild  sich  findet.  Die  besaheraiiK  am  Kikolutsgv.  an  iaim 
stelle  erst  seit  dar  roformation  die  z\i  weihnachteil  trat,  hatte  sidi  aach  au  mandim 
dentsphen  orleu,  »ie  ku  Gotha,  erhalten,  in  Weimrir  war  eie  vielleiiüit  durdi  die 
ruMsische  grossfürstin,  die  gcmablin  des  iirbiirinxim,  eingeführt  wurdtm,  da  (in  in 
ilirvr  lioimnt  allgeineia  nm  tage  des  bauptheiligon  Rtattfand.  —  Zu  2T6:  .l'nd  Iniact 
'k-a  Alteo  fast  den  tod",  fragt  der  h«raiiageher:  , Dämlich  WuiTitel  nud  dem  Vaa 
iu  roifrw'k?*  Aber  Wurst«!,  der  den  alten  immerfiirt  neukt.  kann  niclit  audi  »da 
selbst  „den  tod  drolien",  wie  es  die  folgende  ruttu  tut.  Deaitiodi  ItÜDntti  naa  mit 
Bcböll  dem  AltGD  fordeni,  abi-r  die  allun  sind  die,  welche  in  dinsur  Irude  uiola 
immer  spielen,    die  Vertreter  der  klossiiichon  franKüsischoa  tragodio.    Tgl.  200  ,>i>«' 

In  doli  bi'idoQ   aus  den   iiennzigcr  jähren  stammendoo    parKl>«ln   and  li»* 
legend''  von  1797  habe  i«h,    um   einen   Iiisa    mit  drei  wmbuiii^cii   «u  vi^nwitei.« 
„'ncn'  statt  .einen',    .fi'olircbo"  süilt  »fröhiiubo",    ,'ne*  statt  ,pioo"  f«rtiL    D»*' 
hernuagoher  lisst   die   üborlüatigeo   silbeo   stoben,    meint   abi^r:    ,tJior  «in'n  ude^ 
ein'",    wonach  er  denn  anch  an  der  dritten  stelle  „eher  noch  ein"  mochte,    P0^ 
einzige  gmn'I  dieses  „eher"  bildet  die  Verweisung  auf  die  anmerkungen  «u  (Haft»*— 
Eon  des  177Ü  gedichteten  „Hans  Sadis".     Diese   anmerkungen   aber   anthalten  ai»' 
die  angnbe  der  lesarlen,   wonach  31  .,«iu"  fdr  „einen"  (ein'n)  slitbt,    llß  g^drnek* 
ist  „n'n"  oder  „on"  (statt  „einen"),  ÖÖ  nnd  8«  „ein'm",  72  „aein'n'-.    H»r]t«ttr4a^ 
aeheiut,    dar«  metrisch  hier  nirgends  itie  verkürzte  form  nötig  ist,  <\i  in  dtonMUiff^ 
gediobte  „eino",  „einen",   „einem"  die  scnkuug  des  fusses  bildun  (i,  II,  10.  Ä*» 
80),   wie  auch  „ihre"  (66).     Aus  dem  rci:ht  siJi wankenden  gcbraoeb  «rinw  .,llir»— 
Saehs"  auf  Oootho's  gebrauch  in  den    nenniigor  jähren  an  si-h li essen ,    pönd  «ir  i«» 
keinem  falle  berecbtigt.     Auch  Schiller  nnd  Bnrder  haben  in  dieser  lolt  „'dmi''  flait* 
„ninen",  üelbat  „'mal"  statt  „einmal",     Warum  hat  der  beraiisgelier  uleht  da«  in  AM 
neunziger  jabre  rallenüe  gedieht   „ KÜDütlers  fug   und  roolll"  bvothlul,    «u  iimk  i^ 
Wciinarpi'  ausgäbe  (.11,  19a  fgg.)  ,"non"  (statt  .einirn"),  wie  nnch  „ihn'n"  hat.  Vmn 
anch  Guellio  in  den  aebzignr  jabren  sich  bei  solcbru  vorkilr*uiigwi  d«  irrgbUs  dt* 
letzten  silbe  bedieoto,  sn  hat  er  doch  spSter  die   erst«  abgeotossoo,    wie  «r  uiA 
„'nein",   „'naus",    ,,'rum",  „'s"  (für  „das")  brauchte.     FVoilieb  im  »wnt.ii  ..Fsn»(" 
6813  findet  sich  das  Frankfurter  „noch  o'  wein",   dagegen  ist  im   erstin    'M'y  l* 
orsprünglicho  „bei  em  gelog"  m  „bei  einem  g'Jng"  verändert     Bino  dun  lif^iut^' 
gleicbbeit  wird  hier  schwer  lieriuHtelleu  sein,    wie  denn  auch  die  Woiniarii-i 
gäbe  sie  niebt  emlrobt  hat;  in  unsereui  bände  dürfli-  sie  xu  weit  gegan);;uu  «ein,  nhi* 
sie  gana  m  erreichen.    Miswlich  war  e«,   dam  die  ln-treffonden  etüekH  viio  vemW»* 
denen  bearlioitet  wurden,   wenn  dies«  nueh  darin  übpreinstJTnmen,   da»'    <•'>"  mf  <^l 
metriscbe   zu  wenig   achten    und    das  «hieben   nines   ansgetallaneii   TeV.ii 
ülbe  nngleicbm Assig  annondon.    Wenn  im  „Pster  Brey"  77  mit  „Unn 
ginnt,  so  muss  auch  53  „mein"  statt  „mmne"  stehen,  da  der  ven  n 
Verden  kann.    HIß  ist  .ein*  unnötige  äniierung  für  , einen",  da  an  .mcimui  ■ 
.auiucr"  den  jambus  bi-ginnun.  Se  ist  das  uni)irüugti<;lie  .keiorir  ln)tx  Ilimhur^ 
boixnl«balten  oder  xn  ,kein'a-  xu  machen.     Cborhau|it  ontbehit  man  hier 


I  (w 


.0.) 


inA  did  ausgaben  mit  don  funneti  utngespntagen  siad.  Im  „BatyroB"  wird  der  letzte 
Tokal  abgestossen  in  „steif^  „ander'*',  „ein'",  „ewig'*',  dagegea  stehoa  94  „eioe", 
iS5  „qid's",  D6  „mein'a'',  lf>2  „meiu'n",  aber  es  ist  105  „seioea"  durcbgeschlüpil, 

0  der  \BTS  „seiD'n-*  oder  vorher  „narr'n-  verlangt,  und  ähnlich  raanuhes  andere.  Der 
fterBQSgeber  bemerkt  zu  der  stelle  dor  ersten  parabel:  „das  überlieforte  einen  gäbe 
[drei  senkungssilben  des  tAttes,  was  immerhin  nustossig  und  unrbytlinusch,  wenn  aach 
Bioht  ohne  scheinbare  paraüelcn  in  Goethe's  linittelvcrgen  wäre",  wonach  er  denn  auch 

lilen  paiabel  sieb  den  vers:  „Daes  mir  so  fröhliche  gesellen  begegnen* 
igefaUen  IHast  Aber  diese  Fälle  mimsten  doch  genauer  bestimmt  wei'den.  Sie  finden 
■ich  besonder  in  den  .zahmen  Xenien"  und  sind  entweder  durch  die  ausspräche  und 
B  danach  gebotene  elision  eines  volials  2u  beseitigen  oder  ala  versehen  zu  betrach- 
ten. Ich  habe  bei  anderer  gelegenheit  weiter  ausgoCührt.  wie  nachlässig  Ooethe's 
1  besonders  mit  den  abgebogent-n  formen  der  Wörter  auf  loh  und  Ig  verfab- 
,  bei  denen  der  dichter  auch  eine  uns  härter  ochoineode  elision  nicht  scheut. 
Bei  „Haas  Sachsens  poetisclier  scndang'^  wir<l  mit  grosser  genauigkeit  über 
'die  lesai'ten  berichtet.  6  hat  man  neuerdings  die  lesart  des  ersten  druckos  „an  don" 
i  mit  rocbt  früher  beibehalteuen  „an  dorn''  vorgezogen.  A^r  der  nicistor  steckt 
lücht  eonnti^smorgens  die  ahl  an  den  arbeitskasten,  er  bat  dies  sohou  am  vorigen 
theai  getan.  7  scheint  mir  „sieb'ntem"  ungehörig,  da  ein  anapästiscber  versschluss 
h  auch  65,  87,  93,  118  findet.  57  ist  doch  die  Zusammensetzung  „natiir-genios" 
c  bedenklioh;  ieb  ziehe  „Der  natur  genius'  vor.  Prosodisoh  klingt  der  vers.  der  mit 
«m  anapSst  beginnt.  Freilich  etwas  hart,  aber  nicht  weniger  der  anfang  des  folgeo- 
len  „Soll  dioh  führen",  uocb  mehr  62:  „Schiebeo,  raisson,  di'ängen  und  reiben", 
iand  vollends  59  „Soll  dir  zeigen  alles  leben".  Aber  dieser  dürfte  dreifüssig  sein 
eid  anapfistisch  beginnen.  Dass  179  „weil  er"  weit  besser  als  „wie  er"  sei,  möchte 
)  nicht  zugeben. 

Von  „Künstlers  ordeuwallen"  lag  die   schöne    reinschrift  von   1774  vor,   die 

direre  abweichungen  zeigt;   so  fehlt  29  die  frage  der  frau:    ,.Bist  schon  wach?" 

„Künstlers  apotheoae",  wovon  keine  handschrift  sich  erhalten  hat,  ist  E.  Schmidts 

UEweifelbafte  Verbesserung  „im  (statt  nOin")  schwefolpfubl"  aufgeuommeo,  wobei  zu 

merken  war,   dass  ,,schwefelpfuiir'  die  biblische  bezeichnung  der  hoUe  ist     Vom 

JEpiiog  zu  Schillers  glocke"  konnte  die  erste  Fassung  verglichen  werden.     Eine  hand- 

thrift  der  „Geheimnisse"  ist  nicht  vorhanden  mit  ausnähme  von  drei  urspininglich 

tau  gedichteten  stanzen.    Bedauerlich  ist,  dass  hier  drei  im  drucke  durühgegangone 

BiBobeu  ia  den  „lesarteu"  verbessert  wei'deu  uiussten.     Unler  den  Vorbemerkungen 

im  maskenzng  „Die  romantische  poesie"  wird  vermutet,   der  erste  entwurf  rühre 

m  Riemer  her;    dios  ist  an  sich  höchst  unwahrscheinlich,   als  unmöglich  erweist  es 

doh  durcb  das  was  wir  akteumSsaig  wissen.    Des  herauageburs  begründung,    Riemer 

labe   den   titai    und   das  vorwort  gesohrieben ,    ist  eben  gar  keine,    8onst  sind  die 

ir  und  EU  dem  grossen  maskenzug  von  1818  gemachten  nittteilungen  höchst  dan- 

iBwert,  doch   hat  sich    die  redaktion   genötigt   gesehen,    die  vei's  148   gooiachte 

tadarang  dos  zweiten  sicb's  in  sieb  zurückzunehmen,  da  nicht  der  geringste  stich- 

altige  grund  für  einen  vom  beransgeber  angenommenen  hartnUokigen  fehler  zn 

idfin  ist.     Als  Paralipomena  zu  dem  zuge  erhalten  wir  auch   sechs   versuchte 

ttso  auf  demselben  blatte,    das  den  anfang  und  das  ende  der  eiuführung  Mabomets 

tod  den  beginn  des  auftrotens  des  Götz  euthiilt.    Sie  waiDo  wol  zur  persönlichen 

Üfohrang  Mahometa  bestimmt,    wahrend   die  wirkliche   abFassung   sich  ganz  auf  das 

1  Goethe  übersetzte  stück  Voltaiie's  bezieht. 


358  DÜNTZKU 

Zu  dem  fostspicl:  „Dos  Epimenidos  erwacIioQ'*  ist  der  unifaDgreichc  Stoff  in 
gonauor  bearbcitung  gegeben.  Nicht  billigou  können  wii*  die  annähme,  die  handschhit 
des  Programms  H  2  sei  jünger  als  II  und  H  1,  erst  zur  zeit  entworfen,  wo  Göothe 
Ifflands  brief  vom  28.  mai  erhalten  hatte;  denn  alle  auf  diesen  bezüglichen  stellen 
der  beiden  anderen  handschriften  fehlen  hier.  'Wenn  462  Göttling  die  worte  ,.Wei- 
geit  sich  die  süsse  brauf^  nicht  ganz  klar  fand  und  er  deshalb  Goethe  zur  &nderung 
veranlasste,  so  übersah  er,  dass  hier  „wcigeni**  im  sinne  von  „verweigern*^  steht  mit 
abhängigem  accusativ  („das  verlangen*^).  Höchst  anziehend  ist  die  mitteilung  de» 
zwischen  901  und  902  ausgefallenen  auftrittes  mit  den  auf  Bemadotte  bezüglicben  ver- 
son  des  Epimenides. 

Die  bedeutendste  neue  gäbe  dieses  bandes  ist  „Schillers  totenfeier*^,  die  Suphaa 
im  anhange  uns  bieten  konnte.     Schon  auf  der  Berliner  Gootheausstcllung  von  1S61 
hatte  man  ein  darauf  bezügliches  blatt  Goethe's  gesehen,  das  dieser  bald  nach  Schil- 
lers tod  dem  gemeinschaftlichem  freunde  Zelter  gegeben  hatte.     Einen  vollständigen 
abdnick  der  in  ihrer  kürze  rätselhaften  inhaltsangabe  brachte  die  ücmporschc  aus- 
gäbe von  Goethe.    Suphan  ontdeckto  im  Goothearchiv  drei  andere  dazu  gehörige  auf- 
zeichnuiigen  Goethe's.     Auf  einem  schmalen  quartblatt  befand  sich  ausser  jener  Zt*lter 
gegebenen  mitteilung  nebst  einem  zusatz  auf  der  rückseite  ein  flüchtiger  entwarf  oiut'S 
auftritts,  worin  tod  und  schlaf  erscheinen,  der  ersto  von  vei*schiedenen  angcsproiheD 
wird.     Auf  einem  zweiten   findet   sich    das  scenarium  von  vier  auftritten   und  eino 
figürlicho  Übersicht  des  aufbaues.    Die  weiteste  ausführung  der  zu  Schillers  geburts— 
tag,  den  10.  november  seines  todesjahres,  auf  der  "Weimarischen  bühne  zu  gehtMider». 
totenfoier  enthält  ein  quartheft,    von  welchem  zehn  blättor  nummeriert  und  bosthrie — 
bon  sind,    die  beiden  ei*sten  mit  den  namen  der  auftretenden  personcn,   die  drei  foL  — 
genden  mit  versen  der  ausführung,    die  fünf  letzten  mit  einem  den  inhalt  oder  dex-i 
spi*eoher  bezeichnenden  wurt,    bloss  blatt  C  gibt  auf  der  Vorderseite  das  wort  ,diclk  — 
tung*  nebst  zwei  vei'sen.    auf  der  rückseite  „dichtung  allein*^.    Der  herausgeber  b^'^ 
später  in  der  „Deutschen  rundschau'*   einen  feinsinnigen  versuch  gemacht,   den  pli«3 
der    merkwürdigen    dichtung   zu   erraten.     In   allen   hauptpunkten   stimme   ich  be-i- 
Dort  liest  Suphan  jetzt  z.  7  der  ersten  handschrift  mit  dem  wider  aufgefundeneo  vomi 
Goetlie  an  Zelter  gegebenen  blatte  lichtig  „zum  katafalk**  statt  „ins  tr(aurigo?)*.  Fetit 
steht,    dass  eine  fröhliche  feier  der  Volkstümlichkeit  Schillers  von  allen  altem,  jung- 
Iingi>n«  Jungfrauen,   mäunem  und  greisen  die  einleitung  bilden  sollte,  wobei  eiDZcla«^ 
}K»rs;<>nen  seiner  dichtung  hervortraten;    doch  war  die  erfindung  dieses  eingangs  noch 
nicht  abgeschlossen.     Unterbrochen  wird  die  festfeier  durch  einen  heftigen  donner- 
sohlag,  wie  in  der  .Jungfrau  von  Orleans*",    und  es  erscheint  der  tod  (Thanatos)  mit 
seinem  zwillingsbruder,  dem  schlaf  (llypnos),  um  anzukündigen,  dass  er  gekommen, 
den  gefeierten  dichter  abzurufen ,    wie  bei  den  alten  der  tod  oder  Persephono  an  die 
tun»  klopft.     In  lioethe's  weise  lag  es,  die  wirklichen  Verhältnisse,  die  er  dichterisch 
verklärt,  umzugestalten.     Wir  erinnern  nur  an  da.>  gedieht  auf  Mieding's  tod,  an  die 
Vision  in  dem  glück  wünsch  zum  geburtstag  des  herzogs  „Ilmenau"'  und  an  den  ,Epi- 
log  zu  Schillers  glooke".     S«»  stirbt  hier  S^rhiller  nicht  nach  einer  krankheit,  sondern 
ganz  unerwartet.     Vergebens  suchen  Jünglinge,  mädchen,  mann  und  greis  den  gelieb- 
ten dichter  vom  tod  zu  erbitten.     An  die  stelle  derselben  traten  im  späteren  Schema 
anvlere.      Ich  lese  die  stalle    so:    «T«-xl,    aufgefordert  (statt  ^aufgehört*')''    von  (»tan 
„vom"»  der  ver\vandtsvh;ift  ^statt  „vonvandten"),    der  liebe  (das  woit  steht  als  Ver- 
besserung über  -Freundschaft-),  <ior  Weisheit,  der  i>oesie.**    Ich  kann  um  so  weniger 
mit  Suphan  annehmen,    dass  „aufgehört'*   die  rede  des  todes  in  dem  satze:   »&  ist 


sm  endo"  ancleutea  soll,    tla  das  folgende  „vou"  dann  unerklärt  bleibt.    Dia  aulcün- 
digiuig  ilos  tudeg  hat  Goothe  gar  uiuUt  angedeutet.     Boi  der  Hpätereo  ausFüliruug  war 
Eoerst  geschriebeu:  „Verwaadtscbalt ",  dann  diujebeu  uud  darüber:  „Chor  der  Jugend" 
Moi^vtiij'  gattia,  kiuder".    Das  griechische  wott,  wie  mehrere  andere,  hatte  Gootho 
wH  blei  über  das  deutsche  gesuhrieben.    Die  üborGchrift  änderte  er  daoo  in  „Gattin 
'Und  junger  cbor"  und  von  der  gatlln  hiess  ea  darauf  „sich  uud  die  kioder  darstel- 
lend".    Ein  paar  schaue  vers«  siod  auBgoFüLirt.    Statt  der  „Freundschaft"  gab  die 
ausführung  „Freund  und  älterer  eher".     Goetho's  oigeoe  klage  unt  den  freund  liurt 
msn  bei  der  aueführung:  „Wer  reicht  mir  die  band  beim  versinken  ins  reale?    Wer 
gibt  so  bebe  gäbe?     „Wer  nimmt  so  freundlich  an,   was  ieh  zu  geben  habe?"    In 
mehreren  verson  ist  dostodes  antwort  treffend  ausgeführt,  gar  nicht  die  ..Klagen  im 
abwechselnden  eher".    Vor  der  bitte  der  weiaheit  ist  bei  der  ausführung  des  Va- 
terlandes (verbessert  iu  Deutschland)  eine  herbe  er widerung  eingeschoben.  Uner- 
h^Uicb  entfernt  sich  der  tod.    Bei  der  Verwandlung  der  scene  erscheint  ein  katafalb, 
BOl  In  einer  kii'che  wie  in  Bchillers  , Braut  von  Hessina".    Vor  diesem  beginnt  der 
Braei^egaDg;  in  der  zweiten  foasung  hiens  es  ,,<iie  chÖre",  in  der  letzten  bandschrift 
Srohl  mit  beziehuDg  auf  Schillers  so  überschrie boaca  gedieht  „Nänio".    Su|jban  lösst 
sie  .fingen,  während  die  Verwandlung  sich  vollaioht.    Der  „opilog"    wird  vor  dum 
katafalk  gesprochen  vom  vaterlande.    Ini  zweiten  Schema  steht  in  der  mitte  des  drit- 
^fßa  auftritts  „Vaterland",  zu  beiden  seiteu  „Chore".    Am  Schlüsse  hiess  es  zuerst: 
lYerwaadlung  ins  heitre.    Gloria  in  sxcelsis."    Die  figürliche  darstellung  hat  in  der 
itze  der  pyramide  die  zahl  3,  im  dritten  auftritt  2  über  „Vaterland",  im  zweiten  1 
er  „Thanatos.  Hypnos".   Der  letzte  entwuit  gibt  hier  nur  „MagniGcat".    Eb  bedarf 
ioes  Wortes,    dass  hier  die  verklilrung  im  himmel  gemeint  ist,   aus  welchem,   wie 
im  opilog  zur  gGlouke"  heisst,  ,seiu  verkMrtes  wesen  hemiederschaut".    Am  ende 
I   zweiten  .Faust'  erscheint  den   teufein   der  hölle   gegenüber  , Glorie  von  oben 
dite*,  und  darin  dio  , himmlische  hoerschaav'^.    Der  cbor  sollte  liier  die  Verklärung 
i  rasche  Weiterentwicklung  feiern  wie  im  „Faust"  die  sehgen  knaben. 

Bei  den  ansatzou  zur  , Kantate",   die  den   band  scbhcssen,   ist  zu  bemerken, 
fss  5  fg.  als  gestrichen  zu  betrachten  sind,  zu  ,soune"  (7)  etwa  ^leuchtet'  zu  den- 
ist  und  „Baal"  (19)  anrede  sein  soll.     Am  suhlusse  ist  wol  , denken"  statt  „deu- 
zu  lesen,  wie  es  z.  b.  Iphigenie  1765  steht. 


Zur  herstellung  des  siebzehnten  bandee,  der  dom  vierzehnten  der  ausgäbe 
ster  hand  entspricht,  wurde  die  arbeit  auf  vier  anerkannte  kritiker  verteilt,  von 
len  einer  sich  am  die  von  ihm  übernommene  dichtung  schon  früher  verdient 
gemaoht  hatte.  Die  bearbeitungen  sind  auch  hier  nicht  ganz  gleichmässig,  was  sich 
zom  teil  aach  Susserlicli  zeigt.  Die  des  „Tiiumpbs  der  emiiflndsamkeit"  beginnt  mit 
der  entstehungsgoschiohte.  Die  behauptung,  dass  „Froserpina",  die  den  vierten  afct 
bildet,  ursprünglich  für  sicli  gedichtet  gewesen,  später  eingeschoben  sei,  beruht  frei- 
lich auf  Qoethe's  eigenem  berichte,  aber  auf  einem  sehr  sputen  der  ,Tag-  und  jah- 
rEöhefte",  wo  besondora  in  den  ersten,  die  werke  sehr  summarisch  angebenden  jähren 
nicht  alles  riclitig  ist.  Der  erste  druck  der  „Proserpiua*  erfolgte  ende  Januar  17T8, 
bai  der  Aufführung  des  „Triumphes  der  empfindsamkeit"    zum   geburtstagc   der 


I)  So  schrieb  er  für  xnaiynjtjj,  indem  er  den  zweiten  teil  des  wertes  mit 
I  in  Verbindung  brachte.  Bei  dieser  annalime  schwinden  alle  bei  Suphau  blei- 
)  Bohwierigkeiten  und  unwahtscheiulichkeiteu. 


360  dUktzkb 

hernogin  als  toxtbnch  zu  dieaea;  diesor  ist  gatii  vurschollen ,  erwiesen  wirf  er  Juni 
ciDii  recbmug  des  WoimariBchüD  buclidruckers  GlüBing.  Nacb  ihm  erfolgte  wul  in 
alidruak  am  nafiing  des  februarheftea  von  Wielanda  „Merkur",  —  Wenn.  GooÜie  m 
abecd  des  15.  november  den  dritten  akt  des  Stückes,  den  lOrouaro'  diditete  (iB 
tagebuch  ist  .,A.boDd3  alleia.  Gelesen.  Orocaro"  zu  scbreiben),  so  wird  ^Prowrim* 
gleich  darauf,  in  den  tagen  vom  17.  bis  zum  24.,  gedichtet  sein,  von  deoni  du 
tagobach  nachträglich  einen  selir  karxeo  surnuarisuhea  beiicht  gibt;  wabiBcheialiii 
vom  22,  bis  zum  24.,  als  der  bof  zu  Gotha  weilte.  Erst  nach  der  rückkehr  v 
Earzreise  begann  Goethe  den  sechsieo  akt,  von  dem  der  biief  an  die  Stein  <rom  3S, 
(mcht  27.)  december  spricht.  —  Kühn  finde  ich  den  zweifel  an  dem  Mheren  n 
des  Stuckes  „Die  empflndsamou",  womit  das  tagebuch  am  10.  febrtiar,  ja  schon  An 
brief  an  frau  von  Stein  vom  12.  September  1777  es  nennt;  erat  später  wurd«  c 
„Triumph  der  empfiodsBrnkeit*  voi'ändert  „Die  empfindsamen"  waren  Handonduu 
und  Oronaro.  Der  berausgeber  behauptet,  der  titel  „Die  gefliokte  braut",  unter  di 
Böttiger  dos  sttick  nach  der  Überlieferung  älterer  Weimarer  nennt,  lasse  sich  orknid- 
lieh  nicht  nachweisen.  Er  übersieht  dabei  eino  üussorung  Jacobis.  Dieser,  der  ein 
Goethe  in  Weimar  besucht  hatte,  schreibt  ihm  am  13.  Oktober  1TS4:  ,Ich  las  ihr 
(der  Jüngern  balbaohwester  Helene]  den  folgenden  tag  „Die  geflickte  braut"  vo 
wir  hatten  grosse  tust."  Er  muss  also  in  Weimar  eine  abschrift  des  Stückes  e 
habon.  1q  der  aus  Jacobis  naohlass  stammenden  handschrift  führt  die  post 
nomen  „Der  triumph  der  empöndaamkoit''.  Will  man  also  nicht  die  höchst  unwsltt* 
scheinliche  annähme  machen,  Jacobi  habe  spater  noch  eine  andere  absciuift  erhalt 
oder  sich  anfertigen  lassoo,  so  muss  Goethe  selbst  im  gespriloh  das  stuck  mit  diew 
Damen  bezeichnet  haben,  mit  dorn  sie  auch  in  Weimar  zur  zeit  genannt  worden  m 
wurd.  Hiermit  erledigt  sich  die  vom  herausgeber  angenommene  mögliclikcit,  Juott 
habe  schon  1778  eine  abschrift  erhalten.  So  bezweifelt  er  denn  meine  angäbe,  iist 
die  hier  erwähnt«  „Freundschaft  uud  liebe"  1770  erschienen  sei,  moithta  selbst  ia 
diesem  falle  einen  späteren  zusatz  annehmen.  Ganz  überseheii  hat  er  ilabei,  d» 
die  hier  vorausgesetzte  Verbindung  Goethe's  mit  Jacobi  bareifs  im  jähre  1778,  j* 
schon  1777  aufgehört  hatte.  Für  die  zeit  der  abschrift  wird  ganx  ungehörig  da 
Inhalt  der  dichtung  angeführt;  denn  dass  die  ursprüngliche  gestalt  dieser  piai 
wesenthoh  in  der  handschrift  vorUege,  nimmt  man  allgemein  an.  Ebenso  wenig  dt 
gezweifelt  werden ,  dass  die  aus  Jacobis  nochloss  erhaltene  handsulirift  diejenige  ti. 
die  er  1784  aus  Weimar  mitgebracht  hatte.  Wer  sie  geschrieben,  wissen  v 
Goethe  Hess  wot  für  Jacobi  eine  abschrift  von  dieser  posse  und  dem  „JohrmarktsM* 
anfertigen,  und  zwar  von  demselben  absuhreiber,  der  ihm  gerade  zur  hond  i 
Seine  bezeichuung  im  tagebuch  vom  30.  Januar  177S  als  „das  neue  stück'  ist  m^ 
„ungenau",  wie  der  herausgeber  sagt,  sondern  ganz  ti'offend:  die  posse  wi 
Stück,  dessen  proben  ihn  so  lange  beschilftigt  hattvn,  —  Seltsam  finden  y 
muturg,  hei  den  der  bearbeitung  von  178ti  eingetüglen  Worten  „Der  guto  jungliii(* 
könnte  von  Westonriedor's  „Löljen  dos  guten  Jünglings  Engelhof"  vor8cbweb«i, 
gesehen  von  einer  so  undeutlioben  bczoichnung  wäre  es  so  ungeschickt  vriu  niglich, 
wenn  Goethe,  als  er  das  stück  für  den  weiteren  leserkreis  anziehender  maohen  wallto, 
auf  ein  vor  vier  jähren  erschienenes  verschollenes  buch  hingedeutet  liUtte,  lunl  4i 
eines,  das  mit  verliebter  empfindsam keit  nichts  zu  tun  halte.  Nie  würdo  dar  b 
ausgeber  auf  eine  solche  Vermutung  gekommen  sein,  hätte  er  bedacht,  weslidb  i 
dichter  gerade  dioso  stelle  änderte.  Er  warf  eben  die  erwähnung  mohrenr  linpt 
vergessener  bücher  heraus,  und  hielt  sich  dafür  länger  bei  dem  nodi  inunertoite' 


;iuii:  (WEL 


iO.) 


ien  und  gvIosdaeQ  iSiegwart"  aaF;  dass  die  stelle  auch  auf  dieseo  sieb  beziebeD 
itönDte,  ODfgieDg  ancb  dem  hcrausgeber  nicht  WeuD  die  worto  in  der  haudscbrift 
initorstricheö  mid  demnacb  im  drucke  gespent  sind,  so  ist  dies  nnr  ein  leiuht  arklär- 
ficlies  versehen  dea  abBchreibeis.  Nooii  wunderlicber  findeii  wir  es,  dass  der  neu 
übene  scborz:  „Da  ist  ja  aucb  ein  kupfer  dabei",  ui'sprüngliuh  auf  die 
«bGicbtlicb  weggelassenen  ,briere  von  SeUiof  siob  bezogen  haben  soll.  Wenn  es  von 
~3  3  heisst:  , Schreiber  ist  wol  Kost',  so  gestehe  ich  einen  ßost  gar  nicht  als 
ttbscbreiber  Ooethos  za  kennen. 

Auch  hier  eischeint  wider  die  oben  a.  355  erwähnte  nnsgabo  B  1.  Der  zehnte 
tend  derselben  enthült  die  in  unsonn  siebzehoten  gegebenen  vier  stücke  nebst  dem 
'bnichstück  ,Die  aufgui'egten".  Es  ist  daraus  schon  ab^unebnien,  dass  hier  überall 
dieselbe  vorläge  gewesen,  wonach  auch  die  frage  über  diese  in  aller  kürze  an  einer 
Vtelle  abgetan  sein  sollte,  was  eben  durch  die  Verteilung  auf  vier  herausgeber  geliin- 
nrt  wurde.  Die  sacho  ist  gam  einfach  diese,  dass  aUe  vier  stücke  schon  zuA  duroh- 
psehen  wai'en,  und  da  B  gleichzeitig  mit  B  1  gedniukt  wurde,  man  hier  A.  abdruckte. 
>er  herausgeber  des  „Triuniiihs"  bemerkt:  ,Es  wu^  von  anderer  seile  nachgewiesen 
Ferden,  dass  Bl  nicht  auss  B,  sonderu  der  vorläge  von  B  (warum  nicht  einfach 
OS  A?)  hergestellt  ist.'^  Es  hütte  die  bemerkung  genügt,  B  1  weiche  nur  in  der 
Bchtsohreibung  und  durch  drnckfebler  von  A  ab.  Dies  wird  vom  herausgeber  der  „Vii- 
|b1'  dargelegt,  der  es  besonders  durch  den  A  und  Bl  gemeinsamen  druckfehler 
iweder"  statt  „werde"  belegt.  Die  herausgeber  der  beiden  anderen  Btiicko  bemerken 
bichls  bei  anrührmig  von  Bl;  die  wenigen  abwcichiingen  bestätigen  das  über  diese 
DSgabe  gesagte.  Wegen  der  starken  abwcichungon  der  ursprünglichen  Fassung  des 
ntea  aktes  von  der  gedruckten  wird  dieser  in  den  ,lesarlen"  mit  recht  vorab  volt- 
nitgeteill.  Diese  erste  fassung  der  „Vögel"  liegt  in  zwei  handschriften  von 
1781  UDd]T82vor,  von  denen  die  zweite  schon  manche  gemeine  und  ungewöhnliche 
kludrücko  verbessert  hat;  dieso  Verbesserungen  hatte  Goethe  höchst  wahrscboiuHch 
Bt  SU  der  abschrift  seiner  ungedruckten  Schriften  vorgeDoinmeu ,  die  er  ende  1781 
r  Tna  von  Stein  anfertigen  liess,  während  unsere  haudscbrift  der  herzogin-muttor 
1  ihrem  geburtatage  erst  am  24.  Oktober  1782  verehrt  wurde.  Vom  , Epilog"  der 
^ögel"  bewahrt  das  Goethearuhiv  den  noch  nicht  in  verss  abgeteilten  eutwurf  von 
hilipp  Seidol's  band,  den  Goethe  durchgesehen  hat.  Die  anterdrückten  stellen  und 
«  prosaische  fassung  des  „Epilogs"  stehen  in  den  „lesarten",  die  auch  einige  verbes- 
Wrangen  der  druckfehler  oder  der  gewählten  lesait  bringen.  Bei  der  Umschrift  in 
i  muBsten  nur  die  worte  zuweilen  uuigestcltt  werden,  ausserdem  ward  „liebling 
r  grazien"  nach  „der  ungezogene''  eingeschoben. 

Kerne  handschrift  liegt  vom  dritten  stücke,  dem  Orosskophta,  vor,  dagegen 
i^iuJten  wir  hier  zum  ersten  male  die  in  musteriioflor  weise  aus  den  etwas  verwor- 
i  papieren  mitgeteilten  entwürfe  und  die  umfangreichen  bnichstücko.  Der  erste 
B  Italien  gemachte  eutwurf  nennt  Cagliostro  Rostro,  die  marquise  Ckiurville,  die  niohte 
bnocenea,  den  doinberrn  Abbate,  den  rittcr  Uavaliere.  Der  schloss  des  zweiten 
3  wird  durch  „Smanio"  angedeutet,  was  wol  auf  die  Verzweiflung  der  Innocenia 
TOD  Conrville  ihr  zugemuteten  rolle  geht.  Rostro  erscheint  nur  im  eisten 
I  vierten  aufzug  und  als  grosskopbta  im  dritten;  das  scenar  des  fünften  ist  nicht 
jrasgeführt.  Wir  vermissen  hier  die  wichtige  stelle  des  briefes  an  Eayser  vom  14.  au- 
st  1787,  wo  auch  eines  chores  gedacht  wird;  der  herausgeber  hat  auf  dioson  brief 
r  gelegentlich  einmal  verwiesen,  ohne  die  bedeutende  Üusserang  anzuführen.  Diese 
r  sollte,   was  hier  gleichfalls  übergangen  wird,    II  Conte  heissen,  dessen  Goethe 


auch  gogen  Bdchordt  godcnltt.    CBgüustiv  vruiile  als  Cont«  di  ICnitro  impvdnti 

eiogoführt.  Der  sp&tere  deutsche  outwiirf  der  ogwr  trägt  die  übentchiift:  ,Dio  UyiQfld» 
ten-,  die  gewissennussen  der  gegensatz  ist  zu  dem  »jngsjiiol  «Die  empfiinlaaineü'.  Um 
Rooniu'  dieser  drciabtigeo  oper  liegt  jetzt  ver  and  die  höchst  bodoutoDdoD  bruetKlicla, 
von  denen  am  ausgerührtesteu  II 9  dos  vorgespie^lte  geisteraeboa  dar  eicht«.  T* 
einer  weiteren  bes|irocbuDg  dieses  merkwürdigen  operovaisucbes  des  vioniäUitW 
der  Bioh  so  lebbaft  iii  die  kuostfonn  bineiiigedaclit  batte,  steljen  wir  IiIimt  alt.  V« 
vieitea  stiieiio,  dem  „ BürgergenenU ",  liegt  nur  uino  vollelÄudige  liantHn-hriH  *oi. 
ans  der  bier  tarn  ersten  mnle  die  uigaba  des  sabauiilatxes  „vur  (bUII.  .io")  ülrtu 
banse"  berichtigt  nnd  statt  Gorges:  „Nun,  leb  wo),  Rose!"  horgeslullt  i>t  „R^m 
Leb  wol,  OSrgel    Görge  (geht  ....  Eunlol:).    Höre,  Bösel" 

Der  sechste  band  der  Tagebücber  onthält  die  beiden  jähre  1817  und  ISIä 
Freilieb  bat  Goetbe  sie  zur  auarobrlichen  darstullmig  in  den  „Jahr-  nnd  tageahdlln" 
benutxt,  aluer  wie  manches  tritt  une  hier  viel  ansohaulicber  Hutgegun,  ul  ialpat 
übergangen  oder  nur  kurz  berührt  Von  hüuhster  bedeutung  ist  d«  «inlilitl  a 
Ooetbus  leidenschaFtlichen  eiter  für  die  bobung  das  gmsshorzdgliohon  tbeiOors,  all  a 
am  2.  februar  1817  deHson  leituug  wider  übernomiiieQ.  Kr  hatte  sie  eben  uiiib^ 
gek'gt  TCegL>n  der  am  vorigen  tage  nider  seinen  willen  dorcb^iosettton  an/fUhni^nB 
EotKoliuc's  „&>hutzgeiat"  iu  seiner  gunzen  länge,  die  allgooieinea  miaattUen  anft 
hatte.  Durch  dos  dringende  ersuchen  des  grossberzügs  liess  er  sieh  bestisunm,  4^ 
dioser  mülie  wider  zu  unterziehen,  doch  mit  beschrankung  aof  dos  kanstftch  uul 
uater  assistunz  seines  sohnes.  Er  versjiracb  nicht  nur  die  Kotitebue'Bulte  „IfgHtlt** 
als  Euhanspiel  »o  zu  bearbeiten.  dnsD  sie  gefalle,  sondern  wollte  auch  durch  »tHd«i- 
tung  uinor  neuen  tbeaterverToRSusg  die  bübuo  dauernd  heben.  Von  dein  t>linit  efwtkit 
das  tagebucb  nichts,  wenn  man  nicht  etws  den  eintrng  vom  ^1.  Januar  hionuf  Uo^ 
hen  will,  wo  es  unmittelbar  nach  der  auf  das  iheater  beiüglichDQ 
„Gnsirolleu  betreffend  geh.  bofrat  Kirmii,  boEai-hausinelcr  Oeb",  biäast: 
catiou  niit  SereDiEsimo."  An  demaolbeu  Inge  lehnte  er  es  ab,  eiuen  text  n  !■ 
lebenden  hildorn  zu  üerem,  die  Uoj'er  auf  don  geburtstag  dos  tirbgroKiburtop  Al' 
len  wellte,  weil  sciue  aoruhe,  innerlich  und  äusserlicb,  zu  gross  soL  Am  I.  (UitW 
berichtet  dos  tagebucb  oinracb:  „Abends  ,*dor  schutzgeist"'.  Abor  schon  i«nri  Up^ 
später  lesen  wir;  .Entwürfe  zn  neuen  tbealereinricbtungcn''.  Am  4.  wird  mit  *«• 
tbeat«nebneider  verhandelt,  am  5.  in  thootenuigelegenheiten  gearbuitirt.  und  is  i^ 
sitzuDg  der  theaterintendauE  der  söhn  förmlich  mit  einem  vortrage  aingunUul;  m^ 
Verordnungen  deshalb  erlassen.  Die  drei  folgeaden  tage  erwJÜimin  nuuii-luiilal  *>■ 
dos  theater  bezüglit^be.  Zur  autführuag  werden  ausser  dem  verktlnton  and  bM'li*' 
toten  .Schutzgeist",  womit  er  sieh  ganz  aussorordeutliuhe  mühe  gab,  Voltaüv's  ,1b- 
homet"  and  Hacine's  „Athalie"  vorbereitet,  damit  die  scbauspiclor  aioh  dl«  ttif 
zeit  vemachläasigto  tragische  spräche  von  nenem  auoigneton.  Audi  macht  et  <>• 
schlage  zu  einer  neuen  einricblung  der  regie,  besonde»  für  die  opor.  Immitfatt  M* 
ben  „tlieatralia"  auf  der  tsgwordnung.  8o  konnte  er  denn  sohon  «ai^h  drw  ww4« 
Zelter  schreiben:  fahre  er  die  näobHteu  vier  nionate  foit,  so  für  das  tbcattt  a 
wirken,  so  könne  er  ruhig  in  die  weit  gvhen,  und  es  würde  für  diese  ansbüt  bM* 
gesorgt  sein,  wie  iur  die  Athonor  durch  Solon's  gesetxo  uud  wcggiuig.  Am  8.  Hin 
kam  endlich  dos  Eotzebue'scha  stück  zur  aufführnng,  und  faiul  grosHin  buiUli  ■• 
ward,  wie  Goethe  gegen  Zelter  eich  rühmte,  ,uwh  altor  W«imariK«har  w«i» 
dition,  Eowol  des  anftrutons,  gebens.  hewegeus.  gnipiüereos,  nicht 
tatJou  uud  doklamation  gogebl^n''.     Aiinlich    dot^hte   tir    mit  luidoren  stl 


Mi 


Torzüglichen  aI>eT  „Bciiluilurhoftoa  taleDtn"  ku  verfuhren,  damit  ihr  repertorium  wider 
vollsUiidig,  ja  roiu  wordo,   wo  denn  sein  gesehSft  boim  theater  Uiia  wenig  mehr  »u 
;haffen  maoben  nerdu,    ,,Dcr  suhutzgeigt''  ward  au  17.  mit  eioor  vei'kürsung  wider- 
holt,  wobei  Ooutbe  wider  einiee  bamerkongen  über  die  auffuhruag  machte.    Am  19. 
„Atholie''  oadlich  die  bübne.    Pie  redaktion  dei'  lustapiole:  „Die  bestohleneu" 
,Der  rotmnutel"  wurd  bedacht,  erateres  wirklich  »pütor  aufgerührt.    Daneben  ent- 
f  er  or]a»ae  an  dio  regisseuro,    an  den  kapellm eistet,   den  re-  und  corropetitor; 
iBch  'Verordnungen  über  andere  inteadauzangelegonbeiten,   obe  er  am  fcühen  uorgen 
1  21,  man:  navh  einer  am  vorigen  tage  abgehaltenen  sit^nng  der  int^ndanz  nach 
lena  eüte.    Da  er,    wie  fraa  von  Stein  beliebtet,   in  groseor  anfregung  von  ihr  ab- 
^ied  nahm,  scheint  aioh  in  jener  Sitzung  ein  streit  erhoben  zu  babou.    Wahrschein- 
ih  in  folge  der  von  der  gegnerischen  Seite  veifochtenen  auffühtung  des  melodtamaa 
jDer  hund  des  Aubry",    für  den  man  auch  den  grossborzog  gewonnen  hatte.    Frei- 
X  erklärte  Gouthe,  als  die  freunde  sich  über  seine  anfregung  besorgt  zeigton,  seine 
liingendste  nngolegenheit  sei,   iu  der  JunoiBchen  ruhe    und  stille  den  erfolg  seiner 
an  expedierten  rusolutiooen  zu  erwarten',  denen  noch  andere  eich  auscbliessen  seit- 
,  aber  er  scheute  sich  nur,  den  eigentlichen  grund  seiner  erbitterung  zu  veiraten. 
Das  tagebucb  verzeichnet  am  nachmittag  des  20.  nur:   „Überlegungen  wegen   der 
JBo".    Er  muss  diese  ni'plölzüch  beschlossen  haben.    Dnss  er  am  21.  mürz  Weimar 
liiess  and  erst  am  lä.  mai  Knrückkohrte ,  hatte  schon  ^'ahlo  („Das  Weimarer  tbea- 
r  unter  Qoolho's  leitung'^  s.  327)  aus  dein  tagebuche  mitgeteilt.    Dadurch  wird  dio 
ge  widerlegt,    der  ich   noch   in   nieineni  „Ooethe  und  Karl  August"  folgen  musste, 
Boedio  sei  am  12.  april  nach  der  probe  jenes  berüi^htigteu  „huodes"  nach  Jena  gefah- 
m.    Jetzt  erst  erkennen  wir,  das»  Kar)  August's  erwäbnung  ,.  verschiedener  ihm  tu 
liivn   und  äugen  gekommener  äussorungen"  sich  auf  jene  Sitzung  der  tbeaterinten- 
iDX  beuchen  muss,  worin  Goethe  mit  niederlegung  seiner  stelle  gedroht  hatte,  wenn 
lan  in  Weimar,    wie  es  in  Berlin  geschehen,    den  hund  auf  die  bühne  lasse.    Nur 
>  klärt  sich  die  entlassungsgeschichte  völlig  auf.    Weiter  belehrt  uns  das  togebuch, 
taa  Goethe  in  Jena  nur  geschürte  der  Oberaufsicht  besorgte,   naturwissenschaftliches 
lri«b  und  zum  drucke  bereitete,    daneben   sich  mannigfach   unterhielt.     Am  26.  märs 
idet  tir  „theatralia",   dio  er  wol  von  Weimar  mitgenommen,   dahin  Kurück.    Den 
I.  kam  sein  söhn,    der  ihm  auch  n'ol  über  das  theater  berichtete,    bei  dem  er  ihn 
vertrat  und  seine  auftrfige  ausrichtete.    Den  4,  apiil  hat  er  gaste  von  Weimar,  unter 
BineD  seinen  sehn,    der  mit  freunden  oder  mit  der  familie  seiner  braut  gekommen 
Unter  den  gescIiiUtssachun,   die  er  mit  ihm  besprach,    war  wol  auch  das 
tbeater  und  der  drohende  „hund  des  Aubi?'.    Zehn  tage  später,  xwei  nach  der  auf- 
(ütarung  des  hnndcstückes,    deren  das  tagebucb  nicht  mit  der  geringsten  andeutung 
^eukt,   bcsnclit  ihn  wider  sein  August.     Fünf  tage   nach  der  Goethe  bei  seinem 
Bchönen  eifer,  das  theater  wider  zur  alten  bliite  zu.  heben,  und  bei  der  Zusicherung, 
t  kunstfach  solle  ihm  ganz  überlassen  sein,   tief  verletzenden  uuerbeteuen  entlas- 
,    kommt  der  grossherzog,   am  die  museon  in  seiner  begleitung  zu  sehen,   nach 
3eB&.     Abends  ist  Goethe  bei  ihm  mit  dem  uuiversitätskurator  und  drei  profossoran, 
pu  andoru  morgen  vor  dessen  abreise.    Damals  hat  wol  die  aussöhuung  stattgefun- 
9n.    Dieses  erste  zusammentreffen  Goetbe's  mit  dem  grossherzoge  nauh  der  entlas- 
iDg  war  bisher  unbekannt,  so  dasa  man  glauben  musste,  erst  naeh  längerer  seit  sei 
ieao  erfolgt     Erfreulich  ist  es,  dass  Karl  August  so  bald  kam. 

Auch  übet  die  stille  bochzeitsfcier  dessobnes  empfangen  wir  nähere  nachricht. 
Jaa  nachmittag  dos  10.  juui  fährt  Goethe  von  Jena  nach  Weimar,  wo  die  „ehebere> 


düng"  stattgefondOD  liaboa  muss.    Darauf  bezieht  sich  der  eintiag  des  II.:  „Zugeh 
rat  voD  Voigt  (duaapn  rat  Gouüie  bei  aUen  familienangolegeuhoiteu  in  amprmih  ufan) 
Mittag  frtltileiu  Ottilie,  Ii«!iboiQ  [sein  vertrauter  arztj  and  hofrat  Meyur.    JTw  itti)»- 
rem  ond  meiiiem  söhn  mancherlei  nach  tisuh  bespronhen.''     Abends  um  0  ahrnt 
er  wider  in  Jnun.     Den  13.  wird  der  „abachiift  der   ehebereduue"    iT'la'+l     Kr- 
16.  beisst  es:    ,.NrK.'li  Weimar  abgefahreu.     Angelangt.     Über  die   riä 
tungen  und  erei);uisse  ....    Uit  A^igust    m  tische.     HuiobBrlei  v 
hofrat  Ueyer  und  olecbaudirektor  Ceiidray,   di«  abends  blieben  ,  . 
und  kupFer  beseben."    Am  aadereti  tage  vormittags:  „Die  grossb«rxugiLi  —  —  ^. 
türatin."^    Er  beeucbte  sie,  um  die  bevorstolieDde  vermühlung  ihoen  aututu^i  ia 
grossberzDg  war  abwesend.     Uittags    ist   er  mit  dem  soliue  allein,     .Aboaila  T  ikr 
traaung.    OeBellscbaft,     Abondes.'ien.''     IVoiter  nichts;   dann  am  fotgäuden  tag;  Jim 
jnngcD  leutchen  abgereist.'    Die  reise  gieng  nach  Berliu.     Alüed  Nicoloviu*  eiiiuwd> 
sich  noch  des  nuFenthaltes  des  jaugoa  paares  in  seinem  elteriichon  hause.  (>4«th*  mUA 
fuhr  abends  nach  Jena,   wo  er  noch  von  dem  jenseitigen  Ufer  die  festliche  biliwA- 
tnng  des  18.  juoi  schaute.    Ein  biief  an  den  eoho  wii-d  am  24.  erwähnt;  er  lialälM 
jongB  [»aar  nach  Jena  eingeladen,  erfuhr  aber  ans  ihren  briufeu,  dass  sio  nii'ht  im- 
meii  köunten.    Erttt  am  1.  Juli  crstxhieuen  sie,    fuhren  aber  ei-hon  abends  xarndi. 

Über  den  anfang  des  jabres  181S  erhalten  «vir  hier  neuo  bndaateada  mittciliupa' 
Fast  beängstigend  ist  der  ausdrucl:  von  Goethes  erbittemng  über  die  allgemHue  Bm[i6- 
ruiig  in  Jena  wegen  der  vom  bondestage  verhängten  Unterdrückung  Jed«r  Mm 
regung.  woi-unter  der  freisinnige  grossherzog  selbst  bitler  litt,  Ubi^r  tioeUu«  am 
wandte  sieb  in  sciacm  Widerwillen  gegen  jede  Störung  der  urdnung,  statt  geg«*  tiA 
Uettemichisohe  knebelung  jeder  ßreisinnigen  fiusEerung,  widor  die,  welch«  sioli  Skmr 
erwehren  wollten.  Im  november  1817  hatta  Lnden's  ursprünglich  ip-i^rt 
gerichtete,  jetzt  Kotzebue's  verrat  und  jede  Verkümmerung  der  len^n  >  ■' 
froihoit  Strafende  .Nenidsis'  als  .heitrag  zur  kenotuiB  der  mit*  diu  .  i 
Ictins  herrn  von  Kotzebue's"  gebracht,  die  in  Jena    einen  wahron  ^tn 

Mit  grösserer  achrift  trug  Goethe  in  sein  tagflbudi  vom  15.  bis  25.  j.-: 

ende   der   einzelnen    tagesbericbte    folgendes   ein:   „Die   iwei   auahiuigeUifc'BU  Luii»u 
contra  Kotzcbae  glengcn  im  stillen  hemm.  —  Jene  aushängebt'gen  machen  au&ubei.  — ' 
Früh  rückte  mau  Luden  ins  luius  und  Itotiliscicrto  die  noub  ührigeu  «KcmpliK.  —' 
tjuchta  man  sie  desto  Deissiger  auf.  —    Ersubieneu  sie  ttbersetitt  und  mit  ikKoi  tiv 
„Volksfround "  nr.  13  und  14.  —  Wurde  auch  auf  diese  bosehlag  gelegt.  —  Wiiri«* 
sie  YOD  der  Cröker'schen  buchhandlang  am  schwamen  hrott  fed  golrerti^ii  titi')  -i«^* 
reissend  ab.—  &hIosa  Oti^n  deu  Jahrgang  1817  seiner  „Isis"  und  v.i  ;      '    ' 
betone  nummor  nauhxubringea,  —    Das  fünfwlinle   attick   vani  „V  : 
aaE^gegeben.  —  Ankündigung  von  ^Babrdt  mit  der  viseroen  stim'  |>'i^ 
quill   Kotzobuo'a].    —    Der  nnfnng   des   neuen  Jahrgangs   dor  „Isis"   v..  .   _.. 
belegt.  —   Kam  die  nachriebt  von  den  Weimarer  verdriessliL'hkelt<ui    (Uum  c-uiauliib- 
ten  des  bundostags  gegen  den  herzog]  herüber."     AntA  sonst  kl&rt  ans  daa  tagubixt 
über  manches  naher  auf,  ao  über  seine  anwesenbeit  bei  der  taufe  dos  snUne»  de«  «iV- 
grossherzogs  (jetzigen  grossliGDiugs),    über  den  besuch  von  l'aiiliuH'lla,    von  diMn  w 
Schema  in  den  „Lesarten"  mitgeteilt  wird,  und  über  den  auroulbalt  in  KarisUl 

Bei  der  herausgäbe  sind  dieselben  grundsätze  wie  fruhur  befolgt.  Wahb  W 
widor  die  ..Lesarten'*  geliefert.  Daa  tagebuoh  ist  während  des  Jitugiuvn  anlanlhllk 
in  Jena  von  verscliledeuen  liUuduu  geschneboo  unil  leidet  hiluliger  ab  bishvr  aa  htt* 
fehlem ,  die  Goethe  nicht  überall  berichtigt  hat    Auch  im  abdnick  sind  oeob 


?.    (IVI 


a.) 


365 


atebeo  geblieben.  SitinslÖrende  sobreibfelilor  bemerLoti  wir  an  foigenden  aleücn. 
39,  11  fg.  Von  Madame  Bolm  aus  Hamburg  hijrte  or  „aber  Klopstouk.  Kuobol  und 
andere  ftltere  mfinner".  Es  liegt  auf  der  band,  das.?  liier  der  seit  1774  befreuiidote 
Knebel,  den  Goethe  zu  Jeua  nocb  ia  nituhster  nähe  hatte  und  hüußg  sah,  nicht 
geniL-iat  sein  kann.  Welchen  oBmen  er  hier  genannt  hatte,  ist  weniger  sicher.  Gleim, 
nn  deu  man  Kunäohst  denkt,  liegt  dem  laute  unch  etwas  zu  fem.  —  In  dem  ein 
paar  zeileu  damuf  folgenden:  „Über  bevölkerung  nach  grossen  lücken  in  den  natio- 
nen",  mnss  es  kriegen  heissea.  117,  6  fgg,  „Brief  an  Frege  [Cotta's  I^eipziger ban- 
kier]  4000  thaler  (für  mich}.  1Ü(I  thaler  an  Fehx  {für  wein)."  Goethe  hatte  statt 
(ür  wein  diktiert  anweisnng.  Vgl.  die  ointragungon  vom  4.  und  G.  februar  1818: 
.ATJflbrief  (an  Frege)  wegen  der  100  thalor  für  Felix,  die  auweisung  auf  100  thaler.  -~ 
Asaignatiou  an  Felix  auf  100  thaler  und  nvisbrief.*'  Die  Verbindung  Goethe's  mit 
dem  hnuse  .„Gebrüder  Felix"  oder  .Felix  and  eomp."  dnden  wir  schon  im  Jahre  ltiL4; 
xiun  ersten  male  wird  es  am  18,  ajiril  erwäluit,  eine  RHsignatinn  auf  sie  von  100  tha- 
leru  am  3.  juli.  Vgl.  dus  tagebuL'h  am  Iti.  Januar  1815,  24.  Januar  und  16.  april 
1816  und  am  20,  mai  1817.  Immer  wird  einer  „anweisung"  oder  „assignatiou"  au 
sie  gedacht,  nie  der  gelieferten  woaien.  —  119,  3  soll  es  statt  abhaodlung  heissen 
Abhandlungen,  wie  richtig  z.  12  steht.  —  140,  17  ist  statt  Gdruhards  zu  lesen 
Oerhards.  Gemeint  ist  der  zu  Weimar  geborene,  später  mit  Goethe  in  näherer  Ver- 
bindung stehende  Leipziger  kaufmann  Wilhelm  Gerhard.—  150,  12  niuss  Leonardo 
oder,  wie  es  sonst  im  tagebuch  regelmässig  lieisst,  Leonard  (auch  Leonardisoher 
traclat  173,  27)  statt  Leonurdus  stehen.  —  173,  28  soll  es  wol  Deahne  statt 
Dhcin  heissen.  In  der  , Farbenlehre ",  bei  behaudluug  der  „entoptischen  färben'^ 
XXXIV  wird  die  stickcrin  eine  geschickte  nähterm  genannt  Goethe's  Schwager  Vnl- 
pins  halte  eine  Deahne  geheiratet.  —  195,  7  muss  es  Carove  statt  Carue  heiasen, 
venigsteus  ist  der  schon  damals  auch  litterarisch  hervorgetretene  Fr.  W.  Carove  ge- 
maint. —  47,  13  ist  nachts  drnekfohler  Tür  naobt  oder  zu  irrig  widcrbolt  oder  es 
mnss  bis  nachts  heissen,  wie  48,  113.  —  Die  Schnitzer  des  Schreibers  „Mit  Sere- 
nissimum"  136,  8  und  „Serenlssimum  über  mehrere  punkte*  156,  15  statt 
Serenissiino  sind  arg;  freilich  wäre  an  der  »weiten  stelle  auch  Ad  oder  An  Sere- 
nissimum  mii^ieh.  —  Unbedenklich  war  auch  wol  142,  13  entschuldigt  sieb 
berzustellen ,  statt  dass  das  erste  wort  erst  am  ende  der  zeile  folgt.  Beanstanden 
müssen  wir  auch  6,  15:  „Behbein  mit  solchem  (?)  über  ....",  9,  14  „bezüglich  an 
(ttof?)  die  tableaux,  11,  14  fg.  .RoUon Verteilung  auf  (zu?,  wie  118)  Mahomot-,  22, 
17  fg.  „Khoin  und  Mayn  von  Jena  (statt  Mayn-beft),  wo  mau  freilich  zur  not 
von  Jena  darauf  beziehen  ki3ante,  dasa  er  eine  korrektar  von  Frommann  in  Jena 
erhalten  hatte,  dann  aber  wära  Jedesfalls  der  ausfatl  von  hett  anjnuohmen  nach  der 
gangbarcti  bezeichnung  dieser  Zeitschrift.  —  250,  10  nn 
wegen  don  (statt  der]  türstücken  stehen.  -  271 
iniueralog.  mitglied  heissen.  Andere  versehen  s 
snm  Jahre  1800  verzeichneL  —  In  den  ,.Lesarten' 
dmckfehler  Otten  statt  Okon. 

Wie  Trüber  geben  wir  auch  Jetzt  einige  be richtig ungen  und  ergänzungen  zu 
deu  vielen  sehr  dankl^ar  anzuerkennenden  erläuteruogen.  9,  6  „Herr  lieutenant  von 
Schiller'  ist  Schillei's  ältester  söhn  Karl.  Er  brachte  wol  das  tbeaterstück  eines 
froundes.  —  26,  3  „Thusnelda  an  Knebel"  deutet  auf  die  briefe  des  schon  1807  ge- 
Btorbeiieu  frfiuleins  von  Göchbausen,  die  wol  Knebel  ihm  mitgeteilt  hatte. —  IT  „Mor- 
phologie."   Er  begann  damah«  das  erste  heft  „Zur  morphologie "  zusammen  zustellen, 


nach  Goethe's  Sprachgebrauch 
!  sollte  es  als  (statt  wegen) 
s.  232  vor  dem  nachtrag 
«merken  wir  zu   ICO,  9  den 


388  dUktckr 

dessen  nufffitze  in  don  tolgi^ndr-n  ini^niiton  onrhhiit  werden.  —   27,  8.  20. 
rigierto  vurwort"  besteht  ans  zwoi  niifsäticnn  vor)  1B07,  liie  jelil  qnlor  dor  Ql 
„Das  DB^emeliineD  nird  entschnldigt "  and  „Dia  absifhl  eiuc^loilet"  b«Arii«llel  wl 
gedroctt  würfen   (30,  IC  fgg.).  —    Die  .Ooaohiolite   inoineK   butaniKchun  »twümu* 
(30,  5  fg.)  folgt  dort  naoh  eiuem  neuen  vorwort  „Dur  Inhalt  bevorwortnt-',  A>mi  im 
letzte  Seiten  niubt  mehr  auf  den  ersten  bogen  (Hl,  2G  (g.)  gingnn. —  Di«  «n  ^.  ijir] 
erwähnte  behauptung  Kant's  {31,  20—23)  findet  skii  in  der  Bohon  geplsntoo  miitc 
Inng  seines  gespiüchcs  mit  Schillor  nber  die  inQUuii.ii'pl)Ofii>  der  pflanceu,  wdel»  te 
erste  heft  «Zur  morphologio''  in  der  „^eschiclito  Heines  botuniaelien  Bludinma*  m 
abschnitt  „Glünküohes  ereignis'  brachte.    Dort  wird  jene  behanptung  nicht  Kanl  <n^ 
driicklioti  beigelegt,   sondein  unter  den  von  SchiUor  ihm  entgrgongehaltniiui  «Itna 
erwähnt,  die  ihn  ganx  nnglücklieh  gemacht.  —  3S,  2.  13  Dor  , Keagritob«*  iHt4*r 
Übersetzer  von  Goothe's  „Iphigenie'  Papadopulos.    Vgl.  41,  19,  —  B*i  der  ridianrait 
von  Castiglione  (40,  2)  war  auf  das  vencichnis   der  von  Ooetbi 
Bohuchanlt  nr.  250— 2(15,  an  verweisen.    Naoh  der  art,  wie  rliosns  xwisobRa 
1er*  nnd  , Dessen  Studien  und  cjcainen"  eingeschoben   ist,  sollte  nun  glaaba. 
nntorredung  Ooetiie's  mit  Schillor's  jüngerem  söhne  £rnst  hab<i  sich  auf  dio 
bezogen,   da  diese  doch  vielmehr  dessen  weiteri?  voilmreitung 
betroffen  haben  wird,   nber  dio  gomde  hier  vom  horausgebur  anskunft 
den  mnsstc.     Aber  die  worto  „Itadieruug  von  Castiglione''  at^bnini 
oder  nach  ,v,  SchiUer*  zu  gehören,  —  Die  anfelitze  „SehicItBa!  dfts  mooii! 
,26)  and  „Priorilflt"  {42,  5)  sind  richtig  in  den  Werken  narbgowieson,  aJm  tt*' 
aus  dem  hefto  ,Zur  morphologie"  aniufiiliron,    für  welches  sie  damals 
wnrden.  —  47,  ]  6  „Vorwort  zur  zweiten  abtcUang',  im  drucke  vom  27.  mal 
62,  13  ,Der  lieutenant",  Enebel's  solin  Kari  (2.  11).  —  16  „Übela",  doer  ftathnkC* 
wogegen  der  grossherzag  Ooctho  sdniürstnimpf«  pnrpfohlEin  iM,  1),  ^  M,  R  Jjox' 
drei  versohiedonen  ätjjl".     Da.i  orata  heft  dos  ernten  bände«  fühil  den  geaamtÜWl  * 
,Zar  natnr  wissen  Schaft"  öboi'hanpl,  fcesf'udors  durch  morjihologie,  erfabrung,  betni»^ 
tung,  folgornng,  darch  leben sereigoieae  verbunden";  daneben  wurden  lioinndew  til«» 
fiir  jede  ableilung,  „Zur  morphologie"  und  „Zur  naturwisson Schaft*,  gndrnntL  —  61,  ^^ 
(Des  miiTchoDB ",   das   er  den  Prinzessinnen  zu  orEühlen  bngODiwn  Iiatti«,   wm  (■**' 
lieb  früher  nicht  berichtet  ist.    Indische  nifirchen  hatte  er  schon  im  *oriß>*n  mii  Jl»- 
sen  erzählt  —    Übergangen  ist,    daas  105,  25  fg.  ,EliiwirlEung  der  KüiiUsoheD  |)liil9- 
Bophie»,    106,  11  fg.  „Intuitiver  vetstand"  (Kant«)  siuh  auf  die  „Mobsmoriiha»»  i" 
pflanze'',    22  ,  Anschauender  verstand",    107,  7  „Günstige  rooonsionon"  anf  dia  «w 
rKhmogen  des  zweiten  hcftes  „Zur  morphologie"  beziehen ,   die  an  den  angcgvtrtt'* 
tagen  geschrieben  sind.  —  108,  21.  25  fg.  „Indische  Weisheit-  deutet  anl  Fr,  Sil»- 
gel's  Bchrift  von  1808  „Über  die  spra^'he  und  Weisheit  der  Iiidior',  diu  er  wd  tfanklO' 
wo  80  viele  neue  orsoheinuogen  der  indischen  Ütteratar  die  aufmerksamkpit  om^» 

wider  las.  —  115,  14  _An Tauscher".     Hier  hätte  sein  titri  „adjunkf*  tiogM^ 

werden  sollen,  für  den  räum  gelassen  war.  —  130,  12  fg.  „Brief  an  dr.  0. 
Oemetnt  ist  Christian  Schlosser,    der  jüngere  iimdcr   die  rales  Friedricfa 
Goethe  kannte  ihn  schon  seit  ilem  anfange  des  jahrhauderls,    stand  Jatat 
auf  die  kanst  mit  ihm  in  Verbindung.     Kr  ist  auch  otn  15.  deoeraber 
143,  18  „Geschichte)  der  fran  von  JCriideaer  in  Erfurt",    dio  in  dtvn  not 
nnd  1817  in  der  Schweiz  nnd  Dontsohlaiid  henmizog  nnd  d»s  volk  m 
tm  4.  april  1318  dichtet«  Ooetho  auf  sie  dio  auharfe  Invektive  „Junge  hl 
Donneu*  flV,  185),  aber  schon  vier  Jahre  früher,    wu  aid  in  Part»  ihr 


7.   (WEl 


Q.) 


er  TOD  dem  „dudelsack  dci  religion,  der  iingeBtimnkt  worden,  damit  die  von 
zd  DOnneu  gewordenea  ihren  menuct  aDstfodi);  tAtiKcii  köonten''.  —  27  Äuf- 
Ktz  über  Witt  Döring'a  besnch  bei  Goethe.  —  155,  11  fg.  „Bchwcigger's  epos-,  ein 
lltsuiies  naturwlssenschaflliches  des  bekanotsn  physikers,  der  sich  besondei's  mit 
bfetrioittit  und  galvaiilsnius  beschäftigte. 


Jahr  1818.  156,9.10.  „FrommaunisoheKWartbQrgfeBt",  die  handschiiftlicho  schil- 
smag  desselben  vom  jüngoren  rrominruin.  —  157,  14  fg.  ,Älle  briefscbaften  und 
Bdichto  von  Dessau,  aus  Bebrischens  DRchlsss".  Hier  b&tte  genaaeres  gegeben  wer- 
n  sollen.  Anf  sie  beeieht  sich  anch  der  eiatrag  vom  20.  Januar:  ,Goh.  kabinets- 
t  Kode  in  Dessau  mit  4  Louisdore.'  Das  nähere  bieten  Rode's  hriefe  an  KnoHe!  in 
eiuer  Sammlung  ,Zur  deufschen  litteratur  und  geschichte  (1858)  11,  160  fgg.  — 
19,  27  ^NioolanB  Gigas."  Ein  griecbo  Gigas  wird  1819  in  den  Jahr-  nnd  tageshef- 
n  genannt.  Vgl.  165,  23;  246,  25.  —  167,  47  „WoItgoaohichtB, "  D«n  genauen 
bei  dieses  werks,  das  Goethe  Jetit  zu  lesen  begonnen,  und  zu  dem  er  gern  aux  den 
irren  des  tagea  flüchtete,  geben  die  lesarten  ei^t  zu  216,  21.  —  170,  24  , Stanzen 
im  maslceniug",  des  kanzlers  von  Müller  zam  18.  febrnar.  Vgl.  meine  ,Erläute- 
ingen  znOoethe's  maskenzügen'  s.  108 — 113,  welche  die  eintrage  dieser  tage  ins  licht 
itzen.  —  175,  24  tg.  Hier  erfahren  wir  ei'St,  an  welchem  tago  der  dichter  auf  dem 
•skonball  erschien.  Vgl,  a,  a.  o.  s.  119  fgg.  ^  177.  16  fgg.  Die  „einigen  stao- 
w'  ror  den  Sonetten  der  seit  1776  Goethe  befreundeten  freifrau  Julie  von  Beclitols- 
Ün  sind  bisher  nicht  bekannt  geworden.  —  179,  19  fg.  „Die  kinder",  söhn  und 
iHwicgertochter,  waren  wahrend  Goethe's  abwesenbeit  zu  Jeaa  aus  ihrer  mansarden- 
^mung,  dem  sogenannten  scbitTuhen,  in  den  ersten  stock  gezogen.  —  „Faralipomena", 
ie  ihrer  schärfe  wegen  zurück gelialteaen ,  von  seinem  söhne  gesammelten  inveoti- 
Id.  —  180,  2  „Im  garten  am  st^rn",  seinem  alten  garten,  den  er  auch  „den  nutem 
■rtcn"  (vgl.  i.  \\)  zu  nennen  pQegte.  —  191,  6  „Reisig'ä",  des  begabten  achülera 
on  Gottfried  Hermann,  der  damals  als  piivatdocent  nach  Jena  kam.  Die  „Jahr-  und 
^eshefte  gedenken  seiner  unter  dem  joliro  1820.  —  194,  S  „Durch  einen  liusaren", 
kB  der  grossberzog  von  den  fünfzig  in  seinen  porsouliohen  dieoeton  stehenden  gesandt 
Rtta.  —  18  fg.  e  Die  goldene  medaille'  ist  die,  welohe  man  in  Mailand  auf  den 
g  durch  den  berühmteu  medailleur  Putinati  hatte  schlagen  lassen  zum  danke 
US  Italien  mitgebrachten  und  geschenkten  kunstwerke.  Vgl.  Schuchardt, 
(Goethe'a  KuDStsamiiilungen"  H,  176,  1401.  —  199,  13  fg.  Nach  der  taufe  des  enkels 
I  bei  tische  die  urgrosamutter  nnd  die  gvossmutter,  oberkonsistorialrat  nnd  hof- 
Kliger  Günther,  der  die  taufe  vollzogen  hatte,  Behbeiu  und  Rinaldo,  dessen  juu- 
r  aohn.  —  201  Der  hier  etwas  sonderbar  blos  als  „atudout  von  Berlin"  und  mit 
len  bezeichnete  Nicolovius  war  sein  neffe  Franz,  der  Goethe  sehr  nahe  trat.  — 
,  25  ,  Winkel  mann",  die  aus  dem  italienischen  übersetzte  Schrift:  ^Winkelmann's 
i  lebenswoohe ".  —  205,  8  fg.  , Shakespeare'schea  kleines  gedieht",  in  „Kunst 
1  altertam"  11,  3,  32  fg.  unter  der  hezeiohnnng:  „Aus  einem  Stammbuch  von 
M"  mit  der  Unterschrift  „  Sbakespeare ".  Das  W.  S.  unterzeichnete  gedieht  hattn 
•necke  in  einem  mischbande  der  Hamburger  bibliothek  gefunden ,  der  auf  dem  ein- 
lüde die  Jahreszahl  1604  ti'ägt  und  es  in  der  zoitschrift  „Die  wunachelrutlie"  ain 
}.  april  bekannt  gemacht.  Goethe  erhielt  davon  eine  absobrill.  —  212,  16  ^Phino- 
lene  des  httenuischen  bimmols",  eine  launige  tusam  man  Stellung  der  uamen  der 
1  namhaften  dichter,  die  ein  brief  an  Knebel  gibt  —  217,  5  „Über  den  widar- 


368  DÜNTZKR 

streit  des  antikeu  und  niodernon.*'     Der  aufsatz  „Antik  und  modern**,  der  in  „Kun; 
und  altei'tom"  II,  1  unmittelbar  auf  den  grossem   „Philostratische   gemälde*^  folgrc* 
ward  jetzt  erst  diktiert,   am  folgenden  tage  fortgesetzt,   der   schluss   über  BoordoK 
scheint  am  27.  mai  selbständig  entworfen  gewesen  zu  sein.  —    245,  2  ^Jobn*'.    HicM 
war  dieser  zweite  Schreiber  Goethe's  namens  John  von  dem  ersten,   einem  fipeandc 
seines  sohnes,  der  1813  an  Riemers  stelle  getreten  war,  aber  nicht  einschlug,  bestimr»At 
zu  unterscheiden.  —    247,  17  „Das  ehrenlegionszeichen*',   zum  ersatz  des  von  Nap^o. 
leon  1808  erhaltenen,    das  er  nicht  mehr  tragen  durfte.    Den  dank  dafür  sprach   or 
in  dem  briefe  an  den  herzog  von  Tarent  (266,  27)  aus.  —  249,  19  ,|Der  hofdienst  ^, 
beim  erbprinzen.  —  269,  7  „Hamann"^.    Er  sah  seine  kloine  seltene  Sammlung  Hamaon- 
scher  Schriften  durch,  zunächst  veranlasst  durch  seine  darstellung  Herder's  im  mas- 
kenzuge,  da  Hamann  auf  diesen  einen  sehr  grossen  einfluss  geübt  hatte. 


Die  beiden  neuen  brief bände,  welche  die  jähre  1800  bis  1803  umfassen,  ent- 
halten mehr  als  600  briefe,    von  denen  freilich  eine  ziemliche  anzahl  nicht  den  ao- 
Spruch  erheben  darf  als  briefe  zu  gelten;  manche  sind  amtliche  erlasse,  gescbftftlicbe 
mitteilungen,  ja  einfach  waaren-  und  bücherbestellzettel  und  sollten,    wie  so  vieles 
in  den  sogenannten  „Lesarten*'   ihre  stelle  finden.    Von  grossem  werte  ist  die  dort 
gegebene  mittoilung  von  vielen  in  den  bricfen  ausgefallenen    stellen  der  erhaltenen 
concepte,    die  auch  für  die  lesung  von  bedeutung  sind,    von  aktenstücken  und  brie- 
fen  oder  stellen  aus  brief en  an  Goetlie.    Leider  sind  mehrere  concepte  Goethe's  duab 
einen  bedauerlichen  zufall  bei  der  Zusammenstellung   der   briefe  übersehen  wonleD- 
die  erst  in  einem  folgenden    bände  unter   den  nachtrügen  gegeben    werden  konDen- 
Etwa  ein  sechstel  aller  briefe  ist  an  Schiller  gerichtet,    ungefähr  ein  drittel  dieser 
zahl  sind  an  Christiane  Vulpius,    etwas  weniger  an  Kimis,    Voigt  und  Cotta;  nack» 
ihnen  sind  herzog  Karl  August,  Zelter,  W.  Schlegel,  ßochlitz,  Schelling  und  Meyer aiJ» 
stärksten  vertreten.     Unter  den  hier  zum  ersten  male  gedruckten  bricfen  nehmen  di^ 
an  Christiane  Vulpius  die  erste  stelle  ein.     "NVio  in  den  früheren  jähren  sprechen  si«^ 
die  trauteste  hcrzlichkeit  aus,    besonders  zäillich  sind  die  vom  jähre  1803,  nachdeac» 
zu  ende  des  vorigen   jalires  Christiane    im  Wochenbette   schwer   gelitten    und  luct* 
ihr  viertes  kind  kurz  nach  der  geburt  verloren  hatte.    Als  sie  im  bado  LauchstaJ^ 
verweilte,  von  wo  sie  den  gatten  durch  ein  ausführliches  tagebuch  erfreute,  schrieb  e»" 
ihr:  „Wie  sehr  von  herzen  ich  dich  liebe,  fühle  ich  erst  rocht,  da  ich  mich  an  dei" 

uer  frcude  und  Zufriedenheit  erfreuen  kann Dass  dir  alles  glücklich  von  statteD 

geht,  freut  mich  sehr;  du  verdienst  es  aber  auch,  da  du  dich  so  klug  und  zieiücb 
zu  betragen  weisst.  Mache  dir  wegen  der  ausgäbe  kein  gewissen!  ich  gebe  alles  gern 
und  du  wirst  zeitig  genug  in  die  sorglichkeiteu  der  haushaltung  zurückkehren  ..•• 
Schicke  mir  mit  nächster  gelcgenhoit  deine  letzten  neuen,  schon  durchtanzten  schöbe, 
von  denen  du  mir  schriebst,  dass  ich  nur  wider  etwas  von  dir  habe  und  an  man 
horz  drücken  kann.**  Die  briefe  an  Schiller  sind  durch  keinen  ungedrucktea  ver- 
mehrt, dagegen  erhalten  wir  neue  noch  unbekannte  schreiben  an  den  herzog,  möst 
Vorträge  oder  anitli<'he  mitteilungen,  und  aucli  die  ohne  adresse  überiieferte  mittei- 
hing  4536  ist,  obgleich  der  henuisgeber  in  zwoifel  steht,  welche  Weimarische  oder 
Gothaische  fürstliclio  ihm-sou  gemeint  sei,  entschieden  an  Karl  August  gerichtet,  den 
Goethe  auch  4563  „Ew.  durchlauoht''  anrtMlet.  Die  falsche  datierung  wird  in  den 
„licsarteu*  U^richtigt.  Zwei  unbekannte  briefe  an  die  herzogin  Luise  erhalten  wir 
(4340.  4435),  einen  an  den  erbprinzen  Karl  Friedrich  (448<)),  drei  an  den  herz<^ 
Ernst  11.  von  Gotha  (4263.  79.  83),    einen  an  den  prinzen  August  von  Gotha  (4174). 


IKK    (W 


G.) 


lilmoh  sind  die  neuen  sohreiUen  an  Cotta  und  die  mitteilungen  an  Voigt  nnd  Kinns, 
ai  brieFe  sind  an  W.  von  IIuQibotdt  (4285  uod  4316).  Durch  ebxelne  oder  inph- 
!  noch  nicht  veroffen tUchl«  briefe  erfahren  wir  näheres  über  ßoethe's  beziebung 
i  so  msnchen  Zeitgenossen,  woniit  ihn  die  kunst  oder  das  leben  ia  Verbindung 
tlMiMiht,  oder  die  er  für  die  fortsetzang  der  litteratarzeitung  gewinnen  wollte,  unter 
lAlem  anderen  ansiehenden  erhalten  wir  jetzt  ei^t  die  kräftige  abfertigung  der  unbe- 
Innenen  beschuldigaag  von  Kotzebiie's  muttor  (4497),  welche  in  den  , Lesarten" 
[fiitljoh  mitgeteilt  wird. 

Die  beiden  briefbände  sind  noch  von  Ed.  von  der  Hellen  beraosgegebeo.  Die 
Mxüge  und  die  mäagel  seiner  behandlung  sind  dieselben,  die  wir  an  den  friiheren 
merkt  haben;  fast  scheint  es,  dass  jene  nouh  eilfoitiger  gemacht  sind,  als  diese, 
nn  es  auch  an  fleiKa  und  eifer  nicht  gefehlt  hat  Was  xunfichst  den  Wortlaut 
rifft,  80  begegnen  wir  wider  der  sonderbaren  scheu,  den  aosfall  eines  wertes  anzu- 
unen,  obgleich  dieses  vei^ehen  so  häufig  bei  raschem  schreiben  sich  einstellt,  und 
'  herausgober  selbst  dies  an  manchen  stellen  nicht  läugnet.  Aber  lieber  nimmt 
zu  sonderbaren  erklärongen,  den  härtesten  verschmekungon  seine  Zuflucht,  als 
m  er  dieses  natürlichsten  mitteht  sich  bedient,  das  er  pedantisch  schilt,  während 
aer  Vorwurf  vielmelir  sein  eigenes  verfahren  trifft,  Su  fehlt  offenbar  43'j7  nach 
mcht  noi  zu  leben"  das  Zeitwort  „wünsche "  in  dieser  Goethe  geläufigen  formel 
1  vergleiche  nur  4268  und  70),  aber  es  wird  als  „nicht  unbedingt  notwendig' 
bgelehnt.  Dass  4274  nach  ,herm  professor"  der  name  Meyer  aoagefallen  ist,  wird 
^isehen.  In  den  eiligen  Zeilen  an  Schiller  4356  heisst  die  hinzufngung  eines  „Ih- 
B^  vor  „zusende'  (dorthin  gehurt  es)  , pedao tisch ".  Freilich  fehlt  es  in  allen 
ncken.  Richtig  ist  dagegen  4565  „mir",  das  auch  noch  bei  Vollmer  fehlt,  zuge- 
tet,  doch  würde  ich  es  lieber  vor  ,wie"  als  vor  „nur'  einschieben.  Seltsam  ver- 
Ingnet  der  herausgeber  dieses  „mir*^  in  der  anmerkung  zu  s.  112,  1»,  wo  er  gerade 
Ben  von  ihm  selbst  verbesserten  ansfall  als  begründung  dafür  anführt,  dass  er 
t  das  nicht  in  der  handsohrilt  stehende,  mit  recht  in  den  drucken  eingeschobene 
'  wider  entfernt  hat.  ;46I7  (s.  17S,  18  fgg.)  nimmt  er  wider  seine  beliebte 
^Schmelzung  an,  aber  vielmehr  ist  das  aus  versehen  nach  ^einsieht"  ausgolaasene 
'  einzusetzen.  Zu  den  werten  des  biiefes  au  Cotta  4620:  „Andere  kleinig- 
iteo  nioht  lu  gedenken'^  stimmt  nicht  die  bemerkung  der  losarten:  , Andere  nicht 
möglich".  An  einer  von  beiden  stellen  muss  .andere*  dmckfehler  für  „anderer" 
!D,  das  den  vorzug  verdient.  4714  wird  die  Schreibung  ,  widerstreben  den  und 
nitenden  nachnchten"  verworfen,  weil  dann  „widetstrebenden"  neben  „widerstrei- 
iden"  tautologiscfa  wäre,  als  ob  zwei  mit  derselben  präpositioD  zusammengesetzte 
Mtwörter  deshalb  tautologisi<h  wären.  4723  (306,  5}  wird  wirklich  „zu*^  eingescho- 
a,  doch  auch  die  mägliahkeit  behauptet,  statt  dessen  in  der  vorigen  zetle  „und" 
r  nnm"  in  lesen:  aber  diese  mögliohkeit  trifft  die  wnbrheit!  Einige  der  Verbesserungen 
■  beranagebers  liegen  ganz  auf  der  band,  wie  4465  „verstand''  statt  „verstanden", 
162  ,ein-  statt  „einen",  4682  der  name  „Dürrbanm-  statt  „Oiirrbein",  wogegen  die 
meine  form  des  naniena  „Slevoigt"  4469  nicht  nnberichiigt  bleiben  durfte.  Aach 
B  Umsetzung  einer  bedeutenden  stelle  in  dem  briefe  an  Schlegel  (4747),  den  man 
tber  an  Iffland  geschrieben  glaubte,  trifft  zu,  wogegen  es  ungegründet  sobeint,  da^s 
■I  4275  die  werte  -dient  folgendos  sclioma"  nach  „mitgeteilt  worden'  erwarte, 
^tlow  kritiscbe  einfalle  begegnen  uns  mehrfach.  4272  soll  in  den  Worten:  „tTbri- 
s  habe  ich  noch  viele  menschen  gesehen",  vielleicht  „auch"'  statt  „noch"  zn  lesen 
.  Aber  „noch"  gebt  auf  die  tage,  welche  er  bis  dabin  in  Jena  verlebt  hatte; 
.  xxvin.  24 


370 


dDntzkb 


freilich  tat  es  etwas  überlästig,  aber  nach  «übrigens"  nicht  so  ■nlhJtend  iria  j 
sein  würde.  —  Zu  4297  lesea  wir:  , Jeder'  (122,  6)  in  ^jener'  lu  imkrn,  Dp 
uafae,  zumal  der  brief  keine  spur  Ooetbiscber  durolisicht  leigt.-  Vaä.  liodh  i*t  di*« 
Vermutung  nur  bei  vülligom  misaveRlSndais  mögVch.  Goethe  rftt  SchillM  Ton  a«- 
dium  des  griecbisahen  ab,  woran  er  als  dichter  „sieb  wenig  erbauen'  wente,  «nl 
„das  stüSartige  jeder  spräche,  sowiä  die  verstaadosroTmea  m  weit  von  der  )inidst- 
Üon  abstehea".  Es  liegt  ibm  dorobauti  fem,  dies  gerade  tod  der  gricchisaiieii  ipn^ 
infioDderbeit  zu  bebatiptea,  er  Bjiricht  vuni  gt&mmatischeo  Studium  äboihaii||t  — 
4484  ,Sie  sind  olle  ohnehin  so  gescbäftig."  Die  verinutung  .Wch&ftigt-  itl  |ai 
holtlüK,  du  Goethe  auch  sonst  „gescbäfüg"  in  diesem  Biiiue  braucht.  —  450G  *I^m 
kompositiiiD  durch  alle  ihre  teile  zu  folgen  und  Bie  aiub  wirkliub  als  Im  pueo  B 
deuten.*  Hier  musa  ,im  ganzen'  verhört  sein  für  „ein  ganxeB".  —  Öbds  abaoBdaiak 
erscheint  4526  die  vennutung  „bonBlituiert"  für  „konstruiert":  das  ist  oim  duA 
nichts  begiiindete  entstellung  des  ganz  gehörigen  bildlichen  ausdrucksa.  —  4336  »|wt- 
tetdasTom  heranagebei'  nicht  beanstandet«  „zu  unserer  (eineri')  gefälligen  aubuhow 
Jedor  deutung.  —  4601  .Aabäogebogeu'  wird  für  das  ganz  riuhtiKe  „aUBbüDgebupi' 
ohne  jede  rüoksicht  auf  den  Zusammenhang  vermutet,  weil  am  sohlusw  diw  bcwlM 
auch  der  beabsichtigte  „aubaBg"  erwähnt  wird.  Verfehlt  sind  auch  die  vofMhUfSi 
4666  „und"  statt  „und*  und  4782  „ebige"  statt  noigoe"  lu  setzen.  An  tm  )mt 
stellen  wären  begründete  Vermutungen  wol  an  der  stelle  gewesen.  4462  Gndn  •!( 
den  ausdruck  „stempeln*  von  den  gemmen  anstössig;  Goethe  hsttu  wol  stsisfa 
diktiert,  vieUeicbt  auch  im  abgesokickten  briefu  wirklich  verbessert  Am  «nie  vm 
4607  inuiis  es  „bugens*  statt  „bogen*  beisseu,  4650  „anregung''  statt  ,ijargangii'^^ 
4710  (289,  20  Fg.)  „umsehen*  statt  „umher  »eben",  wie  es  richtig  vorher  und  4713  iltiX. 
Bei  mehreren  briefen  sind  die  namen  der  adressaten  oder  4»  datum  Tom  bir- 
anageher  richtiger  bestimmt  Aber  Bebr  zu  bedauern  ist  es,  dass  er  meine  TunVdl^ 
mer  aufgenommene  richtige  datierun^  des  briefes  an  Suhiller  4376  luoh  sein«  bi- 
schen Vermutung  willkürlich  entstellt  hat  Freilich  trägt  der  brief,  wie  in  den  ti^ 
heren  druuken,  auch  in  der  Urschrift,  dio  Vollmer  nicht  vorlag,  erut  duivh  ■ 
Schenkung  Burkhardt's  in  das  Goethearcbiv  gekonunen  ist,  nach  der  vt'ruoberuoi:  • 
beraosgebers  das  falsche  datum  des  6.  märz  1800.  Die  jahreszabl  ist  offenbar  U* 
der  märi  oin  bekanntlich  auch  iu  Goethes  briefen  büuiigns  versehen,  dn  tm  anlM 
des  nonats  der  gewohnt«,  eben  verHossene  monat  statt  des  laufeodi'n  slvbt.  I" 
berausgeber  mutet  uzis  im  ernste  zu,  den  6.  niärz  für  eine  verwoobHeluug  mit  den 
3.  oder  4.  april  zu  halten,  und  zu  glauben,  Goethe  habe  „ineehttnisuh'  das  ditnn 
unter  den  brief  gesetzt,  das  er  lulSllig  auf  einem  vor  ihm  liegenden  scbriftstiiEt 
gesehen  I  Eine  solche  abeuteueriiclie  uiiglnublichkeit  würde  man  sich  kaum  gebU" 
laasen,  weim  der  B,  april  wirklich  unmögUch  wäro.  aber  nicht  dieser  ist  et,  »■ 
dem  der  an  dessen  stelle  vermutete  3.  oder  4.  Wenn  Goethe  schreibt:  „HSdrtB 
sie  mich  wol  donnerstag  mit  profeasot  Meyer  besDubunV*  so  kann  nur  ob  doaftn- 
tag  derselben  Woche  gemeint  sein.  Der  brief  ist  an  einem  montag,  dum  S.  Ipi 
geschrieben,  nicht  am  froitog  oder  Sonnabend  der  vorhergehenden  woobei  er  ist  tS^r 
bar  erwideruDg  auf  Schillers  brief  vom  3.,  worin  dieser  seine  i^ckkohr  nadt  W» 
u&r  und  seine  hofTuung  meldete,  in  vierzehn  tagen  mit  seinem  neuen  tnntm^ri  tt' 
tig  zu  sein.  Wenn  Goethe  Scbiller's  fragen,  die  er  hier  beantwortet,  dusaon  l«lllt* 
bliefü  zuschreibt,  so  ist  das  nur  ein  leicht  erklärliches  versehen,  das  gegnnölHr  d* 
b«ziehung  auf  Scbiller's  brief  vom  3.  april  und  dem  feststdisoden  (L  t^ 
begründen  kann.  —  Die  bemerkung,  das  datum  von  -1597  MibwMika,  tt 


8(W1 


Q.) 


3TI 


oh  Goethe's  kind  am  lü.  oder  18.  december  geborsD  sei,   ist  oioht 

da  der  16-  feststeht  —  Mit  recht  hebt  der  terausgeber  den  widerapruch  dea 

Ton  4428  mit  dem  lagehuoli  hervor,    wonach  Goethe  am  24.  Oktober  1801, 

ir  überliafert  ist,    uioht  in  Jena,   sondom  in  Weimar  war,    er  weiss  sich  aber 

helfen.    Die  jaliresz-ab!  hat  v.  Loeper  ohne  allen  zireifel  veHesen.    Der  brief 

JBhre  zu  früh  gesetzt,   er  gehört  in  das  jähr  1806.    Goethe  war  seit  dem 

ober  IS06  211  Jena,  voo  wo  er  am  morgen  des  24.  nach  Weimar  fahren  wollte, 

der  widereröfFnung  der  löge  Amalia  tailzunehmen ,    aber  die  künde,   üass  die 

in  nach  Jena  kommen  wolle,   um  die  mnseen  bu  sehen,   hielt  ihn  zurück.    So 

sich  das  biUet,   iu  welchem  die  buden  auf  den  Jahrmarkt  dsuten;   dass  daa 

SOI  nicht  richtig  sein  könne,   mussts  das   tagebuch  den  herausgeber   lehren, 

rede  stehenden  besuch  der  hcrEogin  am  24.  Oktober  1808  meldet  — 

tnrfte  nicht  vor  einen  brief  des  3.  januar  gosatKt  werden,    er  gehört  naoh  der 

»der  gegen  ende  des  monats,   wo  Goethe  margens  meist  mit  dem  „anhaog"  zu 

boHoliilftigt  war. 

Die  in  den  „Lesarten"  gegebenen  erläutoningen  bieten  uns  aus  den  schätzen 

ketbeurohivs  manche  bSchat  willkommene  belehrung,    besonders  die  aus  akten- 

Goethe  gerichteten  brieten,    von  dooen  leider  nicht  immer  die 

Boden  stellen  wörtlich  angeführt  sind.     Zu  weit  getrieben  ist  die  Vorweisung 

■lere  stellen  aus  biichem;    biSufig  starren   uns   die   gespeuster  von  seiton-  und 

tblon  be&Dgsdgend  an,   wo  man  ein  lebendiges  wort  ülwr  die  sauhe  verlangt; 

leiten  erweisen  sich  die  anfübnmgen  als  niuhtssogend.     Besonders  unnötig  and 

ist  der  ganze  sohvrarm  steilen,  -m>  ein  bestimmtes  wetk  Qoetbe's  in  den  briefen 

it  ist;   diese  angaben  gehören  in  dos  verheissone  register.    Auch  die  verweise 

Allgemeine  doutsche  biographie"  wären  zu  sparen,  dagegen  kurz  aiiKtigeben, 

dem  leben  der  betreffenden  personen  zum  Verständnis  der  einzelneu  stelle 

deutung  tat.    Auch  in  unsern  bänden  fällt  die  nugleichbeit  der  belumdlung  auf, 

kmte  mit  drei  Worten  auf  eine  stelle  licht  geworfen  werden,    bei  welcher  der 

»ergebens  hülfe  sucht     Freilich  wird  mahrfach  die  beziehung  nicht  mehr  zu 

ken  sein,   aber  amfasseudore  kenntnis  löst  manches  scheinbare  rätsei.     Unter 

du  willkommenen  löanngen  ist  uns  am  willkommensten,   dass  4227  unter  den 

KD  Sonetten"  von  Übersetzungen  der  Sonette  des  Pietro  Aretino  die  rede  ist, 

iilegel's  antwort  zeige,   aber  ungern  vermiast  man  die  wörtliche  anfiihrung  der 

tden  äosserung.    Die  Verweisung  auf  die  briefstelle,  wo  Schlözer  der  dontsche 

lieisst,    tut  nichts  zur  sache.    Zu  erwähnen  wäre  gewesen,   dass  man  bisher 

s  der  ,,famosen  sonotte'^  mit  dem  bekannten  sonett  in  Schillers  brief  an  Goethe 

deoember  1799  in  Verbindung  brachte,   und  dass  von  Aretin's  Übersetzung 

^ur  sich  erbalten  hat. 

Zur  ergänznng  und  berichtigung  geben  wir   hier  einige   bemerkungen.     4179 

fiel  wird  richtig  als  an  Voigt  geschrieben  bezeichuet)  sind  die  „turpia  facta 

und  Wolgeb."  aaf  da^enige  zu  beziehen,  was  Schiller  vom  neuen  club  der 

len  und  bürgerlichen,   der  einen  gesellschsftsabend  am  2.  januar  gebalten, 

,  wenn  nicht  selbst  erlebt  hatte.    Es  sind  wol  recitationen  und  auffüiinin- 

it,   in  denen  damals  selbst  ältere  damen    sich   gefallen   hatten,    worüber 

'b  brief  an  Herder's  gattm  vom  23.  januar  berichtet,  den  der  herausgeber  neben 

s  der  letzteren  hJitte  anfülLren  müssen.    Schiller,    der  am  abend  des  7.  mit 

Ooetho  gewesen,   hatte  sich  in  gewaltiger  aufregnng  über  diesen  dilettan- 

ifiig  ausgelassen.     Goethe  scherzt   in  diesem  briefe,    er  wolle  doch  heute 

24' 


372  DllKtZKii 

sehen,  ob  desson  uninllen  sich  beruhigt  habe.  —  4181  Der  ,1>0geii*  war  ek  laut- 
derer  abdruck  des  letzten  aufsatzes  des  heftee  der  .Propyl&ra"  Till,  lu  ,&s{r 
GiwDen  düB  Hikhomet  nach  Voltaire  von  dem  hnraaxgober'.  —  Zu  41R2  b&tit  4a 
voraanie  der  Schauspielerin  Caxper«  angegeben  nerdeii  Boüeii,  da  sputur  aodi  itoi 
Jüngere  sdiiresler  ala  »chuaBpielenn  eh  Weimar  auftrat  —  41S4  Boi  dim  .Kumm 
des  herm  von  EckanlUbaufien"  gunügte  nicht  die  vei-weisuu^  auf  die  „  AllgvDyö» 
deutsche  biographie".  Ich  habe  sehen  IS59  den  im  .ReiobHauzeigär"  nr.  3  it!M 
Jahres  abgedruckten  „Avis"  des  graTen  Karl  von  Eckartttahaiuiea  angeführt,  anl  im 
Goethe  hier  zielt,  und  eine  darauf  bezügliche  Sosaerung  Knebels.  —  42D2  .Schtlla* 
ü)«l',  dos  nervenfleber,  das  ihn  am  la.  befalteu  hatte,  erst  naoh  xohn  iaffm  räk, 
und  ihn  lange  schwächte.  —  Zu  4285  wird  behauptet,  iJoetba  habe  Humbuldt  nkr 
die  Bbücbt,  die  .Propyläen'  eingehen  zu  lassen,  im  dunkel  gelassen.  Absrerteto 
an  die  mögliohkeit,  dasa  sich  der  absatz  heben  werde.  Ja  nach  iiu  briefu  an  CbOs 
vom  2ö.  Januar  1802  ist  von  eiuem  einstweiligen  panieren  djp  redo.  —  422H  mnM» 
erwähnt  werden,  dass  die  Nemesis  wirklich  nicht  ahi  titelbüd,  sondern  als  vignMa 
des  titelhlfltts  enichien;  die  zuletzt  überüandte  xeiohnung  bezog  sich  niif  di«  ,Bnct 
von  Korinth"  und  fand  bei  dieser  auch  ihre  atoUa.  —  4247  Den  domftnenrat  ,llart- 
mann'  hatte  Goethe  scliun  iT79  kennen  gelernt,  wo  er  dorn  herzog  uud  ihm  ™t« 
gemlligkeiten  erzeigte,  ihn  such  i7!t7  widergoseben.  Hier  liätte  auf  VII.  äfiä 
werden  sollen.  Dagegen  hatte  er  den  niodiziner  Aatenrietb  (4248)  auuh  ITST 
können  gelernt;  deBseo  sobu  wurde  ein  onliänger  seiner  nieOunortihosenlohr«.  — 
der  datierung  von  4282  vergiitst  dor  herousgeber  Goethe's  ihm  sonst  bekanntn 
heit,  auch  in  Jena  oder  auf  seinem  gute  zu  Überrossla  gear.briebene  i)riere, 
ders  geschäftliche,  von  Weimar  zu  datieren.  Der  Itetreffeade  brief  künaie  als 
dringend  noch  am  abend  des  ä.  in  Oberrossila  geschrieben  sein,  aber  mdgücb 
daas  die  aogabe  des  ti.  statt  des  7.  ein  versehen  ist.  undonkbar  dagegen  de« 
gebcrä  annähme,  es  sei  der  tag  der  abaendung  gemeint.  —  4338  deutet  die  .pU- 
losophiach -artistische  geseUachaft'  an!  die  anweaenbelt  von  äohoUing  und  Ueyer,  — ' 
4313  ist  bi^i  der  „alten  jenaischen  karüiana'*  nicht  etwa  an  ein  an  gennnntmi  g«bliad* 
zu  denken.  Sondern  ,k«rthauso-  bezeichnet,  wie  „kloster",  die  einsBrnkrit.  —  8* 
4337  dnrit«  nicht  die  grosae  Vertrautheit  von  N.  Meyer  in  Ooethe's  hause  übwt|U*' 
gen  werden,  deren  ich  in  meinem  „Leben  Ooethe'a"  gedacht  habo.  —  4349  buwM 
bei  der  uiisebrüuchlichen  form  Starke  der  ähnlichen  uuart  des  gewühnbcheu 
bei  einsilbigen  namen  gedacht  werden,  wie  auch  bei  dem  malur  Kmnn. 
war  die  richtige  forin  herzustellen.  —  4384  genügt  die  angäbe,  dor  JnnK»  ntfi 
habe  Schmidt  geheissen  (wir  wissen  genaueres  von  ihm  selbst),  dumhaut  ndfc 
ebensowenig  wie  438!)  die  bezeichnung  des  ^hem  Babc"  als  „kondiiktt'ar,  denGnIl 
milbruchte',  Oentz  hatte  bereits  iiu  uovember  1800  Fiiedrich  fiabe  als  ko&ilulitMt 
vorgeschlagen  und  der  herzog  deaaen  ankunft  sch<in  im  Januar  erwartet  —  4430  id 
verschwiegen,  dasa  die  „ physiognomisoheu  regeln'  von  lAVat«r  aind,  wa*  wA 
freilich  aua  der  stelle  des  t^ebucbs  ergibt,  deren  Wortlaut  nicht  angt^bea  1* 
Ooetho  l>eMUis  sie  als  ein  geschenk  Lavators.  Der  druck  im  folgenden  Jahn  i^ 
nioht  durch  Goethe  veraalaasL  —  4436  iiit  die  „einzustudieronde  opcr-'  ohnt  i*» 
fei  eine  kumposition  von  Reichardt  selbst  Die  Unmöglichkeit,  sie  lu  der  n* 
Heiohardt  gewünschten  zeit  anfzutiihi^n ,  ergab  die  )<eigelogte  naobricht  von  KlnK — 
4433  bezieht  sich  offenbar  auf  üiu  Aussetzung  d«s  zweiten  mittwoclikitaidWB 
wegen  der  in  'Weimar  herrschenden  masem.  Dur  horausguber  sagt  darübtr  t^ 
4445   .Im   felde".      Den   uinjor  (vouj   Gunltieri   liatto   Uuelho  ohuu  tmM 


i  lOge  in  der  Champagne  keimeD  gelernt,  und  wol  hui  der  belogei-ang  von  Mainz 

r  gesellen . 

4408  Es  scbeint  nicht  Lloss,    wie  o»  s.  406  beiset.   dass  Goethe'a  August  im 

1  attt  der  geburtstagsreiionta  als  Amor  ereohien,    wir  wissen,    wie  sehr 

l^ron  Stein  sich  darüber  ärgerte,    dass  Goethes  anehelieher  knabe  als  geflügelter 

IT  im  Züge  henun getragen  wurde,   und  zolekt  die  schönen  stanzen  der  herzogia 

»iijhto.     Vgl.  meine  „Chatlotte  von  Stein"  U.  146  fg.    Schon  im  Juli  1799  war 

t  in  dieser  Verkleidung  bei  dem  mahle  erschienen,  das  Goethe  der  Trau  von  La- 

9  gab.  —  4480  Irrig  wird  bemerkt,  das  von  Ooetho  versprochene  gedieht  sei  am 

l'&bRuir,   dem  geburtstage  des  prioxeu,   aufgeführt  worden.    Der  prinz  war  am  2. 

das  gedieht  ward  am  27.  geschrieben,    auf  dor  redoute  des  30.  nicht  ,aiif- 

Ihrt",  sondern  von  dem  als  Amor  verkleideten  August  überreicht    Was  wirklich 

tora  htiefe  Aagnsts  an  den  valer  vom  10.  steht,   aber  vom  heraiisgebor,  der  sich 

KdT  beruft,   ohne  den  wortlnut  anxufübren,    miss vorstände n  sein  muss,    errate  ich 

L  —  Die  KU  4494  vermutete  versehiebung  einer  angäbe  des  tagebuchs  ist  unwahr- 

inlicb,   viel  eher  anzunehmen,    dasa  die  erwähnung  dieses  abendbesuches  zußillljg 

JKgebuohe  oder  im  abdrucke  desselben  ausgefallen,  da  am  anderen  tage  des  abends 

Btiioht  gedacht  wird;   am  nächsten  liegt  es,    dea  nusfall  der  werte  „abends  Bchel- 

P     am  16.  (möglicherweise  erst  im  drucke)  zu  vermuten.  —    4506  „Einige  franen- 

^er*,  besonders  Trau  Hofeland  und  frau  Pauhis.  —  4523  „Yerfinderung  des  qoai'- 

r*,  der  utnzug  aus  der  bisherigen  mietwohnnng  in  das  angekaufte  haus  von  Mel- 

jÄnf  der  esplaoado.  —  So  ganz  unveranlas.st  wie  seltsam  finde  ich  es,  wenn  4558 

K&oSuitng,    „eine  freundschaftliche  geselligkeit  des  winters  werde  ihn  manchmal 

^^  i(i  eJn?D  lyriscbi^n  zustand  versetzen",  die  beinerkung  gemacht  wird;  „als  9rwtx 

^^BSprengten  cour  d'amoiir".  —   4580  Zur  ervrähnung  des  „  herm  von  Zimmer- 

pk'  wird  gefragt:    „Ein    söhn  des   1795   verst«rl}enen  Hannoverschen   leibarztes?" 

1^  'wissen,  dass  dessen  einziger  söhn  Jacob  längst  vor  ihm  gestorben  war.    Da  der 

1%  Oalizyo  in  Braunschweig  lebte,  und  Zimmermann  dazu  beigetragen,  dass  dieser 

I  mineralogische  sanunlung  nach  Jena  schenkte ,  so  denkt  man  von  selbst  an  den 

Minschweiger  leibarzt  Eberhard  August  Zimmermann,   mit  dem  Goethe  als  anato- 

n  in  den  achtziger  jähren  in  Verbindung  gestanden.     Auch  i»>t  es  nicht  auffallend, 

(Voigt  diesem  noth  nicht  im  namen   des   herzogs   gedankt   hatte,    weil   er  seinen 

I    titL'l   nicht   kannte.  —    4561  Die  brouse  des  „Merkur"  ist  wcl  das  2'/, 

[  Jiolie  Ggürohen   des  anf  einem  felsen  sitzenden  gottes  bei  Schuchordt  „Goethe'a 

mluDgen"  H,  12,  28.  —  4598  „Heute  abend  hwffe  ich  eu  kommen",  in  den  oluh, 

I  ,&«undsohaftliclteo  zirkef,  wie  er  4633  s.  192,  5  heisst,  die  ressoorce.  —  4615 

.indisposition*^  Goethe's  bemerkt  wird,   ausser  dem  briefe  des  harzogs 

k  2,  Januar  finde  sich  von  diesem  „anfall"  keine  spur,  so  handelt  es  sieb  hier  von 

t  anfalle,   aber  seit  dem  2.  Januar  fühlte  Ooethe  sich  fortdauernd  so  unwol, 

I  er  das  nmmer  den  winter  nicht  mehr  verliess.    Davon  zeugen  besoadcra  das 

h  wid  briefe  von  Vulpius,  und  aus  jeder  eingebenden  leijensbescbreibung  war 

ii.j[0iutnere  leicht  zu  ersehen.  —    4627  Zu  191,  4  war  der  tenorist  Brand  zu  neo- 

)  nicht  auf  die  spfitere  aumerkung  zu  venveisen;  die  erläuterong  mnss,  was  mehr- 

|i  übersehen  ist,    ou  der  Stellß  stehen,    wo  dor   saohe  zuerst  gedacht  wird.     Übri- 

I  hat  der  berausgeber  nicht   gowusst,   dass  dieser  Brand   von  Goetbe's    mutter 

Er  ist  der  junge  tenorist,   dessen  sie,    ohne  seinen  namen  zu  neo- 

,  am  18.  februar  1803  gedenkt  und  unter  seinem  namen  am  20,  Juli  1804.    Er 

|~v(Ki  'Weimar  au  das  hofthuator  zu  Kaasel.  ~~    4645  schwebt  bei  der  anfrage  an 


374  pttwraui 

die  Jagemann,  «io  eis  nauh  Uirem  geBtrigeo  auftreten  in  der  „Nutürticbon  toÄttr 
geBciilofen  liabe,  boi  der  bezeiohnuag  „auf  ihre  gestrigen  roiaen  aus  loidenacibift'  m 
launiger  ausdnifk  des  vor  kurzem  iu  Weimar  gewesenen  Friedhüh  Gi-nU  vor.  o 
reifie  aus  leideoschaft.  Vgl.  4647  s.  212,  lä  fgg.  Freilich  sieht  Dian  oicbl  nuH 
nie  dies  auf  Eugenien  passe,  irolcbe  im  stiicke  gar  nicht  aoa  leidenschaft  ivirt.  - 
Im  aofaag  des  briefes  an  Schiller  vom  13.  mai  (4056):  ,So  übomsubt  an«  dm 
doch  das  jüngste  geiiabt",  siebt  der  beraosgebor  im  ernste  ,eine  scherihalte  wb- 
duDg"  für  Cotta's  auf  den  21.  mal  angekündigten  besuch!  Vw  das  tolgpntle  .2«- 
gleich"  zeigt,  berichl  sich  die  äoBBenuig  wol  auf  eine  ntilgeschiokto  scbrift,  diaökcf 
die  beiden  Weimahsohen  dichter  herfiel,  weoa  es  nicht  ein  angriff  in  cönor  loils^ 
war.  Dnter  dem  gleichzeitig  xur  benrteilung  gosundten  „Nepotiao'  (es  hStts  Ott 
doch  verlohnt,  zu  betnerkea,  daas  das  drama  den  raficlien  Eturx  eiuea  rümisuhsa  Ui- 
Bora  darstellte)  versteht  der  herausgeber  daa  Btiiok,  dos  der  Beriiner  pro!  Lama* 
KU  erhalten  gewünscht.  Goethe  verspricht  im  briefe  4669  ihm  den  wunach  lu  Mfil> 
len,  sobald  eu  „nidor  zu  hause"  sei.  Es  handelt  sich  hier  offenbar  aicbt  utn  mk 
fremdes  stück,  das  sein  verlasser  lurüctverlaogt,  soudero  Iievecow  hatte  ihm  « 
sehr  erfreuliches  urteil  über  seine  in  Berlin  aufgeführte  und  dartibgofallBne  .NU&r- 
liche  tochter"  geschrieben  und  das  noch  ungedrnckte  etück  zu  lesen  gewünsidit  ,Iok 
wünsche  nur",  beisst  es  in  dem  ausserordentlich  freundlich  gescliriebenen  tenfa, 
„dass  nähere  bekanntschaft  [des  Stückes]  die  lebhafte  teilnähme  Dicht  t-erauadan 
möge,  wodurch  Sie  mir  eine  so  besondere  freude  gemacht  haben."  Nach  diosur  nä' 
fassuog  des  briefes  gewinnt  er  ganz  besonderen  wert.  —  Wenn  lu  4662  phantacitil 
wird,  die  Weimarer  dioskuren  hätten  die  auffähruDg  von  Klopstock'»  .Hmaaiuii 
sotitocht"  wol  als  eine  tetenteier  Elopstoeks  geplant,  $o  ktuu  der  bmm- 
geber  deren  Stimmung  gegen  den  bamborger  patriarcben  und  Goethe's  auftati  .Su 
Vorsatz  Schillers"  nicht  gekannt  haben,  aus  welchem  hervorgeht,  dass  4ua  bodn 
dichter  ein  klassisohes  deutsches  ropertorium  beabsichtigten,  wobei  säe  auf  KlopslMk 
zurückgreifen  wollten.  —  4669  ,  Dem  fünften",  wahrscheinlich  dem  liede  ,G«nMd- 
beichte",  da  die  folge  der  liedor  des  „Tasohänbuchs"  kaum  verAndert  Min  innL  — 
4673  hätte  doch  wol  kurz  bemerkt  werden  soUen,  daas  .Emestine"  die  jüngere  halb- 
Schwester  Christianens  war,  die,  wie  auch  die  alte  tante  Juliane  Tnlpins,  in  Uoetlii'i 
hinterhause  wohnte  und  starb.  ~  Von  4674  heisst  es:  „Bisher  auf  die  farbealahn 
bezogen",  nnd  es  werden  dann  ein  paar  stellen  angezogen,  die  ganz  verschiedaaa 
art  sind.  Es  handelte  sich  um  seine  so  oft  schon  angegriffene  einleitong  in  die  to* 
bonlchre.  --  4662  ^August  setzt  sich  nun  in  die  Lenzisehen  atnnden."  Er  beniehti 
die  niinoralogiscben  Vorlesungen  von  Lenz,  da  diese  Wissenschaft  Um  auhoo  seillflU), 
wo  Blumenbach  in  GÖtÜngon  ihn  dafür  gewonnen  hatte,  lebhaft  anipnoh.  —  tSÜ 
Zu  angeloben  hätte  wenigstens  auf  dio  anmerkung  zu  3936  verwiesoa  ynritaai- 
len.  Angeloben  ist  eb  Christianon  geläufiger  und  von  Goethe  überDOmmanar <■» 
druck  für  , verliebte  äugen'.  —  471Ü  „In  so  bedenklicher  zeit'.  Ja  Hannover  roa  ta 
Franzosen  besetzt  war  und  unt«r  argen  kriegssteuem  litt  —  4743  „Eine*  so  unrti- 
digen  bUttes."  Eotzebuc's  blatt  „Der  fireimtitige"  ist  gemeint. —  47dl  Den  adnMlM 
des  briefes,  wovon  unr  das  concopt  vorhanden  ist,  wagt  der  herausgeber  mcU  M 
bestimmen;  nns  Bcheint,  dass  es  sehr  wol  der  gymnasiall ebrer  BelbriicJr  b  Bab 
gewesen  sein  könne.  Die  ausBerung  .Die  natürliche  tochter"  sei  schon  an  oinni  ncv* 
Beuten  verteilt,  scheint  nur  eine  ausrede,  um  den  Berliner  protcseor 
Man  wussto  eben  nicht,  wem  man  sie  ,bei  dem  setteoen  chariviri  Im 
Publikum"  geben  solle.    Dom  beb^imdeten  Beohlite  in  Leipzig   WäUl«  i 


^^^  Ourr  ooiTTHKa  wrrke  (wkim.  Auai.)  375 

it  geradezu  tuibietBD,  dooh  bat  er  diesen  um  das  blatt,  das  er  rrüher  ihm  tod 
'lin  &US  darüber  geBchriebfln.     Aber  der  „faule  RochtiU"  hielt  Bich  zurück.    Als 

d*im  Scbauuxtmn  in  0 [(»Bon  dazu  anbot,  meinte  Goethe,  Eichstadt  solle  die  beur- 

diMoin  ambietea.    da  er  nach  seinen  briefen  ein  sehr  gesetzter  mann  sei,  und 

ifciöt^bt  darauf  uohmea  werde,  dass  Goethe  in  Dahem  Verhältnis  zu  Biohstadt's  Kei- 

stebe.    Ab<?r  SchanmanD's  anzeige  fiel  so  lolirednerisch  aus.    dass  sie  uninöglioh 

r  von  Goethe  abhängigen  zeitnng  erscheben  konnte.  Da  Delbrü«k's  mittlerweile 
ieferte  aoieige  von  Schillers  ,  Braut  von  Messina"  t\i  den  von  Schiller  und  Goethe 
gnindsatzen  stimmte,  sollte  Eichstädt  jetzt  diesem  auch  die  beurteiluQgen  von 
itbea  neaer  trngödie  und  dem  „AlarkoB'^  von  Fr.  Schlegel  auftrugen,  und  ihm  za- 
iah  mitteilen,  weshalb  sie  die  früher,  freilich  oret  nach  seinem  anerbieten,  einem 
leren  beurieiler  aufgetragene  anzeige  nicht  aufnehmen  könnten.  Da.ss  er  früher  von 
lern  Berliner  gymnasiallehrcr  keine  vorurteilsfreie  Würdigung  des  in  Berlin  von  sei- 

dortigeu  mächtigen  gegnem  ausgepoehten  Stückes  erwartet   hatte,    trota   seiner 

licherung,   Delbrück's  Überzeugung  stimme  Diit  der  dioBseitigen  ansieht  überein. 

B  leicht  erkUlrlicb.    Wie  es  mit  dem  früher  von  einem  anderen  Berliner  professor 

günstigen  urteil  über  „Die  natürliche  tochtor"    (vgl.  zu  4056  s.  374)   sich 

,  verhalten,    wissen  wir  nicht.    Delbrück  lieferte  eine  würdige  anzeige  der  tra- 

e  im  folgenden  jähre,  die  HaUisohe  littoraturzeitung  hatte  vorher  das  volle  hom 

bitterkeit  über  sie  ergossen. 

SÖLS.  H.    nÜNTKKR. 

Bntsohe  Phonetik.  Von  Ott«  Bremer.  [A.u.d.t,:  Sammlung  von  grammatiken  deut- 
scher mundarten  1.]   Leipzig,  Breitkopf&Härtel.  1893.  XXIH,  208fl.  u.  2taf.    am. 
Von  allen  autoren,    welche  lehrbücher  der  phoaotik  herausgegeben  haben, 
L  Bremer  wol  den  weitesten  gesicbtskreis.    Tecbmer,    in  soiner  phonetik,   hat 
'  von    allen   Seiten    her   materinl    zusammengebracht,   aber  er  bat  das   gelesene 
t  verdaut     Er  berichtet  ansführiich  über  unwesentliche  dmge,  während  wichtige 
1  nicht  genügend  hervoi^ehoben  werfen. 
Bremer's  hauptverdionst  liegt  darin,    dass   er  die  einseitigkeit  der  —  auch  in 
ralschUnd  sehr  verbreiteten  —   sogenannten   englischen    schule   vermeidet     Diese 
hule  klassificiert  bekanntlich  die  spraohlaute  fast  ausschliesslich  nach  der  art  ihrer 
Bengoog,  vernachlässigt  dagegen  dos  Studium  des  akustischen  eflekts.    Die  benntnis 
r  erEengnngsweise  ist  ohne  zweifei  notwendig  und   nützt  uns  vor  allem  bei  der 
klärung  des  lantwandels,    wie  er  sich  bei  einem  intlividuum  oder  innerhalb  einer 
itinunten  generation  vollzieht.    Der  akustische  effekt  ist  schon  bei  dieser  art  laut- 
[ndel  nicht  ohne  bedeutung,    wirkt  aber  meistens  im  konservativen  sinne,     Wenn 
)  Bpraohe  auf  eine  jüngere  generation  übertra^'en  wird,   so  bilden  die  akustischen 
I   der  laute  das  eotschieden   wichtigste   monient.     Die   kinder    lesen    uns 
ibi  die  spräche  von  den  lippen  ab,   sondern  sie  sprechen,    was  sie  hören  — 
r  vielmehr  wie  sie  boren.     Da  grosse  abündeningen  der  artikulation  manchmal 
inen  auffälligen  Wechsel  des  klanges  hervormreii,  so  ist  es  klar,  dass  die  überliefe- 
ng  der  artikulationeformen  keineswegs  siohergeBfellt  ist.    Bremer  ist  also  in  seinem 
Ihi  rechte,  wenn  er  mit  tücksicht  auf  die  relative  Wichtigkeit  von  klang  und  arti- 
ation  den  gehorten  laut  ab  das  prius  bezeichnet,   die  art  der  erzeuguog  als  das 
nterius. 

In  seiner  Opposition  gegen  die  „geneUker"  steht  Bremer  mcht  allein,   ist  auch 
i  der  Urheber  dieser  Opposition.    Dagegen  ist  Bremer  (nach  dem  datnm  des  vor* 


376  PU>PINO  ,    ÜSEB   IJltF.MKR,    DITTS 

Wortes  zQ  urteileu)  der  erste,  velaher  hervoi^ehobun  bat,  daan  ein  Uutwandel  ko  Btanla 
kommen  mnsä,  weil  die  kleinei'sn  dimensiooen  der  kindlichen  mundlmble  utikulatio- 
Den  bedingen,  welcho  von  denen  der  eitern  abweichen  (vorwort  a.  XVlj.  Diese  W- 
saobe  iBt  BühoQ  von  nelmbolti  bervorgebobea  worden;  ihre  bedeutung  för  te 
Uutwsndel  wurde  aber  dreiseig  jahte  long  übersehen. 

Diesen  Denen  uujchaauugen  bat  Bremer  in  seinem  lobrbuche  sorgtÜtig  ttA- 
QUng  getragen  ü  und  er  hat  das  ganze  material  mit  grosser  Selbständigkeit  durah- 
gearbeitet 

Viel  mühe  hat  dem  Verfasser  der  „Dentscbeu  phonetik**  die  ausarbeitaiig  d«r 
vokallehre  gekostet  Er  scheint  seine  bestimmungen  der  vocaltöns  teils  duidi 
beiihachtiing  der  flüstersprache,  teils  mittels  der  atimmgabel probe  gemacht  eu  batwa 
(nähere  berichte  werden  in  aussieht  gestellt).  Beido  metboden  sind  von  vielen  Ibr- 
Bchem  versucht  worden,  meist  aber  mit  massigem  oder  geringem  erfolge.  Vxm 
übertasohender  ist  es,  daae  Bremers  rosultata  im  ganzen  sehr  zuveriftssig  la  mib 
Btiboiueu:  die  übereiustimmung  üwiscbeii  seinen  cbarakteris tischen  tönen  und  den  Biit 
tels  graphischer  motboden  gofiuidonen  ist  eine  au^ollond  gute.  Broraer  bat  oBeottt 
ein  ungewöhnliob  feines  gehör. 

Bremer  bezeichnet  seine  „phonetik-  ab<  eine  praktische,  und  mit  recht;  dm 
er  vermeidet  grundsätzlich  die  besprochung  physikaUscher  und  phy^ologiuiier  bt- 
goD,  welche  beim  Unterricht  eine  untergeordnete  rolle  zu  spielen  scheinen,  auch  V 
fällen,  wo  der  besprochene  gegenständ  durch  eine  mehr  eingebende  bohandlnng  U 
reiz  gewonnen  hätte.  Weit  davon  entlernt  dieses  vorgehen  zu  tadeln  ~  jedar  hil 
ja  das  recht  seine  aufgäbe  nach  beliebon  zu  wählen  und  zu  beschränken  — ,  nw 
ich  doch  mit  bedauern  hervorhoben,  dass  Bremer's  aufscblösso  ülier  Physiologie  vai 
physik  durch  ihre  knappheit  manchmal  intifübrund  werden.  Die  Spannung  der  Btimm- 
bfinder  (s.  23)  wird  nicht  ausschliesslich,  kaum  einmal  verwiegend  dnrcb  vorwürtdieWS- 
gung  des  scbildknorpels  bewirkt.  Die  stärke  dos  scballs  (s.  39)  hängt  auch  von  lod»- 
ren  faktoren  als  der  Schwingungsweite  ab.  Falsch  ist  femer  Bremer's  behauphini 
(s.  39),  dasä  die  erschein  im  gsformen  des  schalls  entsprechend  den  verschiedtna 
Schwingung« formen  verschieden  seien.  Es  können  sehr  verschiedene  vibrationsfoimCB 
genau  denselben  klang  geben,  und  genau  dieselbe  vibiationsform  kann,  wo  dil 
schwingungszabl  wechselt,  sehr  verschiedenartige  klänge  erzeugen. 

Der  gerährlichste  fehler  Bromor's  ist  in  seiner  bcsprechung  der  resonanx* 
erscheinungeu  zu  finden  {s.  114,  124,  164).  Bremer  st«llt  die  bebauptung  tMt, 
dass  bei  relativ  kurzen  roaoDaDzräumen  die  Verringerung  bezugsw.  vergrösserung  dM 
Volumens  die  hübe  des  resonanitoues  in  ganz  verschiedener  riuhtuug  beeinllaasn 
müsse,  Je  nachdem  der  vordere  (der  Öffnung  zugekehrte)  oder  der  hintere  teil  dta 
raumos  von  der  Veränderung  betroffen  wird.  Durcli  versuuhe  mit  einem  bledtiVM- 
nator,  den  man  zum  teil  mit  brotteig  ausfüllt,  kann  sich  jeder  die  Überzeugung  vtr- 
schaffeu,  dass  der  resonanzton  steigt,  ob  der  resonatot  vorne  oder  hintua  galUlt 
wird;  und  dass  der  ton  immer  sinkt,  wenn  dio  füUang  weggenommen  wird,  Hmot- 
lieb  moss  mau  sieb  bei  diesen  versnuben  davor  hüten,  die  Öffnung 
tu  vorengem  oder  auch  nor  zu  beschatten. 

Wenn  ich  noch  auf  die  geradezu  verblüffende  dofinition  des  eohalls  hini 
welche  s.  39  zu  Rndeo  ist',   darf  ich  wol  dio  meinung  aussprachen,   dawi  BM 

1|  „Der  tchAlI",  aiwl  lii«inor  dort,   „ist  vis  iliih  I 


1 


(ür  kritiklüBu  (mKnger  oioht  utibodiiit't  m  empteliltiL  ist,     Hu  Gwli- 
'dagegeo  wird  bs  nie  bereuen,    wono  er  der  .Duatsulien  (ihoautik''  oio  sorgfal- 
ttodinm  widmet     Bremer  liietet  uns  vieles  neue,    uuU  ouuh  lina  aite  erschoittt 
Uli:  der  Belbstäudigen  behiuidluDt;  sehr  oft  b  einem  neuen  liebte. 
BiLSDiGroBs.  Hoao  rtPFuro. 

atwickluug  der  deutschen  kultur  im  Spiegel  des  deutscben  lebn- 
rts.  Von  Friedrich  Seiler.  1:  Die  aeit  bis  zur  eiDfübrung  des  ohristentuma. 
le,  bachlittDdluog  des  woiüeabnuses.  1895,  99  s.  1,50  m. 
Die  aus  fremüen  sprachen  in  das  deutsche  auigeuomnieneD  lebnworter  zu  sam- 
cbrooalogiEob  und  üacblicb  xu  siobtäii  und  als  grandlage  einer  skizze  der  ent- 
ing  deutsüber  iLultor  za  verwerten,  ist  eine  verlockende  uod  —  neoigsteos  für 
Id.  leit  —  nicht  zu  grusae  aiifgnhe.  Das  material  liegt  ja  besonders  in  den 
n  Slttge's,  der  auch  scboo  in  der  einloitung  zu  seinem  etymologischen  wor- 
die  dabei  zu  verfolgenden  gesiübtäpu eilte  kurz  und  treffend  angedeutet  hat, 
arwendung  bequem  bereit.  Was  uns  nun  Seiler  in  der  vorliegenden  schrift 
ist  darum,  weniger  eine  Vermehrung  des  schon  vorher  xiomlich  vollHtändig 
imeltan  stofFes,  als  vieiniehr  eine  an  weitere  kreise  der  gebildeten  siob  wendende, 
und  geMlige  darlegung  detjenigeu  ü'emden  einflüsse  auf  die  deutsche  kultur, 
b  aus  den  lehuwörtera  eraohliesaen  lassen. 

Der  vorliegende  erste  teil  betrilft  nur  die  zeit  bis  zur  einfübrung  des  ohn- 
na.  Nach  einer  auseinandersctzung  über  die  kriterien,  die  eine  zeitliche 
ung  der  fi'emdwürter  ermögUchen,  (bedeutuag  der  hucbd.  lautverscbiebung, 
truction  der  zu  gründe  liegenden  fremden  luntgeBtalt,  gemeinsam keit  des 
der  festländiscben  Oermajien  mit  den  frühe  abgetreDuton  AngelsachseD), 
—  abgesehen  von  einigen  nus  rrülier  vorgescbichtliehei  zeit  stammenden 
nangeii  wie  pfad,  ailber,  pflüg,  lianf,  schiff,  riibe,  äfft  usw.  —  zwei  haupt- 
I  TOD  lehawürtorn  unterBoluedeo :  Ij  die  keltischen  und  2)  die  ungleich 
neu  römischen.  In  der  von  den  Bomem  ausgebenden  civtlisiei'Uttg  der  0er- 
ixsseu  sieh  widerum  zwei,  freilich  nicht  ecbarf  von  einander  zu  trennende 
tilte  soodem:  im  ersten  verhalten  sich  die  Germanen  den  fertigen  fremden 
[ten  gegenüber  rein  reoeptiv,  im  zweitun  schwingen  sie  sich  zu  selbstän- 
nachahmung  und  reproduction  derselben  auf.  In  iobendiger  und  anziehen- 
)ise  verfolgt  nun  der  Verfasser  diesen  einfiuss  der  Riemer  und  die  dadurch  her- 
nfeno  aUmählicbe  völlige  nmgebialtnng  des  deutschen  Icbons  auf  allen  gebieten 
iterieUen  und  geistigen  kultur,  in  kriegswesea,  recht,  handel,  ackerbau,  laud< 
i&n,  bau  and  eiuricbtung  von  haus  und  hof,  in  handwerk  und  gewerbe;  er 
lieae  ontwicklung  auf  „als  eine  vollständige  rovolution  des  häuslichen  und  wirt- 
Bcken  lebens  der  natioo,  welche  duicb  sie  den  Übergang  von  einem  natur- 
koltorvolk  vollzog"  (s.  84).  Zuletzt  kommen  noch  die  griechisch-latei- 
en  lehuworte  an  die  reihe,  welche  den  einwirkongea  des  arianischen  christon- 
tnid  vielleicht  der  römisch -fränkischen  kirche  aus  früherer  zeit  entstammon. 
Uptmasse  der  kirchlioben  fremdwöi'ter  strömt  dem  deutsohou  erat  mit  der 
■luten  missionsorbeit  der  Iren  und  Augelsocbsen  zu;  ihre  behondlung  wird 
Bist  im  zweiten  teile  platz  Qndeu.  Den  beschluss  macht  ein  alphabetisches 
iblda  der  besprochenen  lehnwürtor. 

Man  wird  dem  Verfasser  da»  zeugnis  nicht  versagen   dürfen,   duas   er  seine 
9  mit  geschick  gelost  bat;   wenn  die  rüoksieht  auf  einen  grösseren,   nicht  mit 


378 


Bixz,  üain  BEiLEH,  DEtrrscuE  lehnwi 


alloD  mzelbeiten  dor  vergleich eudiOD  sprachwisseDachaft  vertrautoo  leMrimb 
hie  und  da  den  Verfasser  eu  einer  bestimmtBreo  fonnulierung  soiner  mcinung  ver»- 
hast  hat,  als  dies  der  stand  der  forecbniig  erluubon  mächte,  so  wird  man  ihm  dma 
keinen  voi'wurf  macbea  wollen.  Im  einKelnen  wird  gich  gegoo  uuctio  bobnptnc 
Widerspruch  erheben  lassen;  dieflem  ausdruck  xu  geben,  ist  Jedoefa  hier  aidil  ia 
platz.  Nur  zwei  bemerkangen  allgemeinerer  natur  kann  ich  nicht  gaci  uuUrdnicltoi. 
Einmal  ein  metbodisehes  bedenken:  es  ist  mir  Kweifelhaft,  ob  wir  jede«  mal,  wn  «v 
ein  fremdwort  ciadriagen  sehen,  auch  wirklich  entlehnung  oder  werigsti^nx  von  in- 
lande  veranlasste  wesentliche  Verbesserung  und  Verfeinerung  dos  damit  beatml« 
gegenständes  aanehmen  dürfen.  Es  scheint  mir,  es  könne  schon  in  h^ei  wt 
so  gut  wie  heute  ia  den  feineren  oder  feiner  sein  wolleoden  kreisen  cum  gutHD  Um 
gebort  haben,  an  die  stelle  schöner  alter  einheimischer  ausdrücke  für  oltererbta  diAf! 
imposanter  klingende,  der  frttmde  entlehnte  bezeichnongen  zu  setzen.  Ich  itinun 
nur  z.  b.  an  knmpf,  pferd,  die  in  Süddeutschland  durchaus  nicht  ToikEtOmlid)  liDd 
und  08  auch  kaum  je  wbtod.  Die  berührung  mit  der  fremden  kultur.  die  tiicb  na 
dem  lehnwort  ergibt,  wäre  dann  doch  eine  viel  woniger  intensive;  («tsilGhUcdi«  a>- 
führong  einer  sache  aus  der  fremde  ist.  nur  wahrscheinlich  bei  allgemeiner  volkitfiB- 
lieber  Verbreitung  der  dafür  geltenden  fremden  bezeichnung. 

Zweitens  mochte  ich  darauf  hinweisen,  dass  die  deutschen,  namectliub  d)f 
oberdeutschen  mundarten  doob  wol  nicht  genügend  zur  uufhellong  der  bazieiuuifm 
zwischen  Römern  und  Germanen  herangezogen  worden  sind;  in  ihnon  linden  vir 
einerseits  manche  cntlehnungen  noch  lebendig,  die  in  der  nhd.  schriftsprach«  u>- 
gestorben  oder  nur  in  modernisierter  geetalt  erhalten  und.  und  anderseits  oineionU 
vpn  lehnwörtem,  die  den  mittel-  und  ni&derdeatschen  gegenden  vüllig  feUen.  le* 
nenne  nur  einige  mir  zu^lig  in  den  sinn  kommende  Wörter  aus  sohw^zorisokfl 
mundarten:  akte,  agdt  <  oquaedwlM,  aeni«  <  animm,  ehemi  <  rami»»*, 
fAnungtU  ■<.  eonufn)etda,  ehrüseh-  <Z  cntaca,  ekämmi  <  cuminum,  ehüagM  < 
eunioulus,  ehüpfti  <^  evppa.  gäxxi  <^  gabata  (V),  dannben  ijepali  («hd.  j*Mm), 
ehütai  <^  cuaainum,  mi  .hansflur'^  <^  arena  für  area,  fiUchi,  schwlb.  pfeltdMmi 
<  faseia  „binde";  mäxckil  und  ßinmil  ^weiblicher,  mfinnlicher  hanf  •  mit  «oBU- 
lender  vertstischung  des  geschlecbtes  aus  masctiliia,  fentellu»;  märt  ^  mcratlM 
mryü  <  miolium,  nüschsl  <.  noscula,  mmeula.  Es  etpht  Sich  daraus  offute 
ein  hild  lebendigeren  Verkehrs  und  vielseitigerer  beziebungcn  zwischen  BOraerD  ni 
Germanen,  als  die  Schriftsprache  «s  gewfthrt;  eine  genauere  beruuksiobtignag  da 
mundart  wird  sich  also  empfehlen  besonders  auch  für  die  mbd.  periode,  wn  ikli  ite 
eio&uss  Prankreichs  bis  weit  in  die  untersten  volkaschichton  fühlbar  macht 

B*SKL,  36-  FBBRCAS  1896.  ODSTAV   hlSi. 


A  Glossary  of  the  Old  Ngrthumbrian  Gospols  (lindiafame  Gospel«  or  Ihrtan 
Book).     Corapilod  by  Albert  8.  Cook.    Halle,  Max  Niemejer.     1894,     ni,  33* 
10  m. 

Vor  13  jähren  glaubte  Sievors  in  der  cinleitung  »u  dor  oratoti  auflag  mb« 
ags.  grammalik  das  baldige  erscheioen  einer  umfassenden  gromniatiscbim  bauMtauf 
des  northumbrischen  dialekis  aus  der  foder  A.  S.  Cooks  in  aussiebt  stnUen  n  ät- 
fen.  Hindernisse  der  verschiedensten  art  traten  sber  der  Verwirklichung  dieMTDakAs- 
digung  störend  in  den  weg.  Inzwischen  bat  das  eine  der  boideu  nmtangreiahem  ibat- 
miler  des  Sortbumbriscben ,    das  Rituale  von  Durbam,    in  lindeliir  Binao  lütMgV 


,    OBER   COOK, 


a70 


,  EuTorlSsKigen  damteller  gefunden.  Jetzt  kommt  endlich  anch  <Jaa  Andere  bnupt- 
bnal,  die  Interlinearvereion  der  vior  evftQgeUen  im  Dnrham  Book',  die  fiogonarnten 
fOB  Oospels,  an  die  reihe.  Cook  selbst  legt  uns  in  eoiner  nBUesten  publik»- 
als  Toncbeit  seiner  graimnatischen  Ekizze  eine  lexikaliache  zosammensteUimg  des 
Dlten  in  den  evangeliea  enthaltenen  wortachatzes  vor:  mit  vergnügen  erfahren 
I  dasB  die  prammatik  zum  grösston  teil  dmokfertig  ist  und  in  kurzora  veroffent- 
t  werden  soll,  wenn  nicht  ein  anderer  dem  Verfasser  mit  einer  solchen  arlieit 
Drkamint.  HofTen  wir,  dass  es  Cook  diesmal  wirklich  vergönnt  sein  iniige,  olle 
erfüllnng  seines  verspreohens  sich  entgegenstellendon  schnierigkelten  rasch  211 
Rrindeo! 

Das  vorliegende  glossar  boraht  auf  dem  texte  der  ausgäbe  der  evangelien  durch 
kt,  für  Mstthaeua  auf  der  zweiten  bearbeitnng  derselben.  Cook  bat  dazn  eine 
e  vergleichnng  der  handachritt  vorgenommen,  die  aber  nur  wenige,  im  glossar 
Srliweigend  benützte,  verbesserongen  ergab.  Sämtliohe  wortor  werden  verieiuh~ 
mit  anführuDg  aller  formen,  in  denen  sie  etsclieinen,  nnd  nnter  aufiählung  aller 
ipteUen.  Die  arbeit  ist  sorg^tig  nnd  genau;  wenigstens  haben  mir  zahlreiche 
fcprabon  {allerdings  nach  berüoksiohtigung  der  leider  recht  umfänglichen,  übet 
Üben  Seiten  sich  erstreckenden  errata  und  addoada)  nirgends  einen  nennenswerten 
■  ergeben.  Ein  lateinisch -northumbrischer  und  englisch -northumbrisch er  index 
Schlüsse   sind  sehr  willkommea. 

Oool(s  arbeit  wird  fortan  die  aicbeiste,  ja  allein  brauchbare  gmndlage  für  alle 

miiEtiaoben  unters uohuo gen  bilden;    Boaterweke  wörterbucli  mit   seinen  mannig- 

a  fehlem  und  falschen  aas&tzen  von  formen  est  jet;tt  überflüssig  geworden,   und 

dank  der  focbgeuossea  für  die  mühevaUu  und  weaig  kurzweilige  arbeit  wird  dem 

triiften  vorfaaser  sieber  za  teil  werden. 

Zwei  kleine  aiisstellungen  mögen  zum  Schlüsse  noch  ihren  platz  finden.  Ein- 
il  hätton  die  verschiedenen  casus-  und  flesionsfonnen  desselben  wertes  typogra- 
Kh  etwas  übe  sichtlicher  hervorgehoben  worden  dürfen.  Zweitens  hätte  es  wol 
1  grondsatze  der  leicikaliscbea  anordnung  besser  entsprochen,  wenn  sämtliche  laut- 
liBa  und  orthographischen  Varianten  eines  wertes  unter  dem  gleichen  Stichwort  ver- 
t  worden  würen;  jetzt  aber  finden  wir  an  verschiedenen  orten  getrennt  von  einen- 
s.  b,  ttegacga  und  ettietga,  adirita  und  edKttiga,  iffler  sona  und  cßer  sona. 

BABEL,    6.  UÄBZ    1835.  ODSTIV   BtNZ. 


'  kritik  des  griechischen  Alexanderrcmans.  Uotersuchnngen  über  die 
.unechten  teile  der  ältesten  Überlieferung  von  Adolf  Ansfeld.  Programm  des 
grosaherxog!.  gymnasiuins  zu  Bruchsal  1894.    3f  s.    4. 

Adolf  Ausfeld,  von  dem  wir  in  der  nächstKia  zeit  eine  neue  ausgäbe  der  Ili- 
>rift  de  preliis  zu  erwarten  haben,  erörtert  in  seiner  im  sommer  1894  erschie- 
I  programmarbeit  die  frage,  welche  bestandteile  der  ältesten  bearbeitungen  des 
1  der  ursprünglichen  fassung  dieses  Werkes  nicht  angehört  haben 
rsprüohe,  die  sich  in  der  atexandrinischen  receusion  finden,  sinil 
I  der  ftnsioht  Ausfolds  bei  der  forschung  nach  der  wahren  gestalt  des  alten  Alexau- 
Qäfies  deshalb  nicht  gt-nngend  berücksichtigt  worden,  weil  man  dessen  inhalt 
I  dem  vorgange  Zacbors  allgemein  auf  die  sage  des  volles  zurückgeführt  habe. 
tfdd  sehliesst   sich    dagegen    Nöldekos   meinunp   an,    dio  dahin   geht,   dass   der 


11  t^bar  dia  Bpracho  Jos  M^rvascvan^olLai 


y  Lea  in  Anglis 


,  ea  fSf. 


Aknaoiflemmsji  un  grossen  imd  ganzen  das  prodokt  einer  halb  geleiineB  sdkiiftsid- 
lerei  sei;  der  verCiiiser  dieser  abhandlang  sacht  die  später  hinzogiekoiBmeBeB  stacb 
aoszoscbeiden  nnd  prüft  die  far  anecht  gehaltenen  kapitel  nach  äucm  uraptange. 

Zunächst  spricht  Aasfeld  über  den  brief  an  Aristoteles  m,  17,  den  bencht  la 
Oljmpias  IIL  21.  28  nnd  die  an  beide  gerichteten  schreiben  LB(C|  II.  23^  31  33. 
30—41;  er  behandelt  femer  die  briefe  des  Darios  and  seiner  Satrapen  L  39.  40 
II.  10.  11;  Alezanders  feldzag  nach  Griechenland  I.  42 — 11,  7;  die  ereigniaK  zwi- 
fi<;faen  dem  friedensgesach  and  der  ermordang  des  Darias  II .  17 — 19;  Alexanders 
▼erkehr  mit  der  konigin  Kandaoe  IQ,  18 — 24;  das  testament  des  henscfaeis  III.  33: 
den  rück  blick  auf  Alexanders  leben  and  taten  m.  35  und  sehliesst  mit  einer  zosun- 
menfass«;aden  betracfatang  über  die  ursprüngliche  beschaffenheit  des  romans. 

tTber  da»  gegenseitige  Verhältnis  der  beiden  stücke,  (aus  denen  der  brief  in 
Aristcrteles  besteht,   ist  Aosfeld    in  der  hauptsache   derselben  ansieht  wie  ich  (vgl 
meine   U;iden    arbeiten  zur   Alexandersage   Königsberg  1892.   94    nnd  Zettscfar.  27. 
426  fg.j,   nur  dass  er  den  zweiten  teil  bereits  bei  den  Worten  Ta  ii  nkiiaru  ni 
nuQädolu  s.  121  a  16  beginnen  lassen  will   und  auch   diesen  als   zwei   mit  einin- 
der  verbundene  bmchstücke  verschiedener  briefe  ansieht.    Er  weicht  in  der  meinun^ 
dasH  die  Epistola  von  dem  uns  überlieferten  texte  des  romans  ganz  unabhängig  sei. 
von  meiner  auffas.sung  ab.    Für  den  historischen  hintergrund  dieses  abechnitts  häk 
Ausfeld   die   abenteuer  Nearchs,   von   denen  Arrian,   Ind.  30.  31.  37,   und  Cortins 
(10,  1,  12  fgg.)   sprechen.     Da  Alexander  III,  27   nur  bis  zum  Hyphasis  gelange, 
nach  der  darstellung  in  III,  17  aber  in  das  gebiet  der  Prasier  eindringe,   müsse  der 
ersto  teil  des  briefes  unecht  sein:   er  sei  von  dem  bearbeiter  des  Schlosses  mit  die- 
sem verbunden;   aber  auch  der  zweite  teil  gehöre  nicht  der  ursprünglichen  ÜassuDg 
des  romans  an,    weil  er  Widersprüche  zu  III,  1 — 4  enthalte.     Ausfeld  sucht  einige 
irrtümor  der  Überlieferung  dadurch  zu  verbessern,   dass  er  die  erzählten   tatsachen 
mit  historischen  ereignissen  in  Verbindung  bringt    Die  beiden  ersten  abschnitte,   die 
vom   marH(;ho  durch  die  kaspischen  passe  bis  zur  Unterwerfung  dos  Porös  ond  vom 
zuge  an  den  ocoan  und  zu  den  Ichthyophagen  handeln,  wovon  der  letzte  aber  nur  in 
der  Epistola  vorkommt,  werden  als  geschichtliche  grundlage  des  berichtes  angeseheo, 
während  der  rost  als  eine  verworrene  zusammenbäufung  von  sagenhaften  abenteuern 
hozoichnot  wird.    Die  fruchtbare  gegend  beim  kaspischen  passe   sei  das  gebiet  der 
glücklichon    dörfur   Ilyrcaoicns,    der   beschworlicbo   marsch   sei   mit   dem   zage 
AloxnndcrH  durch  dio  wüste  Sogdiana  zu  vergleichen;   der  fluss  mit  bitterem  wasser 
Ix^xiiichno  wol  den  Oxus,   wio  der  süsswassorsee  das  kaspische  meer,   der  kämpf  mit 
doii  wildon   tieroii    könne  auf  dio  von  Curtius  8,  1,  11  fgg.  erwähnte  jagd  zurück- 
goführt  worden;   der  abniarsoh  nach  Prasiaca  bedeute  den  aufbruch  zum  indischen 
kriopj  im  frühjalir  327,    der  schnoosturm  stimrao  mit  dem  von  Curtius  8,  4  geschil- 
dorti'u  Unwetter  üboroin ,  und  mit  doni  zugo  gegen  Ponis  sei  dor  marsch  in  das  Peod- 
Ki^lmb  gonufint.    Auch  dorjunigo  abschnitt,    der  nur  in  der  Epistola  vorkommt,  wird 
in  iihnlichiT  woiso  durch  dio  horauziohung  geschichtlicher  Vorgänge  erläutert 

Kbonso  wonig  wie  das  schreiben  an  Aristoteles,  sei  der  brief  an  Olympias  ein 
altor  bostandttMl  der  nloxaudrinischon  reconsion,  da  die  erzählung  von  den  Amazoneo 
mit  111,  25  f^.  nicht  übori*iiistimmo,  während  der  in  A  nicht  überlieferte  anfang  des 
27.  kapitols  zum  p*össton  toll  dein  echton  texte  angehöre.  Der  Vollständigkeit  wegen 
worduii  auch  dio  briofo  an  Aristoteles  und  Olympias  analysiert,  obgleich  sie  nur  in 
jüngerou  handschrifton  enthalten  sind,  also  von  vornherein  als  ursprüngliche  bestsnd- 
toilo  nicht  angosoheu  worden  könuon.    Aber  auch  die  briefe  des  Darius  und  seiner 


ÜBU  ADsrELt),  oRiEra.  nxXimeBmiuiV  3S1 

1  bilt  Aosfeld  für  unecht,  da  sie  mit  ihran  angaben  der  erzäblong  des  romaus 
t  widersprtwben ,  und  da  der  hrief  des  Darius  üo  Alexander  noben  dem  boreits 
36  überlieferten  schreiben  nnnötig  eu  sein  scheine.  Die  Haninilung,  aus  der  sie 
,  müsate  mit&rlich,  wie  Ansfeld  richtig  betont,  einen  ganz  andei'en  cbaittk- 
gehabt  haben  uts  jene  briefe  an  Aristoteles  oder  Ulympias  mit  iiiran  sbent«uer- 
1  BCbildernngua,  Die  erzählung  von  Alexanders  feldzug  nach  Griechentand,  diu 
42  —  U,  ti  nach  der  scliilderung  dar  BchUcht  bei  Issnfi  überliefert  ist,  während 
I  aie  I,  25  nftch  der  thronbosteigimg  des  koaigs  erwarten  sollte,  ist  bereits  von 
idi^  als  späterer  Zusatz  erkannt  worden.  Ausfold  weist  nach,  dass  auch  dos  foN 
de  kapitel  11,  7  aus  dem  uispninglichen  text  ausgesondert  werden  muss,  ent- 
eidet  aber  nicht  mit  Sicherheit,  an  welcher  stelle  von  I,  43  die  interpolation 
innt  Ferner  wird  dargelegt,  dass  die  Schilderung  der  ercigniase,  welche  vom 
B  dtta  17.  bis  zum  19.  kapitel  des  2.  buches  in  A  erzählt  sind,  erat  spUter  ein- 
chobun  sein  kann,  da  der  folgeade  abHohnitt  <1I,  20fgg.)  damit  im  Widerspruche 
:  and  auf  II,  17  nurüctgreift.  Der  besuch  Alexanders  bei  Kandace  aobeint 
sfeld  ins  eiste  buch  (kap.  30  —  34)  zu  gchör«n  und  gleichfalls  im  ältesten  text 
1  nicht  vorhanden  gewesen  zu  sein,  weil  die  daratellung  in  dieser  episode  nnge- 
1  breit  ist,  weil  der  Inhalt  auf  eine  demütigung  Alexanders  hinauskommt  und 
I  lll,  25  BSchlich  an  111,  6  anscbliessL  Nur  der  historische  anfang  von  111,  18 
t  dem  berichte,  dasa  Alexander  nach  der  Stadt  der  Semiramis  gezogen  sei,  so  wie 
I  besnhreibuug  der  bürg  dieser  königin  könne  alleufalls  für  die  älteste  recension  des 
in  anspruch  genommen  werden.  Die  behauptung,  dass  nownl  Alexanders 
t  als  auch  die  zusammenfassenden  bemerkuugen  über  das  leben  und  die  taten 
9  färeten  zu  den  unechten  bestandteilen  des  ramans  gebären,  wird  keinen  wider- 
lich finden-  Nach  der  ausscbeidung  der  behandelten  abschnitte  bleiben  folgende 
)>ifel  des  ursprünglichen  textes  übrig:  1.  Alexanders  eitern  {I,  1  —  14);  2.  taten  des 
Dgen  Alexander  (I,  15—24);  3.  rustungen  des  königs  und  unteraebmungen  bis 
i  znge  gegen  Darius  (I,  25—35);  4.  besieguug  der  Perser  (I,  36  —  42;  II,  8  —  17 
-22);  5.  erlöbnisse  in  Indien  (III,  1— <i;  25—27);  fl,  Alexandere  tod  (UI,  30— 
.  —  Jeue  einschaltungen  sind  nach  Ansfelds  meinnng  nicht  zuffillig  und  allmah- 
,,  sondern  phinniässig  von  einem  oder  wenigen  bearbeiteru  gemacht  worden,  in 
l&tioher  weise,  wie  es  an  dem  werke  Leos  nachgewtesen  worden  kann.  Der  verfas- 
'  des  ältesten  Ale  xan  derb  ach  es  sei  kein  erzähler  von  voltssageo,  soadem  ein 
aischrooken  erfindender  romanscb reiber  gewesen,  der  seine  leser  angenehm  unter- 
sten wollte. 

Aasfeld  bat  sieb  durch  diese  abhandlnng  das  verdienst  erworben,  diejenigen 
indteile  dos  Pseudokallisthenes,  welche  erst  später  ans  anderen  selbständigen 
ktiften  dem  roman  einverleibt  sind,  zusammen  austeilen  und  gewisse  tntsochen  der 
[enhaften  erzähiung  durch  den  hioweis  auf  ahoüi^he  historische  begobenbeit«n  zu 
Wenn  aueh  manche  vergleiche  etwas  gewaltsam  herbeigezogen  zu  sein 
so  hat  der  Verfasser  in  der  hau|itsBehp  doch  für  die  forschong  nach  der 
tstehung  einiger  teile  der  sage  ein  nützliches  material  zusammeuge trogen.  Auch 
t  seiner  benrteilung  der  unechten  stncke  des  romans  bin  ich  itn  ganzen  einver- 
,  doch  ich  mdcbte  noch  besonders  he  r verliebe  n ,  dass  aus  dem  umstände, 
1  Abschnitt  des  romans  dem  ältesten  texte  nicht  angehört  haben  kann,  kei- 
I  za  folgern  ist,  dass  derselbe  viel  später  als  das  werk  des  Pseudokallisthenes 
leo  sei.  Dagegen  scheint  mir  die  behauptung,  von  der  Ausfold  bei  der  gan- 
1  bebandlnng  der  von  ihm  angeregten  frage  ausgeht  und  zu  deren  beträftigung  er 


383  BBCEEB,    GBER   AÜSFKLD,    QRIKCH.    ALCXlNSgREailAH 

zam  BchluBaa  zuiücklcelirt,  unrichtig  zu  sein,  aünlich  die  ansieht,  dass  ia  iAA 
des  griecbiscben  Alexonderbuches  keine  saganhaften  bestandteile  enthalte.  Es  IK 
mir  nicht  klar  geworden,  ob  Auafeld  auch  die  späteren  einecbaltungea  des  totnsni, 
X.  b.  den  brief  über  die  wunder  Indiens,  für  die  erfindung  eines  rDmaiisd»ietb«n 
hält  oder  nur  diejenigen  teile  dafür  ansieht,  die  nach  seiner  meinung  deo  eclrieo 
text  aoBmachen.  Denn  er  selbst  spriobt  widerbolt  von  sagenhaften  berichten,  du- 
raktetiaiert  ao  z.  b.  s.  ü  den  zug  zu  den  biLumoD  der  soune  und  des  mondes  iDd 
8.  IT  die  Wanderung  zu  den  Eüalen  des  Herkules  und  den  Amazonen;  er  gibt  fenm 
au  derselben  stelle  an,  dass  in,  28  sagenhaft  ansgusclimuckt  sei,  und  erwSliut  nricli 
s.  21  and  30  sagenhafte  bestandteile  der  entahlung.  S.  15  wird  dargeli'gt,  doss  d«in 
EugB  KD  den  bäumen  dor  sonne  und  des  mondes  wirklieb  eine  orientalische  sage  n- 
grunde  liegen  könne,  und  s.  22  endlich  erklärt  Ausfeld,  dass  sieb  bei  rntadbm 
Btüoken  nnr  schwer  beurteilen  lasse,  was  darin  echte  sage,  und  was  erfiodung  «dm 
sohriftsteliers  sei.  Mir  schciat,  dass  gerade  auf  diese  weise  der  ganze  Pseudoktlli' 
sthenee  aufzufassen  ist;  wenn  Ausfeld  annimmt,  dass  xur  zeit  der  enlstebnng  im 
ältesten  Aiexanderbucbes  bereits  eine  volkssage  von  diesem  beiden  vorhanden  g»w- 
sen  sei,  so  ist  nicht  einznseben,  warum  ein  roman  schrei  her  an  die  stelle  dosffi, 
was  allgemein  berichtet  wuide,  eine  neue  datstellueg  gesetzt  haben  sollte,  in  der  die 
tu  den  historischen  quellen  gefundenen  tatsachen  abenteuerlich  ansgeschmüctt  wann. 
Salbst  wenn  d<ir  roman,  auf  Utterarischem  wege  verbreitet,  ein  Volksbuch  gewonlen 
sein  sollte  (s.  N(>ldeke,  BeitrSga  zur  geschieht e  des  Alexanderromaaii 
s.  10],  so  darf  man  doch  uiobt  leugnen,  dass  es  eine  Alexandersaga    gegebsn  b*L 

EÖKISBBKBO   I.  I-B. 


T&nnh&user,  inkftlt  und  for«  seiner  gediobte.    Tan  dr.  Johannea  UebarL 
Berlin,  L.  Vogt   1694.    m,  IIG  s.    2,40  m. 

Die  arbeit  kündet  sich  in  eineni  Vorwort  als  fortsetzung  der  bis  dabin  umb»- 
sendeten  darstellung  von  TanuhäuBera  leben  und  dichten  an,  der  von  Oehlke;  sie  wiQ 
die  früheren  forschungen  über  den  bistorisoben  Tannbäuser  rortfübren  und  bencbüen, 
ohne  selbst  den  ansprach  auf  voUstüDdigkeit  za  erheben. 

Der  erste  biographische  teil  (s.  7  —  13)  fügt  zu  den  bisherigen  zengnisaen  lü 
des  dicbters  ritterliche  abkunft,  d,  h.  zu  der  spätem  sage  vom  ritter  Tanuhioser  and 
zu  seiuer  darstellung  in  C  im  Staatskleide  des  ritters  neue  beweisgründe,  goeclii^ 
aus  seinen  gedicbten,  der  einzig  zuverlässigen  quelle  Für  sein  leben.  Es  werdet 
gonaunt:  Tonuhäusers  sehnsiichtiges  gedenken  an  die  von  ihnt  betriebenen  ritteiUclua 
Vergnügungen,  au  niinnedienat  und  falkeojagd,  und  seiue  bevorzugte  Stellung  bei  her- 
zog Friedrich,  dem  muster  aller  ritterlichen  tilgenden.  Auf  spräche  und  Inhalt  M- 
ner  gedichte  stützt  sich  weiter  die  Verlegung  seiner  heimat  nach  dem  südöstlichao 
Deutschland.  Inhaltliche  gründe  dafür  sind  dem  Verfasser:  der  längere  autenlhill 
Tannhäusers  in  Österreich,  seine  Vertrautheit  mit  dessen  geographischen  und  poUti- 
sohen  Verhältnissen,  die  bekanntschaft  späterer  österreichischer  dichter,  wie  JaatN 
Elnikels  mit  seinen  gedicbten  und  die  enge  bozlehimg  dieser  gedichte  selbst  zum  votte- 
massigen.  Stichhaltig  erscheinen  uns  die  ersten  drei  momente,  unzutreffend  abaids 
letzte,  wenn  auch  in  Österreich  zuerst  mit  Neidhart  wider  eine  solche  ricbtaoj  nt- 
trat  Die  Schwaben  Ootfried  von  Neifen  und  Ulrich  von  Wintersletten  stehaB  js 
der  Tolksmassigon  tyrik  nicht  weniger  nahe',   nur  in  der  epik 

I)  Vgl,  P.  Vogt,  MliJ.  ILltoratargesehichtB  s.a2-93. 


VlBREB,  Cber  biebbrt, 

eben  ein  deruüger  gegensatz  zwischen  den  emzelaeD  gegeodea  bemerkbar,  indam 
die  wesUicbon  länder  fremden  vorbllderti  folgtet),  wäbrend  Baiern  und  Österreich 
aussobliesslich  das  aatioLiale  elemeot  pUegten  and  lange  noch  bewahrten.  In  der 
lyrik  dagegen  war  längst  auch  hier  der  heimische  oharakter  dea  ältesten  ritteritcben 
mJimei^angea  der  neuen  neise  gewichen,  so  dass  man  in  Tannhüiisers  hinneiguug  zur 
volksdichtuiig  nicht  ein  erbe  der  frühem  periude  und  eineo  beweis  für  seina  Öster- 
reichische  beimat  erblicken  kann;  vielmehr  mnss  sie  wie  bei  jenen  soliwubiftohea 
lyrikem  als  eine  neue  anlehnnng  an  den  volkagesang  aufgefasst  werden,  begründet  in 
seiner  eigenBchaft  als  fahre  udor. 

Dieser  widmet  auoh  Siebert  besondere  aufmerkäamkeit.    Nur  kurz  berührt  er  die 
übrigen  von  Oehlke  erschlossenen  und  ansfiihrlich  bebandelteu  lobenüschicksaie  des 
dicbters.     Seine  reise  nach  dem  heil,  lande,   seine  Bängerfahrten  zu  deutschen  und 
fremden  fürsten  und  herreu,    seinen  anfeQtholt  am  Babonboi^er  hofe  und  sein  uostä- 
tes  Wanderleben,  um  eingehender  die  von  Edn*.  Schröder  in  Scberer  Litteratnrgesch.* 
8.  214  und  Küok  in  der  recenaion  von  Oehlke,  A.  f.  d.  a.  17,  207  vertroteoen  behaup- 
tung  zu  widerlegen,   Taunhioser  sei  ein  fahrender  kleriker,   ein,  vagant  gewesen. 
D«n  dafür  angezogenen  Ähnlichkeiten  zwischen  Tannhäusets  poesie  und   der  der  CaTr 
mioa  Burana,  unter  denen  allerdings  dem  einzig  dastehenden  apott  über  aeine  lebens- 
wenig beaohtung  geschenkt  wird,    hält  er  mit  reoht  die  viel  bedeutenderen 
verschieden heitcn  entgegen.     Ein  teil  jener  Sammlung  nämlich  kehrt  absichtlich  und 
mit  stolz  gegenüber  dem  rittertum  den  geistlichen  stand  der  dichter  hervor;  in  andern 
verrät  sich  der  gelehrte  autor  durch  seine  beispiele  aus  der  Bibel  und  der  lateini- 
schen litteratur,  wührend  Tannhäusers  kenutnis  alt-testamentlichei  merk  Würdigkeiten, 
aatiter  mythen  und  heldensagen  wie  einiger  lateinischen  werte   niobt  den  borizont 
der  ritterlichen  bildnng  seiuer  seit  übeiscbreitet  und  wenigstens  bezüglich  des  klas- 
aiscben  altertums  durch  die  bößsche  bildung  vermittelt  erscheint^   sogar  die  weniger 
»sehen  beispiele  der  vaganten poesie,    wie  die  von  Oehlke  verglichenen  nr.  57,  109, 
i,    zeigen  noch  stileigenlieiten ,   die   aich    nicht   mit  Tannhänseis  mauier   deekon. 
L.ber  auch  wegen  seiner  mit  den  vogunten  geteilten  Sinnlichkeit  kann  er  nach  Siebert 
cht  der  zahl   dieser   eingereiht  werden,    da   für   die   gleichartige  laaeivo  darstellung 
mnso   gut   die  volkspoesie   die   gemeinsame  quelle  abgegeben  haben   kann   als   die 
itike  mit  ihren   beidnisehen   anschauungen.     UnlAngbar  eignet  jener  eine  naiv  sinn- 
ibe  auflassung  der  liebe,   und  unzweifelhaft  ist  ihr  einfluss  nuf  die  bunat  der  geist- 
chen  lyriker  sowul  als  der  ritterlichen.     Wie  Noidhart  den  liedern  des  vcilkes  sich 
lachtosa,  so  auch  Tannhäuser;   vom  volksmössigen  tanzliede  überkam  er  den  derben 
'otischen  ton,  dessen  noivetät  er  stellenweise  durch  lüstemheit  ersetzte.    So  spricht 
icbts  für  den  vagsntencharakter  Tannhfiusei's,    wol  aber  noch   dagegen   sein  nicht 
'loschenes  ritterUches  standeahewusstsein.     Als  ein  fahrender  sänger  rittariichen  stan- 
w  wird  demnach  der  dichter   erwiesen,   der  besser  als  die  mebrzahl  der   höfisch 
bildeten  von  damals  im  deacschen  und  französischen  epos  belesen  war  und  damit 
ohne  seine  gelehrsamkeit  durch  die  weisbeit   klerikaler  zunftgenossen   zu 
irnobeni. 

„Tannbäuscrs  dichten"  ist  der  zweite  abschnitt  (3,  14  —  36)  dos  Siebertscheo 

icbes  überschrieben.    Es  werden  zunächst  die  grundlagen  und  ausgangspunkte  sei- 

a  knnst  der  besprecbung  unterzogen.    Hüfischea  und  dürperliches,  die  demente  der 

IKeidbartscben  richtucg,   sind  bei  ihm  vertreten,   ohne  sich  gegenseitig  durchdrungen 

Btul  zu  harmonischer  eioheit  verschmolzen   zu   haben.     Spricht  das  lucht  ebonfaUs 

Sieberts  frühere  erklürtuig  von  laniihäuäera  boziehung  zum  volksmüssigen  als 


einur  naohwirkuDg  und  Vererbung  des  altbeimischBii  miDnefinngs,  dem  Socii  ^e 
nrtiga  &che[dung  fremd  war?  Auch  kann  niftn  dämm  (was  stsrkor  hatte  Wtoni  *»r- 
den  sollen !i  den  dicbter  nur  mit  ein<«m  teile  seiner  gediolite  den  höfi&cljwi  dorf|Miin 
zureohneD,  während  andere  daruhaus  unter  die  rein  büÜHcbe  lytik  fallen.  Dunt 
ergibt  sich  ein  neues  vom  Verfasser  ausser  acht  gelasseues  leugnis  fär  aedne  itttw- 
liohe  ubtnuft,  bsoferu  wol  ein  im  volka  sieh  bewegender  ritter  dorch  dteanD  tiaj»- 
weise  die  höfisobe  diohtung  erweitern  koonte  (Walther,  Neidhart,  Gotfriod  vm  K«- 
fen),  nicht  aber  ein  sänger  des  Volkes  seiner  angestammten  dßrperUchuu  mus«  ia 
ton  der  ritterlichen  lyrik  vomiählt  haben  würde,  was  rudein  nicht  der  damals  *4a 
recht  kräftigen  roaktien  gegen  den  konventionellen  minnesang  entsprochen  hute,  7a- 
gleich  wird  aohon  dadurch  allein  die  aunahme  seiner  direkten  abhümgigkeit  von  N«4> 
hart  hinfällig;  Siebert  widerlegt  »ie  auf  grund  des  von  Oeblke  herbeigebraohloti  au»- 
rials  mit  dem  hinweia  auf  die  beim  Tanuhäuser  nicht  vertreteneu  aigeniutigeii  Ihn* 
Heidhsrts:  geepräoh  zwischen  gespieliouen  oder  mutter  und  toohtw,  scenen  an*  itm 
leben  der  banem,  Verspottung  deraelbeo. 

Dem  volkxmässigen  taneliede  entstammen  folgende  siige  (die  er  mit  Flricli  ni 
Winterstetten  und  Heinrich  von  Sax  teilt):  din  aufforderung  zum  tanz  am  aofingnta 
Bcblussteila  der  loiche,  die  frage  nach  den  läDterinaen,  deren  aufiShluog,  iD*  <■!• 
forderung  mr  freude,  der  hinweis  auf  das  ende  des  tanzes  und  liedm  mit  dem  nfs 
heia,  hei  und  dflr  mitloilung,  dass  dem  spielniaon  die  Saite  gerissen  niirr  it«-»  ».(«o 
gebrochen  ist;  ebenso  die  mehr  vereinzelte  Verwünschung  von  st' 
bewillkommnung  fröhlicher  teilnehmer.  Damit  ist  der  orsprung  d>'^ 
tanaleiobe  aus  der  volkspoesie  festgestellt  Und  auf  sie  muss  im  «< 
die  er^ählung  des  liebesabonteuers  tm  4.  teile  von  II  und  III  xurtickg"liilin  U'-nl--'- 
Die  aus  dem  altfranzösischen  pastourel  durch  kunstgemasse  Umgestaltung  bemH^ 
gangane  französische  romanze  hat  ihnen  wol  zum  muHler  gedient,  wie  die  glric&hcA 
der  nolage  und  die  beibebaltnng  zahlreicher  französisoher  Wörter  betengnn.  ala* 
jedoch  sklavisch  nachgeahmt  worden,  zu  sein.  Denn  wesentliehe  mutivit  jimer,  dtr 
betrogeno  ehemann,  der  s^potC  des  ritters  nach  erreichteni  zweck  nnd  sein  pnU« 
mit  gehabten  erfolgen,  der  gebildete  stand  der  weiblichen  pereon  fehlen  gnna,  tl*B^ 
gen  begegnen  auch  hier  echt  deutsche  lüge  wie  der  gang  auf  die  beide  nnd  dM 
lusammentreffen  daselbst;  auch  die  personen  sind  die  des  deutschen  volkaliodes:  ■■ 
einfaches  suhnohtemes  laudmädchen,  ein  schwärmerisoher,  durch  die  erinuenutg  bMi- 
Ijgtor  liebhaber.  Im  11.  leiohe  insbesondere  wird  auch  die  begegnnng  anf  der  hdit 
mit  der  lu  der  mhd.  zeit  allgemeinen  alttc  des  blumenbrechens  motiviert  nnd  «war  In  dv 
vom  voUisliode  beliebten  form,  da&s  eb  müdohon  allpia  nach  blomen  g«>ht  nnd  ml 
dem  Verehrer  zuaamm entrißt  nnd  „rasen  brichl".  Dom  tolksgeeangu  enlslamfflt  and 
die  Wendung  ieh  nam  ai  bl  der  irixm  hanl  (U,  l(i,  2)  zur  bezeiohnuUf;  der  auBt 
herung  iiud  umarmnng.  üernicht  so  das  volkemUssigo  element  im  11.  leich«  donA- 
aus  vor,  so  überwiegt  der  eiufluss  der  famzöslscheu  romanzendiehtuug  im  UJ.  latcba 
Daraus  Jodoch  mit  Slebert  dessen  spätere  abfassuug  zu  tnlgeni,  holte  ich  fllr  ipnnft 
Dort  nor  von  ansützeu  und  hier  von  einer  ausgestaltoiig  derselben  reden  xu  W(An 
dünkt  mir  nach  der  feststeUung  der  ritterlichen  abkunft  des  dichten  eubwUedn 
weniger  begründet  als  umgekehrt  ein  tsilweises  xuniokkommen  vom  übcrivbten  UM 
der  franzouiscfaen  und  deutschon  kuDstlf  rik  auf  die  einfache,  innige  vvilkswaBW  ad- 
sprechend  dem  entwickelnogsganga  Walthers  anzunehmen.  .Vuf  dem  übardra*  a 
der  konveiitiouelleu  phrasenhaften  vi^rherrliohung  weiblicher  sebünhell  im  vtrdli  vi 
seiner  Itickern  phuntaxie  binibt  wol   auch  die  vom  verfsaner  erwühnto,   ahv  dKM 


ÜBKR  8IKBKRT,  TANNHAU8RR  385 

erklärte  ausführliche,    indecente  Schilderung  der  reize  der  geliebten,    die  dem  volks- 
gesang  wie  der  höfischen  poesie  fremd  war. 

Als  volkstümliche  elemente  in  Tannhäusers  liedem  führt  der  Verfasser  an: 
die  aufführung  von  unmöglichen  dingen,  wie  der  unverrückbarkeit  von  mond  und 
sonne  (VIÜ,  3),  das  vergehn  der  berge  (IX,  2,  3),  das  ablenken  von  Aussen  u.  a.  m., 
wenn  auch  bei  manchen  beispielen  infolge  von  künstele!  und  gelehrsamkeit  der 
abstand  von  der  volksphantasie  nicht  gering  ist;  weiterhin  eine  reihe  formelhafter 
Wendungen,  wie  stoer  des  gekmben  welle  niht,  der  var  um  erx  heachouwe  (Xu,  4)* 
endlich  die  ungesuchte  naturschilderung  in  XV,  3,  11  — 13;  mehr  beispiele  bieten 
hierfür  die  leiche  (11,  2 — 4  und  20;  in,  5,  12,  4 — 6  und  31).  Andere  dagegen, 
wie  der  natureingang  im  I.  leich  und  die  frühlingsschildei*ung  in  leich  YII  sind  die 
schablonenhaften  des  höfischen  minnesangs.  Auf  dem  boden  des  letzteren  steht  ja 
denn  auch  der  Tannhäuser  in.  mehreren  gedichten  noch  vollständig,  obschon  er  ihn 
bereits  hier  und  da  parodiert.  Der  höfischen  lyrik  entstammen  sein  wort-  und  phra- 
senschatz,  der  preis  der  geliebten  und  dasr  werben  um  ihre  huld,  dem  höfischen  epos 
die  von  ihm  vorgeführten  heldengestalten. 

Neben  diesen  beiden  aus  der  bestehenden  dichtung  überkommenen  dementen 
soll  aber  auch  eine  scharf  ausgeprägte  eigenart  Tannhäusers  dichten  kennzeichnen. 
Nur  finde  ich  nicht  alle  die  züge  originell,  die  Siebert  als  solche  hinstellt.  Seine 
parodie  des  minnesangs  ist  nur  eine  der  vielen  gleichzeitigen  und  doch  recht  verschie- 
denartigen äusserungen  der  dagegen  erwachten  reaktion.  Dieser  scheint  auch  die 
realistik  in  der  Zeichnung  seiner  ärmlichen  und  liederlichen  lebensweise  eher  zuge- 
schrieben werden  zu  müssen  als  dem  einfluss  der  volkspoesie;  dergeist  freilich,  wel- 
cher sich  darin  ausspricht,  steht  einzig  da  und  erinnert  an  den  der  lateinischen  Vagan- 
tendichtung. Der  humor,  der  seine  hierauf  bezüglichen  spiüche  belebt,  kehrt  auch  in 
seinen  tanzleichen  wider  und  lässt  den  dichter  als  eine  fröhliche,  lebenslustige,  aus- 
gelassene natur  erkennen.  Er  verrät  sich  besonders  im  hauptteil  derselben  in  der 
abenteuerlichen  Zusammenstellung  und  häufung  von  namen  und  tatsachen;  indessen 
bat  er  auch  hier  nur  ausätze  der  frühem  volks-  und  knnstmässigen  tanzpoesie  (Bo- 
tenlauben, Eotenburg,  Oliers')  weiterentwickelt,  nicht  aber  ein  ganz  neues  moment 
eingeführt 

Auf  diese  quellen  seiner  dichtung  führt  Siebert  auch  deren  Vorzüge  und  schwä- 
chen zurück.  Zu  jenen  rechnet  er:  die  lebensvolle  Zeichnung  gegenüber  der  ein 
tonigen  reflexion  und  gefühlsheuchelei  des  höfischen  minnesangs,  die  Schilderung  des 
liebeserfolges  und  den  spott  über  das  aussichtslose  schmachten,  die  aus  unmittel- 
barem empfinden  hervorgegangene  naturwahrheit  und  anschaulichkeit  der  darstellung, 
besonders  wo  es  sich  um  den  tanz  oder  die  begegnung  der  liebenden  handelt,  und 
die  konkreten  bilder,  die  der  dichter  entwirft  von  der  gewalt  des  seesturmes,  von 
den  genüssen  und  üppigen  freuden  seines  lebens,  von  den  leiden  eines  fahrenden, 
von  seiner  Sehnsucht  nach  der  heimat  usw.  Als  mängel  werden  hervorgehoben: 
seine  geschmacklosigkeit  z.  b.  in  der  anwendung  französischer  Wörter,  die  sich  bis- 
weilen wol  eher  aus  seiner  gelehrttuerei  erklärt  als,  wie  Siebert  meint,  aus  seinem 
humor,  das  festhalten  am  konventionellen  im  Vn.  und  XV.  gedichte  und  im  I.  leiche 
und  vor  allem  seine  unglaubliche  sucht,  mit  allerlei  ungewöhnlichem  wissenskrame 
zu  prunken;  diese  hat  ihn  zunächst  auf  kosten  des  grundgedankens  verleitet  zur  auf- 
zählung  einer  endlosen  reihe  von  göttinnen  und  romanheldinnen,   von  ländem,   von 

1)  Vgl.  Vogt,  Mhd.  Fitt-gesch.  s.  92. 
ZUTSGHRIFT   F.   DKUTSCHE   PHILOLOGIE.     BD.  XXVHI.  25 


Quss-  ood  BtMdteDamen  u.  dergl.     Und  venu   er  ea  ancti  noch  nidit  im 
Bpnichdichtern  gleichtut,  so  gebort  er  doch  hiennit  sowol,  wie  mit  ae 
flgkeit  der  zeit  des  niedergaoges  an. 

Metrik  und  rhythmik  werden  sodann  (s.  37  —  71)  behandelt,  wobei  veisUg- 
digerweise  von  den  einfacheren  tönen,  den  liedern  und  Bprücheo  (VIl  —  XVIll  uul 
dabei  vrider  von  der  elnfacbsten  veranit,  der  7hebigea  langzeile  mit  klingeoilflii 
BühluBBe,  ausgegangen  wird.  Sie  bildet  die  giundkge  der  spräche  von  XU  und  dar 
Strophen  von  XIV  und  XV,  die  entsprechend  analysiert  werden.  Das  fehlen  ei(M 
sinneseinscbnittea  nach  der  4.  hebung  ist  in  XII  durchaus  nicbt  so  selten,  all  let 
Verfasser  behauptet;  man  vgl.  XII,  1,  Ö;  2,  8  nnd  10;  3,  I.  5;  8,  9  nnd  10;  4,6 
und  8;  5,  1,  fi  und  10!  £in  Noicber  sachlicher  eiuichuitt  erscheint  aber  BW.'h  pi 
nicht  nötig,  um  die  beiden  teile  der  langzeile  hervortreten  zu  lassen;  dagiegen  i«t  H 
ungewöhnlich,  wenn,  wie  in  2,  8  eng  verbundene  Worte  durch  die  cäsur  getrennt  vw 
den,  oder  wenn  die  4.  hebung  der  I.  halbzeile  mit  der  1.  Senkung  der  2.  häUta  in 
ein  wort  zusammenfnllt  und  die  gliederung  des  vorsgoozen  dadureh  verwischt  wird,  «ie 
in  fi,  1,  6  und  10  und  XIV,  4,  8;  5.  8.  Nichts  ist  ku  erinnern  gegen  Sieb«« 
erklärung  der  fünften  Zeilen.  Unangebracht  erscheint  dagegen  eine  texteaändenmg 
in  4,  9  und  5,  9,  um  3hebig  stumpfe  verse  herzustellen,  da  die  ersten  hallten  tot 
3,  9  und  5,  9  unbedingt  4  hebuugen  enthalten  und  andererseits  sohoo  bei  anaahme 
unterdrückter  Senkung  oder  schwebender  betonuog  diu  gewaltsame  auccntaierung  in 
wirf  sprichet  gemildert  wird  und  die  betonung  oici  sich  durch  zahlreiche  tuiapitto 
aus  Walther  und  andern  lyrikem  belegen  lässt.  Aber  auch  in  1,  9  und  2,  9  itt  di« 
volle  zahl  der  hebungeu  bei  annähme  unterdrückter  Senkung  zu  erschlieasen,  lü« 
bei  der  emphase  der  letzten  verse,  zumal  bei  2,  9,  sehr  erklärlich  ist. 

Heutiger,  aber  ganz  regolmtlssig,  wird  die  4hebige  halbzeile  in  lied  XUl  nudi- 
ficiert  Die  gruppierung  der  verse  darin  nird  beschrieben  und  damit  die  veiBchieikn* 
heit  ihrer  komposition  veranschaulicht.  Der  dort  nur  teilweise  eingeführte  innuD 
herrscht  durohgehends  in  der  Strophe  des  X.  liedes,  dessen  refrain  recht  geächiokt  in 
2  teile  von  je  3  vierhebig  stumpfen  und  2  kUngendeu  verseu  mit  niittelreim  in  jodan 
der  ersten  beiden  zerlegt  wird.  Letztere  werden  vom  Verfasser  5hebig  genannt,  floii 
enthalt  der  ei-ste  diu  reine  nander  gol  al  eint  nur  4  hebungeu,  und  verse  i<M 
4  hebungeu  müssen  wir  uns  überhaupt  als  dement  dieses  relrains  denken  nnd  di« 
gröüsere  susdelmung  des  2.  verses  als  eine  bereicberung  infolge  des  damit  Ttntnii- 
denen  atroph ensuhlusses  auffassen.  Dagegen  wäre  eine  solube  des  vorteilten  v«na 
ganz  unbegründet,  wie  denn  .auch  in  lied  VII,  au  dem  der  vurfasBer  selbst  die  «et- 
Rtohuug  des  öhebigen  verses  au»  dem  von  4  hebungeu  erklNrt,  zur  abgreniong  dtr 
einzelnen  stropheateüe  immer  nur  der  letzte  vers  eines  teile«  zu  5  bebungen  ana- 
gedehnt  wird.  Auch  in  IX  erscheint  die  5  hebig  klingende  halbzeile  noch  in  anlir 
lioie  der  markierung  der  Htelleo  und  des  abgesanges  zu  dienen,  weahalb  seine  besptvchs^g 
besser  unmittelbar  an  die  von  VIl  nngeschloKsen  worden  wdre;  allerdings  eraclMtnt 
hier  der  letzte  vers  des  abgeaanges  noch  durch  die  Verdoppelung  der  I.  hribwflt 
und  einen  ausserhalb  des  Systems  stehenden  oinschub  bereichert  und  nnsaerdeai  l> 
unerweiterto  ganze  scblusuvers  an  die  spitze  des  abgesanges  gestellt. 

Eine  selbständigere  Verwertung  des  fünfhebungsverses  begegnet,  wasfaittahor- 
vorgohoben  werden  soUeu,  erst  in  XI  in  der  Zusammensetzung  mit  dem  3hebif  klin- 
gendeu  halbverse.  Ausserdem  ist  hier  jener  zum  verse  von  7  hebuugen  erwMtKt 
wozu  man  in  dem  eingeschobenen  heia  hei  im  schluss  von  IX  eine  voratufe  ertdictiB 
kann.     Als  eine  ähnliche  bereicberung  der  doppelt  gesetzten  41iebigen  balbzrilu  itai 


■■! 


«ol  anoh  die  lObebigen  laogzeilen  von  VIII  aaSzufsMen,  die  bei  Siebert  keine  reubte 
artUmng  finden^  zwei  voq  ibneu  bilden  mit  je  3  iareimeo  einen  der  stnllon,  eine 
mit  binnenreim  und  der  vorausgoüchickten  4hebigeii  halbzeile  den  abgesang. 

Diti  langzeile  von  7  bobuiigen  ist  aucb  widerzu erben dod  in  den  durch  verschie- 
dene anflSsimgcn  und  Verwendung  von  in-  und  binneureimon  recht  wechEolvoll  go- 
Btalteteu  veraen  des  XT.  tones,  wjibrond  man  eine  harmonische  glioderung  dos  rüt- 
selaprncbes  (XVI)  mit  Siebert  für  UDmÜgüch  erklären  uiiss. 

Des  dichters  metrische  kunst  verlogt  der  Verfasser  demnach  mit  recht  nicht 
8ÜW0I  in  die  erfindung  neuer  formen,  als  vielmehr  in  die  auswahl  und  viuüerung 
yorhandoner.  Und  dasa  er  unter  diesen  gerade  die  langzeilen  von  7  und  8  hebun- 
gen  mit  ihren  balbzeilen,  den  klingenden  ver»  von  5bel)nugen  und  die  lObebige 
[>eriode,  d.  h.  rein  nationale  versa  verwendete,  wird  als  neuer  beweisgrund  für  seine 
enge  beziebujig  zar  volkspoesie  he rvorgo hoben.  Nach  den  regeln  der  kunstlyrit  aber 
bante  er  dreiteilige  Strophen,  vermied,  wenn  auch  nicht  so  peinlich,  als  der  rerfas' 
ser  meint,  den  ansfaU  der  Senkung  und  verfuhr  gleichmässig  im  gebrauch  des  auf- 
tkktes;  doch  gestattete  er  sich  auch  hierin  wie  in  der  betonung  der  werte  und  der 
Kpokope  von  unbetontem  0  einige  freiheiten. 

Die  froiheit  der  verstechnik,  insbesondere  der  Wechsel  zwischen  Ühcbig  dak- 
tylischen und  3hebig  trochäischeu  versen,  gibt  Siebert  gelegeubeit  zu  einer  erorte- 
rung  über  die  daktylen  und  daktylischen  Bjsleme  bei  unaerm  dichter  (s.  48—59). 
Daktylen  werden  von  ihm  ausser  in  XI  besonders  in  den  leioben  festgestellt,  der 
responsion  halber  auch  da,  wo  die  verse  aich  gleich  gut  trocbäisoh  lesen  lassen. 
Nun  erscheint  allerdings  der  harmonische  bau  der  leicbaät^e  so  wichtig,  dass  man 
öfter,  als  Oehlke  es  zugestanden,  wird  daktylen  annehmen  müssen,  indessen  Usst 
sich  die  doch  zunächstliegende  troohuische  messung  mancher  verse,  wie  wir  noch 
sehen  werden,  auch  beibehalten,  ohne  dass  die  responsion  dadurch  aufgehoben  wird, 
wie  dies  für  lied  XI  Siebeit  selbst  keineswegs  bestritten  haL  Zutreffend  dünkt  mir 
seine  herleitung  der  daktylen  Tannhäusers  aus  der  volkstümlichen  masik,  da  bei 
ihrem  auftreten  an  bestimmten  stellen  und  bei  der  beibebaltung  der  natürlichen  beto- 
onng  weder  die  silbenzähluug  die  quelle  sein  konnte,  wie  für  die  daktylen  späterer 
ininnesiinger,  noch  auch  bei  dem  bereits  gekennzeichneten  anschluss  des  dichters 
an  nationale  metrische  grundformen  fratizostsche  Vorbilder  hier  vorgeschwebt  haben 
werden.  Gerade  in  den  teilen  der  leiohe,  welche  inhaltlich  mit  dem  volksieben  nnd 
Tolksgesang  aufs  engste  zusammenhängen,  herrscht  daktylischer  rhythmus;  so  auch 
bei  Ulrich  von  Wintarstetten,  Heinrich  von  Sax  und  Burkhard  von  Hohentbls.  Der 
Ursprung  der  daktylen  hei  Tannhüuser  aus  dem  geaaoge  beim  reigen  und  die  selb- 
ständige auf  dentsohora  boden  erfolgte  entwictiung  solcher  verefüsse  wird  sehr  über- 
xeugend  in  der  weise  erklärt,  dass  entsprechend  dem  bcschleunigtereu  gange  des 
reigens  ein  rascheres  tempo  cmtrat  und  der  daktylus  den  wert  eines  doppeltrochäna 
mit  der  Zeitdauer  eines  gewöhnlichen  trochäischon  fusses  erhielt.  Diese  gleichwertig- 
kmt  beweisen  im  Tonnhäoser  eine  menge  von  beiapieleo,  besonders  IV,  22  nnd  23, 
die  sich  trotz  des  sehr  verschiedenen  baues  der  3.  nnd  5.  verse  ganz  harmonisch 
gliedern,  wenn  die  eraten  beiden  trocbäen  im  3.  vers  einem  dafctylns  gleichgesetat 
werden.  Als  mittelstufe  zwischen  dem  trochOischen  viersilbler  und  dem  daktylus 
kann  man  ganz  gut  dipodien  mit  ausgefallener  erster  Senkung  ansehen,  deren  zweite 
hebung  nebentonig  ist.  Ob  aber  deshalb  die  betonung  ^  '  ^  für  Tonnhausers  dakty- 
len anzunehmen  ist  wie  für  die  trochäischen  verse  mit  unterdrückter  Senkung  im 
h^hling  des  niinoesangs,    erscheint  um  so  fraghcher,   als  damit  das  vom   Verfasser 


J 


388 

Teriangte  doppelt  rasche  tempo  sich  unmöglich  eirachen  liast  Siebert  wird  mekt 
laognen  köniien.  dass  der  von  ihm  angezogene  vers  IV,  30  (nicht  I,  30!)  bei  ia 
betODODg  9cä  Ui  mtn  vrou  Jüxxe  diu  liebe  also  lämgi  mdir  seit  anm  rot^ng  ben- 
spracht als  bei  dem  gewöhnlichen  daktylischen  gange  trä  iai  tmtn  vram  Jmu  im 
liebe  aUo  länge  y  der  allerdings  doppelt  so  schnell  ist  als  eine  entspredieiide  trochiuc^ 
reihe  ablinft  M  aber  der  gewöhnliche  daktylische  rfaythmus  bei  nnsenn  dichter 
bereits  anzunehmen ,  so  werden  wir  bd  seiner  metiisdien  onaelbetindigkeit  die  vö- 
terbildong  von  ^^v^zn  ^^v^d.h.  des  ditrochius  mit  nnterdröckter  senkoBg  na 
einfachen  daktylns  nicht  ihm,  sondern  der  volkspoesie  selbst  mschreibeQ  mässeo. 

Eine  übersieht  über  die  aosbreitong  der  daktylen  in  den  leichen  eigiebt  An 
Verbindung  za  festen  einhciten  nnd  ihr  regelmissiges,  nicht  znfiUliges  aoftretn.  Die 
leichschlüsse  werden  von  zwei-  oder  vierhebigen  versen  gebildet,   anter  denen  die 
letzteren  gewöhnlich  durch  casur  oder  pause  mit  innerm  reim  weitergegliedert  ve^ 
den;   beide   versformen   gruppieren  sich   auch  paarweise.     Bei  V,  23  wird  m«Des 
erachtens  die  natürliche  betonung  besser  gewahrt,   wenn   die  verse   antc^r  aoniluM 
von  apokope  des  e  in  einen  ditrochäus  und  einen  daktylischen  halbvers  von  2  hebos- 
gen  zerlegt  werden.     Überhaupt  scheint  es    nicht   immer  geraten  rein  daktylische 
Perioden  anzunehmen  und  z.  b.  I,  15  v.  3 — 6  und  I,  16  als  Strophen  von  Gbebif 
daktylischen    versen    zu    betrachten,    vielmehr    dürfte    hier    nach   vorangegaogcsei 
-trochäen  nur  daktylischer  schluss  statthaben.    Ebensowenig  wird  nach  meinem  dafü^ 
halten  die  responsion  von  I,  14  und  27  gestört,  wenn  rein  trochfiische  verse  (14,6) 
mit  gemischt  trochäisch -daktylischen  reihen  wechseln  (14,  3  verschmilzt  li  d^mn 
bim,  27,  3  und  6).    Demnach  wird  hier  und  da  die  metrische  analyse  entgegen  der 
ansieht  Sieberts  die  daktylen  entbehren  können;  im  allgemeinen  aber  ist  ihr  voAom- 
men  bei  Tannhäuser  durch  den  Verfasser  erwiesen  und  viel  zu  ihrer  erklfirong  bei- 
getragen worden. 

Die  darlegung  des  baues  der  einzelnen  leiche  (s.  60 — 70)  ergibt  für  II  eine 
einzige  aus  der  doppelt  gesetzten  gereimten  pcriode  von  8  hebungen  bestehende  stro- 
pheuart,  deren  verse  durch  inreim  in  je  2  halbzeilen  zerlegt  werden ;  nur  1  und  15 
sind  durch  einen  vorangescliickten  langvers  mit  mittelreim  erweitert  Pausen  zwi* 
sehen  den  beiden  halbzeilen  sind  dreimal  (2,  4;  4,2;  14,  4)  zu  verzeichnen;  die 
orgän Zungen  Sieberts  an  den  beiden  ersten  stellen:  ver(8icarU)  und  al  bleiben  luer- 
wiescno  vennutungen. 

Die  Str.  4  —  35  des  VI.  leiches  unterscheiden  sich  von  der  beschriebenen  nur 
durch  den  eintritt  des  3  hebig  klingenden  halbverses  nach  dem  stumpfen  ausgang  der 
1.  vershülftc.  Die  änderungen  des  textes  zur  herstellung  des  fehlenden  anftaktes^ 
12,  2  und  Hug  ein  T(ii)wingaere ,  16,  2  der  hat  (der)  lugende  ein  wunder  und 
31,  4  (nicht  32,  4!)  diu  icerlt  (diu)  hat  stn  ere  halte  ich  für  vollkommen  geglückt 
Bei  den  3  eingangssystemon  ist  die  Unregelmässigkeit  des  auftaktes  wol  nicht  so 
gross,  noch  die  betonung  gezwungen,  da  in  v.  3  wahrscheinlich  wie  oben  diu  hinter 
frerli  einzufügen  ist  und  in  v.  1  die  beginnende  diphthongiorung  von  uo  schon  wiikeo 
mochte,  so  dass  nur  der  auftakt  in  2,  2  ungesetzmässig  erscheint. 

Die  gepaarte  laiigzeile  von  8  hebungen  mit  oder  ohne  inreim  bildet  aach  dtf 
grundschema  dos  1.  teiles  (1  —  12)  von  leich  I,  nur  unterbrochen  durch  3  paare  tob 
seehshebungsversen  (6)  und  durch  je  ein  reimpaar  von  4  hebungen  (9,  3  und  4;  12, 
1  und  2).  Im  2.  teile  werden  die  andern  Systeme  ebenso  häufig  verwendet,  alle  iher 
variiert  durch  klingenden  ausgang,  binnenreim  u.  dergL 


CBEB   BUBERT.   TANKUlUSEB  389 

Dieselben  eysteme  mit  dinigeu  modirikationen  und  andern  rerbindungen  werden 
recht  aosohattlich  auch  im  IV.  leicba  nach go wiesen. 

Sw'hstiebige  verse  bilden  Dach  Sieberts  aoalyse  auuh  die  Btrophen  1  — 11 
des  V.  leiohes,  aulittebiga  allein  odur  mit  angehängtem  kÜDgendem  dreibebor  die 
durob  erwuiterung  und  Zerlegung  vuiii'rten  ayateme  des  2.  taileej  nur  eathalten  2t!,  I 
iV  muni  bran  als  ein  rubln  gegen  der  sannen  glaste  und  28,  2  dax.  sin  die  ver- 
driexe,  sicen  ich  gerne  lere  nicht  8  hebungou,  wie  er  meint,  sondern  nur  6. 

Recht  eioheiUich  erscheiat  auch  nach  seiner  darstellong  der  in.  loich,  Tür  den 
2  grundformen,  die  etrophe  von  4  vierhebigen  versen  und  ihre  erweiterung  durch 
in  5.  dieser  art  annimmt  Demnach  muss  aber  die  eiufach  erweiterte  langzeilo 
(15,  4)  in  4  -^  3  ^  b  und  nicht  —  so  erklärt  sie  der  Verfasser  —  in  3  +  3  -  b 
serlegt  werden,  wie  ja  auch  die  gleiche  geatalt  des  letzten  voraes  der  doppelt  erwei- 
terten Systeme  7  und  16  dies  vejlangt. 

So  ergeben  sith  bei  der  scheinbaren    mannigTaltigleit  des   versniaterials   nur 
wenige  grundtypen,    die  mit  denen  der  lieder  bis  auf  den  sechshebungsvera  überein- 
stimmen und  Bo  wider  auf  die  volkaweiacn  als  auf  die  gemeinsame  quelle  hindeuten. 
Leicht  erkennbar  musste  für  den  Verfasser  die  komposition  der  laiche  sein, 
,71  —  79  begproohen  wird.    Es  tritt  ja  hier  zu  der  durch  den  Wechsel  xwisoben 
gleichfönnigon  und  mannigfaltigeren  Systemen  gekennzeiehneton  metrischen  gliedernng 
MB  bemerkenswerter  uuteisohied  im  inhalt  hinzu,  den  man  bei  den  leiehen  rein  kon- 
^tioneller  minnesünger  vermiast.    Nach  diosaa  beiden  von  Siebert  herrorgehobenen 
inzeichen  zerfallen  der  I.,  IV,  und  V.  loich  in  einen  ruhigen,   gleichmüssigen  teil 
sehen  Charakters  und  in   einen    beachleunigteren ,   weohselvolleren   lyrischen   teil. 
Btzterer  scheidet  sich  wider  in  einen  die  geliebte  oder  den  fürsten  feiernden  abaohnitt 
1  den  tanz  selbst,  ehenfaUs  mit  eineok  unterschiede  in    der  metrik,   der  aber 
cht  BO  durchgreifend  ist  als  Kuvor;  deshalb  möchte  ich  auch  entgegen  dem  verfas- 
r  bei  der  zweiteiligteit  dieser  leiche  bleiben,   so  unvermittelt  auch  der  echlnssab- 
tnitt  einzuaetzen  pflegt    Für  Siebert  muss  freilich  die  Zusammengehörigkeit  des  2, 
1  3,  absohnittes  aufhören,  wenn  er  auch  jenen  epbcher  natur  sein  loaat,  was  man 
I  seinen  wollen  „an  einen  langem  teil  epiauhen  Charakters  schlieest  sich  gewjihn- 
i  ein   künerer   auf    den    tanz    bezüglicher'    folgern   muss.     Allerdings  wird   der 
I  Charakter  des  2.  teiloa  in  leich  V  durch  die   aus  dem  1.  teil   beibehaltene 
i&ählung  getrübt,    um  so  deutlicher  aber  tritt  'er  bei  I  und  IV  zu  tage.    Beinahe 
tlig  fehlt  das  lyrische  moraent  im  I.  und  VI.  leiche;  die  auf  den  tanz  bezügliohen 
datrophen  jenes  und  das  freier  gebaute  schlusssystem  des  letzteren  können  nicht 
m  vorangegangenen  stück  epischer  natur  selbütSndig  gegeuübergosleUt  werden,  wes- 
Ib   man   die   leiche  entsprechend   der   gleicbmässigkeit   des   metrums  als  einteilig 
sahen  muss.    Zweiteilig  ist  wider  leioh  lU,   dessen  erster  teil  (1 — 18}  als  erzüh' 
Bf  eines  liebesabenteuors  doch  wol  epischer  natur  ist  und  in  hinsieht  der  kompu- 
ion  nicht  dem  2.  teil  der  leicho  I,  IV,  V  parallel  gehen  kann,    wenn  sein  inhalt 
ob   diesem   nilher  steht  als   den  aufzahlungen  im  1,  teile,     Gorade  wegen  dieser 
Iwltlichen  Verschiedenheit  halte  ich  das  gedieht  nicht  für  den  charakteristdachsten, 
J  Aber  für  den  vollkommensten  der  leiche  Tannhüuacrs.     Interessant  sind  die  aus 
a  teichon  selbst  für  die  metrisch  venioliiodenon  abschnitte  und  damit  für  die  ein- 
bien  tanztuuren  vom  Verfasser  orschlossencu  bezeichnungeu  ,,taDzen,   reien,   gprin- 
a*,  wiewol  dio  einheit  der  benonnung  nicht  festgehalten  wird. 

Darauf  folgen  (s.  80 — 111)  bemerkungen  zu  den  einzelnen  gedichten,  wobei 
Menders  viele  parallelstetlen   aua   andern  minnesilngem  angesogen  werden.     Eiuen 


390  WiHXltB,    tocn    SIKDKRT,    UlKNHÄDagn 

brtgchritt  beknnden   diese    beoietkuikgeQ    zunächst  dadurch,    dara   sie   tawruVan 
bohauptitngen  dor  bisherigen  TanahStiser-foracher,  besonders  Oehlbes  (la  IV,  2\,i; 
VI,  Ifi)  und  Kücka  («u  I.  10,  fl;   HI.  12,  9;   VI,  36,  10;    XHI,  5;  XIVl  vmA- 
weisen  ocd  wahrecbeiolioberea  an  die  stelle  setzen  bezw.  neue  tihr^raeugeaden  crüid* 
dafür  beibringeD    (IT,  3,  3  u.  n.  □.)■     Weiter  sind  aus  der  grosse»  iiatil  det  iitilkD 
welche  wegen  dunkler  Wendungen  und  merkwürdiger  namen  überhaupt  keinen  «lUfc- 
rer  gefunden  hatten,  viele  von  Siebert  recht  befriedigend  ei'läutert  worden;   iiiucbeE* 
freilich  bleibt  noch  zu  enträtseln.    Für  Tauoliäniiera  alter  als  entstehuiteueil  ii»  mo 
Üehlko  nebBt  H,  Vir,  XI.  SVI  noch  niuht  datiorten  XV.  gedichtos  wird  »«in  Bedrärk- 
ter  ton  angeführt  und  die  in  den  versen  ÖTie  ir  datK  saTic  ieh  in  tu  Uulr  den  Udb  — 
gemiute  üt  la-anr  aasgesprochene  kinge;  gewichtiger  als  letstCTe  stelle  dünkt  mii  dn« 
aougnis  der  verne  2,  1  —  3  ich  hä»  dim  jutujen  vil  daher  yemt»g«n,   da  itl  laxe- 
Dass  in  XHI  der  dichter  auf  dor  herfahrt  ans  dem  heiligen  lande  xa  denken  wt  i*d 
nicht,  wie  Oehlke  wollte,   auf  der  hiAfahrt,   wird  durub  die  ansei nan denetiiing  S»— 
berts  ausserordentlich  wahrscheinlich.     Auch  das  fortwirken  der  dichtnng 
wird  durch  den  hinweis  auf  anklHnge  in  einigen  inhd,  achw&nken  veransohaolicbt 

In  einem  anhange  verstärkt  der  Verfasser  die  snerst  van  Oehlke  geCoawtte^ 
bedenken  gegen  die  echtheit  des  in  der  Jenaer  liederhandsohrift  I  dem  TiMinlil'H— " 
xugeschriebeueD  bussliediss  durch  eingohendo  Vorführung  der  fonnelleu  and  inhltfe. — 
lioben  verschiede nhoiten  und  erbringt  somit  den  beweis  für  den  spatem 
jenes  uio  für  die  herkunft  der  TannhKusersoge  aus  seinen  in  C  überlieferten  g< 

Im  ganzen  können  wir  somit  Sioberta  arbeit  besonnen  und  bol  Ihrer 
knng  auf  einzelne  iteiton  der  Tan nbäuserf rage  recht  e^ebig  nennen.     Sie  bat 
verdienst,    unsere   kenntnis  einer  der  intcresBanti^släD  figuren  der  mbd.  \jrik  di 
feste  nnvcrrückbare  resultnte  bereiehext  zu  haben. 


Die  schöne  Magelone,  aus  dem  französischan  übersetzt  von  Veit  Warbtiok  ISSt^. 
Nach  der  originalhandschrift  hora-usgegoben  von  JohuillrN  Bolt«.  (BibL  llbB«' 
deuteeher  übetsetzongeo  I.)  Weimar,  E.  Folber.  1804.  LXVn  und  87  a.  3  »•■ 
Die  deutsche  litteratur  hat  van  anfang  an  aus  der  fremde  befruchtende  caw* 
gnng  empfangen.  Die  älteslen  schriftlichen  denkmälor  waren  erfüllt  vom  geial«  4* 
christlichen  glsubens  und  von  der  stofTwelt  der  Bibel,  während  die  miUelaltcrlicbo  IjiA 
und  epik  auF  dem  boden  der  ritterhchen  Weltanschauung  erwuchs,  iid  »an  ilem  rnnUm 
herübergekommen  war.  NcWo  novollonstolTen  aus  aller  herren  linder  dranfn  in 
15.  Jahrhunderte  mit  dem  humanismiis  die  antiken  bildnugaelemente  ein  und  tboA- 
tränkten  die  deutsche  geistesweit.  Gegi'nüber  dem  überwiegenden  »iullusm',  dsa  m 
18.  Jahrhundert«^  die  als  musler  anerkannten  franzusiscben  klassiker  ausübten,  InM 
sllmälilioh  die  Engländer,  vor  allem  Shakespeare  ein  eiapriesshches  g«gnn gewicht  4v 
und  wiesen  den  weg  zu  UHtur  und  frelheit  In  Zeiten  litteniriscbCD  niedergnjn 
und  geistiger  dürre  war  der  zudrang  fremder  elemento  in  Deutschland  nicht  pim;  * 
war  am  stärksten  wahrend  der  beiden  blüteperiodon  am  die  wende  des  13,  ooil  u 
die  wende  des  18.  Jahrhunderts.  Da  war  aneb  die  beimische  littoraliir  knÜTd 
genug,  das  fremde  gut  xu  verarbeiten,  ohne  sieh  selbst  zu  eutanswnni.  In  ifar  uit 
der  romantiker,  als  Schlegel  dos  übersetzen  zu  einer  edlen  kimstübui^  erholiea  Utlä 
fanden  alle  die  hervorragendsten  erzeugnisse  der  woltlittoratnr  als  «illtoiiUiwM 
gaste,   nicht  niclir  als  lehr^eister,   in  Deutschland  eine  neue  hvimstitt».     Bingvbm 


HAl'FFKN,    ÜBKH    BOLTK,    SCHÖKK  MABKLONK  391 

md  selbHt&idigkeit  verbindend,  hat  sich  die  deutsobo  litteratnr  vor  doppelter  gorahr 
tewahrt;  sie  hat  aioli  dem  segeo  fremden  reichtutns  nicht  versobloBsen ,  and  sie  ist 
toch  dar  aDgestammten  eigenart  treu  geblieben. 

Unter  diesen  nniFtändeD  ist  es  selbstverständlich .  dasü  gerade  für  den  betrieb 
p  deutschen  litteraturgeachichte  ein  unternehman,  wie  die  mit  dem  vorliegenden 
fte  eröffnete  bibliothek  ikicerer  Übersetzungen  von  gröBstcr  tricbtigkelt  ist,  und  doss 
lu  den  vorhandenen  nendruclten  deutscher  origiutUwerke  als  unentbehrliche  er^oKung 
iDzutritt.  Professor  August  Sauer,  der  seit  einigen  jahreo  die  „Deutschen  littera- 
nrdenkmale"  leitet,  hat  auch  diese  neno  Sammlung  ins  leben  gerufen.  Kau  seiner 
»qrrode,  die  an  den  hervorragendsten  keniier  der  gesohiohtB  der  dentscbeo  übor- 
ntzungskunst,  Michael  Bemays,  gerichtet  ist,  sowie  aus  dein  vorxeichnis  der  in  vor- 
'eitung  befindlichen  nnd  der  in  aussieht  genommenen  hefte  ersehen  wir  dos  pro- 
*nunin  der  neuen  bibliothek.  Sio  soll  die  wichtigsten  deutschen  Übersetzungen  v'>m 
'4.  bis  zum  19.  Jahrhunderte,  sowmt  sie  nicht  allgemein  zugünglioh  sind,  nach  hand- 
(diriften  und  älteren  drucken  mit  Einleitungen  und  anmerkongen  bringen;  femer  (in 
rginzangsheften)  neubearbeitungen  älterer  bibliographischer  compendien,  nntersuehun- 
jBD  und  darst^Uungen.  Sie  soll  zu  einem  mittelpunkte  dieses  abgegrenzten  arbeits- 
I  werden.  In  den  weiteren  heften  sollen  übersetzungeu  aus  dem  kreise  der 
[eotscben  bumauisten  und  die  aus  der  fremde  stammenden  nnvellen  des  15.  johrfaun- 
ia  veröffentlicht  werden.  Im  anscbluss  daran  werden  wol  auch  die  arbeiten  erle- 
bt werden  miissen,  die  M.  Hennann  in  seiner  Eybmonographie  s.  286  fordert:  ein 
bronologisch  und  ein  topographisch  angeordnetes  vollständiges  Verzeichnis  aller  fiber- 
tKongen  der  schonen  litteratur  bis  zum  erscheinen  dos  deutschen  Decamerone  und 
nterauehungen  iiher  die  herkunft  der  stoSe,  In  der  nächsten  zeit  werden  ferner 
scheinen  Übersetzungen  von  Corneille,  Milton,  Meliere,  Anakreon,  die  Vossisohe 
BS,  die  anfange  des  deutschen  Shakespeare,  endlich  Rabelais  Oargaotua  in  der  ver- 
BUtsohnng  von  ßegis  (mit  dem  umfüngüchen  kommentar?). 

Einen  teil  des  vielseitigen  progromms  bildet  Idee  Veröffentlichung  der  handschrift- 
1  gnindlagen  unserer  Volksbücher,  soweit  sie  Übersetzungen  sind.  Dieser  auf- 
hbe  iflt  das  vorliegende  erste  heft  gewidmet,  mit  dorn  Bolte  ein  miister  geliefert 
1t,  das  in  seiner  weit  ausgreifenden  gekjirsamkeit  und  seiner  rübmenswerten  gründ- 
ihkeit  kaum  von  allen  nach  folgern  wird  erreicht  werden  können.  Gerade  weil 
fr^rbecks  Schöne  Magelone  in  den  weitesten  kreisen  Verbreitung  gefunden  und  bis 
L  die  letzten  Jahre  herab  neue  auflagen  erlebt  hat,  war  die  Veröffentlichung  des 
inprünglicben  te::ctes  nach  der  von  Bolte  in  Gotha  gefundenen  originalhondschrift 
K  Übersetzers  eine  um  so  interessantere  und  dringendere  aufgäbe'. 

In  einer  überaus  reichhaltigen  einleitung  gibt  Bolte  (alle  ergobnisse  der  grossen 
■getone-litteratar  verwertend  und  seinerseits  bereiohernd)  bericht  über  die  entste- 
ng  des  französischen  Originals,  schildert  auf  gmnd  neu  erschlossenen  handscbrift- 
dien  matenuls  Yeit  "Warbecks  lelien.  zeichnet  den  einfluss  der  französischen  littera- 
ir  in  Deutschland  am  beginne  des  16.  jahrhundeits  mit  auslAiifen,  deren  bedeutung 
nt  über  den  besonderen  zweck  hinansgehen,  vergleicht  Warbecks  übenietzung  mit 
iDi  originale  und  mit  dem  ersten  drucke  (dessen  Varianten  in  anhang  verzeichnet 
bd)   and  stellt  endlich  die  bibliographie  der  zahllosen  Uagelone- ausgaben   bei    15 


iwkqng  LnndhDa,    ZvLiochr.  fOr  rarftl.  1 


Wsr  das  heil  der  recsusiooen  in  nachtragen  sieht  (eise  atuicht,  di«  id  uÜit 
teDe),  der  wird  bei  dem  gelehrten  herauagel>ei'  der  UagelüDO  ^en  iwhr  iAmoK 
stand  babea.  Auch  mir  hat  es  nur  der  zulhll  ermöglicht,  einen  winagen  und  uavhii- 
tigeti  Dftohtrag  sur  bibliographie  zu  liefern.  S.  LXVI  in  der  abtailnag  Bähmitcli 
(besäet  vära  Czechiaoh,  denn  „Böhmisch"  ist  ein  geographischer  und  Iwin  *pivb- 
lieber  begrifi)  ist  eine  ausgäbe  uacbzutiagen  i  Kuttenberg  1774.  Ihr  tit«l  luut 
Abweichend  von  dem  bei  Bolte  für  die  älteste  ausgäbe  &ngegebsnen  titel:  .Wvlnü 
vtässouä  HjBtorye  0  ktäsne  Magdou^,  Doeri  EnUc  z  NeapoUs.  Tax  o  godncm  Wdni 
vdatn^m  BytjH,  znamenitebo  Hrabete  z  Prowinoy  ßynu  Petrowi.  Wisaem  )ira  Üb- 
veselni  Mysle  a.  Tkiiceni  Cznsii  zuova  na  avütlo  vydane.  T  Hofe  Kuttnj-,  Ruin  1TI4. 
Ein  exeinplar  (dem  die  letzten  blätter  fehlen)  befindet  sich  in  der  tnbliolhrk  iam 
Böhmischen  musoums  in  Frag  (27  E  10).  Der  text  dieaor  aiiagäbu  stimmt  ait  iii»< 
nähme  der  einleitenden  worte  völlig  überoin  mit  der  jüngsten  (auuh  Ih^  Bolte  nr- 
zeichneten)  anflaga:  Neuhaus  (v  Jindrichovi  Hradui)  I8G4.  Beidq  aoegaben  trfdMa 
sieh  als  eine  fast  wörtliche  Übersetzung  dei4  'Warbacksohen  textea.  Anaserdoni  ktaat 
die  czechische  litteratur  auch  ein  lied  von  der  schönen  Msgelone.  Jon^anti  (V  ».  308 
nr.  221)  verzeichnet:  Piseü  o  kräsnö  MagelcaB  w  Praze  1685.  lÜa  doltlrteR  «l«B- 
plar  befindet  «ch  auf  der  bibliothek  des  böhmischen  museoms  (27  H  3).  Bb  ^  1» 
reimen  den  inholt  des  Volksbuches  in  starkor  verkiLrziuig  wider. 


1 

■bihii.iiiiiii  M 


Erasmus  Alberus.    Ein  biogranliisohur  beitrag  zur  ges< 

mationaiieit.     Von  prof.  dr.  Franx  Rchnorr  von  Carolsfeld,    ohorbil 

All  der  königh  bibliothek  zu  Dresden,     Dresden,  L.  Ehiormann.    18ü3.    VUl  ii^4 

232  s.    e  m. 

Das  nüsgeschitk ,  welches  den  Erasnius  Alborua  zeit  soinas  labons  TofolgC^ 
Ist  auch  nach  seinem  tode  nicht  von  ihm  gewichen:  nicht  nur  war  Über  sein 
und  seine  littararieche  tiitigkeit  infolge  der  Seltenheit  der  originaldrooke  seinsr  acbn''- 
ten  sehr  wenig  bekannt,  sondern  das  wenige,  was  man  wnsste  oder  za  wissen  gUalA^ 
ermangelte  aueh  der  genauigkolt  und  enthielt  wahre»  und  büschea  nubeneinaaJar. 
Daher  war  es  möglich,  dase  die  behauptung  Dolliugors,  Alber  sei  von  zottganowsM 
als  ein  mensch  von  unreinem  leben  und  zuchtloset  znnge  gesebililert  (forden,  Mr 
durch  Verschwendung  in  schulden  gekommen  sei  und  seine  gläubiger  betrogen  hibA 
allgemeinen  glauben  nnd  weiterverbreitung  fand,  obgleich  sie  nur  durch  «ins  teUtf* 
hafte  interpretation  einer  ausseruug  dos  Eraamus  Buterodamus  enbtandcn  m, 
welche  sich  nicht  auf  Alber,  sondern  auf  den  bekannten  humonisten  Hormi» 
BuEchius  bezog.  So  bittenea  unrecht  fügte  die  nachweit  einem  muma  zu,  äu  ä» 
meisten  seiner  Zeitgenossen  an  sittlichem  Zartgefühl  übertraf  nnd  dor,  wie  eia  i^ 
nahestebondar  sagt,  „um  der  predigt  des  ovangoliums  und  um 
fleissigen  strafens  willen  siebenmal,  "wie  der  heilige  Athansaius,  ^ 
Bchfiflein  mit  gewalt  und  offener  tyrannei  veijagt  werden  ist"'  So  vorkehrte  UJ 
ungerechte  bourteilungen  sind  nach  dem  erscheinen  des  vurlie^nden  buches  nnnü^ 
lioh,  03  sei  denn,  dass  man  sich  gegen  die  ruhigen  und  gewissenhaft  abwlf^rad« 
ausführongen  das  vorfasscis  abaiohtlioh  verauhliessL  Das  umfaugruiche,  wenn  tuA 
nicht  lückenlose  quellenmaterial  tat  hier  zum  ersten  mala  gesammelt  und  lu  aioir 
ebenso  gründlichen,  wie  liebevollen,  dabei  aber  doch  unbefangenen  dar^lunc  4r 
porsönUchteit  und  litterarisch en  Wirksamkeit  Albers  verarbeitet  worden   (&I— ISttf 


Ü6EB  SCHNORR  V.   CAROLSFELD,  ALBfiRüS  393 

ine  heimat  ist  die  Wetterau,  wo  er  etwa  um  1500  geboren  ist;  von  seiner  jogend- 
t  ist  nur  wenig  bekannt;  studiert  hat  er  in  Mainz  und  Wittenberg  (1 — 8);  seine 
ite  praktische  tätigkeit  war  die  eines  Schulmeisters,  ein  beruf,  zu  dem  er  grosse 
gung  gehabt  imd  den  er  zu  verschiedenen  zeiten  seines  lebens  ausgeübt  hat  (s.  16 
.),  mit  welchem  auch  eine  reihe  von  Schriften  Albers  in  Zusammenhang  stehen, 
shdem  er  elf  jähre  lang  (von  1528)  das  pfarramt  zu  Sprendlingen  verwaltet,  ver- 
gten  sich  bei  ihm  ungewöhnlich  ungünstige  umstände  mit  der  damals  besonders 
hzuschätzenden  eigenschaft,  seine  Überzeugung  selbst  den  höchstgestellten  gegenüber 
ksichtslos  zu  vertreten,  und  unrechtes  tun  anderer  zu  „strafen*^,  auch  wenn  er 
»st  nicht  darunter  zu  leiden  hatte,  um  ihn  seine  ganze  übrige  lebenszeit  (1539 — 
3)  weder  im  süden  noch  im  norden  Deutschlands  eine  dauernde  statte  seiner  wirk- 
ikeit  finden  zu  lassen,  so  sehr  er  selbst  sowol,  als  andere,  darunter  kein  geringerer, 
der  ihm  seit  seiner  Studienzeit  befreundete  Luther,  sich  darum  bemühten.  Um 
t)ewunderungswürdiger  ist  es,  dass  er  trotzdem  zeit  und  ruhe  zu  einer  ausgedehn- 

litterarischen  tätigkeit  fand.  Von  den  zahlreichen  Schriften,  denen  eine  einge- 
de  Würdigung  zuteil  wird,  sei  nur  hervorgehoben  erstens  die  in  gesprächsform 
»fasste  bearbeitung  der  unter  dem  namen:  Die  imgleiohen  kinder  Evae  bekannten 
1,  welche  den  titel  trägt:  Von  der  Schlangen  Verfürung,  sodann  seine  weit-* 
1  on  und  geistlichen  gedichte  (fabeln  imd  kirchenlieder);  erstere,  weil  sie  in 
er  Zeitschrift  (XXI,  419—463)  nebst  einigen  zu  Albers  Charakteristik  beitragen- 

stollen  anderer  werke  von  ihm  abdruck  gefunden  hat;  die  fabeln  und  kirchen- 
^r,  weil  sie  auch  heute  noch  der  erbauung  oder  der  ergötzung  und  belehrung 
;«rer  kreise  dienen,  während  alle  übrigen  schritten  jetzt  nur  noch  litterarhisto- 
bien  wert  haben.    Von  40  geistlichen  liedern,  von  denen  eine  grosse  zahl  während 

von  ihm  miterlebten  belagerung  von  Magdeburg  (1550 — 51)  entstanden  ist,   las- 

sich  nur  noch  14  sicher  nachweisen  (s.  104 — 112),  darunter  einige,  welche  noch 
fc  gesungen  werden,  so  der  (1555  bei  Val.  Neuber  in  Nürnberg  gedruckte) 
Qnd-  oder  vespergesang:  Christo,  du  bist  der  helle  tag  (Ev.  gesangb.  f.  d 
V.  Sachsen  390:  Christ,  der  du  bist  der  helle  tag).  Ob  er  zu  diesen  liedern  melo- 
X  selbst  erfunden  hat,  wissen  wir  nicht;  wol  aber,  dass  er  mit  seinem  lehrer 
l  freunde  Luther  die  begeisterung  für  die  „heilige,  himmlische  und  holdselige 
•sica^  teilte,  über  welche  er  noch  in  seiner  letzten  lebenszeit  ein  buch  verfassen 
Ute  (s.  110;  ztschr.  XXI,  421  fg.).  Die  fabeln  (s.  112—121),  in  denen  das  gemüt 
d  der  humor  des  mannes  in  schönster  weise  zum  ausdruck  kommen,  werden  in 
'  von  Braune  (Halle,  Niemoyer,  1892)  veranstalteten  ausgäbe  im  verein  mit  dem 
1  uns  angezeigten  buche  hoffentlich  dazu  beitragen,  den  namen  Albers  auch 
^rhalb  des  engen  kreiscs  der  fachgenossen  so  bekannt  zu  machen,  wie  er  es 
dient. 

Von  den  beilagon  (159 — 228)  geben  I — XVII  briefe  und  andre  schwer  zu- 
igliche  Schriftstücke  von  Albers  band;  XVEH:  ein  schreiben  der  witwe  an  Macius 
)r  Albors  tod;  XIX:  nachtrage  und  berichtigungen  zu  den  angaben  über  Albers 
riften  in  Gödekes  grundriss  11',  440 — 447  (wozu  zu  vergleichen  Zeitschr.  XXI, 
J — 35).    Ein  ausführliches  regiater  (229  —  232)  macht  den  beschluss. 

BURG   B.   MAGDEBURG.  MATTHIAS. 


394  OKRIKO 

Ordbok  öfver  svenska  spräket  utgifven  af  Svenska  akademien.  Hallet 
1—3.  A— afrada.  Lund,  Gleerup,  18d4— 95.  XXYIU  sa.  nnd  432  spp.  i 
ä  kr.  1,50.  (Für  die  nichtskandinavischen  Ifinder  ist  der  ausschliessliche  vertiieb 
des  Werkes  der  firraa  M.  Spirgatis  in  Leipzig  übertragen.)' 

Das  grosse,  von  der  schwedischen  akademie  herausgegebene  nationalweik,  m 
dem  die  ersten  drei  lieferungen  jetzt  vorliegen,  hat  eine  lange  Vorgeschichte',  sie  ist 
nämlich  ebenso  lang  wie  die  geschichte  der  akademie'  selbst,   die  vor  emem  deoen- 
nium  (1886)  ihr  erstes  säcularfest  feierte.    König  Gustaf  III.,  der  stilter  der  aostih, 
hatte  ihr  als  eine  ihrer  hauptaufgaben  die  herstellung  eines   schwedischea  wöiter- 
buches  zugewiesen,  bei  dem  die  von  gelehrten  romanischen  geseUadiaften  ^beeonden 
der  Academia  della  crusca  und  der  Academie  franyaise)   herausgegebenen  werke  ib 
muster  dienen  sollten,  und  bereits  1787  legte  man  band  ans  wei^,   indem  min  eü- 
fach  die  einzelnen  buchstaben  unter  die  mitglieder  verloste.    Man  war  nämlich  der 
naiven  meinung,   dass  jeder,   der  die  föhigkeit  besitze,   sich  zu  dichterischen  oder 
gelehrten  zwecken  der  schwedischen  spräche  zu  bedienen,  auch  ein  Wörterbuch  de^ 
selben  abzufassen  im  stände  sei;  dass  man  philologische  und  linguistische  kenntsisse 
für  überflüssig  hielt,  geht  zur  genüge  daraus  hervor,  dass  unter  den  mitgliedem,  die 
das  collegium  der  aderton  damals  zählte,  nicht  ein  einziger  Sprachforscher  sich  bofui 
Dass  die  sache  so  einfach  nicht  war,    wie  man  sich  eingebildet  hatte,   stellte  sick 
aber  bald  heraus:  nur  wenige  von  den  akademikem,  die  grossenteils  mit  amtsgescbif- 
ten  überhäuft  waren,   fühlten  lust  und  beruf  zu  der  ungewohnten  arbeit,   zu  der  sie 
Vorbildung  und  technische  fertigkeit  nicht  mitbrachten,   und   ein   gedeihliches  fort- 
schreiten des  Werkes  ward  schon  dadurch  unmöglich  gemacht,   dass  jeder  eioieloe 
artikel  in  den  Sitzungen  vorgelesen  und  discutiert  wurde.    Eifrige  arbeiter  waren  in 
der  ersten  zeit  nur  der  publicist  und  historiker  Joh.  Murberg   (1734 — 1805)  and 
der  dichter  Gudm.  Jöran  Adlerbeth  (1751  — 1818),  aber  das  unternehmen  rückte 
nicht  vorwärts,   obwol  man  später  auch  einzelne  nichtakademiker,   die  sich  zum  teQ 
freiwillig  angeboten  hatten,   heranzog,   und  nach  Murbergs  tode  geriet  es  ganz  ins 
stocken.    Erst  18.35,    als  Bernhard  von  Beskow  (1796  —  1868)  Sekretär  der  aki- 
demie  ward,   ficng  man  auf  dessen  betreiben  wider  energischer  zu  arbeiten  an,  da 
man  aber  an  dem  alten  princip  nichts  wesentliches  änderte,   wurde  trotz  der  reich- 
haltigen materialsammlungen ,  die  allmählich  zu  stände  kamen,  und  obgleich  schliess- 
lich auch  einige  wirkliche  fachmännor  wie  Dal  in  und  Hagberg  m  den  dienst  des 
Wörterbuches  gestellt  wurden,    nichts  fortig.     Bei  Hagbergs  tode  (1864)   war  nicht 
einmal  das  von  diesem  bearbeitete  A  in  druckfähigem  zustande,  und  es  bedurfte  noch 
weiterer  sechs  jähre,  um  diesen  buchtaben  zu  vollenden,  der  endlich  1870  mit  einem 
vorwoi*te  von  Rydqvist  herausgegeben  ward.     Dass  es  in  dieser  weise  nicht  weiter- 
gehen könne«  war  jedoch  nun  der  akademie  klar  geworden,  welche  die  ausdrückliche 
erklänmg  abgab,    dass  sie  das  werk  nicht  selber  fortsetzen,  sondern   in  zukunft  nur 
vorarbeiten  für  ein  zukünftiges  Wörterbuch  herausgeben  und  aus  ihren  mittein  lexiko- 
graphische und  grammatische   Publikationen  unterstützen  werde.    Es  erschien  denn 
auch  bereits  1874  die  OrdliMa  öfver  svenska  spraket  in  der  von  der  akademie  fest- 

1)  Vgl.  G.  Ccdorschiöld,  Nägra  meddelanden  om  Svenska  akadcmiens  ord- 
bok öfver  svenska  spriiket,  Lund  1893;  Th.  Hjelmqvist,  En  ny  källa  för  vir  foster- 
ländska  odling,  nägra  anteckningar  om  Svenska  akademiens  ordbok,  Lund  1S93; 
derselbe,  Om  begagnandet  af  Svenska  akademiens  ordbok,  Lund  1894. 

2)  Gustaf  LjuDggren,  Svenska  akademiens  historia  1786 — 1886.    Stockh.  1886> 

2  bde. 


tJBKK   STEKSKA    AKABEIUENS   ORIIBOK  395 

geeetiton  Orthographie  (seitdem  widerbolt  aufgelegt)  und  1880  das  von  Elias  M.  Fries 
wöiterbucli  der  Bchwpdischen  pHaDionaaineu  (Kriliak  ordbok  öfter  srermka 
waxinamtten)^  wie  aaoh  durob  die  akademie  Noreens  abhandlung  über  die  liialekle 
laudscbaft  Dalama  (Aj/are  bidrag  Uli  kännedom  om  de  seenska  Umdsmälen 
pek  «uenai-  folklif.  1881—82)  und  Kloclihoffa  sohrifl  über  die  relativaätie  im  alt- 
iBhnedischen  {Relatirsaiaer  i  den  äldre.  fornseenakan  med  gärakild  häntyn  tili  de 
hada  Vestgötalagama ,  Rarlstod  1884.  4)  veraalasst  und  unterstützt  wurden,  und 
BeuoTdiagB  Fred.  Tanims  Etipnologisk  »reruik  ordbok  (SlocUi.  ISIK)  fgg.)  ebeDEalla 
D&mhanen  sdsoIiuss  erhält  lodessea  blieb  das  gefiihl,  dass  es  eine  ehren- 
.|fliaht  der  akadeuie  sei,  die  von  d«ni  königliübeti  stifter  gestellte  aufgäbe  zu  loeen, 
«•nigsteDS  bei  eioKeluea  milf;liedem  lebondi);,  und  oacLdem  der  professor  der  aor- 
diBchen  Philologie  in  Luod  Theodor  Wisen  1878  als  uachfulger  Rydq\ists  in  die 
ohl  der  adertoD  sufgeDomineD  war,  stellte  er  1883  den  aatrag,  da»s  die  arbeit  an 
Wörterbuche  nach  einem  ganz  neuen  and  zeitgemü&sen  plane  wider  aufgeDom- 
norden  solle.  Die  akademie  stimmte  dem  zu  und  betraute  den  autragsteller  mit 
obersten  leitung  des  uateruehmeDS,  die  er  unter  der  bodinguog  annahm,  dass 
adjunkten  (jetzt  ord.  professor)  K.  F.  Söderwall  iu  Limd.  der  durch  texika- 
Jbche  arbeiten  liereits  einen  boobgeacbteteo  nomen  sich  erworben  hatte,  diu  redaktioa 
Wärterbuches  übeitragcii  werde.  Ein  von  Soderwall  ausgearbeiteter  und  von  Wi- 
gebilbgter  plan  wurde  bald  darauf  der  akademie  vorgelegt  und  von  ihr  angenom- 
I,  worauf  die  vorarbeiten  sofort  ihren  onfaug  nahmen. 

Das  imternebmen  kannte  jetzt  unter  weit  günstigeren  bedingungen  bogoonoQ 
irarden,  als  ehedem.  In  Upsala  uod  Lund  hatten  bereits  Byit  hingerer  zeit  ordent- 
e  Professuren  für  nordische  philologte  bestanden  und  es  ivaren  daher  eine  gaeze 
nbl  von  jüngeren  methodisch  geschulten  gelehrten  vorhanden,  die  dem  grossen 
'ke  ihre  krüfte  widmen  konnten.  Davon,  dass  die  mitglieder  der  akademie  gemein- 
lobaftlich  das  Wörterbuch  verfassen  sollten,  war  natürlich  nicht  mehr  die  rede:  anter 
I  auspicieo  der  akademie  und  durch  ihre  reichen  mittel'  unterstützt  sollte  das 
rk  von  einem  festen  redaktionscomite,  das  in  Lund  seinen  sitz  hatte  und  an  des- 
spitze Wison'  und  Soderwall  standen,  ausgearbeitet  werden.  Zunächst  wurde 
B  grosso  anzahl  von  excerpiston,  die  eine  kurze  iuBtmktion'  erhielten,  mit  dem 
aiehen  der  quell ensohriften  betraut;  die  citatenzettel  (für  die  sogar  ein  bestimmtes 
lier  ond  ein  bestimmtes  format  genau  vorgeschrieben  war)  waren  an  die  central- 
[le  einzusenden,  wo  sie  geordnet  und  revidiert  wurden,  um  dann  den  wistienschaft- 
len  bearbeit(>m,  unter  die  die  einzelnen  artlkel  von  den  hauptrcdacteuren  verteilt 
rarden,  als  material  zu  dienen.  Nach  dem  ursiirünglichen  plane  sollten  die  samm- 
longen  der  spracbproben  sich  zunächst  auf  die  buchstaben  A^G  besohranken,  doch 
nh  man  bald  ein,    dnsa  es  notwendig  sei.    sie  auf  das  ganze  aiphabet  auszudehnen. 

1)  Diese  fliessen  zum  grüssten  teile  aus  den  einnabinen  der  ofßciullen  schwe- 
diBidien  aeituDg  (Pott-  oeh  mrtke»  tidningar),  die  von  der  akademie  herausgegeben 
wird  und  für  bestimmte  öffentliche  bokanntniacbuDgen  (z.  b.  für  concursangelegen- 
hffltea)  benatzt  werden  musa,  und  es  ist  sehr  zu  wünschen,  dass  ihr  diese  quelle 
nicht  durch  kurzsichtige  mas-inahmen  des  schwodischpn  reichstages  verstopft  oder 
gesohmalert  werde. 

2)  Dieser  hochverdiente  gelehrte  hat  leider  das  erscheinen  des  ersten  heftes 
triebt  mehr  erlebt:  er  starb  bereits  am   15.  febr.   1892  (s.  Ztsuhr.  XXT.  363  fgg.). 

3)  Diese  ward  1693  auf  grund  der  im  verlaufe  der  arbeit  gesammelten  erCah- 
lungen  durch  ausführliche  .^Ämiisningar  tili  irtsanilatule  af  spriikprof  für  Scentka 
akademüm  ordbok*,  welche  74  g§  enthalten,  ersetzt. 


I  rDiligieruDg  doa  I.  bvtUs&  giiog,  bendilHb  (oil 
jT  vt'rTüguDg  BtandeD,  auf  rund  800,000',  di*  aus- 
üb,  w^rend  die  nusarboituDg  voiter  scbniM,  wA 


Als  mao  im  MUliag  1893  aa  <ü' 
die  zahl  der  citate,  die  doiniLla  i 
plotiening  des  materials  wird  jadi 
immer  fortgesetzt'. 

Das  nörterbach  der  akademie,  das  ein  bild  von  der  entwioklniig  dar  «cb*«- 
discben  spräche  von  der  reformation  bis  aoT  unsere  tage  gebtm  £oll,  lUttendiaitot 
sich  nicht  UDwesentliub  und  nicht  zu  Beinem  naobteil  vun  dem  buche,  mit  dam  j<dei 
Dentsohe  es  zunächst  vergleichen  wird,  dem  Deutschen  wörtorbuche  der  linldvr 
Grimm.  Es  wird  vor  allem  ein  mehr  cinheithchea  geprägo  tragen,  als  di<«i>«.  StiA 
dem  tode  der  begründer  ward  die  fcrtsetzung  des  deatu:lien  werk»» ,  das 
erat  bis  zu  dem  buchataben  F  gediehen  war,  wie  bukaunt,  vier  gelelirten  übcrtciffwy 
von  denen  jeder  an  emem  andern  orte  für  sich  arbeitete,  jeder  die  durchaus  ucm- 
längliobea  niaterialsammlungen  auf  eigene  band  ergänzen  musste,  joder  nach  «jgom 
gutdünken  den  ursprünglichen  plan  zu  ändern  befugt  war.  Der  eine  xog  «inu  iaqp: 
und  gedrängte  darsteilong  vor,  der  andere  hatte  das  bediü'fois,  sich  bvbagUtdi  atan- 
dehnen,  weitlduftige  etymologische  oder  kuiturhisturische  excurse  einzuxcbieb«i,  oi- 
zelne  artikel  geradezu  zu  grossen  abhoodlungen  zu  gestalten.  Dies  ist  hai  d« 
schwedischen  wörterhuche,  wo  von  vornherein  ein  fester  plan  ODtworfoD  ood  i» 
ganze  unter  die  Oberaufsicht  des  hauptredocteuis  gestellt  ist,  ausgeauhlossen:  to  Ikt 
greifende  unterschiede,  wie  sie  z.  b.  das  K  im  Grimmscheu  worterbuo{ie  gegeotter 
dem  H  oder  iV  aufweist,  werden  nicht  vorkommen.  Das  sohwodischo  wörteiiiit 
gibt  ferner,  was  bei  Orimm  ganz  fehlt,  für  jedes  einzelne  wert  narh  cioiw  Isidt 
faaslichen  system  eine  genaue  angäbe  übor  ausspräche  und  acceotuatioa .  es  vsMwh- 
net  in  chronologischer  Ordnung  die  älteren  Schreibweisen  der  Wörter,  bemerkt  wt 
erforderlichen  [alles,  ob  dieselben  yeraltet,  selten  oder  nur  von  diohteni  gabiwnU 
sind,  ob  sie  nur  als  technisohe  ausdrücke  innerhalb  gewisser  berofszweige,  aaito 
der  Umgangssprache  oder  in  dem  slang  einzelner  eUinde  sieh  Duden  usw.,  es  IM 
jedem  citate  seine  ursprüng^oUe  Orthographie  und  fügt  —  was  manulium  vtelltUi* 
als  übertriebene  jiedanterie  oi^cheiDeu  mag  —  das  jähr  hinzu,  in  welchem  die  icbilft. 
^^_  aus  der  es  entlehnt  ist,  vcrfasst  wurde  oder  eisdiien.  Auf  die  genaue  und  austäbi' 
^^^^^b  liehe  darlegung  der  bedeutungseutwicklung  ist  besondere  Sorgfalt  verwendet-,  b«  sdtr 
^^^^^1  häufig  gebraaobten  Wörtern,  deren  sinn  luannigfaltig  nuanciert  ist  (i,  b.  bei  [inepM- 
^^^^H^  tionen)  ist  eine  kurze  semasiologisoho  übersieht,  die  auf  die  dnzeliien  ali^duutl»  in 
^P  aitikels  hinweist,  diesem  an  die  spitze  gestellt    Wo  die  excerptsammlungoo  tväät 

H  t^'ud  eine  allgemein  übliche  Verwendung  eines  wertes  nicht  bezeugten,  liat  man  ■> 

H  durch  selbslgebildete  musterbcispicio  belegt,   die  jedoch  durch  cursivschrilt  «od  ^ 

H  quellenci taten  deutlich  uot«rschieden  sind.    Sehr  zweckmässig  ist  es,    dasa  tu  die 

H  einbchon  wertem  am  schlösse  gleich  die  gebräut'liliohsten  zusammunselzuDgoD  aof^ 

H  büngt  sind,  und  zwar  auch  diejenigen,  in  denen  dos  betr.  Wort  den  zweiten  teil  Im 

H  eompositums   bildet   (natürlich  werden   diese   noch   besonders  und  ausIdhrlii^Mr  M 

H  ihrem  durch  die  alphabetische  anordnnng  fest  bestimmten  platze  behandelt).    TA»tj- 

H  mologischeu    bemerkungen  verzeiehnen    bei   den   echt   nordischen  wiirtdm  imilK 

I 
■ 
■ 


Bin  kleines  coriosum  zur  geschichte  des  Wörterbuches  i^i-i 
Professor  G.  U.  Tegnör,  der  bei  der  rodacden  des  Werkes  als  li^i 
tätig  ist,  verniisste  bei  der  correctur  des  zweiten  heftes  das  wort  ., 
gedruckten  quellen  nicht  nachgewiesen  werden  koante.  Er  gebraui  i 
einem  buche,   das  er  gerade  unter  der  feder  hatte,    und  aas  die>«ni 


ist  e*  >Mv  I»   J 


tlBSB   SVKNBCl    ll 


397 


daUes,' 


ÜsdiwalLe  vorliuKlen  ist,  die  altsohwedische  ftinn,  und  meist  (worum  nicht  immer?') 
BUtspreobuDgen  der  aadereii  slEandinAviscben  spracben;  ist  das  wort  ein  gemein- 
nisohes,  so  sind  auch  die  rormen  der  übrigen  germuiiBchen  schriftspracben  (der 
wie  der  lebendeo)  aDgcgeben;  von  den  urverwaadteo  sprachen  sind  beBoadeta 
,  griechisch  und  sanskrit  herangezogen;  bei  fremd-  and  lohnwöiiero  bat  mau 
t  natürlich  daraaf  beBcUrJtnfct,  das  wort  derjenigen  spräche,  aus  der  die  aurnahme 
18  schwedische  erfolgte,  mitzuteilen'. 

Bei  der  anawahl  der  aufzunehmen  den  Wörter  bat  man  eine  weise  selbstbeschran- 
g  walten  lassen.  Das  vorwon  [s,  2)  sagt  mit  recht,  dass,  wenn  man  alles  hätte  ver- 
1  woUen,  was  in  der  sohwediBohen  üttaralBr  der  behandelten  periode  sich  findet, 
.s  gegenwärtig  in  der  rede  der  gebild«ten  vorkommt,  ein  unerreichbares  alet 
eott  worden  wäre.  Infolge  dessen  wurde  das  princip  festgehalten,  von  dem  einhoi- 
fhiauhen  apraehgnt  der  gegenwart  nur  das  zu  registrieren,  ,was  als  gemeinsamer  besitz 
n  hedeiitenden  aiLzahl  gebildeter  Schweden  ans  verschiedenen  teilen  dos  landes  ange- 
sehen werden  kann",  sowie  das,  was  einer  erklUrung  bedürftig  ist  oder  selbst  einen 
Michü*gen  anfsclilasH  vermittelt;  aas  den  dialekt«ii  nur  dasjenige  mitzuteilen,  was  die 
-greiobsaprache*  zu  belenchten  vermag  oder  der  aufnähme  in  diese  wert  erscheint; 
eodlicb  aach  nur  diejenigen  fremdworter  oinKureiben ,  die  in  weit«reu  kreisen  von 
leoten  mit  allgemeinerer  bildoug  beiannt  siud.  FreiUoh  mocbte  es  dem  Nichtsohwe- 
den,  dem  die  mizahl  romaniwiher  fremdwürter  in  den  bisher  ersobienenen  liefernngon 
ftnffaileu  wird,  sobeinen,  als  ob  dos  nivean  dieser  „allgemoinbildung"  otwas  zu  hoch 
«ngesetzt  sei  —  aber  man  ^lu^^  bedenken,  dass  die  „Franzosen  des  nDtdens'  gegen 
mtlehnungen  aus  dem  siidenropäiscben  wortaohotze  ebensowenig  spröde  gewesen  sind 
Irie  die  Dentschen  des  17.  Jahrhundert«,  puristische  tendenzen  aber  in  erheblich 
ihwfichdrem  maüso  als  bei  nns  sich  geltend  machten.  Immerhin  aber  ist  es  mir 
iWeifelhaft,  ob  man  nioht  durch  ausscheiduug  dieser  romanischen  fremdlinge,  die 
nicht  wie  die  lehnwörter  aus  den  verwandten  gärmiui»eheD  sprachen  ein 
4:licbes  bürgerrecht  im  schwediscben  erlangt  haben,  das  buch  hätte  entlasten  und 
1  fremdwurterbucbe  hätte  überweison  sollen,  das  ja  als  besonderes  snpple- 
snt  dem  hanptwerke  hßtte  folgen  tonnen.  Jedoch  ist  dies  das  einzige  bedenken, 
:li  znm  ausdruck  bringen  muss.  Im  ganzen  kann  mein  urteil  nnr  dahin  lanten, 
»ir  es  mit  einem  sorgßltig  und  nmsicbtig  vorbereiteten  und  in  der  ausführung 
a  tadellosen  werke'  zu  tnn  bähen,  das  der  schwedischen  Wissenschaft  zu  hoher 
3  gereichen  wird'.    Wenn  wir  einmal  dahin  gelangen,  nach  Vollendung  des  Grimm- 

1)  Bei  dem  worte  abborre  vermisst  man  i.  b.  die  angäbe,   dass  dasselbe  (b 
|ieT  form  ahorre)  auch  dfinisoh  ist,  ebenso  nnter  afbn/ta  das  dänische  afbryde  usw. 
2t  Venigstens  einmal  ist  dies  jedoch   vergessen:    es   fehlt  nämlich  bei  dem 
ittt  veralteten  affelalia  (»p- 174)  der  hinwe»  &uf  die  herkunft  des  Wortes  (frz.  avi- 

3)  Uit  welcher  genauigkeit  die  herstellung  des  hnches  geschiebt,  kann  man 
_J8  eneben,   dass  der  „chef  sämmtliche  Artikel  im  mannscript  revidiert,   dass 

KUnplAre  der  2.  correctur  auch  den  ausserhalb  I.nnds  wohnenden  mitarbeiten!  zur 

'"^täohtung  zugßben  und  dass  alle  citate  auf  der  nniversitStsbibliotbek   in  Lund 

it  —  Wls  die  citierteu  werke  durt  nicht  vorhanden  wud  —  auf  der  königl,  biblio- 

pdc  in  StooJchoUn,  eventuell  auf  der  universitatsbibliothok  in  Upsola,  ehe  das  impri- 

r  ert«ilt  wii-d,  nachgeschlagen  wenlen. 

4)  Auch  die  typographische  ausstattung  verdient  uneingeschränktes  lob.  Da- 
j,  dass  man  Ö  verschiedene  sohrittgattuQgen  verwendet  hat  (dos  Grimmsche 
Cvbnch  braucht  deren  nur  4)  ist  der  druck  auswerordentlieh  klar  und  übersichtlich 


sehen  wörterbaches  den  nhd.  spraclischatz  naoh  einem  voUkomDitii^reu  giUne  \' 
solcher  z.  b.  von  H.  Paul  in  den  BitKUngsbericIiten  der  liöoiKl.  bainsoheo  4L1 
pbJloH.-philol.  u.  hiHtor.  Id.  Iti94,  a.  53— Ql  aufgeatellt  ist')  zu  sanmeln,  1 
uns  das  würterbuch  der  aohwedisclieD  akadeniie  in  mehrfacher  hiniicbt  als  avt» 
diE-nen  küonen.  Wünschen  wir,  diiss  das  grosse  unterDehmen ,  da«  von  dnn  *diw«- 
dischen  voUce  mit  stolzer  froude  und  wSrmster  Iwgeiateriini;  auTgenonun«!!  wimbaiat 
(nach  ausgäbe  des  3.  faäftes  betrug  die  ssbl  der  GubBchbeotcn  aus  alkii  «"*»■**■» 
der  beviUlcenuig  bereits  360ü)  einen  rüstigen  fortguog  nehmen  und  das»  eadMJMci- 
gen  mitarbeitern  (neben  E.  F.  Söderwall,  E.  H.  Teguer  und  Cnst.  CedersckUld 
aind  besonders  E.  Heliqvist,  Th,  Hjelmqvist,  Ev.  Ljunggroo.  Magons  LiiDd' 
gren  und  A,  Ualm  zu  Deonen)  vergönnt  sein  möge^  «in  dereinst  in  aeinot 
duog  2U  schauen.  Im  giluBtigsten  falle  —  «unn  die  zuHohüsse  ^ 
fortdaaerad  in  gleiubum  umfange  gewährt  werden  können  und  dorn 
willige  bUfa  gesohulter  fachmänner  «rhalten  bleibt  —  kann  es  in  20~30  jalim  lv> 
tig  sein. 

geworden,  and  die  sohaifen  typen  ermüden  auch  bei  liugerem  lesen  das  an^diDit 

1)  Vgl.  doüu  O.  CederMohiöld 
en  histurisli  ordbok  (Einladungeschrift  ^ 


Um   de  senast   framställda  fordringarai  fl    j 
]  Göteborgs  högskola  18U4). 


ama    des    roformati«!!^ 
n  Rudolf  MohwuU.    Olli» 


Esther    im    deutschen    und    n-enlatoinischen 

Zeitalters.    Eins  litte rarhistorisc ho  untarsuoliuog 

bürg  und  Leipzig,  1894,     Vlll,  276  s.    4  m. 

Naobdem  B.  Pilger  im  11.  haiide  diosor  Zeitschrift  zuerst  einen  bi1di>dl« 
Btofi  (Susanna)  duruh  alle  drauien  des  16.  Jahrhunderts  verfolgt  und  deren  tÜODt/t 
keit  von  einander  dargelegt  hat,  sind  ahnliche  versuche  widerliolt  uutemummeii  *ll^ 
den:  die  dramen  vom  verlornen  aohno  untersuchte  1880  H.  Holutdin  und  läfid^ 
Fr.  Spengler,  die  dramatisier ungen  des  Sgyptisohen  Joseph  1887  A.  v.  WoIki,  O 
Eatheidramen,  über  die  uAmentliah  Holstein  subon  wertvolles  material  orbwtt 
neuerdings  Schwartz  in  dem  voriiegendon  buche. 

SohwartK  untorsoheidut  nach  der  litterariscben  Zusammengehörigkeit  dnd  gOf 
pen.  Die  erste  amfasat  die  von  einander  unabhängigen  bearbeitungeii  des  Ilan*  S«l> 
(1536  and  1559)  und  des  Volten  Voith  (153T),  die  sieh  eng  dem  biblisch«  vtO- 
laut  ansohliessan,  das  drama  das  Andreas  Fleilsdunidt  (155.'i),  d"!*  xi>ioa  mmlili' 
zwar  gekannt,  aber  nie  wortlicb  ausgeäcfa rieben  hat,  das  stark  duri±  FfirilüThir'* 
beeintliissle  stück  Josios  Hurer*»  (1567),  die  im  wosentliehen  auf  Huret,  ahor  aiiik 
auf  Pfeilschmidt  mhoude  Berner  Hoster  (I5UT)  und  die  fast  ganz  aoii  Saidis,  ToHb 
PfeilechniidC  und  Locke's  Verlornem  söhn  zasammeogetragene  komMi«  de«  Hari» 
Pfeffer  (1621).  Die  zweite  gmpi«  concentriert  sioh  am  den  „Hanwnns"  des  TbMW 
Naogeorgua  (1543),  den  Joh.  Chryaeus  (1546)  wie  Joh.  Uorcurins  und  Job.  Pon* 
(Ca  1570?)  übersetzte,  ein  nunnymes  Jesait«adriuna  aus  den  Jahmn  157(1/79  mM- 
lenderweise  ganz  und  Damian  Lindtnor  (1607)  in  deutscher  übcreetasiuig  zum  Uä  » 
sioh  aufnahm,  und  au  desseu  fünf  akten  Caspar  Wolf  (1801)  dialogisierte  argomwnt« — 
Vöu  Schwanz  s.  267  tgg.  abgudrnokt  —  lieforte,  wahrend  Wolffgang  Kuutjel  (IW). 
der  auch  Pfeilscbraidt  and  Hans  lüachs  benutzt,  gleich  Ooorg  Maurtciwi  den  äUna 


ÜBUR   a(rHWARTZ,   BSTUtX   lU    DRAkA  309 

J97)  die  Übersetzung  des  Chryseus  in  stärkster  weise  ausgebeutet  hat  Die  äntte 
ntppe  eßdiieh  bilden  diejenigen  dramen,  die  weder  mit  den  h-üher  behandelten 
3  nocli  unter  einander  in  direktem  zusammenhange  stehen,  nfimlich  die  Estlier 
r  englischen  kamödianten  (1620),  eine  puppenkumödie  aus  dem  17.  Jahrhundert. 
B  xiemticb  gleichallerige  spiel  von  der  stolzen  Vasthi  nnd  die  neulateiniacheu  drn- 
m  des  Franciscns  Eutrachelius  (154S),  Claudius  Boiltetus  (1556),  Coraolius  IauH- 
mns  (1560),  Petrus  Philioinus  (I5Ö2),  Herm.  Fabronius  (1600)  und  Jac.  Zevecotius 
1.  aufläge:  1623). 

In  dem  oachweiE  der  abhängigkeits Verhältnisse,  die  ein  auf  s.  ITl  gebotenes 
imma  veranauhaulicht,  liegt  der  hauptwert  voq  Schwartz's  trefflicher  arbeit  Die 
ikenswerten  ausführlichen  analjaen  erleichtern  nicht  nur  die  oacbprttfung,  sondern 
Aden  auch  einen  für  manoberlei  zwecke  ausreichenden  ersatz  für  die  zum  teil  nur 
>r  zugänglichen  originaie;  über  die  verloren  gegangenen  Estherdramen  des  land- 
nfen  Moriz  von  Hessen  (1597)  und  des  Job,  Vtil.  Andreoe  (1602)  haben  sieh  leidet 
t  einmal  ganz  kurze  Inhaltsangaben  boibringoD  lassen. 

Den  von  Schwartz  noch  besprochenen  6  Jesuiten-soenarien  aas  dem  17.  jahr- 
mdert  war  das  in  Wellor's  Annalen  11 ,  289  naohgewiesene  Augsburger  programi» 
0  jähre  1672  hinzuzufügen.  Betrelfs  einer  anderen  synopse  —  „Geatürtzte  Hof- 
t  und  Erhöhete  Tugendt,  Dieses  an  Mardochaeo,  Jenee  an  Aman*  — ,  die  1665 
B  Ueppen  ausgeteät  worden,  sei  auf  meine  im  nHchsten  beiheft  dea  Centralblatte 
r  bibliothekawesen  erscheinende  cusammeostellarig  der  Jesuiteodrameu  der  nieder- 
beioisohen  urdenspravinz  verwiesen;  nach  derselben  haben  die  vater  auch  170S  uud 
M2  in  Hildeaheim,  1736  in  JÜUoh,  17«  in  Koblenz  nnd  1768  iu  Köln  Estber- 
nffiihrangen  veranstaltet  Die  neuesten  dramatischen  bearbeitungen  des  E.'stlierstof- 
I  deutscher  spräche  sind  in  Grethlein's  Allg.  deutschen  theaterkatnlog  (Münster 
sp.  171)  verzeichnet 

MCNBIWI   i/w.  P.    BIKUIAKK. 


luael's  Satire  om  den  sygo  Messe  i  dansk  bearbejdelso  fra 
reformationstiden  udgivet  af  S.  Itirket  Smltb.  Eebeuhavu,  Thiele.  1U93, 
"yr.VI  t  49  s.     8.     {=  ünivereitets-jubilaeets  danske  Eamlund  nr.  69.) 

In  der  Bcbweizerisohen  reform ationsgeschichte  bildet  das  iin  Januar  1528  unti.'r 

^^_  versitz  zu  Bern  gehaltene  religionsgesprSch  einen  bedeutungsvollen  wonde- 

inkt;   denn  während  anderthalb  Jahre  zuvor  die  Badener  disputation  zwischen  den 

Iholiben  Eck,    Fabor  und  Mumer  und   den  evangelischen  Oekolampadius  und  Hai- 

r  keinen  entscheidenden  errolg  nach  der  einen  oder  andren  seite  gebracht  hatte,  so 

D  diesmal  die  drei  genannten  Wortführer  der  katholischen  saiihe  vor,    überhaupt 

t  zu  erscheinen,    uud  in  Böm  wurde  alsbald  der  goltesdienst  nach  evangelischer 

a  eingeführt.    In  diesen  tagen  vcrfasste  der  reichbegabte  Bemer  maier  und  dich- 

r  Niclans  Manuel,  der  bei  der  disputation  das  amt  eines  rufera  versah,  sebe  glKa- 

«Je  Satire  .Krankheit  der  messe".     Mit  urkräftigem  hunior  führt  dies  prosagesprtich 

I  peisonifirierte  messe  als  eine  schwindsüchtige  kranke  vor,  der  ihre  freunde  ver- 

Uioh  auf  allerlei  weise  zu  helfen  suchen.    Der  papst  sendet,  als  er  hört,  dass  ihr  die 

äenl^rt  nichts  genützt  habe ,  den  doktor  Rundeck  (Eck)  und  den  apothoker  Heioho 

iber)  zu  ihr*  aber  keins  ihrer  mittel  schlagt  an,  weder  das  bad,  noch  ihr  geachrei, 

I  fegfeuer,    die  hostie,    das  heilige  äl  und  die  geweihten  kerzen,   so  dass  endhch 

B  ttrzte  um  ihren  lohn  besorgt  davonlaufen, 


400  BOLTB,  ÜBRB  MAMTTBLS  STOB  MESSE  KD.  BIRKET  SMITH 

Wie  durchschlagend  diese  schrift  Manuels  auch  ausserhalb  der  Schweiz  wirkte, 
beweist  die  grosse  zahl  von  nachdrucken  und  bearbeitungen,  die  Baechtold  in  mam 
N.  Manuel  (1878  s.  CLXXVIII)  und  in  seiner  litteraturgeschichte  der  Schweiz  (1892. 
Anhang  k.  74  und  135)  und  B.  Wenzel  (Cammerlander  und  Yielfeld.  Bostocker  di9& 
1891  s.  33.  69)  verzeichnet  haben.  Unter  diesen  fohlt  jedoch  das  oben  geotoote 
dfinische  gedieht,  mit  dem  uns  S.  Birket  Smith,  der  bewährte  kenner  der  ilterai 
dänischen  litteratur,  durch  einen  sorgfältigen  neudruck  bekannt  macht  Es  fahrt  den 
titel:  Dialogus  |  £n  greselig  ond  tiende  som  |  Pauen  fick  til  Bom  om  den  Päpistiske{ 
Messe  som  er  dot  ypperste  hoffuitsticke  i  |  bans  oc  Anthechristens  fijrcke,  Och  |  hoad 
suar  band  oc  bans  hellige  aan-  |  delige  selfTskafE  der  til  s wäret  |  haffae.  j  M.D.xxiiij; 
20  bl.    8.    0.  0.    (Der  ungenannte  drucker  ist  Job.  Hochstraten  zu  Malmö). 

Der  Verfasser  ist  trotz  der  vom  herausgeber  aufgewandten  mühe  nicht  n 
ermitteln  gewesen.  Seine  bearbeitung  verrät  überall  das  bestreben,  die  Satire  Hanoek 
zu  nationalisieren ,  ihr  dänische  lokalf arbe  zu  verleihen ,  und  zwar  nicht  nur  in  der 
einführung  dänischer  heiligen  (vor  gamle  s.  Knud,  den  gamle  fni  Liseke),  stidte 
und  redensarten,  sowie  in  dor  einschaltung  einzelner  von  Smith  s.  XXXU  besondeis 
zusammengestellter  verspartien,  sondern  auch  in  der  hervorhobung  dänischer  Vor- 
kämpfer der  katholischen  lehre.  Wie  in  Manuels  dialoge  das  Badener  und  Bener 
religionsgespräch ,  so  bildet  hier  der  im  juli  und  august  1580  zu  Kopenhagen  gehal- 
tene herrentag,  auf  dem  derselbe  gegcnsatz  von  der  altkirchlicheu  und  der  refonni- 
mationspartoi  aasgefochten  wurde,  den  deutlich  wahrzunehmenden  hintergrund.  Ab 
stelle  Rundecks  und  Heiohos  sendet  der  papst  die  doktoren  Johan  Ulf  und  Stagebnod 
zur  kranken  messe,  unter  denen  der  kanonikus  Hans  Jacobson  Ulf  zu  Lund  und  der 
deutsche  dr.  Stagefyr  zu  verstehen  sind;  der  mönch  Agrist  heisst  im  dänischen  Bit)- 
der  Dirick  Wendekaabe  (d.  li.  Manteldreher),  was  ein  anderwärts  belegter  spotduune 
für  Poul  Holgesen  ist,  usf.  Von  besonderem  interes.se  ist  nun,  dass  diese  an  ack 
naheliegende  anpassung  dor  schweizerischen  satire  an  die  dem  bearbeiter  und  seinen 
Publikum  vertrauten  Verhältnisse  und  personen  schon  vorher  einmal  in  Deutschlanü 
durchgeführt  war  in  der  von  Baechtold  (Manuel  s.  CLXXXI)  mit  c  bezeichnetet 
Umarbeitung  vom  jähre  1529,  die  z.  b.  die  beiden  ärzte  dr.  Aleueld  zu  Halle  mid 
dr.  Mensing  zu  Dessau  nennt,  und  doss,  wie  schon  die  vergleichung  der  titel  lehn, 
der  dänische  anonynius  diese  Umarbeitung,  von  der  noch  im  selben  jähre  1529  eine 
niederdeutsche  ausgäbe  erschien,  vor  augon  gehabt  und  benutzt  hat.  Der  henns- 
geber  hat  durch  eine  vergleichung  der  drei  deutschen  texte  mit  dem  dämscken 
(s.  XX VII)  festgestellt,  dass  die  hochdeutsche  Umarbeitung  von  1529  dem  dänisdieo 
gedichto  am  nächsten  steht,  dass  dieses  aber  ausserdem  einzelne  ausdrücke  enthltt. 
die  zum  Originaltexte  Manuels,  aber  nicht  zu  jener  Umarbeitung  stimmen.  Weoo 
man  nicht  annehmen  will,  dass  der  Däne  zwei  verschiedene  deutsche  drucke  benutzt 
hat,  so  bleibt  nur  die  folgenmg  übrig,  die  auch  S.  zieht,  dass  noch  eine  uns  unbe- 
kannte deutsche  fassung  existierte,  die  zwischen  Manuel  und  der  umarbettong  voo 
1529  in  der  mitte  stand.  Violleicht  lohnte  es  überhaupt,  einmal  genauer  der  text- 
geschichte  der  deutschen  flugschrift,  durch  die  ja  auch  der  dialog  von  Roy  und  Btf- 
low  Bede  me  and  he  not  wrothe  (1528.  Neudruck  von  E.  Arber  1871)  beeinflnsKt  n 
sein  scheint,  nachzugehen  und  sich  dabei  die  von  S.  gegebenen  winke  zu  natze  n 
machon. 

BERLIN.  J.   BOLTE. 


t   BiJUU.    BRÜDER 


401 


Das  deutsche  kirulioulied  dur  böhmiscboa  brüdor  im  16.  jahrLuuileri 
Von  R.  Wolkan.     Prag,  A.  Haaae.  1891.    V,  178  s.    8.    3  m. 

Bio  vorliogonde  untüreuchaug,  die  liier  oboe  sehuld  des  referenten  verspätet 
tt  anzeige  gelangt',  ist  entstanden  im  auscblnsse  an  das  grüssere  untoTDehnien  Wol- 
J[ans  „BdbmoDB  aoteil  an  der  doutsebeii  titteratur  des  16.  Jahrhunderts''.  Sie  gilt  in 
aretci  linie  der  dichte i-iacbun  tStigkeit  des  Seblesiers  Michael  Weisse,  der  als  |>re- 
.-figer  der  deutseben  gemeinde  der  böhmischen  brüder  zu  Landskron  1531  eine  alle 
4Jaber  etschJeDoiien  protestaatischeo  gesaogbücher  an  amfODg  weit  übortreffendo 
I  sammlnDg  geistlicher  liedor  samt  den  melodien  dazu  herausgab.  Yen  den  zaJüreidien 
abdrücken,  die  man  bequem  in  Ooedokos  Grundrisa'2,  235  fg.  überbliukeu  kann, 
liad  zwei  von  besonderer  Wichtigkeit,  die  1544  von  Joh.  Hom,  dem  liiscbore  der 
bobmischeD  brüder,  zu  Nürnberg  vemastalteto,  Toiünderte  und  vermehrte  ausgubu 
mnd  die  1Ü6Ö  von  Michael  Tham  besorgte,  als  deren  druokort  vermutlich  Prag  aniu- 
i'üetunea  bt.  Dnrch  eine  sorgsame  vergleieliung  hat  Wolkan  das  verhEiltnis  dieser 
I liedersammluug(>u  zu  einander  festgestellt:  die  iilteste  entbiilt  157  eiguo  diohtnngon 
Veisses,  die  zweite  suheidet  vier  davon  aus  und  bringt  32  neue,  1566  nTsohemen 
imter  den  348  nummem  des  bauptteils  180  jüngere  lieder  von  Joh.  Geletzky,  Michael 
,  Petrus  riürbert  u.  a,,  während  in  einem  anhange  108  nicht  »on  böhmischen 
tthidem,  sondern  von  Luther  und  seinen  genossen  herrührende  lieder  vereinigt  and. 
Die  ausgäbe  von  1544  besitst  ein  besonderes  intorosae  durch  die  darin  sieh  kund- 
i<geboado  annähoritng  der  bühmiselien  binldor  an  Luthers  alxtudmablsluhre',  nicht  bloss 
I  Vorworte,  da.s  man  bei  Wulkon  Böhmens  anteil  1,  l2  fg.  übersichtliub  abgodmckt 
^det,  ist  [his  ausgespmehen ,  sondern  es  sind  auch  mohrero  lioder  Weisses,  der 
;aoliOD  1534  verstorben  war,  in  diesem  sinne  abgeändert  Die  32  neuen  lieder,  die 
'Bisn  bisher  allgemein  dem  herausgeber  Hörn  zusehrieb,  nimmt  Wolkan  gloicbfalla 
ifär  Weisse  in  anspmoh,  ohne  dass  er  völlig  durchschlagende  gründe  vorbrKehte. 
iSie  ülterein  Stimmung  mit  den  un  Zweifel  haften  diehtungen  Weisses  in  inlinlt  und  form 
.beweist  allein  noch  nieht  seine  verfasse rachaft;  wertvoller  ist  das  nebenher  in  emer 
iinmerbnng  auf  s.  76  erwähnte  geständnis  Homs,  er  als  geborener  Tsebecbe  sei  in 
.Rutscher  spräche  nicht  so  geschickt  wie  sein  freund  Weisse.  Mau  wird  also  Welkau 
*W<d  die  wahraolieiniiehkeit  seiner  behauptueg  zugestehen  müssen. 

An  Weisse  ist,  obschon  or  sieb  bei  seiner  fruchtbaren  tatigkeit  öfter  widerholt 
1  nioht  immer  gleich  geleuk  in  der  dai-stellung  zeigt,  wahres  dichterisches  vermÖ- 
^^  i,  natürlichkoit  und  volksmttssigkeit  üu  rühmen,  wio  ihn  aueh  Lothar  1545  ans- 
Aiücklich  einen  , guten  poeten"  genannt  hat  Seine  bedoutung  ist  jedoch  durch  die 
iprnfl:  widerholle  angäbe,  er  habe  nur  ältere  tschecliisohe  kirchonlieder  übertra- 
»,  bisher  berabgedrüokt  worden.  Wolkan  verhilft  ihm  za  seinem  rechte,  indem  er 
■De  bemerkung  als  irrig  naehweisl.  In  dem  tschechischen  lurchenlieder^ohatze,  des- 
pett  erste  Sammlung  schon  1501  oi-schion,  finden  sieh  zu  den  15?  nummorn  des  gesaitg- 
II  jähre  1531  nur  IG  parallelen,  darunter  allerdings  Weisses  bekannteste 
'^htung  „Nun  lasst  uns  den  leib  begraben'',  zu  den  32  zusatiliedem  der  Homsolien 
iHnunlutig  9;  und  aacli  t>ei  diesen  ist  niclit  überall  die  benntzung  des  tscheehisvlien 
Bedes  unzweifelhaft,  sondern  es  mag  bie  und  da  auch  die  üboreinstimmimg  aus  der 
meinsamen  hiteiniscben  vorläge  zu  erkl&ren  sein.  Denn  ebenso  wie  Luther  hat 
"Weisse  die  lateioiarbun   kirchonlieder  verwertet  und  sich  öfter  durch  die  deutschen 


1)  Eine  austübrlicbore  tiesproebung,    die  der  riiferent  vor  längerer  zeit  a 
Um  dieser  Zeitschrift  sandte,  gieog  auf  der  post  verloren. 


die 


402  HOLTE,    ÜBER   WOLKAN,    KIRCHENLIED   DER  BÖHM.    BRÜDER 

gosänge  Luthers,  Spcratus*  und  andrer  Protestanten,  wie  sich  aus  der  vcrwendoog  ihrer 
melodien  und  einzenen  anklängen  ergibt,  anregen  lassen.  Dagegen  treten  uns  in  dem 
cantioual  von  156(5  zaiilroicho  direkte  übei*setzungen  tschechischer  originale  entgegen: 
von  Herbert  36  nummorn,  von  Tham  12,  von  Geletzky  9  usw.  Dies  resultat  töd 
Wolkans  füi"schung,  über  das  ich  kein  eigenes  urteil  abzugeben  vermag,  erhält  seine 
bestätigung  durch  eine  Untersuchung,  die  J.  T.  Müller  in  üerrnhut  kurz  zuvor  unal»- 
hängig  von  Wolkan  angestellt  und  in  J.  Julian*«  Dictionar\'  of  Hymnology  (liODÜi-n 
1892  s.  158—  160)  unter  dem  titol  Bohemian  Brcthren* s  Hymnody  veröfTentlicht  hat. 
Don  beschluss  'dos  verdienstvollen  buches  (s.  103  — 178)  bildet  ein  alphabe- 
tisches Verzeichnis  der  bis  1639  veröffentlichten  kiiehenlieder  der  böhmischen  brüder, 
das  nicht  nur  die  strophenzahl,  Verfasser,  «juello  und  fundort  angibt,  sondern  auch 
die  gesangbüchcr  Deutschlands  vermerkt,  in  denen  das  einzelne  lied  aufnähme  fand. 
Es  geht  daraus  hervor,  dass  die  lieder  der  böhmischen  brüder  einen  wesentlichen 
bestandteil  des  protestantischen  liederschatzes  des  16.  Jahrhunderts  gebildet  haben 
und  namentlich  auch  in  Niederdcutschlaud  verbreitet  gewesen  sind. 

HKKLIN.  JOHANNES   BOLTK. 


Die  Singspiele  der  englischen  komödianten  und  ihrer  nachfolger  in 
Deutschland,  Holland  und  Skandinavien.  Von  Johannes  Holte.  (Tbea- 
tergeschichtliche  forschungen,  VIU.)  Hamburg,  Leopold  Voss.  1893.  VUl  und 
194  s.     5  m. 

Den  grossen  Verdiensten,    welche  sich  Bolte  um  die  erforschung  unserer  litte- 
ratur  schon  erworben,    hat  er  durch  die  vorliegende  vortreffliche   arbeit  ein  ueues 
hinzugefügt.     Eine  dai*stellung  d<^s  englischen  Singspiels  und  seiner  Wirkung  auf  deut- 
schem bodon  war  bei  der  bedeutung,   welche  diese  littemturgattung  in  der  deutsch-rn 
dichtung  des  17.  Jahrhunderts  einnimmt,    durchaus  notw»*ndig;   allein  sie  konnte  nur 
einem  forscher  gelingen,   der  wie  Holte  das  gesamte,  auf  den  verschieden.steu  biblic- 
theken   zci-streute  wcitschi«htigi3    inaterial    kennt    und    beheri-scht.     Einer   trotz  ihrer 
kürze  über  Ursprung,  cluirakter  und  melodien  der  Singspiele  eingehend  orientierenden 
einlcitung   folgt  tiiu  sehr  praktisch  angelegtes  ei"schöpfendes  Verzeichnis,    das   (Ayrer 
eiuges<;hl<)ssen)    zweiunddreissig  nummtjrn   umfitsst,    darunt^ir  viele    in   verschiedenen 
fassungen.     Im  einzelnen  wird  unsere  kcnutnis  vielfach  bereichert,  aber  auch  für  di»" 
bedeutenderen  fragen  weiss  Bolte  ü)>erraschend  viel  neues   beizusteuern.     So  wird  bei 
Keller,    Fastnachtsspiele,  H.  1013  —  20:    Ein   iveyl  last  vtis  beysamen  blcyhen  hier 
(s.  11)   zum   ei*sten   mal«;  in  seiner  bedeutung  erkannt  und  richtig  eingereiht;   für  die 
melodie:    Ivk  ben  tot  Amaterihm  gewesen  wird  s.  22  fg.  ein  augenscheinlich  von  den 
Singspielen   der  englischen   komüilianten  angeregter  liebesdialog  (um  1615)  aus  einer 
Kop(;nhagencr  abschrift  bekannt  gemacht;  ferner  weist  Bolte  für  die  Singspiele:  J^ 
doppelt  betrogene  oyfersutfht''   eine  der  vorläge  nahe  verwandte  fassung  sowie  auch 
eine  hoUändiseluj  fassung  der  vorläge  nach.     Besonders  bemerkenswert  ist  der  nach- 
weis,  dass  das  Singspiel:  „Harlequins  hochzeif*  dem  Christian  Reuter  endgiltig  abiu* 
sprechen  ist;    Bolte  hat  einen  Hamburger  druck:   „Der  lustige  Harlequin**  aus  dem 
jähre  1693  aufgefunden,  sowie  auch  eine  aufführung  in  (»örlitz  bereits  für  1694 nich- 
gowieson.     Entstanden  ist  das  Singspiel   aller  Wahrscheinlichkeit  nach  in  Hambui^; 
der    name    des    Verfassers    lässt   sich    nicht    ermitteln,    auch  ist  auf  grund  des  mir 
bekannten    materials   keine    irgendwie  haltbare  Vermutung   über  seine  jKjrsrmUchkeJt 
aufzustellen.     Keuters  text  weist  eine  stattliche  zahl  von  vorändernngen  und  zosiö» 


auf;  doch  iKt  es  Knuiretluift,  ob  dieso  allu  vou  ihm  .selbst  herrühren,  da  es  nenig- 
rtens  schon  10U4,  wie  die  notie  über  die  Görliüor  aitfführong  beweist,  miiidesteas 
nocli  einen  anderen  druck  mit  dem  posHendcren  titel:  ^Harlcquius  bochzeit"  gab; 
]glich  wäre  es  nicht,  dass  die  bei  Houter  erauheinendeD  abweiuhuugen  -^  ganz 
odar  zum  toi!  —  in  diesem  schon  vorhanden  gewesen  wäreo. 

Besonders  erfreulich  ist  es,  dasa  Bolte  bei  soben  antersuchnugen  sich  nicht 
luf  Deutsoblauil  beschränkt,  sondora  ausser  den  ongUeohon  vorla(;en  aucb  die 
DieJerläudische  nnd  akandittavlsche  litteratur  berücksichtigt  hat.  "Wir  können  aus 
Bäinen  nachweisen  erkennen,  einer  wie  grossen  guust  sieb  das  Singspiel  anoh  in  den 
auaserdeutscbon  germaniacben  läniiern  erfreute.  Nicht  selten  bildet  Deutschland  den 
Vermittler  (vgl.  z.  b.  25  b.  and  2U  ä.);  Kuwi'ilon  aber  sind  auch  die  stücko  unmittel- 
bar den  engliaahon  oi-iginalen  Dacht'ebildot.  —  Für  die  äussere  form  erholten  wir  den 
mtereasonten  uachweis,  doss  ausser  duu  durchweg  gesungenen  stäcken  bereits  in 
EDgland  selbst  Singspiele  vorkamen,  in  denen  die  versparticon  mit  prosostellen  ab- 
wechselten (vgl.  den  text  von  *The  Black  Han",  s.  S4  fgg.).  Die  tatsaohe  hatte  ich 
für  die  deutschen  Hiogg|iiole  bereits  aus  den  Singspielen  des  voi'fassers  der  „Kunst 
fiber  alle  künste"  ersuhloB.sen,  vgl.  Horriga  archiv,  8S,  s.  280  fgg.;  ich  freue  mich, 
hier  durch  ganz  neues  materiat  bestätigt  zu  sehen. 

Eine  sehr  wertvolle  zugäbe  bilden  die  im  anhange  mitgeteilten  melodieen; 
arst  durch  die  berücksiohtigung  der  bisher  ganz  vemachl£.ssigteQ  niusikaJischen  Reite 
wird  die  möglichteit  gewährt,  zu  einem  totalbildo  der  gattung  vorzudringen.  So  hat 
Verfasser  allen  teilen  des  so  vielfach  verzweigten  Stoffes  die  gleiche  Sorgfalt  und 
■nfinerksanikeit  zugewendet  und  eines  der  wichtigsten  kapitel  aus  der  gescbichte  dos 
deutschen  draiiins  im  17.  Jahrhundert  in  musterhafter  weise  erschöpfend  behandelt 


Job.  Peter  de  Memels  Lustige  gcsellscbaft.  Von  Ferdinand  Gerhard.  Nebst 
einer  Übersicht  über  die  schwank -litteru tu r  des  17.  Jahrhunderts.  Halle,  Uax 
Niemeyer.  1^03.     1S7  s.     2,80  m. 

Die  vorliegende  schrift  scheint  eänc  erstlingsai'beit  tu  sein;  manche  ausFühnm- 
gen  des  verfasaere  waren  besser  weggeblieben,   so  z.  b.  der  yetsnch,   na  der  band 
ton  Kono  Fischers  buch:    „Übet  die  entstehung  des  witzea'  das  wesen  des  schwan- 
I  defuiieren.     Anderes  konnte  kürzer  und  bündiger  Kosommengafasst  werden. 
Ooob  verdient  die  arbeit  entsehiodeu  beachtuug,   da  sie  der  erste  nennenswerte  ver- 
ab  ist,  in  ein  der  hauptsache  nach  wenig  bekanntes  gebiet  einzuführen.    Im  ersten 
1  hat  der  verfasset  zahlreiche  schwankbueher  und  verwandte  Sammlungen  des  17. 
irbundetts  zusammengestellt  und  jedes  werk  der  gattung  kurz,  wenn  auch  zuweilen 
i  zu  allgemeinen  ausdrücken  charaktorisiart.     Der  zweite  teil  bringt  eine  aus* 
Inhrliohe  aoaiyse  der  „Lustigen  geseUscbaTt",  deren  verschiedenartige  bestandteile  auf- 
[sx2hlt  und  im  einzelnen  zerlegt  werden.     Ein  verzeiubnis  der  ausgaben  sehliesst  sich 
U;  das  Verhältnis  der  einzelnen  ausgaben  zu  einander  wird  bestimmt,  die  verfasser- 
B  erörtert,  Jedoch  ohne  dass  ein  sicheres  resultat  2u  verzeicliuen  wäre.    In  dem 
ihlusskapitol:    „Eiiifluss  der  Lustigen  gesellschaft  auf  die  scbwanklitteratur*  würde 
in«  schUrfere  soudei-nng  am  platze  gewesen  sein. 


404  LEITZMANM 

Gottscheds    Stellung    im    dcutschcD    bildungsloben.     Von   Engai  ITiü 
I.  baud.     Kiel  und  Leipzig,  Lipsius  und  Tischor.  1895.     YII  und  231  s.    6  m. 

Noch   immer  gehört    eine   abschliessende,    allseitig   eindringende  arbeit  öW 
Gottsched  zu  den  unerfüllten  wünschen  unserer  litteraturgeschichto.     Vor  noch  nicht 
ganz  fünfzig  jähren  war  der  fi-ühvoUendete  Theodor  Wilhelm  Danzel  der  mt 
der  auf  gruud  eingehender  quellenstudien  einer  vorurteilsfreien  betrachtung  des  viel- 
gescholtenen  mit  seinem  buche   „Gottsched  und  seine  zeit*  (Leipzig  1848)  den  vej: 
zu  eröffnen  versuchte.    Es  war  vorauszusehen,  dass  die  bewältigung  des  riesenhifta 
Stoffes  ni('ht  beim  ersten  anhieb  gelingen  konnte:  bei  einer  so  vielseitigen  arbeitsknil 
und  Wirkung,    wie  sie  Gottscheds   loben  reprasentiei*t,    mussten   notwendig  für  da 
ersten  betrachte  r  dieser  dinge  manche  Seiten  und  richtungen  in  den  Vordergrund  tre- 
ten, andre  minder  wichtig  erscheinen;  subjektive  neigungen  mochten  mehr  anbewiütft 
als  bewusst  hierbei  bestimmend  mitwirken;  die  verliebe   für  spekulative  konstrukti« 
haftete  Danzel  als  philosophen  spekulativer  riclitung   naturgomäss  an;    der  schwe« 
düstere  ernst  seiner  natur  endlich  spiegelt  sich  in  dem  schweren  fluss  der  dan»t»;l- 
lung  unverkennbar  wider.     So  kam  es,    dass  in  Danzels  buche  das,    was  der  verfjiv 
ser  sich  vorgenommen ,    eine  unbefangene  Würdigung  und  ein  klares  historisches  v»^ 
ständuis  von  Gottscheds  persönlichkeit,    doch  nicht  erreicht  wurde.     Lange  zeit  hat 
dann  auch  niemand  lust  vei'spürt  Danzels  pfaden  nach  zu  wandeln;  Danzel  selbst  bitte 
ja  das  motte  gewählt:  legimus  aliqua,  nc  kgantur.    Einen  vorzüglichen  lebonsabriss 
Gottscheds  bescheerto  uns  1879  Michael  Bernays  in  dem  artikel  der  Allgemeinen 
deutsi;hen    biographie    über   ihn.      Zwei    treflTliche   abhaudluugen    von    Reicke  und 
Krause    [vgl.  Zeitschr.  25,  565.    27,  148]    beleuchteten  in  den  letzten  jtüiren  Oott- 
scheds   Königsberger   lohrzeit   und    seine    späturen   beziehungen   zum   centrum  seinri 
ostpreussi.schen  lieimat.     Aber    der  mangel   einer  abschliessenden    arbeit    trat   imnwr 
fühlbarer  hervor.     Einem    grössern    werke    über    Gottsched  dürfen   wir  von  Gu^t»v 
Waniek's  band  ciitgegous<»hon ,    der  auch  eine  neue  auswahl  aus  seiner  korresj>oo- 
denz   in  aussieht  gest^dlt  hat,    die    hoffentlich   bald  erscheint.     Nun   hat   neuordio^ 
Eugen  Wolff  zwei   in  der  festschiift  für  Kudolf  Hildebrand   und  in  der  Zeitsihiifl 
für  deutschen   unterrit^lit  ei>>chienene  arbeiten   über  Gottsched  zu  einem  ersten  banii'* 
eines  auf  zwei  bände  berechneten  Werkes   über  Gottscheds  Stellung  im  deutscheo  bü- 
duugsleben  vereinigt 

Das  erste  kapitel  behandelt  „Gottscheds  Stellung  in  der  geschichte  der  deut- 
schen Sprache''  (s.  1 — 90).  Seine  sprachlichen  bestrebungen  zur  reinigung  und  festi- 
gung  einer  hochdeutstihen  gemeinsprache  traten  ein  1)  für  das  deutsche  übvrhau|< 
im  gegensatze  zum  gebrauch  des  lat<MniscIien  und  französischen  und  dem  fremüwnr- 
terunwesen,  2j  für  genuandeutscli  duixih  betonung  der  mitteldeutschen  grundlageuod 
reinigung  von  dialektischen  eigentümlichkeiten,  3)  für  c^rrectes  deutsch  durch  wert- 
volle grarnmatiehe  arbeiten,  endlieh  4)  für  elegantes  deutsch.  Demgemäss  gliedert 
sich  Wollls  darstellung  in  diese  vier  abschnitte,  denen  als  fünfter  eine  botrachtuu? 
üi)er  prosaische  und  poetische  spraclibehandlung  folgt.  Das  ganze  kapitel  ist  in 
wesentlichen  keine  darstellung,  weder  eine  biographische,  noch  eine  kritisch -histo* 
rische,  sondern  eine  äussei'st  dankenswerte  materialsammluug,  der  vor  allem  die 
reiche  in  Leipzig  und  Dresden  aufbewahrte  Gottschedsche  korrespondenz  tmd  der 
Bodmersche  briefnaihlass  zu  gninde  liegen.  Für  diese  klare  und  übersichtliche  k- 
saunncnstellimg  eines  reichen  niatcrials  wissen  wir  Wolff  ganz  besondem  dank.  DtSB 
auch  er  den  systematischen  gesichtspunkt  als  teilungsprincip  gewählt  hat,  scheint  tat 


ein  YeriiäagDis  des  stofTes  ku  seio:  aach  Dansols  buch  fallt  in  oüie  reibe  nicht  recht 
EUBunmenhÜDgeDdor  abschaitte  auseinander. 

Mehr  im  stile  einer  historisch -liritisuheii  darsteUucg  ist  dagegen  das  «weite 
knpitel  , Gottsched  im  kanijjf  mn  die  auftläning"  (s.  91  —  230)  gehalten;  ea  ist  unzwei- 
felhaft das  bedeutouilere  von  beiden.  Hier  wird  unsre  kenntnis  Gottscheds  nicht  nur 
dnruh  eine  eben  so  grosse  fülle  neuer  qaellon,  sondern  auch  durch  den  glüctljohen 
verbuch  einer  geschichtlichen  bewaltiguDg  und  Würdigung  desselben  bereichert.  Bshr 
■Dsprechend  und  gut  wird  das  systeoi  der  |>hilQsop bischen  Überzeugungen  Kur  zeit 
von  Gottscheds  aultreten  dargestellt.  En  folgt  eine  feine  aualyse  Beiner  eigenen  spe- 
kulativen entwichlnng  an  der  band  seiner  systematischen  ai'1>eiten.  Dann  beleuchtet 
Wolff  seine  agitatorische  Stellung  in  den  bildangakämpfeu  auf  dem  gebiete  der  tbeo- 
logie  und  Philosophie;  ein  letxtes  kapitel  berichtet  anhangsweise  von  der  geBslIsohaft 
der  alethdphilutt.  Sleine  niissgiüfe  in  der  dispoaition  stören  nur  unerheblich  den 
(estgosL'hlossonon  bau  dieser  abhandlung,  welohe  die  erste  weit  überragt  und  in  ihrer 
■rt  vorzüglich  ist. 

Mochte  es  dem  Verfasser  möglich  sein,  uns  in  nicht  allzu  langer  zeit  auch  den 
iu  »ussii-ht  gestellten  zweiten  band  vorzulegen,  der  unter  anderm  aauh  den  versuch 
einer  gesoniint Würdigung  von  Gottsuheds  jiersönlielikoit  bringen  soll !  Die  oben 
orwähnte  xusamnien fassende  liebnndliiog  des  tnauies  in  einer  grosseren  biographie 
und  WolOs  buch  worden  voi'aussiohtlich  mit  nut.zen  nobon  einander  bestehen  können. 


Oder  üartmanu  von   Aue.    Drei  büuber  nntersuchungen  von  Anton  E.  SchSii- 
bach.    Graz,  Leusuhner  und  Lubensky.  1894.    VIU  und  503  s.     12  m. 

Zusammen  mit  seinen  lehrreichen  Otfridstudien ,  deren  abschlusa  mir  eben  m- 
kommt,  sind  die  vorliegenden  unteiDuchungen  über  Hartoiann  von  Aue  Schönbach  ans 
den  vurboreitungeo  zum  vieiteo  bände  seiner  Altdeutsohen  predigten  erwachsen.  Wie 
werlvotl  es  für  die  litterargesohtchtliohc  betrauhtnng  unserer  mittelalte rlicheu  dich- 
ter ist  geuauei'e  imd  tiefere  kenntnis  der  kirchlichen  litteratur  des  mittelallere  zn 
besiti^en,  sich  den  engen  Zusammenhang  von  kirche  und  leben  in  dieser  zeit  stets 
lebhaft  gegenwärtig  eu  halten,  das  lehien  diese  arl>eileu  Schönbacbs;  darin  liegt, 
ganz  abgesehen  von  den  Taktiscben  resultaten,  ihr  hoher  methodischer  wert.  Von 
«nein  verh&ltnisniüssig  kleinen  angriffspunkte  ans,  der  belrachtung  der  religiösen 
■Dschauuugon  Hattinaons  im  Gregor,  ergab  sich  eine  tiefeindiingende  klare  darieguog 
des  künstlerischen  und  mensuhlichen  ihnrakters,  der  ganzen  iiersünliohkeit  eines  dicb- 
ters,  über  den  wir  bereits  eine  nmföuglicbo  litteratnr  besitzen,  ohne  daas  uns  das 
gf-fühl  eines  sichern  abscblus«es,  selbst  in  den  b au ptf ragen ,  recht  fest  und  unum- 
stÖBslich  geworden  ist.  loh  stehe  nicht  an  in  Schäutincbs  buche  diesen  lange  ver- 
misiten  abschluss  zu  sehen  und  glaube  nicht,  doss  wir  in  wesentlicheu  punklen  über 
ihn  werden  hinauskommen  kennen.  Gründliche  und  scharR^innige  gelehrte  kombina- 
Üon  verbindet  sieh  hier  mit  guscbmack vollster  dnrstellung,  die  die  errungenen  resultate 
in  hrj-slallklare  sätjie  zu  kleiden  vereteht;  man  fühlt  sieh  oft  unwillkürlich  au  Les- 
siagü  philologische  arbeiten  erinnert.  Mit  recht  beklagt  der  Verfasser  in  der  vorrede, 
dass  die  deutsche  philologie,  vollauf  mit  dem  studiom  der  wichen  um  der  worte  wil- 
len lieschäftigt,  lex tkri tischen ,  gnunmattscbeu,  metrischen  fragen  hingegeben,  „noch 
nicht  zeit  fand  die  altdeutschen  dichlwerke  aus  dem  ziisiinimenhange  ihrer  zeit  und 
kultui   licrnus  zu  erklären-  (h.  V).     Die  h!tu[>tmasse  moderner  germanistisphcr  aibelten 


406  LEITZMA19N,  ÜDBB  SCHÖNBACH,  HAfiTUANN  V.  ACE 

passt  froilich  sohr  wenig  zn  dem  hohen  begriff  des  zielos  philologischer  fonchiug. 
das  uns  Heyne  und  'V\''ilhelm  von  Humboldt  zuerst  leuchtend  aufgesteckt  haben.  Ick 
gebe  im  folgenden  ein  kurzes  referat  über  Schönbachs  imtersuchungen. 

Das  erste  buch  führt  den  titel  ^ Religion  und  Sittlichkeit*'  (s.  1  —  176).  Es 
worden  hier  alle  stellen  Hartmannscher  gedichte,  welche  sich  auf  religiöse  und 
ethische  Vorstellungen  und  anschauungen  beziehen,  statistisch  verzeichnet  und  ein- 
gehend besprochen.  Eroc  und  Iwcin  stehen  sich  in  bezug  auf  die  erwähnuDg  von 
dingen,  welche  gott  und  gottesdienst  betreffen,  ganz  gleich.  Mehr  ausbeute  gewäh- 
ren nach  dieser  hinsieht  natürlich  die  beiden  legenden:  die  behandlung  des  Grvgor 
ist  das  mustor  eines  fortlaufenden  kommentars  (nur  s.  71  in  der  erklärung  voo  vers 
1552  muss  ich  Bech  gegen  Schönbach  recht  geben).  Hartmanns  ethisch -religb^se 
auffassung  der  dinge  ist  durchaus  die  in  der  kirchenlehrc  seiner  zeit  herrBcheode 
gewesen. 

Das  zweite  buch  behandelt  Hartmanns  „bildung'^  (s.  177  —  339):  seine  kemit- 
nis  der  antiken  littoratur,  seine  Vertrautheit  mit  der  bibel  und  den  kirchlichen  schrift- 
stüllom  .seiner  zeit,  seinen  bildungsgang  auf  geistlichem,  juristischem  und  ritterlichem 
gebiete,  endlich  seine  auffassung  vom  aberglauben.  Aus  allen  quellen  mittelaltciücber 
bildung  hat  Hartmann  getrunken  und  Lachmanns  bisher  acceptieiie  auffassung,  dis» 
er  den  „anfaiig*^  eines  klösterlichen  Studiums  gemacht  habe,  muss  einer  besser 
begründeten  weichen,  dass  er  den  vorhandenen  bildungsstuff  im  reichsten  mavse  in 
sich  aufgenommen  hat.  Durchaus  neu  und,  wenn  auch  nicht  in  allen  einzelbeiU'ii. 
so  doch  sicher  im  ganzen  überzeugend  dargelegt  ist  hier  die  auffassung  des  erbtco 
büchleins  als  eines  regelrechten  altdeutschen  rechtshandols  mit  klage,  gegoüklagp. 
wcchselrede,  zurückziehen  der  klage  und  vei-söhnuug;  diese  auschauung  eröffnot  zum 
ei'sten  male  ein  klares  und  widorspiiichsloscs  Verständnis  des  schwierigen  gedichts 
woneben  auch  die  textgostait  durch  glänzende  besserungen  an  mehreren  stellen  ge- 
whmt  (vgl.  besonders  s.  246).  Daraus  geht  nun  weiter  hervor,  dass  der  dichter  nach 
verlassen  der  klosterschule  sich  an  der  praktis(;hen  rt»chtspflego  als  zuliörer  betei- 
ligt haben  muss,  wie  wir  diesen  umstand  auch  sonst  für  junge  adliche  bele^'ea 
können. 

Im  dritten  und  wichtigsten  buche  bespricht  SchÖnl)ach  Hartmanns  ,kuiist 
und  Charakter*^  (s.  341 — 480).  Hier  wendet  er  sich  zunächst  gegen  Saraus  athe- 
des  zweiten  und  des  von  ihm  so  genannten  Schlussgedichts  im  ersten  bücblein  (ilio 
tosen  schon  Vogt  Zcitsclir.  24,  243.  244  beanstandet  hatte),  nach  meinem  gi'fühl 
unbedingt  überzeugend.  Auch  mir  ist  immer  das  zweite  büchlein  als  ein  viel  zu 
gutes  gedieht  erschienen,  als  dass  ich  mich  dazu  hätte  verstehen  können  es  einem 
kompilator  zuzuschreiben.  Auch  gegen  Sarans  toxtlosungen  im  einzelnen,  von  denen 
ja  viele  recht  leichtsinnig  aufgestellt  sind,  macht  SchÖubach  eine  reihe  begründeter 
einwendungen.  Die  dann  folgenden  abschnitte  über  Uartmanns  poetische  art  und 
kunst  und  über  das  Verhältnis  dos  künstlers  in  ihm  zum  menschen  gehören  zum 
feinsinnigsten,  was  überhaupt  über  einen  mittelhochdeutschen  dichter  geschrieben  Ist 
Bezüglich  der  chronologischen  fnigen  hält  Schönbach  an  der  zuletzt  von  Saran  ein- 
gehend verteidigten  auschauung  fest,  dass  die  reihenfolge  der  grösseren  werke  En*, 
Iwein,  Gi^egor,  Armer  Heinrich  gewesen  ist:  ich  glaube,  dass  man  keine  andre  mit 
mehr  und  einleuchtenderen  argumenteu   stützen    kann^    Im   rahmen   dieser  letzten 

1)  Ich  kann  diesem  urteile  des  herrn  rocensenten  nicht  zustimmen;  vgl.  Zeit- 
schrift 28,  47  fg.     o.  E. 


WITKOWSKI,    ÜBER  ALTENKBÜOEB,    NICOLAI  407 

Übersicht  über  Hartmanns  künstlerischen  und  menschUchcn  Charakter  hätte  ich  gern 
scino  besten  und  innerlichsten  dichtungen,  die  kreuzlieder,  noch  einmal  besonders 
gewürdigt  gesehen. 

Leider  sind  die  zahlencitate  an  vielen  stellen  unzuverlässig,    während  druck 
und  ausstattung  sonst  vorzüglich  sind. 

WEIMAB,   1.  MÄBZ  18Ü5.  ALREST  LEITZMANN. 


Friedrich  Nicolais  Jugendschriften.    Von  Ernst  Altenkriiger.     Berlin,    Carl 

Heymann.  1894.    VII  und  113  s.    2  m. 
Friedrich  Nicolais  briofe  über  den  itzigen  zustand  der  schönen  Wissen- 
schaften in  Deutschland.  (1755.)    Herausgegoben  von  Georgr  ElHngrer  (Ber- 
liner neudrucko  UI,  2.)    Berlin,  Gebr.  Paetel.  1894.    XXVHI  und  153  s.    5  m. 
Durch  eine  sonderbare,   aber  keineswegs  ungerechte  fügung  ist  Nicolai  in  sei- 
ner litterarischen  Wirksamkeit  derselben  Verurteilung  verfallen,  wie  Gottsched,  durch 
dessen   bekämpfung  er  sich  als  Schriftsteller  die  sporen  vordient  hat.    Beide  bleibcm 
nach  einem  kurzen ,  jugendmutigen  vorstürmen ,  das  sie  als  führer  auf  dem  wege  des 
fortschritts  erscheinen  lässt,  an  dem  schnell  erreichten  punkte  ihr  leben  lang  stehen 
und   erheben  ihre  stimme  nur  immer  angestrengter  und  mistönonder,    um  von  den 
vorwärtseilenden,   sich  weiter  und  weiter  entfernenden  Zeitgenossen  noch  gehört  zu 
werden  und  sie  (wenn  möglich)  in  ihrem  laufe  aufzuhalten.    Durch  Lessing  ist  Gott- 
sched,   durch  Schiller  und  Goethe  ist  Nicolai  mundtot  gemacht  worden.     Was  sie 
noch  ferner  zu  sagen  hatten,  verhallte  ungehört  und  einflusslos,    und  das  geschicht- 
liche urteil  war  ihnen  auf  lange  zeit  hinaus  unveränderUch  gesprochen. 

Mit  der  strengeren  historischen  auffassung  des  ganges  unsror  litteratur  trat 
aber  das  verdienstvolle  in  der  früheren  tätigkeit  beider  männer  hervor.  Seit  dem 
trefflich  belehrenden,  wenn  auch  schwerfälligen  buche  Danzels  hat  Gottsched  sich 
nicht  mehr  über  untei-schiitzung  zu  beklagen.  Für  Nicolai  versuchen  nun  die  beiden 
oben  genannten  Schriften  eine  billigtjre  anerkennung  seiner  frühen  leistungen  herbei- 
zuführen; die  erste,  indem  sie  ein  gesamtbild  seiner  Jugendentwicklung  entwirft,  die 
zweite  durch  erueuerung  seines  frischesten  und  umfangreichsten  erzeugnisses  aus  die- 
ser zeit. 

Altenkrügers  aHx?it  ist  offenbar  eine  dissertation  und  kann  als  solche  wol 
als  musterhaft  bezeichnet  weiden.  Ein  geschickt  gewählter  gegenständ,  der  weder 
weite  gesichtspunkte  noch  beheri-schung  grosser  gebiete  erfordert,  ist  gründlich  durch- 
gearbeitet, der  Stoff  übereichtlich  gruppiert  und  mit  vorsichtigem,  nicht  unselb- 
ständigem urteil  verwertet.  Der  Verfasser  benutzt  wertvolles  neues  material:  eine 
fülle  von  briefen  aus  Nicolais  nachlass,  bei  denen  nur  zu  bedauern  ist,  dass  er  sich 
fast  ausschliesslich  auf  die  mitteilung  der  daten  und  der  für  seine  darstellung  ver- 
werteten tatsaohen  beschränkt,  während  eine  anfühining  des  Wortlautes,  auf  den 
er  sich  stützt,  envünscht  und  von  wort  gewesen  wäre.  Ferner  ist  es  ihm  gelun- 
gen, einige  bisher  unbekannte  Jugendarbeiten  seines  beiden  nachzuweisen.  Mit 
vierzehn  oder  fünfzehn  jahron  verfasste  er  ein  episch  -  didaktisches  gedieht  in  un- 
möglichen hexametern  zum  preise  Klopstocks  (beeinflusst  durch  diesen  und  durch 
Pyras  „Tempel  der  wahren  dichtkunst**),  das  1752  durch  seinen  bruder  Gottlob 
Samuel  gegen  den  willen  des  jungen  dichters,  der  schon  hier  sehr  deutlich  vor- 
riet, dass  er  im  gnmde  keiner  war,  veröffentlicht  wurde.     Auch  in  der  zweiten  von 


408  WI1X0WSKI,  Ober  ellinqer,  Nicolai 

Altenkrüiger  neu  ans  licht  gebrachten  schiift  Nicolais  sehen  wir  ihn  dordi  die  mode 
in  eine  seinem  ganzen  weson  widersprechende  richtung  gedrängt  Aach  er  htt 
„freundschaftliche  briefo"  verfasst;  vier  solche  in  der  von  seinem  freunde  Patzke  1754 
herausgegebenen  Sammlung  werden  als  Nicolais  eigentum  nachgewiesen.  Sein  vorbild 
waren  aber  dabei  offenbar  nicht  Gollerts  musterbriefo  (wie  Altenkrüger  meint),  son- 
der Gleims  ^freundschaftliche  briefe**  von  1746.  Unrichtig  ist  es  auch,  wenn  der 
Verfasser  hier  die  atmosphäro  des  briefwechsels  zwischen  Gleim  und  Jacobi  zu  finden 
glaubt;  denn  in  der  zweiten  periode  von  Gleims  Anakrcontik  (seit  dem  ende  der 
sechziger  jähre),  der  dieser  angehört,  herrscht  ein  ganz  anderer  stil  und  eine  mehr 
süssliche  Stimmung,  die  sich  deutlich  in  der  fmher  fehlenden,  übermässigen  Verwen- 
dung der  Amoretten  kund  gibt. 

Auch  die  bereits  bekannten  Schriften  des  jungen  Nicolai  ßnden  in  Alteokrügers 
darstellung,    die  bis   zu   den  litteraturbriefen   führt,   bessere  Würdigung  als  bisher. 
Vorausgeschickt    ist    eine   schildei-ung   der    in   botracht   kommenden    periode  seines 
lebens,   die  hauptsächlich  den  bildungsgang  des  autodidaktcn   betont,    das  bekannte 
sorgfältig  zusammenstellend  und  es  um  manchen  neuen  zug  vermehrend.    Freilich 
stört  liier  mehr  als  in  den  folgenden  abschnitten  eine  gewisse  unboholfeuheit,  die  dem 
Stoff  noch  nicht  das  rechte  leben  einzuhauchen  vermag.     Auch  wäre  wol  mehrfadi 
unter  verweis  auf  leicht  zugängliche  ältere  daretoUungen  zu  kürzen  gewesen,  schon 
um   die  widorholte  büspiocbung  der  Schriften  in  den  folgenden  abschnitten  zu  ver- 
meiden,   während  wir  dort  hier  und  da  grössere  ausführlichkeit  wünschten,  beson- 
ders bei  der  „Abhandlung  vom  trauei-spielo",    wo  es  sich  empfohlen  hätte,   die  ent- 
Wicklung  der  anschauungen  Nicolais    auf  grund  des  briefwechsels  mit  Lessing  noA 
Mendelssohn   vorzuführen.     Im  übrigea    ist  gerade   die   behaudlung  der   .,  Bibliothek: 
der  schönen  Wissenschaften"  sehr  gut  gelungen,  indem  ihre  rolle  in  der  gleichzeitiger! 
Journalistik,    ihre  bedcutung,  sowie  anteil  und  einfluss  der  einzelnen  mitarbciter  klar 
nachgewiesen   wird.      Bei  den   „litteraturbriefen''  durfte    sich    der  Verfasser  kürzer 
fassen,  da  alle  hier  in  botracht  kommenden  punkte  häufig  und  gründlich  genug  erör- 
tert sind. 

Weniger  kann  das  befriedigen,  was  Altenkriiger  über  die  wichtigste  schrift 
Nicolais  aus  dorn  behandelten  Zeitraum,  die  „Briefe  über  den  itzigon  zustand  der 
schönen  Wissenschaften  in  Deutschland*^,  sagt  Die  grundlagen  sind  nicht  breit  genug 
gelegt,  die  einzelnen,  an  siiih  richtigen  und  wertvollen  bemerkungen  schlies.sen  sich 
nicht  fest  genug  zusammen  und  zumal  war  das  Verhältnis  von  Nicolais  kritik  zu  dor 
Ijcssings  ausführlicher  zu  erörtern,  seine  abhängigkeit  von  dem  grossen  voipinger 
genauer  zu  untersuchen. 

Zum  glück  tritt  hier  Ellingers  einleitimg  ergänzend  ein,  die  nach  allen  Sei- 
ten hin  genügend  orientiert.  Auch  da,  wo  Altenkrüger  nicht  schai*f  genug  das 
jugendlich  übertriebene  in  Nicolais  polemik  gegen  Gottsched  hervorhebt,  insbesondere 
bei  der  Batteuxübereetzung,  berichtigt  das  ruhigere  urteil  des  herausgebers  der  hriefc 
seine  etwas  zu  günstige  ansieht. 

Die  beiden  besprochenen  Schriften  füllen  in  trefflicher  weise  eine  lücke  in 
unsrer  littorarhistorischen  kenntnis  aus,  indem  sie  uns  den  tätigen  genossen  Ijessiogs 
in  seiner  Berliner  und  der  zweiton  Leipziger  zeit  als  erfolgreich  strebenden  und  in 
die  allgemeine  litteraturbewegung  dor  fünfziger  jähre  des  vorigen  Jahrhunderts  ein- 
greifenden vorführen.  Beide  vordienon  die  aufinerksamkeit  und  den  beifall  derer,  die 
sich  mit  dieser  [)eriode  eingehender  beschäftigen. 

LEIPZIO.  OEORO  WITKOWSKI. 


BBUHN,    ÜBER   KNAÜTH,    OOETHRS   SPRACHE   UND   STIL  409 

Goethos  Sprache  und  stil  im  alter.  Von  Paul  Knaath.  Dissertation, 
aipzig  1894.    In  comm.  bei  G.  Fock,  Leipzig.    46  s.    4.    1,50  m. 

Wer  spräche  und  stil  eines  dicliters  untersucht,  der  will  dadurch  entweder 
rkentnnis  der  spräche  oder  die  dos  dichters  fördern:  er  will  entweder  zoigen,  wie 
pracho,    in  welcher  der  dichter  schrieb,    zu   einer   bestimmten  zeit,   innerhalb 

bestimniton  kulturkreises  sich  darstellte,  oder  er  will  in  der  eigentümlichen  aus- 
ng,  welche  der  dichter  der  spräche  seines  Volkes  gab,  des  dichters  oigenart  und 
?gang  nachweisen.    Knauths  streben  ist  mehr  auf  das  zweite  ziel  gerichtet,  und 

er  zum  gegenstände  solcher  Untersuchung  sich  Goethe  wählte  und  sich  hier 
•  die  letzte  poriode  des  dichters  abgrenzte,  so  hat  er  sich  damit  ohne  zweifei 
rnchtbares  thema  erlesen.  Denn  wo  gäbe  es  einen  so  charakteristischen  stil  wie 
ies  greisen  Goethe?  und  wo  fände  sich  anderseits  für  solche  forschung  ein  so 
haltigos  jnaterial,  wo  eine  solche  fülle  von  Zeugnissen  über  dos  dichters  inneres 
iiussorcs  leben?    Knauth  hat  für  die  erscheinung,  welche  ihn  zu  seiner  abgren- 

dos  thomas  berechtigt,   für  das   auftreten  eines  neuen  und   charakteristischen 

eben  bei  dorn  greise,  überhaupt  keine  analogie  gefunden:  eine  gibt  es  doch, 
ich  die  mit  Platon,  auf  die  Ulrich  von  Wilamowitz-MooUendorflP  (Aus  Kydathen* 

hingewiesen  hat,    iudom  er  feinsinnig  parallelisierend    die  aufgäbe  stellt,    „die 
cklung  des  stils  bei  den  beiden  grössten  Stilisten  von  Werther  —  Phaidros  bis 
;n  waFulorjahren  —  gcsetzen"  darzulegen. 
Knauth  ist  au  die  lösung  dieser  aufgäbe  wol  gerüstet  herangetreten.     Nicht 

äussorlicho  belosenheit  nur  in  der  Goetheschen  poesie  ist  gross;  er  hat  sich  in 
ichtungon  der  spätzeit  wirklich  hineingedacht  und  hineinempfunden ;  erlegt,  wenn 
ro  spräche  erklärt,  nicht  bloss  richtscheit  und  winkelmass  der  grammatik  an, 
ru  folgt  der  sichern  leitung  eines  feinen  Sprachgefühles  —  wie  er  denn  auch 
L*  nicht  das  farblose  Papierdeutsch  der  dissertationen,  sondern  einen  wirklichen 
JC'hroibt.  Und  er  hat  auf  seine  untersuch mjg  rastlosen  fleiss  verwandt:  immer 
loueni  gesammelt  und  gesichtet,  mühevolle  statistische  forschungen  angestellt, 
1  resultat  er  dann  in  wenigen  zeilen  zusammenfasst,  abweichende  lesarten  sorg- 
berücksichtigt,  wo  der  dichter  übersetzt,  die  originale  eingesehen,  endlich  die 
nie  litteratur,  soweit  ich  es  kontrolieren  kann,  vollständig  herangezogen. 
So   ist  ihm  denn  auch   vieles  gelungen.     Die  poesie  Goethes  in  dieser  epoche 

ja  dem  ausloger  so  manches  schwer  zu  lösende  rätsei:    wenn  artikel,  konjunk- 

verhum  fehlen,  ist  ja  oft  genug  diese  oder  jene  beziehung  der  werte  auf  einan- 
lach  den  allgemeinen  gesetzen  der  spräche  in  gleichem  masse  zulässig  (oder 
ässig);  sichere  aufklärung  kann  für  den  einzelnen  fall  nur  geben,  wer  die  ganze 
?  dieser  periode  nach  solchen  gesichtspunkten  durchforscht  hat.  Ich  will  hier- 
esonders  auf  Knauths  auseinandersetzung  über  jene  eigentümliche  zusammen- 
mg  von  adjektiv  und  adverb  verweisen,  die  er  passend  „Übergang  zur  komposi- 

uennt  (s.  33  fgg.);  der  Verfasser  hat  hier  nicht  allein  die  verschiedenen  bedeu- 
nuan<.'en,   welche  aus  dieser  redeweise  sich  ergeben,  mit  gros.*ter  feinheit  geschie- 

sondern  auch  eine  anzalil  von  stellen,  an  denen  diese  Spracherscheinung  bisher 
i  aufgefasst  wurde,  einleuchtend  erklärt.  Noch  einen  zweiten  punkt  mochte  ich 
5U,  wo  die  fähigkeit  des  Verfassers,  dieser  poesie  nachzufühlen,  sich  besondere 

bekundet:  jenes  „hinwerfen  der  begriffe**,  wie  er  sich  in  dem  gesang  der  engel 

1)  Philologische  untersuch,  von  Kiessling  und  v.  Wilamowitz-MoellendorfP 
l  (Berlin  1878). 


410  BEUHN 

Faust  11731  —  34  zeigt:  ^Worte,  die  wahren,  Äther  im  klaren,  Ewigen  schatm 
Überali  tag.^  Hier  hat  Knauth  wirklich,  indem  er  die  sprachliche  erscheinnog  toi 
ihre  psychologischen  gründe  zurückführt,  das  höchste  ziel  des  Interpreten  erreicht - 
und  wie  vertraut  ihm  diese  rodeweise  des  Schriftstellers,  den  er  erforscht,  geworden 
ist,  beweist  er  s.  45,  indem  er  sich  selbst  jenes  hinwerfen  der  begriffe  zum  zwecke 
der  Charakteristik  gestattet 

Und  dennoch  kann  ich  nicht  finden,  dass  der  Verfasser  den  forderungeo. 
welche  die  aufgäbe  an  ihn  stellte,  wirklich  voll  genügt  hätte.  An  der  stelle,  wo  er 
seine  orgobnisse  zusammenzufassen  sucht  (s.  45),  nennt  er  unter  den  wichtigsten 
charaktorzügon  des  Goethischen  altersstiles  „zuerst  und  vor  allem  die  epigrammati- 
sehe  kürze  des  ausdnicks*^ ;  in  der  anmerkung  wideiholt  er:  „Ich  halte  vielmehr  die 
kompression  des  stiles  unbedingt  für  das  charakteristische.^  Nun  erinnere  man  sich 
einmal  an  stellen  wie  etwa  "Wanderjalire  I,  8  (Hempel  18,  101):  „Auch  hier  kam 
die  froundschaft  dos  oberamtinanns  zu  statten;  dio  entfemung  ihrer  Wohnorte  ver- 
schwand vor  der  noigung,  der  last,  sich  zu  bewegen,  sich  zu  zerstreuen. 
Hier  nun  fand  der  verwaiste  gelehrte  in  einem  gleichfalls  muttorlosen  familienkreise 
zwei  schöne,  verechicdenartig  liebenswürdige  töchter;  wo  denn  beide  väter  sich  immer 
mehr  bestärkten  in  dem  gedanken,  in  der  aussieht,  ihre  häuser  dereinst  aufs 
erfreulichste  verbunden  zu  sehen**;  oder  ebenda  s.  171  Bei  dem  gleichnisse,  bei 
der  parabel  ist  das  umgekehrte:  hier  ist  der  sinn,  dio  einsieht,  der  begriff 
das  hohe,  das  ausserordentliche,  das  unerreichbare.  Wenn  dieser  sich  in 
einem  gemeinen,  gewöhnlichen,  fasslichen  bilde  verkörpert,  so  dass  er  nun 
als  lebendig,  gegenwärtig,  wirklich  hervortritt,  dass  wir  ihn  uns  zueignen, 
ergreifen,  festhalten,  mit  ihm  wie  mit  unseres  gleichen  umgehen  können,  das 
ist  denn  auch  eine  zweite  art  von  wunder. **  Ich  denke,  man  wird  mit  lK?zug  auf 
solche  stellen  Lehmann  reclit  geben,  wenn  er  (Goethes  spräche  und  ihr  geist  s.  23) 
von  Goethes  ^.redseligem  greiscnstil^  spricht.  Hier  zeigt  sich  ein  befrcmdlichcr  man- 
gel  von  Knauth's  arbeit:  dass  (m*  die  prosa  uel>en  der  poesio  gar  nicht  zu  ihnrm 
rechte  kommen  liisst.  Er  hat  djuiurch  den  wert  seiner  orgebnis.se  wesentlich  geschmä- 
lert; denn  wenn  die  letzte  aufgäbe  solcher  untorsuthung  dio  zurückführung  der 
stilistischen  eigentümlichkoit  des  Schriftstellers  auf  innere  und  äussere  gründe  ist, 
so  müssen  doch  die  Wirkungen  dieser  Ursachen  da  am  ungetrübtesten  hervortret»'n, 
wo  der  redende  von  den  fesseln  des  nietrunis  und  des  reimes  frei  i.st.  Wäre  Knauth 
von  d«'r  prosa  ausgogaiigou.  so  würde  im*  ohne  zwoifel  die  brachylogie  der  jioesie  als 
ein  niclit  ursprüngliches,  sondern  abgcleittjtes  merkmal  dieses  stiles  erkannt  habon. 

Und  sodann:  zum  stil  «gehört  doch  nicht  nur  Wortbildung,  -beugung,  -fügung, 
sondcm  au(^h  dio  auswabl,  die  der  schriftsteiler  unter  dem  wertschätze  der  spräche 
trifft,  ist  für  ihn  im  höchsten  masso  charakteristiscii.  Jeder  fühlt  ja  lK»i  der  loktüre 
der  späteren  prosaschrifton,  wio  gemässigt  hier  überall  die  teniperatur  des  enipfio- 
dens  ist:  wie  leicht  liesse  sich  dies  gefülil  zu  klarem  ])e\vusstsein  erliel»en,  wenn 
man  et^va  die  ausdrücke  dos  lobes  und  tadeis,  die  Goetbe  hier  gebraucht,  zu- 
sammonsti'Ute!  lirh  gebt»  einige  beispiele,  bei  denen  ufis  jene  Zurückhaltung  im  aus- 
dru(;k  bt.»sondei-s  b«'frenidet.  Rln'inreisc  1H14  und  15  (Hempel  26,  229):  Mittag  war 
schon  vorbei  und  do(.*h  ein  wagen  augenbli<:klich  bi'stt»llt,  um  den  weg  ins  an^'e- 
n  eh  nie  Rheingau  zu  sn<hen;  recousion  aus  dem  jähre  1818  (H.  29,  622):  Der  nam^ 
Maria,  durch  webhon  die  ältere  kiiche  jede  .  .  lehre  höchst  anmutig  zu  machen 
weiss;  aufsatz  von  1817  (II.  34,  8S):  Werden  sie  (plagiate)  aber,  wie  es  auch  wol 
geschieht,  von  tab'ntvoUen  persunon  ausgeübt,  so  erregt  es  in  uns  auch  bei  fremden 


411 


llegeolieiteo  ein  inisebehagen,  weil  durch  scbloolite  mittel  ehre  gesucht  worden, 
iten  zum  Divan  (H.  4,  287):  So  höchst  orfrenlich  sie  (unsere  Nibelungen)  sind, 
la  man  sich  in  ihren  kreiH  reaht  ebhilrgert  . . .,  so  wunderlich  erscheinen  sie,  wenn 
I  «e  BItch  einem  massstabe  niisst,  den  nuui  nieinals  bei  ihneo  anschlagen  sollte; 
hsion  von  1822  (H.  29,  590):  Ae^t  und  bangigkeit  steigerten  sich  jedoch,  als  ein 
in  nach  dem  tode  bei  einem  unatetigee  leben  auf  erden  immer  wünschonswer- 
erschien;  reoension  ron  1831  (H.  29,  730):  Desto  erwünschter  (ist)  ein  fun- 
meoscbljclilieit,  der  wie  ein  stero  die  düsteren  gewelbe  weun  auch  nur  schwach 
.  «Awauliend  erleuchtet;  Rhoinreiae  1814  und  1815  (Ti.  26,  230):  Eine  kapeUen- 
16,  die  auf  grüner  matte  ihre  mit  epheu  begriieten  mauern  wundersam  reinlich, 
kIi  und  angenehm  erhebt;  reoension  des  nP&agstniontag"  (H.  26,  479):  Klärls 
ler  über  befüruhtoten  verlast  eines  einzig  geschätzten  mannes.  "Wenn  man 
vorkommen  von  wärteni  wie  angenehm,  anmutig,  behaglich,  erfreulich, 
löosoht.  heiter,  löblich,  reinlich,  schfitzbar.  achlitKenswert,  tüchtig 
ie  son  adjektiven  und  participien  mit  vorgesetztem  wol-  hier  und  in  dun  schrif- 
der  Fruikfurtev  zeit  statietigch  feHtstellte,  wie  klar  wüi'de  sich  die  pei'sönlichkeit 
n  und  dieses  Goethe  darin  abspiegeln! 

Knnuth  hat  seinen  stoS  nach  grammatisch-stilistischen  gosiuhtspuukton  grup' 
t    Mich  dünkt,  schon  dii.-s  bowoist,  diiss  er  den  gründen  der  Erscheinungen,  die 
iATStollt,  [licht  genügend  nachgegangen  ist    Dean  der  gewinu  für  das  verstüiuduis 
liersönlicbkeit  des  dichtere,  den  doch  eine  solche  Untersuchung  abwerfen  müsste, 
le  erst  dann  in  voller  klarheit  hervortreten,    wenn  die  gesanimettou  oinxelhoiten 
würden  nach  den  inneren  und  äusseren  Ursachen,  denen  sie  entspringen, 
will  auch  hier  nur  auf  einen  punkt  hinweisen.    Seit  der  Übersiedelung  nach  Wei- 
hst Goethe  ja  fast   alle  seine  werke  diktiert     Diese  gewohnheit  kann  doch 
^t  wul  ohne  einfliiss  auf  seinen  stil    geblieben  sein.     Wer  diktiert,    der  hat  — 
eine  neigung,  den  schreibenden  lediglich  als  mechanisches  Werkzeug  zu 
■ntUea  und  ihm  keinen  einblick  in  die  gdstige  eotstehung  der  betreffenden  Produktion 
tgeatatten.    Sobald  aber  im  diktieren  eine  pause  eintritt,  bat  der  diktierende  das  uabe- 

" dass  jemand  auf  deu  Vollzug  seiner  geistigen  lätigkeit  wartet,  ihn 

l>eubachtet.  Deshalb  hat  er  das  bestreben,  solche  paueon  niögliobst 
en  einti'etüu  zu  lassen.  Und  nun  ergeht  es  ihm  ebenso  wie  dem  prediger  und 
)  docenten:  um  die  zeit  zu  gewinnen,  in  der  er  durch  moditaüon  ein  neues  monient 
f^dankenganges  Gnden  kann,  reibt  er,  was  für  jeden  nur  einigermassen  spracb- 
1  ^wandten  menschen  leicht  ist,  an  einen  anedruck  niehrere  andere  un,  die  den- 
twgriff  enthalten,  nur  in  einer  etwas  anderen  bedeutungsschattierung.  —  So 
einerseits  der  diktierende  weitschweißg;  in  anderer  bcEieliung  dagegen  wird  er 
tht  mehr  kürzen.  Wenn  wir  uns  fragen,  was  durch  manche  der  von  Lehmann 
Enaath  gesammelten  spracbeigentümlicbkeiten  faktisch  bewirkt  ist  {so  durch  die 
idoDg  des  partidps,  die  fainzufü^ng  des  adverbs  zum  adjektiv,  die  eltipse  der 
),  so  ergibt  sich,  dßss  es  vor  allem  Partikeln,  prononüna  und  ,dio  lei- 
auxiliaten*  siud,  die  Ooetlie  dadurch  gespart  bat.  Gerade  diese  wörtohen  aber 
einen  euphonischen  bau  des  »atzos  iingemein,  da  sie  einerseits  in  der 
aehr  kurz  und  deshalb  fast  nur,  wo  sie  sich  au  grössere  Wörter  anlehnen,  für 
bufitelluug  rhythmischer  gehilde  verwendbar  sind,  andetseils  keinen  selbstitadigen 
ihalt  hallen  und  deshalb  fast  immer  beim  vertrag  tonlos  bleihea  müssen. 
uaotiteilu,  welche  mit  der  auwendung  solcher  Wörter  verbunden  sind,  empHn- 
dn  diktierande  lebhaft,    weil  er  jeden  satz  vor  dem  niederschreiben  laut  aus- 


412  BBÜHH 

Spricht;  er  kommt  aber  auch  lobliter  zur  auslassuag;  denn  indem  ot  jeden  satalnt 
und  mit  richtiger  Betonung  vorträgt,  inteiri^tjert  er  ihn  zugleich,  und  die  nib' 
veratündnisse,  in  welche  die  kürze  onchher  den  User  verwickeln  könnte,  Mit- 
gehen ihm. 

Endlich  aber  bat  Eoauth  seine  ganze  untcrsuchong  in  den  dienst  einer  tHodsni 
gestellt,  die  wol  nicht  mix  allein  die  fronde  an  seinen  erörterungcn  trübL  Ton  dn 
misbLUigenden  urteilen  Tischers,  Heines,  Börnes,  Gatzkows  und  anderer  über  d«ii 
Stil  des  Goothischen  alters  geht  er  ans  und  sagt  s.  2  ansdrücklich ,  äaes  es  oin 
xwDck  seiner  Untersuchung  sei,  „die  erhobenen  vorwürfe  zu  prüfen".  Prüfen  aba 
heisst  in  Knautbs  sinne  widerlegen.  Ich  will  duroh  einige  beispiele  die  metbodo, 
nach  der  er  die  fraglichen  epracheigentümlicbkeiten  zu  rechtfertigen  sucht,  kenn- 
zeichnen. Um  den  überkuhnen  gebmnch  des  datiVs  zu  erklären  (^drSngt  angesäunl 
TOD  diesen  mauern  jetzt  Monel BS  dem  moer  luriick",  , führe  die  schonen  an  künst- 
lichem reihe")  sogt  er  (G.3T]:  ,Auch  hier  haben  wir  eine  rückkehr  zu  dem  bnuich 
alterer  sprac b stufen ,  nur  doss  wir  hier  noch  über  das  mhd.  enrüakgi-eifeD  mü«»- 
ten  (!)...  Eine  nachabmung  der  alten  sprachen  . .  ,  liegt  zwar  gewiss  in  vielai 
fällen  vor  . . .  aber  nicht  minder  oft  war  es  lediglich  das  sichre  spraohgetühl  fnt  du 
Wesen  des  äa,tif»  (!),  das  bei  oller  ahweiohung  voin  UHnnllen  doch  zu  riobtigor  anww 
düng  dieses  casus  führte".  Über  die  stelle  im  Elfcochor  dos  Faust  „Tbaler  grüaeti, 
hügol  aeliwellen,  buschen  siiih  Kur  schattenrufa "  sagte  Yiscber,  Uoetlie's  Fml, 
Nene  heitriige  (Stuttgart  1875)  s.  117  mit  nnwiderleglicher  logik:  Darf  man  Hat, 
dann  darf  man  auch  sogen:  „die  Qfiche  grast  sich,  der  borg  bäumt  aicb,  der  tisck 
tucht  sich,  das  ttschtuch  löffelt  sich".  Knauth  erklärt  die  werte  gewisu  nofaüf 
„Sie  bilden  büsohe  aus  sich  hervor";  aber  wenn  er  nun  nachweist,  doas  sieb  M 
.unserer  einbildungskraft  ein  durchaus  bequemes,  nahe  liegendes  bild  biotef,  n 
kann  er  doch  eigentlich  selber  kaum  glauben,  damit  Tischers  kritik  wideri«^  n 
haben:  er  tiifft  ja  gar  nicht  den  puukt,  an  dem  Tiscber  anstoss  nimmt.  Noch  w 
letztes  beispiet:  ich  habe  vorher  die  reinfühligkeit  gerühmt,  mit  der  Knautb  jetM 
„hinwerfen  der  begriffe"  bei  Goethe  aufgefasst  hätte.  Aber  wenn  wir  diese  redowe« 
beurteilen  wollen,  so  müssen  wir  doch  zimüohst  fragen,  welchen  effekt  sie  til- 
sHchlich  hervorbringt,  Vnd  das  zeigt  sich  am  khirsten,  wenn  wir  den  redner  beohadi- 
ten,  der  sie  mit  absiebt  und  hewusstsein  als  kuustiuittel  anwendet  Wir  können  di« 
bei  Cicero  in  seiner  rede  De  provinoüs  consularibus,  wo  er  in  der  fieinttchini  ]tp 
ist,  seinen  börern  die  frage  beantworten  zu  müssen,  warum  er  jetEt  mit  e 
für  seinen  politischen  gegner  Caesar  eintrete.  Das  geht  so  leidlich,  bis  er  auf  dw 
leit  seiner  Verbannung  kommt,  Terschweigen  kann  er  nicht,  was  damals  geeobdia 
ist,  klar  aussprechen  kann  er  es  auch  nicht,  weil  dann  sem  jetziges  vurCabren  gui 
uubegreiflich  sein  würden  so  wirit  er  ilie  begriffe  hin.  ohne  üe  cu  sAtzcn  ansn^ 
stalten:  §43  ecce  ilta  ternjicstaH,  caliga  bonorum  et  subita  atque  iin|iravisa  fomUti 
tünehrae  rei  publlcae,  ruina  atijue  incendium  civitatis,  terrur  inieclus  Caesari  da  dv 
actis,  uictus  caedis  iKmis  emnibus,  consulum  scelus,  cupldilus,  audacia.  Also  dk 
Wirkung  dieser  ausd ruck s weise  ist  eine  Verschleierung  des  gedankens,  die  ans  ds> 
Inhalt  des  gesptucbenen  nur  undeutlich,  in  verschwommenen  umrissen  erkemmu  Unt 
Es  kann  Tälle  gelien,  wo  die  über  alles  mensuhliche  begreifen  liinausgebeode  onsr 
des  dargestellten  Objekts  biertu  nötigt;  aber  davon  abgesehen  soll  mir  eine  dsWtip 
Unklarheit  auch  In  der  poesle  niemand  als  eohönheit  einreden,  ~-  BegrcilUcli  itl  itl 
Standpunkt  ja  gewiss,  den  Knanth  und  viele  hentzutago  mit  ihm  (donebmeii.  litr 
und   mehr  wächst  die   erkenntniss,    dass    für   den    denker   (joethe    die   ^kIw  d» 


greisen  alters  in  der  tat  die  „^'P^^e  seinar  voUeDduDg",  dass  das  inasK  dea  veratäud- 
für  die  oft  so  dnoklen  worte  des  meigters  auch  für  den  leser  dos  mass  seiner 
9t;  da  ist  es  wol  begreiflich,  wenn  man  an  dein  bilde  des  hochTer- 
ehrten  nos  gai-  kein  fleokchen  and  st^ulichen  sehen  will,  wenn  man  sich  einredet.,  es 
sei  deni  gewaltigen  erlanbt  geweeeo,  „dem  gesetzlichen  leibe  der  spräche  die  linouhen 
in  etwas  zu  brechen,  die  gelenke  etwas  aoszuweiten".  Begreiflicli,  aber  niobt  rccbt. 
^Was  fruchtbar  ist.  allein  ist  schün  —  so  werden  wir  das  -riel  citierte  wort  Goethes 
am  sinoo  umwandeln  dürfen;  und  diese  Üoethischen  sßracheigonheiton  sind 
fruchtbar  gewesen:  oder  wüsste  unsere  heutige  poesie  etwa  von  den  „sich 
heerdenden  Schafen',  dar  „bräunenden  horde",  einem  „soeisch  heitren  feste"? 

In  solcher  weise,  meine  ich,  müsi^to  Roaath  das  gebiet  seiner  untersnohung 
,1U]d  den  ^reis  der  zu  untersuchenden  erschein  an  gen  erweitern,  die  autersuahung 
selbst  noch  mehr  in  die  tiefe  führen,  endlich  ablecVender  neben  absiebten  sich  ent- 
halten. Ent£ohlösse  er  sich  aber  dazu,  so  worden  wir  nach  den  proben,  die  er 
gegeben  hat,  von  ihm  eine  bcliandlung  dos  probien 
stfindnJB  des  dichters  weBeDtli'^h  forderte  und  Tertiefte. 
dem  Ton  ihm  charakterisierten  stile  zu  schlit 
gemeinte  t«denken  aufnehmen! 


'warten  dürfen,   die  das  v 

Möchte  er  denn  —  um  in 
I  solchem  sinne  freundlichst 


KIKL.  __^^_  BWALD    BRDHl». 

ncthes  leben  und  werke.  Mit  besonderer  rücksicht  auf  Goethes  btdeutung  für 
die  gegenwart  Von  Easen  Wolff.  Kiol  und  Leipzig,  lipsiua  und  Tischer.  ISg."). 
380  s.    5  m. 

leb  habe  miuh  nach  der  lekture  des  vorliegenden  buches  it1)er  Goethe  ver- 
geblich gefragt,  welchem  bedürfuis  es  abhelfen,  wolchem  leserkreise  damit  gedient 
I  sollte.  Eine  neue  Oootbebiographie  moss  heute  ihre  existenxbereohtigung  aub 
kräftigste  dokumentiten ,  sei  es  durch  Originalität  der  gesichtsp unkte  der  behandlaog, 
i  es  durch  volikominenheit  der  darslellung  und  komposition.  Wir  haben  gt<nug 
Diliebe,  mehr  oder  weniger  unzulängliche)  bücber  übor  Goethe,  als  dnxs  wir  nicht 
eee  komt>etenzfi-age  mit  aller  entschieden heit  aufwerfeo  und  mit  strengster  tritisuher 
}  lösen  sollten,  „fier  besondere  zuaatz  des  titels",  wird  man  mir  entgegenhoJ- 
Rn,  «zeugt  ja  aber  für  das  Vorhandensein  eines  ongiuelleu  ge^chtspunktes  in  Wolfb 
UrStellung  Goethes."  Wie  verhält  es  si(^h  damit?  Im  verlaufe  des  textea  hebt  Wolfl 
Hl  den  versobiodeneton  stellen  mit  emphase  hervor,  dass  unsere  heutige  gegenwart 
I  besseres  und  vernünftigeres  tun  könne  als  üoethos  weisheitsgedanken  in  tat 
unzusetzen  und  sich  von  seinen  ideea  allseitig  durchleuchten  und  befruchten  XU  lös- 
ten; dabei  begebt  er  dos  unglaubliche,  dass  er  s.  25b  in  Goethes  vers  „ich  muss 
inn  an  die  enkel  denken"  das  wort  ^enkel"  pressl,  das  natürlich  nichts  ab  im  all- 
gemeinen „künftige  gcnorationen"  hezeii'hnen  soll.  Ausser  diesen  paränetisehen  stel- 
len, die  zudem  nicht  frei  von  phrasenhnftigkGit  sind,  finden  wir  am  Schlüsse  des 
iwerka  ein  eignes  kapitel  „Goethe  in  der  nachnolt'  (3.313— 3ö2|,  einen  kurzen  abriss 
'  geschichte  der  beurtcilung  Goethes  bis  auf  unsere  tage.  Hier  begegnet  man 
merkwürdigen  urteilen,  z.  b.  einer  leidigen  verkennung  Visobers,  des  „tendenztäaen 
profeesors"  (s.  331),  dessen  geschiuhte  von  der  cigarrensohaclitel  gar  nicht  erwähnt 
~ ;  aber  auch,  was  mich  immer  am  meisten  schmenit,  einer  jetzt  bäuHg  gehörten 
taiobtachtuDg  Schillers  (s,  315  „der  durchgebildete  mann  und  die  selbstttndig  gereifte 
ten  aber  leheu  üi  Goethe";   s,  329  ,der  eines  meutors  wie  Schiller  bedarf); 


414  LKITZMANN,   ÜBER  E.    WOLFF,   GOETIIB 

Goethe  selbst  würde,  wenn  er  heute  lebte,  dieser  blinden  verkennung  SchiUeniD 
heftigsten  widersprechen.  Die  tendenz  zur  gegonwart  hat  dann  weiter  eine  sehr  eig»- 
artige  beurteilung  der  Goethischen  dichtungen  zur  folge  gehabt:  Goethes  alterspitK 
duktionen  sind  mit  unverkennbarer  Vorliebe  behandelt,  wogegen  die  dichtnogen  d» 
Jünglings-  und  manncsjahro  verhältnissmässig  schlecht  wogkommen  (an  den  Leipziger 
liedem  wird  s.  30  der  mangel  an  „dramatischer  entwicklung^  getadelt,  der  htnnk«« 
„Wunsch  eines  jungen  mädchens"  „frühreif  blasiert"  genannt;  die  Laune  des  ver- 
liebten hcisst  s.  31  „von  einem  kindlichen  horizont  ausblickend,  im  konventionelieD 
Stil";  beim  echten  schluss  der  Stella  wird  s.  87  „innere  cmpörung"  konstatiert;  ähn- 
lich noch  s.  144).  So  sind  denn  natürlich  die  Wanderjahre  und  der  zweite  Fftost 
die  kröne  der  Goethischen  poosie.  Alle  diese  tendenziösen  gedanken  sind  jedoch  kei- 
neswegs notwendige  ingredicnzien  der  Wolffschen  darstoUung;  dieselbe  ist  von  iliDen 
in  keiner  weise  etwa  durchdrungen;  ich  muss  daher  die  oben  gestellte  frage  nach 
dem  borechtigungsnachweis  des  Wolffschen  buches  ablehnend  entscheiden. 

Wolffs  art  Goethes  leben  zu  erzählen   ist   ohne  anschaulichkoit  und  fnschv. 
ferner  ohne  jede  innerliche  Versenkung;  ich  weiss  keine  andere  bezeichnung  als  gerip- 
pehaft; statt  eines  farbenreichen  gemäldes  erhalten  wir  nichts  als  eine  rohe  bieistift- 
skizze.     Dazu  kommt  eine  verhängnisvolle  neigung  zum   anekdotenhaften,   ja  zum 
klatsch:    man  sehe  s.  2.  15  (der  barbier  in  Goethes  väterlichem  hause  bei  der  mes- 
siasrecitation).    32.  44  (Lerse  bei  Goethes  disputation).     47  (Luise  von  Ziogler).   61. 
G7.  75.  126.   174.  227  (Bettina  und  Christiane).     232.   244  (Epimenides  im  Berlioer 
volkswitz);   wozu  das  alles?  —   Noch  schlimmer  sind  direkte  geschmacklosigkeitpn. 
deren  hauptsächlichste  aufzuzählen  ich  mir  nicht  versagen  kann:    „gemüt  hat  Gwthe 
von  der  nmtter  geerbt,    aber  rückgrat  vom  vater"    (s.  4);    „das  pärchen  verstündigte 
sich  wälirend  der  tafel  aufs  tretllichste  durch  die  eigentümlichste  aller  zärüichkeiteo. 
indem  die  geliebte  die  füsse  des  Verehrers  als  schemel  benutzte  und  so  ph^'sischi^ 
schmerz  mit  seelischer  wonne  gleichzeitig  in  ihm  zu  erregen  wusste"  (s.  26);  „die 
erste  grössere  anpflanzung  im  Ziergarten  von  Goethes  licipzigcr  i)oeRie''  (s.  31);  ^.den- 
noch  hatte  Wolfgang  unter  dem  unwirschen  wesen  des  vaters   schwer  zu  ächzen' 
(s.  33);  Bettina,  durch  ihre  abstammung,  so  zu  sagen,  „für  den  Goethekultus  präde- 
stiniert*  (s.  226);    „der  donner  der  kanonen  mochte  wol  den,    dessen  ohr  nur  dem 
melodischen  gesaug  der  musen  zu  lauschen  gewohnt  war,   ins  innere  seines  haa:>e!i 
verseht 'uchen**  (s.  240);    „der  64jährige  behen-scher  des  Parnass*  (s.  241);    „ein  poe- 
tisches,   von  den  schlacken  des  tages  freies  kostüni*   (s.  245);    „wie  hoch  sich  des 
dichters  liebe  über  gefühle  irdischen  genusses  erhebt,  gegenüber  Ulrike  wie  «len  mei- 
sten frauen,  die  in  seiner  poesio  fortleben**  (s.  253),  „Lottes  erscheinung  machte  nuch 
immer  eindruck,    nur  wackelte  sie  leider  schon  mit  dem  köpfe*   (s.  266);    *dio  idee 
der  entwicklung  hat  sie  eben  beide  angehaucht*  (s.  323).     Ich  brauche  nichts  hinzu- 
zufügen. 

Noch  einige  einzelbemorkungcn  seien  gestattet.  Nach  s.  36  (vgl.  auch  s.  56) 
soll  an  Goethes  noigung  zu  Friederike  die  .^poetische  imagination*  sehr  grossen  auteil 
gehabt  haben.  Ich  gestehe  eine  soh^he  behauptung  gerade  für  (Joethe  nicht  zu 
begreifen.  —  Die  Shakespoarerode  von  1771  soll  nach  s.  49  die  „erste  öffentliche 
manifestation*  der  geniepcriode  gewes^en  sein;  sie  erschien  zuerst  1854  im  druck.  — 
S.  152  teilt  Wolff  die  allgemein  verbreitete  falsche  ansieht,  dass  Tasso  am  ende  von 
Goethes  stück  an  Antonios  seite  einem  tätigen  lel)en  entgegengehe.  Für  jeden  vomr- 
teilsfD*ien  betrachter  des  Stückes  k<inn  es  keinem  zweifei  unterliegen,  dass  Tasso 
nem  geistigen  min  nahe  ist  und  im  Wahnsinn  endet,  der  schon  im  letzten  akta 


LKITZMANN,    ÜBER   MEYER,    OORTUB  415 

MngnissvoU  durchbricht  ^  Maa  hat  das  stück  immer  unter  der  zwaugsparallolo  mit 
dem  ergebnis  von  Goethes  italienischer  reise  für  seine  peraönliche  entwicklung  betrach- 
tet; aber  wie  hätte  Goethe  einen  solchen  Tasso  einen  gesteigerten  Werther  nennen 
tonnen?  So  wenig  "Werthers  Schicksal  das  Goethes  war,  so  wonig  war  es  Tassos. 
£s  würde  nicht  schwor  fallen  diese  auschauung  vom  ausgang  des  Tasso  eingehend 
za  beweisen.  —  S.  218.  Es  ist  nicht  wahr,  dass  den  personen  in  der  Natürlichen  toch- 
ter  durch  die  bezeichnmigen  könig,  herzog,  kammorfrau  usw.  etwas  an  bostinimthcit 
verloren  gegangen  ist.  Sind  Hermanns  eltem  in  Hermann  und  Dorothea  nicht  ganz 
scharf  umrissene  Charakterbilder,  der  prediger  und  der  apothekor  nicht  realistisch  bis 
ins  einzelne  individualisiert?  Auch  sie  haben  keine  rufnamen  vom  dichter  erhalten.  — 
S.  235.  Was  hat  Ibsens  Nora  mit  den  Wahlverwandtschaften  zu  tun?  —  S.  266.  Das 
urteil  über  die  dichtungen  dos  königs  Ludwig  von  Baiern  ist  zu  günstig.  —  S.  358. 
Wie  kommt  Jacob  Grimms  grammatik  und  besonders  Richard  Wagner  in  eine  Zeit- 
tafel zu  Goethes  leben? 

Verbesserungen:  s.  16  lies:  Racines  Britanniens,  s.  31  und  354:  1770, 
8.  42:  ein  mann  in  den  Vierzigern,  s.  70:  1774,  s.  113  oben:  himmelbrod,  s.  266 
z.  3 :  1827. 

1)  Die  ältere  ansieht  vertritt  von  neuem  wider  Düntzer  (Zeitschrift  28,  57. 
66 — ^71)  und  —  wie  mir  scheint  —  mit  sehr  guten  gründen,    o.  e. 

WEIMAR,   5.  MÄRZ   1895.  ALBERT   LEITZMANK. 


^oethe.    Von  Riehard  M,  Meyer.    Preisgekrönte  arbeit.    Berlin,  Hofmann.    1895. 
XXXI  und  628  s.    (Geisteshelden  13.  — 15.  band.)    7,20  m. 

Einer  unserer  vielseitigsten  und  universell  gebildetsten  jüngeren  germanisten 
"^t   uns   mit   einer   biographie  Goetlies   beschenkt,    die   nach  Inhalt  und  form  vor- 
^^glich   ist  und  zu  den  besten  leistungon    moderner  biographik   gehört.     Fast   alle 
^Sprüche,    die   man   an   eine   derartige   arbeit  gerechterweise  stellen  muss,   finden 
^ir  hier  erfüllt:   tiefe    durchdringung    des   Stoffes,    breite    und    intime  kenntnis  der 
einschlägigen   litteratur,    klarheit   der   disposition    und   ideenführung,    Selbständigkeit 
^d  Unbefangenheit   des   urteils   über   menschen    und  werke,    gewandtheit   der  dik- 
•  tion,   endlich   was  von  allem  am  woltuendsten  ist,  abwesenheit  jeder  hohlen  geist- 
reichen phrase.     Das  buch  wird  neben  Hermann  Grimms  Vorlesungen  über  Goethe 
in  der  litteratur  über  unsern  grössten  dichter  mit  in  erster  reihe  zu  stehen  haben. 
Je  gesättigter  imd  tiefer  aber  der  eindrack  dankbarer  erbauung  ist,  mit  dem  ich  von 
dem  buche  geschieden  bin,   um  so  mehr  erachte  ich  es  als  meine  reccnsentenpllicht, 
was  daran  auszustellen  ist    bis  ins  einzelne  und  kleine  hinein  darzulegen,    weil  an 
einem  solchen  buche  auch  der  geringste  flecken  stöit.     Möchte  der  Verfasser  im  fol- 
genden manches  für  eine  zu  hoffende  zweite  aufläge  vei*wertbare  finden!    Über  auf- 
fassuDgen  und  subjektive  oindi*ücke  will  und  mag  ich  nicht  mit  ihm  rechten:   nur 
dass   er   dem  unvergleichlichen  Werther   nicht  gerecht   wird,   dem   er   gerade   das 
abspricht,  was  ihn  gross  macht:  die  naturwahrheit  der  entwicklung,  dass  er  dagegen 
dem    zweiten   Faust   zu   viel   lobsprüche    spendet,    sei   hervorgehoben.     Unpassend 
sdieint  es  mir,   bei  Goethe  von   einem  in  aktion  treten  der  naturwissenschaftlichen 
Torstellung  der  Vererbung  zu  sprechen  (vgl.  s.  121.  145.  175.  192)  und  darin  einen 
modemeii  sog  zn  sehen:   in  diesem  sinne,   wie  sie  von  Goethe  hier  gebraucht  wird, 


416  LEITZMANN,   ÜBER  BfSTEB,   GOETHE 

ist  dio  Yoi'stellaiig  der  vercrbuDg  uralt  und  vor   allem  darum  unmodem,  weil  sie 
ohne  jeden  doktiinären  pathologischen  beigeschmaok  auftritt. 

Zunächst  ein  paar  benierkungen  zum  texte.  Die  bohauptung  s.  24,  dass  die 
^höllenfahrt  Chnsti**  17G2  entworfen  und  erst  1765  überarbeitet  sei,  hat  keine  gewähr; 
vgl.  Goethes  gospräche  7,  269.  —  S.  35.  Goothe  las  Shakespeare  in  Leipzig  sicher 
nur  in  einer  auswahl,  nämlich  in  Dodds,  des  von  Forster  geschilderten  betni£:e- 
rischcn  und  sittenlosen  Londoner  hofpredigers,  BeatUies  of  Shakespeare;  die  in 
den  bricfen  1 ,  47.  48  citierteu  stallen  aus  ,,Wio  es  euch  gcrällt"  stehen  k'i  DoJd 
hinter  einander  auf  der  oi*sten  seito.  —  Nach  s.  C4  soll  Goethe  aus  furcht  vor  dorn 
Selbstmord  aus  Wetzlar  geflohen  sein:  hier  scheint  mir  Meyer  doch  die  psycholo- 
gische entwicklung  jener  dinge  nicht  zu  durchschauen.  —  Die  verse  ,  schaff  dis 
tagwerk  meiner  bände**  worden  s.  110  in  die  zeit  des  Clavigo  gesetzt. 

Von  den  folgenden  Verstössen  leichterer  art  können  und  werden  sicher  manche 
auf  druckfehlern  beruhen  (so  erscheint  in  Jahreszahlen  eine  9  statt  einer  4  und  da- 
durch die  grösste  Verwirrung  s.  98.  100.  115  zweimal.  150.  252.  359.  430);  jeden- 
falls dürfte  ein  solches  buch  dann  nicht  so  sträflich  nachlässig  korrigiert  sein,  deim 
es  kostet  mühe  derartige  dinge  zu  übersehen.  Nach  s.  1  war  Goethe  1823  in  ila- 
rieubad  vicrundsechzigjälirig.  S.  30  wird  der  Dresdener  ausflug  des  Leipziger  Stu- 
denten in  den  herbst  1767  statt  in  den  märz  1768  verlegt.  Nach  s.  65  ist  Goethe 
am  21.  September  1772  aus  Wetzlar  geflohen  und  hat  tags  darauf  Kestners  besuch 
empfangen;  in  Wirklichkeit  lagen  zehn  tage  dazwischen.  Der  Götz  erschien  1773. 
nicht  1772  (s.  70).  S.  120  niuss  Cäcilic  in  der  späteren  bearbeitung  der  Stella  ster- 
ben! Goethes  einführung  ins  geheime  conscil  fand  1776,  nicht  1777  statt  (s.  IcJ^I, 
derselbe  fehler  s.  X).  Cornelia  starb  1777,  nicht  1778  (s.  138,  ebenso  falsch  s.  XIi 
Dio  erste  fassung  von  Claudine  soll  nach  s.  154  in  Italien  spielen.  Bei  gelegenh^H 
von  Goethes  aufcnthalt  in  Pempelfort  1792  wird  s.  226  erwähnt,  Jacobis  „ priM-htig«* 
frau**  habe  in  der  dortigen  geselligkeit  ein  haupteloment  gebildet;  sie  war  seit  aihi 
jähren  tot!  S.  252  ist  dio  erste  Harzreise  ein  jähr  zu  früh  angesetzt  Wilhehn  Mei- 
ster ei*schien  1796,  uiiiht  1797  (s.  253).  S.  307  wird  der  geologe  Werner  zum  pro- 
fessor  in  Göttingon,  s.  313  der  historiker  Sartorius  zum  geologen  gemacht!  Dername 
des  Ka.sseler  architoktcn,  der  zu  den  Wahlverwandtschaften  modell  sass,  war  EnjTcl- 
hard,  nicht  Eberhard  (s.  391).  S.  428  wird  aus  Johann  Baptist  Bertram  ein  dritter 
bruder  Boissereo!  Biumonbachs  abhandlung  über  den  bildungstrieb  erschien  nicht 
1789,  sondern  schon  1781  (s.  558;  von  mir  schon  im  Kuphorion  1,  490  verlwssi-rt).  - 
Warum  schreibt  Moy«T  konsiMjuent  «laÄobi  und  riunderswei/^w? 

Ein  hilssli(  her  flocken  auf  dem  buche  sind  endlich  falsche  citate,  selbst  hn 
ganz  bekannten  dichterstellen.  Ich  führe  eine  reihe  von  proben  an,  das  richtig«  io 
parentht'son :  „der  schäfor  schmückte  (putzte)  sich  zum  tanz**  (s.  37);  „selber  tJl 
auch  zu  sein,  so  wie  die  zeit  es  gebot  (selbst  auch  thüricht  zu  sein,  wie  es  die  wit 
mir  gebot)**  (s.  61);  „das  herz  des  Volkes  ist  .  .  .  keiner  edeln  bewegung  (begierde) 
mehr  fällig'^  (s.  73);  «nicht  jeden  Wochentag  (wochenschluss)  macht  gott  die  ret-he" 
(s.  95);  „füllest  wioder  berg  (busoh)  und  tal*  (s.  138.  144!);  „der  Jüngling  .. .  ervetit 
unstillbare  (unendliche)  sehnsuchf  (s.  193);  „jüugliug,  merke  dir  in  (bei)  zeib*o" 
(s.  196);  ^rettet  euer  bild  in  meinem  busen  (meiner  seele)"  (s.  206);  ^ein  werdender 
wird  (immer)  dankbar  sein**  (s.  235);  «die  sonne  könnt'  es  nicht  (nie)  erblicken"  (s.  25A 
517);  „ach  aus  dieses  tales  gründen,  die  der  ewige  (kalte)  nebel  drückt"  (s.  292!); 
„mein  lied  (leid)  ertönt  der  unbekannten  menge**  (s.  293!);  ,|dein  licht,  wer  kiu 
(will)  es  rauben"*  (s.  304);  „marmorschön  (marmorglatt)  und  marmorkalt^  (8.326.200^ 


K!)\  „hüchates  glück  dur  monschHukindur  (erde ukiu der)  sei  nur  die  pei- 
i.  43G.  530!)i  ,und  nach  dem  takte  reget  und  nach  dorn  takt  (moss) 
«eget  sidi  alles  an  mir  fort'  (s.  457 !)-,  ,grau,  lieber  (tenrer)  freuod;  ist  all«  tbeo- 
i"  (s-  S67I);  ,bist  da  aus  orde  (ans  ende)  gekommen"  (b.  595!);  ^über  allen  wipMa 
lipfeln)  ist  nih"  (s.  II2G:).  Das  heiast  dooh  wahrhaftig  goldene  dlchterwoile  nie 
AeidemÜDEe  behandeln. 

WEtUAK,    i.  KAI    I89G.  ALBERT    LEItZUAKH. 


kcharias  Werner.    Mystik    und   romantik    in    den    „Sühnen    das    tals". 
Von  Felix  Popiwuberg.    Berlin,  C.  Vogt.  1893.    80  b.     1,80  in. 

Wenn  man  von  Zacbarias  Werner  spricht,  so  denkt  man  aiinfichst  an  den 
VieniDdxwanzigsteD  Februar ",  jenes  stück,  das  die  reihe  der  sogenannten  sohluk- 
1  Deutschland  eröffnete  nnd  dem  nanien  Werners  cbe  traurige  berühmt- 
eit  veischafite.  Alle  seine  übrigen  dramen  sind  wenig  bekannt,  vor  allem  auch 
b  eistea:  Die  söhne  des  tals,  das  1803  und  1804  erschienen  ist;  die  meisten  leser, 
t  jene  werke  in  die  band  nahmen,  werden  eben  von  dem  ^raysteriÖseD  unBino' 
Boh  Scherers  aosdruok)  ahgeatosscn.  Manche  werke  Werners  werden  erst  verstand- 
äi  and  interessieren  erst,  wenn  man  sie  unter  dem  gesichtsp unkte  betrachtet,  den 
hon  Mad,  de  Stael  angibt,  dasa  sie  nämlich  our  mittel  zur  Verkündigung  seines 
■ystisohen  Systems  waren. 

Die  oben  genannte  Schrift  Poppenbergs,  die  ans  Jenes  oratlingsdrama  Werners 
9  den  niederscblag  seines  mystischen  Systems  erklären  will,  ist  deshalb  eine  dan- 
OBwerte  und  verdienstvolle  arbeit  tu  nennen.  Wir  haben  in  ihr,  abgesehen  von 
m  letzten  16  selten,  die  den  litterarischen  wert  dieses  dramatischen  gedichts  — 
Ibild  nur  so  kann  es  benannt  werden  —  und  sein  schiokeal  auf  der  bühno  nnd  in  der 
titifc  behandeln,  im  wesentlichen  eine  psychologisobe  Studie  vor  uns,  welche  die 
lOraassetxungen  dei'  niystik  Werners,  die  anklänge  derselben  in  der  dichtung  des 
17.,  IS.  und  19.  johrhunderta  und  vor  allem  die  ansgestaltimg  derselben  in  den  .Söb- 
1  des  tals*  zom  Vorwurf  hat. 

Kurz  orientiert  uns  der  votfasser  dariiber,  wie  aus  der  mehr  und  mehr  eistar- 
kenden  Opposition  gegen  den  ratioualismus  die  romantik  entstund,  deren  wurzeln  aich 
über  den  Gottinger  dichterkreis  hinaus  hb  auT Hamann,  Herder  und  Lavater  znrfick- 
Terfolgen  lassen.  Die  romantik  wollte  religion  und  maral  trounen  and  kuast  und 
religion  einander  dienstbar  machen;  der  dichter  ward  zum  mystischen  thoologen. 
Diese  religion  der  romantiker  aber,  dto  ihre  theologisobe  ausbildung  durch  Schleior- 
inacher  erhält,  ist  ablifingigkeitsgefühl  vom  Universum;  das  letzte  ziel  und  das 
höchste  glück  dos  menschen  ist  ihr  das  zurückfliessen  in  das  all. 

Ein  priester  oder  „mittler"  dieser  neuen  knnstreligion  wollte  Zaoharias  Wor- 
in seinen  „Söhnen  des  tals'  werden.  Penn  dem  aas  niedrigster  sinnenlnst  und 
religiöser  exaltation  zusammengesetzten  .gespreckelten"  Charakter  Zach.  Werners 
r  jene  gefühlsreligioii  der  romantiker  durchaus  angemessen.  Seine  lebenaweisc 
wurde  dadurch  nicht  berührt  und  gestraft  —  Zur  ausgestaltung  seines  Systems 
virkte  neben  dem  Stadium  der  romantiker  und  Rousseaas  besonders  mit  der  pei'sön- 
liche  verkehr  mit  Job.  Jac,  Mniech  in  Warschau,  sodann  der  eintritt  in  die  Ireimau- 
rerlögp  und  der  verkehr  mit  Christ.  Mayr  in  Königsborg,  von  welchem  sich  besonders 
1  den  „Söhnen  des  tals"  hervortretende  gleiehgülfigkeit  gegen  das  dogmatische 


n 


V 


418  AHLGRIHM,  ÜBER  POPPSNBERG,  ZACH.  WERNER 

bekonntnis   herschreibt.     Kurz    zusammongofasst   lautet   das   System  Werners:  Das 
unendliche  wird  angeschaut  durch  die  kunst,   gewonnen  aber  durch  die  vollständige 
aufgäbe  des  ich  im  tode,    der  also  (der  dahiugabe  des  ich  im  liebesgenuss  eotspre- 
chend)  die  höchste  woUust  ist.  —  Diese  lehre  wollte  Werner  der  weit  von  der  bühne 
predigen.    Er  benutzte  dazu  die  geschichto  von  dem  untergange  des  tempelordeos. 
Dem  ganzen  gab  er  den  titel  „Die  söhne  des  tals".    Der  1.  teil:    „Die  templer  auf 
Cyporn*  versetzt  den  Zuschauer  in  die  letzten  tage  des  ordens  auf  jener  insel;  der 
2.  teil:  „Die  kreuzesbrüder"  in  die  beiden  letzten  lebenstage  der  häupter  des  ordens. 
Aber  nicht  um  ein  streng  geschichtliches  drama  war  es  dem  dichter  zu  tun,  vielmehr 
benutzte  er  den  stofif  nur,   um  durch  das  ^tal*^,  jene  geheime  gesellschaft,  die  sich 
über  den  trümmem  des  von  Philipp  von  Frankreich  vernichteten  tempelordens  erhebt, 
seine  idee  von  der  wahren  religion  zu  verkünden.    Der  1.  teil,   in  dem  sich  in  der 
ersten  ausgäbe  von   1803  nur  ganz  dunkle  andeutungen  auf  das  tal  fanden,  wnrde 
1807  geschickt  umgearbeitet.    In  dieser  ausgäbe  weisen  die  beiden  mystischen  gestal- 
ten der  Astralis  und  des  geistes  Endo  schon  auf  das  „tal**  hin,    in  des.sen  dien.< 
(wenn  auch  unbewusst)   der  grossmeister  Molay,    der  grosscomthur  Hugo   und  der 
junge  schotte  Robert  d'Hercdon   stehen.     Astralis   und  Eudo   sollen    schon  als  das 
unsirjhtbar  über  dem  orden  waltende  Schicksal  erscheinen.    Diese  rolle  übernimmt  im 
2.  teile  der  erzbischof  Wilhelm  v.  Paris:   er  leitet  als  Werkzeug  des  „tals*  den  pro- 
cess  gegen  die  templer  so,   dass  die  Vernichtung  ihrer  edlen  häupter  erfolgen  muss, 
um  gereinigt  im  tale  aufzuerstehen.     Das  tal  aber  verwirft  die  templer,    weil  sie  - 
wie  die  rationaliston  —  ihren  mitgliedern  einen  freudeleeren   pflichtbegriff  gegeben 
und  die   religion  genommen  haben.    Denn  die  menge,    die  irrenden,    bedürfen  der 
mythologie  —  deshalb  duldet  das  tal  alle  religionen;   erst  in  femer  zukunfk  ist  viel- 
leicht zu  hoffen,  dass  alle  die  religion  des  tals  haben  können.     Dieser  höchste  glaabe 
dos  tals  hat  zum  mittolpuukt  die  aufgäbe  der  eigenen  persönlichkeit,  und  die  höchste 
aufgäbe  desselben  (oder  der  Werner'schon  religion)  ist  Vergöttlichung  der  menschheit 
durch  ert()tuug  des  eigenwillens.     Die  erste  handlung  der  selbstentäusserung  ist  die 
oj)ferung  des  eigenwillens  im  ^tal**,   die  letzte  ist  der  tod,   der  das  zerfliessen  in 
das  all  einleitet.     Werner  hat  diese  Weisheit  des  tals  einmal  in  mystischem  gewande 
in  der  —  von  Poppen])erg  treffend  erklärten  —  Phosphoruslegende  dargelegt,  die  im 
.3.  akte  dem  in  das  tal  eintretenden  Robert  vorgelesen  wird,    \md  vorher  schon  im 
2.  akte  in  der  widerwärtigen  ballade  vom  „ritter  von  Sidon**,  die  der  troubadour  dem 
im  kerker  schmachtenden  Molay  zur  tröstung  vorliest.    Deshalb  ist  der  tod  und  auch 
schon  die  krankheit  innig  zu  lieben,  und  wir  verstehen  nun,  wie  alle  geweihten  tal- 
mitglicder  in   foltcrwonnen  und  martyrien  wollüstig  schwelgen,    dem   tode  wie  der 
braut  entgegengehen  oder  schmerzlich  verlangen,    dass  bald  die  röte  der  wangen  in 
Schnee  und  dieser  dann  in  grün  zerrinne.    Denn  „aus  blut   und  dunkel  quillt  die 
erlösung**;  so  könnte  das  motte  des  Stückes  lauten. 

Dass  dieser  erotische  todes-  und  krankheitskultus  sich  auch  sonst  in  der  deut- 
schen littcratur  findet,  weist  Poppenberg  zunächst  durch  heranzieh ung  von  Spce, 
Scheffler  und  Jacob  Bälde  nach,  von  denen  der  letzte  der  Wemerscben  idee  am 
nächsten  kommt,  wenn  auch  hier  wie  bei  den  Ilerrnhutem  das  widerwärtige  dieser 
bilder  noch  in  etwas  durch  die  beziehung  auf  den  persönlichen  heiland  gemildert 
wird.  Damit  ist  schon  angedeutet,  dass  das  heilige  abendmahl,  das  grössto  myste- 
rium  der  christlichen  kircho,  in  dem  sich , die  gläubige  seele  mit  dem  üeiland  in 
leibhaftige  Verbindung  setzte,  in  vielen  fällen  frommen  gemütem  den  anstoss  za  sol- 
chen schwärmerischen  voi-st^llungcn  gegeben  hat.  —  Noch  von  anderer  voraussetnuf 


SCHMEDKR,    fSuYIl    FAHINBLLl,    OHtLLriRZKR    UND   LOFE   DX   TBJA  419 

gcLmgto  Novnlis  zu  einer  (!or  Wernersclien  vüllig  gleich kommondeu  wollüstigoii 
todesliübe:  frnh  hatto  er  die  varlobte  verloren;  aeine  vor^weifelts  trauer  aoUto  erst 
enden,  wenn  mit  dem  tedo  die  brautuanht  begioneu  würde;  in  ihrer  sinnlichen 
ausinaluni;  Tnud  er  schon  auf  erden  trost.  Jn  dem  tiefen,  selbstquälerischen  Novalis 
\rar  der  toi!  aach  doshalb  willkommen,  weil  er  Ton  ihm  orlosimg  von  idlen  schmer- 
sen  erhoffen  durfte,  jenen  schmerzen,  die,  aus  dersünde  entstehend,  doch  den  men- 
schen für  die  liebe  Gottes  erst  rocht  empfänglich  jiiaehen.  Poppenberg  ist  geneigt, 
in  anlehunng  an  E.  Th.  A,  Hoffmann  auch  zur  erkj&rung  von  Werners  Charakter 
jenes  verhÄltnis  von  Sünde  und  erlösung  heranzuziehen ,  so  dass  also  Werner  sich 
koDseiiRent  der  sündenlust  hingegeben  habe,  um  dann  um  so  überzeugungsti'oaer  der 
Veit  die  ertölung  des  floisches  predigen  zu  können.  Man  darf  aber  nicht  überaehen 
—  was  Poppenberg  auch  an  anderer  stelle  andeutet  — ,  doss  der  gmndzug  auch 
der  religion  Werners  sinnlich  ist,  und  dass  sie  ihm  nur  ein  neuer  kitzel  für  die  ana- 
geiehrton  nerven  war.  In  jedem  falle  erscheint  sein  charnkter  in  gleich  sohlimmoin 
lichte.  —  Ein  e.xkurs  über  apuren  solcher  tedesmystik  bei  Goethe  und  Rehbul 
beschliesst  den  hauptteil  der  schrift. 

Vielleicht  ist  es  mir  gelungen,  die  überreiche  fülle  des  materials,  dos  Pop- 
penberg  zur  tennzeichnung  der  todeserotik  der  romantik  unter  ausgedehnter  benutzung 
der  einschlägigen  litteratur  beibringt,  anzudeuten.  Er  beherrscht  sein  gebiet  und 
Weiss  uns  in  demselben  vortrefflich  zu  orientioron.  An  druckfehlem  sind  mir  nur 
s«hr  wenige  begegnet,  darunter  8,  55  in  den  vetsen  aus  Novalis  „opfer"  statt 
, opfern".  —  Nicht  genügend  acheint  ra'-r  nur  hervorgehoben  zu  sein,  dass  der  gO' 
danke,  der  measch  müsso  seinen  eigenwillen  zum  yeraüoftigen  gesamtwillen  oder 
(religiös  gesprochen)  zum  gotteswiilcn  vollenden,  und  er  könne  dies  erst  völlig,  wenn 
clor  tod  das  sinnliche  vernichtet,  ebenso  ein  glaubeossBtz  des  Christentums  wie  der 
Kautischen  moral  ist.  Dass  die  von  Werner  und  den  roraantikem  gepredigte  iiuietis- 
tischo  Opferung  des  cigennillens  und  ihre  wollüstige  todesliebe  etwas  anderes  ist, 
ist  klar.  Aber  ich  vermag  dann  in  dem  a.  61  citierten  spruehe  Ooethe's  und  in  den 
votscn  AUS  dem  Wesljistlichen  divao  nichts  specifisch  mystisches  mehr  zu  finden. 

Dem  werte  der  ganzen  Schrift  tut  diese  geringe  aosatellnng  wenig  abbmch; 
die  Sühne  des  tales  sind  von  Poppenberg  nach  ihrem  wahren  werte  bestimmt:  ein 
als  drnma  wertloses  werk,  an  dem  nur  die  lebendige  dramatische  Sprache  lob  TOr- 
int,  das  aber  interessant  ist  als  denkmal  einer  vielfach  irregehenden  myatik. 


[ 


llllparzer  und  Lope  de  Vega.    Von  Artnm  Farlnelli.    Mit  don  bildnissen  der 
dichter.    Berlin,  Felber.    1894.    SI  nnd    333  s.    6,50  m. 

Das  buch  macht  schon  dai'ch  die  wärme,  mit  der  es  geschrieben  ist,  einen 
erfreulichen  eindruct.  Die  einleitung  berichtet  ausführlich  über  die  lange  verkennung 
Lopos  in  Deutschland  und  nimmt  für  Oriltparzer  das  verdienst  in  ansprueh,  don 
Deubrcheu  das  genio  des  spanischen  dichtora  offenhält  zu  haben.  Farinctii  bespricht 
(Üuin  das  Verhältnis  der  drainenOrillparzera  zu  den  comediaa  von  Lope;  wo  er  bei  die- 
sen erörterungen  bisher  geltenden  annahmen  entgegentritt,  wird  man  ihm  meist  rocht 
geben  müssen.  Der  zweite  Imuptteil  des  bucbea  fasst  die  eigenen  aufzoiehnuugen  dos 
dichten)  mit  äneacruogen,  die  er  bekannten  gegenüber  zu  verschiedenen  selten  getan 
hat,  zu  einem  gosamnitbilde  Reiner  Studien  über  IjOpe  de  Vega  znsainmon.    Im  nllge- 

27* 


420  LRITZMANN,    ÜBRR   SCHSÖTRR  UND  TBIKLR,   nAMBÜROISCHE  DRASLkTÜBQR 

meinen  teilt  der  Verfasser  Grillparzers  verliebe  für  den  Spanier  und  findet  sich  mit 
den  urteilen  seines  landsmannes  über  die  einzelnen  comedias  in  übereinstiminiing. 
Doch  zeigt  er  sich  nicht  blind  gegen  Übertreibungen  und  berichtigt  gelegentlich  wl 
ungerechte  urteile  über  andere  Spanier  wie  z.  b.  Cervantes.  Das  Schlusskapitel  end- 
lich führt  in  ansprechender  weise  den  vergleich  zwischen  der  dichterischen  indivi- 
dualität  Grillparzers  und  der  seines  spanischen  lieblings  durch. 

Gegen  diese  und  jene  ansieht  des  Verfassers  (zum  beispiel  gegen  das,  was  er 
s.  41  über  den  trochaeus  im  deutschen  sagt)  wäre  wol  allerlei  einzuwenden;  als  gan- 
zes ist  sein  buch  ohne  frage  ein  wertvoller  beitrag  zur  Grillparzerlitterator.   fioe 
erstaunliche  belesenheit  ist  wol  schuld  daran,   dass  namentlich  in  den  anmorbuga 
zuweilen  dinge  zur  spräche  kommen,    die  mit  dem  thema  nur  in  sehr  entfantai 
zusammenhange  stehen.    Vielleicht  entschliosst  sich  der  Verfasser  für  eine  zweite  auf- 
läge, die  ich  dem  buche  von  herzen  wünsche,  aus  rücksicht  auf  die  zahlreicfaeD  des 
spanischen   gar   nicht   oder   doch   nur   mangelhaft   kundigen  Grillparzerfreunde,  die 
citate  alle  in  deutscher  Übersetzung  oder  wenigstens  von  einer  solchen  begleitet  za 
geben.    Der  darstellung  merkt  man  es  nicht  an,   dass  sie  aus  der  fedcr  eines  man^ 
nes  geflossen  ist,   dessen  muttersprache  das  italienische  ist;   nur  den  verunglückt 
satz  s.  54,  z.  6  fgg.  v.  o.  hätte  sein  stilistischer  beirat   nicht   durchschlüpfen 
sollen.    Die  ausstattung  des  buches  verdient  entschiedenes  lob. 

WANDSBSCK,   28.  FEBR.    1896.  J.   SCHMEDKS. 


Lessings  Hamburgische  dramaturgie.    Ausgabe  für  schule  und  haus  von 

drich  Schröter  und  Richard  Thiele.    Halle,  Waisenhaus.  1895.    VIII  und  535  at= 
Das  verdienst  der  vor  fast  zwanzig  jähren  erschienenen  grossen  kommentier' - 
ton  ausgäbe  der  Lessingschcn  dramaturgie  von  Schröter  und  Thiele  ist  allen  freut».— 
den  und  forschem,  die  sich  mit  Lessing  beschäftigen,  bekannt  und  unbestritteo.  Di*^ 
gleiche  lob  verdient  die  kleinere  ausgäbe  für  schule  und  haus,   welche  die  Verfasser 
jetzt  veranstaltet  haben.     Eine  einleitung  orientiert  ausführlich  über  die  äussere  ge- 
schichte  des  Werkes,   klar,   aber  knapp,   vielleicht  stellenweise  zu  knapp  über  des 
theoretischen  inhalt;  hier  hätte  manches,  was  die  anmerkungen  nachbringen,  bineio- 
verflochten   werden   können,    z.  b.    die   katharsisfragc    und   Lessings   Verhältnis  tn 
Shak(3speare   (vgl.  jetzt  Witkowskis  aufsatz  im  Euphorien  2,  517).     Im  texte  siod 
einzelne  für   schule   und  [haxLS  ungeeignete   oder   minder   wichtige   abschnitte  (z.  h 
die  musikalischen  benierkungen  zur  Semiramis,  die  langen  analysen  des  Essex  vod 
Banks   und   des   spanischen   Essex,    dis  beurteilung  der  Veränderungen   der  Teren- 
zischen  adelphi  durch  Romanus)  ausgeschieden,   was  man  billigen  kann.    Allseitige 
vor/üglicho  erklärungon  stehen  unter  dem  tcxt  und  bilden  den  fortlaufenden  kom- 
mentar,    in  welchem  auch   die  sprachform  der  dramaturgie  eingehend  berücksichtigt 
worden  ist.     Den  Verfassern  ist  es  gelungen,    die  bisher  verlorenen  theaterzettel  <i»'r 
Hamburger  entrcprise  in  der  Gothaer  bibliothek  zu  entdecken  und  für  einige  kleine 
korrekturcn  im  texte  zu  verwerten;   ein  besonderes  schriftchen  Thieles  (Erfurt  1895» 
orientiert  eingehender  über  den  wert  dieses  fundes.    Den  schluss  des  buches  büdeo 
ein  Verzeichnis  sämmtlicher  stücke  sowie  ein  grammatisch -lexikalisches  und  ein  Per- 
sonenregister.   Der  ausgäbe  ist  die  weiteste  Verbreitung  zu  wünschen.  —  Versehen 
sind  mir  in  der  einleitung  und  den  anmerkungen  kaum  aufgefallen:  s.  11  lies  «Bosch* 
statt  „Busch",  8.  35.  201  „Stüven''  statt  „Stüve". 

WRDfAR,   11.  SEPTEBCBER  1895.  ALBEBT  LBmCAKIT. 


i 


mSCELLEN, 
ixtlseu  oud  arthave. 

I. 

0.  Bronner  hat   in  dieser  zeitschr.  27,  386^309  mit  rooht  darauf  aufriiurk- 

3  gemacht,  dass  für  das  wort  erdisen  die  ibm  beiyBlegte  bodoutung  pflugeisen, 

iflngsobar  bisher  nirgends  nacbgenieBon,  ja  daaa  das  vorbaDdensein  des  wertes  in 

ollem  grade  zweifelbafl  sei.    Er  bemerkt  xutrefTend,    dass  iu  dem  gedicbto  „Tom 

tedite"  die  änderutig  des  handschriftlich   überlieferten  wrditea    (so,  nicht   ardUen. 

3  Brenner  mit  iniger  hezugnahme  auf  Schroeder  lutgibt,  steht  in  der  hEuidscbrift) 

in  erdUen  nicht  statthaft,  nnd  dass  anch  an  der  zweiton  stelle,  an  der  uns  das  wort 

begegnet  (Mon.  Buiea  TIH,  258),  die  nherU«ferto  form  (erdytin  uder  erdt/sir)  nicht 

ureichead  gesichert  sei.    Auf  einem  Irrwege  befindet  er  sich  aber,  wenn  er  an  beiden 

teilen  lerdisen  bezw.  erdisen  durch  eidUen  {=  ogg-eison]    2U  ersetzen  vorschlägt 

md  den  voD  Edw.  Schroeder  im  Anz.  f.  d.  alt   17,  29t  gegebenen  hinweis  aaf 

!  form  ardiaen  ablehnt.    Doe  bisher  meines  Wissens  unbekannt  gebliebene  wort 

iSCTt  frene  ich  mich  durch  folgendo  drei  urkundliche  stellen  belegen  zu  können: 

1)  Verleihung  eiues  fleckens  sosehen  Ittingißhtisen  unde  Abem-Bcsgingen 
eilans  des  grafen  Juhann  von  Solms  an  den  waldäclimied  Hndiger  am  29.  September 

l44S  behufä  ontegung  einer  waldschmiede.  Der  beliehene  soll  davon  jerlie/i»  of  g, 
thrtins  tag  in  une&^  keinen/  yein  Liehe  x«  erbexinß  geben  6  ffulden  geldes  Fraacken- 
1  tragen  isfTts  unde  xweye  par  itrtysen.  Gedruckt  bei  Bauer, 
[essiscbe  urkundeu,  hd,  IV  nr.  166  s.  15T  fg.  nach  dem  original. 

2)  In  der  nBeschreibong  aller  Kübehörden  des  hauses  Glyperg,  de  1412'  (Nos- 
copialbnch   des   nrchivs   zu  Wiesbaden  nr.  45)    bt  über   die    Waltamit   (Hot 

[ohmitte  bei  Godhoim  a.  d.  Bieber)  bemerkt:  Ilmn  die  walluritit  und  Rodheim  geiiS- 
't  allein  gein  OIgperg  mid  gildet  jars  der  hergehaffi  12  geboni  gttts  issens  und 
'ry  par  gutes  ardisen  uff  das  aios  ülgperg  usw.  Oodruokt  nach  dem  oripnal 
.  Ritgen,  Regesten  zur  geschichte  von  Oleiberg,  im  2.  Jahresbericht  des 
Jberhessi sehen  Vereins  für  lokalgeschiohte  (ISSl)  e.  64. 

3)  Am  9,  februar  1421  wird  von  graf  Philipp  I.  von  Nassau- Woilburg  dem 
aldsctunied  Otto  von  Weilmünster  die  zu  Weilmünster  gelegene  waldsubmiede  ver- 
ihaa.  Er  verspricht  dagegen,  dass  er  und  seine  erben  dem  grafen  Jerttchin  x« 
\tlde  g^in  sollin  uff  sant  Martins  lag  mit  namen  echte  icagen  ysena  unde  fitrv 
har  ardt-tten,  dax  ist  mit  namen  ficre  Mch  unde  fier  gehar,  unde  die  enlufurien 
f  unser  kost  ww/fe  scAaiden  gen  tt'ilburg  uff  die  burgk.  Die  Urkunde  ist  nach 
Un  original  abgedruckt  bei  Becker,    Geschichte  des  bergbaues  und  des  bcrgrecbts 

I  dem  vormaligen  Na&sau'schen  amte  Weilmünster,  in  der  Zeitsclirift  für  bergrecht 

:Vni  (1877)  s.  483, 

Durch  die  zuletzt  angeführte  stelle  wird  die  bedeatung  des  neu  gewonnenen 
roites  ausser  zweifel  gesetzt:  unter  ariiscn  werden  die  beiden  am  pflüge  befindlichen 
,  die  pflugschar  (vomor)  und  das  ptlugsech  (lat.  ligo,  cultor)  zuBauimcngcfasst. 
an  den  beiden  ersten  stellen  woMen  darum  als  abgäbe  des  waldschmieds 
.Bare  von  artisen  festgesetzt,  und  iu  der  oben  angeführten  Urkunde  der  Monumeuta 
'  hat  es  sich  olTeiibai'  gleichfalls  um  die  zinsabgabo  eines  paars  artisen  gehan- 


422 

doli  Zeugnisse  für  die  weite  Verbreitung  dieser  ort  von  ubgabe  lieSBen  Ait  irn| ' 
unechwor  in  grössQror  zaM  beibringen.  Hier  mogo  nur  noch  sD(;oführt  worden,  dm 
die  zu  Bet^iogerode  im  Hotz  bofiodliclie  eiseuhütte  des  klosters  Üsojiburg  dJawa 
U77  ein  plochblaih  and  ein  sefck  ia  liufeni  hatte',  daas  um  1411  —  1419  als  «hgiU 
der  oisenLütte  bei  Elbiagorodo  im  Harz  ad  den  biscliof  von  Halberst^t  Kwvi  placi- 
ijsonblal  und  zwei  eck  festgesetzt  waren,  vgl.  Jacobs,  ürkuudonbucli  der  Stadt  Weni- 
gerodu  (Geschichtsquellen  der  provinz  ^ai^haen  25)  s.  16:1,  dass  Temer  schon  1030  ila 
abtei  zu  St  Marien  bei  Trier  von  dem  markte  Ilasholder  bei  Bitburg  als  zins  fontr 
umis  ettm  cuUro  jährlich  geliefert  wurde.  Vgl.  hierfür  Beyer,  Urkundeobnch  lur 
gofichicbtö  dfli  inittolrbeiniaohen  temtorien  hd.  I  s.  354,  In  dem  gütervetzeichuis  4ci 
klusters  Prüm  von  803,  bezw.  1222  (Beyer  a.  a.  o.  s.  161  aum.  3)  oischeiuon  oatB 
den  abgaben  eines  hofes  „ferramenta  aratri,  quae  vocautur  scar''.  Ob  es  gidi  In« 
nur  um  die  abgäbe  von  pflngschaten,  oder,  was  wahrsoheinliober,  um  die  oiiies  pin 
artüen  handelt,  läast  sich  bei  der  anbeutimuitheit  des  aasdrucks  nicht  entacheidEL 
Dttr  Eohulthoiss  dee  abtes  zu  Münster  im  St  Cregonenthal  halte  jährlich  ilem  ibtt 
■'  pfiugys«!  *e  jeglieker  v^lyen  eins  ku  liefern  (IJrkuudo  von  1339  bei  Schüepflio, 
Alaatia  diplomatica  U,  1Ö3  nr.  980). 

'Wenn  artiacH  an  der  von  Bi'eoQer  behiindelten  stelle  des  gedichtes  ,Vom  nchli', 
wie  es  scheint,  in  der  enger  gefassten  bodoutung  von  pflngsuLar  gebraucht  vt>t 
au  liegt  wol  die  gleiche  liceuz  vor,  die  im  heutigen  aprauhgebrauch  hSufig 
an  die  stelle  von  pflugschar  treten  läast. 

A!s  die  bedeatiug  von  art  bezeichnet  Brenner  bd.  27,  387  „ganz  ollgn 
^landbau";   artiaen  wäre  also  nach  Brenner  „ökonumie- eisen,   doch  ein  la  v 
bcgi'iff".    Nachdem  für  artisen  dio  bedeutung  „pflugciscn"'  tostgostelll  ist,  wini 
aber  arl-  notwendig  in  engere  Verbindung  mit  der  pllügnng  bringen  uud 
müssen,  dass  art  in  der  zusammensetzmig  aiiisun  seine  nrsprüaglicbu  bodetttung  = 
aratio  (oder  =  aratram?   vgl.  alts.  crida,    altnord.  arär)  nodi  bis  zum  aosgang  dn 
mittelaltora  beibehalten  hat'. 

Den  vorstehenden  nuaführungen  des  horm  Verfassers  fügt  E.  Schröder,  <l« 
sie  uns  übermittelte,  die  nachfolgenden  bomerkungcn  hinzu: 

1)  ürkundenbuch  des  klo^ters  üi^enburg  (Oeschiditsiia.  der  prov.  Sacb«^ 
bd.  VI)  B.  379.  Vgl.  dazu  Ed.  Jacobs,  Peter  der  Grosse  am  Hars  und  ilie  LiillihM 
hütteuwerke  zu  iTsenburg,  in  der  Zeitschrift  dea  Harzvereins  f.  gesch.  n.  all-t. 
Jahrg.  XIII  (1880)  3.  254.  Im  jähre  1478  wurden  2  lampm  und  2  «etk.  »glui 
I  lampiia  und  1  seek  geztnsL  Jacobs  fasst  lampna  {lamrmna)  allgemein  als  tiffäm 
an  eisenblecb;  man  vermisst  aber  dann  eine  massbezeicbnung.  Mir  i-r$ube!nt  tka 
lammui  übereutznng  von  ploMlath  ('=  pflugschar),  welches  wort  übrigens  b«ä8*U- 
ler-Lübben  nicht  erscheint.  DieSenbach  ülossai'.  latino-germanic  B.  316  reaäA- 
oct  zu  lamen  u.  a.  die  glosscn  yscnt  und  eücnick. 

2)  Unter  pfUiwc-Jsen  hat  mau  im  mhd.  offoabar  in  der  regel,  vaan  auch  ml 
niclit  immer,  gloichrnlla  die  beiden  haupt-eison  des  pflugs,  die  sohar  und  du  wcfc, 
ziisfumnongefasst  Bo  verzeichnet  z.  b.  das  Inventar  der  DeutGch-ordens-liUuser  Iiffilv 
bürg  im  jähre  1487  u.  a.  S  eysern  pftSis,   7  par  p/Ifiy- 


vorher  12  anhoi;  10  sech  aufgeführt  waren  (Urkunden  zur  gesohidit«  dea  i  hiimilicin 

•      ■  ■  "         ■  - "       ■      ■    ;,  isasTli). 


hauptamts  Inalerburg,  herausg.  von  Ä.  Bora  und  P.  Hörn,  Inaterburg, 
3)  Zu  nrt  vgl.  Grimm,  Deutsches  wo rlerb.  I,  568  und  573.   VII, 
sehe   grammatik  IIT,  414.    Oesch.  d.  dculRchon  spräche  I,  55.    Nachweise  dM 


3)  Zu  art  vgl.  Grimm,  Deutsches  wo rlerb.  I,  568  und  573.   VII,  1774.    IW*- 

Grammatik  III,  414.    Oesch.  d.  dculRchon  spräche  I,  55.    Nachweise  dM  ■>■ 

braucbs  von  art  =  amiio  im  mittohiiederdi'iilscben  hei  Schiller- Lfibb^n  I,  130  q^ 


1  neuhodideu (schon  Ici  Heyne  1.  140,    (•rinim  1,  r>73  und  Biaub-Toblur,  Sdiwa- 
.  Idiotikon  I,  47,'t  fg.     Diu  gleione  von  Lexor  tiialit  bemerkte  bodeutUDg 


f 


Meiner  nbsiclit,  dos  im  „Becbf  bei  Ear^*aii  G,  IG  übeiiiefcil«  eenlüen  gegan 
Breunere  übereilt«  conjectiir  aidisen  zu  verteidigen,  ist  harr  oborbibliothekar  II.  Haupt 
mit  einer  belesäabeit  zuvorgekommen,  der  gegenüber  ich  mich  auf  wenige  sütue 
beavhränl^en  kiinn. 

Den  anläse,  in  im-disen  ein  mögliehes  ardixen  za  vennoten,  bot  mir  die  auf' 
fällige  sohreibung  mit  a.  loh  habe  aus  der  Mlllstätter  hdschr.  die  atacite  vom  Becht, 
Hochzeit  und  Physiologua  collaticiDioit  (Kar,  s.  3— 44.  73—106).  In  ihnen  konmit 
das  zeichen  <e  IliSmal  vor;  davon  Stollen:  I)118Mle  um  laut  des  ä  dai'  (cmgescblos- 
sen  das  dreimalige  slat,  das  natürlich  auf  aualogie  von  lat  80,  Iti.  94,  0  beruht); 
2)  43  fälle  gelten  der  jängoi'en  reap.  echwäoberen  umiautsstule  von  ä\  3)  2iiia] 
{itmien  9,  13.  niemim  28,  2)  bezeichnet  a  ein  im  nachloo  za  e  geschwächtea  a. 
Je  einmal  bezeugt  ist  ferner  tteidinch  und  maimischen  (anlehniuig  an  man);  Ecbmib- 
fehler  ist  das  erste  ee  in  gigmahl  94,  7.  Altes  e  ist,  trotz  vielhundertfaohem  vor- 
kommen, nur  einmal  als  a  geachriebon:  dwr  3<i,  20. 

Ea  ist  also  von  vom  h«rein  nicht  sehr  wahrsoheinlioli ,  dass  <e  in  aräiscn  als 
altes  e  wie  in  enie  zu  deuten  eei;  man  wird  es  am  ehesten  doch  zu  der  gruppo  2)  stal- 
hm,  und  sogut  neben  lOmal  tjeslahie  2mal  geslalite,  neben  geniirchcde  84,  4.  15  — 
gemachcde  88,  2,  neben  gesirWede  78,  I  —  gcsalbede  77,  19,  neben  geniiehekn  12,  12 
—  gemahelm  24,  12,  neben  abmehtigen  27,  12.  75,  10.  102,  9  —  eingalittger 
100,  12  vorkommt,  dürftun  wir  neben  /Brdism  bei  einer  widerkohr  des  Wortes  wo! 
auch  ardisen  erwarten  —  o<Ier  vielmehr  artisen! 

Denn  ich  glaube  allerdings,  dass  der  sobreiber  der  Millstätter  hdschr.,  indem 
er  statt  artisen  oder  auch  arlüen  der  vorläge  ardisen  schrieb,  dabei  eine  balb 
unwilltürliche  aunahormig  an  erdisen  vollzog,  uod  doss  er,  falls  er  überhaupt  eine 
etymologische  voistolluug  damit  verband,  diese  an  den  unmittelbar  vorher  (Ü,  7.  14) 
mehrfach  gebrauchten  ansdruok  ri*  (von)  der  ertlt  bringen  anlehnte. 

Nun  pflegen  solche  inecbanischen  wie  die  Volksetymologien  selten  sinnvoll  zu 
sein,  aber  dass  man  ein  wart  erdisea  an  aicb  zu  beanstanden  habe,  kann  ich  Bren- 
ner ganz  und  gar  nicht  zugeben,  erde  ist  im  gegensatz  zur  lockern,  staubigen  tnolU 
(Wurzel  mel,  mal)  das  feste,  consistente  erdreich,  und  da  jedes  einfache  oisorae 
iustrumcnt  metonyin  auoh  „eisen"  genannt  werden  kann,  so  wlire  ein  „eisen*  zum 
bearbeiten  der  „erde"  eben  ein  gerdeiseu". 

Nachdem  Haupt  das  gesuchte  artisen  .pSugeisen"  nachgewiesen  hat',  bedarf 
BS  kaum  noch  einei'  ausdrücklichen  zuiüokweiauQg  der  conjectur  aidüen  jOggoisen*. 
Die  „egge"  ist,  das  bestätigen  auch  die  glossierungen  trotz  aller  mauuigraltigkcit,  nie- 
mals ein  gerüt,  das  in  schwereni  erdreich  den  pflüg  ersetzen  kann:  meist  muKS  die- 
ser seine  arbeit  vorher  getan  haben.  An  unserer  stelle  aber  handelt  sichs  gerade  uui 
ein  Werkzeug,  das  tief  in  Ueu  unlängst  gerodutou  waldboden  eindringt.  Das  passt 
auf  den  p&ug,  aber  auf  keine  wie  immer  geartete  ,egge*. 

n. 

Im  Mild,  bandwiirtorbnuh  I,  98  führt  Lexer  unter  den  Zusammensetzungen 
mit  art  auch  art-houwe  mit  der  angeblichen  bedeutung  feldhaue  auf;   auoh  Uron- 

erscheint  an  der  von  Vümai',  Idiotikon  von  Kutliessou  b.  10  angesogenen  stelle  einer 
urknndp  von  1416:  iglick  fortecrgk  sai  jerHchen  xu  ydtr  art  eren  cgnen  lag,  und 
in  einer  Urkunde  von  1388  bei  J.  Amoldi,  Beiträge  zu  den  deutschen  glossarien  h,  8. 
1)  In  einer  fwaa  imjnerhin  erwiibnt  sein  mag)  von  altalemannischen  Biodluu{i;un 
durchür^tzten  lundscbuft;  vgl.  übrigens  auch  Creceliu-M,  Tilmar  und  den  Westorwäldor 
Bclimidt  s.  V.  art  u.  IL 


J 


424  HÄUFT,   ABTISEN   UND  ABTHAVE 

Der  Zoitschr.  27,  387  lässt  die  bedeutmig  bauernhacke  gelten.    Das  wort  begegnet 
soweit  ich  sehe,   nur  an  einer  einzigen  stelle,   nämlich  in  dem  von  herzog  Otto  tod 
Baiem  1311  den  bairischen  ständen  ausgestellten  freiheitsbriefe,   der  unter  anderem 
auch  bcstimmungen  über  die  bestrafung  von  diebstahl  gibt    YgL  G.  v.  Lerchen- 
feld.   Die  altbaierischen  landständischen  fireibriefe  (1853)  s.  1  und  register  278,  wo 
dem  werte  die  unmögliche  bedeutung  „das  erste  oder  alt-heu*^  unterlegt  wird; 
auch  abgedruckt  in  den  Quellen  u.  erörterungen  z.  bayer.  u.  deutschen  gescbidite, 
bd.  YI  (Monumeuta  AVittelsbaccnsia  II)  s.  184.    Ist  an  dem  diebe  die  todesstrafe  voll- 
zogen,  so  soll  nach  dem  freiheitsbriefe  „auf  dem  guet  beleihen,    da  der  deup  auf 
gesessen  ist,  same  arthaue ^  und  was  ze  recht  darzu  gehört;  von  dem  andern  tailsul 
gefallen  des  deubes  hausfrauen  und  kinden,   ob  er  sy  hat,   das  drit  tau;  das  and^rr 
guet  alles  gefellct  dem  herron,  auf  des  guet  er  sitzet.    Hat  aber  er  weder  weib  noch 
kind,   so  gofollot  es  alles  dem  herren.^     Es  handelt  sich  an  unserer  stelle  offenbar 
darum,   aus  dem  nachlasse  des  bestraften  diebes,   der  als  hintersasso  gedacht  wird, 
dasjenige  auszuscheiden,   was  nicht  gegenständ  einer  tcilung  zwischen  seinen  hint'T- 
bliebonen  und  seinem  gutsherm  werden  soll.    Der  zusatz  5a;/ic  (idem,  LexerU,  o9(i) 
weist  darauf  hin ,  dass  das  ausgesonderte  objokt  in  seinem  bestände  nicht  aitcriert  wer- 
den soll;   die  werte  und  was  %-e  recht  darxu  gehört  bezeichnen  arthaue  als  einen 
complex  verschiedener  gegenstände.     Die  bedeutung  „feldhaue*'  kann  unter  diesen 
umständen   nicht   in   frage  kommen.    Dem   richtigen   sinne   des  wortes  werden  wir 
dagegen  durch  die  betrachtimg  der  in  einer  Urkunde  des  Jahres  1262  über  die  eigen- 
tumsvorhältnisse   der  hintcrsassen  des  Passauer  domkapitels  getroffenen  bestimmon- 
gcn  (s.  Quellen  und  erörterungen  zur  bayer.  und  deutschen  geschichte,  bd.  V  [Monn- 
menta  Wittelsbacensia  I]   s.  189)   näher  kommen.     Dort   heisst   es:    „Si   advocatns 
voluerit  cogcre  rusticum  nostrum  per  pignus  aliquod,  non  tollet  araturas  nostra^ 
quod   vulgo   hofgeriht   dicitur,    ne  propter  hoc  locus  ille  incultus  remaneat  et 
desolatus.*    Unter  dem  „gericht",   „hofgerichf*,  „hausgericht",  ^gutsbericht"  verste- 
hen die  bairischen  rcchtsurkunden  bis  auf  die  neuzeit  herab  die  ausstattung  eines 
hofs  mit  geraten,  vioh,  futter,  düng,  speisevorräten  usw.,  die  in  der  regel  der  grund- 
hcrr  als  cigentum  anzusprechen  hatte;  vgl.  Schmeller'  II,  38.    Grimm,  Deutsches  Wör- 
terbuch IV,  1,  3636.    Um  nichts  anderes  als  um  diese  aratura*  oder  hofgeriht  yM 
OS  sich  an  der  obigen  stelle  handeln:  die  im  engsten  sinne  zum  gute  und  zu  dessen 
bewirtschaftung  gehörenden  gegenstände  soll  der  gutsherr  als  arthaue  bei  der  teilnng 
des  nachlasses  dos  bestraften  diebes  aussondern  und  für  sich  vorweg  zurückbehalten 
dürfen.    Die  gleichbedeutung  von  arthave  mit  gutsbericht  oder  hofgencht  dürfte  aach 
aus  folgender  stelle  der  ^Erklärung  der  Landsfreyhait  in  Obern  und  Niedcm  Baim' 
von  1553    (G.  von  licrchonfeld,   Die  altbaierischen  landständischen  froibriefe  8.256) 
erhellen:  „Der  X.  articl.  Wie  der  grundt-,  vogthcrr  und  glaubiger  von  der  uUthäter 
guet  sollen  bezallt  und  enntricht  werden.    Es  sollen  auch  hierinn  vor  der  herrschafft 
und  allen  leuten  von  dem  guet  der  grundtherr  oder  vogtherr  irer  güllt  und  guets- 

1)  Nach  G.  von  Lerchenfcld's  angaben  s.  CCCCXXXV  schwanken  die  4  versdiie- 
denen  originalicn  des  freiheitäbriefs  zwischen  der  Schreibung  arthaue  und  artkat*. 
Im  legistor  heisst  es:  ^arlhaue,  in  den  originalien ,  wie  sich  wol  you  selbst  versteht  (t), 
mit  übergesetztem  c.^ 

2)  Dieffenbach,  Glossarium  latino-germanicum  verzeichnot  für  aratura,  betw. 
paratura  die  bcdeutun^^en  garawin,  harauvi,  garue  (=»  Zubereitung,  zurüstang,  Lßxar 
1,  892).  Bei  Müller- Zarncke,  Mittelhochd.  wörterb.  II,  1,  649  y^  MUtgerikte^  ' 
rat  mit  der  gleichzeitigen  lateinischen  Übertragung:  pttrafcun  UliiiiB  doaras. 


U.   SCIIHIDT-WARIKNBKUO,   UKBICAN.   8TUDUBN  IN   AMKRTKA  425 

berichtung  gewert  werden,  sein  weib,   ob  er  die  hat,   irs  zuegebrachten  heuratguets 
und  morgODgab,  und  annder  sein  glaubiger  irer  schuld  bezallt  ....  werden.*^ 

Einer  faohmännischcn  sprachlichen  orklärung  des  wertes  arthave  möchte  ich 
hier  nicht  vorgreifen,  sondern  nui*  im  hin  weis  auf  das  sinnverwandte  aratura  mich 
für  die  annähme  entscheiden,  dass  im  ersten  teile  des  wertes  das  uns  bekannte  art 
(oratio)  widerkehrt.  Ob  Itave  an  die  steUo  eines  ursprünglichen  habe  getreten  ist? 
Wir  hätten  dann  eine  art-  oder  wirtschafts-habe,  etwa  entsprechend  dem  mhd.  und 
nlid.  „haushabe'^S  das  in  der  doppelton  bedeutung  von  haushaltung  und  hausbesitz 
begegnet. 

1)  Schmeller»  I,  1177.  1032.    Grimm  IV,  2,  669.    Lexer  I,  1404. 

OIESSEN.  HKRILIN  HAUPT. 


Germanistische  Studien  in  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika. 

Es  ist  eine  bekannte  tatsache,  dass  Amerikaner  einen  grossen  prooentsatz  der 
ausländischen  hörer  an  deutschen  Universitäten  bilden.  Seit  einer  langen  reihe  von 
jähren  —  besonders  seit  Deutschlands  politischer  einigung  —  haben  hunderte  von 
ihnen  ihre  wissenschaftliche  ausbildung  dort  genossen.  Dass  dies  früher  oder  später 
fruchte  trage,  war  man  berechtigt  zu  erwarten;  dass  es  anfangs  vielleicht  nicht  in 
dem  gewünschten  masse  eingetroffen  ist,  liegt  an  der  Ungunst  der  Verhältnisse:  der 
natürlichen  begünstigung  mehr  materieller  bestrebungen ,  dem  geringeren  Verständnis 
für  rein  geistige  arbeit,  soweit  sie  als  direkt  praktisch  anwendbar  sich  nicht  erwei- 
sen lässt,  und  dem  hierdurch  bedingten  mangel  an  Instituten,  die  dem  gelehrten 
gelegcnheit  zu  produktiver  forschung  gewähren.  Die  letzte  zeit  hat  jedoch  einen  ent- 
schiedenen aufschwung  des  wissenschaftlichen  strebens  gesehen.  Im  jähre  1875 
begann  die  Johns  Hopkins  University  ihre  arbeit  nach  deutschen  idealen  und, 
soweit  es  für  amerikanische  Verhältnisse  geeignet  war,  nach  deutschem  muster.  Eine 
reihe  von  lehrinstituton ,  ältere  und  neue,  haben  sich  ihr  im  laufe  der  jähre  ange- 
schlossen; sämmtlich  gehören  sie  zu  der  zahl  derer,  die  der  beispiellosen  munificenz 
begüterter  Amerikaner  ihr  bestehen  verdanken.  Dass  die  naturwissenschaften  in 
erster  linie  an  diesem  emporblühen  beteiligt  sind,  ist  leicht  begreiflich;  material  in 
erstaunlicher  fülle  lockte  den  forscher  und  sicherte  auch  dem  anfänger  einen  beitrag 
zur  lösung  untorsuchenswerter  probleme. 

Dass  die  deutsche  philologie  hier  bisher  nur  weniges  aufzuweisen  hat,  das  die 
anerkennung  deutscher  gelehrten  herausforderte,  hat  manche  gründe,  welche  alle 
darzulegen  nicht  der  zweck  dieser  kleinen  notiz  sein  kann.  Der  vorurteUslose  beur- 
teiler  aber  wird  selbst  bescheidenen  anfangen  seine  Sympathie  nicht  versagen.  Die 
Zukunft  sieht  versprechender  aus  und  deutet  auch  hier  auf  bevorstehenden  fortschritt 
Einige  Seminarbibliotheken  dürften  sich  schon  jetzt  denen  deutscher  Universitäten 
gleichstellen.  Scherers,  Zamckes  und  Ilildobrands  büchereammlungen  sind  über  den 
ocean  gewandert,  und  die  wachsende  zahl  strebsamer  germanisten  bürgt  dafür,  dass 
diese  schätze  nicht  lange  müssig  die  schlanke  zieren  werden.  Deutsche  lehrcurse, 
die  über  das  gymnasialpensum  hinausgehen,  werden  an  allen  besseren  Colleges  abge- 
halten. Leider  freilich  schlicssen  die  meisten  notgedrungen  da  ab,  wo  das  vollere 
▼entändis  und  das  interesse  an  selbständigem  arbeiten  erwacht.  Nur  wenige  sind 
in  der  läge,  beanlagtere  schüler  in  methodische  wissenschaftliche  forschung  weiter 


426  U.   SCHMIDT -WABTENBEBO,   QERMAN.   STUDUCN  IN  AMKlilKA 

Nachsteheud  folge  ein  verzeichDis  germanistiRcher  curse  (mit  aosschloBs  des  eng- 
liächcD),  die  an  amerikanischen  Universitäten  im  jähre  1894 — 95  gehalten  werden. 

I.  Johns  Hopkins  University.  (Baltimore.)  Altnordisch.  2  st  (prof. 
Wood).  Historische  deutsche  grammatik.  1  st.  (derselbe).  Gotisch.  2  st  (dereelbei. 
Heliand.  2  st. ,  ei^stes  somester  (dr.  Learned).  Althochdeutsch.  2  st ,  zweites  Seme- 
ster (derselbe).  Mittelhochdeutsch.  1  st  (derselbe).  Holländisch.  2  st  (dr.  Vos). 
Geschichte  der  deutschen  nationallitteratur.  1  st  (derselbe).  Goethe's  Faust  2st 
zweites  semester  (prof.  Wood). 

n.  Harvard  University.  (Cambridge,  Mass.)  a)  Litterarisohe  curse: 
Allgemeine  goschichte  der  deutschen  litteratur,  mit  besonderer  berücksichtigung  der 
beiden  klassischen  perioden  des  12.  und  18.  Jahrhunderts.  3  st,  zweites  semester 
(ao.  prof.  Schilling).  Deutsche  litteratur  des  12.  und  13.  Jahrhunderts.  3  st,  zwei- 
tes semester  (ao.  prof.  von  Jagomann).  Deutsche  litteratur  von  der  reformation  bis 
zur  klassischen  periode.     3  st.,  erstes  semester  (dr.  Poll). 

b)  Philologische  curse:  Gotisch.  3  st,  erstes  semester  (ao.  prof.  von  Jage- 
mann). AltsächsLsch.  3  st.,  zweites  sem.  (derselbe).  Geschichte  der  deutschen 
Sprache  seit  1100.    3  st.,  zweites  sem.  (derselbe). 

III.  University  of  Chicago.  Die  Chicagoer  Universität  ist  die  einzige,  die 
ohne  Unterbrechung  das  ganze  jähr  hindurch  geöffnet  ist.  Zwischen  den  vier  unter- 
richtsquartalen  ist  nur  eine  je  8tägige  pause.  Professoren  jedoch  wie  Studenten  wäh- 
len ein  quartal  als  fcrien.  Das  programm  des  deutschen  dopartements  ist  für  dis 
jähr  vom  1.  Oktober  1894 — 1.  Oktober  1895  das  folgende. 

a)  Herbst-quartal:  Das  littcraiische  zusammenwirken  Goothe's  und  Schü- 
lers I  (prof.  Cuttiug).  Phonetik  (ao.  prof.  Schmidt -Wartenberg).  Mittelniederftin- 
kisch  (derselbe).  Goschichte  der  deutschen  spräche  (derselbe).  Gotisch  (dr.  von 
Elenzc). 

b)  Wintcr-quartal:  Das  litterasischo  zusammenwirken  Goethes  und  Schil- 
lers n  (prof.  Cutting).  Althochdeutsch  (ao.  prof.  Schmidt -Wartonberg).  Altnordisch 
(derselbe).     AltsUchsisch  (deiuelbe). 

c)  Frühjahrs- quartal:  Vergleichende  gotische  grammatik  (ao.  prof.  Schmidt - 
Wartenberg).    Nibelungenlied  (dr.  von  Klenze). 

d)  Sommer-quartal:  Lessing  als  kritiker  (prof.  Cuthing).  Mittelhochdeutsch 
(derselbe).  Elemente  der  historischen  deutschen  grammatik  (besonders  für  lehrer  des 
deutschen  bestimmt)  (ao.  prof.  Schmidt -Wartenberg).  Gotisch  (dr.  v.  Klenze).  Ele- 
meutarcurs  des  dänisch -norwegischen  (dr.  Dahl).  Srudien  über  ßjörnsen  und  Ibseo 
(derselbe).    Altnordische  litteratur  (dei*selbe). 

Sämmtliche  Vorlesungen  und  Übungen  sind  vierstündig. 

IV.  Columbia  College  (New  York):  Goethe^s  Faust,  1.  und  2.  teil.  2>t 
(pixjf.  Boyesen).  Goschichte  der  deutschen  litteratur.  1  st  (derselbe).  Geschichte  der 
deutschen  spräche.  2  st  (prof.  Cari>cnter).  Isländisch  2 st  (derselbe).  Gotisch.  2st 
(derselbe).  Mittelhochdeutsch.  2 st.  (derselbe).  Althochdeutsch.  2st  (derselbe).  Ger- 
manische mythologie.  1  st.  zweites  semesteer  (derselbe).  Geschichte  der  danischen 
und  norwegischen  litteratur.  1  st.  (prof.  Boyesen).  Altnordische  litteratur.  2st, 
zweites  semester  (derselbe).  —  Falls  nicht  anders  angegeben,  erstrecken  sich  die 
curso  durch  die  heiden  semester,  zwischen  denen  keine  ferien  liegen. 

V.  University  of  Michigan  (Ann  Arhor):  Goetho's  Faust  2— 38t.,  zwei- 
tos sem.  (prof.  Tliomas).  Cui-s  für  Iclircr  dos  Deutschon.  38t,  zweites  sem.  (dffl^ 
selbe).    Geschichte  der  deutschon  litt(*ratur,  zweites  sem.  (derselbe).    AlthoohdetttMk 


SCKENUEH,    LUIUCLBY  42? 

,  zweites  soin.  (ao.  prot.  Hanch).  Historisctio  döutsohu  grainmatik.  Erstes  süm., 
Kautsch  und  wortbildungBlohre;  uweites  seni-,  Syiitan,  2st.  (derselbe).  Gutiauh;  für 
iSingot,  3ät.,  erstes  sem.  (derselbe);  für  vorgeschrittene,  2st.,  zweites  seoi.  (dor- 
ühe).  Mittelhochdeutsch.  Sst,  erstes  sem.  (Mensel).  Nibelungetilied.  2st,,  xwei- 
I  sem.  (derselbe) 

YL  LeluDd  Btantord  Junior  Univorsity.  (Palo  Älto,  Cftlifornien) :  Mit- 
Iliooh deutsche  grammatik.  Sst,  orates  sein.  (prot.  Goebel).  Walther  von  der  Vogel- 
,  zweites  sein,  (derselbe).  Üthoohdcutäche  graminatik.  2Bt.,  erste«  sem. 
lerselbo).  Otfrid.  2st,,  tweites  sem,  (dei'selbe).  Altnordische  gi'au&iatik.  2st, 
isttui  sem.  (derselbe).  Saomuudar  Edda.  2st.,  zweites  sem.  (derselbe),  Gotisch. 
,  zweites  sem.  (derselbe). 

Vn.  Bryn  Mawr  College  (ßi^n  Mawr,  Pemisylvanieii):  Geschichte  der 
BUtschen  litteratur  bis  auf  Elopstoc-k.  2bt.,  zweites  sem.  (prof.  H.  Collitz).  Allge- 
}  lihonetili.  Ist.,  erstes  sein,  (doi-selbo),  Gdtisch.  2Bt.,  zweites  sem.  (derselbe). 
Ithochdeutäcb.  Ist.,  zweites  sem.  (ileiselbe).  MittolhoobdeutscL  2at.,  zwi^tos  sem. 
larselbe).  Eialoitnog  in  die  germauistisolie  philolu^e.  Ist,  xweites  sem.  (derselbe). 
Jts&uhsisch.  Ist,  zireites  sem.  (derselbe).  Altaordisah.  Ist,  zweites  sem.  (der- 
llbc).    Tergleiuhende  germanische  groiumatik.    26t,  zweites  sem.  (derselbe). 

Vin.  Cornell  University.  (Itbaca,  N.  Y.).  Das  studieejabi'  ist  in  3  quar- 
3  oingeteüt.  Gotische  grammatik.  2st,  erstes  und  zweites  ijaai-ta]  (prof.  Whoelor). 
petho's  Faust  2st.,  erstes  und  zweites  (juaital  (prof.  Hewest).  Geschichte  der 
nitschuu  litteratar.  Ist.,  durch  alle  drei  quortole  (prof.  Kcwett).  Mittel  hochdeutsch. 
,  3  iiuortale  (derselbe),  ühlaud  und  die  schwäbische  schule.  3st,  drittes  quor- 
1  (derselbe).  Walthor  von  der  Vogelweide.  2st,,  3  quartale  (prof.  'White).  Alt- 
Mbdeatsch.  2st,  zweites  und  drittes  qaartal  [dr.  Jones). 
cuicAoo.  •     H.  sctni 


Der  name  der  Lor«ley. 

Der  name  dor  Lorclcy,  das  berühmten  RhoinfcLsens,  wiiil  noi:h  in  den  ni'usten 
iflngeu  der  handbücbcr  von  Daniel-Volz  and  anderen  erdkundlichen  werken  aus 
r  Tolkhtümlicheu  Form  Lurley  als  „Liiuorfcla'  gedeutet  Wenn  wir  nun  in  dem 
reiten  teile  des  wertes  unzweifelhaft  das  mitte Irh eisisch o  ley'  =  s<ihieferfol3  zu 
3B  haben,  so  spricht  gegen  diese  erkliiruug  des  ersten  bestaudteila  schoo  der 
RiBtaiid,  dass  Lurley  mit  kurzem  u  gesproohen  wird,  während  das  u  in  türm  lang 
Was  soll  man  sich  übrigens  unter  einem  ,Lauerfe!3''  denken?  Für  den  urhober 
r  orklürung  halte  ich  Schmeller,  der  iu  seinem  Bayerischen  worterbuche'  1,  1409 
■  „der  lauer"  auf  die  ^Loreley  am  Rhoin"  vorweist,  Dass  er  aber  lauem  hier 
in  der  gewöhnlichen  bedeutong  genommen  bat,  beweist  seine  Verweisung  auf 
i^ud.  leur  =^  täuschung.  Er  nimmt  also  liiren  in  der  im  niitl^ilniederdeutscbon  ver- 
eiteten  bodeutang  „betrügen,  hintergehen",  die  eich  noch  im  kompositum  be-lürmi 
.  b-  bei  Fr.  ßenter)  erhalten  hat.  Schmeller  scheint  zu  dieser  deutung  durch  die 
)  von  der  uixe  Loreley  veranlasst,  die  durch  ihren  gesaug  die  schiffer  betört 
1  ist  ober  nach  neueren  forscbungen  diese  sage  durchaus  nicht  alt,   sondern  erst 

I)  Schon  nihd.  Icü,    Iti  stf.,   fels,    besonders  schicferfels   (a.  T*xor  1,  1S66); 
it   KU  vervBoohsi'ln   mit  W  stni.    fahd.  hlfo)    „hÜKel",    wie   es  iioeh   in   doiii   Mhd. 
nhudie  von  Ij-yeilotj;.  Üiclefold  und  lAiijizig  1KU2  8.  127  geschiubt,   wo  unicr  die- 
II  werte  auf  die  Lore-lei/  vorwiesen  bt. 


428  SPRENQSR,   ZU  GOETHES  IPHIQBNIS 

durch  Nicol.  Voigt  erfunden  und  durch   Gl.  Brentano  und  EL  Heine  ins  Tolk  ge- 
drungen. 

E.  Moritz  Arndt  wollte  den  namen  von  einem  rheinischen  lurleien  ,nacfaspre- 
chen*^  ableiten.  Dieses  verbum  ist  nun  freilich  nicht  alt  und  wol  erst  von  dem 
namen  der  Lurley  abgeleitet;  es  würde  aber  dafür  sprechen,  dass  dem  volke  andern 
berge  stets  das  wunderbare  fünfzehn  malige  echo  das  bemerkenswerteste  gewesen 
ist  Schon  Merian  hebt  dies  hervor,  wenn  er  (vgl.  Daniel -Volz,  Deutschland  nach 
seinen  physischen  und  politischen  Verhältnissen,  6.  aufl.  Leipzig  1894,  s.  376)  von 
der  Loreley  schreibt:  „so  von  den  Alten  der  Lurleberg  ist  genonnet  worden,  in  wei- 
chem Gebürg  ein  sonderbar  lustig  Echo ,  oder  Widerschall  sich  befindet.*^  Ich  möchte 
daher  den  namen  der  Loreley  auf  ein  in  Luthers  Schriften  erscheinendes  lören  — 
heulen,  schreien  zurückführen.  Vgl.  in  der  bibelübersetzung  Hosea  7,  14:  ^so  rofen 
sie  auch  mich  nicht  an  von  herzen,  sondern  Imen  auf  ihren  lagern.*^  Die  neue 
revidierte  Lutherbibel  hat  dafür  heulen  eingesetzt,  die  Vulgata  hat  tätUare.  Luther 
gebraucht  das  wort  widerholt  in  seinen  Schriften;  auch  nennt  er  die  Stifter  löhr- 
und  houlhäuser  (s.  Jütting,  Wörterbuch  zu  Luthers  bibelübersetzung,  Leipzig. 
B.  G.  Teubner  1864,  s.  118).  Da  Ziomanii  in  seinem  Mittelhochd.  wörterbuche,  Qued- 
linburg und  Leipzig  1837  —  bei  Lexor  fehlt  das  wort  —  neben  Icdren  aus  Wallniffis 
glossar  auch  die  form  lören,  ohne  umlaut,  anführt,  so  wäre  jede  sprachliche  Schwie- 
rigkeit dieser  ableitung  beseitigt 

NOBTHEIM.  R.   8PBBK0XR. 

Zu  Goethes  Iphigenie. 

Im  I.  aufz.  3.  auftr.  erzählt  Iphigenie  dem  könige  Thoas  von  dem  grausen 
mahle,  das  Atrcus  seinem  bruder  Thyest  voreetzte.    Dabei  heisst  es  v.  164  fgg.: 

Und  da  Thyest  an  seinem  fleische  sich 
Gesättigt,  eine  wehmut  ihn  ergreift, 
Er  nach  den  kindern  fragt,  den  tritt,  die  stimme 
Der  knaben  an  des  saales  thüre  schon 
Zu  hören  glaubt,  wirft  Atrous  grinsend 
Ilmi  haupt  und  füsse  der  erschlagenen  hin. 

Dafür,  dass  der  vater  nach  dem  genuss  vom  fleische  seiner  söhne  von  wehmut  befal- 
len wird,  findet  sieh  in  der  antiken  sage  kein  anhält  Unwillkürlich  denkt  man  dal>ei 
an  die  dauie  von  Fayel  in  Uhlands  Castellan  von  Coucy,  als  sie  das  herz  ihres  gelich- 
ten verspeist  hat: 

„Wie  die  dame  kaum  genossen. 

Hat  sie  also  weinen  müssen, 
Dass  sie  zu  vorgehen  schien 
In  den  heissen  thränengüssen.*^ 

Höchst  wahi-scbeinlich  ist  es  aber,  dass  Goethe  dies  motiv  aus  einem  deutschen 
märchen  schöpfte,  das  unter  dem  titel  „Der  maehandolboom *  in  den  Kinder-  und 
hausmäichen  der  brüder  Grimm,  als  nr.  47  der  grossen  ausgäbe,  überliefert  ist 
Hier  heisst  es  vom  vater,  dem  sein  söhnchen  von  der  bösen  Stiefmutter  als  speise 
vorgesetzt  wird:  Da  höhm  de  rader  to  hitus  und  setVt  sik  to  disch  un  säd  „wo 
is  denn  vtyn  sähn?*^  Da  droog  de  moder  enc  groote  groote  schöttel  up  «lÄ 
schwartsuhr,   un  Marleenken  tceend  und  kunn  sieh  nieh  hoUen,    Do  täd  d§ 


wmedder  „w>  i 


t  denn  myn  salin?"  „Ach",  aäd  de  moder,  „he  i»  äuer  iand  gaan, 
na  Müllen  erer  groolökm:  he  u,-uU  dar  wal  blt/ieen"  . . .  „Aek",  aäd  de  tiiafm, 
i,my  is  to  recht  trtirig;  dat  ia  doeh  nich  rethl,  hc  liadd  my  doch  adjüü»  sagen 
wehullt."  Mit  des  fütig  he  an  lo  ölen.  Un  he  eti  un  acl,  und  de  knakerts  si/ieet 
I  all  finner  den  diaeh,  bet  he  allens  up  hadd.  ~-  Dnss  Goethe  uiiBer  mfirohon, 
ena  anch  in  anderor  fosBung,  aus  der  muh  auch  die  abweichnngen  erklären,  kannte, 
t»weist  diw  lied  der  wabnainnigen  Marprete  im  Faust  I.  teil  v.  4059  fgg-,  worauf 
schon  W,  Grimm  im  3.  (erläaternngs-)  bände  der  mfirehon  (3.  aufl.)  s,  78  anfmort- 
1  gematht  bat. 

HOBTHKDI. B.    BPtMNQIB. 

Zum  Scbretel  und  wasserblir. 

Fr.  H.  y.  d.  Hagsn  bemerkt  im  Gosammtiiben teuer  3. M.  b.  LXXtl  fg.,  dass 
dieses  tbier-  and  geBpensterinärchcn  nioht  nur  in  Norwegen,  sondero  auch  \a  der 
Altnmrk  und  Sauhsen  noch  lebendig  ist.  Ilass  es  auch  am  Hacse  bekannt  war,  be- 
ireist eine  erzäblung  vom  kajnpfe  eines  alten  Soldaten  mit  einer  sch&t  zwerge,  der 
;  mühle  stattfindet  (mitgeteilt  in  Heinrich  PröbloB  Harasagen  2.  anfl.  in  1  bd. 
Iieipzig,  1880  s.  110  fg.)-  Denn  dass  auch  hier  ursprünghcb  ein  wasserbär  am  kämpfe 
werge  teilnahm,  wenn  die  Überlieferung  auch  nichts  davon  erwähnt,  wird 
dadurch  bewiesen,  dasa  Prübles  gowäbramann  erzählte:  ,Am  anderen  abende  sass  er 
wider  in  der  mühle  nad  der  müller  war  auch  dageblieben.  Wie  es  nun  an  zwölfe 
kam,  klopfte  etwas  dreimal  an  das  fonster  und  fragte:  Müller,  hast  da  deine  böse 
katxe  ooeb?  Da  sclirie  der  alte  soldat  selber:  ,Ja,  sie  jungt  alle  nacht  zwulfe.'  Da 
liefen  die  zwerge  betrübt:  „Dann  mag  dir  der  teufel  wider  kommen",  und  sind  seit 
r  zeit  nicht  wider  kommen.  Auch  in  der  mhd.  erzählung  v.  321  stellt  der  eworg 
die  frage:  lebcl  din  griyt  kavfe  noch?  und  der  bauer  antwortet  329  fgg. :  vünfjun- 
T  hint  geiean,  diu  sijit  sehmtie  und  ti>ol  getan,  lancsitic,  icii  und  lier- 
ftcA,  der  alten  kaxMn  alle  gelieh.  Darauf  entschliessen  sich  die  zwerge  den  bof  zu 
Htumen. 


Lniigez  hflr  —  kureer  mtiot, 

Zu  dem  von  Johann  von  Freiberg  in  seiner  lockeren  erziihlung  „Das  rüdloin" 
^esammtabent.  3,  116  v.  285  Egg.)  dem  Freidank  zugeschriebenen  spruch: 
Die  crourcen  hänt  lang&i  här 
wiä  kurt  gemiiete;  daa  i»t  mär. 
ft'ilh.  Grimm  zu  Freid.  ».393,   Haupt  sat  "Winsbekin  10,  2  und  Heyne  im 
DWb.  4,  2  b.!)  zahlreiche   (larallelstellen   gesammelt.    Sie   liesseo    sich   leioht   noch 
vermehren.    Auch  Variationen  kommen  vor,  x.  b.  Spangenbergs  Mammons  seid  (Ans- 
gewShlte   dichlungon  von  Wolfhart  Spangeuborg ,    horaosg.  von  Martin,    Straeshurg 
1887)  T.  626  fgg.: 

Ihr  tn&st  lernen  den  Neiren  Brauch: 

Und  lUleteit  haben  forthin  \ 

Lange  Kleider  \  vnd  kurtnen  Sinn. 

terüngor  spiele  (lierausg.  von  0,  Zingerle,  Wien  1886)  nr.  2  v.  2C5  fg.: 

Sff  tragen  lange  klayd  vnd  kuravtt  mwl 

vnd  dar  ditrck  sieh  manger  srr  erfretpi  tut. 


430  SToscn,  lanqkz  har  —  kürzer  muot 

Tobias  Stiniinci*s  Coiuedia  (hcrausg.  von  J.  Oori,  Fi'auonfeld  1891)  v.  146: 

Kurtxe  sinn  vnd  lange  Rock. 
Auffallend  ist,  dass  der  ungalaute  Spruch  —  der  übrigens  auch  bei  andern 
europäischen  Völkern  sich  findet  (vgl.  Grimm  und  Heyne  a,  a.  o.)  —  grade  in  der  zeit 
des  minnesangs  zuerst  auftaucht  Da  ist  es  vielleicht  bemerkenswert,  dass  es  naclj 
6.  Ebers  Ägypten  II,  110  auch  ein  orientalisches  Sprichwort*  gibt:  »Dos  weibes 
haar  ist  lang,  sein  verstand  ist  kurz.*^ '  Die  Übereinstimmung  mit  dem  in 
Westen  verbreiteten  spruch  ist  gewiss  nicht  zufällig,  wenn  aber  eine  entlehnung  statt- 
gefunden hat,  so  dürfte  sie  eher  durch  das  abendland  als  durch  das  morgenlaDil 
geschehen  sein.  Der  satz  entspricht  vortrefflich  der  orientalischen  anschauuDg  der 
frauon.  Durch  krouzfahrcr  oder  pilger  mag  er  nach  dem  abendland  gebracht  wur- 
den sein.  Wenn  ihn  Froidank  nicht  schon  in  Deutschland  gehört  hatte,  konnte  t'r 
ihn  in  Akers  kennen  lernen. 

1)  [R.  Sprenger  macht  uns  darauf  aufmerksam ,  dass  dieses  orientalische  Sprich- 
wort auch  in  Öottfried  Kinkels  trauerspiel  Nimrod  (akt  I)  sich  findet:  „Der  frauen 
haar  ist  lang,  ihr  sinn  ist  kurz*^.     red.] 

2)  Ein  türkisches  desselben  inhalts  führt  Heyne  a.  a.  o.  an. 

KIEL,  28.  AUGUST  1896.  J.  8T08CH. 


Traug.  Ferd.  Scholl. 

Mit  dem  am  28.  april  1895  in  Stuttgart  gestorbenen  professor  dr.  Traugott 
Ferdinand  Scholl  ist  ein  mann  dahingegangen,   der  in  vielen  die  liebe  für  deut- 
sche spräche  und  litteratur  geweckt  hat.     Er  war  am  17.  april  1817  zu  Beutckbach 
in   Württemberg  geboren,   hat  in  Tübingen  als  .stiftler  theologie   studiert,   daneben 
sich  mit  deutscher  philologie  beschäftigt.    Diese  neigung  teilte  er  mit  seinem  lange  vor 
ihm  verstorbenen  älteren  bruder  Gottlob  Heinrich  Friedrich  Scholl,   der  1852 
als  27ste  publication  des  Stuttgarter  litterai'ischen  Vereins  die  Crone  des  Heinrich 
vom  Türlin  herausgegeben  hat,    und  mit  seinem  Schwager  Adelbert  Keller.     Nach 
Vollendung  seiner  studieu  leitete  Scholl  mit  seinem  bruder  zusammen  ein  mädchei- 
Institut  in  Ulm,   wo  er  die  bokannischaft  seiner  frau,    der  tochtcr  des  stadtbibliothe- 
kars  Neubronner,    machte,    und  war  von  1843  bis  1853  geistlicher  und  präijeptor  in 
Langenburg  im  Hohenlohis(jhen.     Von  1853  an  war  er  professor  am  mittleren  gjm- 
nasium  in  Stuttgart  und  legte  sein  amt  erst  mit  70  jähren  1887  nieder.     Wer  sein 
Schüler  gewesen  ist,  wird  ihm  kein  anderes  als  ein  freundliches  und  dankbares  anden- 
ken bewaliren  können.    Er  wussto  lebendig  anzuregen  und  geistige  äussonmgcn  her- 
vorzurufen;  vor  allem  hat  er  die   liebe  zur  deutschen  dichtung  im  alter  der  begin- 
nenden empfänglichkeit  bei  seinen  Schülern  in  einem  ma&sse  zu  w^ecken  verstanden 
wie  wenig  andere;   die  auffühningen  Schillerischer  stücke,   die  er  mit  den  schalem 
veranstaltete,   sind  lichtpunkte  in  ihrer  crinnerung  geblieben.    Mit  dieser  scholtitig- 
koit  hieng  auch  die  bcarbeitung  eines  schullesebuchs  und  einer  neuen  Orthographie 
(in  den  60er  jähren)  zusammen.     Daneben   hat  Scholl  eine  sehr  ausgedehnte  öffent- 
liche tütigkoit  nach  verschiedenen  richtungcn  entfaltet;   seine  regelmässigen  berichte 
über  die  auffühningen  des  Stuttgarter  theaters  und  seine  vorstandschaft  am  Stuttgar- 
ter couservatorium  für  musik  (seit  1869)  mögen  hier  erwähnt  sein.    VieUoicht  war 
es  eben  diese  ausgedehnte,  fast  athemloso  tätigkeit,  was  ihn  leider  yerhinderte,  die 
wissenschaftlichen  Studien  seiner  Jugend  fortzusetzen;  daioh  wissen  und  geist  wire  « 


NEUE    RRSCHEINUNOEN  431 

befähigt  gewesen,  der  litteraturgeschi(;hto  auch  bleibende  gaben  zu  spenden.  Mit 
recht  geschätzt  war  die  „Deutsche  litteraturgeschichte  in  biographien  und  proben'', 
die  er  mit  seinem  bruder  1841  veröffentlichte  und  die  es  1855  zu  einer  dritten  auf- 
läge gebracht  hat.  Wenn  aber  auch  der  einen  platz  in  unser  Wissenschaft  verdient 
hat,  der  durch  das  lebendige  wort  und  das  vorbild  einer  echt  humanen  pei'sönÜch- 
keit  die  Jugend  mit  liebe  zu  der  litteratur  des  Vaterlands  zu  erfüllen  im  stände  war, 
30  ^ird  Scholl  wenigstens  für  den  engeren  kreis  seiner  schwäbischen  heimat  einen 
solchen  ehrenplatz  in  anspruch  nehmen  können. 

TÜBINGEN.  HERMANN  FISCHER. 


NEUE   ERSCHEINUNGEN. 


Bremer,  Otto,  Beiträge  zur  geographio  der  deutschen  mundarten  in  form  einer  kri- 
tik  von  Wenkers  Sprachatlas  des  deutschen  reiches.  (A.  u.  d.  t.:  Sammlung  kur- 
zer grammatiken  deutscher  mundarten  herausg.  von  0.  Bremer.  Band  in.)  Leip- 
zig, Breitkopf  &  Härtel,  1895.    XVI,  266  s. 

^ahlemp,  Vemer,  Det  danske  sprogs  historio  i  kortfattet  oversigt.  (Ssertryk  af 
Salmonsens  konversationsleksikon.)    Kopenhagen  1895.    71  s. 

^anmarks  gamle  folkeviser.    Danske  ridderviser  efter  forarbeider  af  Svend  Orundt- 

vig  udgivne  afAxel  Olrik.    Trykt  og  udgivet  paa  Carlsbergsfondens  bekostning. 

1.  bind,  1.  hefte.   Kopenhagen,  Otto  B.  Wroblewski  1895.   (IV),  144  s.   4.  2,50  kr. 

(Fortsetzung  des  Werkes  von  Sv.  Grundtvig,  die  2  bände  von  ca.  50  bogen 

umfassen  wird.) 

^fslason,  Koiir&9,  Forelaesninger  over  oldnordiske  skjaldekvad,  udgivne  af  kom- 
missionen  for  det  Amamagnscanske  legat.  (A.  u.  d.  t.:  K.  Gislason,  Efterladte 
skrifter,  forste  bind.)    Kopenhagen,  Gyldendal,  1895.    X  (II),  312  s.    5  kr. 

Heyne,  Moriz,  Deutsches  Wörterbuch.  6.  halbband.  Setzen  —  zwölftens.  Leipzig, 
S.  Hirzel,  1895.  Sp.  I— VIII  und  593  —  1464.  4.  5  m.  (Schluss  des  trefflichen 
Werkes.)  * 

loseh,  Phil.,  Johannes  Rhenanus,  ein  Casseler  poet  des  17.  Jahrhun- 
derts.   Leipzig,  G.  Fock,  1895.    (Marburger  dissert.)    VI,  98  s.    1,60  m. 

Olafe  saga  Trygrgrasonar.  Det  Arnamagnteanske  haandskrift  310  qvarto.  Saga  Olafs 
konungs  Tryggvasonar  er  ritadi  Oddr  muncr.  En  gammel  norsk  bearbeidelso  af 
Odd  Snorres0ns  paa  latin  skrevne  Saga  om  kong  Olaf  Tryggvason.  Udgivet  for 
det  Norske  historiske  kildeskriftfond.  Christiania,  Dybvad  1895.  LXXVILL  (II), 
156  s.    2,40  kr. 

Reeb,  Wilhelm,  Geimanische  namen  in  rheinischen  inschrifton.  Progr.  des  gross- 
herzogl.  gymnasiums  zu  Mainz  1895.    48  s.    4. 

Bothe,  Panl,  Die  conditionalsätze  in  Gottfrieds  von  Strassburg  „Tristan 
und  Isolde**.    Hallische  dissert.    (Max  Niemeyer  in  comm.)    IX,  96  s.    1,60  m. 

Behifbnaiui,  Conrad,  Bruchstücke  aus  einem  mhd.  passionsgedichte  des 
14.  Jahrhunderts.  Linz,  Ebenhöch'sche  Verlagsbuchhandlung,  1895.  12  s. 
0,80  m. 

BddllefB  werke«  Herausgegeben  von  Lud w.  Bo Hermann.  Kritisch  durchgesehene 
nnd  erläuterte  ausgäbe.  Erster  band.  Leipzig  und  Wien,  Bibliographisches  Insti- 
tut, 1895.    96,  400  s.    geb.  2  m. 


432    ■  NEUE  ERSGHEINUNOEN.      NACHRICHTBa^ 

Eino  treffliche  ausgäbe,  der  wir  die  weiteste  Verbreitung  wünschen.  Der 
vorliegende  erste  band  enthält  die  gedichte  mit  kurzen  erklärenden  anmerbingeQ 
unter  dem  text  und  einem  anhage,  der  über  die  entstehung  und  die  quellen  ans- 
kunft  gibt  und  die  wichtigeren  Varianten  verzeichnet.  Auch  die  vorausgeschickte 
knappe  biographio  ist  sehr  lesenswert.  Die  correctur  ist  sorgfaltig  gehandhabt 
und  die  ausstattung  gut.  —  Das  werk  ist  auf  14  bände  berechnet,  von  denen  die 
ersten  8  die  poetischen  Schriften  (mit  ausschluss  der  Übersetzungen),  die  wich- 
tigsten der  erzählenden  dichtungen,  die  geschichtlichen  hauptwerke  und  eine 
anzahl  der  philosophischen  abhandlungen  enthalten  werden;  die  6  letzten,  wddie 
separat  erworben  werden  können,  dasjenige,  was  nur  für  die  engere  zahl  der- 
jenigen von  bedeutung  ist,  die  sich  wissenschaftlich  mit  dem  dichter  beschaftigeiL 

Schmidt,  Charles,  Wörterbuch  der  Strassburger  mundart.  1.  lieferung.  Strasshai;^ 
J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  &  Mündel),  1895.    48  s.    2,50  m. 

Sciences,  bellcs-lottres  et  arts  dans  les  Pays-bas  surtout  au  19**  siecle.  Bibliographie 
systomatique.  Tome  I.  Linguistique,  histoire  litteraire,  belles-lettres.  Avec  u» 
table  alphabetique.    La  Haye,  M.  Nijhoff,  1895.    VHI,  301  s. 

Singer,  S.,  Apollonius  von  Tyrus.  Untersuchungen  über  das  fortleben  des 
antiken  romans  in  späteren  zeiten.    Halle,  M.  Niemeyer,  1895.    Yl,  228  s.  6  b. 

WiHser,  Wilh.,  prof.  dr.,  das  Verhältnis  der  minnelieder-handschriften  A  und  Cn 
ihren  gemeinschaftlichen  quellen.    Progr.  dos  gymn.  zu  Elutin  1895.    24  &   4. 

Zimmerli,  J.,  die  deutsch -französische  Sprachgrenze  in  der  Schweiz.  IL  teil:  die 
Sprachgrenze  im  Mittellande,  in  den  Freiburger,  Waadtländor  und  Bemer  alpeo. 
Basel  und  Genf,  H.  Georg,  1895.    YIU,  164  s.  nebst  14  lauttabellen  und  2kartco. 


NACHRICHTEN. 


Am  19.  august  starb  zu  Zürich  der  ordentl.  professor  der  german.  philo!<ipfi 
dr.  Ludwig  Toblor  (geboren  1.  juni  1827  zu  Hirzel),  am  ochweizorischen  idiotib» 
einer  der  hervorragendsten  mitarbeiter,  dem  auch  unsere  zeitschr.  eine  reihe  w«ft- 
voller  beitrage  verdankt;  am  16.  sept  zu  Weimar  der  archivrat  dr.  Ernst  Wülcker 
(geb.  24.  august  1843  zu  Frankfurt  a.  M.),  mit  dem  wider  einer  von  den  foiisetiefB 
des  Grimmschen  Wörterbuches  aus  dem  leben  schied. 

Der  ordenti.  professor  dr.  Friedr.  Kau  ff  mann  in  Jona  folgte  einem  nifc  » 
dio  Universität  Kiel;  an  seine  stelle  ist  der  privatdoccnt  dr.  Victor  Michels  in 
Göttingeii  berufen  worden. 

Professor  dr.  Baochtold  in  Zürich  hat  den  bereits  angenommenen  ruf  an  die 
Universität  Leipzig  nachträglich  aus  gesundheitsrücksichten  ablohnen  müssen. 


Halle  a.  S. ,  Bnchdrackorei  dea  WaiaenhaiueB. 


\  ZUR  VORGESCHICHra  DES  MUNCHENER  HELUND- 
TEXTES. 

Die  Münchener  liaiidscbrift  dos  Heliand  ist  „von  aiifang  bis  zu 
t  v<jn  ein  und  derselben  sauberen  und  deutlichen  band  gescbrio- 
■  (Siovers,  Heliand,  einleit.  s.  XI).  Bei  der  heretellung  einer  ihrer 
vorlagen  aber  —  gleichviel  ob  der  nücliston  »der  einer  dieser  vornuf- 
gehendcn  —  haben  sich  offenbar  drei  schroiber  nacheinander  abgelöst. 
Als  „teitfoMsil",  dessen  ivir  uns  bedienen  können,  um  die  grenzen  des 
*on  dem  einzelnen  schreiber  hergestellten  textteilos  zu  bestimmen,  liisst 
&ich  vortrefflich  der  accusativ  sing,  niasc.  des  bestimmten  arti- 
kek  (bzw.  prononien  domonstrativurns  oder  personale)  benutzen, 
der  bei  dem  schreiber  von  v.  85  —  1791/185y'  thana  beisst,  hei 
^m  von  v.  1859  —  4923/25  i/tcne,  und  bei  dem  dritten,  von  v.  492Ö 
B  [thena]. 

H  Von  den  beiden  doppelzahlcn  ist  der  erste  bestandteil  als  num- 
j|Rer  desjenigen  vorses  zu  verstehen,  welcher  zum  letzten  male  die 
charakteristische  form  des  ungefälir  bis  daliin  reichenden  Schreibers 
enthält,  während  der  zweite  bestandteil  denjenigen  vers  angibt,  wel- 
chen der  vorgeliendü  schreiber  ja  zur  not  noch  geschrieben  haben  kann, 
weil  bis  dorthin  kein  weiterer  fall  eines  accus,  sing.  mase.  vom  be- 
Btimmtfn  artikel  vorkommt,  hinter  dem  aber  unmittelbar  darauf  eine 
accusativfonu  folgt,  die  unzweifelhaft  bereits  die  tätigkoit  des  näcbst- 
folgeniten  sohreibers  verrät 

Mit  den  äusserlichen  mittein  „gesperrt  antiqua"  für  thana,  „kur- 
»iv"  für  tke»£,  „parentbeso"  für  [tbena]  wechsele  ich  in  der  absieht, 
um  die  übersieht  über  meine  zusammen-stellungen  zu  erleichtern. 

Wenn  ich  mich  nicht  begnüge,  für  jeden  der  drei  textabschnitte 
einfach  nur  anzugeben,  wie  oft  jede  der  verschiedenen  formen  des  acc. 
sing.  masc.  vom  artikel  (pron.  demonstr.)  darin  vorkommt,  sondern  joile 
stelJe  einzeln  aufführe,  so  geschieht  dies,  weil  ich  glaube,  die  von  mir 
bier  festgestellte   textgoschicbtiiche    tatsache  wird    leichter    ausgenutzt 


K  1)  Icll 


1)  Ich  eitjere  nach  der  ausgäbe  von  Sievers. 


434 


EUNOHARDT 


werden,    wenn  jeder  sich   binnen  fünf  minuten   bequem   überzeugen 
kann,  ob  meine  angaben  verlässig  sind  oder  nicht 

Meine  nachstehenden  listen  aber  habe  ich  so  eingerichtet,  dass 
ich  für  die  nornialform  jedes  Schreibers  einfach  nur  die  versnummer 
jeder  belegstello  angebe.  Die  dazwischen  vereinzelt  eingestreuten  vari- 
anten  setze  ich  an  der  ihnen  zukommenden  stelle  in  der  aufeinander- 
folge der  vcrsnummern  mit  ein  imd  schreibe  die  abweichende  form 
immer  gleich  hinter  der  versnummer  ihres  Vorkommens  aus. 

Die  tatsachen  nun,  um  die  es  sich  hier  handelt,  sind  folgende. 

JJei  dem  durch  die  form  thana  charakterisierten  Schreiber  finden 
sich  folgende  bclegstellen  für  den  acc.  sing  masc.  vom  bestimmten 
artikel: 

95,  103,  104,  106,  107,  215,  228,  265,  270,  307  then,  309,  363. 
514,  554,  602,  005,  635,  637,  642,  655,  684,  712  than,  757,  762, 
790,  890,  896,  916,  958,  990  thane,  1013,  1023  thane,  1050,  1080. 
1095,  1095,  1096  then,  1180,  1186,  1190,  1344,  1268,  1270,  1279, 
1282,  1356  thane,  1384,  1416,  1421,  1469,  1484,  1488,  1497,  1581 
1585,  1627,  1693,  1706,  1786,  1791. 

In  dem  toxtabschnitto,  in  welchem  sich  uns  ein  neuer  Schreiber 
durch  den  gebrauch  der  form  thrne  verrät,  kommt  der  aca  sing.  masc. 
des  artikols  an  nachstehenden  stellen  vor: 

1859,  1863  thana,  1864  thana,  1868,  1871,  1888  thana,  1899. 
1905,  1927,  1931,  1979,  1980,  2014,  2158  thana,  2290,  3308,  2313, 
2314,  2319,  2362,  2405,  2410,  2444,  2504,  2511,  2611,  2615,  2671, 
2()82,  2688,  2692,  2703,  2704,  2718,  2733,  2737,  2772,  2780,  2788 
then,  2854,  2906,  2921,  2922,  2942,  2944,  2946,  2947,  2986,  8026, 
3110,  3138,  3300,  3201,  3210,  3226,  3237,  3303,  3337,  3348,  3357, 
3359,  3492,  3500,  3617,  3675,  3685,  3711,  3733,  3805,  3907,  3933, 
4080,  4081,  4099,  4130,  4272,  4274,  4442,  4482,  4622,  4555,  4623, 
4764,  4775,  4787,  4809,  4814,  4857,  4874,  4886,  4914,  4923. 

Und  nimmehr  folgt  bis  zum  endo  der  hdschr.  ein  dritter  Schrei- 
ber, welcher  für  die  in  rede  stehende  function  die  dialoktform  [thenaj 
gebjauoht.     Die  cinschliiglichen  stellen  sind  folgende: 

4926,  4946  thenc,  4949  thene,  4954  Hirne,  4963,  4989,  5071 
5074,  5133,  5162,  5238  thane,  5260,  5266. 

Man  sieht,  dass  ich  schon  in  der  allerei-sten  thene-form^  welche 
auftaucht  (v.  1859),  einen  beweis  von  der  tätigkeit  des  thefic-sohieihm 
sehe,  obschon  gleich  darauf  noch  zwei  formen  vom  typus  des  eretett 
Schreibers  („thana",  v.  1863  und  v.  1864)  folgen.  Aber  so  veAeW 
es  wäi*e,  anzimehmen,  das  dem  thana-schreiber,  anmittelbar  berortf 


ZUR  VOROKSCmCHTB  DES  MÜNCHENKB  HELLLNDTEXTE8  435 

von  seiner  tätigkeit  als  copist  abgerufen  wurde,  zum  ersten  male  eine 
vorher  nie  gebrauchte  form  in  die  feder  gelaufen  sein  sollte,  die  zufäl- 
lig mit  dem  dialekte  seines  nachfolgers  in  der  arbeit  der  codex -ab- 
schrift  übereinstimmte,  so  natürlich  erscheint  die  Vorstellung,  dass 
der  tkene-schreiheT  zunächst  zwischen  den  beiden  prinzipien  a)  fort- 
setzung  des  dialektes  seines  Vorgängers  b)  durchführung  seines  eigenen, 
schwankte,  dann  aber  mit  entschlossenheit  sich  für  das  letztere  ent- 
schied. 

Ähnlich  denke  ich  mir  Situation  und  verfahren  des  [thena]- Schrei- 
bers, der  schon  v.  4926  das  ihm  mundgerechte  [thena]  gebraucht,  dann 
aber  noch  dreimal  (v.  4946,  4949  und  4954)  sich  zwang  antut,  um 
die  dialektform  seines  Vorgängers  fortzusetzen,  bevor  er  —  von  v.  4963 
ab  —  sich  entschliesst,  grundsätzlich  seine  eigene  dialektform  zur 
geltung  zu  bringen. 

Unter  diesem  gesichtspunkte  ist  es  auch  durchaus  nicht  unwahr- 
scheinlich, dass  schon  mehrere  derjenigen  thana-formen,  welche  der 
ersten  tkene- form  unmittelbar  voraufgehen,  dem  ihene-schieiher  ange- 
hören, und  dass  ebenso  die  letzten  <Aewe- formen  unter  der  bemühung 
des  [thena] -Schreibers  entstanden  sind,  der  vorerst  darauf  ausgieng, 
das  sprachliche  muster  seines  Vorgängers  in  voller  treue  nachzuahmen. 

Wenn  ich  darum  oben  die  beteiligung  der  drei  verschiedenen 
Schreiber  an  der  anfertigung  der  vorläge  oder  einer  der  vorlagen  des 
Monacensis  so  angesetzt  habe: 

thana-schreiber  v.  85  — 1791/1858, 
ihene-schreiheT  v.  1859  —  4923/25, 
[thena] -Schreiber  v.  4926  —  5275  (schluss  der  hdschr.), 
so  habe  ich  damit  nur  sagen  wollen,   dass  allerdings  meines  erachtens 
der  /Ä^we- Schreiber  bei  v.  1859  und  der  [thena] -Schreiber  bei  v.  4926 
unbedingt  schon  am  eopiertisch  gesessen  haben  müssen,  und  dass  denk- 
barerweise der  thana-schreiber  seine  arbeit  bis  an  irgend  eine  stelle 
zwischen  den  versen  1791/1858,  sowie  der  ^Äe^ie- Schreiber  die  seinige 
bis  zu  irgendwelchem  punkte  der  verse  4923/25  fortgeführt  haben  kann. 
Wahrscheinlich  aber  ist  vielmehr,   dass  sowol  der  /Äe?i^- Schreiber  wie 
der  [thena] -Schreiber  schon  ein  hundert  oder  mehr  vorso  vor  der  oben 
bezeichneten  äussersten  grenze  mit  ihrer  arbeit  angefangen  haben,   zu- 
nächst dem  muster  des  Vorgängers  sorgsam  nachgehend. 

Ich  nenne  nun  noch  die  stellen,  wo  der  ta- stamm  nicht  als  artikel, 
sondern  als  pronomen,  personale  oder  demonstrativum,  erscheint 
Da  beide  fiinctionen  nirgends  im  Heliandtexte  zu  einer  difibrenziening 
^  sa  gninde  liegenden  form  geführt  haben,  so  weist  auch  der  acc. 

28* 


43G  ELINOHARDT,   ZUR  V0R0E8CHTCHTE  DES  UÜNCHXNER  HKUANDTEZTB8 

sing,  niasc.  des  pronomens  die  jedem  Schreiber  für  den  nämlichen  casus 
des  artikels  eigene  form  auf. 

Der  textabschnitt  des  thana-screibers  enthält  nur  einen  fall,  wo 
der  ta- stamm  als  pronomcn  auftritt,  nämlich  v.  1708,  und  zwar  hat 
dasselbe  dort  die  reguläre  form  thana. 

Im  an  teile  des  //^e?^c- Schreibers,  wie  ich  denselben  oben  bestimmt 
habe,  finden  wir  7  solcher  fälle.  Von  ihnen  bieten  6  die  charakte- 
ristische form  theiie:  1870,  1977,  3203,  3923,  4821,  4912;  und  die 
siebente  ist  gegenständ  einer  korrektur  gewesen.  In  v.  2G68  hat  näm- 
lich ursprünglich  y^thanc^  gestanden,  eine  form,  die  im  anteil  des 
thana-schreibei's  3mal  und  in  dem  des  [thena]- Schreibers  Imal,  beim 
/Ä^/if- seh  reiber  aber  sonst  nirgends  vorkommt  Aus  diesem  „^/lawr" 
ist  dann  durch  korrektur  y^ihrene"'  gemacht  worden. 

In  dem  erhaltenen  bruchstück  des  vom  [thenaj- Schreiber  ange- 
fertigten textteiles  findet  sich  überhaupt  kein  beleg  zu  unserer  form  als 
pronomen. 

Zähle  ich  nun  artikel-  und  pronominalformen  unterschiedslos  zu- 
sammen, so  ergibt  sich,  dass  sich  die  im  ganzen  Münehener  Heliand- 
texte  vorkommenden  fälle  vom  acc.  sing.  masc.  des  ta-stammes  auf  die 
drei  vei^schiodencn  Schreiber  verteilen  wie  folgt: 

thana-schreiber:  55  thana,  3  thane,  2  then,  1  than. 
///p/«^- seh  reiber:  93  thenv,  4  thana,  1  then,  1  thuene. 
fthena]- Schreiber:  9  fthena],  3  thene,  1  thane. 

Ich  meine  alles  im  vorliegenden  falle  interessierende  gesagt  zu 
haben. 

Nun  wird  sich  jedem  leser  dieser  zeilen  die  frage  nahe  legen: 
sollt(*n  nicht  die  drei  dialcktverschiedenen  Schreiber  der  Monaeensis- 
vorlage  ihre  sprachliche  eigenart  auch  noch  in  anderen  dingen,  ausser 
dem  acc.  sing.  mas(\  vom  ta-stamme,  verraten?  Die  beantwortung 
ders(?lbon  wird  gleiches  interesse  erwecken,  ob  sie  positiv  oder  negativ 
ausfallen  mag.  Leider  hindern  mich  persönlich  näher  liegende  berufc- 
aufgaben,  dem  voi'liegenden  gegenstände  in  dieser  richtung  noch  wei- 
ter nachzugehen. 

liKNDSBl'Uir    (UOI-STKIN).  H.    KLIXGUAROT. 


SPRENQEB,   Zu   MAI   UND   BtAFLOR  437 

ZU  MAI  UND  BfiAFLÖR 

Den  text  der  durch  Franz  Pfeiffer  besorgten  ersten  ausgäbe  von 
Mai  und  Beaflör  (Ijoipzig,  Göschen,  1848)  hat  der  herausgeber  selbst 
für  der  besserung  bedürftig  erklärt  Was  ich  mir  im  laufe  der  jähre 
bei  widerholter  lesung  der  schönen  erzählung  zu  einzehien  stellen 
angemerkt  habe,  stelle  ich  im  folgenden  zusammen.  Da  es  mir  an 
zeit  und  gelegenheit  fehlte,  die  in  den  letzten  jähren  über  das  gedieht 
erschienenen  arbeiten  vollständig  zu  vergleichen,  so  hat  auf  veranlas- 
sung der  redaction  dieser  Zeitschrift  herr  dr.  F.  Schultz  in  Kiel,  [jetzt 
in  Husum],  der  sich  selbst  eingehend  mit  Mai  und  Boaflor  beschäftigt 
und  beide  handschriften  neu  verglichen  hat,  meinen  aufsatz  durch 
eine  reihe  von  bemerkungen  imd  Zusätzen  ergänzt,  für  die  ich  ihm 
meinen  besten  dank  sage. 

10,  17  ist  find  nicht,  wie  der  herausgeber  meint,  zu  streichen. 
19,  5.  ob  dir  herxenleit  geschiht, 
da^  lä^  bi  dir  lange  niht 
dhics  libes  im^  ouch  niht  xe  geil, 
so  volgct  dir  scelde  unde  heil 
Statt  libe^  verlangt  der  Zusammenhang  als  gegensatz  zu  hcrxeuleit:  lie- 
bes;   vgl.  Konr.  v.  Fussesbrunnen ,   Kindheit  Jesu,    horausg.   von   Ko- 
che ndörflfer  1623  fgg.:  o2(ck  ist  uns  dicke  geseit,  e^  si  ein  grö^c  scelec- 
heit,  swcr  sine  fröude  tmd  sin  klagen  in  (lies:  xe)  rehter  md^e  kihine 
tragen y  st  sines  liebes  niht  xe  rrö  tmd  klage  sin  leit  also,  da^  er  sin 
niht  rnere  a)^ 

21,  11.  da  ivolde  er  xiio  mischen, 
ob  er  si  möhte  erwischen 
oder  an  iht  gerähen. 
Die  Vermutung  des  herausgebers:  er^  xuo  miscJien  ist  mir  unverständ- 
lich.    Die  lesart  von  B   sich  xuo  mischen   gibt   allenfalls   einen   sinn 
(sich  darein   mengen?),   doch  vermute  ich,    dass  mischen  aus  ivischen 
entstanden  ist;    vgl.   über  dieses  wort  in  der  bedeutung  „sich  schnell 
wohin  begeben"  ausser  Lexer  III,  938  Schmeller^  II,  1041.  b) 

25,  7.  2W^  mil^  ligende  hoeren.  Die  lesart  von  A:  wils  ist  nicht 
zu  bezweifeln,  da  h(eren  auch  den  genetiv  regiert  c) 

27,  4  hat  die  hdschr.  du  irilt  leckt  umbevücren  mich.  Der  her- 
ausg.  vermutet  cht  für  lecht\  es  ist  aber  liht  „möglicherweise,  viel- 
leicht** zu  lesen,  d) 

1)  Die  buchstaben  a)  b)  c)  fgg.  verwoison  auf  den  zweiten  teil  des  aufsatzes 
'    vm  Sohults. 


438  SFRENOEB 

28,  10  lies:  sin  (ihres  vaters)  irre  (verirrung)  si  üf  trüren  treif,^) 
28,  28  lese  und  interpungiore  ich: 

e^  is  he^Ty  da^  ich  eitie  not 

lide  dann  wir  beide 

mit  immer  iverndem  leide 

mücsten  doch  entsfietit  stn, 

ich  tmd  der  leider  vater  min. 
entsnetit  setze  ich  statt  des  hdschrl.  entsetvnt.     Über  ensnöuwen,  mi- 
sniiaven   „beschimpfen"   s.  Mhd.  wb.  ü,  2,  450b;    Lexer  I,  567  und 
589.     Weder  das  in  den  text  gesetzte  entsitinet  Vollmers   noch  die  in 
den  anmerkungen  mitgeteilten  Vermutungen  (entsüefiet,  ensamcnf)  ent- 
sprechen dem  zusammenhange. 

37,  23  lese  ich:  nü  wele  sivelhe^  dir  lieber  st.  f) 

41,  8  ist  mit  B  zu  lesen: 

da  der  gater  Jiesamene  gät, 
da^  sin  der  nagel  solde, 
da^  icas  ein  buckel  von  golde. 
Vgl.  41,  25  fg.  da^  din  tassel  sohlen  sin,  da^  waren  xwenc  mbin. 

42,  38  ü^  heiser  stimme  si  schre.  Es  ist  kein  grund  das  in  bei- 
den hdschr.  überlieferte  hei^^er  ^  „stark,  heftig,  inbrünstig''  zu  ändern; 
vgl.  hei^  Worte  y  hei^iu  rede. 

46,  18  ist  mit  den  hdschr.  zu  lesen:    der  jämer  die    vrcudc  in 

diu'chdranc.  üurchdringcn  ist  =  durchbrechen;  vgL  13,  37  der  jnmer 

ir  durch   ir   rreude   brach,    24,  18    der   xorn   im  durch  die   tugcmk 

brach,  g) 

52,  17.  da^  lant  ist  vesie  unde  giiot, 

vor  aller  vreise  ivol  behuot. 

an  einer  eingeht  e^  stdt: 

da^  mer  alumb  dar  umbe  gät. 

Der  hcrausgeber  voniuitet,  dass  v.  19  ursprünglich  gelautet  habe:  wan 
e^  einxehten  stdt.  Es  genügt  aber  statt  eingeht  einzeht  zu  lesen,  da 
bei  Schmellcr^  I,  89  (vgl.  auch  Lexer  I,  532)  auch  ein  subst  die  Aifi- 
xecht  -=  einöde  verzeichnet  wird.  Das  wort  hat  hier  die  bedeutung 
einer  ganz  abgesondert  liegenden  örtlichkeit,  wie  ja  auch  Äitiocd  noch 
jetzt  in  Tirol  und  Oberbayern  als  bezeichnung  eines  einsam  und  ganz 
abgesondert  liegenden  bauernhofs  vorkommt. 

53,  7.  gcnnoc  Hute  wären  da: 
die  liefen  an  die  reise  sä 
und  nämen  des  schiffelines  war. 


zu  MAI  UND  B^AFIidB  439 

die  reise  loufen  erklärt  Pfeiffer  mit  berufung  auf  Schmeller  3,  125  u. 

)  durch  „zu  den  waflfen  greifen,    sich  in  Verteidigungsstand  setzen." 

ein    diese    erklärung    entspricht    dem    zusammenhange    nicht     Ich 

reibe: 

die  liefen  an  die  rise  sä. 

?  (vgl.  Mhd.  wb.  I,  726;  Lexer  11,  458)  bezeichnet  eine  rinne,  auf 
der  man  gefälltes  holz  herabrollen  lässt.    Nach  Ulrichs  von  lieh- 

stein  Frauendienst  365,  31  ei7i  stecliel  rise  xetal  ich  lief  gein  einem 

^eVy  da^  was  tief  und  366,  9  nach  mir  die  rise  er  lief  xe  tal  wur- 
sie  auch  als  fussweg  benutzt.   Der  Schreiber  von  B,  der  sich  den  aus- 

ck  nicht  zu  deuten  wusste,  schrieb  —  nach  Schultz  —  xuo  dein  wasser. 

79,  7.  genäde,  vrawe.  nu  nemet  war: 
ja  hän  ich  lip  und  leben  gar 
in  iwer  genäde  siis  ergeben, 
da^  ich  teil  iuwer  eine  leben 
immer  al  die  wile  ich  lebe 

in  V.  10  ist  ein  deutliches  beispiel  für  die  von  Haupt  zu  Engelh. 
7   angenommene  bedeutung  =  iiiuivan.     Entsprechend  hat  B:  und 
wann  etvr  aine  leben. 

87,  36.    Das   in   den  text  aufgenommene  Icunnent  entspricht  der 

che  des  dichters  nicht,   da   diese  form  erst  seit  dem  14.  jahrhun- 

(s.  Weinhold,  Mhd.  gr.  §  396)  erscheint.     A  hat  richtig  chun7ien,\)) 

111,  20.  manec  riter  dö  gerte 

als  hungerige^  vederspil, 

herausgefrer  vermutet:  dö  strttes  gerte;  eine  änderung  ist  aber 
t  geboten,  da  gern  hier  die  begierde  des  Jagdfalken  nach  beute 
jexer  I,  885)  bezeichnet     Vgl.  auch  girvalke! 

118,  39  fgg.  sind  in  Pfeiffers  ausgäbe  folgendermassen  gedruckt: 

renncere  si  vür  sanden: 
die  solden  in  enblanden, 
dax  man  xeck  hei^eten, 
da  man  die  vint  mit  rei^t, 

der   anmerkung   wird   enblanden   in    erblanden   verbessert     Allein 
1  dies  trifft  den  sinn  nicht     Ich  interpungiere: 

renncere  si  vür  sanden, 
die  solden  in  enblanden 
dax  man  xecken  heixet, 
da  man  die  vint  mit  rei^t 


440  SPBBNOKB 

D.  h.:    Sie  sandten  reitende  boten  voraus,   die  sollten  sich  das  geplwi 

kel  angelegen  sein  lassen,   womit  man  die  feinde  reizt     Vgl.  $i  lUz 

in  strit  enblanden  „sie  li essen  sich  den  streit  angelegen  sein,  kämp 

ton  mit  aller  macht",  Rabonsl.  28b. 

122,  29.    er  ist  ob  U7is  allen  ein  her.     Es  ist  ob  zu  streiche 

Die  Schreiber  haben  die  redensart  einem  ein  her  sin  nicht  verstand 

und  her  als  abgekürzte  form  von  herre  gefasst. 

130,  12  lese  und  interpungiere  ich: 

er  sprach:  „alle^  da^  ich  niae 

nach  eren  gewerben 

—  dar  umbe  und  tmio^  ich  sterben  — 

durch  iuch  und  durch  die  vrouwen  min, 

des  tuon  ich  wülccliclien  schind 

dar  umbe  und  muo^  ich  sterben  „und  wenn  ich  dabei   den  tod  ei 

den  muss".  i) 

138,  31.   diu  rromve  vil  uniriuwe  pflac, 

tnl  tvines  si  sich  gein  im  bctvac 

und  machte  in  imnken  aber  als  c\ 

V.  32  kann  so  nicht  richtig  sein.     Die  handschriften,  dio  auch  weh 

statt  wincs  haben,   sind    offenbar  entstellt:    doch  hat  A   richtig  u 

statt  bewac.     Ich  lose: 

vil  wines  si  im  wac 

„sie  teilte  ihm  viel  wein  zu".     Vgl.  Mhd.  wb.  III,  630.  k) 
139,  8  liest  B  unzweifelhaft  richtig: 

und  wi^^et,  ob  ir  da^  lät, 
ich  tcete  iu  tvtp  unde  kint 
Für  tvisset  hat  A  wart,  was  von  dem  herausgcber,  dem  mhd.  spm 
gebrauch  nicht  cntsprccliend  iu  wartet  geändert  wird.  1) 

150,  32  lese  ich:  bewart  niwene  dar  an  inich  „nehmt  dabei 
mich  durchaus  keine  rücksicht";  fiiwcne  =  niht  ne;  B  hat  dafür  n 

172,  16.   du  ur /einsehe  der  välande. 
Schon  im  Mhd.  wb.  I,  823   wird    mit   recht   bemerkt,   dass   urkins* 
(die  hdss.  haben  urchonche)  „schwerlich  richtig"  sei.     Auch  die  vom: 
tung  urkust  in  den  anmerkungen  trifft  das  richtige  nicht.     Ich  vemm 
unkiusche  „unreine  begiorde",  personif  im  Wälschen  gast  9914.    V 
172,  10  dti  bist  des  Übeln  tievels  brüt. 
174,  32  interpungiere  ich: 
ein  gnot  cpgtaphium 
der  bischolf  madtte  über  da^  grap, 
dar  üf  man  schreib  (ergänze  da^),  damit  er  gap 


Zu  MAI   UND   B^AniOR  441 

urküiide,  umbe  tviu  si  was 
erslagen,  da^  man  da^  las. 

176,  19  lies:    Oeh&rsam  was  diu  (si  diner)  meisteriii,  m)     Vgl. 
V.  13  ZhIU  was  diu  meixoginne  und  15  Triive  diu  ka^nercerinne  was. 

177,  6  ist  mit  A  zu  lesen: 

so  pflac  diner  eren  phat 
Dürrmot 
Der   reim  phat  :  tat  kann   bei   unserem  dichter  nicht  auffallen;   vgl. 
229,  39  siät  :  erm  phat 

Nach  178,  7  setze  ich  einen  punkt  und  lese  dann: 

ir  herzen  si  nie  verhankie, 
da^  e^  ie  ivürde  xwivelhaft 
gein  dir. 
Das  ausgelassene  si  findet  sich  in  beiden  hdss. 

181,  22.    tvir  sehen  dort  ein  schiffet  stdn, 
da^  ist  dem  dineti  geltc/ie, 
da^  ir  diu  tiigentrtche 
xuo  ir  noiten  niaelien  bat. 
dem  dlnen  kann,  obgleich  in  A  überliefert,   nicht  richtig  sein.     B  hat 
dafür  ienem.     Es  wird  ui*sprünglich  einem  oder  enem  gelautet  haben. 
184,  13  fgg.  lese  ich: 

si  gierigen  hin.     Benignä  truoc 
da^  kint.   da^  wart  gentioc 
gekiissct  gehaket  unde  getrüt 
Vgl.  die  lesarten.  n) 

184,  22.   si  gierigen  an  einer  stille 
in  eine  kemenäteti, 
da  e^  was  hin  geraten. 
V.  24  gibt  keinen  sinn.     Ich  vermute:  als  c^  in  was  geraten  „wie  sie 
dazu  aufgefordert  waren"   (vgl.  sachlich  183,  35  fgg.).     über  die  hier 
vorliegende  bedeutung  von  rdteri  vgl.  K.  v.  Fussesbrunncn,  Kindh.  Jesu 
1888  nn  truoc  dm  hüsfrouwe  dar,   als  ex  ir  ivas  geraten,  obcx  unde 
braten,  o) 

187,  9  ist  mit  den  hdss.  zu  lesen: 

Da^  vninder  ich  bestinder 
vilr  maneger  Imnde  wtmde?'. 
d.  h.:  „Dies  bewundere  ich  mehr  als  manche  wunderbare  begcbenheit " 
189,  26.  niicen  ist  unzweifelhaft  ===  niun  „neun"  und  die  Vermu- 
tung von  niuwem  goldc  nicht  statthaft,   weil  eine  Unterscheidung  von 
altem  und  neuem  golde  überhaupt  nicht  gemacht  wird. 


442  8PRSNQRB,   ZU  MAI  UND  B^UTLOB 

192,  4.  er  ist  vor  scJiaiiden  ein  gettverc.  A  hat  von  schanit; 
zu  lesen  ist  aber:  er  i^t  der  schänden  ei?i  geiicerc.  Vgl.  er  ist  da 
gdoubin  ein  gdirerc  Martina  221,  57:  des  prises  ein  rise  fühtdn 
twerc  MS.  H.  3,  170  a. 

204,  24.   si  spräcJien  alle:  „tinr  müe^en 
liden  den  wen,  d€7i  tvir  hän 
an  tinserr  vrouwen  getan  ... 
Der  sinn  der  stelle  ist:    „Wir  müssen    das   unrecht  büssen,  das  wir 
unserer  fi*au  getan  haben."     iren  (^  wewen)  kann  nicht  richtig  sein. 
B  hat:   dg  untat;    es  wird  also  den  7)iein  zu  lesen  sein.     Auch  Udcn 
in  der  bedeutung  „büssen"   ist  mhd.  nicht  möglich;    auf  das  richtige 
führt  aber  widerum  die  lesart  von  B  Dann,    wofür  schon  der  heraus- 
geber  döim  vermutete.     Es  ist  zu  lesen: 

si  sprächen  alle:  ,^mr  niiie^en 
döutven  den  mein,  den  icir  hän 
an  unscrr  vrouwen  getan, 
207,  6.  krütgeslaht  „pflanzenart",   ein  sonst  nicht  zu  bclcgcndt»> 
substiuitiv  ist  bis  auf  weiteres  aus  dem  Wörterbuch  zu  streichen;  denn 
geslaht  ist  adj.  =  edel,  wie  es  auch  B  (nach  Schultz  krautter  slacht)  aul- 
fasst.    Vgl.  ein  kriutcUn  geslaht  im  Wälschen  gast  13,  124.  p) 

209,  18.    Ich  sehe  keinen  grund,   das  überlieferte  niht  rcruihtni 
in  ////  vntnihtcn  zu  ändern,  q) 

211,  17  fgg.  ir  enkoufet  hie  niht  umhe  ein  ei: 

wrere  ein  Bernfcre  enxwei 
geteilt,  dar  umhe  kaufet  ir  niht, 
Wiis  bedeutet  ein  llcrncere?  Der  herausgeber  hat  uns  keinerlei  andou- 
tung  darüber  gegeben,   aber  fast  scheint  es,   als  ob  er  dabei  an  den 
sagenberühmton  Dietrich  von  Bern  gedacht  hat.     Auch   in  den  mittel- 
hochdeutschen wörterbüchorn  ist  auf  die  stelle  keine  rücksicht  genom- 
men,  wol  weil   man  hier  Berncere  als  eigennamen  fasste.     A  schreibt 
Werner,   und  zu  les(m  ist  herner,  d.  h.  Bemer  pfennig,   denarius  ven>- 
nensis;    vgl.  darüber  Lexer  I,  196  und  Schmeller-Fr.  I,  279,    wo  aus- 
führlich darüber  gehandelt  ist     Der  Berner  ist  eine  sehr  geringwertige 
münze  und   nit  ain  brrner  ist  bildliche  Umschreibung  für  „nicht  das 
geringste"    (s.  Schmeller-).     Der  sinn  ist  also:    „Ihr   kauft   hier  auch 
selbst  nicht  für  einen  halben  pfennig.  r) 

216,  16.    min  tohter  iwer  xe  md^en  gert 
Dass  xe  maz^en    „zum  tischgenossen"    zu   lesen   ist,   bemerkte  schon 
31.  Haupt  z.  Erec2  1969  (s.  359  oben).     Die  stelle  fehlt  im  rasten 

NORTHEIM,   m   AUGUST   1894.  B.   SPBKMQSB. 


über  Mai  und  BöaflSr  finden  sich  verstreute  bemerkiingcn  bei 
W.  Grimm,  „Zur  geaohichte  des  reims",  sowie  in  Haupts  ausgäbe  dos 
„Erec".     Neuerdings  sind  ersciiieneu: 

0.  Wächter,  Unteßuchungeu  über  das  gedieht  „Mai  und  Bea- 
flilr"  (Jenaer  diss.)  Erfurt  18t*9.  (Vgl.  dazu  die  ausführliche  besprechuug 
von  Steinmeyer  in  Anz,  f.  deutsch,  altert  XVI,  292  fgg.) 

F.  Schultz,  Die  Überlieferung  der  mhd.  diehtung  „Mai  und  Bea- 
flör"  (Kieler  diss.).  Leipzig  1890.  (Vgl.  dazu  XXIU,  491  fg.  und 
Anz.  f.  d.  a.  XVU,  74  fg.). 

Meine  arbeit  bomht  auf  einer  neuen  collation  der  hss.  und  bringt 
ausser   manchen   kleineren   orgänzungen    und    berichtigungen   zu    dem 
kritischen  apparate  und  ausser  textkritischen  vorschlagen  auch  mehrere 
ganze  verse  bei,   von  denen  in  der  ausgäbe  jede  spur  fohlt    Es  seien 
I     diese  verse  im  folgenden  für  weitere  kreise  mitgeteilt, 
I  92,  11  fgg.  hat  B: 

1  11.     Syben  man:  tiann  er  gettas 

H  12.     Mii  seinem  pet  er  das  erlasx 

H  12  a.  Den  iiefel  er  von  im  vertraib 

U  12  b.  Das  er  wol  gesund  belaib. 

13,  Also  siilleti  ivir  pillen  goi 

14.  Das  des  vbeln  tiefeis  spol  usw. 
vgl.  dazu  Schultz,  a.  a.  o.  s.  19  fg.; 

hinter  109,  26  finden  sich  in  AB: 

26a.    sand  er  im,  diu  «vts'  not  gesniten, 
26b.   gröx  richheit^  iiiht  daran  icas  venniten, 
vgl,  dazu  Schultz,  a.  a.  o.  s.  37  fg.; 
hinter  218,  38  ebenfalls  in  AB: 

38a.    Si  sprach:  „kerre,  nu  exxet  gern''. 
38b.    Er  sprach:  „ich  wil  iuch^  gewern", 
vgl.  dazu  Schultz,  a.  a.  o.  s.  39; 
hinter  234,  28  nur  in  B  (A  bricht  bereits  mit  224,  18  ab!): 
28  a.    vnd  lieff  an  Rdboälen 
28  b.    vnd  kust  in  zuo  Tausont  vitilen 
28  c.    an  derselben  stund 
28d.    an  wang  an  äugen  vnd  an  mttnd, 
vgl.  dazu  Schultz,  a.  a.  o.  s.  22  fg.; 

1)  icns  Tob»  B, 

2)  ritlerhait  daran  niflil  <rarl  vtniiiteii,  B. 

3)  ew  sein  gewem  B. 


444  SCHULTZ 

hinter  236,  14  ebenfalls  nur  in  B  (s.  oben!): 

14  a.    nach  hiscliofen,  nach  Cardinäln, 
14  b.   Er  wolt  nicht  entwäln, 
vgl.  dazu  Schultz,  a,  a.  o.  s.  23,  und 
hinter  242,  5  gleichfalls  nur  in  B  (s.  oben!): 
5  a.    tt-ir  süllen  vns  gehaben  ivol, 
vgl.  Schultz,  a.  a.  o.  s.  23  fg. 

Zur  fabol  der  dichtung  vgl.  ausser 
Morzdorf,    „Des  Bühelers  königstochter  von  Frankreich*,  Olden- 
burg 1867  und 

Suchlor,  „Über  die  sage  von  Oflfa  und  prydo**  PBB.  IV,  500  fgg.  noch 
H.  Hagen,    „Der  roman  vom  könig  ApoUonius   von  Tyrus"  in 
Virchows    und    Holtzendorflfs    Sammlung    gemeinverständlicher   wissen- 
schaftlicher vortrage,  ser.  XIII,  heft  303,  ferner 

Konr.  Hüfmann,  Amis  et  „Amiles  nnd  Jourdains  de  Blaivies*', 
2.  aufl.    Erlangen  1882  s.  XXXIII  fgg.  und 

E.  Kohde,  „Der  griechische  roman  und  seine  Vorläufer*^,  Leipzig 
1876. 

a)  Zu  19,  5.  Bestätigt  wird  Sprengers  Vermutung  durch  die  aus- 
(Irückliclio  gogonüberstellung  von  liep  und  leit  in  18,  40.  Es  werden 
die  einzelnen  elomente  dieser  gegenüberstell ung  vorher  18,  34  fgg.  nach 
der  allgemeinen  Vorschrift  18,  32  fg.  gleichsam  unbewusst  und  zufallig 
gefunden,  hier  nach  der  präcisierten  fassung  18,  39  fg.  und  nochma- 
liger nachdrücklicher  mahnung  19,  1  —  3  gleichsam  bewusst  und  geflis- 
sentlich herausgekehrt,  um  sie  schliesslich  in  dem  gemeinsamen  lohn 
der  sacldc  tnidc  heil  19,  8  widerum  zusammenzufassen.  Diese  breite 
ausdrucksNvcise  eignet  durchaus  dem  dichter  und  seiner  volkstümlichen 
leiirhaften  dai-stellungsweise;  vgl.  Wächter  s.  20  fgg.  Zu  dem  ausdniek 
Vgl.  des  rauhes  geil  und  ähnliche  Wendungen  mit  geil. 

b)  Zu  21,  11.  Über  da  tvolde  er  xno  misclicn  und  erx  xuo  mi- 
schen vgl.  Mild.  wb.  II,  a,  287b.  Die  änderung  von  vmchen  in  irischen 
würde  übrigens  einen  rühn^nden  reim  {id-schen  :  erwischen)  ergeben, 
der  freilich  von  dem  dichter  nicht  ängstlich  gemieden  worden  ist  (vgl 
Wächter  s.  10),  aber  gegen  die  gemeinsame  lesart  beider  hss.  doch 
schwerlich  hergestellt  weiden  darf.  Es  empfiehlt  sich  wol,  mit  B  sich 
xuo  mischen  in  dem  oben  vermuteten  sinne  in  den  text  au&unehmen. 

c)  Zu  25,  7.  Es  entspricht  weder  das  in  dem  texte  stehende 
ich  H'il\  ligende  haroi  noch  die  oben  vertretene  lesart  der  hs.  A  tck 
u'ils  ligende  hären  der  Situation,  sondern  allein  jdie  schon  von  mir  iv 
meiner  dissertation  s.  60  vertretene  lesart  der  hs.  B  ich  wiläkktM^ 


J 


zu  MIT  UND  B^FLOR  445 

fueren.  Denn  es  kommt  dem  sprechenden  doch  nicht  darauf  an,  dass 
er  das,  was  die  angeredete  ihm  zu  sagen  wünscht,  im  liegen  hört, 
sondern  doch  darauf,  dass  sie,  die  nach  25,  1  (vgl.  auch  25,  12  fg.) 
nur  erst  einmal  sich  erheben  zu  können  begehrt,  liegen  bleibt  und 
was  immer  sie  zu  sagen  wünscht,  in  dieser  läge,  ohne  sich  zu  erhe- 
ben, mitteilt;  das  Ugende  gehört  also  nicht  sowol  zu  ihm,  dem  vater, 
der  hören  soll,  als  vielmehr  zu  Beaflor,  die  gehört  werden  will  und 
die  er  hören  soll. 

d)  Zu  27,  4.    Ich  schlug  bereits  in  meiner  dissertation  s.  60  vor: 

du  wilt  Ithte  u^nbeviieren  mich. 

e)  Zu  28,  10.  Ich  vermute,  die  Überlieferung  —  es  handelt  sich 
hier  zudem  infolge  der  durch  das  abhandenkommen  eines  doppelblattes 
in  A  hier  entstandenen  lücke  (vgl.  meine  dissertation  s.  7)  nur  um  die 
der  hs.  B,  über  deren  beschafTenheit  und  Zuverlässigkeit  ich  in  meiner 
dissertation  s.  5 — 48  und  s.  56  —  60  ausführlich  gehandelt  habe  —  ist 
hier  verderbt  und  das  überlieferte  irr  aus  ursprünglichem  ir  herre  ent- 
standen. Es  wäre  Iierre  dann  hier  wie  auch  Küdrun  611,  3  (vgl.  610,  2) 
zur  bozeichnung  des  vaters  von  seiten  der  kinder  (s.  D.  Wb.  IV,  2,  1127) 
gebraucht  und  mit  anderer  Interpunktion  als  in  der  ausgäbe  sodann 
zu  lesen:  ir  Jierre  »i  üf  trüreii  treip, 

dax  leit  smerxte  si  ie  me. 
Es  dürfte  auch  inhaltlich  und  stilistisch  sich  empfehlen,  so  zu  lesen. 
Denn  einerseits  käme  so,  nachdem  Beaflor  bis  28,  9  nur  an  ihre  glück- 
liche befreiung  gedacht  hat,  jetzt  28,  10  fgg.  der  doch  nur  natürliche 
gedanke  zum  ausdruck,  dass  bei  der  erinnerung,  ihr  vater  sei  es,  der 
sie  zu  vergewaltigen  versucht  habe,  sie  sich  nicht  nur  sehr  betrüben, 
sondern  je  länger  je  mehr  sich  betrüben  musste.  Anderseits  wäre  aber 
auch  so  in  echt  volkstümlicher  ausdnicksweise  zwischen  den  verscn  10 
und  11  eine  Verbindung  hergestellt,  bei  der  dax  leit  in  11  den  gan- 
zen letzten  satz  in  10  aufnehmen  und  nicht  mehr  isoliert  dastehen 
wüi*de. 

f)  Zu  37,  23.  Die  änderungen  des  dÄ  ivele  in  nü  tvele  empfiehlt 
sich  auch  mit  rücksicht  auf  das  nü  nim  die  tval  37,  14,  das  hier  wider 
aufgenommen  wird. 

g)  Zu  46,  18.  Bei  dem  ausgedehnten  gebrauch,  den  der  dichter 
nach  Wächter  (s.  15  fg.)  von  der  apokope  eines  tonlosen  e  im  auslaut 
vor  konsonanten  macht,  lässt  sich  gewiss  auch  die  durch  beide  hss. 
überlieferte  und  überdies  mit  den  oben  angeführten  parallelen  —  13,  37 
ist  übrigens  auch  ebenso  wie  in  unserem  verse  46,  18  und  in  24, 
18  für  das   zweite   ir  mit  B   der   artikel   die   zu   lesen  —   auch   in 


446 

der  voranstellung  dos  pronominalen  dativs  übereinstimmende  Stellung 

der  iämer  in  die  vreude  durchdranc 
beibehalten;  die  apokope  wird  hier  sogar  vielleicht  noch  durch  das  zu- 
saramentrefTen  gleicher  konsonanten  (vgl.  z.  b.  39,  11.    195,  38.  216,  l 
und  bei  homorganen  konsonanten  24,  6  imd  179,  40)   gemildert  oder 
begünstigt 

h)  Zu  87,  36.  Ich  habe  in  meiner  dissertation  8.49 — 55  auf 
grund  einer  statistischen  beobachtung  der  reime  die  grundsätze  für  die 
orthographische  darstellung  der  dichtung  zusammengestellt  und  s.  56 
auch  auf  das  der  3.  plur.  praes.  der  praeteritopraesentia  in  der  ausgäbe 
ohne  grund  angehängte  t  in  kuniient  87,  36.  38,  4.  209,  14  und  in 
mugent  :  tugent  155,  23.  24  und  andere  versehen  im  texte  der  aus- 
gäbe aufmerksam  gemacht. 

i)  Zu  130,  12  fg.  Der  gedanke  ist  gefällig;  aber  eine  solche  Stel- 
lung des  Sätze  vorknüpfenden  undc  ist  mir  doch  sehr  bedenklieb. 

k)  Zu  138,  31  fg.  Den  überlieferten  lesarten  entspricht,  von  der 
augenfälligen  entstell  ung  des  sicherlich  ursprünglichen  wines  abgesehen, 
am  meisten  vil  ivtnes  st  sich  gegen  im  wac. 

Nach  Mhd.  wb.  III,  628,  b  wird  sich  wegen  mit  folgender  präposition 
oft  parallel  mit  sich  vlixen  in  der  bedeutung  „sich  bestreben"  gebraucht 
Vil  wines  st  sich  gegen  im  wac  würde  demnach  bedeuten:  sie  bestrebte 
sich  gegenüber  dem  boten  in  bezug  auf  viel  wein,  und  der  folgende 
vers  toid  machte  in  truniccn  aber  als  e  würde  dann  dieses  bestreben 
durch  die  angegebene  folge  näher  bestimmen.  Es  dürfte  auch  diese 
synthetische  form  des  ausdrucks,  bei  der  ein  neuer  gedanke  den  ersten 
erweitert  oder  ergänzt  als  grund  oder  folge  oder  auch  als  bild  oder 
Sache,  ebenso  wie  die  synonyme  form,  bei  der  derselbe  gedanke  mit 
anderen  werten  widerholt  wird,  und  wie  die  antithetische,  bei  der  ein 
gedanke  durch  seinen  gegensatz  genauer  bestimmt  und  eindringlicher 
gemacht  wird,  der  volkstümlichen  darstellungsweise  des  dichtors  eignen. 
Wächter  kommt  s.  34  fgg.  freilich  nur  auf  die  synonyme  und  auf  die 
antithetische  form  des  ausdrucks  zu  sprechen,  scheint  aber  auf  diese 
synthetische  form  nur  nicht  eigens  geachtet  zu  haben;  vgl.  z.  b.  noch 
98,  39  fg.,  eine  stelle,  die  auch  Wächter  anführte 

1)  Zu  139,  8  fg.  Unzweifelhaft  richtig  scheint  mir  hier  das  von 
dem   herausgeber  unter   Zugrundelegung   von   A  in  den  text  gesetzte 

1)  Es  werden  in  ähnlicher  weise  bei  dem  parallelismus  der  hebräischen  poesie 
dieselben  drei  formen,  die  synonyme,  die  antithetische  und  die  synthetische  fonn 
des  ausdrucks  unterschieden. 


1  ^iSiM 

vartet  zu  sein;   wixaet,   das  B  bat,  ist  unzweitelliaft  nur  ein  voi-flach- 
ier  ausdruck  fiir  wartet. 

m)  Zu  176,  19.  Ich  schlug  dtn  meisienn  in  nioiner  ilissertation 
.  56  bereits  vor. 

n)    Zu  184,  13  fgg.     Bei   Sprengers   ändemng   sind    dot-h  gerade 
die  lesarten"  sehr  wenig  berücksichtigt  worden.     Nach  ihnen  werden 
■wir  vielmehr,  wie  auch  in  den  anmerkungon  nachgetragen  worden  ist, 
184,  14  fg,  mit  AB  lesen: 

daz  kint,  daz  wart  gekiisset  gpiiuoc, 
gehalset  unde  getrüt. 
Es  lässt  sich  bei   der  verskunst   unseres   dichtere  (vgl.  Wächter 
i.  11  fgg.)  und  dem  nach  Wächter  (s.  16  fg.)  recht  ausgedehnten  gebrauch 
der  Synkope  doch  metiisch  auch  nichts  gegen  die  veree  einwenden  und 
dürften    die    verse    zudem    durch    die   oben    zu   138,  31  fgg.  erwähnte 
synthetische  form  des   nusdrucks  sich  sogar  noch  stilistisch  empfehlen, 
o)  Zu  184,  22  fgg.     Dem  Zusammenhang  und  der  ganzen  Situation 
würde  wol  am    meisten    entsprechen,    184,  23    hinter   hcmen/Uen    den 
satz  mit  einem  punkt  zu  schliessen  und  dann  zu  lesen: 
do  ex  ißos  hin  geraten, 
si  sparten  umbe.  und  umbe  xuo. 
Es  wäre   alsdann    zu    übersetzen:    „Als    man    ((la)hiu   gekommen 
(vgl.   170,  2),   verschlossen  sie  ringsum   das  haus."     Mir  ist  nur 
der  Wechsel  der  grammatischen  eubjekte  bei  —  freilich  nicht  ganz: 
=  R6b(ifH,  Benignä,  Beaflör  und  daz  kinl: 
=  RtibMl  und  Benigrui  — 
gleichen  logischen  Subjekten  nicht  unbedenklich. 

p)  Zu  207,  6.  Die  Vermutung,  dass  geslaht  als  adjektiviim  zu 
fassen  ist,  bestätigt  nicht  nur  die  lesart  krautier  stacht  in  B,  sondern 
auch  die  hs.  A;  sie  hat  deutlich  chrout  geslaht  in  zwei  wöiteni  ge- 
flehrieben. 

q)  Zu  209,  18.  Die  angäbe  in  den  anmorkungen  der  ansgiibo 
ist  unrichtig.    Denn  es  ist 

ihl  entnihten 
tatsächlich  von  A  überliefert  und 

niht  rernichten 
nur  von  B;  vgl.  meine  dissertation  s.  59. 

KIBL    1895.  FERDINAND    SCHULTZ. 


448  vooT 

ARIGOS  BLUMEN  DEE  TUGEND/ 

Ths 

(^)Hie  sich  an  höbet  das  puche  der  9^cht,  ler/  vnd  an- 
weisung,  genant  die  plumen  der  tugont  genade  vnd  Qüch- 
ticheyt. 

Ich  habe  getan  als  der  in  dem  chülen  Meyen  In  der  schönen  vnd 
grünen  praiten  wissen  abgeprochen  hatt,  die  edelsten  vnd  schönsten 
plumlein  /  vnd  daraus  gemacht  einen  schönen  vnd  grossen  ehrende 
Den  911  einer  geleichniis  meine  clainen  werche  vnd  püchlein,  das  mit 
nomcn  geheyssen  ist  die  plumen  der  tugent,  genade  vnd  Qüchticheit 
vnd  alle  die  meine  werche  soeben,  hören  oder  lessen,  ob  das  were, 
das  ich  dar  Inno  indert  9U  straffen  were,  Das  Ich  williglichen  von 
einem  Iglichen  auf  nyme,  sein  straffen  9U  mir  in  sein  gewissen  sc^von. 
Im  der  eren  vergünnen  vn  mir  den  schaden. 

Von  Erste  von  der  liebe  vnd  vrsache  aller  liebe  nach 
dem  als  vns  vnsre  heylige  lerrer  schreyben. 

VNs  schreybet  der  grosse  lerrer  thomas,  Das  [lust,  liebe]-  vfid^ 
freüntschaft  Ein  ding  ist.  daii*  er  spricht,  Die  erste  vrsache  einer 
iglichen  liebe  vnd  freüntschaft  das  soy  die  erchentnüs.  CAuch  der  lioy- 
lig  lerer  sant  augustin  spricht,  das  die  erchentnüs  pechome  von 
fünferley  ^eichen  des  leybeß.  Von  erste  von  dem  gesiebte  der  äugen. 
Das  ander  von  dem  hören  der  oren.  Das  tritte  von  dem  gesraache 
der  nassen.  Das  virde  von  dem  versuchü  des  mundes.  Das  fünfte  mit 
dem  greiffen  der  hende  (2)  Auch  mere  von  Etlichem  andern  teyle^ 
dos  leybes.  als  von  den  synnen  der  vcrnüst^^  die  da  sein  in  der  ge- 
dechnüs    der  vernust   des  leybes.     Vnd  von'^  solcher  gedechnm  rnßr 

1)  Der  nbdruck  ist  bis  auf  die  auflosimg  der  abbreviaturen  für  rer  nnd  ft 
})uchstabengetrou ,  nur  die  inteiimnktionen  habe  ich  hinzugefügt,  sofern  sie  nicht 
schon  die  handschrift  in  gcstidt  von  Schrägstrichen  und  punkten  bot  Diese,  die  ein- 
zigen, spärlichen  iuterpunktionszeichen ,  welche  die  hs.  kennt,  habe  ich  auch  da  bei- 
behalten, wo  sie  unserem  brauche  nicht  entsprechen,  im  übrigen  bin  ich  der  modor- 
nen  regel  gefolgt.  Zweifel,  ob  ein  zeichen  von  mir  oder  aus  der  hs.  stanimt,  l^t  nur 
beim  ))unkt  am  Schlüsse  des  satzes  möglich. 

2)  Durch  cinklammerung  werden  werte,  die  am  rande  oder  zwischen  den  Zei- 
len der  hs.  nachgetragen  sind,  gekonnzeichnet. 

3)  Durch  cursivdruck  werden  auf  rasur  geschriebene  oder  durch  sonstige  cor- 
recturen  entstandene  worte  gekennzeichnet. 

4)  dan  aus  ican  corrigiert,  so  öfter. 

5)  e,  darüber  ein  strich  von  schwärzerer  tinte. 
G)  Curr.  aus  vemüsticheyt. 

7)  Corr.  aus  In. 


▲BIQOS   BLUMEN  DER  TUGEND  449 

vemuLst  bechomt^  der  erste  vrsprung  der  liebe  vn  freünschaft.  Doch 
der  mer  vü  gröste  teyle  pechomet  von  dem  gesiebte  der  äugen  €Nacb 
dem  als  der  pbylosofo*  spricbt,  Das  der  erste  wüle  des  leybes  sich 
pegebe  vfi  cbome  von  der  erchentnüs.  Dar  nach  9U  bant  das  gemüte 
sich  verchere  in  lust,  vnd  vm  sölcheß  glustes  icillen  In  dem  hercxen 
sich  begebe  ein  wille  vnd^  pögire,  die  der  [mensche]  durch  die  erchent- 
nüs enphangen  batt  Die  selbig  pegire  chomt  von  einer  boffnung, 
9U  haben  das  Im  dan  vor  gefallen  vn  gelibet  hatte.  Das  ist  das,  do 
von  chomet  die  gröste  vfi  hoste  liebe  der  tiigent\  die  da  ist  ein  anfange, 
gruntfest  vü  Schlüssel  aller  tugent,  CAls  dan  der  grosse  lerer  Aristotile 
Im  (!)  dem  decreto  geschriben  batt  CAuch  der  lerrer  thomas  das  pewey- 
8et     Do  er  spricht,  chein  tugent  nicht  mag  gesein  an^  liebe  (usw,). 

S.  3.  Das  ander  Capittel  von  der  minne  vnd  liebe  gott:;, 
die  da  genant  ist  pey  den  gelerten  Caritas  -^  cv> 

S.  5.    Von  der  geporen  vnd  freüntlicher  liebe  -7-  cv? 

S.  7.  Von  der  tritten  vnd  freüntlichen  liebe  der  guten 
geselschaft  vnd  günner  -7-  cv? 

S.  10.   Von  der  virden  liebe  vnd  Irem  luste  4-  cv? 

S.  12.   Von  der  fünften  vnd  natürlichen  liebe  -r-  «^ 

S.  14.  Wer  übel  vnd  gute  von  den  frauen  geschriben 
hatt,  als  dan  ist  Salamon,  Ipocrate,  Omero,  Seneca  -r-  cv> 

(17)  Ein  hystorj  von  der  liebe,  Die  Amon  hatte  9U  einer 
Jungen  frauen  vnd  si  zu  Im;  die  was  genät  Ephytica/  der 
cbünig  Dionisio  ir  haubte  wolt  ab  geschlagen  haben. 

VOn  der  tugent  der  liebe  man  In  den  alten  hystorien  geschriben 
vint.  Das  cbünig  Dionisio  von  Ragusa  Einer  Jungen  frauen,  genant 
Ephytica,  Ir  haubte  ab  weite  schlagen  /  si  diemütiglichen  vor  pate 
den  cbünig,  Er  ir  verleichen  wölte  genade  vnd  frist  des  lebens,  da  mit 
si  vor  möchte  ir  hause  vnd  heymet  versechen,  dar  nach  (18)  si  willig- 
lichen Iren  leybe  den  (!)  tode  enphelhen  wölte,   darum  si  Im  ein  gut 

Nella  virtü  d*amore  si  legge  nelle  Storie  Romane  che  volendo  lo  re  Dionisio 
tagliare  la  testa  a  uoa  che  avea  nome  Pitia  (var.  Sofia,  Fifia,  Fisoia),  ella  ando  a 
domandare  termine  otto  di  per  andare  a  casa  sua  a  ordinäre  suo  cose,  e  '1  Re  rispose 
per  beffe  che  lo  farebbe,  s'ella  desse  nno  per  sua  sicurtä  che  s*obbligasse  a  tagliare 
la  testa  s'ella  non  tornasse.    AUora  Pitia   mando  per  uno  che  avea  nome  Damone 

1)  Corr.  aus  erchentnüs  ist. 

2)  Corr.  in:  phylosofg, 

3)  Corr.  aus:  vtyn  solcher  gedechnüs  Vn  ...(?)  willen  von  dem  her^fi  (?) 
ehomei  ein  (?). 

4)  Auf  rasur;  aus  tugent  der  liebe  (?)  vgl.  ital.  or.  virtü  d'amore. 

5)  Später  corr.  in  on. 

F.   DUTTSOSB  PUILOLOOIB.     BD.  XXVm.  29 


450  VOGT 

gewissen  vnd  pürgschaft  thun  wölte.  Der  chüoig  der  fraaen  irer  pete 
9u  willen  warde  vnd  spräche:  hat  si  yemant  der  für  si  verspreche  pejr 
seinem  haubte,  Er  ir  williglichen  der  der  (!)  lyeit  vnd  frist  vergünde. 
aber  das  der  chunig  spräche  mit  einem  halben  gespötte.  Zubant  die 
Junge  fraue  schichte  nach  einem  iren  guten  freunde  vnd  günner,  der 
was  genant  Amone,  der  si  liebe  hatte  über  alle  dinge  der  weit  vnd 
dem  si  chunt  thet  alle  ire  sache.  von  stund  an  Amon  9U  dem  chünig 
ginge  vnd  sich  im  antwurt  In  sein  gefancknüs  vnd  dar  Inen  sein 
also  lange,  pis  das  Ephetica  wider  chöme;  vnd  ob  das  were,  das 
Ephytica  nicht  wider  chöme,  man  Im  sein  haubt  nemen  vnd  ab  schla- 
gen sölte.  Die  Junge  fraue  mit  des  chimges  vnd  ires  aller  liebsteo 
vrlab  von  danne  schiede,  qu  hause  chome,  Ir  sache  gendet  hatt  Amon 
In  der  gefencknüs  was;  die  zeit  sich  warde  neheden,  das  si^  sich 
wider  sollte  stellen  vü  ir  haubte  verlissen.  Ein  iglicher  des  Jungen 
maus  Amon  2  vü  seiner  grossen  Eyfelticheit  wart  spotten.  Aber  er  chei- 
nen  9woyfel  noch  sorge  nicht  hatte,  wan  die  liebe  gancje  was  von  einem 
9u  dem  andern,  also  an  dem  ende  der  9eit,  das  der  chünig  ir  verliehen 
hatte  vnd  si  versprochen,  si  widor  chome.  Vnd  do  der  chunig  das 
Sache,  sich  des  nicht  verwundern  mochte,  (19)  der  grossen  freuntschaft 
vnd  liebe  der  9weyer  liebe;  Vnd  vm  des  willen,  das  solche  grosse, 
rechte,  getreue  liebe  vngescheyden  plibe,  er  der  Jungen  frauen  vergäbe, 
vnd  er  nicht  gelaubet  hatte,  das  die  stercke  der  liebe  vnd  freuntschaft 
vermüget  hat  so  grosso  macht,  das  si  des  todes  nicht  geachtet  hat,  zu 
erleschen  die  süssicheyt  des  lebens.  vnd  die  herticheit  9wingen  In  die- 
müticheyt  Den  neyde  vercheren  in  liebe  vnd  freuntschaft  Nach  dem 
als  valerio  Maxime  spricht,  das  die  getreuen  her9en  der  menschen 
geheuse  sein,  vfl  der  grossen  stercke  der  lieb,  -r-  «^ 

(var.  Amon).  ü  qiuüo  Tamava  sopra  tutto  lo  cose  del  mondo,  e  a  lui  disse  il  fatto. 
Incontanente  Damonc  ando  al  Ro,  0  obbligossi  per  Pitia  a  tagliare  la  testa  se  oll» 
non  tornasse;  e  Pitia  si  ando  a  ordinäre  le  suc  cose;  ed  essende  presse  al  termiw, 
ogni  j)orsona  si  facoa  bofTe  di  costui  per  la  niatta  obligazione  ch*  egli  avea  fatta.  e 
egli  non  temea  nientc,  tanto  era  la  fede  e  lo  amore  della  sua  amica;  sieche  alla  fine 
del  termine  Pitia  torno,  secondo  ch'ella  avea  promesso.  Lo  ßo,  veggendo  il  perfetto 
aniore  ciravcvano  costoro  insioine,  si  lo  perdono  la  morte,  acciocijhe  cosi  leale 
amore  giammai  non  si  partisso  «la  loro. 

(Fioro  di  virtu  ^lilano  1842  cap.  V,  s.  39  —  40.     Zu  den  quellen  der  erzahluDg 
vgl.  Frati  Ricercbe  sul  Kiore  di  viiKu  Studj  di  fil(d.  10m.  pubbl.  da  E.  Monaci  VI,  s.  415). 

S.  19.    Von  dorn  Noydo  vnd  seiner  pössen  tugent  -^-  '^^ 
S.  21.    Von  der  frölichoit  Xu  Ich  euch  wille  sagen   v    ^ 
S.  23.    Von  dem  trauren  vnd  der  trauricheyt  -r-  <^ 

1)  Wieb  durchstrichtn.  2)  war  durchstrichen. 


ABiaOS  BLUMEN  DER  TUGEND  451 

(26)   Ein  peyspil  über  die  trauricheit  vö  de  grosse  Al- 
äder^. 

MAn  list  von  der  trauricheit  In  den  hystorj  des  grossen  Allexan- 
',  do  er  tode  was,  sein  lant  herfi  den  leichnam  In  einen  gülden 
rein  deten  vnd  den  zu  der  pegrebnüs  trugen,  vil  grosser  weisser 
r  Imnach  (!)  volgten,  als  dan  gewonhet  was.  Der  erste  was  ge- 
t  CGiulio,  der  sprach*:  „das  ist  der/  der  da  herre  was  des  ganzen 
iches  von  dem  auf  gange  der  stinen  pis  In  den  nydergSg.  Nu  er 
e  ist  in  9wayen  schriten.  Vnd  lasset  sich  genügen."  CBarbarico 
cht:  „Allexander  pesasse  alle  weit  vnd  ein  Iglicher  In  forchte  mit 
vnd  wider  In  zu  reden,  nun  ein  iglicher  von  Im  redet  an  forchte, 
1  er  wille."  CPrisciano  spricht:  „dem  AUexander  chein  dinge  zu 
re  was.  vnd  wider  In  nymant  mochte,  vnd  er  hat  nicht  müge 
er  sten  dem  tode,''  CEgidio  spricht:  „o  grausamer  vnd  herter,  pit- 
tode!  wie  hastu  an  deinem  her9en  mügen  han  wider  sten  den.  der 

weit,  über  wunden  hat!"  CVerturio  spricht:  „o  finstemus  der  synne! 
erporgne  gerechticheyt!  o  verlorne  treu!  o  9erstörung  de;  adels! 
;  du  deine'  (27)  grosse^  reichtum  vnd  schone  lant,  Seytmal  deinen 
3n   herren  AUexander   du  verloren   hast   vnd   tode  ist  /.    der  dich 

nicht  geclaget  hatte,  der  nü  wol  mag  wainen  vnd  clagen  dich  / 
tmal  solcher  grosser  adel,  gut  vnd  reichtum  verlorn  vm  Allexanders 
e  willen  ist  -^  <^ 

S.  27.   Von  dem  fride  vnd  seiner  aygenschaft.  -^  <^ 

(28)  Ein  hystory  über  die  tugent  des  fride;^  -r-  cv) 
VOn  der  tugent  des  frides  In  den  alten  Römischen  hystoij 
•  lassen  von  einem  vü  edlen  (!)  grossen  lant  herfl  der  geheissen 
8  Ipolito,  der  einem  andern  herfi,  der  genant  was  legisto,  seinen 
er  getödet  hatte,  vnd  vm  dez  willen  si  einen  ewigen  krige  hat- 
/  Nu  etliche  zeit  dez  chriges  sich  verlofFen  hatten.  Vnd  Ipolito 
;  chriges  nicht  mere  wolte  vnd  nicht  mere  seines  chnechtes  chnecht 
n  [wolt],  wan  si  sprachen,  er  an  si  nicht  geleben  möchte/  disse 
rt  dem  hern  sere  zu  her9en  gingen  vnd  seinen  chnechten  nicht 
rste  getrauen,  vnd  gedachte,  wie  er  dem  einen  sin  fünde,  vnd  ge- 
übte, er  (29)  e  seinem  tötlichen  feinde  vntertan  wolt  sein  dan  sei- 
1  chnechten.  Von  stunde  sich  auf  hübe  vnd  alleine  chome  In  [die] 
t,  do  sein  feint  legisto  sein  wesen  hatte,   für  die  purcke  chome,   an 

1)  Fiore  di  virtu  cap.  VI. 

2)  Corr.  aus  grosser. 

3)  Fiore  di  virtu  cap.  VU  (Milano  1842  s.  50). 

29* 


452  VOGT 

[(Me]  porten  clopfet,   zu  dem  portener  spräche:  „guter  freunt,  dun  auf. 
Ich  habe  mit  deinem  hern  zu  rede.**     Der  portner  pegonde  zu  [fragen], 
wer  er  were.     er  Im  antwurt  vnd  spräche:    „Ich  pin  Ipolito.**    dez 
sich  der  portner  grosses  wunder  nam,  wan  Im  wol  chunt  was,  er  sei- 
nes herfi  tode  feinde  was  /  Er  snelle  zu  dem  [hern]  chome  vnd  spräche: 
„Edler  herre  mein  /  an  der  porten  ist  euer  feinde  Ipolito  allein  an  alle 
wapen  vnd  were/  vnd  mit  euch  pegcrt  zu  reden.**     Legisto  Im  schafte 
auf  zu  thun  vnd  ein  zu  lassen,    vnd  also  palde  Ipolito  hin  ein  chome 
vnd  legisto  ansichtig  warde,   er  mit  auf  gerackten   armen  /    waineden 
äugen  /  In  vm  finge  \Tid  mit  grosser  diemüticheit   spräche  / :    „  Edeler 
freunt  vnd  prüder  mein,  pis  mir  genedig;   vergibe  mir,  das  ich  wider 
dich  verpracht  han,    oder  verprenge  mit  mir  deinen  willen  vnd  riebe* 
deinen  vater/   wan  du  wider   mich   nu   dez   wol   mechtig   pist,   wan 
Ich    dir  vnd   deiner   herschaft   meines   lebens  .e.  vergünen  wille  dan 
meinen  chnechten.     Das  ich   dir  vor  got  vnd  der  weite  vergibe,  was 
du  mit  mir  verpringest"     Do  LEgisto   disse   wort   vernomen    hatte, 
als    dan    Ipolito    gesprochen    hatte,    von    stunde    (30)    er   an   seinen 
hals  warffe  einen  gürtel.     vnd  nydö   auf  seine  chnye  fiele  für  seinen 
feynde  Ipolito,    zu  Im  spräche:    „Ich  dich  pitte  dez  du  an  mich  pege— 
rest.  riche  dich  an  mir  vm  der  übel  willen,    die  du  vö  mir  enpfangei 
hast**/  Also  disse  czwen  heren  mit  ein  ander  fride  machten/  vnd  für 
pas  leyblicho   prüder  mit  ein  ander  nicht  hatten  In  liebe  vfi  freunt 
Schaft  mügen  verpringen  vnd  leben  als  Ipolito  vnd  Legisto  deten. 
S. 30.  Nu  merchetvö  der  pössen  vntugent  de;  czorns! 
S.  32.  Von  dem  Qorn  vnd  In  ^u  meyden  -r-  ^ 
S.34.  Ein  peyspil  von  dem    Qorn   In   der   alten  .E.-^-*^ 
{David  und  „D^/r/a"*.) 

S.  35.  Ein  Capitel  von  der  Edelen  tugent  der  parmher- 
czicheit,  als  vns  der  heylig  lerrer  Sant  Augustin  saget  -i 
(37)  Ein  hystory  über  die  tugent  der  parmhercjicheit' 
VOn  der  tugent  der  parmlier9iclioit  In  den  alte  Kömischen  liysto- 
rien  geschriben  ist,  wie  das  ein  rauber  oder  diebe  auf  dem  mere  ge- 
fangen warde  vnd  von  stunde  gefürt  warde  für  den  grossen  Allexander. 
Der  In  fraget,  warum  er  also  ein  grosser  rauber  auf  dem  mere  were. 
Er  Im  antwurt  vnd  spräche  /  „üarü  (38)  das  du  pist  ein  rauber  de; 
ertriches,  darü  ich  mich  alloine  des  mors  pegen  messe.  Und  darum 
das  ich  albege  allein  pin  In  meinen  (!)  übel  dun  vnd  raube,  pin  ich 

1)  i-])UDkt  fehlt,  i  dem  c  sehr  ähnlich. 

2)  Flore  di  virtu  cap.  IX.    (Ausg.  Milano  1842  s.  57).    Quellen  bei  FTatia.i*>^ 
s.  413  nr.  LXVUI. 


_r-  (>> 


j>Toeos  BLOum  c 


[eheyssen  ein  rauber  vnd  diebe.  Vnd  das  zu  dun  pin  ich  geczwngeu 
Von  grosser  armut  [vn  not].  Vnd  du  Allexaoder  mit  grossen  (!)  mech- 
ticheit  zeuclieat  vnd  als  ich  von  cheiner  armut  gezwungen  pist,  Darum 
dii  pist  geheyssen  ein  chünig,  wflu  du  nach  volgest  mit  mechticheit 
■Ilen  den,  die  dich  fliehen  (!),  vnd  die  entwerest  lant  vnd  leute.  Wer 
»ber  daz  [daz  du]  allein  zugest  als  ich  dun,  zu  geleicber  weisse  du 
geheissen  werest  ein  diebe  vnd  rauher  als  ich.  Dai-um  wisse,  aller 
iurch leuchtigester  chüiüge,  waz  ich  Übels  verpracht  vnd  getan  han, 
Ich  das  nicht  getan  han,  sutder  armut  Ire  wercke  durch  micht  (!) 
verpracht  vnd  mich  zu  einem  diebe  vn  rauber  gemacht  hatt.  Aber 
du  Allexander  ein  diebe  vnd  rauber  pist  nicht  durch  notte  noch  ar- 
mut willen,  sunder  alleine  vm  der  grossen  pössen  deines  gemiito  gel- 
'iieheit  willen,  wan  ye  reicher  vnd  mechtiger  du  pist,  ye  mer  dein 
gemüte  pegem  ist  Aber  solt  mich  das  gelücke  einfart  erfreuet  haben, 
)  wer  ich  vi]  pesser  gewessen  dan  du  ,■  wan  ich  mich  mit  cleymem  (!) 
»ette  lassen  genügen.  Ynd  wer  chein  rauber  nicht  mer  gewessen."  Do 
ler  chünig  sache  die  grossen  freyhet  de;  maus,  sich  nicht  (39)  ver- 
mindern mochte  der  starchen  vnd  freyen  wort  de;  armen  mäne;,  Von 
sich  pegabe  In  parmherijicheJt  Vnd  wol  erchante,  das  er  chein 
ibel  täter  nicht  was  dan  allein  durch  armut  willen.  Darum  er  Im 
rergabe  alle  missetat  vnd  In  pegabot  mit  grossem  reichtum  vnd  machte 
zu  einem  Ritter  vnd  an  seinem  hoffe  fürpas  er  der  peston  Ritter 
>iner  wa;.  -^  oj  ~  ■>! 

S.  39,  Von  der  Tnparmher9iche7t  vfi  TntugSt  der  her- 
ticbeit  ^  -^ 

i.  39.  Ein  peyspil  von  der  Tnparmher9icheyt  der  Junck- 
'rauen  Medea  vnd  der  herticheyt  de;  Baualistho  -^  f"  (im  lext 
kutalisto). 

5.41.  Von  der  Edlen  vnd  freyen  tugent  der Milticheyt-r"' 

8.42.  Von  der  tugent  vnd  Milticheyt  de;  Adelers  -^  -^ 
S.47.  Von  der  pössen  vntugent  der  geyticheit  -^  <^ 
(49)   Ein  hystorj  über  die  vor  genäten  pössen  vntugent 

ler  geyticheyt'. 

MAn  list  von  der  pössen  vntugent  der  geiticheit  vnd  von  einem 
der  was  genant  Oermino,  der  alle  sein  tage  nicht  anders  getan 
iatte,  dan  reichtü  vnd  gut  gemacht  vnd  gesflmet  von  silber  vnd 
[Olde,  noch  seinen  geitigen  wiUen  nye  erfüllet  hatte,  vnd  sein  syn, 
nute    vnd  gedenche   statlichen   gedachten,   wie  er,    [Im  in]  dem  Ein 

1)  Fiore  di  virtü  cap.  XU  (s.  68). 


J 


454  voQT 

genügen  geton  möchte,  ynd  dara  er  worden  was  also  reiche,  das 
sein  reichtu  an  masse  was/  Doch  einest  er  pedencken  warde  seine 
grosse  geiticheit.  Vnd  das  alter  In  über  gange  hat,  vnd  wol  er  chante, 
zeit  were  gewessen,  er  die  geiticheit  pecheret  hatte  In  milticheit  aber 
das  Im  die  pöse  gewonhet  yü  auch  sein  natur  nicht  yerlichen  hat, 
(50)  Vnd  wol  erchante,  er  dar  Ine  ersterben  moste  /  Vnd  nicht  wolte, 
das  Im  seine  drey  süne,  die  er  hatte,  nicht  nach  volgten  In  der  gei- 
ticheit. Von  stunde  nach  den  allen  dreyen  sante.  In  seinen  willen  uli 
mainüg  ofFenware  dett  vn  si  fleissiglichen  piten  dett.  Da?  grosse  gut 
vfi  reichtü,  das  er  mit  grosßr  müe  vnd  sorge  vm^  seiner  geiticheit 
willen  gewönen  hatte.  Das  si  das  nemen  vnd  aus  geben  nach  allem 
iren  lust  vnd  willen  Vnd  dar  an  chein  sparung  nicht  hatten.  Van 
er  an  seinem  her9en  nicht  gehaben  möchte,  icht  aus  zu  geben,  „wan 
das  mir  prechto  pesündem  smerczen  in  meinem  gemüte  vfl  an  dm 
herben.  Darum  seyt  gepeten  vm  chintlicherr  (!)  treue  willen,  wan 
die  geiticheit  der  grösten  vnd  pösten  vntugent  eine  ist  der  weit  Vnd 
ich  nü  die  gern  fliehen  wölte  als  den  pittem  tode,  aber  das  nicht 
mage  gesein.  wan  mein  gedencke  noch  nicht  müge  nachgelassen,  also 
gar  In  der  geiticheit  si  pegraben  sein."  CVon  dissem  reichen  man, 
genant  Germino,  got  der  almechtig  ein  grosses  wunder  Er^eyget  nach 
seinem  tode.  Do  seine  drey  sün  de;  vators  schrein  auf  [deten]  vnd  das 
gelt ,  golt  vü  Silber  mit  ein  ander  teylen  weiten ,  si  dar  Inne  funden  Ires 
Vaters  her9e  alle;  vol  plutes  ^iten  In  dem  schacc2;e.  Da;  geschache 
nach  Germino  tode  vm  seiner  grossen  pegire  vfi  übriger  geiticheit 
willen,  die  er  hatte  an  seinem  tode  ;u  dem  golde  In  de  schrein  -r 

S.  51.   Von  der  tugent  der  straffung.    Vnd  wie  mä  straffe 

sol  -r-  «^ 

S.  52.   Von  der  straffung  über  den  chünig  faraon  -f-  «^  -r 
S.  54.   Von   der  pössen   vnd   falschen  vntugent  der  liebe 

chosung  oder  petrügnüs  ~  oo  -^  oo 

(56)  Ein  peyspill  über  die  vntugent  des  falschen  lieb- 
chosers*. 

IN  dem  puch  Esopo  man  list  von  der  vntuget  der  liobchossung, 
nicht  das  es  also  geschechen  sey,  sunder  alleine  zu  einer  geleichnus. 
Vnd  sprich',  wie  das  einest  ein  rabe  auf  einem  paum  sasse  vnd  In 
seynem  munde  hatte  einen  chäse  /  es  sich  füget,  ein  fuxe  für  ginge 
vnd  den  raben  mit  dem  chäse  gesechen  hatte,     von  stunde  gedachte, 

1)  Sieht  eher  wie  vnd  aas. 

2)  Köre  di  virtu  cap.  XIV  (s.  73  fg.). 


J 


ABIG08  BLÜICBN  DKB  TUGE2n>  455 

wie  er  den  raben  vm  den  chässe  petrigen  vfl  gelaichen  möchte.  Quhant 
gedachte,  chein  pesser  sin  nicht  möchte,  gesein,  dan  mit  süssem  vnd 
diemütigem  liebchosen;  vnd  sich  zu  dem  paume  pegonde  zu  nachende 
vfl  (57)  den  raben  mit  süssen  werten  grüssen  vfl  mit  senfter  stimme 
zu  dem  raben  spräche.  ,,für  wäre  schönem  vogel  mein  tage  ich  nicht 
gesechen  han  dan  dich,  vnd  ist,  das  sich  dein  gesange  dir  geleichet,  ^ 
ich  spriche,  du  der  edelste  vfl  schönste  vogel  aller  weit  pist  vnd  dein 
gesange  ich  von  herczen  gern  hörn  wölte.^  Do  der  rabe  sich  den  fuxe 
vfl  liebchosser  So  sere  loben  höret/  dem  lober  9U  liebe  er  an  hübe 
frölichen  zu  singen,  vnd  mit  dem  gesange  der  chäse  Im  entpfyle  vnder 
den  paum.  dez  der  fuxe  froe  was,  den  zu  Im  nam  vnd  zu  dem  raben 
spräche:  „das  gesange  sey  dein  vnd  der  chäse  mein"/  also  der  rabe 
petrogen  warde  von  dem  fuxe;  Qu  geleiche"  weyse  auch  dut  der  lieb- 
chosser, wan  er  Jemantt  wille  petrigen  -:-  <^ 

<^  -7-  Prudencia  -r-  cv> 
Von  der  Edelen  Tugent  der  fürsichticheyt  -r-  cv) 

(61)  Ein  peyspil  über  die  tugent  der  fürsichticheyt  eines 
Römischen  Cheysers*. 

VOn  der  tugent  der  fürsichticheit  wir  lessen  In  den  alten  Römi- 
schen hystorien.  wie  das  einest  ein  Römischer  cheyser  durch  einen 
walt  spaciren  reyte.  Er  in  dem  walde  fände  einen  phylosofo  oder 
grossen  lerer  alleine,  de;  sich  der  cheyser  wunder  name  vnd  In  pegonde 
zu  fragen,  was  doch  sein  geschefte  also  aleine  In  dem  walde  were. 
über  de;  chaysers  frage  der  meister  chein  antwurt  gäbe  vfl  swayge. 
Noch  mer  der  cheyser  Im  rüflfet,  aber  geleiche  die  fodem  antwurtt 
enphingo/  Do  das  der  cheyser  sache,  er  von  seine  rosse  sasse  vnd  [zu] 
dem  phylosofo  ginge  Vnd  In  von  neuem  fraget  seiner  geschefte.  der 
meister  Im  antwurt  vnd  spräche:  „hefe,  ich  lere  und  studire  weistum." 
Der  cheyser  zu  Im  Sprache:  (62)  „Maester,  nu  lere  mich  was  deines 
weistums.**  Von  stunde  der  phylosofo  sein  federn  In  sein  haut  name 
vfl  schreybe  also,  „wes  du  peginste  oder  zu  schaffen  hast,  vor  dem 
anfange  pedencke  das  ende,  was  sich  da  von  gefügen  müge"  /  Der 
cheysser  die  geschrift  zu  Im  name  vnd  wider  gen  Rom  chome  vnd 
die  geschrift  über  die  porten  seines  pallast  an  dett  schlachen,  da  mit 
alle,  die  da  für  gingen,  die  sechen  [vii  vernemS]  möchten.  Nicht  lange 
dar  nach  es  sich  füget,  de;  cheysers  lant  berü  mit  ein  ander  heym- 
lichen  vnd  verporgen  rat  hatten,  wie  si  den  cheyser  toden  vnd  vm 
sein  leben  prengen  möchten,   vnd  des  eins  wurden  mit  seinem   part- 

1)  Hb.  punkt  2)  Fiore  di  virtü  cap.  XV  (s.  77). 


456  VOGT 

[scherer]  oder  palirer,  dem  si  grosses  gut  versprachen  zu  geben-,  de^ 
er  alles  willig  was,  5;u  verpringen  Iren  willen  vm  de;  geltes  willen, 
das  si  Im  verheyssen  hatten  auch  Im  versprachen  für  all[e  sorge]  ^ 
wan  ir  etlicher  mit  vü  gegenwürtig  sein  toürde^  wan*  er  dem  cheyser 
den  part  schären  würde  /  Nicht  lange  dar  nach  der  cheysser  nach  sei- 
nem scherer  sante,  das  er  chöme  Im  zu  scheren.  Qu  hant  er  sich  auf 
den  wege  machte,  vnd  do  er  an  die  porten  des  cheiserlichfl  pallast  chome, 
er  ob  der  porten  die  neuen  geschrift  sache  vnd  gar  sere  erschracke. 
von  stunde  gedachte:  „für  war  vnsor  verraterschaft  dem  cheyser  sol 
chunt  sein,  vnd  darü  er  disse  geschrift  hat  lassen  an  slage,  da  mit  si 
ein  yder  gelesen  müge."  Vnd  In  Im  selbes  gedachte,  wie  er  wider 
zu  genade  chomen  möchte,  (63)  vnd  snelle  für  den  cheysser  liefle, 
nyder  auff  sein  chnye  fiele,  mit  grosser  andacht  genade  vn  parmher- 
9icheit  an  den  cheyser  pegeret.  do;  Im  der  cheyser  vergeude  vnd  wil- 
ligt was,  aber  wissen  wolte,  warum  er  genade  vnd  Vergebung  pegeret 
wan  Im  vnchunt  was  seiner  herö  verraterschaft  /  also  der  scherer  a'n  (!) 
hübe  zu  sagen  alle  goschefte  der  herfi,  vnd  wie  si  Im  versprochen 
hatten  grosses  gelt,  wä  er  Im  schere,  das  er  Im  solt  den  habs  (I)  ab 
schneyden  vnd  das  leben  nenien.  Der  cheyser  seinem  scherer  willig- 
lichen vergäbe  vnd  von  stunde  sante  nach  seinen  laut  hern  vnd  einem 
nach  dem  andern  das  haubte  schuffe  ab  slachen  /  Dar  nach  er  sante 
nach  dem  phylosofo,  den  er  In  dem  walde  funden  [hatt]  vnd  der  Im 
die  vor  genanten  geschrift  geben  hat,  den  nicht  mer  von  Im  lassen 
wolte  vnd  In  grossen  em  vnd  wirden  hüte.  -.'-  <^ 

S.  63.  Von  der  Torhett  oder  vnweysheit.  -7-  ~ 
(65)  Ein  deine  hystorj  von  der  vntugöt  der  torhett*. 
MAu  list  In  den  alten  Römischen  hystorien  von  der  torhct  Wie 
einest  der  grosso  Allexander  In  der  stat  Macedonia  [spacjiren  reyte]  vnd 
neben  Im  der  grosse  meister  aristo tile.  als  dan  gewonhet  ist,  das  Junge 
Volke  gern  nach  volget,  die  grossen  hern  zu  soeben,  also  auch  mit 
allexander  lufFen  (66)  vil  Junger  clmaben,  alle  gemeiniglichen  schrien: 
„weiche,  weiche  ab  dem  wege  vnserm  genedigen  herfi  Allexander'^. 
ein  torhafftiger  mitten  In  dem  wege  auff  einem  steyne  sasse.  Vnd  von 
der  Jungen  geschrey  sich  nicht  verändert/  einer  vö  allexanders  fusB 
chnechten  den  torn  ab  dem  steine  wolt  gestossen  haben  /  Das  ersache 

1)  [    ]   am  rando;   ursprünglicli  stand  wol  all-  und  im  anfang  der  nXchstea 
zeile  es. 

2)  Corr.  aus  tcan. 

3)  'ig  aus  -eg  corrigiert. 

4)  Fiore  di  virtü  cap.  XVU  (s.  81). 


▲RIOOS  BLUHBN  DER  TUGBND  457 

der  meister  Aristotile  vn  spräche^  zu  dem  chnechte:  „las  sten!  nicht 
verrüre  den  stein  auf  dem  steine"  /  wan  Aristotile  wol  wäste,  das  es 
ein  tore  oder  narre  was;  darü  er  von  der  Jungen  geschrey  nicht  ge- 
meint warde,  do  si  schrien:  „weiche,  weiche  aus  dem  wege**,  wan  er 
chein  mensche  was.  -r-  <^ 

S.  66.  .  Justicia. 

Von  der  Edlen  Tugent  der  gerechticheyt  -r-  <v> 

S.  69.  Ein  hystory  vnd  peyspil  über  die  gerechticheyt 
von  Einem  Einsidel  vnd  [wie]  In  got  versuchte*. 

S.  70.  In  dem  leben  der  heiligen  alten  vatter  man  list  vor  (!)  der 
gerechticheyt.  Wie  das  ein  Eynsidel  lange  zeit  grosse  pusse  vn  peni- 
tenz  gedon  vfi  gefürt  hatte.  Vnd  an  Im  hat  ein  grosse  vnd  swere 
chranchet  vnd  die  lange  zeit  mit  grosser  müe  getragen  hatte  /  Des  er 
sich  sere  zu  gott  clagen  warde.  Von  stunde  an  got  Im  sante  seynen 
Engel  In  mans  weyse'/  der  zu  dem  eysidell  spräche:  „chome  mit  mir, 
wan  dir  got  wille  zeige  seine  heymliche  vnd  verporge  gerechticheit.*' 
zu  hant  der  Eysidel  dem  vn  erchanten  man,  das  was  der  Engel,  nach 
volget.  Der  In  fürte  In  ein  hause,  dar  Ine  was  ein  gross  schaze  von 
gelt,  das  der  engel  alles  nam  vnd  mit  Im  wege  trüge.  Dar  [nach] 
si  chomen  In  ein  ander  hausse,  do  Hesse  der  Engel  das  gelt  vnder 
der  türe  ligen.  Dar  nach  fürpas  er  In  fürt  In  ein  ander  hausse,  dor 
Ine  si  funden  ein  chindlein  In  der  wigen,  das  der  Engel  vö  stude  (!) 
tödet/  Do  der  Eysidel  sache  [den]  Engel  solche  pösse  dinge  verpringen 
vnd  chein  gut  wercke  nicht  dun.  Er  nicht  lenger  pey  Im  wolt  peley- 
ben  vnd  gedachte,  es  der  teuffel  were  vnd  nicht  ein  Engel,  sich  vö 
Im  wolt  scheyden.  Do  das  der  Engel  ersache,  er  zu  Im  spräche: 
„guter  man,  peyte,  hab  mit  leydon,  vernym  die  vrsache  meines  ge- 
scheite vnd  was  ich  gedon  han  gewürtig  dein.  Daru  mercke:  in  dem 
erste  hause,  do  ich  das  gelt  nam.  wisse  das  der  dassig,  (71)  de;  das 
gelt  was,  der  verchauft  hat  alle;  sein  gut  vn  das  gelt  geben  wolte 
einem,  der  solt  einen  andern  töten,  der  hat  Im  seinen  vater  getödet 
vnd  vra  sein  leben  pracht  hatte  /  darü  vm  (!)  er  das  gelt  gebfl  wolte 
seinen  vater  zu  rechen;  vnd  wan  das  geschechen  were,  so  were  do  von 
pechomen  noch-vil  (!)  grosser  schaden,  schände  vnd  laster  In  der  statt; 
vnd  darü,  das  aus  übel  nicht  ärger  würde  vn  der  gute  man  sich  wider 
cheret  wol  zu  dun.  Ich  im  das  gelt  gen omen  han/  Vnd  wen  er  heyme 
chomet  vnd  de;  geltes  nicht  findet,  so  würt  er  lassen  die  weit  vnd  In 

1)  So  durch  correctur. 

2)  Rore  di  virtü  cap.  XVII  (s.  84).    Vgl.  Frati  a.  a.  o.  s.  421. 


458  TOGT 

ein  closter  chomen,  got  zu  dienen,  seytmal  er  sich  so  arm  sehen  wiit 
ynd  sein  sele  wirt  beylen/  Die  ander  yrsache,  das  ich  das  gelt  liesse 
In  dem  andern  hause,  die  ist,  das  der  man  von  dem  hause  Teriom 
hatt  grosß  gut  auf  dem  mere,  vm  des  willen  er  sich  selbes  würde  beli- 
ehen, vnd  wen  er  das  gelt  finden  würte,  er  wider  oberen  wirt  vnd  got 
daneben;  also  der  verzagte  tode  vnder  wegen  peleybte.  Die  dritte 
vrsache  ist,  das  ich  das  chinde  In  der  wigen  tödet,  das  det  ich  dar 
vm,  wan  .e.  das  der  vater  das  chint  hatte,  er  nicht  anders  pfiage  ze 
dun  dan  alle  gut  der  weit;  vnd  syder  er  das  chint  gehabt  hatte,  er 
nicht  anders  gethan  hatte  dan  wuchern  vnd  alles  übel;  darum  ich  das 
chint  getödet  ban,  da  mit  der  vater  sich  wider  obere  (72)  Qu  got,  wol 
zu  dun,  als  er  dan  vor  gethan  hatte  /  Darü  auch  dich  nicht  lasse 
verwundem  noch  pechümem  dein  chranchet;  wan  hastu  ir  nicht,  So 
werestu  auch  nicht  In  dem  dinste  gotes/  Auch  wisse,  das  der  almech- 
tig  [got]  chein  dinge  nicht  düt  an  vrsache;  aber  die  menschen  sein 
nicht  erchenen,  das  got  verbenget,  von  übel  noch  mynder  übel  cho- 
met."  Also  der  Engel  seine  wort  Endet  vnd  vor  dem  Eysidel  Tcr- 
swante.  Da^  pey  der  eysidel  wol  erchante,  das  Im  der  Engel  gesaget 
hatte,  das  alles  gotos  geschefte  was.  Vnd  wider  zu  rücke  cheret,  die 
wunder  zu  sechen,  als  Im  dan  der  Engel  gesaget  hatt;  alle  dinge  wäre 
vnd  gesehen  fände;  von  stunde  er  wider  ginge  In  sein  gemache  vfi 
got  dienet  mit  ganzem  vleyso  vnd  füret  ein  heyliges  vnd  gutes  leben 
vnd  nach  seinem  ende  er  pesasso  das  Ewig  leben  der  em.  amen.  ~r  <^ 

S.  72.    Von    der    pösen    vnd    vntugent    der    vngerechti- 
cheit  -^  <^ 

S.  75.  Lealitacv) 

Von  der  Edelen  tugent  der  trewe.  -r-  <^ 

(77)  Ein  peyspil  von  der  tugent  der  Treue. 
MAn  list  von  der  trewe  In  den  alten  Römischen  hystorien.  Wie 
das  die  Römer  vnd  die  von  chartagine  mit  ein  ander  grosse  cbrige 
hatten  vnd  In  dem  von  einem  vnd  andern  teyle  grosse  volcke  ge&n- 
gen  warde  /  Vnd  gefangen  warde  der  alte  vnd  weyse  genant  chünig 
Marcbo  vnd  gefüret  warde  über  mere  In  die  stat  chartagine.  Auch 
die  Römer  gefangen  baten  vil  Edeler  vnd  mechtiger  heril;  die  pesten 
von  Carthagine  si  in  irer  gefancknüs  hatten.  Die  herfl  von  chartha- 
gine  meinten  einen  gefangen  vm  den  andern  zu  haben,  als  dan  vor- 
mals mer  gesehen  (78)  was,  vnd  wider  wider  (!)  vm  schickten  den 
alten  Römer  chünig  Marcbo,    den  Wechsel  vm  die  gefangen  machefl. 

1)  Corr.  aus  Das. 


ABIGOS  BLÜMKN  DEB  TüGIND  459 

Vnd  do  er  In  den  rote  chome  für  seine  purger  gegenwürtig  aller 
weissen,  Er  an  hübe  zu  reden  vnd  spräche,  der  Wechsel  vm  der 
gefangen  willen  einen  vm  den  andern  vm  cheynerlej  sache  willen 
aufF  zu  nemen  were  von  den  von  Chartagine  /  „ Wan  warum  alle 
ire  gefangen  alt  sein,  vnd  die  vnütze  sein,  vfi  die  ir  in  euer  ge- 
fencknüs  habt,  alle  Junge  vfi  mechtige  sein  in  ehrigen  vnd  streyten/ 
Darü  mich  nicht  düncket  die  zu  lassen.  Damit  er  seine  wort  Endet 
vnd  die  von  dem  gan9en  rate  pestet  worden  nach  zu  volgen  de?  chu- 
niges  rate.  Also  chünig  Marcho  wider  gen  Carthagine  für  Id  die  ge- 
fenchnüs,  seiner  treue  ein  genügen  don,  als  er  sich  dan  verpunden  hatte 
vnd  die  nicht  zu  prechen  wolte.  E.  in  der  gefencknüs  sein  leben  mit 
pein  vnd  smerczen  wolt  enden. 

Della  lealta  si  legge  Delle  Storie  Romane,  che  essende  Marco  Regolo  preso 
da'  re  di  Cartagine,  che  aveano  gaen*a  co'  Eomani,  fu  mandato  Marco  a  Roma  per 
iscambiare  gli  presi  che  aveano  gli  Romaoi  di  quegli  di  Cartagine,  e  facendo  di  cio 
i  Romani  consiglio  nel  Senate,  si  si  levö  Marco,  e  consiglio  che  il  cambio  non  si 
dovesse  fare;  perche  i  prigioni  di  Roma  che  erano  a  Cartagine,  si  erano  di  vil  con- 
dizione  e  quasi  tutti  vecchi,  e  quegli  di  Cartagine,  che  erano  a  Roma,  si  erano  tutti 
de*  maggiori  e  migliori  uomini  di  Cartagine,  e  tutti  buoni,  e  giovani  e  valorosi  com- 
battitori  di  guerra.  Sieche,  fatto  il  consiglio,  si  fermarono  gli  Romani  ai  suo  detto; 
ed  egli  per  non  rompere  la  fede  si  tomö  nella  prigione  a  Cartagine,  siccom*  egli  avea 
promesso  a'  Cartaginesi.    (Fiore  di  virtii  cap.  XES[,  s.  91.    Vgl.  Frati  s.  416.) 

S.  78.   Von  der  pösen  vntugent  der  falschen  vntreüe -^  ~ 
S.  82.   Von  der  falschen  vntrewe  über  die  statt  Sodoma 
vnd  Gamorra,  wie  sich  ir  übel  Endett.  -r-  cv> 

S.  83.    Von  der  Edelen  tugent  der  warhett  -r-  cv) 

Innerhalb  dieses  kapitels  steht  auf  s.  84  fgg,  ohne  besondere  Über- 
schrift folgernde  erxählung:^ 

Von  der  tugent  der  warheit  wir  lesen  In  dem  leben  der  hey- 
ligen  alten  vatter  /  Von  einem,  der  hatte  gelassen  (85)  grossen  reich- 
tum  vnd  sich  geben  hatte  in  gotes  dinste  /  vnd  was  chomen  In  ein 
closter,  got  zu  dienen  vnd  sich  von  der  pösen  weit  ziehen  vfi  sein 
sele  zu  heylen.  Nu  der  abte  in  hüte  für  einen  chündigen  vnd  aus- 
richtigen man  vnd  meinte,  er  pesser  were  aus  zu  richten  etlich  ge- 
schefte  de?  closters,  sunder  in  chaufFen  vfi  verchauffen.  Es  sich  füget, 
der  abt  In  sante  auf  einen  marckte,  zu  verchauffen  etliche  alte  essel 
vnd  wider  vm  zu  chaufFen  Junge.  Nu  der  gute  man  vm  gehorsam 
willen  nicht  wider  sten  wolte  de?  abte  geschefte,  wie  wol  es  im  wider 
was,  vnd  mit  Im  nam  eynen  ander  prüder  de?  closters  vnd  mit  den 

1)  Höre  di  viita  cap.  XXI  (s.  96  fg.). 


460  VOGT 

Essein  zu  marckte  füren/  Vnd  wan  man  In  fraget,  ob  die  Essel  gut 
weren,  er  antwurt  vnd  spräche:  ,,gelaubt  oder  meint  ir,  weren  si  ji^t, 
vüser  closter  ist  noch  nicht  in  also  grossen  noten,  das  wir  si  pedürffen 
verchaufFen;  darum,  weren  si  gut,  wir  si  für  vns  pehielten"/  die  chauf- 
leute  fragten,  warü  si  also  peschunden  vnd  geharet  weren  auf  dem 
rüche  vnd  an  dem  zagel.  Er  In  antwurt  vnd  spräche:  „da  sein  si 
alte  vnd  mugen  nicht  woU  gen  vnd  fallen  dicke  under  dem  some,  vnd 
pey  dem  zagel  man  si  wider  auf  hebet/  darum  si  In  haben  also  pe- 
schunden" /  Also  der  gute  münche  seiner  esel  nicht  verchaufte  vnd 
mit  den  wider  zu  hause  chemo  /  Von  stunde  sein  gesolle  zu  dem  (86) 
Abte  ginge  vnd  Im  alle  sach  saget  vnd  waiiun  si  der  esel  nicht  ver- 
chauft  hatten  vnd  wie  sein  geselle  statlichen  die  esscl  den  chaufleuten 
goschendet  vnd  veruicht  hatte,  darü  ir  cheiner  verchaufte  were.  Der 
abto  gar  zornig  wider  seinen  munche  was  Vnd  In  sere  warde  straffen 
vm  der  wort  willen,  die  er  auf  marckte  (!)  geredet  hatte.  Auf  das  der 
gute  warhaftig  man  seinem  abte  antwurt  vnd  spräche,  „herre  vater  wi 
abt,  gelaubet  ir,  ich  her  chomcn  sey  vnd  gelassen  [habe]^  meinen 
schönen  reiclitum.  lügen  zu  sagen  vnd  die  menschen  zu  laichen?  für 
wäre  nein  ich,  das  gelaubet  mir.  wan  ich  allein  herchomen  pin,  zu 
dienen  dem,  der  da  gancze,  wäre,  lautre  vn  royne  warhet  ist,-  Darum 
In  dissem  hause  In  mir  nicht  anders  dan  warhet  sol  erfunden  wer- 
den /  wan  do  ich  weltliche  leben  füret  die  liUß  mir  nye  gefiele*  J  Do 
der  abt  höret  die  guten  wort  vnd  mainüg,  er  nicht  fraget  fürpas\ 

(88)  Ein  historj,  wunder  Vnd  zeichen  Von  got  zu  einer 
Junchfrauen  vm  der  grossn,  falschfi  lüge  willfl*  -^  <^ 

IN  den  alten  Römischen  historien  wir  lesen  von  der  vntugcnt 
der  lügen  von  eyner  Junckfrauen,  die  was  genant  Jorina  vfl  was  de; 
cheysers  anastasio  tochter.  Die  grosse  liebe  hatte  zu  einem  Jungen, 
der  was  genant  Ameno  vnd  ires  vaters  des  cheysers  chamerer.  den  si 
gern  pracht  [hat]  in  ir  liebe  vnd  da;  leyplichen  an  in  pegert,  da  mit 
si  hatte  iren  willen  mügen  mit  Im  verpringen/  aber  der  Jüngeling  zu 
frohie  was  vnd  disse  sniaclieit  seinem  herfl  nicht  dun  weite  vnd  der 
Junckfrauen  ir  pete  vnd  possen  vnchoüschon  willen  versaget  vnd  ab- 
singe, vm  de;  willen  die  Junckfraue  in  grosse  schäme  fiele  vü  stat- 
lichen gedachte,  wie  si  sich  an  dem  Jungen  gerochen  möchte  vnd  ^n 

1)  von  späterer  band  übergeschrieben. 

2)  Es  stand  ursprünglich  nur  für  da;  aus  dem  r  ist  dannpos  gemacht,  sodiss 
eigentlich  füpas  dasteht. 

3)  Fioro  di  virtu  cap.  XXU  (s.  99). 


•ein  leben  prengen  /  Es  sich  füget,  nicht  lango  dar  nach  der  Junge 
durch  gescheftes  willen  sein  wege  für  der  Junckfrauen  chamem  ginge. 
von  stunde  si  in  dersechen  hate  für  gan/  mit  hocher  styme  an  hübe 
aa  schreyen:  „retta  Jo,  retta  Jo.  helffet!  der  pöswicht  mich  wille  nöten 
Tnd  Junckfraue  ere  nemen"  /  Quhante  das  volcke  zu  lieffe,  Erauen  vnd 
mäne,  si  fragten  vm  die  mere/  si  in  antwurt  rad  spräche:  ^Ameno, 
meines  vaters  diener,  mich  hat  wollen  nött  (89)  zerren,"  Von  stunde 
der  Junge  gefangen  vn  für  den  chayser  gefürt  warde,  der  in  fraget,  ob 
das  Ware  were.  er  spräche:  ^[genedigor  herr]  neyn,  noch  solche  dinge 
man  von  [mir  mit  der  warhet]  nymer  erfarn  sollen'  werden  Vnd  vU 
Über  mir  der  tode  were/  Der  cheyser  nach  der  tochter  sante  vnd  die 
pegonde  zu  fragen,  wie  sich  die  sache  verloffen  hatte,  Vnd  über  de; 
irfieysers  fragen  die  Junckfrau  chein  antwurt  gäbe.  Noch  mer  von 
neuem  er  si  fraget:  „nu  sage  mir,  Edele  tochter  mein,  wie  hatte  sich 
die  Sache  ^wischen  dir  vnd  Ämeno  ergangen?"  aber  chein  antwurt  si 
im  nicht  gäbe  /  Pey  dem  cheyser  vil  grosser  fürsten  vnd  hern  stun- 
llten,  sich  wunder  nomen  der  Juucbfrauen,  das  si  über  de^  cheysera 
tragen  chein  antwurt  gäbe.  Ein  weyser  vnder  In  aufstunde  vnd 
sprach/:  „herre,  fürwar  gelaubet  mir,  die  Junchfraue  ir  [zungen]  ver- 
iam  batt,  dara  si  euch  chein  antwurt  nicht  geben  mage."  Qu  hant 
AßT  cheyser  schufl'e  /  das  man  pesechen  solte  /  gethon  vnd  geschaffen 
^ea  ein  dinge  was:  man  ir  in  den  munde  sache  vnd  dar  iQe  chein 
Cungen  nicht  fände.  Do  das  der  cheyser  sach,  sich  nicht  verwundern 
mochte  vnd  den  Jungen  schuETe  lassen,  vnd  also  palde  der  Jungeling 
gelassen  warde,  ?u  hant  der  Junckfrauen  ir  zuuge  vnd  s  (!)  gespreche 
vider  cbome/  Vnd  gogenwürtig  aller  fürsten  vnd  hern  si  an  hübe  zu 
(90)  sagen  alle  sache  vnd  wie  es  sich  verloffen  hat  vnd  wie  si  den 
Jungen  meinte  vm  sein  leben  zu  prengen  an  schulde  [vm  deß  willen 
dar  (!)  er  nicht  nach  folgen  wolt  irem  posen  willenj.  also  si  dem  chey- 
alle  warhet/  Vmb  de^  willen  si  an  sich  namo  heyliges  leben 
tad  in  eui  cioster  chome  vnd  [in]  dem  dinste  got?  erstarbe,  das  Ewig 
iben  pesasse.  Das  was  da;  zeichen,  das  got  der  almecbtig  det  durch 
i^  warhet  willen,  do  mit  die  pösse  vnd  falsche  vntugcnt  der  lügen 
MBOhamet  würde. 
"^         (90)  ■  .  ~.  fortec^a.'^ 

Von  der  Edelen  tugent  der  stercho*.  -^  "^ 
STercke   nach   dem   als  der  meister  Magobrio  spricht  dreyerlej 
iatj  Dss  erste  ist  stercke  vnd  redlich  zu  sein  de;  leybes  von  nat'i  Die 

1)  Corr.  aus  aoUen.  21  Fiuro  di  virtü  cap.  XXIU. 


462  Yoei 

stercke  ist  nicht  geheissen  fiirsichticbeit  oder  iugent  Da^  ander  ist 
stercke  der  fürsichtigcheit  (!):  die  ist  in  der  freyung  de?  gemüte/  ak 
dan  ist  zu  förchten  swere  dinge  /  Das  dritte  ist  mit  mitleydong  sich 
geleiche  auf  halten  in  einem  iglichen  ansprung  der  {carr.  aus  des) 
wideT-weTÜcheit^  oder  vngelückes.  Die  dasigen  syn  der  stercke  das  sein 
tugent  geheyson  Cünd  die  tugent  der  sterke  man  geleichfi  mage  zu 
dem  leüen,  wan  der  albeg  mit  offen  augon  slafte,  vnd  wen  in  der 
Jäger  suchte  zu  fachen,  das  er  snelle  vemonen  (!)  hatt;  da  mit  In  (91) 
der  Jager  nich  (!)  finde,  sich  von  dan  hebt  vnd  mit  seinem  zagel  seine 
stappen  prichte,  das  der  Jäger  nicht  gesechen  müge,  wo  er  hin  aus 
sey  vnd  alle  dinge  versucht,  da  mit  er  dem  Jager  engen  möchte.  Vnd 
ob  das  were,  das  er  von  dem  Jager  gefunden  würde,  er  nicht  fleüchte, 
sunder  frölichen  vnd  an  alle  sorge  vnd  forchte  dem  Jäger  entgegen 
chomet   vnd  den  streyte  redlichfl  fürte  wider  den  man  vnd  Jäger. 

S.  92.   Ein  Historj  von  der  stercke  des  Samson.  -^  «s» 

S.  93.   Von  der  forchte  vnd  seiner  [vnJtugenL  -f-  cv> 

S.  94.  Ein  historj  vor  (!)  der  forchte  vn  erschrecküg.-rcv 
(Dionisio  mit  dem  schivert  über  dem  haupte.) 

S.  95.  Von  der  Edelen  tugent  der  her9enhafticheit  /  Die 
ist  pey  den  gelorton  genant/  Mangnanimitas.  -r-  ^ 

S.  96.  Ein  historj  von  der  grossen  her9enhafticheit  der 
Römer,  -r-  ^     {Ablehnung  dr^  anerbietens,  den  Pyrrhiis  xu  vergiften.) 

S.  97.   Von  der  pössen  vntugent  der  Eytellere. 

S.  98.   Ein  Capitol  über  die  vntugent  der  Eytelere.  -r-  cv> 

(99)  Ein  historj  über  Eytellere  von  eine  Eynsidel.*  -r-  '^ 
IN  dem  leben  der  heyligen  vatter  man  list  vö  der  Eytellere  /  wie 
sich  ein  Engel  gesellet  zu  eynem  Eysidel  vnd  mit  einander  aus  gin- 
gen ir  narung  zu  suchen,  vnd  vnter  wegen  funden  ein  totes  ros  vcn 
pössem  gosmachc  /  zu  hant  der  Eynsidel  sein  nasen  verhilte  von  de? 
pösen  gesmaches  wegen,  vnd  den  Engel  dauchto,  es  nicht  smeeket. 
vnd  fürpas  gingen  durch  einen  schönen  garten,  vnd  dar  Inne  funde  (!) 
ein  gar  schöne  Junckfrauen  In  chöstlichem  gewante  gecleydet,  gar  mit 
Eytellere  '  (^iiliant  der  Engel  sein  nasen  verhilte.  der  Eysidel  die  scho- 
nen Junckfrauen  an  sache  vnd  de;  Engels  warde  spotten  vnd  sich  sere 
[von  Im  gestrichelt]  warde  wundern  de;  Engels  vnd  Im  etwas  vor  dem 
Engel  grausen  warde  /  Doch  er  zu  Im  spräche,  warü  er  also  sein  na- 
sen verhilte  „vm  solches  schönes  dinges  wiUen,  als  dan  disse  Junckfraue 

1)  So  durch  correctur;  das  folgende  oder  gestrichen^  j 

2)  Flore  di  virtü  cap.  XXVI  (s.  107).    Frati  s.  424. 


tmoOH    BLVHtH   UCR   TCaBiVD  463 

vnd  durcb  de^  faulen  as  willen,  das  also  faulen  pöseu  gesmache 
abe,  vnd  du  dein  nasen  nicht  verhiltest  /  was  (100)  sol  ich  vor  (!)  dir 
jedenckeu?"  Der  Engel  Im  antwurt  vnd  spräche:  „darum  das  die 
hoffart  der  vntugent  der  Ejtellere  get  dem  herfl  ubeler  smecket 
ian  da;  faule  vnd  tote  rossfleische  /  vnd  alle  faule  asse  der  ganzen 
■elte''  /  nach  dissen  werten  der  Engel  von  dem  Eysidel  verswante. 
tt  dem  der  Eysidel  erchante,  das  es  ein  Engel  vnd  pot  got;  gewesen 
'as  ^  t" 

S.  100.   Von  der  statichoyt  oder  pestondicheit.  -^  « 
S.  101.    Ein  Römische  historj  über  die  staticheyt.  -^  ^^ 
S.  103.    Von  der  pösen  vntugent  der  vnstaticheit  -r-  -^ 
S.  105.    Von    der   Edlen   Tugent    der   Messicheit,   die    pey 
en  iateynischen  geheisaen  ist  tpanc^'a.  -^  «^^ 

(107)  Ein  hystorj  von  der  tugent  der  Messicheit  de^  phy- 
iosofo  genant  Quadro.'  H-  c« 

IN  den  Römischen  bystorien  wir  lesen  vö  der  Messicheit  Wie 

der  chünig  priamo  grosses  wunder  von  weistum  höret  sagen  von 

Bm  lerer,    der  was   genant  Quadro,    der  selbig  spricht,    wer  seines 

rillen  nicht  geweitig   ist,   der  chein   mensche  ist     vnd    den    man   zu 

lem  viche  gesellen  vnd  geleichen  sol  /  Der  chünig  den  quadro  versu- 

uchen  weite,  ob  er  In  petruben  möchte  oder  In  zorn  prengen  /  Quhant 

cbicbte  nach  alle  die,    die  da  posse  zungen    [vnd  gestrichen]   hatten 

rnd  den  wol  was  mit  übel  reden  vnd  ir  zungen  pas  prauchö  chunden 

jy  ubell  reden  dan  In  wol  reden  vnd  pas  prauchen  in  worten   dan  in 

rercken.     Die  alle  er  schutfe  für  sich  chomeu  vnd  zu  In  spräche,  das 

.   dem   phylosofo   Quadro   alle;  übel   zu  sprechen  vnd  vö  Im  sagten, 

'  si  mit  der  zungen  möchten  gesprechfl  vnd  mit  dem  henjen  geden- 

in  /  Vnd  in  schenten  nach  allem  Iren  vcrmügen.    Dar  nach  zu  hantt 

'  chünig  sante  nach   dem  Quadro,   der  von  stüdo    chome   für  den 

liUnig  vnd  spracho:   „Edeler  chünig,  was  gepeüt  Euer  genadc?"/  snelle 

yner  von  den   übel  redern  an   hübe  vnd  spräche:    „0   quadro,   wie 

i  einen  schonen  gestückten  rocke  an"  /    de  er  antwurt  vnd 

prache  /  „der  mensche  nicht  wirt  (108)  Erehant  durch  sein  gewant, 

nodcr  allein  durc^h  seioe  wercke"  /    Aber  einer  anhübe  vnd  spräche: 

;secht  lieben  hörn,  wie  hat  quadro  also  ein  schönes  radscheybes  hare"/ 

)em  er  antwurt  vnd  sprach:    „die   tugen  (!)  de;   menschen  nicht  sein 

n  dem  hare,  nur  allein  In  dem  bereden."     Der  dritte  spräche:    „herre 

nd  chünig,  hütet  euch  vor  dem  quadro  /  wan  .E.  gester  ich  in  Sache 

1)  Fioro  di  virtii  ca]!.  XXIS  (s.  113). 


464  VOGT 

mit  euren  feynden  In  dem  felde  pey  den  chrichischen  herfl;  für  wäre 
ich  gelaube,  er  ir  specher  sej/  Dem  er  antwurt  vnd  spräche:  „wan 
das  war  were,  du  es  nymät  sagest."  Aber  ein  ander  spräche:  ^secht 
an  den  chröpfeten  narren/  auf  das  er  antwurt  vnd  spräche:  ^Es  lange 
zeit  vergangen  [ist],  das  du  anhübest  zu  lernen  übel  vnd  poshet  za 
reden.''/  Noch  ein  ander  spräche:  ,,secht  vnd  hört,  wie  rett  der  grosse 
verrater  vü  gar  cheine  schäme  nicht  hatt"  /  zu  dem  er  spräche:  ^Ich 
sol  nu  dalest  von  dir  werden  sagen  /  wer  mich  fraget/  das  dir  die  zoo- 
gen  übel  zu  reden  gelöst  ist  worden.**  „Edel'  chünig  secht  vnd  nemet 
wäre  de;  unschamsamen  hümplcrs.**  /  dem  er  antwurt  vnd  spräche,: 
„wer  Indert  ein  deine  [ere  oder]  schäme  in  dir,  disse  vnuemüstige  wort 
du  nicht  redest**  /  Aber  ein  ander  spräche:  „lasset  sten  den  narreo. 
der  also  frömdiglichen  redefürte"  /  Dem  der  Quadro  chein  antwurt  nicht 
gäbe  vnd  sweyge.  Der  chünig  zu  quadro  spräche,  wie  da;  chöme, 
das  er  chein  (109)  antwurt  gebe.  Do  spräche  quadro:  herre,  swey- 
gen  ist  ein  schöne  antwurt  zu  solcher  frage  oder  solchen  werten/  Van 
wer  wil  hören  oder  nicht  hören  die  vnützen  vnd  pösen  wort,  der  vil 
mor  praucht  die  tugent  der  om  dan  die  tugent  der  czungen/  Wan  den 
nyemant  fester  peschamen  möchte  dan  er  sich  selbes  dut/  Vnd  geleiche 
als  er  ein  herre  ist  seiner  zungen,  also  ich  auch  pin  ein  herre  meiner 
om.**  /  Do  der  chünig  sache  die  grossen  mitleydung  vnd  Messicheit 
de;  guten  maus,  er  Im  rüfFet  vnd  In  zu  seinen  füssen  nyder  schuffe 
sitzen  vnd  in  fragte,  wie  er  so  groses  mitleyden  hat  mügen  haben  vnd 
sich  nicht  hat  lassen  erczümen.  Er  zu  dem  chünig  spräche:  „here, 
das  ist  darum,  das  ich  ein  herre  pin  [mein]  vnd  si  sein  chnechte  der 
vntugent  vnd  poshet/  Ein  iglicher,  dem  übel  ;u  geret  wirt  /  der  sol 
gedencken,  ob  das  war  sey  oder  nicht/  Vnd  nicht  darum  zornig  oder 
vngemute  sein/  das  ein  ander  übele  dut/  sunder  er  leydcn  sol  vnd 
[gedult  habfi]  sich  nicht  petrüben  /  wan  er  wol  wayse,  das  übel,  das 
Im  zu  gerot  oder  zu  geczogen  wirt,  nicht  war  ist  /  Vnd  dem,  der 
Im  übel  zu  rot,  chein  grösser  leyde  nicht  getan  mage,  dan  Im  ervei- 
gen seiner  wort  nicht  achton  vnd  stille  sweygen.  Also  der  grosse  vnd 
tugonhaftige  lerer  vnd  phylosofo  den  chünig  vnd  seine  übel  reder  mit 
der  tugüt  der  mitleydung  vü  messicheit  über  want.  -r  <^ 

Unter  dem  capitel  Von   der   pösen   uutugent   der   vn  Mes- 
sicheit (s.  110)  steht  auf  s.  111  ohne  üherschnft:^ 

Von  der  vnmessicheit  mfin  list   in   dem   leben   der  heyligen 
alten  vatter  von  einer  Junckfrauen,  die  was  genant  lucina  vnd  In 

1)  Fiore  di  virtü  cap.  XXX  (s.  110).    Frati  8.  426. 


\ 


ABIGOS   BLUMEN  DEB  TÜQBND  465 

grossen  züchten  vtl  em  stunde,  mer  dan  chein  andre  Junckfraue  der 
weit,  vn  oft  gehört  hatt  singen  die  andern  frauen  von  dem  luste  der 
vncheuscheit  /  vnd  von  stunde  gedachte  In  irem  her9en  vnd  gemüte, 
den  lust  der  vncheuscheit  vn  ir  liebe  zu  versuchen,  vnd  ob  das  also 
grosse  freude  wero/  vnd  lust  prechte,  als  si  dan  In  der  frauen  gesange 
vemomen  hatte  /  vü  an  einem  tage  si  sante  nach  einem  Jünglinge,  der 
ir  lange  zeit  hat  heyiiche  liebe  getragen  vnd  das  pis  von  Jugent  auf 
über  alle  ding  er  si  liebe  hatt  /  Von  stunde  zu  der  Junckfrauen  chom* 
vnd  mit  ein  ander  peyder  wiUen  vnd  lust  der  vnkeüscheit  verpracht 
warde.  Nu  das  etliche  zeit  mit  einander  getriben  hatten,  die  Junck- 
fraw  pedencken  warde  ir  grosse  sünde  der  vncheuscheit  vnd  wie  si  ir 
Junckfrauschaft  verlorn  hatte  vnd  der  nicht  mer  herwider  gechauflTen 
möchte,  vnd  darum  In  verzagnüs  vnd  trauricheit  fiele,  das  si  ir  Junck- 
frauliche  ere  also  gar  an  alle  messicheit  so  übel  an  geleget  hatte,  vnd 
von  grossem  leyde  vnd  trauricheit  ir  selbe;  da;  leben  nam  vnd  sich 
erhinge,  -f-  cv> 

S.  112.    Von  der  Edelen  vnd  lieben  tugent  der  Diemüti- 
cheit  4-  ^ 

S.  114.  Ein  historj  über  die  tugent  der  Diemüticheit.-:-«^ 
S.  116.  Von  der  pösen  vntugent  der  hoffart.  -^  ~ 
S.  119.  Ein  historj  über  die  hoffart  de;  teüfels.  -^  c^ 

(Luxifers  sturx) 
S.  119.  Von  der  Edelen  vnd  züchtigen  tugent  der  cheu- 
scheit  vnd  irem  lobe,  -t-  ~ 

Ein  historj  über  die  tugent  der  cheüscheit^.  -4-  cv> 
MAn  list  In  dem  leben  der  heyligen  alten  vater  von  Einer  Nun- 
nen  oder  closter  frauen,  (122)  vm  die  huldet  der  herre  von  der  stat,  dor 
In  das  closter  was/  Vnd  vil  diche  die  frauen  hat  lassen  piten,  si  Im 
zu  willen  würde  in  leyplichem  luste.  Aber  ir  das  nicht  zu  herben 
ginge,  wan  si  ein  grosse  dienerin  gotes  was  /  vnd  die  pete  dem  hern 
statlichen  absluge,  vnd  nicht  do  von  wolt  hör"  sagen.  Do  der  herre 
vername,  das  [sein]  pete  chein  kraft  hatte,  Er  gedachte  seinen  gewalt 
zu  prauchen  vnd  in  das  closter  chomen,  vnd  mit  gewalte  die  frauen 
heraus  nome/  vnd  die  meinte  In  sein  haus  zu  füren.  Do  die  gute 
fraue  den  gewalte  des  pössen  hern  sache  [vnd]  In  Im  chein  parmher- 
9icheit  nicht  was/  si  zu  dem  hern  spräche,  warum  er  ir  mer  gewaltes 
datt  dan  cheiner  andern  frauen  de;  closters.  Der  herre  ir  antwurt  und 
sprach:  ^fraue,  wa;  ich  dun,  da;  ich  alle;  dun  vm  Euer  schönen  äugen 

1)  Fiore  di  virtii  cap.  XXXV  (s.  129).    Frati  s.  427. 

F.  D1UT80H1  PHnx)LOGn.    BD.  xxvm.  30 


466  VOGT 

willen  /  wan  die  mir  lieben  über  alle  dinge  der  weit**  /  Do  sprach  die 
fraue:  ^seytmal  ich  euch  gefalle  vnd  libe  vm  meiner  schönen  äugen 
willen,  so  sol  euer  wille  durch  iren  willen  verpracht  werden/  Aber 
mich  vor  lasset  gen  In  mein  zelle,  zu  nemen  mit  mir  etlich  mein  ge- 
rate; dar  nach  gescheche  euer  wille"  /  des  der  herre  willig  was,  vnd 
si  snelle  ginge  in  ir  chamern  /  Vnd  ir  selbes  peyde  äugen  außprache 
vnd  dem  herfi  schuffe  rüffen/  Vnd  zu  Im  spräche/  ^ herre,  damitt 
(123)  euer  wille  verpracht  werde,  vnd  ir  mein  äugen  so  liebe  habt 
so  nemt  si  hin  vnd  verpringet  eüern  pössen  willen."  Do  das  der  herre 
Sache;  er  sehr  erschracke,  mit  grossem  wunder  vnd  petrübtem  herezen 
von  dane  schyede/  Also  die  heylig  fraue  vor  dem  pössen,  uncheusohen 
hern  ir  reine  Junckfrauschaft  errettet  /  Auch  man  list  In  dem  Ewan- 
gelj  /  wie  dar  nach  si  got  wider  erleuchtet  -r-  <^ 

S.  123.  Von  der  pössen  vntugent  der  vncheüscheit.  -r  ^^^ 

(127)  Ein  historj  über  die  vncheuscheyt^  -r-  *^ 
VOn  der  pösen  vntugent  der  vncheüscheit  man  list  in  den  alten 
Römischen  historien  wie  das  der  cheyser  genant  theodosio  einen 
sun  hat  /  von  dem  die  weysen  meister  vnd  Erczte  sprachen  /  das  cliint 
wer  von  solcher  natur  vü  conplexen ,  seche  es  die  sunen  vnd  das  feuer 
vor  vir9echen  Jaren,  der  chnabe  crplinten  moste  an  seinem  gesiebte 
vnd  do  möchte  nyemant  für  sein.  Do  das  [der]  chiinig  vemorae. 
ser  leydig  was.  Doch  er  schuffe  machen  Ein  schöne  chamern  in  einem 
turn  vnd  dar  ein  Etliche  frauen  vnd  ammen,  die  den  chnaben  zicben 
sölten  mit  alle  vlcysche  vnd  sein  hüten  vor  den  vor  genanten  (Jweyen 
dingen,  als  dan  der  sünen  vnd  de;  feuers  /  pis  die  vir^echen  Jare  ver- 
gangen weren.  Also  de;  chünges  geschefte  verpracht  warde  vü  das 
chint^  in  dem  turn  was  in  das  fünfijechenst  Jare  vfi  weder  sünen  noch 
feüer  nye  gesache  CNach  der  vergangen  zeit  der  cheyser  den  chnaben 
heraus  nome  vnd  In  zucht  zu  leren,  als  dan  der  grossen  hern  gewon- 
het  was  /  von  erste  den  gclauben  vnd  zu  er  chefien  die  freude  de;  pa- 
radeyß  /  vnd  auch  die  helle,  do  die  teufel  ir  wonung  haben  vnd  zu  In 
nemen,  die  da  übel  dun  In  dissor  weit  /  Vnd  alle  andre  dinge,  (128) 
die  Im  dan  vnerchant  waren  /  Also  dem  Jungen  alle  dinge  worden  zu 
erchant  geben,  als  dan  waren  die  menschen,  die  mane  vnd  frauen, 
das  gefügel,  die  wilden  tiore,  rosß,  hunde,  vische  vfl  iglich  dinge  pe- 
sunder  Im  zu  erchonnen  gebfi  warde.  Nu  der  Junge  vü  dinge  gesechen 
hatte  vnd  von  iglichem  pesunder  den  nomen  pegert  zu  wissen,  alle 
dinge  Im  verchündet  worden  /  vü  do  er  chome  an  die  frauen  vnd  der 

1)  Fiore  di  virtu  cap.  XXXVI  (s.  133).   Frati  8. 420.         2)  Oonigiait  fW»  " 


ABIGOS  BLUMEN  DER  TUGEND  467 

nomen  pegert  zu  wissen  /  Einer  zu  Im  spräche  In  chürtzweyle:  „das  sein 
geheyssen  teüffel,  die  die  menschen  zu  der  helle  füren.''  CNioht  lange 
zeit  dar  nach  verginge,  der  cheyser  den  sun  pegonde  zu  fragen  /  wel- 
liche  dinge  Im  an  dem  pasten  gefielen  von  allen  den ,  die  [er]  gesechen 
hatte/  Der  Junge  dem  cheyser  antwurt  vnd  spräche:  „herre  vnd  vater, 
ich  sol  euch  die  warhet  sagen  /  Vnd  für  wäre,  an  dem  pesten  mir  ge- 
fallen die  teufel,  die  dj  menschen  zu  der  hellen  füren:  die  mir  pas 
gefallen  dan  chein  dinge,  das  ich  gesechen  habe."  -r-  <^ 

S.  128.  Von  der  tugent  der  Masse,  die  mit  den  lateyni- 
schen  genant  ist  Moderacia.^  -i-  <^  -f- 

S.  130.   Von  der  tugent  der  Masse  des  hermleins.  -r-  «^ 
S.  133.    Ein  Capitel  von  der  Masse  der  alte  (!)  .ee.  -r-  <^ 
S.  134.   Ein   ander  Capitel  von   der  Masse  vnd   wie   man 
reden  sol.  H-  ~ 

S.  136.  Ein  straffung  über  die  zungenvnd  ander  lere.-r-*^ 
S.  138.  Ein  Ander  Capitel    über    das    reden   de^  grossen 
meister  (!)  vnd  lerers  Tulio.  -f-  oo  oo 

S.  143.   Ein  cleyn  Capitel  über  rat  geben.  -^-  cv> 
S.  144.   Ein   ander    dein   Capitel    über    die    Ordnung   Qw 
reden  als  dan  Tulio  spricht,  -t-  «^ 

S.  145.   Ein  Capitel  von  der  torhett  -^  «^ 

(148)  Ein  ander  lere  vnd  anweysung  des  grossen  phylo- 
sofo  vnd  Meisters  Albertano  /  Von  erste  sein  anfang  /  dar 
nach  von  der  pösen  zungen  Das  dritte  von  dem  dienen  Das 
virde  von  zuchtiger  Milticheit  /  Das  fünfte  ein  straffung  de^ 
mans  Das  sexte  von  der  zuchticheit  der  czungeu/  Das  sybent 
vn  leste  czu  leben  In  der  forchte  gotes  -H  «^  AMEN  ^  l  <^ 

IN  dem  anfange,  mitte  vnd  Ende  meiner  lere,  zu  lobe  dem 
almechtigen  got  vnd  hem,  schöpfer  der  weit,  Wan  an  sein  genade  vn 
parniher9icheit  nymant  geleben  mago  /  Darum  Ich  sünderliche  diemü- 
tiglichen  czu  Im  rüffe/  Dan  vil  die  sein/  die  den  wege  der  czungen 
verlorn  haben/  Vnd  wenig  sein,  die  ir  zungen  herschen,  Räumen  oder 
straffen  chünnen  CDarum  der  heylig  Qwelfpot  sand  Jacob  sprichtt:  „Die 
wilden  tier  man  zäumet  vnd  vntertaniget  menschlicher  natur  /  vnd  sein 
eygne  zungen  der  mensche  nicht  gezaumen  noch  gepinden  mag  /  Darum 
Ich  albertano  phylosofo  gedacht  vnd  funden  han  lere  vnd  anweysung 
zu  reden  vnd  zu  sweygen  /  Darum  aller  liebstes  chint,  freunt  vnd 
günner   €Vnd  wan   du  reden  wilt,   vor  pedencke  die  natur  des  han- 

1)  dritter  corrigiert  in  Moderäcia, 

30* 


468  VOGT 

nen/  wan  .E.  er  sein  gesange  an  hebet  /  vor  (149)  Er  sich  selbes  mit 
seinen   flügeln   zu   dreyen   malen   siechte/  Dar   nach   er  an  hebet  zu 
singe:  Also  auch  du  solt  dun/  pis  züchtig  vnd  straffe  dich  selbs ;  Vor 
aus  teyle  vnd  gedencke,  was  du  reden  wilt/  Vnd  .e.  das  du  an  hebest 
zw  reden,   vor  pedencke  das  Ende,   wie  es  sich  ergen  müge/  Vnd  ob 
dich  die  sache  an  treffe  oder  an  ge,    oder  nicht/  Wan  gehört  dir  die 
Sache  nicht  zu,  so  soltu  dich  ir  nicht  vnterfachen.     Dar  nach  gedencke, 
ob  dein  gemüte  In  rubüg  sey  oder. In  Qorn  und  an  alle  hoffart  /  Win 
warum  wer  dein  gemüte  In  trübung  oder  90m,   so  hüte  dich  icht  zu 
reden  vnd  auch  zu  antworten  €Wan  Catone  spricht:  „der  zom  petrübt 
das  gemüte,   das  der  man  der  warhet  nicht  erchennen  mag  |  CAucb 
Tulio   der   Römer   spricht,    das^   die   gröste   vnd   höchste   tugent  sey, 
sich  selbs  zu  über  winden   CSant  CIsiderio  spricht:   „Es  ist  ein  sellig 
dinge,  der  In  dem  zom  sweygen  chan"  CSalamon  spricht:  „hüte  didu 
nicht  lasse  dich  willen  oder  pegire  überwinden.''  CDer  Qwelfpot  spricht: 
„der  sich  nachent  zu  got/  der  an  sich  halten  chan  seinen  willen/  CSa- 
lamon spricht:  wer  hütt  seines  mundes,  der  seiner  seien  hütet   CAri- 
stotile  spricht:   „wer  nicht  chan  sweygen,  der  auch  nicht  chan  reden/ 
CDer  Römer  Cato  (150)  spricht:    „die  erste  tugent  des  mans  vnd  der 
frauen  ist,  zu  meistern  ir  eygne  zungen/     €Sand  pauls  spricht:    „die 
freunde   gotes  /   chünen   vnd  wissen   zu  sweygen/     C Santa  chaterina 
spricht:    „die  freunde  vnd  diener  gotes  chünnen  [sweygen]   Vnd  dem 
zornigen  den  wege  geben**  CSalamon  spricht:  „fleuche  die  hoffart  als  die 
gift,   wiltu  seliglichen  leben"     CSand  geronimo  spricht:    „der  hoffertig 
man  oder  weybe  das  reiche  des  hymels  nicht  sechen/  CAuch  mer  er 
spricht  /  „du  solt  nymant  straffen  wider  recht,   noch  verurteylen  vm 
der  Sünde  willen,   dar  Ine  du  verurteylt  pisf     CDer  grosse  maester 
Virgilio  spricht/  „Wiltu  yemant  straffen,  sich  vor,  ob  du  in  solcher 
Sünde  pegraben  seyest  CDarum  so  sweyge  vnd  nyemant  richte**  CSand 
C Augustin  spricht/  „wer  wol  rett  vnd  übel  düt,   der  sich  selbes  ver- 
dampt"  CAristotile  spricht:   „wiltu  wol  reden  /  so  rede  vnd  pflige  der 
warhet  /  Vnd  von  dir  slache  die  lügen."     Clhü  Xpc  spricht:   „die 
warhet  chein   müe  ist  zu  reden  /   Vnd  über  alle  dinge  peschaue  das 
ende   deiner  wort,   so   würstu   nicht   sünden   CStö   Isiderio   spricht: 
„wiltu    nicht    sünden/   so    sweyge**    C Virgilio    spricht:    „sweygender 
munt/  ist  lobe  vnd  cre"  CSalamon  spricht:  „redender  munt  lescht  chein 
feuer**  CDarum  liebes  chint,  lern  (151)  Vnd  meister  dich  vnd  leine  [dich] 
an  die  edelen  tuget  der  warhet  vnd  wider  die  nicht  streyte  CWan  wer 
sich  leynet  an  die  warhet,  der  sich  leynet  an  got  CWan  got  mit  seinen  i 

1)  Dahinter  das  gestrichen. 


munde  spräche  /  Ich  pin  die  wathet,  Darum  die  warhaftigen  got  aer 
liebe  hat  tVnd  wan  der  meistorTulio  got  pRt  vm  genade  /  albegen  von 
erste  er  got  pate,  das  er  in  pehüten  solle  sein  zungen  vor  der  pössen 
vfi  falschen  lügen,  -h  '^ 

Ein  Capitel  vnd  straffung  über  die  pösen  /  vnd  falschen 
Zungen,  v-  '^ 

SAlamon  spricht:  „o  herre  got,  Ich  dich  pite,  das  du  mich  pe- 
hütest  vor  allen  pössen  zungen  tf  Darum  liebes  chint,  hüte  dich  vnd  dei- 
nen munt  vor  den  pösen  lügen  vnd  in  pranche  in  zucht,  warheit  vnd 
Milticheit/  So  lebstu  in  genade  eines  iglichen  €Wan  Salaraon  spricht: 
„Der  züchtig  vnd  warhaftig  man  vnd  weybe  werden  pürger  sejn  der 
stat  de?  hymels."  CSeneca  spricht:  „der  tugethaftig  vnd  züchtig  man 
nicht  Sechen  wirt  die  pein  der  helle."  CÄristotile  spricht:  „von  dem 
lügenhaftigen  menschen  zucht,  ere  vnd  wirdicheit  fleuchet"  CSalamon 
spricht:  nntter»  guter  nome  ist  über  alle.^  edel  vnd  gute  salben"  CDa- 
rum,  liebes  chintt,  nach  allem  deinem  vermügen  dich  nöte  vnd  i,^winge 
(152)  (^u  haben  guten  nomen  in  disser  weit/  so  würstu  erbort  in  dem 
leben  der  ewigen  salicheit  {us^t:  bis  xum  schluss  der  seife). 

(153)  Wie  man  dienS  sol  den  freunden  vnd  ander  pey- 
Spille,  -i-  '^ 

Noch  mer  vns  lert  die  heylig  geschrift  ein  ander  lere  vnd  mae- 
stcrschaft  CVnd  spricht:  „nicht  halt  deinen  freunde  oder  güßer  in  Wor- 
ten, diene  Im  snelle,  wan  er  deines  dinste  pegert,  ob  du  magest  CNoch 
mer  si  vns  lert  vnd  meistert,  das  wir  snelle  sulleu  sein  zu  vergeben, 
die  wider  vns  getan  haben   (ms«',  bis  xum  sckbtss  der  seite). 

(154)  Von  der  zucht  Vnd  Milticheit  der  zungen. 

SAnd  Ämbroaio  spricht,  von  der  milticheit  der  zungen  chomet 
glorj  vnd  ere  /  Vnd  von  der  posen  zungen  pechomet  neyde,  basß  vnd 
Sünde  CSalamon  spricht,  die  messig  zungen  sey  ein  stigen  des  para- 
deyses  CTolomeo  spricht:  „liebes  chint,  Ich  dir  gedencke  zu  haben  einen 
hals  als  der  kranghe"  ■Salamon  spricht:  „nyemant  offenware  die  heym- 
licheit  deines  herben  /  Wan  dar  nach  du  ir  nicht  mer  geweitig  pist" 
(wsK-.  bis  xum  scklt4ss  der  seite). 

(155)  Ein  ander  lere  vnd  capitel  der  straf fuog  de; 
mans.  ~  •>^ 

SAlamon  spricht:  „nicht  schyraphe  mit  d5  frauen,  die  vor 
über  das  czile  oder  pöglein  getreten  hat  /  Wan  der  ab  geleschte  cAo- 
leti  von  cleynem  feuer  sich  gern  [wider]  enzündet  {usw.  bis  s.  156  mitte). 

1]  der  aus  ein  corrigieii. 

2}  über  am  rando  nachgetrageo;  alle  aus  eine  corrigiert. 


470  vooT 

Ein  ander  Capitel  von  der  züchticheit  der  zungen. 

CAtone  spricht:  ^nicht  gee  in  den  rat,  du  werdest  dan  gerüffef. 
CSalamon  spricht:  „die  wort  sein  swserer  dan  das  pley."  Darum  dich 
hüte  mit  Überladung  der  wort,  die  nicht  alle  oder  al wegen  zu  reden 
sein  vnd  dir  nicht  zu  sten  (. ..  so  bis  s.  157  x,  7  v,  u.^  dann:) 

Ein  Capitel  zu  leben  In  der  forchte  gotes. 
0  Du  aller  liebstes  Edles  chinde.  In  einem  worte  allein  ich  pe- 
sliessen  wille  die  weysheyt  de;  hjrmels  vnd  de;  ertrichs  /  DarQ  (158) 
Pis  willig  in  dissem  Jamerlichen  Jamer  tale  vn  Elendiglichen  leben 
Wan  wie  du  dein  leben  fürest,  also  du  ersterben  wirst  Damm  ge- 
dencke,  wie  du  dein  leben  füren  wöUest,  das  gar  eben  pesynne ;  Dich 
vnd  dein  leben  zu  füren  In  der  liebe  [gotes  durcfistrichen]  Vnd  forchte 
gotes  de;  almechtigen  vaters  vnscrs  hern  Jhü  xpc  Im  zu  lobe  vnd  ern 
der  liebsten  frcUichen  Englischen  samnüg  des  paradeyses,  Do  alle  togent 
vnd  gute  ir  wonung  habent,  Immer  vnd  Ewig  an  ende.  Do  man  hört 
das  lobsam  vnd  süsse  Englische  gesange  der  em  vnd  salicheyt  Vnd 
vil  ander  grosser  wunder  vnd  freude,  die  menschlich  nat'  nicht  ver- 
chünden  möchte  CQu  dissen  hymlischfi  freunden  (!)  Vns  neme  der 
almechtig  got  Vnd  Schöpfer  aller  geschöpfe,  der  da  regirt  Imer  nid 
Ewig  an  endo,  ^vj    Am.E.N.  -^    oo  oo 

~    •   AßIGO    •    ~ 

«^  •   1468  •  <^ 

Opus  perfeci 

An  dem  acht  vn  (Jwainyigisten  tage  des  Augsten.  «^ 


Arigüs  Übersetzung  des  Fiore  di  virtü  ist  in  einer  schönen  pa- 
pierhandschrift  der  Hamburger  stadtbibliothok  überliefert,  auf  die  Lap- 
penberg in  der  Zeitschrift  für  deutsches  altertum  10,  260  hingewiesen 
hat  Hierauf  nahm  Zingerle,  Ältere  Tirolischc  dichter  I  (Vintlers  Plue- 
men  der  Tugent)  s.  XXIV  anmerkung  ohne  nennung  des  Arigo  bezog; 
sonst  hat  niemand  das  werk  beachtet  Weder  ist  es  in  den  litteratur- 
geschichten  erwähnt,  noch  hat  man  es  bei  der  frage,  ob  Heinrich  Stein- 
höwel  der  im  cingang  des  deutschen  Decamerone  genante  Arigo  seL 
berücksichtigt;  und  auch  Frati  hat  es  in  seinen  ßicerche  sul  fiore  di 
virtü  (Studi  di  filologia  Romanza  pubbl.  da  E.  Monaci  Vol.  VI  s.  247 
fgg.)  bei  der  Zusammenstellung  der  Übersetzungen  (s.  290  fgg.)  über- 
sehen. Aber  die  Übersetzung  hat  für  den  romanisten  wie  für  den 
germanistcn  ihre  bedeutung.     Sie  darf  bei  der  textkritik  des  in  stark 

1)  auf  rasur.    en  von  über  den  columnonstrich  heraus. 

2)  auf  rasur. 


ABIGOS   BLUMBN  DEB  TUGEND  471 

auseinandergehenden  Versionen  überlieferten  Fiore  nicht  unberücksich- 
tigt bleiben  und  sie  ist  ein  sprachlich  wie  litterarhistorisch  interessantes 
denkmal  jener  populär -humanistischen  richtung,  die  seit  der  mitte  des 
15.  Jahrhunderts  in  der  deutschen  prosa  zu  tage  tritt  Über  das  äussere 
der  handschrift  und  dessen  bedeutung  für  die  erkenntnis  ihrer  entste- 
hung  habe  ich  bereits  in  den  Göttinger  gelehrten  anzeigen  jahrg.  1895 
s.  325  fg.  das  nötigste  bemerkt  Dass  Arigo  nicht  nur  der  Schreiber  der 
vorliegenden  handschrift,  sondern  auch  der  Verfasser  der  Übersetzung 
sei,  geht  wol  schon  aus  dem  dort  beigebrachten  hervor.  Wie  er  seine 
Übersetzung  noch  während  der  niederschrift  corrigierte,  zeigt  sich  z.  b. 
in  dem  kapitel  vom  Neyde  (s.  20),  wo  für  den  satz  des  Originals  piü 
lieve  cosa  d  a  fuggire  il  dispiacimenio  della  poverta,  che  la  invidia 
deüa  riccheTixa  geschrieben  steht:  Aiich  vil  ringlicher  ist  xti  fliehen  die 
{Vernichtung  die]  armut  dan  den  Neyde  des  reichtwns.  Die  eingeklam- 
merten werte  sind  durchstrichen.  Arigo  übersetzte  dispiacimento  zunächst 
durch  Vernichtung  im  sinne  von  nichtachtung,  fürchtete  dann  aber,  als 
er  mit  der  armuot  fortfahren  wollte,  ein  mis Verständnis,  schrieb  daher, 
unter  verzieht  auf  die  Übersetzung  von  dispiacimenio ,  einfach  die  ar- 
muot  und  strich  dann  Vernichtung  und  das  eine  der  beiden  die.  In 
dem  kapitel  von  der  untugent  des  xoms  ist  s.  30,  z.  7  v.  u.  indignor 
xionc  zuerst  durch  imvnlligen  widerwerticfieit  widergegeben,  was  dann 
in  vnwillicheyt  geändert  wurde;  ebenso  ist  in  den  beiden  nächsten  Zei- 
len als  Übersetzung  des  indignaxione  auf  rasur  von  grösserer  ausdehnung 
vmvilicheit  hergestellt,  während  es  dann  auf  s.  31  z.  14  schon  von  vorn- 
herein in  den  text  gesetzt  wurde.  Von  den  zahlreichen  correcturen,  die 
auch  sonst  nach  dem  italienischen  original  gemacht  wurden,  kann  ins- 
besondere das  oben  mitgeteilte  stück  des  ersten  kapitels  eine  Vorstellung 
geben.  Dass  hie  und  da  auch  ein  beim  schreiben  übersprungenes  wort 
nachzutragen  war,  kann  auch  bei  einer  original -reinschrift  nicht  wundern. 
Eine  andere  deutsche  vorläge  als  Arigos  eigenes  concept  anzunehmen, 
besteht  nirgend  ein  grund.  Eine  genaue  feststellung  des  Verhältnisses 
zwischen  Übersetzung  und  quelle  wird  im  einzelnen  erst  möglich  sein, 
wenn  der  Fiore  in  kritischer  ausgäbe  mit  vollständigem  apparat  vorliegt. 
Mir  standen  ausser  den  von  Frati  a.  a.  o.  und  von  Zingerle  in  seinem 
Vintler  nach  der  ausgäbe  von  Gelli  (Florenz  1855)  mitgeteilten  stücken 
durch  die  freundlichkeit  des  herrn  dr.  Wendriner  die  ausgäbe  von  Gae- 
tano  Volpi  (Milano  1842)  und  die  von  Ulrich  (Leipzig  1890)  herausgege- 
bene versione  Tosco -Veneta  zur  Verfügung  i.     Die  letztgenannte  schliesst 

1)  Die  fortsotzung  der  letzteren  (Dpsia  1895)  und  die  ausgäbe  in  der  Ztschr. 
1  zom.  phiL  19,  235  %.  erschien  erst  nach  abschluss  dieser  arbeit 


472  vooi 

ebenso  wie  einige  andere  handschriften  (vgl.  Frati  s.  270)  in  dem  kapi- 
tel  (XXXVII)  moderanxa  (s.  139  der  ausgäbe  von  1842,  Arigo  a  133) 
und  zwar  mit  dem  satze  el  septimo  die  st  reposoe  da  ol-lavoriero 
eh'eV  avea  fato.  Der  ganze  übrige  teil  dieses  kapitels  fehlt  auch  bei 
Arigo.  Aber  dann  fahrt  er  in  den  drei  folgenden  kapiteln  wie  die  ita- 
lienische ausgäbe  von  1842  fort  Diese  schliesst  mit  dem  kapitel  (XL)  id 
guardare;  in  che  modo  si  dee  fare  (s.  156;  vgl.  auch  Frati  s.  270  fg.); 
ebenso  die  vorläge  Vintlers:  der  letzte  vers,  der  ihr  entspricht,  ist 
V.  9396  (vgl.  Zingerle  zu  9397),  d.  i.  nur  wenige  Zeilen  vor  dem  schloss 
der  it  ausgäbe  von  1842.  Dem  schlusssatz  dieser  letzteren  Ancora  dt! 
Vuomo  avere  moderanxa  e  misiira  in  tuiti  gli  suoi  faiti  entspricht  bei 
Arigo  auf  s.  145  (mitte)  der  satz  Aitch  der  man  pey  Im  haben  sol 
masse  vnd  das  in  allen  seynen  Sachen,  Aber  nun  folgt  noch  bei  Arigo 
ohne  abschnitt  Alexander  spricht  chein  dinge  nictit  ist  da  von  der  man 
mer  gepreyset  ist  dan  von  der  edelen  vnd  schönen  zucht  usw.  Daran 
schliessen  sich  sehr  verschiedene  lebensrogeln,  als  deren  Urheber  Seneca, 
Panfilio,  Seneca,  Seneca,  Boecio  genannt  werden,  bis  zu  dem  satze, 
mit  dem  s.  147  endigt:  Nu  sich  anJiebt  ein  ander  lere  des  grossen  phy- 
losofo  vn  Meisters  AWertano ,  und  es  folgen  nun  aufs.  148  bis  158  in  der 
durch  die  oben  mitgeteilten  kapitelüberschriften  ersichtlichen  weise  Über- 
setzungen aus  traktaten  des  Albertano  von  Brescia,  die  zum  teil  auch 
schon  vorher  im  Fiore  di  virtü  benutzt  waren.  Zu  s.  148  fg.  (oben  s.  467  fg.) 
vergleiche  Dei  trattati  moräli  di  Albertano  da  Brescia  volgarizxamento 
inedito  fatto  nel  1268  da  Andrea  Orosseto  publicato  ä  cura  di  Franc. 
Selmi  (Bologna  1873)^  s.  1  —  4.  Der  deutsche  text  ist  da  ein  allmäh- 
lich immer  freierer  auszug  aus  dem  italienischen.  Bemerkenswert  ist, 
dass  der  übei'setzer  für  die  anrede  des  Verfassers  figliuolo  mio  Stefano 
einsetzt  aller  liebstes  chint,  frcunt  vnd  gimner.  Dass  Albertano  von 
Brescia  schon  vor  unserer  Tugendblume  durch  eine  Übersetzung  seines 
Liber  co?isolatio?iis  in  die  deutsche  litteratur  eingeführt  wurde,  habe  ich 
im  Grundriss  II,  1,  406  u.  anm.  bemerkt;  Vetter  gab  in  Kürschners  ^Na- 
tionallitteratur"  ein  stück  au&  ihr  heraus,  ohne  das  original  anzugeben 
(„Aus  dem  Melibeus''  Lehrhafte  litteratur  des  14.  und  15.  jh.  I  s.456%g.) 
Wortgetreuen  anschluss  an  das  original  hat  Arigo  sich  auch  ge- 
genüber dem  Fiore  di  virtü  keinswegs  zur  pflicht  gemacht  Er  liebt 
es  besonders  ein  wort  der  vorläge  durch  zwei  synonyme  worte  lu 
umschreiben;  er  sieht  auf  Wechsel  im  ausdruck;  Schwierigkeiten  umgeht 
er  gelegentlich  durch  minder  genaue  Übersetzung,  auch  wol  durch  Aus- 
lassungen, während  er  andrerseits  auch  dieses  und  jenes  einschaltit 
Am  freiesten  behandelt  er  die  quelle  in  den  erzählenden  stttcken« 


ABiaOS  BLÜMBN  DBB  TUGEND  473 

ich  mit  ganz  lyibedeutendeü  ausnahmen  oben  mitgeteilt  habe.  An  den 
geschichten  v«  Dämon  und  Phintia  und  ^könig  Marcus",  denen  ich 
oben  beispielsweise  den  italienischen  text  beigefügt  habe,  mag  man 
sehen,  wie  seine  Übersetzung  stellenweise  den  Charakter  einer  freien, 
erweiternden  nacherzählung  gewinnt  Hier  wird  auch  sein  stil  geschick- 
ter. Bei  den  Sentenzen  schliesst  er  sich  dagegen  meist  näher  an  die 
quelle  an,  und  den  schwierigeren  anforderungen ,  die  sie  an  den  Über- 
setzer stellen,  zeigt  er  sich  weniger  gewachsen.  Die  Übersetzung  ist  hier 
im  allgemeinen  steifer,  undeutscher  und  von  fehlem  nicht  frei.  Einige 
grobe  misverständnisse  werden  auf  Verderbnis  oder  schlechte  schrift  der 
italienischen  vorläge  zurückzuführen  sein.  So  s.  45:  Darum  herre  got 
ich  dich  pitte  du  der  armut  nicht  neydig  seyest  vnd  dich  nicht  veran- 
ders durch  de^  reichtums  taiUen.  wan  du  von  Im  vnerchant  pist  für 
Di  due  cose  ti  priego,  Iddio,  che  tu  non  mi  dia  poveriä,  nd  tante 
ricchexxe  cKio  non  ti  conosca  (Duo  rogavi  te  ...  mendicitatem  et  divi- 
iias  ne  dederis  mihi:  tribue  tantum  victui  meo  necessaria:  7ie  forte 
illiciar  adnega^idum  usw.  Prov.  30,  7  fg.).  Statt  mi  dia  scheint  Arigo 
hier  inuidia  gelesen  zu  haben;  aber  auch  die  weiteren  fehler  werden 
durch  die  beschaffenheit  der  vorläge  veranlasst  sein.  Ähnlich  liegt  es 
wohl,  wenn  cap.  I  der  satz  e  di  questo  cotale  amore  di  concupiscenxa 
si  puö  dire  ch^d  tratta  la  regola  (var.  che  [ch'el]  trata  le  regolle) 
d' amore  übersetzt  wird  die  übrig  pegire^  man  sprechen  mage  die  ein 
ast  der  regeln  der  liebe  sey.  Ganz  merkwürdig  ist  die  Übersetzung 
des  Schlusssatzes  der  oben  s.  465/66  mitgeteilten  erzählung  E  la  monaca 
salvö  la  sua  castitä,  volendo  innanxi  perdere  gli  occhi  secondo  che  dice 
il  Vangelio  =  Also  die  heylig  fraue  vor  dem  pössen  uncheuschen  hem 
ir  reine  Junckfrauschaft  errettet  /  Auch  man  list  In  dem  Ewan- 
gelj  wie  dar  nach  si  got  wider  erleuchtet.  Eine  wunderliche 
Vorstellung  vom  Inhalt  der  evangelien!  Freilich,  wie  es  mit  Arigos 
bibelkenntnis  bestellt  ist,  zeigt  sich  auch,  wenn  er  s.  92  in  der  Historj 
von  der  stercke  des  Samson  über  dessen  persönlichkeit  den  erklären- 

1)  Statt  dieses  wertes  stand  ursprüDglich  liebe  der  pegemus  da  und  daneben 
am  rande  oder  pegire.  —  Gleich  der  folgende  satz  zeigt,  wie  die  Übersetzung  auch  für 
die  kritik  des  italienischen  textes  in  betracht  kommt:  dieser  lautet  nach  der  ausgäbe 
Milano  1842  und  nach  der  von  Frati  s.  254  benutzten  von  Bottari:  1' amore  nes- 
Sana  cosa  puö  dinegare  di  diletto,  la  mente  non  si  puo  saziare,  ähnlich  auch  nach 
der  von  Zingerle  verglichenen,  während  die  Vers.  Tose.  Venet  statt  der  beiden  ge- 
sperrten werte  jedesmal  l'amante  überliefert.  Mit  dieser  stimmt  Arigo:  Wan  der 
dassig^  der  da  liebe  hatt  durch  die  pegemtis  [oder  übrig  begire] ,  Im  dar  Inne  chein 
abpreehen  noch  sich  erfüllen  mage.  Doch  steht  seine  Übersetzung  keineswegs  immer 
mit  dieser  yeision  gegen  die  andern  zusammen. 


474  vooT 

den  Zusatz  macht,  dass  Safnso7i  de^  chiimges  dauit  sun,  Saktmon  vni 
absalmi  prüder  gewesen  sei.  Die  sprichwörtliche  Zusammenstellung  von 
Samsons  stärke,  Salomons  Weisheit  und  Absalons  Schönheit  übt  liier 
ihren  einfluss.  Eine  volkstümliche  Vorstellung  wirkt  auch  in  dem  kapitel 
1071  der  straffung  über  den  chünig  faraon  auf  seine  Übersetzung  des 
Satzes  la  seconda  fptstohnxa)  si  fu  moltitttdine  di  ranocchi,  che  piovi 
durch  dax  ander,  dax  auch  vö  hyrnel  regent  mancJierley  liniirtirm 
vfi  tracken:  bekanntlich  bringen  nach  altem  Volksglauben  die  drachen 
aus  der  luft  herab  allerlei  krankheit  und  plage. 

Nicht  nur  das  italienische  original,  sondern  icli  meine,  auch  die 
herkunft  des  Verfassers  oder  wenigstens  seine  gewöhnung  an  die  italieni- 
sche spräche  blickt  in  mancherlei  erscheinungen  durch,  auf  die  ich  zum 
teil  schon  in  den  Gott.  gel.  anz.  a.  a.  o.  hingewiesen  habe.  Wollte  man 
der  gelegentlichen  beibehaltung  dos  italienischen  Stichwortes  in  den  Über- 
schriften keine  bedeutung  beilegen,  so  verdient  doch  die  beibehaltung  der 
italienischen  formen  für  die  namen  der  klassiker  schon  mehr  bedeutung. 
Es  kommt  ferner  vor,  dass  ein  italienischer  ausdruck  auch  im  texte  bei- 
behalten wird,  teils  mit,  teils  ohne  beifügung  einer  deutschen  erklärung. 
So  s.  115  rfas  CapidogliOy  das  ist  dax  rothaus,  s.  83  der  rogel  der 
do  liegst  perni^e  vnd  an  der  färbe  vnd  grosse  ist  dem  rephun  ge- 
kiche  (Ital.  cap.  XXI  figliuoli  della  pernice),  S.  129  heisst  der  Schiffer 
schlechtweg  der  Jtochiere;  s.  68  findet  sich  der  tiranno  und  dex^  tiranno. 
Vielfach  der  philosofo.  Aber  auch  in  deutschen  Wörtern  zeigen  sich 
hie  und  da  italismen.  Neben  meister  wird  sehr  oft  maester  und  s«i 
auch  maester  Schaft  geschrieben.  S.  3  wird  la  patria  durch  seine  vat- 
terliche  laut  widergegeben,  und  entsprechend  heisst  es  s.  34  deipie  vai- 
t  er  liehe  vnd  geporne  laut.  Vgl.  s.  106  stäche  von  dir  alle  deine  übrige 
willen  für  togli  da  te  le  cose  superchievoli  e  le  tue  volontadi  ri^trigni 
S.  93  Von  der  forchte  (del  timorc)  vyid  seiner  vntugent.  Auch  von 
dieser  seito  bestätigt  es  sich,  dass  der  träger  des  italienischen  namens, 
der  sein  opus  perfeci  unter  die  Hamburger  handschrift  setzte,  Arigo, 
wirklich  das  werk  gemacht,  d.  h.  die  deutsche  Übersetzung  verfasst  hat. 

Ist  aber  dies  der  fall,  so  ergibt  sich  daraus  weiter  von  vornher- 
ein mit  der  grössten  Wahrscheinlichkeit,  dass  wir  dem  Übersetzer  des 
Fioro  di  virtii  auch  die  wenige  jähre  nach  Vollendung  jenes  werkes 
gedruckte  Verdeutschung  von  Boccacci(»s  Deeamerone  verdanken.  Denn 
die  werte  in  der  einleitung  des  deutschen  Decameron  (Keller  17,  29) 
hau  ich  Arigo  in  (den  freulein)  das  werde  machen  vnd  in  ieutsA$ 
xungenn  schreiben  wollen  können  sicherlich  nicht  anders  gedeutet  wo^ 
den,  als  dass  eben  auch  Arigo  das  werk  gemacht,  d.  h.  die  deot 


beh 
KEBI 


Übersetzung  verfasst  hat  {vgl.  Gott  gel.  anz.  a.  a.  o.).  Es  inüsste  aber 
doch  ein  wunderliches  spiel  des  ziifalls  sein,  wenn  um  dieselbe  zeit 
zwei  lente,  die  sich  Arigo  nannten,  italienische  werke  ins  deutsche 
übersetzt  hütten.  lu  der  tat  trifft  die  obige  Charakteristik  von  Arigos 
übersetzuugsweise  im  wesentlichen  auch  für  den  Decamerone  zti.  Auf 
welche  weise  man  sich  auch  bei  Identität  der  Verfasser  gewisse  unter- 
schiede in  form  und  ausdruck  etwa  erklaren  kann,  die  unleugbar  zwi- 
schen den  beiden  Übersetzungen  bestehen,  das  habe  ich  a.  a.  o.  ange- 
deutet. Hier  sei  nur  zur  weiteren  begründung  meiner  zuerst  im  Grund- 
risfi  d.  gerni.  phil.  II,  1,  405  und  408  ausgesprochenen  ansieht  eine 
reihe  bemerkenswerter  Übereinstimmungen  in  der  spräche  beider  werke 
hervorgehoben. 

Eine  merkwürdige  ausdehnung  hat  beiderseits  das  endungs-e. 
Die  bekannte  anhängung  des  e  an  starke  substantiva  ist  überaus  häu- 
fig, z.  b.  Dec.  leyte-  und  leyde  für  leid,  tobe,  tröste,  weyc,  lauffe,  rate, 
iodc,  voldce,  riefle,  tcereke,  ta^e,  swie,  note  usw.  TBL  {Tugendblume) 
pttche,  ieyie,  anfange,  tode,  dinge,  luste,  viache,  icege  usw.  Aber 
auch  dem  unflektierten  adjektivum  wird  es  zugefügt,  wie  z.  b.  beider- 
seits tode  und  besonders  häutig  liebe  haben.  Beim  verbum  sind  nicht 
nur  starke  präterita  wie  starbe,  ginge,  gäbe,  (löge,  icarde,  sacke,  käme, 
stunde,  hübe  in  der  TB!,  die  regel,  im  Dec.  mindestens  eine  ganz 
gewöhnliche  erscheinung,  sind  nicht  nur  präteritopräsentia  wie  tnage 
[mosse],  palarffe,  wilte,  weisse  üblich,  sondern  das  e  wird  auch  den 
verschiedenen  arten  des  endungs-i!  in  autfälliger  weise  angehängt;  so 
in  der  2.  pers.:  hesie  für  best,  hellest  Dec.  K.  196,  28,  du  musle  647,  28, 
du  solle  360,  26;  vgl.  du  dueste  TBL  9,  hasle  8,  chanste  15,  pedarfate 
\h,  du  solle  8  usw.;  in  der  3.  pere.:  erkente  für  erkennet  (erkentt  Äugs- 
burger,erA:rti/Stra8sburger  druck)  Dec.  K.  28,  2y,  schtefte  (schläft)  197,2, 
besiverte  (beschwert)  652,  18,  und  in  TBL  z.  b.  aj>riehte,  Uiufte,  machte, 
peleybte,  meinte,  neiite,  regirte,  ivürte,  hatte  vs^i.  [iäthat,  wii-d,  regtrel 
iisw.);  für  die  2,  pers.  pl.  ir  sülte  Dec.  532,  21,  iV  lieste  (liesflet)  440,  36; 
für  das  unflektierte  part.  präL  z.  b.  geschikte  [weltch  grab  sie  geschikte 
fanden  Dec.  K,  6,  37),  geerte  {sein  name  ..  .  geerte  seg  16,  37),  so 
enbachte  442,  28,  erkanlc  655,  8,  gesetxte  655,  12;  gepaute  TBL  ge- 
saxte,  verfthaufte,  desgl.  —  Dieser  Verlängerung  steht  andererseits  in 
beiden  Übersetzungen  eine  kürzung  nebentoniger  silben  gegenüber.  So 
beisst  es  beiderseits  tirlab  neben  urhub,  herber  {neben  herbtrg)  und 
beherbren,  arbet  und  in  den  zusammengesetzten  Wörtern  -het  (z.  b.  freg- 
het  Dec.  K.  211,  11,  gesuniihet  226,  11,  gewonhet  29,  36,  und  in  der 

weisket,   torhet,  gewonhel,   ckranetiet,  poshet)   neben  formen  mit 


476  "VOGT 

ei.  —  Bezüglich  des  vokalismus  der  Stammsilben  sei  folgendes  bemeifct 
Neben  ä  kommt  vereinzelt  d  vor,   beiderseits  in  do,    wo,   nomen.    a 
wird  beiderseits  zu  e  gekürzt  in  sellig.     Für  altes  t  gilt  bei  beiden  «, 
ey,  während  in  nebentonigen  hie  und  da  i  bleibt,  so  übereinstimmend 
in  ertrich;  in  recht  seltenem  Wechsel  mit  ai  steht  ei  für  altes  ei.    Für 
altes  ü  und  ou  gilt  übereinstimmend  au\  nur  in  dem  werte  sdm  (last) 
zeigen  beide  ö  für  ou  (Dek.  K.  199,  11;  TBL  85).     b  ist  im  anlaut  bei- 
derseits durch  p  vertreten;  w  für  b  findet  sich  bei  beiden  in  offenwar , 
b  für  w  übereinstimmend  in  albeg  {albege,  albege^i)]   postvokalisch  bei- 
derseits in  rubung  TBL  21,  gerubter  Dec.  199,  12;  sonst  vgl.  erbirbstu 
TBL  20,  enbicht  Dec.     Im  ganzen  scheint  der  Wechsel  zwischen  b  und 
w  in  Dec.  häufiger  als  in  TBL     n  schwindet  bei  beiden  gelegentlich 
in  eif eltig j  veniuftig  (vemustig)^  in  der  endung  der  participia  präsentis 
und  in  tuget.     Für  s  tritt  bei  beiden  im  inlaut  hin  und  wider  ss  auf, 
tibereinstimmend  z.  b.  in  wessen  neben  wesen.     Angesichts  der  form 
vleische  für  fleisse  TBL  127  braucht  man  geschekchaft  TBL  6  nicht  für 
einen   Schreibfehler   zu  halten,    und  eben  diese  form  findet  sich  Dec. 
s.  19*  der  Originalausgabe   (nicht  bei  Keller).     Inlautendes  ch  für  h  ist 
beiderseits  in  sechen,   xechen,  gechlich  (-Ung),   höche,   fliehen,   xicheti 
(fliehen,  ziehen)  belegbar.  —  Eine  völlige  Übereinstimmung  in  der  Schrei- 
bung des  handschriftlichen  und  des  gedruckten  werkes  wird  niemand 
erwarten.     Es  genügt,   wenn  besonders  charakteristische  roerkmale  der 
hdschr.  der  TBL  im  drucke  des  Dec.  noch  erkennbar  bleiben.  Solche  können 
auch  bei  sonst  consequenter  änderung  doch  gelegentlich  noch  durchschim- 
mern.    So  ist,  wie  Wunderlich  richtig  bemerkt  hat,   das  in  TBL  heir- 
schende  ch   im   anlaut  in  Dec.  stets  durch  k  ersetzt.     Aber  Dec.  372, 
13  steht  noch  als  Schimpfwort  für  ein  weib  verheyter  chad.     Mag  damit 
kdt  (kot)  oder  kad,  das  gefäss,  gemeint  sein,  was  dann  hier  wie  unser 
„Schachtel*'  gebraucht  wäre,  jedenfalls  hat  hier  der  setzer  in  einem  ihm 
vermutlich  unverständlichen  werte  das  ch  des  manuscripts  stehen  gelass^i. 
Von    Übereinstimmungen    im    wertschätze    verdienen    folgende 
besonders  beachtet  zu  werden:    ansprung  (tiero  assalto)  des  unseligen 
bösen  glucks  ist  im  Deutschen  Wörterbuch  I,  472  aus  Dec.  belegt,  ohne 
irgend    eine   parallele   für    solche   Verwendung    des   wertes   ofispmng. 
Genau  so  findet  sich  aber  TBL  39  ansprinig  der  widerwertictieit   Vgl 
auch  an  springen  von  begirden  und  von  der  geitikeit  gesagt  Dec.  36,  7. 
46,  37.  —    ausrichtig  in  freier  übersetzimg  des  Originals  gebraacht: 
Nil  der  abte  in  hilte  für  einen  chündigen   vnd  ausrichtigefi  man  tni 
meinte,   er  pesser  were  aus  zu  richten  etlich  gesehefte  def  dosters  •* 
credendo  Vabate,   che  egli  fasse  piü  savio  neUe  am»  M  immdo  l^ 


▲BI008  BLUIOEN  DKB  TÜOEND  477 

gU  aliri  monaci  TBL  oben  s.  459.  Der  tms  für  den  außrichtigisten  und 
redlichi^ten  man  gehalten  =  fu  uno  de'  piü  jwtabüi  e  de*  piü  magni- 
fici  signoi-i  Dec.  44,  16.  der  dasig  der  für  derjenige  welcher,  häufig. 
So  z.  b.  in  TBL  der  dasig,  der  solcher  liebe  pflegen  ist^  der  falsche 
vnd  nicht  gerecht  ist  wan  der  dasig,  der  an  freunde  ist,  allein  ist 
in  seinen  gescheften.  das  er  die  liebe  vnd  freuntschaft  des  dasigen, 
den  er  liebe  hatte,  die  pesixte  vnd  der  gewaltig  ist  der  dasig,  der  da 
reichtutns  oder  salicheit  nicht  gewonet  xu  haben  ist;  usw.  VgL  im  Dec. : 
Auch  die  dasigen,  die  das  romore  auff  dem  predigtstul  an  den  grasten 
machen,  dieselben  an  den  meisten  solchen  gescheftenn  nach  gen  208, 
12.  der  dasig,  der  da  was  getöt  worden  205,  27.  der  dasigen,  die  er 
meinte  xe  finden  197,  5.  die  dasig,  die  gen  ir  verklaget  was,  ersache 
701,  3  V.  u.  —  ein  fart  für  einmal  TBL  38.  Dec.  243,  18.  521,  30 
u.  ö.  —  dunkelgut  für  ipocrisia  mehrfach  in  TBL,  vgL  Dec.  257,  14 
die  vntiigent  der  ipocrasia  vnd  dunckel  gut  (im  original  nur  ipocresia). 
In  dieser  bedeutung  ist  das  wort  in  den  Wörterbüchern  nirgends  belegt  — 
eytellere  für  vanagloria  mehrfach  in  TBL,  vgL  Dec.  23,  11.  259,  4.  — 
entwichtenzu  nichte  machen:  vernichten  oder  entivichten  TBL  33.  wan 
das  auf  heben  den  verprachten  ditist  entti^icht  vnd  macht  verliessen  =- 
il  rimproverare  fa  perdere  lo  servigio  TBL  44;  Salamon  spricht,  das 
die  süssen  vnd  dieniütigen  wol  gesetxten  wort  enttvichten  den  xom  {il 
dolce  parlare  si  rompe  Vira)  TBL  140.  (Hier  ist  enticichten  später  cor- 
rigiert  in  erimchen).  wan  ich  den  erbem  vfl  frümen  nmn  höre  ent- 
wichten  den  vnweysen,  VgL  Dec.  wölt  ir  anders  euer  sach  nit  ent- 
tvichien  (guastare  i  fatti  vostri)  260,  8  (andere  beispiele  aus  Dec.  im 
DWb.  3,  658).  —  In  keinem  wörterbuche  ist  der  gebrauch  von  mitlei- 
dung und  mitleidig  für  geduld  und  geduldig,  ausdauernd  belegt,  wie  er 
in  TBL  und  Dec.  gilt  So  TBL  s.  92:  Van  der  Edelen  vnd  tugenthaf- 
tigen  stercke  der  mitleydung  (della  virtü  della  fortexxa  che  si  chiama 
paxienxa).  Socrate  spricht,  das  mitleydung  sey  ein  porten  der  liebe 
der  parmherfdc/ieit  (Socrate  dice:  La  pacienxa  e  parte  —  var.  porta, 
porto  —  della  misericordia),  Proenciale  spricht,  chein  lieget  Jiicht  mage 
gesein,  si  sey  dan  pestet  in  mitleydung,  das  ist  der  patieyigia,  VgL 
oben  8.  462.  464.  TBL  s.  105  (cap.  XXIX  des  ital.  or.)  wird  sofferenxa 
erst  durch  gedult  vnd  mitleidung,  dann  durch  mitleidung  allein  wider- 
gegeben. Entsprechend  wird  Dec.  307,  37  gedultig  vnd  mitleydig  seyt 
für  siate  paxienti  gesetzt  und  ebenso  129,  22  dax  sie  in  irer  armute 
gedultig  vnd  mitleydig  wer7i  für  che  essi  paxientemente  comportassero 
h  stato  povero.  Das  adjectivum  wird  auch  TBL  s.  112  gebraucht: 
nidU  XU  gelauben  genüge  mitleydig  xu  sein  [in]  allen  dingen,  den  du 


478  vooT 

dich  vntertanig  machest   (a  credere  di  tion  potere  essere  suffidenie  a 
ttiite  le  cose).     S.  105:   Wer  aber  mit  der  tugent  der  geduÜ  vnd  mit- 
leydung  den  dasigeji  pöseii  vntitgent  (!)  ividerstet,  Der  i^t  geheysen  ein 
mit  leyder.     Oben  s.  457  und  s.  464  mitleiden  haben  für  geduld  ha- 
ben. —   Sich  nehedcn  für  sich  nahen  fehlt  gleichfalls  in  den  Wörter- 
büchern.    Die  zeit  sieh  tvai'de  neheden  TBL  18.     So  wird  es  sich  zück- 
iiglich  xu  euch  näheden  Dec.  528,  30.  —  nudalest  TBL  oben  s.  464, 
z.  8.  Dec.  8,  27.     243,  24.     650,  30  u.  ö.     Es  wird  im  sinne  von  „jetzt* 
gebraucht.     Die  erklänmg  des  dalest  im  DWb.  und  bei  Lexer  wird 
wol  niemand  mehr  befriedigen.     Es   ist   sicherlich    nichts    anderes  als 
eine  der  vielen  entstellungen  aus  tälanc,  die  in  diesem  falle  durch  die 
genetiv-adverbia  beeinflusst  sein  wird.     Die  im  DWb.  erwähnte  ver- 
neinende bedeutung  des  dalest  hat  auch  tälanc  gelegentlich  (vgl.  Mo- 
rolf  616,  3  —  5  E  und  anm.  zu  521,  4.  5).   —   radoscheibe  kreisför- 
mig toid  ir  yeselschaft  s^ich  radescheibe  vmbe  sy   auch  nider  secxUn 
Dec.  16,  8.     Das  DWb.  kennt  nur  diesen  einen  beleg.     Aber  das  wurt 
findet  sich  nicht  allein   ebenso  Dec.  379,  22,   sondern  auch  TBL  oben 
s.  463.     wie  hat  Quadro  also  ein  schönes  radscheybes  hare.     Vgl.  auch 
geringeschcih :   si  (die  kraniche)    ireji  chünig  pehüten  mit  grosser  vnd 
treulicher  hüte,   wan  si  geringe  scheyb  vm  In  sten  vnd  er  in  der 
mitte  imder  In  TBL  —  verlaugnen  wird  in  beiden  Übersetzungen  auch 
im  sinne  von  versageyi  gebraucht:   die  verpoten  vnd  verlaügten  dinge 
{le  cose  vietate  e  negate)  TBL  106;  darvmb  seyt  gepeten  vmb  der  lifbe 
willen,   die  ich  euch  trage,    dax    ir   mir  der  eüern  nicht  verlaugcni 
{che  toi  non  neghiate  il  vostro  verso  di  me)  Dec.  128,  17.  —  verwe- 
sen: vnd  pcgert  er  nicht,  so  verwist  er  {si  consuma)  in  seiner  amiui 
TBL  45;    da  .  .  .  vcrpriiwest  vnd  veruisest  {ardi  e  consumiti)  in  liebe 
einer  fremden  frauen  Dec.  198,  29.  —    wetung:    vfl  den  (reichtum) 
nicht  gelassen  mage  an  grosse  pein  vnd  wetung  {e  non  le  lascia  senxa 
dolore)   TBL  46;   Dax  im  grosse  pein  pracht,  vmb  tvetung  halben  sich 
nit  enthalten   mocht,    laut  schreyeu  must  Dec.  375,  21,    vgl.  28  und 
vml  dem  künige   auf  sci?ier  pruste    ein   ewiger  tvetung  belibefi  tras 
gcuant   fistola   {gli  era   rimasa  una   fistoln)   Dec.  226,  8.     Das  wort 
ist  eine  entstellung  aus  urfuom,   die  ich   nicht   anderweitig  zu  bele- 
gen   weiss,   es  bietet   auch,  soviel  ich  sehe,   in   beiden   Übersetzungen 
das  einzige  beispiel  für  die  wandelung  des  -tuoin  in  -tung.  —  wander 
wird   beidei-seits   unabhängig    vom   italienischen    texte    in  verwandteD 
Wendungen   gebraucht:    vroul   Bruno   im   vo?i  ferren  naehfolget  vmk 
tvunder  xu  sechenn,  wie  sich  doch  der  arcxte  stellen  wiUe  (per 
come    Topera    andasse)   Dec.  530,  4.     VgL  a^ß  emm  i 


ARiaOS  BLX7UEN  DER  TUGEND  479 

wmiders  icillen  nicht  chö?ne  {noii  esce  mai  fuori  della  sua  tatia) 
TBL  130.  —  In  ganz  übereinstimmenden  Wendungen  verwenden  beide 
Übersetzungen  sich  verwundern  im  sinne  von  sich  genug,  bis  zu  ende 
wundem.  Vgl.  oben  s.  453.  Der  chünig  ,  .  .  sich  nicht  venmmdem 
mochte  der  starelien  i>nd  freyen  tvort  des  armen  maniies.  und  ebenso 
Die  edeln  herm  nicht  alleifie  sich  des  ritters  sunder  auch  seiner  frawen 
grosse  miltikeit  nicht  verwundern  mochten  Dec.  646,  4:  sie  konnten 
sich  nicht  genug  wundem  über;  so  beiderseits  mehrfach. 

Aus  der  syntax  will  ich  eine  bemerkenswerte  Übereinstimmung 
in  der  Wortstellung  hervorheben,  die,  ohne  im  einzelnen  falle  dem 
italienischen  original  nachgebildet  zu  sein,  doch  auf  italienische  gewohn- 
heit  zurückzuführen  sein  wird,  nämlich  den  gebrauch  |der  uns  in 
abhängigen  Sätzen  mit  conjunctionen,  relativen  und  inten-ogativen  ge- 
läufigen Wortfolge  (Subjekt,  adverbiale  bestimmung,  verbum  finit.)  im 
unabhängigen  satze.  So  z.  b.  TBL:  Der  künig  der  frauen  irer  pete 
XU  mllen  warde.  Die  junge  fraue  mit  des  chimeges  und  ires  aller 
liebsten  vrlab  von  dannen  schiede.  Der  abte  gar  xornig  wider  seinen 
munche  was  usw.  Vgl.  Dec:  Frawe  Philomena  irer  rede  gesivigen 
was.  Die  edeln  frauen  des  armen  Calandrino  imgelücke  lachten.  Ein 
solches  fraweji  Ore^eyda  ee  vonn  andern  teilten  dan  von  im  xü  ge- 
höre kam  usw.,  beiderseits  ganz  gewöhnlich.  —  Ebenso  unter  gleich- 
zeitiger voranstellung  einer  adverbialen  bestimmung  z.  b.  TBL:  Von 
der  tugent  der  liebe  man  in  den  alten  hi^torien  geschriben  vint.  Um 
des  willen  die  Junckfrau  in  grosse  schäme  fiele.  Von  disem  reiclien 
man  genant  Oermino  got  der  almechtig  ein  grosses  wunder  erxeyget 
nach  seinem  tode.  Nicht  lang  dar  nach  der  cheyser  nach  seynem 
scherer  sante.  Vgl.  Dec:  Auff  solche  hoffnung  ich  her  xü  dir  komen 
pin.  hl  solchem  lachen  vnd  fremdem  geperde  fier  Torello  dem  sol- 
dan  XU  gedancke  kam.  Nach  di^enn  Worten  der  soldan  in  mit  seinefi 
artnen  vmbfienge.  —  Ebenso  auch  im  nachsatze:  TBL  Vjid  also  palde 
IpoUto  hinein  chome  . . .  e/'  mit  auf  gei'ockten  armen  in  umfinge.  Do 
das  der  cheyser  saehe,  er  von  seinem  rosse  sasse.  Vnd  ob  das  were, 
das  Epkytica  nicht  wider  chöjue,  man  im  seilt  haubt  nemen  vnd  ab- 
schlagen sölte.  Vgl.  Dec:  Vnd  ee  der  tage  kam,  er  mit  sampt  dem 
pette  . . .  gen  Pavia  . . .  getragen  ward.  Vnd  dmnit  sy  im  seines  laden 
und  beherbem  nicht  versagen  möchten^  er  den  wege  hielte.  Vnd  do 
8%  nun  gessen  hatten,  der  ritter  ir  müe  bedenckeyi  warde.  —  So  auch 
mit  auslassung  des  Subjektes  im  nachsatze  bei  gleichem  Subjekte  des 
nebensatses:  TBL  Vnd  do  der  chunig  das  sache,  sich  des  nicht  ver- 
«pmufam  moekU.    Do  der  chünig  sache  die  grossen  freyhet  des  maus. 


480  vooT 

sich  7iicht  verwundem  mochte  der  ...  wort,  von  stunt  sich  pegabe  ... 
Do  das  der  chünig  vername,  ser  leydig  tvas,  VgL  Dec.:  Do  der  edd 
ritter  den  soldan  vemarn  . . .  der  fröest  man  warde.  Do  der  künig 
die  schönen  junckfrawen  sa^he,  ir  des  si  begeret  nicht  versagen  mocht 
Wie  wol  der  Soldan  mit  sampt  seinen  hem  grosse  köstliche  dinge  u 
Sechen  gewonet  warenn,  doch  darumb  sich  solcher  köstUcheyt  nidä 
verwundem  mocliten,  —  Sehr  beliebt  ist  beiderseits  auch  die  angege- 
bene Wortstellung  (subject,  adverbiale  bestimmung,  verb.  finit)  in  dass* 
Sätzen  bei  fortlassung  des  dass,  so  z.  b.:  si  sprachen,  er  an  si  nidä 
gelehen  möchte,  ich  spricJie,  du  der  edelste  . .  .  vogel  .  . .  pist  TBL 
danimb  man  sprach,  er  tod  were,  und  sprach,  er  im  fürgenomtn 
het  Dec.  —  vnd  gedachte,  er  e  seinem  tötüchen  feinde  ujiterinn  icoU 
sein  TBL  ir  gedacht,  sie  nit  alleine  des  küniges  krancheit  haUmt 
gute  vrsaehe  het  gen  Parisy  xe  komen  Dec.  —  den  enget  dauchit, 
es  nicht  smecket  TBL  auch  in  on  xweyfel  daucht,  dax  grosse  tcirdige 
hem  ...  sein  sölten  Dec.  —  und  meinte,  er  pesser  teere  auszurich- 
ten etlich  geschefte  TBL  dann  er  meint  ^  es  Türeken  wid  nicht  kristepi 
weren  Dec.  —  gelaubet  ir,  ich  her  choinen  sey  und  gelassen  habe .,. 
TBL  und  für  war  gelaubet,  sein  frawe  nudalest  einem  anderen  säU 
verheyret  sein  Dec.  —  und  wol  erchante,  xeit  teere  gewesen,  er  die 
geiticheit  pecheret  hatte  in  milticheit  TBL  tvol  erkante,  er  im  die 
tvarheit  gesagt  hatte  Dec.  —  Nicht  larige  xeit  darnach  verginge, 
der  cheyser  den  sun  pegonde  fragen  TBL  Damach  nicht  lange  ver- 
ginge, sie  auß  dieser  tvelt  schiede  Dec.  —  ...  es  sieh  füget,  dß$  ctej- 
sers  laiitherft  mit  einander  rat  liatten  TBL  es  möchte  sich  noch  bege- 
ben, ir  v^fiser  kauffmanschatx  möcht  sechen  Dec.  —  als  dan  gewonhei 
ist,  das  junge  volck  gern  nach  volget  TBL  nun  wer  mir  ye  von  her- 
exen  lieher  yeicescn,  ich  ein  solches  xü  rechter  xeit  vernomen  hett 
Dec.  usw.  usw.  —  Charakteristisch  wie  die  Wortstellung  ist  in  den  be- 
spielen dieser  gattung  für  beide  Übersetzungen  auch  das  fehlen  der 
conjunction.  Denn  gegen  bindewörter  herrscht  beiderseits  eine  förm- 
liche abneigung,  sowol  wo  es  sich  um  ein  abhängigkeitsverhältnis  als 
um  die  beiordnung  der  sätze  handelt  Wunderlich  hat  schon  im  Ar- 
chiv f.  d.  stud.  d.  neueren  sprachen  44,  248  die  verliebe  des  Dec.  für 
die  asyndesis  gegen  Stoinhöwels  brauch  hervorgehoben.  Sie  gilt  eben- 
sowol  für  TBL.  Beispiele  werden  jedem  aus  den  oben  mitgeteilten 
stücken  zur  genüge  entgegentreten.  Sowol  diese  eigentümlichkeit  als 
die  neigung  für  die  besprochene  Wortstellung  tritt  auch  in  der  Vorliebe 
für  demonstrativsätze  und  in  deren  besonderem  baa  in  beiden  übe^ 
Setzungen  zu  tage.    Ist  das  demonstrativum  Subjekt,  bo  ist  wider  d|l* 


ABI008  BLÜHEN  DER  TÜGRND  481 

selbe  Wortstellung  wie  oben  beliebt,  z.  b.  die  (nämlich  die  Jungfrau) 
grosse  liebe  hatte  zu  einem  Jungen  TBL  Die  schnelle  gen  ir  auf- 
stunden Dec.  Der  unterschied  zwischen  demonstrativsatz  und  relativ- 
satz  ist  bei  solcher  Wortfolge  völlig  au%ehoben,  und  das  gilt  nun  auch 
für  demonstrativsätze  anderer  art,  z.  b.  die  alle  er  schuffe  für  sich 
ehomen  TBL  Dax  ir  der  künig  voUcomenlich  verspräche  Dec.  Dem 
Quadro  chein  antumrt  nicht  gäbe  TBL  .  Zu  dem  der  ritter  sprach  Dec. 
Des  nicht  lang  xeit  vergangen  ist,  das  in  vnser  stat  . . .  gesessen  was 
Dec.  381,  20.  Natürlich  ist  es  unter  diesen  umständen  oft  genug  unmög- 
lich zu  entscheiden,  ob  ein  satz  relativ  oder  demonstrativ  gemeint  ist; 
bei  den  angeführten  beispielen  ist  der  demonstrative  Charakter  zweifel- 
los. Selbst  im  nachsatz  wird  diese  Stellung  angewendet:  do  die  frawe 
Sache j  das  ir  in  des  mannes  ersten  cxom  nit  Übels  xü  stund,  . . .  umb 
des  unllen  sy  ein  gut  hercxe  fieng  Dec.  376,  7.  vnd  wen  in  der  Jäger 
suchte  XU  fauchen,  das  er  snelle  vemomen  hatt  TBL  oben  s.  462.  ob 
das  wercj  das  ich  darinne  indert  xu  strafen  were,  das  ich  wilMg- 
liehen  von  einem  iglichen  auf  nyme  TBL  oben  s.  448.  So  auch  wer 
seines  unllen  flicht  geweitig  ist,  der  chein  mensche  ist  vnd  den  man 
XU  dem  viche  gesellen  sol  oben  s.  463.  Da  pey  der  eysidel  wol  erchante, 
das  (rel.)  Im  der  Engel  gesaget  hatte,  das  (demonstr.)  alles  gottes 
geschefte  was  oben  s.  458  und  ähnlich  alein  got,  dem  (rel.)  alle  ding 
kunt  sein,  pey  dem  (demonstr.)  ich  dir  swer  Dec.  371,  25. 

Auf  weitere  syntaktische  besonderheiten  der  beiden  Übersetzungen 
brauche  ich  hier  nicht  einzugehen.  Nur  im  vorbeigehen  sei  einer  lati- 
nisierenden Wortstellung  gedacht,  deren  sich  beide  an  stellen  bedie- 
nen, wo  die  quellen  gar  keinen  anlass  dazu  bieten:  um  der  grossen 
passen  deines  gemüle  geiticheit  willen  oben  s.  453,  vgl.  U7nb  des 
willen  sie  xü  dem  iungen  ires  vaters  schaffer  i?i  grosse  liebe  encxün- 
det  Dec.  351,  7.  Und  als  ein  beispiel  für  die  Übereinstimmung  der 
TBL  mit  besonderheiten  des  partikelgebrauches,  die  Wunderlich  (Stein- 
höwel  und  das  Decameron)  am  Dec.  hervorgehoben  hat,  diene  die 
Verwendung  von  nur:  TBL  vnd  chein  freuliche  ere  nicht  an  sechen. 
Nur  si  verpringen  mögen  Iren  viehischen  vnd  vfiuemüftigen  pössen 
lust,  vgl.  Dec.  er  heit  ir  (der  eyde)  . . .  xehen  falsche  . . .  geschworen, 
nur  er  seinen  ividerteyle  hette  überwinden  mügen  und  Wimderlich 
8.  30.  Im  übrigen  genüge  es,  zum  schluss  ein  paar  redensarten  anzu- 
führen, deren  übereinstimmende  Verwendung  im  verein  mit  den  voran- 
gegangenen ausführungen  gewiss  geeignet  sein  wird,  jeden  zweifei  an 
der  identität  der  Verfasser  beider  Übersetzungen  auszuschliessen :  TBL 
oben  &  461  gethon  vnd  geschaffen  alles  ein  dinge  was  (im  or.  ent- 
f.  mrorscRB  PBiLOLO0n.    bd.  xxvui.  31 


482  DÜNTZEB 

spricht  gar  nichts),  Dec.  349,  38  das  gcschefte  gepoten  vnd  verpraehf 
alles  ein  dinge  was  (im  or.  entspricht  nur  e  cosl  fu  fatto).  —  TBL  oben 
s.  457  vnd  darum,  das  aus  tibel  nit  ärger  mürde,  Dec.  518,  9  mid 
damit  aus  übel  nit  ergers  werde;  in  beiden  fällen  entspricht  im  or. 
nichts.  —  TBL  oben  s.  461  mit  hocher  styme  an  hübe  zu  sckreyen: 
„retta  jof  ictia  jo!  helffet!  der  pösuicht  mich  wille  7iöien  vnd  jund- 
fraue  ere  nemen.^^  (im  or.  ella  comhiciö  a  gridare:  accorreie,  accornk, 
che  Amantino  m'ha  voluta  sforxare)  vgl.  Dec.  128,  34  mit  hocher 
stimme  an  hübe  zu  schreyen:  „retta  io!  retta  io!  vor  dem  pösen  graf- 
fen  von  Angfers;  er  vnll  mich  nöten  und  freueUchen  meiner  crt 
empfrcmden  vnnd  die  mir  onch  mit  gewalt  nemen  (im  or.  cominriöa 
gridar  forte:  ajuto,  ajuto,   clie'l  cmite  d*Anguersa  7ni  vuol  far  forxa). 

BRESLAU.  F.    VOGT. 


GOETHES  BEUCHSTÜCK  „DIE  GEHEIMNISSEN 

Unsere  philosophen  nehmen  es  als  entschiedenes  recht  in  ansprach, 
bei  deutung  schwieriger  dichtuiigen  die  berufenen  ausleger  zu  sein; 
ihrem  Scharfblick  erschlössen  die  verschlungenen  gänge  des  dichtere 
sich  leichter  als  dem  erkliircr,  der  von  sprachlichem  Verständnisse, 
sorgfältiger  beachtung  des  einzelnen  wie  des  aufbaues  und  allseitiger 
kenntnis  des  dichters  und  seiner  kunst  ausgeht.  Als  ob  dies  nicht  die 
notwendigen  Schlüssel  wären,  ohne  die  auch  der  tüchtigste  philosoph 
in  die  irre  gehen  muss,  ja  fast  um  so  mehr,  je  gedankenvoller  er  kt 
Ein  einziger  übersehener  oder  misverstandener  ausspruch  des  dichters 
selbst  kann  das  ganze  kunstvolle  gebäude  des  philosophischen  deuters 
stürzen,  ein  einziger  bezeichnender  zug,  den  er  unbemerkt  gelassen, 
die  willkürliche  Verschiebung  des  ganzen  verschulden:  wer  ohne  ge- 
naueste kenntnis  des  dichters,  ohne  liebevolles  verfolgen  seiner  sparen, 
ohne  kritik  und  ergründung  dessen,  was  wir  von  der  entstehung  des 
kunstwerkes  wissen,  sich  zum  erklärer  schwieriger  dichtungen  aufwirft 
wird  seinen  zweck  verfehlen.  Der  philosoph  muss  gestatten,  dass  der 
philolog  seine  Offenbarung  revidiert.  Wie  viele  versuche  trefflicher 
männer   sind    an    der   klippe   unzulänglicher   philologischer   auslegung 

gescheitert! 

Weit  hinab  an  dem  brausenden  gcstade 

Liegts  von  der  scheiter  umher. 

Einen  neuen  beleg  bietet  die  mit  viel  geist  und  vollem  Verständ- 
nis von  Goethe's  religiöser  Stimmung  versuchte  lösung  der  rätsei  dfl' 
uns   hier   beschäftigenden   unvollendeten   gedichtes  in  der  8(du 


GOETHES  GEHEIMNISSE  483 

Königsberger  philosophen  Hermann  Baumgart  „Goethe's  Geheimnisse 
und  seine  Indischen  legenden**.  Der  Verfasser  bezeichnet  es  als  auf- 
gäbe des  Interpreten,  „mit  hülfe  des  durch  die  forschung  aufgeschich- 
teten materials,  mit  benutzung  der  gesammten  bereitgestellten  mittel 
dem  letzten  ziele  zuzustreben,  im  kunstwerke  dem  sinn  des  künstlers 
nachzugehen**.  Aber  ausreichende  philologische  kritik  bei  benutzung 
des  dem  forscher  zu  geböte  stehenden  stoflfes,  methodische  auslegung 
und  vollständige  beherrschung  desselben  vermissen  wir  eben  bei  unseren 
philosophischen  auslegem,  die  „den  boden  unter  den  fassen  verlieren**, 
da  sie  die  festen  stützen  aufgeben,  welche  die  Überlieferung  und  das 
stetige  verfolgen  der  im  aufbau  der  dichtung  liegenden  Wahrzeichen 
darbieten.  Baumgart  will  freilich  auch  die  angaben  über  die  entstehung 
der  „Geheimnisse**  benutzen,  aber  er  thut  es  auf  eine  so  unvollstän- 
dige und  zum  teil  verkehrte  weise,  dass  sein  ergebnis  unwahr  ist,  und 
so  nur  auf  irrwege  führen  kann.  Dazu  kommt,  dass  er  auf  äusserun- 
gen  Goethe's  baut,  welche  dieser  dreissig  jähre  nach  der  ihm  ganz 
fremd  gewordenen  dichtung  gethan,  als  er  der  bitte  um  aufklärung 
des  darüber  schwebenden  dunkeis  von  selten  Königsberger  Studenten 
nachgab,  die  ihm  ihre  eigene  ansieht  über  deren  plan  und  absieht  mit- 
geteilt  hatten.  Baumgart  nimmt  ohne  weiteres  die  Zuverlässigkeit  die- 
ser erklärung  an,  obgleich  es  dem  dichter  dabei  sichtlich  nicht  wol  zu 
mute  war.  Schon  vor  mehr  als  vierzig  jähren  habe  ich  im  „Morgen- 
blatt** (der  aufsatz  ist  in  meine  „Neuen  Goethestudien"  aufgenommen) 
den  nachweis  geliefert,  dass  das  wenige  neue,  was  Goethe  hier  gibt, 
im  Widerspruch  mit  der  dichtung  selbst  steht,  so  dass  Baumgart,  auch 
wenn  er  nicht  selbst  darauf  gekommen  wäre,  meine  bedenken  hätte 
beachten  und,  wenn  er  es  vermocht,  widerlegen  müssen.  Dabei  wäre 
auch  die  frage  zu  erörtern  gewesen,  wie  es  überhaupt  sich  verhalte 
mit  Goethe's  äusserungen  über  seine  eigenen  älteren  dichtungen,  die 
vollendeten,  wie  die  als  bruchstücke  hinterlassenen,  zu  denen  der  sechs- 
zigjährige  in  „Wahrheit  und  dichtung**  und  noch  später  anderswo  sich 
veranlasst  sah,  insonderheit  mit  denen  über  die  plane  der  unvollendeten. 
Und  da  ergibt  sich  deren  völlige  unzuverlässigkeit.  Was  seine 
lebensbeschreibung  über  „Mahomet"  und  den  „Ewigen  Juden"  enthält, 
steht  im  Widerspruch  mit  den  vorhandenen  bruchstücken.  Die  bei  der 
späteren  redaktion  der  „Italienischen  reise"  eingefügten  plane  der  „Nau- 
sikaa**  und  der  „Iphigenie  in  Delphi**  sind  nichts  weniger  als  zuverlässig. 
Selbst  die  deutung  des  gedichtes  „Harzreise  im  wintcr**  ist  nicht  in  allen 
punkten  richtig,  lässt  nicht  einmal  ahnen,  dass  diese  stückweise  entstan- 
dtti,  ans  „fliegenden  streifen  von  den  tausend  gedanken  in  der  einsamkeit 

31* 


484  DÜNTZER 

jener  reise",  wie  es  in  einem  briefe  an  Merck  von  1778  heisst,  zusam- 
mengesetzt ist    Da  kann  es  denn  auch  nicht  auffallen,    dass  der  zur 
aufklärung  über  die   „Geheimnisse"   entworfene   aufsatz   (das  tagebach 
gedenkt  desselben  am  23.  märz  1816,  mundieii  wurde  es  am  9.,  abge- 
sandt am  10   april),  den  er  nach  flüchtiger  losung  des  bruchstückes  bei 
rascher  durchsieht  des  neu  zu  druckenden  neunten  bandes  der  Werke 
entwarf,  kein  evangelium  ist,  da  ihm  das  gedieht  längst  fremd  gewor- 
den, und  er  bei  der  grossen  Zerstreuung,  worin  er  damals  so  verschie- 
denartiges durchzudenken  und  vorzubereiten  hatte,   sich   nicht  in  die 
Stimmung  zurückversetzen  konnte,   welche  ihn  vor  einunddreissig  jäh- 
ren beseelt  hatte.     Das  kloster,  worin  „die  Geheimnisse"  spielen,  liegt 
nach  der  diclitung  in  der  „grünen  aue  eines  sanft  geschlungenen  thales", 
in  das  bruder  Markus  herniederschaut,  als  er  einen  steilen  berg  erstie- 
gen hat  und  aus  dem  walde  herausgetreten  ist;    er  eilt  zu  ihm  durch 
einen  „wiesenplan".     Hiernach  heisst  es  denn  auch  in  der  sehr  kurz 
gehaltenen  erklärung:  „Ein  junger  ordensgeistlicher,  in  einer  gebirgigen 
gegend  verirrt,  trifft  zuletzt  im  freundlichen  thalo  ein  herrliches  gcbäude 
an."     Davon,   dass  bruder  Markus  sich  verirrt  habe,   steht  nichts  im 
gedichte,   wenn  er  auch   „ausser  stcg  und  bahn"  geht,   er  folgt  dem 
„erhabenen  antrieb",  der  ihn  zu  einer  besonderen  sendung  bestimmt  hat, 
und   er   muss  dahin,    wohin    der   geist  ihn  führt.     Damit    stimmt  es 
nicht,  wenn  Goethc's  bericht,  „um  den  plan  im  allgemeinen,  und  somit 
auch  den  zweck    des  gedichtes   zu    bekennen",    weiter  mitteilt,    „dass 
der  loser  durch  eine  art  von  ideellem  Montscrrat  geführt  werden,  und, 
njichdem  er  durch  die  verschiedenen   borg-,    felsen-  und  klippenhöben 
seinen  weg  genommen,   gelegentlich  wider   auf  weite   und   glückliche 
ebenen  gelangen   sollte".     Irren  wir  nicht,   so  liegt  hier  ein  missver- 
stiindnis  der  ei*sten  stanze  zu  gründe,  wo  es  bildlich  von  diesem  „wun- 
derbaren Hede"   heisst:    „durch  borg'  und  thäler  sei  der  weg  geleitet, 
und  wenn  sie  genug  geklommen,  wollten  sie  doch  zur  rechten  zeit  dem 
ziele  näher  kommen",    was  auf  die  vielen  orzählungen  deutet,   welche 
der  schliesslichen   einsetzung  des  bruders  Markus  zum  nachfolger  des 
Humanus  vorangehen.     Forner  wird  dieser  „ideelle  Montserrat"  dua^h 
eine  sonderbare  erfindung  dis  soehszigjährigen   dichters    näher  ausge- 
führt.    „Einen  jeden  der  rittermünche  würde  man   in  seiner  wohnung 
besucht  und  durch  anschauung  klimatischer  und    nationaler  Verschie- 
denheiten erfahren  habcMi,  dass  die  trefflichsten  männer  von  allen  enden 
der  erde  sich    hier  versammeln   mögen,   wo  jeder  von  ihnen  gott  auf 
seine  eigenste  weise  im  stillen  verehre.    Der  mit  bruder  Markus  herum- 
wandelnde  luser  oder  zuhörer  würde  gewahr,   dass  die  verschiedenstHi 


OOKTHES   OEHRIMNISSE  485 

denk-  und  empfindungsweisen,  welche  in  dem  menschen  durch  atmo- 
sphäre,  landstrich,  Völkerschaft,  bedürfniss,  gewohnheit  entwickelt  oder 
ihm  eingedrückt  werden,  sich  hier  am  orte  in  ausgezeichneten  indivi- 
duen  darzustellen,  und  die  begier  nach  höchster  ausbildiing,  obgleich 
einzeln  unvollkommen,  durch  zusammenleben  würdig  auszusprechen 
berufen  seien.''  Offenbar  ist  unter  dem  „ideellen  Montserrat"  eine 
ähnliche  örtlichkeit  gemeint,  wie  Goethe  sie  durch  W.  von  Humboldt 
brieflich  im  sommer  1800  von  dem  spanischen  berge  erhalten  hatte, 
und  es  kann  keinem  zweifei  unterliegen,  dass  dessen  heranziehen  zu 
unserem  gedichte  durch  Humboldt's  damaligen  brief  veranlasst  ist. 
Dieser  hatte  ihm  geschrieben,  in  den  zwei  unvergesslich  schönen  tagen, 
die  er  auf  dem  Montserrat  zugebracht,  habe  er  unendlich  oft  seiner 
gedacht;  seine  „Geheimnisse"  hätten  ihm  lebhaft  vor  dem  gedächtnis 
geschwebt,  sie  seien  ihm  nicht  werter,  aber  näher  und  eigener  gewor- 
den. „Wie  ich  den  pfad  zum  kloster  hinaufstieg,  der  sich  am  abhang 
des  felsens  langsam  herumwindet,  und,  noch  ehe  ich  es  wahrnahm,  die 
glocken  desselben  ertönten,  glaubte  ich  Ihren  frommen  pilger  vor  mir 
zu  sehen,  und  wenn  ich  aus  tiefen,  grünbewachsenen  klüften  empor- 
blickte und  kreuze  sah,  welche  heilig  kühne  bände  in  schwindelnden 
höhen  auf  nackten  felsen  aufgerichtet  haben,  zu  denen  dem  menschen 
jeder  zugang  versagt  scheint,  so  glitt  mein  blick  nicht  wie  sonst  mit 
gleichgültigkeit  an  diesen  durch  ganz  Spanien  unaufhörlich  widerkeh- 
renden zeichen  ab."  Freilich  konnte  Humboldt,  als  er  zu  der  berühm- 
ten Benediktinerabtei  auf  dem  von  seinen  sägeförmigen  spitzen  benann- 
ten berge  bei  Barcelona  aufstieg,  sich  an  bruder  Markus  gemahnt  füh- 
len, der  beim  besteigen  des  berges  das  glockengeläute  des  auf  dem 
gipfel  gelegenen,  noch  unsichtbaren  klosters  hörte,  aber  das  kloster  lag 
unten  im  thale,  und  er  musste  noch  einen  längeren  weg  durch  einen 
wiesenplan  machen,  ehe  er  zu  diesem  gelangte,  über  dessen  pforte  er 
das  rosenkreuz  erblickte.  Von  einem  auf  dem  berge  gelegenen  klo- 
ster, welchem  zwölf  von  einander  getrennte,  auf  den  bis  zur  schwin- 
delnden höhe  der  gipfel  angelegte  einsiedeleien  angehören,  zu  denen 
man  nur  auf  leitern  und  brücken  über  die  schauerlichsten  abgründe 
gelangen  kann,  ist  in  den  „Geheimnissen"  keine  rede,  nicht  einmal 
von  solchen  über  dem  kloster  sich  erhebenden  berggipfeln,  die  doch 
dem  bruder  hätten  auffallen  müssen,  wären  sie  vorhanden  gewesen. 
Die  sämmtlichen  zwölf  brüdcr  wohnen  nach  dem  gedichte  in  demsel- 
ben gebäude,  dessen  vorhof  Markus  am  ersten  abend  betritt;  das 
innerste  soll  ihm  erst  später  erschlossen  werden.  Täglich  kommen  sie 
hier  zusammen,  während  die  bewohner  der  zwölf  einsiedeleien  nur  an 


486  DÜNTZEB 

bestimmten  festtagen,  etwa  zwanzigmal  im  jähre,  zur  klosterkircbe  her- 
abstiegen. Das  abgesonderte  leben  in  verschiedenen  regionen  der  berg-, 
felsen-  und  klippenhöhen  ist  durch  die  anläge  des  gedicbtes  geradezu 
ausgeschlossen,  und  erst  von  dem  später  nach  dem  ihm  verloren  gegao- 
genon  faden,  wie  auch  bei  „Faust",  suchenden  dichter  höchst  unglücklich 
vom  Montserrat  hereingetragen.  Mit  der  erkenntnis,  dass  die  annähme 
von  abgesonderten  eiusiedeleien  auf  gipfeln  und  klippen  durchaus  der 
anläge  der  dichtung  widerspricht,  ergibt  sich  auch  alles  damit  zusam- 
menhängende als  spätere  haltlose  erfindung.  Damit  es  möglich  scheine^ 
dass  „die  begior  nach  höchster  ausbildung  durch  zusammenleben  sich 
würdig  ausspreche",  sollen  sich  die  zwölf  um  Humanus  versammelt 
haben,  weil  sie  eine  ähnlichkeit,  eine  annäherung  gefühlt  Aber  das 
„wunderbare  lied"  nahm  überall  eine  übernatürliche  ein  Wirkung 
der  Vorsehung  an,  die  freilich  dem  sechszigjährigen  fem  lag.  Huma- 
nus wurde  vom  geiste  hierher  getrieben,  die  übrigen  kamen  alle  in 
höherm  alter  hierher,  indem  sie  einer  inneren  stimme  folgten,  wie  auch 
bruder  Markus  durch  „erhabenen  antrieb"  bestimmt  wurde,  nach  einer 
angegebenen  richtung  zu  wandern,  bis  er  zu  einem  orte  gelange,  wo 
eine  segensreiche  bestimmung  seiner  warte.  In  ähnlicher  weise  ergeht 
in  John  Bunyans  „The  pilgrims  Progress",  der  auch  in  frommen  deut- 
schen kreisen  ein  weitverbreitetes  crbauungsbuch  war,  an  Christman 
der  ruf  der  Vorsehung,  die  heimat  und  die  seinigen  zu  verlassen,  und 
ostwärts  nach  der  goldenen  Stadt  zu  wandern,  sich  weder  durch  berge, 
abgründe  noch  ströme  auf  seinem  wege  hemmen  zu  lassen.  Vgl.  meine 
Erläuterungen  zu  Schillers  lyrischen  gedichten,  heft6,  3-4  fgg.  Merk- 
würdig ist  von  dieser  übernatürlichen  einwirkung,  diesem  grund  und 
boden  der  ganzen  dichtung,  in  Goethe's  späterer  erklärung  fast  gar 
keine  rede.     Auch  Baumgaii;  beachtet  sie  nirgendwo. 

Mit  der  imserer  dichtung  fremden  annähme  von  eiusiedeleien  auf 
den  berggipfeln  hängt  Goethe's  versuchte  ausbildung  des  planes  zusam- 
men, wonach  jeder  der  zwölfe,  mit  denen  allen  Humanus  im  laufe  der 
Zeiten  in  berührung  gekommen,  von  einem  teil  seines  grossen  lebens- 
wandels  nachricht  und  auskunft  geben  könne,  wobei  er  ohne  zweifei 
annahm,  jeder  sollte  dies  tun,  so  dass  uns  durch  alle  zwölfe  zusam- 
men ein  volles  bild  seines  lebenswandels  gegeben  werde,  was  ebenso 
unkünstlorisch  als  ausserordentlich  schwer  auszuführen  sein  möchte, 
übersehen  ist  dabei  (was  auch  Baumgart  nicht  beachtet),  dass  ausser 
den  zwölf  augenblicklich  hier  weilenden  brüdem  früher  auch  andere^ 
hier  gestorbene,  zum  bunde  gehört.  Dies  ergibt  äch  aus  der  Um» 
des  alten  130  fg.:  schon  viele  sind  hier  vor  ihm  hingegangen,  i^ 


OOITHBS  GEHEIMNISSE  487 

tod  von  keinem  hat  er  so  bitter  beklagt,  wie  er  das  drohende  abschei- 
den des  Humanus  empfindet.  Demnach  wäre  die  apostelzahl  zwölf 
nicht  als  feststehend  zu  fassen,  oder  man  müsste  annehmen,  die  Vor- 
sehung habe  beim  tode  eines  der  brüder  einen  anderen  nach  dem  Hu- 
manuskloster gesandt  Da  aber  Goethe  sich  erinnerte,  dass  „die 
geheimnisse"  auf  die  religiöse  anschauung  sich  bezogen,  so  musste  er, 
80  gut  es  gieng,  dies  mit  den  „denk-  und  empfindungsweisen"  der 
verschiedensten  Völker  und  mit  Humanus  als  vermittler  und  vorbild 
verbinden.  So  fuhr  er  denn  etwas  gezwungen  fort:  „Hier  würde  sich 
dann  gefunden  haben,  dass  jode  besondere  religion  einen  moment  ihrer 
höchsten  blute  und  frucht  en*eicho,  worin  sie  jenem  obem  vermittler 
sich  angenäht,  ja  sich  vollkommen  mit  ihm  vereinigt.  Diese  epochen 
sollten  in  jenen  zwölf  repräsentanten  verkörpert  und  fixiert  erscheinen, 
so  dass  man  jede  anerkennung  gottes  und  der  tugend,  sie  zeige  sich 
auch  in  noch  so  wunderbarer  gestalt,  doch  immer  aller  ehren,  aller 
liebe  würdig  müsste  gefunden  haben.  Und  nun  konnte  nach  langem 
zusammenleben  Humanus  gar  wol  von  ihnen  scheiden,  weil  sein  geist 
sich  in  ihnen  allen  verkörpert,  allen  angehörig,  keines  eigenen  irdi- 
schen gewandes  mehr  bedarf  Wäre  diese  wunderliche  begründung  des 
hauptpunktes,  des  scheidens  des  Humanus  und  seiner  ersetzung,  rich- 
tig, so  würde  man  gar  nicht  begreifen,  weshalb  ein  ihm  und  den 
zwölfen  so  unähnlicher  Vertreter  wie  Markus  an  diese  stelle  träte.  Goethe 
glaubte  aber  hier  auch  noch  dos  angenehmen  eindrucks  gedenken  zu 
müssen,  den  die  vollendete  dichtung  gemacht  haben  würde.  „Wenn 
nun  nach  diesem  entwurf  der  hörer,  der  teilnehmer  durch  alle  länder 
nnd  Zeiten  im  geiste  geführt,  überall  das  erfreulichste,  was  die  liebe 
gottes  und  der  menschen  unter  so  mancherlei  gestalten  hervorbringt, 
erfahren,  so  sollte  daraus  die  angenehmste  empfindung  entspringen, 
indem  weder  abweichung,  missbrauch,  noch  entstellung,  wodurch  jede 
religion  zu  gewissen  epochen  verhasst  wird,  zur  erscheinung  gekommen 
wäre."  Wie  ein  wandeln  durch  die  zellen  der  zwölf  ein  solches  bild 
in  einen  fasslichen  rahmen  hätte  schliessen  können,  ist  schwer  vorzu- 
stellen und  die  im  bruchstück  gegebenen  andeutungen  deuten  auf  etwas 
ganz  anderes,  auf  das,  was  im  innersten  des  klosters  geschieht 
Seltsam  ist  es,  wie  Goethe  darauf  gerade  diesen  besuch  bei  allen  zwölfen 
als  die  handlung  bezeichnet;  denn  unmittelbar  darauf  heisst  es:  „Ereig- 
net sich  nun  diese  ganze  handlung  in  der  karwoche,  ist  das  hauptkonn- 
zeichen  dieser  gesellschaft  ein  kreuz,  mit  rosen  umwunden,  so  lässt 
sich  leicht  voraussehen,  dass  die  durch  den  ostertag  besiegelte  ewige 
dttaer  erhöhter  menschlicher  zustände   auch   hier  beim   scheiden   des 


w 


488  DÜKTZEB 

Humanus   sich   tröstlich  würde   offenbaret   haben.''      Davon,  dass  die 
handlung  in  der  karwoche  spiele,  ündet  sich  im  bruchstücke  nicht  die 
geringste  andeutung,  was  unmöglich  wäre,  wenn  darauf  gewicht  gelegt 
wäre,  und  wie  darin,  dass  Huraanus  am  ostertage  stirbt,  wo  der  Hei- 
land aus  dem  grabe  stieg,  „die  ewige  dauer  erhöhter  m^ischlicher  zu- 
stände sich  offenbare",   ist  schwer  zu  erkennen,   da  die  auferstehnng 
nur  die  göttlichkeit  des  Heilands  bezeugt,  höchstens  auch  noch  als  Wahr- 
zeichen unserer  eigenen  auferstehnng   am  jüngsten   tage  gelten  kaoo. 
Doch   liegt   auch   hier   vielleicht   eine  wirkliche,   aber   ungehörig  ver- 
wandte erinnerung  zu  gründe,  da  ein  bedeutender  teil  des  bruchstücb 
in  der  karwoche  gedichtet  ist.     Die  eigentliche  handlung  ist  nicht  der 
besuch  von  Markus  bei  allen   zwölf  brüdern,   sondern  dessen  von  der 
Vorsehung  bestimmte  Sendung  bis  zur  einsetzung  als  Stellvertreter  des 
Humanus  bei  dem  bunde  des  rosenkreuzes.     Aber  gerade  darüber  hören 
wir  in  Goethe's  späterer  erklärung  nichts  neues.    Es  heisst  nur:  „Da- 
mit  aber   ein   so  schöner   bund  nicht  ohne  haupt-  und  mittelsperson 
bleibe,   wird  durch  wundert are  Schickung  und  Offenbarung  der  arme 
pilgrim  bruder  Markus  in  die  hohe  stelle  eingesetzt,   der  ohne  ausge- 
breitete umsieht,  ohne  streben  nach  unerreichbarem  durch  demut,  erge- 
benbeit,    treue   tätigkoit  im   frommen   kreise   gar  wol  verdient,  einer 
wolwollenden  gesellschaft,   so  lange  sie  auf  der  erde  verweilt,  vorzu- 
stehen.''    Der   gegensatz   zwischen  Humanus   und  Markus   ist   in  der 
dichtung  selbst  angedeutet,   da  die  erzählung  von  seiner  Sendung  auf 
die  brüder  so  wirkt,  „wie  tiefe  weisheitslehren  von  kinderlippen",  und 
er  ihnen  an  Offenheit,  an  Unschuld  der  geberde  ein  mensch  von  einer 
anderen  erde  scheint,   während  Humanus  durch  wunderbare  begabung 
von   der  Vorsehung   ausgezeichnet   ist   und  zugleich  „der  edelste  und 
beste  mensch"  ist,  dem  die  höchste  kunst  gelungen,  bei  allem  feurigen 
vorvvärtsstreben   „sich  selbst   zu  überwinden".     In   dieser  den  schluss 
bildenden  haupthandlung  muss  die  bedeutung  der  dichtung  liegen,  diese 
kann  nicht  damit  erschöpft  sein,  dass  Markus  diese  berufung  „gar  wol 
verdient".     Am  Schlüsse  der  erklärung  heisst  es:  Wären  die  „Geheim- 
nisse"  damals  vollendet  erschienen,    so  würden    sie   der   zeit   einiger- 
massen  vorgeeilt  sein   (was  insofern  auffallen  könnte,   als  sie  erst  nach 
Lessing's  tode  begonnen  wurden),  doch  auch  noch  gegenwärtig,  obgleich 
in  den  letzten  dreissig  jähren  die   ideen   sich   erweitert,    die    gefühle 
goreinigt,  die  ansichten  aufgeklärt  hätten,    „würde  man  das  nun  allge- 
mein anerkannte  im  poetischen  kleide  vielleicht  gerne  sehen  und  sich 
daran   in   den   gesinnungen   befestigen,    in   welchen    ganz    allein   der 
mensch  auf  seinem   eigenen  Montserrat  glück  und  ruhe  finden  kpaii* 


GOETHES  0EUEIMNIS8S  489 

Was  er  unter  dem  „nun  allgemein  anerkannten**  verstehe,  deutet  er 
nicht  an;  er  kann  nur  die  Überzeugung  gemeint  haben,  dass  die  wahre 
religion  in  dem  streben  bestehe,  edel  und  gut  im  leben  zu  wirken,  wie 
er  es  in  der  ode  „Das  göttliche"  ausgeführt  hat.  Allgemein  anerkannt 
war  dies  freilich  auch  nach  den  befreiungskriegen  nicht 

Hiernach  kann  Goethes  mit  dem  bruchstück  selbst  in  Widerspruch 
stehender  versuch,  den  ihm  verloren  gegangenen  faden  widerzufinden, 
ebensowenig  auf  Zuverlässigkeit  anspruch  machen,  wie  der  später  ent- 
wickelte angebliche  entwurf  des  „Ewigen  Juden"  (vgl.  Ztschr.  XXV, 
302).  Baumgart  glaubt  an  die  Zuverlässigkeit  dieses  so  kühnen  wie 
unglücklichen  Versuches,  und  baut  darauf  weiter,  wenn  er  auch  nicht 
wagt,  die  angeblichen  zwölf  religionen  nachzuweisen,  sondern  sich 
damit  begnügt,  dass  sie  die  gesammte  religionsgeschichtliche  entwick- 
lung  in  ihren  wichtigsten  phasen  dargestellt,  das  Christentum  mit  seiner 
vielgestaltigen,  weithin  ausgebreiteten  und  in  vielen  partien  so  deut- 
lich vor  uns  liegenden  entwicklungsgeschichte  nicht  auf  einen  einzigen 
Vertreter  beschränkt  gewesen  sein  könne,  wie  er  eine  solche  aus- 
drücklich für  den  katholicismus  und  Calvinismus  ausgewittert  zu  haben 
glaubt 

Wenden  wir  uns  zu  der  vorliegenden  gleichzeitigen  Überlieferung 
der  entstehung  unserer  dichtung,  so  vermissen  wir  bei  Baumgart  die 
philologische  genauigkeit,  ohne  welche  wesentliche  irrtümer  unvermeid- 
lich sind;  er  hat  bedeutende  äusserungen  nicht  beachtet,  andere  miss- 
verstanden. Wir  übergehen  den  am  8.  august  1784  zu  Dingelstadt,  wo 
Goethe  auf  der  reise  nach  dem  Harze  wegen  des  bruches  der  achse 
seines  wagens  einige  stunden  weilen  musste,  gedichteten  prolog,  den 
er  sofort  an  Herder  nach  Weimar  sandte;  dieser  sollte  ihn  der  in 
Kochberg  weilenden  frau  von  Stein  mitteilen.  In  Herders  abschrift 
liegt  uns  diese  ursprüngliche  fassung  vor.  Hier  trat  am  Schlüsse 
die  beziehung  auf  Herder  und  frau  von  Stein,  denen  man  nur  noch 
Knebel  hinzufügen  kann,  als  vertrauteste  herzensfreunde  deutlicher  her- 
vor, aber  es  fehlt  jede  andeutung,  dass  er  „unter  ihrer  reichen  und 
vielseitigen  förderung  jenes  unvergleichliche  Wachstum  seines  wesons 
und  seiner  kraft  erlebt  hatte",  das  Baumgart  hereingetragen.  Goethe 
hatte  Herder  und  frau  von  Stein,  letzterer  ganz  besonders,  den  prolog 
gewidmet,  weil  er  ihnen  das  gedieht  über  die  wahre  religion  ver- 
sprochen. Die  idee  zum  erscheinen  der  Wahrheit,  die  ihm  der  dich- 
tung Schleier  erteilt,  hatte  er  zu  Jena  an  einem  der  tage  vom  25.  juli 
bis  zum  2.  august  gefunden,  als  er  dort  die  sonne  den  dichten  morgen- 
nebel  in  wunderbar  ihn  ergreifender  weise  durchbrechen  sah. 


490  DÜNTZEB 

Am  13.  august  schrieb  er  aus  Zellerfeld  im  Harz:  „Ich  denke 
fleissig  an  den  plan  des  gedichtes  [dessen  prolog  er  gesandt  hatte]  und 
habe  ihn  schon  um  vieles  reiner.  Wenn  uns  regenwetter  oder  sonst 
ein  Zufall  begegnet,  so  fahre  ich  gewiss  fort  Ich  kann  dir  versichern, 
dass  ich  ausser  dir,  Herder  und  Knebel  durchaus  kein  publikum  habe. 
Aber  bei  seinem  leidenschaftlichen  eifer,  sich  die  mannigfaltigen  fels- 
bildungen  des  Harzes  zu  eigen  zu  machen,  konnte  er  zunächst  am 
godichte  nur  hin-  und  hersinnen.  Einen  der  von  Braunschweig  aus 
auf  wünsch  der  frau  von  Stein  französisch  geschriebenen  briefe  schloss 
er  am  23.  mit  folgender  deutschen  stanze,  die  in  dem  gedichte  stehen 
sollte,  das  er  „so  sehr  liebe",  weil  er  darin  „von  ihr,  von  seiner  liebe 
zu  ihr  unter  tausend  formen  sprechen  könne,  ohne  dass  irgend  einer 
als  sie  allein  es  verstehe": 

Gewiss  ich  wäre  schon  so  ferne,  ferne, 
So  weit  die  weit  nur  offen  liegt,  gegangen. 
Bezwängen  mich  nicht  übermächtige  steme. 
Die  mein  geschick  an  deines  angehangen, 
Dass  ich  in  dir  nur  erst  mich  kennen  lerne, 
Mein  dichten,  trachten,  hoffen  und  verlangen 
Allein  nach  dir  und  deinem  wcsen  drängt. 
Mein  leben  nur  an  deinem  wesen  hängt 

Unglaublich  scheint  es,  Goethe  habe  ernstlich  daran  gedacht,  diese 
stanze,  die  das  gefühl  seiner  unzertrennlichkeit  von  der  freundin  so 
ergreifend  ausspricht,  in  das  gedieht  von  den  mittelalterlichen  rosen- 
kreuzern  aufzunehmen;  unter  dem  launigen  verwände,  die  verse,  zu 
denen  ihn  die  Sehnsucht  nach  der  geliebten  gedrängt,  gehörten  zu  dem 
versprochenen  religionsgedichte,  orgi*iff  er  die  gelegenheit,  sie  dieser  zu 
übersenden.  Wenige  tage  später  heisst  es  in  einem  weiteren  briefe: 
„Ich  habe  wider  einige  Strophen  des  gediclits  geschrieben,  das  mir 
eine  grosse  erholung  ist,  wenn  ich  ferne  von  dir  bin.  Welche  freude 
werde  ich  haben,  wenn  du  damit  zufrieden  bist;  denn  für  dich  schreibe 
ich  es.  Das  wenige,  was  du  in  deinem  vorigen  briefe  darüber  [über 
den  prolog]  gesagt  hast,  hat  mir  unendliche  freude  gemacht"  Nun 
hat  Scholl  sehr  glücklich  vermutet,  die  stanzen,  aufweiche  diese  äusse- 
rung  gehe,  seien  die  drei,  die  sich  im  nachlass  der  frau  von  Stein  auf 
zwei  blättern  von  Goethe's  band  gefunden,  wovon  die  zweite  des  ersten 
blattes  die  zweite  unserer  „Geheimnisse"  ist  Die  blätter  wird  er 
seinem  briefe  beigelegt  haben.  Im  jähre  1820  erschien  in  „Kunst  und 
altertum"  unmittelbar  nach   dem  von  Goethe  für  noch  ungedruckt  ge- 


GOETHES   GEHEIMNISSE  491 

haltenen  gedichte  „Die  glücklichen  galten*',  hier  „Pür's  leben**  über- 
schrieben, die  stanze: 

Denn  was  der  mensch  in  seinen  erdeschranken 
Von  hohem  glück  mit  götternamen  nennt, 
Die  harmonie  der  treue,  die  kein  wanken, 
Der  jQreundschaft,  die  nicht  zweifelsorge  kennt, 
Das  licht,  das  weisen  nur  zu  einsamen  gedanken. 
Das  dichtem  nur  in  schönen  bildem  brennt. 
Das  hatt'  ich  all  in  meinen  besten  stunden 
In  Ihr  entdeckt  und  es  für  mich  gefunden. 
Sie  trug  hier  die  Überschrift  „Für  ewig"  und  es  folgten  die  wol  dadurch 
veranlassten  verse  an  frau  von  Stein  „Zwischen  beiden  weiten*'.     Die 
ausgäbe  letzter  band   gab   im   letzten  verse  ihr  statt  des  handschrift- 
lichen  Ihr.     Baumgart   war  verwegen   genug,   für  Ihr   oder   ihr   zu 
setzen  Euch  und  ebenso  eigentümlich  zu  behaupten ,  für  Euer  schiebe 
sich  dich  ein,  alles  nui*  zu  gunsten  seines  einfalls,    die  stanze  sei  als 
begründung  der  letzten  des  prologs,  der  jetzigen  „Zueignung*',  gedich- 
tet    Um  das  mass  philologischer  Sünden   zu  füllen,   wird   die  stanze 
des  prologs  nicht  in  der  ursprünglichen  gestalt  von  1784,   sondern  in 
derjenigen   angeführt,    die   sie    erst    in   Italien    erhielt.     Ursprünglich 
schloss  der  prolog  mit  dem  ruf  an  die  freunde: 

0  kommt  mit  mir  und  bringt  mir  reichen  sogen, 
Mit  dem  allein  mein  leben  ihr  beglückt 
Geht  froh  mit  mir  dem  nächsten  tag  entgegen: 
Noch  leben  wir,  noch  wandeln  wir  entzückt. 
Und  auch  dann  soll,  wenn  enkel  um  uns  trauern. 
Zu  ihrer  lust  noch  unsre  liebe  dauern. 
Dass  unmittelbar  darauf  jene  stanze  habe  folgen  können,   scheint  mir 
geradezu  abenteuerlich,   wenn  man  auch  wirklich  das  feststehende  Ihr 
in  Euch  verwandelt;    auch   heisst  es,   den  offenbaren  sinn  der  stanze 
verkehren,   wenn  man  in  ihrer  zweiten  hälfte   den  Übergang   zu   den 
„Geheimnissen"  sieht     Baumgart  behauptet,    „sicherlich*'   habe  Goethe 
erst  1820  das  ursprüngliche  dir  in  ihr  geändert     Aber  wie  will  er 
beweisen,   dass  das  blatt,   worauf  die  verse  in  deutschen  buchstaben 
sich  finden  (es  ist  noch  vorhanden),  so  spät  geschrieben  sei?    Freilich 
ist  es  auch  unmöglich,  nicht  bloss  des  ihr  wegen,   dass  sie,  wie  man 
angenommen  hat,    unmittelbar  auf  die  stanze   „Gewiss  ich  wäre*'  ge- 
folgt: sie  ist  für  sich  trotz  des  beginnenden  „Denn*'  entstanden. 

Überraschen  muss  es,   wie  nach  Baumgart  an  den  schluss  jener 
stanze  „Für  ewig",   an  die  beteurung,   in  seinen  besten  stunden  habe 


492  DÜNTZER 

er  in  jener  einzigen  das  göttliche  glück  gefunden,  sich  die  stanze  „Ge- 
wiss, gewiss**  unmittelbar  angeschlossen  haben  soU,  „mit  oder  ohne 
welche  das  gedieht  folgerichtig  weiter  zur  ankündigung  des  liedes 
selbst  fortschreite*',  das  „jenes  licht  der  erkenntnis  in  reichen  blldern 
den  freunden  in  mannigfach  wechselnden  färben  kunstvoll  geordneter 
brechung  widerspiegeln  soU^  Der  sprang  von  frau  von  Stein  auf  die 
Zuhörer  wäre  gar  zu  auffallend,  während  nach  dem  jetzigen  treffenden 
abschlusse  durch  die  anrede  an  die  freunde  das  gedieht  ganz  zweck- 
mässig mit  der  ankündigung  des  ernst  wunderbaren  liedes  beginnt 
da  ein  Übergang  unnötig  war.  Wie  Baumgart  hier  von  einer  „unter- 
brochenen Publikation"  sprechen  kann,  sehe  ich  nicht  Die  erste  ein- 
leitungsstanze  bezeichnet  ausser  dem  wunderbaren  Charakter  des  das 
unmittelbare  eingreifen  der  band  der  Vorsehung  voraussetzenden  liedes 
den  mannigfachen  inhalt,  der  abzuschweifen  scheinen  könne,  aber  sei- 
nem ziele  beständig  zustrebe  und  eine  wichtige  mahnung  dem  zuhorer 
gebe;  vom  „widerspiegeln  in  mannigfach  wechselnden  färben  kunstv(»ll 
geordneter  brechung*'  ist  hier  keine  andeutung.  Übrigens  scheint  es 
mir  ebensowenig  wahrscheinlich,  dass  Goethe  ernstlich  diese  stanze  für 
sein  grosses  gedieht  bestimmt  habe,  wie  ich  es  von  der  stanze  „Gewiss 
ich  wäre"  annehmen  kann. 

Die  zweite  stanze   des  liedes,   die   wir   schon   auf  dem   zweiten 
jener  blätter  finden: 

Doch  glaube  keiner,  dass  mit  allem  sinnen 

Das  ganze  lied  er  je  enträtseln  werde; 

Gar  viele  müssen  vieles  hier  gewinnen. 

Gar  manche  bluten  bringt  die  mutter  erde. 

Der  eine  flieht  mit  düsterm  blick  von  hinnen, 

Der  andre  weilt  mit  fröhlicher  geberdo; 

Ein  jeder  soll  nach  seiner  lust  geniessen, 

Für  manchen  wandrer  soll  dio  quelle  fliossen, 
deutet  auf  den  verborgenen  sinn,  den  keiner  ganz  verstehen  werde, 
doch  bringe  es  für  die  verschiedensten  neigungen  etwas  erfreuliches. 
Sie  gehört  eben  nicht  zu  den  gelungenen  und  wahrhaft  gehaltvollen, 
gewinnt  auch  keineswegs  durch  Baumgart's  willkürliche  beziehung  auf 
„die  einzigartige  auffassung  dos  innersten  wcsens  der  religion,  die  auf 
der  einen  seite  ebenso  philosophisch  frei  von  allen  schranken  der  be- 
kenntnisse  erscheinen  konnte,  als  auf  der  andern  mystisch  gläubig 
gegenüber  ihren  mythen  und  Symbolen,  und  die  so  der  freudigen  aut- 
nahme  der  einen  ebenso  sicher  sein  konnte  als  der  heftigen  ablehuung 
der  anderen,   einer  gewissen  befremdung  sich  zunächst  aber  bei  allen 


GOETHES   GEHEIMNISSE  493 

versehen  musste".  Von  alle  dem  sehe  ich  keine  spur.  Ebensowenig 
kann  ich  zugeben,  es  habe  im  plane  der  dichtong  gelegen  ,,in  hervor- 
ragenden Zügen  der  mythischen  Überlieferung  eine  jede  religion  gewis- 
sermassen  ihr  eigenes  wesen  aus  sich  selbst  heraus  zeichnen  zu  lassen, 
indem  die  kunst  der  darstellung  gleichsam  wie  durch  den  feinsten 
schliff  das  verborgene  feuer  des  edelsteins  zur  leuchtkraft  brachte**. 
Die  zwölf  verschiedenen  religionen  beruhen  ja,  wie  wir  sahen,  auf 
einem  sonderbaren  einfalle  des  sechszigjährigen,  sich  selbst  erklärenden 
dichters,  dessen  Schlussbemerkung  aber  weit  entfernt  ist,  dasselbe  zu 
sagen,  was  Baumgart  behauptet,  wie  dieser  vorgibt 

Noch  haben  wir  der  dritten  stanze  zu  gedenken,  die  in  Goethe's 
handschrift  auf  dem  zweiten,  im  august  1784  an  frau  von  Stein  ge- 
sandten blatte  steht: 

Wohin  er  auch  die  Blicke  kehrt  und  wendet. 

Je  mehr  erstaunt  er  über  kunst  und  pracht; 

Mit  Vorsatz  scheint  der  reichtum  hier  verschwendet ; 

Es  scheint,  als  habe  sich  nur  alles  selbst  gemacht. 

Soll  er  sich  wundem,  dass  das  werk  vollendet? 

Soll  er  sich  wundern,  dass  es  so  erdacht? 

Ihn  dünkt,  als  fang'  er  erst  mit  himmlischem  entzücken 

Zu  leben  an  in  diesen  augenblicken. 
Als  Goethe  im  vierten  bände  der  ausgäbe  letzter  band  viele  noch 
ungedruckten  gedichte  unter  der  Überschrift:  „Inschriften,  denk-  und 
Sendeblätter"  erscheinen  liess,  gab  er  gegen  den  schluss  auch  unsere, 
auf  einem  besonderen  blatte  ohne  Überschrift  gefundenen  verse.  Es 
ist  ein  leidiges  versehen,  wenn  wir  bei  Baumgart  lesen:  „Die  strophe 
ist  mit  dem  datum  15.  märz  1816  veröffentlicht"  Nicht  dieses  gedieht, 
sondern  das  zunächst  vorhergehende  trägt  mit  recht  die  Überschrift: 
„Bilderscenen.  Den  15.  märz  1816  bei  freiherrn  von  Helldorf."  Mit 
diesem  versehen  fällt  auch  die  darauf  gegründete  Vermutung.  Im 
inhaltsverzeichnis  heisst  das  gedieht  „Anzuwenden",  was  bedeuten  soll 
man  könne  die  strophe  als  bezeichnung  jeder  vollendeten  kunstdarstel- 
lung  gebrauchen,  wdo  es  z.  b.  jene  lebenden  bilder  bei  Helldorf  gewe- 
sen waren.  Die  früher  als  jene  inhaltsangabe  geschriebenen  „aufklä- 
renden bemerkungen"  nennen  unsere  stanze  „ein  bruchstück,  das  aber 
der  denkende  anzuschliesson  wissen  wird."  Das  kann  nur  heissen,  der 
leser  werde  sich  eine  beziehung  dei-selben,  einen  Zusammenhang,  in 
welchen  sie  passten,  leicht  denken.  Seltsam  äussert  Baumgart:  „Was 
hätte  den  dichter  bestimmt,  erstlich  die  strophe  [beim  drucke  der  „Ge- 
heimnisse"] fortzulassen,    und  sodann  sie  nach  so  langer  zeit  getrennt 


494  DÜNTZER 

bekannt  zu  geben,  die,  wenn  sie  lediglich  descriptiver  natur  wäre  (?), 
auf  eine  bedeutung,  aus  der  sich  für  den  denkenden  eine  beziehung 
ergäbe,  keinen  anspruch  hätte!*'  Er  hätte  doch  sich  selber  sagen  8oll«i, 
dass  der  dichter,  dem  es  darauf  ankam,  von  der  ausgäbe  letzter  band 
nichts  mitteilbares  auszuschliessen,  was  sich  in  seinem  archiv  fand, 
durch  jene  bemerkung  die  aufnähme  dieser  abgebrochenen  stanze  ent- 
schuldigen wollte.  Aber  Baumgart  fragte  nicht  einmal,  wo  und  wann 
Goethe  sie  habe  drucken  lassen.  Er  meint,  der  dichter  habe  sie  bei 
Veröffentlichung  des  bruchstücks  weggelassen,  weil  sie  die  voUendung 
des  ganzen  voraussetze  [doch  nicht  mehr,  als  es  die  erste  stanze  tut], 
dagegen  habe  sie  nachträglich  für  die  Würdigung  des  ganzen,  zumal 
nach-  seiner  orklärung,  doch  immer  ihre  bedeutung  gehabt  Dann 
aber  hätte  Goethe  doch  ausdrücklich  bemerken  müssen,  sie  habe  zu 
den  „Geheimnissen"  gehört,  was  er  kaum  noch  wusste  oder  nicht  für 
bedeutend  genug  hielt 

Noch  erstaunlicher  ist  es,  wie  Baumgart  unsere  stanze  unmittel- 
bar auf  die  zweite  der  „Geheimnisse*'  folgen  lässt,  auf  den  vers  „Für 
manchen  wandrer  soll  die  quelle  fliessen",  wonach  der  er  dieses  ver- 
ses  der  wanderer  wäre,  der  mit  fröhlicher  geberde  verweilt  und  mit 
lust  der  im  liede  ihm  fliossenden  quelle  geniesst,  was  ein  ofiTenbares 
missvcrständnis  des  bildlichen  ausdrucks  von  dem  am  quell  sich  laben- 
den Wanderer  voraussetzt  Vgl.  Klopstock  in  der  ode  Mein  wissen: 
„Ist  wie  ein  trunk,  im  kühlen  geschöpft  aus  der  quelle."  Geradezu 
unmöglich  scheint  es  mir,  die  stanze  von  einer  vorgetragenen  dieh- 
tung,  und  dazu  von  einer  eigenen  zu  verstehen:  erscheint  sie  ja  nicht 
bloss  als  volltönendes  lob  des  reichtums  und  der  pracht,  sondern  es 
ist  von  einem  menschliche  kunst  übersteigenden  werke  die  rede.  Aber 
unser  erklärer  wird  gerade  durch  das  nicht  bloss  im  ersten  augenblick 
befremdende  in  seiner  annähme  bestätigt,  das  lied  solle  nicht  eigene 
crdichtimg  bringen,  sondern  in  der  fülle  der  wundervollsten  schätze 
der  Phantasie  alle  Völker  und  zoiten,  die  es  wie  absichtslos  hinstreue, 
dem  erhabensten  ziele  näher  kommen.  Wäre  dies  auch  wahr,  was  wir 
als  entschiedene  missdeutung  abweisen  müssen,  die  stanze  spricht  von 
einer  alle  menschliche  kunst  übersteigenden,  himmlischen  Vol- 
lendung und  ganz  einziger  vortrefFlichkeit  des  erdenkens.  Freilich 
darin  hat  Baumgart  recht,  dass  sie  nicht  in  unsere  jetzige  dichtung  passt 
und  weder  nach  stanze  7  noch  nach  36  ihre  stelle  gehabt  haben  kann, 
aber  er  übersieht,  dass  sie  in  den  august  1784  fällt,  in  die  zeit,  wo 
Goethe  zwar  einzelne  stanzen  versuchte,  aber  nicht  die  fortschreitende 
ausarbeitung  von  anfang  an  sich  vorgesetzt  hatte,   er  nur  daran  saniii 


GOETHES   GEHEIMNISSE  495 

höchstens  hie  und  da  eine  stanze  ausführte,  die  sich  meist  auf  frau 
von  Stein  bezogen.  Hier  scheint  der  dichter,  dem  wunderbaren  Cha- 
rakter der  einen  unmittelbaren  einfluss  der  Vorsehung  voraussetzenden 
dichtung  gemäss,  das  kl  oster  als  einen  von  jener  selbst  übernatürlich 
geschaffenen  bau  sich  gedacht  zu  haben,  ähnlich  wie  den  tempel  des 
gral  auf  dem  Mont  Salvage.  In  der  erläuterung  von  1816  nennt  er 
ihn  noch  „ein  herrliches  gebäude**.  Bei  der  ausfuhrung  wurde  dessen 
äussere  beschreibung  ganz  übergangen,  nur  das  rosenkreuz  über  dem 
bogen  der  pforte  geschildert. 

Auf  die  „Geheimnisse"   habe  ich  selbst  früher  die  stanze  bezo- 
gen, welche  1820  in  „Kunst  und  altertum**   auf  der  rückseite  des  be- 
sondem  titeis  „Litterarische,  poetische  mitteilungen''  als  motte  steht: 
Unmöglich  ist  der  tag  dem  tag  zu  zeigen. 
Der  nur  verwormes  im  verwormen  spiegelt. 
Und  jeder  selbst  sich  fühlt  als  echt  und  eigen, 
Statt  sich  zu  zügeln,  nur  am  andern  zügelt 
Da  ist's  den  lippen  besser  denn  zu  schweigen, 
Indess  der  geist  sich  fort  und  fort  beflügelt 
Aus  gestern  wird  nicht  heute,  doch  aeonen, 
Sie  werden  wechselnd  sinken,  werden  thronen. 
Baumgart  ist  mir  darin  gefolgt,  nur  meint  er,  die  „höchst  persönliche 
Schlusswendung"   der  beiden  letzten  verse  habe  Goethe  damals  durch 
eine  andere  ersetzt,  was  sich  auch  daraus  ergeben  soll,  dass  die  jetzige 
aus   dem  gedankenzusammenhange    und    dem  jugendfrischen   ton   der 
sechs  ersten  herausfalle.   Der  gedanke  dieser  stanze  solle  den  abschluss 
der  ankündigung  des  so  grossartig  und  hochsjrmbolisch  angelegten  lie- 
des  bilden,    sie  schliesse  sich  als  ein  „jedoch"  an,   dass  er  das  licht, 
das  dem  dichter  in  den  geweihten  stunden  des  ideentausches  mit  den 
freunden  aufgegangen  sei,   auch  den  mitlebenden,   den  brüdem  zeigen 
wolle.    Aber  es  wäre  ein  arger  sprung,  wenn  die  stanze  an  das  über- 
spannte lob    des   eigenen  liedes  anschlösse.     Meine  eigene  Vermutung, 
dass  sie  im  prolog  gestanden,   nehme  ich  jetzt  zurück,   da  die  mittler- 
weile bekannt  gewordene  ursprüngliche  fassung  gezeigt,  dass  sie  sich 
nicht  darin  gefunden,  ja  ich  bezweifle  überhaupt,  dass  die  in  der  ausgäbe 
letzter  band  „Heut  und  ewig"  überschriebenen  verse  für  die  „Geheim- 
nisse" gedichtet  worden.     Sie  sind  selbständig  für  sich  entstanden,  wie 
so  manche  Sprüche.    Der  stanzenform  bediente  sich  Goethe  auch  1817 
in  den  „Urworten",   die  mit  dem  verse  schliessen:    „Ein  flügelschlag! 
und   hinter  uns  aeonen."     Dass  die  Schlusswendung   zu   dem  anfang 
der  stanze  nicht  stimme,  dass  hier  vielmehr  gesagt  sein  müsse,  wovon 


496  DÜNTZER 

in  jenem  wunderbaren  liede  die  rede  sein  werde,  müssen  wir  entschie- 
den abweisen.  Der  schluss  führt  aus,  wie  der  geist  sich  immerfort 
beflügle,  die  entvvicklung  zwar  nicht  über  nacht  geschehe,  von  gestern 
auf  heute,  sondern  in  längeren  Zeiträumen,  in  aufeinanderfolgenden 
ungeheuer  langen  perioden.  Aeonen  werden  wechselnd  schwinden 
und  sich  erheben,  was  an  Schillers  wort  von  dem  lebendig  über  der 
weit  webenden  höchsten  gedanken,  den,  ob  alles  im  ewigen  Wechsel 
kreise,  im  Wechsel  beharrenden  ruhigen  geist  erinnert 

Aber  Baumgart  hat  einen  hülfsbeweis  entdeckt,  dass  alle  vier 
hier  besprochenen  stanzen  zu  unserem  grossen  gedichte  gehörten  und  wir 
darin  alles  besässen,  „was  Ooethe  bei  der  Zusammenstellung  des  bnicli- 
stücks  weggelassen,  weil  es  die  ganz  persönliche  wendung  enthalte 
oder  unmittelbar  vorbereite  (?)^.  Wir  müssen  diesen  hülfssatz  wörtlich 
mitteilen,  um  seine  haltlosigkeit  und  den  mangel  aller  bei  anfühning 
der  Überlieferung  nötigen  philologischen  gonauigkeit  zu  zeigen.  Wir 
lesen  s.  3  fg.:  „Riemer  berichtet,  dass  von  den  „Geheimnissen''  bis  zum 
märz  [im  Januar  und  niärz]  1785  48  stanzen  geschrieben  worden,  xväh- 
rend  das  gedieht,  wie  es  uns  vorliegt,  die  zwei  widmungsstrophen  ein- 
gerechnet, aus  44  stanzen  besteht.  Doch  hat,  wie  es  scheint,  uns 
Goethe  diese  vier  gestrichenen  Strophen  nicht  vorenthalten  wollen, 
deren  Zurückhaltung,  zum  teil  wenigstens,  noch  durch  den  zweiten 
umstand  veranlasst  wurde,  dass,  wenn  in  seinem  herzensgrunde  er  die 
gesammte  dichtung  ganz  ausschliesslich  an  die  geliebte  freundin  rich- 
tete, dies  doch  den  übrigen  freunden  gegenüber  nicht  hervortreten 
sollte."  Hier  beruht  alles  auf  missverständnis,  die  rechnung  ist  falsch. 
Schon  die  berufimg  auf  Riemer  statt  auf  dessen  längst  vorliegende  quelle 
fallt  auf;  wäre  Baumgart  auf  diese  zurückgegangen,  so  würde  er  auch 
gewusst  haben,  dass  Goethe  nach  den  48  noch  drei  weitere  stan- 
zen gedichtet  hat.  Und  hätte  er  die  entstehung  des  gedichts  ge- 
nauer verfolgt,  so  würde  er  gefunden  haben,  dass  bei  diesen  48  oder 
vielmehr  51  stanzen  nur  diejenigen  gezählt  sind,  welche  er  seit  dem 
anfange  des  Jahres  1785  gemacht  hatte,  wo  er  die  fortlaufende  arbeit  an 
den  „Geheimnissen"  begann,  dagegen  von  den  einzelnen,  im  august 
1784,  meist  mit  persönlicher  beziehung  auf  frau  von  Stein,  gedichteten 
stanzen  nur  eine  im  gedichte  aufnähme  fand,  also  wirklich  mehr  als 
vier  der  1785  entstandenen  stanzen  beim  drucke  ausgefallen  sind. 

Die  vier  letzten  monate  des  Jahres  1784  ruhte  die  dichtung  der 
„Geheimnisse"  völlig,  da  Goethe  nicht  die  gefasste  Stimmung  fand, 
welche  die  ausführung  einer  so  bedeutenden  arbeit  notwendig  forderte. 
Auf  dem  Harze  fesselte  ihn  die  steinweit;  leidenschaftlich  sammelte  •" 


OOETHIfiS  GEHEDfNISSE  497 

die  verschiedeDen  steinarten,  ihre  nähere  betrachtung  sollte  ihn  den 
Winter  unterhalten.  In  Weimar  und  Ilmenau  zogen  ihn  ganz  andere 
dinge  an  als  diese  hohe  dichtung.  Zunächst  drängte  es  ihn,  das 
ursprüngliche  fünfte  buch  von  „Wilhelm  Meister^  zu  vollenden,  woran 
auch  frau  von  Stein  lebhaften  anteil  nahm.  Am  16.  Oktober  konnte 
er  dieser  melden,  das  fünfte  buch  sei  fertig;  am  Schlüsse  des  monats 
begann  er  das  sechste.  Vorher  hatte  er  die  bedeutende  abhandlung 
„Vom  Zwischenknochen  beim  menschen"  vollendet  In  demselben  monat 
zog  ihn  der  von  Jacobi  ihm  in  der  handschrift  geschickte  dialog  des 
ihm  persönlich  bekannt  gewordenen  platonischen  philosophen  Hemster- 
huis  „Alexis  ou  de  l'äge  d'or"  an.  Abends  las  er  in  dieser  dichtung 
mit  der  freundin,  gegen  die  er  sie  „die  Geheimnisse"  nennt,  „die  mit 
deinem  geiste  so  viele  Verwandtschaft  haben".  Er  entsprach  auch  dem 
würdigen  tone,  der  freilich  weniger  empfindsam  in  seinem  grossen 
gedieh te  herrschen  sollte,  für  das  er  aber  damals  noch  nicht  diesen 
namen  bestimmt  hatte.  Daneben  labte  er  sich  an  der  „Ethik"  des  Spi- 
noza, des  heiligen  der  kleinen,  aus  ihm,  Herder  und  frau  von  Stein 
bestehenden  gemeinde.  Dichterisch  fand  er  sich  nur  zu  epigrammen 
im  geiste  der  griechischen  anthologie  aufgelegt.  Am  19.  dezember 
fühlte  er  sich  so  wol,  wie  lange  nicht  in  diesem  seiner  gesundheit 
meist  so  ungünstigen  monate.  „Meine  neue  vorstellungsart  trägt  nicht 
wenig  dazu  bei",  schrieb  er.  Diese  bezog  sich  auf  die  in  allen  drei 
naturreichen  übeinstimmend  herrschenden  gesetze. 

Erst  bei  der  Jahreswende,  am  letzten  tage  oder  neujahr  1785, 
scheint  er  frau  von  Stein  das  versprechen  gegeben  zu  haben,  täglich 
eine  stanze  der  „Geheimnisse"  zu  dichten,  damit  das  ganze  am  ende 
des  Jahres  vollendet  sei.  Den  4.  januar  schrieb  er  dieser:  „In  die 
komödie  will  ich  dir  folgen,  wie  überallhin.  Gestern  abend  hab'  ich 
noch  drei  stanzen  gemacht"  Ob  es  die  ersten  des  Jahres  waren, 
ergibt  sich  nicht  Das  waren  die  ersten  Zeilen  dieses  jahres  an  die  freun- 
din. Leider  gehört  dieser  brief  zu  den  vielen,  die  in  der  Weimarischen 
ausgäbe,  da  sie  undatiert  überliefert  sind ,  eine  falsche  Stellung  erhalten 
haben;  er  ist  dort  mit  Fielitz  wider  alle  möglichkeit  in  den  märz  oder 
april  gesetzt,  auch  der  schluss  falsch  gelesen.  Baumgart  scheint  den 
brief  gar  nicht  zu  kennen.  Dass  er  in  den  anfang  des  jahres  gehört, 
zeigt  schon  die  erwähnung  des  kornes  und  holzes,  das  die  hofleuto 
jährlich  von  der  kammer  erhielten.  Die  holzlieferung,  heisst  es  am 
Schlüsse,  werde  er  erinnern,  wenn  der  herzog,  der  zu  allgemeinem 
Unwillen  so  lange  von  Weimar  entfernt  blieb,  zurückkehre,  was  erst 
am  11.  Januar  geschah.     Der  schauspieldirektor  Bellomo  spielte  zu  Wei- 

r.  DKUTScuB  piuLOLooiE.   BD.  xxvm.  32 


498  DÜNTZEfi 

mar  dienstags,  donnerstags  und  sonnabends.  Den  4.  war  theatervor- 
stellung;  am  folgenden  theaterabend  lud  Goethe  frau  von  Stein  und 
Herder  zu  sich  ein.  In  den  weiter  erhaltenen  briefen  an  frau  Ton 
Stein  vom  6.,  9.  und  11.  ist  der  dichtung  gar  nicht  gedacht;  sie  war 
durch  manches  andere  verdrängt;  nur  der  Umgang  mit  frau  von  Stein 
und  Herder  und  seine  ^  naturstudien "  gewährten  ihm  wahre  freude, 
dichterisch  fühlte  er  sich  am  wenigsten  gestimmt  Er  litt  an  den 
geschäften  wie  „an  Ixions  rad".  Die  teilnähme  des  herzogs  am  fur- 
stenbundo  war  ihm  zuwider,  und  doch  musste  er  bei  den  verhandlan- 
gen als  geheimschreiber,  ja  als  abschreiber  dienen;  er  grollte  Karl 
August,  der  auch  von  der  prinzenkrätze  der  kriegslust  ergriffen  sei, 
und  sein  land  zu  gründe  richten  werde.  Erst  beim  beginn  des  früh- 
lings, in  der  karwoche,  kehrte  er,  eben  von  einem  zahnleiden  befreit 
zu  den  „Geheimnissen''  zurück.  Am  22.  märz  schrieb  er  der  freiin- 
din:  „Was  ich  ohne  dich  habe,  ist  mir  alles  nur  verlusf*  Auf  den 
abend  lud  er  sie  und  Herder  nebst  frau  zu  sich  ein.  Damals  scheint 
er  der  ersteren  das  versprechen  erneuert  zu  haben,  an  den  „Geheim- 
nissen" fortzuarbeiten,  jetzt  täglich  zwei  stanzen  zu  dichten,  so  dass 
die  zahl  der  stanzen  bald  die  der  Jahrestage  (am  22.  waren  es  81) 
erreichen  werde.  In  den  vier  tagen  vom  28.  bis  zum  26.  fehlen  alle 
briefe.  Am  morgen  des  27.,  des  ostertags,  meldet  er  der  freundin: 
„Meine  beiden  verse  hab'  ich  für  heute  gefertigt,  bin  nun  bis  ascher- 
mittwoch  [er  war  1785  der  vierzigste  tag]  gekommen.  Die  kinderei 
hilft  mir,  und  die  leeren  tage  im  kalender  geben  mir  ein  unüberwind- 
liches verlangen,  das  versäumte  nachzuholen.  Tags  darauf  berichtete 
er  Knebel:  „Auch  bin  ich  wider  fleissig  an  meinem  grossen  gediehte 
gewesen,  und  bin  bis  zur  40.  Strophe  gekoDimen.  Das  ist  wol  noch 
sehr  im  vorhofe.  Das  unternehmen  ist  zu  ungeheuer  für  meine  läge, 
indessen  will  ich  fortfahren  und  sehen,  wie  weit  ich  komme."  Als 
Goethe  sich  zur  fortsetzung  entschloss,  dürfte  das  gedieht  nur  bis  zum 
empfange  des  bruders  Markus  im  kl  oster  fertig  gewesen  sein,  bis  zur 
jetzigen  12.  stanze;  ostern  war  wol  die  lange  rede  des  alten  (stanze 
13  —  32)  vollendet,  am  ostertage  selbst  31  und  32  gedichtet.  Dies 
stimmt  zur  bezeichnung  der  32.  als  der  40.,  bei  der  annähme,  dass 
die,  wie  wir  sahen,  bei  der  späteren  Zusammenstellung  weggelassenen 
in  den  ersten  teil  der  dichtung  fallen;  bestätigt  wird  sie  durch  das, 
was  wir  von  der  fortsetzung  hören.  Nach  einem  briefe  an  frau  von 
Stein  gelang  dem  dichter  am  28.  nur  eine  stanze;  das  wäre  die  ganz 
für  sich  stehende  stanze  33.  Wenn  Goethe  am  morgen  des  2.  apiil 
Knebel  berichtet:  „Ich  habe  48  stanzen  an  meinem  gediehte,  so  mflM^ 


OOSTHSS  asfiEIMNlSSS  490 

vom  29.  märz  bis  zum  1.  april  acht  neue  entstanden  sein,  34  bis 
41.  Den  2.  april  konnte  er  vor  Schlafengehen  noch  drei  stanzen  ,, vor- 
arbeiten^, wie  er  in  bezug  auf  das  zurückbleiben  hinter  der  zahl  der 
Jahrestage  der  freundin  schreibt;  es  sind  die  enge  zusammengehörigen 
42 — 44.  Bei  seinem  leidenden  zustande  und  der  halben  Verzweiflung 
an  den  Weimarer  zuständen,  da  er  fürchtete,  die  finanzen  des  landes, 
die  er  mit  anspannung  aller  kraft  wider  gehoben,  würden  durch  Karl 
Augusts  auswärtige  plane  zu  gründe  gerichtet  werden,  konnte  er  zu 
keiner  ruhigen  tätigkeit  gelangen,  am  wenigsten  seine  so  bedeutende 
dichtung  weiter  führen.  Bei  der  krampfhaften  aufregung,  an  der  er 
litt,  ist  es  nicht  zu  ver wundem,  wenn  auch  nicht  alle  wirklich  gedich- 
teten stanzen  gelungen  waren. 

Baumgart  hat  nicht  bloss  von  der  wirklichen  entstehung  des  gedich- 
tes,  wie  sie  in  den  briefen  an  frau  von  Stein  und  Knebel  vorliegt,  keine 
ahnung,  er  entstellt  sie  noch  durch  einen  unglücklichen  einfall.  Bei 
erwähnung  des  zweiten  hauptmotivs,  das  stanze  33  nur  skizziert  werde, 
hören  wir:  „Es  geht  wol  auf  ,die  Geheimnisse',  was  Goethe  anfangs 
juni  1785  an  Herder  schrieb:  „Hier  schick'  ich  dir,  was  du  wol  noch 
nicht  gelesen.  Ich  konnte  es  nicht  einmal  endigen,  geschweige  durch- 
arbeiten; deswegen  fehlt  den  versen  noch  hier  und  da  das  runde  imd 
glatte."  Freilich  war  der  betreffende  brief  früher  nach  falscher  Vermu- 
tung in  den  juli,  von  der  Weimarischen  ausgäbe  in  den  mai  1785 
gesetzt  wordeü,  aber  Suphan  hatte  schon  1881  in  der  bedeutenden 
abhandlung  „Goethe  und  Spinoza  1783  — 1786''  nachgewiesen,  dass 
er  ende  1783  gehöre,  was  Baumgart,  Avenn  ihm  jene  abhandlung  ent- 
gangen war,  im  siebenten  bände  der  Weimarischen  ausgäbe  der  briefe 
bemerkt  finden  konnte,  wo  er  zum  zweiten  mal,  an  richtiger  stelle, 
gedruckt  worden.  Suphan  hatte  die  äusserung  in  dem  späteren  aufsatze 
„Ilmenau"  auf  das  ebenso  überschriebene  gedieht  bezogen.  Dass  die- 
selbe gar  nicht  auf  eine  dichtung  Goethes,  sondern  auf  eüie  Übersetzung 
aus  dem  arabischen  geht,  habe  ich  Ztschr.  XXVII,  76  gezeigt.  Von 
diesem  allen  weiss  Baumgart  nichts.  Wie  haltlos,  abgesehen  von  die- 
ser zeitlichen  Unmöglichkeit,  seine  Vermutung  ist,  mag  ich  nicht  aus- 
führen. Er  aber  bedenkt  sich  nicht,  „in  hohem  masse  ein  solches  prä- 
liminarisches  aussehen"  in  stanze  33  zu  finden,  besonders  soll  die 
letztere  den  eindruck  eines  blossen  füUwerkes  hervorrufen;  stellen  der- 
selben aus  dem  epischen  ton  herausfallen,  weil  der  ausdruck  schlicht 
und  einfach,  freilich  auch  durch  die  reimnot  etwas  gezwungen,  ja,  man 
kann  es  gestehen,  weniger  gelungen  ist. 

32* 


500  DÜNTZER 

Ergibt  sich  so  eine  ganze  reihe  der  aufstell  ungen  Baumgarts  als 
folge  des  mangels  an  philologischer  genauigkeit  und  offenbarer  irrtümer, 
so  ist  leider  auch  das  missverständnis  des  titeis  des  gedichts  für 
seine  deutung  verhängnissvoli  geworden.  „Die  geheimnisse**  ist  ein 
Goethe  gangbarer  ausdruck  für  mysterien,  geheimdienst  Am  24  juni 
1781  schreibt  er  der  frau  von  Stein:  „Heute  abend,  ehe  ich  mich  in 
die  Geheimnisse  vortiefe,  bringe  ich  dir  meine  Schlüssel^,  wo  die  Jo- 
hannisloge  gemeint  ist  Wenn  er  am  9.  november  mit  frau  von  Stein 
in  den  „Geheimnissen"  lesen  will,  so  ist,  wie  schon  bemerkt,  vom 
dialog  „Alexis  ou  de  Tage  d'or"  des  Hemsterhuis  die  rede.  Unsere 
dichtung  erhielt  diesen  namen  erst,  als  Goethe  sie  zum  drucke  bestimmte. 
Horders  gattin,  die  sie  längst  kannte,  nennt  sie,  als  sie  ihrem  gatten 
am  12.  September  1788  berichtete,  Goethe  habe  im  Lengefeld'schen 
hause  zu  Rudolstadt  in  Schillers  gegenwart  das  bruchstück  hei^esagt, 
„Das  gedieht  von  den  roscnkreuzem",  wie  es  Goethe  selbst  genannt 
haben  wird.  Von  seinen  edlen  roscnkreuzem  sollte  die  allgemeine  Ver- 
breitung der  wahren  christlichen  Sittenlehre  ausgehen.  Das  gedieht  fiel 
in  die  zeit,  wo  der  geheimnissvollo  orden  der  rosenkreuzer  sehr  viel 
von  sich  reden  machte,  avo  die  Schriften  „Der  rosenkreuzer  in  seiner 
blosse  zum  nutzen  der  Staaten  dargestellt"  und  „Der  im  licht  der  weit 
dargestellte  rosenkreuzer,  allen  lebenden  menschen  hingestellt"  lebhafte 
aufmerksamkeit  erregten.  Aber  Baumgart  behauptet,  in  demselben 
sinne,  wie  Herder  in  den  „Ideen"  (IX,  5)  von  der  ^Geschichte 
aller  geheimnisse  auf  der  erde"  spreche  [ähnlich  geht  dort  kun 
vorher  „in  allen  religionen  der  erde"]  habe  Goethe  Die  geheimnisse 
zum  thema  und  zur  Überschrift  [?j  seines  grossen  gedichts  gewählt,  sei 
es  nun,  dass  in  geheim  in  bozug  darauf  die  stelle  der  „Ideen"  ge- 
schrieben worden  [früliestens  im  februar  1785,  während  der  erste  ent- 
wurf  von  Goethes  dichtung  fünf  monate  älter  ist],  sei  es,  dass  aus 
ihren  gesprächen  über  diesen  gegenständ  beiden  freunden  die  bezeich- 
nung  in  diesem  sinne  sich  festgestellt  hatte".  Aber  bei  Herder 
ist  geheimnis  gleichbedeutend  mit  religion,  religiöse  tradition^ 
lehre  vom  überirdischen,  unsichtbaren,  nicht  mit  symbol; 
denn  eben  dieses  wortes  bedient  sich  Herder  regelmässig.  In  Goethes 
gedieht  kommt  Geheimnis  nur  einmal  vor,  77,  wo  es  den  unter  dem 
bilde  verborgenen  sinn,  nicht  einen  übernatürlich  ofiFenbarten  glaubens- 
satz  über  das  wesen  gottes,  auch  nicht,  wie  Baumgart  sich  ausdruckt, 
„das  geheimnis  der  klostergemeinschaft,  der  die  sendung  des  Markus 
gelte",  bezeichnet.  Vom  tode  des  Humanus  heisst  es,  er  sei  geheim- 
nissvoll (lllj.     Bruder  Markus  verlangt  zu  wissen,  was  manches  biJ' 


GOETHES  OKHEIMNISSB  501 

verhehlt  (278).  Auch  ist  vom  erraten  des  unter  dem  bilde  verbor- 
genen (305 — 309),  von  der  verdeckung  der  bedeutung  durch  teppich  oder 
flor  (315  fg.)  die  rede.  Sonderbar  wäre  es  auch,  wenn  ein  gedieht,  das 
sich  auf  das  „aufgeben  der  Symbole^  beziehen  solle,  die  Überschrift 
„Die  geheimnisse"  führte.  Der  titel  bezeichnet  offenbar  den  geheim- 
dien st  der  hier  in  das  mittelalter  verlegten  rosenkreuzer,  die  von  der 
Vorsehung  bestimmt  sind,  die  reine,  segensreiche  christliche  Sittenlehre 
zu  verbreiten;  „die  geheimnisse"  waren  als  eine  grosse  geistliche  dich- 
tung  vom  mittelalterlichen  Wunderglauben  gedacht 

Verfehlt  war  es,  bei  der  frage  nach  dem  Inhalt  der  rätselhaften 
dichtung  von  dem  titel,  statt  von  der  haupthandlung  auszugehen,  welche 
die  von  der  Vorsehung  beschlossene  einsetzung  des  schlichten  bruders 
Markus  beim  tode  des  Humanus  ist,  eines  durch  geistige  tüchtigkeit 
und  hohe  einsieht  ausgezeichneten  beiden  von  mächtigster  Willenskraft. 
Baumgart  sieht  ein,  wie  wenig  Goethes  eigene  deutung  von  1816  das 
dunkel  aufhellt,  aber  erst  nachträglich  geht  er  an  die  lösung  der  haupt- 
frage,  die  er  denn  ohne  glück  versucht,  nachdem  er  sich  den  blick 
durch  seinen  voreiligen  einfall  getrübt  hat.  Es  ist  doch  gar  zu  wun- 
derlich, wenn  der  tod  des  Humanus  dadurch  begründet  wird,  dass 
die  Symbole  der  christlichen  religion  schwinden  sollen.  Ist  denn  Hu- 
manus mit  den  zwölf  alten,  die  sich  aus  der  weit  zurückgezogen  haben, 
im  stillen  gott  zu  dienen,  ein  Vertreter  der  Symbole,  hat  es  ihn  nicht 
vielmelir  gedrängt,  im  reineren  sinne  Christi  lehre  zu  üben,  die  nach 
Goethes  ansieht  nicht  die  nach  der  fassung  der  zeit  und  des  volkes 
gemachte  Offenbarung  über  gott  und  die  erlösung  der  menschen,  son- 
dern die  sittliche  lehre  der  Selbstüberwindung  und  der  liebe  aller  men- 
schen als  brüder  war,  wonach  er  auch  behaupten  durfte,  er  sei  ein 
wahrerer  Christ  als  die  meisten,  die  sich  so  nennten.  Baumgart  hilft 
sich  damit,  dass  die  christlichen  symbole  in  dem  engen  kreise  der 
zwölf,  demnach  doch  auch  wol  bei  Humanus  selbst,  „die  reinste  geläu- 
terte auffassung  finden",  gibt  aber  zu,  dass  der  glaube  an  ihre  ge- 
schichtliche realität  im  schwinden  begriffen  (s.  60),  was  nicht  dazu 
stimmt,  „dass  die  kleine  gemeinde  durch  des  Humanus  tod  sich  mit 
dem  Verluste  ihres  schönsten  glückes  bedroht  sieht,  weil  die  vielgelieb- 
ten Symbole  dadurch  unwiderbringlich  dahin  gehen  sollen,  ohne  dass 
den  bitter  leidenden  die  hoffnung  auf  einen  tröstlichen  ersatz  sich  zeigt*' 
(s.  57).  Hier  ist  alles  brüchig,  wie  das  ganze  hereintragen  der  Sym- 
bole ein  unglücklicher,  haltloser  einfall  ist  Die  trauer  der  brüder  um 
den  tod  ihres  „vaters,  freundes  und  führers"  ist  rein  persönlich,  nicht 
allegorisch;  der  alte,  der  diese  äussert,  möchte  selbst  gern  mit  seinem 


502  OÜNTZEB 

eigenen  leben  das  seines  geliebtosten  freundes  erkaufen.  Es  ist  ein 
ebenso  grosser  irrtum,  wenn  Baumgaii;  den  alten  von  den  zwölf  aus- 
nehmen will,  als  wenn  er  in  ihm  eine  allegorie  der  tradition  sieht,  die 
wir  trotz  der  ontzückung,  mit  der  ihr  erfinder  davon  spricht,  für  uner- 
träglich steif  halten.  Der  alte  ist  mit  im  kapitelsaale,  wo  nur  dn.*izohn 
Stühle  sind,  ausser  dem  mittlem  des  Humanus  einer  für  jeden  der 
zwölf.  Der  dichter  bedurfte  eines  Sprechers,  der  den  fremden  empfiong 
und  ihm  über  Humanus,  dessen  leben  und  drohenden  tod  berichtete, 
später  sein  führer  war;  dazu  wälilte  er  einen  herzensfreund ,  der  ihn 
von  Jugend  an  kennt  Ob  dieser  sich  nie  von  ihm  getrennt,  sondern 
mit  ihm  sich  zu  dem  von  der  Vorsehung  bereiteten  gebäude  im  ein- 
samen talo  getrieben  fühlte,  das  wir  uns  wol  weit  im  osten  zu  den- 
ken haben,  ist  nicht  zu  bestimmen.  Vorlängst  habe  ich  bemerkt,  dass 
bei  dem  kloster  wol  Maria  Einsiedeln  in  der  Schweiz  vorscliwebt,  wo 
der  prälat  (er  hiess  Fürst)  auf  den  tod  krank  lag,  als  Knebel  es  im 
jähre  1780  besuchte,  aber  noch  ihn  durch  den  decanus,  „einen  heiligen 
würdigen  mann",  zur  tafel  laden  Hess  —  ein  von  Goethe  so  einzig  be- 
nutzter zug.  Hatte  aber  Humanus  sich  mit  den  seinigen  dem  reineren 
Christentum  in  der  einsamkeit  geweiht,  so  erhebt  sich  um  so  dringen- 
der die  frage,  was  hat  es  zu  bedeuten,  dass  Markus,  ein  einfacher 
klosterbruder,  ein  ernsterer  nachfolger  von  Lessings  treuherzigem  gc- 
genbilde  des  aufgeblähten,  herrschsüchtigen  patriarchen  im  „Nathan^, 
von  der  Vorsehung  zum  Stellvertreter  des  Humanus  berufen  wird? 
Nach  Baumgart  soll  er  „die  erete  nachfolge  Jesu  verkörpern,  wie  sie 
als  das  wesen  und  der  Inhalt  der  christlichen  religion  bestehen  bleibt." 
Aber  wie  kann  Markus  dazu  besser  wirken  als  Humanus,  worin  sull 
der  gegensatz  oder  die  fortentwicklung  liegen?  Als  Sinnbild  des  Chri- 
stentums, wie  es  Humanus  aufgefasst,  müssen  wir  doch  das  zeichen 
auf  der  pforte  des  bogens  betrachten,  selbst  wenn  Humanus  es  schon 
vorgefunden  hatte.  Das  kreuz  soll  nicht  auf  die  kreuzigung  gehen, 
wie  es  bruder  Markus  in  gewohnter  weise  fasst,  sondern  auf  die  leiden 
und  mühen  des  lebens,  aber  die  es  umwindenden  rosen  deuten  auf 
lebensgenuss,  da  das  leben  kein  jammerthal,  die  erde  kein  büssungsort, 
das  kloster  kein  ewiges  Momente  mori  sein  soll.  Das  rosenumgebenc 
kreuz  wird  zum  himmel  getragen*,  da  der  mensch  im  leben  immer 
fortstreben,  „unermüdet  schaffen''  soll,  wie  wir  es  von  der  gottheit 
selbst  glauben  (nach  Goethes  ode  „Das  göttliche'').  Das  dreifache,  aus 
der  mitte  quellende  licht,  das  zeichen  der  dreieinigkeit,  ist  wol  hier 
als  bild  der  drei  christlichen  tugenden,  glaube,  hoflhung  und  liebe, 
gedacht     Also  herrscht  ein  reineres  Christentum   schon  in  dem  kreise 


GOETHES   GEHEIMNISSE  503 

des  Humanus.  Was  kann  da  der  schlichte,  gottesfürchtige,  treuherzige 
Markus  ändern?  Nach  Baumgart  soll  durch  ihn,  in  stiller  organischer 
Wandlung  die  summe  religiösen  anschauens,  fühlens  und  denkens,  die, 
ein  produkt  der  gesammten  menschlichen  entwicklung,  in  der  reinen 
lehre  Jesu  enthalten  ist,  in  ihrer  einfachen  gestalt  an  stelle  der  geheim- 
nissvoll symbolischen  unmittelbar  sich  geltend  machen,  durch  ihre 
innere  hoheit  das  führerrocht  für  immer  sich  sichern.  Die  geheimnisse 
schwinden,  aber  das  geheimnis  bleibt.  Das  grosse  geheimnis  der  natu r 
und  das  grössere  geheimnis  des  geistes,  die  beide  doch  nur  ein  ver- 
schieden gefasster  ausdruck  für  das  eine  grösste  geheimnis,  dass  das 
unbegreifliche  uns  gewissheit  ist.**  Das  wäre  doch  eine  Wandlung,  welche, 
für  des  einfachen  bruders  Weisheit,  die  von  kinderlippen  schallt,  viel 
zu  hoch;  sie  setzt  eine  Umwandlung  von  Markus  selbst  voraus,  und 
Humanus  kommt  dabei  arg  zu  kurz,  der  längst  auf  den  kern  der 
christlichen  lehre  gedrungen  hatte,  und  mit  einer  hoheit  dafür  begei- 
sterte, die  seine  kleine  gemeinde  der  greise,  die  ein  taten  volles,  erfah- 
rungsreiches leben  geführt  hatten,  hinzureissen  wusste.  Die  aufgäbe, 
die  Markus  zu  lösen  hatte,  kann  nur  darin  bestehen,  dass  er  die 
christliche  geheimlehre,  die  bisher  auf  das  kloster  des  Humanus  be- 
schränkt war,  allgemein  verbreitete,  wozu  gerade  er,  von  Humanus 
belehrt,  auserkoren  war.  Diese  ausbreitung  der  christlichen  Sittenlehre, 
die  zugleich  die  wahre  humanität,  ohne  die  nichts  fordernde,  zu  Schwär- 
merei und  Verworrenheit  des  geistes  verleitende,  vom  leben  und  reiner 
menschlicher  entwicklung  abführende  Offenbarung,  ergibt  sich  als  ziel- 
und  endpunkt  der  „Geheimnisse",  dieser  glücklich  erdachten  legende, 
die  einen  herzenswunsch  des  dichters  auszusprechen  bestimmt  war,  auf 
dessen  erfüll ung  er  selbst  nicht  hofiFte;  es  ist  nur  ein  schöner  träum, 
dessen  dichterische  ausführung  leider  dem  meister  nicht  gelingen  sollte. 
Aus  der  Schilderung  der  reden  des  bruders  Markus  im  kloster,  aus 
stanze  12,  hat  Baumgart  geschlossen,  was  sie  gar  nicht  besagen  soll, 
dass  von  allen  geheimnissen  nur  das  eine  höchste  bleiben  werde: 
„dass  die  einfachheit  das  Siegel  der  letzten  Vollendung  ist,  dass  sie  aus 
unschuldiger  reinheit  und  offener  Weisheit  allein  erwachsen  kann  und 
dass,  wie  sie  die  frucht  der  lautern  Selbstlosigkeit  ist,  aus  ihr  die 
unendliche  liebe  quillt,  welche  die  weit  erlöst''.  Ebensowenig  finden 
wir  in  dem  bruchstück  eine  andeutung,  „dass,  wenn  solche  gesinnung 
das  führeramt  übernimmt,  die  ewige  dauer  wahrhaft  christlicher  reli- 
giösität  und  religionsgemeinschaft  erst  recht  besiegelt  sein  werde,  weil 
solche  führerschaft  den  herrschenden  streit  aufliebe,  und,  was  in  aller 
weit  an  echt  religiösem  sinne  lobt,   vereinend  um  sich  sanmile".    Das 


504  DÜNTZEB 

ist  rein  hereingetragen,  dagegen  die  offenbar  beabsichtigte  Wirksamkeit 
der  Humanus-gemcinde  unter  Markus  verkannt. 

Wirklich  ausgeführt  sind  nur  des  bruders  Markus  von  einer  hölie- 
ren  stimme  ihm  aufgetragene  reise,  seine  ankunft  am  abend  beim  klo- 
ster,  abendessen  und  abcndandacht,  endlich  nach  kurzem  schlaf  beim 
grauen  des  morgens  eine  merkwürdige  erscheinung.  Der  name  des 
bruders  erinnert  an  den  des  schlichtesten,  als  missionar  in  Afrika  bc^ 
kannten  evangelisten  ^,  aber  wirklich  scheint  bei  ihm  der  lieblingsjün- 
ger des  heilands,  der  an  dessen  busen  gelegen,  vorgeschwebt  zu  liabtMi, 
der  immer  aus  vollem  herzen  sprach,  an  dessen  „Testament",  dass  die 
christliche  liebe,  die  der  herr  befohlen,  allein  genüge,  Lessing  so  ein- 
dringlich gemahnt  hatte.  Den  namen  Johannes  scheint  Goethe  absirlil- 
lich  gemieden  zu  haben.  Markus  wird  gleich  als  von  der  Vorsehung 
gesandt  bezeichnet;  bloss  dem  geiste  folgend  gelangt  er  am  späten 
abend  an  das  prächtige  kloster.  Das  höchst  verehrte  christlicbo  kreuz 
erfüllt  ihn  mit  ehrfurcht,  aber  die  ihm  noch  neue  weise,  wie  es  hier 
mit  rosen  umwunden,  von  wölken  getragen  und  vom  lichte  der  drei- 
faltigkeit  erleuchtet  sich  zeigt,  erregt  in  ihm  erbauliche  gedanken  über 
dieses  hier  ungewohnten  sinn  verbergende  zeichen.  Eingelassen  mel- 
det er,  wie  er  auf  den  befehl  höherer  wesen  hierher  gekommen,  was 
man  mit  heiligem  staunen  vemimmt,  ja  man  fühlt  das  herz  dabei  von 
innerer  gewalt  ergriffen;  alles,  was  er  von  seiner  Sendung  erzählt,  wirkt 
wie  weise  lehren,  sein  ganzes  offenes  und  treuherziges  benehmen  ist 
völlig  von  dem  aller  menschen  verschieden;  er  erscheint  wie  ein  liimni- 
lisches  wesen.  Der  inhalt  seiner  reden  konnte  hier  nicht  ausgeführt 
werden.  Wir  mussten  zunächst  über  Humanus  und  seine  genossen 
belehrt  werden,  was  dessen  alter  freund,  der  nur  als  greis  bezeichnet 
wird,  in  längerer  rede  tut,  deren  würdiger  ton  uns  die  in  diesen  räu- 
men herrschende  hohe  gesinnung  vergegenwärtigt     So   erfahren    wir, 

1)  Wenn  Herder  kurz  vor  der  abreise  Goethes  nach  Itiilien  diesem  in  einem 
scherzbriofe  an  den  herzog  den  Spitznamen  dos  «cvangelisten  Markus**  gibt  (Schrif- 
ten der  Goethegesollschaft  II,  369),  so  durfte  Erich  Schmidt  dabei  nicht  an  deu 
Bruder  Markus  der  Geheimnisse  denken.  Yielmohr  schwebt  Goethes  alter  ^Pro- 
log zu  Bahrdts  uffenbarungen"  vor,  wo  der  evangolist  Markus  kurzweg  den  Giessoner 
Professor  mit  den  woi-ten:  ^Und  wie  und  was  verlangst  denn  duV  zur  rede  stelU 
und  auf  dessen  weitläufige  erklämng,  ohne  ein  wort  zu  erwidern,  ihn  stehen  lässt. 
Matthäus  bemerkt:  „Johannes  ist  schon  weggeschlichen  Und  bruder  Markus  [die  evan- 
gelisten  nennen  sich  briider]  mit  entwichen."  Herder  fand  es  ergötzlich,  dass  dieser 
küi*zesto  evangolist  hier  so  kurz  gebunden  ist  (er  allein  spricht  nur  einen  kurzen 
vers,  äussert  sich  nicht  weiter),  und  ebenso  kurz  gebunden  fand  Herder  den  freiuid 
falschen  ansichten  gegenüber,  die  ihm  widerstanden. 


GOETHES  6SHEIMNISSB  505 

dass  der  baldige  tod  ihres  „vaters,  freundes  und  führers"  sie  in  sorge 
und  furclit  setzt,  aber  der  anblick  des  von  höhern  wesen  gesandten 
hat  ihnen  „trost  und  hoffnung  gebraclit,  ihre  seele  erregt";  sie  erwar- 
ten von  ihm  eine  lösung,  da  der  bald  von  ihnen  scheidende  ihnen  nur 
verkündet  hat,  dass  er  in  wenig  zeit  sich  von  ihnen  trennen  werde. 
Wie  alle  als  greise  zu  jenem  „edlen  manne"  gekommen,  dem  friede 
gottes  in  der  brüst  lebt  (der  redende  selbst  hat  ihn  auf  des  lebens 
pfad  begleitet),  ist  nur  kurz  angedeutet,  auch  nicht  verschwiegen,  wie 
ausser  dem  persönlichen  schmerze  über  den  drohenden  verlust,  es  sie 
bekümmere,  dass  er  keinen  zum  nachfolger  sich  bestimmt  habe,  was 
auf  die  durch  Markus  in  ihnen  erregte  hoffnung  ein  licht  wirft.  Täg- 
lich kommt  Humanus  eine  stunde  zu  ihnen,  wo  er  aus  seinem  leben 
erzählt,  „in  dem  die  vorsieht  ihn  so  wunderbar  geführt",  aber  mit  aller- 
grösster  bescheidenheit,  wie  der  freund  weiss,  der  so  manches  als 
augenzeuge  erlebte.  Er  wird  als  ein  christlicher  held  dargestellt,  auf 
den  schon  vor  und  bei  seiner  geburt  wunderzeichen  hingedeutet,  der 
bereits  als  kind  ungeheure  kraft  bewährt,  auch  einmal  in  der  not  das 
wunder  vollbracht,  dass  er  mit  dem  Schwerte  eine  Quelle  aus  dem  star- 
ren  felsen  schlug.  Wenn  wundergeschichten  von  ihm,  wie  von  einem 
heiligen,  erzählt  werden,  so  ist  es  nicht  zu  verwundern,  dass  der 
dichter  solche  wählte,  deren  bekannte  sagen  gedenken,  ja  selbst  anzei- 
chen,  die  des  heiiands  geburt  verherrlichten  und  vom  messias  vorher- 
gesagt worden.  Dass  dadurch  „eine  fülle  der  fruchtbarsten  ideen  auf- 
geregt werde",  kann  ich  Baumgart  (s.  40)  nicht  zugeben,  es  galt  nicht 
durch  mythische  züge  die  einbUdungskraft  zu  erfreuen,  sondern  das 
bild  des  Humanus  als  eines  gottbegnadeten  mannes  auszuführen.  Aber 
Humanus  hat  auch  die  sauerste  probe  des  mannes  bestanden,  er  hat 
sich  selbst  überwunden,  was  an  die  verheissungen  erinnert,  die  in  der 
Offenbarung'  Johannis  dem  überwindenden  gemacht  werden.  Bei  aller 
ihn  mächtig  treibenden  kraft  wusste  er  sich  selbst  zu  beschränken,  sei- 
nes mutes  herr  zu  sein,  wie  es  in  den  Sprüchen  Salomonis  heisst 
Freilich  hatte  der  vater  ihn  zum  strengsten  gehoi*sam,  zu  den  niedrig- 
sten diensten  gegen  andere  gewöhnt,  aber  diese  Unterwürfigkeit  war 
bei  ihm  kaum  eine  tugend,  da  sein  herz  ihn  dazu  trieb,  anderen  wol- 
zutun,  verwundete  zu  verbinden,  kranken  beizustehen.  Gehorsam 
gegen  die  eitern  empfand  er  als  sittliche  pflicht,  die  er  so  rücksichtslos 
übte,  dass  auch  der  rauhe  und  scharfe  vater,  der  die  als  edlen  ihm 
gebührenden  Vorzüge  mit  absieht  ihm  vorenthalten  hatte,  endlich  nicht 
mehr  umhin  konnte,  des  sohnes  wert  anzuerkennen  und  ihm  die  ehren 
aeiiies  Standes  zu  gewähren.     Auch  hier  legt  Baumgart  etwas  hinein. 


506  DÜNTZER 

wenn  er  von  dieser  ausführung  rühmt:  ^In  symbolischer  kürze  und 
Wucht  verkündet  der  dichter  hier  grundüberzeugungen,  an  denen  er 
sein  leben  lang  festhielt  und  auf  die  er  auch  im  späteren  alter  gern 
und  ausführlich  zurückkam.  Es  sind  die  tugenden  der  ehrfurcht,  der 
demut  und  des  gehorsams,  denen  er  für  die  sittliche  und  religiöse 
erziehung  den  höchsten  wert  beilegte.^  Eine  solche  philosophische  aus- 
legung  schädigt  die  dichterische  und  zugleich  die  wahrhoit  Auch  sehe 
ich  hier  keine  „ganz  allgemein  gehaltene  hindeutung  auf  hauptzüge 
mittelalterlich -christlichen  entwicklung  der  europäischen  menschheit**, 
dagegen  hätte  Baumgart  hervorheben  sollen,  dass  diese  ausführung 
zeige,  unser  gedieht  spiele  im  mittelalter,  das  so  manche  ähnliche 
fromme  sagen  trieb. 

Die  weitere  erzählung  seines  lebens  bricht  hier  zweckmässig  mit 
der  bemerkung  ab,  es  sei  voll  der  köstlichsten  geschichten,  die  in 
dichtungen  durch  ihre  unglaublichkeit  und  den  reiz  der  darstellung 
erfreuen,  der  sie  dem  liörer  als  wirklich  vorzaubert.  Baumgart  dage- 
gen spricht  hier  von  den  Schönheiten  des  roichen  schmuckes  der  phan- 
tasie  und  der  höheren  Schönheit  ihrer  inneren  unvergänglich  für  alle 
Zeiten  sich  omcuemden  Wahrheit,  die  sich  im  philosophischen  sinne 
der  geschichte  gleichstelle.  Der  alte  schliesst  mit  der  angäbe  des. 
namens,  welchen  „der  heilige,  der  weise"  angenommen,  den  „das  aiig* 
der  vorsieht**  sich  ausersehen.  Sein  name  Ilumanus  deutet  auf  die*- 
entwicklung  des  menschen  als  das  höchste  ziel.  Später,  heisst  es,  solle 
Markus  auch  dessen  wirklichen  namen,  sein  geschlecht  und  seine  ahnen 
erfahren.  Der  Übergang  von  der  rede  des  alten  zur  mahlzeit  ist  frei- 
lich etwas  verkümmert,  ja  diese  selbst  ganz  übergangen,  nur  das  zeit- 
weilige ei-scheinen  der  anderen  brüder  erwähnt,  die,  wie  es  sonderbar 
heisst,  jenem  das  wort  aus  dem  munde  nahmen.  Wir  finden  stanze  32 
um  so  auffallender,  als  die  rede  des  alten  wirklich  abgesclilosseu  ist, 
er  gar  nicht  endete,  wie  es  hier  heisst,  als  gegen  Markus  „das  herz 
am  stärksten  quoll",  sondern  mit  der  nennung  seines  namens  Hu- 
manus. 

Die  folgende,  die  den  Übergang  bildet  zum  danke  an  gott  und 
seine  wirte  für  das  genossene  mahl,  weiter  die  bitte  um  wasser  zum 
trinken  und  das  geleit  zum  kapitelsale  enthält,  wo  die  brüder  ihre 
abendandacht  verrichten,  leidet  wenigstens  zum  Schlüsse  am  reimzwange. 
Im  kapitelsale  tun  wir  einen  zweiten  blick  in  die  einrichtung  des  klo- 
sters.  Jeder  brüder  hat  einen  besonderen  stuhl  mit  einem  schilde  über 
diesem,  das  geheimen  sinn  verkündet;  auf  dem  von  Humanus  war  das 
rosenkreuz  zu  sehen.     Über  manchen  Schilden  hingen  als  zeugen  des 


OOETHBS  0EHXIMNIS8B  507 

ritterlebens  in  der  weiten  weit  waffen  aller  art,  auch  fahnen  und  gewehre 
fremder  länder,  selbst  ketten  und  bände,  die  auf  krieg,  letztere  auf  erlit- 
tene gefangenschaft  deuten.  Die  brüder  beten  und  singen  kleine  andäch- 
tige lieder;  ehe  sie  zu  kurzem  schlafe  sich  trennen,  segnen  sie  sich 
mit  frommen  wünschen  zu  ruhigem  schlaf,  da  keine  irdische  begierde 
sie  beunruhigt.  Markus  und  der  alte,  der  gleichsam  als  Vertreter  des 
im  kapitelsale  fehlenden  Humanus  erscheint,  bleiben  im  sale;  ersterer 
wird  von  den  Schilden  zurückgehalten,  deren  verborgener  sinn  ihn 
reizt,  besonders  zunächst  rechts  und  links  von  dem  in  der  mitte  hän- 
genden Schilde  des  Humanus;  davon  stellt  das  eine  einen  in  wilden 
flammen  seinen  durst  stillenden  drachen,  das  andere  einen  arm  in  eines 
baren  rächen  dar,  aus  welchem  heisses  blut  quillt.  Hätte  Baumgart 
beachtet,  was  der  alte  dem  brudcr  Markus  sagt,  er  könne  den  sinn 
derselben  nicht  erraten,  da  er  nicht  wisse,  was  mancher  held  getan, 
doch  ahne  er  wol,  wie  manches  hier  (von  den  brüdem,  deren  Schilde  er 
sieht),  „gelitten,  gelebt,  verloren  ward  und  was  erstritten",  so  würde 
er  nicht  gewagt  haben,  die  beiden  wappcn  auf  die  heftigen  kämpfe  der 
christlichen  konfessionen  zu  beziehen,  und  zwar,  weil  die  beiden 
Schilde  gleich  weit  von  dem  des  Humanus  gebangen  (wie  ohne  zwei- 
fei alle  in  gleichem  abstand  voneinander  sich  befanden),  auf  zwei  vom 
geläuterten  Christentum  des  Humanus  gleich  weit  entfernte  „extrem 
kontrastierende  religiöse  dispositionen".  Als  ob  die  betreffenden  brüder 
solche  falschen  auflfassungen  des  Christentums  in  wappen  des  kapitol- 
sals  hätten  verewigen  wollen!  Der  drache  deutet  auf  mordlust,  die  zu 
wilden,  blutgierigen  kämpfen  getrieben,  der  blutige  arm  auf  die  befreiung 
der  erde  von  untieren,  von  denen  das  mittelalter  so  viel  fabelte,  beide 
auf  die  eigene  Vergangenheit.  So  überraschend  wie  unglaublich  ist 
Baumgarts  deutung  auf  die  angst  vor  dem  geöffneten  höllenrachen  und 
die  quälen  der  wütenden  gewissensbisse;  diese  sollen  die  katholische 
lehre  von  der  ewigen  Verdammnis  und  Calvins  Vorstellung  der  Meta- 
noia  bezeichnen,  ja  mit  froher  Selbstbefriedigung  heisst  es,  der  dichter 
habe  so,  wie  es  überall  seine  art  sei,  schon  in  der  spräche  den  vor- 
handenen keim  zur  gestaltenbildung  sich  entfalten  lassen.  Wir  sind 
nicht  so  kühn,  die  spur  davon  zu  ahnen. 

Der  alte  schliesst  damit:  doch  es  handle  sich  in  ihrem  kloster 
nicht  bloss  von  der  Vergangenheit,  hier  gehe  auch  noch  manches  vor; 
sei  Markus  erst  aus  dem  vorhof,  über  den  er  noch  nicht  hinausgekom- 
men, ins  innerste  aufgenommen,  dessen  er  ihm  wert  scheine,  so  werde 
er  dies  erfahren.  Damit  ist  auf  die  nächsten  tage  und  das,  was  er 
dort  sehen  werde,  hingedeutet,  auf  die  seiner  noch  wartenden  geheim- 


508  DÜNTZER 

nisse  des  innersten.  Wie  Markus  vom  alten  in  seine  schlafzelle  gelei- 
tet worden,  sich  niedergelegt  und  geschlafen  habe,  ist  gleich  dem  mahl 
am  abend  übergangen.  Erst  beim  erwachen  setzt  der  dichter  wider 
ein.  Ein  dumpfes  geläute  der  bisher  noch  nicht  erwähnten  kirche 
weckt  ihn;  als  er  ihm  folgen  will,  wie  er  morgens  gewohnt  ist  (er  hat 
schon  sein  morgengebet  verrichtet),  findet  er  die  thüre  seiner  zelle  ver- 
schlossen. Ein  starkes  vei-sehen  ist  es,  wenn  Baumgart  vom  schh)sse 
der  kirche  spricht  Was  die  drei  letzten  stanzen  enthalten,  kann 
keine  blosse  vision  sein ,  es  ist  eine  wirkliche  erscheinung,  die  Markus 
erlebt  Ein  dreimaliger  schlag  auf  hohlos  erz,  gemischt  mit  flötentönen, 
seltsam  und  schwer  zu  deuten,  orfreut  das  herz,  ernst  einladend,  wie 
wenn  festliche  tanze  von  gesängen  belebt  würden.  Als  er  aber  ans 
fenster  eilt,  sieht  er  beim  ersten  grauen  des  morgens  drei  fackeltra- 
gende Jünglinge  eilig  durch  die  gartengänge  sich  entfernen.  Die  weissen 
gewänder  liegen  ihnen  knapp  und  wol  an,  ihre  locken  sind  mit  blu- 
menkränzen,  der  gürtel  mit  rosen  umwunden;  sie  scheinen  „recht 
erquickt  und  schön*'  fortzueilen.  Dann  löschen  sie  ihre  fackeln  und 
verschwinden  in  der  ferne.  Baumgart  meint,  die  fackeln,  welche  sie 
in  die  ferne  hinaustragen,  würden  doch  in  der  Übung  der  künste,  wie 
im  loben  fortleuchton,  nicht  in  der  form  buchstäblich  geglaubter  Sym- 
bole, sondern  als  die  höchsten  motive  der  kunst  Aber  sie  löschen 
ja  ihre  fackeln,  und  darauf,  dass  die  Jünglinge  die  symbole  seien,  deu- 
tet eben  gar  nichts.  Der  erfreuende  schall  und  die  Jünglinge  mit 
ihren  brennenden  fackeln  scheinen  vor  der  gewöhnlichen  kirchcnzeit 
aus  der  kirche  zu  kommen.  Ich  kann  hier  nur  eine  nachtfeier  sehen, 
welche  von  einer  der  anstalten  ausgieng,  die  wir  uns  mit  dem  bundo 
der  zwölf  nach  der  andeutung  des  alten  in  stanze  40  verbunden  den- 
ken müssen.  Auch  die  mysterien  der  Griechen  wurden  zur  nacht  ge- 
feiert; es  waren  heilige  nachte,  bei  welchen  die  eingeweihten  in  weissen 
gewändern  erschienen.  Bekannt  ist  auch  das  späte  römische  Pervigi- 
lium  Vener is,  eine  feier  der  liebe  beim  anfange  des  frühlings,  das 
Bürger  übertrug,  wodurch  Schillers  „Triumph  der  liebe*'  veranlasst 
ward.  Dass  Markus  seine  zelle  verschlossen  fand,  erklärt  sich  daraus, 
dass  diese  nachtfeier,  wie  die  kirche  selbst,  zum  innersten  gehörte,  in 
welches  er  erst  an  diesem  tage,  wahrscheinlich  durch  den  alten,  ge- 
führt wurde.  Es  ist  dies  das  erste  gehcimnis  des  innem,  das  schon 
auf  den  heitern,  von  strenger  askese  weit  entfernten  Charakter  der  nach- 
folgenden gehcimnisse  hindeutet 

Der  alte  sollte  sich  bald  darauf  einstellen  und  die  führong  über* 
nehmen.    Zunächst  wird  er  ihn  zum  einfachen  frühstück,  dann  in  dte 


00BTHE8  GSnSIMNISSE  509 

kirche  gebracht  haben.  Über  die  zum  bunde  gehörigen  bildungsanstal- 
ten  wäre  jede  Vermutung  eitel;  manches,  was  Goethe  vorschwebte, 
dürfte  später  in  den  „Wanderjahren*'  frei  benutzt  worden  sein.  Jeden- 
falls werden  die  verbundenen  brüder  nicht  bloss  einem  beschaulichen 
leben  sich  hingegeben,  sondern  auch  nach  ihrer  neigung  fordernd  auf 
die  menschliche  bildung  gewirkt  haben,  in  gewissem  sinne  tätige  frei- 
maurer  gewesen  sein;  selbst  die  baukunst  dürfte  nicht  ausgeschlossen 
gewesen  sein,  wenn  sie  auch  das  von  der  Vorsehung  bestimmte  gebäude 
schon  vorgefunden.  Fem  halten  müssen  wir  jeden  gedanken  an  Goe- 
thes unglückliche  aufklärung  von  1816.  Zuletzt  wurde  Markus  auch 
zu  Humanus  geführt,  wo  denn  die  Unterredung  beider  den  glanzpunkt 
der  dichtung  gebildet  haben  würde.  Der  scheidende  Humanus  sollte 
seinem  vom  himmel  ihm  bestimmten  nachf olger  seine  Sendung  ans 
herz  legen,  die  reine  christliche  Sittenlehre  ohne  die  erlösung  durch 
den  söhn  gottes  allgemein  zu  verbreiten,  besonders  auf  die  Übung  ihrer 
grundlehren,  der  Selbstüberwindung  und  der  liebe,  zu  wirken.  Uns 
genügt  es,  das  wort  des  rätseis  gefunden  zu  haben,  dass  die  dichtung 
mit  dem  auftrage  des  Humanus  schliessen  sollte,  die  reine  lehre  Jesu, 
wie  sie  Goethe  empfand,  wie  sie  sein  bund  der  neuen  rosenkreuzer 
übte,  allgemein  zu  verbreiten,  und  so  einen  wünsch  zu  erfüllen,  den 
die  freidenker  der  zeit,  unter  ihnen  auch  sein  freund  Merck,  als  einen 
frommen,  jedesfalls  noch  lange  aussichtslosen  erkannten.  Die  auf  mor- 
schem boden  sich  erhebende  philosophische  ausdeutung  eines  begabten 
denkers  musste,  je  selbständiger  sie  war,  um  so  mehr  von  der  ein- 
fachen Wahrheit  abführen. 

KÖLN.  HEINRICH  DÜNTZER. 


GEDICHTE  UND  BEIEFE  VON  E.  M.  AENDT  AN  EINE 

FEEUNDIN. 

Herr  dr.  R.  Moeller,  oberarzt  des  städtischen  krankenhauses  in 
Magdeburg,  besitzt  aus  dem  nachlasse  seiner  grossmutter,  der  frau 
J.  Zanders,  verschiedene  interessante  manuscripte  von  E.  M.  Arndt, 
deren  Veröffentlichung  er  mir  gütigst  erlaubt  hat.  Sie  bestehen  aus 
einem  bisher  ungedruckten,  einem  schon  gedruckten  gedichte  und  sechs 
briefen.  Frau  J.  Zanders,  geborene  Müller,  wittwe  des  fabrikbesitzers 
Zanders  in.  Bergisch -Gladbach,  wohnte  bis  zum  jähre  1857  in  Bonn 
und  stand  in   innigem   freundschaftsverkehre    mit   dem    hochbetagten 


510  A.  SGHHtDT 

Amdt'schen  ehepaare.  Als  sie  dann  nach  Bergisch -Gladbach  übersiedelte, 
widmete  ihr  Arndt  das  nachfolgende  christlich-trostvolle  gedieht,  dessen 
zweck  und  sinn  durch  die  tatsache  erleuchtet  wird,  dass  frau  Zanders  an 
einer  schweren  lähmung  siech  war.  Nach  Bergisch -Gladbach  sind  die 
briefe  gerichtet,  und  zwar  sind  drei  von  ihnen  gratulationsbriefe  zu  neu- 
jahr  1858,  1859  und  1860;  zwei  sind  dankesbriefe  nach  einem  besuche, 
den  der  89jährige  greis  im  frühsommer  1859  in  Bergisch- Gladbach 
gemacht  hatte;  ein  sechster  aus  dem  herbst  1859  enthält  die  durch  den 
tod  unerfüllt  gebliebene  verheissung,  im  nächsten  jähre  die  reise  wider- 
holen zu  wollen.  Der  zeitlich  letzte  brief,  die  gratulation  zu  neujahr 
1860,  ist  5  tage  nach  Arndts  neunzigstem  geburtstage  und  drei  wochen 
vor  seinem  tode  geschrieben,  also  sicher  eine  der  allerletzten  schrift- 
lichen äusserungen  des  uralten  mannes.  Die  schrift,  deren  typns 
durch  das  dem  Allgemeinen  deutschen  commersbuche  vorgedruckte  dank- 
schreiben  Arndts  vom  jähre  1858  bekannt  ist,  kann  zwar  das  zittern  des 
alters  nicht  ganz  verleugnen,  ist  aber  im  ganzen  gut  leserlich  und 
besonders  in  den  bogen  und  endschnörkeln  noch  erstaunlich  kräftig 
und  sicher.  Sämmtliche  dokumente  geben  uns  keinen  neuen  zug  zu 
dem  bilde  Arndts;  aber  ihr  wert  beruht  darin,  dass  sie  uns  den  dich- 
ter im  höchsten  greisenalter  noch  unverkürzt  und  unverwelkt  als  den- 
selben zeigen,  den  wir  in  der  Vollkraft  seines  wesens  lieb  gewonnen 
haben:  geistesfrisch  und  herzensjung,  voll  zarter  freundschaft  und  alt- 
bewährter Vaterlandsliebe,  „lebensmutig  und  üebesmutig",  gottvertrauend 
und  gottergeben. 

Zur  freundlichen  Erinnerung  für  Julie  Zanders. 

Kind,  trage  Erden  Freud  und  Leid, 
Im  frohen  Sinn  der  Ewigkeit! 
Hier  ist  ja  Alles  klein  und  kurz, 
Und  nichts  als  Wechsel,  Fall  und  Sturz. 

Vergiss  nicht,  dass  es  also  ist, 
Noch  auch,  dass  du  unsterblich  bist, 
Ein  kleines,  schwaches  Gottesbild, 
Worin  doch  Gottes  Wonne  quillt 

Dies  sei  dein  Trost,  dein  Licht,  dein  Stern, 
So  schau  empor  zu  deinem  Herrn, 
So  aus  dem  wirren  Erdenlauf 
Schau  fromm  und  selig  himmelauf. 


Und  daun  wird  alles  Kleine  gi'osa', 
Dana  fällt  dein  Loos  aus  Gottes  Scliooas, 
Du  nimmst  es  iröhlich,  wie  ob  fällt, 
Dann  bist  du  gross  in  kleiner  Welt, 
Bonn  den  24"  des  Wonnemondes  1857.  E,  M.  Arndt 

1.   An  Frau  J.  Zanders  zu  Bergisch-Gladbach  bei  Köln. 
Gott  zum  Gruss! 

So  habe  ich  denn  mein  88"*"  glücklich  vollendet*,  und  die  lieben 
Wünsche  u.  lieben  Gaben  der  Fi-eunde  machen  mir  den  Einlauf  in  das 
89""  fast  zu  einem  glückszeicheu. 

Auch  Sie,  meine  thoure  Freundin,  haben  mit  einer  recht  süssen 
Gabe  mein  altes  Herz  gelabt  und  sollen  meinen  treuesten,  besten 
Wunach  und  Dank  zum  Neuen  Jahre  dafür  nehmen. 

Wolle  der  gnädige  Gott  mit  Ihnen  und  den  geliebten  Ihrigen 
sein,  und  Ihre  Gesundheit  so  stärken,  als  der  Glaube  an  die  bimm- 
lischen  Güter  durch  Seine  Gnade  in  Ihnen  stark  ist! 

Also  a\if  den  Blüthenmond  1S58!  Das  soll  ein  Wort  sein,  wenn 
Gott  nicht  anders  will!  Dann  will  ich  mal  in  Ihre  freundlichen  Augen 
und  in  Ihre  hellen  Teiche  zu  Gladbach  schauen! 

Meine  Frau  woüte  ein  paar  Worte  zusetzen,  sie  fühlt  sicli  aber 
durch  einen  Schnupfen  zu  sehr  verhustet,  und  grüsst  aller  herzlichst. 

Auch  ich  habe  14  Tage  die  Grippe  durchgehustet;  gottlob  jetzt 
besser.    Ade!  Ade!    Den  lieben  Kindern  beste  Grüsse 

In  deutscher  Treue 
Ihr 

Bonn,  letzter  Tag  von  1857.  ältester  E.  M.  Arndt. 

8.  Bonn,  letzter  Tag  des  Jahres  18.Ö8. 

So  wolle  Gottes  Segen  einziehen  bei  Ihnen,  liebes  Kind,  wie  Sie 
Wunsch  und  Segen  zugleich  mit  süssester  Gabe  des  Mundes  und  des. 
Herzens  über  den  Überalton  Mann  ausgesprochen  haben!  Möge  das 
beginnende  Jahr  1859  für  Ihre  Rörperleidon  milder  werden,  als  die 
jüngsten  Jahre  gewesen  sind! 

Ich  wandle  durch  Gottes  Gnade  auf  der  Stufe  des  höchsten  Altere 
noch  immer  mit  leidlicher  Rüstigkeit  hin.    Nun  so  weiter,  so  lange  es 

1)  Deaselbea  gwiaiiken  führt  er  aus  in  der  vollstündigöD  Mminlang  soinor 
Gedichte  2,  aull.  s.  641  nr.  42,  wie  er  überhaupt  in  seineo  sinnS|)räclieii  die  ItegrÜTo; 
gross  und  klein  mit  'Vorliebe  znsommeDstellt,  bald  sie  contraistieruad,  meist  sie  iu 
eimuider  auJIösend. 

2}  Aindts  geburtstag  Gel  auf  den  2G.  düceuiWr, 


512  Ä.   8CHMII>T 

dem  Herrn  des  Lebens  gefällt!  Und  ich  lebe  des  festen  Vorsatzes, 
wenn  dieser  Herr  es  mir  erlaubt,  Sie  im  nächsten  Lenze  in  Ihrem 
schönen  Sitze  einmal  fröhlich  zu  begrüssen.  Meine  gute  Frau  wollte 
Ihnen  selbst  schreiben  und  danken,  fühlt  sich  aber  durch  Festtage  und 
manche  Festlichkeiten  jetzt  zu  angegriffen;  sie  fühlt  ihre  73  jähre  auch 
schon. 

Also  Gott  und  Gottes  Glück  und  Gnade  mit  Ihnen  und  Ihren 
Lieben,  welche  Sie  herzlich  von  uns  grüssen. 

In  deutscher  Treue 
Ihr 
E.  M.  Arndt 

3.  Bonn  4*^  des  Heumonds  1859. 

Das  waren  schöne  Tage,  wie  Tage  der  Liebe,  Treue  und  Freude 
immer  sein  müssen  —  und  ich  spreche  Euch,  geliebte  Freunde,  hier- 
mit meinen  herzlichsten  Dank  aus. 

Grüssen  Sie  mir  auf  das  herzlichste  ganz  Gladbach,  am  meisten 
Sich  selbst,  Ihre  liebe  Schwester  und  unsem  Richard  und  seine  feine 
liebenswürdige  Frau,  deren  Hoffnung  zu  aller  Freude  der  liebe  Gott 
erfüllen  wolle.  Ich  habe  Gladbach  so  kennen  gelernt,  dass  ich  sagen 
kann,  es  führt  den  Namen  mit  Recht;  denn  Gladbach  heisst  auf  gut 
deutsch,  englisch  und  schwedisch  Freudenbach.  Wenn  ich  noch 
einige  Jahre  lebe,  wird  dieser  Freudenbach  mich  öfter  zu  sich  locken. 

Und  Sie  selbst,  liebste  Freundin!  Ich  habe  mich  sehr  gefreut 
dass  ich  Sie  geistig  frisch  wie  immer  und  leiblich,  wie  mir  däucht, 
auch  frischer  gefunden  habe,  als  da  Sie  Bonn  verliessen.  Gebe  der 
freundliche  Gott,  dass  Sie  nochmal  wieder  auf  eignen  Füssen  die  Treppen 
auf  und  ab  steigen  können  nach  dem  Beispiel  der  Frau  Wichelhaus l 

An  Wichelhaus  selbst  habe  ich  Grüsse  und  Wünsche  schon  abge- 
geben. 

Hier  die  versprochenen  Reime  über  das  Gute  u.  Schöne-. 

Ade!  Gebe  Gott  Lebensmuth  und  Liebesmuth! 

In  deutscher  Treue 
N.  S.  Grüssen  Sie  mir  auch  den  Ihr  E.  M.  Arndt, 

wackern  Meister  Odenthal. 

1)  Frau  pastor  Wichelhaus  iu  Bonn. 

2)  Dem  bricfe  liegt  das  manuscript  von  foljj^ouden ,  in  der  vollstiindigen  Samm- 
lung seiner  Gedichte  s.  600  unter  ur.  150  schon  veröffentlichten  viTsen  bei: 

Das  (juto  und  das  Schöne. 
Ach!  zwischen  dem  Guten  und  Schönen 
Der  ewig  onieuto  Streit! 


4.  Bonn,  23"  Heiimonds  1859. 

Ja,  Freudenbach  —  das  soll  der  Name  sein  des  acliönoii,  grü- 
nen Fleets  Ei-de,  worauf  Gott  Sie  die  Hütte  Ihres  Lebens  hat  festen 
lasson!  und  Sie,  liebe  Freundin,  sollen  auch  einmal  —  so  ahnt  es 
mir  —  gleich  der  IVau  Wichelhans  in  Ihrem  Hause  wieder  Trepp  ab 
tmd  Trepp  auf  laufen.  Amen!  So  geschehe  es.  Dass  der  liebe  Gott  Sie 
DUD  noch  immer  so  ans  La^r  fesselt,  auch  das  können  Sie  am  Ende 
als  nui'  Gabe  und  Onade  Gottes  in  so  weit  annehmen,  als  er  Sie  damit 
vohl  etwas  fester  und  tiefer  hat  anfassen  und  mit  seinen  wundersam- 
sten, leisesten  Fingern  in  das  Herz  seines  lieben  Geschöpfes  hat  hin- 
eingreifen gewollt  Der  Christ  soll  ja  Alles  Unvermeidliche,  was  er 
nicht  machen  f?)  gekonnt  hat,  nehmen,  als  von  Oben  kommend  und 
Aach  Oben  hinweisend.  Und  das  wird  wohl  wahr  bleiben,  dass  Ihre 
lange  Krankheit  Ihnen  Müsse  und  Veranlassung  mehr  als  sonst  gege- 
ben hat,  der  himmlischen  Dingo  u.  der  göttlichen  Gefühle  und  Ahnun- 
gen in  unserer  Brust  mehr  inne  zu  werden,  als  es  im  Getümmel  des 
'frischen,  vollen,  gesunden  Lebens  uns  oft  beschieden  ist  Das  ist  ja 
des  Christen  Betrachtung  und  Gottosruf  (?),  dass  er  sich  alle  Dinge  als 
-aus  höherer  Hand  deuten  und  zureeht  legen  muss,  —  und  diese  selige 
Ansicht  und  Überzeugung  hat  der  liebste  Herr  Ihnen  ja  nimmer  abhan- 
■  den  kommen  lassen.  Darin  wird  er  Sie  erhalten  und  bewahren  in  den 
Schmerzen  und  Freuden  des  irdischen  Lebens,  Die  Freude,  die  ich 
Euch  lieben  Jjeuten  durch  meinen  Besuch  gemacht  habe.  Ich  danke 
'Gott,  dass  dem  so  ist:  Freundschaft  u.  Liebe  sind  ja  die  besten  Stenie, 
die  am  Himmel  leuchten  u.  vom  Himmel  hinunter  u.  von  der  Erde  auch 
[Wieder  hinauf  leuchten  zur  Heimat  der  Geister.  Ich  habe  beide  reich 
^^  i  Kreudenbach  genossen  u.  empfunden.  Das  sollen  Sie  den  lieben 
Kindern,  der  Schwester  u.  den  Freunden  mit  meinen  treusten  Grüssen 
Terkündigen. 

Sie  haben  die  Enkel  bei  Sich  gehabt  zur  Freude;  auch  meine 
^anna  ist  jetzt  aus  Kartsbad  bei  uns;  das  Bad  scheint  ihr  wohlgethan 
«u  haben.  Sturm  und  Hagel  ist  bei  uns  am  Oebirgssaunie  von  Pop- 
pelsdorf   bis   gegen    Andernach   hin   fürchterlich   fortgelaufen,    wie  Sie 

Sprich,  Lieber,  vaa  kaaa  sie  veTsöhaeD 
Zu  liebcDtler  Hera  U  chice  il? 

Was?  —  Nieder  aors  Koie  vor  dem  Outou! 

Niöder  im  Oobel  wie  vor  Qott, 

Dann  strümt  dir  das  Si;huDe  in  Fluthen 

Entgegen,    Ich  spfflcbe  nicht  Spott.  E.  M.  Arndt 


514  A.   SCHJODT,    GEDICHTE  UND  nRIEFE  VOK  E.   IL   ARNDT 

wohl  aus  den  Zeitungen  gelesen  haben.  —   gebe  Gott,  dass  das  ünge- 
witter  des  Krieges  an  dem  Vaterlande  glücklich  vorüberbrause. 

Gottes  Segen  Euch  Allen  und  Ihnen  freier,  froher  Muth  aus  ihm! 

In  deutscher  Treue 
Ihr  E.  M.  Arndt 

5.  Gott  zum  Gruss! 

Freundliche  Kinder,  dass  Ihr  den  alten,  schneeweissen,  fast  kah- 
len Kopf  mit  lustigen  Lenzesblüthen  schmücken  wollt!  Nun,  ich  nehme 
das  fröhliche  Zeichen  an,  u.  wenn  der  liebe  Gott  mich  noch  einen 
Lenz  erleben  lässt,  will  ich  in  ihm  mir  selbständig  und  selbhändig 
in  Eurem  Garten  einen  Kranz  pflücken  und  flechten.  Weil  ich  vom 
Lenz  spreche,  will  ich  beim  Bilde  bleiben  und  Euch  und  vor  allen 
Ihnen,  theure  Freundin,  bei  den  neuen  jüngsten  Wiegenliedern,  die 
nun  bei  Euch  wieder  gesungen  werden,  alle  Herzen  voll  lenzigster, 
fröhlichster  HofiEnungen  wünschen. 

Gottlob!  der  Kriegslärm  hat  sich  fürs  Erste  vertost,  auch  die 
Plage  der  Hitze  ist  vorbei  und  die  lustige  Weinlese  nahe.  —  Also  wol- 
len wir  dem  Winter  mit  Gottesmuth  und  Hoffnung  entgegengehen. 
Ade!  tausend  beste  Grüsse  an  Alle,  und  ein  immer  junges  Herz  und 
eine  immer  bessere  Gesundheit! 

9*'  Herbstmonds  In  deutscher  Treue 

1859.  Ihr  E.  M.  Arndt 

6.  Liebe  Seele. 

Man  wird  mitgehoben  auf  den  Flügeln  himmlischer  Liebe  in  der 
schönen  Weihnachtszeit,  wo  alle  Engel  vom  Himmel  zu  unsorm  Erd- 
bällchen hinabsteigen,  welchem  der  Heiland  in  Menschengestalt  gebo- 
ren. Ich  sollte  jetzt  mit  doppelter  Stimme  mitjauchzen  und  jubeln 
ob  all  den  Ehren  und  Freuden,  welche  so  viele  treue  liebende  Her- 
zen und  selbst  Fürsten  und  Städte  dem  Neunzigjährigen  dargebracht 
haben. 

Auch  dir,  du  freundliche,  liebe  Seele,  die  am  Freudenbache  flat- 
tert und  durch  Gott  oft  recht  glückselig  hoch  fliegt,  sage  ich  und  meine 
Frau  den  allerherzinnigsten  Dank  für  so  süsse  und  blüthenduftige  Er- 
innerungen. 

Gebe  der  frommste,  gütigste  Geber  droben  für  das  Neue  Jahr 
und  für  viele  andre  frohen  Himmelsmuth  und  leidliche  Gesundheit, 
Wenn  die  Nachtigallen  wieder  in  den  Blüthonbüschen  schhigen,  dann 
wird  der  alte  neunzigjährige  Wandrer  sich  mal  zu  Euch  aufmachen. 


BOHNEN  nERQM ,  AirsouucBrNO  r 
GTÜBsen  Sio  mir  alle  Lieben  viel  tausondmal ,    audi  den  wacliorn 


Schwaben,  den  Seelenwächter'. 
Bonn,  Jahresschliiss  1859. 

MAODEBtIRG. 


In  deutscher  Treue 
Ihr  E.  M.  Arndt 

A.    SCHMIDT. 


ZUß  FRAGE  NACH  DER  AUSGLEICHIWG  DES  SILBEN- 
GEWICHTS. 
Brenner  (Indog.  forsch.  III,  297  fgg.)  will  quantitätsunterschiede 
})ei  vokalen  und  qualitatsunterachiede  bei  diphthongen  heutiger  deut- 
Ichor  niundarteo  auf  vorahd.  apokope  zurückführen.  Es  soll  das  nomen 
iÖr  den  abfall  des  eudungsvokala  ersatz  bekomnaen  haben  in  der  ur- 
sprünglich vorletzten  sÜbo,  falls  diese  Stammsilbe  war.  Es  habe  näm- 
lich die  kurze  stammsiibe  eine  „verstärknng  erhalten,  die  zuletzt  als 
e  des  Vokals  sich  offenbarte",  während  der  staramsilbenvokal  bei 
erhaltenem  endungsvokal  kurz  blieb.  Und  die  Stammsilbe  mit  diph- 
&ong  habe  schleifenden  accent  erhalten  gegenüber  gestossenem  accent 
bei  bewahrtem  endungsvokal.  Unter  einfluss  des  verscliiedenen  accen- 
tes  hätten  sich  dann  die  beiden  formen  des  diphthongs  auch  lautlich 
irerschieden  entwickelt. 

Verwandt  damit  ist  Streitbergs  Erklärung  der  idg.  dehnstufe 
[Idg.  forsch.  III,  305).  Streitberg  bezieht  sich  auch  ausdrücklich  auf 
Brenner,  doch  sind  noch  tief  einschneidende  unterschiede  du.  Wenn 
Streitberg  bei  morenverlust  in  der  nächsten  silbe  die  tonsilbo  ausdrück- 
lich sich  dehnen  lässt,  so  redet  Brenner  von  „Verstärkung,  die  zuletzt 
als  länge  des  vokals  sich  offenbarte."  Er  bedarf  dieser  geschraubten 
bestimmung,  weil  die  dehnung  dieser  laute  erst  in  den  heutigen  mund- 
arten  zum  ausdruek  kommt,  und  diese  verstärkten  laute  durch  die 
[ftnze  ahd.  und  rahd.  zeit  hindurch  von  den  gewöhnlichen  längen 
interschieden  werden  müssen.  Wenn  nach  Streitberg  die  idg.  deh- 
nung nur  bei  kiu'zer  silbe  (d.  h.  kurzem  vokal  in  offener  silbe)  eintritt, 
80  muss  bei  Brenners  hypothese,  wie  sich  nachher  zeigen  wird,  gerade 
die  dehnung  vor  mehrfacher  konsonanz  eine  hauptrolte  spielen.  Streit- 
berg lässt  betonte  lange  vokale  mit  luTsprünglich  gestossenem  accent 
geschleift  werden;  Brenner  gibt  über  deren  entwicklung  keine  auskunft, 
aber  die  diphthongo  mit  gestossenem  accent  aollen  nach  Brenner  dafür 

1)  Pastor  Sfliützo ,  nachmals  in  Crefeld. 


gescbleift  werden.  Brenner  und  Strcitberg  treffen  darin  zusxnuntD, 
dasB  sie  diese  genannten  Veränderungen  der  tonsübe  abliäagig  niachät 
vom  Verlust  einer  more  in  der  folgesilbe.  Dieses  zusammcntreffeo  vria 
gewiss  nocb  interessant  genug. 

Nun  erscheinen  mir  aber  Brenners  aufstellungen  ober  ras- 
gleichnng  des  silbengewichts  in  voraiid.  zeit  unhaltbar.  Bei  einem 
toil  der  von  ihm  angezogenen  fälle  haben  die  vorausgesetzten  parallel- 
biidungen  innerhalb  desselben  wertes  gar  nie  gegolten,  und  da,  wu  solchp 
parallelbildiingen  wirklich  vorliegen,  stammen  sie  aus  viel  jüngerer 
zeit  und  haben  sie  sich  in  ganz  anderer  weise  entwickelt.  Nach  Brau- 
ner soll  da,  wo  der  Singular  eines  nomens  endigend  auf  die  Stamm- 
silbe beute  in  der  raundart  länge,  der  pliiral  dagegen  kürse  aaf- 
weist,  die  dehnung  eine  ausgleichung  darstellen  für  den  Verlust  du 
endungsvokala,  welcher  nach  den  vorahd.  ausiautgesetzen  abfiel.  So  soH 
die  länge  des  Singulars  flS  gegenüber  fls  direkter  ersatz  für  abfall  ilus 
endungsvokals  von  *fiskax  sein.  Solchen  quantilätsunlerschied  zwiscfara 
Singular  und  phiral  in  der  heutigen  mundart  weiss  Brenner  zu  belegen 
aus  dem  „nordgauischen",  aus  Buchen  im  nördlichen  badisclicu  Franken 
(nicht  in  Württemberg,  wie  Brenner  meint),  aus  Schlesien  (Waniek 
ist  mir  leider  nicht  zugänglich).  Da  er  Kanffmann  doch  citiurt,  tut 
hätte  er  auch  das  schwäbische  zu  berücksichtigen  gehabt  mit  den 
belegen,  welche  Kaitffmann,  Schwab,  ma.  §  131  A.  aus  dem  osten  ton 
Schwaben  gibt 

untersucht  man  nun  aber  diese  dohnungsfrage  im  schwl- 
bisch-alemannischen  näher,  so  fallt  Brenners  erklärung  dabin.  Inner- 
halb  des  schwäbischen  gebietes  spcciell  habe  ich,  froilicb  an  sdir 
abgelegenem  orte  (Korrespondenzblatt  für  die  gelehrten-  und  realscbulen 
Württembergs  1887,  502  fgg.)  für  Renningon  bei  Leonberg  nachgewie- 
sen, dass  dort  dehnung  und  erhaltung  alter  kürze  von  den  folgenden 
lauten  abhängig  ist  Sieht  man  von  der  Stellung  von  7t  -i-  Spirans  ab,  wo 
für  das  schwäbisch -alemannische  gebiet  eigene  gosetze  gelten,  so  ist  v« 
einfacher  lenis,  einfacher  Spirans  und  einigen  konsonantengnippen  (beson* 
ders  r  -\-  konsonant)  dehnung  des  kurzen  vokals  eingetreten,  sonst  lA 
Tor  folgender  konsonanz  kürze  erhalten.  Dasselbe  hat  Wagner  für  ficol- 
lingen  (Programm  der  re-alanslalt  Reutlingen  1889.  ÖO)  gefunden.  Oi* 
eben  ausgegebene  „Geographie  der  schwäbischen  mundart"  von  Her- 
mann Fischer  (Tübingen  1895)  bestätigt  diese  dehnung  (§  13.  IS) 
fUr  das  schwäbische  gebiet  im  allgemeinen,  abgesehen  von  oiaem  bt- 
zirko  nördlich  des  Bodensees,  ungefähr  von  Lindau  über  Ravenslrorg, 
Kottweil  und  weiter  nach  westen,  weicher  in  gewissen  werten  bei  heu- 


AUSQLEICUUNa   DKS   SILDENQR WICHTS  517 

tigern  inlaut  auch  vor  lenis  kürze  hat  gegen  länge  bei  heutigem  aus- 
laut,  so  sägd  :  i  säg.  Neben  der  im  allgemeinen  geltenden  dehnung 
vor  lenis  bez.  bestimmten  konsonantengruppen  hat  aber  der  schwäbische 
Osten  noch  eine  zweite:  dort  wird  auch  vor  den  sonst  die  dehnung 
verhindernden  konsonanten  gedehnt,  falls  die  tonsilbe  schon  mhd.  im 
auslaut  stand;  andernfalls  ist  kürze  erhalten,  also  köpf  sing,  :  köpf^pluv,^ 
entsprechend  Brenners  ftsch  sing,  und  fwch  plur.  Fischers  karten 
geben  jetzt  die  genaue  grenze,  etwa  von  Ohlstadt  an  der  Loisach  über 
Ober-Diessen,  Ulm,  Wiesensteig  nach  Murrhardt  und  im  fränkischen 
weiter  über  Berlichingen  hin  nach  norden.  Auf  alemannischem 
boden  erscheint  dehnung,  wo  es  überhaupt  zu  solcher  kam,  teils  vor 
einfacher  lenis,  auch  r  +  konsonant,  ohne  rücksicht  auf  inlaut  und 
auslaut;  so  in  Basel  (Heusler,  Alem.  konsonantismus  von  Basel;  Ed. 
Hoffmann,  Mundartlicher  vokalismus  von  Basel)  und  in  Bricnz,  wo 
überhaupt  sehr  wenig  gedehnt  wird,  doch  vor  r  +  konsonanz  (Peter 
Schild,  Brienzer  ma.  1).  In  einem  andern  teile  bevorzugt  die  deh- 
nung die  Stellung  im  auslaut,  so  ist  in  Kerenzen  vor  lenis  im  auslaut 
die  dehnung  viel  verbreiteter  als  vor  lenis  im  inlaut  (Winteler, 
Kerenzer  ma.).  Doch  haben  wir  auch  dehnungen  im  inlaut  gegen  kürze 
im  auslaut,  so  in  Ottenheim  (Heimburgor,  Mundart  von  Ottenheim, 
Beiträge  XIII,  211  fgg.)  und  spuren  davon  auch  in  Brienz.  Vor  n  +  Spi- 
rans wird  alte  kürze  schwäbisch -alemannisch  im  allgemeinen  wie  mhd. 
länge  behandelt.  Somit  zeigt  sich  im  schwäbisch -alemannischen  Sprach- 
gebiet weit  verbreitet  ein  streben  nach  dehnung  betonter  kürze.  Abge- 
sehen von  der  Stellung  vor  71  -j-  spirans  war  das  durchdringen  der 
dehnung  besonders  begünstigt  durch  die  positiim  vor  einfacher  konso- 
nanz und  durch  die  Stellung  im  wortauslaut.  Es  gibt  bezirke,  in  wel- 
chen die  dehnung  sowol  vor  einfacher  konsonanz  als  im  auslaut  durch- 
drang, also  nur  vor  mehrfacher  konsonanz  im  inlaut  kürze  erhalten 
blieb.  Es  gibt  andere  bezirke,  über  wolclio  sii'h  nur  eine  von  beiden 
längen  verbreitete,  wider  andere,  weicht^  gar  ni(»ht  (lohnten  oder  andei-s 
verfuhren,  über  die  dehnungsverhältnissi»  ilor  von  HiHMtner  beigezoge- 
nen fränkischen  und  nordgauiscIuMi  lMV.irkt>  erlialton  wir  keine 
genügende  auskunft.  Dass  dicsc^lbrn  im  auslaut  tlohnon,  ist  nicht  zu 
bestreiten,  aber  wie  sie  vor  (»infachtM'  konsonanz  im  inlaut  verfahren, 
ist  nicht  klar.  Breunig  (s.  .'{f))  sa;^!  üImm'  lUichon  st^hr  unbestimmt: 
„das  von  Paul  aufgest(?llto  gcsot/,  »lass  in  f,M^sohU»sstMun'  silbe  die  kürze 
bleibt,  in  offener  dagegen  dolnnm^V  oiniiitl»  hat  in  unsoivni  dialekt 
nicht  unbedingt  statt.  Man  «larl*  ohor  da?»  ^v^Mileil  annohn\en,  wenn 
man  mit  dem  Stammwort  din  pluraUonu  vei>^leieht**,  und  die  von  ihm 


518 

aufgeführtoQ  belege  mit  einfacbor  koososanz  bez.  r  -f  konsooiBt  ia 
inlaut  zeigen  teils  lan^  teils  kürze.  Auch  was  Himmelstoss  fiW 
Westböhmen  gibt  (Bayerns  ma.  I,  61  fgg.),  genügt  Tür  unsere  znecb» 
nicht;  jedesfalls  führt  er  aber  auch  beispiele  für  iiitautende  dehnmif; 
vor  einfacher  konsonauz  auf.  Soviel  ergibt  sich  wenigslenB,  dass  mu 
auch  für  diese  munUarten  kein  recht  bat,  die  dehnting  im  inlaut  za 
ignorieren.  So  hat  man  heute  die  zeitliclie  beetiramung  und  die  erkli- 
nmg  der  dehnung  zunächst  einmal  für  das  schwäbiseh-alemanniecbe 
XU  versuchen.  Geht  man  unbefangen  daran,  so  rouss  es  sich  um  fol- 
gende momonte  handeln.  In  ahd.  und  mhd.  zeit  h'effen  wir  keine  q«ir 
der  beiden  dehnungsweiseii.  Ob  dieselben  wesentlich  gleichzeitig  and, 
oder  betrüchüich  auseinander  fallen,  ist  nicht  aus  inneren  gründen  za 
entscheiden,  aber  zunächst  wird  mau  doch  wenigstens  an  eine  gleich 
artige  tendenz  auf  dehnung  denken,  welche  vor  einfacher  konsommt 
und  im  anstaut  am  leichtesten  durchdrang.  Bestimmtere  zeitliche  gres- 
zen  erhalten  wir  durch  die  diphthongierung  von  i,  ü  und  durch  die 
apokope  des  alten  -e  der  endung.  Darüber  gleich  mehr  in  der  «B»- 
einandersetzung  mit  Brenner.  Nach  Brenner  soll,  wie  schon  gesagt, 
die  dehnung  im  auslaut  ein  ersatü  sein  für  den  verlust  der  germaoi* 
sehen  nominativ-endungssübo,  wozu  gleich  auch  die  accusativendung  in 
nehmen  wäre.  Die  anlange  des  Vorgangs  müssten  also  der  vorahd.  xeit 
angehören.  Bei  dieser  bypothese  hat  Brenner  zu  erklären,  wie  h 
kommt,  dass  die  neuen  längen  im  aiid.  und  mhd.  lücht  mit  den  jütni 
längen  zusammenfielen  und  nicht  mit  letzteren  diphthongiert  wnrdtSL 
Deshalb  redet  Brenner  für  die  erate  zeit  nur  von  „Verstärkung"  nnil 
für  nacblier  will  er  damit  helfen,  dass  bei  den  alten  längen  der  dipb- 
thongieruug  eine  periode  geschleifter  betonung  vorausg^angeu  sein  soll, 
so  dass  auf  diese  weise  die  alten  geschleiften  längen  von  den  ni>ua 
gestoBsenen  geschieden  blieben.  Diese  ansetzung  von  goscbleiftar 
länge  vor  der  diphthongierung  ist  ganz  richtig,  aber  damit  ist  die 
Schwierigkeit  keineswegs  beseitigt.  Zunächst  steht  die  behandluag 
alter  kürze  vor  n  -\-  Spirans  im  wege.  In  dieser  Stellung  liegt  heott 
sowol  im  inlaut  als  auslaut  diphthongierung  vor.  Dieser  process  mtisM 
jünger  sein  als  die  silbeugewichtsausgleichung  im  auslaut  Es  müssto 
also  ein  jüngerer  process  über  gestossene  länge  in  geschleifte  l&nge 
und  endlich  in  diphtbong  hin  übergeführt  haben,  ohne  dass  der  filtcn 
process  von  der  gestossenen  länge  aas  mit  weiter  gieng.  Und  tqbi 
seinen  Voraussetzungen  aus  muss  Brenner  mit  Streitberg,  Idg.  foncL 
m,  314  weiter  annehmen,  dass  hier  der  nasnlverlust  zur  debntlB; 
dos  kurzen   vokals  führt,   d.  h.  zu  gestossener  länge.      Woher   kolDMl 


AUSGLEICUUNQ  DES   SILDENÜE^ICHTS  519 

nun  aber  der  schwäbische  diphthong?  Die  sache  wird  also  sehr  com- 
pliciert.  Entscheidend  gegen  Brenner  ist  aber  das  Schicksal,  welches 
die  alten  längen  nach  seiner  hypothesc  haben  müssten.  Hätte  Bonner 
die  frage  nach  der  silbengewichtsausgleichung  bei  länge  in  der  ton- 
silbe  nicht  ausser  betracht  gelassen,  so  wäre  die  Unmöglichkeit  seiner 
aufetellungen  sofort  hervorgetreten.  Die  längen,  welche  von  haus  aus 
gestossenen  ton  haben,  müssten  bei  abfallender  endimgssilbe  so  gut 
wie  die  diphthonge  geschleift  werden.  Nirgends  findet  sich  aber  im 
schwäbischen  bei  den  germanischen  längen  eine  spur  dieser  Scheidung. 
So  müsste  man  endlich  vier  stufen  annehmen:  kürze,  „verstäi-ktor" 
laut  =  heutiger  länge,  gestossene  länge  =  heutigem  diphthong,  ge- 
schleifte länge  =  heutigem  diphthong.  Damit  kommt  man  doch  zu 
einem  unmöglichen  ende.  Weiter  müsste  sich  die  ausgleichung  des 
Silbengewichts  wol  zu  verechiedenen  Zeiten  widerholt  haben,  da  -a  frü- 
her abfiel  als  -i  und  -m  nach  langer  silbe.  Oder  sollen  die  -i-  und 
-t/-stämme  nur  der  analogie  der  -a-stämme  gefolgt  sein?  Endlich  ist 
mit  dem  neutrum  zu  rechnen.  Beim  neutrum  müssten  doch  sowol 
Singular  als  plural  verstärkt  sein.  Und  die  Verstärkung  müsste  auch 
schon  wirksam  gewesen  sein,  als  das  suffix  -ir  antrat,  also  müssten 
heute  auch  die  plurale  auf  -er  lang  sein.  Oder  soll  im  noutmm  nach- 
träglich eine  difterenzierung  nach  analogie  des  masculinums  platz  gegrif- 
fen haben?  Brenner  hätte  auch  zu  dieser  frage  Stellung  zu  nehmen 
gehabt  Umbildung  durch  analogie  ist  übrigens  hier  nicht  unwahr- 
scheinlich, da  beim  femininum  zum  teil  zweifellos  solche  vorliegt.  Kauff- 
mann,  Schwab,  ma.  §  131  A.  nennt  hrük  <  nihd.  brücke. 

Gegenüber   all   den   Schwierigkeiten,   welche  Brenners  hypothese 
entgegenstehen,   hat  man  einen  andern  weg  zu  gehen.     Die  verschie- 
dene  gestaltung   der   dehnung   in    den  einzelnen  bezii'ken  des  schwä- 
bL<^ch- alemannischen  weist  schon  darauf  hin,  dass  der  process  jung  ist 
Nur  die  dehnung  vor  n  +  spirans  ist  innerhalb  des  schwäbischen  vor 
beginn  der  diphthongierung  der  alten  längen  anzusetzen.    Die  übrige 
dehnung  muss  jünger  sein,  da  hier  die  neue  länge  nicht  mit  der  alten 
länge  in  diphthong  weiter  gieng.     Da  aber  andererseits  kein  Zweifel  seiü 
kann,    dass  die  dclmung  im  auslaut  ursprünglich  nur  die  schon  ttM 
auslautenden  formeii  getroffen  hat,  so  niuss  die  dehnung  yot  ab&U  der 
endungs-e  ihren  anfang  genommen  haben. 

Damit  ist  uns  eine  sehr  beachtenswerte  frage  gesteOt.  vi:.  ;;,i 
H.  Fischer  sclion  (ierniania  30,  125  und  Geographie  d.  hciv;.-, 
ma.,   s.  21,   uoto  0   aufgeworfen    liat.     Die    anfange   des  diphii:  i^--. 


520  BOHNENBERQER 

ruDgsprocesses  müssen  schwäbisch  vor  den  abschluss  der  apokope  des 
endungs-e  fallen.    Nun  gehören  die  ältesten   heute   bekannten    belege 
für  die  diphthongierung  in  die  zweite  hälfte  des   13.  Jahrhunderts   is. 
Kauffmann,  Schw.  ma.  §  76.  82)  und  die  apokope  des  e  nach  langem 
vokal  und  nicht-liquida  setzt  man  gewöhnlich  ins  12.  Jahrhundert.    Die 
konsequenzen,   welche   sich  aus  der  dehnung  alter  kürzen  im  schwä- 
bischen ergeben,  erscheinen  mir  aber  so  sicher,  dass  man  genötigt  ist, 
das  altersverhältnis  von  diphthongierung  und  apokope  für  das  schwä- 
bische darnach  zu  regulieren.     Hiezu  kann  man  zunächst  bei  der  diph- 
thongierung ansetzen,  und  damit  helfen,  dass  man,  wie  auch  Brenner 
tut,   der  eigentlichen  diphthongierung  eine  periode  der  länge  mit  fr^^ 
schleifter  beton ung  vorausgehen  lässt.     Es  müssen  ahd.  f,  ü  schon  vnr 
der  Vollendung  der  apokope  geschleiften  ton  gehabt  haben   und  diese 
geschleiften   längen   müssen   durch  ihren  accent  von  den  gostnssenen, 
neu  entstiindenen  längen  geschieden  geblieben  sein.     Auf  einige  gene- 
rationen  solche  doppellaute  getrennt  neben  einander  anzunehmen,  scheint 
mir  unbedenklich,  wenn  mir  auch  ein  solches  Verhältnis  auf  viele  Jahr- 
hunderte,  wie  es  Brenner  annehmen  muss,    auf  oberdeutschem  boden 
unwahrscheinlich  ist     Andererseits  wird  geschleifte  betonung  der  län- 
gen erst  zu  einer  zeit  sich  entwickelt  haben,  als  alte  kürze  vor  ;z  +  Spi- 
rans schon  gedehnt  war.     Dies  ist  wenigstens  die  einfachste  erkläninir 
für  schwäbischen  diphthong  <  ahd.  kürze.     Es  sdieint  mir  aber  auch 
gar  nicht  ausgemacht,  ob  nicht  an  der  zeitlichen  fixierung  der  apokope 
noch  zu  korrigieren  ist     Die  frage  ist  jedesfalls  mit  rücksicht  auf  das 
verfahren  der  dehnung  neu  zu  untersuchen. 

Müssen  wir  aber  auf  schwäbischem  boden  den  diphthongierungs- 
process  im  weitesten  sinne  mit  entstehung  geschleifter  länge  beginnen 
lassen,  so  ist  nun  die  frage  nach  der  herkunft  der  diphtlionge  enb>pre- 
chend  umzugestalten.  Es  handelt  sich  nicht  mehr  allein  darum,  ob 
der  eigentliche  diphthong  selbständig  auf  schwäbischem  boden  erwach- 
sen ist  oder  aus  Baiern  übernommen  wurde,  sondern  die  frage  nach 
selbständiger  entstehung  oder  übernähme  ist  schon  bei  der  Vorstufe, 
der  geschleiften  länge,  aufzuwerfen.  Es  ist  ein  dringendes  bedürfnis, 
dass  die  geschichte  von  ahd.  /,  ü  auf  österreichisch- bairischem  boden 
einmal  genauer  untersucht  wird.  Alle  übrigen  angrenzenden  deut- 
schen mundarten  sind  an  der  frage  mit  beteiligt.  Endlich  darf  für 
die  frage  nach  der  anordnung  von  dipthongierung  und  apokope  auch 
in  rechnung  gezogen  werden,  dass  die  dehnung  im  anlaut  im  osten 
des  schwäbischen  gebietes  zu  hause  ist,  wo  wir  auch  den  diphthong 
zuei-st  nachweisen  können. 


i 


AU8Q LEICHUNO   DKS   8ILUENÜ  EWICilTS  521 

Bei  den  längen  des  gerin.  wirft  Brenner,  wie  schon  gesagt,  die 
frage  nach  ausgleichung  des  silbengewichts  gar  nicht  auf.  Dagegen 
sollen  sich  bei  den  diphthongen  formen,  welche  auf  geschleiftem, 
und  solche,  welche  auf  gestossenem  accent  beruhen,  gegenübei*  stehen, 
und  eretere  sollen  den  oi-satz  für  die  abgefallene  nominativ-endungs- 
silbe  enthalten.  An  belogen  für  heute  noch  voriiandenen  Wechsel  kann 
Brenner  nur  nordgauisch  ua  :  oi  (oc)  <  gemi.  al  geben.  Es  sollen  aber 
auch  schwäbische  doppelformen  für  germ.  fl^  =  ahd.  ei^  für  germ.  ai 
=  ahd.  e  und  germ.  au  =  ahd.  ö  ursprünglich  auf  den  Wechsel  von  for- 
men mit  gestossenem  und  mit  geschleiftem  accent  als  ersatz  für  verlorene 
gerjuauische  endungssilbe  zurückgehen.  Nun  keimen  wii-  aber  allmäh- 
lidi  die  schwäbisch -alemannische  mundart  genau  genug,  um  stricte 
sagen  zu  können:  heute  liegen  diese  doppelformen  nur  in  lokaler  son- 
derung vor,  wir  haben  auch  nicht  den  geringsten  anhält  dafür,  dass 
sie  einst  innerhalb  desselben  bezirks  im  flexionswechsel  neben  einander 
gestiinden  haben,  und  je  mehr  wir  in  unserer  mundart  derartige  doppol- 
formen  kennen  lernen,  welche  nur  lokal  getrennt  vorliegen  und  kei- 
nerlei anlialt  für  ehemalige  andersai'tige  anordnung  geben,  desto  siche- 
rer haben  wir  auch  die  lokale  Sonderentwicklung  als  das  ursprüngliche 
anzusehen.  Es  wird  ja  niemand  einfallen  heutiges  l :  ji  <  mhd.  /,  heu- 
tiges ü  :  QU  <  mhd.  w,  heutiges  id  :  ü  :  ä  (()  <  ahd.  ia  auf  ehema- 
lige doppelformen,  welche  nach  flexi onsformen  wechseln,  zurückzufüh- 
ren. Und  ebenso  unmöglich  ist  dies  bei  ao  :  ö  :  ö  <  mhd.  ä.  Im 
einzelnen  hier  auf  die  frage  nach  den  Vertretern  von  ei,  ^7,  ö  einzuge- 
hen, ist  nicht  nötig.  Fischers  geographie  hat  den  heutigen  bestand 
nicht  nur  für  das  schwäbische,  sondern  auch  für  einen  beträchtlichen 
teil  des  alemannischen  genau  verzeichnet  Darüber  hinaus  können 
heute  höchstens  noch  vei^suchen,  die  Zwischenstufen  zu  eruieren, 
zu  den  heutigen  lauten  führten.  Für  die  schwäbischen  formen  ergebeo 
folgende  entwicklungsreihen:  1)  r/ >  r?/ >  o/' >  o^?  >  Oi?,  2)  ff>  f> 
weiter  entweder  >r/i>a^',  oder>rr^>fv,  3)  o>  ö>  ou,  dann 
'>au>'ao,  oder>  oo>  oj.  Die  form  r,><ahd.  i!  und  oa<abd.  f- 
che  Fischer  §  29  für  den  osten  südlich  der  Donau  gibt,  nikiat  uiz, 
eher  aus  pj^  p,y  ableiten  als  direkt  aus  (7,  ö,  doch  ist  ja  maet  /  ^ 
ei  >  eo  und  ö  >  (tu  >  oj  mr)gUch.  In  or  >  oo^  co  p9,  i 
leduktion  des  zweiten  bestaiidteiles  des  diphthongs  zu  9 
vo^  ic7>  Schwab.  11/^  10  (vgl.  Kauffmann,  Schwab,  ma.  §ltf^  ii  :.-:.• 
ersten  reihe  ist  der  gebietsteil  mit  o.i  einfach  über  da  ac  vt  :_■- 
ausgegangen,  in  der  zweiten  und  dritten  reihe  trat 
sowol  die  gebietsteile  mit  heutigem  «<?,  a(\   als  die 


*.' 


522  BOHNSNBERQEB 

von  pu^  ^  aus.  Die  Ursachen  dieser  ganzen  entwicklung  kennen  wir 
nicht.  Wir  mögen  wol  mit  KaufiFmann  den  verschiedenartigen  heutigen 
bestand  auf  verschiedene  tonverhältnisse  zurückführen,  aber  immer 
müssen  dieselben  so  gewirkt  haben,  dass  sie  je  an  einem  orte  den 
ganzen  bestand  trafen.  Gibt  hienach  die  geschichte  dieser  laute  kei- 
nerlei anhält  zur  Verwendung  in  Brenners  sinn,  so  spricht  der  compli- 
cierte  entwicklungsgang,  zu  welchem  wir  nach  Brenner  geführt  wür- 
den, geradezu  dagegen,  und  zuletzt  widerspricht  Brenner  seinen  eige- 
nen Voraussetzungen.  Die  alten  diphthonge  sind  in  ahd.  ^,  ö  monoph- 
thongiert und  sollen  nach  Brenner  die  accentverschiedenheit  im  monoph- 
thong  fortgesetzt  haben,  sie  sind  wider  diphthongiert  worden  und  sol- 
len auch  da  die  uralte  Verschiedenheit  von  geschleifter  und  gestossener 
betonung  bewahrt  haben,  durch  mehrere  stufen  weisen  die  formen  mit 
verschiedenem  accont  doch  dieselben  laute  auf,  heute  haben  wir  lokal 
getrennt  verschiedene  entwicklimgsstufen,  und  darin  soll  nun  doch  noch 
der  alte  accent  zum  ausdruck  kommen.  Diese  complicierte  entwick- 
lungsgeschichte  macht  ihrerseits  Brenners  annähme  so  gut  wie  unmög- 
lich. Weiter  beruht  aber  nach  Brenner  die  diphthongierimg  von  mhd 
^,  ü  auf  geschleifter  betonung,  nun  soll  aber  bei  ^  und  ö  nur  der  eine 
der  beiden  heutigen  paralleldiphthonge  diesen  accent  voraussetzen,  der 
andere  gcstossenen.  Hier  kommt  Brenner  also  geradezu  in  widei-spruch 
mit  sich  selbst.  So  bleibt  allein  noch  der  von  Brenner  beigezogene 
Wechsel  von  nordgauisch  lo  :  oi  <  germ.  ai  in  singular  :  plural.  Nun 
ist  aber  klar,  wenn  die  übrigen  belege  für  die  von  Brenner  aufgestellte 
ausgleichiing  des  silbengewichts  nicht  stand  gehalten  haben,  so  ist  auch 
dieser  einzelne  fall  nicht  darauf  zurückzuführen,  sondern  als  jung  an- 
zusehen, so  gut  wie  der  Wechsel  von  länge  und  kürze  in  singular  und 
plural.  Über  die  frage  uo  :  oi  liegen  seither  weitere  äusserungen  vun 
Nagl  und  Brenner  (Beitr.  XIX)  vor.  Ich  will  nicht  ins  nordgauische 
und  bairisch- österreichische  hinübergreifen  und  bemerke  nur,  dass  das 
schwäbisch  -  alemannische  eine  entwieklungsreihe  ai  >  oi  >  oj  >  ii* 
kennt. 

Brenner  und  noch  mehr  Streitberg  haben  an  ihre  sätze  über 
ausgleicliung  dos  silbengewichts  erwägungcn  der  allgemeinsten  art 
angeknüpft.  Brenner  (s.  299)  fragt,  ob  es  überhaupt  denkbar  sei,  da^:? 
ein  wort  auf  rein  lautlichem  wege  einen  teil  abgibt,  ohne  ihn  irgend- 
wie zu  ersetzen,  und  Streitberg  ergeht  sich  zum  schluss  seiner  miter- 
snchung  (s.  410)  in  schönen  worten  über  ,,jenes  grosse  gesetz.  das 
nichts  untergc^luMi  lässt,  was  einmal  ins  dasein  getreten  ist.**  Ich  mei- 
nerseits könnte  mir  keinen   grossen  gewinn  davon  versprechen,   wenn 


Aü80LEICHUNa  DES  SILBSNaSWICHTS  523 

es  mode  werden  sollte,  sich  in  sprachlichen  dingen  auf  das  gesetz  der 
erhaltung  der  kraft  zu  beziehen.  Auch  ist  diese  bezugnahrae,  genau 
angesehen,  gar  nicht  richtig.  Nicht  die  spräche  ist  selbständiges  Sub- 
strat der  kraft,  welche  sich  gleich  bleiben  soll,  sondern  substrat  der- 
selben ist  der  sprechende,  der  mensch,  und  in  ihm  kann  doch  die 
kraft,  welche  einmal  der  spräche  zukommt,  ein  andermal  in  andere 
gebiete  übertreten.  Greift  man  aber  auch  nicht  soweit  hinaus  in  prin- 
cipielle  erwägungen,  so  erhebt  sich  doch  bei  Streitbergs  gesetz  und 
etwaigen  entsprechenden  fällen  der  silbengewichtsausgleichung  die  frage: 
wie  sind  die  verschiedenen  hier  in  betracht  kommenden  momente 
kausal  zu  verknüpfen?  Wjjs  ist  die  Wirkung  und  was  die  Ursache, 
dehnung  bez.  geschleifte  betonung  der  tonsilbe,  oder  morenverlust  in 
der  nachtonsilbe,  oder  aber  liegt  die  sache  gar  nicht  so  einfach,  dass. 
sich  kurzweg  der  eine  Vorgang  als  Ursache,  der  andere  als  Wirkung 
bestimmen  lässt?  Streitberg  selbst  deutet  mehrfach  an,  dass  er  den 
grund  für  die  Schwächung  der  nachtonsilbe  im  wortaccent  sehe  (so 
8.  314),  er  zieht  auch  Kretschmers  ausdruck  von  der  progressiven 
accentwirkung  bei.  Ich  glaube  ebenfalls,  dass  der  anfang  der  bewe- 
gung  in  dem  wortton  zu  suchen  ist.  Der  hauptton  nimmt  für  die  von 
ihm  getrofFene  silbe  ein  so  starkes  mass  des  exspirationsstromes  in 
anspruch,  dass  für  die  unmittelbar  folgende  silbe  nur  wenig  bleibt, 
und  deren  vokal  der  gefahr  der  reduktion  oder  völligen  Unterdrückung 
ausgesetzt  ist  Aber  wie  kommen  wir  von  da  auf  die  dehnung  der 
tonsilbe,  um  zunächst  von  der  geschleiften  betonung  abzusehen?  Dass 
die  Schwächung  oder  Unterdrückung  des  vokals  der  nachtonsilbe  die 
bedingung  für  die  dehnung  des  tonvokals  ist,  bildet  die  grundlage  von 
Streitbergs  gesetz,  aber  daraus  folgt  nicht,  dass  diese  Unterdrückung 
des  vokals  der  folgenden  silbe  auch  die  ausreichende  Ursache  für  die 
dehnung  des  tonvokals  ist.  Wäre  dieses  der  fall,  so  läge  regressive 
Wirkung  vor.  Der  morenverlust  würde  zurückwirken  auf  die  frü- 
her gesprochene  silbe.  Mit  recht  betont  Streitberg  (s.  315),  dass  eine 
regressive  Wirkung  in  der  spräche  ein  wesentlich  psychischer  Vor- 
gang ist.  So  verständlich  mir  nun  aber  erscheint,  dass  man  die 
vorausgehende  silbe  reduciert,  wenn  man  die  auftnerksamkeit  und 
die  absieht  starker  exspiration  schon  der  folgesilbe  zuwendet,  so 
unwahrscheinlich  ist  mir  die  dehnung  der  vorhergehenden  silbe  allein 
aus  dem  gründe,  weil  man  schon  im  voraus  auf  die  ersparnis  der 
nächsten  more  rechnet.  Die  silbe,  welche  den  wortton  trägt,  tritt 
hervor  und  findet  besondere  beachtung,  sie  kann  daher  auch  eine 
ihr  vorhergehende    silbe   beeinflussen,    aber  nicht   wahrscheinlich   ist 


524  BOHNBNBKROER,   AU8GLEI0HIJN6  DIS  SILBENGEWICHTS 

mir,  dass  man  die  behandlung  einer  anbetonten  silbe  so  sehr  schon 
im  voraus  in  rechnung  zieht,  dass  man  für  die  reducieriing  dieser 
Silbe  schon  in  der  vorausgehenden  tonsilbe  ersatz  schafft  So  scheint 
es  mir  wahrscheinlicher,  dass  auch  für  die  dehnung  der  tonsilbe 
nach  Streitbergs  gcsetz  deren  wortton  direkt  beizuziehen  ist  Der 
hauptton,  welcher  der  silbe  grössere  exspiratorische  kraft  verschafft, 
kann  auch  auf  dehnung  hindrängen.  Andererseits  soll  aber  offenbar 
im  idg.,  und  wo  sonst  solche  ausgleichung  des  silbengewichts  gilt,  das 
gewicht  der  wortform  in  der  fortlaufenden  rede  nicht  verändert  werden. 
So  kann  die  dehnung  nur  da  wirklich  eintreten,  wo  zugleich  die 
nächste  silbe  erleichtert  werden  kann.  So  wäre  also  dehnung  der  ton- 
silbe und  reduktion  der  nachtonsilbe  gleichermassen  Wirkung  des  wort- 
accentes.  Auch  nach  dieser  auffassung  muss  die  spräche  bei  der  deh- 
nung der  tonsilbe  schon  mit  dem  werte  der  folgenden  silbe  rechnen, 
aber  sie  tut  es  nun  nicht  in  rücksicht  auf  die  gcwichtloso  unbetonte 
silbe,  sondern  in  rücksicht  auf  die  gewichtige  tonsilbe.  Auch  den 
Übergang  von  gestossener  in  geschleifte  betonung  in  ursprünglich  lan- 
ger betonter  silbe  bei  ausfall  der  nächsten  more  wird  man  auf  Wir- 
kung des  worttones  und  zugleich  auf  quantitative  Vorgänge  zurückzu- 
führen haben,  wenn  man  nicht  auf  eine  einheitliche  erklärung  von 
Streitbergs  gesetz  verzichten  will.  Wie  der  hauptton  bestrebt  ist  die 
kurze  silbe  zu  dehnen  und  von  einer  auf  zwei  moren  zu  bringen,  so 
drängt  er  auf  weitere  ausdehnung  der  langen  silbe  gegen  das  mass 
von  drei  moren  hin.  Der  überlange  laut  bevorzugt  dann  geschleifte 
betonung,  da  man  nicht  leicht  gestossenen  ton  über  drei  moren  hin- 
zieht Es  ist  hiemach  also  nicht  der  silbenton  der  ausgeworfenen 
silbe  auf  die  hauptsilbe  herübergenommen  worden,  sondern  er  ist  mit 
seiner  silbe  ausgefallen,  so  gut  wie  bei  vorausgehender  ursprünglich 
kurzer  silbe,  und  es  hat  die  betonte  übergedehnte  silbe  aus  sich  her- 
aus geschleiften  accent  entwickelt.  An  lebenden  mundarten  mit  ge- 
schleiftem ton  bei  silbenverlust  (z.  b.  der  Kieler  mundart,  Idg.  forsch. 
III,  317)  müsste  sich  diese  erklärung  nachprüfen  lassen. 

TCbINüEN,   MAI    1895.  K.    BOHNKNBEKOER. 


WAOSTEIN,  BEITRÄGE  ZUR  WESTGERMANISCHEN  WORTKÜNDS.  I  525 

BEITEÄGE  ZUE  WESTGEEMANISCHEN  WOETKUNDE. 

I. 

Nhd.  gären. 

Dieses  wort  und  besonders  isl.  gerä  „gest,  hefe"  sind  nach  Kluge, 
Et  wb.,  hinsichtlich  des  anlautenden  g  auffällig,   da  die  Wörter  nicht 

gern  von  ahd.  jesaUy  schw.  jäsa  (ja aus  aschwed.  ia  —  durch  nord. 

brechung  entstanden),  dial.  esa^  norw.  dial.  cesa  usw.  „gären"  getrennt 
werden  können.  Die  ^r -formen  können  indessen  aus  bildungen  mit 
^ra-präfix  entstanden  sein.  Ein  urg.  *ja'iaxian  kann  nämlich  (vgl. 
Paul,  Mhd.  gram.  §§61  und  73)  nhd.  gäreii  ergeben  haben.  Ebenso 
kann  isl.  ^ercf  aus  urg.  *  ja- ia^-ipö  {>*S'i'>*g')  entstanden  sein;  über 
t-umlaut  in  bildungen  auf  -ipö  vgl.  PBr.  Beitr.  XVn,  415.  Die  hier 
vorausgesetzte  ablautform  urgerm.  tos  liegt  im  ahd.  jerian  vor. 

Nhd.  gaul. 

Von  diesem  worte  gibt  Kluge,  Et  wb.,  keine  etymologie.  Die 
bedeutungen  des  wertes  gehen  auch  ziemlich  weit  auseinander.  Im 
nhd.  schwankt  seine  bedeutung  zwischen  „elendes  pferd"  (so  schon  im 
14./15.  jahrh.)  und  „stattliches  pferd'',  auch  „reit-  und  arbeitspferd" ; 
im  Schwab,  bedeutet  gaul  „pferd"  überhaupt,  im  nndl.  hat  das  ent- 
sprechende guil  die  bedeutung  „eine  noch  nicht  trächtig  gewesene  stute" 
(vgl.  Kluge  a.  a.  o.).  Das  wort  kommt  auch  im  schwed.  vor  (aus  dem 
nd.  entlehnt):  aschw.  gul  „pferd",  nschw.  dial.  gule  „schlechtes  pferd", 
gula  „alte  stute",  (auch  kula,  mit  k  aus  g  in  Stellung  nach  s,  t  in  Zu- 
sammensetzungen wie  hästkula,  hueslagskula  entstanden,  vgl.  Bugge, 
PBr.  Beitr.  Xin,  167;  hierher  gehört  gewiss  auch  schw.  dial.  e^ivis- 
kula  „eigensinniger  mensch",  vgl.  avunsgula  „eifersüchtiger*  mensch", 
Bietz  s.  222).  Im  mhd.  bedeutet  indessen  das  entsprechende  wort:  gül 
„eher",  daneben  indessen  auch  „männliches  tier  überhaupt",  und 
die  letztere  bedeutung  dürfte  in  der  tat  die  ursprünglichere  sein. 

Das  hier  besprochene  wort  stellt  sich  nämlich  gut  zu  der  idg. 
Wurzel  ghu  (wozu  wie  bekannt  z.  b.  gr.  x^'w  „giessen",  isl.  giöta  „gies- 
sen",  auch  „junge  werfen",  nhd. giessen  usw.)  und  bedeutet  also  eigent- 
lich „ausgiesser,  besprenger"  (über  das  suffix  -^  vgl.  Kluge,  Stammb. 
§  188),  eine  ursprüngliche  bedeutung,  welche  wie  bekannt  bei  Wörtern 
für  „männliche  tiere"  sehr  häufig  ist;  vgl.  besonders  isl.  goie  „pferd" 
von  derselben  wurzel  (s.  Lettner,  K.  Z.  V,  153  fgg.;  nach  Bugge,  Ant 
tidskr.  f.  Sverige  V,  136,  Vitterh.  bist  o.  ant-akademiens  handl.  XXXI,  3 
21,  dürfte  isl.  gote  „gotisches  pferd"  bedeutet  haben,  was  indessen  auf 


526  WADSTsm 

einer  späteren  Volksetymologie  beruht  haben  kann;  für  Lettners  ety- 
mologie  von  gote  spricht  auch  neu-norw.  dial.  gaatte,  gaatiefisky  goi- 
fish  „fisk  som  gyder");  über  andere  Wörter  für  „männliche  tiere"  von 
derselben  ursprünglichen  bedeutung  vgl.  z.  b.  Hellquist,  Etymologische 
bemerkungen,  Gefle  1893  (schulprogramm)  s.  VIII. 

Was  die  spätere  bedeutung  „stute"  (im  ndl.  guily  fem.,  schw. 
gula,  fem.)  betrifft,  ist  dieselbe,  nacjidöm  das  wort  erst  (wie  im  schwäb.) 
die  bedeutung  „pferd  überhaupt"  be'kommen  hat,  sehr  erklärlich.  Die 
erwähnten  ndl.  und  schw.  Wörter  sind  nämlich  ganz  einfach  feminina, 
welche  man  zu  dem  mask.  werte  von  dieser  allgemeinen  bedeutung 
geschaffen  hat.  Die  hie  und  da'  auftretende  bedeutung  „schlechtes 
pferd"  erklärt  sich  aus  volksetymologischer  einwirkung  eines  ähnlichen 
Stammes  (der  vielleicht  zu  derselben  wurzel  gehört)  von  der  bedeutung 
„lose,  weich,  schlecht",  der  im  ostfries.  gul  „lose,  weich  usw.",  mndl. 
guyl  „lafaard",  nhd.  gaulig  „widerlich",  gaufl)  licht  „unschlittlicht"  vorliegt 

Nhd.  geifern,  geifer,  geifeln,  geifel 
sind  nach  Kluge,  Et.  wb.  (geifer)  dunklen  Ursprungs.  Folgende  nonL 
verwandten  hellen  sie  aber  auf:  isl.  geipla  „loses  geschwätz",  schw. 
dial.  gepa,  gipa  „plappern,  den  mund  nicht  rein  halten  können"  (vgl. 
j\hd,  geifern  „schwatzen"),  schw.  dial.^^i^a  „einen  angrinsen,  zum  narren 
machen",  norw.  geipla  „neckend  plagen"  (vgl.  nhd.  geifeln  „spöttisch 
lachen").  Diese  verba  bedeuten  offenbar  eigentlich  „den  mund  öff- 
nen" (vgl.  schw.  diaL  gipa  „mundwinkel",  „gaffen"  u.  nhd,  geifen)^  dann 
„schwätzen"  (vgl.  schw.  gapa  „gaffen",  dial.  „schwätzen")  und  auch 
„bespotten".  Was  nhd.  geifer  und  geifel  „ausfliessender  spcichel"  betrifPt, 
so  dürften  diese  nord.  w^örter  auch  zeigen,  dass  Grimms  Wb.  im  recht 
ist,  da  es  (mit  hinweis  auf  mlat.  oscedo,  dass.,  eigentlich  „gähnsucht") 
dieselben  zu  geifen  „gaffen"  stellt,  denn  diese  subst  (mit  den  verben 
entsprechender  bedeutung)  sind  natürlich  von  den  von  mir  zuerst  ange- 
führten Wörtern  nicht  zu  trennen. 

Nhd.  haschen. 
Die  deutung  dieses  wertes  ist  bis  jetzt  unsicher  gewesen.  Nach 
Kluge,  Et.  wtb.  wäre  Zusammenhang  mit  haft  und  liebe?i  (lat  capio) 
wahrscheinlich.  Dass  ein  *hafskön  zu  nhd.  haschen  führen  würde,  ist 
indessen  nicht  sicher  erwiesen.  Mit  hilfe  eines  bis  jetzt  ui^beachteten 
verwandten  wertes  dürfte  aber  eine  zuverlässigere  etymologie  gefunden 
werden  können.  Es  ist  dies  schwed.  dial.  hask  „einem  dinge  nachlaufen 
um  es  einzuholen";  vgl.  die  bedeutung  des  nhd.  haschen  „et>vas  sich 
bewegendes  mit  geschwindigkeit  greifen  oder  es  zu  ergreifen  streben*. 


BEITRÄQE   ZUR  WESTGERMANISCHEN   WORTKÜNDB.   I  527 

Wegen  der  bedeutung  des  schwed.  wertes  passt  es  ja  gut  diese  Wörter 
mit  ahd.  ha^en,  ha^on  ^ verfolgen*^,  asächs.  hatön  „nachstellen",  nhd. 
hassen,  schw.  hata  zusammenzustellen.  D.  haschen  und  schw.  dial. 
hcisk  verhalten  sich  hinsichtlich  der  mittleren  konsonanten  zu  nhd.  has- 
sen, schw.  hata  wie  z.  b.  isl.  beiskr  zu  got  baitrs,  isl.  bitr  oder  isl. 
Iqshr  zu  got  lats,  isl.  lair  usw.,  worüber  vgl.  Noreen,  Urg.  lautlehre 
§  35  anm.  und  die  daselbst  angeführte  litteratur. 

Nhd.  hode 

ist  nach  Kluge,  Etym.  wb.  dunklen  Ursprungs.  Ich  sehe  aber  nicht, 
warum  man  das  wort  nicht  zu  der  wurzel  s-ku  „bedecken,  bergen", 
wozu  wie  bekannt  u.  a.  nhd.  haut,  eigentlich  „hülle",  schote  „hülse  als 
Samenbehältnis"  aber  auch  von  den  samen  selbst:  „(grüne)  erbsen" 
stellen  könnte.  Dafür  scheint  auch  das  zu  dieser  wurzel  gehörige  isl. 
skiöäa,  agutn.  sciaujta  „beutcl"  (vgl.  auch  isl.  skaudir,  norw.  skau 
„scheide,  vorbaut")  zu  sprechen. 

Nhd.  kracke 

„schlechtes  pferd"  stellt  Kluge  mit  fragezeichen  zu  ndl.  kraak,  frz.  ear- 
raqtie  „art  schwerfälliger  handelsschiffe".  Das  wort  hat  indessen  nor- 
dische verwandte,  welche  diese  erklärung  unwahrscheinlich  machen.  .Es 
sind  diese:  schwed.  krake  „mageres,  elendes  pferd;  schwacher,  arm- 
seliger mensch",  schwed.  dial.  krakUgr  „schwach,  elend,  kränklich",  norw. 
krake  „kränkliches  oder  sehr  mageres  tier,  kleiner,  schwacher  mensch", 
krakeleg,  krakutt,  h^aklcjen  „schwach",  krakk-sitjande,  -scett  „infolge 
schwäche  oder  Invalidität  (immer)  sitzend",  krakk  „Stümper,  armer  elen- 
der mensch,  schlechtes  pferd",  kraica,  krakla  „(mit  mühe)  vorwärts 
krabbeln",  isl.  krakligr  „dünn,  schwächlich".  Ich  vermute,  dass  diese 
Wörter  denselben  stamm,  aber  ohne  nasal infigierung,  wie  nhd.  krank  (im 
mhd.  „schmal,  kraftlos,  schwach"),  ags.  aanc  „schwächlich,  gebrech- 
lich", isl.  krangr  „schwächlich"  enthalten.  Über  den  Wechsel  -g-^'-Ic-: 
'kk-  in  den  hier  angeführten  Wörtern  vgl.  Noreen,  Urgerm.  lautlehre 
§§44,  3  und  46,  3. 

Die  ursprüngliche  bedeutung  des  Stammes  germ.  krafnlg-,  kra(n)k- 
dürfte  „krimim,  biegsam"  und  daher  „schwächlich"  sein.  Dies  geht 
aus  folgenden  nord.  formen  hervor:  schwed.  kräkla  „krummstab", 
schwed.  dial.  kraka  „niedergebeugt  werden",  isl.  Icrake  „stange  mit 
einem  haken",  norw.  krake  „haken,  stange  mit  kurzen  abgeschnittenen 
zweigen  oder  haken,  worauf  man  Sachen  aufhängt",  schwed.  dial.  krake, 
krängla,  dass.  (vgl.  schw.  krängla  eigentlich  „sich  krümmen",  dann  in 
ftbertragener  bedeutung  „quengeln,  Schwierigkeiten  machen"). 


528  WADSTEIN 

Nhd.  schenken,  schenke!,  Schinken. 

Von  nhd.  schenken  wird  bei  Grimm,  D.  wb.  hervorgehoben:  „die 
bedeutung  „„flüssigkeit  in  ein  gefass  aus  einem  behältnis  fliesscn  las- 
sen, trank  eingiessen""  erweist  sich  durch  den  übereinstimmenden  ge- 
brauch der  altgermanischen  spräche  als  die  älteste." 

Was  die  etymologie  betrifft,  so  stellt  man  (s.  Kluge,  Et.  wb.)  nach 
J.  Grimms  Vorgang  (Kl.  sehr.  11,  179)  das  wort  zu  ags.  sceoncfa)  „bein- 
röhro'',  voraussetzend,  dass  beinröhren  in  der  ältesten  zeit  als  „bahn  am 
fass  benutzt  wurden;  schenken  wäre  daher  eigentlich  „den  hahn  ans 
fass"  setzen".  Diese  erklärung  überzeugt  mich  nicht  Erstens  ist 
es  ja  nur  eine  Vermutung,  dass  man  beinröhren  als  „hähne  an  fas- 
sern" benutzt  hat  und  femer  dürfte  in  frage  gestellt  worden  könneo, 
ob  man  dergleichen  einrichtungen  wie  fässer  und  hähne  schon  so  früh 
gehabt  hat,  wie  diese  erklärung  voraussetzen  muss.  Es  dürfte  deshalb 
nicht  überflüssig  sein  zu  versuchen,  eine  andere  etymologie  von  die- 
sem Worte  zu  geben. 

Ich  stelle  n\xA,  schenken,  schw,  skänka  usw.  zu  isl.  skakkr  (<*sfoi7?A'-), 
nach  Fritzner:  „skja>v,  hei  den  de  (vgl.  isl.  hella  unten)  mere  til  den 
eno  side"  (=  „schräge,  mehr  nach  der  einen  seite  hin  schief  stehend**), 
norw.  skakk,  schwed.  dial.  skakk,  skank  von  dereelbcn  bedeutung.  schen- 
ken bedeutet  also  eigentlich  „(ein  gefass)  schief  stellen,  und  dadurch 
den  inhalt  ausgiessen"  (vgl.  isl.  skekkja  <  *skankian,  „bringe  i  skjaev 
stilling");  es  liegt  hier  also  ganz  dieselbe  bedeutungsentwicklung  von 
wie  im  isl.  fiella,  schw.  hälla  „ausgiosseu",  eigentlich  (s.  Pritzner- 
und  verf.,  Indog.  forsch.  V,  14)  „schief  stellen"  zu  isl.  haUr  „geneigt, 
eine  schiefe  Stellung  habend" ;  nhd.  einschenken  heisst  gerade  auf  schw. 
Mlla  i.  Diese  erklärung  von  schenken-  wird  auch  dadurch  gestützt, 
diiss  man  im  isl.  ein  skak-ker  „gefäss  aus  welchem  eingeschenkt  wird" 
hat,  dessen  erster  teil  offenbar  mit  mhd.  schanc  von  eben  derselben 
bedeutung  identisch  ist 

Es  ist  indessen  wegen  dieser  neuen  erklärung  nicht  nötig,  schen- 
ken von  den  oben  erwähnton  ags.  schone,  sceonca  „crus"  und  von 
d.  Schenkel,  Schinken,  schunke  und  den  mit  diesen  verwandten  schw. 
skänk  {<,*skank')^  norw.  dial.  .sA-az/Ä',  sko)ik  „Schenkel"  zu  trennen.  Es 
ist  nämlich  zu  beachten,  dass  in  schw.  dial.  auch  skanka,  skunka, 
skinka,  welche  Wörter  natürlich  verwandte  der  vorigen  sind,  mit  der 
bedeutung  „hinken"  vorkommen  (vgl.  auch  aschw.  skinka  „hinken,  eine 
pferdekranklieit",  Söderwall).  Dieser  umstand  zeigt,  dass  alle  diese  formen 
zu  der  bekannten  idg.  wurzel  skhenß  gehören,  wovon  wie  bekannt  u.*  J 
(s.  Fick,  Ygl.  wb.2  I,  567)  skr.  khailj,   gr.  axcfCw  „hinken*.    Zu  d 


BEITRÄGE   ZUR   WESTGERMANISCHEN   WORTKUNDE.    I  529 

ser  Wurzel  stellen  sich  ja  auch  die  oben  er  wähn  ton  isl.  skakkr,  schw. 
dial.  skank  usw.  vortrefflich,  da  die  bedeutungen  „schräge,  schief  sein" 
und  „hinken"  nahe  aneinander  liegen. 

Auch  die  bedeutungen  von  ags.  sceo7ic(a)  usw.,  nhd.  Schenkel  und 
Schinken  erklären  sich  leicht  aus  einem  ursprünglichen  „schief  sein", 
wenn  man  bedenkt,  dass  diase  Wörter  offenbar  ursprünglich  nur  von 
den  hint erbeinen  von  tieren  benutzt  worden  sind.  Dass  dem  so  ist, 
zeigt  nhd.  schinken,  schw.  skinka  usw.,  das  ja  noch  nur  den  obersten 
teil  eines  hinterbeines  bezeichnet;  vgl.  ferner,  dass  nhd.  schenket  im 
engeren  sinne  „Oberschenkel  des  hinter-fusses"  bedeutet  und  dass  im 
schwed.  im  vorigen  Jahrhundert  (nach  lind,  Schw.-teutsch.  Wörter- 
buch, Stockholm  1749)  häst-slcank  „eines  pferdes  hinter-sclienckel" 
bedeutet  hat;  beachte  femer  schw.  dial.  skinkling  „hinter-fesseln 
von  tieren".  Die  hinterbeine  sind  ja  eben  krumm  und  der  unterste 
teil  derselben  steht  schief  nach  vorn  gerichtet. 

Diese  ursprüngliche  bedeutung  „schief,  gebeugt"  von  germ.  skinkr^ 

skankr  „hinterbein"  kann  auch  dazu  beitragen,  das  wort  nhd.  bein,  schw. 

ben  usw.  zu  erhellen.     Dieses  ist  (s.  z.  b.  Kluge,  Et  wb.)  zu  isl.  bein7i 

„gerade"  gestellt  worden.    Vielleicht  hat  es  ursprünglich  die  geraden 

Vorderbeine  von  tieren   im   gegensatz   zu   den   krummen  hinterbeinen 

bezeichnet. 

Nhd.  wäre. 

Die  etymologie  dieses  wertes  ist  noch  nicht  ermittelt  worden. 
Skeat,  Et.  dict.,  sagt  von  dem  entsprechenden  engl.  2vare  „I  ...  suspcct 
it  to  have  been  borrowed  from  Scand."  Ich  glaube,  dass  Skeat  hier 
richtig  urteilt  und  dass  gleichfalls  nhd.  wäre  „kaufware"  eigentlich  ein 
nord.  lehn  wort  ist;  in  der  tat  tritt  dieses  erst  im  spätem  mhd.  auf.  Im 
altisl.  und  altnorw.  weist  das  wort  auch  bedeutungen  auf,  welche  offen- 
bar die  ursprünglichen  sein  müssen. 

Nord,  vara  bedeutet  nämlich  (s.  Vigfusson  und  Fritzner)  im  alt- 
norw. hauptsächlich  „feil"  und  im  altisl.  besonders  „grober  wollen- 
stoff"  (=  isl.  „vädmdl");  vgl.  auch  altisl.  btikka-vara  „bockfell", 
grd-vara  „grau-werk",  klö-vara  „hides  with  the  claws  left  on" 
neunorw.  rara-tuku  (s.  Aasen  unter  varskinn)  „decke  aus  feilen" 
und  altnorw.  vqrU'kambj',  das  Fritzner  gewiss  richtig  „woll-kratze" 
übersetzt 

Wegen  dieser  bedeutungen  stellt  sich  vara  usw.  offenbar  zu  gr. 
äqog  „wolle",  dqriv  „schaf,  widder"  (wie  bekannt  eigentlich  „der  wol- 
lige"), ^fjpig  „Schafpelz"  usw.,  welche  bekanntlich  zu  der  idg.  wurzel 
war  ^bedecken,  hüllen"  gehören. 

nrr  r.  dcutsghb  Philologie,   bd.  xxvm.  34 


530  PHILOLOORNVERSAMMLUNO   IN   KÖLN    1895 

Hierher  gehört  wahrscheinlich  auch  nhd.  schwarte,  isl.  suqnlr, 
aschw.  stvcerp  (vgl.  verf.  Nord,  tidskr.  f.  filol.  3  r.  111,  11  fgg.,  wo  s.  12 
z.  6,  11  von  unten  wcs  in  wai'  zu  ändern  ist),  eigentlich  (wie  im  isl. 
und  mhd.)  „haarige  haut";  über  den  Wechsel  stv-  :  w-  im  anlaut 
vgl.  z.  b.  Noreen,  Urgerm.  lautl.  s.  208. 

ursprünglich  ist  vara  usw.  also  nur  zur  bezeichnung  von  feilen 
oder  wolle(nen  Stoffen)  benutzt  worden;  später  aber  hat  das  wort  die 
bedeutung  „kaufmannsgut  im  allgemeinen*'  angenommen.  Diese  allge- 
meinere bedeutung  hat  vai'a  offenbar  dadurch  bekommen,  dass  das 
Warenlager  der  aus  dem  norden  kommenden  kaufleute  hauptsächlich 
aus  feilen  (und  wolle?)  bestand:  diejenige  nordische  „wäre",  welche 
in  alter  zeit  den  fremden  am  meisten  begehrlich  war,  waren  ja  eben 
feile.  Das  in  der  Jetztzeit  so  hervortretende  wort  „wäre"  ist  also  ein 
beredter  zeuge  des  lebhaften  handelsverkehrs,  welcher  im  altertum  zwi- 
schen Deutschland,  England  und  dem  norden  stattgefunden  haben  muss, 

P.    T.    HEmELBERG.  ELIS    WADSTEDf. 


BERICHT   ÜBER    DIE   VERHANDLUNGEN   DER   GERMANISTISCHEN 
SECTION   AUF   DER  XXXXIII.   VERSAMMI.UNG   DEUTSCHER   PHILOLOGEN' 

UND  SCHULMÄNNER  IN  KÖLN. 

24.-28.  September  1895. 

Die  germanistische  abtoilung  constituiorte  sich  am  25.  September  mittags  in 
einem  klassenzimmer  des  Marcolleo  -  gymnasiums ,  das  zwar  für  die  50  mitglie<i<.T 
hinreichenden  räum,  aber  für  die  vortragenden  leider  wenig  ruhe  und  für  die  zuhii- 
roudon  nur  recht  unbequeme  sitze  bot.  Nachdem  hoiT  Oberlehrer  dr.  Blumschein 
die  anwesenden  auf  dem  boden  des  heiligen  Kr>ln  willkommen  geheissen  hatte,  wur- 
den prof.  Wilmanns  und  dr.  Blum  schein,  die  auch  die  vorbereitenden  arb«'iten 
übernommen  hatten,  zu  versitzenden,  dr.  Berger  (Bonn)  und  gymnasiallehrer 
Seil  ölten  (Elberfeld)  zu  Schriftführern  ernannt. 

Die  erste  sitzuiig  wurde  schon  am  nachmittage  desselben  tagos  abgehalten; 
denn  da  diesmal  an  dem  letzten  tage  der  vei*sammlung  nur  noch  die  allgemeine 
Schlusssitzung  gehalten  werden  sollte,  um  den  festteilnehmem  gelegenheit  zu  einer 
falirt  ins  Siebengebirge  zu  geben,  mussten  fleissige  sectionen  schon  die  nachmittage 
zur  hilfe  nehmen,  obwohl  sie  mancher  gern  ungeteilt  zur  besichtigung  der  reichen 
kuustschätze  Kölns  verwendet  hätte.  —  N.achdem  der  versitzende  in  kurzer  ausprarht' 
der  seit  der  Wiener  Versammlung  vei-storbenen  fachgenossen  gedacht  hatte,  ergriff 
zum  ersten  vortrage  das  wort  herr  bibliothekar  dr.  Kos  sin  na  aus  Berlin,  dem  i»i< 
am  herzen  lag,  den  fachgenossen  die  Wichtigkeit  der  vorgeschichtlichen  archiiolopp 
nachdrücklich  zu  gemüte  zu  führen;  schade  nur,  dass  es  ihm  nicht  vergönnt  war.  den 
vertrag  in  einem  wol  ausgestatteten  museum  zu  halten  und  das  wort  durch  den  hinw<'is 
auf  handgreifliches  material  zu  beleben.  Die  vorhistorische  archäologio,  führte  er  aas, 
habe  unsere  durch  mangelhafte  nachrichten  getrübte  auffassung  übei'aU  bereichert  UP^ 


PHlLOLOGENVraSAMMLüNO  IN  KÖLN  1895  531 

berichtigt  Nur  völliger  mangel  an  saohkunde  könne  es  verschulden ,  wenn  noch  jetzt 
mancher  vor  der  angeblichen  Unsicherheit  und  Unklarheit  auf  diesem  gebiete  zurück- 
schrecke oder  gar  die  grundzüge  der  heutigen  prähistorischen  Chronologie  als  unglaub- 
würdig hinzustellen  sich  unterfange.  Als  den  beginn  der  germanischen  prähistorie 
bezeichnete  der  vortragende  den  jüngeren  abschnitt  der  neolithischen  zeit,  wo  der 
mensch  bereits  den  ackerbau  kenne,  die  wichtigsten  haustiere  besitze,  geschliffene 
und  geglättete  steinwerkzeuge  führe  und  eine  gefällige  keramik  ausübe.  Bis  in  den 
anfang  des  3.  Jahrtausends  reiche  diese  zeit  zuiück.  Er  steckte  sodann  dio  folgenden 
Perioden  ab,  hob  ihre  charakteristischen  merkmale  hervor,  wies  auf  die  stätigen  fort- 
schritte  einer  vielseitigen  kultur  hin  und  betonte,  dass  man  sich  von  dem  zerrbilde 
germanischer  Wildheit  und  Unkultur,  das  noch  heute  bei  der  mehrzahl  der  römischen 
historikor  beliebt  sei,  losmachen  müsse.  Die  ergebnisse  der  archäologie  hätten  für 
das  wirtschaftsieben  der  urzeit  ganz  neue  grundlagen  geliefert  und  mit  der  Vorstel- 
lung vom  nomadentum  der  Germanen,  vom  fehlen  des  ackerbaues,  von  überwiegen- 
der fleischuahrung,  vom  wohnen  in  zelten  oder  auf  wagen  und  wie  die  unklaren  und 
widerspruchsvollen  nachrichten  alle  lauten  mögen,  gründlich  aufgeräumt.  Bereits  in 
der  frühesten  vorzeit  hätten  die  Germanen  zum  kulturgebiet  Mittel  -  und  Westeuropas 
gehört  und  würden  durch  eine  ung(»heuro  kluft  von  den  um  mehr  als  ein  Jahrtausend 
zurückgebliebenen  Slawen  geschieden.  —  Die  these,  die  der  vortragende  schliesslich 
aufstellte:  „Die  germanische  prähistorie  ist  ein  unentbehrlicher  bestandteil  der  ger- 
manischen altertumskunde  und  verlangt  von  seiten  der  germanischen  philologio  ernste 
und  nachhaltige  pflege"  wurde  ohne  Widerspruch  angenommen. 

Der  folgende  vertrag  des  herrn  dr.  Röttekcn  aus  Würzburg  war  nicht  so 
glücklich  allgemeine  Zustimmung  zu  finden.  Der  vortragende  vereuchte  darzutun, 
dass  der  auf  bau  unserer  landläufigen  poetik  unzweckmässig  und  durch  einen  ande- 
ren zu  ersetzen  sei;  insbesondere  war  er  der  ansieht,  dass  die  herkömmliche  ein- 
teilung  der  dichtungen  in  epos,  lyrik  und  drama  besser  vermieden  werde,  da  die 
Vielseitigkeit  der  mit  diesen  namen  verbundenen  Vorstellungen  leicht  Verwirrung 
anstifte.  Er  verglich  diese  einteilung  nach  den  gattungen  mit  querschnitten  und 
wünschte  statt  ihrer  lieber  längsschnitte ,  in  denen  pinzelne  merkmale,  die  z.  b.  zu 
dem  begriff  des  dramas  gehörten,  durch  dichtungen  aller  art  verfolgt  würden.  Als 
solche  gesichtspunkte,  die  geeignet  wären,  die  kapitel  der  poetik  zu  bilden,  bezeich- 
nete er:  stoffwahl,  Weltanschauung  des  dichters,  uiteil  des  dichters,  die  Stimmungen, 
der  bildzusammenhang,  dio  arten  der  rede  (einzelrede  und  gespräch),  die  übermitto- 
limg  der  rede  (stilles  lesen,  Vortrag,  aufführung,  musikbegleitung) ,  die  composition. 
Dio  meisten  beziehungen  zu  der  üblichen  einteilung  habe  das  kapitel  vom  bildzusam- 
menhang. —  Es  gelang  dem  vortragenden  niclit,  obwol  er  deutlich,  lliessend  und 
lebendig  sprach,  in  der  kurzen  zeit,  die  ihm  zur  Verfügung  stand,  seine  anschauun- 
gen  so  klar  zu  entwickeln,  dass  er  die  hörer  überzeugte.  Die  discussion,  die  von 
prof.  Greiz enach  (Krakau)  eröffnet,  von  prof.  Bütticher  (Berlin)  imd  Siebs 
(Greifswald)  weitergeführt  wurde,  griff  einzelne  punkte  au  und  verteidigte  namentlich 
die  drei  alten  gattungen  der  poesie.  Aber  der  streit  nickte  nicht  recht  vorwäiis  und 
die  kämpen  räumten  ohne  entsclieidung  das  feld,  über  dem  sich  längst  dio  friedlichen 
schatten  des  abends  ausgebreitet  hatten. 

Am  morgen  des  folgenden  toges  bat  zunächst  herr  prof.  Bötticher,  dio 
gesellschaft  für  deutsche  philologie  in  Berlin  bei  ihrer  bearbeitung  der  Jahresberichte 
durch  Zusendung  der  publicationen,  besonders  auch  der  gelcgenheitsschriften  und  dis- 
sertationon  zu  unterstützen.    Darauf  sprach  herr  prof.  Schröder  aus  Marburg  über 

34* 


532  rillLOLOGENVKRSAMMLUNG   IN  KÖLN   lS9o 

dio  vorfluchten  tänzor  von  KiUbigk  (Orimm,  Deutsche  sagen- 1,  275).  Die  sa^jo  g«'ht 
auf  einen  wirkli(rhen  von  Lambert  von  llersfeld  erwähnten  Vorfall  zurück,  der  sich 
etwa  1013  zugetragen  hat.  Schon  im  11.  jahrhundeit  hatte  die  erregte  volksphanta- 
ßie,  geistliche  tendeuz,  gelegentlich  auch  schwiudclhafte  reklame  landfahrender  It^utr? 
die  geschichte  sagenhaft  ausgestaltet,  und  schon  damals  hatte  man  sie,  um  ihr  vol- 
len glauben  zu  vei-schafifini ,  in  einem  Schriftstück  niedergelegt,  das  sich  als  beriolit 
eines  der  teilnehmer  selbst  ausgab.  Von  diesem,  jedenfalls  der  Kölner  di(*)ceso  eut- 
stammenden  bericht  haben  wir  nur  ein  unmittelbares  und  nicht  ganz  sicheres  zcup- 
nis;  dio  weite  Verbreitung  der  sage,  der  der  vortiagondo  in  büchern  und  handschrif- 
ten,  in  Frankreich,  den  Niederlanden  und  England  nachgespült  hatte,  beruht  auf 
zwei  bearbeituiigon ,  dem  berichte  des  Otbert,  einem  knappen  auszug  nach  dfin 
gedächtnis,  und  dem  bericht  des  Dietrich,  in  dem  dio  schriftliche  vorläge  mit  stili- 
stischen prätonsionen  imd  einer  Iwstimmten  lokaltendenz  erweitert  ist.  Auf  dem  kür- 
zeren, aus  Frankreich  stammenden  berichte  beruhen  die  erzählungen  der  sage,  die 
wir  seit  Albeit  von  Stade  und  dem  Erfurter  minohten  in  deutschen  geschichtss<;hrei- 
bern  finden;  der  längere  des  Dietrich  kam  namentlich  in  England  zum  ausehn  un«l 
wurde  auch  in  mittelenglischen  dichtungen  bearbeitet.  Seine  treue  gegen  das  ah« 
original  beweist,  dass  die  nieder<knitschen  namensformen  der  18  nur  hier  vollständig 
genannten  teilnehmer  noch  deutlich  erkennbar  sind,  und  um  so  h()heres  inten-sse 
gewähren  dio  verse,  in  denen  uns,  leider  nur  in  lateinischer  Übersetzung,  die  erste 
Strophe  jenes  tanzliodes,  das  der  bauer  Oerlef  improvisierte  und  voi*sang,  erhalt.n 
ist.  —  Im  anschluss  an  den  gelehrton  und  durchsichtigen  vertrag,  dem  die  In»n'r 
leicht  und  geni  hatten  folgen  können,  erinnerte  herr  prof.  Jostes  (Freiburg)  an 
ähnliche  sagen,  namentlich  den  Kattenfängor  von  Hameln,  über  den  er  wol  nächstens 
genauere  mitteilungen  wird  in  die  (iffentlichkeit  ausgehen  lassen. 

Den  zweiten  vertrag  hielt  herr  dr.  Wrede  (Marburg)  über  den  deutschen 
Sprachatlas.  Mehrere  der  überaus  saubor  und  übersichtlich  ausgeführten  karten,  dio 
in  Marburg  unter  Wenkers  leitung  angefertigt  und  jährlich  in  ansehnlicher  zahl  ijetrt 
ca.  50)  zur  königlichen  bibliothek  in  Berlin  abgeliefert  werden,  lagen  der  Versamm- 
lung als  eine  anschauliche  grundlage  des  voi-trags  vor.  Wrede  betonte  zunächst  die 
zuverlilssigkeit  des  statistischen  materials,  auf  dem  der  sjjrachatlas  bt^ruhe.  Im  laufe 
der  langjährigen  beschäftigung  mit  den  von  ca.  50,000  gewährsleuten  au.<5gefüllten 
formularen  sei  den  bearbeitern  der  glaube  an  die  brauchbarkeit  derselben  nicht  gesun- 
ken, sondern  gestiegen,  nur  dürfe  man  an  sie  nicht  forderungen  stellen,  die  sie  ihrer 
natur  naf;h  nicht  befriedigen  könnten.  Da  den  gewährsleuten  keinerlei  phonetische 
bezeicIinungswtMse  vorgeschrieben  gewesen  sei  und  auch  nicht  habe  vorgeschrieK^n 
werden  kiWinen,  so  ergebe  sich  von  selbst,  dass  ihre  aufzeichnuugen  nicht  als  pho- 
netisch genaue  dialektwidergaben ,  dio  auf  ihnen  beruhenden  karten  nicht  als  fertige 
dialektkarten  anzusehen  seien.  Um  zu  den  phonetischen  werten  durchzudringen 
erfordere  jede  karte  (gerade  so  wie  jede  alte  hdschr.)  eine  besondere,  häufig  recht 
complicierto  intorpretation,  dio  mit  schriftsprachlicher  beeinflussung  der  gewährsmän- 
ner,  mit  dialektisch  gefärbter  ausspraclie  des  schriftdeutschon ,  mit  diakritischen 
bestrebungen  in  der  Orthographie  der  Übersetzungen  usw.  sich  abzufinden  habe.  An 
zalilix?ichen  beispielen  zeigte  der  vortragende  sowohl  die  Schwierigkeiten,  als  auch 
die  mögliohkeit  bei  inniger  Vertrautheit  mit  dem  gesammten  mateiial  sie  zu  überwiD- 
don  und  wichtige  resultate  und  aufschlüsse  zu  gewinnen.  Der  Verfasser  wies  laf 
die  problematischen  zusammenhänge  von  dialekt-  und  alten  stammesgvdnzeo,  <Üs 
principiellen  unterschiede  sprachg(?schichtlicher  entwicklung  in  dem  aUm 


PHILOLOGEN  VERSAMMLUNG   IN    KÖLN    1895  533 

Stammland  und  dem  östlichen  kolonisationsbodcn,  die  intimen  zusammenhänge  von 
Sprachgeschichte  und  besiedlungsgeschichte  hin  und  erläuterte  dies  an  beispielen  aus 
dem  atlas.  Leider  laste  auf  den  boarbeitem  die  mechanische  hcrstellung  der  karten, 
die  ihnen  in  erster  linio  obliege,  so  schwer,  dass  ihnen  für  die  wissenschaftliche  Ver- 
arbeitung keine  zeit  bleibe.  Und  doch  sei  es  dringend  zu  fordern,  dass  mit  dersel- 
ben begonnen  werde.  Je  massenhafter  sich  das  matorial  liäufe,  um  so  grösser  werde 
die  gefahr,  dass  selbst  die  bearbeitcr  des  atlas  den  überblick  verlören,  wenn  nicht 
mit  der  technischen  weiterführung  seine  wissenschaftliche  Verwertung  band  in  band 
gehe.  —  Die  orörterungen,  die  sich  dem  vortrage  anschlössen,  zeigten,  dass  die  ger- 
manistische section  dem  Sprachatlas  grosses  iuteresse  entgegenbringt  und  den  darlegun- 
gen  des  vortragenden  mit  regster  teilnähme  gefolgt  war.  Allgemein  war  die  Über- 
zeugung, dass  es  allerdings  notwendig  sei,  die  wissenschaftliche  bearbeitung  des 
materials  nicht  länger  hinauszuschieben  und  ebenso,  dass  kein  anderer  besser  dazu 
befähigt  sein  könne,  als  die  münner,  in  deren  band  seit  sieben  jähren  das  untenioh- 
men  ruhe.  Die  section  nahm  dabei  einstimmig  einen  antrag  des  prof.  Schröder  an-' 
„dem  herm  minister  für  die  dem  deutschen  Sprachatlas  gewährte  Unterstützung  ihren 
ehrerbietigsten  dank  und  zugleich  die  dringendste  bitte  auszusprechen,  die  zu  einer 
gedeihlichen  fortführung  und  ausbeutung  des  Unternehmens  nötigen  mittel  zu  bewil- 
ligen.** Die  ausführung  des  beschlusses  wurde  einer  kommission  überlassen.  An  der 
dibkussion  hatten  sich  beteiligt:  Burdach,  Schröder,  Franck,  Wilmanns,  Zip- 
per (Lemberg),  Kossinna. 

Etwas  später  und  langsamer  als  an  den  vorhergehenden  tagen  fanden  sich  die 
mitglieder  der  section  am  morgen  nach  dem  festmahl  im  Gürzenich  ein,  um  einen 
Vortrag  des  herm  j)rof.  Burdach  aus  Halle  zu  hören.  Mehr  als  ein  anderer  ver- 
trag liess  dieser  empfinden ,  dass  die  germanistische  abteilung  eben  nur  eine  abteilung 
der  allgemeinen  philologenvei-sammlung  ist,  dass  alle  historischen  Wissenschaften  zu- 
sammenhängen und  sich  gegenseitig  befruchten  müssen.  Der  vortragende  wollte  die 
Überzeugung  verstärken,  dass  die  altdeutsche  philologie  gut  tue,  ihre  grenzen  zu 
erweitem,  namentlich  die  entwicklung  der  kunst  zu  beiücksichtigen  und  die  latei- 
nische litteratur  heranzuziehen.  Unter  diesen  gesichtspunkten  besprach  er,  bald  mehr 
bald  weniger  eingehend,  eine  reihe  interessanter  erscheinungen  unserer  älteren  litte- 
ratur. Wie  weit  manche  anschauungen ,  bei  denen  man  es  auf  den  ersten  blick  kaum 
yennutet,  in  das  altertum  zurückreichen,  zeigte  er  namentlich  an  einem  miniatur- 
bild  zum  Wälschqn  gast,  auf  dem  ein  buhlerisches  weib  durch  verschiedene  gunst- 
bezeugungen  gleichzeitig  mehrere  männer  zu  beglücken  weiss.  Bis  in  die  jüngere 
attische  komödie  verfolgte  der  vortragende  die  weit  verschlungene  wandomng  dieses 
motivs.  Besonders  aber  lenkte  er  die  aufmerksam keit  auf  das  gebiet  allegorischer 
darstellungen.  Aus  der  jüngeren  soplüstik  der  römischen  kaiserzeit  stamme  die 
anwendung  von  Personifikationen  abstrakter  wesen;  durch  die  vermittelung  mittel- 
alterlicher poetiken  dringe  sie  in  die  lateinische  schulpoesie;  in  die  poesie  der  lan- 
dessprachen  habe  sie  oft  ihren  weg  durch  das  medium  der  bildenden  kunst  genom- 
men.  In  diesem  Zusammenhang  wurde  der  bekannte  spruch  Ubermuot  diu  alte 
behandelt,  Heinrichs  von  Veldecke  darstell ung  Salomons  auf  dem  lager  der  minne, 
Beinmars  von  Zweter  wunderliches  bild  des  idealen  mannes,  und  dann  auf  die  unge- 
meine entfaltung  der  allegorischen  dichtuug  seit  dem  ende  des  13.  Jahrhunderts  hin- 
gewiesen, die  von  bildender  kunst  befruchtet,  ihrerseits  auf  diese  wider  zui'ückwurkt.  — 
Dem  anuahenden  Yortrag,  dessen  reicher  inhalt  sich  in  einem  kurzen  referat  schlech- 
nioht  ansobaalioh  widergebon  lässt,    fügte  horr   prof.  Creizenach   einige 


534  FHILOLOGBNVERSAMIdLXJNO  IN  KÖLN   1896 

bemerkangen  hinzu.  Er  wies  auf  die  dramatischen  aufführungen  als  eine  quelle  der 
bildenden  kunst  hin  und  führte  auf  sie  namentlich  darstellungen  des  totentanzes  ufid 
des  bethlehemitischen  kindermordos  zurück. 

Nur  kurze  zeit  war  noch  übrig;  sie  benutzte,  einer  aufforderung  des  Tor- 
sitzenden  mit  dankenswerter  bereitwilligung  folgend,  herr  prof.  Jos  tos  aus  Freiburg 
i.  Schw.  zu  mittoilungen  aus  seinen  untei-suchungon  über  die  hcimat  der  altjiärh- 
sischen  denkmüler.  Nach  Westfalen  gehören  nach  der  ansieht  des  vortragenden 
nachweislich  nur  die  beiden  heboroUen  von  Essen  und  Freckenhorst,  für  alles  aniJ».Tt? 
sei  die  herkunft  aus  dem  östlichen  gebiet  des  Sachsenstammes  wahrscheinlicher.  Die 
as.  beichte  (deren  uns  vorliegende  fassung  übrigens  auf  klösterliche  verhiütnisM« 
berechnet  und  nicht  älter  sei  als  die  hs.),  die  honiilie  Bedas,  die  Gregoriusglo>SL'ü, 
die  evangclienglossen  ständen  zwar  in  hss.,  die  ehemals  dem  stift  Essen  gehört  hur- 
ten, aber  diese  liss.  seien  nachweislich  erst  gegen  endo  des  10.  jahrhundei-ts  donhiii 
gelangt;  die  hs.  der  Düsseldorfer  Prüden tiusglossoTi  aber,  die  man  nach  Werden 
setzt,  sei  wahrscheinlich  ei*st  in  der  zeit  der  reformation  aus  Helmstedt  in  das  mut- 
terkloster  Woi-den  gebracht.  Ebenso  weise  die  Überlieferung  des  lieliand  in  diis  ört- 
liche gebiet.  Der  Cottonianus  steht  in  einer  hs.  mit  einem  Über  quondam  Cauuti 
rcyisj  P.  klebte  auf  dem  deckel  eines  Rostocker  druckes,  M.  ist  duivh  Ht'inrirh  II. 
nach  Bamberg  gekommen  und  die  hs.  der  Vaticanischeii  fragmente  sei  zwar,  wio  J't 
in  derselben  hs.  erhaltene  und  von  derselben  hand  geschriebene  kalondor  lx»wei'*'', 
in  St.  Alban  in  Mainz  geschrieben;  aber  dieser  kalondor  sei  ein  kalendcr  der  Mag- 
deburger kirche,  beweise  also,  dass  sich  damals  Magdeburger  in  Mainz  aufhielten. 
Nach  dem  osten  weise  auch  die  spräche:  die  allitteration  von  y  :  j  und  der  won- 
schatz,  besonders  der  gebrauch,  den  fremden  städtenamen  das  wort  burg  auzuh:iii- 
gen.  Ein  engeres  gebiet  zu  bestimmen  gestatten  diujn  einige  Wendungen,  dio  der 
dichter  braucht,  vor  allem  die  stelle,  wo  von  dem  auf  sand  gebauten,  durch  wind 
und  regen  zum  einsturz  gebrachtem  hause  die  rede  ist.  Aus  den  rcnti  ist  iccstrani 
icind  geworden,  ans  den  pluvia  und  flimiina:  tcago  ström j  sees  üdeon;  nur  an  der 
Westküste  eines  meeres  können  also  der  dichter  und  sein  nächstes  publikuui  gowolmt 
haben.  So  kommen  wir  auf  Noixlalbingien  und  dazu  stimmen  die  beziehuugen  Lud- 
wigs des  Fronmien  zum  dichter  und  die  kirchlichen  Verhältnisse  des  landes.  Ham- 
burg war  der  ausgangspunkt  für  die  Christianisierung  Dänemarks  und  mit  dieser  hattf» 
der  kaiser  seinen  Jugendfreund  Ebbe,  den  erzbischof  vt)n  Kheims,  später  auch  bisohnf 
von  Hildesheim,  den  söhn  eines  deutschen  bauera,  betraut.  Mit  der  tätigkeit  EbU-s 
also  dürfte  die  abfassung  des  Heliand  in  direktem  zusammenhange  stehen.  —  Früher 
als  es  den  zuhörern  lieb  war,  mub.^te  herr  Jostes  seine  mittoilungen,  die  durch  ihre 
zwanglos  natürUche  voilragswuise  uirht  weniger  anp'zog<*n  hatten  als  durch  ihren 
inhalt,  abbrechen;  denn  wir  mnssten  zur  nllg(nn(?inen  sitzung  eilen,  um  dort  einen 
Vortrag  des  herni  dr.  Wenkor  zu  hfircn.  So  wunlo  dann  die  sitzung  nach  schnell 
gewechselten  hötlichk«?iten  zwischen  dem  Vorsitzenden  und  der  section,  pünktlich  um 
10  uhr  geschlossen. 


i 


AULOKIMM,    ÜBKK  TARDEL,    SPIELMANNSPOKSIK  535 

LITTEEATÜR 

Untersachangen  zur  mhd.  spiclmannspoesie.  1.  zum  Orendol,  2.  zum 
Salman-Morolf.  Von  Herrn.  Tardel.  Schwerin  1894.  (Leipzig,  G.  Fock  in 
comm.)    72  s.    1,20  m. 

Der  1.  teil  dieser  Rostocker  dissertation ,  die  schon  vor  E.  H.  Meyere  und 
Laistners  einschlägigen  abhandlungen  (Ztschr.  f.  d.  a.  37  und  38)  beendet  war,  aber 
im  hinblick  auf  die  ergebnisse  jener  noch  einmal  durchgesehen  wurde,  gibt  zunächst 
eine  Übersicht  über  die  verschiedenen  ansichten,  die  betreffs  des  dem  spielmanns- 
gedichte  von  Orendel  zugrunde  liegenden  Stoffes  aufgestellt  sind.  Tardels  Untersu- 
chungen stellen  sich  als  ergänzung  dos  1.  teils  der  arbeit  Meyers  dar,  der  die  Oreu- 
delfabel  ihrem  kerne  nach  auf  eine  ^vollere  frz.  bearboituug  des  ApoUonius-romans" 
zurückfühlt.  Dem  gegcuüber  versucht  Tardel  den  nacliwois,  dass  dem  deutschen 
dichter  jene  fabel  in  der  gestalt  des  frz.  Jourdaiu  de  Blaivies  vorgelegen  habe.  Er 
muss  aber  selbst  zugeben,  dass  Orendel  auch  mauclies  mit  Apoll,  gegenüber  Jourdain 
gemein  hat.  Und  wenn  Tardel  weiter  viele  der  sich  im  Apoll. -Jourd.- Orendel  fin- 
denden motive  auch  sonst  in  frz.  und  deutscher  volkspoosie  nachweist,  so  zeigt  das 
doch  schon,  dass  man  sich  den  deutschen  dichter  uicht  nach  einer  aufgeschlagenen 
vorläge  arbeitend  zu  denken  hat;  vielmehr  nalnn  dieser,  der  doch  in  der  Trierer 
gogend  lebte  und  sich  vielleicht  vordem  als  klcrikor  in  Frankreich  aufgehalten  hatte, 
auf  was  ihm  von  den  oft  erzählten  ApoUonius-geschichteu,  die  sicher  unter  einander 
variieiten ,  haften  geblieben  war.  Und  wie  viel  aucii  hier  schon  wider  aus  nur  münd- 
lich fortlebenden  fabeln  und  mürchen  entlehnt  war,  zeigen  Laistnei-s  untei-suchun- 
gen.  —  Somit  kann  nur  gesagt  werden,  dass  der  Orendeldichter  besonders  motive 
der  ApoUlonias- fabeln  aufgenommen  hat.  Über  die  direkte  quelle  kann  nichts  behaup- 
tet werden. 

Der  wert  der  Tardelschen  arbeit  besteht  in  der  lleissigen  Zusammenstellung 
von  ApoUonius-motiven,  die  sich  im  Orendel  und  in  der  frz.  und  deutscheu  volks- 
poesie  finden.  Demnach  ist  der  enge  Zusammenhang  zwischen  frz.  und  deutscher  volks- 
poesie  aufs  neue  dargetan.  Mehr  wert  hätten  Tardels  Zusammenstellungen  allerdings 
noch,  wenn  er  die  datierung  der  angezogenen  frz.  volksepen  gäbe.  Denn  es  bleibt 
wenigstens  überall  der  versuch  übrig  nachzuweisen ,  welches  volk  das  einzelne  motiv 
in  dio  dichtung  eingeführt  hat,  vorausgesetzt  dass  es  nicht  schon  aus  dem  antiken 
roman  übernommen  ist.  Bei  mtuicheu  wird  es  allerdings  uicht  gelingen ,  bei  manchen 
wird  es  nur  mehr  oder  minder  walirscheinlich  gemacht  werden  können.  Aber  es 
■werden  auch  fälle  vorkommen,  wo  man  ein  motiv  bestimmt  datieren  kann,  wie  z.  b. 
der  Orendel  vielleicht  doch  zum  ei*sten  male  in  der  deutschen  dichtung  die  colee  auf- 
weist, so  dass  wir  dann  dio  merkwürdige  tatsache  hätten,  dass  ein  motiv  aus  dem 
ritterlichen  leben  weit  fiüher  in  der  niederen  volkspoosie  als  in  der  höfisclien  dich- 
tung behandelt  worden  sei.  Vgl.  dagegen  Vogt,  Ztschr.  22,  484  fg.  Dass  Ise  sich 
bei  diesem  ritterschlage  das  schwort  selbst  umbindet,  wie  Tardel  sagt,  ist  img  (vgl. 
V.  2291;  er  güiiet  sich  selbst  dann  zum  turnior  v.  2295). 

Gegenüber  den  historischen  parallelen  zum  Orendel,  die  E.  H.  Meyer  im  zwei- 
ten teile  seiner  abhandlung  zusammengestellt  hat,  beschränkt  sich  Tardel  auf  die 
bemerkong,  dass  dieselben  „mit  reserve  aufzunehmen'*  seien.  Auch  Harkensee  und 
Berger  haben  sich  den  diesbezüglichen  ausfühiiingen  Meyers  (Ztschr.  f.  d.  a.  12)  ge- 
IBBnfiber  ablehnend  verhalten.  Vogt  verhält  sich  ebenfalls  zurückhaltend,  obgleich  er 
'\  483)  schon  gegenüber  Berger  das  Meyer  zugibt,   dass   der   historische 


53Ü  AHLÜUMM,    ÜBKB  TARD&L,   HTIELMANNSPOESDE 

hintergrund  onseros  gedichtes  auf  die  zeit  nach  dem  dritten  kreuzzuge  hinweist,  nie 
denn  auch  in  einigen  punkten  Meyer  gegenüber  Bergers  ausführungen  (Ausg.  s.  IJX) 
recht  liabe.  Meyer  hat  seine  ausführungen  seitdem  vermehrt  und  verbessert;  danach 
scheinen  mir  denn  doch  mehr  historische  reminiscenzon  aus  der  geschieh te  des  drit- 
ten kreuzzuges  im  Orendel  enthalten  zu  sein,  als  man  bisher  annahm.  Dass  die 
Spielleute  sich  diese  teilweise  pikanten  anekdoten  nicht  haben  entgehen  lassen,  bt 
doch  auch  von  vornherein  wahrscheinlich.  Aber  auch  hier  wird  mau  häuiig  nur  bis 
zu  einem  gewissen  grade  wahrscheinlich  machen  können,  dass  ein  zug  nicht  aus  der 
Volksüberlieferung,  sondern  aus  diesen  kriegsgeschichten  stamme.  Auf  einen  vou 
Meyer  aus  dem  leben  Alberos  von  Trier  l>erichteten  liistorischen  Vorgang  (vgl.  a.  a.  o. 
8.  829)  geht,  glaube  ich,  auch  der  von  Vogt  zur  ergänzung  der  Untersuchungen  H»*iü- 
zels  (Ztschr.  20,  411)  beigebrachte  zug  zurück,  der  sich  gleichmässig  im  Segheliin 
und  Orendel  (v.  3093  fgg.)  findet. 

In  dem  zweiten  teile  will  Tardel  eine  Übersicht  über  die  natihahmungen  gcbi'ii, 
die  motive  der  Salomosage  in  der  mhd.  volkscpik  gefunden  haben.  Es  sind:  dit? 
brautwerbung  in  ihren  Vorbereitungen,  die  eigontliclie  entfühnmg  und  die  wid«'r- 
ei-vs'erbung  der  entführten,  deren  ausgestaltung  in  Roth.,  Or.,  Oswald,  Otu.,  den 
AVolfdietrichon ,  Gudr.,  Nib.,  und  (in  einem  anhange)  in  der  frz.  volksepik  Ifchandelt 
wird.  AVas  also  in  den  ausgaben  dieser  volksmässigen  dichtuugen  bisher  in  einzel- 
nen anmerkungen  über  anklänge  aneinander  in  einzelnen  ziigon  kurz  angedeuter  war, 
ist  hier  systematisch  zusammengestellt  und  als  nachahmung  der  Salomosage  betnuh- 
tet.  —  Es  ist  allerdings  selir  wahi-scheiulich,  dass  die  Salomosage  in  vielen  f;Qleu 
den  ausgangspunkt  für  diese  motive  bildet;  aber  Tardel  denkt  doch  die  übngen  dith- 
tungen  in  einem  zu  engen  litte raiischen  abhängigkeits Verhältnis  zu  jener  sage  st»'heüd, 
wenn  er  in  jedem  falle  bewussto  nachahmung  (»ines  gedichtes  von  Salman  und  Mor«»lf 
vorliegen  sieht.  Ich  glaube  vielmehr,  dass  man  nur  von  einem  foi-t leben  von  li^l;- 
lingsmotiven  reden  kann,  die  zuei-st  in  gedichten  von  Salman  und  Morolf,  ebenso» 
früh  aber  vielleicht  auch  schon  in  solchen  vom  könig  Rother  auftauchen,  die  dann 
unzählige  male  von  jedem  spielmann  in  vei-schiedenon  liedern  gehört  und  gesuu^'en 
sein  mögen  und  die  weiter  auch  bei  der  dichterischen  gestaltung  neuer  Stoffe  ver- 
wendet wurden,  ohne  dass  man  bestimmt  das  eine  oder  andere  gedieht  im  siunt« 
hatte.  Diese  motive  waren  eben  gesamtbesitz  der  spielleute,  die  in  gewissen  gross<^n 
Zügen  deshalb  typisch  wurden,  aber  im  einzelnen  fn^i  ergänzt  wurden,  wie  z.  b. 
in  der  Gudrun  bei  der  entfühnmg  der  Hilde  ein  motiv  in  ein  anderes  eingeücnh- 
ten  wurde.  Deshalb  geht  es  auch  nicht  an,  den  vogel  in  Gudr.  1106  ids  raben 
zu  deuten,  wie  Tardel  will  (vgl.  s.  53  anm.),  eüifacli  weil  in  einer  sagengrupi>e,  die 
auch  auf  Oswald  eingewirkt  hat,  ein  rabe  ats  böte  vei'wendet  ist;  dagegen  spricht 
doch  schon:  ein  rogel  kam  (jerloxxen.  Ebenso  wenig  kann  man  aus  der  in  Roth, 
und  Gu<lr.  vorkommenden,  aber  in  den  bekannten  deutschen  Versionen  der  Salomo- 
sage nicht  vorhandenen  erkennung  des  verlobten  oder  gomahls  durch  einen  ring  nicht 
auf  eine  dieses  motiv  enthaltende  fassung  der  Salomosage  schliessen,  da  dies  motiv 
schon  aus  den  heimkehi-sagi*n  genugsam  belegt  ist.  Das  hiesso  die  Salomosage  zur 
anherrschenden  in  der  spit^lmann^dichtung  machen  und  den  reichtum  der  volk-^über- 
lieferung  in  märchon  und  sage  ganz  unterschätzen.  Ganz  anders  liegt  es  bei  den 
angeführten  fi-z.  gedichten,  die  ausdnicklich  auf  die  Salomosage  bezug  nehmen  oder 
den  Stempel  der  bewussten  nachahmung  an  der  stim  tragen. 

Auf  einzelne  punkte,  in  denen  ich  nach  dem  oben  gesagten  nicht  mit  Ipi 
ausführungen  einverstanden  sein  kann,  gehe  ich  nicht  ein.    Im  ganzen  ist  •> 


BÖTTICUEB,    ÜBEB   SATTLKR,    WOLFRAMS   BEUOION  537 

ser  teil  als  eine  fieissige  und  für  dii;  sogODgcschichto  manchen  beitrat  liefernde  arbeit 
zu  beurteilen,  von  der  nur  zu  wünschen  wäre,  dass  das  ganze  niatcrial  im  1.  wie 
im  2.  teile  übersichtlicher  angeoixlnet  und  dass  ein  Inhaltsverzeichnis  beigegeben  wäre. 

UAMBUSO.  FK.    AÜLGRIMM. 

Die  religiösen  anschauung(*n  Wolframs  von  Eschenbach.  Bearl»oitet  von 
Anton  Sattler,  weltpriester  und  professor  am  fürstbischöflichen  gymnasium  in 
Graz.  [Grazer  Studien  zur  deutschen  philologi»^,  herausgegeben  von  A.  SehOnbach 
und  B.  Senffert.     1.  heft.]    Graz,  Styria.  1895.    XI,  112  s.    3,20  m. 

In  den  Grazer  Studien  sollen  liauptsächlich  doctor-dissei"tationen  von  schülem 
der  beiden  herausgeber  veröffentlicht  werden,  da  die  österreichische  rigorosenoi-dnung 
den  dnick  der  dissoi-tationen  nicht  verlangt.  Den  aufang  dieser  Sammlung  maclit 
vorliegende  arbeit,  eine  durchschnitt.sleistuiig  auf  dem  gebiete  der  doctorarl)eiten ,  die 
von  emsigem  sammlerfleisse  und  von  ausreicliender  vei"trautheit  mit  dem  mhd.  im 
allgemeinen  und  mit  "Wolfram  insbesondere  zeugnis  ablegt.  Aber  zur  förderung  des 
Verständnisses  Wolframs  oder  des  ui-teils  über  seine  werke  kann  man  nichts  aus  ihr 
gewinnen.  Der  Verfasser  beschränkt  sich  eben  darauf,  die  im  Parzival  und  Wille- 
halin  enthaltenen  religiösen  anschauungen  systematisch  im  zusammenhange  darzustel- 
len, die  lehre  von  gott,  Christus,  Maria,  den  engein,  der  erbsünde,  taufe,  busse, 
messe,  vom  priesteramt,  der  ehe,  der  askese,  dem  begräbnis,  dem  fegofeuer  und 
der  heiligenanrufung.  Diese  ausfülinmg  begleitet  er  mit  weitläufigen  erörterungon 
und  citaten  aus  den  kirchenvätern  und  der  Scholastik,  um  zu  zeigen,  dass  Wolfram  dem 
sinne  nach  mit  ihnen  übereinstimmt.  Er  scheint  dabei  hauptsäclilich  eine  Wider- 
legung San  Martes  im  äuge  gehabt  zu  haben,  der  bekanntlich  evangelisclio  regungen 
in  Wolfram  gefunden  zu  haben  glaubte  und  ihn  zu  einer  art  von  evangelischem  rit- 
ter  stempeln  wollte.  Diese  ansichten  San  Martes  zu  widerlegen,  soweit  sie  wirklich 
irrig  waren,  war  ein  solcher  apparat  nicht  nötig,  denn  der  Verfasser  findet  ja  selber 
zum  schluss,  dass  Wolfram  den  theologischen  fragen  fern  stand  und  zu  den  theolo- 
gischen Schriften  gar  keine  beziehungen  hat;  das  aber,  w*as  davon  richtig  war,  näm- 
lich dass  Wolfram  ein  wahi'haft  iunerliclier  Christ  und  dem  äusserlichen  werkdieuste 
abgeneigt  war,  ja  dass  er  auch  manclie  leise  kritik  au  der  kirclilichen  praxis  übte, 
hat  Sattler  nicht  widerlegt;  er  muss  vielmt^hr  selbst  zugeben,  dass  einerseits  man- 
ches auffallende  bei  Wolfram  steht  und  anderseits  manches  kirchlich  wichtige  fehlt. 

Sattlers  arbeit  bestätigt  nur  die  tatsache.  dass  sich  Wolframs  religiosität  über 
den  gewöhnlichen  katholischen  begriff,  wonach  religiosität  im  wesentlichen  im  gehor- 
sam gegen  die  vorechriften  der  kirche  besteht,  erhebt,  und  dass  ihm  die  innerliche 
läuterung  und  Sinnesänderung,  die  widergeburt,  das  allein  massgebende  war.  Das 
erhellt  aus  folgenden  punkten,  die  Sattler  zum  teil  zugeben  muss,  obwol  er  sehr 
leicht  darüber  hingeht: 

1.  In  Parzivals  bussaufenthalt  bei  Trevrezent  fehlt  die  formale  beichte,  die 
formale  absolution  und  die  satisfactio  operis.  Dagegen  tritt  um  so  stärker  in 
den  Vordergrund  die  contritio  cordis.  Die  letzteren  beiden  punkte  gibt  Sattler  zu, 
aber  wenn  er  behauptet,  dass  die  satisfactio  operis  kein  wesentlicher  teil  des  buss- 
sacraments  sei,  so  widerspricht  er  damit  dem  Lombarden,  der  ausdrücklich  die  drei 
bestandteile  aufzählt:  contritio  cordis,  confessio  oris,  satisfactio  operis.  Sattler  führt 
ein  paar  stellen  des  IX.  buches  an,  in  denen  die  ausdrücke  uandcl  gehen ,  wandeln 
Torkommen  (P.  798,  8.  499,  17.  4Gü,  13.  14),  aber  gerade  diese  beweisen,  dass 
der  anfldrook  nicht  in  dem  kirchlichen  sinne   der  satisfactio  operis  gebraucht  ist. 


538  BOETTICHIB 

Und  gerade  die  stelle,   die  für  Sattlers  ansieht  die  wichtigste  ist,   die  werte  Trevre- 
zents  502,  25: 

gip  mir  din  aünde  her : 

vor  got  ich  bin  dins  wandeis  wer. 
tmd  leist  als  ich  dir  hän  gesagt, 
helip  des  willen  unverxagt 

beweist  aufs  klai'sto,  dass  er  hier  unter  wafidcl  nicht  die  abbüssung  der  sünden 
durch  gute  werke  oder  durch  auferlegte  pein  meint,  sondern  die  Wandlung  des 
herzons,  die  umkehr. 

Die  woiie  gip  7nir  din  sünde  her  sollen  nach  Sattler,  wie  auch  früher  nach 
Domanig  und  Seeber,  natürlich  die  absolution  enthalten;  das  tun  sie  auch,  aber 
durchaus  nicht  in  der  kirchlichen  form;  Trevrezcnt  ist  auch  nach  meiner  ansieht 
von  p Hoste rlichem  charaktcr,  aber  ob  er  oixinungsinässig  als  zum  priester  geweiht 
gedacht  ist,  ist  mir  sehr  zweifelhaft;  vor  seinem  einsiedlerleben  w^ar  er  es  jedenfalls 
nicht,  dass  er  aber  mit  dem  entschluss,  in  die  einöde  zu  gehen,  die  priesterweihe 
erhalten  habe,  wird  nicht  erwähnt.  Trotzdem  Ist  er  ein  heilee  man,  und  in  des 
dichtors  äugen  kein  laie,  und  als  solcher  kann  er  auch  Parzival  die  sünde  abneh- 
men auf  grund  dessen,  dass  er  seine  reuige  umkehr  sieht.  Insofern  hatte  aber  doch 
Sun  Maiic  mit  seinen  hinweisen  auf  evangelische  ahnungen  bei  Wolfram  nicht  so 
ganz  unrecht,  und  die  „laienbeiclite'*  ist  auch  nicht  so  ohne  weiteres  herauszuint«.T- 
pH'tioren,  ein  punkt,  der  allerdings  von  Wichtigkeit  ist,  da  von  einer  B|)ätcren  beichte 
boi  einem  priester,  die  doch  nach  der  kirchcnlehre  notwendig  gewesen  wäre,  nicht 
die  rede  ist.  Sattler  sieht  das  priesteramt  Trevrezents  schon  durch  das  vorhanden- 
Hoin  i»inos  altars  erwiesen,  aber  ganz  mit  uni*echt.  Trevi-ezent  gehört  zum  Orabi- 
gt»s(!hle(ht,  und  in  Munsalvaesche  wird  der  Gral  doch  auch  auf  einem  altar  gestao- 
iUm  habt»!!,  ohne  dass  ein  priester  da  war  —  denn  wo  andei*s  hätte  die  taube  die 
j't'lwMligte  oblate  nicHlerlegcu  sollen?  Trevrezent  hatte  also  wol  für  Wolfram  schon 
tlurrh  spinn  Zugehörigkeit  zum  Oralgesclilechte  pricsterlicheu  Charakter,  und  so  konnte 
vY  uiu'h  absolvi(jren.  Ich  glaube  keineswegs,  dass  Wolfram  sich  hier  ausdrückheb 
in  ^^ogonsutz  zur  kirche  habe  stellen  wollen  —  er  folgte  ja  überdies  seiner  quelle  — 
ubor  er  stand  den  äusseren  Ordnungen  der  kirche  frei  gegenüber  und  wusste  das 
wt»MMi  von  der  form  zu  scrheidcn. 

•J.  Der  zweite  punkt  betrifft  das  Verhältnis  zur  beiden  weit.  Es  zeigt  denscl- 
U«u  ehamkter  innerlicher  religiosität.  Die  zu  seiner  zeit  allgemein  herrschende 
iue^ehauung  v(»n  der  uugiltigkeit  heidenchristlicher  mischehen  nimmt  er  als  tatsache 
tun«  «i»er  eint»  kritik  dieses  zustandcs  liegt  für  jeden  unbefangenen  in  der  charak- 
Irn-.tik  lU^lakanes  und  in  den  gewissensbissen  Gahmurets  auf  der  band.  Es  ist 
^Inuhe  ieh,  sogar  nicht  zu  weit  gegangen,  zu  behaupten,  dass  die  triuwe  und  der 
»MÜe  munnt's  muot  für  Wolfram  den  menschen  zum  rechten  Christen  und  der  Seligkeit 
>und»K  »»»achte  auch  ohne  taufe.  Dies  scheint  mir  die  bestimmung  des  Feirefii 
Aum  K\\\\\  »md  die  äusserlichkeit  der  taufhandlnng  an  ihm  in  ihrer  begründung  und 
\\\w\  huiKif^ehen  Wirkung  ziemlieh  deutlich  zu  sagen.  Seine  Charakteristik  der  edlen 
beulen  \x\\  NVillohalm  stimmt  dazu.  Ihn  deshalb  als  evangelischen  Vorkämpfer  in 
MU^puK  U  nehmen  zu  wollen,  kann  mir  nicht  einfallen,  denn  das  ist  ebensowenig 
vi>rti»Kele»eh  als  katholisch,  aber  Wolframs  innerliche  religiöse  richtung  gegenüber  dem 
V.^ihohfteheu  kirehondienste  wird  dadui*ch  allerdings  beleuchtet.  Ähnliches  liesse  sich 
rtUK-h  \i'n  HtMuor  hohen  auffassung  der  ehe  sagen,  die  nach  ihm  geradezu  den  him- 
iuel  \^iwuU»  wonn  sie  rehte  e  ist: 


ÜBEB  SATTLER,   WOLFRAAIS  REUOION  539 

468,  5    teert  ir  erfunden  an  rehter  c, 
tu  mae  xer  helle  werden  we, 
diu  not  sol  schiere  ein  ende  Mn. 
oder  im  Titurel  51,  2:  xe  himel  ist  reine  für  got  ir  geleite, 

TVolframß  Christentum  ist  biblisches  Christentum  mit  einem  stich  ins  huma- 
nistische, wenn  man  so  sagen  darf,  er  hat  aber  keinen  grund,  polemische  kritik  an 
der  kirche  zu  üben.  Er  folgt  allerdings,  wie  Sattler  sagt,  im  allgemeinen  der  her- 
kömmlichen schulmeinung,  aber  er  steht  dem  kirchentum  mit  seinen  Ordnungen  und 
f orderungen  sehr  frei  gegenüber,  nicht  als  freigeist,  sondern  als  eine  religiöse  natur, 
die  sicher  auf  dem  unverrückbaren  biblischen  gründe  des  ovangeliums  von  der  erlö- 
sung  durch  Christus  ruht.  Sattler  nimmt  keinen  bezug  auf  meine  Charakteristik 
Wolframs  in  meiner  Parzivalausgabe,  obwol  er  sie,  wie  mehrere  stellen  seiner  arbeit 
zeigen,  kennt;  ich  darf  daher  wol  annehmen,  dass  er  gegen  sie  nichts  wesentliches 
einzuwenden  weiss. 

Dies  ist  nun  der  eine  grosse  mangel  an  Sattlers  arbeit,  dass  er  die  eben  erör- 
terten dinge  gar  nicht  berührf.  Der  andere  ist  der,  dass  er  sich  die  gelegenheit,  bei 
seiner  ausgebreiteten  kenntnis  der  patristischen  littoratur  nach  den  quellen  für  gewisse 
ausführungen  Wolframs  zu  suchen,  hat  entgehen  lassen.  Es  war  zu  scheiden  zwi- 
schen den  allgemein  christlichen  anschauungen  und  denen,  die  an  theologische 
erörterungen  anklingen.  Solcher  gibt  es  allerdings  nicht  viel,  und  um  so  eher  kann 
man  deshalb  annehmen,  dass  sie  alle  der  französischen  quelle  Wolframs  augehören. 
Dahin  rechne  ich  z.  b.  die  astronomischen  anschauungen,  die  bei  dem  leiden  des 
Anfortas  erörtert  werden  P.  489  fgg.  Hier  begnügt  sich  der  Verfasser  mit  dem  allge- 
meinen hinweis,  dass  „man**  eben  damals  solche  meinung  von  dem  Satui'n  und 
den  planeten  hatte.  Ferner  gehört  dahin  die  angelologie,  die  Trevrezent  gibt  (P.  4G3 
fgg.),  die  menschen  Verderbnis  durch  die  ungemüit  der  töchter  Adams,  und  die  heil- 
mittcl  für  Anfoilas'  wuude  samt  allen  wundern  Indiens  nnd  des  Orients.  In  der 
französischen  theologischen  litteratur  war  hier  in  ei*ster  linie  zu  suchen.  Eine 
stelle  hätte  dies  dem  Verfasser  besonders  nahe  legen  müs.sen.  Das  taufbekenntnis 
des  Feirefiz  weicht,  wie  der  Verfasser  zeigt,  von  dem  gewöhnlichen  ritual  der  kirche 
ab,  zeigt  aber  grosse  ähnhchkeit  mit  einem  französischen  formular,  das  vom  cardinal 
Thomasius  in  einem  sehr  alten  französischen  missale  entdeckt  worden  ist.  Wolfram 
wii'd  es  aus  seiner  quelle  haben,  und  dies  hätte  den  Verfasser  veranlassen  sollen, 
der  spur  nachzugehen  auch  auf  die  möglichkeit  hin,  dass  nichts  dabei  herauskam, 
aber  er  stellt  nicht  einmal  die  frage  auf.  Mit  des  Verfassers  thcma  hatte  das  aller- 
dings nichis  unmittelbar  zu  tun ,  aber  nützlicher  wäre  gewiss  eine  imtersuchung  gewe- 
sen, die  es  sich  zur  aufgäbe  machte,  festzustellen,  was  von  Wolframs  religiösen  aus- 
führungen aus  theologischen,  besonders  französischen  werken  stammte,  und  was 
etwa  als  seine  eigne  zutat  oder  doch  absichtliche  fassung  zu  beti*achten  sei.  Nicht 
bloss  hierfür,  sondern  auch  für  des  Verfassers  thema  von  Wichtigkeit  sind  die  letzten 
untei*suchungen  Heinzeis  in  den  Wiener  Sitzungsberichten  über  die  quellen  Wolframs. 
Der  Verfasser  scheint  sie  noch  nicht  gekannt  zu  haben. 

BERLIN,   JULI  1895.  O.   BOETTICHER. 


540  EAÜFFMANN 

Zur  geschichto  dor  schwäbischen  muadart  m  XV.  Jahrhundert  L  All- 
gemeines und  vokale  dor  Stammsilben.  Von  K.  Bohnenberger.  Tübingen,  Laopp, 
1892.    X,  139  s.    4  m. 

Pas  buch  bringt  nicht  eine  lautgeschichto  im  bereich  des  XV.  jahrhan- 
dorts,  sond(?rn  eine  statistische  Übersicht  der  Stammsilben  vokale.  Der  stuff  is». 
nicht  einmal  chronologisch  geordnet  und  §  3  bekommen  wir  sogar  zu  lesen,  dass  die 
schwäbis(;he  mundart  „für  den  lauf  des  XV.  Jahrhunderts  einen  wesentlich  sich  gicich- 
bleibcndeu  cliarakter*'  zeige.  S.  69  hören  wir  in  der  Verwendung  von  ei  zeige  .sich 
,, zwischen  begirm  und  ende  dos  Jahrhunderts  ein  ziemlicher  unterschied'',  s.  67  steht, 
dass  „auch  in  der  ersten  hälfte  des  Jahrhunderts  die  diphthongierung  schon  auf  dem 
ganzen  gebiet  vollzogen^  gewesen  sei.  Aus  diesem  beispiel  dürfte  deutlich  werdeo. 
dass  Bohnenberger  geschichte  der  Orthographie  und  geschichto  der  laute  nicht  mit 
erforderlicher  strenge  auseinanderzuhalten  verstanden  hat.  Das  ist  aber  die  haupsat/hc. 
Bohnenbergor  erkennt  an,  da.ss  wii*  uns  mit  der  annähme  allmählicher  Um- 
bildung der  laute  nicht  begnügen  dürfen.  Er  ist  auch  darin  mit  mir  einig,  dass  wir 
möglichst  viele  chronologisch  zusammenfallende  Liut Wandlungen  auf  eine  gemeinsame 
Ursache  zurückführen  müssen.  Mit  mir  sieht  er  den  grund  der  sprachveräudenuig 
in  der  einwanderung  des  Stammes  in  seine  jetzigen  sitze.  Jedoch  im  einverstindiiis 
mit  Herm.  Fischer  (Germ.  36,  407)  hält  er  daran  fest,  da.ss  lautwandlungen  .gewan- 
dert'', entwicklungsstufen  weitergegeben  worden  seien,  lehnt  aber  die  Zumutung  aK 
den  ausgangspunkt  der  bevvegung  zu  bestimmen.  Ich  habe  nun  keineswegs  allein 
geographisch -physikalische  bedingungen  im  äuge  gehabt,  sondern  gesellschaftliche 
im  weitesten  sinne  dieses  wertes;  meine  formulierung  weicht  klar  und  deutlich 
von  der  J.  Grimms  (GDS^  574  fg.)  ab,  entspricht  vielmehr  der  von  Buixiach  (.Arn. 
f.  d.  a.  XII,  144),  Müllcnhoff  (DA.  lll,  197),  Meitzen  (Jahrb.  f.  nationalökon.  XXXII. 
56)  u.  a.  Meine  gegner  bitte  ich  doch  zu  berücksichtigen,  dass  historiker  ganz  ver- 
schiedener richtung  zu  demselben  crgebnis  systematischer  foi*schung  gelangt  sind.  Ich 
citiere  mit  besonderem  vergnügen  die  worte  von  I^mbeil  ton  Kate  (Aenleiding  II,  18): 
hij  't  rcrre  verspreiden  der  Volkeren,  't  betroonen  ran  andere  lugt streken ,  'tgehrui- 
kcn  ran  andere  kruidcn  en  voedsel,  cn't  aetinemen  ran  andere  xcdcji  moest  nitl 
allccn  ecn  rerandering  van  aertj  ran  geynoedsdrifteUs  ran  gestalte  en  ran  wexen 
ontstaen  ....  maer  ook  gvrolglijk  ecn  andere  erenredigheid  van  de  werktuigen  der 
nprakc  en  dacrdoor  een  rersvhil  van  tongeslag.  Man  gibt  ja  zum  teil  den  mechaoi- 
scheu  lautwandel  zu,  lässt  ihn  aber  für  die  lautconstitution  einer  spräche  nicht 
ausschliesslich  gelten  und  bekennt  doch  wider,  dass  die  constitutiven  factoren  nicht 
aus  dem  auge  gelassen  werden  dürfen.  Ich  halte  die  annähme,  dass  es  auch  laut- 
wand lungc'n  und  zwar  gesctzmässig  durchgreifende  gebe,  die  von  mundart  zu  mund- 
ait  gewandert  seien,  für  vollkommen  überflüssig  und  widerspruchsvoll.  Wir  stehen 
heute  doch  alle  auf  dem  Standpunkte,  dass  wir  für  jede  mundart  eine  sogenannte 
articulationsbasis,  einen  eigenartigen  indifFerenzzustand,  oder  wie  Scherer  wollte,  einen 
sjirachlichen  normalstand  der  orgaiie  festhalten.  Dieser  uomialstand,  sagte  Scherer 
(ZrJr)S'^33)  ist  für  alle  sprachen,  ja  für  jeden  besonderen  dialekt  einer  spräche  ver- 
schieden. Dieser  normalstand  bildet  die  einheit  dor  Sprachgenossenschaft. 
Eine  allgemein  durchgreifendt»  lautwaudking  ist  also  für  jedes  einzelne  individuum  ao 
ein  und  dieselbe  Voraussetzung  geknüpft:  eine  Übertragung  annehmen,  heisst  diesen 
nt»rmalstand  für  einen  t"il  der  Sprachgenossenschaft  als  nicht  vorhanden  betrachten. 
Ganz  audei-s  liegen  selbstverständlich  die  dinge,  wo  es  sich  um  reproduction ,  nicht 
um  production  handelt.    Auch  die  leistuugsfähigkeit  der  phantasie  und  des  gedöchtnis* 


ÜBER  BOIINKNBKRGER,    SCHWÄBISCHE  MUNDART  541 

SOS  ist  massgebend  für  die  individualsprache,  die  zwar  physiologisch  keine  anderen 
funktionell  zeigt  als  die  der  sprachgenossen,  aber  in  der  griippieruug  des  auf  mecha- 
nischem woge  entstandenen  laiitmaterials  untei'schiede  aufweist,  für  deren  ausbreitung 
ganz  andere  normen  gelten  als  für  die  lautwandlungen.  So  weit  derselbe  phonetische 
normalstand,  so  weit  dieselben  constitutiven  factoi-en  roichen,  so  weit  reichen  dieselben 
sprachgeschichtlichen  ergebnisso;  unterschiede  innerhalb  dieses  bereichs  beruhen  nicht 
auf  sprach  Veränderung,  sondern  auf  individuellen  tendenzen  des  sprachusus,  die 
nicht  von  dem  mechanismus  der  sprach organe,  sondern  von  der  gedächtniss- 
mässigen  beherrschung  des  sprach  st  off  es  abhängen.  Folglich  spielen  nur  bei  den 
auf  association  beruhenden  Veränderungen  des  sprachusus  Übertragungen  eine  rolle. 
Was  die  einzelnheiten  der  grammatik  betrifft,  so  ist  wenig  erfreuliches  zu  ver- 
zeichnen. Seitdem  Brandstetters  arbeiten  vorliegen,  müssen  anfordemngen  gestellt 
werden,  denen  Bohnenbergers  buch  entferat  nicht  genügt.  Bohnenberger  ist  über  die 
von  mir  gegebenen  directiven  nicht  hinausgekomm(;n.  Dabei  venvertet  er  ein  viel 
beschränkteres  material,  seine  quellen  gehören  meist  der  zweiten  hälfte  des  15.  Jahr- 
hunderts an,  die  erste  hälfte  ist  nur  in  sehr  geringem  mass  ausgeschöpft  worden. 
Neben  den  urkundenbüchern  wären  die  originale,  neben  den  drucken  die  datierten 
handschriftcn  heranzuziehen  gewesen.  Bei  der  beschränkung,  welche  Bohnenberger 
sich  auferlegt,  hätte  man  doch  zum  mindesten  Vollständigkeit  der  belege,  wenn  auch 
nur  in  zahlenmässigen  angaben,  erwarten  dürfen.  Wo  Bohnenberger  eine  neue  sprach- 
geschichtliche auffassung  bietet,  ruht  sie  mehr  auf  raisonnoments  denn  auf  tatsäch- 
lichen beweismaterialien.  Bohncnb^^rger  will  z.  b.  mit  H.  Fischer  (Germ.  3G,  413)  q 
der  heutigen  mundart  für  ä  des  frühen  mittelalters  aus  ao  oo  hervorgegangen  sein 
lassen,  wie  im  ahd.  au  über  ao  zu  o  geworden  sei.  Dabei  hat  er  nicht  bedacht, 
dass  der  vergleich  hinkt,  denn  ahd.  au  ist  zu  geschlossenem  ö  geworden!  Noch  im 
15.  Jahrhundert,  meint  Bohnenberger,  habe  sich  ao  (=ä)  zu  qo  entwickelt  „aber  nur 
80  weit,  dass  es  deutlich  noch  diphthong  blieb  und  die  Schreibung  au  noch  als  pas- 
sendste widergabe  des  lautes  erscheinen  konnte*'  (s.  20) ! !  Was  liegt  da  für  eine 
anschauung  deutscher  Orthographie  zu  gründe !  *  Die  Weiterentwicklung  zu  v  habe  sich 
aber  zweifellos  nicht  überall  organisch  vollzogen  —  d.  h.  Bohnenberger  selbst  kommt 
mit  seiner  annähme  nicht  durch.  Und  nun  stimmt  er  auch  noch  mir  bei,  dass  ä 
unter  zweigipfliger  betonung  sich  zu  diphthongischem  a^  entwickelt  habe  und  auf  der 
folgenden  seite  meint  Bohnenberger,  ich  werde  genötigt  sein,  diese  erklärung  selbst 
zurückzuziehen  (s.  26.  27).  Dass  ich  keine  belege  beigebracht  hätt«,  ist  ein  intum; 
hat  doch  schon  H.  Fischer  hervorgehoben,  was  für  meine  ansieht  spreche.  Ganz 
ähnlich  dem,  was  ich  über  hf^t  und  häo  gesagt  habe,  lautet,  was  Bohnenberger 
s.  29  über  da  als  möglicherweise  zulässig  bemerkt  und  wie  wenig  genau  er  verFährt, 
dürfte  daraus  hervorgehen,  dass  s.  27  zu  lesen  steht,  o  werde  „von  vereinzeltem 
abgesehen  in  wenigen  bestimmten  ei-scheinungen  häufiger  geschrieben'',  während  der- 
selbe Verfasser  s.  29  sich  über  o  folgendermassen  auslässt:    eine  grosse  rolle  spielt  o, 

1)  Bohnenberger  ist  von  einem  abergliiuben  au  den  buchstaben  beherrscht,  den 
man  kaum  für  möglich  halten  sollte.  Es  ist  geradezu  abenteuerlich,  was  er  alles  in 
die  Schreibungen  hineingehoimnisst,  man  vergleiche  z.  b.  g  9.  13.  17.  21  u.  ä.  Be- 
sonders macht  die  folgende  notiz  der  phonetischen  akribie  des  15.  Jahres  alle  ehre: 
0  und  e  können  beide  in  der  Schreibung  wechseln.  Wie  oben  gezeigt,  kann  es  auch 
bei  e  unter  eiuÜuss  der  umgebenden  consonanz  zu  einer  gewissen  stärkeren  lippt.'u- 
rundung  kommen  und  wo  man  weiss,  dass  dem  ö  eigentlich  rundung  zukommen  soll, 
wird  man  daher  dieses  zeichen  in  solcher  Stellung  besondei's  gern  gebrauchen  (s.  35). 


542  KAUFFMANN 

Eia  enorpischer  angriff  gegen  mich  erfolgt  §  32.  Ich  soll  in  der  därstellung  der  an 
mhd.  S  sich  knüpfenden  sprachgoachichtlichen  probleme  vielerlei  Verwirrung  ange- 
richtet haben.  Ordnung  habe  erst  H.  Fischer  (Gemi.  36,  416)  geschalTen.  An  die- 
ser Stolle  hat  Fischer  meine  erkläruug  der  diphthongicrung  einfach  aDgenommen. 
Dasselbe  hat  Bohnenberger  s.  54  getan,  desgl.  s.  76  für  mhd.  ö.  So  glaube  ich  der- 
jenige zu  sein,  der  Ordnung  geschaffen  hat.  Bohnenberger  hat  die  dinge  in  emen 
knÄuel  vorwirrt,  wenn  er  ostschwäb.  e9  aus  mhd.  e  mit  gemeinschwäb.  C9  aus  mhd.  « 
verbindet,  denn  dort  liegt  geschlossene,  hier  offene  qualität  zu  gründe.  Ich  kann 
mich  noch  nicht  davon  überzeugen,  dass  ich  volkstümliche  und  nicht  volk.stumlii.-he 
formen  durchoiuandergemengt  hätte.  Einen  eigenen  godanken  Bohnenbergers  glauliO 
ich  erst  s.  86  (§  56  anm.)  aufgestöbert  zu  haben.  Während  ich  nämlich  für  die  ent- 
wicklung  ö  >  ae  angenommen  hatte,  dass  vor  der  umjautung  ö  diphthongiort, 
diphthongisches  o^  zu  ö^  und  dieses  secundäre  öü  mit  dem  primären  öü  gemeinsam 
zu  ae  geworden  sei,  entscheidet  sich  Bohnenberger  dafür,  dass  bereits  vor  der  diph- 
thongierung  von  e  das  aus  ö  umgelauteteto  ö  entrundet,  mit  S  z\L<iammengefulleu 
und  fernerhin  mit  diesem  zugleich  diphthongiort  worden  sei.  Bohnenberger  hat  sith 
nirgends  über  das  alter  der  entrundung  geäussert.  Nach  den  von  mir  gesamm»'ltoa 
belegen  ist  aber  die  diphthongicrung  bedeutend  älteren  datums  als  die  cntrunduog 
und  so  lauge  sich  Bohnenberger  nicht  mit  den  tatsachen  der  Überlieferung  ins  ein- 
vernehmen setzt,  kann  ich  jenen  ausweg  blos  für  einen  eiufall  halten.  Das  ist  oK'-n 
das  beklagenswerte  an  dem  Bohnen  berge  r'schen  buch,  dass  er  die  gesamnitüberlio- 
ferung  nicht  im  äuge  behält  und  namentlich,  was  dem  15.  Jahrhundert  voraus  lit^j^-t 
vernachliLssigt  oder  ganz  überschlägt.  Eine  etwas  eingehendere  betrachtung  des  «loh- 
verhalts  erfordert  §  88  anm.  Es  handelt  sich  um  den  laut,  der  in  den  nomiah.siiT- 
ten  mhd.  texten  tu  gednickt  zu  werden  pflegt.  Bohnenberger  gibt  zunächst  b*rh'g'? 
für  die  wechselnde  Schreibung,  ohne  dass  nach  der  herkunft  der  verschiedenen 
Systeme  gefragt  wäio  und  das  ist  jetzt  die  erste  aufgäbe  dos  dialektlüstorikers.  Mir 
wird  vorgeworfen,  ich  hätte  den  alten  di|>hthong  und  den  lunlaut  von  ü  einfach  zu- 
sammengeworfen, das  ist  do(^h  aber,  wie  der  aug(jnschein  lehrt,  nur  zum  teil  rirhtig. 
Ich  habe  eine  kategorie  aufgestellt,  in  der  es  sich  nur  um  entsprechungen  von  mhJ. 
hi  handelt,  alleixlings  aber  auch  eine  zweite  kategorie,  in  der  ich  den  alten  dipb- 
thong  und  den  umlaut  von  ü  zusammengefasst  habe.  Das  tut  aber  auch  Fischer,  auf 
den  sich  Bohnenberger  beruft  und  das  tut  auch  Bohnenberger  selber  (s.  12(0,  nur 
fehlte  es  bei  mir  an  dor  geographischen  abgreuzung  und  an  der  Unterscheidung  der- 
jenigen iw,  welche  nicht  umgelautet  worden  sind.  Auch  Bohnenberger  lilssr.  gt-naa 
wie  ich  einen  toil  der  in  zu  J  werden  und  mit  otymol.  7  zu.sammen  diphthongiorung 
erleiden.  Ich  habe  nun  gesagt  (s.  169),  die  diphthongiening  zu  ul  müsse  eingetreten 
sein,  ehe  ii  und  **  zusammengefallen  waren;  Bohnenb«'rgor  erklärt,  gerade  das  gej: en- 
teil sei  der  fall.  Damit  widei-spricht  er  widerum  sich  selbst,  wenn  auch  er  s.  12i> 
annimmt,  die  entwi<.klung  sei  über  ü  bczw.  i  gegangen,  er  wisse  allerdings  niclii 
wie  ///  {lus  ///  i.»ntstanden  sei.  Huhnenborger  hat  meinen  text  gar  nicht  genau  anj;*'- 
selien,  iH'konnt  er  doch  s.  121  selbst,  die  entwicklung  von  /w  >  t/i*  werde  man  ni«ht 
in  spätere  zeit  setzen  küunen,  als  die  von  7  y>  ai.  Es  ist  nur  ein  teilgebiet  dos 
schwäbischen,  in  welchem  mhd.  i  w»  in  ?*«'  zusammengefallen  sind,  in  anderen 
strichen  begegnet  für  das  ununigelautete  iu  >  ta\  ü.  Es  ist  eine  ganz  unbegründete 
und  unerwoisliche  annähme,  in  fjillen  wie  nni  (neu),  snit  (siedet),  isuijtt  (sieht)  liege 
un\imgelautetes  iu  vor.  Mit  andern  werten,  die  von  Fischer  und  Bohnenberger  gegen 
meine  därstellung  erhobenen  einwände  sind  noch  zu  wenig  begründet,   als  dass  ich 


ÜBER   BREMER,   ORAMMAT.    DEUTSCHER  MA.  543 

etwas  zurückzunehmen  hätte.  Bohnenberger  behauptet  sogar  s.  122:  wo  mhd.  iu  im 
reim  mit  dem  umlaut  von  ü  gebunden  ist,  setzt  man  am  besten  für  beide  glieder  di 
an  und  s.  119  hatte  er  mir  vorgehalten,  ich  hätte  den  alten  diphthong  und  den  umlaut 
von  ü  einfach  zusammengeworfen,  als  ob  er  nicht  zum  selben  resultat  von  den  tat- 
sachen  gedrängt  worden  wäre.  In  gleicher  weise  muss  ich  mich  dagegen  verwahren, 
wenn  Bohnenberger  behauptet  (s.  126),  ich  hätte  für  den  Übergang  von  ow  >•  ao  ein- 
fach auf  die  dabei  vollzogene  cntrundung  hingewiesen,  als  hätte  ich  mich  nicht  auch 
über  die  entwicklung  des  2.  componenten  klar  und  deutlich  ausgesprochen.  Gegen 
meine  erklärung  soll  nun  der  Übergang  von  ai  '>  oa  und  so  von  S  <  ^  sprechen, 
im  Osten  liege  langes  offenes  o  vor,  man  habe  folglich  als  ältere  form  ao,  au  voraus- 
zusetzen. Dabei  hat  Bohnenberger  übersehen,  da.ss  die  entwicklung  mehr  mit  ö  als 
mit  ä  zusammengeht  und  dass  die  benachbarten  alera.  gebiete  wie  in  vielen  andern 
fallen,  so  auch  hier  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  das  ältere  ou  bewahrt  haben.  Es 
erweist  sich  überall  der  gesichtskreis  des  Verfassers  als  zu  eng  begrenzt 

JENA.  FRIEDRICH   KAÜFFMANN. 


Sammlung  kurzer  grammatikon   deutscher  mundarton  herausgegeben  von 
0.  Bremer.    Leipzig,  Breitkopf  &  Härtel.* 

I.  Deutsche  phonetik  von  0.  Bremer.  1893.   XXTTI,  208  s.  mit  2  taff .    5  m. 

II.  Bibliographie  der  deutschen  mundartforschung  fiir  dio  zeit  vom  beginn 
des  18.  Jahrhunderts  bis  zum  ende  des  jahros  1889  zusammengestellt  von 
F.  Montz.  1892.    XX,  181  s.    5  m. 

Der  godanke,  eine  allerseits  erwünschte  Sammlung  von  grammatikon  deutscher 
mondarten  durch  eine  phonetik  einzuleiten ,  ist  in  jeder  beziehung  gutzuheissen.  Denn 
beobachtung  des  mundartlichen  Sprachlebens,  wozu  die  phonetik  anleitung  geben  soll, 
ist  und  bleibt  die  elementare  Vorarbeit  dialektologischer  forschung.  Diese  beobach- 
tung kann  nicht  sorgfältig  und  eindringend  genug  sein.  Das  vorliegende  buch  selbst 
gibt  davon  ein  rühmliches  beispiel.  loh  wüsste  dem  herrn  hcrausgeber  nichts  besse- 
res zu  wünschen,  als  dass  seine  mitarbeiter  sich  an  ihm,  was  gründlichkeit  der 
beobachtung  betrifft,  ein  beispiel  nehmen  möchten.  Es  wäre  schon  viel  erreicht, 
wenn  solches  vorbild  nachfolge  fände.  Ich  zweifle  wenigstens  nicht,  dass  kein  leser 
von  Bremers  buche  scheiden  wird,  ohne  den  lebhaften  eiudruck  davon  ,bekommen 
zu  haben,  dass  hier  mit  unablässiger  energie  die  tätigkeit  der  Sprech  Werkzeuge 
beobachtet  und  zur  darstellung  gebracht  worden  ist.  Zweifelhaft  ist  mir  aber, 
ob  das  buch  geeignet  ist,  zur  Selbstbeobachtung  solche  anzuleiten,  die  ohne  pho- 
netische Vorbildung  an  eine  wissenschaftliche  dai-stellung  ihrer  mundart  gehen  wol- 
len. Auf  ein  paar  soiton  —  unzweckmässigerweiso  am  Schlüsse  des  ganzen  — 
wird  über  lautschrift  gehandelt:  meiner  ansieht  nach  hätte  dieser  anhang  den  ein- 
gang  bilden  sollen,  damit  dio  praktischen  aufgaben  gleich  von  vornherein  deut- 
lich werden  und  damit  der  dialektologe  von  den  praktischen  aufgaben  aus  in  dio 
Systematik  des  phonetikei-s  eingeführt  werde.  Unpraktisch  ist  das  buch  für  dio 
nächsten  zwecke  der  lernenden  ausgefall on.  Es  sind  zum  Verständnis  dessol- 
bon  Vorkenntnisse  erforderlich,  über  die  nur  ganz  wenige  philologen  verfügen.  Es 
ist  im  Interesse  der  sacho  zu  bedauern,  dass  Bremer  nicht,  wjis  seine  absieht  gt»we- 

1)  Über  das  erste  heft  dieser  Sammlung  giongon  uns  zwei  reconsioneu  zu, 
Ton  denen  die  erste  bereits  oben  s.  Hli)  fg.  veröffeutli<:ht  ist.  red. 


544  KAUFFMANN,   ÜBER  BREMKI?,    GRAMMAT.   ÜEUTSOHER  MA. 

sen  war,  einen  den  anfänger  einführenden  loitfaden  geschrieben  hat.     Jetzt  wendet  er 
sicli   nicht  an  anfängor,    sondern  an  einen  sehr  engen  kreis  selbstäudiger   fon>cher. 
Nun  sieht  man  aber  niclit  mehr  ein,   warum  Bremer  mit  einem  solchen  buch  gerad».- 
seine  Sammlung  von  dialektgrammatiken  eingeleitet  haben  wollte.     Mit  dieser  Samm- 
lung Imt  das  bucli  tatsächlich  nichts  zu  schaffen.    Bremer  selbst  verweist  die  lernen- 
den für  wichtige  probleme  der  dialektphonetik  auf  Siovera,  weil  diese  in  seiner  dir- 
Stellung  gar  nicht  behandelt  werden.     Das  buch  erfüllt  auch  insofern  seinen  zweck 
nicht,  als  es  keinerlei  materialion  deutscher  mundaiieu  bringt:  die  beispielo  sindauf- 
fallendcrweise  nicht  der  mundart,    sondern  dem  norddeutschen  „normaldeutsch*  CDt- 
nommeu.    Ja  Bremer  hat  nicht  einmal  dadurch  das  Studium  erleichteit,    dass  f^r  an 
die  ])hilologische  Vorbildung  seiner  mitarbeiter  anknüpfte,   er  hat  nicht  wie  Sievers 
undVir^tor  auf  unsere  philologischen  interessen  rücksicht  genommen,  nur  ganz  selten 
(z.  b.  s.  7r>)  tut  er  einen  sprachgescliichtlichon  ausblick.    Hat  der  dialektologo  —  man 
gestatte  der  kürze  halber  dies  woit  —  seither  an  den  erscheinungen  der  deutschen 
sprachgescliichte    Verständnis   für   phonetische   probleme    zu   gewinnen    versucht,    so 
bricht  jetzt  Bremer  alle  brücken  ab.     Das  ist  deswegen  zu  bedauern,    weil  die  auf- 
gal)en  des  phonetikers   und  die  dos  dialektologen  sich  nicht  decken  und  Bremer  auf 
die  specifische  Schulung  des  letzteren  verzichtet  hat.     Bremer  sagt  zwar,    sein  buch 
sei  für  [)hilologen  bestimmt,  aber  die  historisch -philologische  seite  ist  durchaus  ver- 
nachlässigt.   Bremer  erklärt  denn  auch,  bloss  als  hilfswissenschaft  beschäftige  .<ich  die 
phonetik   vorzugsweise  mit  denjenigen  spi-achfactoren,    deren    Wirkung    mau    kc'uueu 
müsse,    um  sich  der  Vorgänge  beim  eigenen  sprechen  bewusst  zu  werden   und  di»* 
Sprache  anderer  nachbilden  zu  können.     Als  specielle  aufgäbe  hat  sich  Bremer  nicht 
die  phonetik  deutscher  niundarten   gesetzt,    sondern  die  phonetik  derjenigen  mundiOt, 
welche  in  ganz  Deutschland  am  bekanntesten  sei,    die  spräche  der  gebildeten,   vor- 
nehmlich der  Norddeutschen:    meiner  erfalirung  nach  wird  Bremer  in  Mitteldeutsrh- 
land,   fcJüddeutschland,  Schweiz  und  Österreich -Ungarn  wenige  leser  finden,    die  mit 
dieser  sogenannten  „normalsprache"  bekannt  sind.     Das  ist  eine  zweite  bedauerhclio 
beschränkung  des  lescrkreiscs.      Drittens  besteht  nun  aber  die  Bremorsche  phunetik 
schon  aus  einer  akustik  der  geräusche  und  einer  akustik  der  klänge.     Das  ist  nur  eio 
ganz  geringer  bruchteil  dessen,   Wiis  wir  bisher  unter  phonetik  zu  verstehen  gewobut 
waren.     Sehr  breit  sind  die  erörterungen  der  vorbegritfe  ausgefallen,    liier  hätte  starii 
gekürzt  werden  dürfen,  um  räum  für  das  zu  gewinnen,  was  jetzt  in  dem  buche  fehlt. 
Jene  vorbegriffe  hal>en  allerdings  eine  vorzügliche  darstellung  durch  abbildungon  iie- 
funden,    die  so  klar  und  so  schön  sind,    dass  ich  sie  nicht  genug  empfehlen  kann; 
namentlich  bringt  tafel  JI  eine  reihe  von  artikulationsbildern,  denen  ich  grossen  päda- 
gogischen weil  beilege.   Wie  ich  schon  betont  habe,  linden  sich  in  dem  buch  sorgfältigo 
boobachtungt'ii,  al)er  sie  bewegen  sich  grossenlcils  auf  gebieten,  auf  denen  noch  vie- 
les, Wfun  nicht  das  meiste  sehr  unsicher  ist:  ich  denke  dabei  z.  b.  an  die  mit  gn)>st'r 
ausführlichkeit  behaiulelto  frage  von  den  eigentönen  dei    vokale    (vgl.  jetzt  Auerliach. 
Zeitschrift  für  französ.  spräche  XVI.  117  fgg.).     Bremei-s  darstellung  wächst  hier  weil 
über  den  rahmen  der  praktischen  phonetik   hinaus   in    den  der  allgemeinen  thei^re- 
tischcn  phonetik  liinein  und  die  hetzten  pai*agraphen  über  betonung  und  acceut  haben 
infolge  des  Übergewichts  der  resonanzlehre  nicht  mehr   die    ausgestaitung    erfahren, 
die  der  Wichtigkeit  der  sachc  entspräche.     Im  ganzen  bringt  das   buch   eine  articola- 
tionslehre  der  eiuzfh.-onsonanten  und  einzelvnkale   der  norddeutschen   nomialsprache. 
Die  reichhalt igkuit  der  beobaciitungen  an  diesem  idiom  und  die  an.schaiilichkeit  Inder 
besrlireibung  derselben  haben   zum  ei'steumal  diese  sogenannte  norddoatadie 


JIBIGZKK,  ÜBEB  PKDKR  L&LK  EDD.   ▲.   SOCK  ET  C.   AF  PEDERSENS  545 

spräche  für  die  forschong  zugänglich  gemacht,  aber  die  behandlung  ist  fragmentarisch 
und  für  angehende  dialektforscher  nicht  zu  empfehlen. 

Der  zweite  band  bringt  von  F.  Mentz  eine  bibliographie,  die  leider  nur  bis 
ende  1889  reicht  Sie  ist  viel  reichhaltiger  imd  nützlicher  als  die  von  mir  in  Pauls 
Onmdriss  der  .germ.  philologie  gegebene,  bei  der  ich  mit  engem  räum  haushalten 
musste.  Es  ist  ja  auch  bei  Mentz  noch  mancherlei  nachzutragen,  z.  b.  die  litteratur 
über  das  für  dialektgeschichte  so  wertvolle  judendeutsch,  die  arbeit  der  älteren  dia- 
lektforscher, der  mitarbeiter  Leibnizens  (Eccard,  Meier,  Frisch),  eines  Lambert  ten  Kate, 
Reichards  versuch  u.  a.  Aber  alle  etwaigen  ergänzungen,  die  ich  bieten  könnte, 
kommen  nicht  in  betracht  im  hinblick  auf  die  fülle  des  materials,  die  Mentz  zusam- 
mengetragen hat  und  die  jetzt  eher  einen  überblick  über  die  geschichte  der  forschung 
ermöglicht.  Die  gruppierung  rührt  von  Bremer  her,  der  bereits  (s.  VI  fg.)  in  einzel- 
nen punkten  änderungen  getroffen  zu  haben  wünscht  Mir  ist  manches  ganz  unver- 
standlich, am  unverständlichsten  der  Vorwurf,  die  linion  auf  den  karten  des  Wen- 
kerschon  Sprachatlas  seien  „zxmi  grossen  teil  nicht  zuverlässig*^.  Ich  bin  mit  den 
arbeiten  TVenkers  des  näheren  vertraut  und  weise  eine  derartige  anschuldigung,  so 
lange  sie  nicht  durch  belege  begründet  ist,  als  unberechtigt  und  ungehörig  zurück. 

JENA.  FRIEDRICH   KAUFFMANN. 


Ostnordiska  och  iatinska  medeltidsordspräk.  Peder  Läles  ordspräk  och  en 
motsvarande  svensk  samling  utgivna  för  Samfund  til  udgivelse  af  gammel  nordisk 
litteratur.  I.  bd.  Texter  med  inledning,  utg.  av  Axel  Kock  och  Carl  af  Peter- 
sens.  Kopenhagen  1889—1894.  Vin  und  284  selten.  II.  bd.  Kommentar  av 
Axel  Kock.    Kopenhagen  1892.    VI  und  446  Seiten.    Kompl.  22  krönen. 

Das  umfängliche  werk  „Ostnordische  und  lateinische  Sprichwörter  des  mittel- 
alters**,  das  lieferungsweise  als  Veröffentlichung  des  dänischen  Vereins  für  publication 
alter  nordischer  litteratur  zu  Kopenhagen  seit  dem  Jahre  1889  erschienen  ist,  liegt 
nunmehr  abgeschlossen  vor.  Axel  Kock  und  Carl  af  Petersens  haben  die  arbeit  der- 
art geteilt,  dass  beide  gemeinsam  die  dänischen  Sprichwörter  herausgegeben  haben, 
C.  af  Petersens  allein  die  schwedischen,  von  Kock  allein  rührt  (bis  auf  die  beschrei- 
bung  der  schwedischen  hdschr.  von  Petersens)  die  einleitung  und  der  kommentar  her; 
ein  sehr  praktisches  Stichwortregister  hat  A.  Malm  ausgearbeitet  Es  handelt  sich 
hier  um  die  ausgäbe  einer  sprich  Wörtersammlung,  welche  seit  alter  zeit  in  Dänemark 
unter  dem  namen  Peder  L&le  geht  imd  gegen  schluss  des  mittelalters  in  Dänemark 
allgemein  als  Schulbuch  verwendet  worden  ist.  Der  älteste  bekannte  druck  stammt 
aus  dem  jähre  1506  (gedruckt  bei  Godfred  von  Ghemen  in  Kopenhagen),  nunmehr 
bloss  in  einem  exemplar  (im  besitz  der  Universitätsbibliothek  zu  Kopenhagen)  bekannt 
(A);  im  jähre  1508  erschien  im  selben  verlage  ein  neudruck  (a),  der  im  wesentlichen 
mit  A  übereinstimmt  und  nur  kleine  änderungen  zeigt-,  auch  von  dieser  aufläge  gibt 
es,  so  weit  bekannt,  nur  ein  vollständiges  und  zwei  defekte  exemplaro.  Im  jähre 
1515  erschien  zu  Paris  bei  Jodocus  Badius  Ascensius  eine  neue  ausgäbe  von  Chri- 
stiem  Pedersen  (B);  ob  Chr.  Pedersen  die  drucke  A  und  a  gekannt  hat,  ist  nicht 
ganz  sicher,  jedenfalls  nennt  er  sie  nicht,  und  Kock  weist  nach,  dass  er  mehr  als 
eine  handschrift  gekannt  haben  muss.  B  enthielt  fast  alle  Sprichwörter  von  Aa,  nur 
ganz  wenige  fehlen,  und  ebenso  gering  ist  die  zahl  der  plus-nummem.  Die  anordnung 
ist  bis  auf  die  reihe  unter  dem  buchstaben  8,  die  stark  abweicht,  so  ziemlich  die- 
selbe wie  in  Aa;  B  steht  somit  mit  Aa  als  zu  einer  klasse  gehörig  zusammen;  auch 

r«  sumeoHi  PHiLOLoeiB.  bd.  xxvm.  35 


546  JIBIC2XK 

das  bandschriftfragment  Ny  kgl.  saml.  dor  kgl.  bibl.  zu  Eopenbagen  nr.  813*  4^  erst 
vor  wenigen  jabren  vom  bibliotbekar  Weeke  entdeckt,  aus  dor  zeit  von  14ä0  stam- 
mend (H)  stebt  näbcr  zu  AaB,  als  zu  S,  der  scbwediscbcn  bdscbr.  der  Palmsköldska 
samling  nr.  405,  auf  der  universitütsbibliotbek  zu  Upsala,  aus  der  ersten  häifte  des 
15.  jabrbunderts,  worin  eine  sehr  grosse  menge  nummem  von  AaB  fehlt,  dagegen 
auch  einige  plusnummem  vorkommen.  Die  gescbicbte  dor  Sammlung  wird  von  Eock 
eingebend  untersucbt  und  er  kommt  zu  folgenden  resultaten.  Die  im  mittelalter  ver- 
breitete metbodo,  beimiscbo  spricb Wörter  im  urtext  mit  lateinischer  Übersetzung  beim 
unterriebt  in  der  lateinischen  spräche  anzuwenden,  hat  den  anstoss  dazu  gegeben, 
dass  ein  gelehrter  teils  auf  gruud  ihm  bekannter  lateinischer  samlungen  lateinische 
Sprichwörter  zusammenstellte  und  die  entsprechenden  beimischen  dazufügte,  oder,  wo 
solche  nicht  gebräuchlich  waren,  eine  Übersetzung  machte,  teils  —  und  zwar  haupt- 
sächlich —  beimische  Sprichwörter  sammelte  und  dazu  eine  lateinische  Übersetzung 
selbst  fertigte.  Der  ursprüngliche  stock  wurde  allmülilich  durch  zutaten  vermehrt: 
nach  Schweden  gelangte  er  bereits  mit  solchen  zutaten,  und  einiges  schloss  sich 
dort  noch  ebenfalls  an;  die  erhaltenen  dänischen  redactionen  zeigen  noch  mehr  Zu- 
sätze als  S,  sowol  gemeinschaftlich,  als  auch,  wenngleich  in  geringerem  massc  in  den 
einzelnen  redactionen  Aa  und  B.  Die  ursprüngliche  Sammlung  ist  in  Dänemark  ent- 
standen, und  zwar  im  14.  Jahrhundert,  vielleicht  ader  auch  schon  im  13.  Jahrhun- 
dert; der  Verfasser  wird  wirklich  dor  von  der  tradition  genannte  Peder  Laale,  lati- 
nisiert Petrus  Laglandicus  mit  dem  beinainen  Legista  (nach  dem  iuhalt  der  ersten 
sprichst örter,  die  von  lex  handeln)  gewesen  sein,  den  man  sich  als  Schulmann  und 
geistlichen  —  oder  nur  als  eines  von  beiden  —  zu  denken  genötigt  ist  Dass  er 
aber  aus  Lälaud  sta/hmtc,  ist  keineswegs  sicher,  ja  nicht  einmal  w^abrscbeinlich; 
allerdings  heisst  Laglandicus  gewöhnlich  ein  Laländer,  aber  Laale  ist  ein  weitverbrei- 
teter dänischer  name,  der  keineswegs  l^aländcr  (^lollik,  lolk^)  bedeutet;  diesen  namen 
hat  Christiern  Pedersen  frei  latinisiert  und  damit  den  anlass  zu  missvorständnissen 
gegeben.  Ausser  der  sehr  genauen  bibliographischen  und  orthographischen  beschrei- 
bung  der  alten  drucke  und  handschrifteu,  eingehenden  Untersuchungen  über  das 
Verhältnis  der  verschiedenen  fassungen  zu  einander,  über  das  original  und  seinen 
Urheber,  sowie  die  Stellung  der  Sammlung  zu  ähnlichen  werken,  und  endlich  den 
sonstigen  bemerkungen  über  die  vorherigen  ausgaben  und  den  bei  dieser  ausgäbe 
befolgten  plan  bringt  die  einlcitung  —  in  der  man  nur  allenfalls  noch  eine  graphische 
darstellung  des  Verhältnisses  der  Sammlungen  zu  einander  und  eine  vergleichende 
tabelle  über  die  reiheufolgo  dor  nummem  in  den  verschiedenen  samlungen  wünschen 
könnte  —  noch  zwei  wertvolle  beigaben,  ein  Verzeichnis  über  die  drucklitteratur  der 
schwedischen  Sprichwörter,  und  einen  abschnitt,  dor  beobachtungen  über  die  form 
der  Sprichwörter,  und  zwar  alliteration ,  reim,  metrischen  bau  (besonders  interessant 
sind  die  nachgewiesenen  visufj6r[)ungar)  usw.  bringt  Auch  die  lateinischen  fassungen 
werden  kurz  berührt  und  der  aufmerksanikeit  dor  klassischen  philologen  empfohlen. 
In  einer  note  s.  113  bringt  Kock  eine  theorie  über  die  alliteration  der  vokale  vor, 
die  allgemeines  intercsso  zu  erwecken  geeignet  ist;  da  das  buch  seinem  für  germa- 
nisten  doch  ziemlich  entlegenen  Inhalt  nach  schwerlich  in  die  bände  aller,  welche 
für  diese  allgemeinere  frage  sich  interessieren,  gelangen  dürfte,  sei  hier  diese  stelle 
(in  Übersetzung)  vollständig  mitgeteilt.  Über  die  alliteration  ungleicher  vokale  bemerkt 
Kock  nämlich:  „Es  kann  die  frage  sein,  wie  weit  das  in  der  germanischen  poesie 
etwas  ursprüngliches  ist.  Denn  da  bei  konsonantischer  alliteration  die  gleichen  kon- 
souanten  gefordert  werden,  ist  es  unbegreiflich,  warum  man  bei  der  vokaliscben  alli- 


ÜBER  FEDER  Z^iLK   EDD.  ▲.  KOCK  ET  C.  AF  PETERSENS  547 

teiation  nicht  die  gleichen  vokale  fordern  sollte.    Der  gewöhnliche  versuch,  dies  Ver- 
hältnis zu  erklären  ist  nämlich  keineswegs  befriedigend.    Man  meint  wol  gewöhnlich, 
dass  die  gleichheit  der  vokalalüteration  sich  auf  den  festen  vokaleinsatz  beschränke. 
Sollte  es  aber  wirklich  denkbar  sein,   dass  diese  in  akustischer  beziehong  äusserst 
yeischwindende  aossprachsnüancierung  zu  einem  wesentlichen  faktor  der  versbildung 
gemacht  werden  könnte?     Wir  müssen   bedenken,   dass   der  feste   vokaleinsatz   so 
äusserst  gering  hervortritt,  dass  ein  ohr,  das  nicht  besonders  phonetisch  geschult  ist, 
ihn  nie  währgenommen  hat    Sollte  man  da  glauben  dürfen,  dass  unsere  vorväter  so 
fehle  beobachter  nicht  blos  von  sprachlauten,   sondern  von  modiükationen  derselben 
gewesen  sind,   dass  sie  das  publikum  unserer  tage  weit  übertreffen  hätten?    Und 
selbst  wenn   man   diese  unbedeutende   modifikation   der  ausspräche  wahrgenommen 
hätte,   sollte  man  mit  hilfe  einer  solchen  verse   gebildet  haben,    die  bisweilen  vor 
grossen  menschenmassen  vorgetragen  wurden,   und  zwar,  obgleich  es  für  die  mehr- 
zahl  der  zuhÖrer,  nämlich  für  alle  die  sich  in  einigem  abstand  von  dem  vortragenden 
befanden,  absolut  unmöglich  war  diese  ,,alliteration'^  zu  vernehmen?   Und  noch  mehr: 
wie  weiss  man,  dass  unsere  germanischen  vorväter  gerade  einen  solchen  vokaleinsatz 
hatten?    Die  Engländer  haben  ihn  jetzt  nicht;   es  ist  also  höchst  zw^eifelhaft,   ob  er 
in  den  germanischen  sprachen  alt  ist    Ist  es  aber  nicht  der  feste  vokaleinsatz,   der 
die  ähnlichkeit  zwischen  z.  b.  a  und  e  ausmacht,   in  welcher  beziehung  sind  diese 
laute  einander  ähnlicher  als  zwei  verschiedene  konsonanten,    z.  b.  k  und  g?    Wir 
können  ruhig  antworten:   sie  sind  einander   nicht  mehr  ähnlich.     Dann  findet  sich 
aber  in  der  eigenen  natur  dieser  laute  nicht  der  geringste  grund,   weshalb  man  die 
beiechtigung  haben  sollte,    z.  b.  allr :  endi,   aber  nicht  koma  :  ganga  alliterieren  zu 
lassen.    Die  sache  dürfte  auf  sprachhistorischem  wege  zu  erklären  sein.    Ursprung- 
lidi  hat  man  sicherlich  nur  Wörter  mit  a-  mit  Wörtern  mit  a- ,  solche  mit  e-  mit  sol- 
dien  mit  e-  alliterieren  lassen ,  gleichwie  Wörter  mit  k-  mit  Wörtern  mit  k- ,  solche  mit 
g-  mit  solchen  mit  g-  alliterierten.    Doch  die  vokale  haben  auf  grund  der  Wirksam- 
keit verschiedener  lautgesetze  weit  mehr  Veränderungen  erlitten  als  die  konsonanten, 
oder  richtiger  gesagt,   ein  vokal  ist  als  anfangslaut  weit  öfter  zu  ungleichen  lauten 
in  folge  des  einflusses  verschiedener  lautgesetze  differenziert  worden,    als  es  mit  den 
anfjuigskonsonanten  der  fall  war.    Daraus  folgte,  dass  in  bereits  vorhandenen  gedich- 
ten  anfangsvokale,  die  einmal  gleich  waren,  ungleich  wurden,  während  die  anfangs- 
konsonanten  unverändert  blieben.    Angenommen,  dass  der  gebrauch,  ungleiche  vokale 
zu  reimen,   in  den  germanischen  sprachen  aufgekommen  ist,   so  haben  z.  b.  die  spä- 
teren nordischen  Wörter  allr :  endi  einmal   durch  den  anfangslaut  a   mit   einander 
alliteriert,  vgl.  got.  alh  :  andeis,    Nachdem  indessen  a  durch  t-umlant  zu  e  in  endi 
geworden,  Hess  man  sie,   nachdem  diese  worte  sich  in  einem  alten,   vor  der  durch- 
fuhnmg  des  t-nmlauts  verfa.ssten  gedichtc  fanden,  metrisch  in  diesem  gedichte  fort- 
üahrend  alliterieren,    d.  h.  allr :  endi  alliterierten.     Hieraus  kam  der  gebrauch   auf, 
dass  man  auch,   wenn   man   neue   gedichte   schrieb   [soll  wol   heissen  «verfasste*] 
angleiche  vokale  alliterieren  liess.    Das  gesagte  soll  nicht  so  aufgefasst  werden,  dass 
dieser  gebrauch  gerade  bei  den  germanischen  völkem  aufgekommen  sein  muss.    Es 
ist  möglich,   dass   er   zu   ihnen  von    einem   andern   stamme  gelangte.     Aber  dieser 
gebrauch  dürfte  bei  dem  volke,  bei  dem  er  zuerst  entstanden  ist,   von  ungefähr  sol- 
chen sprachgeschichtlichen  Verhältnissen,  wie  hier  erwähnt,  nämlich  von  der  grosse- 
ren Veränderung  (differenzierung)  der  anfangsvokale  gegenüber  den  aufangskocsonan- 
ten  veranlasst  worden  sein."  —   Dass  der  feste  vokaleinsatz  in  den   idg.  sprachen 
nichts  nrsprfin^ches ,  sondern  verhältnismässig  modernen  Ursprungs  sein  dürfte,  und 

35* 


548  jnaczEK 

darum  nicht  mit  dem  griechischen  Spiritus  lenis  zu  identificieren  ist,  hat  bekanntlich 
auch  Sievers  schon  hervorgehoben,  und  die  erklärung  der  alliteration  ungleicher 
vokale  durch  den  festen  einsatz  ist  wol  endgiltig  zu  streichen.  Aber  dass  der  braocb, 
ungleiche  vokale  alliterieren  zu  lassen,  erst  secundär  auf  dem  von  Kock  angedeutsteD 
wego  aufgekommen  wäre,  scheint  mir  ganz  ausgeschlossen.  Die  erklärung,  weshidb 
man  bei  konsonanten  vollständige  gleichheit  verlangte,  bei  vokalen  aber  nicht,  liegt 
in  ganz  anderer  richtung.  Berücksichtigt  man,  dass  bei  konsonanten  als  geräusch- 
lauten  schon  infolge  der  artikulation  der  akustische  effekt  geringer  ist  als  bei  reinoi 
stimmlauteu  (vokalen),  und  dass  ihr  akustischer  effekt  durch  die  Stellung  vor  dem 
acccnt  hinter  dem  akustischen  efiPekt  accentuierter  anlautvokale  —  imd  dass  der  ger- 
manische feste  accent  Voraussetzung  der  alliteration  ist,  ist  natumotwendig  und  allge- 
mein anerkannt  —  bedeutend  zurückstehen  musste,  so  scheint  hierin  die  begründung 
zu  liegen,  weshalb  man  bei  konsonanten  (zu  denen  in  diesem  zusammenhange  wegen 
der  Stellung  vor  dem  accent  auch  nasale  und  liquide  zu  rechnen  sind,  wie  der  usus 
beweist)  völligen  gleichklang  braucht ,  ja  sogar  diesen  gerne  auf  doppelkonsonanz  aus- 
dehnt (s.  R.  M.  Meyer,  Ztschr.  XXVI,  149  fgg.)?  während  bei  vokalen  ihr  gemein- 
samer chaiakter  als  reine  stimmlauto,  deren  stimmfülle  im  vorgetragenen  alliteriereo- 
den  vcrse  durch  den  auf  sie  fallenden  accent  noch  eindringlicher  hervortrat,  das 
gleichmachende  momcnt  guweseu  sein  dürfte  (das  auch  heute  von  jedem  musikalischen 
obre  beim  vertrag  alliterierender  verse  als  gleichheit  empfunden  wird),  dem  gegen- 
über die  durch  die  verschiedene  resonatohsche  einwirkung  des  mundraumes  bedingte 
Verschiedenheit  der  einzelnen  vokale  unter  einander  nicht  ins  gewicht  fiel,  im  gegeo- 
teil  sogar  beliebt  gewesen  zu  sein  scheint.  Dass  der  gebrauch  der  alliteration  bzw. 
der  ungleichen  vokalalliteration  zu  den  Germanen  von  auswärts  gekommen  sein  sollte, 
muss  bis  zur  erbringung  eines  beweiscs  ganz  aus  dem  spiele  bleiben  und  das  probiem 
zunächst  auf  germanischem  boden  ausgetragen  werden.  Und  da  stösst  die  hypothese 
Kocks  zunächst  principiell  auf  die  Schwierigkeit,  dass,  wenn  dem  obre  der  Germanen 
nur  völlig  gleiche  vokale  als  alliteration  klangen,  es  ganz  unbegreiflich  ist,  wieso  die 
zersprengung  alter  reimender  Verbindungen  durch  die  vei'änderung  des  anlautvokales 
in  einem  werte  sie  bewogen  haben  sollte,  nunmehr  verschiedene  vokale  als  alliterie- 
rend zu  empfinden.  Die  auffassung  des  obres  kann  doch  durch  den  spiuchhistorischen 
Vorgang  nicht  eine  andere  geworden  sein!  Entweder,  das  ohr  unserer  vorväter  fühlte, 
wie  Kock  annimmt,  nur  a  ;  a  als  als  alliteration,  a  :  e  aber  nicht  —  dann  erklaren  aber 
die  Veränderungen  der  spräche  nicht,  wieso  man  laute,  die  einander  „nicht  mehr  ähn- 
lich'' sind  als  k  und^,  dennoch  als  alliteration  gefühlt  hätte  und  sogar  auf  die  Vernich- 
tung der  alten  regel  ein  neues  gesetz  baute;  wie  konnte  man  das,  wenn  das  ohr  die 
alliteration,  zu  der  „in  der  eigenen  natur  der  laute  nicht  der  geringste  grund"^  war, 
nicht  vernahm?  Oder,  ungleiche  vokale  wurden  als  alliteration  empfanden,  dann 
ist  zur  spi-achhistorischen  erklärung  kem  grund  vorhanden.  Und  femer  müsstc  man 
denn  doch  erwaitcn,  dass  die  alte  regel,  nur  gleiche  vokale  alliterieren  zu  lassen, 
ihren  reflex  noch  in  den  denkmälem  finden  sollte;  aber  schon  zu  Tacitus  zeitcn, 
also  in  einer  pcriodc,  wo  die  allermeisten  der  später  im  germanischen  wirksamen 
Vokalveränderungen  noch  nicht  eingetreten  sind,  alliterieren  ungleiche  vokale:  Ing- 
va3ones  (mit  älterem  e)  und  (H)erminones  mit  Istvseones  (i  bzw.  I),  und  in  dem 
erhaltenen  poetischen  belegmaterial  ist  oder  scheint  gerade  regel,  ungleiche  vokale 
vor  identischen  zu  bevorzugen,  und  bei  identischen  die  gleichheit  durch  Verschieden- 
heit der  unmittelbar  folgenden  konsonanten  einzuschränken  (s.  R.  Hildebrand,  Ztschr. 
f.  d.  deutschen  Unterricht  5,  577  fgg.).     Völliger  gleichklang,   wie   er  bei  ^eichflD 


ÜBEB  PEDEB  lIlE  EDD.  A.  KOCK  KT  C.  AF  PBTERSEN8  549 

acccntuierten  ODlautvokalen  am  schärfsten  hervortreten  musste,  scheint  eben,  wie 
Hildebrand  hervorhebt,  als  unschön  empfanden  worden  zu  sein;  bei  konsonanten  war 
er  schon  dadurch  gemildert,  dass  er  durch  den  erst  folgenden  acceut  an  und  für  sich 
nicht  so  stark  hervortrat,  zumal  auch  hier  Verschiedenheit  des  folgenden  vokals  be- 
liebt gewesen  zu  sein  scheint.  Man  hat  bis  vor  kurzem  die  betrachtung  der  allite- 
ration  viel  zu  einseitig  und  mechanisch  auf  den  anlaut  des  wertes  beschränkt  und 
darüber  die  rolle  der  folgenden  laute  und  die  bedeutung  des  accentes  zu  wenig  beach- 
tet Sind  auch  die  denkmäler  der  alliterationspoesie  jünger  als  die  zeit,  auf  die 
Eocks  hypothese  allenfalls  sich  zurückziehen  kann,  so  würde  doch  eine  genaue  durch- 
forschung  des  materials,  die  sich  auf  statistische  tabellen  stützen  müsste  —  denn 
nur  die  veihältniszahlen,  nicht  die  absoluten  zahlen  der  einzelnen  erscheinung,  geben 
den  ausschlag  —  unzweifelhaft  licht  auf  diese  frage  werfen,  und  zwar,  soweit  man 
schon  jetzt  urteilen  kann,  nicht  im  sinne  der  Keck' sehen  hypothese. 

Sowol  die  dänische  wie  die  schwedische  redaktion  sind  bereits  herausgegeben, 
die  erstere  (von  der  verlorenen  ausgäbe  H[ans]  H[ansen]  S[kaaning8]  1614  und  einem 
neudruck  1703,  sowie  der  ausgäbe  von  Ley  1842  abgesehen,  beides  nur  un philologische 
widergabe  des  dänischen  textos)  von  R.  Nyerup  1828,  die  letztere  von  Reuterdahl 
1840.  Sowol  die  relative  Seltenheit  dieser  alten  editionen  als  die  grösseren  forderun- 
gen  an  philologische  genauigkeit  in  unserer  zeit  rechtfertigen  eine  neue  ausgäbe. 
Zugrunde  liegt  A,  mit  den  abweichenden  lesarten  von  a  und  B  unter  dem  strich, 
in  2  beilagen  folgen  die  unica  von  B  und  ein  abdruck  der  fragmcnte  von  H.  Daran 
schliesst  sich  die  widergabe  von  S.  Text  und  lesarten  sind  diplomatisch  getreu,  mit 
cursivierung  der  aufgelösten  Verkürzungen  widergegeben,  ein  verfahren,  das  sich  auch 
auf  den  lateinischen  text  erstreckt;  ob  die  abkürzungszeichen  des  druckes  im  däni- 
schen text  mehrfache  auslegungen  zulassen  und  es  notwendig  war,  sie  durch  cursiv- 
druck  zu  kennzeichnen,  oder  ob  bei  unzweideutigkeit  des  Systems  es  genügt  hätte, 
im  Vorwort  darüber  summarisch  auskunft  zu  geben,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden. 
Aber  dass  es  im  lateinischen  text  für  irgendjemanden  einen  zweck  haben  kann,  zu 
ersehen,  ob  z.  b.  n  gedruckt  oder  nur  durch  strich  über  dem  vokal  ausgedrückt  ist, 
scheint  mir  zweifelhaft;  indess  gilt  ja  bekanntlich  in  Schweden  der  diplomatorische 
abdruck  als  das  ideal  einer  ausgäbe,  imd  wenn  die  herausgeber  dieses  an  sich  in 
manchen  fällen  imd  von  gewissen  gesichtspunkten  berechtigte  princip  auch  auf  einen 
lateinischen  druck  vom  jähre  1506  ausdehnen,  so  ist  das  ihre  sache,  über  die  mit 
ihnen  niemand  rechten  kann  oder  braucht,  da  dem  benutzer  des  buches  hiodurch 
jedesfaUs  nichts  entgeht.  An  diesen  jedesfalls  peinlich  genanon  text,  für  dessen 
richtigkeit  der  name  der  beiden  herausgeber  bürgt,  schliesst  sich  würdig  der  umfäng- 
liche kommentar  von  Axel  Keck ,  der  nach  den  s.  1  fgg.  ausgesprochenen  grundsätzen 
des  Verfassers  zunächst  nur  der  text-  und  siunerklärung  der  Sprichwörter  (speciell  der 
nordischen)  dienen  soll,  wobei  aber,  wie  zu  erwarten,  in  beziehung  auf  nordische 
parallelen,  lexikalisches  und  sprachliches  eine  menge  interessanter  und  feiner  beobach- 
tungen  zu  tage  treten,  deren  aufsuchen  ein  Wortregister  erleichtert.  Die  Verdienste 
dieser  leistung  Kocks  im  einzelnen  zu  würdigen  muss  dem  fachmanne  auf  dem  gebiete 
der  sprichwörterkundo  überlassen  bleiben.  Kommt  auch  der  nächste  gewinn  dieser 
Publikation  der  beiden  schwedischen  gelehii:en  zimächst  der  ostnordischen  philologie, 
einem  ausserhalb  Skandinaviens  nur  sehr  wenig  gepflegten  gebiete  zu  gute,  so  wird 
doch  auch  niemand,  der  sich  mit  allgemein  nordischer  philologie  beschäftigt,  an  dem 
buche  vorübergehen  dürfen;  vor  allem  aber  möge  durch  diese  anzeige  die  aufmerk- 
samkeit  derer,  die  sich  mit  dem  Studium  der  sprichwörterkundo  beschäftigen,  darauf 


550  WUNDEBLICH,   ÜBER  SCHULTHBIS8,  GESCH.   D.  NAnONALGXP&BLS 

hingelonkt  werden,  dass  allen  arbeitem  auf  diesem  internationalen  gebiete  hiermit  eine 
philologisch  streng  gesicherte,  sorgfältige  imd  auf  dem  ganzen  gebiet  des  nordiscben 
Sprichworts  licht  verbreitende  veröffentlichong  geboten  ist,  doppelt  wichtig  für  ae 
durch  A.  Kocks  reichen  kommentar,  der  den  wert  des  ganzen  Werkes  weit  über  den 
onggesteckten  Wirkungskreis  einer  blossen  publikation  ostnordischer  texte  des  späte- 
sten mittelalters  hinaushebt. 

BRESLAU,  81.  OKTOBER  1896.  0.  JIBICZKC 


Geschichte  dos  deutschen  nationalgefühls.    I.  Von  der  urzeit  bis  zum  inter- 
regnum.    Von  F.  G.  Schultheiss.    München,  G.  Franz.    YIU  und  290  s. 

Schon  die  ergebnisse ,  die  der  Verfasser  in  dem  vorliegenden  ersten  band  seiner 
Untersuchungen  anstrebt,  sollen  nicht  weniger  der  politischen  geschichte  als  auch  derÜt- 
teraturforschung  zu  gute  kommen.  Denn  „das  erwachende  bewusstsein  nationaler  eigen- 
art  zeigt  schon  die  neigung  sich  auf  geistige  Interessen  zurückzuziehen^  und  unter  dcD 
„grossen  perioden  der  geschichte  des  deutschen  nationalbewusstseins^  steht  sein  „Verhält- 
nis zum  humanismus  und  zur  reformation*^  ebenbürtig  neben  seinem  Verhältnisse  ,zuin 
alten  kaisertum,  zu  den  wahlkönigen^  und  „zum  dynastischen  sondertum'^  (cinl.  s.  7). 
Ebenso  wird  auch  die  Untersuchung  selbst  sowol  auf  historischem  als  auf  litterarischem 
gebiete  geführt.  Der  Verfasser  ist  jedoch  in  erster  linio  historiker  und  seine  ausbeutung 
unserer  mittelalterlichen  dichtung,  wie  sie  im  vorliegenden  ersten  bände  zu  tage  tritt, 
ist  abhängig  von  fremden  —  dazu  vielfach  einander  entgegengesetzten  —  nrteQeo. 
So  ziemlich  die  meisten  problcme  der  Htteraturgeschichte,  gelegentlich  auch  der 
Sprachforschung,  werden  in  die  darstellung  einbezogen,  ohne  dass  immer  diejenigen 
Seiten  gestreift  würden,  in  denen  die  neuere  forschung  den  anschauungen  des  Ver- 
fassers entgegen  kommt.  Auch  scheint  mir  als  ob  der  Verfasser  die  wurzeln,  aus 
denen  das  nationalgcfühl  erwäclist,  nicht  genügend  blossgelegt  habe,  als  ob  er  im 
gegonsatz  zu  den  forderungen  seiner  einleitung  in  der  Untersuchung  selbst  zu  viel 
mit  den  entwickelten  formen  operiere.  So  legt  er  wol  zu  wenig  gewicht  auf  die 
äusserungen  des  Sippen-  und  Stammesgefühls,  die  sich  auch  litterarisch  kund  geben, 
und  hat  sich  die  reichen  belege  entgehen  lassen,  die  neuerdings  für  das  bairische 
stammesgefühl  aus  den  dichtungen  des  11./12.  Jahrhunderts  dargeboten  werden.  Das 
ganze  Verhältnis  unserer  nationalen  dichtung  zur  romanischen  hat  in  seiner  darstel- 
lung weder  neue  beleuchtung  noch  überhaupt  eine  eindringende  widergabe  gefunden. 
Das  höfische  epos,  das  so  manchen  wichtigen  beitrag  für  diese  frage  hätte  liefern 
können,  hat  dem  Verfasser  durchweg  nur  negative  züge  geboten,  am  dürftigsten 
aber  ist  unsere  politische  spruchdichtung  ausgebeutet  worden.  Sie  hätte  tiefere  ein- 
blicke  in  ihre  ent Wicklungsgeschichte  eröffnet,  wenn  Schultheiss  nicht  gleich  mit 
AValther  begonnen  hätte,  und  in  ihren  späteren  beziehungen  zu  den  BOhmenkönigen 
hätte  sie  das  deutsche  nationalgcfühl  seltsam  widergespiegelt  Schultheiss  hat  sich 
hier  für  Reinmar  von  Zwcter,  dem  er  fast  ausschliessend  sein  augenmerk  widmet, 
gerade  denjenigen  gewährsmann  entgehen  lassen,  der  am  weitgehendsten  auf  dem 
grenzgobiet  von  geschichte  und  litteratur  beschoid  weiss,  Gustav  Hoethe.  Anderer- 
seits soll  dankbar  anerkannt  werden,  dass  aus  den  historischen  quellen  des  Verfassers 
zahlreiche  mitteilungen  fliessen,  die  dem  litterarhistoriker  von  wert  sind. 

HEIDELBERG,  OKT.   1895.  H.   WUNDEBLICH. 


PBÄNKEL,   BÜBQERIANA  551 

MISCELLEN. 

Personalien  und  stoffgesehichtliehes  za  G.  A.  Bttrgrer. 

1.   Bürgers  erste  gattin  dichterin? 

Dass  das  ilim  1774  „angetraate  weib  ein  weib  von  gemeinem  schlage*^  nicht 
war,  bestätigt  Bürgers  bedeutsame  ,,  Beichte  eines  mannes,  der  ein  edles  mädchen 
nicht  hintergehen  will*^.  Trotzdem  darf  man  über  die  geringfügige  teilnähme,  die 
er  als  dichter  bei  seiner  treuen  Dorette  fand,  nicht  den  mindesten  zweifei  hegen. 
Als  sie  nach  grenzenlos  unglücklicher  ehe  am  30.  juli  1784  „an  der  auszehrung,  die 
in  ihrer  familie  erblich  war''  —  so  heissts  ebenda  —  starb,  widmete  er  ihr  öffent- 
lich einen  rührend  innigen  nachruf.  Dabei  ist  Julius  Sahr'  recht  zu  geben:  „Der 
tod  seiner  frau,  einer  edlen,  stülon  dulderin,  erlöste  ihn  aus  dem  qualvollen  doppel- 
verhältnis;  es  war,  als  heitere  sich  sein  leben  auf,  und  unsere  gründlichsten  Bür- 
gerkenner, Ed.  Grisebach  und  A.  Sauer'  voran,  betrachten  die  Sachlage  ebenso*, 
um  so  mehr  sollte  man  da  erwarten,  in  jenem  nekrolog,  der  ihre  Vorzüge  genugsam 
pries,  jede  bemerkliche  tugend  durch  ihn  gleichsam  wie  eine  mittelbare  entschul- 
digung  vor  sich  und  der  weit  herausgestrichen  zu  finden.  Von  einem  poetischen 
talente  der  entschlafenen  oder  gar  von  bezüglichen  erzeugoissen ,  die  vor  das  publi- 
kam  getreten ,  liess  er  darin  keine  silbe  verlautbaron.  Und  dazu  wäre  in  dieser  breit 
ausgesponnenen  Würdigung  vollauf  anlass  gewesen.  Auch  sonst  wird  nirgends  etwas 
der  art  direkt  gemeldet;  der  älteste,  der  Bürgers  leben  einigermassen  litterarhisto- 
risch  behandelte,  C.  F.  R.  Vetterlein*,  und  dann  Jördens,®  im  rein  biographischen 
fast  sklavisch  ihm  nachschreibend ,  hätten  sich  bei  ihrer  verliebe  für  alles  anekdotische 

1)  Bürgers  Sämtliche  werke,  1844,  IV,  198  fg.;  Strodtmann,  Briefe  von  und 
an  Bürger  IV,  19.  Dieses  Schriftstück  ist  zwar  psychologisch  hitoressant,  darf  aber 
nur  vorsichtig  zu  Schlüssen  verwendet  werden,  da  es  mit  vollster  absichtiichkeit  für 
die  zu  gewinnende  noch  nicht  gesehene  braut,  „das  Schwabenmädchen''  (s.  unsere 
nr.  2),  ausgearbeitet  war. 

2)  In  seinem  knappen,  deutlich  umrissenen  säku]arai*tikel  „Zum  gedächtnis 
G.  A.  Bürgers",  Ztschr.  des  allgem.  dtschn.  Sprachvereins  IX  (1894),  133,  wo  er  sein 
lieblingsthema  (vgl.  Ztschr.  XXVII,  414),  Bürger  als  lehrer  und  pfleger  der  deut- 
schen spräche,  vortrefflich  behandelt. 

3)  Aus  einem  von  diesem  in  seinem  hochwichtigen  abdrucke  dos  briefwech- 
sels  zwischen  Bürger  und  Goeckingk  (Vierteljahrschr.  f.  fitteraturgesch.  111)  veröfiFent- 
lichten  biUet  Bürgers  vom  31.  juli  (s.  das.  s.  451  fg.)  scheint  mir  dieselbe  empfin- 
dung  zu  sprechen.  Ebd.  s.  434  findet  Dorette  in  Stimmungsberichten  an  Goeckingk 
für  lyrische  Sentimentalität  allerdings  eine  gute  prosa. 

4)  Vgl.  meine  unten  s.  555  anm.  1  angezogene  abhandlung  s.  1208  a. 

5)  „Handbuch  der  poetischen  litteratur  der  Deutschen,  d.  i.  Kurze  nachrich- 
ten  von  dem  leben  und  den  Schriften  deutscher  dichter.  Ein  anhang  zu  seiner  Chre- 
stomathie deutscher  gedichte.  Köthen  ISOO**,  ein  heute  vergessenes  buch,  das  aber 
gar  manche  brauchbare  notiz,  Öfters  sogar  nicht  üble  ausätze  zu  einer  Charakteristik 
enthält,  so  über  Bürger  s.  539 — 555,  sogar  auch  schon  4  englische  Lenoro- Über- 
setzungen nach  den  drucken  1798/99,  d.  h.  von  1796  fgg.  nennt,  womit  A.  Brandl's 
katalog  darüber  in  seiner  bibliographie  bei  Erich  Schmidt,  Charakteristiken  s.  245  fg. 
(nach  neuerer  brieflicher  mitteilung  hat  Brandl  seitdem  seine  notizen  vervollständigt) 
vorgearbeitet  war  (eine  neuere  in  A.  Mercer  Adam's  [f  anfg.  decbr.  1895]  „Flowers 
of  Fatherland  transplanted  into  English  seil",  1870). 

6)  In  seinem  bekannten  vielbenützten  „Lexikon  deutscher  dichter  und  Pro- 
saisten" I  (1907)  251—273;  s.  271,  8  nennt  er  Vetteriein's  aufsatz.  Sollte  etwa  die 
wörtliche  Übereinstimmung  auf  der  Identität  der  quelle  beruhen? 


552  FRÄNKEL 

dieses  pikante  kuriosum  kaum  entgehen  lassen.  Sauer,  Bürger -ansg.  s.  XVm  fg.  und 
111  hält  auf  grund  dos  briofs  an  Boie  vom  7.  aug.  1777  das  ün  folgenden  erwähnts 
gedieht  für  ,, wirklich  von  Bürgers  erster  frau  und  von  ihm  nur  überarbeitet*^.  PröUe, 
G.  A.  Bürger.  Sein  leben  und  seine  dichtungen  (1856)  gibt  s.  62  eine  fossnote,  nf 
deren  inhalt  er  bei  keiner  späteren  Bürgerpublikation  zurückgekommen  ist: 

,, Folgende  seltsame  notiz  in  einem  buche,  betitelt:  „,| Deutschlands  Schriftstel- 
lerinnen. Eine  charakteristische  Skizze.  King -Tsching  in  der  kaiserlichen  Drukkcrei 
1790 *•*  (s.  12  — 13),  ist  auf  sie  zu  beziehen:  „„Madam  Bürger,  Gattin  unseres 
ersten  deutschen  Yolksdichters  und  Privatlehrers  ^  der  schönen  Wissenschaften  zu  Göt- 
tingen, ist  todt.  Sie  war  eine  Anverwandte  des  berühmten  Egyptischen  Usurpator 
Ali-Bey,  der  vor  einigen  Jahren  so  viel  Aufsehen  machte'.  Sie  soll  ein  gutes  wack- 
res Weib  gewesen  sein,  imd  das  Idedchen  in  der  poetischen  Blumenlese  1780',  Mut- 
tertändeloy  betitelt,  ist  eine  schöne  poetische  Frucht,  die  beweist,  dass  sie  vom  Geiste 
ihres  Gatten  etwas  in  sich  gezogen  habe."^^  Das  gedieht  „Muttertändelei'*  (august  1778) 
versah  Bürger  mit  dem  zusatze:  „Für  meine  Dorette**,  es  ist  also  von  ihm  selbst 
Man  findet  es  S.  w.  Ausg.  v.  1844,  I,  s.  253  und  254.*     Vgl,  Sauer  a.  a.  o.  s.  111. 

Ob  Pröhle  die  genannte  quelle  selbst  vorgelegen  hat,  oder  ob  er  die  nachricht 
zweiter  band  verdankt,  weiss  ich  nicht;  mir  gelang  es  nicht,  jenes  merkwürdig  beti- 
telte buch  aufzustöbern.  Sollte  man  nun,  wo  es  zudem  nirgends,  auch  nicht  in  dem 
hilfsmittel- Verzeichnisse  des  umsichtigen  C.  W.  0.  A.  v.  Schindel,  Die  deutschen 
Schriftstellerinnen  des  neunzehnten  Jahrhunderts  (Lpz.  1823 — 25),  der  viele  Zeitge- 
nossinnen von  Bürgers  frau  aufnimmt,  citiert  wird,  an  seiner  existenz  überhaupt 
zweifeln?  Dass  wenigstens  der  inhalt  obiger  eröfbung  nicht  apokryph,  ist  mir  unwi- 
derleglich, da  ich  vor  kenntnis  dieser  Pröhüschen  anmerkung  auf  dieselbe  angäbe 
in  dem  anonymen,  von  E.  F.  W.  Erbstein  und  Joachim  Christoph  Friedrich  Schulz*, 
hauptsächlich  wol  von  letzterem,  herausgegebenen  „Almanach  der  Belletristen  und 
Belletristinnen  für's  Jahr  1782.  Ulietea  bei  Peter  Jobst,  Edlen  von  Omai,  Königl. 
Hofbuchhändler  und  Buchdrucker'^'  s.  25  stiess.    Es  heisst  daselbst: 

„Madam  Bürger.  Gattin  des  vorigen.  Eine  Anverwante,  von  dem  berühm- 
ten Egiptischen  Usurpator  Ali-Bey,  der  vor  einigen  Jahren  so  viel  Aufsehn  machte. 
Sie  sol  ein  gutes  wakres  Weib  sein ,  die  vom  Geiste  ihres  Gatten  etwas  in  sich  gezo- 

1)  Damalige  bezoichnung  für  unser  „privatdocent**.  Grimm,  D.  wb.  VII,2138  fg. 
gibt  nichts  näheres  über  die  zeitliche  abgrenzung  beider  im  18.  Jahrhundert  gebrauch- 
ten ausdrücke  au.    Vgl.  auch  unten  s.  553  anm.  2. 

2)  Ali  Bei  war  der  bedeutendste  nnd  berühmteste  der  mamelukenführer,  die 
sich  iu  ihren  provinzcu  fast  unabhängig  machten  imd  den  türkischen  pascha-gouver- 
neur  ignorierten.  Er  empörte  sich  1771  gegen  die  pforte,  schlug  die  truppcn  der 
regiorung  wie  seine  eigenen  genossen  und  ward  auf  sein  geheiss  durch  den  sehen! 
von  Mekka  zum  grosssultau  Ägyptens  und  herrscher  beider  meere  ernannt,  aber 
1773  von  seinem  general  und  güustliiig  Abu-Dahab  ermordet. 

3)  Die  beiden  wichtigsten  authologien  damaliger  lyrik,  der  von  Boie  gegrün- 
dete Göttinger  Musenalmanach,  den  von  1779  bis  zu  seinem  tode  Bürger  herausgab, 
und  der  1776  als  konkurrcuzunternehmen  durch  J.  H.  Voss  ins  leben  gerufene,  führ- 
ten den  ncbentitel  ^oder  poetische  blumeniese  auf  das  jähr  ....'^*,  hier  ist  natürlich 
der  erstgenannte  gemeint:  1780,  s.  78,  Unterschrift  „D.  M.  Bürger  geb.  Leonharf. 

4)  Vgl.  Allgem.  dtsch.  biogr.  XXXn,  742  (nicht  744!). 

5)  In  Wirklichkeit  war  Himburg,  der  berüchtigte  Berliner  nachdrucker  und 
einige  jähre  vorher  Veranstalter  der  unrechtmässigen  ausgäbe  von  „D.  Goethens  Schrif- 
ten*' (die  im  „Almanach  der  B.  und  B.'^  s.  65  gerühmt  werden),  der  Verleger. 


MÜRQURIANA  553 

gen  hat.  Das  Liedohon  im  Almanaoh  von  1780,  Muttertämlalei  betitelt,  macht 
nach  mehr  aas  iLrer  Hand  und  ihrem  Herzen  l^egierig." 

Ereicbtiich  fiiSBt  auf  dieser  auelassung  die  obige  jüngere,  wie  nicljt  nur  der 
Wortlaut,  sondern  auch  die  znsätze  und  ücderungen  —  z.  b,  im  tttel  dos  angezogenen 
Sammelwerks  —  beweisen.  Der  im  „Älraanach  der  B.  und  B."  auf  a.  23—25  vor- 
angehende öberechwengliohe  panegyrilus  Bürgers  hebt  nümlich  mit  dem  erapba- 
tischen  ausrure  „unser  Tolksdichter!"  an  und  enthUlt  gegen  das  ende  die  sujierla- 
tiTische  apposition  „Er,  der  Einzige  unarer  neusten  Diuhterl",  ^roraua  die  forde rhlUfte 
einleitenden  Btandesbezeichnung  in  jener  1790er  notiz  zusammengeflossen  ist, 
J^edrich  Schulz,  wahrscheinlicli  der  Urheber  der  ganzen  fabel,  oder  weuigsteaa  der 
dar  sie  in  die  weh  gesetzt,  ist  n'enige  jähre  danach,  1766,  in  seber  .Litterarischen 
reise  durch  DHutachland"'  nicht  wider  darauT  zurückgekommen,  ich  vermute,    aus 

gewissen  Zartgefühl,  weil  mittlerweile  Dorette  und  auch  ihre  Schwester,  toil- 
Jiabfliin  und  noch  fei  gerin '  io  Bürgers  herzen,  .Molly'  rasch  danach  gestorben  war. 
Der  Verfasser  bez.  kompilator  von  „Deutschlands  schriftetellerinnen-'  besass  nun  ent- 
weder keine  kenntuis  von  diesem  situations Wechsel  oder  ihn  kümmerte  eine  solche 
iGcksicht  nicht;  übrigens  liegt  die  annähme  nahe,  er  habe  überhaupt  mit  der  bemer- 
fcoog  auf  „Molly",  die  von  Bürger  hochgefeierte,  für  die  man  drum  ein  stiirkei'eB 
der  pikanter! e  hatte,  gezielt.  Denn,  das  sei  uuu  hiermit  festgestellt,  dieses 
buch  ist  wirklich  in  Umlauf  gekommen;  das  zeigt  soiu  vorhaudenaein  in  neueren 
bnoherlflgem  verschiedener  Jahrzehnte'.  Woher  aber  die  annähme  einer  poetischen 
■der  bei  Bürgers  ehefrau  im  gründe  stammt,  wird  sich  kaum  ermitteln  lassen. 

2.  Bürgers  dritte  gattin. 
Die  biographeu  Bürgers  sind  stets  mit  leicht  erklärlicher  scheu  daran  vorbei- 
gegangeu,  das  gevrebe  des  geheimnisses ,  das  über  seiner  dritten,  unheiligsteu  und 
^unheilvollsten  ehe,  mit  dem  „schwabenmädchen''  Elise  Hahn,  lagert,  zu  lüften.  Die 
bündigste  und  verlässlichste  aller  lebeussk~izzen,  diejenige,  die  A.  Sauer  seiner  vor- 
teefflichen  ausgäbe  in  Kürschner's  „Deutscher  nationalütieratuj "  vorausschickte, 
erklärt  ausdrücklich,  dmauf  vorzicbteu  zu  wollen,  und  Ed.  Grisebach's  streng  urkund- 
liohe  „Einleitungen"  zu  seinem  kritischen  gesamtdruck  und  der  unten  berührten  ver- 
dienatlichen  Sammlung  der  „Werke'  streifen  das  heikle  thema  nicht  weiter  als  ein 

1)  Eine  unveränderte  „Zweyte  aufläge*  dieees  bei  Wacherer  in  Wien  heraus- 
fgekonunenea  büchleins  erschien  , Frankfurt  und  Leipzig,  1780"  unter  der  aufschrift: 
i-„Iittersriache  Anekdoten  auf  einer  Beise  durch  Deutschland  an  ein  Frauenzimmer 
! geschrieben",  anonym  wie  jene.  Die  begeisterung  für  Bürger  (der  s.  51  und  213 
.erwfihnt,  b.  358  fg.  eingehend  charakterisiert  wird)  ist  hier  sehen  stark  abgeblasst  und 
■der  ton  klingt  sogar  etwas  an  Schillers  „recension"  von  1791  (AUg.  lit.-ztg,)  an. 

2)  Nebenbei  sei  bemerkt,  dass  die  amtliche  registriemng  dieser,  wol  aus  dem- 
selben grnnde  wie  zwei  Jahrhunderts  früher  (bei  Shakespeare]  eilig  vollzogeaen  houh- 
seit  „aus  dem  aufgobots-  und  trauungsbuehe  der  paroohie  Bissendorf  1785"  (17. Juni) 
bei  K.  Goedeke,  G.  A.  Bürger  in  GÖtüngen  und  Gellingbausen.  Aus  Urkunden  (1873) 
s.  114  fg.  ausgezogen  Ist,  obwol  Goedeke's  nachforscnungen  im  übrigen  mit  1773 
abscbliessen,  Bürger  erscheint  darin  als  „Dichter  und  Lehrer  des  tentschen  Stils  au 
OÖttingen*. 

3)  Ich  nenne  da  bloss  „P.  H.  v.  d.  Hagen's  Büohoracbatz'*,  d.  i.  den  katalog 
der  .Bücher-auction  von  R.  Friedlünder    und  aohn   in  Berlin   den  IS.  mai  1857", 

r.  200(i,  ausserdem  das  „153.  Verzeichnis  des  antiijottrisohen  bücherlagers  von 
A.  Bielefelds  hofbuchhandlung  Liebermann  und  cie.  in  Karlsruhe"  (o.  j.;  1893],  s.  27 
—  BIO    _^  jjg  aotii  „selten"  und  in  parenthese  „Ulm  Stettin'  beigefügt  ist 


554  KRÄNKEL 

gewissenhafter  Chronist  muss.  Für  die  breiteren  leserschichten,  auf  die  diese  aus- 
gaben rechnen,  mag  es  so  recht  sein;  dagegen  halte  ich  es  für  geboten,  als  fabun 
der  litteraturgeschichte  ein  für  alle  mal  festzustellen,  dass  die  schuld  für  den  bneh 
des  völlig  unleidlichen  Verhältnisses  auf  Seiten  der  jungen  frau  war.  Denn  diese 
^rettung*^  des  anderweit  gerade  genug  belasteten  dichters  ist  ein  erfordemis  der  ebr- 
lichkeit.  Wer  die  dicken  akten  dieser  tieftraurigen  Vorgänge  zu  jenem  behufe  wal- 
zen mag,  wird  freilich  reichlich  schmutzige  wasche  waschen  müssen.  Doch  braudit 
er  dann  aus  dem  roman  nur  die  hauptpunkte  auszulesen.  Im  übrigen  Üefisen  sich 
die  Studien  zu  einem  charakterbUde  der  äusserst  interessanten^  und  später  auf  der 
bühne  wie  im  salon  noch  zu  hervorragendem  rufe  gelangten  frau,  deren  veniachläs- 
sigung  durch  die  zahllosen  sensationslüsternen  erzähler  der  von  ihr  gefesselten  Jahr- 
zehnte billig  auffallen  muss,  erweitem.  Zu  dem  ende  seien  hier  sämtliche  fundorte 
des  weit  zerstreuten  materials  verzeichnet,  wobei  die  flüchtigen  erwähnungen  in  den 
ältesten  litterarhistorischen  handbüchem,  wie  bei  Vetterlein  a.  a.  o.  s.  545  fg.  uod 
bei  Jördcns  a.  a.  o.  I,  255  fg.,  in  den  meisten  fällen  auch  Verweisungen,  die  an 
citierten  stellen  anzutreffen  sind,  fortbleiben: 

Briefwechsel  zwischen  Goethe  und  Schiller,  vom  4.  — 12.  mai  1802  ,==  Goethe s 
werke,  Weimar.  (So])hien-)  ausg.,  4.  abtlg.,  XVI  (1895)  76,  und  TOj^;  C.W.  0.  v.  Schin- 
del, Die  deutschen  Schriftstellerinnen  des  neunzehnten  Jahrhunderts,  I  (1823)  s.  84— 
87,  III  (1825)  s.  56  —  59;  R.  B.'  in:  Blum,  Horlosssohn  und  Marggraff,  Allgememes 
theater-lexikon,  neue  [unveränderte]  ausgäbe,  II  (1846)  s.  61  fg.  und  I  s.  156*; 
H.  Pröhle,  G.  A.  Bürger,  s.  X,  67,  70,  73  —  75,  161;  Fr.  W.  Ebeling,  Mosaik. 
Kleine  Schriften  zur  geschichto  und  litteratur  (Lpz.  1867),  s.  XII  —  XV  und  223— 
270:  „Elise  Bürger.  Zur  geschichto  der  letzten  lobensjahre  des  dichters.**  Letztere 
mit  seichtem  geschwätz  kolossal  aufgebauschte  apologie  aus  der  feder  eines  durch 
persönliche  motive,  vielleicht  w^esentlich  den  wünsch,  eine  gcfälligkeit  zu  erweisen' 
angetriebenen  advokaten  der  längst  verstorbenen  ist  trotz  des  mancherlei  neuen  und 
des  nimbus  der  authouticität  mit  äusserster  vorsieht  zu  gebrauchen';  unter  dem  titel 
„Bürger  und  Elise  Hahn^  erschien  sie  unverändert  als  selbständiges  buch  1868. 
2.  aufläge  1871.  Die  für  den  Sachverhalt  wichtigen  „Briefe  Bürgers  an  Marianne 
Ehrmann  [die  in  Stuttgart  die  korrespondenz  und  das  weitere  eingefädelt  hatte],  her- 
ausgegeben von  [deren  gattenj  Th.  F.  Ehrmann**  (Weimar  1802)  scheint  Ebeling  — 
8.  s.  359  anm.  3  —  im  urtext  gai*  nicht  gesehen  zu  haben.  Die  sonstigen  biogra- 
phien  und  Charakteristiken  Bürgers,  Ooedeke's  Grundriss  z.  g.  d.  d.  d.,  die  „All- 
gemeine deutsche  biographie'',  die  (älteren  auflagen  der)  konversationsloxika*,  die  ja 
sonst  an  derartigem  detail  nicht  arm  sind  (auch  die  1.  ausgäbe  des  ,|Piorer'^,   Ency- 

1)  So  sind  ihre  verschiedenen  poetischen  spenden  keineswegs  schlechthin  ver- 
achtensweri.  Rese's  guter  Bürger- artikel,  Ersch-Gruber's  Encyclopädie  XIII  (1824), 
371  — 379  behandelt  die  leidensgeschichte  der  dritten  ehe  richtig  (375  —  377),  gibt  aber 
nichts  über  die  frau.    Im  allg.  vgl.  Sauer's  ausg.  s.  XXXVIU  — XLII. 

2)  Robci-t  Blum,  der  bekannte  48cr,  damals  sekretär  am  stadttheater  zu  Leipzig. 

3)  Unter  Stichwort  „Attitüde**;  vgl.  meinen  ailikel  „Attitüde"  in  der  neuen 
(14.)  aufläge  von  „Brockhaus'  Konversationslexikon"  II  sp.  65a. 

4)  Vgl.  8.  XII  fg.,  367  fg.  u.  ö. 

5)  Wie  seine  aufschwellende  Umarbeitung  von  Flögers  „Geschichte  des  gro- 
tesk-komischen  **  (1887),  sein  buch  über  „Friedrich  Taubmann"  (vgl.  meine  bemer- 
kung  Allg.  dtsch.  biogr.  XXXVII,  440  und  Euphorion  II,  765  anm.  1),  das  über  „Die 
Kahlenberper"  (1889)  u.  a. 

6)  Vgl.  in  Brockhaas'  neuestem  '*III  758  a  meinen  kurzen  artikel. 


5NS 

klojÄdJKühes  wörterbttcli,  IV,  1825,  485b  bietet  nichta  besiondecBs) ,  usw.  liefern  keine 
fiber  das  hier  zuBammeiigeEitellte  hiDBUBfübrende  rnftterialieD.  Ueiae  anlässliab  der 
himderl^ten  widerkehr  von  Büi'gei^  todeetag  veröffentlichte  abbandlucg  „Bürger  im 
B[HOgel  seiner  zeit  und  der  gegeuwart.  Hit  uu beachteten  zeitgenösaiseheu  und  eigenen 
ftusserungeD"'  berührt  diese  dinge  mit  eorgsamer  reaeive.  Ba  ich  daselbst  wol 
Bämtliohe  IS94  zum  Jubiläum  heiTorgetreteaen  neuen  beitdlge  registriert  habe,  so 
muss  ich  hier  nachtragen,  doss  die  kurz  darauf  dazugekommene  5.  aufläge  der  ge- 
schickten eiubändigea  ausgäbe  der  „Werke",  die  Eduard  Grisebacb,  als  erster  die  prosa 
.nach  gebühr  berücksicbtigeud,  bctiorgt  hat,  auf  s.  XXXIX  fg.  der  knappen  doch  alle 
tatsachen  euthaltenden  biogiaphischea  „Einleitung"  die  dritte  ehe  richtig  erledigte. 

AuH  der  ruhelosen  wanderperiode,  die  Elise  nach  lösung  des  iwietitlobtigen 
bundeB  durchgemacht  hat,  müssen  wir  crgänzungB-  und  berichtigungahalber  ihren 
Berliner  aufenthalt  herausgreifen.  Ein  solcher  ist  erst  für  siiater,  nach  ihres  gatten 
tode  sicher  bekannt,  als  sie  der  tiieaterleldenscbaft  Berlins  begeisterte  verse  entlockte. 
L.  Geiger  hat  in  seine  auslese  „Berliner  gediohte  1763—1806"  (1890)'  unter  nr.  78 
swei  bezeichnende  belege  dafür  eiugereiht  (s.  1S5  fg.);  der  eine  ist  von  Rüdiger,  der 
andere  voa  ,ObnHb]pb  Bias  MauEonley'  (I),  worüber  Oeigera  notiz  ebd.  s.  XLVU  zu 
vergleichen.  Dagegen  ist  die  bei  R.  B.  in  dem  obgeoannteu  artikel  des  „  Theaterkii- 
lons"  n  s.  61  fg.  aufgetischte  Variante:    „ . .  kam  später  nach  Berlin,    von  wo  aus 

bekannten   dichter  G.  A,  Bürger  ihre    band    autmg'  gewiss   völlig 

grandios.  Jedoch  unterlasse  ich  nicht,  auf  bezügliche  andeutungen  über  ihro  etwaige 
mit  äSentliohom  auftreten  verbundene  anwcsenheit  zu  Berlin  unmittelbar  nach  der 
(rflBciellen  eheschcidiing  aufmerksam  zu  machen,  die  Bürger  in  einem  vom  11.  eep- 
-tember  1792  dauerten  briefe  seinem  freunde  Goeckingk'  macht: 

,Ilas8  Madame  Hahn  nicht  mehr  in  Wolfenbuttel  ist,  das  weiss  ich;  da*3  fiie 
Üch  aber  wieder  nach  Stuttgard  begebeu  haben  sollt«,  daran  ist  wol  gar  sehr  zu  Ewei- 
EEer  sind  mir  zwei  Sagen  von  ihr  zu  Ohren  gekommen,  eine,  das«  sie  sieh 
Wien  in  die  Dienste  Sr.  Kaiserl.  Majestät,  die  andere,  das»  sie  sieb  nach  Ber- 
Jin ,  vernintlioh  in  die  Dienste  des  Publikums  unter  der  Direktion  der  Madam  Bcbupitz 
.■begeben  habe.  Letzteres  ist  mir  dos  Wahrscheinlichste;  und  wenn  es  noch  nicht 
gesohehen  sein  sollte,  so  dürft«  es  doch  wol  über  kurz  oder  lang  noch  dazu  kom- 
I.  In  derThat  sind  auch  ibi-eTaleute  da  ganz  allein  an  ihrer  rechten  Stelle.  Zum 
oder  zweimaligen  Vereucb  in  dieser  Qualität  kann  ich  sie  auch  jedermann  mit 
gutem  Gewissen  empfehlen,  allein  keinem,  auch  meinem  Feinde  nicht,  zur  bestJüidigen 
Hfttresae,  viel  weniger  zur  Frau." 

Obrigens  hatte  Bürger,  der  im  selben  schreiben  sagt:  „In  der  Tbat  es  kommt 
seit  einigen  Wochen  vor,  als  sähe  ich  weit  besser  aus,  und  fühlte  mich  auoh  an 
und  Seele  weit  besser,  als  vor  25  Jahren",  den  mit  dieser  trennung  verknupIleD 
rasch  überwunden;  „wahrlich  kein  Liebesabenteuer  hat  Je  mein  ganzes  Wesen 
'wo  sehr  in  sich  hinein  verstrickt,  als  das  gegenwärtige  grosse  Weltabenteuer,  von 
irelchem  ich  keinen  Ausgang  sehe,  ja  nicht  einmal  zu  ahnden  im  Stande  bin", 
schreibt  er  am  £).  april  179.^  demselben  jugendgenossen*. 

IJ  WestöstUcho  rundnchau,  I  (1894),  boft  16  (IS.ang.J,  s.  1206  f gg. 

2)  In  seiner  Sammlung  „Berliner  neudrucke"  nr.  3;  (vgl.  Unterhaltungsbl.  d. 
ISgl.  rundsohau,  1890.  s.  485  fg.,  meine  noHz  Blatt,  f.  lit.  untorh.  1890,  h.  516  fg.), 

3)  In  Saueis  publikation  der  korrespondenz  a.  a.  0.  s.  464  Tg. ;  weder  Sauer  noch 
regwter  (s.  622b)  erklären  die  „Hahn*  als  Bürgers  ehegattin, 

4)  Ebd.  B.  468;  gemeint  sind  natürlich  die  französischen  revolntionscreignisBe. 


556  FRÄNKEL 

3.   Bürger'»  denkmal. 

Da  sich  fast  alle  persönlich on  beziehungen  Bürgers  aus  seiner  reifeepoche  aa 
Göttingen  anlehnen,  wenigstens  dort  der  ganze  härm  der  drei  ehen  sich  abspidte, 
mag  denn  auch  hier  der  genugtuung  darüber  ausdruck  verliehen  werden ,  dass  es 
nun  endlich  gelungen  ist,  die  grabstätte  des  dichters  in  der  Stadt,  wo  er  leid  nnd 
freud  so  bitter  gemischt  zu  kosten  hatte,  würdig  zu  schmücken.  Der  29.  juni  1895  — 
die  Verspätung  ist  durch  das  langsame  eingehen  der  nötigen  gelder  verschuldet  —  ist  das 
datum  der  enthüUung  einer  bronzebüste  Bürgers  auf  dem  friedhofe  vor  dem  Weendertor. 
die  Professor  Eberlein  in  Berlin  schön  ausgeführt  hat.  Die  mittel  sind  bekanntlich 
durch  freiwillige  Sammlungen  aufgebracht  worden,  nachdem  der  auf  ruf  dazu,  selbst 
ein  stück  deutscher  litteratur-  und  kulturgeschichto,  in  tagesblättem  und  gennaoisti- 
schen  Organen,  so  auch  in  dieser  zeitsclirift  XXVII,  144  möglichst  weit  verbreitet 
worden  war.  Danach  hätte  man  allerdings  einen  tiefern  nachhall  hoffen  und  erwarreo 
sollen,  dass  die  gegcnwart  eine  ehrenpflicht  leistet,  an  die  man  bald  nach  des  dich- 
ters tode  in  schwierigeren  zeitläuften  sich  gewagt  hatte;  denn  schon  Vetterlein  mel- 
det a.  a.  0.  s.  548 :  „  Auf  Veranstaltung  des  herm  doktor  Althofs  ^  haben  die  freunde 
Bürgers  und  seiner  mase  ihm  ein  steinern  denkmal  verfertigen  und  in  dem  TI- 
richschen  garten  bei  Göttingen  im  jähre  1799  aufstellen  lassen**,  welche  notiz  Jör- 
dens  a.  a.  o.  s.  257  beinahe  wörtlich  übernahm.  Unter  den  neueren ,  die  sich  mit  seinen 
äusseren  Schicksalen  näher  beschäftigt  haben,  ist  keiner  auf  die  entsteh ungsgeschicht« 
dieser  idee  und  das  scheitern  jüngerer  plane  eingegangen,  —  wie  lehrreich  wäre  es 
z.  b.,  die  personen,  die  sich  bereit  erklärten,  das  andenken  des  arg  vorketzerten  zu 
fördern,  kemien  zu  lernen!  Grisobach's  neuere  ausgäbe  der  ,'Werke'  (s.  o.)  s.  XLVI  fg. 
teilt  das  genaue  ziffemergebnis  jener  Althof  sehen  subscription  und  die  fakten  der 
ältesten  aufstellung  von  leichen-  und  denkstein  genau  mit. 

4.   Zu  den  quellen  einiger  „episch-lyrischen  gedichte"  Bürgers. 

Für  die  meisten  der  nicht  der  rein  subjektiven  lyrik  angehörigen  gedieh te  Bür- 
gers ist  die  quellenfrage  ziemlich  befriedigend,  wennschon  nicht  endgiltig  gelöst.  Das 
suchen  der  vorlagen  hat  angesichts  seiner  besondem  gäbe,  die  fremden  Stoffe  sit-h 
ganz  zu  eigen  zu  machen  und,  auch  bei  enger  anlohnung,  auf  den  ihm  eigtümlichen  aus 
volksmässige  anklingenden  ton  zu  stimmen,  einen  ungewöhnlichen  reiz.  Freihch 
ist  dabei  meistens  mehr  für  die  parallelen  -  schubfacher  der  vergleichenden  litte^atu^ 
geschieh  te  als  für  die  kenntnis  seiner  belesenheit  und  die  erkenntnis  seiner  dioht- 
manier  herausgespruiigcn.  Das  umfänglichste  an  material  über  die  mit  entlehnten 
motiven  arbeitenden  nummern  bietet  immer  noch  der  zeit  seines  lebens,  zwar  ein- 
seitig, aber  doch  mannigfach  erfolgreich  für  Bürgers  rühm  und  Verständnis  tätig 
gewesene  Heinrich  Pröhle  in  seinem  schmfichtigen  büchlein  von  1856,  das  so  ziem- 
lich alle  bis  zu  diesem  jähre  zugänglichen  mitteilungen  auszog.  Seitdom  haben  ver- 
schiedene auf  diesem  felde  weitere  Umschau  gehalten,  darunter  in  einem  gewissen 
zusammenhange  widerum  Pröhle,  selten  mit  glück,  dann  Bürgers  engerer  landsmann, 
der  motivkundige  Robert  Sprenger,  letzterer  in  mehreren  germanistischen  Zeitschrif- 
ten gelegentliche  sehnitzel  spendend. 

Doch  hat  Sprenger  auch  eins  der  fesselndsten  stücke,  den  schwank  von  kai- 
ser  und  abt,  ausführlich  betrachtet,  in  den  oft  übersehenen  „Akademischen  blättern. 

1)  Des  dichters  hausarzt,  testaments Vollstrecker,  erster  biograph  and  heraus- 
gober,  sowie  vormund  der  kindor. 


L  BÜBGERIANA  557 

beitrage  unr  litteratur-wisspnHchaft  heransg.  von  0.  Sievers"   (1684)   s.  324—330, 
Piro  das  bei  Prbble  a.  a.  o.  m.  115  —  123  zuKamineugetra^eiie,   sowüt  iuh  aehe,   voU- 
Btändig  verwertet  ist,  obwol  Frütiles  natne  fehlt'.    Trotzdem  lüäst  sich,  selbst  wemi 
ni^  Prölile's  und  Spreuger's  winke  H&mtlich  zusiuiunenCasst,  noch  mancherlei,  älteres 
HIOWol  wie  neaeies,   ergunzen.     Geachtet  bat  man  auf  die  vielen  Wanderungen  nud 
HiaiidluageD  des  stofleN  schon  lange,  f-a  K.  Veith  1839':    «Ich  will  nicht  behaupten, 
Hass  spütere  dichter  jedesmal  aou  Johannes  Paali  geschöpft,    wenn  sie  einen  stofi 
Mehandeln,  der  ))ei  ihm  sbhon  vorkommt,  ich  will  bloRs  einige  fälle  dieser  art  hemerk- 
Rar  machen",    worauf  vor  andern  dui-uh  neuere  poeten   aufgegrifFeiien  themeo  drei 
■feitverbceitiite  internationale  ersoheinen:    „die  schöne   fabel    vom  vatet,   söhn   und 
BmI,   welche  es  dem  kritiijierendcD  publikum  auf  keine  weise  recht  machen  können, 
^prner  Oeltert's  Witwe',  femer  Bärgers  Kaiser  und  der  abt  von  St  Gallen. "    Beson- 
Bets  auffällig  ist  es  mir,   doss  B.  Sprenger,  Uer  sonRt  durch  umsieht  im  herbeiholea 
HTon  materialieu  oft  staunen  hervorruft,    die  beiden  neueren  antigaben  von  B,  Wal- 
nljs'  „EsDpus"  (daselbst  IH,  nr.  92  die  fabel),    die  von  Heinr.  Kurz   und   die   von 
WS-  Tittmann,    nicht   n ach goscb lagen   und  somit  ihre  reichen  parallelenIJsten  onbenutxt 
R^lassen  hat.     Erstorer  gibt  sie  bd.  U,  anmerkuogen  s.  339  fg.,   letzterer  beim  text, 
Ell  s.  Ul,   worauf  liier  einfach  verwiesen  sei.    Beide  steiiem  auch  zum  urteil  über 
■die   fortpflanzung    und    Umbildung   des   Inhalts   beachtenswestea  bei:    Kurz    berührt 
IIb.  SXXVn  die  durch  Waldis  erfolgte  oder  wenigstens  bei  ihm  laorst  ontgeutre- 
tende  Übertragung  des  verlangten  klugheitsbe weises  auf  einen  gelehrten  mann,    die 
nicht  eben  glücklich  iat*,   Tittmann  I  s.  LX  fussnote  argumentiert  aus  der,    zuerst 
TOD  Mittler  in  seinen  mitteüungen  über  Waldis'  s.  41  beobachteten  erwähnung  und 
Terwortong  von  G.  ForKters  Liedersammlung  {nr.  120)°   die   niederschrift  von  Wal- 
dis' faesong  „nach  1533" '.    Ferner  ist  Sprenger  Reinhold  Köhlers  auseinandersetzoDg 
über  die  vier  fragen  in  der  ,  Elite  des  Cootes"   des  Änt.  de  Metel  sieur  d'  Oaville 
entgangen,   die    sich    in   seiner  abhandlung   über   Nasr-eddins   Schwanke,    Beufe/s 
, Orient  und  OGcident"-  I,  431  fgg-,   auf  s.  440  Ündet.     Lamit  deckt  sieh  sodann  „fast 
wörtlich*   das  märehen  „Le  Meiinier  Astiologue"  in  den  „Nouveaux  Contes  Ä  Rire, 
Et  Äventurea  Plaisantes    de   ce   temps;   ou  Recreations    Francoises.     A  Amsterdam 

1)  Freilich  kam  es  Sprenger  wol  darauf  an,  in  giösstmögiicher  kürze  seine 
wertvollen  zusatze  einer  gedrängten  nbei-sicht  des  bisher  von  verschiedenen  selten 
testgeateliteu  einzufügen.  Dieser  Artikel  Sprengers  ist  für  die  art,  die  ergebnisse 
seines  viel  zu  wenig  gewürdigten  forschend  zu  eröffnen,  typisch. 

2)  Über  den  Barfüsser  Johannes  Pauli  und  das  von  ihm  verfasste  volksbuch 
.Schimpf  und  ernst"  nebst  46  proben  aus  demselben,  s.  22. 

3)  Das  Problem,  daa  Grisebach  musterhaft  begleitet  in  „Die  Wanderung  der 
novelle  von  der  treulosen  witwe  durch  die  weltUtteratur"  {2.  ausg.  der  Umarbeitung 
1889;  s.  X12);  zur  fabel  von  vater,  söhn  und  esel  s.  Oesterley'a  J.  Pauli  a.  599,  nr.  577. 

4)  So  auch  der  neueste  herausgeber,  E.  Wolff,  in  .Reiake  de  voe  und  sati- 
tirisoh- didaktische  dichtung"  (Kiirecbnere  Deutsche  nationallitteratnr,  XIX)  a.  299: 
„Walliis  kehrt  leider  die  teudenz  um."* 

5)  Sonderabdruck  aus  , Hessisches  Jahrbuch"  1855  (vgL  Vilmar  [-Ooedeke], 
Geschichte  der  deutschen  national -litteratur'*,  s,  678). 

6)  V.  198  fg.  bei  Waldis  lauten; 

„und  aolchs  in  ein  kurz  liedlin  gfiisst 
zu  Nürnberg  durch  ein  gierten  man", 
worauf  das  ciiat  folgL 

7)  Ober  diese  Persönlichkeit  und  die  Chronologie  vgl.  jetzt  Erk-Böhme,  Deot- 
Boher  liederhort  I,  s.  XXXVU. 


558  FRÄNKSL 

M.DC.  XCIX«*  8.  230  feg.  S  worauf  Ad.  Wolfif  in  Wagners  „Archiv  f.  d.  gesch.  dischr. 
spräche  n.  dichtong^  (1873/74)  s.  328  aufmerksam  machte.  Wie  mancherlei  oocä 
aus  dem  oder  jenem  nicht  abgegraston  winkel  beigebracht  werden  kann,  zeigt  der 
umstand,  dass  allein  1891/92  vier  neue  beitrage  hervortraten.  In  modernen,  insbe- 
sondere ungarischen  volksüberlieferungon  sticht  E.  Binder  kongruonzen  auf*;  Wlis- 
locki"  holt  aus  seiner  domäne,  der  volkspoesie  der  osthälfte  der  Habsburger -monar- 
chie,  Seitenstücke  aus  armenischem,  magyarischem,  slovakischem ,  südslavischon 
Sprachgebiete  herbei  und  statuiert  das  der  Bukowinaer  Armenier  als  anfangsglied  in 
der  kette  der  ableitungen  der  von  ihm  vorausgesetzten  morgenländischen  urfassung; 
während  Wlislocki  wie  bei  ^Lenore^^  Bürger  am  liebsten  an  mündliche  deutsche  volka- 
Überlieferung  anknüpfen  zu  sehen  meint,  findet  R.  Sprenger,  nochmals  auf  den  plan 
getreten^,  in  dem  werte  ,, kreuzchen '^  bei  Bürger  ein  direktes  missverständnis  von 
croxier  in  der  altenglischen  ballade  in  Percy's  „Reliques*^  und  damit  einen  .sichern 
beweis  der  benutzung  dieser;  für  letztere  stellt  nun  B.  Honig  gar  in  einer  serie  von 
einzolheiten  durchschlagende  belege  fest  („Percy's  ballade*^  King  John  and  the  Abbot 
of  Canterbury"*«). 

In  einem  erst  neuerdings,  durch  Ferd.  Gerhard  ^  näher  betrachteten  schwank - 
und  anekdoten-kompendium  des  17.  Jahrhunderts,  Johann  Peter  de  MemeKs  „Lusti- 
ger gesellschaft^,  stosso  ich  nun  auf  eine  Variation  unseres  themas,  das  mit  derBür- 
ger'schen  „Abt*^-gruppo  zwar  nicht  in  der  Situation,  wohl  aber  im  kerne  der  erzählunfr, 
nämlich  in  den  drei  aufg^ebcncn  fragen  völlig  übereinstimmt.  Sie  folge  hier,  zumal 
Gerhard  bei  seiner  besprechung  ausgehobener  nummem  nicht  darauf  eingeht,  ver- 
gleichshalber, imd  zwar  nach  dem,  auch  von  ihm  kollationierten  und  verzeichneten 
exemplar  der  Münchner  hof -  und  Staatsbibliothek  ®  s.  165  fg.  nr.  647 : 

„Eine  Königin  hatte  einen  Gefangenen,  sprach:  Wann  er  folgende  drey  Dinge 
sagen  könte,  solte  er  ledig  sein,  nemlich: 

Wie  viel  sie,  die  Königin  werth  wäre? 

Wo  das  Cenirum  oder  das  Mittelst  in  der  Welt  wäre?  und 

Was  sie  gedächte? 

Der  Gefangener  [!]  lag  in  Sorgen,  wie  diese  Dinge  auffzulösen,  es  kommt  aber 
zu  seinem  Glück  ein  Bauer  zu  ihm,  der  ihm  sehr  ähnlich  sähe,  dieser  verwechselte 
die  Kleider  mit  dem  Gefangenen,  und  lösete  der  Königin  die  drey  Fragen,  sagte  anff 
der  ersten,  Sie  wäre  neun  und  zwantzig  Silberling  werth,  denn  der  Herr  Christus 
hätte  [s.  166]  drcyssig  gegolten,  Sie  müste  ja  einen  geringer  gelten.    Au£F  der  andon, 

1)  In  demselben  höchst  seltenen  buche  entdeckte  ich  eine  enge  parallele  zu  dem 
seit  Vriolsheimer  (s.  meinen  artikel  Allg.  dtsch.  biogr.  XL,  374)  oft  bearbeiteten 
schwank  vom  angeblichen  ohrenabschneiden  (vgl.  auch  die  notiz  am  Schlüsse  mei- 
nes n.  Sachs  -  rcferab*  litteraturbl.  f.  gcrm.  u.  rom.  phil.  XVII). 

2)  Ztschr.  f.  verglchd.  litteraturg.  n.  f.  V  s.  466—469. 

3)  Ebd.  IV  s.  106—112;  vgl.  Holzhausen  i.  d.  Ztschr.  XV  s.  321. 

4)  Zu  dieser  sammle  ich  behufs  abschliessender  gruppierung  alle  motiwariaD- 
ten  und  bitte  um  mitteilungen  bez.  hinweise  (vgl.  meine  notizen:  Ztschr.  d.  Vereins 
f.  volkskd.  IV  s.  218;  Am  ur- quell  V,  128;  Archiv  f.  d.  stud.  d.  neueren  spr.  u.  litt. 
VC  heft  4,  reforat  über  Thimm,  Dtschs.  geistesloben ;  Westöstl.  rundsch.  I,  1214^). 

5)  Ztschr.  f.  d.  dtsch.  unterr.  V,  275  fg. 

6)  Englische  studien  XVIII  (307  —  315)  s.  313—315. 

7)  Joh.  Peter  de  Momels  Lustige  geselLschaft  nebst  einer  Übersicht  über  dia 
schwank -htteratur  dos  XVII.  Jahrhunderts.    Heidelberger  dissertation.    Halle  1883. 

8)  L.  eleg.  m.  536*".     „Gedruckt  zu  Franckenau  im  Drömling**  (o.  j.),  doo^ 
306  Seiten,  1208  nummem. 


d«. 


•>  «    « 


BUROERIANA 

SO  machte  or  mit  der  Kreide  einen  Punct  vor  ihr  auffn  Tisch,  ^ü'^fr:  1»^=  "s-.rr  :-  :• 
dBü  Mittelste  in  der  AVelt,   wcrs  nicht  |,4auben  wolte,   >ulte  die  W»;h  ü  :-    ^-— :: 
PuDct  messen.     Und  auff  der  dritten  frage  sagte  vr,  Sie  f:«?dächr».»  .ja*^-  vr  -tT   -trii- 
gener  wäre,  er  wäre  aber  ein  Bauer  und  nicht  ein  Oefan«:vnor.- 

Ich  bin  überzeugt,  dass  nnch  viele  volkstümlich!?  vexivr-ni*-t:I  im  -:r_i-  t 
sind,  die  sich  mit  den  hier  verwendeten  en;r  berühren;  allein  «ii'i  h-^iiri  ,i:.:.'i.  .  - 
IV  und  V  von  Fr.  Krauss' Monatschrift  für  Volkskunde  -Am  Ur-'^u^U"  v.l.  ^^.  : -/.- 
feterl)  bieten  allerhand  verwandtes.  So  scheint  auch  Bür::er  für  d*:r-  v.  r.i::-  -r. .-.: 
rätselfrageu  beim  volksmunde  anleihen  gemaclit  zu  h:ibcn  wi»/  so:.-*. 

Zu  Bürger's  Stellungnahme  zur  sajzonlitteratur  li»ff*;rr  Karl  Hr--rl  - 
-Eine  verlorene  und  widergefundene  Kheinsage'^  in  der  K'Ai.ihf :':.':.  z^."-'..* 
charakteristischen  boitrag,  obzwar  seine  angab« ru  keineswe;:-  ü!.l-.-:i.eri*^-  i-if 
wie  er  vermeint.  Danach  verda?ikto  Bürger  den  hhA\  S'-iL-rr  f  jilla-;-i  .L»rr  -**!:•? 
Jäger"  dem  «Chronioon  üirsaugionse''  des  abt>  Johann«i.-  Tr>L-Jrn^i:i-  'IPiJ — }'fUj}\ 
des  aus  der  geschichto  der  Faustsage  bekannten '\  und  zwar  'i^u.  ^.'iiAna!*:  zum  Jahre* 
1354,  wie  ja  auch  seine  ,,"\Veibcr  von  Wein^lH/rg-*  auf  di^ir-rric  oeruh'-n.  bUs  zu 
gnmde  liegende  fabel  ist  eine  echte  Kheinsa^i»/,  und  Urh^.*A  t-ÄinA  ein.  in  s<'in»;r 
neuuutlage  von  K.  Simrock's  «Rheinsiigcn-  da>  bisher  für  B--r::frr  i«'jL*r  «rrflnduug  ge- 
haltene gediclit  widerre(!htlich  ausgemerzt  zu  haben.  .S'.-ii-e  jr":zii:»:  jr*- aue  n;ir;h- 
erzähluug  der  tradition  bcwei.se  unwiderL .'glich  die-e.  wie  v-r  :;lai4or.  w-.b*rr  von  k«-i- 
nem  Bürger -forscher''  erkannte  tatsache.  llesscl  blieb  löj^  i.r»er.  wufiJerbar  genug, 
unbekannt,  dass  der  vorzüglichste  fachmann  auf  dem  feldr  'j*f-  m:»''.-hheiniM;biMi 
Jitter.irischcn  folklore**,  Alex.  Kaufmann,  in  seinen  hö'jii.st  ::«::-iutvoIl**ü  ^NV;htriig(;n  zu 
den  „Quellenangaben  und  bemerkungen  zu  Karl  .Siir.rxke  KhttL-at'en^" '  s.  .'10  fgg. 
diese  Sachlage  gründlich,  mit  brdeg«n  und  -o^^ar  im  ujiminelbar^u  anMihlii:." <•  ari 
Simrock  (Handbuch  d.  «Itsch.  mythol.,  .3.  auil..  s.  .>S1  f^.  ror^getragen  hattit".  iMn 
andern  jdlerdiugs  wussten  nichts  davon.  U.  Pr''L:e.  0.  A.  Hürgi*r  h.  I2i  \'J\l 
Simrock  a.  a.  o.  polemisieit  hingegen  wid»jr  PröLle**«  anzapfung  in  dnhsiMi  „Ihn/, 
sagen"  betreffs  der  lokalisicning  von  Bürger*  gedieht  —  behandlet  ih«n  „WiMi-n 
Jäger"  nach  quelle  und  Varianten  eingehend,  ohne  aktur  zu  bimiHrkitn,  da^.M  <lii 
(s.  127  anm.)  von  ihm  citicrte  Nikolaus  Hocker,  ebenfall.*«  eio  fiünur  Uhf*inMii,'^<>n  -  kin 

1)  1804,  nr.  S7G  ('28.  oktbr.j.  2.  beilaj^e  zur  sonotagN-auNgnbt«,  s.  I. 

2)  Weniger  merkwürdig  i>ts.  da^fe  si&iD  i»ag«nbeIeHonnr  lundsniunn  I  IiLumI  ilm 
zur  vorläge  wählte  (vgl.  V.  Eichholz.   Qu«;Ilen-8tudion  xu  Uhlunds  ballaibn,        ..•, 
79,80),  freilich  zu  dem  nachla.ss- gedieht  .Das  kloKtur  HifM^hiiu*  («r.st  duiili  l.-.in- 
(Lachmanu-MaltzahnVho  ausg.  IX.  22.2  i^.}  vermitthini;:    vgl.  hicmik  I  IiI.umI    tu  : 
1,  515,  minutiöse  vergh'ichung  bei  R.  11.  Werner,  Lyrik  und  l.snkiT,   s.  .:.;■»      ;ii 

3)  Vgl.  meine  neuerlichen  nachweise  im  iiEuphunon**  11,  /riU  uii«l  .«•  * 

4)  Auch  hier  weicht  Pröhle  a.  a.  o.  s.  129 — Ki»  giüiz-lich  ab  uii*l  ixw.    ; 
lediglich  auf  dem  boden  von  lokalsagen  ohno  aiVhoni  auhnlt,  wir  .  uih.m  ; 

5)  Selbst  dem  specialisten  Honig  (Ztschr.  XXVl,  ,VJlM,  \\,.i.»ui  im.  h  I  .  : 
der  verstorbene  mitherausgeber  dieses  oi]gan8,  hinwio-t;  Sauer's  :m-  •     .  ri    ■. 

ü)  Mein  nekrolog  «<>egenwart*'  44  or.  ^  und  dor   U.  lluiiii  .    K  ■' 
tung  18ü.'i  nr.  398  brachten  das  wol  zun  bewusHtmnn. 

7)  Annalen  des  historü«chen  Vereins  für  den  NiodtM-rliiMii  Ml  ,!n'  i 
die  erste  reihe  von  glos.sen  ebd.  XIX,  s.  37— lÜK 

8)  S.  33  fg.  auch  ein  hübscher  absata  ttlw»r  dio  k;v>taltt:iK    1.       i 
gegenüber  dem  „Wilden  Jäger*'.    Die  «ige  vom   ,\V\  :.-■   u  1 
(Poeck,  Germ.  XXXVn.  119£rO    Büiger  vmr  wv^orroul.l  r       l 
tentoils  ein  werk  #i                   "le  sage  tob  H.  i«.  K    W  .  >:i         .      v 
nen  VI,  1889,  s.  Y 


560  FRAXKEL,   BÜRGKRUNA 

ner  und  ein  iutimer  arbeitsjreuosse  Simrocks*,  die  sage  ersichtlich  nicht  für  wilUtü- 
lich  verpflanzt  gehalten  hat-.  Man  vergleiche  auch  G.  E^net  —  Maoiy,  G.  A.  Bor- 
ger et  les  origines  anglaises  de  la  hallade  littoraire  en  AUemagne  (1889),  s.  154  —  l^'-. 

Endlich  möge  hier  aus  einem  ahgelegeucn  zeitungsblatte  zu  einem  Tielomäd- 
tencn  gedichte,  das  otlichcu  Spezialisten,  wie  Grisebach^.  als  perle  der  Bürger'sda 
h-rik  gilt,  und  hei  dem  es  gerade  deshalb  besonders  anziehend  wäre  den  grad  der 
abhängigkeit  von  einten  vorbilde  zu  fixieren,  eine  notiz  wortgetreu  ohne  kommenUr 
widerholt  sein.  Im  , leipziger  tageblatt*^  stand  anfang  aprü  18S6  unter  chiffre  =  o.* 
folgendes : 

^Gottfried  Bürgers  Ballade  -Die  [IJ  pfarrerstot-'hter  von  Taubenheim  \\>  hs 
tau^ende  von  thräneii  für  das  unglückliche  müdchen  entluckt  und  taosendc  von  flach« 
auf  den  herzlosen  Junker  Falkenstein  entfacht  und  doch  —  ist  an  der  ganzen  herzbnr 
chenden  geschichte  kein  wort  wahr.    Hütte  dagegen  der  genannte   dichter  die  alte, 
berühmte    Wallfahrtskirche   Ebersdorf   bt>i    Chemnitz    mit    ihren   sebenswünligkeiteo. 
darunter  der  köpf  einer  kindsmörderiu  mit  reichem  vollen  bloudhaar,   gekannt,  datm 
gäbe  es  wol  keine  dichtung  «Die  pfarrersto<.'hter  von  Taubenheim-,  sondern  eine  ,Pf«- 
rerstochter  von  Ebersdorf**.  die  in  Wahrheit  ihrem  düsteren  Schicksal  verfiel    Die 
geschichte  ist  kurz.    Liebe,  heisses  blut,  verrat,  VLTZweiflung  und  ein  heukerst-hven, 
das  L-^t  ihr  inhalt     Der  cdelherr  vom  schlösse  droben  verlioss  das  arme  pfarrersbnd, 
das  schönste  mügdlein  weit  umher.     Und   als   er  wider   heimkehnc,    rau.<chten  die 
alt»^n  buchen  um  das  liochgtM'icht,    von  dessen  pfähl  der  köpf  der    kindosmördene 
niederstarrte.     Da  cm'achtc  in  dem  Junker  das  gewissen  und  trieb  ihn  zur  verzfie^- 
lung.    Er  liess  der  kindesmörderin  au  geheiligter  statte  ein  grab  bereiten,   und  fiv 
ist  er  fortgezogen  in  den  krieg  und  nimmer  wiJergekehrt.* 

Das  von  Pröhle  s.  132  — 137  hierfür  gewührte  material*^  ist  nicht  ohne  waL 
im  ganzen  genommen  aber  ebensu  zu  beurteilen  wie  wir  e^  oben  in  der  fussnoie  n 
seinen  sachlichen  glussen  über  .Die  weibervon  Weiusberg-  getan  haben  i^s.  5ü9anm.4|. 

1)  Seine  sagensainmlungcn,  die  namentlich  den  Moselbezirk  l>etreffen,  über- 
gchend.  weise  ich  auf  sein  nettes  büchlein  üt^er  Simrock  ilSTT)  hin,  das  £dw.  Schrö- 
der in  der  Allg.  dt-sch.  Biogr.  XXXV,  3S5  nicht  vertrass.  bh  meine,  Hessel  hätte 
den  ihm  so  leicht  orreichljaren  Hocker  persönlich  zu  rate  ziehen  S".»llen. 

2)  Wie  freilich  da  sogar  ein  geschulter  und  gewitzigter  sageukundiger  wio 
Simrock  einmal  über's  «.»hr  gehauen  werden  kann,  erläutert  oiu  kr»stlioher  wahrer 
scherz,  den  ich  in  meinem  aufsatze  über  S'?in  .Ami-IungonlieJ"  iZtschr.  f.  d.  dtbch. 
unterr.  X.  band,  von  mir  in  erwaitung  früheren  a!ilru<-ks  Ztschr.  XXVII.  412  Süh-'O 
für  1S94  an;:eküudigt),  -Ein  neudeutsches  heldonepos  altdeutschen  Stoffs*,  erzähle. 

3)  Dies  lleis^iL'e  werk  biri,^  für  die  reale,  d.  h.  rein  biographische  und  dit 
stoffL'e.^chiclitliche  aufgäbe  der  Bürüer-fon>chung  wenig  eigenes;  ich  versuchte  seine 
bedtfutung  zu  keunzeichuen  .Magazin  f.  d.  litteraiur  des  iu-  und  auslands -.  59.  jhK- 
IS«),  nr.  52  »-Das  gegunwäni^'e  >tudiuni  der  deut>chen  lineratur  iu  Frankreich- 1. 

4)  Auch  nach  mündlicher  mirteilung  an  mich.     Vgl.  Sauer's  ausg.  s.  LXu.  241. 
b)  Walirscheiulich  der  alte  l/.'ipzigcr  lokalchronist  Otto  Mo>er,   der  seit  vielen 

jähren  im  -L.  t."  unter  ähnlichen  chiffren  kulturhistorische  kuriosa  iu  einzelnen 
schnitzfln  eiurü«kt  und  damit  aus  seinen  langjälirigen,  aber  unkritischen  und  ihm 
selb>t  unk-.introllivrbaren  kullcktaneen  bisweilen  nicht  unwichtige  einzelheiten  zu  tage 
fördert,  wie  z.  b.  Fr.  Zarncke  bei  seinen  Chr.  Reuter- forsch uii gen  erfuhr  (s.  dessen 
notiz  iu  den  ,B*:richten  der  kgl.  sächs.  ge^ellschaft  der  Wissenschaften.  Philolog.- 
hist.-r.  klasse-  40.  ISSS,  s.  73;' vgl.  den  anikel  zu  Moser s  SO.  geburtstag  im  ,L.  t» 
vom  2l».  nuvbr.  1>?Ü5,  boilage. 

6)  Vgl.  zum  Stoffe  auch  Sauer's  ausg.  der  «Stürmer  u.  dränger*  (1891)  I,  s.  VT- 

MÜNCHEN.  LUDWIG 


FRANKEL,   FBÄULKIN  561 

Materialien  znr  begrUEsentwicklang  Ton  nhd.  „firänlein^S 

In  nummer  14  des  53.  Jahrgangs  der  „Grenzboten''  veröffentlichte  Ernst  Mül- 
►ach  s.  33  —  37  einen  artikel  „Demoiselle  —  fräulein  —  gnädiges  fräulein'*,  der 
ablösung  dieser  ausdrücke  im  sprachgebi-auche  des  achtzehnten  Jahrhunderts  mehr 
urhistorisch  als  sprachgeschichtlich  nachgeht,  ja  in  letzterer  hinsieht  mannigfach 
reif  bar,  besonders  stark  ergänzungsfähig  ist  Uns  betrifft  hier  der  s.  35  stehende 
:  „Die  bis  dahin"  —  Wielands  ausdrucksregulierungen  im  „Teutschen  Merkur" 
.  gemeint  —  „seit  etwa  fünfzig  jähren  herrschende  anschauung  beschränkte  recht- 
den  gebrauch  des  wertes  fräulein  auf  die  töchter  adlichen  Standes.''  —  Wieland 
^arf  damals  in  einer  abhandlung  ,,Über  den  Vorschlag,  unsere  bisherigen  demoi- 
m  künftig  fräulein  zu  betiteln''  das  auftauchende  streben  nach  dieser  umtaufe. 
'  haben  diesen  Standpunkt  gebührend  in  anschlag  zu  bringen,  wenn  wir  z.  b.  die 
3hzeitigen  prosadramen  —  denn  nur  diese  können  natürlich  in  betracht  kommen 
des  jungen  Schiller  daraufhin  durchsehen.  Amalia  von  Edelrcich  („Räuber")  heisst 
3  „das  fräulein",  sowie  auch  „das  fräulein  von  Bamhelm",  wie  Lessing  die  Minna 
bei  aufnähme  des  personale  selbst  bezeichnen  lässt.  Aber  auch  „gnädiges  fräulein" 
gt  bereits  ein,  wofür  Karl  Moors  erste  anrede  lY,  4.  scene  ein  typisches  beispiel 
t  In  „Kabale  und  liebe"  wird  Luise  von  allen  sie  siezenden  „mamsell"  genannt, 
Milford  „(Mi)lady"  oder  „gnädige  frau",  was  der  „madame"  in  „Fiesco"  entspricht; 
redet  dort  die  gräfin  Imperiali  Leonoron  geringschätzig  an.  Man  vergesse  nicht, 
)  Gretchcns  absage  an  den  ihr  erstmals  begegnenden  Faust  „bin  weder  fräulein", 
seine  nachherige  bozeichnung  „die  dime"  —  dies  selbstverständlich  ohne  jeden 
In  beigeschmack  —  bestätigt,  auf  demselben  brette  liegte  Mag  auch  sein,  dass 
thes  verliebe  für  die  ausdrucksweise  des  16.  Jahrhunderts,  insbesondere  Hans 
isens,  mit  grund  für  die  betonung  von  „fräulein"  in  diesem  sinne  war'.  Bei 
i  volkstümlichen  Nürnberger  poeten  wird  z.  b.  eine  verheiratete  frau  besseren 
ides  angeredet:  frewlein,  wiltu  mir  thun  ein  schenck'^  woneben  freilich  das 
mib)  frewelein  =  weibloin  steht,  wie  „Des  knaben  wunderhom"  bereits  in  älte- 
nummem  „fahrende  fräulein"  in  einer  bedeutung  gebracht,  die  nichts  weniger  als 
den  ehemaligen  rang  des  ritterbürtigen  oder  wenigstens  ritterwüixligen  anklingt 
;h  altgriechisch  f^u/if/)}}  schwankt  in  der  bedeutung  zwischen  xöqti,  yw]^,  naXXax(g, 

Zwei  Zeugnisse  aus  dem  anfange  des  vorigen  Jahrhunderts  mögen  beweisen, 

j  der  von  Wieland  gesetzte  terminus  a  quo  ein  gut  stück  weiter  hinauf  zu  rücken 

Bei  Albert  Joseph  Loncin  von  Gominn  (d.  i.  Conlin)*,  Der  Christliche  Weltweise, 

d  n  (Augsb.  1706)  s.  33  heisst  es:  „0  wie  manches  Fräule  (also  wird  bey  jetziger 


1)  In  Fr.  Strehlke's  „Wörterbuch  zu  Goethes  Faust"  s.  47a  worden  folgende 
len  des  Vorkommens  citiert:  2605,  2906,  3020  (alles  nach  der  neuen  Weimarer 
jabe),  Urfaust  457,  459,  760,  874,  und  als  erläuterung  gesagt:  „ein  junges  möd- 
1  von  adel  oder  wenigstens  den  höheren  ständen  angehörig". 

2)  Die  neueren  Untersuchungen  von  Goethes  Verhältnis  zu  H.  Sachs,  verzeich- 
bei  Sahr,  Ztschr.  f.  d.  dtsch.  unterr.  IX,  676  fgg.,  und  Koch,  Berichte  des  freien 
th.  hoohstifts  n.  f.  IX,  226  fg.  (vgl.  mein  referat  über  „Hans  Sachs -festschrifteu" 
tteraturbl.  f.  germ.  u.  roman.  phüoL",  XYH)  erwähnen  davon  nichts. 

3)  Kellers  ausg.  (Litterar.  verein)  VI,  121,  die  folgende  stelle  VI,  304. 

4)  Über  diesen  nachäffer  Abrahams  a  Sta.  Clara  vgl.  meine  angaben  Engl. 
L  XfX,  203,  und  Eaphorion  n,  771  (Flögel-Ebeliug,  Gesch.  des  grotesk-komi- 
3n^  [1887]  nennt  fiilsob  8.  423  Coburg  als  verlagsort,  s.  470  a  Conlms  als  namen). 

-üLoen.   BD.  xxnn.  «^6 


562  FRÄNKEL 

zeit  fast  ein  jede  Vogts  Tochter  iituliwt^  uud  will  keine  kein  Jungfrau  *  mehr  seyn, 
wie  es  dann  auch  vielleicht  in  der  That  sich  also  befindet)  0  wie  manches  Fräule,  sag 
ich,  wann  sie  sihet,  wie  dass  die  Natur  einer  ai'men  Burgers  Tochter  mehr  gaiatUme 
und  Schönheiten  hat  in  das  angosicht  gesetzet,  als  ihr,  die  sie  doch  ein  gebohne 
von  Adel,  wann  sie  siehet,  wie  bey  manichem  Baum-GrettP  die  Öratteu  soHaoffen- 
woiss  Quai-tier  nehmen,  wann  sie  sihet,  wie  maniches  Bettel  Mädl  Corallen  und  Ala- 
baster guug  zu  verkauffen  hat,  L^t  einer  solchen  um  ihr  schöne  Gestalt  ....  neidig.*'  — 
Ebenda  s.  210  lesen  wir:  „oi*st  kürtzlich  hat  er  ein  junge  Princeßin  aasgeheurathet. 
da  hat  man  gleich  ein  Fräule  Steuer  gemacht  ....  ja  sollte  einer  schier  wünschen, 
dass  solche  theuve  frälen  in  der  Thonau  schwummen."  Andrerseits  freilich  liest 
man  bei  Christian  Weniiko  um  dieselbe  zeit:  „wenn  das  Wort  der  Sache  nutzt,  so 
geb*  ich  alles  na(;h,  und  ich  bin  nicht  entrüst,  dass  man  die  Fräulein  heisst,  die 
keine  Jungfer  ist" :  Küi^schners  Deub?(rhe  national -litteratur  bd.  XXXIX,  544. 

Übrigens  wogte  der  streit  auch  nach  VVioland  noch  längere  zeit  ohne  entscheidunj; 
hin  und  her''.  Ln  fcuilleton  der  ^Frankfurter  zeitung**  vom  18.  juli  1804,  zweites 
morgonbhitt,  steht  in  einem  anonymen,  manches  gute  enthaltenden  eingesandt  ,Zur 
geschichte  der  sprachreinigung''  folgende  mitteilung,  die  den  kämpf  um  den  rang 
von  „fräulein"  Ins  ins  zweite  Jahrzehnt  unseres  Jahrhunderts  lebendig  zeigt:  «Im 
mai  1810  zerbricht  man  sich  in  Berlin  den  köpf  mit  der  Übersetzung  von  madam«' 
und  mademoiselle:  die  hauptschwiorigkoit  findet  man  darin,  dass  bei  den  neuen 
bezeiclmungon  der  untei^schied  zwisclien  adeligen  und  nii.'htadeligen  frauen  und 
fräuleins  verwischt  wird.  ,TIohe  frau,  edle  frau,  edles  fräulein,  hcrrin'  —  all  das 
findet  man  gesclimacklos.  Endlich  behilft  man  sich  mit  dem  auswoge:  frau  und  friiu- 
lein  sind  die  einzig  richtige?!  ausdrücke;  wer  seinen  adol  besonders  betonen  wolle, 
der  möge  sich  eben  liaron,  barcmin  und  so  weiter  betiteln  lassen.  Schon  ein  jähr  vor- 
her war  aus  dem  schoosso  einer  Berliner  ^Deutschen  gesellschaff*  der  verschlag  her- 
vorgegangt'n,  fniulein  beim  adeligen,  fraulein  beim  bürgerlichen  mädchen  zu  sagen*. 
Zu  b'tzterem  entschluss  entnehme  ich  ferner  der  sehr  dankenswerten  abhandlung 
über  „Die  eliemalige  B«'rlinisrhe  gesellschaft  für  deutsche  spräche  und  ihre  bücher- 
.sammlung'",  die  John  Koch  als  „Wissenschaftliche  beihigt^  zum  Jahresbericht  d*.s 
Dorotheenstjultisthen  realgymnasiums  zu  Berlin.  Ostern  1894**  (Berlin,  R.  Gärtners 
Verlagsbuchhandlung)  vorlegte,  s.  Ü9,  dass  der  jener  bücherei  entstammende  sammel- 
band  nr.  470  an  18.  stelle  enthiüt: 

«Der  Freimüthige.  Num.  .'JO,  den  11.  febr.  181."),  Anzeige.  (Geschriebeues  hlatt). 

tlborzeu^'t,  dass  bei  oiner  Keinigung  der  Spi-ache,  die,  wenn  Grundsätze  weiser 
MiLssigung  sie  leiten,  so  sehr  zu  wünschen  ist,  die  Hemusgeber  öffentlicher  BlUtt»»r 
mit  einem  guten  Beispiel  vorangehen  müssen,  erkläre  ich  mich,  für  micli  und  den 
Freimüthigon,  hii*rmit  ötfentlich  für  die  so  ülxM'aus  glückliche  Verwandlung  der  fran- 
zösis<;hen  Ausdrü<:k«^:  Madam  und  Mamsell  in  Frau  uud  Fräulein,  welche  durch  eine 

1)  Abg«*st'lien  von  der  Zweideutigkeit  in  diesem  zusammenhange,  ist  hierzu 
eben  das  spiltiT«»  mamsell,  wie  es  Schiller  (z.  b.  in  .,  Kabale  und  liebe"  neben  Jung- 
fer) gebraucht,  zu  vergleichen. 

2)  In  diisem  sinne  war  der  name  wol  auf  bairisch [- schwäbi8ch]em  boden  im 
Schwange  (Schm«'ller- Frommann  1,  1017);  .1.  Bolte  im  register  seines  neudrucks  von 
Val.  S«.humanns  .Xachtbüchlein''  (Littpiiir.  verein,  197,  1893)  8.425  erklärt  Gräte 
(24r>,  14  und  2U)  und  Gretl(e)in  (55,  16  und  50,  1)  direkt  als  bauemdime.  Vgl. 
W.  AVackenjagel ,  Kl.  rchr.  111.  130—146  (aus  Germ.  TV/V). 

3)  Sanders  I,  487,  Grimm  IV,  1,  87  fg.  (auch  fräfuJU)  setze  ich  voraus. 


FRÄÜLlEIN  563 

aohtungswerte  Sprachgesellschaft  in  Erfurt  zur  Sprache  gebracht  worden  ist ,  und  ver- 
banne jene,  in  einem  deutschen  Munde  wirklich  albom  klingende  woiie  aus  dieser 
Zeitschrift,  wie  von  der  Aufschrift  meiner,  an  deutsche  Frauen  imd  Mädchen  gerich- 
teten, Briefe.  Überlassen  wir  es  in  Zukunft  den  koketten  Weibern,  sich  Madams,  den 
Freudenmädchen,  sich  Mamsells  nennen  zu  lassen. 

Berlin,  d.  8.  fobraar  1815.  D.  August  Kuhn.^'* 

"Wenige  jähre  später,  in  der  von  K.  B.  Schade  besorgten  5.,  völlig  umgearbei- 
teten aufläge  von  J.  Chr.  Adelungs  „Kleinem  deutschen  wöiierbuch "  (1824)  —  die 
als  eine  art  gradmessor  des  damaligen  Sprachgebrauchs  angesehen  werdou  darf  — 
fehlt  mamsell  ebenso  wie  raadam,  und  s.  147  steht  fräulein  ohne  weitere  erklärung 
unter  dem  stich  werte  frau.  In  büchem  wie  F.  A.  Brandstäter,  ,^Die  gallicismen  in 
der  deutschen  Schriftsprache  mit  besonderer  rücksicht  auf  unsere  neuere  schönwis- 
senschaftliche litteratur"  (1874),  sucht  man  vergebens  nach  belegen  für  das  19.  Jahr- 
hundert; s.  99  ist  in  einer  alphabetischen  liste  „madamo,  als  anrede  zur  eigenen 
frau**  bei  Schiller,  Neffe  als  onkol  11 ,  7  nachgewiesen,  also  einfach  beibehalten!  „Ma- 
dame*^ ist  übrigens,  wie  ich  nach  vielfacher  eigener  erfahrung  in  laden  usw.  bCiSta- 
tigen  kann,  heute  in  Paris  die  fast  alleinige  anspracheform.  Sachs  -  Villatte,  Ency- 
clopäd.  wörterb.°  (1894),  8.928c  erklärt  es  sehr  gut,  zu  mehreren  obigen  stellen 
parallelen  bietend:  „Titel  und  anrede  (ehem.  nur  der  wirklichen  ritterfrauen,  jetzt) 
jeder  verheirateten  frau  oder  auch  einer  unverheirateten  (wenn  man  nicht  bestimmt 
weiss,  ob  sie  noch  unverheiratet),  auch  einer  unverheirateten  dame  der  demi-monde**; 
nach  Villatte'b  „  Parisismen  **  *  (1895)  s.  176  a  ist  madamo  im  Argot  der  hauptstadt 
r,titel  der  bordellvorsteherin'*. 

Der  hübsche  ai-tikol  von  dr.  Paul  Bai-tels,  „Titelwescn  und  anrede  in  Deutsch- 
land**, Allgemeine  konservative  monatsschrift  f.  d.  christl.  Deutschland,  52.  jahrg. 
(1895;  märz)  s.  268  —  274  bezieht  sich  nur  auf  die  anrede  -  pronomina  sowie  hoch- 
imd  wolgeboren,  erwähnt  fräulein,  madam  usw.  nicht. 

MÜNCHEN.  LUDWIG  FRÄNKEL. 


Ber^  und  vöglein. 

Zu  der  die  ewigkeit  vei^sinnbildeuden  parabel  vom  demantberg  („dahin  kommt 
alle  hundert  jähr  ein  vögelein  und  wetzt  sein  schnäblcin  daran,  und 
wenn  der  ganze  borg  abgewetzt  ist,  dann  ist  die  erste  Sekunde  von  der 
ewigkeit  vorbei'')  in  den  märchon  der  brüdor  Grimm  hat  R.  Sprenger  (oben 
8.  71  —  72)  zwei  Strophen  aus  einem  im  „Wunderhorn'*  (bd.  2,  Heidelb.  1808,  s.  220) 
nach  mündlicher  quelle  aufgezeichneten  Volkslied  verglichen: 

„Wenn  borg  und  tal  aufeinander  stand*, 
viel  lieber  wollt'  ich  sie  tragen, 
als  dass  ich  soll  stehn  vor  dem  jüngsten  gericht, 
soll  all  meine  sünden  beklagen.^ 

„Und  kam'  alle  jähr'  ein  vögelein 

und  nahm'  nur  ein  schnäbleiu  voll  erden, 

so  wollt'  ich  doch  die  hoffnung  haben, 

dass  ich  könnt'  selig  weixien.'' 

Es  sei  gestattet,  auf  eine  weit  ältere  ähnliche  stelle  aufmerksam  zu  machen. 
Das  zn  München  im  jähre  1510  aufgeführte  spiel  vom  jüngsten  gericht,   welches  ich 

36'^ 


564  HARTMANN,  DEBO  UND  VÖGLEIN 

nach  der  handschrift  (cgm.  4433)   auszugsweise  in  seinen   oharakterisiischen  putieii 
widergegeben  habe',  lässt  die  verdammten  seelen  klagen: 

„Wir  armen  seien  wollten  goren, 
das  ain  perg  auf  gieng  bis  an  die  stören, 
der  alls  prait  wür  alls  das  gantz  ordtrich, 
und  alle  jar  ain  vogel  erschwunge  sich 
und  von  dem  porg  füort  ainer  arbais  gros; 
wann  dann  der  perg  wurd  erdtrichs  plos, 
das  wir  erledigt  wurden  von  der  pein, 
dieweil  weiten  wir  geren  in  der  hello  sein 
und  leiden  pein,  dio  da  imseglich  ist, 
das  wir  darnach  sehen  Jhosu  Crist. 
das  mag  irnns  abor  widcrfaren  nicht; 
wir  sein  ewigklich  on  end  gericht" 

Wie  man  sieht,  schliessen  sich  diese  vcrso  den  beiden  durch  Sprenget  erwähn- 
ten stellen,  näher  jedoch  der  in  dem  volksliede  an. 

Das  Münchener  spiel  von  1510  ist,  wie  ich  a.  a.  o.  s.  421 — 422  nachgewie&eti 
habe',  eine  jüngere  bearbeitung  des  alemannischen  weltgerichtspieles ,  das  sirh,  vum 
jähre  1467  datiert,  in  einer  handschrift  des  klostei^  Rheinau  bei  SchafißiaaseD  findet'. 
Das  Rheinauor  spiel  enthält  dio  obigen  verse  noch  nicht.  Ältere  quelle  des  Mün- 
chener  spiels  in  bezug  auf  die  fragliche  Symbolik  war  möglicherweise  ein  theologisi'hes 
werk  (predigt?)  in  prosa,  vielleicht  aber  aucli  schon  ein  volksiütsol ,  wie  wir  es  im 
besagton  märchen  als  frage  dos  königs  und  antwort  des  hirtenbübleins  vernehmen. 

Etwas  abgeändoi-t  und  auf  zwei  bildor  verteilt  widerholt  sieb  unser  gloichnb» 
in  einem  protestantischen  orbauungswerke  des  17.  Jahrhundert«,  dem  „Neu  vermehr- 
ten Nürnbergischen  handbuch''  von  Dominions  Beer,  der  pfarrkirohen  zu  S.  Lorentztn 
diacono  und  seniore,  Nürnberg  1659.  Hier  heisst  es  in  dem  „betrachtung  der  ewij;- 
keif  überschriebenen  70.  büchlein,  s.  1272: 

„Komme  herboy,  du  allerbester  reohenmeister,  und  rechne  mir  diese  summ», 
die  ich  dir  fürlege,  so  will  ich  dich  für  einen  meister  passieren  lassen.  Ich  sciz*\ 
der  gantze  erdboden  sey  ein  grosser  mächtiger  sandborg  von  den  allersubtilsten  saud- 
köriilein,  ein  engel  vom  himmel  käme  alle  jähr  einmal  und  nehme  mehr  nii.-ht, 
als  ein  einiges  kör  nie  in  mit  sich  hinweg,  wio  viel  1000  mal  1000  millionen  jahr 
würden  dazu  gehören,  biss  der  borg  abgetragen  würde*;  dann  auf  der  nächsten  seite 
(1273): 

„Ich  vermeine,  mein  lieber  Christ,  es  werde  dir  nicht  zuwider  seyn,  anzuhö- 
ren ,  was  die  lieben  alten  für  gedancken  hiervon  gehabt  haben.  Sie  pflegten  zu  sagen, 
dass  dio  verdambten  in  der  höll  nichts  höheres  wünschen  und  begehren  würden ,  dann 

1)  „Volksschauspiele"  (I^eipzig  1880  bei  Breitkopf  &  Härtcl)  s.  411— 422. 

2)  Seltsamer  weise  hat  weder  E.  Th.  Gaedertz  („Ein  Münchoner  mysterien- 
spiel  im  jahr  1510*^  Magazin  f.  d.  liter.  des  in-  und  ausländes  1890,  s.  527 — 520 
und  54-4  —  540),  noch  H.  Jellinghaus  („Das  spiel  vom  jüngsten  gericht**  Ztschr. 
XXIII,  s.  426 — 436)  meine  doch  ausführlichen  nachrichten  einer  berücksichtiganf 
wert  gefunden.  (lödoke  Grundr.  P,  322  (Dresden  1884)  verweist  nur  auf  die  hand- 
schrift (cgm.  4433). 

3)  Mono,  Schaupielo  dos  mittelaltci-s  I,  265  —  304.  Über  eine  noch  etwas  fri- 
hcre  fassung  vgl.  Bai-ack,   „Die  handschriften  der  hofbibliothek  zu  Donauesdiii^ 

8.  135—136. 


WALLNER,   ZUM   PARZIVAL  565 

dieses,  dass  die  gantze  weit  ein  grosses  meer  wäre,  welches  vom  untersten  ab- 
grand  biss  an  den  höchsten  himmel  reichte,  und  kam  alle  tausend  jähr  (o  der 
langen  zeit!)  nur  ein  kleines  vöglein  und  neme  nur  ein  tröpfflein  heraus,  so  wür- 
den sie  so  froh  seyn ,  als  wann  ihnen  die  allererfreulichste  zeitung  verkündiget  würde, 
ungeacht  diss  eine  solche  zeit  erforderte,  die  kein  mensch  aussprechen  kan:  noch 
dennoch  hätten  sie  eine  hoffhung,  dass  es  einmal  zum  end  kommen  müste,  wenn  es 
unzehlich  viel  1000  mal  1000  jähr  gewehret  hätte. '^ 

MüKCHSN.  AÜOÜST  HABTMANN. 


Zv  PardTal  826,  2». 

Stosch  weist  (oben  s.  55)  mit  recht  Bartschs  erklärung  der  stelle  zurück;  sei- 
ner eigenen  deutung  aber  kann  man  ebenfalls  nicht  zustimmen.  Ganz  richtig 
bemerkt  er:  „Soll  rede  hier  in  dem  sinne  von  oratio  stehen,  so  kann  mit  rede  sieh 
rechen  nur  heissen:  mit  werten  sich  rächen,  schelten'^,  findet  das  aber  im  zusam- 
menhange höchst  trivial  und  meint:  „Auch  schalt  Erec  Eniten  ja  nicht*^.  —  Es  seien 
die  stellen  angeführt,  auf  die  Wolframs  anspielung  sich  bezieht 

Erec  verbietet  3095  seinem  weihe  niuwan  hi  dem  libe,  ihn  je  anzureden.  Als 
Enite  ihn  vor  den  räubern  warnt,  fährt  er  sie  an  3238: 

jftcie  nü,  ir  vmnderltehe^  uip? 
ja  verbot  ich  iu  an  den  lip 
dax  ir  niht  ensoldet  sprechen: 
wer  hiex  iueh  da%  gebot  brechen? 
dax  ich  von  wtben  hän  vemomen, 
dax  ist  icdr,  des  bin  ich  kamen 
wol  an  ein  ende  hie: 
swax  man  in  unx  her  noch  ie 
also  tiure  verbot, 
dar  nach  wart  in  also  not 
dax  six  muosten  bekom. 
ex  ist  doch  vil  gar  verlorn 
swax  man  iuch  mtden  heizet, 
wan  dax  ex  iuch  reixet 
dax  irx  niht  muget  vemiiden: 
des  sult  ir  laster  liden, 
swax  ein  tcip  nimer  getcete, 
der  irx  nimer  verboten  hate, 
niht  langer  si  dax  verbirt 
wan  unx  ex  ir  verboten  wirt: 
son  mac  sis  langer  niht  verldn. 

Er  verzeiht  ihr  gegen  das  versprechen,   sein  gebot  von  nun  an  zu  halten.    Als  sie 
abermals  ihr  schweigen  bricht,  um  ihn  vor  den  Wegelagerern  zu  retten,  fragt  er  3404: 

y,sagt,  ir  wip  vil  ungexogen, 
wir  umbe  habt  ir  aber  gelogen? 
wan  ich  ex  iu  von  irste  vertruoe, 
nü  dükte  üteh  dar  an  niht  genuoe, 
<<Mi<0  aber  mere. 


566  WALLKEB,   ZUM  PARZIYAL 

und  mohte  dehein  $re 

man  an  tcibe  begän, 

ex  aolde  niht  sd  ringe  stdn, 

ich  nceme  iu  hie  xehant  den  lip,"^ 

Nachdem  sie  ihm  noch  rechtzeitig  den  geplanten  Überfall  des  grafen  verniten  hü, 
Bchüt  er  4122: 

ytfrou  AiUe, 

ir  höht  iuch  xe  strite 

xe  vaste  wider  mich  gesät. 

dax  ich  dd  Idxen  bat 

und  ex  iu  an  den  lip  verhoU 

dax  ist  mir  ein  michel  not. 

dax  ir  des  deste  mite  tuot. 

nü  sage  ich  iu  mtnen  muot: 

ich  unlx  von  iu  niht  liden; 

ufid  weit  ir  ex  niht  miden, 

ex  get  iu  benamen  an  den  lip.*^ 

Oleich  darauf  warnt  sie  ihn  vor  dem  anreitenden  Verfolger,  nu  verweix  er  frotren 
Jetten  dax  dux  st  sin  gebot  so  dicke  brach,  sin  xom  wart  gröx  und  ungetnarh 
Ufid  unsenfter  danne  e  (4261  fgg.)« 

Viermal  also  droht  Erec  Eniten  den  tod  an,  wenn  sie  ihr  schweigen  breche, 
jedesmal  aber  begnügt  er  sich  so  ziemlich  mit  langatmigen  scheltreden.  Er  ist  in 
diesem  punkte  das  gegenstück  zu  Loherangrin,  der  seine  drohung  unerbittlich  wahr 
macht.  In  teilnehmendem  scherze  meint  nun  Wolfram:  ^Da  gehörte  Erec  hör,  der 
wusste  mit  werten  zu  strafen,  der  hätte  nur  wider  gescholten!^ 

Innsbruck,  19.  juni  1896.  anton  wallnbr. 


BeriGhtigrungr* 

Durch  ein  versehen  ist  seite  448  ausgedruckt  worden ,  ehe  ich  die  zweite  kor- 
rektur  eingesandt  hatte.  Da  der  herausgeber  in  der  ersten  korroktur  auch  die  von 
mir  aus  gewissen  gründen  beibehaltenen  abbreviatureu  für  das  einfache  r  und  er  auf- 
gelöst hat,  80  ist  in  der  anmerkung  1  nun  statt  rer  zu  lesen  er  und  r.  Iu  der 
1.  zeile  des  textos  ist  zwischen  der  und  in,  in  der  2.  zwischen  hatt  und  die  Schräg- 
strich, in  der  6.  Iwren  statt  hören,  in  der  1.  zeile  der  zweiten  Überschrift  zwischen 
liebe  und  V9id  punkt  zu  setzen.    Einige  stellen  dos  tcxtes  hat  herr  dr.  Roseohagon 

während  des  druckes  freundlichst  noch  einmal  verglichen. 

F.  voei. 


An  die  mitarbelter  und  leser  der  Zeitschrift* 

Vom  nächsten  hefte  ab  wird  mein  coUcge,  professor  dr.  Friedrich  Kauff- 
mann  hiersclbst,  in  die  redaction  der  Zeitschrift  eintreten.  Die  arbeitsteilung  wird 
im  allgemeinen  in  der  weise  stattfinden,  dass  die  aufsätze  zur  ostgermanischen  und 
angelsächsischen  philologio  meiner  durchsieht  unterliegen  werden ,  während  alles  übrige 


NEUE   EB8CHKINÜN0EN  567 

herm  prof.  Kauffmann  zufällt.  Die  correspondeDz  mit  den  herren  mitarboitern  habe 
ich  übernommen  und  bitte  daher,  briofe  und  manuscripto  wie  bisher  an  mich  zu 
adressieren. 

KIEL,   JANUAR  1896.  UUQO  GERING. 


NEUE  EBSCHEINUNGEN. 


Altsäehsische  Sprachdenkmäler,  herausgegeben  von  J.  H*  Oall6e*  Leiden,  £.  J.  Brill. 
1894  LI,  366  s.  8.  Dazu  Facsimilesammlung.  Leiden  1895.  29  tafeln 
fol.    45  m. 

Bttntzer,  Heinrieh,  Goethe,  Karl  August  und  Ottokar  Lorenz.  Ein  denkmal.  Dres- 
den, Verlagsanstalt  (V.  W.  Esche),  1895.    124  s.    2  m. 

Festgabe  Ittr  Karl  Weinhold*  Ihrem  ehrenmitgliede  zu  seinem  fünfzigjährigen  doc- 
torjubiläum  dargebracht  von  der  gesellschaft  für  deutsche  philologio  in  Berlin. 
Leipzig,  Reisland  1896.    VI,  135  s. 

Inhalt:  R.  Bethge,  die  altgermanische  hundertschaft.  —  "W.  Luft,  zur 
handschrift  des  Hildebrandsliedes.  —  Derselbe,  zum  dialekt  dos  Hildebrandslie- 
des. —  W.  Scheel,  die  Berliner  Sammelmappe  deutscher  fragmente.  —  J.  Bolte, 
in  dulci  jubilo.  —  P.  Kaiser,  Schillers  schrift  vom  ästhetischen  Umgang. 

Gartenreeht,  dat,  in  den  Jacobsfjorden  vnndt  Bellgarden,  med  oversaottelse  ved 
!¥•  ])•  Krohn  og  B*  E.  Bendixen*  [Skrifter  udgivne  af  Borgens  historiske 
forening  nr.  1.]    Bergen,  Griegs  bogtrykkeri.  1895.    68  s.  und  1  facsim. 

Heimskringla,  Noregs  konunga  SQgur  af  Snorri  Sturluson  udgivne  for  Samfund  til 
udgivelse  af  gammel  nordisk  litteratur  ved  Flnnnr  Jönsson.  3.  haefte.  Kopen- 
hagen, Gyldendal  in  comm.  1895.    S.  433—460  u.  3—128.    4  kr. 

—  De  bevarede  brudstykker  af  skindbogerne  Kringla  og  Jöfraskinna  i  fototypisk 
gengivelse  udgivne  for  Samfund  til  udgivelse  af  gammel  nordisk  littoratar  ved 
Finnor  Jönsson«  Kopenhagen,  Gyldendal  in  comm.  1895.  (IV),  XX  s.  4^  und 
7  taf.     7  kr. 

Kaufhnann,  Fr«,  Deutsche  grammatik.  Kurzgefasste  lautlehre  des  gotischen,  alt-, 
mittel-  und  neuhochdeutschen.  2.  vermehrte  und  verbesserte  aufläge.  Marburg, 
N.  G.  Elwertsche  Verlagsbuchhandlung.  1895.    VI,  108  s.    2,10  m. 

Merkes,  P.,  Beiträge  zur  lehre  vom  gebrauch  des  Infinitivs  im  neuhochdeutschen 
auf  historischer  grundlage.    Erster  teil.    Leipzig,  J.  H.  Robolsky.  1896.     171  s. 

Monumenta  Oermaniae  historiea.  Deutsche  Chroniken  und  andere  goschichtsbücher 
des  mittelalters.  Band  I,  abt  2:  Der  Trierer  Silvester,  herausg.  von  Carl 
Kraus;  Das  Annolied,  herausg.  von  Max  Roediger.  Hannover,  Hahnsche 
buchhandlung.  1895.    VI,  145  s.    4. 

Xoreen,  Adolf,  Abriss  der  altnordischen  (altisländischon)  grammatik.  [A.  u.  d.  t: 
Sammlung  kurzer  grammatiken  germanischer  dialekte,  herausg.  von  W.]^B raune. 
C.  Abrisse.  Nr.  3.]    Halle.  M.  Niemeyer.  1896.    60  s.    1,50  m. 

Dieser  auszug  aus  Noreens  ausführlicherem  werke ,  der  nur  den  altisländischen 
Sprachgebrauch  vor  1300  berücksichtigt,  kann  anfängem  zur  einführung  in  das 
Studium  des  altnordischen  bestens  empfohlen  werden, 


568  NEUE  EBSCHEnOTNeBN 

Pfaff,  Friedrich,  Deutsche  Ortsnamen.    Berlin,  Trowitzsoh  und  8ohn.    1896.    16  s, 

0,40  m. 

Korges  gamle  loTe  indtil  1387.  Femte  binds  2det  hefte,  indeholdende  glocnriom 
og  anhang  1—3  samt  tillsBg  og  rettelsor,  udg.  efter  offentlig  foraostaltning  Ted 
Gustav  Storni  og  Ebbe  Hertzberg.  Christiania  1895.  lex.  8.  s.  I — XYI 
und  57—864. 

Seherer,   Wilhelm,   Karl  MüUenhoff.     Ein  lebensbild.     Berlin,   Weidmann.    1895. 

Vn,  173  s.  und  1  porträt.    4  m. 

Sehönbach,  Anton  E.,  Der  windadler  Heinrichs  von  Yeldeke.  (Sonderabdmck  aas 
der  fostgabo  für  Franz  v.  Eix)nes.)    Graz,  im  vorläge  des  verfasseis.  1885.     13  8. 

Seelmann,  Emil,  Universitätsbibliothekar,  Widerauffindung  der  von  Karl  dem  grossen 
deportierten  Sachsen.  Köln  1895.  13  s.  (Soparatabdruck  aus  der  Kölnischen 
züitung.) 

Soelmann  kündigt  in  diesem  artikel  eine  reihe  ausführlicher  abhandlungen 
an,  in  denen  er  den  beweis  führen  will,  dass  die  wallonische  bevölkerong  im 
südöstlichsten  zipfol  Belgiens  (in  der  Umgebung  der  Ardennenstädtohon  Florenville 
und  Chiny)  von  durch  Karl  den  grossen  hierher  deportierten  Sachsen  abstamme. 
Auf  germanischen,  specioU  niederdeutschen,  Ursprung  deutet  der  ganze  typus  der 
bewohncr,  dio  articulation  der  laute  und  eine  nicht  unbeträchtliche  zahl  im  sprach- 
Bchatzo  erhaltener  deutscher  Wörter,  wie  auch  die  Ortsnamen  z.  t  nur  aus  dem 
germanischen  sich  erklären  lassen. 

Socin,  Adolf,  Basler  mundart  und  Basler  dichter.  74.  nei^ahrsblatt,  herausg.  von 
der  gcsellschaft  zur  beförderung  des  guten  imd  gemeinnützigen.  Basel;  R.  Reich. 
1895.    63  s.  4«  und  1  lichtdruck. 

Spina,  Franz,  Der  vors  in  den  drameu  des  Andreas  Gryphius.  Abdraok  aus  dem 
Jahresbericht  des  stiftsobergymnasiums  der  Benodictiner  in  Braunau  (Böhmen) 
1894/95.     (In  conun.  bei  Fr.  ßocksch  in  Braunau.)    80  s. 

Wenker,  I.  0*  und  Wrede,  F.,  Der  Sprachatlas  des  deutschen  reiches.  Dichtung 
und  Wahrheit.    Marburg,  N.  G.  Elwcrtsche  Verlagsbuchhandlung.  1895.    52  8.    1  m. 


NACHRICHTEN. 

Der  aussoroixieutl.  profossor  dr.  Max  Koch  in  Breslau  wurde  zum  Ordinarius 
beföidei-t. 


I.   SAOHBBOISTER 


569 


I.  SACHREGISTER. 


alemannisch-schwäbisch,  siehe  schwäbisch. 

alliterierende  ungleiche  vokale  546 — 549. 

altnordisch :  datierung  der  f ragmente  Bra- 
gis  des  alten  und  des  Yuglingatal  von 
fjobolfr  121—127.    vgl.  beide. 

alt^äcnsisch :  heimat  der  Genesishandschrift 
142.  —  Unterscheidung  verschiedener 
bände  in  der  vorläge  der  Münchenor 
Heliandhandschrift  nach  der  form  des 
accus,  sing.  masc.  des  botimmtcn  arti- 
kels  433—436. 

Arigos  Blumen  der  tugend,  Über- 
setzung des  Fiore  di  virtu  470  fg.  Ver- 
hältnis zum  italienischen  original  471— 
474.  nachweis  der  identität  des  Über- 
setzers des  Fiore  und  des  Übersetzers 
des  Decamerone  474  —  482. 

Arndt,  E.  M.,  briofo  an  frau  Zanders 
509  —  515. 

berg  und  vöglein,  parabol  563  fgg. 

Boccaccios  Decamerone,  deutsche  Über- 
setzung, siehe  Arigo. 

Bragis  dos  alten  fragment«,  datierung  121 

—  127.     vgl.  altnordisch. 
Brittonura  historia,  siehe  dieses. 
Bürger,  G.  A.:  seine  erete  gattin  dichto- 

rin?  551  fgg.    seine  3.  gattin  553  —  56. 

—  quellen  einiger  episch  -  lyrischer  gc- 
dichte  Bürgei-s  556  —  560. 

czechische  Übertragung  von  Warbecks 
schöner  Mageloue  392.     vgl.  Magelone. 

diphthongo:  quantitätsunterschiede ,  siehe 
dieses. 

Felix:  mittelhochdeutsches  gedieht  vom 
mönch  F.  35  —  38. 

Fenriswolf,  siehe  mythologie. 

fieborsegen  ans  einer  mittelhochdeutschen 
handschrift  39  fg. 

Fiore  di  virtu,  deutsch  von  Arigo,  siehe 
diesen. 

Frauja,  Fraujo,  siehe  mythologie. 

Freyr-Froyja,  siehe  mythologie. 

Goethes  stil  im  alter  410,  auswahl  des 
Wortschatzes  410  fg.  einfluss  des  dik- 
tierens  anf  den  stü  411  fg.  rechtfer- 
tigimg  von  Spracheigentümlichkeiten  412 
fg.  —  Tasso,  ausgang,  enthält  keine 
anspielung  auf  selbsterlebtes  56  fg.  an- 
klänge an  antike  dichter  58.  worter- 
klärung  58  fg.  67  fg.  deutung  des 
Goethischen  ausdruckes  „Verklärung  Tas- 
sos**  59— 62.  deutung  dos  inneren  Zu- 
sammenhanges 62  fg.  66  —  71.  bedeu- 
tung  des  gedankenstrichos  in  Goethe- 
handschriften 63  —  66.  schluss  des  Tasso 
66  fg.  gedieht:  die  geheimnisse, 
kritik   der  von  dem   alternden  Goethe 


gegebenen  erklärung  483— 489.  gleich- 
zeitige Überlieferung  der  entstehung  des 
gedichtes  489 — 499.  benennung  des 
gcdichtes  500  fg.  analyse  des  inhaltes 
501  —  509. 

gotische  grammatik,  siehe  dieses. 

grammatik,  gotische:  optativ  in  be- 
dingungssätzen  132  fgg.  in  relativsätzen 
133  fg.  in  temporalsätzen  134  fg.  in 
aussagesätzen  135  fg.  in  folgesätzen 
136.  —  analogien  der  ein  Wirkung  des 
hauptsatzes  auf  den  modus  des  nebeu- 
satzes  im  mittelhochdeutschen  136  fgg. 

handschriften,  aus  mittelhochdeut- 
schen: Dietrich  von  Plieningens  Seneca- 
übersetzung  17 — 26;  vgl.  dieses.  — 
Heinrich  Munsingers  buch  von  den  fal- 
ken  usw.  26  —  31;  siehe  dieses.  —  lie- 
besbrief  33  fgg.  —  Vom  mönch  Felix 
35  —  38.  —  Unser  lieben  frauen  ritter 
38  fg.  —  Diz  ist  ein  sogen  für  den 
riten  39  fg.  —  Ein  new  lied  von  Hans 
und  Lienhardt  dem  Vittel  40  fgg.  — 
Wie  man  den  Schwartzen  rieht  42  fg. 

Heliand:  vorläge  der  Münchner  hand- 
schrift, siehe  altsächsisch. 

historia  Brittonum,  entstehungsge- 
schichte:  Brittengeschichte  aus  dem 
jähre  679  86  fg.  interpolation  dos  alten 
werkchens  87  —  93.  die  Harleian-re- 
cension  93  fg.  nordwclsche  reconsion 
94  —  99.  die  genealogien  99  —  102. 
civitates  und  mirabilia  102  fg.  tätigkoit 
des  Nennius  103.  Schema  der  historia 
des  Nennius  103  fgg.  der  Ironapostel 
Patrick  (Patricius)  105  —  109.  HLspo- 
rica  Famina  109—112. 

historische  Volkslieder  aus  mittelhochdeut- 
schen handschriften:  Von  Hans  und 
Lienhardt  dem  Vittel  49  fgg.  —  Wie 
man  den  Schwartzen  rieht  42  fg. 

jagd :  Heinrich  Munsingers  buch  von  den 
falkon  usw.  26 — 31.     vgl.  dieses. 

Ingväonischer  Nerthuscultus,  siehe  mytho- 
logie. 

interpunktion:  grundsätze  Dietrich  von 
Plieningens  in  seiner  Senecaübersetzung 
22—26. 

lehn  Wörter  im  deutschen:  grund  der  ent- 
lob nung  378.  lehnwörtcr  in  mundaiton 
378. 

liebesbrief  ans  einer  mittelhochdeutschen 
handschrift  33  —  35.  vgl.  handschriften. 

Lokis  beziehung  zum  Fenriswolfe,  siehe 
mythologie. 

Loreley,  name  427  fg. 

märchen,  siehe  parabol. 


570 


I.    SACHTtEQISTEB 


Magelono,  dio  schöne,  aus  dem  franzö- 
sischon  übersetzt  von  Voit  "Warbeck, 
czochisohe  üboiiragung  392. 

metrik,  siehe  vokalo. 

mundartliche  lohnwörter  378. 

Munsingers,  Hciur.,  buch  von  falkon, 
habichten,  sperbom  und  hunden  26. 

mythologio:  begriff,  umfang,  eintoilung, 
methode  der  forsch ung  156 — 180.  — 
der  Fenriswolf,  deutuugen,  Zeugnisse 
180—183.  namen  183  —  188.  beina- 
men  188 — 191.  genealogische  Verbin- 
dung mit  Loki  191  — 196.  gegensatz 
zu  T^T  (Zeus)  196  fg.  niythus  von  der 
fosselung  des  wolfes  297  —  305.  deu- 
tung  dos  gefesselten  wesens  als  Stein- 
bild ulfs  koptr  305 — 313.  teilnähme 
dos  gottesTyr  an  der  fessclung  313  — 
317.  beziohung  des  dämonisch  aufgc- 
fasston  wolfes  zu  Ix)ki  317  fgg.,  kämpf 
dos  befreiten  göttcrfeindes  mit  Ödinn 
und  Vidarr  320  fg.  glcichsetzuug  dos 
Fcnriswolfos  mit  dem  sonuenwolfe  322 

—  328.  das  freiwerdon  dos  wolfes  und 
das  flottwordon  des  schiffos  Naglfar  als 
zeichen  des  Weltunterganges  328—341. 

—  excurso:  heimat  der  gotter  341  — 
345.  einzelheiton  des  berichtcs  von  der 
fessching  des  wolfes  345 — 348.  —  Ver- 
kehrtheit der  trennung  von  höherer  und 
niederer  mythologio  246  fg. ,  der  meteo- 
rologischen und  psychopathologischen 
deutung  247  fg.  —  Identität  von  Frauja- 
Northus  (männlich)  und  Fraujo-Ner- 
thus  (weiblich)  289  fg.  Iug^•ilouischer 
Ursprung  des  Nerthuskultus  290  fg. 
sprachliche  crklärung  der  ontstehung 
von  Nerthus  -  NiQr])r  und  Frevr-Frevja 
291—294. 

Nennius'  tätigkoit  hinsichtlich  der  historia 
Brittonum,  siclie  diese. 

Nerthuskult,  siehe  mythologio. 

nordische  mythologio,  siehe  dieses.  — 
nordische  runcninschriften,  sioho  dieses. 

Odins  kämpf  mit  dem  Fenriswolfe,  siehe 
mythologio. 

parabnl  (märchen)  vom  berge  und  vöglcin 
5(i3  fgg. 

Patrick  (Patricius),  siehe  historia  Britto- 
num. 

riieningon,  Dietrich  von,  übei-sctzor  So- 
necascher  und  Pscudo  -  Senocascher 
Schriften  IS  —  22.  fühi-t  bestimmte 
gruiidsätze  der  interpunktion  ein  22—26. 

Quantität  der  silben:  znrückführung  von 
<luantitätsuntersoliieden  bei  vokalen  und 
diphthongen    heutiger    mundarten    auf 


voralthochdentsche  apokope  515  fg.  deh- 
nung  und  erhaltung  alter  kürzen  im 
schwäbisch  -  alemannischen  516  —  524. 

Runeninschriften:  desWedelapangstci- 
nes  und  des  Gottorpsteines  236  fgg.  des 
Danewirkesteincs  238  fg.  der  beiden 
ungarischen  spangen  239  fg.  der  spange 
von  Engors  240.  von  Freüaubei'shcijn 
240  fg.  244.  von  Osthofen  und  Char- 
nay  241.  244.  des  Tunostoines  242.  der 
spange  von  Fonnaas  243.  dos  steines 
von  Einang  243.  des  steines  von  ßy 
243  fg.    der  spange  von  Nordendorf  244. 

Salomosage,  ihr  fortleben  in  der  Spiel- 
mannsdichtung 536. 

schwäbisch -alemannischer  dialekt:  quaiiti- 
tätsuntei-schiodo  der  vokale  516—524.  — 
angebliche  wandemngen  von  laut  Wand- 
lungen 540  fg.  entwicklang  der  vokalo 
und  diphthonge  541  fgg. 

schwedisch :  Wörterbuch  der  schwedis<;hou 
akademie  I  394—398. 

schretel  und  wasserbär  429. 

Seneca,  Übersetzung  Senocascher  und  Pscu- 
do -  Senocascher  Schriften  durch  Dietrich 
von  Plieningen  17  —  26.     vgl.  diesen. 

Shakespeare,  tagelietl  bei,  siehe  dieses. 

Spielmannsdichtung  nimmt  motivo  der  Sa- 
lomosage  auf  536. 

Stricker:  sein  Daniel  älter  als  sein  Karl 
43—47. 

syntax:  einlluss  des  hauptsatzes  auf  den 
modus  des  nebensatzes  im  goti.sfrhen, 
siehe  grammatik. 

tagelicd  bei  Shakespeare  265  fgg. 

fj6|)olfs  Yuglingatal,  datierung  121 — 127. 
vgl.  altnordisch. 

Tyi*s  Verhältnis  zum  Fenriswolfe,  sieh»^ 
mythologio. 

Unser  lieben  frauen  ritter,  gedieht  aus 
einer  mittelhochdeutschen  hands^rhrift 
38  fg.     vgl.  handschriften. 

Vidars  kämpf  mit  dem  Fenriswolfe,  sieh»» 
mythologio. 

vokalo:  (|uantitätsunterschiede,  siehe  diese. 
—  alliteration  ungleicher  vokale  540 -- 
549. 

Volkslieder,  historische,  40  —  43.  vgl. 
historische  lieder. 

Warbocks  Übersetzung  der  französis<'hen 
Magelone  392.     vgl.  Magelone. 

wasserbär  und  schretel  429. 

Wolfram  von  Esclienbach:  sein  verhiiltni-N' 
zum  katholischen  glauben  und  zur  Iwi- 
denwelt  537  fg. 

Zanders,  frau:  briefe  an  sie  von  E.M.  Arndt 
509-515. 


U.    VERZEICHNIS  DER  BESPROCHENEN  STELLEN. 


AlteltehsiMh.  { 

UelianU  2481  fgg.  s.  1. 
4290  fg.  B.  1  fg. 
5738  s.  3. 
(ienasis  I.  bruchstiick. 
9  %.  H.  146. 
10  a.  138. 
12  fgg.  8.  138  fg. 
14  8.  146  fg. 
17  a.  147. 
23  s.  139.  147. 

n.  brachst ikt. 

30  fg.  s.  148. 
32—42  s.  140. 
33  fg.  8.  148. 


III.  bruobstück. 
114  — HC  s.  140. 
154  fg.  B.  LW. 
160  fgg.  S.140. 
164  fgg.  9. 140  fg. 
177  fg.  s.  ir.o  fg. 
laO  8.  141. 
180''  8.  150  fg. 


Uai  und  BeaflSr  (ed.  Pfeiffer)  ] 
10,  17  S.437. 
19,  5  a.  437.  444. 
21,  11  8.437.  444, 
25,  7  B.  437.  444  fg. 

27,  4  B.  437.  445. 

28,  10  s.  438.  445. 
28,  28  B.  438. 
37,  23  8. 438.  445. 


I.  151. 
151  fg. 


152, 


182  fj 

209'' 

254  B 

258  fg.  B.  152. 

264"  B.  152. 

277  fgg.  8.  141. 

287  8.  141. 

287  fg.  s.  152  fgg. 

321  fgg.  s.  141  fg.   154  fg. 

335  fgg.  s.  142. 

Hlttelhocbdentsch. 

Der  voD  Büwenbui^  (v.  d. 
Hageu  MS,  II,   202-  =- 
Bartsch,     Schweiz.    MS. 
XXIII,  4)  s.  295  fg. 
Deutsche  gedichte  des  12.  jb. ' 
(ed.  Kraus) 
IV  Adelbreht  7  s.  258.  i 
65  B.  258. 
HartiiiaiinvoDAue,OregoriiiB 
5  fg,  8.  47  fg. 
36  fg.  8,  48,  I 


41, 


8.438, 


42,  38  i 

46,  18  8. 438.  445  fg. 

52,  17  s.  438. 

53,  7  B.  438  fg. 
79,  7  B.  439. 

87,  36  3,  439.  446, 

92,  11  B.  443. 

III,  20  8.439. 

118,  39  fgg.  a,  439  fg. 

122,  29  8.  440. 

130,  12  fg.  8.440.  440. 

138,  31  fg,  a.440.  446. 

139.  8  fg.  s.  440.  446  fg. 
150,  32  B.  440. 

172,  16  8.440. 

174,  32  B.  440  fg. 

176,  19  s.  441.  447. 

177,  6  s.  441. 

178,  7  8.  441. 
181,  22  8,441. 

184,  13  fgg,  8.441.  447. 

184,  22  fgg.  8.441,  447. 

187,  9  8.  441. 

189,  26  8.441, 

192.  4  s.  442. 

204,  24  8.  442. 

207,  6  B.  442.  447. 

209,  18  8.  442.  447. 

2U,  17  fgg.  8.  442. 

216,  13  s.  442. 

218,  38  s.  443. 


234,  ; 


ä.  443. 


236,  14 

242,  5  S.  444.  i 

MunBJDgct,    buch    von  den  j 

falken  usw.  (ed,  Ha-Süler)  | 

2,  28  8.  29, 

2,  2  V.  u,  8.  29.  : 

20,  13  8.  m  t 

27,  13.  19  8.  30. 


43,  6.  7  8,  31. 


94,  1  V.  u.  a.  31. 

95,  24  8.  31. 

Das  rädlein  (v.  d.  Hagen  Oe- 
samtab,  Ul,  118) 

285  fgg.  2429  fg. 
Ulrich  von  LichtcDStoin, 

FrauoDtlieust 
10.16.  21, 23  fgg.  22,29. 

24, 5.  32,  26, 16  s.  199. 
28,  2  feg.  B.  199  fg. 
31,  20.    32,  12.    33,  17. 

25.   44,6.   52,32.   53, 

1  8.  200  tg. 
53,  28.  30.    54,  32.    60, 

25.  61,  28,   62, 13  fgg. 

8.  201  fgg. 

60,  1  fgg.  5.  13.  17.  21. 

29,     67,  1.    3  fg.   7  B. 

203  fg. 
67, 11.  15.  19.  25  fg.  30. 

31.    68,  3,    70,  1.  13. 

72,  23.    75,  8.    77,  14. 

25  B.  204  fg. 
78,  2  fg.  23.     79,  21.  29. 

81,  16.   82,  14.  IC.  20. 

80,  9  fg.    20,     89,  2«. 

90,  8  8.  205  fg. 
91,  25.   92,  16  fg.    9.1,1. 

9.  25.    94,  1  8.  206  fg. 
95,  6  fgg.    96,  30  fg.    98, 

2.  8.   99,  27  fg.  101,4 

8.  207  fg. 
102,  20,     107,  11.     109, 

20.  110,5fgg.   124,13. 

127,  26.     128,  17  fgg. 

130,  15  s.  208  tg. 
131,  9.   21  fgg.      132,  1. 

8.  23,     137,  16,     139, 

3  fg.    140,  7.  23.    141, 

10  8.  209  fg. 
144,  3.    147,  6.    ISr.,  24 

fgg.  ].56,29fgg.  157,18. 

163,  5  fgg.  s.  210  fg. 

165.7.  166,  17  fgg.  168, 
9  fgg.  170,  13.  32  fgg. 
8.  211, 

174.8,  10,  177,  17;  178, 
17  fgg.  180,  29.  181, 
30  B,  212. 

196,  29.  197,  6.  199,  3. 
8.  10.    200,  11.     201, 

26.  202,  1  s,  213  fg. 
202.   4,    5.    10.    13.    16. 

203,  21.  25.  32.  205, 
16.  206,  17.  18.  30 
8.  214  fg. 


572 


m.     WOBTBieiSTER 


Ulrich  von  Lichtenstein, 
Frauendienst 

208,17..  209,31fgg.  211, 

23.  29.    212,  30.    216. 

14.17.  220,10  8. 21 5  fg. 
219,  24.    220,  9.     221, 

29  fg.    225,  21  s.  216. 
242,  21.    250,  4  s.  217. 
202,  10.    263,  16.    266, 

4fgg.  271,  11.  19.  274, 

20  s.  218. 
270,  4.     282,   14.     288, 

21.    297,  4.    303,  28. 

312,  26  8.  219. 
340,  9.     347,   14,     353, 

18.    365,  21  8.  220. 
383,  9.  409,  19  fgg.    418, 

27  fgg.    438,  10.   452, 

19  8.  221  fg. 
454,  4.     458,  28.     460, 

20.  461,9.  11  s.  222  fg. 
401,  27.    474,  25.  494,  8. 

495,  7  fgg.  8.  223  fg. 
528,  4.    544  7  8.  224. 

Frauonbuch 

601,  27.   603,  1.   605,  29. 

612,21.  613,1s.  224  fg. 
613,  8.  21.    610,  18  fgg. 

618,  11  fgg.  8.  225. 


Wolfram    von  Esohenbach, 
Parzival 

1,  15  fgg.  8.  50  fg. 
12,  27  fg.  8.  51  fg. 
15,  22  8.  52. 
367,    9  8.  53. 
487,  1  8.  53  fg. 
817,  28  8.  54. 

825,  9  8.  54  fg. 

826,  29  8.  55.  565  fg. 

Mittelniederdentseh* 

Reinke  de  Vos  3774  s.  32. 

Keuhoehdeutsch. 

Goethe,  Weimar,  ausgäbe, 
2,  100  8.  220. 

10,  das  noueröfPneto  mo- 
ralisch-politische Pup- 
penspiel 8.  354  fgg. 

Parabeln  und  legenden 
v.  1797  8.  350  fg. 

H.  Sachsens  poetische  Sen- 
dung 8.  357. 

künstlers  erdenwallen 
8.  357. 

künstlers  apothoose  s.  357. 

die  romantische  poesic 
8.  357. 


des  Epimenides  erwache 

8.  358. 
Schillers  toteufeier  s.  3f 

kantate  s.  359. 

17.  Tiiumph  der  omj>riiii; 

samkcit  s.  359  —  30 1 . 
die  aufgeregten  s.  361. 
Orosskophta  s.  361  fj^. 
20,  381  8.  220. 
Tagebücher  0  s.  302  — (;^ 
Briefe  15.  10  s.  308—7: 
Faust  I 

525  (878)  s.  349. 
1058  (2011)  s.  349. 
1720  (2073)  fgg.   s.  3:>< 
3222  (357r))  s.  350. 
3437  8.  351. 
II,  397  (5909)  s.  351  f^:. 

3190  (7802)  s.  352. 

5524  (10130)  8.  352fi; 

0004  (11210)  s.  :r>3f^ 
Iphigenic  I,   3  (104  fgg. 

s.  428. 
Goethojahrbuch 

XIV,  280  s.  220  fg. 

XIV,  289  s.  227. 
Brüder  Grimm,  Kind«.'r-  u 
hausmärchen  152  s.  71  fg 


III.     WOBTREOISTEB. 


Altnordisch. 

Feiya  s.  187  fg. 
Fenrisulfr  s.  183  fg. 
Fensalir  s.  185  fg. 
ulfr  8.  189  fgg. 
vargr  8.  189  fgg. 

AltsMehsIsch. 

griat  8.  148. 
luokoian  s.  152. 


scür  8.  147. 

waraii  c.  acc.  s.  148. 

Miitelhochdeutoeh. 

artiseu  s.  421  fgg. 
arthouwe  s.  423  fgg. 

Neiihoehdeutseh. 

fräulein  s.  501  fgg. 


gären  s.  525. 

gaul  s.  525  fg. 

geifern,  geifer,  goifoln,  iroi 

fei  s.  520. 
haschen  s.  520  fg. 
hode  s.  527. 
kracke  s.  527. 
sclieuken,   Schenkel,   sohin 

ken  s.  528  fg. 
waro  s.  529  fg. 


Halle  a.S.,  Knchdrackerei  des  WaisenhauseH. 


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