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Full text of "Zeitschrift für deutsche Philologie"

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ZEITSCHRIFT 


FÜR 


DEUTSCHE  PHILOLOGIE 


HERAUSGEGEBEN 


VON 


Dr.  ernst  hopfner  und  Dr.  JULIUS  ZACHER 

PROVINZIALSCHULBAT   IN    KOBLENZ  PROF.    A.    D.    UNIVERSITÄT   ZU    HALLE 


iisqh 


ELFTER    BAND 


HALLE, 

VERLA«     DER     BUCHHANDLUNG     DES     WAISENHAUSES. 
18  80. 


Ff 

3oo3 


INHALT. 


Sßite 

Görlitzer  bruchstück  aus  Wolframs  Parzival.     Von  E.  Joachim  1 

Pin  legendär  aus  dem  anfange  des  zwölften  Jahrhunderts.     Von  Hugu  Busch. 

(Schluss) 12 

Zum    zweiten  Wiener    aufenthalte  Walthers  von   der  Vogelweide.     Von   J.   E. 

Wackern  eil 62 

Über  zwei  stellen  aus  Goethes  Faust.     Von  Heinrich  Düntzer 66 

Einige  fälle  des  pronominalen   dativs  auf  w  und  der  Verwechselung  von  dativ 

und  accusativ.     Von  K.  Kinzel 73 

Beiträge  aus  dem  Niederdeutschen.    Von  F.  Woeste  79.  232.  360 

Die   dramatisierungen   der  Susanna  im  16.  Jahrhundert.     Beitrag  zur  entwick- 

lungsgeschichte  des  deutschen  dramas.     Von  R.  Pilger  129 

Zu  bruder  Hansens  Mariculiedern.     Von  F.  Gerss    218 

Reminiscenzeu  aus  Gotfrids  Tristan.     Von  M.  Strobl 228 

Aus  Sanct  Galler  haudschriften.     Von  P.  Piper    257 

Bruchstück  eines  lateinisch  -  deutschen  vocabulars.     Von  W.  Schmitz 286 

Die  nomina  volucrum  und  die  termini  juristarum.     Von  J.  Zacher 299 

Quellen  zu  einigen  fabeln  Boners.     Von  R.  Gottschick 324 

Fabeln  aus  einer  Wernigeröder  handsclirift.     Von  J.  Zacher 336 

Die  tierweit  in  volksrätseln  aus  der  provinz  Preussen.     Von  H.  Frischbier....  344 
Zu  Lamprechts  Alexander.     Von  K.  Kinzel. 

I.     Das  handschriftenverhältnis  des  Alexander  385 

II.     Zum  Strassbiu'ger  texte   von  Lamprechts  Alexander  396 

Zu  Lamprechts  Alexander.     Von  J.  Zacher    399 

Bruchstücke  aus  der  samlung  des  freiherrn  von  Hardenberg.     Zweite  reihe 

(fortsetzung  zu  bd.  IX,  s.  395  fg.) 

1.  Hohenburger  Hohes  lied  416 

2.  Aus  einer  predigtsamlung  des  elften  jahrh 418 

3.  Aus  einer  predigtsamlung  des  vierzehnten  jahrh 420 

4.  Aus  einem  commentar  zum  Matthaeusevangelium 423 

5.  Aus  einem  glossare  des  elften  jahrh 427 

6.  Aus  einem  glossare   des   dreizelinten  jahrh 428 

7.  Aus  einem  französischen  prosaromane 429 

8.  Aus  Konrads  v.  Würzburg  Herzmaere 432 

9.  Aus  einem  gebete  an  Maria  434 

10.   Aus  Wittig  vom  Jordan  435 

Über  die  Gothaer  handschrift  des  Wittig  vom  Jordan.    Von  K.  Regel 441 

Über  deutsche  dialectforschung.     Von  Ph.  Wegener    450 

Die  Lobriser  handschrift  von  Heinrich  Minsinger.     Von  H.  Meisner  480 

Kleinere  mitteilungen.    1.  Cristi  bluomen.    2.  Frau  Hitt.    3.  Holapfonnen.   Von 

L  Zingerle   482 

Berichtigung.     Von  K.  Domanig 486 


IV  INHALT 

Seite 

Miscellen. 

Einladung  zur  philolögenversamluug  in  Trier 128 

Bericht  über  die  Verhandlungen  der  deutsch -romanischen  abteilung   der  philo- 

logenversaiuluug  zu  Trier,  von  Franck 361 

Zwei  briefe  von  Jacob  Grimm,    mitgeteilt  von  J.  Im el mann   488 

Verein  für  herausgäbe  alter  nordischer  litteratur  503 

L  i  1 1  e  r  a  t  u  r. 

Otfrids  Evangelicnbuch ,  herausg.  von  Piper:  angez.  von  Erdniann  80 

K.  Do  man  ig,  Parzivalstudien;  angez.  von  K.  Kinzel  126 

0.  Bindewald,  Zur  eriniierung  an  F.  L.  K.  Weigand:  angez.  von  Gombert  233 
H.  Paul,  Untersuchungen   über  den  gernian.  vocalisnius;  angez.  von  Chr.  Bar - 

tholomae 235 

Kelle,  Glossar  zu  Otfrids  evangelienbuch;  angez.  von  0.  Erdmanu  238 

Lexer,  Mittelhochdeutsches  handwörterbuch:  angez.  von  K.  Kinzel  339 

Lexer,  Mittelhochdeutsches  taschenwörterbuch ;   angez.  von  K.  Kiuzel  243 

Altdeutsche  predigten,  herausg.  von  Ad.  Jeitteles;  angez.  von  K.  F.  Kummer  244 
J.  Kost,  Die  syntax  des  dativus  im  althochd.;  angez.  von  E.  Bernhardt  ....  256 

W.  Arnold,   Deutsche  urzeit;   angez.  von  Th.  v.  Hagen  366 

E.  Hamel,  Zur  textgeschichte  des  Klopstockschen  Messias;  angez.  von  0.  Erd- 
mann    371 

Finnboga  saga  hins  ramma,  herausg.  von  H.  Gering;  angez.  von  B.  Sijmons  372 
0.  Behaghel,    Die  Zeitfolge  der  abhängigen    rede  im  deutschen;    angez.  von 

H.  Klinghardt    375 

L.  Bock,  Über  einige  fälle  des  conjunctivs  im  inhd.;  angez.  v.  H.  Klinghardt  375 
A.  Schultz,  Das  höfische  leben  zur  zeit  der  minnesinger:  angez.  v.  K.  Kinzel  489 
Regeln  für  die  deutsche  Schreibung,  herausg.  von  dem  verein  für  deutsche  recht- 

schreibung;  angez.  von  K.  Kinzel 495 

Chr.  Bang,  Voluspaa  og  de  sibyllinske  orakler;   angez.  von  H.  Gering  496 

Clarus  saga  ed.  C.  Cederschiöld ;  angez.  \on  H.  Gering 496 

Literaturblatt  für  germanische  und  romanische  philologie,  herausg.  von  0.  Be- 
haghel und  Fr.  Neumann;  angez.  von  J.  Zacher 498 

Jahresbericht  über  die  erscheinungen  auf  dem  gebiete  der  germanischen  philo- 
logie für  das  jähr  1879.     Herausg.  v.  d.  gesellsch.   für   deutsche  philologie 

in  Berlin;  angez.  von  E.  Henrici   499 

Lundell,    Nyare   bidrag    tili   kännedom    om    de    svenska   landsmälen :    angez. 
von  H.  Gering  500 

Register  von  E.  Matthias 503 


GÖRLITZER  BRUCHSTÜCK  AUS  WOLFRAMS  PARZIYAL. 

Unter  den  liandschriften  der  Miliclischen  bibliotliek  zu  Görlitz 
befindet  sich  ein  bruchstück  aus  Wolframs  Parzival,  welches  nunmehr 
hier  volständig  veröffentlicht  wird,  nachdem  bereits  1841  im  19.  bände 
des  Neuen  Lausitzischen  Magazins  eine  probe  davon  mitgeteilt  worden 
war.  Es  befasst  zwei  pergamentene  doppelblätter  in  quart,  welche 
einst  als  buchdeckel  gedient  haben,  wie  sich  ergibt  aus  der  darauf 
geschriebenen  bemerkung  von  einer  band  des  15.  Jahrhunderts:  ,,liber 
magistri  Audree  Rüdiger.  75.  Nunc  Magistri  Pauli  Suoffheim  de  Gor- 
licz  Nepotis." 

Andreas  Rüdiger,  aus  Görlitz  gebürtig,  war  professor  an  der  Leip- 
ziger Universität,  sowie  collegiat  des  grossen  fürsten - collegii.  Im 
jähre  1451  war  er  rector  der  Universität,  und  1452  dekau  der  theolo- 
gischen facultät.  Er  starb  als  domherr  der  Stifter  Meissen  und  Bautzen 
am  7.  juni  1495  zu  Leipzig,  woselbst  er  in  der  Paulinerkirche  an  der 
morgenseite  des  decemviralbegräbnisses  beigesezt  wurde  und  einen  lei- 
chenstein  mit  seinem  bildnis  in  seiner  amtstracht  erhielt.^  Andreas 
Rüdiger  war  in  schrift  und  rede  ein  eifriger  gegner  der  damaligen 
römischen  hierarchie  und  so  standen  auch  seine  Schriften  im  catalogus 
librorum  prohibitorum  unter  der  ersten  Masse. 

Paul  Suoffheim,  oder  Schwoffheim,  war  der  enkel  des  Andreas 
Rüdiger  und  war  ebenfals  professor  der  theologie  in  Leipzig,  collegiat 
des  grossen  fürsten  -  collegii ,  dekan  der  philosophischen  facultät  und 
rector  der  Universität.     Er  starb  1539  als  domherr  zu  Meissen.^ 

In  richtiger  Würdigung  hat  jemand  die  pergamentblätter  abgelöst 
und    damit    dem   drohenden   untergange    entzogen.^     Jezt   befinden   sie 

1)  Es  ist  dieser  grabsteiu  hinge  zeit  für  den  des  Tozel  gehalten  worden, 
indem  man  das  etwas  unförmliclie  buch ,  welches  der  mann  in  seinen  bänden  liält, 
für  einen  vollen  geldsack  ansah. 

2)  Über  Andreas  Eüdiger  und  Paul  Schwoffheim  vgl.  das  lexicou  Oberlau- 
sitzischer  schriftsteiler  und  künstler  von  Gottlieb  Friedrich  Otto.     Görlitz  1803. 

3)  Gustav  Köhler,  der  Verfasser  des  schon  oben  erwähnten  aufsatzes  im 
19,  bände  des  Neuen  Lausitzischen  Magazins,  vermutet,  dass  das  bruchstück  vom 
gymnasial  -  conrector  Geissler  (bibliothekai'  der  Milichschen  bibliothck  vom  jähre 
1755  — 1765)  gerettet  worden  sei. 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.    BD.  XI.  1 


sich  in  der  haiulscliriftensamhuig  der  Milichsclieu  bibliothek  zu  Gör- 
litz unter  nr.  441.  fol.  ;^  wann  und  wie  sie  aber  dabin  gelangt  sind, 
wissen  wir  nicht.  Die  von  Gustav  Köhler  im  19.  bände  des  Neuen 
Lausitzischen  Magazins  aufgestelten  behauptungen  über  ihr  Schicksal 
sind  nur  unerwiesene  Vermutungen.  Der  hinweis  (s.  403)  auf  Script, 
rer.  Lusat.  I.  s.  340,  welcher  mit  der  behauptung  in  Verbindung  gebracht 
ist,  dass  diese  pergamentblätter  als  hülle  eines  „scholastischen  Wer- 
kes" mit  diesem  unter  andern  büchern  von  ihrem  lezten  besitzer  Paul 
Scliwoffheim  an  die  bibliothek  des  ehemaligen  Franziskanerklosters  zu 
Görlitz  geschenkt  worden  seien,  ist  in  dieser  beziehung  durchaus  nich- 
tig, da  an  der  erwähnten  stelle  wol  von  schenknngen  an  die  kloster- 
bibliothek  im  algemeinen  die  rede  ist,  nicht  aber  von  einer  Schenkung 
des  Paul  Schwoffheim  oder  irgend  einer  andei-en  person.  Nnr  so  viel 
steht  fest,  dass  die  blätter  als  liülle  eines  buclies  aus  dem  nachlasse 
des  Paul  Schwoifheim  in  seine  Vaterstadt  Görlitz,  und  liier  früher  oder 
später,  jedoch  schon  im  vorigen  Jahrhundert,  zur  Milichschen  biblio- 
thek gekommen  sind. 

Das  aus  zwei  pergamentenen  doppelblättern  in  quart  bestehende 
bruchstück  ist  geschrieben  von  einer  zwar  nicht  kalligraphisch  aus- 
gebildeten, aber  doch  festen  und  deutlichen  band,  die  sicher  noch  dem 
13.  Jahrhundert,  und  wol  noch  dessen  erster  hälfte  angehört.  Linie- 
rung ist  nicht  vorhiüiden,  docli  sind  die  Zeilen  gerade,  und  die  capital- 
buchstabeu ,  mit  denen  jede  verszeile  begint,  stehen,  von  dem  zu  ihnen 
gehörigen  worte  durch  einen  kleinen  Zwischenraum  getrent,  genau  senk- 
recht unter  einander.  Das  i  ist  überall  noch  ohne  punlvt,  für  das  s 
ist  durchweg,  auch  im  auslaute,  das  lange  zeichen  f  gebraucht.  Jede 
zeile  schliesst  mit  einem  punkte,  hat  aber  abgesehen  hiervon  keinerlei 
interpunction.  Meist  begint  jede  dreissigste  verszeile  mit  einer  bis  an 
die  darüber  stehende  zeile  hinaufreichenden  roten  initiale  und  grösten- 
teils  treffen  diese  initialen  mit  den  anfangen  der  dreissigzeiligon  absätze 
in  der  Lachmannschen  ausgäbe  zusammen.  Ohne  solche  rote  initialen 
beginnen  nur  die  absätze  521.  572.  587,  588.  589;  dagegen  sind  mit 
solchen  ausgestattet  die  verse  587,  5  und  588,  7.  Jede  seile  enthält 
2  spalten,  von  ursprünglich  40  versen;  doch  hat  davon  das  erste  und 
das  zweite  blatt  je  3  verse  am  unteren,  das  dritte  je  6  am  oberen,  und 
das  vierte  je  5  ebenfalls  am  oberen  rande  eingebüsst.  Ausserdem  ist 
dem  ersten,  und  ebenso  dem  vierten  blatte  die  spalte  bc  durch  abschnei- 
den fast  ganz  verloren  gegangen,  so  dass  auf  den  Vorderseiten  nur  die 

1)  S.  die  geschichte  der  Milichschen  bibliothek  von  dr.  Eobert  Joachim.  I. 
Seite  XXX.  4. 


G((RI.ITZER    PARZIVALTiRUCIISTÜCK  6 

versanfäiige  von  den  hpalteu  b,  und  auf  den  rückseiten  nur  versaus- 
gänge  von  den  spalten  c  übrig  geblieben  sind ,  die  sich  bei  1  c  auf 
wenige  budistaben  beschränken.  Das  erste  l)latt  enthielt  ursprünglicli 
die  verse  516,  11  —  521,  20,  das  zweite  553,  28  —  559,  7,  das  dritte 
569,  29  —  575,  10,  und  das  vierte  586,  12  —  591,  24.  Das  erste  blatt 
bildet  mit  dem  zweiten,  und  ebenso  das  dritte  mit  dem  vierten  je  ein 
doppelblatt.  Es  scheinen  zu  fehlen  zwischen  dem  ersten  und  zweiten 
blatte  6  blätter  (=  3  doppelblätter) ,  zwischen  dem  zweiten  und  drit- 
ten 2  blätter,  zwischen  dem  dritten  und  vierten  2  blätter  (=  1  dop- 
pelblatt). Darnach  lässt  sich  vermuten,  dass  die  handschrift  in  qua- 
ternionen  geschrieben  und  geheftet  war,  und  dass  die  erhalteneu  blät- 
ter solchen  quateruionen  sich  folgeudermassen  eingeordnet  hatten: 
1  *  *  *  I  *  *  *  2  und  *  *  3  *  I  *  4  *  *.  Von  den  erhaltenen  bruchstückeu 
fällt  bl.  1  in  das  zehnte ,  bl.  2  und  3  in  das  elfte ,  bl.  4  in  das  zwölfte 
buch  des  Parzival.  Im  10.  und  11.  buche  verschwindet  der  gegensatz 
der  beiden  textklassen  D  und  G  fast  völlig.  Dem  entsprechend  lässt 
sich  auch  nicht  mit  voller  Sicherheit  erkennen ,  welcher  von  diesen  bei- 
den textklassen  der  auf  den  blättern  1,  2  und  3  enthaltene  text  zuge- 
wiesen werden  müste;  dagegen  stelt  sich  der  zum  12.  buche  gehörige 
text  des  vierten  blattes  ganz  entschieden  zu  der  textklasse  G ,  und  dazu 
stirat  es  genau,  wenn  aus  den  resten  der  spalte  4c  deutlich  zu  erken- 
nen ist,  dass  die  verse  589,  27 — 29  in  einen  vers  zusammengezogen 
waren.  Dagegen  ist  die  auslassuug  von  vers  588,  12  ein  blosses  ver- 
sehen des  Schreibers. 

Der  hier  folgende  abdruck  gibt  den  text  der  handschrift  mit  buch- 
stäblicher treue  wider;  nur  der  strich  über  vocalen  im  wortauslaute  ist 
im  abdrucke  durch  u  ersezt,  und  statt  des  in  der  handschrift  allein 
herschenden  langen  stets  das  bequemere  kurze  s  gebraucht  worden. 
Einzelne  buchstaben,  silben  oder  Wörter,  die  in  der  handschrift  so  gelit- 
ten hatten,  dass  sie  nur  mit  hilfe  der  Lachmanns(dien  ausgäbe  gelesen 
oder  ergänzt  werden  konten,  sind  im  abdrucke  mit  cursivtypen  wider- 
gegeben worden, 

Erwäluit,  aber  auch  eben  nur  erwähnt  waren  diese  bruchstncke 
bereits  in  Goedekes  Deutsche  dichtuug  im  Mittelalter.  Hannover  1854 
s.  738,  und  darnach  in  Pfeiffers  Quellenmaterial  zu  altdeutschen  dich- 
tungen  (Denkschr.  d.  Wien.  akad.  phil.  bist.  cl.  bd.  XVII.  1867)  2,  36 
unter  nr.  43.  Als  vierzigzeilig  gesellen  sie  sich  den  bei  Pfeiffer  auf- 
geführten nummern  19  (pgin.  13.  jh.  J.  Grimm,  bei  Lachmanu  I); 
29  (pgm.  13.  jh.  Karlsruhe);  38  (Stuttgart);  40  (pgm.  13.  jh.  Würz- 
burg); 41  (Berlin). 

1* 


l^latt  1.  vonv.  spalte  a. 

516  11  S  waz  si  hat  .  .  .  Gawan. 
I  u  ir  zorn  missetaii. 

0  d  daz  si  noch  getiit  gein  im. 
D  ie  räche  ih  alle  von  ir  nim. 

15  0  j-gillus  div  riche. 

F  ur  vngesellec?ic7^e. 

Z  e  Gawan  si  kom  geriten. 

M  it  also  zornlichen  siten. 

D  az  ihs  tvenic  mih  trost. 
20  D  az  si  mih  von  sorgen  lost. 

S  i  riten  dan  beide. 

Vf  ein  liht  heide. 

E  in  chrnt  Gawan  da  stende  sach. 

D  ez  wrz  ze  der  wunden  helfiach. 
25  D  0  erbaizt  der  werde. 

N  ider  zv  der  erde. 

E  r  grub  si  wider  uf  er  saz. 

D  iv  fro  ir  rede  niht  vergaz. 

S  i  sprach  chan  der  geselle  min. 
30  A  rzet  vnd  riter  sin. 

517  E  r  mag  sich  hart  wol  beiagen. 
G  elernet  er  bussen  veil  tragen. 
Z  e  der  frowen  sprach  Gawans 

mvnt. 

1  ch  reit  vf  ein  riter  wnt. 
5  D  es  dah  ist  ein  linde. 

0  b  ih  den  noh  vinde. 

D  isiu  wrz  sol  in  wol  ernern. 

Und    alle    sin    vwchraft     er- 
wern. 

S  i  sprah  daz  sihe  ih  gern. 
10  W  as  ob  ih  chnnst  gelern. 

D  a  für  im  bald  ein  knape  nah. 

I)  em  was  ze  der  botschaft  gab. 

D  ie  er  werben  sohle. 

G  awan  niht  beiten  wolde. 
15  D  0  duht  er  in  .  .  .  hiwer. 

M  ala  creatiir. 
17  H  iez  der  knape  fiere. 
{abgeschnitten  3  verszeüen.) 


sp.  b. 
21  G  ar  wa 

I  m  stunt 

A  Is  ein  eber 

LT  ngelich  men 
25  Im  was  daz 

A  Is  is  Gundr 

C  hurz  schraf 

B  i  dem  wazer 

I  n  dem  lande 
30  W  ahsent 
518  U  nser  va 

D  ie  chunst 

E  r  gap  allen 

B  eidiv  wilde 
5  E  r  er  chan  d 

D  arzu  der 

D  er  siben 

W  az  die  chref 

E  r  chand  all 
10  U  nd  waz  ies 

D  0  siniv  kin^ 

G  ewnuen  daz 

Wrden    mens 

E  r  widerriet 
15  S  wa  siner 

V  il  diche  er 
D  eu  rat  er 

V  il  wrz  er 

D  ie  mensche 
20  U  nd  sin  ge 

A  nders  dann 

D  0  er  ze  we 

S  prah  er 

Nif,  Sit  an  se 
25  D  iv  ^vi])  tat 

E  tslicher  rie 

D  az  si  div 

(abgeschnitten  3  verszeilen.) 


GÖRLITZER  PARZrV'ALBRÜCHSTÜCK 


rückw.  sp.  c. 

519, 

10 

al 

11 

as 

22 

r. 

24 

r. 

(nur  so  viel  ist  von  dieser  spalte 

übrig  gehliehen,    alles  andere  ist 

ahgeschnitten.) 

sp.  d. 

520, 11  I  edoli  ein  be/er  phaeiit  reit. 

D  es  tags  da  parcital  erstreit» 

A  b  oriluse  die  hulde. 

D  ie  vlos  si  an  alle  ir  schulde. 
15  D  er  knape  an  Gawanen  sach. 

M  aleventure  mit  zorn  sprach. 

H  erre  sit  ir  von  riters  art. 

S  i  moht  ir  gern  lian  bewart. 

I  r  dunchet  mih  ein  tnmb  man. 
20  D  az  ir  min  fron  füret  dan. 

(  h  wert  irs  vnder  wiset. 

D  az  mau  ivch  darunib  priset. 

0  b  siclis  erwert  iwer  haut. 
S  it  abir  ir  ein  sariant. 

25  S  0  wert  ir  galünet  mit  staben. 
D  az  irs  gern  moht  haben. 
G  awan  sprach  min  riterschaft. 
E  rleit  nie  solher  zvht  chraft. 
S  US   sol  man  walchen  campel 
her. 
30  D  ie  uechunnen  mit  manlicher 
wer. 
521  I  ch  pin  nohledichvon  solhen  pin. 
W  elt  aber  ir  und  div  fro  min. 
M  ir  smaehe  rede  bieten. 

1  r  mvzet  ivch  ein  nieten. 

5  D  az  ir  wol  mvgt  für  zürne  hau. 
S  wie  fr  eislich  ir  sit  getan. 
I  ch  enber  doh  sanft  iwer  dro. 
G  awan  in  beidem  hare  do. 
B  egraif  unt(?)  swanc  in  vnders 
pherit. 


10  D  er  knap  wis  vnd  wert 

V  orhtlichen  wider  sach. 

S  in  igelmaeziges  har  in  räch. 
D  az  versueit  Gawan  so  die  haut. 
D  iv  wart  von  blüt  al  rot  be- 
chant. 
15  D  es  lacht  div  vrow. 

S  i  sprah  vil  gern  ih  schöwe. 

17  I  vch  zwen  sus 

(ahgeschnitten  3  verszeüen.) 

* 
fehlen  6  hl.  (:=:  3  doppelhlätter). 

* 
Blatt  2.  vorw.  sp.  a. 

553,28  . .  brach  ir  slaf  des  si  e  phlach. 

V  nd  gie  zv  ir  gast. 

D  er  sleif  dannoh  al  vast. 
554  D  iv  maget  ir  dienest  niht  ver- 
gaz. 

F  ur  daz  bette  vf  den  tepih  si 
saz. 

D  iv  clare  ivnchvro. 

B  i  mir  ich  selten  schowe. 
5  D  az  mir  abendes  od  fru. 

S  olich  aveutiwer  sleich  zu. 

B  i  einer  wile  Gawan  erwacht. 

E  r  sach  an  sie  und  lacht. 

E  r  sprach  got  halde  ivh  vro- 
welin. 
10  D  az  ir  durch  den  willen  min. 

I  wern  slaf  durch  mih  brechet. 

U  nd  an  iv  selben  rechet. 

D  ez  ih  niht  han  gedienet  gar. 

D  0  sprach  div  meit  wol  gevar. 
15  I  wers  dienst  wold  ih  enbern. 

I  ch  sol  niwan  hulde  gern. 

H  erre  gebietet  vber  mih. 

S  was  ir  gebiet  daz  leist  ih. 

A  Ue  die  mit  minem  vater  sint. 
20  B  eidiv  min  mvter  und  ir  chint. 

S  uln  iv  ze  eren  iemer  han. 


S  0  lip  liapt  ir  uns  getan. 

E  r  sprali  sit  ir  lang  chomen. 

H  et  ich  iwer  chraft  e  vernomen. 
25  D  az  war  mir  lip  durh  fragen. 

W  olt  ivli  des  niht  betragen. 

D  az  ir  mir  geruchet  sagen. 

I  eil  bin  in  diseu  zwein  tagen. 

V  il  fron  ob  mir  da  gesehen. 
30  V  on  den  sult  ir  mir  verleben. 
555  D  urch  iwer  gute  wer  die  sin. 

D  0  erscraht  daz  ivncvrowelin. 

S  i  sprach  herre  nv   fragt   ez 
niht. 
4  I  ch  bin  divez  niemer  iv  vergibt. 

(abgeschnitten  3  versseilen.) 
s}).  h. 
8  U  nd  fraget  ander  maere. 

D  az  rat  ih  weit  ir  volgen  mir. 
10  G  awan  spracb  abir  zir. 

M  it  frage  er  gie  dem  maere 
nacb. 

U  mb  alle  die  frön   die    er  da 
sach. 

S  itzende  vf  dem  palas. 

D  iv  maget  so  wol  getriwe  was. 
15  D  az  si  von  herzen  weinde. 

U  ud  groz  chlage  erscheinde. 

D  anoh  was  ez  hart  frü. 

I  nners  des  gie  ir  vater  zu. 

D  er  liez  ez  au  zorn  gar. 
20  0  b  der  maget  wol  gevar. 

I  ehtes  da  waere  bedwngen. 

U  nd  ob  da  vns  gerungen. 

D  em  gebart  si  geliche. 

D  iv  maget  zuht  riebe. 
25  W  an  si  dem  bette  nahen  saz. 

D  az  lie  ir  vater  au  haz. 

D  0   sprah   er    tohter    weinet 
niht. 

S  waz  iu  schimf  alsus  gegiht. 

0  b  daz  von  erst  bringet  zorn. 


30  D  er  ist  schier  darnah  verlorn. 
556  G  awau  sprah  hie  ist  niht  ge- 
schehen. 
W  an   dez   wir  vor  iv   wellen 

iehen. 
I  ch  fraget  dise  maget  ein  teil. 
D  as  duht  si  ein  vnheil. 
5  U  nd  bat  mih  daz  ichz  lieze. 
0  b  ivh  des  bedrieze. 
S  0   lat  min    dienest  vnb   mih 

beiagen. 
W  irt  daz  ir  mir  ruchet  sagen. 
V  mb  die  fron  ob  vns  hie. 
10  I  chn  freisch  in  allen  landen  nie. 
D  a  man  moht  schowen. 
S  0  manig  elare  frowen. 
M  it  so  liehtem  gebende. 
14  D  er  wirt  want  sin  hende. 
(abgeschnitten  3  versseilen.) 
rückw.  sp.  c. 
18  S  praeh   Gawau    wirt  ir   sult 
sagen. 
W  arumb  ist  iv  miu  fragen  leit. 
20  H  erre  durch  iwer  manheit. 
C  hunet  ir  fragen  niht  verbern. 
S  0  weit  ir  liht  furbaz  gern. 
D  az  lert  ivh  herzen  swaere. 
U  nd  machet  vns  frevden  laere! 
25  M  ich  und  elliv  miniv  kint. 
D  iv  iv  ze  dienst  geborn  sint. 
G  awau    sprach    ir  sult   mirs 

sagen. 
W  elt  abir  ir  mi .  s  gar  verda- 

gen. 
D  az  iwer  maere  mich  verget. 
30  I  ch  freis   doh  wol    wi   ez   da 

stet. 
557  D  er  wirt  sprach  mit  triwen. 
H  erre  so  mus  mih  riwen. 
D  az  ivch  des  vrageus  uiht  be- 
vilt. 


GÖRLITZER    PARZIVALBRUCHSTÜCK 


I  ch  wil  iv  lilieu  einen  schilt. 
5  N  V  Avapent  ivcli  vf  ein  strit. 
Z  e  terie  maiviol  ir  sit. 
L  iet  raarviel  ist  hie. 
H  erre  ezu  wart  versiischet  nie. 

V  f  statel  maiviel  div  not. 
10  I  wer  h;ben  wil  in  den  tot. 

I  st  iv  aventiwer  bechaut. 
S  waz  ie  gestreit  iwer  hant. 
D  az  was  uoh  gar  ein  chindes 

spil. 
N  u  nahent  iv  rivbaeriv  zil. 
15  G  awan  sprach  mir  waere  leit. 

0  b  min  lip  au  arbeit. 

V  on  disen  fron  hinnen  rite. 

1  ch  versucht  e  baz  ir  site. 

I  ch  han  öh  e  von  in  vernonien. 
20  S  it  ih  so  nahen  nv  biu  chomen. 

M  ih  sol  des  niht  betragen. 

I  chu  welle  ez  dur  .  .  ragen. 

D  er  wirt  mit  triwen  ^  chlage. 
24  S  inest  gast  er  chlagte. 

{abgesclmitten  3  versseilen?) 
sp.  d. 
28  D  iv  ist  scharf  vnd  uugehiwer. 

F  ur  war  und  an  liegen. 

H  erre  ich  uechan  niht  triegen. 
558  Gr  awan  der  pris  erchande. 

A  n  die  vorht  sich  nin  wände. 

E  r   sprach    gebt   mir    strites 
rat. 

D  0  ir  gebietet  riters  tat. 
5  S  ol  ich  . . .  .  ruchet  ez  got. 

1  wer  rat  vnd  kver  gebot. 

W  il  ih  iemer  gern  han. 

H  er  wirt  ez  war  missetaw. 

S  old  ih  sus  hinnen  scheidei*. 
10  D  ie  lieben  vnd  die  leiden. 

H  eten  mih  für  einen  zagen. 


A  Herst  der  wirt  beguud  clagen. 

W  an  im  so  leid  nie  geschach. 

H  inz  siu  gast  er  sprach. 
15  0  b  daz  got  erzeige. 

D  az  ir  niht  sit  vaeige. 

S  0  wert  ir  herre  ditz  landes. 

S  waz  vrön  hie  stet  phandes. 

D  ie    starches    wnder   her   be- 
dwauch. 
20  D  az   uoh   nie   riters  pris  ent- 
wanch. 

M  anic  sarian  edeliv  riterschaft_ 

0  b  die  hie  erloset  iwer  chraft. 

S  0  sit  ir  prises  geeret. 

V  nd  hat  ivch  got  vil  genieret. 
25  I  r  muget  mit  frevdeu  herre  sin. 

V  ber  manigeu  lihten  schin. 

V  ron  vn  manigeu  landen. 

W  er  jehe  iv  des  ze  schänden. 
0  b  ir  hinnen  scheidet  alsiis. 
30  S  it  lihsovs  Gwellivs. 
559  I  V  sineu  pris  lazen  hat. 
D  er  manig  riterlich  tat. 
G  efrumet  hat  der  suze. 

V  on  ....  alsus  gruze. 
{abgeschnitten  3  verszeilen.) 

* 
fehlen  2  hlätter. 

* 

Blatt  3  vorw.  sp.  a. 

(abgeschnitten  6  versseilen.) 

570  5  E  in  cholben  *  in    der  hende 

er  truc.^ 

D  es  kivl  was  grozer  daune  ein 

cruch.^ 
E  r  gie  ge  Gawan  her. 
D  as  ne  was  doh  ninder  sin  ger. 
W  an  in  siu  chomens  da  bedroz. 
10  G  awan  daht  dirre  ist  bloz. 


1)  Hdschr.  twen. 


1)  Hdschr.  clolbeu.     2)  tu.     3)  cch. 


S  in  wer  ist  geiii  mir  hart  laz. 

E  r  riht  sich  vf  und  saz. 

A  Is  ob  im  swr  nicnder  lide. 

J  ener  trat  hinder  ein  trit. 
15  A  Is  ob  er  wold  entwichen. 

U  nd  sprach  doh  zorncchlichen. 

I  r  dürft  ]iiih  ensitzeu  niht. 

I  h  fug  aber  daz  iv  geschiht. 

D  a  vor  ir  den  lip  ze  phande 
gebt. 
20  V  on  tiefeis  chreften  ir  noch  ^ 
lebt. 

S  ol  ivh  der  hie  han  ernert. 

I  r  sit  doh  Sterbens  vnerwert. 

D  es  bring  ih  iv  wol  hmen. 

A  Is  ih  nv  scheide  hinnen. 
25  D  er  vilan  trat  wider  in. 

G  awan  mit  dem  swert  sin. 

V  on  dem  schilt  sluch  die  zaine. 

D  ie  phile  algemeine. 

W  arn  hin  durch  gedrungen. 
30  D  az  si  in  den  ringen  chlungen. 
571  D  0  gebort  er  einen  brunneu. 

A  Is  der  wol  zweiuzic  drungen. 

S  lug  hie  ze  tanze. 

S  in  wester  müt  der  ganz. 
5  D  en  div  wäre  zageheit. 

N  ie  versert  noh  versneit. 

D  aht  waz  sol  mir  geschehen. 

I  ch    moht    nv   wol    chumbers 
iehen. 
sp.  h. 

(ahgescimitten  6  verszeilen.) 
15  D  en   schilt  er  mit  den  rimen 
uam, 

E  r  tet  als  ez  der  wer  zam. 

E  r  sprauc  vf  den  estrich. 

D  urch  huuger  was  vreislich. 

D  irre  starche  lev  groz. 
20  D  es  er  doh  wenic  da  genoz. 

1)  Udschr.  nol. 


M  it  zorn  lief  er  an  den  man. 

Z  e  wer  stunt  her  Gawan. 

E  r  het  im  den  schilt  nah  ge- 

uomen. 
S  in  erst  grife  was  also  choraen. 

25  D  urli    den   schilt   mit    al   den 

chlan. 
V  on  tiere  ist  selten  e  getan. 
S  in  grif  durh  solich  hert. 
G  awan  sich  zvches  wert. 
E  in  bein  er  im  hin  abe  swanc. 
30  D  er  lev  vf  den  fuzen  spranc. 

572  I  n  dem  schilt  beleip  der  vierd 

fuz. 
M  it  blute  gab  er  solhen  guz. 
D  az  Gawan  moht  vast  sten. 
D  ar  vnd  her  begunde  ez  vast 

gen. 
5  D  er  lev  spranc   diche  an  den 

gast. 
D  vrh  die  nase  manigen  phnast. 
T  et  er  mit  blechenden  zenen. 
W  old  er  in  solher  spise  wenen. 
D  az  er  gut  lut  eze. 
10  V  ngern  ih  bi  im  seze. 
E  s  was  och  Gawanen  leit. 
D  er  vf  den  lip  da  mit  im  streit. 
E  r  het  in  so  geletzet. 
M  it  blut  wart  benetzet. 
15  A  1  div  kemenate  gar. 

M  it  zorn  spranch  der  lev  dar. 
U  nd  wold  in  zvchen  under  sich. 
G  awan  tet  im  ein  stich. 

rücJcw.  sp.  c. 
{cibgeschuitten  6  verszeilen.) 

26  I  ch  sitz  vngern  in  ditz  blut; 
0  h  sol  ih  wol  bewarn. 

D  itz  bette  chan  so  vmbevarn. 
D  az  ih  dran  sitz  od  lige. 
30  0  b  ih  rehter  wishei^ 

573  D  0  was  im  sin  hübet. 


GÖRLITZER   PARZIVALBRÜCHSTÜCK 


M  it  s'^^rfen  so  betavbet. 

V  nd  do  si  wndeu. 
B  kitten  beguiideii. 

5  D  az  im  sin  snellich  chraft. 
G  ar  lie  mit  geselleschaft. 
D  urh  swindlin  er  stclieus  phlach. 
D  az  hübet  in  vf  den  lewn  lach. 
D  er  schilt  viel  nider  under  in. 
10  G  ewan  er  ic  chraft  od  sin. 
D  ie  warn  in  beid  enphvret. 

V  nsanft  er  was  geruret. 

A  1  sin  sin  tet  im  entwich. 
S  in  wanchusse  vngelich. 
15  Was  daz  im  Gimmile. 

V  0  monte  Ribale. 

D  iv  suze  und  div  wise. 

L  ege  Kahenise. 

D  ar  vf  er  sin  pris  verslief  danne. 
20  D  er  pris  gein  disem  manne. 

W  an  ir  hapt  daz  vernomen. 

W  an  er  was  von  witze  chomen. 

D  az  er  lach  vnversunnen. 

W  ie  des  wart  beguunen. 
25  V  erholn  ez  wart  beschowet. 

D  az  mit  blut  was  betowet. 

D  er  kemenaten  estrich. 

S  i  bede  dem  tode  warn  gelih. 

D  er  lev  und  Gawan. 
sp.  d. 

(abgeschnitten  6  verszeilen.) 
574  7  D  az  si  den  riter  nerte. 

V  nd  im  sterben  werte. 

D  0  gie  6h  dar  durh  schowen. 
10  Do  wart  von  der  frowen. 
Z  u  dem  venster  oben  in  gese- 
hen. 
D  az  si  tweders  moht  iehen. 
I  r  chvmftlichen  frevden  tage. 
0  de  immer  ^  herzenlicher  chlage, 

1)  Hdschr.  mm'. 


15  S  i  furcht  der  riter  wer  tot. 

D  es  lerten  si  gedanch  not. 

W  an  er  sus  vf  dem  lewn  lach. 

U  nd  anders  bettes  nien  phlach. 

S  i   sprah  mir  ist   von   herzen 
leit. 
20  0  b  diu  getriv  manheit. 

D  in  werdez  leben  hat  verlorn. 

H  astu  dv   den    tot   al   hie  er- 
chorn. 

D  urh  vns  vil  eilend  diet. 

S  it  dir  diu  triwe  daz  geriet. 
25  M  ih  erbarmet  iemer  diu  tugent. 

D  V  hast  alter  ode  jvgent. 

H  inz  allen  den  frön  si  sprach. 

W  an  si  den  holt  sus  ligen  sach. 

I  r  vron  die  des  tavfes  phlegen. 
30  R  uffet    alle    an   got   vmb    sin 
segen. 
575  S  i  Saud  zw  ivnchvron  dar. 

V  nd  bat  si  reht  nemen  war. 

D  az  si  sauft  slichen. 

E  daz  si  dau  entwichen. 
5  D  az  si  ir  brehten  mere. 

0  b  er  bi  dem  leben  waere. 

0  d  ob  er  waer  verscheiden. 

D  az  gebot  si  den  beiden. 

D  ie  suzen  meid  reine. 
10  0  b  ir  ietweder  weine. 

*  *       * 
(fehlen  2  Matter.) 

*  *       * 

Blatt  4  vorw.  sp.  a. 

(abgeschnitten  5  verstellen.) 

586  17  D  es  werden  Parzifals  lip. 

D  urh  die  kunegin  sin  wip. 

G  aloes  vnd  Gahmureten. 

20  D  ie  hapt  ir  getreten. 

D  az  ir  si  gäbet  an  den  re. 
D  iv  werde  Itonie, 


10 


L  eit  och  nah  roys  Gramflanz.^ 

M  it  triwen  stete  mine  ghiiiz. 
25  D  az  was  Gawaus  swester  glar. 

F  ro  minne  ir  teilet  iwer  var. 

S  ardomor  nah  Alexander. 

D  ie  ein  und  die  ander. 

S  was  Gawan  chuunes  ie  gewan. 
30  V  ro  minne  die  wolt  ir  niht  lan. 
587  S  i  mvsen  dienst  iv  tragen. 

W  elt  ir  nv  pris  an  in  beiagen. 

I  r  moht  chraft  gein  chreft  ge- 
ben. 

ü  nd  liezet  Gawanen  leben. 
5  S  iechen  mit  sinen  wnden. 

U  nd  wndet  die  gesunden. 

M  aniger  hat  von  minnen  sauch, 

D  en  doh  div  minne  nie  bedwanc. 

I  ch  moht  nv  wol  stille  dagen. 
10  U  nd  liez  min  chlagen. 

W  as  dem  von  Norwege  was. 

D  0  er  der  aventiwer  genas. 

D  az  in  bestunt  der  minne  scor. 

A  n  helf  gar  ze  sower. 
15  Do  sprah  er  we  daz  ih  erchos. 

D  ise  bette  rüwelos. 

D  az  ein  hat  mich  verseret. 

D  az  ander  mih  gemeret. 

G  edanc  nach  minne. 
20  0  rgillus  div  herzoginne. 

M  US  gnade  an  mir  hegen. 

sj).  b. 
{abgeschnitten  5  versseilen?) 
27  D  es  het  er  unsanft 

E  r  het  öh  da  for 

M  it  swertew  nan 
30  D  oh  sanft  er  dise 
Ö88  0  b  chumber  sich 

S  weih  minner  den 

D  er  erst  werde 

1)  Hdschr.  Oramflanz. 


M  it  philen  also  sere 
5  D  az  tut  im  liht 
A  Is  sin  minne 
Gr  awau  truc  minne 
N  v  begund  ez  lihten 
D  az  siner  grozen 

10  V  nnah  so  verre 

11  V  f  riht  sich  der 
13  N  ah  wnden  und 

Z  V  im  was  geleit 
15  H  emide  und  hviich 
D  en  wehsei  er  do 

V  nd  den  harnasch 
D  es  selben  ein  ch 
0  b  den  zwein  su 

20  V  on  Alahers  dar 

Z  wen  stival  och 

D  ie  niht  groz  ph 

D  en  niweu  chleid 

D  0  gie  min  her 
25  V  z  der  kemenate 

S  US  gie  er  wider 

V  nz  er  den  riehen 

S  inen  ögen  den  wart 
R  icheit  div  dazu 
30  D  az  si  dem  geliehen 
589  V  f  durh  fZaz  palas 
G  ie  ein  gwelbe 
6;^^.  c. 
(abgeschnitten  5  verszeilen.) 
9  en. 

11  nsohr. 

12  enbor. 

13  ez  was. 

14  as. 

15  haut. 

16  ekaut. 

17  ...  ste. 

19  wi..eulat. 

23  ch. 

25  sach. 


GÖRLITZER    PARZIVALBRUCHSTUCK 


11 


26 

29 

30 

590  1 

2 

5 

6 

7 

8 

9 
10 
11 
12 
14 


dach. 

zwise  stunt. 

. .  .  r  chunt.      30 

ht  han.  591 

er  Gawau. 

luler  gTOz. 

verdroz. 

V  laut. 

ani  bechan. 

vube  giengen.      5 

npfiengen. 

in  ander. 

ander. 

neu  steu. 


{Nur  so  viel  ist  von  spalte  ic  10 
erhalten;  alles  andere  Ist  wegge- 
schnitten. Für  589,  27.  28  ist  Icein 
ramn  vorhanden,  demnach  war  589, 
27 — 29  in  einen  vers  zusammen- 
gebogen). 

sp.  d.  15 

{abgeschnitten  5  versseilen?) 
590  21  E  r  spranc  vf  do  er  si  cho- 
men  sach. 
D  iv  kunegin  Araiv  sprach. 
H  erre  ir  siüt  noh  slafes  phle- 

gen.  20 

H  apt  ir  ruweus  ivli  bewegen. 
25  D  a  zuo  sit  ir  ze  sere  wont. 
S  ol  iv  ander  vugemac/i  sin 

chunt. 
D  0  sprach  er  fro  und  meiste- 
rinue. 


M  ir  hat  chraft  und  sinne. 
I  wer  helf  also  gegeben. 
D  az  ichz  gediene  sol  ih  leben. 
D  iv   kunegin    sprah    mus    ih 

spehen. 
D  es  ir  mir  herre  hapt  verle- 
ben. 
D  az  ih  iwer  meisterinne  si. 
S  0  cliusset  dise  fron  alle  dri. 
D  a  sit  ir  lasters  an  bewart. 
D  i  sint  geborn  von  hoher  art. 
D  irre  bit  was  er  fro. 
D  ie  claren  vron  chust  er  do. 
S  aiven  und  Itonien. 
U  nd  die  suzen  Kundrieu. 
G  awau  saz  selbe  vierd  nider. 
D  0  sah  er  für  und  wider. 
A  n  der  claren  magt  lip. 
J  edoh  bedwanch   in   des  ein 

wip. 
D  iv  in  sinen  herzen  lac. 
D  irre  meide   blich  ein  nebeis 

tac. 
W  as  bi  Orgilusen  gar. 
D  iv  duht  et  in  vil  wol  gevar. 

V  on  Logrois  div  herzoginn. 
D  ar    iage^    in    sines    herzen 

pin. 
N  V  diz  was  ergangen. 
G  awan  was  enphangen. 

V  on  den  vron  allen  drin. 

D  ie  trvgen  al  liebten  schin. 


GÖRLITZ. 


R.    JOACHIM. 


12 

EIN   LEGENDÄR  AUS   DEM  ANFANGE   DES  ZWÖLFTEN 

JAHRHUNDERTS. 

(ScMuss.) 
V.     Betrachtungen   über   den   tod    verschiedener   hekenner. 

§  1.  Nur  der  Übersichtlichkeit  halber  behandle  ich  diesen  teil 
als  besonderen  abschnitt,  eigentlich  bildet  er  mit  dem  vorhergehenden 
apostel  -  martyrologium  ein  ganzes.  Jedenfals  Avar  es  noch  ein  teil  des 
Vortrages  des  compilators  (vgl.  IV  §  17),  hervorgerufen  vielleicht 
dadurch ,  dass  der  vortragende ,  der  seine  angaben  doch  zumeist  mar- 
tyrologien  entnahm,  nun  auch  die  übrigen  in  diesen  aufgeführten  hei- 
ligen und  märtyrer  nicht  ganz  unerwähnt  lassen  wolte.  Der  abschnitt 
hat  mehr  dogmatischen  Charakter;  seine  wegen  der  unklaren  und  etwas 
weitschweifigen  ausführung  nicht  gleicli  erkenbare  basis  ist  die  angäbe, 
dass  es  drei  kategorien  von  seligen  (apostel,  heilige  und  sonstige  beken- 
ner)  gebe. 

Der  erste  teil  (v.  402  —  18)  führt  aus,  dass  die  apostel  die  mar- 
ter  erdulden  musteu,  um  sich  dadurch  die  Seligkeit  zu  erwerben.  Als 
quelle  wird  Paulus  angeführt.  Eine  stelle,  welche  derartiges  bestimt 
und  ausdrücklich  angäbe,  findet  sich  aber  in  den  brieten  des  apostels 
Paulus  nicht,  deshalb  bleibt  wol  das  wahrscheinlichste,  dass  an  die 
algemeiner  gehaltenen  aussprüche  des  apostels  im  8.  kapitel  des  Römer- 
briefes gedacht  ist,  vgl.  v.  18.  Existimo  enim,  quod  non  sunt  condig- 
nae  passiones  hujus  temporis  ad  futuram  gloriam,  quae  revelabitur  in 
nobis.  30.  Quos  autem  praedestinavit ,  hos  et  vocavit;  et  quos  vocavit, 
hos  et  justiticavit;  quos  autem  justificavit ,  illos  et  glorificavit.  35.  Quis 
ergo  nos  separabit  a  charitate  Christi?  tribulatio?  an  angustia?  an 
fames?  an  nuditas?  au  periculum?  an  persecutio?  an  gladius? 

§2.  Der  zweite  teil  (v.  419  —  446)  handelt  von  den  heiligen, 
und  zwar  erstens  von  solchen,  die  den  martertod  erduldeten  (Clemens 
und  Laurentius) ,  und  zweitens  von  solchen ,  die ,  ohne  märtyrer  zu  wer- 
den ,  durch  ihren  gott  wolgefälligen  wandet  sich  einen  platz  im  himmel 
erwarben  (Martinus  und  Walburga).  Über  ihr  leben  resp.  ihren  tod 
wird  niclits  genaueres  mitgeteilt.  Von  Clemens  und  Laurentius  heisst 
es  nur  v.  426:  ivether  gethrenJcet  nog  verbrant,  so  Clemens  ande  Lau- 
rentius tvurthen,  also  der  tradition  gemäss.  Für  Clemens  verweise  ich 
z.  b.  auf  Bedas  martyrologium  zum  IX.  cal.  decemb. :  Clemens  .... 
qni  jubente  Traiano  missus  est  in  exilium  trans  Pontum  mare,  in  ere- 
mo :  ubi  multis  ad  fidem  vocatis  per  miracula  et  doctrinam  ejus ,  prae- 
cipitatus  est  in  mare ,  ligata  ad  collum  ejus  anchora  ....  Für  Lau- 
rentius werde  ich  weiter  unten  mehreres  beibringen. 


BUSCH,    EIN    LEGENDÄR    DES    XII.    JAHRII.    VI  13 

Ob  man  aus  den  hier  gegebenen  namc.n  einen  schluss  auf  die 
gegend  resp.  das  kloster  ziehen  kann,  in  dem  unser  gedieht  verfasst 
wurde,  ist  mir  mindestens  zweifelhaft.  Auch  Scherer  erklärt  dies  für 
unmöglich  (QF.  XII  s.  40  anm.).  Genaueres  darüber,  wie  es  mit  der 
Verehrung  dieser  heiligen  im  westlichen  Deutschland,  wo  unser  gedieht 
entstand,  aussah,  weiss  ich  nur  bei  Martin  anzugeben.  Auf  die  Ver- 
breitung- der  Martinslegende  am  Niederrhein  habe  ich  früher  (vgl. 
abschnitt  III  §  4)  aufmerksam  gemacht;  ich  ziehe  hier  nur  noch  die 
vielen  im  Rheinlande  St.  Martin  geweihten  kirchen  und  klöster  an,  wie 
sie  die  Germania  sacra  ed.  Böttcher  (Leipzig  1874)  gibt:  Im  reg.-bezirk 
Cobleuz  eine  Martinskirche  in  Oberwesel  und  Münstermaifeld,  Trier: 
abtei   St.  Martin    in   Trier   schon   zwischen   570  und    596   erbaut,    im 

10.  jh.  mönchen  eingeräumt  (Rettberg,  Kirchengeschichte  Deutschlands 
I,  476),  Cölu:  Gross -St.  Martin  zwischen  1152  und  73  erbaut,  end- 
lich   reg.-bezirk   Düsseldorf:    münster    St.   Martin    in    Emmerich,    im 

11.  jh.  gegründet.  Sonst  kann  ich  nur  noch  für  die  Verehrung  der  Wal- 
burga  belege  beibringen.  Böttcher  gibt  zwar  keine  einzige  ihr  geweihte 
kirche  in  Rheinland  und  selbst  Rheinpfalz  an ;  nur  für  Unterelsass : 
Walburg  bei  Wörth,  1074  gegründet,  1164  von  kaiser  Friedrich  I. 
vollendet.  Indessen  deuten  namen  in  der  Rheinprovinz  auf  ihre  Vereh- 
rung hin,  so  kloster  Walburgenberg  in  der  diöcese  Köln  [Enneu  und 
Eckertz,  Quellen  zur  geschichte  der  stadt  Köln  bd.  III  urk.  nr.  207 
a.  1281:  „conventus  montis  sancte  Walburgis  ordinis  Cisterciensis  Colo- 
niensis  dioecesis/'  vgl.  auch  a.  a.  o.  bd.  III  nr.  323  a.  1253  und  362 
a.  1255];  am  frühesten  finde  ich  dasselbe  erwähnt  in  einer  Urkunde  von 
1210  (Lac.  II.  33).  Ob  auch  der  name  des  Städtchens  Walporzheim 
[früher  Walprechshouen  Lac.  II,  298  und  Walbregtzhouen  Lac.  II,  558] 
mit  der  heiligen  zusammenhängt ,  weiss  ich  nicht  zu  sagen.  Ausserdem 
verweise  ich  auf  eine  stelle  in  dem  Martyrologium  ecclesiae  germ.  e 
bibliotheca  E.  F.  Beckii:  „Calend.  Maji  S.  Walburge,  virgo,  cujus 
meminerunt  Beda,  Calendarium  runicum,  Martyrologium  Romanum  et 
Maurolycus;  mirorRabanum  et  Notkerum  eam  praeteriisse ,  cum  cele- 
bris  Sit  Germanis,  etiam  Belgis,  hujus  virginis  memoria,  obser- 
vante  Gretsero  lib.  II  cap.  3."  Vergleiche  auch  Acta  SS.  Februar  T.  III 
s.  517  §  V:  Sacra  veneratio  S.  Walburgis  per  reliquam  Germaniam, 
Burgundiam,  Franciam,  besonders  nr.  32,  33,  34,  35,  sowie  §VI:  Templa 
et  reliquiae  S.  Walburgis  Furnis  et  in  reliqua  Flandria.  §  VII:  Templa 
et  cultus  S.  Walburgis  Antverpiae,  Tilae,  Zutphaniae,  Groningae.  — 
Für  die  Verehrung  des  Clemens  und  Laurentius  finde  ich  gar  keine 
belege.  Aber  auch  wenn  ich  im  stände  wäre,  für  die  Verehrung  und 
verehrungsorte    aller   vier   heiligen   näheres   beizubringen,    würde   dies 


14  BUSCH 

docil  die  iintersuchiing  nicht  sehr  fördern,  denn  es  ist  unmöglich ,  anzu- 
geben, welcher  der  vier  heiligen  dem  kloster,  in  dem  unser  gedieht 
verfasst  wurde,  näher  stand,  ja  sogar,  ob  überhaupt  einer  derselben 
dem  kloster  näher  gestanden  habe.  Mir  scheint,  dass  der  Verfasser  der 
vorläge  nur  aus  dem  vorrat  von  heiligen,  der  ihm  zu  geböte  stand, 
vier  von  den  bedeutendsten  ausgelesen  hat  und  zwar  zwei  märtyrer,  und 
zwei  heilige  die  nicht  den  martertod  erlitten. 

§  .3.  Der  dritte  teil  handelt  von  den  seligen,  welche  gott,  wenn 
auch  nicht  unter  seine  heiligen,  so  docli  in  sein  himmelreich  aufnahm. 
Namen  werden  nicht  genant.  Aber  als  quelle  dafür,  dass  auch  diese 
selig  zu  preisen  sind,  wird  Sedulius  augeführt.  Auf  Avelche  stelle  hier 
angespielt  wird,  weiss  ich  nicht.  Gemeint  ist  unter  dem  namen  Sedu- 
lius wol  der  ältere  Caelius  Sedulius  (vgl.  Ebert,  Gesch.  der  christl.- 
latein.  litter atur  s.  358);  erlialten  sind  von  ihm  drei  werke,  eine  elegia, 
ein  hymnus  auf  Christus  und  ein  carmen  paschale,  welch  lezteres  er 
später  in  prosa  übertrug  (opus  paschale).  Die  beiden  erstereu  kommen 
für  uns  .gar  nicht  in  betracht,  von  dem  lezteren  köute  man  höchstens 
eine  stelle  am  ende  des  ersten  buches  hierherziehen,  wo  Sedulius  im 
geist  die  „bürg  Christi  ersieht,  iu  die  er  als  soldat  aufgenommen  zu 
werden  den  herrn  bittet.  Er  hofft  eben  das  ewige  leben  als  preis  sei- 
ner christlichen  gesinnung"  (Ebert).  Ich  setze  die  betreffenden  verse 
hierher  (Quarti  saeculi  Poetarum  Christianorum  .  .  .  opera  omnia.  Tomus 
unicus.     Parisiis  1846  pag.  588  seq.): 

334  Interea  dum  rite  viam  sermone  levamus, 

Spesque  fidesque  meum  comitantur  in  ardua  gressum, 
Blandius  ad  summam  tandem  pervenimus  arcem. 
En  signo  sacrata  crucis  vexilla  coruscant: 
En  regis  pia  castra  micant,  tuba  clamat  herilis, 
Militibus  sua  porta  patet;  qui  militat  intret: 

340  Janua  vos  aeterna  vocat,  quae  janua  Christus. 
Aurea  perpetuae  capietis  praemia  vitae, 
Arma  quibus  Domini  tota  virtute  geruntur, 
Et  fixus  est  in  fronte  decus.     Decus  armaque  porto, 
Militiaeque  tuae,  hone  rex,  pars  ultima  resto. 

345  Hie  proprias  sedes,  hu  jus  mihi  moenibus  urbis 
Exiguam  concede  domum,  tuus  incola  sanctis 
-  üt  merear  halntare  locis,  alboque  beati 
Ordinis  extremus  conscribi  in  saecula  civis. 
Grandia  posco  quidem:  sed  tu  dare  graudia  nosti, 

350  Quem  magis  offendit,  quisquis  sperando  tepescit. 


EIN    LEGENDÄR   PES   XII.    JAITRH.   VI  15 

Christe ,  fave  votis ,  qui  mmidiim  in  morte  jacentern 

Vivificare  voleiis   quondam  terreua  petisti 

Coelitus,  hiinianam  dignatiis  sumore  formam, 

Sic  aliena  gereus,  ut  nee  tua  linqiiere  posses. 
355  Hoc  Mattliaeiis  agens   honiinem  genevalitcr  implet. 

Marcus  ut  alta  fremit  vox  per  deserta  leonis. 

Jura  sacerdotis  Lucas  tenet  ore  juveuci. 

More  volans  aquilae  verbo  petit  astra  Joannes. 

Quattuor  hi  proceres  una  te  voce  canentes. 
360  Tempora  ceu  totidem,  latuni  sparguntur  in  orbem. 

Sic  et  apostolici  semper  duodenus  bonoris 

Fulget  apex  numero,  menses  imitatus,  et  boras, 

Omnibus  ut  rebus  totus  tibi  militet  anuus. 

Hinc  igitur  veteris  recolens  exordia  mortis 
365  Ad  vitam  properabo  novam,  lacrymasque  serendo 

Gaudia  longa  metam :  nam  qui  deflemus  in  Adam 

Semina  mitteutes,  mox  exsultabimus  omnes 

Portantes  uostros  Cbristo  veniente  maniplos.   fiuis. 

Fast  ebenso  das  opus  pascbale.  Die  äbnlicbkeit  mit  dem  passus  unse- 
rer handschrift  ist  eine  nur  geringe;  jedenfals  scbliesst  sie  eine  genaue 
bekantscbaft  mit  dem  dicbter  Sedulius  aus,  und  es  würde  also  aucb 
bier  wider  aufzeicbnung  nacb  börensagen  zu  erkennen  sein.  Docb 
bezieht  sich  die  stelle  möglicherweise  auf  die  Collectaneen  (in  epistolas 
Pauli,  in  Matthaeum  usw.)  des  jüngeren  Sedulius,  welcher  zu  anfang 
des  9.  jbs.  lebte  (vgl.  Baehr,  Gesch.  der  röm.  litteratur  im  karoliug. 
Zeitalter  §  142),  wo  ich  vielleiclit  einen  diesbezüglichen  passus  über- 
sehen habe.  Sicheres  ist  also  nicht  zu  geben ,  wenn  es  aucb  wahr- 
scheinlicher ist,  dass  die  anspielung  sich  auf  das  algemein  bekante 
werk  des  dichters  Sedulius  bezielit. 

§  4.  Der  vierte  und  lezte  teil  dieses  abschnittes  endlich  (v.  457 
—  466)  erzählt  ohne  logischen  Zusammenhang  mit  dem  vorigen  das 
martyrium  des  schon  einmal  erwähnten  Laurentius.  Das  in  unserer  hs. 
gegebene  erscheint  übrigens  mehr  wie  eine  kurze  notiz,  wenn  wir  die 
ausführlichen  erzählungen  dagegen  halten,  welche  die  von  dem  hei- 
ligen handelnden  kirchenväter  geben.  Ich  verweise  nur  auf  das  mar- 
tyrologium  Adonis  zum  4.  Td.  August  (bibl.  max.  Lugd.  1677.  bd.  XVI 
s.  872),  den  Hymnus  Prudentii  in  seinem  liber  ..ytegi  oteqdvftjv"-  (Acta 
SS.  August  T.  II  s.  512),  des  Honorius  Augustodunensis  „speculum 
ecclesiae"  (Mignes  Patrol.  T.  172  s.  987).  Vgl.  auch  die  sehr  ausführ- 
liche   darstellung  der  Kaiserchronik  (v.  6227— 6384),    und  Surius,   de 


16  BUSCH 

vitis  prob,  saiictt.  August  s.  94.  Wie  verbreitet  die  angäbe  über  das 
umwenden,  nachdem  der  leib  auf  der  einen  seite  geröstet  ist,  gewesen, 
weiss  ich  nicht;  Ado  hat  sie  trotz  seiner  sehr  ausführlichen  darstellung 
(17-2  folio- Seiten  der  Acta  SS.)  nicht,  ebensowenig  Honorins  Augusto- 
dunensis,  wol  aber  Prudentius  a.  a.  o.  s.  515: 

Postquam  vapor  diutinus 

Decoxit  exustum  latus 

Ultro  e  catasta  judicem 

Compellat  aflfatu  brevi: 

Converte  partem  corporis 

Satis  crematani  jugiter: 

Et  fac  periclum,  quid  tuus 

Vulcanus  ardens  egerit. 

Praefectus  inverti  jubet. 

Tunc  ille:  Coctum  est,  devora, 

Et  experimentum  cape 

Sit  crudum  an  assum  suavius  etc. 

und  die  Kaiserchronik  v.  G330  fg.: 

6330  dö  sie  alle  wänden  das  er  tot  tvaere, 

die  engele  er  von  himile  sach. 

ZUG  den  tvtsenaren  er  dö  sprach: 

„0  tvol  ir  vil  ttmiben, 

wen  Tiert  ir  mich  iinibe? 
6335  ir  sU  cdso  virgehenc  hie  gesessen, 

ir  muget  mich  einhalp  wol  ezzen. 

da  hin  ich  gar  sam  ein  visc, 

den  man  setzet  üf  des  kunigis  tisc. 

dise  ivize  netuont  mir  niht  we 
6340  ich  lige  tif  einem  touwigen  Tde. 

daz  hänt  die  engele  vom  himile  getan}'' 

dö  hekarte  sich  manic  wtp  unde  man. 

Unser  gedieht  erwähnt  dieses  umstandes  nicht,  oder  soll  alse  ein 
visg  gehrudcn  vielleicht  bedeuten ,  dass  er  auf  beiden  Seiten  geröstet 
wurde?  —  Es  erhebt  sich  die  frage:  wie  komt  es,  dass  das  mart}^- 
rium  des  Laurentius  am  Schlüsse  ausser  jedem  logischen  Zusammen- 
hang und  trotz  der  vorherigen  erwähnung  noch  einmal  behandelt  wird 
und  dass  auch  diese  notiz  sehr  kurz  und  flüchtig  ausgefallen  ist.  Die 
beantwortung  dieser  frage  werde  ich  im  schlusskapitel  versuchen. 

Die  eigentümliclie  berührung  unseres  gediclites  v.  460:  wart  also 
ein  visg  gehräden  mit  v.  6337  der  Kaiserchronik:    da  hin  ich  gar  sam 


EIN   LEOENDÄR    DES    XII.    JAHRII.    VI  17 

ein  visc   kann   ich  bei   der  sonstigen  verscliiedenheit  beider  werke  nur 
als  Zufall  ansehen. 

VI.     Zerstörung   Jerusalems. 

§  1.  Von  den  leiden  der  frommen  zu  den  leiden  der  gottlosen 
übergehend,  komt  unsere  handschrift  zur  Zerstörung  Jerusalems.  Hier 
lässt  sich  ohne  weiteres  die  zusammenwürfelung  erkennen.  Der  erste 
teil,  Christi  rede  an  Jerusalem,  lehnt  sich  direkt  an  Lucas  19,  41—44 
an.  Für  das  folgende  bietet  die  grundlage  die  erzählung  des  Josephus 
in  seinen  „jüdischen  kriegen,"  jedoch  in  einer  weise,  welche  die  völ- 
lige unbekautschaft  des  dichters  mit  diesem  originale  voraussezt.  Von 
besonderen  tatsachen  ist  einzig  das  grässliche  ereignis  bewahrt,  dass 
eine  mutter  ihr  eigenes  kind  verzehrt,  welche  tat  indessen  durch  sämt- 
liche geschichtsbücher  des  mittelalters  läuft,  vgl.  Massmann  Kehr.  III, 
590  fg.  Von  weiteren  charakteristischen  zügen,  besonders  auch  wie 
Josephus  selbst  sich  errettet  [was  die  Kaiserchr.  v.  985  fg.  ausführlich 
berichtet]  findet  sich  keine  spur.  Das  ganze  macht  den  eindruck  einer 
flüchtigen,  unvolständigen  notiz  [„recht  schlecht"  sagt  Scherer  QF.  VII, 
s.  42] ,  welche  vielleicht  als  einleitung  und  Übergang  zu  der  nun  folgen- 
den geschichte  der  kreuzfindung  dienen  solte. 

§  2.  Diese  Vermutung  gewint  durch  einen  andern  umstand  an 
wahrscheiuliclikeit.  Die  erzählung  von  der  Zerstörung  Jerusalems  hat 
sich  im  mittelalter  zu  einer  algemein  bekanten ,  in  sich  abgeschlossenen 
legende  verdichtet,  indem  sie  mit  der  heilung  des  römischen  kaisers 
vom  aussatz  durch  Christi  gnade  (Veronica)  in  Verbindung  gebracht  ist; 
in  folge  dieser  heilung  fühlt  der  römische  kaiser  sich  bewogen,  die 
mörder  Christi  zu  bestrafen.  Wir  finden  zwei  Versionen  dieser  legende, 
vgl.  Paul  Meyer  (Bulletin  de  la  societe  des  ancieus  textes  nr.  3  et  4. 
Paris  1875  s.  52):  „La  forme  la  plus  ancienne  de  ce  recit  parait  se 
rencontrer  dans  un  apocryphe,  dout  on  a  deux  redactions:  la  Vindicta 
salvatoris  publice  par  Tischendorf  et  la  Cura  sanitatis  Tiberii,  publice 
par  Mansi.  Dans  cette  legende  c'est  Tibere,  qui  est  malade  puis  gueri. 
Une  autre  forme,  infiniment  plus  repandue  au  moyen  äge,  est  celle  oü 
Vespasien  et  uon  plus  Tibere  est  atteint  de  la  lepre,  et  miraculeuse- 
ment  gueri  entreprend  la  vengeance  de  Jesus  mis  ä  mort  par  les  Juifs. 
Cette  forme  de  la  legende  a  eu  un  succes  enorme,  atteste  par  des 
redactions  en  toutes  les  langues  romanes.  Si  repandue  qu'elle  ait  ete, 
on  n'en  connait  pas  de  texte  auterieur  au  XIP  siecle:  c'est  au  XIP 
siecle  qu'on  la  voit  apparattre  completement  constituee  dans  le  poeme 
fran9ais,  en  forme  de  chanson  de  geste,    de  Vespasien,  ou  de  la  Prise 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.    XI.  2 


18  BUSCH 

de  Jerusalem  (bist,  litter.  XXII,  412  et  suiv.)."  Wenn  nun  aucli  die 
legende  erst  in  der  zweiten  Version  zur  grösten  Verbreitung  gelangt, 
so  beweist  docb  der  umstand,  dass  die  Kaisercbronik  die  Zerstörung 
Jerusalems  an  die  heilung  Tibers  anknüpft,  dass  aucb  diese  fassung 
scbon  um  die  mitte  und  jedenfals  aucb  zu  anfang  des  12.  jbs.  sebr 
verbreitet  war.  Dass  dem  compilator  die  Verknüpfung  mit  der  beilung 
des  römiscben  kaisers  unbekant  geblieben  sein  solte,  ist  bei  seiner 
belesenbeit  mebr  als  zweifelbaft;  auch  wird  v.  501  und  502  ausdrück- 
lich die  Zerstörung  Jerusalems  als  rachezug  des  römischen  kaisers  dar- 
gestelt;  weshalb  solte  der  kaiser  aber  den  heiland  rächen,  wenn  dieser 
sich  ihm  nicht  gnädig  -erwiesen  hätte?  Der  compilator  kante  also 
höchst  wahrscheinlich  die  Verknüpfung.  Wie  kam  er  denn  dazu,  die 
beiden  teile  getrent  von  einander  zu  behandeln?  Die  einzige  erklärung 
dafür  scheint  mir ,  dass  er  die  geschichte  der  Zerstörung  Jerusalems 
nicht  als  für  sich  dastehendes  ganzes  geben  wolte,  sondern  diese  nur 
als  einleitung  zu  einem  anderen  thema  benuzte,  deshalb  nicht  breit 
erzählt,  sondern  kurz  erwähnt,  dass  bei  der  einnähme  Jerusalems  durch 
die  Römer  die  Juden  nicht  alle  getötet  wurden,  sondern  einige  ze  Übe 
(d.  i.  ze  leibe  vgl.  anm,  zu  v.  529)  belihen;  deren  nachkommen  fand 
dann  Helena,  tJiie  furch  thaz  heilige  crüce  quam  in  thaz  lant.  Vgl. 
noch  abschnitt  VII  §  2. 

§  3.   Wichtig  ist  dieser  abschnitt  für  uns  besonders  dadurch ,  dass 
er  einen  schluss  auf  die  abfassungszeit  zulässt ;  v.  520  fg.  lauten  nämlich : 

thö  wart  ire  thie  zwei  teil  geslagen  uncle  verbrant 

thas  dridte  teil  gienc  in  hant  (in  fremdiu  lant  bessert  Scherer 

QF.  VII  s.  42) 
vnce  sie  an  unsen  gcztden  von  then  cristen  verraten 
verraten  unde  vervohten 
also  iz  tvolde  unser  drehtin. 

Die  stelle  ist  verderbt,  doch  scheint  mir  so  viel  klar,  dass  hier  von 
einer  Judenverfolgung  die  rede  ist,  welche  sich  zur  abfassungszeit  des 
gedichtes  (resp.  der  vorläge)  zugetragen.  Und  wirklich  berichten  ge- 
schichtswerke  jener  zeit  über  eine  Judenverfolgung  in  den  lezten  jähren 
des  11.  jhs. ,  also  wenig  früher  als  die  zeit,  in  welche  wir  schon  aus 
sprachlichen  und  metrischen  gründen  unser  gedieht  sezten.  Die  haupt- 
quelle für  die  zeit  von  1080  — 1125  (vgl.  A.  Potthast,  Wegweiser  durch 
die  geschichtswerke  des  raittelalters) ,  das  Chronicon  universale  des 
Ekkehardus,  Uraugiensis  abbas,  gibt  zum  jakre  1096  (Mon.  Germ., 
scriptores  VI,  s.  208):    Signum   in   sole   apparuit  5.  Nou.  Mart. ,   feria 


EIN   LEGENDÄR  DES   XII.    JAHRH.   VI  19 

secuiida  incipientis  quadragesimae.  Diversa  quoque  prodigia  muudus 
parturisse  iibique  reforebatur.  Mox  ex  omnibiis  peiie  terrae,  sed  maxime 
ab  occideiitaliuni  regnorum  partibus,  tarn  regum  et  nobilium  quam 
etiam  vulgi  utriusque  sexus  innumei'abiles  turmae  armata  manu  Hiero- 
solimam  tendere  coeperunt,  excitati  scilicet  in  zeluni  frequentibus  nun- 
ciis  super  obpressioue  dominici  sepulchri  ac  desolatioue  omnium  eccle- 
siarum  orientalium,  quae  gens  ferocissima  Turicorum  per  aliquot  annos 
suü  subactas  doniinio  inauditis  calamitatibus  jam  jamque  deleverat. 
Quibus,  ut  dictum  est,  subvenire  statuentes,  sicut  diversis  agminibus, 
ita  diversis  et  incertis  plerique  ducibus  properabant.  Primi  namque 
Petruni  quendam  monachum  sequentes ,  quem  tamen  postea  niulti  hypo- 
critam  fuisse  dicebant,  ad  15000  estimati,  per  Germaniam  indeque 
per  Bajoariam  atque  Panuoniam  pacifice  transiebant;  quam  plurimi 
vero  navali  per  Danubium  vel  per  Alamanniam  pedestri  itinere,  aliique 
ad  12000  per  Saxoniam  atque  Boemiam  a  quodam  presbitero  Folcmaro, 
itemque  nonnulli  a  Gotescalco  presbitero  per  orientalem  Franciam  ducti 
sunt.  Qui  et  ipsi  nefandissimas  Judaeorum  reliquias,  ut  vere 
intestinos  hostes  aecclesiae,  per  civitates  quas  transibant  aut 
omnino  delebant  aut  ad  baptisniatis  refugium  compellebant, 
quorum  tamen  plurimi ,  sicut  canes  advomitum,  postea  retro  rediebant. — 
Dass  diese  Verfolgung  gerade  in  der  gegend ,  wo  unser  gedieht  entstanden 
sein  muss,  also  im  südlichen  Mittelfrauken ,  besonders  heftig  war,  geht 
hervor  aus  dem  berichte  der  Gesta  Treverorum  (Mon.  Germ,  scriptores 
YIII  s.  111  fg.)  in  Additamentum  et  coutinuatio  prima  s.  190:  Ea  tem- 
pestate  (i.  e.  während  des  episcopates  von  Egilbert  v.  Trier  1078  — 
1101)  populus  multus  utriusque  sexus  ex  omni  terra  et  natione  Jeru- 
salem ire  intenderunt,  et  totis  desideriis  anhelabant  pro  Dei  et  fidei 
amore  aut  ipsi  mortem  suscipere  aut  incredulorum  colla  fidei  subju- 
gare ;  et  hac  mentis  iutentione  incitati  decreverunt  primum  Judaeos  in 
civitatibus  et  castellis  ubicunque  habitarent  persequi,  et  cogere  illos 
ad  Dominum  Jesum  Christum  credere  aut  sub  ipsa  hora  vitae  periculis 
subjacere;  cumque  eodem  fervore  civitati  Treverorum  appropiuquarent, 
Judaei  qui  ibi  habitabant,  similia  sibi  arbitrantes  fieri,  quidam  ex  eis 
accipientes  parvulos  suos ,  defixerunt  cultros  in  ventribus  eorum ,  dicen- 
tes,  ne  forte  Christianorum  vesauiae  ludibrio  fierent,  debere  eos  in 
sinum  Abrahae  transmittere :  quaedam  autem  ex  mulieribus  eorum  ascen- 
dentes  super  ripam  fluminis  et  adimpletis  sinibus  earum  et  manicis 
lapidibus,  praecipitaverunt  se  in  profundum:  reliqui  vero  quibus  adhuc 
vivere  cordi  erat,  assumptis  secum  rebus  suis  et  liberis  in  palatium 
quod  est  asyle  Treverorum,  ubi  ipsa  hora  Egilbertus  manebat,  confu- 
geruut   et   coeperunt   lacrymis   flagitare   suflfragium.     Die  Juden   lassen 

2* 


20  BUSCH 

sich  taufen,  besonders  auch  ein  legis  cloctor,  Michaeas,  Der  bericht 
schliesst  übrigens  mit  demselben  stossseufzer  wie  der  des  Ekkehardus: 
aliis  Omnibus  insequenti  anno  apostatantibus,  iste  (i.  e.  Michaeas) 
adhaerens  Episcopo  in  fide  permansit. 

Dass  auf  die  in  vorstehendem  beschriebene  Judenverfolgung  zur 
zeit  des  ersten  kreuzzuges  in  v.  520  fg.  unseres  gedichtes  angespielt  ist, 
erscheint  mir  kaum  fraglich.  Von  Interpolation  der  drei  betreffenden 
verse  (522  —  24)  kann  um  so  weniger  die  rede  sein,  als  wir  erstens 
in  keinem  der  den  älteren  bruchstücken  entsprechenden  verse  der  jüngeren 
handschrift  ein  einziges  beispiel  einer  Interpolation  finden,  und  zweitens 
gerade  der  verderbte  text  beweist,  dass  der  Donaueschinger  Schreiber, 
Aveil  jener  zeit  fern  stehend,  die  anspielung  seiner  vorläge  nicht  mehr 
verstand  und  deshalb  fehlte. 

Übrigens  sprechen  auch  die  folgenden  verse  525  fg.: 

Nu  wären  ouch  tempora  naUonum  vollegun, 
tJiaz  sie  then  Jieithen  scolden  sin  undertän, 
Wände  iz  unser  herre  habefe  vor  gesaget, 
so  uns  Lucas  vor  gescriben  habet, 

nach  meiner  ansieht  dafür,  dass  die  abfassung  unseres  gedichtes  (resp. 
seiner  vorläge)  in  die  zeit  des  ersten  kreuzzuges  fält.  Die  stelle  bezieht 
sich  auf  Lucas  21,  24:  Et  cadent  in  ore  gladii  et  captivi  ducentur 
in  omnes  gentes,  et  Jerusalem  calcabitur  agentibus,  donec  impleantur 
tempora  nationum.  V.  525  —  26  sind  also  zu  erklären:  „Jetzt  (d.  h. 
zur  zeit  dieser  Judenverfolgung  oder  zu  unsen  gestden)  waren  auch  die 
Zeiten  der  beiden  erfült  und  damit  die  zeit,  während  welcher  die  Juden 
denselben  Untertan  sein  solten."  Damit  kann  doch  wol  nur  gemeint 
sein  die  eroberung  des  heiligen  landes  durch  die  Christen  und  die 
dadurch  bewirkte  erlösung  der  Juden  von  dem  heidnischen  joch. 

Ob  schon  der  compilator  oder  erst  der  dicliter  diese  anspielungen 
auf  die  Zeitverhältnisse  verschuldet,  ist  nicht  zu  entscheiden.  Wun- 
derbar wäse  es  gerade  nicht,  wenn  der  dichter  auch  ohne  dass  die 
anspielung  in  der  vorläge  vorlianden  war,  der  damals  hauptsächlich 
das  abendland  bewegenden  ereignisse  gedacht  hätte,  aber  die  treue, 
womit  er  sich  sonst  an  die  vorläge  hält,  macht  es  wahrscheinlicher, 
dass  schon  diese  die  anspielung  hatte.  Wir  werden  also  am  besten 
annehmen,  dass  die  vorläge  ungefähr  um  1100,  das  gedieht  einige 
jähre  später  entstand. 

Mit  der  erzählung  der  Kaiserchronik  berührt  sich  unser  bericht 
durchaus  nicht,  wie  auch  schon  Scherer  bemerkt  (QF.  VII  s.  42). 


EIN    LFXtENUAR    des    XII.    JÄHRH.    VI  21 

VII.     Die  kreuzfindiiiig. 

§  1.  Der  mitlere  teil  dieser  legende,  nach  meiner  berechnung 
ungefähr  40  verse ,  ist  uns  nicht  erhalten ,  doch  genügt  das  uns  über- 
kommene zur  kritischen  Untersuchung. 

Bevor  ich  indess  zur  näheren  vergleichung  übergehe,  erübrigt 
eine  kurze  Übersicht  über  quellen  und  genesis  der  legende;  ich  halte 
mich  dabei  an  die  notizen,  welche  die  Acta  SS.  Mai  I,  361  fg.  und 
August  III,  548  fg.  geben. 

Inwiefern  die  legende  auf  wirklichen  tatsachen  beruht,  lasse  ich, 
als  für  meinen  zweck  zu  weit  abliegend,  dahiugestelt.  Der  comraen- 
tator  der  Acta  SS.  August  III,  548  fg.  verhebt  §  VIII  mit  grossem 
eifer  die  Avahrheit  der  darstellung;  er  lässt  sich  sogar  zu  einer  hef- 
tigen polemik  gegen  Andreas  Rivetus,  dem  die  legende  miglaubwürdig 
erschien,  hinreissen,  aber  seine  arguuiente  stehen  doch  auf  schwachen 
füssen.  Das  hauptsächlichste  bedenken  nämlich  erregt  der  umstand, 
dass  der  biograph  Constantius,  Eusebius  (vita  Constantini)  nichts  von 
einer  inventio  crucis  durch  Helena  erzäblt.  Der  coramentator  der  acta  SS. 
sucht  nun  nachzuweisen,  dass  Eusebius  doch  davon  gewust  und  ge- 
schrieben habe;  es  gelingt  ihm  aber  nicht  recht  und  da  er  dies  selbst 
füblt,  hilft  er  sich  schliesslich  mit  der  apostrophe  (VIII,  76):  „Dato 
autem,  uon  concesso,  Eusebium  in  hac  re  fuisse  pisce,  ut  ita  loquar, 
mutiorem ,  an  propter  silentium  unius  Eusebii ,  tot  alii  gravissimi  aucto- 
res ,  qui  adeo  diserte  eam  asserunt,  falsitatis  accusandi  sunt?"  Am 
wahrscheinlichsten  ist  es  mir,  dass  die  erzählung  in  der  form,  wie  sie 
diese  „gravissimi  auctores"  bringen,  eine  spätere  dichtung  ist,  welche 
sich  vielleicht  auf  einzelnen  notizen,  die  Eusebius  gibt  [vita  Constan- 
tini 3,  42  von  der  reise  der  Helena  nach  Palaestina,  „ut  populos  ac 
provincias  Orientis  viseret,  eorumque  necessitatibus  prospiceret,"  fer- 
ner 3,  3  brief  Constantins  an  Macarius:  „Tunc  est  servatoris  nostri 
gratia,  ut  nulla  sermonis  copia  ad  praeseutis  miraculi  narrationem  suf- 
ficere  videatur.  Nam  sacratissimae  illius  passionis  Signum,  sub  terra 
jam  pridem  occultatum,  tot  annorum  spatio  delituisse,  quoad  communi 
omnium  hoste  sublato,  famulis  ejus  in  libertatem  vindicatis  affulgeret; 
omnem  revera  admirationem  superat  . . . ."]  aufbaute. 

Was  nun  die  „gravissimi  auctores"  betriff,  bei  denen  zuerst  die 
erzählung  auftaucht,  so  sind  damit  vorzugsweise  gemeint  Rufinus,  Theo- 
doretus,  Paulinus  (im  5.  jh.),  denen  dann  später  Sozomenus,  Theopha- 
nes  (im  9.  jh),  Altmannus  monachus  Altvillarensis  (f  882)  u.  a.  m.  folg- 
ten, alle  sehr  wenig  von  einander  abweichend.  Ich  gebe  als  beispiel 
dieser  fassung  den  bericht  des  besonders  au  Rufinus  sich  anschliessen- 
den Altmann   (Acta  SS.  August  III  s.  580  fg.):    cap.  II:  Constantinus 


22  BUSCH 

zieht  gegen  den  Rom  tyrannisierenden  Maxentius.  Quem  volens  Con- 
stantinus  opprimere  et  Romanos  a  cladibus  liberare,  cogitabat,  quem 
in  bello  Deum  haberet  auxilio;  sciens  nihil  prodesse  deos,  quos  Dio- 
cletiaiius  venerabatur  et  quia  pater  ejus  potius  contempta  pagano- 
rum  religione  feliciter  advixisset.  In  bis  igitur  sollicitudinibus  con- 
stitutus,  ut  refert  Sozomenus,  in  somno  vidit  crucis  signum  [caelo] 
splendide  collocatum:  mirantique  visionem  astiterunt  angeli  dicen- 
tes:  0  Constantiue  in  hoc  vince,  et  reliqua  de  eadem  revelatione. 
Mater  vero  et  propter  filii  sollicitudinem  et  propter  amorem,  quo 
ferventissime  circa  Deum  erat  accensa,  sanctae  crucis  lignum  instan- 
ter desiderare,  ut  inveniret,  coepit.  Sed  occupato  imperatore  in 
praeliis  hostium,  delegatum  est  sanctae  matri  Helenae  hujusmodi 
pretiosum  negotium  et  merito;  quippe  quae  et  sapientia  et  doctrina 
evangelica  pollebat ,  et  in  Crucifixum  miro  amore  fervebat.  Itaque  cum 
ingenti  multitudine  et  regia  ambitione  Hierosolymam  pergit  et  ingredi- 
tur  urbem  non  jam  Judaea  sed  Christiana  et  coepit  quaerere  animo 
virili  et  ferventissime  zelo  lignum  sanctae  crucis.  Quod  ideo  ad  inve- 
niendum  valde  difficile  erat,  quia,  ut  ecclesiastica  narrat  historia,  ab 
Hello  Adriano  ad  suggestiouem  pontificum  Judaeorum  in  eo  loco  tem- 
plum  Veneri  fuerat  constructum.  Qui  pontifices  ideo  hoc  fecerunt,  ut 
aemulatione  livida  tollerent  fidelibus  locum,  ne  ibi  possent  Christo 
flectere  genua,  ubi  prostibulae  mulieris  erat  simulachrum  affixum.  Sed 
regina  fidelissima,  funditus  everso  templo,  pariter  et  idolo  memorato, 
invenit  tres  cruces,  Domini  pariter  et  latronum,  de  quibus  cum  orta 
fuisset  haesitatio,  cum,  qualis  esset  crux  Dominica,  proprio  nesciretur, 
juxta  narrationem  praedictae  historiae,  vir  venerabilis  Hierosolymorum 
tunc  temporis  antistes  Macharius  solvit  hanc  dubitationem,  quod  qui 
plenius  nosse  desiderat,  ejusdem  historiae  librum  decimum  (i.  e.  Rufi- 
nus  lib.  X  cap.  8)  legat.  Sed  non  abs  re  judicavimus,  si  et  breviter 
eamdem  hie  rationem  prosequamur.  Eo  tempore  erat  ibi  vidua  nomine 
Libania,  quae  prius  fuerat  Judaea,  sed  defuncto  viro  suo,  Isachar, 
relicta  synagogae  perfidia,  contulit  se  ad  ecclesiam  Christi.  Haec  illo 
tempore  subitauea  morte  praeveuta,    supremo   flatu  pectoris  sui  extre- 

mum   trahebat   spirituui    Diese  frau   wird    zu   den  drei   kreuzeu 

gebracht  und  wider  lebendig ,  als  sie  auf  die  crux  dominica  gelegt  wird. 
Sic  evidenti  indicio  regina  voti  compos  effecta,  templum  mirificum  in 
eo  loco,  in  quo  crucem  repererat,  regia  ambitione  construxit.  Clavos 
quoque,  quibus  corpus  Domini  fuerat  affixum,  portat  ad  filiuni,  ex  qui- 
bus ille  fraenos  composuit ,  quibus  uteretur  ad  bellum  et  ex  aliis  galeam 
nihilominus  belli  usibus  aptam  fertur  armasse.  Ligni  vero  ipsius  salu- 
taris  partem  detulit  filio ;  partem  vero  tbecis  argenteis  conditani  dere- 


EIN   LEGENDÄR   DES  XII.    JAHRH.   VI  23 

liquit  in  loco,  quae  etiam  nunc  ad  memoriam  sollicita  veneratione  ser- 
vantur  

Neben  dieser  form  der  legende  taucht  aber  schon  früh  eine  andere 
darstellung  auf,  eine  nähere  ausführung  zu  der  angäbe  einiger  Schrift- 
steller, erfahrene  Juden  hätten  Helena  bei  ihren  nachforschungen  nach 
dem  versteck  des  kreuzes  unterstüzt.  So  sagt  z.  b.  Paulinus:  „Non 
solum  de  Christianis  doctrina  et  sanctitate  pleuos  viros,  sed  et  de 
Judaeis  peritissimos  ...  accitos  in  Hierosolimam  congregavit."  Vgl. 
auch  Sozomenus  lib.  2,  cap.  1:  der  ort  sei  entdeckt  worden  ,,sive 
indicio  cujusdam  Hebraei  in  Orientis  partibus  degentis,  ut  quidam 
aiunt,  qui  paterno  quodam  scripto  edoctus  rem  indicavit :  sive  ut  verius 
opinari  licet,  Deo  siguis  quibusdam  ac  somniis  eum  ostendente.  Neque 
enim  arbitror ,  res  divinas  indicio  homiuum  egere ,  quotiens  Dens  eas 
manifestare  decrevit."  Wie  gesagt,  hieran  sich  anlehnend  bildet  sich 
schon  früh  eine  legende  aus,  in  welcher  neben  Helena  als  zweite  haupt- 
person  nicht  mehr  Macarius,  sondern  Judas  Quiriacus  auftritt;  dieser 
findet  das  versteck  der  kreuze,  erkent  das  richtige  durch  auflegen  eines 
toten,  wird  später  bischof  von  Jerusaleni.  Es  sind  dies  die  acta 
S.  Judae  Quiriaci  (oder  Cyriaci)  acta  SS.  Mai  I  s.  445  fg.  von  einem 
unbekanten  autor. 

Trotzdem  diese  acten  die  grösten  Unrichtigkeiten  enthalten  — 
omnis  sacrae  et  profanae  historiae  imperitissimum  nent  der  commenta- 
tor  der  Acta  SS.  Mai  I  s.  363  den  Verfasser  und  führt  in  der  folge 
eine  menge  solcher  jeder  geschichte  widersprechender  daten  an  —  und 
trotzdem  „Gelasius  papa  in  Syuodo  episcoporum  septuaginta  anno  494 
inter  apocrypha  retulit  scripta  de  inventione  Crucis  dominicae,  velut 
quae  sint  novellae  quaedam  relationes,"  gelangte  doch  diese  legende 
zu  sehr  grosser  Verbreitung.  So  bringt  schon  der  Catalogus  Pontificius 
secundus  (6.  jh.)  und  nach  ihm  „  ceteri  Pontificiorum  catalogorum  com- 
pilatores,"  bei  Eusebius  papa  die  notiz:  „sub  hujus  tempora  inventa 
est  sancta  crux  Domini  nostri  Jesu  Christi  V.  Nouas  Maji.  Hie  bapti- 
zatus  est  Judas  Quiriacus."  Ferner  gibt  Gregorius  Turonensis  bist, 
franc.  I,  36,  ubi  de  Constantiuo  imperatore  agit:  „Hujus  tempore  vene- 
rabile  crucis  Dominicae  lignum  per  Studium  Helenae  repertum  est  pro- 
dente  Juda  Hebraeo,  qui  post  baptismum  Quiriacus  est  vocitatus." 
Ebenso  Florus,  Rabanus,  Notker.  „Denique  (Acta  SS.  Mai  I,  361  fg. 
cap.  H,  14)  Berengosius,  S.  Maximini  abbas,  non  seculo  VH  (cui  eum 
fortuito  adscripsit  Bellarminus,  praefatus  incertum  esse  quo  tempore 
vixerit)  sed  initio  seculi  XH  (uti  ex  diplomate  Henrici  V  probant  Samar- 
thani)  Berengosius,  inquam,  abbas  tres  libros  scribens  de  laude  et 
inventione  S.  Crucis,    eorum   medio    aliud  non   egit,    quam  dilatare  et 


24  BUSCH 

exornare  praefatam  de  Juda  crucis  revelatore  fabellam,  hoc  cautior 
quam  Floms  et  Notkerus,  quod  anni  designationem  omiserit,  neque  de 
Hierosolymitano  illiiis  episcopatu  verbum  fecerit  aliquod ,  soll  argumento 
de  Cruce  inhaerens."  Die  apokryphe  war  demnach  auch  im  12.  jh., 
also  speciel  zu  der  zeit,  in  welche  unser  gedieht  fält,  beliebt  und 
angesehen,  wenn  auch  männer  wie  Berengosius  einzelnen  angaben  der- 
selben ein  gewisses  mistrauen  entgegenbrachten.  Sonst  steht  das  werk 
des  Berengosius  in  keiner  beziehung  zu  unserem  gedichte ;  höchstwahr- 
scheinlich ist  es  sogar  später  abgefasst.  Aber  selbst  wenn  wir  die 
abfassung  in  eine  frühere  zeit  rücken  wolteu,  so  schliesst  doch  der 
umstand,  dass  der  vorsichtige  autor  weder  des  kirchenbaus  auf  dem 
Calvarienberg  noch  Judas  taufe  erwähnuug  tut,  jede  benutzung  seitens 
unseres  gedichtes  aus. 

§  2.  Dieses  schliesst  sich  vielmehr  der  hauptsache  nach,  wenn 
auch  sehr  kürzend,  der  erzählung  der  erwähnten  apokryphe  an;  erst  im 
lezten  teil  (Übertragung  eines  kreuzbalkens  nach  Constantinopel)  ist  der 
einfluss  der  darstellung,  welche  Kufiuus,  Theodoretus  usw.  bringen,  zu 
bemerken.  Ich  stelle  im  folgenden  den  lateinischen  text  den  in  unse- 
ren fragmenten  noch  erhalteneu  versen  gegenüber;  derselbe  findet  sich, 
wie  schon  bemerkt.  Acta  SS.  Mai  I  s.  445  fg.  unter  dem  titel:  Acta 
apocrypha.  Pars  I.  In  qua  S.  Quiriacus  post  indicatam  S.  Helenae 
Crucem  Domini  mortuo  S.  Macario  Hierosolymis  suffectus  et  a  S.  Eu- 
sebio  papa  ordinatus  fingitur.  Ex  quatuor  mss.  et  Mombritio.  Die 
erzählung  begint:  Anno  233  regnante  Constantino,  in  sexto  anno  regui 
ejus,  gens  multa  barbarorum  congregata  est  super  Danubium  parati  ad 
bellum  contra  Komauiam.  Constantin  besiegt  dieselben  mit  hilfe  des 
Christengottes  und  lässt  sich  in  folge  dessen  durch  den  bischof  Euse- 
bius  von  Eom  taufen.  Er  wird  ein  eifriger  christ.  Cum  didicisset 
autem  a  sanctis  evangeliis  ubi  esset  Dominus  crucifixus,  misit  suam 
matrem  Helenam,  ut  exquireret  sanctum  lignum  Crucis  Domini,  et  in 
eodem  loco  aedificaret  ecclesiam  ....  Helena  macht  sich  nach  Jerusa- 
lem auf.  §  3.  Vicesima  et  octava  die  secundi  mensis  in  sanctam  civi- 
tatem  Hierusalem  iutroivit  una  cum  exercitu  magno  et  congregavit  in 
ea  congregationem  magnam  de  impiissima  gente  Judaeorum.  Non  solum 
autem  eos,  qui  in  ea  erant  civitate  sed  eos  qui  in  circuitu  erant, 
castellis  possessionibus  vel  civitatibus  Judaeos  congregrari  praecepit. 
Erat  autem  Hierusalem  deserta  tempore  illo ,  ut  vix  invenirentur  omnes 
Judaei  tria  millia  virorum.    Unsere  fragmente  geben  v.  529  fg.: 

Äbe  them  gestallte  tlier  juthen, 
thie  tho  06  libc  betiben, 


EIN  LEGENDÄR  DES  XII.  JAHRH.  VI 


25 


Sancta  Helena  zu  Jerusalem  vant, 
ihie  turch  thaz  heilige  crüce  quam  in  thaz  laut. 
Vgl.  die  anmerkung  zu  v.  529  fg.  Deutlich  ist  hier  zu  sehen,  wes- 
halb der  kreuzliudung  in  unserem  gedieht  die  Zerstörung  Jerusalems 
vorangeht;  ^s  handelt  sich  allein  um  die  erklärung  der  werte  „erat 
autem  Hierusalem  deserta  tempore  illo,  ut  vix  iuveuirentur  omnes  Judaei 
tria  millia  virorum." 

Die  apokryphe  fährt  fort :  Quos  couvocans  beatissima  Helena  dixit 
ad  eos:  Cognovi  de  sanctis  libris  propheticis,  quia  fuistis  dilecti  Dei: 
sed  quia  repellentes  omnem  sapientiam,  eum  qui  volebat  de  maledicto 
vos  rediniere,  maledixistis,  et  eum  qui  per  Sputum  oculos  vestros  illu- 
minavit  immundis  potius  sputis  iujuriastis,  et  eum  qui  mortuos  vestros 
vivificabat  in  mortem  tradidistis,  et  lucem  tenebras  existimastis  et  veri- 
tatem  mendacium,  pervenit  in  vos  maledictum  quod  est  in  lege  vestra 
scriptum.  Nunc  autem  eligite  ex  vobis  vires  qui  diligenter  sciunt  legem 
vestram,  ut  respondeant  mihi  de  quibus  interrogavero  eos.  Qui  abeun- 
tes  cum  timore  et  multas  quaestiones  inter  semetipsos  facientes,  inve- 
runt  legis  doctores  numero  mille  et  adduxeruut  eos  ad  Helenam,  testi- 
monium  perhibentes  eis ,  quod  legis  scientiam  multam  haberent.  Helena 
autem  dixit  ad  eos:  Audite  mea  verba,  auribus  percipite  meos  sermo- 
nes.  Non  enim  intellexerunt  patres  vestri,  neque  vos  in  sermonibus 
Prophetarum,  quemadmodum  de  adveutu  Christi  prophetaveruut ,  quia 
prius  dictum  est,  Puer  nascetur  et  mater  ejus  virum  non  agnoscet,  et 
Isaias  vobis  dixit,  Filios  genui  et  exaltavi,  ipsi  autem  spreverunt  me: 
cognovit  bos  possessorem  suum  et  asinus  praesepe  Domini  sui,  Israel 
autem  me  non  cognovit,  et  populus  mens  non  me  intellexit  et  omnis 
scriptura  de  ipso  locuta  est.  Qui  sciebatis  legem  errastis ,  nunc  autem 
eligite  ex  vobis,  qui  diligenter  noverint  scientiam  legis,  ut  ad  interro- 
gationes  meas  dent  responsum:  et  militibus  jussit,  ut  custodireut  eos 
cum  summa  diligentia.  §  5.  Consilio  autem  facto  inter  se  elegerunt 
optimos  legis  doctores  vires  numero  quingentos,  et  venientes  steterunt 
in  conspectu  Helenae :  quae  dixit :  Qui  sunt  hi  ?  At  illi  dixerunt :  Hi 
sunt  qui  optime  nov^runt  legem.  Et  coepit  iterum  dicere  ad  eos:  Vos 
quam  stulti  estis  filii  Israel  secundum  Scripturas,  qui  patrum  vestro- 
rum  caecitatem  secuti  estis,  qui  dicitis  Jesum  non  esse  filium  Dei,  qui 
legistis  legem  et  Prophetas  et  non  intellexistis.  Illi  autem  dixerunt: 
Nos  quidem  et  legimus  et  intelligimus ;  pro  qua  causa  talia  nobis 
dicis ,  Domina ,  manifesta  nobis ,  ut  et  nos  coguoscentes  respoudeamus 
de  his  quae  a  te  dicuntur.  Ipsa  autem  dixit  iterum  ad  eos:  Adhuc 
euntes  eligite  meliores  legis  doctores.  Qui  cum  irent,  dicebant  iutra 
se ,  pro  qua  causa  putas  hunc  laborem  facit  nobis  Kegina. 


26  BUSCH 

Diese  ganze  partie  bis  zum  auftreten  des  Judas  ist  in  unserem 
gedichte  in  einer  weise  behandelt,  welche  deutlich  zeigt,  dass  der  Ver- 
fasser von  dem  genauen  Sachverhalt  keine  ahnung  hatte.  Die  darstel- 
lung  bewegt  sich  lediglich  in  phrasen,  die  dann  nachher  in  wirklicher 
anlehnung  an  die  vorläge  widerholt  werden,  z.  b.:  * 

540  sie  scolden  lehendich  verbrinnen  und 

560  unde  sprach  das  sie  hrinnen  scolden. 
Unsere  hs.  gibt  nämlich  533:  then  sie  gebot,  thaz  sie  ire  sageten,  toär 
sie  tJiaz  heilige  crüce  habeten,  ganz  im  gegensatz  zu  der  apokryphe, 
wo  die  Juden  ja  eben  deshalb  in  Verlegenheit  sind,  weil  sie  nicht  wis- 
sen ,  was  die  königin  von  ihnen  will.  Aber  gerade  die  ansieht ,  dass 
die   königin    gleich    nach    dem   kreuze    fragt,    hält    unser   gedieht   mit 

eifer  fest: 

537  sancta  Helena  sie  aver  ane  sprach 

unde  sie  vil  minneclich  bat. 
542  unde  gebot,  thaz  sie  sich  besprcechen 
unde  sie  iz  ire  nicht  nebesuigen. 
Ebenso   verfrüht   ist  natürlich  die   durch   diese   darstellung  veranlasste 
antwort  der  Juden 

535  sie  sageten.,  thaz  sie  tho  nicht  geboren  newceren, 
thö  man  marterot  then  herren, 
und  Helenas  Strafandrohung 

539  ire  nechein  behilde  then  leben, 
sie  scolden  lebendich  verbrinnen. 
Erst  mit  dem  auftreten  des  Judas  begint   die  genauere  Überein- 
stimmung : 

Unus  ex  eis,  nomine  Judas,  di-  544  Judas,  ther  ther  aldest,  in  al- 
xit:  scio  quia  quaestionem  vult  fa-  len  tho  sagetc: 

cere  ligni,  in  quod  Christum  sus- 
penderunt  patres  nostri:  videte 
ergo,  nemo  ei  confiteatur,  nam  vere 
destruentur  paternae  tradi- 
tiones  et  lex  ad  nihiluin  redi-  ^ 

getur.     Zachaeus    autem    avus  545  einen  aldervader  ich  habete, 
mens  praenunciavit  patri  meo  ther  hiez  Zacheus, 

(§7  wird  Judas   vater  Simon   ge-  ther  sagete  minem  vader  Symoni 

nant),   et   pater   mens    cum   more-  sws: 

retur,    adnuntiavit    mihi,     dicens: 

§  6.    Vide    lili,     cum     quaestio  Man  sal  unser  afterkomen, 

facta  fuerit  de'ligno,   in  quod  thie  in  dirre  stat  sculen  wo- 

Christum  suspenderunt  patres  neyi, 


EIN  LEGENDÄR  DES    XII.    JAHRH.   VI 


27 


iiostri,    mauifesta  illud  ante-  550  in  grozem  gethuange  haben, 
quam  crucieris:  jani  enim  am-  thas  sie  von  tliem  cruce  sagen, 

plius    Hebr^orum     genus    noii  Sagcnt  sie  das, 

regnaloit,    sed   reguum    eorum  so    zeget   unser   euive    in    ther 

erit,    qui  adoraiit  Crucifixum,  stat, 

ipse  aiitem  reguabit  in  seculum  se-  imde  sie  selbe  werthent  verdri- 

culi.     Ego   vero   dixi   ei,    Pater   si  ben, 

ergo  sciebant  patres  nostri  quia  ipse  555  of  sie  ouch  hehalden  then  leben. 
esset  Christus,  quare  manus  suas 
injecerunt  in  eum?  Dixit  autem 
mihi:  Audi  me  fili  et  cognosce  ejus 
inenarrabile  nomen  ....  längere 
rede,  schliessend :  Propter  quod  ego 
et  patres  mei  credidimus  in  eum, 
quia  vero  filius  Dei  est.  Et  nunc 
fili,  uoli  blasphemare  eum,  neque 
eos  qui  in  eum  credunt,  et  habe- 
bis  vitam  aeternam.  §  7.  Haec  mihi 
contestatus  est  pater  meus  Simon. 
Ecce  orania  audistis :  quid  vobis 
placet,  si  interrogaverit  nos  de  ligno 
crucis  ?  Ceteri  autem  dixerunt :  Nos 
talia    numquam    audivimus,    qualia 

a    te    hodie    dicta   sunt.      Si    ergo  556  under  in  sie  thö  gelobeten, 
inquisitio  facta  fuerit  de  hoc ,    vide  tliaz  sie  is  ire  nieht  nesageten. 

ue  osteudas.  Manifeste  autem,  qui 
haec  dicis  et  locum  nosti.  Haec 
eis  dicentibus,  ecce  veniunt  milites 
ad  eos,  dicentes:  Venite,  vocat  vos 
regina.      Uli   autem  dum  venissent 

judicabantur  ab  ea,  et  nihil  verum  558  Also   sancta  Helena  thice  ge- 
volebant  dicere   de  hoc,    uude  per-  hörte, 

cunctabantur.     Tuuc  beata  Helena  so  trowet  sie  in  aver  harte, 

jubet  illos  omues  igni   tradi.     Qui  560  imde  sprach,    daz   sie  br innen 
cum  timuissent,   tradiderunt  ei  Ju-  scolden, 

dam,    dicentes:    Hie    viri  justi    et  nu  sie  iz  ire  sagen  newolden. 

prophetae  filius  est,  et  legem  novit  van  Jüda  sie  ire  thö  sageten, 

cum    actibus    suis:     hie,    Domina,  waz  sie  von  ime  vernomen  ha- 

omnia    quae    desiderat    cor     tuum  beten. 

ostendet  tibi  diligenter.  Et  Omni- 
bus simul  testimonium  illi  perhiben- 


28 


tibus,    dimisit  eos  et  tenuit  Judam 
solum.     Et  convocans  eum ,  dixit  ad 
illum:  Vita  et  mors  propositae  sunt  566 
tibi:  elige  tibi,  qiiod  vis,  vitam  an 
mortem.     Judas  dixit:    Et   quis    in 
solitudine   constitutus    panibus    sibi 
appositis,  lapides  manducat?   Beata 
autem  Helena  dixit :  Si  ergo  in  caelo 
et  in   terrra   vis   vivere,    die  mihi, 
ubi  absconditum   est   lignuni  prae- 
tiosae    crucis.      §  8.     Judas    dixit 
Quemadmodum    habetur    in    gestis, 
sunt  jam  anni  ducenti  plus  minusve : 
et  nos  cum  sumus  juniores  quomodo 
possumus  haec  nosse.     Beata  Helena 
dixit:  Quomodo  ante  tantas  genera- 
tiones  in  Hio  et  Troade  factum  est 
bellum  et   omnes   nunc  commemo- 
rantur,  qui  ibi  sunt  mortui:  et  mo- 
numenta    eorum    et    loca   scriptura 
tradit.     Judas  dixit:    Vere  Domina, 
quia   conscripta    sunt,    nos    autem 
non  habemus  haec  conscripta.  Beata 
Helena  dixit:    Quid  est  quod  paulo 
ante   confessus   es   a  te  ipso,    quia 
sunt  gesta?     Judas  dixit:  In  dubio 
locutus   sum.     Beata  Helena   dixit: 
Ego   quidem   habeo   beatam   vocem 
Evangeliorum ,    in    quo    loco   cruci- 
fixus     est    ipse    Dominus;     tantum 
ostende  mihi,    qui  vocatur  Calvari^ 
locus,  et  ego  faciam  muudari  locum, 
forsitan  inveniam  desiderium  meum. 
Judas  dixit :  Neque  locum  novi,  quia 
nee  eram  tunc.     Beata  Helena  dixit: 
Per  crucifixum  fame   te  interficiam, 
nisi  dixeris  veritatem.     Et  cum  haec  572 
dixisset,   jussit  eum  mitti  in  lacum 
siccum  usque  in   Septem   dies,    sie 
ut  custodiretur  a  custodibus.     Cum 
transissent  autem  septem  dies ,  cla- 


Jüdam  sie  aver  bat  unde  gebot, 
tlias  her  iz  saget  äne  not. 


568   Wie  mohte   ich  thize   ivizzen, 

sprach  Judas, 

ther  fhannen  nieht  geboren  waSj 

unde    thes    ouch    zweihunderet 

jär  sint  vergän, 

thaz  thise  dinc  wurthen  getan. 


Ther  vroiven  her    iz  nieht  ne- 

sagete 
er  sie  in  in  ein  ertgrübe  legete. 


EIN   LEGENDÄR   DES   Xn.   JAHRH.    VI  29 

mavit  Judas  de  lacu,  diceus:  Obse- 
cro  vos,  educite  me,  et  ego  osten- 
dani  vobis  criicem  Christi. 

Die  in  §  9  und  10  erzählte  fin- 
dnng  der  drei  kreuze  und  erken- 
nung  des  rechten  durch  auflegung 
des  toten  ist  in  unserer  handschrift 
nicht  erhalten.  Dieselbe  sezt  erst 
wider  ein  zu  ende  des  §  11.  ...  et 

ecclesiam  construxit  in  ipso  Calva-  574 calvärie  locus, 

riae   loco.     Judas    autem   accipiens  thär  liez  santa  Helena  machon 

iucorruptiouis  baptisraum    in   Chri-  ein  godeshüs. 

sto  Jesu  de  praecedentibus  signis 
ostensus  est  fidelis,  et  commendavit 
eum  episcopo  qui  illo  tempore  erat 
adhuc  Jerosolymis  et  baptizavit  eum 

in  Christo.     Cum   moraretur    beata  576  tlw  ivart  Judas  cristen 
Helena  in  Hierosolyma  factum    est 
beatum  episcopum  dormitionem  ac- 

cipere  in  Christo.     Beata  autem  He-  578  tlio   tlier   hiscof  Etisehius   tvas 
lena  accersivit  episcopum  Eusebium  heliven, 

urbis   Eomae    et    ordinavit    Judam  tJid   ivart   imo   tliat    hiscofdom 

episcopum  in  Jerosolyma   ecclesiae  gexjiven. 

Christi:  mutavit  autem  nomen  ejus 

et  vocatus  est  Cyriacus.  §  12.  Auf-  577  ande  ivart  Ciriacus  geheimen. 
findung  der  nägel,  womit  Christus 
ans  kreuz  geschlagen  ward.  §  14. 
Helena  übergibt  die  nägel  einem 
vertrauten,  damit  er  sie  „in  freno 
equi  regis"  befestige.  Endlich:  bea- 
ta autem  Helena,  qui  in  Christo 
Jesu  fide  sunt  confirmans  in  Hiero- 

solymis,  et  omnia  perficiens ,  perse- 580  thö    ivortlien    oug    van    themo 
cutionem  Judaeis  immisit,  quia  in-  lande  tlie  jutlien 

creduli  facti  sunt   et  minavit  eos  a  van  sanctam  Helenam  verdriven. 

Judaea.  Tanta  autem  gratia  secuta 
est  sanctum  Cyriacum  episcopum  ut 
daemones  per  orationes  ejus  effu- 
garet  et  omnes  hominum  sanaret 
infirmitates.  Beata  autem  Helena 
dona     multa     derelinquens     sancto 


30  BUSCH 

episcopo  Cyriaco  ad  miuisterium 
paiipeiTim  dormivit  iu  pace  septimo 
decimo  Kalendas  Maji. 

§  3.  Ich  habe  absichtlich  die  apokryphe,  wenigstens  die  unserer 
haudschrift  parallelen  stücke  derselben,  ziemlich  ausführlich  gegeben, 
um  dadurch  klarzulegen,  dass  sie  nicht  die  directe  vorläge  unseres 
dichters  gewesen  sein  kann;  welche  gestalt  unser  gedieht  bei  directer 
benutzung  ungefähr  gewonnen  hätte,  kann  uns  ungefähr  cod.  Viudob. 
rec.  2259:  „Da^  ist  von  dem  heiligen  hriuze  ivie  daz  funden  ivart" 
(ed.  Massmann,  Eraclius  s.  194  fg.)  lehren.  Die  angaben  unseres 
gedichtes  sind  zum  teil  derart  verworren  und  unbestimt,  besonders 
was  den  anfang  betrift,  dass  der  autor  dieser  fassung  die  originalapo- 
kryphe unmöglich  zur  band  gehabt  haben  kann.  Ebensowenig  kann  die 
fassung  entstanden  sein  dadurch,  dass  der  autor  früher  einmal  die 
apokryphe  gelesen  und  längere  zeit  nachher  dieselbe  ans  der  erinne- 
rung  niederzuschreiben  versucht  hätte,  weil  in  diesem  falle  die  fast 
wörtliche  widergabe  einzelner  partien  unerklärlich  wäre.  Es  bleibt 
wider  allein  die  annähme,  dass  die  vorläge  unseres  dichters  die  nach- 
schrift  eines  Vortrages  war,  der  sich  wenigstens  in  seinem  hauptteil  an 
die  apokryphe  von  Judas  Quiriacus  hielt.  Die  Verwirrung  entstand 
dadurch,  dass  der  Schreiber  ausser  den  während  des  Vortrages  gemach- 
ten uotizen  nur  sein  eigenes  gedächtnis  zu  i'ate  ziehen  konte.  Vorzüg- 
lich wird  diese  annähme  bestätigt  durch  v.  576  fg.: 

I%o  wart  Judas  cristen 

ande  wart  Ciriacus  geheizen. 

TJid  ther  biscof  Eusehius  was  heliven, 

thö  wart  imo  that  hiscofdöm  gegiven. 

Der  Zuhörer  hatte  vergessen,  iu  welcher  Verbindung  der  name  Euse- 
hius in  der  legende  auftritt,  und  machte  ihn  ohne  weiteres  zum  bischof 
von  Jerusalem,  während  nach  der  apokryphe  Eusebius  bischof  von 
Rom  ist  und  den  Judas  nur  zum  bischof  von  Jerusalem  ordiniert. 

§  4.  Der  lezte  teil  des  gedichtes  bringt  noch  die  notiz ,  dass 
Helena  denjenigen  teil  deskreuzes,  thär  ana  genagelet  ivären  the  hande 
unses  herren,  nach  Constantinopel  zu  ihrem  söhne  Constantin  gesant 
habe.  In  keinem  der  mir  bekanteu  lateinischen  texte  findet  sich  die- 
ser bericht  mit  der  erzählung  von  Judas  Quiriacus  verbunden;  er  ist 
allein  angefügt  der  darstellung,  nach  welcher  Helena  mit  des  Maca- 
rius  beihilfe  das  kreuz  auffindet.  So  bei  Rufinus  X,  8:  „Ligni 
ipsius  salutaris  partem  detulit  filio;    partem  vero  thecis  argenteis  con- 


EIN  LEGENDÄR   DES    XII.    JAHRH.   VI 


31 


ditam  dereliquit  in  loco."  Theodoretus  I,  18:  „Dominicae  aiitem 
crucis  partem  quidem  palatio  attribuit,  reliquum  argentea  theca  inclu- 
sum  civitatis  episcopo  (Macario),  liortata  ut  salutis  nostrae  moniiiueu- 
tura  ad  posterorura  memoriam  diligenter  ciistodiret,"  Socratis  scho- 
lastici  bist.  eccl.  cap.  XIII  (bibl.  max.  patr.  Liigd.  1677  t.  VII  s.  276)j 
„Unain  crucis  partem  in  tbeca  argentea  occlusam  pro  moniniento  iis, 
qui  illius  spectaudi  cupiditate  ducerentur,  ibi  relinquit:  alteram  mittit 
iiuperatori."  Den  text  bei  Altmaunus  habe  ich  oben  schon  gegeben. 
Über  den  balken  speciel,  welchen  Helena  ihrem  söhne  schickte,  finde 
ich  allein  auskunft  bei  Sozomeiuis  bist.  eccl.  lib.  II  cap.  1  (bibl.  max. 
bd.  VII  s.  389):  Hujus  aiiteni  crucis  salutaris  jam  tum  iuventae  maxima 
pars  adhuc  etiam  Hierosolymis  in  capsa  argentea  custoditur:  reliqua 
vero  ab  imperatrice  ad  filium  Constantinum  deportata  est."  Der  klei- 
nere balken,  oder  wie  unser  gedieht  richtig  angibt,  der  teil  thär  ana 
genagelef  wären  the  hande  unses  Jierren  kam  also  nach  Coustantinopel. 
Dem  entgegen  steht  die  angäbe  Ottos  v.  Freisingen:  „circa  idem 
tempus  Helena  Constantiui  mater  crucem  Domiui  Hierosolymis  iuvenit, 
mediaque  parte  ejus  ibi  relicta  alteram  ad  urbem  regiam  transpor- 
tavit."  Mit  media  pars  ist  doch  wol  der  querbalken  gemeint,  an  dem 
die  bände  angenagelt  waren. 

Ob  leztere  darstelhmg  schon  in  früherer  zeit  mit  der  apokryphe 
verbunden  wurde,  oder  ob  diese  Verbindung  erst  bewerkstelligt  wurde 
durch  diejenige  person,  welcher  wir  die  compilation  der  gesamt- vor- 
läge unseres  gedichtes  zuschreiben  müssen,  ist  nicht  zu  entschei- 
den, auch  für  den  zweck  unserer  Untersuchung  gleichgiltig.  Soviel 
ist  jedenfals  sicher,  dass  die  in  unserem  gedieh te  vorliegende  fassung 
ursprünglich  dadurch  entstanden  ist,  dass  ein  nach  den  originalquelleu 
gearbeiteter  Vortrag  aus  der  erinnerung  niedergezeichnet  wurde.  Dass 
die  so  entstandene  fassung  dann  [,in  anderen  kreisen  geltnng  erlangte 
ist  wegen  der  grossen  Verbreitung  und  beliebtheit  der  originalapokryphe 
kaum  anzunehmen.  Höchst  wahrscheinlich  blieb  sie  ein  unicum,  das 
der  dichter  also  aus  erster  band  erhielt. 

§  5.  Zulezt  mache  ich  noch  darauf  aufmerksam,  dass  auch  die- 
ser abschnitt  gegen  Trier  und  Umgebung  als  abfassungsort  unserer 
fragmente  oder  ihrer  lateinischen  vorläge  spricht ,  denn  sonst  wäre  wol 
erwähnt  worden,  dass  Helena  aus  Trier  gebürtig  sei,  wie  dies  schon 
früh  kirchliche  tradition  geworden  ist.  Altmaunus  (f  882)  sagt:  „beata 
Helena  oriuuda  Trevirensis."  Gotfridus  Viterbiensis  chronic:  „Helenam 
quidam  ex  pago  Treverorum  oriundam  dicunt:  uude  eamdem  ecclesiam 
plurimum  eam  decorasse  tradunt "  u.  a.  m.  Vgl.  Acta  SS.  August  t.  III 
s.  548  fg.  §1,6. 


32  BUSCH 

Die  Kaiserclironik  bietet  wider   keine  parallele;    sie   gedenkt  der 
kreuzfindnng  nur  ganz  kurz  in  zwei  versen: 

10401  sie  (Helena)  vuor  suo  Jerusalem  in  das  laut, 
tha0  heilige  hriuse  sie  da  vant. 

VIII.     Heraclius   und  Cosdras. 

§  1.     Über  die  entwicklung   der  legende  aus  geschiohtliclien  tat- 
saclien  hat  Massmann  im  3.  bd.  seiner  ausgäbe  der  Kaisercbronik  und 
ausführlicher  in  seiner   ausgäbe  des  Eraclius  (Quedlinburg  und  Leipzig 
1842)  s.  477  fg.  gehandelt.     Hauptsächlich   an  vier  von  byzantinischen 
Schriftstellern  erzählten  fakten  rankt  sich  die  legende  empor;  dies  sind 
1)  die  macht  und  der  reichtum  des  Cosdras,  woraus  sich  in  der  legende 
der   tronhimmel    und   die    dem  perserkönig   zu  teil   werdende  göttliche 
Verehrung  entwickelt.     2)  Der  raub  des  von  Helena    in  Jerusalem  zu- 
rückgelassenen balkens  des  heiligen  kreuzes.     3)  Die  kämpfe  des  Hera- 
clius mit  den  persischen  feldherren  besonders  an  flussübergängen ,  spe- 
ciel  die  notiz ,  dass  der  kaiser  auf  einer  brücke  einen  riesenhaften  Per- 
ser (vir  giganteus)  besiegt  und  in  den  fluss  wirft.     Dies  wird  die  basis 
für  den  Zweikampf  des  Heraclius  mit  dem   söhne    des  Cosdras   auf  der 
donaubrücke.     4)  Die  widerbringung  des  geraubten  kreuzes  nach  Jeru- 
salem ,  in  der  legende  zu  dem  demütigen  einzug  des  kaisers  in  die  hei- 
lige Stadt   ausgebildet.     Für  das  nähere  verweise   ich   auf  Massmanus 
ausführuugen.    Wie  leichtes  spiel  übrigens  die  legende  mit  der  geschicht- 
lichen Überlieferung  hatte,   lässt  besonders  eine  vergleichung  des  Zwei- 
kampfes in  der  legende  mit  dem  Zweikampf  des  Eraclius  in  der  geschichte 
erkennen.     Da  Massmann   über  diesen   punkt  wol  zu  schnell   hinweg- 
gegangen ist,  setze  ich  den  bericht  der  an  dieser  stelle  die  Bj^zantiuer 
ausschreibenden    „historiae    miscellae    a   Paulo    Aquilejensi    collectae, 
post  etiam  a  Landulpho  Sagacis  auctae  . . ."  (max.  bibl.  patr.  Lugd.  1677 
t.  XIII  s.  200  fg.)  hierher.     S.  289G:    Imperator,    cum    transisset 
pontem  Sari  ...   circa  ipsum  castra  metatus  est.     Pervenit  autem 
et  Sarbaras  in  partem  quae  contra  ex  altera  parte  esse  vide- 
batur.     Invento  vero  ponte  ac  propugnaculis ,  quae  in  eo  erant  a  Eom. 
obtentis,    castra   metatus    est.     Excurrentes   autem    multi  Komanorum 
per  pontem  in  ordinate  cum  Persis  contulere  conflictum,  multa  in  ipsos 
caede  commissa.     Verum  Imperator    hos   inordinate  prohibebat 
discurrere,   ne  forte  iter  fieret  adversariis   cum    illis   convenieudi  ad 
pontem  et  pariter  commeandi.     Populus  autem  non  acquiescebat  impe- 
ratori.     Porro  Sarbaras   quibusdam   exercitus   sui  clam   in  locis  abditis 
coUocatis,    ostendit  se  quasi  fugientem   ac   sie  abstraxit   multos  Rom. 
praeter    votum    imperatoris    ad    insequutionem    sui    transeuntes. 


EIN    LEGENDÄR    DES    XII.    .TAHRH.    VI  33 

Ileversis  autem  et  liis  in  fiigam  versis  qiiotquot  extra  pontera  occupa- 
vit  occidit,  vindictam  perpessos  inobedientiae.  Imperator  vero,  cum 
barbaros  vidisset  inseqiuitione  ordiues  dissolvisse  et  ex  Rom.  stantibus 
in  autemuralibus  multos  extiuctos  contra  eos  prosequutus  est.  Porro 
vir  quidam  Persa  giganteus  imperatori  occurrens  hunc  in 
medio  pontis  adgreditur.  Ast  imperator  hoc  percusso  in 
amuis  flueuta  projecit.  Hoc  vero  ruente  barbari  in  fugam  versi 
sunt ,  et  prae  angustia  pontis  utraque  parte  -seraet  in  fluvium  jaciebant, 
alii  autem  gladiis  trucidabantur.  Porro  multitudo  barbarorum  per  flu- 
minis  ripas  sagittabat  ac  resistebat,  non  sinens  trausire  Rom.  Verum 
imperator  transiens  viriliter  barbaris  resistit  cum  paucis 
quibusdam  societatis  suae  super  agonizans:  ita  ut  etiam  Bar- 
baras super  hoc  obstupesceret  et  ad  Cosmam  queradam  juxta 
se  stautem  Rom.  perfugam  magaritam  diceret:  Vides,  in- 
quiens,  Caesarem  o  Cosma,  quam  audax  ad  pugnam  stet,  et 
contra  tautam  multitudinem  solus  decertet  et  velut  incus 
jacula  renuat?  Ex  rubris  enim  ocreis  aguoscebatur ,  multasque  pia- 
gas, licet  nullam  in  hoc  praelio  periculosam  acceperit,  dedit.  Tota 
vero  die  cum  in  hoc  hello  pugnassent,  accedente  vespera  ab  invicem 
separat!  sunt.     Et  Sarbaras  quidern  timens  per  noctem  reversus  est  . . ." 

§  2.  Eine  genauere  angäbe,  bis  wann  unsere  legende  zu  volstäu- 
diger  ausbildung  gelaugt  war,  d.  h.  so,  wie  wir  sie  etwa  in  der  Kai- 
serchronik oder  bei  Viucentius  Bellovac.  und  Jacobus  a  Voragine  finden, 
gestatten  die  mir  zu  geböte  stehenden  quellen  nicht.  Massmann  scheint 
dafür  erst  die  mitte  des  12.  jhs.  anzunehmen,  vgl.  Eraclius  s.  494,  wo 
er  die  kämpfe  der  Christen  im  morgenlaude  zwischen  11.38  und  1150 
zur  erkläruug  des  legendarischen  Zweikampfes  anzieht,  und  besonders 
s.  495  §  239 :  „  Aber  auch  für  den  demütigen  eiuzug  des  siegers  in  Jeru- 
salem hatten  die  zeiten  sich  erneut.  Jedem  war  um  das  jähr  1150 
gewiss  noch  in  eriuuerung  und  allenthalben  wurde  davon  gesungen, 
wie  der  edle  Gottfrid  v.  Bouillon,  der  auch  als  könig  später  keine 
andere,  als  eine  dornenkrone  tragen  mochte ,  bei  seinem  einzuge  in  das 
befreite  Jerusalem,  das  432  jähre  unter  muselmännischer  herschaft 
gelitten  hatte,  am  15.  juli  1099  sich  in  aufrichtiger  demut  in  ein  wol- 
lenes pilgerhemd  kleidete  und  mit  entblösten  füssen  um  Jerusalems 
mauern  walfahrtete,  ehe  er  durch  das  tor,  welches  gegen  den  ölberg 
liegt ,  zur  kirche  des  heiligen  grabes  eingieng.  Und  mit  ihm  sein  gan- 
zes beer.  Wahrlich  eine  solche  zeit  konte  leicht  um  den  einzug  des 
Heraklius  ihren  eigenen  seelenglanz  legen.  Wurde  doch  damals  wie 
zur  zeit  Helenas  ein  stück  des  heiligen  kreuzes  in  der  erde  widergefun- 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.    BD.  XI.  O 


34  BUSCH 

den,  das  ein  clirist  dahin  vergraben  haben  wolte.  Alles  volk,  von 
jenem  geleitet,  ging  in  feierlichem  zuge  hinaus  an  einem  freitage  und 
brachte  dasselbe  im  jubel  zur  kirche  des  h.  grabes  zurück." 

Es  ist  aber  gewiss,  dass  schon  in  viel  früherer  zeit  die  legende 
volständig  entwickelt  war,  wenigstens  was  den  ersten  teil  derselben 
anlangt;  der  zweite  teil,  Heraklius  demütiger  einzug  in  Jerusalem, 
scheint  erst  später  ausgebildet  zu  sein.  Schon  in  einem  werke  aus  dem 
anfange  des  10.  jhs.  finde  ich  einen  bericht,  der  wenigstens  die  ersten 
anfange  der  legende  bezeichnet,  nämlich  in  Keginos  chronik  (Mon. 
Germ.  I  s.  550):   „Anno  dominicae  incarnationis  538.     Phocas  regnavit 

annos  8   Persae   adversus    rem  publicam  gravissima  bella  gerunt 

et  Hierosolymam  intrantes,  vexillum  dominicae  crucis  asportant.  Anno 
d.  i.  546.  Heraclius  regnavit  annos  26.  Qui  adversus  Persas  bellum 
aggressus,  occiso  Cosdroe  eorum  rege,  Persas  in  deditionem  accepit, 
et  lignum  sanctae  crucis  Jerosolymam,  unde  ablatum  fuerat,  cum  magna 
veneratione  restituit."  Die  quelle  nun,  welche  am  treuesten  die  ent- 
wickelte legende  widergibt,  das  Chronicon  Reicherspergense  (vgl.  unten 
§  3),  zeigt  damit  zum  teil  wörtliche  Übereinstimmung:  his  temporibus 
sub  Foca  imperatore  Persae  adversus  rem  publicam  gravissima  gesse- 
runt  bella  ....  und  zu  ende :  auferensque  lignum  sanctae  crucis  Hiero- 
solimam ,  illud  cum  magna  veneratione  restituit ,  unde  ablatum  fuit. 
Wollen  wir  nun  nicht  annehmen,  schon  um  900  sei  wenigstens  der 
erste  teil  der  legende  volständig  entwickelt  und  schriftlich  fixiert  gewe- 
sen, so  dass  Eeginos  worte  nur  ein  excerpt  derselben  wären,  so  müs- 
sen wir  diese  worte  als  die  basis  ansehen,  auf  denen  sich  die  legende 
aufbaute  und  zwar  schnell  aufbaute,  denn  schon  Aimoiu  (erste  hälfte 
des  11.  jhs.),  dessen  bericht  Massmann  (Eraclius  s.  185)  mitteilt^  bringt 
die  geschichte  von  dem  silbernen  türm ,  dem  Zweikampfe  des  Heraclius 
mit  dem  söhne  des  Cosdras,  des  alten  Cosdras  enthauptung  und  der 
taufe  seines  kleinen  söhnleins.  Aimoin  ist  aber  nicht  selbst  Urheber 
dieser  erzählung  gewesen,  sondern  scheint  nur  eine  vorläge  umge- 
arbeitet ZU  haben,  denn  wider  zeigen  sich  verschiedene  wörtliche  Über- 
einstimmungen mit  der  sonst  ziemlich  abweichenden  fassung  des  Chron. 
Reicherspergense;  man  vergleiche  zum  beispiel: 

Aimoin.  Chron.  Reich. 

Partem  salutiferae  crucis,  quam  ibi  Ligui  salutaris  partem,  quam  ibi 
Helena  mater  Constantini  quondam    religiosa   regina   Helena   quoudam 

Augusti  reliquerat ,    asportavit reliquerat ,    asportavit 

Tradito  filio  suo  regno  ipse  in  argen-  In  hoc  ergo  loco  sedem  sibi  Chos- 
tea  turri,  quam  ad  hos  usus  parave-  droas  paraverat,  atque  juxta  eam 
rat,   aureo  residens   solio    vexillum    quasi  collegam  Dei  crucem  Domi- 


EIN   LEGENDÄR   DES  XII.   JAHRH.    VI  35 

iiostrae  redemptionis  quasi  collegam  iiicam  posuerat,  ac  filio  suo  regiio 

leg'iii   e  latere  constituit tradito ,  ipso  in  fano  residebat  .... 

Dill  igitur  auimosaque  congressione  Diu  multumque    iu  uiedio    pontis 

facta    cougressi  sunt 

utrum    Christi    tidem     accipere    et  si  vis  salutem  habere,  pro  eo  quod 

salutare  lignum,  quod  licet  indignus  lignum    sanetae    crucis,    quamvis 

honorilice  tarnen  juxta  suum  tracta-  indignus ,    honorifice    tanien   juxta 

verat  modum  ....  modulum  tuum  tractasti  .... 

filium    Chosdroe    parvuluni ,     quem  liliumque     ejus    parvulum,     quem 

cum   eo  inveuerat,    baptizari  prae-  cum  eo  invenerat,  baptizari 

cipieus  eidem  proponit jussit 

u,  a.  m. 

Die  quelle,  nach  welcher  beide  arbeiteten,  wenigstens  den  ersten  teil 
in  volständiger  ausbildung  enthaltend,  muss  also  schon  zu  anfang  des 
11.  jhs.  vorhanden  gewesen  sein.  Die  kämpfe  der  kreuzfahrer  von 
1138  — 1150  (vgl.  die  oben  angeführte  stelle  von  Massmann)  sind  also 
keinesfals  von  einfluss  gewesen. 

Wol  mag  aber  die  ausbildung  des  zweiten  teiles  in  anlehnung  an 
den  demütigen  einzug  Gottfrids  von  Bouillon  in  Jerusalem  erfolgt  sein ; 
Kegino,  Aimoin  und  das  Chronic.  Eeichersperg.  wissen  nichts  davon; 
ich  finde  ihn  überhaupt  erst  in  Schriften,  die  nach  dem  ersten  kreuz- 
zug  verfasst  sind ,  so  bei  Honorius  Augustod. ,  Vincentius  Bellov. ,  Jaco- 
bus  a  Voragine.  Allerdings  müste  sich  die  legende  dieses  ereignisses 
sehr  schnell  bemächtigt  haben,  denn  Honorius  schrieb  noch  im  ersten 
viertel  des  12.  jhs. ,  etwa  1120,  und  sein  bericht  selbst  macht  den  ein- 
druck  eines  excerptes ,  unser  gedieht  resp.  seine  vorläge  aber  ist  höchst 
wahrscheinlich  kurz  nach  dem  ersten  kreuzzuge  verfasst  worden  (vgl. 
VI  §  3). 

§  3.  Was  nun  den  Inhalt  der  legende  anlangt,  so  ist  uns  der 
erste  teil  überliefert  in  Aimoin,  Honorius  Augustodunensis ,  Chron. 
Keicherspergense  (ende  des  12.  jhs.),  Vincentius  Bellovacensis  (mitte 
des  13.  jhs.),  Jacobus  a  Voragine  (ende  des  13.  jhs.),  der  lezte  teil  nur 
bei  Honorius,  Vincenz  und  Jacobus.  Jacobus  stimt  mit  Vincenz  ziem- 
lich überein,  hat  aber  einzelne  züge,  die  sich  schon  in  älteren  fassun- 
gen  finden;  er  kann  daher  nicht  den  Vincenz,  wenigstens  nicht  allein, 
benuzt  haben.  Beide  berichten  dagegen  im  ersten  teile  nichts,  was 
nicht  auch  im  Chr.  Keichersp.  stünde,  doch  schliesst  der  umstand,  dass 
im  Chr.  Reichersp.  des  kaisers  demütiger  einzug  in  Jerusalem  fehlt, 
die  benutzung  dieses  Averkes  durch  Jacobus  oder  Vincenz  aus.  Hono- 
rius  berichtet  excerpierend    nichts,   was   nicht   auch   andere   fassungen 

3* 


36  BUSCH 

hätten,  lässt  aber  manches  aus.  Aimoiu  hat  eine  eigentümliche  clar- 
stelhmg  (Heraclius  besiegt  den  söhn  des  Cosdras  durch  eine  list),  welche 
sich  mit  keiner  der  anderen  quellen  deckt.  Keine  der  quellen  hat  also 
die  andere  benuzt,  aber  die  grosse  oft  wörtliche  Übereinstimmung  unter 
einander  beweist,  dass  sie  alle  ein  und  derselben  quelle  und  zwar  mit 
ziemlicher  treue  gefolgt  sind.  Eine  fassung  ist  nun  darunter ,  die  nichts 
wesentliches  auslässt,  und  deren  sätze  (worte  könte  man  fast  sagen) 
durch  parallelstellen  der  anderen  darstellungen  durchaus  bestätigt  wer- 
den. Da,  wie  gesagt,  die  angezogenen  quellen  von  einander  unab- 
hängig sind,  so  ist  dies  verhalten  nur  dadurch  zu  erklären,  dass  die 
originalquelle  hier  fast  oder  ganz  wörtlich  abgeschrieben  ist.  Diese 
fassung  findet  sich  im  Chronicon  Keicherspergense.  Vollkommen  bestä- 
tigt wird  dies  resultat  durch  die  auffallende  Übereinstimmung  des  tex- 
tes  der  chronik  mit  dem  unserer  handschriffc.  Ich  stelle  die  beiden 
texte  einander  gegenüber  (Chr.  Reichersp.  ed.  Gewoldus  1611  s.  85fg.): 
His  temporibus  sub  Foca  impera- 
tore  Persae  adversum  rem  publicam 
gravis sima  gesserunt  bella.  Nam 
quidam  impius  et  profanus   adeptus 

erat  tunc  regnum  Persarum,  nomine  594  In  Perside  thö  geweidig  was 
Chosdroas :  qui  in  tantam  ausus  est  ein  grimme  Icunig,  the  liies  Cos- 

prorumpere  audaciam  et  superbiam,  dras, 

ut    ab    incolis    vicinarum    gentium, 

quos  impetu  vastans   barbarico   suo  ther  tliö  manige  lant 

nefando    subjugaverat   dominio,     et  hetuang  so  siner  hant. 

coli  se  juberet  ut  Deum  et  vocari 
se  regem  regum  et  dominum  domi- 
nantium.  Nee  cum  hoc  soluni  ei 
sufficeret   ad   suae   damnationis  iu- 

teritum,    etiam    Syriam    cum   suh- ^98  Her  hegreif  Egm^tum  ande  Sy- 
jugasset    et    Aegyptum,     regnaque  riam 

quae  extra  et  infra  limites  glomera- 
bantur  per  circulum  suo  crudelis- 
simo    subigeret    dominatui,    Hiero- 

solymam     adiit,      ecclesias    Christi  ande  vor  tho  zo  Jerosolimam. 

subvertit    totamque    finitimam    re-  600  tlie  stat  her  zevorde, 
gionem  vastavit,   incendit  ac  prae-  the  cristenheit  her  cestördo. 

datus  est.  Ad  sepulcruni  ergo 
Domini     cum     voluisset     accedere, 

territus    divinitus    rediit:     sed    ta-  ande  nam  that  heilige  crüce  ge- 

men  ligui  salutaris   partem,    quam  iveldeliche 


EIN   LEGENDÄR   DES  XII.  JAHRH.    VI  37 

religiosa   regina   Helena   ibi  qiion- 

clam  in    testinioninm   virtutis    reli-  ande  vorde  is  in  sin  ncJie. 

qiierat,    asportavit.      Fecerat  nam-  up  einen  silverinen  turren 

qne  sibi  turrim  argenteam,   in  qua  605  lies  her  iz  fuoren. 

interlucentibus      gemmis     thronum  the  turn  was  gros  ande  crlig, 

exstruxerat    aureum,     ibiqiie     solis  her  solde  sin  themo  himile  gelig. 

quadrigam    et   luuae   vel   stellarum  in  themo  himile  stönt  thas  ge- 

imagiuem    collocaverat,    ut    quasi  steine, 

Dens     pluviam    desuper    videretur  heithe  gros  ande  deine, 

iufuudere,  et  dum  subterraneo  spe-  610  minnere  ande  merre 

cu    eqnis    in    circuitu    trahentibus  also  an  themo  himile   that  ge- 

circumacta    turris    fabrica    moveri  stirne. 

videretur,    quasi    quodammodo   ru- 

gitus    tonitrui    juxta  possibilitatem 

artilicis  inde  ciebatur.     In  boc  ergo  Tjovon  themo  sas  Cosdras  ther 

loco    sedem    sibi    Cbosdroas    para-  herro^ 

verat,    atque  juxta  eam  quasi   col-  alse  her  ein  got  were. 

lega    Dei    crucem    Dominicam    po- 

suerat ,     ac     filio    suo    regno    tra-  sinemo  siine  heval  her  sine  riche 

dito,  ipse  in  fauo  hujuscemodi  resi-  615  ande  sas  imo  thär  gesuesliche. 

debat. 

Anno  611.  Heraclius  imperator.  Eräclius,  ein  godes  thrüt, 

Adversum  hunc  Heraclium  impera-  machode  sig  mit  here  üs, 

torem  also  man  imo  sagode, 

that  Cosdras  that  crüce  havode, 

620  that  her  iz  wither  gewunne 

van  themo  heithenen  manne. 

filius  Chosdroe  theshuningessimougthisvernam 

ad  bellum  pergens  ande  mit  here  imo  angigen  quam. 

juxta  Danubium  fluvium  cum  up  einer  hruggen  hi  there  Do- 

suo  consedit  exercitu.  nouwen 

Tandem    inspirante    dementia    sal-  625  solden  se  is  mit  then  suerden 

vatoris    utriusque    principibus    pla-  hehouwon. 

cuit,     ut    ipsi    singuli    in     medio  626  Eimvige  the  herren  selvon  ge- 

pontis   fluminis    dimicarent,    et  cui  lovodon. 

sors  victoriam  contulisset,    ut   sine  628  uppetherehruggensethazfuhton. 
damno  utriusque  exercitus  Imperium 
teneret. 

Decretum     etiam     cum    juramento  630  an  heithen  half  ere   man  that 

processit,  ut  si  aliquis  ex  gesuöron, 


38 


eorum   popiilo    priucipi    suo   venire 
iu  auxilium  praesumpsisset, 
cruribus    excisis   et  bracliiis 
ab   60   in  fluvio  mergeretur. 
Cumque    utriqiie    populo    haec 
pactio  placuisset,  iuvicem 
ut  dictum  est,    dimieantes ,    diu 
multumque  in  pontis  medio 
sunt  cougressi.     Tandem 
pulsatus  Dominus  lacrymis  Christi-  635 
anorum    per    virtutem    S.    Crucis, 
cui    se    die   eodem   princeps  Hera- 
clius     commendaverat,     lideli    suo 
Christus   concessit   de   hoste  victo- 
riam:  tautaque  mentis  mutatio  Chos- 
droe  invasit  exercitum,   ut  non  so- 
lum  praedictam  pactionem  uequeaut 
transcendere ,    sed   etiam   voluntarii 
cum  omni   familia  sua  atque  prole 
Heraclio  se  subderent  tarn  potestate 
quam  fide.     Quos  ille  benigne   sus- 
cipiens,    iu    hoc    illis    clementiam 
praestitit,  ut  omnes  ad  baptismum 
convolarent,    quod   ita   se   facturos 
omnes    spoponderunt.     Ipse    autem 
regna  quae  Chosdroes  tenuerat  per- 
lustrans    ad     sedem    ipsius     venit, 
cum   paucis   ad   eum  ascendit,    se- 
dentemque   in    throno    aureo    repe- 
rit.       Nullus    enim   ex    ejus    exer- 
citu  fuerat,   qui  ei  aliquatenus  exi- 
tum  belli   nunciasset,    qiiia  propter 
suae  crudelitatis  superbiam ,  omnes 
eum    exosum    habebant.      Cumque 
ipse  tremefactus   salutationis   verba 
proferret    Heraclio,    ille    respondit, 
si  vis  salutem  habere,  pro  eo  quod  640 
lignum  sanctae  crucis,  quamvis  in- 
dignus,   honorifice  tarnen  juxta  mo- 
dulum    tuum,    tractasti   et   si  cre- 
dere  Domino  Jesu  Christo   volueris 


tliat  thär  nieman  ne  half  sine- 

mo  herren, 
tJier  sin  stiert  thär  üf  geliüve, 
thas  min  imo  hande  ande  vöse 
avasloge. 

tlio   se  vile  lango  havodon  ge- 
vohton, 

tJiö  geliorde  the  cristenen  tmse 
threJiton. 


Cosdre  is  nieman  ne  sagodo, 

tliat  sin  sun  tJien  leven  verlo- 
ren havodo. 

ande  thär  niet  an  ne  dahto, 
er  inen  Eräclius  keime  sohto. 
EräcUus  enio  tho  riet 


EIN  LEGENDÄR  DES  XII.  JAHRU.  VI 


39 


et  servum  te  illiiis  esse,  cujus 
ego  famulus  sum,  confessus  fueris, 
regnuni  tibi  Persarum  tautuui  cum 
patrimouio  et  vitam,  paucis  a  te 
datis  obsidibus  dabo. 

Cumque  ille  nequaquain  acquiesco- 
ret,  Heraclius  gladio  645 

Caput  ejus  araputavit, 

filiumque    ejus    parvulum,    quem 

cum    eo   iüveuerat,    baptizari 

jussit,  ipseque   eum  de  sacro 

fönte  suscepit,   erat  enim 

annorum  decem. 

Desciiptioues  etiam  regni  650 

Persarum  sul)  illius  nomine 

fecit,   totumque  argentum 

turris,  quam  Chosdroes  fecerat, 

in  prffidam  sui  exercitus    depu-         656 

tavit.     Aurum  vero   et  gemmas 

in  vasis  vel  utensilibus 

ad   restaurationem   ecclesiarum,         654 

quas   tyrannus  ipse  destruxerat, 

reservavit,   auferensque  inde 

ligDuui  sanctae  crucis,  quod  impius 

asportaverat ,     Hierosolymam    illud  659 

cum    magna    veneratione    restituit, 

unde  ablatum  fuit. 


that  her  süj  heJcande  00  tliere 
cristcnheit, 

ande  sagodo  imo ,  of  her  thas 
ne  ivolde, 

thaz  her  thes  houvedes  tharveu 
solde. 

Thö  Cosdras  thes  niet  negerede, 

that  her  thie  sielen  gener ede, 

thö  lies  imo  Eruclius  that  houvet 
avaslän 

ande  dede  sin  kint  then  douf 
untfän, 

wände  iz  havodo  einen  sun  Cos- 
dras, 

ther  sein  jär  alt  was. 

ther  untfieng  sines  vader  riche 

ande  levede  sint  cristenliche. 

Eräclius  lies  thö  zevören 

then  selverinen  turren, 

ande  machodo  thö  alle  th6  se 
herren, 

the  mit  imo  an  ther  varth  wären. 

ande  gaf  enen  so  godeshüsen. 


ande  thas  crüce  se  Jerusalem 
vörde. 


§  4.  Der  lezte  teil  der  legende ,  der  demütige  einzug  des  kai- 
sers  in  Jerusalem,  der,  wie  die  darstellung  des  Honorius  lehrt,  schon 
zu  anfang  des  12.  jhs.  volständig  ausgebildet  gewesen  sein  muss,  fehlt 
im  Chronicon  und  dies  spricht  für  die  oben  schon  angedeutete  möglich- 
keit,  dass  dieser  teil  sich  erst  später  entwickelte,  und  dann  die  erzäh- 
lung-  eine  zeit  lang  in  zwei  verschiedenen  fassungen  umlief,  das  eine 
mal  der  eine  teil  allein,  das  andere  mal  beide  teile  zusammen,  bis  sich 
dann  im  13.  jh.  auch  der  zweite  teil  volständiges  heimatsrecht  erwor- 
ben hatte,  und  die  legende  nicht  mehr  ohne  ihn  erzählt  wurde.  Ich 
stelle  unseren  text  dem  des  Vinceutius  Bellovacensis  (ed.  Massmann, 
Eräclius  s.  179)  gegenüber: 


40 


Ciimque  Imperator  de  monte  Oliveti 
descendens  per  portam   qua  Domi- 
nus intraverat,    quaudo   ad  passio-  660 
nem   venerat,    cum   equo   regio   et 
oruamentis  imperialibus  intrare  vel- 
let,  repente  lapides  portae  descen- 
dentes    clauserunt    se    invicem    et 
factus    est    paries    unus,     cumque 
mirarentur   attouiti  et  nimio  moe- 
rore    constricti   respicientes    in  -al- 
tuni  viderent  Signum  crucis  in  coelo 
flammeo  fulgore  splendescere,  ange-  665 
lus   quoque    domini   accipiens   illud 
manibus,    stetit    supra    portam    et 
ait:    „'Quando    rex    coelorum    pas- 
sionis  sacramenta  completurus,  per 
hunc  aditum  introivit,  non  se  pur-  670 
puratum   nee  diademate  renitentem 
exhibuit,    vel    equi    potentis    vehi- 
culum  requisivit,  sed  bumilis  aselli  668 
terga   insidens   cultoribus   suis  liu- 
militatis    exemplum   reliquit."     His 
dictis  angelus   in  coelum  confestim 
rediit,    tunc  imperator  gaudens   se  672 
visitatu  angelico ,    depositis  imperii 
insignibus ,     discalciatur ,     protinus 
zona  linea  tantum  praecinctus  cru-  675 
cem   domini   manu   suscipiens   per- 
fusus    faciem    lachrymis    oculos    ad 
coelum  erigens   properabat  ad  por- 
tam.     Illo    humiliter    propinquante 
duritia  lapidum  coeleste   sensit  im- 
perium    statimque    porta    se    surri- 
gens   liberum    intrantibus    patefecit 
ingressum.     Odor   quoque   suavissi- 
mus  qui  voluntate  divinitus  aura  de 
Persarum  provincia  per  longa  ter- 
rarum  spatia  Hierosolymis  fuerat  il- 
lapsus,    eodem    momento,   quo    de 
fano    Cosdroe    sancta    crux    fuerat 
Heraclio    bajulante    egressa,     tunc 


Tlid  her  quam  zo  tliere  stat, 
upfo  shien  rosse  her  sat. 

the  Jjurgporta  zesamene  slog, 
tvant  her  that  crüce  niet  ötmüt- 
llche  ne  drdg. 

ein  godesengel  dovon  ther  hurg- 
porten  stönt 

ande  havodo  ein  crüce  an  smer 
hant 

ande  'sprag ,  tho  in  the  porta 
unse  herro 

zo  siner  martirien  vore, 

her  ne  ride  up  negeinen  rosse 
mit  güden  gewande, 

so  Eräclius  dede  mit  themo  crüce. 

that  her  harvoz  einen  esel  ride 

nd  armer  liude  side. 


alse  Eräclius  thiz  vernam, 
vile  harde  her  is  underquam. 
van  sinen  rosse  her  gesät 
ande  vile  innelicho  her  gode  bat. 
sin  gewant  her  üzgezö, 
van  sinen  vozen  the  scö, 
ande  drdg  that  crüce  mit  gro- 
zer  vorhten, 


tho  offouodo  imo  got  theporten. 


EIN   LEGEND  AB   DES   XII,    JAlIßll.   VI  41 

rediit   et  per  pectora  se   gratanter 

infiidit.     Igitur  populo  dei  laudante  680  TM  tvart  that  crüce  tJiär  unt- 

poteutiam,  gloriosus  qiioque  Augii-  fangen  mit  tlien  eren 

stus  erumpens  in  laudibus  ait:   „0  also  is  gemm  godo  unsem  her- 

crux  splendidior  astris  etc. "     Haec  ren. 

cum  dixisset  preciosum  illud  liguum 

in  loco  siio  restituit. 

Fast  dieselben  werte  finden  sich  bei  Jacobus  a  Voragine ,  nur  hat 
dieser  noch,  übereinstimmend  mit  Honorius  Augustod. ,  folgende  Zeilen: 

et     antiqua    miracula     renovantur.  682  gros  seichen  sän  tJiär  geschiede, 
Mortuus    quidam    vitae    restituitur,  thär  wart  levendig  ein  döde, 

paralytici  quattuor  cnrantur,  thär  tvart  genäthe  anderen  meren, 

685  tlie  vergihtigot  wären. 
leprosi  decem  mundantur, 

ceci  XV  illuminantur  thehlindenwurthenfhärgesiende, 

the  haUon  ivurthen  thär  gände. 
demones  effugantur,    et  variis  lau- 
guoribus  plurimi  liberantur;   et  sie 
Imperator  ecclesias  reparans   et  re- 

giis  muneribus   cumiüans,    ad  pro-  Eräclius  vor  in  Crieglant, 

pria  remeavit.  thä  her  sanctam  Helenani  vant, 

690  the  unson  herron  goth  lovodo, 
thö  her  ero  allet  thtt  sagodo. 

§  5.  Ich  knüpfe  einige  bemerkuugen  an  diese  vergleichung.  Dass 
dem  compilator  eine  fast  wörtlich  gleiche  quelle  vorgelegen ,  steht  ausser 
aller  frage.  Unser  gedieht  zeigt  nun  einige  abweichungen.  Zunächst 
fällt  die  mangelhafte  beschreibung  des  thronhimmels  auf;  es  wird  nicht 
mehr  gesagt,  als  dass  Cosdras  sich  einen  silbernen  türm  baut,  der  dem 
himmel  gleich  sein  soll  und  dass  er  darin  die  gestirne  durch  edelsteine 
ersezt.  Mit  der  annähme ,  dieser  teil  der  legende  sei  zur  zeit  des  Ver- 
fassers noch  nicht  so  ausgebildet  gewesen  wie  das  übrige,  kommen 
wir  nicht  aus,  denn  schon  der  sonst  so  kurze  Honorius  Augustod.  ist 
hier  ganz  ausführlich  (Mignes  Patrol.  t.  172  s.  1006):  „crucem  sanctam 
ab  Hierosolymis  in  terrani  suam  asportavit  ibique  aeream  turrim  pro 
coelo  construxit,  in  qua  similitudinem  solis  et  lunae  stellarumque  fin- 
xit :  quae  turris  quodam  artificio  movebatur  et  raugitum  touitruum  imi- 
tabatur.  Aqua  quoque  per  fistulas  occultas  ascendebat,  per  quasdam 
cavernas  pro  pluvia  descendebat.  In  hanc  turrim  crucem  a  dextris  suis 
pro  filio  sno  fixerat ,  a  sinistris  autem  gallum  aureum  pro  spiritu  sancto 
posuerat,   in  medio  ipse  in  throne  sedens  se  ut  deum  patrem  coli  jus- 


42  BüSCH 

serat."  Wir  werden  hier  also  eine  ähnliche  ungenauigkeit  constatieren 
müssen,  wie  wir  sie  schon  so  oft  in  den  vorhergehenden  stücken 
fanden. 

§  6.  Wichtig  ist,  dass  in  unserem  gedichte  an  den  Zweikampf 
nicht  die  bedingung  geknüpft  ist,  Avodurch  derselbe  erst  einen  wirk- 
lichen sinn  erhält,  nämlich  die,  dass  das  beer  des  besiegten  dem  Sie- 
ger Untertan  sein  solle.  Die  quellen  haben  sie  selbstverständlich  alle, 
auch  Aimoin,  wenn  lezterer  auch  vergessen  hat,  sie  ausdrücklich  anzu- 
geben (wie  es  sicher  in  seiner  vorläge  der  fall  war);  er  sagt  nämlich 
zu  anfange  nur:  „et  conspirantibus  utriusque  partis  studiis  Imperator 
cum  Persarum  ductore  singularem  aggressus  pugnani"  usw.,  fügt  aber, 
nachdem  Heraclius  den  Perser  besiegt  hat;  zu:  „Persae  statim  suppli- 
ces  se  Heraclio  subdant."  Honorius  sagt:  „Placuit  itaque  populo,  ut 
principes  singuli  duellum  inirent,  viucentique  omnes  obedirent.  Quo 
facto  Heraclius  victoriam  obtinuit,  omnisque  exercitus  ei  paruit." 
Allein  die  Kaiserchronik  weiss  weder  etwas  von  der  bedingung  noch 
der  späteren  capitulation  des  persischen  heeres ,  doch  erklärt  sich  dies 
daraus,  dass  die  Kaiserchronik  an  dieser  stelle  derart  verwirrt  und 
ungenau  erzählt,  dass  Massmann  sogar  bei  der  Inhaltsangabe  dieses 
abschnittes  (Kehr.  III,  s.  885)  fehlt.  Massmann  gibt  nämlich:  „Da 
ward  Heraclius  durch  eine  stimme  vom  himmel  aufgefordert,  gegen 
Cosdras  zu  ziehen,  und  er  zog  in  der  beiden  land,  hielt  eine  anrede 
an  sein  beer,  schlug  den  feind  und  den  jungen  Cosdras  blutig.  Da 
bot  der  alte  Cosdras  einen  Zweikampf  auf  einer  brücke  an.  Heraclius 
verlangte  vorher  die  taufe,  der  sich  Cosdras  weigert,  worauf  ihm 
Heraclius  das  haupt  abschlägt.  Als  Heraclius  das  h.  kreuz  gefunden, 
liess  er  jenen  saal  zerstören ,  erschlug  den  älteren  Cosdras,  nahm  den 
söhn  auf  des  vaters  tronhimmel  gefangen  und  taufte  ihn  zum  h.  Cyril- 
lus.''  In  Wirklichkeit  aber  gibt  die  Kaiserchronik  folgendes:  Heraclius, 
durch  eine  stimme  vom  himmel  aufgefordert,  zieht  gegen  Cosdras,  um 
das  h.  kreuz  widerzugewinnen.  Er  stösst  auf  die  feinde ,  hält  eine  rede 
an  sein  beer  (welche  ungefähr  den  vierten  teil  der  ganzen  erzählung 
ausmacht) ,  greift  die  Perser  an  und  schlägt  sie  volständig.  Da  erblickt 
er  den  jungen  Cosdras  mit  hluote  gar  hermmen,  dem  die  seinigen  alle 
erschlagen  und  entronnen  waren. 

11281  Ein  einwic  wart  cid  gelohet, 

das  der  romisJce  voget 

mit  dem  heiden  solde  vehten. 

der  kunic  was  gerehte, 
11285  daz  shi  da  tverden  solde, 


EIN   LEGENDÄR  DES  Xll.    JAURII.    VI  43 

sivaz  got  tibir  in  virhengen  wolde. 
üf  einir  hnicJcen 

da  gesameneten  sie  sich  in  almiUen. 
ir  ieweder  kunte  sinen  han 
11290  iibir  alle  sine  man, 

siver  dicheinen  strit  irJmohe, 

das  man  im  an  der  stete  das  lioid)ct  ahe  sluoge. 

Eraclius  suelit  dann  noch  den  Leiden  (also  den  jungen  Cosdras)  zu 
überreden,  sicli  tauten  zu  lassen,  da  dieser  aber  nicht  will,  zieht  er 
das  Schwert  und 

11309  sluoc  im  ahe  den  hals  sin 

des  gehalf  im  selbe  min  trehtin. 

Do  der  himic  die  heiden  uhirwant, 

unde  er  das  heilige  Icriuse  da  vant, 

do  hies  er  brechen  den  sal, 

niderstösen  ubir  al 
11315  den  himel  suo  der  erde, 

das  hriuse  nam  er  vil  werde. 

Heräclius  ein  helt  vil  giiot 

den  alden  Cosdram  er  ir  sluoc, 

den  sun  er  üffeme  himele  vienc, 
11320  das  im  sit  vil  wol  irgienc, 

wände  er  in  suo  Börne  üs  der  toufe  huop. 

er  ivart  ein  crisfen  vil  guot, 

von  demiz  buoch  michile  tugent  saget. 

Nach  der  darstellung  der  Kaiserchronik  bezieht  sich  bis  v.  11310  alles 
auf  den  jungen  Cosdras,  während  Massmami  a.  a.  o.  sagt:  „Der  alte 
Cosdras  bot  einen  Zweikampf  au."  Massmann  wurde  zu  dieser  angäbe 
verleitet  durch  den  umstand,  dass  der  Perser,  dem  Heräclius  v.  11309 
das  haupt  abschlägt,  wirklich  der  alte  Cosdras  ist,  iudess  hat  Mass- 
mann sich  nicht  die  mühe  genommen,  den  Sachverhalt  klarzulegen. 
Nach  V.  11292  macht  die  Kaiserchronik  einen  plötzlichen  sprung;  sie 
überschlägt  den  in  der  vorläge  sicher  vorhandenen  bericht  über  den 
Zweikampf  des  Heräclius  mit  dem  jungen  (d.  i.  dem  söhne  des)  Cosdras 
und  den  zug  des  kaisers  vor  den  türm  des  alten  Cosdras.  Mit  v.  12293 
knüpft  sie  plötzlich  wider  an  mit  der  an  den  alten  Cosdras  gerichteten 
aufforderung,  er  möge  sich  taufen  lassen.  Der  eigentliche  Zweikampf 
fehlt  also ,  und  deshalb  ist  es  natürlich ,  dass  auch  die  an  densel- 
ben geknüpfte  be dingung  nicht  zur  spräche  komt.  Wir  dürfen  mit- 
hin den   umstand,    dass   die   Kaiserchronik  nichts   von   der   bedingung 


44  BUSCH 

weiss,  nicht  zur  erklärung  anziehen  dafür,  dass  der  passus  in  unserem 
ge  dichte  fehlt. 

§  7.  Die  hier  wie  bei  der  beschreibung  des  thronhimmels  zu  tage 
tretende  ungenauigkeit  scbliesst  es  aus,  dass  dem  seiner  vorläge  treu 
folgenden  dichter  die  originalquelle  vorlag.  Er  muss  sich  an  eine  kür- 
zere fassung  gehalten  haben.  Ob  der  autor  dieser  fassung  die  original- 
quelle zur  band  hatte  oder  nicht,  lässt  sich  nicht  entscheiden;  unmög- 
lich wäre  es  nicht,  dass  er  diese  zu  kürzen  versucht,  die  kürzungen 
aber  etwas  ungeschickt  vorgenommen  hätte.  Indess  sprechen  andere 
verse  mehr  dafür,  dass  er  das  original  nicht  zur  band  hatte.  Nach 
v.  687  —  691: 

Eräclius  vor  in  Crieglant, 

thä  her  sanctam  Helenam  vant  usw. 
ist  nämlich  Eräclius  ein  Zeitgenosse  der  Helena;,  während  doch  in  Wirk- 
lichkeit Eräclius  einige  Jahrhunderte  später  lebte.  Diesen  fehler  hat 
schwerlich  der  gebildete  compilator  der  gesamtvorlage  unseres  gedich- 
tes  hineingebracht;  er  kann  kaum  anders  entstanden  sein  als  dadurch, 
dass  die  legende  nach  einem  vortrage  der  originalquelle  von  einem 
Zuhörer  aufgezeichnet  wurde,  und  zwar  so,  dass  dieser  zuhörer  wäh- 
rend des  Vortrages  so  gut  wie  möglich  nachschrieb  und  später  diese 
nachschrift  ausarbeitete,  denn  wenn  er  blos  sein  gedächtnis  hätte  zu 
rate  ziehen  können,  so  wäre  die  zum  teil  wörtliche  Übereinstimmung 
unerklärlich,  hätte  er  aber  seine  notizen  später  nicht  ausgearbeitet,  so 
wäre  der  fehler  unmöglich  gewesen,  weil  der  zuhörer  während  des  Vor- 
trags doch  höchstens  davon  sich  notizen  machte,  wovon  der  vortra- 
gende wirklich  sprach.  Wie  aus  der  Verknüpfung  zu  schliessen  ist, 
umfasste  der  eine  vertrag  beide  legenden,  sowol  die  der  kreuzfindung 
durch  Helena  als  die  der  widergewinnung  durch  Heraclius,  mit  einigen 
einleitenden  worten  über  die  Zerstörung  Jerusalems,  und  da  war  es 
leicht  möglich,  dass  der  wenig  gebildete  zuhörer  zum  Schlüsse  noch 
einmal  an  die  person  anknüpfen  wolte,  von  der  der  Vortrag  ausgegan- 
gen war,  an  Helena.  Übrigens  findet  sich  schon  v.  594:  in  Perside 
thö  gewßldig  tvas  die  angäbe,  dass  Helena  zur  zeit  des  Cosdras  gelebt 
habe;  das  einfache  thö  könte  zwar  allenfals  der  dichter  verschuldet 
haben,  aber  die  späteren  verse  machen  es  mir  wahrscheinlicher,  dass 
der  Verfasser  seiner  vorläge  auch  hier  schon  gefehlt  hatte. 

§  8.     Zulezt   noch   einige    werte    zu    den    bemerkuugeu    Scherers 
QF.  s.  39.     Zunächst  bemerkt  Scherer  zu  v.  634  —  637 
Thö  se  vile  lango  havodon  gevohton, 
thö  gehorde  the  cristenen  tmse  threJdon. 


EIN  LEGENDÄR   DES   XII.    JAHRH.    VI  45 

Cosdre  i0  nienian  ne  sagodo, 
tJiat  sm  sun  then  leven  verloren  Jiavodo: 
„Den  Zweikampf  selbst  erzählt  das  gedieht  eigentümlich  scliön  bei  aller 
kürze."  Ich  miiss  den  dichter  gegen  dies  nngerechte  lob  in  schütz 
nehmen  nnd  verweise  deshalb  besonders  auf  den  diesen  versen  paralle- 
len text  des  Chron.  Keichorsp.  und  Vinc.  Bellovac.  Die  schöne  kürze 
hat  allein  die  vorläge,  welcher  sich  der  dichter  hier  fast  wörtlich 
anschliesst,  verschuldet. 

Dann  glaubt  Scherer  a.  a.  o.  verwantschaft  der  Kaiserchronik  mit 
unserem  gedichte  zu  entdecken.  Ich  habe  absichtlich  vorhin  so  aus- 
führlich über  die  fassuug  der  Kaiserchronik  gehandelt,  um  zugleich 
dort  zu  zeigen,  wie  sehr  sie  von  der  unseres  gedichtes  abweicht.  Von 
vornherein  spricht  es  sehr  gegen  eine  solche  verwantschaft,  dass  die- 
selbe sich  nur  in  einem  einzigen  abschnitt  oder  vielmehr  nur  in  der 
lezten  hälfte  dieses  abschuittes  (denn  kreuz -finduug  und  widergewin- 
nung  sind  ein  ganzes)  finden  solte.  Sodann  die  differenz  beider  fassun- 
gen,  die  sogar  eine  gemeinsame  vorläge  völlig  ausschliesst!  Daneben 
kommen  die  vereinzelten  ähnlichkeiten ,  welche  Scherer  an  der  erwähn- 
ten stelle  sammelt,  besonders  die  gleichen  reime,  nicht  in  betracht. 
Ich  verweise  nur  auf  die  worte  Roedigers  in  seiner  Untersuchung  über 
die  metrik  des  Aegidius  (Zs.  XXI,  s.  331  fg.):  „Mau  kann  sehen,  wie 
auch  bei  unreinen  bindungen  manche  worte  fest  zusammenhängen,  wie 
das  eine  fast  mit  Sicherheit  ein  bestimtes  anderes  als  reimwort  nach 
sich  zieht,  und  wie  daraus  eine  gewisse  formelhaftigkeit  der  gedanken 
erwächst.  Dass  reim-armut  auch  in  den  erzeugnissen  der  blüteepoche 
unwillkürlich  zu  grosser  einförmigkeit  des  ausdrucks  und  zum  teil  der 
darstellung  äusserer  und  innerer  Vorgänge  geführt  hat,  scheint  noch 
nicht  recht  beachtet  zu  sein."  Auch  aus  anderen  gedichten  lassen  sich 
beispiele  für  ähnliche  satz-  und  reimbildung  genug  beibringen.  Ich 
ziehe  nur  an  die  erzähluug  des  grossen  Passionale  (Massmanu,  Eraclius 
s.  170  fg.),  von  dem  doch  gewiss  niemand  verwantschaft  mit  unserem 
gedichte  behaupten  wird:  s.  173,  56.  do  er  U  der  staf  kam  vgl.  Fragm. 
660;  s.  173,  68.  diu  mür  sich  zesamene  sluoc  vgl.  Fragm.  662;  s.  173, 
79.  ande  Jiete  ein  Icriuse  in  der  Jiant  vgl.  Fragm.  665  und  anderes 
weniger  auffallende  mehr.  Vgl.  auch  Lamprechts  Alexander  v.  4493 : 
unde  gelobete  thas  einwich. 

IX.     Himmel  und   hölle. 
§  1.     Der   Eracliuslegende    folgt    direct   ein    dogmatisches   stück, 
allerdings   in   einer    weise   verarbeitet,    dass   wir   die   bedeutung  kaum 
mehr  erkennen  würden ,  wenn  uns  nicht  hier  die  quellen  in  ausreichend- 


46  BUSCH 

stem  masse  zu  geböte  stünden.  Das  ganze  soll  nämlicli  niclits  mehr 
und  uiclits  weniger  sein  als  ein  aus  bibelstellen  gezogener  beweis  für 
die  existenz  von  zwei  höllen  und  deren  beschaffenbeit. 

Die  kircbenväter ,  meines  wissens  zuerst  Augnstin,  knüpften  die- 
sen beweis  zunächst  an  Psalm  86,  13:  „Eruisti  animam  meam  ex  inferno 
inferiore ,"  und  führten  dann  als  beispiel  die  parabel  vom  reichen  mann 
und  armen  Lazarus  an.  S.  Augustinus  (Benediktiner  ausgäbe  t.  VI, 
s.  143):  Verum  quia  dicit  scriptura  cui  contradici  non  potest:  „Eruisti 
animam  meam  ex  inferno  inferiore"  intellegimus  tamquam  duo  inferna 
esse,  superius  et  inferius.  Nam  unde  infernum  inferius  nisi  quia  est 
infernum  superius?  Aliud  non  diceretur  infernum ,  nisi  in  comparatione 
illius  superioris  partis Eine  stelle,  wo  Augustin  direct  Laza- 
rus und  den  reichen  zum  beweis  anzieht,  muss  mir  entgangen  sein, 
denn  Julianus  Toletanus  (vgl.  weiter  unten)  erwähnt  eine  solche  aus 
seinen  schritten. 

Gregorius  Magnus  (Benedictiner  -  ausg.  1705.  t.  I  s.  397)  behan- 
delt Augustins  folgerung  schon  als  völlig  feststehende  tatsache;  er  hält 
es  nicht  einmal  für  nötig,  bibelstellen  dafür  anzuziehen:  Sed  esse  supe- 
riora  inferni  loca,  esse  alia  inferiora  credenda  sunt:  ut  in  superioribus 
justi  requiescerent,  et  in  inferioribus  injusti  cruciareutur. 

Eine  ausführliche  darstelhmg  mit  berufung  auf  Augustin  gibt 
Julianus  Toletanus,  680  —  690  bischof  von  Toledo,  in  seinem  Progno- 
stiken (bibl.  max.  Patrum.  Lugd.  1677.  t.  XII  s.  597),  in  dem  er  sich 
über  die  beschaffenbeit  der  aussersinlichen  weit  überhaupt  auslässt. 
Lib.  II  cap.  I :  de  differentia  paradysorum,  Unus  est  terrenns  paradysus, 
ubi  primorum  hominum  vita  corporaliter  extitit.  Alter  vero  coelestis, 
ubi  animae  beatorum  statim  ut  a  corpore  exeuut,  transferuntur ,  atque 
digna  felicitate  laetantes  expectant  receptionem  corporum  suorum.  De 
hoc  paradyso    Julianus   Pomerius    ait:    Hinc    quoque   videntur   animae 

justorum    duci   vel   ire   in   paradysum   recedentes   a  corpore 

Cap,  IV.  de  differentia  infernorum.  De  discretione  infernorum  in  beati 
Augustini  tractatibus  legisse  memini,  ubi  duo  inferna  esse  mani- 
festius  dicit ,  ut  unus  infernus  super  terram ,  alter  vero  sub  terra 
infernus  esse  accipiatur:  secundum  vocem  Psalmistae  Deo  coufitentis: 
eruisti  animam  meam  ex  inferno  inferiori.  Nam  propter  duo  ista 
inferna  missus  est  filius  Dei,  undique  liberans.  Ad  hunc  infernum 
missus  est  nascendo,  ad  illum  moriendo.  Et  haec  quidem  dicens, 
infernum ,  ait ,  fratres ,  nee  ego  expertus  sum  adhuc ,  nee  vos :  et  for- 
tasse  alia  via  erit  et  per  infernum  non  erit.  Incerta  sunt  haec. 
Verum  quia  dicit  scriptura,  cui  contradici  non  potest:  eruisti  animam 
meam  ex  inferno  inferiori,  intelligimus  tanquam  duo  inferna  esse,  supe- 


EIN   LEGENDÄR   DES    XII.   JAHRII.   VI  47 

rius  et  iiiferius-  Naiii  iiiule  internus  inferior,  nisi  quin  est  superior? 
Item  aliam  opiuioncni  idem  doctor  sanctissinms  ponit ,  dicens  quod  apud 
ipsos  inferos  sit  aliqua  pars  inferior,  iibi  dives  ille  imnianiter  torque- 
batur  et  aliqua  pars  superioris  inferui,  in  quo  Abraham  cum  Lazaro 
laetabatiir,  ubi  etiam  omnes  Sancti  ante  adventum  Christi  habiti  sunt. 
Sic  enim  praedictus  doctor  ait:  fortassis  apud  inferos  est  aliqua  pars 
inferior,  quo  traduutur  impii,  qui  plurimum  peccaveruut.  Etenim  apud 
inferos  utrum  in  locis  quibusdam  jam  fuisset  Abraham  uon  satis  pos- 
sumus  definire.  Nondum  enim  venerat  Christus  ad  infernum,  ut  eme- 
ret  inde  omuium  sanctorum  praecedentium  animas:  et  tamea  Abraham 
in  requie  ibi  erat.  Et  quidem  dives  cum  torqueretur  apud  inferos,  cum 
videret  Abraham ,  levavit  oculos.  Nou  enim  posset  levatis  oculis  videre, 
nisi  ille  esset  superius  et  ille  infernus.  Et  quid  ei  respondit  Abraham, 
cum  diceret:  Pater  Abraham  mitte  Lazarum  ut  intiugat  digitum  suum 
in  aquam  et  stillet  in  linguam  meam,  quoniam  crucior  in  hac  flamma? 
Fili  memento,  ait,  quia  percepisti  bona  in  vita  tua  et  Lazarus  mala: 
nunc  autem  hie  requiescit,  tu  autem  torqueris.  Et  super  haec  ait: 
inter  uos  et  vos  Chaos  niagnum  firmatum  est,  ut  nee  nos  possimus  ire 
ad  vos,  nee  inde  aliquis  venire  ad  nos.  Haec  ergo  fortasse  sunt  duo 
inferua,  quorum  in  uno  quieverunt  animae  sanctorum,  in  altero  tor- 
quentur  animae  impiorum. 

Auch  Beda  zieht  in  seinem  commentar  zu  Psalm  8G,  13  (com- 
ment.  in  Psalmos  lib.  VIII,  745)  die  parabel  an:  Potest  etiam  quantum 
ad  membra  accipi ,  hoc  modo ,  ut  in  locis  poenalibus  superiorem  et 
inferiorem  infernum  iutelligamus:  et  accipiamus  superiorem  locum,  ubi 
sancti  viri,  Abraham  scilicet  et  Lazarus  in  sinu  ejus,  et  alii  ante 
adventum  Domini  in  quiete  quadam  servabantur :  inferiorem  vero  locum 
iutelligamus,  ubi  superbia  divitis  erat  damnata  cum  aliis  aeternaliter 
punieudis.  Et  quod  ille  locus  superior  esset,  iste  inferior,  hoc  Evan- 
gelista  testatur ,  dicens :  Elevans  autem  oculos  dives ,  cum  esset  in  tor- 
mentis,  vidit  Abraham  a  longe  et  Lazarum  in  sinu  ejus.  Non  enim 
oculos  elevare  posset,  nisi  quod  sursum  erat  aspiceret. 

Von  anderen  Schriften  führe  ich  nur  noch  an  Remigii  Antissio- 
dorensis  enarrationes  in  Psalmos  (bibl.  max.  patrum  XVI,  s.  1210  B 
und  C):  ....  ecce  quomodo  eripuisti  auimam  meam,  id  est  animam 
meorum ,  ex  inferno  inferiori.  Nota  quia  est  infernus  superior  et  infe- 
rior. Vita  enim  ista,  quantum  ad  diguitatem  illam  in  qua  sunt  angeli, 
infernus  dici  potest:  sed  infernus  inferior  poena  quae  consequitur  hanc 
vitam,  a  qua  eruuntur  animae  sanctorum:  quod  hie  dicit,  eruisti  auimam 
meam  ex  inferno  inferiori,  id  est  ex  poena  infernali,  licet  non  eruisset 
animas  eorum  ex   hac  vita,    in  qua  passi  sunt  multas  tribulationes  et 


48  BUSCH 

miserias:  vel  eruisti  auimam  meam  ex  iiiferno  iufeviori ,  id  est  ex  pec- 
cato  criminali,  licet  uon  ex  peccato  veuiali.  V.el  ad  litteram  dicamus: 
Emisti  auimam  meam  ex  infenio  iuferioii,  id  est  a  loco  torraentorum 
uon  a  loco  teuebrarum.  Legitur  enim  quod  omues  sancti  aute  resur- 
rectiouem  Domiui  mortui  desceuderuut  ad  iuferos:  ubi  eraut  h.  teue- 
bris,  sed  uou  in  poeuis,  non  in  illo  loco,  unde  dives  respexit  Lazarum 
in  sinn  Abrae  repositum:  quod  dicit  cripuisti  auimam  meam  ex  inferuo 
iuferioii.  Vgl.  auch  Notker  zu  Psalm  85,  13  und  Heurici,  die  quellen 
von  Notkers  psalmen  s.  227,  18. 

§  2.  Endlich  als  beweis  für  die  Verbreitung  gerade  zu  aufang 
des  12.  jhs.  die  darstelhmg  des  Honorius  Augustodunensis  in  dessen 
Elucidarium  (Mignes  Patrol.  t.  172  lib.  III): 

4.  De  malorum  deductione  ad  iuferos  et  de  poeuis  quas  ibi  sustinent. 
Discipulus:  die  qualiter  agatur  circa  malorum  exitum. 
Magister :  Cum  mali  in  extremis  sunt ,  daemones  maximo  strepitu 

conglobati  veniunt et  crudeliter  ad  iuferni  claustra  per- 

trahunt. 

D:  Quid  est  infernus  vel  ubi? 

M:  Duo  sunt  iuferni:  superior  et  inferior.  Superior,  iufima  pars 
hujus  mundi,  quae  plena  est  poeuis;  nam  hie  exundat  nimius 
aestus,  magnum  frigus,  fames,  sitis,  varii  dolores  corporis,  et 
verbera  animi ,  ut  timor  et  verecundia.  De  hoc  dicitur:  „Educ 
de  carcere,"  hoc  est  de  Inferno,  „auimam  meam"  (Ps.  141,  8) 
id  est  vitam  meam.  Inferior  vero  est  locus  spiritualis,  ubi 
ignis  inexstinguibilis,  de  quo  dicitur:  „Eruisti  auimam  meam 
de  inferuo  inferior!"  (Ps.  85,  13).  Qui  sub  terra  dicitur  esse, 
ut  sicut  Corpora  peccautium  terra  cooperiuntur,  ita  animae  pec- 
cantium  sub  terra  in  inferuo  sepeliantur;  ut  de  divite  dicitur: 
„Sepultus  est  in  iuferno"  (Lucas  16,  22).  In  quo  uovem  spe- 
cies  poenae  esse  leguntur. 

D :   Quae  suut  illae  ? 

M:  Prima  ignis,  qui  sie  semel  accensus  est,  ut  si  totum  mare 
iuflueret,  non  exstingueretur 

D:    Quare  tot  miserias  patiuntur? 

M:  Quia  consortium  uovem  ordinum  angelorum  ueglexerunt  .... 

5.  Quomodo  beati  erga  damnatos  se  habeaut. 

6.  Quis  infernus  justorum  animas  ante  Christi  adventum  exciperet. 
D:  In  quo  iuferno  erant  justi  ante  adventum  Christi? 

M:  In  superiori,  in  quodam  loco  juncto  inferiori,  in  quo  poterant 
alterutrum  conspicere.     Qui  erant  ibi,   quamvis   carereut  sup- 


EIN   LEOENDAE    DER   XII.    JAIIRH.    VI  49 

plicio ,  videhantur  sibi  osse  quodammodo  in  iiiferno ,  cum  essent 
separati  a  rogno.  Ulis  autem  qui  erant  in  iiiferiori  inferno, 
videbatur  quod  illi  qui  erant  in  illo  inferno  juncto  inferiori, 
erant  in  refrigerio  paradysi,  unde  et  dives  rogabat  a  Lazaro 
guttam  super  se  stillari. 
D:  Quam  poenam  habebant  ibi?  '' 

M:  Quasdani  tenebras  tantum,  unde  et  dicitur:  babitantibus  in 
regione  uml)rae  mortis  lux  orta  est  eis  (Jsa.  IX,  2).  Quidam 
ex  eis  erant  in  quibusdam  poenis.  Venit  ergo  Dominus  ad 
iufernum  superiorem  uasceudo,  ut  liberaret  oppressos  a  diabolo, 
descendit  ad  inferuum  infeiiorem  moriendo ,  ut  redimeret  capti- 
vos  a  tyranuo  ut  dicitur:  „Dices  bis  qui  vincti  sunt,  Exite  et 
bis  qui  in  tenebris  sunt,  Revelamini  (Jsa.  49,  9)."  Vinctos 
vocat,  qui  erant  in  poenis:  alios  vero  in  tenebris:  quos  omnes 
absolvit,  et  in  gloriam  duxit  rex  gloriae. 

7.    Quomodo  beati  se  invicem  cognoscant  et  pro  nobis  intercedant. 
D:  Cognoscunt  se  justi  et  boni  in  gloria? 

M :  Animae  justorum  omues  justos  cognoscunt  ....     Malos  omnes 

etiam  in   tantum  cognoscunt,    ut  propter  quod  meritum   unus- 

quisque  ibi  sit ,  sciant.     Mali  quoque  malos  cognoscunt  et  bonos 

quos  vident   in   tantum,    ut  etiam  nomina   illornm   sciant,    ut 

dives  nomina  Abrabae  et  Lazari  cognovit. 

Diese  fassung  wurde  dann  später  von  den  niederdeutschen  Eluci- 

darien   benuzt;    genau    gibt    den    Honorius    wider    eine    niederdeutsche 

papier - bandscbrit't  des  lö.jhs.  4°,  geschrieben  von  Arnoldus  de  Almelo, 

aus  dem  kloster  Frenswegeu .  jezt  eigentum  der  Strassburger  bibliothek 

(noch  nicht  signiert): 

Bl.  45  a :  Daer  synt  twe  hellen  als  de  oveiste  eil  onderste.  Die  ouerste  helle 
is  dit  ertrike,  dat  vul  pinen  is.  Want  hyr  is  somtyt  (die  grote  hette  en 
somtyt  alte  grote  kulde.  Hyr  is  hungher  dorst  en  nianigherhande  pyne 
manigherhande  sericheit  en  siecheit  des  lichaems.  Hyr  sin  slaghe  anxt 
droefJieit  en  schaemte,  van  desser  hellen  secht  de  psalmista  [141,  8]: 
Wileyde  myne  ziele,  dat  is  myn  leven,  van  den  herkener,  dat  is  vä 
desser  ouerster  hellen.  De  nederste  helle  is  een  onlesschclic  vuer ;  hyr 
van  secht  de  scriftuer  [Ps.  85,  13]:  verlose  myne  siele  van  der  nedersf 
helle ,  en  men  secht  dat  desse  onder  der  eerde  is.  En  als  de  lichame  der 
doden  bedecket  werden  onder  der  eerde,  so  werden  de  sundighe  sie- 
len onder  de  eerden  v'grave  ond'  in  de  helle  als  Xpiis  secht  van  den 
ryken  mane:  he  is  begrauen  in  de  helle.  Eil  men  lest  dat  in  deser 
hellen  sint  seuen  sunderlinghe  pyne 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.      BD.  XI.  4 


50  BUSCH 

Bl.  47  b.  D:  In  ivat  hellen  tveren  de  recMuerdighen  voer  der  toecomft 
Xpi?  M:  In  ener  stede  de  hogher  was  dan  de  nederste  helle  en  so 
na  daer  hy  dat  se  malcanderen  sien  mohten  de  daer  weren.  En 
al  wast  dat  se  ghene  pyne  en  hadde  nochtan  duchte  em  dat  se  in 
der  helle  tveren,  want  se  verscheide  weren  van  den  ryhe  gods.  Mer 
de  in  der  nederster  helle  loere  den  duchte  dat  de  anderen  in  der 
wallust  des  paradyses  were.  Hyr  ome  had  de  ryhe  man  dat  he  van 
lazarus  mohte  ontfanghen  een  dropelken  waters. 

D:  Wat  pine  hadde  de  guede  daer?  M:  Somighe  hadden  allene 
duysternisse.  Somighe  van  en  hadden  wat  pyne.  Hyr  oifie  steech  de 
here  neder  da  he  an  den  cruce  starf  en  verlosede  sie  en  leyde  se  tot- 
ter  glorien  synre  godheit. 

D:  Bekennet  de  rechtuerdighe  malcanderen  oec?  M:  De  zielen 
der  rechtuerdighe  bekennen  alle  recMuerdighen  hy  ere  name  en  ghe- 
buerten  en  er  Verdiensten  recht  of  se  altoes  hadde  mit  em  omegaen. 
Se  hehene  de  quaden  so  wal  dat  se  weten  in  ivat  mysdaet  dat  een 
yeghelic  verdomet  is.  Die  quaden  hekenen  die  quaden  en  de  gudcn 
de  se  sien  also  dat  se  er  namen  weten  als  de  ryke  7nan  bekande 
abraham  en  lasarus  by  namen. 

Eine  etwas  freiere  bearbeitung  gibt  „  die  dietscbe  Lucidarius "  in 
Ondvlaenische  gedieh ten  der  XIP,  XIIP,  XI V"  eeuwen  ed.  Blomniaert, 
Gent  1851.  derde  deel.  s.  4  fgg.  Die  uns  angebende  stelle  findet  sieb 
s.  59  —  62: 

V:    Meester  waer  staet  die  helle 

daer  onsaliger  sielen  quellen?  usw. 
Dass  Honorius  schon  von  unseren  fragmenten  benuzt  ist ,  ist  niclit 
wahrscheinlich,  wenn  sich  auch  am  rande  der  handschrift  einige  aus  sei- 
nem Elucidarium  genommene  Sätze  finden: 

Honorius.  Hs. 

duo  sunt  in-  duo  st  in 

ferni:  ferui  ut 

supe-  dixim^  supe 

rior  et  infe-  rior  et  infe 

rior.     In  su-  rior.     In  su 

periori  erant  periori  erat 

justi  ante  justi  ante    . 

adveiituni  Christi  adventum  X. 

in  qnodam  loco  Loco  quodä 

juncto  inferi-  juncto  T  feri 

ori,  in  quo  ori.  I  quo  se 


RIN   LEGENDÄR   DES    XII.    JAHRII.    VI 


51 


Hoiiorius. 
poteraut  al- 
tei'utrum  con- 
spicere.     Qui 
evant  ibi, 
qimmvis  care- 
rent  suppli- 
cio 

vide- 
bautur  sibi 
esse  quodammodo  in 
inferno,   cum  esseiit 
a  regiio  sepava- 
ti.     Ulis  autem 
qui  erant  in  iufe- 
riori  inferno  vide- 
batur,  quod  illi, 
qui  erant  in  illo 
inferno  juncto  in- 
feriori,   erant  in  refri- 
gerio  para- 
dysi. 


Hs. 

poterat  al 
terutrü  9 
spicere.    qui 

quis  care 
rent  suppli 
cio  q'a  tantü 
1  tenebris 
erat  vide 
batur  eis 
se  ee  i  I  feri 
ori  cfl  esse[nt] 
a  regno  sep[a] 
rati.     Ulis  a[utem] 
q'  erfit  I  ife 
riori  vide 
retur 


refr[i] 
gerium  para 
dysi  si  esse[nt] 
I  superior[i] 

Das  werk  des  Houorius  fält  wol  in  eine  etwas  spätere  zeit,  als 
wir  für  die  abfassung  unseres  gedichtes  annehmen  müssen ,  und  ausser- 
dem verstrich  jedenfals  einige  zeit,  elie  das  Elucidarium  in  Nieder- 
deutschland Verbreitung  fand.  Wir  müsten  die  abfassungszeit  wenig- 
stens um  20  bis  30  jähre  später  rücken,  und  ich  glaube  nicht,  dass 
spräche  und  schrift  der  fragmente  sowie  v.  522.  wo  das  gedieht  von 
den  lezten  jähren  des  11.  jhs.  als  von  unseren  gcMden  spricht  (vgl.  VI 
§  3) ,  dies  erlauben.  Wahrscheinlich  wurde  die  raudglosse  erst  später 
zugesezt;  unsere  handschrift  ist,  wie  wir  bei  der  sprachlichen  Unter- 
suchung nachwiesen,  keinesfals  das  original,  sondern  eine  im  südlichen 
Deutschland  gefertigte  abschrift;  in  Süddeutschland  aber  genossen  die 
werke  des  Houorius  eines  grossen  ansehens  (vgl.  Wattenbach  II,  197); 
so  wäre  es  möglich ,  dass  schon  der  abschreiber  die  glosse  zufügte. 

§  3.  Sei  dem  nun  auch,  wie  ihm  wolle,  keinesfals  ist  Houorius 
allein  benuzt,  denn  er  weiss  zwar  vou  drei  himmeln  (Elucid.  lib.  I, 
Migues  Patrol.  s.  111:  „tres  coeli  dicuntur:  corporale,  spirituale  et  intel- 

4* 


52  BUSCH 

lectuale,"  ihm  nach  „die  dietsche  Lucidnrius"  a.  a.  o.  s.  4:  III  Jiimde 
sonder  waen  sijn  hoven  'der  liicld  gestaen) ,  aber  von  den  zwei  paradieseu 
weiss  er  niclits.  Ebenso  Beda  „de  sex  diernm  creatione"  (a.  a.  o.  de 
secunda  die  s.  55).  Von  den  zwei  paradiesen  spricht  meines  wissens 
überhaupt  nur  Juliauus  Toletanus  an  der  schon  angeführten  stelle. 

Ebensowenig  findet  sich  bei  Honorius  eine  parallele  zu  v.  714  fg.: 

Bahdus  sagen  sumeltche, 

that  hieze  tJiese  riche. 

tJier  evangelista  sig  thes  vermeitJi, 

that  her  sinen  namen  niet  ne  screif, 

wände  se  niet  ne  werthen  gescriven  in  lihro  vite, 

fhe  niet  gezeichet  ne  sin  zo  godes  riche. 

Lazarum  scrcif  her,  the  vor  thes  riehen  dure  lag  . .  .  ., 

während  doch  sonst  durch  die  ganze  theologische  litteratur  des  mittel- 
alters  eine  dem  entsprechende  notiz  läuft.  Wie  es  scheint  kann  auch 
hier  wider  Augustin  die  Vaterschaft  in  auspruch  nelimen ,  bei  ihm  finde 
ich  sie  zuerst  (Benedict.  -  ausg.  t.  VII  s.  206) :  „  Merito  Dominus  Jesus, 
fidei  dator  et  amator,  plus  adtendit  ipsam  fidem  in  paupere,  quam 
aurum  et  delicias  in  divite;  plus  adtendit  pauperis  possessionem,  quam 
divitis  elationera.  Nam  ideo  pauperem  illum  nominavit,  illius  autem 
nomen  esse  tacendum  judicavit."  Ausführlicher  schon  Gregorius  Magnus 
(Benedictiuer-ausg.  t.  I  s.  1655):  „Homo  quidam  erat  dives,  et  proti- 
nus  subinfertur:  „Et  erat  quidam  meudicus  nomine  Lazarus."  Gerte 
in  populo  plus  solent  nomina  divitum  quam  pauperura  sciri.  Quid  est 
ergo,  quod  Dominus  de  paupere  et  divite  verbum  faciens,  nomen  pau- 
peris dicit,  nisi  quod  deus  humiles  novit  et  approbat  et  snperbos  igno- 
rat?  ...  Ait  ergo  de  divite:  Homo  quidam.  Ait  de  paupere:  Egenus 
nomine  Lazarus.  Ac  si  aperte  dicat:  Pauperem  humilem  scio,  super- 
bum  divitem  nescio."  Titus  Bostrensis  (Bibl.  max.  patr.  IV  s.  435D): 
„Homo  quidam  erat  dives:  Hunc  tanquam  durum  et  in  pauperes  inhu- 
manum  Dominus  anonymum  nominisve  expertem  inducit:  nempe  ut 
exemplo  id  confirmet,  quod  per  prophetam  de  iis  aliquando  praenun- 
tiarat,  qui  Deum  non  metuunt:  Non,  inquit,  memor  ero  nominum  illo- 
rum  per  labia  mea,  At  pauperem  vero  proprio  nomine  designat;  siqui- 
dem  tales  in  dei  lingua  et  ore  observabantur."  Bei  Beda  finde  ich 
eine  entsprechende  stelle  nicht,  doch  schreibt  Maldouatus,  comment.  in 
Luc.  XVI,  19  fg.  (commentarii  in  quatuor  evangelia  s.  1127)  demselben 
eine  solche  zu.  Fast  wörtlich  stimt  Eusebius  episcopus  Gallicanus  mit 
unserer  hs.  überein  (Foria  V.  post  secundam  dominicam ,  Bibl.  max. 
patr.  VI  s.  723):    „sanctorum    etenim    nomina   scripta   sunt   in    coelis, 


EIN   LEGENDÄR   DES   Xll.    JAIIRH.   VI  53 

muloriiüi  vcru  uoiiiiua  noii  sunt  scripta  in  libro  vitae.  Unde 
et  hoc  loco  divitis  iiomeii  iioii  dicitur,  mondici  vero  dicitur.  Hie  Laza- 
rus vocatus,  ille  quomodo  vocetur,  nescinius." 

§  4.  Den  namen  für  den  reichen  mann  „Batiüus"  habe  ich  dagegen 
nirgend  entdecken  können,  obwol  demselben  in  theologischen  schritten 
nicht  selten  ein  name  beigelegt  wird.  Euthymius  Zigabenus,  comment.  in 
quatuor  evangelia,  zu  Lucas  XVI,  20  (Bibl.  max.  patr.  XIX  s.  G49) :  „divitis 
quidem  nomen  nou  edidit,  utpote  odio  digni.  Scriptum  est  euini:  Xec 
memor  sim  nominum  eorum  per  labia  mea.  Meudici  vero  nomen  addidit, 
tanquam  amore  digni.  Aiunt  autem  quidara  ex  traditione  Hebi'aeorum, 
quodjuxta  ea  tempora  dives  ille  fuerat  Nineusis  appellatus  et  mendicus 
iste  Lazarus."     Ferner  Fratris  Felicis  Fabri  evagatorium  in  terrae  sanctae 

ed.  Hassler  voL  I  (Bibl.  des  Stuttg.  litter.  Vereins  IL  Stuttg.  1843 

s.  357):  „Cousequeuter  descendimus  per  vicum  et  ad  domum  vetustam 
sed  pulchram  venimus,  quae  dicitur  fuisse  divitis  epulonis  domus  qui 
proprio  nomine  Dodrux  dicebatur,  quod  tarnen  Dominus  in  evangelio 
exprimere  noluit,  sicut  nomen  pauperis  expressit,  propter  causam,  quam 
ponit  Gregorius  in  oratione  ejus  de  parabula."  Die  erste  veranlassung 
zu  dem  namen  Batulus  war  vielleicht  eine  ähnliche  stelle,  wie  sie  Ado 
bei  seiner  beschreibung  des  Martyriums  des  h.  Laurentius  (Martyrol. 
4  Id.  August)  gibt  (Bibl.  max.  patr.  XVI  s.  872):  „Decius  autem  Cae- 
sar pergit  ad  thermas  juxta  palatium  Sallustii,  et  exhibitus  est  ei  ite- 
runi  sanctus  Laurentius  et  allata  sunt  omnia  genera  tormentorum,  plum- 
batae  fustes,  laminae,  ungues,  lecti,  batuli"  (Ducange,  gloss.  med.  et 
iüf.  latinitatis:  qua  voce  batillos  vel  batilla  innui  censet  Kosweydus, 
de  quibus  Plin.  lib.  33  cap.  8,  lib  34  cap.  11  et  Treb.  Pollio  in  Clau- 
dio. Sunt  autem  batilli  ferrea  instrumenta  palae  similitudine,  quibus 
prunae  in  fornacibus  coUiguntur).  In  irgend  einem  commentar  kann 
der  ausdruck  batulus  bei  beschreibung  der  feuersqual,  die  der  reiche 
mann  in  der  hölle  zu  erdulden  hatte ,  gebraucht  und  von  einem  mOnche 
misverstanden  worden  sein.  Man  braucht  nur  Ados  satz  umzustellen, 
um  die  leicbtigkeit  eines  misverständnisses  zu  begreifen :  allata  sunt 
omnia  genera  tormentorum  batuli  d.  i.  Herbeigebracht  wurden  aller- 
hand marterinstrumente  des  (i.  e.  für  den)  Batulus.  Oder  hängt  der 
name  zusammen  mit  dem  griech.  BdO^cXlog  (der  in  der  tiefe  sitzende)  ? 

§  5.  Die  im  vorstehenden  verzeichneten  quellen  erlauben  uns  ein 
urteil  über  das  ganze.  Zunächst  können  wir  coustatieren  ,  dass  minde- 
stens zwei  quellen  beuuzt  worden  sind ,  einmal  ein  commentar  zu 
Psalm  86,  13  und  andererseits  ein  commentar  zu  Lucas  XVI,  19,  jener 
für  die  angaben  über  die   zwei  höllen,    dieser  für   die  notiz,    dass  die 


54:  BUSCH 

nameii  der  gottlosen  uiclit  iu  „libro  vitae"  geschrieben  weiden.  Viel- 
leicht eiitstamt  die  erwähnuug  der  zwei  paradiese  einer  dritten  quelle, 
doch  kann  sie  auch  wie  bei  Julianus  Toletanus  mit  dem  bericht  über 
die  zwei  höUen  verbunden  gewesen  sein.  Jedenfals  war  die  vorläge 
des  dichters  keine  originalquelle,  sondern  nur  eine  compilation  aus  ver- 
schiedeneu werken.  Wichtiger  aber  als  dieses  ergebnis  ist  ein  anderer 
schluss ,  welchen  wir  betreffs  der  vorläge  ziehen  können ,  denn  den  nur 
versificierenden  dichter  brauchen  wir  nicht  in  rechnung  zu  bringen.  Ihr 
Verfasser  hat  nämlich  den  grund,  weshalb  die  parabel  von  Lazarus 
eingeführt  ist,  ganz  und  gar  nicht  verstanden;  anstatt  diese  zur  beweis- 
führung  zu  benutzen,  knüpft  er  sie  einfach  an  die  auseinandersetzung 
an,  und  da  der  zweck  der  einführung  einmal  vergessen  ist,  kann  es 
nicht  wunder  nehmen,  dass  nun  die  parabel  als  geschichte  für  sich 
volständig  hinterher  gegeben  wird.  Ein  solches  misverständnis  kann 
aber  dem  ursprünglichen  compilator,  der  die  quellen  zur  band  hatte, 
unmöglich  zugeschrieben  werden;  nur  jemand,  der  uacli  höreusagen 
arbeitete,  kann  es  verschuldet  haben.  Wir  werden  also  Avider  zu  der 
annähme  gedrängt,  dass  die  vorläge  des  dichters  dadurch  entstand, 
dass  jemand  den  vertrag  einer  dritten  person  niederzuzeichnen  ver- 
suchte, indem  er  sich  jedenfalls  an  während  des  Vortrags  gemachte 
notizen  anlehnte.  Dass  aber  nicht  vielleicht  diese  notizen  allein  die 
vorläge  des  dichters  bildeten ,  sondern  diese  hinterher  wirklich  ausgear- 
beitet wurden,  ist  hier  ganz  klar.  Der  vortragende  hat  die  parabel 
vom  reichen  mann  und  armen  Lazarus  jedenfals  nur  zur  beweisführung 
angezogen,  keinesfals  aber  dieselbe  ausführlich  erzählt;  während  des 
Vortrags  hätte  dieselbe  also  nicht  in  dieser  weise  aufgezeichnet  werden 
können. 

X.     Schluss. 

Im  folgenden  stelle  ich  die  sämtlichen  resultate,  welche  sich  bei 
Untersuchung  der  einzelnen  abschnitte  ergeben,  möglichst  übersichtlich 
zusammen  und  suche  zu  ermitteln,  ob  dieselben  irgend  einen  schluss 
auf  zAveck  und  bedeutung  des  ganzen  gestatten. 

Zunächst  war  es  unmöglich,  irgend  eine  Ordnung  in  der  folge 
der  verschiedenen  legenden  zu  entdecken.  Selbst  wenn  wir  von  dem 
lezten  teile  des  gedichtes,  der  beschreibung  von  himniel  und  hölle, 
absehen,  können  wir  nicht  annehmen,  das  ganze  sei  „eine  an  die  rei- 
henfolge  der  könige  (und  päbste)  geknüpfte  legendensamlung"  (Zarnckes 
lit.  centralbl.  1867  nr.  50)  gewesen,  eine  behauptung  übrigens,  welche 
bei  genauerer  kentnisnalime  des  Inhaltes  schwerlich  mit  so  absoluter 
bestimtheit  aufgestelt  worden  wäre,   und  ilir  dasein  wol  nur  der  sehn- 


EIN  LEGENDAK  DES    XII.    JAIIRH.    VI  55 

sucht  des  verfasseis  veidaiikt,  jenes  deutsche  buch,  welches  die  Kaiser- 
chronik zu  aniang  nent,  aufzufinden.  Chronologiscli  ist  die  folge  in 
dem  Legendär  sicher  nicht.  Zuerst  komt  die  erzählung  von  der  Vero- 
uilla,  vorher  aber  soll  (nach  v.  33)  schon  der  tod  des  Pilatus,  der 
chronologisch  später  fält,  erzählt  sein.  Es  folgt  die  legende  vou  dem 
streite  der  apostel  Petrus  und  Paulus  mit  dem  magier  Simon  und  ihrer 
passion,  dann  der  transitus  Mariae,  wo  Petrus  (wenigstens  in  der  Apo- 
kryplio)  wider  eine  der  hauptpersonen  ist.  Dann  das  apostel -martyro- 
logium ,  wo  Petrus  uud  Paulus  widerum  auftreten ;  bei  Jacobus  und 
Johannes  (v.  341  und  361)  wird  angegeben,  vou  ihrer  passion  sei  schon 
einmal  berichtet  worden  usw.  Ebensowenig  ist  irgend  eine  Ordnung 
nach  massgabe  der  kalendertage ,  an  welchen  die  feste  der  verschiede- 
ueu  heiligen  gefeiert  werden,  zu  entdecken. 

Dies  volständige  durcheinander  brachte  auch  wol  Scherer  zu  der 
Vermutung,  das  ganze  möchte  eine  samlung  geistlicher  gedrehte  vou 
verschiedenen  Verfassern  sein.  Wie  ich  indess  abschnitt  IV  §  2  darge- 
tan zu  haben  glaube,  entbehrt  diese  vermutuug  aller  Wahrscheinlich- 
keit. Wenn  aber  das  ganze  das  werk  eines  einzigen  dichters  ist,  so 
erhebt  sich  die  frage,  wie  dieser  zu  einem  derart  zusammengewüifelten 
Stoffe  kam. 

Zweierlei  ist  möglich :  entweder  er  suchte  sich  seinen  stoff  selbst 
aus  verschiedeneu  quellen  zusammen,  oder  er  hielt  sich  an  eine  vor- 
läge, iu  welcher  der  stoff  schon  zusammengetragen  war.  Einen  siche- 
ren schluss  gestattet  der  umstand ,  dass  schon  in  der  vorläge  eine 
partie  auf  die  andere  bezug  genommen  haben  muss  (vgl.  IV  §  5). 
Danach  hat  nicht  erst  der  dichter  die  verschiedenen  stücke  zusammen- 
gesucht, sondern  dieselben  waren  schon  in  seiner  vorläge  compiliert. 
Er  kann  nicht  einmal  insofern  bei  auswahl  der  legenden  beteiligt  gewe- 
sen sein,  als  er  aus  dieser  vorläge  blos  einzelnes  herausnahm,  anderes 
aber  liegen  Hess.  Er  muss  vielmehr  mit  einer  so  sklavischen  treue 
dieser  einen  vorläge  gefolgt  sein,  dass  er  nicht  allein  stück  für  stück, 
sondern  fast  wort  für  wort  in  verse  umsezte  (vgl  IV  §  5).  Demnach 
geben  die  uns  erhaltenen  bruchstücke  des  deutschen  gedichtes  ein  ganz 
genaues  bild  wenigstens  eines  teiles  der  vorläge ,  und  unsere  frage  wird 
mithin  genauer  lauten :  wie  entstand  diese  vorläge  und  wie  kam  der 
dichter  dazu,  dieselbe  seinem  werke  zu  gründe  zu  legen? 

Vorerst,  wie  haben  wir  uns  ihre  entstehung  zu  erklären?  Wir 
müssen  hier  unterscheiden  zwischen  entstehung  der  einzelnen  abschnitte 
uud  entstehung  der  gesamtvorlage.  Was  erstens  die  einzelnen 
abschnitte  anlangt,  so  fanden  wir,  dass  in  die  vorläge  keine  einzige 
originalqueUe   aufgenommen   war,    dieselbe   vielmehr    nur    abgeblasste, 


56  BUSCH 

verworrene,  den  originalquellen  oft  widersprechende  darstelluugeu  ent- 
hielt. Der  autor  dieser  fassungeu,  d.  h.  der  erzählungen  wie  sie  in 
unserem  gedichte  vorliegen,  kann  keiuesfals  die  originale  zur  hand 
gehabt  haben;  dass  er  die  origiualquelleu  früher  selbst  gelesen  und 
später  aus  der  erinnerung  aufzuzeichnen  versucht  haben  solte,  ist  nur 
für  wenige  stücke  allenfals  möglich,  für  alle  unwahrscheinlich,  für  die 
meisten  absolut  unmöglich.  Die  weitaus  meisten  der  erzählungen  kön- 
nen ursprünglich  nur  so  entstanden  sein ,  dass  irgend  jemand  die  betref- 
fende partie,  von  ihm  nach  den  originalquellen  compiliert,  vortrug  und 
ein  Zuhörer  diesen  vertrag  schriftlich  fixierte  (vgl.  I  §  4.  II  §  9.  III  §  3. 
IV  §  17.  V  §  1.  VII  §  4.  VIII  §  7.  IX  §  5),  und  zwar  so,  dass 
der  Zuhörer  während  des  Vortrages  so  gut  wie  möglich  nachschrieb 
oder  wenigstens  sich  notizen  machte  und  später  diese  aufzeichnungen 
ausarbeitete  (vgl.  I  §  4.  IV  §  5.  1 7.  VIII  §  7.  IX  §  5).  Für  die 
weitaus  meisten  der  in  unserem  gedichte  vorliegenden  fassungen  ist 
diese  erklärung  ihres  Ursprungs,  wie  gesagt,  die  einzig  mögliche,  für 
alle  die  wahrscheinlichste;  wir  werden  daher  nicht  fehl  gehen  mit  der 
annähme,  dass  jede  unserer  fassungen  in  der  angegebenen  weise  ent- 
standen ist.  —  Was  zweitens  die  gesamtvorlage  betrifft,  so  habe 
ich  abschnitt  IV  §  5  gezeigt,  dass  der  Schreiber  derselben  nicht  auch 
ihr  compilator  gewesen  sein  kann,  dass  die  compilation  des  ganzen 
vielmehr  das  werk  eines  dritten  war,  und  die  vorläge  speciel  unseres 
gedichtes  nach  dem  vortrage  dieses  compilators  gefertigt  ist. 

Wenn  nun  die  einzelnen  fassungen  sowol  wie  die  gesamtvorlage 
nur  aufzeichnungen  nach  dem  vortrage  eines  compilators  sein  können, 
so  ist  es  von  vornherein  wahrscheinlich ,  dass  der  compilator  des  gan- 
zen und  der  des  einzelnen  ein  und  dieselbe  person  waren ,  d.  h.  dass 
derselbe  cleriker  sämtliche  stücke  der  vorläge  nach  den  originalquellen, 
oder  von  ihm  aus  den  originalquellen  compiliert,  in  der  reihenfolge, 
wie  sie  unser  gedieht  zeigt,  vortrug;  in  diesem  falle  wäre  der  compi- 
liereude  cleriker  der  mittelbare ,  der  nachschreibende  zuhörer  aber  (d.  i. 
der  Schreiber  der  vorläge)  der  unmittelbare  autor  der  vorliegenden  fas- 
sungen; die  vorläge  unseres  gedichtes  hätte  also  nur  unica  enthalten. 
Allerdings  ist  auch  eine  andere  auffassung  möglich,  nämlich  dass  die 
einzelnen  fassungen  zwar  ursprünglich  auf  die  angegebene  weise  ent- 
standen seien,  dann  aber  neben  den  originalquellen  geltung  erlangt, 
weitere  Verbreitung  gefunden  und  schon  zur  zeit  der  abfassung  der  vor- 
läge als  wirkliche,  wenn  auch  secundäre,  quellen  gegolten  hätten, 
dass  der  vortragende  cleriker  also  die  einzelnen  partien  nicht  selbst 
nach  den  originalien  compilierte,  sondern  schon  vorhandene  compila- 
tionen  vortrug.     Wenn  auch  bis  jezt  für  keins  der  in  unserem  gedichte 


EIN   LEGENDÄR   DES    XII.    JAHRH.    VI  57 

behaudelten  stücke  eine  derartige  secundäre  quelle  bekaiit  ist,  so  darf 
darum  doch  nicht  die  augegebeue  iiiöglichkeit  direct  geleugnet  werden, 
da  unsere  kentuis  der  secundärquellen  des  mittelalters  eine  sehr  mangel- 
hafte ist.  Wir  müssen  zusehen ,  ob  die  beschaffenheit  der  einzelnen 
fassungen  eine  weitere  Verbreitung  derselben  möglich  erscheinen  lässt. 
Wenn  von  derart  beliebten  und  im  original  überall  vorhandenen  stücken, 
wie  unsere  fragmente  sie  bieten,  eine  neue  fassung  irgend  welche  gel- 
tung  uud  Verbreitung  finden  soll ,  so  muss  diese  fassung  entweder  neue 
daten  enthalten  oder  eine  compilation  verschiedener  quellen  sein;  dass 
aber  eine  fassung,  welche  nur  den  Inhalt  eines  algemein  bekanten 
Originals  in  ganz  corrumpierter  weise  widergibt ,  neben  diesem  original 
zu  irgend  welclier  Verbreitung  gelangt  sein  solte,  ist  undenkbar.  Neue 
daten  bringt  nun  keine  der  darstellungeu ,  wol  aber  sind  einige  eine 
compilation  nach  verschiedenen  originalquellen:  diese  könten  also  mög- 
licherweise secundärquellen  geworden  sein  (vgl.  z.  b.  II  §9),  wenn 
auch  der  umstand,  dass  sie  so  oft  den  originalquellen  (deren  bericht 
niemand  in  zweifei  zog)  widersprechen,  eine  solche  annähme  bedenk- 
lich macht.  Einige  erzähluugen  unseres  gedichtes  aber  geben  nur  den 
Inhalt  einer  einzigen  originalquelle  uud  zwar  derart  unvolständig  und 
ungenau  wider,  dass  wir  keinesfals  annehmen  dürfen,  diese  fassungen 
seien  im  mittelalter  neben  den  algemein  bekanten  originalien  in  Umlauf 
gewesen  (vgl.  z.  b.  III  §  a.  VII  §  4.  VIII  §  7).  Für  einzelne  der 
fassungen  ist  es  also  gewiss,  für  die  meisten  aber  wahrscheinlich,  dass 
sie  unica  waren ,  d,  h.  dass  ihr  unmittelbarer  autor  erst  der  Schreiber 
der  vorläge  unseres  gedichtes  war.  Halten  wir  dazu ,  dass  es  erstens 
höchst  wunderbar  wäre,  wenn  der  compilator  der  gesamtvorlage  zufäl- 
lig nur  solche  corrumpierte  darstellungeu,  aber  keine  einzige  der  ori- 
ginalquellen in  die  band  bekommen  hätte,  und  zweitens,  dass  einzelne 
teile  unseres  gedichtes  unmöglich  den  text  des  Originals  so  wörtlich 
treu  widergeben  könten,  wenn  schon  der  compilator  des  ganzen  eine 
durch  aufzeichuung  nach  einem  vertrag  entstandene  fassung  vortrug 
und  diese  dann  widerum  nach  hörensagen  aufgezeichnet  wurde,  so  dür- 
fen wir  wol  ohne  bedenken  annehmen ,  dass  der  compilator  der  gesamt- 
vorlage auch  die  einzelnen  fassungen  nach  den  origiualquellen  compi- 
lierte,  und  nach  seinem  vertrag  die  vorläge  unseres  gedichtes  nieder- 
geschrieben wurde;  der  unmittelbare  autor  war  also  erst  der  Schreiber 
der  vorläge,  und  der  dichter  erhielt  die  neu  entstandenen  fassungen 
aus  erster  liand. 

War  aber  der  vortragende  cleriker  selbst  der  compilator  der  ein- 
zelnen Partien,  so  müssen  wir  ihn  unbedingt  für  einen  gelehrten  und 
belesenen  mann  halten,  während  andererseits  der  zuhörer,  der  den  vor- 


58  BUSCH 

trag  in  einer  derart  corriimpierten  weise  nicht  nur  nachschreiben,  son- 
dern ausarbeiten  konte  (vgl.  z.  b.  VIII  §  7.  IX  §  5),  eine  ziemlich 
ungebildete  person  gewesen  sein  muss.  Wo  waren  aber  solche  geist- 
liche vortrage  fiir  ungebildete  möglich?  Man  könte  zunächst  an  die 
kirche  denken,  aber  während  einer  predigt  konte  ein  zuhörer  unmög- 
lich in  der  weise  nachschreiben,  wie  wir  es  für  manche  partien  anneh- 
men müssen  (vgl.  z.  b.  I  §  4.  II  §  ü.  III  §  3.  IV  §  17.  VIII  §  7), 
ganz  abgesehen  davon,  dass  einzelnes,  wie  z.  b.  die  theologischen  Spitz- 
findigkeiten in  abschnitt  IX,  doch  eigentlich  sehr  wenig  in  eine  predigt 
passt.  —  Es  bleibt  nur  eine  mögiichkeit,  nämlich  dass  die  vortrage 
gehalten  wurden  .in  einer  schule ,  sei  es  nun  eine  dom  - ,  stitts  -  oder 
klosterschule,  dass  also  die  vorläge  des  dichters  weiter  nichts  war  als 
eine  art  collegienheft ,  welches  so  entstand,  dass  ein  schüler  die  vor- 
trage des  lehrers  so  gut  wie  möglich  nachschrieb  und  nachher  aus- 
arbeitete. 

Erst  wenn  wir  uns  die  entstehung  der  vorläge  in  dieser  weise 
erklären,  lösen  sich  alle  Widersprüche,  und  zugleich  treten  nicht  nur 
das  ganze,  sondern  auch  manche  einzelheiteu  in  ihrer  wahren  bedeu- 
tung  hervor.  So  wolte  der  lehrer  mit  der  erwähnung  der  am  Nieder- 
rhein algemein  bekanten  sage  vom  tode  Martins  v.  295  (vgl.  III  §  4) 
jedenfals  seinen  Zuhörern  die  geschichte  deutlicher  und  glaublicher 
machen:  „ihr  wisst  ja  dem  heiligen  Martin  erschien  bei  seinem  tode 
auch  der  teufel."  Auch  das  dem  transitus  Mariae  angehängte  gebet 
an  die  heilige  Jungfrau  komt  so  erst  zur  richtigen  geltung;  der  lehrer 
durfte  natürlich  seinen  vertrag  nicht  schliessen,  ohne  an  die  wie  noch 
heute  in  der  katholischen  kirche  so  besonders  auch  im  mittelalter  ver- 
ehrte und  angeflehte  mutter  gottes,  die  almächtige  fürbitterin,  ein 
gebet  zu  richten;  der  zuhörer  fügte  denn  auch  dieses  bei  ausarbeituug 
des  Vortrages  an;  dass  er  die  werte  schon  während  des  gebetes  nieder- 
geschrieben haben  solte,  ist  natürlich  unwahrscheinlich.  Endlich  lässt 
sich  jezt  auch  die  frage  beantworten,  weshalb  v.  457 --466  (vgI.V§4) 
das  martyrium  des  Laurentius  am  Schlüsse  ausser  jedem  logischen 
Zusammenhang  trotz  der  vorherigen  erwähnung  und  zwar  kurz  und 
flüchtig  behandelt  ist.  Abschnitt  IV  und  V  war  ein  in  sich  abgeschlos- 
sener Vortrag,  der  mit  v.  456  endigte;  das  folgende  wurde  einfach  ver- 
anlasst durch  die  inteipellation  eines  zuhörers,  welcher  über  das  Schick- 
sal des  Laurentius  im  unklaren  war  und  darüber  aufklärung  wünschte, 
welchem  verlangen  denn  der  lehrer  durch  kurze  angäbe  der  todesart 
des  heiligen  entsprach. 

Über  die  entstehung  der  vorläge  kann  nach  obigen  feststellungeu 
wol  kaum  ein  zweifei  obwalten.     Wie  aber   der  dichter  zu  diesem  col- 


EIN   LEGENDÄR   DES    XII.   JAllBII.    VI  59 

legienbefte  kuiu,  und  welchen  zweck  er  mit  rfeiner  cliclitung  verfolgte, 
darüber  lassen  sich  nur  Vermutungen  aufstellen.  Sicher  ist,  dass  das 
gedieht  nicht  in  einem  kloster  entstanden  sein  kann,  in  dem  einige 
gelehrsamkeit  zu  hause  war.  Die  abfassung  eines  grösseren  deutschen 
gedichtes  galt  zu  jener  zeit  immerhin  für  ein  so  bedeutendes  untorneli- 
men ,  dass  der  dichter  sicher  zu  seiner  vorläge  die  darstellung  einer 
autorität  wählte,  um  nicht  durch  oft'enbare  Unrichtigkeiten  den  erfolg 
seines  werkes  in  frage  zu  stellen.  In  einem  kloster  aber,  das  der  wis- 
senscliaft  auch  nur  einige  pflege  angedeihen  liess,  konte  ein  heft  mit 
solchen  darstellungeu  nicht  als  autorität  gelten;  war  der  dichter  selbst 
auch  wenig  gebildet,  der  abt  oder  seine  mitbrüder  würden  ihn  schon 
über  den  wert  seiner  quelle  belehrt  haben.  Am  allerwenigsten  kann 
natürlich  das  werk  in  dem  kloster  oder  stift  gedichtet  sein,  in  wel- 
chem die  vorläge  geschrieben  war;  hier  würde  schon  ilir  gelehrter  com- 
pilator,  der  vortragende  lehrer,  dem  die  versificierung  seines  Vortrages 
doch  jedenfals  zur  band  gekommen  wäre,  den  dichter  auf  die  mannig- 
fachen Unrichtigkeiten  aufmerksam  gemacht  haben.  Gedicht  und  vor- 
läge müssen  in  verschiedenen  gegenden  gefertigt  sein ,  und  daraus 
erklärt  sich  auch,  weshalb  bei  dem  berichte  von  Matthias  tod  (vgl.  IV 
§  14)  und  Helenas  kreuzfindung  (vgl.  VII  §  5)  nicht  der  zu  Matthias 
und  Helena  in  enger  beziehung  stehenden  stadt  Trier  gedacht  ist, 
trotzdem  unsere  fragmente  in  der  nähe  von  Trier  gedichtet  sein  müs- 
sen. Die  vorläge,  welcher  der  dichter  ja  ganz  treu  ohne  eigene  zuta- 
ten folgt,  war  jedenfals  in  einem  fern  von  Trier  gelegenen  kloster  ent- 
standen. 

Der  dichter  muss  also  sein  werk  gefertigt  haben  au  einem  orte, 
wo  er  an  quellen  wenig  mehr  als  seine  vorläge  zur  band  hatte.  Man 
könte  nun  zunächst  denken,  er  habe  in  frülierer  zeit  nach  dem  vor- 
trage seines  lehrers  die  vorläge  selbst  geschrieben  und  später,  nach- 
dem er  (vielleicht  als  weltgeistlicher),  an  einen  anderen  ort  versezt  war, 
wo  ihm  litterarische  hilfsmittel  nicht  zu  gebot  standen ,  in  ermangelnng 
von  etwas  besserem  diese  vorläge  in  verse  umgesezt,  aber  dem  steht 
entgegen,  dass  er  seiner  vorläge  gegenüber  so  ganz  unselbständig  ist; 
unmöglich  konte  er  gegen  das,  was  er  selbst  niedergeschrieben  hatte, 
wovon  er  wissen  muste,  dass  es  oft  ungenau  und  lückenhaft  war,  eine 
derartige  pietät  bewahren,  dass  er  sich  jeder  composition  enthält,  nicht 
z.  b.  allein  die  legenden  zum  Vorwurf  für  seine  dichtung  wählte ,  son- 
dern die  aufzeichnung  wort  für  wort  widergab.  AVahrscheinlicher  ist, 
dass  der  dichter  das  collegieuheft  eines  anderen  benuzte. 

Was  für  eine  Stellung  aber  der  dichter  einnahm ,  ob  er  weltgeist- 
licher war   oder   mönch   in    einem    kleineren  kloster.    welches  nur  eine 


60  BUSCH 

kleine  bibliotliek  besass  imd  iu  dem  die  wisseüschaft  nicht  besonders 
gepflegt  wurde,  lässt  sich  nicht  entscheiden;  vielleicht  hatte  ein  junger 
mönch,  auf  fremder  angesehener  schule  gebildet,  sein  ausgearbeitetes 
collegienheft  mit  iu  ein  solches  kloster  gebracht,  und  dass  dem  dich- 
ter in  diesem  falle  das  heft  auturität  genug  war,  ist  leicht  begreiflich. 
Doch  will  ich  noch  einer  möglichkeit  gedenken,  welche  manches  für 
sich  hat,  nämlich  dass  das  gedieht  vielleicht  in  einem  nonnenkloster 
entstand,  wohin  die  vorläge  auf  irgend  eine  weise  gekommen  sein 
mochte;  es  ist  ja  nicht  undenkbar,  dass  irgend  ein  abt  oder  domherr, 
der  die  origiualquellen  und  damit  auch  den  untergeordneten  wert  die- 
ses heftes  kante ,  damit  den  guten  klosterfraueu  eine  freude  gemacht 
hätte,  und  eine  nonne  dann  dem  unschätzbaren  werke  die  ehre  erwies, 
es  in  verse  umzusetzen.  Möglich  auch,  dass  keine  der  bewohneriunen 
des  klosters  genügend  latein  verstand,  um  den  Inhalt  zu  ergründen, 
und  die  äbtissin  ihren  geistlichen  berater  oder  sonst  einen  geistlichen 
herrn  bat,  die  samlung  zu  verdeutschen.  In  beiden  fällen  muste  natür- 
lich die  vorläge  wörtlich  treu  widergegeben  werden. 

Dass  das  werk  nicht  allein  zum  rühme  des  Verfassers,  oder  um 
die  neugierde  einer  äbtissin  zu  befriedigen,  gedichtet  war,  ist  möglich, 
sogar  wahrscheinlich.  Jedenfals  hat  es  auch  praktischen  zwecken 
gedient.  Vielleicht  wurde  es  in  der  kirche  oder  im  kloster  abschnitt- 
weise zur  erbauung  vorgelesen.  Dass  zu  jener  zeit  geistliche  gedichte 
wirklich  in  dieser  weise  verwant  wurden,  lässt  sich  zwar  nicht  direct 
für  Deutschland,  wol  aber  für  andere  länder  erweisen.  Der  gute  des 
herrn  prof.  Suchier  verdanke  ich  folgende  nach  Weisung  von  vier  altfrz. 
stücken,  die  allem  anscheine  nach  zum  vorlesen  in  der  kirche  bestimt 
waren:  1)  das  leben  des  h.  Alexius,  vom  herausgeber  in  die  mitte  des 
11.  jh.  gesezt.  Das  gedieht  ist  in  füufzeiligen  strophen  gedichtet  und 
in  der  ältesten  handschrift  mit  einem  vorwort  versehen,  das  eine  mit 
reimen  untermischte  prosa  zeigt.  Über  dieses  vorwort  sagt  Gaston 
Paris  (la  vie  de  saiut  Alexis.  Paris  1872  s.  177):  En  tete  du  poeme, 
dans  le  seul  m.  L.  (d.  h.  in  der  Lambspriuger  hs. ,  die  jezt  in  Hildesheim 
ist),  on  trouve  le  prologue  siiivant,  dont  je  n'ai  pas  tenu  compte  dans 
l'introduction ,  parce  qu'on  peut  le  regarder  comme  Toeuvre  propre  du 
copiste.  C'est,  ä  ce  qu'il  semble,  l'avis  de  M.  Hofmann,  bien  qu'il  ne 
s'explique  pas  clairement  sur  ce  point  (s.  8).  Je  suis  plus  porte ,  pour 
ma  part,  ä  croire  que  ce  prologue  precedait  dejä  le  texte  original  de 
notre  poeme;  en  tont  cas  il  devait  se  trouver  dans  le  manuscrit  que 
l'auteur  de  L.  a  eu  sous  les  yeux.  l\  est  important  en  ce  qu'il  moiitre 
bien  la  destinatiou  du  poeme;  il  me  semble  du  moins  que  la  phrase 
„dal  quel  nos  avous  odit  lire  e  chauter"  indique  que  cette   ,,aimable 


EIN  LEGENDÄR  DES    XII.    JAHRH.    VI  61 

chaii9on''  se  disait  dans  TEglise,  lo  jour  de  la  fete  du  Saint,  apres 
que  l'office  latin  etait  tevmine.  Le  poeme  prend  ainsi  un  caractere, 
sinon  liturgiqiie .  du  moius  ecclesiastique.  —  2)  Die  Übersetzung  der 
vier  bücher  der  könige,  deren  einzige  hs.  um  1180  in  der  normanni- 
schen mundart  Englands  geschrieben  wurde.  Die  Übersetzung  ist  eine 
freie  und  ungezwungene.  In  die  prosa  sind ,  wie  bei  dem  vorwort  des 
Alexius,  besonders  an  lyrischen  stellen  und  in  schlachtschilderungen, 
reime  eingemischt.  Dass  der  text  in  der  kirche  vorgelesen  werden 
solte,  geht  einmal  aus  anreden  hervor,  wie  s.  4:  Fedeil  deu,  entend 
Testorie;  assez  est  clere  usw.;  sodann  aber  besonders  aus  einer  stelle, 
die  sich  s.  248  findet ,  wo  bei  der  erzählung  des  tempelbaues  von  Salo- 
raon  gesagt  wird:  le  temple  devisad,  si  cume  vus  veez  que  ces  mu- 
stiers  en  la  nef  e  al  presbiterie  sunt  partiz  (worauf  schon  der  heraus- 
geber  aufmerksam  gemacht  hat).  —  3)  Das  noch  ungedruckte  anglo- 
normannische  leben  der  heil.  Modwenna,  wahrscheinlich  zu  ende  des 
12.  jhs.  in  vierzeiligen  strophen  gedichtet.  Hier  lassen  die  Übergänge, 
welche  von  einem  wunder  zu  dem  andern  überleiten ,  die  bestimmung 
des  ganzen  erkennen ,  z.  b. : 

208  Cest  miracle  voil  finer 

ne  voil  plus  dire  ne  cunter. 
Un  märe  grant  voil  cuniencer, 
si  vus  pleist  a  escuter. 

209  Cunter  vus  voil  un'  aventure  usw. 
275  Vein  dit  en  reprovier: 

„suvent  ennue  heau  chanter." 
Pur  ceo  mun  cunt  voil  terminer 
que  nids  [1.  md]  n'enust  mun  lung  parier. 
.276  Nel  di  imr  ceo  que  seit  fini 
cest  miracle  que  avez  o'i, 
ainz  Vai  pur  ceo  en  dous  parti 
pur  le  esum  [1.  pur  la  raisum]  dunt  ja  vus  di. 
365  Ore  me  voil  ici  reposer 
e  cest  miracle  terminer. 
Bien  i  purres  recovrer, 
quant  il  vus  plarra  de  Vescidter. 

4)  Garnier  von  Pont -Sainte-Maxence  dichtete  a,  1172  in  Canterbury 
sein  leben  des  heil.  Thomas  in  fünfzeiligen  strophen.  Er  nent  sein 
gedieht  „serraun"  und  sagt,  er  selbst  habe  es  oft  am  grabe  seines 
heiligen  in  der  kathedrale  zu  Canterbury  vorgelesen ;  vgl.  die  ausgäbe 
von  Hippeau  s.  205: 


62  BUSCH  ,    EIN    LEGENDÄR    DES    XU.    JAHRH.    VI 

Guarniers  li  clers  äel  Punt  fine  ci  sun  sermun 
äel  marttr  saint  Thomas  et  de  sa  passiun, 
et  meinte  fcis  le  list  a  la  tumbe  al  barun. 
Ähnliche  Verwendung  fanden  auch  wol  in  Deutschland  geistliche  gedichte. 
Aber  das  sind  alles  nur  Vermutungen;  über  den  etwaigen  zweck 
unseres  gedichtes ,  wie  über  person  und  stand  des  Verfassers ,  ist  nichts 
näheres  zu  bestimmen.  Fest  steht  nur,  dass  er  aus  dem  nördlichsten 
teile  Mittelfrankens,  wenn  nicht  aus  Niederfranken ,  gebürtig  war,  spä- 
ter nach  dem  südlichen  Mittelfranken  kam  (vgl.  die  sprachl.  Unter- 
suchung), und  hier  zu  aufang  des  12.  jhs.  (vgl.  die  metrische  Unter- 
suchung und  VI  §  3)  das  gedieht  verfertigte.  Was  seine  poetische 
befähiguug  anlangt,  so  dürfen  wir  an  das  werk  nicht  den  massstab 
legen,  nach  dem  wir  die  gedichte  von  ende  des  12.  jhs.  an  beurteilen 
müssen.  Es  ist  nämlich  überhaupt  die  frage,  ob  wir  das  ganze  als 
gedieht  in  unserem  sinne  auffassen  dürfen.  Wie  ich  schon  in  der  ein- 
leitung  bemerkte ,  war  es  zu  jener  zeit  weit  schwerer  in  prosa  zu 
schreiben  als  in  versen;  mancher  bediente  sich  bei  einer  Übersetzung 
der  gebundenen  rede,  weil  sie  ihm  so  weit  leichter  wurde.  Da  nun 
aus  der  quellenuntersuchung  hervorgieng,  dass  der  dichter  fast  wörtlich 
seiner  vorläge  gefolgt  ist,  so  hat  die  annähme  manches  für  sich,  er 
habe  nicht  sowol  ein  gedieht  als  vielmehr  eine  Übersetzung  liefern 
wollen  und  nur  zu  seiner  bequemlichkeit  dabei  die  gebundene  rede 
angewant. 

Dass  das  gedieht  in  keiner  beziehung  zu  der  Kaiserchronik  steht, 
glaube  ich  zur  genüge  dargetan  zu  haben  (vgl.  I  §  5.  II  §  9.  V  §  4. 
VII  §  5.     VIII  §  8). 

HOCHNEUKIRCH.  H.    BUSCH. 


ZUM   ZWEITEN  WIENER  AUFENTHALTE  WALTIIERS 
VON  DER  VOGELWEIDE. 

Es  gibt  fragen  im  leben  Walthers ,  die  nicht  über  eine  bloss  sub- 
jective  Wahrscheinlichkeit  hinaus  zu  lösen  sind,  weil  uns  ausreichende 
beweismomente  fehlen:  jede  ansieht,  die  in  sich  begründet  und  mit 
den  bekanten  lebensverhältnissen  in  passenden  zusammenliang  zu  brin- 
gen ist,  hat  hier  lierechtigung ;  daneben  gibt  es  aber  auch  fragen,  bei 
denen  die  blosse  mutmassung  aufhört,  wo  uns  wirkliche,  greifbare 
gründe  vorliegen ,  mit  denen  wir  rechnen  und  Schlüsse  ziehen  können, 
welche,  wenn  auch  nicht  zu  völliger  gewissheit,  doch  zu  relativ  hoch- 


WACKEKNELL,    WALTIIBRS   ZWEITEK    WIENEE   AUFENTHALT  63 

ster  Wahrscheinlichkeit  zu  bringen  sind.  Zu  lezteren  zähle  ich  den 
zweiten  Wiener  aufenthalt.  Als  zeugnis  für  denselben  steht  der  spruch 
L.  25,  26  da.  Darnacli  finden  wir  Walther  auf  einem  glänzenden  hof- 
feste des  österreichischen  herzogs  (Leopold  VII)  in  Wien;  der  junge 
fürst  gibt  mit  vollen  bänden ,  und  auch  Walther  erhält. 

Die  frage  lautet  nun:  Welches  fest  ist  gemeint? 

Lachmann  nahm  Leopolds  schwertleite  1200.  Der  ausatz  wurde 
ziemlich  algemein  acceptiert,  weil  er  den  Voraussetzungen  des  Spruches 
entsprach;  freilich  fehlte  ihm  noch  die  bauptstütze,  nämlich  der  nach- 
weis,  dass  auch  Walther  um  diese  zeit,  oder  wenigstens  in  diesem 
jähre ,  in  Wien  sich  aufgehalten  habe.  ^  Allein  dafür  konte  man  damals 
überhaupt  keine  anhaltpunkte  aufbringen. 

Ganz  anders  aber  stellen  sich  die  dinge  seit  der  publication  der 
reiserechnungen  bischof  Wolfgers  von  Passau.  Dadurch  erhielten  wir 
den  wichtigen  nachweis,  dass  Walther  1203  wirklich  in  Wien  war. 
Da  herzog  Leopold  in  demselben  jähre  ganz  sicher  ein  glänzendes  hof- 
fest feierte,  das  selbst  die  Chroniken  rühmen,^  so  hat  Walthers  anwe- 
senheit  bei  demselben,  von  der  L.  25,  26  spricht,  ohne  jede  einrede 
die  grössere  Wahrscheinlichkeit  als  die  beim  feste  der  schwertleite,  weil 
jezt  auch  die  lezte  wichtige  Voraussetzung  des  Spruches  zugleich  mit 
den  übrigen  erfüllt  ist.  Diese  wahrscheiuliclikeit  gewint  noch  ausser- 
ordentlich, wenn  sich  nur  annähernd  zeigen  lässt,  dass  das  grosse  fest 
dieses  Jahres,  die  Vermählung  Leopolds  mit  Theodora  Comnena,  in  die 
gleiche  zeit  fält  mit  Walthers  anwesenheit  in  Wien.  Ich  tat  das 
a.  a.  0.  s.  29  —  31  und  75  —  79,  und  brauche  hier  nichts  mehr  zu 
widerholen. 

Seitdem  erfuhr  ein  teil  von  Wolfgers  rechnungen  durch  W.  Wiuckel- 
mann  (Germania  XXIII,  236  fg.)  eine  andere  datierung,  wonach  die 
für  uns  wichtige  stelle  nach  1199  versezt  wurde.  Hätte  Winckelmann 
recht ,  so  verlöre  unser  ansatz  dadurch  seine  bauptstütze  gegenüber  dem 
von  1200. 

Nun  aber  hat  Zarncke  in  den  „Berichten  der  k.  sächsischen 
geselschaft  der  Wissenschaften"  (phil.  -  bist,  cl.)  in  der  sitzuug  vom 
13.  märz  1878  s.  32 — 40  dargetan,  dass  Winckelmann  sich  völlig 
geirrt  habe,  dass  die  ursprüngliche  datierung  feststehe  und  wir  somit 
„keinen  andern  tag  als  den  12.  november  1203  als  den  tag  anzusehen 

1)  Dass  darauf  das  grössere  gewicht  ruht  als  auf  den  andern  Voraussetzun- 
gen liegt  auf  der  hand  ,  denn  hoffeste  des  jungen  herzogs  Leopold  sind  mehrere 
nachweisbar. 

2)  Ich  habe  die  bezüglichen  stellen  ausführlich  zusamniengestelt  in  „Walther 
von  der  Vogelweide  in  Österreich "  s.  75  fg. 


64  WACKERNELIi 

haben,  an  welchem  Walther  von  der  Vogelweide  in  Zeiselmauer  von  bischof 
Wolfger  5  solidi  für  den  nunmehr  „historisch  gewordenen  pelzrock" 
empfieng."  Damit  bleibt  auch  unser  ausatz  von  L.  35,  26  und  folge- 
richtig auch  der  von  Walthers  zweitem  Wiener  aufenthalte  heute  ebenso, 
wie  vor  zwei  jähren  ganz  im  rechte. 

Ist  das  der  fall,  so  kann  der  im  lezten  hefte  der  Germania 
(XXIV,  157  fg.)  von  A.  Nagele  veröffentlichte  neue  ansatz  nicht  auch 
richtig  sein.  Nagele  sezt  L.  25,  26  in  das  jähr  1198  und  zwar  so, 
dass  der  bisher  geglaubte  zweite  Wiener  aufenthalt  mit  dem  ersten, 
der  nun  bis  schluss  1199  reichen  würde,  zusammenfiele.  Er  bringt 
zwei  gründe  dafür:  erstens  fand  im  herbste  dieses  Jahres  ein  hoffest 
(die  huldigungsfeierlichkeit  herzog  Leopolds)  statt,  zu  dem  L.  26,  25 
passt;  zweitens  war  Walther  damals  noch  in  Wien,  da  er  sich  hier 
nach  Winckelmanns  datierung  der  reiserechnungen  bis  1199  aufgehal- 
ten hat. 

Der  leztere  grund  ist  nach  dem,  was  wir  soeben  gehört,  bereits 
beseitigt:  Nagele  ist  Zarnckes  abhaudlung  entgangen;  der  erstere  aber 
existiert  gegenüber  1200  und  1203  überhaupt  nicht,  da  auch  in  diesen 
Jahren  hoffeste  (und  zwar  bedeutendere)  gefeiert  wurden,  zu  denen 
L.  25,  26  passte.     Der  neue  ansatz  ist  somit  grundlos. 

Demnach  steht  schon  von  vorn  herein  zu  erwarten,  dass  Nageies 
polemik  gegen  den  ansatz  von  1203,  wodurch  er  dem  seinen  noch  eine 
gewisse  stütze  zu  geben  suchte,  eitel  sein  werde.  Zwei  angriffe  macht 
er:  L.  25,  26  kann  ,,auf  die  festlichkeit  des  Jahres  1203  nur  schwer 
bezogen  werden;  denn  im  jähre  1203  war  Leopold  mehr  als  fünf  jähre 
herzog  von  Österreich,  also  kaum  mehr  als  junger  fürst  zu  be- 
zeichnen." Dass  N.  selbst  die  hinfälligkeit  seines  einwandes  rich- 
tig fühlte,  beweist  das  „kaum  mehr"  —  ist  übrigens  begreiflich,  denn 
so  lange  ein  regierender  fürst  in  den  zwanziger  jähren  steht  (und  1203 
war  Leopold  noch  nicht  völlig  sieben  und  zwanzig)  kann  er  nicht  nur 
von  einem  dichter,  der  ihn  verherlicht,  sondern  von  allen  „ein  junger 
fürst "  genant  werden.  Ich  hatte  wol  vorausgesehen ,  dass  etwa  einmal 
einer  diesen  einwurf,  so  leer  er  ist,  im  falle  der  not  (wo  „man  nach 
dem  Strohhalm  greift")  zu  bringen  versucht  sein  könte  und  daher 
a.  a.  0.  s.  82  und  83  demselben  vorgebeugt;  es  war  somit  doppelt 
ungut,  ihn  zu  bringen. 

Noch  schlimmer  steht  es  mit  dem  zweiten  einwurf,  der  lautet: 
„Als  einen  der  gründe,  die  es  wahrscheinlich  machen  sollen,  dass  sich 
der  Spruch  auf  das  hochzeitsfest  des  Nov.  1203  beziehe,  führt  Wacker- 
nell  a.  a.  o.  s.  82  folgendes  an:  „Der  dichter  zählt  sich  selbst  zu  den 
gernden  und  zwischen  gerndeu   und  varnden  ist  kein  unterschied   (vgl. 


WALTHERS   ZWEITER   WIENER   AUFENTHALT  65 

Eieger  ö.  10);  er  hatte  somit  damals  keinen  ständigen  aiifent- 
halt  in  Wien  und  das  gedieht  muss  sich  auf  Leopold  beziehen,  da 
er  unter  Friedrich  Wien  nie  für  längere  zeit  verlassen  hatte."  Allein 
diese  ausffihrung  trifft  nicht  durchweg  das  richtige;  denn  bei  L.  25,  28 
sagt  der  dichter:  als  tvir  se  Wiene  haben  dur  ere  enpfangen,  und  bei 
L.  25,  o5  heisst  es: 

oucli  hiez  der  fürste  dur  eh  der  gernden  hulde 
die  malhen  von  den  stellen  Imren  usw. 

Offenbar  ist  hier  ein  gegensatz  zwischen  gernden  d.  h.  varnden  und 
den  übrigen ,  die  ebenfals  beteilt  wurden ,  aber  eben  keine  varnden 
waren,  ausgedrückt."  Aber  diese  Interpretation  ist  gezwungen  und 
weicht  von  der  aller  anderen  ab ;  N.  gibt  dem  ouch  eine  bedeutung, 
die  es  nicht  hat,  denn  es  sagt  durchaus  nicht,  dass  jene,  welche  s«76er 
und  riche  ivät  bekamen,  nicht  die  varnden  gewesen  sein  können,  im 
gegenteil  ist  die  stelle  vielmehr  so  zu  verstehen:  der  herzog  gab  den 
varnden  die  gewöhnlichen  geschenke,  silher  und  wät ,  in  reichem 
masse  und  dazu  auch ,  damit  sie  recht  zufrieden  seien ,  noch  ors.  Doch 
wenn  dem  auch  nicht  so  wäre,  so  hätte  N.  dennoch  einen  blinden 
streich  getan;  weil  ich  diesen  satz  gar  nicht  als  beweis  für  das  hoch- 
zeitsfest um  1203,  sondern  nur  Simrock  gegenüber  anführe,  der 
L.  25,  26  bekantlich  auf  herzog  Friedrich  bezieht,  und  somit  ist  dieser 
zweite  Vorwurf  inhaltslos. 

Da  nun  die  vorgebrachten  gründe  zum  einen  teile  unhaltbar,  zum 
andern  teile,  bei  genauerem  zusehen,  gar  nicht  vorhanden  sind,  ent- 
behrt der  neue  ansatz  aller  grundlage. 

Als  gesamtresultat  dieser  erörterung  ergibt  sich  demnach,  dass 
der  ansatz  des  Spruches  L.  25,  26  auf  1198  ganz  unbrauchbar,  der  auf 
1206  gegenüber  dem  auf  1203  unhaltbar  ist:  Walthers  zweiter 
Wiener  aufenthalt  (meinetwegen  nenne  man  es  auch  besuch)  muss 
demnach  ins  jähr  1203  gesezt  werden,  daran  ist  weder  zu 
rütteln  noch  zu  deuteln,  so  lange  feststeht,  dass  Walther 
im  november  1203  mit  bischof  Wolfger  in  Zeiselmauer  war. 

INNSBRUCK.  J.   E.    WACKERNELL. 


2EITSCHB.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.    XX. 


66 


ÜBER   ZWEI   STELLEN  AUS  GOETHES   FAUST. 

I. 
Die  encheiresis  naturae. 

(Werke.     Ausgal)e  lezter  band.     1828.     1'2,  96.) 

Wer  will  was  lebendigs  erkennen  und  beschreiben, 
Sucht  erst  den  Geist  heraus  zu  treiben. 
Dann  hat  er  die  Theile  in  seiner  Hand, 
Fehlt  leider!  nur  das  geistige  Band. 
Encheiresin  naturae^  nennts  die  Chemie, 
Spottet  ihrer  selbst  und  weiss  nicht  wie. 

Die  encheiresis  naturae  schien  mir  früher  ihre  entschiedene 
deutung  aus  Goethes  eigener  anwenduug  dieses  ausdrucks  in  einem 
briefe  zu  gewinnen,  den  er  zwei  monate  vor  seinem  tode  an  einen  Che- 
miker schrieb.  Daran  hält  Loeper  noch  in  seiner  zweiten  ausgäbe  der 
tragödie  fest:  mir  scheint  das  licht  jezt  ein  Irrlicht.  Vor  einiger  zeit 
wurde  mir  geschrieben,  man  sei  der  quelle  auf  der  spur,  aus  welcher 
Goethes  encheiresis  naturae  geschöpft  sei.  Aber  von  Loeper  sagt 
noch  neuerdings :  „  Die  quelle  obigen  ausdrucks  ist  nicht  ermittelt ;  in 
Boerhaves  Elementa  Chemiae,  einem  Goethen  von  früh  auf  bekauten 
lehrbuche,  hat  ihn  '  der  herausgeber  vergebens  gesucht."  Und  doch 
steht  er  dort,  freilich  nicht  im  texte,  aber  in  einer  den  Inhalt  kurz 
bezeichnenden  randbemerkung.  I  s.  29  (der  Leipziger  ausgäbe  von  1732) 
begint  der  Verfasser,  die  auctores  qui  operatioues  ipsas  in  syn- 
taxeos  ordinatae  corpusculum  redactas  tradiderunt  aufzuzäh- 
len, was  die  randbemerkung  als  Catalogus  auctorum  pro  enchei- 
resi  bezeichnet.  Das  ist  für  die  sache  fast  bedeutender,  als  wenn 
encheiresis  in  Boerhaves  ausführung  stände,  da  es  zeigt,  dass  en- 
cheiresis der  gangbare  name  für  das  verfahren  war,  mit  welchem 
nur  die  in  schönem  latein  fliessende  spräche  nicht  entstelt  werden  solte. 
Boerhave  braucht  dafür  ope ratio nes,  wie  denn  sein  ganzes  werk  in 
zwei  teile  zerfält,  die  Theoria  artis  und  die  operatioues  artis. 
Dieses  genügte  volkommen,  um  den  gangbaren  gebrauch  von  enchei- 
resis von  dem  chemischen  verfahren  nachzuweisen.  Ich  hatte  schon 
früher  darauf  hingewiesen,  dass  Andreas  Libau  (Libavius),  zuerst  arzt 
in  Halle,  dann  professor  in  Jena,  darauf  gymnasialdirector  in  Koten- 
burg, zulezt  in  Coburg,  in  seiner  zuerst  1595  erschienenen  Alchymia 
collecta,   accurate  explicata   et  in   integrum    corpus   redacta 


1)  Der  vers  begint  wie  der  folgende  anapästisch. 


nÜNTZER,  Zu  OOETHES  FAUST  67 

den  ausdruck  encheria  gebrauche;  da  ich  aber  nach  einer  enchei- 
resis  naturae  suchte,  in  dem  sinne,  wie  Goethe  den  ausdruck  in  der 
briefstelle  vom  21.  januar  1832  fasste,  so  hielt  ich  diese  für  etwas 
durchaus  verschiedenes,  und  auch  der  beriümite  geschichtschreiber  der 
Chemie  wies  mich  auf  meine  frage  nicht  darauf  hin.  Er  selbst  hatte 
TI,  11  bemerkt,  Libau  teile  die  Aldi  ymia  in  die  Encheria,  fyx€io)jGig, 
die  manuelle  behandlungsweise,  und  die  Chymia.  Vor  mir  liegt  ein 
anderes  werk  Libaus :  Praxis  Alchymiae  ex  Germanico  idiomate 
in  Latinum  traducta  (Francofurti  1604),  dessen  deutsche  Urschrift 
ich  nirgends  augeführt  finde.  Hier  steht  praxis  für  encheiresis.  Ein 
besonderer  abschnitt  ist  überschrieben:  Instructio  chyraica  seu 
encheria  Alchymiae,  quomodo  destillationibus  opera  danda. 
Hier  finde  ich  einmal  den  ausdruck  chymica  hyeiqi^oig  (sie),  während 
sonst  praxis  steht.  Das  wort  eyyeiQijGi^  hat  sich  eben  aus  den  grie- 
chischen darstellungen  der  chemie ,  von  denen  die  meisten  noch  unge- 
druckt in  den  bibliotheken  ruhen,  in  den  gangbaren  gebrauch  gerettet, 
begint  aber  schon  zum  teil  dem  gangbarem  praxis  zu  weichen.  Anzie- 
hend ist  es,  mit  Libau  des  Hamburger  Werner  liolltinck,  seit  1629  pro- 
fessor  der  chemie  in  Jena,  Chimia  in  artis  formam  redacta  libris 
VI  comprehensa  zu  vergleichen,  die  von  griechischen  Wörtern, 
redensarten  und  stellen  überfliesst.  Hier  finden  wir  s.  13  tijv  yslQci 
^rou/aiyj'iv,  und  zwei  selten  später  werden  die  pharmacopoei  gewarnt, 
ne  formulis  suis  omnem  fyxeiQijOir  concredaut.  Weiter  bemerkt 
Rollfiuck  s.  30:  Chimia  dupliciter  considerari  potest  1.  x«r' 
eyyeiQijoii'  ]j  srord^f-iiijv  rojv  yeiQHov  (sie).  2.  /.ata  fie^odoi',  secundum 
concinnatam  praeparationem,  et  legitimum  utendi  niodum. 
Im  zweiten  buche  werden  als  media,  quibus  chimia  finem  suum 
assequitur,  drei  genant,  an  erster  stelle  die  opera tiones,  fyyuQij- 
aeig,  iit}]xccpfjf-tccTa,  sveQyrjiiiaTa ,  die  nichts  anderes  seien  als  anatome 
corporum  mistorum.  Als  prima  praxeos  et  fyyeiQiag  chymi- 
cae  pars  et  principalis  wird  (iidy.QiGiQ  (diaycoQ)jOig,  (iiaj.iSQiai.i6g, 
solutio,  separatio)  bezeichnet  und  auf  der  hier  eingefügten  tafel 
werden  die  zwei  teile  lyyEiQiag^  artificiosae  operationis,  schema- 
tisch aufgeführt.  Im  weitern  verlaufe  dieses  buches  bedient  sich  Roll- 
fiuck der  bezeichnung  chimicae  operationes  oder  operationes 
chimicae.  Bei  den  dazu  dienenden  Instrumenten  werden  die  griechi- 
schen namen  angegeben  und  erklärt.  Das  dritte  buch  behandelt  lä 
Tsyvoi'Qyt]fAaTa ,  opera  seu  effectus  operationum.  Hier  werden  die 
verschiedenen  verfahrungsweisen  beschrieben,  um  die  einzelnen  wasser 
und  geister  zu  bereiten,  bei  welchen  am  rande  das  verfahren  durch 
modus  coucinnandi,    destillandi,    parandi,    praeparatio,    pro- 

5* 


68  DÜNTZEE 

cessus,  aber  auch  (s.  155.  18;J.  187.  191)  durcli  fyyeiQrjoig  bezeichnet 
wird,  das  dann  auch  in  den  folgenden  bücheru  häufig,  selten  mit  einem 
Zusätze  (concinnandi,  parandi,  praeparationis),  vorkomt.  Hier- 
nach kann  es  keinem  zweifei  unterliegen ,  dass  die  chemie  das  grie- 
chische iyxeiQijGig  in  dem  sinne  von  verfahren,  operatio  braucht, 
in  derselben  weise,  wie  wir  bei  Galen  eyxeiQtjGig  a.vatof.iiy.rj  finden. 
Daran,  dass  Goethe  sich  in  unserer  stelle  auf  einen  irgendwo  gefun- 
denen ausdruck  eucheiresis  naturae  beziehe,  ist  um  so  weniger  zu 
denken,  als  hier  von  einem  algemeinen  gebrauche  die  rede  ist. 
Die  Wissenschaft  wüste  schon  längst,  dass  die  gegenstände  der  chemi- 
schen Operationen  nicht  die  uatur,  sondern  zusammengesezte  körper 
seien,  und  hätte  Goethe  auch  aus  den  Vorlesungen  über  chemie  von 
Professor  Spielmanu  in  Strassburg,  der  selbst  Institutiones  chemiae 
herausgegeben,  wenig  gelernt,  aus  seinem  Boerhave  muste  er  wissen, 
dass  die  chemie  sich  nicht  rüluiien  dürfe ,  die  reinen  elemente  darzu- 
stellen, dass  die  prahlereien  der  alchemisten  längst  als  solche  erkant 
waren.  Bei  Spielmann  mochte  er  die  gangbare  bezeichnung  euchei- 
resis vielfach  vernommen,  aber  dieser  konte  nicht  von  einer  euchei- 
resis naturae  gesprochen  haben.  Diese  bezeichnung  muss  entweder 
auf  einer  Verwechslung  beruhen  oder  mit  bewustsein  schrieb  Goethe 
hier  der  altern  zeit,  in  welcher  das  stück  spielt,  eine  solche  bezeich- 
nung zu.  Der  sinn  der  stelle  kann  nicht  zweifelhaft  sein.  Mephisto- 
pheles  spottet  auf  den  griechischen  ausdruck,  den  er  seiner  abstammung 
nach  im  sinne  von  in  die  band  nehmen  fasst.  Dass  die  chemie  sich 
rühmt,  die  natur  in  die  band  zu  nehmen,  ist  ein  spott  auf  sie  selbst; 
freilich  löst  sie  das  lebendige  in  seine  teile  auf,  abei'  der  sie  zusam- 
menhaltende geist,  das  sie  einigende  leben  schwindet  unter  ihren 
rohen  bänden.  Goethe ,  dem  bei  seinen  spätem  naturwissenschaftlichen 
anschauungen  dieser  spott  des  Mephistopheles  oft  vor  die  seele  trat, 
nahm  freilich  damals  die  verse  in  einem  anderen  sinne,  indem  er  sich 
unter  der  eucheiresis  naturae  das  leben  der  natur,  den  geist  des 
lebens  dachte,  aber  kaum  dürfte  er  schon  wenige  jähre  nach  seiner 
beschäftigung  mit  chemischen  Operationen  so  sehr  den  sinn  von  enchei- 
resis  in  ihr  gegenteil  verkehrt  haben.  Sieht  man  sich  die  stelle  genau 
an  und  will  einen  iniiern  Zusammenhang  in  ihr  finden,  so  kann  kaum 
ein  zweifei  darüber  obwalten,  dass  die  art  der  den  geist  austreibenden 
Philosophie  mit  dem  verfahren  der  chemie  verglichen  wird ,  die  ihrer 
selbst  spotte  durch  den  namen,  den  sie  ihrem  verfahren  gebe,  indem 
sie  sich  rühme  die  natur  in  die  band  zu  bekommeu,  da  sie  doch  nur 
die  teile  sondere,  deren  geistiges  l)and ,  den  archaeus  rector,  wie  die 
alchemisten  sagen,   sie  verflüchtige.     Von  Loeper  meint,    der  spott  sei 


Zu    GOETHES    FAUST  69 

klar.  Die  pbilosopliie  wolle  das  weseii  der  diuge  lehren,  demonstriere 
auch  die  einzelnen  elemente  ad  oculos,  jedoch  auf  die  eigentliche  frage, 
wie  die  teile  sich  zu  organischem  oder  unorganischem  ganzen  verbin- 
den, antworte  sie:  das  bewirkt  die  tätigkeit  der  natur,  gebe  daher 
das  zu  erklärende  als  erklärung,  als  erklärungsgrund.  Bei  dieser 
geschraubten  deutung  ist  ganz  übersehen,  dass  dem  Wortlaute  nach  es 
die  Chemie  ist,  die  ihrer  selbst  spottet,  nicht  die  philosophie ;  und  wo 
ist  denn  von  einer  frage  an  die  philosophie  die  rede?  Mephistopheles 
spottet:  „Ja,  so  ist  es  recht.  Wer  etwas  lebendiges  erkennen  will, 
muss  es  auflösen;  er  bekomt  dann  die  teile,  wenn  auch  das  leben  ent- 
flohen ist.  So  macht  es  die  chemie,  die  mit  ihrem  vorgeben  einer 
encheiresis  natur ae  sich  selbst  zum  besten  hat." 


II. 
Fidcler  oder  Fiedler? 

(Werke.     Ausgabe  lezter  band.     1828.     12,  228.) 

In  das  Intermezzo  „Walpurgisnachtstraum  oder  Oberons  und  Tita- 
nias  goldne  hochzeit,"  das  von  Loeper  neuerdings,  ich  sehe  nicht,  mit 
welchem  rechte,  für  eine  parodie  der  schon  1796  aufgeführten,  im  fol- 
genden jähre  dreimal  widerholten  oper  Oberon  von  Wranitzky  erklärt, 
wurden  in  die  ausgäbe  lezter  hand  die  beiden  stroplien'  eingeschoben: 

Tauzmeister. 
Wie  jeder  doch  die  Beine  lupft! 
Sich  wie  er  kann  herauszieht! 
Der  Krumme  springt,  der  Plumpe  hupft 
Und  fragt  nicht  wie  es  aussieht. 

Fideler. 

Das  hasst  sich  schwer  das  Lumpenpack 

Und  gab'  sich  gern  das  Eestchen ; 

Es  eint  sie  hier  der  Dudelsack, 

Wie  Orpheus  Leyer  die  Bestjeu. 
Von  Loeper  hatte  hier  ohne  irgend  eine  andeutung  der  äuderung 
fiedeler  geschrieben,  indem  er  es  für  selbstredend  hielt,  dass  hier 
ein  geiger  spreche.  In  der  dritten  aufläge  meiner  „Erläuterungen" 
bemerkte  ich,  Goethe  würde  wenigstens  fiedler,  nicht  fiedeler  ge- 
schrieben haben;  auch  die  Übersetzer  hätten  den  fiedeler  dem  fide- 
len  untergeschoben.     Meiner  auch  aus  dem  Zusammenhang  sich  erge- 

1)  Nicbt  drei  Strophen ,  wie  von  Loeper  neuerdings  (s.  190)  behauptet. 


70  DÜNTZER 

benden  erkläruug  ist  der  leider  zu  früh  auch  den  Goethestudieu  entris- 
sene Taylor  gefolgt,  oder  er  hat  sich,  wie  von  Loeper  meint,  durch 
mich  verleiten  lassen.  Der  neueste  herausgeber  hat  jezt  fideler  im 
texte  beibehalten,  behauptet  aber,  dies  sei  „eine  althergebrachte, 
noch  in  der  neuesten  zeit  gültige  Schreibweise  neben  fiedeler."  Son- 
derbarer weise  meint  er,  es  handle  sich  blos  um  das  e  nach  i.  Dass 
man  früher  das  e  nicht  kante,  auch  später  noch  viele  mit  rücksicht 
auf  den  Ursprung  des  wortes  dieses  ausliessen,  die  neuere  zeit,  die  dem 
unberechtigten  blos  dehnenden  e  den  krieg  erklärt  hat ,  sich  mehr  oder 
weniger  desselben  entledigte,  bedurfte  keines  weitern  beweises.  Es 
fragt  sich  nur ,  wie  sclirieb  Goethe  und  welche  Schreibung  befolgte  die 
Augsburger  druckerei?  Beide  schrieben  fiedel.  In  dem  bauern- 
liede  des  Faust  selbst  lesen  wir  zweimal  fiedelbogen,  in  der  unmit- 
telbar vorhergehenden  rede  Wagners  fiedeln  und  gleich  darauf  fie- 
del, und  von  Loeper  hat  nicht  gewagt,  das  e  daselbst  zu  tilgen,  so 
dass  er  uns  im  Faust  eine  doppelte  Schreibung  desselben  wortes  zumu- 
tet. Auch  in  dem  unter  Goethes  äugen  gedruckten  Di  van  steht  im 
zweiten  gedieht  des  „Buches  des  Unmuts"  fiedler  gedruckt,  was  in 
die  ausgäbe  lezter  band  übergieng  und  sich  auch  in  von  Loepers  aus- 
gäbe findet.  Kann  schon  hiernach  bei  Goethes  fideler  nicht  an  die 
fiedel  gedacht  werden ,  so  spricht  noch  viel  entschiedener  dagegen  die 
dreisilbigkeit  des  wortes.  Von  Loeper  meint,  fiedeler  sei  nur  üblicher 
als  fideler  (für  geig  er),  aber  weder  die  eine  noch  die  andere  form 
komt  im  neuhochdeutschen  vor.  Freilich  hat  Grimm  im  wörterbuche 
als  lemma  fiedeler,  aber  nur  mit  beziehung  auf  die  mittelhochdeut- 
schen formen,  ein  neuhochdeutsches  fiedeler  ist  gar  nicht  nachzuwei- 
sen, nicht  einmal  ein  beispiel  beigebracht,  dass  ein  dichter  aus  reim- 
not  sich  dieser  form  bedient  hat.  Adelung  schreibt  fiedel,  fiedeln, 
ein  fiedler  führt  er  nicht  als  besonderes  wort  an,  sagt  nur,  es  sei  in 
der  Zusammensetzung  hier  fiedler  (vgl.  dorffiedler,  b  au  er  nfi  ed- 
ler) noch  am  üblichsten.  Auch  der  nicht  seltene  name  lautet  in  den 
drei  lezten  Jahrhunderten  Fiedler,  mag  auch  noch  ein  Fedeler,  viel- 
leicht auch  bei  dem  eigensinne  der  namenschreibung  ein  einzelnes 
Fiedel  er  sich  erhalten  haben.  Die  stehende  form  ist  die  zweisilbige, 
wonach  es  durchaus  nicht  angeht  fideler,  obgleich  es  das  e  gerade 
an  der  verkehrten  stelle  hätte,  als  geiger  zu  nehmen.  Die  zweisilbige 
form  aber  beruht  niclit  auf  blosser  wilkür,  sondern  stüzt  sich  auf  eine 
durchgreifende  analogie.  Bei  den  ableitungen  der  verbal-  und  nomi- 
nalstämme  auf  el  fält  vor  dem  ableitenden  er  regelmässig  das  e  weg. 
So  sagt  man  dudler  (auch  früher  dodler),  siedler  (ansiedier,  ein- 
siedler),    tadler,  Jodler,   strudler,  sprudler,   segler,  hechler, 


zu   GOETHES   FAUST 


71 


gaukler,  schaukler,  Hchaiifler  usw.  Luther  hat  die  dreisilbige 
form,  wo  er  deu  mittelconsouanteu  verdoppelt,  wie  fiddeler,  sudde- 
1er,  taddeler.  Auch  in  andern  auf  gleiche  weise  endenden  bilduugen 
lässt  der  neue  gebrauch  das  e  fallen,  wie  in  edler  und  dem  aus  einer 
Zusammensetzung  entstandenen  adler. 

Lässt  demnach  die  form  keinen  zAveifel,  dass  fideler  nicht  deu 
geiger  bezeichnen  kann,  so  könte  die  Vermutung,  es  sei  trotz  der  form 
doch  an  diesen  zu  denken ,  nur  dadurch  begründet  werden ,  dass  die  dem 
tidelen  in  den  mund  gelegte  Strophe  auf  diesen  gar  nicht  passe  oder  ein 
sonstiger  äusserer  grund  den  good  fellow,  wie  Taylor  übersezte,  unmöglich 
mache.  Von  Loeper  bemerkt:  „Es  ist  nicht  Goethes  art,  personen  nur  nach 
charakteristischen  eigenschaftsworten  zu  bezeichnen  (lustiger,  melan- 
cholischer und  ähnlich);  und  der  gebrauch  des  studentischen  ffdele  im 
sinne  von  lustig  lässt  sich  bei  ihm  sonst  nicht  nachweisen."  Das  leztere 
können  wir  nicht  als  berechtigte  Instanz  anerkennen.  Der  katzenjam- 
mer  komt  nur  einmal  im  Di  van  vor,  bemooster  herr  nur  im  zweiten 
teil  des  Faust,  zweimal  als  rede  weise  suiten  reissen,  und  wie  manche 
ausdrücke  nur  in  Auerbachs  keller !  Und  was  den  ersten  punkt  betrift, 
so  finden  wir  ja  in  demselben  Intermezzo  die  Überschriften  die  gewan- 
ten,  die  unbehülflichen,  die  massiven,  welche  uns  der  mühe 
überheben ,  sonstige  beispiele  heranzuziehen.  Von  Loeper  hätte  zeigen 
müssen,  dass  die  rede,  welche  fideler  überschrieben  ist,  auf  einen 
im  fidelen  zustande  befindlichen  Zuschauer  nicht  passe,  dass  meine 
von  dem  scharfsinnigen  und  geschmackvollen  Taylor  gebilligte  deutung 
unmöglich  sei,  statt  dessen  lesen  wir:  „Hier  ist  aber  der  spielmann 
ganz  an  seiner  stelle;  er  spricht  von  dudelsack,  von  Orpheus  und 
leier  (doch  vielmehr  von  der  leier  des  Orpheus),  er  hat  Ariels 
(oben  V.  3882)  und  der  tanzmeister  Pucks  funktionen  (oben  v.  387 8 j." 
Die  leztere  behauptung  können  wir  nicht  zugeben.  An  den  angeführ- 
ten stellen  treten  Puck  und  Ariel  auf  Oberons  befehl  hervor: 

Seid  ihr  Geister,  wo  ich  bin. 

So  zeigts  in  diesen  Stunden, 
und  beide  künden  gleichsam  die  folgenden  erscheinungen  an;  hier  aber 
ist  das  „neue  chor"  schon  durch  die  tanz  er  überschriebene  Strophe 
eingeleitet.  Von  Loeper  nimt  an,  es  spreche  hier  ein  täuzer;  das 
ist  so  wenig  der  fall,  als  dass  die  mit  neugieriger  reisender  bezeich- 
nete Strophe  dieser  selbst  spricht,  der  unmöglich  andere  fragen  kann, 
wie  der  steife  mann  heisse,  der  mit  stolzen  schritten  einhergehe. 
Von  Loeper  bemerkt  mit  recht,  dass  wir  in  der  dortigen  strophe  frage 
und  antwort  haben  und  es  ebenso  hier  sich  verhalte ;  aber  er  hat  nicht 
erwähnt,   dass   dort   die  strophe  aus  frage  und  antwort  über  den  vor- 


72  DÜNTZER,  ZU  GOETHES  FAUST 

beischreitenden  reisenden  besteht.  Da  er  darauf  nicht  geachtet,^  ent- 
geht ihm  auch,  dass  es  sich  in  unserem  falle  ganz  so  verhält,  dass  auch 
hier  nicht  ein  tänzer  oder  vielmehr  zwei  tänzer  diese  strophe  sprechen, 
vielmehr  die  Überschrift  darauf  deutet,  dass  es  sich  von  den  in  der 
ferne  kommenden  täuzeru  handelt,  welche  keine  andern  als  die  gleich 
darauf  sich  vorstellenden  philosophen  sind.  Der  eine  hört  ein  gelärm 
wie  von  fernen  trommeln;  der  andere  belehrt  ihn,  dass  es  nur  ein- 
töniges geschrei  wie  von  rohrdommeln  sei,  nicht,  wie  von  Loeper  sagt, 
der  lärm  ferner  rohrdommeln,  die  man  eben  nicht  fern  hört;  uur 
wie  ferne  trommeln  tönt  es.  Von  Loeper  meint,  diese  Strophen 
seien  „vermutlich  viel  früher  verfasst."  Das  scheint  mir  nur  eine  sehr 
entfernte  möglichkeit.  Goethe  hatte  bei  der  zweiten  ausgäbe  der  werke 
hier  so  scharfe  stellen,  selbst  persönlicher  art  aufgenommen,  dass  es 
sonderbar  gewesen  wäre,  wenn  er  damals  diese  beiden  strophen  aus 
bedenklichkeit  zurückgelegt  hätte ;  und  dass  sie  durch  zufall  weggeblie- 
ben, ist  wenigstens  nicht  sehr  wahrscheinlich.  Dagegen  dürfte  er,  als 
er  das  Intermezzo  von  neuem  durchsah,  die  bezeichnung  des  wunder- 
lichen gebarens  der  streitenden  philosophen  nicht  genügend  gefunden, 
und  neben  dem  lärmen  noch  aus  zwei  andern  gesichtspunkten  die- 
ses treiben  kenzeichnen  zu  müssen  geglaubt  haben.  So  lässt  er  denn 
zunächst  einen  tanzmeister  über  diese  wunderlichen  tänzer  sein  urteil 
abgeben  und  hervorheben ,  wie  sonderbare  Sprünge  die  einzelnen  machen, 
um  auf  ihre  weise  sich  herauszuziehen,  unbekümmert  darum,  wie  sich 
dies  ausnehme.  Der  dichter  deutet  hier  darauf,  dass  die  philosophen 
sonderliche  ansichten  entwickeln,  welche  dem  fernstehenden  gar  wun- 
derlich, ja  unbegreiflich  scheinen.  Wenn  der  tanzmeister  sich  auf  die 
Seltsamkeit  der  Systeme  bezieht,  so  solte  daneben  auch  die  grimmige 
Streitsucht  der  philosophen  noch  besonders  getroffen  werden.  Wie 
Goethe  einmal  sagt,  die  gelehrten  seien  meist  gehässig  im  widerlegen, 
sie  sähen  einen  irrenden  gleich  als  ihren  todfeind  an,  so  lässt  er  hier 
einen  Bruder  Lustig  auftreten ,  der  mit  heitrem  blicke  sich  dieses  trei- 
ben ansieht  und  den  bitteru  hass  bespottet,  welcher  die  weltweisen  ent- 
zweit ,  die  nur  heute  auf  dem  Blocksberg  sich  vereinigen ,  weil  sie  der 
gewalt  des  dudelsackes  folgen  müssen.  Der  dudelsack  ist  freilich  das 
auf  dem  hexensabbath  gangbare  Instrument,  aber  in  unserem  Intermezzo 
ist  doch   das   Orchester   ganz   anders   bestelt   (der  hier  einmal  genante 

1)  In  der  ersten  aufläge  war  in  der  einleitung  s.  LXII  richtig  bemerkt ,  der 
neugierige  reisende  sei  gegenständ  der  verse,  docii  sollen  auch  dort  „die  andern 
Überschriften''  in  der  regel  die  person  des  sprechenden  anzeigen.  Dass  auch  noch 
in  andern  fällen  die  iü)erschrift  auf  den  gegenständ  der  betreifenden  verse  geht, 
habe  ich  in  meiner  erklärung  und  den  erläuterungen  gezeigt. 


KINZEL  ,    PRON.   DATIV   AUF    -H 


73 


dudelsack  ist  als  eine  art  hummel  zu  denken ,  wie  seine  genaue  beschrei- 
bung  zeigt),  und  so  fält  die  erwähnung  desselben  hier  aus  der  scene- 
rie,  was  sich  ganz  leicht  bei  der  annähme  erklärt,  dass  unsere  strophe 
erst  später  gedichtet  wurde.  Der  fidele  spottet  eben  auf  den  tötlichen, 
in  grimmiger  bekämpfung  ausbrechenden  hass  der  lehrer  der  weltweis- 
heit  und  gibt  seiner  äusserung  einen  scharfen,  in  seinem  munde  weni- 
ger verletzenden  ausdruck.  Wie  der  dichter  dazu  hätte  kommen  sollen, 
neben  dem  tanzmeister  einen  geiger  einzuführen,  ist  mir  unerfindlich. 
Ein  geiger  wäre  nur  dann  an  der  stelle,  wenn  der  dichter  die  Philo- 
sophen nicht  blos  als  tänzer,  sondern  auch  als  musiker  hätte  bezeich- 
nen wollen,  wo  dieser  über  ihre  unharmonische  musik  seine  bemerkun- 
gen  hätte  macheu  können.  Aus  der  erwähmmg  des  dudelsacks  und  der 
dadurch  veranlassten  erinneruug  au  Orpheus,  der  die  bestien  auf  ähn- 
liche weise  durch  seine  leier  zusammengebracht  habe,  folgt  für  die  musi- 
kalische uatur  des  redenden  nichts,  der  vielmehr  durch  die  burschikosen 
ausdrücke ,  zu  denen  er  in  seinem  behaglichen  spotte  greift ,  als  fideler 
sich  zu  erkennen  gibt. 

KÖLN.  HEINR.    DÜNTZER, 


EINIGE   FÄLLE    DES   PRONOMINALEN  DATIVS   AUF  .V 
UND    DER    VERWECHSELUNG    VON    DATIV    UND 

AGCUSATIV. 

Auf  die  Verwechselung  von  mir  dir  und  mich  dich  ist  in  lezter 
zeit  verschiedentlich  rücksicht  genommen  v^ordeu.  Die  ansieht  Scherers, 
welche  er  in  Miscellen  IV  Z.  f.  d.  a.  XXII,  321  aussprach,  hat  fast 
gleichzeitig  zwei  angrifte  erfahren,  von  Busch  in  dieser  zs.  X,  172  fg. 
und  in  einem  längeren  artikel  „Beiträge  zur  deutschen  syntax"  von 
Behagel  Germ.  XXIV,  46  fg.  Es  ist  nun  nicht  meine  absieht ,  in  den 
streit  einzugreifen,  auch  muss  ich  es  einem  berufeneren  überlassen,  die 
aufstelluugen  Behageis  zu  prüfen.  Die  frage  scheint  mir  so  lange 
nicht  spruchreif,  als  man  nicht  die  handschriften  unsrer  litteratur  wei- 
ter in  den  bereich  der  Untersuchung  zieht.  Dazu  sollen  die  folgenden 
Zeilen  einen  beitrag  bilden ,  indem  sie  die  belege  aus  der  von  Mass- 
mann „Deutsche  gedichte  des  12.  Jahrhunderts"  abgedruckten  Strass- 
burger  handsclirift  geben.  Es  erhellt  aber  sogleich  ,  dass  es  nicht  genügt, 
nur  auf  den  Wechsel  der  angeführten  pronomiua  zu  achten,  sondern 
dass  überhaupt  Verwechselung  von  dativ  und  accusativ  ins  äuge 
zu  fassen  ist.     Dadurch  tritt  eine  reihe  von  fällen  in  ein  anderes  licht 


74  KINZEL 

und  es  zeigt  sich,  dass  Zusammenstellungen  wie  Behageis  von  eiusei- 
tigkeit  nicht  frei  sind. 

Diesen  schicken  wir  aber  voran ,  weil  beide  vielleicht  nicht  ohne 
inneren  Zusammenhang  sind ,  ein  Verzeichnis  derjenigen  stellen ,  in  wel- 
chen sich  der  dativ  der  pronomina  oder  starken  adjectiva  auf  -eu  findet. 

Weinhold  hat  in  der  mhd.  gr.  einige  belege  zusammengestelt. 
Er  bemerkt  §  465 :  „  Auf  schlechte  ausspräche ,  den  Übergang  von  m 
zu  n,  gründet  sich  die  schon  im  11/12.  jh.  meist  in  md.  Schriften 
nachweisbare  scheinbar  aecusative  form  den  für  dem.''  Er  nent  es  468 
„Verdünnung  des  flexionsconsonanten."  Bei  der  starken  flexion  der 
adjectiva  aber  gibt  er  auch  oberdeutsche  belege.  In  §487  heisst  es: 
„das  m  der  dativflexion  gieng  in  nachlässiger  rede  des  tages  in  n  über, 
das  sich  schon  im  12.  jh.  auch  (?)  in  hss,  bemerklich  macht  und  obd. 
wie  md.  Schreibern  oft  entschlüpft;  selbst  in  den  reim  drängte  dieses  u 
sich  ein."  Wenn  nun  aber  hinzukam,  was  in  md.  Schriften  nicht  ganz 
selten  ist,  dass  das  substantivum  sein  e  gleichzeitig  einbüsste,  so  ist 
der  dativ  von  einem  aecusative  nicht  mehr  zu  unterscheiden,  die  stel- 
len fallen  also  mit  denen  zusammen,  in  welchen  offenbar  der  acc.  an 
stelle  des  dativs  steht. 

Apocope  des  e  im  dat.  findet  sich  z.  b.  im  Alexander  mit  reh- 
ter  ivärheü  78.  an  einem  huninc  440.  an  des  meres  grünt  1159. 
in  der  werlt  3659.  5800.  üf  ir  Jiouhet  5847.  zo  dmem  Jiüs  5873. 
siheineme  hieht   6324.     di  trügen  an  ir  Hb    6051. 

1)  Und  nun  vergleiche  man  die  folgenden  stellen:  den  wir  hor- 
ten in  den^  walt :  halt  5219.  di  edelen  hlümen  in  den  walt  hegunden 
üf  gän  5251.  mir  ivas  in  mmen  gedanc  (:  lanc)  also  wol  ze  mute 
5854.  Mexandrb  düchte  in  sinen  müt  der  tumher  lüte  rät  gut  6667. 
ingegen  den  Jcuninc  3100.  gewinnen  inne  den  strtt  6499.  In  den 
übrigen  gedichten  der  hs.  habe  ich  nur  eine  stelle  der  art  gefunden: 
Herodes  quam  zu  den  rät  (;  tat)  Pil.  602. ^ 

2)  Einer  besonderen  erwähnung  verdienen  im  anschluss  daran  die- 
jenigen fälle,  in  welchen  der  dat.  und  acc.  des  Substantivs  gleich 
lauten. 

Glaub,  den  vater  danken  982.  indenhimel  unde  in  der  erden 
1485.     der  riche  mit  den  armen  2721. 

L  i  t.  hilf  dinen  armen  dienistman  {:  Columhän) ,  einen  offin  sun- 
dere  807.     Es  sei   hier   gleich   bemerkt,    dass    die   Grazer  hs. ''   dieses 

1)  So  stand  nach  Weisni.  in  der  hs. 

2)  Zählung  des  Pilatus  nach  Miillenhoff  Sprachpr."  1878.  Vgl.  Weinh.  diese 
zs.  VIII. 

3)  Gedruckt  Fundgr.  II,  215  fg. 


l'ßON.  DATIV    AUF    -H  75 

nach  Südosten  gehörenden  denkmals  kein  -u  für  den  dat.  zeigt  Die 
eben  citierte  stelle  gehört  übrigens  einer  Interpolation  der  Strassbur- 
ger  hs.  an. 

Alex,  shioi  vater  glenc  er  ingagen  393.  nach  riterUchcn  site  430. 
nach  den  site  3878.  daz  was  an  slnen  ivillen  1084.  ummcre  ieglichen 
frumen  man  91.  von  einen  man  3412.  einen  Persischen  man  3165. 
(diese  beispiele  gehören  zu  nr.  1 ,  wenn  man  flectiertes  man  annimt). 
an  einen  galgen  1611.  ingagen  den  graben  1855.  zo  dinen  herren 
2847.  mit  einen  volen  3032.  üf  den  grünen  de  5213.  In  welchem 
der  aufgeführten  beispiele  dem  Schreiber  resp.  dichter  wirklich  ein  acc. 
vorgeschwebt  hat ,  lässt  sich  nicht  entscheiden.  Dass  es  aber  wol  mög- 
lich war,  beweisen  die  unter  nrr4  verzeichneten  fälle. 

3)   Dagegen  in  folgenden  ist  der  dativ  ausser  zweifei: 

Glaub,  er  saz  an  den  hanke  981.  mit  den  wme  1002.  mit 
den  voze  2316.  mit  innichlichen  gebete  1101.  20  michelen  werde  1182. 
horche  minen  rate  2861.  in  minen  gedinge  3732.  disen  ivibe  2174. 
in  einen  füre  2256. 

Lit.  in  dlnen  lobe  192.  mit  großen  unrehte  254.  dtnen  binde 
304.  von  einen  wibe  317.  vo7i  slnen  toive  360.  zu  einen  helfere  504. 
zu  einen  vogete  519.  nicheinen  engele  640.  in  slnen  scöze  637. 
von  disen  Übe  672.  ühen  sige  1093.  mit  dinen  Jcnehte  1221.  mit 
einen  penninge  1278.     von  allen  unrehte  1348.     mit  dlnen  keliche  1445. 

Pil.     von  fremeden  lande  606. 

Alex,  in  den  mere  152.  in  disen  lande  3715.  in  den  wazzere 
1366.  in  den  wlge  3675.  in  den  füre  5564.  6098.  in  den  blute  2146. 
in  den  tvalphade  3309.  in  sinen  lande  2579.  in  den  sträge  3328. 
in  Persischen  rlche  4016.  in  allen  den  gebere  5663.  in  minen  brieve 
6475.  in  allen  ertriche  6607.  7104.  in  disen  wäge  6787.  in  den 
ivege  7018.  —  üz  den  velde  443.  üz  den  walde  5186.  —  von  den 
mere  1092.  von  den  velde  1901.  von  Persischen  lande  2940.  von 
minen  gesinde  5697.  von  im  lande  6478.  von  starken  gewidere  6705. 
von  unrehten  g.  6757.  von  edelen  golde  5951.  von  edelen  gesteine  <68hl . 
7039.  —  mit  den  füre  1382.  mit  slnen  llbe  2486.  mit  slnen  grozen 
here  3036.  mit  edelen  gesteine  5571.  mit  grozen  sinne  5686.  mit 
iren  tiefen  sinne  5972.  mit  michelen  sinne  6310.  mit  allen  filze  6390. 
mit  im  munde  6674.  —  an  den  ende  3653.  an  im  Übe  1663.  an 
im  gute  16G5.  an  allen  sinen  Übe  4370.  an  einen  buche  4917.  an 
den  palase  5418.  an  einen  gaste  6355.  an  allen  ertriche  6883.  — 
zeinen  guten  knehte  2752.  ze  slnen  tische  4036.  zo  im  tische  6402.  — 
nach  den  sige  2791.  nach  slnen  geböte  3522.  nach  Anion  minen  gote 
5533.  —     üf  einen  velde  2890.     üf  den  bette  5457.  —    vor  sinen  bette 


76  9  KINZEL 

5467.  —  hl  im  lande  6540.  "—  hinnen  disen  rate  2547.  —  minen 
wthe  2897.  manigen  stolzen  manne  4714.  disen  wigande,  dem  holen 
6265.     das  du  den  will  vor  stän  6295. 

4)  Acciisativ  an  stelle  des  dativs  zeigt  die  Strassburger 
handschrift  in  folgenden  fällen: 

a.  mih  dih  für  mir  dir:  Lit.  grosis  wundirs  er  an  dih  hegan  zu 
sagetie  von  dtner  magitheit  380.  das  des  üwit  üf  mih  gelige  944. 
Beide  stellen  fehlen  in  der  Grazer  hs.  —  Alex,  an  mih  rechen  2728. 
vgl.  an  üh  3740.  daz  manz  reche  an  sinen  hals  unde  an  sin  Uh  3910, 
aber  an  ime  4629.  Der  dat.  ist  das  gewöhnliche,  doch  komt  der  acc. 
auch  sonst  vor,  vgl.  Lexer.  ih  irforhte  mih  das  6410;  Lexer  belegt 
nur  mit  acc.  und  refl.  dativ.  irweren*  das  trans.  mit  dem  dat.  vor- 
komt  {das  er  mir  erwere  sine  riche  2110,  vgl.  2330  u.  o.),  erscheint 
reflexiv  mit  dem  gen.  wie  durstes  tvänede  wir  uns  irweren  4939 ,  mit 
dem  dat.  wie  den  lewen  müsten  wir  uns  tveren  4987  (vgl.  Lit.  1389 
das  wir  uns  dem  tüvele  miXsin  irwern,  wo  in  der  Grazer  hs.  der  gen. 
steht  Fundgr.  II,  235,  33),  auch  mit  praep.  sine  mohten  sih  nhvit 
irweren  vor  ime  2260,  aber  auch  mit  dem  accusativ,  was  Lexer  nicht 
erwähnt:  er  ne  mac  sih  niemer  mih  irweren  2093.  mahtu  dih  mih 
irweren  2891.     si  mugin  sih  uns  nit  irweren  4550. 

b.  Andere  pronomina:  Glaub,  ih  sage  üh  704.  1623.  —  Lit. 
ein  hessir  dinc  ih  üh  noh  seile  334  {uh  fehlt  G).  wir  sprähen  hin 
züch  heiden  samt,  such  herren,  üh  htjehtäre,  swene  nöthelfere  957  (die 
stelle  steht  nicht  in  G).  —  Alex,  mit  üh  herren  2232.  ih  sag  üh 
5266.  so  sin  5378  (vgl.  so  zime  5887).  der  üh  allen  hat  gegeben  sin 
7218.  segegen^  si  do  quam  4189.  gagen  in  si  dö  voren  4817.  is 
quam  in  rehte  in  den  gedanc  3118. 

c.  Accus,  für  dat.  findet  sich  auch  bei  Substantiven.  Oft  mag 
eine  accusative  Vorstellung  veranlassung  sein ;  die  entscheidung  ist  nicht 
leicht.  Beispiele  habe  ich  nur  im  Alex,  gefunden:  ime  ne  tvart  nie 
nehein  geltch  in  alle  criechische  lant  346.  so  spottet  man  unser  in  das 
lant  1344.  di  da  wären  in  di  türme  4425.  nach  dise  süse  ivort 
6363.  di  da  woneten  in  das  lant  6766.  da  si  des  Schildes  rande 
sehiwen  vor  di  hande  4663.  hete  Alexander  an  di  hande  494  (hier 
wäre  möglich  di  für  der  verschrieben  anzunehmen),  di  frowen  sih  he- 
wart  haheten  vor  andre  wigande  6539. 

Die  folgenden  fälle  berühren  sich  dann  mit  den  unter  nr.  1  ange- 
führten. Es  kann  z.  b.  zweifelhaft  sein ,  wohin  gehöre :  ih  hiez  in  hr in- 
nen in   ein  für    5407  ;    aber  vgl.  si  hranten   si  al   in   eine  glüt  2283. 

1)  Vgl,  nr.  1  ingegen  den  kuninc. 


PRON.    DATIV    AUF    -W  .  77 

in  im  mimt  si  sie  äsen  4958.  er  sühte  mih  an  das  vclt,  \  do  lac  ih 
under  min  gezelt  5605,  vgl.  gienc  under  mm  gezelt  \  da  ih  lac  an  daz 
velt  5635. 

5)  Dativ  an  stelle  des  accusativs: 

ab.  mir  dir  für  mih  dih  und  andere  pronomina:  h&iläzen: 
las  mir  geniesen  Glaub.  1910;  im  Alex,  ist  der  acc.  das  gev^öhnliclie 
1655.  2239.  2442.  2552.  3045  usf.,  aber  läset  ir  mir  genesen  3722 
(vgl.  läset  mih  genesen  3732.  si  3948  usw^.).  ih  müs  ü  varn  läsen 
4142.  ih  ü  da  heime  lies  4923.  läsent  mir  den  leben  hän  6335.  — ■ 
heisen,  gewöhnlich  mit  acc.  2347.  3186,  siehe  unten,  nun  herre  hei- 
set  dir  comen  3069.  dö  hies  in  Alexander,  das  4844.  heis  mir  ime 
gcivinnen  5656.  heiset  ime  das  lant  rümen.  —  dünken,  acc.  ist  alge- 
mein das  gewöhnliche,  vgl.  2252.  2329  io  ne  dühte  mihs  nie  gilt ,  doch 
komt  dat.  vor,  vgl.  Lexer.  Alex,  is  dunJcet  mir  gut  473.  di  gäbe 
dühte  mir  gut  2758.  als  ime  dühte  4314.  mir  5235.  5372.  5922. 
ime  6613.  uns  allen  5225.  ü  5817.  das  dühte  ime  deine  Pil.  600 
(vgl.  Weinh.  z.  d.  stelle).  —  müwen.  acc.  joh  müwet  mih  vil  sere 
4227.  si  2554.  vgl.  6751.  Acc.  und  gen.  wes  mmvestu  dih  4803.  Aber 
mir  dise  roubere  müwit  2437  s.  unten.  —  rütoen.  acc.  du  rüwis  mih 
3780.  das  rou  si  7027.  Aber  sine  sunde  begunden  ime  rüiven  Glaub. 
2075  und  Alex,  ynir  müs  nü  balde  rmven  3447.  du  müst  mir  iemer 
rüwen  3799.  läset  ü  rüwen  Barium  4564.*  ime  5118.  in  6778.  — 
mir  ne  hetriege  min  wän  1267.  —  er  ne  tar  mir  bestän  1528  (der 
dat.  ist  möglich)  vgl.  2271  si  ne  mohten  ime  niwit  vor  bestän.  Doch 
acc.  1577,  2248.  2351.  2929.  —  vor  mir  quämen  si  6516.  als  er  vor 
ime  quam  1645.  —  tvarumbe  woldet  ir  mir  slän  2746.  —  tnine  ivun- 
den  smersent  mir  sere  3850,  —  mir  ne  sah  nie  nehein  man  gän  4156.  — 
ih  hän  mir  der  bedäht  5040  (sonst  nur  reflexiv).  —  mir  fragen  5536.  — 
so  dir  begrife  der  tot  7241. 

si  lärten  ime  striten  195;  sonst  acc.  202,  205.  208.  209.  214. 
217  usw.  —  sere  mohtes  deme  wunderen  1214.  ob  ü  der  herren  wun- 
dert 1978.  —  si  manten  im  stner  eide  3947.  wes  ih  ü  nü  hie  mane 
4145.  —  wes  ime  der  riche  kuninc  bat  3986.  si  ime  einer  bete  bäten 
4847.  —  des  mac  ü  nemen  wunder  5245;  doch  mih  5460.  si  5718.  — 
gehabet  ü  ivol  6781 ,  sonst  reflexiv. 

c.  Auch  s  u  b  s  t.  finden  sich  im  dat.  für  acc. ,  docli  seltener. 
Zunächst  einige   beispiele   für   die  oben   besprochenen   verba:    heisen. 

1)  Weinh.  bemerkt  §  453  unter  anführung  der  lezten  beiden  stellen  ans  Alex, 
und  noch  zweier  andrer ,  ,,  dass  im  md.  bei  den  reflexiv  gebrauchten  zeitworten  des 
erapfindens  und  sinnens  der  dat.  (nicht  blos  der  acc.)  des  Personalpronomens  ver- 
want  wird." 


78  WOESTE 

er  hiez  sinen  hnehte  961  soll  dativ  sein,  um  des  reims  willen  ist  n 
beseitigt.  Vgl.  6824.  Alexander  hiez  do  sinen  :  pinen.  Doch  steht 
acc.  1033.  1070.  1238.  2610  u.  o.  Zweifelhaft  scheint  3531  den  hiez 
er  vil  gut  wesen.  —  Alexandra  dühte  6667.  —  Alexandra  müwete 
daz  1695.  —     do  gerou  allen  di  herevart  6701. 

Zweimal  hat  die  präposition  an  den  dat.  bei  einem  verbum  der 
bewegung:  mm  vane  quam  an  diner  hant  1857.  der  ie  an  discr  werlt 
quam  3474. 

BERLIN,    MAI    1879.  KARL   KINZEL. 


BEITRÄGE  AUS  DEM  NIEDERDEUTSCHEN. 

Smarre,  narwe,  iiare,  arii. 

Eine  ähnliche  folge  der  bedeutungen,  wie  bei  liJcMave,  findet  sich 
bei  smarre.  Wenn  es  bei  Hagen  Köln,  reimchr.  4989  heisst:  einen 
smeirre  sloich  hei  durch  sin  zende,  so  ist  smeirre  (für  smerre)  =  riss, 
wunde.  In  Vernes  bearbeitung  der  Nordhofschen  chronik  (Seih.  Qu.  1, 
19)  wird  die  widererkennung  des  grafen  Eberhart  folgendem! assen 
erzählt:  wert  den  grauen,  dar  he  de  swine  hoett,  hy  einer  smarrhen 
des  angesichtes ,  yn  der  vhede  gekregen,  erJcennen(d).  Dasein  smarrhe 
gehört  zur  Orthographie  der  abfassungszeit  (anf.  d.  16.  jh.);  die  bedeu- 
tung  ist  narbe. 

Als  ältere  form  für  smarre  wii"d  smarwa  anzunehmen  sein.  Bei 
ausfall  des  w  wurde  durch  rr  kürze  gewahrt.  Vielleicht  hängt  mit  diesem 
Worte  ml.  marra  (karst)  und  marrire  (fossam  ligone  facere)  zusammen ; 
vgl.  Frisch  2,  205.  Auch  span.  marrano,  schwein,  wol  eigentlich  Wüh- 
ler ,  möchte  ich  hieher  ziehen.  Neben  smarwa  wird  sicli  aber  früh  ein 
marwa  eingefunden  haben.  Für  den  abfall  eines  vorlehnenden  s  im 
anlaute  gibt  es  beispiele  genug.  Aus  marwa  entstand  dann  durch  Ver- 
dünnung des  anlauts  nariva,  mhd.  narwe,  südwestf.  narwe,  nhd.  narbe. 
Für  solche  Verdünnung  lassen  sich  beispiele  geben :  hommarder  :  höm- 
narter;  mappa  :  fr.  nappe;  mespilus  :  fr.  nefle;  mopen  :  nöpen;  sogar 
mit  vorlehnendem  s :  smaügen  :  snaigen.  Im  mnd.  wurde  narwe  meist 
zu  nare,  im  südlichsten  Westfalen  durch  Versetzung  zu  am. 

Ff  eueren  oder  g-heneren? 

In  der  Z.  d.  westf.  GV. ,  neue  folge  7,  314  lesen  wir:  mosten 
ffeneren  alle  dath  se  hehoveden  huthen  landes.  Wahrscheinlich  stand 
in  der  handschrift  ghencren  mit  einem  dem  /"  ähnlichen  g.  Zu  die- 
sem generen  (erwerben)  vergleiche  man  sik  generen  in  folgender  stelle: 
so  wie  dar  slaept  als  hy  sich  generen  (für  sich  erwerben)  sal,    die 


BEITRÄGK  AUS  DEM  NIEDERDEUTSCHEN  79 

mist  als  hy  feren  sal,  Z.  d.  berg.  GV.  4,  43.  In  der  gewöhnlichen 
bedeutung  „sich  erhalten"  steht  der  ausdruck  in:  wer  nicht  wen  mit 
der  warlieit  veret,  vil  kume  he  sik  nu  generet,  Wigg.  Scherfl.  2,  68. 

Warneu,  weruen. 

Wie  im  mhd. ,  so  findet  sich  auch  im  mnd.  warnen  in  der  älteren 
bedeutung  ausrüsten,  versehen,  und  mit  diesem  sinne  ist  das  deut- 
sche wort  ins  romanische  (garnir,  guernire)  übergegangen.  So  über- 
sezt  das  particip  ivarnet  ein  lat.  nmnitus  in  folgenden  stellen;  lichte 
mach  he  vynden  ene  warnende  stat,  dat  he  vns  entvle,  Vier  bb,  der 
könige  108;  scloch  de  heiden,  van  Asa  an  wente  to  der  warne  den  stad, 
ebd.  213.  In  dem  ersten  dieser  beispiele  steht  warnende  für  warnede: 
ein  solcher  einschub  des  n  vor  ^-lauten  ist  namentlich  im  participe 
nicht  selten.  Dass  das  ptc.  warnet  nicht,  wie  im  glossar  steht,  aus 
ivaren  entspringen  könne ,  lelirt  schon  die  form.  Dieses  ptc.  komt  aber 
auch  anderwärts  vor ,  und  zwar  deutlich  im  sinne  „  mit  etwas  ver- 
sehen" in  folgender  stelle:  ener  langhen  divele  he  sie  hade  warnet, 
darhi  let  he  sik  ute  dcme  vinstere,  Lüb.  Chr.  1,  140.  Daran  schliessen 
sich  weiter  die  bedeutungen  schützen  und  (mit  sik)  sich  vorsehen, 
z.  b.  (wi)  lovet  ew,  dat  loi  se  sollet  vor  erme  schadden  warnnen, 
war  ivi  moghet ,  Selb.  Urk.  771;  de  greve  sie  darweder  hadde  ivarnet, 
Lüb.  Chr.  1,  140.  Weiter  findet  sich  die  bedeutung,  auf  etwas  auf- 
merksam machen  in:  hehhe  —  gesworen  to  den  heyligen  —  er  argeste 
to  warnene,  F.  Dortm.  Urk.  1  s.  168.  Ferner  an  etwas  erinnern, 
zu  etwas  ermahnen  in:  ick  wort  gewarnet  van  ethlichen  wysen, 
de  myn  hoverye  plechten  tho  prysen,  dat  ick  solde  uth  der  stat  wiken, 
Dan.  44 ;  hyrumme  hat  he  den  hichtvader,  dat  he  altohant  na  syneme 
dode  wernen  scholde  den  rad  van  kollen,  dat  se  wol  toseghen  unde 
ivarden  ere  stad,  Lüb.  Chr.  2,  299;  worden  ouck  de  prouisor  offt 
tnoder  —  sick  to  hettern,  dnrch  de  vormunder  drye  getvarnt,  F.  Dortm. 
Urk.  1,  s.  344.  Dies  führt  endlich  zu  der  bedeutung  warnen,  z.  b. 
dat  se  hertoch  Jürgen  scholden  wernen,  dat  he  —  nicht  —  nha  dem 
marstalle  und  harnisthuse  ginge,  Kantz.  185;  höret  wat  dut  hispel 
hedude;  id  wem  et  alle  valschen  lüde,  Wigg.  Scherfl.  2,  38;  oft  hey 
sey  to  recht  icht  loarnen,  yn  eyschen  vnd  verboden  solde,  F.  Dortm. 
Urk.  1,  294;  dar  vor  so  tvarne  ick  dy ,  Geistl.  Lied.  (Hölscher) 
XXVIII,  10;  de  beste  clemmer  kumpt  tneiste  so  valle,  des  warnen  ich 
min  vrunt  bedalle,  Hagen  Köln.  Chr.  3759;  ich  wolde  Colne  yewar- 
net  hain,  hedde  ich  si  wale  mögen  vurgain,  ebd.  558. 

ISERLOHN.  F.   WOESTE. 


80 


LITTERATUR 

Otfrids  ETaugelienbuch.  Mit  Eiuleitung,  erklärenden  Anmerkungen 
und  ausführlichem  Glossar  herausgegeben  von  Dr.  Paul  Piper. 
I.  Theil:  Einleitung  und  Text.  [Bibl.  der  ältesten  deutschen 
Litteraturdenkmäler  IX.  Bd.]  Paderborn,  ¥.  Schöningh.  1878.  VIII,  293 
und  696  selten.     15  m. 

Unermüdlichen  fleiss  und  aufopfernde  hingäbe  an  seinen  zweck  müssen  auch 
diejenigen  an  Otfrid  anerkennen ,  die  an  ihm  als  dichter  wenig  oder  nichts  loben 
wollen.  Ohne  einen  anteil  an  diesen  eigenschaften  aber,  durch  die  der  Weissen- 
burger  mönch  vor  mehr  als  tausend  jähren  sein  werk  zu  stände  brachte,  ist  es 
auch  den  forschern  der  späteren  zeit  nicht  möglich  gewesen  ,  die  wissenschaftliche 
ausbeute  aus  diesem  werke  zu  schöpfen.  Jedem ,  der  sich  in  das  werk  versenkte, 
wurde  klar ,  dass  aus  ihm  eine  reiche  erkentnis  für  die  geschiehte  der  spräche ,  der 
metrik,  der  litteratur  zu  gewinnen  war,  und  die  Überlieferung  in  mehreren  gleich- 
zeitigen handschriften  eröffnete  überraschende  einblicke  in  die  eutstehung  des  Wer- 
kes, in  die  individuelle  persönlichkeit  des  Verfassers  und  in  das  geistige  leben  des 
kreises,  der  ihm  nahe  stand.  Erklärt  sich  hieraus  das  grosse  mass  von  fleiss  und 
Sorgfalt,  das  frühere  forscher  seit  dem  widerbekantwerden  der  handschriften  dem 
werke  immer  wider  gewidmet  haben ,  so  beweisen  die  zahlreichen  unvollendeten, 
zum  teil  als  manuscripte  auf  bibliotheken  lagernden  arbeiten  über  Otfrid ,  von  denen 
Kelle  berichtet  (I,  109.  113),  dass  es  nicht  leicht  war,  alles  auszuschöpfen  und  zu 
verwerten,  ja  auch  nur  über  die  zweckmässige  auswahl  aus  dem  unübersehbaren 
stofFe  und  über  die  richtung  der  Untersuchung  volle  klarheit  zu  gewinnen. 

An  fleiss  hat  es  auch  der  jüngste  herausgeber  Otfrids  wahrlich  nicht  fehlen 
lassen.  Für  die  lösung  aller  an  Otfrid  sich  anknüpfenden  fragen  hat  er  gearbeitet; 
freilich  verlangt  auch  seine  arbeit,  wie  er  an  mehreren  stellen  selbst  andeutet,  ein 
eingehendes  mit-  und  nacharbeiten.  Die  ausgäbe  enthält  ausser  dem  text  mit 
sämtlichen  Varianten  und  commeutar  umfangreiche  Untersuchungen  über  Otfrids 
leben ,  über  die  art  und  eutstehung  der  handschriftlichen  Überlieferung ,  sowie  zur 
geschiehte  und  Charakteristik  des  Werkes.  Ich  will  versuchen ,  über  das  von  Piper 
auf  den  drei  gebieten  der  textkritik ,  der  litteraturgeschichte ,  der  sprachkunde 
geleistete  in  besonderen  abschnitten  zu  berichten  und  diejenigen  punkte  hervorzu- 
heben ,  die  mir  auch  nach  Piper  weiterer  Überlegung  und  Untersuchung  zu  bedür- 
fen scheinen. 

A.     Zur    textkritik. 

In  volständiger  widergabe  und  genauer  beschreibuug  des  überlieferten  hat 
Piper  alle  seine  Vorgänger  überboten.  Es  ist  ihm  möglich  gewesen,  sämtliche 
handschriften,  ich  weiss  nicht  ob  auch  neben  einander,  neu  zu  vergleichen,  und 
er  hat  danach  gestrebt,  durch  seine  ausgäbe  möglichst  die  gleichzeitige  einsieht 
sämtlicher  handschriften  zu  ersetzen.  Die  vorrede  enthält  eine  sehr  ausführliche 
beschreibung  jeder  handschrift  nach  äusserer  einrichtung,  pergament,  tinte ,  schrift, 
schreibgewohnheiten ;  auch  die  interpunctionen  von  V  und  P  Averden,  wenn  auch 
nur  in  mühsam  zu  benutzenden  ziflerangaben ,  s.  57  —  66  volständig  angegeben; 
ebenso  werden  die  rasuren  und  correcturen,  ligatureu,  accente  s.  66  —  79  mit  einer 
genauigkeit   beschrieben  und  besprochen,   die  schwerlich  jemand  zu  überbieten  im 


ERDMANN,    ÜRER   OTFRTl»   EP.    riPRR.      A.    ZUR   TEXTKRITIK  81 

stände;  sein  wird.  Namentlich  wird  aucli  aus  der  Ijcscliatt'enheit  der  bruchstücke 
von  D  die  anzalil  der  blätter,  welclie  die  liandsclirift  enthielt,  berechnet  und  danach 
die  ganze  einriehtimg  der  handsehrift  reconstruiert  (s.  179  — 199). 

Fi'ir  den  text  erstrebt  Piper,  seiner  gleich  zu  besprechenden  hypothese  über 
die  entstehung  und  geschichte  der  handschriften  entsprechend,  die  volständige  und 
genaue  widergabe  alles  dessen,  was  in  VPD  überliefert  ist,  mit  einschluss  sämt- 
licher orthogra])hischen  änderungen,  acccnte,  s3-nalöphepunkte,  sowie  mit  höchst 
genauer  beschreibung  sämtlicher  correcturen  und  rasuren :  oft  nimt  die  beschrei- 
hung  einer  solchen  drei  oder  mehr  zeilen  ein  (z.  b.  1,  17,  21.  20,  23.  24,  6  u.a.): 
von  den  abweichungen  der  handsehrift  F  gibt  er  unter  dem  texte  nur  diejenigen, 
die  eine  wirklicli  sachlich  oder  formell  verschiedene  lesart  darstellen:  die  zahllosen 
rein  lautlichen  abweichungen  stelt  er,  um  eine  genaue  Übersicht  über  dialekt  und 
Orthographie  des  Schreibers  (Sigihard)  zu  ermöglichen,  in  einer  nach  lauten  und 
den  einzelnen  Worten  geordneten  Übersicht  s.  20ö  —  233  zusammen,  welche  die  zif- 
fernsamlungen  des  zweiten  teiles  der  Kelleschen  ausgäbe  noch  überbietet.  Schon 
für  V.  auf  welches  Kelle  seine  aufmerksamkeit  hauptsächlich  concentriert  hatte, 
bietet  Piper  namentlich  bei  den  correcturen  viele  genaueren  angaben  über  das  zuerst 
geschriebene  und  die  art  der  correctur,  die  für  die  wirkliche  erkentnis  des  textes 
und  der  textgeschichte  wichtig  sind.  So  wird  z.  b.  die  richtige  Verstellung  auch 
für  Y  bezeugt  in  dem  versa  I,  11,  44  io/t  thia  in  bette  ligit  inne  |  mit  suKchemo 
Tiinäe;  Keiles  auffallende  Umstellung  der  worte  [Innc  ligit  \  )  erklärt  sich  dadurch, 
dass  er  den  hinter  inne  stehenden  versteilungspunkt  für  einen  auf  das  übergeschrie- 
bene ligit  bezüglichen  auslassungspunkt  ansah.  Ahnliche  resultite  in  sehr  vielen 
fällen.  Bei  Kelle  niclit  augegeben  ist  z.  b.  auch  die  erste  Schreibung  von  V 
IV,  5,  33  gileggen ,  die  für  die  moduslehre  nicht  unwichtig  ist;  ebenso  das  eben- 
falls interessante  und  zum  nachdenken  anregende  in  V  zuerst  geschriebene  fuari 
I,  4,  82,  vgl.  I,  4,  11  fg.  und  vieles  andere,  was  jeder  selbst  im  buche  nachlesen 
und  studieren  muss.  In  vielen  fällen  freilich  handelt  es  sich  nur  um  Schreibfehler, 
wie  das  /'  statt  s  I,  22,  18.  II,  4,  55.  III,  13,  6.  S.  41  (s.  175),  oder  um  fragen, 
die  mit  absoluter  gewissheit  schwer  werden  zu  entscheiden  sein,  wie  die,  ob  I,  24,  6 
in  fiuntar  das  a  aus  e  corrigiert  ist  (wie  Kelle  annahm) ,  oder  das  erst  geschriebene 
a  später  erst  in  e  corrigiert  wurde ,  wie  Piper  jezt  angibt. 

Mit  gleicher  Sorgfalt  hat  Piper  aber  auch  gelesen  und  widergegebeu  die  von 
Kelle  gelegentlich  erwähnten ,  aber  fast  niemals  in  den  Varianten  angegebenen 
correcturen  in  P  und  F,  die  zwar  nicht  so  zahlreich  als  die  in  V,  aber  oft 
ebenfalls  interessant  und  lehrreich  sind.  Die  auf  alle  diese  feststellungen  verwante 
mühe  Pipers  ist  der  höchsten  ancrkennung  wert ,  wie  auch  der  Verlagshandlung  für 
die  herstellung  des  schwierigen  druckes  dank  gebührt.  Die  volständige  darstellung 
des  tatsächlichen  in  einem  masse  ,  wie  sie  von  keinem  bisher  erreicht  werden  konte, 
wird  der  ausgäbe  unter  allen  umständen  einen  dauernden  wert  sichern  und  eine 
grundlage  für  die  Untersuchung  der  geschichte  des  textes  bieten ,  vorausgesezt 
natürlich,  dass  man  das  unwesentliche  vom  wesentlichen  scheidet  und  nicht  bei  der 
tatsache  der  correctur  sich  beruhigt,  sondern  die  gründe  ins  äuge  fasst,  die  sie 
hervorgerufen  haben. 

Bisweilen  freilich  möclite  man  aucii  neben  der  ausführlichen  beschreibung 
Pipers  die  kürzeren  angaben  Keiles  nicht  missen.  So  z.  b.  I,  28,  14,  wo  durch 
Keiles  angäbe  wahrscheinlich  wird,  dass  das  nach  Piper  in  Y  zuerst  übergeschrie- 
bene i  nur  der  am  folgenden  minnni  fehlende  erste  strich  sein  solte;  erst  später 
(wahrscheinlich  erst  nachdem  P  aus  Y  abgeschrieben  war)   erfolgte  die  zweite  cor- 

ZKITSCHR.    F.    DEFTSCHR    PHTLOIiOGIE.      BD.    XI.  6 


82  EEDMANN 

rectur  in  thio  eiminigon  uuuuni,  was  in  D  gleich  anfangs  gescliriebon  war.  Und 
manchmal  möchte  man  doch  fragen ,  ob  Piper  nicht  etwa  zu  viel  aus  den  correc- 
turen  herausgelesen  habe.  Zu  I,  5,  61  weicht  seine  angäbe  des  in  V  über  giburäi- 
nöt  geschriebenen  wertes  ganz  von  dem  ab,  was  bei  Kelle  und  wider  auch  von 
dem,  was  nach  Hoffmanns  lesung  bei  Lachmann  Kl,  Sehr.  I,  s.  405  und  auch  in 
Müllenhoffs  Sprachproben  ^  s.  72  angegeben  ist.  I,  22,  41  liest  Kelle  in  V  liabon, 
Piper:  ,,Uoban  mit  radiertem  acceiit  über  a."  II,  4,  4  ist  mir  das  von  Piper  in 
P  gelesene  sehs  ziit  schwer  glaublich.  Nicht  augegeben  hat  Piper  zu  I,  17,  9  die 
(richtige)  lesart  von  D  qnämun;  zu  V,  23,  70  die  dui"ch  Graif  und  jezt  wider  durch 
Müllenhoff  Sprachproben  ^  s.  83  bezeugte  lesart  von  P :  thie  (VF  thio)  seiet  filu  riche, 
wonach  die  incorrecte  ma'sculinform  in  dieser  handschrift  mit  äusserlicher  conse^ 
quenz  auch  auf  das  pronomen  übertragen  ist.  Die  im  Inhaltsverzeichnis  von  lib.  I 
von  Graffund  Kelle  angegebene,  selir  merkwürdige  lesart  von  V:  VIII  cur  esset 
(lesponsata  mater  Jesu  Maria  gibt  Piper  mit  recht  nicht:  im  cod.  V  steht  deut- 
lich: cum. 

Auf  der  grundlage  der  neu  untersuchten  handschriftlichen  Überlieferung  aber 
hat  Piper  ein  ganz  neues  gebäude  von  hypothesen  über  die  entstehung  und 
geschichte  des  Otfridtextes  aufgebaut.  Er  ist  zu  einer  Wertschätzung  der 
handschriften  gekommen,  die  von  der  seit  Keiles  ausgäbe  üblichen  abweicht;  und 
er  hat  versucht,  eine  ganze  reihe  von  ,,stadien"  in  der  entstehung  und  allmäh- 
lichen aus-  und  Umarbeitung  des  werkes  selbst  aufzu.stellen  und  bis  in  alle  einzel- 
heiten  hinein  an  den  abweichungeu  und  correcturen  der  handschriften  nachzuwei- 
sen. Dieses  neue  gebäude  Pipers  kann  ich ,  soweit  ich  ohne  eigene  einsieht  der 
handschriften  nach  Pipers  eigenen  angaben  und  nach  inneren  gründen  mir  ein 
urteil  bilden  konte,  als  ein  durchaus  sicheres  und  solides  nicht  anerkennen.  Ich 
stelle,  um  die  Orientierung  über  diese  fragen  jedem  zu  erleichtern,  erst  die  vor 
Pipers  ausgäbe  namentlich  von  Lachmann  und  Kelle  gewonnenen  resultate,  sodann 
die  über  dieselben  hinausgehenden  oder  von  ihnen  abweichenden  neuen  sätze  Pipers 
zusammen. 

Dass  die  Überlieferung  des  Otfridschen  werkes  gestatte,  dasselbe  bis  in  die 
zeit  seiner  entstehung  zurück  zu  verfolgen,  war  schon  lange  anerkant;  doch  hatte 
sich  bisher  beobachtung  und  interesse  hauptsächlich  auf  die  Wiener  handschrift  (V) 
concentriert.  Von  ihr  hatte  schon  Lachraann  vermutet,  dass  die  durch  die  ganze 
handschrift  gehenden  Verbesserungen  vielleicht  von  Otfrids  eigener  band  her- 
rührten (Kl.  Sehr.  I,  s.  452;  vgl.  dazu  die  aus  dem  jähre  1834  stammende,  erst 
jezt  gedruckte  bemerkung  s.  406:  „iveil  ich  mich  immer  mehr  überzeuge,  dass 
die  verbesserringen  in  der  Wiener  handschrift  von  Otfrids  eigener  hand  sind"). 
Diese  Vermutung  Lachmanns  weiter  verfolgend  nahm  Kelle  an,  dass  der  codex  V 
die  erste,  nach  seiner  meinung  von  zwei  verschiedenen  bänden  gemachte  abschritt 
des  almählich  entstandenen  Originalentwurfes  der  dichtung  sei  (Ausg.  II ,  XXXI), 
welche  dann  der  dichter  Otfrid  selbst  durchweg  eigenhändig  überarbeitet  und  cor- 
rigiert  habe ;  er  erwies  die  richtigkeit  dieser  lezten  annähme  bis  zum  höchsten 
grade  der  Wahrscheinlichkeit  erst  durch  die  art  der  correcturen  selbst  (Ausg.  I, 
161  fg.  II,  XXXIII  fg.);  sodann  durch  die  ähnlichkeit  der  correcturen  nach  hand- 
schrift und  art  der  ausführung  mit  den  vermutlich  von  Otfrid  selbst  ausgeführten 
correcturen  in  einer  Weissenburger  Urkunde  (Ausg.  II,  s.  XXXIV  fgg. :  dazu  die 
nachbildungen  am  Schlüsse  des  bandes  tafel  III).  Kelle  aber  behauptet,  dass  von 
dnr  hand  dieses  corrcctors  nur  noch  in  der  widmung  an  Lintbcrt  6G  —  68  an  stelle 
von   zwei   ausgekratzten   zeilen   drei    andere  gesclirieben   seien,    während   das   in  T 


ÜBER    OTFRID    ED.    PIPER,       A.    ZUR    TEXTKRITIK  83 

zuerst  goscliriebciie  von  zwei  aTideren  liiindeii  staniino:  also  nicht  von  Otfrid  selbst 
(I,  159.     II,  XXXII).! 

"Vom  Palatinus  (P)  wies  Kelle  nach,  dass  er  aus  V  abgeschrieben  sei  (I,  159); 
er  erkante  an,  dass  der  sclireiber  bemüht  gewesen,  die  Schwankungen  der  Schrei- 
bung zu  beseitigen  und  in  die  formen  mehr  gleichtörniigkeit  und  Übereinstimmung 
zu  bringen  (I,  164),  und  dass  er  in  lauten,  formen  und  Schreibweise  mit  dem  cor- 
rector  von  V  übereinstimme,  auch  in  selbst.ändiger  mit  dessen  principien  überein- 
stimmender weise  die  Schreibung  von  V  geändert  habe:  dass  sonach  auch  anzuneh- 
men sei,  dass  die  herstellung  des  codex  in  Weissenburg  selbst  erfolgt  sei  und  der 
zeit  nach  der  von  V  ganz  nahe  liege  (II,  s.  VIII.  XXX).  Vernmtungen  über  die 
jxTson  des  Schreibers  von  P  stelte  Kelle  nicht  auf.  Auch  von  der  zerschnittenen 
Iiaudschrift  D  nalim  Kelle  an,  dass  sie  aus  V  vielleicht  als  dedicationsexemplar  für 
könig  Ludwig  in  Weissenburg  abgeschrieben  sei  (II,  s.  XXXI).  Vom  codex  Frisin- 
gensis  (F),  als  dessen  schreiber  sich  am  ende  der  presbyter  Sigihard  selbst  nennt, 
wies  Kelle  nach,  dass  er  aus  V  abgeschrieben  sei,  und  zwar  in  Freisingen  vor  905 
(II,  s.  XII.  XVIII). 

In  folge  dieser  ansieht  über  das  Verhältnis  der  handschriften  legte  Kelle  für 
die  con.stituierung  des  textes  überall  V  zu  gründe  und  bis  auf  einzelne  andeutun- 
gen  in  kleineren  schritten  (Hügel,  Otfrids  versbetonung.  Leipzig  1869.  S.  4: 
sowie  jezt  Schmecke  hier,  zur  verskunst  Otfrids.  Kiel  1877),  die  auf  einzelne 
besser  motivierte  accente  in  P  hinwiesen,  beruhigte  sich,  so  weit  es  öffentlich 
bekant  wurde,  jeder  bei  dem  Kelleschen  resultate,  das  durch  den  nachweis  einer 
vom  Verfasser  eigenhändig  corrigierten  reinschrift  eine  autorität  hinstelte,  vor  der 
jede  kritik  verstummen  zu  müssen  schien:  eine  textüberlieferung,  so  sicher  wie  sie 
kaum  für  irgend  ein  grösseres  litteraturdeukmal  älterer  und  neuerer  zeit  vorhan- 
den ist. 

Piper  aber  will  über  das  von  Kelle  erreichte  noch  weit  hinausgehn;  er  ver- 
feinert das  resultat ,  zerstört  aber  die  einfachheit  desselben ,  ohne  (für  mich  wenig- 
stens) eine  gleiche  Sicherheit  zu  erreichen.  Die  von  ihm  in  der  vorrede  s.  79  —  250 
aufgestelten  und  ausgeführten  neuen  behauptungen  sind  für  die  verschiedenen  hand- 
schriften folgende : 

1)  Schon  der  grundtext  von  V  ist  von  Otfrid  selbst  eigenhän- 
dig geschrieben  —  vermutlich  nach  einem  ersten  entwürfe,  den  Piper  unter 
dem  schönen  namen  ,, Kladde"  (Kl)  weiter  vorfolgt  (s.  5):  vermutlich  in  längeren 
pausen ,  aber  schon  mit  der  absieht  die  einzelnen  bücher  mit  je  einem  vollen  per- 
gamentquaternio  abzuschliessen  (s.  81  fg.).  Hierauf  ist  V  zu  widerholten 
malen  von  Otfrid  selbst  durchcorrigiert  worden  (s.  84  fgg.).  Die  sehr 
zahlreichen  correcturen  versucht  Piper  auf  eine  reihe  von  stadien  zu  verteilen,  und 

1)  Einige  äusseruugen  Pipers  könten  diu  meiaung  erwecken,  als  habe  schon 
Kelle  es  ausg:esproolien,  dass  Otfrid  den  text  von  V  selbst  geschrieben  habe.  Piper 
sagt  s.  VIII:  „es  ist  mir  unbegreiflich,  warum  bei  diesem  stände  der  dinge  noch  nie- 
mand den  schluss  gewagt,  dass  auch  die  Heidelberger  handschrift  von  Otfrid  geschrie- 
ben sei,  auch  Kelle  nicht  usw."  S.  80:  ,,Dass  der  schreiber  beider  handschriften 
Otfrid  selber  gewesen  sei,  ist,  wie  für  die  Wiener  handschrift  schon  von 
Kelle  geschehen  ist,  zweifellos."  Jeder  aufmerksame  lescr  von  Keiles  beiden  vor- 
reden weiss,,  dass  Kelle  dort  immer  nur  correcturen  von  Otfrids  liand  meint.  Nie- 
mals hat  Kelle  dort  auch  nur  entfernt  das  angedeutet,  was  herr  Piper  ihm  kaltblütig 
als   zweifellose  behauptung  zuschielit. 

6* 


84  ERDMANN 

zwar  meint  er  zunächst,  dass  eine  anzahl  derselben  gleich  beim  schreiben  von  V 
gemacht  sei  (stadium  V, ) ,  „  leicht  kentlich  an  der  sorgfältigeren  form  der  schrift 
und  der  art  der  correctur"  s.  84;  andere  „nachdem  die  einzelnen  quaternionen 
zusammengebunden  und  numeriert  waren"  (s.  84),  also  doch  nach  Vollendung  der 
ganzen  handschrift  (stadium  V2).  Teils  zwischen  diesen  beiden  Stadien  (weil  nach 
Pijters  annähme  noch  vor  Vollendung  der  handschrift  V  fallend),  teils  zeitlich  spä- 
ter sezt  Piper  noch  eine  reihe  von- Stadien,  die  auch  in  V  correcturen  bedingt 
haben,  obwol  sie,  weil  von  der  herstellung  der  anderen  handschriften  abhängig, 
nach  diesen  benant  sind.     Piper  nimt  nämlich  weiter  an: 

2)  Auch  der  grundtext  von  P  ist  von  Otfrid  eigenhändig  aus  V 
abgeschrieben  worden,  und  zwar  wurde  P  begonnen,  ehe  V  vollendet  (d.  h. 
nach  dem  zusammenhange:  ehe  der  text  bis  zum  ende  in  T  eingetragen  war) 
(s.  86  fg.) ,  und  zwar  vermutlich  weil  Otfrid  ,,  es  aufgegeben  hatte ,  V  zum  dedica- 
tionsexemplar  zu  verwenden,  was  anfangs  seine  absieht  gewesen  sein  mochte,  son- 
dern es  zu  seinem  handexemplar  bestirnte"  (s.  84).  Beim  abschreiben  aus  V  wurde 
der  text  in  P  vielfach  gleichmässiger  gestaltet  und  verbessert  (stadium  P,).  Diese 
änderungen,  die  in  P  gleich  richtig  hingeschrieben  wurden,  trug  Otfrid  dabei  nach 
Piper  teilweise  auch  (flüchtig  als  correcturen)  in  seine  vorläge  V  ein  (s.  86)  Also 
repräsentiert,  wie  oben  bemerkt,  das  stadium  P,  auch  eine  bestimte  klasse  der 
correcturen  in  V,  die  Piper  hätte  mit  V3  bezeichnen  können  (als  forniel  etwa: 
Pj  >•  V3).  1  Nachdem  P  vollendet  war,  wurde  es  von  Otfrid  selbst  mit  accenten 
versehen  und  unter  vergleichung  von  V  im  ganzen  durchcorrigiert  (stadium  P2); 
auch  hierbei  scheint  Piper  correcturen  in  V  anzunehmen  (V4  <  P2);  wie  er  sich 
das  Verhältnis  derselben  zu  den  oben  mit  V2  bezeichneten  denkt,  ist  mir  nicht 
klar  geworden. 

Nach  dieser  ersten  gemeinsamen  durchsieht  von  V  und  P  nimt  Piper  dann 
noch  ein  besonderes  stadium  an,  in  welchem  Otfrid  selbst  an  dem  in  beiden  hand- 
schriften fertig  vorliegenden  werke  noch  gebessert  habe  (stadium  0,)  s.  87.  Diese 
Verbesserungen  soll  er  zum  teil  in  beiden  handschriften  gleichzeitig  und  gleich- 
massig,  zum  teil  nur  in  V  seinem  handexemplar  eingetragen  haben.  (Also  könte 
man  eine  gleichung  ansetzen:  Oi  =  V5  >  P3).  Da  Piper  schon  für  sein  stadium 
P2  eine  gemeinsame  durchsieht  beider  handschriften  annahm,  so  kann  sich  dieses 
Stadium  Oi  von  jenem  nur  durch  das  spätere  beginnen  und  vielleicht  durch  die 
längere  ausdehnung  des  Zeitraumes  imterscheiden ,  innerhalb  dessen  diese  Verbesse- 
rungen ausgeführt  sind.  Aber  auch  nachher  unterscheidet  Piper  noch  ein  Sta- 
dium O2  sowol  für  P  als  für  V,  und  zwar  mit  sehr  verschiedenen  bestandteilen. 
Ein  teil  der  correcturen  soll  ,,auch  später  noch"  von  Otfrid  selbst  gemacht  sein, 
wenn  er  „in  mussestunden  sich  in  sein  werk  vertiefte"  s.  88  (O2  =  P4  -|-  Vg); 
dass  diese  annähme  schwer  zu  der  s.  15  ausgesprochenen  Vermutung  stimt,  P  sei  in 
manchen  punkten  unvollendet  geblieben,  weil  Otfrid  durch  den  tod  aus  der  arbeit 
abgerufen  sei,  will  ich  nicht  betonen,  da  der  ganze  abschnitt  über  Otfrids  leben 
einem  früheren  stadium  der  Piperschen  ansichten  über  die  geschichto  des  Otfridtex- 
tes  anzugehören  scheint.  Ausserdem  sollen  aber  noch  correcturen  teils  in  V,  teils 
in  P,  teils  in  beiden  zugleich  von  dem  Schreiber  Sigihard  beim  abschreiben  in  diese 

1)  Potenziert  wird  diese  höchst  künstliche  annähme  nonb  auf  s.  200,  wo  Piper 
meint,  dass  bei  dieser  gelegenheit  ein  teil  derselben  correetiireii  auch  in  die  (frühere!) 
vorläge  von  Y,  nämlich  Kl ,  übertragen  und  aus  dieser  in  die  handschrift  D  gekom- 
men seien ! 


ÜBER    OTFRID    ED.    PIPER.       A.    ZUR    TEXTKRITIK  85 

seine  vorlagen  eingetragen  sein  (s.  88.  173);  also  wäre,  wenn  man  will,  ein  teil 
von  0-2  =  *P5  -j-  *  V, ;  ja  dasselbe  wird  im  Widerspruch  mit  dem  sonst  gesagten 
sogar  behauptet  vom  Schreiber  von  D  (s.  88.  173);  also  ein  anderer  teil  von  0.j 
iiönte  gelten  als  P«  -|-  Vg 

3)  Piper  meint  ferner  (s.  1119  fg.):  Die  handschrift  D  wurde  nicht  aus 
V,'  sondern  aus  dem  urentwurfc  KI  abgeschrieben;  nicht  von  Otfrid 
selbst,  denn  die  liand  sei  sichtlich  eine  andere ,  aber  vermutlich  unter  seinen  äugen 
und  nach  seiner  anweisuiig  von  einem  seiner  l'reunde.  Die  zeit,  wann  dies  gesche- 
hen sei,  suclit  Piper  dadurcli  zu  bestimmen,  dass  der  Schreiber  von  D  correcturen 
benuzt  habe,  die  in  V  und  P  im  stadium  Oi  gemacht  seien  (s.  202);  dies  wird 
nur  möglicli  durch  die  annähme ,  dass  diese  correcturen  nachträglich  von  Otfrid 
auch  n ych  in  seinem  urentwurf  Kl  eingetragen  seien.     Über  die  accente  s.  u. 

4)  F  ist  nach  Piper  hauptsächlich  aus  V,  aber  mit  gleichzei- 
tiger benutzung  von  P  abgeschrieben,  indem  der  Schreiber  Sigihard  bis- 
weilen dem  in  P  geschriebenen  den  Vorzug  gab,  bisweilen  seinen  text  aus  beiden 
haudscliriftcii  combinierte  (s.  234  —  237).  Piper  vermutet,  dass  die  abschrift  in 
Mainz  gescheiten  sei,  wohin  P  vielleicht  durch  Liutbert  gekommen  sei,  und  wohin 
dann  auf  veranlassung  des  bischofs  Waldo  auch  noch  die  handschrift  V  aus  Weis- 
senburg  leihweise  hingeschickt  sei  (s.  239).  Sigihard  habe  sich  erlaubt,  in  seinen 
vorlagen  V  und  P  änderungen  zu  machen  (s.  88.  173). 

5)  Endlich  gewinnen  auch  die  Vermutungen  über  Kl,  den  bis  jezt  nur  ange- 
nommenen urentwurf  des  gedichtes ,  einen  tatsächlichen  anhält ,  eine  greifbare 
gestalt  dadurch,  dass  Piper  annimt,  in  dem  blatte  200  des  codex  P,  welches 
die  verse  Hartm.  142  —  168  (und  datin  von  einer  anderen  band  noch  des  neunten 
Jahrhunderts  den  anfang  des  Georgsleiches)  enthält,  sei  uns  ein  Kladdeblatt 
Otfrids  erhalten  (s.  81).  Er  begründet  diese  Vermutung  durch  die  wenig  sorg- 
fältige Schreibung  auf  diesem  blatte,  sowie  dadurch,  dass  ihm  die  ab  weichungen 
von  V  gegenüber  diesem  blatte  von  P  überall  als  Verbesserungen  erscheinen  (s.  82). 

Meine  ansieht  über  diese  fünf  Piperschen  sätze  glaube  ich  am  besten  in 
umgekehrter  reihenfolge  angeben  zu  können. 

ad  5.  Dass  eine  Urschrift  Kl  existiert  habe,  ist  unbedenklich  anzunehmen, 
wie  schon  Kelle  es  annahm :  dass  das  blatt  200  von  P  aus  dieser  Urschrift  stamme, 
ist  möglich ,  aber  schwer  zu  erweisen.  Ich  muss  mich  hier  ohne  einsieht  der  hand- 
schrift jedes  eigenen  Urteils  enthalten.  Alles  was  Piper  weiter  über  spätere  cor- 
recturen in  diesem  urentwurfe  antiimt,  betrachte  ich  als  unerwiesene  und  wol  für 
immer  unerweisliche  Vermutung.  Namentlich  erscheint  mir  die  annähme  (welche 
der  auseinandersetzung  auf  s.  202  zu  gründe  liegt)  höchst  künstlich  und  tmwahr- 
scheinlich,  dass  beim  abschreiben  von  P  aus  V  der  Schreiber  (d.  h.  nach  Piper 
Otfrid  selbst) ,  nicht  nur  in  seiner  vorläge  V  correcturen  gemacht ,  sondern  auch 
diese  correcturen  in  die  (frühere!)  vorläge  von  V,  d.  h.  in  Kl  selbst  tibertragen 
habe,  mühsam  zwischen  drei  pergamentlagen  seine  arbeit  verteilend.  Viel  eher  ist 
es  möglich,  dass  viele,  wenn  nicht  die  meisten  stellen,  bei  denen  der  erste  Schrei- 
ber von  V  fehler  machte,  schon  in  dorn  urentwurfe  des  Verfassers  Kl  gleich  ganz 
richtig,  wenn  auch  vielleicht  schwer  leserlich,  geschrieben  waren. 

ad  4.  Dass  F  nicht  nur  nach  V,  sondern  nebenher  mit  benutzung  von  P 
geschrieben  sei,    scheint  mir   durch   die   von  Piper   s.  235  fg.  angeführten   gründe 

1)  Schlecht  stimt  dazu  aber  die  s.  88.  173.  202  ausgesprochene  Vermutung,  dags 
mfinche  oorreotur(>n  in  V  von  dem  sclireiber  von  D  gemacht  seien. 


86  ERDMANN 

allerdings  bewiesen.  Ich  mache  z.  b.  auf  die  besonders  überzeugende  stelle  I,  11,  13 
(V  nist,  PF  ni  si)  aufmerksam.  Bestehn  aber  bleibt,  dass  der  schreiber  von  F  in 
erster  linie  V  berücksichtigte  und  in  der  grossen  niehrzahl  der  fälle  dieser  hand- 
schrift  und  nicht  P  folgte.  Dies  ist  eine  für  die  damals  kaum  25  jähre  nach  Vol- 
lendung dos  Werkes  geltende  Wertschätzung  beider  handschriften  wichtige  tatsache, 
die  Piper  s.  239  zwar  anerkent,  aber  nicht  überall  gebührend  berücksichtigt.  Die 
ausmalung  der  einzelnen  begebenheiten ,  welche  die  gleichzeitige  benutzung  beider 
handschriften  ermöglichten ,  gehört  in  das  gebiet  der  novellendichtung.  Dass  aber 
der  Schreiber  von  F  in  seinen  beiden  vorlagen,  bald  in  V,  bald  in  P,  eigenmäch- 
tig geändert  habe,  halte  ich  für  eine  ganz  ungeheuerliclie  annähme  Pipers.  Es 
wäre  schlimm,  wenn  jeder  benutzer  der  liandschriften  V  und  P  sich  dergleichen 
erlaubt  hätte.  Dem  indignus  presbyter  Sigihard  traue  ich  dazu  weder  genug  Über- 
legung und  eigenes  urteil,  noch  genug  rücksichtslosigkeit  gegen  seine  wertvollen 
und  berühmten  vorlagen  zu.  Auch  hier  stelt  Piper  die  einfache  und  zunächst  lie- 
gende annähme  künstlich  auf  den  köpf,  nämlich  die,  dass  die  betreffenden  correc- 
turen  in  V  oder  P  bereits  ausgeführt  waren ,  als  der  schreiber  sie  copierte.  Bis- 
weilen kann  es  diesem  begegnet  sein,  dass  er  eine  correctur  in  seiner  vorläge 
anfangs  übersah  und  erst  später  in  seiner  abschritt  ebenfals  als  correctur  nachtrug. 
Auf  mehrere  der  von  Piper  dem  Sigihard  zugeschriebenen  änderungen  in  V  komme 
ich  unten  noch  zu  sprechen.  Nirgends  sehe  ich  einen  genügenden  grund  für  diese 
annähme  Pipers. 

ad  3.  Dass  D  keinerlei  directe  beziehung  zu  P  hat,  zeigt  die  vergleichung 
der  lesarten  überall:  wol  aber  steht  es  dem  texte  von  V  zwar  nahe,  zeigt  aber 
doch  bemerkenswerte  abweichungen  von  demselben.  Es  bleibt  also  die  frage:  Ist  D 
nach  V  selbst,  oder  ist  es  nach  der  vorläge  von  V,  der  Urschrift  Kl  angefertigt? 
Piper  nimt  das  zweite  an ;  ich  halte  es  zwar  für  möglich ,  aber  doch  nicht  für  evi- 
dent bewiesen.  Im  algemeinen  ist  es  schwer  glaublich,  dass  eine  so  kostbare  und 
sorgfältig  geschriebene  handschrift,  sei  sie  nun  für  den  könig  Ludwig  oder  für 
einen  anderen  bestimt  gewesen,  nicht  aus  einem  bereits  zum  abschluss  gebrachten 
und  revidierten  texte  geschrieben  sein  soll.  Die  bemei'kenswerten  abweichungen 
der  uns  erhaltenen  bruchstücke  der  handschrift  D  von  dem  texte  der  handschrift  V 
zerfallen  in  folgende  klassen: 

a)  Orthographische  änderungen.  So  namentlich  uim  in  D  gegen  uu  in  V, 
wofür  Piper  s.  201  zwölf  fälle  anführt;  aber  ganz  consequent  ist  der  schreiber  von 
D  doch  nicht,  denn  III,  20,  56  steht  auch  in  D  uuntar  gegen  uuntar  in  V,  wo 
nach  Piper  mit  derselben  tinte  noch  v  vorgeschrieben  ist.  Ebenso  sezt  D  oft  d 
statt  th  in  V,  auur  statt  afttr  (z.  b.  IV,  3,  14)  und  ähnliches.  Alle  diese  Schrei- 
bungen halte  ich  nach  keiner  richtung  für  beweisend,  denn  sie  können  auf  ein- 
facher mündlicher  an  Weisung  des  Verfassers  an  den  schreiber,  der  ja  ein  gewanter 
kanzlist  gewesen  sein  muss,  oder  auf  eigener  gewohnheit  desselben  beruhen  und 
brauchen  gar  nicht  in  seiner  vorläge  gestanden  haben.  Dass  Otfrid,  wie  Piper 
annimt ,  diese  orthographischen  besserungen  in  Kl  nachgetragen  habe ,  während  er 
es  sogar  in  V  unterliess ,  ist  mir  sehr  unwahrscheinlich. 

b)  D  hat  öfters  das  in  V  erst  durch  correctur  einer  fehlerhaften  Schreibung 
hergestelte  gleich  richtig  geschrieben.  So  I,  15,  4  beitöta  er  thär  suazo  thero 
druhtines  giheizo  (nach  Luc.  2,  25  exspectans  consolationem  Israel),  wo  in  V 
zuerst  geschrieben  war  betöta.  I,  15,  7  dötlies,  wo  in  V  erst  geschrieben  war  thö 
thes.    I,  16,  23  thaz  Icind  uutmhs  mitar  mannon  (Luc.  2,  40  puer  autem  erescebat). 


ÜBER    OTl'ßlD    ED.    l'll'EK.      A.    ZUR   TEXTKRITIK  Ö7 

WO  in  V  erst  gescliriobon  war  nuasJ  11,  4,  25  (jieiscöta,  in  V  erst  geiscöta. 
111,  23,  37  bi(jinnit  er,  in  V  erst  fehlerhaft  hüjinnet  ir.  III,  23,  U  thaz  ira  fahs, 
wo  in  V  thaz  erst  später  ,,  mit  anderer  tinto"  übergeschrieben  ist.  III,  23,  49 
gilegan,  in  V  erst  felilerliaft  legan;  54  allaz ,  V  erst  al.  III,  24,  2  iu  er,  wo  iu 
in  V  übergeschrieben  ist.  Aucli  diese  fälle  sind  nicht  entscheidend,  denn  der  Schrei- 
ber von  1)  kann  die  richtige,  von  Otfrid  ofleubar  überall  gleich  anfangs  beabsich- 
tigte Schreibung  ebensogut  aus  Kl  entnommen ,  als  sie  trotz  des  noch  nicht  corri- 
gierten  felilers  in  Y  nach  eigener  einsieht  gebessert,  als  auch  endlich  schon  die 
correctur  in  V  vor  sich  gehabt  haben. 

c)  Drittens  gibt  es  fälle,  iu  denen  D  etwas  bietet,  das  sichtlich  oder  ver- 
mutlich in  V  auch  gestanden  hat,  hier  aber  später  verändert  ist.  Meist  gibt  auch 
die  Schreibung  von  D  einen  genügenden  sinn  und  kann  sehr  wol  vom  dichter  zuerst 
beabsichtigt  sein.  So  I,  18,  10  engilo  kimni,  später  bekantlich  von  Otfrid  corri- 
giert  engiUchaz ,  in  P  geschrieben  engüUchaz.  1,  23,  10  kundiiiti,  später  in  V  das 
n  ausradiert.  1,  28,  14  thio  eumnigo  uuunni,  später  in  V  corrigicrt  euiiimgon 
(statt  -an).  II,  5,  7  inan,  später  in  V  corrigiert  ienan.  III,  23,  40  scomio  er, 
in  V  das  o  ausradiert.  An  zwei  stellen  aber  handelt  es  sich  um  einen  wirklichen 
fehler.  Die  erste  ist  I,  16,  23''.  Otfrid  dachte  hier  ohne  zweifei  an  die  in  der 
kirchlichen  poesie  später  nicht  selten  benuzte  stelle  cant.  cant.  2,  2  sicut  lilium 
inter  spinas ,  und  er  hat  nie  etwas  anderes  beabsichtigt,  als  :  sö'^lUia  untar  thornon. 
In  D  aber  steht  (abgesehn  von  dem  Schreibfehler  antar)  sehr  unpassend:  chornon, 
und  ebenso  hat  vielleicht  unter  der  von  Pijier  angemerkten  rasur  in  V  gestan- 
den. —  Zweitens  war  1 ,  15 ,  34  in  V  statt  töd  erst  das  unsinnige  thoh  geschrie- 
ben, und  denselben  fehler  hat  auch  D.  Diese  fälle  Hessen  sich  allerdings  durch 
abschrift  von  D  aus  Kl  erklären,  wo  vielleicht  I,  16,  23  das  t  von  thornon  so 
undeutlich  geschrieben  war ,  dass  sowol  der  schreiber  von  V  als  der  von  D ,  da 
beiden  die  biblische  anspielung  nicht  geläufig  war,  es  für  c  lesen  konteu.  Aber 
ebensogut  kann  D  aus  V  abgeschrieben  sein,  ehe  diese  correcturen  in  V  gemacht 
Avaren ,  wie  wir  dasselbe  in  vielen  anderen  lallen  für  P  annehmen  müssen  (s.  s.  *J1). 

d)  Endlieh  gibt  es  fälle ,  in  deuen  D  in  werten  oder  Wertformen  von  V  ganz 
abweicht.  Von  blossen  Schreibfehlern,  die  namentlich  in  den  stücken  des  zweiten 
und  dritten  buches  auch  in  D  vorkommen,  sehe  ich  ab.  Ein  Schreibfehler  ist  wol 
auch  III,  20,  132  tho  statt  thü.  Aber  es  gibt  ziemlich  viele  abweichungen ,  für 
die  ein  grammatischer  oder  stilistischer  oder  metrischer  grund  sich  anführen  lässt. 
1,  15,  3  V  er  uuas  goteforahtal  loh  rehto  er  lebeta  uharal.  In  D  fehlt  das  zweite 
er;   dies  geschieht  bei  Otfrid  oft  genug,   so  z.  b.  sehr  ähnlich  II,  6,  6.     Die  syna- 

1)  Diese  stelle  Luc.  2 ,  40  ist  nochmals  benuzt  am  Schlüsse  eines  sonst  nach 
Matthaeus  gearbeiteten  abscbnittcs  I,  21,  15.  16,  und  zwar  hier  combiniert  mit  einer 
anderen  (Luc.  2 ,  52),  die  dann  I,  22,  61.  62  nochmals  ähnlich  aber  weniger  genau 
widergegeben  wird.  Sehr  ähnlich  sind  auch  die  schlussverse  von  I,  10  (nach  Luc.  I,  80), 
die  sich  auf  Johannes  beziehen.  Ofienbar  zeigt  sich  in  dieser  viermaligen  benutzung 
desselben  gedankens  zum  ubschlusse  eines  kapitels  ein  bestreben  künstlerische  iibrundung 
und  zugleich  wechselseitige  beziehung  zwischen  den  verschiedeneu  gliedern  des  ganzen 
herzustellen.  Widerholte  benutzung  derselben  evangeliensteile  findet  sich  sonst  bei  Otfrid, 
abgesehen  von  den  recapitulierenden  schluss-  und  eingangscapiteln,  nicht.  Nur  einmal 
kernt  es  vor,  dass  eine  früher  ausführlich  erzählte  geschichte  (II,  11,  1 — 30  nach 
Joh.  2,  12  — 16  mit  hinzuzLehung  einiger  worte  aus  Mt.  21,  12.  13)  nochmals  nach  der 
fassuiig  von  Mt.  21,   12  kurz   erwähnt  wird  (IV,   4,   65 — -66). 


löplie  des  o  fält  dadurch  fort.  I.  15,  19  V  inti  alla  uuurolt  rinlt.  In  D  fehlt  alla; 
dadurcli  fält  die  synalöphe  des  i  fort.  I,  15,  23  V  thes  kiudes  fater ;  D  ther  kin- 
des  fater,  weniger  passend ,  aber  mit  manchen  parallelstellcn  aus  Ütfrid  zu  vertei- 
digen. I,  16,  21  V  thio  buuh;  D  correct  thiu.  I,  18,  44  V  er  güeitit  thih  heim; 
D  ther.  I,  19,  21  V  emiyan  nun;  D  eiganan.  I,  23,  13  V  erlicho  imo  guganlin 
(aber  I,  25,  2  ingaganta);  D  imo  ingagantui.  II,  4,  8  V  ingung  therera  uiiorolti 
(bei  uuorolt  sczt  Otfrid  gewöhnlich  dies  pronomen);  D  thera.  II,  4,  22  V  wol 
fehlerliaft  heriduames,  D  herduames.  II,  6,  2  V  im  is,  D  iz  nu.  II,  6,  11  lüaz 
inan  uualtan,  D  liaz,  was  einen  ganz  guten  sinn  gibt,  aber  den  bibclworten  weni- 
ger genau  entspricht.  III,  20,  124  nü  so  zi  frägänne;  das  so  fehlt  in  D,  aber 
auch  in  F.  Vielleicht  hielt  der  schreiber  nacli  nü  das  so  für  iibertiüssig.  III,  23,  8 
V  siner  liobo;  D  sin  liobo ,  so  dass  die  Senkung  fehlt.  III,  24,  17  \  uueiz  ihthoh; 
in  D  fehlt  ih  (s.  o.  I,  15,  3),  was  bei  uaeiz  öfters  vorkomt  (V,  5,  5.  10,  8). 
IV,  2,  18  V  thie  selben  fuazi,  D  correct  selbun.  IV,  3,  7 '^  fehlt  in  D  das  zur 
construction  der  folgenden  Worte  nicht  stimmende  thaz.  IV,  3,  16  V  üzer,  D  cor- 
rect üzar.  Auch  F  schreibt  üzzar.  Ich  erkläre  mir  diese  Schreibungen  am  lieb- 
sten als  änderungen  des  Schreibers  von  J) ,  der  nicht  nur  ein  gewanter  kanzlist, 
sondern  aucli  ein  dem  werke  mit  Verständnis  und  teilnähme  sich  hingebender  mann 
gewesen  sein  muss ;  vielleicht  war  er  vom  Verfasser  zu  redactionellen  änderungen 
autorisiert  und  hat  manches  mit  absieht,  manches  bei  einiger  Vertrautheit  mit 
Otfrids  sprachgebrauche  ohne  es  selbst  zu  merken  anders  geschrieben,  als  es  in 
seiner  vorläge  stand.  Bei  diesen  Voraussetzungen  könte  ich  mir  selir  wol  V  als 
seine  vorläge  denken  und  könte  Pipers  annähme,  dass  er  nach  Kl  geschrieben 
habe,  entbehren.  In  jedem  falle  aber  ist  D  als  eine  selbständige,  wahrscheinlich 
vom  Verfasser  autorisierte,  wenn  auch  vielleicht  nicht  so  genau  revidierte  ausgäbe 
des  Werkes  zu  betrachten.  Namentlich  ist  auch,  wie  Piper  selbst  bemerkt,  die 
accentuation  in  D  eine  selbständige,  und  sie  ist  nicht  ohne  weiteres  ilirem  werte 
nach  der  in  den  anderen  handschriften  überlieferten  unterzuordnen,  namentlich  nicht 
der  oft  recht  schlechten  von  P  (s.  u.). 

ad  1  und  2.  Als  die  wichtigste  und  schwierigste  bleibt  noch  zurück  die 
frage  nach  entstehung  und  autorität  von  VundP.  Gewiss  kann  über  die  aus  beob- 
achtung  vieler  tausend  eiiizelheiten  gewonnenen  sätze  Pipers  nicht  leicht  und 
schnell  abgeurteilt  werden ;  doch  bleiben  mir  nach  prüfung  derselben ,  soweit  ich 
sie  ohne  eigene  einsieht  der  handschriften  vornehmen  konte,  sehr  schwere  beden- 
ken, die  ich  möglichst  nach  den  einzelnen  fragen  gesondert  hier  vorbringen  will. 

Die  erste  frage  ist:  Wer  hat  den  ersten  text  von  V  geschrieben 
und  wer  hat  ihn  corrigiert?  Gegenüber  den  früheren  ansichten  behaup- 
tet Piper  entschieden  ,  dass  eine  einzige  band  den  ganzen  text  geschrieben  habe, 
und  dass  diese  mit  der  band  dos  correctors,  d.  h.  Otfrids,  identisch  sei.  Über  die 
äusseren  gründe  kann  ich  mir  kein  abschliessendes  urteil  erlauben;  ich  kann  nur 
bemerken ,  dass  mir  in  dem  Kelleschen  facsimile  die  band  des  correctors  doch  aller- 
dings sehr  verschieden  zu  sein  scheint  von  der  band ,  die  den  ersten  text  geschrie- 
ben hat;  und  ich  darf  hinzufügen,  dass  ein  so  bedeutender  handschriftenkenner  wie 
Joseph  Haupt  nach  mir  gütigst  gemachten  mittel lungen ,  auf  die  ich  unten  noch- 
mals zurückkomme,  nicht  nur  zwei,  sondern  noch  mehr,  wenn  auch  derselben 
schule  angehörige,  so  doch  individuell  verschiedene  bände  in  V  erkennen  will.  Die 
Übereinstimmung  in  ,,schreibgewolniheiten'-  nebst  der  art  des  radierens  und  ein- 
kratzens ,  auf  die  Piper  widerholt  grosses  gewicht  legt,  kann  ebensogut  einem  eng 
verbundenen   kreise  von    genossen   in   einem  kloster   als   einem  einzelnen  eigentüm- 


ÜBEK    UTl-'ßll;    HD.    rii'iUl.      A.    ZUR    TEXTKRITIK  89 

lieh  ycwcaeii  äciii.  Dasselbe  yilt  noch  mehr  von  den  schwaukungen  der  Orthogra- 
phie und  den  doch  nirgends  ganz  conscquent  und  einheitlich  durchgeführten  ände- 
rungen  derselben.  Das  wichtigste  und  entscheidendste  aber  sind  für  mich  die 
inneren  gründe,  d.  h.  die  betrachtung  der  worte  nach  form,  bedeutung,  Zusam- 
menhang. Ich  finde  viele  Worte  in  dem  noch  lesbaren  ersten  texte  von  V,  die  der 
Verfasser  selbst  mit  bewustsein  nicht  geschrieben  haben  kann,  und  bei  denen  die 
annähme  von  versehen  oder  Schreibfehlern  gerade  für  ihn  selbst  mir  sehr  schwer 
glaublich  ist,  während  derartige  versehen  bei  einem  mit  dem  zusammenhange  des 
ganzen  noch  nicht  vertrauten,  am  einzelnen  haftenden  abschreiber  trotz  des  besten 
willens  wol  vorkommen  konten.  Gerade  ungewöhnlichere  und  schwierigere  worte 
und  Verbindungen,  die  dem  Verfasser  selbst  nicht  so  leicht  wider  entfallen  konten, 
sind  von  dem  ersten  sehreiber  öfters  so  widergegeben ,  dass  man  ein  misverständ- 
nis  oder  den  versuch  einer  eigenen  deutung  annehmen  muss.  Öo  an  der  schon 
oben  für  D  besprochenen  stelle  1 ,  15 ,  4.  Ein  abschreiber  mit  halbem  Verständnis, 
der  beim  aufenthalte  im  tempel  vor  allem  ans  beten  dachte,  konte  achrc'ihen'hetüta, 
nicht  der  autor,  der  einmal  übersezt  hatte  Luc.  2,  25  exspcctans  consolat to- 
ne m  Israel,  Ebenso  I,  16,  8,  wo  in  V  zuerst  geschrieben  war  kundta  thas  ira 
ser  statt  des  vom  dichter  offenbar  gleich  beabsichtigten  kümta.  Ebenso  I,  16,  23 
iiaas  statt  uuuahs  (derselbe  fehler  war  auch  gemacht  I,  10,  27)  und  wahrschein- 
lich chornoH  statt  thoriion,  s.  o.  I,  24,  6  war  dem  sehreiber  von  V  (ebenso  wie 
später  dem  von  F)  das  compositum  rehtdeila  nicht  geläufig,  und  er  hatte  dafür 
etwas  anderes  geschrieben,  das  der  corrector  vernichtete.  In  den  sätzen  III,  2,  13 
ob  er  giloiihti  ubaral.  III,  23,  37  bicjinnit  er  es  nahtes  konte  ein  durch  die  beide- 
mal kurz  vorher  gebrauchte  zweite  person  plur.  irre  geführter  sehreiber  darauf  kom- 
men zu  schreiben  ir  (jiloubit,  biginnet  ir,  nicht  aber  der  Verfasser,  wenn  ihm  der 
Zusammenhang  seiner  sätze  einigermassen  klar  war.  Als  ähnliche  fehler  der  ersten 
schrift  von  V,  die  später  meist  corrigiert  sind,  betrachte  ich  I,  17,  68  tlür  statt 
thiz.  1 ,  18,  2  einigan  oder  einigaz  statt  eigan.  1 ,  19 ,  7  wahrscheinlich  githinges 
statt  biginnes.  I,  20,  23  bezent  statt  lezent;  31  mtdaz  statt  inid  iz.  I,  21,  5  In- 
bringe statt  bibringe.  1 ,  24 ,  6  einiges  statt  eiganes.  II ,  5 ,  22  heriduames  (nicht 
corrigiert)  statt  herduames.  II,  9,  96  duat  im  reim  auf  muat  statt  diient.  II,  14,  89 
bi  then  uuän  min  statt  M  then  uuänin.  III,  3,  1  thiz  ist  uns  gizämi  statt  thiz 
ist  uns  ungizämi.  III,  5,  6  nach  Pipers  Vermutung  tJiia  sela  statt  tliera  sela. 
III,  7,  53  so  imer  statt  so  uuär.  III,  14,  80  er  brast  statt  es  brast ;  der  sehreiber 
von  P  und  Piper  haben  den  in  V  zuerst  geschriebenen  fehler  in  ihren  text  auf- 
genommen III,  22,  3  folget  statt  folgent.  IV,  5,  33  gileggen  (conj.  wegen  des  imp. 
34"-)  statt  des  otfridischen  ind.  gileggent.  IV,  13,  29  theiz  allesuaio  ni  tumrti, 
wo  das  später  ausradierte  ni  ein  misverständnis  des  Schreibers  zu  bezeugen  scheint. 
Mit  passendem  ni  steht  dieselbe  formel  IV,  27,  29.     V,  9,  36. 

Auch  die  vereinzelten  syntaktischen  Ungeheuerlichkeiten,  die  im 
texte  von  V  unleugbar  stehn  geblieben  sint,  könte  ich  mir  am  besten  durch  einen 
wenig  verstehenden  und  auf  äusserlichkeiten  i^wie  z.  b.  genau  klappenden  reim,  auch 
wo  der  Verfasser  üju  nicht  hergestelt  hatte)  bedachten  abschreiber  erklären.  Viel- 
leicht fand  derselbe  in  seiner  vorläge,  dem  urentwurfe  des  gedichtes,  auch  öfters 
eine  erst  als  versuch  hingeschriebene  fassung  des  verses  ungenau  oder  nur  teil- 
weise geändert  vor,  oder  es  standen  zwei  verschiedene  fassungen  da,  die  er  in 
unverständiger  weise  combinierte.  Der  corrector  hat  an  diesen  wenigen  stellen  die 
fehler  entweder  übersehen ,  oder  er  war  nicht  gleich  entschlossen ,  was  er  statt  des 
fehlerhaften  einsetzen  solte  und  liess  es  deshalb  ungeändert.     So  mag  der  uns  vor- 


90  EKDMANN 

liegende  text  entstandeu  sein  I,  2,  5.    I,  4,  6.  7.  62.     IV,  3,  7.    IV,  6,  27.    IV, 

24,  6,  vielleicht  auch  IV,  18,  28,  und  es  kann  jeder  versuchen,  sich  die  entste- 
hnng  dieser  uiis-  oder  mischconstructionen  zurechtzulegen.  An  der  stelle  IV,  3,  7 
scheint  die  Überlieferung  in  D  einen  bestirnten  anhält  dafür  zu  bieten. 

Ahnlich  können  bisAveilen  auch  auffallende  wortformen  in  'den  text  von  V 
gekommen  sein.  Vielleicht  ist  das  mir  sonst  sehr  auffällige  eigiscota  I,  17,  43  V 
nichts  als  ein  falsch  gelesenes  eiscöta  mit  übergeschriebenem  yi-  (Zupitza  in  dieser 
ztschr.  II,  366);  vielleicht  auch  I,  23,  10  kundinti  VDF  nichts  als  ein  falsch  gele- 
senes Tcimdti  mit  übergeschriebenem  in,  d.  h.  in  kundti  oder  auch  kundti  in  = 
er  fuhr  um  ihnen  das  zu  verkünden;  vgl.  zum  sinn  der  stelle  v.  5.  6,  zur  con- 
struction  II,  2,  12  und  meine  unters.  I  §  288.     Doch  das  sind  nur  Vermutungen. 

Nach  alledem  zeigt  sich  bei  dem  Schreiber  von  V,  wenn  es  ein  einziger  war, 
oder  bei  den  mit  der  herstellung  der  reinschrift  beauftragten  Zöglingen  derselben 
schule  ein  mangel  an  Übersicht  über  den  Inhalt  und  Zusammenhang  der  worte  und 
Sätze,  'den  ich  dem  Verfasser  selbst  nicht  zutraue:  und  ich  glaube  deshalb  nicht, 
dass  Otfrid  den  ersten  text  von  V  eigenhändig  geschrieben  habe.  Selbst  wenn  es 
übrigens  so  wäre,  würde  darauf  wegen  der  vielen  fehler  des  ersten  textes  kein 
grosser  wert  zu  legen  sein.  Wol  aber  habe  ich  keinen  grund,  von  Keiles  bis  zum 
höchsten  grade  der  Wahrscheinlichkeit  erwiesener  behauptung  abzugehn,  dass  der- 
jenige, welcher  die  fehler  des  ersten  Schreibers  mit  wenigen  ausnahmen  sorgfältig 
corrigierte  und  dann  auch  über  den  ersten  entwurf  hinaus  am  texte  änderte  und 
besserte,  der  Verfasser  Otfrid  selbst  gewesen  sei.  Nur  der  Verfasser  hatte  veran- 
lassung und  berechtigung  zu  änderungeu  wie  I,  25,  17  diurer  statt  gitater  (wol  um 
das  schon  v.  16  gebrauchte  wort  zu  vermeiden  und  zugleich  einen  volkommenereji 
reim  herzustellen);  I,  18,  10  cngilichaz  statt  engilo;  V,  23,  201  fuarent  und  rua- 
rent  statt  des  schon  197  gebrauchten  sg.  ftmrit,  ruarit  (s.  u.)  und  viele  andere, 
s.  Kelle  I  s.  161.  II  s.  XXXIII.  Dass  diese  besserungen  almählich  in  verschiede- 
nen Zeiträumen  gemacht  sind,  ist  nicht  mir  an  sich  wahrscheinlich,  sondern  wird 
auch  dadurch  bewiesen,  dass  ziemlich  viele  derselben  in  P  nicht  stehen  und  also 
noch  nicht  gemacht  waren,  als  Paus  V  abgeschrieben  wurde  (s.  u. ,  und  vgl.  über 
D  oben  s.  88).  Manche  änderuugen  in  V  müssen  aber  auch  von  unberufener  band 
gemacht  sein ,  wie  die  von  Piper  (nicht  von  Kelle)  zu  II ,  20 ,  13  angegebene  des 
richtigen  thär  in  das  unverständliche  thaz;  I,  22,  53  die  rasur  des  erst  richtig  über 
mir  geschriebenen  /*  (=  mih).    Über  die  acceute  spreche  ich  unten. 

Die  nächsten  fragen  sind:  Wer  hat  den  ersten  text  von  P  aus  V 
abgeschrieben  und  wer  hat  ihn  corrigiert?  Wie  sind  die  abwei- 
chungen  beider  handschriften  zu  beurteilen?  Piper  behauptet  zunächst 
aus  äusseren  gründen  die  Identität  des  ersten  Schreibers  von  V  und  von  P.  So 
weit  ich  nach  dem  facsimile  bei  Kelle  urteilen  kann ,  haben  beide  bände  allerdings 
grosse  ähnlichkeit,  doch  weiss  ich  nicht,  ob  diese  ähnlichkeit  genügt  um  beide  für 
identisch  zu  halten.  Alle  Übereinstimmungen  in  ,,schrcibgewohnheiten,"  die  Piper 
s,  55  —  58.  ^^  fg.  hervorhebt,  könte  ich  mir  sehr  wol  aus  gleicher  gewöhnung  eines 
engverbundenen  kreises  mehrerer  erklären;  ähnliche  gewohnheiten  in  zusarameu- 
ziehung  und  trennung  der  worte  finden  sich  z.  b.  auch  bei  dem  schreiber  von  D. 
In  der  Orthographie  von  P  sucht  Piper  eine  im  vergleich  mit  der  von  V  consequent 
und  coustant  fortschreitende  reform  nachzuweisen ,  aber  in  sehr  vielen  fällen  gelingt 
ihm  dies  nicht,  und  er  muss  häufig  wider  rückläufige  bewegungen  oder  unberechen- 
bares schwanken  constatieren.  Merkwürdig  ist  dabei  nur,  dass  er  bald  jene  conse- 
quenz,  bald  dieses  scliwankeu  zum  beweise  der  Identität  des  Schreibers  beider  band- 


ÜBER    OTFEli)    ED.    l'IPEK.      A.    ZUR   TEXTKRITIK  Öl 

sclirifteu  anfühlt.  Dass  OttVid  (ebenso  wie  seiner  zeit  Klopstock)  viel  über  deut- 
sche urthograpliie  nachdachte,  sehen  wir  schon  ans  seiner  widniung  an  Liutbert; 
aber  er  kann  diese  neigung  auch  seinen  Schreibern  mitgeteilt  oder  mit  ihnen 
gemeinsam  gehabt  haben.  Dass  in  Pipers  massenhaften  citaten  hier  und  da  fehler 
vorkommen,  ist  leicht  erklärlich;  z.  b.  ist  s.  107  (ur.  38)  das  verliältnis  von  k  zu 
ch  I,  1,  63  falsch  augegebi-n.  Aber  auch  algemeinere  behauptungen  sind  nicht 
ganz  richtig.  Ohne  einschränkung  gilt  der  satz  (s.  106)  nicht,  dass  P  keine 
Orthographie  ausweise,  die  nicht  in  V  auch  vertreten  wäre.  IV,  19,  39  P  bischof 
ist  isolierte  Schreibung  eines  einem  klosterbruder  doch  gewiss  geläufigen  Wortes; 
ebenso ,  so  viel  ich  weiss ,  die  einschiebung  des  p  in  III ,  4 ,  22.  10 ,  5  kümpta, 
I,  13,  14  youmptun;  ebenso  ist  isoliert  II,  2,  37  giuuunxsti;  I,  20,  19  zachari  statt 
zahari.  ÜAl  flrliache.  Die  kürzungen  für  fcmi  in  P  mannigfaltiger  als  in  V  (s.  57). 
Ich  meine  jedoch,  dass  aus  diesen  übereinstimmungeu  und  abweichungen 
die  identität  des  schi-eibers  beider  handscliriften  weder  bewiesen  noch  widerlegt 
werden  kann.  Ich  lege  auch  hier  vor  allem  gewicht  auf  diejenigen  abweichungen 
zwischen  V  und  P,  die  eine  äuderung  der  worte  nach  form,  bedeutung,  Verbin- 
dung enthalten.  Sie  sind  sehr  zahlreich  und  sehr  verschiedener  art.  Ich  suche  die 
wichtigsten  zur  eutscheidung  der  frage  nach  der  person  des  Schreibers  und  nach 
art  seines  Verhältnisses  zur  vorläge  P  in  gruppen  zu  ordnen. 

a.  Oft  ist  dasjenige,  was  in  V  erst  durch  correctur  hergestelt 
ist,  in  P  sofort  richtig  hingeschrieben.  Die  einfachste  erklärung  dafür  ist 
natürlich,  dass  die  handschrift  V  an  diesen  stellen  bereits  corrigiert  war,  als  der 
Schreiber  von  P  sie  abschrieb.  Piper  aber  denkt  sich  die  sache  (s.  86  u.  a.)  so, 
als  ob  der  Schreiber  eben  erst  beim  abschreiben  die  correctur  machte,  sie  in  P 
richtig  hinschrieb  uud  ,,danu"  oder  „zugleich"  in  seiner  vorläge  V  corrigierte. 
Erklärlich  wäre  diese  annähme  nur,  wenn  eben  Otfrid  selbst  beide  texte  geschrie- 
ben hätte:  auch  dann  bleibt  sie  höchst  künstlich  und  jedenfalls  nicht  sicher  zu 
beweisen,  und  ich  bleibe  hier  (ebenso  wie  für  F  und  D)  bei  der  zunächst  liegen- 
den annähme,  dass  die  vorläge  an  diesen  stellen  bereits  corrigiert  war,  als  die 
abschrift  gemacht  wurde.  Sicher  lässt  sich  dies  aus  der  art  der  Überlieferung 
schliessen  z.  b.  11,  8,  41.  In  V  war  (vielleicht  schon  in  folge  eines  Versehens) 
zuerst  geschrieben:  thie  man,  thie  thdr  tJioh  scanUun;  der  corrector  bezeichnete 
das  thoh  an  dieser  stelle  durch  unterstreichen  als  ungültig  und  schrieb  ein  tholi 
hinter  man  mit  einschaltungspunkten  über.  Der  Schreiber  von  P  schrieb  erst 
mechanisch  beide  ihoh  ab:  thie  man  thoh,  thie  thar  thoh  scanktun ;  später  erst 
wurde  durch  rasur  das  zweite  getilgt. 

b.  Ziemlich  häufig  aber  komt  es  auch  vor,  dass  eine  in  V  gemachte 
correctur  vom  ersten  Schreiber  von  P  nicht  benuzt  ist  und  entweder 
auch  dort  erst  später  durch  correctur  nachgetragen  ist  oder  in  P  überhaupt  gar 
nicht  steht.  Die  art  der  correctur,  die  nicht  leicht  übersehen  und  nicht  leicht 
verachtet  werden  konte,  zeigt  in  vielen  fällen  deutlich,  dass  diese  correcturen 
in  V  erst  ausgeführt  sind,  nachdem  P  aus  V  abgeschrieben  war,  und 
soweit  wir  sie  für  besserungen  von  der  band  oder  im  sinne  des  Verfassers  halten 
müssen ,  bestimmen  sie  den  höheren  wert  von  V  gegenüber  P.  Piper  sucht  viele 
solcher  correcturen  nicht  auf  Otfrid  selbst,  sondern  auf  den  schreiber  von  F  zurück- 
zuführen, eine  annähme,  die  ich  schon  oben  für  höchst  imwahrscheinlich  erklären 
nmste.  Ich  gebe  eine  samlung  solcher  in  V  erst  nach  der  herstellimg  von  P 
gemachten  correcturen ,  indem  ich  einige  besonders  lehrreiche  fälle  ausführlicher 
bespreche.     Im  Inhaltsverzeichnis  von  lib.  I  stand  in  V  Cupitnlae;   später  ist  das  e 


92  ERDMANN 

radiert.  P  schreibt  Capüiilae  und  widerholt  denselben  fehler  bei  lib.  III,  wo  er 
in  V  nicht  stand.  Vgl.  auch  I,  18,  1  imjsticae.  1,2,3  fingar  thinan  dua  ana 
iiiaiid  miiutn  schreibt  P  nach  der  ersten  Schreibung  von  V ;  später  ist  in  V  anan 
corrigiert  (Gratf  präp.  s.  76).  I,  5,  6  itins  in  V  von  P  copiert;  später  in  V  das 
H  radiert.  I,  5,  60  leidenti,  das  Piper  als  part.  von  leiden  in  den  text  sezt;  spä- 
ter in  V  das  allein  passende  leitenti  hergestelt,  vgl.  I,  16,  7.  I,  17,  50  thinge 
mit  fehlender  Senkung;  später  in  V  corrigiert  githinge.  I,  23,  3  stimna  in  V  aus 
stimiiia  durch  rasur  gemacht;  P  schreibt  gegen  seine  sonstige  gewohnheit  stimma. 
I,  28,  14  thio  euulnigö  uimnni;  V  sezt  später  ein  n  hinter  das  adj.,  so  dass  her- 
auskomt  euuinigon ,  was  auch  in  D  steht ,  offenbar  um  die  von  Otfrid  beabsichtigte 
schwache  adjectivflexion  herzustellen  (wenn  auch  -on  statt  -un).  Diese  äuderung 
würde  P  ohne  frage  benuzt  haben,  wenn  sie  ihm  schon  vorgelegen  hätte.  —  I,  22,  17 
stand  in  V  hidrogeniu;  P  verschlechterte  es  in  hidivginiu ;  der  corrector  von  V 
stelte  dann  das  für  Otfrid  correcte  bidrogeim  her.  F  combinierte  aus  V  und  P 
sein  bidrogeiiiul  —  I,  22,  29  war  in  V  im  reime  auf  not  zuerst  geschrieben  uuida- 
rot;  danach  wurde  in  P  geschrieben  mit  assimilation  imidorot.  Erst  später  wurde 
in  V  das  dem  worte  gebührende,  wenn  auch  den  reim  verschlechternde  r  eingefügt: 
uuidarort ,  wahrscheinlich  von  Otfrid  selbst,  gewiss  nicht,  wie  Piper  meint  (s.  115) 
von  Sigihard,  der  in  F  sein  uuidorort  aus  V  und  P  combinierte.  Merkwürdiger 
weise  sezt  Piper  diese  Schreibung  von  F  in  seinen  text.  —  II,  1,  11  then  anaginni 
ni  fuarit,  wie  zuerst  in  V  stand,  war  vielleicht  nur  ein  irtum  des  Schreibers;  P 
schreibt  ihn  nach.  Später  wurde  durch  rasur  hergestelt:  anagin  ni,  was  in  jedem 
falle  eine  metrische  und  lexicalische  besserung  ist,  die  wir  sehr  wol  Otfrid  selbst, 
nicht  dem  Schreiber  von  F  (Piper  .s.  173)  zutrauen  dürfen,  und  die  P  gewiss  benuzt 
haben  würde,  wenn  sie  ihm  vorgelegen  hätte.  —  H,  3,  54  sangta  mit  roter  tinte 
in  saiikta  corrigiert;  P  sangta.  II,  20,  11  V  erst  aus  misverständnis  sie,  was  P 
copierte;  später  in  V  corrigiert  sia.  II,  12,  56  intfähent  als  2.  pl. ;  in  V  später 
das  correcte  intfähet  hergestelt.  II,  14,  45.  102  emmizen  durch  rasur  hergestelt 
aus  dem  von  P  lopierteu  emmizigen.  II,  14,  67  stand  in  V  wahrscheinlich  das 
schwer  zu  lesende  loh  souh ,  das  P  als  ioli  si  ouh  copierte ;  später  ist  in  V  das 
entbehrliche  s  ausradiert.  II,  22,  17  stand  in  V  mithot,  was  P  copierte;  später 
corrigiert  in  V  mithont,  was  F  nicht  übersehen  hat.  III,  6,  50  higondutn  statt 
bigondun.     V,  8,  55  thiu,  V  später  corrigiert  the. 

Lehrreich  ist  besonders  die  stelle  V,  23,  201  fg.     In  V  stand  zuerst: 

201  thaz  spil,  tliaz  seiton  fuarit  ioh'man  mit  hanton  ruarit, 

202  uuh  mit  bläsanne,  thaz  hörist  thu  allaz  thanne ; 

203  thaz  niuzist  thu  io  geltcho  thär  scöno  geistlicho, 

204  iz  ist  so  m  alauuäri  in  himile  gizämi. 

Die  vcrsc  201—202,  welche  die  v.  197—199  einzeln  aufgezählten  Instrumente 
noch  einmal,  sie  in  zwei  klassen  gruppierend,  zusammenfassen,  haben  so  auch 
einen  sehr  guten  sinn,  wenn  mau  nur  nicht,  wie  Piper  unerklärlicher  weise  tut, 
das  auf  spil  zurückweisende  relativpronomen  thaz  als  subjcct  von  fuarit,  und  seiton 
als  acc.  pl.  ansieht.  Er  scheint  zu  denken,  spil  könte  im  ahd.  ein  musikalisches 
Instrument  bedeuten.  Gemeinsames  subject  in  fuarit  und  ruarit  ist  vielmehr  man, 
und  seiton  ist  dat.  instr.  plur.,  durchaus  entsprechend  dem  mit  hanton  201'',  und 
mit  ihm  zusammen  gegenübergestelt  dem  mit  bläsanne  202  \  Zu  übersetzen  ist: 
das  spiel ,  das  ein  (irdischer)  mensch  mit  saiten  hervorbringt  und  mit  händen  erregt 
(=  die  musikalischen  Idänge,  die  ein  irdischer  mensch  mit  von  den  händen  geschla- 
genen saiten  hervorbringt),    oder  auch  durch   blasen   (der   instrumente) :    das  hörst 


ÜBER    OTFRID    ED.    PIPER.       A.    ZUR    TEXTKRITIK  93 

(hl  dann  aUei<  —  das  fieniessest  du  immerfort  dort  in  geistlicher  weise  (d.  h.  ohtie 
rertuittlunfj  köri^erlicher  tverl'seuffe):  so  ist  es  fiirtvahr  im  kimmel  f/eziemend.^ 
Zu  beachten  ist  auch,  dass  in  V  gerade  die  drei  den  gegensatz  bildenden  worte 
seitön  —  hanton  —  Idäsanne,  und  zwar  nur  sie  allein  in  den  betreffenden  halb- 
versen,  accentuiert  sind.  Der  Schreiber  von  P  schrieb  da.s  in  V  stehende  einfach 
ab ,  nur  einen  accent  auf  spil  hinzufügend :  wäre  die  (in  Keiles  facsimile  tafel  III 
mitgeteilte)  änderung  in  T  damals  schon  ausgeführt  gewesen,  so  hätte  er  sie  nicht 
übersehen  können  und  gewiss  aufgenommen.  Später  nämlich  veränderte  der 
corrector  in  V  die  beiden  verbalformen  in  den  plural:  fuareut,  ruarent, 
wahrscheinlich  weil  ihm  die  widerholung  der  eben  schon  v.  197  gebrauchten  singu- 
larfornien  anstössig  war.  Diese  corrcctur  kann  sehr  wol  als  von  der  band  und  im 
sinne  Otfrids  ausgeführt  gelten  und  braucht  nicht  als  änderung  der  construction 
aufgefasst  zu  werden ,  da  man  auch  nom.  plur.  sein  kann  und  auch  ohne  thie  allge- 
mein gebraucht  wird,  z.  b.  II,  17,  21;  (gegensatz  dann  thero  engilo  sang,  v.  179  fg.). 
Der  Schreiber  von  F  folgte  dann  später,  wie  gewöhnlich,  dem  corrigierten  texte 
von  T,  nicht  dem  von  P:  ob  er  vielleicht  seiton  jezt  als  nom.  plur.  auffasste,  ist 
nicht  zu  entscheiden. 

c)  Sehr  zahlreich  ferner  sind  die  fälle,  in  denen  P  von  V  überhaupt 
abweicht.  Unter  diesen  abweichungen  sind  zunächst  solche,  die  entschiedene 
Verschlechterungen  sind,  Verschlechterungen  in  der  auswahl  der  worte,  der 
wortformen ,  der  constructionen ,  wie  sie  wol  ein  halbverstehender  und  falsch  reflec- 
tiercnder  Schreiber,  nicht  aber  Otfrid  selbst  mit  bewustsein  gemacht  haben  kann. 
II,  8,  37  T  thö  quad  er,  tliaz  sie  skanctin,  zi  themo  heresten  sih  utiantin  (nach 
Job.  2,  8  et  dicit  eis  Jesus:  haurite  nunc  et  ferte  architriclino).  Ganz  unpassend 
und  auch  durch  streben  nach  vervolkomnung  des  reimes  nicht  entschuldbar  ist  die 
erste  Schreibung  in  P :  santin ,  die  deshalb  auch  vom  corrector  als  fehlerhaft  erkant 
und  in  seanctin  cnrrigiert  ist.  —  III,  12,  40  {thaz  thü)  then  insliazes,  thie  thü 
tharazna  giliazes.  Der  Schreiber  von  P  sezt  statt  des  vom  dichter  mit  feiner  Über- 
legung gebrauchten  (vgl.  I,  11,  8.  V,  22,  12.  23,  8)  verbums  das  ihm  geläufigere, 
aber  weniger  bezeichnende  giläzes.  Pi])er  s.  136  vermutet  selbst  ,,ein  beim  abschrei- 
ben begegnendes  raisverständnis."     Er  sezt  es  aber  in  den  text. 

I,  25,  12  V  ims  limphit,  uuir  mit  uuillen  guatalih  irfullen  nach  Matth.  3,  15 
.  .  sie  enim  decet  nos  implere  omnem  justitiam.  Abhängiger  conj.  ohne  conjunction 
findet  sich  bei  dem  verbum  noch  V,  9,  45  ja  lamf,  .  .  er  al  iz  so  irfulti;  thaz  mit 
conj.  I,  22,  54  limphit  mir,  theih  uuerbe.    II,  12,  67.     III,  20,  13;  der  inf.  ist  bei 

1)  Zur  grammatischen  erklärung  meiner  auf  den  ersten  blick  vielleicht  auffallen- 
den construction  führe  ich  an:  a)  die  gleiche  Stellung  des  gemeinsamen  subjects  findet 
sich  z.  b.  I,  1,  39  tfurz  tliärana  singe,  iz  seovo  man  gifienne  (s.  diese  zeitschr.  V,  339). 
II,  7,  63  er  thih  holoti  ioh  Philippus  giladöti  u.  a.  h)  fuaren  =  hervorbringen  findet 
sich  kurz  vorher  v.  197  al,  thaz  Organa  fuarit  =  Alles  [spiel,  alle  musik) ,  was  die  or gel 
hervorbringt,  d.  h.  erschallen  liisst.  Dass  ruaren ,  welches  v.  197  reflexiv  stand,  hier 
neben  fuaren  ebenfalls  mit  dem  factitiven  acc.  tl(az  [spil)  verbunden  ist,  ist  nicht  auf- 
fallend; möglich  auch,  dass  die  verbimUmg  thie  seifon  ruaren  Otfrid  dabei  unklar  vor- 
schwebte, c)  mit  nur  bei  einem  von  zwei  verbundenen  instrumentalen  dativen  steht 
auch  III,  26,  44  {fallent  sie)  speron  ioh  mit  suerton.  I,  25,  28  mit  snabulu  ni  uuinnit 
ioh  fuazin  ouh  ni  krimmit.  III,  24,  102.  Ähnliche  Verbindung  zweier  in  ungleicher 
weise  an  der  handlung  beteiligten  gegenstände  im  dat.  instr.  ohne  mit  V,  20,  63  hanton 
ioh  ouh  ougon  biginnent  sie  nan  scouon. 


94  ERDMANN 

Otfrid  ganz  unerhört.  P  sclireiht  mir  statt  imir,  was  entweder  sclircib fehler ,  oder 
eine  ganz  alberne,  zum  bibeltexte  und  zu  Otfrids  Sprachgebrauch  nicht  passende 
ändei'ung  ist.  Piper  sezt  sie  in  den  text  und  vei'sucht  sogar  sie  zu  verteidigen.  — 
I,  25,  20  ih  uuäne ,  therer  fidle  allaz ,  thaz  ih  uiiolle  (später  corrigiert  uniUe). 
P  schreibt  aus  versehen  oder  absichtlich  das  weniger  bezeichnende  ther  statt  therer, 
wobei  zugleich  durcli  fehlende  Senkung  der  vers  schlechter  wird.  Der  corrector 
schreibt,  um  diese  herzustellen:  irfulle.  Sowol  einfaches  füllen  (I,  2,  50.  II,  19,  27. 
III,  20,  134.  V,  23,  192)  als  auch  irfullen  (I,  24,  19.  II,  14,  102)  entspricht  in  dieser 
bedeutung  Otfrids  sprachgebrauche.  —  II,  4,  3  V  er  fastUa  unnöto  thär  niiman  hwnt 
zito ,  4  sehszitg  ouh  tharmiti  in  uuär  usw.  ütfrid  hat,  wahrscheinlich  der  mysti- 
schen Zahlenspielerei  irgend  eines  commentators  folgend ,  die  40  tage  in  960  stun- 
den verwandelt.  Nach  Pipers  losung  steht  in  P  das  ganz  ungeheuerliche  sehs  ziit 
(Kelle  las  sehszut,  vgl.  in  F  V,  13,  19  finfzu(jht  :  gihugt).  Wenn  der  Schreiber  von 
P  hier  nicht  ganz  gedankenlos  gewesen  ist  und  wirklich  sehs  ziit,  d.  h.  sehs  ziti 
oder  zito  mit  elision  des  lezten  vocals  hat  schreiben  wollen ,  so  hat  er  nicht  gewust, 
dass  hier  40  mit  24  zu  nmltiplicieren  war,  und  kann  also  nicht  der  Verfasser  gewe- 
sen sein,  der  diese  multiplication  an  dieser  stelle  früher  ausgeführt  hatte.  —  III, 
14,  79  so  uuer  so  thes  ruahta,  thaz  fruma  zimo  suahta,  80  uuizist  iz  in  alauuär, 
es  ni  hrast  imo  thär.  Nur  so  konte  Otfrid  construieren,  bei  dem  bristit. etwa 
20 mal  unpersönlich  mit  sächlichem  gen.  steht,  während  eine  Verbindung  dieses  ver- 
bums mit  persönlichem  subject  bei  ilim  ganz  unerhört  ist.  Der  durch  es  angedeu- 
tete sächliche  Inhalt  ist  ganz  gleich  dem  vorher  durch  thes  bezeichneten.  Hätte 
Otfrid,  wie  Piper  meint,  ausdrücken  wollen:  er  fehlte  ihm  nicht,  so  hätte  er  den 
gen.  sin  gesezt  wie  IV,  15,  57;  min  V,  16,  46.  Nach  Kelle  (I  s.  160)  steht  auch 
in  V  es,  nur  undeutlich  geschrieben.  Nach  Piper  war  in  V  erst  er  geschrieben; 
das  würde  ein  vielleicht  durch  das  auslautende  r  dos  vorhergehenden  wortes  ver- 
anlasster Schreibfehler  sein,  den  der  corrector  selbstverständlich  in  es  verbesserte. 
Der  Schreiber  von  P  schrieb  er;  ich  will  zu  seiner  ehre  annehmen,  dass  dies  auch 
nur  ein  schreibe-  oder  lesefehler  war,  nicht  eine  bewuste  änderung  der  richtigen 
construction  in  eine  falsche,  obwol  wir  allerdings  derartige  dinge  bei  ihm  finden 
werden.  Piper  sezt  dies  er  in  den  text  und  meint,  es  sei  erst  eine  künstliche  Ver- 
änderung, die  der  Schreiber  von  F  eingetragen  habe!  Piper  verdreht  den  einfachen 
Sachverhalt  einer  künstelei  zu  liebe.  —  Dieselben  worte  es  und  er  sind  in  noch  törich- 
terer weise  vertauscht  I,  19,  24.  In  V  stand;  sume  quedent  ouh  in  uuär,  thaz  es 
uuärin  zuei  jär  (über  den  gen.  meine  unters.  II  §  190).  Der  Schreiber  von  P 
(wahrscheinlich  beeinflusst  von  I,  19,  23''  er  fiar  jär  thär  niiäri)  schrieb  dafür: 
thaz  er  uuär  im,  zuei  jär,  wobei  das  in  ganz  unverständlich  bleibt.  Piper  sezt  die 
alberne  änderung  in  den  text.  —  Nicht  ganz  so  schlimm  ,  aber  jedenfalls  eine  Ver- 
schlechterung der  construction,  die  dem  Verfasser  selbst  nicht  zuzutrauen  ist,  ist 
auch  die  änderung  an  den  stellen  IV,  22,  1  V  ih  uueiz ,  es  uuirdig  ni  uuarä, 
2  thaz  thaz  .  .  .  (PF  er).  11,  8,  40  VF  es  uuiht  ni  quam  imo  ouh  in  uuän  (P  iz). 
S.  Kelle  II,  324.  —  I,  15,  45  ioh  uuuntöt  ferah  thinaz  uuäfan  fihi  uuassaz, 
46  bitturu  pina  thia  selbün  sela  thtna.  P  schreibt  uuuntont,  entweder  durch  mis- 
verständliche  Verwechselung  mit  den  vorhergehenden  pluralformen  43  abahönt, 
44  firsprechent ,  oder  durch  unpassende  grammatische  klügelei  bewogen,  weil  näm- 
lich zwei  subjecte  {uuäfan  und  pina)  zum  verbum  zu  gehören  schienen.  Beides 
ist  für  den  Verfasser  selbst  sc^hwer  glaublich.  Piper  sezt  uuuntöt  in  den  text,  folgt 
also  hier  seiner  verliebe  für  P  nicht.  —  Ebenso  scheint  mir  II,  3,  2  niazent  statt 
niazet   in   P    auf  versehen    oder  raisverständnis   zu    beruhen,    vgl.  Kelle  II,  s.  43; 


ÜBER   OTFEID    KD.    PIPER.      A.    ZUR   TEXTKRITIK  95 

II.  19,  16  ist  aus  dem  zuerst  in  P  geschriebenen  minnönt  vom  corrector  das  rich- 
tige minnöt  hergestelt.  II,  6,  3  ist  ir  in  P,  das  Kelle  ganz  übersehen  hat  {Schil- 
ter hat  es),  ein  blosser  .Schreibfehler  gegen  er  VDF.  Piper  sezt  beidemal  die 
iucorrcctheiten  von  P  in  seinen  text.  —  I,  17,  9  tliö  qiiämun  (VD)  östana  in  thaz 
hint,  thie  irkantan  suunün  fürt  ist  ohne  jeden  anstoss.  P  schreil)t  quam  mit 
einem  punkte,  der  nach  Keiles  angäbe  etwas  über  der  zeile  steht:  quam.  Viel- 
loielit  hat  der  sclireilier  nur  die  abkürzung  andeuten  wollen.  In  jedem  falle  ist  der 
sing,  quam  nicht  zu  verteidigen :  die  von  mir  Unters.  II  §  42  fg.  zusammeugestel- 
ton  fälle  des  sing,  verbi  bei  pluralisclien  nouion  sind  alle  anderer  art.  Dass  F 
ihn  sezt  (ohne  punkt) ,  bezeugt  nur  die  Unselbständigkeit,  mit  der  sich  der  Schreiber 
liiur  von  P  leiten  liess.  Piper  sezt  quam  in  den  text  und  gibt  nicht  an,  dass  iu 
1)  quchnan  steht:  doch  berichtigt  er  beides  s.  293.  II,  6,  44  {oh  er  .  .)  zalti  iz 
allaz  üfan  sih ,  ni  uuurtiz  alles  so  erjisUh  =  hätte  er  alles  auf  sich  genommen, 
so  wäre  es  nicht  ganz  so  schlimm  geworden.  Das  adverbium  alles  VDF  ist  sehr 
passend  und  mit  feiner  Überlegung  vom  dichter  gebraucht;  ähnlich  steht  es  bei 
einem  prädicativen  adj.  IV,  6,  36  siu  uuas  alles  zi  breit.  Der  schreiber  von  P, 
dem  diese  Verbindung  vielleicht  nicht  geläufig  war,  schreibt  durch  die  gleichen 
Worte  der  ersten  vershälfte  beeinflusst  unpassend  allaz.  Piper  sezt  es  in  seinen 
text.  —  III,  9,  8  thie  in  ummizzm  uuärun.  Der  plural  entspricht  durchaus  Otfrids 
sprachgebrauche,  s.  meine  Unters.  II  §  33.  Dieselbe  t'ormel  steht  III,  10,  11. 
18,  27.  Dem  schreiber  von  P  war  sie  vielleicht  nicht  geläufig,  er  schrieb  an  die- 
ser stelle,  wo  sie  ihm  zum  ersten  male  begegnete,  den  sg.  unuuizzi.  Piper  sezt 
ihn  in  den  text.  —  Formelhaft  ist  andererseits  der  sg.  II,  18,  9  uuizut  ir  thia 
rcäina,  vgl.  den  gegensatz  13  ih  zelliu  afar  thanana  mines  selbes  redina,  14  sel- 
bon  han  minan.  V,  19,  31  läsi  thu  io  thia  redina.  Wenn  P  II,  18,  9  die  incor- 
recte  pluralforra  sezt:  thie  redinä,  so  kann  dies  (vgl.  oben  zu  I,  15,  45)  auf  der 
Überlegung  beruhen,  dass  mehrere  citate  aus  dem  alten  testament  im  folgenden 
vorkommen;  dass  es  der  Verfasser  selbst  gewesen  sei,  der  diese  reflexion  gemacht, 
ist  weder  notwendig  noch  wahrscheinlich ,  da  er  vor  allem  eine  hinweisung  auf  das 
eine  unmittelbar  folgende  citat  brauchte.  Auch  an  den  anderen  von  Piper  s.  132 
angeführten  beispielen  des  Schwankens  zwischen  sg.  und  plur.  der  abstracta  kann 
ich  weder  anerkennen,  dass  sich  eine  constante  richtung  der  bewegung  von  V  nach 
P  nachweisen  lasse,  noch  dass  das  jedesmal  in  P  stehende  besser  begründet  sei 
als  das  in  V  stehende. 

Ein  Zusammenhang  scheint  mir  zu  bestehen  zwischen  den  änderungen  des 
Schreibers  von  P  an  den  beiden  stellen  I,  19.  15  {thaz  .  .)  er  otih  baz  ingiangi, 
siu  uuäfan  ni  bifangi.  I,  21,  14  thaz  kind  er  scöno  thär  irzöh  ioh  then  fian- 
ton  intflöh.  Die  durch  VDF  für  die  erste,  durch  VF  für  die  zweite  stelle  über- 
lieferten gesperrten  werte  sind  tadellos.  Der  schreiber  von  P  änderte  aber  nach 
Pipers  lesung  in  der  ersten  stelle  das  baz  in  thaz  (Graff  und  Kelle  führen  es  nicht 
nn,  aber  bei  Schilter  steht  es  ebenfalls),  und  .an  der  zweiten  stelle  den  dat.  pl. 
ihcn  fianton  in  den  acc.  sg.  then  fiant.  Er  versuchte  also  beidemal  intgangan 
und  intfliahan  analog  dem  lat.  evitare  oder  effugere  mit  dem  acc.  zu  construieren. 
Otfrid  hatte  das  freilich  einmal  auch  getan  H.  62  er  eino,  ther  intßöh  thaz,  wo 
das  anagramm  ihn  nötigte:  dass  er  selbst  es  aber  ohne  grund  au  stelle  einer  feh- 
lerlosen constructiou  in  den  text  hineingetragen  haben  solte,  glaube  ich  nicht.  Wol 
aber  konte  ein  superkluger  abschreiber  darauf  kommen ,  der  an  der  ersten  stelle 
die  loekere  Satzverbindung  nicht  würdigte,  an  der  zweiten  eine  beziehuug  auf  den 
einen  hauptfeind  Herodes  verlangte.     Der  corrector  hat  an  der  lezten  stelle  natür- 


96  ERDMANN 

lieh  („mit  accenttinte")  den  rielitigen  dat.  jil.  wider  liergestelt.  —  Ganz  fehlerhaft 
und  entweder  aus  versehen  des  Schreibers  oder  aus  metrischer  klügelei  zu  erklären 
jst  auch  der  dat.  uns  statt  des  richtigen,  in  VF  stehenden  acc.  unsih  in  dem 
verse  I,  2G,  14  thiu  gilouha  iinsih  oiih  rehte  in  thionost  sinaz  rihte.  Piper  sezt 
don  fehler  in  den  text.  —  I,  16,  16  tJiaz  IdndiUn  si  thär  güali  ioJi  lob  ouh  drtih- 
tiiies  (YDF)  sprüh.  Der  gen.  entspricht  ganz  dem  Sprachgebrauch  Otfrids,  vgl. 
z.  b.  I,  1,  116  Kristes  loh  sunyi.  I,  2,  5  u.  a.  Der  Schreiber  von  P  sezte  den 
dativ,  vielleicht  als  Schreibfehler,  vielleicht  um  das  doppelte  s  zu  vermeiden,  in 
jedem  falle  eine  einfache  construction  mit  einer  gekünstelten  vertauschend.  Dass 
der  text  der  vulgata  Luc.  2,  38  confitebatn/r  domino  eingewirkt  habe ,  ist  nicht  wahr- 
scheinlich ,  da  gerade  der  Schreiber  von  P  auf  denselben  bei  seinen  ändeiungen 
sonst  nicht  rücksicht  nimt,  wie  z.  b.  aus  der  bald  folgenden  stelle  III,  22,  59  her- 
vorgeht. 

II,  8,  37  ther  tliero  thrioseszo  loas  furisto  gimazzo  P  schreibt  fiirista, 
was  in  jedem  falle,  ob  man  gimazzo  als  nom.  sg.  oder  mit  Piper  als  gen.  pl. 
betrachtet,  eine  Übertragung  der  häufig  mit  einem  sächlichen  gen.  verbundenen 
formel  furista  sin  auf  einen  fall  ist,  in  dem  Otfrid  sie  sonst  nicht  braucht,  näm- 
lich bei  aussonderung  einer  person  aus  der  menge ,  der  sie  angehört.  Er  ist  also 
ganz  eigentlich  ,,otfridischer,  als  Otfrid  selb.st  zu  sein  pflegt"  (Piper  vorrede  s.  VIII), 
d.  h.,  wie  ich  diese  worte  verstehe,  er  ist  wahrscheinlich  nicht  auf  Otfrid,  son- 
dern auf  einen  einigermassen  mit  dessen  s})rache  vertrauten,  klügelnden  abschrei- 
ber  zurückzuführen. 

III,  22,  59  ni  (VDFj  duan  ili  sinn  locrlc  iu  entspricht  genau  Job.  10,  37 
si  non  facio  opera  pairis  mei;  den  nachsatz  scheint  Otfrid  allerdings  anders  gewant 
und  für  das  nolite  credere  mihi  ein  non  vultis  credere  eingesezt  (oder  in  seinem 
texte  gelesen?)  zu  haben.  Der  schrciber  vonP,  den  gegensatz  dieses  satzes  zu  61* 
Verkennend  und  denselben  nach  seiner  weise  ausdeutend,  schrieb  nu  statt  w«.  Piper 
will  dies  dadurch  erklären,  dass  Otfrid  selbst,  der  erst  die  stelle  der  vulgata  mit 
genauer  beobachtung  des  gegensatzes  übersezt  hatte,  dieselbe  (und  seine  eigene 
Übersetzung !)  später  nicht  mehr  genau  verstanden  habe.  Der  arme  Otfrid !  Noch 
schlimmer  freilich  und  noch  weniger  begründet  sind  die  vorwürfe,  die  Piper  seiner 
behandlung  des  bibeltextes  und  seiner  ehrlichkeit  im  conmientar  zu  V,  11,  5  fg. 
macht,  wie  jeder  aufmerksame  leser  bei  vergleicliung  der  quellen  sehen  kann. 

Hier  muss  ich  endlich  zurückkommen  auf  die  stelle  I,  19,  7  (s.  diese  ztschr. 
VI,  446).  Dass  Otfrid  wirklich  beabsichtigt  hat  untarmiiari,  scheint  mir  durch 
die  Überlieferung  in  V,  D  (wo  das  wort  wenigstens  bis  zum  m  lesbar  ist)  und  F 
sicher  bezeugt.  Dass  der  schrciber  von  V  erst  geschrieben  hatte :  untarmari, 
spricht  nur  dafür,  dass  es  sich  um  ein  ihm  nicht  geläufiges  wort  handelte.  Durch 
correctur  ist  hergestelt  untarmuari,  und  der  in  V  und  D  auf  die  präposition 
gesezte  accent  spricht  für  meine  aufstellung  eines  zusammengesezten  unflectiorten 
adjectivs  trotz  der  getrenten  Schreibung  (Schade  wb.  '^  s.  628).  Wenn  nun  in  P 
steht:  tmtar  nuari,  so  beweist  dies  zunächst  (falls  nicht  blosser  Schreibfehler  vor- 
liegt), dass  auch  dieser  schrciber  das  in  V  ihm  vorliegende  nicht  verstand.  Ent- 
weder copierte  er,  ohne  bei  dem  was  er  schrieb,  sich  etwas  zu  denken  ,  und  machte 
dabei  einen  strich  zu  wenig  (oder,  wenn  das  u  etwa  iu  V  damals  noch  nicht  über- 
geschrieben war ,  einen  zu  viel) ;  in  diesem  falle  wäre  dann  auch,  der  accent  mecha- 
nisch ohne  viel  Überlegung  auf  die  vorlezte  silbe  des  halbverses  gesezt.  Oder  der 
Schreiber  von  P  wolte  durch  das,  was  er  schrieb,  seine  vorläge  irgendwie  ausdeu- 
ten,   und  ebenso  der,  welcher  den  accent  sezte.     Ich,    der  ich  untar  nuari  durch- 


ÜBER    OTPRID    EI).    PIPER.      A.    ZUR    TEXTKRITIK 


97 


aus  nicht  verstelle,  «laube  das  erste  und  kann  daher  Otlrid  nicht  für  den  Schrei- 
ber dieses  unsinns  halten.  Piper,  der  in  der  einst  hei  Kelle  beliebten  geheimnis- 
vollen weise  einen  deutungsversueh  des  Wortes  in  seinem  künftig  erscheinenden  wör- 
terbuche  ankündigt,  scheint  das  zweite  zu  meinen;  vgl.  auch  seine  einleitung  s.  138. 
Dass  er  in  seinen  text  die  in  V{D)F  überlieferten  buchstaben,  aber  mit  der  accen- 
tuation  von  P,  sezt,  ist  höchst  inconsequent. 

I,  5,  10  mit  salteru  in  henti,  then  sang  d  uiiz  in  enti  in  VF  zeigt  die  schon 
im  kirchlichen  angelsächsisch  heimische,  bei  Otfrid  noch  III,  7,  45.  IV,  28,  19. 
20.  23  belegte  und  bei  Kero,  Tatian,  Notker  häufige  volkstümliche  Umgestaltung 
der  fremdAvorte  i)^altcrhtm ,  pmhmis.  Das  wort  alliteriert  in  dieser  fassung  mit 
dem  sang  des  anderen  halbverses,  wie  in  diesem  mit  besonderer  kunst  und  höhe- 
rem Schwünge  des  ausdrucks  gedichteten  stücke  die  alliteration  häufig  als  neuer 
schmuck  zum  reime  hinzutritt.  Der  Schreiber  von  P  zerstörte  die  alliteration,  welche 
dem  dichter  doch  kaum  entgangen  sein  konte,  indem  er  die  der  lateinischen  her- 
kunft  entsiirechende  form  psaltcreH  einsezte;  ebenso  hat  er  nach  Pipers  lesung 
III,  7,  Ah  zuerst  geschrieben  pselini ,  hier  aber  radierte  er  selbst  oder  der  corrector 
das  jj  wider  aus.  Die  mit  ps  anlautenden  formen  finden  sich  nach  GrafT  III,  370 
sonst  nur  bei  Isidor;  die  änderung  der  volkstümlichen  form  in  die  correcte  aber 
fremdartige  scheint  mir  eine  dem  Schreiber  von  P  eigentümliche,  für  Otfrid  selbst 
schwer  glaubliche  gelehrte  künstelei  zu  sein ,  die  sich  den  oben  erwähnten  latinisie- 
renden constructionen  des  Schreibers  von  P  I,  19,  15.    21,  14  zur  seite  stelt. 

Ich  stelle  noch  eine  reihe  anderer  fehlerhaften  abweicliungen  der  ersten 
Schrift  von  P  zusammen,  die  mir  gerade  für  die  eigene  band  des  Verfassers  schwer 
glaublich  sind:  I,  5,  7  zi  ediles  frouuon  (von  Kelle  nicht  bemerkt,  aber  von  Schil- 
ter ebenfalls  angegeben)  statt  frouün  im  reime  auf  müriün  (Schilter  schreibt 
marion).  Wol  Schreibfehler,  vielleicht  veranlasst  durch  fordoron  im  nächsten 
verse.  Piper  sezt  es  in  den  text:  ebenso  I,  5,  11  uuirkendo  statt  uuirkento, 
16  zeizästo  statt  zeizösto;  dieses  lezte  sucht  er  s.  118  zu  verteidigen.  —  I,  16,  10 
driunlicho  statt  driulicho.  25  thehemo  statt  theh  imo.  I,  18,  10  frinstri  statt  fin- 
stri.  I,  22,  6  gihogetuu  statt  giliugitun  (später  eorrigiert)  I,  22,  25  thö  statt 
tliio,  vom  corrector  gebessert.  I,  22,  57  untarthioh  statt  ^mtarthio.  II,  4,  31. 
12,  21  Zusatz  des  unpassenden  er  (oder  er?) ,  das  Piper  an  der  ersten  stelle  in  den 
text  aufnimt,  an  der  zweiten  nicht.  II,  4,  38  blimjo  statt  blügo.  II,  6,  47  raht 
statt  rät.  II,  9,  92  rediafto  statt  redihafto.  II.  14,  42  manmonto  statt  mammonto 
(Piper  sezt  beides  in  den  text).  II,  14,  7  V  so  uuir  gizaltun  Mar  nu  er  und  103  thaz 
vumödo  sin  nah  fiari  stellt  P  worte  um :  nü  Mar  und  noh  sin ,  beidemal  zum 
schaden  der  dictiou  und  betonung;  auch  Sal.  33.  Piper  folgt  ihm.  IV,  2,  27  thaz 
statt  iz  VDF.  V,  23,  135  V  tlier  ni  gihit  tMr  thia  frist.  P  (wol  durch  die  vie- 
len auslautenden  r  beirrt)  schrieb  ohne  genügenden  grund:  tMr  tliär  frist. 

d.  Mit  alledem  soll  nicht  geleugnet  werden ,  dass  sich  auch  abweichungen 
in  P  finden,  die  als  wirkliche  Verbesserungen  des  in  V  vorliegenden  textes 
angesehen  werden  müssen.  Aber  ich  finde  keine  unter  ihnen,  die  mit  notwendig- 
keit,  wie  Piper  s.  80  meint,  oder  auch  nur  mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  gerade 
dem  Verfasser  selbst  zugeschrieben  werden  müste,  die  vielmehr  nicht  bewuste  oder 
unbewuste  änderung  eines  reflectierenden  abschreibers  sein  könte.  Hierher  rechne 
ich  folgende  stellen:  I,  11,  13  V  hurg  nist,  thes  uiienlce.  P  schreibt:  nisi,  schliesst 
also  den  satz  der  vorhergehenden  abhängigen  rede  an.  Diese  Verbesserung  braucht 
nicht  notwendig  der  dichter  gemacht  zu  haben ,  der  oft  genug  ähnliche  Sprünge 
aus  indirecter  ^in  directe   rede    unverändert   stehn  Hess    (Unters.  I  §313),    und  der 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.    XI.  i 


98  EBDMANN 

liier  die  directe  rede  mit  den  Worten  des  kaisers  schon  v.  13,  nicbt  v.  15  beginnen 
Hess ;  sondern  sie  kann  anch  von  einem  reflectierenden  abschreiber  stammen ,  der 
einen  parallelismus  der  construction  herstellen  weite  zu  v.  10  ni  si  man  nihein  so 
ueigi ,  wo  er  (nach  Pij^er)  in  seiner  vorläge  das  ni  si  so  undeutlich  geschrieben 
fand ,  dass  es  gleich  dem  in  v.  13  stehenden  auch  für  nist  gelten  konte.  Auch  F 
(Sigihard)  erkent  die  Verbesserung  an  und  folgt  hier  P,  nicht  wie  sonst  T  (s.  oben).  — 
I,  17,  75  V  tliaz  sie  otih  thes  ni  thähtin,  76"  noli  (jikundttn  thanne  thia  fruma 
thcmo  manne.  P  schreibt:  noh  ni  kundtin.  Allerdings  entspricht  noh  ni  der  von 
Otfrid  meist  befolgten  regel  (Kelle  II,  418).  Aber  auch  bei  ihm  finden  sich  aus- 
nahmen (I,  22,  58.  IV,  12,  20.  IV,  36,  12.  V,  22,  9),  und  auch  diese  stelle  kann 
zu  den  ausnahmen  gehört  haben  und  braucht  nicht  von  ihm  selbst  geändert  zu 
sein ,  während  er  sicli  vielleicht  bei  der  durchsieht  (s.  u.)  die  von  seinem  Schreiber 
vorgenommene  äuderung  wol  gefallen  Hess.  —  III,  12,  39  V  thaz  thcn  thio  duri 
sin  bidän,  thie  tliarin  ni  sculnn  f/än.  Der  conj.  in  P:  sciiltn  zeigt  das  bestre- 
ben, den  zu  einem  absichtssatze  gehörigen  relativsatz  ebenfalls  in  den  conj.  zu 
setzen;  aber  diese  gleichförmigkeit  ist  bei  Otfrid  sonst  nicht  überall  durchgeführt 
und  namentlich  bei  dem  schon  für  sich  den  Inhalt  des  nebensatzes  als  beabsichtigt 
bezeichnenden  httlfsverb  scal  bedenklich,  s.  meine  Unters.  I  §  67.  240  fg.  —  II,  21,  38 
P  bifalUn  statt  c/i  fallen  in  YF  entspricht  allerdings  dem  durch  die  stellen  II,  24,  19. 
III,  13,  15  belegten  gebrauche  des  ersten  verbums.  Doch  ist  nicht  ausgeschlossen, 
dass  Otfrid  an  der  ersten  stelle  das  verbum  fiifallan  gebraucht  und  nur  sein  Schrei- 
ber es  geändert  habe. 

Einigemal  ist  in  P  nach  dem  pronomen  ther  die  in  V  stehende  pronomi- 
nale (starke)  flexion  eines  attributiven  adj.  in  die  consonantisch- substantivische 
(schwache)  verwandelt:  III,  15,  1  V  thuriih  then  michilan  haz  =  wegen  des  lias- 
ses.  welcher  gross  war;  P:  inihilon.  IV,  27 ,  9  P  then  ktinincf  himilisfj an, 
P:  hiviilisgoH.  Dazu  I,  22,  41,  wo  wirklich  (nach  Pipers  lesung)  in  V  Hob  an 
steht.  Aber  die  authenticität  dieser  Verbesserungen  ist  mir  sehr  zweifelhaft,  denn 
in  ganz  ähnlichen  stellen  ist  die  pronominale  flexion  in  V  und  P  unverändert 
stehn  geblieben :  IV,  33  ,  5  thaz  scönaz  annuzzi.  IV,  35 ,  28  then  liaban  man. 
I,  28,  16  then  spihiri  siiazan;  vgl.  III,  6,  35.  III,  7,  29.  18,  30.  Nur  F  hat  an 
den  beiden  ersten  stellen  sicher,  an  der  dritten  wahrscheinlich  die  schwache  form 
eingesezt.  I,  28,  14  (s.  o.)  ist  das  Verhältnis  von  P  zu  dem  (corrigierton)  V  gerade 
umgekehrt  als  in  jenen  stellen,  und  man  wird  mit  Kelle  II,  269  annehmen  müs- 
sen, dass  Otfrid  selbst  noch  in  sehr  mannigfacher  weise  zwischen  starker  und 
schwacher  adjectivflexion  wechselte,  was  ein  gefühl  für  den  unterschied  der  bedeu- 
tung  im  einzelnen  fall  nicht  ausschliesst.  —  Ebenso  ist  mir  an  den  stellen,  wo 
in  P  das  pronomen  er  statt  des  thcr  in  V  eingesezt  ist,  II,  12,  9  nist,  ther  thes 
beginne  (P:  er).  I,  1,  95  ander  thes  beginne,  .  .  thaz  fg.  P:  es,  Ursprung  und 
wert  der  in  P  vorliegenden  änderung  sehr  zweifelhaft.  —  Eine  —  vielleicht  durch 
unvollständige  correctur  des  urentwurfes  erklärliche  —  combiuatiou  zweier  construc- 
tionen  war  in  V  stehn  geblieben  IV,  24,  6  in  heilen  hant  (s.  meine  Unters.  II  §  2) ; 
um  zu  verbessern:  in  heila  hant  (P)  brauchte  man  nicht  Otfrid  selbst  zu  sein. 
Merkwürdig  ist  hier  die  naive  pietät  Sigihards,  der  um  keiner  handschrift  unrecht 
zu  tun  sich  aus  beiden  sein  heilan  hant  combiniert.  —  Auch  zu  der  Verbesserung 
uuas  so  statt  uuur  so  V,  16,  13  gehörte  nicht  viel  Überlegung.  Dass  der  Schreiber 
von  V  dort  das  Präteritum  des  sonst  bei  Otfrid  immer  mit  acc.  verbundenen  ver- 
bums  tvirrati  gemeint  habe,  glaube  ich  nicht:  vielleicht  schwankte  er  zwischen 
uuäri   und   uuas.    —    Ähnliche    coiTecturen    sind   IV,  26,  16  uuizet^  statt  nutzen. 


ÜBEB    OTKRID    KD.    PIT'RR.       A.    ZUR    TEXTKRITIK  99 

V,  20,  17  sizzent  statt  sizzen,  vgl.  V,  Ö,  29  ineincnt.  IV,  7.  89,  wo  die  gleiche 
correctur  in  V  selbst  auch  ausgeführt  ist.  1 ,  17,  57  P  Ihdr  thnz  kinä  mi((s  statt 
thär  tiuas  thaz  Jciiid  VF.  I.  17,  65  sclnentaz  statt  ficinantdz.  I,  18,  9  liohi  P 
statt  Uothy :  die  correctur  überhietciul  schreibt  F  sogar  lih(it\  11,  14,  109  thoh  P 
statt  tliö  V. 

e.  Viele  mühe  liat  Pijier  verwaiit  auf  die  uutersuchuug  und  inotivierung  der 
abweichungen  in  den  accenten  zwischen  V  und  P  (s.  14G  —  171.  250),  über  die 
ich  ohne  die  von  a — d  gemachten  Unterscheidungen  durchzuführen  einige  benier- 
kuugen  hier  zusammenstelle.  Pi])er  geht  von  der  ansieht  aus  (s.  146.  149),  dass 
Otfrid  selbst  erst  die  accente  in  T  gesezt,  dann  mit  bcrücksichtigung  derselben, 
aber  mit  häutigen  änderungeii  auch  die  handschrift  P  accentuiert  habe.  Diese 
änderuugen  müsten  danach  sämtlich  überlegte  Verbesserungen  sein;  da  sich  aber 
häufig  in  P  accente  finden,  die  ,, offenbare  vei'schlechterungen "  sind  (s.  155),  so 
meint  Piper,  diese  accente  rührten  von  unberufener  band,  und  es  sei  von  einem 
jeden  einzelnen  in  P  überlieferten  accente  zu  prüfen,  ob  er  von  Otfrid  herrühre, 
(s.  155).  Dennoch  versucht  er,  durch  aussonderung  bestimter  gruppen  die  accentua- 
tion  als  eine  allmählich  in  fortschreitender  entwicklung  ausgebildete  zu  erkennen. 
Er  meint,  Otfrid  selbst  habe  nie  mehr  als  einen  oder  zwei  accente  auf  den  halb- 
vers  zu  setzen  beabsichtigt :  wo  mehr  überliefert  seien ,  erkläre  sich  das  durch  spä- 
tere correcturen ,  bei  denen  die  tilgung  der  jezt  als  ungiltig  zu  betrachtenden  accente 
von  Otfrid  unterlassen  sei  (s.  250),  oder  auch  dadurch,  dass  unberufene  bände 
accente  zugefügt  hätten  (s.  155).  Trotzdem  hält  Piper  es  für  möglich,  die  von 
Otfrid  als  lezte  entscheidung  aufgestelten  accente  in  jedem  falle  zu  erkennen:  er 
selbst  hat  es  aber  für  jezt  noch  unterlassen ,  diese  Scheidung  zu  treffen  (s.  250). 
Auch  von  D  hält  er  es  für  möglich ,  dass  die  handschrift  von  Otfrid  selbst  accen- 
tuiert sei,  aber  unabhängig  von  V  und  P,  denn  es  zeigen  sich  in  den  wenig 
umfangreichen  bruchstücken  nicht  weniger  als  262  abweichungen  (s.  203).  Von  F 
gibt  auch  Piper  zu,  dass  die  accontuation  (abgesehn  von  den  diakritischen  accen- 
ten auf  io  u.  a.),  gänzlich  planlos  sei  und  nur  einigemal  dazu  diene,  den  reim  für 
das  äuge  hervorzuheben  (s.  207). 

Ich  habe  das  sehr  umfangreiclie  material,  das  in  den  zahllosen  abweichungen 
der  accentuation  von  T  und  P  liegt,  noch  nicht  volständig  durcharbeiten  können. 
Aber  ich  habe  genug  davon  kennen  gelernt,  um  Pipers  hofnungen  doch  für  alzu  san- 
guinisch, seine  Vorliebe  für  die  accentuation  von  P  für  ungerechtfertigt  zu  halten: 
und  ich  meine  zugleich,  dass  die  abschätzung  des  wertes  der  überlieferten  accente 
für  Otfi-ids  metrik  auf  ein  bescheideneres  mass  zurückzuführen  sei.  Wer  zum 
ersten  male  davon  gehört  hat,  das  werk  Otfrids ,  des  hauptbogründers  einer  neuen 
metrik,  sei  uns  mit  accenten  überliefert,  der  muss  überrascht  und  enttäuscht  wer- 
den, wenn  er  dann  dazu  erfährt,  dass  die  drei  aus  der  zeit  des  Verfassers  stam- 
menden handschriften  VDP  in  ihrer  accentuation  massenhaft  von  einander  abwei- 
chen, und  dass  es  kaum  30  jähre  später  möglich  war,  dass  ein  sclireiber,  der  nach 
zwei  dieser  handschriften  copierte ,  seine  abschi-ift  mit  ganz  wilkürlichen  anderen 
accenten  versah.  Diese  Sachlage  wird  erst  begreiflich,  wenn  man  weiss,  dass  die 
accente  in  VDP  zwar  hauptsächlich  aus  metrischen  gründen  gesezt  sind.  d.  h.  dass 
sie  hauptsächlich  dazu  dienen  sollen,  das  metrisch  richtige  lesen  zu  erleichtern; 
dass  sie  aber  die  zahl  der  betonten  silben  des  verses  nicht  erschöpfen ,  und  dass 
neben  den  metrischen  gründen  auch  andere  rücksichten  die  auswahl  der  zu  accen- 
tuierenden  silben  bestirnten.  Wenn  z.  b.  der  halbvers  IV,  19,  58'^  in  V  so  accen- 
tuiert ist:  after  thmi  stehet   ir,  in  P  aber  so:  aftcr  thisu  sehet  ir:  oder  III,  24,  .')P 

7  ••'• 


100  ERDMANN 

in  V:  ni  thültin  uuir  nü  thesa  quist,  in  P:  ni  thültin  uuir  nü  thesa  quist,  so  wird 
es  anschaulich,  was  ja  seit  Lachniann  jeder  weiss,  dass  nicht  zwei  oder  drei,  son- 
dern vier  betonte  silben  da  sind,  und  dass  ein  schwanken  darüber  stattfinden 
konte  und  oft  stattfand,  welche  dieser  silben  der  bezeichnung  ihres  tones  durch 
einen  accent  entweder  am  würdigsten  oder  am  bedürftigsten  seien.  Jede  von  die- 
sen beiden  einander  entgegengesezten  rücksichten  ist,  wie  mir  scheint,  unter 
umständen  massgebend  gewesen ;  die  lezte ,  nämlich  das  bestreben  nach  bezeichnung 
einer  tonsilbe,  die  beim  ersten  lesen  leicht  übersehen  werden  konte,  war  es  beson- 
ders oft  in  P,  z.  b.  I,  12,  28"  ihaz  er  fon  thir  nirstriche  gegen  V:  thaz  er  fon 
thir  nirstri'che.  I,  28,  4*^  ni  mwizin  io  biscouuön  gegen  Y:  ni  iiiüazin  io  biscö- 
uuön.  Ja  namentlich  P  (selten  V),  wie  Piper  selbst  s.  166  anführt,  geht  sogar 
oft  so  weit,  den  auftakt  mit  einem  accent  zu  versehen,  was,  wenn  es  nicht  etwa 
ganz  auf  unkentnis  des  accentuators  beruht,  doch  nur  den  i^rund  gehabt  haben 
kann ,    den  Icser    vor    einer    allzu    geringen    betonung  desselben   zu  warnen :    z    b. 

I,  15,  9  P  thö  quam  ther  sälic/o  man  (V  tho  ohne  accent)  und  an  vielen  anderen 
stellen,  bei  denen  zum  teil  (s.  I,  16.  9)  Piper  selbst  meint,  dass  der  accent  nicht 
von  Otfrid,  sondern  von  anderer  band  gesezt  sei.  Bisweilen  könto  man  solche 
accente    freilich    auch    als    bezeichnung    der   schwebenden   betonung   erklären,    wie 

II,  12,  25,  III,  4,  10,  aber  durchaus  nicht  immer.  Es  komt  ferner,  und  zwar 
(wie  Piper  selbst  zugibt  s.  166)  namentlich  in  P  vor,  dass  accente  gar  nicht  aus 
metrischen,  sondern  aus  rhetorischen  gründen  gesezt  sind,  sogar  auch  auf 
silben,  die  gar  nicht  metrisch  zu  betonen  sind:  III,  19,  27  P  ni  uuölt  er  uuiht 
tlies  sprechan  (V  thes  sprechan) ,  u.  a.  Auch  bei  der  auswahl  aus  den  der  betonung 
fähigen  silben  scheinen  mir  gewisse  schülerhafte  grillen  auf  die  accentuation  von 
P  grossen  einfluss  geübt  zu  haben.  Durcliaus  nicht,  so  viel  ich  sehen  kann,  ist 
im  algemeinon  die  behauptung  gerechtfertigt,  dass  die  accentuation  in  P  einen 
fortschritt  gegen  die  in  V  bezeichne  (s.  171).  Es  kommen  in  P  ganz  fehlerhafte 
und  unsinnige  accentuationen  vor,  wie  z.  b.  III,  24,  64  bidolban  II.  6,  38  uruiidse 
statt  w-uuise  YD  (Lachmann  Kl.  Sehr.  I,  366).  Über  I,  19,  7  s.  o.  Die  conse- 
quente  durchführung  der  grundsätze  aber  ist  sehr  lückenhaft.  Bei  vielen  gruppen 
(s.  168  fg.)  von  fällen,  in  denen  Piper  eine  überlegte  temlenz  der  accentänderung 
für  den  schreiber  von  P  annimt,  rauss  er  mit  einem  ,,aber"  selbst  wider  zahlreiche 
beispiele  des  directen  gegenteils  constatieren ,  d.  h.  fälle  in  denen  das  gegenteil 
des  bei  jenen  änderungen  beabsichtigten  nicht  etwa  nach  Y  in  P  stehn  geblieben, 
sondern  gegen  Y  in  P  bergest elt  ist.  Die  einzelnen  nachweise  Pipers  scheinen 
genauer  nachprüfung  und  sonderung  zu  bedürfen.  Ich  habe  dies  z.  b.  bei  den 
bemerkungen  über  die  accentuation  der  personalpronomina  s.  169  nr.  210  bemerkt. 
Manche  citate  sind  ganz  falsch  verwertet  (IV,  10,  3.  II,  14,  58.  I,  17,  38  u.  a.). 
Die  accentuation  der  pronomina  in  Y  ist  in  der  regel  sehr  wol  metrisch  begründet ; 
P  lässt  öfters  den  accent  fort,  nur  selten  aber  so,  dass  es  eine  dem  widerspre- 
chende betonung  andeutet,  die  allerdings  in  manchen  fällen  (I,  8,  21.  II,  14,  109) 
eine  bessere  ist.  Häufig  aber  sezt  gerade  auch  P  gegen  Y  den  accent  auf  perso- 
nalpronomina, und  öfters  auch  in  fällen,  wo  gar  kein  besonderer  nachdruck  auf 
ihnen  ruht  und  wo  die  betonung  metrisch  recht  schlecht  wird.  Manche  fälle  der 
art  sind  schon  angeführt;  andere  sind  11,  14,  61  P  nuib ,  quacl  er,  ich  sägen  thir, 
(Y:  quad  er).  II,  15,  22  deta  er  then  Uutin  mit  thiu  drost  (Y  accente  auf  liutin 
und  dröst).  II,  13,  5  P  thaz  ir  hortut  quedan  mih  (Y:  thäz  ir):  II,  13,  7  P  ih 
bin  selbes  böto  sin  (Y:  ih  bin).  II,  13,  17  er  scal  uuähsan  dräto  (Y  ohne  accent). 
II,  13,  8.  24.     1,  26,  13     II,  2,  21.     I,  19,  17.     V,  3,  5  u.  o.    In  diesen  wie  in 


ÜBER    OTFRin    ED.    l'U'KR.       A.    ZUR    TEXTKRITIK  101 

anderen  fällen  scheint  mir  also  ein  durcligebender  t'ortschritt  der  acceutuation  nicht 
vorhanden  zu  sein,  und  die  von  Piper  selbst  zujicgebcne  zunalinie  rliotorischer  rück- 
sichten  bei  der  acccntsetzuug  in  P  köntc  ich  mir  viel  eher  bei  freunden  oder  Schü- 
lern Otfrids,  als  bei  ihm  selbst  wirksam  denken.  Ohne  frage  wird  an  dem  von 
Piper  massenhaft  zusammcngestelten  material  über  die  grundsätze  der  otfridischen 
accentuation  und  i^mit  den  obeii  angcileutetcn  beschränkungen)  auch  der  otfridischen 
metrik  sich  noch  manches  beobachten  und  lernen  lassen ;  dass  die  resultate  so  ein- 
heitlich und  sicher  werden,  wie  Pijier  meint,  niuss  ich  bezoifeln.  Die  authentici- 
tät  der  accente  in  P  will  er  ja  an  vielen  stellen  aus  inneren  gründen  selbst  nicht 
gelten  lassen. 

Die  besproclieuen  gruppen  a  — e  zusammenfassend  kann  ich  von  dem  ersten 
Schreiber  von  P  nur  das  bild  gewinnen,  dass  er  sich  berufen  und  berechtigt  glaubte, 
eine  grössere  regelung  der  Orthographie  durchzuführen,  ohne  jedoch  zu  fester  con- 
sequenz  zu  gelangen;  dass  seine  änderungen  des  wortsinnes  und  der  construction 
in  vielen  fällen  auf  eigener  ausdeutung  oder  klügele!  beruhen,  die  ich  dem  dichter 
selbst  schwerlich  zutrauen  kann;»  dass  sie  in  manchen  fällen  zwar  besserungen 
enthalten ,  aber  nirgends  solche ,  die  der  dichter  selbst  geschrieben  haben  müste. 
Mir  ist  es  also  aus  inneren  gründen  für  P  ebensowenig  als  für  V  wahrscheinlich, 
dass  wir  in  dem  gesamten  texte  der  handschrift  ein  autograph  Otfrids  besitzen 
sollen.  Dagegen  vermute  ich  allerdings,  dass  auch  P  in  der  Umgebung  des  dich- 
ters  durch  einen  Schreiber  gefertigt  ist,  den  er  selbst  in  das  Verständnis  des  Wer- 
kes eingeführt,  vielleicht  in  vielen  punkten  mit  directer  anweisung  versehen  hatte. 
Wie  sich  in  neuer  zeit  um  den  alternden  Klop stock  jüngere  freunde  sammelten, 
die  mit  mehr  oder  weniger  tiefem  Verständnis,  aber  mit  voller  Verehrung  und 
begeisterung  für  die  Sache  die  werke  des  meisters  studierten  und  für  die  Verbreitung 
und  erläuterung  derselben  mit  aufopfernder  hingäbe,  wenn  auch  nicht  ohne  Selbst- 
gefälligkeit wirkten  —  ich  erinnere  namentlich  an  K.  F.  Gramer,  der  sieben  jähre 
nach  Vollendung  des  Messias  in  steter  Verbindung  mit  dem  dichter  die  commentie- 
rung  des  Werkes  begann  —  so  haben  sich  vermutlich  auch  danuils  um  den  altern- 
den Otfrid  jüngere  schüler  und  freunde  gesammelt,  die  unterstüzt  und  gefördert 
von  den  gönnern  des  werkes  und  des  dichters  ihre  kräfte  an  die  herstellung  meh- 
rerer reinschriften  des  evangelienbuches  sezten.  Diese  reinschriften  wurden  viel- 
leicht unter  Otfrids  äugen  und  nach  bestimten  anweisungen  Otfrids  angefertigt;*  es 
konten  aber  gerade  wegen  des  persönlichen  Interesses  der  Schreiber  an  der  dich- 
tung  je  nach  dem  grade  ihres  Verständnisses  und  ihres  Selbstvertrauens  falsche 
ausdeutungen  und  auf  klügelnder  Überlegung  beruhende  änderungen  der  vorläge 
vorkommen,  wie  wir  die  ersten  namentlich  in  V,  die  lezten  namentlich  in  P  gefun- 
den haben.  Ein  solcher  freund  muss  der  Schreiber  von  D  auch  nach  Piper  gewe- 
sen sein,  der  formelle  correctheit  mit  im  ganzen  guten  Verständnis  verbunden,  sich 
aber  im  einzelnen  recht  selbständige  änderungen  erlaubt  hat  (s.  oben  s.  87).  In  ähn- 
licher weise  Otfrid  nahestehend  denke  ich  mir  auch  den  oder  die  Schreiber  von  V, 

1)  Ich  halte  es  für  ganz  richtig,  was  Piper  im  vorwort  s.  VIII  bemerkt,  dass 
in  solchen  fällen  der  Schreiber  von  P  otfridischer  als  Otfrid  selber  sei.  Man  kann 
diese  äusserung  als  eine  unwillkürliche  und  unbewuste  Selbstwiderlegung  Pipers 
betrachten. 

2)  Vielleicht  kann  man  hierfür  auch  den  Wortlaut  einer  stelle  des  Vorwortes  an 
Liutbert  anführen:   ibi  y  graecum  mihi  videbatur  ascribi  (nicht  ascribere). 


102  ERDMANN 

obwol  an  Verständnis  jenem  uacbstehend.  Solte  sich  die  identität  der  band,  welche 
den  hauptteil  von  V  schrieb,  mit  der  des  Schreibers  von  P,  wie  Piper  meint,  wirk- 
lich aus  äusseren  gründen  mit  Sicherheit  ergeben  ,  so  könte  icli  mir  sehr  wol  den- 
ken ,  dass  Otfrid  von  demselben  schülor  oder  freunde ,  der  ihm  schon  V  geschrie- 
ben hatte,  später,  nachdem  er  selbst  viele  (aber  noch  nicht  alle  uns  vorliegen- 
den) besserungen  in  V  angubraclit  hatte,  danach  auch  noch  P  schreiben  Hess;  und 
ich  könte  mir  wol  denken ,  dass  derselbe ,  der  beim  schreiben  von  V  viele  fehler 
aus  unkentnis  und  aus  falschem  Verständnis  des  in  dem  schlecht  geschriebenen 
urentwurfe  ihm  vorliegenden  textes  gemacht  hatte,  nach  längerer  beschäftigung 
mit  dem  werke  bei  der  zweiten  abschrift  desselben  nur  wenige  derartige  fehler 
machte,  wol  aber  wegen  jener  genaueren  kentnis  und  seines  nahen  Verhältnisses 
zum  dichter  selbst  sich  zu  änderungen  wie  die  oben  angeführten  berechtigt  halten 
konte;  der  ,,schüler"  war  mittlerweile  ,, bacealaureus "  geworden,  wie  dies  ja  manch- 
mal vorkomt. 

Dass  Otfrid  selbst  an  vielen  stellen  auch  den  text  in  P  corrigierte ,  vielleicht 
auch  selbst  mit  accenten  versah  (oder  wenigstens  einen  im  algemeinen  in  seine 
metrischen  gruudsätze  eingeweihten  nüt  der  accentuation  beauftragte),  kann  bei  alle- 
dem unbestritten  stelm  bleiben  und  wird  durch  die  behauptung  Pipers  bestätigt, 
dass  gerade  die  band  der  correctureu  in  V  und  P  zweifellos  dieselbe  sei  (s.  68). 
Bei  vielen  fällen  ist  es  höchst  wahrscheinlich ,  dass  dieselbe  correctur  gleichzeitig 
in  V  und  P  vorgenommen  sei.  So  z.  b.  I,  17,  26  stand  in  V  von  erster  band 
geschrieben  (jienot  (=  fji-enöt)\  P  schrieb  d&iüv  geinöt ;  der  corrector  machte  sowol 
aus  der  fehlerhaften  vorläge  in  V  als  aus  der  unvollkommenen  Verbesserung  in  P 
das  correcte  gieinöt.  Ähnliche  fälle  sind  I,  10,  27  utmahs.  IV,  6,  37,  s.  die 
beschreibung  des  überlieferten  bei  Piper;  hierher  gehören  sicher  viele  der  von  Piper 
in  sein  stadium  Oj  gerechneten  stellen  (s.  171.  172).  An  vielen  anderen  dagegen 
besserte  der  corrector  (oder  auch  schon  der  schreiber  selbst)  nach  dem  in  V  bereits 
stehenden,  oder  vorher  durch  correctur  hergestelten ,  s.  oben  über  11,  8,  41.  So 
IV,  19,  53  güoubet  ir,  in  V  corrigiert  aus  dem  sinlosen  güouhit  er,  wo  P  das  erste 
wort  zuerst  falsch,  das  zweite  gleich  richtig  copiert  hatte.  Nicht  sehr  zahlreich 
und  wie  ich  glaube  von  geringer  bedeutung  sind  die  stellen,  an  denen  eine  correc- 
tur der  ersten  Schreibung  nur  in  P  ohne  rücksicht  auf  V  voi'genommen  ist.  L.  83 
richduam  statt  richiduam.  I,  1,  112  tliionönte  aus  thionönti.  I,  9,  5  gieisgötun 
statt  geisgöhin.  1,  21,  10  thera  muater  statt  tJier,  das  in  V  und  danach  aucli  in  F 
steht,  freilich  der  form  nach  incorrect  statt  theru.  I,  25,  20  ir  fülle  statt  fülle, 
s.  0.  s.  95.  V,  23,  45  süftönt  aus  süftent.  IV,  15,  3  ni  si  iuz  statt  siuz.  Dazu  andere 
stellen,  die  Piper  s.  174  aufführt.  Sehr  erheblich  dagegen  nach  zahl  und  bedeu- 
tung sind  die  oben  unter  1))  besprochenen  stellen,  an  denen  nach  der  herstelluug 
von  P  der  text  von  V  allein  noch  geändert  und  gebessert  worden  ist. 

Der  text,  welchen  Piper  gibt,  ist  —  ausser  in  den  am  anfange  (Lud.  1 — 75) 
und  ende  (V,  23,  265  —  298.  V,  24.  V,  25.  Hartm.  1  —  141)  in  P  fehlenden  und 
den  auf  blatt  200  von  P  erhaltenen  (Hartm.  142  — 168)  stellen,  welche  Piper  nach 
dem  corrigierten  texte  von  V  abdruckt  -  grösten teils  der  durch  die  correcturon  in 
P  hergestelto  ,  zu  welchem  Piper  die  längenbezeichnung  der  vocale  (vgl.  u.)  und 
die  interpunctiou  hinzugetan  hat.  Ganz  ausschliesslicli  aber  triff  diese,  Pipers 
eigener  angäbe  s.  250  entsprechende,  Charakterisierung  seines  textes  doch  nicht  zu. 
Häufig,  wie  wir  oben  öfters  zu  bemerken  gelegenheit  hatten,  ist  er  zwar  wirklich 
in  seiner  Vorliebe  für  P  so  weit  gegangen ,  demselben  auch  offenbare  fehler  nach- 
zudrucken.    Aber  in  manchen  fällen  ist  er  doch  von  P  abgewichen ,  und  zwar  nicht 


ÜBEK   OTFRID    ED.    PIPEU.       A.    ZUR    TEXTKRITIK  103 

nur  diuvli  corrcctur  von  blossen  Schreibfehlern,  wie  er  sie  (jedoch  nicht  volständig; 
s.  z.  b.  I,  25,  30.  II,  12,  44.  V,  3 ,  7)  s.  250  autzühlt.  I,  19,  7  hat  er  untar 
nuari  von  P  nicht  in  den  tcxt  gesezt,  obwol  er  es  für  keinen  Schreibfehler  hält. 
I,  28,  17  schreibt  er  heilcija  nach  V,  nicht  hcilicja  nach  P.  III,  8,  7  sezt  er  uui- 
dorort  in  den  text,  wo  nicht  in  P,  sondern  in  V:  und  1,  22,  29  sogar,  wo  es  weder 
in  V  noch  P,  sondern  nur  in  F  so  geschrieben  ist.  In  den  oben  erwähnten  zahl- 
reichen fällen,  in  denen  in  P  der  auftakt  accentuiert  ist,  gibt  Piper  die  accentua- 
tion  in  seinem  texte  nach  V  und  nicht  nach  P,  obwol  er  auch  hier  conseqnente 
fortbildung  der  grundsätzo  Otfrids  behauptet  (s.  166).  Also  eine  genaue  widergabe 
des  textcs  von  P  ist  der  Pipersche  text  doch  nicht.  Er  ist  aber  auch  nicht  ein  text, 
wie  man  ihn  in  einer  historisch -kritischen  ausgäbe  Otfrids  erwarten  oder  wenig- 
stens wünschen  könte.  Eine  solche  köute  entweder  den  ältesten  für  Otfrid  nach- 
weisbaren oder  mit  Wahrscheinlichkeit  anzunehmenden  text  zu  gründe  legen,  und 
die  späteren  änderungen  desselben  unten  angeben;  dann  würde  sie  sich  vor  allem 
an  V,  in  manchen  fällen  vielleicht  an  D  zu  halten  haben,  was  Piper  nicht  getan 
hat.  Oder  sie  könte  versuchen^  den  jüngsten  wirklich  nachweisbaren  text,  so 
weit  er  mit  Wahrscheinlichkeit  auf  Otfrid  zurückzuführen  ist ,  zusammenzustellen ; 
das  hat  Piper  auch  nicht  getan,  denn  viele  correcturen  in  V,  die  als  verfassercor- 
recturen  lezter  band  gelten  können,  hat  er  nicht  in  seinen  text  gesezt.  Endlich 
ist  Pipers  text  auch  kein  consequent  gebesserter,  kein  idealer  Otfridtext,  wie  Otfrid 
ihn  vielleicht  in  irgend  einer  stunde  seines  lebens  als  den  besten  betrachtet  und 
gewünscht  haben  würde  oder  wie  wir  ihn  uns  vielleicht  wünschen  könten.  Das 
streben  nacli  diesem  ziele,  welches  Graff  vorschwebte,  bezeichnet  Piper  s.  250  als 
ein  unmögliches  unternehmen.  Doch  halten  mich  diese  einwondungen  und  wünsche 
nicht  ab,  widerholt  ausdrücklich  anzuerkennen,  dass  Piper  sich  durch  die  sorgfäl- 
tig und  in  sehr  vielen  fällen  wol  als  endgültig  zu  betrachtende  feststcllung  und 
beschreibung  der  Überlieferung  ein  grosses  verdienst  erworben  hat.  Durch  die  voll- 
ständige angäbe  der  Varianten  von  VDP  unter  dem  texte  ist  es  dem  leser  möglich 
gemacht,  die  geschichte  des  Otfridtextes  nach  allen  richtungen  zu  durchforschen 
und  sich  im  einzelnen  falle  über  dasjenige,  was  in  Pipers  textconstituierung  für 
consequent  oder  inconsequent ,  was  im  texte  selbst  für  das  älteste  oder  jüngste, 
für  echt  oder  unecht,  richtig  oder  unrichtig  zu  halten  ist,  an  der  band  der 
Überlieferung  ein  urteil  zu  bilden.  Hierfür  wird  auch  die  feststellung  und  grup- 
pierung  (in  213  abteilungen)  der  vielen  tausend  abweichungen  und  correcturen  von 
V  undP,  welche  Piper  mit  staunenswertem  fleisse  s.  93  —  171  vollzogen  hat,  hohen 
wert  haben,  da  sie  die  vergleichung  jedes  fallos  mit  anderen  ihm  ähnlichen  ermög- 
licht, obwol  ihre  benutzung  ohne  register  recht  mühsam  ist.  Dass  aber  eine  Ver- 
teilung aller  dieser  änderungen  auf  stadien,  seien  es  die  von  Piper  aufgestelten 
(s.  oben  s.  84),  deren  grundlage  ich  zum  teil  bestreiten  muste,  sei  es  auf  anders 
bestirnte,  überhaupt  mit  einiger  Sicherheit  erreicht  werden  könne,  glaube  ich  nicht. 
Nach  meiner  ansieht  greifen  Pipers  bestrebuugen  in  dieser  richtung ,  besonders  was 
das  rein  orthographische  betriff,  über  das  erreichbare,  ja  auch  über  das  wünschens- 
werte hinaus.  Es  werden  nicht  die  schlechtesten  leser  Otfrids  sein,  denen  es  gleich- 
gültig ist.  in  welcher  handschrift  und  zu  weicher  zeit  jedesmal  von  Otfrid  oder 
seinen  schülern  uüntar,  vüntar,  tmüntar,  uümitar,  vuuntar,  vvvntar  (V,  1,  1  P!) 
oder  noch  anders  geschrieben  sei. 

Leider  finden  sich  in  Pipers  texte  noch  einzelne  druck  fehler.  Ausser  den 
auf  s.  293  angegebenen  glaube  ich  auch  ohne  eigene  einsieht  der  handschriften 
solche  annehmen  zu  müssen  an  folgenden  stellen:  I,  15,  22  hat  nach  ausdrücklicher 


lÜ4  EKDMANN 

augabe  von  Graff  und  Kelle  auch  P:  in  allen  then  stuntdn,  wenn  auch  ohne  syna- 
löphcpunkt.  Piper  scheint  das  in  nur  aus  versehen  ausgelassen  zu  haben.  I,  23,  6 
thes  druhtines  hmfti.  Schilter,  Graff  vmd  Kelle  geben  als  lesart  aller  haudschrif- 
tcn  das  dem  sprachgebrauche  Otfrids  allein  entsprechende  thio.  V,  4,  24  thaz 
dreso,  thaz  in  iru  lag.  Kelle  gibt  als  lesart  aller  handschriften:  thür  (F  dar). 
Die  Partikel  dient  zur  bezeichnung  der  relativen  satzverknüpfung  wie  V,  6,  22  (vgl. 
V.  49).  S.  meine  Unters.  I  s.  IX  und  §228.  —  Unter  dem  texte  ist  zu  IV,  4,  12 
die  correctur  von  thin  für  V,  nicht  für  F  anzugeben. 

Als  anhang  zur  besprechung  der  Piperschen  textkritik  muss  ich  noch  einige 
bemerkungen  hinzufügen  über  Schlüsse,  die  Piper,  wie  mir  scheint  ohne  genügende 
begründung,  aus  einzelnen  orthographischen  eigentümlichkeiten  und  aus 
der  äusseren  einrichtung  des  codex  V  auf  die  art  und  reiheufolge  der  ent- 
stehung  der  einzelnen  bücher  Otfrids  gemacht  hat.  Piper  hat  an  mehreren  stel- 
len der  vorrede  versucht,  die  reiheufolge  festzustellen,  in  welcher  die  einzelnen 
bücher  in  V  und  in  P  (wie  er  meint  von  Otfrid  eigenhändig)  eingetragen  wurden. 
Öfters  aber  überträgt  er  dabei  sätze,  die  für  die  dauer  und  die  zeit  der  abfas- 
sung  im  ganzen  als  wahrscheinlich  gelten  können,  ohne  genügende  vorsieht  auf 
die  uns  in  V,  teilweise  auch  auf  die  uns  in  P  vorliegende  aufzeichnung  der- 
selben. 

Gewiss  ist  das  werk  Otfrids  ein  werk  vieljähriger  arbeit  gewesen,  und  schwer- 
lich wird  die  zeit,  über  welche  sich  seine  abfassung  ersti-eckte,  geringer  sein  als 
die  des  Klopstockschen  Messias.  Sprachliche  und  sachliche  gründe  sprechen  für 
Lachmanns  annähme ,  dass  das  erste  und  das  fünfte  buch  früher  gedichtet  seien 
als  die  anderen.  Da  ferner  Otfrid  selbst  in  einem  in  V  nachträglich  eingescho- 
benen, in  P  gleich  mitgeschriebenen  satze  der  vorrede  an  Liutbert  von  der  mitte 
{medium)  seines  buches  sagt:  hoc  novissime  edidi ,  so  ist  die  von  Pi])er  s.  263  auf- 
gestellte reiheufolge  der  bücher:  I.  V.  IV.  II.  III  als  eine  im  grossen  und  ganzen  für 
die  abfassung  derselben  wahrscheinlich  zutreffende  anzuerkennen.  Damit  ist  aber 
nicht  gesagt,  dass  nicht  einzelne  abschnitte  in  jedem  buche  später  noch  hinzu- 
gefügt, umgestellt,  abgeändert  oder  auch  fortgelassen  seien. 

Vor  allem  sind  die  eingangscapitel  sämtlicher  bücher  mit  besonderer 
kunst  gearbeitet;  sie  enthalten  nicht  nur  anspieluugen  auf  den  Inhalt  des  betreffen- 
den buches,  sondern  auch  andeutungen  über  den  zweck  und  die  bedeutung  des  gan- 
zen Werkes  oder  algemeinere  erörterungen ,  für  die  sich  innerhalb  der  bücher  keine 
stelle  gefunden  hatte ;  sie  sind  also  wol  zu  den  spätesten  teilen  des  Werkes  zu  rech- 
nen. So  vermute  ich  z.  b. ,  dass  die  ganze  reihe  der  capitel  II ,  1  —  6  erst  in  folge 
späterer  crwägungen  ihre  stelle  erhalten  hat.  Der  abschnitt  II,  1  ist  durch  eine 
geistreiche  erwägung  gerade  an  den  anfang  des  zweiton  buches  gekommen.  Weil 
nämlich  dieses  nach  dem  festgestelten  gesamtplano  hauptsächlich  die  reden  Jesu 
enthalten  solte,  so  war  für  die  Schilderung  der  vorwcltlichen  existenz  des  Logos 
und  seiner  mitwirkung  bei  der  weltschöpfung  gerade  hier  ein  geeigneter  platz;  im 
Heliand  ist  die  stelle  Joh.  1,  1  —  6  im  anschluss  an  die  auordnung  des  Tatian 
gleich  am  anfange  des  Werkes  widergegeben.  Dass  bald  nach  diesem  in  die  urzeit 
zurückführenden  abschnitte  die  versuch ungsgeschichte  und  die  sich  an  sie  anschlies- 
senden betrachtungen  II,  4  —  6  eingefügt  wurden,  mag  damit  zusamraonhängeu, 
dass  auch  von  Otfrid,  wie  häufig  in  den  angelsächsischen  gedichteu ,  der  kämpf 
Christi  mit  dem  Satan  als  die  ernouerung  und  Vollendung  des  alten,  seit  erschaf- 
fung  des  ersten  menschen  bestehenden  streitos  aufgefasst  wird.  >     Von  den  auderen 

1)  Vgl.  ausser  diesen  abschnitten  die  stellen  1,  5,  52 — 5b.  IV,  12,  61  fg.  V,  16,  1 — 4. 


ÜBKß   OTiaUD    KD.    VlL'lili.      X.    ZUK   TEXTKßlTIK  105 

absclinittou  ist  II,  2  die  einfache  t'ortt'üliruiig  der  bibelstelle,  die  für  II,  l  das 
tlieiua  angegeben  hatte.  11,  3  ist  ein  selbständiges  stück,  von  dem  nur  die  Iczten 
Verse  von  5'J  an  mit  beziehung  auf  die  zulezt  erwähnte  taufe  Christi  zur  ver- 
suchungsgeschichte  hinüberführen.  Eine  bestirnte  beziehung  oder  liindeutung  darauf, 
dass  die  kurz  zusammeugestelten  ereignisse  im  ersten  buche  bereits  ausführlich 
erzählt  waren ,  enthält  das  stück  aber  nur  in  v.  29  muht  lesan  üuh  Mar  forna, 
utiio  fgg.  ;  V.  2  bHuh  und  11  muht  lesan  bezieht  sich  offenbar  auf  den  biblischen 
grundtext.  Das  ganze  stück  ist  vielleicht  seinen  haui)tbestandteilen  nach  ohne 
rücksicht  auf  das  erste  buch  entstanden,  angeregt  vielleicht  durch  eine  ähnliche 
Zusammenstellung  verschiedener  wunder  in  einem  kirchlichen  liymnus '  oder  in  einer 
homilie  und  ist  dann  mit  wenigen  äuderungen  hier  zwischen  dem  ersten  und  zwei- 
ten buche  eingeschaltet  worden;  sehr  ähnlich  ist  ihm  vielleicht  auch  in  der  art 
drr  entsteliung  das  capitel  III,  14.  Erst  das  im  abschnitt  II,  7  erzählte  wird  als 
Inhalt  des  zweiten  buches  ausdrücklich  angegeben  in  der  Widmung  an  Liutbert 
(Kelle  41  fg.  Piper  30  fg.);  secnndns  [liher]  jam  accersitis  ejus  discipulis 
refert  fg.;  und  gerade  auf  die  verse  II,  7,  1.  2  scheint  mir  auch  anzuspielen  die 
algemeine  inhaltsangabe  des  zweiten  buches  in  den  versen  I,  2,  7  —  8  (s.  u.) 

Ebenso  wie  die  eingangscapitel  können  auch  die  schlusscapitel  mehrerer 
bücher  später  gedichtet  sein  oder  erst  bei  der  schlussredaction  ihre  stelle  gefunden 
haben.  Solten  die  beiden  ersten  und  die  beiden  lezten  kapitel  des  ganzen  Werkes 
nur  zufällig  nach  ihrem  inlialtc  correspondieren  (I,  1  weltliche  vorrede,  I,  2  gebet: 
V,  24  gebet,  Y,  25  weltlicher  schluss)?  Auch  verbindende  Übergänge  (z.  b.  I,  3, 
45  —  50)  oder  Verweisungen  auf  den  Inhalt  späterer  bücher  (z.  b.  I,  15,  32  —  40) 
können  später  hinzugefügt  sein. 

Mit  ausnähme  solcher  einzelnen  änderungen  uad  Zusätze  also  mag  die  abfas- 
sung  der  verschiedenen  bücher  in  der  von  Piper  angenommenen  reihenfolge  statt- 
gefunden haben.  Die  reinschrift  eines  so  wertvollen  Werkes  aber  wird  doch 
erst  begonnen  sein,  als  grundplan  und  text  im  grossen  und  ganzen  feststanden. 
Diese  annähme  scheint  Piper  aucli  noch  gehabt  zu  haben  ,  als  er  die  Untersuchung 
über  Otfrids  leben  schrieb ,  da  er  dort  s.  15  meint ,  dass  Otfrid  erst  nach  abfassung 
des  auf  das  ganze  werk  bezüglichen  widmungsgedichtes  an  Ludwig  um  868  ,,die 
reinschriften "  angefertigt  habe.  In  späteren  stellen  der  vorrede  aber  spricht  Piper 
ganz  andere  ansicliten  aus.  S.  82  (vgl.  s.  47)  vermutet  er,  dass  Otfrid,  als  er 
selbst  an  V  zu  schreiben  begann,  noch  nicht  den  plan  gehabt  habe,  das  ganze  in 
fünf  bücher  zu  teilen.  Die  grundeinteilung  des  Werkes  in  fünf  bücher  wird  aber 
schon  I,  2,  6  — 14  im  texte  deutlich  angegeben  mit  anspielung  auf  bestimte  stellen 
jedes  buches  und  in  Übereinstimmung  mit  der  kurzen  inhaltsangabe  in  der  vorrede 
an  Liutbert.  Also  ist  entweder  der  ganze  abschnitt  1 ,  2  erst  gedichtet ,  als  das 
werk  im  ganzen  vollendet  und  summarisch  in  fünf  bücher  eingeteilt  war ,  oder  es 
sind  wenigstens  die  auf  lib.  II  —  V  bezüglichen  verse  7  — 14  erst  in  dieser  zeit  ein- 
gefügt, während  die  verse  1  6.  15  fg.  vielleicht  früher  nur  die  einleitung  des 
ersten  buches  bildeten,  mit  dessen  ältesten  abschnitten  sie  manche  unbeholfenheit 
der  construction  und  des  ausdrucks  gemein  haben.  Jedenfalls  war  aber,  als  der 
abschnitt  in    vollständiger  gestalt   in  T  eingetragen    wurde,    das  werk   im   ganzen 

1)  Der  Hymnus  Ambrosianus  de  epiphania  doniini  (Mone  I,  73.  Daniel  I,  14), 
dessen  eine  strophe  bei  Otfrid  III,  6,  37.  42  und  im  Heliand  2859  fgg.  wörtlifh  durch- 
klingt, enthält  z.  b.  eine  solche  Zusammenstellung,  aber  ohne  Übereinstimmung  mit 
Otfrid  II,  3. 


106  EKDMANN 

abgeschlossen  und  eingeteilt.  Dass  der  vom  sclirciber  für  das  ganze  werk  bestirnte 
titel:  liher  evangeliorum,  später  erst  durch  hinzufüguug  von  ■priiims  in  einen  special- 
titel  des  ersten  buches  verwandelt  wurde,  erklärt  sich  dadurch,  dass  der  schreiber 
noch  keine  vorläge  hatte ,  in  der  die  bücher  bereits  mit  besonderem  titelblattc  ver- 
sehen waren ,  und  auch  keine  ausdrückliche  anweisung  erhielt  dies  zu  tun ,  sondern 
nur  wüste,  er  habe  ein  „ evangelienbuch "  zu  schreiben.  Auch  die  noch  beim  ein- 
tragen der  Überschriften  in  die  Inhaltsangabe  von  lib.  I.  II.  IV  vorgenommeneu 
correcturen  einzelner  zahlen  betrachte  ich  als  unwesentliche  redactionelle  änderun- 
gen,  wenn  es  nicht  blosse  Verbesserungen  von  ungenaiiigkeiteu  des  Schreibers  sind. 

Nach  feststellung  des  hauptplanes,  meint  Piper  ferner  s.  82,  habe  Otfrid 
,,  abwechselnd  an  den  fünf  büchern  gearbeitet  und  mundiert,  was  er  fertig  hatte, 
indem  er  für  jedes  buch  einen  neuen  quaternio  begann."  Es  würde  demnach 
die  herstellung  unseres  codex  V  sich  über  ziemlich  denselben  Zeitraum  erstrecken 
wie  die  dichtung  des  ganzen  Werkes.  Ja  nach  Piper  s.  84  fg.  würde  in  den  lezten 
teil  dieses  Zeitraumes  auch  noch  die  allmähliche  anfertigung  der  in  P  vorliegenden 
abschrift  zu  legen  sein,  da  Piper  meint,  Otfrid  habe,  „als  er  nicht  mehr  daran 
dachte  die  handschrift  V  als  dedicationsexemplar  herzustellen  .  .  . ,  sondern  sie  zum 
handexemplar  bestimt  hatte,"  bald  an  V  weitergearbeitet  (d.  h.  also:  einzelne 
abschnitte  gedichtet  —  mit  schriftlicher  aufzeichnung  in  Kl  -  -  und  dann  in  V 
eingetragen),  bald  P  aus  den  bereits  vorliegenden  teilen  von  V  abgeschrieben.* 
Diese  annähme  hat  Piper  an  mehreren  stellen  seiner  vorrede  zu  begründen  und 
genauer  zu  bestimmen  versucht,  doch  kann  ich  keine  dieser  beweisführungen  für 
gelungen  erachten,  um  so  weniger,  als  sie  unter  einander  in  Widerspruch  stehu. 
S.  121  nämlich  vermutet  Piper  aus  der  beobachtung  der  häuflgkeit  des  y  in  den 
verschiedenen  büchern  von  V  und  P  folgende  reihenfolge  der  herstellung:  I  V  IV 
in  V;  I  in  P;  II  in  V,  II  in  P;  III  in  V,  III  in  P ;  IV  und  V  in  P.  Er  sezt 
also  hier  die  im  ganzen  wahrscheinliche  reihenfolge  der  abfassung  jedes  buches  mit 
der  seiner  niederschrift  in  V  gleich  und  combiniert  sie  mit  einer  in  sich  continuier- 
lichen  herstellung  von  P.  Mit  dieser  künstlichen  hypothese  lassen  sich  aber  andere 
beobachtungen  Pipers  nicht  vereinigen.  Das  vorkommen  des  uuu  steigert  sich 
nach  Piper  s.  98  contiuuierlich  vom  ersten  bis  zum  fünften  buche;  das  TH  und 
einige  andere  doppel- initialen  finden  sich  nach  Piper  s.  56  in  V  nicht  mehr  im 
fünften ,  in  P  nicht  mehr  im  vierten  und  fünften  buche.  Beides  spricht  nicht  für 
die  s.  121  aus  dem  y  gefolgerte  combination,  sondern  für  die  an  sich  natürliche 
annähme,  dass  der  text  einer  jeden  handschrift  in  sich  contiuuierlich  geschrieben 
sei.    Was  aber  dem  y  recht  ist,  ist  doch  auch  dem  mm  und  dem  TH  billig. 

Noch  schlimmer  steht  es  mit  den  aus  der  einrieb  tu  ng  und  einteil  ung 
der  handschrift  V  hergenommenen  gründen,  welche  hcrr  Piper  s.  82  und  schon 
vorher  s.  47  für  die  von  ihm  angenommene  art  und  reihenfolge  der  niederschrift 
anführt.  Er  gibt  an,  dass  die  handschrift  V  „aus  quaternionen  bestehe"  (s.  47), 
und  dass  ,,der  text  eines  jeden  buches  ausser  dem  ersten  mit  dem  dritten  blatte 
eines  quaternio  anfange  "   (s.  82).     Da  am  anfange  der  handschrift  ein  ungezähltes 

1)  Nai;h  s.  ö3  hält  Piper  es  sogar  für  möglich,  dass  diuselben  pergamentlag eu, 
die  in  dem  codex  V  das  erste  buch  mit  der  widmung  au  Salomo  enthalten,  bereits 
vorher  als  abgesondertes  ganzes  an  denselben  zur  lectüre  und  approbation  eingesant 
seien.  S.  249  dagegen  spricht  er  von  besonderen  dedicationsexemplaren  des  I.  und 
VI.  buches  für  Constanz  und  St.  Gallen.  Gegen  die  erste  Vermutung  ist  einzuwenden, 
dass  sich,  wie  schon  Laclmiann  bemerkte,  berührungen  zwischen  der  widmung  an  Salomo 
und  dem  fünften  buche  finden. 


ÜBEU    OTl''Kli)    ED.    l'll'Jill.       A.    ZUK    TEXTKRITIK 


107 


hlatt  vorhaiulcn  ist,  so  denkt  ur  sich  also  offeubar  die  saclic  so,  dass  dieses  mit 
toi.  1  —  7  den  ersten  quaternio  bilde,  fol.  8— 15  den  zweiten,  und  so  weiter,  so 
dass  jeder  quaternio  mit  einer  zahl  von  der  form  8n  — 1  al)sehliesse,  der  neue  mit 
einer  zahl  von  der  form  8n  anfange.  Wäre  das  der  fall,  so  wäre  die  eben  angeführte 
behauptung  auf  s.  82  richtig ,  denn  der  text  von  buch  II  begint  auf  fol.  42  *,  von 
buch  III  auf  74'*,  von  buch  IV  auf  114 'S  von  buch  V  auf  154 'S  lauter  zahlen  von 
der  form  8n  -{-  2,  die  nach  der  obigen  rechnung  jedesmal  das  dritte  blatt  eines 
(iuaternio  bilden  würden.  Wäre  das  also  wirklicli  so,  so  lies.se  sich  über  die  von 
herrn  Pijier  daraus  gezogenen  folgerungen  reden.  Er  ist  nämlich  auch  gleich  mit 
der  erklärung  der  von  ihm  angegebenen  tatsache  bei  der  band,  indem  er  meint 
(s.  82.  83),  Otfrid  habe,  als  er  in  der  oben  angegebenen  weise  abwechselnd  an  den 
fünf  büchern  arbeitete,  vor  dem  beginu  jedes  buebes  zwei  blätter  für  den  titel 
und  das  Inhalts  Verzeichnis  zunächst  freigelassen,  diese  dann  aber,  wenn  er  mit 
dem  vorhergehenden  buche  zu  ende  kam,  soweit  es  gieng,  auch  für  die  schluss- 
verse  des  jedesmal  vorhergehenden  buches  beuuzt  (s.  83).  Dieses  würde  nach  Pipers 
rechnuug  zutreffen  für  die  schlussverse  von  buch  I,  II,  IV,  die  sich  bis  auf  die 
foU.  40",  72^*,  152 "  erstrecken.  Es  wären  dann  also,  wie  ich  Piper  verstehen  muss, 
wenigstens  die  Schlussabschnitte  dieser  bücher  später  gedichtet  und  auch  später  in 
unseren  codex  eingetragen  als  die  anfangsabschnitte  des  jedesmal  folgenden  buches. 
Daraus  würde  sich  freilich,  wenn  mau  aus  der  zeit  der  niederschrift  der  lezten 
verse  wenigstens  ungefähr  und  im  algemeinen  auf  die  zeit  der  niederschrift  des 
ganzen  buches  seliliessen  könte,  wider  eine  ganz  andere  (und  zwar  eine  sehr  unwahr- 
scheinliche) reihenfolge  der  abschritt  ergeben  als  die  oben  erAvähnte.  Aber  ich 
habe  niclit  nötig  auf  die  Widersprüche  der  Piperschen  meiuuiigen  aufmerksam  zu 
macheu;  das  ganze  obige  r  echenexempel  beruht  auf  tatsächlich 
unrichtigen  angaben.  Ich  muss  vermuten,  dass  herr  Piper  seine  behauptung 
(s.  82),  der  text  jedes  buches  ausser  dem  ersten  fange  mit  dem  dritten  blatte  eines 
quaternio  an.  in  die  weit  hineiugesclirieben  und  folgerungen  daraus  gezogen  hat, 
ohne  sich  den  codex,  den  er  doch  lange  in  bänden  gehabt  hat,  überhaupt  darauf 
liin  anzusehen.  Auch  die  beiden  quaternionummern ,  die  er  bemerkt  hat  (s.  47), 
während  die  grosse  zahl  der  anderen  seiner  aufmerksamkeit  entgangen  ist,  und  von 
denen  er  selbst  gemerkt  hat,  dass  sie  zu  einer  durchgeführten  quaternioeinteilung 
nicht  passen,  haben  ihn  nicht  gehindert,  jene  behauptung  zu  machen.  Nach  einer 
mir  VDU  einem  kenner  der  handschrift  gemachten  mitteilung  ist  dieselbe  unrichtig. 
Der  custos  der  kaiserlichen  hofbibliothek  in  Wien  nämlich,  herr  Joseph  Haupt, 
hatte  die  freundlichkeit ,  mich  nach  genauer  durchsieht  der  handschrift  über  die 
wirkliche  Verteilung  der  blätter  derselben  auf  die  verschiedenen  lagen  zu  belehren. 
Ich  gebe  zur  berichtigung  der  Pi]ierschen  behauptung  diese  Verteilung  genau  nach 
Haupts  mitteilungen  hier  an. 

Erste  läge:  Das  vorderste,  auch  von  Kelle  I,  159  erwähnte  ungezählte, 
nur  auf  der  Vorderseite  mit  einer  zeiclmung  (,,  coucentrische  kreise  nach  art  eines 
Irrgartens  gebrochen,  wie  ein  schirm  ruhend  auf  zwei  ptlanzenartigen  füssen") 
bedeckte  ,  auf  der  rückseite  leergelasseue  blatt  und  fol.  2  bilden  ein  doppelblatt, 
zwischen  dessen  beiden  hälften  fol.  1  eingeschaltet  ist. 

Zweite  läge:  fol.  3  —  7,  wovon  nur  fol.  5  und  6  ein  doppelblatt  ausmachen, 
die  anderen  aber  (3.  4.  7)  einzelne  blätter  sind. 

Dritte  läge:  fol.  8  ein  einzelnes  blatt,  das  aber  mit  dem  folgenden  vollen 
quateruio  9  — 16  vom  alten  buchbinder  vereinigt  ist.  Diese  läge  ist  auf  fol.  16** 
unten  als  III  gezählt. 


108  ERDMANN 

Lage  IV — XVIII  sind  vollzählige  quaterniouen ,  umfassen  also  fol.  17 — 24, 
25—32  usw.  (nicht,  wie  Piper  meinte,  16  —  23,  24  —  31  usw.)  und  sind  jedesmal 
genau  und  richtig  auf  der  kehrseite  des  lezten  blattes  unten  numeriert. 

Auch  läge  XVIII  ist  auf  dem  8.  blatte  144''  unten  numeriert,  es  ist  aber 
fol.  145,  welches  ein  einzelnes  blatt  ist,  vom  alten  buchbinder  mit  dieser 
läge  vereinigt. 

Lage  X-X  —  XXIV  sind  wider  quaternionen,  und  enthalten  fol.  146  — 153, 
154  —  161,  162,  169,  170—177,  178  —  185,  alle  genau  und  richtig  numeriert  mit 
ausnähme  von  XX,  wo  auf  fol.  153 ''  das  bild  (crucifix)  im  wege  war. 

Die  lezte  nicht  numerierte  läge  besteht  aus  fol.  186  (einzelnes  blatt) ,  187 -|- 
194  (doppelblatt,  welches  in  sich  fasst :)  188  (einzelnes  blatt),  189  +  193.  191  +  192 
(zwei  doppelblätter).  Die  zahl  190  fehlt  bei  der  beziiferung  (s.  u.);  Kelle  und  Piper 
haben  die  Zählung  nach  den  uns  wirklich  vorliegenden  blättern  berichtigt;  sie 
bezeichnen  also  das  in  der  handschrift  als  191  gezählte  blatt  mit  190  usw. 

Es  trifft  also  in  keinem  einzigen  falle  Pipers  angäbe  zu,  dass  der  (oder  die) 
Schreiber  von  V  die  schlussverse  eines  buches  auf  den  vor  dem  nächsten  (schon 
geschriebenen)  buche  leergelassenen  räum  am  anfange  eines  quaternio  geschrieben 
habe.  Vielmehr  besteht  allerdings  eine  beziehung  der  lageneinrichtung  zu  der 
Unterscheidung  der  bücher  insofern,  als  von  lib.  I  —  IV  der  text  jedes  buches  gegen 
das  ende  einer  läge  schliesst,  Überschrift  und  text  des  anfangscapitels  des  nächsten 
buches  aber  erst  in  der  nächsten  läge  begint,  und  zwar  von  lib.  II — V  (bei  buch  I 
war  es  noch  nicht  geschehen)  abgesondert  von  dem  capitelverzeichnis  und  bei 
lib.  II  — IV  ganz  oben  am  rande  der  Vorderseite;  nur  bei  buch  V  ist  hier  erst  der 
buchtitel  und  die  ungefähre  angäbe  des  liauptinhaltes  angegeben,  für  die  sich  vor- 
her kein  geeigneter  platz  gefunden  hatte.  Ich  stelle  die  einzelheiten  möglichst 
vollständig  und  genau  zusammen : 

Buch  I  schliesst  mit  15  zeilen  auf  40%  leztem  blatte  von  läge  VI.  Der 
rest  der  seite  ist  frei ;  auf  40 ''  steht  nur  titel  und  kurze  Inhaltsangabe  von  buch  IL 
Von  quat.  VII  enthält  das  erste  blatt  41  das  capitelverzeichnis  von  buch  II,  das 
die  erste  seite  41  '^  ganz  ,  die  zweite  41  "^  nur  zum  kleinen  teile  füllt ;  das  erste 
capitel  von  lib.  II  begint  oben  auf  42*  (zweites  blatt  von  läge  VII). 

Buch  II  schliesst  mit  10  zeilen  auf  72",  leztem  blatte  von  läge  X.  Der 
rest  dieser  seite  ist  frei ;  die  nächste  enthält  wider  nur  den  titel  von  buch  III. 
Vom  nächsten  quaternio  XI  enthält  wider  das  erste  blatt  73  nur  das  capitelver- 
zeichnis von  buch  III,  welches  die  erste  seite  73"  ganz,  die  zweite  73''  nur  zum 
kleinen  teile  füllt;  das  erste  capitel  von  buch  III  begint  auf  74*  oben  i  zweites 
blatt  von  läge  XI). 

Buch  III  schliesst  mit  14  +  1  zeilen  auf  IIP,  vorleztem  blatte  von 
läge  XV.  Der  rest  dieses  blattes  ist  frei;  das  lezte  blatt  112  ist  auf  jeder  seite 
zu  einer  bildlichen  darstellung  benuzt;  beide  bilder  aber  beziehen  sich  auf  den 
inhalt  des  folgenden  vierten,  nicht  des  vorhergehenden  dritten  buches.  Dass  das 
lezte  blatt  für  diese  bilder  frei  blieb,  ist  erreicht  dadurch,  dass  auf  jede  seite  die- 
ses lezten  quaternio  (fol.  105*  — 111*)  eine  zeile  mehr  als  gewöhnlich  (22  statt  21) 
geschrieben  wurde;  hierdurcli  ist  der  räum  von  13  zeilen  erspart.  Für  einen  buch- 
titel mit  algemeiner  bezoichnung  des  inlialts,  wie  er  vor  buch  II  und  III  eine 
ganze  averso- seite  bedeckt,  blieb  dagegen  hier  kein  platz.  Von  der  nächsten  läge 
XVI  enthält  das  erste  blatt  113  gleich  das  capitelverzeichnis  von  buch  IV,  welches 
diesmal  auch  die  zweite  seite  beinahe  füllt,  und  darunter  die  Worte:  incipit  Über 
evangeliorum  quartus  theotii^ee  conscripttis  (ausführlicliere  bezeichnung  als  vor  dem 


ÜBER    OTFRID    ED.    PIPER.       A.    ZUR    TEXTKRITIK  109 

text  von  biicli  II  und  III,  aber  ohne  Inhaltsangabe).  Das  erste  capitel  von  buch  IV 
begiut  auf  114"  oben,  wider  auf  dem  zweiten  blatte  von  läge  XVI. 

Bucli  IV  schliesst  mit  14  Zeilen  auf  152*,  vorleztem  blatte  von  läge  XX. 
Dieses  resultat  ist  dadurch  erreicht,  dass  zwischen  läge  XIX  und  XX  das  einzelne 
blatt  145  eingeschaltet  ist.  Übrigens  enthält  fol.  144''  22,  145"  sogar  23  zeilen, 
145''  21  und  eine  lange  capitelüberschrift.  Es  scheint  fast,  als  ob  der  schreiber 
hier  wie  bei  dem  lezten  quaternio  von  buch  III  erst  versuchte,  durch  Vermehrung 
der  Zeilen  auf  jeder  seite  räum  zu  sparen,  und  sich  später  erst  überzeugte,  dass 
bei  einschaltung  eines  einzelblattes  diese  vorsieht  nicht  nötig  sei,  denn  fol.  140  — 
151  enthalten  wider  regelmässig  21  zeilen  auf  jeder  seite.'  Der  rest  von  152°-  ist 
leer:  152''  und  153*  sind  bereits  zum  capitelverzeichuis  von  buch  V  benuzt;  auf 
153 *"  steht  ein  bild  (crucifix),  das  zu  dem  unmittelbar  darauf  folgenden  abschnitt 
V,  1  {cur  dominus  ignominiani  crucis  .  .  .  pertulerit)  beziehung  hat.  Auf  154" 
(erstem  blatte  von  läge  XXI)  steht,  abweichend  von  der  bei  den  bücheni  II — IV 
befolgten  gewohnheit,  oben  erst  der  buchtitel  mit  allgemeiner  angäbe  des  Inhaltes: 
incipit  Über  qxmitiis  (nicht:  evangeliorwm)  de  resurreetione  et  ascensione  domini 
et  die  iudicii;  daran  schliesst  sich  unmittelbar  Überschrift  und  text  von  capitel  V,  1. 

Buch  V  schliesst  mit  17  zeilen  auf  189"*,  dem  dritten  blatte  der  vereinigten 
lezten  läge;  die  beiden  vorhergehenden  selten  des  einzelblattes  188  haben  nur  je 
19  Zeilen.  Der  rest  der  seite  189''  ist  ausgefüllt  mit  dem  titel  der  widmung  an 
Hartmut  und  Werinbert.  Vielleicht  folgte  hier  früher  ein  besonderes  mit  190 
numeriertes  schluss-  oder  titelblatt ,  welches  es  erklärt,  dass  die  folgenden  blätter 
unseres  codex  mit  191  — 194  numeriert  sind.  Der  text  der  widmung  an  Hartmut 
und  Werinbert  fült  zwar  mit  seinen  164  -|-  4  versen  (die  lezten  vielleicht  eben  nur 
zur  füllung  hinzugesezt)  genau  diese  4  blätter  (nur  dass  zur  erzielung  eines  gefäl- 
ligeren abschlusses  auf  194 ""  22,  auf  194''  nur  20  zeilen  geschrieben  sind):  doch 
häugen  dieselben,  wie  oben  bemerkt,  mit  einigen  der  lezten  blätter  von  buch  V 
zusammen,  haben  also  niemals  von  jenen  getrent  werden  können. 

Dagegen  bilden  die  beiden  Widmungen  an  Ludwig  und  Liutbert  zusammen 
die  beiden  ersten  lagen  des  codex  fol.  0  —  7.  Die  widmung  an  Salomo  aber  hängt 
mit  den  blättern  des  ersten  buches  zusammen. 

Es  zeigt  sich  also  allerdings  das  bisweilen  auch  durch  Veränderung  der  Zei- 
lenzahl und  einschaltung  eines  einzelneu  blattes  bezeugte  bestreben,  den  text  jedes 
buches  gegen  das  ende  eines  quaternio  hin  abschliessen  zu  lassen.  Dies  wird  aber 
durch  die  annähme  erklärt,  dass  der  Verfasser  und  seine  freunde  jedes  buch  abge- 
sondert durchsehen  wolten ,  während  die  niederschrift  des  textes  vielleicht  unter- 
dessen schon  auf  dem  nächsten  quaternio  mit  dem  texte  des  jedesmal  folgenden 
buches  fortgesezt  wurde.  Es  zeigt  sich  ferner  in  der  einrichtung  und  bezeichnung 
des  anfanges  der  bücher  volle  Übereinstimmung  zwischen  II  und  III,  dagegen 
kleine  abweichungen  schon  bei  IV  und  noch  mehr  bei  V;  doch  lassen  diese  sich 
durch  die  rücksicht  auf  die  im  vorherigen  quaternio  eingeschalteten,  jedesmal  auf 
das  folgende  buch  bezüglichen  bilder  erklären. 

1)  Abweichungen  von  der  gewöhnlichen  Zeilenzahl  von  21  .sind  soni5t  nur  verein- 
zelt. Auf  fol.  12"  stehn  23  verse  I,  1,  74  —  96  auf  22  Zeilen  (zwei  ver.se  später  zuge- 
sezt?  Ein  anderer  grund  ist  hier  nicht  zu  finden,  denn  auf  12''.  13"  stehn  21).  22 
verse  stehn  ausserdem  noch  auf  IG"  (I,  4,  7  —  28  auf  21  zeilen)  und  auf  194"  (Hartm. 
1^7—148).  Nur  je  19  zeilen  stehn  auf  den  beiden  selten  des  blattes  131  (IV,  15, 
30  — IV,   16,   2),  sowie  des  einzelblattes   188  (V,   25,  29  —  66). 


110  ERDMANN 

Nach  alledem  tiiide  ich  in  der  eiiirichtiiug  der  lagen  des  codex  keinen  erheb- 
lichen grund  gegen  die  annähme,  dass  der  codex  V  (abgesehen  von  den  Widmun- 
gen an  Ludwig  und  Liutbert,  die  nachträglich  geschrieben  und  vorgeheftet  sein 
können)  von  der  widmung  an  Salomo  bis  zu  der  schlusswidmung  an  die  Sanct  Gal- 
ler mönche  im  ganzen  continuierlich  so  geschrieben  sei,  wie  er  uns  vorliegt,  und 
ich  habe  auch  keinen  grund ,  grosse  pausen  zwischen  der  uns  vorliegenden  nieder- 
schrift  der  einzelnen  büclier  anzunehmen.  Dass  die  capitelverzeichnisse  von  buch 
II  —  IV,  die  jedesmal  ein  besonderes  blatt,  und  zwar  das  erste  eines  quaternio, 
ausfüllen ,  erst  nach  dem  texte  der  betreffenden  bücher  gesclirieben  seien ,  ist  mög- 
lich, aber  nicht  als  notwendige  annähme  erwiesen:  bei  buch  V,  wo  das  capitelver- 
zeichnis  auf  zwei  blättern  der  vorhergehenden  läge  steht,  ist  os  mir  wenigstens 
unwahrscheinlich,  bei  buch  I  aber,  wo  der  text  von  I,  1  sich  fol.  10*  unmittelbar 
in  genauer  Übereinstimmung  der  Zeilenzahl  an  das  capitel Verzeichnis  anschliesst, 
gar  nicht  glaublich. 

B.     Zur   litteraturgeschichte. 

1)  Den  äusseren  lebe ns gang  Otfrids  aufzuhellen  hat  Piper  sich  eifi'ig 
bemüht  (s.  1^-42,  vgl.  auch  s.  238  fg.).  Über  das  vorkommen  des  namens  in 
Weissenburger  Urkunden,  über  Werinbert  und  Hartmut.  über  Salomo  von  Constanz, 
über  den  abt  Grimald  von  St.  Gallen  und  andere  gönner  und  freunde  Otfrids  wer- 
den die  bisher  bekanten  notizen  zusammengestelt  und  aus  den  quellen  um  neue 
vermehrt.  Es  wird  aus  dem  allen  ein  lebensbild  Otfrids  construiert,  das  freilich 
in  vielen  punkten  über  die  blosse  Vermutung  nicht  herauskomt.  Ich  verweise  hier- 
für auf  das  buch  selbst  und  möchte  mich  hier  nur  gegen  eine  bedenkliche  neigung 
Pipers  erklären.  Oft  zieht  er  als  quellen  für  das  äussere  leben  Otfrids  einzelne 
stellen  des  evangelienbuches  heran,  indem  er  ort  und  gelegenheit  augeben  will, 
wo  Otfrid  die  im  buche  ausgesprochenen  crfahrungen  erworben ,  die  ausgedrückten 
Stimmungen  des  gemütes  erlebt  habe.  Ich  halte  es  für  falsch,  wenn  man  Otfrid 
gar  keine  objectivität,  gar  kein  versenken  in  seinen  stoff  zutraut  und  deshalb  in 
manchen  durchaus  dem  behandelten  gegenstände  angemessenen  stellen  gewaltsam 
eine  beziehung  zu  persönlichen  erlebnissen  des  dichters ,  die  zum  teil  in  eine  viel 
frühere  zeit  fallen  sollen ,  finden  will.  Icli  rechne  hierher  zunächst  die  von  Piper 
auf  s  1.  17  der  einleitung  und  auch  im  comraentar  in  dieser  richtung  verwertete 
bekante  stelle  I,  18,  25  —  30  nuoJaga  elüenti,  harto  bistü  herti  fg.  Nach  Jac. 
Grimms  vorgange  hat  man  diese  worte  fast  algemein  als  eine  hiudeutung  auf  Otfrids 
eigene,  entweder  zur  zeit  der  dichtung  fortdauernde  oder  früher  durchlebte  entfer- 
nnng  von  seinem  geburtsorte  erklärt.  Wenn  die  worte  sich  unmittelbar  an  die 
erzählung  von  der  heimkehr  der  magier  anschlössen  und  etwa  die  Sehnsucht  der- 
selben nach  ihrer  heimat  erläuterten,  so  wäre  eine  solche  auffassung  und  erklärung 
derselben  zulässig;  ähnliche,  wenn  auch  meist  kürzere  berufungen  auf  die  eigene 
erfahrung  des  dichters  und  des  lesers  finden  sich  auch  sonst  bei  Otfrid.  Aber  hier 
bietet  das  erzählte  factum  gar  keine  veranlassung  dazu.  Die  weisen  kehren  nicht 
aus  Sehnsucht  nach  der  heimat,  sondern  auf  befehl  des  engeis  heim.  Auch  schlies- 
sen  sich  die  worte  gar  nicht  unmittelbar  an  die  erzählung  von  den  weisen  I,  17 
an,  sondern  sie  stehn  erst  in  dem  folgenden,  in  sich  einheitlichen  und  in  stetem 
gcdankengange  fortschreitenden  betrachtenden  abschnitte  I,  18.  Hier  wird  mystisch 
die  heimat  auf  das  himmelreich,  das  ausländ  auf  die  irdische  weit  mit  ihrer  angst 
und  not  gedeutet ,  und  nur  in  diesem  allegorischen  sinne  sjtricht  Otfrid  von  seinem 
und   der  leser  herrlichem   adnlerbi   (v.  17),    sowie   von  dem   elüenti   (v.  Iß.  25  fg.), 


ÜBER  OTFRID    ED.    PIPER.       B.    ZUR   LITTERAT^RGESCHICHTE  111 

dessen  bittcrkeit  er  crfuliren  und  empfunden  liabe.  Gewiss  bezcTigt  diese  stelle  ein 
tiefes  ö-efülil  und  eine  lebliafte  gemütsbewegung  des  dicbters:  das  liegt  aber  daran, 
dass  ihm  die  religiösen  gedanken,  die  er  ausspricht,  Avirklicli  hohe  und  lieilige 
herzenssachc  waren,  und  dass  durch  sie  auch  seine  worte  poetischen  schwuug  und 
echte  begeisterung  erhalten  konten.  Und  so  finde  ich  in  diesen  versen  allerdings 
ein  bedeutsames  zeugnis  für  Otfrids  dichterische  eigentümlichkeit ,  nicht  aber  eine 
aus  dem  zusammenhange  herausspringende  ansjiielung  auf  ein  äusseres  ereignis  sei- 
nes lebens.  Dass  mir  dieses  Zeugnis  übrigens  auch  lieber  und  wertvoller  ist,  als 
eine  biographische  notiz  es  sein  könte,  bitte  ich  meinem  geschmacke  zu  gute  zu 
halten.  Ebenso  urteilte  über  die  stelle  schon  Grünhagen  (Otfrid  und  Heliand 
s.  8),  sowie  Eechenberg  (Otfrid  s.  102),  dessen  oft  sehr  feine  und  verständnis- 
volle bemerkungen  über  Otfrids  eigentümlichkeit  bisher  wenig  berücksichtigt  wor- 
den sind. 

Ebenso  halte  ich  für  eine  unnütze  Spielerei  die  Vermutung  Pipers  (s.  25), 
dass  Otfrid  die  III.  3,  13  fg.  ausgesprochene  erfahrung  von  der  falschen  Wert- 
schätzung der  grossen  menge  gerade  als  schüler  des  Hrabanus  Maurus  gemacht 
habe.     Solche  erfahrungen  kann  man  überall  machen. 

Dass  im  himmelreiche  die  leiden  des  alters,  krankheiten,  tod,  begräbnis 
fortfallen,  dass  es  dort  keine  nacktheit  und  keine  armut  gebe,  war  ein  in  kirch- 
lichen lateinischen  gedichten  schon  oft  ausgeführter  gedanke:  manche  speciellen 
Züge  finden  sich  in  ähnlicher  weise  wie  bei  Otfrid  V,  23  schon  in  den  dichtungen 
des  Syrers  Ephraem.  In  der  stelle  V,  23,  137  — 144  aber,  wo  von  krankheit,  alter 
und  husten  die  rede  ist,  eine  besondere  beziehung  auf  Otfrids  eigene  körperbeschaf- 
fenheit  zu  suchen,  wie  Piper  s.  15  —  hier  in  Übereinstimmung  mit  Eechenberg  — 
tut,  ist  um  so  unpassender,  als  gerade  dieser  abschnitt  nach  Pipers  eigenen  aus- 
führungen  höchst  wahrscheinlich  zu  den  früheren  des  werkes  gehört.  Dasselbe  gilt 
von  der  stelle  I,  4,  51  —  56  (Piper  s.  15).  Das  verweilen  des  hohenpriesters  Zacha- 
rias  bei  den  ti'aurigen  folgen,  die  sein  alter  für  ihn  und  seine  gattin  hat,  (das 
sehr  massvoll  und  würdig  erscheint  gegenüber  der  breiten  ausführlichkeit ,  mit  der 
Zacharias  im  Heliand  151  —  157  sich  in  ausmalung  der  hässlicheu  züge  des  grei- 
sen körpers  ergeht) ,  hebt  die  anschaulichkeit  der  erzählung  in  echt  epischer  weise 
und  entspricht  vielen  anderen  stellen,  an  denen  Otfrid  in  die  reden  seiner  personen 
charakteristische  züge  selbständig  einlegt.  Daraus  aber  zu  folgern,  dass  Otfrid  bei 
abfassung  dieses  abschnittes ,  der  nach  spräche  und  versbau  zu  den  ältesten  des 
ganzen  werkes  gehört,  selbst  ein  greis  gewesen  sei,  ist  seltsam. 

Den  abschluss  seines  Werkes  vergleicht  Otfrid  in  einem  passenden  und  fein 
durchgeführten  vergleiclie  V,  25,  1  —  6  mit  dem  ende  einer  langen  seefahrt:  dass 
er  die  dort  ausgedrückten  anschauungen  und  kentnisse  nur  durch  längeren  aufent- 
halt  am  Bodensee  habe  erwerben  können  (s.  3G) ,  will  mir  nicht  einleuchten.  Die 
folgerung  komt  mir  etwa  vor,  als  wenn  man  aus  Goethes  ,, Seefahrt"  auf  eine  wirk- 
liche Seereise  des  dichters  schliessen  wolte.  Man  darf  von  der  lectüre  und  der 
eigenen  phantasie  Otfrids  nicht  zu  gering  denken.  Mit  demselben  rechte  könte 
Piper  aus  I,  2,  1 — 2  folgern,  dass  Otfrids  mutter  eine  leibeigene  gewesen  sei, 
oder  aus  III,  1,  32  fg. ,  dass  sie  ihn  oft  arg  geschlagen  habe. 

2)  Auch  die  für  das  Verständnis  und  die  beurteilung  des  otfridischen  werkes 
wichtige  frage  nach  den  quellen  Otfrids  hat  Piper  einleitung  s.  251 — 258  und 
gelegentlich  im  commentar  behandelt,  ohne  jedoch  die  positiven  und  negativen 
ergebnisse  der  unter.suchuug  vidlig  ausgenuzt  und  veranschaulicht  zu  haben.  Piper 
unterscheidet  drei  klassen  von  quellen  Otfrids:  1.  Text  der  Vulgata.     2.  Lateinische 


112  ERDMANN 

commentarc  und  andere  theologische  Schriften.  3.  Deutsche  quellen.  Unter  diesen 
gewährt  ohne  zweifei  die  erste  klasse,  nämlich  die  von  Otfrid  benuzten  stellen 
des  Vulgatatextes ,  bei  genauer  vergleichung  mit  Otfrids  Worten  die  wichtigsten 
und  umfassendsten  resultate.  Vielleicht  weil  diese  quelle  am  leichtesten  für  jeden 
leser  erreichbar  war,  haben  die  früheren  horausgeber  und  erklärer  sie  am  wenigsten 
eingehend  berücksichtigt.  Scherz  z.  b.,  der  doch  den  Otfrid  ins  Lateinische  über- 
sezte,  hat  gar  nicht  einmal  daran  gedacht,  seine  Übersetzung  mit  der  lateinischen 
hauptquelle  Otfrids  zu  vergleichen,  wodurch  allein  er  an  sehr  vielen  stellen  seine 
auffassung  hätte  berichtigen  können.  Kelle  machte  den  grossen  fortschritt,  dass  er 
unter  seinem  texte  den  anfang  jedes  grösseren  evangelienabschnittes  angab,  dem 
Otfrid  gefolgt  war.  Schon  aus  diesen  angaben  Keiles  Hesse  sich  die  völlige  grund- 
losigkeit  der  leider  selbst  von  H.  Kückert  (Einleitung  zur  ausgäbe  des  Heiland 
s.  VIII)  ausgesprochenen  beliauptung  erweisen ,  dass  Otfrid  den  Tatian  als  leitfaden 
bei  seiner  anordnung  benuzt  habe  und  ihm  im  ganzen  sogar  treuer,  wenigstens 
entschieden  geistloser  als  der  dichter  des  Heliand  gefolgt  sei.  Wie  dieses  beispiel 
beweist,  waren  die  angaben  Keiles  selbst  für  fachgelehrte  zur  erkentnis  des  von 
Otfrid  befolgten  Verfahrens  nur  dann  brauchbar,  wenn  sie  zu  jedem  abschnitte 
Otfrids  die  Vulgata  und  bei  vergleichung  mit  dem  Heliand  auch  den  Tatian  auf- 
schlugen und  vers  für  vers  verglichen.  Im  einzelnen  war  auch  bei  Kelle  manches 
citat  unrichtig  oder  unvolständig  gegeben.  Piper  hat  unter  dem  texte  die  citate 
aus  den  evangelien  etwas  genauer  angegeben  als  Kelle  und  ausserdem  viele,  von 
Kelle  meist  nicht  angegebene,  stellen  aus  anderen  büchern  der  bibel  citiert,  die 
Otfrid  gelegentlich  einÜicht  oder  andeutet.  In  welcher  art  aber  Otfrid  die  bibel- 
stellen benuzte ,  das  wird  auch  durcli  Pipers  (teilweise  ebenfalls  der  berichtigung 
bedürfende)  angaben  nicht  veranschaulicht. ^  Für  das  lehrreichste  und  fruchtbarste 
verfahren  würde  ich  auch  bei  Otfrid  halten  das  von  Sievers  in  seiner  ausgäbe  des 
Heliand  befolgte:  völligen  abdruck  der  wirklich  von  Otfrid  widergegebenen  werte 
des  bibeltextes  mit  andeutuug  der  lücken  und  genauer  bezeichnung  der  betreffenden 
verse  Otfrids  und  der  capitel  und  verse  der  bibel,  die  lezten  zur  bequemlichkeit 
der  leser  nach  der  modernen  Zählung.  Dass  eine  genaue  vergleichung  dieser  bibel- 
stellen mit  den  Worten  Otfrids  sehr  lehrreich  und  unter  umständen  höchst  interes- 
sant ist,  habe  ich,  seitdem  ich  mir  eine  möglichst  vollständige  Zusammenstellung 
derselben  gemacht  habe,  vielfach  erfahren.  Manche  sprachliche  controverse  wird 
durch  die  blosse  angäbe  der  quelle  erledigt.  So  ist  in  der  stelle  1,2,1  mwla 
druhtin  min,  iä  hin  ili  scale  thin  die  richtige  deutung  der  partikeln  wola  und  ja 
sofort  gegeben,  wenn  man  die  (schon  von  Rechenberg  s.  72  gefundene)  quelle  nach 

1)  In  dem  ersten  aus  den  evangelien  entnommenen  abschnitt  I,  .S  z.  b.  ergibt 
die  vergleichung  folgendes  resultat:  die  verse  1 — 2.  15  —  16  freie  ausführung  der  stelle 
Mt.  1,  1  liber  gener ationis  Christi ,  ßlii  David,  filii  Ahralmm.  5 — 6  nach  Luc.  3,  .'iS  .. 
qui  fuit  Adam,  qui  fuit  Bei.  23 — 24  mit  bezug  auf  die  Mt.  1,  17  angedeutete  drei- 
teilung  der  ahnen  Christi,  die  aber  von  Otfrid  eigentündich  angewant  wird.  27  —  28 
anspielung  auf  Jes.  11,  1  et  egredietur  rirga  de  radice  Jesse,  et  flos  de  radice  eins  ascen- 
det.  35  —  36  kurze  notiz  über  eine  der  vielen,  in  den  commentaren  des  Beda  und  drs 
Hrabanus  zu  Mt.  1,  17  ziisammengestelten  mystischen  zahlenspiolereien.  Alles  dazwi- 
schen liegende  ist  eigene,  wol  disponierte  und  in  abschnitte  von  je  4  versen  gegliederte 
ausführung  Ottrids.  Wenn  nun  Kelle  (s.  59)  und  Piper  dazu  einfaeh  als  quelle  hin- 
setzen: Mt.  1,  1  17,  und  dann  eine  lange  stelle  aus  Hralianus  abdrucken,  so  erweckt 
dies  ein  ganz  falsches  bild  von   der  tätigkeit  Otfrids. 


ÜBER  OTFEID   ED.   PIPER.      B.    ZUR   LITTER ATURGESCHICHTE  113 

dem  Vulgatatexte  vergleicht:  psalm  115,  16  o  domine,  quia  ego  servus  tuus, 
Über  I,  16,  23  s.  oben.  In  dem  verse  IV,  11,  5  krist  minnöta  thie  sine  unz  in 
enti  themo  Vthe  kann  ich  die  beiden  lezten  worte  nur  verstehn  als  eine  nicht  recht 
gelungene  Übertragung  des  lat.  in  mundo  (Joh.  13,  1:  .  .  cum  dilexisset  suos,  qui 
ernnt  in  mundo,  in  flnem  dilexit  eos).  Der  ausdruck  des  verses  IV,  27,  23  Pila- 
tus hiiab  giscribana  sines  selben  redina  wird  verständlich  durch  corabination  von 
Joh.  19,  19  scrijosit  [autem  et  titulnm]  Pilatus  et  posnit  super  crucem  mit  Mt.  27,  37 
[et  imposuernnt  super  Caput  eiusj  causam  ipsius  scrij)tam.  Vgl.  IV,  36,  17  sie  .  . 
tliaz  grab  gizeinötun  18  .  .  mit  mihileru  festi  mit  Mt.  27,  66  munienint  sepulchrum 
signantes  hipidem.  IV,  30,  2  hertön  scheint  hinzudeuten  auf  die  im  Tatian  nicht 
berücksichtigten  Worte  Marc.  15,  31  summi  sacerdotes  illudentes  ad  alterutrum 
cum  scribis  dicebant. 

Von  Otfrids  leistungen  als  Übersetzer  und  erklärer  kann  man  nicht  gering 
denken,  wenn  man  seine  worte  mit  dem  Vulgatatexte  vergleicht.  Mit  ausnähme 
desjenigen,  was  er  aus  bcstimten  gründen  übergeht,  ist  er  sichtlich  bemüht,  den 
sinn  der  bibelworte  bis  auf  die  kleinsten  einzelheiten  genau  und  vollständig  wider- 
zugeben. In  mancher  widerholung  erkent  man  das  bestreben ,  die  zuerst  noch  nicht 
ganz  gelungene  oder  noch  nicht  für  jedermann  verständliche  Übersetzung  durch 
Umschreibung  desselben  gedankens  mit  anderen  worten  fasslich  zu  machen.  Öfters 
zeigt  sieh  eigentümliche  combination  verschiedener  berichte;  öfters  auch  das  bestre- 
ben scheinbare  Widersprüche  auszugleichen.  Durch  die  vergleichung  mit  dem  Vul- 
gatatexte erst  unterscheidet  man  deutlich  Otfrids  eigene  zusätze,  motivierungen, 
erläuterungen.  Genaue  Unterscheidung  synonymer  worte  zeigt  sich  oft :  so  II,  22,  9 
sehet  nach  Mt.  6,  26  respicite,  13  beginnet  anascouön  nach  28  considerate.  Über 
die  Unterscheidung  von  fons  und  puteus  II,  14  spreche  ich  unten. 

Unrichtige  auffassung  der  lateinischen  construction  zeigt  sich  verhältnis- 
mässig sehr  selten.  Ich  habe ,  obwol  ich  besondere  aufmerksamkeit  darauf  gerich- 
tet habe ,  im  ganzen  Otfrid  nur  folgende  stellen  gefunden ,  in  denen  man  eine 
solche  annehmen  muss:  I,  10,  13  sös  er  gihiaz  .  .  14  thaz  er  uns  sin  gisiuni  in 
lichamen  gäbi ,  frei  nach  Luc.  1,  73  [iusiurandum,]  qiiod  iuravit  .  .,  daturum  se 
nobis,  74  ut  fg.  Die  worte  Otfrids  geben  zwar  einen  guten  sinn,  scheinen  aber 
anzudeuten,  dass  er  se  als  object  zu  daturum  construierte.  II,  13,  28  giduent  sie 
lütmäri,  thaz  er  io  druhtin  uuäri  nach  Joh.  3,  33  ...  signavit,  quia  deu^  verax 
est.  Otfrid  fasst  das  adj.  verax  attributiv,  nicht  prädicativ.  II,  14,  71  ther  geist, 
ther  ist  druhtin  nach  Joh.  4 ,  24  Spiritus  est  deus ,  wo  Otfrid  Spiritus  und  nicht 
deus  als  subject  des  satzes  ansah.  Nicht  hierher  rechne  ich  die  stelle  I,  15,  18 
thia  heili ,  thia  thti  uns  garotös ,  er  thü  luiorolt  uuorahtös.  Sie  entspricht  Luc.  2, 
30  salutare  tuum ,  31  qxMd  parasti  ante  faeiem  omnium  populorum.  Dass  Otfrid 
auch  nur  in  augenblicklichem  misverständnis  fades  für  ein  von  facere  abgeleitetes 
subst.  =  creatio  geuomraon  habe ,  ist  mir  doch  nicht  glaublich.  Er  hat  wahrschein- 
lich diese  ihm  auch  sonst  geläufige  wendung,  die  er  V,  23,  26  (wahrscheinlich  nach 
Ephes.  1,  4  elegit  nos  in  ipso  ante  mundi  constitntionem)  ebenfalls  gebraucht  hat. 
selbständig  zur  füllung  des  verses  eingeschoben. 

Nicht  uninteressant  ist  übrigens  das  Verhältnis  der  lateinischen  capitel- 
überschriften  und  randbemerkungen  zum  lateinischen  Vulgata-  und  zum 
deutschen  Otfridtexte.  Piper  hat  dieselben  diplomatisch  genau  beschrieben  und 
widergegeben;  sie  verdienen  aber  auch  nach  ihrem  Wortlaute  und  inhalte  eine 
genauere  Untersuchung.  Bei  weitem  die  meisten  sind  der  von  Otfrid  gerade  über- 
sezten  bibelstelle  entnommen ,  aber  öfters  mit  abweichungen  vom  lateinischen  bibel- 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE' PHILOLOGIE.      BD.    XI.  " 


114  ERDMANN 

texte,  die  nur  durch  rücksicht  auf  Otfrids  deutsche  worte  zu  erklären  sind.  So  z.  b. 
zu  III,  4,  li>  cognovit  Christus  als  hauptsatz  nach  Otfrids  construction ,  während 
in  der  quelle  Joh.  5,  6  steht:  cum  .  .  cognovisset  Jesus  fg.  III,  8,  41  domine, 
adjuva  me  nach  Otfrids  hilf  mir,    während  Mt.  14,  30  steht  salvum  me  fac.     Vgl. 

III,  5,  7.  9,  1.  11.  Bisweilen  aber  stamt  die  randbemerkung  aus  einer  ganz  ande- 
ren stelle,  als  diejenige  war,  welche  Otfrid  übersezt  hatte;  so  II,  22,  31  quis  ex 
vobis  patrem  petit  panem  aus  Luc.  11,  11,  während  Otfrid  hier  genau  nach  Mt.  7,  9 
gearbeitet  hat.  Bisweilen  enthält  die  randbemerkung  worte,  die  Otfrid  bei  der 
Übersetzung  ausgelassen  hatte;  so  zu  III,  4,  47  [ahiit  ille  homo  et]  nunciavit 
(Joh.  5,  15).  Einmal  bietet  die  randbemerkung  einen  ganz  anderen  text,  als  der 
war,  den  Otfrid  übersezte:  I,  4,  41  com^ertet  corda  fdiorum  ad  patres  eorum  (Luc.  1, 
17);  Otfrid  las:  corda  patrum  in  f'dios.  Manche  randbemerk ungen  und  Überschrif- 
ten sind  ganz  freie  Inhaltsangaben  ohne  rücksicht  auf  eine  einzelne  bibelstelle.     Zu 

IV,  16,  55   hebt   dies  auch  Piper  hervor. 

Dass  auch  die  sogenanten  apokryphischen  evangelien  auf  Otfrids 
erzählung  eingewirkt  haben,  hat  für  die  stellen  I,  5,  11.  12.  I,  17,  27  nachgewie- 
sen Schade,  liber  de  infantia  Mariae  et  Christi  salvatoris  (Königsberger  universi- 
tätsschrift  1869.  I)  s.  6.  23.  32.     Piper  hat  davon  keine  notiz  genommen. 

Was  die  zweite  klasse  der  otfridischen  quellen,  die  lateinischen  commen- 
tare  und  andere  theologische  schriften  jener  zeit  betrift,  so  hat  Kelle,  durch  Lach- 
manns  bemerkung  angeregt,  nach  fieissiger  Untersuchung  bereits  so  reiche  nach- 
weise von  stellen  gegeben,  die  Otfrid  sicher  oder  höchst  wahrscheinlich  benuzt  hat, 
dass  Vervollständigungen  aus  der  uns  erhaltenen  kirchlichen  litteratur  nur  noch  in 
geringem  masse  möglich  sein  werden.  Piper  hat  nur  unbedeutende  nachtrage  gelie- 
fert, unter  denen  z.  b  die  zu  I,  6,  15  — 18  aus  Beda  ausgeschriebene  stelle  gar 
wenig  zu  Otfrids  Worten  passt.  Mir  bleibt  bei  den  höchst  verdienstlichen  nachwei- 
sen Keiles  jedoch  ein  bedenken ,  das  Piper  auch  nicht  gehoben  hat.  Die  von  Piper 
(s.  251)  ohne  weiteres  nachgeschriebene  behauptung  Keiles  (I  s.  46),  dass  Otfrid 
für  die  stellen  aus  Matthaeus  ausschliesslich  den  commentar  des  Hrabanus  Maurus, 
für  die  aus  Lucas  aber  den  des  Beda,  für  die  aus  Joliannes  den  des  Alcuin  benuzt 
habe,  kann  ich  nicht  als  völlig  bewiesen  anerkennen.  Da  die  verschiedenen  com- 
raentare  unter  einander  und  mit  älteren  theologischen  schriften  (des  Augustin,  Hie- 
ronymus ,  Gregor)  vielfach  wörtlich  übereinstimmen ,  und  da  durch  Otfrids  eigenes 
Zeugnis  erwiesen  ist,  dass  er  auch  diese  lezteren  kante  und  studierte,  so  wird  der 
nachweis  darüber,  welche  schrift  er  für  jede  stelle  zu  rate  zog,  zumal  bei  der  lau- 
gen dauer  der  arbeit,  nicht  mit  Sicherheit  zu  führen  sein.  Ich  mache  z.  b.  darauf 
aufmerksam .  dass  die  von  Kelle  aus  Alcuins  commentar  zum  Johannesevangelium 
angeführten  stellen  fast  sämtlich  auch  in  Bedas  commentar  zum  Johannes  stehn ; 
die  einzige  bemerkenswerte  ausnähme  ist  der  satz:  nee  expeetavit  [Judas]  audire, 
quid  ei  responderet  Jesus,  quia  forte  non  dignus  erat  audire  (Alcuin  zu  Joh.  18,  38; 
quelle  für  Otfr.  IV,  22,  l**  ih  uiieiz  [er]  es  uuirdig  ni  uuard,  2  thaz  er  thaz 
gihörti ,  uuaz  druhtln  thes  giquäti) ,  den  ich  bei  Beda  nicht  gefunden  habe.  Ebenso 
stehn  die  aus  Hrab.  Maurus  zum  Matthaeus  angeführten  stellen  meist  auch  in 
Bedas  commentaren  oder  homilien.  Nach  angäbe  der  Kölner  ausgäbe  des  Hrabanus 
hatte  derselbe  auch  einen  commentar  zu  den  evangelien  des  Marcus,  Lucas,  Johan- 
nes geschrieben  oder  zusammengestelt,  der  für  uns  verloren  ist.  Vielleicht  haben 
in  diesem  alle  die  stellen  ebenfalls  gestanden,  die  Kelle  aus  den  anderen  commen- 
taren citiert,  vielleicht  war  er  aucli  die  quelle  für  manche  jezt  noch  nicht  belegte 
stelle  Otfrids.     Während  sich  so  die  quellenangaben  aus  den  commentaren  vielleicht 


ÜBER   OTFRID    KD.    PIPER.      B.    ZUR   LI TTERA TÜRGESCHICHTE  115 

vereinfachen  Hessen,  wenn  uns  der  des  Hrabanus  vollständig  vorläge j  muss  doch 
immer  die  beiuitzung  verschiedener  anderer  Schriften  in  ausgedehntem  masse  zu- 
gestanden werden.  In  Gregors  liomilien  finden  sich  auch  ausser  den  in  die  von 
Kelle  angeführten  comnientare  aufgenommenen  stellen  einige ,  die  Otfrid  entweder 
direct  oder  durch  verniitlung  andere)-  Schriften  benuzt  hat.  Ich  kann  als  solche 
stellen  anführen:  1)  Zu  I,  11,  55  druhtin  queman  ivolta ,  thö  man  alla  uuorolt 
zalta,  thaz  unir  sin  cd  giltclie  gibriefte  in  himilriclic ,  vgl.  Gregor  homil.  8,  1 
(sp.  1460)  quid  est,  quod  nascituro  domino  mimdus  describitur,  nisi  hoc,  quod 
aperte  monstratur,  qiiia  ille  vcniebat  in  carne,  qui  elcctos  suos  ascriberet  in  aeter- 
nitate?  (Bei  Beda  ad  Lucam  nicht  aufgenommen).  2)  Zu  I,  12,  31  hiseof,  tlier 
sih  uuachoröt  ubar  kristinaz  thiot ,  tlier  ist  ouh  würdig  scönes  engilo  gisiunes 
aus  derselben  homilie  (sp.  1461  e)  Quid  est,  quod  vigilantibus  pastoribus  angelus 
apparet ,  .  .  nisi  quod  Uli  prae  cetcris  videre  subliviia  merentur,  qui  fidelibus  gre- 
gibus  praeesse  solliciie  sciiont?  Duinque  ipsi  pie  super  greges  vigilant,  divina 
super  eos  gratia  largius  coruscat.  Dies  fast  wörtlich  auch  bei  Beda  zu  Luc.  2 ,  9 
(V,  206).  3)  Zu  V,  12,  1  lekza  therero  uuorto  thiu  gruazit  zeichan  harto,  .  . 
9  in  uuelicha  uuisün  uuurti,  ther  man  uuas  in  giburti ,  .  .  11  ioh  habet  fasto  ou?i 
unser  muat,  sid  er  fon  döde  selbo  irstuant ,  12  giuuisso  imizun  uuir  thaz, 
theiz  sid  uuär  liehamo  uuas,  13  uuio  er  selbo  quämi  .  .  14  bisparten 
duron  thara  zi  in,  vgl.  Greg,  homil.  26  (sp.  1552):  prima  lectionis  hujus  erange- 
licae  quaestio  animum  pulsat,  quomodo  post  resurrectionem  corpus  domi- 
nicum  verum  fuit,  quod  clausis  januis  ad  discipulos  ingredi  potuit.  (Dies 
steht  bei  Beda  zu  Luc.  nicht). 

Wichtig  aber  ist  ferner,  dass  auf  die  art  gewicht  gelegt  werde,  in  welcher 
Otfrid  die  ihm  vorliegenden  erklärungsschriften  verwertete.  Während  er  den  bibel- 
text  mit  gröster  Sorgfalt  und  treue  übersezt ,  zeigt  er  sich  diesen '  Schriften  gegen- 
über durchaus  selbständig  sowol  in  der  auswahl  des  in  ihnen  massenhaft  gebotenen 
Stoffes  als  im  sprachlichen  ausdruck.  Nur  selten  haben  diese  Schriften,  wie  es  bei 
zwei  der  eben  angeführten  stellen  aus  dem  ersten  und  fünften  buche  der  fall  ist, 
merklich  auf  den  ausdruck  im  einzelnen  eingewirkt.  Ein  herausgeber  Otfrids  könte 
sieh  daher,  wie  ich  glaube,  auf  den  abdruck  solcher  stellen,  bei  denen  eine  solche 
ein  Wirkung  sichtbar  ist,  beschränken  und  sonst  mit  einfachem  citate  oder  kurzer 
inhaltsangabe  der  in  den  commentaren  gegebenen  erklärungen  begnügen.  Oft  hat 
Kelle  lange  stellen  abgedruckt,  aus  denen  Otfrid  nur  wenige  wortc  wirklich  deutsch 
widergegeben  hat,  und  Piper  dann  nur  wenig  davon  gestrichen. 

Es  liegt  nahe  als  eine  besondere  gruppe  der  lateinischen  quellen  Otfrids 
hymnen  und  andere  christliche  dichtungen  zu  vermuten.  Schon  Eechen- 
berg  s.  81  hatte  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  die  verse  III,  6.  35.  36  so  thaz 
heri  thö  gisaz,  thaz  hröt  gisegonötaz  az ,  iz  uuuahs  thär  thera  ferti  in  m rinde 
ioh  in  henti  anklänge  an  einige  stellen  des  hymnus  Ambrosianus  de  epiphania 
Domiui  (Moue  I,  75;  Daniel  I,  14)  enthalten:  23  edentium  sub  dentibus  in  ore 
crescebat  cibus.  29  inter  manus  frangentium  panis  rigatur  pfofluus.  Doch 
stimme  ich  mit  Sievers  (Heliand  s.  XLII)  darin  überein,  dass  dies  bei  Otfrid  wie 
im  Heliand  2859  nur  als  Verwertung  eines  durch  jenen  hymnus  zum  gemeingute 
gewordenen  bildlichen  ausdrucks  zu  betrachten  ist;  Otfrid  widerholt  das  verbum  mit 
Variationen  der  anderen  satzbestimmungen  nach  seiner  art  dann  noch  37.  42.  Nach 
ähnlichen  berührungen  des  ausdrucks  mit  Otfrid  habe  ich  die  hymnensamlungen 
von  Daniel  und  Mone  eingehend  durchsucht,  ohne  jedoch  (wie  dies  auch  Rechen- 
berg a.  a.  0.  andeutet)    ein    irgendwie  nennenswertes   resultat  zu  finden.     Auch  das 

8* 


116  EEDMANN 

gedieht  Bedas  de  die  iudicii ,  das  Piper  zu  V,  23  anführt ,  stimt  nur  in  dem  grund- 
gedanken,  der  auch  in  unzähligen  anderen  dichtungen  ausgesprochen  war,  mit 
Otfrids  ausführung  überein.  Also  ist  es  zwar  sicher,  dass  Otfrid  durch  die  ihm 
bekanten  lateinischen  dichtungen  christlichen  Inhaltes  die  algemeine  anregung  zu 
seinem  werke  erhielt;  vielleicht  wurde  er  auch  durch  rücksicht  auf  sie  bestirnt, 
manche  in  der  christlichen  poesie  häufig  behandelten  stoffe  ebenfalls  in  sein  werk 
hlneinzuziehn  und  zum  teil  mit  besonderer  kunst  zu  behandeln  (Weltschöpfung  II,  1. 
Weltgericht  und  paradies  V,  20.  23;  Eigenschaften  und  Wirkungen  des  heiligen 
kreuzes  V,  1  —  3 ;  persönlicher  kämpf  zwischen  Christus  und  satan  1 ,  5 ,  51  —  58. 
II,  4,  5-26.  IV,  12,  61-64.  V,  16,  2  —  4).  Ferner  hat  er  ihnen  in  der  for- 
mellen technik  bisweilen  manches  nachgebildet,  wie  den  refrain,  anfange  von 
responsorien,  gliederung  in  strophen  von  gleicher  verszahl. '  Auch  die  öfters  vor- 
kommenden widerholungen^  von  halben  oder  ganzen  versen  (das  lezte  auch  in 
Dkm.  XIII  (Psalm  138)  nach  der  handschriftlichen  Überlieferung)  können  vielleicht 
auf  einen  derartigen  einfluss  zurückgeführt  werden.  Übereinstimmungen  in  der 
behandlung  des  einzelnen  und  im  sprachlichen  ausdruck  aber  sind  bisher  fast  gar 
nicht  nachgewiesen ;  wir  werden  daher  annehmen  müssen ,  dass  Otfrid  die  ihm 
bekanten  christlichen  lateinischen  dichtungen  als  Vorbilder  und  muster,  nicht  aber 
als  eigentliche  quellen  betrachtet  und  benuzt  habe. 

Nur  kurz  und  unklar  spricht  Piper  s.  251  über  die  dritte  klasse  der 
quellen  Otfrids,  über  das  was  er  „deutsche  quellen"  nent.  Die  neben  sehr  vielen 
entschiedenen  abweichungen  öfters  hervortretenden  Übereinstimmungen  Otfrids  mit 
dem  Heliand  sind  zu  erklären  teils  durch  benutzung  derselben  oder  ähnlicher 
lateinischer  quellen,  teils  auch  wol  dadurch,  dass  eine  gewisse  tradition,  ein  über- 
einstimmender usus  in  auswahl ,  anordnung ,  erklärung  und  anwendung  der  bibli- 
schen geschichten  in  Deutschlands  klöstern  geptiegt  wurde.  Dass  aber  manche 
verse  Otfrids  sich  wörtlich  auch  in  anderen  ahd.  gedichten  finden,  ist  bei  der  gerin- 
gen anzahl  und  ausdehnung  der  aus  jener  zeit  erhaltenen  doch  sehr  bemerkens- 
wert. Es  scheint  daraus  hervorzugehn ,  dass  deutsche  metrische  Übungen ,  die  mit 
Übertragung  bestimter  kirchlicher  formein  und  redewenduugen ,  vielleicht  auch 
psalmstellen  (vgl.  Otfr.  I,  2,  1.  2)  beginnen  und  zur  composition  von  gedichten 
kirchlichen  inhaltes  fortschreiten  mochten,  sowol  in  alliterierenden  als  in  gereim- 
ten versen  an  verschiedenen  stellen  und  vielleicht  schon  vor  Otfrid  gepflegt  und 
verbreitet  wurden.  Ein  vers  wie  Petruslied  3,  2,  den  Otfrid  in  fränkischen 
wortformen  mit  aufgäbe  des  dort  vorhandenen  genauen  reimes  gibt  I,  7,  28  thaz  er 
uns  firdänen  giuuerdö  ginadön  (dort:  ginaden)  mochte  nicht  nur  von  Petrus  und 
Johannes,    sondern   auch   von  manchem  anderen   apostel  oder  heiligen  in  metrisch 

1)  Oft  zerfallen  längere  partien  deutlich  in  abschnitte  von  4  langversen.  Vgl. 
z.  b.  I,  27.  II,  15.  18  u.  a.  Abschnitte  zu  vier  hexametern  finden  sich  häufig  im 
Diptychon  des  Prudentius ,  den  ja  Otfrid  als  sein  Vorbild  nent.  Dass  freUieh  Piper 
(zu  111,  22)  nach  Behringer  die  bei  Otfrid  häufig  bemerkbare  gliederung  des  stotfes 
mit  der  erst  nach  der  erfindung  der  buchdruckerkunst  gemachten  einteilung  des  bibel- 
textes  in  verse  zusammenbringt,  beweist  nur,  dass  er  im  stände  ist  unüberlegte  einfalle 
anderer  kritiklos  nachzuschreiben.  Dasselbe  zeigt  sich  übrigens  auch  bei  einer  andern 
grille  des  herrn  Behringer,  die  Piper  zu  I,   20,  23  anführt. 

2)  Ein  halbvers  ist  widerholt  IV,  3,  18''.  19».  V,  4,  54'^.  55  ^  V,  11,  16^ 
17*.  V,  12,  36*.  37*.  42".  43*,  weniger  genau  III,  C,  36*.  37*;  ein  ganzer  lang- 
vers  1,6,  16.  17.  Widerholung  de.sselhen  gedankens  in  chiastischer  Umstellung  der 
»atzbestandteile  findet  sich  III,  6,   8.  9.     III,   16.  71.   72. 


ÜBER   OTFßlD    ED.    PIPER.      B.    ZUR   LITTERATÜRGESCHICHTB  117 

geformten  Sprüchen  oder  gebeten  gebraucht  sein.  Ebenso  mag  es  alliterierende 
Schilderungen  der  herlichkeit  des  himmelreiches ,  die  den  Apocal.  21 ,  4  gegebeneu 
grundgcdanken  ausführten,  in  verschiedener  fassung  gegeben  haben,  da  dieses 
thenia  in  kirchlichen  lateinischen  dichtungeu  sehr  beliebt  war.  Eine  solche  fassung 
liegt  vor  in  jenem  Muspilli  14  und  bei  Otfrid  I,  18,  9  überlieferten  verse  thär 
ist  lib  dna  töd,  Höht  äna  fmstri.  Zu  beachten  ist,  dass  nach  diesem  verse  bei 
Otfrid  statt  des  im  Muspilli  folgenden  nur  alliterierenden  ein  anderer  steht,  wel- 
cher alliteration  und  reim  verbindet:  engilo  (sj)äter:  engilichaz)  kunni  loh  eiminigo 
uuunni;  überhaupt  ist  ein  herausarbeiten  Otfrids  aus  dem  alliterierenden  verse 
und  seiner  technik  in  den  neuen  reimvers  ohne  völlige  aufgäbe  der  alliteration  in 
den  älteren  teilen  des  Werkes  auch  sonst  merklich.  Dass  auch  ein  otfridischer 
halbvers  (1 ,  27 ,  31 ''  sös  er  uuola  kondu)  ganz  mit  einem  verse  eines  Mersebur- 
ger Zauberspruches ,  und  ein  anderer  (II ,  4 ,  26  "^  uuer  ther  fater  uuäri)  grös- 
tentheils  wörtlich  mit  einem  verse  des  Hildebrandsliedes  übereinstimt,  hat 
Piper  nicht  angemerkt.  —  Ungenügend  und  wenig  eindringend  ist  auch  das, 
was  Piper,  einigen  bemerkungen  der  zweiten  ausgäbe  von  Müllenhoifs  und  Sche- 
rers denkmälern  oline  eigene  Untersuchung  folgend,  über  das  Verhältnis  von 
Otfr.  II,  14  zum  Leich  von  der  Samariterin  (Dkm.  X)  sagt.  Die  ver- 
gleichung  beider  darstellungen  unter  sich  und  zum  teil  auch  mit  der  deutschen 
Übersetzung  des  Tatian  87  (im  Heliand  ist  die  geschichte  wie  vieles  aus  Johan- 
nes ausgelassen)  zeigt  allerdings  spuren  einer  gemeinsamen  tradition,  eines  über- 
einstimmenden usus  bei  behandlung  dieser  geschichte,  die  in  den  klosterschulen 
oft  genug  erzählt  und  besprochen  werden  mochte;  aber  kein  für  mich  genügender 
grund  liegt  vor  für  die  annähme,  dass  Otfrid  gerade  jenes  gedieht  gekaut  habe, 
oder  dass  er  gar  mit  v.  8""  ausdrücklich  auf  dasselbe  habe  verweisen  wollen.  Über- 
einstimmung der  satzform  und  Satzverbindung  zeigt  sich  namentlich  zwischen 
Otfr.  II ,  14 ,  31  und  Sam.  15 ,  wo  die  (im  Tatian  genau  wörtlich  übersezte)  zwei- 
felnde frage  des  lateinischen  textes  in  einen  negativen  behauptungssatz  verwandelt 
ist;  zwischen  Otfr.  30  und  Sam.  14,  wo  das  (auch  im  Tatian  nicht  übersezte) 
ergo  des  lateinischen  textes  ausgelassen  und  der  satz  selbständig  (bei  Otfrid  aus- 
drücklich noch  durch  ubar  thaz  als  etwas  neues  bezeichnet)  ist;  zwischen  Tatian 
87,  3  und  Samar.  11,  wo  statt  der  lateinischen  coordinierten  sätze  Joh.  4,  10  tu 
forsitan  petisses  ab  eo  et  dedisset  tibi  beidemal  abhängige  construction  steht: 
Tat.  87,  3  thü  odoiuiän  .  .  bätis  fon  imo,  thaz  he  dir  gäbi;  Sam.  11  tu  bätis  dir 
unnen  fg.  Otfrid  dagegen  scheint  mir  hier  der  construction  des  lateinischen  textes 
zu  folgen  25  thü  bätis  inan  odo  sär,  er  gäbi  thir  in  alauuär,  dann  bätest  du  ihn 
vielleicht,  {und)  er  gäbe  dir  gewiss  fg.  (schwerlich  so  gemeint:  du  bätest  ihn,  er 
möchte  dir  geben,  wozu  die  Wortstellung  und  die  beteuerung  in  alauuär  nicht  passt). 
Merkwürdig  weicht  sowol  Otfrid  als  auch  jenes  gedieht  von  der  (im  deutschen  text 
des  Tatian  genau  befolgten)  construction  des  lateinischen  textes  ab  bei  der  stelle 
Joh.  4,  15  dicit  ad  eum  midier:  domine,  da  mihi  hanc  uquam ,  ut  non  sitiam 
neque  veniam  huc  haurire.  Otfrid  sezt  statt  des  imp.  einen  conditionalen  conj. 
prät.  43  thü  mohtis ,  quad  siu ,  einan  ruam  ioh  ein  gifuari  mir  giduan ,  mit  themo 
brunnen,  thü  nü  quist ,  mih  uuenegün  gidranktist  fg.;  und  ebenso  muss,  wenn  man 
nicht  eine  ganz  unmotivierte  Verletzung  der  tempusfolge  annehmen  will ,  aufgefasst 
werden  Sam.  21  herro ,  ih  thicho  ze  dir,  thaz  uuazzer  gäbist  du  mir  =  herr,  ich 
bitte  dich,  dieses  ivasser  köntest  du  mir  wol  geben.  Dem  sinne  nach  sind  ferner 
übereinstimmend  die  Zusätze  Otfr.  45  sus  emmizen,  Sam.  22  ubar  tac.  In  vielem 
anderen  aber  weicht  Otfrid  von  der  kurzen  erzählung  jenes  gedichtes  erheblich  ab. 


118  EBDMANN 

Das  verlegen  tatsächlicher  umstände  in  die  rede  der  sprechenden  ijerson  ist  ein 
kunstindttel,  welches  beide  anwenden,  aber  an  verschiedeneu  stellen.  Fast  überall 
sind  die  ausdrücke  bei  Otfrid  ganz  andere  als  dort ;  bemerkenswerte  Übereinstim- 
mung im  einzelnen  bietet  eigentlich  nur  der  ausdruck  hita  =  gebet  oder  heteplatz, 
der  Sam.  31  und  (nicht  in  dem  genau  entsprechenden  satze)  auch  wahrscheinlich 
Otfr.  58  anzusetzen  ist,  da  das  von  ihm  sonst  öfter  gebrauchte  bita  hier  nicht  recht 
passen  würde  (II,  4,  41  braucht  er  beta  .^  bitte).  Ausserdem  steht  bei  Otfrid  an 
den  beiden  stellen,  im  Sam.  an  der  ersten  von  beiden,  wo  im  bibeltexte  (Job.  4, 
11  und  12)  das  wort  puteus  vorkomt,  ein  aus  diesem  entlehntes  fremdwort,  aber 
in  abweichender  form:  Otfr.  2ft  und  34  tlier  pwzzi,  Sam.  12  dii^iu  buzza;  für  das 
lateinische  fons  brauchen  beide  das  deutsche  wort  brunno,  welches  Sam.  auch  an 
der  dem  puteus  Job.  4,  12  entsprochenden  stelle  v.  16  sezt.  Dieselbe  Unterschei- 
dung aber  findet  sich  bereits  im  deutschen  Tatian  87,  wo  für  lat.  fons  überall 
brunno,  für  puteus  an  jenen  beiden  stellen  ein  fremdwort  gesezt  ist,  mit  einem 
schwanken  der  form  (erst  thiu  fuzze,  dann  gleich  darauf  der  j)/jM0t) ,  welches 
beweist,  dass  das  wort  kein  geläufiges  und  feststehendes  war.  Dies  aber  und  nichts 
anderes  ist,  wie  ich  glaube,  der  grund,  weshalb  Otfrid  im  eingange  der  erzählung 
II,  14,  8  die  Identität  beider  ausdrücke  ausdrücklich  angibt,  wie  er  in  ähnliclier 
Wendung  II,  8,  31  eine  erklärung  des  fremdwortes  sextäri,  V,  8,  7  eine  erklärung 
von  engil  gibt.  Eine  ausdrückliche  beziehung  oder  Verweisung  auf  jenes  gedieht 
(Dkm.  X)  kann  ich  also  weder  in  dieser  noch  in  einer  anderen  stelle  Otfrids  finden, 
ebenso  keinen  sicheren  beweis  dafür,  dass  er  es  überhaupt  kante.  —  Dass  Otfrid 
deutsche  prosa  kante,  also  vor  allem  doch  wol  Übersetzungen  biblischer  stücke, 
scheint  er  mir  I,  1,  36  (vgl.  19  fg.)  anzudeuten;  dass  er  sie  für  sein  werk  benuzt 
habe ,  ist  nirgends  sichtbar. 

Die  Übersicht  über  die  bisher  nachgewiesenen  quellen  Otfrids  gewährt  uns 
also  das  resultat,  welches  durch  weitere  forschungen  vielleicht  im  einzelnen  modi- 
ficiert,  im  ganzen  aber  scliwerlich  erheblich  umgestaltet  werden  wird,  dass  Otfrid 
die  biblische  und  theologische  gelehrsamkeit  seiner  zeit  volkommen  beherschte,  und 
dass  Trithemius  ihn  mit  recht  als  vir  in  divinis  scripturis  eruditissimus  et  in  secu- 
laribus  egregie  doctus  .  .  theologus  milli  suo  tempore  secundus  bezeichnete.  Wir 
sehen,  dass  er  alle  seine  quellen  mit  durchaus  selbständiger  auswahl  und  eigener 
coniposition  des  stofFes  für  sein  werk  verAvertete  und  dass  er  im  sprachlichen  aus- 
druck nur  den  lateinischen  bibelworten  treu,  aber  nicht  sklavisch  folgte,  während 
er  die  commeutare  gewöhnlich  ganz  frei  bearbeitete.  Die  Zusammenstellung  der 
quellencitate ,  welche  Piper  s.  252  —  258  gibt ,  muss  ich  daher  geradezu  als  irre- 
führend bezeichnen,  insofern  er  durch  dieselbe  zeigen  will,  wie  „ compilatorisch " 
Otfrid  verfahren  sei.  Ohne  Unterscheidung  führt  Piper  dort  wörtlich  oder  sinngetreu 
übersezte  abschnitte  der  bibel  auf  neben  stellen,  die  aus  dem  gedächtnis  ein- 
gestreut oder  nur  mit  geistreicher  anspielung  angedeutet  sind ;  dazwischen  auch 
stellen  der  bibel  oder  der  comnientare,  die  Otfrid  nur  im  auszuge  widergegeben 
hat;  oder  auch  solche  die  sehr  geringe  oder  gar  keine  Übereinstimmung  mit  Otfrids 
Worten  zeigen ,  vgl.  z.  b.  die  quellenangaben  s.  252  fg.  zu  Otfr.  1,2,3  (wol  nach 
psalm  50,  17  oder  70,  8;  zugleich  aber  anspielung  auf  die  von  Otfrid  nicht  erzählte 
geschichte  Marc.  7,  33  —  35).  I,  2,  17.  I,  3,  1  —  34.  I,  6,  15  —  18.  II,  1,  29  fg. 
II,  3,  65  fg.  IV,  37,  1  —  46.  V,  19,  1  —  20.  59—66.  V,  23,  1—298;  ebenso  fast 
alle  aus  Muspilli  und  Heliand  zu  V,  20  angeführten  stellen ,  während  Piper  das 
citat  Otfrids  V,  20,  9  (Zurückweisung  auf  V,  18,  2  fg.  =  acta  apost.  I,  11)  ganz 
jnis  verstau  den  hat.    Ja  Piper  führt  in  dieser  Übersicht  sogar  stellen  auf,  von  denen 


ÜBER   OTFRLD    ED.    PIPER.      B.    ZUR   UTTERATURGESCHICHTE  119 

er  im  commentar  iicichgewicsen  hatte,  dass  Otfrid  sie  uicht  benuzt  habe,  sielie 
s.  253.  257  die  (luellenaiigaben  zu  II,  9,  19-28.  V,  2,  l  18.  V,  3,  1  —  20. 
Was  wir  schon  bei  anderen  teilen  des  buches  bemerken  muston ,  das  zeigt  sich 
auch  hier:  eine  unruhige  hast  nach  einem  überall  abschliessenden  und  volständigen 
resultate  auch  wo  ein  solches  nicht  erreichbar  oder  wenigstens  bisher  nicht  erreicht 
ist.  Diese  hast  veranlasst  ungenauigkeiten  und  Selbsttäuschungen  des  Verfassers, 
die  bei  unkundigen  oder  obertiächlicheii  lesern  schaden  anrichten  können. 

3j  Trotz  dieser  ausstoUungen,  welche  ich  gegen  die  auffassung  einzelner 
stellen  machen  muste,  erkenne  ich  gern  an,  dass  im  algemeinen  in  der  vorrede 
und  im  commentar  Pipers  die  dichterische  und  schriftstellerische  bedeu- 
tung  Otfrids  besser  gewürdigt  ist,  als  es  in  lezter  zeit  —  eine  glänzende  aus- 
nähme macht  H.  Rückerts  geschichte  der  neuhochdeutschen  Schriftsprache  —  meist 
der  fall  gewesen  ist.  Schon  die  nachweise  über  die  entstehung  der  vier  hand- 
schriften,  selbst  wenn  wir  die  eigenhändige  niederschrift  des  textes  in  V  und  P 
niclit  als  bewiesen  annehmen,  lassen  uns  die  persönliche  teilnähme  und  Wert- 
schätzung in  hollerem  lichte  erscheinen ,  welche  der  kreis ,  für  den  das  werk  bestirnt 
war,  demselben  vor  und  nach  seiner  Vollendung  widmete.  Freilich  zeigen  uns 
gerade  auch  diese  nachweise  deutlich ,  dass  dieser  kreis  nie  ein  weit  ausgedehnter 
gewesen  ist  und  sich  zunächst  auf  die  persönlichen  freunde  und  gönner  Otfrids 
beschränkte,  denen  sich  dann  nur  gelehrte,  innerhalb  der  höchsten  bildung  ihrer 
zeit  stehende  und  von  christlicher  gesinnung  erfülte  männer  anschliessen  konten, 
die  eine  so  kunstvolle ,  aber  ernste  und  schon  damals  nicht  leicht  verständliche  dich- 
tung  zu  würdigen  im  stände  waren,  wie  das  alles  von  Klopstocks  Messias,  den  mit 
Otfrids  evangelienbuche  zu  vergleichen  sich  schon  öfters  gelegeuheit  bot,  ebenfalls 
gegolten  hat  und  gilt. 

Im  einzelnen  erwähne  ich  die  guten  gedauken  über  den  einfluss  des  reiraes 
auf  Otfrids  spräche  (zu  II,  4,  97).  Mit  recht  macht  Piper  auch  gelegentlich  auf- 
merksam auf  die  gemütvolle  autfassung  persönlicher  Verhältnisse  (zu  III,  1,  31) 
sowie  auf  die  mit  feiner  beachtung  der  Individualität  des  sprechenden  ausgeführten 
reden  bei  Otfrid  (zu  III,  13,  17  u.  a.);  auf  die  genaue  disposition  und  den 
gedankengang  der  eigenen  betrachtungen  und  erörteruugen  Otfrids  (zu  II,  24,  17  fg. 
und  namentlich  zu  dem  langen  capitel  V,  23).  Doch  hätte  nach  dieser  richtung 
hin  noch  sehr  viel  mehr  geschehen  können. 

Bei  der  s.  43  und  an  manchen  stellen  des  commentars  berührten  verglei- 
chung  des  Heliand  mit  Otfrid  bewegt  sich  Piper  noch  in  dem  alten  von  man- 
chem Pädagogen  der  töchterschule  nachgetreteuen  geleise  von  anschauungen ,  die 
für  jeden,  der  den  Heliand  gelesen  hat  und  die  nachweise  über  seine  jezt  in  der 
ausgäbe  von  Sievers  bequem  zusammengestelten  tiuellen  kent,  überwundene  sein 
müssen.  Die  gegensätze  zwischen  beiden  dichtungen,  auch  abgesehen  von  der 
Sprache ,  sind  ja  freilich  deutlich  genug.  Verschieden  sind  beide  in  der  metrischen 
form,  indem  der  dichter  des  Heliand  den  alten  alliterationsvers  und  mit  ihm  viele 
epische  formein  beibehielt ,  Otfrid  fast  ausschliesslich  ein  neues  versprincip  befolgte 
und  seinen  reimvers  (in  viel  höherem  grade  als  später  Klopstock  seinen  hexameter) 
in  der  deutschen  poesie  herschend  machte.  Jener  pfropfte,  wenn  ich  bildlich  spre- 
chen darf,  ein  neues  reis  auf  einen  alternden  stamm,  dieser  pflanzte  einen  frischen 
bäum  an  stelle  des  alten.  Aber  selbst  der  gegensatz  der  metrischen  form  und  des 
dichterischen  stiles  ist  kein  unvermittelter  und  ausschliesslicher.  Bekantlich  finden 
sich  auch  bei  Otfrid  alliterierende  verse;  ja  alliteration  neben  dem  reime  komt  so 
häufig  vor,    dass  ein  gefühl  und  selbst    eine  bewuste  auwendung  derselben  Otfrid 


120  KRDMANN 

schwerlich  abgesprochen  werden  kann;  und  ebenso  glaube  ich,  dass  sich  bei  ein- 
gehender Untersuchung  auch  wol  ein  fortleben  oder  wenigstens  ein  eintiuss  überlie- 
ferter poetischer  formein  nachweisen  lassen  würde.  Eine  genaue  erörterung  dieser 
erscheinungen ,  die  vielleicht  auch  zu  verschiedenen  ergebnissen  für  die  zu  verschie- 
denen Zeiten  entstandeneu  teile  der  dichtung  führen  könte,  fehlt  noch  gänzlich  und 
ist  auch  von  Piper  nicht  gegeben.  Sie  würde  meines  erachtens  die  ahd.  uictrik 
mehr  fördern  als  angebliche  Widerlegungen  der  Lachmannschen  grundsätzo. 

Gemeinsam  aber  ist  beiden  dichtem  der  stoff  und  ebenso  auch  die  quel- 
len, aus  denen  sie  ihre  kentnis  desselben  schöpfen:  die  evangelien  nach  dem  vul- 
gatatexte  und  die  in  der  deutschen  kirche  jener  zeit  algemein  gebrauchten  lateini- 
schen commentare.  Nun  sind  ja  freilich  Verschiedenheiten  vorhanden  in  der  anord- 
nung  (s.  oben)  und  auswahl,  sowie  in  der  persönlichen  Stellung  des  dichters  zu 
seinem  gegenstände.  Der  Heliand  folgt  in  der  anordnung  der  ausgewählten  geschich- 
ten  und  reden  dem  Tatian;  auch  bei  ihm  bildet  wie  im  Tatian  das  Matthäus- 
evangelium  den  hauptbestandteil  des  stoffes,  s.  Windisch  der  Heliand  und  seine 
quellen  s.  32  —  34,  Sievers  ausgäbe  s.  XLl ;  auch  der  im  Tatian  gegebenen  com- 
bination  verschiedener  berichte  schliesst  er  sich  mit  sehr  geringen  eigenen  Zusätzen 
an.  Commentare  benuzt  er  sehr  häufig,  aber  meist  zu  einzelnen  in  die  erzählung  ein- 
gestreuten bemerkungen.  Otfrid  dagegen  geht,  was  schon  Wiudisch  s.  25  richtig 
bemerkt  hat,  was  ich  aber  gegenüber  der  entgegengesezten  behauptung  von 
H.  Eückert  (Ausgabe  des  Heliand  s.  VIII)  ausdrücklich  hervorhebe,  durchaus  auf 
die  einzelnen  evangelien  selbst  zurück,  unter  denen  er  das  Johannisevangelium 
besonders  bevorzugt.  Seine  auswalil  ist  nicht  auf  die  im  Tatian  enthaltenen  stel- 
len beschränkt,  seine  anordnung  sehr  abweichend  von  der  des  Tatian;  dass  er  Jesu 
gehurt  am  anfange ,  die  passionsgeschichte ,  aufersteh ung  und  himmelfahrt  am  ende 
erzählt,  kann  man  nicht  als  merkwürdige  Übereinstimmung  betrachten.  Wo  Otfrid, 
was  nicht  sehr  häutig  vorkomt,  zwei  evangelienberichte  combiniert,  verfährt  er 
vorsichtig  und,  so  viel  ich  sehen  kann,  selbständig,  jedenfalls  oft  ganz  anders  als 
Tatian.  Aus  reicher  belesenheit  streut  er  oft  reminiscenzen  aus  anderen  biblischen 
büchern,  namentlich  den  psalmen,  einzelnen  epistcln  und  der  apokalypse  ein.  Der 
Heliand  ergeht  sich  in  behaglicher  breite  der  erzählung,  bei  der  ausmalung  des 
zuständlichen  verweilend ,  auch  wo  es  hässlich  ist.  Neben  der  erzählung  der  tat- 
sachen  hat  für  ihn  selbständige  Wichtigkeit  die  genaue  anführung  und  ausführung 
von  regeln  für  sitte  und  recht  der  gesamtlieit. '  Das  persönliche  Verhältnis  des 
dichters   und   überhaupt  des   einzelnen   zum   erzählten  tritt  wenig   hervor.      Otfrid 

1)  Deutlich  zeigt  sich  dies  z.  b.  bei  der  bergpredig t.  Sie  ist  im  Heliaud 
unter  benutzung  vieler  commentarstellen  in  526  versen  ziemlich  vollständig  widergege- 
ben (Sievers  1300''  — 1826").  Bei  Otfrid  .steht  nur  eine  fast  ausschliesslich  an  den 
text  des  Matthäus  sich  anschliessende  auswahl  in  246  versen  (II,  16 — 23),  in  der 
gerade  fast  alles ,  was  sich  auf  die  gesellschaftliche  und  statliche  ordmmg  bezieht, 
übergangen  ist.  Nicht  berücksichtigt  sind  nämlich  folgende  stellen:  Mt.  5,  18 — 19 
(verheissung  der  ewigen  gültigkeit  des  gcsetzes).  25  —  26  (Verhältnis  zum  Widersacher, 
gericht,  kerker).  29  —  32  (abtrennung  des  ärgerlichen  gliedes,  ehescheidung).  34''  — 
36'.  37  (specialisierung  der  schwurformeln).  37 — 42  (verhalten  gegen  Widersacher). 
47 — 48  (gesellige  Verhältnisse).  Mt.  6,  16  —  24*  (fasten;  irdischer  besitz;  horrendienst). 
Mt.  7,  1 — 8  (splitt(rricliterei  u.  a.).  13  — 14  (enge  pforte  zum  himmelreiche).  18.  24 
—  27.  Aus  Lucas  benuzt  Otfrid  nur  die  stelle  6,  19.  20  am  eingange  der  rede  II,  15, 
7 — 8.  23.  16,  1*.  3.  Man  vergleiche  damit  die  vom  Heliand  überseztcn  stellen  der 
bibel  und  der  commentare  bei  Sievers. 


ÜBER   OTFRID    ED.    PIPER       B.    ZUR    LITTKRATURGESCHICHTE  121 

dagegen  geht  auf  die  sitteii  des  Volkes  und  gesellsehaftliclie  verliättnisse  nur  ein, 
wo  entweder  das  Verständnis  des  gerade  erzählten  es  erfordert,  oder  wo  eine  solche 
hindeutung  den  sachen  oder  personen  höheres  Interesse  verleihen  kann.  Seiner 
erzählung  fehlt  es  nicht  an  echt  epischen  zügen.i  Aber  schon  in  der  erzählung 
zeigt  er  überall,  auch  hierin  Klopstock  vergleichbar,  ein  feines  Verständnis  für  die 
subjectivität  der  handelnden  personen.  Mit  eigener  teilnähme  lässt  er  ihre  gemüts- 
stimniung  und  die  motive  ihrer  handlungen  erkennen  teils  durch  in  die  erzählung 
eingestreute  bemerkungen ,  teils  —  ein  meiner  meinung  nach  an  ihm  noch  nicht 
genug  gewürdigtes  poetisches  kunstmittel  —  indem  er  sie  selbst  ihre  Stimmungen 
und  empfindungen  viel  eingehender,  als  es  in  der  biblischen  quelle  ihm  angegeben 
war,  aussprechen  lässt.  Die  gespräche  und  reden  seiner  personen  zeigen  ein  aner- 
kennenswertes streben  nach  Individualisierung  und  Charakteristik  und  erreichen  bis- 
weilen eine  echt  dramatische  lebendigkeit.  ^  Dann  aber  ist  es  ihm  auch  neben  der 
erzählung  ein  bedürfnis  seine  und  der  leser  eigene  persönliche  Stellung  zum  erzähl- 
ten anzugeben  und  belehrung  und  nutzanwendung  anzuknüjjfen.  Daher  die  lyri- 
schen stellen ,  oft  voll  echter  und  tiefer  emphudung :  daher  die  beim  fortschreiten 
des  Werkes  immer  mehr  von  der  erzählung  getrenten  und  in  besondere  abschnitte 
zusammengefassten  allegorischen  ausdeutungen  und  moralischen  ermahnungen,  die 
er  mit  vollem  Verständnis  nach  einer  menge  theologischer  Schriften  selbständig  aus- 
gearbeitet hat  in  wol  disponierter  gedankenentwicklung ;  in  ihrer  ausdehnung  hält 
er,  wenn  man  die  gewohnheit  seiner  lateinischen  Vorgänger  vergleicht,  ein  sehr 
bescheidenes  niass. '^ 

1)  Der  flug  des  engeis  I,  5,  5  — 10  ist  ganz  das  was  Lessing  ein  poetisches 
gemälde  nennt.  Veranschaulichung  der  algemeinen  Situation  durch  angäbe  der  sich  lol- 
genJen  handlungen  II,  11,  9  fg.  III,  4,  2.ö.  26.  Veranschaulichende  hinweisung  auf  das 
sinlich  fassbare  der  äusseren  Umgebung:  II,  22,  9  sehet  t  h  e s e  foyala ,  thie  hiar  ßiagent 
obana.  II,  4,  8U  sulih  untlmrft  ist  es  mir.  IV,  17,  38.  V,  20,  63.  hanton  joh 
ouh  ougon  biginnent  sie  »an   scouön.     Vgl.  II,   26,    10. 

2)  Ich  gebe  nur  eine  auswahl  von  beispielen:  zuerst  die  stelle  I,  11,  1  —  20. 
Das  zusauimentrefifen  der  gründung  der  irdischen  weltnionarchie  des  Augustus  mit  der 
geburt  Christi,  des  himmlischen  königs ,  war  oft  hervorgehoben.  Eine  Schilderung  der 
nach  allen  himmelsgegenden  (^vgl.  15  ellu  imoroltenti  fg.)  ausgedehnten  macht  des  kai- 
sers  steht  bei  Hraban.  zu  Mt.  2,  1  (^ed.  Colon.  V,  13,  g) ,  und  wenn  der  commentar 
Hrabans  zu  Lucas  erhalten  wäre,  so  würden  wir  in  demselben  vielleicht  eine  noch 
genauer  zu  Ütfrids  werten  stimmende  fassung  finden.  Die  Verlegung  dieser  Schilderung 
aber  in  die  eigene  rede  des  seine  boten  von  Rom  aussendenden  herschers  scheint  eigene 
poetische  irfindimg  Otfrids  zu  sein.  —  I,  .o,  47  —  58  (einschaltung  in  die  rede  des 
engeis  an  Maria).  I,  15,  32 — 40  (einschaltung  in  die  rede  Simeons).  I,  27,  13  —  50 
(kunstvoll  gegliedertes  gespräch,  meist  in  abschnitte  von  4  versen  zerfallend).  II,  7, 
27  — 32  (Andreas  und  Petrus).  III,  24,  2h  —  26  (veranschaulicbung  der  Situation  des 
redenden).  III,  10  (cananäisches  weib).  III,  24,  8 — 10.  12  — 16.  46  —  56  (trauerund 
rührung  der  hinterbliebenen  Schwestern),  IV,  8,  5 — ^12  (bannfluch  der  priester).  IV, 
11.  21—28.  13,  41  fg.  (reden  des  Petrus).  IV,  12,  6—10.  31  —  38  (erläuternde  zusätze 
in  die  reden  Jesu  eingelegt).  IV,  21  (erläuternd  ausgeführtes  verhör  vor  Pilatus). 
IV,  26,  7  —  28  (stimnumg  und  reden  der  frauen).  V,  7,  19  —  42  (rede  der  Maria 
Magdalena). 

3)  Vgl.  z.  b.  die  stelle  II,  9,  29—88  mit  der  bei  Beda  und  Alcuin  zu  Joh.  2 
gegebenen  viele  folioseiten  füllenden  „elegans  cleduetio"  der  sechs  weltalter  (Marginale  der 
ausg.  des  Beda  Basel   1563  V,  542),  ;ius  welcher  sie  ausgewählt  ist. 


122  EBDMANN 

Ohue  frage  hat  also  der  dichter  des  Heliaud  die  objectivität  des  epos  reiner 
bewahrt,  während  bei  Otfrid  daneben  das  subjectivc  lyrisch -didaktische  element 
mehr  hervortritt;  wenn  dasselbe  auch  von  anfang  an  der  individualität  Otfrids  beson- 
ders zusagen  niociite,  so  lässt  sich  doch  ein  weiteres  herausbilden  dieser  eigentüm- 
lichkeit,  eine  alniählich  zunehmende  Selbständigkeit  der  lyrisch -didaktischen  stel- 
len bei  Otfrid  nachweisen.  Die  betrachtungen  sind  im  ersten  buche  nur  in  1,  18 
und  26  in  besonderen  abschnitten  ausgeführt;  I,  11.  15.  17  waren  sie  nur  als  kur- 
zer anhang  der  erzählung  angefügt.  Aber  bildung,  gesinnung,  erstrebte  ziele  sind 
bei  beiden  dichtem  im  wesentlichen  gleichartig.  Auch  der  Verfasser  des  Heliaud 
war  ein  mann  geistlichen  Standes  von  nicht  gewöhnlicher  gelehrsamkeit,  das  kann 
nach  der  einsieht  in  seine  quellen  nicht  zweifelhaft  sein  und  ist  von  beiden  neuen 
herausgebern  des  Heliand  (Rückert  s.  VI.  IX.  Sievers  s.  XLIII)  mit  voller  ent- 
schiedenheit  ausgesprochen  worden.  Wenn  er  seine  theologische  bildung  nicht  wirk- 
lich in  derselben  schule  des  Ehabanus  Maurus  erhalten  hat,*  aus  der  Otfrid  her- 
vorgieng,  so  hat  er  sie  jedenfalls  in  einer  sehr  ähnlichen  erhalten.  Aus  vielen 
Übereinstimmungen  in  der  erklärung  bestirnter  biblischer  geschichten ,  ja  auch  in 
der  wähl  bestirnter  deutscher  ausdrücke ,  die  sich  zwischen  dem  Verfasser  des 
Heliand  und  Otfrid  finden  ,  lässt  sich  mindestens  auf  eine  übereinstinmiende  tradi- 
tion  für  die  behandlung  dieser  geschichten  in  den  klosterschulen  schliessen,  welche 
für  beide  bis  zu  einem  gewissen  grade  bindend  geworden  war,^  Beide  dienten  der 
ausbreitung  des  Christentums,  wozu,  wie  ßückert  s.  XII  richtig  bemerkt,  der  christ- 
liche Sachse  eine  noch  dringendere  veranlassung  hatte,  als  Otfrid  der  Franke,  und 
beide  dienten  damit  zugleich  auch  derselben  weltliehen  macht,  was  jenem  nicht 
weniger  klar  gewesen  sein  kann  als  diesem.  Und  ein  jeder  hatte  dabei  zugleich 
den  nationalen  zweck,  den  hauptinhalt  des  Christentums  dem  bewustsein  und  der 
anschauung  seines  stammes  durch  die  dichtung  nahe  zu  bringen.  Beide  streben 
danach ,  fremdartiges  in  sitte  und  ausdruck ,  soweit  es  nicht  wesentlich  war ,  zu 
übergehen:  soweit  es  nicht  übergangen  werden  konte,  wenigstens  zu  erläutern  und 
fasslich  zu  machen.  Auf  Vermeidung  fremdartiger  bezeichnungen  ist  Otfrid,  wo  es 
irgend  angeht,  viel  sorgfältiger  bedacht  als  der  dichter  des  Heliand  (vgl.  das  Ver- 
zeichnis bei  Rückert  s.  XIX).  Dieser  behält  sehr  viele  lateinische  worte  ganz  oder 
beinahe  unverändert  ohne  bemerkung  bei  (vgl.  das  Verzeichnis  bei  Rückert  s.  XIX), 
wie  es  noch  heute  niederdeutsche  gewohnheit  ist.  Otfrid  dagegen  führt,  wo  er  ein 
iremdwort  braucht,  dasselbe  oft  (gleich  bei  der  erklärung)  ausdrücklich  als  solches 
ein:  V,  8,  7  {engil).  V,  23,  61  eigtm  iz  gnveizit,  thie  martyrä  man  heizit.  II,  8,31 
sextäri.  II,  14,  8  puzzi.  II,  18,  20  [altare).  II,  20,  11.  21,  9  (hypocritae). 
II,  21,  42.  44  {delicta  =  missidäti,  peccata  =  umläti).  II,  22,  4  {mammona). 
Wo  es  irgend  angeht,  vermeidet  er  aber  freradworte  und  eigennamen  ganz  oder 
verdeutscht  sie  in  oft  sehr  geschickter  weise;  so  z.  b.  II,  8,  37  {tricliniarchus).  II, 
22,  13  {lilia).  III,  24,  38  {rabhi).  IV,  19,  65  {hlasphemia).  IV,  22,  27  {ave). 
Auch  Otfrid  sucht  durch  vergleichung  und  vertauschung  der  jüdischen  mit  den  deut- 
scheu Sitten  seine  darstellung  anziehender  und  verständlicher  zu  machen ,  was  schon 
Kelle   durch    die   schöne   samlung  in   seiner  ausgäbe  I,  77  nachgewiesen  hat;    und 

1)  Sievcrs  bezeichnet  dies  als  willkürliche  annähme  s,  XXXIX. 

2)  Vieles  derartige  lässt  sich  entnehmen  aus  der  schrift  von  Bchringer  Krist 
und  Heliand.  Berlin  (Würzburg)  1870,  obwol  man  in  derselben  schärfere  sonderung 
und  übersichtliche  anordnuiig  oft  vermissen  nniss.  —  Polemik  gegen  eine  durch  diu 
Heliand  bezeugte  auflässung  scheint  vorzuliegen  I,  4,  57  f:prah  ther  gotcs  hoto  thö  ,  ni 
ihoh  irbolgo7io,  da  Hei.  159  fg.  gerade  die  eatrüstung  des  engeis  betont  ist. 


ÜBER  OTFßlD  ED.  PIPEK.   B.  ZUR  LITTKKATURGESCHICHTE  123 

wenn  or  die  Verkleidung  Christi  in  das  gewaud  eines  deutseben  königs  weniger  cou- 
sequent  festhält  als  der  dichter  des  Heliand,  so  liegt  das  daran,  dass  er  in  die 
tatsächliche  Verschiedenheit  beider  culturstufen  vielleicht  eine  tiefere  einsieht  hatte 
als  jener,  jedenfalls  aber  eine  solche  bei  seinen  lesern  und  hörern  eher  voraus- 
setzen durfte.  Vgl.  Gervinus  Litgsch.  I,  169.  Auch  Otfrid  wolte  die  edelen  eigen- 
schaften  des  deutschen  Volkes  nicht  vernichten,  sondern  dem  christentume  dienst- 
bar machen  und  innerhalb  desselben  zu  neuer  blute  bringen ;  an  nationaler  gesin- 
nung  und  an  dem  streben  nach  Volkstümlichkeit  und  Verständlichkeit  für  jedermann 
hat  es  ihm  eben  so  wenig  gefehlt  als  jenem,  der  doch  nur,  wie  Eückert  s.  IX 
sagt,  den  traditionen  seiner  heimischen  kunst  sich  fügte,  soweit  dadurch  sein 
eigentliches  ziel  nicht  verdunkelt  wurde.  Dass  übrigens  der  Heliand  eine  grössere 
Wirkung  und  Verbreitung  ini  volke  wirklich  erlangt  habe,  als  Otfrids  evangclien- 
buch,  dafür  haben  wir  keinen  beweis;  dass  er  Otfrid  nicht  bekant  geworden  ist, 
hat  man  oft  genug  hervorgehoben. 

Kehre  ich  nun  zu  den  äusserungen  Pipers  zurück,  welche  mich  zu  diesen 
excursen  veranlassten ,  so  kann  ich  es  nur  für  einen  Widerspruch  erklären ,  wenn 
Piper  s.  43  sagt,  dass  „z.  b.  der  Heliand  [als  wenn  es  viele  solche  beispiele  gäbe!] 
im  leben  und  in  den  anschauungen  des  volkes  wurzele  und  die  reife  frucht  eines 
abschnittes  im  geistigen  leben  der  Deutscheu  sei,"  während  er  gleich  darauf  mit 
bezug  auf  Otfrid  zugibt,  dass  „im  9.  Jahrhundert  die  heidnische  diehtuug  noch 
kräftig  im  volke  lebte."  Und  was  die  vergleichende  Wertschätzung  beider  dichtungen 
(soweit  davon  die  rede  sein  kann)  betrift,  so  ist  doch  auch  diejenige  anschauung 
berechtigt,  welche  das  sich  herausarbeiten  des  subjectes  aus  dem  steife,  die  aus- 
bildung  eines  persönlichen  Verhältnisses  zu  demselben  und  die  dadurch  erworbene 
bewuste  herschaft  über  denselben  tür  einen  geistigen  fortschritt  hält.  Und  wenn 
Otfrid,  der  für  seine  person  sehr  demütige  mönch,  seinem  gegenstände,  der  ihm 
(wie  Klopstock  der  sein  ige)  der  höchste  und  der  dichtkunst  würdigste  war,  eben 
auch  persönlich  gegenübertrat  in  einer  weise,  die  er  jedem  seiner  leser  mitzuteilen 
dachte ,  Avenn  er  zur  verherlichung  dieses  gegenständes  alle  ihm  erreichbare  bilduug 
und  kunst  aufbot  und  sein  werk  den  höchsten  und  gebildetsten  seiner  gesellschaft 
darbrachte  zugleich  mit  dem  unverkeubaren  wünsche,  auch  den  geringsten  seines 
Volkes  zum  Verständnis  desselben  emporzuheben,  so  ist  das  doch  nichts  geringes. 
Unangenehm  hat  mich  deshalb  berührt  die  auf  die  oben  citierten  sätze  folgende 
bemerkung  Pipers:  ,, Otfrids  gedieht  ist  nur  der  ausdruck  der  phib^sophischen  und 
religiösen  Überzeugung  seines  Verfassers."  Dieses  geringschätzende  nur  hat  Otfrid 
nicht  verdient. 

Ich  erwähne  noch  die  s.  269 — 292  gegebene  chronologische  Übersicht  der 
Otfr idliteratur.  Sie  zeigt,  wie  viel  studium  und  teilnähme  dem  werke  seit 
Trithemius  zugewant  ist.  Doch  enthält  sie  sachlicli  betrachtet  viele  Schriften,  die 
nicht  verdient  hätten  der  Vergessenheit  entrissen  zu  werden.  Nicht  erwähnt  ist 
der  aufsatz  von  Kelle  in  Naumanns  Serapeum  1860.  Nr.  5  —  8,  der  auch  mittei- 
lungen  über  die  Übersetzungsversuche  von  Stade,  HolfmannsAvaldau,  Koplhubcr  und 
Füglistaller  enhält. 

C.     Zur    s  p  r  a  c  h  k  u  n  d  e. 

Ein  Wörterbuch  zu  Otfrid  will  Piper  als  zweiten  teil  der  ausgäbe  folgen 
lassen,  und  er  hat  fast  alle  erörterungen  über  die  bedoutuug  der  werte  für  dieses 
zurückgelegt.  Unter  den  grammatischen  fragen,  zu  denen  Piper  Stellung  neh- 
men muste,   ist  es  besonders    die  nach  der  läng  enbezeichnung  der  vocale, 


124  ERDMANN 

die  ich  nicht  unbesprochen  lassen  kaun.  Völlige  gewissheit  darüber,  welche  von 
den  alten  längen  in  Otfrids  spräche  bereits  gekürzt  waren,  wird  schwerlich  jemals 
zu  erlangen  sein ;  ein  herausgeber ,  der  seinen  lesern  das  Verständnis  durch  hinzu- 
fügung der  circuniflexe  erleichtern  will,  wird  gut  tun,  sich  auf  die  unzweifelhaften 
längen  zu  beschränken.  Dies  hat  Piper  für  die  auslautenden  vocale  auch  getan; 
vielleicht  ist  er  manchem  in  manchen  fällen  zu  weit  gegangen.  Er  schreibt  n.  pl. 
ziti;  n.  pl.  fem.  allo,  thio,  ja  sogar  1.  3.  sg.  cj.  praes.  lobo,  liehe  (aber  1.  3.  sg. 
praet.  cj.  irfulti,  loböti,  hahetil).  Bei  inlautenden  vocalcn  aber  ist  er  nicht  so 
vorsichtig;  er  schreibt  nicht  nur  dat.  pl.  sterrön ,  mennisyön ,  was  wegen  der  bei 
Otfrid  vorkommenden  Schwächung  mennisgen  (Kelle  U,  244)  sehr  bedenklich  ist, 
sondern  auch  gen.  pl.  unser,  iuuer,  unker  (I,  10,  24.  III,  22,  32  und  überall) ;  dat. 
sg.  fem.  armem  I,  7,  10,  ulteru  V,  20,  44;  gen.  pl.  m.  blintero  III,  14,  71,  uui- 
sero  L.  18  (aber  merkwürdigerweise  gen.  sg.  fem.  iungera  I,  10,  24.  uuisera  L.  14). 
Über  die  ihn  hierin  leitenden  grundsätze,  Avenn  er  deren  gehabt  hat,  hat  er  sich 
nicht  ausgesprochen. 

Für  die  sprachliche  erklärung  der  einzelnen  stellen  hat  Piper  die  vor- 
handenen Untersuchungen  sorgfältig  benuzt ,  nicht  immer  mit  angäbe  der  quelle. 
Öfters  hat  er  auch  neues  und  eigenes  hinzugefügt ;  doch  wird  man  bei  vielen  schwie- 
rigen stellen  eine  genügende  erklärung  vergeblich  suchen  und  an  vielen  anderen 
mit  dem  von  Piper  gesagten  nicht  einverstanden  sein  können.  Viele  stellen  dieser 
art  habe  ich  schon  im  vorhergehenden  zu  besprechen  gelegenheit  gehabt;  alle  kann 
ich  natürlich  hier  nicht  anführen  und  begnüge  mich  für  jezt  mit  einzelnen  beispie- 
len ,  der  reihenfolge  der  bücher  mich  anschliessend. 

I,  20,  35  nü  folget  imo  thuruh  iliaz  githigini  so  managaz.  Piper  stelt  die 
von  ihm  schon  früher  ausgesprochene  behauptung,  dass  folget  apocopierte  form  des 
prät.  =  folgeta  sei,  hier  als  zweifellose  tatsache  hin.  Ich  sehe  nicht  den  minde- 
sten grund  dafür.  In  keiner  handschrift  ist  die  apocope  angedeutet;  die  bedeutung 
des  nü  und  der  Zusammenhang  des  ganzen  satzes  sprechen  dagegen.  Warum  soll 
Otfrid  sich  nicht  die  getreuen  Christi  als  ein  ihm  noch  jezt,  in  der  gegen  wart, 
treu  gewärtiges,  d.  h.  ihm  geistig  dienendes  zahlloses  gefolge  denken?  Diese  auf- 
fassung  ist  phantasievoll  und  poetisch  schön. 

I,  22,  16  ist  ohne  zweifei  von  Piper  richtig  geschrieben  [thiu  Jcind  .  .]  lia- 
fun  .  .,  SOS  in  uuas  muatuuillo  =  sie  liefen  so,  wie  es  ihnen  mutwille  tvar,  d.  h. 
tvie  ihre  neigung  sie  trieb.  Vgl.  II,  12,  41  ther  geist ,  ther  bläsit  stillo ,  thara  imo 
ist  muatuuillo.  Alle  früheren  herausgeber  teilten  die  worte  ab:  so  sin,  und  es 
war  annähme  eines  kühnen  numeruswechsels  nötig  (,s.  meine  Unters.  II  §  50).  Durch 
Pipers  Schreibung  wird  Otfrid  wider  von  einer  graiiimatischen  incorrectheit  befreit, 
die  man  ihm  bisher  zuzuschreiben  pflegte. 

Entsetzlich  dagegen  wird  construction  und  Zusammenhang  verunstaltet  durch 
Pipers  interpunction  von  II,  3,  2 — 5.  Ich  sehe  nicht  die  mindeste  Schwierigkeit 
bei  folgender  interpunction: 

2  thaz  duent  buah  festi;  nü  niazet  mit  gilusti. 

3  thärana  sint  giscribene  urkundon  manage, 

4  drütä  sine  in  alauuär:  selbo  mäht  thu  iz  lesan  thär. 

5  uuuntar  filu  managaz  —  thaz  uuir  iz  bithenken  thes  thiu  baz  — 

6  thaz  uuard  allaz  märi,  iheiz  unfarholan  uuäri. 

Natürlich  geht  thärana  v.  3  zurück  auf  buah  (sehr  ähnlich  III,  14,  5.  V,  10,  12. 
V,  11,  49;  auch  bei  Notker  ps.  49,  5  so  er  an  biiochen  geboten  habet):  in  den 
evangelischen  bücher n  sind  viele  zeugen  aufgeschrieben,  nämlich  Christi  eigene  jün- 


ÜBER   OTFRID   ED.    PIPER.      C.    ZUR   SPRACHKUNDE  125 

ger  (die  es  berichtet  habendi;  thas  in  v.  6  deutet  anaphoriscli  auf  nuiwtar  managaz 
zurück:  (Jnters.  I  §  88. 

II,  4,  29  oha  thiz  ist  thes  sun,  ther  liuti  fuarta  herasun  ig.  Die  sätze 
wollen  nichts  anderes  ausdrücken,  als  was  v.  39  in  zweiter  person  ausgedrückt  ist: 
oba  thü  gotes  sun  sis.  Piper  tut  dem  ausdriick  nicht  weniger  als  dem  gedanken 
gewalt  an  durch  seine  künstliche  erklärung:  Solte  ea  ein  mann  von  der  art  (!)  des 
Moses  sein? 

II,  6,  53  thoh  üdäm  onh  hl  nöti  si  thiu  einen  missidäti  kann  nicht  heissen: 
in  dieser  einen  hinsieht  (Piper),  sondern  nur:  zu  dem  einen  zwecke.  Den  durch 
die  vorseliung  bestirnten  zweck  des  sündenfallos  gibt  Otfrid  (nach  welcher  quelle, 
das  hat  auch  Piper  nicht  nachgewiesen)  im  nächsten  verse  an :  thaz  sulih  urJösi 
fora  gote  misih  firuiiäsi ,  d.  h.  damit  Christi  erlösung  möglich  icäre.  Aus  Graffs 
meisterhafter  schrift  über  die  ahd.  präpositionen  hätte  herr  Piper  viel  lorneu  können. 

II,  14,  89  fasst  Piper  die  werte  der  Saraariterin :  frö  min  als  ausruf  =  mein 
gott,  wie  er  zwar  nicht  zu  dieser  stelle,  aber  zu  I,  5,  35  angibt.  Mir  ist  dies 
nicht  wahrscheinlich ;   s.  meine  Unters.  II  §  71  note. 

III,  9,  9  sie  uuunsgtun ,  muasin  rinan  thoh  sinan  tradon  einan  heisst  natür- 
lich :  sie  iciinschten ,  sie  möchten  doch  (icenigstens)  allein  seinen  säum  berühren, 
vgl.  ni,  14,  19.  Piper,  wahrscheinlich  durch  Keiles  Übersetzung  verleitet,  über- 
sezt:  einen  seiner  säume.  Wie  er  sich  die  kleidung  mit  vielen  säumen  denkt,  das 
sagt  er  nicht. 

ni,  14,  5  muss  gedruckt  werden:  thdr  mäht  thü  ana  findan  =  darin  {in 
den  ei'angelien)  kannst  dn  finden:  s.  oben  zu  II,  3,  3.  Weder  aus  dieser  stelle 
noch  aus  III,  19,  13  ist  ein  verbum  *anafindan  aufzustellen. 

III,  14,  98  einluzze  heisst  einsam  und  hat  hier  ebensowenig  als  I,  4,  4  ein- 
kunne  mit  der  ehelosigkeit  der  katholischen  geistlichen  etwas  zu  tun. 

IV,  15 ,  25 ''.  26  folgt  Piper  der  unnötig  künstelnden  interpunction  Keiles. 
Schon  Graif  präp.  s.  180.  Sprachschatz  I,  383  hatte  die  einfach  richtige  Verbindung 
angegeben :  thiz  selba  uuas  imo  nntar  zuein  =  dies  ebengesagte  xoar  ihm  zweifelhaft. 

IV,  18,  28  ist  Pipers  erklärung  von  nüa  als  ,,  plural  des  adj.  nitmi"  für 
jeden,  der  einige  kentnis  von  der  ahd.  adjectivtlexion  hat,  unglaublich.  Wer  von 
der  gründlichkeit  Piperscher  erklärungen  einen  begriff  bekommen  will,  schlage  die 
dazu  citierte  stelle  V,  9,  19  nach. 

IV,  18,  41  uuanta  druhtin ,  in  uuär,  e  r  sah  ubar  inan  sär  ;  42  bigonda  er 
inan  scouuön  ginädlichen  ougon.  Anaphorisches  er  steht  ebenso  wie  41''  L  2.  lU, 
18,  49.  V,  14,  25.  Dass  Piper  beidemal  schreibt  er,  ist  schwer  begreiflich:  dass 
er  als  commentator  zu  41  schreibt:  ,, uuanta  er  =  nachdem,"  lässt  auf  merkwür- 
dige ansichten  über  die  b^deutung  der  ahd.  conjunctionen  schliessen.  Das  margi- 
nale in  P:  q7iia  respexit  dominus  eum  (F:  q_uod  dominus  respexit  cum)  druckt 
Piper  selbst  ab.  Die  qiielle  Otfrids  war  hier  Luc.  22 ,  61  et  conversus  dominus 
respexit  Petrum;  dazu  Beda  (V,  488):  respicere  namque  eius  misereri  est. 

IV,  21,  3  ist  die  von  Piper  angenommene  construction  von  insizzan  unglaub- 
lich. Soll  sinsaz  zusammengehören ,  so  könte  es  höchstens  =  .so  insaz  (wie  II, 
14,  88  sih  ==  so  ih)  sein. 

V,  6,  22  thio  buah  oidi  thär  giuuiiagun  habe  ich  relativ  erklärt  entsprechend 
V.  19  thio  buah  thir  (=  thio  ir)  fruma  zaltwn,  20  ivio  fg.;  an  eine  andere 
schrift  als  die  biblischen  bücher  (hier  des  alten  testamentes)  zu  denken  ist  mir 
nicht  eingefallen.  Das  ouh  dient  nur  dazu,  den  22''  folgenden  satz  uuio  an  die 
beiden  vorhergehenden  20  und  21*  anzureihen. 


126  KINZEL 

Ich  stehe  am  schlösse  der  laugen  besprechuiig.  Mein  gesamturteil  kann  nur 
lauten:  Hätte  herr  Piper  sich  für  jezt  mit  gründlicher  lösung  eines  teiles  der  auf- 
gaben begnügt,  welche  er  sich  gestelt  hat,  so  würde  das  von  ihm  gebotene  von 
allen  selten  mit  dankbarer  freude  begrüsst  werden  können.  Jezt  aber  hat  er  in 
dem  umfangreichen  werke  ungenügend  begründete  hypothesen,  incon Sequenzen ,  ja 
auch  einzelne  unrichtige  angaben  des  tatsächlichen  nicht  vermeiden  können,  und 
die  erklärung  gewährt  nicht  alles  das.  was  viele  leser  Otfrids  erwarten  und  wün- 
schen werden.  Deshalb  kann  bei  aller  anerkennung  der  fleissigen  arbeit,  von  wel- 
cher das  buch  zeugnis  ablegt,  mein  beifall  nur  ein  geteilter  sein. 

KÖNIGSBERG    1878.  OSKAR   ERDMÄNN. 

Die  über  die  herstelluug  der  Wiener  handschrift  oben  ausgesprochenen  ansich- 
ten  habe  ich  jezt  bei  durchsieht  derselben  im  wesentlichen  bestätigt  gefunden. 
Über  die  verschiedenen  bände  derselben  hoffe  ich  demnächst  einen  bericht  veröffent- 
lichen zu  können. 

WIEN,    2.   JULI    1879.  o.   E. 


Parzival-Studien  von  Dr.  Karl  Domauig'.  I.  heft:  über  das  Verhältnis 
von  Wolframs  Titurel  und  Parzival.  Paderborn,  Schöningh.  1878.  64  s. 
kl.  8.    M.  1. 

Die  untersuchnng ,  welche  vom  aesthetischen  Standpunkte  den  Zusammenhang 
des  Parzival  und  Titurel  einer  eingehenden  betrachtung  unterwirft,  zieht  nur  die 
beiden  echten  sogenanten  bruchstücke  des  Titurel  in  ihren  gesichtskreis ,  indem  der 
Verfasser  den  worten  Lachmanns  (Kl.  Sehr.  1 ,  352)  hinzufügt .  anders  habe  Bartsch 
(Germ.  13)  geurteilt,  „wol  freilich  mit  mehr  Zuversicht  als  gründen."  Der  I.  teil 
macht  es  sich  zur  aufgäbe,  nachzuweisen,  wie  der  Titurel  den  Parzival  ergänzt, 
komt  aber  mehrfach  zu  dem  resultat,  es  sei  eine  Wechselbeziehung  beider  anzuneh- 
men, so  dass  sich  die  werke  gegenseitig  ergänzen.  Der  verf.  hebt  hervor,  wie  das 
lückenhafte  in  der  erscheinung  Sigunens  im  Parzival  durcli  den  Titurel  ausgefült 
werde,  wie  sich  das  dunkel,  welches  über  ihren  verwantschaftlichen  beziehungen 
im  Parzival  liege ,  im  Titurel  volständig  aufhelle  und  wie  auch  die  bedeutung  Sigu- 
nens für  die  geschicke  des  Parzival  und  ihr  grund  erst  im  Titurel  klar  werde. 
Amphlise,  im  Titurel  so  oft  genant,  wird  im  Parzival  vernachlässigt,  und  die 
Ursache  des  todes  Sehionatulanders  bleibt  im  Parzival  allein  wie  im  Titurel  allein 
unaufgeklärt.  Die  beziehungen  beider  werke  werden  s.  26  übersichtlich  zusammen- 
gestelt. 

Im  folgenden  geht  Domanig  zu  weit.  Er  versucht  auf  s.  27  fg.  nachzuwei- 
sen,  dass  Wolfram  an  die  leser  des  Titurel  dachte,  wenn  er  Parz.  805,  6  dadurch 
mit  Tit.  25  vereinbar  machte,  dass  er  Kyot  die  Verantwortung  zuschob  (805,  10). 
Es  genügt  die  annähme,  dass  er  auf  den  später  zu  behandelnden  stoff  rücksicht 
nahm,  dass  ihm  nicht  ,,der  Titurel  vor  äugen  stand,"  sondern  nur  der  Inhalt 
des  künftigen  werkes. 

Der  Tl.  teil  untersucht  das  gegenverhältnis  des  Parzival  zum  Titurel  s.  31  fg. 
und  unterscheidet  1)  solche  dinge,  in  welchen  der  Parzival  die  erklärung  des  Titu- 
rel, und  2)  solche,  in  welchen  er  die  ergänzung  des  Titurel  ist.  In  dieser  dar- 
legung  entsteht  manche  Unklarheit,  schon  dadurch,  dass  des  Verfassers  stil  nicht 
immer  die  volle  wissenschaftliche  ruhe  bewahrt,  besonders  aber  dadurch,  dass  er 
meint,    die  frage  nach    der  Priorität  des  Titurel  könne    „ohne  schaden  der  wissen- 


CBER    DOMANIG.    PARZIVALSTUDIEN  127 

Schaft  auf  sich  beruhen,"  dann  zu  dem  Schlüsse  komt,  der  Parzival  soi  die  fort- 
setzung  des  Titurel  (s.  51)  und  endlich  (s.  63)  den  ,,  ursprünglichen  platz  des  Titu- 
rel  in  der  mitte  des  Parzival  vermuten "  will.  Er  verwirft  also  die  annähme ,  dass 
Wolfram  die  episoden ,  welche  er  im  Parzival  aus  bestimten  gründen  nur  andeutete, 
sjiäter  in  zwei  volksmässigen  liederu  ausführte.  Sie  dienen  zur  ergäuzung  des  Par- 
zival und  setzen  natürlich  voraus  was  in  diesem  gedichte  vom  stoffe  erwähnt  ist. 
Deshalb  polemisiert  er  auch  gegen  Müllenhoffs  ansieht  (Z.  f.  d.  a.  18,  297)  in  der 
anm.  s.  32.  Doch  verwirft  auch  er  die  ansieht,  der  Titurel  sei  ein  fragment,  von 
dem  gesichtspunkte  aus,  dass  der  Parzival  die  ergänzung  desselben  sei. 

Die  nun  (s.  36)  folgende  vergleichung  des  Titurel  mit  der  geschichte  Gret- 
chens  im  Faust  hätte  füglich  unterbleiben  können.  Einmal  scheint  mir  im  ,,Gret- 
chen,"  auch  allein  betrachtet,  dem  zu  schau  er  nichts  unklar  zu  bleiben;  dann  ist 
erst  zu  erweisen,  dass  der  Titurel  eine  episode  im  Parzival  sei  und  endlich  lassen 
epos  und  drama  in  dieser  beziehung  gar  keinen  vergleich  zu. 

S.  38  fg.  wird  nun  die  idee  des  werks  (Tit.  56)  und  die  absieht  (Tit.  37,  4) 
des  dichters  erörtert.  Domanig  komt  hier  zu  dem  Schlüsse  (s.  44):  ,,er,  der  uns 
im  vorliegenden  Titurel  die  beiden  liebenden  vor  äugen  führt  ohne  besondere  bevor- 
zugung  weder  des  einen  noch  des  andern,  verheisst  uns  ebendaselbst  eine  vorzugs- 
weise behandlung  Sigunens  und  zwar  in  der  weise,  dass  wir  ihr  nach  dem  tode 
Schianatulanders  noch  einmal  zu  begegnen,  dann  eine  Schilderung  ihrer  mufftuom- 
lichen  minne  und  in  derselben  die  der  tvären  minn  mit  trimven  Titurels  erwarten 
müssen.  Also  hat  sich  Wolfram  ursprünglich  mit  dem  gedanken  getragen,  eine 
erzählung  des  gedachten  Inhaltes  als  zweiten  teil  dem  Titurel  als  ersten  folgen  zu 
lassen."  Der  Verfasser  geht  nun  unter  dem  gewonnenen  resultate  noch  einmal  auf 
den  Inhalt  des  Titurel  ein,  zergliedert  ihn  in  angemessener  weise  und  zeigt,  dass 
als  ende  der  entwicklung  der  tod  des  geliebten  folgen  muste.  ohne  dass  damit  die 
geschichte  aus  sei,  weil  nicht  Schianatulander,  sondern  Sigunens  maiitunmliche 
minne  der  gegenständ  der  dichtung  sei.  Eine  Schilderung  der  irfahrt  nach  dem 
brackenseile  könne  also  niclit  beabsichtigt  gewesen  sein.  Die  plötzliche  erwähnung 
des  todes  genüge  für  den  plan.  Ein  mehr  sei  nicht  zu  erwarten:  also  könne  Wol- 
frams Titurel  auch  nicht  viel  melir  enthalten  haben  als  die  beiden  überlieferten 
abschnitte. 

Endlich  der  trumpf  der  ganzen  arbeit  (s.  52):  ,,was  uns  der  Titurel  zu  kün- 
den versprach ,  die  iväre  minn  mit  triuiven  Titurels ,  die  an  Sigune  sich  offenbare 
nach  Schianatulanders  tode,  findet  seine  ganz  befriedigende  behandlung  im  Parzi- 
val ,  dieser  bildet  also  nicht  nur  die  fortsetzung ,  sondern  auch  den  schluss  des 
Titurel."  Daran  knüpft  sich  die  rechtfertigung  dessen,  dass  Wolfram  die  episode 
aus  dem  Parzival  ausgeschieden  und  in  anderem  versmasse  behandelt  habe.  Es  ist 
unbegreiflich,  wie  der  Verfasser  dennoch  behaupten  kann:  ,,die  frage  über  die 
aiiciennität  unserer  beiden  dichtungen  ist  noch  immer  als  eine  offene  zu  betrachten." 
Wenn  er  ,,dem  kritiker  das  feld  räumen"  zu  müssen  glaubt,  wie  er  selbst  s.  63 
sagt,  so  solte  er  sich  auf  die  resultate  der  Herforthschen  Untersuchungen  (Zs.  f. 
d.  a.  18,  281  —  297)  verlassen  haben  und  nicht  aus  aesthetischen  gesichtspunkten 
dinge  anzweifeln,  die  nun  endlich  feststehen  solten.  Doch  auch  von  ., seinem  Stand- 
punkte" aus,  wie  will  er  sich  denn  die  sache  vorstellen?  Etwa  so  dass  Wolfram 
erst  die  beiden  Titurellieder  gedichtet  habe  und  zu  ihrer  ergänzung  das  riesenwerk 
des  Parzival?  Scheint  es  nicht  in  jeder  beziehung  einfacher  und  klarer,  festzuhal- 
ten, dass  es  in  Wolframs  plane  lag,  Sigune  nur  soweit  im  Parzival  vorzuführen, 
als  sie  in  die  entwicklung  desselben ,   besonders  in  die  geschicke  Parzivals   eingriff 


128  KINZEL,     ÜBER   DOMANIG ,    PARZIVALSTUDIEN. 

und  tlass  er  dann  nachher  die  rührende  Vorgeschichte,  die  um  ihres  mehr  lyrischen 
Charakters  willen  nicht  in  das  epos  passte,  hinzugedichtet  habe?  Aber  Domanig 
hat  eine  neue  lösung:  nicht  vor,  nicht  nach,  sondern  mitten  hinein!  Allein  spricht 
auch  nur  das  geringste  dafür,  dass  eine  episodo,  welche  zwischen  das  zweite  und 
dritte  buch  gehört,  auch  zwischen  beiden  gediclitet  sein  muss?  Diese  idee  ist  ver- 
fehlt. Wäre  Domanig  bei  dem  stehen  geblieben,  was  er  am  ende  des  büchleins 
als  seine  absieht  angibt:  ,,die  tatsache  der  inneren  Zusammengehörigkeit  beider 
dichtungen"  zu  erweisen,  so   würden  wir  ihm  rückhaltlos  zugestimt  haben. 

Wir  wollen  zulezt  noch  auf  einige  kleinigkeiten  aufmerksam  machen.  Auf- 
fallend sind  folgende  Wörter  und  formen:  verwickeltheit  s.  25,  unterrichtetheit  10. 
sohin  19.  beglichen  19.  ehevor  30.  61.  Ganzheit  30.  vorenthält  uns  23.  der 
wille  untersteht  den  gesetzen  32.  es  fragt  sich  32.  Urrepanse  de  Schoyen  (noni.) 
41.  Für  druckfehler  mögen  gelten:  sidcn  55  anm.  her  für  42.  wis  imp.  46. 
Auch  Schionatul ander  wars  hekaiit  48,  während  s.  42  eingeschaltet  ist  si  [ivär] 
erborn ? 

BERLIN,    31.    JAN.    1878.  KARL   KINZEL. 


Die  XXXIV.  Versammlung  Deutscher  Philologen 
und  Schulmänner 

findet  von  Mittwoch  den  24.  bis  Samstagr  den  27.  September  d.  J.   zu  Trier 

statt,  und  laden  wir  die  Fach-  und  Berufsgenossen  zu  zahlreicher  Betheiligung  ein. 
Für  die  einzelnen  Sectionen  haben  die  Leitung  der  Geschäfte  übernommen: 

1)  für  die  pädagogische  Section:  Hr.  Dir.  Dr.  Droulie  in  Trier, 

2)  für  die  orientalische  Section  Hr.  Prof.  Dr.  Gildemeister  in  Bonn, 

3)  für  die  germanistisch -romanistische  Section  Hr.  Prof.  Dr.  Wilmanns 

in  Bonn, 

4)  für  die  archäologische  Section  Hr.  Museums -Dir.  Dr.  Hettuer  in  Trier, 

5)  fär  die  kritisch- exegetische  Section  Hr.  Prof.  Dr.  Usener  in  Bonn, 

6)  für   die  mathem.-naturwissenschaftl.   Section   Hr.    Gymn.-Dir.  Prof. 

Dr.  Renvers  in  Trier. 
Vorträge  und  Thesen,  so  weit  sie  nicht  schon  angemeldet  sind,  wolle  man 
bis  spätestens  5.  September  anmelden,  und  zwar  für  die  allgemeinen  Sitzungen  bei 
dem  unterzeichneten  ersten  Präsidenten,  für  die  Sectionen  bei  den  oben  genannten 
Herren.  —  Wegen  Beschaffung  guter  und  billiger  Quartiere  wolle  man  sich  mög- 
lichst frühzeitig  an  den  mitunterzeichneten  Director  Dr.  D  r  o  n  k  e  wenden.  Alles 
Nähere  besagt  das  heute  ausgegebene  Programm. 
Bonn  und  Trier,  den  12.  Juli  1879. 

Das  Präsidium.  Das  Local-Comite. 

Prof.  Dr.  Bücheier.     Dir.  Dr.  Dronke.  über -Bürgermeister  de  Uys. 


HaUe,  Buchdruckerei  des  Waiaenhauseg. 


DIE    DRAMATISIERUNGEN    DER    SUSANNA 
IM    16.  JAHRHUNDERT. 

BEITEAG  ZUR  ENTWICKLUNGSGESCHICHTE  DES  DEUTSCHEN  DRAMAS. 


Wie  im  10.  Jahrhundert  selbst  einst  das  interesse  an  dei-  drama- 
tischen dichtung  vorwiegend  dem  inhalt  ZAigewant  war.  so  liat  sich 
auch  die  bisherige  wissenscliaftliche  betrachtung  derselben  wesentlich 
auf  den  stoff  beschränkt.  Der  form  —  ich  meine  die  form  im  vollen 
sinne  des  wertes,  nicht  die  art  des  sprachlichen  ausdrucks  —  wird 
auch  in  den  besten  einschlägigen  werken  nur  geringere  aufmerksamkeit 
geschenkt.  Fast  überall  finden  sich  über  diese  nur  summarische  urteile 
oder  vereinzelte  bemerkungen;  zu  einer  wissenschaftlichen  forschung, 
welche  methodisch  auf  die  einzelnen  momente  der  dramatischen  tech- 
nik,  die  composition.  die  Charakteristik,  spräche  und  vers  eingienge, 
und  die  ferner  an  diesem  massstabe  die  wertunterschiede  der  einzelnen 
dichter  beurteilte,  sind  bisher  nur  vereinzelte  ausätze  gemacht. 

An  sich  ist  die  Unterlassung  einer  eingehejulen  ästhetischen  Unter- 
suchung dieser  litteratur  gegenüber  leicht  begreiflich:  was  lässt  sich 
von  der  inneren  entwicklung  eines  dramas  erwarten ,  das  in  derselben 
durch  die  vorwiegende  rücksichtnahme  auf  den  stotf  von  vornherein  in 
hohem  grade  gehemmt  war?  Bewirkte  diese  doch  einmal,  dass  die 
mehrzahl  der  dichter  selten  die  grenzen  der  biblischen  erzählung  ver- 
üess,  um  die  beiden  grade  auch  für  die  bildung  der  dramatischen  form 
so  wichtigen  gebiete ,  das  der  geschichte  und  des  gleichzeitigen  lebens 
zu  betreten!  Und  was  noch  viel  unheilvoller  war,  durch  das  fast  aus- 
schliesslich am  inhalt  haftende  Interesse  Avurde  der  sinn  für  die  Schön- 
heit der  form,  also  eben  für  das  der  kuiist  wesentliche,  geradezu 
geschwächt  und  abgestumpft.  Dazu  kam  schliesslich ,  dass  die  zahl  der 
unberufenen  bände,  die  im  16.  Jahrhundert  der  muse  des  dramas  ihre 
gaben  darbrachten,  doch  noch  ein  gut  teil  grösser  war,  als  sie  auch 
zu  anderen  zelten  zu  sein  pflegt! 

Trotzdem  konte  sich  der  Verfasser  nicht  davon  überzeugen,  dass 
die  so  entstandene  litteratur  nicht  eingehendere  beachtung  verdiene  als 

_  ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.    ]:1>.  XI.  9 


130  .  PILGER 

ihr.  bis  jezt  zu  teil  geworden:  es  handelt  sich  ja  um  die  ersten,  wenn 
auch  unbehülflichen  schritte  einer  kunstübung  auf  einer  neuen  bahn 
und  überdies  auf  derjenigen ,  auf  welcher  sie  einst  zu  ungeahnter  Vol- 
lendung sich  entwickeln  solte.  Und  wenn  auch  das  künstlerische  ziel 
dieses  weges  der  mehrzahl  der  dichtenden  mehr  oder  weniger  getrübt 
oder  verdeckt  blieb  durch  die  religiösen  und  didaktischen  teudenzen, 
die  sie  verfolgten ,  so  ist  es  doch  nicht  wahrscheinlich ,  dass  es  gänz- 
lich an  solchen  gefehlt  hat,  welche  mit  klarem  bewustsein  und  mit 
wirklichem  erfolg  dahin  strebten,  den  moralisch  -  lehrhaften  Inhalt 
ihrer  stücke  mit  den  schönen  und  gefälligen  formen,  die  man  so 
eben  aus  dem   altertum  kennen    zu  lernen  begann ,    zu  umkleiden. 

Diese  erwägungen  leiteten  den  Verfasser  zu  der  auf  den  folgenden 
blättern  behandelten  aufgäbe ,  einige  hervorragendere  dramen  aus  dem 
verlaufe  des  16.  Jahrhunderts  nach  ihrer  gesamten  technik  eingehender 
zu  analysieren  und  die  etwaigen  fortschritte  in  dieser  beziehung  zu 
verfolgen.  Zu  diesem  zwecke  empfahl  sich  ihm  eine  der  nicht  wenigen 
dramengruppen  jener  zeit,  die  denselben  stoff  behandeln,  und  zwar  die 
von  der  Susanna  und  Daniel.  Abgesehen  davon ,  dass  an  den  verscliie- 
denen  bearbeitungen  derselben  fabel  die  entwicklung  der  form  um  so 
leichter  erkenbar  sich  darstellen  muste,  versprach  grade  diese  gruppe 
aus  doppeltem  gründe  ein  lohnendes  resultat.  Einmal  sind  es  einige 
der  berufensten  Vertreter  der  deutschen  und  lateinischen  dramatik  jener 
zeit,  Sixt  Birk,  Rebhun,  Frischlin,  Heinrich  Julius,  die  ihre  kraft  au 
demselben  versuchten.  Und  dann  fügt  es  sich  glücklich,  dass,  wäh- 
rend die  vorlezte  bearbeitung  noch  die  einwirkung  erfuhr,  die  sich 
von  England  her  gegen  das  ende  des  16.  Jahrhunderts  in  unserem 
drama  geltend  machte,  die  erste  noch  zurückreicht  in  die  periode 
vor  der  reformatiou,  in  die  zeit  des  so  eben  erst  beginnenden  huma- 
nismus.  — 

Die  geschichte  von  der  Susanna,  die  wie  die  von  der  Judith,  von 
Lazarus,  dem  verlorenen  söhn  das  ganze  Jahrhundert  hindurch  zu  den 
bevorzugtesten  lieblingsstoffen  des  deutschen  dramas  gehörte,  erfuhr 
vom  ende  des  15.  Jahrhunderts  bis  1627,  die  Übersetzungen  ungerech- 
net, nicht  weniger  als  sechzehn  verschiedene  bearbeitungen. 

Begreiflich  wird  uns  diese  verliebe,  wenn  wir  uns  die  einzelnen 
momente  der  biblischen  historie  vergegenwärtigen. 

Zwei  alte  ungerechte  richter,  so  erzählt  dieselbe,  sind  von  lust 
entbrant  gegen  die  schöne  Susanna ,  die  tochter  frommer  eitern  und  gat- 
tin  des  angesehenen  Jojakim.  Sie  beschliessen  sie  im  bade  zu  überfal- 
len und,  falls  sie  unwilfährig,  durch  eine  falsche  anklage  zu  verder- 
ben und  sich  zu  rächen. 


DKAMAT.    DEK    SUSANNA    IM    16.    .111.  131 

Susanua  wird  belauscht,  überfallen.  Auf  ihren  hilferuf  und  der 
richter  schreien  laufen  die  knechte  hinzu,  welche  die  Verleumdung  der 
alten  hörend  sich  ihrer  herrin  schämen. 

Am  nächsten  tage  angeklagt  wird  sie  auf  den  schwur  der  ricliter  liin 
zum  tode  verurteilt,  während  sie  gott  zum  zeugen  ihrer  Unschuld  anruft. 

Und  gott  erhört  sie:  denn  der  Volksmenge,  welche  Susaima  zum 
gerichtsplatz  leitet,  tritt  von  gott  erweckt  der  junge  Daniel  entgegen, 
der  das  gerichtsverfahren  tadelnd  ein  neues  lierbeiführt,  in  welchem 
die  beiden  alten  des'  meineids  überführt  und  zum  tode  verurteilt  wer- 
den.    Susanna  aber  samt  ihrer  familie  lobt  und  preist  den  herrn. 

Lässt  eine  reihe  wirklich  wesentlicher  eigenschaften,  auf  die  wir  bei 
der  besprechung  der  ersten  bearbeitung  noch  zurückkommen  werden,  diese 
erzähluug  für  eine  dramatische  bearbeitung  überliaupt  nicht  ungeeignet 
erscheinen,  wie  sie  eine  solche  ja  uocli  in  unseren  tagen  erfahren  hat,* 
so  bot  sie  überdies  für  das  1 6.  Jahrhundert  noch  mancherlei  ganz  beson- 
dere Vorzüge.  Vor  allem  enthielt  sie  an  moralisch  und  religiös  erbau- 
lichen momenten  einen  reichen  stoff:  das  bild  einer  frommen,  keu- 
schen hausfrau,  umgeben  von  einem  glücklichen  familienleben ,  ihre 
unbesiegbare  standhaftigkeit ,  ihr  unerschütterliches  gottvertrauen  und 
den  herlicheu  lohn  ihrer  frömmigkeit.  Im  gegensatz  dazu  zwei  unge- 
rechte, unkeusche  greise,^  deren  bosheit,  von  den  leichthin  urteilenden 
richtern  unentdeckt,  an  das  tageslicht  gebracht  wird  durch  die  Weis- 
heit eines  gotterweckten  jungen  knaben. 

Einer  speciellen  lieblingsneigung  derzeit  ferner,  welche  seitdem 
15.  Jahrhundert  sich  vielfach  in  der  litteratur,  zumal  in  den  fastnacht- 
spieleu,  abspiegelt,  entsprach  die  doppelte  gerichtssitzung-.  Sogar  für 
die  rein  weltliche  lust  des  16.  Jahrhunderts,  das  sich  ja  der  ausgelas- 
sensten lieiterkeit  ebenso  gern  hingab,  als  dem  andächtigsten  ernste, 
war  der  stoff  nicht  undankbar:  die  verführungsscene  der  Susauna  oder 
auch  eine  eingehendere  Charakteristik  der  verliebten  alten  bot  für  die- 
sen zweck  reiche  motive.  — 

Zum  Schlüsse  dieser  einleitenden  bemerkungen  gebe  ich  eine  Zu- 
sammenstellung der  verschiedenen  bearbeitungen  unseres  Stoffes. 

1)  Etwa  1859  gieng  —  nicht  ohne  beifall  —  über  die  bühae  des  königlichen 
Schauspielhauses  zu  Berlin  ,, Susanna  und  Daniel,"  Schauspiel  in  vier  akten  von 
C.  L.  Werther. 

2)  üass  dieselben,  wie  (loedeke,  Eoemoldt  s.  103,  annimt,  auch  dazu  gedient 
hätten ,  die  aus  dem  priestercölibat  für  die  frauen  entspringenden  gefahren  zu  ver- 
sinlichen .  habe  ich  in  keiner  bearlieitung  bestätigt  gefunden  :  sie  erscheinen  fast 
in  allen  verheiratet. 

9* 


132  PILGER 

1)  Die  frülieste  derselben  —  das  werk  eines  nnbekanten  Verfas- 
sers —  stamt  noch  aus  dem  15.  Jahrhundert.  Sie  befindet  sich  hand- 
schriftlich in  Wien  und  ist  gedruckt  bei  Keller,  Nachlese  zu  den  fast- 
nachtspielen  aus  dem  fünfzehnten  Jahrhundert.  Stuttgart  1859.  Der 
titel  lautet :  Hyr  hebt  sich  an  dz  leben  der  heyligen  frawen  Susana  wie 
sy  von  zwain  falschen  richteren  pracht  bardt  vom  leben  zum  tod,  vnd 
doch  dar  von  erledigt  war  dt. 

2)  Gegen  vier  decennieu  später  erschien  eine  zweite  deutsche 
bearbeitung  und  zwar  von  Sixt  Birck,  rector  zu  Basel,  1532;  s.  Goe- 
deke,  Grundr.  s.  302  [in  WolfenbüttelJ.  Über  eine  vermehrte,  mir 
unbekant  gebliebene  ausgäbe  Zürich  c.  1545,  s.  Weller,  das  alte  volks- 
theater  der  Schweiz  s.  16  und  Annalen  II  s.  361.  Das  „alte  Zürcher 
stück,"  in  welchem  Herman  Grimm,  Fünfzehn  essays  1875,  s.  149  ein 
„  brüderlein  und  schwesterlein  Susannä  "  fand ,  ist  jedenfals  diese  bear- 
beitung. 

3)  Ein  kurtz  und  seer  schon  spil,  von  der  Gotfürchtigen  und 
keuschen  frawen  Susanna.  Am  schluss:  Gedruckt  zu  Nürnberg  durch 
Kunegund  Hergotin.^  24  bl.  8.  o.  j.  Das  einzige  mir  bekant  gewor- 
dene exemplar  befindet  sich  in  Zwickau.  Dass  dies  spiel  zu  Nürnberg 
nicht  blos  gedruckt,  sondern  auch  aufgeführt  wurde,  geht  aus  den  Wor- 
ten des  prologs  hervor: 

Hie  ist  nun  Babylon  behend 

Doch  so  das  spil  erreycht  seyn  end 

Nürnberg  es  wider  werden  sol. 

Ich  halte  diese  ausgäbe  für  den  origiualdruck  dieser  bearbeitung, 
nicht  die  von  Gottsched,  Nöth.  vorr.  s.  63  unter  1534,  und  von  Goe- 
deke,  Grundriss  s.  306  nr.  117  angeführte.  Diese,  die  sich  nirgend 
finden  will  [Goedekes  angäbe,  dass  sie  sich  in  Zwickau  befinde,  ist 
unrichtig,  s.u.],  scheint  mir  überhaupt  nicht  zu  existieren  und  nur  auf 
einem  versehen  Gottscheds  zu  beruhen,  das  vielleicht  dadurch  mitver- 
anlasst  wurde,  dass  der  von  ihm  unter  1535  erwähnte  druck,  der 
ausser  dem  spiel  von  Jacob  auch  das  von  der  Susanna  enthält  und  auf 
dem  titel  die  angäbe  hat:  „Zu  Magdeburg  ...  im  1535.  iar  gehalten," 
unter  der  vorrede  das  jähr  1534  trägt.- 

1)  Nicht,  wie  H.  Grimm  a.  a.  u.  s.  149  angibt,  bei  König  und  Hergotin. 

2)  Der  Widerspruch  löst  sich  übrigens  einfach  dadurch,  dass  man  bei  dieser 
ausgäbe  des  spieles  von  Jacob,  die  nur  ein  neudruck  der  1534  erschienenen  war 
[s.  Goedeke  s.  306  nr.  123  und  Weller,  Annalen  II,  364],  die  frühere  vorrede  samt 
dem  datum  unverändert  mit  abdruckte. 


DRAMAT.   DER   SUSANNA  IM    16.    JH.  133 

Nun  köiite  freilich  diese  Magdeburger  ausgäbe  von  1535  [ein 
exemplar  in  Weimar]  der  originaldruck  sein.  Dagegen  aber  spricht  fol- 
gendes : 

Erstens  macht  dieselbe  der  Nürnberger  gegenüber  durchaus  den 
eindruck  einer  nachgebesserten.  Dies  gilt  von  der  Interpunktion,  die 
in  der  Magdeburger  sehr  zahlreich ,  in  der  andern  [s.  proben  auf  s,  152 
und  löoj  überaus  ^ärlich  ist,  und  ferner  von  den  modernisierenden  wort- 
änderungen.  Der  Nürnberger  schreibt  spil,  weyb,  zeyt,  Teudtsch, 
kleynodt,  iunhalt,  der  Magdeburger  spiel,  weib,  zeit,  Deudsch,  kiei- 
nod,  Inhalt;  jener  hewüsst  im  reime  zu  ist,  dieser  den  reim  zerstörend 
hetvusst;  jener  kumpt,  für  in  lokalem  sinne,  empfahen,  den  tuclieu, 
dieser  komt,  vor,  entpfangen,  tüchern,  wider  den  reim  auf  suchen  ver- 
nichtend. 

Ferner  verrät  sich  doch  augenscheinlich  die  zeile  des  prologs 
„Magdeburg  es  wider  werden  sol"  mit  ihren  fünf  hebungen  -  im  gan- 
zen stücke  finden  sich  nur  drei  oder  vier  solcher  verse  —  der  oben 
mitgeteilten  gegenüber  als  eine  spätere  Umänderung ,  die  zum  zwecke 
der  aufführung  in  Magdeburg  vorgenommen  wurde. 

Die  ausgäbe  hat  auch  im  übrigen  trotz  der  Versicherung  des  titeis 
„jetzund  erst  gedruckt"  weniger  das  aussehen  eines  Originals  als  das 
eines  nachdrucks,  der  als  eine  beilage  zu  dem  spiel  von  Jakob  mitge- 
geben wurde.  Schon  auf  dem  titelblatt,  das  zum  grasten  teil  von  dem 
sehr  ausführlichen  titel  des  lezteren  Stückes  eingenommen  wird,  wird 
die  Susanna  nur  in  kleinerer  schrift  erwähnt.  Die  vorrede  des  druckers 
ferner  spricht  rühmend  von  jenem  spiel  und  seinen  Verfassern ,  die  sie 
nicht  nent,^  nimt  aber  von  der  Susaima  nicht  die  geringste  notiz.  Auch 
die  vom  dem  brauche  der  zeit  durchaus  abweichende  kürze  des  titeis 
„ein  kurtz  und  seer  schon  spiel,  von  der  Susanna,"  ist  auffallend  und 
spricht  eher  für  eine  durch  den  mangel  an  räum  veranlasste  Verkür- 
zung des  Nürnberger  titeis ,  als  die  ausführlichkeit  des  lezteren  für  eine 
interpolierende  Verlängerung. 

In  Goedekes  angaben  über  die  verschiedenen  drucke  dieser  bearbei- 
tung  s. 306  ist  folgendes  zu  ändern:  nr.  117  und  nr.  118  sind  zu  streichen, 
jedenfals  befindet  sich  von  diesen  Magdeburger  separatausgaben,  deren 
existenz  nach  dem  obigen  überhaupt  sehr  unwahrscheinlich  ist,  weder 
die  erste  in  Zwickau,    noch  die  zweite   in  Weimar.     Auf  irtum  beruht 

1)  Es  sind  übrigens,  wie  schon  Weller  II  s.  364  gesehen  und  sich  aus  einem 
am  schluss  des  Jacob  unter  der  Überschrift  ,,ein  bitt  zu  Gott"  abgedruckten  akro- 
stichon  ergibt,  Georgius  Major  und  Joachimus  Gref.  Lezterer  verarbeitete  das  spiel 
dann  jedenfals  in  seine  „Drey  ...  Historien  ..  Abrahams,  Isaacs  und  Jacobs,"  s. 
Goedeke  s.  307  nr.l28. 


134  pn-GER 

ferner  nr.  122.  da  dies  ein  uachdruck  des  Rebhunschen  stückes  ist. 
8.  unter  4.  Dagegen  ist  hinzuzufügen  ein  Augsburger  druck  von  1580, 
über  welchen  s.  Weller  II,  249.  Ob  eine  leider  um  den  titel  und  das 
lezte  blatt  verstümmelte,  nach  der  modernisierten  Orthographie  aus 
dem  ende  des  Jahrhunderts  herrührende  Nürnberger  ausgäbe  [in  Wol- 
feubüttel]  etwa  mit  nr.  119  bei  Goedeke  identisch  sei.  kann  ich  nicht 
entscheiden. 

4)  Deutsch  von  Rebhun,  Zwickau  1536,  nachgedruckt  Wittenberg 
1537,  „vermehrt  und  gebessert"  Zwickau  1544.  Goedeke  s.  307.  Seit- 
dem wider  gedruckt  bei  Palm,  Paul  Rebhuns  drameu,  Stuttgart  1859 
[Biblioth.  des  litter.  Vereins  in  Stuttgart  bd.  49.]  und  bei  Tittmaun, 
Schauspiele  aus  dem  sechzehnten  jahrh.  I.     Leipzig  18G8. 

Nachzutragen  ist  bei  Goedeke  der  nachdruck  von  Sebastian  Wag- 
ner, Worms  1538,  den  er  irtümlich  s.  306  als  eine  ausgäbe  der  Nürn- 
berger Susanna  betrachtet.  Kurz ,  Gesch.  der  deutschen  litter. ,  5.  aufl. 
II,  107  erwähnt  eine  zweite  aufläge  dieses  nachdrucks,  wol  veranlasst 
durch  die  vorrede  Wagners,  die  von  dem  vergriffenen  ersten  drucke, 
mit  dem  aber  nur  die  Originalausgabe  gemeint  ist,  spricht. 

5)  Lateinisch  von  Sixt  Birck.  latinisiert  Xystus  Betulius.  Goed. 
s.  134  führt  7  drucke  an,  ich  benuzte  den  1538  bei  Johannes  Gymui- 
cus  in  Cöln  erschienenen  [in  Zwickau]. 

6)  Lateinisch  von  Makropedius  um  1540,  Goed.  s.  135. 

7)  Deutsch  von  Jaspar  von  Gennep  1552.  Goed.  s.  318. 

8)  Deutsch  von  Leonart  Stöckel.  1559.  Goed.  s.  334. 

9)  Deutsch  von  Conrad  Graff  1566,  Goed.  s.  330. 

10)  Latein,  von  Nicodemus  Frischlin ,  Tübingen  1578.  oft  gedruckt, 
Goed.  s.  136. 

il)  Deutsch  von  herzog  Heinrich  Julius,  Wolfenbüttel  1593, 
verkürzte  zweite  bearbeitung  ebendort  in  demselben  jähre.  Wider- 
gedruckt bei  Holland,  die  Schauspiele  des  herzogs  Heinrich  Julius. 
Stuttgart  1855. 

12)  Latein,  von  Cornelius  Schonaeus ,  Amsterdam  1595,  im  zwei- 
ten teile  des  Terentius  Christiauus,  der  oft  aufgelegt  wurde,  Goed. 
s.  137.     Ich  beimzte  die  ausgäbe  von  1712,  Frankfurt  a/M. 

Die  von  Goedeke,  Roemoldt  s.  103,  erwälinte  anonyme.  Leipzig 
1597  erschienene  ausgäbe  ist  wol  die  im  grundriss  s.  306  nr.  120 
genante ,  also  ein  abdruck  der  Nürnberger  bearbeitung. 

13)  Deutsch  von  Georg  Pondo ,  Wittenberg  1605,  Goed.  s.  329. 

14)  Deutsch  von  Joachim  Leseberg.  Lemgo  16o9,  Goed.  s.  331. 
Die  hier  geäusserte  Vermutung,  dass  Leseberg  die  alte  Magdeburger 
oder  richtiger  Nürnberger  bearbeitung  zu  gründe  gelegt  habe,   ist  wol 


DRAMAT.    DER    SÜSANNA    IM    16.    JH.  135 

unrichtig,  da  nach  Freiesleben  fast  in  jeder  scene  jenes  stückes  platt- 
sprechende bauern  anftreten;  diese  aber  fehlen  in  der  Nürnberger 
bearbeitung  gänzlich  nnd  lassen  vielmehr  als  das  original  Heinrich 
Julius  vermuten. 

15)  Deutsch  von  Samuel  Israel  von  Strassburg  [1603],  Basel  1607, 
Goed.  s.  418  [in  Berlin]. 

16)  Deutsch  von  Graffenried  [1627],  Basel  1684.  S.  Weller, 
Volkstheater  s.  111,  Annalen  II,  292  [in  Lausanne]. 

Von  diesen  sechzehn  spielen  habe  ich  leider  die  von  Macropedius, 
Jaspar  von  Gennep,  Graft",  Pondo,  Leseberg,  Graftenried  trotz  viel- 
facher bemühung  —  sie  mögen  zum  teil  überhaupt  verloren  sein  — 
nicht  erreichen  können,  so  dass  sich  meine  arbeit  auf  die  übrigen  zehn 
beschränken  muste.  Ob  dieselbe  hierdurch  eine  beträchtliche  einbusse 
erlitten,  lässt  sich  a  priori  mit  bestimtheit  natürlich  nicht  entscheiden, 
doch  möchte  ich  es  kaum  glauben:  denn  einmal  hat  sich  mir  bei  der 
Untersuchung  der  übrigen  bearbeitungen  die  Vermutung ,  dass  sich  unter 
den  fehlenden  eine  wichtige  befinde,  in  keiner  weise  aufgedrängt,  und 
überdies  bekundet  das  fehlen  widerholter  auflagen  derselben  wenigstens 
den  mangelnden  beifall  der  Zeitgenossen.  — 

Ich  behandle  die  einzelnen  stücke  natürlich  in  chronologischer 
folge  und  beginne  mit  dem  ersten,  uns  handschriftlich  in  Wien  über- 
lieferten spiel. 

2. 

Der  Wiener  auunymus.     Ende  des  15.  Jahrhunderts. 

Diese  älteste  bearbeitung  gehört  zu  den  interessantesten  Über- 
resten der  dramatischen  Produktion  des  15.  Jahrhunderts,  Der  förder- 
liche einfluss,  den  die  antike  bereits  zu  gewinnen  begint,  ist  unver- 
kenbar. 

Er  bekundet  sich  zunächst  schon  in  der  höchst  glücklichen  wähl 
des  Stoffes.  Wir  sehen  die  beiden  gewohnten  geleise  der  fastnachtspiele 
und  der  geistlichen  aktiouen  verlassen  und  die  neue  bahn  eingeschlagen, 
die  einzig  und  allein  zu  einem  drama  in  der  vollen  und  eigentlichen 
bedeutung  führen  konte.  Denn  so  vielfach  entgegengesezt  auch  jene 
beiden  gattungen  sein  mochten ,  in  dem  fundamentalen  mangel  hinsicht- 
lich der  art  ihrer  Stoffe  waren  sie  durchaus  gleich.  Weder  die  geist- 
lichen spiele,- die  meistens  aus  einer  aneinanderreihung  von  dramatisch 
durchaus  unzusammenhängenden  einzelhandlungeu  bestanden,  noch  die 
fastnachtspiele,  deren  kärgliche  fabel  sich  fast  durchweg  auf  eine  ein- 
zelne scene  oder  ein  ganz  eng  begränztes  ereignis  beschränkte,  besassen 
handlungen    von    derjenigen   organischen   gliederung   und    zugleich  von 


136  PILGER 

derjenigen  fülle,  die  das  drama  verlangt.  Vergebens  suchen  wir  in 
ihnen  eine  einheitliche,  leicht  übersehbare  und  doch  aus  einer  reihe 
eng  zusammengehöriger  Vorgänge  sich  zusammenschliessende  liandlung 
und  zwar  eine  solche,  die  geeignet  wäre  von  der  ersten  sceue  bis  zur 
lezten  durch  ihre  entwicklung  das  interesse  des  hörers  in  dem  grade 
zu  fesseln  und  zu  steigern,  wie  es  der  draniatisclien  dichtung  möglich 
ist.  Einen  solchen  stoft'  aber,  der  überdies  durch  seinen  inhalt  erhe- 
bend und  rührend  zu  herz  und  gemüt  sprach,  bietet  unser  stück:  ihn 
unter  der  grossen  menge  undramatischer  erzähluugen,  die  vorher  und 
auch  später  aus  der  profanlitteratur  wie  aus  der  bibel  dramatisiert 
wurden,  entdeckt  zu  haben,  ist  kein  geringes  verdienst,  kaum  ein 
geringeres,  als  ihn  frei  aus  eigener  erfiudung  gestaltet  zu  haben. 

Wie  hoch  den  Verfasser  die  wähl  dieses  Stoffes  allein  über  die 
gleichzeitige,  ja  zum  teil  auch  über  die  nachfolgende  dramatik  heraus- 
hebt, sehen  wir  am  besten  daraus,  dass  es  selbst  noch  bis  zum  ende 
des  16.  Jahrhunderts  häutig  vorkommen  konte,  dass  man  in  einem  fort- 
laufenden spiel  die  gesamte  heilsordnuiig  der  weit  von  ihrer  erschaf- 
fung  bis  auf  Luther,  oder  auch  den  ganzen  lebenslauf  eines  menschen 
umfasste ,  ja  blieb  es  doch  möglich ,  dass  man  es  ganz  in  das  belieben 
der  aufführenden  stelte ,  ein  stück  au  einer  bestirnten  stelle  abzubrechen 
oder  weiterzuspielen.'  Und  wenn  im  gegensatz  zu  diesen  im  verlaufe 
des  Jahrhunderts  allerdings  almählich  abnehmenden  misgrift'en  die  bes- 
seren poeten  vom  beginne  desselben  an  mehr  und  mehr  zu  der  ein- 
sieht gelangten ,  dass  die  dramatische  dichtung  enger  umgränzte  stoffe 
von  spannendem  verlaufe  verlange,^   so  bleibt  unserem    anonymus   das 

1)  So  gibt  es  Wild  in  seiner  Gelmrt  Christi,  1561,  den  spielenden  anheim, 
bei  dem  Bethlehemitischen  kindermord  aufzuhdren  oder  bis  zu  Jesu  darstellung  im 
tempel  fortzufahren. 

2)  Gegenüber  der  erst  kürzlieh  wider  ausgesprochenen  ansieht,  als  hätten 
die  dramatiker  des  16.  jahrh.  fast  samt  und  sonders  von  dem  wesen  und  der  tech- 
nik  des  dramas  ,, nicht  die  leiseste  ahnung  gehabt,"  verweise  ich  noch  im  vorüber- 
gehen auf  ein  interessantes,  bislier  unbekant  gebliebenes  document  der  almählich 
beginnenden  kunsteinsicht,  auf  die  von  (Cornelius  Crocus  seiner  treflich  comi)onierten 
comödie  Jose}ih  [Cöln  1537]  vorausgeschickte  epistel  an  Martin  Nivenius.  Verstän- 
dig wird  hier  über  die  drei  einheiten  gehandelt:  Crocus  legt  dar,  dass  die  geschichte 
Josephs  in  ihrem  gesamten  umfange  für  ein  einziges  stück  sich  nicht  eigne,  und 
dass  er  daher  nur  den  kleinen  abschnitt  von  Josephs  Versuchung  durcli  Potiphars 
weib  bis  zur  befreiung  aus  dem  gefängnis  behandelt  habe.  Er  rechtfertigt  danu 
mit  einem  hinweis  auf  Aristophaues  und  die  römischen  komiker  sowol  seine  Ver- 
einigung zweier  zeitlicli  getrenten  handlungen,  als  auch  einen  gewissen,  massigen 
Ortswechsel,  indem  er  zugleich  diejenigen  der  neueren  dichter  tadelt,  die  sich 
nicht  scheuten  weit  auseinander  gelegene  örtlichkoiten  plötzlich  auf  der  scene  zu 
verbinden,  was  an  sich  höchst  verkehrt  und  durch  beispiele  der  alten  nicht  zu 
rechtfertigen  sei. 


DRAMAT.    DKR    8USANNA    IM    1().    JH.  137 

verdieust  daiauf  zuerst  oder  doch    als  einer  der  ersten  liiugewieseu  zu 
haben. 

Dasselbe  geschick  wie  in  der  wähl  des  stoffes  bekundet  der  unbe- 
kante  Verfasser  in  der  formieruug  desselben  zu  einer  dramatischen  hand- 
lung.  Schon  die  Verteilung  und  Ökonomie  des  ganzen  ist  bemerkens- 
wert: obwol  er  akt-  und  sceneneinteilung  nicht  anwendet,  gliedert  er 
doch  die  handlung  zu  drei  abschnitten,  die,  von  ziemlicli  gleicher  aus- 
dehnung,  sehr  augemessen  die  drei  hauptniomente  derselben  darstellen: 
den  Überfall  der  Susanna,  ihre  anklage  und  Verurteilung,  ihre  rettuug. 

Viel  bemerkenswerter  aber  noch  ist  das  für  seine  zeit  höchst  sel- 
tene Verständnis  für  die  Umsetzung  der  epischen  erzählung  in  eine  dra- 
matische aktion.  Er  beschränkt  sich  nämlich  darauf,  uur  die  wirklich 
wichtigen  einzelhandlungen  vorzuführen  und  verlegt  das  unwesentliche 
hinter  die  scene.  Wie  selbstverständlich  dies  moment  auch  uns  erschei- 
nen mag  —  die  bedeutung  desselben  springt  in  die  äugen,  wenn  man 
bedenkt,  dass  eine  jahrhundertelange  dramatische  produktion  dasselbe 
nicht  gefunden  hatte:  erst  das  mit  unserem  stück  etwa  gleichzeitige 
spiel  von  einem  kaiser  und  einem  abt  kent  es  gleichfals. 

Das  dramatische  geschick  des  Verfassers  zeigt  sich  gleich  in  der 
anfangsscene ,  und  ich  kenne  kein  einziges  stück  der  zeit ,  dessen  erster 
auftritt  —  ein  prolog  geht  nicht  vorher  -  so  frisch  und  ohne  alle 
Umschweife  mitten  in  die  handlung  einführte.  Die  beiden  alten  haben 
sich  früherer  Verabredung  gemäss  in  dem  garten  der  Susanna  ein- 
gefunden. Beide  haben  sich  längst  ihre  neigung  zu  derselben  gestan- 
den, so  dass  der  eine  sofort  mit  den  Worten  begint:^ 

Gesell  du  wayst  wol  dy  mär 

Warumb  wir  kommen  sein  her 

Was  wir  haben  gedacht 

Gedenk  dz  es  werd  volpracht 

Au  Susanna  dem  schon  vs^eyb  . . . 
Darauf  teilt  er  ihm  seinen  plan  mit,  Susanna  nötigenfals  durch  eine 
anklage  zu  verderben.  Zusammenhängend  wird  nun  die  handlung  bis 
7Ai  der  scene  mit  den  knechten  geführt,  die,  wenn  auch  nicht  als 
aktschluss  bezeichnet,  in  der  tat  doch  durch  das  abtreten  der  personen 
sich  einem  solchen  ähnlich  geltend  machte. 

Geschickt  wird  nun  wider  die  für  das  drama  durchaus  unwesent- 
liche anklage  der  beiden  ältesten  bei  dem  rabi  Moyses  hinter  die  scene 
verlegt,  und  es  folgt  sogleich  die  gerichtssitzung ,  beginnend  mit  den 
Worten  des  Moyses: 

1)  Ich  eitlere  nach  der  handschrift. 


1S8  PILGER 

Joseph   du  lieber  diener  mein 
Gee  vnd  folg  dem  rat  mein 
Deinen  gesellen  uym  zu  dir 
Vnd  erfült  vns  unser  pegir 
Pringt  vns  Susana  für  gericht 
Dz  verhört  werdt  dise  geschieht 
Als  vns  dy  richter  thundt  kundt 
Auss  iren  payden  worten  zestuudt 

Das  folgende  weicht  zunächst  dadurch  zweckmässig  von  der  biblischen 
erzählung  ab,  dass  der  dichter  die  beiden  stellen  derselben,  die  zu 
lebendig- dramatischen  gefühlsergüssen  anlass  boten,  zu  solchen  ver- 
wertete. Aus  den  worten  „und  da  sie  gefordert  ward,  kam  sie  mit 
ihren  eitern  [vor  gericht]"  gestaltet  sich  eine  klage-  und  trostscene 
zwischen  Susanna  und  ihren  eitern,  bevor  sie  vor  dem  gericht  erschei- 
nen. Ein  ähnlicher  bewegter  auftritt,  mit  welchem  der  zweite  teil 
des  Stückes  endigt,  schliesst  sich  der  Verurteilung  der  Susanna  an, 
während  in  der  bibel  nur  ein  gebet  derselben  folgt.  Natürlich  sind 
ausserdem  die  werte  „und  das  volk  glaubte  den  zweien,  als  richtcrn 
und  obersten  im  volk;  und  verurteilten  die  Susanna  zum  tode"  zu  einer 
ausgedehnten  gerichtsverhandlung  geworden,  in  der  auf  die  anklage 
des  einen  richters  durch  den  rabi  Moyses  und  seine  beisitzer  Susanna 
verurteilt  wird. 

Der  dritte  teil  begint  mit  der  anweisung  [bei  Keller  s.  240] :  Da 
dy  ding  also  geschehen  da  furth  man  Susanna  hyn  dz  man  sy  verstay- 
net  aber  Daniel  der  prophet  sprang  auß  der  mitt  des  Volkes  herauß 
und  sprach 

Vnschuldig  pin  ich  an  disem  pluet 

Secht  dz  ir  den  Sachen  recht  thuet 

Der  fortgang  schliesst  sich  der  biblischen  erzählung  an  bis  zur  bestra- 
fung  der  beiden  richter,  die  sich  wider  sehr  geschickt  zu  einer  leben- 
digen scene  gestaltet,  in  welcher  der  „züchtiger"  [henker]  die  beiden 
alten  verhöhnt  und  diese  ihre  sündeu  reuig  bekennen.  Auf  den  mit  der 
handlung  in  keinem  Zusammenhang  stehenden  schluss  des  Stückes  gehen 
wir  unten  ein. 

Verständig  wie  diese  Organisierung  des  stoftes  im  ganzen,  seine 
gliederung  in  drei  hauptteile,  die  Umsetzung  der  epischen  erzählung  in 
dramatische  handlung,  ist  auch  seine  Verteilung  auf  die  einzelnen  sce- 
nen :  nirgend  überwuchert  ein  auftritt  auf  kosten  des  andern ,  selbst 
nicht  die  gericbtlichen  scenen,  wenn  sie  auch  der  neigung  der  zeit 
gemäss  mit  einer  gewissen  ausführlichkeit  behandelt  sind.    Ganz  besou- 


DRAMAT.    DER    SUSANNA    IM    10.    JH.  139 

ders  erwähnenswert  für  jene  zeit  ist  schliesslich  noch,  dass  das  stück 
frei  ist  von  allen  episodischen  auhäugseln. 

So  dürfte  es  denn  wol,  was  die  dramatische  coniposition  betritt, 
nur  äusserst  wenig  spiele  des  funfzelmten  Jahrhunderts  geben,  die  die- 
sem an  die  seite  zu  stellen  wären,  ja  sogar  die  meisten  der  späteren 
stehen  ihm ,  wie  wir  seheu  werden ,  in  der  beziehung  nach ,  dass  sich 
in  ihnen  episodische  scenen  oder  didaktische  demente  störend  vor- 
drängen. 

In  der  behaudluiig  des  einzelnen  unterscheidet  sich  freilich  das 
stück  nicht  von  den  anderen  gleichzeitigen  versuchen.  Es  ist  zwar 
alles  knapp  und  kurz  und  streng  bei  der  sache  bleibend  gehalten,  aber 
zugleich  noch  durchaus  steif,  leblos  und  niarionettenhaft.  Von  Charak- 
teristik der  einzelnen  personen,  deren  zahl  die  der  bibel  nicht  über- 
schreitet, noch  keine  spur;  man  niüste  denn  etwa  die  haltung  Joachims 
vor  gericht,  der,  wenn  auch  schweren  herzens,  im  gegeiisatz  zu  den 
eitern  der  Susanna,  der  Verleumdung  glaubt,  als  einen  antlug  dazu 
betrachten  wollen.  Nur  in  einer  beziehung  erhebt  sich  das  stück  weit 
über  den  geschniack  seiner  zeit,  in  der  auffallend  keuschen  behand- 
luug  des  zu  obscönitäten  so  leicht  gelegenheit  bietenden  stoffes. 

Die  spräche  ist  noch  recht  ungewaut,  herb  und  trocken.  Einen 
anflug  von  belebterer  färbung  hat  einzig  die  klagescene  nach  Susannas 
Verurteilung.  Ich  setze  einen  teil  derselben  her  [bei  Keller  s.  238], 
zugleich  als  eine  probe  der  regellosen  verse,  die  zwischen  drei,  vier, 
fünf,  ja  sechs  hebungen  schwanken  und  die  Senkungen  nicht  minder 
frei  behandeln. 

Da  dz  vrtayl  waß  geben  sprach  dy  fraw  Susana 
0  her  got  in  der  ewikayt 
Du  pist  ein  erkenuer  der  verporgenhait 
Du  erkenst  alle  ding  ee  dz  sy  geschehen 
Du  kanst  es  in  der  klarhält  sehen 
Herr  du  wayst  und  erkenst  das 
Das  dy  richter  durch  neyd  vnd  haß 
Mich  zw  dem  tod  haben  verdambt 
Sy  haben  sich  des  nit  geschambt 
Vor  dir  vnd  aller  weldt 
Haben  sy  ain  falsch  vrtayl  gefeldt 
Vber  mich  dy  arm  tochter  dein 
Das  laß  dir  herr  armen  sein 
Und  erloß  mich  von  irer  hendt 
Das  ich  nit  werd  also  geschenndt 


14:0  PILGER 

Da  sprach  Joachim  der  Susaiia  hawßwirt  mit  klag 
Ach  mir  der  jamerlaichen  klag 
Dz  ich  nye  gelebt  hab  den  tag 
Was  jamers  geschiecht  meinem  leyb 
Den  ich  sech  an  meinem  schonen  weyb 
Ich  het  sey  mir  auß  erkoren 
So  hab  ich  mein  trew  an  ir  verloren 
We  mir  der  jamerlichen  geschieht 
Hat  sy  sich  zw  ainem  andern  verpflicht 
Dy  mir  dy  liebst  ist  gebesen 
Ach  got  wie  sol  mein  hercz  genesen 
Wäger  war  mir  der  tod 
Wen  daß  ich  leyden  sol  disen  spot 
0  höchster  got  in  der  ewikait 
Laß  dir  dz  wesen  ymer  layd 

Besondere  er  wähnung  fordert  schliesslich  noch  der  zu  der  streng 
ernsten  haltung  des  ganzen  Stückes  in  contrast  stehende  scherzhafte 
schluss.  Nach  der  Steinigung  der  alten  nämlich  durch  den  züchtiger 
folgt  noch  ein  mit  dem  vorhergehenden  ganz  unvermittelter  dialog 
zwischen  diesem  und  seinen  knechten,  in  welchem  er  sich  denselben 
ironisch  zum  vorbild  an  kunst  und  ehren  hinstelt  [bei  Keller  s.  244]. 

Der  zuchtiger  zw  seinen  knechten  sprach 
Nun  lieben  sun  mein  habt  der  sach  vleyß 
Vnd  lerndt  nach  meiner  weyß 
Das  ir  auch  zw  eren  kombt  als  ich 
Darvmb  dy  stummen  ^  loben  mich 
Wann  ich  hab  mich  wol  an  lassen 
Das  secht  man  hye  an  mir  auff  der  Strassen 
Das  ich  in  meiner  kunst  in  maisterschafft  stee 
Ich  reytt  oder  ich  gee 
So  thuent  dy  lewt  auft"  mich  zaygen 
Vnd  sprechen  secht  an  den  vaygen 
Wie  treyt  er  der  ern  ain  krancz  ^ 
Recht  als  der  äff  den  langen  swancz 
So  kan  ich  auch  solch  vrtayl  nit  widersprechen 
Ich  wolt  denn  an  der  warhait  prechen 
Wan  ich  pin  ye  ain  erbar  man 

1)  Keller  ändert  in  stimen,  die  ironie  der  stelle  vernichtend. 

2)  Statt  des  handschriftlichen  am;  Keller  vermutet  er  an  der  eren 
kränz. 


DRAMAT.    DKR    SÜSANNA    IM    16.    JH.  141 

Das  merkt  ir  all  auf  disem  plan 

Dar  vmb  lern  ewr  yeder  alz  ein  guetter  knecht 

So  wirt  er  auch  zw  solichen  erbarn  ^  saclien  recht 

Dy  knecht  antburteten  vnd  sprachen 
Lieber  maister  wir  volgen  gancz  deiner  1er 
Da  mit  wir  auch  erlangen  solch  er 
Vnd  kainer  sol  anders  von  vns  gelauben 
Denn  dz  wir  geren  er  wolten  auff  klauben 
Vnd  wo  einer  sy  vor  vns  zett 
Da  lauften  wir  dar  vmb  dy  gbett 
Wir  haben  auch  selbs  vil  eren  zerstratt 
Dy  vns  der  windt  hat  hyn  gewatt. 
Darvmb  burff  ainer  wol  ein  schaff"  arbayß  auff  disem  plan 
Ee  er  vndter  vns  truff'  ein  frummen  man  ^ 

Nun  erst  folgt  der  „peschleusser"  mit  der  moralischen  nutzanwen- 
dung  und  dem  heiteren  an  den  schluss  der  fastnachtspiele  anklingen- 
den endwort: 

Nun  macht  auft"  vnd  last  vns  singen 

Vnd  darnach  ein  tancz  oder  zwey  her  vmb  springen 

Diese  schlussscene  findet  ihre  erklärung  in  der  bekanten,  naiveren  zel- 
ten eigenen  ueigung  des  Volkes  sich  von  tragischen  erschütterungen  der 
bühne  durch  komische  zwischen-  und  nachspiele  zu  befreien.  Es  ist 
derselbe  zug,  der  an  den  schluss  der  geistlichen  spiele  die  teufelssce- 
nen  sezte,  der  in  die  späteren  osterspiele  das  komische  Intermezzo  des 
salbeuhändlers  mit  seinem  knechte  Rubin  verflocht,  der  bis  zu  wilder 
entartung  in  den  französischen  mysterien  und  den  spanischen  autos 
wuchert,  und  der  uns  so  manchen  Shakespeareschen  narren  geschaf- 
fen. Wir  werden  demselben  in  unserer  Untersuchung  noch  widerholt 
begegnen. 

Ich  bemerke  zum  schluss ,  dass  das  Wiener  stück  von  keinem  der 
späteren  bearbeiter  des  stolfes  benuzt  worden  ist.  Für  die  behauptung 
Hermann  Grimms  a.  a.  o.  s.  149,  dass  es  „den  keim  der  späteren  arbei- 
ten" enthalte,  habe  ich  ebensowenig  einen  anhält  gefunden,  wie  für 
seine  weitere  Vermutung,  dass  es  „die  aufzeichnung  eines  althergebrach- 
ten Schauspieles"  sei. 

1)  Mit  Keller  statt  erben. 

2)  D.  i.  darum  würfe  einer  wol  einen  scheffel  erbsen  auf  diesen  plan,  ehe 
er  [mit  einer  erbse]  unter  uns  träfe  einen  braven  mann. 


142  PILGER 

3. 
Sixt  Birck.    1532. 

Diese  erste  bearbeituug  aus  der  reformatiouszeit  zeigt  weitere 
glückliche  einwirkungeu  der  antiken  muster,  wenn  sie  auch  in  einer 
sehr  wesentlichen  beziehung  der  eben  besprochenen  nachsteht. 

Die  Umformung  der  erzählung  in  die  dramatische  form  ist  hier 
viel  unbeholfener  als  dort.  Zwar  scheidet  Birck  die  einzelnen  teile  des 
Spieles  schärfer  von  einander,  nämlich  durch  eingelegte  chorgesänge 
—  sceueneinteilungen  kent  auch  er  noch  nicht  — ,  aber  diese  ein- 
schnitte legt  er  zum  teil  an  sehr  ungeeignete  stellen.  Nur  der  erste 
teil  ist  zweckmässig:  er  führt  wie  im  Wiener  stück,  gleichfals  mit 
einem  dialog  der  beiden  ältesten  beginnend,  die  handlung  bis  zur  Ver- 
leumdung der  Susauna  beim  gesinde,  worauf  ein  gesang  folgt,  der  das 
gottvertrauen  der  frommen  und  unschuldigen  preist.  Im  folgenden  aber 
huldigt  Birck  dem  geschmack  des  publikums  an  processualischen  Vor- 
gängen derart,  dass  er  den  zweiten  teil  einzig  und  allein  zur  einlei- 
tung  der  eigentlichen  gerichtssitzung  verwendet,  nämlich  zur  entschei- 
dung  der  beiden  Vorfragen,  ob  die  Wäger  abtreten  sollen,  und  ob 
Susanna  nur  „beschickt"  oder  als  gefangene  vorgeführt  werden  solle. 
Bei  dieser  ausführlichen  behandlung  der  gerichtlichen  scenen  mag  übri- 
gens nnsern  dichter ,  der  ein  grosses  Interesse  an  dem  öffentlichen  leben 
besass,^  auch  die  absieht  geleitet  haben,  ein  bild  gewissenhafter  öffent- 
licher rechtspflege  zu  geben.  Passend  schliesst  sich  an  diese  auftritte 
ein  gesang,  der  gott  um  strafe  für  die  ungerechten  und  die  Unter- 
drücker der  unschuldigen  anfleht,  wie  überhaupt  als  ein  fortschritt  für 
Bircks  chorgesänge  die  bezugnahme  ihres  Inhalts  auf  die  vorhergehende 
handlung  hervorzuheben  ist,  die  z.  b.  in  Keuchlins  progymnasmata 
noch  nicht  stattfindet. 

Dem  dritten  teil,  der  viel  länger  ist  als  die  beiden  anderen  zu- 
sammen, fält  alles  übrige  zu,  d.  i.  vorzugsweise  wider  gerichtliche 
beratungen  über  Susanna  und  die  ältesten,  welche  dadurch,  dass  jedes- 
mal die  acht  beisitzer  von  dem  richter  um  ihr  urteil  befragt  werden, 
was  im  ganzen  stück  nicht  weniger  als  fünf  mal  geschieht ,  zu  entsetz- 
licher länge  und  langweiligkeit  sich  dehnen.  Nach  der  Steinigung  der 
alten  finden  wir  zum  Schlüsse  auch  hier  eine  völlig  aus  der  handlung 
herausfallende  scene:  zwei  zur  Steinigung  herbeieilende  männer  geraten 
in  einen  streit,  in  welchem  der  eine  sich  den  getöteten  bösewichtern 
zugetan  erklärt.  Komischen  auflug,  der  doch  jedenfals  beabsichtigt 
war,  hat  dieser  auftritt  nur  iu  sehr  geringem  grade. 

1)  Vgl.  Scherer  in  der  Allgem.  Deutschen  Biogr.  unter  Birck  II,  657. 


DEAMAT.    DER    SUSANNA    IM    16.    JH.  143 

Gewiss,  diese  composition,  bei  welcher  den  gerichtlichen  scenen 
fast  die  hälfte  des  ganzen  Stückes  zufält,  und  bei  der  nur  der  eine 
glückliche  griff"  anzuerkennen  ist ,  dass  der  erste  dialog  der  beiden  alten, 
wie  in  der  ersten  bearbeitung,  sogleich  in  die  handlung  einführt,  ist 
in  der  algemeiueu  anläge  höchst  mangelhaft  und  steht  hinter  dem  Wie- 
ner stücke  weit  zurück.  Dagegen  überragt  Birck  in  der  behandlung 
des  einzelneu,  so  unbeholfen  und  hart  dieselbe  auch  noch  immer  ist, 
seinen  Vorgänger  um  ein  beträchtliches. 

Mit  feinerem  blick  als  jener  hat  er  sclioa  einige  ziemlich  ver- 
steckte momente  der  epischen  erzähluug  herausgefunden,  die  für  eine 
dramatische  behandlung  zu  weiterer  ausführuug  sich  ,  dringend  empfah- 
len. In  der  ersten  bearbeitung  bleiben  z.  b.  Joachim  wie  die  eitern 
und  die  kinder  der  Susanna  abseits  stehen:  jener  wird  überhaupt  nur 
vor  dem  atteutat  auf  sein  weib  erwähnt,  in  der  handlung  selbst  tritt 
er  gar  nicht  auf;  von  diesen  wird  nur  das  eine  berichtet,  dass  sie 
Susanua  vor  gericht  begleiten,  handelnd  oder  auch  nur  sprechend  grei- 
fen auch  sie  nicht  ein.  Diese  teilnamlosigkeit  der  nächsten  angehörigen, 
die  in  dem  epischen  bericht,  welcher  der  phantasie  des  lesers  freien 
Spielraum  zu  weiterer  ausgestaltung  lässt,  allenfals  zu  ertragen  ist, 
erscheint  im  drama  durchaus  unnatürlich  und  unwahrscheinlich.  Birck 
rückte  daher  diese  personen,  denen  er  noch  aus  eigener  erfindung  zwei 
gescliwister  der  Susanna  hinzufügte ,  mit  recht  mehr  in  den  Vorder- 
grund und  gab  ihnen  diejenige  herzliche  teilnähme,  die  einerseits  für 
sie  selbst  natürlich  und  notwendig  erschien,  und  andererseits  das 
geschick  der  heldin  um  so  rührender  machen  rauste. 

Diese  nebenfiguren  haben  überdies  bei  Birk  sogar  schon  einen 
anflug  von  Charakteristik,  sie  gewinnen  gegenüber  der  holzschnittmanier, 
in  der  auch  er  noch  die  hauptpersonen  zeichnet,  schon  ein  wenig  färbe 
und  ausdruck.  So  lässt  er  z.  b.  die  muttei-  den  verbuhlten  beiden  alten, 
als  sie  in  der  gerichtsitzung  der  Susanna  den  schleier  nehmen  wollen, 
in  ihrem  mütterlichen  eifer  sehr  heftig  entgegentreten.  Zwischen  den 
geschwistern  der  Susanna  und  den  beiden  alten  komt  es ,  als  diese  die- 
selbe bei  ihren  dienern  anklagen,  zu  folgender  erregten  charakteristi- 
schen scene. 

Das  schwesterle  Susanne 

Pfuch  Schemen  üch  jr  alten  wicht 
Kein  gute  ader  in  üch  ist 
Ir  stecken  vol  der  bösen  list 
Ich  sag  ücli  lond  jr  nit  daruon 
So  würt  üch  werden  üwer  Ion 


144  PILGER 

Achab  Was  dannttet  dises  schnepperlin 

Gib  du  jm  eins  vffs  klepperliu 
Sedechias     Was  lyt  dir  an  du  suppen  wüst 

Weistu  ouch  was  du  yetzunder  thiist 

Das  du  also  redst  freuenlich 

Wider  uns  herreu  gewaltigklich 

Über  dich  uud  dyn  gantzes  geschlecht 
Das  brüderle  Susanne 

Du  würst  nit  handien  wider  reebt 

Woltstu  dich  vft"  dyn  gewalt  verlon 
,  Wie  du  hast  myner  Schwester  thon 

So  ich  zu  mynen  tagen  kum 

So  lüg  und  schow  dich  ebeu  vmb 

Die  katzen  müstu  halten  mir  ^ 

Dariimb  lüg  vnd  sich  dich  eben  für 

Von  eim  kind  soltu  gewarnet  syn 
Das  schwesterle  Susanne 

Ach  nein  niyn  liebs  bruderlin 

Die  alten  gouch  laß  mit  frid 

Darumb  ich  dich  jetzund  hir  bit 

In  lydeii  brechten  sy  uns  baldt 

Als  Daniel  Susanna  gerettet  hat,  dankt  ihm  „das  kuäblin  Susanne" 

mit  den  Worten : 

Du  bist  ein  gutes  gsellelin 

Du  hast  erlost  min  mütterlin 

Büt  mir  diu  band  und  dauck  dir  gott 

Du  bist  mir  lieb  on  alle  spott 
worauf  Daniel,   der  im  anschluss  an  die  bibel  als  ein  junges  knäblein 
gezeichnet  ist,  antwortet: 

Sich  nimm  ouch  hin  das  rößlin  myn 

Und  dises  hübsch  wintmülelin 
Auch  das  erste  auftreten    der  kinder,    als  die  mutter  weggeführt 
wird ,  ist  von  natürlicher ,  wirklicher  empfindung  getragen. 

Noch  andere  momente  der  epischen  erzählung  arbeitet  Birck 
geschickt  heraus.  So  lässt  er  die  gerichtsdiener,  die  er  gleichfals  ein- 
führt, gegen  die  beiden  alten  partei  nehmen,  wie  auch  Joachims  knechte, 
abweichend  von  der  bibel,  den  Verleumdern  nicht  glauben:  den  mäg- 
den    der   Susanna   legt    er    freundlich   tröstende    worte    in    den    mund. 

1)  Du  must  mir  stand  halten.  S.  Sanders  s.  v.  Katze,  der  die  redensart  wol 
richtiger  von  dem  kat/.hall-s}iiel  herleitet,  als  Hildebrand  bei  Grimm  5,  288  aus 
einem  rechtsbrauch. 


DRAMAT.    DER   SUSANNA    IM    IC.    jH.  145 

Selbst  in  die  langen  Gerichtsverhandlungen  konif  dadurch  wenigstens 
einige  bewegung.  dass  ein  teil  der  ricliter  für  Susanna  günstig  stiuit, 
und  in  die  hauptberatung  das  umstehende  volk  sicli  mit  seinem  geschrei 
einmischt. 

Es  sind  nur  geringe  anfange  von  dramatischer  belebung  der  hand- 
lung  und  der  charakt(M-e,  abei'  immerhin  lieben  sie  doch  das  stück  weit 
über  die  frühere  bearbeitung  liinaus..  Bezeichnend  ist  es,  dass  dem 
dichter  die  nebenpersonen .  die  xu  einer  mehr  derben  und  komischen 
färbung  anlass  boten ,  und  \nv  die  er  im  wirklichen  leben  leicht  Vor- 
bilder fand,  besser  gelingen  als  die  ernsten  hauptcharaktere ,  die  auch 
bei  ihm  noch  recht  marionettenliaft  bleiben.  Selbst  die  beiden  alten, 
die  den  meisten  späteren  dichtem,  da  sie  ihnen  komische  Zeichnung 
gaben,  zu  recht  lebensvollen  figuren  wurden,  bleiben  noch  durchaus 
farblos:  ja  die  steife  biederkeit  ihrer  haltung  im  ersten  auftritt  ist  der 
Situation  grade  ebenso  unangemessen.  Avie  ihre  täppisch  zufahrende 
Plumpheit  in  der  verführungssceue. 

Tn  noch  höherem  grade  als  in  der  Charakteristik  überragt  Birck 
seine  Vorgänger  in  formeller  beziehung;  denn  wenn  auch  seine  spräche 
noch  ziemlich  abgebrochen  und  ohne  fluss  bleibt,  im  versbau  zeichnet 
er  sich  vor  jenen  wie  vor  den  meisten  der  gleichzeitigen  poetea  aus. 

Aus  der  Verwilderung  unserer  metrik  begann  sich  mitlerweile 
bei  den  besseren  dichtem ,  jeden [\ils  in  folge  der  bekan tschaft  mit 
der  römischen  poesie,  in  der  praxis  das  eine  feste  gesetz  des  acht- 
oder  neunsilbigeu  verses  mit  gewöhnlich  vier  hebungen  herauszuarbei- 
ten, aber  Birck  begnügte  sich  damit  nicht,  sondern  strebte  zugleich, 
wie  andere  gleichzeitige  schweizer  dichter,  z.  b.  Kolros  und  vor  ihnen 
schon  Gengeubach,  sichtlicdi  mit  bewustsein  dasselbe  an,  was  einst 
schon  Konrad  von  Wttrzl)urg  eingeführt  hatte ,  was  aber  erst  durch 
Opitz  wider  zu  einem  algeraeinen  gesetz  werden  solte,  nämlich  einen 
regelmässigen  Wechsel  von  hebung  und  Senkung.  Ich  sage  mit  bewust- 
sein, denn  instinctiv  war  bei  allen  dichtem  uuverkenbar  „ein  gewisser 
drang  des  verses  nach  diesem  regelmässigen  Wechsel  geblieben ,"  ^  und 
die  ansieht,  als  hätten  die  dichter  des  16.  jalirhunderts  ihre  verse  nach 
rein  mechanischem  abzählen  von  acht  oder  neun  silben  und  zwar  mit 
betonung  der  geraden  ohne  jede  beachtung  des  tonwertes  gebildet, 
erscheint  mir,  worüber  s.  146  fg.   näheres,  nicht  zutreffend. 

Es  liegt  mir  fern  in  der  neuerung  Bircks  einen  fortschritt  unserer 
rhythmik  überhaupt  sehen  zu  wollen,  aber  gegenülter  der  wilden  bar- 
barei  jener    zeit   ist   doch    der    neue    brauch .    durch   welchen   man    die 

1)  Goedeke,  Gediclite  von  Wockherliii  1873,  vovw.  XIX.  [Deutsclie  flicliter  des 
17.  jahrli.  5.  bd.] 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.    XI.  1  " 


146  PILGEE 

freiere  beliandlung  der  Senkungen  aufgab,  ein  durchaus  heilsamer. 
Vielleicht  erfordert  ja  kein  rhythmisches  princip  eine  von  so  feinem 
gefühl  getragene  auwendung  als  gerade  das  der  freieren  behandlung 
der  Senkungen  in  einer  accentuierenden  spräche ,  und  nun  betrachte 
man  die  rohe,  jeder  empfindung  für  rhythmus  haare  behandlung,  die 
man  ihm  im  15.  und  vielfach  im  16.  Jahrhundert  zuteil  werden  liess! 

War  doch  die  Verwendung  der  Senkungen ,  also  z.  b.  der  ausfall 
derselben  am  anfang  oder  zwischen  zwei  hebungen,  ferner  ihre  Verdop- 
pelung eine  fast  rein  M^ilkürliclie ,  so  dass  oft  die  widrigsten  misklänge 
entstanden  und  von  einem  rhythmus  überhaupt  nicht  mehr  die  rede 
sein  konte.     Man  sehe  eine  probe  solcher  verse  unten  s.  162  fg. 

Vermochte  nun  auch  der  dichter  die  neue  norm  nicht  in  der  vol- 
kommenheit  zur  anwendung-  zubringen,  wie  etwa  fast  gleichzeitig  Bin- 
der, der  auch  sonst,  z.  b.  in  der  anwendung  klingender  und  stumpfer 
reime,  eine  noch  grössere  versgewantheit  bekundet,  so  gestattet  er 
sich  doch  etwa  nur  in  je  sieben  versen  eine  abweichung  von  dem  regel- 
mässigen rhythmus,  also  eine  freiere  Stellung  der  hebungen.  Grösten- 
teils  finden  sich  dieselben  überdies  im  ersten  fusse,  also  an  der  stelle, 
an  welcher  sie  nicht  nur  metrisch  am  leichtesten  ertragen  werden, 
sondern  auch,  besonders  für  den  dichter  des  16.  Jahrhunderts,  sprach- 
lich kaum  zu  vermeiden  waren.  So  lauge  nämlich ,  was  ja  das  gewöhn- 
liche war,  versschluss  und  satzende  oder  -abschnitt  noch  zusammen- 
fielen, waren  trochäische  anfange  schwer  zu  umgehen:  so  in  Imperati- 
vischen und  interrogativen  pluralsätzen ,  zumal  wenn,  wie  bei  Birck,  in 
der  diabetischen  zweiten  person  pluralis  auf  -end,  wie  heissend,  mei- 
nend, ylend,  die  elision  des  e  nicht  zugelassen  wird,  ferner  bei  der 
conjunction  aber ,  dem  relativ  welcher  u.  a. 

Wie  aus  dem  gesagten  ersichtlich ,  fasse  ich  diese  abweichenden 
verse  als  rhythmisch  freiere  l»ildungen  auf,  lese  also  mit  wahrung  des 
wortaccents  z.  b.  den  sechsten  der  s.  144  mitgeteilten  verse : 

Wider  uns  herren  gewältigklich. 
Im  gegensatz  dazu  steht  die  oben  erwähnte,  viel  verbreitete  ansieht,  nach 
welcher  auch  in  solchen  fällen  der  regelmässige  rhythmus  aufrecht  zu 
erhalten,  also  in  unserem  falle  mit  spracliwidriger  betonung  zu  lesen  wäre: 

Wider  uns  herren  gewältigklich. 
Da  die  entscheidung   zwischen  beiden  auffassungen   für  die  beurteilung 
der  rhythmik  des  16.  Jahrhunderts,  namentlich  des  dramatischen  verses, 
eine  principielle  bedeutung  hat,  so  füge  ich  eine  kurze  begründung  und 
erläuterung  meiner  ansieht  hinzu. 

Im  algemeinen  scheint  mir  die  frage,  ob  blosse  silbenzählung 
und  sprachwidrige  betonung  für  das  16.  Jahrhundert   zu    statuieren  sei, 


DRAMAT.    DER    SÜSANNA    IM    Ifi.    JH.  147 

weder  mit  Hopf iier  '  iiiid  Vilmar-  bejaht,  noch  mit  Goedeke  mid  ande- 
ren ^  verneint  werden  zn  können.     Dass  die  lyri^clie  poesie  sie   zuliess, 
ist  nn zweifelhaft .  weil  doch  die  für  den  gesang  bestirnten  gedichte  der 
melodie  wegen  in  den  correspondierenden  versen  der  einzelnen  strophen 
denselben  bau  haben  müssen.     So  folgt  also   z.  b.  ans  dem  anfang  der 
dritten  strophe  von  Hans  Sachsens  meistergesang  dicliter  und  singer:* 
Won  alle  künst  auf  erden 
teglich  gescherfet  werden 
von  grobheit  und  geferden, 
die  man  vor  darin  fant, 
dass  die   ersten  Zeilen   der    zweiten    strophe  folgendermassen    zu   scan- 
dieren  sind:  Das  brünlein  ich  geleiche 

einem  dichter  kunstreiche. 
der  gesang  anfenkleiche 
dichtet  aus  künsten  grünt. 
Die  auf  den  ersten   blick  freilich  unerträgliche  härte   dieser  ton- 
verschiebungen  erscheint  wesentlich    anders,    wenn   man  bedenkt,    dass 
wir  es  hier  mit  gedichten.    die  ausschliesslich   für   den  gesang  bestirnt 
waren,  zu  tun  haben,  und  dass  die  melodie  dergleichen  härten  ausser- 
ordentlich mildert.     Gestatten    sich    doch   bis   lieute  die  besten  unserer 
componisten  niclit  selten  eine  ganz  ähnliche  freiheit ,  wenn  sie  sprach- 
lich unbetonte  silbeu  in  der  melodie  accentuieren. 

Ganz  anders  stelt  sich  die  sache  bei  der  epischen  erzähluug  und 
dem  drama.     Hier,  wo  durch  keine  melodie  die  rohen  Verzerrungen  der 
spräche   dem  obre   teilweis    verdeckt   würden,    halte  ich    es    nicht   für 
möglich,   dass  man    sich   dieselben   gestattete,    dass  man   also  z.  b.  in 
Hans  Sachsens  rossdieb  von  Fünsingen  solte  gesprochen  haben :° 
Weyl  die  Alten  gesaget  liaben 
Sänffter  sey  Eyd  schwern,^  den  rubn  graben, 
oder:       Doch  bitt  ich  wolt  das  best  gedencken 
Mit  einr  zehrüng  begaben  mich 
Weyl  kein  baren  Pfennig  hab  ich 
Solt  ich  wider  stehln,  vnd  würd  gfangen. 

1)  Reformbestrebungen  auf  dem  gebiete  d.  deutsehen  dicht.  [Progr.  dos  Wil- 
helms-gymn.  zu  Berlin]  1866  s.  5. 

2)  Deutsche  verskunst  1870  s.  81. 

3)  Goedeke.    Weckherlin  s.  XIX.     Rachel,    Reimbrechung   usw.    [Progr.  des 
Freiberger  gymn.]  1870  s.  4. 

4)  Dichtungen  von  Hans  »Sachs,  I.  her.  von  Goedeke,  1870,  s.  26  und  25. 

5)  Goedeke,  Elf  bücher  86  b  1 ,  2  und  23—26. 

6)  schweren  ist  jedenfals  nur  vorsehen  des  drucks, 

10='= 


148  PILGER 

Nocli  anmutigere  gebilde  würden  folgende  verse  darstellen,  die  freilich 
von  einem  der  grösteu  verspfuscher  des  16.  Jahrhunderts,  von  Wild 
aus  dem  spiel  von  dem  doctor.^  herrühren: 

Wilt  dii  allen  menschen  ton  recht 
und  wilt  schlafen  bis  neune  schlecht, 
wil  ich  geren  sehen  von  dir! 
und:     Warumb  laßt  ir  den  knaben  nit 
zu  fuße  gan?  wollet  ir  mit 
eurem  reiten  das  arme  tier 
gar  zii  boden  trücken?  secht  ir 
nicht,  wie  es  ist  so  gschwil  und  heiß, 
und  dem  tier  austreibet  den  schweiß. 
Es   erscheint   mir   undenkbar,    dass   man  jemals   eine   lebende  spräche 
derart  mishandelt  haben  solte.     Denn  wenn  man  selbst  noch  annehmen 
wolte,   dass  mund  und  ohr  der  menschen  des  16.  Jahrhunderts  an  sich 
einer   solchen    entartung   fähig   gewesen   wären ,    das    ist   doch    wol  zu 
unwahrscheinlich,  dass  zum  zwecke  einer  aufführung  die  spielenden  sich 
solten   die    tortur    auferlegt   haben,    sich   derartige    mundverrenkungen 
einzuüben,  um  —  schliesslich  von  ihren  zuhörern  gar  nicht  verstanden 
zu  werden!    Dies  aber  wäre  die  notwendige  folge  gewesen:  man  mache 
doch  einmal  den  versuch,    nach  dem  in  rede  stehenden  betonungsprin- 
cip  einem  unbefangenen  menschen  dramatische  scenen  aus  dem  16.  Jahr- 
hundert vorzulesen ,    er  wird  vieles  nur  mit  mühe  ,    anderes    überhaupt 
nicht  zu  verstehen  vermögen.^ 

Noch    ein    anderes  moment    spricht   doch    wenigstens    gegen    die 
annähme   einer   uneingeschränkten   Zulassung   sprachwidriger    betonung, 
'  nämlich  das  selbst  bei  dem  elendesten  reimer  höchst  seltene  vorkom- 
men eines  verses,  der  auf  keiner  einzigen  der  vier  geraden  silben  den 
wortton  hätte. 

1)  Tittraann,  Schauspiele  aus  dem  sechzehnten  Jahrhundert  ISliS.  I  s.  220 
V.  186  —  188  und  233  v.  143  —  148. 

2)  In  einzelnen  fallen  und  bei  formell  sehr  sorglosen  dichtem  könte  freilich 
der  reim  sprachwidrige  betonung  zu  fordern  scheinen;  so  bei  Wild,  Tittniann, 
Sciiauspiele  I  s.  234:  fürwar  wir  werden  wol  besten, 

so  wir  uusern  esel  tragen. 
und  bei  B.  Waldis,    dessen  hochdeutsche  verse  gleichfals  sehr   roh  sind,    Goedeke, 
Elf  bücher  I  196  b  3 : 

Annemen  die  bestimpten  radtzol 

Welche  jm  nit  bhagten  all  zu  wol. 
Doch  halte  ich  es  an  sich  und  besonders  auch  angesichts  der  übrigen  licenzen ,  die 
sich  solche  poeten  gestatteten  —  Wild  reimt  z.  b.  mit  dem  und  ungestem    [für 
ungestüm],    Waldis  nider  und  bc}-    dir  —  für  wahrscjieinlicher,  dass  sie  sich  in 
dergleichen  fällen  damit  begnügten ,  dass  der  reim  nur  für  das  äuge  vorhanden  war. 


DRAMAT.   DKK   SUSANNA   IM    10.    JH.  149 

So  glaube  icli  deiiu,  das«  iiuin  für  die  kurzen  roiiiipaare  der  epi- 
schen und  dramatisclu'ii  gedichte  des  16.  jalirluinderts  im  algemeinen 
nach  folgenden  normen  verfuhr.  Abgesehen  von  dem  obersten  gesetz, 
von  dem  sich  freilich  nicht  wenige  dichter  auch  emaucipierten  [s.  unten], 
dass  jeder  vers  acht  oder  bei  klingendem  reim  neun  silben  haben  muste, 
erstrebte  mau  im  algemeinen  auch  —  freilich  mit  ausserordentlich 
ungleichem  nachdruck  uud  erfolg  —  einen  regelmässigen  Wechsel  von 
hebung  und  Senkung  und  zwar  mit  dem  l)eginn  einer  Senkung;  zugelas- 
sen wurde  jedoch  auch  jede  andere  Stellung  der  hebungen  nur  mit  der 
einen,  höchst  selten  übertretenen  beschränkung ,  dass  mehr  als  vier  Sil- 
ben nicht  accentuiert  werden  durften. 

Ich  lese  daher  die  obigen  verse  folgendermassen: 
Weyl  die  Alten  gesaget  haben 
Säriifter  sey  Eyd  schwern ,  den  rübn  graben  . . . 
Doch  bitt  ich  wolt  das  best  gedencken 
Mit  einr  zehrung  begäben  mich 
Weyl  kein  baren  Pfennig  hab  ich 
Solt  ich  wider  stehln,  vnd  würd  gfängen  usw. 
Die  zulässigkeit  einer  derartigen  betonung  für  das  16.  Jahrhundert 
erweist   übrigens   unzweifelhaft   eine    nicht  geringe   reihe   von  dichtem, 
deren  nicht  selten  zehn-,  elf-,   ja  zwölfsilbige ,    oft  sehr   wolklingende 
verse  niemand  ernstlich  in  das  Schema  jambischer  betonung  wird  zwingen 
wollen.     Zu  ihnen  gehört  z.  b.  Jakob  Frischlin,   der  sprach-  und  vers- 
gewante  Übersetzer  von  seines  bruders  Susanna   und  Rebekka,    s.  z.  b. 
II.  3  jenes  stückes :  ^ 

Zittert  mit  Händen,  hat  lauge  Leff'tzen, 
Die  hangen  herab  wie  Nestel  Stefi'tzen, 
ferner  der  Verfasser  der  Zwickauer  „  Einleitungen ,"  ^  z.  b. 
Am  selbigen  bergk  an  lustiger  stell 
Entspringt  ein  schon  lauter  quell 
Rauscht  vber  die  steine  hinab  gen  taal 
Wessert  wisen ,  gerten  vber  all, 
Vmbher  viel  bäum  stehnn  nacli  der  rey 
Vnd  singen  die  vogle  mit  hellen  geschrey. 
Während  aber  im  hochdeutschen  solche  freieren  verse  sich  nur  verein- 
zelt finden  und    im    algemeinen    das   streben   nach   regelmässigem  ton- 
wechsel  und  einer  beschränkung   des  verses   auf  acht  oder  neun  silben 
vorherseht,   ist  diese  freiere  versbildung   im  Niederdeutschen  geradezu 

1)  Frankfurt  a/M.  1589. 

2)  Straumer,  Programm  des  gymn.  zu  Freiberg  1868  s.  29. 


150  PILGER 

beliebt.     Als  eine  probe  dieser  z.  b.  von  Burkaid  Waldis  im  Verlorenen 
solm  1527  durchweg  augewauten  messuug  dienen  folgende  zeileu:^ 
Vor  di  ik  mi  nicht  romen  kan 
Als  düsse  hillige  frome  man!  ^ 

Ik  bidde  di,  here,  wes  gnedich  mi  armen 
'    Unde  wil  di  over  min  sunde  erbarmen. 
Grade  in  dieser  behaudlung   brachte   übrigens  Goethe,   bei  dem  zehn- 
bis  zwölfsilber   gieichfals   vorkommen,    die  kurzen   reimpaare    wider  zu 
ehren. 

Ich  kehre  zu  Sixt  Birck  zurück.  Das  streben  nach  reinerer  und 
schönerer  form,  das  ihn  bei  seiner  regulierung  des  achtsilbers  leitete, 
zeigt  sich  bei  ihm  auch  in  anderen  beziehungen.  Sorgsam  ist  er  bemüht 
um  Vermeidung  von  elisionen:  die  vorkommenden  überschreiten  nur  in 
sehr  wenigen  fällen  die  mittelhochdeutschen  licenzen.  Seine  reime  wer- 
den selten  zu  blossen  assonanzen ,  das  den  dialog  belebende  kunstmittel 
der  reimbrechung  wendet  er  widerholt,  wenn  auch  nicht  häufig,  an. 

In  einem  punkte  geht  er  in  seiner  strengeren  versbehandlung 
sogar  zu  weit.  Er  vermeidet  alle  klingenden  reime:  die  eine  aus- 
nähme, die  mir  aufgefallen,  schtveren  :  keren,  komt  wol  auf  rechnung 
des  drucks.  Jedenfals  liess  er  sich  hier ,  wie  ansprechend  vermutet 
worden  ist,^  durch  die  nachahnmug  der  antiken  metrik,  die  bei  jam- 
bischen versen  natürlich  nur  betoute  Schlüsse  zulässt,  verleiten,  seine 
kurzen  reimpaare  in  ein  für  deutsche  verse  fehlerhaftes  Schema  zu 
zwängen  und  beraubte  sich  dadurch  eines  wichtigen  mittels  schöner 
versbildung. 

Haben  wir  bisher  Bii'ck  in  den  hergebrachten  reimpaaren  sich  mit 
unverächtlichem  erfolge  strengerer  form  befieissigen  sehen ,  so  gelangen 
ihm  dagegen  die  complicierteren  versgattungen  der  beiden  eingelegten, 
sogenanten  sapphischen  chöre  sehr  viel  weniger.''  Zwar  mutete  er  den 
formen  der  spräche  nicht  grössere  härten  zu,  allein  die  tonverschiebun- 
gen  sind  häufiger,  die  klingenden  reime  sehr  mangelhaft,  so  dass  er 
z.  b.  find  seer  :  fhnot  mir,  denen  :  schade,  mach  ich  :  sterblich  als  reime 
gelten  lässt,  und  was  das  schlimste  ist,  der  sinn  der  in  die  ungewohnte 
versart  gepressten  worte  bleibt  für  den,  der  das  biblische  original 
nicht  zur  seite  hat,  zum  teil  durchaus  unverständlich.  So  z.  b.  in  der 
folgenden  vierten  und  fünften  strophe  des  zweiten  chores: 
Sy  sind  verblendet,  band  ouch  nit  verstanden 
Hand  nicht  erkennet,  sunder  allzyt  wandlen 

1)  S.  Höfer,  Denkmäler  niederd.  spräche  III.  1851  s.  125. 

2)  Rachel  a.  a.  o.  s.  5. 

.3)  Ahgedruckt  hei  W.  Wackernagel,  Lesebuch  (2.  ausg.  1840)  II,  27. 


DRAMAT.  DER  SÜSANNA  IM  16.  JH.  151 

Auch  in  duiikclheit  waren  sy  allzyt  breyt 

Bewegt  wtirt  die  erde 
Ir '  liatt  ücli  geben ,  das  ir  götter  werend 
Auch  das  jr  leben  solteu  hie  in  eeren 
Wie  Adam  mach  ich  das  jr  sigen  sterblich 
Deß  falfs  ge wertig. 
Diese  worte   sollen   eine  nachbildung  sein  von  Psalm  82 ,  5  —  7:    Aber 
sie  lassen   ihnen   nicht  sagen,    und  achten    es   nicht;    sie  gehen  immer 
hin  im  finstern;  darum  müssen  alle  grundvesten  des  landes  fallen.    Ich 
habe  wol  gesagt:    Ihr  seid  götter,   und  allzumal   kiuder   des  höchsten; 
ihr  werdet  sterben,  wie  menschen,  und  wie  ein  tyrann  zu  gründe  gehen. 
Bei  weitem  besser  übrigens  gerieten  Birck  diese  metrischen  neu- 
bildungen   schon   in   der    „Tragedi  wider  die  Abgöttery"   [Beel]  1535^ 
und  in  der  Judith  1539. 

4. 
Der  Nürnberger   anonymus.    1534? 

Die  anordnung  des  stofl'es,  bei  der  sich  die  einwirkung  des  anti- 
ken dramas  bereits  in  der  akt-  und  sceneneinteilung  zeigt,  ist  hier 
geschickter  als  bei  Birck,  erreicht  aber  die  erste  bearbeitung  nicht. 
Der  hauptfehler  beruht  darin,  dass  der  erste  akt  noch  gar  nicht  in 
die  eigentliche  handlung  einführt,  sondern  nur  zu  einer  Charakteristik 
Joachims  und  besonders  der  beiden  ältesten  verwant  wird. 

Das  stück  beginnt  mit  einem  monologe  des  ersteren,  in  welchem 
er  gott  für  die  den  Juden  und  ihm  selbst  erwiesene  gnade,  besonders 
für  sein  keusches,  züchtiges  weib  preist.  Es  folgt  eine  scene,  in  wel- 
cher der  eine  der  ältesten ,  Balach ,  seinem  collegen  Esrom  einen  lusti- 
gen, im  anklang  an  Jesaias  4,  1^  erfundenen  schwank  erzählt,  dass  zu 
Jerusalem  sieben  weiber  vor  gericht  um  einen  mann  gestritten  und  alle 
ihn  zugewiesen  erhalten  hätten.  Esrom  bedauert  den  armen  mann  von 
herzen ,  denn  mir ,  so  ruft  er  aus  "* 

mein  eynigs  weyb  die  zeyt 

durch  Kiff  un  zank  lang  macht  durch  leid 

darzü  auch  meyn  groß  hauB  zu  enge. 

1)  Wol  Ich. 

2)  S.  Wackernagel  a.  a.  o. 

3)  Die  worte  des  propheten;  „Dass  sieben  weiber  werden  zu  der  zeit  einen 
mann  ergreifen  usw."  fanden  im  14.  und  15.  Jahrhundert  öfter  eine  mutwillige 
anwendung.  So  z.  b.  reizt  in  dem  spiel  von  Salomon  und  Markolf  (Keller  II,  535) 
ersterer  die  weiber  dadurch  zum  aufstände,  dass  er  vorgibt,  der  könig  hätte  jedem 
manne  sieben  weiber  zu  haben  gestattet. 

4)  Ich  eitlere  nach  dem  ersten,  Nürnberger  druck. 


152  PILGER 

Spottend  zieht  darauf  Balach  ihn  auf: 

Ja  was  jr  im  schertz  redet  nun 

Das  zeigen  ewr  nachtbarn  an  auch 

Das  euch  oft't  daheym  beißt  der  rauch 

So  seer,  das  euch  die  äugen  rinnen 

Ob  schon  keyn  fewr  im  hauß  thüt  prinnen 

Das  mir  ye  groß  wunder  ist 

Es  ist  auch  menigklich  bewiiht 

Wie  jr  nun  des  käfs  hieben  thet 

Da  jr  vil  gest  geladen  het 

Und  ewrem  weib  nichts  gesagt  daruon 

Da  sie  mit  gabeln  richtet  an. 
Doch  Esrom  bleibt  ihm  die  erwiderung  nicht  schuldig: 

Balach  jr  sagts  als  gleych  herauß 

Sam  seydt  jr  herr  in  ewrem  hauß, 

So  doch  bey  eucli  Doctor  Sieman  ^ 

Die  Herberg  hat  lassen  bestan, 

Wolt  yr  den  speck  zu  Brombey  holen  - 

War  euch  doch  nun  ein  aug  geschwollen 

Da  jr  spracht  jr  hat  euch  gestosseu 

Es  geschieht  mir  offt  solcher  messen. 
Nachdem  beide  so  in  nicht  unergötzlicher  weise  ^  einander  ver- 
höhnt ,  tritt  Joachim  zu  ihnen ,  und  als  sie  auch  ibm  die  geschichte  aus 
Jerusalem  scherzend  erzählt,  verweist  dieser  ihnen  ihr  gespött,  da  der 
vielfache  tod  der  männlichen  bevölkerung  unter  den  Juden  eine  strafe 
gottes  sei.  Nachdem  sie  dann  alle  in  Joachims  haus  eingetreten, 
schliesst  der  erste  aufzug,  ohne  dass  die  handlung  überhaupt  einge- 
leitet ist.  Dies  geschieht  erst  im  zweiten  akt,  der  die  gegensei- 
tigen liebesgeständnisse  der  beiden  alten  und  ihren  plan,  Susanna  im 
garten    zu    überfallen ,    behandelt.      In   den   folgenden   drei   akten  wer- 

1)  Diesen  für  die  pantull'elheldeii  im  1(3.  jalirlmudert  gäng  und  gäben  aiis- 
druck  verwendet  auch  Eeblmn  zu  widorliolten  scherzen  und  Wortspielen  mit  >Simeon 
in  seiner  hochzeit  zu  Cana. 

2)  Mir  unverständlicli. 

3)  Der  Verfasser  liebt  auch  sonst  wol  den  scherz.  Im  prulog  neckt  er  die 
„wolweyscu  achtbaren  hcrrn  "  mit  der  einfachen  bühnenzurichtuug: 

Das  ist  auch  der  schöne  garten 
In  dem  die  zwen  alten  warten  .... 
Dieser  gart  ist  gar  hübsch  und  schön 
Von  kreutern  vnd  vil  bcumcn  grün, 
Welchen  so  euch  zu  sehen  gelust 
Gar  scharpff  brillen  jr  haben  nuist. 


DRAMÄT.    DEB    SUÖANNA    IM    16.    JH.  153 

den  Claim  die  drei  grossen  abschnitte  der  biblischen  crzälilung  in  engem 
aiischluss  an  dieselbe  dargestelt. 

Auf  eine  abweiclmug  könte  das  ende  hinzudeuten  scheinen.  Nach- 
dem nämlich  Daniel  die  alten  nach  ihrer  Verurteilung  hat  gefesselt 
in  den  turni  werfen  lassen  und  Susauna  ein  dankgebet  gesprochen 
hat,  die  handlung  also  volständig  zu  ende  geführt  ist,  kündigt  der 
„beschluss"  au: 

Autt'  morgen  ein  gestrenger  gerichts  tag 

(resetzt  ist  den  alten  zweyen 

On  g-fehr  ein  lialb  stund  vor  dreyen 

Da  wirdt  jn  jr  recht  geschehen 

Wo  jr  sie  nun  wollet  sehen 

So  kumpt  zeytlich  für  das  ßathauß 

Denn  wirdt  man  die  bößwicht  füren  auß 

Das  sie  empfahen  jrn  verdienten  Ion. 
H.  Grimm  a.  a.  o.  s.  150  schliesst  in  der  tat  aus  diesen  worteu, 
dass  die  volziehung  des  Urteils  als  ein  besonderer  leckerbissen  für  den 
folgenden  tag  aufs^ehoben  worden  sei  —  unglaublich ,  da  man  doch  zum 
anblick  einer  blossen  steinigungsscene  die  Zuschauer  nicht  noch  einmal 
sich  versammelt  denken  kann.  Mir  scheinen  diese  worte  wie  die  des 
prologs,  s.  152  ^  nichts  als  eine  neckerei  des  dichters,  der  dem  publi- 
kum  durch  die  abführung  der  bösewichter  den  gern  gesehenen  anblick 
einer  execution  entzogen  hatte.  Dafür  spricht  auch,  dass  eine  spätere 
von  mir  benuzte  Nürnberger  ausgäbe  [s.  s.  134]  den  schluss  dahin  modi- 
ticiert,  dass  Daniel  den  steckenknecliten  befiehlt  die  alten  auf  den 
richtplatz  abzuführen  und  dort  zu  steinigen. 

Wie  die  composition  der  handlung  hält  sich  auch  die  gesamte 
ausführung  des  einzelneu,  abgesehen  vom  ersten  akt,  streng  innerhalb 
der  grenzen  des  biblischen  berichts:  sie  begnügt  sich  in  jeder  bezie- 
hung  mit  dem  allernotdürftigsten. 

Wenn  Birck  mit  feinem  blick  für  das  dramatisch  wirksame  die 
in  der  biblischen  erzählung  kaum  genanten  personen  der  eitern  und 
kinder  der  Susauna  kräftiger  herausgearbeitet,  ja  ihnen  uocli  zwei 
geschwister  und  gerichtsdiener  hinzugefügt  hatte,  so  schliesst  im  ge- 
genteil  unser  Verfasser  der  bibel  alzu  gewissenhaft  folgend  sogar  den 
Joachim  von  der  eigentlichen  handlung  aus,  die  eitern  und  kinder  lässt 
er  überhaupt  nicht  auftreten.  Für  die  belebung  der  Situation  bequem 
zu  verwendende  Vorgänge  der  biblischen  erzählung,  wie  in  der  gericht- 
lichen scene  die  begleitung  der  Susauna  durch  ihre  verwanten  und  die 
entfernung  des  Schleiers  bleiben  gänzlich  unbenuzt;  auffallenderweise 
werden   sogar   die  gerichtlichen    scenen    mit  alzu   oberflächlicher  kürze 


154  TILG ER 

behandelt,  so  dass  Susanna  so  ziemlich  kurzweg  vuiii  Judex  verurteilt 
wird.  Eigene  erfindungen  mangeln  fast  gänzlich  ,  sogar  die  selbstver- 
ständlichsten, wie  etwa  dankesworte  der  Susanna  au  Daniel. 

So  beraubt  das  Ungeschick  des  Verfassers  sich  der  nächstliegen- 
den dramatischen  effekte ,  und  von  jenen  accenten  des  gefühls ,  über  die 
Birck  zu  verfügen  verstand,  findet  sich  kaum  eine  spur,  ausser  etwa, 
dass  der  eine  kneclit  Joachims  sich  seiner  herrin  den  anschuldis'unj^en 
der  alten  gegenüber  annimt. 

Ein  einziger  zug  ist  eine  glückliche  änderuug  des  biblischen 
berichts.  Hier  wird  bei  dem  verhör  der  alten  durch  Daniel  v.  55  fg. 
nicht  klar ,  warum  dieser  die  antwort  des  ersten ,  er  habe  Susanna 
unter  einer  linde  gesehen ,  sofort  als  eine  lüge  bezeichnet  —  mau  muss 
eben  annehmen,  Daniel  kenne  aus  göttlicher  eingebung  bereits  den 
wahren  Sachverhalt.  Unser  Verfasser,  der,  wie  es  scheint,  bereits  ein 
gefühl  dafür  hatte,  dass  eine  solche  wunderwirkung  für  die  bühne  sich 
nicht  eigne,  und  dass  hier  „alles  seinen  ordentlichen  lauf  behalten" 
müsse,  änderte  dies.  Bei  ihm  entgegnet  Susanna  auf  jene  angäbe,  in 
dem  garten  stehe  keine  linde,  und  Daniel  kann  daraufhin  den  alten 
der  lüge  zeihen,  wie  er  denn  auch  bei  dem  zweiten,  der  eine  hasel- 
staude  nent,  auf  dessen  Widerspruch  mit  den  Worten  des  ersten  aus- 
drücklich hinweist,  was  die  bibel  gleichfals  unterlässt.^ 

Zu  erwähnen  bleibt  noch  eine  selbständige  zutat  des  Verfas- 
sers, nämlich  die  der  handlung  eingefügten  moralischen  deklamationen, 
denen  wir   liier  zum    ersten  male   begegnen.     Als  die  magd   vor    dem 

11  Von  den  späteren  bearbeitungen  verfährt  in  fast  gleicher  weise  nur  Hein- 
rich Julius,  woraus  ich  übrigens  nicbt,  wie  H.  Grimm  a.a.O.  s.  149,  auf  einen 
Zusammenhang  zwischen  beiden  stücken  schliessen  möchte ;  der  Wiener  anonymus, 
Frischlin  und  diesem  folgend  Schonaeus  begnügen  sich  nur  den  Widerspruch  zwi- 
schen den  aussagen  der  beiden  greise  hervorzuheben ,  Eebhun ,  und  so  viel  ich  mich 
erinnere,   auch  Birck,  Stöckel  und  Israel  schliessen  sich  genau  der  bibel  an. 

Ich  füge  bier  zugleich  noch  eine  die  eben  liehandelte  stelle  betreffende  klei- 
nigkeit  an.  Die  biblische  erzählung  hat  v.  55  und  59  zwiselien  den  namen  der 
bäume  und  Daniels  antwort  die  Wortspiele  a/Jru^  af  a/i'ai-i  und  norrog  7T{)iati  ae. 
Nur  einige  stücke  ahmten  dieselben  nach.  Der  erste  war  Eebhun ,  der  sie ,  wie 
Luther  [linde  finden,  eiche  zeichnen],  durch  reime  nachbildete,  nur  dass 
er  statt  der  lezteren  Verbindung,  die  einen  unreinen  reim  abgab,  Asche  erha- 
schen wählte.  S.  seine  anmerkung  zu  der  stelle,  Tittmann  s.  89.  Betulius  nahm 
das  Wortspiel  des  Urtextes  fast  ungeäiulert  hinüber:  schinus  te  a/i'an,  pinus 
[sie!]  TiQiani  at  [griechische  Wörter  linden  sicli  öfter  bei  ihm].  Frischlin  bildete 
lentiscus  lentus,  sub  ilice  ilicet,  Heinrich  Julius  folgte  Luther.  Alle  übri- 
gen verzichteten  auf  eine  nachahmung ,  nur  bei  Stöckel  findet  sich  noch  ein  gewisses 
spiel  mit  den  worten:  Linde  —  ,,der  linde  holtz  gnug  hart  dir  sol  werden," 
Eiche  —  „des  asch  ist  dir  gesund  ungebrand." 


DRAMAT.    ÜEK    SUSANNA    IM    10.    JH.  155 

bade  der  Susanna  den  garton  untersucht,  lässt  sie  sich  z.  b.  des  wei- 
teren darüber  aus,  dass  „ein  erbar  weib  für  allen  leuten  Ir  ehr  und 
zucht  l)ewaren  sol."  Susanna  selbst  dankt,  als  sie  sich  zum  baden 
rüstet,  gott  wegen  aller  woltaten,  die  er  ihr  habe  zu  teil  werden  las- 
sen ,  und  preist  die  tugend  als  den  einzig  wahren  schmuck  des  weibes ; 
unmittelbar,  nachdem  sie  zum  tode  verurteilt  ist,  ermahnt  sie  die  vor 
dem  gericht  versammelten  fraueu ,  sie  selten  sich  ein  beispiel  an  ihrem 
Unglück  nehmen  und  selten  gott  mehr  zu  gefallen  suchen  als  den  men- 
schen „mit  saniet,  seyden,  schönen  tuchen." 

Diese  didaktischen  expectorationen ,  die  nunmehr  in  das  deutsche 
drama  einzudringen  beginnen,  sind  eine  der  beiden  schädlichen  ein- 
wirkungen,  welche  dasselbe  leider  durch  die  reformation  erfuhr,  und 
von  welchen  wir  die  andere  unten  näher  kennen  lernen  werden.  Sie 
war  um  so  verderblicher,  weil  sie  ein  ungehöriges  und  störendes  dement 
an  einen  kaum  aus  roher  unform  sich  herausbildenden  Organismus 
anheftete  und  sogar  —  denn  dies  war  die  schlimmere  folge  —  ohne 
unterschied  allen  seinen  teilen  gewaltsam  aufdrängte.  Wurde  doch 
für  die  grossenteils  leider  ebenso  ungeschickten  und  unberufenen,  wie 
eifrigen  bände,  welche  diese  teudenzpoesie  pflegten,  das,  was  bei  gewan- 
tester  behandlung  höchstens  als  ornament  hätte  verwant  werden  dür- 
fen, ehi  so  wichtiger  und  wesentlicher  bestandteil  des  ganzen,  dass  die 
meisten  denselben  ohne  wähl  an  jeder  beliebigen  stelle  glaubten  anbrin- 
gen zu  dürfen.  Freilich  unterschieden  sich  —  wir  kommen  darauf 
zurück,  s.  s.  160,  174  fg. —  auch  in  dieser,  wie  in  allen  übrigen  bezie- 
hungen  die  besseren  dichter  des  16.  Jahrhunderts  in  sehr  erheblichem 
grade  von  der  grossen  menge. 

Von  der  trockenen  dürren  ausführung,  in  der  das  übrige  stück 
gehalten  ist,  sticht  etwas  vorteilhafter  nur  das  komische  verspiel 
des  ersten  actes  ab.  Hier  haben  die  scherzreden  der  beiden  ältesten 
in  der  tat  einiges  wirkliclie  leben,  und  insofern  die  Charakteristik  der- 
selben als  unbefriedigter  ehemänner  die  entstehung  ihrer  liebe  zu  Susanna 
motiviert,  ist  sie  nicht  übel:  freilich  erscheint  für  den  ernst  der  fol- 
genden handlung  die  lächerlichkeit  ihrer  figuren  als  pantoflfelhelden 
wenig  augemessen. 

Auf  recht  niedriger  stufe  steht  in  unserem  stück  auch  der  Vers- 
bau. Nur  der  eine  fortschritt  ist  gegen  Birck  zu  bemerken,  dass  das 
kunstmittel  der  reimbrechung  sehr  häufig ,  einigemale  sogar  die  zeilen- 
brechung  sich  findet.  Für  jene,  die  Hans  Sachs  seit  1518  besonders 
in  den  fastnaclitspielen  anwendet,^  bietet  das  stück  aus  der  kunstdich- 

1)  S.  Rachel,  Progr.  des  Freiberger  gyran.  1870  s.  10. 


156  PILGER 

tung  der  zeit  einen  der  ersten  fälle  häufigen  bewusten  gebrauches  ^  — 
bei  ßirck  fand  sie  sich  nur  selten  — ,  für  diese  hat  es,  so  viel  mir 
bekant,  keinen  Vorgänger.  Im  übrigen  bleibt  unser  Verfasser  weit  hin- 
ter seinem  Vorgänger  zurück.  Wenn  auch,  wie  dieser,  sichtlich  um 
regelmässigen  Wechsel  von  hebung  und  Senkung  bemüht,  stösst  er  doch, 
während  er  obenein  nicht  selten  mit  einer  hebung  begint.  schon  bei 
jedem  fünften  verse  an  und  zwar  gröstenteils  in  der  zweiten,  zu  einem 
ganzen  drittel  der  fälle  sogar  in  der  dritten  und  vierten  versstelle, 
wodurch  denn  der  angestrebte  regelmässige  rhythmns  vernichtet  wird. 

Das  stück  hat  keinen  Zusammenhang  mit  irgend  einer  der  übrigen 
mir  bekanten  bearbeitungen,^  obwol  es,  wie  die  mehrfachen  drucke 
beweisen,  bei  dem  publikum  in  Mittel-  und  Norddeutschland  grossen 
beifall  fand.  Der  volkstümlich,  ja  schwankartig  gehaltene  erste  akt 
mochte  besonders  ansprechen,  vielleicht  auch  die  knappe,  der  bibel  eng 
angeschlossene  behaudlung  der  folgenden  akte.  Wahrscheinlich  kam  dem 
stück  auch  zu  statten ,  dass  von  den  übrigen  bearbeitungen  die  Bircksche 
durch  ihren  schweizerisch  gefärbten  dialekt  an  algemeinerer  Verbreitung 
verhindert  war,  und  dass  die  von  Rebhun,  zu  der  wir  jezt  übergehen, 
durch  ihre  metrische  vervolkomnung  dem  verwilderten  geschmack  zu 
ungewohnt  und  unheimisch  vorkommen  mochte  —  eine  annähme,  für 
welche  wir  unten  eine  bestätigung  finden  werden. 

5. 

Rebhun.    153  5. 

Die  bearbeitung  Rebhuns  zeigt  in  der  inscenirung  des  Stoffes  wie 
in  der  Charakteristik  der  personen  vielfache  verwantschaft  mit  der  von 
Birck.  Der  beginn  des  Stückes  durch  den  dialog  der  beiden  alten,  ihre 
uncharakteristische  haltung  in  dieser,  wie  ihre  täppisch  unbeholfene 
Werbung  in  der  verführungsscene ,  die  den  anklagen  gegenüber  zweifeln- 
den knechte,  die  tröstenden  mägde,  die  eintührung  der  mutter,  der 
Schwester,  der  kinder,  die  innige  teilnähme  aller  dieser,  wie  der  Scher- 
gen des  gerichts,  die  haltung  der  richter,  der  reuevolle  tod  der  alten, 
die  dankscene  der  Susanna  —  alles  dies  ist  bei  beiden  diclitern  gleich. 

Könte  nun  auch  unzweifelhaft  eines  oder  das  andere  dieser 
momente  selbständig  von  beiden  gefunden  sein,  die  gesamtheit  dersel- 
ben  beweist    doch   eine    anlehuung   Rebhuns,    die   überdies   durch   eine 

1)  Fast  durchgängig  findet  sich  dieselbe  in  dem  Verlorenen  söhn  von  Burkard 
Waldig  1527  und  merkwürdiger  weise  [nach  Kurz  Literat,  gesch.  II,  109]  auch  in 
demselben  stück  von  Ackermann. 

2)  Über  die  von  Goedekc  vermutete  bcnutzung  desselben  durch  Leseberg  siehe 
s.  134.     Vgl.  auch  s.  154  anmcrk. 


DKAMAT.    DEK    SUSANNA    IM     IG.    JH.  157 

ganze  reihe  von  wörtlichen  anklängen  bestätigt  wird.     Icli  teile  einige 
derselben  mit. 

Bei   Birck    sagt  Susanua,    als    sie   mit    den  mägden   in  den  gar- 
ten tritt:  Das  wätter  ist  gantz  warm  und  fin 

Die  sonn  schint  heyß  mit  jhrem  schin 

Dorumb  ich  mich  hie  waschen  will 

Deßhalb  gond  hin  inn  schneller  yl\ 

.  .  .  bschliesseud  die  thür  .  .  . 

Domit  khein  falscher  klapper  man 

Schlich  jnnhar,  thü  mir  ungmach  an 
Es  erwidert  „  die  jnngkfrouw  "  : 

Ach  frouwe  myn,  die  sorg  londt  farn 
Bei  Bebhnn  III,  1^  lauten  Snsannas  worte: 

Itzund  scheint  fein  warm  die  sunn, 

drumb  ich  gelten  wil  zum  brunn 

und  daselbs  mich  badn  ein  weil; 

drumb  so  macht  euch  auf  mit  eil  .  .  . 

Das  ir  wol  die  tür  vermacht, 
das  nicht  jemands  kom  herzu 
und  mir  leid  und  ungmach  tu. 
Dabira :    Seit  on  sorge ,  liebe  frau. 
Als  Susanna   abgeführt   wird,    klagt   in   herzlichem  ausdruck   bei 
Birck  „  das  töchterlin  Susane  " : 

Ach  müterlin,  ach  müterlin 
Wo  füren  dich  die  Schelmen  liin 
„  das  kneblin  Susane  "  : 

Ach  mutterlin  laß  mich  mit  dir 
War  fürt  mau  dich ,  das  sag  du  mir 
sie  selbst  antwortet: 

Ach  kindlin  myn  behut  üch  gott 
Villicht  alsl)ald  zum  bitteru  todt    • 
Vergleiche  bei.  Kebhun  IV,  3  die  ganz  ähnliche  scene: 
Benjamin:  Wo  solt  ir  hin,  lieb  muter  mein? 
Susanna:     Ach  liebes  kind,  ins  todes  peiu! 
Jahel:  0  we,  laß  mir  mein  memmelein! 

Bei  Birck  erzählt  Achab  in  der  anklage  vor  gericht: 
Indem  do  kam  geschlichen  bar 
Ein  junger  knab  . . . 

1)  Ich  citiere  nach  der  ausgäbe  von  Tittniann. 


158  PILGER 

Sumpt  sich  uit  laug  er  wolt  au  dsach 
Zur  gyrlichkeit  was  jm  fast  gacli 
Vß  disem  mocht  jr  merckeu  fr}^ 
Das  solchs  ouch  vor  gschehen  sj'^ 
Sy  wert  sich  uit 

und  weiter  unten:  [wir  fragten]  wer  dieser  wer 
Dem  sy  gezilet  hette  her. 

In  fast  denselben  ausdrücken  lässt  Rebhun  IV,  4  Resatha  sprechen: 

bald  ein  junger  gsell  herfür  kam  gschlichen, 
eilt  zu  ir  und  tet  sie  bald  umbfangen, 
dran  zu  spürn,  das  sie  sölchs  mer  begangen, 
dann  sie  sich  nichts  weret  überalle  .  .  . 

wer  der  junge  gsell  gewesen  were, 
dem  sie  het  so  fein  gezilet  here. 

Ich  erwähne  schliesslich  noch  das  dankgebet  der  Susanna  nach 
ihrer  errettung,  das  in  seiner  gedankenfolge  genau  bei  beiden  dichtem 
übereinstimt. 

So  sehen  wir,  dass  Rebhun  selbst  bis  auf  zahlreiche  einzelheiten 
seinem  Vorgänger  vieles  verdankte.  Aber  wie  mannigfaltig  und  wich- 
tig auch  die  einwirkungen  sind ,  welche  Rebhun  durch  Birck  und  durch 
ihn  schon  in  wesentlichen  beziehungen  aus  dem  alten  drama  empfieng, 
ungleich  bedeutender  sind  doch  die  Vorzüge,  die  er  aus  dem  eigenen 
Studium  der  antike  seiner  dichtung  verleihen  konte. 

In  sehr  hohem  grade  gilt  dies  zunächst  von  seiner  dramatischen 
techuik. 

Die  exposition  des  ersten  aktes  ist  geradezu  vortretiich.  Nachdem 
uns  in  der  ersten  scene  die  beiden  alten  mit  ihren  gegenseitigen  geständ- 
nissen  und  dem  anschlag,  die  Susanna  im  bade  zu  überfallen,  vorge- 
führt sind,  tritt  Joachim  mit  einem  knechte  aus  dem  hause,  um  eine 
reise  anzutreten  —  eine  geschickte  erfindung ,  die  der  dichter  in  sehr 
feiner  weise  noch  dadurch  verwertet,  dass  er  Joachim  sein  haus  wäh- 
rend seiner  abwesenheit  dem  schütze  der  beiden  alten  empfehlen  lässt. 
Nach  dem  herzlichen  abschiede  desselben  von  der  über  die  trennung 
traurigen  gattin  und  den  kleinen  kindern,  die  ihn  bitten,  ihnen  etwas 
von  der  reise  mitzubringen,  schliesst  der  erste  akt  mit  den  zur  seite 
gesprochenen  Worten  Resathas,  des  einen  richters: 

Got  geb,  das  er  ein  jar  ausbleib, 
wenn  uns  nur  wurd  zu  teil  sein  weib! 


DKAMAT.    DKR    SU8ANNA    IM    IG.    JH.  151» 

So  ist  der  zweck  des  ersten  aktes,  den  /.uschaiier  7,11  orientieren 
und  in  Spannung  7a\  versetzen ,  durchaus  erreicht.  Der  zweite  fält  dage- 
gen freilich  ab,  denn  die  liandlung  rückt  nur  insofern  vor,  als  Susanua 
sich  entschliesst,  der  hitze  wegen  ein  had  zu  nehmen,  worauf  die  bei- 
den alten,  welche  dies  erfahren,  in  den  garten  eilen.  Den  grösseren 
teil  des  aktes  verwendet  Kebhun  zu  einer  volleren  Charakteristik  der 
beiden  alten :  er  führt  nämlich  im  auschluss  an  die  bibel  v.  52  und  53 
einen  Wucherer  ein,  der  mit  hülfe  derselben  eine  gleichfals  aultretende 
arme  witwe  um  ihren  acker  betrügt  —  eine  zweite  wird  mit  ihrer 
klage  schroif  von  ihnen  abgewiesen.  An  sich  bleiben  diese  sceneu  freilich 
ein  hors  d'oeuvre,  aber  von  wie  viel  gereifterem  Verständnis  zeigt  die 
behandlung  desselben  gegenüber  dem  episodischen  ersten  akt  der  Nürn- 
berger bearbeitung !  Seine  ausdehnung  ist  eine  viel  geringere ,  es  ist 
statt  am  anfange  an  einer  stelle,  wo  wir  es  viel  leichter  ertragen,  ein- 
geflochteii ,  es  wird  mit  der  weiteren  handlung  dadurch ,  dass  die  armen 
weiber  die  alten  in  der  hiuricbtungs-scene  mit  spottenden  worten  ver- 
höhnen, in  glücklichsten  Zusammenhang  gebracht,  und  vor  allem  ist 
sein  Inhalt  organischer  mit  dem  ganzen  verbunden.  Dort  als  blosse 
Pantoffelhelden  charakterisiert,  erscheinen  die  alten  bösewichter  in  einer 
für  die  übrige  handlung  geradezu  störenden  komischen  beleuchtung, 
hier,  wo  wir  sie  auch  als  geldgierige,  betrügerische  richter  kenneu 
lernen,  ist  ihr  Charakter  angemessener  dem  ganzen  augepasst.  Nicht 
der  geringste  Vorzug  Rebhuns  ist  schliesslich  der,  dass  er  sich  seiner 
licenz  wol  bewust  war,  denn  er  schreibt  über  die  erste  dieser  scenen: 
Haec  scena  cum  sequenti  extra  argumentum  admixta  est,  ad  depingen- 
dam  judicum  iniquitatem.  Wie  selten  mochte  damals  eine  solche  ein- 
sieht sein ! 

Die  beiden  folgenden  akte  enthalten  die  durch  die  erzählung  in 
natürlichem  fortschritt  gegebenen  beiden  handlungeu,  den  Überfall  der 
richter  und  die  gerichtsscene.  Dramatisch  geschickt  ist  hier  z.  b. 
wider  die  rückkehr  des  von  schlimmen  ahnungen  bewegten  Joachim 
gerade  in  den  augenblick  verlegt,  in  welchem  die  stadtknechte  mit 
stricken  und  banden  vor  seinem  hause  angelangt  sind,  um  seine  haus- 
frau  vor  gericht  zu  holen. 

Mit  dem  Schlüsse  des  vierten  aktes ,  der  Verurteilung  der  Susanna, 
hat  die  handlung  ihren  höhepunkt  erreicht:  das  mitleid  der  Zuschauer 
mit  dem  geschicke  der  heldin  in  höchstem  grade  erweckend,  begint 
der  fünfte  akt.  Susanna  auf  ihrem  wege  zum  richtplatze  nimt  den 
lezten  rührenden  abschied  von  den  ihrigen  —  eine  zwar  wider  recht 
nahe  liegende,  aber  doch  von  keinem  einzigen  der  früheren  bearbeiter 
eingeführte  scene.     Wirkungsvoll  schliesst   sich  unmittelbar   an   diesen 


KIO  PILGER 

auftritt  Daniels  plötzliches  ei-scheiueu.  Susamia  wird  i^^erettet,  die  alten 
erleiden  unter  dem  spotte  der  armen  weiber  und  der  schergeu  den  tod. 
In  seiner  zweiten  bearbeitung  des  Stückes  lässt  der  dichter  auch  noch 
den  reichen  Wucherer  an  gewissensbissen  sterben.  Mit  einer  herzlichen 
familienscene ,  wie  sie  in  kurzem  umriss  schon  bei  Birck  sich  findet, 
dem  danke  der  Susanna  an  Daniel  und  Joachims  einladung  der  richter 
zu  einem  festmahl  schliesst  das  stück. 

Finden  wir  so  eine  fast  durchweg  wol  berechnete  zweckmässige 
Verteilung  des  stoflfes  auf  die  fünf  akte ,  so  gilt  das  gleiche  auch  von 
dem  aufbau  eines  jeden  aktes  aus  den  einzelnen  scenen.  Nirgend  stört 
ein  unberechtigtes  hervorheben  des  einzelnen  wie  die  breitgedehnte  aus- 
fflhrung  der  gerichtlichen  Vorgänge  bei  Birck,  oder  gewaltsam  herbei- 
gezogenes moralisieren  wie  bei  dem  Nürnberger.  Nur  ein  einziges  mal 
zahlt  auch  Rebhun  dieser  lezteren  richtimg  des  Zeitgeschmacks  einen 
geringen  tribut:  II,  3  erscheint  die  kurze  ermahnung  der  Susamia  an 
ihren  söhn,  nicht  zu  fluchen,  ziemlich  überflüssig.  Um  diesen  vorzug 
Rebhuns,  das  strenge  ausscliliesseu  alles  über  die  einheitliche  handlung 
hinausgehenden,  volständig  zu  v/ürdigen,  muss  man  nur  ein  gleich- 
zeitiges Schauspiel,  das  so  recht  den  zeitgemässen  teiidenzen  rechnung 
trug,  wie  z.  b.  Tirolfts  Isaak  und  Rebekka, ^  daneben  halten.  Hier  kom- 
men im  ersten  akte  vor  Abrahams  langgedehnten  erzählungeu  von  got- 
tes  wunderbarer  leitung,  vor  der  Vorführung  des  kindlichen  gehorsaras 
von  Isaak,  der  betrachtuug  Abrahams  über  den  schaden  heimlicher  Ver- 
lobungen der  kinder,  den  Unterhaltungen  über  die  teils  sorglose,  teils 
unverständig  unfreundliche  erziehung  der  kinder  —  die  handlung  über- 
haupt nicht  in  gang.  Und  im  zweiten  akte  müssen  sich  in  der  familie 
Bethuels  dieselben  scenen  widerholen!  Wider  vor  Unterhaltungen  über 
kindlichen  gehorsam,  heimliche  Verlobungen,  zweckmässige  behandlung 
der  kinder,  wie  über  die  modische  tracht  der  zerflamten  kleider,  die 
trink-  und  spielsucht  der  jungen  gesellen   fast  gar  keine  handlung. 

Nichts  ähnliches  finden  wir  bei  Rebhun.  Wenngleich  auch  ihm 
das  drama  einen  moralischen  zweck  hatte ,  so  sinkt  es  doch  bei  ihm 
nicht  herab  zu  einem  blossen  mittel  für  moralische  tendenzen. 

Bei  weitem  weniger  glücklich  als  in  der  dramatischen  anordnung 
des  Stoffes  zeigt  sich  die  band  des  dichters  in  der  Zeichnung  lebensvol- 
ler, individueller  Charaktere,  wenn  er  auch,  wie  wir  sahen,  das  bedürf- 
nis  darnach  in  hohem  grade  empfand  und  immerhin  aucli  hierin  alle 
seine    Vorgänger    Übertrift.      Will    man    auch    mit    Wackernagel  ^    die 

1)  Wittenberg  1539. 

2)  Geschiclite  dor  doutschen  littor.  s.  455. 


DRAÄIAT.    DER    SUSA.NNA    IM    10.    JH.  161 

Charaktere  iu  der  Susauna  fest  und  rund  gebildet  iieiiiicü,  so  darf  mau 
doeli  nicht  verschwei«'en .  dass  sie  trotzdem  sicli  noeli  ziemlich  steif 
und  unbeholfen  bewegen.  Nur  selten  nimt  der  dialog,  der,  wenn 
auch  gewanter  und  ausdrucksvoller  als  bei  Birck ,  immer  noch  recht 
trocken  und  spröde  bleibt,  eine  charakteristische,  naturwahre  färbung 
an,  wie  etwa  ])ei  dem  abschiede  der  Susauna  von  ihren  kindern. 
Noch  ebenso  wie  bei  Birck  gerieren  sich  in  der  eingangsscene  die  bei- 
den alten  bösewichter  wie  zwei  Inedermänner ,  die  sich  gegenseitig  treu- 
lich mit  rat  und  tat  beistehen;  in  der  verfülirungsscene  fahren  sie 
plump  und  täppisch  darein.  Ohne  jede  individuelle  beweguug  verlau- 
fen auch  die  gerichtlichen  sceiien,  die  doch  leicht  zu  einer  solchen 
gelegeuheit  boten.  Susanna  muss  eben  verurteilt  werden,  und  so  wird 
sie  denn  trotz  des  einspruchs  von  Joachim  und  Helkias,  der  übrigens 
auch  nur,  um  das  decorum  zu  wahren,  gemacht  scheint,  ohne  weite- 
res auf  die  verleumderische  anklage  hin  zum  tode  verdamt. 

Viel  menschlich  natürlicher  und  lebenswahrer  ist  das  verhalten 
des  gesindes  bei  dem  Unglück  der  herriu  und  das  der  beiden  Scher- 
gen, die  innerlich  der  unglücklichen  frau  mitleidig  zugetan  sind  und 
mit  ausgelassen  bitterem  spotte  die  alten  nach  ihrer  Verurteilung  ver- 
folgen. Wie  hier,  so  ist  Bircks  eintluss  auch  in  den  familien-  und 
kinderscenen  uuverkenbar.  In  diesen  gelingen  dem  dichter  schon  recht 
ansprechende  lebenswarme  züge ,  wie  wenn  z.  b.  das  kleinste  kind  noch 
in  khidischem  lallen  spricht.  Beim  abschiede  Joachims  I,  2  bittet  Ben- 
jamin denselben: 

Lieb  vater,  kumt  herwider  schier 

und  bringt  auch  etwas  schönes  mir. 
Jahel:   Mie  auch,  mie  auch,  lieb  vate  mein, 

hingt  was,  das  gülden  ist  und  fein. 
Als  die  mutter  bei  der  Verleumdung   der  ältesten   in  tränen  aus- 
bricht III,  3,  fragt  Benjamin: 

Was  ist  euch  ,  liebe  muter  mein. 

das  ir  so  weinend  kumt  herein? 
Jahel:    We  hat  euch  tan.  lieb  memmelein? 
Bei  der  wegführung   der  mutter  durch   die  schergeu  IV,  3   klagt 
das  kind :  0  we ,  laß  mie  mein  memmelein ! 

Giezi:     Nein,  liebes  kind,  es  kann  nicht  sein, 

wir  wollu  dirs  widerbringen  schon. 
Jahel:   Neu,  nen,  je  wedt  je  etwas  ton. 
Mit   kindliehen  worten   begrüssen    sie  V,  6    die  gerettet   heimge- 
kehrte mutter: 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHIC    PHir.OI.OOIE.      DD.    XI.  H 


162  PILGER 

Benjamin:    Ja,  liebe,  lierzne  miiter  mein, 
wir  wollen  nu  vil  frümer  sein, 
Jahel:  Ich  auch  wil  frum  und  thosam  sein. 

Susanna :  Ja ,  tus ,  du  liebes  töchterlein. 
Vielleicht  der  grosseste  Vorzug  unseres  Stückes  liegt  auf  dem 
gebiete  der  form  im  engeren  sinne.  Denn  verdient  schon  Rebhuns 
spräche  gebildet,  im  ganzen  gewant  und  den  verschiedenen  Situationen 
angemessen  genant  zu  werden ,  so  überragt  er  doch  in  noch  viel  höhe- 
rem grade  alle  seine  Zeitgenossen  durch  seine  Sorgfalt  und  umsieht  in 
der  behandlung  des  verses. 

Zunächst  brachte  der  dichter  das  neue  metrische  princip,  das  wir 
bei  Birck  kennen  gelernt  haben  und  das  er  jedenfals  von  den  Schweizer 
dichtem  aufgenommen  hatte ,  in  einer  reinheit  und  consequenz  zur 
anwendung,  die  wie  sie  seine  Vorgänger  weit  hinter  sich  Hess,  so  auch 
von  den  späteren  noch  lange  zeit  hindurch  nicht  erreicht  werden  solte. 
Bei  Birck  fanden  wir  noch  immer  auf  sieben  verse  eine  abweichung 
von  dem  regelmässigen  tonwechsel,  bei  Rebhun  in  dem  ganzen  stücke 
fast  keine  einzige. 

Mochte  diese  äusserste  consequenz  an  sich  auch  nicht  notwen- 
dig sein,  der  noch  immer  herschenden  Verwilderung  gegenüber  war 
dieselbe  nicht  nur  erklärlich ,  sondern  auch  verständig.  Um  sich  davon 
zu  überzeugen ,  darf  man  Rebhuns  versen  nur  die  zu  seiner  zeit  noch 
immer  gäng  und  gäben  gegenüberstellen,  z,  b.  die  der  Nürnberger 
Susanna  oder  etwa  von  Heinrich  Knaust  [Cnostinus]  oder  von  Seba- 
stian Wild,  Bei  jenem  tinden  sich  in  der  „Tragedia  von  Verordnung 
der  Stende "  ^  nicht  selten  verse  wie 

Im  anfang  gwest  mit  gnadn  ubrschut  B  6  b. 
Wenn  unsr  vatr  ein  scheps  zu  opfr  tregt  B  7  b. 
Herundr  reissn,  schlagn  jn  für  die  fron  E  1. 
Von  Wild  2  führe   ich    neben   der   schon    oben  mitgeteilten  probe   noch 
folgende  aus  der  tragödie  von  dem  doctor  an: 

Doctor;  In  die  stat  Paris  hab  ich  sin. 

Abenteurer:  So  werdt  ir  gewiss  ein  doctor  sein. 
Doctor:  Ja,  mein  lieber  freund,  ich  bin  ein 

doctor,  aller  weit  angenem, 

1)  Wittenberg  1539. 

2)  S.  Tittnuinn,  Schauspiele  I,  s.  221.  Wilds  verse  geliören  zu  den  schlech- 
testen, die  ich  angetroffen  habe,  und  es  ist  nicht  richtig,  wenn  Tittmann  s.  207 
angibt,  dass  verse  wie  „  dass  kt  iner  mehr  klage  hinfür"  hei  ihm  nicht  grade 
häufig  seien. 


DRAMAT.    DKR    SÜSANNA    IM     IT..    ,m.  Iß3 

Abenteurer:  Mein  lierr,  wolfe  ir  in  der  stat  dorn 
knaben  helfen  /n  einem  lierren. 
oder  nmß  er  studieren  lernen, 
dort  auf  der  hohen  schule  nun  V 

Dass  diesen  holprigen,  jedes  i'hythmus  haaren  Zeilen  gegenüber  Kebhuns 
verse  mit  ihrer  conseiinenten  durchführung  des  neuen  princips  der  ste- 
ten abwechselung  von  liebnng  und  Senkung  eiiu^n  wirklichen  und  bedeu- 
tenden fortschritt  zu  scliöner  form  darstellen,  Jiedarf  keines  l)eweises. 

Es  raubt  dem  dichter  wenig  von  seinem  Verdienste,  wenn  er  in 
der  strengeren  beliandluiig  der  kurzen  roimpaare  ebenso  wie  Birck  in 
einem  jtunkte  über  das  nniss  hinausgeht:  er  lässt  nämlich  wie  jener 
dieselben  immer  mit  stumpfem  reim  schliesseu,  während  ei'  den  aus- 
gang  mit  klingendem  reim  als  eine  eigene  versart,  z.  b.  in  der  ersten 
scene,  verwendet.  Noch  w^eniger  aber  darf  man  billigerweise  dem  dich- 
ter daraus  einen  Vorwurf  machen,  dass  er  nicht  auch  zugleich  bei  sei- 
ner reg-ulierung  des  rhythmus  die  sprachlichen  freiheiten,  die  sich  jene 
zeit  glaubte  gestatten  zu  dürfen,  gänzlich  vermied,  um  so  weniger, 
als  man  doch  anerkennen  muss ,  dass  er  auch  hierin  mit  feinerem  gefühl 
verfuhr  als  seine  Zeitgenossen. 

Als  ein  wirkliches,  wenn  auch  geringeres  verdienst  betrachte  ich 
auch  Rebhuus  zweite  neuerung,  die  auwendung  fünffüssiger  jambischer 
und  fünf-  bis  sechsfüssigci'  trochäischer  verse.  Denn  gegenüber  dei' 
monotonen  alleinherschaft  des  achtsilbers.  unter  dessen  einförmigem 
geklapper  der  spräche  jede  reichere  rhythmische  bewegung  mehr  und 
mehr  verloren  gegangen  war,  erscheint  mir  der  versuch  aller  anerken- 
nnng  wert,  der  dichtung  durch  Zuführung  neuer  und  edler  formen  wider 
wolklang  und  belebenden  Wechsel  zuzuführen. 

Erfuhr  der  dichter,  wie  wir  sogleich  sehen  werden,  für  diese 
refoi'men  bei  seinen  Zeitgenossen  wenig  dank,  wie  es  grade  auf  die 
Schönheit  der  form  gerichteten  bestrebungen  in  dem  Schlendrian  ästhe- 
tischer Verwilderung  nicht  selten  zu  geschehen  pflegt,  so  ist  es  doch 
viel  befremdlicher,  dass  er  auch  heut  die  algemeine  anerkennung  noch 
nicht  gefunden  hat.  Selbst  nachdem  Palm  und  Höpfner^  des  dichters 
doppeltes  verdienst  eingehend  gewürdigt  hatten,  fertigt  Tittmann  in 
seiner  ausgäbe  der  Susanna,-  indem  er  die  wichtigere  neuerung,  die 
durchführung  des  regelmässigen  betonungswechsels ,  mit  schweigen  über- 
geht,  die  zweite   als    „eine  wunderliche  gelehrtengrille "    eines  mannes 

1)  Jener  in  der  ausgäbe  von  Rebhuus  dramen  185it ,  dieser  in  ,.  Eeformbestre- 
bungen  usw."  s.  12  fg. 

2)  Schauspiele  I,  s.  XXIV. 

11* 


164  PILGER 

ab,  der  „vom  volksmässigeu,  in  welchem  unzweifelhaft  die  keime 
naturgemässer  fortentwicklmig  lagen,  abweichend  zur  nachahmung  eines 
schon  fertigen,  aber  fremden  schritt." 

Ich  bedaure  einmal,  dass  diese  worte  keine  nähere  andeutung 
darüber  enthalten,  welche  ,, keime  naturgemässer  fortentwicklmig"  hier 
gemeint  sind,  aber  ich  möchte  doch  zugleich  die  berechtigung  des 
Standpunkts  bezweifeln,  von  dem  aus  selbst  die  verständige  uacbbildung 
eines  fremden,  wie  in  diesem  falle,  verworfen  wird.  Verständig  aber 
war  der  versuch  Kebhuns  wie  jeder  andere,  der  den  zweck  hat,  die 
rhythmischen  formen  einer  spräche ,  zumal  so  herabgekommene  wie  die 
damaligen,  durch  fremde  zu  bereichern,  sofern  sie  nur  dem  geist  der- 
selben nicht  zuwider  sind.  Was  z.  b.  von  der  eiuführung  des  endreims 
im  neunten ,  und  des  fünffüssigeu  Jambus  im  achtzehnten  Jahrhundert 
gilt,  darf  doch  auch  von  dem  dichter  des  sechzehnten  Jahrhunderts  gelten. 
Oder  wäre  etwa  der  trochäische  tonfall  eine  abirrung  von  den  gesetzen 
unserer  spräche,  etwa  wie  Konrad  Gessners  quantitierende  hexameter? 
Der  tatsächlichen  eutwicklung  gegenüber ,  die  inzwischen  unsere  rhyth- 
mik  erfahren,  dürfte  sich  eine  solche  ansieht  doch  schwerlich  recht- 
fertigen lassen. 

Müssen  wir  also  Rebhuns  beide  neuerungen  als  wirkliche  Verdienste 
bezeichnen ,  so  soll  damit  nicht  auch  zugleich  die  art ,  wie  er  die  von 
ihm  neugebildeten  metra  im  einzelnen  verwendete,  gutgeheissen  werden. 
Man  wird  sich  aber  überliaupt  in  einer  zeit,  die  noch  mit  der  aneig- 
nung  der  elementarsten  gesetze  der  kunst  zu  ringen  hatte ,  daran  genü- 
gen lassen  müssen ,  wenn  der  dichter  in  solchen  dingen  nicht  rein  äusser- 
lich,  sondern  nach  einem  irgendwie  verständigen  princip  verfuhr.  Titt- 
mann spricht  ihm  auch  dies  ab.  „Rebhuns  kunst,  sagt  er,  besteht  ledig- 
lich darin,  für  die  hochtönenden  reden  erhabener  personen  einen  län- 
geren vers  zu  wählen  als  für  die  gewöhnliche  Unterhaltungssprache." 
Auch  dieser  tadel  erscheint  mir  nicht  billig,  um  so  weniger,  als  gerade 
das  princip  pathetische  reden  in  verse  von  grösserem  gewicht  zu  klei- 
den ,  als  den  gewöhnlichen  dialog ,  doch  wol  auf  einem  sehr  richtigen 
gefühl  beruht. 

In  der  bildung  der  reime  teilt  Rebhun  noch  in  ziemlich  hohem 
grade  die  algemeinen  schwäclien  seiner  zeit  und  begnügt  sich  z.  b.  zu- 
weilen mit  blosser  Assonanz,  doch  bleibt  auch  hier  ein  streben  nach 
correctheit  unbestreitbar.  Reimbrechung  findet  sich  bei  ihm  nur  ziem- 
lich selten.  Dass  er  dies  wichtige  mittel  der  belebuug  des  dialogs  so 
wenig  beachtete,  ist  um  so  befremdlicher,  als  er  sonst  auf  dieselbe 
grade  bedacht  nimt,  wie  die  von  ihm  nicht  selten  und  mit  geschick 
an  bewegteren  stellen  angewante  brechung  des  verses    durch  personen- 


URAMÄT.    DER   SUSANNA   IM    16.    JH.  165 

Wechsel  zeigt.  S.  besonders  Hl,  3,  IV,  3,  V,  2.  lu  der  leztcreii 
stelle  wird  das  überniscliende  des  plötzlichen  crscheiuens  von  Daniel 
geschickt  durch  den  folgenden,  drei  personen  zugeteilten  vers  dar- 
gestelt: 

Simeon.    Horcht  da! 

Gamaliel.    Was  daV 

Zacharias.    Wes  ist  die  stimme? 

Kebhuns  lyrische ,  in  kunstreicher  stropheulbrm  gedichtete  chor- 
gesänge  sind  jedenfals  auch  im  hinblick  auf  die  cliorlieder  der  antiken 
tragödie  eingefügt:  die  „proportio"  des  ersten  und  zweiten  chors 
weist  vielleicht  sogar  ausdrücklich  auf  die  antistrophe  derselben  hin. 
Aber  eine  weitere  verwautschaft  findet  nicht  statt.  lu  dem  ersten  liede 
haben  der  chorus  und  die  proportio  zwar  gleichen  rhythmus,  aber  ver- 
schiedene takteinteilung,  im  zweiten  nicht  einmal  jenen:  im  übrigen 
halten  sie  sich  der  volksmässigen  Übung  durchaus  getreu.  Die  Strophe 
des  ersten  chors  ist  geradezu  einem  volksliede  nachgebildet,  die  sämt- 
licher andern  sind  von  der  art  der  strophen  in  den  Volksliedern  und 
meistergesängen  in  nichts  verschieden.  An  diese  erinnert  besonders 
die  dreiteiligkeit  der  strophen  des  ersten,  dritten  und  vierten  gesan- 
ges,  so  wie  der  proportio  des  zweiten:  der  chorus  selbst  besteht  hier 
aus  fünf  vier  zeiligen  strophen.  Mit  wie  grosser  gewantheit  Rebhun 
auch  diese  kunstvolleren  metrischen  bildungen ,  deren  Schönheit  an  sich 
ich  nicht  verteidigen  will,  handhabte,  das  zeigt  auf  den  ersten  blick 
eine  vergleichung  mit  Bircks  steifen,  schlecht  betonten,  zum  teil  sogar 
unverständlichen  chorgesängen. 

Fassen  wir  schliesslich  die  vielseitigen  Vorzüge  der  Rebhunschen 
dichtung  zusammen,  so  wird  das  urteil  gerechtfertigt  erscheinen ,  dass 
ein  bedeutender  fortschritt  zu  dramatischer  gestaltung  des  Stoffes  und 
zugleich  zu  reicherer  und  edlerer  rhythmischer  form  dieselbe  von  allen 
ihren  Vorgängern  und  von  dem  gesamten  bisherigen  deutschen  drama 
trent. 

Wir  haben  in  Rebhuns  Susanna  die  erste  gereiftere  frucht  zu 
begrüssen,  welche  der  same,  den  seit  einem  halben  Jahrhundert  die 
humanisten  ausgestreut  und  gepflegt,  auf  dem  gebiete  des  deutschen 
dramas  hervorbrachte.  Unangebracht  erschiene  mir  hierbei  die  klage, 
dass  dieser  same  nicht  dem  heimischen  boden  entstamte ,  dass  die  neue 
kunstform  sich  in  ihrem  eigentlichen  wesen  von  der  früheren  nationalen 
art  abwante;  denn  solte  überhaupt  unsere  litteratur  durch  diejenige 
kunstgattung ,  die  wir  heut  drama  nennen,  bereichert  werden,  so  war 
diese  abkehr  notwendig:  die  dramatischen  versuche  der  früheren  zeit, 
die  geistlichen  wie   die  fastuachtspiele ,  waren  kaum  mehr  als   dialogi- 


1(56  PILGER 

sierte  epische  erzäliluugeii  imd  liatteii  mit  deinwesen  des  drainas  wenig 
gemein. 

Die  aufnähme,  die  Rebhims  stück  fand,  und  die  Wirkung-,  die  es 
auf  seine  zeit  übte ,  blieben  leider  weit  hinter  seinem  werte  zurück. 
An  einem  gewissen  beifall  zwar  fehlte  es  ihm  nicht;  denn  trotzdem  es 
ein  jahv  nach  seinem  erscheinen  1537  in  Wittenberg  nachgedruckt 
wurde  und  1538  die  sogleich  zu  besprechende  Wormser  Umarbeitung 
erfuhr,  erschien  doch  1544  eine  zweite  rechtmässige  ausgäbe;  auch 
aufführungen  sclieint  es  niclit  selten  erlebt  zu  haben.  Aber  der  ein- 
Üuss,  den  es  auf  unsre  dramatische  litteratur  gewann,  war  ein  sehr 
geringer. 

Von  Eebluins  dramatischer  technik  zu  lernen ,  war  wol  keiner  sei- 
ner Zeitgenossen  einsichtig  genug,  seinem  bestreiten  in  formeller  bezie- 
hung  schlössen  sich  zwar  mehrere,  leider  aber  unbedeutendere  männer 
an,  wie  Ackermann,  Tirolff,  Krüginger  u.  a.,'  und  so  erlangten  denn 
Kebhuns  reformen  den  beifall  des  grossen  publikums  nur  in  geringem 
grade.  Wie  wenig  dasselbe,  in  seiner  ästhetischen  Unbildung  befangen, 
sich  denselben  zugänglich  zeigte,  dafür  ist  bezeiclmend,  dass  der 
buchdrucker  Sebastian  Wagner,  der  zu  Worms  Rebhuns  werk  nach- 
druckte, die  neuen  metra  samt  und  sonders  in  die  gewohnten  reim- 
paare  umsezte:  viel  bezeichnender  aber  noch  als  diese  reaction  selber 
ist  die  ausführung  derselben,  und  es  verlohnt  einen  augenblick  dabei 
zu  verweilen. 

In  der  vorrede  rühmt  Wagner,  dass  er  Kebhuns  stück  heraus- 
gebe „nit  on  radt  eyns  guten  freunds  welcher  -  diß  spiel  mit  etlichen 
personeu  und  reimen  gemert  und  gebessert  hat:  Also,  daß  es  dem  vori- 
gen gedieht  nit  eyn  kleine  zierd  gibt." 

Diese  zierde  aber  bestand  ■ —  abgesehen  von  der  törichten  Ver- 
mehrung der  richterzahl ,  der  dehnung  der  gerichtsscenen  und  kleineren 
durchaus  überflüssigen  änderungen  ^  —  darin,  dass  er  mit  einer  geradezu 
unglaubliclien  barbarei  alle  jene  neuen,  wolgebildeten  metra  Rebhuns 
durch  entsetzliche  Avortverrenkungeu  ^  und  noch  viel  entsetzlichere  syn- 
taktische Verstümmelungen  —  er  lässt  z.  b.  zuweilen  das  Subjekts  -  pro- 
nomen  aus  —  in  die  gewohnten  kurzen  reimpaare  zusammenpresste 
oder  auseinanderzerrte.  Würdig  dieser  sprachlichen  rohheiteu,  die  zuwei- 

1)  S.  Hö])fiHH-  a.  II.   y.  s.  13  und   14. 

2)  Vielleicht  nach  Bircks  vorbild;  denn  auffallender  weise  hat  auch  er  V,  4 
statt  der  asche  und  linde  wie  Birck  ,,  maulbeerbaum "  und  „granatopfclbaum." 

3)  Ver  wird  in  v,  sämtliche  formen  des  artikels  in  d,  niemandes  in  nierads 
verkürzt  u.  a. 


DRAMAT.    DKR   SU6ANNA    IM    16.    JH.  167 

leu  selbst  den  siuii  volstäiidig  zerrütten,^  ist  die  versbeliandlung.     Die 
verse  schwauken    regellos  zwischen  vier   bis    sechs  hebimgen   und  zwi- 
schen jambischem  und   trochäischem   rhythmus.     Ich   gebe   zui'  veran- 
schaulichung  seines   Verfahrens   folgende   stelle   aus  IV,  1 ,   in  welchen 
die  trochäen  des  Originals  vielfacii  durchklingen : 
Dise  red  thiit  mich  betrüben  seer, 
Daß  ich  solcli  klag  von  fraw  Susaii  hör 
Welch  ich  kaü  glaubt,  wo  mich  nicht  vrseh 
Zu  euch ,  jr  thet  die  warheyt  jehn. 
Weil  jrs  dail  selbs  solt  hon  gsehen. 
Kann  ich  de  verschlag  nit  widerstehn. 
Sonder  sag,  man  laß  sie  holen, 
Vnd  vrtheylen ,  wies  got  befolheu. 
Das  original  lautet: 

Eure  wort  die  haben  mich  l)etrübet  sere, 

das  ich  solche  klag  von  frau  Susannen  höre, 

welch  ich  nicht  kund  glaubn,  wo  ich  nicht  tet  versehen 

mich  zu  euch,  daß  ir  nicht  tut  uuwarheit  jehen. 

weil  dann  ir  sölchs,  wie  ir  sagt,  habt  selbs  gesehen, 

kann  ich  eurem  Vorschlag  auch  nicht  widerstehen, 

1)  Z.  b.  in  folgender  stelle  IV,  1: 

Domit  wir  nit  fallen  iü  schuld, 

Als  gerecht  richter  befunden, 

Macht,  daß  wir  nit  schweige  künde 

Eyii  Ehbruch,   den  wir  hon  gsehen, 

Mußn  wir  mit  warheyt  verjehen. 

Woln  wir  dangen  nit  verkeren, 

Vom  gsetz,  zum  gunst  vn  der  ehren. 

Suust  woltn  wirs  nit  offenbaren, 

Moses  der  zeucht  vnß  bein  hären. 

Tringt  auff  unß  mit  Gottes  gesetz, 

Drumb  gunst,  ehr,  gwalt,  bindan  wirf  gsetzt, 
Umbildung  von  Kebhun: 

Das  wir  nu  auf  uns  nicht  laßen  solche  schulde. 

sonder  als  gerechte  richter  werdn  befunden, 

achten  wir ,  das  wir  mit  recht  nicht  schweigen  künden 

einen  ehebruch,  den  wir  beide  selber  gsehen, 

welchen,  so  wir  wolten  die  person  ansehen, 

oder  vom  gesetze  unser  äugen  keren. 

oder  höher  achten  frenndschaft ,  gunst  und  ere. 

Avolten  wir  in  keinem  weg  euch  offenbaren: 

weil  uns  aber  Moses  gleich  als  zeucht  bein  baren 

und  auf  unsern  nacken  dringt  mit  Gottes  gsetzen, 

wollen  wir  gunst,  er  und  gwalt  hindan  itzt  setzen. 


168  PILGER 

souder  sage,  das  man  sie  sol  laßen  holen 
und  darnach  sie  urteiln,  wie  uns  got  befoleu. 
Erkent  man  in  diesen  barbareien  wenigstens  noch  eine  absieht,  so  fehlt 
für  andere  jede  erklärung,    so  z.  b.    für  die  volständig  sinlose  behand- 
lung    von    Rebhuns   kurzen   reimpaaren   mit   weiblichen    reimen.     Bald 
lässt  er  dieselben  volständig  unverändert,  bald  verkürzt  er  sie  um  eine 
silbe  —   aus  welchem    zwecke,    fragt   man    sich  vergeblich,    da  er  die 
weiblichen  reime  meistens    stehen   lässt   —    und   zwar  verkürzt   er  sie 
oft  derartig,  dass  der  rhythmus  trochäisch  wird! 
Der  anfang  des  Stückes  heisst  bei  Rebhun: 

ßesatha:    Ein  guten  tag  euch  Got  woll  geben! 
Ichabot:     Und  euch  vil  guter  jar  daneben! 
Kesatha:     Wie  soll  ich  das  von  euch  verstehen, 

das  ir  so  traurig  itzt  tut  sehen 

und  euren  Kopf  laßt  nider  hangen, 

als  het  euch  Unglück  übergangen? 

ist  euch  was  böses  widerfaren, 

so  wolt  mir  auch  das  offenbaren. 

odr  seind  euch  sonst  so  schwere  sachen 

itzt  kumen  für,  die  euch  so  machen 

bekümert  und  so  gar  erschlagen, 

wolt  mir  die  selben  auch  fürtragen. 
Wagner  lässt  die  ersten  sechs  verse  metrisch  unverändert ,  nur  dass  er 
V.  4  itzt  streicht,  dann  „bessert"  er  folgendermassen : 

Ist  euch  was  böß  widerfaren, 

So  wolt  mir  das  offenbaren. 

Oder  seind  euch  sunst  schwer  sachen. 

Kommen  für,  die  euch  so  machen 

Bkttmmert  und  so  gar  erschlagen, 

Wolt  mir  dselben  auch  fürtragen. 
Diese  proben  werden  genügen ,  um  eine  Vorstellung  von  der  roh- 
heit,  mit  der   hier   ein    trefliches  werk  verunstaltet    wurde,    zu    geben 
und  zugleich  nicht  blos  den  geschmack  der  zeit  zu  brandmarken,   son- 
dern auch  ihre  Unfähigkeit  das  bessere  nur  zu  würdigen. 

In  den  schlimmen  erfahrungen,  die  Rebhun  mit  seinen  metri- 
schen reformen  machte,  lag  vielleicht  auch  der  grund,  warum  er  nur 
noch  so  weniges  geschrieben,  denn  augenscheinlich  entsprang  auch  aus 
ihnen  die  befürchtung,  die  er  1544  in  der  vorrede  zur  zweiten  bear- 
beitung  der  Susanna  im  hinbiick  auf  seine  deutsche  grammatik  aus- 
spricht: „dass  ich  noch  mit  mir  im  zweiffei  stehe,  ob  vnsere  teütscheu, 


DBAMAT.   DER   SUSANNA   IM    Ifi.    .111.  169 

diss  worckli  werden  zu  dauek  auuelimeu,  —  nach  dem  wir,  leyder, 
i^meineklich  also  gesiuuet,  das  wir  andere  leüt  arbeit,  wie  gut  sie 
auch  ist,  lieber  taddeln,  denn  vnns  der  selben  amveißung  in  unserem 
thun  bessern."  Der  wackere  manu  hatte  mit  dieser  klage  nur  alzu 
recht,  und  eine  ganze  reihe  decennien  solte  noch  vergelten,  bis  zu 
günstigerer  zeit  und  auf  besser  vorbereitetem  boden  ein  anderer  das- 
selbe, was  er  angestrebt,  unter  dem  rulinie  von  mit-  und  nachwelt 
durchsezte. 

G. 
Sixt   ßirck    |Betulius|,   lateinische   bearbeitung.    1537. 

Der  prolog  dieses  Stückes  gewährt  einen  interessanten  einblick 
in  die  Vorurteile,  unter  welchen  jezt  hinsichtlich  der  wähl  des  Stof- 
fes [vgl.  s.  155J  unser  drama  in  folge  der  reformation  zu  leiden  begann. 
Hatte  dasselbe  seit  dem  ende  des  15.  Jahrhunderts  unter  den  bänden 
der  humanisten  in  glücklichster  weise  angefangen,  die  eng  umschlos- 
senen grenzen,  in  denen  es  bis  dahin  als  geistliches  spiel  den  Inhalt 
einiger  abschnitte  der  bibel,  als  fastnachtspiel  das  niedere  plebejische 
treiben  dargestelt  hatte,  zu  verlassen  und  mehr  und  mehr  in  das 
reiche  leben  und  die  vielseitigen  Interessen  der  gegenwart  einzutreten,^ 
so  begann  leider  jezt  bereits  wider  eine  gegenströmung,  welche  die  so 
eben  erst  aufgenommenen  stoft'e  von  neuem  und  auf  lange  zeit  in 
den  hintergrund  drängte.  Die  biblischen  erzählungen,  die  während 
der  ersten  drei  decennien  des  16.  Jahrhunderts  nur  höchst  selten  eine 
bearbeitung  erfahren  hatten,  werden  jezt  die  lieblingsstoffe  des  dra- 
mas  und  bleiben  es  das  ganze  Jahrhundert  hindurch.  Ja  es  fehlte 
nicht  an  eiferern,  die,  wie  sie  Terenz  und  Plautus  von  den  drama- 
tischen aufführungen  fern  gehalten  wissen  wolten,  so  auch  die  welt- 
lichen Stoffe  überhaupt  bekämpften.  Gegen  einen  Vertreter  dieser  rich- 
tuug  polemisiert  Birck  in  dem  erwähnten  prolog  auf  das  heftigste. 
Ironisch  rühmt  er  seine  zeit: 

Sic  nos  sumus  (ut  diis  placet) 

lam  sanctuli,  quibus  istaec  sancta  cautio  est, 

Quo  non  puer  tenellus  Christo  deditus 

Ex  limpido  latice  castarum  virgiuum 

Ingurgitet  quid  philtri. 

1)  Man  denke  an  die  lateinischen  stücke  von  Wimpfeling,  Eihart  Battmaun 
[s.  WiskowatofiF,  "Wimpfeling,  Berlin  1867,  s.  33fgg.],  Eeuchlin,  Locher,  Hegen- 
dorf u.  a.,  so  wie  an  die  durch  dieselben  angeregten  versuche  in  deutscher  spräche, 
wie  das  Zürcher  neujahrsspiel ,  Gengenbachs  Geuchmatt  und  Nollhart,  Manuels 
fastnachtspiele. 


170  PILGER 

Freilich  seien  auch  die  biblischen  stofte,  die  der  geguer  wünsche, 
durchaus  nicht  frei  von  Charakteren,  wie  sie  Terenz  darstelle ,  und  auch 
die  personen  des  vorliegenden,  wenn  gleich  biblischen  dramas  würden 
ihm  schwerlich  gefallen : 

Quia  non  decet  malas  persouas  fingere 
Bonas.  Malus  manebit  usque  malus. 
Die  beiden  greise  z.  b.  in  der  Susanna  seien  verworfner,  als  sie  jemals 
Plautus  und  Terenz  geschildert,  Acolastus  [der  verlorene  sohu  bei 
Gnaphaeus]  sei  um  nichts  besser  als  Aeschinus  und  Pamphilus.  Und 
scheine  ihm  etwa  ein  stoff,  wie  „der  gekreuzigte  Christus"  besonders 
angemessen  ? 

uil  crudelius 
Sophocles  dedit  neque  ulluui  tota  antiquitas 
Immanius  memorat  scelus, 
oder    die   geschichte    von    Joseph?     Terenz    habe    keine    ärgere   dirne 
geschildert  als  Sephirach 

Für  Betulius  Zeitgenossen  lag  in  diesem  citat  die  deutliche  hinwei- 
suug  auf  den  ungenanten  gegner.  Es  war  augenscheinlich  Crocus,  in 
dessen  Joseph  natürlich  auch  Potiphars  ehebrecherisches  weib,  das  hier 
den  namen  Sephirach  führte,  eine  grosse  rolle  spielt.  Dieser  hatte  in  sei- 
ner schon  oben  s.  136  erwähnten  einleitungsepistel  zu  diesem  stück,  aus 
der  wir  ihn  übrigens  als  einen  einsichtigen  und  klassisch  gebildeten  mann 
kennen  gelernt  haben,  ebenso  wie  im  prologe  gegen  jede  dramatische 
bearbeitung  weltlicher  stoffe ,  wie  gegen  die  auiführung  der  römischen 
comödien  protestiert.  In  der  invitatio  und  dem  prolog  komt  er  in  sei- 
nem eifer  wider  und  wider  auf  seine  ansieht  zurück.  Dort  rühmt  er 
sein  stück:  sacram 

Novamque  nee  visam  prius  comoediam: 

Sensis ,  lepore ,  argutiis  bellissimam. 

Veteres,  sed  absit  invidia,  quae  fabulas 

Pudore,  religione,  sanctimonia 

Christoque  dignis  anteit  sermonibus; 
hier  sagt  er  gieichfals: 

Apporto  namque  non  Plauti  aut  Terentii, 

Quas  esse  fictas  nostis  omnes  fabulas, 

Vanas,  prophanas,  Indicras  ac  lubricas, 

Verum  veram  sacraraque  porto  et  seriam, 

Castani,  pudicam,  sie  ut  ipsas  Yirgiues 

Dictasse  Musas  ac  Minervam  diceres. 
Selbst   das   derbe  motto    des  titelblatts:    „abstine  sus,   non  tibi  spirc' 
wendet  sich  wol  gegen  die  anhänger  der  entgegengesezten  ansieht. 


DRAMAT.    J)EK    SUSANNA    IM     16.    JH.  171 

Diese  heftige  art  der  polemik,  ebenso  wie  der  eifer,  mit  welchem 
Betulius  diese  engherzige  auftassung  al)weist,  zeigt,  dass  es  sich  damals 
noch  um  viel  beslritteuc  ansichten  handelte.  Welche,  wenigstens  in 
einzelnen  gegenden,  in  der  nächsten  folgezeii  zum  schaden  der  freien 
entwicklung  unserer  dramatischen  poesie  die  oberhand  gewann,  ist 
bekannt:  wurde  doch  sel])st  Betulius  trotz  seiner  theoretischen  einsieht 
von  dem  zuge  der  zeit  so  beeinHusst,  dass  er  in  seinen  neun  dramen 
nicht  einen  einzigen  ausserbiblischeu  stoff  beliandelte.  — 

Seine  lateinische  bearbeitung  der  Susanna,  die,  wie  die  wider- 
holten ausgaben  bezeugen,  grossen  beifall  fand,  hat  mit  der  deutschen 
nichts  gemeinsam  als  die  im  ganzen  gleiche  einrichtung  des  stoffes.^ 
Aber  auch  in  dieser  beziehung  linden  sich  nicht  unbedeutende  abwei- 
chungen,  die  zugleich  einen  gewissen  fortschritt  des  dichters  bekunden. 

Der  Inhalt  des  ersten  aktes  stimt  in  beiden  stücken  überein ;  dann 
folgt  in  dem  lateinischen  ein  ziemlich  inlialtsloser  zweiter  akt:  ein 
kurzer  dialog  der  beiden  ältesten  iil)er  die  beste  form  der  anklage, 
eine  raitteilmig  des  nocli  nichts  ahnenden  Joachim  an  Helkias  über  die 
traurige  Stimmung  der  Susanna,  zwei  durchaus  überflüssige  Unterhal- 
tungen einiger  richter  über  ihr  amt  und  eine  lobpreisung  Joachims 
durch  die  gerichtsdiener.  Der  dritte  akt  ist  dem  zweiten  der  deut- 
schen bearbeitung  gleich,  während  der,  wie  wir  sahen,  vollgepfropfte 
dritte  akt  der  lezteren  jezt  zweckmässig  in  zwei  zerlegt  ist,  so  dass  der 
fünfte  mit  dem  auftreten  Daniels  begint  und  der  Steinigung  der  reuigen 
alten  schliesst.  Eine  wunderliche  zutat  erhält  derselbe  durch  das  etwas 
gewaltsam  herbeigezogene  auftreten  Nabucliadonosors  und  seines  gesamten 
hofstaates:  er  muss  nämlich  die  entscheidung  über  die  todesstrafe  der 
beiden  alten  geben ,  zu  welcher  die  richter  sich  nicht  competent  betrach- 
ten. Zu  erklären  ist  wol  dieser  ganze  auftritt  nur  aus  dem  wünsche, 
gelegenheit  zu  einem  prächtigen  aufzug  zu  haben  —  wie  ja  die  nei- 
gung  zu  dergleichen  decorativem  pomp  bald  in  hohem  masse  in  unser 
drama  einriss. 

Die  einzelnen  akte  sind,  wie  in  der  deutschen  bearbeitung,  durch 
chorgesänge  geschieden,  die  wie  dort  sich  dem  Inhalt  derselben  anschlies- 
sen  und  nach  biblischen  stellen ,  besonders  aus  den  psalmen .  gedich- 
tet sind. 

Die  behandluug  des  stoffes  im  einzelnen  ist  in  der  lateinischen 
bearbeitung  ungleich  lebensvoller  und  abgerundeter,  nur  die  gerichts- 
scenen  sind  in  beiden  von  derselben  geschmacklosen  breite  und  werden 

1)  Goedckes  bemerkung  Grundviss  s.  IM:  ,,  Birck  schrieb  seine  stücke 
ursprünglich  deutsch  und  übersezte  sie  dann  selbst  ins  lateinische"  trift  also  auf 
die  Susanna  nicht  zu. 


172  PILGER 

hier  durch  die  auweuduug  allerlei  juristisch -technischer  ausdrücke, 
wie  einer  anderthalb  selten  langen  eidesformel ,  ferner  durch  die  unter- 
lialtungen  der  richter  über  ihr  amt  und  durch  die  befragung  Nabucha- 
douosors  und  seiner  Satrapen  noch  einförmiger  und  langweiliger.  In 
allen  übrigen  beziehuugen  steht  die  deutsche  bearbeitung  mit  ihrer  im 
algemeinen  ja  noch  immer  recht  unbeholfenen  und  dürftigen  behand- 
lung  weit  zurück.  Es  ist  interessant  zu  sehen ,  mit  wie  ärmlicher  skiz- 
zierung  sich  der  dichter  im  deutschen  begnügt,  während  im  lateini- 
schen ihm  vielfach  fülle  und  rundung  nicht  blos  im  ausdruck  und  in 
der  darlegung  der  einzelnen  gedanken ,  sondern  auch ,  was  freilich  eng 
damit  zusammenhängt,  in  der  darstellung  der  Charaktere  und  in  der 
ausführung  ganzer  sceuen  zu  geböte  stehen.  Man  merkt  die  Schulung, 
die  der  dichter  aus  dem  studiuni  einer  gebildeten  spräche  und  nach- 
ahmenswerter Vorbilder  gewonnen. 

Die  glücklichen  striche ,  durch  die  wir  schon  in  der  deutschen 
bearbeitung  die  nebenpersonen  charakterisiert  fanden,  sind  hier  geschickt 
weiter  ausgeführt.  Neue  lebensvolle  züge  sind  hinzugetreten ,  wie  z.  b., 
als  Susanna  fortgeführt  wird,  die  frauenhaft  masslose  heftigkeit  der 
mutter  und  im  gegensatze  dazu  die  ruhig  würdige  haltuug  des  vaters. 
Ganz  besonders  aber  hat  die  Charakteristik  der  beiden  greise  gewon- 
nen ,  die  aus  den  Schemen  der  ersten  bearbeitung  zu  lebendigen  figuren 
geworden  sind. 

In  folge  dieser  Vertiefung  der  Charaktere  gelingen  Betulius  schon 
in  viel  höherem  grade  als  früher  einzelne  vortrefliche  scenen.  Zu 
den  besten  gehört  diejenige,  in  welcher  die  beiden  alten  die  sich 
entkleidende  Susanua  belauschen  I,  3.  Hier  ist  auf  das  anschaulichste 
die  sinliche  Verliebtheit  derselben  gezeichnet,  wie  auch  die  verschmizl- 
heit  Achabs,  welcher  Susanna  einreden  möchte,  er  habe  zuverlässige 
Prophezeiungen  erhalten ,  dass  sie  von  gott  auserkoren  sei ,  von  ihm 
den  messias  zu  gebären.  Ich  setze  zur  vergleichung  den  beginn  dieser 
scene  in  beiden  bearbeitungen  her:  die  Vorzüge  der  lateinischen  wer- 
den in  die  äugen  fallen. 

Achab:        Harnach,  das  vus  jetz  wol  geling 

Sedechias:  Farhin,  ich  louif,  ich  yl,  ich  spring 

Susanna :     Ach  wee ,  mir  arbeitsäligs  wyb 

Die  schelck  die  stellen  noch  mym  lyb 

Achab :       Ach  neyn ,  du  Edle  zarte  frouw 

Merck  recht,  wir  sind  nit  dorumb  do 
Khehi  fyndtschafft  hat  vns  tragen  har 
Die  liebe  thüt  es  gantz  vnd  gar 

Sedechias:  Die  liebe  zwingt  hie  vnser  hertz 


DRAMAT.    DER    SUSANNA    IM    IC).    Jll.  173 

Achab:         Non  ;unplius  meiim  queo  morbuni  pati. 
Sedechias:    Noudum  puellae  abieve  prorsus,  beiis  maiie. 
A.:    Eu  criira  uudat  uiuculis.     Se.  Eburnea 

Sunt.     A.  Quae  latent  meliora  sunt.     S.  Putas?    A.  Puto. 
Se. :    Quid  nunc  moramur?  approperemus  oeyus. 
Quid,  odium,  cessas  gradu  testudinis? 
Quin  te  moues?     A.  Moueo.     Se.  Tarne  uil  promoues. 
A.:   Studio  gradum  celero  seuili  maxiuie. 

Scena  IV. 
Susanna,  Acbab,  Sedechias. 
Susanna:    Peru,  Procul  dubio  mens  pudor  male 
Periclitatur.     Heu  mihi  miserae  Dens. 
Se. :    Hem  fortiter,  tenta,  perage  decretum  tuum. 
Intrepida  constent  uerba :  qui  timide  vogat, 
Docet  negare.     Magna  pars  sceleris  tui 
Olim  peracta  est,  serus  est  uobis  pudor, 
Incepimus .  ne  cesses.     A.  Sic  coepta  exequar. 
Non  est  quod  expauescas,  o  decus  meum. 
Se. :    0  corculum  meum ,  tuum  suspirium, 

Lachryraas  tuas  omitte:  nullus  hostis  hie, 
Nullum  periculum  timendum  erit  tibi, 
Non  arbiter,  paradysus  hie  dolis  uacat. 
Secreta  cum  sit  culpa,  quis  testis  fiet? 
A.:   Causa  est  amor,  quod  adsumus.     Moroni  geras. 
Amor  sacer,  si  tu  modo  Christi  cupis 
Fieri  parens.     Sunt  certa,  crede,  oraeula. 
Se.:    Morem  geras  nobis  precamur,  omnium 
Pulcherrima,  et  sanctissimae  libidini 
Medere.     Opus  facies  pium.     Su.  Tantumne  ego 
Facinus?    Dens  meliora  det. 
Wie  gewant  erscheinen  hier  die  im  deutscheu  nur  kurz  angeschla- 
genen themen   [die  entsprechenden   lateinischen  stellen   sind   durch  den 
druck   hervorgehoben]   moduliert  und   weiter   ausgeführt!     Es  ist,    als 
wenn  diese  menschen  plötzlich  die  fiihigkeit  erlangt  hätten,  was  sie  bis 
dahin  nur  in  abgebrochenen  lauten  anzudeuten  vermocht,  jezt  wirklich 
auszusprechen.     In  solchem  grade  war  dem  gelehrten  dichter  des  sech- 
zehnten Jahrhunderts  das  lateinische  zur  muttersprache  geworden ! 

Noch  zwei  andere  auftritte  möchte  ich  hervorheben,  in  denen 
merkwürdiger  weise  der  dichter  bereits  das  für  das  drama  so  eflektvolle 
kunstmittel  der   tragischen   Ironie  anwendet.     Die  erste  gerichtssitzung 


174  PILGER 

III,  2  begiut  mit  folgender  ganz  vortrett'lichen  scene.  Der  quaesitor, 
Joachim  begrüssend,  preist  gottes  gnade  gegen  sein  volk.  Joachim 
erwidert,  dass  leider  doch  bosheit  und  Schlechtigkeit  mehr  und  mehr 
um  sich  greife :  täglich  halle  von  ihrem  gezänk  der  gerichtsplatz  wider. 
Da  aber  am  heutigen  tage  grade  kein  process  vorläge,  so  schlage  er 
vor,  zu  untersuchen,  wodurch  recht  und  sitte  Avider  zu  dem  früheren 
glänze  gehoben  werden  könten.  Der  quaesitoi"  billigt  den  Vorschlag 
und  befragt  zuerst  Achab  um  seine  meinung.  Scheinheilig  begint  die- 
ser, dass  sein  gewissen  ihn  zwinge,  ein  verbrechen  zu  enthüllen,  das 
um  so  schwerer  wiege ,  als  es  im  haupte  des  Staatskörpers  begangen 
sei.  Und  zögernd  und  den  nichts  ahnenden  Joachim  um  Verzeihung 
bittend  komt  er  endlich  mit  der  spräche  heraus :  Joachims  eigenes  weib 
ist  eine  ehebrecherin.  Nicht  minder  wirkungsvoll  lässt  Betulius  II,  2 
Joachim,  als  er  die  beiden  alten  von  ferne  in  eifriger  beratung  erblickt  — 
sie  besprechen  sich  über  die  beste  form  der  anklage  seines  eigenen  wei- 
bes  —  ,  ahnungslos  ausrufen: 

0  beatum,  qui  suam 

Vitam  seorsim  ab  omnibus  foreusibus 

Negociis  agit  sibique  victitat 

Deoque. 

Freilich  scenen,  wie  die  angeführten,  finden  sich  auch  hier  nicht 

grade  häufig.     Vieles  bleibt  trocken,    steif  und  stört  durch    seine   sich 

vordrängende  lehrhaftigkeit ;    so  fast  überall  das  auftreten  der  Susauna 

selbst.     Auf  die  furchtbare  anklage  Achabs  erwidert  sie  z.  b.  nichts  als 

die  worte: 

Praecido  eo  modo,  quo  nulla  exceptio 

Siet.  nego  praecise  quae  dicunt  senes. 

Nouit  Dens  doli  peruersam  fabricam. 

Nee  quicquam  eorum,  quae  calumniis  malis 

Dixere,  testimoniis  queunt  bonis 

Probare:  sufficiat  mentem  esse  consciam. 
Und  als  sie  verurteilt  ist,  lehnt  sie  IV,  7  trotz  des  Schmerzes  ihres 
gemahls  und  ihrer  angehörigen  die  appellation  an  Nebukadnezar  kurz- 
weg ab,  ja  es  komt  kaum  eine  regung  wirklicher  betrübuis  über  sie. 
Ihr  gottvertrauen  wird,  menschlich  betrachtet,  zur  Unnatur  und  hart- 
herzigkeit.     Die  mutter,  welche  ihr  klagend  zuruft: 

0  gnata,  te  miseram  nefanda  mors  rapit? 
belehrt  sie :     Genitrix  mea ,  haud  miserum  est  fatis  concedere, 

Miserum  est  nefanda  morte  dignuni  admittere. 

Mortalium  id  sors  fert  bonis  juxta  ac  malis, 

Ut  sint  malis  hie  fortuitis  obnoxii. 


DRAMAT.    IIKR    SUSANNA    IM    16.    JH.  175 

Uud  der  vater  billigt  dies  und  lobt  sie  obeneiii: 

Kecte  sapis,  qiiod  baec  aequi  boni  facis, 
Eobur  Dens  tuis  addat  conatibus, 
Virtutibus  macta,  et  ferendo  iiiucito, 
Grenuisse  me  inortalem  liaiidquaqiiam  iiescio. 
Zu  einer  solclien ,    alle  poesie  und  alle  natur  vernichtenden  vor- 
dräugnng   von    didaktik   und   moral   Hess   sich    durch  die  zeittendenzen 
selbst  ein  manu  treiben ,    dem   es   doch  weder  an  geschmack  und  vor- 
urteilslosem  blick  noch  an  wirklicher  begabung  gebrach.     Dass   seine 
nur   fünf  jähre    vorher    verfasste  deutsche  bearbeitung  von  diesem  stö- 
renden element  sich  durchaus  frei  hält,  ist  nicht  auffallend:    kam  das- 
selbe doch  erst  so  recht  in  aufnähme,  seit  Luther  1534  in  den  bekan- 
ten    vorreden    zu    den    bttchern    Tobias    uud   Judith    die    dramatischen 
spiele   —  von  seinem  Standpunkt  aus  mit  vollem  recht  —  als  religiöses 
uud  moralisches  bildungsmittel  für  die  Jugend  empfohlen  hatte. 


Stöckel.    1559. 

Diese  bearbeitung  ist  ein  nach  allen  beziehuugeu  unbedeutendes 
machwerk,  auf  welches  ausführlich  einzugehen  die  mühe  nicht  lohnt. 

Obgleich  Stöckel  in  der  vorrede  erwähnt,  etlicher  scribenten  com- 
positionen  gelesen  zu  haben,  ja  sogar  ausdrücklich  erklärt,  er  lasse 
jeden  von  ihnen  bei  seiner  würde  und  wolle  es  selbst  versuchen ,  so 
beutet  er  doch  einen  seiner  Vorgänger  auf  das  unbefangenste  aus  uud 
zwar  Betulius.  Ihm  folgt  er  zunächst  in  der  einrichtuug  des  stoflfes 
und  in  der  reihenfolge  der  scenen  durchaus.  In  der  einen  abweichung, 
die  er  sich  gestattet,  verrät  er  sein  gänzliches  Ungeschick:  er  ver- 
schiebt die  akteinteilung  so  unglücklich,  dass  er  am  schluss  des 
vierten  akts  schon  bei  der  Überführung  der  alten  angekommen  ist  und 
für  den  fünften  nichts  als  den  Urteilsspruch  und  die  hinrichtung  übrig 
behält.  Nicht  minder  kenzeichnet  seiuen  mangel  an  Verständnis  für 
dramatische  composition  folgendes.  Wol  aus  an  und  für  sich  aner- 
kennenswerter decenz,  die  ihn  auch  sonst  im  gegensatz  zu  den  welt- 
lichen neigungen  der  zeit,  die  bei  Birck  und  Frischlin  hervortreten, 
alles  anstössige  möglichst  vermeiden  lässt,  verlegt  er  den  Überfall  der 
alten  selbst  hinter  die  scene.  Als  Susanna  dann  aber  auf  der  bühne 
erscheint,  klagt  sie  nur  im  algemeinen  über  die  den  weibern  drohen- 
den gefahren  und  erzählt  ihren  mägden  ohne  weitere  besorgnis  das 
eben  geschehene;  von  der  drohung  der  alten,  sie  des  ehebruchs 
anzuklagen,    sagt  sie  kein  wort.     So  lässt   denn  also  unser  poet  grade 


176  PILGER 

das  moment,  auf  welchem  doch  allein  der  fortgang  der  haudlimg  beruht, 
einfach  fort,  und  der  erste  akt  verläuft  im  sande;  erst  im  zweiten  erfin- 
det Achab  hinterher  nur  aus  räche  die  Verleumdung. 

In  der  behandlung  des  einzelnen  schliesst  Stöckel  sich  ebenfals 
seinem  vorbilde  vielfach  an/  doch  so  geschmacklos,  dass  er  vornehm- 
lich die  schwächen  beibehält,  die  Vorzüge  sämtlich  entweder  unbeachtet 
lässt  oder  verballhornisiert,  so  dass  er  z.  b.  die  der  Susanna  freund- 
liche gesinnung  des  prätors  zu  einei'  plumpen  Parteinahme  verkehrt. 
Eine  eigene  und  recht  unglückliche  erfindung  Stöckeis  ist  es,  dass  die 
beiden  greise  nach  ihrer  Verurteilung  als  durchaus  unbussfertige  sünder 
den  sie  zur  reue  ermahnenden  priester  verhöhnen  —  ein  wenig  glück- 
licher zug,  der  überdies  zu  der  anfänglichen  Zeichnung  des  sehr 
schüchternen  Sedechias  durchaus  nicht  passt  — ,  und  dass  der  Henker, 
der  sich  „des  fetten  wildprets"  freut,  sie  verspottet.^ 

Ziemlich  breit  macht  sich  die  obeuein  recht  ungeschickt  herbei- 
gezogene didaktik,  wie  z.  b.  die  der  Susanna,  als  sie  ins  bad  gehen 
will,  in  den  mund  gelegte  klage  über  die  unbrauchbarkeit  der  mägde 
und  die  von  Betulius  herübergenommenen,  nur  noch  langweiliger  aus- 
gedehnten Unterhaltungen  der  richter  über  ihr  amt,  oder  die  aus  der 
bestrafuug  der  beiden  richter  am  Schlüsse  des  Stückes  gezogene  moral, 
dass  dies  die  folgen  des  Ungehorsams  gegen  eitern  und  lehrer  seien. 

«. 
Frischlin,  lateinisch.   1577. 

In  dem  dem  stücke  vorausgesanteu  prolog  wendet  sich  Frischlin 
mit  gleicher  tendenz  wie  vierzig  jähre  vorher  Betulius  gegen  die  alzu 
rigorosen  moralisten :  wie  jener  die  ausschliessliche  dramatisierung  bibli- 
scher stofte  bekämpfte,  so  weist  Frischlin  die  homines  nasutuli  ab, 
welche  eiferten: 

Leves  Personas  in  sacris  comoediis 

Non  introduci  oportere :  sed  omnes  graves : 

Et  quas  imitari  possit  adolescentia,^ 

1)  Manche  züge  mag  er  auch  dem  medium  der  Rebhunschen  bearbeitung 
entnommen  haben ,  die  er  gleichfals  kante  ,  wie  z.  b.  1 ,  2  die  antwort  Achabs  auf 
das  liebesgeständnis  des  Sedechias:  .,ich  lieg  auch  in  diesem  Spitall"  den  Worten 
Resathas  I,  1  bei  Reblum  entspricht:  ,,so  wißet,  das  in  dem  spitale  auch  ich 
lig  krank." 

2)  Schwerlich  weist  dieser  naheliegende  gedanke  auf  eine  bckantschaffc  Stückeis 
mit  der  Wiener  Susanna. 

3)  Ich  citiere  Frischlius  Susanna  nach  der  ausgäbe  von  Pfiüger  [in  der  sani- 
lung  von  Frischlins  latein.  draiiicn ,  Strassburg  1021],  deren  text  mit  den  älteren 
drucken  faat  buchstäblich  übereinstinit. 


URAMAT.    DKR    SUSANNA    IM    10.    JH.  177 

da  er  es  nur  für  seine  aufgäbe  halte, 

....  ut  tanquani  in  speculo  vitam  omnium 
Proponeret:  uncle  alii  exempluui  sibi  sumerent. 
Böte  doch  auch  die  lieilige  schrift  zahlreiclie  beispiele  von  bösen,  laster- 
liaften  Charakteren,  wie  z.  b.  die  beiden  greise  seines  Stückes. 

Dieselbe  im  16.  Jahrhundert  nicht  seltene  ersclieinung,  die  wir 
bereits  in  einigen  bearbeitungen  antrafen,  den  engen  auschluss,  den 
mau  sich  an  seine  Vorgänger  gestattete,  finden  wir  auch  bei  Frischlin. 
Er  keut  nicht  nur  Betulius  und  Kebhun,  sondern  benuzt  sie  auch  in 
ziemlich  ausgedehntem  masse ,  aber  mit  so  feinem  urteil  und  zugleich 
in  so  vervolkomneuder  nachbildung,  dass  das  entlehnte  erst  in  seiner 
band  den  wahren  wert  erlangt.  Er  begint  wie  Betulius  das  stück  mit 
einem  monolog  des  einen  alten,  an  den  sich  ein  dialog  mit  dem 
anderen  anschliesst,  er  entnimt  ihm  ferner,  abgesehen  von  unwesent- 
licherem, das  motiv  der  belauschungsscene  und  der  traumerfindung, 
beides  auf  das  geschickteste  weiter  ausführend.  Von  Rebhun  überträgt 
er  die  reise  Joachims  und  ausserdem  die  exemplificierung  der  bosheit  der 
richter  durch  die  beiden  bauern  Sichar  uud  Hiram,  die  er  an  stelle 
der  armen  witweii  eintreten  lässt. 

In  einer  beziehuug  Übertrift  er  jedoch  trotz  dieser  vielfachen 
benutzung  den  einen  seiner  Vorgänger  nicht,  in  der  dramatischen  teeh- 
nik:  hier  steht  er  Eebhun  beträchtlich  nach.  Wie  Betulius  führt  er 
nämlich  im  ersten  akt  die  handlung  zu  weit,  bis  zu  dem  Überfall  der 
greise  —  sie  führen  hier  die  namen  Midian  und  Simeon  —  und  komt 
daher  später  mit  seineu  fünf  akteu  in  Verlegenheit.  Den  grösten  teil  des 
zweiten  verwendet  er  zu  einer  episodischen  Charakterisierung-  des  Midian, 
der  den  armen  betrogenen  bauer  Sichar  mit  einer  klage  abweist,  wofern 
er  ihm  nicht  drei  silberseckel  bringe,  und  zweitens  zu  einem  zusam- 
mentreffen Sichars  mit  seinem  nachbar  Hiram ,  der  in  die  hauptstadt 
gekommen,  um  beim  könige  schütz  und  recht  gegen  die  verruchtheit 
der  beiden  alten  bösewichter  zu  suchen:  Simeons  söhn  hat  eine  ver- 
wante  von  ihm  geschändet,  und  als  sie  denselben  bei  Midian  verklagt, 
widerholt  dieser  das  verbrechen.  Hiram,  so  eben  von  einem  wirte 
geprellt,  schüttet  bei  dieser  gelegenheit  in  einem  langen,  an  sich  höchst 
ergötzlichen  monologe,  der  freilich  mit  dem  drama  keinen  Zusammen- 
hang hat,  sein  herz  über  die  habgierigen  gastwirte  aus,  deren  gaune- 
reien  er  auf  das  anschaulichste  schildert.' 

1)  Ähiiliclie  treffeutle  scliilderuugen  von  dem  leben  uud  treiben  des  Volkes 
auf  markt  und  gasse  gibt  der  dichter  in  mehreren  seiner  dranien ,  s.  die  bettler- 
scenen  in  der  Wendelgard ,    die  schuitterscenen  in   der  Ruth,    die  auftvitto  zwiselien 

ZEITSCHB.    F.   DEUTSCHE   PHILOLOGIE.      BD.  XI.  12 


178  PILGER 

Auch  im  dritten  akt,  der  mit  der  rückkehr  Joachims  begint, 
schreitet  die  handlung  nur  wenig  vor:  hier  bringt  Frischlin  dem  Zeit- 
geschmack einige  moralisch  -  didaktische  deklamationen  über  gute  und 
schlechte  gattinnen  und  über  die  boslieit  der  weit.  Der  vierte  und 
fünfte  akt  ist  fast  von  gleichem  Inhalt  wie  bei  Rebhun ,  nur  dass  IV,  2 
Sicliar  von  Midian,  dem  er  die  verlangten  drei  seckel  bringt,  geprellt 
wird  und  V,  3  durch  seine  anklage  der  beiden  alten  zu  ihrer  Verurtei- 
lung beiträgt.  Ein  sehr  glücklicher  griff  ist  es,  dass  Frischlin  die  ein- 
leitung  der  anklage,  ebenso  wie  der  Wiener  anonjmus ,  hinter  die  scene 
verlegt  und  so  dem  Zuschauer  die  eine  der  drei  gerichtlichen  Verhand- 
lungen erspart. 

Steht  aber  auch  Frischlin  im  algemeinen  in  der  dramatischen  com- 
position  Eebhun  nach  ,  so  überragt  er  ihn  wie  auch  seine  übrigen  Vorgän- 
ger in  sehr  hohem  grade  in  der  lebensvollen  Zeichnung  der  personen  und 
der  frischen,  naturwahren  ausführung  der  einzelnen  scenen.  Vortrefflich 
ist  seine  Charakteristik  der  beiden  alten,  zu  der  er  die  ersten  glück- 
lichen, freilich  nur  geringen  anfange  bei  Betulius  fand.  Scharf  und 
greifbar  tritt  uns  hier  der  hohläugige,  habichtnasige,  krumbeinige 
Midian  entgegen,  der  ebenso  wollüstig  als  einfältig  und  furchtsam  sich 
selber  im  vergleich  zu  seinem  schlauen  collegen  Simeon.  dem  aufge- 
schwemten,  kleinen  fettwanst  mit  den  hängenden  backen,  der  nie  um 
einen  guten  rat  verlegen  ist,  einen  stock  und  esel  und  einfaltspinsel 
nent.  Nur  in  einem  punkt  erscheinen  beide  gleich,  in  der  neigung  zu 
obscönität  und  wollust. 

Ganz  besonders  komt  diese  kräftige  Charakteristik  den  ersten 
scenen  des  Stückes  zu  gute.  Midian  befindet  sich  1,1  in  Joachims 
garten,  um  vielleicht  Susanna  zu  gesiebt  zu  bekommen.  Da  erblickt 
er  plötzlich  Simeon,  der  zu  demselben  zweck  sich  eingefunden.  Ver- 
geblich versucht  jeder  den  andern  durch  list  aus  dem  garten  zu  entfer- 
nen, bis  endlich  Midian  seine  liebe  zur  Susanna  eingesteht;  Simeon 
aber,  statt  das  geständnis  zu  erwidern,  kann  es  sich  nicht  versagen, 
ihn  erst  eine  weile  zu  foppen: 

Inest ,  so  spricht  er  bei  seite ,  huic  homini  amoris 

macula  in  pectore  .... 
Ludificabo  ipsum  egregiis  et  falsis  modis. 

Mit  einem  bedauernden  „  miseret  profecto  nie  tui"  wendet  er  sich 
darauf  zu  Midian;  dies  mitleid  aber  drückt  er,  nachdem  der  andere 
ihm  seine  liebespein  geschildert,  folgendermassen  aus: 

keller  und  ]<ocli  in  der  hoclizeit  zu  Kana.  Nach  Grimm  a.  a.  o.  s.  155  ist  übrigens 
Hirams  satirische  deutung  der  wirtshausschilder  auf  die  eigenschaften  der  wirte 
die  uach])ihhing  einer  scene  in  Naogeorgs  Haman. 


DEAMAT.   DER   SUSANNA   IM    IG.   JH.  179 

Prob  Juppiter!  quae  te  agit  ameutia. 
Jam  pleuus  aetatis,  animaque  foetida, 
Senex  liircosus,  tu  osculOre  haue  mulierom? 
Cave  ne  advenieiis  excutias  vomitum  mulieri. 
Vergeblich  bittet  Midiaii 

Ah  enecas;  quin  tu  potius  nie  opera  juvas. 
Simeon  ergözt  sich  noch  eine  ganze  weile  an  der  Verzweiflung  des 
andern,  der  ihn  beschwört  mit  seiner  Überredungskunst  ihm  beizuste- 
hen, und  erst,  nachdem  er  das  versprechen  eventuellen  beisfaudes  für 
eine  ähnliche  läge  empfangen,  erklärt  er  sich  dazu  bereit,  indem  er 
ihm  zugleich  eröfnet,  dass  —  auch  er  Susanna  liebe.  Von  neuem  jam- 
mert Midian  über  seine  Unvorsichtigkeit.  Endlich  teilt  Simeon  ihm 
seinen  plan,  Susanna  im  bade  zu  überfallen,  mit.  Da  tritt  Susanna 
selbst  in  den  garten,  dem  boten,  der  die  nachricht  von  der  rückkebr 
Joachims  gebracht,  eine  belohnuug  gebend  und  vor  dem  bade  mit  der 
magd  plaudernd.  Im  winkel  versteckt  führen  die  beiden  alten  dazu 
ihre  zwischenreden.  Midian  kann  sich  bei  dem  anblick  des  schönen 
weibes  nicht  der  seufzer  enthalten,  wie:  ah  difteror  cupidine,  und  als 
jene  zu  der  magd  von  der  liebe  zu  ihrem  gatten  spricht,  glaubt  er  den 
verstand  verlieren  zu  müssen.  Doch  Simeon,  der  weiberkundige,  schilt 
ihn  einen  toren: 

Delire,  crediu'  ex  animo  sie  ipsam  proloqui?  Solent 
Ita  plaeraeque  mulierculae  suas  fallere  pedissequas: 
Ne  suspectae  viris  reddantur. 
Endlich  schickt   sie  die  mägde  fort,    die  eine  um  öl  und  baisam 
für  das  bad  zu  holen,  die  andere,  um  die  garteutür  zu  schliessen  und 
das  haus  zum  empfange  des  hausherrn  zu  schmücken.     Als   sie   allein 
ist,  ruft  Midian  bewundernd  aus: 

Dii  immortales,  omnipotentes,  quid  apud  vos  pulchrius? 
und  sezt  hinzu:  Sein'  tu  quid  fieri  nunc  optem? 

Si:  Quid?     Mi:  Juppiter.     Si:  quamobrem?     Mi:  ut  hac 
Cum  Junone  accubem  illico.     Si:  At  ego  te  alium  hie  fieri  mauelim. 
Mi:   Quemnam?     Si:   Vulcanum!    ut   me   cum    hac   Venere   catena 

nectas  ferrea. 
Mit  lebendigen,   ihre   sinlichkeit  charakterisierenden  ausrufen    begleiten 
sie  wetteifernd  das  beginnende  entkleiden  der  Susanna,   und  unverken- 
bar  ist  hier  wie  im  fortgange  des  gesprächs  der  einfluss  von  Betulius.^ 

1)  Vgl.  mit  dem  folgenden  die  s.  173  mitgeteilte  stelle.     Sogar  einzelne  Wen- 
dungen klingen  an  die.se  an,  so  die  ersten  zeilen,  die  bei  Betuliiis  lauten: 
Aehab:  En  crura  nudat  uinculis.     Sedechias:   Eburnea 
Sunt. 

12* 


180  PILGKE 

Si:  En  calceos  jam  solvit.     Quales  hae' videntur  tibiae? 

Mi:  Eburneae.    Si:  Istae  surae  cujusmodi ?    Mi:  Lacteolae  argen- 

teae. 
Sed,  quid  si  nunc  adeamus?     Si:  Adeas. 

Doch  Midian  hat  nicht  den  mut  zur  anrede,  da  er  geschickte  worte 
nicht  finden  kann ,  bis  endlich  Simeon  sich  das  herz  dazu  fasst.  Susanna, 
die  schon  vorher  die  mänuerstimmen  gehört  hat  und  sich  schnell  wider 
ankleiden  will ,  wehrt  ihn  erschreckt  ab  und  ruft  nach  der  magd ,  doch 
verschmizt  bittet  er: 

mane,  obsecro 
Atque  audi  verbum  unum.    Quid  audiam?  fragt  Susanna.     Si:  Ali- 

quod  de  te  somnium. 
Su :  Quid  somnii  ?     Und  nun  erzählt  er :  Praeterita  nocte  per  quie- 

tem  Visus  est 
Mihi  Kaphael  astare  ad  lectulum ,  et  his  me  verbis  alloqui : 
Simeon,  iuquit,  Simeon  evigila,  quoniam  immortalis  Dens, 
Dominus  coeli  et  terrae,  ad  te  mittit,  ut  laetum  tibi  nuucium 
Annunciem.     Nam  ex  te  prodibit  Servator  populi  mei, 
Messias,  qui  e  babylonica  captivitate  ipsum  eximet 
Et  in  patriam  terrani  reducet. 
Staunend  fält  der  einfältige  Midian  hier  ein : 

Proh  Deum!  quam  fabulam 
Inceptat  hie  veterator!  miror  quorsum  isthaec  oratio. 
Simeon  aber  fährt  fort: 

Cumque  angelo  dicerem  ego:  Domine  mi,  ecce  ego  sura  jam  senex: 
Et  uxorem  domi  habeo  vetulam  et  sterilem:  quomodo  liberos 
Ex  illa  suscipiam?  ibi  respondit  mihi  sacer  angelus: 
Tuos  ut  sollicitarem  concubitus.     Su:  quid  ais,  homo  impudeus? 
Meum  tu  sollicites  concubitum?     Si:  imo  maxime.     Id  enim  Dens 
Jussit.     Su:  Deus?  quasi  vero  is  leno  sit,  qui  amores  copulet 
Meretricios?  pudeat  te  cano  capite,  has  nugas  prodere. 
Si:  Imo  te  pudeat,  quod  nondum  sacras  didiceris  literas. 
An  enim  ignoras  Thamarin  suo  concubuisse  socero:  et  Pharem 
Peperisse?  an  nescis  Rahabem,  nobile  scortum  Hierichuntium 
Salmae  ejus  abnepoti  nupsisse ,  ac  mox  peperisse  illi  Boam  V 
An  nescis  Rutham  ultro  ad  Boam  noctu  venisse  ut  accubet? 
Atque  istae  omnes  Davidis,  e  quo  Messias  venturus  est, 
Factae  sunt  aviae. 
Da  diese  beweisführung   bei  Susanna  nicht  verschlägt,    versucht   er  es 
mit    witzigen    schmeichelwortrn.       Als    Susanna    seinen    bitten    entge- 
genhält : 


DRAMAT.    DER    SUSANNA    IM    IG.    JH.  181 

Proh  summe  Deus!  quam  tu  me  rere  tbeminam? 
antwortet  er:  quam?  melleam, 

Koseam,  auream,  aureas  quaeso  da  mihi  maiius,  ut  osculer, 
bei  welchen  worteu  Midian  wider  staunend  ausruft: 

Ut  blandus  est  palpator  mulierum  hie  senex! 
Mit  immer  neuen  Wendungen  zum  preise  ihrer  Schönheit  begegnet  Simeon 
den   ernsten    mahnworten    der  Susanna.     Sie   erinnert  ihn  warnend   an 
das  Schicksal  der  Sodomiten  und  Benjamiten.     Er  antwortet:' 

Nimium  religiosa  es:  nocet  ista  religio  formae  tuae. 
Sie  fragt  ihn,  ob  er,   der  richter,   denn  Moses  gebot  und  gesetze  ver- 
gessen? er  darauf:  Ah  desine 

Memorare ,  quae  scio ;  potiusque  mihi  illa  die ,  quae  nescio. 

Quid   nescis?    fragt  Susanna.     Schmeichelnd  antwortet   er:    Tuum 
amorem. 

Einen  wie  treflichen  gegensatz  bildet  hierzu  die  täppische  plump- 
heit  Midians,  der,  als  er  sich  endlich  entschliesst,  auch  sein  heil  bei 
Susanna  zu  versuchen,  kaum  anderes  vorzubringen  weiss,  als: 

Quid  clamitas?  tace  sis!  nam  si  hunc  odio  persequeris:  at  me  ames, 
worauf  Susanna  die  auch  ihn  charakterisierende  antwort  gibt: 

Amem?  multo  te  quam  hunc  minus. 
Er  entgegnet  wider  sein:  tace  sis!  und: 

Ah  sine  te  exorem :  sine  preheudam  auriculis :  sine  dem  suaviuni . . . 

Ah  sine  contrectem  te  modo  parum. 
Endlich  räumt  er  mit  einem  „nimium  fera  es"  dem  Simeon  wider  das 
feld,  der,  nachdem  er  alle  list  und  Schmeichelei  als  unwirksam  erkant, 
es  schliesslich  mit  dem  anerbieten  von  geld  versucht.     Mit  den  worten: 

Ah,  ne  recuses  animule  mi,  mea  vita,  mea  festivitas.  • 

Sunt  aurei  nummi  complures, 
nähert  er  sich  noch  einmal,  und  auch  jezt  mit  einem  zürnenden  „pereas 
cum  auro  tue"  abgewiesen,    entschliesst  er  sich  zu  drohungen  und  zur 
gewalt. 

Treflich  ist  diese  Charakteristik  das  ganze  stück  durchgeführt.  In 
stiller  bewuuderung  monologisiert  Midian  II,  3  über  seinen  verschla- 
genen collegen,  wie  über  die  eigene  dummheit,  fortdauernd  sogar  von 
der  furcht  gepeinigt,  dass  Simeon  ihn  schliesslich  noch  ins  verderben 
bringe.  In  der  naclit  hat  er  sogar  den  sehr  beunruhigenden  träum, 
dass  sie  beide  gesteinigt  werden.  Doch  als  er  denselben  IV,  .3  ängst- 
lich Simeon  am  morgen  erzählt,  antwortet  dieser: 

1)  S.  den  folgenden  abschnitt  dieser  i^cene  volständiger  s.  195  fg. 


182  PILGER 

Male  pereas  cum  somuio  tuo  Midian. 
Sed  qua  cum  dormivisti? 
und  nun   ergehen  sich    beide   in   einer  obscönen  Unterhaltung,    bei  der 
Midian  wider  wegen  seines  alten  hässlichen  weibes  herhalten  muss. 

Eigneten  sich  auch  die  übrigen  personeu  nicht  zu  einer  gleich 
markierten  Zeichnung,  ihnen  allen  sind  doch  hinreichende  charakterisie- 
rende Züge  geliehen,  die  sie  nie  zu  blossen  Schemen  werden  lassen. 
Dies  gilt  sogar  von  der  Susanna  selbst,  dem  am  wenigsten  dankbaren 
Charakter  des  ganzen  Stückes.  Auch  sie  bewegt  sich  zwar  mehrfach  noch 
in  den  schranken  des  steifen  moralisierenden  lehrtons,  den  der  dichter 
des  16.  Jahrhunderts  bei  der  darstelluug  der  ernsten  und  tragischen 
personeu  fast  regelmässig  anschlägt,  da  es  ihm  an  wirklich  tragischem 
pathos  noch  durchaus  gebricht;  aber  es  mangelt  ihrem  auftreten  doch 
nicht  mehr  ganz  an  freierer  und  natürlicherer  empfindungsart.  So  ist 
recht  ansprechend  ihr  dialog  mit  der  magd  I,  2.  Besorgt  äussert  sie 
bei  der  drückenden  liitze  des  tages ,  wie  sehr  ihr  mann  auf  der  reise 
schwitzen  werde;  da  die  botschaft  gekommen,  er  werde  noch  an  dem- 
selben tage  zurückkehren ,  trägt  sie  dem  gesinde  auf,  zu  seinem 
empfange  das  haus  auf  das  sauberste  zu  reinigen  und  zu  schmücken, 
sie  selber  will  vorher  noch  in  dem  klaren  wasser  des  teiches  ein  bad 
nehmen.  Als  die  magd  ihre  Schönheit  rühmt,  erwidert  sie:  ich  bin 
schön  genug,  wenn  ich  meinem  mann  gefalle.  Als  sie  IV,  5  vor  gericht 
gefordert  wird,  und  Joachim  sie  mit  dem  hinweise  tröstet,  dass  gott 
den  frommen  kein  übel  widerfahren  lasse,  entgegnet  sie  ihm,  echt 
menschlich ,  obwol  auch  sie  vor  allem  gott  vertraue ,  so  verlasse  sie 
sich  doch  auch  auf  seinen,  ihres  gatten  schütz  und  hülfe. 

Auch  die  nebenpersonen  weiss  Frischlin  fast  durchweg  durch  ein- 
z:^lne  glückliche  striche  zu  lebendigen  gestalten  herauszuarbeiten. 

Kecht  charakteristisch  ist  die  mutter  gehalten.  Der  gedanke,  auf 
den  sie  widerholt  zurückkomt,  dass  Susauna  sich  von  dem  verdachte 
der  unkeuschheit  durch  einen  trunk  bitteren  wassers  befreien  solle, 
und  die  Versicherung,  dass  sie  für  die  unverlezte  jungfrauschaft  dersel- 
ben zeichen  zu  hause  habe,^  bezeichnet  die  frau  nicht  minder,  als  die 
angst,  die  sie  aussteht,  als  der  Schwiegersohn  nicht  an  dem  bestirnten 
tage  wider  zu  liaus  eintritt,^   oder  der  von  ilir  auf  die  nachstellungen 

1)  III,  4 iiou  dubito,  quin  aciiuie  amarae  potibus 

iSe  libcrare  hac  suspicione  possit  filia  .... 

signa  bic  habeo  domi 
Meae:  quibus  vi  ryinitatem  eins  intactam  moustravero 
vgl.  IV,  5. 

2)  IV,  4. 


UllAMAT.   DEK    SUSAKNA    IM    16.   JH.  183 

der  beiden  alten  gedeutete  träum/  dass  zwei  alte  bocke  über  ein  jun- 
ges Zicklein  hergefallen  seien,  und  die  ohnmacht,  der  sie  sich  beim 
abschiede  der  Susanna  nahe  fühlt. ^ 

Wirkungsvoll  ist  in  der  scene,  in  welcher  die  richter  sich  ver- 
sammeln IV,  4 ,  wie  in  der  gerichtssitzung  selbst  IV,  6 ,  der  gegeusatz 
zwischen  den  beisitzern,  welche  den  ältesten  leichtfertig  glauben  und 
der  Susanna  von  vornherein  nicht  günstig  sind,  und  dem  ruhig  prüfen- 
den, die  Verleumdung  durchscbauenden  praetor,  der  wohlwollend,  so 
weit  es  sein  anit  zulässt,  sich  des  armen  weibes  annirat  und  sie  schüzt. 
Als  jene  auf  das  formale  recht  sich  stützend  ihn  endlich  genötigt 
haben,  das  urteil  über  Susanna  auszusprechen,  und  diese  zum  tode 
gefül)rt  werden  soll,  ruft  er  schweren  herzeus  am  schluss  der  gerichts- 
sitzung  aus: 

Ah!  quam  nie  hujus  matronae  miseret  ac  piget. 
Utinam  Deus  aliquis  subito  eam  liberet! 

Noch  ein  kleiner  zug!  Als  Susanna  in  der  schon  oben  angeführ- 
ten scene  I,  2  der  magd  gegenüber  den  wünsch  ausspricht,  vor  der 
rückkehr  des  mannes  sich  von  schweiss  und  staub  durch  ein  bad  zu 
reinigen,  fragt  diese  erstaunt:  quas  sordes?     Susanna  antwortet: 

quas  in  vultu  conspicis. 
Et  quas  per  hosce  dies  contraxi. 
Da  ruft  die  magd  gleich  der  gewantesten  zofe  aus: 
ah  tace ,  ego  tuas  sordes  mihi 
Pro  munditie  exoptare  velim ;  qui  enim  tu  sis  venustior? 

So  sehen  wir,  dass  frisches  leben  in  unserer  dichtung  pulsiert. 
Menschen  von  fleisch  und  blut  treten  uns  entgegen  und  vereinigen  sich 
zu  naturwahren  und  charakteristischen  scenen.  In  dieser  annäherung 
der  personeu  und  Situationen  der  bühne  an  das  wirkliche  leben  liegt  der 
fortschritt  unserer  dichtung  selbst  den  glücklichen,  aber  vereinzelten 
anfangen  Kebhuns  und  Bircks  gegenüber.  Aber  Frischlin  stelte  nicht 
blos  diese,  sondern  selbst  die  meisten  der  gleichzeitigen  dramatiker  in 
schatten:  auch  jezt,  im  achten  decennium  des  16.  Jahrhunderts,  trie- 
ben ja  noch  vielfach  in  der  kunstdichtung  jene  blutlosen,  holzge- 
schnittenen marionetten,  die  wir  widerholt  kennen  gelernt  haben,  ihr 
Unwesen.  Freilich  genügte  sie  zu  beleben  die  blosse  kentnis  der  anti- 
ken muster,    so   bildend    sie   war,   nicht,    dazu  bedurfte  es  des  leben- 

1)  III,  4  und  IV,  5. 

2)  IV,  7  .  .  .  .  Heu  me  miserani!  .  .  .  Thamar  age  sustiue, 

Tenebrae  oboriuntur. 


184  PILGER 

digen   atems   eines   wirklichen    dichters.     Und  ein    solcher  war,    wenn 
auch  nicht  hervorragenden  ranges,  Frischliu. 

Leider  kommen  alle  die  reichen  Vorzüge  von  Frischlins  dichtung 
der  heimischen  litteratur  nur  in  bedingtem  masse  zu  gute,  da  der 
gelehrte  dichter  sie  in  das  feinere  und  ihm  bequemere  gewand  der 
lateinischen  rede  kleidete;  und  mit  welchem  bedauern  auch  immer  der 
freund  der  deutschen  litteratur  auf  die  unverächtliche  poetische  kraft 
und  begabung  der  vaterländischen  talente  blicken  mag,  die  für  unsere 
litteratur  in  den  zahllosen  lateinischen  Produktionen  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  verloren  gegangen  sind,  auf  keinem  gebiete  ist  der  verlust 
grösser,  als  auf  dem  der  dramatischen  dichtung.  Hätten  mäuner  wie 
Frischlin  und  Macropedius  deutsch  geschrieben,  wir  hätten  am  ende 
des  Jahrhunderts  nicht  nötig  gehabt,  mit  den  abfallen  des  englischen 
dramas  unsere  armut  aufzuputzen  und  noch  anderthalb  Jahrhunderte 
lang  bei  allen  nachbarn  herumzubetteln ,  bis  wir  endlich  selbst  zu 
einem  nationalen  drama  gelangten.  Und  man  wende  nicht  ein:  nur 
die  lateinische  spräche  war  es,  welche  die  Vorzüge  jener  dichtungen 
ermöglichte.  Das  deutsch  des  sechzehnten  Jahrhunderts  war  durchaus 
nicht  mehr  so  ungebildet,  um  für  höhere  poetische  Produktionen 
unbrauchbar  zu  sein.  Die  spräche  von  Luthers  bibelübersetzung ,  des 
evangelischen  kirchenliedes ,  von  Fischarts  dichtungen  wäre,  zumal 
nach  Rebhuns  metrischen  reformen,  auch  fähig  gewesen,  dramatische 
Produktionen  von  wirklichem  kunstwert  zu  tragen. 

Aber  leider  wirkte  das  Studium  der  alten ,  dem ,  wie  wir  gesehen, 
die  förderung  unseres  dramas  im  übrigen  ihr  bestes  verdankte,  in  der 
beziehung  hemmend  auf  seine  entwicklung  ein ,  dass  es  viele  der  besten 
kräfte  der  nation  von  der  heimischen  litteratur  abwante. 

Bei  Frischlin  ist  dies  um  so  lebhafter  zu  beklagen,  als  seine 
versuche  in  deutscher  dichtung,  z.  b.  die  parabel  von  St.  Christoflfel 
und  seine  Schauspiele  Wendeigard  und  Ruth,  beweisen,  dass  er  auch 
seine  muttersprache  ungleich  gewanter  und  lebensfrischer  zu  behandeln 
verstand,  als  die  mehrzahl  der  deutsch  dichtenden  seiner  zeit.  Man 
kann  durch  viele  Schauspiele  des  Jahrhunderts  sich  durchwinden,  ehe 
man  einmal  auf  eine  stelle  stösst,  die  so  treflich  in  gedanken  und 
spräche  ist,  wie  Ulrichs  erster  monolog  in  der  Wendeigard  und  die 
bettlerscenen  des  zw^eiten  akts,  oder  die  schnitterscenen  in  der  Ruth.^ 

Auch  aus  einem  anderen  gründe  noch  ist  es  ein  verlust,  dass 
Frischlins  talent  dem  deutschen  drama  fast  verloren  gieng.    Zeigt  sich 

1)  Deutsche  dichtunjc^en  von  N.  Frischlin,  herausg.  von  D.  F.  Strauss.  1857. 
S.  21.    M  bis  32.     41  bis  45.     101  bis  104.    114  bis  117. 


DRAMAT.    DER   SüSANXA    IM    1  <>     JII.  185 

ducli  bei  ihm  auch  in  der  wähl  der  stoffe,  trotz  voller  hingäbe  an  die 
grossen  religiösen  gedanken  des  Jahrhunderts  —  man  denke  an  seinen 
Christoffel  —  ein  viel  kräftigerer  sinn  für  heimat  und  Vaterland,  als 
die  meisten  dramatischen  poeten  seines  Jahrhunderts  sich  bewahrt  hat- 
ten. Davon  legt  unter  den  lateinischen  dranien  sein  Julius  Redivi- 
vus  und  seine  Hildegardis,  unter  den  deutschen  die  Wendeigard  und 
die  Weiugärtner  zeugnis  ab ,  leztores  wol  ausdrücklich  bestirnt  zur  dar- 
stellung  heimischen  Volkslebens. 

Leider  ergieng  es  ihm  mit  seinen  bemühungen  für  das  deutsche 
drama  noch  übler,  als  Rebhun.  Seine  Wendeigard  erschien  nicht  öfter  als 
zwei  mal  im  druck,  während  die  lateinischen  stücke  fortdauernd  begehrt 
wurden;  und  als  er  trotzdem  im  kerker  auf  Hohenurach  sich  beson- 
ders eifrig  dem  deutschen  Schauspiel  zuzuwenden  begann ,  da  muste  er 
sich  von  den  Stuttgarter  theologen,  deren  gutachten  seine  arbeiten 
unterbreitet  wurden ,  sagen  lassen :  „  Frischlin  sei  bei  weitem  nicht  so 
felix  in  deutschen  reimen  (die  unterweilen  übel  klappen),  als  in  latei- 
nischen versen ;  man  finde  allerwegen  deutsche  reimenmacher ,  die  in 
hoc  genere  feliciores  seien  dann  Frischlinus;"  und  ein  ander  mal,  seine 
komödie  von  der  Ruth  —  die  übrigens  eine  recht  gelungene,  saubere 
ausführung  des  idyllischen  Stoffes  ist  —  habe  „  eine  schlechte  gratiam, 
wie  fast  alle  seine  teutsche  reime;"  es  wäre  besser,  „dass  er  solchen 
laborem  an  lateinische  scripta  verwendete."  ^  So  wirkte  mit  dem  algemei- 
nen druck,  der  in  folge  der  gesamten  geistigen  richtung  des  Jahrhun- 
derts unser  drama  belastete  und  an  freiem  aufschwung  hemte,  noch 
der  besondere  Unverstand,  der  sich  an  die  treflichen  bestrebungen  ein- 
zelner männer  kettete,  zusammen,  um  auch  die  glücklichsten  keime 
nicht  zu  voller  entwickelung  gelangen  zu  lassen. 

9. 

Schonaeus,  lateinisch.    1595. 

Von  den  drei  bearbeitungen ,  deren  besprechung  uns  noch  übrig 
bleibt,  nehmen  wir  die  beiden  unbedeutenderen  in  der  kürze  voraus. 
Wenn  auch  der  zeit  nach  ein  wenig  später  fallend  als  die  dritte,  die 
von  Heinrich  Julius ,  gehören  sie  doch  durchaus  in  den  kreis  der  bisher 
besprochenen  schulkomödie ,  während  diese  aus  demselben  heraustritt; 
und  sie  sind  überdies  nichts  als  unselbständige  nachbildungen  des  zulezt 
betrachteten  Werkes. 

Der  Harlemer  rector  Cornelius  Schonaeus,  der  von  1591  an.  um 
Plautus  und   Terenz,    wie    im  vierten  decennium  u.  a.   schon   Crocus, 

1)  A.  a.  0.  s.  66  und  88. 


186  PILGER 

gänzlich  aus  den  schulen  zu  verdrängen,^  eine  dreibändige  samlung 
lateinischer,  meist  biblischer  dramen  unter  dem  titel  Terentius  Chri- 
stianus herausgab,  lieferte  im  zweiten  bände  auch  eine  Susanna. 

Das  stück  ist  ein  trauriges  machwerk.  Schonaeus  beutet  Frisch- 
lins Susanna  in  mannigfacher,  urteilslosester  weise  aus.  Besonders  in 
den  ersten  aufzügen  ist  von  Frischlin  die  anläge  der  scenen ,  wie  auch  die 
themen  der  dialoge ,  beides  nicht  ohne  original -ungeschickte  Verdre- 
hungen, vielfach  herübergeuommen ;  was  von  Charakterzeichnung,  was 
von  gelungener  ausführung  einzelner  scenen  im  ganzen  stücke  sich 
findet,  stamt  von  Frischlin  —  viel  ist  dies  freilich  nicht,  die  figuren 
bewegen  sich  meistens  langweilig  und  leblos,  oder  in  folge  der  Ver- 
drehung der  Intentionen  des  Originals  närrisch  und  unbegreiflich. 

Einige  auftritte  aus  den  ersten  akten  werden  genügen  dies  urteil 
zu  rechtfertigen.  In  der  anfaugsscene  preist  Joachim  sich  in  langwei- 
lig didaktischem  Selbstgespräch  wegen  seines  tugendhaften  weibes  glück- 
lich :  die  gedanken  sind  entnommen  aus  Frischlin  III ,  1 ,  wo  sie  bei 
dem  von  einer  reise  zurückkehrenden  und  auf  das  widersehen  mit 
Susanna  sich  freuenden  manne  sehr  viel  natürlicher  sind.  Es  folgt 
scene  zwei,  in  der  nun  Susanua  ihrerseits  das  glück  preist,  Joachim  zu 
besitzen,  der  ungesehen  ihre  worte  hört  und  sich  dann  zur  seite  über 
den  wert  einer  tugendhaften  frau  auslässt:  die  anläge  der  scene  und, 
wie  auch  sonst,  einzelne  Wendungen  sind  aus  Frischlin  11,  5,  zum  teil 

1)  Interessant  ist  es  zu  sehen,  wie  wenig  diese  strengsten  moralisten  des 
16.  jahi-himdcrts  in  der  praxis  sich  durch  ihre  theorie  beschränken  Hessen.  Zeich- 
net sich  auch  unser  stück  im  algemeinen  durch  eine  keusche  behandhing  aus,  so 
gestattet  sich  doch  auch  hier  Schonaeus  den  einen  richter  II,  3  sagen  zu  lassen: 

Exutos  eius  video  pedes ,  ita 

Me  Deus  amet,  pulchros,  et  quavis  nive 

Candidiores.     Ex  bis,  tanquam  ex  uugue  leonem, 

Ut  ajunt,  cognoscere  mihi  videor  caetera. 
Noch  viel  bedeuklicher   sind    scenen  anderer  stücke,    so  im  Vitulus  II,  3,    wo   die 
beiden    meretrices  einen  bauer  trunken  machen,   und  als  er  schliesslich  taumelt, 
die  eine  ausruft:  Ha,  ha,  hae,  in  cacabum  incidet, 

Aqua  repletum  sordidas  ut  abluat  nates. 
Trotzdem  rühmt  der  prolog  das  stück  als  keusch  und  züchtig  und  legt  dem  schüler, 
der  ihn  sprach,  die  Versicherung  in  den  mund: 

obscoenos  cnim  jocos 

Salesque  inurbauos  noster  didascalus 

Cane  peius  et  angue  fugiendos  sibi  putat. 
Vgl.  auch  Prancko,  Tcrenz  und  die  latein.  Schulcomoedie  1877  s.  127,  und  die  von 
Goedeke ,  Roemoldt  s.  83 ,  citierte  äusserung  des  Marburger  professors  Goclenius  [vor 
der  Bachmannschen  bearbeitung  des  miles  Christianus  von  Dedekind  l(i04]:  non 
est  indecorum  virum  [d.  h.  doch  für  die  damalige  zeit  ein  schüler]  repraesentare 
raeretriculam ,  si  id  eo  fiat,  ut  vitia  meretriculae  depingautur. 


DKAMAT.    DER    8USANNA   IM    16.   JH.  187 

auch  aus  III,  1  herübergenommen  /  wo  Hirams  Selbstgespräch  von 
Sichar  belauscht  wird.  Hierauf  treten  die  beiden  richter  Judas  und 
Melchias  auf,  bewundern  zuerst  mit  einander  Susannas  Schönheit  und 
beeilen  sich  dann  wetteifernd  —  dem  hinzutretenden  Joachim  mitzu- 
teilen, wie  sehr  sie  ihn  seiner  schönen  gattin  wegen  beneiden,  und 
wie  glücklich  sie  sich  fühlen  würden  mit  einem  solchen  weihe  auch 
nur  unter  einem  dache  zusammen  wohnen  zu  dürfen!  Nachdem  sie 
darauf  noch  einmal  sich  gegenseitig  erklärt,  wie  sehr  die  anmut  der 
Susanna,  im  gegeusatz  zu  der  hässlichkeit  ihrer  eigenen  frauen,  ihr 
herz  entflamt,  und  dann  sich  getrent  haben,  begint  der  zweite  akt 
mit  folgender  uubegreiliichen  sceue.  Melchias,  sogleich  wider  zu 
Joachims  haus  zurückgekehrt,  ist  nicht  blos  ganz  unwillig,  sondern 
sogar  erstaunt,  als  er  auch  Judas  sich  dem  hause  wider  nähern  sieht, 
und,  obwol  er,  wie  er  ausdrücklich  hinzufügt,  dies  täglich  erlebt 
hat,  ahnt  er  doch  die  Ursache  nicht,  sondern  dringt  mit  fragen  in 
Judas,  bis  dieser  endlich  nach  langen,  widerum  nach  I,  4  durchaus 
unverständlichen  Umschweifen  ihm  seine  liebe  zu  Susanna  eingesteht, 
und  —  was  der  geschmacklosigkeit  die  kröne  aufsezt ,  den  Melchias ,  aus 
dessen  munde  er  erst  so  eben  die  glühendste  bewunderung  der  Susanna 
vernommen,  bittet:  Haue  tu  mihi  vel  vi,  vel  pretio,  vel  precario  fac 
tradas. 

Und  Avie  erklären  sich  alle  diese  Verkehrtheiten  ?  ^  Schonaeus  hat 
Frischlins  hübsche  eröflfnungsscene  —  übrigens  unter  wörtlicher  entleh- 
imug  mehrerer  stellen  —  in  seinen  zweiten  akt  verlegt ,  ohne  zu  beden- 
ken ,  dass  was  dort  natürlich  und  vom  dichter  fein  berechnet  war ,  hier 
nach  dem  vorausgang  der  oben  erwähnten  scenen  zu  plumpster  unwahr- 
scheinlichkeit  wird ! 

1)  Bei  Frischlin  II,  5  ruft  Sichar  aus: 

Ita  me  Deus 

Amet,  ut  ego  hunc  ausculto  lubens 
und  weiter:  Compellarem  illum  lubens: 

Ni  mctuam,  ne  mores  cauponum  commemorare  desiuat. 
Bei  Schonaeus  Joachim : 

Ita  me  deus  amet,  ut  ego  hanc  audio  lubens  Loquentem 
und:  Compellarem  illam,  nisi  metuam,  ne  desinat  narrare  .  .  . 

2)  Es  sind  uicht  die  einzigen.  Bei  Frischlin  I,  1  sagt  Midian  unwillig  zu 
Simeon,  als  er  ihn  vor  Joachims  hause  tritt: 

Sod  tu  non  modo  digredienti  mihi  dixeras, 

Quod  hinc  ires  domum  prandendi  gratia? 
Schonaeus  lässt  sich  dies  nicht  entgehen  und  legt  dem  Melchias  II ,  1   in   der  glei- 
chen Situation  die  worte  in  den  mund: 

Qui  se  pransum  iterum  dicebat  modo  — 
obwol  Judas  [I,  4]  darüber  kein  wort  geäussert. 


188  PILGER 

Es  wird  genügen,  wenn  ich  zur  cliarakterisiernng  des  Verfassers 
noch  hinzufüge,  dass  er  trotz  dieser  weitgehenden  anlehnung  an  sein 
Vorbild  doch  die  meisten  der  feinsinnigen  erfindungen  und  motive,  die 
er  aus  demselben  hätte  entnehmen  können,  die  einführung  der  eitern, 
der  kinder,  die  reise  Joachims,  den  träum  Simeons  u.  a.  unbeuuzt  gelas- 
sen hat:  dagegen  hat  er  der  zeitgemässen  moralisch  -  didaktischen  nei- 
gung  bis  zu  vrahrhaft  entsetzlicher  unnatur  nachgegeben.  So  erw^idert 
z.  b.  Susanna  III,  2  ihrem  manne,  der  empört  über  die  Schlechtigkeit 
der  beiden  richter  „Deus  perdat  sacrilegos"  ausruft: 

Joachime,  cohibe  te  amabo  et 
Tuis  moderare  aifectibus! 
und   tröstet   ihn   damit,    dass   die   Übeltäter   stets  von    gewissensbissen 
gepeinigt  werden  würden!     Als   sie  zur   liinrichtung  abgeführt  werden 
soll,  klagt  Joachim  V,  2: 

Itane  tu  mea  Susanna  nunc  a  me  distraheris  ad  mortem 

Nulla  tua  culpa?     Eheu  nos  miserrimos ! 
Wider  antwortet  sie  nicht  minder  weise: 

Tace  obsecro  mi  Joachime,  ac  desiste  lamentarier. 

Omne  malum  fit  levius,  si  leviter  feras. 

10. 

Israel.    1607    [1603]. 

In  gleichem  masse  etwa  wie  Schonaeus  zeigt  sich  Samuel  Israel, 
schul-  und  kirchendiener  zu  Münster  in  St.  Gregory  Thal,  in  seiner 
bereits  1603  aufgeführten,  aber  erst  1607  zu  Basel  gedruckten  Susanna 
von  Frischlin  abhängig.  In  der  vorrede  entschuldigt  er  die  zusätze  zu 
der  biblischen  erzählung,  den  eugel  Raphael,  den  bauer  u.  a.  als  „illu- 
strationis  causa  herbeygesetzt.  dieweil  es  nimmer  lähr  abgehen  kann, 
da  nit  in  solchen  Sachen  intermedia  eingeführt  werden,  ut  misceantur 
tristia  laetis"  und  gedenkt  hierbei  rühmend  der  hülfe  eines  mir  unbc- 
kanten  Johannes  Ochs  von  Colmar^  „qui  facetiis  suis  Gnatonem  Teren- 
tianum  superasse  creditur."  Dass  er  Frischlin  benuzt,  verschweigt  er  wie 
Schonaeus  wol weislich,  und  doch  hat  er  von  ihm  die  gesamte  einrich- 
tung  des  stoifes,  die  vorhandenen  anfange  von  Charakteristik,  vielfach 
den  Inhalt  des  dialogs,  kurz  fast  alles  irgendwie  wesentliche  bis  auf 
einen  teil  der  namen  herab  copiert.  Wo  er  abweicht,  ist  er  eben 
nicht  geschickt,  wie   z.  b.    in   der  einführung  der  allegorischen  tiguren 

\)  Derselbe  war  auch  in  dem  spiele  selbst,  als  es  1603  „von  einer  Ersamon 
burgerschaft  vnd  andern  ehrlichen  Leuten"  aufgeführt  worden  war.  als  Prologus 
und  bauer  Corydon  aufgetreten. 


URAMAT.    DEK    Sl'SANNA    IM    16.    JH.  189 

Justitia  und  Veritas,  die  oliiic  jode  Verbindung-  mit  der  handlung  111,  1 
die  bosheit  der  weit  beklagen,  oder  wenn  er,  wie  Stoeckel ,  Midian 
als  reuelosen ,  verstockten  sünder  sterben  lässt.  Nur  den  iubalt  der 
bauernsceuen  hat  er,  wol  mit  benutzung  eiues  volkstümlichen  schwan- 
kes, nicht  grade  unglücklich  geändert. 

Einen  gewissen  wert  hat  das  stück  nur  in  spraclie  und  vers.  Der 
dialog  zeigt  das  bemühen  natürlich  und  volksmässig  zu  sein  und  ist 
z.  b.  in  den  familienscenen  bei  Joachims  rückkehr  recht  ansprechend : 
Sprichwörter  und  volkstümliche  Wendungen  sind  passend  eingeflochten, 
einmal  freilich  auch  ein  lateinischer  hexameter.^  Der  versbau  bringt 
den  regelmässigen  tonwechsel,  wie  bei  Kebhun,  recht  geschickt  zur 
anweudung ,  was  um  so  bemerkenswerter  ist ,  als  die  richtigen  Wertfor- 
men fast  durchweg  gewahrt  bleiben.^ 

Eigentümlich  ist  die  etwas  opernhafte  schlussscene  des  dritten  auf- 
zuges.  Worte  der  zu  gott  betenden  Susauna  wechseln  mit  trostsprüchen 
des  engeis  Raphael,  die  man  sich,  da  sie  liedform  haben,  jedeufals 
gesungen  zu  denken  hat.  Die  werte  des  engeis  werden,  wie  es 
scheint,  von  Susanna  gar  nicht  vernommen  und  drücken  zum  teil  nur 
die  empfindung  der  betenden  aus:  die  scene  erinnert  hierdurch  an  das 
gebet  Gretcheus  im  Faust.  Das  ganze  stück  endigt  gleichfals  mit 
gesängen  und  zwar  vierzeiligen,  die  abwechselnd  von  zwei  chören  vor- 
getragen werden,  von  Susanna  mit  ihrer  farailie,  und  von  Daniel  samt 
den  engein:  die  übrigen  akte  schliesst  Instrumentalmusik. 

11. 

Heinrich   Julius.    1593. 

Wir  kommen  zu  der  lezten  bearbeitung  unseres  Stoffes  im  16.  Jahr- 
hundert, zu  der  vielgerühmten  Susanna  des  herzogs  Heinrich  Julius. 
Um  das  resultat  vorweg  anzudeuten :  wir  werden  zu  einer  der  herschen- 
deu  ansieht  in  den  meisten  punkten  entgegeugesezteu  beurteilung  gelan- 
gen ;  denn  das  stück  des  herzogs  ist  nichts ,  als  eine  teils  freiere, 
teils  wörtlich  sich  anlehnende  bearbeitung  des  Frischlinscheu  dramas, 
welche   mit   solchem    Ungeschick    gemacht  ist,    dass   sie   in  fast   allen 

1)  II,  5  sagt  Philergus  ,  Joachims  diener: 

Es  geht  auch  hie  nicht  änderst  dan, 

Wie  Cato  ein  vers  zeiget  an, 

Conscius  ipse  sibi ,  de  se  putat  omnia  dici, 

Wer  etwas  böses  hat  gethon 

Der  meint  man  sag  nur  stets  dauon. 

2)  Aufgefallen  ist  mir  im  dritten  akt  die  freilich  entsetzliehe  Verstümmelung: 
Nein  Juncker  solchs  mein  nachb  auch  sagt,  für  n achbar. 


190  PILGER 

wesentlichen  beziehungen  diesem  bei  weitem  nachsteht,  ja  zum  teil 
gradezu  eine  Verhunzung  desselben  genant  werden  muss.  Eigenen  wert 
besizt  sie,  abgesehen  von  der  spräche,  nur  in  den  sehr  ausgedehnten 
nebenwerken. 

Die  handlung  ist  fast  ganz  von  Frischliu  herübergenommen  und 
weicht  nur  in  den  die  Ökonomie  des  ganzen  durchaus  zerstörenden  Zwi- 
schenspielen ab.  Diese  füllen  den  ganzen  ersten  aufzug  und  einen  teil 
des  lezten  und  sind  um  so  ungehöriger,  als  sie  mit  der  handlung  nur 
selten  in  irgend  einem  zusammenhange  stehen,  was  docli  bei  Rebhun 
durchweg,  mit  einer  ausnähme  auch  bei  Frischlin  der  fall  war. 

Der  erste  akt  wird  begonnen  und  zum  grösten  teile  ausgefült 
durch  weit  ausgedehnte,  teils  au  die  geböte  sich  anschliessende,  zum 
grösten  teil  wörtlich  Jesus  Sirach  [s.  s.  202]  entnommene  ermahnun- 
gen,  die  der  alte  Helkia  seiner  vor  kurzem  verheirateten  tochter  gibt. 
Zu  erklären  ist  diese  ungeschickte  erfindung  nur  dadurch,  dass  Hein- 
rich Julius  das  stück ,  wie  schon  Grimm  vermutet ,  zur  feier  einer  hoch- 
zeit  schrieb,  und  zwar  zu  der  1590  in  Wolfenbüttel  stattfindenden 
widerholung  seiner  eigenen  hochzeitsfeier  [die  Vermählung  selbst  hatte 
in  Kopenhagen  statgefunden],  und  diese  scene  zur  erbauung  der  gaste 
bestimte :  ^  dabei  übersah  er  denn  freilich ,  wie  er  durch  diese  einleitung 
gegen  die  Chronologie  der  sich  unmittelbar  anschliessenden  liaudlung, 
in  welcher  schon  kinder  der  Susanna  auftreten,  verstiess.  Auf  diese 
ermahnungen  folgt  eine  komische,  an  und  für  sich  höchst  trefliche  scene 
mit  dem  narren  Johan  Claut,  dem  auf  sein  bitten  Helkia  die  der 
Susanna  gegebeneu  lehren  widerholt. 

So  sind  drei  sehr  lange  scenen,  der  fünfte  teil  des  ganzen  Stückes, 
mit  durchaus  nicht  hingehörigen  moralischen  deklamationen  und  mit 
scherzen  hingebracht,  ohne  dass  man  den  beginn  der  handlung  auch 
nur  ahnte.  Unmittelbar  an  den  lezten  auftritt  und  wuuderlicherweise 
ohne  scenenwechsel  schliesst  sich  ein  langer  monolog  Midians  an  mit 
langweilig  didaktischen  betrachtuugen  über  die  natur  der  liebe.  Auch 
nach  dessen  ende,  an  welches  doch  ,  wie  es  bei  Betulius  in  der  tat 
geschieht,  ein  zusammentreffen  mit  Simeon  und  dann  mit  Susauna  sich 
bequem  angeschlossen  hätte ,  begint  die  handlung  noch  nicht.  Es  folgt 
jezt  erst   ein   langes ,   die  aufmerksamkeit   des   Zuschauers   von  neuem 

1)  Grimm  a.  a.  o.  s.  147  macht  für  diese  Vermutung  mit  reclit  geltend,  dass 
die  zweite  bearbeitung  des  Stückes,  gleichfals  von  1593,  diese  ganze  scene  [so  wie 
die  folgende  mit  Clant]  nicht  enthält,  und  dass  von  der  feierlichen  anspräche  an 
die  „Durchleuchtige  Hochgeborne,  gnedige  Fürsten  und  Herrn  usw."  in  dem  sehr 
verkürzten  prolog  der  zweiten  ausgäbe  alles  nur  für  die  besondere  gelegenheit  pas- 
sende weggelassen  ist. 


DRAMAT.    DER    SLSANNA    IM    IC.    JH.  191 

ganz  ablenkendüs  gespräcli  Midians  mit  dem  einfältigen  bauern  Haus, 
dem  er  hilfe  vor  gericht  nm'  gegen  eine  „Verehrung"  verspricht:  das- 
selbe ist  seinem  Inhalt  nach  grosseuteils  wörtlich  aus  Frischlin  her- 
übergenommeu,  der  es  freilich  sehr  geschickt  in  den  zweiten  akt,  wo 
die  handlung  bereits  in  vollem  gange  ist,  eingeschoben  hatte.  Damit 
schliesst  der  erste  aufzug! 

Erst  jezt,  nachdem  man  sich  durch  dies  couglomerat  der  ver- 
schiedenartigsten hors  d'oeuvres  hindurchgearbeitet,  rückt  man  endlich 
mit  derselben  scene,  mit  welcher  Frischlin  sehr  angemessen  das  stück 
eröfnet,  dem  zusammentreffen  der  beiden  ältesten  vor  Jojakims  hause, ^ 
zur  eigentlichen  handlung  vor. 

In  der  Zurichtung  derselben  schliesst  sich  nun  der  herzog  eng  sei- 
nem vorbilde  an  und  zwar  in  den  hauptzttgen  folgendermassen.  Act  zwei 
ist  gleich  Frischlins  I.  IL  1.  2.  .5.  Das  zusammentreffen  der  bauern  mit 
dem  richter  hat  Heinrich  Julius  ungeschickterweise,  wie  wir  sahen,  aus 
dem  zweiten  in  den  ersten  akt  verlegt;  dadurch  entsteht  der  weitere 
übelstand ,  dass  das  bei  Frischlin  an  diese  scene  sich  passend  anschlies- 
sende zusammentreffen  der  beiden  geprelten  bauern  bei  Heinrich  Julius, 
der  beide  sceneu  auseinanderreisst ,  wider  reines  anhängsei  zum  zweiten 
akt  wird.  Sein  dritter  und  vierter  akt  entspricht  im  wesentlichen  in 
der  reihenfolge  der  scenen  Frischlin  III  bis  V,  4;  nur  schliesst  er 
jenen  mit  weit  ausgeführten  auftritten,  in  denen  zwei  bauern  vergeb- 
lich bei  Midian  recht  suchen,  und  lässt  in  den  lezten  sceneu  des 
vierten,  dem  verhör  der  ältesten  und  ihrer  Steinigung,  sämtliche  fünf 
von  Midian  betrogene  bauern,  so  wie  drei  neu  auftretende  bäuerinnen, 
deren  töchter  von  Simeon  geschändet  sind,  ihre  klagen  vorbringen  und 
an  der  Steinigung  teilnehmen.  Vom  fünften  aufzug  gehören  nur  die 
langgesponnenen  und  fast  inhaltslosen  scenen  zwei  bis  fünf,  die  eine 
ausführung  von  Frischlins  schlussscene  sind,  zur  handlung.  Der  erste 
und  lezte  auftritt  enthält  den  beschluss  der  komischen  nebenhandlung, 
der  Werbung  Johan  Clants  um  Thamar.  Wir  begegnen  hier  wider 
demselben  zuge,  wie  bei  dem  Wiener  anonymus  und  bei  Birck,  die 
ernste  handlung  mit  einem  komischen  nachspiel  zu  schliessen,  ja  sogar, 
wie  wir  sahen,  ausgedehnt  auf  die  einzelnen  aktschlüsse. 

Frischlins  Verteilung  des  Stoffes,  die  an  sich  schon  nicht  beson- 
ders zu  loben  war,  erscheint  hier  in  jämmerlicher  weise  verdorben: 
die  mängel  sind  übertrieben  und  werden  zn  karrikaturen ,   die  Vorzüge 

1)  Die  verkürzte  zweite  bearbeitung  leitet  auch  der  herzog  mit  diesem  zusam- 
mentreffen ein,  wie  diese  überhaupt,  da  sämtliche  nebenwerke  —  selbst  die  bauern- 
scenen  —  wegfallen,  der  anläge  des  Frischlinschen  Stückes  trotz  der  abweichenden 
akteinteilung  noch  näher  steht. 


192  PILGEK 

sind  nicht  benuzt.  Die  hauptmasse  des  stoös  ist  im  zweiten  und  vier- 
ten akt  verarbeitet;  der  erste  hängt  mit  der  handlung  überhaupt  nicht 
zusammen,  der  dritte  hat  geringen,  der  fünfte,  abgesehen  von  den 
narrenscenen ,  fast  gar  keinen  inhalt.  Schon  quantitativ  ist  das  Verhält- 
nis sehr  auffällig:  während  der  vierte  akt  58  selten  umfasst,  beschränkt 
sich  der  dritte  auf  20,  der  fünfte  gar  auf  8V2  selten.  Ebenso  willkür- 
lich ist  die  Verteilung  des  stoffs  auf  die  einzelnen  scenen.  Ein  wah- 
res monstrum  ist  IV,  4.  Sie  umfasst  nicht  weniger  als  den  dreifachen 
umfang  des  ganzen  lezten  aufzugs  und  enthält  folgende  drei  auftritte :  des 
Cleophas  vermahnung  an  die  richter  und  Susannas  Verurteilung,  ihr 
gebet  und  ihren  abschied  von  den  ihrigen,  das  auftreten  Daniels  und 
den  beschluss  der  richter,  ihn  anzuhören.  Aus  nicht  minder  hetero- 
genen bestandteilen  ist  I,  3  zusammengeschweisst. 

Wie  aber,  abgesehen  von  diesen  Verschlechterungen  im  einzel- 
nen, die  Ökonomie  des  Stückes  im  ganzen  nichts  als  eine  copie  Frisch- 
lins ist,  so  stelt  sich  die  abhängigkeit  des  herzogs  in  der  ansführung 
der  einzelnen  scenen  als  nicht  minder  bedeutend  heraus.  Eine  ver- 
gleichende gegenüberstellung  der  beiden  stücke  wird  dies  am  leichtesten 
erkennen  lassen. 

In  betreff"  des  ersten  aktes  von  Heinrich  Julius  bescliränke  ich 
mich  auf  die  bemerkung,  dass,  abgesehen  von  den  narrenscenen,  deren 
Würdigung  ich  mir  vorbehalte ,  alles  übrige  von  ihm  selbst  herrührende 
von  langweiligster  didaktik  strozt  und  in  jeder  beziehung  unbedeutend 
ist.  Von  der  Frischlin  nachgebildeten  scene  zwischen  Midian  und  dem 
bauern  lasse  ich  einen  teil  samt  dem  original  folgen:  wie  hier,  so 
begnügt  sich  der  herzog  an  zahlreichen  und  zwar  gerade  bedeutenden 
stellen  seines  Stückes  mit  einer  blossen  erweiternden  bearbeitung. 

Frischlin  II,  3.  Heinrich  Julius  I,  3. 

Sichar.     In    hac    habitare    platea  Hans.     Eck   liabbe   jha   gehört, 

dictus  est  Midian,         dat   in   dösser   grauten  Strafe  ein 

Cui  literas  fero  ,  sed  quem  percon-      Kerl  wohnen  schal ,  eck  meine  ödt 

ter  Video.  sy  dei  Richter   hyr   in  der  Stadt, 

Ehodum  vir  bone ,  salve.  he  schal  Midian  heiten ,  dar  habbe 

eck  eine  Suppelcaci  an  maken  la- 
then,  dar  wil  eck  henthau  gähn, 
vnde  öne  myne  sake  vor br engen. 
Eck  weit  ödt  auerst  nicht ,  in  wel- 
ckem  Huse  he  wohnt,  Auerst  süh 
dorth  glieit  ein  Kerl,  den  maut 
eck  anspreken ,  dat  hei  meck  wolde 


ÜRAMAT.    DER    SUSANNA    IM    IC.   JH. 


193 


Midian.         quid  est?  quid  vis  tibi? 

S.    Hominem  in  liis  quaorito  locis. 

M.    homiuem  vides. 

S.   Non  te,  sed  aliiim. 

Midian.  quemnamV 

S.  imbarbatum  senem 
Cavis  oculis,    naso    aquilino,    tre- 

muluni,  labris 
Demissis,    poplite   varo,    pendulis 

genis, 
Tili  profecto   non  multum  absimi- 
lem. 


M.  Cedo 
Quod  nomen  illi?     S.  Midian. 

M.  Dii  te  perdant 
Scelus,  qui  me  sie  despicatui  liabes 
tibi. 


ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.    XI. 


in  des  Mans  Hus  brengen.  GOdt 
geue  yöck  ein  gouden  Dach,  myn 
goude  Here ,  effte  wat  gy  sind. 

Midian.     Was  ist  dein  beger? 

Hans.     Eck  söke  einen  Kerl. 

Mid.  Bin  ich  doch  auch  ein 
Kerl. 

Hans.  Eck  söike  yöck  auerst 
nicht. 

Mid.  Wen  suchestu  denn? 

Hans.  Eck  söike  einen  Kerl,  de 
schal  in  düsser  Straten  whonen, 
he  schal  maschen  dei  Richter  wei- 
sen. 

Mid.  Es  sind  hier  mehr  Eich- 
ter  denn  ein.  Wie  ist  er  aber  ge- 
stalt  von  Person,  den  du  meinest? 

Hans.  Ey  wat,  eck  habbe  öhn 
myn  leeuedage  nicht  sein ,  Auerst 
sei  Seggen  meck,  edt  schal  ein 
oldt  Vorreer  weisen,  vnde  schal 
einen  langen  Barth  habben,  vnde 
dei  Ogen  schöllen  öhme  gar  depe 
im  Koppe  liggen,  vnd  syne  Nase 
schal  öhme  so  krum  wesen  abe 
ein  Hauickes  Schnauel,  he  schal 
so  mager  vnd  dröge  syn  als  ein 
stock,  de  Hende  schöllen  öhm 
beuen,  vnd  schal  öuel  tho  Voute 
syn,  vnde  als  se  meck  gesacht 
habben,  so  schalt  euen  sau  ein  Kerl 
wesen  als  gy  syd. 

Mid.   Wie  heist  er  dann? 

Hans.    He  hett  Midian. 

Mid.  Das  dich  heillosen  Kerl 
S.  Veits  Tantz  ankomme,  Wie 
kömpstu  darzu,  das  du  mich  der- 
gestalt darffst  beschreiben  vnd  aus- 
ruffen,  vnd  mir  mein  Alter  vnd 
gebrechen  fürwerifen,  Wiltu  nicht 
Alt  werden ,  so  las  dich  Jung  hen- 
13 


194 


PILGER 


S.  Egone  te? 


M.  maxime :  ut  qui  Midiau, 

is  sum  ego. 

S.  Obsecro  te  hercle,  mi  seiiex,  si 

quidem  tu  is  es, 

Mihi    ignoscas,    namque    haiid   te 

noveram,  hercle: 

Neqiie  his  vidi  oculis  nnqiiam. 


gen,  vor  Tausent  Teuffei,  das 
dich  die  Plage  bestehen  müsse, 
alles  losen  Kerls,  Vnd  so  Alt  ich 
bin,  durfte  ich  dich  baldt  beim 
Kopffe  kriegen,  vnd  dir  die  Haer 
ein  wenig  verlesen. 

Haus.  Ey  hört  doch,  wei  syn 
gy?  eck  meine  yöck  nicht,  dar 
behöde  meck  Godt  vor ,  Sei  habben 
meck  gesacht,  dat  Midian  ein  sölck 
Kerl  syn  scholde. 

Mid.    Ich  bin  Midian. 

Hans.  Och,  Eck  bidde,  gy  wil- 
lent  meck  vorgeuen,  eck  habbet 
vorwar  nichte  wüst,  Eck  habbet 
so  arch  niche  meint,  Vude  alse 
meck  ander  habben  vor  gesacht, 
sau  segge  eckt  na.  Eck  habbe 
yöck  myn  leeuedage  mit  Ohgen 
nicht  gesein,  eck  wil  yöck  fründt- 
lick  gebeden  habben,  gy  willent 
meck  tau  goude  holden. 

Unleugbar  zeigt  der  dichter  in  einer  beziehung,  nämlich  in  der 
handhabung  der  spräche  und  speciell  der  ausdrucksweise  des  Volkes, 
auf  die  wir  unten  zurückkommen,  ein  ausserordentliches  geschick. 
Leider  lässt  sich  irgend  welcher  andere  Vorzug  an  der  gesamten 
übrigen  einzelausführung  nur  an  sehr  wenigen  stellen  rühmen.  Eine 
derselben  ist  der  anfang  des  den  zweiten  akt  beginnenden  dialogs  der 
beiden  alten.  Derselbe  wird  bei  Heinrich  Julius  dadurch,  dass  er  mit 
geschickter  benutzung  einer  stelle  seines  Originals  ^  den  Midian  durch 
seinen  ärgerlichen  husten  sich  seinem  coUegen  verraten  lässt,  lebendiger 
und  komischer.  Würde  nur  nicht  die  breite  geschwätzigkeit  in  dieser 
scene  so  lästig.  Aber  Simeon  kann  gar  nicht  genug  worte  finden,  um 
Midians  anwesenheit  zu  verwünschen,  und  ermüdend  schleppt  der  dia- 
log  sich  hin ,  ehe  lezterer  es  über  sich  gewint ,  seine  liebe  zur  Susauna 
einzugestehen.  Der  verlauf  der  scene  verliert  ferner  dadurch ,  dass  der 
gegensatz  zwischen  dem  albernen  Midian  und  dem  verschmizten  Simeon 

1)  I,  2  sagt  Simeon  zu  Mi(li;m:  Cave  ne  adveuiens  excutias  vomitum  mulieri. 
S.  oben  s.  179. 


DRAMAT.    DER   StJSANNA   IM    IC.   JII. 


195 


olme  grimd  sehr  abgeblasst  wird.  Auch  der  folgende  auftritt  ist  bei 
Frischlin,  bei  welcliem  Susanna  dem  boten  für  die  nachriclit,  dass  ihr 
gemahl  am  abend  zurückkeliren  werde,  eine  belohnung  gibt  und  dann, 
um  denselben  in  Schönheit  und  Sauberkeit  empfangen  zu  können,  sich 
zu  einem  bade  anschickt,  viel  ansprechender  als  bei  Heinrich  Julius, 
wo  sie,  um  nachricht  von  ihrem  mann  zu  erhalten,  den  diener  nach 
Susa  sendet  und  dann  nur  der  hitze  wegen  ein  bad  nirat.  Dort  wird 
ferner  das  gespräch  zwischen  der  herrin  und  derdienerin,  welches  ohne 
die  feinere  ausführung  herübergenommen  wird,  dramatisch  wirksamer 
durch  die  charakteristischen  zwischenreden  der  beiden  alten,  die  Hein- 
rich Julius  gestrichen.  Nicht  minder  hat  bei  ihm  die  verführungs- 
scene  eingebüsst:  er  hat  hier  den  die  ganze  handluug  beleben- 
den gegensatz  zwischen  den  beiden  alten,  den  er  vorher  wenigstens 
andeutete,  ohne  grund  gänzlich  fallen  lassen,  ja  er  hat  sogar  —  ob 
absichtlich?^  —  die  rollen  beider  jezt  fast  durchweg  vertauscht,  dabei 
aber  all  die  zahlreichen  feinheiten  der  Werbung  Simeons  wider  oline 
jeden  grund  unbenuzt  gelassen.  Die  zweite  hälfte  der  scene  ist  wesent- 
lich nichts  als  eine  verkürzte  Übersetzung ,  die  dem  originale  bedeutend 
nachsteht.     Ich  setze  zur  vergleichung  einen  teil  derselben  her. 


Frischlin  I,  6. 
Sim.    Nimium  religiosa  es:   nocet 
ista  religio  formae  tuae. 


Sus.  0  Chanaae  progenies!  nihil  te 

pudet  ista  senem  proloqui 
Cano  capite:  qui  jam  alterum  pe- 
dem  in  Charontis  cymba  habes  ? 
Tune  populi  sis  judex  ?  tune  prae- 

sidium  reipublicae? 
Hoscene  niagistratum  est  aequum 

mores  civibus  largirier? 
Itane  praecepta  et  leges  Mosaicas 
meministi  ? 


1)  S.  anmerk.  1  zu  s.  204. 


H.  Julius  11,  3. 

Mid.  Du  bist  grausam  heilig, 
aber  höre ,  vns  ist  mit  deim 
schnattern  nicht  gedienet,  Erklere 
dich,  ob  du  vnsern  willen  gutwil- 
lig thun  wilt  oder  nicht. 

Sus.  0  du  Cains  Geschlecht. 
0  du  Heyloser  Gottloser  Bube, 
Schemestu  dich  denn  gar  nichts 
mehr,  weder  für  Gott  oder  der 
Welt.  Bedencke  doch,  das  du  so 
ein  alter  Heiloser  Mann  bist,  der 
du  schon  einen  fuss  im  Grabe  hast, 
vnd  bist  darzu  der  Kichter  allhier 
in  der  Stadt,  vnd  also  ein  Glied 
und  Seule  des  Regiments.  Lieber 
bedencke  doch,  ob  dir  nun  gebü- 
reu  wolle,  als  einem  der  im  Ampt 
der  Obrigkeit  sitze,  dergestaldt  sei- 
nen Bürgern  mit   bösen  Exempeln 


13 


196 


PILGER 


Sim.    Ah  desiue 
Memoiare,    qiiae    scio:    potiusque 
mihi  illa  die,  quae  nescio. 


Sus.  Quid  nescis? 

Sim.  Tuura  amorem 

sine  te,  amabo,  ameamarier, 

Mens  festus  dies:   quaeso   da  sua- 

vium  mihi. 

Sus.  suavium? 

Id  me  Deus  prohibeat.  semper  flam- 

ma  furao  est  proxima. 

Sim.    At   die  rae   saltem  suavium 

tuum. 

Sus.  Miüime  vero  omnium. 

Sim.  Die  igitur  me  tibi  columbam, 

meumque  Collum  ampleetere. 

Sus.  Egone  isthue  dicam  autfaciam? 

id  me  magnus  prohibessit  Deus. 

Virum  habeo,    quem    solum   amo, 

solum  ampleetor,  solum  deosculor. 

Cui   soli   conjugalem  uti  dedi,   sie 

servabo  datam 
Fidem. 

Sim.   Vah!   stulta  es,  quae  virum 

metuas,  qui  abest  harum  inscius 

Rerum?  nisi  tute  garrias :  nee  quis- 

quam  est  hominum  qui  videt. 

Sus.    Si    homines  non    vident,    at 

Deus  videt,  quem  nihil  usquam 

latet  .  .  . 

Midian.  Enimvero  tempus  nune  esse 

video:  ut  et  ego  amoris  hie 

Faciam  periculura,    .... 


fürzugehen,  vnd  solche  böse  ge- 
breuche  ZAileruen.  Hastu  in  den 
Geboten  vnd  Gesetzen  Mosi  solches 
gelesen? 

Mid.  Was  gehet  mich  Moses 
vnd  sein  Gesetze  an.  Ich  habe  mit 
Mose  jetzo  nicht  zuthun,  Sondern 
ich  habe  mit  dir  zuthun.  Ey  lie- 
ber, sey  doch  nicht  so  störrisch, 
vnd  gib  mir  ein  Sehmetzigeu,  vnd 
nim  mich  einmal  freundlich  in  den 
Arm. 


Sus.  Dar  behüte  mich  GOtt 
für.  Ich  habe  meinen  Man,  den 
ich  allein  liebe,  vnd  in  den  Arm 
nehme,  den  ich  alleine  küsse  vnd 
helse,  Vnd  wie  ich  demselben  al- 
leine die  Eheliche  trewe  habe  zu- 
gesaget,  so  wil  ich  sie  jhme  auch 
alleine  halten. 

Mid.  Es  sihets  doch  niemant 
nicht.  Wer  wils  deinem  Manne 
sagen  ? 

Sus.  Sehens  die  Menschen  nicht, 
so  sihets  doch  Gott,  für  dem  kan 
nichts  verborgen  sein. 


DRAMAT.    DER    SÜSANNA    IM    16.    JH. 


197 


Sus.  Ah  mi  Midiaii,  l'er  opein  mihi 
obsecro    

Mid.  Vbi  vohintas  prompta  est, 
vi  uihil  est  opus     .... 


Sus.  Jehova!  quaeso  da  paceiu  pro- 

pitius:  seiva  nie  obsecro. 
Nain  ex  composito  uterque  pudici- 
tiam  oppugiiatuni  veuit  meam. 

Mid.  Quid  clamitas  ?  tace  sis.  uam 
si  hunc  odio  persequeris:  at  me 
ames. 
Su.   Amem?  multo  te  quam  hunc 

minus  .... 
Mid,  Ah  sine  te  exorem :  sine  pre- 
hendam  auriculis:  .     .     . 


Mid.  Ah  sine  contrectem  te 

modo  paruni: 

Sus.    Ecqiüd    te   pudet,    honiinem 

seuem,  senatus  columen,  judicem, 

Clam  in  hortum  perrepere,  ut  in- 

sidias  mihi  struas  claio  die: 

Apage  a  me,  apage. 


Mid.  nimium  fera  es. 

Sim.  reddam 

ego  mansuetam  ex  fera. 

Ah,   ne  recuses  animule  mi,    mea 

vita,  mea  festivitas. 

Sunt  aurei  nummi  complures. 


Simeon.  Nun  lieber  sage,  was 
helstu  vns  lange  autt",  wiltu  es  gut- 
willig thun,  so  darftstu  dich  für 
keiner  gewalt  befahren. 

Sus.  Ach  ich  Annes  betrübtes 
Mensch,  wie  kome  ich  doch  vnter 
diese  verrederische  Buben. 

Mid.  Nhun  sage  wiltu  es  gutt- 
willig  thun. 

Sus.  0  Jehoua  ich  bitte  dich 
errette  mich  gnediglich,  vnd  be- 
ware  mich ,  denn  diese  beiden  sind 
kommen,  mir  meine  Ehre  zunhe- 
men. 

Mid.  Sihe  warumb  ruffestu  so, 
wer  beisset  dich. 

Sus.  Hörstu  es  wol  du  Heilloser 
verreter,  las  mich  zu  frieden. 


Mid.  Ey,  lasse  dich  doch  nur 
ein  weinig  anrüren. 

Sus.  Schemestu  dich  nicht,  das 
du  alß  ein  alter  Mann  vnd  Stutze 
des  Rades,  vnd  ein  fürnhemer  vnter 
den  Eichtern,  heimblich  in  den 
garten  schleichest,  auff  das  du  mir 
bey  hellem  Hechten  tage  mögest 
nachstellen,  dencke  vnd  laß  mich 
vnangerüret,  vnd  packe  dich  au 
die  örter  da  du  zuschaften  hast. 

Mid,  Ich  habe  sonst  nirgents 
jtzunder  etwas  zuschaifen ,  oder  zu- 
thun,  als  eben  hier. 

Sus.  Gedencke,  vnd  halt  die 
Hände  stille. 

Mid.  Wirstu  meinen  willen  thun, 
ich  wil  dir  einen  Beutel  voll  rother 
Gülden  greben. 


198  PILGER 

Sus.  pereas  cum  auro  tiio,  Sus.    Ey  packe  dich  mit  deinen 

Auro    uon    vendam,    quod    redimi      Gülden,    Ich    wil    lieber    betteln 
auro  non  potest.  gehen ,  als  das  ich  für  Geldt  meine 

Ehre  verkauffen  solte. 
Der  folgende  auftritt,  in  derü  Simeon  die  Susanna  bei  ihren  die- 
nern verklagt,  ist  in  seiner  anläge  aus  Frischlin  herübergenommen, 
doch  ist  das  dort  lebendige  gespräch  zwischen  den  Verleumdern  und 
dem  sie  abweisenden  Philergus  zu  langweilig  gedehnten  hin-  und  her- 
redereien  verwässert.  Ehe  Simeon  dazu  komt ,  dem  knecht  eine  bestimte 
auskunft  zu  geben  über  die  „schimpflich  geschieht,"  die  sich  zugetra- 
gen, reisst  wahrlich  auch  dem  gelassensten  zuschauer  die  geduld.  Auf 
seine  widerholten  fragen  hält  er  ihn  [bei  Holland  s.  69  fg.]  hin  mit 
antworten,  wie: 

Das  wirstu  wol  erfahren,  ehe  denn  es  dir  lieb  ist. 

Das  soltu  baldt  vernhemen,  so  baldt  als  jenner  der  da  hergehet  zu 

vns  kömpt. 
Unglücks  gnug,  welches  sie  aber  selber  verursachet. 
Es  were  besser,  sie  were  vertruncken. 
Jetzunder  wirstu  es  vernhemen,   wenn  der  zu  vns  kompt,    so  dar 

her  eilet. 
Ey  warte  nun  so  lange,  biß  das  ich  dirs  gesagt  habe. 
Was  sol  ich  viel  sagen,  Sie  hat  eine  große  schände  begangen. 
Was  ich  gesehen  habe,  das  kan  mich  nicht  triegen. 
[Hyramus.  Was  habt  ihr  gesehen?]     Das  Susanna  eine  schände  began- 
gen hat. 
[Hyramus.  Was  ist  das  für  eine  schände?]     Das  weis  jenner  eben  so  wol 

als  ich,  der  dorth  her  kömpt. 
Nach  all  diesen  endlosen  zögerungen  solte  man  doch  meinen, 
Simeon  hätte  einen  wichtigen  grund ,  dem  Midian  die  weitere  erzählung 
zu  überlassen.  Weit  gefehlt!  er  überlässt  sie  ihm  überhaupt  nicht, 
sondern  —  um  der  Verkehrtheit  die  kröne  aufzusetzen  —  als  dieser 
endlich  herangekommen,  erzählt  Simeon  das  wesentlichste  selbst! 

Heinrich  Julius  scheint  die  eintönige  art  jenes  geschwätzes  nicht 
misfallen  zu  haben,  denn  gleich  darauf  gerieren  sich  knecht  und  magd 
nicht  minder  hölzern  mit  ausrufen  wie: 

Judith.     Ach  das  kan  ich  nicht  gleuben. 
Hyramus.     Habt  ihrs  gesehen? 
Judith.     Ach  das  kan  ich  nicht  gleuben. 

Hyramus.     Viid  ich  kan  es  viel  weiniger  gleuben,    Dann  desglei- 
chen hat  man  ja  vorhin  niemals  von  jhr  gehört. 
Hyramus.  Icli  gleube,  es  müsse  euch  getreumet  haben,  was  jhr  saget. 


DKAMAT.   DER   SUSANNA   IM    16.    JH.  199 

Von  der  den  zweiten  ukt  scliliessenden  bauernscene  stiimnii  nur  die 
anläge  im  algenieinen ,  die  klage  eines  von  einem  wiite  gcpixdten  bauern 
zu  einem  anderen ,  dem  gleichfals  unrecht  geschehen ,  aus  Frischlin 
II,  5.  Die  ausl'ührung  gehurt  Heinrich  Julius,  ausser  dass  er  s.  76  den 
anfaug  von  Hirams  mouolog  einflicht.  ^  Wider  ist  der  volkston  — 
Clas  spricht  thüringisch,  Conrad  schwäbisch  —  gut  getroffen,  aber  wider 
stört  überladenheit:  während  Frischlin  mit  dieser  scene  das  bereits  II,  3 
begonnene  Zwischenspiel  fortsezt,  führt  Heinrich  Julius  zunächst  die 
beiden  genanten  bauern  ein  und  lässt  erst  in  der  zweiten  hälfte  der 
scene  den  von  Midian  I,  3  abgewieseneu  Hans  mit  ihnen  zusammen- 
treffen. 

Der  monolog  des  voll  freude  zurückkehrenden  Jojakim  III,  1  ist 
eine  au  einigen  stellen  sogar  wörtliche  copie,  ebenso  wie  die  sich 
anschliessende  begegnung  desselben  mit  seinem  treuen  diener  Hyra- 
mus.  Ungeschickt  ist  folgende  änderung:  als  Jojakim  von  dem  diener 
erfahren,  dass  Susauna  tief  betrübt  über  das  vorgefallene  zu  hause 
sitze,  eilt  er  nicht  etwa,  wie  bei  Frischlin,  sogleich  zu  ihr,  um  sie 
zu  trösten,  sondern  er  verhandelt  zuerst  mit  den  Schwiegereltern  und 
begnügt  sich  seiner  frau  sagen  zu  lassen,  er  werde,  „sobald  er  mit 
diesen  ausgeredet  habe,  nach  hause  kommen."  Während  seines  gesprä- 
ehes  mit  diesen  erscheint  dann  Susanna  selbst  klagend  und  ihre  Unschuld 
betheuernd  und  wird  nun  von  eitern  und  gatten  getröstet  —  eine 
scene ,  die  widerum  zum  teil  mit  denselben  werten  ^  von  Frischlin  IV,  5 
herübergenommen  ist,  wo  sie  zwischen  der  vorberatung  der  richter 
und  der  eigentlichen  gerichtsverhandlung  steht. 

Die  erste  hälfte  von  III,  5,  ein  kurzer  monolog  des  besorgt  an 
die  gerichtsverhandlung  denkenden  Midian ,  der  dann  aber  den  befremd- 
licher weise  jezt  noch  ängstlicheren  Simeon  ermuntert,  ist  im  algemei- 
nen aus  Frischlin  IV,  1  und  3  zusammengesezt.  Ein  reines  anhängsei 
dieses  auftritts  ist  die  sehnöde  abfertigung  der  beiden  recht  suchenden 
bauern  Clas  und  Conrad  durch  Midian,  auch  dies  nicht  ohne  eine 
anlehnung  au  das  wider  einheitlichere  original,  wo  nach  des  lezteren 
monolog  IV,  1  Sictar  mit  den  vorher  für  die  rechtsunterstützung  gefor- 
derten drei  seckeln  erscheint,  um  von  neuem  von  demselben  geprelt 
zu  werden. 

1)  Im  Wirthe,  Hollaud  s.  463,  benuzt  er  diese  zeilen  noch  einmal,  wenn 
auch  in  etwas  abweichender  bearbeitung. 

2)  Die  werte  der  Susanna,  Holl.  s.  93:  ,.Ich  wil  gerne  sterben.  Wenn  nur 
meine  Unschuld  möchte  gerettet  werden"  sind  ein  in  der  eile  untergelaufenes  mis- 
verständnis  von  Frischlin  IV,  b:  Emoriar,  si  non  extra  hanc  noxam  inventa  fuero. 


200  PILGEK 

Der  beginn  der  gerichtssitzung  IV,  1  ist  wider  kaum  etwas  ande- 
res als  nach  jeder  riclitung  hin  eine  verballhornisieruug  des  latei- 
nischen dichters.  Das  Verhältnis  des  der  angeklagten  wolwollenden 
Cleophas  zu  den  sie  verurteilenden  richtern  erscheint  ohne  grund 
umgekehrt.  Derselbe  ist  sogar  in  ganz  ungerechtfertigter  weise  durch- 
aus übelwollend  und  parteiisch :  er  will  eigentlich  Susanna  ohne  verhör 
zum  tode  verdammen  und  lässt  sie,  daran  gehindert,  willkürlich  wenig- 
stens gebunden  vorführen,  obwol  die  richter,  darüber  von  ihm  aus- 
drückhch  befragt,  dagegen  stimmen!  Interessanter  und  dramatischer 
wird  überdies  bei  Prischlin  der  ganze  auftritt  durch  die  zwischenreden 
des  Sichar  und  Midian,  auf  die  Heinrich  Julius  verzichtet  hat. 

Der  sich  anschliessenden  grossen  gerichtsscene  ist  ein  kleiner 
dialog  zwischen  den  beiden  ältesten  vorgeheftet,  der  bei  Frischlin 
passender  den  schluss  der  vierten  scene  bildet;  dann  aber  folgen  in 
engem,  vielfach  wörtlichem  anschluss  die  bitte  Midians,  Susanna  den 
Schleier  zu  nehmen ,  die  ermahnung  des  Cleophas  und  die  anklage- 
reden  der  beiden  greise  —  der  lezteren  werte  sind  der  rede  Simeons 
bei  Frischlin  entnommen.  Die  Verteidigung  der  Susauna  ist  bei  dem 
herzöge  wortreicher,  zum  teil  wol  auch  im  ausdruck  wärmer  und 
inniger. 

Im  folgenden  lässt  derselbe  der  zeitgemässen  liebhaberei  für 
gerichtliche  debatten,  abweichend  von  seinem  original,  in  geschmack- 
losester weise  die  zügel  schiessen.  Nach  der  entfernung  der  parteien 
und  einer  höchst  langweiligen  förmlichen  befragung  der  einzelnen  rich- 
ter wird  von  Cleophas  das  urteil  gefällt,  die  kläger  seien  zum  eide 
zuzulassen.  Dann  folgt  IV,  4  eine  wörtliche  widerholung  des  urteils 
vor  den  parteien ,  eine  langweilig  gedehnte  Verwarnung  des  versitzenden 
vor  dem  meineid,  endlich  der  eid  nach  einer  denkbar  gedehntesten, 
sieben  selten  laugen  formell  Den  schluss  bildet  das  wörtlich  entlehnte 
urteil,  das  jedoch  hier  durch  zwölfmaliges ,  selbst  von  den  steckenkuech- 
ten  gesprochenes  amen  bekräftigt  wird.  Diese  ganze  dreiundzwanzig 
selten  lang  sich  hinschleppende  Verhandlung  ist  nichts  als  die  breite 
ausführung  von  Frischlins  gedrängter,  alles  wesentliche  enthaltender 
darstellung.  Auch  Susannas  nun  folgende  klage  ist  widerum  zum  teil 
eine  copie ,  ebenso  wie  auch  ihre  bitte  von  den  ihrigen  abschied  neh- 
men zu  dürfen  und  deren  gewährung  durch  Cleophas.  Wunderlicher 
weise  ruft  dieser  jezt  plötzlich  aus  seiner  rolle  fallend  aus:  „ach,  GOtt 
weis,  mich  jammert  des  Weibes,"  in  unberechtigtem  mechanischen 
anschluss  an  das  original,  wo  die  worte:  „ah!  quam  nie  hujus  matro- 
nae  miseret  ac  piget"  dem  ursprünglichen  Charakter  des  praetors 
durchaus  gemäss  sind. 


DRAJIAT.    DKR    SUSANNA    IM    Ui.    JU.  201 

Der  abschied  der  Susanna  von  den  ihrigen  enthält  zwar  dem 
gedanken  nach  auch  nur  ausgeführte  Variationen  zu  den  von  Frischlin 
kurz  angeschlagenen  tlienien,  doch  wird  er  eben  dadurch,  wenn  auch 
entsetzliche  Weitschweifigkeit  den  eindruck  wider  abschwächt,  und 
durch  einige  wirklich  treftende  accente  zum  teil  inniger  und  rührender. 
Mehrmals  wird  freilich  dieser  eindruck  auf  sehr  bequeme  weise  durch 
einflechtung  längerer  stellen  aus  dem  buche  Hiob  erreicht  [s.  folg.  s.], 
aber  es  findet  sich  doch  auch  eigenes  gute,  wie  der  rührende,  leider 
nur  wider  gar  zu  gedehnte  abschied  der  kleinen  Rebecca.  Ach,  liebe 
Mutter,  ruft  das  kind  aus,  Müsset  jhr  dann  nun  sterben?  Ach  ich 
armes  Kind ,  Wo  wil  ich  nun  eine  Mutter  wieder  bekommen  ?  .  .  .  Ach, 
ach  noch  ein  Püssichen,  zu  guter  letzte,  meine  hertzliebe  Mutter  . . .  und 
noch  „  im  weg  tragen  rüflfet  das  Kindt  jmmer " :  Ach  mein  liebe  Mut- 
ter, Ach  mein  Mutter,  Viel  tausent  guter  nacht.  Uubenuzt  geblieben 
ist  in  dieser  sceue  die  charakteristische  und  dramatisch  wirksame  Par- 
teinahme der  knechte  bei  Frischlin  für  Susanna,  die  sich  bis  zu  aus- 
gelassener Verhöhnung  der  beiden  alten  steigert. 

Mit  versäumung  des  angemessenen  aktschlusses  lässt  der  dichter 
jezt  plötzlich,  sogar  mitten  in  der  scene  Daniel  erscheinen.  Das  auf- 
treten desselben,  wie  das  IV,  5  abgehaltene  gericht  über  die  alten 
hat  er  vielfach  seiner  vorläge  nachgebildet  —  in  einem  punkt  wider 
mit  ganz  besonderer  geschmacklosigkeit.  Nahm  dort  an  der  anklage 
derselben  auch  Sichar  teil,  so  lässt  Heinrich  Julius  gegen  Midiau 
allein  nicht  blos  die  drei  bereits  aufgetretenen  bauern,  sondern  noch 
zwei  andere  ihre  klagen  vorbringen,  und  gegen  Simeon  drei  nur  zu 
diesem  zweck  erscheinende  bäuerinnen,  die  ihn  beschuldigen  ihre  töch- 
ter  geschändet  zu  haben  —  lezteres  motiv  wider  eine  anlehnung  an 
Frischlin  II,  5,  s.  s.  191.  So  wird  denn  dieses  bauernintermezzo, 
dem  obeneiu  in  diesen  auftritten  noch  die  scherze  des  narren  zur  seite 
gehen,  zu  einer  ausdehuung  aufgebauscht,  die  nur  die  Wirkung  hat 
die  haupthaudlung  in  zweckwidrigster  weise  zurückzudrängen. 

Es  folgt  wider  IV,  7  eine  gedehnte  befragung  der  richter,  eine  Ver- 
urteilung mit  sechsundzwanzigmaligem  amen,  die  bitten  der  beiden  greise, 
ihre  busse  und  weitläufige  vermahnungsrede  an  die  Zuschauer,  in  welche 
[HolL  s.  156]  Sprüche  Salomouis ,  kapitel  V,  3  —  6  verflochten  sind,  end- 
lich ihre  Steinigung  auf  der  bühne  —  alles  nur  ausführung  der  oft 
wörtlich  benuzten  darstellung  Frischlins ,  nur  dass  dieser  IV,  5  mit 
ästhetisch  feinerem  gefühl  die  bösewichter  durch  die  steckenknechte  zu 
der  execution  wegführen  lässt. 

Während  bei  lezterem  nun  das  stück  mit  einem  kurzen  gebet  der 
Susanna   und   einer   danksagung   an   Daniel   schliesst,   begint  Heinrich 


202  -  PILGER 

Julius  noch  einen  neuen  akt.  Nach  einem  monologe  des  so  eben  von 
der  Steinigung  zurückkehrenden  narren,  in  welchem  er  in  lächerlicher 
weise  mit  der  hässlichkeit  der  beiden  alten  seine  eigene  Schönheit  ver- 
gleicht ,  spricht  Susanna  ein  langes  gebet.  In  ihrer  wortreichen  manier 
holt  sie  wider  gar  zu  weit  aus,  wenn  sie  anfängt:  „0  Allmechtiger, 
Ewiger ,  Barmhertziger  GOtt ,  Ich  dancke  dir  ....  das  du  ....  Mir 
Leib  vnnd  Seele,  vnd  alle  Glieder,  Vernunfft,  Verstand,  vnd  alle  Sinne 
gegeben  hast,  vnd  noch  bewarest."  Hieran  schliessen  sich  breitgedehnte 
scenen  algemeiner  familieufreude ,  die  endlich  mit  dem  gemeinsamen 
gesange  des  liedes  von  Johann  Agricola:  „Frölich  wollen  wir  Alleluia 
singen "  ihr  ende  finden.  Den  schluss  des  ganzen  bildet  das  komische 
nachspiel,  in  welchem  Clant  von  der  Magd  Helkias  einen  korb  erhält. 
Es  bleibt  uns  noch  übrig  die  Würdigung  der  spräche  unseres 
Stückes.  Bemerkenswert  ist  zunächst,  dass  sich  der  Verfasser  abwei- 
chend von  dem  bis  dahin  im  deutschen  drama  üblichen  brauche  der 
prosa  bedient  hat.  Unzweifelhaft  ist  diese  neuerung  auf  das  beispiel 
der  englischen  komödianten  zurückzuführen,  aber  auch  die  specielle  art 
wenigstens  seiner  hochdeutschen  prosa  weist  augenscheinlich  auf  diesen 
Ursprung.  Diese  zeichnet  sich  nämlich  vor  der  gleichzeitigen  durch 
eine  gewisse,  oft  freilich  nur  äusserliche  und  zu  lästiger  geschwätzig- 
keit  werdende  fülle  und  lebendigkeit  aus,  ja  sie  müht  sich  sichtlich 
sogar  um  einen  schwungvolleren,  pathetischen  ausdruck.  Beides  sind 
die  eigentümlichkeiten  der  spräche  in  der  uns  erhaltenen  samlung 
„englischer  komödien"  vom  jähre  1620,  durch  die  sich  dieselbe  trotz 
all  ihrer  rohheit,  die  nicht  einmal  von  groben  sprachverstössen ^  frei 
ist,  vorteilhaft  von  der  des  gleichzeitigen  deutschen  Schauspiels  unter- 
scheidet. Mit  diesen  momenten  verwant  ist  anderes  in  den  englischen 
komödien,  das  sich  gleichfals  bei  dem  herzöge  findet:  der  gebrauch 
von  fremdwörtern  und  ungewohnten,  steif  klingenden  Wendungen,  die 
neigung  zu  volkstümlicher  ausdrucksweise,  die  nachahmung  oder 
directe  entlehnung  biblischer  stellen.  Leztere  besonders  verleiht  der 
spräche  des  herzogs  widerholt  einen  schein  von  kraft  und  eindring- 
lichkeit,  der  ihr  an  sich  fast  gänzlich  abgeht:  so  sind  die  langen 
ermahnungen  des  Helkia  an  seine  tochter  I,  2  fast  ausschliesslich, 
Susannas  abschied  von  den  ihrigen  IV,  4  wenigstens  zum  teil  ein  cento 
aus  der  bibel.^ 

1)  Verstösse  gegen  mir  und  mich  finden  sich  z.  b.  G  8,  H  1  2  6  7;  sonst 
ist  mir  erinnerlich:  bei  alle  götter,  durch  ihr,  höre  niicli  zu,  er  suchet  nach  mich. 

2)  In  der  ersten  stelle  sind  ausser  den  geboten  verwertet:  Holl.  s.  8  Jesus  Siracli 
30,  1?;  7,  26;  30,  1;  s.  9  Sir.  1,  16,  13  —  34;  s.  10  Sir.  23,  10;  11,  20-22,  14,  22; 
s.  11  Sir.32,  19;    3,  4      5,    12-15;    7,29  —  30;    s.  12   Sir.  26,   3  —  4,    17  —  18, 


DRAMAT.    DER    SÜSANNA    IM    16.    JH.  203 

Für  die  sehr  geschickte  anweiiduiig  der  dialecte,  die  ich  in  die- 
sem zusammenhange  sogleich  mit  erwähnen  will ,  lält  natürlich  die 
annähme  des  englischen  Vorbildes  fort.  In  diesen  scenen  trift  Heinrich 
Julius ,  so  viel  ich  sehe  ohne  Vorbild ,  den  ton  des  Volkes  ausserordent- 
lich glücklich,  und  selten  mag  im  drama  des  IG.  Jahrhunderts  mit  sol- 
cher realistischen,  freilich  auch  sehr  derben  uaturwahrheit  gesprochen 
worden  sein.  Wenn  diese  auftritte  wirklich  ganz  original  sind,  so  darf 
die  volständige  Vertrautheit  mit  der  rede-  und  denkweise  des  gemei- 
nen mannes,  ganz  abgesehen  von  der  ausserordentlichen  dialectkent- 
nis,  die  sie  bekunden,  bei  dem  fürstlichen  Verfasser  gradezu  staunen 
erregen. 

Nicht  zu  unterschätzen  ist  hierbei  freilich  die  Wirkung,  welche 
der  dialect  au  und  für  sich  auf  den  hochdeutschen  leser  ausübt.  Für 
diesen  wird  dadurcli  der  eindruck  der  frische  und  natürlichkeit  sehr 
leicht  hervorgebracht,  ohne  dass  die  kunst  des  dichters  mitzuwirken 
hätte  —  ich  erinnere  an  mancherlei  verwaute  erscheinuugen  unserer 
tage.  Übrigens  ist  die  anwendung  der  dialecte  nicht  eine  erfindung 
von  Heinrich  Julius,  auch  sie  ist  vermutlich  nur  eine  nachahmung 
von  Frischliu,  der  ja  bekantlich  mannigfache  freundliche  berührungen 
mit  dem  herzöge  hatte  —  er  dedicierte  demselben  z.  b.  den  ersten 
teil  seiner  griechisch -lateinischen  grammatik^  —  und  dessen  Schriften 
ihm  wol  grossenteils  bekant  waren.  Frischlin  aber  hatte,  wol  in  nach- 
ahmung von  Aristophanes  und  Plautus,  schon  in  den  1577  verfasten, 
leider  verlorenen  Weingärtnern  ein  gemisch  von  verschiedenen  sprachen 
oder  mundarten  angewant,  wie  er  ja  auch  im  Julius  Redivivus  den 
Allobrox  französisch,  den  Caminarius  italiänisch  sprechen   lässt.^ 

Fassen  wir  die  ergebuisse  unserer  analyse  des  Stückes  zusammen, 
so  darf  wol  das  am  anfang  derselben  vorausgeschickte  ungünstige  urteil 
als  erwiesen  gelten.  Wir  fanden  nicht  nur  in  den  beiden  wesentlich- 
sten beziehungen ,  der  composition  und  der  Charakteristik,  eine  abhän- 
gigkeit  von  Frischliu,    die  vielfach  jede  Selbständigkeit  vermissen  Hess, 

25,  26;  26,  9—10;  s.  13  Sir.  27,  33;  28,  1  —  2;  10,  14  —  16;  11,  4;  Ephes.  5,  5; 
s.  14  Sir.  26,  19-22,  12  —  13;  22,  33;  s.  15  Sir.5,  17  —  6,  1;  20,  26—28; 
Spr.  Salom.  18,  8;  19,  5;  Sir.  3,  19  —  21;  7,  16;  11,  26  — 27;  in  der  zweiten: 
s.  123  Hiob  19,  25  —  27;  s.  124  und  125  3,  3  —  13,  26.     S.  auch  oben  s.  201. 

1)  S.  Strauss ,  Leben  Frischlins  1855  s.  444. 

2)  Gleiclizeitig  mit  Frisclilin  1577  legte  Omiobius  niederdeutsche,  teilweis  aus 
Claws  Bur  entnommene  scenen  in  seinen  Dämon  und  Pythias  ein;  thüringischer 
dialect  findet  sich  bei  Hayneccius  1582,  niederdeutscher  ferner  bei  Goebel  in  der 
Fahrt  Jacobs,  bei  Georg  Pondo  in  der  Comoedie  von  der  Geburt  Christi  1589  [in 
den  hirtenscenen]  und  wahrscheinlich  auch  in  andern  seiner  stücke.  Vgl.  Wacker- 
uagel  Litteraturgesch.  463  anni.  12  und  13. 


204  PILGER 

sondern  —  was  noch  viel  schlimmer  —  wir  erkanten  da,  wo  abwei- 
chungen  vorgenommen  waren,  fast  nur  dm'chaus  zwecklose  änderungen, 
die  ebenso  sehr  grobe  fahrlässigkeit  und  leichtfertigkeit  wie  einen  kaum 
glaublichen  raangel  an  feinerem  Verständnis  dokumentierten.^  Nach  der 
Seite  der  dramatischen  technik  kam  auf  des  herzogs  eigene  rechnung  fast 
nichts  als  einmal  eine  reihe  plumper  Verunstaltungen  seines  Originals 
und  dann  das  überwuchern  gänzlich  ungehöriger  nebenwerke.  In  der 
Zeichnung  der  Charaktere  wie  in  der  ausführung  des  einzelnen  verdirbt 
er  sein  vorbild,  das  er  zum  teil  wörtlich  abschreibt,  gleichfals  durch 
eine  reihe  ungeschicktester  änderungen.  Anzuerkennen  bleibt  in  lezterer 
beziehung  wesentlich  imr  eins,  die  teilweise  recht  gelungene  ausfüh- 
rung der  hors  d'oeuvres,  der  bauern-  und  narrenscenen ,  deren  specielle 
Würdigung,  da  sie  mit  dem  übrigen  stücke  sehr  wenig  zusammenhän- 
gen, einem  eigenen  abschnitte  vorbehalten  bleibt.  Selbständigen  wert 
besizt  ausserdem  das  stück  nur  in  sprachlicher  beziehung. 

Von  den  bisherigen  beurteilungen  der  Susanna  von  Heinrich  Julius 
weicht  die  unsrige  so  bedeutend  ab,  dass  es  notwendig  erscheint  auf 
dieselben  etwas  näher  einzugehen. 

Hatte  schon  Wackernagel  ^  an  dem  herzoglichen  dichter  im  alge- 
meinen eine  behandlungsweise ,  wie  sie  allein  den  Engländern  abzu- 
sehen war,  eine  nicht  kunstlose  anläge,  mannigfaltige  und  körperhafte 
Charaktere  gerühmt,  so  hob  Gervinus  ^  speciell  an  der  Susanna  neben 
den  Vorzügen  der  spräche  die  tragischen  scenen  und  in  diesen  die 
meuschenkentnis  und  das  beredte  spiel  der  leidenschaften  hervor  und 
nante  den  vierten  und  fünften  akt  im  vergleich  zu  den  übrigen  dramen 
der  zeit  geradezu  meisterstücke. 

Ausführlicher  urteilte  Hermann  Grimm.*  Den  theatralischen  auf- 
bau  der  handluug  und  den  dramatischen  gang  des  dialogs  rühmend 
sagt  er:  „Hierin  konte  Heinrich  Julius  niemand  nachahmen,  denn  vor 
ihm  verstand  es  keiner  so  besonnen  und  geschickt  ein  werk  für  die 
bühne   einzurichten.     Selbst  bei  dem  viel  geistreichern  Frischlin  finden 

1)  Noch  auf  eine  bezeichnende  kleinigkeit  möchte  ich  hinweisen.  Auch  da, 
wo  Heinrich  Julius  der  hauptsache  nach  sich  Frischlin  anschliesst,  weicht  er  öfter 
in  einzelheiten  ab  und  zwar  zuweilen  ohne  jeden  grund,  so  z.  b.  wenn  er  das  Ver- 
hältnis der  beiden  ältesten  zu  einander  vielfach  umkehrt,  wenn  aus  dem  milden 
Cleophas  ein  unfreundlicher,  parteiischer  gemacht  wird,  wenn  in  den  beiden  gerichta- 
scenen  statt  Siraeons  zuerst  Midian  befragt  wird.  Trotzdem  können  diese  wider- 
holten abweichungen  doch  kaum  absichtslos  sein.  Solte  durch  dergleichen  etwa  die 
abhängigkeit  von  Frischlin  einigermassen  verdeckt  werden? 

2)  A.  a.  0.  s.  463. 

3)  Geschichte  der  deutschen  Dichtung  4.  aufl.  III,  s.  119. 

4)  A.  a.  0.  s.  151. 


DRAMAT.    DER    SUSANNA    IM    16.    JH.  20r) 

wir  stets  nur  coiiversation ,  nirgonds  tlieatralisclien  dialog.  Bei  jenem 
haben  die  beiden  sprechenden  nur  sich  im  äuge ,  bei  diesem  wird  ein 
dritter  angenommen,  welcher  zuhört.  (!)  Eins  geht  aus  dem  andern 
hervor  und  drängt  vorwärts,  die  scenen  haben  eine  spitze,  der  gang 
der  intrigue  eine  Spannung."  Dies  verdienst  des  herzogs  erscliien 
Grimm  so  auft'allend,  dass  er  zu  der  Vermutung  geleitet  wurde,  „es 
sei  vielleicht  irgend  jemand  von  den  [englischen]  schauspielern  ihm 
dabei  behilflich  gewesen,  den  compositionen  jenen  theatralischen  anstrich 
zu  geben ,  welcher  von  zu  grosser  routine  zeugt ,  als  dass  ihn  Heinrich 
Julius,  auch  beim  grösten  talente,  ohne  eine  lange  praktische  erfah- 
rung  seinen  stücken  hätte  verleihen  können."  Zum  beweise ,  wie  sehr 
derselbe  in  diesen  gerühmten  beziehungen  sich  vor  Frischlin  und  den 
anderen  gleichzeitigen  dichtem  auszeichne,  greift  dann  der  Verfasser 
die  ersten  drei  auftritte  des  zweiten  aktes  zu  eingehenderer  bespre- 
chung  heraus.  Eigentümlich!  Grade  diese  scenen  stelten  sich  uns 
als  eine  arge  Verschlechterung  von  Frischlin  heraus:  was  selbst  unter 
den  plumpen  bänden  des  herzogs  diesen  auftritten  an  „  besonnener  und 
geschickter  technik,  an  theatralischem  aufbau  der  handlung,  an  dra- 
matischem gang  des  dialogs"  verblieben  war  —  viel  war  es  nicht  — 
das,  sahen  wir,  stamte  alles  fast  ausnahmslos  von  Frischlin. 

Noch  weiter  gieng  im  anschluss  an  Grimms  Untersuchung  Albert 
Cohn.^  Er  erklärte  den  plan  und  die  gesamte  construction  der  hand- 
lung, den  dramatischen  fortschritt  der  intrigue  und  des  dialogs  in  allen 
stücken  des  herzogs  und  besonders  in  dem  unsrigen  für  so  gelungen, 
die  Charaktere  erschienen  ihm  so  mannigfaltig  und  real,  dass  er  dem 
herzöge  mehr  dramatisches  talent  zuschreibt  als  all  seinen  Vorgängern, 
Zeitgenossen  und  unmittelbaren  nachfolgern.  Aber  trotzdem  hielt  auch 
er  jene  Vorzüge  für  zu  bedeutend,  als  dass  er  sich  dieselben  ohne 
annähme  fremder  hilfe  hätte  erklären  können.  Auch  er  meinte,  dass 
sie  speciell  auf  die  Unterstützung  durch  einen  englischen  Schauspieler 
zurückzuführen  seien ,  da  ein  Deutscher  zu  jener  zeit  die  dazu  nötige 
erfahrung  und  einsieht  überhaupt  nicht  hätte  haben  können. 

Nun  wir  haben  diesen  unbekanten  helfer  des  herzogs,  der  a  priori 
ein  Engländer  sein  muste,  in  Frischlin  gefunden:  grade  in  allen  jenen 
gerühmten  beziehungen  ist  Heinrich  Julius  nichts  als  der  plagiator 
desselben  und  noch  dazu,  wie  wir  gesehen,  ein  ebenso  leichtfertiger 
als  ungeschickter.  2 

1)  Shakespeare  in  Germany.    London  1865  s.  LVI  fgg. 

2)  Diese  rücksichtslose  ausbeutung  eines  fremden  Originals,  ohne  angäbe 
desselben,  ist  für  das  16.  Jahrhundert  weniger  befremdlich  als  für  unsere  zeit. 
Man  denke  an  die  bekanten  entlehnungen  von  Fischart,    Vitus  Garlebe,    Oraichius, 


206  PILGER 

So  ergibt  sich  denn  schliesslich  aus  unserer  Untersuchung  über 
die  Susanna  des  herzogs  das  für  die  entwicldungsgeschichte  unserer  dra- 
matik  interessante  resultat,  dass  abgesehen  von  der  spräche  alle  wesent- 
lichen fortschritte  derselben,  welche  gegen  ende  des  16,  Jahrhunderts 
in  dem  bedeutendsten  stücke  der  zeit  hervortraten  und  allein  durch 
englischen  einfluss  erklärlich  schienen,  lange  vorher  von  einem  heimi- 
schen dichter  und  zwar  in  ungleich  höherem  grade  erreicht  waren. 

12. 
Die   komischen   Zwischenspiele   des  lezten  Stückes. 

Widerholt  haben  wir  bereits  bei  dem  zulezt  besprochenen  Schau- 
spiel der  einen  breiten  räum  einnehmenden  komischen  Zwischenspiele 
desselben  gedacht.  Sie  fordern  zum  schluss  um  so  mehr  eine  gründ- 
lichere beachtuug,  als  sie  meiner  ansieht  nach  selbständigeren  wert, 
als  die  spräche  ausgenommen  das  ganze  übrige  stück  besitzen  und 
zugleich  nach  algemeiner  annähme  den  vielbesprochenen  einfluss  der 
Engländer  ganz  besonders  zeigen  sollen. 

Über  den  einen  teil  dieses  Zwischenspiels,  die  am  Schlüsse  der 
ersten  vier  akte  sich  findenden  bauernscenen ,  können  wir  uns  sehr  kurz 
fassen.  Ihr  Inhalt  ist  von  geringer  bedeutung:  sie  stehen  mit  der 
handlung  nur  dadurch,  dass  sie  die  bosheit  und  Verworfenheit  der  bei- 
den alten  illustrieren,  in  einem  gewissen  zusammenhange  und  werden 
überdies  durch  ihre  ganz  unverhältnismässige  ausdehnung  lästig.  Wirk- 
lichen wert  besizt  nur  ihre  bereits  von  uns  gewürdigte  höchst  lebens- 

Bachmann,  Georg  Lucz  [s.  das  nähere  bei  Goedeke,  Gengenbach  s.  527,  605  und 
Grnndriss  s.  328,  331,  333,  335]:  ein  noch  frappanteres  beispiel  liefert  die  hand- 
schriftlich zu  Cassel  vorhandene  komödie  Speculum  aistheticum,  die  der  Casseler 
arzt  Johannes  Rhenanus  1616  dem  landgrafen  Moritz  als  sein  werk  überreichte,  und 
aus  der  Höpfner  in  der  öfter  citierten  abhandlung  s.  40  fg.  einige  proben  mitteilt. 
Das  werk  ist  nämlich  nur  eine  wortgetreue  Übersetzung  der  englischen  moralität 
Lingua  von  Anthony  Brewer  [s.  Dodsley,  Old  Plays,  vol.  V].  —  Es  fand  indess  die 
entgegengesezte  auffassung  von  litterarischem  cigentum  auch  damals  schon  ihre 
Vertreter,  zahlreichere,  als  man  nach  der  verbreiteten  ansieht,  dass  im  16. Jahrhun- 
dert die  litteratur  als  ein  gemeingut  aller  betrachtet  wurde,  glauben  solte.  Wie 
energisch  wird  z.  b.  Klauber  von  Hayueccius  wegen  des  an  seinem  Almansor  ver- 
übten Plagiats  abgefertigt!  Viel  bezeichnender  noch  ist  die  gewissenhaftigkeit,  mit 
der  z.  b.  Andreas  Calagius  bei  seiner  Übersetzung  von  Prischlins  Susanna,  Görlitz 
1604  „nicht  ein  einig  Formular  anzusehen  bgcret,  damit  nit  jrgend  auch  ein  Verß- 
lein,  das  eines  andern,  ihm  entschlipte. "  [Hiernach  ist  der  Irrtum  Goedekes 
Grundr.  s.  336  zu  verbessern].  Man  lese  ferner  die  bedenken  von  Burkhard  Waldis 
hinsichtlich  seiner  bearbeituug  des  Teuerdank  bei  Höfer,  Denkmäler  niederdeutscher 
Spr.  III.  s.  XXVI,  und  die  an  „den  leser"  gerichteten  worte  von  Greff  vor  seiner 
Übersetzung  des  Lazarus  von  Sapidus,  Wittenberg  1545. 


DBAMAT.    DEE    SUSANNA    IM    IC.   JH.  207 

wahre  ausführung.  Dass  in  ihnen  von  englischem  eintiuss  nicht  die 
rede  sein  kann ,  bedarf  wol  nicht  der  erwähnung. 

Eingehender  haben  wir  die  narrenscenen  zu  behandeln ,  also  den 
Charakter  der  Instigeu  figur  und  zugleich  ihre  Stellung  zu  der  handlung 
des  Stückes.  Bekantlich  unterscheidet  sich  dieselbe  von  der  bis  dahin 
in  Deutschland  auf  der  bühne  gewöhnlichen  art  nicht  unerheblich,  und 
diese  diiferenz  erschien  so  bedeutend,  dass  man  auch  hier  wie  bei  der 
composition  des  stückes  auf  ein  englisches  vorbild  schloss. 

Im  algemeinen  hat  sich  mir  auch  diese  ansieht  nur  in  geringem 
grade  bestätigt,  und  wenn  es  wahr  ist,  was  ein  in  der  deutschen  litte- 
ratur  wolbewanderter  Engländer  sagt,  dass  vier  fünftel  alles  dessen, 
was  Europa  im  sechzehnten  und  siebzehnten  Jahrhundert  an  populärer 
und  humoristischer  litteratur  besessen,  es  Deutschland  zu  verdanken 
gehabt  habe  —  wäre  es  da  nicht  schon  an  und  für  sich  verveunderlich, 
wenn  wir  grade  für  die  bühnenrolle  des  narren  das  vorbild  des  auslän- 
des nötig  gehabt  hätten?  Um  die  frage  zu  entscheiden,  gibt  es,  so 
viel  ich  sehe,  nur  einen  weg,  der  auffallenderweise  bisher  von  niemand 
eingeschlagen  worden  ist. 

Wir  werden  nämlich  zuvörderst  zu  untersuchen  haben,  welcher 
art  denn  die  rolle  der  komischen  figur  gewesen,  welche  von  den  eng- 
lischen komödiauten  zu  uns  herüber  gebracht  ist,  dann  erst  wird  doch 
ein  urteil  darüber  möglich  sein,  ob  der  herzog  sie  nachgeahmt.  Zu 
dieser  Untersuchung  bietet  uns  ein,  wenn  auch  nicht  volständiges,  doch 
wol  ausreichendes  raaterial  die  schon  erwähnte  samlung  englischer 
komödien. 

Das  buch  enthält  acht  komödien  und  tragödien ,  zwei  pickelhärings- 
spiele  und  fünf  englische  aufzüge.  In  den  beiden  lezteren  arten  ist  der 
narr  die  hauptperson;  von  den  grössern  stücken  finden  wir  ihn  in  vie- 
ren überhaupt  nicht  und  im  Fortunat  ohne  vorgeschriebene  rolle,  so 
dass  nur  zuweilen  bemerkt  ist  „alhier  agieret  Pickelhäring."  In  eige- 
ner rolle  tritt  er  nur  auf  in  drei  stücken,  in  Esther  und  Haman  als 
Zimmermann  Hans  Knapkäse,^  in  Sidonia  und  Theagenes  als  bauer 
Cnemon,  kuecht  der  Sidonia,  in  Julius  und  Hippolyta  als  Grobianus 
Pickelhäring,  diener  von  Julius. 

Sein  Charakter  ist  der  eines  gefrässigen,  geldgierigen,  über  alle 
beschreibung  gemeinen  gesellen.     Er  erscheint  so  eingebildet  wie  jeder 

1)  Dass  in  dem  personenverzeichuis  des  stückes  nach  Hans  Knapknäse  noch 
ein  Hans  aufgeführt  wird,  ist  jedenfalls  nur  ein  versehen  des  drucks.  Denn  offenbar 
ist  der  in  den  prügelscenen  des  ersten  und  zweiten  aktes  erscheinende  Hans  derselbe, 
dor  als  Knapkäse  Zimmermann  im  dritten  akt  und  am  schluss  als  Hans  Knapkäse 
auftritt.     Man  hat  in  dem  personenverzeichnis  zu  verbinden  Hans  Fraw. 


20B  PILGER 

narr:  er  bietet  trotz  einem  köuige  „in  anreden,  Laurentzen,  tantzen" 
(G  1),  spricht  im  gespräch  mit  seiner  frau  von  sich  als  „unser  Ehren- 
vest"  und  „dein  Herr"  (L  5),  rühmt  seine  list  und  seinen  gelehrten 
köpf  —  aber  er  ist  zugleich  dümmer  und  alberner,  als  es  sich  für 
einen  narren ,  wenigstens  auf  der  bühne ,  schickt.  Seine  haupteigen- 
schaft,  seine  lust  an  widerlichster  und  zugleich  witzlosester  obscönität 
tritt  nur  selten  gegen  andere  kaum  weniger  hässliche  eigenschaften 
zurück,  wie  in  der  Esther,  wo  der  hauptreiz  der  narren  scenen  in  den 
widerwärtig  rohen  prügeleien  zwischen  Hans  und  seinem  weihe  um  die 
herschaft  im  hause  liegen  soll  —  ein  beliebtes  thema,^  das  im  dritten 
englischen  aufzug  und  im  zweiten  Pickelhäriugsspiel  widerkehrt.  Ver- 
gebens sieht  man  sich  in  allen  stücken  nach  irgend  einem  gemütlichen 
zuge  um,  wie  sie  doch  sonst  das  wesen  des  narren  charakterisieren,  ja 
fast  vergebens  sucht  man  an  ihm  selbst  nur  eine  spur  von  drolligkeit 
und  witz.  Er  versucht  sich  darin  überhaupt  nur  höchst  selten,  am 
häufigsten  noch  als  bauer  Cnemon  in  der  Sidonia,  Dann  aber  sind 
seine  spässe  gröstenteils  von  folgender  art   (Z  5). 

Aleke:  Wenn  wir  aber  nun  Hochzeit  haben  gehabt,  was  fangen 
wir  darnach  an,  womit  wollen  wir  uns  ernehren? 

Cnemon:  Das  will  ich  bald  sagen,  höre  nur  zu,  ich  habe  einen 
gantzen  Hut  voll  Gelt. 

Submisse  ad  spectatores:  Ein  Fingerhut  mein  ich. 

Ein  Weinberg ,  der  wegt  alle  Jahr  sieben  Fuder. 

Ad  spectat.:  Steine. 

So  speise  ich  auch  alle  tage  10.  gericht. 

Zweene  Hering  creutzweise  vber  den  andern  gelegt  das 
sein  10. 

Desert^  vollauf,  keine  fische,  mangelkern,  vnnd  Spritzkuchen. 

Die  hinter  den  zäune  stehen. 

Weniger  platt  und  gemein  erscheint  der  narr  der  englischen 
komödien  fast  nur  in  folgenden  wenigen  scenen,  die  in  der  tat  nicht 
ohne  komische  Wirkung  sind.  In  Julius  und  Hippolyta  empfängt  er  als 
liebeswerber  seines  herrn  den  auftrag  LI  5  „sag  und  machs  ihr  gross 
vor,  wie  hefftig  ich  in  ihr  verliebet  ....  in  Summa  mache  den  Teuffei 
gross  vnd  zehenmal  mehr,  denn  es  ist."  Dies  führt  er  denn  so  aus, 
dass  er  der  Hippolyta  meldet:  „ich  verleih  ein  gut  Wort  vor  meinen 
Herrn,    denn  er  mich  sehr   darumb  gebeten,   ich  sol  es  höher  vor  Ihr 

1)  Es  findet  sich  auch  z.  b.  in  Ayrers  König  Eduard  der  dritte. 

2)  Es  ist  möglich,  dass  der  druck  —  ich  kann  ihn  leider  jezt  nicht  ein- 
sehen —  „Defect"  hat  als  Verdrehung  von  „Confect." 


DRAMAT.    DEE    SUSANNA    IM    10.    JH.  200 

Gii.  vorbriiigeu ,  als  es  jiiimer  ist."  ^  Wie  hier  so  ist  noch  in  zwei 
sceneu  der  Esther,  in  welcher  er  überhaupt  am  besten  gezeichnet  ist, 
wenigstens  ein  versuch  gemacht,  ihn  anders  als  durch  plumpheit  und 
rohheit  zu  charakterisieren. 

Hamann  auf  dem  gipfel  seiner  macht  will  den  Mardocheus  hän- 
gen lassen.  Im  Selbstgespräche  darüber  erblickt  er  sich  umwendend  den 
Zimmermann  Hans  Knapkäse ,  der  zugleich  der  henker  ist.  „Sieh  Zimmer- 
mann ,  ruft  er  aus ,  du  bist  gleich ,  als  werestu  geruffen."  „  0  ja,  erwi- 
dert jener,  auf  sein  henkerhandwerk  anspielend,  ich  bin  ein  solch  wun- 
derbarlich  Kerl,  ich  kom  ehe  man  mich  rufft."  Hamann:  „Ich  sehe 
d;iss  du  ein  wunderlicher  narr  mit  zu  bist."  Hans:  „Das  kan  wol  seyn 
mein  Herr."  Mit  täppischer  dreistigkeit  nimt  er  dann  das  mass  zu 
dem  galgen  an  Hamann  selbst,  und  als  dieser  ihn  mit  den  werten 
abweist:  „Gehe  du  alber  Narr,  und  seume  dich  nicht,"  erwidert  er 
frech  und  Hamanns  geschick  voraussagend:  ,,nein,  ich  werde  mich 
[nicht]  seumen  vor  euch  ein  Galgen  zu  bawen."  Aber  auch  diese  worte 
bleiben  so  vereinzelt,  dass  der  henker  bei  Hamanns  hinrichtung,  was 
doch  so  nahe  lag,  gar  keinen  bezug  darauf  nimt. 

Am  ende  des  stücks  erscheint  er  noch  einmal  und  zwar  mit 
seinem  weibe.  Obwol  beide  vor  dem  könige  sich  gegenseitig  anklagen 
wollen,  treten  sie  doch  gemütlich  zusammen  plaudernd  ein,  und  er, 
auf  die  neugierigen  fragen  der  frau  antwortend ,  versichert  ihr :  „  Fraw, 
dancke  du  dem  lieben  Gott,  dass  du  so  einen  verständigen  und  viel 
erfahrenen  Mann  hast,  der  dich  vnterrichten  kan."  Dann  bringen  sie 
ihre  anklage  vor,  sich  gegenseitig  lose  hure  und  schelm  scheltend.  Als 
der  könig  ihnen  dies  untersagt  und  sie  ermahnt ,  einander  in  ehren  zu 
halten  und  anzureden  mit  „mein  liebe  Fraw,  mein  lieber  Mann,"  da 
wenden  sie  sogleich  diese  anrede  an,  und  er  z.  b.  sagt  „Potz  Element 
wie  schlug  da  meine  liebe  Fraw  auff  mich  loß  ....  darumb  wil  ich 
mich  auch  viellieber  mit  meiner  lieben  Frawen  scheiden  lassen,  denn 
ich  bin  jhr  so  feind  wie  alle  der  Teuffei."  Als  sie  aber  schliesslich 
von  einander  geschieden  werden  sollen,  klagt  Hans:  „0  mein  lieber 
Ehreuvester  Herr  König,  solches  kan  ich  nicht  vber  mein  Hertze  brin- 
gen. 0  mein  lieber  Herr  König,  des  Tages  können  wir  vns  nicht  ver- 
tragen, aber  des  Nachts  so  seynd  wir  gute  Freunde." 

1)  Das  verdrelieu  und  misverstehen  von  Worten ,  auf  dem  nach  Grimm  s,  159 
ein  grosser  teil  der  englischen  theaterspässe  beruht,  und  woraus  er  u.  a.  die  ver- 
wautschaft  des  narren  des  lierzogs  mit  dem  englischen  herleitet,  findet  sich  in  der 
ganzen  samlung  der  englischen  komödien  nur  etwa  drei-  oder  viermal.  Der  witz 
ist  dann  folgender  art.  Hingewiesen  auf  ein  haus  „das  dort  stehet"  erwidert  Cne- 
mon  in  der  Sidonia  Cr  3:  „Ich  sehe  kein  haus,  das  füsse  hat," 

ZEIT9CHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.    BD.  XI.  14 


210  PILGER 

Diese  wenigen  scenen  —  ich  habe  sie  absichtlich  ausführlicher 
erwähnt  — -  sind  aber  auch  in  der  ganzen  samlung  die  einzigen,  in 
denen  der  narr  sich  über  seine  gewöhnliche  Sphäre  erhebt:  sie  sind 
alzu  vereinzelt,  um  wesentlich  seinen  schmutzigen,  witzlosen  Charakter 
zu  modificieren. 

So  finden  wir  die  komische  figur  in  den  englischen  komödien, 
wenn  sie  auch  quantitativ  nicht  unbedeutend  und  zuweilen  recht  breit 
ausgeführt  ist,  auf  äusserst  niedriger  stufe  —  sie  erhebt  sich  nur  sel- 
ten über  den  bajazzo  der  gemeinsten  kunstreiterbude ,  dem  sie  durch 
ihre  geschicklichkeit  im  gesichterschneiden  und  in  anderen  körperlichen 
possen  sehr  ähnlich  war.  Grade  dergleichen  wie  auch  ihr  auffallendes 
costüm  wird  ihr  wol  auch  den  besonderen  beifall  des  grossen  haufens 
gewonnen  haben.  ^ 

Die  rollen,  zu  denen  der  narr  verwendet  wird,  sind  vorzugsweise 
die  des  dieners  in  liebesangelegenheiten ,  in  den  Pickelhäringsspielen 
auch  eines  malträtierten  oder  geprelten  ehemanns;  einmal , überlistet 
er  diesen  selbst.  Immer  also  bewegt  er  sich  auf  demselben  eng  abge- 
schlossenen gebiet ,  immer  da ,  wo  es  sich  um  geschlechtliche  angelegen- 
heiten  handelt,  in  deren  schmutz  zu  wühlen  ja  seine  haupteigenschaft 
ist.  Seine  Verbindung  mit  der  handhmg  ist  im  algemeinen  eine  sehr 
lose:  in  der  Esther  besteht  sie  allein  darin,  dass  er  als  Zimmermann 
zugleich  der  henker  ist,  im  Julius  wie  in  der  Sidonia  ist  er  diener; 
in  den  Pickelhäringsspielen  stelt  er  natürlich  die  hauptperson  dar. 

Häufig  wurde  seine  rolle  wie  im  Fortunatus  offen  gelassen,  so 
dass  man  sich  wie  in  der  italiänischen  comödie  mit  blossen  Improvisa- 
tionen begnügte,^  oder  man  schob  an  irgend  einer  stelle  ein  beliebiges, 

1)  S.  in  des  „Marktschiffs  Nachen,"  vom  jähre  1597  [bei  Grimm  s.  162]  die 
Schilderung  des  narren  im  „englischen  spiel,"  der  hier  noch  einen  besondern 
„Wursthänsel "  und  überdies  einen  „Springer"  zur  seite  hat.     Es  heisst  dort: 

Wie  der  Narr  drinnen,  Jan  genannt, 

Mit  Bossen  war  so  excellent  .... 

Verstellt  also  sein  Angesicht, 

Dass  es  kein  Menschen  gleich  mehr  sieht, 

Auf  tölpisch  Bossen  ist  sehr  geschickt,' 

Hat  Schuh  der  keiner  ihn  nicht  drückt; 

In  seinen  Hosen  noch  einer  hätt  Platz, 

Hatt  dann  einen  ungeheuren  Latz. 

Sein  Juppen  ihn  zum  Narren  macht  .  .  . 
Diese  eingehende  Schilderung  beweist  wol  am  besten,    wie  sehr  grade  das   äussere 
auftreten   des  englischen  possonreissers   einmal  von   dem  heimischen  narrencostüm 
abwich  und  zugleich  die  grosse  menge  belustigte.     Auch  in  den  englischen  komö- 
dien ist  von  seinem  „greulichen  aussehen"  die  rede  (Mm). 

2)  Beweis  auch  Hamlets  woite  lU,  2:  „Und  die  bei  euch  den  Narren  spie- 
len, lasst  sie  nicht  mehr  sagen,  als  in  ihrer  Rolle  steht." 


PRAMAT.   DER   SüSANNA   IM    Ifi.    JII.  211 

mit  der  liandlimg  des  Stückes  in  gar  keinem  Zusammenhang  stehendes 
possenspiel  ein.  Dass  lezteres  sehr  häufig  geschah,  beweisen  die  eng- 
lischen aufzüge ,  von  denen  man  im  ersten  bände  der  samlung  gleich 
fünf  mitteilte,  und  die  —  wie  die  spanischen  entremeses  —  allein  den 
zweck  hatten,  „nach  beliebung-  zwischen  die  comödien  agiret  zu  werden." 

Fassen  wir  das  resultat  zusammen:  der  narr  in  den  englischen 
komödien  ist  ein  ebenso  platter  und  witzloser,  als  gemeiner  gesell ,  ver- 
wendbar fast  nur  da,  wo  es  sich  um  liebe  und  eheverhältnisse  in  ilirer 
rohesten  form  handelt,  dann  aber  mit  sichtlicher  Vorliebe  in  den  vor- 
vordergrund  gezogen.  In  der  rolle  eines  dieners  zuweilen  einigen  anteil 
an  der  handlung  nehmend,  bleibt  er  doch  in  vielen  fällen  volständig 
ausserhalb  derselben. 

So  also  war  das  vorbild  beschaffen,  dem  Heinrich  Julius  seinen 
narren  nachgebildet  haben  soll.  Stellen  wir  demselben  den  Charakter 
seiner  eigenen  lustigen  person  gegenüber.  Dieselbe  tritt  ausser  im 
Ungeratenen  söhn  in  allen  seinen  stücken  und  zwar  unter  folgenden 
namen  auf:  Johan  Clant,  Johan  (Joan)  Bouschet  (Bouset,  Bousett), 
Johan  Gonget. 

Seine  hervortretendste  eigenschaft  ist  die,  die  vermeintlich  klugen 
damit  zu  necken,  dass  er  die  in  herkömlichem  sinne  oder  auch  in 
ungenauer,  misverständlicher  ausdrucksweise  an  ihn  gerichteten  werte 
buchstäblich  auffasst.  „Warsagen  vnd  Wicken  ist  das,"  lehrt  ihn  Hel- 
kia  1,  3  [s.  27]  bei  der  erklärung  des  zweiten  gebots,  „wenn  sich  Leute 
vnderstehen,  wenn  etwas  gestolen,  das  sie  den  wollen  nachweisen, 
wohin  es  kommen,  vnd  das  ist  vnrecht,  vnd  GOttes  Name  wird  dar- 
durch  mißbrauchet  ....  dann  es  geschieht  mit  hülff  des  Teuffels." 
„Wel  et  is  gut  min  Here,"  erwidert  Clant,  „als  au  wat  gestolen  is, 
und  ick  salt  weteu ,  so  sal  ickt  au  nit  seggen ,  weil  et  mit  dem  Deuffel 
thogehet,  denn  mit  dem  Deuffel  mag  ick  nit  tho  donde  hebben."  „Es 
stehet  geschrieben  in  der  Schrifft,"  sagt  Helkia  s.  28,  „Wann  einer 
auff  einen  Backen  geschlagen  wirdt,  so  sol  man  jhm  den  anderen  auch 
zu  halten."  „Wel  dat  is  gut,"  ruft  Clant,  „ick  salt  an  au  versuken, 
ick  sal  au  ein  Maultasche  geuen ,"  und  da  der  herr  ihn  darauf  zu  mis- 
handeln  droht,  erwidert  er  ihm  treffend:  „Auerst  wat  seid  jey  vor  ein 
Meister,  jey  secht,  Man  muth  sich  nicht  wheren,  und  jey  wilt  et  sül- 
uest  dohn."  Der  alte  weiss  darauf  nichts  zu  erwidern  als:  „Du  bist 
ein  Esel."  Diese  bei  Clant  ganz  besonders  beliebte  art  der  neckerei 
ist  eine  dem  englischen  narren  fast  gänzlich  fremde  und  weist  uns  viel- 
mehr auf  ein  ganz  anderes,  viel  näheres  vorbild,  nämlich  auf  Till 
Eulenspiegel,  dessen  schalkstreiche  bekantlich  gröstenteils  auf  dieser 
buchstäblichen  auffassung  der  werte  der  anderen  beruhen. 

14* 


212  PILGER 

In  der  Susanua  nicht,  häufig  dagegen  in  den  stücken,  wo  der 
narr  als  diener  auf  dem  markte  einkaufen  soll  und  die  in  anderen  dialec- 
ten  redenden  vei'käufer  nicht  versteht ,  spielt  er  bloss  witzelnd  mit  den 
unverstandenen  worten.  So  erwidert  Bouset  in  der  komödie  von  einem 
wirte  oder  gastgeber  II,  2  s.  455  dem  Schwaben  Conrad  auf  seine 
frage:  „Hairsts,  bist  hie  in  der  Stadt  bekant?"  „Wat  secht  ghy, 
wilt  ghy  ein  Kanne  hebben?"  und  als  jener  bemerkt:  „Ich  glaub  du 
werdest  mich  nit  verstauu."  „Wat?  wat  wilt  ghy  by  einTaun?"  Hat 
auch  Eulenspiegel  grade  diese  specielle  art  von  wortwitzeleien  nicht 
geübt,  60  begegnen  wir  ihr  doch  wenigstens  als  einer  heimischen  nicht 
selten  in  älteren  deutschen  spielen^  wie  auch  bei  Hans  Sachs, ^  während 
wir  sie  in  den  englischen  komödien  wider  vergeblich  suchen. 

Nicht  selten  gehen  Clants  neckereien,  besonders  in  jener  schon 
angeführten  scene  der  Susanna  über  die  gewöhnlichen  eulenspiegeleien 
sogar  hinaus  und  erheben  sich  zu  wirklichem  humor.  So  deckt  er 
widerholt  mit  seinem  schlichten  meuschenverstand  die  Widersprüche 
in  der  einsieht  der  sich  klug  dünkendeu  auf.  Als  Helkia  die  zaubere! 
als  teufelswerk  verdamt,  fragt  er  ihn  zuerst  s.  25:  „Als  man  ein  Natur 
verändert  in  ein  ander  Natur,  is  dat  ockTöuerye?"  und  als  jener  dies 
bejaht,  wendet  er  ihm  ein:  „Bedencket  au  wal,  min  Here,  wat  jey 
secht,  Heflft  doch  dat  hillige  Man  die  Moses  aut  eim  Stock  ein  Schlange 
gemaket,  is  dann  dat  ock  ein  Töuerer  west."  Und  ganz  treflicb  weist 
er  den  alten  widerholt,  so  bei  dessen  erklärung  des  zweiten  gebotes 
„  du  solt  nicht  fluchen ,"  auf  den  Widerspruch  hin  zwischen  seiner  lehre 
und  seinem  handeln.  „Nit  fluken,"  fragt  er  ihn  s.  23,  „worumme  doth 
jeit  dann?"  und  als  der  alte  sich  entschuldigt:  „das  habe  ich  so  böse 
nicht  gemeinet,  das  ist  aus  haste  geschehen,"  erwidert  ihm  der  narr 
mit  treuherziger  verschmiztheit :    „Als  ick  ock  floke,   so   sal   ickt  ock 

1)  So  in  dem  Zwischenspiel  des  sogenanten  Innsbrucker  osterspiels,  abgedruckt 
ausser  bei  Mone  auch  in  Kurz,  Geschichte  der  deutsch.  Lit.  5.  aufl.  I,  717  —  722. 
Als  die  drei  Marien  wehklagen : 

Heu  quantus  est  noster  dolor! 

sagt  Rubin  :  Waz  heu ,  waz  heu ,  waz  heu  ? 

was  sagit  ir  von  hau? 
Saget  uns  von  zygner  und  von  keszen, 
des  moege  mir  wol  genesen! 
In  dem  spiele  von  Rumpolt  und  Marecht,  Keller  Nachlese  s.  253  [s.  auch  254  und  257] 
der  official  sprach:  ipse  est  suspectus, 
der  Rumpolt  sprach:  Herr  ich  han  kain  spek  nicht  gessen. 

2)  Z.  b.  iu  den  fastnachtspielen  ,,  der  Ketzermeister  mit  den  vil  Kesselsup- 
pen" Nürnberger  ausg.  III,  3.  77.  [1561]  und  „der  schwanger  Bauer  mit  dem  Füll" 
V,  353  [1579]. 


DIIAMAT.    DER    SUSANNA   IM    16.    JII.  213 

nit  böse  meinen."  Vgl.  s.  10,  28  und  2'J,  33.  Helkia  weiss  sich  den 
treffenden  einwenduugen  des  narren  gegenüber  nicht  anders  zu  helfen, 
als  mit  einem  „Halt  das  Maul"  oder  „Du  hast  wunderliche  Tauben." 

In  ähnlicher  weise,  wenn  auch  nicht  so  witzig  als  in  dieser  scene 
macht  sich  der  narr  auch  in  den  anderen  stücken  des  herzogs  über  die 
kurzsichtigkeit  und  torheit  der  klugen  leute  lustig.  So  in  den  hahn- 
reispieleu  über  den  von  der  listigen  frau  betrogenen  ehemann,  oder  im 
abt  und  edelmann,  wo  er  durch  seinen  gesunden  menschenverstand 
sogar  seineu  bedrängten  herren  rettet.  Und  wie  hier  den  einfältigen 
und  geprelten  gegenüber  die  klugheit,  so  vertritt  er  in  der  komödie 
vom  wirth  und  dem  fleischhauer  den  betrügern  gegenüber  die  seite  der 
moral. 

Auch  für  diese  beziehungen  wird  man  sein  vorbild  in  den  eng- 
lischen komödien  nicht,  wol  aber  in  deutschen  narren,  Avie  im  Eulen- 
spiegel wider  finden,  der  z.  b.  ganz  wie  Bouset  im  abt  die  zum  teil 
sogar  gleichen  spitzfindigen  fragen  der  gelehrten  Prager  professoren 
mit  schalkhafter  list  beantwortet.^  Zuweilen  werden  wir  auch  wol  an 
andere  jenes  gelichters  erinnert,  so  au  Markolf,  der  iu  seinem  wett- 
gespräch  mit  Salomon  des  königs  Weisheit  und  hohes  selbstbewustsein 
durch  treffende  parodien  oft  sehr  glücklich  verhöhnt.^ 

Wie  alle  narren  überträgt  auch  Clant  die  iu  dieser  einen  bezie- 
hung,  dass  oft  ,,der  uarr  der  allerweisest  ist,"^  nicht  ganz  unberech- 
tigte einbildung  auf  sein  ganzes  wesen.  Auch  er  rühmt  widerholt ,  wie 
er  „so  ein  schon  wol  proporcionirt  Man"  [s.  407  vgl.  236]  sei.  Und 
in  einem  langen  monologe  über  die  torheit  der  beiden  hässlichen  alten, 
mit  der  schönen  Susanna  bulilen  zu  wollen,  sagt  er  mit  lächerlichem 
selbstbewustsein  s.  158,  „als  sie  so  schon  weren  gewest  als  ick,  so 
hedde  yt  syne  wege  gehat."  In  dem  vergeblichen  gespräche  mit  den 
fremden  bauern  s.  308  kann  er  sich  nicht  genug  verwundern,  dass  sie 
ihn  nicht  verstehen,  „vnd  ick  hebbe  doch  ein  schöner  sprake,  als  den 
Herings  Nasen." 

Trotz  seiner  lust  am  necken  und  sichlustigmachen  ist  aber  Claut, 
wenn  er  auch  sehr  schadenfroh  darüber  lachen  kann,  dass  sein  einfäl- 
tiger herr  sich  zum  hahnrei  machen  lässt,  und  wenn  er  ihn  auch  durch 
seine  verstelte  dummheit  zuweilen  in  arge  Verlegenheiten  bringt,  im 
algemeinen  ein  durchaus  gutmütiger  schalk  und  beschränkt  sich  fast 
durchweg  anf  wortneckereien.     Selten   —    und  dann  in  äusserst  liarm- 

1)  S.  Lappenberg,  Ulenspiegel  s.  17  und  39. 

2)  S.  Hagens  Narrenbuch,  z.  b.  s.  220,  221,  239  und  das  Fastnachtspiel 
Salomon  und  Markolf  im  zweiten  bände  von  Kellers  samlung. 

8)  S.  Keller,  Fastnachtspiele  s.  674. 


214  PILGER 

loser  weise  —  sezt  er  dieselben  zur  tat  um.  So  erscheint  er  ein- 
mal in  der  Susauua  I,  2  mit  einem  schloss  vor  dem  munde,  da  sein 
lierr  ihm  zugerufen:  „Tue  das  maul  zu";  in  der  komödie  von  einem 
weibe  lässt  er  den  koffer,  den  er  seinem  herrn  nachtragen  soll,  stehen, 
weil  jener  ihm  nur  befohlen:  „Komm  und  folge  mir  nach."  In  dieser 
beziehung  unterscheidet  er  sich  von  Eulenspiegel,  der,  wenn  ihm  auch 
Wortneckereien  nicht  gerade  fremd  sind,'  im  algemeinen  durch  sehr 
handgreifliche  spässe  die  leute  in  zuw^eilen  recht  boshafter  weise 
schädigt. 

Schliesslich  erv^ähne  ich  noch ,  dass  der  narr  des  herzogs  von 
obscönitäteu  sich  durchaus  frei  hält,  wie  sehr  auch  der  schlüpfrige 
Stoff  mancher  stücke  dieselben  nahe  gelegt  hätte. 

Fragen  wir  nun,  welche  züge  aus  dem  Charakter  des  fremden 
narren  hat  Heinrich  Julius  für  den  seinen  verwaut?  ich  denke,  wir 
haben  auch  nicht  einen  einzigen  gefunden.  Denn  dass  auch  des  her- 
zogs narr  zuweilen  in  seiner  geschwätzigkeit  eine  platte  bemerkung 
macht,  und  andererseits  auch  Knapkäse  und  Cnemon  einmal  statt  einer 
obscönen  eine  eulenspiegelische  antwort  gibt ,  das  ist  so  unwesent- 
lich, dass  es  nicht  in  betracht  kommen  kann.  Der  gegensatz  zwischen 
der  komischen  figur  des  herzogs  und  der  Engländer  offenbart  sich 
übrigens  besonders  frappant  in  den  eigenschaften ,  in  denen  sie  sich 
als  narren  am  ersten  berühren  könten,  so  in  der  lust  am  essen,  in  der 
freude  am  gelde.  Pickelhäring  ist  so  gefrässig,  dass  er  die  milchsuppe, 
um  seiner  frau  möglichst  wenig  zu  lassen,  mit  der  band  isst.  Auch 
Bouset  isst  gern,  aber  wir  erfahren  das  nur  ganz  beiläufig.  Als  sein 
herr  einst  im  mismut  über  die  untreue  seiner  frau  nicht  zum  essen 
kommen  will,  weil  ihm,  wie  er  Bouset  sagt,  der  appetit  vergangen, 
erwidert  dieser  s.  404:  „Wat  aw  mangelt  sal  ick  uiet  weten,  Auerst 
vor  min  Person ,  hebb  ick  ein  gudt  appetit  tho  etheu."  Und  während 
Pickelhäring  sich  stets  mit  unverschämter  grobheit  für  jeden  ausgerich- 
teten auftrag  seine  „penunce"  fordert,  ist  Bouset  ganz  seelenvergnügt, 
wenn  er  einmal  ein  trinkgeld  erhält  und  ruft  dann  aus:  „Auer  dat 
Bulieren  werde  ick  ein  Ryke  Man,  So  vel  Geldt  hebb  ick  all  min  dage 
niet  gehatt," 

So  ist  denn  Clant  in  allen  wesentlichen  zügeu  dem  narren  der 
englischen  komödien   so  unähnlich   als  möglich  und  hat  sich  uns  viel- 

1)  Besonders  als  der  schalk  auf  dem  kraiilvcubetto  liegt,  inuss  er  sich  dai'an 
genügen  lassen.  S.  La})j)enberg,  90.  histor.  Seine  alte  inutter  fragt  ihn  besorgt: 
,,Mein  lieber  sun,  wa  bistu  krank?  Ulenspiegel  sprach:  liebe  mutter,  hie  zwüschen 
den  kisten  und  der  wand.  Acli,  lieber  sun,  sprich  mir  noch  zu  ein  süß  wort. 
Ulenspiegel  sprach:  liebe  mutter,  honig,  das  ist  ein  süß  wort." 


DRAMAT.    DER    SUSANNA    IM    16.    JH.  215 

mehr,  mag  er  auch  selbst  fromdtuend  sieb  für  einen  „Englisch  Mann" 
ausgeben  s.  411,  als  der  nahe  augehörige  unserer  eigenen  grossen  nar- 
rensippe  entpuppt.  Freilich  war  derselbe  —  und  bier  treffen  wir  wider  auf 
ein  wirkliches  verdienst  des  herzogs  —  ,  Avenn  auch  längst  auf  unserer 
bühne  heimisch,  doch  in  so  ansprechender  weise  dort  noch  nicht  ver- 
wertet worden.  Natürlich  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  der  herzog 
wie  die  fremden  namen,  so  vielleicht  auch  hier  und  da  einen  charak- 
teristischen zug  anderen,  als  den  uns  erhaltenen  englischen  komödieu 
entlehnt  habe,  wie  Gervinus  dies  von  dem  bei  Heinrich  Julius  wie  bei 
Ayrer  häutig  vorkommenden  zuge  vermuthet,  dass  der  narr,  der  den 
auftrag  des  herrn  nicht  behalten  oder  misverstanden,  sich  mit  peini- 
genden fragen  immer  von  neuem  darnach  erkundigt;^  höchst  wahr- 
scheinlich hat  der  herzog  auch  das  äussere  costüm  von  den  Englän- 
dern herübergenommen. 

In  höherem  grade  als  in  der  Zeichnung  der  lustigen  person  ist 
englischer  einfluss  bei  dem  herzöge  darin  zu  constatiereu ,  dass  dieselbe 
einmal  zu  einer  ständigen  figur  mit  vorgeschriebener  rolle  wird  und 
zweitens  eine  breite  ausführung  erhält.  Doch  ist  auch  in  diesen  bezie- 
hungen  die  fremde  einwirkuug  nicht  zu  überschätzen. 

Seit  Jahrhunderten  war  bei  uns,  im  geistlichen  wie  im  fastnacht- 
spiel, der  narr  durchaus  beliebt,'^  und  wie  seine  rolle  bis  zum  ende 
des  fünfzehnten  Jahrhunderts  vielleicht  ausnahmslos  eine  vorgeschriebene 
war,  so  blieb  sie  es  auch  in  den  meisten  fällen  während  des  sechzehn- 
ten, in  welchem  sie  sich  steigenden  beifalls  erfreute,  in  der  Schweiz 
eines  derartigen,  dass  schon  um  1550  ein  spiel  ohne  narren  eine  Sel- 
tenheit war.^ 

1)  Vgl.  Gervinus,  Gesch.  der  deutschen  dicht.    4.  aufl.    III,  s.  112. 

2)  S.  z.  b.  Wackernagel  a.  a.  o.  s.  307  anm.  2  —  4 ,  s.  458  anm.  129.  Vgl. 
auch  den  „züchtiger"  in  der  Wiener  Susanna. 

3)  Den  um  1540  erschienenen  ,, frischen  Corabißt,"  wider  abgedruckt  in  Goe- 
deke,  Gengenbach  292  fg.  begint  der  narr  mit  den  worten: 

Selten  ein  spil  wirt  gfangen  an 

Das  nit  auch  muß  ein  Narren  han. 
In  dem  handschriftlich   zu  Bern  erhaltenen  Miles  Christianus,  nach  Weller,  Volks- 
theater s.  97  zwischen  1550  und  1570  entstanden,  sagt  der  narr: 

wänu  kein  narr,  har  khommen  war 

wurd  der  platz  halb  syn  bliben  lär; 
in  einem  anderen  ebendort  befindlichen  Schauspiele  gleichen  namens: 

es  ist  ein  sprüchwort  all  gemein 

das  kein  spiel  jenen  sig  so  klein 

in  dem  nitt  ein  narr  mülie  syn. 
Mone,  Schauspiele  des  Mittelalters  II,  413.  415,   s.  auch  Wackernagel  a.  a.  o.  458 
anm.  130  und  Weller  a.  a.  o.  s.  99  und  254. 


216  PILGEE 

Auch  au  umfangreicheren  narrenrollen  hatte  unser  drama  keinen 
maugel.  Denn  wenn  auch  derselbe  oft  nur  als  prologist  und  epilogist 
auftritt,  zuweilen  auch  nur  am  ende  der  akte  mit  seinen  spässen 
erscheint,  so  übernimt  er  doch  nicht  selten  schon  von  anfang  an  die 
rolle  eines  dienern  oder  eines  hofnarren,  eines  boten  oder  des  henkers. 
Man  denke  z,  b.  an  das  breite  Intermezzo  der  späteren  osterspiele,  in 
denen  Kubin,  der  knecht  des  salbenhändlers,  eulenspiegelartig  seinen 
herrn  und  dessen  kunst  verspottet  und  zum  schluss  wol  einmal  die 
frau  desselben  entführt.  Ja  selbst  solche  stücke,  in  deren  handlung 
der  narr,  ohne  grade  immer  diese  bezeichnung  zu  führen,  eine  sehr 
wichtige  Stellung  einnimt,  sind  nicht  selten:  in  dem  fastnachtspiel  vom 
kaiser  und  abt  ist  er  als  müller,  bei  Haus  Sachs  mehrmals  als  Eulen- 
spiegel eine  hauptperson. 

Freilich  im  algemeinen  bleiben  diese  fälle  nur  vereinzelt;  bei  Hein- 
rich Julius  dagegen  wird  ihm  wie  bei  den  englischen  komödianten 
ein  bedeutender  platz  eingeräumt;  ja  in  zweien  seiner  stücke,  im  Edel- 
mann und  im  Fleischhauer,  nimt  derselbe  sogar,  wovon  wir  dort  ein 
beispiel  nicht  fanden,  den  wesentlichsten  anteil  an  der  handlung,  im 
Edelmann  denselben,  wie  der  Müller  in  dem  eben  erwähnten  fast- 
nachtspiele. 

Das  facit  unserer  Untersuchung  über  die  einwirkung  der  eng- 
lischen komödie  auf  den  narren  des  herzogs  ergibt ,  dass  sie  viel  gerin- 
ger war,  als  man  gewöhnlich  angenommen.  Das  wesentlichste  gerade 
dieser  figur,  die  Charakteristik,  zeigte  fast  keinen  dorther  entlehnten 
zug;  nur  ihre  beliebtiieit  war  durch  das  fremde  vorbild  gewachsen,  und 
zugleich  hatte  sie  einen  grösseren  platz  als  bisher  erhalten. 

Von  heilsamen  folgen  war  besonders  der  leztere  umstand  niclit; 
denn  durch  den  weiten  umfang,  zu  dem  in  der  Susanua  wie  in  den  mei- 
sten anderen  stücken  von  Heinrich  Julius  die  rolle  des  narren  ange- 
schwollen ist,  wurde  sie  zu  einem  störenden  auswuchs  an  dem  körper  der 
handlung  zu  einer  zeit,  als  dieser  selbst  erst  sich  organisch  zu  gestal- 
ten und  zu  einiger  Schönheit  abzurunden  begann.  Für  das  spätere 
drama  wurde  der  wachsende  einfluss  der  Engländer  in  dieser  beziehung 
geradezu  verderblich,  um  so  mehr,  als  nun  auch  die  gemeinheit  und 
Plumpheit  der  fremden  komischen  figur  die  so  viel  ansprechendere  art 
des  heimischen  narren  zerstörte. 

Doch  dies  führt  uns  über  die  grenzen  unserer  aufgäbe  hinaus  in 
eine  periode,  in  welcher  die  mit  Heinrich  Julius  beginnenden  einflüsse 
fremder  moderner  literaturen  unser  drama  von  dem  wege  abdrängten, 
auf  dem  wir  es  ein  Jahrhundert  hindurch  verfolgt  haben.  — 


ÜKAMAT.    DER    SÜSANNA    IW    lU.    JH.  217 

Werfen  wir  zum  schluss  noch  einen  flüchtigen  blick  auf  die  ent- 
wickelung  des  deutschen  dramas  während  dieser  zeit,  so  weit  sie  uns  der 
fi'eilich  eng  begrenzte  gang  unserer  Untersuchung  erkennen  liess,  so  sehen 
wir  zunächst,  dass,  wenn  auch  im  algemeinen  die  ästhetische  form  erst  in 
zweiter  linie  beachtung  fand,  das  mass  dieser  beachtung  doch  bei  den 
einzelnen  dichtem  ein  höchst  verschiedenes  war.  Neben  jenen  wolmeinen- 
den,  aber  talentlosen  pedanten,  wie  Stöckel  und  Schonaeus,  denen  die 
dramatische  Übung  ausschliesslich  dazu  diente,  in  ihren  schülern  mora- 
lisch-religiöse gesinnung  zu  fördern  oder  auch  nur  lateinische  phrasen 
und  Sentenzen  einzuprägen ,  fanden  \vir  mäuner  wie  Eebhun  und  Frisch- 
liu,  die  mit  jenem  ersten  zwecke  in  klarer  erkentnis  und  bewustem 
streben  den  anderen  verbanden,  die  formenschönheit,  die  ihrem  em- 
pfänglicheren und  feiner  gebildeten  sinn  aus  dem  antiken  drama  sich 
erschlossen,  der  heimischen  dichtung  zu  eigen  zu  machen. 

Und  ihr  erfolg  war  ein  durchaus  unverächtlicher!  Wenden  wir  uns 
vom  ende  des  sechzehnten  Jahrhundert  zu  dem  beginn  desselben  zurück, 
so  zeigt  sich  uns  ein  fortschritt  in  der  inneren  gestaltung  unseres 
dramas,  wie  es  einen  ähnlichen,  freilich  noch  ungleich  bedeutenderen, 
nur  noch  einmal  zu  verzeichnen  gehabt,  in  der  zweiten  hälfte  des  vori- 
gen Jahrhunderts.  Einen  sehr  wesentlichen  anteil  daran  hatte  das  latei- 
nische Schauspiel ,  einen  —  der  hergebrachten  anschauung  entgegen  — 
äusserst  geringen  Heinrich  Julius  und  die  englische  komödie. 

Nicht  das  vielfach  unterschätzte  schuldrama  trägt  die  schuld, 
dass  diese  günstige  entwickelung  weiterhin  einen  so  langsamen  ver- 
lauf nahm,  sondern  das  siebzehnte  Jahrhundert,  das  die  so  glücklich 
begonnene  selbständige  nachbilduug  der  antike  mehr  und  mehr  aufgab 
und  die  mangelhaften  nachahmungen  derselben  durch  die  verschieden- 
sten modernen  Völker  sich  zum  muster  nahm.  Die  folge  dieses  bekla- 
genswerten Irrweges  war  es  ja,  dass  die  dramatische  litteratur  dieser 
zeit  —  selbst  durch  das  talent  eines  Gryphius  vor  ihrem  verfalle  nicht 
bewahrt  —  mit  dem  untergange  alles  bisher  errungenen  in  dem  wüsten 
chaos  der  Staatsaktionen  und  possenreissereien  endigte.  Erst  um  die 
mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  konte  das  deutsche  drama  wider,  nach- 
dem es  in  der  Gottschedschen  schule  einen  heilsamen  reinigungsprocess 
durchgemacht,  auf  die  bahn  zurückgeleitet  werden ,  die  es  am  ende  des 
sechzehnten,  nicht  ohne  sie  mit  ehren  betreten  zu  haben,  verlassen 
muste. 

LUCKAU.  ROBERT   PILGER. 


218 

ZU  BRUDEE  HANSENS  MARIENLIEDERN. 

Zu  den  beiden  bisher  bekant  gewordenen  haudschriften  der  Marien- 
lieder, die  durch  Minzloffs  ausgäbe  den  uamen  „Bruder  Hansens 
Marienlieder"  erhalten  haben, ^  ist  es  mir  gelungen,  bei  gelegenheit 
meiner  katalogisierungsarbeiten  in  der  königlichen  landesbibliothek  zu 
Düsseldorf  eine  dritte  zu  entdecken,  welche  schon  darum  genauer 
beschrieben  zu  werden  verdient,  weil  sie  in  sprachlicher  beziehung  von 
jenen  ganz  erheblich  abweicht. 

Die  von  mir  entdeckte  handschrift,  die  ich  zum  unterschiede  von 
der  Petersburger  (P)  mit  D  bezeichnen  will,  bildet  das  lezte  stück 
eines  in  einen  festen  lederband  gebundenen  und  mit  einer  eisernen 
klammer  versehenen  sammelbandes  in  klein -quartformat,  welcher  jezt 
das  katalogszeichen  C.  93  trägt.  Dass  derselbe  aus  der  bibliothek  des 
ehemaligen  unweit  Wesel  belegenen  kreuzbrüderklosters  Marienfrede 
stamt,  zeigt  schon  das  auf  die  obere  Schnittfläche  eingebrante  kreuz 
und  die  beschaffenheit  der  einbanddeckel ,  besonders  aber  der  umstand, 
dass  die  gleiche  band  desselben  Schreibers  widerholt  auch  in  solchen 
haudschriften  begegnet,  die  auf  dem  titelblatte  ausdrücklich  als  eigen- 
tum  des  Marienfreder  konvents  bezeichnet  sind.  Die  voraufgehendeu 
stücke  liaben  folgende  titel:  1)  Die  passie  ons  heren,  als  sunte  Bri- 
gitten apenbaert  is.  2)  Van  vierderhande  oeifenynghe  der  zielen. 
3)  Die  glose  op  dat  Paternoster.  4)  Eyn  schoen  sermoen  tot  den  die 
eyn  gheistlick  leuen  beghynnen.  5)  Eyn  epistel  van  ghelofte  gheist- 
lick  lüde  ende  van  beslot.  6)  Twe  schoen  exempel  in  den  bueke  van 
den  bruederen  in  sunte  Bernards  orden  geheiten  De  illustribus  viris. 
7)  Drie  schoen  sermonen  van  den  vtersten  des  mynschen.  Die  darauf 
folgenden  Marienlieder  sind  auf  zwei  papier - quaternionen  von  je  16 
quartblättern,  welche  beide  zur  hälfte  zweifach  durchfoliiert  sind,  und 
zwar  am  oberu  rande  mit  buchstaben,  am  untern  mit  arabischen  Zif- 
fern, von  einer  und  derselben  zierlichen  band  aus  der  mitte  des  fünf- 
zehnten Jahrhunderts  in  der  weise  niedergeschrieben ,  dass  die  verse  der 
einzelnen  Strophen  ununterbrochen  hinter  einander  laufen,  und  nur  die 
Strophen  selbst  durch  absatz  getrent  sind.  Die  initialen  der  einzelnen 
lieder  sind  kunstlos  mit  roter  färbe  eingezeichnet.     Ausserdem  bediente 

1)  Die  Petersburger  baudschrift ,  bcscbrieben  und  herausgegeben  von  Rudolf 
Minzloff  unter  dem  titel  „Bruder  Hansens  Marienlieder  aus  dem  vierzehnten  Jahr- 
hundert. Hannover  1863"  und  die  Pariser  handschrift,  beschrieben  von  Bethmann 
in  Haupts  Zeitschrift  V,  s.  419  fgg.  Auf  die  Identität  des  inhaltes  der  beiden 
handschriften  hat  zuerst  aufmerksam  gemacht  Bartsch  in  Pfeiffers  Germania  XII, 
s.  89. 


GJäßSS,    ZU   ÜK.    UAiSSENS    MABIENLIEDERN  219 

sich  der  abschreibe!'  der  roteu  tarbe,  um  die  autaugsbuchstaben  der 
stropheu  durch  einen  vertikalen  strich  zu  markieren,  die  verse  durch 
einen  gleichen  strich  zu  trennen  und  die  durch  absatz  der  strophen 
entstandenen  Kicken  durch  eine  horizontale  linie  auszufüllen.  Zur  her- 
vorhebung  der  akrostichen  wird  nicht  nur  durch  schräge  parallelstriche 
auf  die  strophenaufänge  hingewiesen,  sondern  die  betreffenden  buchsta- 
ben  sind  ausserdem  besonders  auf  den  rand  geschrieben ,  mit  dem  fusse 
gegen  die  blattkante  gekehrt.  Dies  gilt  jedoch  nur  von  den  ersten 
vier  liedern.  Bei  den  beiden  leztereu  fehlen  die  akrostichen,  bei  dem 
grösseren  teile  des  lezten  auch  die  parallelstriche,  die  nur  zum  Schlüsse 
mit  roter  färbe  nachträglich  hinzugefügt  worden  sind. 

Dass  wir  in  D  nicht  das  original,  sondern  nur  eine  abschrift 
besitzen,  ist  unzweifelhaft.  Dies  beweisen  Schreibfehler  wie  v.  356  Jieh 
dy  statt  hebd  y  und  v.  1030  verste  in  dem  statt  versteindem ;  lücken 
für  Worte,  die  der  Schreiber  in  seiner  vorläge  nicht  hat  lesen  können, 
und  die  er  dann  später  wilkürlich  ausgefült  hat ;  endlich  die  auslassung 
von  zwei  strophen  vv.  2435 — 2441  und  2848  —  2854,  Ebensowenig 
aber  bietet  P  das  original ,  auch  nicht  in  der  ersten  hälfte ,  wie  Miuz- 
loff  a.  a.  0.  ö.  XIII  noch  für  möglich  hält ;  denn  wie  hätten  dem  Ver- 
fasser sechs  volle  stropheu  (v.  1210—1251)  so  unter  der  band  ver- 
schwinden können ,  ohne  dass  er  etwas  davon  merkte  ?  Abgesehen  von 
so  manchen  Schreibfehlern,  für  welche  ich  auf  das  Variantenverzeich- 
nis am  Schlüsse  dieser  abhandlung  hinweise.  So  handelt  es  sich  denn 
bei  der  grossen  Verschiedenheit  beider  handschriften  nur  darum,  welche 
von  ihnen  dem  originale  näher  gestanden  haben  mag. 

Betrachten  wir  D  etwas  genauer,  so  finden  wir,  dass  zwischen 
den  vier  ersten  und  den  beiden  lezten  liedern  nicht  nur  jener  äusser- 
liche  unterschied  besteht,  den  wir  bereits  oben  angedeutet  haben,  son- 
dern dass  sie  sprachlich  und  metrisch  einen  ganz  verschiedenen  Cha- 
rakter zeigen.  Die  spräche  der  vier  ersten  lieder  ist  fast  unvermischt 
niederdeutsch,  oder  richtiger  gesagt  niederländisch,  da  die  anklänge 
an  den  Klevischen  dialekt  ganz  gut  auf  rechnung  des  abschreibers  gesezt 
werden  können.  Die  metrische  form  ist  nachlässig;  besonders  fehlt  es 
den  vierten  versen  der  Titurelstrophe  oft  an  der  nötigen  anzahl  von 
hebungen.  In  den  beiden  lezten  liedern  tritt  eine  grössere  Überein- 
stimmung mit  P  hervor:  dieselbe  hinneigung  zu  hochdeutschen  sprach- 
formen und  Orthographie,  dieselbe  relative  regelmässigkeit  im  versbau. 
Eine  solche  Ungleichheit  kann  nicht  vom  abschreiber  herrühren,  son- 
dern sie  muss  in  der  vorläge  vorhanden  gewesen  sein.  Ob  auch  im 
originale,  ist  mir  sehr  zweifelhaft.  Dass  hier  zwei  handschriften  gegen 
eine  stehen,   ist  allerdings  unwesentlich;   dagegen  fält  die  beobachtung 


220  GERSS 

sehr  ins  gewicht,  class  in  der  ersten  partie  von  D  die  Umsetzung  in 
die  niederdeutsche  mundart  doch  nicht  so  radikal  durchgeführt  ist,  dass 
nicht  vereinzelte  hochdeutsche  wortformen  stehen  geblieben  wären.  Bei- 
spielsweise hat  der  Überarbeiter  das  wörtchen  sam  regelmässig  in  als 
verwandelt,  aber  an  einigen  stellen  aus  versehen  stehen  gelassen.  Durch 
eine  solche  Überarbeitung  lässt  sich  auch  die  Verwilderung  der  metri- 
schen form  am  besten  erklären.  Bndlich  gehören  die  Pariser  und  die 
Petersburger  handschrift  noch  dem  14.  Jahrhundert  an,  haben  also  dem 
originale,  das  nach  Minzloffs  richtiger  bemerkung  nicht  vor  dem  lezten 
viertel  des  14.  Jahrhunderts  entstanden  sein  kann,  zeitlich  sehr  nahe 
gestanden,  während  dies  von  der  vorläge  von  D  wenigstens  nicht  fest 
steht.  Wahrscheinlich  hat  also  der  Schreiber  unserer  vorläge  an  dem 
mischdialekte  des  dichters  anstoss  genommen  und  wenigstens  in  den 
vier  ersten  liedern  ein  reines  Niederdeutsch  widerherzustellen  versucht. 
Die  beiden  lezten  lieder  dagegen,  denen  auch  die  Pariser  handschrift, 
so  weit  die  mitgeteilten  proben  erkennen  lassen,  nahe  komt,  können 
als  eine  getreue  widergabe  des  Originals  augesehen  werden ,  während 
die  handschrift  P  einer  noch  mehr  verhochdeutschten  Überarbeitung 
ähnlich  sieht. 

Um  den  lesern  dieser  Zeitschrift  eine  selbständige  vergleichung 
beider  handschriften  zu  ermöglichen ,  lasse  ich  hier  die  anfangs  -  und 
endstrophen  sämtlicher  sechs  lieder  folgen: 

1.     Onser  vrouwen   kunne    (100  stropheu). 

Adam  onser  alre  vader, 

Den  Jiaet  got  selue  geschaffen, 

Als  yr  wal  ivissent  alle  gader. 

Da  van  moet  ich  een  wenych  claffen, 

Woe  dat  van  synen  stam  is  gesprasen 

Die  Heue  stiele  müder, 

Die  ons  die  hemelsche  porte  haet  onlslasen. 


Nv  bid  ich  voer  se  vroiuve, 

Als  ich  haen  gehcden, 

Der  ich  vnyt  gansen  trouwen 

Dienden  myt  werken  en  myt  reden. 

Die  mynden  ich  tswaeren ,  des  en  wil  ich  my  nyet  schämen. 

Der  siel  die  heuel  ich  dich. 

Nv  vuer  se  in  dyns  Jcynds  ryck.     Amen. 


zu    BR.   HANSENS   MARIENLIEDERN 

2.  Onser   vrotiwen   ijrucAe   (100  strophen). 

Ave  vil  tverte  suete! 

Aue  vil  doyenriche! 

Mit  aue  ich  dich  gruese, 

Du  iverde  müeder  mynnentUche, 

Die  al  der  werlt  scepper  wordes  dragende 

In  dynen  zarten  lyue, 

Doe  Gabriel  dit  Aue  dy  was  sagende. 

■Ji.  * 

* 

Nv  help  dan  vroti  ons  beiden 

To  dynen  tmrten  hynde, 

Die  du  haest  hier  gescheiden, 

Dat  een  yegelick  daer  den  anderen  weder  vynde. 

Sy  is  dyn  dyrn,  ick  hyn  dyn  armer  slaue. 

Ick  hid,  dat  sy  ons  leste  woert: 

Maria  mueder  joncfrou  altyt  Aue.  Amen. 

3.  Onser  vrouwen  zwanc  (100  strophen). 

Aller  duuel  dwyngeryn 

Ende  aller  engel  vrouwe! 

Veruucht  myn  dorre  dumme  syn. 

Als  in  den  mey  die  hluemelyn  van  den  douwe 

Vyt  droeger  erden  lustelick  kommen  breken, 

So  laet  vyt  dummen  herten 

My  hondcrt  lied  dy  to  laue  sprechen. 

*  * 

* 

Nv  verleen  my  die  synne, 

Dat  ick  dyn  huld  möge  weruen, 

Want  ick  gern  doer  dyn  ynynne 

Dat  liefste  dat  ich  op  erden  haen  wil  deruen. 

Gun  ons  dat  wi  in  hemelrick  beid  samen 

Die  een  den  anderen  lieflick  weder  sien. 

Daer  to  help  ons  die  suete  mueder.    Amen. 

4.     (Ohne  Überschrift.     98  strophen.) 

Aenvanc  al  mynre  Salden, 

Myns  heils  ende  myns  geluckes! 

Nv  en  la  doch  nyet  vekalden 

Dat  vuer,  dat  du  in  mynen  harten  druckes. 

Mer  laetet  ryslick  vaclen  ende  brynnen 


221 


222 


In  onlesUcker  wise 

Myt  vuriger  liefd  in  steder  truwen  mynnen. 

*  * 
* 

Noch  bid  ick  honyngynne, 

Synt  ich  hyn  auergeuende 

Doer  dyn  sarte  niynne 

Die  tiefste  die  ick  op  erden  weet  leuende. 

Ick  en  nuem  se  nyet ,  du  kenst  wal  oren  namen, 

Dat  du  ons  beiden  helfes, 

Dat  wy  dyns  kyndes  liuld  verweruen.    Amen. 

Onser  vrouwen  dansch   (100  strophen). 
Aver  wil  ons  glymmeren 
Der  lichten  sonnen  glesten. 
Die  vogel  suyt  men  tymmeren 
0er  nysten  hier  en  daer  op  esten. 
Die  somer  syn  getselt  haet  op  geslagen 
To  wald  en  op  den  velde, 
In  buysch,  in  heyd,  in  anger  end  in  hagen. 

*  * 
* 

Nv  wil  mych  hy  was  geben 

Mich  armen  broeder  Hanzen 

Vnd  stuer  also  myn  leben, 

Das  ich  mach  komen  dort  an  dynen  danze, 

Ich  vnd  die  alre  liefste  myn  tzo  samen, 

Die  ich  durch  dich  gelasen  haen. 

Das  gun  ons  durch  dyn  grose  guete.   Amen. 

6.     (Ohne   Überschrift     100  strophen). 
Aber  spricht  myn  herts  myr  in, 
Das  ich  der  tsarter  conygin, 
Der  die  lichtende  cherubyn 
Vnd  die  brynnende  seraphyn 
Dienent  vnd  syn  ondertaen, 
Hondert  liet  so  labe  begyn. 
Nv  synt  myn  tumme  tore  syn 
So  wyt  gestreuwct  her  vnd  hyn. 
Das  ich  der  konst  onwitsich  byn. 
Doch  willich  vrylich  aenevaen. 
Men  spricht,  das  man  7nyt  arbeit  wyn 
Vil  etels  siluers  vis  dem  tsyn, 


zu   BR.    HANSENS   MARIENLIEDERN  223 

Vnd  daz  men  galt  vy0  cuppcr  l/ryn. 
Ich  liaef,  dat  my  yr  tzarte  myn 
Sal  gehen  stuer.  vnd  wilz  bestaen. 
Sus  haeh  ich  aen. 

*  * 

* 

Nv  dar  lieb  vrou  dogentrych, 

Synt  das  die  drie  persoen  gelych 

Myt  dyr  haent  verbunden  sich 

In  eynre  vrimtschaf  heymelich, 

Das  du  ewelich  suis  syn  tzo  samen: 

So  helf  niyr  hye  yn  desen  slych, 

Daz  ich  com  vyz  des  duuels  strych. 

Vnd  of  icht  sta  weder  mich 

Geschreben,  lief  vrou  mynnentlich, 

Daz  wil  durch  dyn  guet  vyt  plamen. 

Eyn  woert  doch  voer  onz  beiden  sprich, 

Daz  die  liebste  myn  vnd  ich, 

Die  ich  gelatzen  haen  durch  dich, 

Voer  dynen  kynd  von  hemelrich 

Tzem  ordel  onz  nyet  mueten  schämen. 

Heer  got.     Amen.    Amen.    Amen. 

Zugleicli   mögen   hier   die   in    P   fehlenden    sechs    stroplien,    die 
glücklicherweise  in  D  erhalten  sind,  aufnähme  finden. 

1210  In  den  dat  wy  eens  honden 

Ynlich  Aue  gespreken 

Myt  rouwen  onser  sunden 

So  en  mach  ons  geen  genaed  ontbreJcen 

Want  woe  sold  tuen  so  wenych  mvgen  horten 
1215  Een  vat,  dat  vol  van  tvaters  weer, 

Daer  muest  vmmers  ychtes  yet  vyt  störten. 

Eya  du  reyne  gehure 
Du  toeuluest  ons  armen ! 
Woe  sachte  men  dy  rure 
1220  Myt  Aue  tzwaren  du  stortes  dyn  verbarmen, 
Als  een  vat,  dat  mynnentlich  auerlopet. 
Du  geues  dyn  genaden 
Myt  so  gedructer  maet  en  opgehoepet. 

Heyn  megdelicke  mueder 
1225  Ende  muederliche  maget! 


224  GERSS 

Jhesus  dyn  soen  vil  gueder 
Den  haet  Aue  dat  woert  so  wal  behaget, 
Doe  he  dyns  reynen  lyffs  wold  hehhen  mangel, 
Dat  Aue  was  die  peter  syn, 
1230  Doe  he  den  syrJcel  machten  vyt  den  tryangel. 

Ich  wold  voel  gern  ingrauen 
End  prenten  in  myn  herne 
Aue  die  drie  huecstauen, 

Want  wie  den  tau  nyet  en  haet  voer  synre  sterne, 
1235  Die  sal  to  yonchsten  dagen  syn  verslagen. 
Ich  meyn,  dat  aue  is  die  tau, 
Daer  van  men  hoert  Ezechiel  gewagen. 

Brueder  myn  ende  susteren! 
Lact  ons  dan  halde  ylen, 
1240  Want  huyden  dat  wordt  gisteren 

Ende  morgen  dat  wordt  huden  in  horter  wilen. 
Die  tyt  geet  hyn,  die  doet  die  comt  her  dryngen. 
Lact  ons  nu  aue  to  oer  zaen, 
Die  ons  myt  enen  word  dan  mach  verdyngen. 

1245   Vorware  sy  is  doergaten 

Mit  volre  haritaten; 

Se  is  die  port  heslaten, 

Daer  doer  loy  alle  comen  to  gnaden. 

Daer  van  die  selue  Esechiel  oech  scryuet: 
1250  Aue  du  wonderliche  poerts, 

Die  vast  heslaten  altyt  apen  hliuet. 
Eines  beweises  dafür,  dass  die  Marienlieder  in  den  Niederlanden 
entstanden  sind ,  solte  es  eigentlich  nicht  mehr  bedürfen.  Der  dichter 
nent  sich  selbst  einen  Niederländer;  ein  Deutscher  des  Niederrheins 
würde  sich  nie  so  genant  haben.  Die  polyglotte  kann  nur  dort  ent- 
standen sein ,  wo  die  intimen  handelsbeziehungen  zu  England  und  Frank- 
reich eine  kentnis  beider  sprachen  notwendig  machten.  Der  zoll  zu 
Bonn  und  die  nobeln  zu  Lyon  waren  dem  Niederländer  in  gleicher 
weise  bekant.^  Auch  die  spräche  weist  auf  die  Niederlande  hin;  aus- 
drücke wie  jeesten  und  rivier  sind ,  so  viel  ich  weiss ,  nur  dort  heimisch 
gewesen.  Dennoch  sollen  die  momente,  die  sich  aus  der  beschaffen- 
heit  unserer  handschrift  dafür  ableiten  lassen ,  nicht  unerwähnt  bleiben. 

1)  Der  schätz  der  deutsch herren  in  Preusseii  war  sprichwörtlicli.  Vgl.  Script. 
Rer.  Pruss.  II  s.  84  anm.  8  und  s.  169  aum.  7. 


zu    HR.    HANSENS    MARIENLIEDKRN  225 

Hokantlicli  ist  dif  aiislircituno-  des  kvciizbriidcrortleiis  im  o'aii/en  auf 
Frankreich  und  die  Niederlande  beschränkt  «^ehlielH-n.  Die  wenigen 
niederlassungeu  am  Niederrhein  lehnten  sich  an  Holland  an  und  enipfien- 
gen  von  dort  ihr  geistiges  gepräge.  Insbesondere  war  dies  bei  Marien- 
frede  der  fall.'  welches  durch  translocation  des  conventes  aus  dem 
im  histume  Utrecht  ])olegenen  Städtchen  Schoonhoveu  im  Jahre  1  i;^9 
begründet  worden  war.  So  komt  es,  dass  der  gröste  teil  seiner  manu- 
scriptenschätze  jener  mystisch- ascetischen  richtung  angehört,  welche 
vorzugsweise  in  den  Niederlanden  zu  hause  war  und  von  den  regulir- 
herren  des  Augastinerordens  und  den  geistesverwanten  brüdern  des 
gemeinen  lebens  gepHegt  wurde.' 

Was  nun  unsere  handschrift  betritt,  so  scheint  diese  ausserhalb 
des  klosters  auf  einer  reise  entstanden  zu  sein.     Die  liniirung,  die  der 

1)  Vgl.  UUmaiin,  liefonuiitoreii  vor  der  Rctonnatidn  II,  s.  M  fgg  und  Böli- 
riiiger.   Die  Kirche  Christi  und  ihre  Zeugen  II,  o  s.  G3G  fgg.  — 

tlbor  den  kreuzträgororden  gibt  mir  mein  verelirter  1'rcund,  herr  prof.  Jaco])i, 
folgende  auskunft,  unter  Verweisung  auf  P.  Hijjpolyt  Helyots  ausführliche  geschichto 
aller  geistlichen  und  weltlichen  klost(^r-  und  ritterordcn,  aus  dem  Französischen 
ühersotzet  Leipzig  1753.  4.,  wo  bd.  2  s.  ^öü — 278  in  eapitel  36  unter  der  Über- 
schrift: Von  den  Kreuzträgermönchen  in  Frankreich  und  den  Niederlanden,  in.sge- 
niein  die  Gekreuzeteu  oder  vom  heiligen  Kreuze  genant,  nebst  dem  Leben  des 
P.  Theodor  von  Celles,  ihres  Stifters,  reichlichere  Nachrichten  zu  finden  sind: 

Der  ordon  der  kreuzträger  (Crucifcri)  wurde  um  120l  Vdii  Theodor  von  r!el- 
les  gestiftet.  Celles  ist  ein  flecken  im  gebiete  von  Lütticb.  Honorius  III  gab  die 
erste  bestätigung;  der  orden  veränderte  aber  seine  gestalt,  und  erhielt  in  dieser 
form  bestätigung  von  lunocenz  IV  1248.  Der  stamm  des  ordens  waren  einige 
kanoniker.  Die  regulierten,  d.  li.  mönchisch  lebenden  kanoniker  richteten  sich  sehr 
liäufig  nach  der  sogenanton  Augustiner-eremitenregel.  Davon  war  der  orden  aus- 
gegangen: er  verband  aber  damit  Dominikanersatzungen,  schon  vor  der  bestätigung 
durch  lunocenz  IV.  Sie  l)estandeu  vermutlich  in  predigt,  bettel.  kämpf  gegen 
liaeretiker,  auch  in  verwantschaft  der  kleiduug.  welche  wenigstens  späterhin  auch 
schwarz  und  weiss  ist.  Das  unterscheidende  abzeichen  ist  ein  weiss -rotes  kreuz 
auf  dem  .skapulier.  Das  stammkloster  ist  Clair-Lieu  bei  Huy  im  sprengel  von  Lüt- 
tich ,  und  der  dortige  abt  ist  das  haupt  des  ordens.  Sie  hatten  viele  und  reiche 
klöster  in  Prankreich:  in  Paris,  Caen ,  Toulouse,  Verger  (in  Anjou),  Busauzois, 
Vareunes,  Gharuy  und  besonders  auch  in  den  Niederlanden  und  am  Rheine:  in  Cöln, 
Aachen,  Lüttich,  Namur,  Venloo,  Doorniek  ,  Brügge,  Mastricht,  und  in  Herzogen- 
buscli,  einem  haiiptorte  zugleich  der  brnder  d 'S  gemeinsamen  lebens.  Die.^e  wie 
jene  scheinen  sich  besonders  unter  'Ten  regulierten  kauonikern  ausgebreitet  zu 
haben. 

Unabhängig  von  diesen  kreiizträgern  (und  deshalb  hier  schwerlich  in  betracht 
kommend),  aber  ziemlich  gleichzeitig,  .scheinen  die  krenzträger  in  Böhmen  entstan- 
den zu  sein,  welche  rotes  kreuz  und  stern  trugen.  Sie  adoptierten  gleichfalls  die 
Augustinerregel.  Denn  nachdem  das  concil  von  1215  die  Stiftung  neuer  orden  ver- 
boten hatte,  muste  man  pro  forma  sich  an  eine  frühere  rege!  halten,  wozu  jene 
denn  häufig  diente.  J.  Z. 

ZT5ITSCHR.    V.    DEUTSCHK    PUILOLOGIE.      Uli.    XI.  15 


226  GERSS 

Schreiber  bei  seinen  sonstigeu  liandschritten  uie  unterlassen  hat,  fehlt 
liier.  Die  beiden  textrevisiouen ,  die  erste  mit  roter  färbe  bei  gelegenbeit 
der  Verzierung  der  handschrift,  die  andere  mit  schwarzer  dinte,  sind 
nachträglich  ohne  mithülfe  der  vorläge  erfolgt.^  Wenn  der  Schreiber  die 
Kicke  für  das  unverstandene  wort  oudernoughe  v.  1912  durch  kimp  in 
Striae  ausfüllt,  so  kann  er  die  vorläge  nicht  mehr  vor  äugen  gehabt 
haben.  Auffallend  viele  schmutztleckeu,  besonders  auf  den  ersten  folien 
der  beiden  quaternionen,  so  wie  nachträglich  ausgebesserte  brüche  in 
der  faitenlage  deuten  auf  eine  schlechte  aufbewalirung  bei  einer  reise. 
Endlich  sind  die  lieder  nicht  in  den  manuscriptenband  eingetragen, 
sondern  als  fertiges  stück  zum  Schlüsse  angeheftet  worden.  Daher  ist 
es  gekommen ,  dass  bei  der  beschneiduug  einige  über  den  rand  geschrie- 
bene Wörter  und  ein  teil  der  foliiruugsvermerke  verstümmelt  worden 
sind.  Auf  diese  äussern  indicieu  stütze  ich  die  Vermutung,  dass  ent- 
weder ein  prior  des  Marienfreder  convents  auf  einer  reise  zum  general- 
capitel  in  Huy  das  manuscript  entdeckt  und  eine  abschritt  davon  für 
seine  klosterbibliothek  zurückgebracht  habe,  oder,  was  nach  dem  dia- 
lecte  der  handschrift  noch  wahrscheinlicher  ist,  dass  die  vorläge  aus 
Schoenhoven  selbst  stamt  und  dort  von  einem  klosterbruder,  sei  es 
beim  umzuge  nach  Marienfrede  oder  bei  einer  späteren  besuchsreise, 
kopiert  worden  ist. 

Zum  Schlüsse  gebe  ich  noch  als  auszug  aus  meiner  varianten- 
samlung  eine  anzahl  von  lesarten  aus  D,  welche  sich  meist  als  offen- 
bare Verbesserungen  des  Minzloffschen  textes  erweisen:  v.  233  san  (cor- 
rectum  sagen)  st.  sam;  v.  275  die  st.  und;  v.  329  Van  Zem  st.  Von 
dem;  v.  372  herghe  st.  hegrJie;  v.  396  hp  synen  voet  st.  U  den  vors; 
v.  484  Mer  st.  An;  v.  523  ontslagen  st  .untlaghen;  v.  544  dat  grote 
hapen  st.  der  grase  hafc;  v.  558  Doe  docht  om,  dat  hye  nyet  geivonnen 
Jieddß;  v.  623  Dat  guede  hoern  van  x^eren;  v.  653  ontgeldcn  st.  vidglid- 
den;  v.  713  schcyd  st.  scJieyn;  v.  748  vorscreuen  st.  wer  soreven;  v.  866 
vrielicJc  st.  vulh'ch;  v.  1(>36  wanden  ^i.  wunder ;  v.  1084  siind  ^i.hund; 
V.  1152  War  st.  Nur;  v.  1297  am  heyn  st.  ymer;  v.  1776  bitter  st. 
guter;  v.  1950  gevrist  st.  ghebrist;  v.  1964  doet  eer  st.  tode;  v.  2075 
vergeten  st.  vergellen;  v.  2185  dis  nemt  (viell.  nim)  goem  st.  dk  min 
goum;  v.  2231  dwelt  st.  irt,  v.  2238  mtmiber  st.  numher;  v.  2256  vyt 
den  [?]  st.  hiss  ein;  v.  2319  vloyende  st.  hloyende;  v.  2528  Vorivner 
st.  Unt  waer;  v.  2580  Daer  st.  Der;  v.  2638  vroer  st.  hroer;  v.  2702 
Twaar  st.  Zart;  v.  2722  gezyere  st.  geschire :  v.  2819  Tru  st.  Im; 
V.  2839  suyg  st.  singh;    v.  2844  daer  all  st.  der  alle;    v.  2845  vuedsel 

1)  Da  die  Überschriften  der  lieder  1.  2.  3  und  5  mit  rotor  farbo  geschrieben 
sind,  so  dürfen  sie  auf  authenticität  keinen  anspruch  machen. 


zu   BR.    HANSENS   MARIENLIEDERN  227 

St.  vnetsd;  v.  2855  Wast  st.  Id;^  v.  2898  Bar  st.  Der;  v.  2t)28  lau 
st.  laen;  v.  2!»6:i  fZ//j«r'  st.  dinc;  v.  3003  ruUcn  st.  wisen;  v.  3062  «7.<?o 
st.  aZ,4«.;  V.  3152  vomiieh  st.vundich;  v.  3159  sicnlicken  st.  seeliichen; 
V.  3171  doerzimcn  st.  durclizimcn ;  v.  3173  rimen  st.  rimen;  v,  3220 
merteleren  st.  werfen  leren;  v.  3275  ?;  huerdcn  st.  hehorden;  v.  3276 
matten  st.  natten:  v  3314  Jiorni/cJc  st.  hornit;  v.  3326  und  27  Die  por- 
ten  stacn  gelderet  Tnt  oriejifeti  drie  ende  drie  int  noerden;  v.  3355  c?/wjt 
guldenre  arenstengcl  st.  eynen  gidden  raren  sfengel;'^  v.  3486  coiifet 
st.  eoiiset;  v.  3488  verloiifet  st.  verlouset ; '"^  v.  3511  mynnen  st.  tneynen ; 
V.  3678  f??e  st.  c?m;  v.  3708  towr/e  tsivertse  st.  langeswanste ;  v.  3727 
spreclient  st.  sprachent:  v.  3735  aZi^-^o  st.  ^tt;  v.  3745  vertsuch  st.  voer- 
swi ;  V.  3773  vyentUeh  st.  vrientliich;  v.  3837  Lypert  st.  Zupert;  v.  3966 
r;r?7)/>f  st.  ^n'&;  v.  3975  diephen  st.  diesen;  v.  3996  i^.so  st.  sw;  v.  4012 
onaiihers  st.  tm.s  uhers ;  v.  4017  m^if  st.  ww;  v.  4123  ^e  /iow/"  st.  zehouf; 
V.  4140  sidlcn  st.  seien;  v.  4145  Vernement  st.  Ferw^  w<ewf,-  v.  4162 
w^/^  st.  wii^;  V.  4178  /f^  eynen  st.  meynen;  v.  4193  nydersehymp)  st.  m? 
fZe;-  scimph;  v.  4279  sivoen  [?J  st.  .soo>^;  v.  4362  verhardet  st.  verhad- 
det;  V.  4408  .sc/m7/  st.  soZ^;  v.  4419  (jenendich  st.  gevendich;  v.  4431 
velscJicr  st.  v  eist  er ;  v.  4505  gelierte  st.  gehertc;  v.  4564  '»^?/^  st.  wm^,- 
V.  4620  crcclüich  st.  krestlych ;  v.  4684  aZ  5o  tvrihen  st.  Buwriben; 
V.  4703  if^er  st.  ^i^rir;  v.  4705  Foe>-  ^öcsZJ  st.  TFc/-  6e.s^,-  v.  4709  i^^tt^e?/ 
(jfcw  (correctimi  legen)  st.  siveygen;  v.  4726  ^JW'^'^  e^^  ^'«^  st.  punden 
hat;  V.  4733  &oc  st.  /ioc;  v.  4770  w_?/e  st.  me;  v.  4816  ä/  cZoc  st.  Doe; 
V.  4823  «(^eer  Zier  renwat.  st.  wer^  herren  walt;  v.  483(i  Z//^  st.  Z/iZ>; 
V.  4839  wer  eer  st.  meere;  v.  4846  adamanten  st.  aechmanten;  v.  4881 
Sprech  st.  sprach;  v.  4954  Drt^  rZan  st  Der  rZa«;  v.  5000  vc/sZ  st. 
?^;asZ;  V.  5011  ^/ei^  st.  Zwe^,-  v.  5031  rZ«Z  st.  keyn;  v.  5068  f«sZ  st.  tvast 
und  hemueren  st.  hemoeten;  v.  5104  TZer  sceriacker  st.  Her  scher  iackcr ;  ^ 
V.  5117  honerdich  st.  hoividich. 

HANNOVER.  FR.    GERSS. 


1)  Die  aufaiigswörtor  der  stro|)lien  in  abschnitt  1  (.Marien  staat)  geben  das 
akrosticlion:  Ave  Maria  gracia  plena  dominus  tecura  benedieta  tu  in  mulieribus  et 
bencdictus  fructus  ventris  tui  Jhcsus  Cristus  Amen:  daraus  folgt  mit  zweifelloser 
notwendigkeit,  dass  v,  2855  mit  Ifif  beginnen  muss,  und  dass  mithin  ]\''afit  nur 
ein  Schreibfehler  sein  kann.  J.  Z. 

2)  Apoc.  21,  15:  Et  qui  loquebatur  raecum ,  habebat  mensurani  arnndineam 
auream,  ut  metiretur  civitateni ,  et  portas  ejus  et  murum  etc.  Z.  Z. 

3)  L.  kiuffet  :  iterliuset.  J.  Z. 

4)  Ich  vermute,  es  sei  in  dieser  von  der  kürze  des  lebens  liandelndnn  stroplie, 
V.  5101  fgg.  zu  lesen:        Mich  duiict  vii  fiicherllchen  dnz. 

wie  der  äöf  f/ar  grözeii  ivia 

15='^ 


228 


REMINISCENZEN  AUS   GOTFRTEDS  TRISTAN. 

W.  Wackernagel  bemerkt  in  seiner  litteraturgeschichte ,  flass 
mancher  untergeordnete  dichter  des  mittelalters  gedanken  imd  werte 
aus  öotfrieds  „Tristan"  entlehnt  habe,  verweist  aber  nur  namentlich 
auf  den  dichter  des  schwankes  ,.  Aristoteles  und  Phyllis."  '  Ich  bin 
nun  in  dei"  läge  noch  zwei  dichter  untergeordneten  ranges  diesbezüg- 
lich nennen  zu  können,  nemlich  den  Fleier,  den  Verfasser  des  ,, Me- 
ier an  z"  und  Johann  von  Wirzburg,  den  dichter  des  „Wilhelm 
von  Österreich.  Als  ich  mich  im  verflossenen  semester  eingehender 
mit  Melerauz  beschäftigte,  fielen  mir  bei  der  lectüre  öfters  verse  und 
gedanken  auf,  die  ich  schon  einmal  im  Tristan  des  Gotfried  von  Strass- 
burg  gelesen  zu  haben  glaubte.  Ich  verglich  einzelne  episoden  genauer 
mit  Tristan  und  überzeugte  mich  dabei,  dass  Fleier  inhaltlich  und  for- 
mell den  Gotfried  stark  benüzt,  dass  er  ganze  episoden  aus  Tristan 
entlelint  und  in  seiner  manier  verarbeitet  widergegeben  habe. 

So  z.  b.  erinnert  die  entwicklung  des  liebesverhältnisses  zwischen 
dem  jungen  Meleranz  und  der  schönen  Tydomie  unwillkürlich  an  Riva- 
lin und  Blanscheflur;  namentlich  sind  die  beratungen  der  „Tydomie" 
mit  ihrer  weisen  „meisterinne"  und  ihre  liebesklagen  fast  ganz  getreu 
aus  Tristan  copiert.^ 

Ja  nicht  blos  inhaltlich  ähneln  sich  diese  episoden  im  Meleranz 
und  Tristan,  auch  geradezu  völlig  gleiche  verse  kommen  vor,  die  im 
Meleranz  offenbar  ans  Tristan  entlehnt  sind. 

rischlich  über  reit  und  aclcer 

her  scher  jacker. 
un<l  zu  nbersetzpii :  micli  dünkt  nun  sicherlich  das, 

wie  der  tod  gar  grossen  sclirittcs 

rasch  über  feld  und  acker 

liierher  bald  jackere. 
Eruder  Hans  hat  eine  sucht,  sein  gedieht  mit  seltenen  reimen  und  ausdrütken  bunt- 
scheckig aufzuputzen.  So  reimt  er  in  dieser  strophe  rJaclcer  :  ivaclcer  :  acker  :  jncker. 
Ein  von  jruien  gebihletes  frequentativum  jockern  ist  in  der  bedeutung  ,,  schnell  rei- 
ten, schnell  faiiren"  nach  Vilmar  (Idiotikon  von  Kurhessen.  Marburg  und  Leipzig 
18ß8  s.  181)  in  ganz  Hessen  iiblich.  Belege  für  hoch-  und  niederdeutsches  jacher n 
nw\  jachiern  =  eilend,  schnaufend,  lärmend  herumlaufen,  bringt  Heine  in  Grimms 
wörterbucho  4,  2,  211)9.  Lübben  im  mittelniederdeutsclien  wörterbuche  2,  39ü  ver- 
zeichnet und  belegt  nur  jachtern  =  wild  umherspringen,  einander  jagen.  —  scher 
(schere,  schir)  ist  niederdeutsche  form  für  mhd.  schiere  =  bald.  .T.  Z. 

1)  Litteraturgeschichte  s.  200  anm.  17. 

2)  Man  vgl.  Tristan.  Massmann  15,  15  —  40,  30  und  Meleranz  von  K.  Bartsch 
von  V.  420  —  1917. 


STUÜBL,    KEJIINHCENZI'.N    AUS    TKISTAN  229 

Ich  will  die  uull'allendstuii  hier  zusamineiistellen: 
Meleranz  v.  1713  fg.:  loiß  ist  mir  von  im  gescliehcn? 

nü  hän  ich  mangcn  man  gesehen. 
Tristan  26,  2:5  fg.:         ivie  unde  was  ist  mir  geschehen? 

ich  hän  doch  manegen  man  gesehen. 

Mel.  V.  7Ü7  :      er  herte  um  und  ivolde  dan. 
Trist.  24,  2.") :    sus  neig  er  ir  und  ivolte  dann. 

Mel.  V.  808  :      swaz  ir  weit,  das  tuon  ich. 
Trist.  21,  1.^:    sivas  ir  gebietet,  das  tuon  ich. 

Mel.  V.  8!)2:      /;•  clärer  Up,  ir  säesiu  Jugent, 
und  V.  39 '.)8:     iur  Märer  li2> ,  hir  süesiu  jugent. 
Tivist.  oO,  31  :    .s7»  seJioencr  l^p  ^  sin  süesiu  jugent. 

Mel.  V.  1828:    das  mir  ist  in  min  herze  komen. 
Trist.  28,  32  :    das  ist  mir  an  mm  herse  komen. 

Mel.  V.  1753:    so  waer  ich  immer  mere  frb. 
Trist.  :>9,  3(»:    so  ne  ivirde  ich  niemer  mere  frö. 

Mel.  V.  838  fgg. :     Venus  sunt  in  an  der  stunt 
mit  ir  heisen  vackel  an. 
herse  und  Up  ime  hran 
von  der  minne  glüefe. 

Trist.  25,  9  fgg.:    do  kom  diu  rehte  minne, 
diu  iväre  viuraerinne 
und  sties  ir  seneviuwer  an, 
das  viur,  da  von  sin  herse  enbran, 
das  sinem  lihe  sä  sestunt  usw. 

Mel.  V.  1219  fg.:     so  wart  er  bleich  und  dar  nach  rot, 

als  im  ir  minne  gebot. 
Trist.  oUO,  5  fg. :     si  wurden  rot  unde  bleich, 

als  es  diu  minne  in  tinder  streich. 

Mel.  V.  303  fg.:       got  x^lege  iur,  ich  ivil  hinnen  varn. 

juncherre,  got  mües  iuch  bewarn. 
Trist.  37,  23  fg.:     ich  sol  und  muos  sc  lande  varn. 

iuch  schoene  müese  got  beivarn! 

Ferner  z.eigt  die  jagdscene  im  Meleranz  auftallende  ähnlichkeit 
mit  der  jagdscene  im  Tristan.  '  Auch  liier  liat  Fleier  widerum  Got- 
fricdsche  verse  entlelmt,  so  z.  b. : 

1)  Vgl.  Meleranz  v.  1928  —  2252  uud  Tristan  v.  70.  39  —  86.  19. 


230  STROBL 

Mel.  V.  1931  fg.:  got  grüese  iucli,  herre  und  meister  min. 
möht  das  in  iuwern  hulden  sin. 

Trist.  72,  24  fg.:   ....  lieber  meister  min 

sol  ez  mit  iuren  Imlden  sin. 

Mel.  V.  1979  u.  2249:    von  'welchem  lande  er  waere. 
Trist.  79,  6:   von  tvelhem  lande  er  waere. 

Mel.  V.  2093:    lie  den  hirz  ze  hile  stän. 
Trist.  71,  7:      und  stuont  aldä  ze  hUe. 

Andere  aus  Tristan  geüommeue  verse  sind  z.  b.: 

Mel.  V.  1878:    yehaht  iuch  tvol  und  weset  frö. 
Trist.  60,  11:    geliahet  iuch  tvol  und  sU  vrö. 

Mel.  Y.  1220:    als  im  ir  minne  gebot. 
Trist.  85,  13:    als  ez  diu  minne  gebot. 

Als  anklänge  an  Gotfriedsche  verse  köute  man  anführen: 
Mel.  V.  404 :      anderthalj)  den  berc  ze  tal. 
Trist.  66,  14:    den  kerte  er  anderthalp  ze  tal. 

Mel.  V.  373  fg.:    nu  begund  er  umb  und  umbe  sehen, 
ob  er  iendert  sach  erbüwen  laut. 

Trist.  65,  'o  ig.:    und  sehen 

ob  deheiner  slahte  bü  hie  st. 

Mel.  V.  876:      des  nam  diu  tnaget  touyen  war. 
Trist.  298,  8 :    und  nam  sin  tougenliche  ivar. 

Anschliessend  an  diese  entlehuungen  Fleiers  in  seinem  „Meleranz" 
will  ich  noch  einige  stellen  aus  „Wilhelm  von  Österreich"  von  Johann 
von  Wirzburg  eitleren,  die  in  bezug  auf  Inhalt  völlig  mit  stellen  im 
Tristan  übereinstimmen,  hie  und  da  auch  formell  so  viel  ähnlichkeit 
zeigen,  dass  man  eine  uachahmung  wol  mit  fug  annehmen  kann,  z.  b.: 

V.  7362  fgg.  (Stuttgarter  hs.): 

Wer  ze  liebe  gewan  ie  sin, 

der  hoert  von  liebe  gerne  sagen 

und  liep  gein  liebe  sich  er  klagen.     56  d. 

Trist.  5,  1  fg, :    der  edele  senedaere 

der  minnct  senediu  maerc. 
und  6,  25  fg. :     da  man  von  herzeliebe  saget 

und  herzeleit  üz  liebe  klaget. 


KEMlNlSCIiNZT'^N    AU?    TRISTAN  Ü31 

Ferner  v.  2()'JH  fgg.  (Stiittg.  lis.): 

vil  manic  ritter  schänden  bar 
lau  ^''^  '^'^'^''  tthtsehenden  tag. 
fruo  vor  Twingen  vor  dem  hag 
in  des  Hellten  meien  sier. 
durch  die  hluonien  die  rivier 
rüschten  unde  Mimgen. 
diu  Ideinen  vogelUn  sitngcn 
richUchen  in  der  schouwe. 
auch   was  der  plan  mit  touwe 
hegos.zen  und  die  hluomen  surf, 
därumhe  manc  geselle  wart 
zerspant  und  Mitten  sldenin. 
gesteine  und,  hluomen  widerschin 
gäben  dem  liehteii  golde.     16  d. 

Man  vergleiche    mit    diesen  versen  Tristan  15,  16  — 1<>,  26  und 
424,  8  —  20. 

Auch  folgende  stelle,    worin  Johann  von  Wirzburg  dem  Gottried 
lob  spendet,  klingt  stark  an  Tristan  au: 

V.  is:)8  fgg    (StutLg.  htf.): 

0  we  zarter  me  ister  Mär 
genant  der  Sträsburgaere, 
Gotfrit  ein  guot  tihtaere, 
haete  ich  die  sinne  din, 
biz  [daz]  ich  der  frouwen  min 
Seite  danc  an  dirre  stunt.     \  ö  b. 

Man  vergleiche  damit  Tristans  Schwcrtleite   l  i6,  40  —  122,  20. 

Die  einleitung  (Wiener  lis.)  v.  51  fgg.: 

ez  ist  zweier  hande  Hute 

als  ich  mit  rede  betiute. 

den  einen,  den  sint  tagende  fri 

und  nement  keiner  tagende  war. 

die  tugentricJien  bietent  dar 

ir  ören,  da  man  von  tagende  list, 

mit  tugenthaftcr  rede  in  ist 

sanfte  gar  und  sint  ir  holt. 


232  WOESTE,    BEITRAGE    AUS    DEM    NIEDERDEUTSCHEN 

mahnt  an  den  scliluss  der  betvaohtung ,  mit  welcher  Gotfried  von  Strass- 
biirg  seine  eizählnng  von  Tristan  eröfuet  nnd  worin  er  das  Verhältnis 
des  dichters  znr  leseweit  und  zur  kritik  berührt.  Mau  vergleiche  Tri- 
stan 8,  1  — 5. 

INNSBRUCK.  MARTIN   STROBL. 


BEITKÄGE  AUS  DEM  NIEDEKDEUTSCHEN. 

Hoderen,  utvodere. 

Wenn  es  vier  bb.  d.  könige  s.  21  heisst:  de  de  vtvodere  vnse 
vedere,  so  kann  vtvodere  nur  aus  utvorede  (ausführte)  entstelt  oder  ver- 
schrieben sein.  Die  berufung  auf  diese  stelle  in  der  anm.  zu  s.  19, 
als  sei  voderen  eine  andere  form  für  voren  (führen) ,  ist  also  verfehlt. 
Was  aber  die  stelle  he  vlesekede  se  aik  to  li öderen  s.  19  betritt,  so 
ist  es  zunächt  ganz  unglaublich,  dass  man  irgendwo  huderen  im  Itoren 
(hören)  gesagt  habe.  Wer  vodere  für  voredc  schrieb,  konte  auch  köde- 
ren \vlX  hörende  schreiben,  mag  imuieiimi  he  vlesekede  se  (schmeichelte 
ihnen)  sik  to  hörende  (dass  sie  ihri  hörten  =  dass  sie  ihm  gehorchten) 
syntaktisch  autfällig'  und  als  Übersetzung  von  ille  enini  dissinmlcÜHÜ  se 
audiri  seltsam  sein. 

Wrad,  1. 

Das  unter  selierne  angeführte  weistum  von  1409  enthält  auch: 
ok  suchten  sey ,  wan  eync  vulle  mast  were,  so  plege  dey  torait  ivol 
to  llggene  to  Redynchusen  (heute:  Renysen),  d.  h.  bei  voller  mast 
pflege  die  scli  vveineherde  ihre  stegft  (pferche)  in  Eediuchusen  zu 
erlialten.  Das  seltene  wnid  für  schweineherde  begegnet  ausserdem  noch 
in  einem  jüngeren  südwestf.  weistume  (Selb.  qu.  1,  112):  sdyen,  duf 
ein  holdtfiirste  förster  ....  to  dero  tvraedt  in  diese  marckh,  als  ein 
eckher  were,  X,  XX,  XXX  auch  mehr  of  myn,  darnach  dat  eckher 
in  dero  marckh  were ,  2ue  (fetrieffeu  halte.  Da  die  erstgenante  Urkunde 
auch  ailden  füi'  alden  bietet,  so  darf  man  wol  in  dem  ai  und  ae  unor- 
ganische dehnung  eines  ursprünglich  kurzen  a,  grade  wie  in  dem  so 
häufigen  staid  (stadt)  annehmen.  Man  vergleiche  daher  got.  vripus, 
ags.  vräd,  südschwed.  tvrath  und  dän.  vraad,  von  welchen  die  beiden 
lezten  eine  herde  von  12  stück  Schweinen  bezeichnen,  s.  Gr.  gram.  3,  475. 

ISERLOHN.  F.    WOESTE. 


233 


Zur  eriniicr  u  uu;'  ;ui  Friedricl»  Luchvig-  Karl  Weig'uiul.  Ein  lubciis  bil  J, 
Von  dr.  Otto  UiiuliMvald ,  VL'al  1  e  lirer.  Giesscii .  J.  Kickcrsi-lR'  budilumdluiig. 
1879.     112  s.     8.     2  in. 

Schon  ein  jähr  und  mehr  ist  verllosscu .  seitdoui  am  30.  juni  1878  Fric- 
dric'li  Ludwig-  Karl  Wcigand  nach  lang'cni  an  arbeit  wie  an  wissenscliaf't- 
licliom  ertrage  reichem  leben  seine  äugen  sciilos.s.  Die  tätigkeit  des  entsi  hlafeueu 
war  mannigfach,  gipfelte  aber  für  die  Wissenschaft  in  seiner  arbeit  am  deutschen 
Wörterbuch:  Weigand  hat  ein  vortrefliches  wörterbucli  der  deutschen  synu- 
nymen  und  ein  nocli  vortrcflichcres  algemeines  deutsches  Wörterbuch  verfasst 
und  sich  als  berufener  fortsetz  er  des  Grimmschen  Wörterbuches  hohe 
und  von  niemand  bezweifelte  Verdienste  erworben.  Allen  freunden  und  Verehrern 
Weigauds  und  der  Weigandschen  bücher  hat  hr.  dr.  Bindewald  durch  sein  als  bei- 
gäbe des  Programms  der  realschule  zu  Gie.^seii  erschieneiies  lebcnsbild  des  verewig- 
ten eine  erfreuende  gäbe  geboten,  und  der  zweifei  des  hm.  Verfassers,  ob  wol  die 
aus  dem  leben  Weigands  mehrfach  eingestreuten  persönlichen  züge  aucli  für  den 
weiteren  leserkrois  derjenigen  interessant  sein  möchten,  die  dem  entschlafenen  per- 
sönlich fremd  gewesen  sind,  scheint  mir  völlig  unbegründet.  Wer  den  iorschungen 
auf  dem  gebiete  der  deutsch!  n  spräche  mit  aufmerksamkiit  und  Verständnis  gefolgt 
ist,  hat  sich  uhn.'hin  ülier  die  wissenscliaftlichc  bedeutuug  Weigands  ein  urteil 
gebildet,  aber  das  viele  persönliche  kann  man  sich  nicht  so  leicht  hinzudenken ; 
mau  ist  daher  für  alle  s(dche  das  biUl  des  mannes  schärfer  zeichnenden  und  bele- 
benden Züge  reclit  dankbar,  und  wenn  der  herr  Verfasser,  der  Weigands  schüler 
als  Student  war  und  später  zehn  jähre  unter  Weigands  directorat  au  der  realschule 
zu  Giesseu  gearbeitet  hat,  uns  noch  mehr  erinnerungeu  aus  dem  äusseren  leben 
jenes  gegeben  hätte,  wir  würden  ihm  sicherlich  nicht  gegrollt  haben.  Doch  auch 
schon  das  gebotene  ist  viel,  und  in  erwäguug  dass  die  arbeit  schnell  gemacht  wer- 
den muste,  um  schon  dem  osterprogramm  von  1879  beigegeben  zu  werden,  können 
wir  uns  billig  über  die  reiihhaltigkeit  und  ausführlichkeit  der  mitteilungen  wun- 
dern und  danken  doppelt  für  die  so  zeitige  gäbe. 

Nach  einleitenden  bemerkungen  behandelt  der  herr  Verfasser  von  s.  6  —  31 
Jugendzeit  und  leltrjahre,  von  s.  31  —  ü  das  reallehramt,  von  s.  M  —  92 
den  gerraanisten,  akademischen  lehr  er  und  lexicographeu,  s.  95— 110 
folgt  ein  verzciclmis  von  Weigands  kleineren  anfsätzen  und  recensionen  und  endlich 
s.  111  112  ein  von  Weigand  im  jähre  1824  bei  seinem  abgange  vom  seminar  zu 
IMedberg  verfasstes  abschiedslied. 

Es  soll  dem  Verfasser  der  lebenslauf  Weigands  niclit  nacherzählt  werden, 
nur  einige  dahin  gehende  angaben  mögen  hier  platz  linden.  Geboren  am  18.  nuv. 
1804  in  der  Wetterau,  bezieht  der  junge  Weigand  nach  unregelmässiger  und  mehr- 
fach, zumal  durch  den  tod  des  vaters  1818,  unterbrochener  Vorbildung  im  jähre 
1821  das  schullehrerseminar  zu  Friedberg,  weilt  dann  öVs  jfihre  vom  herbst  1824  bis 
in  den  aufang  1830  als  hauslehrer  bei  dem  preussischen  generalmajor  v.  Müifling  in 
Mainz,  wird  im  mai  d.  j.  nach  einer  nuituritätspriifung  als  stud.  theol.  in  Giessen 
inscribiert,  nimt  nach  ablauf  dos  trienniums  wider  eine  hauslehrerstelle  in  Nidda 
an,  wird  Michaelis  1834  an  die  realsclmle  zu  Michelstadt  im  Odenwald  und  zum 
1.  april  1837  an  die  realschule  zu  Giesseu  berufen ,  der  er  bis  zum  jähre  1855  als 
lehrer,  dann  bis  1857  als  provisorischer  und  endlich  von  1857 — 1867  als  wirklicher 
director  angehört  hat.     Inzwischen   hatte  er  bei  der  |iliilos.  faeullid    der  Universität 


234  GOMBKRT,    ÜBER   BIN  DEWALD  ,    WEIGAND 

Giesson  die  vuiiia  k-gcndi  erlangt  und  begann  im  souimer  1849  seine  tätigkeit  als 
privatdocent,  wurde  1851  ausserordentlicher  und  endlich  1867  ordentlicher  profes- 
sor  unter  gleichzeitiger  enthebung  von  seiner  directorstelle. 

Wie  nun  Weigands  wissenschaftliche  tätigkeit  schon  in  Mainz  mit  bescheide- 
ner samlung  wetterauischer  ausdrücke  begint,  wie  er  dann  durch  die  bekantschaft 
mit  Erasmus  AJbers  Wörterbuch  und  später  mit  den  arbeiten  Grimms  und  Schmel- 
lers  mehr  und  mehr  zu  hingebender  erforschutig  der  deutschen  spräche  gezogen 
wird,  wie  in  Giessen  der  damalige  professor  Fr.  Jac.  Schmitthenner  einen  weitgrei- 
fenden einfluss  auf  seine  studien  gowint,  wird  am  besten  in  Bindewalds  ausführ- 
licher mit  mancherlei  persönlichen  mitteilungon  durchÜoehtener  darstellung  nach- 
gelesen. 

Weigands  erstes  zusammenhängendes  werk  ist  eine  Kurze  deutsche 
Sprachlehre  für  real-,  bürger-  und  Volksschulen,  Mainz  1838;  es  folgt 
von  1840 — 1843  das  Wörterbuch  der  deutschen  synonymen  (zweite  auliage 
1852).  Seit  1844  beschäftigt  ihn  der  gedanke,  ein  kleines  deutsches  Wörterbuch 
herauszugeben,  und  zugleich  sammelt  er  als  „einer  der  fleissigsten  der  fleissigen" 
für  das  in  Vorbereitung  begriffene  grosse  Wörterbuch  der  brüder  Grimm  (s.  J.  Grimms 
vorrede  zum  1.  bände  sp.  LXVI).  Im  jähre  1852  maclit  ihm  J.  Ricker  in  Giessen, 
in  dessen  verlag  das  1834  in  erster  und  1837  in  zweiter  aufläge  erschienene  kurze 
deutsche  Wörterbuch  F,  J.  Schmitthenners  übergegangen  war,  den  verschlag,  das 
buch  aufs  neue  herauszugeben.  Weigand  geht  auf  den  Vorschlag  ein,  arbeitet  aber 
Schmitthenners  buch  so  volständig  um,  dass  das  werk  schon  in  den  ersten  liefe- 
rungen als  seine  eigene  arbeit  erscheint  und  als  solche  von  den  berufensten  beur- 
teilern, J.  Grimm  und  W.  Wackernagel,  erkant  und  bezeiclmet  wird.  Doch  das  werk 
rückte  langsam  vor,  zumal  da  Weigand  nicht  bloss  fortfuhr  reichliche  beitrage  zum 
Grimmschen  wörterbuche  zu  spenden,  sondern  auch  nach  J.  Grimms  tode  im  jähre 
1863  mit  Eud.  Hildebrand  zur  selbständigen  fortsetzuug  jenes  grösseren  Unternehmens 
gewonnen  wurde.  So  wird  das  eigene  werk  erst  im  jähre  1871  nach  fast  neunzehn- 
jähriger arbeit  fertig,  ersclieint  dann  aber  schnell  1873  —  76  in  zweiter  und  1878 
in  dritter  aufläge.  Mit  recht  bezeichnet  Bindewald  dies  zweibändige  deutsche  Wör- 
terbuch als  die  eigentliche  hauptleistung  Weigands ,  und  erteilt  dem  werke  das  wol- 
verdiente  lob  der  genauigkeit ,  gewissenhaftigkeit  und  Zuverlässigkeit.  Es  ist  über- 
flüssig zur  kenzeichnung  von  Weigands  wörterbuche  weitläufiger  zu  werden:  das 
werk  ist  als  vortreüich  und  in  seiner  art  einzig  dastehend  anerkant,  und  doch,  wie 
man  sich  gelegentlich  auch  im  kreise  von  studierten  lehrern  überzeugen  kann ,  immer 
noch  nicht  algemein  genug  bekant  und  beiiuzt.'     Mit  einer  kurzen  Würdigung  Wei- 

1)  Die  beiden  Wörterbücher  von  Weigaud,  das  ,,W  ort  er  buch  der  deut- 
schen Synonymen"  und  das  ,, Deutsche  Wörterbuch''  sind  entschieden  die 
besten  in  ihrer  art,  mit  vorzüglicher  sachkentnis  und  mit  grosser  Sorgfalt  und  emsig- 
stem fleisse  «ie.irbeitet.  Beide  sind  namentlich  für  den  lehrer  an  höheren  schu- 
len ganz  unentbehrlich  iind  selten  in  keiner  schulb  ibliothek  fehlen. 
Dass  sie  leider  weit  weniger  bekant  und  verbreitet  sind  als  sie  verdienen,  ist  wol  zum 
guten,  ja  vielleicht  zum  grösten  teil  schuld  ihrer  Verleger,  die  in  verkennung  ihres 
eigenen  Vorteiles  den  ladenjireis  derselben  zu  hoch  äugest  zt  haben ,  nicht  zu  hoch  zwar 
im  Verhältnis  zu  ihrem  wissenschaftlichen  werte ,  wol  aber  im  Verhältnis  zu  der  allge- 
meinen absatzfähigkeit  und  insonderheit  zu  der  in  schulkreisen ;  leztere  rücksicht  aber 
muss  für  den  Verleger  als  geschättsmann  die  massgehcndu  für  seine  berechnung  sein. 
Die  zweite   aufläge   des  Synonymenwörterbuches  ist  übrigens  nur  eine  titelaullage.     Isur 


BAKTIIOLOMAE,    ÜBER   PAUL,    VÜCALISMÜS 


235 


gandü  auf  ilem  feUlu  der  doiitschuu  sprachfürsclmiiL;'  .schlicsat  Biudcvvald  sciuo  ver- 
dienstliche und  von  dem  Lauche  der  pielät  wolUuaul  (lurchwehtc  schrift,  und  wir 
danken  noch  einmal  für  die  ansprechende  gäbe. 

GROSS  -  STRELITZ   IN   OBEBSCHLESIEN.  GOMBERT. 


H.  Paul,  Untersuchungen  über  den  ujermau  i.sclien  vocalisnius.  425  s. 
b.     Halle,  1879.     Niemeyer.     lU  ni. 

Zwei  in  den  beitragen  zur  geschichte  der  deutschen  spräche  bd.  IV  und  VI 
erschienene  abhandlungen  bilden  den  Inhalt  dieses  buehs,  nämlich 

I.  Die  vocale  der  floxions-  und  abloitungssilben  der  ältesten 
germanischeu  dialecte,  s.  1  — 162; 

IL   Zur  geschichte  des  germanischen  vocalismus,  s.  1G5  —  420. 

Die  erste  der  beiden  abhandlungen  geht  aus  von  der  betrachtung  derjenigen 
laugen  vocale,  welche  im  urgeruiauischeu  nach  Wirkung  des  vokalischeu  auslauts- 
gesetzes  als  längen  erhalten  blieben  und  untersucht  der  reihe  nach  die  urger- 
manischen vocale:  1)  auslautend  ö  =  got.  ö,  altnord.  a,  westgerm.  ö,  a  (s.  23  — 
45) ;  2)  ö  in  auslautender  silbc  vor  consouant  =  got, ,  westgerm. ,  altnord.  ö  und 
ü,  lezteres  vor  n  (s.  57  — 63);  3)  die  diphthonge  ai  und  aa  (s.  63  —  86);  4)  i 
(s,  111  — 138);  daran  schliesst  sich  noch  eine  betrachtung  der  Schicksale,  welche 
urgerm.  e  und  a  in  den  dialecten  erlitteu  (s.  46  —  57,  86  — 111,  138  —  162). 

Die  zweite  abhandlung  untersucht  zunächst  die  brechungsverbältnisse  im  alt- 
nord. {eq,  jq  älter  als  ea ,  ja)  nnd  angels.  (vornemlich  «?)  s.  181 — 240,  sodann  das 
Verhältnis  von  e  zu  ^  in  Wurzelsilben  (e  vor  n  -\-  cons.  ist  schon  im  gemein- 
germanischen zu  i  geworden),  sowie  die  Umgestaltung,  welche  die  urgerm. 
diphthonge  eo ,  ea,  eu,  oa  im  althochd.  und  attsächs.  erfuhren  {e  und  o  als  erste 
componeuten  eines  diphthougen  werden  i  und  u)  s.  240  —  252.  Es  folgt 
ferner  eine  besprechung  der  angelsäehs.  diphthonge  eo  und  ea,  endlich  der  altnord. 
langen  vocale  und  diphthonge  (s.  272).  Den  kern  der  zweiten  abhandlung  bildet 
eine  erschöpfende  darstellung  der  germanischen  vocale  in  ihrem  Verhältnis  zu  den 
indogermanischen,  welche  den  ganzen  übrigen  teil  des  buches  eiunimt.  Dieser 
abschnitt  ist  nicht  nur  lür  den  germanisten,  sondern  ebenso  für  den  linguisten 
von  herworragendem  Interesse.  Mit  Osthoii'  und  Brugman  vindiciert  Paul  der  indo- 
germ.  ursprache  zwei  «-laute,    von  denen  sich  jeder  in  dreifacher  weise  spal- 

einige  blätter  sind  unter  Verbesserung  der  druckfehler  durch  cartons  ersezt,  und  ein 
neues  reichlicheres  quellenverzeichnis  ist  hinzugefügt,  das  druckfehlerverzeichnis  dage- 
gen (auch  für  die  nicht  durch  corrigierte  cartons  ersczten  blätter)  ist  weggelassen.  — 
Sehr  zu  wünschen  wäre ,  dass  unsere  höchsten  unterrichtsbehörden  nicht  nur  dann  und 
wann  dies  oder  jenes  einzelne  buch  durch  circular  zur  auschaffung  für  die  schulbiblio- 
theken  empföhlen,  sondern  dass  sie  alljährlich  ein-  oder  lieber  zweimal  ein  gedrucktes 
Verzeichnis  derjenigen  neuerschienenen  werke  veröffentlichten,  deren  anschafifung  für  die 
Schulbibliotheken  wiinsohenswert  erscheint,  und  dass  auch  den  schulräten  ausdrücklich 
zur  iJÜicht  gemacht  würde ,  bei  den  scbulrevisionen  stand  und  Verwaltung  der  schul- 
bibliothek  zu  prüfen  und  für  deren  beste  forderung  unausgesezt  aufs  förderlichste  zu 
sorgen.  Denn  sollen  sich  die  lehrcr  wissenschaftlich  gesund  und  kräftig  und  loistuiigs- 
frisch  erhalten,  was  für  das  gedeihen  der  schule  unbedingt  notwendig  ist,  so  niuss 
ihnen  eine  gute,  nach  umfang  und  Inhalt  reichlich  bemessene  und  gediegene  schul- 
bibliothek  zu  fruchtbarur  benutzung  dargeboten  werden.  J.  Z. 


236  BARTHOLOMAE 

tute:  in  eine  atiirke,  mittlere  und  sclnviiclio  stufe.  Auf  lezterer,  der  scliwa- 
eheu  stufe  stehen  alle  tieftonigen  «ilben  ,  alle  silben,  welche  vur  oder  hinter 
einer  nebentonigen  stehen;  der  vocal  fällt  aus.  Die  mittlere  stufe  hat  den 
neben-,  die  starke  den  hauptton.  Diese  ursprüngliche  dreihcit  war  frühcrhin 
in  der  Üexion  meist  vorhanden,  sie  wurde  aher  schon  sehr  früh,  ziam  teil  schon  in 
indogermanischer  zeit  durch  ausgleichung  verwischt.  Die  reguläre  Vertretung  der 
indogermanischen  vocale  im  germanischen  ist  die  folgende: 
Erste  reihe  («.2  =  griech.  u,  a^  =  griech.  t). 
St.  st.  ((.2  =  germ.  u:  gab,  band,  staig ,  guut. 

Mittl.  st.  Ui  =  germ.  a)  iu  ursprünglich  betonter  silbe  e  (got.  i):  glba,  steiga, 
giuta,  nima. 
b)  in  indogerm.  unbetonter  silbe  e,  vor  nasal  und  liquida  {r,  l,  n,  in)  0 
(got.  u):  gibans,  gifts;  numans.  haurrms. 
Schw.  st.  Der  vocal  hei  aus ;  so  z.  b.  in  liutu  gegenüber  lat.  gemo  (mittl.  st.) 
und  griech.  yöru  (st.  st.).  In  diesen  und  ähnlichen  fällen  gieng  die  silbe 
überhaupt  verloren;  dagegen  blieb  sie  erhalten: 

a)  wenn  der  vocal  a  von  i,  j ,  k,,  v  begleitet  war;  aus  cd,  ja  wurde  dann  i, 
aus  an,  oa  u:   atigaas  zu  steiga  und  ■';taig ,  gntans  zu  giuta  und  gaiit. 

b)  wenn  der  vocal  a  von  n,  m,  r,  l  begleitet  war;  in  diesem  falle  wurde 
n,  m,  r,  l  nach  dem  schwund  des  a  sonantisch,  im  germanischen  aber  ent- 
wickelt sich  aus  diesen  sonanten:  un,  um,  ur,  ul,  resp.  nu,  {mv),  rii, ,  lu, 
'£.  h.  got.  svummun ,  bundun,  tmurpun,  huljjun,  altu.  truda;  ahd. 
fliihtmi. 

Zweite  reihe  (^4^,  =  griech.  f7,  i] ,  A^  ==  griech.  «). 
St.  st.  A^  =  a)  in  offner  silbe  ö :  för,  taitoh. 

b)  in  geschlossner  silbe  und  im  diphthongeu  a:  haihald,  huihait,  aiauk. 
Mittl.  st.  Ai  =  a:  farans ,  halda,  haldan,  auka. 

Schw.  st.  Der  vocal  fällt  aus :  im  übrigen  ist  alles  wie  bei  der  ersten  reihe. 
Beim  verbum  ist  die  schwache  stufe  zu  gunsten  der  mittlem  aufgegeben. 
Sie  findet  sich  in  ahd.  scidön,  inhd.  stutz  zu  stoseii;  ahd.  fart  zu  faran, 
ahd.  snlza  zu  salz. 
Durch  diese  auf  s.  272  fg.  gegebene  darstellung  berichtigt  sich  Pauls  früliere, 
gegen  Brugman  autgesteltc  behauptung  (s.  89),  die  sclieiduug  in  tt^,  «j  usw.  beruhe 
nicht,  wie  Brugmann  meine,  auf  dem  accent,  sondern  auf  dem  eintiuss  von  nach- 
barlauten. Auch  für  die  /-  und  ((.-stamme,  deren  vocalerscheiniingen  den  Verfas- 
ser vornehmlich  zu  dieser  annähme  verleiteten,  lässt  sich,  in  einigen  fällen  wenig- 
stens,  die  reguläre,  durch  den  accent  bedingte,  vocalabstufung,  die  wechselseitige 
ablösung  der  vocale  noch  deutlich  nachweisen.  Im  indischen  und  iranischen  wird 
«.2  durch  ((,  <i^  durch  «  vertreten.  Wir  liaben  nun  im  indischen  nebeneinan- 
der: ind.  sing.  nom.  djitas,  plur.  nom.  djäras  mit  d  =  «2;  ■'^ing-  1"C.  djavi  mit 
a  =  «] ;  sing,  instr.  dit^ä  mit  schwund  des  a.  Im  avesta  finden  wir:  sing.  nom. 
häzCms ,  sing.  acc.  nasäinii,  d.  i.  nasärem;  pl.  nom.  danhävö  mit  ä  =  a.^;  sing, 
dat.  danhavc  mit  a  =^  a,  :  jiliir.  dat.  tamibjö  mit  ausfall  des  a.  Vergleichen  wir 
damit  die  entsprechenden  casus  von  coi- stammen:  sing.  nom.  r<2gä{n),  acc.  räga- 
nem,  plur.  nom.  räganas  (mit  a  =  a.,),  sing.  loc.  ragani  (mit  a  =  ai),  sing,  instr. 
ragnä  und  ebenso  phn-.  dat.  rdgublijas  (mit  schwund  eines  a;  rägabhjas  steht  für 
ursprünglich  rdgnbhjas,  das  sonantische  n  und  m  wurde  in  den  arischen  sprachen 
durch  a  ersezt,    vgl.  tatäs ,  rarng,  tentus):    so  ergibt  sich  die  vollständige  überein- 


ÜBER    PAUL,    VOCALTSMUS  237 

stinimuiio-  in  der  boliaiuUmit;-  <1im-  u-  (nnd  ?-)  und  der  r<»-stänmH'.  Ks  ist  diirnach 
durcluius  nicht  notwendig-  die  gotischen  nom.  nnd  acc.  der  ?t- stamme,  welche  an 
haben,  mit  dem  Verfasser  (s.  127)  als  junge  bildungon  anzusehen;  der  nom.  smutns, 
acc.  simau  lassen  sich  ebensowol  auf  die,  gemäss  den  rm-stäniiuen  als  ursprüng- 
lichst anzusetzenden,  formen  snna.^ns,  .s»»«.,»»;  {nmuLiVam)  zurücld'iihron. 

Besondere  hervorhebuug  verdienen  auch  die  kapitel  ,,übcr  vocal  sync(i]ie 
und  accent"  und  ,,ül)er  die  priorität  des  rt,  und  o  gegenüber  dem  «.." 
Die  wesentlichsten  resultate  der  dort  geführten  Untersuchung  sind  in  kürze:  Es 
gibt  kein  u  r  g  c  r  m  a  n  i  s  c  h  e  s  a  u  s  1  a  n  t  s  g  e  s  e  t  z  ,  alle  v  o  c  a  1  a  u  s  s  t  o  s  s  u  n  g  e  n 
sind  von  den  drei  germanischen  liauptdialecteu  (got.,  skand.,  west- 
germ.)  selbständig  vollzogen.  —  Das  germanische  hat  drei  haupt- 
stufen des  accents,  die  starke,  mittlere  und  schwache,  dieselben, 
welche  im  Indogermanischen  den  Wechsel  der  vocale  gleicher  reihe 
veranlasst  haben.  —  Die  gesetze  für  die  syncope  der  german.  vocale 
sind  aus  der  accentuation  zu  ermitteln,  wie  sie  zur  zeit  derselben 
bestanden  hat.  —  Für  das  westgermanische  nun  gilt  folgendes  gcsetz:  Aus- 
gestossen  wird  nur  kurzer  vocal  auf  schwacher  stufe  in  offner  silbe, 
1)  wenn  die  vorhergehende  silbe  starkstufig  und  lang,  2)  wenn  die 
vorhergehende  mittelstufig  ist  (s.  308)  —  Im  nordischen  wirkten  melirere, 
zeitlich  geschiedene  gesetze,  und  es  unterscheidet  sich  lezterer  dialect  vom  west- 
germanischen hauptsächlich  dadurch,  dass  hier  auch  synkope  kurzer  vocale  in 
geschlossener  silbe  eintritt  (s.  170,  174).  --  Was  den  zweiten  oben  erwähnten  punkt, 
das  Verhältnis  von  m  nnd  o  zu  a  betrifft,  so  gelangt  Paul  (s.  343)  zu  dem  resul- 
tat:  Alle  spontane  lautentwicklung  der  vorhistorischen  germani- 
schen periode  gieng  in  der  richtung  u  —  o  —  a.  Es  ist  daher  für  jedes 
altgermanische  a,  mag  es  nun  auf  indogerm.  «,,  =  griech.  o,  oder  auf 
indogerm.  A^  =  griech.  a  zurückgehen,  die  entstehung  aus  älterm  o 
und  noch  früherem  u  anzunehmen. 

Im  einzelnen  bemerke  ich:  s.  278  abaktr.  zeinö  ist  nicht  zum  stamm  *(/haim-, 
sondern  zum  stamm  *glim-  zu  stellen,  und  entspricht  völlig  dem  ind.  f/mrui ;  e  ist 
eingeschoben.  S.  280  unten  ist  ^snna^ri-  für  *sunau  zu  lesen.  S.  416,  417  sind 
die  Seitenzahlen  vertauscht. 

Die  richtung  des  Verfassers  ist  die  sogen.  ,,  junggrammatische ,"  und  der  Ver- 
fasser bekent  sich  selbst  ausdrücklich  zu  ihr  und  bespricht  auch  zu  widerholten 
malen  (s.  1  fg.,  165  fg.)  seine  und  überhaupt  der  junggrammatischen  schule  methode, 
welche  er  bezeiclmet  als:  begründet  auf  der  Voraussetzung,  dass  jedes  lautgesetz 
mit  absoluter  notwendigkeit  wirke,  und  dass  abweichungen  von  einem  als  richtig 
erkanten  lautgesetz  nicht  auf  i>hysiologischem,  sondern  nur  auf  psychologischem  wegc, 
durch  ,,forraeuassociation"  entstanden  sein  können.  Mag  man  nun  diese  Voraus- 
setzung als  richtig  anerkennen  oder  nicht,  auf  keinen  fall  wird  man  ein  recht 
haben,  das  Panische  buch  zu  ignorieren  und  wir  wollen  es  hiermit  allen,  den  ger- 
mauisten  wie  den  linguisten,  aufs  beste  empfohlen  haben. 

HALLE.  CHR.    BARTHOLOMAE. 


238  EKDMANN 

Kelle,  pro  f.  dr. ,    Glossar  zu   Otfrids  Evangelienbuclie.     (Dritter  band 
der  Otfridausgabe.)     1.  heft,  bog.  1-6.    Eegensburg,  Manz.  1879.    M.  2,80. 

Lange  verheissen  und  allseitig  gewünscht  war  Keiles  Otfridglossar ,  und  wer 
die  Schwierigkeiten  einer  solchen  arbeit  kent,  wird  über  das  erscheinen  derselben 
hoch  erfreut  sein ,  um  so  mehr ,  da  der  ersten  lieferung  {dhaliön  —  elichör)  die 
anderen  druckfertig  vorliegenden  bald  folgen  sollen.  Über  die  einrichtung  des  Wer- 
kes und  das,  was  von  demselben  erwartet  werden  darf,  glaube  ich  die  leser  dieser 
Zeitschrift  schon  jezt  orientieren  zu  können. 

Etj'mologische  angaben  hat  Kelle  von  diesem  specialwörterbuchc  natürlich 
ausgeschlossen;  wer  diese  sucht,  wird  immer  zu  Schades  Wörterbuch  greifen  müs- 
sen. Die  anordnung  ist  streng  alphabetisch ,  so  viel  ich  sehen  kann  für  jedes  wort 
nach  der  in  dem  corrigierten  texte  der  Wiener  handschrift  vorhersehenden  Schrei- 
bung: es  fält  mir  nicht  ein,  hier  über  einzelheiten  (z.  b.  über  die  Schreibung  deß 
subst.  döä)  mit  dem  Verfasser  rechten  zu  wollen.  Bei  den  belegen  sind,  wo  es 
nötig  schien ,  die  abweichungen  aller  handschriften  berücksichtigt ,  selbst  die  von 
F,  z.  b.  gleich  anfangs  I,  15,  43  abahöi.  Auch  alle  composita  (z.  b.  die  mit  bi-) 
sind  nach  dem  anlaute  der  ersten  silbe  eingereiht:  doch  wird  die  Übersicht  des 
Wortschatzes  in  höchst  dankenswerter  wei^e  dadurch  erleichtert  ,  dass  alle  Zusam- 
mensetzungen bei  dem  zweiten  stamniwortc  mit  kleinerer  schi-ift  übersichtlich  zu- 
sammengestelt  sind.  Auch  die  bei  Otfrid  nur  in  Zusammensetzungen  vorkommen- 
den stamme  (z.  b.  -bäri,  -barmen)  sind  an  gehöriger  stelle  mit  cursivschrift  ange- 
geben und  die  nur  bei  Otfrid  belegten  worte  durch  Sternchen  ausgezeichnet. 

Der  Schwerpunkt  der  arbeit  liegt  in  der  feststellung  der  bedcutungen 
aller  worte;  und  nach  dieser  richtung  hin  wird  wol  jeder  leser  gleich  mir  durch 
die  fülle  und  reife  der  hier  gebotenen  fi'üchte  einer  jahrelangen  arbeit  überrascht 
sein.  Sämtliche  belegstellen  sind  angeführt  und  fast  sämtlich  ausgeschrieben,  alle 
schwierigeren  auch  übersezt  und  erläutert:  und  die  bedeutungeu  sind  so  genau 
angegeben  und  so  sorgfältig  gruppiert,  wie  es  nur  jemand  tun  kann,  der,  nach- 
dem er  erschöpfende  samlungen  über  Otfrid  angestelt  hat,  sich  auch  die  mühe 
nicht  verdriessen  lässt  dieselben  ohne  hast  durchzuarbeiten.  Die  syntaktischen 
Verbindungen  sind  bei  jedem  nomen,  jedem  verbum  ,  jeder  partikel  sorgfältig  ver- 
zeichnet und  gesondert.  Zur  erklärung  sind  auch  die  lateinischen  quellen  heran- 
gezogen, darunter  viele  in  Keiles  ausgäbe  teil  I  noch  nicht  angeführte  stellen 
(z.  b.  zu  IV,  1,  28  unter  antikrtsto,  zu  IV,  35,  6  unter  billbu);  eine  übersichtliche 
Zusammenstellung  dieser  neu  ^nachgewiesenen  quellen,  die  dem  Verfasser  ja  ein 
leichtes  wäre,  würde  jedem  besitzer  des  ersten  teiles  eine  wilkommene  zugäbe  sein. 
Auch  parallelstellen  aus  anderen  litteraturdenkmälern  werden  zur  stütze  der  erklä- 
rung reichlich  gegelien:  überraschend  war  mir  namentlich  die  unter  bithvincju  zu 
I,  1,  35  angeführte  stelle  aus  dem  Pilatus,  die  ein  fortleben  otfridischer  gedauken 
und  Wendungen  bis  ins  12.  jalirhundert  bezeugt.  Hier  und  da  schweift  der  verf. 
vom  rein  lexicalischen  gebiete  ab;  z.  b.  wird  die  Verbindung  von  adverbien  mit 
sin  und  toerdan  bei  ango  (als  dem  ersten  in  betracht  kommenden)  erörtert;  con- 
junctive  in  rhetorischen  fragen  (über  die  ich  teilweise  andrer  ansieht  bin)  zu  V,  1,  11 
unter  brennu;  substantivierte  infiiiitive  zu  IV,  10,  13  unter  drinJcu. 

Unter  einer  grossen  zahl  von  stellen,  deren  erklärung  ich  geprüft  habe ,  blei- 
ben mir  verhältnismässig  wenige  auch  nach  Keiles  nachweisen  zweifelhaft.  Einige- 
raal gibt  er  selbst  zwei  erklärungen  zur  auswahl,  so  für  IV,  16,  46  unter  bifora, 
für  IV,  4,  39  unter  biqueviun,  für  III,  14,  54  unter  äiufal;  an  allen  drei  stellen 
möchte  ich   mich  für   die   zulezt   vorgeschlagene    entscheiden.      Bedenklich  ist  mir 


ÜBER  KELLE,  GLOSSAR  ZU  OTFRID  239 

Kellos  Übersetzung  von  äna  bäf/a  zu  I,  3,  2:  ohne  loidersjtruch ,  übereinstimmend; 
besser  wol:  ohne  misiiidime.  voUläiuVui ,  mit  bezuf>'  darauf,  dass  die  evangelisten 
alle  ahuen  Christi  aulV.älilen,  während  Otfrid  nur  die  hekantesten  auswählt;  vgl. 
I,  1,  2G.  avur  übcrsezt  Kelle  zu  V,  12,  lÜU:  nämlich;  solte  es  sich  nicht  dadurch 
erlvläron,  dass  der  hauptbogriff  minna  (wie  1,  28,  13  himiJrichi.  V,  1,  33  worolt- 
riiifi)  wider  holt  genant  und  erklärt  ist?  allestcio  leeren  erhält  die  von  Kelle  zu 
IV.  15,  30  angegebene  bedeutuug:  .ztirecht  führen  doch  erst  durch  den  gegensatz 
zu  dem  vorher  gebrauchten  i}i  ahuh,  also  nur  im  Zusammenhang  dieser  stelle.  Die 
von  Kelle  schon  in  seiner  Übersetzung  vorgeschlagene  auffassung  von  thie  däti 
I,  1,  17  als  eines  adverbialen  accusativs  =  auf  diese  weise  ist  mir  nicht  glaublich: 
icli  fasse  es  als  objectsacc.  zu  giscrihe  (vgl.  v.  4  thio  chnanheiti  </imeinen),  wie  ich 
an  anderer  stelle  ausführlich  begründet  habe.  Dass  trahta  IV,  31,  17  (so  schreibt 
der  zweite  hauptschreiber  der  Wiener  handschrift.  derselben  neigung  folgend,  die 
er  bei  truhtin  IV,  27,  lU  u.  o.  treso  IV,  35,  13  beweist,  ohne  überall  vom  correc- 
tor  corrigiort  zu  sein)  nicht  mit  dem  verbum  drahtön  zusammenhänge ,  gebe  ich 
Kelle  gern  zu;  aber  nicht  das  gleiche  gilt  von  drahta  I,  1,  18.  II,  9,  94,  das,  wie 
mir  scheint,  von  jenem  worte  ganz  zu  trennen  ist.  —  Das  unter  den  compositis 
von  duam  angeführte  lohdiuim,  ist,  wie  ich  an  anderer  stelle  ausgeführt  habe,  aus 
den  ahd.  Wörterbüchern  zu  streichen ;  es  beruht  nur  auf  einem  in  P  copierten  feh- 
ler des  ersten  Schreibers  von  V,  der  vom  corrector  durch  rasur  gebessert  ist:  thaz 
ih  ni  .-criha  thuruh  ruam ,  swntar  hi  thin  loh  duan  =  id  quod  non  scribo  fjloriae 
cnnsa,  sed  ad  (propter)  laudem  tuam  facio  (sc.  scribo).  —  I,  4,  42  möchte  ich 
inbrusti  und  wol  auch  analusti  als  st.  ntr.  (ia- stamme)  ansetzen:  nnawäni  I,  4,  48 
ist  als  unflectiertes  adj.  zu  fassen,  gegensatz  nrwäni  v.  52. 

Sinnstörende  druckfehler  sind  s.  47''  11,  18,  23  sär  statt /ar;  s.  (30"  III,  G,  42 
io  statt  io  so. 

Doch  hier  ist  nicht  der  ort  an  einzelheiten  zu  mäkeln  oder  alle  noch  uner- 
ledigten fragen  abschliessen  zu  wollen.  Dankbar  wird  jeder  leser  Otfrids  anerken- 
nen, dass  das  vsrerk  einen  reichen  schätz  von  erklärungen  zu  dem  im  ersten  teile 
der  ausgäbe  gebotenen  texte  gibt,  und  dass  es  zugleich  durch  häufige  Verweisun- 
gen auf  die  im  zweiten  teile  enthaltene  formen  -  und  lautlehre  den  oft  vermissten 
index  derselben  ersezt,  so  dass  es  eine  höchst  willkommene  ergänzuug  der  vor  fast 
einem  vierteljahrhundert  begonnenen  Otfridausgabe  Keiles  zu  bilden  bestirnt  ist. 
Zugleich  aber  hat  es  durch  den  volständigen  abdruck  der  belegstellen  selbständige 
bedeutung  gewonnen:  auch  ohne  den  text  jedesmal  nachschlagen  zu  müssen,  kann 
sich  jeder  unterrichten  über  den  Wortschatz  Otfrids,  dessen  sin-achgebrauch  für  die 
bedeutungslehre  des  ahd.  ebenso  wichtig  ist  als  für  die  syntax  und  den  latinisieren- 
den Prosaikern  gegenüber  in  vielen  fällen  massgebend.  Und  deshalb  ist  der  titel 
,, Glossar"  zu  bescheiden;  Keiles  werk  muss  gelten  als  kern  und  grundlage  eines 
vollständigen  ahd.  Wörterbuchs. 

KÖNIGSBERG   IM   AUGUST    1879.  OSKAR   ERDMANN. 


Matthias  Lexer.  Mittelhochdeutsches  Handwörterbuch,  zugleich  als 
Supplement  und  alphabetischer  Index  zum  mittelhochdeutschen 
Wörterbuch  von  Beuecke- Müller -Zarncke.  III  bände.  Leipzig,  S.  Hirzel. 
1872.  1876.  1878.  XXIX  s.,  2268  sp.;  VH  s.,  2052  sp.;  VI,s.,  1228  und  406  sp. 
n.  66  m. 

Man   l-.aiin  wol  zwcifdliaft  sein,    ob  es   einen   sinn  liat,    ein  werk  wie  Loxers 

wörterbnch ,   das    sich   von  dem  erscheinen   der  ersten  lieforung  .an  der  zustinununff 


240  KINZEL 

der  fachgenosseii  zu  erfreuen  hatte  *  und  das  auch  sofort,  nun  alsi»  schon  seit  fast 
zehn  Jahren,  in  gebrauch  kam  und  überall  citiert  wurde,  einer  besonderen  bespre- 
chung  zu  unterwerfen.  Aber  einerseits  ist  dies,  wie  jeder  anerkennen  muss,  nicht 
unnötig,  in  ein(n'  Zeitschrift,  welche  nicht  nur  dem  speciellen  interesse  der  einge- 
weihten dienen,  sondern"  ihre  netze  etwas  weiter  werfen  möchte:  andrerseits  ist 
es  wol  schicklich,  dass  dem  manne  öffentlich  und  bcsnndcrs  dank  »^'esagt  werde, 
welcher  zwanziü"  jähre  seines  lebcns  auf  diese  arbeit  verwant  und  nun  in  zehnjäh- 
riger ausarbeitung  ein  im  wahren  sinne  des  wortes  unentbehrliches  hilfsmittel  den 
Germanisten  geboten  hat.  (Ueiche  anerkennung  gebührt  dem  nun  schon  verstorbe- 
nen veideger,  welcher  im  jähre  18G7,  nachdem  eben  (186G)  der  lezte  (11-)  band  des 
mhd.  Wörterbuches  in  seinem  Verlage  erschienen  war,  dem  Verfasser  die  ausarbei- 
tung eines  neuen  anbot,  das  zugleich  ein  al]»habetischer  iudex  und  ein  Supplement 
zu  jenem  sein  solte. 

So  liegt  nun  das  werk  seit  Weihnachten  vollständig  vor,  in  stattlicher  aus- 
stattiing  und  gutem,  klarem  druck,  zusammen  gegen  GüüO  spalten,  darunter  40G 
spalten  nachtrage.  Der  Vorzüge  gegenüber  dem  mhd.  wörterbuche  ist  viel.  Die 
l)i>nutzung  jenes  war  durch  die  eigeutiimliciu^  anordnung  des  Stoffes  nach  stammen, 
die  ja  in  besonderen  fällen  auch  ihre  vorteile  haben  konte,  ausserordentlich  erschwert: 
bei  selteneren  Wörtern  schwieriger  abstauimung  war  oft  überhaupt  nicht  festzustel- 
len ,  ob  das  wort  im  buche  verzeichnet  sei.  Dies  ist  nun  durch  die  alphabetische 
Ordnung  beseitigt.  In  den  einzelnen  artikeln  sind  die  belege,  welche  in  jenem  .ste- 
hen ,  hier  nur  durch  den  namen  des  avitors  angedeutet,  womit  nuf  das  wb.  ver- 
wiesen ist.  Für  den  benutzer  wäre  es  wol  bequemer  gewesen,  wenn  die  zahl  dem 
namen  beigefügt  wäre,  weil  man  oft  wissen  möchte,  ob  grade  die  stelle  im  wb. 
steht,  welche  zum  aufschlagen  veranlasste. 

Dies  also  die  gewiss  schon  ungeheuer  mühsame  Verarbeitung  des  materials, 
welche  das  wb.  bot,  wobei  eine  nicht  geringe  anzald  von  fehlem  und  versehen  zu 
verbessern  war.  Dennoch  hat  sich  der  Verfasser  der  polemik  gegen  das  oft  ange- 
griffene und  viel  getadelte  buch,  das  immerhin  seine  grossen  Verdienste  hat,  gänz- 
lich enthalten  und  stillschweigend  gebessert.  So  verfuhr  er  aucli  bei  der  eutwick- 
lung  der  bedeutung.  was  nicht  immer  auf  den  ersten  blick  zu  erkennen  ist.  Es 
ist  klar,  dass  dies  unter  umständen  nicht  grade  zur  leichtigkeit  der  benutzung  bei- 
der wörterbüclier  beiträgt,  zumal  da  Lexer  bisweilen  nicht  einmal  auf  die  belege 
des  wb.  hingewiesen  hat.  Man  vergleiche  z.  b.  den  artikel  not ,  welcher  im  mhd. 
wb.  zehn  spalten  nmfasst,  bei  Lexer  grade  eine.  .Teuer  ist  ausserordentlich  reich 
an  schätzenswerten  citaten,  aber  das  ziemlich  äusserlichc  einteilungsprincip  hat 
recht  auftallend  zusammengehöriges  getrent.  So  muss  man  sich  die  beispiele  für 
not  mit  gen.  obj.  in  den  Verbindungen  mir  (jeschiht  nüt ,  get  not,  ist  not,  tnot  not, 
wohin  auch  die  mit  wÄch  gtihöreu ,  aus  vielen  spalten  zusammensuchen,  während 
Lexer  wenigstens  die  eonstructinnen  zusammenstelt.  Vielleicht  wäre  es  doch  gut 
gewesen,  hier  für  die  einzelnen  fälle  noch  die  angäbe  zu  machen,  wo  im  wb.  die 
belege  zu  finden  seien.  Dadurch  gewann  der  Verfasser  allerdings  räum ,  und  darum 
mag  es  ihm  manchmal  zu  tun  gewesen  sein.  So  behandelte  er  auffallend  kurz  die 
Präpositionen.  Man  vergleiche  nach,  ein  wort  das  einer  sorgfältigen  darstellung 
bedarf  und  im  wb.  zu  wünschen  übrig  Hess.  Hier  fehlen  z.  b.  die  prägnanten  b(d- 
spiele  Parz.  15!».  IG  er  sties  den  gabylötes  stil  zno  zim  nach  der  marter  sil.     107.  10 

1)  Dessen  zwei  erste  lirferungen  wurden  in  dieser  zt.Sfhr.  II,  1870  von  Stein- 
nieyer   liesproclion. 


ÜBER    LEXER,    MHD.    WÖRTERBUCH  241 

ein  krinze  nach  der  marter  site.  119,  20  der  antlitzes  sich  hcwuc  nach  menschen 
antliUe.  Krzf.  1470  ein  bilde  nach  der,  die  sin  mit  liebe  phUic.  Wilh.  v.  Wend. 
3583  rötiu  zeichen  nach  des  krinzes  siten. 

Im  algomeinen  aber  nahmen  die  artikel  intensive  au  umfang  bedeutend  zu. 
Abgesehen  davon  ,  dass  aus  den  schon  im  wb.  benuzten  werken  eine  reihe  wich- 
tiger stellen  hinzukam,  die  zahl  der  zugänglichen  werke  war  bedeutend  gewachsen. 
Um  davon  eine  Vorstellung  zu  bekommen,  vergleiche  man  die  beiden  vorangestel- 
ten  quelleuangaben.  Aber  auch  das  bearbeitete  gebiet  ist  grösser  geworden.  Lexer 
sagt  selbst  in  der  vorrede  1,  VI:  ,,Vor  allem  habe  icli  die  im  mittelhochdeutschen 
Wörterbuche  gesteckten  grenzen  erweitert ,  indem  ich  auch  die  spräche  des  15.  Jahr- 
hunderts noch  in  den  bereich  meiner  forschung  zog,  wozu  ich  schon  durch  meine 
langjährige  bescliäftigung  mit  den  „deutschen  städteclironiken "  hingeleitet  wurde, 
und  mein  augenmerk  auch  auf  die  ungenügend  dm-chforschte  spräche  der  deutschen 
rechtsdonkmäler  und  Urkunden  richtete ,  sowie  auf  die  vocabularien  und  glossen, 
wie  sie  nameutlich  in  Diefenbachs  musterhafter,  fast  unerschöpflicher  samlung  vor- 
liegen. Sodann  war  ich  bestrebt,  die  hauptquellen  und  die  im  mhd.  wb.  nur  teil- 
weise oder  gar  nicht  benuzten  oder  während  meiner  arbeit  neu  oder  in  neuer  auf- 
läge erschienenen  quellenwerke  für  meinen  zweck  zu  lesen  und  auch  aus  den 
Varianten,  diesem  fast  gar  nicht  untersuchten  schachte,  einiges  wichtige  beizubrin- 
gen." Daneben  hat  der  Verfasser  auf  die  etymologie  sorgfältig  bezug  genommen, 
auch  in  zweifelhaften  fällen  die  verschiedenen  ansichten  erwähnt,  man  vergleiche 
den  artikel  bie. 

Es  ist  wert  und  interessant  genug ,  sich  das  eben  dargelegte  mit  zahlangaben 
vor  äugen  zu  stellen,  um  zu  sehen,  in  wie  weit  dem  buclie  der  name  Supplement 
mit  recht  zukomt.  Lexer  sagt  im  anfange  der  vorreue  zum  III.  bände:  ,,Im  laufe 
der  zehn  jähre,  welche  die  ausarbeitung  des  mittelhochdeutschen  handwörterbuchs 
in  anspruch  genommen  hat,  wurden  gegen  2U0  neue,  in  neuen  bearbeitungen 
erschienene  oder  mir  erst  später  zugänglich  gewordene  oder  in  auszügen  mitgeteilte 
werke  und  handschriften  in  den  kreis  der  quellen  und  hilfsmittel  eingereiht,  so  dass 
zu  den  circa  250  schon  im  mhd.  wörterbuche  mehr  oder  weniger  benuzten  werken 
im  ganzen  noch  ungefähr  470  hinzugekommen  sind  und  das  ,, Supplement"  nun 
(mit  einschluss  der  nachtrage)  aus  circa  34,000  neuen  artikeln  besteht." 

Am  Schlüsse  der  bände  ist  eine  reihe  von  druckfehlern ,  die  bei  einem  sol- 
chen werke  nicht  fehlen  kouten,  berichtigt.  Leider  ist  die  mühsame  arbeit  nicht 
immer  von  erfolg  gekrönt.     Folgende  „berichtigungen"  scheinen  fehlerhaft: 

Ende  des  Il.bandes:  „bd.  I  sp.  328,  2  lies  72  st.  G2."  —  „bd.  I  1825,  5  lies 
adj.  St.  adv."  —  „bd.  H,  301,  29  lies  407  st.  107." 

Umschlag  von  lief.  15:  „bd.  I  1438,  18  lies  230  st.  250." 

Umschlag  von  Hef.  17:  „bd.  I  1076,  16  lies  895,  1  st.  875,  1."  —  „1117,  11 
lies  6039  st.  163;i."  —  „bd.  II  1038,  10  lies  461  st.  401."  —  „1620,  11  lies  10133 
st.  11133." 

Ende  von  bd.  I:  125,  25  —  164,  19  -  286,  15  fehlt  „v.u.-'  —  488,  19  muss 
heissen  6074  und  6248. 

Ende  von  bd.  III:  „v.  u."  fehlt  zu  I  292,  6.  466,  9.  II  1096,  11.  —  Bei 
II  386  fehlt  8,  bei  II  1431  fehlt  27.  Bei  I  1322  muss  es  heissen  20  .st.  22,  bei 
II  1831,  15  st.  31.     Falsch  sind  1  1438.     II  615  und  II  1620. 

Folgende  nachtrage  resp.  Verbesserungen,  die  für  die  lezte  lieferung  zusam- 
menzustellen nicht  mehr  möglich  war,  mögen  zunächst  hier  ihren  platz  finden. 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.     BD.  XI.  16 


242  KINZEL 

Bd.  1,  42  ist  Alex.  3848  unter  alsamen  zu  tilgen  und  unter  alsam  zu  setzen.  — 
alzane.  allizane  Alex.  4770.  —  amie  Krzf.  3474.  —  amiral.  emmural  Krzf.  2071.  — 
emeral  1451.  —  amis  Krzf.  3133.  Wh.  v.  Wend.  1134.  1256.  1990.  —  anebös 
Krzf.  4382.  —  ane  Wlg.  234.  —  anlcern  Krzf.  3644.  —  armbrust  Krzf.  3948.  — 
art.  von  arde  vri  Krzf.  4436.  4255.  5450.  von  höher  art  275.  von  aräe  ho  394. 
G30.  —  ast.   blünder  a.  Krzf.  5575. 

ban,  swm.  Alex.  1166.  1866.  2440.  —  barez  swert  Krzf.  1970.  Alex.  3706.  — 
bart  =  barbiere  Beclist.  z.  H.  Trist.  2077.  —  141.  betiitlich  Krzf.  4680.  —  behü- 
sen  Krzf.  5571.  —  beneben  Krzf.  1991.  —  bercvrit  Krzf.  2473.  —  beruochen  Ernst 
D  4007.  —  besamenen  Krzf.  5037.  —  besit  Krzf.  7210.  —  betrafen  sich  Alex.  4824.  — 
betragen  Krzf.  4901.  —  betivungen  in  zorne  Krzf.  2573.  —  bi  c.  acc.  Krzf.  942.  971. 
2387.  2652.  —  bivelde.  pivilde  Willi.  73,  25.  —  blenken.  dar  gegen  sie  stüche  blanc- 
ten  Krzf.  2948.  —  basünen  braht  Krzf.  1381.  —  brunft  diu  rehte  H.  Trist.  2402.  — 
brvnje  (?  brunnige)  Alex.  1300.  —   bunt,  grä  unde  b.  Alex.  6069. 

I  423  diu  in8tr.  die  baz  Krzf.  2613.  —  degenliche.  degintUehe  Alex.  27(51. 
3229.  —  druc  Krzf.  2225.  —  durchlütec  Krzf.  1328.  —  düren,  tnren.  Weinscliwelg 
309.     Krzf.  4117.  6495.  4920  {timern  :  uwern). 

ebenhöhe  Krzf.  2825.  —  eidem.  auch  Schwiegersohn  Alex.  3358.  —  538  elfen- 
tiere  Alex.  6110.  —  endecUch  Krzf.  2165.  5865.  —  entwer  Ernst  D  3887.  —  ent- 
loeseyi  Ernst  D  3640.  —  erbeizen,  ,,vom  schüfe  ans  land  steigen"  Krzf.  654.  — 
erben,  manheit  erbet  üch  von  im  an  Krzf.  2547.  —  erbliugen  refl.  Alex.  Diem.  191, 
24.  —  ersprengen  Krzf.  2743.  3468.  —  ervülen  Krzf.  7542.  —  erwegen  libes  unde 
gutes  Krzf.  4158.  —  erwünsehen.  erioimschter  lip  Krzf.  4985.  —  erzagen  Krzf.  5215. 

gcberc  Krzf.  2919.  des  prts  ninder  hat  geberc  Krzf.  4271.  —  gelingen  an 
Weinschw.  81.  —  gelt  ersatz  Krzf.  4323.  —  gesament  Krzf.  4529.  —  getemere  Krzf. 
4380.  —  gevriunden  Ernst  D  3792.  —  geivcete  Alex.  5300.  Ernst  D  4903.  —  geiverf. 
gewerb  Krzf.  5799.  —  girde  Krzf.  1102.  —  glainn  Krzf.  4566.  Parz.  505,  4  auch 
glävine.  —  grözen  von  der  Schwangerschaft  Bas.  Alex.  25''.  —  güete  plur.  Ernst  D 
4495.     -  gürten  ohne  casus  Krzf.  5137. 

1143  fehlt  hager  :  mager  H.  Trist.  5110.  —  hant.  gotes  zuolcunft  nach  der 
neuwen  hant  {=  sitte,  bund)  vgl.  Anz.  f.  d.  a.  I,  19.  —  helfe,  hülfe  Krzf.  3075.  — 
1258  hermiUolZ  H.  Trist.  697.  —  hert.  Sturmes  h.  Krzf.  1390.  mütes  h.  7040.  — 
Jierte ,  kern  des  heeres,  Krzf.  3111.  4194.  —  herten,  ausdauern  Krzf.  2873.  4057.  — 
1287  fehlt  himelminne  Krzf.  5514.  —  hinnisch  tvin  vgl.  DWB.  4'^  1291.  (Anz.  f. 
d.  a.  IV,  139).  Z.  f.  d.  a.  23,  207  u.  Zs.  f.  d.  ph.  IX,  141 :  francim  et  huncsch.  — 
hiure  heute  Krzf.  6803.  —  houbetman  Krzf.  4722  fol.  —  hurt  stf.  H.  Trist.  3144. 
zum  schütze  Krzf.  2856.  —  hurt  stm.  Krzf.  4213,  6195.  mit  vollem  hurte  1925. 
2105.    hurtes  eraft  3013. 

irdisch,  erdische  lant  Alex.  1555.  man  6439.  —  itewiz.  dne  armüt  i.  Krzf. 
6523. 

kluoc  ze  strtte  Krzf.  4325.  —  krie.  krien  :  schrien  Krzf.  2218,  vgl.  4108.  — 
kristcnlichc  kint  Krzf.  2126  (=  gotes  kint,  heilige  kint ,  Ordensritter?) 

lade,  ein  lutzel  goldes  in  einer  laden  Alex.  1456.  —  lampriure  Willi.  91,  28.  — 
Idzen,  sich  von  der  arbeit  l.  Krzf.  2494.  —  lengen.  des  bat  sie  ein  herre  lengen, 
aufschieben  Krzf.  3469.  —  lichter  prls  Krzf.  4165.  —  liumunt.  an  dem  Munde 
Myst.  397,  9. 

Majestät  Krzf.  1012.  —  marc.  er  fuorte  aller  tugende  marc  üf  hehne  Wilh. 
V.  Wend.  507.   —' nuerc,  einen  ze  mere  bringen  Alex.  3928.    Trist.  8331.  —  market^ 


ÜBEK   LEXER,   MHD.   W()RTEEBÜCH  243 

handcLswaare  Krzf.  6243.  ^  marterere.  fjottes  m.  Krzf.  4(557.  —  martcr.  der  m.  not 
Krzf.  1592.  6315.  —  mcnvje.  numje  Alex.  1953.  —  mile.  wehchm  ui.  H.  Trist.  3414. 

Bd.  II.     ndcluiehürc.  herter  n.  Krzf.  3879. 

obetvenäic.  ohemvendic  Alex.  1876.  —  önichinus  Alex.  5.S88.  7()52.  —  ort 
,,  spitze,  besonders  der  waffo."  miner  lanzen  ort  Krzf.  5827.  nf  allen  or^  4564.  — 
phaffen  vürste  Krzf.  2072.  —  257  plümeKn  Krzf.  7816.  —  planJie  „bofostiguiig." 
blwnlcen  imd  wer  Krzf.  3241 . 

rcemen  Willi,  v.  Wcnd.  5007  im  reim.  --  rore  „brunnonröhre"  Ernst  D 
2453. —  rossiocmz  Bas.  Alex.  43''.  —  rüclcen  daz  swert  Krzf.  6180.  —  rum  machen 
Krzf.  6884. 

Rchorpe.  scorpiönes  Alex.  4977.  —  schuohbant  stn.  (fehlt)  Alex.  1455.  1470. 
1545  u.  ö.  — T  spellen  sich,  märclienhaft  werden,  Kud.  Alex.  15689.  (Z.  f.  d.  pli.  X, 
97).  —  stiezen  praet.  stöz  Bas.  Alex.  60''.  —  stüche  Krzf.  2948.  s.  hlenJcen.  — 
Runderlingen  Alex.  3460.  —  sivanc  adj.  Alex.  Diem.  189.  25.  —  fiivingen.  als  in 
siuche  (jewalt  swuncje  Krzf.  7727. 

tepich  Krzf.  6043.  —  tiuren  trans.  Krzf.  6266.  —  trincvaz  Krzf.  8050. 

«&er7«rt»c  Bas.  Alex.  34*^.  60''.  —  iibersitzen  Bas.  Alex.  51'".  —  uwjelocjen. 
vor  w.  Alex.  6066.  —  nngenmot  Krzf.  4897.  —  untät  Krzf.  4241.  —  untüre.  in  hat 
u.  daz  Krzf.  6627. 

Bd.  III.  versinnen.  alse  ein  kindischer  man  der  sih  tiersinnen  mit  ne  kan 
Alex.  1443.  —  ivirken.  part.  geivart  :  hart  Alex.  6390. 

1128,  zinsgeschol  (fehlt)  =  zinsere  Bas.  Alex.  40''. 

BERLIN,    OSTERN   1879.  KARL   KINZEL. 


Mittelhochdeut-sches  Taschenwörterbuch  mit  grammatischer  einlei- 
tiing  von  Matthias  Lexer.  Leipzig,  verlag  von  S.  Hirzel.  1879.  XXIII  und 
314  s.     Kl.  8.     u.  4  m. 

Wer  erinnert  sich  nicht  aus  eigner  erfalirung  dei'  Verlegenheiten ,  welche  dem 
anfänger  im  Studium  des  Mittelhochdeutschen  aus  dem  raangel  eines  brauchbaren 
Wörterbuchs  erwuchsen  ?  Hatte  man  den  Iwein  mit  seinen  trefiichon  hilfsraitteln 
überwunden ,  so  war  man  den  Irrwegen  des  grossen  mhd.  Wörterbuchs  ohne  compass 
und  Wegweiser  preisgegeben  und  stundenlange  mühe  geliörte  dazu,  sich  etwa  für 
MüUenhofPs  geselschaft  auf  ein  stück  Parzival  vorzuber*eiten,  wenn  es  überhaupt 
gelungen  war,  auf  der  königlichen  bibliothek  des  vielbegehrten  buches  herr  zu  wer- 
den. Hier  hat  nun  Lexer  durch  sein  kleines  taschenwörterbuch  abhilfe  geschaffen; 
zugleich  hat  er  aber  auch  ferner  stehenden ,  .,  historikern .  archivbeamten ,  Juristen  " 
u.  a.  ein  sehr  nützliches  hilfsmittel  geboten  und  es  ist  nicht  zu  bezweifeln ,  dass 
das  buch  weite  Verbreitung  finden  wird. 

Über  die  anläge  spricht  sieh  die  vorrede  aus:  ,,ini  ganzen  ist  es  nur  ein  aus- 
zug  meines  nun  vollendeten  mittelhochdeutschen  haudwörterbuchs ,  dessen  (und  der 
nachtrage)  hauptsächlichster  Wortvorrat  hier  in  knappster  und  doch  deutlich -gefälliger 
form  reproduciert  wird  mit  angäbe  der  bedeutungen  und  wichtigeren  syntactischen 
constructionen.  Bei  den  unzähligen  Zusammensetzungen  muste  eine  passende  aus- 
wahl  getroffen  werden"  usw.  ,, Belegstellen  und  etymologische  erklärungen  wur- 
den grundsätzlich  ausgeschlossen  und  mundartliche  nebenformen  nur  ausnahmsweise 
angegeben."  Das  lezte  dürfte  vielleicht  in  ausgedehnterer  weise  wünschenswert 
gewesen  sein,  da  es  doch  nicht  leicht  ist  etwa  ciiieral,  emmaral  nntor  amiral  (s.  3) 
zu  suchen.     Auch   sonst   sind    werte  ausgelassen,    die   wir   ungern   vermissen,    wie 

16* 


244  KUMMER 

s.  7  aspinde ,  afipis ,  weil  sie  bei  Wolfr.  vorkommen.  Doch  das  sind  kleiiiigkeiteu; 
Lexer  wird  seine  gründe  auch  für  sie  gehabt  haben  und  wo  dieselben  sich  nicht 
stichhaltig  erweisen,  wird  eine  neue  aufläge  des  buches  gelegenheit  geben,  abände- 
rungen  zu  treffen  und  etwaige  versehen  (wie  s.  7  äspi-ceche,  Handwb.  I,  101  äs2)rä- 
che,  s.  XIII  congugation)  zu  bessern.  Viele  mängel  kann  in  solchem  falle  erst 
Längere  benutzung  herausstellen:  es  ist  wünschenswert,  dass  der  verf.  dann  darauf 
aufmerksam  gemacht  wird. 

Dem  Wörterbuche  geht  auf  etwa  17  selten  eine  grammatische  einleitung 
voran,  welche  nach  der  vorrede  besonders  für  die  schule  bestimt  ist  und  einem 
,, mehrfach  ausgesprochenen  wünsche"  ihren  Ursprung  verdankt.  Wir  wollen  uns 
hier  auf  pädagogische  fragen  nicht  weiter  einlassen ,  glauben  uns  aber  zu  der  bemer- 
kung  veranlasst,  dass  weder  das  Wörterbuch  noch  diese  einleitung  für  die  schule 
passen.  Ehe  dürften  wir  sie  mit  recht  manchem  gymnasiallehrer  empfehlen ,  der 
berechtigt  ist,  in  allen  klassen  deutschen  Unterricht  zu  geben.  Auch  können  wir 
nicht  finden ,  dass  ein  bedürfnis  nach  solcher  einleitung  für  die  schule  vorhanden 
war.  Martins  kürzere  und  elementarere  darstellung  in  seiner  mhd.  grammatik  nebst 
Wörterbuch  zu  der  Nibelunge  Not,  Walther  von  der  Vogelweide  und  Laurin  genügt 
unsres  erachtens  volkommeu.  Damit  soll  die  einleitung  an  sich  nicht  verurteilt 
sein,  sondern  ihr  zweck.  Wir  sind  überzeugt,  dass  sie  manchem  anfänger,  sei  er 
nun  gymnasiallehrer,  historiker  oder  Jurist,  eine  wilkommene  zugäbe  ist. 

So  können  wir  uns  dem  wünsche  des  Verfassers  anschliessen ,  ,,dass  es  dem 
buche  gelingen  möge,  dem  eingangs  erwähnten  bedürfnisse  abzuhelfen,  die  gehoff'- 
ten  dienste  zu  leisten  und  auch  dem  mhd.  handwörterbuch,  dem  es  sein  dasein 
verdankt,  neue  freunde  zu  erwerben." 

BERLIN,   MAI    1879.  KARL   KINZEL. 


Altdeutsche  Predigten  aus  dem  Benedictinerstifte  St.  Paul  in  Kärn- 
ten. Heran  sgegeben  von  Adalbert  Jeitteles.  Innsbruck  1878.  XLIII  und 
188  selten.  (Auch  u.  d.  t. :  Altdeutsche  hau  dschriften  aus  Österreich, 
l.band.)     u.  m.  5,20.  ^ 

Die  ziemlich  umfangreiche  deutsche  litteratur  Kärntens  bis  zum  schlus.se  des 
XII.  jh.  erfährt  durch  die  eben  genanten  predigten  aus  St.  Paul  eine  ansehnliche 
bereicherung. 

Die  hier  veröffentlichten  predigten  waren  bisher  nur  dui-ch  zwei  proben 
bekant;  die  erste  steht  in  den  altdeutschen  blättern  von  Haupt  und  Hoffmann 
II.  bd.  s.  159  (Leijizig  1840),  die  zweite  im  Anzeiger  für  deutsches  altertum  IL  bd., 
s.  202  (Berlin  1876),  veröffentlicht  von  Schönbaeh.  Der  eben  genante  gelehrte  hat 
auch  die  textangaben  der  St.  Pauler  predigten,  nach  den  Seitenzahlen  der  hdschr. 
citiert,  zu  Steinmeyers  vortreflichem  Verzeichnisse  deutscher  predigten  im  Anz.  11, 
228  —  234  beigesteuert. 

Herr  bibliothekar  Jeitteles,  dem  wir  bereits  mitteldeutsche  predigten  ver- 
danken (Germania  XVII  und  Wien,  Gerold,  1872),  macht  die  freunde  der  altdeut- 
ßchen  prosalitteratur  mit  einem  sprachlich  und  inhaltlich  sehr  interessanten  vater- 
ländischen dcnkmale  bekant. 

1)  Diese  besprechunp,-  der  von  herrn  Jeittele.?  herausgegebenen  St.  Pauler  pre- 
digten gelangte  an  mich  als  die  in  bd.  X  s.  238  fgg.  mitgeteilte  von  herrn  professor 
I?ech  sich  bereits  im  drucke  bofmd.  Als  reohtfertigung  auch  ihrer  aufnähme  wird  die 
fülle  der  in  ihr  enthaltenen  positiven  tatsachen  gelten  dürfen.  J.  Z. 


ÜBER  ALTD.  PRED.  ED.  JEITTELES  245 

Er  liat  die  gepllogcnhoit  der  meisten  auf  einer  lis.  beruhenden  predigtaus- 
gabfU,  den  text  diplouiatisch  genau  abzudrucken,  aufgegeben  und,  gestüzt  auf 
sorgfältige,  in  einer  umfangreichen  einleitung  (s.  XII.  XIV.  XIX  —  XXXllI)  sowie 
in  anmerkungen  (s.  141 — 181.  189)  und  Wörterverzeichnis  (s.  182  — 187)  nieder- 
gelegte beobachtung  des  Sprachgebrauches,  einen  gefälligen  leicht  lesbaren  te,xt 
herzustellen  sich  bemüht.  Wer  die  St.  Pauler  jiredigten  für  Studien  zur  geschichte 
der  deutschen  predigt  und  der  theologie  des  mittelalters  benüzt,  wird  dem  herru 
herausgeber  für  seine  beraühung  danken,  und  wer  zu  sprachlichen  Studien  auf  den 
ursprüuglichen  text  in  seinen  einzelheiten  zurückzugehen  genötigt  ist,  findet  alles, 
was  Jeitteles  gelesen  und  wie  er  gelesen,  in  den  LA.  verzeichnet. 

Es  sei  mir  gestattet,  einiges  von  dem  was  mir  bei  eingehender  beschäftigung 
mit  den  St.  Pauler  predigten  der  weiteren  erörterung  bedürftig  erschien ,  in  kürze 
zu  erwähnen. 

1.  Heimat  und  alter  der  handschrift.  Eine  handschrift  aus  der  im 
jähre  1085  gestifteten  Benedictinerabtei  St.  Paul  im  unteren  Lavantthal  niuss  nicht 
von  allem  anfang  an  für  südostdeutsch  gehalten  ivcrden,  denn  einmal  waren  an 
der  Stiftung  selbst  Hirschauer,  also  alemannische  monche  beteiligt  (Arch.  d.  Gesch. 
Ver.  f.  Kärnten  7,  52),  und  dann  ist  das  kloster  1809  neuerdings  von  niönchen 
aus  St.  Blasien  im  Schwarzwalde  bestiftet  worden  (Vorr.  s.  XIII). *  Die  handschrift 
weist  indess  unverkenbar  den  bairisch- österreichischen  dialekt  mit  den  dem  Süd- 
osten, dem  nachmaligen  Inrnr- Österreich,  eigenen  erscheinungen  auf  und  wird 
demnach  wol  dort,  wo  sie  noch  aufbewahrt  wird,  auch  entstanden  sein.  Das  geht 
sowol  aus  der  kurzen  Zusammenstellung  ihrer  dem  bair.  -  österr.  dialekte  angehö- 
rigen  eigentünilichkeiten  (vurr.  XIII  —  XV),  als  namentlich  aus  eiuer  vergleichuug 
mit  der  gleichzeitigen  kärntnischen  litteratur  hervor.  Dass  der  herr  heraus- 
geber  leztere  verhältnissmässig  weniger  herangezogen  —  er  beschränkt  sich  darauf, 
nahe  verwantsi  haft  zwischen  den  St.  Pauler  pred.  und  den  bei  Hoffmanu,  Pgr.  J, 
70—  126  aus  einem  Wiener  codex  abgedruckten  predigten  des  XIII.  jh.  nachzuwei- 
sen —  mag  darin  seinen  grund  haben ,  dass  derselbe  das  von  ihm  bearbeitete  denk- 
mal  für  bedeutend  jünger  als  die  stattliche  geistliche  litteratur  Kärntens  hält. 

Über  das  alter  der  handschrift  liegen  mir  drei  angaben  vor:  Haupt  in 
den  altd.  Bl.  II,  159  gibt  das  XIII.  jh.  an;  Schönbach  im  Anz.  II,  169  weist  sie 
mit  ausdrücklicher  bezugnahme  auf  Haupts  angäbe  dem  XII.  jh.  zu;  Jeitteles  erklärt 
sie  ,in  palaeographischer  beziehung  durch  nichts  verschieden  von  den  besten  hand- 
schriften  des  XIII.  jh."  (s.  XI)  und  spricht  sie  (s.  XII)  ,,jedenfals  noch  der  grenz- 
scheido  des  XIII.  oder  höchstens  dem  ersten  viertel  des  XIV.  jh."  zu. 

Den  herrn  herausgeber  hat  zu  dieser  vordatierung  seines  denkmals  hauptsäch- 
lich ,,die  vielfach  beliebte  abschleifung  der  flexionen  und  der  häufige  durchbruch 
der  diphthonge  ei  =  i,  eu  ^  iu"  bewogen.  Diese  und  wol  einige  andere  anhalts- 
punktc  ,,  vorgeschrittener  beschaifeuheit"  —  so  vielleicht  auch  die  häufige  Verwen- 
dung von  s  für  s  und  umgekehrt ,  sowie  von  ss  für  Z2  und  die  häufige  consonan- 
tcngemination  nach  liquiden  und  vocallänge  (s.  XXVI)  —  gegenübergehalten  den 
vielen  altertümlichkeiten  in  spräche  und  anläge  (s.  XII  fg.) ,  veranlassten  ihn  dann 
auf  eine  ältere  vorläge  zu  schliesseu  (s.  XIII). 

1)  Man  vergleiche  die  von  Holder  in  Saublasianer  Codices  zu  S.  Paul  aufgefun- 
denen Augsburger  glosscn,  bruchstücko  aus  Notkers  psalter,  Glossae  Sanblasiaaae, 
Glossen  zum  Lucasevangtiium  (G  XXI,  1,  129,  135,  332).  Ferner  erinnere  man  sich 
daran,  dass  Roediger  (Zs.  XX,  317)  für  die  Millstätter  Süudenklage  (Kar.  Spr.  D 
47  —  67)  alemannische  grundlage  auiielimen  möchte. 


246  Kummer 

AYcnn  die  zügc  der  handsclirift  geübte  betracliter  zu  so  bedeutenden  dilferen- 
zen  in  der  datierung  führten,  so  blieb  dem  leser  der  ausgiibo  wol  nichts  übrig 
als  die  si^racbe  der  handschrift  und  ihre  lautgebung  mit  diplomatisch  getreuen 
abdrücken  bereits  datierter  deiikmäler  gleicher  herkunft  zu  vergleichen.  Wenn  sich 
aber  alle,  auch  die  wenigen  auf  spätere  niederschrift  hindeutenden  eigeutümlich- 
keiten  in  kärntnischen  oder  doch  innerösterreichischen  denkmälern  des  XII.  Jahr- 
hunderts nachweisen  lassen ,  und  der  äussere  umfang  der  predigten  sowie  die  vor- 
angeschickten katechetischen  stücke  auf  eine  ältere  periode  der  deutschen  predigt 
hinweisen  —  man  vgl.  die  von  Jeitteles  s.  XIII  angezogene  stelle  aus  Wacker- 
nagel, Pred.  8.  333  fg.  — :  so  wird  hiermit  die  datierung  Schönbachs  als  richtig 
erwiesen. 1 

Folgende  denkmäler  des  XI.  und  XII.  Jahrhunderts  sind  uns  aus 
Kärnten  erhalten:  Wiener  Genesis  c.  1070,  Fgr.  II;  Adelbrechts  Johannes  der  Täu- 
fer, S.  Veit,  XU.  Jh.,  Mone  Anz.  VIII;  Heinrichs  Litanei,  1161  —  77,  Fgr.  II, 
(Zs.  XIX,  340);  Wurmsegen,  XII.  Jh.,  MSD.  XL VII,  2B;  Millstätter  Predigten, 
XII/XIII.  jh. ,  Mone  Anz.  VIII;  Millstätter  Blutsegen,  leztes  viertel  des  XII.  jh., 
MSD.  XLVII,  1:  Lambrechter  Mariensecjueuz ,  leztes  viertel  desXILjh.,  MSD.  XLI: 
Vom  Eechte,  XII.  jh. ,  Karajan  Sprachdenkmäler  (QF.  XII,  51):  Die  Hochzeit, 
XII.  Jh.,  K. Sprd.;  Exodus  Fgr.  II;  Prosaischer  Physiologus,  Fgr.  I;  Poetischer 
Physiologus  der  Millstädter  hs.,  K.  Sprd.;  Millstätter  Genesis  und  Exodus  vor 
mitte  des  XII.  jahi-hunderts ,  Diemer,  Genesis  und  Exodus  (QF.  XII,  51);  Mill- 
stätter Sündenklage,  K.  Sprd.,  Zs.  XX;  Paternoster  1120/30,  MSD.  XLIII;  Von 
der  Siebenzahl,  MSD.  XLV,  A.  (Anz.  I,  68);  (Zukunft  nach  dem  tode,  K.  Sprd.) 
(QF.  Vn,  26);  Vorauer  Genesis,  Diemer  Deutsche  Gedichte  (Anz.  I,  69);  Josef  in 
Ägypten,  Diemer  Beiträge  V  (QF.  VII,  75);  Moses,  Diem.  D.  G.  (Anz.  I,  68); 
Marienlob  MSD.  XL  (QF.  VII,  49);  Balaam ,  Diem.  DG.  (Anz.  I,  69);  Die  Wahrheit, 
Diem.  DG.  (QF.  VII,  54);  Priester  Arnold,  Diemer  DG.  (QF.  VII,  89);  Lambrechtcr 
Breviarien  1150  —  1190,  Zs.  XX  (ebda  130.  186);  Kärntnische  Predigten,  XII.  jh., 
Wackernagel,  Pred.  XXI -XXVI  und  Fgr.  I,  66  —  68,  (Anz.  II,  217).  —  In  diesem 
Verzeichnisse,  das  auf  Scherers  Untersuchungen  in  QF.  I,  (bes.  s.  64),  VH,  XII 
(44 — 54),  sowie  auf  Eoediger  in  Anz.  I,  (s.  68  fg.)  zum  grösseren  teile  beruht, 
gibt  der  erste  nachweis  den  zur  vergleichung  benüzten  druck,  der  zweite  die  für 
alters-  oder  heimatsbestiiumung  massgebende  stelle  an.  Mit  einbezogen  sind  auch 
denkmäler  aus  angrenzenden  teilen  Steiermarks  (S.  Lambrecht),  weggelassen  nur 
einige    kleinigkeiten   aus  den  neueren  bänden  der  Zs.  f.  d.  altert. 

Die  vocalischen  eigentümlichkeiteu  der  St.  Pauler  hs.  nun  (s.  XIX — 
XXIII)  lassen  sich  sämtlich  in  den  angeführten  denkmälern  nachweisen ,  bald  zu 
grösseren ,  bald  zu  kleineren  grujipen  vereinigt ;  namentlich  nahe  stehen  die  Mill- 
stätter- und  die  von  Steinmoyer  für  Kärnten  vindieierteu  predigten  (Wackern.  XXI  fg., 

1)  Dabei  bleibt  Jeitteles  annähme  einer  älteren  vorläge  aufrecht;  ja  sie  wird 
durch  gewisse  falsche  LA. ,  welche  sich  am  einfachsten  als  irrtümliche  Auflösung  von  com- 
pendieu  erklären,  gefordert:  44,  ;<  bereitte  für  bereitet.  45,  26  ivarre  iüx  tvarer.  54,  17 
Wonne  für  wonen  (l.  pl.  conj.)  68,  24  rvfte  für  ruofet,  vgl.  anm.  z.  73,  27.  Als 
falsch  gelesene  und  verschriebene  corapcndieu  oder  anfangsbuchstaben  dürften  auch  die 
bit.  texte  18,  2.'5  obstetricum  vice  con.  a.  tj.  (V o'  und  53,  25  et  prophele  mwtuis 
augesehen  werden.  Hätte  der  herr  herausgeber  auch  die  conipeuilicn  der  von  ihm  in 
den  text  gesezten  lat.  citate  in  den  LA.  gegeben,  so  könte  man  vielleicht  die  art  der 
entstehung  jener  buchstaben  (18,  23)  ers(-hlicsseu. 


ÜBER    ALTl).    PRED.    ED.    JEITTELES  247 

Fgr.  I,  66  t'g- ) ,  sowie  die  oben  angeführten  gedichte  der  Vorauer  lis.  Um  von 
durchgängigen  Übereinstimmungen  abzusehen  ,  belege  ich  Wechsel  von  ue  und  e  (s.  XX) 
mit  MSD.  XLI,  2  ce  seiden,  Mune  Anz.  VIII,  411  fg.  iveren,  spreche,  hel/crc, 
■wef/ere;  a  für  o  mit  Fgr.  II,  82  muhte,  83  ruwe,  Diem.  DG.  50  raice,  73  viahte; 
e  für  ei  mit  MSD  XLIIl,  11  heliyen  nach  der  Innsbr.  hs.,  XLVII,  1  hcUr/o,  Kar. 
Sprd. 5  hede;  ü  für  m  mit  Mono  Anz.  VIII,  48  geivten ,  Wackern.  39  luten;  ai,  ei 
für  ae  (s.  XXI)  mit  Diem.  Gen.  Ex.  89  meien,  Jos.  928  (Diem.  Beitr.  V,  37)  sailde; 
aei  für  ai  mit  Diem.  DG.  88  fraeisliche  enhaeiii;  eu  im  iu  (s.  XXII)  mit  Diem. 
DG.  8  deu,  elleu,  50  deumüte ,  51  edclett,  liehen,  73  heu;  o  für  ou  (s.  XXIII)  mit 
Fgr.  I,  66  oh,  67  ogeti,  Fgr.  II,  13  hlhit,  Diem.  Gen.  Ex.  15  trot;  ue  für  uo  mit 
Kar.  Sprd.  26  hcrmüede ,  Diem.  Gen.  Ex.  75  muedir.  Nur  von  der  diphthongiernng 
des  i ,  die  in  der  ersten  hälfte  der  St.  P.  Pred.  sehr  sparsam  (z.  b.  4,  11  fg.  Epi- 
phania,  14,  26  Dom.  IV.  in  Adv. ,  30,  24  fg.  de  innocent.),  später  häutiger  ist 
(s.  XXI) ,  halten  sich  die  oben  zusammengestelten  denkmäler  frei  mit  ausnähme  der 
Lambr.  Brev, ,  auf  die  ich  zurückzukommen  gedenke.  Umgekehrt  zeigen  unsere 
Predigten  im  ursprünglichen  texte  kein  ou ,  au  für  ü,  wol  aber  in  den  späteren 
Zusätzen. 

Gleiche  Übereinstimmung  findet  in  der  conso  nantenbezeichnung  statt; 
auch  hier  sollen  aus  den  s.  XXIII — XXVI  zusammengestelten  eigentümlichkciten 
nur  einige  weniger  häufige  erscheinnngen  belegt  werden:  j/t  statt  h  vor  Z>  (s.  XXIII) 
Diem.  DG.  280  umhuric;  b  für  ja  im  anlaut  Diem.  DG.  304  buluer;  p  für  h  im 
anlaute  Fgr.  II,  \2  päre,  perchteler,  1^  pilidi  pittir  peinin,  S2p)eren,  Mono  Anz. 
VIII,  48  preitte,  Mone  Anz.  VIII,  411  p^-ot,  529  piirli ,  Diem.  DG.  8  plint ,  48  perc, 
51  pitter;  v  für  h  (s.  XXIV)  Mone  Anz.  VIII,  411  aver,  Diem.  DG.  50  iverfen, 
Wack.  39  aue ,  41  werue,  42  ivarfe,  Fgr.  1,  67  weruaere  weruen,  67  au;  d  vor  w 
Diem.  Beitr.  V,  24  divügen;  t  für  d  im  anlaut  Mone  Anz.  VIII,  48  getvten;  t  für  d 
nach  liquiden  MSD.  XLI,  20  loiwte,  Mone  Anz.  VIII,  411  ivunter,  ente,  Diem.  GEx. 
90  gesunie ,  laute,  Kar.  Sprd.  9  schaute,  Diem.  DG.  11  ivurten;  k  für  g  im  anlaute 
Mone  Anz.  VIII,  424  kclegit,  Diem.  Beitr.  V,  48  inkuUe;  h  im  auslaut  und  inlaut 
für  ch  (s.  XXV)  Mone  Anz.  VIII,  47  ensprehest,  noh,  411  tvaJisene ,  enphclhen, 
529  durh,  Wackern.  40  enzoh ,  doh,  nah,  oiih ,  41  ansih,  Fgr.  I,  66  oh ,  67  sihtüm, 
Diem.  Beitr.  V,  48  iah  mihel  zehrah;  e  für  z  MSD.  XLVII,  1  ce,  Mone  Anz.  VIII, 
411  cruce.  Wackern.  39  cite ,  41  hince,  Fgr.  I,  66  hercen ;  consonantengemination 
kann  nicht  in  dem  umfange  wie  in  S.  P.  Pred.  i^s.  XXVI)  belegt  Averden ,  nur  ff'  iu 
Fgr.  II,  11  rüffe,  Kar.  Sprd.  4  begriffet,  ss  Fgr.  II,  13  icahsse,  Diem.  DG.  69,  zz 
sehr  häufig  in  Fgr.  II ,  Kar.  Sprd.,  Wackeru.  und  Fgr.  I,  Diem.  DG.  Nur  s  für  z 
und  SS  für  zz  (s.  XXVI)  ist  in  den  erwähnten  denkmälern  nicht  nachzuweisen,  oder 
höchstens  sehr  vereinzelt:  man  vgl.  Fgr.  I,  66,  4  das  luas  ir  gebet  taegelichef  hince 
unferm  herren,  68,  3  daz  rehtes  geriht  ze  allem  cite  uuoret  dar  nah.  Weinhold  in 
der  b.  G.  §  151  führt  zu  s  für  z  erst  späte  belege  an  und  sezt  m.  G.  §  186  den 
eintritt  von  ss  für  z  für  die  mitte  des  XIII.  Jahrhunderts  fest;  erst  dem  XIV.  Jahr- 
hundert spricht  er  zz  für  ff  und  z  für  s  zu  (b.  G.  152.  153).  Um  das  höhere  alter 
dieses  auf  ähnlicher  ausspräche  beruhenden  wechseis  nachzuweisen,  genügt  es  auf 
MSD.  294  (z.  X,  27  daez  für  des),  300  (z.  XI,  21  erbarmedes),  484  (z.  dem  bair. 
sogen  aus  dem  XL  jh.  s.  483) ,  608  (z.  XCIII,  4  das)  zu  verweisen ;  aber  den  unmit- 
telbaren beweis ,  dass  dieser  Wechsel  der  zeit  und  heimat  der  S.  P.  Pred.  nicht 
fremd  war,  bieten  wider  die  Lambr.  Brev.  In  der  zeitlichen  abfolge  derselben 
(Zs.  XX,  186)  weist  zuerst  das  IV.  breviar  (ebda  157  fg.)  in  den  älteren  Überschrif- 
ten ,    die  auch  sonst  viel  mit  unseren  S.  P.  Pred.  gemein  haben    (z.  b.  i  für  e ,    eu 


248  KUMMER 

für  iu,  iie  für  ao;  f  für  h,  c  für  z,  gemination  von  ff,  nn)  aber  noch  kein  ei  für  i 
zeigen,  „s  für  z  oft,  noch  häufiger  ss  für  zz''  auf;  schon  die  jüngere  interliuear- 
version  desselben  broviers  (s.  159)  bringt  dann  ei  für  t,  und  so  fallen  denn  die 
meisten  der  von  Schönbach  (ebda  187)  zusamniengestelten  eigentümlichkeiten  jeuer 
breviere  mit  den  Schreibweisen  unserer  S.  P.  Pred.  zu-ammen. 

Braucht  bei  so  zahlreiclien  nachweisen  noch  auf  einzclheiten  hingewiesen 
zu  werden,  wie  auf  das  häufige  o  der  flexionen  (s.  XII  anm. :  W.  Gen.,  Pr.  Adelbr., 
DM.41,  Kar.  Sprd.,  Millst.  Pr.),  auf  den  zwischenvocal  nach  l  (23,  7  uertiligea, 
51,20  Walichen:  Wackern.  Pred.  40  enphalich ,  vgl.  auch  Zs.  XX,  157),  auf  e  beim 
st.  praet.  (A.  z.  104,  27:  Wackern.  Pred.  40  gienge,  41  uanäe ,  42  icarfe,  vgl.  auch 
Wcinholds  abh.  ebda  s.  450)  auf  Mete  (s.  XIV:  Millst.  Pred.,  Wackern.  Pred. ,  vgl. 
auch  Steinmeyer  Anz.  II,  217)  auf  diu  zale  (anra.  z.  11,  12:  Millst.  Gen.,  Millst. 
Pred.)  u.  a.? 

2.  Über  die  sprachliche  einleituug  kann  ich  mich  kürzer  fassen,  da  ich 
hier  nur  wünsche  auszusiirechen  habe.  Der  herr  herausgeber  hat  ausser  der  bereits 
erwähnten  lautlehre  noch  apokope,  synkope  und  inclination  ausführlich  (s.  XXVII  — 
XXXIII),  dann  wider  aus  der  syntax  den  gebrauch  der  adjectiva  im  zusammen- 
hange behandelt  (XXXIII  —  XLIII).  Hier  treten  wichtige  eigentümlichkeiten  des 
bairisch  -  österreichischen  dialectes  an  unserm  denkmale  zu  tage;  man  vgl.  über  das 
flexionslose  schwache  adjectiv  Eoediger  zur  Litanei  (Zs.  XIX,  299),  über  das  starke 
adj.  nach  dem  artikel  Schönbach  zu  Lambr.  Brev.  (Zs.  XX,  187,  1).  Ich  habe  in 
dieser  partie  ausser  einigen  fehlenden  belegen  wenig  nachzutragen:  z.  s.  XXII,  a. 
Statt  auf  die  zum  grösseren  teile  nicht  in  Kärnten  abgefassten  Urkunden  des  Codex 
austriaco  -  frisingensis  (Pontes  rer.  austr.  IL  abt.,  bd.  XXI  u.  fg.)  hätte  ich  auf  das 
urkundenbuch  von  S.  Paul  (Ders.  samml.  bd.  XXXIX)  verwiesen ,  welches  in  den 
namen  des  XII.  jh.  bereits  die  unseren  predigten  eigenen  Wandlungen  von  ei  in  ai, 
iu  in  eu,  i  in  ie  (s.  95  Vriberg ,  bald  darauf  vrieherg  J.  1192;  z.  MSD.  586)  auf- 
weist. —  S.  XXIV  fehlt  g  als  bildungsconsonant  in  gevriget  55,  18:  a.  Gr.  215, 
b.  Gr.  178.  —  S.  XXXVII  wären  aus  den  beispielen  für  das  st.  adj.  nach  dem 
pers.  pron.  (ich  vil  armer  chneht  110,  1)  die  mit  dem  gen.  ir  auszuscheiden.  — 
Die  ganze  flexion sichre  und  wichtige  teile  der  Satzlehre  sind  teils  gar  nicht 
zur  darstellung  gekommen^  teils  in  den  anmerkungen  besprochen  worden,  was  um 
so  mehr  zu  bedauern  ist,  als  in  den  lezteren  das  zusammengehörige  nicht  immer 
beisammen  steht,  und  auch  ein  register  fehlt.  In  der  verbalflexion  verweise  ich 
besonders  auf  die  III.  p.  pl.  praes.  ind.  auf  -en  statt  -ent  (anm.  z.  10,  27.  65,  7. 
78,  28.  111,  2.  123,  6;  zu  den  hier  gesammelten  beispielen  gehört  noch  3,  16 
halsen ;  Weinhold  bG.  285  und  mG.  379  führt  nur  Diem.  DG.  284,  23  bergen  und 
dann  erst  zahlreiche  beispiele  aus  Suchenwirt  an).  Geradezu  bunt  geht  es  in  der 
nominalflexion  her :  nicht  wenige  subst. ,  die  im  guten  mhd.  stark  gebraucht  wer- 
den, sind  hier  schwach,  und  umgekehrt;  die  adjectivfiexion  ist  aus  rand  und  band: 
der  starke  dativ  masc.  zeigt  -en  statt  -em,  z.  b.  12,  16.  13,  28.  14,  8.  11,  was 
auch  im  texte  beizubehalten  gewesen  wäre;  dafür  ist  die  pronominale  endung  -em 
auf  ein  subst.  übertragen  2,  15  herrem ,  was  uns  erst  in  Urkunden  des  13.  jh. 
begegnet;  das  st.  fem.  zeigt  im  nom.  sg.  e  statt  tn  9,  19  A.  z.  54,  24,  im  acc.  iu 
statt  e,  A.  z.  41 ,  2  (auch  die  S.  Gallner  Pred.,  Germ.  VII,  haben  das  s.  343  so 
hat  er  volkomniu  riuive  gehcpt);  das  neutr.  pl.  hat  e  statt  iu,  A.  z.  17,  16;  das 
schw.  adj.  zeigt  schon  im  nom.  sg.  -en,  53,  4  diu  engelischen  sptse.  Dass  diu, 
die,  di  ebenso  gut  neben  einander  stehen,  (53,  17)  als  st.  und  schw.  oder  flexions- 
loses adjectiv,    hat  J.  widerholt  angemerkt.    Man  wäre  versucht,    manches  hievon 


ÜBER    ALTD.    l'UED.    ED.    JEITTELES  249 

als  Schreibfehler  auzusehen  und  mit  J.  in  die  LA.  zu  verweisen;  da  aber  die  syu- 
tax  ebenso  abwechslungsreich  ist,  so  wird  wol  eben  diese  ungleichniässigkeit  als 
charakteristicum  des  deukmals  gelten  müssen  und  zu  bewahren  sein.  Hinter  col- 
Icctivischem  singular  ist  }ilural  bäuiig:  Anm.  z.  35,  8;  dazu  noch  12,  20  manigen 
mennischen  ...,  di  davor  hlint  ivärn.  45,  13  diu  heidenschaft  diu  loas  als 
Dcste  daz  si  gevangen  ivären  u.  a.  Singular  des  praed.  bei  plural.  subj.  ist  mit 
zahlreichen  beispieleu  in  den  anm.  z.  35,  7.  53,  21.  58,  30.  131,  30.  135,  1  belegt. 
Das  natürliche  geschlecht  tritt  an  stelle  des  grammatischen  (A.  z.  116,  29.  122,  3), 
z.  b.  31,  24  elliu  diu  chindelin,  di  ze  B.  waren.  Zur  ersten  beobachtung  vgl. 
mau  G.  YII,  342  sit  daz  got  deJcein  ding  hazzet,  die  er  geschaffen  hat,  zur 
dritten  Mone  Anz.  VIII,  414  do  vurhter  daz  ein  leint  geborn  were,  der  in  .  .. 
rerstieze.  Das  relativ  wird  attrahiert  31,  17  dö  hat  er  di  giviset  %vären  (das  in  der 
anm.  angeführte  beispiel  aus  Kudr.  412  iver  sint  die  sitzen  hie,  passt  nicht,  da 
hier  beide  prou.  im  gleichen  casus  stünden) ,  selbst  ausgelassen  16,  21  daz  di  vische 
dar  in  ivären  .  .,  stürben;  vgl.  Mone  Anz.  VIII,  414  Ir  mine  holden,  ir  da  arbeit 
unde  not  in  dirre  werlt  habet  erliten ,  ich  teil  iu  Ionen.  Gemischte  constructionen 
und  kühne ,  mehr  dem  gesprochenen  worte  als  der  schriftlichen  darstellung  eigene 
Übergänge  sind  zahlreich;  man  füge  zu  den  in  den  Anm.  z.  28,  23.  43,  16.  48,  2. 
61,  12.    85,  25.   129,  16  aufgezählten  noch  25,  2  und  die  ellipse  von  suln  41,  12. 

Über  die  glossen  und  correcturen  der  handschrift  spricht  J.  s.  XI;  von 
den  „erweiternden  glossen"  soll  später  die  rede  sein;  die  erklärenden  aber  geben, 
wenn  man  sie  zusammenträgt,  ein  höchst  beachtenswertes  Verzeichnis  von  aus- 
drücken, die  zu  einer  gewissen  zeit  nicht  mehr  verständlich  oder  üblich  waren. 
Falls  diese  alle  der  gleichen  band  gehören  und  die  zeit  der  lezteren  sich  bestim- 
men lässt,  gewiut  man  durch  sie  —  sie  sind  zahlreich  und  ich  habe  mii-  von 
s.  1  —  70  über  vierzig  notiert  —  für  eine  bestirnte  gegend  und  zeit  einsieht  in  den 
wandel  der  bedeutungen  und  die  abnutzung  des  sprachmaterials.  Häufig  freilich 
vertauschen  sie  nur  die  ältere,  sinliche,  concreto  ausdrucksweise  mit  einem  mehr 
abstracten,  gewöhnlichen  worte,  z.  b.  65,  26  chrimmiger,  darüber  zorniger.  Mit 
einigen  belegen  für  den  bild  err  eich  tum  der  predigten  und  mit  dem  bedauern, 
dass  nicht  auch  diesem  ein  kleines  capitel  der  einleitung  geworden  ,  schliesse  ich 
diesen  abschnitt;  zahlreiche  bilder  liefert  der  kämpf,  z.  b.  19,  26  fgg.  volchwich, 
brunne ,  20,  3  versniden,  halsperg,  25,  10  vleischliche  briinne,  48,  21  halsperge 
siner  erlösunge,  65,  21  halsjierge  alles  rehtes  (vgl.  Corinth.  2,  6,  7  arma  iustitiae) ; 
menschliche  Wohnungen:  55,  3  di  breiten  hon/pstat  der  himlischen  freuden  und  die 
schönen  tveide  .  .  in  smein  paradisö,  67,  2  a}is^<ler  grede  des  rehten  gelouben; 
39,  25  nachvolgen  ir  vuozspar,  so  si  umbeblicke ,  daz  si  iht  einge  {chirchJcanch 
unser  frowen);  die  pflanze:  66,  23  ir  saelde  .  .  .  muge  geivurzen;  usw. 

2.  Meine  vorschlage  zur  richtigsteUung  eines  teiles  des  textes  (s.  1  — 
70)  gelten  zunächst  den  Zusätzen  über  dem  handschriftlichen  texte  („er- 
weiternde glossen"  s.  XI).  Ob  in  beziehung  auf  diese  consequenz  hersche  oder 
nicht,  ist  dem  beurteiler  des  buches  schwer  zu  entscheiden,  da  nicht  jedesmal 
bemerkt  ist,  ob  die  glosse  von  gleicher  oder  späterer  band  stamme.  Manchmal  ist 
die  aufnähme  eines  derartigen  Zusatzes ^  allerdings  nötig,  z.  b.  46,  2  Des  erchom 
si  vil  sere  und  versucht  aver  ir  heil  und  {do  si  sach  daz  if)  niht  davor  half,  dö 
ivarf  si  .  .  .;  zuweilen  überflüssig:  18,  27  Si  gruozten  uns  armen,  {in  diser  werld) 

1)  Hier  und  im  folgenden  bezeichnet  die  runde  klammer  handschriftliche  Zusätze 
über  dem  texte,  die  eckige  klammer  Zusätze  des  herausgebers. 


250  KUMMEK 

war  offenbar  als  i,^luasc  zu  üf  irdischer  sarge ,  z.  26,  bestirnt  und  geriet  irrtüiulich 
über  armen),  43,  29  daz  uns  des  civigen  Uehtes  nimmer  zerinne  und  (wir)  wirdich 
tverden  si  ze  sehen  .  .  .  (ergcänzung  des  pronominalen  subjectes  aus  einem  voraus- 
gehenden casus  obliquus  belegt  J.  i.  d.  A.  z.  4,  26;  man  füge  zu  den  hier  gesam- 
melten beispielen  nocli  11,  21.  50,  4  und  49,  17a),  44,  1  chomt  herze  mir,  sxwicht 
er  {vnser  herre)  ir  hirt  di  gesegent  mines  vater,  44,  7  Sant  Marie  diu  ist  frotve 
und  [ein)  suoversiht  aller  dirr  toerlt,  44,  9  si  ist  ein  loisunge  {alles)  geistliches  reh- 
tes ,  usf.;  häufig  gewint  der  text  an  rhetorischer  färbung  durch  nichtbeachtung  der 
Zusätze,  die  demselben  streben  nach  prosaischer  ernüchterung  zu  verdanken  schei- 
nen, wie  ein  teil  jener  oben  erwähnten  glossen,  z.  b.:  45,  3  nu  sehen  {uns)  an 
und  erchennen  di  steige  siner  gnaden,  {imd)  di  minne  sines  geistes ,  den  vater- 
lichen tröst  (asyndeton!),  47,  19  iverfen  {wir)  ze  ruclie  {di)  ivertlich  sorge,  {und) 
schämen  ims  der  alten  sunten,  iverven  den  antläz  (asyndet.  enthyniem  mit  ausge- 
lassenem xoir  bei  der  I.  pl.  conj.  in  imperat.  Verwendung,  vgl.  anm.  z.  45,  3  und 
Müllenhoff  Sprachproben,  2.  aufl.  s.  IV),  54,  17  ebenso,  59,  9  D6  sprah  Andreas, 
sant  Peters  hruoder :  hie  ist  ein  chint,  das  hat  fimf  .  .  hrot  und  zicen  vische  .  .  . 
nu  zeige  den  unchunden  .  .  .  das  wir  (19)  is  an  dir  tvöl  ivizen,  {dv)  sprah  sant 
Andreas,  der  zwelfputen  ainer,  herre ,  du  heizest  {ein)  toenigen  sämen  . .  loerfen 
usw.  (durch  nichtbeachtung  des  dv  =  duo  ist  die  widerholung  des  „sprach  sant 
Andreas"  viel  besser  als  wenn  mit  duo  die  fortgesezte  rede  als  neue  bezeich- 
net wird). 

An  mehreren  stellen  scheint  änderung  der  Überlieferung  nicht  nötig  und  wäre 
die  hsl.  lesart  beizubehalten:  25,  2  der  lach  .  .  in  der  schöse  siner  l.  muoter 
an  vater  und  irdischer  (J.  irdische)  sunde.  Wegen  äne  mit  gen.  neben  an  vater 
(1,  21  steht  Vaters)  konte  auf  Lachmann  z.  Nib.  2308,  3  hingewiesen  werden,  wo 
ähnliche  beispiele  doppelten  casus  bei  einer  praep.  gesammelt  sind.  —  34,  29 
tvand  uns  hezzerunge  chomen  ist  von  sinen  gnaden,  diu  [J.  durch  die']  heiige  totif. 
Die  nachgesezte  erklärende  apposition  ist  nicht  zu  beanstanden.  —  50,  26  duz  er 
sich  lie  versuochen  [durch]  den  tievel,  Gr.  IV,  630,  besonders  das  aus  Hei.  48,  15 
citierte  beispiel  zeigt,  dass  die  einschiebung  ganz  überflüssig  ist.  —  54,  2  fgg. 
Nu  {suhl)  wir  den  Uhnam  hestaten  ze  der  erden  dannen  er  chomen  ist,  [und  bit- 
ten, daz]  alles  himelischez  her  di  s.  sele  ze  st  ivesunge  bringe  ....  Fasst  man 
den  ersten  satz  als  couditionaleu  Vordersatz  mit  ausgelassener  conjunction ,  wie 
er  ursprünglich  gemeint  war,  so  ist  der  Zusatz  überflüssig  und  im  optativischen 
nachsatze  ist  nur  die  Wortstellung  auffällig.  —  58,  20  under  andern  den  seichen 
.  .  .  spricht  s.  Johannes,  [da  von]  das  er  siniu  ougen  huob.  Der  zusatz  ist  über- 
flüssig. —  60,  7  diu  girstin  bröt  (hs.  girstinn ,  J.  girstinen)  entspricht  der  hs. 
besser  als  Js.  auflösung;  über  das  flexionslose  adj.  nach  dem  art.  vgl.  s.  XXXVI.  — 
65,  15  sioer  .  .  niht  miden  ivil  dehein  unreht  durch  sines  schepfacres  Übe  (hs.  Übe, 
J.  liebe) ,  über  i  für  ie  vgl.  s.  XX. 

Für  folgende  stellen  schlage  ich  emendation  vor:  13,  14  di  blinten  tver- 
den  gesehente,  di  touben  (hs.  toten)  gehörente.  In  der  A.  z.  14,  5  weist  J.  für 
ertören  die  bedeutung  „taub  werden"  nach;  zu  seinen  beispielen  füge  man  hinzu 
Fgr.  1,  67,  22  ^cir  toaren  ertort  unt  erstummet;  dem  gemäss  schlage  ich  vor  mit 
näherem  anschlusse  an  die  züge  der  hs.  zu  lesen:  di  tören  gehörente.  —  33,  12 
diu  wirdich  ist  aller  wirdicheit  und  loillich  ist  alles  unsers  gebetes  ze  hören.  So 
wie  s  für  s  besonders  beim  neutr.  des  adj.,  ebenso  sezt  die  hs.  manchmal  s  für  s 
beim  genet.  und  verbum;  man  wird  schreiben  müssen  alles  und  gebetes;  denselben 
fehler  hat   der  licrr  herausgeber  verbessert  52,  20  alles  fkisches  (hs.  alles),   den 


ÜBEK   ALTD.    PKED.   ED.    JEITTKLES 


251 


uiugekehrteu  liiD,  17  über  alz  jur  (ha.  als);  dagegcu  ist  er  stclm  geblieben  57,  2G 
alles  sines  lihes ,  \vu  ich  nicht  an  das  adverb  allez  (anni.  z.  33,  12)  denken  möchte; 
vgl.  auch  59,  11  (16  ivus  (hs.  tvuz)  ir  geloub  i.  m.  (lest  staeter.  —  40,  24  der 
engel  und  der  wissage,  se  dem  si  lange  tvären  (jetr ästet  an  ir  hnochen  und  an  ir 
Schrift,  der  forbot  xoas  sant  Johannes  d.  t.  Durch  tilgung  des  hinter  schrift  im 
texte  stehenden  chomen  wird  der  satz  verständlich  und  dem  folgenden  parallel; 
chomen  mag  durch  abirren  auf  das  z.  21  vorausgehende  cJmne  oder  das  z.  26  fol- 
gende chum,  wenn  eines  in  der  vorläge  etwa  am  ende  der  zcile  stand,  in  den  text 
geraten  sein;  tröst  ze  einem  dinge  belogt  das  Wb.  z.  Iwein ,  troesten  zuo,  aller- 
dings in  der  bedoutung  „geleiten  bis,"  das  Mhd.  Wb.  3,  116 '\  45.  —  43,  19  der 
besaz  di  freien  wamben  sant  Marien.  Die  glosse  den  rnin  bavch ,  zusammengehal- 
ten mit  der  gepflogenheit  unseres  Dm.,  mit  rain  nicht  vri  vrei,  sondern  her  zu 
glossieren  (38,  6.  39,  26.  40,  27.  67,  26),  imd  mit  dem  sprachgebrauche,  der  bei 
s.  31.  loambe  niemals  vri,  wol  aber  liiusch  und  rein  aufweist  —  her  ist  nach  den 
augeführten  glossen  mit  rein  synonym  —  lässt  sich  vermuten,  dass  im  ursprüng- 
lichen texte  lieren  stand  und  für  vrien  verlesen  wurde.  —  51,  23  vert  diu  ze 
Ungnaden,  (J.?)  diu  mach  wol  jehen,  das  si  eilende  si ,  loande  ..  .  Durch  ände- 
rung  der  interpunction  erhalten  wir  hypothetischen  Vordersatz  ohne  conjunction, 
ähnlich  wie  oben  54,  2.  —  53,  25  1.:  et  prophete  mortui  s.  (lis.  und  J.  mortuis.) 
nach  der  Vulg.  —  56,  26  schlage  ich  geänderte  interpunction  vor:  wirt  er  unser 
geioaltich,  daz  -wir  d.  s.  z.  sunden  begen,  loerden  wir  d.  erlöset  v.  s.  g.  mit  dem 
h.  tröste,  (J.  sezt  punctum)  wir  snln  bexvarn,  daz  er  d.  «'.  iht  chome  .  .,  und  fasse 
die  beiden  mit  wirt  und  -werden  beginnenden  sätze  als  einander  vorgeschobene, 
subordinierte  bedingungen ,  ähnlich  wie  52 ,  6  u.  ö.  -  68 ,  9  .  .  Daniel ,  der  ver- 
dient an  dirre  vasten:  (J.  sezt  punctum)  dö  in  sin  vient,  d.  u.  li.,  in  ein  chivr- 
chere  ivurfin,  i.  e.  l.,  da  loärn  inne  siben  lewen.  Durch  meine  änderung  wird  die 
mit  dö  beginnende  periode  als  object  des  verdienen  gekenzeichnet;  während  es  vor- 
her hiess  dö  (Helias)  .  .  wol  begiench  .  .  dise  vierzich  tag,  dö  wart  er  got  so  heim- 
lich, daz  usw.,  ist  an  unserer  stelle  die  construction  gewechselt  und  die  folge  in 
einem  selbständigen,  dann  anakoluthisch  auslaufenden  satze  ausgedrückt.  Durch 
die  vorgeschlagene  interpunction  wird  die  anm.  z.  68,  9  überflüssig,  dass  verdienen 
hier  in  intrans.  bedeutung  =  „sich  verdient  machen"  stehe. 

4.  Um  auch  zu  den  anmcrkungen  (s.  141  —  166)  mein  bescheiden  teil  bei- 
zutragen, mache  ich  auf  folgendes  aufmerksam:  4,  12  Der  eingang  von  Kelle  Spec. 
37  (Epiphan.)  stimt  viel  näher  zu  ö.  Paul  Pr.  37,  8  (gleicher  text!)  als  zu  unserer 
predigt.  Über  das  übrige  s.  unten.  —  6,  10  (jart  hier  und  z.  19  ist  „stachel," 
wie  aus  Act.  Apost.  9,  5  durum  est  tibi  contra  stimtcUun  calcitrare  und  Leyser 
82,  33  iz  ist  dir  vil  herte  .  .  .  vf  zv  slahne  ivider  dem  garte  hervorgeht.  —  33,  5 
omnis  anima,  que  eircumcisa  non  fuerit,  delebo  illam  de  popiilo  meo  ist  zusam- 
mengeflossen aus  Gen.  17,  14  masculus  cuius  p.  caro  eircumcisa  non  fuerit, 
delebitur  anima  illa  de  populo  suo  und  Levit.  23,  29  omnis  anima,  quae 
afflicta  non  fuerit  die  hac,  perebit  de  populis  s^iis,  30  et  quae  operis  quid  fece- 
rit,  delebo  eam  de  populo  suo;  der  Inhalt  und  die  erwähnung  des  Abraham 34,  4 
macht  Steinmeyers  bestimmung  sogar  wahrscheinlicher;  ähnliche  contaminationen 
hat  Schönbach  zu  den  von  ihm  herausgegebenen  predigtbruchstücken  (Zs.  XIX,  192,  30. 
XX,  229,  26  u.  ö.)  nachgewiesen.  —  33,  12  erklärt  sich  einfacher,  wenn  man  aus 
„alles  unseres  gebetes  ze  hören"  sich  ein  unbestimtes  object  (iz)  zu  ze  bringen 
ergänzt  und  das  folgende  uns  ze  etvichlichen  vreuden  als  dat.  commodi  fasst.  — 


252  KUMMER 

44,  lo  Hieher  ist  nameutlicli  noch  zu  ziehen  Leys.  102,  21  Sie  üt  ouch  hezcichent 
hi  der  gerten  die  .  .  .  loubete  vnd  hlüioete  und  brachte  nvzze  vnd  ivas  doch  dvrre; 
ebda  24  vnd  blüwete  doch,  loane  die  hlüme  .  .  .  loart  v.  i.  geborn  vnd  daz  loub 
vnd  die  nvzze  . . .  quamen  von  ir.  Mit  si  ist  diu  himelisch  porte  (S.  P.  Pred.  44,  20) 
ist  Ezechiels  pforte  (Ezech.  44,  2)  gemeint;  vgl.  Walth.  4,  6  Ezechieles  porie  und 
Wilnianns  Walther  s.  313.  —  45,  24  Ebenso  steht  an  bet  in  der  von  J.  zu  45,  12 
herangezogenen  predigt  in  Mone  Anz.  VIII,  432,  die  übrigens  noch  mehrere  auf- 
fallende parallelen  bietet  z.  45,  28.  46,  3.  19.  —  49,  24  Imp.  ginch  mit  ?  sezt 
Weinhold  in  der  bG.  und  in  der  mG.  an,  ebenso  Heinzel  in  der  Er.  an  den  von 
Weinhold  angeführten  stellen.  —  52,  15  und  54,  1  sent  Michelen.  Auch  Fgr.  I, 
114,  28  {coimncmoratio  defunctorum)  heisst  es  am  Schlüsse:  desselbe  pitet  oh  den 
guten  S.  Michaelen  unde  hellet  itvern  ruf:  nu  enphelhin  loir  die  s.  Kelle  Spoc.  125 
unt.  {S.  Michaelis)  manet  in  .  .  .  sines  grozzen  getvaltes  .  .  . ,  daz  er  vns  gcnadec- 
lichen  röche  zenphahenne,  so  sich  sele  vnd  Hb  seeidet.  uleget  in  och  umbe 
di  angestlichen  not  der  iungsten  urteile.  Über  S.  Michael  als  türsteher  des  para- 
dieses  und  propugnator  animorum  vgl.  R.  Hofmann ,  Leben  Jesu  nach  den  Apokry- 
phen, Leipzig  1851,  s.  270  und  433.  —  53,  24  brüten.  Hier  war  auf  Haupt  z. 
Ncidh.  44,  26  zu  verweisen.  —  54,  13  volgen  noh  dem  heilant.  Falls  wir  in  die- 
sem noh  einen  neuen  beleg  für  die  im  bairischen  dialect  beliebte  vcrdumpfung  von 
ä  in  d  erblicken  dürfen,  wie  der  sinn  zu  fordern  scheint,  so  wäre  zu  schreiben 
noh;  Weinh.  bG.  56  belegt  noh  für  näh  erst  aus  späteren  quellen;  über  h  für  ch 
vgl.  s.  Xll.  —  55,  16  als  andersioä  geschriben  stet,  nemlich  Matth.  12,  22.  — 
63,  8  unser  herre  wolt  niht  lougen,  ern  tvaer  von  Samaria,  daz  spricht  von 
der  huote.  Diese  stelle  findet  ihre  erklärung  in  der  kirchlich  recipierten  etymo- 
logie  Samaria  =  custodia,  adamas,  vgl.  Galura,  Nov.  Testam.  Oenip.  1835, 
s.  295.  Andere  namenumdeutscliungeu  unserer  predigten  stimmen  nicht  zu  den  reci- 
pierten, z,  b  <o,  ^  Saulus  daz  sprichet  tiutsch  ein  loolf  und  ein  achter,  ebda  13 
Paulus  sprichet  ze  tiutsch  liehtvaz,  vgl.  Leys.  8,  5.  82,  2  und  30;  oder  45,  12 
Tyro  et  Sydon,  captivitas  et  venatio,  vgl.  anm.  z.  St.  —  66,  14  Die  predigt  gehört 
dem  I. ,  nicht ,  wie  J.  schreibt ,  dem  IL  sonntage  in  der  fasten  zu ;  die  epistel 
jenes  Sonntages  ist  Corinth.  11,  6,  1  — 10,  derselben  ist  aber  der  text  unserer  pre- 
digt entnommen ,  weshalb  sie  Schönbach  in  Steinmeyers  Verzeichnisse  s.  229  der 
Dom.  I.  in  quadrag.  zuweist.  —  68 ,  20  In  demselben  Verzeichnisse  steht  bei  Dom. 
IV.  in  quadrag.:  „(Esai  49,  18  und  sonst)  S.  Paul  149."  Die  predigt  ist  identisch 
mit  der  bei  J.  68,  20  überschriebenen  In  dominica  Letare,  der  text  ist  aber,  wie 
J.  richtig  bemerkt,  Ezech.  33,  11  entnommen:  vivo  ego,  dicit  Dominus  Dens,  nolo 
mortem  impii  {peccatoris  S.  Paul). 

5.  Auf  den  Zusammenhang  der  von  ihm  herausgegebenen  samlung 
mit  anderen  oder  auf  die  benützung  der  apokryphen,  der  legenden,  auf 
symbolische  erklärung  von  bibeltexten,  festen,  gebrauchen  einzugehen,  hat 
wol  nicht  in  der  absieht  des  herrn  herausgebers  gelegen;  refereut  glaubt,  dass  er 
selbst  die  ab  und  zu  in  den  anraerkungen  verstreuten  bemerkungen  als  gelegent- 
liche angesehen  wissen  will.  Eben  so  wenig  ist  ihm  sicherlich  entgangen,  dass 
bei  vergleichung  der  predigten  des  gleichen  festes  und  des  gleichen 
textes  an  der  band  von  Steinmeyers  erwähntem  Verzeichnisse,  das  er  ja  benüzt 
hat,  sich  ganz  interessante  parallelen  zwischen  den  von  ihm  veröffentlichten  pre- 
digten mit  anderen  samlungen  im  einzelnen  und  für  die  ganzen  samlungeu  ergeben. 
Offenbar  hält  es  Jeitteles  noch  nicht  an  der  zeit  über  den  Zusammenhang  der  mit- 


ÜBER   ALTD.    FRED.   ED.    JEITTELES  253 

telalterlicbeu  deutschen  predigtsainlungeii  unter  eiiiander  und  mit  lateinischen  ori- 
ginalen sich  auszusprechen,  da  ja  noch  so  manche  wichtige  samlung  der  Veröffent- 
lichung harrt. 

Mit  rücksicht   auf  den  umfang,    den   diese  besprechung    bereits   gewonnen, 
greife  ich   nur   drei   predigten    heraus:    s.  4   (und  37)    in    epiphania.     4,  17  die 
chunige  di  ivären  geJi'rt  die  chunst,    daz  si  sähen  an  dem  gestirne  chumftigeu 
dinch:  Fgr.  I,  84  drie  kunige  .  .  .  die  ein  iegeUch  dinch  wol  an  dem  gestirne 
künden  gisehen:    Leys.  55,  4  die  magi  hatten  des  getronheit,    daz  si  sahen  an 
das  gesterne.  —    Bei  der  deutung  der  gaben,  wobei  ausser  den  in  der  anm. 
z.  4,  15   erwähnten    stellen    (Wackern.  XV,    Mono  Anz.  VIII,  419,    Kelle  37)    noch 
Fgr.  I,  84,  3,    Germ.  VII,  343  fg.,  Leys.  54  in  betracht  kommen  —  Birlingers  Ale- 
mannia war  mir  nicht  zugänglich  —   findet   sich  bald  mehr,    bald   minder  genaue 
Übereinstimmung:    in  S.  P.  Fred.  5,  9,    bei  Kelle,   Wackern.,    Mone  und  Hoffmann 
ist  die  deutung  mit  hediuten  eingeleitet;  mit  ausnähme  von  G.  VII  und  Leys.  stim- 
men in  der  deutung  des  goldes  auf  das  königtum  alle   übrigen  überein,    doch  so, 
dass  der  ausdruck  „könig  aller  könige"  bei  Kelle  38  med.,  Wack.  XV,  Fgr.  84,  38 
gemeinsam  ist;   Mone  419  hat  das  lateinische  original  deus  deorum,   rex  regum, 
dominus  dominantium;  bei  der  deutung  des  Weihrauches  ist  der  ausdruck  eivart 
den  beiden  S.  Paul.  Pred.  mit  Fgr.  gemeinsam,    eine  Übersetzung  des  lat.  summus 
pontifex,   verus  sacerdos  bei  Mone.     In  Keiles  Spec.  38   steht  ivihroch   an    dritter 
stelle  und  wird  gedeutet  der  wäre  krist,    der  die  ivelt  mit  sinem  tode  erledigen 
solte,    ein  ausdruck,    der  in  der  deutung  der  myrrhen  in  S.  Paul.  Pred.  38  und 
Fgr.  84  wörtlich  widerkehrt.     Als  symbol  der  trinität  deuten   die   drei  gaben  Mone 
VIII ,  419,  0. ,  Leys.  58 ,  12.    Fast  alle  predigten  knüpfen  an  die  deutung  der  gaben 
die  aufforderung  zum  opfer;    während  sich  aber  einige  auf  die  algemeine  mahnung 
oder  aufzähluug  der  geistigen   opfergaben   beschränken,    setzen  andere  die  lezteren 
mit  den  gaben  der  drei  weisen  in  beziehung  und  sehen  diese  als  symbole  jener  an: 
Mone,  G.  VII,  Leys.     Als  fest  der  heidenberufung,  vocatio  gentium,    wird  Epipha- 
nia gedeutet  bei  Wackern.  XV,  Mone  VIII,  418  unt,   Fgr.  I,  85,  4,   Leys.  54,  39. 
55,  15.     Dem  lateinischen  texte  bei  Matth.  2,  3  Herodes  rex  turhatus  est  entspricht 
zwar  die  Übersetzung  Herödes  betrüebet  in  S.  P.  Pred.  4,  28,  Mone  VIII,  418  med., 
G.  VII,  344  unt. ,   Leys.  56,  8,    nicht  aber  die  anderwärts  begegnende  erschrecket. 
Fast  gleich  lautet  die  erklärung  von  Matth.  2,  1  magi  ah -Oriente  in  den  ,S  P.  Pred. 
4,  15  drin  chicnigen  in  Oriente,   daz  ist  in  dem  lande,    da  deu  sunne  uf  hrichet 
und  in  G.  VII,  344  med.  die  künige  komen  sint  von  Oriente,  daz  ist  von  dem  teile 
der  iverlt  da  diu  sunne  üf  gät.     Endlich  wird  die  gleichzeitige  feier  von  drei  festen, 
nemlich  ankunft  der  weisen,  Jesu  taufe  und  hochzeit  zu  Ghana,  erwähnt  in  S.Paul. 
Pred.  5  und  38,  Mone  VIII,  419,  G.  VII,  344;  dazu  fügen  als  viertes  die  erweckung 
des  Lazarus  Spec.  38   und  Fgr.  85 ,  25.  —     Aus   solchen  nicht  biblischen   Überein- 
stimmungen Schlüsse  zu  ziehen  wäre  vorschnell,  wenn  nicht  sämtliche  zugängliche 
pr<^digten   gleichen   anlasses    oder  textes    verglichen   werden,    und  wenn   nicht  die 
lateinischen  homilien  (s.  Kelle  Spec.  einl.  s.  X)  und  die  lateinische  geistliche  poesie 
des  mittelalters   zur   vergleichung   herangezogen  werden   können.     Über  die  weisen 
und  ihre   gaben  vgl.  R.  Hofmann  127  fg. ;    den   gang ,    welchen   die    deutung   der 
gaben  almählich  genommen,    hat  Schade,   Liber  de  infantia  Mariae  et  Christi  sal- 
vatoris,  Halis  1869,  s.  35,  a.  213  gezeichnet. 

In  der  predigt  ad  missam  in  galli  cantu  heisst  es  18,  21  dö  si  heiligiu  frowe 
sah  die  heiligen  engel  ir  lichcz  chint  in  ivinten  und  an  hitten  als  da  geschri- 
ben  stet:   Obstetricum  vice  con.  a.  g.  d.  o\  allez   daz  d.  di  v\  ammen  a.  eh. 


254  KUMMER 

pflegent  ze  tuon,  äaz  begiengen  alles  cli  engel  a.  u.  h.  Was  mit  der  unauf- 
lösbaren stelle  (anm.  z.  18,  23)  gemeint  sei ,  zeigen  die  aufangsworte  und  die  deut- 
sche Umschreibung ;  wir  haben  es  mit  einer  traditio»  zu  tun ,  welche  in  naher 
beziehung  steht  zu  dem  apokryphen  über  de  infautia  Mariae  et  Christi  Salvatoris; 
dort  heisst  es  26  (Schade)  .  .  et  peperit  viaseulum.  Quem  circumdeäerunt  nas- 
centem  angeli  et  natum  statim  adoraverunt.  Die  abhängigkeit  der  Hrosvitha, 
Historia  nativitatis  .  .  dei  genetricis ,  des  Bruder  Weruher ,  des  Konrad  von  Pusses- 
brunnen,  des  Passionais,  des  Br.  Philipp  und  des  Walther  von  PJieinau  von  die- 
sem bei  Tischendorf  Evangelia  apokrypha  Lipsiae  1853  Evangelium  Pseudo-Mat- 
thaei  überschriebenen  apokryph  hat  Schade  in  der  eiuleitung  nachgewiesen :  an  unse- 
rer stelle  A.  171  macht  er  darauf  aufmerksam,  dass  K.  v.  Fussesbrunnen ,  Br.  Phi- 
lipp und  W.  V.  Eheinau  fast  mit  den  gleichen  worten  berichten,  dass  die  engel 
hobammendienste  geleistet.  In  der  tat  ist  die  Übereinstimmung  auffallend: 
Hrosv.  (opera  Norimbergae  1501  fol.  e.  1  vorne)  quem  genituvi  .  .  .  angelicus 
circumstat  deniqiie  caetus  laudans,  (Wernh.  Fgr.  II,  196,  15)  ir  tvären  die 
engele  M  .  .  iane  ^cas  ouli  bi  der  froiven  nehein  loerltlicher  lip,  K.  v.  Fussesbrunnen 
(Hahn,  76,47)  der  engel  ein  michel  wenige  ivas,  die  der  ammen  reht  begien- 
gen, Pass.  19,  53  waz  da  godes  engele  vil,  di  ir  .  .  .  daz  kint  Imlfen  berü- 
cken, do  si  beioant  mit  tuehen  ir  Unt ,  Br.  Phil.  2048  die  engel  do  .  .  mit  der 
muoter  ouch  begiengen  hevammen  reht,  W.  v.  Rheinau  (Keller  58,  52)  kam 
ein  michel  engel  schar  .  .  und  umbstuond  ..  die  gebernden  maget  .  .  vm,d 
dienten  .  .  an  der  stat  der  gnäserin.  Da  mir  die  vita  metrica  beatae  Mariao, 
die  quelle  für  Br.  Philipp  und  W.  v.  Eheinau  (vgl.  Eückert  einl.  z.  Br.  Philipp 
s.  VIII) ,  nicht  zugänglich  war ,  so  kann  ich  nur  annäherungsweise  andeuten, 
was  jenen  vielleicht  falsch  gelesenen  corapendien  der  S.  P.  Pred.  zu  gründe  gele- 
gen zu  haben  scheint,  nemlich  eine  etwas  veränderte  fassuug  der  Avorte  des  liber 
de  infantia:  obstetricum  vice  circum  ^ederunt  iiascentem  Avgeli  et  aAoraverunt. 
Unaufgeklärt  bleibt  da  immer  noch  die  herkunft  der  beiden  ausgeschriebenen  ein- 
gangsworte.     Auch  hier  verweise  ich  auf  E.  Hofmann  112. 

Eben  so  vielfache  berührung  mit  der  geistlichen  dichtuug  wie  die 
behandelte  stelle  bildet  in  einer  anderen  weihnachtspredigt  die  erzählung  von  den 
wundern  bei  Christi  gehurt,  28,  23  —  24,  5  Datze  Börne  toas  ein  apgot  ... 
den  hiezen  si  Martern  . . .  ze  den  toihnahten  ...  viel  daz  apgot  und  fuor  scJiriende 
üz  der  stat  ze  Börne.  Allen  den  taeh  toas  ein  guldiner  rinc  umb  di  sunne. 
Uz  'einem  herten  steine  datze  Börne  vlöz  ole  an  dem  tage.  Im  anschlusse  an 
die  wunderbaren  erzählungen  in  den  evangelien  und  in  den  apokryphen  wurden 
schon  früh  berichte  von  anderen  wundern  in  andern  gegonden  gesammelt  und  mit 
der  zeit  auf  eine  stattliche  anzahl  gebracht;  vgl.  E.  Hofmann  110  —  112.  Diesel- 
ben spielen  in  den  geistlichen  dichtungen  des  mittelalters  eine  grosse  rolle.  Ich 
habe  sie  durch  zehn  dichtungen  sowie  mehrere  predigten  verfolgt  und  gebe  im  fol- 
genden aus  meiner  tabellarischen  Übersicht,  was  für  unsere  predigten  in  betracht 
komt.  Unter  deutschen  dichtungen  finde  ich  zuerst  solche  nicht  biblische  ^vunder 
im  leben  Jesu  in  Diem.  D.  G.  und  zwar  233,  19  fg.  ...  si  sähen  ze  Börne  ein 
rinch  gen  umb  den  sunnen,  üz  einem  hiis  flöz  ein  olebr rinne.  Das  zweite 
und  dritte  zeichen  also  in  gleicher  reihenfolge.  Das  erste  fehlt  in  der  Vorauer 
handschrift ;  das  wunder  mit  dem  Mars  (ebenso  in  Wernh.  Maria  201 ,  3 ,  und  in 
Grieshabers  Vaterland.  269),  für  welchen  sonst  der  Friedonstempel  eintritt,  wird 
allerdings  allenthalben  nach  Eom  in  Octavians  rogierung  verlegt  und  könte  mit 
den  Worten  im  Leben  Jesu  233,  17   er  wart  e  gurchundet   in  Octatiiänes  siten  vor 


ÜBER    ALTD.    PRED.    ED.    JEITTELES  255 

heidiniscen  lüten  angedeutet  sein.  Gleichwol  ist  dio  S.  Pauler  Prcd.  nicht  vom 
Leben  Jesu  abhängig;  mau  vgl.  üs  einem  lierten  steine  S.  Paul  >  üz  einem- 
hüs  Vor.  hs.;  ferner  die  verschiedene  deutung:  in  der  Vor.  hs.  beide  wunder 
gedeutet,  ivdres  licht,  diu  oberesten  (jnäde  (vgl.  QF.  VII,  68),  in  der  predigt  nur 
das  lezte  doppelt,  Röme  mnoter  aller  Christenheit ,  ole  siner  hermde.  Der  ölbrun- 
nen  erscheint  in  allen  von  mir  verglichenen  dichtungen,  also  im  Leben  .Jesu  a.  a.  o. 
in  der  .vita  metrica  b.  Mar.  virg.  (Rückort,  Br.  Phil.  353),  Wornli.  Mar.  200,  32, 
Pass.  21,  32,  Br.  Phil.  2250,  W.  v.  llheinau  63,  6,  Grazer  Weltclir.  (Diom.  Beitr.  I) 
15%  32,  ndrh.  Gcd.  (Heinzel  Zs.  XVII,  18)  187,  ferner  bei  Leys.  48,  16  mit  beru- 
fung  auf  einen  lateinischen  hymnus  und  kSchönbach  Pred.  Bruchst.  (Zs.  XIX,  185, 
23).  Nur  Hrosv.  und  K.  v.  Pussesbr. ,  die  überhaupt  ausser  den  biblischen  wun- 
dern (stern ,  cugel  bei  den  hirten)  nichts  bringen ,  haben  ihn  nicht.  Auch  der  ring 
um  die  sonne  ist  häufig  und  zwar  ein  rinc  bei  Br.  Wernh. ,  ein  cireel  im  Pass., 
Corona  in  der  vita  metr.  und  darnach  bei  Br.  Phil. ,  W.  v.  Rhein,  und  Graz.  Welt- 
chron.  Der  stürzende  Mars  ist  schon  erwähnt,  der  friedenstempel  findet  sich  in 
der  vita  metr. ,  bei  Br.  Phil. ,  W.  v.  Rheinau ,  Graz.  Weltchr.  und  Leyser ,  im  Pass. 
steht  vor  dem  vrides  tempil  ein  bilde  des  Romulus.  Neben  diesen  weitverbreiteten 
Vorzeichen  erscheinen  noch  viele  andere;  die  vita  metr.  zählt  deren  18  auf,  ebenso- 
viele  W.  v.  Rheinau,  die  Grazer  Weltchron.  gar  25  (Dieni.  Beitr.  I,  31);  Passional, 
W.  v.  Rheinau  und  Grazer  Weltchrouik  führen  als  gewährsmänner  zu  einzelnen 
wundern  kirchenväter  und  Chroniken  an. 

Zur  Predigt  de  S.  .Johanne  evang.  s.  28  habe  ich  noch  eine  alemanni- 
sche predigt  des  XII.  Jahrhunderts  aus  Priester  Konrads  Predigtbuch,  das 
Job.  Schmidt  demnächst  herausgeben  wird ,  und  von  welchem  er  proben  im  progr. 
des  gymuasiums  a.  d.  Landstrasse  in  Wien  1878  verötFentlicht  hat,  herangezogen. 
Die  S.  P.  Pred.  enthält  die  legende  im  wesentlichen,  aber  umfangreicher  und  aus- 
führlicher ist  Leys.  77.  Beide  gehn  vom  gleichen  text,  einer  stelle  des  Brev.  Rom. 
aus,  haben  zuweilen  ähnliche  ausdrücke,  die  gleichen  wunder ;  aber  in  verschiedener 
Unordnung.  —  Zs.  XX,  233  stimt  anfangs  dem  Inhalte  nach  {mümin  sun,  Hoch- 
zeit des  Johannes  identisch  mit  der  Hochzeit  zu  Ghana)  zu  Mone  Anz.  VIII,  411, 
später,  oft  bis  zu  wörtlicher  anlehnung  mit  Leys.  77;  z.  b.  Zs.  235,  32  oo  Leys.  80,  30. 
Zs.  236,  7  oo  Leys.  81,  2;  Schönbach  z.  Zs.  236,  12.  —  Gleichen  text  haben  Mone 
Anz.  VIII,  311  und  Roth  21  =  Schmidt  16,  welcher  Roths  fragment  ergänzt. 
Schmidt  16  und  Leys.  77  haben  die  meisten  wunder  gemein,  bei  Schmidt  fehlen 
die  geschichten  von  der  witwe  (Leys.  79,  8)  und  von  dem  jüngling  (Leys.  80 ,  10), 
bei  Leyser  die  breite  ausführung  über  das  Johannesevangelium  (Schmidt  18,  17  — 
19,  25);  anderseits  stehen  sie  einander  im  ausdrucke  widerholt  so  nahe,  dass  man 
eine  gemeinsame  quelle  vermuten  darf;  man  vgl.  Schmidt  17,  13  der  guote  sunt 
Johannes  oo  Leys.  79 ,  32  der  gute  sente  Johannes  (giftprobe  des  Aristodemus) ; 
Schmidt  17,  30  Domiciänus  ivarf  in  da  ze  Börne  in  eine  botengen  volle  loellendi- 
ycs  oles  (Mone  VIII ,  413  tvart  er  geivorfen  in  eine  potegen  volle  oles ,  S.  P.  Pred. 
29,  13  Domiciänus  hiez  im,  toerfen  in  tvelligez  ole,  Zs.  XX,  235,  6  Domiciänus  .  . . 
in  ein  potige  volle  waziris  und  ivallindis  olis)  oo  Leys.  77,  37  domiciänus  .  . .  Ines 
in  werfin  in  eine  hüte  wallendis  oleies;  Schm.  IS,  S  da  eroffent  unser  herre  .  .  . 
elliu  diu  tougen  cjo  Leys.  78,  8  so  eroffente  im  vnser  herre  die  himelischen  tougen; 
19 ,  23  das  er  .  .  .  die  wirtscaft  besäse  oo  Leys.  81 ,  19  d^i  hast  mich  geladen  zv 
diner  Wirtschaft  (himmelreich);  Schm.  20,  3  gienger  lebentiger  in  das  grap  oo  Leys, 
81,  25  gincli  also  lebendich  in  daz  grab. 


256  BERNHxiRDT,   ÜBER   ROST,    SYNT.   DES    DATIVS   IM   AHD. 

Das  glossar  s.  182  — 187  bereichert  den  mhd.  Wortschatz  mit  einer  ansehn- 
lichen zahl  von  Wörtern  ,  wie  man  sich  aus  dem  schlusshcfte  von  Lexer  und  aus 
den  nachtrügen  überzeugen  kann.  Ohne  einzelnes  anzuführen  beschränke  ich  mich 
auf  die  bemerkung,  dass  es  handlicher  und  reicher  ausgefallen  wäre,  wenn  der 
lierr  herausgeber  1.  alle  äna^  tiorj/jevu  als  solche  gekenzeichnet,  2.  alle  nur  in 
österreichischen  quellen  vorkommenden  Wörter,  3.  alle  in  den  predigten  zuerst 
belegbaren,  4.  alle,  welche  von  der  gewöhnlichen  abweichende  form  zeigen  {strü- 
zeich  43 ,  13  >  Lex.  2 ,  1245  striuzach) ,  5.  alle ,  welche  veränderte  bedeutung  zei- 
gen, aufgenommen  hätte. 

Wenn  meine  bemerkungen  die  leser  dieser  Zeitschrift  veranlassen,  sich  mit 
dem  Wortlaute  der  S.  Pauler  Predigten,  die  wir  herrn  bibliothekar  Jeitteles  ver- 
danken, vertraut  zu  machen,  so  hat  meine  über  das  gewohnte  mass  ausgedehnte 
anzeige  ihren  zweck  erreicht. 

WIEN,    IM   JANUAR    1879.  K.    F.    KUMMER. 


Die  Syntax  des  dativus  im  Althochdeutschen  und  in  den  geistli- 
chen dichtungen  der  Übergangsperiode  zum  Mittelhochdeutschen. 
I.  teil:  der  eigentliche  dativus  bei  verben.  Inauguraldissertation 
von  Johannes  Rost.    Halle  1878.     IV,  82  s.     8. 

Vorliegende  sorgfältig  gearbeitete  abhandlung  enthält  eine  dankenswerte 
ergänzung  des  entspreclienden  abschnitts  in  Erdmanns  Syntax  der  Sprache  Otfrids, 
indem  sie  den  gebrauch  des  eigentlichen  dativs  bei  verben  durch  die  übrigen  ahd. 
quellen ,  soweit  dieselben  nicht  Übersetzungen  sind ,  und  durch  die  geistlichen  dich- 
tungen der  Übergangsperiode  verfolgt.  Dass  die  weltlichen  dichtungen  der  lezteren 
zeit  ausgeschlossen  wurden,  mag  durch  rücksicht  auf  den  umfang  der  dissertation 
geboten  gewesen  sein;  dass  sich  aber  hier,  wie  der  Verfasser  s.  5  meint,  ,,eine  geson- 
derte betrachtung  der  syntax  jedes  einzelnen  Verfassers"  empfehle,  will  mir  nicht 
einleuchten. 

Von  Erdmann  weicht  der  Verfasser  in  seiner  ansieht  über  die  entstehung  des 
synkretistischen  germanischen  dativs  mehrfach  ab,  befolgt  aber  zweckmässigerweise 
im  allgemeinen  die  bei  Erdmann  vorliegende  einteilung  des  stoffs;  fast  will  es  mir 
scheinen,  dass  er  die  brauchbarkeit  seiner  abhandlung  erhöht  hätte,  wenn  er  sich 
ganz  an  Erdmann  angeschlossen  hätte;  er  hat  jedoch  vorgezogen,  die  unpersönlichen 
verba  nicht,  wie  Erdmann  s.  222  fg.,  abgesondert  zu  behandeln,  und  die  bei  Erd- 
mann s.  207  fg.  alphabetisch  aufgeführten  verba  in  gruppen  nach  ihrer  bedeutung 
zusammenzuordnen.  Auch  sonst  finden  sich  einzelne  abweichungen.  Die  bei  Otfrid 
nicht  vorkommenden  verba  bezeichnet  ein  Sternchen,  was  jedoch  einigemale  durch 
versehen  unterblieb,  so  s.  38  bei  loimsgen,  s.  41  fg.  bei  rihtjan,  s.  49  bei  erlauben, 
s.  56  bei  gollen. 

Im  einzelnen  will  ich  noch  erwähnen,  dass  bitten  mit  dativ  (für  jeman- 
den bitten)  nicht  in  §  9  unter  den  verben  der  rede  aufzuzählen  war  und  dass  die 
nicht  consequent  durchgeführte  vergleichung  des  Gotischen  keinen  rechten  zweck  hat. 
Sehr  zweckmässig  ist,  dass  der  Verfasser  seiner  abhandlung  ein  Verzeichnis 
der  quellen  und  hilfsmittel  vorangeschickt  und  eine  ausführliche  Inhaltsangabe  hin- 
zugefügt hat, 

ERFURT,  IM  JUNI  1879.  BERNHARDT. 


IlaUe,  Buchdruckerei  des  Waisenhauses. 


AUS    SANGT    GALLER   TLVNDSCIIRIFTEN. 

L 

Als  ich  im  tvinfer  d.  j.  1877  einige  Sand  Galler  handschriften 
für  einen  andern  mvecJc  henuzte,  fiel  es  mir  auf,  dass  Graffs ,  Hatte- 
mers,  Steinmeyers  collationen  der  in  denselben  manuscripten  enthaltenen 
glossen  und  vocahidare,  soivie  der  schrift  de  musica  7ioch  mancher  Ver- 
besserung und  ergänzung  bedürften.  Einige  der  unten  stehenden  mit- 
teilungen  verdanke  ich  auch  der  gute  des  herrn  Stiftsarchivars  von  Gon- 
zenbach  in  St.  Gallen,  der  mit  der  gr Osten  uneigennüfzigkeit  meine 
anfragen  beantwortete.  Die  rcsultate  meiner  lesimg  lege  ich  im  fol- 
getiden  nieder,  hoffend  und  fürchtend ,  damit  noch  rechtzeitig  für  Stein- 
meijers  langersehnte  und  langverheissene  glossenbearbeitung  zu  Jcotmnen. 

1.  Cod.  Sang.  242  s.  10  — 16  de  musica  (vgl.  Hattemer,  Dd.  M. 
III s.  1)86  —  590;  Steinmeyer,  Z.  f  d.  a.  XVII  s.  503  fg.;  die  citate  gebe 
ich  nach  Hattemer):  586^  z.  10  discrimina  oms  o  corr.  z.  14  daz  vor 
2i\^\\^\)k\\m.  mit  einschaltungspunMen  übergeschrieben  586''  z.  Ih  cü  fabri- 
cator  587"  z.  1  die  {ohne  accent)  z.  10  ^portio  (or  in  ligatur)  z.  12 
lieiz&  z.  14  mäcliont  ein  z.  17  diapasou.  ein  z.  26  quatuor  (or  in  ligatur, 
ebenso  in  tetrachorda.)  z.  28  ciiincta  587"  z.  4  heiz&  grauiü.  z.  5  lieiz& 
z.  6  siipiom.  z.  7  excellentiü.  z.  10  sümelichero  z.  23  ton'  ton'  semitoniü 
ton .  z.  24  ton  ton  z.  25  semitoniü  588''  z.  3  oüh  z.  12  &euudz  z.  17 
gentib'  z.  1^  dorium.  [s.  12]  n^odu  z.  22  ton.  Die  nachfragung  ist  vor 
dem  zeilenanfange  am  rande  ist  von  derselben  hand  und  dinte.  Z.  24 
ypmixolidius  588 '^  z.  2  ypniixolius  z.  5  ypraixolidio  z.  6  keöug&  z.  10 
tonü  tonü  semitoniü  ^.11  tonü  tonü  semitoniü  ^.12  tonü  ^.13  duplü  z.  n 

di 

übe  ohne  einschaltungspunkte  übergeschrieben  z.l^  ünde  z.  22  ypmixolius 
(di  nach  1  mit  einschaltungsp^mlden  übergeschr.)  z.  25  mügen.  (g  aus  b 
corr.)  miända  oiih  0.  29  unilon  {der  erste  circumflex  aus  einem  acut  cor- 
rigiert)  z.  30  buobstabe.  z.  30  liut&.  589*  z.  1  buohstäb.  z.  3  nieht  (e 
steht  nicht  auf  rasur)  z.  5  das  erste  ih  nü  cbäd  steht  rechts  am  rande  von 
.5.  13  0.  1,  ist  aber  wider  ausgewischt  z.  9  demo.  C.  in  ypmixolidio.  ^.11 
buohstabse.  z.  13  liut&.  z.  14  stig&  z.  IS  tänne  in  pmixolidio.  z.  22 
buobstabe  z.  24  stürz&  z.  25  alphabetü.  z.  26  buobstabe.  also  z.  27 
peuider&.  z.  29  häb&  z,  31  erbeu&.  z.  32  gerüccb&.  z.  32  bäb&  z.  35 
simplü.  z.  36  duplü.  z.  36  cbiinu&  589"  z.  4  sie  z.  6  oüb  ^.12  buob- 
stabe Z.1&  häb&  ^.17  diametrü.  z.  18  dodrante  ^.19  triente  z.  25 
FISTÜLARÜ  z.  26  ORGANICAEÜ :  — ,  z.  31  Mäcbä  {der  zweite  accent 
getilgt,  das  zweite  a  auf  räsiir  für  et)  z.  32  gesdget  z.  37  si  si.  diu 
{der   erste   circumßex   radiert)    z.  32  beiz&    z.  38  diametrü.     590*  z.  4 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.       BD.    XI.  17 


258  PIPER 

plectrü  heiz&.  s.  5  micheliu  {der  zweite  accent  ist  anradiert)  z.  16  teil 
{der  circwnflex  ist  aus  einem  acut  corrigiert)  z.  IQ  diämetri  {der  cir- 
cumflex  ist  getilgt)  z.  18  in  fier  z.  19  lengi.  z.  22  io  ze  io  gelicliemo. 
0.  31  daz  ander  590 ''  z.  8  sibenen  {das  zweite  e  trägt  keimten  cir- 
cumflex,  sondern  ist  ein  e  mit  einem  haken,  wie  sich  solches  auch  findet 
in  s.  588*  z.  10  ünder  588*'  z.  1  der  z.  8  föne  z.  25  änafähen  589" 
0.31  uuile.  ^  589^  z.  32  übe  590"  z.  17  dero)  z.  9  häb&  z.  10  diame- 
trü  0.  11  Unde  so  samo  hab&  0.  13  diaraetrü  0.  14  häb&  fier  0.  18 
ratione.  0.  19  läz&  z.  20  diametrü.  z.  26  diametrü.  z.  29  diametrü. 
0.  31  Seiten  ist  nicht,  wie  ST.  will,  durch  zeichen  getilgt,  sondern  die 
Worte  sind  nur  dtirch  zeichen  umgestellt  worden.  Der  schluss  von  s.  16 
z.  1  sieht  so  aus:  sehszen  -^  Seiten:,  der  anfang  von  z.  2:  biiohstäba. 
0.  32  daz  ohne  einschaltungspunkte  ühergeschriehen  0.  33  tien  ereren 
In  der  vorstellenden  collation  habe  ich  Hattemers  "  für  den  circwn- 
flex auf  dem  zweiten  huchstahen  eines  diphthongen ,  sowie  dessen  Bezeich- 
nung von  ^  als  hekant  vorausgesezt.  Die  dbhreviaturen  der  worte  habe 
ich  volständig  hinzugesezt,  weil  sie  anhaltspunkte  zur  feststellung  des 
Schreibers  werden  können.  Wirkliche  besserungen  der  lesarten  sind 
nach  Steinmeyers  collation  noch  in  22  {24)  Wörtern  möglich  gewesen. 

2)  Cod.  Sang.  242  s.  247  —  252.  Deutsches  vocabular  des 
zehnten  {nicht  des  elften)  Jahrhunderts  {Hatt.  I,  s.  294  —  300;  vgl. 
Graff  Diut.  III,  221 — 224.  Hagen  Denkm.  s.  33  fgg.;  die  vorliegende 
collation  schliesst  sich  an  Hattemers  ausgäbe  an).  Die  handsclirift 
hegint  s.  247  z.  9.  Jede  seife  enthält  3  spalten,  deren  jede  25  Zeilen 
enthält,  nur  auf  s.  247  hat  jede  spalte  17,  und  250^  hat  23  Zeilen. 
250  *  steht  auf  dem  rande ,  nicht  auf  den  eingerizten  linien.  Bisweilen 
stehen  zwei  worte  neben  einander,  so  249",  21  ursus  pero.  ursa  pirin 
249',  24  bos  ohso.  tbaurus  stir  250%  7  asinus  esil.  asina  esilin 
250",  8  |uis  scaf.  Agnus  Lamp  250",  11  agalis  barug.  uersus  (uor- 
sus?).  be:  250",  12  |apra  Geiz,  hedus.  cb:::  250",  13  Icus.  pocb. 
canis.  hunt.  250",  16  [upus  unolf  lupa  u:::in  250",  17  julpis.  foba. 
Lepus.  ::so  250",  18  |astor  pipar.  Lnstrus  ottar  250",  22  ::.  elabo. 
gripes.  grif  250",  23  |:inx.  luhs.  Simia.  affo  250%  10  Membrus.  lid. 
borao  man  250%  12  femina.  uuib.  uinus  quecher  250%  13  üiua  que- 
cbiu  vifcalis  liblib  250%  14  Mortalis.  todlih.  Inmortalis  untodl  250%  18 
Corpus,  libamo.  spiracio.  atmOga  250%  19  figura.  gilibnissi.  Caluaria 
gibilla  250%  21  Crispus.  reider.  caluus  chalo.  250%  22  vertex.  nilla. 
crinis.  loc  250%  23  cerebrum.  birni.  mebran'  birnifel  250%  25  tim- 
pus.  dunuuengi.  pupilla.  selia.  251%  4  costa.  rippi.  coxsa  tbioh  251%  8 
Tibia  scinca.  sura  uuado.  251%  9  crus.  bein.  Talus.  ::cli  251%  14  Planta, 
sola.  os.  bein.     Ferner  finden  sich  drei  worte  nebeneinander  in  250%  20 


AUS    S.   GALLER   HS,?.   I.  259 

Cutis,  huut.  pelis.  fei.  Capillus.  har.  250%  24  coma.  falis.  ocepicius. 
anca.  frons.  endi  Li  s.  250"  sind  die  anfangsbuclistahen  der  lateini- 
schen Wörter  durch  den  schnitt  weggefallen.  Die  handschrift  ist  durch 
die  lesung  SV  er  steche  arg  mitgenommen,  und  vieles,  ivas  hei  früheren 
collationen  noch  lesbar  war,  Jconte  ich  nicht  tnehr  erJcennen,  so  z.  b. 
ist  s.  252  fast  ganz  unleserlich  geworden.  Diese  scheint  die  rücJcseite 
des  heftes  gebildet  zu  haben.  Die  schrift  dieser  seile  ist  durchweg  mit 
ivasser  behandelt.  Ich  lese  noch  252",  1  Ingratus.  imlu  252%  1 
::::::::  tus.  iiua.  Mit  flüssigJceiten  sind  behufs  der  lesung  behandelt 
247%  1  —  7.  247%  2  —  5.  248%  4.  7  —  11.  248%  1.  248%  2%  10% 
11.  14.  15.  249%  1%  2.  4  —  12.  249%  1.  9%  12.  13.  249%  1.  2.  3% 
4%  10.  12.  14%  15.  250%  1—25.  250%  1.  2.  4—17.  250%  3% 
4  —  8.  10.  11%  12.  13.  14%  15%  16^  17%  18%  19%  20%  21%  in  z.  24 
und  25  einige  worte.  251%  1.  2.  4.  7^  8.  9.  10—14.  18%  20.  21% 
23.  25.  251%  2.  3%  10%  11—14.  19%  20.  21%  22%  25%  251%  1—4. 
5%  6%  7%  8%  9%  12%  13%  14%  17%  18.  21.  23—25.  Die  ersten 
acht  Zeilen  auf  s.  247  gehören  noch  zu  Sedulius  hymnus ,  an  dessen 
Schlüsse  kyrorphiis  ^  id  ~  medicus  steht.  Die  capitelüberschriften  ste- 
hen im  texte,  nur  DE  BESTIIS  ist  zu  249%  10  an  den  rand  geschrie- 
ben; 248%  23  stand  DE  ARBORIB,  ist  aber  wider  radiert;  auf  der 
folgenden  zeile  aber  steht  volständig  DE  ARBOßlBVS.  Im  folgenden 
abdruch  gebe  ich  nur  das,  was  ich  noch  sicher  erJcant  habe,  mache 
aber  darauf  aufmerksam,  dass  Hattemer  noch  manches  mehr  lesen 
honte,  als  die  handschrift  noch  nicht  durch  reagentien  verdorben  war. 
Nur  von  feinur,  ivelches  Hattem.  III,  299^",  6  angeführt  ist,  sehe  ich 
in  251",  3  kaum  eine  spur  (vgl.  die  anmerJcung). 
247^  Ds  got  Nöps.  uuolcuu 


dns  trohtiu 

Ihs  helant 

xp~s.  xrist 

sps  scs  heilag  geist  5 

Omps  almactic 

Saluator.  heilaut 

Augelus.  engil 

cselü.  himil 

aer.  luft  10 


Tonitruiis.  tlionar. 
Mm.  plecca  zunga 
Irus.  regaupogo 
Pluiiia.  regaua  15 

Imber:  regan 

tepestas.  mmst.  17 

247"  grando.  liagal 
Nix.  sneo 
Algiil.  gelu 


247"^,  4  zwischen  s  —  t  ein  nicht  zum  ivorte  gehöriger,  nach  unten  f/ehender 
strich.  6  Das  erste  c  unten  mit  einem  nach  rechts  offenen  häkchen.  8  Der  haken 
des  ersten  e  ist  verwischt.  257*',  3  am  besten  sind  noch  lg  tmd  lii  zu  lesen,  das 
andere  ist  noch  eben  erkenbar. 

1)  Nach  prof.  Zacher s  einleuchtender  Vermutung  x^'QovQyös;  rp  für  vq  hegreift 
sich  leicht. 

17* 


260 


15 


17 


frigus.  frost 

glacies.  is  5 

Pruina  riifo 
Eos.  tou 
Nebula.  uebul 
Uentus.  uuint 

Supra.  obana  10 

subtus.  nidana 
Ante,  foru 
retro.  aftar 
dextra.  inzeso 
leua.  inuuistar 
aqua,  uuazzar 
Mare.  seo 
247"  Ocean'.  uuentilseo 
carectus.  ra 
fretus.  geozo  i  stagn' 
Abissus.  abgruti 
flutiis,  vnda  5 

gutta,  troffo 
fluuius.  aha 
Torrens.  clingo 
riuus.  bah 

gurges.  uuag  10 

uuortex.  uueruo 
vorago.  suuelgo 
fous.  prunno 
Puteus.  puzza 
Pons.  prugca 
fundus.  grünt 

salbo.  sant  17 

248°^  (Die  drei  ersten  glossen  un- 
lesbar.) 


:  :  :  :  :  OS    SCÜuf 

palus.  striu:  5 

arund:  rora 

ost :  ta  —  a  :  ang 

auis  f :  gul 

aquila  aro 

Cignus.  ala  .- : :  10 

ciconia.  sturah 

grux.  cranuh 

coruus.  hraban 

pauo.  phao 

mil         uus.  uuiuuo  15 

cuculus.  gouh 

graculus.  hruoh 

cornix.  chrauua 

cornicula.  caha 

fica.  agalstra  20 

galkis.  hauo 

gallina.  henin 

anser.  gans 

mergulus.  tuchari 

accipit'.  habuh  25 

248^ g.  falco 

tnrtur.  tuba  .- :  la 

columba  tuba 

oppoba  uuituhoppa. 

passer  sparo.  5 

merulus.  amfsla 

turdus.  stara 

turdella.  drosea 

ficetula.  snepfa 

carduelus.  thistilfinco  10 

hirundo.  suualuuua 


247'',  5  is  ist  noch  erlcenbar.  247",  1  seo  ist  verwischt ,  aber  noch  erlcenhar. 
2  Beutlich  sind  nur  c : : :  tus.  ra :  das  lezte  r  kann  nicht  als  n  gelesen  werden.  Die 
ganze  glosse  ist  getilgt.  4  Bie  beiden  s  sehen  mehr  wie  rr  aus.  11  ex  in  ligatur. 
Bas  dritte  u  des  deutschen  wertes  sieht  fast  loie  ein  langobardisches  a  aus  {vgl. 
Hatt.  I,  294  anm.  2).  17  salbo  b  aus  u  corr.  248%  4  Tcönte  auch  zu  lesen  sein 
:: ::  aussciluf.  5  Nach  u  könte  ein  t  stehn.  7  0  und  das  erste  a  sind  mir  zwei- 
felhaft. Bas  deutsche  wort  könte  zu  lesen  sein  alang  oder  aring.  8  Bas  zweite  u 
undeutlich,  ebenso  z.  9  aq  deutlich,  nil  noch  eben  zu  erkennen,  das  vorlezte  a  sehr 
schwach.     248'",  3.  4  sehr  matt,  b  in  4  zweifelhaft. 


AUS    S.   GALLER   HSS.    I 


261 


strucio.  strux 
lusciuia.  natliagala 
Aneta.  anut 

caradrius.  leraha  15 

Singellus.  finco 
picus.  hehara 
parux.  meisa 
Ala  federa : , 

Penna  slegifedera:,  20 

Pluma  pliimifedera : , 
Kostrum  snabul :, 
Abis  bian 
costrus  uuiso., 
Fucus  treno;  25 

248''  Mel  bouag., 
fauus  uueb'ar 
Nectar  seimbouag: 
Crabro  borniiz. 

scarabeus  iiuibil  5 

cicendiila  gleimo 
Lucusta  stafol 
Miisca  fliuga. 
Ciüix.  mugga 

scinifes  luizuu  10 

Basta  :  a : .  b  :  emo 

Pi  : : :  S.  fisc. 

:  C  : :  tus.   un  :  :  a 

Pboc  :  :  S.    :  dale  :  :  a 

Crocodrillos  niluos  15 

Timallus.  urco 
Tructo.  forahana 
Angiiilla.  aal 


capedo.  cutto 

errox.  labs.  20 

porco.  sterac. 

deltin.  merisuun. 

DE  AKBORIB 

DE  ARBORIBVS 
Arbor.  bouum  25 

249  '  Arbiistus.  sal :  :  tus 
vim :  tu. 
frutex  ast. 

; :  a.  bolz 

; :  s.  uuald  5 

;  :  .   uuaso 
—   —  .   p  :  :  ino 

:  adix  uurzala 

Truncus  stam  10 

cortex  rinta 

virga  garta 

folium  blat. 

feld  Campus 

terra  berda.  15 

Insula  uuerid 

Mons  berg 

Albis  albuu 

Collis  bubil 

Vallis  tal  20 

Puluis  melo 

Aruuni  accar. 

Agev 

Inger 

gleba  scorno  25 


248%  10  Ber  Uzte  huchstabe  des  lateinischen  wortes  Icönte  auch  ein  s  sein. 
11  Vor  und  nach  dem  lezten  a  sieht  man  spuren  eines  hohen  buchstahen.  13  Vor 
dem  lezten  a  spuren  eines  hohen  buchstaben.  14  In  dem  deutschen  ivorte  Icönte 
das  d  auch  ein  \,  und  das  e  auch  ein  r  gewesen  sein.  16  r  ist  undeutlich,  loar 
aber  schwerlich  ein  i.  23  ist  icider  ausgekrazt.  249'',  1  Das  erste  a  des  deut- 
schen Wortes  ist  mir  ztveifelhaft ,  : :  honte  etioa  ic  zu  lesen  sein.  2  ohne  deutsches 
ivort;  statt  des  m  Icönte  auch  ri  zu  lesen  sein.  4  —  12  sind  sehr  undeutlich. 
4  holz  habe  ich  bei  günstigem  lichte  noch  deutlich  erkant.  7  zweifelhafte  lesung. 
8  unlesbar.  10  noch  eben  lesbar.  12  Das  lezte  r  sehr  unklar.  23  und  24  ohne 
deutsches  wort. 


262 


249"  M  : :  st.  faza 
Sata 

seinen  samo 
Stipula.  halni 
Spica  ahir 
Arista.  agana 
Graniis.  corn 
palia.  stro 
frumentum.  iiuezi 
hordeü.  gersta 
Annona.  corn 
Auina.  euina. 
Zizana.  turd 
Triticum.  thincil. 
Siclo.  rogco 
Pratü.  Uliisa 
gramus,  gras, 
herba.  imrz 
fen .  heuiii 
flos.  bluomon 
Solitiido.  einoti 
deiiiü.  auiiigci 
Iniiiü.  anoimeg 
Semita.  stiga. 
calis.  pfad 

249"  Specus.  griut 
hiatus.  erdfal 

Saxum.    :  :  :  : 

Kiipis.  fliusa 
cauerna.  hol 
foramen.  loh 
Gemma.  gimma 


10 


15 


20 


25 


ciiiitas.  purg 

Lediticiü.  monia.  gizimbri    10 

viciis.  torpf 

Villa,  giuupffila 

sepis.  zun 

Murus.  mura 

tuiTUS.  turra  15 

Lustrus.   teorcimeida  DE 

BESTIIS 
bestia.  teor 
fera,  iiiiild 
leo,  lio 

catulus.  iiuelf  20 

ursus  pero.  ursa  pirin 
leena  lioin 
elefans.  helfant 
bos.   ohso.   thaurus  stir 
uacca.  chouuua  25 

250"  |tula.  chalba 
|tiilus.  chalp 
|uencus  stior 
jquus.  hros 

|ndomiti.  iingizamit  5 

|:  mida.  gizata : 
asinus  esil.     asina.  esilin 
|uis  scaf,  Agnus  Lamp 
|orcus.  suuin 

|:  celli.  farahir  10 

I  agalis  barug,  uersus.  be : 
|apra  Geiz,  hedus.  ch  — 
jciis.  poch,   canis.  hunt. 
I :  llana.  zaga 
Ituli.  ime'fir  15 


Lacus.  gruopa 

249'',  1  Das  lezte  a  imsicher.  2  Ohne  deutsches  wort.  11  Oben  vor  dem 
ersten  o  ist  ein  fleck  wie  ein  übergeschriebenes  i.  249'',  3  Das  deutsche  wort 
erkenne  ich  nicht  mehr,  es  mag  aber  stein  gelautet  haben.  4  Das  deutsche  ivort 
ist  von  moderner  hand  nachgebessert.  10  e  klein  über  o  geschrieben.  16  c  zwei- 
felhaft. In  250''  ist  der  erste  teil  der  lateinischen  tvorte  durch  den  schnitt  abhan- 
den gekommen.  4  q  durchschnitten.  5  Das  lezte  i  ist  schwerlich  als  o  zu  lesen. 
6  Vom  lat.  ivorte  sind  rnicl  unsicher,  vom  deutschen  das  t;  der  lezte  buchstabe  könte 
ein  N  gewesen  sein.  8  u  durchschnitten.  11  Es  könte  auch  uorsus  gelesen  iverden 
{es  ist  sicher  verres  bcr.  Zacher).    14  IIa  sind  unsicher.    15  1  vor  f  klein  übergeschrieben. 


AUS    S.    GALLER   HSS.   I 


26S 


|pus  imolf.  lupa  U  :  :  :  ill 

julpis.  foha.   Lepiis.  : :  so 

|astor.  pipar.  Lustriis  ottar 

|cuuiculiis.  lorichiu 

|bex.  stengeiz  20 

|:nager.  imilder  esil 

|: : .  elaho.  gripes  grif 

i:inx.  liüis.  Simia.  aftb  23 
250''  vnicornus.  euhorno 

Ericius.  Igil 

capriolus.  relio 

cemus.  liiruz 

cerua.  uuinta  5 

Siirex.  mus 

grulis  grello 

talpa.  multimeif 

Miistela.  uuisala 

formica.  ameiza  10 

aranea.  spimia 

Tinea,  miluiuui 

Pulix.  floch 

pediculiis.  luus 

mmiceps.  cazza  15 

tarnus.  mado 

quadnipes.  fiorfuoszi 

pecus.  iielio 

pullus.  fiüi 

Camelus.  olbenta  20 

mnliis.  miü. 

hiuuiüus.  hintcalb 

Rana.  frosc 

Rubeta.  creta 

testudo.  portapara  25 

250''  serpens  natra. 

coluber  iiurm. 


draco.  traccho 

R :  gulus.  Basilicus. 

laculus.  liiiuiu'uiu  5 

Cecula.  blinteslich 

Lacerta.  arma 

basilicus  aspis. 

DE  MEMBRIS  HüMANIS 

Membrus.  lid.  liomo  mau    10 

Homuncio  mannil : 

femina.  uuib.  lüiius  quecher 

Uiua  quecbiii  vitalis  liblili 

Mortalis.  todlih.  Inmortalis 

iintodl 
Semiuiuus.  samiquec.  15 

Semimortuus.  samitoto. 
semianimis.  uuanheli 
Corpus,  lihamo.  spiracio.  atinuga 
figura.  gilihuussi.    Caluaria.  gi- 

billa 
Cutis,  huut.   pelis.  fei.    Capillus. 

bar.  20 

Crispus.  reider.  caluus.  chalo. 
Vertex,  uilla.  crinis.  loc 
cerebrum.  birui.  mebran  hii'nifel. 
coma.   fabs.     ocepicius.   anca. 

frous.  endi 
timpus.     dunuuBDgi.     pupilla. 

seba.  25 

251"  Palpebre,  slegipra 
Anguli  oculoril 
Lacrima.  zabar 
geues.  biulilo 

auris.  ora  5 

auditus.  gihoruussi 
Narus.  nasa 


250'',  8  Das  Uzte  e  ist  ziveifelhaft.  17  Das  lezte  s  sieht  einem  r  ähn- 
lich und  ist  mit  z  verschlungen.  18  Daneben  steht  mit  andrer  dinte  deus  me. 
250',  12  ch  undeutlich.  13  t  undeutlich.  17  Über  dem  lezten  e  scheint  ein  i 
übergeschrieben  zu  sein.  251'',  1  undeutlich,  aber  wol  sicher.  2  ohne  deut- 
sches lüort. 


264 


flegma      — 


Lab 

Memu  c  ius 

Subment  ta :  chinn 

Lingua,  zimgili 
Palatus.  bilarn 
dentes.  ceni. 
molares,  chinuiceu : : 
Collü.  hals, 
gingiue.  bilarna 
Gurgulio.  querca 
Guttus.  guomo 
gula.  kelaraho 
Saliua.  spichilla 
sputus.  tugulu 
251''  vmerus.  ahsla. 
armus.  al 
brachiiis.  arm 
cubitus.  elinpogo 
iilna.  elina 
palma  spauna 
manus.  haut 
digitus.  fingar 
Articulus.  lidali 
unguis,  nagil 

thumo 
—    INPUDICUS 
: :  ularis.  auricularis 
pugnus.  fuust 
Ascella.  hohasa 
mamilla.  tutto 


10 


15 


20 


25 


10 


15 


Lac.  miluh 
scapula.  harti 
Spina,  ruggipeini 
Renes.  lenti  20 

ilia.  hlauca 
Latus.  Sita 
uenter.  uuamba. 
vteres  href. 

Uiscera.  innodli  25 

251''  Umbilicus.  nabulo 
Clunes.  hodon. 
Nates.  arsbelli 
Costa,  rippi,  coxsa  thioh 
üesica.  blatra  5 

Iiiguis.  hegedrus 
Genu.  cneo.   poples  .  r :  h  ,  .  . 
Tibia.  scinca.   sura  uuado. 
crus.  bein.  Talus,  encli 
calcaneum  fersna  10 

Vestigius.    spor 
gressus.  canc 
pes.  fuoz  l  stapfo 
Planta,  sola.  es.  bein. 
medulla.  marg  15 

sanguis.  bluot 
testiculi.  niorun 
Umor.  fuhti. 
cor.  herzi 

lecur.  lebara  20 

Pulmon.  lunguüna 
splenis.  milzi 
reticulus.  nezzi 
intistiua.  gidermi 
Stomahus.  mago  25 


251",  8  ist  noch  flegma  zu  erkennen,  nicht  aber  die  deutsche  Übersetzung 
des  ivortes.  Von  z.9 — 11  kami  ich  nichts  mehr  erkennen.  Von  ^r.  9  — 13  i*i  ein 
loch  im  pergament,  und  ivas  Haitemer  z.d — 11  gelesen  hat,  ist  mir  nicht  mehr 
erkenbar  gewesen.  15  Statt  des  lezten  i  könte  auch  a  zu  lesen  sein.  18  Der  huch- 
stabe  nach  dem  lezten  n  gleicht  einem  a.  20  r  undeutlich.  25  Das  ziceite  t  gleicht 
einem  c.  251 '',  2  Es  ist  mir  sehr  zweifelhaft,  ob  hinter  1  noch  etwas  stand. 
11  Das  lateinische  wort  vor  thumo  ist  ganz  getilgt.  25V  Zxvischen  3  und  4:,  unter- 
halb belli  könte  ein  ivort,  toie  femur,   eingeschrieben  getvesen  zu  sein. 


AUS    S.    GALLER    HSS.    I 


265 


3)  Cod.  Sang.  193  s.  302 — 303,  Deutsches  vocahular  aus 
dem  anfang  des  achten  Jahrhunderts  in  lang  oh  ardischer 
Schrift.  Das  vocabular  schliesst  sich  an  die  orationes  pro  intrantibus 
usw.,  wie  J.  V.  Arx  auf  dem  titclblatt  den  inhalt  von  s.  284 — 302  bezeich- 
net. Es  begint  auf  zeile  9  der  seite  302  und  ist  von  jüngerer  hand 
ergänzt.  Die  ergänzungen  sind  bei  Hattemer  bezeichnet.  Die  buchsta- 
ben  derselben  sind  feiner ,  obwol  in  ihrem  schriftcharahter  nicht  wesent- 
lich verschieden  von  den  ersten  {vgl.  Halt.  I,  311 — 312).  Das  ursprüng- 
liche glossar  ivar  so  geordnet,  dass  auf  Je  eine  zeile  der  octavhand- 
schrift  ein  lateinisches  wort  mit  seiner  deutschen  Übersetzung  ham.  Die 
ergänzungen  füllten  die  lücJcen  vor  und  neben  dem  eigentlichen  text 
aus.     Der  erste  text  ist  der  folgende: 

302  z.  11  licet,     mit  tiüli  1  luiiadat.  auaiiarkauge. 
texentiiim.  uuepantero  inertiam.  slaffi 
^quera.  seouuazzai-                        i      5  iugenmt.  auapringaut 
Limpha  amnis.  aha  uuazzar        '         mimilia.  kisteini 

15  inqiiam.  ih  quidu 

immin&  ana  ist. 

depitaiiare.  keirreo. 

conditio,  kescaft. 

note.       masim 
20  —  —  ze  f :  rhtenue  ist 

lugubre.  k^aralih  '  detorqueat.  kiride 

303  indefesso.  studio,  unarmodeu-  eminens.  fora  uuisanter 

lichem.  15  confligere.  flizzan 

addimtur.  zuasint  kaouhot  tuti.  kesiinti. 

Von  zioeiter  hand  sind  nachträglich  hinzugesezt  auf  s.  302  auf 
z.  9  neben  sps  sei  p  (dem  Schlüsse  der  oratio  pro  iutrantibus  in  pisale 
seu  hypocaustiim)  und  auf  z.  10  eximios.  urmare.  tyrones.  keringuu. 
insiniiare.  kech.-nden.    iure,  pirehte. 

Hechts  neben  z.  IQ:  prediti  keerete 
Rechts  neben  z.  17:  iudustria.  kerni 
Rechts  neben  ^.18:  dö  insunuante 

302,  11  Der  untere  teil  von  licet,  sowie  die  lücke  bis  mit  ist  durch  ein  loch 
im  pergamente  iveggenommen.  20  Von  dem  lateinischen  worte  ist  ivegen  eines 
lochs  im  Pergamente  nichts  zu  erkennen ,  als  ein  senkrechter  strich ,  iind  zivei  haken, 
tvie  die  anfange  sioeier  z.  21  h  steht  oben  neben  k  nachgetragen ;  hinten  auf  der 
Seite  steht,  scheinbar  von  derselben  hand,  charalih.  303,  1  ru.  ist  übergeschrieben. 
2  Der  obere  teil  von  sint  nnd  oubot  durch  ein  loch  im  pergament  iveggenommen. 
6  u  scheint  aus  o  corrigiert.  7  Am  rande  m.  a.  d.  anima  mea.  10  Von  k  ab  ist 
das  wort  durch  ein  langes  loch  im  pergament  verdorben.  13  o  durch  einen  Wurm- 
stich vernichtet.     14  Das  leste  n  ist  abgeschabt. 


euasisse.  arnesan 
spacium.  frist 
non  obtinuit.  ni  kehalota 
10  inlesus.  uu  k  :  te  : : 
minatur.  kadroti 
frauderemur.  uuarin  piteilit 


266  PIPER 

BecMs  neben  ^.19:  kote.  kimdeutemo. 
Auf  s.  303:  rechts  neben  z.  16:  sentinatur.  ist  arscaffan. 
Auf  z.ll  \  a  sitiila.  foua  fazze.  inqiiid.  er  quid. 
Auf  z.  18:  redisse.  uuarpen.  malagma.  salpa. 
Auf  3.  19:  iibula.  li"eizzilo. 

Tinten  auf  der  seite  steht  noch  in  schräger  schrift  ferti '  als 
schreibübung  von  andrer  hand.  In  begug  auf  die  schrift  ist  zu  mer- 
ken, dass  die  a  der  zweiten  hand  sämtlich  die  offne  langobardische 
form  zeigen,    während   dieselbe    in   der   ersten  hand   nur  vorJcomt    in 

302,  13  ^quera.  seouuazzar  303,  2  zuasint  kaouhot  303,  3  Iniiadat. 
auauuarkange.  303,4  inertiara.  slaffi  303,  5  anapviugant  303,  6 
munili«      303,  7  euasisse.  arnesan      303,  8  spacium     303,  9  kehalot« 

303,  11  minatur.  kadroti     303,  12  frauderemur.  imarin     303,  13  det:r- 
queat     303,  14  fora  luiisanter;    alle  andern  worte  zeigen  das  karoUn- 
gische  a.     Von  ligaturen  finden  sich  die  langobardischen  von  nt  in  sint 
303,  2     aiiapringant  303,  5;    ri   in  uuarin   303,   12     kiride  303,  13 
keringim  302,  9  (2)     industria  302,  17  (2);    re  in  depitauare  302,  17 
keirren   302,   17       liigiibre   302,  21       urmare   302,  9   (2)       insinuare 
302,  10  (2)     iure  302,  10  (2)     relite  302,  10  (2)     prediti  302,  16  (2) 
keerete  302,  16  (2);    ex  in  texeutium  302,  12      eximios  302,  9  (2) 
en  in  ze  f:rhteime  302,  20     eminens  303,  14     uuarpeu  303,  18  (2) 
er  in  303,  17  (2);  &  in  imniiuet  302,  16;  ro  in  uuepautero  302,  12 
ti  in  texentium  302,  12. 

4.  Cod.  Sang.  242  s.  21  —  48.  Glossen  zu  den  enigmata 
Aldhelms.  Die  Überschrift  auf  s.  21  lautet:  Incipiunt  enigmata  althelmi 
epi;  oben  rechts  in  der  ecke  steht  noch  einmal  Enigmata  aldhelmi  epi 
incipiüt.  Die  roten  anfangs-  und  endbuchstaben  des  einleitenden  gedich- 
tes  bilden  den  vers:  Aldhelmus  cecinit  milleuis  versibus  odas.  Die 
Überschriften  der  einzelnen  enigmata  sind  glossiert,  wofern  nicht  der 
dem  ausländischen  namen  entsprechende  deutsche  fehlte.  Auch  diese 
Überschriften,  welche  Hattemer  I,  s.  279.  280  übergeht,  sind  im  folgen- 
den aufgezählt.  Die  Überschriften  selbst  sind  rot  geschrieben,  die  deut- 
schen Wörter  Mein  darüber  mit  schwarzer  dinte.  Die  vorstehenden  zah- 
len bezeichnen  seite  und  zeile  der  handschrift. 

23,    8  de  iri   vel   arcu  celesti  .i. 
regaupogo. 
13  de  Ivna  .i.  mauo 


22, 13  De  terra,  tetrastichon 
18  De  vento  .i.  vuint 
23  De  uvbe  .i.  uuolchan 

23,    3  De  natura  .i.  Gipurt. 


18  de  fatv  vel  genesi  .i.  vrlaga 


23,  18  Die  glosse  steht  über  fatv. 


AUS    S.    GALLER    HSS.    I 


267 


23,23  de  plicidibvs  .i.  sipun  stiiNi 

24,  4  DE     ADAMANTE     .1.      llOIlien 

lapidis. 
8  de  cane  i.  hunt. 
12  de  poliadibvs.  }  follibvs  fa- 

brorv.  .i.  palga  dero  smido. 
17  de  bombicib;    id  e  verinibvs 

sericas  vcstes  texentib.  .i. 

dia  uurmi   dia   daz   gotu- 

uueppi  machont. 
21  de  Organa  .i.  Organa 

25,  1   de  pavone  .i.  fao 

6  de  salamandra.  quae  e  si- 
milis  lacertffi.  .i.  natra 

11  de  Ivligine.  id  e  pisce  uo- 
lante 

16  de  periia  quae  multo  maior 
est  ostreis.  .i.  snecco. 

21  De  mirmicaleone.  compositü 

nom  e.a  formica  &  leone. 
mirmica  gr.  formica  dr. 
leones  s  in  coparatioiie  mi- 
narü  formicarü. 

26,  1  de  sale  .i.  salz 

6  de  apibvs  .i.  piana 
11  Lima  .i.  saga  1  lüla 

16  de  achalantide.  1  lusciuia  .i. 
nachtegala 

22  de  trvtiua  i.  miaga. 

27,  1  de  dracontia.   geuus  herbae 

7  de  magnete  ferrifero  i  no- 

men  lapidis. 


13  de  gallo  i.  liano. 

18  de  coticvlo  .i.  uueziste'n. 

23  de   minotam'O    i.    nom  ani- 

malis. 

28,  2  de  aqua  i.  uuazar. 

8  de  elemento    t    abedario  i. 
pohstapa. 

24  de  pugillarib;   i.  paruis  ta- 

bulis 

29,  4  de  lorica  i.  gisaruuui 
11  de  locvsta  i.  stafol 

18  de  nicticorace  i.  uacbtram 

25  de  scinife  i.  mizun. 

30,  7  de  cancro  .i.  chrepazo 

13  de  tippula  quae  n  nando  sed 
gradiendo  aquas  transilit 
.i.  abageiz 

20  de  leone.  leo. 

31,  1  de  pipero  .i.  fefor. 

7.  8  de  pvl[villo.  i.  uuengi 
13  de  strvtioue  .i.  struz. 

19  sanguisuga  i.  egala. 
25  de  igne  i.  uuir 

32,  8  de  fvso  i.  spinnila. 
15  vrtica  i.  nezzila 

20  hiruudo  i.  sualuuua 

33,  4.  5  de  vertigine  |  poli  i.  mipi- 

uueruunga  himiles. 
13  de  cacabo  i.  cbezzil 
18  de  mirmifilone  .i.  garauua. 
23  de  eliotropo  grece.  solsequia 

latine  i.  nom  herb^ 


24,  8  Biese  überscJirift  steht  rechts  am  ranäe.  24,  12  Die  glosse  steht  über 
poliadibvs.  24,  17  texentib.  ist  am  ende  der  seile  übergeschrieben  und  mac  —  hont 
dadurch  in  zivei  teile  geteilt.  25,  6  von  quae  ab  schioarz  als  erlclärung  daneben; 
i.  natra  schwarz  über  salamandra.  16  snecco  über  perna.  21  von  couipositü  ah 
schwarz.  26,  16  Über  achalantide  steht  grece,  über  luscinia  steht  latine;  von  .i.  ab 
mit  schtvarzer  dinte.  27,  18  i  nach  e  klein  übergeschrieben,  28,  8  pohstapa  steht 
über  elemento.  30,  13  abageiz  steht  über  tippula.  25  v  Mein  nach  i  übergeschrie- 
ben. 33,  13  Rechts  darunter  steht  noch  einmal  chezzil  von  andrer  hand.  18  Links 
davon  steht  noch  einmal  von  andrer  hand  cara::  :,  aber  verwischt.  23  von  i.  ab 
schwarz  rechts  am  rande. 


268 


34, 

3  de  caudela  i.  charza. 

11  de  ar'tiiro  i.  iiuagau. 

20.  21    de   cocuma     duplici  i. 

noni  uasis. 

35 

2  de  ciismaria  i.  chresani :  uaz : 

11  de  castore  qui  latine  fiber  dr 

21  aquila  i.  aro 

36, 

4  de  vespero  sidere   i.  apand 

Stern. 

11  penna  i.  iiedara 

19  de  monocero.  id  e  vnicorao 

i.  einhurno. 

37, 

6  de  pvgione  i.  suert 

13  de  fanfalica  gr.  quae  bulla 

aquatica  latine  d"  i.  uua- 

zar  platra 

21  de  Corvo,  i.  ram. 

38, 

5  de  colüba.  i.  tüpa 

11  de  mnrice  i.  chazza 

20  de  mola.  i.  niuli 

39, 

2  de  cribello  furfures  a  fariua 

sequestrante  i.  hasip.  l  ritra 

12  de  salpice  i.  hörn. 

20  de  taxo  igo 

40, 

3  de  tortella  i.  leip.  1  zelto 

10  de  pisce  i.  uisc 

16  de  coloso  i.  nom  gigantis. 

24  Föns  i.  prunno. 

41, 

6  de  fundibalo  i.  sliuga 

15  de  crabone.  i.  hornuz             1 

Dies  sind  die  titel   der  in  der 
fehlen  in  der  sandung  de  helleboro 


42,  2.  3  de  melario  |  l  malo  i.  ar- 

bor  de  qua  adä  comedit 
9.  10  de  ficul  I  nea.  i.  fic  poum 
16.  17  de  cvba  |  vinaria  i.  uiiin- 
chuofa. 

43,  1  de  sole  et  luna 

12  de  calice  vitreo   i.  glesiner 
cbelih. 

21  De  Ivcifero  i.  tagastern. 

44,  6  mustela  .i.  vuisala 

14  de  ivuenco  i.  stior. 

20  de  srofa  pregnaNTE   i.  svu 
suangariu. 

45,  4  de    ceco   nato   i.   plint  po- 

raner. 

10  de  ariete  i.  uuidar. 

18  de  clipeo  i.  seilt 

24.  25  de  aspida  |  1  basilisco  1. 

natra. 
46,6.  7  de  arcba  |  lib'aria  .i.  poh 

aracha 
11.  12  de  pverpera  gemi  ]  nos 

enixa  i.  partu  liberata 

15  de  palma.  similit. 

47,  1  de  faro   editissima  i.  tiirri. 

hoher 

11  de  scintilla  i.  gneisto 

22  de  ebvlo  i.  atiich 

48,  6  de  Scilla  i.  nom.  mulieris. 

19  de  elephaNTO  i.  helfant 

liandsclirift  gegebenen  rätsei.     Es 
(Giles,   sancti  Aldhelmi  ex  abbate 


34,  11  ist  ganz  mit  schtvarzer  dinte,  c  nach  v  Mein  übergeschrieben.  35,2  z 
durch  rasur  ivider  getilgt.  36,  10  Das  deutsche  ivort  deutlich  so,  es  steht  über 
monocero.  37,  13  Das  deutsche  wart  steht  über  fanfalica.  38,  20  muH  ohne  accent; 
der  strich  gehört  zum  vorigen  verse;  ähnlich  bei  uisc  in  40,  10.  41,  6  a  vor  1  mit 
schwarzer  dinte  aus  rotem,  u  corrigiert.  42,  2.  3  comedit  ist  dem  übrigen  erklären- 
den Satze  noch  übergeschrieben.  43,  12  i  in  glesiner  ist  durch  ein  ursprüngliches 
e  gezogen.  44,  20  nt  in  ligatur.  46,  7  r  nuch  b  Mein  übergeschrieben.  47,  1 
Darunter  steht:  Farus.  dr  alta  turris.  a  fando  in  qua  faciuut  principes  populi  iudi" 
cia  &  questioues.     48,  19  ni  in  ligatur. 


AUS    S.    GALLER    HSS.   I 


269 


Malmesburiensi  episcopi  Scliireburnensis  opera  quae  extant.  Oxonii  1844 
s.  260),  de  camelo  (Giles  s.  260),  de  nocte  (Giles  s.  270),  de  creatura 
(Giles  s.  271  fgg".).  Die  angeführten  lateinisclien  tifel  der  enigniata  sind 
mit  roten  uncialhuchstaben  gcschriehen,  meist  auf  besondrer  zeile,  aber 
auch  rechts  am  rande,  so  24,  8.  26,  6.  11.  22.  27,  13.  18.  23.  28, 
2.  24.  29,  4.  11.  18.  25.  30,  7.  20.  31,  1.  7.  13.  19.  25.  32,  8.  15. 
20.  33,  4.  13.  18.  34,  3.  11.  20.  35,  2.  21.  36,  11.  37,  6.  21. 
38,  5.  11.  20.  39,  12.  20.  40.  3.  10.  16.  24.  41,  6.  15.  42,  2.  9. 
16.  43,  12.  21.  44,  6.  14.  45,  4.  10.  18.  24.  46,  6.  15.  47,  1. 
11.  22.  48,  6.  19;  linhs  am  rande  stehn  36,  4.  44,  20.  46,  11. 
Die  deutsche  Übersetzung  steht  meist  über  dem  lateinischen  ausdruck; 
daneben  nur  in  27,  18.  31,  8.  35,  11.  43,  20.  Die  titel  25,  1. 
26,  1.  27,  1.  43,  1  sind  tiachträgh'ch  über  der  ersten  zeile  der  Seite  hin- 
zugefügt. 24,  21  steht  zivisehen  den  Zeilen  21  und  22,  die  glosse  eng 
darüber. 

Ausser  diesen  tifelglossen  enthält   die  handschrift  noch   folgende 
interlinear-  und  marginalglossen  (bezeichnet  durch  J  und.  R.): 
23,24  R.  athlas.  nom.  montis  I    29,    6  R.  Licia  .i.  iiizza 

24, 18  J.  telas  i.  uueppi  8  J.  radiis  i.  raimn. 

20  R.   orenesta.    o-euus    arboris  t  15  R.  Rub&a  i.  ch'&a 


magnitudine  fruticü. 
25, 17  J.  concis  .i.  scalon. 
26, 11  E.  Lima  .i.  Sega 

22  R.  trutina  i.  libra  quae  mom- 
tana  dr  eo  qd  ad  momtfl  incli- 
nata  ^lergit 

27,  12  J.  cypri  i.  insula 

25  J.  gnosia  i.  greca 

28,  10  R.  Zu  dem  verse   Sex  alias 

nothas  n  dicimus  adnurae- 
randas  steht  a.  r.  id  J.  H. 
K.  Q.  X.  Y.  Z.  noth  quia 
de  grecis  sumptas 
16  J.  ciconia  i.  storah. 

26  Zdi  dem  verse  Calciamta  mi- 

hi tradebant  tergore  dura 
steht  a.  r.  Sic  iiid&ur  in 
tabiilis  scotoiv 


23  J.  pelasga  i.  gveca 

R.  nyctos.  grece.  nox.  corax, 
coruiis  gf 
30,    5  R.  memphitica  i.  egiptia 

32,  12  R.  Parc^  .i.  de»  infernales. 

33,  2  R.  cataplasma.  medicamentü 

34,  18  R.  Stix.    fluuius    inferualis. 

Letheus.  palus  inferui. 

35,  1  R.  incus  .i.  auapoz 
11  jR.  castor  .i.  pipar 

21  R.  ganimedis    .i.  filius  pri- 

ami. 
23  R.  prepes  .i.  auis 

36,  11  R.  Onocratulus.  penna  ono- 

cratuli  optima  ad  scribeudü 
ee  diciüir. 

37,  4  J.  pelasga  i.  greca 


26,  11  links  am  rande;  vgl.  oben  26,  11.  22  linlcs  am  rande;  vgl.  oben 
26.  22.  29,  15  r  vor  Sz  in  chreta  Tilein  HbergencJiriehen.  30,  5  Knhs  am  rande 
34,  18  links  am  rande.     35,  11  vgl.  oben  35,  11.     36,  11  links  am  rande. 


270 


39,  22  R.  circiiis  &  boreas.  iiomina 

uentor^.  similiter  chaurus. 

40,  16  -R.    Colosus.    noiii    gigantis 

cuius  simulacrü  in  urbe 
roma  fuerat  fabricatü  alti- 
tudine  nimia 

41,  6  jR.    Fundibalum    compositü 

nom  e.  a  fimda  &  iusulis 
balearib.  quia  illic  primü 
iniienta.  l  a  balasta  .i. 
osteusione.  funda  tarn.  & 
fundibalfl.  unü.  sig 

43,  3  R.  Delus.  nom  insnlse. 

10  E.   chaos.    grece.    confusio. 
sine  tenebre.  1  mors,  df  lat. 

44,  25  B.  Popiüus.  alpari.  tax.  iigo. 


45, 


47 


48, 


3  R.    ilex    .i.    genus    arboris 
glandiferae 
19  R.  : : :  Scinifes   .i.  minores. 
muscQ  .i.  miznn 

22  R.  Sambncns.  holantar 

24  B.  Bacca  .i.  beri.  Corim- 
bos  .i.  Trnpilun 
6  R.  Scilla,  filia  porci.  qnä 
iuppit  uoluit  corrumpere. 
&  iuno  postulabat  circa 
filiä  solis  ut  p  magica  arte 
eä  conuerter&  in  insaniä 

15  _R.  Palmula  .i.  extrema  pars 
remi  .i.  laifa. 

23  R.  Sistrü,  gen',  tub^. 


5.  Cod.  Sang.  242  s.  50 — 148  Glossen  zu  Aldlielm  de  vir- 
ginitate  {vgl.HaU.I,s.280—28i).  Dte  Überschrift :  INCIPIT  LIBER 
ALDHELMI  EPI  DE  UIRGINITATE.  Die  roten  buchstnhen  des  ein- 
leitenden gedichtes  bilden  den  vers:  Metrica  tirones  nnnc  promant  car- 
mina  castos.  Die  glossen  stehen  am  rande,  wofern  es  nicht  anders 
hemerJit  ist: 


51,  23  Glumas  .i.  granas. 

52,  4  Pipant  .i.  gellent 
54, 16  Calcnlns  .i.  licliinus 

57,  21  Obrizn.  smelzigold. 

58,  4  Glebula  .i.  scollo 

5  Cornus.  genus  arboris 

9  Vnio  .i.  merigroz 

22  Bratea  fila.    giunntana   fa- 
dana 

59,  2  crepundia  .i.  gisteini 
8  ligustra,  gens  floris. 

21  J.  buUis  .i.  cuopfon. 

21  Fibula  .i.  nusca.  qu^  coniun- 
git  pallia  imperatorü. 


24  Salignis.  Salaliinen. 
60,    2  Lichiuus  .i.  cbarz. 
8  Anthlia    i.  galgraha 
11  Mergula  .i.  scarua. 

13  Graculus  .i.  : :  ruoh 

14  Occas  .i.  : :  suochun. 
18  Venustas.  fronisk. 

65,  13  mirtus  e  gen'  arboris 

21  massä  .i.  offä  1  cliuuua. 
66, 13  Sambuca.  gen'  tub^  a  sam- 
buco  facta.  Constat  musi- 
ca    ars    trib.    mod.    uoce. 
pulsu.  &  flatu. 
14  Poplite.  chneorado. 


40,  16  links  am  rande ,  vgl.  oben  40,  16.  41,  6  i  in  Fundibalum  ist  durch 
ein  ursprüngliches  a  gesogen;  vgl.  oben  41,  6.  44,  25  links  am  rande.  47,  19  :: : 
Tilgung  von  Sni.  48,  6  links  am  rande,  ebenso  15.  23.  60,  13  : :  rastir  von  ro. 
14  : :  rasw  von  so. 


AUS    S.    GALLER    HSP.    T 


271 


67,  21  Paranimphus  .i.  brutiboto 
70,  13  armonia  .i.  soiius  suauissim'. 
71,25  chaos  grece.  confusio  1  mors 

dr  lat 
73,  11  fimesto  .i.  fuleino 

14  Natrix.  gen'  serpentis 
74, 17  Necvomantia  .i.  belliruna 
Necros.  gf.  niortuus  dr  lat. 
Necromautia.  resuscitatio 
mortui  intpretatur.  hoc 
sua  magica  faciebant  arte 
vt  homiüib.  stultis  puta- 
bantur  mortiios  posse  re- 
suscitare.  qui  hac  arte  pe- 
riti  eraut 

Culcita  .i.  p&ti. 

Kugosse  i.  girunfan 

cycladib.  i.  uestis  qua  utunt'. 
mulieres  in  grecia  &  roma. 

omina  .i.  helisod 

•Ppugnacula  .i.  uueri. 

Caries.  Carix  .1.  uermis  qui 
ligua  comedit. 

scrobem  .i.  uuason 

Imbrice  rubra  .i.  testa.  1  te- 
gula  .i.  ziagal. 

Ambrosia,  gen'  herbse 

Turificare  .i.  rochan. 

In  uerib.  i.  in  spiznn. 

memphitica  .i.  egiptiaca. 

Fotu  .i.  paunga. 

Titnlantis.  pungentis.  1  mo- 
uentis  siue  chizilontis. 

Gypsa.  gen'  serpentis. 

chelydrü.  serpente. 

ausoniae.  italiae. 

narcisus.  nom  herbe  .i.Chres| 

Papirus    .i.    pinoz.    Centro 
.i.  medi&ate 


75, 

10 

11 

24 

76, 

3 

77, 

3 

4 

7 

11 

18 

79, 

9 

10 

81, 

15 

82, 

8 

83. 

19 

22 

25 

85, 

9 

87, 

9 

88, 

5 

76 .  3   Das  Uzte  i  verwücM. 


79, 


90,  16  Extales   .i.  grozdrä.  ani  .i. 
posterior  pars,  corporis 
17  Latrina  .i.  feldgaug 
91, 15  arseniü.  fpriü  nom. 
92,    2  Buxeus  .i.  arbus 

95,  1  Blessos  .i.  lispante.  balbos 

i.  stam| 

96,  4  Salamandra   uocata    e    qd 

contra  incendia  ualeat.  nä 
si  arbori  inrepserit  oina 
pomaintficitueneno.  &eos 
qui  ederint  occidit.  Quq 
etia  si  in  puteü  cadit. 
vis  ueueni  eins  potantes 
intficit. 

97,  11  Bombix.  qui  sericü  facit 

98,  1  vestalis  .i.  uuat  lihhiu. 
11  vesta  .i.  dea.  ignis. 

99,  9  suras  .i.  uuadon.    Cipporü. 

druho.  Cippus  .i.  druh. 
100,    5  Papirus  .i.  pinoz 

104,  13  Mars  .i.  deus  belli 
17  minerua.  dea  artis. 

105,  4  Centaurus    .i.    gen'   bestioe 

horribilis 

5  Cacus  monstrü  fuerat  qd 
habitauit  in  cripta  &  fo- 
ras  spirabat  fumü  &  furti 
herculis  armta  fdauit. 

7  Claua  e  geu'  armorü  lig- 
neü  l  fe|  &  nodosü  qd 
hercules  semp  portar|  con- 
sueuerat 

20  Dagon  .i.  idolü. 
106, 1  Spina  .i.  rucki 

21  Glus  .i.  lim 

22  Calcis  .i.  c''alc 
108,    5  in  cupas  .i.  chofon 

14  Gypsa  .i.  serpens 

9  V  Mein  über  o  geschrieben.       87,  9  .i. 


getilgt.     106,  22  li  nach  c  Ideiyi  übergeschrieben. 


272 


visco.  i.  laqueo.  }.  fogallim 
Per  ipsima  i.  purgamta  far- 

ris  .i.  spriuiiir. 
iabara  .i.  uexilla 
Argolicas  .i.  grecas. 
Bargina  .i.  peregrina 
Ausonise.  italise 
Puuica  .i.  afifricania 
Obrizü.  iibar  guldi 
caccabis  .i.  caldeariis 
Gurgustia  .i.  ciibibicula  (sie) 
Larba  .i.  monstru.  scrato. 
ciclades  .i.  uestes 
Riigis  .i.  rumfiiiiguu 
Macheras  .i.  gladios.  vibex 

.i.  sumarlata. 
Thermas  .i.  bad. 
Plaiica.  pars  nauis 
Gypsä.  i.  serpente 


114,  16  Im  texte  steht  Gliscit  {das  erste  i  durch  e  gezogen).    127,  3  Im  texte 
steht  basternä. 


109, 

9 

Nilotica  i.  egiptiaca 

128, 

18 

20 

Fusus  .i.  spiunila. 

133, 

12 

23 

Nitrü  .i.  gen'  herb^. 

opti- 

mü  e  ad  abbliieudas 

{sic) 

134, 

23 

sordes.  sie  sobona 

136, 

24 

111, 

1 

doliü  .i.  putimia 

137, 

3 

22 

Stuppea  .i.  aimiribhiniu 

4 

112, 

20 

Comp&a  .i.  giuiücci 

18 

113, 

2 

Bellona.  dea  belli 

138, 

8 

5 

Mauors.  deus  belli 

140, 

14 

6 

Salpix  .i.  gen'  tubse. 

18 

114, 

16 

Glescit  .i.  crescit 

21 

115, 

8 

Colostrfi  .i.  piost 

141, 

14 

116, 

8 

bargiua  j.  peregrina 

142, 

15 

20 

Gabiilu  i.  patibulü. 

143, 

12 

119, 

24 

Pierides,  s  müsse. 

120, 

14 

LeuirQ.  i.  zeibhor 

24 

122, 

3 

aetbiia  .i.  mens  siciliae. 

144, 

11 

10 

Triuacria.  i.  sicilia 

146, 

19 

127, 

3 

Basteua.  i.  sambiih 

6.  Cod.  Sang.  242  s.  148  — 167  Glossen  zu  Aldhclm  de 
vitiis  {vgl.  Hatt.  I,  s.  282).  S.148,  20  hegint  DE  PRINCIPALIB' 
VITIIS.    Auf  s.  167.  4  — 11  schlieszt  es  mit  den  versen: 

Naiita  rudis  pelagi  ut  SQuis  ereptns  ab  undis 

In  portv  veniens  pectora  laeta  teLi& 
Sic  scriptor  fessus  calamü  siib  calce  laboris 

Deponens  habeat  pectora  la&ta  quide 
nie  dö  dicat  grates  p  sospite  vita 

Proq.  laboris  agat  iste  sui  reqiiie 
Gracia  magna  tibi  sit  xpe  semper  in  ^uo 

Qui  mihi  donasti  pficere  istud  opus. 


149,    8  Salpix  .1.  genus  tubse. 
12  ancile  .i.  genus  scuti 
14  Semispatifi  .i.  sabs. 
16  Sparus  .i.  sper. 


151,  16  Scortatores  i.  liorara 

152,  8  Balena  .i.  draco. 
156,    9  ydris  .i,  serpentib. 

13  contos  .1.  strangun 


151,  16    Über  dem  lezten  o  scheint   ein  kleines  hakchen  zu  sein. 
tmterpungiert. 


156,  13  r 


AUS    S.    GALLER   HSS.    I 


ö7a 


163,  6  Antemnas  .i.  segalruota. 

Baica.  geiius  nau| 

164,  25  Spina.  Rucki 

165,  1  Capulus.  helza 

2  Ocreis.  beinberga. 

4  Laßba  .i.  sklezzo. 

6  Masca  .i.  monstrü. 


161, 14  cote  ,i.  sexisü 
162,    2  porcaster  .i.  paruch. 
3  Filex  .i.  gemis  herb^ 
12  barbita  .i.  Organa 
17  acescant  .i.  arsüren 
21  Defruti  .i.  uini.  cupis.  chu- 
ofon.  adstipulans.  congre- 
gans. 
161,  14  Das  deutsche  wort  ist  undeutlich ,  könte  auch  serirü  gelesen  werden. 

7.  Cod.  Sang.  242  s.  168 — 242.  Glossen  zu  Sedulii  Car- 
men paschale  (^vgl.  Hatt.  I,  s.  282). 

175,  13  Labrusca  geuus  herb^  amarissimü  sucü  babens 

14  aliuncä  .i.  calcatrippa  e  flos  simil  rosQ 

178,  14  Cbaos  grece.  latine  cfusio  1  mors  dr 

180,     5  gabaon  .i.  locus  prope  bierfl  |  nbi  medi&as  e  c^li. 

194,  18  vada  vurt 

197,  13  alat.  gitrosta. 
210,  10  reliquiasque  suas.  i.  edrä 

8.  Cod.  Sang.  162.  Glossen  Ekkeharts  IV.  zu  den  psalmen 
(vgl.  Hau.  I,  s.  411). 

58,  19  J".  Uinacia  .i.  trestir.  {su  X)S.  VIII). 

59  J.  acnerit.  süret. 

71,  7  J.  {{her  sanus  sit  (mi  ps.  IX)  steht  Glos  sa  e.  —  Veluti  sanus 
sit  cum  medicus  non  sit  necessarius  ist  unterstrichen,  die 
Worte  darüber  sollen  also  wol  hetssen:  Glossa  est. 

9.  Cod.  Sang.  166.  Glossen  Ekkeharts  IV.  zu  den  psalmen 
{vgl.  Hatt.  I.  s.  411). 

p.  69  (Ps.  CHI)   col.  I.  lin.  III:   paries    dealbatus.     Daneben  steht  im 

ztvischenrande :  tuuicba. 
p.  79  (Ps.  CHI)  col.  II  lin.  penult. :  viscum  habet  in  pennis,  darüber: 

fögil  chleib. 
p.  314  R.  chumo  kibeit. 

„Ceterae  non  numeratae  glossae  interlineares  latina  lingua  scrip- 
tae emendationes  sunt  textus  valde  mendosi.  Itaque  tota  praeda  assi- 
duae  per  tres  dies  continuatae  venationis  consistit  tribus  vocabulis  mino- 
ris  momenti!     Sic  nos  docti  tribulamur!"    Gonzenbach. 

ALTONA,    IM  JULI    1878. 


ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.    XI. 


274 


II. 


AucJi  eine  erneute  durclisicM  der  Sanct  Galler  glauhensheJcenfnisse 
und  Nofkers  ergnh  mir  nach  Steinmeyers  coUationen  {Z.f.d.A.XVII, 
431 — 50i.  Ans.  f.  d.  A.  III,  1S8 — 164)  noch  einige  resultate,  die 
im  folgenden  zusammengestellt  sind.  Ich  habe  mich,  der  hequemlich- 
heit  des  gehrauchs  wegen ,  ganz  nach  Steinmeyers  herstellimg  der  colla- 
tion  gerichtet:  die  abkürzungen  der  lateinischen  worte  sind  nicht  ver- 
zeichnet {nur  wo  ein  wort  aus  andrem  gründe  angeführt  werden  m.uste, 
oder  wo  die  genaue  tvidergahe  der  handschrift  von  wichtigheit  war,  habe 
ich  die  abbreviatur  angefürt),  die  !  der  handschrift  sind  durch  ;  wider- 
gegeben, und  die  zahlen  bezeichnen  die  seilen  und  Zeilen  von  Hattemers 
text.  Abweichend  von  St.  habe  ich  die  stelle  einer  rasur  von  dem 
räume  eines  buchstaben  durch  :  bezeichnet.  Über  einige  nur  Notker 
betreffende  einzelheiten  ist  unten  das  nähere  mitgeteilt. 

10.  Cod.  Sang.  1394  (vgl.  Hattem,cr  I,  s.  325  —  328.  Stein- 
meyer in  der  Z.  f.  d.  Ä.  XVII,  s.  448  fg.). 

326",  2  uocamini.  audite  326",  1  prodere  3  pird  aus  it  corr. 
4  troliti"''".  9  neccet  lögöti  20  wrdin  dier  anm.  2  zu  tilgen  327^1 
^uas  auf  q  geschrieben  12  kirn  d.  i.  carissimi  22  die  accente  auf  ili 
und  tinfel.  sind  mir  sehr  ziveifelhaft  23  gezi:rde.  (loch  im  pergament) 
26  Ih  wil     327 ^  2  ge^     3  libe  mit  höre.     4  hören.      19   himiliskes- 

chüiiig:s  (loch)  protelbften  13  keist?ichen  «ms  e  corr.  17  dr/'z  sehr 
zweifelhafter  accent.  19  göten  32  gefangrm  aus  e  corr.  328",  3  scöl- 
digeu.  4  allen  noch  zu  erkennen  6  pikerc?e.  aus  n  corr.  9  motes 
12  gena''^     14  iursela.  f      15  ffs  krih  d.  i.  fratres  carisshni. 

11.  Cod.  Sang.  232  {vgl.  Halt.  1,  s.  328-— 329.  Steinmeyer 
Z.  f  d.  A.  XVII,  s.  449). 

329",  7  s^tondon  aiis  on  corr.  13  ungewno  aus  r  corr.  16  un\ 
uuizindo  nachträglich  auf  dem  rande  vorgesehrieben  Zeso  18  mit. 
20  gotes  aus  t  corr.  21  heiligen,  ist  wol  richtig,  obgleich  der  haken 
am  e  nur  sehr  klein  ist  329",  9  «n  aus  corr.  15  er  vor  der  zeile 
nachgetragen. 

12.  Cod.  Sang.  338  {vgl.  Halt.  I,  s.  330.  Steinm,cyer  Z.fd.A. 
XVII,  s.  449). 

330%  3  gelobe  6  sinin  12  fröwin  17  and'  mannisheit.  nivt 
and'  gotheit.  beide  mcde  ander  zu  lesen.  21  deme  330'',  5  I.  g.  d.  i. 
Ich  gelobe,  ebenso  z.  6.  7.  9.  6  üh  d.  i.  unde  7  gemeinsämi  9  «Vster- 
bin  verwischt.  12  gesüdot  14  d"  riuwit  20  d"  mir  d.  i.  daz  mir.  In 
anm.  6  ist  „gelovbis  oder"  zu  tilgen. 


AUS   S.    GALLER   HSS.   11  275 

13.  Cod.  Sang.  878  {vgl  Hatt.  III,  s.  609). 
609%  7  ist  zu  lesen  iiezzela. 

14,  Für  meine  neue  collnüon  des  psalterium  Notkeri  {cod.  Sang.  21) 
bemerke  ich,  dass  ich  mir  im  anfange  an  einigen  stellen  notiert  hahe, 
wo  abweichend  von  Hattemer  eine  zusammenschreibung  zioeier  werte 
stattfindet  oder  tvo  auf  diphthongen  der  eircumflex  ganz  deutlich  vom 
Schreiber  für  den  andern  vocal,  als  welchen  H.  bezeichnet,  beabsichtigt 
ivar.  Im  übrigen  habe  ich  mich  ganz  an  Steinmeyers  methode  gehalten 
und  lezteren  mir  vervolständigt.  Zu  er iv ahnen  ist,  dass  Hattemer  das  I 
des  Originals  bald  durch  1,  bald  unrichtig  durch  J  ividergibt.  Das  lez- 
tere  ist  geschehen  in  26^  14  lam  33",  26.  37",  24.  88",  7  ludica  34",  13 
leraer  37^  16  Iiistum  39^  15  ludei  4o",  11.  71",  3  ludicia  40",  20  lOB 
42",  18  Iiidicabit  44",  23  ludicentur  48",  19  ludicare  49",  28  lustus 
57",  9  lusti  57",  10  IVSTI  71",  6  Iiistificata  205%  20  Inda  306",  31 
locunda  308",  29  locundet'  316",  6  luraui  318",  31  lustitia  350",  8 
lubilate  435",  15  ludeorü.  Für  das  H,  li  hat  der  Schreiber  des  Psal- 
teriums  eben  diese  buchstabenformen,  glcichwol  hat  derselbe  ohne  zwei- 
fei auch  h  in  etwas  grösserer  gestalt  als  capitalbuchstabcn  gebraucht, 
wie  z.  b.  aus  dem  hODIE  485",  18  folgt.  Da  nun  aber  beide  formen 
des  H  h  bei  Notker  stehen  und  das  majuskel  h,  wo  es  vorkomt,  sich 
oft  —  nur  ganz  unmerklich  —  iion  dem  minuskel  h  unterscheidet,  so 
seien  hier  die  fälle  angeführt ,  wo  die  minuskelform  steht ,  von  Hattemer 
aber  durch  H  widergegeben  ist:  104",  33.  385",  26.  402"  10.  430",  8. 
490",  12  hier  298",  10  Ms  mahelit^  305",  19.  426",  18.  488",  15 
beide  345",  26  büs  349",  8  bäbent  351",  24.  523",  2  habe  354",  18. 
430",  16.  438",  25.  526",  30  humilitas  356",  16  heretico  393",  27. 
488",  7  bomo  398",  26.  428",  1  hoc  398",  19  börsco  399",  24  hilf 
407",  14  bumiles  409",  18.  435",  20  babeiit  412",  1.  439",  18  humi- 
liatus  306%  7  heiligen  412",  22  bina  416",  8  hie  427",  2  buius 
429",  15.  430",  13.  467",  15  h^c  439",  17  bereditate  459",  17  hin- 
nän  467",  27  HVMILES  440",  15  hilf  448",  6.  476",  7  herro 
477",  8  heue  480",  12  hiiote  482",  6  babitabunt  485",  18  boDiE 
494",  30  bertiü  501",  7  haurietis  511",  16  bimela  511",  1  hörn 
516",  24  heccine  518",  8  bohez  520",  1  hüngeres  525",  17  hörn 
525",  25  belli.  Die  nummern  der  psalmen  stehen  nicht  im  original. 
Die  abkürzung  isfl  z.  b.  55",  23.  26.  77",  32  ist  Israel  zu  lesen  nach 
gewöhnlicher  art ,  obgleich  sich,  ivo  das  wort  ausgeschrieben  ist,  sowol 
Israel  als  israbel  findet. 

25",  18  demo      25",  20  loüb     23  perabuntur;!     24  boum  über  o 
spur   eines   einstigen   circumflexes.       26",   4    pulvis    aus    p    gebessert. 
1)  :  bezeichnet  hier  die  interpunlition  der  hs.,  nicht  eine  rasur. 

18* 


276  PIPER 

26",  17  wals  anradiert.  18  oügendo.  27*,  6  Nalstaz  17  tüot  27\  14 
zit     28^  10  Tamqiiam      15  PROPHET  E      28 ^  13  zeimo  accent  matt. 

20  mänege.  21  einer  note  4.:  DVM  DISCERNIT  CELESTIS  REGES. 
29*,  11  ostir  tage).  12  clamaui.  14  stimnio.  16  mih;  17  heiligen 
29^  9  göt. 

30",  8  inbinoii.  14  io.  22  qu^ritis  das  hähchen  des  e  scheint  getilgt 
0u  sein.  30'',  2  (Fuogi  5  stimmon.).  16  f.  Trühteii  kehoret'  iüh'  so'  ir'  ze 
imo'  härent'.  härent'  ze  imo'  mit'  knoten'  uuerchen.  19  Irascimini'& 
das  trennungszeichen  vor  &  onif  roter  dinte.     20  s^mdon  schwacher  accent. 

21  Riüuont  schwacher  circumflex.  31%  5  MIT  23  ^terna?  Vuer 
oüget  uns  daz  küot?  (vgl.  Hatt.  II,  540)  27  daz  danach  ein  punM 
radiert.  Sl'',  7  Si'ne  16  dia  es  stand  zuerst  n,  dieses  ivurde  zu  e 
und  dann  zu  a  corrigiert.  32",  3  babyloni^  32^^,  9  unrechte.  18VVEN 
S.lß  20  In  guotlichi).  note  2:  lERüSALrEM.  nach  L  rasur  von  A 
33%  9  trügenare;  33%  4  lonon.).  19  soue  34%  10  fersehent.  note  2: 
das  „t"  ist  durch  U.S.W.  35%  6  (ür  soche)  19  iihtig?  27  bette;  .'»^ahte- 
liches.  auf  rasur  für  be  28  TIESCUMQUE  35%  11  fienden.  31  eru- 
bescant  [21]  ualde  32  Pecheren  36%  4  P.RO  5  ABSALON  6  hiez 
13  toügeuo  17  saluum  20  mih.  23  (keistlicho)  24  nidir  rise.). 
se**,  6  ab  w  I  inimicis  unterstrichen.  37%  10  so  11  ümbe  hälbot 
ijüber  dem  ersten  strich  des  m  steht  ein  punJct.  19  üroge  23  töte.). 
37%  9  dar  du  in  12  so  15  lanchon.).  38%  8  illum.  11  eo.)  16  häbe^ 
auf  rasur  für  r  38^",  10  apeuit  (sie)  39",  5  uuerchen.),  19  uuielich 
39'',  3  die'  uueiche  andero'  geloubo'  uuären'  die  habest  du  fölle  bräht 
zedinemo    13  defensorem.  aus  o  corrigiert   32  memores  schwarzer  accent 

40'',  17  suendi.  19  emendationem  aus  a  corrigiert  41%  5  CON- 
FITEBOR  TIBI  DNE  IN  TOTO  CO-RDE  20  (ir  stau).  42%  15  ine- 
bini.  21  ünscuidige  auf  rasur.  42'',  13  truhten  43",  10  truhten. 
24  leitent.  Note  5:  feines  unter  den  huchstahen  geseztes  strichelchen 
u.  s.  w.  44",  6  iro  nü  aus  nü  radiert.  15  sehendo  16  truhten.  21  eine 
24  spuotigo  irteilet  44%  16  geloübet?  20  Ziu'  indürften'  unde'  an- 
dero 22  fersiest'  unsih.  46",  4  änden  47%  4  inuersihtigen.  15  föne 
47%  4  dm?  d.  i.  deum ?  6  ubelo?  48%  19  regua^it  aus  u  corrigiert. 
48%  2  ineuua.  49%  1  demo  uueisen  6  nioman  18  CITIS  anim^ 
49%  27  herzen.). 

50",  3  inhimele.  4  (keloübic  50",  6  teil  9  scheidet  12  teil 
13  meze  26  salmo.  29  tage  51",  6  D«z  anradiert  26  öfter  auf 
rasur  für  t  52",  3  ineuua.  26  XPE  d.  i.  CHRISTE  52",  21  Ir  liebte 
53",  16  dm.  d.i.  deum.  21  sönehein  24  un  nüzze.  54",  4  nü  9  fer- 
Zörnissedo.  auf  rasur  15  zefürhtenne  17  zeferliesenne.  23  hma  so 
24  romara  unde     27  (zit  fristigiü     29  euuigen.).     31  inrehtero     55",  12 


AUS    S.    GALLER    HSS.    11  277 

angöte  16  Neist  öö*",  5  tnihtou  18  tiiot.  56",  13  zeuuöcheroune. 
18  nesciideta.  56",  21  (lii  lümele).  i^8  hier  56'',  5  (.i.  titulus)  21  au 
in?  57*,  3  neheizo  16  me^.  &  18  teil  20  teil  21  (stoüfes).  57",  2 
luzörften  30  fölletäuero  58%  3  zelielfo.  18  iühello  21  lieiligeu 
23  nefület.  noh  nerozzet.  24  audeiro  aus  o  corrigiert  27  iüq  29  in- 
adani  öS*",  9  chit.  20  trübten  min  59",  5  inüngetriüuiien  20  luär- 
beiten     59",  2  leid.     4  leid     23  zedir.     28  gereichen 

60",  8  (dinimo  16  (sundige)  25  cÄeli  aus  e  corrigiert.  60",  11 
beueimdon  61",  4  trübten  14  (.i.  immunditia.).  16  sie  aus  a  corri- 
giert 61",  5  neuuären.  62",  11  uugeloübigou.  14  ketruobet.  16  die 
leidegout  21  leitet.  23  sunda  24  diä  28  Originale  62",  11  ora. 
27  eins.  (i.  29  rüch  63",  5  gloübigero).  10  in.  64",  12  tode.). 
14  zeicbenteta  64",  12  gemalmi.).  65%  13  kebaltena.)?  27  bebuota. 
34  urteilda  65",  17  fidei.quQ  19  uuerchot)?  26  nienianne.  27  sin 
66%  8  f/ie  aus  b  corrigiert.  15  IVSTITIÄ.SVÄ  20  beigen  21  ne 
bein  66",  8  infiüre  15  zein  22  dero  30  üngefleceboten  67%  11 
brachia  aus  ü  corrigiert  13  zefölletuonne.  23  mili).  aus  r  corrigiert. 
67",  12  sie.  sie  Nota  4:  das  stricheichen  üher  c  dient  nicht  zur  silhen- 
ahteilung;  es  steht  senkrecht  wie  ein  i.  68%  15  innote.  68",  2  uuerlt.). 
9  (inlicbamin)  10  oügon  69%  32  chüniges.  69",  12  XPM.  d.  i. 
CHRISTVM.     16  (föra  sägin)     31  chundet 

70%  4   quorum    idest      21    sinero      22    muoter       71%  16    (föne 

26  for/ita  auf  rasur  31  p^na  71",  14  selbiü  72%  5  toügenon  14 
tuout.).  31  foue  72",  24  XPE  d.  i.  CHßISTE  73%  3  iro  73",  22 
tode).  23  uuizzictuöm.)  25  in  32  inmäbteu.  74%  1  (uuartsali)  aus 
e  corrigiert.  12  sprangOA-r  (m  ligatur)  il  zeuns  26  rege.  &  28  Truliten 
74%  4  föne  7  KEX.  75%  9  boübet.  10  steine  11  (iüngeriu)  corr. 
aus  0  26  iro  75%  19  XPE  d.  i.  CHßISTE  76%  12  Föne  76",  21 
XPC  77%  5  Ferro  22  cZen'ne  auf  rasur.  23  (heilida).  77%  15  (eiu- 
dinch  17  sun.).  30  gebalten  78%  1  fersäb'er  7  Gote  er  8  übe.  er 
18  luierite  aus  1  corr.      78",  1    baibot :  nianigiü   nach   t   rasur   von   m 

27  una/tö  aus  s  corr.  79%  11  mine  79",  6  (licbwmin)  aus  u  corr. 
9  (menniscben).    21  heiligmeineda.    25  (irrarin).  aus  e  corr.    28  neteilta. 

80",  11  keseben  14  depcatione.  81",  13  die  ?öbont  auf  rasur. 
81%  2  zeseti.  20  nach  ze  rasur  von  E  82%  4  anuuizzegon)  9  (toüffi). 
23  uängiren  der  ziveite  accent  Idein.  82",  9  föne  18  tuot  83",  7  di- 
ser  30  dia  83%  10  ineuuigbeite.  18  geimünnen'uuile.  84",  9  kät 
84»',  21  zescämon  85",  7  pbäd.  85",  18  deliguentib,  aus  u  corr.  25 
indär  86%  3  Andemo  4  andemo  86",  1  sundon.  87%  10  uuerltki- 
reda  14  abundante  aus  i  corr.  15  (über  sueifigemo  32  anmine 
87%  15  zebelfo     24  nefieng.     88",  5  xhristanin     12  inünsundigi,     14  iro 


278  piPEK 

20  Be  suoche     29  do     31  (uiiert  sämot).      88^  12   danch  päre).     22 
(spile  hus)     89%  8  reiüiü     9  häbeut.     18  uocem  aus  i  corr.     27  zelöbe. 

29  tnihten.     31  Iniro     89'',  27  ingrehti. 

90%  22  fienda  90%  5  eines  91%  5  Andemo  91%  22  chere 
92%  19  treibent  26  zefreison  29  zeh  93%  10  zeheili.  23  ES. ET 
24  (meister  25  imeg.  keuuäro  27  iniro  93%  21  ne  94 ",  2  CON- 
SVMMATIONIS  25  insinemo  95%  25  inuuerlte.  95%  15  einote. 
96%  15  inmitten  19  bezeichenet  31  infride.  96%  2  zu.  spilunga. 
13  Mr  schürfta  16  lib  puoche)  97%  18  zedir  97%  27  lugent).  29 
Sicliümet  98%  2  iüngesta  12  I^  aus  i  corrigiert.  98%  17  corruptio- 
nem?  aus  in  corrigiert.  22  ändere?*  aus  m  corr.  25  so  99%  2  sche- 
phido)?  9  inm^ndi.  99%  16  ougendo  an  aus  u  corrigiert.  23  (färint 
24  dinemo     25  naZs  aus  s  corrigiert. 

100%  20  namen.  101%  19  (not  haft)  101%  2  inzörne.  11  inmi- 
nemo  13  uuirserot  die  17  inleide.  19  Föne  27  fer  uuuote  102%  11 
zeitteuuizze  12  Filii  103%  8  zedir.  14  sölraan  103%  8  herzin.). 
13  impii.  15  inbella  22  inünuuirdi.  104",  7  kein  ahsats,  weil  hier 
in  der  hs.  keine  rote  schrift  begitit.  12  sia  16  inuuerchen.  17  in- 
uuörten.  22  insinemo  33  uuider  spracho  104**,  1  in  ^ccla  105%  2  diä 
12  negeloübent.  105%  10  iiox  21  übe:  rasiir  vonr  106%  8  stechon- 
temo  aus  o  rad.  9  stuont  21  ieho  28  betot'  zedir'  iegelili  106%  18 
sceident  107%  2  peitonte.  ih  meino  12  in  107%  4  sülin  Dien 
10  zedir  13  cbämnm  16  (inchriechiscim).  17  latine  24  gedoübot 
28  ällenhälbou  108%  5  inherzen.  9  7PS1  auf  rasur  für  D  12  än- 
derroiiuerlte.  21  ändere  23  bezeichenet  aus  i  corr.  108%  2  habet. 
19  nemag  21  dä^  aus  h  corr.  30  Andemo  109%  3  chi^.  aus  a 
corr.  7  nuerden  8  gin.).  109%  11  iniibelero  12  sie  18  insinen 
23  zefernemenne. 

110",  1  nebristet  24  tiligeien  aus  o  corr.  IIO"",  9  sälig  heit 
28  dia  111%  4  herzen  13  Man  sihet  24  rihtet  111%  14  inhungere,  hier 
inuuerlte.     16  hungert     30  andere     112%  14  fer  liez.     112%  15  dauid. 

30  ke  hören  113%  29  ana  siüne.  114%  11  besuochent  114%  16  sö,ne 
115%  31  temptationes'  (chörunga)  unde  passiones'  (märtyra)  die  116%  25 
fienda      116%  9  fienden.      23  zeguote.      30  scuölare.).      117%  3   Föne 

21  indrin  26  qm  d.  i.  quam  117%  9  freuuit  31  ueist.  118%  1 
uästuri  aus  h  corr.  4  (unbi/igi)  aus  g  radiert.  9  fZen  nur  von  andrer 
form,  ist  einem  gewöhnlichen  d  vorgesest.  119%  26  waris  aus  m  corr. 
119'',  6  tuost     25  insuäremo     32  chörunga)  aus  o  corr. 

120%  12  heidineu);  unde  25  salman  26  ue  hein?)?  120%  3 
bene  bene.  5  freuten  6  Vuöia  uuöla.  121%  18  uuola  uuöla  121%  22 
(uuola  uuola     122",  8  ke  horsam     122%  4  intelle(/ere  aus  e  corrigiert. 


AUS    S.    GALLER    IISS.    TI  279 

11  Insinemo  33  nent  aus  t  rad.  123\  10  m^uniscen  124^  14  Andemo 
18  sunt. nee  125%  11  in.  17  inhimele  125'',  16  lierzon  unde  17  Göte 
danne     18  skin^;«^  auf  rasur     29  oüli     126",  5  /erte.  auf  rasur  für  u 

12  heizmuoti.  IG  arguuilligo  das  erste  g  ist  aus  u,  ui  atis  ill  radiert. 
126\  2  findest  127%  2  iuiro  26  IHV  XPL  d.  i.  lESV  CHRISTI.  127%  1 
inarbeiten  15  inhüngertagen  uuerdeNT  (nt  in  ligatur)  16  rnneliget 
18  leära  20  inin  128%  27  geyno  aus  n  radiert.  128%  19  Gotes  26 
iu^liehet.  darüber  ein  punht.  129",  7  ne  ist  129',  15  inmuote.  ioh  in- 
münde.     17  urteilda.    25  haltet.    30  deniobuöclie    32  NOi?iS  aus  K  corr. 

130%  5  in  aus  m  rad.  12  uuirdet;  21  temp'us  23  stis.).  130%  32 
?eibo  aus  e  rad.  131%  29  libes  131%  3  dinero  23  uuända  33  habet. 
132%  3  sone  5  minero  6  cönscius  12  gärtin).  20  /jeheizzen  aus  b 
corr.  132%  2  uiiäre  Daz  9  Vueueg  18  ketrügedes  aus  d  rad.  24  u. 
steiua).  unterstrichen  133",  3  peto».  aus  m  rad.  133'',  10  pediu 
24  ferliez.  31  Mine  134%  3  si  20  Sie  aus  iu  rad.  135%  4  zehühe 
135%  3  häzzent.  136%  1  Da.0  aus  h  corr.  XPM.  (/.  i.  CHRISTVM. 
137%  20  aa  adämis).  31  iiuemo?  ISS*",  21  sameut  139%  13  m\h  aus 
r  corr.     139*",  7  mines     20  gesehenne. 

140",  14  maui^falti  auf  rasur  für  f.  140'',  28  crhistenheit). 
141",  4  nieht  5  iumimde  21  du  141%  2  uiiärheite.  142%  17  zei- 
chinin).  hieneben  steht  note  3,  ist  aber  durch  zeichen  auf  das  erste  enge 
s.  27  bezogen.  143\  1  irstän'ne  144%  32  (föne  demo  145%  1  loübo 
146%  4  ^erot  auf  rasur.  146'',  5  se?a  auf  rasur  für  uz  24  demo 
26  msuochen.  25  uuünderhVi  auf  rasur  für  h.  147",  4  exultationis 
6  indero     148%  32  ih 

150",  6  erc^o)  aus  b  corr.  150'\  2  nealten  7  beiteu  15  ^^atien- 
tia  auf  rasur.  151",  6  bezeichenet  151'',  12  arm,  15  diues  152%  10 
ieodoh  18  chräftelose.  auf  rasur.  153%  26  chit  154%  11  fraget  auf 
rasur  für  a.  21  uuir  155%  5  nre?  23  chäd  27  bittir  157",  7  fä- 
ter  32  izzit  unde  157%  4  Nu  13  gm  d.  i.  gratia  27  Intende. 
158'',  2  gerih^et  auf  rasur.  27  uisibili  159%  18  hiuseren.  159%  6 
pauliawe  aus  ne  radiert.  7  mauige:  rasur  von  n  10  regin:  adextris 
rasur  eines  a. 

160",  29    (äne  flecchen  äne  rünzun)      160%    17  indero      161%  20 
Infreuui      161'',  14   indemo       162%  3    zuo   tluht.       162  b,  2    nedorftou. 

13  zefernemeune  28  (ketriuuuun  163%  16  iro  164%  18  sinero  23 
nefersiehet.  164%  3  dir  auf  rasur.  165%  12  (d  chälauui)  [l62j  unter- 
strichen. 165%  25  Äne  166"  domuoten).  166%  25  xpm.  d.  i.  Chri- 
stum. 167%  13  Indero  27  (keloüba)  32  insüude.  168%  26  bechern- 
den, auf  rasur.  31  nie.  auf  rasur.  168%  7  Ziu  169'',  2  indero  27 
ist.     Vuie 


280  PIPER 

170^  6  sprecheilt.  171",  14  foue  171\  24  dar  27  suis  .i.  in  173%  10 
imsälig.  173  ^  21  sprecheudo?  174%  3  die  174  ^  7  Ziu?  30  MI- 
DIAM  VOLO.ET  NON  SACRIFICIÜM  31  ih  175%  18  zefreisou 
176%  20  ubeles  auf  rasur.  Note  5  löse  danne  durch  mclievi  umgestelt. 
178  note  6:  von  den  wchir  buchis  din  seze  ich  üf  stül  din.  179",  6 
FAT.  MEI.     20  VOCEM 

180b,  8  demo  181%  5  chümftig  ist.  181%  17  demo  182%  1 
sacer  [180]  dotes  7  uuas'  unde  8  ceTERi  tales.  21  potens  es? 
182^  26  (.i.  184%  2  chäden  184^  5  keeiscon  auf  rasur  für  s.  186%  23 
starche  aus  o  rad.  28  iro  29  nehäbeton  33  toügeno.  nals  üz  uuert. 
186^  10  iniro  187%  2  pürlichi  aus  1  corr.  23  DEspexeris  187%  29 
cecidit  188%  5  chämen  11  infinstri).  23  herzen  30  slief  188',  16 
indero  189%  15  droiumn,  aus  o  corr.  189'',  4  lebende  aus  o  rad. 
11  ärguuillo     23  exaudiet  uoce 

190%  27  liereticus  190'',  30  (:  stedi).  rasur  von  a.  191%  5  in  puteü 
9  helle.  Mris).  27  liüt.  19 1\  6  iudon.).  äna  7  Süs  8  saug  [191] 
dauid  19  intorculari.  31  IHV  d.  i.  lESV  32  (die)  aus  de  corr.  192%  1 
Gote).  192',  2  gab.  21  söliche  aus  o  corr.  193%  10  ib.).  26  Dar 
min  194%  11  hol.).  194",  14  mih  30  iodöh  195%  4  aber  195^  2 
sie  auf  rasur.  196%  1  chämen  7  c^ci'  claudi'  paralitici'  ^groti  23  nü 
197%  16  libe.).  18  uuwrdin.  auf  rasur.  20  uuürden;  sie  197',  4  ger- 
menouten)  aus  s  corr.  7  ander  13  föne  198%  2  si.).  6  nemahti.). 
198',  10  äna.  12  göt.  199%  7  uuizza).  dero  [199]  freuuet  199',  13 
Vwända  auf  rasur  für  be 

200%  17  ändere  200",  6  uuölti  27  ist  in  201',  30  prin  [202] 
ge^  auf  rasur  für  nt  202*,  9  tuoien  202',  10  murmurationem  tuont 
(raürmeront).  12  iz.)?  203'',  2  (üf  lanch).  Sobal  uana  4  (übermuoti)' 
uanitate  (üppecheity  uetustate  (älti);  pranda  14  uninden  204%  10 
chnisteda.  204',  21  Geistis.).  25  (Aähsele)  durch  striche  darüber  und 
darunter  getilgt.  205"",  7  manases.  16  (miUti.  mänigfalti).  unterstrichen. 
21  (xhristis  205',  3  min  |  nen  nichts  unterstrichen.  206",  9  arbeite. 
29  DEPRECATionem  mea.  207%  5  heili  darüber  und  darunter  ein 
strich,  iibcr  e  ist  ein  circumflcx  durch  punkte  für  ungiltig  erklärt. 
207%  30  ANima  208%  27  züne.  208',  2  gelonbo  lükke)  12  benigna 
mente     209%  26  fergondo'.  iehendo'  uueinondo. 

210%  29  viGilo.  211%  9  \Voa  aus  e  corr.  211',  11  chumet 
212",  7  ineben  dir.  11  uuörten.  12  propicivs  [213]  esto  28  sie  auf 
rasur.  212',  8  die  auf  rasur  für  a.  213%  2  haben.  23  licharain).  26 
fiendes  213%  3  uuunlen.  auf  rasur.  26  fer  raten.  214%  21  Vuieo 
214^  14  lungeren  er  215%  4  DESCENDAT  DE  CRVCE  ET  CREDIMVS 
EI    17  iüch).     216%  7  dauid.     19  HEG  AVTE  IN  FIGVKA  CONTIN- 


Aus  s.  gällkk  iiss.  ii 


281 


GEBANT  ILLIS  216",  13  himiscimn  aus  s  corr.  217%  4  scuMen  auf 
rasur.  28  sah  ora  217'',  8  inari  longe.  11  ges^zzenero  aus  o  corr. 
218'',  20  ändero  219",  1  tricesimi'  &  sexagesimi'  &  4  zeliinzegösten 
219^  18  (uimoftscreion). 

220^  7  selben  221",  6  se/6en  auf  rasur  für  bo  221",  12  Viiir 
anm.  5  scimaticos  222%  23  uuile  ^).  danne  Göte.  {zit  uuile  ist  die  rg. 
durch  zeichen  verwiesen)  222'',  12  ist  anui.  5  s.  9  si  223",  2  zelo  10  üf 
induou.  14  indes  223",  33  iiiiquitate.  giaiu  224^',  13  die::  |225l  te. 
Rasur  von  te  24  ds.  ds;  der  punht  des ;  ist  rot,  der  strich  darüber  schwarz. 
224'',  4  scal  in  9  ci  eins  225",  8  1.  unius  226%  4  hafte  accent  zwei- 
felhaft 20  üz  226",  12  cbwäta  auf  rasur  für  a  227%  4  minna.).  227'',  2 
Vbe,ir,restent  19  peeptis  aui  rasur  228'\  8  imerdent  20  lerare 
228%  11  OPERA  (min  12  fater  in  mir  17  wsque  mit  schwarzer  dinte. 
229%  12  töd  auf  rasur  von  d     229%  30  gmoni.  auf  rasur  von  o. 

230"*,  7  imürden  ist  richtig.  231",  12  (geloübo  kedingi  miuno). 
232%  15  Danne  234%  1  sin.sid  235%  3  äuasiüne.  21  meinit  izj. 
235",  10  uuerden;  22  (.s.  236%  25  muozzin  237'',  21  liden  auf  rasur. 
238%  3  mir  unde  auf  rasur.     9  die  auf  rasur.     239",  11  pin.).  daz 

240%  9  paiipQitatis  24  fernemen  241",  10  sih.  242%  24  dih:::: 
(punJä  auf  der  rasur  nach  b)  [244]  diutor  initial  fehlt.  242",  5  selbemo 
243%  11  IHM  d.  i.  lESVM  26  scbendet  243",  6  üf  reht  atif  rasur. 
21  min  32  diä  244%  25  uuerdent.  28  Ziu?  244",  10  moeiemvr 
(ezzen  245%  11  färendo  245",  20  opibvs  247%  24  uuieo  auf  rasur. 
248%  17  buh  248%  7  chit  20  sune.).  249%  13  lit  er.  15  filia 
(töhter)  syon.     249",  11  in.).     23  intrücchenemo     27  (lera) 

250%  18  föne  24  üzzerösten  29  fienda)  250",  21  so  251%  9 
Caritas;  irbiiret.  31  terr^.  252%  11  eins.  252%  4  genädon).  5  (euui- 
giü  254%  13  hohistiu)?  24  dixi  .s.  asaph.  255%  1  exsurgentis. 
14  gescäh  18  huorlüste,  in  ligatur  25  Yt  256",  24  mih.  33  dar 
gehalten,  auf  rasur.  256",  2  erdo?  8  iöh  21  hedecchit  danach  rasur 
28  minna).  257",  8  diä  12  Du  258%  6  uuieo  9  irslä(/en  auf  rasur 
für  h.  30  zeholz  259%  4  finem?  Er  259^  13  er  stuont  26  fr^zenne 
_  260%  19  Paulus  24  terr^.  261%  27  Petrus  28  iu  261%  27 
FRS?  29  unsih)  ketuö  262'',  19  chana'an  der  punkt  rührt  von  einem 
an  falscher  stelle  angefangenen  a  her.  263%  2  sätttost).  264",  5  Ziu 
7  irteilare.  265\  26  israhel  auf  rasur.  266%  11  frido.  31  lichamen 
266",  12  illumiuati  auf  rasur  17  sliefen  22  unde  danach  rasur 
25  Hier  267",  27  muoten  268%  9  springinda  14  DNM  d.  i.  DOMI- 
NVM     18  mrära  {vgl.  zu  262%  19)     268%  6  (arbeit) 

270%  13  uuehseluuga  21  m\h  auf  rasur  von  r  271b,  3  uuerlt 
25  gedanchot  auf  rasur  von  a     272%  2  sin.      11  fernemen.      24  daz 


282  PIPER 

auf  rusur  28  biueimed«).  aus  e  corr.  21T,  5  ^eburt.  auf  ras ar  von  h 
11  iuchit.  31  diu  bechenne.  273'',  8  imorten?  274:%  16  fernim 
17  huöton/Gotes  275%  19  rihten  275",  20  Süntimint  28  sicut/are- 
nam  276%  18  iiennit  sicher.  276 \  8  iimbe  mmna.  278 '\  2  föne 
279%  5  (föne  20  scificationis  d.  i.  sanctificationis  22  heiligen  279'\  27 
iteniüuues 

280%  10  näls  281%  6  Got)?  7  sär  12  äfterin).  22  testamenti. 
281*',  10  himiZisca  corr.  aus  sc  fördevontin).  23  uuörto.  29  gelicha 
282%  15  (.i.  pars  .i.  vetro)  20  gäntiu  inphieng  282^,  6  chedent  8  so 
283%  3  kescribeu)  18  Göte  284%  3  dinen  13  Vt  30  (arme  286^  14 
pitteppest).  287%  13  Daz  287^  2  flümen  5  dero  288%  14  PRET 
d.  i.  PRETER  18  imas  daz  289%  27  menniscen).  ist  wol  ein  e,  obgleich 
das  häkchen  sehr  Mein  ist.  289'',  4  Ba?>tisrauin  auf  rasur  für  p 
10  (törzilhus), 

290%  14  Psalmvs  ist  29  büh.  290 \  31  diu  291%  23  nieht 
291^  12  diu  15  die  292%  11  din  292%  28  (fore  293%  5  m'mest. 
293',  25  fienda.  31  Vuieo?  294%  31  chäd,'er  294%  29  imo  295^  12 
eo)  27  imo  296^  2  uuundire  4  (irblendit).  297%  16  XPE  d.  i. 
CHRISTE  298%  10  hismahelit^  15  geuuän  19  meino  nals  29  LIN- 
GENT.  31  alienigen^.  298^  1  Tyrus.  17  madian.  299%  16  eorü.  qui 
23  liut)?  26  före  30  r«d.  ein  circuniflex  darüber  ist  durch  punkte 
für  imgiltig  erklärt.     299*',  6  (liehtiü 

300",  1  ist  kein  absatz ,  iveil  hier  in  der  hs.  keine  rote  schrift 
begint.  7  imde  auf  rasur.  8  in  auf  rasur.  11  du  19  Ziu  26  Ke- 
süngener  300'',  15  chrefte.  16  intorculhüsen.  auf  rasur  301",  4  in 
choretale  auf  rasur  12  der  selbo  303%  6  Kesüngener  304%  4  (chun- 
hafti)  304^  7  kein  absats  cbü  [311]  met  33  eo).  305%  25  du. 
306",  25  ddnne  306*",  23  dia  307%  7  barent  schwacher  accent.  16  rät) 
17  (mänuis)?     24  tieho.     307',  24  dieto)     31  täte 

310%  2  Mngee.  22  xpc  d.  i.  cbristus  311',  6  Vuieo?  312",  1 
leidin).  312",  15  fouea.  &  313^  25  benden  29  ueritate  30  ingräbe 
314",  19  irgezzen  danach  rasur  von  t  27  irbölgeni  314',  25  äl'eunan 
317^  7  storbin)  unde  sepultus  (begraben)  12  toneronde).  317%  5  fluc- 
tü  d.  i.  fluctum  25  terra  (orda)  an  29  ist;  31  nieht  aus  e  corr. 
318%  27  ubermuötin).  30  die  319%  18  (gcKclianiot)  darüber  spur 
eines  accents.     19  tuis. 

320",  20  chit  ir  320%  2  zeerestpornen.  21  stäto  aus  e  corr. 
321",  10  A'ber  321',  5  die  322",  1  xpm  d.  i.  christum  323%  1  ist  sal. 
unterstrichen  324",  5  iteuuizzes.  325%  23  dero  326",  3  uuile).  326',  15 
äh^eg  auf  rasur  für  c     23  (die     327",  9  uuerden     327%  4  stultorum. 


AUS    S.    OALLER    HSS.    II 


283 


330'',  19  uiiizze  diiabraht.  anab  daz  unterstrichen  331^  18  huö- 
ten  332%  32  uiiort  332",  18  in.  333%  1  Dia  3  keiuüzzeda).  aus  e 
corr.  9  iih  dinero  sündoa.  10  lih  27  uueuuon).  31  A'ndemo  333^  34 
die  334^  11  brütsamenungo).  31  (suozstancbperge)  335*,  15  leo 
335^  13  före  24  bier  33G%  12  den  NON.  32  stat  337%  8  geloüb- 
licb.  auf  rasur  15  iiuesent  337'',  2  steccbit  nm  unterstrichen  8  owli 
darüber  ein  circwnflcx  radiert  13  in'tiiot  22  menniscin).  27  ün  baldo 
338%   26  ablaz)?     339",  19  conside  [349]  rat?     23  före     26  (uuidir 

341",  15  .1.  de  19  selb«  aus  e  corr.  24  jjceptum  (kebot)  si? 
342»,  5  Preoccuperaus  21  geuualt  24  gm  d.  i.  gratia  3-12'',  28  iu 
er  [353]  ^mulgatis     343",  10  dürftig     344%  19  änderest     345,  9  hiraela. 

27  zeicbenin  346%  1  mammeude.).  di  (die  Gotis  kctildir)  sint.  347%  13 
oüh  347'',  17  dm.  aus  andrem  buchstaben  radiert  348%  18  banden. 
349%  22  (niim  danach  rasur  349%  25  gebeizzendo.  31  (antfristo^) 
unterstrichen. 

350%  16  (beilige  aus  1  corr.  351%  33  (intliübtit).  351%  11  die 
22  (urteil)  aus  corr.  30  diu.  353%  15  Moyse  354%  5  ist  11  poe- 
nitentiae     356%  9  (ia     356%  26  babo     358%  10  xpi  d.  i.  christi     16  ih 

28  (Gotes     359%  17  inegypto 

360%  11  fienda.  361%  13  genadeest.  361%  18  Disiu  362%  20 
eius;  362%  24  minnero  363%  11  dölent  14  ferlöreu  363%  30  uuor- 
ten  364",  18  däncho  364'',  27  üf  intuön  365%  1  erist  3  xpo  d.  i. 
cbristo  5  bringet  sjnir  eines  accents  366%  5  bäbet  29  die  ne 
367%  28  uocem  aus  u  rad.  367%  20  IPSI  DAVID,  fehlt.  368%  27 
füre     368",  2   allen     369%  1  obereren. 

370%  10  dinero  25  transgredienf.  26  operire;  29  iruuindewt 
auf  rasur  370'',  mittimin,  371'%  3  bimele.  7  TVRANti  372%  17 
cedrorum  372",  16  daz  aus  u  rad.  373%  11  riteroti  aus  c  corr. 
373",  2  xpc  d.  i.  Christus  32  Vnder  aus  n  rad.  374%  8  (Gotis  28  föne 
376%  11  J.LLELVIA  nur  eingerid  376%  4  uuerdent  377%  6  er 
378%  20  xpös  378%  7  mannes  nachträglich  hinsugesezt  8  Misit  ante  eos 
379%  27  geuuältes     379",  9  fienden. 

380%  30  endegelib.  380",  2  plicbfiiir  26  Iro  381%  5  üugeirret 
382",  19  uuir.  383%  22  an  auf  rasur  29  suuga  aws  e  corr.  383%  10 
ist  14  bedä'hta  384%  6  sie  auf  rasur.  33  gieng  385%  20  bediü 
33  uuurfZe  aus  corr.  385",  13  uuorten  386",  1  iRRiTAuerunt  12  uuor- 
ten  aus  u  corr.  386'',  8  (uuidir  müot).  387»,  23  iro.  387%  33  niu- 
uuin).  388",  28  confitemini  dnö  388",  12  menniscen  19  tiefeles 
389%   15  läugeta.     389%  13  sizzente  richtig. 

390%  32  spiritaliu  d.  i.  spiritalium  390",  2  do?  391%  31  Göte 
392%  5  aqua  {sie)  uuazzerZosa  anradiert.     392",  31  ALIQVIT     393",  9 


284  piPEK 

(uuizze).  394 -^  5  l^tabor  &  partibor  sicimä.  d.  i.  sicimam.  9  bin. 
394\  18  brach  darüber  ein  punU.  395\  2  XPYCTVC  397%  17  uuerde 
397",  29  (sist     398',  31  föue     399%  7  nada 

400%  15  aber  27  PSALMVS  zu  I  radiert.  400%  20  DEXTKIS 
26  fienda  401'',  16  Dara  der  circumflex  ist  durch  punhte  für  ungiltig 
erklärt  402%  19  ferstozzent.  402",  4  gruoba  12  da  er  404a,  13 
da^  aus  h  corr.  404%  18  sie  auf  rasur  von  so.  405"-,  33  gibitman 
uuirt  iu  ouch  iü).  unterstrichen  406^,  2  imeiz  25  Foue'  diu  spen- 
dota  406b,  20  NOmeu  dni.  407%  23  respicit  32  soluti'  carnis  408%  1 
medemo  aus  0  rad.  22  sicut  409",  1  In  c^lo  &  in  terra  mit  schivar- 
zer  dinte.     409",  23  dar 

410%  30  frehte  411%  9  QVÖ  EXAVDIET  d.  i.  QVONIAM  EXAV- 
DIET  411%  20  irböten  413%  21  ane  413%  21  AEVIA.  414%  13 
maiores.  414%  13  ih.  415%  17  sin  ^ccla.  d.  i.  sin  (^cclesia.  416%  3 
chit.  416%  25  truhtene''  27  iN  417%  11  mvs' vobis.  419%  16  tuet 
21  gänt     419%  18  uuerdent. 

420",  14  corde'  nieo  422%  6  pat'a  424%  8  üoberon  auf  rasur 
424%  32  folle  chömen  425%  26  Kelüstig  425%  10  Friime  reht  426%  14 
eiiianderen     16  fielen     427*,  34  iusticia     427",  6  mi'ih  rasur  von  e 

430%  20  diua  431%  19  die  431%  19  te.&  432%  1  lere  432%  20 
geuuunne     22  Vt     433",  3  plasmauerunt     439%  21  haben 

442%  1  din  442",  23  derlih  443%  22  gerinnet  sia  443%  1 
üf  444%  1  minna.  445",  12  MANIFESTATA  446",  2  enaoria  30  Von 
Vt  ab  ein  neuer  absatz. 

450%  2  .i.  mentis  452%  27  fierden  453%  1  er  17  An  453%  3  hirta 
454%  2  distributionib,  i.  9  .id.  GRADVV.  456%  12  u^fart  aus  h 
corr.     457%  26  Göte     458%  30  israhel.     459",  21  dero  auf  rasur. 

461",  3  diä  13  resiirr/ere  auf  rasur  463",  15  hindert  aus  d 
corr.  16  die  464",  12  kein  absafs  465%  22  xpe  {0u  c  corr.)  466%  15 
ih.     467",  14  he«7egunga.  auf  rasur     468%  26  DNM  d.  i.  DOMINVM 

471",  31  pharaonem.  476",  1  du.  16  Du  ist  nur  eingehrazt 
417%  16  iüngesten  477",  27  mere;  29  ^T  ist  nur  eingelirazt  478%  25 
Daz  ist  diu     478",  29  misseuement     479%  25  peccatores; 

481%  24  uuirt;  482%  8  GLOßlOAMÜR  {sie)  484%  6  stimmo 
21  min     486%  10  Absalone.     488%  18  DEVS  ist  nur  eingehrazt. 

490%  25  diuero  491%  7  principatus.  &  492%  21  hina  493%  5 
sih  494",  2  aber  aus  u  rad.  495",  5  LVVDA  {sie)  21  lobo.  Got. 
499%  1  l^tetur 

502%  27  du  28  mane.  31  Vuieo  502",  2  (.i.  Ingemisco)  27  (.s. 
qud  uoluit)?  503"-  16  genada  Also  21  dih.  504%  9  ET  EXALtatum 
505%  18  er     505",  24  paupereni     506%  1  est.)     2  nos.).  illum.)     5  in. 


AUS    S.    GALLER    HSS.    II  285 

506  b,  8  dien      507%  16  M :  Aguificatus  est.    7iach  M   rasur      508%  27 
und«  aus  u  corr.     509",  4  kein  dbsatz. 

511%  17  giiollichi.  512",  16  ppli.  d.  i.  populi  18  Mgendo 
513%  13  TOT:VS  vor  V  rasur.  19  uiürsisten.  514",  7  si  23  aife- 
rent  515%  4  PEECEPIT  24  scricchenne  515",  9  LOquor.  12  audiat 
516%  3  sinne.  517%  6  dero  7  nah  davor  rasur  16  teil.  518%  2 
fremede  aus  o  corr.  10  dero  darüber  ein  federzug,  aber  kein  accent. 
519%  3  et  519",  3  GNIS  SVCcensus  der  initial  fehlt  anm.  5;  3  iä 
sepultis.     4  Debitvs     5  raaior     6  Siiccensu.  nullvs 

521%  18  Ze  übele  522%  10  pretev  523",  6  temptationem.  524%  21 
mortuus.  &  28  ccjlos.  sedet  525%  6  QVIA  VIsitauit  525",  12  om 
[567]  Omnibus  526%  7  luieg;  frides.  11  EXuItanit  25  täte;  dero 
526",  10  ^genies  527%  8  saluus  esse.  528%  15  lieizent.  22  Föne 
30  mänskeite.  528%  17  sinero  22  ungescaffen  529%  8  increatus.  & 
19  uuerden.  aide 

530%  2  menneskelieit  22  mennisco  531%  15  Vnus  35  himele 
531%  18  euuigemo  19  HAEC  GATHOLICA  [575]  QVAM  30  CIEN- 
DVM  der  initial  fehlt  31  PSALteriu  33  delt^  figura  aus  e  corr. 
532",  1  quide  &  0.  2  ad  siuim  und  z.  4  lein  fecerant  sind  auf  dem 
rande  nachgetragen. 

Zu  Boethius,  Marcianus  Capella  tmd  den  Categorien  werde  ich 
an  andrem  orte  einige  nachtrage  liefern. 

15.  Cod.  Sang.  5  56  (vgl.  MSD"^  79  s.  197)  s.  400  —  401  ent- 
hält den  siebenten  brief  Fiiiodperts  von  Sanct  Gallen.^  In  dem  folgen- 
den abdruck  sind  die  Zeilenschlüsse  durch  senkrechte  striche  bezeichnet: 
{s.  400)  Quia  uirtns  cstillationis  inictu  [  pimgentis  e.  üuända  des  kestir  | 
nis  cbraft  fergät  imde  nirlöufit  |  in  so  längere  uiriste  so  mau  einin 
stüpf  1  ketüou  mag.  luformis  materia.  Täz  |  chit  skäffelösa  zimber. 
luteperies.  |  Intrerteda.  fides  e  sperandarü  ]  substantia  rerü.  argumtü  n 
appa  I  reutü.  Täz  cliit  küisheit  tere  uöh  |  ürougon.  Que  ds  diligit.  buuc 
ex  I  audit.  Cui  deus  placabilis.  buic  ex  |  orabilis.  Temo  die  heiligen 
holt  1  sint.  ter  mag  hörsko  gebeton.  |  Inhumilitate  iudiciü  eivs  sublatü 
e.  1  Täz  m  nioman  zerehte  ueliez  täz  1  uuärt  ze  leibe,  ümbe  sina  deu- 
mö  1  ti.  In  pasca  anuotiuo  .i.  pascale  festfl.  I  (401)  prioris  auni  ,i.  ter 
fernerigo  oster  |  tag.  Ypapanti  .i.  cuentus  omuiü  |  ^tatum.  |  Nomen.  ^ 
nämo.  «Pnom.  füre  däz  nom,  |  verbü.  uuört.  Aduerbiü.  Züoze  de  |  mo 
uerbo.  Participiu  teiluemunga.  ]  Ciuuctio  geuügeda.  Pposicio.  füre  |  se- 
zeda.   Interiectio.  ünderuuerf.  |  ISTomini^  qd  accidunt?  uui  mänegiu  |  uöl- 

1)  Zu.  der  collation  liahen  vier  äugen  fjeholfen,  die  des  herrn  Stiftsarchivars 
W.  E.  V.  Gonzetihacli  und  die  meinigen.         2)  N  vor  der  linie. 


286  SCHMITZ 

gent  t6mo  nomini.  VI.  Qu^?  [  qualitas  te  uuilichi.  qu^?  subau  |  ditur. 
ubi'z  eigen  {das  zweite  e  aus  i  corr.)  si.  aide  gemeine  |  ter  substanti^. 
aide  des  acciden  |  tis.  Cöparatio.  teuuidermeziinga.  |  ciiius?  tiscompa- 
ratiui.  aide  dis  |  suplatiui.  Züo  demo  positiuo.  \  Genus  tiz  cliünne. 
cuius?  sin  aide  | 

ALTONA,   DEN    25.    OCTOBEE    1878.  P.    PlfER. 


BRUCHSTÜCK    EINES    LATEINISCH -DEUTSCHEN 
VOCABULARIUS. 

Unter  den  handscbriffcenfragmenten,  die  als  kümmerliche  Über- 
bleibsel des  ehemals  reichen  mannscriptenscbatzes  Kölnischer  kirchen  - 
und  Idosterbibliotheken  gegenwärtig  in  der  bibliothek  der  hiesigen  katho- 
lischen gymnasien  aufbewahrt  werden,  befinden  sich  auch  zwei  perga- 
mentblätterpaare  aus  dem  14.  Jahrhundert  mit  der  aus  moderner  zeit 
stammenden  bezeichnuug  .,  Catalogus  nominum,  piscium ,  ferarum,  her- 
barura  et  arborum,  germanice  reddit."  Die  erwähnung  des  Papias, 
dessen  „ elementarium  doctrinae  erudimeutum"  gegen  1063  erschien,^ 
und  des  Hugo  von  St.  Victor,  der  1141  gestorben  ist,  beweisen,  dass 
die  vorliegende  redaction,  deren  zusammensteller  übrigens  das  meiste 
schon  in  arger  corruption  vorfand,  nicht  vor  der  mitte  des  12.  jalir- 
hunderts  verfasst  sein  kann.  Die  herstellung  des  eigentlichen  quelleu- 
textes  kann  freilich  nur  im  zusammenhange  mit  der  behandlung  der 
zahlreichen  Vocabularii  ex  quo,  rerum,  gemmae  gemmarum,  des  Voca- 
bularius  optimus  u.  dgl.  versucht  werden,  eine  arbeit,  der  unter  den 
lebenden  niemand  mehr  als  Gustav  Löwe  gewachsen  ist.  Aber,  so  viel 
ich  sehe,  bietet  das  vorliegende  fragment,  welches  zu  der  zahl  ähn- 
licher Zusammenstellungen  gehört,  wie  sie  L.  Diefenbach  das  raate- 
rial  zu  seinen  beiden  lateinisch -deutschen  glossarien  geliefert  haben, 
auch  in  der  gegenwärtigen  form  nicht  blos  eine  nützliche  ergänzung 
zu  den  von  Weigand  in  Haupts  Zeitschrift  für  deutsches  altertum 
(IX,  388—398;  XI,  175)  veröffentlichten  lateinischen  hexametern  mit 
deutschen  glosseu,  sondern  enthält  auch  manche  bereicheruug  und 
bestätigung  für  mittellateinische  sowie  für  alt-  und  mittelhochdeutsche 
lexikographie  und  gewährt  zugleich  einen  ebenso  lehrreichen  einblick 
in  die  selbstgewisse,  um  auskunft  nie  verlegene  „Wahrheit  und  dich- 
tung"  mittelalterlicher  etymologie  wie  in  die  ehemalige  naive  darstel- 
lungsweise naturwissenschaftlicher  belehrungen. 

1)  S.  Löwe,  Prodromus  glossarior.  Latinor.  s.  235. 


KÖLNEE   NATURGESCH.   GLOSSEN  287 

Ich  verdanke  die  kentnis  der  blätter  der  zuvorkommenden  freund- 
lichkeit  des  herrn  bibliothekars  prof.  dr.  Düntzer.  In  dem  weiter  fol- 
genden abdruck  erscheinen  die  abknrznngen  des  originales  meistens 
aufgelöst;  die  Verbesserung  selbstverständlicher,  insbesondere  orthogra- 
phischer versehen  habe  ich  für  überflüssig  erachtet,  dagegen  sind  von 
mir  in  den  anmerkungen  einige  emendationsversuche  und  nachweisun- 
geu  beigefügt.^ 

Bl.  1\     Piscibus   hie  reddo   sua   nomiua^    corde   iocundo. 

Nota  specialia  piscium  nomina.  —  Cete  grandia  sunt  immense 
belue  marine.^  Et  uota  quod  cete  est  indeclinabile.  neutri  generis.  et 
pluralis  numeri.  Item  hie  cetus.  ti.  est  ideni  in  singulari  scilicet  ivaluish. 
Sic  uocatur  magnus  piscis  marinus  a  cetu  dictus  ob  immanitatem  ad 
instar  cetus,  qualis  fuit  cetus  qui  excepit  lonam  cuius  aluus  tante  fuit 
magnitudinis  ut  instar  obtineret  inferni,  dicente  propheta:  De  uentre 
inferni  clamaui:  Ion.  11.^ —  Nota  echinus /mso  uel  pocus,^  AUobrox^ 
uel  sarus.'  Est  etiam  echinus  vas  ad  modum  illius  piscis  factum.  — 
Item  rombus  sture  uel  sturio.  —  Item  gamarus  sa?)«o  uel  polcrus.^  — 
Item  esox  lash.'-*  —  Item  lucius  hecJiü  uel  dentrix.  —  Item  melo- 
nurus^"  snaz.  —  Perca  perslch.  —  Cephalus  carpo  uel  carabus.  — 
Item  redo  mümia.'^'^  —  Muren a  lemfrida.  —  Loligo  hreseme  uel 
sepia.^2  —     Item   salax  ^^   harho.  —     Tinea  slia.  —     Fundulus  grun- 

1)  Um  die  benutzung  dieser  glossen  bequemer  und  förderlicher  zu  machen, 
habe  auch  ich  in  den  anmerkungen  eine  anzahl  von  berichtigungen ,  Verweisungen 
und  erläuterungen  hinzugefügt.  Nicht  weniges  freilich  ist  mir  unverständlich 
geblieben.  J-  Z. 

2)  Für  tiernamen  vgl.  den  „Laterculus"  des  Polemius  Silvius  vom  j.  448,  bei 
Mommsen  in  den  Abhandlungen  der  sächs.  Ges.  der  Wiss. ,  bd.  III  (1853)  s.  267  fg., 
widerholt  in  Eeifferscheids  Sueton  s.  258  fg. 

3)  ,,Cete  dicta  t6  xfjTog  xccl  tu  arjTr],  hoc  est  ob  immanitatem.  Sunt  enim 
ingentia  genera  belluarum  et  aequalia  montium  corpora ,  qualis  cetus  excepit  lonam: 
cuius  alvus  tantae  magnitudinis  fuit,  ut  instar  obtineret  inferni,  dicente  propheta: 
Exaudivit  rae  de  ventre  inferni."     Isid.  etym.  12,  6,  8. 

4)  lonas  cap.  2  v.  3.  5)  pocus]  Ypocus  Weigand  s.  392. 
6)  esox?            7)  1.  scarus. 

8)  „salmo,  gamarus  vel  poleris."  Heinrici  summar.  bei  HofTmann,  ahd.  glos- 
sen s.  4.  9)  1.  lahs.  10)  1.  melanurus. 

11)  redo,  muneva.  Haupts  ztschr.  9,  393.  —  Et  nullo  spinae  nociturus 
acumine  redo.  Auson.  Mosella  v.  89.  —  mmieva.  munva,  capedo.  Graff2,  805. — 
alant  vel  munewa ,  capito  vel  capedo  vel  dendex  [cyprinus  jeses].  Summar.  Hein- 
rici, bei  H.  Hofftnann,  ahd.  gloss.  s.  4.  Vgl.  Diefenbaeh,  gloss.  lat.  germ.  s.  v. 
capito  s.  97''. 

12)  href:ma  luUigo  [diiitenfisch]    Summ.  Heinr    b.  Hoffm.  uhd.  gl.  s.  4 

13)  1.  salar ,  (gewöhnlich  parus). 


288  SCHMITZ 

dela,  uel  saxatilis,  qiüa  semper  adheret  fundo,  vel  gradius.  Cin- 
tilla  [?]  uel  turonilla.  —  Item  graciiis  crasso.  —  Gobio  roppa  ^ 
vel  tactuca.  —  Item  varus  vurJia  vel  trutta.^  —  Tunallus  ash  vel 
asco  vel  umbra.  —  Item  serra  stecJiela  vel  asperagus,  qiüa  aspere 
agit.  —  Item  estaurus  ^  erliza.  —  Debio  hasela  vel  congus.'^  —  Item 
concrus  ^  culhauhet.  —  Mutilus  rorauge.^  —  Item  hamio  steinhiz.  — 
Fiscedulus  dumeUnch.  Item  albula  est  idera.  —  Item  miillus 
elsena.  —  Item  alausa  nunauca.  —  Item  stocus  stocvish.  —  Delphin 
merswin.  —  Item  polipus  est  piscis  marinus  dictus  a  nii[bl.  l**]mero- 
sitate  pedum,  qui  adherens  scopulis  maris  aliis  insidiatur  piscibus  et 
eos  deuorat  et  dicitur  a  polis,  quod  est  phiralitas,  et  pos,  quod  est 
pes,  quasi  plures  habens  pedes.  Est  etiam  fetor  narium:  unde  versus: 
Polipus  est  piscis,  polipus  fedatio  naris.^  —  Item  capedo  dici- 
tur piscis  alant  vel  capito.  —  Item  silurus  dicitur  piscis  minutus,  qui 
et  buctulus^  dicitur.  Ynde  luuenalis :  Fracta  de  merce  silurus.^  — 
Item  alburnus  gancvish ;  sirauis  [?]  Jialbuish  vel  pectenus ;  item  gario  [?] 
velh^^  —  Zigna  piscis,  qui  dicitur  schnda.  —  AUosa  vel  horrena  vel 
dentix,  uelra.^"^  —  Mugil  agebush.^'^  —  Ypothamus  dicitur  piscis  qui 
appellatur  roda.  [?]  —  Item  glaucus  dicitur  piscis  cosna.'^'^  —  Item 
pecten  dicitur  piscis,  qui  gallice  appellatur  pleis.^'^  —  Item  rastrum 
est  piscis,  qui  gallice  plaret  nuncupatur.  [?]  —  Item  millago  dicitur 
piscis  ylaere.^^  —     Item   cerulus  ^'^  est   quidam  piscis,    cuius  sauguine 

1)  1.  groppa  vel  capito.  Vgl.  Schmeller^  I,  1006  und  Diefenbacli  gloss.  lat. 
germ.  s.  97  s.  v.  capito. 

2)  Vgl.  Diefenb.  gloss.  lat.  germ.  s.  599''  s.  v.  tructa. 

3)  1.  escaurus  [c3'prinus  phoxiims]. 

4)  1.  congrus.  5)  1.  cottus  [gobio].  6)  1.  Rntilus  rotouge. 

7)  Vgl.  Lübben,  versus  memoriales  (progr.  d.  gymn.  zu  Oldenburg.  1866.  8.) 
B.  28  nr.  593. 

8)  subtellus?   vgl.  subtellus,  harho.    Admonter  gl.  11.  jb.  in  Haupts  ztschr. 

3,  380  und  Graff  3,  207  s.  v.  barbo. 

9)  1.  siluros:  vgl.  luvenal.  4,  33. 

10)  Nach  Nemnich,   Polyglottenlexicon  der  naturgeschichte.     Hamburg  1795; 

4,  1212  benennungen  des  Wcissfelchen,  salmo  lavaretus,  in  seinem  dritten,  fünften 
und  sechsten  jähre. 

11)  Vgl.  uualera ,  dentix ,  aus  Tlorentiner  gl.  bei  Graff  1,  839. 

12)  Ahd.  agapu^,  fehlt  bei  Graff;  vgl.  Schmeller^  1,  118  unter  appeis. 

13)  cofna,  glaucus.     Heinrici  summ,  bei  Hoffmann  ahd.  gl.  s.  4. 

14)  pecten,  scutte  vel  plaidise.  Graff  Diut.  2,  226.  Aus  einem  Berner  lat.- 
niederd.  glossar  des  13.  jh.  Gemeint  ist  Pleuronectes  platessa,  die  schölle;  engl. 
plai.se,  fz.  plie. 

15)  hylare,  milago.     Heinrici  summ,  bei  Hoffm.  ahd.  gl.  s.  4. 

16)  ceruleus,  geruleus  wird  sonst  glossiert  durch  chnrpfo,  karpfe,  vgl.  Graff 
4,  491. 


KOLNEB   NATTJRGESCH.  GLOSSEN 


289 


purpura  coloratur.  —  Itein  effimer  est  genus  piscis;  qui  uero  carnes 
illius  piscis  gustauerit,  effiraeram  ^  incurrit,  iit  dicitur.  —  Item  pistiix 
dicitiir  magnus  piscis ,  qui  et  balena  dioitiir ,  qui  cauda  sua  aquam  rait- 
tit  in  nauem  et  sie  eara  submergit;  et  dicitur  a  baliu  ^  quod  est  niit- 
tere.  —  Item  scombri  dicuntur  pisces  salsi,  de  quibus  fit  garum  .i. 
gutturis  unguentum.  —  Item  lingulaca  est  piscis  similis  liugue  homi- 
nis. —  Item  tharaca  ^*  sunt  oua  piscium ,  ut  liabent  cancri  sub  cau- 
dis.  —  Matilla  [?]  matula  [?]  sluuila  [?]  blica  vel  solca.^  —  Item  murex. 
eis.  est  genus  piscis,  cuius  sanguine  purpura  coloratur.  Item  salsus 
liquor  piscium  [bl.  2'']  uocatur  garrium,*  unde  fit  unguentum.  —  Item 
barisna  [?]  piscis  naso.  [?]  —  Afibrus  frilla.^  —  Clauculus  wiszvish. 

Hie  uolucres  celi  referam  sermone  fideli, 
Nota  auiuni  nomina.  —  Capus  falco,  et  dicitur  a  capiendo.  — 
Item  herodius  ivüdefcdco,  et  dicitur  ab  lierus,  heri:  quod  est  dominus.  — 
Item  accipiter  JiaUch,  et  dicitur  ab  accipiendo.  —  Nisus  sxmrivere,  qui 
nititur  viribus.  —  Item  aquila  arc,  et  dicitur  ab  acumiue  oculorum.  — 
Item  graciljxr*^  stocare  vel  alietus.  —  Item  miluus  wige,  et  dicitur  a 
molli  uolatu.  —  Cupida  rodihvige.  —  Item  ardalio  sied.'' —  Ardea  re?'- 
ger.  —  Wltur  gh\  et  dicitur  a  uoluendo,  quia  uoluit  cadauera.  —  Pi- 
cus  s2)cM.  —  Merops  grunespeld.  —  Pica  ageleistera.  —  Larus  musere.  — 
Laufagus  vel  leoficus  tvamveha.  —  Bubo  Jmivo.  —  Noctua  vJe,  et 
dicitur  quasi  auis  noctis.  —  Turdela  drosela.  —  Merula  nierla.  —  Grus 
cranich.  —  Pauo  paivo.  —  Strutio  strua.  —  Cyconia  odohero.  Item 
haec  ybis  huius.  dis.  storch.  Item  haec  ybis  huius.  eis.  est  auis  Nili 
fluminis.  Item  haec  ybis,  huius  ybis,  ybi,  yben,  est  auis  Egipti,  quae 
secundum  legem  est  immunda  prae  omnibus  uolatilibus ,  quia  mortuis 
cadaueribus  semper  pascitur.  —  Mollisvaga  hagügans.  —  Aurificeps 
T/sfogcl.  —  Bitrisculus  kungeUn  vel  purisculus.  Furfarius  mnsluffil.  — 
Columba  d^iha.  —  Ficedula  sneppa.  —  Friugellus  finko  vel  carduelis 
siue  carduellus.  ■ —  Ceyx  cisichin.  —  Onocrotalus  Iwrtdume.^  —  Perdix 
rcplinne.  —     Coturuix,    cymera,    vel  oruix,    siue  cyla,^    quia   est  auis 

1)  HfTj/ufQig,  eintagsfiebcr,  vgl.  s.  297;  ist  effimer  etwa  entstanden  aus  mis- 
vcrständiiis  der  epliemera,  der  im  wasser  lebenden  larve  der  eintagsfliege? 

2)  d.  i.  ßalETv.  2*)  vgl.  rdoixog. 

3)  1.  solea;  gemeint  ist  die  scJioIle,  pleuronectes  platessa. 

4)  1-  gaixun. 

5)  xoliritta,  asforus.     Graff  3,  366.     Vgl.  Diefenbacli  16.  s.  v.  aftbrus. 

6)  1.  gradipus. 

7)  Vgl.  Diefenbach .  gloss.  lat.  germ.  s.  v.  ardalio.  s.  46 ''. 

8)  1.  Jwrtumel,  vgl.  Graff  4,  424.    Lexer  1,  1344. 

9)  tylas?  vgl.  Diefenbach  gloss.  lat.  germ.  s.  583''.  turdus  pilaris,  Icrammets- 
vofjel,  Ziemer. 

ZEITSCnR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.    ED.  XI.  19 


290  SCHMITZ 

similis  perdici.  [bl.  2'']  sed  minor.  —  Gramuscula  [?]  grasemuhka.  — 
Vasianus  vasant.  —  Orthigometra  vrhün.  —  Cruricula  warcengil^  — 
Graculus  ruch.  —  Sparulus  haselhun.  —  Atagge  ^  hircimn.  —  Liicilio  ^ 
Ijechesterse.  —  Luscinia  est  idem  quod  philomena.  —  Ailger  enger- 
linch.  —  Edera  [?]  Jieher  vel  orix  siue  attacus.  —  Pellicaniis  ivise- 
gamo.  —  Alictus  eringrif.^  —  Turdus  hrachvogil.  —  Stiirnus  stare.  — 
Sterniüus  cleinestare ,  quia  diio  sunt  genera.  —  Vppiiba  ^  widehoppa.  — 
Nicticovax  nahtrabe.  —  Parix  meisa,  et  dicitur  a  pariendo.  —  Mergus 
duchera.  —  Mergulus  diminutiuum.  —  Quiscula  tvaldela  vel  quasciüa.  — 
Anas  anfrecha.  —  Aneta  ante.  —  Cuculus  gavch  vel  tuciis.  Item 
psitacus  est  idem.  —  Passer  spariva,  et  dicitur  a  pariendi  libidine, 
quia  est  auis  libidinosa ,  vel  dicitur  a  paruitate ,  quia  paruus  est.  —  Sicut 
dixi:  cyla  est  auis  similis  parue  perdici  et  bene  potest  dici  cymera.  — 
Item  narex  [?]^  wasserstelzze.  —  Olor  swane  vel  cignus.  —  Item  cara- 
drion  vel  alauda  lericha.  —  Item  velica  est  avis  matutiualis. 

Supra    diximus    de    propriis    auium  nomiuibus;   nunc   dicetur 

de  earum  uocibus. 

Habent  euim  uoces  proprias.^  —  Est  enim  aquilarum  clan- 
gere.  —  Accipitrum  plipiare.  —  Coruorum  crocitare.  —  Turdela- 
rum  tutulare  vel  tutelare.^  —  Miluorum  lupire.  —  Anserum  singire  ^ 
vel  gliccire.  —  Olorum  drensare.  —  Gruura  gruere.  —  Cyconia- 
rum  grotollare  vel  crotulare.  —  Anetarum  tetrasitare.^"  —  [bl.  3*] 
Pauonum  papulare.  —  Gallorum  cucurire.  —  Gallinarum  gracillare.  — 
Pulliculoruni  mimirrire.  ^^  —  Graculorum  fringulire.  —  Noctuarum 
cucubire.  —  Mergorum  zizinare.^^  —  Turdorum  est  soccitare.  — 
Sturdorum  passitare  vel  strintinnire.  Passerum  ticcitare  ^^  vel  tizi- 

are.  —  Msorum  sigilare.  —  Turturum  gemere.  —  Palumborum  pau- 
citare.  —  Perdicum  cacabare.  —  Merularum  frandere  vel  ticciare.^*  — 
Ceicum  lausare.  —  Nota  de  vermibus  ut  aues  volantibus:  Vespertilio- 
num  est  bractare.  —     Apuni  bumbire  vel  bocibilare.^^ 

I)  1.  warchengil.  2)  1.  attagen.  3)  1.  lucilia. 

4)  1.  aliotus  eringrie^.  5)  1.  iipupa.  6)  idrox?  vgl.  Diefenb.  284'' 

7)  Über  tierstimmen  vgl.  Reifferscheids  Sueton,  s.  247  fg.  nebst  „Äddenda" 
s.  XI  der  praefatio ;  W.  Wackernagels  Voces  variae  animantium ,  2.  aufl.  Basel  1869, 
und  Gast.  Loewe  im  Rheinischen  museum  für  philologie  (1879)  bd.  34  s.  493  fgg. 

8)  1.  tnicilare.  9)  1.  sclingire.  10)  1.  tetrisitare. 

II)  1.  minurrirc.  vgl.  Wackernagel  s.  73  anm.  161. 
12)  1.  merulorum  zinzinare.  13)  1.  titiare. 

14)  frindire,  frendcre,  zinziare.     "Wackern.  s.  48. 

15)  1.  bombire ,  bombilare. 


KÖr^NKR    NATURGEkSCU.    GLOSSEN  291 

Noraina  paucarum  sunt  liic  scribenda  ferariim. 
Nota  ani  mal  iura  uomina.  —  Leo  lewe,  cuius  femininum  est 
leona.  Leo  graece  interpretatur  rex  latine,  eo  quod  sit  princeps  omnium 
bestianim.^  —  Item  panthera  pantir.  —  Tigris  tigerdir.  —  Pardus 
pantir:  inde  leopardus  dicitm*  lebart.  —  Item  rinos  graece,  nasus  latine: 
inde  rinoceros  .i.  unicornis,  quia  habet  cornu  in  naribus,^  et  dicitur 
eineJiorn.  —  Item  alx  elba.^  —  Vrus  urosso.  —  Hinulus  rehcalp.  — 
Capricoruus  steinhoch.  —  Caprea  rechgeiz.  —  Dromus  est  geuus  cameli 
sed  minor  camelo ;  et  est  tante  velocitatis ,  quod  centum  miliaria  perua- 
dit  die  uua;  cuius  femininum  est  dromeda.  Vude  dicitur  a  dromos, 
quod  est  cursus;*  inde  dicitur  dromedarius,  qui  regit  eos.  —  Nota: 
parifa  ^  dicitur  minor  pultrinorum  siue  poledrorum ;  poledrus  dicitur 
vülen  vel  pultrinus.  Item  equaricia  dicitur  stut.  Spado  hengist.^  — 
Molosus  rüde  [bl.  3^]  scilicet  magnus  canis.  —  Item  spinga  mercazsa.  — 
Taxus  dalise  vel  melus;  inde  melota  .i.  pellis  meli.  —  Item  linx  lulis.  — 
Migale  Jicrmelin  vel  candidulus  siue  nicidulus.''  —  Vrsus  hero.  —  Simia 
äffe.  —  Tebulus  zohcl.  —  Martarus  marder.  —  Sorex  spiceniüs.  — 
Glis.  ris.  ratta.  —  Hieua  cltim.^  —  Burdo  est  animal  quod  nascitur 
ex  equo  et  asina.  Mulus  autem  ex  equa  et  asino.^  —  Item  barrus 
est  elepbas  vel  elephantus,  quod  idem  est.  —  Bucula  calp.  —  Lin- 
tus  ^^  tvint.  —  Basiliscus  dicitur  regulus.  —  Cocodrillus  est  belua 
Nili  fluminis.  —  Cyrogrillus  est  bestia  maior  ericio ;  ericius  autem  est 
ygil  tetre.  Erinatius  ygü  petrarum  et  multo  nobilior.  —  Item  cuni- 
culus  cunigelin.  —  Cerastes  .i.  cornutus:  a  ceros,  quod  est  cornu; 
inde   renoceros.    otis    .i.    serpens    cornutus.     Aspis  est  genus   serpentis. 

1)  ,,Leo  autem  graece,  latine  rex  interpretatur,  eo  quod  princeps  est  omnium 
bestiarum."     Isid.  etym.  12,  2,  3. 

2)  ,,Ehinoceros  a  Graecis  vocatur.  Latine  interpretatur  in  nare  cornu.  Idem 
et  monoceros,  id  est  unicornus,  eo  quod  unum  cornu  in  media  fronte  habeat  pedum 
quatuor."    Isid.  etym.  12,  2,  12. 

3)  1.  elaho. 

4)  „Dromeda  genus  est  camelorum,  minoris  quidem  staturae,  sed  velocioris. 
Unde  et  nomen  habet.  Nam  ÖQÖ/nog  graece  cursus  velocitas  appellatur.  Centura 
enim  et  amplius  milia  una  die  pergere  solet."     Isid.  etym.  12,  1,  36. 

5)  parafredus,  palafrenus?  vgl.  Wackernagel,  Vocabularius  optimus  s.  7  und 
Diefenb.  gloss.  lat.  germ.  406^  s.  v.  palefredus. 

6)  Ist  fehlerhafte  Übersetzung.  Spado  ist  wall  ach,  dafür  gebrauchte  man 
im  mittelalter  den  deutschen  ausdruck  münech. 

7)  nitidulus? 

8)  Gemeint  ist  illitiso,  iltis.  Vgl.  Summar.  Heiurici  bei  Hoffmann,  ahd. 
gloss.  s.  4  und  Altd.  bl.  2,  211. 

9)  ,, Mulus  ex  equa  et  asino,  burdo  ex  equo  et  asina."     Isid.  etym.  12,  1,  61. 

10)  gewöhnlich  Unter. 

19* 


292  SCHMITZ 

Item  dispas^  est  species,  cums  morsiis  facit  homines  multum  sitive. 
Item  Tirus  est  serpens:  unde  venit  tiriaca.^  —  Bucerus  tvisant  vel 
bubalus.  —  Baltus  est  camelus.  —  Fiber  hiber  vel  castor.  —  Item 
lustrus^  otter  vel  luter.  —  Onager  tvüdesü.  —  Item  berbiz  dicitur 
aries  castratus  scilicet  hamil.  Miüto.  uis.  dum  adhuc  habet  testes. 
Aries  uero  imus  et  alter.  Veruex  autem  dicitur  a  verme,  quem  gerit 
in  fronte;  ab  eo  enim  habet,  ut  unus  impetat  alium.^  —  Item  musmo 
est  animal,  quod  geueratur  ex  capro  et  oue.°  Tytirus  est  animal,  quod 
generatur  ex  capra  et  ariete.^  —  Item  hibix  dicitur  porcus,  qui  ex 
siluestri  porca  et  domito  verre  nascitur. ''  Cycuris  autem  ex  domita 
porca  et  siluestri  apro.  Item  verres  dicitur  porcus  domitus,  qui  habet 
testes.  Neferendus  autem  qui  caret  utrisque.^  —  Item  lyncista  est 
animal,  quod  [bl.  4*]  nascitur  a  lupo  et  canicula  domita.^  —  Item  dif- 
ferentia  est  inter  beluam  et  bestiam.  Bestia  est  animal,  quod  ore  et 
unguibus  seuit,  ut  leo,  lupus,  ursus  et  ßimilia,  quae  morantur  iu  siluis 
et  alienum  sitiunt  sanguinem  ^<'.  Belue  autem  morantur  in  aquis:  inde 
dicuntur  belue  et  sunt  eiusdem  nature  sicut  sunt  et  bestie,  quoniam  ab 
uno  et  eodeni  uocabulo  sunt  nuncupate,  scilicet  a  bibendo;  sitiunt  enim 
et  auide  bibuut  sanguinem  alienum.  —     Item   pecudes   quasi   ad   esura 

1)  d.  i.  dipsas.     Diefenb.  gloss.  lat.  germ.  183  *\     Isid.  etym.  12,  4,  13. 

2)  0-r]Qiaxä.  Vgl.  Wackernagel  vocab.  opt.  XL,  59:  tirus  driakel  wrn.  Die- 
fenb. 585°.  —  ,,Ex  vipera  autem  fiunt  pastilli,  qui  ß-rjQiaxol  vocantur  a  graecis." 
Isid.  etym.  12,  4,  11. 

8)  Gewöhnlich  lutrus. 

4)  „Vervex  vel  a  viribus  dictus ,  quod  caetevis  ovibus  sit  fortior,  vel  quod  sit 
vir,  id  est  masculus,  vel  quod  vermem  iu  capite  habeat;  quorum  excitati  pruritu 
invicem  se  concutiunt  et  pugnantes  cum  magno  impetu  feriunt."  Isid.  etym.  12.  1,  10. 

5)  Jo.  de  Janua:  „Muscino  vocatur  animal  ([uod  ex  capra  et  ariete  nascitur, 
et  est  dux  gregis."  Gloss.  vetus  Ms.  Sangerm.:  „Musmo  vocatur  animal  quod  ex 
capra  et  ariete  nascitur."  (Adelung)  glossar.  raanuale  ad  scriptt.  med.  et  inf.  latiu. 
4,  786.  s.  V.  muscio. 

6)  tytirus,  tityrus,  animal  ex  hii-co  et  ovo  natum.  Diefenb.  gloss.  lat. 
germ.  586 ^ 

7)  Hibrida  est  ex  apro  siluestre  et  sue  domcstica.  Diefenb.  277 ^  ,,In  ani- 
mantibus  bigenera  dicuntur  quae  ex  diversis  nascuntur,  ut  mulus  ex  cqua  et  asino: 
burdo  ex  equo  et  asina:  hibridae  ex  apris  et  porcis:  tityrus  ex  ove  et  hirco: 
musrao  ex  capra  et  ariete.     Est  autem  dux  gregis."     Isid.  etym.  12,  1,  61. 

8)  nefrendus,  porcus  etesticulatus.     (Adelung)  gl.  man.  4,  817  ^ 

9)  „Lycisci  autem  dicuntur,  ut  Plinius  ait,  canes  nati  ex  lupis  et  canibus, 
cum  inter  se  forte  miscentur."     Isid.  etym.  12,  2,  28. 

10)  ,,Bestiarura  vocabulum  proprie  convenit  leon  ibus ,  pardis  et  lupis,  tigri- 
bus  et  vulpibus  ,  canibus  et  simiis ,  ac  caeteris  quae  vel  ore  vel  unguibus  saeviunt, 
exceptis  serpcntibus.    Bestiae  autem  dictae  avi,  qua  saeviunt."  Isid.  etym.  12,  2,  1. 


KÖLNER  NATÜRGESCH.  GLOSSEN  293 

apte,^  sicut  et  pecora,  sed  pania  minus  apte,  siciit  liircus  et  capra.  — 
Item  iumenta  dfcuntur  a  iuuando,  quod  iuuant  hominem  in  suo  labore,^ 
ut  est  equus  et  muliis.  asinus  et  similia.  —  Item  camelus  est  maior 
aquo,  duo  in  dorso  gerens  tubera.  Quidam  tarnen  non  nisi  uuum 
tuber. ^  —  Aspis  est  genus  serpentis,  cuius  natura  est  unam  aurem 
cauda  obstruere  et  aliam  terro  affigere,  ne  ab  bomine  capiatur  per 
iucantatiouem.-*  Item  draco  est  etiam  genus  serpentis,  et  buius  nature 
est,  quod  natat  in  aqua,  repit  in  terra  et  uolat  per  aera.  Item  ydra 
est  etiam  genus  serpentis  plura  habens  capita ;  quod  cum  Hercules  am- 
putasset  aliqua,  alia  succreverunt  capita.  —  Nota:  verres  et  aper  idem 
sunt  scilicet  he  12.^  Sic  magalus  et  neferendus  **  unum  sunt,  scilicet 
harcli.  —  Item  capreolus  vel  campolus  rech.  —  Item  canipa '  silua- 
tica  steingeiz.  —  Item  camelopardus  dicitur  bestia  camelo  capite  simi- 
lis,  equo  coUo ,  pedibus  bubalo.^  —     Cenocepbalus,  bic  habet.'* 

Nota   quod   bestie   babent   proprias   uoces,   ut   uolucres. 

Leonum  enim  est  fremere  vel  rugire.  —  Tigridum  racbare.  — 
Pardorum  felire.  —  Pantberarum  caurire.  —  Vrsorum  uncare  uel 
seuire.  —  Aporum  ^'^  frendere.  —  [bl.  -i^]  Lincis  uncare.  ^^  —  Lupo- 
runi  ululare.  —  Serpentum  sibilare.  —  Onagrorum  magilare.  - —  Ceruo- 
rum  rugire.  —  Tbaurorum  mugire.  —  Equorum  binuire.  —  Asino- 
rum  rudere.  —  Porcorum  grunnire.  Verris  quiritare.  —  Arietum 
lorectare,  Ouium  balare.  —  Hircornm  bumictare.^^  Hedorum  uebare.  — 
Canum  latrare.  —  Vulpium  gaunire.  —  Catulorum  galatire.^^  —  Lepo- 

1)  ,,Pecudes.  —  illa  animalia,  quae  eduntur,  quasi  pecuedes."  Isid.  etym. 
12,  1,  6. 

2)  „Iumenta  nomiua  inde  tvaxerunt,  quod  nostrum  laborem  vel  opus  suo  adju- 
torio  subvectando  vel  arando  iuvant."     Isid.  etym.  12,  1,  7. 

3)  Aus  Isid.  etym.  12,  1,  35. 

4)  „...  aspis,  cum  coeperit  pati  incantatorem  ....  unam  aurem  in  terra 
premit,  alteram  cauda  obturat  et  operit."    Isid  etym.  12,  4,  12. 

5)  1.  heir;  vgl.  Grimm,  gescb.  d.  d.  spr.i  36.  695.  Deutsch,  wb.  1,  1124. 
1368.  s.  v.  bar,  heier. 

6)  d.  i.  raajalis  et  nefrendus. 

7)  1.  caprea.    Vgl.  Graff  4,  286. 

8)  „Camelopardus  ...  coUo  equo  bimilis ,  pedibus  bubulis,  capite  tamen 
camelo  est  similis."     Isid.  etym.  12,  2,  19. 

9)  hc  bt :  dahinter  scheint  etwas  ausgelassen  zu  sein ,  etwa  caniuum  caput. 
Vgl.  Isid.  etym.  11 ,  3 ,  15. 

10)  1.  Aprorum.  11)  1.  urcare. 

12)  Gewöhnl.  miccire,  mictire;  vgl.  Wackernagel  voc.  var.  anim.  68. 

13)  1.  glatire. 


294  SCHMITZ 

rum  vagire.  —   Mustelariiui  driuorare.^  —    Miirium  minitare   vel  pipi- 
tare.     Soricura  deflicare.^  —     Ranarum  coaxare. 

E  c  c  e  s  t  i  1 0  d  i  g  11 0  1  i  g  ii  o  r  u  ui  n  o  m  i  n  a  s  c  r  i  b  o. 
Nota:  Cornus  est  arbor  glaiidifera  sirailis  quercui;  ciiius  friictus 
dicitur  boc  coriiiim.  Vnde  dicitur  Corna  gerit  cornus.  Sunt  enim 
iste  arbores  glandiferae,  sc.  Quercus,  Ylex  et  Cornus;  et  unumquodque 
ponitur  pro  altero.  Vnde  legitur  in  Genesi:^^  ad  ylicem  Mambre  .i. 
iuxta  quer  cum  Mambre ,  sc.  illius  viri.  Tres  enim  erant  germaui,  unde 
versus:  Escol,  Auer,  Mambre  tres  hü  fratresque  fuere.  Mam- 
bre est  indeclinabile.  Sunt  enim  quaedam  arbusta  quercui  similia,  quae 
ferunt  grana  parvis  glandibus  similia.  Vnde  scarletum  coloratur.  Quer- 
cus eiiiin  dicitur  a  quaerendo,  eo  quod  iude  antiqui  victum  quaerebant, 
vel  ibi  responsa  a  demonibus  quaerebant.  —  Item  populus  dicitur 
helda.^  Vnde  versus:  Populus  est  arbor,  populus  collectio  gen- 
tis.^  —  Item  pinus  Jcinuorha  vel  picea.  —  Savina  [bl.  5*]  seuen- 
houm.  —  Parsicus  ^  pirsicJibom.  —  Tremulus  as|je.  —  Prunus  prun- 
hom.  —  Nucus  nüsbouni  vel  nucarius.  —  Abies  tanna.  —  Vibex 
Urea  vel  bedolica.  —     Fraxinus  eschhoum.  —     Item  haec  acer.  ris.  vel 

1)  Ebenso  im  glossar  Ugutios ,  nach  Wackern.  voc.  varr.  anim.  v.  68  statt 
drindrare. 

2)  Statt  mintrare,  raintrire  und  desticare.     Wackern.  s  64. 

3)  Das  citat  ist  wertvoll ,  weil  es  aus  der  Itala  stauit.  Sabatier  führt  an 
Augustin  de  Trin.  1.3  t.  8,  806,  g:  visus  est  autera  ei  Dens  ad  ilicem 
Mambre  sedenti  ad  ostiura  tabernaculi  sui  meridie.  Ambros.  de  Cain 
et  Abel  LI  cap.  8:  cum  visus  esset  Deus  Abrahae  ad  ilicem  Mambre. 
V.  euud.  in  Luc.  1.  I.  1274.  b.  Im  Brevier  steht  Eespons.  ad  Lect.  II.  Mat.  Dom. 
in  Quinquag.:  Dum  staret  Abraham  ad  ilicem  Mambre,  vidit  tres  vires 
ascendentes  per  viam.  In  dem  von  Tobler  der  mitte  des  6.  Jahrhunderts 
zugeschriebenen  Über  Theodori  de  situ  terrae  sanctae  heisst  es  cap.  21:  In  de  (d.  h. 
ubi  baptizavit  Philippus  eunuchum)  usque  ad  Terebinthum,  quae 
appellatur  ilex  Mambrae  millia  II.  Vgl.  auch  Toblers  Palaest.  descriptiones 
ex  saec.  IV.  V.  VI ,  itinerar.  Burdigal.  c.  13  und  noten  s.  80  fg.  Auf  Euseb.  Namen- 
buch, s.  249,  27,  Hieronym.  übers,  s.  114,  16  und  Quaestt.  Hebraic.  in  libro  genes, 
s.  123,  19.  Lagard.  dürfte  Isidor.  etym.  17,  7,  38  zurückgehen.  In  Gen.  c.  13, 
18  und  c.  18,  1  haben  die  LXX  [naQu  Trjv  Sqvv  ri]v  Ma/jß^)»]  und  nQÖg  rfj  (^qvi  t^ 
M.]  anstatt  "iDb^l  wahrscheinlich  TlTi<:3,  die  Vulgata  aber  N"'-»::  gelesen:  iuxta 
convallem  Mambre  und  in  convalle  Mambre.  Das  beigefügte  ,,sc.  illius 
viri"  findet  seine  erklärung  in  Gen.  14,  13:  Et  ecce  unus,  qui  evaserat,  nun- 
tiavit  Abram  Hebraco,  qui  habitabat  in  convalle  Mambre  Amorrhaei, 
fratris  Eschol,  et  fratris  Aner. 

4)  Nemnich  s.  v.  populus  alba  bietet:  balle,  belle,  bollen,  bolweide,  hel- 
baum;  poln.  topola  biala.     Der  gewTthnl.  deutsche  name  ist  ahd.  albari ,  mhd.  alber. 

5)  Vgl.  Lübben ,  versus  memoriales  s.  28  nr.  597. 

6)  1.  persicus. 


KÖLNER    NATURGRSCII.    GLOSSEN  295 

tramarga  mazalderhoum.  —  Corulus  haselhoum.  ■—  Carpeiius  hagen- 
hüclm.  —  Fagiis  hücha,  et  dicitur  a  fagin  ^  quod  est  comedere.  — 
Item  Lintiscus  ^  melboimi.  —  Cerasus  kirsboum.  —  Vliiiiis  elhehoum.^  — 
Therebiutus  est  aibor,  cuius  resiua  eodem  nomine  appellatur.  —  Item 
Taius  *  [?]  hagedorn.  —  Alnus  erla.  —  Eiscnlus  ^  est  idem  quod 
Sambncus,  holder.  —  Item  Vimen  tvide,  et  dicitur  a  vincio,  eis,  re 
.i.  ligare.  —  Salix  salicha.^  —  Cottanus  quidi'nboum.  —  Sanguina- 
rius  liartrugelinholz .  —  Item  aloe,  huius  aloes,  est  genus  arbovis  exi- 
mii  odoris.  —  Item  carpos  graece,  fruetus  latine;  inde  dicitur  illa 
arbor  carpeuus.  —  Item  nota ,  quod  dicit  Papias :  ^  Pinus  ^  graece, 
lentiscus  latine.  Hugo  ^  autem  dicit  contrarium.  Pinus  est  arbor, 
scilicet  ylerum  ^^  [?]  et  est  graecum.  —  Item  morus  mulhom.  —  Pi- 
rus  hirhoum.  —  Platanus  ahorn,  et  dicitur  a  latitudine  foliorum,  a 
piatos  quod  est  latum.^^  Est  autem  arbor  teuerrimis  foliis  et  mollibus 
ac  ficubus  similis:  ita  dicit  Ysidorus.  —  Item  de  cino'^  dicit  Hugo: 
Cinus  est  arbor  lentiscus.  Lentiscus  autem ,  sicut  ait  Ysidorus , '  ^  voca- 
tur  eo,  quod  eins  cuspis  sit  lenta  et  moUis.  Lentum  enim  graece  [?] 
dicitur  molle  et  flexile  latine.  Huius  fruetus  desudat  oleum;  cortex 
vero  resinam,  que  mastix  appellatur. ^^  Item  nota,  quod  dicit  Dyascor- 
des:^^  Cynus  est  arbor  non  spinosa,  cum  radice  profunda  et  in  pluri- 
mas  partes  diuisa,  fructum  habens  similem  mirto  sed  paulo  minorem. 
Item  secundum  [bl.  5"]  Galienum  tunc  ^^  [?]  cinus  est  proprio  lentiscus 
et  inde  fluit  oleum,  ut  iu  vita  Susanne^'  legitur.  Et  est  arbor  cuius 
gummi  est  mastix]  multum  enim  asimilatur  lentisco.  —  Item  heba- 
nus  ^^  est  arbor  incremabilis ,  ut  quidam  dicunt.  —  Item  mala  citonia 
sunt  cottoda;^^  idem  et  mela.  —     Item  macis  est  flos  muscate,   sicut 

I)  (f-ayttv.  2)  1.  lentiscus.  3)  1.  ulmus,  elmboum. 

4)  1.  coviius,  gewölinl.  rhamuus.  5)  gewöhnl.  riscus.  6)  salaha. 

,  7)  Vgl.  Löwe ,  Prodronius  glossarior,  Lat.  s.  235  fg. 

8)  Gemeint  ist  (y^i'^og,  lat.  lentiscus,  mastixhaum. 

9)  Hugo  de  saucto  Victore,  vgl.  Löwe  a.  a.  o.  s.  249. 

10)  ilex?  vgl.  was  unten  über  die  latein.  übs.  von  pinus  und  cinus  gesagt  ist. 

II)  „Platanus  a  latitudine  foliorum  dicta,  vel  quod  arbor  ipsa  patula  sit  et 
ampla.  Nam  nXchog  Graeei  latum  vocant.  Est  autem  tenerriniis  foliis  ac  mollibus 
et  Vitium  similibus."     Isid.  etym.  17,  7,  37. 

12)  d.  i.  o/ivci). 

13)  „Lentiscus,  quod  cuspis  ipsius  lenta  sit  et  moUis.  Nam  lentum  dicimus 
quicquid  flexibile  est."     Isid.  etym.  17,  7,  51. 

14)  „Huius  fruetus  oleum  desudat,  cortex  resinam,  quae  mastix  appellatur." 
Isid.  etym.  17,  7,  51. 

15)  d.  i.  Dioscorides.  16)  tc  17)  Daniel,  c.  13,  54:  „sub  scbino." 

18)  Vgl.  Diefenbaeh,  gloss.  lat.  germ.  193^  s.  v.  ebenus. 

19)  qidtten,  vgl.  Diefenbacb  gloss.  lat.  germ.  118"  s.  v.  cydonia. 


296  SCHMITZ 

potest  videri  in  auellaua.  —  Item  cottana  dicuntur  mala  aurea  prop- 
ter  colorem.  —  Item  mirtiis  est  arbor  pulchemma  siciit  potest  (videri) 
in  prologo  S.  l^lieronymi  super  Zachariam  propbetam.  —  Item  esculus 
dicitur  spirhoum,  et  fvuctus  eins  dicitur  esculum,  quia  totum  est  esca; 
iiide  esculentus  .i.  crassns.  —  Item  haec  malus  appelhoiim.  Sed  hoc 
malum  appil.  Item  hie  malus  dicitur  masthoum  in  navi.  —  Nepulus^ 
dicitur  nespolhoum,  et  eins  fructus  hoc  nespulum.  —  Dumus  dorn.  — 
Eubus  hüsh.  —  Item  hie  siler  hähvida.  —  Oleaster  agrestis  oliva.  — 
Nota,  quod  omnia  uomiua  arborum  sunt  feminina,  praeter  dumus, 
rubus,  Oleaster  et  siler.  Quidam  addunt  spiuus,  etpiaster^  etrates,^[?] 
quod  caret  numero  singulari.  —  Nota  versum  de  „siler":  Perficit 
ad  vitem  siler  hie,  siler  haec  ad  odorem,^  quia  haec  siler  dici- 
tur herquennela.  —  Item  pinea  dicitur  fructus  piui  arboris.  —  Item 
hie  Lybanus  est  mons  ultra  mare  magis  ^  [?] ;  sed  haec  lybanus  ^  est 
arbor  thurifera ,  cuius  läciua  ''  est  nobilissinia  et  est  in  Arabia.  Arabia 
enim  dicitur  sacra.  Hoc  enim  significare  interpretatur ,  eo  quod  regio 
sit  thurifera  et  creans  multos  bonos  odores,^  in  cuius  saltibus  mirra  et 
cynamomum.  Item  mamus  ^  [?]  dicitur  thus  minutum;  sed  olibanum 
dicitur  thus  montis  Libani.  —  Item  caprificus  est  arbor  inutilis,  cres- 
ceus  per  saxa.  —  Item  hoc  librum  dicitur  succus  arborum  sive  her- 
barum.^°  —  Item  malum  punicum  dicitur  arbor  quae  habet  granat- 
epele,  [bl.  6"]  et  dicitur  a  regione  Punicea.  —  Item  nota:  haec  cyna- 
mus  est  arbor;  sed  hoc  cynamum  quidam  intelligunt  cortices  superiores 
illius  arboris,  quia  sunt  spissiores.  Et  dicunt  cynamomum  esse  corti- 
ces subteriores,  quia  sunt  subtiliores  et  delectabiliores.^^  —  Orrius 
limhoum?''^  —  Item  olea  et  oliva  arbor;  sed  oleum  et  olivum  liquor. 
Et  quandoque  ponitur  pro  fructu  et  arbore.  —  Item  oleander  est  arbor 
similis  oleastro,  quod  est  oliva  silvestris.  —  Item  haec  tabanus  .i. 
oestrum   .s.   hrenio,    animal    volatile.   —     Nota    cinus    et    pinus   latine 

4- 

I)  1.  nespulus.  2)  d.  i.  pinaster.  3)  sentes? 

4)  „Proficit  ad  vitem  siler  hie  (hoc?),  siler  hoc  dat  odorem."     Lübbeii,  ver- 
sus memorialcs  (Oldenburger  programm  1866)  s.  32  nr,  705. 

5)  magnuni?  vgl.  Isid.  etym.  14,  2,  3.         6)  d.  i.  /)  Xi'ßuvog.        7)  1.  lacrima. 

8)  „Arabia  appellata,    id  est  sacra.    Hoc  enim  significare  interpretatur,   eo 
quod  sit  regio  thurifera,  odores  creans."     Isid.  etym.  14,  3,  15. 

9)  nianna?  vgl.  ,,micas  [turis]  concussu   elisas  mannani  vocamus."     Plin.  H. 
N.  12,  14,  32. 

10)  Vgl.  Graif  6,  169.   s.  v.  saf.     Im  suinmar.    Heinrici   „saf,    labrum"  bei 
Hoffmann,  ahd.  glossen  s.  5. 

II)  hs, :  delcbiliorcs. 

12)  1.  ornus,    linboum;  geuiciiit  ist  acer  platanoides,   die  lenne,    vgl.  Nem- 
nich  s.  V.  acer.   Graif  3,  118.     Lexer  1,  1922  s.  v.  Umboim. 


KOLNER    NATÜRGHSCri.    GLOSSEN 


297 


dicuDtur  ylex  et  lentiscus;  ylex  est  genus  quevcus;  leiitiscus  dicitur 
tylia,  [?]  quia  est  lenta  1  Hexibilis.  —  Item  cortex  dicitur  quasi 
corium  arboris,  oo  quod  tegat  cor  arboris.  Item  ramus  dicitur  quasi 
rol)ur,  eo  quod  de  roborc  arboris  exeat.^ 

Herbarum    species    post   haec   coguoscere    debes. 

Nota  pMsis  graece,  natura  latiue;  inde  phisicus  .i.  naturalis,  qui 
de  uaturis  omnium  rerum  disputat.  Hanc  post  ^  adiuveuit  Melesyas 
Graecus.^  Postea  Galienus  expositor  Melesie,  qui  dictus  est  arcMatros 
.i.  summus  et  principalis  niedicus.  Et  dicitur  ab  archia,  quod  est  prin- 
cipatus ,  et  ytros,  quod  est  niedicus,  quasi  principatum  tenens  iuter 
medicos.  Vel  ab  archos,  quod  est  princeps  vel  primus,  et  ytros,  quod 
est  naturalis,  quasi  princeps  sive  primus  loquens  de  uaturis.  —  Item 
ymera  grece,  dies  latine;  inde  eifimera  dicitur  febris  unius  diei,  et 
dicitur  ab.  e. ,  quod  est  extra,  et  ymera,  quod  est  dies,  quia  raro 
durat  extra  unum  diem  vel  parum  plus. 

Aloe  est  genus  arboris  eximii  et  suavissimi  odoris  et  gignitur  in 
ludia  et  Arabia,  et  de  ipsius  ligno  fit  tbymiama.^  Secundum  autem 
Ysidorum  et  Papiani  aloe  est  herba  suci  amarissimi  •''  et  [bl.  6"]  con- 
stringitur  illa  herba  et  dat  succum  ad  modum  picis;  et  est  fere  eius- 
dem  coloris  et  valde  medicinalis;  et  potest  declinari  haec  aloe,  huius 
aloes,  tum  pro  arbore  tum  pro  herba  et  suco.  —  Nota:  versus  de 
greca  declinatione :  Omnes  e  sed  quartus  in  en,  tenet  es  gene- 
tivus.  —  Ysid'.  Aroma  dicitur  quodlibet  pigmentum  .i.  odoramen- 
tum,  quod  suo  odore  inficit  aerem.'^  Et  dicitur  aroma  quasi  aerioma 
.i.  aeris  oma :  oma  graece ,  odor  latine.  Etiam  uota :  omnes  ille  herbe 
vel  species  quae  suavem  raduut '^  odorem  et  inficiunt  aerem,  dicuntur 
proprio  odoramenta  et  respiramenta ;  inde  aromatizare  .i.  redolere  et 
rei-ipirare.  —  Nota:  amomum  est  species  aromatica.  seil,  quoddam 
genus  seminis  calidi  et  confortamenti ,  ut  dicunt  phisici:  quod  faeit 
effluere   menstrua   et  provocat  urinam.  • —     Nota:    haec   balsamus   pro 

1)  „Dictus  autem  cortex  quod  corio  lignum  tegat  .  .  . . .  ramus  (est)  qui  de 
ipso  rotore  arboris  (puUulat)."     Isid.  etym.  17,  6,  15.  18. 

2)  1.  primus. 

3)  Gemeint  ist:  Thaies  Milesius.  Vgl.:  „Ph^'sicam  apud  Graecos  primus  per- 
scrutatus  est  Thaies  Milesius,  unus  ex  iUis  sapientibus."     Isid.  etym.  2,  24,  4. 

4)  „Aloe  in  ludia  atque  Arabia  gignitur,  arbor  odoris  suavissimi  ac  summi. 
Denique  lignum  ipsius  vice  thymiamatum  altaribus  adoletur,  unde  et  nomen  traxisse 
dicitur."     Isid.  etym.  17,  8,  9. 

5)  ,,Aloe  herba  amarissimi  suecus."     Isid.  etym.  17,  9,  28. 

6)  ,,Aromata  sunt  quaeque  fragrantis  odoris  .  . .  Nomen  autem  aromata 
traxisse  videntur  ....  quod  aeri  sese  inserere  ac  miscere  probantur."  Isid.  etym. 
17,  8,  1.         7)  1.  reddunt 


298  SCHMITZ,     KÖLNER    NATTJRGESCH.    GLOSSEN 

arbore,  stirpe  similis  viti,  in  foliis  ruti/  sed  albioribus  semperque 
madeutibus ;  ^  sed  hoc  balsamum  dicitur  ligiiiim  arboris  balsami,  vel 
fructus  eins  sive  siicus.  Item  xilobalsamum  dicitur  liguum  arboris  bal- 
sami; xilo  graece,  ligniim  latine.  Item  tVuctus  eins  sive  semen  dici- 
tur carpobalsamum ;  carpos  graece ,  fructus  latine.  Item  sucus  eius 
dicitur  opobalsamum,  quia  cortex  ligni  percussus  (per)  caveriias  suas 
miri  odoris  guttas  distillat.  Opos  graece,  caverna  latine.^  —  Nota: 
hec  cyuamus  vel  cynamomus  dicitur  arbor  aromatica  in  Arabia.  Alii 
vero  dicunt  esse  virgultum  Ethiopie.  Vnde  hoc  cynamomum  vel  cyna- 
mum.  Dicitur  autem  cortex  ramorum  cynamum,  quia  est  tenuis 
et  nobilior;  cortex  vero  arboris  dicitur  cynamomum,  quia  est  spis- 
sior  et  iguobilior ;  et  dicitur  cynamomum  quasi  cannamomum ,  quia 
in  modum  canne  [bl.  7"]  subtiles  habet  calamos  et  replicatos;  vel 
quia  cortex  eius  in  modum  canne  sit  rotundus  et  gracilis  et  fractum 
spirat  suavem  odorem,  quia  visibile  reddit  spiramentum  ad  modum 
nebule  sive  pulveris.^  —  Item  haec  nardus  est  herba  aromatica  et 
spinosa^  et  foliis  deusa,  quorum  suramitates  consurgunt  in  spicas.  Sed 
hoc  nardum  dicitur  unguentum  sive  confectio  ex  eo  factum.  Nardum 
autem  pisticum  .i.  fidele ,  seil,  purum  et  non  adulteratum  .i.  non  sophi- 
sticatum  ;iliis  herbis.  Pistis  graece,  fides  latine.  Nardum  vero  spica- 
tum  ideo  dicitur,  quia  species  nardi  in  eo  sunt.  Vel  quia  de  spicis 
eius  et  foliis  est  confectum.  —  Item  nota:  est  equivocuni  ad  .v.  [ver- 
bum?];  est  enim  calaraus  canna  vel  stipula  segetis;  dicitur  et  penna 
scriptoris,  item  est  proprium  nomen  arboris  et  fluvius  Campanie.  Item 
calamus  est  species  aromatica,  ut  dicit  Ysidorus:*'  ,.Calamus  aromati- 
cus  a  similitudine  calami  usualis  vocatur.  Gignitur  in  India  multis 
modis^  geniculatus " ;  qui  cum  frangitur,  in  multas  fit  partes  „scissi- 
bilis"  et  est  multum  medicinalis. 

(Dahinter  folgt  ein  moralischer  tractat.) 

KÖLN.  WILH.    SCHMITZ. 

1)  1.  rutae.  2)  1.  iiianentibus. 

3)  Vgl.  meine  beitrage  zur  lat.  spracli-  lunl  litteraturkunde  s.  282.  — 
[und  Isid.  etyni.  17,  8,  14  „stirpe  similis  viti,  foliis  rutae,  sed  albidioribus  sem- 
perque nianentibus.  Arbor  enim  balsamum,  lignum  ejus  xylobalsamum  dicitur, 
fructus  ejus  sive  semen  carpobalsamum,  succus  opobalsamum.  Quod  ideo  cum  adjec- 
tione  significatur,  eo  quod  percussus  ferreis  ungulis  cortex  ligni  per  cavernas  cximii 
odoris  guttam  distillat,  caverna  enim  graeco  sermone  onri  dicitur."] 

4)  ,,Cinnamomum  dictum,  quod  cortex  eius  in  modum  cannae  sit  rotundus 
et  gracilis  ....  Quod  cum  confringitur,  visibile  spiramentum  emittit  ad  iniaginem 
nebulae  vel  pulveris."     Isid.  etym.  17,  18,  10. 

5)  ,,  Nardus  herba  est  spicosa."     Isid.  etym.  17,  9,  3. 

6)  Etym.  17,  8,  13.  7)  1.  nodis. 


299 


DIE   NOMINA   VÜLUCßUM    UND    DIE   TERMINI 
JUIUSTARUM. 

Naturgesclüclitliche  lateinisch  -  deutsche  glossierungen  und  glos- 
sare  sind  uns  aus  alt-  und  mittelhochdeutscher  zeit  in  beträchtlicher 
auzahl  erlialten.  Aber  was  davon  und  darüber  bis  jezt  durch  den 
druck  veröftentlicht  wurde ,  ist  au  den  verschiedeuisteu  orten  so  man- 
nigfach verstreut,  verzettelt  und  versteckt,  dass  es  einen  grossen  auf- 
wand von  zeit  und  mühe  erfordern  würde,  um  eine  auch  nur  leidlich 
volständige,  übersichtliche  und  verlässige  Zusammenstellung  desselben 
zu  gewinnen.  Umsomehr  bleibt  zu  wünschen,  dass  die  gesamte  der- 
artige Überlieferung,  kritisch  bearbeitet  und  planmässig  geordnet,  in 
einer  erschöpfend  zusammenfassenden  ausgäbe  vereinigt  werde. 

Die  auf  den  vorangehenden  blättern  abgedruckten  glosseu  aus 
einer  Kölner  handschrift  des  14.  Jahrhunderts  verraten  in  den  sprach- 
formen ihrer  deutschen  benennungen  benutzung  einer  noch  aus  alt- 
hochdeutscher zeit  stammenden  glossierten  vorläge,  und  in  ihren  Über- 
schriften weisen  sie  zurück  auf  die  nicht  minder  alten  lateinischen 
hexametrischen  versus  memoriales  de  nominibus  vo hierum,  ferarum, 
lignorum,  piscium,  herbarum.  Jedoch  hat  der  zusammensteller  der 
Kölner  glossen  mehrere  quellen  verschiedenen  alters  benuzt,  darunter 
vielleicht  auch  das  sogenaute  Summarium  Heinrici  (vgl.  R.  v.  Raumer, 
die  Einwirkung  des  Christentums  auf  die  althochdeutsche  Sprache,  Stutt- 
gart 1845  s.  131.  135).  Ferner  hat  er  die  reihenfolge  der  benennuu- 
gen  nach  eigenem  belieben  gestaltet,  und  überdies  hat  er  verschiedent- 
lich erläuternde  bemerkungen  eingestreut,  die  meist  auf  die  Etymolo- 
giarum  libri  des  Isidor  zurückgehen,  teils  aber  auch  aus  den  im  11. 
und  12.  Jahrhunderte  entstandenen  werken  des  Papias  und  des  Hugo 
von  Sanct  Victor  und  aus  noch  jüngeren  quellen  geschöpft  sein  können. 
Aber  die  quelle  jeder  einzelnen  angäbe  aufzuspüren  und  nachzuweisen 
wäre  ein  ebenso  zeitraubendes  und  mühseliges  als  undankbares  begin- 
nen; darum  müssen  nicht  wenige  unverständlich  oder  verderbt  erschei- 
nende stellen  dieser  Kölner  glossen  wenigstens  für  jezt  noch  als  uner- 
ledigt dahingestelt  bleiben.  —  Für  die  beiden  dazwischengeschobeuen 
abschnitte,  in  welchen  der  Schreiber  der  Kölner  glossen  die  öfters  in 
handschriften  vorkommenden  lateinischen  benenuuugen  der  tierstimmen 
aufgeführt  hat ,  bietet  reichlichste  und  völlig-  ausreichende  auskunft  das 
trefliche  buch:  „Voces  variae  animantium"  (2.  ausg.  Basel  1869),  in 
welchem  W,  Wackernagel  das  gesamte  ihm  erreichbare  material  kri- 
tisch gesichtet  und  meisterhaft  bearbeitet  hat. 


300 


J.    ZACHER 


Die  entstehung  der  versus  de  nomiuibus  voliicrum  usw.  sezt 
"Wilhelm  Grimm  (zur  gescliichte  des  reims.  Berlin  1852  s.  141),  uacli 
der  beschaffeulieit  ihrer  reime  urteilend,  an  das  ende  des  10.  Jahrhun- 
derts. Sehr  bald  sind  den  lateinischen  benennungen  in  diesen  versen 
dann  auch  deutsche  glossierungen  übergeschrieben  worden,  und  mit 
solchen  versehen  erscheinen  sie  in  handschriften ,  mehr  oder  minder 
volständig,  nicht  eben  selten.  Eine  erschöpfende  kritische  ausgäbe 
auch  dieser  glossen  dürfen  wir  wol  in  der  von  Steinmeyer  und  Sievers 
so  treflich  begonnenen  samlung  und  bearbeitung  der  althochdeutschen 
glossen  erhoffen.  Die  bis  jezt  vorhandenen  gedruckten  angaben  über 
das  vorkommen  jener  verse  und  ihrer  glossen  sind  ebenfals  vielfach 
verstreut  und  sind  auch  sehr  verschieden  geartet,  von  volständiger  mit- 
teilung  herabsinkend  bis  zu  blosser  ungenauer  notiz.  Um  einen  beque- 
men und  förderlichen  überblick  zu  gewinnen  stelle  ich  hier  übersicht- 
lich zusammen  was  mir  von  solchen  nachrichten  eben  zur  band  ist, 
wobei  ich  natürlich  die  nicht  immer  sicheren  altersbestimmungen  der 
betreflenden  handschriften  beibehalten  muss ,  wie  ich  sie  eben  augege- 
ben finde.  Wer  müsse  hat  Zeitschriften  und  handschriftencataloge  zu 
durchstöbern,  wird  manche  berichtigende  oder  ergänzende  nachtrage 
liefern  können. 

X,  Jahrhundert. 

1.  Prag.  —  Weissenauer  hs. ,  jezt  in  der  fürstl.  Lobkowitzischen 
bibliothek  zu  Prag,  X.  jahrh.  —  H.  HoÖmami  in  den  Altdeutschen 
blättern  von  Haupt  und  Hoffmann  (Leipzig  1840)  2,  211  fg.  teilt  die 
glossierten  benennungen  mit,  ohne  die  verse.  —  (ferae):  panthera, 
panter;  tigris,  tigritir ;  elephas,  helfentir;  urus,  vrrmt  usw.  —  (volu- 
cres):  nisus,  sparwer;  ciconia,  storg;  picus,  spelite  usw.  —  (ligna): 
ficus,  uicbom;  laurus,  lorhoin;  populus,  alber  usw. 

XI.  Jahrhundert. 

2.  Wien.  Nr.  85  (Univ.  1013).  XI.  jahrh.,  besprochen  von  Denis 
in  seinen  Codices  mss.  theol.  bibl.  Palat.  Vindob.  latini  (Vindob.  17ü9. 
fol.)  bd.  2  unter  nr.  229 ,  der  auch  sp.  357  einige  glossen  daraus  an- 
führt. Graft'  hat  diese  hs. ,  die  er  ins  10.  jahrh.  sezt,  erwähnt  in 
seiner  Diutisca  (Stuttg.  und  Tübingen  1829)  3,  183.  In  seinem  alt- 
hochdeutschen Sprachschatze  hat  er  sie,  unter  der  bezeichnuug  ,,Pers.," 
anscheinend  nur  für  die  in  ihr  enthaltenen  glossen  zum  Persius  aus- 
genuzt.  —  H.  Hoftmann  hat  sie  aufgeführt  in  seinem  Verzeichnis  der 
altdeutschen  handschriften  der  hof bibliothek  zu  Wien  (Leipzig  1841) 
s.  360  unter  nr.  390  und   hat   ferner  aus  ihr  alle   noch  lesbaren  glos- 


DIE   NOMINA   VOLUCRUM  301 

sierteii  luiturgescliicbtliclien  beneunuiigeii  (ohne  die  verso)  mitgeteilt  in 
den  Altdeutschen  blättern  2,  213, 

(volucres):  Nisus,  sparaiver;  ciconia,  storch;  picus,  spech;  pica, 
ageUtra  usw.  —  (ferae):  Uinoceros,  cinhom;  camelus,  olhent;  uros, 
um  usw.  —  (ligna):  cedvus,  cederhoni;  ficus,  fichhoni;  laurus,  lor- 
honi;  populus,  albere  usw.* 

3.  Zwettel.  Nr.  293.  XI.  jh.  —  Hoffmann  beschrcänkt  sich  in 
den  Altd.  bl.  2,  212  auf  mitteilung  der  glossierten  benennuugen  (ohne 
die  verse). 

(ferae):  Leo,  lev;  tigris,  figrltir;  leopardus,  liehar;  rhinoceros, 
ainJmrn;  camelus,  olhent;  elephantus,  helpJuint;  urus,  vr  usw.  — 
(volucres):  Accipiter,  hahich;  nisus,  spa/nver ;  capus,  falc;  ciconia, 
sforc;  picus,  specli;  pica,  agistra  usw.  —  (ligna):  Cedrus ,  cedri- 
hovm;  laurus,  lavrhoum;  mja'tus,  mirtilhovni;  populus,  alhare  usw. 

4.  Stuttgart.  —  Aus  Zwifalten  ist  die  hs.  nach  Elwangen  und 
dann  nach  Stuttgart  gekommen  in  die  öffentliche  bibliothek  als  Ms.  theol. 
et  pliilos.  fol.  nr.  218,  XL  jh.  —  Ungenau  besprochen  in  Gräters  Iduna 
1812,  nr.  30,  s.  118 — 120;  dann  nochmals  ungenügend  von  Massmann 
in  seinen  Denkmälern  deutscher  spräche  und  literatur  (München  1828) 
s.  90  fg.  -  Grraflf  hat  diese  hs.  erwähnt  Diut.  2,  71,  und  hat  sie  in 
seinem  ahd.  Sprachschatze  doppelt  aufgeführt  unter  den  bezeichnungen 
„Ve.  3  "  und  „  Zf ,"  hat  sie  aber  für  den  Sprachschatz ,  wie  es  scheint, 
nur  unvolkommen  ausgenüzt.  —  Unter  der  falschen  Signatur  210  (statt 
218)  hat  dann  Massmann  in  Mones  Anzeiger  für  künde  der  deutschen 
Vorzeit  (Karlsruhe  1836)  5,  462  aus  ihr  die  Überschrift  (Hie  volucres 
cell  referam  sermone  fideli)  und  die  glossierten  benennungen  (ohne  die 
verse)  mitgeteilt: 

(volucres):  accipiter,  /ia&^'cÄ;  nisus,  sparivare;  capus,  falclio ; 
ciconia,  storh;  picus,  speht;  pica,  agilstra  usw,  —  (ferae):  leopar- 
dus, lehart;  rinoceros,  ainhurne;  camelus,  uhnnda;  elephantus,  helphe; 
uros,  ürrinder  usw.  —  (ligna):  cedrus,  cedirhotim;  ficus,  fighoum; 
laurus ,  lorhotim ;  mirtus ,  mirtilhoum ;  populus ,  alhare  usw. 

XII.  Jahrhundert. 

5.  Einsiedeln.  „Ad  calcem  cod.  Eins,  sec.  XII,  Frowini  abb. 
de  libero    arbit."     Die    verse    samt    den   glossierungen    (mit  massigen 

1)  Die  von  GrafF  in  seinem  alul.  Sprachschätze  I,  LXXI  unter  ,,Ve.  4"  auf- 
geführte Wiener  hs.  des  X.  jahrh.  nr.  247  (Univ.  511;  bei  Denis,  bd.  2  nr.  295) 
deren  deutsch  glossierte  vogelnamen  er  in  seiner  Diutisca  3,  185  mitgeteilt  hat,  gehört 
nicht  hierher,  denn  jene  glossen  stehen  über  versen  in  des  Pseudo-Ovidius,  oder 
Ovidius  Albus  Juventinus  elegia  de  Philomela,  wie  bereits  Hoffmann  in  seinen  ahd. 
glossen  s.  XXXIII  richtig  angegeben  hatte. 


302  J.    ZACHER 

lesefehlern)  gedruckt  in  Martini  Gerberti  Iter  alemannicura.     Typis  Sau. 
Blasianis  1765.     Anhang  s.  136  fgg. 

Hoc  volucres  coeli  referam  sermone  fideli. 

liahich  spnretvnre  falcho  atorch  .ipt-c/it 

Accipiter       nisus       capus     atque  cicouia     picus 

alixter  dornsfecht  nmsare  vnneu'iclie        Kr/ypi 

Pica     merops  meropis     larus   atque    loaficus     ibis 
22  hexameter,  deren  lezter: 

<H.stilfinrfw 

Versu(s)  stare  nequit  carduellus  quique  recedit. 
Nomina  paucarum  sunt  liic  socianda  ferarum. 

li'tvo  rex 

Sed   leo  sit  primus  qui  cunctarum  basileus. 
Hunc  panthera  tigris  comitentur  cum  leopardis. 
Einoceros  sevus  comprenditur  atque  camelus. 
His  [etiani]  validos  elefantes  iungo  vel  uros 
12  hexameter,  deren  lezter: 

i'icJmrnil 

Copulo  spiriolum,  reliquorum  do  tibi  nullum. 
Ecce  stilo  digna  ponam  campestria  ligna. 

fichtpoum  lorhown 

Cedrus  cipressus  ficus  laurus  quoque  mirtus 

alharo  sphiiiilhoum  sevihoum 

Populus  et  palma  fusarius  atque  saviua. 
17  hexameter,  deren  lezter: 

l  im 

Viscum  ^  postremo  quia  crescit  in  arbore  pono. 

6.  Schlettstadt,  in  der  bibliothek  des  Beatus  Rhenanus.  Per- 
gament, kl.  fol. ,  aus  dem  ersten  viertel  des  XII.  Jahrhunderts ,  aber 
aus  erheblich  älterer  vorläge  abgeschrieben,  verschiedenerlei  historische, 
geographische,  naturgeschichtliche  und  grammatische  aufzeichnungen, 
auch  einige  poetische  auszüge  enthaltend.  Darunter  die  glossierten 
ligna,  volständig  mitgeteilt  von  W.  Wackernagel,  in  Haupts  Zeitschrift 
für  deutsches  altertum  (Leipz.  1845)  5,  360  fg. 

Ecce  stilo  digna  ponam  campoestria  ligna. 

cedirbouin  fifjhown        lorboum  mirtilhoum 

Cedrus     cypressus    ficus     laurus    quoque   mirtus 

alliare  palmbotim     apinnilbown  senilorim 

Populus  et  palma     fusarius     atque   sauina 
17  hexameter,  deren  lezter; 

zundra 

Iscam  postremo  quia  crescit  iu  arbore  pono 

1)  Der  Schreiber  hat,  nicht  eben  ungeschickt,  viscum,  mistel,  gesezt  an  die 
stelle  von  isca,  zunderschwamm. 


DIE   NOMINA    VOLUCRUTtf  303 

7.  S t ras s bürg,  oheuuils  der  Johanuitor-,  dann  der  öffentlichen 
bibliothek  angehörig,  A.  157,  perg.  8.  XII.  jahrh.  —  Graff  in  seinem 
ahd.  sprachsch.  I,  LXXI  bezeichnet  diese  lis.  durch  „Ve.  b."  und  sezt 
sie  ins  XI.  jahrh.  —  Die  verse  (volucres,  ferae,  ligna,  pisces) 
samt  den  giossierungen  hat  W.  Wackernagel  volständig  mitgeteilt  in 
den  Altd.  blättern  1 ,  384  fgg. 

De  nominibus  volucrum. 
Hie  volucres  caeli  referam  sermone  fideli, 

hahich  sparw'     falcho  stark         spheht 

Accipiter  nisus  capus  atque  ciconia  picus 

(ii/ilst^       <jrHonsp7iet         musnre  ivanumvehul  V!e?io 

Pica     merops     larus    atque   loaficus   ibis 
21  hexameter,  deren  lezter: 

distiluincJw 

Versu  stare  nequit  carduellus  quique  rece[dit]. 

De  nominibus  ferarum. 
Nomina  paucarum  sunt  hie  socianda  ferarum. 

Sed  leo  sit  primus  qui  cunctarum  basileus, 
Hunc  panthera  tigris  comitantur  cum  leopardis. 

einhurno 

Kinoceros  seuus  compreuditur  atque  camelus. 

iiroJiseJi 

Huic  eciam  ualidos  elephantes  iuugo  vel  uros. 
13  hexameter,  deren  lezter: 

eichorn 

Copulo  spiriolum.     Reliquorum  do  tibi  nulluni. 

De  nominibus  lignorum. 
Ecce  stilo  digna  ponam  campestria  ligna. 
Cedrus  cipressus  ficus  laurus  quoque  myrtus. 

albere  spintulhojn  seuimhom 

Populus  et  palma  fusarius  atque  sauina. 
17  hexameter,  deren  lezter: 

ziinderun 

Iscam  postremo,  quia  crescit  in  arbore,  pono. 
De  nominibus  piscium. 

hrtcTiit  slio  ahmt  jwrhena  asco 

Lucius  et  tincus  capedo  tructa  timallus 

harinc         v:alera  lahs  dl  lantjrida 

Allee  ballena  uel  esox  anguilla  murena. 
Beachtenswert  ist,  dass  den  fischuamen  kein  algemeiu  gehaltener 
überschriftlicher  hexameter  vorangebt,    und  dass  ihre  aufzählung  über- 
haupt mit  diesen  beiden   ersten  hexametern  abbricht,    die  zu  den  zwei 
ersten  in  der  unter  nr.  20  zu  erwähnenden  Wiener  h.  (ur.  2237)    stim- 


304  J.    ZACHER 

men,  aber  von  denen  in  der  unter  nr.  14  zu  erwähnenden  Frankfurter 
handschrift  gänzlich  abweichen.* 

8.  9.  Stift  Admont  in  Steiermark.  Nr.  106  und  476.  XII.  jh. — 
Eine  dieser  beiden  hss.  hatte ,  ohne  angäbe  der  Signatur ,  bereits  Pertz 
erwäbnt  im  Archive  der  Gesellschaft  für  ältere  deutsche  Geschichtskunde 
(Hannover  1831)  6,  170  mit  den  worten:  „De  mundi  aetatibus  allego- 
rice  explicatis.  In  fine  reperiuntur  nomina  volucrum ,  feraruni  et  arbo- 
rum  carmine  expressa,  adjectis  vocabulis  germanicis."  Die  glossierten 
benennungen  (ohne  die  verse)  hat  dann  Hoffraann  volständig  mitgeteilt 
in  den  Altdeutsch,  blättern  (Leipz.  1840)  2,  214  —  216. 

(volucres):  Accipiter,  Jiahich;  nisus,  spamware  {sparwar); 
capus,  falco  (faJcJio);  cyconia,  storc  (storch);  picus,  speht;  pica,  agil- 
stra  usw.  —  (ferae):  Leo,  Uwe;  panthera,  pantirtyer;  tygris,  tygir- 
tier  (tigirtyer);  leopardus,  UhartJi  (lihart);  riiioceros,  einhurno  {ein- 
horn);  camelus,  olvinda  (olhent) :  elephas,  helfen  {helfant) ;  urus,  ürrint 
(urint)  usw.  —  (iigna):  Cedrus,  cerdirhon  (cecUrhom);  cypressus, 
cuphirhon;  ficus,  ficbnn  (ficJihon);  laurus,  lorhon;  myrtus,  myrtühon 
{myriilbom);  populus,  albäre  (alher)  usw. 

10.  München,  clm.  19488  (Tegerns.  1488).  Xll.jh..  -  Erwähnt 
von  Schmeller  in  seiner  ausgäbe  der  Carmina  Burana  (Stuttg.  1847) 
s.  267.  Der  sehr  mannigfaltige  inhait  der  handschrift  ist  kurz  verzeich- 
net im  Catal.  codd.  lat.  bibl.  reg.  Monac.  (1878)  2,  3,  250.  Nach  den 
angaben  von  Bartsch,  in  seiner  Germania  (1874)  19,  436,  zu  schlies- 
sen,  enthält  die  hs.  auf  s.  118  die  nomina  volucrum  (von  denen  nur 
der  erste  vers  glossiert  ist:  hauh.  spareivare.  ualche.  storche,  speht), 
die  nomina  lignorum  (mit  der  einzigen  giosse  isca,  gunter  |d.  i.  run- 
ter] im  lezten  verse)  und  von  den  nomina  piscium  zwei  hexameter, 
die  nach  den  glossieruugen  (hehchct.  slic.  allnt.  uorhe.  asch.  harinch. 
ivalr.  lahs.  al.  lantfride)  zu  den  oben  unter  ur.  7  angeführten  der  Strass- 
burger  hs.  stimmen.  —  Dann  aber  auf  s.  121  nochmals  die  nomina 
volucrum,  ferarum,  lignorum,  deren  deutsche  glossierungen,  ohne 
die  verse,  und  meist  auch  ohne  die  lateinischen  benennungen,  Bartsch 
a.  a.  0.  mitteilt.  —  (volucres):  hahich.  sparivare.  valche.  storc'.  speht. 
alster  usw.  —  (ferae):  vrhosse  usw.  —  (Iigna):  populus,  alhar; 
schliesst:  heu  sanguiuarium  {hartrugel)  non  uersu  ponere  possum,  so 
dass  der  lezte  hexameter  der  Iigna  fehlt. 

1)  In  dem  Wackernagelschen ,  doch  wol  der  hs.  getreulich  folgenden  abdrucke 
ist  am  Schlüsse  des  11.  hexameters  statt  ortigometer  zu  lesen  ortigonietra ,  und  das 
lezte  wort  des  30.  hexameters  melus  (ia7i.s),  ist  an  das  ende  des  vorangehenden 
29.  geraten.  Damit  erledigt  sich  Wilh.  Grimms  bedenken  (zur  geschichte  des  reims 
s.  142)  in  betreff  der  endreime  dieser  beiden  verse. 


DIE    NOMINA    VOLICRDM  305 

11.  München  clni.  4583  (=  Bened.  83),  pgm.  Ibl.  78  bll.  ent- 
hält nach  angäbe  des  catal.  codd.  lat.  bibl.  Monac.  (1868)  1,  2,  177: 
1)  bl.  1.  Kegula  Benedict!;  2)bl.  41  — 47  (XTIL  jh.)  fvagmentum  de 
corpore  humano;  3)  bl.  47".  77^  (XIL  jh.)  Nomina  herbarum  cum 
interpretatione  germanica   (gedruckt  in  Mones  Anzeiger  1839.    8,  94); 

4)  bl.  47*^ — 77.  (XII.  jh.)  Opus  Macri  phisici  de  naturis  herbarum  (mit 
deutscheu  glossen   des  XIV.  jh.,    gedruckt  bei  Mone,    cbendas.  sp.  96); 

5)  bl.  78\  (XII.  jh.)  Versus  de  arboribus  cum  glossis  germauicis  (nach 
Mone,  ebendas.  sp.  97,  beginnend:  Cedrus  cipressus  ficus  laurus  quoque 
mirtus.  Die  glossierten  Wörter,  ohne  die  verse,  sind  bei  Mone  abge- 
druckt, und  die  ersten  glossieruugen  lauten:  cederhoin,  cijiresse,  fich- 
hom,  lorhom,  mirtelhom,  albare). 

12.  Wien.  nr.  650  (Rec.  3256).  XII.  jh.  In  den  Tabulae  codd. 
mss.  in  bibl.  palat.  Viudob.  asservatorum  (1864)  I,  112  ins  IX.,  von 
Denis  (codd.  mss.  theol.  lat.  IL  nr.  339)  und  von  Hoffmann  (Verz.  der 
altd.  hss.  usw.  nr.  395)  ins  XII.  jabrh.  gesezt.  Enthält  hinter  Augusti- 
nus de  civitate  dei  auf  bl.  191"  vier  hexameter  mit  glossierten  fisch- 
namen,  gedruckt  bei  Denis  2,  737;  die  glossierung  allein  widerholt 
von  Graff  in  den  Diutisca  3,  404: 

Hie  iungo  fiui  pisces  tibi  carmine  tali. 

liechet  sUe  nlent  uorlia 

Lucius  et  tincus  capedo  trutta  timallus 

cressa  al  crebez  c/i-u.ulele 

gratius  anguille  sunt  hie  caucri  coronille 

fiu.fp  sahiio  carpJiö  tvalr  sture, 

ipocus  gamarus  carabus  balenaque  rombus. 
Nur  der  erste  glossierte  hexameter  stimt  zu  dem  ersten   in  nr.  7 
(Strassburger  hs.)    und   nr.  20  (Wiener  hs.  nr.  2237),    die  anderen  bei- 
den hexameter  weichen  ganz  ab,   sowol  von  denen  iu  nr.  7  und  20  als 
von  denen  in  nr.  14  (Frankfurter  hs.). 

13.  Zürich.  58.  XII.  jahrh.  —  Mit  dieser  Signatur  und  alters- 
bestimmung  ohne  nähere  angäbe  aufgeführt  von  Graff,  unter  „Ve.  5" 
in  seinem  ahd.  Sprachschatze  I,  LXXI. 

14.  Frankfurt  a.  M.,  stadtbibliotliek;  pgm.,  2  bl.  kl.  fol.  Ende 
des  XII.  Jahrhunderts.  —  Erwähnt  von  Massmanu  in  seinen  deukmä- 
leru  deutscher  spräche  und  litteratur  (1828)  s.  92.  Die  verse  samt  den 
glossierun^-en  volständig  herausgegeben  und  mit  anmerkuugen  begleitet 
von  Weigand  in  Haupts  Zeitschrift  für  deutsches  altertum  (1853)  9, 
388  fgg.  —  Am  anfange  fehlen  die  nomina  ferarum  und  die  ersten 
7  hexameter  der  nomina  lignorum,  deren  lezter  hexameter  lautet: 

zvml' 

Iscam  postremo  quia  crescit  in  arbore  pono. 

ZEITSCUR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.    ED.  XI.  20 


306  J-    ZACHER 

Nomina  auium. 
Hie  volucres  celi  referam  sermone  fideli. 

habch  sperw^      vaVk:)  storch  specht 

Accipiter  uisus  apus  atqiie  C3^conia  piscus. 

agelstra  grvnspecht  muser  weho         storch 

Pica     merops  meropis  larus  atque  laoficus  ibis 
21  hexameter,  deren  lezter: 

tsIcUuang 

Versu  stare  ueqnit  carduellus  quiqiie  recedit. 

Nomina  piscium. 
Equoreos  disce  fetus  in  uersibus  hiisce. 

Jivsi:  slHro  vcrhrnna 

Ypocus  albunms  rombus  tactuca  siUims. 
13  hexameter,  deren  lezter: 

Icchse  stelnhtza 

Addimus  esoces  rautilos  paruos  hamiones. 

Nomina  lierbarum. 

Her])arnm  flores  tellns  fert  multicolores, 

De  quibus  hie  edam  pro  posse  noeabnla  quedam. 

tarn  tosta  t  dost  ivllhia  schernii/       berchtram 

Filix  origanum  blandonia  eanna  piretrum. 
64  hexameter,  deren  lezter: 

hlvtiin-z 

Nomine  enm  reliquis  hie  sanguinaria  stabis. 

Doeen  erwähnt  in  seinen  Miscellaneen  zur  geschichte  der  teut- 
schen  litteratur  (Münehen  1809)  1,  188  eines  der  Historia  eeclesiastiea 
des  Rufinus  beigebundenen  lateinisehen  glossares  von  11  folioblättern 
des  XI.  oder  XII.  Jahrhunderts ,  und  fügt  hinzu:  „die  lezten  blätter  ent- 
halten eine  folge  lateinischer  leoniniseher  verse  über  die  namen  der  vögel, 
tiere,  gewäehse  und  fisehe,  mit  den  darüber  gesezten  deutschen  Wör- 
tern, die  bei  einer  andern  gelegenheit  sollen  mitgeteilt  werden." 

Freiherr  von  Aretin  in  seinen  Beyträgen  zur  geschichte  und  lit- 
teratur usw.  2.  band,  München  2804.  Mai.  s.  92  führt  in  dem  „chro- 
nologischen Verzeichnisse  der  in  die  pfalzbair.  centralbibliothek  aus  den 
bibliotheken  aufgehobener  Stifter  und  klöster  übergewanderten  altdeut- 
schen handschriften  vom  VIII. —  XIV.  Jahrhundert"  auch  auf:  „XII.  jahrh. 
. . .  Nomina  volucrum  etc.  cum  interpretatione  theodisea ,  den  sermoni- 
bus  variis  aus  Windberg  beygebunden." 

Ob  und  unter  welchen  Signaturen  diese  beiden  von  Doeen  und 
Aretin  erwähnten ,  schon  wegen  ihres  alters  beachtenswerten  handschrif- 


DIE   NOMINA    VOLrCRUM  307 

teil  jezt  in  der  königl.  bibliothek  zu  Müncben  vorhanden  seien,  vermag 
ich  nicht  anzugeben.^ 

XIII.  Jahrhundert. 

15.  Leipzig,  Paulinerbibliothek  nr.  lüG.  pgm.  4.  Anfang  des 
XIII.  jahrh.  —  Leysers  nicht  mit  klarer  bestinitheit  ausgedrückte 
angäbe  in  Mones  Anzeiger  (1835)  4,  93  soll  doch  wol  besagen,  dass 
die  versa  selbst  samt  der  glossierung  in  der  handschrift  enthalten  seien. 
Nicht  sicher  erkennen  lässt  sich,  ob  die  von  ihm  in  alphabetischer 
Ordnung  mitgeteilten  glossen  in  der  handschrift  über  den  einzelnen 
verszeileu  stehen ,  oder  hinter  den  versen  folgen.  Das  erstere  ist  nicht 
nur  an  sich  wahrscheinlicher,  sondern  auch  aus  der  strengen  einhal- 
tung  genauer  alphabetischer  reihenfolge  zu  schliessen.  Die  glossen 
beziehen  sich  auf  die  volucres,  ferae  und  ligna,  enthalten  jedoch 
auch  einige  benennungeu ,  die  sonst  nicht  in  diesen  versen  vorkommen. 

16.  Molk.  K.  51.  XIII.  jahrh.  —  Ervs^ähnt  von  Hofifmann  in 
seinen  althochd.  glossen  (Breslau  1826)  s.  XXXIII  unter  §64,  und  in 
seinen  Fundgruben  für  geschichte  deutscher  spräche  und  litteratur 
(Breslau  1830)  1,  351.  Nach  Hoffmanns  kargen  nachrichten  zu  schlies- 
sen ,  enthält  diese  hs.  am  Schlüsse  die  glossierten  verse  über  die  nomina 
volucrum,  ferarum,  lignorum  und  piscium. 

17.  München,  clm.  4660  (Bened.  160).  mbr.  kl.  fol.  XIII.  jh.  — 
Erwähnt  ohne  angäbe  der  Signatur,  von  Massmann,  in  seinen  denk- 
mälern  usw.  s.  92.  Von  Schmeller  (anonym)  herausgegeben  unter  dem 
titel:  „Carmina  Burana.  Stuttg.  1847"  (=  Bibliothek  des  lit.  ver.  XVI). 
Darin  auf  bl.  56  die  in  Scbmellers  ausg.  s.  175  volständig  abgedruck- 
ten nomina  avium  et  ferarum. 

Nomina  avium. 
Hie  volucres  cell  referam  sermoue  fideli. 

liahicli  spanver       valch  storich         speht 

Accipiter  nisus    capus   atque   ciconia  picus 

aglister       f/rti7ispe?it  musar  viehi 

Pica     merops    larus   atque  laoficus   ibis 

1)  Ob  die  im  Münchener  cataloge  der  lateinischen  handschriften  verzeich- 
neten nummern  clm.  3537.  (Äug.  civ.  37,  vom  jähre  1439 ,  angeführt  von  Schmoller, 
Carmina  Burana  s.  267),  und  clm.  14584  (Em.  F.  87.  XIII.  und  XII.  jahrh.,  ange- 
führt von  Massmanu  in  seinen  Denkmälern  usw.  s.  91),  und  ferner  clm.  14745 
(Em.  a.  7.  XII.  und  XIII.  jahrh. ,  augeführt  von  Massmann ,  ehendaselhst  s.  91) 
auch  die  deutsche  glossierung  der  hexameter  darhieten ,  vermag  ich  nicht  sicher  zu 
erkennen.  —-  Unsicher  und  unklar  bleibt  auch  Massmanns  angäbe  (Denkmäler  usw. 
s.  91)  über  cod.  Monac.  nr.  345  memhr. 

20* 


308  J.    ZACHER 

21  hexameter,  deren  lezter: 

(listilvink 

Versii  Stare  nequit  carduelis  sicqiie  recedit. 

De  nominibus  ferarum. 
Nomina  paucarura  sunt  hie  socianda  ferarum. 

Tex 

Sed  leo  sit  primus  qui  cunctarum  basileus. 

pantel  tigirtier  lic.harl 

Hunc  panthera  tigris  comitatur  cum  leopardis 

Ainhurn  olbenJe 

Rhinoceros  sevus  conprenditur  atque  camelus 

elephant  iirohs 

Huic  et  validos  elephantes  iungo  vel  uros, 
12  hexameter,  deren  lezter: 

aichor7i 

Copulo  spiriolum;  reliquorum  do  tibi  nullum. 

18.  München,  clm.  614.  32  bl.  4.  XIII.  jahrh.  —  Von  Graff 
in  seinem  ahd.  Sprachschätze  I,  LXXI  aufgeführt  unter  „Ve.  1."  und 
ins  12.  Jahrhundert  gesezt.  Von  Schmeller  erwähnt  Carm.  Burana 
s.  267.  Enthält,  nach  angäbe  des  catal.  codd.  lat.  bibl.  Monac.  I,  1,  122, 
am  Schlüsse:  „Versus  de  nominibus  avium,  ferarum  etc.  cum  inter- 
pretatione  germanica.  Inc.:  Hie  volucres  celi  referam  sermone  fidei" 
(1.  fideli). 

19.  Mayhingen,    Fürstl.  Wallersteinsche  bibliothek.     Pgm.    fol. 

XIII.  jh.  Enthält  am  Schlüsse  des  Vocabulum  biblie  mammotrectus  die 
glossierten  lat.  verse  der  vögel-,  tier-  und  baumnamen.     Anfang: 

Hie  volucres  celi  referam  sermone  fideli. 

hahich  sperw^       valkc  storch  speht 

Accipiter  nisus  capus  atque  ciconia  picus 

aglest'       f/rv7i'spe?it        mvs'  wannen         ive/iil. 

Pica     merops   larus    atque   Ivaficus   ibis. 

Nur  die  deutschen  benennungen  daraus  hat  Bartsch  mitgeteilt, 
Germania  (1863)  8 ,  47  fg. 

(volucres):  hahich  usw.  —  (ferae):  letve,  jianthir.  tigirthir. 
leharf.  einhvrne.  cemlin,  quidam  dicunt  olbcnfe.  helfant.  vrohse  usw.  — 
(ligna):  vichaum.  lorhaum.  mirtilbaum  usw. 

XIII— XIV.  Jahrhundert. 

20.  Wien.    nr.  2237.     (lur.  civ.  290).     pgm.    34  bl.   4.     XIII.— 

XIV.  jahrh.  Enthält  hinter  dem  sogenanten  Brachylogus,  einer  Summa 
brevis  in  Hierarchiam  S.  Dionysii  und  einem  Commentarius  in  decem 
praedicamenta  Aristotelis  auf  bl.  34**  von  einer  band  des  13.  bis  14. 
jahrh.  4  lateinische  hexameter  mit  deutsch  glossierten  fischnamen, 
gedruckt  in:  Corpus  legura  sive  Brachylogus  juris  civilis,  ed.  Ed.  Böcking. 


DIE    NOMINA    VOLUCRUM  309 

Berol.  1829  s.  LXXXIII;  die  benennungeii  ohne  die  verse  gedruckt  in 
Monas  anzeiger  (1839)  8,  98. 

Ifi-chit  slie  alnt  vorha  asch 

Lucius  tingus  capedo  trocta  timallus 

/laerinc         irarC  lahs  atl 

allec   ballena   vel  esox  anguilla  murena 

rot  stur  niste  huse  sfilm 

Coracinus  rombus  allopeda  scaurus  echinus 

nnse  phrasc.  barhe  ijruntel  narpfa 

muUus  smirua  cluma  saxatilis  indeque  porca. 
üie  beiden   ersten   hexameter   stimmen   zu    denen   in  nr.  7    (Strassbur- 
ger  hs.).^ 

21.  München,    clra.  12665   (Ranshofen  65),  pgm.    171  bl.   kl.  4. 

XIII.  —  XIV.  jahrh.  Enthält  nach  dem  catal.  cod.  lat.  bibl.  Mon.  2,  2, 
84  auf  bl.  142  „Versus  de  nominibus  volucrum,  item  ferarum.  Inc.: 
Hie  volucres  celi  referam  sermone  fidei"  (1.  fideli). 

XIV.  Jahrhundert. 

22.  Stuttgart,  königl.  privatbibliothek.  Ein  in  eine  hs.  von 
Eberhardi  Bethunensis  Graecismus  vorn  eingeklebtes  pergamentblatt  des 

XIV.  jahrh.  enthält  die  glossierten  verse  Hinc  volucres  caeli  reseram 
sermone  fideli,  deren  auf  die  vögelnamen  beschränkte  glossen  Mone 
mitteilt  in  seinem  Anzeiger  usw.  (1837)  6,  345:  accipiter,  hahJce;  nisus, 
spdnver;  capus,  valk;  ciconia,  storg ;  picus,  specht;  pica,  agelsturr  usw. 

23.  Wien.  nr.  1325  (Theol.  484),  pgm.  107  bl.  4.  XIV.  jahrh. 
Beschrieben  von  Denis  (codd.  mss.  theol.  lat.)  bd.  1.  nr.  CLIII.  Erwähnt 
von  Hoffmann  in  seinen  ahd.  glossen  s.  XXXIII  unter  §  65  und  in  sei- 
nem verzeichn.  d.  altd.  hss.  der  hofbibl.  zu  Wien ,  s.  373  unter  nr.  399. 
Die  hs.  enthält  excerpta  e  veteri  testamento,  einen  Index  vocabulorum 
hebraicorum,  graecorum  etc.  zur  bibel ,  darunter  auch  einige  deutsch 
glossierte,  und  dahinter  auf  bl.  106  fgg.  die  deutsch  glossierten  hexa- 
meter der  nomina  volucrum  usw.,  deren  Überschriften  Denis  1,  429  fg. 

angibt : 

Hie  volucres  celi  referam  sermone  fideli. 
Nomina  paucarum  sunt  hie  referenda  ferarum. 
Ecce  stilo  digna  pouam  campestria  ligna. 

1)  Nach  Hoffmanns  angäbe  in  seinen  ahd  glossen  s.  XXXIII,  unter  §63, 
würde  auch  hierher  gehören  die  von  ihm  entschieden  ins  XIII.  Jahrhundert  gesezte 
Wiener  hs.  nr.  1118  (Reo.  3335),  pgm.  83  bl.  4.,  meist  theologischen  inhaltes ,  welche 
nach  Denis  (codd.  mss.  lat.  theol.  bd.  II  nr.  71  s.  106  fg.),  der  sie  ins  XIV.  jahrh. 
sezt,  gegen  ende  „Nomina  latina  et  germanica  avium,  ferarum,  piscium  et  arbo- 
rum"  enthält,  von  denen  Denis  auch  einige  mitteilt.  Aber  die  Tabulae  codd.  mss. 
in  bibl.  Pal.  Vindob.  (1864)  1,  195,  welche  die  hs.  gleichfalls  ins  XIV  jahrh.  setzen, 
bezeichnen  die  auf  bl.  79  fg.  stehenden  glossen  als  einen  ,,Vocabularius  latiuo- 
germanicus  aniraalium  arborumque." 


310  J.    ZACHER 

Dann  bemerkt  er  dazu:    „Pisces  tantum  distichum  faciunt"   und  gibt 
einige  proben  der  glossierten  Wörter. 

24.  Innsbruck,  Universitätsbibliothek,  nr.  355.  pgm.  XIV.  jabrh. 
Enthält,  nach  Mones  angäbe  in  seinem  Anzeiger  (1839)  8,  99  :  1)  bl.  13^ 
Die  fischnamen:  Hie  etiam  pisces  et  eorum  nomina  disces.  Lucius 
hellte,  tincus  sleye  usw.  2)  bl.  14.  Die  vogelnamen:  Hie  volucres 
coeli  referam  sermone  fideli.  Accipiter  habich,  nisus  sparwer  usw. 
3)  bl.  15.  Die  namen  der  wilden  tiere:  Nomina  paucarum  sunt  haec 
(1.  hie)  socianda  ferarum.  Leo  Uwe  usw.  4)  Insecten  undgewürme: 
apes  peije,  musca  fliuge  usw.  5)  Baumnamen:  Ecce  stilo  digna  refe- 
ram campestria  ligna.  Cedrus  zederpoum  usw.  Darauf  noch  einige 
Zeitwörter  und  berufnamen.  6)  Die  in  beiden  sprachen  gemischten 
hexameter:  Est  feodum  lehegut,  nee  non  depactio  dinge  usw. 

XV.  Jahrhundert. 

25.  München,  cgm.  649.  598  bl.  fol.  vom  j.  1468.  Enthält  nach 
dem  cataloge  der  deutschen  hss.  der  Müncheuer  bibliothek  (München 
1866)  s.  105  auf  bl.  526  fg.  „Versus  de  animalibus  et  herbis  ger- 
manice  glossatos.     Hie  volucres  coeli  usw." 

26.  Wien.  nr.  12840  (Suppl.  489),  papier.  90  bl.  4.  XV.  und 
XVI.  jahrh. ,  enthält  vielerlei  deutsch  glossiertes,  darunter  nach  angäbe 
der  Tabulae  codd.  mss.  in  bibl.  Pal.  Vindob.  (1875)  6,  153:  2)  1"— 2'' 
Nomina  ferarum  metrice,  cum  glossis  germanicis  interlinearibus.  Inc.: 
Nomina  paucarum  sunt  hie  scribenda  ferarum.  Expl. :  Copula  spirio- 
lum  reliquorum  do  tibi  nullum.  3)  2''''  Nomina  volucrum,  itidem  cum 
glossis  germanicis  interlinearibus.  Inc.:  Sic  volucres  cell  referam  ser- 
mone fideli.  Expl.:  Versus  stare  nequit  carduelus  jure  recedit.  4)  2*" 
Nomina  arborum,  itidem  cum  glossis  germanicis  interlinearibus.  Inc.: 
Ecce  stilo  digna  ponam  cumpestria  ligna.  Expl. :  Istam  postremo  quia 
crescit  in  arbore  pono.  5)  3*  Nomina  piscium  cum  glossis  germani- 
cis interlinearibus.  Inc. :  Nomina  paucorum  lector  lege  pisciculorum. 
Expl. :  Vmbre  timallus  simul  hijs  coujunge  cappones. 

Die  hier  versuchte  übersichtliche  chronologische  Zusammenstel- 
lung ist  doch  etwas  anderes  als  ein  blosser  Zeitvertreib  müssiger  stun- 
den, verwendet  auf  ein  kleines  litterarisches  curiosum  von  unerheb- 
lichem werte ,  was  nur  durch  die  laune  des  Zufalles  auf  uns  gekommen 
wäre.  Denn  diese  wenigen  glossierten  hexameter,  so  dürftig  und  unzu- 
länglich uns  auch  heute,  bei  unseren  reichen  und  bequemen  hilfsmit- 
teln ,  ihr  Inhalt  erscheinen  mag,  veranschaulichen  uns  doch  ein  nicht 
unwichtiges  stück  aus  der  mittelalterlichen  gelehrten  Schulpraxis,  und 
zeigen  recht  augenfällig,  wie  schwierig  und  mühselig  es  vor  der  erfin- 


DIE    NOMINA    VOLUCRUM  311 

duug  der  biichdnickerkunst  war,  gelehrte  kentiiisso  zu  erwerben.  Weil 
es  den  schüleru  damals  meist  unmöglich  war,  den  besitz  umfängliche- 
rer glossarien  zu  erschwingen,  dienten  diese  hexanieter  dazu,  die 
benenuuugen  von  72  volucres,  38  ferae  und  60  ligna  dem  gedächtnisse 
leichter  und  fester  einzuprägen.  Und  es  sind  fast  durchweg  damals 
gangbare  alt-  oder  mittellateinische  benenuungen  entweder  solcher 
naturgegenständc,  die  im  täglichen  leben  häutig  begegnen,  oder  auch 
solcher,  deren  lateinische  benennung  für  den  gelehrten  jener  zeit  eine 
besondere  Wichtigkeit  hatte,  etwa  weil  sie  in  der  Vulgata  vorkam,  wie 
z.  b.  ibis  Jes.  34,  11.  Lev.  11,  17;  nycticorax  Ps.  101,  7.  Deut.  14,  17; 
onocrotalus  Lev.  11,  18.  Jes.  34,  11;  ortygometra  Sap.  16,  2.  19,  12; 
pelicanus  Ps.  101,  7;  alietus  (haliaeetos)  Lev.  11,  13;  struthio  Lev.  11, 
16  u.  ö.;  dromedarius  Jes.  60,  6;  ficus  Gen.  3,  7  u.  ö. ;  myrtus  Jes. 
41,  19.  55,  13;  ilex  Jes.  44,  14;  terebinthus  Gen.  35,  4  u.  ö. ;  paliurus 
Jes.  34,  13.  Mich.  7,  4;  morus  Ps.  77,  47  u.  ö.;  sycomorus  Luc.  19,  4 
u.  ö.;  storax  Gen.  43,  11.  Eccli.  24,  21;  myrica  Jer.  17,  6.  48,  6. 
Solchen  biblischen  beweggrund  der  aufnähme  lässt  z.  b.  der  naive 
44.  hexameter  recht  deutlich  erkennen: 

et,  licet  ignotum,  non  pretereo  terebintum. 
Einige  in  das  Verzeichnis  aufgenommene  ausdrücke ,  die  uns  jezt  nicht 
mehr  geläufig  sind,  weisen  zurück  auf  die  grosse  schöpfquelle  mittel- 
alterlicher gelehrsamkeit ,  auf  die  Etymologiarum  libri  des  Isidor.  So 
turbisce,  glossiert  durch  stoc,  und  isca,  glossiert  durch  mnder,  von 
denen  es  bei  Isidor  heisst:  Turbiscus,  quod  de  uno  cespite  ejus  multa 
virgulta  surgunt  quasi  turba.  Etym.  17,  7,  56  und:  Fungi,  quod  aridi 
ignem  acceptum  concipiant ;  cfßg  enim  ignis  est ;  unde  et  esca  vulgo 
dicitur,  quod  sit  fomes  ignis  et  nutrimentum.     Etym.  17,  10,  18. 

ünverkenbar  solte  die  Zusammenstellung  dieser  benennungen  blos- 
sem lehrzwecke  dienen.  Darum  war  das  trachten  des  Verfassers  nicht 
darauf  gerichtet,  tadellose  oder  gar  elegante  und  geistreiche  verse  zu 
liefern ,  sondern  nur  das  erlernen  und  das  behalten  zu  erleichtern  durch 
die  hilfe  des  versmasses  und  des  reimes,  und  durch  das  an  verschie- 
denen stellen  durchblickende  bemühen,  unter  sich  verwante  oder  ähn- 
liche gegenstände,  wie  z.  b.  einheimische  Obstbäume,  so  gut  er  es 
vermochte,  gruppenweise  zu  verknüpfen.  Dass  unter  den  volucres 
auch  cicada  (heimchen),  vespertilio  (fledermaus)  und  cicindela  (glüh- 
wurm,  johanneswürmchen)  erscheinen,  und  unter  den  ferae  (um  einen 
reim  auf  sorex  zu  gewinnen)  auch  cimex  {diu  wantlüs,  die  wanze), 
wird  niemandem  auffallen,  der  die  weise  mittelalterlichen  disponierens 
und  der  anordnung  mittelalterlicher  glossarien  kent.  Und  als  praktisch 
brauchbar  scheint  sich  diese   Zusammenstellung  denn  auch  wirklich  auf 


312  J.    ZACHEE 

die  (lauer  bewährt  imd  weite  Verbreitung  gefunden  zu  haben,  weil  sie 
in  zahlreichen  weit  verstreuten  und  bis  in  die  anfange  der  buchdrucker- 
kunst  herabreichenden  abschrifteu  sich  erhalten  hat. 

Die  gruppe  der  pisces  zeigt  schon  mehr  den  Charakter  eines 
gelehrten  prunkstückes.  Einen  erlieblicheren  praktischen  wert  kann  sie 
auch  schwerlich  beansprucht  haben.  Wird  ja  doch  selbst  des  kloster- 
koches  fischkentnis  sich  selten  weiter  erstreckt  haben  als  auf  die  ihm 
erreichbaren  arten,  die  er  für  seine  küche  verAvenden  konte  oder  ver- 
schmähte; und  kaum  jemals  mag  ein  abschreiber  oder  glossator  so 
bewandert  in  der  schwierigen  fischkunde  gewesen  sein,  dass  er  ver- 
mocht hätte,  alle  in  einer  längeren  reihe  von  lateinischen  hexametern 
aufgeführten  fische  wirklich  zu  kennen,  richtig  zu  unterscheiden  und 
zutreffend  deutsch  zu  glossieren.  Nach  den  bis  jezt  mir  vorliegenden 
und  erreichbaren  angaben  erscheinen  die  lateinischen  hexameter  mit 
glossierten  fischnamen  zuerst  in  handschriften  des  XII.  Jahrhunderts, 
und  beschränken  sich  meist  auf  wenige,  auf  zwei  bis  vier  verse,  nur 
in  nr.  13,  in  der  Frankfurter  handschrift  des  XII.  Jahrhunderts,  stei- 
gen sie  an  bis  auf  13  verse.  Auch  tragen  sie  keine  gemeinsame,  in 
allen  handschriften  gleichmässig  widerkehrende  hexametrische  Über- 
schrift, und  weichen  auch  in  der  zahl  und  in  der  anordnung  der  auf- 
geführten benennuugen,  so  wie  in  deren  glossierungen  so  stark  unter 
einander  ab,  dass  sie  nicht  aus  einer  gemeinsamen  alten  grundlage 
herstammen  können.  Und  nicht  minder  endlich  zeigen  arge  textver- 
derbnisse  wie  sehr  grade  hier  den  Schreibern  ein  richtiges  und  sicheres 
Verständnis  dieser  benennungen  gebrach. 

Auch  der  abschnitt  der  nomina  herbarum,  wie  er  in  nr.  13,  in 
der  Frankfurter  handschrift  aus  dem  ende  des  XII.  Jahrhunderts,  erscheint, 
schliesst  sich  jenen  drei  ursprünglichen  abschnitten  wol  nur  formal  an; 
denn  nicht  nur  durch  seinen  beträchtlichen  umfang  von  64  hexametern, 
sondern  auch  durch  seinen  gelehrteren  Charakter  ist  er  von  jenen  doch 
merklich  verschieden.  Für  die  herbae  konte  man  eines  solchen  hilfs- 
mittels  auch  je  länger  je  mehr  um  so  eher  entraten,  weil  grade  bota- 
nische alphabetisch  geordnete  glossai'e  in  reicherer  zahl  und  mit  reich- 
licherem Inhalte  entstanden,  wahrscheinlich  wol  gefördert  durch  das 
bedürfnis  der  mediciner,  die  ja,  nach  dem  vorbilde  der  Araber,  bis 
auf  Paracelsus  vorzugsweise  heilmittel  aus  dem  pflanzenreiche  zu  ver- 
wenden liebten ,  und  folglich  für  das  Studium  und  für  die  Verwertung 
der  seit  dem  ende  des  XII.  Jahrhunderts  aus  Salerno  heraufkommenden 
medicinischen  werke  einer  ausgedehnteren  und  sichereren  kentnis  der 
lateinischen  pflanzennamen  bedurften.  —  Demselben  praktischen  bedürf- 
nisse  verdanken  auch  die  herbarien  ihre  entstehung,   werke,   in  denen 


DIR    NOMINA    VOLTTCRUM 


313 


zu  den  beneunuiigen  der  püaiizeii  noch  die  angäbe  ihrer  niedicinisclien 
Verwendung  hinzugefügt  wurde,  weshalb  sie  denn  auch  sehr  bald  in 
verschiedenen  ausgaben  widerholt  gedruckt  wurden.  Eine  historische 
und  kritische  möglichst  erschöpfende  Untersuchung  über  diese  herbarien 
wäre  eine  höchst  verdienstliche  arbeit.  Gediegene  Vorstudien  dazu  hat 
mit  eindringender  kentnis  und  hingehendster  aufopferung  namentlich 
Ernst  Meyer  geliefert  in  seiner  geschichte  der  botanik,  so  v^^eit  als 
ilim  das  damals  und  in  Königsberg,  bei  seiner  entfernung  von  den 
grossen  deutschen  bibliotheken,  irgend  möglich  war. 

Schon  vor  geraumer  zeit  war  herr  oberbibliothekar  professor 
dr.  Krehl  so  gütig,  mir,  für  einen  nnderen  zweck,  eine  Leipziger 
papierhandschrift  des  15.  Jahrhunderts,  nr.  1348,  zu  senden.  Auf  der 
Innenseite  des  vorderdeckeis  dieser  handschrift  ist  vermerkt:  „Iste  liber 
comparatus  est  sub  decanatu  magistri  Melchioris  Lodwig  de  Freynstadt 
Anno  domini  Ixxxvnj  "  (1488).  In  der  handschrift  selbst  aber  findet 
sich  auf  bl.  373"-  eine  wegen  undeutlicher  schrift  und  starker  abkürzun- 
gen  zum  teil  schwer  lesbare  einzeichnung:  „Et  sie  est  finis  per  me 
g.  w.  de  gott'  in  anno  1451  dominica  Judica  in  liptzk  declarat'  et  pro- 
nunciat'  p.  m.  Ni.  gherstman  de  lemberch,"  und  darunter  von  anderer 
aber  gleichzeitiger  band  in  ähnlich  beschaffener  Schreibweise  die  ergän- 
zende nachricht :  „  Et  collecta  et  scripta  per  Gotfridum  Wigardi  de  Got- 
tingen arciuui  baccalaureum  nouellum  anno  51*^  et  eodem  anno  51*^ 
obiit  in  Gottingen  in  peste."  Demnach  war  diese  handschrift  ein  stu- 
dienheft,  welches  ein  Leipziger  student,  Gotfrid  Wigard  aus  Göttingen, 
als  Vorbereitung  für  das  baccalaureatsexamen  sich  augelegt  hatte,  das 
er  auch  im  jähre  1451  bestand,  aber  bald  darauf  in  seiner  Vaterstadt 
an  der  pest  starb.  Dem  entsprechend  scheint  auch  der  Inhalt  der  hand- 
schrift bedingt  zu  sein  durch  die  damals  für  ein  baccalaureats  -  und 
magisterexamen  gestelten  anforderungen.  Sie  begint  mit  „  Distinctiones 
librorum  ad  gradum  baccalaureatus  et  magisterii  in  artibus,"  anschei- 
nend einer  auszüglichen  Übersicht  der  philosophischen  Vorlesungen  nach 
Aristoteles,  über  welche  der  candidat  rechenschaft  zu  geben  hatte. 
Dann  folgen:  Quodlibetum  a  1439  (?)  in  liipzk  disputatum ;  Quaestio- 
nes  quaedam  determinatae  in  Erfforde  et  Liipzk,  und  noch  einige  phi- 
losophica;  darauf  bl.  224"  —  237*^  „Grammatica  positiua  uomina  glozata 
omnium  mechanicorum  officiorum;''  dahinter  widerum  philosophica;  fer- 
ner: Avicenna  de  mineralibus  (anscheinend  eine  art  collegienheft);  Liber 
Methodii  martiris  de  fine  et  inicio  mundi;  und  endlich  Liber  Morbodij 
(Marbodi)  de  gemrais  et  lapidibus  preciosis. 

Die  auf  bl.  224"  beginnenden  lateinischen  hexameter  sind  versus 
memoriales  sachlich  gruppierter  benennungen,  vorauf  die  Termini  jurista- 


314  J.    ZACHER 

rum,    denen  dann,    von  bl.  225"   an,   naturgeschiclitliclie   benennungcn 
sich  auscliliesseu ,  anhebend: 

Homo  Caput  capitellum  cerebrum  cerebellum 
Vertex  calvitium  frons  occiput  oculus  auris  usw. 
Hieraus  ist  mit  voller  Sicherheit  zu  entnehmen,  dass  dergleichen  hexa- 
meter ,  darunter  auch  die  oben  aufgeführten  schon  seit  Jahrhunderten 
gangbaren  über  die  nomina  volucrum  usw.,  damals  noch  als  praktisch 
nützlich  und  für  examenzwecke  dienlich  im  gebrauch  waren.  Deutsch 
glossiert  sind  davon  in  dieser  handschrift  die  frumenta,  pisces  et  ligna, 
die  ich  hier  folgen  lasse.  In  der  glossierung  macht  sich  die  nieder- 
deutsche heimat  des  Schreibers  bemerklich. 

fol.  228 ^     Talia  frumenta  praestaut  nobis  alimenta. 

weyte  hersze  hauere  körne  erioitte 

Et  triticum  milium  auena  siligoque  pisum 

toverkrut  awelik  drespe        liederik  radel  körne 

Sompnifer   et   cardo  lolium  zizania  fruges 

drespe  idem  dystel  rast  hoUwart 

Castanicus  cinus    tribulus    rubigo  czyredo 

Schimmel        motte  odel  roet 

5  Erugo   tynea    vligo  siue  fuligo 
fol.  230''.     Piscibus  vndosis  dedit  vsus  nomina  giosis. 

herinck  ael  st  int  kreuet  kuleharsz 

Hallec  angwilla  gubius  cancer  cyronilla 

1)  Die  anfzeichnung  ist  nachlässig  gemacht,  und  durch  arge  versehen  und 
fehler  in  text  und  glossierung  übel  entstelt;  einige  benennungen  kehren  mehrmals 
wider,  und  ungehöriges  läuft  mit  unter.  In  den  anmerkuugen  hier  habe  ich,  von 
blossen  orthographischen  uugenauigkeiten  absehend,  zwar  besserungen  uud  erklä- 
rungen  versucht,  aber  doch  manches  mir  unverständlich  gebliebene  unerledigt  las- 
sen müssen. 

2)  Et]  Est?         Über  siligo,  liorne  steht  als  zweite  glossierung  noch  rogglie. 

3)  Über  sompnifer  steht  noch  herba  sompni.  Gemeint  ist  doch  wol  der  mohn, 
als  ein  frumentum,  obgleich  dahinter  meist  Unkräuter  folgen.  Wie  es  der  glossa- 
tor  aufgefasst  habe,  lässt  sich  aus  toverkrut  und  aus  dem  unverständlichen  atoelik 
nicht  erkennen.  Die  glossierung  cardo,  trespe  belegt  Diefenbach,  glossar.  lat. 
germ.  lUO*^  aus  einem  handschrittlicheu  Mainzer  vocabularius  rerum  (nr.  261). 
Gemeint  aber  ist  mit  cardo  wol  die  Aveberkarde,  dipsacus  fullonum.  Vgl.  Gf.  4, 
490.  Mhd.  wb.  1,  791.  Schmeller  1,  1290;  zumal  die  distel  in  der  nächsten  zeile 
unter  tribulus  erscheint.  Eigentlich  würde  drespe  als  glossierung  über  lolium ,  und 
hederik  und  radel  würden  beide  über  zizania  gehören,  fruges]  über  konie  steht 
noch  die  zweite  glossierung  getreyde. 

4)  Castanicus]  die  glosse  drespe  ist  entweder  ein  irtum,  oder  ein  Schreibfeh- 
ler, statt  der  niederdeutschen  benennung  trem(e)se.  Darüber  steht  noch  die  rich- 
tige und  algemeiner  übliche  benennung  korneblomen.  cinus]  1.  cyanus.  czy- 
redo] 1.  teredo ,  holtwurm. 

5)  Erugo]  Über  schimmel  steht  noch  die  zweite  glossieruug  eghel,  welche 
sich  erklärt  aus-  einer  auch  sonst  vorkommenden  Verwechslung  von  erugo  (aerugoj 
und  h-ugo,  irudo  (hirudo).        vligo]  odel  1.  adel.        fuligo]  roet,  luhd  riio2,  russ. 

7)  cyronilla]  1.  turonilla. 


DIE   NOMINA    VOLUCRUM  315 

hekiit  quappe  stocr 

Luceus  allota  rumbusque  minenosa  crata 

yriiHdeling  bars       loalviäch  lirasviu  la.iz 

Fuudiculus  parca  cetus  et  balsciam  et  esox 

Unpe  smerU'  assche  rahvfisch 

10  Cassidoliis  foca  stangnalbus  post  quoqiie  dorcus 

hornefisch  krahbe  welsz  swertfisch  "nlm 

Cornipes  et  polipus  miülus  gladines  quoqiie  salniaii 

Iliise  slcy  scel  li'ilbvisch  st'or 

Ipotus  balacer  kabarus  balcamque  mmbus 

cresnc  ae.l  veriie  amerli: 

Gracius  agwilla  capedo  trutta  temellus 

rlccley  mrrsiniii       Jiuntßnch  brasmeii 

Tremelus  et  delphin  canis  arcita  cerita 

8)  luceus]  1.  lucius  ruiubus]  1.  rhombus  minenosa  crata]  über  crata 
stellt  errata,  und  darüber  noch  wer.     Alle  vier  Wörter  unverständlich. 

9)  parca]  1.  perca        balsciam]  1.  brasma. 

10)  cassidolus  erscheint  bei  Diefenb.  104:<=  glossiert  durcb  larpe.  Bape, 
raapfen  sind  nach  Lübben ,  mnd.  wörterb.  3 ,  421  und  Nemnich ,  algem.  polyglot- 
tenlex.  d.  uaturgesch.  deutsche  benenuungen  von  Cyprinus  aspius.  foca,  smerle 
ist  wol  irrige  glossierung.  Denn  phoca  wird  sonst  glossiert  durch  mcrlcalp, 
merrint  u.  dgl.  und  smerle  dient  sonst  zur  glossierung  von  fundulus  oder  tenel- 
lus.  stangnalbus]  1.  thymallus.  dorcus,  was  ich  als  fischnamen  nicht  belegen 
kann ,  steht  vielleicht  statt  dorco  ,  einer  mittellat.  benennung  für  fresser.  Aus  Lori, 
Urkunden  zur  geschichte  des  Lech-Eains  384,  bringt  Schmeller'^  2,  78  bei:  „Der- 
Aveil  die  Höchten,  Eatten  und  Ruegeten  oder  Treuschen  den  Ferchen  und  Aschen 
fast  schädlich",  (vgl.  Schmeller2  2,  189  s.  v.  rutten,  alrutten).  Das  führt  auf 
gadus  Iota,  quappe,  wofür  Kemnicb  s.  v.  u.  a.  die  benonnungen  darbietet:  aalraupe, 
aalruite,  rutte,  ohlrapjie,  rufolk,  treusch  usw.  Vgl.  Lübben,  mnd.  wörterb.  1,  59'' 
„älroppe,  älruppe,  älgrop ,  älgrupp,  olrup,  und  mit  Umsetzung  riipoel,  rufolke." 

11)  Cornupis ,  hornvisch  belegt  Diefenb.  aus  dem  Mainzer  vocabularius  rerum 
nr.  261;  und  ferner  113"=  cerastinus,  hornevisch ;  322''  ledia,  homienfisch.  Mul- 
lus ,  weis  belegt  auch  Diefenb.  370^  aus  dem  Mainzer  vocab.  rer.  nr.  261.  gladi- 
nes] 1.  gladius.  Vgl.  „gladius,  mersivert ,"  im  Vocabularius  optimus  ed.  W.  Wacker- 
nagel.   Basel  1847.  4.    s.  46 ''.         salman]  1.  salnio. 

12)  balacer  ist  wahrscheinlich  verderbt.  sUe,  sl'uje  dient  gewöbnlich  zur  glos- 
sierung von  tinca  (cyprinus  tinca);  nur  selten  findet  es  sich  als  glossierung  von 
balaena.  Diut.  8,  154.  Sumerl.  38,  80-  kabarus  scheint  verderbt  und  auch 
unrichtig  glossiert  zu  sein,  sei  ist  hoch-  und  niederdeutsche  benennung  des  See- 
hundes, balcamque]  1.  pecten  quoque.  Vgl.  halpfisc,  pectenus,  al.  pecten,  jm 
summarium  Heiurici  bei  Hoffmann,  ahd.  glossen  4,  31.  Diefenb.  418".  Gf.  4,  709. 
Gemeint  ist  eine  schölle,  Pleuronectes.  Über  haJbvisch  steht  noch  als  zweite  glos- 
sierung Baff.  Die  eingesalzenen  oder  getrockneten  glossen  von  pleuronectes  hippo- 
glossus  (heilbutt)  werden  von  den  Dänen  rav  oder  raft  genant.  Nemnich  s.  v.  und 
Grimm,  Wörterb.  4,  2,  823  s.  v.  heilbutt.        rumbus]  1.  rhombus. 

13)  agwilla]  1.  anguilla.  capedo,  gewöhnl.  capito.  trutta,  verne]  1.  tructa, 
vorhen.     temellus]  1.  tenellus. 

14)  Tremulus  kann  ich  als  fischnamen  nicht  nachweisen.  Über  uekelei,  uklei 
(cyprinus  alburnus,  kleiner  weissfisch)  vgl.  K.  Schiller,  zum  tier-  und  kräuterbuche 


316  J.    ZACHER 

riocczc-  czerte  karpe 

15  Gobba  vel  sperima  calumpus  addere  debes. 
fol.  235*.     Ecce  stilo  digna  scribo  siluestria  ligna. 

IZKilrwor  cypres         uiyhenhom    lorherhom  ßlulherbom 

Cedrns    cipressus    ficus     laurus    qiioqiie  moriis 

poppelhom  palmhom  spilbom  sadenhom 

Popiilus  et  palma  susarius  atque  sauina 

hassel     dannen     keiihom         ki-n  herhom  myspelbom 

Nux   abies   pina   pinus   pirus   esciilus  adde 

bi-rk  ahornel  busbom       echenbom  liartroijle 

20  Vibex  et  platauus  buxus  quercus  simul  ibex 

Iiven  loepenbom        hassele.  vh'bovi  Irnbom 

Vlmis  et  cornus  corulus  capeuus  et  onus. 

castaneen  Mandelbom  ImspJnut  appelhum 

Castanea  et  amigdalus  auelana  quoque  pomiis 

distel  espe  rcnhom  dorne  olhom 

Tribulus  et  tremulus  terebintiis  spinaque  taxiis 

des  Mecklenburgischen  volkes.  Schwerin  1864.  4.  3,  23.  arcita  cerita  sind  mir 
unverständliche,  wahrscheinlich  verderbte  benennungen.  Die  in  den  glossen  neben 
hrahsen  stehende  lateinische  benennung  lautet  gewöhnlich  brasmus,  brasma ,  bra- 
xina,  oder  dem  ähnlich. 

15)  gobba]   gewöhnlich  gobea,   gubea.  czerte]  zarte   ist  cyprinus  vimba; 

sperima  weiss  ich  weder  zu  belegen  noch  zu  erklären.         calumpus]  1.  carabus. 

17)  tzede2V07-]  1.  ceäerbom. 

18)  susarius]  1.  fusarius. 

19)  pina]  1.  picea. 

20)  platanus]  über  ahornel  steht  als  zweite  glossierung  arle ,  das  ist,  nach 
Nemnich  s.  v.  acer  pseudoplatanus ,  thüringische  und  fränkische  benennung  des 
ahorns.  ibex,  verschrieben,  statt  ilex.  In  den  älteren  hss.  lautet  der  hexameter: 
cum  platano  vibex,  cum  buxo  quercus  et  ilex.  Die  glossierung  ist  unrichtig;  ilex 
wird  meist  glossiert  durch  ibe,  hve ,  eibe,  oder  durch  eiche;  andrerseits  dient  hart- 
trügel  zur  glossierung  von  sanguinarius  (cornus  sanguinea). 

21)  Vlnus ,  Iwen  1.  ulmus,  um.  Vgl.  Lexer,  mhd.  wb.  1,  541.  s.  v.  clm  cor- 
nus, die  hagebutte,  rosa  canina.  Bei  Diefenb.  152''  icipe,  wiepe,  ivippcJien;  bei 
Nemnich,  s.  v.  rosa  can.,  wiehTcen,  wipe;  vgl.  Frisch,  teutsch-lat.  wörterb.  (1741) 
2,  447*  ioiepe;  Schmeller^  2,  965  wippenholz.  Die  über  wepenhotn  noch  stehende 
zweite  glossierung  heynholcen  ist  wol  verschrieben  statt  hainboten.  capenus,  vle- 
boni]  1.  carpenus  (oder  carpinus),  hagebuoehe  (hainbolce).  vlebom  lässt  sich  nichts 
abgewinnen.  onus]  1.  ornus.  linhotim ,  leinhaum ,  ZeHwe  sind  nach  Nemnich  übliche 
deutsche  benennungen  für  acer  platanoides. 

22)  Die  ältere  fassung  dieses  hexameters  lautet:  Vos  (?)  auellane  uel  amig- 
dala  castanecque.     Durch  die  änderung  ist  das  metrum  gestört. 

23)  distel  findet  sich  zwar  häufig  als  glossierung  von  tribulus,  gehört  aber 
doch  nicht  unter  die  ligna.  Die  älteren  hss.  glossieren  hier  tribulus  angemessen 
durch  hayan,  hagen.  terebintus]  statt  der  beiden  hexameter  23.  24  bietet  die 
ältere  fassung  diese  drei: 

Et  licet  ignotum  non  pretereo  terebintum. 
Cum  tremulo  tribulus,  cum  spina  taxus  et  alnus 
riscus ,  sambucus ,  cum  junipero  paliurus. 


DIE   NOMINA   VOLUCHUM  317 

eire         hollumlerbom        haghedorne         wacghande.lenhom 

Alnus  sambucus  palamicus  juniperusqne 

zem  wi'ydc       kre.kcn        kreken  km-tzhom 

25  Vimeu  vel  salix  prinus  pvna  cerususqiie 

ivynstok  husclik  heydr  lezynhom 

Vitis  et  arbusta  merica  vel  ebeniis  adde 

asl/oem  lyndi-       büke         hayhi'dorn      olehum 

fol.  235  ^  Fraxiiius  et  tilia  fagus  lentigus  oliiia. 

Wie  bereits  erwäbnt  wurde,  enthält  diese  handschrift  auch  die 
Termiui  juristarum,  ebenfals  gedenkverse  praktischen  Zweckes,  dazu 
bestirnt,  die  erlernung  und  einprägung  juristischer  kunstausdrücke  zu 
erleichtern.  Es  ist  eine  reihe  kunstloser  hexameter,  bestehend  aus 
einem  gemeuge  der  lateinischen  benennungeu  und  der  danebengesezteu 
ihnen  entsprechenden  deutschen.  Sie  scheinen  im  14.  Jahrhunderte  ent- 
standen zu  sein,  und  gleichfals  rasche  und  weite  Verbreitung  gefunden 
zu  haben,  denn  vom  14.  bis  ins  16.  Jahrhundert  begegnen  sie  ziemlich 
häufig  in  handschriften :  jedoch   weichen  die   einzelnen  durch  verderb- 

terebiuthus  lassen  die  älteren  hss.  entweder  als  fremdländischen  unbekanten  bauin 
ganz  unglossiert,  oder  sie  glossieren  es  durch  Jerbouin,  Urbonm,  setzen  also  den 
bekanten  einheimischen  terpentinbauia ,  den  lerchenbaum ,  an  stelle  des  unbekanten 
fremdländischen.  Was  der  glossator  hier  unter  renbom  verstanden  habe,  lässt  sich 
nicht  sicher  erkennen.  Gewöhnlich  bedeutet  renne-,  romie-,  rwnne-boum  grenz - 
oder  schlagbaum.  Hier  aber  könte  doch  möglicher  weise  ren-hom  gemeint  sein  als 
rinne -bonm,  d.  h.  bäum  aus  dem  man  rinnen  macht,  was  grade  auf  den  lerchen- 
baum besonders  passen  würde.  taxus ,,  olbom]  die  glossicrung  ist  unverständ- 
lich und  wol  verderbt  oder  irrig.  Die  gewöhnliche  glossierung  von  taxus  ist  iioe 
oder  hüls. 

24)  sambucus]  über  hollunderbom  steht  noch  die  zweite  glossierung  vleder- 
bom.  Über  das  späte  auftauchen  dieser  benennung,  flieder,  vgl.  Grimm,  deutsches 
wörterb.  3,  1778.  palamicus]  1.  paliurus.  juniperus]  vgl.  ivacliandelenhere, 
bei  Regel ,  mnd.  Gothaer  arzeneibuch  (progr.)  Gotha  1873  s.  22. 

25)  vimen,  zem.  Ebenso  in  nr.  14,  der  Leipziger  hs.,  uimina,  cemwide  (in 
Mones  anz.  4,  95,  71);  desgleichen  bei  Diefenb.  619'',  aus  dem  Mainzer  handschriftl. 
vocabularius  rerum  nr.  2H1:  vimen,  zen.  Müller,  im  rahd.  wörterb.  3,  619'',  nimt 
dieses  wort  als  kamicide,  ohne  dessen  bedeutung  näher  anzugeben.  Lexer3,  1051 
nimt  es  als  zeinwide.  Hildebrand  (Grimms  wörterb.  5,  157)  scheint  es  als  Tcmnivid, 
hölzernes  halsband ,  auszulegen.  —  In  oberdeutschen  hss.  findet  sich  vimen  glos- 
siort  durch  liel ,  clematis  vitalba,  Waldrebe,  bindweide.  Schmeller^  1,  1481  s.  v, 
lien.  Vocabularius  optimus  ed.  Wackernagel  49,  176.  Von  salix  ab  weicht  die- 
ser text  von  den  älteren  volständig  ab.  prinus  ist  eine  öfter  vorkommende  mit- 
tellat.  form,     kreken  entspricht  dem  hochdeutschen  kriechenbaum ,   pruuus  insititia. 

pvna  steht  wol  für  pruna ,  so  dass  die  benennung  der  fruchte  gemeint  ist.      ceru- 
sus]  1.  cerasus. 

26)  merica]  1.  myrica  ebenus]  die  glossierung  lezynhom  ist  mir  unbekant 
und  unverständlich. 

27)  fra.xinus,  asboein,  1.  asichbom.        lentigus  1.  lentiscus. 


318  J-    ZACHER 

nisse  und  fehler  vielfach  entstelten  aufzeichnimgen  stark  unter  einander 
ab.  Auch  sind  sie  nach  erfindung  der  buchdruckerkunst  in  Schul- 
bücher aufgenommen  worden.  So  bemerkt  Wilh.  Wackernagel  in  sei- 
ner geschichte  des  deutschen  hexameters  und  pentameters  (Berlin  1831) 
s.  15,  dass  Goldast  in  den  Ker.  alamann.  Script,  vier  dieser  hexameter 
unter  dem  namen  „Venceslaus  Brack  in  Terminis  Juristarum"  eitlere. 
Ob  darunter,  wie  man  doch  wol  vermuten  möchte,  gemeint  sei  das 
von  Wenzeslaus  Brack,  artium  professor  et  examinator  in  Konstanz, 
um  1449  verfasste  lateinisch  -  deutsche  Wörterbuch ,  welches  unter  dem 
titel  Vocabularius  rerum  zuerst  in  Augsburg  1478  erschien,  und  seit- 
dem öfter  wider  gedruckt  wurde,  vermag  ich  freilich  nicht  zu  entschei- 
den, weil  dieses  buch  mir  nicht  zur  band  ist.  Auch  einer  der  frühe- 
sten humanisten  und  schulreformatoren ,  Hermannus  Torrentinus  aus 
Zwolle  (t  1520),  ein  schüler  des  Hegius  und  mitglied  der  geselschaft 
der  brüder  vom  gemeinen  leben,  hat  sie  aufgenommen  in  sein  ency- 
clopädisch  -  historisches  Wörterbuch,  in  den  zuerst  im  jähre  1505 
erschienenen  Elucidarius  carminum  et  historiarum,  vel  Vocabularius 
poeticus,  continens  historias,  provincias,  urbes,  iusulas,  fluvios  et 
montes  illustres.  Aus  diesem  buche  des  Torrentinus  sind  dann  diese 
verse  neuerdings  wider  abgedruckt  und  mit  anmerkungen  begleitet 
worden  von  de  Geer  in  B.  J.  L.  de  Geer  en  Boneval  Faure,  Nieuwe 
Bijdragen  voor  Regtsgeleerdheid  en  Wetgeving.  1870.  XX.  s.  1  fgg.  und 
aus  dieser  hierlands  selten  anzutreffenden  niederländischen  Zeitschrift 
hat  sie  darnach  Boehlau  herübergenommen  in  die  Zeitschrift  für  Eechts- 
geschichte,  herausg.  von  Kudorff,  Bruns,  Roth  und  Boehlau.  1872. 
bd.  X  s.  313  fg.  —  Haltaus  hatte  für  sein  Glossarium  germanicum 
medii  aevi  (Lips.  1758.  fol.)  auch  diese  verse  verwertet;  er  führt  wider- 
holt z.  b.  s.  968.  1016.  1933.  2058,  einzelne  derselben  an,  unter  der 
bezeichnung  „veteres  rhythmi  memoriales"  oder  auch  „  termini  jurista- 
rum,"  jedoch  ohne  nähere  angäbe  der  quelle,  aus  welcher  er  sie 
geschöpft  hat.  Für  das  mittelhochdeutsche  Wörterbuch  von  Müller  und 
Zarucke  und  für  Lexers  mittelhochdeutsches  handwörterbuch  scheinen 
sie  nicht  ausgenuzt  worden  zu  sein. 

Ich  gebe  widerum  eine  übersichtliche  Zusammenstellung  ihres 
Vorkommens  in  handschriften,  so  weit  mir  nachrichten  darüber  eben 
bekant  und  zur  band  sind.  Wer  müsse  hat  darnach  zu  suchen,  wird 
vielleicht  noch  zahlreiche  ergänzungen  und  vervolständigungen  nachtra- 
gen können. 

1.  Innsbruck,  Universitätsbibliothek  nr.  355,  pgm.  XIV.  jahrh. 
Die  schon  oben  unter  nr.  24  angeführte  handschrift  enthält,  nach  angäbe 
Mones  in  seinem  Anzeiger  (1839)  8,  99,    hinter  den  hexameteru  über 


TERMINI   lURISTARUM  319 

die  pisces,  volucres  usw.  auch  die  termiui  juristarum.  Mones  nacli- 
richt  beschränkt  sich  auf  die  erste  zeile:  Est  feodum  lehegid,  nee  non 
depactio  dinge. 

2.  Stuttgart,  öflfentl.  bibl.  Poet,  et  phil.  nr.  26.  pgm.  1426. 
fol.  Glossar  des  Jacob  Twinger  von  Königshofen  (verfasst  1399;  vgl. 
Wackernagel,  gesch.  d.  deutschen  litteratur.  2.  von  Martin  bearb.  aufl. 
Basel  1877.  1,  151.  Anm.  27),  enthält,  nach  Mones  angäbe  in  seinem 
Anzeiger  (1837)  6,  211,  die  lateinisch  -  deutschen  hexameter  der  Termini 
juristarum,  aber  defect,  Aveil  ein  blatt  ausgerissen  ist. 

3.  Stuttgart,  öflfentl.  bibl.  Poet,  et  philol.  nr.  29.  pap.  fol., 
geschrieben  von  Johannes  Werner  von  Urach,  Benedictiner  zu  Zwifal- 
ten,  1448.  Enthält,  nach  Mones  angäbe  in  seinem  anzeiger  (1837) 
6,  210,  hinter  dem  glossare  des  Jacob  Twinger  von  Königshofen  67 
hexameter,  beginnend: 

Est  feodum  lecken,  ins  rccJit,  depactio  dinggelt, 
est  pactus  gedingt,  census  dns,  redditus  guet, 
ungelt  ungelta ,  tibi  sit  precaria  lihding, 
arra  morgengah,  tibi  sit  sponsalia  brutschaff. 

4.  Breslau,  univ.-bibl.  IV.  fol.  86.  papier,  mitte  des  15.  jh. 
Enthält  nach  angäbe  W.  Wackernagels  in  seiner  Geschichte  des  deut- 
schen hexameters  s.  14  fgg.  ein  in  hexametern  abgefasstes  incorrect 
geschriebenes  lateinisch  -  deutsches  vocabular,  beginnend  mit  den  ter- 
mini  juristarum : 

Multi  scriptores  in  hoc  errare  solebant. 

Est  feudus  lengut  est  depactatio  gedinge 

ungelt  angaria  post  hec  precacio  hete 
schliessend  mit  vögelnamen  und  jagdausdrücken : 

venator  yegcr  zagena  (1.  sageua)  tvate  tibi  signat 

disciplina  (1.  decipula)  druehe  sed  muscipula  mawsfalle. 
Et  sie  est  finis  horum  metrorum  sive  versiculorum. 
Wackernagel  hat  die  ersten   9  hexameter   der   termini  juristarum  mit- 
geteilt. 

5.  Wolfenbüttel,  nr.  585  (Heimst.).  XV.  jahrh.  14  hexame- 
ter, mitgeteilt  von  0.  v.  Heinemann,  im  Anzeiger  für  künde  der  deut- 
schen Vorzeit.     Nürnberg  1835.   22,  183  fg. 

Multi  scriptores  errare  solent  aliquando. 
Est  feodus  lengut  ius  recht  depactio  gedinge 
bis:  Sed  quitum  dicitur  q^uit  intersignum  dicitur  warzechen. 

6.  Strassbnrg,  ehemals  Johauniterbibl. ,  dann  stadtbibl.  C.  107. 
pap.   4.     XV.  jahrh.     Ein  giossar  in  lat.  -  deutschen  hexametern,  begin- 


320  J.    ZACHER 

nend  mit  den  termiui  jrristarum ,  scWiessend  mit  vögelnameu  uud  jagd- 
aiisdrücken  (etwa  dasselbe  wie  in  nr.  4?),  mitgeteilt  von  Wh.  Wacker- 
nagel in  Haupts  ztschr.  f.  deutsch,  altert.  (1845)  5,  413  —  416. 
Anfg. :  Est  feudus  lehen  Depactio  sit  tibi  gedinge 
Vngelt  angaria  post  hec  precaria  tette 
Schluss:  Decipula  ratten  voll  sed  muscipula  musuaUe  tibi  signat 
Tribulus  sit  disfel.  la.  pfJegel.  luni  quoque  stosel. 

7.  Strassburg.  Mone  in  seinem  Anzeiger  6,  435  beschränkt 
sich  bezüglich  dieser  handschrift  auf  die  angäbe :  „  In  einer  hs.  zu 
Strassburg,  betitelt  „Carthans,"  stehen  die  juristischen  glossenverse: 

Est  feodum  lehen  jus  recht  et  pactio  geding 
est  pactus  gedinge  census  zins  redditus  gidte 
ungelt  ungaria  lipdinge  tibi  precaria 
arra  morgengohe  tibi  sunt  sponsalia  hnitschaft  usw. 
Das  versmass  ist  oft  verdorben." 

8.  Strassburg.  Mone  fügt  a.  a.  o.  hinzu:  „Diese  glossen  ste- 
hen auch  in  hs.  B.  103  am  ende."  Weiter  unten  gibt  er  an,  dass 
diese  hs.  dem  XV.  jh.  angehöre.  Aus  Scherzii  Glossarium  Germauicum 
medii  aevi  (Argent.  1781.  fol.)  s.  VI  ist  zu  ersehen,  dass  die  hs.  „Bibl. 
S.  Job.  Hieros.  B.  103  "  den  Vocabularius  lat.  germ.  des  Jacob  Twin- 
ger  enthielt. 

9.  Wiener-Neustadt,  Cisterzienserstift,  XII.  D.  21.  Pap.  Anfang 
des  XVI.  jahrh.,  geschrieben  im  chorherrenstift  zu  Bardesholm  (Bro- 
dersholm)  in  Holstein.  Den  meist  auf  nordische  kirchengeschichte 
bezüglichen  Inhalt  hat  Zeibig  eingehend  angegeben  im  Anzeiger  für 
künde  d.  deutsch,  vorz.  (Nürnberg  1853.  54)  1854  s.  5  fgg.  Gegen 
ende  enthält  diese  hs.  die  Termini  juristarum  in  31  hexametern. 

Anfg.:  Nota  ista  metra. 

Est  feodus  lenghut  est  depaccio  dignis 
ünghelt  angaria  post  hec  precaria  hede 
Schluss:  Decima  die  tigede  pactus  ^;ac/ii  pugil  ein  deghcde. 

In  der  Leipziger  handschrift  nun  lauten  die  Termiui  juristarum 
folgendermassen : 

fol.  224\  Multi  doctores  errare  solent  aliquando. 

Est  pheodus  lenghut,  sed  depactatio  dingnisse, 
Et  pactus  sit  pacht,  census  tpns,  redditus  inghelt 

3)  ingelt,  redditus  ist  zins  oder  rente,  ein  kommen  als  ertrag  ausgeliehe- 
nen kapitales.  —  Haltaus  s.  lOlG:  ,,Vctcres  rbythmi  memoriales:  Est  arra  hrud- 
schatt,  census  tyns ,  redditus  ingheld." 


DIE    TERMINI    IDRISTAKÜM  321 

Vnglirlt  anc^aria,  post  hec  precaria  hede^ 
Tnlegglicr  obstagiuni,  teoloiiium  toi,  exaccio  sit  schof, 
5  Kedagiiiin  uuigenfol ,  sed  pedagium  sit  tibi  voeitol, 
Est  dothalitium  lifgediitli,  sit  impignovatio  pandinglie, 
Jlernarf  expodicio,  sit  vandieatio  hufynghe, 
Branf  est  iiicendiiim,  spoliuni  rof,  deveriequc  furtum. 
Omagium  manscop,  sed  die  dominium  Jierscop, 
10  Vectigal  vocrloen,  sed  uaulum  sit  til)i  schiplon, 
Ortiganum  gardelon,  sed  brauium  sit  tibi  tciclon, 
Sit  scortum  mynnelon,  precium  schüüon  tibi  siguat. 

8)  ttnqelt ,  angaria  ist  zoll,  Verbrauchssteuer,  also  eine  abgäbe  von  einer 
ausgäbe,  keine  einkommens - ,  sondern  eine  ausgebenssteuer ,  und  darum  Uugelt 
genant .  d.  h.  eine  leistuug  der  keine  gegenleistung  unmittelbar  entspricht.  Vgl. 
Haltaus  s.  1933:  „est  enini  unf/clt  in  geuere  pecunia  iudebita,  indebite  exaeta, 
quod  galli  mal-döt  exprimuiit .  .  .  .  Veteres  rhythmi  memoriales:  umihelä  angaria, 
post  hec  precaria  hede  ....  In  Frid.  I.  dipl.  Hamb.  lu,  1189:  raercatores  libri  sint 
ab  omni  teloneo  et  unpeld  exactione."  usw.  Ferd.  Walter,  deutsche  rechtsgeschichte 
(Bonn  1853)  s.  331  §289:  .,Zur  bestreitung  der  städtischen  bedürfnisse  brachten 
die  Städte  eigenmächtig  eine  accise  von  den  lebensmitteln  auf,  welches  iDuielt  [im 
13.  jahrh.]  von  reichswegen  verboten,  almählich  jedoch  nachgesehen  vi^urde."  S.  388 
§347:  „Seit  dem  14.  Jahrhunderte  ahmte  man  auch  das  beispiel  der  städte  nach 
und  bewilligte  ein  nngelt,  licent  oder  ziese  (accise)  von  trank  und  nahrungsmitteln." 
Vgl.  Schmeller,  bair.  wörterb.  2  a.  1,  907. 

precaria  bede)  mhd.  bete.  Haltaus  s.  155:  ,,hete,  collectae  publicae  antiquis- 
simae  nomen  ,  ..  a  hiten,  rogare,  precari,  quod  prinium  ad  rogationem  dominorum 
voluntate  dabatur." 

4)  inleger,  obstagiuni)  vgl.  E.  Friedländer,  das  einlager.  Ein  beitrag  zur 
deutschen  rechtsgeschichte.     Aus  Urkunden  dargestelt.     Münster  1868 

teolonium)  1,  teloaiuni. 

7)  vandieatio)  1.  vendicatio.  hiitinrje  ist  tausch,  kauf,  verkauf.  Lübben  1, 
464  s.  v.  hiiHnge.  Lexer  1,  290  fg.  s.  v.  hinten,  hiutange.  Im  hochdeutschen  stirbt 
henten  in  der  bedeutung  tauschen  mit  Luther  aus.  Grimm  d.  wörterb.  1,  1754. 
Diefenb.  s.  610*^:  „vendicatio  hntunge,  hufinge ,  verkauffnng.'' 

9)  omagium)  d.  i.  homagium,  manschaft.  Über  manseop  steht  von  ande- 
rer band  lantrech  Imldinghe. 

11)  ortiganum)  d  i.  hortiganum.  Die  lateinische  wie  die  deutsche  wortform 
sind  nicht  algemein  üblich. 

tüielon)  gemeint  ist  wee-hhi.  Biehlaus  abdruck  aus  Torrentinus  bietet  v.  26: 
„ortiganum  gartenlon,  sed  bravium  sit  tibi  fiiorlon."  Der  sehr  fehlerhafte  abdruck 
von  nr.  9  (Wiener -Neustadt)  v.  11:  ,,  ortiga  gartlon,  sed  bravium  sit  tibi  nnflon 
(verschrieben  oder  verlesen  für  värlon).''  Diefenb.  s.  81  "^  „brauium,  leuffers  Ion, 
hottodon." 

12)  precium)  über  dem  unverständlichen  Rchiltlon  ist  als  besserung  geschrie- 
ben sichtlon.  Auch  in  nr.  9  (Wiener- Neustadt)  lautet  der  entsprechende  v.  12:  Sit 
scortum  mynlon.  sed  precium  sit  tibi  sUclitlon.  Gemeint  ist  damit  doch  wol:  lohn 
schlechthin,  lohn  im  algemeinen,  lohn  überhaui»t,  im  gegensatz  zu  den  davor  auf- 
geführten besonderen  arten. 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PIIir.OLOGIE.      liP.    XI.  21 


322  J.    ZACHER 

StoMen  cippare,  beschatten  expecuniare, 

Monere  manen,  die  expagare  hetalen, 
15  Die  vanghen  captare ,  die  uplioläen  detinere, 

Änverdighen  invadere,  die  iiitrieare  hewerren, 

BescJieiden  assignat,  hedreghen  autem  defraiidat. 

Vmmevaen  amplector,  sed  siiffVoeare  vortvorden, 
f'ol  224''.   Vtpanden  extorquet,  upgJieuen  autem  resignat. 
20  Twierstrid  duellum,  soU  Stipendium  tibi  siguat. 

Die  duco  leijden,  ducatus  sit  tibi  gheleide, 

Mercipotus  ivincop,  sit  homicidium  manslacM, 
WesUnghe  sit  cambium,  sed  mercimouia  hopenschop. 

Impetit  die  ansprekcn,  vepetit  vorderen  tibi  signat, 
25  Consequi  die  volghen,  hesitten  die  possidere, 

ThoJierden  instigare ,  ghebeden  imperat  til)i  signat. 

13)  expecuniare)  dafür  in  nr.  6  (Strassb.  C.  107)  pecuniare,  in  nr.  9  (Wien. 
Neust.)  depecuniare. 

14)  expag-are,  abgeleitet  vom  altlat.  pacare,  befriedigen:  ital.  pagare,  franz. 
payer,  befriedigen,  bezahlen.  Diez,  etymol.  wörterb.  d.  roman.  spr.  3a.  (1869). 
1,  300.  s.  V.  pagare. 

16)  Belege  zu  anvertiffen  in  der  bedeutung  anfallen ,  angreifen  bieten  Halt- 
aus s.  26.  Müller- Zarncke  3,  259.  Lexer  1,  84.  Dazu:  Novo  constitutioncs  domin i 
Alberti  d.  i.  der  landfriede  vom  j.  1235  hei-ausg.  von  H.  Boehlau  (Weimar  1858) 
s.  3  §  1  „Swelch  son  seines  vater  leip  frevelichin  anvertiget  mit  wiuidin,  mit  sla- 
hin,  mit  gevengvis"  und  im  jüngeren  texte  von  1298:  ,,  Swelch  sun  uf  sines  vator 
lip  ratet,  oder  in  urliuclichen  angriffet  mit  untriuwen  oder  mit  vancnüsse  "  ... 

17)  Über  defraudat  ist  übergeschrieben  das  gleichbedeutende  aber  seltnere 
mittellat.  paralogitat. 

18)  1.  suffocare,  erivorgen.  In  nr.  9  (Wien.  Neust.)  lautet  v.  18:  VmmeiKm 
amplector,  sed  sutfocare  que  worglien. 

19)  Im  abdrucke  von  nr.  9  lautet  der  entsprechende  v.  19:  Vthpandcn  extor- 
queo.  uthgeven  atque  (1.  tipgeven  autem)  resignat.  Vthpanden,  in  der  bedeutung 
,,debitorem  piguoribus  coercere,"  ist  auffällig  als  ein  junger  ausdruck;  früher  genügte 
das  einfache  unzusammengeseztc  pf enden,  pfänden  Bei  Diefenb.  220''  erscheint 
extorquere  glossiert  durch  utpinigen,  utmanen.  iiztwingeu,  uzdnocken,  uzpressen, 
wtparsen. 

20)  Umerstrid)  Lübben  4,  644"  „tivefttrit,  tivisirit ,  kämpf  zwischen  zweien, 
duellum." 

22)  mercipotus  loincop)  In  nr.  6  (vStrassb.  C.  107)  lautet  der  entsprechende 
vers  4  (Haupts  ztschr.  5,  413):  Almasium  seu  mercipotus  winkouff  tibi  signat. 
Über  weinhnif,  oberdeutsch  lltkouf.  jezt  leikoiif,  trunk  zur  befestiguiig  eines  abge- 
schlossenen kaufes  oder  vorgleiches  s.  Grimm,  Reehtsaltertümcr  s.  191.  Schmeller 
1,  1536  s.  V.  leit.  Phillips,  über  den  ursprünglichen  sinn  von  Utchnuf  in  den  Mün- 
chener gelehrten  anzeigen.  1844  nr.  75.  76. 

24)  Impetit  und  repetit  sind  corrigiert  aus  imiicdit  und  repedit. 

26)  Lübben  4.  5()5:  ,Jo-herdrn ,  to-harden.  swv. ,  anreizen,  antreiben,  hor- 
tari ,  adhortari." 


DIE   TERMINI   lURISTARL'M  323 

Braden  assare,  die  viUen  excoriare, 

VIonien  exsquamat,  vhveiäen  euiscero  signat, 

CaJcen  excoquere,  garmahen  die  elixare, 
30  Palmitat  die  hulden,  die  hektimmeren  arrestai'e, 

Corripere  straffen,  die  iudulgere  vorgheuen, 

PlucJcen  deplumat,  vorsenghen  exiistulat, 

Passagium  hedeuart,  sallarium  soU  tibi  signat, 

Arra  die  truescltat ,  snaue  die  cespitat, 
35  Deciiiia  sit  tegede,  paetus  pacJit ,  piigil  en  deghe, 

Die  lucar  heydeghelt ,  heriditarium  erfglmt. 

28)  Lübben4,  565:  „rlomen,  swv. .  die  v/owe«  (schuppen)  entfernen,  abschup- 
pen, exsquamare." 

30)  pahnitare,  palmis  promittere,  mhd.  liant  sirccken,  haut  valäen,  mit  an 
einander  gelegten  flachen  bänden  in  die  ebenso  gelegten  bände  des  lehosherren 
lehnstreue  geloben.  Vgl.  Haltaus  s.  9(i4  fgg.  s.v.  hiüd ,  Imlden.  Grimm,  rechts- 
altert, s.  189. 

arrestare.)  Adeluug  1,  390:  .,an-estaro,  detinere,  nianus  in  aliquem  vel  in 
ejus  bona  injicere,  Gall.  arrester."  --  Haltaus  sp.  128:  „hekummem ,  detinere, 
inliibere  per  interdictum."  Lübben  1,  217''  ,,bektcmmeren,  belcumberen ,  pfänden, 
mit  arrest,  beschlag  belegen,  anhalten."  Lexer  1,  170.  ,,he1cuml)ern,  eine  sache 
mit  arrest  belegen,  pfenfen  und  hehimbern."  Im  neuhochdeutschen  ist  die  anwen- 
dung  des  wertes  auf  saclien  erloschen,  und  nur  die  auf  personen  lebendig  geblie- 
ben. Grimm  d.  wörterb.  1,  1433.  5).  —  Über  bekümmeren  steht  noch  eine  zweite 
glossierung:  anveyden,  d.  i.  anfeliden,  angreifen.     Lübben  1,  115''. 

34)  arra)  Haltaus  sp.  1806:  ,,treuscli(ttz ,  tnmsehatz ,  arrha,  sponsalitia  in 
specie."  Lübben  4,  622:  „tniioelschat ,  gäbe  als  Unterpfand  der  treue.  Ihnjerley 
(laue  loert  gegeuen  dorch  des  echtes  loyllen.  Dat  erste  heth  arra,  dat  licth  trnwel- 
scliat,  dat  f/eft  me  vor  deme  echte.  Glosse  zu  Sachsensp.  1,  20."  —  Über  tnieschat 
steht  noch  die  zweite  glossierung  brtitschat. 

snave)  Lübben  4,  269  **  ,,sna,ven,  sneren,  snoveyi ,  snavelen ,  snovelen,  mhd. 
snaben,  swv. ,  straucheln ,  stolpern ,  stürzen ,  fallen."  —  Über  cespitat  steht  noch 
reduplicat,  was  dasselbe  bedeutet.  In  nr.  6  (Strasb.  C.  107)  lautet  die  entsprechende 
glossierung  in  v.  18  (Haupts  zt^chr.  5,  414):  Reduplicat  snahit. 

35)  Begegnet  degen,  wie  hier,  als  seltene,  vielleicht  nur  vereinzelte  glos.sie- 
rung  von  pugil .  dann  ist  es  das  alteinheimische ,  echt  deutsclie ,  aber  in  dieser  zeit 
bereits  absterbende  wort,  ahd.  degan ,  mhd.  degen,  masculus.  miles.  Denn  pugil, 
eigentlich  faustkämpfer,  dem  mittelalterlichen  latein  gleichliedeutend  mit  campio, 
wird  deutsch  gewöhnlich  durch  kempfe ,  kempe  glossiert.  —  Erscheint  dagegen 
degen  als  häufigere  glossierung  von  pugio,  wovon  Diefenbach  s.  471''  belege  gibt, 
dann  ist  es  bereits  das  im  15.  Jahrhunderte  in  die  deutsche  spräche  eindringende 
fremdwort,  mittellat.  daga,  dagarius,  bezeiclinung  einer  kurzen,  besonders  einer 
kurzen  schneidenden  waffe,  wofür  das  ältere  deutsch  mezzisacJis  oder  stechniezzer 
brauchte.     Vgl.  Grimm  d.  wörterb.  2,  875  fg.  s.  v.  degen. 

36)  lucar).  Adelung  4,  454:  ., lucar,  vectigal  vel  aes,  quod  ex  lucis  contrahi- 
tur."     Diefenb.  337''  ,, lucar,  tvaJt-zyns." 

21* 


324  GOTTSCHICK 

Vpholt  arandat,  heweren  dico  waraiidat. 
Vorkopp  sosorrat,  hesito  seniper  diibium  dat. 

HALLE,  OSTERN  1879.  J.  ZACHER. 

37.  38)  Diese  beiden  verse  sind  den  vorangehenden  mit  kleinerer  schrift  hin- 
zugefügt worden. 

37)  arandare,  eine  weder  bei  Adelung  noch  bei  Diefenbach  verzeichnete  form, 
könte  etwa  als  nebenform  gelten  für  das  übliche  arendare,  arrentare  =  locare  vel 
conducere,  franz  arrenter,  ein  gut  in  pacht  geben  oder  nehmen.  Aber  das  passt 
nicht  zu  der  deutscheu  glossierung  uplioU.  In  nr.  6  (Strassb.  hs.  C.  107)  lautet  die 
entsprechende  zeile  v.  11  (Haupts  ztschr.  5,  414):  warandare  weren,  sed  detinet  sit 
tibi  uff  haltet  und  schon  oben  v.  16  war  glossiert:  die  upholden  detinere.  Demnach 
darf  man  vermuten,  dass  hier  ein  fehler  vorliege  und  dass  zu  bessern  sei:  vphelt 
arrestat. 

38)  Es  lässt  sich  nicht  sicher  erkennen  ob  sosorrat  oder  foforrat  oder  fefer- 
rat  geschrieben  sei.  Der  entsprechende  vers  12  in  nr.  6  (Strassb.  C.  10)  lautet 
(Haupts  ztschr.  5,  414):  vorJcitset  suffertat.  Hesito  musito  dubium  dat.  Aber  suf- 
ferto  ist  keine  übliche  wortform ,  und  vorkuset  eignet  sich  nicht  für  den  ersten  fuss 
des  hexameters ,  weil  sein  accent  auf  seiner  zweiten  silbe  liegt. 


QUELLEN   ZU   EINIGEN  FABELN  BONERS. 

Von  den  hundert  fabeln  oder  beispielen  des  Beruer  prediger- 
mönchs  Ulrich  Boner  lassen  sich  diejenigen  25,  welche  nicht  aus 
den  bekanten  lateinischen  fabelsamlungen  des  mittelalters  genommen 
sind,  nicht  in  einem  einzelnen  werke  nachweisen.  Einige  findet  man 
bei  diesem,  andere  bei  jenem  schriftsteiler  aus  der  zeit  vor  Boner, 
noch  andere  in  einem  buche,  das,  obwol  nicht  früher  als  Boners  Edel- 
stein abgefasst,  doch  sicherlich  nicht  aus  diesem,  sondern  aus  älteren 
werken  geschöpft  hat.  Dabei  lassen  sich  über  die  art  der  Vermittlung 
zwischen  Boners  fabeln  und  den  ihnen  entsprechenden  älteren  stücken 
nur  Vermutungen  aufstellen ,  es  bleibt  uiigewiss ,  ob  Boner  wirklich 
den  vorliegenden  Schriftsteller  oder  einen  andern ,  der  das  nämliche 
erzählte ,  benuzt  hat.  Man  wird  sich  also  in  der  regel  damit  zu  begnü- 
gen haben ,  zu  sagen :  hier  ist  in  einem  älteren  werke  derselbe  stoff 
lateinisch  behandelt,  den  auch  Boner  in  einer  seiner  fabeln  widergibt. 
Je  mehr  die  ganze  darstellung  und  die  einzelnen  Wendungen  und  aus- 
drücke in  beiden  stücken  einander  gleiclien ,  mit  desto  grösserem  reclite 
wird  man  das  betreffende  buch  als  Boners  quelle  bezeichnen  können. 

Was  das  einzelne  anlangt,  so  weisen  die  vier  fabeln  Bon  er  58, 
92,  97,  100  (ausgäbe  von  Pfeiffer,  Leipzig  1844)  auf  die  entsprechen- 
den stücke  in  den  Gesta  Komanorum  hin  (vgl.  meine  abhandlung 
im  Programm  des  Charlottenburger  gymnasiums  1875).     Für  Boner  58 


QUELLEN    ZU   BONER  325 

V.  61  —  78,  die  antwort  der  dritten  witwe,  ist  eine  parallele  im 
Mitteldeutschen  Scliaclibuch,  das  ISÖTj  verfasst  ist  (herausgegeben 
von  E.  Sievers,  Haupts  ztschr.  17,  199),  und  da  dieses  eine  genaue 
Übersetzung-  seines  Originals  ist,  so  könte  für  jenen  abschnitt  des  Boner- 
schen  beispiels  Jacobus  a  Cessolis,  de  moribus  homiuum  usw.  (1290) 
als  quelle  genant  werden.  Als  entsteliungszeit  der  Gesta  Komanorum 
bezeichnet  der  lezte  herausgeber,  H.  Oesterley,  spätestens  den  anfang 
des  1-4.  Jahrhunderts.  Mag  man  nun  auch  die  Gesta  ßomauorum  für 
noch  jünger  halten,  da  der  älteste  codex  vom  jähr  1342  ist  (Oesterley 
s.  257  und  750),  und  sie  demgemäss  nicht  für  Boners  unmittelbare 
quelle  halten,  so  haben  sie  doch  wenigstens  aus  den  Boner  vorliegen- 
den büchern  geschöpft;  denn  die  Übereinstimmung  zwischen  Boner  und 
den  Gesta  Romanorum  liegt  für  die  genanten  stücke  deutlich  vor,  gegen 
das  umgekehrte  Verhältnis  aber  spricht  die  entstehungsgeschichte  der 
Gesta  Romanorum. 

Auch  für  Bon  er  76  würde  dasselbe  gesagt  werden  können,  wenn 
nicht  auch  Petrus  Alfonsi  (anfang  des  12.  Jahrhunderts)  in  seiner 
Disciplina  clericalis  dieselbe  erzählung  brächte  und  somit  als  der  der 
zeit  nach  ältere  den  Vorzug  verdiente.  Denselben  Petrus  Alfonsi  nent 
als  seinen  gewährsmann  das  Speculum  morale  des  Vincentius 
Bellovacensis  3,  2,  20  De  peccati  diversis  eftectibus,  dort  heisst 
es :  Similis  est  peccator  illi  maculoso ,  de  quo  dicit  Petrus  Alfonsi ,  quod, 
cum  dedisset  rex  cuidam  portitori  civitatis  suae  unum  denarium  pro 
qualibet  macula  ingredientis  maculosi ,  videns  ingredientem  quendam 
claudum  petivit  unum  denarium  pro  claudicatione ,  et  cum  ille  negaret, 
audivit  eum  balbum,  et  cum  peteret  duos  et  ille  reddere  nollet,  remo- 
vens  ei  caputium  invenit  eum  ulcerosum ,  tunc  petivit  tres  denarios, 
quos  cum  differret  solvere,  invenit  eum  monoculum,  post  gibbosum,  et 
cum  plus  rebellis  erat  et  solutionem  difierens,  plures  maculae  invenie- 
bantur  in  eo,  et  plus  oportebat  eum  solvere.     Sic  peccator  etc. 

Ferner  schliessen  sich  an  die  Disciplina  clericalis  Bon  er  71 
und  74.     Über  Bon  er  87  soll  noch  weiter  unten  gehandelt  werden. 

Für  andere  stücke  Boners  sind  die  beiden  angeführten  werke 
nicht  die  quelle. 

Eine  reilie  weiterer  fabeln  Boners  findet  sich  in  der  Scala  caeli 
des  predigermönchs  Johannes  Junior  aus  der  ersten  hälfte  des 
14.  Jahrhunderts.  Er  hat  vorzugsweise  aus  dem  Speculum  exem- 
plorum  des  Jacobus  de  Vitriaco  (f  1250j  und  dem  Liber  ma- 
gnus  de  Septem  donis  Spiritus  sancti  des  Stephanus  de  Bor- 
bon e  (t  1262)  seine  stoffe  entlehnt,  nent  aber  seine  quelle  nicht  über- 


32G  GOTTSCHICK 

all.  Darüber  s.  Goedeke  in  Orient  und  Occident  b.  1,  s.  531  fg.,  auch 
b.  3,  s.  397  (1866).  Die  Boner  52,  72,  82  entsprechenden  stücke 
sind  in  meiner  oben  angeführten  abhandlung  bereits  abgedruckt;  auf 
die  folgenden  4  hat  mich  herr  professor  Goedeke  gütigst  aufmerksam 
gemacht,  es  sind  Bouer  48,  94,  95,  98. 

Boner  48  {von  dem  ritten  und  von  der  vlo)  hatte  Jacob 
Grimm  (Monatsberichte  der  Berliner  Akademie  1851,  s.  99  — 103)  in 
Petrarchs  fabel  von  der  spinne  und  dem  podagra  zu  finden  geglaubt, 
später  (Germania  II,  s.  378,  1857)  hielt  er  die  indische  fabel  vom  floh 
und  von  der  laus  beim  feisten  prälaten  für  ein  zwischen  Petrarch  und 
Bouer  stehendes  bindeglied.  Endlich  hat  Müll enh off  (Haupts  ztschr. 
XIII,  s.  320,  1867)  ein  gedieht  des  Paulus  Diaconus  veröffentlicht, 
Fabula  Podagrae  et  pulicis,  welches  in  der  hauptsache  der  Boner- 
schen  fabel  entspricht.  Nun  bringt  aber  die  Scala  caeli  eine  erzählung 
von  pulex  und  febris,  die  sich  weit  genauer  an  Boner  anschliesst,  und 
nent  dabei  Jacob  von  Vitry  als  gewährsmann.  Unter  dem  abschnitt 
Deliciae  heisst  es:  Refert  Jacobus  de  Vitriaco,  quod  pulex  et  febris 
semel  in  uno  loco  convenerunt  simul  (v.  1  Ein  ritte  hegegent  einer  vlo 
eis  mäls)  et  cum  solaciarent,  pulex  dixit:  ego  hospitata  sum  in  lecto 
cuiusdam  abbatissae,  in  quo  erant  duo  lintheamiua  albissima  et  cul- 
cit(r)a  mollis  (v.  18  üf  ein  hohez,  hette  icli  sprang ,  da^  was  gebettet 
zarteMtch  der  eptiscMn;  y.  27  ü§,  der  gulter ;  v.  32  dm  UnlacJien)] 
cumque  coepissem  carnes  illius  pingues  comedere,  clamavit,  caudela 
accenditur,  ego  fui  insecuta  (v.  34  mnd  bald  daz,  h'echt!  v.  35  ,,ich 
vlocli  vil  halde "  sprach  diu  vlo) ,  et  ita  de  tota  nocte  quiescere  non 
potui  (v.  43  do  vloch  ich  halde.  ez,  tet  mir  not:  wcer  ich  begriffen.,  ich 
wcer  tot.  daz,  trihen  si  die  langen  nacht:  mir  wart  da  nicht,  ivaz,  ich 
gevacht.  des  bin  ich  hungrig  unde  la^).  Tunc  febris:  ego  pessimum 
hospitium  inveni;  nani  cuidam  mulieri  pauperi  me  coniunxi  (v.  53  in 
ein  hüs  ich  gester  kan,  ein  wip  icli  murteron  bcgan) ,  quae  de  media 
nocte  surgens  fecit  lexivium  [d.  i.  lauge]  et  pannos  ad  lavandum  assunip- 
sit,  in  aurora  ad  aquam  frigidissimam  accessit,  percussit  pannos ,  cibum 
non  sumpsit  (etwas  anders  v.  56  do  saz,  si  nider  bald,  und  söi  ein 
starken  bri,  und  az,.  da  stuont  ein  züher  bt  mit  waz,z,er,  des  tranh  si 
genuog.  ein  büttin  si  har  vür  do  truog  vol  tuochen,  diu  si  solte  buchen, 
V.  68  des  morgens,  do  der  tag  üf  brach,  den  züber  üf  ir  hoidjt  si  nan, 
und  zogte  zuo  dem  bach  hin  dan,  und  spuolt  ir  tuoch),  et  sie  ego  fati- 
gata  de  tanto  labore  recessi  (v.  62  und  enwolte  mir  kein  riiowe  läzen, 
V.  67  si  stattet  mir  gröz  ungemach,  v.  71  daz  tet  mir  we,  ich  mochte 
da  nicht  bliben  me).     Tunc  pulex  dedit  consilium:  vade  tu  ad  abbatis- 


QUELLEN    ZV    BONER  327 

sam ,  et  ego  ibo  ad  pauperem  mulieiem  (Bouer  v.  74  macht  das  fieber 
zuerst  deu  verschlag  zu  tauscheu).  Qiiod  cum  focisseut  et  in  crastinum 
convenisseut,  quaelibet  mirabili  modo  commeudavit  doniiuam  suam 
(v.  135  des  morgens  vruo  Jcämen  si  gesotten  duo  beide,  der  ritte  imd 
ouch  diu  vlö ,  ir  herhrig  ivären  si  vil  vro). 

Mit  Bouer  94  {iwn  einem  der  Jconde  diu  swarzen  huoch) 
stimt  übereiu  die  erzählung  uuter  dem  abschuitt  De  amicitia:  Unde 
dicitur  de  donis  spiritus  sancti  (also  aus  Stephanus  de  Borboue),  quod 
quidam  habuit  discipulum  valde  dilectum ,  quem  cum  multis  documeu- 
tis  et  serviciis  obligasset,  dixit  magistro  discipulus,  si  essem  dives, 
vobis  bona  iufiuita  facerem  (v.  17  ich  tcet  iu  ganzer  triuive  scliin ,  ir 
söltint  her  und  meister  sin  edles  des  mich  beriete  got).  Quem  magi- 
ster  probans  (v.  8  und  ivolt  erkennen  sinen  muot  und  sin  vriuntschaß, 
üb  si  ganz  tvcer  gen  im  und  eine  schranz)  per  quandam  iucantationem 
ostendit  sibi,  quod  esset  Imperator  (v.  21  der  meister  brächt  mit  listen 
ztio,  V.  25  und  tcßtin  alle  dem  gelich ,  wie  er  wcer  ein  künig  ?~ich). 
Quem  magister  rogabat,  ut  sibi  promissum  impleret,  quia  multa  beue- 
ficia  vacabant  (v.  32  herre,  gedcnkent  daran,  daz,  ir  mir  lobtent ,  v.  37 
als  guot  sol  iuwer  gäbe  ivesen,  daz,  ich  von  armuot  müg  genesen);  quem 
discipulus  se  scire  negabat  (v.  44  tver  ir  sint,  des  wei^  ich  nicht)] 
cui  magister:  haec  omnia  vobis  dedi  (v.  47  ich  bin  der,  der  iu  dizhät 
geben)  et  omnia  etiam  auferam  (v.  49  daz,  ich  iu  genzlich  rouben  ivil 
des  guotes,  v.  51  iur  künigrich  tvil  ich  iu  nemen);  et  iucantatione  suf- 
flata  remansit  nudus  (v.  54  ditt  gespenst  zergieng  und  wert  nicht  me. 
dö  vant  sich  der  vertriben  man  . . .  an  künglich  ere  utid  an  getvalt. 

Boner  95  (von  zwein  die  mit  gäben  tvolten  gcsigen)  steht 
unter  dem  abschnitt  De  balivo  (erklärt  durch  rector,  hier  soviel  als 
richter):  Legitur  (ohne  quelleuangabe),  quod  quidam  balivus  fecit  nup- 
tias filio  suo.  Qui  autem  habebant  apud  eum  uegocia,  miserunt  ei 
donaria,  et  unus  misit  sibi  bovem  pulcrum  (v.  17  vil  heimlich  dö  der 
eine  man  gegangen  zuo  dem  herren  kan,  und  brächt  ein  ochsen  der 
was  groz,),  cuius  uxori  misit  adversarius  vaccam  pinguem  (v.  30  der 
avider  man  . .  .  brächt  heindlch  ein  sehcene  kuo  des  herren  frouiven). 
Cum  igitur  causa  amborum  ageretur  in  iudicio  (v.  47  si  leiten  beide 
vür  ir  klage),  et  ille,  qui  miserat  bovem,  videns,  quod  pro  eo  nullum 
faceret  verbum,  ait:  o  domiue  deus,  bos  mens  quando  loquetur?  (v.  50 
red  ochse!  ...  tviltu  nicht  reden?  ez,  ist  zit) ,  respondit  adversarius: 
bos  tuus  non  potest  loqui ,  quia  vacca  mea  eins  gulam  stringit  (v.  55 
der  herre  sprach:  „ez,  mag  nicht  sin,  daz,  reden  müg  der  ochse  dhi. 
diu  kuo  den  mimt  besloz,z,en  hat  dem  ochsen ;  als  ein  stumme  er  stät  "). 


328  GOTTSCHICK 

(Erst  hier  sind  die  aiiführungszeiclieii  zu  setzen ,  nicht  schon  hinter  diu 
V.  56,  wie  es  von  Pfeiffer  geschehn  ist,  da  v.  57  und  58  noch  der 
richter  spricht). 

Boner  98  (vop^  einem  bischofe  und  einem  erzpriester) 
steht  unter  dem  abschnitt  De  amore:  Dicitur  in  eodem  (Umberto), 
quod  quidani  sanctns  honio  semel  comedebat  cum  quodam  praelato. 
Cum  auteni  comedebat  pira  dulcissima  sibi  missa  (v.  1-4  da^  dem  hischof 
gesendet  ivart  ein  korp  mit  guoten  biren  vol) ,  praecepit  praelatus ,  quae 
remanserant,  diligentius  sibi  custodiri  (v.  20  der  mir  der  biren  Mieten 
sol?  würde  der  bim  deJ/einiu  verlorn,  das,  wcer  mir  nicht  ein  kleiner 
0orn).  Quia  vero  ibi  praesens  erat  quidam  nepotum  eins,  (hier  felilen 
einige  worte  des  inhalts:  suasit  sanctus  homo,  so  schlug  sein  gast 
vor),  ut  nepoti  suo,  cui  bene  decem  milia  animarum  curani  credi- 
derat,  pira  ad  custodiam  traderentur  (v.  24  ich  hüet  ir  wol  nach 
iuiver  gir).  Cui  praelatus  turbatus  respondit,  quod  non  unum  pirum 
sibi  committeret  (v.  29  icJi^  getriuiv  dir  nicht  der  biren  wol).  Cui 
sanctus  respondit:  Vos  praeposuistis  eum  custodem  decem  milium 
animarum ,  in  quo  non  confiditis  de  custodia  uuius  piri :  ideo  nunc  pro- 
batur  vestra  magna  infidelitas  (v.  37  nu  müe^  erbarmen  got,  daz,  ir 
begangen  liänt  den  spot,  daz,  ir  so  mange  sele  liänt  bevoln  dem  .  .  . 
V.  44  dem  ir  die  biren  hänt  verseif  ze  hüeten,  der  sol  phleger  wesen 
der  seien!  v.  67  der  beval  dem  jungling  seien  äne  zal ,  und  wolt  im 
doch  bevelhen  nicht  die  biren),  ut,  quod  vobis  a  deo  est  traditum  filiis 
dei  dare,  e  converso  sibi  subtrahitis  filiis  diaboli  etc. 

Dieselbe  geschichte  hat  auch  das  unter  dem  nameu  des  Vincen- 
tius  Bellovacensis  gehende,  aber  erst  nach  seinem  1264  erfolgten 
tode  abgefasste  Speculura  Morale,  und  zwar  in  einer  form,  der  das 
Bonersche  beispiel  noch  näher  zu  stehn  scheint,  3,  2,  20:  Similis  est 
illi  episcopo,  qui  maiorem  sollicitudinem  habet  de  custodiendo  calato 
pleno  pirorum  (v.  15  ein  horp  mit  guoten  biren  vol)  quam  de  multitu- 
dine  animarum.  Cum  enim  tradidisset  nepotulo  suo  archidiaconatum 
(v.  9  erzpriester)  et  quidam  apportasset  ei  calatum  plenum  piris,  et 
quaereret,  cui  commendaret,  (v.  19  und  20  ist  eine  frage),  dixit  nepo- 
tulus  archidiaconus  (st.  ni):  mihi  commendate  (v.  23  herre,  mir!).  Ait 
episcopus:  non  contido  de  te,  male  mihi  custodires.  Kespondit  quidam 
magister  (v.  35  dis  rede  erhört  ein  wiser  man):  miser,  ei  commisisti 
infinitum  numerum  animarum  (v.  67  beval  .  .  seien  äne  zal),  cui  non 
audes  committere  calatum  pirorum. 

Noch  an  einer  andern  stelle  desselben  werkes  3,  7,  17,  wie  mir 
herr  professor  Goedeke  mitgeteilt  hat,  erzählt  der  Verfasser  des  Spe- 


QUELLEN    ZU    BONEE  329 

culuin  Morale  das  nämliche,  De  spcciebiis  Symoniac :  (^uidam  episcopiis, 
qui  iie})olulo  suo  dederat  magnum  archidiacuiiatuin ,  cum  deportatus 
esset  dicto  episcopo  calatus  pirorum,  et  de  eis  d<di>set  circumstantibus, 
quaesivit,  qui  boiium  servaret  ei  residuum ;  obtulit  sc  ad  hoc  dictus 
archidiaconus ;  respoudit  episcopus:  tu  faceres  mihi  malam  custodiam, 
sicut  cattus  facit  de  caseo,  ea  eiiim  comederes  (v.  31  Iclt,  vürcht,  gosh 
ichs  in  diu  (jcivalt,  si  ivürden  ge^^eu  ungezalt)]  et  dixit  quidam  magi- 
ster,  qui  comedebat  cum  eo:  o  miser,  quomodo  ausus  fuisti  ei  com- 
mittere  tantam  multitudinem  aiiimarum,  cui  uon  es  ausus  committere 
paucitatcm  pirorum.  Es  scheint  hiernach  Boner  seine  fabel  aus  dem 
Umbertus,  der  gemeinsamen  quelle  der  Scala  caeli  mid  des  Vin- 
centius  Bellovacensis  genommen  zu  haben.  Jedenfals  ist  nun  die 
Vermutung  Lessings,  Boner  48  sei  dem  Renner  Hugos  von  Trim- 
berg  V,  10  entlehnt,  widerlegt. 

Endlich  macht  mich  herr  professor  Goedeke  noch  für  Boner  2 
{von  einem  äffen  und  von  einer  nuz,)  auf  Odo  de  Ceringtone 
13  aufmerksam.  Die  Narrationes  des  Cisterciensermönchs  Odo  de  Ce- 
ringtouia  (Shirton),  ein  parabelbuch,  sind  nach  E.  Voigt,  kleinere 
lateinische  denkmäler  der  tiersage,  Strassburg  1878,  s.  50 ,  um  1200 
abgeschlossen,  sie  sind  herausgegeben  von  H.  Oesterley  im  Jahrbuch 
für  romanische  litteratur,  B.  9,  1868,  nach  einer  Londoner  handschrift. 
Dort  heisst  es  in  nr.  XIII:  De  simia  et  nucleo.  Simia  libenter  come- 
dit  nucleum ,  quia  dulcis  est ;  sed  quaudo  gustat  de  cortice  et  sentit 
eins  amaritudinem  (v.  7  do  er  die  hittcrkeit  hevant  der  hretschen,  und 
dar  nach  behaut  hegreif  der  schalen  hertekeit),  nucleum  iratius  relin- 
quit  et  nucem  proicit  (v.  13  hin  warf  er  üf  der  seihen  vart  die  nus,). 
Die  nutzanwendung  entspricht  ebenfals  der  Boners:  Sic  est  de  stolidis 
hominibus ,  quia  sub  amaritudine  poenae  praesentis  latet  gaudium  vitae 
caelestis.  Sed  stultus  propter  hanc  amaritudinem ,  quia  non  vult  ieiu- 
nare,  vigilare  nee  aliquam  amaritudinem  sustinere,  dimittit  et  amittit 
dulcedinem  vitae  aeternae. 

Diese  fabel  finde  ich  auch  in  dem  erwähnten  Speculum  Morale 
des  Vincentius  Bellovacensis  3,  4,  5;  De  temerario  iudicio.  Simi- 
les  sunt  tales  simiae,  quae  inveniens  malum  granatum,  sentiens  corti- 
cem  amarum  extra,  iudicavit  similem  intra,  nee  gustavit  de  interiori 
dulcedine. 

Durch  das  Vorhandensein  dieser  beiden  stücke  wird  meine  annähme 
(in  der  erwähnten  programmabhandlung  s.  1)  bestätigt,  dass  Boner  2 
nicht  aus  dem  verse  ,,et  nucleum  celat  arida  testa  bonum "  in  der 
voirede  zu  den  fabeln  des  Anonymus  Neveleti  entnommen   sein  könne, 


330  GOTTSCHICK 

da  der  gedanke  zu  algemein  ausgesprochen  sei.  Lessiiig  hatte  dagegen 
die  eiitstehung  dieser  Bonerschen  fabel  auf  jenen  einzigen  vers  zurück- 
geführt. 

Ferner  finde  ich  unter  den  Narratioues  des  Odo  ein  der  49. 
Bonerschen  fabel  (von  einem  JiahJce  und  einer  hrcejen)  ähnliches  stück 
in  nr.  39 :  De  cucula  et  burueta  (kuckuck  und  grasniücke).  Cucula 
quandoque  ponit  ovum  suum  in  nido  burnetae.  Burneta  vero  pullum 
cuculae  uutiit.  Cum  vero  maguus  fuerit,  venit  burneta,  ut  cibum  ei 
ofterat.  At  ille  os  suum  aperit  et  burnetam  transglutit  et  devorat. 
Sic  plerique  cum  nutriti  fuerunt  et  promoti  per  aliquos,  contra  illos 
insurgunt  et  diversimode  infestant  etc.  Während  hier  der  kuckuck 
ohne  zutun  der  grasmücke  sein  ei  in  das  nest  derselben  legt,  und  diese 
für  die  mühe  des  ausbrütens  nachher  bösen  lohn  erntet,  stiehlt  bei 
Boner  die  krähe  die  eier  des  habichts,  um  ebensolche  starken  jungen 
zu  bekommen,  wie  dieser  hat;  auch  sie  komt  zulezt  auf  dieselbe  weise 
um  wie  die  grasmücke.  Zwii^chen  beiden  stücken  ist  also  zwar  ähn- 
lichkeit  vorhanden ,  aber  freilich  bei  weitem  nicht  Übereinstimmung. 
Man  wird  daher  die  Odosche  fabel  nicht  als  Boners  quelle  selbst,  son- 
dern nur  als  eine  derselben  nahestehende  ausehn  können. 

Im  anschluss  an  den  vers  im  Reinardus  III,  528  ed.  Mone: 
graculus  et  cuculo,  quem  fovet,  hoste  perit,  teilt  die  Odosche  fabel 
auch  E.  du  Meril,  Poesies  inedites  Paris  1854  s.  142  nach  den  haud- 
schriften  mit:  De  cucula,  quae  ponit  ovum  in  nido  burnetae,  et  pul- 
lum cuculae  nutritur  burneta ,  et  cum  magna  (1.  magnus)  fuerit ,  venit 
burneta,  ut  cibum  offerat  ei,  et  os  suum  aperit  et  burnetam  transglu- 
tat  et  devorat. 

Der  Zusammenhang  zwischen  beiden  erzählungen  wird  auch  in 
Kirchhofs  Wendunmut  7,  152  betont:  nachdem  erzählt  ist,  wie  die 
krähe  ein  ei  aus  des  adlers  nest  gestohlen  hat  und  von  dem  ausgebrü- 
teten adler  getötet  worden  ist,  beisst  es  zum  schluss:  Ist  eben,  wie 
die  fabel  von  der  grasmucken,  die  den  huchuch  su  ilirem  cygcn  scha- 
den ernehret.  Übrigens  liegt  eine  fabel  desselben  inhalts  wie  Boner  49 
vor  aus  der  mitte  des  13.  Jahrhunderts,  also  etwa  90  Jahre  vor  Boner, 
herausgegeben  von  Pfeiffer,  Haupts  ztschr.  Yll,  318  fgg.  Altdeutsche 
beispiele  nr.  27. 

Auch  eine  Boner  70  {von  einer  hatten,  von  miusen  und 
von  einer  schellen)  gleiche  fabel  sehe  ich  bei  Odo  nr.  26:  De  muribiis 
et  cato.  Mures  habuerunt  semel  consilium  inter  se ,  qualiter  se  a  cato 
possent  praemunire  (v.  17  dö  wart  nicht  langer  da  gespart,  der  miusen 
rät  gesamnet  ivart.     st   rieten    alle   üf  einen  sin,    wte  si   wol  möchtin 


OUELT-KN    ZU    BONKR 


331 


homen  hin,  und  vor  der  Jmtsen  sorn  genesen).  Et  ait  quiclam  mus 
sapiens:  ligetur  campauella  in  collo  eins,  et  tunc  poteiimiij^  ipsum,  quo- 
ciinque  perrexit,  aiulire  et  insidias  eius  praecavere  (v.  26  da$  ir  ein 
söU  der  kafzen  henken  an  ein  schallen,  die  si  sölte  hän  und  tragen, 
einzekVich  dur  daz,  das,  si  sich  müchtin  deste  haz  gehüeten  vor  der 
hatten  list).  Et  placuit  omnibus  hoc  consilimii.  Et  ait  nnus  quidam: 
quis  ligabit  campanellani  ad  Collum  cati  V  (v.  38  ivel  under  uns  diu  si 
allein,  diu  da^  getärre  wol  hestun,  daz,  si  der  katzen  henken  an  welle 
die  schallen).  Respondit  alius:  carte  non  ego;  et  aliiis:  uon  ego ,  pro 
toto  mundo  nollem  ei  tantuni  appropinquare  (v.  44  otkein  mus  wolt 
sich  seiher  gehen  an  den  tot). 

Dieselbe  fabel  Odos  de  Oiriugtonia  teilt  aus  einer  Londoner 
handsclirift  fast  in  gleicher  fassung  Wright  mit,  Selections  of  La- 
tin stories,  London  1842,  nr.  92:  De  consilio  murinm.  Mures  inie- 
runt  consilium ,  qualiter  a  cato  se  praenmnire  (st.  ri)  possent ,  et  ait 
quaedam  sapientior  caeteris  ,, Ligetur  campana  in  collo  cati,  tunc  pote- 
rimus  praecavere  ipsum  et  audire,  quocunque  perrexerit,  et  sie  eius 
insidias  evitare."  Placuit  omnibus  consilium  hoc,  et  ait  una  „Quae 
igitur  est  inter  nos  tanta  armata  audacia,  ut  in  collo  cati  liget  cam- 
panam?"  Respondit  una  mus  „Gerte  non  ego!"  Respondit  alia 
„Certe  non  ego  audeo  pro  toto  mundo  ipsum  catum  appropinquare." 
Aus  dieser  Odoschen  fabel  wird  abgeleitet  sein  das  lateinische  gedieht 
(De  muribus,  concilium  contra  Catum),  von  Robert,  Fahles  inedi- 
tes  I,  s.  99,  Paris  1825,  aus  einer  Pariser  haudschrift  des  14.  Jahr- 
hunderts veröffentlicht,  welches  in  meiner  erwähnten  abhandlung  in 
ermangelung  eines  älteren  entsprechenden  Stückes  als  Boners  quelle 
angenommen  wurde. 

In  derselben  samlung  bietet  Wright  unter  nr.  40  auch  für  Bo- 
ner 85  {von  einem  ritter,  der  wart  ein  münch)  eine  parallele; 
da  Wright  nur  im  algemeinen  sagt,  dass  die  von  ihm  benuzten  hand- 
schriften  dem  13.  und  14.  Jahrhundert  angehören,  so  kann  dies  stück 
nicht  mit  völliger  Sicherheit  als  älter  als  Boner  bezeichnet  werden.  Doch 
erscheint  umgekehrt  eine  ableitung  aus  Boner  sehr  unwahrscheinlich. 
In  der  Londoner  handschrift  Ms.  Arundel  nr.  506  fol.  41  also  heisst 
es:  De  monacho  asinos  vendente.  Audivi  de  quodam  milite,  qui  relic- 
tis  magnis  possessiouibus,  quas  habebat  (v.  l  Ein  ritter  ...  hat  ouch 
alles  des  genuog ,  so  man  zer  tvelte  hahen  sol;  shi  hüs  tvas  uz,  und 
innen  vol),  factus  est  monachus,  ut  in  pace  et  humilitate  Domino  ser- 
viret  (v.  8  wölti  varn  in  geistlich  leheu).  Attendens  autem  abbas ,  quod 
fuisset  [in  claustrisj  in  seculo,   misit  eum  ad  forum,   ut  asinos  et  asi- 


332  GOTTscrncK  ♦ 

nas  moiiasterii  veuderet  (v.  17  er  sölti  mit  den  eseln  varn  ze  margte 
hin,  und  sölti  tvarn,  wie  er  si  möcM  verJcoufett),  qui  senes  esseut 
(v.  21  si  wcerin  trcsg  und  wcerin  alt),  et  emeret  iuniores.  Licet  hoc 
viro  nobili  clispliceret ,  tarnen  voluit  obedire  (v.  23  der  ritter  muost 
gehorsam  sin,  doch  änc  nmot).  Cum  autem  ad  forum  pervenisset  (v.  25 
und  dö  er  hin  ze  margte  lian),  illis,  qui  volebaut  asinos  emere,  inter- 
rogantibus,  utrum  boui  esseut  et  iuvenes,  respoiidit  „Si  essent  boni  et 
iuveues,  eos  neu  veuderemus"  (v.  27  si  vrägten,  üb  si  wcerin  veil. 
V.  29  „sint  si  jung  oder  alt?"  v.  33  ivcerin  si  jung,  stark  unde  geil, 
ivir  huttin  si  ungerne  veil).  Cum  autem  ab  eo  quaererent,  cur  habe- 
rent  caudas  depilatas ,  respondit  „  quia  frequeiiter  sub  onere  decidunt  et 
per  caudas  levantur''  (v.  35  ,,war  unibe  sint  ir  sweife  hlös,?"^  er  sprach: 
„si  tragent  seche  gros,,  da  von  si  dicke  vallent  nider,  so  zien  wirs  bi 
dem  sweife  ivider  üf;  des  hänt  si  verlorn  das,  här").  Cum  autem 
reversus  nihil  veudidisset  (v.  43  mit  den  eslen  vuor  er  wider  kein,  daz, 
er  verkoufte  ir  enkein),  a  quibusdam  famulis,  qui  secum  in  foro  ade- 
rant,  abbas  et  monacbi  contra  eum  irati  (v.  45  vil  schier  er  dö  ver- 
meldet ivart  dem  aj^te)  ad  capitulum  vocaverunt.  Quibus  ille  dixit 
„  Ego  multos  asinos  et  asinas  reliqui  in  seculo  (v.  49  ich  hab  geladen 
ere  und  guot),  et  credebatis,  quod  cum  vestris  asinis  vellem  proximos 
meos  decipere  (v.  52  liegen  mag  mir  nicht  gevromen)  et  laedere  animam 
meam?"  (v.  56  daz  er  nicht  werde  wunt  an  der  sele).  Et  sie  dimis- 
sus  est  in  claustro,  servire  Domino  in  quiete. 

Für  Bon  er  43  (von  einer  miuse  und  von  ir  kinden)  hatte 
ich  in  der  erwähnten  abhandinng  das  gedieht  des  Anonymus  Eoberti 
(Fables  inedites,  Paris  1825  II,  s.  12)  De  Gallo  et  Mure  als  quelle 
mitgeteilt.  Der  text  ist  au  einzelnen  stellen  oftenbar  verderbt,  indes- 
sen ist  alles  verständlich,  nur  v.  7  sis  secum:  tibi  non  sit  formidiue 
miles  muss  wol  tecum  und  formidini  geschrieben  werden,  wenn  es 
einen  richtigen  siim  geben  soll. 

Der  grundgedanke  von  Bouer  87  {von  einem  edeln  steine 
eins  keisers.  von  angedenkunge  des  tödes)  findet  sich  in  der 
Disciplina  clericalis  des  Petrus  Alfonsi,  c.  38,  besonders  in  der 
stelle  unter  nr.  7  Heri  terram  premebat.  Hodie  eadem  premitur  ipse. 
Val.  Schmidt  weist  in  den  amiierkungeu  auf  orientalische  Alexander- 
sagen als  quelle  hin  und  vergleicht  Gesta  Komauorum  c.  31  De  rigore 
mortis,  das  der  Disciplina  clericalis  ziemlich  genau  entspricht.  Auf 
die  ähnlichkeit  dieses  gedaukens  mit  Bouer  87  macht  Goedeke,  Deut- 
sche Dichtung  im  M.  A.  2.  ausg,  s.  670  aufmerksam.  Nun  hat  aber 
eine  weit  genauere  Übereinstimmung  in  der  darstellung  dieses  beispiels 


QUELLEN    ZU    EONER  333 

ein  buch,  das,  zwar  erst  in  der  zweiten  hälfte  des  14.  Jahrhunderts 
verfasst,  doch  aus  älteren  quellen,  besonders  aus  dem  Speculum  exem- 
plorum  des  Jacobus  de  Vitriaco  geschöpft  hat  (so  heisst  es  C,  XVII,  7 
Crux:  Unde  Jacobus  de  Vitriaco  relert),  die  Summa  praedicantium 
des  Johannes  de  Bromyard  (darüber  Goedeke,  Orient  und  Occident 
I,  s.  531  fg.).  Unter  dem  buchstaben  M,  XI,  18,  121  und  dem  kapi- 
tel  Mors  finde  ich:  Sic  etiam  quidam  sapiens  commemorare  legitur, 
Älexandrum  magnnm  de  fine  suo  cogitasse  per  lapidem  ei  missum, 
cuius  natura  fnisse  legitur ,  qnod  in  una  parte  staterae  positus  ponde- 
rabat,  quicquid  in  alia  parte  staterae  poni  potuit  (v.  5  tvenn  man  in 
üf  die  tväge  leit ,  ez,  wcerc  gröz,,  lang  oder  hreit,  waz,  man  mocM  lif 
die  wäge  gelegen,  da-s,  mocht  er  aUe§  wol  erhehen),  sed  terra  coopertus 
non  plus  ponderabat  quam  quiscunque  alius  lapis  eiusdem  quantitatis 
(v.  11  wenn  er  bedacht  mit  eschen  wart,  so  verlor  er  üf  der  selben  vart 
sin  swceri  gar  und  dl  sin  Jcraft).  asserens  ipsum  illi  lapidi  similem, 
qui  vivus  contra  totum  mundum  positus  ex  una  parte  totum  mundum 
ponderabat,  quia  totum  ipso  minorem  et  sibi  sufficientem  non  reputa- 
bat ,  quia  et  plus ,  si  plus  fuisset ,  desiderasset ,  quia  et  post  huius 
muudi  conquestum  alium  mundum  esse  audiens ,  ipsius  desiderasse  legi- 
tur dominium,  istius  mundi  dominium  parum  reputans  (v.  16  tvnnd  über 
edle  hünigrich  der  ivelte  gät ,  her,  din  geivalt,  der  ist  gros,  und  manig- 
valf.  V.  22  alle  diu  ivelt  ist  dir  ze  Mein.),  sed  mortuus  et  terra  coo- 
pertus non  plus  ponderabat  vel  de  mundo  isto  seu  terrae  spacio  occu- 
pabat  quam  quicunque  vel  pauperrimus,  qui  aequalis  cum  illo  est  quan- 
titatis (v.  25  als  bald  din  lioubet  wirt  bedacht  mit  erde,  so  zergät  din 
macht).^ 

In  demselben  werke  sehe  ich  für  Bon  er  96  (von  einer  hatzen, 
wart  besenget)  ein  ähnliches  stück,  0,  VII,  8,  18  unter  Ornatus: 
Exemplum  ad  hoc  habere  potevunt  de  quodam  paupere ,  qui  pulcrum 
habuisse  fertur  pullura  equinum ,  quem  cum  intelligeret  vicinum  eius 
divitem  concupiscere ,  cui  illum  negare  non  audebat,  caudam  eius  et 
iubam  praesciudendo  ipsum  quod  ad  adspectum  deturpavit  et  alterius 
concupisceutiam  mitigavit  et  pullum  suura  sibi  ipsi  domi  retiuuit. 
Während  bei  Boner  der  besitzer  einer  katze  mit  weissem  glattem  feil 
dieses  versengt  und  so  verunstaltet,  damit  ihm  der  nachbar  das  tier 
des  schönen  feiles  wegen  nicht  stehle,  so  schneidet  bei  Bromyard  ein 
armer  mann  aus  demselben  gründe  seinem  schönen  füllen  schwänz  und 
mahne  ab.     In  den  lehren   und  ermahnungen,    an   die  Bromyard  diese 

1)  Vgl.  Lamprechts  Alexander  v.  6813  in  Massuianns  deutsch,  gedd.  d.  12.  jh. 
Quedlinburg  und  Leipzig  1837.  1,  139  fgg.  —  Alexan.Iri  M.  itor  ad  Paradisum  ed. 
J.  Zacher.   Eegimont.  1859  s.  15  fgg.  J.  Z. 


334  GOTTSCHICK 

fabel  anschliesst,  erwähnt  er  auch  das  beispiel  von  der  versengten 
katze:  Tertium  remedium  a  pareutibus  depeudet  et  senioribus,  quod 
ipsi  videlicet  eos  si  in  domo  habere  volueriut,  ne  discurraut  et  con- 
cupiscant  et  concupiscanturj  [eos]  uon  ornent,  sed  potius  orna- 
tum  subtrahant  siiperfluum^  scientes,  quam  cattus  adustus,  ut 
dicitur,  non  libenter  evagatur.  Es  ist  demnach  wahrsclieinlich ,  dass 
Boner  für  dieses  Beispiel  die  quelle  Bromyards  benuzt  hat. 

Bromyard  hat  überhaupt  eine  reihe  Bouerscher  fabeln  in  seiner 
Summa  praedicantium.  Wenn  man  von  den  aus  dem  Anonymus  Neve- 
leti  und  dem  Avian  entlehnten  absieht,  sind  es  Boner  43.  52.  58.  70. 
71.  74.  87.  U2.  93.  94.  95.  96.  100.  Da  für  die  meisten  derselben  die 
quelle  Boners  bei  einem  andern  Schriftsteller  vorliegt,  so  sollen  hier 
nur  diejenigen  folgen,  die  ich  anderswo  noch  nicht  abgedruckt  sehe. 

C,  X,  5,  13  =  Boner  100  (von  einem  hünige  und  einem 
scher  er):  Refertur  de  quodam,  qui  in  quibusdam  nundinis  emit  a 
quodam  satis  care,  ut  sibi  videbatur,  sapientiam,  et  soluta  pecunia 
nihil  aliud  docuit  nisi  istud :  ,,quicquid  agis,  operis  finem  semper  medi- 
teris."  Emptor  reputavit  se  deceptum ,  sed  tamen  propter  trufam  fecit 
illud  scribi  in  Omnibus  utensilibus  et  parietibus  donius  sui.  Accidit, 
quod  quidam  inimicus  eius  couduxit  barbitonsorem  eins  ad  occidendum 
eum,  dum  eius  barbani  räderet.  Quod  cum  cogitasset  facere,  accidit 
eum  respicere  in  manutergio,  quod  erat  circa  Collum  eius,  praedictam 
sapientiam;  qua  visa  cogitavit,  quod  finis  talis  facti  est  suspendium  in 
hoc  seculo  vel  in  futuro,  et  a  facinore  excogitato  se  retraxit,  et  ex 
cogitatione  finis  uterque  a  morte  liberabatur  temporali. 

E,  VIII,  14  =  Boner  74  ist  von  Goedekc,  Orient  und  Occident, 
B.  3,  s.  191  abgedruckt. 

G,  IV,  21  =  Boner  71  (vooi  einem  slangen,  was  gebun- 
den): In  quibusdam  parabolis  fingitur  de  quodam  homine,  qui  serpen- 
tem  sub  arbore  oppressum  inveniens  clamantera  et  auxilium  peteutem 
liberavit;  cui  postea  non,  ut  promisit,  benefieium,  sed  secundum  natu- 
rae  suae  cousuetudinera  venenum  reddidit.  De  quo  cum  a  liberatore 
reprehenderetur ,  respondit  se  per  ipsum  non  fuisse  liberatum,  sie  quin 
[1.  siquideml  sine  illo  bene  evasisset,  ad  iudicem  in  causa  perventuin 
est,  qui  iudicavit  serpentem  in  periculo,  in  quo  iuveniebatur ,  debere 
reponi;  si,  sicut  asseruit,  liberare  se  ipsum  posset,  bene  quidem ;  sin 
autem,  proprio  staret  periculo. 

H,  IV,  9  =  Boner  94  (von  einem  der  konde  diu  sivarzen 
huocli):  sicut  ministravit  quidam  nigromanticus  discipulo  suo,  de  quo 
narrator  ait,  quod  multa  magistro  suo  promittebat,  cum  nihil  habe- 
ret:  magister  vero  tum  fecit  suis  incantationibus ,  quod  fecit  sibi  videri, 


QÜELLKN    ZU    BONKR  335 

quod  magnus  esset  dominus,  coram  quo  veuiens  ab  eo  tanquam  inco- 
gnitus  vilipensus,  modio  quo  sie  exultabat  subtracto,  ad  pauperem,  in 
quo  illum  invenit,  rodigit  statum. 

M,  IV,  6,  3  =::  Boiier  58  (von  arten  ivitiven  Ewmerin, 
antwort  der  dritten  witwe):  Fertur  quandam  uobilem  viduam  omues 
eam  ad  matrinionium  sollicitantes  rcpulisse  dicens  [1.  dicentem]:  ,,  nul- 
luni itei'um  volo  mavituni,  quod,  si  bonuni  habuero ,  sicut  alius  fuit, 
tiniebo,  ne  illuni  amittam,  sieut  alium  amisi,  si  malus  fuerit,  taedio- 
sum  erit  mibi  cum  eo  vivere." 

M,  XI,  13,  78  =  Boner  92  (von  einer  nahtegal ,  ivart 
gevangen):  Patet  per  exeniplum  ...  ßarlaam  ...  de  illo,  qui  habuit 
avem,  quae  eum  docuit  tres  sapientias  illa  conditioue,  quod  illam  avo- 
lare permitteret.  Quarum  prima  videtur,  quod  non  credat  rem  incre- 
dibilem ,  qmim  videlicet  contrarium  videt  ad  oculum  ,  licet  totus  mun- 
dus  diceret  contrarium  .  . .  Secuuda  videtur,  quod  non  uitatur  nimis 
apprebendere,  quod  apprehensum  teneri  non  poterit  ...  Tertia  videtur, 
quod  de  re  irrecuperabili  non  doleat. 

Endlich  0,  VI,  8,  71  =  Boner  70  (von  einer  hatten,  von 
mitisen  und  von  einer  schellen):  Dici  potest  de  bis,  quod  dixit 
antiquus  mus  muri  de  parlamento  murium  redeunti.  De  bis  namque 
fabulae  continent,  quod  mures  parlamento  cougregato  lioc  principaliter 
tractaverunt,  quomodo  se  a  cattis  custodire  possent,  in  quo  de  totius 
parlameuti  consensu  diffinitum  fuit,  quod  cuilibet  catto  nola  poneretur 
ad  Collum,  ut  mures  eorum  adventum  nolarum  sonitu  praecaventes  ad 
sua  possent  fugere  foramina.  Hoc  igitur  consilio  inito  et  diffinito  muri- 
bus  ad  loca  sua  secure  et  gaudenter  redeuntibus,  contigit  queudani 
redeuntem  obviani  babere  glirem  antiquum,  qui  prae  senectute  ad  con- 
silium  venire  non  potuit;  qui  primo  redeunti  per  impotentiam  de  non 
comparendo  se  oxcusans  et  rumores  exquirens  laetanter  audivit  cattorum 
coertionem ,  qua  audita  quaesivit ,  quis  tanti  consilii  tanique  sancti  et 
utilis  statuti  executor  nolas  illas  ad  cattorum  colla  deberet  suspendere. 
Qui  respondit,  nibil  de  boc  ibi  fuisse  locutum,  consiliatum  vel  diffini- 
tum ;  cui  ille :  ergo  parlamentum  vestrum  nihil  valet ,  quia ,  licet  sta- 
tu tum  illud  ad  perpetuam  rei  memoriam  in  se  rationabile  et  uobis  utile 
sit,  propter  tameu  executionis  peribit  defectum. 

Zu  Boner  4,  53,  89,  99  vermag  ich  weder  quelle  noch  paral- 
lele anzugeben.  B.  53,  1  Von  einer  vrouwen  seit  man  äa^,  und 
B.  99,  1  Von  einem  ritter  seit  man  das,,  zeigt  an,  dass  auch  diese 
beiden  fabeln  entlehnt  sind.  Ist  nun  für  die  übrigen  fabeln  die  rich- 
tigkeit  von  Bouers  angäbe ,  er  habe  lateinische  stoft'e  gehabt ,  erwiesen, 


336  J-    ZACHER 

SO  wird  man  auch  für  diese   vier   stücke  lateinisclie  vorlagen  anzuneh- 
men haben. 

Von  den  25  fabeln,  um  die  es  sich  hier  gehandelt  hat,  sind  also 
für  21  die  quellen,  sei  es  die  unmittelbaren  oder  wenigstens  die  mittel- 
baren, nachgewiesen,  und  somit  Lessings  Untersuchung  (5.  Beitrag 
zur  Geschichte  und  Litt.  1781)  ergänzt,  der  durch  seinen  tod  verhin- 
dert wurde,  die  quellen  von  18  dieser  fabeln  in  älteren  lateinischen 
büchern  mitzuteilen,  wie  er  beabsichtigte. 

CHAÜLOTTENBUEG,    DECEMBEli    1878.  EEINHOLD    GOTTSCHICK. 


Ich  lasse  hier,  weil  sie  wenig  räum  beanspruchen,  einige  fabeln 
folgen  aus  einer  handschrift  der  gräflichen  bibliothek  zu  Wernige- 
rode, die  sich  mehr  oder  weniger  an  Bonersche  anschliessen.  Sind 
sie  zwar,  wegen  ihrer  sehr  nachlässigen  aufzeichnung ,  kaum  fruchtbar 
für  die  textkritik,  so  geben  sie  doch  zeugnis  von  der  grossen  Verbrei- 
tung und  beliebtheit  dieser  erzählungen.  —  Die  handschrift,  bezeich- 
net Zb.  4  m,  eine  papierene  von  256  quartblättern,  geschrieben  von 
verschiedenen  bänden  des  15.  und  16.  Jahrhunderts,  bietet  einen  sehr 
mannigfaltigen  Inhalt,  den  E.  Forst emann  in  seinem  handschriften- 
kataloge  (Die  gräflich  Stolbergische  Bibliothek  zu  Wernigerode.  Nord- 
hausen 1866)  s.  103  fg.  eingehender  aufgezählt  hat.  Den  hauptbestand- 
teil  bildet  ein  deutsches  arzrieibuch,  daneben  aber  finden  sich  verschie- 
dene stücke  in  versen,  darunter  auch  die  24  stroplien  des  Wolfdiet- 
rich D,  welche  Jänicke  zu  seiner  ausgäbe  benuzt  hat  (Ortnit  und  die 
Wolf  die  triebe,  herausg.  von  Amelung  und  Jänicke  =^  Deutsches  Hel- 
denbuch, th,  3.  Berlin  1871  s.  VII) ,  und  ferner  eine  prosaische  auf- 
lösuug  eines  gedichtes  vom  edelen  Möringer.  —  Die  fabeln  sind  ohne 
al)setzung  der  verse  wie  prosa  in  durchlaufenden  zeilen  ge:^chrieben. 
Für  den  druck  habe  ich ,  zu  bequemerem  gebrauche ,  die  verse  abge- 
sezt,  den  ausfall  der  durch  die  nachlässigkeit  des  Schreibers  übersprun- 
genen durch  punkte  angedeutet  und  die  interpunktion  hinzugefügt;  aber 
die  ungebildete  Orthographie  des  Schreibers  zu  verbessern  war  ebenso 
unnötig,  als  seine  abkürzungen  auch  im  drucke  beizubehalten. 

L 

Diese  fabel  ist  entnommen  aus  Boner  IjVII:  Von  einer  vroitwen 
und  einem  (liebe.  —  Von  vrouwen  untriuwe.  —  Der  text  stimt  zunächst 
zu  den  von  Pfeifter  angegebenen  hisarten  von  b  (Zürcher  papierhs.  C. 
117),  weniger  genau  zu  denen  von  a  (Heidelberger  papierhs.  Cod.  Pal. 
314),  und  etwas  entfernter  zu  denen  von  E  (Papierhs.  der  Strassburger 
stadtbibl.  Joh.  Bibl.  B.  94). 


337 


fol.  135".    Man  leist  |  von  zwaien  menschen,  das 
ir  hertz  mit  |  min  verstricket  waß. 
das  waß  ein  man  j  vnd  auch  sin  wip, 

5  die  starcke  min  die  ]  scheid  der  dot. 
der  man  starb,     da  kam  sie  |  in  groß  not. 


alles  trosts  waß  sie  bloß 
da  sie  |  verlor  iren  liben  mau. 
10 

sie  schray  vnd  weint  on  |  vnderlaß; 
ob  jm  sie  stetlichen  saß. 
da  er  ward  |  in  das  grap  gelait, 
da  huob  sich  not  vnd  arbait.  | 

15  Sie  wolt  nit  von  dem  grab  hindan, 
sie  klagt  ]  als  iren  man, 
sie  schrey  lutt  ach  vnd  we, 
beid  I  regen  riif  vnd  sehne 
mocht  sie  geschaideu  I  von  dem  grab. 

20  sie  lept  in  grossam  vngemach  i 
fol.  136"    beide  nacht  vnd  auch  den  tag, 
das  sie  da  |  anders  nit  pflag. 
ir  rog  waß  klaiu. 
ob  dem  |  grab  saß  sie  alein 

25  und  weiut  by  dem  für; 
kurtz|wil  ward  ir  tür. 
Es  fuogt  sich  uflf  der  selben  |  vart, 
das  da  einer  gehenckt  ward 
hin  von  ]  dem  grab  uff  ein  velt; 

30  des  huot  ein  man,  |  dem  gab  mau  gelt, 
das  er  nit  danen  solte  |  komen : 
Word  von  dem  galgen  genomen 
der  dipp,  |  das  wer  dem  richtter  zorn, 
vnd  must  sin  leben  |  hau  verlorn. 

35  Da  er  das  für  sach,  vnd  das  wib  | 


vill  sere  tursten  in  began. 
czu  dem  grab  ging  |  er  hin  dau, 
vnd  sach  die  frawen,  die  waß  |  stolcz. 
40  an  das  für  bracht  er  ir  holtz, 
das  I  sie  ver  frost  word  beliuot. 

ZKITSCHR.    F.    DEtTTSCIlK    PHILOLOGIE.      «D.    XI.  22 


338  J-    ZACHER 

Er  sprach:  „fraw,  bout  1  gutten  mot! 

Sit  dot  ist  iver  man, 

so  solt  ir  I  ucli  zu  einem  lebendigen  bou. 

45  Ein  ander  miitter  j  einen  dreit 
alß  ein  gutten,  der  ucb  das  |  leidt 

vnd  .  .  vngemach." 

so  er  sie  ie  men  (1.  mer)  an  sacb,  | 
so  er  je  men  (1.  mer)  in  mine  bran. 

50  der  man  gar  von  jm  |  selber  kam. 
Er  sprach:  „hertzlibe  frawe  min,  | 
mocbt  es  an  jwer  holden  sin, 


55  waß  lip  vud  seil  ]  bertragen  mag, 
das  ist  uwer  hud  uff  dissen  |  dag." 
Die  fraw  wost  vil  tugent 
fol.  136''    die  threben  von  |  den  äugen. 

Der  (1.  den)  man  sach  sie  leiblichen  |  an 

60  vnd  sprach:  „mocht  ich  an  dir  hon 
mit  I  warbeit  waß  du  hast  geseit, 
ich  wolt  ab  Ion  |  min  hertz  lait, 
vnd  wolt  ton  den  willeu  |  din." 
Er  sprach:  „libe  fraw,  das  sol  sin." 

65  gar  üblich  |  er  sie  vmb  fing, 
vil  libes  er  mit  ir  da  beging,  ) 
das  wil  ich  nu  uit  sagen  hie. 
Da  di  red  also  |  herging, 
vnd  von  der  fraweu  kam  der  man,  | 

70  vnd  wider  zu  dem  galgen  kam, 
da  het  er  nit  |  gebewt  wol; 
sorgen  was  sin  hertz  vol 
ab  dem  |  galgen  waß  guomen  der  deip, 
das  waß  jm  nit  j  lip. 

75  Er  forcht  ser  des  richtters  czorn; 
sin  leben  |  must  er  hon  verlorn. 


Zu  dem  grab  er  wider  kam, 
da  er  vor  die  fraw  leiß. 
80  Vil  üblich  sie  in  vmbfing.  | 
Er  sait  ir  boß  mere, 
wie  jm  geschehen  wer.  | 


339 


85 


Die  fraw  sprach:  „nii  folge  mir, 

vnd  hör  waß  ich  sage  dir. 

Ein  glitten  rat  wil  ich  dir  geben,  | 
90  das  du  wol  macht  behalten  din  leben. 

wir  sollent  minen  man  uß  graben, 

vnd  müssen  aucht  einen  |  helssing  haben, 

vnd  zihen  an  das  (1.  des)  galgen  |  mat, 

vnd  hencken  an  das  (1.  des)  dibes  stat. 
95  das  ratt  |  Ich  uff  die  trwe  min! 
fol.  137*    werlich,  ich  wil  din  hülfe  |  sin." 

Der  man  dat  alß  mau  jm  reit. 

von  dem  |  dotten  man  sie  sich  scliid. 

Das  waß  ein  jemerlich  rat. 
100  Wol  jm ,  der  nit  zu  ton  hat 

mit  bossen  |  wiben! 

sie  kunen  machen  groß  liden. 

Ein  boß  wib  |  nie  wol  geryd. 

von  wibes  (1.  wiben)  vbels  vil  geschieht, 
105  vnd  ist  geschehen  manigfalt, 

das  (1.  des)  alles  |  menschlich  kind  engalt. 

her  adam  ward  betört, 

Tray  ward  sturstort  (1.  zerstoeret), 


110  her  Salmon  wart  gescheut,  | 
der  dot  man  ward  gehenckt. 

der  ist  ein  |  sinlosser  man. 
das  hat  als  wibs  rat  getan! 

n. 

Diese  fabel  ist  entnommen  aus  Boner  LXXXII:  Von  einem,  pf äf- 
fen und  von  einem  esel.  —  Von  uppeheit  der  stimme.  —  Das  Verhält- 
nis des  textes  zu  den  lesarten  der  handschriften  b  a  E  der  Pfeifferschen 
ausgäbe  ist  dasselbe,  wie  in  der  vorigen  fabel,  tritt  sogar  noch  etwas 
entschiedener  heraus. 

Ein  pfalf  waß  stoltz  vnd  1  klug 
alß  noch  ist  pfaffen  |  gnunck. 

22* 


340  J.    ZACHEE 

juück  waß  er  vnd  |  wol  geraot, 
sin  stim  ducht  |  Jn  ser  gut. 
5  vflf  siügen  |  hett  er  arbait, 
jdoch  waß  er  gesanges  ge|meit; 
er  wout,  es  siing  niman  baß; 
vff  singen  |  er  geflisseu  waß. 


10  Da  gevil  es  niman  wol.  | 

Da  vber  er  vil  dick  sang, 

das  in  sin  narikeit  bezwang. 

nu  kam  es  von  geschickt  also, 

das  I  er  sang  meß  hoch 
15  vff  dem  alter.     Da  stund  |  bei 

ein  fraw,  het  iren  essel 

verlorn  an  dem  |  dritten  tag. 

Si  weint  vast,  groß  was  ir  |  klag. 

Da  sie  der  pffaff  weinen  sach, 
fol.  137"    20  vil  gutlich  |  er  czu  ir  sprach: 

„  sagt  an ,  fraw ,  was  meint  das,  | 

das  wer  äugen  sint  so  naß?" 

er  went  ir  wer  |  gefallen  in 

ein  andacht  von  der  stime  sein,  i 
25  vnd  sprach:  „sol  ich  uch  singen  men  (1.  me)?" 

„nein  her,  |  mir  ist  so  we." 

„wo  von?  das  solt  ir  mir  sagen."  | 

„Gern,  min  her,  das  wil  ich  uch  klagen, 

dar  I  vmb  ich  geweinet  hon. 
30  min  essel,  der  mir  ]  wol  kam, 

den  hont  mir  die  wol  ff  fressen,  | 

das  mag  ich  nit  vergessen, 

wan  ir  singtt  ]  so  herlich, 

so  ist  iwer  stim  glich 
35  der  stim,  |  die  min  essel  hat; 

so  manent  ir  mich  vff'  |  der  stat 

an  minen  essel,  here  min, 

mich  wondert  |  wie  das  mog  gesin. 

Das  iwer  stim  so  recht  |  glich 
40  mines  esseis  ist,  das  wondert  mich." 

Der  I  vppig  pfaff  ward  geschant, 

eins  esseis  stim  |  ward  jm  herkaut, 

doch  er  gevil  er  jm  selber  |  wol, 


zu    BONER  341 

alß  billich  noch  ein  essel  sol. 


45 


mich  won(i[ert  daß  es  stat 
bi  dem  monde 

das  niman  |  wol  herkende  sich 
50         sin  stim;  das  wondert  mich.  ! 

Es  weut  mancher  singen  wol, 

des  stim  ist  |  hert  vnd  hol, 

man  spricht  alß  der  essel  |  diiot. 

hoert  er  sich  selber  —  das  wer  giiot  — 
55  mit  (  fremder  luett  orn, 

er  Word  nit  zu  einem  torn:  | 

also  dissem  pfaffeu  ist  geschehen. 

auch  hoer  |  jch  die  luett  jehen: 

wer  vbel  singt  der  singt  |  vil; 
60  mencklich  er  hertriben  wil. 

III. 

Diese  fabel  entspricht  nur  dem  Inhalte  nach  der  Bonerschen  XLII. 
Von  einer  naclitegal,  ivart  gevangen-.  —  Von  tveltUclier  torheit;  ihre 
fassung  dagegen  gehört  zu  derjenigen  gestaltung,  welche  A.  Keller  in 
seinen  „Altdeutschen  gedichten"  (Tübingen  1846)  s.  12  fgg.  unter  der 
Überschrift  „des  vögeleins  drei  lehren"  aus  einer  Münchener  papier- 
handschrift  des  15.  Jahrhunderts  (cgm.  1020)  mitgeteilt  hat.  —  Eine 
dritte  fassung  in  versen  hatte  Docen  veröffentlicht  in  den  „  Altdeutschen 
Wäldern"  der  brüder  Grimm  (Frankfurt  1815)  2,  5  fg.,  und  hatte  sie 
dort  fälschlich  dem  Stricker  zugeschrieben,  wie  Lachmann  bereits  1820 
bemerkte  in  der  vorrede  zu  seiner  „Auswahl  aus  den  Hochdeutschen 
Dichtern  des  13.  Jahrhunderts"  s.  VI.  Denselben  text  hat  dann,  in 
einer  unter  benutzung  mehrerer  haudschriften  verbesserten  gestalt  wider- 
holt Fz.  Pfeiffer  in  Haupts  Zeitschrift  für  deutsches  altertum.  (Leipz. 
1849)  7,  343  fg.  —  Eine  vierte  versificierte  fassung  findet  sich  in 
Lassbergs  Liedersaal  (1822)  2,  655  fg.  —  In  deutscher  prosa  begeg- 
net dieselbe  fabel  in  den  von  A.  Keller  nach  einer  Münchener  perga- 
menthandschrift  des  14.— 15.  Jahrhunderts  (cgm.  54)  herausgegebenen 
,,Gesta  Eomanorum  das  ist  derKoemer  tat."  (Quedlinbg  u.  Lpz.  1841) 
cap.  LVIIII  s.  89  fg. 

Diese  fabel ,  welche  bereits  in  dem  griechischen  texte  des  Barlaam 
erscheint,  hat  überhaupt  sehr  grossen  beifall  und  ausgedehnte  Verbrei- 
tung gefunden.     Keichliche  nachweisuugen  über  ihr  häufiges  und  andau- 


342  J.    ZACHER 

erndes  vorkommen  in  den  verscMedeneu  litteraturen  haben  gegeben 
Fr.  Wh.  Valent.  Schmidt  in  seiner  ausgäbe  von  Petri  Alfonsi  Disciplina 
clericalis.  (Berlin  1827)  zu  nr.  XXIII,  s.  150  —  154  und  Grässe  in  sei- 
ner Übersetzung  der  Gesta  Romanorum  (Das  älteste  märchen-  und 
legendenbuch  des  christlichen  mittelalters ,  oder  die  Gesta  Romanorum. 
Dresden  und  Leipzig  1847)  zu  cap.  CLXVII.  2,  276  fg. 
fol.  138"    Ein  gebur  ving  ein  |  fogelin 

mit  einem  |  hurnin  schnebeliu. 

Das  foglin  begunt  1  zu  sorgen 

wie  es  den  (1.  der)  bure  werd  worgeu.  | 
5  Es  sprach:  „über  frunt,  laß  mich  leben, 

das  ich  |  min  iung  muog  neren; 

die  wil  ich  al  geben  |  dir; 

daß  soltu  glauben  mir." 

Der  buer  sprach:  |  „ich  wil  dich  nit  Ion; 
10  ich  bin  fro:  das  ich  |  dich  hon; 

jch  wil  dich  federn  henblossen;  | 

vnd  wil  dich  an  einen  spiß  stossen, 


vnd  I  wil  dich  by  dem  für  bratten." 

15  Da  sprach  das  I  kleine  Ibgeliu : 
„waß  mag  ich  dir  nütz  gesin?  j 
Min  getider  dir  nit  sol, 
mines  flaisch  ist  1  kuom  ein  mont  fol. 
was  mag  das  geheUfen  |  dich? 

20  da  von  laß  fligen  mich, 

biß  ich  min  ]  juongen  bring  zu  dir, 

der  sint  v.  oder  iiij,  | 

das  mag  vil  besser  sin  dir, 

wan  das  ich  i  alein  blibe  dir." 

25  Er  sprach:  „flugstu  vflf  ein  |  büschlin, 
wo  sol  ich  dich  dan  suochen? 
jch  I  wil  dich  bratten  bij  einer  gluot, 
du  bist  mir  |  zu  einem  truncklin  guot." 
Da  das  foglin  i  hört  die  mere, 
fol.  138''    30  da  herschrack  es  vil  sere.  | 

Es  sprach:  „wiltu  lassen  fligen  mich, 
iij  ding  |  Avil  ich  lernen  dich, 
vnd  wiltu  flissig  gede|ncken  daran, 
du  wirst  wol  ein  richer  |  kouffmann." 

35  Er  sprach:  „wiltu  es  lernen  mich,  | 


zu    BONKR  343 

SO  wil  ich  lassen  fügen  dich." 

Es  sprach:  „waz  |  man  dir  gesagen  kan,  | 

da  hab  nit  alzit  |  glauben  an; 

vnd  sich,  das  duo  nit  von  der  |  haut  hisst, 
40  das  du  wol  gehaben  masst.  | 

du  solt  nit  keinen  jomer  han 

nach  dem,  das  1  nit  werden  kan. 

hon  ich  die  warheit  i  gelernet  dich, 

so  soltu  lassen  fligen  mich.'''  1 
45  Der  buer  sprach  zu  dem  fogelin: 

,,glob  mir  |  vff  die  warhait  diu, 

wan  ich  ruoff  dir,  | 

das  du  kumest  zu  mir.'' 

Es  sprach:  „vff  die  warheit! 
50  ich  wil  dir  alweg  sin  bereit."  | 

Er  gab  orlub  dem  fogliu ; 

es  flog  vff  I  einen  bawm  durt  hin; 

es  da  mit  lutter  |  stim  sang, 

das  es  in  dem  wald  herklang.  | 
55  Der  bwer  wolt  den  fogel  versuoclien,  | 

er  begunt  1  jm  wider  ruoffen. 

Der  fogel  sprach  zu  jm  |  also : 

„ich  bin  gar  von  hertzen  fro, 

das  ich  |  dir  bin  also  entroueu, 
60  ich  wil  nit  wider  |  zu  dir  kumen." 

Er  sprach:  „waß  liastu  den  |  gelobet  mir?" 

Es  sprach:  „ich  seitz  vor  dir." 


65 

Er  sprach:  „het  ich  das  bekant! 
ich  het  dich 

Hier  schliesst   die  seite,   und    damit  bricht   das   gedieht  ab.     In 
Kellers  drucke  folgen  noch  22  verse. 

HALLE.  J.   ZACHEK. 


344 


DIE  THIERWELT. 

IN  VOLKSRÄTSELN  AUS  DER  PROVINZ  PREUSSEN. 

Vergl.  diese  Zeitschrift  bd.  IX  s.  65. 

Die   kuh. 

1.  Ver  gäne  den  weg, 
Ver  hänge  den  weg, 
Twei  wise  den  weg, 
Twei  sehne  den  weg, 

finer  hängt  hin  de  op  em  schlacker  on 
jagt  nä. 

In  Masnren:  Vier  zum  gehen,  vier  zum  melken,  zwei  zum  stos- 
sen  und  einer  zum  schlackern  (schwenken,  schwingen).  —  Cdery  cho- 
dery  ^  cztery  doiery,  dwa  hodery  a  iedem  machay. 

In  Schwaben:  Viere  ganget  und  viere  hanget,  zwei  spitzige, 
zwei  glitzige  und  einer  zottelt  hinten  nach.  Meier,  D.  Kinderreime 
usw.,  296.  —  Vgl.  Rochholz,  Alemann.  Kinderlied  usw.,  208  und 
221,  358  —  360.  Mone ,  Anzeiger  usw.  VII,  263,  208-  —  Die  rätsei 
sind  Varianten  des  rätseis  Odins,  das  dieser  unter  andern  dem  köuig 
Heidrek  aufgibt.     Vgl.  Müllenhoif,  Sagen,  Märchen  usw.,  s.  XII. 

2.  Twe  rüge  ranken, 
Ver  kummandanten, 
Schnick  schnack, 
Körensack  ^  — 

Eäd,  wat  is  dat?         Pommerellen. 
Zeitschr.  f.  d.  Mythol.  usw.  III,  5. 

3.  Ver'm  kopp  rubb'lig, 
Unner  'm  buk  krabbelwark, 
Op  'm  rügge  knubb'lig, 
Unner'm  zägel  järmarkt. 

Pommerellen. 

4.  Vorn'  wie  'ne  gabel, 
Mitten  wie  'n  fass. 
Hinten  wie  'n  besen  — 
Rath',  was  ist  das? 

Schon  bei  Fischart.  (Mone,  Auz.  II,  239).  —  Vgl.  Firmenich, 
Völkerst.  III,  74;  Strelitz.  Rochholz,  222,361.  Simrock,  Räthselb. 
I,  413:  II,  6. 

1)  Der  wanst. 


FRISCIIBIKR,    DIK    TIIIKRWELT    IN    VOLKSKÄTSELN  345 

5.  Kömmt  e  stock   veih   äwer  de  brügg,    lieft  acht  tet,   op  vSr 
geit  et. 

Die  trächtige  kuh. 

Die  zitzen  der  kuh. 

6.  Ver  Stange  rcke  nich  an  e  himmel,  6k  nich  an  e  erd. 

7.  Es  stehen  vier  bäume ,  die  erreichen  weder  himmel  noch  erde. 

Augerburg. 

Beim  melken. 

8.  Ver  jungfre  pösse  ön  en  loch  —  ön  ene  topp. 

In  Li t tauen:    Vier  Schwestern  lassen  ihr  wasser  in  eine  grübe. 
Schleicher,  Litauische  Märchen  usw.,  211. 

9.  Gestrippelt,  getäge 
Von  unde  nä  bäwe. 
Von  bäwe  uä  unde. 

10.    Zehn  gebogen, 
Vier  gezogen, 
Arsch  oben, 
Arsch  unten,  Jerrentowitz. 

Die  melkerin,  der  schemel  und  der  hund. 
11.    Tweben  set  op  dreiben, 

Kam  verben,  wull  tweben  bite, 
Tweben  nem  dreiben, 
Wull  verben  schmite. 
Ein  ähnliches  rätsei  bereits  im  „Reterbüchlein"   vom  jähr  1562. 
(Mone,  Anz.  IL,  311.)  —     Englisch  bei  Halliwell,  74.     (Meyer,   vor- 
rede  s.  X.     Fiedler,   Volksreime  usw.,   44);    in    altdänischer   fassung: 
Zeitschr.  f.  d.  Myth.  III,  129. 

Vgl.   K.  Dorr,    Twöscheu   Wiessei   on  Noacht,    76.      Müllenhoff, 
507,  18.     Fiedler,  44.    Meier,  295.     Kochholz,  257,  467.     Simrock  I,  63. 

Die    kuhglocke. 
12.    Hemp  on  hott, 

Iserne  pil  on  blecherne  kott. 
Links  und  rechts  (schwingt)  der  eiserne  klöpfel  und  die  blecherne 
hülse.     PU  eigentlich  =  penis ,  kott,  hotte  =  cunnus ,  vulva. 

13.    Wat  schrit  ömmer:  Drinke,  drinke!   on  wenn  't  au  't  wäter 
kömmt,  denn  drinkt  et  doch  nich? 

Vgl.  Curtze,  Volksüberlieferungen  usw.,  293.     Simrock  11,  180. 


346  FEISCHBIER 

14.  Was  geht  zum  wasser,  will  trinken  und  trinkt  doch  nicht? 
Vgl.  Rochholz,  222,  362. 

15.  Et  geit  op  't  föld  on  frett  nich,  on  söppt  nich,  on  kömmt  't 
m'i  liüs,  ÖS  't  doch  lostig. 

Neue  Preuss.  Prov.-Bl.  X,  289. 

Der  ochs. 

16.  Wenn  öck  klen  si, 
Kann  öck  ver  betwinge, 
Wenn  öck  grot  si, 

Kann  öck  barg'  (on  täl)  ombringe. 

Wenn  öck  dodt  si, 

Kann  öck  danze  on  springe. 

17.  Wi  öck  klen  war, 
Hebb  öck  ver  regert, 
Wi  öck  grot  war, 
Hebb  öck  barg'  gekert, 
On  wi  öck  dodt  war, 
Ging  öck  ön  e  körch. 

Ebenso  in  Littauen.     Schleicher,  205.  —     Vgl.  Simrock  II,  58. 

18.    Wat  geit  längs  de  far  ^  on  lett  tellerkes  falle? 

Das    lamm. 
19.    Et  geit  äwer  de  brügg 

On  heft  e  pölz  op  em  rügg. 

20.    Ging  e  gedertke  äwer  de  brügg, 
De  ogen  stunjgen  em  kickerdekick, 
De  här  de  stunjgen  em  kroUerdekroU  — 
Wer  dat  nich  räth ,  de  ös  rasend  doli. 
R.  Dorr,  77.  —  Var.  4:  Wat  menst,  min  kind,  wat  ös  dat  woU? 
Viol^t,  Neringia  usw.,  199,  7. 

Der   Ziegenbock. 
21.    Kam  ein  männchen  aus  Engelland, 
Hatt'  'n  beschlagenen  backenbart. 

Pommerellen. 
Das   Schwein. 

22.    Et  geit  äwer  de  brügg 

On  heft  dem  schuster  sine  nädel  op  'm  rügg. 

1)  Pär,  fahr,  ackerfurche. 


DIE  THIERWELT  IN  VOLKSRATSELN  347 

Beim  scblacliten   des  Schweines. 

23.    Öck  beg  min'  kne 
On  legg  mi  op  se, 
Öck  te  dat  lange  ding  herüt, 
Stek  er  ön  't  härloch, 
Da  wackelt  dat  ganze  ärschloch. 

Gerdauen. 

Das   Schwein    und   die  eichel. 

24,    Rügiingke  ging, 
Bommelke  hing, 
Rüglingke  opsach, 
Bommelke  dalag. 

Die   katze. 

25.    Twei  blanke, 
Ver  zanke,  ^ 
En  brätspiesz. 

26.    De  glatte^  hängt, 
De  rüge  denkt: 

Wenn  öck  di  ön  mine  ranze  hadd! 
Vgl.  ßochholz,  224,  372.     Simrock  I,  454. 

27.    Unde  huckt  e  rüger, 
Bäwe  hängt  e  glatter. 
De  rüger  denkt: 
Wenn  öck  di  ön  minem  buk  hadd! 

28.    Es  kroch  das  rauhe  in  das  zerbrechliche. 
Masurisch.     W  lado  kosmate  w  p^kate.     (Nach  dem  Poln.  Wör- 
terb.  von  Mrongovius  Jcosmaty  zottig,  rauh;  p^haty  bauchig.) 

Der   kater. 

28.    Wat  sitt  üt  wi  e  katt, 
Heft  e  kopp  wi  e  katt, 
Pote  wi  e  katt, 
Müst  wi  e  katt 
On  ÖS  dock  kein'  katt? 

1)  Zanke(n),  krallen.  2)  Die  wurst. 


348  FRISCHEIER 

Die  mause,    die  ulir,    die  tonne,    die  steine, 

29.    Op  e  lucht  tripp  trapp, 
Ön  e  stäw  tick  tack, 
Öm  hüs  rund, 
Op  e  gass  bunt. 

Die   maus   und   der   frosch. 

30.    Pipop  on  quarrop  (quackop) 
Ginge  op  ene  barg  'rop; 
Acht  fet'  on  ene  zägel, 
Räd'  e  mal,  wat  's  dat  fer  'n  vägel? 

Ähnlich   in    den    N.  Preuss.  Prov.-Bl.  VIII,  373.  —    Aus  Ger- 
dauen: 

De  pipa  on  de  quara, 

De  ginge  op  ene  barg; 

Acht  fet',  twe  kepp  on  ene  zägel, 

Räd'  e  mal,  wat  es  dat  fer  e  vägel? 

Bei  R.  Dorr,  75,  3,  mit  der  lösung:  De  moltworm  on  de  pogg, 
der   maulwurf  und    der   frosch: 

De  wöppop  on  de  warpop. 

De  gingen  beid  den  barch  'nop; 

Acht  fet  on  en  zägel, 

Rädt,  mine  herrn,  wat  's  det  för  'n  vägel? 

Mit  gleicher  lösung  in  Conitz: 

Wippup  un  wappup, 
Ginge  bed  de  bäg  up; 
Acht  fet'  on  eä  stä't  — 
Wat  is  dat? 
Worterklärungen:   Fip  op,  der  pieprufer,  pieper  (pipa),  pfeifer; 
Quarrop,    der  quarrrufer,    quarrer    {quara).      Wöjjpo^),    wippup,    der 
hüpfauf,    hüpfer;    warpop,  ivappup ,    der  werfauf,    erdaufwerfer.     stä't, 
sterz  =  schwänz,  üblicher:  zagel.  —  Vgl.  Zeitschr.  f.  d.  Myth. III,  186. 
Simrock  I,  415. 

Der   mausdreck. 

31.    Op  onse  bön, 
Steit  'ne  len', 
De  hundertdüsend  mann 
Nich  hewen  könn'.  Pommerelleu. 


DIK    THIKBWELT    IN    VOLKäKATHELN  849 

32.    Op  onsein  bänen  liggt  wat,    wat   dusend  mann  nicht  hewen 
können. 

R.  Dorr,  75,  2.     Bön,   bönen,   der  boden,   bodenraum;  in  Ost- 
preussen:  die  lucht. 

Der   maulwurf. 

33.  Hinjger  onsem  hüs 
Plegt  Peter  Krüs, 

Ohne  schär  ^  ou  ohne  zech,^ 
Plegt  winter  on  sämer  weg. 
E.  Dorr,  76,  8. 

34.  Hinjger  onsem  hüs 
Steit  Peter  Krüs, 

Heft  kein  zech  ou  kein  schär 
On  plegt  doch  sin  egen  för. 

Pommerelleu. 
Var. :  Schwärt  Peter  Krüs     Wähnt  hinjge  misem  hüs,    Hett  kein 
usw.  .  .  .  dep  fär.    Jerrentowitz.  —   Vgl.  Ztschr.  f.  d.  Myth.  HI,  185. 
Firmenich  I,    164:    Magdeburger    Börde    (als   Wiegenlied);    IH,    132: 
Miesterhorst  im  Drömling.     Curtze,  293.     Simrock  I,  419. 

Der  wolf,   ein  trächtig  tier  fressend. 
35.    Hinterm  busch  ich  sasz, 
Roten  wein  ich  trank, 
üngeboren  fleisch  ich  asz  — 
Rath',  mein  herr,  was  ist  das? 

Jerrentowitz. 

Wolf,  Schwein   und   hund. 
36.    Grimmgram  kam, 
Griffgraff  sasz, 

War'  Huffhaflf  nicht  gekommen, 
Hätt'  Grimmgram  Griftgraff"  genommen. 

Pommerellen. 


Der   Hahn. 
37.    Vorn  wie  ein  kämm. 
Hinten  wie  'ne  sichel  — 
Sieh'  mein'  uhr  und  wetterglas! 
Spricht  der  bauer  Michel. 

1)  Schär,  pflugschar.         2)  Zech  =--  mlid.  nhd.  sec/t,  das  vor  der  schar  ste- 
hende und  den  boden  aufschneidende  pflugmesser.     Z. 


350  FRISCHBIER 

Neue  Preiiss.  Prov. -Bl.  X,  288.  —  Var.:  Vorn  wie  ein  kämm, 
Mitten  wie  ein  lamm,  Hinten  wie  'ne  sichel  —  Eat',  mein  lieber 
Michel.  —     Vgl.  Meier,  275.     Rochholz,  228,  377.     Mone,  Anz.  VII, 

262,  186.      Simrock  I,  49. 

38.  Kern  e  mannke  von  Höckepöcke, 
Hadcl  e  rockke  von  düseud  flocke. 

Var.:  Kien  mannke  usw.  —  Die  N.  Preuss.  Prov. -Bl.  VIII,  373, 
haben  noch  die  weitere  zeile:  On  e  steuert  angesöcht.  Bei  Müllenhoff, 
506,  12,  findet  sich  noch  eine  vierte  reimzeile:  Hadd  e  kämm  on 
kämmt  söck  nich,  welche  in  unsei'er  provinz  als  selbständige  rätsel- 
frage auftritt: 

Wer  heft  e  kämm  on  kämmt  söck  nich? 

Vgl.  Firmenich  I,  520:   Siegen.     Curtze,  294.     Mone,  Anz.  VII, 

263 ,  206.      Hier  ist  der  bahn  „  e  mann  von  Dickterück." 

39.  Es  e  mannke ,  geit  op  kröcke, 
Heft  e  pölz  von  düsend  flocke, 
En  hörnen  kämm  on  e  rode  hart, 
Heir  mal  to,  wo  de  kerl  rärt!  ^ 

Zeitschr.  f.  d.  Myth.  IV,  402.  Pommerellen. 

40.    Geit  e  mannke  äwer  de  brocke, 
Heft  e  pölz  möt  düsend  flocke. 

Pommerellen. 

41.  Op  onsem  hoff,  da  steit  e  mann, 
Heft  hundertdüsend  pölzkes  an 

On  steckt  doch  den  Närsch  nä  büten. 

Pommerellen. 
Zeitschr.  f  d.  Myth.  IV,  403. 

42.  Kommt  ein  mann  aus  Ägypten, 
Hat  einen  rock  von  tausend  flicken, 
Hat  ein  knöchern  angesicht, 

Hat  'neu  kämm  und  kämmt  sich  nicht. 

Pommerellen, 
Zeitschr.  f.  d.  Myth.  IV,  402.  —     Vgl.  Violet,  200,  14.     Müllen- 
hoff, 506,  12.     Simrock  I,  47. 

43.    Et  ÖS  en  kiener  mann, 

Dei  deit  sin'  ärms  ütstrecke 
On  deit  de  lüed  opwecke. 

1)  raren,  brüllen,  stark  schroien  ,  zunächst  vom  rindvieh;   auch  zur  bezeich- 
nung  des  geräusches,  das  die  brandende  see  hervorbringt:  die  see  rärt. 


DIB    TIIIERWELT    IN    V0LKSRVT3KLN  351 

Hei  wöll  söck  e  mM.  plässere  * 
Oll  geit  öm  gärde  spazere, 
Hei  leewt  sehr  vele  früe, 
Doch  hei  lett  söck  möt  keiner  trüe. 
Neue  Preiiss.  Prov.-Bl.  X,  i'88. 

44.    Er  ist  vom  grossen  prophetenstamm, 
Der  ist  in  allen  landen  bekant. 
Er  ging  iin  garten  spazieren, 
Sich  zu  verlustieren ; 
Er  liebte  viele  frauen, 
Liess  sich  mit  keiner  trauen, 
War  eher  als  Adam  und  Eva. 

Var. :  Es  ist  ein  grosser  propliet  erstanden,  Er  ist  bekant  in 
allen  landen.  Er  schreit  mit  grossem  krachen,  Dass  die  leute  sollen 
aufwachen,  Er  geht  im  garten  spazieren  usw.  Dönhoffstädt.  — 
Vergl.  Meier,  325. 

4.5.    Es  ist  ein  grosser  prophet. 
Er  schreit  über  berg  und  tal. 
Er  hat  einen  roten  kämm  auf  sein   haupt, 
Er  schläft  nicht  in  seid'nen  betten. 
Er  schläft  auf  einem  Stückchen  holz, 
Er  isst  keine  speise. 
Er  trinkt  keinen  wein. 
Er  hält  viel  von  weiberu  und  schläft  bei  keiner. 

46.    Hoch  gekrönt,  geschmückt  mit  sporen, 
Ein  prophet  bin  ich  geboren. 
Nach  meinem  tode  legen  sie  mich  in  die  hitze, 
Dass  ich  schwitze. 

Raten  s',  meine  herren,  was  ist  das  für  ein  mann, 
Der  nach  seinem  tode  noch  leiden  und  dienen  kann. 

Pommerellen. 
Zeitschr.  f.  d.  Myth.  IV,  405. 

47.    Ein  kerl  auf  der  stube. 

Eine  fleischschüssel  auf  dem  köpfe. 

Pommerellen. 
Zeitschr.  f.  d.  Myth.  IV,  404. 

1)  Von  plaisir  =  ein  plaisir  machen. 


352  PRISCHBIER 

Hahn   und    regenwürmer. 
48.    Es  steht  ein  mann  auf  einem  bein 

Und  hat  doch  hunderttausend  schwein'. 
Das  „hat"  in  vers  2  würde  wol  richtiger  hüt't  ^=  hütet,   heis- 
sen.  —     Ein  hierhergehöriges  rätsei  lässt  den  regen  wurm  sprechen: 

49.  Schafft  mi  doch  de  hener  af,  ver  'm  hund  hebb  öck  nich 
angst ! 

In  den  N.  Preuss.  Prov. -Bl.  VIII,  373:  Es  geht  ein  langer  mann 
über  den  hof  und  ruft:  Wehrt  mir  nur  die  hühner  ab,  die  hunde  tun 
mir  nichts!  —  In  Littauen:  kommt  ein  herrchon  mit  rotem  röck- 
chen: jagt  die  hühner  fort,  vor  den  hunden  fürchte  ich  mich  nicht! 
Schleicher,  207.  —     Vgl.  Simrock  I,  88. 

Die   henne. 

50.  Et  rennt  öm  't  hüs  on  schrit,  on  heft  e  klotzke  ver  'm 
närsch. 

Vgl.  Simrock  II,  202. 

51.  Wat  rennt  öm  et  hüs  on  heft  e  kil  öm  hing're? 

Gerdauen. 

52.  Brün  hund  reut  rund  öm  't  hüs  on  heft  e  klotzke  ön  e  närsch 

53.  Wat  kröpt  dörch  e  tun  on  heft  de  därmel  näschleppe? 
Vgl.  Simrock  I,  425. 

54.    Es  kam  eine  frau  von  Hessen, 
Ihr  kleid  war  weggerissen, 
Sie  hat  ein  knorpernes  angesicht, 
Sie  hat  einen  hals,  doch  wäscht  sie  sich  nicht. 
Zeitschr.  f.  d.  Myth.  IV,  403. 

55.  Op  onsem  hof  steit  'ne  jomfer, 
Het  hundertdusend  rock'  au, 

On  ÖS  doch  dat  kahle  lif  to  sehne. 
Zeitschr.  f.  d.  Myth.  IV,  403. 

Das   ei. 

56.  Kömmt  e  tonnke  von  Engellaud, 
Heft  kein  i-and  nich  on  kein  band 
On  ÖS  doch  tweierlei  her  bön'n. 

Vgl.  MüUenhoff,  506,  9.     Rochholz,  234,  383.     Mone,  Anz.  VII, 
262,  188.     Simrock  I,  16. 


DIE    THIERWELT    IN    VOLKSRÄTSELN  353 

57.    Düffertke  on  duwke  ^ 
Knitten  söck  en  liüwke  ''^ 
One  näht, 
One  dräht, 
Öu'  end'  - 
Wer  dat  rät, 
De  ÖS  behend.  Pommerellen. 

58.  Hucheldibuchel  leg  op  de  bänk, 
Hucheldibuclicl  füll  von  de  bänk, 
Hucheldibuchel  hadd  dat  G'nöck  te'bräke, 
Kann  keiner  so  'ne  hucheldibuchel  me  mäke. 

Pommerellen. 

Ein  gleiches  rätsei,  Annebadadeli  beginnend,  teilt  Rochholz, 
245,  427,  mit  der  lösung:  „Fallender  eiszapfen"  mit;  auch  hört  man 
in  der  Schweiz  die  lösung:  Ludihorn,  ludel  =  kinder- saugglas. 

Vgl.  Meier,  810:  Wirgelewargele  usw.  Firmenicli  I,  271: 
in  Lippescher  mundart:  ßuntzelpuntzelken  (so  auch  bei  Simrock  I, 
136);  360:  in  Westfalen:  Hümpelken  pümpelken;  III,  182:  Iser- 
lohn.    Curtze ,  294. 

59.  Hempeldipempel  lag  auf  der  bank, 
Hempeldipempel  lag  unter  der  bank, 
Kam  ein  herr  von  Ilenapen, 

Könnt'  Hempeldipempel  nicht  wider  machen. 

Pommerellen. 
Aus  Neu- Vorpommern  findet  sich  im  Jahrb.  der  Berlin.  Sprach- 
gesellschaft, 1843.   Bd.  5,  252,  18,    ein  ähnliches  rätsei:    Entepotente 
usw.     Unser  herr  von  Ilenapen  heisst  dort  von  Akel  dör  Schäkel. 
Rochholz,  246. 

60.    Idelpatidel  füll  von  de  bänk, 

Adelpatadel  kem  on  wull  't  torecht  mäke  on  kunn  nich. 

Szichen. 
61.    Hottepotete  ober  de  bank, 

Hottepotete  under  de  bank, 

Da  kam  der  hottpotete 

Und  könnt'  es  nicht  mehr  ganz  machen. 

62.    Fallderallke  füll  vom  balke, 

Wat  kein  tömmermann  meä  mäke  kann. 

1)  Täuberchen  und  täubclieii.         2)  Häubchen. 

ZFITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PUILOLOGTE.      P,D.    XI.  23 


354  FBISCHBIBR 

63.    Et  geit  nich,  et  steit  nicli, 
Et  frett  nich,  et  bett  nich; 
Äwersch  wenn  öck  wöll, 
Denn  geit  et,  denn  steit  et, 
Denn  frett  et,  denn  bett  et. 

Neue  Preuss.  Prov.-Bl.  X,  288.  —     Vgl.  Simrock  II,  49. 

64.  Dort  und  da  ist  ein  kleines  haus, 
Und  wenn  der  meister  will  heraus, 
Muss  er  die  wand  aufklopfen. 

65.  Ich  kenn'  ein  kleines  weisses  haus 
Ohne  fenster  und  thoren. 

Und  will  der  kleine  wirt  heraus. 

So  muss  er  erst  die  wand  durchbohren. 

Pommerellen. 
Vgl.  Müllenhoff,  506,  11.     Kochholz,  234,  382.      Simrock  I,  18. 

66.    In  der  stadt  Stuhra 
Steht  'ne  gelbe  blum', 
Wer  die  gelbe  blum'  will  haben, 
Muss  die  halbe  stadt  abschlagen. 

67.  In  der  stadt  Weissenau 
Blüht  ein  gelbes  blümchen. 

Und  wer  das  blümchen  will  haben, 
Muss  die  stadt  Weissenau  zerschlagen. 

Pommerellen. 

Zeitschr.  f.  d.  Myth.  IV,  398.   —     Vgl.  Fiedler,    48.     Firmenich 
III,  120:  Kamern  bei  Sandau.     Eochholz,  234,  381.      Simrock  I,  19.  20. 

68.  Zwischen  Potsdam  und  Berlin 
Liegt  eine  goldne  uhr  begraben; 
Wer  die  gold'ne  uhr  will  haben, 
Muss  Potsdam  und  Berlin  zerschlagen. 

69.  Hinder  Berlin  on  Wittenberg 
Da  ligt  e  gold'ne  uhr  vergräwe; 
Wer  to  'r  gold'ne  uhr  wöll  käme, 
Mot  Berlin  on  Wittenberg  terschläne. 

Neue  Preuss.  Prov.-Bl.  X,  288.  —    Vgl.  Müllenhoff,  506,  10. 


DIE  THIEKWELT   IN   VOLKSBÄTSELN  355 

70.    Ich  ging  einmal  nach  Keitar, 
Da  stand  'ne  gelbe  blum'; 
Wer  die  gelbe  blume  will  haben, 
Muss  den  ganzen  berg  durchgraben. 
Eeitar,  d.  i.  Kenter,  ein  durch  sein  roggenbrot  beliebter  bäcker, 
der  eine  viertelmeile    vor   den   toren    der  stadt  Danzig  wohnt   und    zu 
welchem  die  kinder  ärmerer  leute  hinausgeschickt  werden,  um  brot  zu 
holen.     Zeitschr.  f.  d.  Myth.  IV,  399. 

71.    Ein  gelbes  blümlein  schwimmt  in  einem  weissen  see. 

72.  Ich  pflück'  ein  gelbes  blümchen  ab 
Auf  einem  weissen  see, 

Und  wer  es  mir  kann  raten. 
Den  zieh'  ich  nach  der  höh', 
Und  wer  es  mir  kann  denken, 
Dem  will  ich  ein  hühnchen  schenken. 
Neue  Preuss.  Prov.-Bl.  X,  288. 

73.  Es  ist  ein  kleines  klösterlein, 
Geht  weder  tür  noch  fenster  drein 

Und  wachset  doch  fleisch  und  bein  darin, 
Davon  hat  mancher  guten  gewinn. 
Vgl.  Simrock  I,  17.  Pommerellen, 

74.  Rund  werf  ich's  auf's  dach,  lang  kommt  es  herunter. 

75.  Wenn   't   'ropper   kömt,    ös  et  witt,    wenn  't  'runder  kömt, 
ÖS  et  gel. 

N.  Preuss.  Prov.-Bt.  VIII,  375.   —     Vgl.  Meier,    285.     Firme- 
nich III,  74:  Strelitz;  195:  Solingen.     Curtze,  295.     Simrock  I,  174. 

76.  Weiss  werf  ich's  auf's  dach  und  gelb  kommt's  herunter. 

77.  Wat  föllt  vom  schoppe  on  geit  nich  entwei? 

Das   ei,    wenn  es   die    henne  legt. 

78.  Ein  zichlein  ^  ohne  säum  (naht). 
Masurisch.     Poszeivka  hez  sseivha. 

Die  gans. 
79.    Witschelwatschel  geit  äwer  de  brügg', 
Heft  e  pungel  ^  bedd  op  em  rügg'. 

1)  Deminutiv  von  ziehe,  zieclie,  bezug,  Überzug-  eines  bottkissens. 

2)  Bündel,  kleines  pack;  doch  auch  menge,  häufe  (z.  b.  ein  pungel  menschen). 

23* 


356  FRISCHEIER 

80.  Patschfötke  geit  äwer  de  brögg', 

Heft  dem  könig  sine  bedd  op  era  rügg'. 
Var.  1:    Ging  en    Gederke   äwer  de    briigg'    usw.  — •     Vgl,  Siin- 
rock  II,  16. 

81.  Et  geit  wol  äwer  de  Brügg' 

On  heft  e  (wittet)  kösske  ^  op  em  rügg'. 
Vgl.  Simrock  I,  86. 

82.    Ein  kleines  müttercheu  hat  viele  kinderchen. 
Die  gans  mit   ihren  federn.     Littauisch:    Maki  Moterele  daug 
drapane  lutur.     Lepner,  Der  preusche  Littauer  usw.,  118. 

Die   gebratene  gans. 
83.    De  dösch  ös  gedeckt, 
De  mägd  liggt  gestreckt, 
De  flinder  de  flander, 
De  ben  von  enander. 
Var.  3  und  4:  Wenn  de  herr  wöll,  fömmelt^  hei  'rön. 

Die  feder   (der   gänsekiel). 

84.  Meine  herren  bittentaten. 

Ich  kann  nicht  länger  warten : 
Schneiden  sie  mir  den  leib  auf, 
Nehmen  sie  mir  die  seele  'raus, 
Geben  sie  mir  zu  trinken 
Und  lassen  sie  mich  spazieren  gehu. 
Ähnlich  bei  Rochholz,  226,  521. 

85.  Reisst  mir  den  köpf  ab, 
Zieht  mir  die  seele  aus, 
Gebt  mir  was  zu  saufen 
Und  lasst  mich  dann  laufen. 

86.   Man  sclmippert  mich,  man  schnappert  mich. 
Man  schneidet  mir  den  bauch  auf. 
Man  gibt  mir  was  schwarzes  zu  trinken. 
Dann  führt  man  mich  aufs  weisse  feld, 
Da  wein'  ich  schwarze  thränen. 

1)  Dem.  voll  kössc,  kissen. 

2)  Fömmelii,   hodid.  fimmeln,    seltener  fcimelii,    hin   und   her  fahren, 
schieben,  stossen,  namentlich  mit  den  bänden;  wedeln;  wehend  tiattern;  auch  coire. 


PIK    TiriKRWKLT    IN    VOI.KSRÄTSELN  357 

87.  Mau  schneidet  mir  den  köpf  ab,  man  reisst  mir  die  seele 
aus,  dami  bringt  man  mich  aufs  weisse  fehl. 

In  dem  litt,  rätsei,  das  Schleicher,  197,  mitteilt,  heisst  es  statt 
„seele":  herz,  und  lautet  der  schlusssatz:  „mach'  mich  dann 
reden!"     (Das  rätsei  hat  die  Imperativform.) 

88.    Ein  kurzes  ding  ist  lang  genug, 
Nur  eine  gute  spanne  misst  's. 
Am  köpf  hat  es  eine  ritze, 
Ohne  diese  ritze  ist  's  unnütze. 

Auch  mit  folgender  fortsetzung: 

und  sticht  man  in  ein  schwarzes  loch, 
So  giebt's  von  sich  einen  saft, 
Der  wunderbare  dinge  schafft. 
Manch  mädchen  nahm  es  in  die  band, 
Es  dient  zum  gebrauch,  nicht  bestand. 

89.  Et  ÖS  vom  lewe  on  heft  kein  lewe, 
Kann  forschte  on  kön'ge  antwort  gewe. 

Vgl.  Rochholz,  266,  522.     Simrock  I,  68. 

Der   storch. 

90.  Schnarraback 
Huckt  op  em  dack. 

Kickt  heraf,  wi  de  jiabock  den  grasbock  nem. 
Der   storch   sah   vom   dache   herab,    wie  der  habicht   eine  junge 
gans  nahm. 

Die   elster. 
91.    Höher  als  eine  kirche,  niedriger  als  ein  holzschlitten ,  schwär- 
zer als  kohle,  weisser  als  schuee.  Pomme rollen. 


Der   krebs. 
92.    Rot,  rot,  ritter  rot, 

Heft  e  lewe  on  kein  blot. 
Wer's  kann  raten. 
Kriegt  dreitausend  dukaten, 
Wer's  will  wissen, 
Muss  drei  Jungfern  küssen. 

93.    Ickepicke  hat  zwei  hörner, 

Rot  wie  Scharlach,  schwarze  körner. 
Vgl.  Simrock  I,  32. 


358  FRISCHEIER 

94.    Hopp  hopp  hake,  95.    Rot  scharläken, 

Rot  scharläke,  Danz'ger  wäpen, 

Von  bönne  flesch,  Bonnen  llesch, 

Von  hüte  knäke.  Buten  knäken. 

Pommerellen. 
96.  Schwarz  geh'  ich  in's  bett,  rot  komm'  ich  heraus.   Pommerellen. 

97.    Braun  werf  ich's  'rein,  roth  kommt's  heraus. 
Vgl.  Mone,  Anz.  VII,  266,  253. 

Der   floh. 
98.   Et  kerne  füf  gegange, 
De  nöme  ene  gefange, 
Se  föade  em  nä  Röblewötz, 
Von  Röblewötz  nä  Nägelspötz, 
Da  wurd  he  död  geschläge. 
Var. :  Es  kamen  fünf  gegangen.    Die  nahmen  ihn  gefangen,    Sie 
brachten   ihn   auf  Wirbelwitz,     Von  Wirbelwitz   nach  Nagelspitz,     Da 
haben  sie  ihn  gehangen.  Westpreussen. 

Es  kamen  zwei  gegangen ,  Die  nahmen  einen  gefangen  Und  brach- 
ten ihn  nach  Rollewitz,  Von  Rollewitz  nach  Nagelspitz,  Da  wurde  er 
zum  tode  verurteilt.  Wehlau. 

Vgl.  Curtze,  294.  Meier,  325.  Rochholz,  223,  367.368.  Mone, 
Anz.  VII,  263,  209. 

99.    Fünf  giengen  ihn  zu  jagen. 
Zwei  brachten  ihn  getragen 
Von  Ribblewitz  nach  Naglewitz, 
Von  Naglewitz  nach  Tischlewitz, 
Da  ward  er  totgeschlagen. 

Angerburg.     Dönhoffstädt. 
Var.:   Fünf  Jäger   weiten  jagen.    Zwei  brachten  ihn  zu  tragen, 
Von  Röllendorf  bis  Nagelsdorf,  Da  wurd'  er  totgeschlagen. 

100.    Fünf  männer  giengen  nach  Buckau 

Und  brachten  einen  gefangen  nach  Kuckau; 
In  Kuckau  wurd  ihm  das  urteil  gesprochen. 
Zwischen  tisch  und  daumen  das  genick  gebrochen. 
101.   Öck  ging  läng  en  gässke, 

Begegend'  en  schwartet  fäske,^ 
Et  fung  mi  an  to  puschle 
Op  e  bänk,  und're  bänk, 
Ön  em  bedd  am  beste.         Dönhoffstädt. 
1)  P'üchsclien,  Dem.  von  Foss,  Fuchs. 


DIE    THIERWELT    IN    VOI-KSRATSELN  359 

102.    Et  hämmelt  ou  fämmelt  mi  und're  bänk,   op  er  bänk,    öni 
bedd  am  beste. 

103.  Ich  begegnet'  einem  schwarzen  geschelein, 
Das  bot  mir  ruschelpuächel  an. 

Ich  aber  sagt':  Ich  hab'  einen  mann, 
Der  mich  ruschehi  und  puscheln  kann. 

104.  Ich  gieng  in  mein  schwarz  kämmerlein, 
Ich  begegnet  einem  schwarzen  fräulein. 
Sie  grüsst  mich  nicht, 

Ich  dankt'  ihr  nicht. 

In  der  nacht  besucht'  sie  mich. 
Var.:   Es  kam  in  meine  schlafkammer  eine  schwarze  dame.     Ich 
grüsste  sie  nicht,     Sie  dankte  mir  nicht,     In   der   nacht  kam  sie  und 
besuchte  mich. 

105.    Ganz  schwarz  bin  ich  gekleid't 
Und  springe  weit; 
Ich  bin  nur  klein 
Und  mache  pein. 

106.    Die  mädel  sind  als  wie  der  wind 

Mit  fingern  schnell  mir  auf  das  feil. 
Wenn's  ihnen  glückt,  werd'  ich  erknickt 
Und  hab'  zum  lohn  nur  spott  und  höhn. 

107.   Es  kommen  fünf  andere  zum  begräbniss.     Dönhoffstädt. 

Die  fliege. 
108.    Kam  a  ke'l  (kerl)  ve  (von)  Prusel, 
Hadd  'na  mantel  ve  Prusantel, 
Att  mi  'm  könig  mit.  Conitz. 

Das    Spinngewebe. 
109.    Et  hängt  an  e  wand  wie  schnodderlang.  ^ 

Die    Schnecke. 
110.    Ich  gehe  aus 

Und  bin  immer  zu  haus. 
Vgl.  Simrock  II,  45. 

KÖNIGSBERG   I.    PR.  H.    FRISCHBIER. 

1)  Die  länge  des  schnodders  =  nasenschleimes ,  rotzes. 


360 


BEITKÄGE  AUS  DEM  NIEDEEDEÜTSCHEN. 

Suns,  suuist. 

Grimm  sagt  Gr.  3,  618:  ,,Iü  den  übrigen  deutschen  dialecten 
lässt  sich  die  wiirzel  sin  (alt)  nicht  mehr  nachweisen,  abgesehen  von 
dem  altfränk.  siniscalcus.''''  Aber  jene  wiirzel  scheint  doch  im  mnd. 
erhalten  zu  sein.  Da  nämlich  die  vocale  i  und  u  nicht  selten  mit  ein- 
ander tauscheu,  so  kann  dem  sin  ein  sun,  dem  sinist  ein  s  im  ist 
entsprechen.  Die  germanischen  wortstämme  san  (alts.  san,  mox),  sun 
(got.  s-uns,  evd-kog)  und  sin  (ags.  sin,  perpekw)  sind  nicht  nur  im 
begriffe  der  zeitlichen  erstreckung  zusammenfallend,  sondern  auch  ety- 
mologisch eins.^ 

Simest  steht  in  folgenden  stellen:  Lüb,  Chr.  2,  519:  ein  islih  kos 
dar  sin  suneste,  wo  he  van  danne  Jconien  konde;  und  ebend.  538: 
men  se  dachte  overst  ere  suneste,  dar  se  was  in  der  erharen  veng- 
nisse  unde  lovede  so  vele  gudes  eneme  van  eren  deneren^  dat  he  hestel- 
lede  hemeliJcen  mit  gelde  tive  hengste  rasch. 

Man  wird  finden,  dass  suneste  hier  durch  wichtigstes,  bestes 
zu  übersetzen  ist.  Bei  nd.  suns  =  sins  muss  sich  eine  ähnliche  folge 
der  bedeutungen  entwickelt  haben,  wie  bei  lat.  antiquus,  der  chronist 
fand  wol  in  der  lat.  vorläge,  nach  welcher  er  frei  arbeitete,  ein  nihil 
antiquius  (Suet.  Claud.  11),  oder  antiquissimum  (Liv.  1,  32),  welche 
wichtigst,  best  bedeuten,  und  wagte  dafür  sunest,  ein  seltenes  wort 
in  seltener  bedeutung. 

Druppelk. 

Bei  Kindl.  MBtr.  3,  682  steht:  de  ander  drüppelhen  häume 
hören  in  den  andern  stohl.  DrüppelJcen  ist  im  Mnd.  WB.  mit  einem  ?, 
aber  unzweifelhaft  richtig  durch  kleiner  häufe  gedeutet,  mit  unrecht 
indess  ein  nominativ  druppelk  angesezt.  Kichtig  würde  die  stelle  lau- 
ten: dat  ander  drüppelken  häume  hört  in  den  andern  stol,  doch  mag 
der  scbreiber  wirklich  wie  oben  geschrieben  haben  und  durch  die  appo- 
sition  „bäume"  zu  seinem  de  und  hören  verleitet  seiu.  Drüppelken 
steht  für  drübhclken,  n.  träublein,  fig.  häutlein.  So  wird  das  wort  noch 
jezt  häufig  von  einer  kleinen  anzahl  dicht  zusammenstehender  bäume 
gebraucht. 

ISERLOHN.  F.   WOESTE. 

1)  Näheres  und  verwantes  in  einem  aufsatze  über  süss,  nmmesüss,  Z.  f. 
d.  mda.  7  (1877),  425  fgg. 


361 

BEEICHT    ÜBER    DIE    VERHANDLUNGEN    DER    DEUTSCH- ROMANISCHEN 

ABTEILUNG  DER  XXXIV.   VERSAMLÜNG   DEUTSCHER  PHILOLOGEN  UND 

SCHULMÄNNER  ZU   TRIER 

vom   24.  —  27.  septcmber    1870. 

I.  Vorsitzender:  prof.  dr.  Wilmanns,  Bonn. 
IL  ,,  ,,       ,,    ten  Briuk,  Strassburg. 

Nach  eröt'ming  der  ersten  sitzung,  am  24.  September ,  vormittags  11 V2  ihr 
teilt  der  erste  versitzende  mit,  dass  der  zum  zweiten  Präsidenten  designirte  herr 
prof.  dr.  Förster  aus  Bonn  durch  Unwohlsein  au  der  teilnähme  verhindert  sei. 
Dil-  stelle  desselben  wird  herrn  prof.  dr.  ten  Brink  übertragen.  Nach  wähl  der 
Schriftführer  verteilt  herr  prof.  W  ihn  ans  ein  schriftchen,  welches  er  aus  dem 
luxchlasse  Haupts  zur  erinnerung  an  die  stattfindende  versamlung  hat  drucken  lassen: 

Fragment  einer   mhd.   Übersetzung   der  Ilias. 
Es   ist  dies  ein  versuch  Lachmanns,    die  vcrse   Ilias  191  —  244  ins  mittelhoch- 
deutsche und  zwar  mit  anwendung  der  Nibelungcnstropbe  zu  übertragen. 

Am  anderen  tage  — •  nm  dies  gleich  vorweg  zu  nehmen  —  gelangte  noch 
zur  Verteilung  eine  spende  von  herrn  prof.  Crecelius  aus  Elberfeld  ,,aiich  zu- 
gleich im  namen  des  Vereins  für  niederdeutsche  Sprachforschung": 

Essener    Glossen. 

Nachdem  in  der  eröfnungssitzung  herr  prof.  Wilmanns  noch  über  die  fort- 
sehritte  und  die  bevorstehende  Vollendung  des  mittelniederdeutschen  Wörterbuches 
berichtet  hatte ,  wurde  dieselbe  geschlossen. 

In  der  zweiten  sitzung,  den  25.  September,  vormittags  8  uhr,  hielt  zuerst 
herr  prof.  Martin  aus  Strassburg  einen  Vortrag,  den  er  ,,Zur  Gralsage"  beti- 
telt liatte.i  Zunächst  tritt  er  der  ansieht  entgegen,  dass  Wolfram  nur  das  werk 
Chrestiens  von  Troies  zu  seinem  Parzival  benuzt,  mithin  alles  übrige  und  nament- 
lich auch  seinen  gewährsmann  Kyot  erfunden  habe.  Es  seien  ja  auch  noch  andere 
gedichte  aus  dem  bretonischen  Sagenkreise  verloren  gegangen.  Was  die  Überein- 
stimmung zwischen  Wolfram,  also  auch  Kyot,  und  Chrestiens  angehe,  so  seien 
dafür  verschiedene  erklärungen  möglich.  Am  wahrscheinlichsten  finde  er  es,  dass 
Kyot,  wie  ja  auch  andere  dichter,  Chrestiens  werk  fortgeführt  und  erweitert  habe. 
Namen  und  sagen  deutschen  Ursprungs  habe  ferner  die  altfranzösische  sage  auch 
anderweitig  in  sich  aufgenommen.  Gerade  die  anknüpfung  der  sage  vom  schwan- 
ritter  finde  sich  auch  bei  einem  fortsetzer  Chrestiens,  bei  Gerbert. 

Die  sagen,  welche  Wolfram  behandelt,  müssen  wir  als  in  damaliger  zeit 
weitverbreitet  und  vielfach  bearbeitet  ansehen.  Zum  beweise  diene  auch  die  Krone 
Heinrichs  v.  d.  Türlin.  Der  vortragende  zeigt  den  compilatorischen  Charakter  die- 
ses gedichtes,  macht  darauf  aufmerksam,  dass  verschiedene  der  eingewobenen 
erzählungen  sich  auch  in  späteren  französischen  und  englischen  gedichten  vorfinden 
und  schliesst  dann  auf  eine  französische  quelle ,  die  bereits  diesen  compilatorischen 
Charakter  an  sich  trug. 

Aus  der  art  und  mannichfaltigkeit ,  in  welcher  die  abenteuer  erzählt  würden, 
lasse  sich  schon  vermuten ,  dass  neben  der  poetischen  auch  eine  mündliche  prosaische 
Überlieferung  hergegangen  sei.     Dies  werde  auch  ausdrücklich   bezeugt.     Aus  einer 

1)  Der  Vortrag  soll  erweitert  und  mit  den  belegen  versehen  in  den  Quellen  und 
Forschungen  (Strassburg,  Triibnerj   verötfentlicht  werden. 


362  FRANCK 

stelle  von  "Waces  Brut  gehe  hervor,  dass  dieselbe  sogar  sehr  frühe  anzusetzen  sei. 
So  erkläre  sich  die  schriftliche  abfassung  der  prosaischen  erzähluug  in  so  frü- 
her zeit. 

Ganz  besonders  wichtig  sei  Heinrichs  gedieht  auch  für  die  Gralsage,  deren 
entwickelung  der  vortragende  —  nicht  ohne  vorbehält  —  zu  zeichnen  versuchte. 
Zweimal  komme  bei  Heinrich  Gawein  zum  Gral.  Das  erste  mal  sei  zwar  der  leztero 
nicht  beim  namen  genant,  aber  die  ereignisse  trügen  ganz  den  betreffenden  Cha- 
rakter. 

Die  erlösung  scheinbar  lebender,  wie  sie  bei  Heinrich  in  der  erzählung  vom 
Gral  vorkomt,  begegne  auch  sonst  in  deutschen  und  fremden  sagen,  nach  welchen 
könige  der  vorzeit  in  bergen  oder  schlossern  hausen.  Ein  solcher  sei  auch  der 
Gralhüter,  und  in  diesem  erkent  der  vortragende  Artus.  Von  ihm  werde  ähnliches 
berichtet  in  erzählungen,  als  deren  grund  prof.  Martin  einen  mythus  vom  Wechsel 
der  Jahreszeiten  vermutet.  Der  Gral  scheine  nichts ,  als  eine  geisterhafte  erneuerung 
der  tafeirunde.  Neben  dieser  rein  sinlichen  auffassung  desselben,  einer  art  ,, tisch- 
lein deck  dich,"  die  anfänglich  vorherseht,  trete  dann  erst  später  die  auknüpfung 
an  die  legende  von  Joseph  von  Arimathia.  Auch  bei  verwanten  stoffen  erscheine 
der  Übergang  von  der  volkssage  zur  legende,  nicht  umgekehrt. 

Der  vortragende  schliesst  mit  dem  wünsche ,  dass  ausgaben  späterer  gedichte 
aus  der  Gralsage ,  die  bereits  druckfertig  vorlägen ,  sowie  ein  in  Vorbereitung 
befindliches  namenbuch  der  bretonischen  sage  eine  wolwoUende  aufnähme  finden 
möchten. 

Hierauf  erhielt  das  wort  herr  dr.  Behaghel  aus  Heidelberg  zu  einem  vor- 
trage über  eine  neue  ausgäbe  der  Eneide  Heinrichs  von  Veldeke.^ 

Der  vortragende  gruppiert  zunächst  die  handschriften  und  meint,  dass  keine 
derselben  einen  so  guten  text  biete,  um  ihre  Schreibung  einer  ausgäbe  zu  gründe 
zu  legen.  Man  sei  daher  genötigt,  das  gedieht  in  die  Mastrichter  mundart,  in  der 
es  ursprünglich  abgefasst  gewesen,  umzuschreiben.  Das  wichtigste  hilfsmittel  bei 
einem  solchen  unternehmen  wäre  der  Servatius  ,  wenn  dieser  in  der  tat  ein  werk 
desselben  Verfassers  sei.  Die  gründe,  welche  gegen  die  leztere  annähme  geltend 
gemacht  worden  sind,  seien  teilweise  schon  widerlegt  von  Braune  und  Martin. 
Der  allerdings  bedeutende  abstand  von  stil  und  technik  der  erzählung  erkläre  sich 
durch  die  Voraussetzung,  dass  der  Servatius  ein  unreifes  jugendwerk  sei.  Es  sprä- 
chen andrerseits  positive  gründe  für  die  Identität.  Als  schlagendsten  beweis  führte 
der  vortragende  die  Übereinstimmung  beider  texte  in  mehreren  eigenartigen  aus- 
drücken an,  und  zwar  in  solchen  stellen,  wo  diese  ausdrücke  im  Servatius  durch 
die  lateinische  vorläge  ins  leben  gerufen  sind,  während  in  der  Eneit  die  quelle 
keine  veranlassung  dazu  bot.  Es  könne  also  kein  zweifei  mehr  darüber  obwalten, 
das  Servaes  und  Eneit  demselben  Verfasser  angehören,  und  dass  dem  ersteren 
die  Priorität  zukomme.  Der  zeitabstand  zwischen  beiden  werken  sei  jedoch  kein 
grosser. 

Die  dritte  sitzung,  welche  am  26.  vormittags  8  uhr  begann,  war  der 
frage  der  abfassung  einer  reihe  von  deutschen  dialectgrammatiken  gewidmet.  Herr 
dr.  Wegen  er  aus  Magdeburg  begründete  in  längerem  vortrage  eine  anzahl  von 
thesen,  die  er  im  naraen  der  im  vorigen  jähre  zu  Gera  gewählten  commission  zur 
beförderung  genanten  Unternehmens  vorgelegt  hatte.  Indem  der  Verfasser  die  ein- 
zelnen   unten  mitgeteilten   punkte    ausführte,    hier   und   da  sich  auch  noch  etwas 

1)  Herr  dr.   Behaghel  wird  selbst  eine  solche  veranstalten. 


PHILOLOGEN  -  VKESAML.    IN   TRIKR  363 

weiter  ergieng,  entwarf  er  ein  lebendiges  und  interessantes  bild  vom  wirken  einer 
ganzen  reibe  der  wiehtigsten  factoren,  die  das  sprachlebcn  überbaupt  bedingen. 
Zur  Orientierung  über  die  einzelbeiten  des  Vortrags ,  welcber  hoffentlich  durch  den 
druck  algemeiner  bekant  werden  wird,  mögen  eben  die  thesen  dienen: 

1)  Die  erste  aufgäbe  der  dialectforschung  ist  es,  den  dialectischen  sprachstoff 
phonetisch  und  grammatisch  möglichst  genau  zu  fixieren  und  so  der  histo- 
rischen Sprachforschung  zugänglich  zu  machen. 

2)  Zu  diesem  zwecke  soll  eine  reihe  von  dialectgrammatiken  ins  leben  gerufen 
werden,  die  nach  einem  gemeinsamen  plane  gearbeitet  werden  sollen. 

3)  Die  anläge  derselben: 

a.  Sie  sollen  zuerst  eine  genaue  lautphysiologische  Übersicht  aller  im  ein- 
zelnen dialecte  vorkommenden  laute  geben. 

b.  Sie  sollen   eine  Übersicht  euthalten   über  die   Veränderungen,    welche  die 
altgermanischen  laute  im  betreffenden  dialecte  erfahren  haben. 

Anmerkung  1.     In  der  anordnung  ist  somit  jedesmal  der  altgermanische  laut 
zu  gründe  zu  legen.     Bei  angäbe  des  modernen  lautes  ist  auf  die   laut- 
physiologische Übersicht  im  ersten  teile  zu  verweisen. 
Anmerkung  2.     Die  Veränderungen  sind  in  feste  lautgesetze  zu  fassen,  wobei 
der  unterschied  von  hochbetonter,    tieftoniger   und   tonloser   silbe  durch- 
zuführen  ist;    ebenso  die   parallelen  einwirkungen   von  enclisis  und  pro- 
clisis. 
Anmerkung  3.     Hinter  dem  lautgesetze  sind  jedesmal   die  fälle  zu  verzeich- 
nen, in  denen  das  lautgesetz  durchbrochen  ist; 
ß.  nach  analogie  andrer  formen  desselben  dialects, 
ß.  durch  aufnähme  von   formen  der   Schriftsprache  oder  eines  nachbar- 
dialects. 

c.  Die  grammatiken  sollen  einen  abriss  der  fiexionslehre  enthalten.    Hierbei 
sind  zu  verzeichnen : 

a.  die  substantiva  und  verba,   welche  aus  der  starken  in  die  schwache 

üexion  und  umgekehrt  übergetreten  sind; 
ß.  die  noch  in  der  spräche  wirklich  gebrauchten  starken  praeterita  und 

participia. 

d.  Wünschenswert  erscheint  eine  genaue  beobachtung  der  accentverhältnisse 
des  dialects: 

tt.  bei  dem  werte  in  pausa, 

ß.  bei  dem  werte  innerhalb   des  Satzgefüges  (Verhältnis  vom  wort-  zum 
satzaccent). 

e.  Wünschenswert  erscheint  ferner   eine  genaue  angäbe   der   musikalischen 
Intervalle  in  der  rede: 

«.  nach  den  logischen  nüancen  (behauptungssatz ,  fragesatz ,  ausrufsatz), 
ß.  nach  den  psychologischen  nüancen  (affecte). 

f.  Wünschenswert  sind  syntactische  beobachtungen : 

a.  im  einfachen  satze,  besonders  über  die  casus  und  tempora, 
ß.  im  zusammengesezten  satze,  besonders  über  die  fähigkeit  der  Unter- 
ordnung  der    Sätze    und    ihren    resp.    ersatz;    über    modi    und    ihre 
Umschreibung. 

g.  Wünschenswert:  eine  stylistische  Zusammenstellung: 

«.  abstractes  und  concretes, 

ß.  auf  welchen  gebieten  finden  sich  nüancierungen  der  Vorstellungen, 


364  FRANCK 

aa.   nach  sachlichen  differenzen  der  Torstellungen  selbst, 
ßß.    nach  psychologischen  differenzen,    wobei  besonders  die  nüaucen 
für  edle,    alltägliche,   kosende  und  komische  rede  ins  äuge  zu 
fassen  sind. 
Die  zusaninieustelluugeu  sind  nach  sachlichen  kategorien  in  der  augedeuteten 
weise  vorzunehmen. 

h.    Die  grammatiken  sollen  ferner  enthalten  ein  lexicalisches  Verzeichnis  aller 
etymologisch  nicht  durchsichtigen  Wörter. 
4.    Jede   grammatik  behandelt  einen  kleineren   historisch   und  kulturhistorisch 
seit  alter  zeit  zusammengehörigen  bezirk. 

a.  Die  grundlage  bildet  der  heimatsort  des  Verfassers. 

b.  Die  behandelte  landschaft  ist  in  ihre  dialectsprengel  zu  zerlegen ,  mit 
genauer  angäbe  aller  zu  einem  dialectsprengel  gehörigen  Ortschaften. 

0.  Die  dialectgrenzen  sind  möglichst  durch  natürliche,  oder  historisch -poli- 
tische grenzen  zu  bestimmen. 

d.  Die  gesichtspunkte  bei  der  abgrenzung  sind  die  differenzen  in  den  laiit- 
gesetzen ,  in  der  gesamtlage  der  sprachwerkzeuge  und  dem  accente. 

e.  Die  Verschiedenheit  in  der  behandlung  der  analogie  und  der  beeintlussung 
des  dialectes  durch  die  Schriftsprache  resp.  die  nachbardialecte  ist  kein 
grund  zur  Scheidung  in  verschiedene  dialectsprengel.  Sie  wird  an  betref- 
fender stelle  vermerkt. 

f.  Die  abgrenzung  des  dialectes  von  seinen  uachbardialecten  und  in  seine 
dialectsprengel  geschieht  in  der  einleitung  oder  in  einer  am  Schlüsse  fol- 
genden zusammenhängenden  abhandlung. 

Hier  sind  auch  die  sprengel  mit  bequemen  namen  zu  beneniien,  nach 
denen  sie  im  texte  der  grammatik  angeführt  werden. 

Es  folgten  dann  noch  einige  vorschlage,  die  die  erwirkung  einer  Unterstützung 
von  höherer  seite  und  einer  algemeineren  beteiligung  an  dem  unternehmen  betrafen. 

In  der  an  den  Vortrag  sich  knüpfenden  debatte  wurden  von  dem  wissen- 
schaftlichen teile  der  thesen  nur  untergeordnete  punkte  berülirt,  und  die  Überein- 
stimmung der  anwesenden  mit  denselben  in  allem  wesentlichen  konte  constatiert 
werden.  Dagegen  fanden  die  praktischen  vorschlage  vielfachen  Widerspruch.  So 
wünschenswert  die  in  denselben  erstrebten  ziele  auch  schienen,  so  wurde  doch  von 
verschiedenen  selten  betont,  dass  die  vorschlage  das  ganze  unternehmen  noch  viel 
zu  unbestimt  Hessen  und  zu  wenig  garantie  für  die  wirkliche  ausführung  böten, 
um  aussieht  auf  erfolg  zu  haben.  In  anbetracht  dessen  wurden  dieselben  von  der 
versamlung  abgelehnt,  dagegen  wurde  beschlossen,  die  bisherige  commission  zu 
bitten,  weiter  in  tätigkeit  zu  bleiben,  und  durch  Umschau  nach  geeigneten  Verfas- 
sern und  mit  einem  Verleger  gemachte  kostenüberschläge ,  di.s  unternehmen  bis  zu 
einem  punkte  zu  führen,  der  die  ausführhark eit ,  die  ungefähre  ausdehnung  und 
kosten  des  Unternehmens  erkennen  lasse,  um  dann  mit  grösserer  aussieht  auf  erfolg 
eine  Unterstützung  beim  reichskanzler  nachsuchen  zu  können. 

In  der  vierten  sitzung,  die  am  27.  vormittags  8  uhr  stattfand,  teilte 
zunächst  prof.  dr.  Erich  Schmidt  aus  Strassburg  aus  seinen  zum  abdruck  in  den 
Quellen  und  Forschungen  vorbereiteten  ,,  Beiträgen  zur  Kentniss  der  Klopstockschen 
Jugendlyrik"  eine  von  ihm  in  Freiburg,  von  Bernays  in  Zürich,  neu  aufgefundene 
ode  ,,An  Herrn  Schmidten"  mit  und  erörtert  autorschaft  und  datierung  derselben. 
Dann  gibt  er  noch  Varianten  zur  ode  an  Ebert,  welche  uns  einige  stellen  in  fi'eierer 


PHILOLOGEN -VERSAML.    IN    TRIER  365 

färbung  zeigen,  als  sie  später  mit  einer  auch  sonst  bemerkbaren  alzu  ängstlichen 
vorsieht  gestaltet  worden  sind. 

Den  Schlussvortrag  hielt  herr  dr.  Seuffert  aus  Würzburg  über  die  kurfürst- 
lich deutsche  geselschaft  in  Mannheim.  Ihre  gründung  steht  im  zusammenhange 
mit  den  aufklärungsbestrebungen  der  Pfalz  unter  Karl  Theodor.  Des  fürsten  eifer 
konte  zwar  einzelne  männer  anregen,  aber  auf  das  volk  war  eine  Wirkung  noch 
nicht  möglich,  zumal  dasselbe  durch  die  Jesuiten  von  aller  aufklärenden  bildung 
fern  gehalten  wurde  und  durch  die  herschaft  der  lateinischen  spräche  in  der  schule, 
der  französischen  spräche  und  sitte  im  leben  dem  nationalen  entfremdet  war.  Die 
versuche  des  Jesuiten  A.  Klein  für  deutsche  spräche  und  dichtung  am  gymnasium 
zu  wirken  hatten  dessen  entfernung  zur  folge.  Nach  aufhebung  des  ordens  zurück- 
gekehrt, nahm  er  als  professor  der  schönen  Wissenschaften  seine  bestrebungen 
wider  auf. 

Stephan  v.  Stengel  plante  die  errichtuug  einer  deutschen  geselschaft,  und 
Karl  Theodor  gab  im  october  1775  den  stiftuugsbrief ,  besonders  da  sich  auch  Klop- 
stock  für  den  entwurf  verwante.  Der  zweck :  spräche  und  geschmack  in  allen  stän- 
den zu  reinigen ,  die  künste  und  Wissenschaften  in  die  muttersprache  zu  verweben 
und  dadurch  auch  im  gemeinen  leben  zu  verbreiten,  auf  dass  sie  jedem  getreuen 
Pfälzer  verständlich  und  zu  eigen  würden,  wurde  sowol  in  den  monatlichen  ver- 
samlungen,  als  aucli  von  den  einzelnen  mitgliedern  innerhalb  ihrer  berufskreise 
verfolgt.  Aber  verflachung  und  ein  durch  wirkliche  erfolge  ins  leben  gerufener 
localpatriotismus  drängten  sich  ein  und  zeigten  sich  auch  in  den  „  Rheinischen  Bei- 
trägen" dem  zwar  nicht  offici eilen  ,  aber  doch  tatsächlichen  organ  der  geselschaft. 

Die  mitglioder  verraten  vielfach  anschluss  an  Herder.  „Sei  einfach  wie  die 
natur"  war  das  Schlagwort.  Aber  man  kämpfte  eifrig  gegen  die  modernen  Vereh- 
rer derber  Wirklichkeit.  Im  drama  forderte  man  zwar  stoffe  aus  der  deutschen 
geschichte  nach  Goethes  vorgange,  wünschte  aber,  besonders  Dalberg  und  Klein, 
den  ianibischen  vers.  Klein  neigte  überhaupt  zur  französischen  tragödie,  und  sein 
einfluss  auf  den  dichter  des  Don  Kaiios,  dessen  aufnähme  in  die  geselschaft  er 
veranlasst  hatte,  was  grösser  als  bisher  beachtet  wurde. 

Die  berührung  mit  dem  volke  lockerte  sich  schon ,  als  in  den  80er  jähren  in 
den  Schriften  mehr  und  mehr  arbeiten  hervortraten,  die  in  verwantschaft  stehen 
mit  den  gleich  anfangs  von  der  geselschaft  geplanten  studien  zu  einer  geschichte 
der  deutschen  spräche.  Noch  mehr  zerriss  der  Zusammenhang  mit  dem  volke 
dadurch,  dass  die  preisgekrönten  Verfasser  der  geselschaftsschriften  keine  Pfälzer 
Avaren.  Die  politischen  ereignisse  taten  das  lezte,  und  mit  der  kurfürstlichen  Pfalz 
hörte  auch  die  geselschaft  auf. 

Hiermit  schlössen  die  sectioussitzurigen  der  diesjährigen  versamlung.  Das 
album  wies  41  teilnehmer  auf.  Als  präsident  der  abteilung  bei  der  nächstjährigen 
versamlung  in  Stettin  wurde  herr  prof.  dr.  Reifferscheidt  zu  Greifswald  in  aus- 
sieht genommen.  Herrn  prof.  Wilmanns  wüste  jeder  dank  für  die  mit  besonderer 
umsieht  gehandhabte  leitung  der  geschäfte. 


366 

LITTERATUR 

Wilhelm  Arnold,    Deutsche   Urzeit.     Gotha,   F.  A.  Perthes.    1879.    441  s.    8. 
n.  m.  8,40. 

Der  Verfasser  der  ,,  Ansiedelungen  und  Wanderungen  deutscher  Stämme"  hat 
in  vorliegendem  werke  eine  wissenschaftliche  darstellung  der  geschichte  der  deut 
sehen  urzeit  bis  zur  gründung  der  fränkischen  monarchie  und  der  Innern  zustände 
während  dieser  zeit  geliefert.  Die  ,, Deutsche  urzeit"  ist  zunächst  für  das  nicht- 
gelehrte publikum  bestimt,  wendet  sich  aber  auch  an  den  kleineren  kreis  der 
fachgeuossen.  Nach  den  einleitenden  bemerkungen  (s.  3  und  4)  beabsichtigt  verf. 
namentlich  den  streit,  der  bei  der  eigentümlichkeit  der  Germania  des  Tacitus  über 
den  culturzustand  der  Deutschen  unausbleiblich  ist,  zu  entscheiden  und  das  dun- 
kel aufzuhellen,  welches  über  der  vülkerb'cwegung  im  eigentlichen  Deutschland  vor 
und  während  der  Völkerwanderung  ruht.  Gewiss  ist  es  dankenswert,  wenn  zu  sol- 
chem zwecke  die  resultate  der  historischen  forschungen,  der  vergleichenden  Sprach- 
forschung und  mythologie  zusammengefasst  werden,  aber  während  der  verf.  sich 
für  sein  schweres  werk  wesentliche  Unterstützung  durch  das  heranziehen  der  orts- 
namenforschung  verschalft  hat,  hat  er,  wie  schon  von  anderer  seite  bemerkt  ist 
(s.  Augsb.  AUg.  Zeitung  nr.  22  u  23.  märz  d.  j),  von  den  ergebnissen  der  ethnolo- 
gie,  technologie  und  kraniologie  sowie  der  gräberfunde  im  algemeinen  keinen  aus- 
gedehnteren gebrauch  machen  wollen  —  wol  deshalb ,  weil  von  selten  dieser  Wis- 
senschaften teilweise  noch  zu  wenig  sicheres  geboten  wird. 

Im  einzelnen  ist  der  stoff  so  gegliedert,  dass  ein  erstes  buch  in  vier  capiteln 
die  vorgeschichtlichen  Wanderungen,  die  kämpfe  mit  dcnEömern,  den  pfahlgraben 
und  seine  bedeutung  und  endlich  die  bildung  der  neuen  stamme  schildert,  während 
im  zweiten  buche  die  culturstufe ,  das  kriegswesen ,  Verfassung  und  recht ,  glaube 
und  geistiges  wesen  behandelt  werden.  Im  ersten  capitel  wird  demnach  der  Stamm- 
baum der  indogermanischen  Völker  aufgestelt,  ihre  ursprüngliche  heimat  und  der 
weg,  den  die  einzelnen  stamme  genommen,  geschildert  und  endlich  ein  bild  der 
cultur  des  indogermanischen  urvolkes  entworfen.  Darauf  wird  von  der  slavisch- 
deutschen  familie  specieller  und  schliesslich  von  den  Deutschen  allein  in  allen  die- 
sen beziehungen  gehandelt  und  namentlich  an  der  band  der  Sprachgeschichte  der 
culturfortschritt  und  das  eintreten  in  die  nordische  weit  verfolgt  sowie  die  bildung 
der  deutschen  spräche  durch  alliteration,  accent,  lautverschiebung  und  ablaut  dar- 
gelegt. —  Den  algemeinen  Vorzügen  des  Werkes,  der  klaren  und  einfach -schönen 
darstellung  und  der  geschicklichkeit  in  der  verständlichen  widergabe  Avissenschaft- 
licher  gedanken  begegnen  wir  schon  in  diesem  capitel  vielfach,  doch  muss  ander- 
seits hervorgehoben  werden,  dass  der  Verfasser  in  der  darstellung  von  Sachen, 
welche  noch  gegenständ  viel  umstrittener  wissenschaftlicher  fragen  sind,  nicht  sel- 
ten zu  sichere  entscheidungen  zu  treffen  scheint.  Dies  gilt  namentlich  von  den 
partieu,  in  welchen  die  ursprünglichen  Wohnsitze  des  urvolkes,  die  reihenfolge  und 
richtung  der  Wanderungen  der  einzelnen  stamme  bestimt  werden.  Ebenso  hätte  die 
deutnng  des  namens  Germanen  als  nachbaren  (s.  26)  und  die  einordnung  der  Gelten 
in  die  slawo  -  deutsche  gruppe  nicht  als  unumstösslich  sicheres  ergebnis  der  Wissen- 
schaft hingestelt  werden  sollen.  —  Nachdem  so  die  Urgeschichte  der  Germanen  bis 
zu  ihrem  eintreten  in  den  gesichtskreis  der  alten  culturvölker  geführt  ist,  bringt 
das  zweite  capitel  die  kämpfe  mit  den  Kömern  in  anziehender  weise  zur  darstel- 
lung. Selbst  die  „müssigen  fragen"  auf  s.  46  und  68  nehmen  wir  gern  mit  in  den 
kauf.    —      Im    nächsten    abschnitt    schildert   verf.  die  Donau-    und  Eheinlinie    der 


VON  HAGEN,  ÜBER  ARNOLD,  DEUTSCHE  URZEIT  367 

römischen  befestigmif?en  nach  ihrer  äusseren  von  einander  abweichenden  gestalt, 
nach  ihrer  entstehun«^  und  richtung,  nach  ilirem  zweck  und  ihrer  politischen  bedeu- 
tung  für  die  Eömer  einerseits  und  für  die  westlich  und  östlich  derselben  wohnen- 
den Deutschen  andrerseits.  In  lezterer  hinsieht  wird  besonders  hervorgehoben ,  wie 
das  gewaltige  werk  die  fehde-  und  beutelustigen  deutschen  hirtenstämme  fest- 
gehalten und  an  sesshaftigkeit  gewöhnt  habe.  Dass  diesem  abschnitte  verhältnis- 
mässig viel  räum  gewidmet  ist,  so  dass  manches  hätte  gekürzt  werden  können  — 
die  beschreibung  des  Donaulimes  kehrt  z.  b.  dreimal  wider,  auf  s.  84,  90  und  91)  — 
erklärt  sich  daraus,  dass  der  Verfasser  sich  bewust  war,  den  meisten  lesern  gerade 
mit  diesem  teile  neue  tatsachen  und  gesichtspunkto  zu  eröffnen,  aber  wol  auch 
daraus,  dass  er  die  bedeutung  des  pfahlgrabens  sehr  hoch  anschlägt,  wenn  er  s.  113 
schreibt:  ,,der  pfahlgraben  hat  die  Germanen  überhaupt  erst  befähigt  an  den  vor- 
teilen höherer  gesittung  und  bildung  teil  zu  nehmen"  —  und  s.  114:  ,,dass  diese 
ansässigkeit  sich  vollziehen  konte,  das  hat  der  pfahlgraben  und  seine  Verteidigung 
durch  die  Römer  bewirkt."  Wie  viel  aber  geleistet  ist,  sieht  man  leicht  aus  einer 
vergleichung  dieses  abschnittes  mit  der  darstellung  bei  Forbiger  Handb.  d.  alten  geogr. 
2.  a.  s.  305.  —  Im  zusammenhange  mit  der  änderung  in  der  lebensweise  der  Ger- 
manen steht  die  bildung  der  neuen  stamme,  die  seit  dem  anfange  des  3.  Jahrhun- 
derts an  stelle  der  etwa  50  klein ern  der  älteren  zeit  auftreten.  Verfasser  verzich- 
tet darauf  eine  Verteilung  der  lezteren  auf  die  fünf  hauptklassen  des  Plinius  oder 
auf  die  mythischen  hauptstämme  des  Tacitus  vorzunehmen  und  weist  unter  scharf- 
sinniger benutzung  der  Ortsnamen  nach,  aus  welchen  elementen  sich  die  fünf 
stamme  der  Alemannen,  Franken,  Sachsen,  Thüringer  und  Baiern  gebildet  haben. 
Als  Ursachen ,  welche  das  zusammenfliessen  der  einzelnen  stamme  erklären  ,  gibt 
verf.  den  Jahrhunderte  dauernden  krieg  mit  den  Eömern  und  den  in  folge  dessen 
zunehmenden  ackerbau  sowie  die  kämpfe  der  Deutschen  unter  sich  an.  Politik  und 
eroberung  und  das  emporkommen  der  königsherschaft  scheinen  hier  zu  wenig  her- 
vorgehoben zu  sein.  Nach  s.  124  könte  es  scheinen,  als  hätten  die  Deutschen 
überhaupt  erst  durch  Armin  gelernt  bündnisse  zu  schliesseu,  wenn  es  heisst:  ,,Der 
grosse  bund,  den  Armin  zusammengebracht  hatte,  löste  sich  zwar  bald  wider  auf, 
allein  das  beispiel  war  gegeben."  Das  beispiel  Ariovists  und  Marbods  zeigt  aber, 
wie  leicht  talentvolle  fürsten  mit  ihren  gefolgschaften  grössere  einheiten  zu  schaf- 
fen vermocht  hatten.  Auch  daran  konte  vielleicht  erinnert  werden,  dass  die  alte 
barbarische  sitte  der  Germanen  eine  möglichst  weite  einöde  um  ihr  gebiet  zu  schaf- 
fen (Caes.  B.  G.  VI ,  23)  mit  der  zunähme  der  bevölkerung  und  nach  der  entste- 
hung  des  pfahlgrabens  von  selbst  aufhören ,  die  nachbarn  offen  Stellung  zu  einander 
nehmen  und  so  an  stelle  der  alten  mürrischen  abgeschlossenheit  enge  berührungen 
treten  musten,  die  sich  unter  dem  druck  der  römischen  Invasion  nur  freundschaft- 
lich gestalten  konten.  Die  auf  s.  127  gegebene  beantwortung  der  frage,  weshalb 
es  bei  den  Ostgermanen  nicht  zu  ähnlichen  processen  des  zusammenschmelzens 
kam,  hat  uns  nicht  genügt.  Da  nämlich  der  beginn  der  bildung  der  neuen  stamme 
im  Westen  vom  verf.  selbst  ins  zweite  Jahrhundert  gesezt  wird  und  die  wanderuno-en 
der  Gothen  aus  dem  gebiete  der  untern  Elbe  und  Weichsel  nach  dem  Schwarzen 
meere  in  dieselbe  zeit  fallen,  so  ist  nichts  erklärt,  wenn  es  heisst:  „Die  östlichen 
stamme  verliessen  ihre  früheren  sitze,  sie  wanderten  volständig  aus  und  blieben 
vorläufig  auch  auf  der  Wanderung  geschlossene  Völker.  Eben  darum  musten  die 
alten  namen  mit  wandern,"  denn  es  fragt  sich  grade,  weshalb  sich  vor  der  Wan- 
derung nicht  grössere  einheiten  gebildet  haben.  Es  dürfte  nicht  genügen  auf  die 
spätere  und  weniger  innige  berührung   zwischen  Ostgermanen  und  Römern  hinzu- 


368  VON   HAGEN 

weisen,  vielmehr  müssen  die  vei'hältnisse  des  Ostens  überhaupt,  die  Verschiedenheit 
der  hodenheschaffenheit  und  die  dadurch  bedingten  weiteren  unterschiede  zwischen 
Ost-  und  Westgermanen  zur  entscheidung  dieser  frage  herangezogen  werden.  — 
Am  glücklichsten  ist  der  nachweis ,  aus  welchen  dementen  die  neuen  stamme  her- 
vorgiengen,  bei  Alemannen  und  Franken  geliefert,  bezüglich  derer  dem  Verfasser 
die  resultate  seiner  eigenen  Ortsnamenforschung  zur  seite  standen;  am  wenigsten 
zwingende  gründe  scheinen  bei  der  besprechung  der  bildung  des  Sachsenstammes 
vorgebracht  zu  sein.  Die  ausbreitung  des  Sachsenuamens  wird  s.  159  erklärt  durch 
den  hinweis  darauf,  dass  verschiedene  angriffsweise  gegen  das  römische  reich  vor- 
gehende stamme  mit  dem  namen  desjenigen  stammes  bezeichnet  wurden,  der  in 
jenen  gegenden  die  angriffe  eröfnet  hatte.  Doch  dürfte  diese  annähme  wol  nur 
die  erweiterte  bedeutung  des  Sachsennamens  auf  seite  der  Römer,  nicht  aber  bei 
den  Deutschen  selbst  ins  licht  setzen.  Die  auffallende  tatsache,  dass  sowol  bei 
Sachsen  als  Thüringern  der  bundesname  von  dem  beziehungsweise  schwächsten 
bestandteile  der  neuen  stamme  (s.  159  und  168)  herzuleiten  ist,  wird  nicht  hervor- 
gehoben oder  erklärt.  Doch  zeigt  die  geschichte  der  entwickluug  der  Thüringer 
glänzende  combinationsgabe.  Die  Semnonen  werden  freilich  wol  irtümlich  als 
bestandteil  derselben  angenommen.  —  Über  die  Sueven  ins  klare  zu  kommen  dürfte 
nach  den  angaben  des  Verfassers  schwer  sein.  Denn  s.  121  werden  dieselben  zu 
den  Westgernianen ,  s.  128  aber  zu  den  ursprünglich  niederdeutschen  stammen 
gerechnet  und  s.  138  erscheinen  sie  als  die  oberdeutschen  Schwaben.  Die  an  lezter 
stelle  mit  dem  ausdruck  ,,die  spätem  Sueven"  beabsichtigte  Unterscheidung  tritt 
jedenfals  nicht  bestirnt  genug  hervor.  —  Weniger  neues  bietet  die  darstellung  der 
Wanderungen  der  Baiern.  Verf.  entscheidet  sich  dafür  diesen  stamm  von  den  Mar- 
komannen abzuleiten  und  erklärt  die  uamensänderung  aus  dem  zusammenschmel- 
zen kleinerer  gotliischer  Völker  mit  denselben. 

Die  darstellung  der  innern  zustände  begint  verf.  mit  der  besprechung  der 
cultur.  Nach  einer  schönen  parallele  zwischen  Kelten  und  Germanen  findet  er, 
dass  wir  durch  die  uns  eigentümliche  begabung  an  kraft,  Vielseitigkeit  und  energie 
sowie  dadurch  vom  Schicksale  begünstigt  sind,  dass  uns  eine  langsame  zweitausend- 
jährige stetige  entwicklung  vergönt  war,  da  sowol  die  berührung  mit  dem  chri- 
stentume  als  mit  dem  Römischen  reiche  zur  rechten  zeit  erfolgte.  Im  algemeinen 
wird  die  bildung,  welche  die  Deutschen  vor  den  lezterwähnten  ereignissen  erreicht 
hatten,  etwas  niedrig  angesehen.  Auch  von  Südosten  auf  den  s.  234  angeführten 
wegen  können  und  müssen  ihnen  bildungselemente  zugekommen  sein:  erscheinen 
doch  grade  die  Gothen  als  die  gebildetsten  und  bildungsfähigsten  aller  Germanen. 
Bei  darstellung  der  wirthschaftlichen  zustände  wird  zwischen  den  extremen  ansich- 
ten  der  neuem  sowie  zwischen  Caesar  und  Tacitiis  vermittelt,  besonders  in  lezter 
beziehung  mit  glück,  indem  der  widersprach  zwischen  beider  berichten  durch  die 
annähme  beseitigt  wird,  dass  Caesar  am  ende  der  alten,  Tacitus  am  anfange  der 
neuen  cntwicklungsperiode  beobachtet  habe.  In  den  ereignissreichen  150  jähren, 
die  zwischen  beiden  grossen  Schriftstellern  liegen ,  wurde  bei  den  Westgermanen  der 
folgenschwere  Übergang  vom  halben  nomadenleben  zur  sesshaftigkeit  durch  die  Römer 
erzwungen  und  eine  weitere  entwicklung  trat  durch  den  pfahlgrabeu  ein.  Diese 
gedanken  bilden  den  kern  der  ansieht  des  verf.  und  sie  kehren  deshalb  an  verschie- 
denen vielleicht  zu  zahlreichen  stellen  (s.  113,  207,  216  —  18,  314,  320)  wider.  — 
Dass  aber  in  der  urzeit  die  besiedelungen  geringfügig  gewesen  sein  müssen  und 
dass  die  bodenbearbeitung  sich  weder  an  ausdehnung  noch  an  Intensität  auch  nur 
mit    der   der  fränkischen  zeit  vergleichen  lasse,    schliesst  verf.   zunächst   aus    der 


ÜBER  ARNOLD,  DEUTSCHE  URZEIT 


369 


g-eriiigen  anzahl  der  ortsnamou,  die  sich  in  Hessen  —  der  einzigen  zu  solclieii 
beobachtungen  geeigneten  landschaft  —  als  uralt  herausstellen  und  aus  der  masse 
von  fiur-  und  forstnanien,  die  dagegen  auf  waldige  und  sumpfige  bodenbeschaffen- 
heit  hindeuten.  Analoge  Verhältnisse  werden  für  das  übrige  Deutschland  voraus- 
gesezt.  Zu  ähnlichen  ergebuissen  gelaugt  verf.  auch,  indem  er  andrerseits  die 
berichte  der  alten  ins  rechte  licht  sezt.  Den  vielbesjjrocheuen  ausdruck  bei  Tacitus 
(Germ.  26)  arva  per  annos  mutant  versteht  er  mit  Hanssen  (und  Baumstark^i  gewiss 
richtig  von  einem  Wechsel  der  äcker  selbst,  so  dass  auf  einjährige  bestellung  eines 
ackers  mehrjährige  benutzung  desselben  als  Weideland  folgte.  Einen  widersprach, 
wie  verf.  s.  229,  können  wir  daher  auch  nicht  in  den  worten  der  Germania:  agri  — 
occupantur  und  quos  —  partiuntur  finden.  Im  ersten  satze  ist  die  rede  von  der  occu- 
pierung  des  teiles  der  feldmark,  der  zur  bestellung  an  die  reihe  kommen  soll;  die 
grosse  dieses  stückes  richtet  sich  natürlich  nach  den  vorhandenen  arbeitskräften 
(pro  nuraero  cultorum)  und  an  die  getroffene  auswahl  sind  alle  gebunden  (ab  uni- 
versis  occupantur).  Im  zweiten  satze  spricht  Tacitus  dagegen  von  der  sich  not- 
wendig daranschliessenden  Verteilung  der  zu  bearbeitenden  fläche  unter  die  gau- 
genossen ,  wobei  natürlich  die  angesehenen  besser  wegkamen.  Da  im  nächsten  jähre 
wider  ein  anderes  stück  laud  an  die  reihe  komt,  so  ist  von  einer  ,,  definitiven 
landverteiluug"  hier  keine  rede.  Wenn  der  stamm  längere  zeit  nicht  wanderte, 
konte  sich  allerdings  das  gruudeigentum  in  der  weise  entwickeln,  dass  einzelne 
gern  früher  bearbeitete  äcker  wider  in  besitz  nahmen,  nachdem  die  reihe  der  zu 
bestellenden  teile  der  flur  von  vorn  angefangen  hatte.  Gegenüber  der  lezteren  frage, 
wie  das  gruudeigentum  sich  gebildet  habe ,  verhält  sich  verf.  sehr  zurückhaltend : 
er  nimt  an,  dass  sich  dasselbe  erst  nach  einfüliruug  der  dreifelderwirtschaft  gebil- 
det habe.  — •  Unsicher  bleiben  die  Schlüsse  von  den  mit  ahd.  wawar  =  vagus 
gebildeten  Ortsnamen  auf  eine  eriunerung  an  die  sittc  des  wechseis  mit  den  ackern 
und  von  den  mir  -Jär  gebildeten  auf  das  wandern  der  niederlassung  selbst.  —  Das 
Vorhandensein  von  städten  und  damit  von  allem  activen  handel  und  gewerbe  wird 
in  abrede  gestelt.  Man  erwartet  an  dieser  stelle  des  buches  (s.  232)  einige  andeu- 
tungen  über  die  von  Caesar  erwähnten  oppida  und  die  zahlreichen  Ortsnamen  des 
Ptolomaeus  (II,  11)  die  noch  Forbiger  als  städte  auffasst,  während  jezt  die  aus- 
leger  zu  Tacitus  German.  16  dessen  äusseruug  strict  aufrecht  erhalten.  Die  ring- 
wälle werden  nur  kurz  erwähnt,  von  ihrer  geographischen  Verbreitung  findet  sich 
nichts,  von  ihrem  zwecke  weiter  unten  weniges.  Den  schluss  des  capitels  bilden 
kurze  mitteilungen  über  nahrungsmittel,  kleidung  und  Wohnungen.  —  Bei  der 
darstellung  des  kriegswesens  steht  verf.,  wie  er  selbst  andeutet,  nicht  auf  der 
grundlage  selbständiger  studien.  Daher  wol  fehlt  diesem  abschnitte  bisweilen 
die  anschaulichkeit,  welche  die  Schilderungen  des  buches  sonst  auszeichnet.  — 
Besonderu  dank  sind  wir  dagegen  dem  Verfasser  für  die  folgende  darleguug 
von  Verfassung  und  recht  schuldig:  an  klarheit  wird  dieselbe  gewiss  von  kei- 
ner andern  übertroffen.  In  wieweit  das  hier  vorgetragene  aber  sicher  ist,  wagen 
wir  nicht  zu  beurteilen.  Lob  verdient  auch  das  lezte  capitel  vom  glauben 
und  geistigen  leben ,  nur  hätten  wir  diesem  wegen  der  inneru  bedeutung  der 
Sache  eine  noch  etwas  grössere  ausdehnung  gewünscht :  der  räum  hätte  sich 
durch  Streichung  einzelner  stellen,  z.  b.  in  dem  vom  pfahlgraben  handelnden 
capitel,  der  diatribe  auf  s.  40  und  der  hereinziehung  der  mosaischen  völker- 
tafel  (s.  8.  16.  17)  gewinnen  lassen.  Übrigens  hat  das  bestreben  des  Verfassers 
den  oft  ausgesprochenen  gedanken  als  richtig  zu  erweisen,  dass  die  Deutschen  Avie 
kein  anderes  volk  bestimt  gewesen  seien  das  Christentum  zu  erfassen  zu  einer  über- 

ZEITSCHR.    P.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      HD.    XI.  24 


370  VON   HAGEN 

Schätzung  der  sittlichen  bilduiig  des  deutschen  heidentums  geführt.  Es  darf 
doch  nicht  verkant  werden,  dass  unsere  vorfaliren  nach  dieser  richturg  andera 
indogermanischen  Völkern  weit  nachstehen.  Während  z.  b.  die  Inder  die  sitte  der 
menschenopfer  schon  sehr  frühe  aufgegeben  haben,  muss  dieselbe  bei  den  Deut- 
schen von  algemeiner  beliebtheit  und  von  hoher  bedeutung  für  das  ganze  volks- 
ieben gewesen  sein,  da  sich  das  volk  in  manchen  gegenden  die  äusseren  gebrauche 
der  sühnopfer  bis  auf  den  heutigen  tag  nicht  hat  nehmen  lassen  (s.  Kluge ,  Über 
die  ursprüngliche  bedeutung  usw.  der  Johannisfeste.  Progr.  Mühlhausen  1873).  — 
Sehr  auffallend  ist  es  ferner,  wenn  s.  425  bei  erwähnung  der  hinopferung  sämt- 
licher gefangenen  nach  der  schlacht  —  also  bei  kaltem  blute  —  gesagt  wird: 
,,Es  ist  nicht  viel  anders,  wie  wenn  in  unsern  heutigen  schlachten  bei  grosser 
erbitterung  (!)  kein  pardon  gegeben  wird."  —  Einer  correcteren  fassung  bedürfen 
wol  auch  diejenigen  stellen,  an  denen  von  der  berührung  des  Christentums  mit 
dem  heidentume  gehandelt  wird.  Es  klingt  widersprechend,  wenn  es  s.  439  heisst: 
,,  Ebensowenig  ist  es  zufall,  dass  der  neue  glaube  grade  zu  einer  zeit  verkündet 
wurde,  als  die  heidnische  form  des  religiösen  bewustseins  sowol  bei  den  Völkern 
der  alten  weit  wie  bei  den  neu  eintretenden  Germanen  sich  ausgelebt  hatte"  — 
während  s.  200  (und  ähnlich  s.  429  unten)  gesagt  war:  „Vor  allem  war  es  ein  glück, 
dass  uns  das  Christentum  zugeführt  wurde,  ehe  der  verfall  und  die  entartung  des 
heidentums  eintraten."  • —  Dass  ,,bei  den  Germanen  die  weibliche  mythologie 
weniger  entwickelt  sei,"  mag  im  algemeinen  richtig  sein,  doch  beweisen  die  Tan- 
fana  des  Tacitus  und  die  Vagdabera  Custia  niederrheinischer  Inschriften,  die  neuer- 
dings mit  glück  als  eine  deutsche  göttin  erklärt  worden  ist  (s.  Fulda,  epigraphi- 
sche mitteilungen  usw.  in  Jahrbücher  des  Vereins  von  altertumsfreunden  im  Khein- 
lande.  Heft  LXI.  Bonn  1877.) ,  dass  manche  weibliche  gottheiten  ganz  verschol- 
len sind,  ihre  anzahl  also  grösser  gewesen  sein  mag,  als  es  jezt  scheint. 

Bei  der  geringfügigkeit  der  von  uns  gemachten  ausstellungen  dürfen  wir 
gewiss  das  urteil  aussprechen,  dass  der  herr  Verfasser  sich  mit  seiner  arbeit  den 
dank  der  gebildeten  verdient  hat.  Wenn  auch  bei  der  benutzung  für  wissenschaft- 
liche zwecke  eine  mühsame  prüfimg  in  manchen  abschnitten  geboten  ist,  so  sind 
wir  doch  der  ansieht,  dass  sich  der  wünsch  des  Verfassers,  die  fachgenossen  möch- 
ten sein  buch  nicht  ohne  nutzen,  die  laien  nicht  ohne  vergnügen  lesen,  jedenfalls 
erfüllen  wird.  Grade  deshalb  aber  möchten  wir  noch  zum  schluss  auf  einige  ein- 
zelnheiten aufmerksam   machen. 

Der  ausgebildete  sinn  für  schöne  form  Hess  den  Verfasser  durchweg  noten 
unter  dem  texte  verschmähen,  aber  dass  auch  am  ende  des  ganzen  oder  der 
einzelnen  abschnitte  begründende,  das  streitige  und  zweifelhafte  hervorhebende 
anmerkungen  und  alle  litteraturnachweisungen  fehlen  ist  zu  beklagen,  da  die 
benutzung  für  den  einen  teil  der  leser  dadurch  sehr  erschwert  ist.  —  Die 
existenz  der  s.  10  erwähnten  „hohen  gebirgskette  des  Belurtagh"  ist  nach  neuern 
forschungen  mehr  als  zweifelhaft.  Richtiger  wäre  als  ostgrenze  der  heimat  der 
Indogermanen  das  hohe  und  breite  plateau  von  Pamir  genant  worden.  —  Zu 
misverständnissen  gibt  der  ausdruck  s.  11:  ,,Das  gotische  zeigt  persischen  ein- 
fluss"  um  so  eher  anlass  als  s.  25  von  einer  politischen  berührung  iranischer 
stamme  mit  europäischen  die  rede  ist.  —  Die  s.  32  sehr  kurz  und  sicher  gege- 
bene erklärung  des  deutschen  betonungsgesetzes ,  nach  der  die  durchgehende 
betonung  der  stammsibe  einfach  auf  der  hervorhebuug  der  alliterierenden  silben 
beruht,  wäre  nur  dann  annehmbar,  wenn  es  nachweisbar  wäre,  dass  die  allitera- 
tion  älter  wäre  als  jene  betonung  und  dass  sie  in  der  spräche  des  gewöhnlichen  lebens 


ÜBER  ARNOLD,  DEUTSCHE  URZEIT  371 

in  demselben  umfange  gelierscht  liabe  als  in  der  poesie.  Scherer  hat  in  einem 
vortrage  über  den  Ursprung  der  deutschen  nationalität  die  in  rede  stehende  erschei- 
nung  wol  richtiger  auf  den  leidenschaftlich -kriegerischen  sinn  der  deutschen  zurück- 
geführt, dem  es  stets  nur  darum  zu  tun  war  das  wesentlichste  des  wertes  eindring- 
lich hervorzuheben.  —  Der  innere  gruud  für  das  auftreten  der  ersten  lautverschiebung, 
welcher  s.  36  fg.  aufgestelt  wird,  hat  wenig  Wahrscheinlichkeit.  Denn  einmal  haben 
auch  die  Gelten  und  Slaven  die  ursprünglichen  aspiraten  eingebüsst,  andrerseits 
kann  das  Finnische ,  dem  die  aspiraten  und  die  Unterscheidung  von  media  und  tenuis 
fehlen,  ?gewiss  nicht  das  auftreten  neuer  aspiraten  und  das  feine  sich  im  ganzen 
vorgange  kundgebende  gcfühl  für  die  unterschiede  der  cousonantenstufen  erklären, 
ganz  abgesehen  davon,  dass  es  an  sich  wenig  plausibel  ist,  dass  finnische  sclaven 
das  ganze  germanische  consonantensystem  solten  erschüttert  haben.  —  In  der 
besprechung  des  ablauts  (s.  39)  ist  namentlich  der  ausdruck  ungenau:  ,, anfange  des 
ablauts  sind  auch  in  den  übrigen  arischen  sprachen  vorhanden."  Denn  der  Vor- 
gang der  vocalschwächung  und  namentlich  der  zwiefachen  Steigerung  ist  in  man- 
chen indogermanischen  sprachen  weit  durchsichtiger  als  im  deutschen.  TiTi'/urjxa 
neben  rt/udoj  ist  überdies  kein  beispiel  für  den  ,,ablaut,"  für  die  a-reihe  bieten 
Qijyvvfxi  und  fQQwya  neben  iQQdyrjv  beide  Steigerungen  und  den  einfachen  wurzel- 
vocal.  —  Die  dreimal  (s.  21,  392,  416)  betonte  etymologische  Identität  von  dsög 
und  deus  ist  nicht  ohne  weiteres  zuzugeben.  —  Falsch  heisst  es  s.  358:  ,,Truch- 
sess,  lat.  dapifer,  wie  truchsess  soviel  als  speiseträger."  Das  richtige  lehrt  jedes 
lexikon.  —  Das  ahd.  zepar  (s.  425)  ist  im  gotischen  nicht  erhalten ,  es  solte  wol 
anstatt  ,,got.  tibr"  heissen:  ags.  über.  —  Der  ausdruck  (s.  111)  ,,der  äussere 
kern  blieb"  und  sätze  wie  s.  75:  ,,  die  Soldaten  waren  es  müde  alljährlich  nach 
Germanien  auf  die  schlachtbank  geführt  zu  werden  .  .  .  und  auf  der  heimfahrt  in 
der  nordsee  zu  ertrinken"  und  s.  406:  ,,Denn  trinken  tun  die  germanischen  götter 
auch"  würden  auch  wol  ohne  unser  zutun  in  einer  neuen  aufläge  der  übrigen  dar- 
stellung  conform  gemacht  worden  sein.  Einen  erheblichen  druckfehler  haben  wir 
nur  s.  437  (Reichsaltertümer)  bemerkt. 

SÄNGERHAUSEN.  THEODOR   V.   HAGEN. 


Dr.  Richard   Hamel,    zur  Textgeschichte    des   Klop  stockschen  Messias. 
Rostock,  W.  Werther.    1879.    62  s.    M.  1,20. 

Die  vorliegende  schrift  verdient  in  hohem  grade  beachtung.  Seit  J.  W.  Loo- 
bell  (1856)  und  David  Strauss  (1858)  ist  der  Verfasser  meines  Wissens  der  erste,  der  — 
unbeirrt  von  den  landläufigen  urteilen  und  vorux-teilen  —  Klopstocks  dichterische 
persönlichkeit  und  die  entwickluug  seiner  technik  studiert  hat;  und  er  hat  dies 
getan  nach  streng  philologischer  methode  durch  genaue  vergleichung  der  zahlrei- 
chen und  bedeutenden  Veränderungen ,  welche  Klopstock  an  dem  texte  seines  haupt- 
werkes  vornahm.  Das  kritische  material  scheint  herr  Hamel  zu  beherschen  wie 
kein  anderer;  ich  bin  auf  den  genaueren  nachweis  der  s.  8  —  9  nur  kurz  gegebenen 
resultate  seiner  forschungen  über  die  Chronologie  der  einzelnen  teile  des  Messias, 
sowie  über  den  Avert  und  die  Zuverlässigkeit  der  verschiedenen  ausgaben  begierig. 
Als  Vorläufer  weiterer  publicationen  gibt  herr  Hamel  ferner  beobachtungen  über  die 
durch  metrische  rücksichten  hervorgerufenen  änderungen,  sowie  einzelne  andeutun- 
gen  über  diejenigen,  die  ein  fortschreiten  der  stilistischen  und  grammatischen  ein- 
sieht oder  eine  Umgestaltung  der  dogmatischen  anschauung  des  dichters  bezeugen. 

24^ 


'612  ERDMANN,    ÜBER    HAMEL ,    ZUR    TEXTGESCH.    D.    MESSIAS 

Die  mit  richtigem  gefülil  für  das  wirklicii  wesentliche  und  beachtenswerte  ausge- 
wählten nachweise  sind  oft  höchst  überraschend:  sie  lassen  erkennen,  welche  fülle 
von  belehrenden  und  bildenden  beobachtungen  sich  durch  hingebendes  Studium  auch 
an  diesem  so  oft  grundlos  angegriffenen  werke  gewinnen  lässt.  Von  den  ersten 
gesungen  1748  bis  zur  ausgäbe  lezter  band  1800  erscheint  der  dichter  nicht  in  dem 
grade,  wie  es  öfters  behauptet  worden  ist,  fertig  und  abgesclilossen  auf  seinem 
Jünglingsstandpunkte  verharrend,  sondern  als  ein  bis  zum  greisenalter  beständig 
fortschreitender,  lernender;  er  strebte,  wie  Hamel  s.  14  mit  recht  bemerkt,  den 
fortschritten  der  von  ihm  geschaffenen  dichtersprache  gleich  zu  bleiben,  ja  die 
führung  in  ihr  zu  behalten.  Interessant  sind  namentlich  die  nachweise  (s.  10  fgg.) 
des  einflusses,  welchen  die  beurteilungen  seiner  dichtung  auf  Klopstock  übten,  so 
wenig  er  es  auch  seiner  würde  für  angemessen  fand,  irgend  einem  seiner  Verehrer 
oder  angreifer  öffentlich  zu  antworten.  Merkwürdig  sind  im  einzelnen  ferner  die 
bemerkungen  über  die  alliteration  s.  34  fgg. ,  in  der  Hamel  eine  nachwirkung  von 
Klopstocks  altgermanischen  studien  sieht.  Die  s.  50  fgg.  56  fgg.  in  kurzen  zügen 
dargestelte  Klopstocksche  dämonologie ,  sowie  namentlich  die  erst  almählich  klar 
und  entschieden  erfasste  gestalt  des  bereuenden  und  endlich  begnadigten  Abbadona 
hat  wirklich  ein  weit  in  die  anschauungen  der  zeit  hineingreifendes  Interesse;  ich 
erinnere  an  Schubarts  dichtungen  und  plane,  an  Klingers  romane  und  betrachtun- 
gen,  an  die  tiefere  auffassung  der  Faustidee.  In  manchen  dogmatischen  fragen 
(s.  55)  berührt  Klopstock  sich  merkwürdig  mit  seinem  alten  Vorgänger  Otfrid 
(II,  4-6). 

Herrn  Hamels  arbeit  beweist  sorgfältiges  quellenstudium ,  feine  und  scharfe 
beobachtnng,  sowie  endlich  die  bei  diesem  stoffe  besonders  wünschenswerte  fäliig- 
keit,  das  wichtige  und  wesentliche  aus  einer  menge  von  dateu  geschickt  herauszu- 
heben. Diese  fähigkeit  ist  besonders  anerkennnenswert  in  unserer  zeit,  wo  über 
deutsche  litteratur  so  mancher  junge  mann  das  wort  ergreift,  der  an  den  unreif- 
sten und  unselbständigsten  arbeiten  eines  autors  hängen  bleibt,  ohne  für  einen 
zusammenfassenden  überblick  seiner  gesamtentwicklung  Verständnis  zu  zeigen.  Des- 
halb dürfen  wir  von  den  weiteren  arbeiten  des  Verfassers  über  Klopstock  wol  nicht 
nur  reiche  belehruug  im  einzelnen  erwarten,  sondern  auch  (mag  man  auch  mit 
einigen  ästhetischen  ansichten  nicht  völlig  einverstanden  sein)  ein  gesamtbild  von 
Klopstock,  welches  der  wirklichen  bedeutung  des  mannes  und  des  dichters  mehr 
entspreche,  als  das  jezt  bei  der  mehrzahl  des  deutschen  publikums  vorhersehende. 
Denn  jezt  allerdings  ist  die  unwillige  Schlussfrage  des  Verfassers  nicht  unberech- 
tigt: „Was  wissen  wir  Deutschen  von  Klopstock?  " 

KÖNIGSBERG,    SEPTEMBER    1879.  OSKAR    ERDMANN. 


rinnboga  Saga  hins   ramma  herausgegeben   von  Uug-o  Creriug-.     Halle, 
Buchhandlung  des  Waisenhauses,  1879.     XL,  115  s.    8.    M.  3,60. 

Die  Finnboga  saga  hins  ramma,  die  uns  jezt  in  Gering«  sorgfältiger  aus- 
gäbe erst  recht  zugänglich  geworden  ist,  gehört  zu  den  schwächeren  erzeugnissen 
der  isländischen  sagalitteratur.  Dass  sie  auf  historische  glaubwürdigkeit  keinen 
anspruch  machen  kann,  hat  Gudbrandr  Vigfüsson  nachgewiesen  (vgl.  Gering 
s.  XXXIII  fgg.).  Leider  aber  hat  der  Verfasser  den  mangel  an  geschichtlicher  objec- 
tivität  auch   nicht  durch    fesselnde    erfindung  zu    ersetzen  versucht.     Die  einzelnen 


SYMONS,     ÜBER    FINNBOGA    S.    ED.    GERING  373 

Züge  der  erzählung,  insoweit  sie  nicht  auf  historischer  grundlage  oder  auf  entloh- 
nuüg  aus  anderen  sagas  beruhen  ,  sind  armselig  erdichtet,  die  kunst  der  motivirung 
ist  kaum  hie  und  da  in  schwachen  spuren  bemerkbar,  die  Charaktere  der  auftre- 
tenden personen  zeigen  nirgends  jene  innere  lebenswahrheit,  die  uns  in  den  bes- 
seren isländischen  erzähluugen  so  heimatlich  anmutet,  sondern  sie  sind  bald  flach, 
bald  verzerrt.  Kein  wunder,  dass  das  ganze  ohne  Wirkung  bleibt.  Auch  der  jüngste 
herausgeber  weiss  dem  werke,  dem  er  eine  lange  liebevolle  pflege  gewidmet  hat, 
wenig  gutes  nachzurühmen.  Das  beste  an  ihm  ist  vielleicht,  dass  es  Gering  ver- 
anlassung zu  einer  treliicheii  ausgäbe  geboten  hat,  durch  welche  das  studium  der 
altnordischen  grammatik  eine  weitere  sichere  grundlage  erhält  Man  darf  immer- 
hin bedauern,  dass  der  herausgeber  es  nicht  vorgezogen  hat,  seineu  fleiss  einer 
saga  von  bedeutenderem  inneren  werte  zu  gute  kommen  zu  lassen,  etwa  der  Lax- 
dsela  nach  derselben  handschrift,  die  seiner  ausgäbe  der  Finnboga  s.  zu  gründe 
liegt;  aber  mau  vergesse  eben  nicht,  dass  Grerings  hauptzweck  ein  grammatischer 
Avar.  Dieser  nun  ist  volständig  erreicht,  und  vielleicht  um  so  volständiger,  je 
weniger  voraussichtlich  die  reize  des  Inhalts  den  leser  von  dem  studium  der  Ortho- 
graphie und  des  formenwechsels  abziehen  werden. 

Die  gestalt,  in  der  uns  Gering  die  saga  bietet,  ist  ein  buchstabengetreuer 
abdruck  des  textes  nach  cod.  AM  132  fol.,  von  ihm  mit  A  bezeichnet.  Doch  sind 
offenbare  Schreibfehler  gebessert  (der  herausgeber  hat  sie  s.  XVII  aufgezählt) ,  die 
abkürzungen  aufgelöst,  die  eigennamen  durch  grosse  anfangsbuchstabea  kentlich 
gemacht,  endlich  ist  unabhängig  von  der  handsclu-ift  eine  geregelte  Interpunktion 
durchgeführt,  bei  der  jedoch  —  ich  sehe  nicht  recht,  aus  welchem  gruude  —  aus- 
schliesslich der  punkt  verwendet  wurde.  Vielleicht  hätte  mancher  eine  durchweg 
normalisierte  ausgäbe  vorgezogen.  Ich  meinerseits  bin  dem  herausgeber  dafür 
dankbar,  dass  er  darauf  verzichtet  hat.  Zu  einer  im  höchsten  sinne  kritischen 
behandlung  des  textes  lag  durchaus  kein  grund  vor.  So  aber  hat  Gering  durch 
einen  getreuen  abdruck,  der  überall  den  eindruck  grosser  genauigkeit  macht,  dem 
grammatiker  ein  beträchtliches  stück  einer  wichtigen  handschrift  als  schätzbares 
material  für  Untersuchungen  geboten.  Der  codex  AM  132  gehört  zu  den  bekan- 
testen,  zugleich  aber  zu  den  vorzüglichsten  isländischen  handschriften.  Bekant 
geworden  ist  er  in  Deutschland  wol  namentlich  durch  die  auf  ihm  beruhende  aus- 
gäbe der  Hallfredar  saga  in  den  Fornsögur  von  G.  Vigfusson  und  Tb.  Möbius. 
Die  Orthographie  der  handschrift,  obgleich  ebensowenig  wie  die  irgend  einer  ande- 
ren isländischen  handschrift  durchaus  consequent,  ist  doch  verhältnissmässig  gerin- 
gen Schwankungen  unterworfen  und  gibt  ein  vorzügliches  bild  von  dem  stände 
des  laut-  und  formenwechsels  um  die  scheide  des  XIII.  und  XIV.  Jahrhunderts. 
Der  Variantenapparat  unter  dem  texte  bietet  die  lesarten  von  cod.  membr.  AM  510. 
4.  saec.  XV/XVI,  von  Gering  mit  B  bezeichnet,  diese  in  normalisierter  Ortho- 
graphie. 

Die  einleitung  gibt  über  alles  wissenswerte  genügende  auskunft.  Sie  bespricht 
zuerst  die  benuzten  handschriften ,  am  eingehendsten  natürlich  A.  Die  lautverhält- 
nisse  dieses  cod.  sind  genau  dargestelt ,  einiges  aus  der  formenlehre  ist  hinzugefügt 
(s.  V— XIX).  Gerings  samlungen  sind  ein  dankenswerter  beitrag  zur  altn.  gram- 
matik. Dabei  fallen  auch  einige  bemerkungen  ab,  die  der  aufmerksamkeit  der 
grammatiker  nicht  entgehen  werden.  Namentlich  hebe  ich  hervor  das  s.  VI  fgg. 
über  die  formen  des  verbums  (jera  gesagte.  Gering  macht  mit  recht  auf  die  merk- 
würdige erscheinung  aufmerksam,  dass  in  den  überlieferten  formen  der  handschrift 
dieselbe  differenzieruug  vorliegt,  die  sich  in  den  neunordischen  sprachen  bis  auf  den 


374  SYMONS 

heutigen  tag  crhalteu  hat.  Während  der  i^raeseiisstamni  fast  ausnahmslos  e  zeigt 
(nur  ein  einziges  mal  findet  sich,  wol  durch  schreibernachlässigkeit,  die  2.  pers. 
sing,  imperat.  gior  11 1^),  also  fjera ,  c/eri,  ger  usw.,  kent  das  praeteritum  sowie 
das  adjectiv  und  adverb  neben  formen  mit  e  (geräa,  gert,  gerla  usw.)  auch  solche 
mit  io  resp.  o  {gioräis ,  giorr,  giorla,  gort  usw.).  Nun  ist  ohne  weiteres  klar,  dass 
mit  e  einerseits,  mit  o  und  io  andererseits  verschiedene  laute  gemeint  sind:  e  ist 
der  combiuierte  v-{-j-  umlaut  des  ursprünglichen  ä  (e),  o  der  einfache  t;-umlaut 
((?),  während  nach  Gerings  wol  richtiger  auffassung  das  i  (=  j)  vor  dem  o  in  der 
Schreibung  io  aus  den  praesensformen  eingedrungen  ist,  die,  wie  das  heutige  dän. 
gjore,  norw.  gjora,  auch  isl.  ohne  frage  gJ0ra,  gjera  gesprochen  worden  sind.  Die 
differenzierung  scheint,  trozdem  einige  der  ältesten  isl.  hss.  sie  nicht  oder  doch 
nur  teilweise  kennen,  alt  zu  sein.  Zu  entscheiden  bleibt,  ob  die  demnach  anzu- 
setzenden praeteritalformen  geräa  und  gqräa ,  sowie  die  adjectiva  gorr  und  gqrr, 
beide  lautgesezlich  aus  verschiedenen  grundformen  zu  stände  gekommen  sind,  oder 
ob  nicht  vielmehr  physiologisch  nur  die  formen  gqräa,  gqrr  berechtigt  sind,  die 
nebenher  laufenden  goräa ,  gorr  aber  auf  formenassociution  nach  der  analogie  des 
praesensstammes  beruhen.  Gering  neigt  sich  zu  lezterer  annähme.  Bugge  Röksten 
s.  43  fg.  (nicht  34,  wie  Gering  s.  VII  anm.  irtümlich  angibt)  denkt  für  das  adj. 
wenigstens  an  verschiedene  grundformen  *garvir  und  *garvar.  In  einer  anzeige  von 
Gerings  buch  im  lezten  hefte  der  Germania  (XXIV,  368  fgg.)  hat  0.  Brenner  die 
frage  eingehend  besprochen.  Brenner  will  das  io  in  den  formen  des  praeteritums 
als  brechuug  von  e  auffassen.  Zu  einer  sicheren  entscheidung  gelangt  er  übrigens 
nicht.  Seine  fleissige,  aber  wenig  übersichtliche  erörtcrung  hat  mich  nicht  über- 
zeugt. Ist  die  diifereuzierung  in  der  tat  alt  —  und  diese  fi'age  bedarf  allerdings 
noch  genauerer  Untersuchung  — ,  so  halte  ich  mit  Gering  eine  doppelte  formüber- 
tragung  aus  dem  praesens,  zuerst  des  *  {j),  dann  des  0  (e),  also  eine  entwicklungs- 
reihe  *garväa,  gqräa,  gjqräa,  gjeräu  (=  geräa,  geräa)  für  recht  wahrscheinlich. 
Gerade  der  umstand,  dass  nicht  das  praet. ,  wol  aber  das  adj.  noch  formen  mit 
einfachem  <^  zeigt,  spricht  für  die  annähme  einer  ausgleichung,  da  das  adjectiv, 
als  ausserhalb  des  verbalsystems  stehend ,  sich  in  seiner  grösseren  Isolierung  der 
Wirkung  der  analogie  am  längsten  entziehen  konnte.  —  Eine  hübsche  beobachtung 
ist  auch  der  s.  XI  erwähnte  Wechsel  von  ä  und  t  im  auslaute  mehrsilbiger  Wörter, 
je  nachdem  die  vorlezte  silbe  mit  t  schliesst  oder  nicht.  Also  getiä,  litiä,  aber 
tekit ,  mikit.  Vgl.  jezt  auch  Brenner  a.  a.  o.  s.  371,  dem  ich  beistimme.  Zu  der 
bemerkung  s.  XIII,  dass  die  hs.  vor  dentalen,  namentlich  nach  vorhergehendem 
kurzen  vocal,  l  und  n  verdoppelt,  verweise  ich  jezt  zur  ergänzung  auf  E.  Mogk 
Beitr.  6 ,  482  anm.  6. 

S.  XIX  —  XXXI  handeln  von  den  übrigen  handschriften ,  in  denen  die  Pinn- 
boga  saga  ganz  «oder  teilweise  überliefert  ist.  Die  behauptung  Gerings,  dass  A 
und  B  auf  eine  gemeinsame  quelle  zurückgehen,  A  jedoch  der  urform  der  saga  bei 
weitem  näher  steht,  hat  sich  mir  bei  nachprüfung  der  ersten  20  capitel  als  zutref- 
fend erwiesen.  Für  die  textkritik  der  saga  kömt  ausserdem  das  fragment  C  in 
betracht,  ein  pergamentblatt  (cod.  AM  162  B  fol.  saec.  XV),  das  s.  XXI  fgg.  vol- 
ständig  abgedruckt  ist.  Der  tcxt  ist  kürzer  als  der  von  A  und  B.  Im  gegensatze 
zum  neuen  handschriftenkataloge  der  Universitätsbibliothek  zu  Kopenhagen  hält 
Gering  das  fragment  für  den  rest  einer  gekürzten  recension  der  saga,  die  B  näher 
steht  als  A,  ohne  doch  direct  auf  jene  hs.  zurückzugehen.  Auch  dieser  ansieht  des 
herausgcbers  muss  ich  beipflichten.  Alle  übrigen  hss. ,  sämtlich  bis  auf  n  papier- 
handschriften ,   schliessen  sich  entweder  an  A  oder  an  B  an   oder  sind  mischhand- 


ÜBEK  FINNBOGA  S.  ED.  GERING  375 

Schriften,  und  kommen  für  die  textkritik  nicht -weiter  in  frage.  Die  vcrwantschafts- 
verhältnisse  sämtlicher  Codices  verdeutlicht  ein  Stammbaum  s.  XXXI,  der  für  ABC 
ohne  zweifei  richtig  ist.  Ob  auch  für  die  papierhss. ,  deren  Varianten  der  heraus- 
geber  verständiger  weise  nicht  mitgeteilt  hat,  kann  ich  natürlich  nicht  entscheiden. 
Es  kömt  übrigens  bei  dem  geringen  wert  der  saga  auch  gar  nicht  darauf  an. 

Das  lezte  viertel  der  einleituug  verbreitet  sich  über  die  bisherigen  ausgaben 
und  die  bisherige  litteraturgeschichtliche  Verwertung  der  saga  (s.  XXXI  —  XXXIII), 
ihre  historische  glaubwttrdigkeit  (s.  XXXIII — XXXVIII)  und  ihren  ästhetischen 
wort  (s.  XXXVIII  —  XL).  Die  ,,  schwachen  spuren  einer  gewissen  epischen  kunst 
und  eines  gesunden,  trockenen  humors,"  die  Gering  s.  XXXIX  bemerkt  haben  will, 
scheinen  mir  in  der  tat  so  schwach  zu  sein,  dass  das  äuge  eines  herausgcbers  dazu 
nötig  ist,  sie  zu  entdecken. 

Dem  texte  folgt  ein  glossar  und  namenverzeichnis.  Im  glossar  sind  nur  die- 
jenigen Wörter  und  bedeutungen  berücksichtigt,  die  in  Möbius  altnordischem  glos- 
sar fehlen ,  und  dies  verfahren  ist  nur  zu  billigen ,  da  man  erwarten  und  verlangen 
darf,  dass  jenes  vortreft'liche  hilfsmittel  sich  in  der  hand  jedes  anfängers  befindet. 

Druck  und  ausstattung  des  buches  lassen  nichts  zu  wünschen  übrig.  Von 
druckfehlern,  die  s.  113  fgg.  nicht  berichtigt  sind,  ist  mir  nur  aufgefallen:  s.  VIII, 
z.  2  V.  u.  fülle,  1.  fälle.  Fafnismäl  mit  kurzer  erster  silbe  s.  XII  ist  wol  nur  ein 
versehen,  da  die  länge  des  a  gesichert  ist. 

Viele  isländische  sagas  sind  kaum  zugänglich  oder  in  einer  gestalt,  die  den 
an  Sprüchen  unserer  zeit  nicht  mehr  genügt,  unter  diesen  einige  der  schönsten. 
Eine  neue  ausgäbe  der  Laxdasla  und  der  Eigla  ist  ein  dringendes  bedürfnis.  Gewiss 
würden  alle  freunde  der  altnordischen  litteratur  es  Gering  dank  wissen,  wenn  er 
sich  dazu  entschliessen  könte,  diesem  bedürfnis  abzuhelfen. 

GRONINGEN,  10.  SEPT.  1879.  B.  SYMONS. 


1)  Die  Zeitfolge  der  abhängigen  rede  im  Deutschen  von  dr.  Otto 
Behag-hel.     Paderborn ,  Ferd.  Schöningh.    1878.     85  s.    8.    M.  1,50. 

2)  Über  einige  fälle  des  conjunctivs  im  mittelhochdeutschen.  Ein 
beitrag  zur  syntax  des  zusammengesezten  satzes,  von  Ludwig"  Bock 
(Quellen  und  Forschungen  XXVII).  —  Strassburg,  Karl  J.  Trübner,  1878. 
VIII,  74  s.     8.    M.  1,50. 

Der  in  folge  verschiedener  umstände  leider  sehr  verspäteten  anzeige  vorste- 
hender abhandlungen  möge  ein  kurzes  wort  über  die  algemeine  äussere  fassung 
derartiger  Untersuchungen  vorausgehen. 

Derjenige  wird  sich  offenbar  den  besten  dank  seiner  leser  erwerben,  welcher 
nicht  nur  ein  interessantes  wissenschaftliches  problem  richtig  löst,  sondern  auch 
diese  lösung  in  einer  weise  'zur  darstellung  bringt,  dass  der  leser  in  möglichst 
kurzer  zeit  und  mit  möglichst  geringer  mühe  Übersicht  über  und  einsieht  in  den 
erörterten  gegenständ  gewint.  Das  gilt  nun  freilich  von  wissenschaftlichen  Unter- 
suchungen jeder  art,  nicht  zum  mindesten  aber  von  denjenigen,  welche  syntactische 
fragen  zum  objecte  haben,  deren  heikle  natur  so  wie  so  schon  aufmerksamkeit  und 
nachdenken  völlig  in  auspruch  nimt.  Wünschenswert  ist  also  eine  klare  und  über- 
sichtliche einteilung  der  abhandlung  in  hauptabschnitte ,   kapitel  und  paragraphen, 


376  KLINGHARDT 

und  dies  nicht  nur  iiu  köpfe  des  Verfassers,  sondern  auch  für  das  äuge  des  lesers 
in  Überschriften,  Vorschriften,  gesperrtem  druck  usav.  ersichtlich;  zeitweise,  gleich- 
falls äusserlich  hervorgehobene  Zusammenfassung  der  gewonnenen  resultate,  sowie  — 
bei  selbständig  publiciertcn  abhandlungen  —  eine  voransgestelte  oder  nachfolgende 
tabellarische  Übersicht  des  Inhalts  dienen  ebenfalls  sehr  zur  Unterstützung  des 
lesers. 

In  dieser  hinsieht  ist  die  Bocks  che  arbeit  geradezu  als  musterhaft  zu  bezeich- 
nen, und  man  muss  auf  das  dringendste  wünschen,  dass  recht  viele  sich  an  solcher 
darstellung  ein  beispiel  nehmen  mögen.  Dagegen  erschwert  die  Behagheische 
abhandlung  mit  ihren  endlos  ohne  alles  äussere  merkzeichen  fortlaufenden  abschnit- 
ten ausserordentlich  die  arbeit  der  lectüre. 

Noch  etwas  anderes  aber  möchte  ich  vor  allem  denjenigen  empfehlen ,  welche 
Untersuchungen  ähnlicher  natur  veröffentlichen.  Nur  in  seltenen  fällen  nämlich 
wird  es  nötig  oder  möglich  sein,  diejenige  sprachstufe  bzw.  diejenigen  sprach- 
stufen, welche  das  object  der  erörtemng  bilden,  nach  ihrem  ganzen  umfange  zu 
durchforschen.  Damit  der  leser  nun  aber  genaue  kontnis  erhält  des  bodens  ,  auf 
dem  sich  die  Untersuchung  bewegt,  würde  es  recht  dienlich  sein,  wenn  die  Verfas- 
ser immer,  bevor  sie  in  ihi-e  syntactische  erörterung  eintreten,  genau  angeben, 
welche  schriftsteiler  resp.  werke  sie  mit  rüeksicht  auf  die  vorliegende  frage  voll- 
ständig durchgearbeitet  haben,  und  welche  andere  von  ihnen  nur  teilweise  und 
oberflächlich  mit  herangezogen  worden  sind. 

1)  Ich  wende  mich  nun  Behaghels  schrift  über  die  Zeitfolge  der  abhän- 
gigen rede  im  deutschen  zu.  Dass  verf.  für  Untersuchungen  der  historischen 
bzw.  der  vergleichenden  syntax  die  richtigen  gesichtspunkte  bosizt,  beweisen 
abschnitte  algemeiner  art  wie  s.  3  und  s.  10,  14,  26,  27;  und  in  der  tat  ist  die 
historische  syntax  eine  noch  zu  junge  Wissenschaft,  als  dass  es  nicht  angezeigt 
wäre,  ihre  grundsätze  immer  und  immer  wider  zu  betonen  und  zu  widerholen.  Die 
frage  aber,  die  sich  verf.  stelt,  ist  diese:  ,,Wie  werden  im  deutschen  der 
conj.  praes.  und  conj.  praet.  in  der  abhängigen  rede  verwendet?" 
Derselbe  versteht  nun  unter  abhängiger  rede*  jede  mittcilung  der  worte  oder 
gedanken  eines  andern,  soweit  sie  nicht  genau  in  derselben  form  berichtet  werden, 
wie  dieser  sie  ausgesprochen  hat  oder  aussprechen  würde.  Aber  unzweifelhaft  sind 
auch  abhängige  sätze  hierher  zu  ziehen,  welche  worte  oder  gedanken,  nicht  eines 
andern,  sondern  des  redenden  selbst  enthalten  (deren  regierendes  verbura  in  der 
ersten  person  steht),  wie  ik  ivänu  that  st  (s.  21),  ich  bin  ein  armer  grosse)-  Sün- 
der, und  zoch  mich  des  mein  sünd ,  das  ich  des  nit  ivirdig  tver,  bis  das  ich  mein 
sünd  gebeichtet  hab  (s.  55,  o.),  vgl.  Erec  7337.  7054.  Otfr.  IV,  20,  13,  vom  verf. 
auf  s.  44  und  45  citiert.  Verf.  fährt  fort:  „somit  hat  das  gebiet  meiner  Unter- 
suchung nicht  ganz  den  gleichen  umfang,  wie  in  der  lateinischen  grammatik  die 
lehre  von  der  cousecutio  temporum ;  doch  sollen  auch  die  verhältnissmässig  wenigen 
fälle,    die   durch  ineine  fassung  des  themas  ausgeschlossen  sind,    gelegentlich  ihre 

1)  Verf.  wechselt  ad  libitum  mit  den  ausdrucken  ,, abhängige  rede,  iudirecte 
rede,  oratio  oLliqua,"  was,  an  und  für  sich  nicht  ganz  correct,  der  Sauberkeit  der 
Untersuchung  um  deswillen  besonders  eintrag  tut,  weil,  was  verf.  darunter  versteht, 
sich  mit  dem  landläufigen  sinne  keiner  der  drei  ausdrücke  deckt;  ähnlich  störend  wirkt 
der  Wechsel  der  bezeichnungeti  conjunctiv  und  optativ  (s.  20);  vgl.  s.  21  bald  wann 
und  bald  wäniu, 


ÜBER   BEHAGHEL,    ZEITFOLGE  377 

Icrücksiclitigung  tindeu."  Tatsächlich  verhält  sich  aber  verf.  so ,  dass  er  bis  s.  52 
sich  mit  altdeutscher,  von  da  ab  mit  neudeutscher  cons.  tempp.  beschäftigt;  für 
jenes  capitel,  wo  er  sich  hauptsächlich  auf  Otfrid  stüzt  und  nur  gelegentlich  mhd. 
deukmäler  zur  aushülfe  und  Unterstützung  heranzieht,  verwertet  er  ideell  abhängige, 
d.  h.  vom  gesichtspunkte  des  subjects  des  regierenden  verbums  aus  gcfasste  neben- 
sätze  verschiedenster  art  für  seine  Untersuchung:  vor  allem  natürlich  objectssätze 
und  indirecte  fragen,  aber  auch  subjectssätze ,  appositionelle  (resp.  explicative)  sub- 
stantivsätze  (z.  b.  Otfr.  II ,  8 ,  18) ,  finale  nebensätze  und  cousecutivsätze  verschie- 
dener art,  ferner  concessivsätze ,  auch  ein  temporaler  nebensatz  begegnet  (Otfr.  IV, 
15,  54,  auf  s.  42)  und  relativsätze;  warum  nicht  auch  ideell  abhängige  causal-  und 
comparativsätze ,  und  von  den  abhängigen  conditionaleu  sätzen  wenigstens  solche,  die 
in  unabhängiger  fassung  indicativisch  sein  würden,  behandelt  worden  sind,  ist  nicht 
recht  ersichtlich.  Von  s.  52  ab  aber,  wo  verf.  die  neudeutschen  Verhältnisse  unter- 
sucht, beschränkt  er  sich  im  algemeinen  auf  das  was  wir  gemeiniglich  abhängige 
rede  (indirecte  rede,  oratio  obliqua)  nennen,  und  ideell  abhängige  objectssätze.  Es 
scheint  fast,  dass  verf.,  nachdem  er  sich  seine  aufgäbe,  consec.  tempp.  der  abhän- 
gigen rede,  gestelt,  im  ahd.  nicht  genügendes  material  für  seine  Untersuchung 
fand  —  nach  natur  und  zahl  der  denkmäler  ist  eigentliche  abhängige  rede  hier 
wirklich  recht  selten  —  und  sich  so  genötigt  sah,  eine  reihe  constructionen  mit 
herbeizuziebn,  die  eigentlich  nicht  unter  den  begrifi'  der  abhängigen  rede  fallen; 
für  das  nhd.  mit  seiner  reichen,  namentlich  erzählenden  litteratur,  und  mit  seiner 
fertigkeit  in  der  auwendung  der  abhängigen  rede,  war  das  nicht  notwendig.  So 
bietet  uns  verf.  für  das  altdeutsche  eine  darstellung  der  consec.  tempp.  nicht  nur 
in  der  abhängigen  rede,  sondern  überhaupt  in  den  ideell  abhängigen  sätzen,  wenn 
auch  nicht  alle  arten  derselben  umfassend;  für  das  neudeutsche  beschränkt  er  sich 
auf  die  eigentliche  abhängige  rede  bzw.  ideell  abhängigen  objectssätze.  Dem  ent- 
sprechend hätte  verf.  besser  getan,  den  titel  seiner  arbeit  anders  zu  fassen  und 
zugleich  für  das  ahd.  auf  alle  nebensätze  der  angegebenen  art  auszudehnen. 

Für  das  ahd.  stüzt  sich  verf.,  wie  gesagt,  ausschliesslich  auf  Otfrid,  zieht 
aber  auch  gelegentlich  den  ihm  wolbekanten  Heliand  heran  und  die  spräche  der 
mhd.  epiker,  durchweg  nur  zur  bestätigung  der  für  Otfrid  gemachten  beobachtun- 
gen.  Das  gewonnene  gesetz  aber  ist  dieses:  während  im  ahd.  und  mhd.  auf  prae- 
sens der  conj.  praes. ,  auf  practeritum  der  conj.  praet.  folgt  (s.  1  —  52),  macht  sich 
seit  der  mitte  des  15.  Jahrhunderts  im  neudeutschen,  erst  ganz  spurenweise,  in  den 
folgenden  Jahrhunderten  aber  immer  deutlicher  das  bestreben  geltend,  den  conj. 
praes.  nicht  nur  nach  dem  praesens,  sondern  auch  nach  dem  praeteritum  eintreten 
zu  lassen,  bis  dieses  princip  in  der  gegenwart  endlich  zum  siege  gelangt  ist  — 
d.  h.  im  sclu-iftdeutschen ;  von  den  dialecten  stimt  das  alemann, ,  schwäb. ,  bair. 
zum  schriftdeutschen,  ja  führt  dessen  princip  noch  viel  consequenter  durch,  wäh- 
rend die  niederdeutschen,  mitteldeutschen,  fränk.  und  Österreich,  dialecte  das- 
selbe auf  den  köpf  stellen  und  auf  praes.  wie  praet.  ausschliesslich  den  conj.  praet. 
folgen  lassen  (s.  82 — 85). 

Der  zweite  teil  der  arbeit  fesselt  unser  höchstes  Interesse,  indem  er  uns 
unter  der  musterhaft  umsichtigen,  vorsichtigen  und  sorgfältigen  leitnng  des  verf. 
verfolgen  lässt,  wie  ein  ganz  neues  princip  in  der  spräche  auftaucht,  nach  und 
nach  boden  gewint  und  endlich  die  herschaft  erlangt.  Der  erste  teil  aber  ist  noch 
reicher  an  wertvollen  erörterungen  und  bemerkungen,  da  er  sich  zur  aufgäbe  stelt, 
den  boden  der  folgenden  Untersuchung  durch  feste  und  mannigfaltige  Verankerung 
nach  den  verwanten  sprachen  und  erst  zu  erschliessenden  sprachepochen  hin  allsei- 


378  KLINGHÄEDT 

tig  ZU  sichern,  und  demnächst  das  so  vielfach  strittige  und  umstrittene  Otfridische 
Sprachmaterial  für  die  vorliegende  frage  möglichst  reinlich  zu  sichten  und  klarzu- 
stellen. —  Die  statistischen  resultate  des  zweiten  teils  und  die  angefügten  moti- 
vierungen  werden  kaum  ernstlichem  Widerspruch  begegnen;  dagegen  sind  die  aufstel- 
lungen  des  ersten  teils,  wie  das  in  der  natur  der  sache  liegt,  viel  mehr  discutabler 
art.  Indem  ich  nun  im  folgenden  den  Inhalt  und  plan  der  arbeit  kurz  skizzieren 
werde,  will  ich  —  im  Interesse  der  sache  —  diejenigen  punkte  hervorheben,  wo 
ich  von  der  ansieht  des  Verfassers  abweiche. 

S.  4  —  35  beschäftigen  sich  mit  den  drei  beziehungsverschiebungen,  durch 
welche  die  indirecte  rede  sich  von  der  directen  unterscheidet:  personenverschiebung, 
tempus-  und  modusverschiebung;  und  zwar  v.'irft  s.  4  — 13  die  frage  auf:  wie  ist 
der  eintritt  der  personenverschiebung  in  indirecter  rede  zu  erklären;  s.  13  — 19, 
in  welcher  sprachepoche  ist  dieselbe  zuerst  eingetreten  ?  s.  19  —  22 ,  wie  ist  die 
modusverschiebung  zu  erklären?  worauf  a)  mit  negativer  antwort  die  entstehung 
aus  einem  potentialis  praeteriti  zurückgewiesen  (s.  22  —  31)  und  sodann  eine  posi- 
tive lösung  versucht  wird;  auf  s.  32  schiebt  sich  ein  versuch  ein,  die  functionsver- 
schiedenheit  des  conj.  praes.  und  des  conj.  praet.  zu  erklären,  und  dann  folgen 
zum  schluss  dieses  algemeinen  teils,  s.  32  —  35,  ein  blick  auf  das  verhalten  der 
classischen  sprachen  rücksichtlich  der  consec.  tempp. ,  s.  35  —  37  eine  kurze  bespre- 
chung  der  die  indirecte  rede  mit  dem  regierenden  vcrbum  verknüpfenden  conjunc- 
tionen.  In  summa  beschäftigt  sich  also  dieser  abschnitt  ausschliesslich  mit  dem 
algemeinen  wesen  der  indirecten  rede  im  landläufigen  sinne  des  wertes. 

Da  die  herleitung  der  personenverschiebung  aus  der  ,, berichtenden"  (s.  12) 
form  unzweifelhaft  ist,  so  übergehe  ich  die  ausstellungen,  die  sich  an  verschie- 
denen der  afranz.  und  griech.  beispiele,  die  der  verf.  beibringt,  machen  Hessen; 
die  dem  hebräischen  entlehnten  citate  sind  wol  mehr  ornamental ,  und  mit  dem 
vereinzelten  ueugriech.  beispiel  ist  zumal  so  ausserhalb  des  Zusammenhanges  nichts 
zu  machen.  Auch  dass  die  ausbildung  des  or.  obl.  in  die  einzelsprachen  zu  ver- 
legen sei  (s.  17  u.) ,  wird  niemand  dem  verf.  bestreiten ;  nur  dies  ist  eigentüm- 
lich, dass  Behaghel  sich  zu  diesem  Schlüsse  bestimt  sieht,  trotz  der  Überein- 
stimmung des  griech,,  latein.  und  deutschen  (s.  14  u.).  Ich  meine  viel- 
mehr, ein  erster  blick  auf  die  drei  sprachen  muss  wegen  der  grossen  Verschie- 
denheit derselben  in  der  or.  obl.  jeden  gedanken  an  eine  gemeinschaftliche 
abstammung  dieser  redeweise  ausschliessen.  Der  Lateiner  wendet  acc.  c.  Inf.  an 
ohne  tempusverschiebung  des  Infinitivs.  Der  Deutsche  lässt  personen-  nnd  modus- 
verschiebung eintreten,  wozu  bis  zum  KJ.  Jahrhundert  noch  notwendiger  weise  tem- 
pusverschiebung kam.  Der  Grieche  wendet  zunächst  in  viel  ausgedehnterem  mass- 
stabe  als  die  beiden  andern  Völkern  die  directe  rede  an,  mag  er  sie  nun  mit  ort 
einleiten  oder  nicht;  er  kann  sich  auch  mit  der  blossen  personenverschiebung  begnü- 
gen (in  der  2.  und  3.  person);  iS^kcooa  KvQog ,  oti  'hoif.i6g  lari  ^dxto^at  (direct 
'hoi/iwg  tifit);    er   kann   dazu  noch  modusverschiebung  eintreten  lassen:    d  J'  ane- 

XQIVCCTO,     ÖTI    ICXOVOl    ^AßQOXÖfiaV    l/S^QüV    ävSQa    ItiI    Tüj    ElKfQUrt]    nOTCCjUÜ    (iVKl     (st. 

axovai  und  weiter  (izoi'fo) ;  oder  aber,  anstatt  dessen  tempusverschiebung:  6 /»i- 
Ctvbg  üv!>Qomog  fj/uäg  (iit3im'  iinnuTmi  xal  X^yoiV  (og  (pi lad t'jrcaog  rjv  usw.  (st. 
iGTiv  bzw.  fifit).  Die  alid.  und  mhd.  weise  aber,  modus-  und  tempusverschiebung 
(neben  der  personenverschiebung)  zu  combinieren,  ist  dem  Griechen  ganz 
unmöglich,  da  seine  practerita  (impf.,  aor.,  plusqpf.)  überhaupt  nur  einen 
modus,  den  indicativ  haben.  Das  weiss  nun  Behaghel  recht  wol,  citiert  er  doch 
zur  beglaubigung  dieser  freilich  allgemach   recht  trivial  gewordenen  tatsache  einen 


ÜBEB   BEHAGHEL,    ZEITFOLGE  379 

satz  Delbrücks:  „dass  die  iiiodi  des  aorist  von  denen  des  praesens  nicht  derzeitstufe 
nach  verschieden  sind,  ist  aus  jeder  seite  uusrer  beispielsanilung  ersichtlich"  (s.  22), 
wovon  gleich  mehr.  Zuvor  will  ich  nämlich  noch  aufmerksam  machen,  wie  bedenklich 
im  abschnitt  über  modusverschiebung  der  schluss  ist:  „weil  im  griechischen  — 
deshalb  im  deutschen"  s.  20  o.,  eine  folgerung,  die  niemals  in  dieser  weise  zu  zie- 
hen ist;  gleiche  erscheinungen  brauchen  schlechterdings  nicht  auf  gleiche  quelle 
zurückzugehn ,  wie  verf.  selbst  recht  schön  auf  s.  14  auseinaudersezt.  Und  doch  hat 
sich  derselbe  noch  einmal,  im  abschnitt  über  die  teiupusverschiebung ,  s.  22,  in  der- 
selben weise  verfangen.  Er  fährt  nämlich  nach  den  oben  citierten  Worten  Delbrücks 
fort:  „das  ist  vom  sanscrit  und  vom  griechischen  gesagt,  gilt  demnach  schon 
a  priori  auch  für  die  älteste  zeit  des  germanischen."  Doppelt  falsch :  erstens,  weil, 
wie  eben  bemerkt,  niemals  ohne  weiteres  von  einer  spräche  auf  die  andere  zu 
schliessen  ist;  zweitens,  weil  die  dinge  im  griech.  aor.  ganz  anders  liegen  als  im 
deutschen  praeteritum.  Nach  dem  gesunden  grundsatze  nämlich ,  dass  —  im  allge- 
meinen —  nur  solche  formen ,  welche  praeteritale  zeichen  tragen ,  auch  praeteritale 
bedeutung  haben,  können  conj.  usw.  des  aorist  im  griech.  gar  nicht  auf  die  Ver- 
gangenheit gehn,  weil  ihnen  ja  das  —  abgesehn  von  der  reduplication  —  einzig 
hierfür  charakteristische  merkmal,  das  augment,  fehlt.  Im  deutschen  dagegen 
muss  man  zunächst  für  den  conj.  praet.  auch  praeteritale  bedeutung  erwarten, 
weil  er  ja  mit  dem  indicativ  die  zeichen  des  praeteritums ,  ablaut  bzw.  reduplica- 
tion ,  teilt.  Hiernach  wäre  die  ganze  Untersuchung  über  die  ursprüngliche  und  histo- 
rische function  des  conj.  praet.  von  neuem  und  auf  ganz  andrer  basis  vorzunehmen. 
Derselbe  falsche  gesichtspunkt  Hess  den  verf.  auch  in  der  erörterung  über  den 
conj.  praet.  als  aasdruck  der  Irrealität  (s.  32)  das  richtige  verfehlen.  Für  diese 
bedeutung  der  form  liegt  der  Schwerpunkt  nicht ,  wie  Behaghel  es  auffasst ,  in  ihrem 
modalen,  sondern  in  ihrem  temporalen  Charakter;  das  zeigen:  aXtyov  äv,  ei 
rjäsiv,  dicerem  si  scirem  u.  ä. ,  vgl.  aber  auch  „  si  mihi  omnes,  ut  erat  aequum, 
faverent"  (Zumpt  s.  344)  u.  ä. ,  eine  redeweise,  die  einen  sehr  bedeutsamen  finger- 
zeig  enthält,  ferner  „je  le  dirais  (i.  e.  dire  avais)  si  je  le  savais,"  auf  den  ersten 
blick,  und  ich  denke  nicht,  dass  jemand  gegen  die  beweiskraft  der  analogien  in 
den  verwanten  sprachen  protest  erheben  wird.  Ob  das  deutsche  sich  für  conj.  oder 
indic.  entschied,  war  dem  zufall  resp.  den  umständen  überlassen;  etwas  andres  aber 
als  das  praeteritum  für  die  Vorstellung  der  Irrealität  anzuwenden,  wäre  ihm  nicht 
möglich  gewesen;  war  das  nicht  schon  ererbt,  so  lag  es  wenigstens  in  der  ererbten 
anschauungsweise.  Schliesslich  will  ich  doch  nicht  ganz  ohne  jede  bemerkung  an 
der  besprechung  vorübergehn,  welche  Behaghel  den  die  abhängige  rede  mit  dem 
hauptsatz  verknüpfenden  conjunctionen  widmet,  und  wegen  seines  Widerspruchs 
gegen  meine  ihm  sehr  problematisch  erscheinende  theorie  von  got.  ei  als  expletiver 
Partikel  wenigstens  so  viel  entgegnen:  Sein  schluss  vom  sanscrit  und  zend  auf  das 
deutsche  ist  weder  im  algemeinen  noch  im  besondern  zwingend ,  und  zweitens 
erlaube  ich  mir  noch  fernerhin  ohne  weiteres  von  ö  als  expletiver  partikel  im 
griechischen  zu  reden,  bis  man  mir  das  praefix  von  oTioTog  usw.  in  anderer  und 
zweifelloser  weise  erklärt.  Dass  Erdmann  mit  seiner  Vermutung  (IX.  bd.  dieser 
ztschr.  s.  45),  hier  möge  Zusammensetzung  mit  dem  stamm  des  pronomens  selbst 
vorliegen,  bei  den  linguisten  viel  beifall  finden  solte,  bezweifle  ich;  die  annähme 
noch  in  den  einzelsprachen  selbständig  existierender  stamme  ist  wol  nachgerade 
mehr  als  problematisch  geworden. 

So  weit  der  allgemeine  teil.     Von  s.  37   begint   verf.  das    im    deutschen  vor- 
liegende material   auf  die   consec.   tempp.  zu   sichten  und  festzustellen,    und  zwar 


380  KLINGHABDT 

reicht  die  erörtening  des  bis  zum  ausgange  des  mittelalters  giltigen  Sprachgebrauchs 
bis  s.  52,  worauf  die  uütersuchuijg  zur  neuen  zeit  übergeht.  Für  jene  erste  periode 
stelt  verf.  das  gesetz  an  die  spitze:  nach  praesens  des  hauptsatzes  folgt 
praesens  im  nebeusatz,  nach  praeteritum  folgt  praeteritum,  um 
darauf  die  legitimen  ausnahmen  dieser  regel  festzustellen.  Und  zwar  kann  auf 
praesens  auch  conj.  praet.  folgen,  wenn  es  perfectischen  wert  hat,  ivänit  er  wäri  = 
er  sei  gewesen,  s.  37  —  38;  sodann  kann  nach  praeteritum  auch  couj.  praes.  folgen, 
wenn  die  im  nebensatz  ausgedrückte  tatsache  noch  in  die  gegenwart  hineinreicht, 
doch  ist  die  anwendung  des  praet.  das  gewöhnliche,  das  praesens  eine  seltene  aus- 
nähme, die  später  gänzlich  verschwindet  (s.  39  —  41);  ein  gewisses  schwanken  zeigt 
sich  nach  dem  mit  dem  praesens  des  hilfsverbums  gebildeten  perfectum:  hier  wird 
entschieden  das  praesens  vorgezogen  (s.  41  —  44);  für  consec.  tempp.  nach  perfec- 
tischem  conj.  praet.  sind  nur  zwei  beispiele  beizubringen,  von  denen  eins  perfect, 
das  andere,  aus  Heliand,  praesens  aufweist  (s.  44u.);  nach  dem  auf  die  gegen- 
wart bezüglichen  modus  irrealis  (conj.  praet.)  folgt  conj.  praet.,  auch  wenn  der 
nebensatz  durchaus  real  ist  (s.  45  —  47).  Eine  illegitime  aber  begreifliche  ausnähme 
bildet  das  formelhafte  ni  si  nach  conj.  praet.  (s.  47);  andre  ausnahmen  sind  bei 
Otfrid  durch  reimnot  zu  erklären,  einzelne  mögen  freilich  im  Sprachgebrauch  noch 
gerechtfertigt  sein,  so  auch  ein  paar  aus  Ulfilas;  jedenfalls  ist  nach  Otfrid  ein 
praes.  nach  praet.  ein  sprachlicher  fehler  (s.  48  —  50);  die  lezten  ausnahmen  erklä- 
ren sich  durch  Übergang  in  die  directe  rede  (s.  51  —  52). 

Können  wir  in  diesem  abschnitte  der  autfassung  des  geehrten  herrn  Verfassers 
fast  punkt  für  punkt  beistimmen ,  so  ist  im  folgenden  lezten  teil  das  beigebrachte 
reiche  beweismaterial  seiner  natur  nach  nirgends  strittig;  um  so  mehr  verdienst 
hat  sich  der  Verfasser  erworben  durch  die  Sauberkeit,  mit  der  er  seineu  stofl"  grup- 
piert und  alle  Sonderfälle  herausschält,  sowie  durch  die  umsichtige  genauigkeit, 
mit  der  er  die  für  gewinuung  eines  augenfälligen  gesamtresultats  so  notwendige 
procentrechnung  ausführt.  Und  zwar  beschäftigt  er  sich  der  reihe  nach  mit  dem 
16.  jahrh.  (s.  52  — 57),  dem  17.  jahrh.  (s.  57  — 63),  dem  18.  jahrh.  (s.  63  — 67), 
dem  19.  jahrh.  (s.  67 — 69)  und  den  dialecten  (s.  69  —  75).  Treflich  ist  dann  die 
Untersuchung,  was  den  anlass  zur  ausbildung  der  nhd.  consec.  tempp.  gegeben 
(s.  75  —  76),  was  der  grund  gewesen,  dass  das  praesens  immer  weiter  um  sich 
griff  (s.  76  —  78)  und  warum  diese  bewegung  gerade  mitte  des  15.  Jahrhunderts 
ihren  aufang  genommen  (s.  78  —  83);  lezterer  abschnitt  enthält  eine  beachtenswerte 
Skizze  der  geschichte  des  erst  um  diese  zeit  im  deutschen  reichlicher  auftretenden 
praesens  historicum.  In  dieselbe  zeit  und  mit  der  vorhergehenden  erscheinung 
zusammenhängend,  fält  die  Verwendung  des  perfectum  praesens  für  praeteritum 
(s.  83  —  85). 

Wir  scheiden  von  der  arbeit  —  trotz  der  verschiedenen  ausstellungen ,  die 
ref.  den  geehrten  henn  Verfasser  bittet  ihm  nicht  verübeln  zu  wollen  —  mit  dem 
wo Itu enden  gefühl ,  dass  nun  wider  eine  wichtige  sache  erledigt  ist,  und  mit  der 
Überzeugung,  dass  wir  nur  noch  einer  reihe  solcher  arbeiten  bedürfen,  damit  sich 
die  vergleichende  historische  syntax  mit  ehren  neben  den  andern ,  neuerdings  so 
zahlreich  emporspriessenden  jungen  disciplinen  kann  sehen  lassen. 

2)  Erdmann  (A.  F.  D.  A.  IV  s.  343)  begrüsst  mit  freude  die  von  Bock  in 
der  obigen  schrift  gegebenen  ,,  positiven  nachweise  eines  Zusammenhanges  syntac- 
tischer  eischeinungen  innerhalb   eines  scharf  begrenzten  gebietes."     Das  ist  in  der 


ÜBER   HOCK,    CONJUNCTIV  381 

tat  auch  anzuerkenueii ,  imiiierliiii  aber  innss  bemerkt  werden,  dass  die  beschrän- 
kuiig-  nicht  genüf^t,  dass  vielmehr  eine  monographie  der  vorliegenden  art  erst  dann 
wirklich  die  Wissenschaft  fördert,  wenn  sie  innerhalb  ihres  melir  oder  weniger 
bescliränkten  kreises  das  darin  enthaltene  material  vollständig  und  zuverlässig 
erschöpft,  also  wo  immer  sich  ein  gewisses  schwanken  des  Sprachgebrauchs  zeigt, 
die  stärke  und  ausdehnung  der  auseinandergehenden  neigungen  ziffermässig  und 
nach  procenten  feststelt:  Behaghels  lezter  teil,  der  die  zeit  seit  der  mitte  des 
15.  Jahrhunderts  behandelt,  gibt  für  dieses  verfahren  ein  sehr  zu  beherzigendes 
beispiel.  Was  machen  wir  mit  belegen,  die,  nur  zum  teil  nach  Jahrhunderten 
geschieden,  im  übrigen  aus  den  verschiedenartigsten  Schriftstellern  zusammengetra- 
gen und  nach  belieben  hier  und  dort  einzeln  herausgegriffen  sind?  Es  kümmert 
uns  sehr  wenig,  dass  ,,die  folgende  beispielsam lung  nicht  ein  gegen  diese 
auffassung  sprechendes  beispiel  enthält"  (s.  8),  wir  wollen  das  von  den  mhd. 
denkmälern  oder  wenigstens  einem  teil  derselben  festgestelt  wissen;  s.  21  heisst 
es:  ,, diese  strenge  genauigkeit  ist  nicht  die  regel ,  es  erscheint  öfter  der  indicativ " 
oder  ,,der  conjunctiv,  sehr  gewöhnlich"  s.  27 ;  „selten  im  conjuuctiv"  s.  30;  ,,ira 
mhd.  findet  sich  dieser  conjunctiv  öfter"  s.  39;  ,,indic.  und  conj.  für  das  praesens 
mögen  sich  die  wage  halten ,  während  im  praeteritum  der  indic.  bei  weitem  über- 
wiegt" s.  46  u.  ä.  Dem  gegenüber  erscheint  es  dem  ref.  viel  angemessener,  wenn 
verf.  etwa  ein  paar  höfische  dichter  und  ein  paar  werke  volkstümlichen  characters 
sich  herausgesucht  hätte ,  oder  einerseits  solche ,  welche  sich  auf  der  höhe  der  mhd. 
sprachgewantheit  befinden ,  andrerseits  solche ,  die  ihr  zeitlich  vorausliegen ,  und 
andre,  die  bereits  dem  niedergango  angehören,  für  diese  aber,  mit  zahlen  und 
nach  procenten,  vollständig  genau  und  bestimt  das  gegenseitige  Verhältnis  von  con- 
junctiv und  indicativ  constatiert  hätte.  Nicht  als  ob  wir  seinen  angaben  von  häu- 
figkeit  und  Seltenheit  usw.  nicht  im  algemeinen  gern  glauben  schenkten,  aber  es 
ist  unbestreitbar,  dass  seine  Untersuchung,  aus  dem  angegebenen  gründe,  für 
weiterbauende  forschung  nicht  genügend  sichern  boden  liefert. 

Dass  im  übrigen  des  Verfassers  arbeit  sehr  planvoll  und  klar  angelegt  ist, 
wurde  schon  oben  mit  genugtuung  hervorgehoben,  und  lehrt  schon  ein  blick  auf 
die  vorzüglich  orientierende ,  fast  vier  selten  füllende  Inhaltsangabe.  Verf.  beschränkt 
sich  mit  recht  auf  die  Untersuchung  solcher  mhd.  nebensätze,  wo  das  nhd.  den 
conjunctiv  entweder  gar  nicht  mehr  (abschnitt  A.)  oder  nur  seltner  (abschnitt  B.) 
anwendet;  unter  den  ersten  teil  fallen  I.  die  von  einem  comparativ  abhän- 
gigen nebensätze,  II.  die  von  e,  e  dan,  e  da^  abhängigen  adverbialsätze  der  zeit, 
III.  der  subjectssatz  nach  impersonalen  Wendungen  (es  ist  sitte,  es  ist  immer, 
es  muss  sein),  IV.  die  von  einem  iraperati vischen  und  optativischen 
hauptsatze  abhängigen  nebensätze;  im  zweiten  teil  werden  uns  I.  fälle  geboten, 
in  denen  der  conjunctiv  mit  einer  negation  im  hauj^tsatze  im  Zusammen- 
hang steht;  II.  die  abhängigen  Sätze  nach  den  begriffen:  glauben,  überzeugt 
sein,   es   ist  gewiss. 

Ein  Schlussparagraph  fasst  endlich  die  resultate  der  Untersuchung  zusam- 
men, und  zwar  ergeben  sich  erstens  drei  negative:  1)  es  ist  keine  nachahmung 
(fremdsprachlicher  muster)  anzunehmen,  2)  die  abschwächung  der  formen  hat  nicht 
den  ersten  anstoss  gegeben  zur  aufgäbe  des  conjunctivs,  3)  der  conjunctiv  bezeich- 
net nicht  nur  die  möglichkeit  und  denkbarkeit.  —  Den  punkten  1)  und  2)  kann 
man  ohne  weiteres  beistimmen;  um  so  entschiedener  muss  sich  ref.  dem  proteste 
Erdmanns  gegen  3)  (a.  a.  o.  s.  348  —  349  und  351)  anschliessen.  Bock  leugnet,  dass 
im  conjunctiv  eine  schwäche  oder  unbestimtheit  ausgedrückt  sein  soll  (s.  43) ,  dass  er 


3  82  KLINGHARDT  ,     ÜBER    BOCK  ,   CONJUNCTIV 

auf  das  nur  gedachte,  das  mögliche  beschränkt  sei  (s.  51);  und  das  ist  ja  unbe- 
streitbar: jede  der  uns  nahe  liegenden  sprachen  liefert  uns  belege,  dass  umstände 
im  conj.  ausgedrückt  werden  können,  welche  nicht  nur  gedacht  sind,  sondern 
auch  unzweifelhaft  der  Wirklichkeit  angehören  (vgl.  z.  b.  daz,  miioz,  immer  st(Ete 
sin  da^  diu  sunne  tages  schin,  oder  sätze  positiven  Inhalts  nach  lat.  quamvis, 
quum,  frz.  quoique,  avaut  que,  ahd.  mhd.  e  u.  a.)  aber  damit  ist  nur  aus- 
gesprochen, dass  es  der  spräche  jederzeit  möglich  war  und  ist,  Vorgänge  der  Wirk- 
lichkeit aus  dem  gesichtspunkte  der  beobachtung  und  auffassung  hinweg  unter  den 
gesichtspunkt  der  Vorstellung  zu  rücken,  und  wir  brauchen  darum  nicht  eine  neue 
eigenartige  function  —  dass  er  die  notwendigkeit  bezeichne,  wie  Bock  will  — 
in  den  abhängigen  conjunctiv  hineinzulegen.  Der  indicativ  drückt  tatsächliches 
und  gedachtes  einfach  und  glatt  weg  aus,  der  conjunctiv,  der  auch  beides  urafasst, 
hebt  ausdrücklich  hervor,  dass  sein  Inhalt  im  gegebenen  falle,  oder  notwendig, 
object  der  Vorstellung  ist.  Hiermit  kommen  wir  für  die  Würdigung  des  tatsäch- 
lichen Sprachmaterials,  wenigstens  im  deutschen,  vollkommen  aus,  und  die  aus- 
dehnung  resp.  Verengung  des  conjunctivgebrauchs  ist  nur  eine  sache  des  sprach- 
usus  und  individuellen  oder  volkstümlichen  stils.  Dass  freilich  damit  die  frage, 
wie  man  sich  für  den  conjunctiv  die  geschichte  seines  Ursprungs  —  denn  die  oben 
ausgeführte  function  kann  unmöglich  die  primäre  sein  —  zu  denken  habe,  nicht 
im  geringsten  aufgehellt  ist,  ist  sicher;  doch  gehört  eine  diesbezügliche  erörterung 
nicht  hierher. 

Wenn  Bock  weiterhin  als  das  wichtigste  positive  ergebnis  seiner  Untersuchung 
dies  bezeichnet,  dass  er  den  nachweis  geliefert  habe,  wie  der  conjunctiv  durch 
bezeichnen  der  möglichkeit  (notwendigkeit,  gewissheit)  zugleich  der  Satzverbindung 
diene,  so  ist  nicht  recht  abzusehen,  was  darin  neues  liegen  soll.  Dagegen  sind 
im  folgenden  seine  andeutungen ,  wie  man  sich  das  allmähliche  überhandnehmen 
des  indicativs,  das  zurücktreten  des  conjunctivs  zu  erklären  habe,  gewiss  zu  billi- 
gen, und  schliesst  sich  wenigstens  ref.  ohne  weiteres  denselben  an.  Von  einem 
eingehen  auf  die  einzelheiten  der  Untersuchung  glaubt  derselbe ,  wenigstens  an  die- 
ser stelle,  absehen  zu  müssen,  will  aber  nicht  unterlassen  zu  bemerken,  dass  die 
arbeit  trotz  der  gemachten  algemeinen  ausstellungen  viel  interessantes  material 
enthält  und  von  keinem,  der  sich  für  syntax  interessiert,  ohne  nutzen  und  anre- 
gung  aus  der  band  gelegt  werden  wird. 

Zum  schluss  möchte  ref.  noch  darauf  aufmerksam  machen,  wie  für  die  Wür- 
digung unseres  altern  Sprachgebrauchs  bezüglich  des  conjunctivs  eine  sorgfältige 
vergleichung  des  modernen  franz.  Sprachgebrauchs  wenigstens  für  solche  von  wesent- 
lichem nutzen  sein  wird,  welchen  eine  etwas  eingehendere  beschäftigung  mit  die- 
ser spräche  zu  einem  gefühl  für  den  conjunctiv  derselben  verhelfen  hat. 

REICHENBACH   IN   SCHLESIEN.  H.    KLINGHARDT. 


zu  LAMPRECHTS  ALEXANDER,. 

I.    Das  liaiidsehriften- Verhältnis  des  Alexander. 

Etwa  gleichzeitig  mit  meiner  in  dieser  Zeitschrift  X,  14  fgg.  ver- 
öffentlichten arbeit  über  Lamprechts  Alexander  ist  das  handschriften - 
Verhältnis  dieses  gedichts  einer  Untersuchung  von  Richard  Maria  Wer- 
ner unterzogen  worden  in  einer  in  den  Sitzungsberichten  der  Wiener 
akademie  publicierten  schrift  „die  Basler  bearbeitung  von  Lambrechts 
Alexander"  Wien  1879  (abdruck  in  Commission  bei  Karl  Gerolds  söhn 
118  s.  8).  Es  ist  natürlich,  dass  in  beiden  eine  reihe  wichtiger  tat- 
sachen  übereinstimmend  festgestelt  und  viele  Verhältnisse  gleich  beur- 
teilt worden  sind.  In  bezug  auf  das  Verhältnis  der  handschriften  aber 
weichen  sie  ebenso  sehr  ab  wie  in  zvi^eck  und  verfahren.  Werner, 
welcher  einen  abdruck  der  Basler  handschrift  beabsichtigt,  schickt  dem- 
selben diese  eingehende  Untersuchung  als  einleitung  vorauf  und  legt  in 
der  ersten  hälfte  methodisch  das  verhalten  der  drei  texte  zu  einander 
dar.  Andre  ziele  verfolgte  meine  arbeit.  Ihr  mittelpunkt  war  die 
Strassburger  handschrift  (S,  von  Werner  M  genant).  Sie  hatte  sich 
die  aufgäbe  gestelt,  „mit  berücksichtigung  aller  einzelheiten  ein  bild 
ihrer  entstehung  zu  geben  "  (a.  a.  o.  s.  14).  Weshalb  die  Basler  hand- 
schrift (B)  nicht  sogleich  mit  in  den  kreis  der  Untersuchung  genommen 
worden,  war  s.  16  gesagt:  sie  wurde  in  einem  besondern  abschnitte 
zum  vergleich  herangezogen.  Wenn  derselbe  für  den  gegebenen  zweck, 
besonders  für  die  herstellung  eines  textes  von  S  brauchbar  werden 
solte,  muste  er  sich  in  der  form  an  die  darsteilung  des  I.  teils 
anschliesseu.  Von  der  darlegung  einer  methodisclien  Untersuchung  über 
das  Verhältnis  der  drei  texte  konte  dabei  um  so  mehr  abgesehen  wer- 
den, als  bei  der  feststellung  der  Jesarten  für  jeden  wichtigen  fall  jedem 
leser  die  nachprüfung  leichter  ermöglicht  war,  zumal  da  kein  abdruck 
der  hs.  vorlag.  Das  ergebnis  war  in  dem  algemeinen  teile  vorweg 
angegeben.     Es  war  gesagt  (s.  49) ,  die  Übereinstimmung  von  BS  gegen 

V  an  einzelnen  stellen  beruhe  darauf,  dass  BS  den  ursprünglicheren 
text  geben;  diese  annähme  geniige  aber  nicht,  sondern  bisweilen  biete 
sich  in  V  gegen  BS  das  „richtige,"  während  die  lesart  der  lezteren 
sich  als  besserung  erweise;  daraus  sei  zu  schliessen,  dass  BS  einer 
gemeinsamen  vorläge  entstammen.     Es  lag  allerdings  sehr  nahe,  B  zu 

V  in  dieselbe  klasse  zu  stellen,    da  die  Übereinstimmung  dieser  beiden 

ZEITSCHR.    F.   DEUTSCHE   PHILOLOGIE.      BD.  XI.  25 


386  KINZEL 

handscliriften  verhältnismässig  gross  ist.  Aber  es  ist  klar:  wenn  sich 
nur  eine  gleichlautende  lesart  in  BS  zweifellos  als  änderung  oder  beab- 
sichtigte besserung  des  urtextes  erweist,  ohne  dass  es  möglich  wäre 
Zufall  anzunehmen,  so  müssen  beide  gleiche  vorläge  gehabt  haben. 
Um  nun  die  nahe  verwantschaft  von  B  zu  V  zu  erklären,  hatten  wir 
angenommen,  dass  sich  ihre  vorlagen  (L^  die  von  V,  Lg  die  von  BS) 
sehr  nahe  gestanden  haben.  Lg  erfuhr  aber  durch  S  eine  weitaus 
freiere  nmgestaltung  als  durch  B.  Bei  der  beurteilung  war  jedoch  fest 
im  äuge  zu  behalten,  was,  wie  wir  nachweisen  werden,  Werner  oft 
ausser  acht  liess,  dass  die  Überlieferung  der  Basler  handschrift  sehr 
schlecht  ist.  Wir  haben  s.  48  auf  die  Verstümmelungen ,  lückeu ,  reim- 
losen Zeilen  ausführlieh  hingewiesen. 

Werners  sorgfältige  Untersuchung,  welche  leicht  zu  überzeugen 
im  stände  ist  und  genaueste  nachprüfuug  erfordert,  geht  nun  folgen- 
den weg.  Im  I.  capitel  werden  die  stellen  betrachtet,  in  welchen  „B 
zu  V  gegen  M(S)  stimt.  Dabei  bieten  entweder  BV  1.  einen  gemein- 
samen fehler  oder  2.  lässt  sich  ein  fehler  in  B  nur  aus  der  lesart  von 
V  erklären ,  oder  endlich  3.  stimmen  BV  im  richtigen  und  ursprüng- 
lichen." 

Ich  muss  mich  hier  darauf  beschränken ,  das  wichtigste  zu  wider- 
legen und  das  notwendigste  beizubringen.  Auf  punkt  o  einzugehen  ist 
unnötig ;  er  gehört  nicht  zur  kette  des  beweises.  Dass  BV  oft  im  rich- 
tigen stimmen  ist  nach  dem  gesagten  selbstverständlich.  Die  aufmerk- 
samkeit  richtet  sich  also  zunächst  auf  die  erste  position;  es  ist  die 
stärkste :  daraus ,  dass  BV  gemeinsame  fehler  enthalten ,  folgt ,  dass 
beide  einer  vorläge  entstammen.  Dieser  schluss  wäre  in  seiner  alge- 
meinheit  nur  zulässig ,  wenn  B  eine  leidlich  gute  handschrift  wäre.  Ich 
habe  oben  auf  ihre  mängel  hingewiesen,  und  es  ist  unbegreiflich,  wie 
Werner  s.  6  an  der  spitze  dieses  capitels  behaupten  kann,  die  lückeu 
seien  „bei  der  Untersuchung  über  das  handschriften -  Verhältnis  durch- 
aus ohne  belang,  sie  werden  daher  hier  nicht  weiter  berücksichtigt." 
Dennoch  schliesst  er  von  gemeinsamen  lücken  in  B  und  V  auf  gemein- 
same vorläge,  auch  an  solchen  stellen,  wo  B  überhaupt  verstümmelt 
ist.     So  gleich  in  der  ersten  beweisstelle  s.  1896  fgg.  B  lautet: 

des  siges  den  er  do  geivan 

wer  er  ein  hedacM  man 

des  wer  er  nut  gewesen  fro 

wand  der  sinen  dot  gelag 

nie  den  in  tirye  der  stat. 
Also  drei  reimlose  zeilen.     Nun   fehlt   in  V  211,  16  ein  vers'  (:  helaib), 
in  S  steht  des  sagen  ih  u  di  ivarheü.     Dies   halte  ich  für  einen  flick- 


zu  LAMPRECHTS  ALEXANDER  387 

vers ,  durch  welchen  S  die  ursprüngliche  lücke  ^  beseitigte.  Diese  mög- 
lichkeit  gibt  Werner  zu  und  sagt  selbst,  „der  hier  von  M  überlieferte 
reim  findet  sich  sonst  nicht  in  V."  Und  diese  stelle  soll  „vor  allem 
von  Wichtigkeit"  sein?  —  Die  schlusserwägungen  auf  s.  7  sind  mir 
ganz  unverständlich  erschienen.  Es  heisst  da:  „P]s  wäre  daher  weder 
V  noch  B  eingefallen,  den  vers  als  überflüssig  wegzulassen;  auch  die 
Unreinheit  kann  der  grund  dazu  nicht  gewesen  sein,  denn  ist  es  wahr- 
scheinlich, dass  B,  dessen  reime  sonst  ganz  rein  sind,  einen  unreinen 
reim  durch  einen  andern  ersetzen  wird?  Freilich  ist  zuzugeben,  dass 
B  hier  überhaupt  ändert"  usf. 

2)  S.  8.  S  1503  fgg.     Es  handelt  sich  um  eine  vermeintliche  lücke 
nach  V  216,  8: 


V  Darius  sante  einen  hrief 
zeivein  herzogen  die  waren  ime 

lieh 
unde  hat  das  si  alexander 
diu  scehf  pesparten 
unde  sin  iverten 


B  Daryus  mven  herzogen  gehot 


daz  sy  alexander  schiff 

zersteissen 

der  eine  hies  zihotes. 


Ich  habe  angenommen,  dass  216,  8  nur  ein  vers  sei. ^  Es  wird  weder 
in  V  noch  in  B  etwas  vermisst.  Aus  B  aber  ist  auch  hier  nichts  zu 
schliessen,  da  es  vier  reimlose  zeilen  enthält.  Die  algemeine  Überein- 
stimmung von  B  mit  V  erklärt  sich  genügend  aus  der  harmonie  ihrer 
vorlagen  und  hebt  nur  noch  mehr  die  freie  Umgestaltung  in  S  hervor. 

3)  Die  dritte  stelle,  welche  Werner  heranzieht,  spricht  am  mei- 
sten für  seine  auffassung;  ihr  hätte  der  Vorrang  gebührt.  Ich  stelle 
die  drei  texte  genau  nach  ihm  (s.  9)  zusammen: 

1)  In  der  recension  von  Rödiger  über  Werners  schrift  (Anz.  f.  d.  a.  V,  416  — 
425),  die  mir  eben  nach  Vollendung  der  arbeit  zu  gesiebt  komt,  heisst  es  zu  die- 
ser stelle:  „hier  sollen  V  und  B  einen  gemeinsamen  fehler  haben,  insofern  ihnen 
die  reimzeile  auf  helaib  und  gelag  mangelt.  Nun  zeigt  Werner ,  dass  ein  reim  wie 
hleip  :  warheit  in  V  nicht  vorkomt,  auch  nicht,  wie  sein  Verzeichnis  ergibt,  die 
von  M  gebrauchte  form  der  beteuerung.  Er  gesteht  ferner  keinen  grund  zu  wis- 
sen ,  weshalb  VB  die  zeile  M  1399  solten  weggelassen  haben ,  und  dennoch  stelt  er 
es  nur  als  eine  möglichkeit  hin ,  dass  die  reimzeile  zu  heleip  in  den  vorlagen  aller 
drei  recensionen  fehlte.    Ich  bezweifle  das  nicht.    M  schob  ein"  usw. 

2)  Eödiger  liest  S417: 

unt  bat  das  si  Alexander  schef  hesparten 

unde  sin  [lant  im]  luerten 
„  im  anschluss  an  M.     Von  sin  auf  im   konte    der   abschreiber   leicht  überspringen, 
M  schaffte  die  lange  zeile  fort"  usw. 

25* 


388 


V  219,  9  fg. 
a  ivie  moJite  da0  ie  wer- 
den 
mennes    slüch    alexan- 
_  dem  m  der  erde 


S  1738  fg.  B 

do   sluch    doli   alexan- 

drcn 
mennes   nider    an   das 

gras 

Nun  Zusatz  von  10  verseu  in  S,  die  in  V  und  B  richtig  fehlen. 


nienos  den  iverden 


slüg  nider  sü  der  erden 


Alda  wart  ime  der  heim 
ahgeproclien 


der  manegen  groser  siege 


usw. 


da  wart  alexandro  sin 
heim 

von  dem  houhete  gebrü- 
chen 

da  was  vil  nah  gero- 
chen 

darius  der  iure  degen 

alexandro  wart  da  ge- 
geben 

manic  stos  unde  slach 

usw. 


den    heim    er    im  ver- 
brach 


und  slüg  ufin  mit  nide 
dar 


usw. 


Mir  ist  an  der  stelle  zweierlei  auffallend,  und  ich  bedaure,  dass  Wer- 
ner eine  correctur  von  V  oder  eine  construction  des  ursprünglichen 
nicht  versucht  hat.  Nämlich  1)  in  B  ist  eine  lücke  nur  an  dem  in 
dieser  handschrift  unverdächtigen  fehlen  einer  reimzeile  zu  merken ;  der 

sinn  ist  ganz  correct.     2)  Wenn  die  beiden  verse  .  .  .  .  :  gerochen 

degen  :  in  dem  urtext  und  der  vorläge  von  S  standen ,  warum  liess  sich 
S  den  guten  reim  degen  :  siege  entgehen  und  änderte  ?  Es  ist  wol  mög- 
lich, dass  die  lücke  in  beiden  vorlagen  war  und  von  S  ergänzt  wurde. 
Im  folgenden,  was  Werner  nicht  citiert,  stimt  S  auffällig  mit  B,  wäh- 
rend V  ganz  abweicht: 

S  1759  B 


doh  half  in  das  er  genas 


allexander  ivas  mit  flisse  gewaffnet 

gar 
das  er  so  wol  gewafent  was.  das  half  im  das  er  genas. 

V  21i),  13  unde  war  er  also  wol  geivafenht  nicht, 
er  ne  bescowet  niemers  fages  lieht. 

Dies  sind  die  stellen,  aus  denen  Werner  in  nr.  1  argumentiert. 
Wenn  es  mir  nur  gelungen  wäre,  die  Unsicherheit  seiner  Schlüsse 
nachzuweisen,  wäre  sein  beweis  schon  hinfällig  und  es  wäre  kaum  nötig 
auf  nr.  2  einzugehen.  Deim  dass  sich  viele  fehler  in  B  nur  aus  V 
erklären  lassen,   ist  ja   bei   dem  freien  verfahren  von  S  schon  au  sich 


zu    LAMPRECHTS    ALEXANDER 


389 


wahrscheinlich  und  sicher  z.  b.  an  der  zweiten  von  ihm  angeführtau 
stelle  S  1380  V  211,  3.  Doch  auch  gegen  das  hier  auf  den  zAvei  sel- 
ten (10.  11)  gesagte,  auf  welchen  dieses  ganze  capitel  abgehandelt 
wird,  lässb  sich  einiges  bemerken.     Es  sind  etwa  vier  stellen  urgiert: 


1)  V  208,  7. 


tu  sach  er  stan  dem 
liersogen 

dem  al  ti/re  tvas  under- 
tan 

hegen  ime  uf  der  mure. 


B 


mm    sach    er    an   der 

zinen  stan 

den  herzogen   dem  di- 

ryus  tvas  undertan. 


S  1256 

daz  sag  ih  u  vor  un- 
gelogen 
do  gesah  er  den  herso- 
gen 
dem  tyren  ivas  under- 
tan 
vor  sich   uf  di   muren 
stan 

Die  Sache  liegt  einfacher  als  W.  meint.  SV  stehen  sich  oftenbar  ganz 
nahe.  Im  ersten  verse  hat  S  geändert,  wie  der  fiickvers  beweist.  Es 
bleibt  also  nur  der  einzige  schluss ,  da  S  nicht  aus  V  floss,  dass  in 
ihren  beiden  vorlagen  der  irtuni  mit  hersogen  bereits  vorlag,^  wie  ich 
a.  a.  0.  s.  35  annahm. 

2)  An  der  dritten  stelle  S  1773  der  sih  ungerne  verhal,  V  219,  18 
der  sich  vil  ungerne  in  dem  stürmte  hal,  B  des  loh  in  dem  strit  erhol 
ist  der  schluss  auf  gemeinsame  vorläge  BV  deshalb,  weil  B  wol  hal, 
nicht  aber  verhal  mis verstehen  konte ,  durchaus  unerlaubt.  Sie  beweist 
nur,  dass  in  beiden  vorlagen  also  im  urtext  hal  stand,  was  S  änderte.^ 

3)  Das  misverständnis  in  B  liegt  nur  an  Werner,  wand  es  diuchte 
dich  widerzem  das  recht  heisst  offenbar:  das  recht  schiene  dir  tadelns- 


1)  Eödiger  s.  417:  „Werner  meint,  es  müsse  in  der  vorläge  von  M  ein  unrei- 
ner reim  auf  herzogen  gestanden  haben  und  scheint  (er  drückt  sich  nicht  klar  aus) 
in  V  eine  lücke  hinter  herzogen  anzunehmen,  aus  der  sich  dann  die  lesart  von  B 
erklären  soll.  Gleichviel,  ich  vermute  für  die  drei  dieselbe  quelle,  welche 
durch  eigentümliche  construction  zu  änderungen  anlass  bot.     Nämlich 

do  sach  er  stan 

—  dem  herzogen  xvas  Tyre  undertan  — 

gegen  im  uf  der  mure. 
Zu    der   zweiten    stelle,    welche  Werner    anführt,    bemerkt  Eödiger  ebenda:    in  B 
(S  1380)  sei  zu  lesen: 

die  stat  wer  im  geioesen  diur 

ane  (hs.  dene)  daz  kreischy  fiur. 
dene  sei  Schreibfehler  in  B  und  „die  lesart  dieser  hs.  erklärt  sich  aus  M  ebensogut 
wie  aus  V." 

2)  Rödiger  s.  418:  ,, hauptbeweis  für  die  Zusammengehörigkeit  von  B  und  V 
ist,  dass  M  werte,  die  der  phrase  in  dem  strit  entsprechen,  nicht  enthalten  soll, 
Werner  übersah  z.  1775"  {sva  iz  in  di  not  giene). 


390  KINZEL 

wert,  wenn  einer  usw.     S  1494  (vgl.  V  213,  19)  hat  frei  geändert  und 
den  satz  zum  vorigen  gezogen.^ 

Aus  dem  dargelegten  erbellt  zur  genüge ,  dass  Werners  gründe, 
aus  denen  eine  Zusammengehörigkeit  von  BV  erwiesen  werden  solte, 
bei  genauerer  prüfung  nicht  stichhaltig  sind.  Es  erübrigt  nun  noch 
einmal  die  stellen  vorzuführen,  welche  das  gegenteil  beweisen.  Icli 
richte  den  blick  zu  diesem  zwecke  zuerst  auf  das  II.  capitel  der  Unter- 
suchung: „B  stimt  zu  M(S)  gegenüber  V."  Hier  soll  nämlich  gezeigt 
werden ,  dass  überall ,  wo  B  zu  S  stimt ,  BS  das  ursprüngliche  bewahrt 
haben.  Dass  dies  in  manchen  punkten  der  fall  ist,  kann  nicht  geleug- 
net werden.  Aber  da  Werner  die  möglichkeit  gar  nicht  erwogen  hat, 
ob  SB  nicht  gemeinsamer  vorläge  entstammen  können,  so  sind  seine 
alternativen  bisweilen  unrichtig.  So  S  32  in  der  stelle  vom  huzival 
S  345 ,  wo  BS  gegen  V  stimmen.  Eine  entscheidung  ist  hier  ohnehin 
nicht  möglich.  Unrichtig  ist  aber  die  behauptung,  dass  „B  grade  an 
dieser  stelle  sich  V  sonst  genau  anschliesst."     Man  vergleiche: 

B 

was  Schalles  mag  das 
sin 

daz  so  lut  Mit  in  die 
oren  min. 


V  191,  5 


ich  ne   weiz  waz   mir 
scillet  ifiz  ore 


S  335 
nu   sage  mir  waz  daz 

sin  mach 
daz  mir  schillet  in  mine 
oren 

Auch  in  dem  darauf  besprochenen  zusatz  komt  W.  „nicht  zur 
gewissheit."  Es  handelt  sich  um  die  verse  S  1347  daz  er  sante  uhir 
se  unde  lieze  heris  comen  me  B  si  reitfen  daz  er  über  sy  sant  bald 
nach  helffe  me,  welche  in  V  fehlen.  Ich  habe  a.  a.  o.  s.  36  daraufhin- 
gewiesen, dass  diese  werte  völlig  unnütz  sind.  Es  ist  mir  also  wahr- 
scheinlich, dass  sie  in  der  vorläge  V  fehlten.  Dass  sie  zufällig  aus- 
fielen, wie  W.  behauptet,  ist  nach  der  hs.  unmöglich,  da  das  ausgefal- 
lene zu  viel  platz  einnimt. 

Ebenso  wenig  kann  man  behaupten,  dass  es  dem  Verfasser  gelun- 
gen ist,  die  Schwierigkeiten  in  S  1735  fgg.  besonders  1761  zu  lösen.^ 
Hier  liest  B  daz  half  in  daz  er  genas,  min  kam  ein  riUer  anne  but 
danldin  was  er  genant,  über  allexander  ze  hant.  Es  ist  kühn,  hier 
die  ganze  erklärung  auf  die  verderbten  werte  anne  but  zu  bauen,  wofür 
ane  bat  zu  lesen  sein  soll.  Die  mir  vorliegende  copie  von  B  liest  lut 
und  bemerkt:    „hit  ist  corrigiert,    wie  es  scheint  aus  rut."    Was  als 

1)  Ebenso  Eödigcv  a.  a.  o.  „in  hinsieht  auf  VM  finde  ich  B  nicht  fehlerhaft, 
ja  es  könte  sogar  das  ursprüngliche  bewahrt  haben." 

2)  Eödiger  bemerkt  s.  418:  „der  hier  hehandelten  stelle  wird  schwerlich 
ganz  aufzuhelfen  sein." 


Zu   LAMPKECHTS   ALEXANDER 


391 


S  37.    V  204,  22. 
S  1058. 


B 


urspriiugliclier  text  coustruiert  wird ,  bleibt  unklar  ^  und  es  wird  gar 
nicht  bemerkt,  dass  in  V  213,  13  uocli  ein  vers  {:  fiench)  fehlt,  wäh- 
rend man  danach  von  den  worten  unde  wäre  er  also  wol  gewafent 
nieht  an  nichts  vermisst.  Ferner:  B  ist  hier  überhaupt  verstümmelt; 
es  fehlen  nicht  nur  zwei,  sondern  mehr  verse.  Also  ist  auch  hier  kein 
schluss  zu  ziehen. 

der  ivint  teht  in  vü  noht 
der  ivint  der  tetin  starke  not 

ivand  er  vil  stark  was 
der  selbe  der  da  horeas 
in  den  buchen  heilet 
unde  di  aller  meist  reizet, 
den  usseren  det  oucli  gros  not 
ein  wint  der  tvester  hies 
unde  das  mer  diJce  reis. 
„  Es  ist  ganz  gewiss ,  sagt  W. ,    dass  hier  MB  keine  gemeinsame  zutat 
haben,   denn  in  V  muss  etwas  fehlen."     Mau  müht   sich  vergeblich  zu 
suchen,  was  in  V  vermisst  wird:  der  wind  machte  ihnen  viel  not,  dass 
hundert  schiffe   versanken   und   alle   beiden  ertranken.     Da   eine  lücke 
anzunehmen  ohne  grund  ist,    so   bleibt   zur  erklärung   nur  die  Voraus- 
setzung,   da^s  die  gemeinsame  vorläge   von  SB  den  windnamen  wester 
enthielt.     Derselbe  komt  sonst  so   nicht  vor.     Deshalb  arbeitete  S  um 
und  ersezte  ihn  seiner  eigenart  nach  durch  den  gelehrten  büchernamen 
boreas.     Vgl.  meine  bemerkung  a.  a.  o.  s.  60. 
S  39. 

S  998 
bi  sime  libe  er  sih  ver- 
mag, 
is  gienge  in    edlen   an 

den  leben 
das  si  ime  torsten  wi- 
derstreben, 
er  solde  sih  wol  gere- 

chen 

unde  ir  stat  sebrechen. 

do  nam   er   siner  fur- 

j  sten  dri  — 

auch  ne  wais  ich  ivie  ih  ne  tveis  niht  wi  ir 

ir  name  si  name  si  — 


V  204,  2 

bi  sinem  hals  er  sich 
vermas. 

er  sprach  sin  scolte  por- 
lange sin 

er  wolle  .  .  . 


B 

bi  sinem  leben  er  sich 
vermas 

er  tvolltc  sg  hahen  sun- 
der dank 


da  nach  nut  lang 

sant   er    siner   fürsten 
dry 


1)  Man  vgl.  dazu  die  correcturen  und  ausstellungen  von  Eödiger  s.  419. 


392 


V 

S 

B 

unde  sante    si    darwi- 

unde sante  si  wider  in 

wider   in    die   stat   ze 

dere  in  die  stat 

di  stat 

Jiant. 

unde  den  alsten  sagen 

■unde  his   den  besten 

er   Jiies   den   besten 

das 

sagen  das 

dun  behant 

Werners  Besserung  der  verderbten  stelle  in  V  ist  gut: 

er  sprach  ez  enscolte  sin  porlanc, 
er  wolte  si  häJien  sunder  danc 
do  nani  er  siner  fürsten  dri. 

Doch  bleibt  es  unglaublich,  dass  B  derselben  vorläge  entstamme.  Wie 
wäre  zu  erklären,  dass  BS  dieselbe  änderung  vornahmen,  indem  sie 
beide  „bei  seinem  leben"  (V  zorne)  schrieben  und  beide  verständig  die 
drohung  zu  töten  direct  anfügen,  ohue  den  Zwischensatz:  er  sprach  ez 
enscolte  sin  porlanc. 

S.  41  beruht  Werners  auffassung  von  V  190,  12  auf  einem  irtum: 
dem  verteilet  was  daz  leben  heisst:  dem  das  leben  durch  urteil  abge- 
sprochen war  (Lex.). 

S.  42  fg.  führt  Werner  ausser  einigen ,  die ,  wie  ich  ihm  zugebe, 
keine  entscheidung  bieten,  vier  stellen  an,  welche  gegen  ihn  zeugen. 


V  205,  10 
unde   hiez    die  poume 

uellen. 
er  wolte  perfriht  stellen 


S  1093 
unde  hiz  di  boume  uel- 
len 
unde  berhfride  stellen 


B 

und  hies  die  bäum  vel- 
len 

und  bergfrid  dar  stel- 
len. 


Hier  soll  ein  misverständnis  in  V  vorliegen  !  Offenbar  hat  die  vorläge 
von  SB  den  fluss  der  rede  und  die  construction  gebessert.  Auftact  ist 
ebenfals  vorhanden.^     Ebenso  verhält  es  sich  mit 


V  206,  2 
his  iz  alliz  gereite  ivart. 


S  1135 
biz  daz  werc   bereitet 
tvart 


B 

bis    daz    werJc    ward 
bereit 


V  207,  36 
unde    liez  do  mit  der 

loerlte 
den  ernst  stürm  werden 


S  1239 

unde  nider  an  der  er- 
den 

hiz  er  den  stürm  tver- 
den 


B 
daz  sy  bi  der  erden 

den  ersten  stürm  Hessen 
werden. 


1)  Ebenso  Eödiger  s.  420. 


Zu    LAMPRECHTS    ALEXANDER 


393 


V  213,  14 

TJnde    also    alexander 
den  hrief  gelas 
owi  IV l  smac  inie  was 


S  1488 
Do  alexander  den  hrieb 

yelas 
vil  harte  ummere  ime 

was 


B 

do  aUexander  den  hrieff 

gelas 
vil  smach  er  im  tvas. 


An  allen  diesen  stellen  ist  W.  genötigt  anzunehmen,  dass  BS  zufäl- 
lig gleichmässig  gebessert  haben.  Gleiche  übeieiustimmuug  herscht 
BS  1438  der  riehe  Jcuninc  darius  gegen  V  212,  8,  wo  der  fahrende 
neu  anhebt:  Äin  richer  chunich  was  darios.  Dies  leztere  wird  das 
ursprüngliche  sein,  da  sich  absätze  mit  solchen  eiuführungen  in  V  öfter 
finden.  Man  vgl.  215,  24  darios  was  ein  chunich  rieh,  unde  also  der 
brif  für  in  chom  usw.  gegen  S  1578  unde  alse  dario  der  hrieh  quam 
B  do  daryus  den  hrieff  vernam.  Offenbar  hatte  die  vorläge  Lg  schon 
gebessert.  ^* 

Die  stellen  S  385  fg.  und  457  fg. ,  welche  s.  87  und  91  bespro- 
chen werden,  sind  so  verwickelt,  ihre  lösung  durch  W.  ist  so  gezwun- 
gen, dass  ein  schluss  nicht  daraus  zu  ziehen  ist.  Um  aus  ihnen  die 
ursprünglichkeit  von  BS  zu  erweisen,  wäre  nötig  zu  zeigen,  wie  die 
Verderbnis  in  Y  entstanden  ist. 

Dass  Werners  Untersuchungen  nicht  alle  wichtigen  stellen  der 
drei  handschriften  berücksichtigt  haben,  lehrt  ein  blick  auf  meine 
s.  56  fg.  gegebene  vergieichung.  Es  mag  hier  noch  einmal  übersicht- 
lich zusammengestelt  werden ,  was  meiner  Überzeugung  nach  zur  evi- 
denz  bringt,  dass  BS  eine  gemeinsame  vorläge  voraussetzen. 


V  190,  252 

des  umhe  das  ros  was 

geseit, 
des  inhaht   er   noh  tu 
vernomen  nicht 

V  193,  1 

unte   seh  er  sich  scul- 

dich 
nieuht  versumer  sich. 


S322 

dannoh  ne  heter  nit  ver- 
nomen 

ivi  is  umhe  das  ros  ivas 
comen 

S  416 

unde  sver  dir  zins  sol 
geben 

wil  er  iht  derivider  stre- 
ben 


B 

er  hat  mit  vernommen 

tvie   das  ros    dar  tvas 
Jcomen. 


ß 

ich  getrutv   mit  minen 

handen 
den  sins  gewinnen  in 
hurcser  frist 


1)  Vgl.  Eöcliger  s.  420:  MB  haben  nicht  das  richtige  erhalten,  „im  gegen- 
teil,  sie  änderten." 

2)  Eödiger  bemerkt  (s.  420)  gegen  Werners  erklärung  dieser  stelle  (s.  42 
oben):  ,,B  und  M  haben  geändert,  weil  ihnen  nicht  deutlich  war  dass  V  190, 
25  fg.  auf  die  meidung  der  boten  in  190,  17  fg.  gehen." 


394 


V  193,  1  S  416  B 

der    muz    en    dir    mit  |  der  uncz  lier  ussen  ist. 

scanden 
senden  von  sinen  lian- 

den 

Harczyk  bemerkte  zu  der  stelle  in  S  (diese  zeitschr.  IV,  18):  „diese 
verse  passen  doch  offenbar  gar  nicht  zu  dem  vorhergehenden  und  klin- 
gen in  diesem  Zusammenhang  ganz  ungereimt.  Statt  ihrer  finden  wir 
in  V  z^ei  verse ,  die  sich  mit  der  von  Alexander  eben  ausgesprochenen 
moralischen  sentenz  ganz  gut  in  Zusammenhang  bringen  lassen"  usw. 
Da  nun  B  dasselbe  misverständnis  hat,  so  muss  die  Ursache  in  der 
gemeinsamen  vorläge  beider  zu  suchen  sein. 


V  194,  22 
unt    antwurt    im    ein 
smaheit. 


S488 
unde     antworte     ime 
sm eil  che 


S  1149 
si  slugen  unde  viengen 


V  206,  9 
unde  slugen  unde  fien 

gen 

alle  die  si   druffe   he-  \  svaz  si  ir  hegiengen. 
giengen 

n 


noch  mag  ich  iu  sagen 


mere ; 


si  hesencten  sich  in  den 
se  (das  mere?) 

V  210,  22 

si   musen  du  alle  von 
der  Zinnen  gan 

V  211,  21 

das  er  mit  siner  tohter 
sliefe 

V  215,  7 

diz  sazte  man  do  alles 
an  einen  hrief. 


svem  des  heduchte 

das  er  untflihen  nit  ne 
mohte, 

der  sencte  sili  an  der 
stunt 

wider  an  des  meres 
grünt. 


B 

des     antwurt    er    im 
smechlich 

B 

sie  slugen    unde  Men- 
gen 
all  die  sy  viengen. 

etlich  künden  mit  listen 

sich  selb  also  fristen: 

sy    sangten    sich 

;       in  des  sewes  g r u n d. 


S  1371  I        B 

si  mosten  von  den  sin-  !  sy  müsten  von  den  sin- 
nen gan       i  neti  gon. 


S  1411 
das  er  sines  selbes  toh- 
ter beslief 

S  1557 
dis  screib  Alexander  do 


B 

das  er  sin  dochter  he- 
sleijf. 

B 

dis  schreib   er  an  den 
hrief  san 


V  215,   7 
das  -was   dem   chunige 
alexander  lieb 
er  screib  in  seihe   mit 
sincr  haut 
er  ivart  dem  clvunige  da- 
rio  gesant. 
er  inhof  im  oiicli  damite 


zu    LAMPRECHTS    ALEXANDER 

S  1557 


395 


imdc  santis  dario 
unde  embot  ime  da  mite 


B 


den  sant    er   mit    den 
hotten  dan. 
er  inhot  damit 


V  221,   13  I         S  1857  [        B 

das  min  vane  cJiom  in   das  min  vane  ie  quam  \  das  min  paner  kam  in 
iiiier  Jiant   I  an  diner  hant  ^  din  liant 

Auch  an  gemeinsamen  lückeu  felilt  es  nicht  in  BS.  So  ist  219,  5 
der  vergleich  mit  Samson  ^  in  BS  ausgelassen,  ebenso  die  verse  220,  15 
so  strouwet  alexander.  dis  ne  moJde  nehain  ander,  und  218,  2  alsus 
hört  ich  maister  alherichen  sagen. 

Von  unbedeutenderen  Sachen  verzeichne  ich:  V  190  also,  den 
S  306  also,  das  ime  B  diu  schtdde,  das  im. 

V  204,  8  ■unt  al  Chriechen  S  1009  alle  Griechische  lant  B  alle 
die  hrieschen  lant. 

V  215,  27  mit  sorn     S  1581  sornliche     B  sornenhlich. 

V  218,  8  uf  busival  er  reiht     B  sas  er     S  er  sas. 

V  219,  28  sinem  herren  ern  uf  das  höhet  pant.  S  1796  Alexan- 
dra er  in  uf  hant    B  sinem  heren  er  in  uf  band. 

V  225,  1  die  user  armenin  lant     BS  2001  die  von  Armenye. 

V  225,  6  die  von  gase.  S  2013  di  uhirmutige  Gasen  B  die 
snellen  Gassem. 

Es  wird  wol  niemandem  beikommen ,  die  Übereinstimmung  aller 
dieser  stellen,  die  sich  leicht  vermehren  lassen,  durch  die  annähme  zu 
erklären,  dass  sie  gegen  V  das  ursprüngliche  enthielten  (es  müsten 
dann  die  lesarten  in  V  als  änderungen  erwiesen  werden),  noch  weniger 
aber  durch  die  ausflucht,  B  und  S  seien  zufällig  auf  dieselbe  Verbes- 
serung geraten. 

1)  Ein  gewicht  kann  darauf  uacli  der  beschaftenheit  von  B  nicht  gelegt 
werden,  da  es  die  geistlichen  beziehuugen  überhaupt  auslässt,  wie  ich  s.  53 
nachwies. 


396 


II.    Zum  Strassbiirger  texte  Ton  Lamprechts  Alexander. 

Nachträge  zu  X,  14  fgg.  dieser  Zeitschrift. 

z.  2300     CJiorinfhia  smes  frides  gesan 

unde   Choryn  in  ander  stunt 

unde  gäben  ime  funßic  phunt 

unde  süher  unde  golt. 

des  wart  ime  der  Jcuninc  holt. 

Chorinthia  was  ein  micliel  stat  usw. 
Die  stelle  ist  verderbt.     Weismann  vermutet  für  Chortjn:    unde  hören 
in  an  der  stunt.     Doch  damit  ist  wenig   geholfen;    man  möchte  einen 
namen  vermuten.     In  B   ist  3001  —  7    nicht  vorhanden,    doch   scheint 
ein  fehlender  reim  darauf  hinzudeuten ,  dass  nicht  alles  zusatz  von  S  ist. 

z.  2457     svenne  er  dines  lieres  craft  .  .  . 

sehet  in  gagen  ime  varn, 

so  Wirt  er  des  wol  geware, 

das  du  wol  mit  eren 

mäht  wesen  dm  sinsere. 
Weismanns  Vermutung  über  die  correctur  der  stelle  (2460  er.  2461  mach) 
wird   zur    gewisheit    durch  B,    Avas  ich   X,  66  zu  bemerken  vergessen 
habe.     Es  heisst  hier: 

wenne  er  ersieht  din  cra/ft, 

vnd  vnser  vesti  ritterschaft 

von  rehte  wirt  innen, 

so  heginet  er  sich  versinnen, 

daz  er  mit  eren  wol 

mag  wesen  din  misgescliol. 

3038.  Ich  habe  im  hinblick  auf  den  Widerspruch  mit  3110  darauf 
aufmerksam  gemacht  (X,  72),  wie  in  der  Bas.  hs.  mehr  hervortritt, 
dass  Alexanders  ausrüstung  ihm  das  göttliche  ansehen  gab.  Dies  bestä- 
tigt die  parallele  in  der  Strassburger  hs.  3230  fg. 

vil  wole  half  ime  das, 

daz  er  so  wol  gare  was 

nach  deme  criechischeme  site. 

di  ingegen  im  quämen  geriten 

di  sprächen,  er  were  ein  got. 
Weismaun  verwischt  dies,  wenn  er  übersezt:   ,,dass  er  so  tüchtig  war 
bereit." 


zu    LAMPRECIITS    ALEXANDER  397 

Das  z.  3453  (X,  73)  bemerkte  bedarf  der  ergänzung.  Ich  habe 
s.  29  z.  102  gezeigt,  dass  der  epische  ausruf  a  wie,  owi  wie,  der  in  V 
häufig-  begegnet,  in  S  an  den  betreifenden  stellen  getilgt  ist.  Nnn 
komt  der  ansdruck  in  der  zweiten  hälfte  von  S  vor,  doch  als  ausruf 
des  dichters  in  einer  kampfesschildernng  nur  4655  woh  tvi  äi  swert 
Jdungen.  ivoch  ist  selten;  findet  sich  im  Parz.  und  Wig.  Zweimal 
sind  es  klagen ,  die  so  ehigeleitet  werden.  3453  klagt  Darius :  owi  ivic 
tve  mir  daz  tut!  3861  oiüi  lüie  sere  ili  nü  quelen  und  3709  owi  tvas 
lüollent  ir  mir  nü  tu!  4557  ruft  Porus  klagend  aus:  hei  wie  groz 
untrmve  das  ivasl  und  Alexander  3785  owi  daz  ih  disen  tac  ie  solde 
gclehcn!  Die  übrigen  drei  stellen  stehen  im  briefe  Alexanders ,  können 
also  auch  nicht  als  epischer  ausruf  aufgefasst  werden:  5074  owi  wie 
starke  uns  der  verdroz,  wandiz  ivären  gigande.  5216  hei  tvi  scöne  si 
sungen.     6058  di  juncfrowen  sungen;  hei  wie  ivol  daz  täten. 

z.  3547  fg.  Weismann  nimt  zu  viel  anstoss  an  der  stelle  (I,  513). 
Das  aber  ist  berechtigt:  „wozu  sie  gruben,  weiss  man  nicht."  In  der 
vorläge  mag  es  deutlicher  gewesen  sein.  Davon  zeugt  B ,  das  zwar, 
wie  X,  73  bemerkt  wurde,  sehr  verstümmelt  ist,  hier  aber  licht  gibt: 

do  gruohen  Alexanders  man 

nach  dem  schacz  har  und  dan. 
Es  war  ja  3469  gesagt,  dass  der  schätz  vergraben  war.     Nun  brechen 
sie  die  gräber  auf,  um  ihn  zu  suchen. 

z.  3606.  Massmanns  interpunction  und  Weismanns  interpretation 
sind  wol  unmöglich:  ,,  Da  kam  ich  wider  heim  im  fliehn.  Gar  bitter 
mir  das  wol  erschien,  dass  du  da  nirgends  kamst  zur  wehr  des  ist 
mein  herz"  usw.     Es  ist  so  zu  lesen: 

do  quam  ih  flthende  heim, 

vil  harte  wol  mir  daz  schein. 

daz  du  da  nierne  were, 

des  ist  min  herze  swere  usw. 

In  B  steht  nur: 

ich  hin  hiim  flicliende  danen  körnen, 
werest  du  ht  mir  gewesen., 
min  voTk  wer  wol  genesen.  — 

z.  3665     gehabe  diJi  wol,  helt  gut. 

du  gesehest  er  itvit  lanc, 
daz  ih  dir  hrenge  in  din  lant 
so  m,anigen  snellen  svertdegen. 
Ich  glaube  nicht  wie  Weismann,  dass  3666  verderbt  ist. 


398  KINZEL 

B  liest:    gehab  dich  wol,  trüriger  man. 

dahin  ist  nüt  lang, 

ze  JPersya  äne  smen  danJc 

hinge  ich  so  mangen  degen  gut. 
Die  erkläruug  macht  Schwierigkeit,     über  lanc  (7019)  heisst  nach  gerau- 
mer zeit ;   könte  nicht  er  iwit  lanc  heissen :  vor  irgendwie  langer  zeit, 
(1.  h.  in  kurzer  zeit?     Vgl.  iwit  lange  hiten  1485. 

Zu  der  X,  52  von  Zacher  unzweifelhaft  richtig  gegebenen  erklä- 
rung  von  ir  minne  scMs  in  sere  stach  finde  ich  folgende  parallelen  in 
Hagen  Ges.  Ab.  III ,  45  dö  schoz  in  der  Minne  spiez  so  vaste  in  daz 
herze.  III,  215  in  stach  ein  sträle  in  sin  herze  von  vroit  Venus  smerze. 
III,  218  der  3Iinne  sträle  mich  stach  inmitten  durch  min  herze.  III, 
216  der  Minnen  sträle  in  ir  herze  stach.  III,  246  ivie  hat  mich  der 
Minnen  sträle  also  gar  durchschozzen.  I,  293  oucli  sfuont  an  dem  vür- 
span,  daz  diu  maget  wol  getan  truog  einen  bogen  inderhende,  damit 
si  gar  behende  sclioz  der  minne  sträle  durch  sin  herz  al  ze  male.  I,  410 
wan  du  mit  der  minne  sträle  mich  hast  in  daz  herze  troffen;  vgl.  II,  98. 
II,  101  wunden  die  Venus  mit  ir  sträle  dir  schöz.  Die  stellen  stehen 
freilich  dem  ausdruck  des  Bas.  Alex,  alle  nicht  so  nahe  wie  die  aus 
dem  Neifen  angeführte. 

Z.  5057:  an  ein  .  .  .  heizet  Ada.  Weismann  ergänzte  richtig  velt, 
wie  B  bezeugt:  und  körnen  in  Jcurczer  zit  an  ein  schoenes  velt  wit, 
das  ist  aczya  genant. 

Z.  5125  fg.  Weismanu  hat  die  stelle  nicht  verstanden.  Es  ist 
folgendermassen  zu  interpungieren : 

doch  horten  si  eine  stimme 

di  gebot  unde  sagete, 

daz  nieman  ne  schadete 

dem  obize  noh  den  bomnen 

(daz  si  des  nämen  goume,) 

neweder  wäfen  noh  man. 
Man  vergleiche  B: 

man  sol  den  bluomen  schaden  niJit 

mit  wäfen  old  mit  übermuot. 

Z.  5599     Candaulus  der  frowen  alder  sun 

dächte,  waz  er  mohte  tun. 

er  nam  sme  wise  man. 
Die  stelle  ist  unklar;    deutlicher  in  B,  wo  es  heisst:    sin  muot  stuond 
also  daz  er  mir  klagen  ivolt  gross  leit  daz  er  dolt. 


zu  LAMPRECIITS  ALEXANDER  399 

Z.  5721    Der  kuninc  der  tvas  üs  gevaren 

mit  einer  creftigen  schare 

üf  einen  shien  genoz. 
Dies  ist  wie  das  vorige  auffallend  kurz ,  während  B  ausRihrlicher  berich- 
tet :  der  kling  tvas  mit  ze  lant.  der  ivas  durch  sm  and  gezogen  üf  eine 
sm  genos,  dem  ivoU  er  fügen  schaden  gros   und  zivegen  (zwingen?)  ze 
dienst  sid.    daz  landvolk  tvas  alles  mit.    daz  was  der  burger  not. 

Z.  6567    daz  ne  sal  ü  froiven 
ze  neheinem  unfromen. 
Dass  für  froiven  comen  zu  setzen  ist,  scheint  B  zu  bestätigen,  wo  es 
heisst:  nii  tvissent  sicherlich;  daz  ich  nut  her  komen  hin  durch  mve- 
ren  ungewin.    es  is  durch  ivunder  getan  (6571),  daz  ich  och  hie  fun- 
den  hän. 

BERLIN    1879.  KARL   KINZEL. 

Zu  dem  vorstehenden  erlaube  ich  mir  einige  ergänzende  bemer- 
kungen  hinzuzufügen. 

Zu  V.  2300  fgg.  (=  Massmann,  denkmaeler  1950;   =  Weismann 

2145). 
Die  in  betracht  kommenden  verse  lauten  volständig  in  der  Strass- 
burger  (zuvor  Molsheimer)  handschrift: 

2300     Chorinthia  smes  frides  gesan 
tmde  choryn  in  ander  stunt 
unde  gäben  ime  fimfzic  phunt 
unde  Silber  unde  golt: 
des  wart  ime  der  kuninc  holt. 
2305     Chorinthia  was  ein  michel  stat, 
di  bekarte  von  der  heidenscaf 
darnäh  sanctus  Patdus. 
Alexander  huh  sih  dar  üz 

unde  fuor  ad  athenas 

Die  Vorauer  handschrift  lässt  sich  für  diese  verse  zur  verglei- 
chung  gar  nicht  heranziehen,  weil  in  ihr  das  gedieht  schon  an  einer 
viel  früheren  stelle,  unter  verworrener  einmengung-  einiger  späteren 
verse,  gänzlich  abbricht. 

Die  Basler  handschrift  stimt  vor  und  hinter  dieser  stelle  im  gange 
der    erzählung    zwar    im    wesentlichen    mit    der    Strassburger    überein, 
beschränkt  sich  aber  bei  erwähnung  Korinths  auf  die  beiden  verse 
Corintya  die  lobesan 
gab  sich  an  sin  hidde 


400  J-    ZACHEE 

SO  dass  die  verse  2301  —  2307  der  Strassburger  handschrift  in  der  Bas- 
ler gänzlich  fehlen.  Aus  dem  mangel  eines  auf  hulde  reimenden  Ver- 
ses lässt  sich  zwar  ein  sicherer  schluss  nicht  ziehen,  weil  der  Schrei- 
ber dieser  handschrift  wörtlich  genaue  widergabe  seiner  vorläge  und 
bewahrung  ihrer  reimbiudungen  überhaupt  nicht  beabsichtigt  hat, 
doch  lässt  sich  vermuten,  dass  er  einen  vers  übersprungen  habe,  des- 
sen Inhalt  dem  der  beiden  verse  2302  und  3  der  Strassburger  hand- 
schrift entsprach. 

Aus  diesem  Sachverhalt  ergeben  sich  die  beiden  textkritischen 
fragen : 

1)  lässt  sich  ausfindig  machen,  ob  die  hier  in  der  Strassburger 
handschrift  überschiessenden  verse  bereits  in  Lamprechts  deutscher 
Originalfassung  gestanden  haben  und  in  der  Basler  handschrift  nur 
durch  nachlässigkeit  des  Schreibers  ausgefallen  sind,  oder  ob  sie  erst 
durch  den  Schreiber  oder  redactor  des  Strassburger  textes  eingeschaltet 
wurden  und  deshalb  im  Basler  texte  zu  rechte  fehlen? 

2)  wie  ist  die  augenscheinliche  textverderbuis  in  v.  1301  zu  berich- 
tigen? 

Um  die  richtige  lösung  dieser  doppelaufgabe  zu  finden ,  ist  zuvör- 
derst zu  untersuchen,  ob,  wo  und  wie  die  hier  in  der  Strassburger 
handschrift  enthaltenen  angaben  etwa  auch  anderwärts  sich  vorfinden. 

Da  bietet  sich  denn  zunächst  zur  vergleichung  das  Poema  de 
Alexandro,  welches  zuerst  herausgegeben  worden  ist  von  D.  Tomas 
Antonio  Sanchez  im  dritten  bände  seiner  Coleccion  de  poesias  castella- 
nas  anteriores  al  siglo  XV.  Eu  Madrid  1782.  Alle  vier  bände  der 
samlung  von  Sanchez  sind  dann  widerum ,  und  zwar  in  einen  einzigen 
band  zusammengedrängt,  herausgegeben  worden  von  D.  Eugenio  de 
Ochoa  im  20.  bände  der  Coleccion  de  los  mejores  autores  espanoles. 
Paris  1842 ,  und  nochmals  in  einer  mir  nicht  zu  gesiebte  gekommenen 
etwas  vermehrten  und  verbesserten  ausgäbe  durch  D.  Florencio  Janer 
im  57.  bände  der  Biblioteca  de  autores  espanoles.  Eine  sehr  einge- 
hende und  sorgsame  untersuchuDg  über  dieses  gedieht  (verfasser,  abfas- 
sungszeit,  handschriften ,  spräche,  versbau,  quellen)  hat  A.  Morel -Fatio 
veröffentlicht  in  der  Zeitschrift  Eomania ,  Paris  1872.  Bd.  4  s.  7  — 90. — 
Der  Verfasser  des  gedichtes  ist  unbekant.  Denn  wenn  in  der  lezten 
(2510.)  Strophe  der  einzigen  erhaltenen,  aus  dem  ende  des  XIII.  Jahr- 
hunderts stammenden  und  mit  manchen  fehlem  behafteten  handschrift 
als  derjenige  „quien  escrebiö  este  ditado"  ein  „Johan  Lorenzo  bou  cle- 
rigo  e  ondrado  Segura  de  Astorga"  sich  nent,  so  kann  dieser  welt- 
geistliche Joan  Lorenzo  Segura  aus  Astorga  in  Leon  gar  wol  nur  der 
Schreiber   dieser   handschrift,   muss    nicht   der  verfasser   des  gedichtes 


zu  LAMPRECHTS  ALEXANDER  401 

selbst  gewesen  sein.  Die  abfassung-  des  gedicbtes  sezt  Morel  -  Fatio 
(s.  17)  bald  nach  den  gedicbten  des  Berceo,  in  die  jähre  1240  — 1260. 
In  diesem  Poema  de  Alexandro  nnn  heisst  es,  unmittelbar  nach 
dem  berichte  von  der  ermordnug  des  königs  Philipp  von  Macedonien 
durch  Pausona  (Pausanias): 

str.  174.   Morio  ä  2)oca  dora  el  su  padre  ondrado, 

Fue  con  los  otros  Heys  ä  Corinthio  levado, 
Cueme  el  mereciera  asi  fue  soterrado, 
En  xjoder  del  infant  finco  fodol  regnado. 

175.  Era  esta  Corinta  una  noble  ciudad, 
Convertiola  Sant  Paolo  despues  ä  la  verdat, 
Sobre  todas  las  otras  avia  grant  hondat, 
Gdbeza  fue  de  Xanismo  hien  de  antiguidaf. 

176.  Quando  avien  en  Grecia  Hey  ä  coronar, 
Älli  lo  avian  ä  alzar,  non  en  otro  lugar: 
El  infant  non  la  quiso  en  si  desaforar: 
Y  fiiera  cahallero ,  e  fue  se  y  coronar. 

Der  spanische  dichter  erzählt  also:  Als  Alexanders  vater  Philipp 
gestorben  war,  ward  er  wie  die  anderen  könige  nach  Korinth  gebracht 
und  mit  geziemenden  ehren  begraben,  und  sein  ganzes  reich  fiel  nun 
dem  söhne  zu.  Korinth  war  eine  angesehene  stadt,  die  Sanct  Pau- 
lus später  zum  Christentum  bekehrte;  sie  war  vor  allen  anderen  aus- 
gezeichnet und  von  alters  her  haupt  der  Christenheit.  Wenn  man  in 
Griechenland  einen  könig  zu  krönen  hatte,  so  hatte  man  ihn  hier,  nicht 
an  einem  anderen  orte  auf  den  thron  zu  erheben.  Der  prinz  wolte 
die  Stadt  in  beziehung  auf  sich  ihres  Vorrechtes  nicht  berauben.  Hier 
war  er  ritter  geworden ,  und  hier  auch  war  er  um  sich  krönen  zu  lassen. 

Die  ähulichkeit  der  beiden  stellen,  in  der  Strassburger  handschrift 
von  Lamprechts  deutschem  und  in  dem  spanischen  gedichte ,  springt  in 
die  äugen.  Doch  kann  der  um  ein  halbes  Jahrhundert  ältere  Strass- 
burger Schreiber  unmöglich  aus  dem  spanischen  gedichte ,  aber  eben  so 
wenig  auch  der  Spanier  aus  dem  deutschen  gedichte  geschöpft  haben, 
weil  ein  unmittelbarer  Zusammenhang  und  verkehr  zwischen  spanischer 
und  deutscher  dichtung  damals  ja  überhaupt  gar  nicht  bestand. 

Wenn  nun  aber  keiner  der  beiden  Verfasser  von  dem  anderen 
entlehnt  haben  kann,  und  wenn  ferner  auch  ein  rein  zufälliges  zusam- 
mentreffen beider,  so  dass  jeder  völlig  selbständig  auf  dieselben  gedan- 
ken  verfallen  wäre ,  grade  hier  schon  durch  den  eigentümlichen  Inhalt 
der  übereinstimmenden   äusserungen   höchst  unwahrscheinlich  wird,    so 

ZEITSCHR.    F.   DEUTSCHE   PHILOLOGIE.     BD.  XI.  26 


402  J.    ZACHER 

ergibt  sich  der  schluss ,  dass  beide ,  sei  es  mm  unmittelbar  oder  durch 
vermitlung  von  Zwischengliedern ,  hier  aus  einer  und  derselben  gemein- 
samen quelle  geschöpft  haben  werden.  Dafür  läge  dann  am  nächsten 
Vermutung  auf  eine  gemeinsame  französische  quelle,  auf  die  leider  fast 
gänzlich  verlorene  französische  Alexandreis  des  Eiberich  von  Bisenzun 
(Aubri  de  Besannen),  und  an  sich  wäre  diese  Vermutung  auch  durch- 
aus nicht  unzulässig,  denn  der  deutsche  Lamprecht  sagt  selbst  aus- 
drücklich, dass  er  dem  Eiberich  getreulich  gefolgt  sei  (Vorauer  hs.  183, 

10  fg.): 

AlbericJi  von  Bisinzo 

der  hrähte  uns  diz  Ut  zuo. 

er  lietez  in  walhisheyi  getihfet, 

nu  sol  ich  es  euh  in  dütisken  heriJiten. 

niman  inshulde  sin  miJi; 

louc  er,  so  leuge  ich. 

(oder  nach  der  Strassburger  hs. 

nienian  ne  schuldige  mih, 

alse  daz  buoch  saget  so  sagen  ouch  ih.) 
und  dass  der  spanische  dichter  auch  französische  gedichte  benuzt  hat, 
ist  durch  die  Untersuchung  Morel  -  Fatios  sattsam  erwiesen.  Allein 
diese  Vermutung  wird  schon  von  vorn  herein  erschüttert  durch  die 
Wahrnehmung,  dass  die  äusserungen  der  beiden  gedichte  eben  hier, 
trotz  ihrer  auffallenden  ähnlichkeit  in  den  übrigen  angaben,  doch  grade 
in  einem  wesentlichen  punkte  entschieden  auseinandergehen.  Der  Spa- 
nier nämlich  knüpft  hier  seine  äusserungen  an  den  anfang  von  Alexan- 
ders herschaft,  er  macht  Korinth  zur  begräbnis-  und  krönungsstadt 
der  griechischen  könige,  lässt  den  Philipp  dort  begraben  und  unmit- 
telbar darauf  den  Alexander  dort  gekrönt  werden,  und  gedenkt  dabei 
der  späteren  bekehrung  Korinths  durch  den  apostel  Paulus.  Die  Strass- 
burger handschrift  Lamprechts  dagegen  verbindet  dieselben  äusserungen 
mit  einer  sehr  viel  späteren,  erst  in  die  mitte  seiner  eroberungszüge 
gelegten  anwesenheit  Alexanders  in  Korinth. 

Forschen  wir  nun  nach  den  Ursachen  dieser  Verschiedenheit  in 
den  angaben  über  den  Zeitpunkt  von  Alexanders  anwesenheit  in  Korinth, 
so  stelt  sich  folgendes  ergebnis  heraus. 

Lamprecht,  und  mithin  anch  sein  gewährsmann  Eiberich,  fol- 
gen —  abgesehen  von  einzelnen  ausscheidungeu ,  kürzungen,  änderuu- 
gen  und  einschaltungen  —  demjenigen  gange  der  erzählung,  wie  ihn 
der  griechische  Pseudokallisthenes  gestaltet  hatte,  und  wie  er  durch 
die  von  dem  archipresbyter  Leo  im  10.  Jahrhunderte  besorgte  latei- 
nische bearbeitung ,  durch  die  sogenante  Historia  de  preliis ,  dem  christ- 


zu  LAMPRECHTS  ALEXANDER  403 

liehen  abendlande  vermittelt,  und  hauptquelle  für  die  abendländisclien 
bearbeitungen  der  Alexandersage  geworden  war.  Im  Pseudokallisthenes 
aber  ist  die  geschichtliche  folge  der  begebr'uheiten  derart  wunderlich 
verschoben,  dass  Alexander  zuerst  Italien,  Nordafrika,  Aegypten  und 
Tyrus  erobert,  und  den  Darius  besiegt,  dann  nacli  Europa  zurückkehrt, 
Theben  zerstört ,  darnach  in  Koriuth  den  korinthischen  spielen  präsidiert 
und  die  sieger  in  denselben  krönt,  darauf  Athen  unterwirft  und  dann 
endlich  widerum  nach  Asien  zurückkehrt,  um  die  besiegung  des  Darius 
zu  vervolständigen  und  den  übrigen  rest  seiner  laufbahn  zu  vollenden. 
Wie  nun  Lamprechts  erzählung  von  Philipps  tode  und  den  unmit- 
telbar daran  sich  knüpfenden  ereignissen  gelautet  habe ,  lässt  sich  zwar 
aus  der  Strassburger  handschrift  nicht  ersehen,  weil  in  ihr  zwischen 
blatt  14  und  15  ein  blatt  fehlt,  welches  die  erzählung  von  Philipps 
tode  und  den  darauf  folgenden  Vorgängen  bis  zur  belagerung  von  Tyrus 
enthielt.  Doch  tritt  ergänzend  dafür  die  Vorauer  handschrift  ein  (in 
Weismanns  ausgäbe  v.  508  —  804).  In  dieser  heisst  es  hier  aber  nur 
(Diemer,  deutsche  gedd.  des  XI.  und  XII.  jh.  199,  3  fgg.  =  Alexander, 
ed.  W^eismann  1,  30  v.  637  fgg.): 

Philippus  da  tollt  lach. 

Düde  also  Philippus  ivas  hegraien, 

dö  wart  Alexander  ze  chunig  erhaben. 

ich  sage  in  toie  ers  hegan. 

er  nam  sm  aller  getriwisfen  man, 

die  ime  ze  smer  note 

ie  wären  einnmofhe; 

er  sprah:  herre,  tvir  ne  haben  nieuth  ze  bUene, 

ivir  müzcn  her  laiten, 

Chriechlande  zcren. 

Es  wird  also  zwar  erzählt,  dass  Alexander  nach  Philipps  tode  zum  könige 
erhoben  wird ,  aber  weder  wird  ausdrücklich  eine  krönung  erwähnt, 
noch  Korinth  überhaupt  auch  nur  genant,  und  folglich  auch  des  Pau- 
lus nicht  gedacht.  Das  entspricht  durchaus  der  erzählung  bei  Pseudo- 
kallisthenes (1,  24.  25  ed.  Müller): 

QaTtTETat  oi'v  ßaGilixcog,  oh]g  r/yg  Maz-edoviag  avvehd-ovGijg.  ^Ek- 
d-Qvor^g  di  Tvß  Uelh^g  elg  EvGrad^eiav,  tQ^ezai  L4Xi^avdQog  ercl  töv  tov 
TcaxQog  dvdQidvTa,  ■/.«/  ßorjoag  f-dya  ehiev'  'Q  7taidEg  TleXXaUov  y.al 
MxTAEdövoiv  VML  '^ElXr^vcov  Yxd  !Ai.i(piyav6vcov  '/.cd  u4ay.sdaifiovuov  y.al  Ko- 
QivS^icov  xat  Qrißauov  'Aal  l4S-rjvaicov,  orvelSers  f^ioi  rw  ovGTQaruoTrj 
vficüv    xal   eiXTtiaxevGaze   f.ioi    eavtovg,    oyrwg   y.aTaGTQaTeiocof.i€d-a    zolg 

26* 


404  J.   ZACHER 

ßaqßaQOLg  y.ai  tavrovg  slEvd-EQcoacoinev  zvß  xwv  Tlegocov  öovleiag.  /.tL 
und  ebenso  der  gekürzten  fassung  der  Historia  de  preliis  (ed.  Argentin. 
a.  1489.  s.  ö**  6"):  Itaque  Alexander  plorans  mortem  PhiUppi  ipsum 
honorifice  sepelivit.  Alio  autem  die  Alexander  pro  trihunali  in  solio 
patris  eins  sedit  et  congregata  multitudine  populi  taliter  est  affatus: 
Viri  Macedones ,  Thraces,  Ihessalonicenses  et  Greci,  intuemini  Alexan- 
drum, ut  fugiat  a  vobis  timor  omnimn  barbarorum,  etc.  Aus  dem  wei- 
teren zusammenhange  und  verlaufe  der  erzählung  ergibt  sich  bestirnt, 
dass  in  beiden  texten,  im  Griechischen  wie  im  Lateinischen,  Pella  in 
Macedonien  als  ort  der  handlung  gemeint  ist. 

Dagegen  lässt  Lamprecht,  und  widerum  in  völliger  Übereinstim- 
mung mit  Pseudokallisthenes  und  der  Historia  de  preliis,  den  Alexan- 
der nach  Korinth  erst  kommen  nach  Vollendung  der  ersten  hälfte  sei- 
ner eroberungszüge ,  nach  seiner  rückkehr  aus  Asien  nach  Europa,  und 
vor  dem  zweiten  aufbruche  nach  Asien;  jedoch  ohne  hierbei,  wie  jene 
beiden  es  tun ,  der  korinthischen  spiele  zu  gedenken.  Und  hier  erst 
geschieht  es,  dass  die  Strassburger  handschrift,  nicht  aber  die  Basler, 
die  an  sich  unverständliche  zeile  hinzufügt  „unde  clioryn  in  ander 
stunt ,"  und  daran  auch  die  bekehrung  Korinths  durch  den  apostel  Pau- 
lus knüpft. 

Ganz  anders  ist  die  reihenfolge  der  begebenheiten  im  spanischen 
poema  de  Alexandro  gestaltet,  und  dies  widerum  in  Übereinstimmung 
mit  dessen  massgebender  vorläge.  Der  spanische  dichter  hat  zwar 
mehrere  lateinische  und  französische  quellen  benuzt,  wie  das  Morel - 
Fatio  so  weit  er  vermochte  abschnitt  für  abschnitt  im  einzelnen  nach- 
gewiesen hat,  hauptsächlich  aber  ist  er  dem  Walther  von  Chätillon 
gefolgt,  den  er  auch  widerholt  als  seinen  gewährsmann  nent  (str.  225: 
cuemo  dis  Galente;  1452:  como  Galant  decie),  und  aus  dessen  Alexan- 
dreis (7,  423  fg.)  er  (str.  1630)  sogar  zvrei  verse  in  ihrer  lateinischen 
Originalgestalt  aufgenommen  hat. 

Walther  (Gualterus  ab  Insulis,  oder  Gualterus  de  Castellione), 
über  dessen  leben  und  Schriften  R.  Peiper  auf  grund  kritischer  for- 
schuug  gute  auskunft  gegeben  hat  (in  einem  programm  des  Breslauer 
Maria -Magdalenen-gymnasiums  zum  300jährigen  Jubiläum  des  Brieger 
gymnasiums.  Breslau  1869.  4.),  war  um  1140  in  oder  bei  Lille  gebo- 
ren, studierte  in  Eeims  und  Paris,  leitete  dann  die  schule  in  Laon, 
verweilte  durch  einige  zeit  am  gelehrten  hofe  des  gelehrten  königs 
Heinrichs  U  von  England,  und  wirkte  darauf,  wahrscheinlich  als  leh- 
rer,  in  Chätillon  (Castellio,  vermutlich  wol  Chätillon  an  der  Marne), 
wo  er  zugleich  eine  bedeutende  litterarische  tätigkeit  entfaltete.  Von 
einer  nach  Italien  unternommenen   reise  heimgekehrt,  und  nach  einer 


zu  LAMPRECHTS  ALEXANDER  405 

darauf  in  Chätillou  überstandenen  schweren  krankheit  ward  er  notar 
und  orator  des  erzbischofes  Guillermus  (II)  von  Reims ,  durch  welchen 
er  später  auch  ein  canonicat  zu  Amiens  erhielt.  Weitere  lebeusuach- 
richt  über  ihn  gebricht,  so  dass  über  ort  und  jähr  seines  todes  nichts 
sicheres  verlautet,  wonach  zu  vermuten  ist,  dass  er  kein  hohes  alter 
erreicht  habe.  Neben  verschiedenen  prosaischen  Schriften  und  einer 
anzahl  lateinischer  gedichte  hat  er  eine  in  10  bücher  abgeteilte  und 
dem  eben  genanten  erzbischof  Guillermus  gewidmete  Alexandreis  in 
lateinischen  hexametern  verfasst,  welche  er  um  1171  in  Chätillon 
begonnen  hatte  und  1177  oder  1178  vollendete. 

Einem  so  gelehrten  und  in  der  klassischen  litteratur  belesenen 
manne  konte  nicht  entgehen,  dass  in  den  bis  dahin  algemein  gangba- 
ren, auf  Pseudokallisthenes  beruhenden  Alexaudriaden  die  geschicht- 
lichen Vorgänge  vielfach  und  gröblich  verschoben,  verunstaltet  und  mit 
fabeleien  durchsezt  waren.  Deshalb  wählte  er  für  seine  Alexandreis 
als  verlässige  grundlage  die  geschichtserzählung  des  Curtius,  deren 
lücken  er  aus  anderen  ihm  dazu  geeignet  scheinenden  quellen  zu  ergän- 
zen suchte.  Wenn  ihm  dabei  gleichwol  hie  und  da  auch  brocken  von 
blos  sagenhaftem  Ursprünge  und  Charakter  mit  unterliefen,  so  lag  das 
in  der  beschaffenheit  des  Stoffes  selbst  und  war  zu  seiner  zeit  unver- 
meidlich. Sein  werk  fand  so  grossen  beifall,  dass  es  rasch  zum  schul- 
buche wurde  und  in  zahlreichen  handschriften  sich  verbreitete ,  die  auch 
nicht  selten,  wie  handschriften  alter  klassiker,  mit  reichlichen  einge- 
schriebenen glossierungen  ausgestattet  wurden. 

Ganz  abweichend  von  denjenigen  Alexaudriaden,  die,  auf  Pseudo- 
kallisthenes fussend ,  der  erzählung  von  Alexanders  abstammung  und 
Jugend  und  von  Philipps  ermordung  einen  breiten  räum  verstatten, 
begint  Walther  mit  einer  belehrenden  anspräche  des  Aristoteles  an  sei- 
nen nach  taten  und  rühm  dürstenden  Zögling,  und  geht  dann  sofort 
über  zu  dem  regierungsantritte  Alexanders,  den  er  mit  folgenden  Ver- 
sen einleitet: 

Urhs  erat  auctoris  nomen  sortita  Corinthus, 

Quam  Situs  ipse  loci,  quam  rerum  copia  major, 
205  Quam  genus^  et  populi,  quam  regum  firma  voluntas 

Sanxerat,  ut  regni  caput  et  metropoUs  esset. 

Hanc,  evangelico  propulsans  idola  verho, 

1)  genus  bietet  Müldener,  der  seiner  ausgäbe  (Leipzig  1863)  leider  keinen 
kritischen  apparat  beigegeben  hat;  gens  gewährt  die  ausgäbe  von  Job.  Adelphus 
(Strassburg  1513).  Ansprechender  erscheint  statt  dessen  patrum,  was  Athanasius 
Gugger  in  seiner  sorgsamen ,  auf  einer  Engelberger  und  einer  St.  Galler  handschrift 
beruhenden  ausgäbe  (St.  Gallen  1659)  ohne  angäbe  einer  Variante  darbietet. 


406  J.  ZACHER 

Paulus  ad  aeterni  convertit  pascua  veris. 
Hie  igitur  Macedo,  ne  jura  retunderet  urbis, 
Post  patris  occasum  sacrum  diadema  verendo 
Suscipiens  capiti  sceptro  radiavit  eburno.  etc. 

Die  Übereinstimmung  dieser  verse  mit  den  oben  augeführten  spa- 
nischen Strophen  ist  nnverkenbar,  und  auch  schon  von  Morel -Fatio 
s.  64  gebührend  angemerkt  worden.  Sogar  die  eigentümliche  motivie- 
rung  Walthers  ne  jura  retunderet  urbis  hat  der  Spanier  sich  angeeig- 
net in  dem  verse  El  Infant  non  la  quiso  en  si  desaforar. 

Aber  auch  Walther  seinerseits  muss  seine  in  diesen  versen  ent- 
haltenen angaben  doch  ebenfals  widerum  irgendwoher  entnommen  haben. 
Aus  Curtius  freilich  nicht,  weil  ja  dessen  erste  beiden  bücher  verloren 
sind.  Mit  voller  Sicherheit  wird  sich  die  hier  von  ihm  benuzte  quelle 
schwerlich  nachweisen  lassen.  Zulässig  jedoch  darf  die  Vermutung 
erscheinen,  dass  er  hier  aus  Justin  geschöpft  haben  könne,  welcher 
(11,  2)  berichtet:  Prima  Uli  cura  paternarum  exsequiarum  fuit  .  .  .  . 
Inter  initia  midtas  gentes  rebellantes  compescuit:  Orientes  nonnullas 
seditiones  exstinxit.  Quibus  rebus  erectus  citato  gradu  in  Graeciam 
contendit,  tibi,  exemplo  patris,  Corinthum  evocatis  civita- 
tibtis,  dux  in  locum  ejus  substituitur.  Die  erhebung  Korinths 
zur  krönungsstadt  der  griechischen  könige  mag  Walthers  eigene 
zutat  sein;  lag  ja  doch  diese  ausschmückung  grade  für  ihn  so 
ganz  besonders  nahe,  nach  dem  vorbilde  von  Reims,  au  dessen  dom- 
kirche  eben  zu  seiner  zeit  die  Salbung  und  krönung  der  französischen 
könige  durch  den  erzbischof  von  Reims,  den  primas  des  reiches,  als 
bleibendes  Vorrecht  dieser  schon  seit  Chlodwigs  taufe  bevorzugten  stadt 
sich  knüpfte. 

Übrigens  scheinen  zu  Walthers  zeit  auch  schon  anderweite  ver- 
suche zur  ergänzung  der  lücken  des  Curtius  gemacht  worden  zu  sein. 
Unter  dem  nachlasse  des  Perizonius  zu  Leiden  fand  ich ,  unter  den 
Signaturen  Cod.  Perizon.  9.  11.  12.  Q.,  eine  begonnene,  aber  nur  durch 
wenige  selten  fortgeführte  und  dann  abgebrochene  abschrift  aus  einer 
handschrift  des  Oxforder  Corpus  -  Christi  -  Collegiums ,  deren  anfang  lau- 
tet: Incipit  historia  magni  Älexandri.  —  Alexander  vesanus  juvenis, 
qui  nicJiil  nisi  grande  concepit  animo,  et  cid  pro  virtute  felix  temeri- 
tas  fortunq  cessit  in  gloriam,  etatis  suae  vicesimum  agens  annum  ador- 
tus  est  expugnare  regnum  Persarum,  aetate  quidem  tantis  rebus  inima- 
tura  sed  habunde  sufficienti.  Erat  enim  vir  in  adolescente  supra 
potentiam  Immanam  animi  magnitudine  praeditus.  Hujus  autem  magni- 
tudinis  futurae  multa  jiraecessisse  leguntur  prodigia.  etc.  Es  scheint 
diese  abschrift  des  Perizonius  entnommen  zu  sein  aus  einer  handschrift, 


zu  LAMPRECHTS  ALEXANDER  407 

welche  H.  0.  Coxe  in  seinem  Catalogus  codd,  rass.  qui  in  collegiis  aulis- 
que  Oxoniensibus  hodie  adservantur  (Oxouii  1852.  4.)  bd.  2.  s.  29. 
bezeichnet  als  „nr.  LXXXIl.  Cod.  mbr. ,  in  folio  maximo ,  ff.  205.  sec. 
XII.;  biuis  coliimnis  optime  exaratus."  Weil  diese  mir  mierreichbar 
gebliebene  handschrift  für  die  Alexaudersage  überhaupt  nicht  unwich- 
tig zu  sein  scheint,  und  Coxes  catalog  doch  nur  wenigen  zur  band 
sein  kann,  lasse  ich  die  angäbe  ihres  Inhaltes  mit  Coxes  werten  hier 
folgen : 

1)  Quinti  Curtii  de  Alexandri  raagni  gestis  historiarum  libri  decem; 
imperfecta  p.  1. 

De  omissionihus  in  textu  praemisit  manus  prima  rubricam,  quae 
sequitur:  „In  huius  libri  textu  et  serie  plura  desunt;  quoniam 
libri  diver si  fuerunt,  ad  quoriiyn  exempla  hie  scriptus  .  .  .  prius- 
que  correptus  est,  et  quoniam  que  desunt  suis  interserere  locis 
ncquivimus  nee  in  margine,  glosarum  more ,  super scribere  volui- 
nms,  signatis  locis  ubi  interseri  haberetur  quicquid  defectuum 
percipere  potuimus  ante  libri  iniciimi  prescripsimus.  Signa  enim 
sunt  littere  Äbecedarii  ordinatim  posite  quotquot  fuerint  . . .  7ieces- 
sarie." 

2)  Julii  Valerii  „Alexandri  regis  magni  Macedonnm  ortus  vita 
et  obitus."  p.  137. 

3)  Epistola  Alexandri  regis  magni  Macedonum  „ad  suum  magi- 
strum  Aristotelem  de  situ  Indiae  et  itinerum  vastitate."  p.  156. 

4)  Alexandri  magni  et  Dindjmi  regis  Bragmanorum  epistolae 
quinque  mutuae.  p.  165. 

5)  Epistola  „  cujusdam  "  de  quibusdam  Indiae  locis  et  de  vita  Brag- 
mannorum,  p.  172.  —  Incip.:  „Mens  tua  que  et  discere  et  mnltum  dis- 
cere  cupit."  ^ 

6)  De  historia  Josephi  (XL  §  8.)  qualiter  Alexander  Hierosolymam 
venerit.  p.  182. 

7)  Epistola  de  itinere  Alexandri  ad  Paradisura.  p.  184.  —  Incip.: 
„Postquam  Alexander  Philippi  filius  Universum  orbem  praeter  Indiam 
solam  suae  ditioni  subegerat ,  proposuit  ut  et  ipsam  . . ."  ^ 

1)  Ed.  Bissseus,  Palladius  de  gentibus  Indiae  et  Bragmanibus  etc.  Londini 
1668.  4.  bietet  auf  s.  57 — 84:  S.  Ambrosii  tractatus ,  in  quo  loca,  doctrinam  ac 
mores  Brachmaywrnm  describit,  beginnend:  Desiderium  mentis  tuae,  Palladi, 
quae  immenso  sapientiae  amore  incensa  nova  semper  discere  optat  usw.  Das  könte 
wol  dasselbe  werkchen  sein. 

2)  Für  meine  ausgäbe  „Alexandri  M.  iter  ad  Paradisum.  Kegimonti  1859." 
babe  ich  nur  eine  Pariser  und  eine  Wolfenbüttler  handschrift  benutzen  können, 
welche  beginnen:    Igitur  Alexander  nobili  ac  multiformi  praeda  onustus  se  cum 


408  J-    ZACHER 

8)  Julii  Caesaris  et  Hirtii  Pansae  de  bello  Gallico  commentario- 
rum  libri  octo.  p.  188. 

9)  De  gestis  Fraucomm  libri  duo.  p.  281. 

10)  Narratio  de  Apollonio  Tyri  rege;  initio  mutil.  p.  329. 

11)  Pauli  Warnefridi  Diaconi  Langobardi  Historiarum  Langobar- 
doi'um  libri  sex.  p.  346. 

In  der  abschrift  des  Perizonius  heisst  es  an  der  entsprechenden 
stelle  in  beziehung  auf  Korinth:  Successit  igiiur  meliori  patri  filius 
optimus.  qiii  maiorum  more  convocatis  apud  Corinthum  universi  regni 
principihns  pari  consensu  suhliniatur  in  regem.  Auch  diese  angäbe 
könte  aus  Justin  geschöpft  sein. 

Kehren  wir  nun  zu  den  versen  der  Strassburger  handschrift  zu- 
rück, von  welchen  wir  ausgegangen  waren,  so  wird  sich  mit  hilfe  der 
durch  die  vorstehende  Untersuchung  und  erörterung  gewonnenen  ergeb- 
nisse  wol  die  möglichkeit  einer  bestirnteren  beurteilung  erhoffen  lassen. 

In  der  verderbten  form  cJioryn  (v.  2301)  kann  ein  Ortsname 
nicht  stecken,  weil  nach  dem  gange  der  erzählung,  wie  die  verglei- 
chung  der  entsprechenden  griechischen  und  lateinischen  bearbeitungen 
ergibt,  zwischen  Theben  und  Athen  für  die  erwähnung  noch  eines  zwei- 
ten ortes  neben  Korinth  weder  veranlassung  noch  räum  vorhanden  ist. 
Denn  eine  im  Pseudokallisthenes  und  in  der  Historia  de  preliis  zwischen 
Korinth  und  Athen  eingeschaltete  erzählung  von  einer  glück  verheis- 
senden  Weissagung,  die  Alexander  unterweges  in  einem  tempel  zu  Pla- 
tää  erhalten  habe,  kann  hier  gar  nicht  in  betracht  kommen,  weil  sie 
im  deutschen  texte  gänzlich  und  völlig  spurlos  übergangen  ist. 

Muss  demnach  in  cJioryn  eine  verbal  form  enthalten  sein,  so 
würde  zwar  mit  leichtester  auf  einen  einzigen  buchstaben  beschränkter 
änderung  die  form  cJioren  gewonnen  werden,  welche  Weissmann  auf 
s.  501  seiner  ausgäbe  als  genügende  besserung  empfiehlt,  indem  er 
sagt:  „es  scheint  zu  lesen:  unde  koren  in  an  der  stunt,  und  erkoren 
ihn  zu  der  stunde";  aber  dann  solte  im  texte  doch  hinzugefügt  sein, 
wozu  denn  die  Korinther  den  Alexander  erwählt  haben.  Und  wenn 
man  etwa  —  was  ja  dann  fast  allein  zulässig  wäre  —  ein  verschwie- 
genes 06  herren  ergänzend  hinzufügen  wolte,  so  würde  die  vervolstän- 
digte  formel:  si  Jcurn  in  ze  Mrren  an  der  stunt,  d.  h.  sie  erwählten 
ihn  sogleich  zu  ihrem  herren,  doch  nur  einen  so  ungeschickten  und  so 
matten  flickvers    ergeben,    wie   man  ihn   einem   gedichte,    und  zumal 

suis  copüs  a  finibus  Indorum  siirripiens  ....  Beiläufig  bemerke  ich ,  dass  von 
der  ausgäbe  nur  noch  wenig  exemplare  vorhanden  und  durch  die  buchhandlung  des 
Waisenhauses  zu  beziehen  sind. 


Zu  LAMPRECHTS  ALEXANDER  409 

einem  sonst  so  verständigen  und  kräftigen  durch  blosse  conjectur  nicht 
aufdrängen  soll. 

Schärferer  beobachtung  jedoch  werden  zwei  abweichungen  des 
Strassburger  textes  von  dem  griechischen  des  Pseudokallisthenes  und 
dem  lateinischen  der  Historia  de  preliis  nicht  entgehen,  sondern  viel- 
mehr so  bedeutsam  erscheinen,  dass  grade  sie  zum  ausgangsp unkte 
einer  prüfenden  erwägung  gemacht  werden.  Es  lassen  nämlich  der 
griechische  wie  der  lateinische  text  den  Alexander ,  nachdem  er  Theben 
erobert  und  zerstört  hat,  nach  Korinth  gelangen,  und  zwar  grade  in 
dem  Zeitpunkte,  wo  dort  die  Isthmischeu  spiele  beginnen  sollen,  und 
lassen  ihn  daselbst,  ohne  besondere  erwähnung  einer  voraufgegangenen 
feindseligkeit  oder  eroberung,  auf  bitten  der  Korinther  den  vorsitz  bei 
diesen  spielen  übernehmen.  Auch  halten  sie  es  für  überflüssig,  die 
albekante  stadt  Korinth  durch  irgend  einen  zusatz  als  einen  grossen 
oder  berühmten  ort  zu  bezeichnen.  Der  griechische  text  sagt  (1,  46) : 
'0  de  l4l€^avdQog  naQayivetm  elg  KoQivd^ov,  'Aal  ■KaraXaf.ißdveL  iyiEt  rbv 
^'iGd-f-iiov  Tcöv  dytonov.  üagayMlovai  da  airbv  ol  KoQivd^ioi  a^at  xbv 
dycova.  'O  ös  /reiad^eig  8/.d&ia€.  /.tL;  und  gleicherweise  der  lateinische 
(ed.  Argent.  1489.  11"):  Alexander  itaqiie  TJiebanmn  cimtatem  relin- 
quens  äbiit  Corinthum.  Rogaverunt  eum  Corinthii  ut  eis  manibus  lude- 
ret (richtiger  in  dem  überhaupt  correcteren  niederländischen  drucke: 
ut  luderet  cum  eis  in  currihiis).  Quorum  precibus  acquievit.  etc.  Im 
weiteren  verlaufe  wird  dann  erzählt,  dass  Alexander  dem  sieger  in  die- 
sen wettkämpfen,  einem  Thebaner  KlsiTOf-iaxog ,  als  siegespreis  den 
von  ihm  erbetenen  wideraufbau  Thebens  gestattet,  und  damit  zugleich 
einen  Orakelspruch  erfült  habe.  Und  aus  dieser  schlussvrendung  erklärt 
sich  die  entstehung  und  die  gestaltung  der  geschichte  von  Alexanders 
anwesenheit  in  Korinth,  All  das  aber  fehlt  im  deutschen  texte.  War 
ja  doch  auch  jede  kentnis  von  den  isthmischen  spielen  längt  erloschen, 
und  damit  auch  das  Verständnis  dieser  geschichte  verloren  und  das 
Interesse  daran  erstorben.  Damit  aber  war  die  erwähnung  Korinths 
inhaltsleer  geworden.  Und  inhaltsleer  erscheint  sie  auch  in  der  Bas- 
ler handschrift ,  welche  sich  darauf  beschränkt  nach  Thebens  Zerstörung 
zu  berichten  (39''):     aber  fuor  er  für  sich. 

gewan  manig  hurg  herlich 

under  wegen  er  hegan. 

(lies:  manig  bürg  herlich 

under  wegen  er  gewan). 

Corintya  die  lobesan 

gab  sich  an  sin  hulde. 

Do  fuor  er  für  Äthenas  usw. 


410  J.  ZACHEE 

Dies  ist  die  erste  abweichung  des  deutschen  textes  vom  griechi- 
schen und  lateinischen. 

Aber  für  einen  dichter  oder  schreibor  des  zwölften  Jahrhunderts, 
und  zumal  für  einen  solchen  von  theologischer  bildung,  hatte  Korinth 
doch  ein  hervorragendes  christliches  interesse,  als  eine  der  ältesten 
Pflanzstätten  des  christentumes ,  an  welche  Paulus  zwei  briefe  gerichtet 
hatte,  die  also  doch  wol  auch  eine  stadt  von  beträchtlicher  grosse  und 
bedeutung  gewesen  sein  mochte.  Und  dass  der  Schreiber  oder  redactor 
des  Strassburger  textes  kein  bedenken  getragen  hat,  die  kundgebung 
dieses  christlichen  Interesses  an  die  erwähnung  von  Korinth  zu  knüpfen 
hat  ja  auch  an  sich  durchaus  nichts  auffälliges.  Gleichwol  wird  diese 
zweite  abweichung  des  Strassburger  textes  vom  griechischen  und  latei- 
nischen denn  doch  recht  auffällig  durch  die  doppelte  Wahrnehmung, 
dass  sie  einerseits  im  Basler  texte  fehlt,  und  andererseits  mit  dem  spa- 
nischen texte  so  merkwürdig  übereinstimt.  Daraus  erwächst  denn,  wie 
oben  schon  angedeutet  wurde,  der  verdacht,  dass  beide  texte,  der 
Strassburger  und  der  Spanische ,  diese  zusammentreffenden  äusserungen 
aus  einer  und  derselben  quelle,  aus  der  Alexandreis  des  Walther  von 
Chätillon  geschöpft  haben.  Und  diese  Vermutung  ist  nun  noch  des  wei- 
teren zu  untersuchen. 

Nach  Massmanns  angäbe  (Denkmäler  deutscher  Sprache  und  Lite- 
ratur. I.  München  1828  s.  1.)  stand  am  unteren  rande  der  Vorderseite 
des  29.  blattes  der  leider  jezt  verbranten  Strassburger  handschrift ,  also 
auf  derselben  seite,  auf  welcher  der  Alexander  endete  und  der  Pilatus 
begann,  und  zwar  von  derselben  band,  welche  den  Pilatus  gleichzeitig 
mit  den  anderen  in  der  handschrift  enthaltenen  gedichten  geschrieben 
hat,  in  einer  einzigen  fortlaufenden  zeile  die  einzeichnung 

Captiuante  faladino  irolitanof 
Annof  millenof  centenof  odagenof 
Septenofq;  reuolu'at  incarnatio  uerhi. 

Demnach  ist  die  Strassburger  handschrift  in  oder  bald  nach  dem  jähre 
1187  geschrieben  worden.  Walther  von  Chätillon  aber  hatte,  wie  oben 
bereits  berichtet  wurde,  seine  Alexandreis  1177  oder  1178  vollendet, 
und  bei  der  raschen  und  weiten  Verbreitung,  Avelche  dieses  gedieht 
sofort  fand ,  genügte  ein  Jahrzehnt  volkommen  dazu ,  dass  es  auch  in 
die  hand  des  Schreibers  oder  redactors  des  Strassburger  textes  gelan- 
gen konte.  Hiermit  ist  die  grundbedingung ,  die  chronologische 
möglichkeit  erwiesen,  dass  der  Schreiber  oder  der  redactor  des  Strass- 
burger deutschen  Lamprecht -textes  die  Alexandreis  des  Walther  von 
Chätillon  kennen  und  benutzen  konte. 


zu    I,AHPRECHTS    ALEXANDER 


411 


Es  erübrigt  also  nur  noch  der  uachweis  der  Wahrscheinlichkeit  — 
denn  über  eine  blosse  Wahrscheinlichkeit  können  wir  nach  läge  der 
Sache  hier  freilich  nicht  hinauskommen  —  dass  er  sie  auch  benuzt 
habe. 

Für  diese  Wahrscheinlichkeit  sprechen  folgende  beobachtungen  und 
erwägungen : 

Von  den  Korinthern,  welche  den  Alexander  sich  geneigt  machen 
wollen,  sagt  der  Strassburger  text  2302  fg.: 

unde  gäben  inie  fmißic  phunt 
unde  Silber  unde  golt. 
Das  muss  einen  achtsamen  leser  denn  doch  ernstlich  stutzig  machen; 
denn  die  in  v.  2302  erwähnten  fünfzig  pfund  können  ja  doch  gar  nicht 
anders  verstanden  werden,  als  ebenfals  von  fünfzig  pfunden  goldes 
und  Silbers.  Folglich  ist  das  unde  in  v.  2303  dem  sinne  nach  völlig 
überflüssig,  wird  aber  durch  das  metrum  dennoch  als  für  den  vers 
notwendig  und  unentbehrlich  erwiesen.  Sucht  man  nun  nach  der 
Ursache  dieser  eben  so  ungeschickten  als  albernen  tautologie,  so  wird 
sich  kaum  eine  andere  entdecken  lassen,  als  das  bedürfnis ,  auf  einen 
daneben  stehenden  vers  einen  reim  zu  gewinnen.  Eine  so  wortreiche 
und  zugleich  so  unüberlegte  und  nachlässige  ausdrucksweise  passt  aber 
so  übel  zu  dem  knappen  und  verständigen  Charakter  des  alten  echten 
gedichtes ,  dass  man  sie  dem  von  Lamprecht  selbst  herrührenden  Origi- 
naltexte nicht  füglich  zumuten  kann,  während  sie  als  später  hinzuge- 
fügte einschaltung  aufgefasst  wenn  auch  nicht  löblich  so  doch  erklär- 
lich wird. 

Kaum  minder  anstössig  und  verdächtig  muss  aber  auch  der  vers 
2301  erscheinen:  vnde  cJiorijn  in  ander  stunt,  weil  für  ihn,  welchen 
sinn  man  auch  der  verderbten  form  cJioryn  unterschieben  wolle ,  in  der 
massgebenden  grundlage  für  den  erzählenden  Inhalt  des  gedichtes,  im 
Pseudokallisthenes  und  in  der  Historia  de  preliis,  auch  nicht  der 
geringste  anhält  dargeboten  ist,  während  er  doch  augenscheinlich  eine 
angebliche  tatsache  berichten,  mithin  einen  zug  der  erzählung,  nicht 
einer  blossen  Schilderung  oder  betrachtung  enthalten  soll. 

Demnach  führt  und  drängt  alles  zu  der  Vermutung,  der  Verfas- 
ser der  verse  2300  —  2309  habe  die  kürzlich  erschienene,  algemein 
angestaunte  und  gepriesene  Alexandreis  Walthers  kennen  gelernt,  und 
habe,  die  algemeine  bewunderung  teilend,  sich  nicht  versagen  können, 
aus  ihr  in  seinen  deutschen  Lamprechttext  bei  der  erwähnung  Korinths 
die  hinweisung  auf  dessen  durch  Paulus  bewirkte  bekehrung  einzuschal- 
ten ,  habe  sich  aber  zugleich  auch  verleiten  lassen ,  die  bei  Walther 
unmittelbar  danebenstehende  angäbe  über  Alexanders  krönung  zu  Korinth 


412  J     ZACHER 

ebenfals  mit  aufzunehmen ,  ohne  zu  bedenken ,  dass  diese  angäbe  zwar 
bei  Walther  an  gehöriger  stelle  steht,  im  Lamprechtschen  texte  dage- 
gen an  dieser  stelle  und  in  diesem  zusammenhange  doch  widersin- 
nig ist. 

Von  dem  Schreiber  der  Strassburger  handschrift  können  aber 
diese  verse  freilich  nicht  verfasst  und  hinzugefügt  sein ,  weil  er  in  die- 
sen wenigen  zeilen  sich  mehr  als  einen  starken  fehler  hat  zu  schulden 
kommen  lassen ;  denn  die  pluralformen  clioryn  und  gaben  in  v.  2301  fg. 
können  sich,  wenn  man  subjectswechsel  zulässt,  zwar  allenfals  mit  der 
singularform  Cliorintliia  (v.  2300)  vertragen,  nicht  aber  zugleich  auch 
mit  der  singularform  ime  (v.  2304),  welche  leztere  Weismann  (s.  501 
seiner  ausgäbe)  zwar  als  alte  pluralform  „noch  wie  im  althochdeut- 
schen "  auffassen  will ,  wofür  er  aber  doch  schwerlich  Zustimmung  finden 
wird.  Übrigens  lässt  auch  der  anlaut  ch  in  der  unform  clioryn  vermu- 
ten, dass  die  Orthographie  des  Verfassers  dieser  verse  von  der  des 
Schreibers  verschieden  war,  denn  der  Schreiber  der  Strassburger  hand- 
schrift pflegt  in  ähnlichem  falle  nicht  anlautendes  ch,  sondern  c  zu 
schreiben,  so  z.  b.  v.  462:  di  ordnen,  dt  er  Nicoiao  hete  geroubit; 
V.  3991 :  unde  saztir  üf  di  ordnen;  v.  5640:  unde  gab  ime  niine  crone; 
5661:  tholomeus  di  crone  ontfienc;  5848:  eine  crone  von  golde;  6387: 
eine  gute  crone;  7034:  bi  der  cronen;  7290:  mit  der  himelischen 
ordnen. 

In  der  gestalt,    die   ihr  Verfasser   ihnen   gegeben    hatte,    würden 
demnach   diese   verse,   abgesehen   von   vielleicht  vorhanden  gewesenen 
aber  doch  wenig  erheblichen  orthographischen  oder  dialectischen  abwei- 
chungen  der  Schreibweise,  etwa  gelautet  haben: 
2300  Corinthja  sines  frides  gesan 

unde  Jcrdnt  in  an  der  stunt, 

unde  gap  im  funfzic  phunt 

des  wart  ime  der  Jcuninc  holt. 
2305  Corinthja  was  ein  michel  stat, 

di  beharte  von  der  heidenscaf 

dar  näh  sanctus  Paulus. 
In  der  Basler  handschrift  scheint  sich  die  ursprüngliche  echte 
von  Lamprecht  selbst  herrührende  fassung  in  ihrer  knappen  gestalt 
ziemlich  gut  und  rein  erhalten  zu  haben,  vielleicht  nur  mit  einbusse 
eines  einzigen  auf  hulde  reimenden  verses,  so  dass  man  vermuten  darf, 
die  ursprüngliche  Lamprechtsche  fassung  möge  etwa  gelautet  haben: 

Corinthia  diu  lobesan 

gap  sich  an  sin  hulde 

mit  Silber  und  mit  golde. 


zu  LAMPRECHTS  ALEXANDER  413 

Vor  der  erwähnimg  Korinths  war  im  griechischen  und  lateinischen 
texte  von  Theben  berichtet,  dass  es  durch  Alexander  erobert  und  zer- 
stört werden  sei,  und  dann  nach  der  erwähnung  Korinths  war  von 
Athen  erzählt,  das  es  zwar  widerstand  beabsichtigt,  denselben  jedoch 
auf  rat  des  Demosthenes  aufgegeben  habe,  und  von  Lacedämon,  dass 
es  durch  Waffengewalt  besiegt  worden  sei.  Dagegen  war  von  Korinth 
keinerlei  feindseligkeit  gemeldet,  sondern  nur  der  mit  den  isthmischen 
spielen  zusammenhängende  Vorgang.  Wenn  nun  in  Lamprechts,  und 
wol  schon  in  seines  Vorgängers  Eiberich  bearbeitung  die  isthmischen 
spiele  gänzlich  fortfielen,  so  blieb  für  Korinth  nichts  weiter  übrig,  als 
sein  friedliches  und  freundschaftliches  Verhältnis  zu  Alexander.  Und 
was  konte  dann  für  Lamprecht  oder  seinen  Vorgänger  Eiberich  näher 
liegen,  als  dies  freundschaftliche  Verhältnis  dadurch  zu  motivieren,  dass 
er  in  seinen  text  sezte,  die  Korinther  hätten  sich  um  Alexanders 
freundschaft  beworben,  und  seine  huld  durch  freiwillige  geldspeuden 
gewonnen  ?  So  erklärt  sich  die  fassuug  des  Basler  textes  auf  die  aller- 
einfachste  und  natürlichste  weise,  ohne  herbeiziehung  einer  zweiten 
quelle ;  dagegen  bleibt  an  den  überschiessenden  versen  des  Strassburger 
textes  und  zumal  bei  ihrer  tatsächlichen  Übereinstimmung  mit  einer 
damals  sehr  gefeierten  und  verbreiteten  quelle,  mit  der  Alexandreis 
des  Walther  von  Cbätillon,  die  Vermutung  haften,  dass  sie  eine  spä- 
tere, aus  dieser  quelle  stammende  einschaltung  in  den  echten  Lam- 
prechtschen  text  seien. 

Wenn  ferner  der  Strassburger  text,  auch  hierin  über  den  Basler 
hinausgehend,  in  v.  2302  eine  bestimte  zahl  von  fünfzig  pfundeu  hin- 
zufügt ,  welche  die  Korinther  dem  Alexander  als  geschenk  gesant  haben 
sollen,  so  braucht  diese  Ziffer  natürlich  nicht  notwendig  einer  anderen 
quelle  zu  entstammen,  sondern  kann  ebensowol  aus  eigenem  freien 
belieben  erfunden  und  ganz  wilkürlich  gewählt  sein.  Lides  fält  es  doch 
auf,  dass  im  Pseudokallisthenes  und  in  der  Historia  de  preliis  bald 
darnach  genau  dieselbe  zahl  angegeben  wird  von  einer  Sendung  der 
Athenienser  an  Alexander,  und  zwar  in  verständlicherer  und  ansprechen- 
derer weise,  als  werts-  oder  gewichtsbestimmung  eines  siegeskranzes 
oder  einer  kröne ,  welche  die  Athenienser ,  durch  Demosthenes  bewogen, 
dem  Alexander  darbrachten.  '^EjteLO&rjaav  7tsf.i7tELv  ^Is^ayÖQcp  vL%t]ti- 
y,öv  aT£q>avov  Iitqiov  7rEVTrjy,ota  heisst  es  bei  Pseudokallisthenes  2,  5, 
und  dem  entsprechend  in  dem  niederländischen  drucke  der  Historia  de 
preliis :  Et  statuerunt  dirigere  Uli  coronam  auream  victorialem  x>ensan- 
tem  libras  quinquaginta.  —  Man  möchte  vermuten,  dass  der  redactor 
des  Strassburger  textes  auch  den  lateinischen  text  der  Historia  de  pre- 
liis gekaut ,  und  diese  darin  vorgefundene  angäbe  mit  nicht  eben  glück- 


414  J.    ZACHER 

liebem  geschick  von  Athen  auf  Korinth  übertragen  babe.  Die  kröne, 
durcb  welcbe  die  fünfzig  pfund  erst  einen  bestirnten  und  klaren  sinn 
erbalten,  konte  er  dabei  freilieb  niebt  braueben,  und  muste  sie  weg- 
lassen, weil  er  ja  eben  erst  in  der  vorangehenden  zeile,  dem  Walther 
von  Cbätillon  folgend,  berichtet  hatte,  dass  Alexander  von  den  Korin- 
thern gekrönt  worden  sei. 

Die  ergebnisse ,  zu  welchen  die  vorstehende  Untersuchung  geführt 
hat,  berechtigen  zu  dem  Schlüsse,  dass  wir  in  dem  Strassburger  Alexan- 
dertexte nicht  mehr  die  ursprüngliche  gestalt  des  schon  geraume  zeit 
vor  der  Alexandreis  des  Walther  von  Cbätillon  abgefassten  gedichtes 
des  pfaflfen  Lamprecbt  in  ungetrübter  eehtheit  vor  uns  haben,  sondern 
eine  jüngere  recension,  eine  Überarbeitung  desselben,  welche  ein  mann, 
der  gelehrte  und  theologische  kentnisse  besass,  aber  weder  ein  schar- 
fer denker  noch  ein  stilistisch  gewanter  dichter  war ,  kurz  vor  dem 
jähre  1187  ausgeführt  hatte,  zwar  ohne  tiefgreifende  und  wesentliche 
Umgestaltung  des  Lamprechtschen  Werkes,  aber  doch  mit  mancher 
änderung  des  ausdruekes  und  mit  hinzufügung  von  einschaltungen ,  zu 
denen  andere  ihm  bekante  bearbeitungen  der  Alexandergescbichte  ihm 
anlass  und  anregung  gegeben  hatten.  Und  auch  nicht  die  eigenhän- 
dige niedersehrift  des  Verfassers  dieser  recension  liegt  uns  in  der  Strass- 
burger handschrift  vor,  sondern  eine  zwar  nur  um  wenige  jähre  jün- 
gere ,  aber  nicht  eben  sorgsam  gefertigte  abschrift.  Textkritische  Unter- 
suchung wird  darauf  zu  achten  und  zu  ermitteln  haben ,  ob,  welche, 
wie  geartete  und  wober  stammende  einschaltungen  aus  anderen  quellen 
sich  ausser  der  hier  bebandelten  ferner  noch  im  Strassburger  texte  ent- 
decken und  nachweisen  lassen. 

Zu  V.  3547  fgg.  (=  Massmann  Denkmäler  3197  fgg.  =  Weis- 
mann 3392  fgg.). 
Diese  verse,  wie  die  zunächst  vorangebenden  und  nachfolgenden, 
beziehen  sich  auf  die  in  Pasargadä  und  Persepolis  vorgefundenen  präch- 
tigen und  kostbaren  paläste,  grabmäler  und  aufgehäuften  schätze  der 
persischen  könige.  Der  bericht  darüber  ist  schon  bei  Pseudokallisthe- 
nes  2,  17.  18  sehr  versehrumpft  und  verblasst,  und  im  Lamprecht- 
schen gedichte  ist  er  endlich  zum  teil  fast  bis  zur  unkentlichkeit  ver- 
stümmelt. Was  mit  den  fast  unverständlich  gewordenen  versen  3546 
fgg.  des  Strassburger  textes  gemeint  sei,  lässt  sich  aus  der  Historia 
de  preliis  entnehmen,  wo  die  entsprechende  stelle  (ed.  Argent.  1489. 
18*)  lautet:  Erat  ipso  in  loco  etiam  ager  pulcerrimus  et  maximus ,  in 
quo  antiqui  reges   et  judlces  Persarum  mortui  condehantur.     In  quo 


zu  LAMPRECHTS  ALEXANDER  415 

fodientes  Macedones  in  ipsis  sepulchris  vascula  gemmea  comperiebant 
(oder  nach  dem  niederländischen  drncke:  inveniehant  vasa  gemmata, 
aurea  et  argeyitea).  —  Der  Strassburger  text  steht  hier  dem  ursprüng- 
lichen unzweifelhaft  viel  näher  als  der  gewaltsam  und  recht  ungeschickt 
gekürzte  Basler;  doch  etwas  verderbt  scheint  auch  er  zu  sein,  wenn- 
gleich wahrscheinlich  nur  leicht,  so  dass  man  etwa  vermuten  könte, 
V.  3547  möge  eigentlich  gelautet  haben 

üf  gruoben  greber  sine  man. 

Zu  V.  3606  fgg.  (=  Massmann,   Denkmäler  3256  fgg.  =  Weis- 
mann 3451  fgg.) 
Massmann  interpungiert  foigendermassen : 

dö  quam  ih  fUhende  heim, 
vil  harte  wol  mir  daz  schein 
daz  du  da  nie(r)ne  were. 
des  ist  min  herze  swere 
mit  unfroweden  geladen. 

Diese  Interpunktion  scheint  mir  doch  gerechtfertigt  durch  den  Zusam- 
menhang des  ganzen,  den  ich  folgendermassen  auffasse: 

Nach  Pseudokallistheues  2,  11.  12  und  Historia  de  preliis  15'' 
hatte  Darius  schon  früher  den  könig  Porus  von  Indien  brieflich  um 
hilfe  gebeten,  dieser  aber  hatte  in  seiner  antwort,  da  er  jezt  durch 
krankheit  verhindert  sei,  seine  hilfe  erst  für  später  in  aussieht  gestelt. 
Diese  beiden  briefe  sind  nun  im  Strassburger  texte  v.  2924  fgg.  wun- 
derlicherweise grade  in  ihr  gegenteil  verkehrt,  so  dass  Porus  den 
Darius  um  hilfe  bittet,  während  dieser  antwortend  klagt,  dass  er  jezt 
von  Alexander  zu  sehr  bedrängt  sei,  später  jedoch  hilfe  senden  wolle. 
Im  Basler  texte  dagegen  sind  (fol.  43"),  ungeachtet  starker  textver- 
derbnis,  doch  die  deutlichsten  spuren  des  ursprünglichen  richtigen 
Verhältnisses  und  Inhaltes  der  beiden  briefe  erhalten,  so  dass  Darius 
um  hilfe  bittet  und  Porus  antwortet,  er  sei  zur  zeit  krank,  werde  aber 
später  hilfe  senden.  —  Darauf  folgt  im  Strassburger  texte,  von  v.  2944 
bis  3584  der  Inhalt  der  kapitel  2,  13  — 18  des  Pseudokallistheues, 
und  darin  namentlich  auch  die  erzählung  von  der  volständigen  besie- 
gung des  Darius  durch  Alexander  am  flusse  Stranga  und  von  Alexan- 
ders vordringen  nach  Pasargadä  und  Persepolis.  —  Und  hieran  end- 
lich schliesst  sich,  wie  im  Pseudokallistheues  2,  19  und  in  der 
Historia  de  preliis  18  ^  der  in  rede  stehende  zweite  brief  des  Darius 
au  Porus,  durch  welchen  er  diesen  unter  verheissung  reichen  lohnes 
nochmals  dringend  um  hilfe  bittet.     Von  der  im  Pseudokallistheues  und 


416  J.  ZACHER,  ZU  LAMPRECHTS  ALEXANDER 

in  der  Historia  de  preliis  dazu  dargebotenen  vorläge  weicht  die  fassung 
des  Strassburger  textes  nur  zu  anfange  des  briefes  insofern  ab,  als 
hier  Darius  auf  seinen  früheren  brief  und  auf  das  seitdem  geschehene 
bezug  nimt.  Dahinter  aber  folgt  dann,  der  vorläge  entsprechend,  die 
erneute  bitte.  Nach  meiner  auffassung  will  Lamprecht  in  diesen  den 
brief  einleitenden  Sätzen  v.  3590  fgg.  den  Darius  sagen  lassen:  Ich  hatte 
dir  schon  früher  gemeldet,  wie  sebr  Alexander  mich  bedrängt,  und 
hatte  dich  deshalb  um  deine  hilfe  gebeten.  Du  aber  bist  nicht  gekom- 
men ,  und  in  folge  dessen  ist  es  mir  gar  übel  ergangen.  Ich  bin  besiegt 
worden;  viele  der  meinen  sind  gefallen;  ich  selber  bin  zwar  mit  dem 
leben  davon  gekommen  und  heim  gelangt,  aber  als  flüchtling.  Da 
habe  ich  gar  sehr  gespürt,  dass  du  nicht  bei  mir  warst.  (Natürlich 
ist  hier  zu  ergänzen:  denn,  wärest  du  mit  deinem  hilfsheere  zu  mei- 
ner Unterstützung  zugegen  gewesen,  so  würde  solches  unheil  nicht  über 
mich  gekommen  sein.)  In  folge  dessen  ist  mein  herz  mit  trübsal  über- 
laden. Deshalb  erbarme  dich  mein  und  komm  mir  rasch  zu  hilfe  usw. 
Demnach  kann  ich  auch  Weismanns  Übersetzung  der  verse  3606 
—  3608  (nach  Weismanns  Zählung  3451  —  55),  obschon  sie  freilich 
gewanter  und  genauer  sein  könte,  doch  nicht  für  völlig  unzutreffend 
halten,  und  auch  die  entsprechenden  verse  des  Basler  textes  scheinen 
mir  von  denen  des  Strassburger  nur  dem  Wortlaute,  nicht  dem  sinne 
nach  verschieden. 

Zu  V.  5057  (=  Massmann  Denkmäler  4707  =  Weismann  4904). 
Hist.    de    preliis    ed.  Argent.  1489.   29":    Deinde  amoto   exercitu 
pervenit  in  campum^   qui  dicitur  Adzea.     Niederl.  druck:    ....   ladea. 
Eckehard.  Uraug.  71,  17:  Moventes  inde  venerunt  in  campum,  qui  dici- 
tur Actia. 

HALLE.  JUL.    ZACHER. 


BRUCHSTÜCKE   AUS   DER    SAMLUNG    DES   FREIHERRN 
VON  HARDENBERG. 

ZWEITE   REIHE. 

Fortsetzung  zu  band  IX  s.  395  fg. 

1. 

Hohenburger    hohes    lied. 

(Das  Hohelied  üborsezt  von  Willeram,  erklärt  von  Eilindis  und  Herrat,  äbtissinnen 

zu  Hohenburg  im  Elsass,  herausg.  von  Josef  Haupt.     Wien  1864.  s  117.  31 — 119,  5.) 

Ein  pergamentblatt  aus  derselben  handschrift  des  12.  Jahrhunderts, 

aus   welcher    ein    anderes    (enthaltend   121,  24  —  122,  29)    bereits   in 


FRH.    V.  HARDENBERG,   BRUCHSTÜCKE.       1.    HOHENB.    H.    I..  417 

bd.  9.  s.  420  fgg.  dieser  Zeitschrift  beschrieben  und  mitgeteilt  worden 
ist.  Die  Vorderseite  dieses  blattes  hat  stark,  die  rückseite  weniger 
gelitten,  so  dass  manche  stellen  kaum  noch,  einige  gar  nicht  mehr 
lesbar  sind. 

Vorderseite. 

117,  31    ift  der  wiftoni  er  ift  diu  oberifte  göte  wie  fcolt 

du  gotef  brut  uon  ime  gezertet  werden  übe 

118,  1      du  getriulicheu  geforget  baft  über  die  iunch 

urowen.   die  du  mit  göten  werchen.   unt  mit 
,  dinen  goten  bilden  Iterchen  fcolt  uude  mit 

dinen  goten  worteu  ziehen  fcolt.   fo  du  daz  ge 
tüft.    def  die  minneren  bedürfen,   fo  du  denne 
ze  dinem  gebete  geft.    fo  enphahet  dich  got  mit 
micheler  miune.   fo  git  got  diner  gebucht 
den  gewalt.   daz  ü  dinen  chrift  füche  in  den 
hohiften  himelen.  daz  du  in  findeft  daz  gef.. 
bet  alfo  in  ictu  oculi.    fo  git  dir  chrill  diner 
uernunit  den  wiftom.    daz  fi  got  widere  in  fich 
ziuhet  mit  der  baiteren  wider  bildunge  alfo 
luter  fo  din  gewizzede  denne  ift.  alto  raine  ilt 

din  herze  alf  wol  mahtu  gefeheu  und 

nen.    da  bringet  dir  diu  heilige  göte  aine 
wirmene  unde  aine  füze  bitze  derne  uer 
itönt  nie  niemen  fo  rehte  fo  unfer  genadig  . . 
frowe  do  ir  diu  botfcaft  . .  am  uon  himele 
die  fenfte  wermine  def  heiligen  geiiles  diu 
Eückseite. 

118,  19    fuget t  da  du  dinen  gemahelen 

. . .  truteft.   unde  umbeuaheft.    fwaz  an  dir  ftre 
bentef  ift  daz  muz  da  gefwigeu.   da  ne  brahtet 
nieht  der  munt  noch  diu  totliche  zuuge.   fun 
der  da  betent  alle  die  chrefte  def  inneren  me 
nifken.    ane  fer  unt  ane  cliradem.    dune  fcolt 
nieht  wänen  daz  du  dich  fumeft  mit  dinem 
Fwigenne  an  dinem  gebete.   nieht.   für  dich 
betet  der  wife  wiftbm  diuef  brbder.  hinze 
dem  gewalte  zedinem  uater.   unde  din  ua 
ter  git  iz  dinem  gemahelen.    daz  ift  der  heili 
ge  geift.   dem  wirt  din  notdurfte  der  du  nie  . . 
gegern  uechauft  noch  nemaht  daz  ordeno  . 
dir  din  lieber  uater.    durch  den  heiligen  gei . . 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.    XI.  27 


418  FEH.    VON    HARDENBERG 

doch  ift  daz  felbe  unlange  daz  ne  fcule  wir 
nieht  geloiiben.   daz  die  achufte  da  dehaine 
119  ftat  haben,    da  wonent  die  himilifken  tilgen 
de  nu  fciün  die  brüte  daz  bewarn  daz  der 
rifFe  iinde  daz  miltoii  darane  niene  chome. 
daz  ift  elatio  unde  ypochrifif.    die  machent 
dürre  uut  toup  den  refkeu  wücher  der 


2. 
Aus  einer  predigtsaiuluiig  des  elften  Jahrhunderts. 

Zwei  leider  sehr  schmale  und  übel  zugerichtete  pergamentstreifen, 
fast  20  centimeter  hoch,  der  eine  6V2,  der  andere  5  centimeter  breit, 
beschrieben  von  einer  festen,  sehr  deutlichen,  schönen  band  aus  dem 
ende  des  11.  oder  dem  anfange  des  12.  Jahrhunderts.  Als  zeilenabgrän- 
zung  sind  spuren  feiner,  eingerizter,  senkrechter  und  wagerechter  linien 
zu  erkennen.  Die  anfange  von  abschnitten  sind  bezeichnet  durch  rote, 
aber  nur  wenig  über  die  zeile  hinausgreifende  initialen.  Der  erste  strei- 
fen enthält  auf  der  einen  seite  mittelstücke  durchgehend  geschriebener 
Zeilen,  auf  der  anderen  links  geringe  reste  von  zeilenenden,  rechts 
etwas  längere  von  zeilenanfäugen.  Der  zweite  streifen  enthält  auf  der 
einen  seite  kurze  Zeilenanfänge;  auf  der  anderen  ebensolche  zeilen- 
enden. Vorhanden  sind  auf  jedem  streifen  noch  stücke  von  21  bis 
22  Zeilen,  die  spalten  der  haudschrift  müssen  jedoch  länger  gev/eseu 
sein,  weil  unter  den  lezten  Zeilen  noch  spuren  abgeschnittener  buch- 
staben  erkenbar  sind.  Nach  Charakter  und  sprachformen  scheinen  diese 
bruchstücke  sich  zu  den  in  der  Wiener  Notkerhandschrift  enthaltenen 
predigten  zu  gesellen.  An  selteneren  formen  vergleichen  sich  z.  b. 
ibile  1*,  17  mit  ihilcn  in  Hoffmanns  fundgruben  1,  62,  14  :=  Müllenh. 
Scher,  denkm.^  218,  10;  ziuuelfti  1'',  14  mit  ziuueni  in  Hoffm.  fundgr. 
1,  63,  22  =:  Müllenh. -.Scher,  denkm.^  215,  2,  —  Über  predigtsam- 
lungen  jener  zeit  belehren  W,  Wackernagel,  altdeutsche  predigten  und 
gebete.  Basel  1876.  s.  326  fgg.  und  E.  Steinmeyer,  im  Anzeiger  für 
deutsches  altertuni  und  deutsche  litteratur.     Berlin  1876.  2,  215  —  234. 

J.  Z. 
Erstes  blatt. 

Vorderseite. 
hin    uuirdit  uone  den  g 
gotif    kagint  uuvrti  ki 
.  tin  engile.  Daz  ift  ... 
daz  er  nieth  ni  fcol  min 


nRtICIISTfiCKK.       AUS    EINER    PKED.-SAML.    DES    ELFTEN    JH.  419 

5     iii    fcol    iifiilleu    fine  H 

.  . .    der    dir   cliot.    Ih  ni 

, .  .  def.  der  mili  fautit. 

daz  fili  der  mnifco   durli 

ihorfame.    fcol  biliden  d 
10     f  iiiizi  au  den  tot.   Daz 

daz   er  iu  dera  feibin  k 

def     imo     uuferafti .  unt 

phahi     mit     allerflahti  k 

uone     den    guoten   uuor 
15     fo  diu  heiligi  fcrifth    clii 

an   finen    enti.    der  ift  ki 

oti.  daz  er  fine  ibile   kida 

diemuoticliche   firgehi 

mennifgen.         alfo    diu  li 
20     n  uuec .  unte  firhiha  im 

in  euuan  fo  ift  fin   gnad 

muoti.  daz  er  fili  in  alla  u 
6.    Non    quaero    voluntatem    meani,     sed    voluntatem    ejus    qui    misit    me. 
Ev.  Joh.  f),  30. 


10 


Erstes 

blatt. 

Eückseite. 

no 

kifcriben  ift  der 

. . . 

irhoh&  fine  ftim 

demo  lahtere.     D 

nde. 

der  einlifte  ftap 

uuiz 

diemuoti ,  daz  er 

der 

chofe  mit  .... 

ti. 

.  ginnene  .  unte  un 

re 

uuort.  unte  fcul 

ki 

feibin  fin  uile  r 

gin 

ane  kiharida 

te 

fcriben  ist.     Der 

er 

füre  bring&  fine 

unmanigin  .  . . 

gi 

Daz'^der  ziuuelfti 

ige. 

diemuoti  daz  er 

ift. 

habe,  nieth  ein  h 

elin 

demo  herzun  fu 

th 

demo  lihnamen 

15 


10 

1.  Patuus  in  risu  exaltat  vocem  suam.     Ecclesiasticus  21,  23. 

27 


* 


420 


fBH.    VON    HAHDENBERU 


10 


15 


Zweites  blatt. 

Vorderseite. 


20 


Nu  fcule  im 
iz  firfteii 
holden  üii 
Uli  heil 
f  0  . . .  got 
unte  fcule 
ticlicheu 
pin  def  n 
unter  m 
er  un 
da  uuirdi 
phangin 
mit  guot 
faliger.  a 
da  uuird 
zi  deu 
der  emp 
fma  uile 
ba .  do  ki 
unta  fpra 
rill,  ziuu  (?) 


ue  ift  in  dero  chirich 

20     füge  demo  uuega.  unt 

h  ki  ftetiu.  da  fcol  er  . , . 

az  er  Azza.  oder  fte  fo 

Zweites   blatt. 

Rückseite. 

tuot  der.  der 
demo  euui 
ieth  firnim& 

lante 

5     libe.  fo  uf 
ren  finif  her 
nit  iz  alfo 
mit  den 
iz  ouh  wur 

10     . . ,  en  uuer 
r  niheinir 
. .  einit .  . 
. .  libe  .  fo  ni 
pr edigare 

15     eite  .  iiuande 
. . .  one  gote 
n.    Er  firbot 
den  fac .  un 
a .  daz  er 

20     fi  ire  libnar  . . 
le  dera  pre 


Alis  einer  predig tsamlimg  des  vierzehnten  jahrliunderts. 

Oberer  teil  eines  pergameutblattes ,  15  centimeter  hoch,  21^2  cen- 
timenter  breit,  aus  einer  einspaltigen  octav-  oder  einer  zweispaltigen 
foliohandschrift  des  14.  Jahrhunderts  stammend.  Die  zeilen,  in  kräf- 
tigen, grossen,  regelmässigen  schriftzügen ,  sind  von  feinen,  mit  der 
feder  gezogenen,  senkrechten  und  wagerechten  linien  eingeschlossen. 
Auf  der  Vorderseite  sind  zwei  absätze  durch  rote,  den  zeilenraum 
nicht  überschreitende  initialen  ausgezeichnet.  Der  Inhalt,  anscheinend 
auf  das  fest  aller  seelen  (2.  november)  bezüglich,  ist  überwiegend  legen- 
darisch. 


BRUCHSTÜCKE.   3.  AUS  EINER  FRED.  -  SAML.  DES  14.  JH.  421 

Vorderseite.     Sp.  a. 
haut  da^  mä  gemaiiileich  beget  in  d' 
kriftenhait  aller  fei  tak.  auf  da^  da^ 
die  fei  da  mit  getroft  wurden  vü  in  ir 
fegfeur  wurd  abgenvme.  da^  kalt  vn 
5     hai^  ift.  daz,  mu^^eu  die  habri.  die  hie 
niht  ain  fchon  lauters  lebü,*  vn  lieh 
uiht  hüte  vor  allen  vntugente  vn  vor 
allen  funden  totleich  vn  tegleich  vn 
dar  ume  niht**  v'varen  die  mu^^e  alle 
10     in  da^  fegfeur     Die  ab'  in  totfunde 

fterbn  die  mu^^en  in  die  helle  da  behut 
vns  got  vor  von  den  wil  ich  niht  fa 
gen  die  aber  auf  erden  niht  gar  ge 
puft  habii  \n  niht  volkvmenev  rew 
15     habii  gehabt  vn  die  ir  peichtig'  niht 
weifleich  au^  habn  geriht  nv  fprichft 
du  ich  hab  gepeiht  vn  gepuft  nach 
meines  peihtigers  rat.  hat  dich  der 
peihtig'  niht  auf  ganc^ev  pu^?  geweift 
20     fo  pift  du  de^  fegfevrs  uiht  frei  volkv 

Z.  6.  *)  am  rande  ist  von  etwas  jüngerer  hand  nachgetragen  haben. 
Z.  9.  **)  niht  ist  dtirchgesirichen. 

Vorderseite.     Sp.  b. 
de  profuudis.  aines  mols  korae  fein  veint 
auf  dem  kirchof  vn  lieffen  im  nach  mit 
fwerte  vnd  wolte     in  geflage  habn.  da  lie^ 
in  got  fehn  da^  er  de?  petes  genie^^e  fcholt 
5     der  toten  greber  lieh  auf  vn  gingen  die 
toten  leut  her  für  vii  het  iegleicher  ain^ 
zeug  nach  seim  ampt  als  er  e?  pey  feine 
lehn  het  gehabt,  an  feine  hantwerk  fwert 
fchaufelo  hemer  vn  laift  meffer  vn  fpie?? 

10     vn  iagte  die  veint  da  mit  da:^  li  fich  vorh 
ten  vn  v'tribn  fi  mit  voller  grimmikait 
alfo  gena?  d*  maifter  wann  im  half  da? 
er  den  feien  het  gepette  Aine  pifchof 
ward  gefagt  von  aine  pfaffen  d'  fa?  auf 

15     ainer  pfarre  da?  er  alle  tag  requie  fvnge 


422  FRH.    VON    HARDENBERG 

im  wa^  ^oru*  vn  v'traib  in  von  d'  pfarre 
nv  fcholt  der  pifchof  vb'  aine  kirchof  gen 
da  tete  ficli  die  greb'  auf  vn  lieffen  die 
tote  her  au:^  mit  gewalt  an  den  pifchof 
20     vn  fprachn  :5V  im  du  troft  vus  etwenne 

Z.  16.  *)  von  etwas  jüngerer  hand  corrigiert:  do  wa^'^i^orn. 

Rückseite.     Sp.  a. 
in  fne  weilTen  klaidern  kurt^weilen     Und 
fah  der  ritter  aine  der  hie^  petrus  der 
wa^  gepunden  mit  eyfen  da:^  er  niht  auf 
die  pruk  moht.  der  ritt'  fragt  wa^  petro 

'  5     de^  irret,  da  fprach  ainer.  da  räch  er  alle 
wege  wa^  im  :5V  laid  gefchah.  vn  wolt  die 
räch  got  niht  la^^en.  da  fah  der  ritt'  aine 
pilgrem  der  ging  vb'  die  prucken.  de  moht 
weder  der  veint  noch  vngeluk  gefchade 

10     wer  mit  gute  werken  kom  an  die  pruck 
der  kom  hin  vber.  vn  wer  mit  pofe  w'ken 
kom  an  die  pruken  der  viel  in  da;^  wai^^er 
nv  fah  d'  ritter  aine  man  d'  hie^  ftephan 
der  fcholt  vb'  die  pruk.  da  kam  er  in  gro^ 

15     not.  ü  wa:^  hele.  da  von  begvnd  er  fleiflfe 
da  kome  zv  hant  vil  morre  au^  dem  wa:^:^' 
die  ^uge  in  pey  den  fu^i^e  vn  hete  in  g'n 
in  da^  wa^i^er  gevellet.  da  kome  dort  an 
d'  fchoue  haid.  die  in  den  weilTen  klaidern 
.....  den  ftephan  . . .  pey  d  . . . . 

Z.  20  unleserlich. 

Eückseite.     Sp.  b. 

dich,  der  kuab  fprach  fich  difev  kappen 
die  ift  mir  als  fwer  als  ob  ain  hoher 
turn  auf  mich  gepawt  wer.  die  mu;^ 
ich  trage  durch  mei  kunft  die  ich  geler 
5     net  hab  durch  der  werlt  gunft.  fo  muz; 
ich  die  glut  trage  vmb  eiteln  ere.  den 
maift'  dauht  de^  fchulers  pein  niht  als 
gro:^  als  er  fagt.  der  fchuler  fprach  gib. 
mir  dein  hant.  vnd  lie:^  im  feins  fwai:^^ 
10     ain  tropfen  dar  ein.  da^  für  im  durch 
die  hanb  noch  fneller  denn  ain  pfeil  vn 


BRUCHSTÜCKE.       4.    AUS    EINEM    COMMENTAR    Z.    MATTHAEUSEVANGEI,.  423 

prent  in  gar  fer.  da  fpracli  der  fchuler 

alfo  prent  mich  da;^  feur  vber  al.  da  er 

gab  Hell  der  maifter  durch  got  vn  tet 
15     fich  aller  der  kiinft  ab  die  im  gefchaden 

moht  au  feiner  fei  vn  lernt  die  kunft 

d'  weifhait  die  iu  zv  dem  himel  laitet 

Zv  dem  dritte  mol  fo  kumt  den  felbeu 

T,\  nut:^  da^  ampt  der  heilige  meJTe  fo 
20     ma  mit  dem  vat'  fein  aingeporn  fon 


4. 
Aus  einem  commeiitare  zum  MattliaeuseYaiigelium. 

Matth.  12,  43  —  13,  9. 

Untere  hälfte  eines  pergamentblattes,  23  centimeter  hoch,  32 V2 
ceutimeter  breit.  Die  grosse,  deutliche  schrift  ans  dem  ende  des  14.  Jahr- 
hunderts steht  in  drei  spalten  verteilt  zwischen  starken ,  mit  der  feder 
gezogenen  senkrechten  und  wagerechten  linien.  Die  angaben  der  für 
den  commentar  bcnnzten  quellen  sind  rot  geschrieben,  und  grössere 
absätze  durch  rote  oder  blaue,  die  höhe  von  zwei  bis  drei  zeilen  ein- 
nehmende initialen  bezeichnet.  Von  einer  grösseren  und  reicheren  ini- 
tiale, die  am  anfange  des  13.  kapitels  gestanden  haben  mnss,  reicht 
der  noch  übrige  teil  der  bunten  Verzierung  zwischen  den  beiden  lezten 
spalten  bis  an  den  unteren  rand  des  blattes  herab. 

Das  blatt  hat  als  Umschlag  eines  aktenheftes  gedient,  welches 
durch  eine  aus  dem  ende  des  16.  Jahrhunderts  herrührende  aufschrift 
bezeichnet  war  als  „Registra  Officiatorum  Capituli.  1565  — 1592,"  und 
ist  in  folge  dessen  durch  abnutzung,  Verschmutzung,  brüche  und  löcher 
arg  beschädigt,  so  dass  auf  der  verschwärzten  Vorderseite  sich  nur 
noch  wenige  zeilen  entziffern  lassen ,  auf  der  besser  erhaltenen  rückseite 
mehrere  zeilen  durch  löcher  lückenhaft  geworden  sind. 

Die  handschrift,  im  grösten  folioformat,  enthielt  eine  deutsche 
Übersetzung  des  evangeliums  Matthäi,  nebst  einem  an  die  einzelnen 
verse  sich  anschliessenden  commentare,  als  dessen  quellen  auf  dem 
bruchstücke  genant  werden  werke  von  Chrysostomus ,  Hilarius ,  Augu- 
stinus ,  Hieron3^mus ,  Gregorius ,  Hrabanus  und  Remigius.  — •  Im  hier 
folgenden  abdrucke  sind  die  texte  der  bibelverse  und  die  benennungen 
der  quellen  des  commentares  typographisch  hervorgehoben  und  die  bezif- 
ferung  der  bibelverse  eingeschaltet.  J.  Z, 


424  FEH.    VON    HARDENBEBG 

(Mattb.  12,   43.)  Vorderseite.     Sp.  a. 

. . .  dürre  den  fie  hatten  der  gaben 
gvs  von  dem  belügen  geifte  nicht. 
Baianus.     Der  guten  lute  berzce 
llnt  von  allir  bofen  luft  dürre  vn 
in  den  fuchit  der  bofe  geiffc  fyne 
ftat  vnd  envindit  irer  nicht.     Be 
migiiis.     Der  tuuel  wolte  wenen 
her  hette  in  den  beiden  eyne  ewi 

ge Abir  do  der  ewi 

ge 

Jeronimuf. 

(12,  44) 

Das  ift  in  die  iuden 

.  .  .  ich  vor  gelefen  habe  vnd  fo  her 
.  .  ie  kumt  fo  vindit  her  is  mn 
.  .  g  vnd  gereynit  mit  befmen  den 
.  er  iuden  tempil  was  viel  vnd  le 

*  * 

* 

(12,  45.)  Spalte  b. 
in 

der  toufe  vnd  gezcirt  mit 
valfchen  tugenden.     Augufti 
nus  von  den  vragen  des  ewan 
gelij.     So  der  menfche  vs  der  ge 
rechtikeit  vellit  fo  wirt  her 


Gregorius  in  dem 
fihenden  buche  vf  Joh. 

dem  tu 

uele  eyn  weg  wie  her  zcu  im 
kome  vnd   


BRÜCHSTÜCKE.      4.    AUS   EINEM    COMMENTÄR    Z.    MATTHAEÜSEVANGEL. 

(12,  46  —  48)1 

Do  der  dennoch  zcu  d' 
fcliare  fprach.     Sich  do 
ftunt  fyne  mutir 
vnd  fyne  bnidere  vor  der  tor  vn 
fliehten  wege  wie  fie  .  .  . 


425 


einer  zcu  im.     Sich  dyne  mutir 
und  dyne  brudere  ften  vor  der 
tor  vnd  fuchen  ...         Do  ant 
worde  her  dem  vnd  fprach.     Wer 
ift  myne  mutir 


*  * 

* 


(Von  spalte  c  sind  nur  einzelne  Wörter  zu  entziffern.) 

(12,  47.)  Rückseite.    Sp.  d. 

vor  und  fuchen  dich.     Jeronimus 

Mich  bedunket  das  difir  crifto 

mit  fyme  fpruche  läge  legit  vb  ir 

vleifchliche  libe  der  mutir  vnd  d' 

brudere  vor  geiftliche  libe  der  pre 

digate  wolde  fetzcen  vnd  darvm 

me  vorfmehete  her  die  mutir 

noch  die  brudere  nicht  fundir 

her  antworte  liner  lift.     Crisoßo 

mus.     Her  en  fprach  nicht  zcu 

dem  boten  Ge  vnd 

en  fie  nicht  myne  mutir  fundir 

her  fpricht  eyne  vragende  rede  zcu 

im  her  antworte  dem  redende 

und  fprach  zcu  im.     Welch  ift 

mine  mutir  vnd  welch  ünt  mine 

brudere.     Eylarius.     Das  en  fprach 

her  nicht  fine  mutir  vorfmehen 

de  der  her  fo  grofe  ruche  hatte 

hengende  an  dem  cruce.     Crifofto 

mus.     H  .  .  .  .  her  finer  mutir  wol 

dit  lou  .  .  en  fo  hette  her  ...  . 

loukent  do  im  die  Juden  fine  mu 
1)  Adhuc  eo  loquente   ad  turbas,   ecce,   mater  ejus   et  fratres  ftabant  foris, 
quaerentes  loqui  ei.  —     Dixit  autem  ei  quidam:  ecce  mater  tua  et  fratres  tui  foris 
ftant  quaerentes  te.  —  At  ipse  respondens  dicenti  sibi  ait:  Quae  est  mater  mea  ... 


426  FRH.    VON    HARDENBERG 

tir  vorwilTeu.     Jeronimus.     Her 
en  loukeute  fiuer  miitiv  niclit 
als  marcbyou  viul  mauicheus 
wellen  fundir  her  bewifete  das 

(12,  49.   50.)  Spalte  e. 

die  min  fwellir  vnd  min  mu 
tir.     Vil  wibe  lopten  gotis 
mutir  vnd  begerten  das  fie 
alfulche  mutere  mocliten  gefin 
vnd  des  en  wirt  nymant  vor 
hindirt  den  beide  man  vnd  wibe 
mugen  fme  mutir  werden.    Je 
ronimus.     Der  herre  fprach  zcii 
der  fchar.  vnd  larte  die  heiden 
vnd  fme  mutir  die  fyuagoge. 
vnd  fine  brudere  die  iuden 
bliben  vor  der  tor.     Hylarius. 
Die  fynagoge  fme  mutir  mocli 
te  zcu  im  ßn  gegangen  als  die 
anderen  teten  fundir  her  qua 
in  fmeu  eigentum  vnd  die  fy 
nen  enphingen  ün  nicht,     Gre 
gorius  in  der  Omelien.     Die 
fynagoge  fme  mutir  bleib  da 
vor  als  ob  her  irer  nicht  irken 
te  den  fie  hat  den  geiltlichen  fin 
der  fchrift  vorloren  vnd  helt  lieh 
ufwendik  an  den  buchftab.     Je 
ronimus.     Sie  fendeu  eynen 
boten  vnd  mochten  felben  ko 
men  ob  fie  weiden  den  fie  habe 

vrie  willekvr.     Bis  iß  das  driscen 

*  * 

* 

(Matth.  13,   7— 9.)^  Spalte  f. 

wuchfen  vnd  die  dorne  vor 

dempten  fie.     Abir  andere  vilen 

in  gute  erde   vnd  gaben  vrucht 

1)  et  creverunt  Spinae,  et  suffocaverunt  ea.  Alia  autein  cecideruut  in  terram 
bonam,  et  dabant  fructum ,  aliud  centesimuni,  aliud  sexagesimum ,  aliud  trigesiraum. 
Qui  habet  aures  audiendi  audiat. 


BRÜCHSTÖCKE.      5.    Al'S    EINEN    GLOSSARE    DES    ELFTEN    JÄHRH.  427 

das  eyne  hinuliit  valt.   das 
andere  fechzcig  valt.  vnd  das 
andere  drifig  valt.     Swer  oren 
zcii  hörende  habe  der  höre.     Cri 
T\o  her  den  foßomus. 

hatte  geltratit  der  im  fy 
lluer  mntir  kegenwertikeit 

hatte  gekund 

das  des  .  .  .  bes  

vnd  ginc  zcu ar  vmme 

fpricht  mau.     An ge  ginc 

ihefus  vs  dem  hufe  vnd  fas  bie 
dem  mere.     Augtiftinns  von  dem 
eintragende  der  ewangelißen 
Hie  bewifet  man  das  dis  nsgen 
zcu  haut  nach  den  erffcen  worten 
gefchach  adir  in  kvrzcir  zciet 
da  nach  als  die  Ichrift  vndir 
wilen  ouch  eine  kurzce  zeit 
vor  eynen  tac  nimt.     Rahanus 
Des  herren  werg  vnd  fine 
wort  ünt  nicht  alleyne  vol  hei 
melichkeit  fundir  ouch  fine 
wege  in  den  her  der  lute  heil 


5. 
Aus  einem  glossare  des  elften  Jahrhunderts. 

Ein  pergamentenes  zweispaltig  geschriebenes  doppelblatt ,  welches 
als  buchdeckel  gedient  hat.  Durch  abschneiden  sind  am  oberen  rande 
Zeilen  verloren,  doch  anscheinend  nicht  viele,  ferner  von  der  zweiten 
spalte  des  ersten  blattes  die  zeilenenden,  und  von  der  dritten  die  zei- 
leuanfänge.  Die  noch  vorhandene  höhe  beträgt  bei  jedem  blatte  17  cen- 
timeter,  nnd  die  volle  breite  des  zweiten  blattes  ebenfalls  17  centime- 
ter.  Die  schrift,  welche  zwischen  feiner  mit  der  feder  gezogener  senk- 
rechter und  wagerechter  linierung  steht,  ist  kräftig,  gleichmässig  und 
schön,  und  weist  die  handschrift  ins  elfte  Jahrhundert.  Ihr  format 
scheint  quart  gewesen  zu  sein. 

Das  bruchstück  stammt  aus  einem  glossare,  welches  biblische 
eigenuamen  und  griechische  und  lateinische  Wörter  mit  lateinischer  und 
zuweilen  auch  mit  deutscher  glossierung  enthielt.  Das  erste  blatt 
begint  jezt  mit 


428  FRH.    VON    HARDENBERG 


und  reicht  bis 


Abiud  pater  meus. 
Abdenago  leruiens. 
Abdiaf  feruus  d'i. 
Arain  pat'  excelfus. 


Agiograplia  fca  fcriptura 

das  zweite  begint  mit 

Ciclopf.  inmane  monftrü  .... 
und  reicht  bis 

Cannaf.  urbf  italie  ubi  hanni 
bal  romanof  deleuit. 
Folgende   deutsche    glossierungen   finden   sich   auf  diesen   beiden 
selten  eingestreut: 

1"  [Acanthis.]  auLf  .1.  diftihuui. 

[Acharis.]  fine  gratia.  vel  ingratus  .1.  grimmecli. 
2"  Cilindrü.  vvelleblech. 
Cyclade.  gotiuueppe. 
2^  Cotibula.  wanna. 
2"   Cacabuf.  uaf  lapideum  .1.  ke^sil. 
Calathuf  .i.  sain. 
Calcaneü  vel  calx  .i.  uerßna. 
Calcef  .i.  cJialch. 
Caldariü.  vel  caldariolü  Jcesil. 
2**  Caluaria.  rotunditaf  capitif  .i.  gebal. 
Caluitiü  .1.  chalvua. 
Calcatoriü  .i.  truta. 
Camera,  abfida  vel  arcuf  .i.  gewelhe. 
Camboluf.  vel  capreoluf  .i.  rech. 
Cauiitef.  vel  canti.  uelgan.  vel  fpeichun.  circa  rotas. 
Cantaruf  napli. 
Cancer  cJirebzo. 
Canniua  .i.  Jianif. 
Candimeuf,  poculü  vel  fciphus  .i.  coph. 


6. 

Aus  einem  glossare  des  dreizehnten  Jahrhunderts. 

Pergamentenes  doppelfolioblatt ,  nach  dem  Verluste  einiger  zeilen 
am  oberen  ende  noch  34  centimeter  hoch  und  je  29  centimeter  breit. 
Die  kräftige,  deutliche  und  selir  regelmässige  schrift  aus  dem  ende  des 
dreizehnten  Jahrhunderts   steht,    dreispaltig   vertheilt,    zwischen  feiner 


BKUCHSTÜCKE.       C.    AUS    EINEM    GLOSSARE   DES   DREIZEHNTEN    JAURH.  429 

mit  der  feder  gezogener  senkrechter  und  wagerechter  linierung.  Die 
einzelnen  artikel  beginnen  mit  capitälchen,  welche  vor  die  zeile  aus- 
gerückt sind.  Abwechselnd  blaue  und  rote,  gewöhnlich  die  höhe  von 
zwei  Zeilen  einnehmende  initialen ,  deren  jede  spalte  eine  oder  mehrere 
enthält,  scheinen  nur  zum  schmucke  zu  dienen,  da  sich  für  diese 
absiitze  ein  eiiiteilungspriucip  nicht  erkennen  lässt.  In  folge  von  beschä- 
digung  und  Verschmutzung  sind  manche  stellen  schwer,  andere  gar 
nicht  lesbar,  andere  völlig  ausgebröckelt. 

Das  bruchstück  gehörte  zu  einem  reichhaltigen  glossare,  welches 
griechische  und  lateinische  Wörter  erklärte  und  viel  aus  Isidors  etymo- 
logien  aufgenommen  hat.  Deutsche  glossierungen  laufen  nur  wenig 
mit  unter. 

Das  erste  blatt   reicht  von  Bofporius   bis  Byllextus,    das   zweite 
von  Carabus  bis  Carthago.     Die  auf  diesen  beiden  blättern  vorkommen- 
den deutschen  glossierungen  beschränken  sich  auf  folgende  Wörter: 
1"  Braciü,  mah.     Brattea.  hledi.     d'r  tenuiffima  lamina. 
1^  Bubo.  hiiwe. 
1^  Bilex.  swilch. 
Bipennis.  helmaks. 
Bibellis  .i.  hihel. 
Bvrrus.  ueftis.  Tiozze. 
2"  Carab^  karpf. 
Carbafa.  fegel. 
2**  Cardam^.  hreffo.     Cardomon  agrion.   ideni  nafturciü  agrefte. 
wildk'effo. 
Cardiacus.  herzfuhtig. 
Cardopana.  eVwurz. 
2°  Carduelis.  dißeluinJco. 
Carduus,  dißel. 

Cardus.  ßluatic^.   tvoluif  milch. 
Careofiliü.  quod  uulgo  cariofalü  dict. 
Cariola.  Taha. 

Carice.  ficus.  a  copia  nominate  füt  .i.  vigen. 
2^  Carix.  Riet  gras. 
2*'  Cartularius.  Buchuellcer. 


7. 

Aus  einem  französischen  prosaromane. 

Zwei  pergamentstreifen,  je  28  centimeter  breit  und  5V2  bis  6  cen- 
timeter  hoch,    anscheinend   aus   einer   zweispaltig   geschriebenen  folio- 


430  FRH.    VON    HARDENBERG 

haiidschvift  stammend.  Vor  imd  hinter  dem  ersten,  desgleichen  vor 
dem  zweiten  streifen  sind  Zeilen  weggeschnitten ,  während  die  lezten 
Zeilen  des  zweiten  zugleich  das  untere  ende  eines  blattes  bilden.  Die 
Schrift  ist  deutlich,  auf  der  schadhafteren  rückseite  zwar  etwas  kräf- 
tiger, aber  doch  wol  von  einer  und  derselben  band  aus  dem  ende  des 
13.  oder  dem  anfange  des  14.  Jahrhunderts  herrührend.  Durchwegsind 
nur  lange  f  gebraucht,  über  das  i  ist  zuweilen  ein  strich  gesezt.  Die 
interpunction  fehlt  meist.  Hie  und  da  sind  sätze  oder  Satzglieder 
abgegränzt  durch  einen  punkt,  oder  durch  einen  schrägen  strich  von 
gleicher  höhe  mit  den  nicht  über  die  zeile  aufragenden  buchstabeu. 
Die  Vorderseite  zeigt  zwei  grössere  rote  initalen  L  und  E,  welche  vor 
der  zeile  mit  kleinen  schwarzen  buchstabeu  vorgezeichnet  waren.  Der 
lezte  spaltenabschnitt  d  auf  der  rückseite  des  zweiten  blattes  wird  ein- 
genommen von  einer  kunstlosen,  sehr  verblichenen  federzeichnung,  dar- 
stellend einen  baarhäuptigen  sitzenden  mann ,  der  mit  der  rechten  band 
in  ein  offenes  vor  ihm  auf  einem  pulte  liegendes  buch  zeigt,  mit  der 
linken  sich  auf  einen  stock,  oder  auf  die  Stuhllehne  stüzt. 

Die  spräche  zeigt  einige  lothringische  formen;  so  -ant  für  -ent, 
wie  in  mantenant ,  certanemant  u.a.,  a  für  al ,  das  sonst  zu  au  Avird, 
wie  in  asint,  ferner  einfaches  s  für  scharfes  s  in  comeuse.  Auch  La  on 
statt  La  ou  spricht  für  einen  lothringischen  Schreiber.  Auffallend  ist 
die  provenzalische  form  vensera. 

Der  zum  Artuskreise  gehörige  prosaromau,  aus  welchem  diese 
bruchstücke  herrühren ,  mag  wol  noch  ungedruckt  sein.  Anhalt  zu  sei- 
ner auffindung  und  bestimmung  kann  der  in  den  bruchstücken  neben 
Artus,  Sagremors,  Gaheriet,  Gau(vains),  Blio(bleheris ?)  erwähnte 
„ritter  mit  dem  grünen  schilde"  bieten.  S.  E. 

Vorderseite.     Erster  streifen,   a. 

uf  que  nof  trouamef  dormant  for  la  fontaine.  labati  deuant 

nof  de  ce  mi  fouent  il  trop  ben.  par  mon  cef  fet  le  roi  or  le  pu 

ef  ci  ueoir  legrant  ch'r.  eie  lai  tant  orendroit  reguarde  que 

ie  conoif  fi  la  proeffe  de  lui  que  ie  Tai  tot  certanement  que  il 

uenfera  celte  afemblee.  e  portera  le  louf  e  le  prif  Fe  li  bon  ch'r  qui 

arfoir  porta  lefcu  vert  ni  vent.     Si  mait  dief  fet  fagremor  uof 

ditef  uerite  ie  ne  uoi  orendroit  en  tote  cefte  afemblee  un  ch'r  que 

fi  ben  Ie  proue  ne  fi  bei  comfait  le  grant  ch'r  eft.  eil  ne  uint  que  uof 

Zweiter  streifen,   a. 
La  on  li  roif  parloit  en  tel  maniere  a  fagremor  et  re 

guarde  auquef  lueing  /  e  uoit  uenir  tot  contreual  la  prae 


BRUCHSTÜCKE.       7.    AUS    EINEM    FRANZÖSISCHEN   PROSAROMÄNE  431 

rie  le  bou  ch'r  celui  qui  portoit  lesen  uert  edeioste  liü  uo 
noit  Gaheriet.     Lef  damef  qui  eftoient  al'  feneftref  def  logef 
equi  fouent  reguardoient  celle  part  dont  ellef  ciüdoient 
quil  deliuft  iienir  /  quaut  ellef  iioient  lelcu  uert  ellef  le  reco 
üoissent  mantenant  / 11  commenfent  adoiic  a  dire  ueel"  ci  ueiür 
lebou  cli'r  ueef  ci  ueuir  le  bou  cli'r  la  parole  Taut  mantenant  e 

Erster  streifen,   b. 
ie  uoudroi  mielf  que  il  fuft  orendroit  en  noliomberlande 
qua  la  ou  il  eft  e  la  reine  fe  commenfe  a  rire  trop  duremant 
E  li  bon  ch'r  qui  fen  uenoit  tot  contreual  la  praherie  le 
petit  paf  del  cheual  Qnant  il  fu  venuz  Ibr  lef  logef  ou 
il  auoit  le  ior  deuant  fa  dame  vehue  11  farefte  edemaude 
fon  glaiue  eleu  11  aporte  manteuaut  e  quant  il  le  tient  11 
Heue  la  tefte  por  ueoir  fa  dame  aucun  pou  epor  fauolr 
fe  eile  le  reguarde  et  11  uoit  mantenant  fa  dame  U  belle 

Zweiter  streifeD.  b. 
11  eft  fi  del  tout  oblle  efoi  meefmef  eautrui  que  del  tornoie 
mant  neli  fouent  nederenf  qui  orendroit  folt  elmonde.  forf 
que  de  celle  folemant  ou  il  a  iete  son  euer  quar  il  eft  fanf 
euer  e  fanf  fenf  fanf  pooir  e  fanf  force.  il  fe  fet  for  fon  che 
ual  tot  aufint  com  lef  arbref  fechez  fanf  meole  efanf  hu 
midite  fetent  eu  eftant  qui  eft  mort  for  terre.     Li  efcuer  qui 
la  entendolent  que  pluforf  damef  faloient  la  de  lui  gabant 

Eückseite.     Erster  streifen,  c. 
au  rol  artuf  qui  ne  pooient  fofrlr  legrant  efforf  degeut  quil 
auolent  for  elf  comeuferent  aguerpir  plafe  ouil  uoulllTent 
0  non.  mefire  Gau.  auoit  ia  tant  fofert  qua  pou  quil  ne  mo 
roit  danui  ede  treuail.  li  roif  qui  af  feneftref  def  logef  eftoit 
Quant  11  uoit  cefte  choufe  il  eft  tout  enraie  de  maltalant. 
He  dief  fet  11  ce  que  fera  dief  porquoi  demore  tant  noftre 
ch'r  alefcu  uert  porquoi  ne  muet  auec  fef  autref.  ia  nos 
peuft  11  fere  i'i  grant  aide  e  fi  grant  fecorf  certef  por  la  bonte  de  lui 

Erster  streifen,  d. 
prent  af  braf  e  le  tire  uerf  fol  /  e  11  dit  afint  com  tot 
coracez  Sire  que  demoref  uof  tant  mefire  Gaheriet 
quant  il  cuidoit  que  ce  eft.  blio.  que  fi  ardiemant  par 
lolt  au  ch'r  il  ne  lofe  defendre.  11  ch'r  reuent  en  fol 
quant  blio.  lot  tire  sl  duremant  e  Iete  un  fofplr  mer 
uillof.     Sire  fet  blio.  que  faltef  uof  et  que  peiifef  uof 


432  FBH.    VOH   HARDENBERG 

Zweiter  streifen,  c. 
poufer  aucun  pou  e  por  recourer  force  et  aleine  dont  il 
ertoit  ben  deftrant  a  celle  foif.  e  li  bon  ch'r  /  quant  il  ot 
defliure  monfegnor.     Gau.  il  nel  reguarde  pluf  ainz 
fen  uait  outre  /  e  fe  radrelTe  a  im  autre  ch'r  /  e  le  porte 
a  terra  molt  felonelTemant  /  e  tant  fet  de  celiü  glai 
ue  tant  com  il  duve  /  que  blio.  qui  apref  lui  uait 
totef  uoief  /  dit  ben  /  qu'il  ne  cuide  paf  qu'il  ait  oren 
droit  ch'r  el  monde  qui  tant  en  pehuft  auoir  fet  com 

Zweiter  streifen,  d. 
(Federzeiclmung.     Ein  sitzender  mann). 


8. 
Aus  Koiirads  Ton  Wtirzbiirg  Herzmaere. 

(Die  mähre  von  der  miune  oder  die  herzmähre  von  Konrad  von  Würzburg,  heraus- 
gegeben von  Franz  Roth.     Frankfurt  am  Main,  1846.  v.  351  —  390). 

Ein  pergamentblatt,  11  centimeter  hoch,  9Y2  centimeter  breit, 
durch  drei  wagerechte  schnitte  in  vier  streifen  geteilt ,  welche  von  dem 
rücken  einer  papierhandschrift  aus  dem  jähre  1404  losgelöst  worden 
sind.  Durch  den  obersten  querschnitt  sind  die  verse  357  und  377  ver- 
loren gegangen,  durch  die  beiden  anderen  sind  einige  buchstaben 
geschädigt  worden.  Ausserdem  ist  der  obere  rand  und  damit  zugleich 
die  obere  hälfte  der  verse  351  und  371  weggeschnitten.  Senkrecht 
geht  durch  das  blatt  ein  die  schrift  gleichfalls  beeinträchtigender  knick, 
der  im  ersten  und  im  lezten  streifen  zu  einem  volständigen  risse  gewor- 
den ist. 

Durchgehend  ist  in  diesem  bruchstücke  langes  f  gebraucht,  das  i 
ist  mit  darüber  geseztem  striche  versehen  nur  vor  n  und  m,  auslauten- 
des s  und  z  werden  verwechselt.  Diese  raerkmale  und  der  gesamt- 
charakter  der  schrift  weisen  die  handschrift  in  den  aufang  des  14,  Jahr- 
hunderts. Ihr  format  war  kleinoctav,  die  seite  zu  20  abgesezten  ohne 
linierung  geschriebeneu  verszeilen,  als  deren  anfangsbuchstaben  bald 
majuskeln  bald  minuskeln  erscheinen.  Die  schrift  ist  zwar  nicht  schön, 
aber  fest  und  deutlich.  Durch  beschädigung  sind  einzelne  buchstaben 
unleserlich  geworden  oder  auch  ganz  verschwunden.  Der  text  zeigt, 
abgesehen  von  v.  362.  363,  nicht  erhebliche  Verderbnisse.  J.  Z. 

Vorderseite. 

351  Waz  inne  bi  derfelben  zit 

Do  wider  rait  im  vf  dem  velde  wit 
Ir  man  engegen  vö  gefchiht 


BRUCHSTÜCKE.        8.    At'S    KONRADS    VOE    WÜRZBlUUi    HERZM^RE  433 

Vn  wolt  air  Ulli'  daz  märe  gibt 
355  Vil  lihte  han  ge[b]aizet 

Dez  wart  der  kneht  geraizet 


Wan  do  der  [ritjter  in  gefach 
Do  gedalit  [er]  al  zehant 

360  Zware  dirre  ift  her  gefaiit 

vmb  anderf  nibt  wan  vmbe  daz 
wie  balde  er  daz  entfaz 
vö  fmem  rainen  wibe 
Vö  finez  her[ren]^  libe 

365  Der  nacb  ir  minne  iamer  [t]ra[it] 
Hie  mit  er  zv  de  knebte  rait 
vii  wolt  in  maere  vragen  fa 
Do  gefacb  er  fcbiere  da 
Die  lade  vo  gezierde  clyg 

370  Dar  inne  er  daz  herze  trüg. 
Rückseite. 
vn  der  vrown  vingerlin 
er  bet  ez  an  dem  gvrtel  fin 
Gebenket  baidv  vö  gefchiht 
air  ob  ez  wäre  anderf  nibt 

375  Do  der  ritter  daz  gel'acb 

Den  kappen  grvzte  er  vil  fprach 


Do  fprach  der  vil  gefvge 

vii  der  vil  getrvwe  iungeling 
380  berre  ez  ift  ainer  bände  ding 

Daz  verre  bi  mir  ift  gefant 

La  fehen  fprach  er  al  zehant 

waz  dar  inne  fi  verborgen 

Do  fprach  der  kuebt  mit  forgen 
385  zware  dez  en[tv]n  ich  nicht 

Kain  menfche  ez  niemer  gefibt 

wan  der  ez  fol  ze  rebte  fehen 

N[a]in  alfo  mag  ez  nit  gefcheben 

Sprach  der  ritter  aber  zv  ime 
390  wan  ich  fi  wol  mit  gewalt  nime 

1)  Die  zeile  ist  ihrer  ganzen  länge  nach  durchgeschnitten  und  deshalb  nicht 
durchweg  sicher  lesbar.     Es  scheint  herzen,  nicht  herren ,  dagestanden  zu  haben. 


ZEITSCHK.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.    BD.  XI. 


28 


434  FBH.    VON    HARDENBERG 


Aus  einem  gebete  an  Maria. 

Pergamentbriichstück ,  18 V2  centimeter  hoch,  9  centimeter  breit, 
enthaltend  den  oberen  teil  der  ersten  und  der  vierten  spalte  eines  am 
oberen  rande  mit  gleichzeitiger  rothgeschriebener  ziffer  24  bezeichneten 
blattes  aus  einer  doppelspaltigen  foliohandschrift  des  15.  Jahrhunderts. 
Die  columnen  sind  von  feinen  mit  der  feder  gezogenen  linien  eingefasst. 
Die  schrift,  in  sehr  graden,  aber  nicht  linierten  zeilen ,  ist  kräftig, 
regelmässig  und  deutlich;  jedoch  nur  die  erste  spalte  ist  noch  leserlich 
erhalten;  von  der  vierten  sind  nur  versanfänge  lesbar;  von  der  zweiten 
sind  nur  anfangsbuchstaben,  von  der  dritten  ist  gar  nichts  mehr  übrig. 

Vorderseite.     Spalte  a. 

Do  er  het  an  der  martcr  fein 

La  mir  den  antlaz  nucze  fein 

Da  mit  er  vns  vnfchuldet 

Vnd  vns  feinem  vater  gehuldet 
5  Durich  chrilti  tod  vn  durch  fein  plut 

Wiz  mir  genedige  vnd  guet 

Hilf  mir  von  allem  laide 

Durich  di  laiden  augewaide 

Der  du  an  deinem  fun  mer  focht 
10  Denn  chainer  niüter  ye  gefchech 

Aller  traurigen  herczen  trofterin 

Hilf  mir  vil  libe  vrawe  mein 

Daz  ich  von  funden  werd  erloft 

Durich  daz  grab  daz  aller  füd'  troft 
15  Durich  fein  dyemut  do  er  ynne  lag 

Ich  chan  dich  vrawe  noch  en  mag 

Nicht  gepitten  alz  mir  not  wer 

Durich  di  grymigen  herczen  fwer 

Vnd  durich  di  not  vor  aller  not 
20  Di  du  het  vmb  feinen  tod 

Vnd  durich  di  grozzen  vngehab 

Dy  mit  dir  fchied  von  dem  grabe 

Durich  den  vil  fenden  ganch 

Durich  all  di  not  di  dich  twanch 
25  Hilf  mir  von  allen  noten 

Von  den  di  di  fei  chunnen  totten 

Hailige  müter  vnd  magt 

Din  troft  fey  mir  vnuerfagt 


BRUCHSTÜCKE.       9.    AUS    EINKM    fiKBETE    AN    MARIA  435 

Gefuege  mir  vnd  leude 
30  Durich  deines  chindes  ürfteiide 

Dy  dich  von  deinem  laid  fcliied 
Rückseite.     Spulte  d. 

Durich  deinen 

Du  pift  an  a 

Hab  mich  he 

Got  herre  uater 
5  Vnd  mach  mich 

Da^  ich  von  m 

Vnd  dem  g 

Heiiger  chrift 

Daz  ich  erwer 
10  Enzunde  m 

Wann  du  m 

Der  genaden 


Driualtiger 
15  La  deiner  g 

In  mir  ei 

So  haftu 

In  mein 

Wann  ich  dir 
20  Got  vater  f 


La  mich 
Chomen 

25  Mein  chome 
Wann  ich 
La  mich 
Wann 
Vnd 

30  Ich  lauf  an 


10. 
Ans  Wittig  toiu  Jordan. 

Fünf  blätter  pergament  in  duodez,  11^2  centimeter  hoch,  9V2  cen- 
timeter  breit,  meist  16  verszeilen,  zwischen  eingerizten  kaum  noch 
sichtbaren   linien,    auf  der    seite ,    doch    auch    darüber    hinaus   bis   zu 

28* 


436  FRH.    VON   HARDENBERG 

20  verszeilen,  zwar  nicht  kunstgerecht  schön,  aber  deutlich  geschrie- 
ben von  einer  band  des  14.  Jahrhunderts.  Blatt  2  und  5,  und  ebenso 
blatt  3  und  4  sind  zusammenhängende  doppelblätter.  Dem  zweiten  und 
dem  vierten  blatte  sind  durch  beschneiden  des  vorderen  randes  end- 
oder  anfangssilben  der  betreffenden  verse  verloren  gegangen;  hie  und 
da  sind  stellen  durch  abnutzung  und  Verschmutzung  beschädigt  und 
unleserlich  geworden. 

Die  erzähluug,  zu  welcher  diese  bruchstücke  gehören,  ist  in 
abweichenden  textgestaltungen  von  verschiedenem  umfange  und  unter 
verschiedenen  benennungen  —  Die  Heidin,  Herzog  Beliand,  Herr 
Wittig  vom  Jordan  —  erhalten.  Vgl.  Koberstein ,  geschichte  der 
deutschen  nationallitteratur ,  5.  aufl.  Leipzig  1872,  §  98.  1,  194. 
W.  Wackernagel ,  geschichte  der  deutschen  litteratur.  2.  aufl.  Basel  1879. 
§  59.    1,  238. 

Eine  textgestalt  von  mittlerem  umfange  (1902  verse)  ist  unter 
dem  titel  diu  beide ninne  aus  einer  Heidelberger  pergamenthandschrift 
veröffentlicht  durch  F.  H.  von  der  Hagen  in  seinen  Gesamtabenteueru 
Stuttg.  und  Tübingen  1850.  1,  389  —  439;  eine  kürzere  (1134  verse) 
ist  unter  der  benennung  die  heidin  aus  einer  Pommersfelder  hand- 
schrift  herausgegeben  durch  K.  Bartsch  in  seinen  Mitteldeutschen 
gedichten.  Stuttg.  1860.  (=  Bibliothek  des  Litterarischeu  Vereines.  LIII) 
s.  40  —  72;  eine  längere  (1970  verse)  in  einer  Inusbrucker  papierhaud- 
scbrift  enthaltene  ist  besprochen  und  mit  der  Pommersfelder  verglichen 
von  Zingerle  in  Pfeiffers  Germania  (Wien  1864)  9,  29  —  54.  Noch 
umfänglicher  (4661  verse  befassend)  ist  die  textgestalt  in  einer  Gothaer 
papierhandschrift,  von  welcher  F.  Jacobs  eine  beschreibuug  und  inhalts- 
angabe  geliefert  hatte  in  den  Beiträgen  zur  älteren  Litteratur,  oder 
Merkwürdigkeiten  der  herzogl.  öffentl,  Bibliothek  zu  Gotha.  Herausg. 
von  Fr.  Jacobs  und  F.  A.  Ukert.  Leipzig-  1835,  1,  135—146.  —  P]ine 
genügende  kritische  Untersuchung  dieser  verschiedenen  textgestaltungen 
gel)richt  noch. 

Weil  der  text  der  Hardenbergischen  bruchstücke  dem  der  Gotha- 
ischen handschrift  verwant  schien,  hat  herr  professor  Regel  auf  mein 
ersuchen  widerum  mit  dankenswertester  bereitwilligkeit  die  gute  gehabt, 
beide  zu  vergleichen.  Das  ergebnis  dieser  vergleichung  lasse  ich  unten 
folgen.  J.  Z. 

Bl.  1*     Mit  plümen  wnechleich  gechlait 

Roten  lylyen  vber  al 

Manger  vogelein  stTm  erichal 

Der  igleich  dönte  feinen  fanch 

Daz  er  in  der  purig  erchlanch 


BRUCHSTÜCKE.   10.  AUS  WITTXG  VUM  JORDAN  437 

Do  er  der  piirig  ehoui  lo  luichet 
Do  hiez  er  fein  chnecht  gacheu 
Daz  Q.  flugen  auf  den  plan 
Sein  gezelt  daz  waz  getan 
Nach  dem  er  do  felbe  rait 
Ze  der  einen  linden  prait 
Un  gepeilt  Ichon  dar  vnder 
Do  fach  man  leltzlamew  wnder 
An  dem  gezelt  daz  waz  weit 
Mit  feideu  vn  mit  golt  erleit 
Der  chrillem  het  gewappet  fich 
In  ein  prvn  lo  lobleich 
Er  gedacht  im  wol  d'  chüne  man 
Daz  er  wrt  grlmichleich  beftan 
Bl.  1''     Dem  heidem  chomen  dilev  maere 
Wi  auf  feiner  beide  wsere 
Ein  h'leich  zeit  gef lagen 
Daz  wer  mit  geftain  vber  laden 
Vn  di  fliehten  rittTchaft 
Die  wer  lobleich  vnd  endacht 
Di  heidem  gingen  fchawen 
An  die  zinn  vnd  die  frawen 
Si  dauclit  ein  michel  wnd'  daz 
Daz  der  heidem  in  den  plümen  f .  . 
Vn  lieh  geleit  in  den  fchilt 
Daz  ors  datz  leinen  haiipten  Ipilt 
Daz  in  v'drozz  nicht  in  dem  chle 
Do  waz  den  chriften  manne  we 
Nach  div  vn  fein  h'tze  gert 
Doch  wart  er  ritt'fchaft  gewert 
Do  daz  her  belyät  erfach 
Ze  feinem  rat  er  do  fprach 
Befcheit  lieb  ritt'  mein 


Bl.  2"     Auf  heim  ietweders  flach 
Div  mued  in  paiden  belach 
Daz  fi  mueften  ntwalen 
Untz  ir  chraft  wider  halen 
Di  ü  bieten  gefwendet 
Dänoch  waz  ez  vnu'endet 


438 


FRH.    VON    HABDENBERG 


Bl.  2' 


Bl.  3=' 


Dez  ainer  an  den  and'n  gert 
Do  few  der  Inft  wider  erwe  .  . 
Der  chrefte  nacli  ir  aribait 
Ir  "wille  few  auer  ze  famme  .  .  . 
Do  ü  mit  grime  an  ein  and  .  . 
Vn  gerten  alz  zwen  wild  le  .  . . 
Mit  tot  an  ein  ander  an  gefig  .  .  . 
Schaiden  in  paideu  v/ai,  v'zi  .  .  . 
d       oft  von  allen  irn  fin  .  .  . 
An  einander  nicht  chnden  an  ...  . 
,  haidem  auf  fich  flachen  lie 

chriften  orlTes  er  gevie 

m  zäum  vn  fürt  in 

dem  haidemifchen  her  hin 
.  daz  nicht  mocht  erwern 

mit  flogen  noch  mit  pern 
.  wart  ein  grozzer  fchal 
.  en  haiden  vber  al 

div  orir  erfchutten  lieh  fer 

ten  paidev  wider  eher 

von  einem  wenden  da  d'  chriften 

mit  ritt'leichen  liften 

ens  in  den  lauf  fo  gar 

rungen  in  der  chriften  fchar 

wrden  div  chriften  vil  gemait 

haiden  ein  h'tzen  laid 
Vn  ein  trawern  da  gefchach 
Daz  man  den  w'den  furften  fach 
Lofen  di  waffen  riemen 
Chain  vnwird  im  doch  niemen 
Erzaigt  want  er  chunich  waz 
Dreyer  lant  foldanaz 
Vn  waz  von  karadein  genät 
An  der  felben  ftüt  erchant 
In  der  werd  von  dem  yordau 
Daz  im  daz  leben  waz  v'lan 
Daz  chö  von  des  furften  pet 
Vn  fant  in  an  der  felben  ftet 
Der  fchonen  fopheyen 
Der  fuzzen  wandeis  vreyen 
a       N  dem  dritten  morgen 


BRUCHSTÜCKE.   m.  AUS  WITTIU  VOM  JORDAN  439 

Do  liub  üch  ftreites  forgen 
Bl.  S^     Do  eruochten  div  herhören 
Mangeü  furften  wol  geporn 
Der  in  feine  fchilt  lach 
Ez  erfchain  der  leib  tach 
Sumleichen  ze  laide 
Auf  der  grünen  haide 
Alrerft  man  rechtev  waifeu  fach 
V  manich  reiches  fchildes  dach 
Zymier  michel  wnder 
Di  ritt'  alle  befunder 
Irev  orir  daz  ftrechüt 
Dar  vber  phelle  geftreckchent 
Ein  ifleiches  venelein 
Chert  ze  dem  panier  fein 
Di  ftürm  vanen  warn  berait 
Der  igleichen  laitt 
Ein  ftarcher  ritt'  auz  erweit 


Bl.  4"     Vn  alz  iz  feinen  ern  tScht 
Da  beraiten  fich  div  frawen 
Auch  macht  man  da  fchawen 
Hangen  müt  rofen  uar 
Vn  mangev  fpildev  äugen  d  . . 
Vn  manich  minichleiches  weip 
Div  gepreifet  het  wol  irn  leip 
Waz  frawen  in  dem  lande  w  . . 
Auz  den  man  div  fchoniften  la 
Vn  pracht  di  wol  gezieret  d  . . 
Auz  in  allen  nam  man  wa . 
Einer  magt  div  dar  chomen  . . 
Liecht  alz  fam  ein  fpiegel  gl . . 
An  lieb  vn  an  plikche 
Da  von  div  lieb  macht  lieb  . . , 
Do  div  her  belyät  er  fach 
Bl.  4''     . .  wrt  er  vragt  vn  fpch 
eines  rechtes  vnu'zigeu 
ew'n  hulden  doch  genigen 
ir  von  der  fuzzen  magt 
vaz  mir  ze  troft  fagt 


14U 


FRH.  VON  HARDENBERG,  BRÜCKST.   10.  AUS  WITTIG  VOM  JORDAN 


li  euch  an  wiüde 
i\  mich  ergetzen  viude 
ew  mit  ir  dez  ger  ich 
fpch  fi  an  windet  alfo  mich 
müter  ift  mein  müterlein 
ir  vat'  ift  der  vat*  mein 
V  muez  fi  an  fein  paider 
nt  li  fint  v'fchaideu  laider 
daz  ir  ergetzen  gert 
mügt  ir  w*den  wol  gewert 
elt  ir  mit  t'wen  mit  ir  wonen 
Bl,  5^    Ich  gib  evch  g'en  i'ei  ze  chonen 
Vn  lazz  eiichs  gelubdes  frey 
Da  muez  auch  fein  ein  anders  pey 
Daz  ir  gehaubt  an  den  fu^i^en  iefü  chrift 
Der  got  alain  wa^  vn  imm'  ift 
Vn  da^  ir  div  tauif  enphachet 
Ob  ew°  daz  nicht  v'fmachet 
So  ergetze  ich  eu  alfo  g'ren 
Vn  wil  auch  ew  alles  dez  geweren 
Daz  ich  furbaz  mag  vn  fchol 
Difev  rede  gehagt  im  wol 
Want  da^  fuzze  magedein 
So  fchir  feines  hertzen  fchreiu 
Mit  gantzer  mine  über  maz 
Daz  er  machmetes  v'gaz 
Er  lach  ich  tun  vn  var 
ßl.  ö**     Gern  nach  ewe'm  willen  gar 
Swi  ir  gepietet  pei  der  zeit 
Di  ee  zehant  wart  angeleit 
Der  haidem  tauffet  fich  zewar 
Mit  grozzen  ern  offenwar 
Da^  wart  mit  grozzen  t'wen  fo  v'facht 
Daz  er  die  geuangen  ledig  macht 
Die  furften  alle  gemain 
Mit  rat  wrdeu  des  enain 
Daz  fi  tauff  enphachen  wolden 
Vn  leben  alz  di  chriften  folden 
Dez  wa^  her  witig  vil  gemait 
Nach  vil  grozzer  werdicheit 
Er  die  furften  tauffen  hiez 


ilKGEL,    WITTIG    V.    JORDAN,    GOTHAER    HS.  «1 

Dar  uacli  er  uicht  euliez 
Mit  grozzen  eru  er  li  laude 
*  * 


ÜBER   DIE   GOTHAER  HANDSCHRIFT   DES  WITTIG 
VOM  JORDAN. 

Die  haiidsclirift  der  herzoglichen  bibliothek  zu  Gotha  cod.  chart. 
ur.  56,  welche  auf  ihrem  ersten  blatt  den  titel  „HErtzog  Beliand 
oder  herr  wittig  von  dem  Jordann"  trägt,  aus  119  gezählten 
blättern  in  kl.  4"  von  je  16—22  zeilen  besteht  und  in  einer  säubern 
band  des  15.  Jahrhunderts  geschrieben  ist,  enthält  die  den  Hardenber- 
gischen bruchstücken  entsprechenden  stellen  in  folgender  weise: 

Erstes  bruchstück. 
Goth.  hs.  bl.  7*     Vmb  die  Bürge  da  ging  Eyn  hag 
Des  Mancherhannd  thier  pflag 
215  Auch  ib  Hundt  ein  vorlt  dabey 
Do  waren  fchoner  Linden  drey 
Auff  eyner  heyden  die  war  preyt 
Mit  Blumen  wunnigleich  becleydt  Hard.  br.  V. 

Rofen  vnnd  Lilien  vberall 
220  Mancher  vogell  Stym  Erhall 

Der  Iglichs  donet  feynen  geianck 
Das  es  In  der  Bürge  Erklanck 

(Für  die  initialen  der  abschnitte  ist  in  der  hdschr.  ein  leer 
gelassener  räum.) 
(D)0  Er  nahn  der  Bürge  kam  Ib  nahn 
Do  hieß  Er  lein  diener  gähn 
Bl.  7"     225  Das  fie  Ichlugn  awff  den  Plan 
Sein  Czelt  das  wardt  gethann 
Nach  dem  Er  dal'elber  Reyth 
Czu  der  eynen  Linden  breyth 
Vnnd  Erbeyllet  fchon  dar  unther 
230  Da  Sach  man  Seltzann  wunder 
An  dem  czelt  das  was  weyth 
Mit  geitein  vnnd  golt  erleydt 
Das  es  der  Sunnen  glaft  entpodt 
Alzo  was  fein  Brechenn  von  gokle  Roth 
(Diese  beiden  lezten  verse  fehlen  im  Hard.  br.) 


442  REGEL 

235  Der  Criften  hett  gewapiiet  fich 

In  Ein  Brun  gar  loblich 

Wan  Ime  gedacht  der  küne  man 

Das  er  grimmiclich  wurd  kamen  an 

Dem  hej^den  kummen  mehre 
240  Das  awflf  feiner  heyde  were  Hard.  br.  bl.  1''. 

Ein  herlich  czelt  awfifgefchlagn 

Auch  begundt  man  Im  Sünder  fagn 

Von  Criften  Eitterfchafft 
Goth.  hs.  Die  Wehre  Loblich  vnnd  ardthafft 

bl.  8*      245  Diefe  heyden  gingen  fchawen 

An  die  czinnen  vnnd  auch  die  frawen 

Sie  daucht  ein  michell  wunder  das 

Das  der  Criften  In  den  Blumen  faß 

Vnnd  heth  geleynet  awff  den  Schildt 
250  Das  Pferdt  zu  feynem  Hawpt  fpilt 

Er  vordros  nicht  In  dem  Clee 

Do  was  dem  Criften  manne  wehe 

Nach  dem  vund  fein  hertz  begert 

Doch  wardt  Er  Kitterfchaflft  gewert 
255         Do  Herr  Belianndt  das  erfach 

Zu  feynen  dienern  ehr  do  fprach 

Befcheinet  lieber  Eitter  mein 

[Wer  diefer  gaft  muge  gefein 

Der  dort  awff  meyner  heyde  leyth] 

Zweites   bruchstück. 

(Die  Zählung  stimt  von  v.  3021  an  nicht  mehr  mit  den  reimpaareu ,  weil  dieser 
vers  keinen  ihm  entsprechenden  hat.) 

Goth.  hs.  bl.  90*   [Als  der  doner  blicke 

So  die  erfcheinen  dicke 
3440  Auß  den  wolcken  her  zuthal 

le  als  ein  glock  erhal] 

Auff  den  helmen  entweders  fchlagk      Hard.  br.  bl.  2'', 

Die  Müden  In  heyden  oblag 

Das  fie  muften  entwallen 
3445  Vnnd  die  Crefft  wider  holen 

Die  fie  hetten  vorfchwendet 

Noch  dan  fo  was  onuerhendet 

Des  eyner  an  den  andern  begert 

Vnnd  als  fie  Nun  der  lufft  wider  gewert 


WITTir.  V.  JORDAN,  OOTHAKR  HS. 


443 


3450  Der  Crefft  Nach  Irer  arbeyt 

Ir  Will  fie  aber  zuCamen  leyt 

Das  Sie  mit  grim  eynaiider  hewen 

Von  begirden  als  liueii  lewen 

Mit  tode  Eynander  gefiegen 
3455  Scheyden  In  beyden  was  vortzigenn, 
(D)0  Sie  Nun  Mit  allenn  Sinnen 
Einer  den  andern  nit  künde  gewinnen 
Goth.  bs.  bl.  90*»   Der  Heyden  Auff  fich  Tchlahen  lie      Hard.  br.  bl.  2^ 

Des  Criften  Eos  er  da  geuie 
3460  Bey  dem  zam  vnnd  fm*et  In 

Czii  dem  heydnirchen  here  hin 

Das  Er  fich  nicht  kundt  erwern 

Weder  mit  fchlahenn  noch  mit  bern 

Czuhandt  fo  wardt  fo  groHer  fchall 
3465  Vnter  den  heyden  vberall 

Das  die  Kos  erfcheuchten  fehr 

Vnnd  thaten  beyde  widerkehr 

Von  eynem  Avenden  das  der  Criftenn 

Kunde  mit  Kitterlichenn  liftenn 
3470  Kummen  In  den  lauff  fo  gar 

Vntter  Irer  danck  In  der  Criften  fchar 

Des  ward  her  Wittig  gemaydt 

Aber  dem  heyden  ein  raichel  leyd 

Wan  Im  zu  traurn  da  gefchach  bl.  3*. 

3475  Do  man  den  werden  furften  fach 

Lofen  die  Wappen  Kimen 

Cein  vnwerde  Im  Niman 

Erboth  Wan  Er  ein  künig  was 
Goth.  hs.  bl.  91"    Dreyer  lande  Her  Soldemach. 

Die  folgenden  acht  verse  des  Hard.  bruchstücks  fehlen  in  der  Goth.  hs. 

3480       [A]N  dem  dritten  morgenn 

Do  hub  fich  ftreyttes  forgenn 

Do  Erweckten  Sie  die  herhorn  bl.  3*^. 

Manchen  Ritter  wolgeborn 

Der  In  feinem  Schilt  da  lag 
3485  Es  Erfchein  der  felbig  tagk 

Etlichen  vaft  nach  laydt 

Dafelben  auff  der  groenen  heyd 

Aller  Erft  man  Reiche  Wappen  Sach 

Vnnd  Manchs  Reichs  fchiltes  dach 


444  REGEL 

3490  Czimir  auch  michel  wunder 

Auch  Mannich  frölich  hertz  daruntter 

Die  Eos  gar  wol  vordecket 

Darüber  Pfeiler  geftrecket 

Da  keret  ein  Itlichs  fenlein 
3495  Hin  zu  dem  Banier  fein 

Die  Sturm  vanen  waren  von  Samat  breyth 

Diefelbigen  Itlichen  le3^ttet 

Ein  Starcker  Kitter  awferwelt 
Goth.  hs.  bl.  91''   [Dem  taufent  Ritter  waren  gefeit] 

Das  dritte  Hard.  bruchstück  (bl.  4  und  5)  findet  sich  in  der 
Goth.  hdschr.  nicht  und  ist  auch  seinem  Inhalt  nach  der  in  dieser 
enthaltenen  dichtung  ganz  fremd ,  indem  hier  von  keiner  bekehrung 
Beliants  durch  eine  christliche  braut  die  rede  ist,  sondern  nur  von 
seiner  Vermählung  mit  einer  schönen  heidnischen  königstochter,  durch 
die  er  für  den  verlust  der  frau  Libauet  entschädigt  vrird,  während  die- 
ser erst,  nachdem  sie  die  taufe  empfangen  hat,  herr  Wittig  vom  Jor- 
dan in  seiner  heimat  die  band  reicht.  Die  Hard.  bruchstücke  gehören 
also  einer  bearbeitung  dieses  Stoffes  an ,  welche  zum  grossen  teil  mit 
der  der  Goth.  hdschr.  übereinstimt,  aber  auch  wider  von  ihr  ganz 
abweicht. 

Der  dem  Goth.  gedichte  eigne  schlussteil,  welcher  von  v.  2903 
bis  4661  fortläuft,  verdient  übrigens  wol,  schon  um  dieses  bedeuten- 
den umfanges  willen,  nach  seinem  wesentlichen  Inhalt  etwas  genauer 
gekenzeichnet  zu  werden ;  denn  während  in  der  von  Bartsch  (Md.  Ged. 
s.  40  —  72)  mitgeteilten  dichtung  der  ritter,  nachdem  er  die  minne 
der  heidin  genossen  hat ,  ohne  sie  in  seine  heimat  zurückkehrt  und 
dort,  weil  er  sein  weltliches  ziel  erreicht  hat,  durch  ein  leben  in 
christlicher  Zucht  und  milde  sich  gottes  huld  verdient  (v.  1110—1134),— 
und  während  in  der  von  van  der  Hagen  (Gesamtabenteuer  I,  s.  389  — 
439)  herausgegebenen  erzählung  nur  kurz  erwähnt  wird,  dass  der  graf 
die  heidnische  königin  auf  ihr  bündiges  verlangen  mit  sich  in  sein  land 
führt  und  dort  mit  ihr,  nachdem  sie  die  taufe  empfangen  hat,  in  glück 
und  ehre  nach  gottes  hulden  lebt,  indess  der  betrogene  beide  sich 
verzweifelten  klagen  hingibt  (v.  1801  —1902),  —  so  hat  dagegen  der 
dichter  des  in  der  Goth.  hdschr.  vorliegenden  Beliand  oder  Wittig  die 
weiteren  Schicksale  seiner  beiden  beiden  und  der  zwischen  ihnen 
streitigen  frau  mit  gleich  lebendiger  ausführlichkeit  wie  die  voran- 
gehenden, allen  bearbeitungen  gemeinsamen  hauptvorgänge  bis  zu  ende 
erzählt. 


WITTIG  V.  JORDAN,  OOTHAKK  HS.  445 

Als  sich  nach  den  freuden  der  miune  zwischen  den  beiden  ein 
liebliches  kosen  anliebt,  erklärt  die  heidin  unter  vielen  klagen  dem 
Christen,  dass  sie  nicht  ohne  ihn  leben  könne  und  dass  gegen  seinen 
süssen  gott,  der  ihn  so  herrlich  gebildet  habe,  ihre  eignen  götter  ihr 
fremd  und  nichtig  erscheinen;  der  ritter  aber  erwidert  ihre  hinneigung 
zu  seinem  glauben  durch  eine  freudige  lobpreisung  des  alleinwahren 
gottes,  und  nachdem  er  mit  ihr  die  flucht  genau  verabredet  hat,  wird 
er  von  ihr  mit  einer  unversehrbaren  waffenrüstung  geschmückt  und 
scheidet,  um  im  nahen  walde  alles  zur  entführung  der  geliebten  vor- 
zubereiten :  beim  morgenrot  des  dritten  tages  geht  sie ,  wie  zu  einem 
frühspaziergang ,  nur  von  ihren  Jungfrauen  begleitet  und  von  einem 
vertrauten  diener  geführt,  in  den  wald,  wo  herr  Wittig  sie  auf  sein 
pferd  nimt  und  mit  ihr  davon  reitet,  sie  dann  aber,  durch  ritterklei- 
der  für  die  feinde  unkentlich,  seinem  gefolge  zugeselt  (v.  2903  —  3091). 
Auf  ihrer  fahrt  durch  die  wilduis  begegnen  sie  zwar  dem  könig  Beliant, 
der  eben  von  der  andern  seite  her  mit  einer  zahlreichen  ritterschar 
heimwärts  zieht,  aber  da  er  von  der  entführung  seiner  frau  nichts 
ahnt  und  die  verkleidete  nicht  erkent,  so  begrüssen  sich  die  beiden 
herren  freundlich  und  nach  kurzer  Unterredung  sezt  der  christ  mit  den 
seinigen  unbehindert  seinen  heimweg  fort:  im  eignen  laude  wird  er 
von  freunden  und  verwauten  glänzend  empfangen  und  seine  siegreiche 
widerkehr  nach  siebenjähriger  ab  Wesenheit  von  dem  ganzen  volk  mit 
lautem  freudenschall  gefeiert.  Auf  dem  grossen  hochzeitsfeste  aber, 
zu  welchem  alle  vasallen  des  fürsten  vom  Jordan  berufen  werden, 
empfängt  die  schöne  heidin  zuerst  mit  feierlichem  gepränge  die  taufe, 
dann  wird  das  beilager  bis  zum  achten  tage  mit  dem  höchsten  glänze 
begangen  (v.  3092  —  3217). 

Da  nun  aber  herr  Beliant,  nachdem  er  seiner  schmach  inne  gewor- 
den ist,  alle  beiden  zur  räche  an  dem  Christen  aufbietet  und  von  den 
zusammengeströmten  kriegerscharen  weit  hin  das  gras  auf  anger  und 
auen  bedeckt  ist ,  und  da  auch  auf  die  künde  hiervon  herr  Wittig  seine 
boten  in  alle  Christenlande  ausgesendet  hat,  um  gegen  den  heidnischen 
rachezug  hilfe  zu  werben,  da  geschieht  es  eines  tages,  dass  das  hei- 
denheer  sich  in  solcher  menge  am  Jordan  hin  lagert,  dass  der  glänz 
der  blitzenden  helme  und  Schilde  und  der  mit  edelgestein  besezten 
seidnen  zelte  das  licht  der  sonne  und  des  mondes  überstrahlt;  auch 
die  christlichen  krieger  strömen  nun  durch  die  täler  und  über  die 
bergeshänge  herbei,  und  nur  getrent  durch  ein  klares  wasser  liegen 
sich  Christenheit  und  heideuschaft  so  massenhaft  gegenüber,  dass  vom 
tritt  der  rosse  die  erde  bebt  (v.  3218  —  3331). 


446  REGEL 

Am  zweiten  tage  reitet  ein  ritter,  dessen  kostbare  rüstung  der 
dichter  ausführlich  beschreibt,  aus  dem  heidenlager  bis  über  den  bach 
j^gj-Yor,  —  herr  Wittig,  mit  dem  von  fr  au  Libanet  ihm  geschenkten 
waffenschmuck  bekleidet,  stürmt  ihm  entgegen,  und  inmitten  der  bei- 
den beere  entbrent  zwischen  ihnen  ein  furchtbarer  einzelkampf ,  in  wel- 
chem, nachdem  die  lanzen  schnell  zerbrochen  sind,  unter  den  bei- 
derseitigen Schwertschlägen  die  helme  wildes  feuer  sprühen  und  wie 
o-locken  erklingen.  Auch  nach  einer  ruhepause  bleibt  der  erneuerte 
kämpf  noch  lange  unentschieden-,  da  fasst  plötzlich  der  beide  des  Chri- 
sten ross  am  zäume  und  zieht  es  mit  sich  dem  heidnischen  lager  zu. 
Herr  Wittig  scheint  verloren,  aber  als  durch  das  vorzeitige  sieges- 
geschrei  des  ganzen  heidenheeres  die  pferde  scheu  werden  und  sich 
ungestüm  umwenden,  da  gelingt  es  ihm  den  gegner  mit  sich  als 
gefangnen  zu  den  Christen  zu  entführen,  von  denen  derselbe  aber  ehren- 
voll behandelt  wird,  weil  er  als  herr  Soldemas,^  als  ein  könig  dreier 
lande  erkant  wird.  Am  folgenden  tage  wird  nun  die  grosse  Schlacht 
begonnen ,  in  welcher  das  gras  durch  das  rote  blut  seiner  grünen  färbe 
beraubt  wird:  nach  langem  erbittertem  kämpfe  durchbricht  herr  Wittig 
das  heidnische  beer  und  nimt  den  herzog  Beliant  mit  sieben  königen 
und  ihrem  gefolge  gefangen:  die  sturmfahne  der  beiden  wird  erobert, 
viele  hunderte  von  ihnen  ertrinken  im  Jordan,  das  übrige  beer  wird 
zersprengt  und  in  wilde  flucht  getrieben ,  reiche  beute  fält  in  die  bände 
der  Christen  (v.  3332  -  3559). 

Nach  seinem  volständigen  siege  über  die  beiden  beweist  sich  herr 
Wittig  durchaus  mild  und  gütig:  er  entlässt  die  grosse  menge  der 
gefangenen  und  behält  nur  herrn  Beliant  mit  sieben  königen  und  acht 
herzogen,  nachdem  sie  ihm  ihre  volle  ergebung  eidlich  angelobt  haben, 
in  ehrenvoller  gefangenschaft  auf  seiner  bürg  am  Jordan.  Er  gewährt 
ihnen  nicht  nur  jeden  billigen  wünsch ,  sondern  er  behandelt  sie  durch- 
aus wie  geehrte  gaste,  indem  er  ihnen  durch  ritterliche  kurzweil  den 
kummer  zu  verscheuchen  sucht  und  mit  feinem  tact  seine  geraubte 
gemahlin  von  ihnen  ganz  fern  bleiben  lässt,  um  ihnen  eine  noch  schwe- 
rere demütigung  zu  ersparen;  ja,  als  sie  ihn  um  erlaubnis  bitten  für 
einige  zeit  in  ihr  land  heimzukehren,  gewährt  er  ihnen  auch  dies,  und 
nachdem  sie  sich  mit  festen  eiden  verpflichtet  haben  nach  zehn  wocheu 
sich  wider  bei  ihm  einzustellen,  gibt  er  ihnen  noch  vier  tagereisen  weit 
ein  ehrenvolles  geleite  bis  an  seine  grenze  (v.  3560  —  3655), 

1)  An  dieser  stelle  (v.  3479)  ist  der  narae  verschrieben  „Soldemach,"  aber 
schon  der  reim  (was)  fordert  Soldemas,  wie  er  auch  später  genant  wird,  wäh- 
rend sein  vater  und  sein  bruder  Sei  dem  ach  heissen  (vgl.  die  betr.  stelle  oben  im 
zweiten  br.  v.  3438— 79). 


WITTIG  V.  JORDAN,  GOTHAER  HS.  447 

Als  nun  die  entlassenen  am  zwölften  tage  in  die  nähe  ihrer  hei- 
mat  gelangt  sind,  begegnet  ihnen  der  junge  könig  herr  Soldemach 
von  Coradin,  den  einst  herr  Wittig  aus  der  gewalt  des  lindwurms 
befreit  hatte  und  der  immer  noch  nicht  ganz  von  seineu  wunden  gene- 
sen ist;  er  erkent  freudig  unter  den  daherreiteuden  fürsten  seinen  eig- 
nen bruder  Soldemas,  den  wir  von  seinem  heldenmütigen  Zweikampf 
mit  Wittig  können,  und  führt  sie  nun  alle  in  die  hauptstadt  Gazaphat, 
wo  sie  von  seinem  vater,  dem  alten  könig  Soldemach,  als  liebe 
gaste  ehrenvoll  aufgenommen  und  durch  reiche  bewirtung,  herliche 
musik  und  den  anblick  der  schönsten  frauen  erfreut  werden.  Die 
höchste  Zierde  dieses  reichen  hofes  aber  ist  die  dem  jungen  könig  Sol- 
demach verlobte  tochter  des  königs  Acliou  von  Tirichel,  deren 
wunderbare  Schönheit  und  prachtvolle  kleidung  der  dichter  in  nicht 
weniger  als  125  versen  ganz  genau  abschildert;  an  ihrer  band  führt 
sie  ihre  jüngere  Schwester,  die  ihr  „an  gestalt  und  an  leib,  an  geberde 
und  an  kleidern"  völlig  gleich  ist  und  ebenso  wie  sie  ganz  in  der 
pflege  und  väterlichen  gewalt  des  königs  Soldemach  steht  (v.  3G56  — 
3989). 

Diesen  lezteren  umstand  benuzt  nun  der  weise  köuig,  um  eine 
algemeine  Versöhnung  zwischen  seinen  heidnischen  und  christlichen 
freunden  zu  bewerkstelligen:  schon  bei  dem  ersten  hoffeste  hatte  herr 
Beliant  den  ehrenplatz  zwischen  den  beiden  schönen  Schwestern  erhal- 
ten und  darüber  sein  schweres  leid  zu  vergessen  augefangen ;  als  aber 
nach  allen  darauf  gefolgten  lustbarkeiten  des  gastlichen  hofes  zu  Gaza- 
phat endlich  die  zeit  herannaht,  wo  die  fremden  fürsten  in  die  gefan- 
genschaft  an  den  Jordan  zurückkehren  müssen ,  und  als  sie  nun  herrn 
Soldemach  um  seine  vermittelung  bitten,  da  zeigt  er  ihnen  in  kluger 
rede,  dass  ihre  befreiung  nur  dann  möglich  sei,  wenn  herr  Behaut 
jeden  ansprach  anf  frau  Libanet  völlig  fallen  lasse  und  alle  rachegedan- 
ken  gegen  herrn  Wittig  für  sich  und  auch  für  seine  nachkommen  gänz- 
lich aufgebe,  und  zur  vollen  bürgschaft  hierfür  verlobt  er  die  jüngere 
tochter  des  königs  Aclion  mit  herrn  Beliant,  welcher  mit  der  grösten 
freude  auf  diese  Verbindung  eingeht.  Den  Vorschlag  des  jungen  könio-s 
Soldemach  aber,  die  hochzeit  gleich  am  nächsten  tag  zu  feiern,  nimt 
der  besonnene  vater  nicht  an,  sondern  will  vor  allen  dingen  erst  die 
lösung  der  fürsten  aus  der  gewalt  des  Christen  zu  stände  bringen:  er 
ladet  daher  herrn  Wittig  zu  einer  friedlichen  Zusammenkunft  nach 
Baldac  ein  und  macht  sich  am  vierten  morgen  mit  seiner  ganzen 
hofgeselschaft  in  glänzendem  zuge  dorthin  auf  (v,  3990  —  4243). 

Nach  einer  fröhlichen  reise  gelangen  die  beiden  zuerst  nach  Bal- 
dac   und    empfangen    dort    den    später   ankommenden    Wittig    auf  die 


448  REGEL 

freundschaftlichste  und  ehrenvollste  weise ,  auch  die  bürger  und  bür- 
gerinuen  der  stadt  bereiten  den  Christen  die  gastlichste  aufnähme ;  aber 
als  nun  nach  vier  festlich  verbrachten  tagen  der  könig  Soldemacli  mit 
dem  Christen  allein  in  einer  verriegelten  kemenate  über  das  Schicksal 
der  gefangenen  in  geheime  beratung  tritt  und  meint,  dass  herr  Wittig 
ihnen  das  erduldete  leid  vergüten  und  sie  für  ihre  pünktliche  widerkehr 
belohnen  möge ,  so  macht  dieser  ihren  frevelhaften  einfall  als  die  allei- 
nige Ursache  des  ihnen  widerfahrnen  Unheils  geltend  und  beharrt  zuerst 
bei  dem  entschluss  sie  als  gefangene  auf  bürgen  und  in  städte  verteilt 
in  seinem  lande  fest  zu  halten ,  damit  er  vor  jedem  neuen  angriff  sicher 
sei.  Da  ihm  jedoch  herr  Soldemach  den  eidlichen  verzieht  der  sämt- 
lichen fürsten  und  besonders  des  am  schwersten  betroffenen  herrn 
Beliant  auf  jeden  ferneren  rachegedanken  verheisst  und  ihm  jede 
erwünschte  geldbusse  anbietet,  so  lehnt  herr  Wittig  zwar  diese  ent- 
schieden ab,  weil  sein  begehr  nicht  nach  gut  stehe,  nimt  aber  um  des 
hochverehrten  vermitlers  willen  die  ausgleichung  an  und  erklärt  die 
gefangenen  fürsten  für  frei,  nachdem  sie  ihm  vergessen  und  vergeben 
des  erlittenen  ungemachs  und  feste  treue  für  immer  gelobt  haben 
(v.  4244  — 4565). 

So  endet  der  lange  hader  in  frieden  und  freude:  nacli  einem  lez- 
ten  frohen  schmaus  bricht  alles  zur  heimfahrt  auf,  und  nachdem  die 
beiden  die  Christen  noch  ein  stück  weges  geleitet  haben,  scheiden  sie 
in  liebe  von  einander.  Der  könig  Soldemach  richtet  sogleich  nach  sei- 
ner heimkehr  die  hochzeit  seiner  schönen  pflegetochter  mit  herrn  Beliant 
aus,  der  nun  all  das  grosse  leid,  das  er  vorher  zu  tragen  hatte,  um 
der  werten  zarten  Jungfrau  willen  vergisst,  mit  der  er  nun  sein  leben 
in  hohen  ehren  verbringt.  Herr  Wittig  von  dem  Jordan  aber  ergriff', 
l)ald  nachdem  er  in  sein  land  zurückgekehrt  war,  besitz  von  der  stadt 
Cecilia,  die  ihm  der  mitgefangene  könig  von  Syria  bei  seiner  lösung 
abgetreten  hatte : 

Bl.  118"   Er  Eichtet  Sich  valt  Sehr 

Nach  gottes  willenn  In  alweg, 
4625  In  zarter  handlung  pfleg 

Het  Er  Sein  liebe  frawenn: 

Man  Möcht  vil  wol  fchawenn 

An  viel  lieblichenn  trewen, 

Das  Sie  nit  bedorfft  Kewen, 
4630  Was  Sie  durch  In  erlittenn  heth. 

Mit  gar  lieblicher  Stete 

Woneten  Sie  Eynander  mith: 

Er  ftellet  mit  getrewem  Sitt 


WITTIO  V.  JORDAN,  GOTHAER  HS.  449 

Nach  Weltlichenu  Ern, 
4635  Auch  begunder  vaft  kern 

Seyuen  Miith  an  Kecht  gericht, 
Bl.  119*   Mit  aller  Frnmkej^t  was  fein  pflicht 

Vnnd  ging  Ir  nach  vff  Irem  fpohr. 

Den  Armen  was  er  gewalts  vohr, 
4G40  Den  Reichen  path  Er  feinen  grus, 

Den  gernden  thet  Er  knmers  bns: 

Des  half?  Ime  auch  fein  Frawe, 

Des  Wunfehes  anefchawe, 

Die  Suefe  Frucht  Fraw  libanet,  — 
4645  Den  felben  Namen  Sie  da  het 

In  dem  tauff  gelafenn  vohr, 

Sie  Ward  geuennet  Beaflor,  — 

Die  Eein  vnnd  die  gehewer 

Thete  auch  Ir  guthe  ftewer 
4650  In  allenn  guteun  Sacheuu: 

Sunft  künde  Sie  wol  Machenn, 

Das  Ir  lob  vil  Weyth  erfchall. 

Die  hettenn  Freude  one  zal, 

Darunther  Richtenn  Sie  Auch  Ir  lehn, 
4655  Das  der  Sele  dorth  warde  gegebenn 

Das  Immer  Wernde  hayl. 
Bl.  119''   Got  Wolle,  das  vnns  der  felb  theyl 

Auch  Im  himelreich  dort  werd  gegebn, 

So  Ein  Ende  hath  vnfer  lebenn, 
4660  Das  Es  gefchech  on  alle  miffewenndt! 

Dits  Buch  hath  hie  Ein  Endt. 

Mit  den  Schlusszeilen  der  von  Bartsch  herausgegebenen  heidin 
(Md.  Ged.  s.  72)  haben  die  obigen  verse  der  Goth.  hdschr.  natürlich 
nichts  gemein ,  aber  sie  zeigen  in  ihrem  lezten  ende  einen  deutlichen 
anklang  an  den  schluss  des  gedichts  in  v.  d.  Hagens  Ges.  Ab.  (I,  s.  439), 
wenn  es  dort  heisst: 

Sie  bäten  guot  und  ere 
vür  ba^  immer  mere 
Beide  biz;  an  iren  tot; 
sie  bäten  nie  kein[e]  not, 
1895  Und  lebten  do  mit  schulden 
gar  nach  Gotes  hulden. 
Also  gelank  dem  Kristeu  man 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.    XI.  29 


450 


mit  der  vroiiwen  wolgetän 
An'  alle  missewende. 
hie  hat  da^  biioch  ein  ende. 
Noch  ba^  niüe:^'  uns  gelingen 
an  allen  unsern  dingen! 

GOTHA,  OCTOBER  1879.  KAEL  REGEL. 


ÜBER  DEUTSCHE   DIALECTFORSCHUNG. 

Ich  übergebe  hiermit  dem  piiblikum  einen  aufsatz,  den  ich  als 
vertrag  in  der  germanistischen  section  der  philologenversamlung  zu  Trier 
in  diesem  jähre  gehalten  habe.  Die  veranlassung  zu  demselben  gab 
ein  beschluss  der  germanistischen  section  zu  Gera  im  jähre  1878.  Hier 
wurde  eine  antwort  des  reichskanzleramtes  mitgeteilt,  in  der  die  Unter- 
stützung der  Frommannschen  Zeitschrift  für  deutsche  dialecte  abgeschla- 
gen und  die  in  derselben  befolgte  methode  als  nicht  zweckentsprechend 
bezeichnet  wurde.  Ich  stelte  darauf  bei  der  section  den  antrag,  dem 
reichskanzleramte  statt  jener  Zeitschrift  die  gründung  einer  reihe  von 
dialectgrammatiken  zur  Unterstützung  zu  empfehlen,  die  nach  gemein- 
samem plane  gearbeitet  ein  volles  und  treues  bild  des  betreffenden 
dialectes  geben  selten.  Man  acceptierte  den  verschlag  und  übertrug 
einer  commission,  bestehend  aus  dem  versitzenden  prof.  Sievers,  den 
Professoren  Paul  und  Braune,  dem  dr.  Winteler  und  mir  die  aus- 
arbeitung  einer  vorläge  für  die  diesjährige  versamlung  in  Trier.  Die 
von  mir  der  commission  vorgelegten  vorschlage  wurden  gebilligt  und 
der  nachfolgende  in  Trier  zur  empfehlung  der  thesen  gehaltene  ver- 
trag führte  dazu ,  dass  sich  die  section  mit  dem  wissenscbaftlichen  teile 
derselben  einverstanden  erklärte,  dass  sie  jedoch  meinte,  das  unter- 
nehmen müsse  erst  noch  weiter  vorbereitet  werden ,  ehe  es  dem  reichs- 
kanzler  zur  Unterstützung  unterbreitet  werden  könne,  vor  allem  müsten 
erst  männer  der  Wissenschaft  gewonnen  werden,  welche  die  ausarbei- 
tung  von  grammatiken  übernähmen,  es  müste  ferner  mit  einer  buch- 
handlung  der  kostenanschlag  genau  besprochen  werden.  —  Diese  auf- 
gäbe wurde  der  in  Gera  gewählten  commission  übertragen. 

Auf  den  wünsch  der  germanistischen  section  in  Trier ,  den  Vortrag 
und  die  thesen  zu  veröffentlichen,  und  getragen  von  der  hofnuug,  hier- 
durch das  unternehmen  zu  fördern,  übergebe  ich  denselben  dem  wis- 
senschaftlichen publikiim  mit  der  bitte,  unser  unternehmen  zu  unter- 
stützen zum  Segen  der  Wissenschaft  und  der  deutschen  nation. 


J 


ÜBER  DEUTSCHE   DIALErTPORSCHUNG  451 

Schon  der  begründer  der  deutschen  grammatik  und  der  mitbegrüu- 
der  des  historisch -genetischen  Sprachstudiums  überhaupt,  J.  Grimm, 
hat  es  im  interesse  seiner  deutschen  grammatik  bedauert,  dass  ihm 
so  wenig  sichres  Sprachmaterial  aus  den  dialecten  zur  Verfügung  stände. 
Das  wort  des  meisters  und  das  unmittelbare  gefühl  von  der  Wichtigkeit 
der  deutschen  dialecte  für  die  Sprachgeschichte  der  germanischen  Völ- 
ker hat  eine  rege  tätigkeit  auf  dialectischem  gebiete  entwickelt.  Um 
nur  weniges  zu  nennen ,  so  entstand  Firmenichs  umfassende  samlung 
von  dialectproben ,  seine  Völkerstimmen ,  Schmeller  begann  seine  bahn- 
brechenden arbeiten  über  das  Bairische ,  Weinhold  entwarf  den  gross- 
artigeu  plan,  die  sämtlichen  deutschen  dialecte  von  der  ältesten  zeit 
bis  auf  die  gegenwart  grammatisch  zu  behandeln  und  veröffentlichte 
seine  alemannische  und  bairische  grammatik,  die  Frommannsche  Zeit- 
schrift wurde  in  das  leben  gerufen  und  hat  es  auf  sieben  bände  gebracht, 
Müllenhoff  bearbeitete  den  dialect  seiner  dithmarschen  heimat,  Schlei- 
cher schrieb  über  die  Sonneberger,  Regel  über  die  Ruhlaer  mundart, 
Birlinger  erhob  in  einer  reihe  von  arbeiten  das  schwäbische  idiom  zu 
seiner  lebensaufgabe.  Ich  sehe  ganz  ab  von  den  samlungen  volkstüm- 
licher redensarten ,  lieder ,  Idiotismen  und  der  dialectdichtung.  Und 
trotz  der  regen  tätigkeit  für  erforschung  der  deutschen  dialecte  müssen 
wir  gestehen,  dass  unsere  kentnis  der  dialecte  eine  durchaus  unzurei- 
chende und  ungenaue  ist.  Das  material  ist  unvolständig  gesammelt, 
wir  kennen  ein  Stückchen  von  diesem ,  ein  Stückchen  von  jenem  gebiete, 
ohne  dass  wir  immer  im  stände  wären,  scharf  zu  sondern  und  zu 
bestimmen,  diese  eigentümlichkeit  gehöre  dem,  jene  einem  anderen 
Sprachgebiete  an;  —  die  lautbezeichnung  ist  ungenau;  die  wortsam- 
lung  ist  beherscht  von  dem  streben,  merkwürdige,  absonderliche  worte 
an  das  tageslicht  zu  ziehn  und  vernachlässigt  das  al tägliche  und 
gebräuchliche.  Kurz  die  dialectischen  mitteilungen  tragen  fast  sämt- 
lich den  Stempel  einer  mangelhaften  methode ,  vielfach  den  Charakter 
des  dilettantismus.  Die  dialectforschung  muss,  wie  jede  junge  Wissen- 
schaft, erst  die  wehen  der  blossen  liebhaberei  überwinden,  um  in  die 
ruhigen  bahnen  einer  zweckbewusten  methode  einzulenken.  Erst  dann 
wird  man  nicht  mehr  verächtlich  die  achsel  zucken  über  eine  verdor- 
bene spräche,  worunter  man  die  mischdialecte  verstellt,  erst  dann 
wird  man  nicht  mehr  in  dem  festen  gestein  oder  dem  lockeren  geröll 
eines  dialects  herumsuchen,  um  einen  absonderlich  gefärbten  stein  oder 
eine  singulare  Versteinerung  zu  finden,  sondern  das  gestein  selbst  wird 
man  seiner  art  nach  zu  bestimmen  und  zu  beschreiben  suchen;  —  erst 
dann  werden  sich  auch  so  viele  wissenschaftliche  Vertreter  der  germa- 

29* 


452  WEGENER 

nistik  nicht  mehr   stolz   von  der  mundartlichen  forschuug  fern  halten, 
sondern  wacker  hand  anlegen,  jeder  zu  seinem  teile. 

Die  wissenschaftliche  beschreibung  eines  gegenständes  oder  Vor- 
ganges ist  nicht  so  einfach,  als  es  auf  den  ersten  blick  erscheinen  mag, 
sie  sezt  eine  feine  und  allseitige  beobachtung  desselben  voraus  und 
diese  wider  eine  scharfe  erkentnis  von  der  algemeinen  uatur  derselben, 
eine  erkentnis,  die  dem  forscher  den  zweck  ijnd  damit  die  gesichts- 
punkte  der  beobachtuug  stets  deutlich  und  klar  in  das  bewustsein  tre- 
ten lässt.  So  muss  der  dialectforscher  den  grossen  zweck  verfolgen, 
zu  seinem  teile  einen  baustein  zur  construction  der  Sprachgeschichte 
zugehauen  und  fertig  gestelt  zu  liefern.  Seine  methode  muss  also  die- 
selbe sein  wie  die  der  historischen  Sprachforschung  überhaupt. 

Die  erkentnis  von  dem  wesen  der  spräche  führt  zunächst  auf  die 
natur  der  laute,  speciel  der  sprachlaute.  Die  lehre  von  den  sprach- 
lauten ist  die  lautphysiologie.  Die  fortschritte  auf  dem  gebiete  dieser 
modernsten  Wissenschaft,  die  erkentnis  der  modernen  Sprachforschung, 
dass  ohne  sie  eine  wissenschaftliche  grammatik  oder  Sprachgeschichte 
mimöglich  sei,  lassen  die  zahlreichen  arbeiten  über  dialecte  als  wenig 
oder  doch  nur  einseitig  brauchbar  erscheinen.  Die  von  Brücke  begrün- 
dete wissenschaftliche  erforschung  der  sprachlaute  hat  durch  Sievers 
Grundzüge  der  lautphysiologie  (Leipzig  1876)  eine  für  den  Sprachfor- 
scher höchst  wichtige  Weiterentwicklung  erfahren  und  fast  gleichzeitig 
hat  Winteler  in  seinem  vortref liclien  buche ,  die  Kerenzer  mundart  des 
kantons  Glarus  (Leipz.  und  Heidelberg  1876)  an  dem  speciellen  sprach- 
stoffe  seiner  heimat  eine  reihe  von  beobachtungen  über  natur  und  Cha- 
rakter der  sprachlaute  und  des  physiologischen  lautlebens  überhaupt 
veröffentlicht,  die  einen  tiefgreifenden  fortschritt  für  die  spracherkent- 
nis  bezeichnen.  Hat  die  theoretische  erkentnis  der  organischen  laut- 
bildung  ohr  und  beobachtung  für  dialectforschung  geschärft,  so  hat 
andrerseits  die  lautphysiologie  von  der  Untersuchung  der  historisch 
gegebenen  laute  bereicherung  und  berichtigung  in  reichem  masse  erfah- 
ren und  ferner  zu  erwarten.  Ich  erinnere  nur  an  die  wichtige  richtig- 
stellung  des  Verhältnisses  von  media  und  tenuis. 

Doch  man  würde  sehr  fehl  greifen,  wolte  man  das  dialectstudium 
auf  den  zweck  beschränken,  stoflf  für  den  lautphysiologen  zu  fördern. 
Für  den  Sprachforscher  ist  die  lautphysiologie  ja  überhaupt  nicht  Selbst- 
zweck, sondern  unentbehrliche  hülfswissenschaft.  Die  dialecte  bieten 
der  gesamten  Sprachforschung  wichtiges  material  und  bilden  daher  wie 
jede  einzelne  spräche  ein  fruchtbares  erkeutnisobject.  —  Ich  sehe  davon 
ab,  dass  jedes  sprachliche  gejilde  auf  erforschung  gleichen  anspruch 
hat,  mag  es  nun  dem  vornehmen  gebiete  der  griechischen   oder  latei- 


ÜBER  DEUTSCHE   DIALECTPORSCHUNG  453 

uischen  spräche  ,  oder  den  engen  grenzen  eines  bescheidenen  deutschen 
dialects  angehören.  Die  Sprachwissenschaft  ist  seit  Bopp  und  Grimm 
aus  ihrer  isolierten  concentratiou  auf  einzelne  wichtige  cultursprachen 
herausgetreten  uud  sucht  die  vereinzelte  sprachform  in  dem  grossen 
zusammenhange  der  Sprachgeschichte  zu  erfassen. 

Wie  die  politische  geschichte  schliesslich  zu  dem  grossen  gesamt- 
bilde  der  Weltgeschichte  hinstrebt,  aber  ihrem  ziele  noch  fern  absteht, 
so  lassen  sich  zwar  auf  dem  gebiete  der  Sprachgeschichte  eine  reihe 
von  geschichtlichen  zusammenhängen  und  chronologischen  folgen  erken- 
nen, vor  allem  in  der  geschichte  der  indogermanischen  sprachen,  — 
aber  auch  hier  ist  der  weg,  den  die  spracheutwicklung  genommen,  im 
einzelnen  noch  unkentlich,  deutlich  erkenbar  ist  meist  nur  der  aus- 
gang'spunkt  und  das  endziel  einer  sprachlichen  bewegung,  ob  die  linie 
zwischen  beiden  punkten  eine  gerade ,  und  welches  der  treibende  motor 
der  bewegung  gewesen,  diese  fragen  sind  fast  sämtlich  noch  probleme. 
Da  muss  das  Studium  der  einzelnen  sprachzweige,  -äste  und  -ästchen 
ergänzend  eingreifen.  Ein  solcher  sprach  zweig  ist  auch  das  Germa- 
nische, dessen  älteste  dialecte  uns  erhalten  sind  in  einer  reihe  von  auf- 
zeichnungen,  —  aufzeichnungen  von  der  schwerfälligen  band  fleissiger 
mönche  des  mittelalters.  Lesen  und  schreiben  hatten  sie  gelernt  an 
den  büchern  und  Schriften  der  alte  und  neue  cultur  vermittelnden 
Römer.  Die  lateinischen  buchstaben  übertrugen  sie  auf  ihre  heimat- 
sprachO;  mochte  der  klang  der  lateinischen  und  deutschen  laute  sich 
noch  SO  fern  stehn.  Das  gleiche  zeichen  für  den  germanischen  uud 
lateinischen  laut  hat  zunächst  zu  dem  irtume  geführt,  als  seien  darum 
auch  beide  laute  gleichwertig,  und  als  entspräclien  diese  laute  wider 
dem  laute,  den  der  leser  nach  Jahrhunderten  seinem  dialecte  folgend 
bei  dem  zeichen  spricht. 

Mau  kann  den  unterschied  von  lautzeichen  und  laut  nicht  scharf 
genug  betonen,  mit  der  kentnis  des  buchstabens  ist  uns  die  natur  des 
lautes  noch  längst  nicht  erschlossen.  Unsere  kentnis  der  alten  dialecte 
Germaniens  ist  eine  durchaus  ungenügende.  Die  Sprachwissenschaft  hat 
nun,  wenn  auch  zunächst  nur  in  den  gröbsten  zügen,  eine  methode 
entwickelt ,  die  aus  den  Veränderungen ,  welchen  ein  laut  unterliegt ,  auf 
die  echte  qualität  des  lautes  zurückschliesst ;  gegen  einen  schluss ,  dass 
ndd.  wif  mit  f  im  auslaute  auf  spirantische  natur  des  h  in  unhe  zu- 
rückgeht ,  während  hd.  tvip  auf  den  verschlusslaut  h,  lässt  sich  schwer- 
lich etwas  einwenden.  Zu  voller  Sicherheit  einer  solchen  methode  ist 
jedoch  eine  Übersicht  über  sämtliche  Veränderungen  des  alten  lautes 
notwendig,  d.  h.  eine  volständige  samlung  des  einschlägigen  dialect- 
materials.     Selbstverständlich   muss   die  kentnis   des   modernen   lautes, 


454:  WEGENEE 

der  sich  aus  dem  seiner  qualität  nach  unhekauten  älteren  laute  ent- 
wickelt hat,  genau  sein,  sonst  steht  der  Sprachforscher  dem  unlösbaren 
Probleme  gegenüber,  aus  einer  unbekanten  eine  andere  unbekante  zu 
finden.  —  Somit  ist  als  erste  anforderuug  an  die  dialectologie  zu  stel- 
len: genaue  lautphysiologische  beschreibung  eines  jeden 
sprachlautes. 

Doch  auch  die  genauste  beschreibung  der  sprachbildenden  facto- 
ren  bei  jedem  einzelnen  laute  würde  für  die  Sprachgeschichte  wertlos 
sein,  wenn  sie  nicht  wüste: 

1)  welchem  altgermanisch eu  laute  entspricht  der  moderne  laut, 

2)  unter  welchen   Verhältnissen  verändert   sich   der  eine  laut  in 
einen  anderen? 

Die  erste  frage  führt  zu  der  forderung ,  die  dialectgrammatik  muss 
eine  vergleichung  zwischen  dem  alten  und  neuen  laute  anstellen.  — 
Kaum  wird  sich  die  dialectologie  dieser  anforderung  entziehn ,  die  aus- 
führung  jedoch  ist  in  den  verschiedenen  grammatischen  aufzeichnungen 
eine  sehr  verschiedene.  Meist  geht  die  grammatik  von  dem  modernen 
laute  aus,  so  bei  Weinhold,  Jellinghausen ,  Franz  Koch  die  Verdener 
mundart,  und  sagt  z.  b. :  „u  erscheint  selten;  wo  es  sich  findet,  gibt 
es  in  der  regel  ags.  ü  oder  u  wider"  (Fr.  Koch).  Diese  anordnung 
würde  zweckentsprechend  sein,  wenn  es  der  dialectgrammatik  darum 
zu  tun  wäre ,  einem  Germanisten  den  grammatischen  Schlüssel  zu  einer 
dialectprobe  zu  geben  oder  ihn  in  den  stand  zu  setzen,  einen  dialect 
sprechen  zu  lernen.  Die  wissenschaftliche  aufgäbe  der  dialectgramma- 
tik war  es  dagegen ,  dem  forscher  einen  überblick  über  die  Veränderun- 
gen zu  geben,  die  ein  germanischer  laut  im  einzelnen  erfahren  hat. 
Er  wird  z.  b.  zu  erfahren  wünschen ,  was  ist  aus  german.  g  im  dialecte 
geworden:  bei  Weinhold  würde  er  unter  sämtlichen  gutturalen,  unter 
7,  unter  h,  unter  ausfall  des  lautes  zu  suchen  haben,  und  hätte  doch 
nicht  volle  gewissheit,  dass  er  alle  Veränderungen  aufgefunden  hätte. 
Eine  wissenschaftliche  grammatik  hat  zu  sagen ,  altgerm.  g  wird  im 
dialecte  1)  zu,  2)  zu  u.  s.  f. 

Bei  dieser  art  der  gruppierung  ergibt  sich  zugleich  für  den  dia- 
lectgrammatiker  die  nötigung  zu  prüfen,  unter  welchen  Verhältnissen 
der  laut  in  diesen,  unter  welchen  Verhältnissen  in  jenen  laut  übergeht. 
Um  ein  beispiel  zu  geben:  In  dem  ndd.  dialecte  meiner  heimat  (Mag- 
deburg)  und  der   benachbarten  Altmark  ^  wird   das   nicht  umgelautete 

1)  Das  kurze  o  ist  das  helle  dem  a  nahestehende  o^  im  dialecte,  das  lange 
ö  =  ö8,  ebenso  e  =  ä,  e  =  e,^  (dem  i  nahestehend),  au  =  oHi,  ö  =  ö^,  ö=ö^. 
Der  dem  o^  entsprechende  lange  vocal  ist  oa  geschrieben. 


ÜBER   DEUTSCHE   DIALECTFOBSCHUNG  455 

altgerm.  a  1)  a,  2)  toulang  zu  oa  (ö^);  doch  in  dät  imd  Mt  (habet) 
in  der  Altmark  zu  ä.  Der  grammatiker  wird  den  grund  dieser  erschei- 
nung  aufsuchen,  er  wird  sagen:  In  den  proklitischen  Worten  dät,  hat 
tritt  a  in  ä  über.  Einzelne  worte  zeigen  kurzes  o,  altmrk.  äikot  (eich- 
katze) ,  frilntsop  u.  s.  f. ,  d.  h.  in  tieftonigen  ableitnngssilben  wurde  a 
zu  0.  —  Tritt  vocalverkürzung  eines  tonverlängerten  a  ein,  so  wird 
der  laut  umgelautet  zu  ö^:  droapd  drögst  {moako  mökst).  Für  frünt- 
sop  tritt  jezt  fast  durchgehend  früntsaft  ein,  d.  h.  hochdeutsche  ablei- 
tungssilbe  und  a  statt  o. 

Gibt  die  grammatik  genau  die  bedingungen  an,  unter  denen  ein 
laut  in  einen  anderen  gewandelt  wird,  so  entwickelt  sie  lautgesetze. 
Die  bunte  mannigfaltigkeit  von  lautverimderungen  auf  lautgesetze  zurück- 
zuführen, muss  als  eine  der  hauptsächlichsten  aufgaben  der  Sprachfor- 
schung angesehen  werden.  Und  schwerlich  würde  dieses  streben  auf 
irgend  welchen  widersprach  stossen,  wenn  die  ausführung  nicht  einer 
menge  von  Schwierigkeiten  begegnete.  Die  strenge  durchführung  der 
lautgesetze  ist  in  einer  grossen  menge  von  fällen  aufgehalten  durch  das 
bestreben  der  spräche ,  die  formen  eines  wortes ,  die  zu  einer  einheit 
zusammenzufassen  sind,  auch  in  der  form  gleich  oder  ähnlich  zu 
machen ,  oder  worte ,  die  ihrer  form  oder  bedeutung  nach ,  mit  anderen 
Worten  gewisse  Übereinstimmungen  aufweisen ,  nach  demselben  bildungs- 
gesetze  zu  behandeln  wie  die  lezteren,  ich  erinnere  an:  icli  frug  von 
ich  frage  im  auschluss  an  ich  trug  von  ich  trage.  —  So  gilt  in  mei- 
ner heimatsmundart  als  regel  die  beseitigung  des  d  in  der  IL  und  III. 
pers.  sing.  ind.  praes.  ohne  rücksicht  darauf,  ob  das  verbum  stark  oder 
schwach  flectiert:  also 

Jcrij^d,     krigst,     krigt 

sriwi),     srüfst,     srüft 

j'ew9,     jHfst,      jHft 

dririkd,   drir]kst,  drirjkt 

säT]k9,     säi]kst,     sär]M 

där]kdf    därjkst,    därjkt 

löpe,       löpst,       löpt. 
Ebenso  bei  bildung  der  feminina  von  familiennamen : 

Smät ,       Smätsd 
Höhöm,    Hobömsd. 
Ist  jedoch  der  den  stamm  schliessende  laut  eine  tönende  spirans  oder  rj, 
so   behält  man   das  d   bei  in   sämtlichen  schwachen  verben   und    den 
weiblichen  namensbildungen : 

leivd,      lewdst,       letvdt 
he^jd  ^     hej^9st,      hej^dt 


456  WEGENER 

spritp ,  sprirpst ,  sprirjdt 
Klewd,  Klewdsa 
Höpd,  HöpdSd  (Höding). 
Der  grund  ist  deutlich,  man  scheut  sich  die  weiche  spirans  j,  w  und 
den  nasal  i]  in  die  tonlose  spirans  resp.  rik  umzuwandeln,  ein  vor  s 
und  t  notwendiger  lautwechsel.  Die  starken  verha,  welche  in  der 
I.  pers.  einen  anderen  vocal  aufweisen  als  in  der  IL  und  III.  person, 
lässt  man  unangetastet  in  ihrer  lautveränderten  gestalt:  j^ewd ,  jHfsf, 
da  der  widereinsatz  des  9  noch  nicht  zu  der  zu  j^ewd  lautrecht  stim- 
menden form  *j^6iV9st  führen  würde.  Dagegen  in  spri7]9,  Jclirjd,  sirjd, 
wo  die  I.  und  IL  person  gleichen  vocal  aufweisen,  schüzt  man  den 
stamm  vor  Veränderung  durch  einsetzen  des  9 :  sprhp ,  sprirjdst.  —  Der 
von  Schambach  lexicalisch  dargestelte  Göttingisch  -  Grubenhagensche 
dialect  dehnt  der  gleichmässigkeit  halber  den  widereinsatz  des  e  auch 
auf  andere  fälle  aus,  also  läpe  löppest,  und  doch  kann  der  kurze  vocal 
in  löppest  nur  aus  der  consonantenhäufung  erklärt  werden.  Und  selbst 
diese  form  läppst  löppt  widerspricht  einem  anderen  lautgesetze,  was 
sich  aus 

Mpd,     köfst,    köft,     dkoft 
döpdy     döfst,     döft,     ddoft 
ergibt,  wonach  p  vor  s  und  t  in  tonlose  spirans  f  übertritt. 

Die  beispiele  mögen  als  nachweis  für  die  analogiebildende  kraft 
in  der  Sprachgeschichte  genügen.  Und  schwerlich  sträubt  sich  auch 
irgend  ein  Sprachforscher,  im  princip  die  analogie  als  wichtigen  factor 
anzuerkennen ,  wenn  auch  bei  beurteilung  des  einzelnen  falls  die  ansich- 
ten  über  die  gestalt  des  lautgesetzes  und  die  einwirkung  der  analogie 
sehr  verschieden  ausfallen  mögen.  Es  wäre  ja  wunderbar,  wenn  in  der 
kurzen  zeit,  seit  der  man  diese  beiden  faktoreu  der  Sprachgeschichte 
zu  sondern  bestrebt  ist ,  schon  alles  richtig  erkant  und  begründet  wäre. 
In  vielen  fällen  gehört  eine  reiche  fülle  von  material  zur  entwicklung 
eines  lautgesetzes  und  eine  kentnis  von  sprachgeschichtlichen  tatsacheu, 
die  noch  nicht  klar  gestelt  sind. 

Wird  daher  als  princip  aufgestelt,  die  lautgesetze  zu  entwickeln 
und  die  fälle,  in  denen  es  durchbrochen  ist,  nach  zwei  gesichtspunk- 
ten  zu  sondern,  1)  nach  der  analogie  im  dialecte  selbst,  2)  nach  ana- 
logie a)  eines  nachbardialects  und  b)  der  Schriftsprache,  so  ist  damit 
ein  weg  gewiesen,  der  eingeschlagen  werden  soll,  ohne  dass  in  jedem 
einzelnen  falle  zu  erwarten  wäre,  dass  wirklich  das  alte  lautgesetz 
wider  aufgefunden  würde.  Sobald  die  analogiebildung  einem  lautgesetze 
gegenüber  einen  grösseren  umfang  gewint,  so  verändert  sich  eben  das 
unmittelbare  bewustsein  des  volkes  vom  lautgesetze  selbst.     Und  dieses 


ÜBER   DEUTSCHE   DIALECTFOBSCHUKG 


457 


bewustsein  steht  in  directem  Widerspruch  mit  der  rein  mechanisch  trei- 
benden kraft  der  physiologischen  laiitbildung,  kann  aber  unter  umstän- 
den die  gesamtstellung  der  organe  beeinflussen.  In  solchen  fällen  ist 
es  nicht  möglich,  aus  dem  lautbestande  eines  einzelnen  dialects  heraus 
das  alte,  vielleicht  im  mittelalter  kräftige  lautgesetz  zu  entwickeln. 
Audi  hierfür  will  ich  ein  beispiel  aus  meiner  heimat  anführen.  Hier 
gilt  jezt  als  lautgesetz:  d  fält  nach  vocalen  aus,  nur  vor  ?,  r,  n  nach 
kurzen  vocalen  verdoppelt  es  sich,  oder  richtiger  wird  lang  und  bildet 
mit  der  folgenden  liquida  die  unbetonte  silbe,  also  moddr,  kaddln, 
dsnäddn.  Abweichend  werden  tvedr  (tempestas) ,  hUdr  (folia)  und  war 
neben  wäddr  (rursus)  behandelt.  Lässt  sich  nun  auch  bei  war  (rursus) 
der  grund  in  dem  proklitischen  und  enklitischen  gebrauche  sehn,  so 
bleibt  weor  und  Ueor  unerklärt.  —  Ebenso  wenig  erklärt  sich  das  t  in 
noatl,  nach  dem  lautgesetze  wäre  naddl  zu  erwarten.  —  Für  leiter 
finden  sich  auf  demselben  gebiete  die  formen  lättr,  läddr,  Icdro;  lässt 
sich  hier  das  t  ohne  Schwierigkeit  als  hchd.  einfluss  ansehn ,  so  weisen 
doch  läddr  und  laird  auf  verschiedene  behandlungsweisen  des  d  hin. 
Noch  vermehrt  wird  die  Schwierigkeit  durch  spoapdn  (spaten),  moapd 
(made)  mit  Übergang  des  d  zu  p.  Es  wäre  unbillig,  wolte  man  in 
solchem  falle  vom  Specialgrammatiker  die  entwicklung  des  alten  laut- 
gesetzes  verlangen ,  das  sicherlich  in  gewissen  fällen ,  in  denen  wir  jezt 
ausfall  des  d  zu  constatieren  haben ,  Übergang  in  j  enthalten  haben 
wird.  Darauf  weist  der  nachbardialect  in  der  Altmark  um  Stendal, 
der  an  stelle  des  in  meiner  heimat  ausgefallenen  d  j  oder  mit  besei- 
tigung  von  auslautendem  <?  i  aufweist:  j^üi  (boni),  roapd  (rate).  Selbst- 
verständlich erfordert  die  volle  aufklärung  dieser  lautwandlungen 
1)  Übersicht  über  sämtliche  verwante  dialecte ,  2)  genaue  kenntnis  der 
entsprechenden  lautübergänge  im  mittelalter.  —  In  fällen,  wie  der  eben 
geschilderte,  begnügt  sich  der  Specialgrammatiker  die  abweichungen 
als  ausnahmen  zu  verzeichnen. 

Aus  dem  gesagten  glaube  ich  ergibt  sich  die  berechtigung  der 
folgenden  thesen : 

Die  anläge  der  grammatiken: 

a)  Sie  sollen  zuerst  eine  genaue  lautphysiologische 
beschreibnng  aller  im  einzelnen  dialecte  vorkom- 
menden laute  geben. 

b)  Sie  sollen  eine  Übersicht  enthalten  über  die  Ver- 
änderungen, welche  die  altgermanischen  laute  im 
betr.  dialecte  erfahren  haben. 

Anm.  1.  In  der  anordnung  ist  somit  jedesmal  der  altger- 
manische laut  zu  gründe  zu  legen.    Bei  angäbe  des  modernen 


458  WEGENER 

lautes    ist    auf   die    lautphysiologische    Übersicht    im    ersten 
teile  zu  verweisen. 

Anm.  2.  Die  Veränderungen  sind  in  feste  lautgesetze 
zu  fassen,  wobei  der  unterschied  von  hochbetonter,  tief- 
toniger  und  tonloser  silbe  durchzuführen  ist;  ebenso  die 
parallelen  einwirkungen  von  enklisis  und  proklisis. 

Anm.  3.     Hinter  dem  lautgesetze  sind  jedesmal  die  fälle 
zu  verzeichnen,  in  denen  das  lautgesetz  durchbrochen  ist: 
a)  nach  analogie  anderer  formen  desselben  dialects, 
ß)  durch  aufnähme  von  formen  der  Schriftsprache  oder 
eines  nachbardialects. 

Es  bleibt  uns  hierbei  noch  übrig  auf  eine  schwierige,  viel  discu- 
tierte  frage  einzugehn,  die  schon  einmal  der  gegenständ  der  beratung 
auf  einer  philologenversamlung  gewesen  ist ,  ich  meine  die  lautbezeich- 
nung.  —  Ohne  voraufgegangene  beschreibung  der  Organstellung  bei 
jedem  einzelnen  laute  würde  eine  graphische  bezeichnung  derselben  nicht 
genügend  sein,  obgleich  die  Wissenschaft  in  ziemlicher  fülle  mittel  zur 
bezeichnung  der  lautnuancen  aufgestelt  hat.  Eine  einigung  über  ein 
linguistisches  aiphabet  fehlt  leider  noch  immer.  Es  liegt  in  diesem 
mangel  an  einigkeit  entschieden  ein  starkes  hemnis  für  die  entwicklung 
der  dialectforschuug  und  eine  besondere  Schwierigkeit,  wenn  es  sich 
darum  handelt,  eine  grössere,  zusammenhängende  serie  von  dialec- 
tischen  grammatiken  in  das  leben  zu  rufen.  Es  sind  eine  ganze  reihe 
von  guten  vorschlagen  zu  einer  gemeinsamen  lautbezeichnung  gemacht, 
aber  auch  hier  ist  es  gegangen,  wie  so  oft  im  leben,  das  gute  ist 
unberücksichtigt  geblieben  eines  möglicherweise  bessern  wegen.  Sieht 
man  die  sache  praktisch  an,  so  muss  man  sich  fragen,  woher  schöpft 
der  Philologe  seine  kentnisse  über  die  lautunterschiede  und  in  welcher 
graphischen  form  prägen  sich  ihm  die  verschiedenen  laute  ein?  Die 
gangbaren  lehrbücher  sind  Druckes  und  Sievers  lautphysiologie ,  nach 
meiner  Überzeugung  kann  daher  nur  eine  von  den  beiden  in  diesen 
werken  durchgeführte  lautbezeichung  für  uns  in  betracht  kommen.  Denn 
die  frage  der  praktischen  Verwendbarkeit  eines  alphabets,  d.  h,  eines 
communicationsmittels ,  untersteht  nicht  einer  rein  theoretischen  ent- 
scheidung,  die  machtfrage  ist  hier  von  durchschlagender  bedeutung. 
Nun  sind  Druckes  und  Sievers  lautzeichen  dem  philologischen  publikum, 
für  das  die  dialectgrammatiken  berechnet  sind,  bekant,  Sievers  Unter- 
suchungen führen  weiter  als  die  Drückeschen ,  er  behandelt  auch  die 
Silben-  und  Wortbildung,  sowie  den  lautwandel,  Sievers  darstellungs- 
weise gibt  auskuuft  über  die  methode,  die  physiologischen  lautunter- 
schiede zu  constatieren  und  nimt   in   viel  ausgedehnterem  masse  rück- 


ÜBER   DEUTSCHE   DIALECTFORSCHÜNG 


459 


sieht  auf  die  lautverhältnisse  der  lebeüden  sprachen  und  dialecte  als 
Brücke.  Die  von  ihm  in  aussieht  gestelte  deutsche  grammatik  und 
vermutlich  auch  die  übrigen  indogermanischen  granimatiken  desselben 
Unternehmens  Averden  sich  an  Sievers  lautbezeichnung  anschliessen. 
Wintelers  Kerenzer  mundart,  die  kein  dialectforscher  unberücksichtigt 
lassen  kann,  stimt  gleichfals  im  wesentlichen  mit  Sievers  überein.  Bei 
solcher  Sachlage  würde  ich  es  für  verderblich  halten,  wolte  unser  unter- 
nehmen die  gesunden  ausätze  zu  einer  einigung  stören  und  nicht  viel- 
mehr fördern.  Aus  diesen  gründen  würde  ich  es  für  das  richtigste 
halten,  die  Sieverssche  lautbezeichnung  den  dialectgrammatiken  zu  gründe 
zu  legen,  ohne  hiermit  ein  abfälliges  urteil  über  andere  vorschlage, 
besonders  über  Kräuters  thesen  (Frommannsche  ztschr.  bd.  7),  die  ich 
den  dialectforschern  zur  Orientierung  nur  empfehlen  kann,  fällen  und 
eine  andere  wissenschaftliche  lautbezeichnung  damit  ausschliessen  zu 
wollen. 

Gibt  eine  grammatik  eine  genaue  phonetische  beschreibung  der 
einzellaute,  eine  genaue  darstellung  des  lautwandels,  so  erwarten  wir 
nach  geläufigen  Vorstellungen  nur  noch  einen  abriss  der  flexions- 
lehre,  natürlich  wider  nach  den  gesichtspuukten  der  genetisch -histo- 
rischen methode.  Diese  methode  erfordert  wider  vergleichung  des 
alten  und  modernen  Sprachbestandes  auf  grundlage  der  altgermanischen 
flexionsverhältuisse.  Es  ist  festzustellen,  welche  numeri  und  casus, 
welche  tempora  und  modi  und  personen  unterscheidet  der  dialect,  sind 
Veränderungen  des  genus  eingetreten,  welche  arten  der  flexiblen  stamme 
sind  noch  in  den  modernen  dialecten  unterscheidbar,  und  welche  form 
haben  sie  angenommen.  Haben  die  verschiedenen  flexionsweisen  auf 
einander  gewirkt  und  wie?  Im  streben  der  spräche  nach  möglichst 
durchgeführter  gleichförmigkeit  der  formbildung  liegt  der  analogistische 
trieb  enthalten,  die  selteneren  flexionsweisen  nach  den  häufiger  vor- 
kommenden umzugestalten ,  starke  substantiva  und  verba  in  die  schwache 
flexion  überzuführen,  seltener  das  umgekehrte,  wie  in  meiner  heimat 
moakd  mauk.  Gerade  die  starken  praeterita  und  participia  sinken  mehr 
und  mehr  zu  Versteinerungen  herab,  die  man  nicht  mehr  nach  einem 
deutlich  empfundenen  bildungsgesetze  reproduciert,  sondern  einzeln  als 
vocabeln  merkt,  eine  erscheinung,  die  sich  auch  in  der  hochdeutschen 
Umgangssprache  widerfindet.  Ein  kind  gebildeter  eitern  wird  sich  früh 
ein  bildungsgesetz  für  das  zusammengesezte  perfectum  entwickeln,  es 
wird  eine  form  von  haben  mit  dem  partic.  praet.  verbinden.  Doch 
lange  zeit  wird  das  kind  sämtliche  participialformen  schwach  mit  -t 
bilden:  ich  habe  gefallt,  gesingt,  gebringt  u.  s.  f.  Die  möglichkeit  der 
freien  starken  praeteritalbildung  nimt  in  demselben  Verhältnisse  ab,  als 


460  WEGENER 

die  zahl  der  starken  verba  beschränkt  wird.  Wie  weit  im  Englischen 
der  Verlust  dieser  alten  bildungsweise  vorgeschritten,  ist  bekant.  Viele 
moderne  deutsche  dialecte  stehen  ziemlich  auf  derselben  stufe ,  —  daher 
haben  wir  den  verschlag  gemacht ,  die  starken  praeterita  und  participia 
zu  sammeln.  Ich  möchte  jedoch  davor  warnen,  nach  blosser  analogie 
verwanter  verba  die  betreffenden  formen  zu  geben,  eine  beobachtung 
des  wirklichen  gebrauchs  ist  hier  dringend  geboten. 

These:  Die  grammatiken  sollen  einen  abriss  der  fle- 
xionslehre    enthalten. 

Anm.    Hierbei   sind  zu  verzeichnen: 
a)   die  substantiva  und  verba,   welche  aus   der  starken 
in  die  schwache  flexion   und  umgekehrt  übergetre- 
ten sind; 
ß)    die  noch   im  dialecte   wirklich   gebrauchten  starken 
praeterita  und   participia. 

Hiermit  hätten  wir  die  gegenstände,  welche  notwendig  einer 
grammatischen  behandlung  unterstehn,  erschöpft,  und  es  ist  nicht  zu 
leugnen,  dass  mit  der  wissenschaftlichen  bearbeitung  aller  der  genan- 
ten punkte  der  historischen  grammatik  ein  material  geboten  würde,  das 
auf  allen  selten  licht  über  sprachgeschichtliche  probleme  verbreiten 
würde.  Und  doch  würde  es  täuschung  sein,  weiten  wir  glauben,  dass 
hiermit  die  Charakteristik  der  dialecte  auch  nur  annähernd  erschöpft 
wäre.  Wir  fühlen  es  unmittelbar ,  dass  wir  durch  die  genauste  nach- 
bildung  der  einzelnen  dialectlaute  noch  nicht  im  stände  sind,  ein  wort 
oder  gar  einen  satz  so  zu  sprechen  wie  der  eingeborne.  Es  bleibt  ein 
gewisses  etwas,  was  auch  der  laie  unmittelbar  hört,  und  woran  er  den 
fremden  dialect  erkent,  eine  eigentümliche  weise  das  wort  und  den 
satz  zu  betonen.  In  Magdeburg  sagt  man  z.  b.  dem  Thüringer ,  dem 
Westphalen  und  Kheinländer  nach ,  er  singe ,  in  Hessen  wurde  von  mir 
gesagt,  dass  ich  sänge.  Der  ausdruck  selbst  beweist,  dass  man  einen 
musikalischen  Vortrag  des  wortes  wie  des  satzes  heraushört.  Und  das 
gehör  täuscht  den  laien  nicht.  Wir  Niederdeutschen  leihen  der  beton- 
ten Stammsilbe  einen  musikalisch  höheren  ton  als  den  unbetonten  Sil- 
ben. Nach  Kräuter  (Fromm.  7,  329)  haben  die  hochdeutschen  dialecte 
im  algemeineii  die  neigung,  die  starken  silben  tief  und  die  schwachen 
hoch  zu  spreclien ,  ähnlich  im  Schwedischen.  Andere  sprachen  und  dia- 
lecte haben  sehr  geringe  oder  gar  keine  musikalischen  differenzen  zwi- 
schen betonter  und  unbetonter  silbe.  Es  ist  deutlich ,  welche  Wichtig- 
keit die  uotierung  des  musikalischen  Intervalls  z.  b.  zwischen  betonter 
und  unbetonter  silbe  für  den  gesamten  Charakter  eines  dialects  hat. 


ÜBER   DEÜTSCHK   DIÄLECTFORSCHÜNG  461 

Aber  es  liegt  hierin  auch  ein  wichtiger  sprachhistorischer  factor 
enthalten:  die  tonhöhe  ist  bedingt  durch  die  zahl  der  Schwingungen, 
in  welche  die  Stirnbänder  versezt  werden.  Die  Stirnbänder  lassen  sich 
mit  einer  geigensaite  vergleichen:  will  ich  auf  dieser  einen  höheren 
ton  hervorbringen,  so  rauss  sie  straffer  angespant  werden,  die  stärke 
des  bogenstrichs  verändert  nur  die  Intensität  und  quantität  des  toues. 
Dem  bogeustriche  entsprechend  ist  der  aus  der  lunge  dringende  exspi- 
rationshub.  Soll  der  musikalische  ton  einer  sprachsilbe  höher  werden, 
so  habe  ich  die  stimbänder  durch  muskelbewegung  stärker  anzuspan- 
nen. Bei  dem  musikalischen  accente  wirken  somit  zwei  factoren,  der 
exspirationsstrom  und  die  muskeltätigkeit ,  d.  h.  die  beiden  hauptfac- 
toren  der  sprachbilduug  überhaupt;  wirkt  auf  der  accentsilbe  nur  der 
exspirationsstrom  ohne  Veränderung  der  stimbänderstellung,  so  ist  ein 
musikalisches  Intervall  zwischen  accentuierter  und  unbetonter  silbe  nicht 
wahrzunehmen. 

In  der  Veränderung  mm  der  exspirationsstärke  und  der  mus- 
keltätigkeit liegen  sämtliche  mechanische  gründe  der  Veränderungen 
enthalten,  die  eine  spräche  von  ihrem  ersten  bestehn  bis  in  ihr  höch- 
stes alter  durchmacht.  Es  unterscheiden  sich  die  einzehien  sprachlaute 
selbst  nach  diesen  gesichtspunkteu ,  so  erfordern  die  tenues  gegenüber 
den  tonlosen  medien  stärkere  exspiration  und  energischere  muskeltätig- 
keit, das  Vernersche  gesetz  lehrt,  dass  in  gleichem  Verhältnisse  ton- 
lose und  tönende  spirans  steht..  Die  affricierte  oder  aspirierte  tenuis 
hat  stärkere  exspiration  als  die  unaspirierte.  Der  affricierte  laut  ts,  pf, 
h/  erfordert  mehr  muskeltätigkeit  als  die  tonlose  spirans  s,  f,  %.  Die 
assimilationsersch einungen  in  der  spräche  beruhen  auf  der  anticipation 
der  orgaustellung  eines  folgenden  lautes  und  der  annäherung  resp. 
gleichmachung  der  orgaustellung  des  ersten  lautes  an  einen  folgenden, 
also  auf  ersparnis  von  muskeltätigkeit.  Der  abfall  von  auslautenden 
cousonanten  und  vokalen ,  das  sogenante  verschlucken  der  silbe  ist  eine 
Unterbrechung  des  exspirationsstroms  durch  zurücksinken  der  organe  in 
die  ruhestellung,  d.  h.  eine  trägheitserscheinung  der  muskelbewegung, 
oder  die  luft  ist  vor  der  zeit  verbraucht ,  sie  kann  daher  die  folgenden 
laute  nicht  mehr  tönen  lassen  u,  s.  f.  Ich  muss  auf  eine  genauere  dar- 
stellung  der  Wirksamkeit  dieser  beiden  hochwichtigen  factoren  an  die- 
ser stelle  verzichten.  Ich  will  nur  die  aufgaben ,  die  sich  für  die  for- 
schung  hieraus  ergeben ,  nennen : 

Man  hat  festzustellen: 
1)  wie  stark  ist   der   exspirationsstrom   auf  der  beton- 
ten   Stammsilbe    im    Verhältnis    zu    allen    folgenden 
oder  vorhergehenden  silben  desselben  wertes. 


462  WEGENER 

2)  Wie  stark  ist  der  exspirationsstrom  jedes  einzel- 
nen lautes  auf  der  betonten  Stammsilbe  gegenüber 
den   folgenden  und  vorhergehenden  unbetonten. 

a)  vor  dem  sonauten  der  betonten  silbe, 

b)  nach  dem  souanten. 

3)  Welches  ist  die  absolute  musikalische  höhe  der 
betonten  silbe,  und  in  welchem  musikalischen  Ver- 
hältnisse steht  diese  zu  den  unbetonten  silben. 

Doch  vergleichen  wir  die  mit  luft  gefülte  lunge  mit  einem  glase 
wasser  und  das  ausströmenlassen  der  luft  mit  dem  austrinken  des  gla- 
ses ,  —  so  sind  verschiedene  möglichkeiten : 

1)  das  glas  lässt  sich  auf  einen  zug  austrinken,  die  zu  verbrau- 
chende luft  auf  einen  hub  ausströmen,  oder  in  mehreren  zügen. 

2)  Das  glas  lässt  sich  niederstürzen  oder  gemächlich  ausschlür- 
fen, ebenso  lässt  sich  die  luft  plötzlich  und  stossweise  aus  der  lunge 
stossen  oder  durch  sanften  almählich  zu-  und  abnehmenden  druck  aus 
der  lunge  drängen. 

Nach  dem  zweiten  gesichtspunkte  richtet  sich  die  form  des  accen- 
tes :  acut ,  gravis ,  circumflex ,  mau  könte  diesen  gesichtspunkt  den  der 
geschwindigkeit  in  ein  -  und  absatz  der  exspiration  nennen ,  von  ihm 
hängt  wesentlich  1)  die  quantität  und  2)  die  Intensität  der  sprachlaute 
ab.  Nach  dem  ersten  gesichtspunkte  richtet  sich  wesentlich  die  grös- 
sere oder  geringere  abschwächung  der  unbetonten  silben  eines  wortes. 

Fügen  wir  diesen  kurzen  andeutungen  über  den  mechanischen 
acceut  noch  hinzu,  dass  auch  der  logische  und  psychologische 
accent  zu  beobachten  ist,  so  können  wir  unsere  bemerkungen  über 
den  accent  schliessen.  Unter  logischem  accente  innerhalb  eines  wortes 
verstehe  ich  z.  b.  die  betonung  von  harfuss,  mit  einem  nebenton  auf 
fuss,  in  folge  des  bewustseius,  dass  -fuss  auch  als  selbständiges  wort 
gebraucht,  eine  stärkere  betonung  erfordert  als  die  in  ihrer  bedeutung 
unklar  gewordenen  flexions-  und  ableituugssilben.  Die  spräche  hat 
nur  noch  auf  wenigen  starken  ableituugssilben  den  nebenaccent  bewahrt, 
ohne  dass  der  sprechende  sich  noch  in  allen  fällen  der  logisch  höheren 
bedeutung  dieser  silben  bewust  wäre,  da  hat  die  Schriftsprache  conser- 
vierend  gewirkt.  Die  dialecte,  denen  ein  derartiges  conservierendes 
normativ  fehlt,  gehen  daher  viel  weiter  in  der  abschwächung,  (z.  b. 
Höding  dJoQV  Höjh ,  häring  :  herijh ,  harfuss  :  harwot ,  hräutigam  :  hrtt- 
g9n,  hulihirt  :  kohor,  ärtfln  (st.  ärtüfln). 

Der  dialectforscher  hat    somit   festzustellen,    wie  weit    sind  auch 
die  in  der  Schriftsprache  mit  einem  nebenton  versehenen  starken  ablei- 


ÜBER    DEUTSCHE   DIALECTFORSCHÜNG  463 

tungssilben  der  Schriftsprache  dem  mechanischen  betonungsprincipe  der 
unbetonten  silben  verfallen? 

Ganz  parallel  der  betouung  des  einzelnen  Wortes  geht  die  des 
ganzen  satzes ,  auch  hier  steht  das  logische  und  mechanische  betonungs- 
princip  im  kämpfe.  Da  wir  es  im  satze  mit  einer  reihe  einzelner 
Worte  zu  tun  haben,  welche  bald  den  stärksten  bald  den  schwäch- 
sten acceut  im  satze  tragen  können,  so  wird  das  bewustsein  von  der 
selbständigen  bedeutuug  der  werte  ein  bei  weitem  stärkerer  factor  sein 
als  im  einzelnen  werte.  Der  verlust,  den  die  logische  betonung  erlit- 
ten, ist  daher  ein  kleiner,  es  sind  die  pro-  und  enklitischen  Wörter, 
die  sich  nach  mechanischem  principe  auch  in  ihrer  lautgestalt  verän- 
dert haben.  Trotzdem  findet  ein  gravitätsverhältnis  statt  zwischen  den 
Worten  vor  und  nacli  dem  logisch  höchst  betonten  worte,  im  satze 
wesentlich  in  derselben  weise  als  im  einzelnen  worte  zwischen  den  Sil- 
ben vor  und  nach  der  hochbetonten  silbe.  Es  ist  wünschenswert  über 
diesen  punkt  sorgfältige  beobachtungen  anzustellen. 

Ebenso  wichtig  ist  die  beobachtung  der  betonungsnüancen 
der  verschiedenen  s  atz  formen,  behauptungssatz ,  fragesatz,  befehl, 
wünsch ,  ausruf  u.  s.  f.  Leider  kann  ich  auf  die  tragweite  solcher 
beobaclitungeu  nicht  eingehn ,  nur  ein  beispiel  will  ich  anführen :  Im 
befehle  spreche  ich  z.  b. :  gib  mir  das  buch,  gib  trägt  den  hauptaccent, 
und  zwar  den  acut ,  die  nachfolgenden  worte  fallen  mehr  und  mehr  im 
tone.  Verwandle  ich  den  acut  in  den  gravis  und  spreche  das  g}b  mit 
offenem  nasencanal  und  wenig  geöifneten  lippen ,  so  wird  das  i  zu  einem 
M- laute,  die  nachfolgenden  Wörter  verlangsamen  in  der  ausspräche, 
der  satz  wird  zum  wünsche.  Man  kann  keinen  augenblick  zweifelhaft 
sein,  dass  diese  und  ähnliche  Verhältnisse  die  praesensbildung  der 
indogermanischen  sprachen  so  ausserordentlich  mannigfaltig  gestaltet 
haben. 

These:  Wünschenswert  erscheint  eine  genaue  beobach- 
tung der  acceutverhältnisse  des  dialects: 

«)   bei  den  vrorten  in  pausa, 

ß)   bei  den  werten  innerhalb  des  Satzgefüges  (Verhält- 
nis vom  wort-  zum  satzaccent). 
Wünschenswert    erscheint    ferner    eine    genaue    angäbe 
der  musikalischen  Intervalle  in  der  rede: 

a)   nach  den  logischen  nüancen  (behauptungssatz,  fra- 
gesatz, ausruf  u.  s.  f.) 

ß)  nach  psychologischen  nüancen  (affecte). 


464  WEGENEE 

IL 

Wir  hatten  oben  die  eiuwirkuQg  der  Schriftsprache  auf  die  deut- 
schen dialecte  kurz  angedeutet.  Die  tatsache  selbst  und  der  grund 
derselben  ist  im  algemeiuen  leicht  ersichtlich ,  die  deutsche  Schrift- 
sprache dient,  —  als  communicationsmittel  der  gesamten  gebildeten 
geselschaft  Deutschlands,  —  allen  denen  als  sprachliche  norm,  welche 
irgend  welchen  ansprach  auf  bilduug  erheben.  Dieser  ansprach  sickert 
täglich  tiefer  und  tiefer  bis  in  die  untersten  Volksschichten  hinein,  die 
schule  und  das  politische  leben,  wie  es  dem  volke  aus  der  politischen 
tagespresse  entgegentritt,  helfen  ein  gut  stück  dazu,  diese  ansprüche 
zu  verbreiten.  Auch  das  prognostikon ,  das  man  auf  grund  dieser 
erscheinung  den  volksdialecten  gestelt  hat,  müssen  wir  als  richtig 
anerkennen,  sie  sind  sämtlich  dem  untergange  geweiht,  dem  almäh- 
lichen  aufgehn  in  der  algewaltigen  Schriftsprache.  Es  ist  notwendig, 
dass  man  sich  diese  tatsache  volkommen  gegenwärtig  hält ,  um  zu  einer 
samlung  der  dialecte  nicht  erst  dann  zu  schreiten,  wenn  alles  oder 
doch  viel  verloren  ist,  aber  auch  um  nach  der  wahren  Sachlage  ohne 
Sympathie  oder  antipathie  die  richtigen  ziele  und  wege  der  dialectfor- 
schung  zu  finden.  Sind  die  dialecte  ein  der  Schriftsprache  anheimgege- 
benes Opfer,  ein  object,  das  bei  steter  beeinflussung  durch  die  spräche 
des  höheren  culturlebens  einer  steten  Umwandlung  ausgesezt  ist,  so  hat 
die  Wissenschaft  ihr  augenmerk  zu  richten  auf  die  fragen: 

1)  wie  weit  hat  sich  dieser  umwandlungsprocess  voll- 
zogen, 

2)  in  welchen  bahnen  schreitet  die  Umwandlung  vor? 
Sprechen  wir  von  dialecten,  so  meinen  wir  in  erster  Knie  damit 

die  spräche  des  bauern  auf  dem  platten  lande,  dialect  ist  uns  in  die- 
sem sinne  etwa  identisch  mit  Volkssprache.  Doch  hören  wir  einen 
gebildeten  Schwaben  auf  der  kanzel  oder  tribüne,  so  sagen  wir  auch 
von  diesem,  er  könne  seinen  schwäbischen  dialect  nicht  verleugnen, 
ohne  dass  er  eine  von  der  Schriftsprache  abweichende  form  oder  ein 
specifisch  schwäbisches  wort  gebraucht.  Unser  urteil  involviert  somit 
die  Vorstellung ,  als  gäbe  es  irgend  eine  feste  norm  der  schriftgemässen 
ausspräche;  ja  wir  verlangen  diese  ausspräche  von  der  gebildeten  decla- 
mation  der  bühne. 

Nach  diesem  idealen  lautbilde  gemessen  hat  auch  der  gebildetste 
Deutsche  wenigstens  im  persönlichen  verkehr  seine  besonderheiten.  Als 
quelle  dieser  besonderheiten  fassen  wir,  wenn  nicht  Ziererei  mit  im 
spiele  ist,  die  heimatliche  spräche,  wie  sie  auf  dem  platten  lande 
gesprochen  wird,    vielleicht  ist   nur   auszunehmen  der  sog.  preussische 


ÜBER    DEUTSCHE    DIALECTFORSCHUNG  465 

officierston,  der  sieb  jedoch  selbst  wider  uacb  dem  märkisch  -  pommer- 
schen  hochdeutsch  gebildet  hat. 

Der  ungebildete  oder  halbgebildete  städter  unterscheidet  sich  in 
seiner  spräche  in  stott'licher  wie  formaler  beziehuug  sowohl  von  dem 
deutsch  der  umwohnenden  bauernschaft  als  der  gebildeten  spräche  der 
höheren  geselschaft.  In  meiner  heimat  mögen  die  abstände  die  stärk- 
sten sein:  der  gewöhnliehe  städter  spricht  hochdeutsch,  gemischt  mit 
einigen  ndd.  werten  wie  kop,  dropni,  nur  kein  schriftgemässes  hoch- 
deutsch. Es  lassen  sich  die  drei  verschiedenen  sprachformen  innerhalb 
eines  kleineren  landschaftlichen  bezirks  als  drei  concentrische  kreise 
um  den  mittelpunkt  der  Schriftsprache  bezeichnen.  Zunächst  dem  mit- 
telpunkte  steht  der  dialect  des  gebildeten,  es  folgt  der  des  halbgebil- 
deten Städters,  schliesslich  die  bauernsprache.  Die  kreise  sind  in  ste- 
ter verengenden  bewegung  begriffen  mit  der  richtung  auf  den  mittel- 
punkt zu,  eine  bewegung,  die  schliesslich  zum  zusammenfallen  mit 
dem  mittelpunkte  führen  kann.  Natürlich  existieren  zwischen  diesen 
drei  kreisen  eine  unendliche  menge  anderer  kreise  je  nach  dem  indivi- 
duellen bildungsgrade  des  einzelnen,  zu  diesen  gehört  z.  b.  das  ergötz- 
liche Bräsigsche  messing  bei  Fr.  Reuter. 

Die  Umwandlung  des  heimischen  Idioms  richtet  sich  also  nach 
der  bildung  des  einzelnen,  Bildung  aber  wird  von  jedem  in  erster 
linie  als  persönliche  kraft  geschätzt,  durch  die  er  im  stände  ist  sich 
anerkennung  zu  erringen,  anerkennung  in  den  socialen  kreisen,  denen 
er  angehört.  Je  gebildeter  daher  die  geselschaft  ist,  in  der  der  ein- 
zelne lebt,  um  so  mehr  wird  er  sich  bemühen  gebildet  zu  reden.  Der 
landmanu  wird  mit  seinem  nachbarn  auf  der  steinbank  vor  der  liaus- 
tür  die  bauernsprache  reden,  so  lauge  er  nicht  das  bedürfnis  hat,  sich 
durch  annäherndes  Schriftdeutsch  dem  nachbaren  gegenüber  ein  höheres 
ansehn  zu  geben.  Gliedert  sich  die  bauernschaft  in  stände  und  hält 
es  der  erste  derselben  für  geboten,  auch  gebildeter  zu  sein  oder  zu 
scheinen  als  der  hausier  oder  tagelöhner ,  so  wird  er  sich  auch  bemühen 
schriftgemäss  zu  reden. 

In  meiner  heimat  ist  die  eben  in  algemeineu  zügen  geschilderte 
einwirkung  der  Schriftsprache  eine  doppelte,  eine  directe  und  indirecte. 
Das  Magdeburger  gebiet  liegt  au  der  Sprachgrenze  von  Mittel-  und 
Niederdeutschland.  Die  unmittelbar  an  mitteldeutsches  gebiet  stossen- 
den  dorfschaften  erliegen  mehr  und  mehr  dem  mitteldeutschen  einflusse, 
das  Volk  fühlt  es ,  dass  der  mitteldeutsche  dialect  dem  schriftdeutschen 
viel  näher  steht  als  das  niederdeutsche.  Nach  dem  oben  gesagten  muss 
ihm  also  der  mitteldeutsch  redende  nachbar  als  gebildeter  gelten.  Die- 
ser  gehört   zum    socialen   verkehrskreise    des   niederdeutschen    bauern, 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIK.      BD.    XI.  oO 


4^6  WEGENER 

der  leztere  wird  daher  seinem  naclibar  uachziisprechen  suclien.  So  drin- 
gen zunächst  eine  menge  von  md.  worteu  in  das  Niederdeutsche  ein. 
und  zwar  gerade  die  gebräuchlichsten  werte  wie  niutr,  grosvoadr,  clim 
u,  s.  f.  Man  lernt  dem  nachbarn  seine  ausspräche  und  seine  lautgesetze 
ab,  das  g  wird  zu  j\  die  vocale  mit  lippeuarticulation  wie  ü,  ö,  äu 
verlieren  diese  und  gehn  in  i,  e,  ai  über,  der  s-laut  dringt  auch  vor 
t  und  p  ein,  das  vor  s  beseitigte  r  wird  wider  eingesezt,  die  alten  ai 
werden  zum  zweiten  male  in  e  gewandelt ,  u.  s.  f. 

Mein  heimatsort  (Olvenstedt)  liegt  jener  Sprachgrenze  zu  fern, 
als  dass  ein  directer  verkehr  mit  dem  md.  bauern  statt  finden  könte, 
aber  der  gemeine  mann  in  Magdeburg  hat  in  derselben  weise  als  jene 
ndd.  bauern  sein  früheres  platt  in  md.  gewandelt;  die  arbeiter  und 
maurer  vom  lande  gehn  täglich  zur  arbeit  nach  Magdeburg:  nur  kurze 
zeit,  und  sie  sprechen  das  Magdeburger  md.,  ja  nehmen  sogar  das  so 
vielfach  als  geschnarrt  verspottete  uvulare  r  an. 

Die  Schriftsprache  hätte  in  diesen  kreisen  nicht  direct  wirken 
können,  wol  aber  das  denselben  social  viel  näher  stehende  md.  Ganz 
anders  bei  dem  reichen  bauern,  der  mit  dem  rittergutsbesitzer,  dem 
pastor  und  anderen  gebildeten  leuten  anfängt  zu  verkehren:  dieser  bil- 
det das  in  den  genanten  kreisen  gesprochene  hochdeutsch  nach.  Ebenso 
nähert  sich  der  reiche  bauer  aus  dem  Braunschweigischen  Fruchtlande 
bei  Schöppenstedt,  Wolffenbüttel ,  Börssum  viel  mehr  der  spräche  der 
gebildeten  weit  als  der  arbeiter  meiner  heimat. 

Ähnliche  Verhältnisse  müssen  sich  überall  in  Deutschland  zeigen 
und  es  ist  die  unabweisliche  pflicht  des  dialectforschers  darauf  zu  ach- 
ten. Sehen  wir  doch  in  diesem  kleinen  bilde  eines  engbegrenzten  krei- 
ses,  wie  sich  Sprachumbildungen  überhaupt  vollziehen.  Wir  können 
daraus  lernen,  dass  in  gleicher  weise  ein  grosser  teil  des  jezt  md. 
gebiets  aus  dem  ndd.  hervorgegangen  ist,  dass  in  dieser  weise  das 
Slavische  dem  Deutschen,  das  Celtische  dem  Eomanischen  erlegen  ist. 
Die  Sprachenfrage  ist  wesentlich  eine  sociale  machtfrage,  daher  der 
bedeutende  einfluss  des  kaiserlichen  hofes  auf  die  yMiv/j  des  mittel- 
alters,  der  Wiener  kanzleisprache  auf  die  ausbildung  der  Schrift- 
sprache. 

Die  dialectforschung  hat  also,  das  erscheint  sehr  wünschenswert, 
das  Verhältnis  jener  drei  concentrischen  kreise  zu  einander  wenigstens 
in  algemeinen  zfigen  darzustellen  und  die  differenzen  und  Übereinstim- 
mungen derselben  vor  allem  in  der  gesamtstellung  der  organe  zu  unter- 
suchen. Überwiegend  muss  sich  ja  selbstverständlich  der  dialectgram- 
matiker  mit  dem  bauerndialecte  als  dem  ausgangspuukte  der  sprach- 
lichen Umwandlung  beschäftigen. 


ÜBER   DEUTSCHE    DIALECTPORSCHÜNG  467 

Doch  wir  sehen  jezt  ab  von  eleu  lautlichen  differenzen  zwischen 
dialect  und  Schriftsprache,  diese  scheinen  uns  heute  bei  der  zunächst 
auf  die  lautgeschichte  concentrierten  richtung  der  Sprachwissenschaft 
vielleicht  wichtiger  als  die  differenzen  im  Sprachstoffe  und  dem  wort- 
vorrate.  Doch  wir  dürfen  hoffen,  dass  auch  die  von  der  Sprachwissen- 
schaft bisher  unbebaut  gebliebenen  gebiete  der  Semasiologie  und  der 
Syntax  stärker  betont  werden  als  bisher. 

Im  wortvorrate  schliesst  sich  der  gebildete  viel  enger  an  die 
Schriftsprache  an  als  die  beiden  anderen  kreise.  Auf  allen  gebieten  des 
höheren  lebens,  die  ihre  Vertretung  in  der  Schriftsprache  finden,  wird 
er  selten  von  dieser  abweichen.  Doch  schon  im  verkehr  mit  dem 
kinde  verleugnet  er  seinen  nahen  Zusammenhang  mit  den  beiden  tie- 
feren schichten  nicht:  er  nent  dem  kinde  den  hund  wau-wau  oder 
haufimt,  das  laufen  hafrn,  das  schaf  hälani,  die  wiege  hoaho^  u.  s.  f. 
und  entfernt  sich  hierbei  nur  in  den  lautverhältnissen  von  der  bauern- 
sprache.  Der  ungebildete  städter  verschmäht  es  in  seiner  Unterhaltung 
durchaus,  sich  dem  schriftgemässen  ausdrucke  zu  fügen,  das  würde 
ihm  geziert  erscheinen,  kurz  um  so  viel  roher  der  geselschaftliche  ton 
ist ,  um  so  ferner  steht  die  spräche  stofflich  dem  schriftdeutschen. 
Diese  tatsache  drängt  sich  dem  beobachter  sehr  scharf  auf,  und  sie 
hat  zu  samlungen  von  Idiotismen  geführt,  wie  Hoefers  buch  „Wie  das 
Volk  spricht ,"  bei  dem  man  sich  fast  des  gefühls  nicht  erwehren  kann, 
als  meine  der  samler,  dass  das  charakteristicum  der  Volkssprache  in 
gewissen  rohheiten  und  gemeinheiten  bestehe.  Dass  sich  dergleichen 
viel  findet,  wird  niemand  leugnen,  und  es  hängt  dies  mit  dem  tieferen 
stände  der  sittlichen  und  ästhetischen  bildung  des  gemeinen  mannes 
zusammen. 

Über  den  begriff  Volkssprache  herschen  ziemlich  verworrene  Vor- 
stellungen, wir  bezeichnen  mit  diesem  ausdrucke  eine  unausgebildete 
spräche,  bevor  sie  zur  litteratursprache  herangereift  ist,  so  das  latei- 
nische und  griechische  der  ältesten  zeit,  sprachen  die  von  königen, 
kriegern,  priestern,  bauern  u.  s.  f.  gesprochen  wurden,  die  zur  bera- 
tung  in  der  volksversamlung ,  zur  anbetung  der  götter,  zum  pathe- 
tischen vortrage  des  rhapsoden  ebensowol  gebraucht  wurden  wie  zur 
altäglichen  Unterhaltung  in  handel  und  wandel. 

In  diesem  sinne  lässt  sich  kein  deutscher  dialect  als  Volkssprache 
bezeichnen,  das  vergisst  die  dialectdichtung  gar  zu  leicht.  Der  dialect 
ist,  als  Volkssprache  genommen,  vor  allem  die  spräche  des  niederen 
landvolkes,  teilweise  einzelner  städte  und  des  norddeutschen  Schiffers. 
Dies  sind  hinter  dem  grossen  culturstrorae  der  gebildeten  weit  zurück- 
gebliebene Volksschichten,   isoliert  auf  ihrer  schölle,   isoliert  durch  die 

30* 


468  WEOENER 

einseitigkeit  ihrer  beschäftigung ,  beschränkt  durch  die  fortschritte  der 
Schriftsprache  in  schule  und  kirche,  welche,  wenigstens  in  sehr  vielen 
dialectgebieten ,  die  Volkssprache  nicht  für  das  höhere  geistes-  und 
gefühlsleben  in  gebet,  erbauung  und  poesie  zulässt. 

Unschwer  lassen  sich  die  folgen  erkennen,  welche  die  locale  iso- 
lierung  für  die  Volkssprache  mit  sich  bringen  muste.  Es  ist  ein  siche- 
res gesetzt  Die  menge  der  worte  des  Sprachschatzes  richtet  sich  nach 
der  menge  der  bewusten  Vorstellungen  eines  volkes  oder  volksteiles. 
Die  menge  dieser  Vorstellungen  ist  natürlich  in  erster  linie  von  der 
Vorstellungstätigkeit  des  volkes  bedingt,  in  zweiter  linie  a)  durch  die 
menge  der  gegenstände,  die  sich  im  gesichtskreise  des  volkes  befinden, 
b)  durch  ein  sociales  moment,  nemlich  ob  das  volk  oft  oder  selten 
oder  gar  keine  veranlassung  findet  über  gewisse  Vorstellungen  zu  reden, 
also  ob  es  gezwungen  ist,  die  sprachlichen  communicationsmittel  zu 
bequemerer  mitteilung  zu  mehren  oder  nicht,  c)  Es  komt  hinzu  die 
häufigere  oder  seltenere  Veranlassung,  die  einzelnen  Vorstellungen  zu 
neuen  Vorstellungen  oder  gedanken  zu  combiniereu. 

Der  landmann,  der  in  wald  und  feld  lebt,  wird  entschieden  auch 
mit  dem  leben  von  feld,  wald  und  wetter  genauer  bekant  sein  als  der 
Städter.  Er  hat  eine  menge  von  Wetterregeln  und  wetterbezeichnungen, 
die  getreidearten  auf  dem  felde  unterscheidet  er  genau  mit  namen, 
das  dazwischen  wuchernde  unkraut  ist  schon  weniger  scharf  nach  namen 
geschieden,  die  bäume  des  waldes,  die  als  nutz-  oder  brennholz  die- 
nen, weiss  er  gleichfals  zu  benennen,  sträucher  oder  blumen  fallen 
ihm  vielfach  unter  gemeinsamen  namen  zusammen.  Die  grossen  jagd- 
baren tiere  werden  vom  walddörfler  benaut,  die  vögel  schon  in  gerin- 
gerem masse,  für  die  käfer  gar  und  andere  Insekten  kent  er  nur 
wenige  namen. 

Man  muss  einmal  mit  einem  waldbegangenen  buschdorfbewohner 
den  wald  durchstreift  haben,  um  zu  wissen,  wie  wenig  doch  das  volk 
von  den  mannigfaltigen  gegenständen  unterscheidet.  Weiss  das  volk 
für  eine  blume  oder  ein  kleineres  tier  einen  besonderen  namen  zu  sagen, 
so  darf  man  getrost  glauben ,  es  knüpft  sich  auch  ein  glaube  oder  ein 
scherz  an  dieselben.  Ich  erinnere  an  den  hirschkäfer,  den  donnerkäfer 
oder  füdrdräj^or,  an  das  marienwürmchen ,  das  hargotsöndh]  meiner 
heimat,  an  die  pimpernelle,  die  blaue  jölke,  Mariae  bettstroh  und  so 
vieles  andere.  Knüpft  sich  aber  ein  aberglaube  an  tier  oder  pflanze, 
so  gibt  es  gelegenheit  zur  besprechung,  denn  es  steht  mit  wetter  und 
krankheit,  mit  glück  und  Unglück  in  beziehung.  Das  volk  hat  nicht 
das  Interesse  des  botanikers  oder  entomologen  am  naturleben,  das  volk 
spricht  nur   über  dinge,    die   ihm   nutzen    oder   schaden  bringen,    an 


ÜBER   DEUTSCHE   PIALECTFORSCHUNG  469 

denen  es  lust  oder  leid  hat.  Wenn  das  volk  bei  uns  eine  kallaart 
paopmJcindr  nent  wegen  ihrer  versteckten  samen,  so  ist  meines  Wis- 
sens die  freude  an  der  komischen  parallele  mit  den  pfaffenkindern  frü- 
herer Zeiten  die  einzige  veranlassung  7Air  benennung  gewesen.  Die 
komische  tatsache  fordert  zur  mitteilung  und  zur  namengebung  anf. 

Somit  dürfen  wir  sagen,  nur  die  erfahrungen  des  menschen 
erhalten  besondere  sprachliche  benenniingen ,  welche  gegenständ  des 
gesprächs  werden. 

Nach  diesem  gesichtspunkte  regelt  sich  nun  der  einfluss  der  durch 
den  Schulunterricht  und  den  verkehr  mit  den  höheren  Volksschichten 
erweiterten  kentnis  auf  den  Sprachschatz.  Benant  werden  nur  die 
neuen  erfahrungen,  die  eine  bestirnte  beziehung  zum  Volksleben  gewin- 
nen, die  landwirthschaftliche  maschine,  welche  der  bauer  angeschafft 
hat,  behält  bei  ihm  ihren  handelsnamen,  der  arbeiter,  der  sich  über 
sie  lustig  macht,  erfindet  für  sie  einen  Spottnamen.  Neue  Verhältnisse, 
wie  der  militairdienst,  die  eine  Wichtigkeit  für  das  volk  haben,  wer- 
den vielfach  mit  ihrem  neuen  namen  benant,  der  militairdienst  heisst 
in  meiner  heimat  dinst,  das  verb  dazu  dinn,  beim  kartenspiele  hedint 
man  ,  aber  der  knecht  und  die  magd  dainf. 

Für  den  dialectforscher  ergibt  sich  aus  dieser  betrachtung  die  for- 
derung,  zu  untersuchen:  welche  sachlichen  uüancen  werden 
vom  volksdialecte  sprachlich  benant  und  unterschieden.^ 

Verfolgte  also  die  spräche  das  ziel  möglichster  distinction  und 
praecision  in  der  bezeichnung  der  für  die  mitteilung  geigneten  und 
bestirnten  gegenstände,  so  muss  der  Sprachschatz  je  nachdem  umfange 
des  gebietes  wachsen,  das  zur  mitteilung  gewählt  wird.  Der  umfang 
des  zur  mitteilung  bestirnten  vorstellungsgebietes  ist  in  der  Schrift- 
sprache um  so  viel  grösser,  wie  die  weltgrenzeu  ausgedehnter  sind  als 
irgend  ein  eng  begrenzter  localdialect.  —  Eine  Statistik  des  volkstüm- 
lichen Wortschatzes  seinen  sachlichen  nüancen  nach  würde  die  untrüg- 
lichste Statistik  des  geistigen  horizontes  des  deutschen  bauern  ergeben, 
die  sonderung  der  aus  der  Schriftsprache  eingedrungenen  Worte  eine 
Übersicht  über  den  bildenden  einfluss  der  höheren  culturelemente  auf 
das  volk. 

Wir  hatten  oben  geschieden  zwischen  werten,  die  der  gebildete 
im  kosenden  und  tändelnden  verkehr  mit  dem  kinde  gebraucht  und  dem 
eigentlich  schriftgemässen  ausdrucke.  Nante  der  gebildete  die  wiege 
tociboi,  so  ist  deutlich  das  ihn  beim  gebrauch  beherschende  streben 
nicht  ein  streben  nach  blosser  distinction,  wlj^d  oder  nd.  tvaij^a  würde 

1)  Vgl.  hierzu  Vf.  in  den  Magdeburger  geschichtsblättern  1878  s.  416  fgg. 


470  WEGENEÄ 

zur  Unterscheidung  ebenso  brauchbar  sein  als  hodboK  Gebrauchen  wir 
in  der  Schriftsprache  neben  einander  gesteht,  angesicht,  antlitz,  so 
scheint  das  ein  luxus  zu  sein ,  etwas  sachlich  verschiedenes  wird  mit 
den  verschiedenen  ausdrücken  nicht  bezeichnet.  Und  doch  ist  ein 
unterschied,  derselbe  unterschied  als  zwischen  fraUj  gattin,  gemahlin. 
Die  differenz  liegt  nicht  in  der  sache  selbst,  sondern  in  der  Stellung 
des  sprechenden  dem  genanten  objecto  oder  der  angeredeten  person 
gegenüber.  Die  nüance  ist  also  eine  psychologische.  Der  grund 
dieser  nüancierung  liegt  in  der  Stimmung  des  sprechenden  seinem  gegen- 
stände oder  der  angeredeten  person  gegenüber  und  richtet  sich  somit 
unter  umständen  wider  nach  dem  beabsichtigten  eindrucke ,  den  die 
Worte  auf  die  angeredete  person  hervorbringen  sollen.  Diese  Stimmun- 
gen liegen  1)  in  der  scala  von  der  freude  zum  schmerze,  2)  in  der 
scala  vom  komischen  zum  erhabenen.  Wie  die  tonmittel  der  stimme 
eine  grosse  reihe  von  nüancen  in  den  beiden  genanten  Scalen  zu  unter- 
scheiden vermögen,  so  bildet  sich  für  die  einzelnen  stimmungsnüanceu 
auch  ein  besonderer  wortvorrat.  Dieser  verrat  ist  wider  abhängig  von 
der  gelegenheit  die  verschiedenen  stimmungsnüanceu  zum  ausdrucke  zu 
bringen. 

Beim  gespräche  über  kornpreise ,  miswachs ,  mein  und  dein  hat 
der  landmann  wol  gelegenheit  im  zorne  herauszuplatzen,  oder  ein- 
schmeichelnd zu  loben,  wegwerfend  zu  tadeln,  wol  aber  kaum,  einen 
edleren  oder  pathetischen  ausdruck  zu  wählen.  Auch  bei  der  vermah- 
nung der  kinder,  bei  der  hausandacht,  wo  sie  im  bauernhause  noch 
vorkomt ,  wird  das  pathetische  durchaus  fern  liegen ,  doch  ist  ein  grös- 
serer ernst  geboten.  Sizt  die  junge  weit  tändelnd  und  liebelnd  in  der 
spinnstube  oder  auf  der  dorfstrasse  zusammen,  da  bietet  sich  gelegen- 
heit zum  kosewort,  zu  scherz  und  Übermut.  Werden  an  der  ofenbank 
geschichten  erzählt  aus  der  Franzosenzeit  oder  mährchen  und  sagen 
aus  alten  tagen  oder  eine  lustige  anecdote,  da  ist  die  Stimmung  dem 
staube  des  gewöhnlichen  altagslebens  entrückt,  und  auch  der  sprach- 
liche ausdruck  wird  sich  der  Stimmung  anschmiegen.  Also  an  gele- 
genheit zur  sprachlichen  nüancierung  nach  der  psychologischen  Stim- 
mung fehlt  es  auch  dem  landvolke  nicht;  aber  vergleicht  man  1)  die 
feinheit  der  nüancierung,  die  das  moderne  eulturleben  auf  ethischem 
gebiete  wie  im  genusse  geschaffen  hat,  2)  die  massenhafte  gelegenheit 
des  gebildeten,  im  salon,  auf  der  kanzel,  der  tribüne  und  vor  allem 
in  der  litteratur  die  Seelenstimmungen  zu  nuancieren,  so  wird  man 
sich  ein  bild  machen  können,  wie  verschieden  der  hierauf  basierende 
umfang  des  Wortschatzes  im  volksdialecte  und  in  der  Schriftsprache  aus- 
fallen muss. 


ÜBER    DEUTSCHE   DIALKCTFORSCHÜNG  471 

Es  war  gesagt,  der  sprechende  suche  auch  deu  hörer  unter 
umständen  in  die  Stimmung  zu  versetzen,  in  der  er  sich  befindet  oder 
in  der  er  sich  befunden  hat.  Dieses  bestreben  würde  man  als  einen 
künstlerischen  zug  zu  bezeichnen  haben.  Die  sprachliche  ausbildung 
desselben  geschieht  wesentlich  durch  rhetorik  und  poesie.  Bei  aller 
Verschiedenheit  der  sprachlichen  mittel  zum  ausdruck  einer  solchen 
Stimmung  lässt  sich  als  der  algemeine  und  durchgehende  zug  der 
bezeichnen ,  durch  anschauliche  darstellung  die  für  die  Stimmung  bedeu- 
tungsvollen Seiten  des  gegenständes  oder  Vorganges  in  charakteristi- 
schen färben  zum  ausdruck  zu  bringen.  Der  gewöhnliche  mann  erzählt 
die  höchst  ergötzliche  tatsache  einer  prügelei  mit  lachendem  munde, 
der  darsteller  wünscht  bei  seinen  zuhörern  das  gefühl  des  komischen, 
das  ihn  selbst  beherscht,  zu  erregen,  er  wird  versuchen,  ein  möglichst 
anschauliches  bild  von  dem  kämpfe  zu  geben  und  gerade  die  komischen 
Seiten  desselben  hervortreten  lassen.  Er  wird  darstellen,  wie  eine  ohr- 
feige nur  so  „knallte,"  wie  die  „ro^e  suppe"  nur  so  „runter stürzte"  wie 
der  sich  ^/im  kotJie  tvälzte,"  der  „  wie  ein  schlosslmnd  heulte^'  u.  s.  f.  — 
Zu  dieser  anschaulichkeit  genügt  vielfach  nicht  der  einfache  correcte 
ausdruck  für  die  sache  oder  handlung,  man  greift  daher  zum  bilde, 
das  blut  ist  die  rote  suppe,  der  getroffene  heult  wie  ein  schlosslmnd, 
oder  als  oh  er  am  spiesse  stäke.  —  Eine  reihe  von  Wörtern  sind  so 
abgeblasst,  dass  wir  eine  sinnlicb  farbige  anschauung  nicht  mehr  mit 
ihnen  verbinden,  die  spräche  greift  daher  nach  neuen  werten,  denen 
vermöge  ihres  bildlichen  gebrauches  eine  reihe  sinnlicher  Vorstellungen 
anhaftet.  Das  künstlerische  bestreben  ist  einer  der  vornehmsten  fac- 
toren,  der  zur  neubildung  treibt,  der  an  stelle  von  nase  gurke,  statt 
Caput  testa  (tete),  statt  schlagen  hatjsen,  knuffen,  pelzen,  und  wie  die 
reiche  mannigfaltigkeit  der  ausdrücke  für  diese  beliebte  Volksbelustigung 
heissen  mag,  sezt. 

Der  künstlerische  trieb  ist  in  der  Volkssprache  eben  so  kräftig 
als  in  der  Schriftsprache ,  nur  muss  er  wider  den  oben  genanten  beschrän- 
kungen  unterstehn ,  die  Stimmungen ,  welche  erregt  werden  sollen ,  sind 
primitiver,  weniger  nuanciert  im  volksieben,  die  edleren  und  patheti- 
schen Stimmungen,  wie  sie  ein  redner  oder  dichter  erweckt,  fehlen 
dem  Volke  ganz.  Aber  die  Volkssprache  bat  mindestens  ein  ebenso 
ausgeprägtes  gefühl  für  das  verblassen  eines  wertes,  dessen  etymolo- 
gisches gepräge  abgegriffen  ist,  wie  das  bild  einer  münze,  —  ein 
gefühl,  das  notwendig  zum  ersatz  durch  sinnlich  lebendigere  worte  treibt. 
Die  beiden  grossen  Strömungen  in  der  Sprachgeschichte,  das  abschlei- 
fen der  bedeutung  und  der  widerersatz  durch  ein  farbig  lebensfrisches 
bild    treten   in    der  Volkssprache    mit   gleicher   stärke  auf  wie  in   der 


472  WEGENER 

spräche  des  gebildeten.  Ja  man  darf  sagen,  die  Volkssprache  reagiert 
kräftiger  gegen  ein  abgestorbenes  wort,  sie  stösst  das  tote  glied  ab. 
Die  Schriftsprache  hat  zu  vielfach  die  aufgäbe,  das  abstrakte  erkennen 
zu  vermitteln,  als  dass  sie  der  abgegriffenen  münzen  entbehren  könte, 
gerade  diese  sind  für  das  höhere  erkentnisgebiet  so  wichtige  communi- 
cationsmittel ,  dass  die  fähigkeit  der  Schriftsprache,  über  alle  nur  mög- 
lichen erkentnisgebiete  zu  sprechen,  wesentlich  von  der  menge  jener 
farblosen  worte  bedingt  ist.  Man  denke  an  ausdrücke  wie  Verhältnis, 
inhalt,  gegenständ,  mittel,  swech,  folge  u.  s.  f.,  der  vielen  abgeblassten 
fremdworte  zu  geschweigen.  —  So  versteht  man  erst,  welche  Schwie- 
rigkeiten sich  dem  Cicero  in  den  weg  stelten ,  als  er  aus  einer  eben 
erst  den  kinderschuhen  entwachsenden  Volkssprache  eine  für  das  weite 
rhetorische  und  philosophische  gebiet  verwendbare  Schriftsprache  zu 
schaffen  versuchte.  Sagte  er  mtes  quasi  cognatione  quadam  inter  se 
continentur,  so  stand  ihm  bei  cognatio  die  störende  Vorstellung  von 
gehurt  vor  der  seele,  ein  quasi  und  quadam  soll  alle  störenden  neben- 
vorstellungen  beseitigen.  Dem  dichter  dagegen  sind  jene  farblosen 
ausdrücke  wider  sehr  im  wege,  er  greift  in  die  anschauliche  sinnen- 
weit, den  blassen  gedanken  kleidet  er  in  das  lebensgrüue  bild,  darum 
gehört  ihm  die  sinnlich  kräftige  periode  vor  der  entvvicklung  der  Schrift- 
sprache. 

Wir  dürfen  wol  sagen,  eine  Untersuchung  dieser  sprachverhält- 
nisse  im  einzelnen  wird  ein  bild  geben  von  dem  inneren  künstlerischen 
schaffen  des  Volkes ,  von  seinem  gesamten  geistigen  denken  und  fühlen. 
Hierauf  geht  unser  verschlag : 

Wünschenswert  erscheint  eine  stilistische  Zusammen- 
stellung: 

a)   Abstractes   und   concretes. 

ß)  Auf  welchen  gebieten  finden  sich  nüancierungen  der 
Vorstellungen: 
aa)  nach    sachlichen    differenzeu    der    Vorstellungen 

selbst, 
ßß)   nach  psychologischen  differenzeu,    wobei  beson- 
ders die  nüancen   für    edle,    alltägliche,   kosende 
und  komische  rede  ins  äuge  zu  fassen  sind. 

Die  Zusammenstellungen  sind  nach  sachlichen  katego- 
rien  in   der  angedeuteten  weise  vorzunehmen. 

Die  geistige  Isolierung  und  bescliränkung  der  Volkssprache  hat 
noch  weitere  tiefgehende  folgen  für  die  Volkssprache  gehabt.  Vergegen- 
wärtigen wir  uns,   auf  welche   Schwierigkeiten   die  altdeutsche  spräche 


ÜBER    DEUTSCHE    DIA.LECTFORSCHÜNG 


473 


bei  der  nachahumng  des  lateinischen  satz-  und  periodenbaus  gestossen 
ist,  wie  wenig  sie  im  stände  war,  die  logische  Unterordnung  der  sätze 
unter  einander  dem  lateinischen  nachzubilden ,  so  verstehen  wir ,  welche 
arbeit  nötig  war,  um  die  mittel  der  vielfachen  zeitlichen  und  logischen 
Verknüpfungen  im  nebensatze  zu  gewinnen.  Die  nebensätze  sind  ja 
sämtlich,  me  die  etymologie  beweist,  aus  hauptsätzen  hervorgegangen. 
Ein  beispiel  statt  vieler,  deutsch  liivanta,  ivande  ;=  denn,  weil  ist 
ursprünglich  wie  latein.  qiiando  tvann?  —  Der  wortstamm  war  ursprüng- 
lich interrogativ,  also:  es  ist  nass ,  ivann?  —  Antwort:  Es  regnet. 
Erst  almählich  fliessen  frage  und  antwort  in  einen  satz  zusammen, 
nachdem  das  etymologische  gepräge  von  quando  undeutlich  geworden 
ist.  Durch  weiteres  verblassen  muste  sich  aus  dem  conditionalen  sinne 
wann,  tvenn  der  causale  tveil  entwickeln.  Ebenso  lateinisch  qiii2)pe, 
dessen  bedeutung  ivanim  quippini  =  ivarum  nicht  sicher  stelt,  quia 
iveil,  quianam  =  ivarum  denn?  Also  es  ist  tiass,  tvarum?  es  reg- 
net.'^ —  Es  währte  sicher  eine  lange  zeit,  ehe  jene  conjunctionen  zu 
der  farblosen,  rein  logischen  bedeutung  von  heute  herabsanken. 

Das  bedürfnis  zur  Unterordnung  stelte  sich  in  den  indogermani- 
schen sprachen  erst  verhältnismässig  spät  heraus ,  als  man  fühlte ,  dass 
ein  lockeres  paratactisches  aneinanderreihen  zu  mancherlei  Zweideutig- 
keiten und  misverständnissen  führte.  Die  frage  der  persou,  mit  der 
man  sprach,  nach  dem  zusammenhange  der  gedanken,  führte  zunächst 
zur  antwort;  dann  nahm  man  der  angeredeten  person  die  als  möglich 
vorausgesehene  frage  vorweg  und  fügte  die  antwort  unmittelbar  an,  dies 
muss  der  weg  im  lateinischen  und  zum  teil  auch  im  deutschen  und 
griechischen  gewesen  sein. 

Je  schwieriger  die  gedankenverbindungen  werden,  um  so  schär- 
fere sprachliche  mittel  werden  nötig  diese  Verbindung  anzudeuten.  Je 
abstracter  das  denken,  um  so  schwieriger  die  Verknüpfungen.  —  An 
der  wissenschaftlichen  spräche  der  beweisführung  vor  allem  lernt  die 
spräche  die  logische  Verbindung,  besonders  die  Unterordnung. 

Der  Volkssprache  fehlt  in  ihrer  Isolierung  fast  ganz  die  gelegen- 
heit  zur  logischen  deduction,  und  der  gemeine  mann  zeigt  wenig  nei- 
gung,  den  logischen  Zusammenhang  scharf  ins  äuge  zu  fassen  und  zum 
ausdruck  zu  bringen.  Die  entwicklung  des  nebensatzes  ist  daher  in  den 
volksdialecten  sehr  weit  zurück,  sie  stehen  also  auf  einer  älteren  stufe 
als  die  Schriftsprache.  Daher  leuchtet  der  gewinn  unmittelbar  ein,  den 
die  Sprachgeschichte  aus  einer  genauen  beobachtung  der  sprachlichen 
mittel  für  die  logische  gedankenverbindung  in  den  dialecten  ziehen  muss. 

1)  Vgl.  Vf.:  Der  Lateinische  Kelativsatz,  Treptower  Osterprogramm  1874- 


474  WEGENER 

Ähnlich  steht  es  mit  tempus-,  modus-  und  casus  -  Verhältnissen, 
die  ja  sämtlich  dazu  dienen,  die  localen,  temporalen  und  logischen 
beziehungen  der  Vorstellungen  untereinander  zu  vermitteln.  Die  Ver- 
armung auf  diesem  gebiete  gibt  auf  der  einen  seite  ein  bild  von  der 
geistigen  trägheit  des  denkens ,  oder  wenigstens  von  der  bequemlichkeit 
des  Volkes ,  die  es  dem  hörenden  einfach  überlässt ,  die  betreffende  bezie- 
hung  selbst  zu  finden.  Auf  der  anderen  seite  jedoch ,  wo  ein  ersatz 
für  den  Verlust  geschaffen  wird,  tritt  uns  das  oben  gekenzeichnete  bestre- 
ben deutlich  entgegen,  die  ihrer  form  und  fuuction  nach  unkentlich 
gewordenen  Wörter  durch  sinnlich  lebendigere  Sprachmittel  wie  präposi- 
tioneu  und  hilfszeitwörter  zu  ersetzen.  Der  neue  ersatz  beweist  das 
bedürfnis  des  Volkes ,  sich  klarer  und  schärfer  auszudrücken ,  ein  bedürf- 
nis,  das  mit  der  Schwierigkeit  des  mitzuteilenden  vorstellungsmaterials 
wächst.  —  Es  ist  charakteristisch,  dass  gerade  auf  diesem  gebiete  in 
der  entwicklung  der  indogermanischen  sprachen  perioden  der  Verar- 
mung mit  Perioden  des  widerersatzes  der  verbalformen  wechseln.  Für 
die  psychologischen  gründe  dieser  erscheinung  können  uns  gerade  die 
dialecte  viele  bedeutungsvolle  winke  und  aufschlüsse  geben. 

These:  Wünschenswert  sind  syntactische  beobach- 
tungen: 

a)  im  einfachen  satze,  besonders  über  casus  und  tem- 
p  0  r  a , 

ß)  im  zusammengesezten  satze,  besonders  über  die 
fähigkeit  der  Unterordnung  der  sätze  und  ihren 
resp.  ersatz,  über  modi  und  ihre  Umschreibung. 

Die  zulezt  besprochenen  punkte  haben  wir  als  wünschenswert 
bezeichnet,  da  das  nächste  wissenschaftliche  bedürfnis  allerdings  die 
behandlung  der  laut-  und  flexionslehre  verlangt.  Doch  ist  zu  hoffen, 
dass  die  zeit  nicht  mehr  fern  ist,  wo  die  Sprachwissenschaft  sich  auch 
der  erforschung  der  Semasiologie,  der  syntax  und  der  Stilistik  zuwen- 
det. —  Da  auch  die  von  uns  vorgeschlagene  umfassendere  behandlung 
des  dialectmaterials  einen  überschuss  an  werten  lassen  wird ,  die  sich 
einer  sicheren  etymologischen  erkentnis  entziehen ,  und  da  wir  die  hoff- 
nung  nicht  aufgeben  dürfen,  dass  die  fortschritte  der  Sprachwissen- 
schaft auch  diese  rätsei  einmal  lösen  wird ,  so  haben  wir  den  verschlag 
gemacht,  diese  dunkeln  werte  einfach  in  einem  lexicalischen 
anhange  der  grammatik  anzufügen. 


ÜBÜR   UKU'ISCHü   DIALECTFOKSCUUNG  475 

III. 

Das   gebiet. 

Gerade  die  bekautesteii  dialectgrammatiken  umspannen  ein  weites 
gebiet,  so  Weinholds  alemannische  und  bairische,  Nergers  mecklen- 
burgische, Jellinghausens  westphälische  grammatik.  Je  weiter  die  gren- 
zen der  arbeit  gesteckt  werden,  um  so  massenhafter  häuft  sich  das 
material,  um  so  schwerer  ist  hier  eine  volstäudigkeit  zu  erzielen,  um 
so  weniger  gelingt  eine  wirklich  correcte  lautphysiologische  bestimmung 
der  dialectlaute.  Die  genanten  grammatiken  leiden  daher  alle  an  unge- 
nauigkeit  und  unvolständigkeit ,  wir  müssen  dem  gegenüber  Wintelers 
weiser  Selbstbeschränkung  rühmend  gedenken,  dieser  gibt  im  wesent- 
lichen nur  die  grammatik  seines  heimatsortes.  Denn  welche  Schwie- 
rigkeiten sich  dem  Sprachforscher  entgegenstellen,  wenn  er  ein  frem- 
des idiom  nach  den  oben  angeführten  gesichtspunkten  darstellen  will, 
Avird  nur  der  voll  würdigen  können,  der  selbst  versuche  auf  diesem 
fehle  gemacht  hat.  Nur  langer  und  fortgesezter  beobachtung  und  einem 
fein  ausgebildeten  obre  gelingt  es ,  an  der  eigenen  spräche  artikulation 
und  accent  genau  zu  bestimmen;  steht  man  einem  fremden  idionie 
gegenüber ,  so  machen  sich  zwar  schnell  einzelne  abweichungeu  bemerk- 
bar, die  sich  einer  genaueren  bestimmung  nicht  entziehen,  aber  die 
differenz  in  der  gesamtstellung  der  Organe,  die  stärke  der  exspiration 
und  muskeltätigkeit  zu  fixieren,  gelingt  erst  dem,  der  im  stände  ist, 
das  fremde  idiom  genau  nachzubilden.  Derartige  beobachtungeu  für 
ein  weites  gebiet  wie  Baiern  oder  Mecklenburg  anzustellen,  ist  einem 
einzelnen  eben  nicht  möglich.  Die  volle  lösung  der  von  uns  gestelten 
aufgäbe  gelingt  nur  für  den  heimatsdialect.  Die  ideale  forderung-  würde 
somit  die  sein ,  dass  für  jeden  einzelnen  ort  deutscher  zunge  eine  beson- 
dere grammatik  gearbeitet  würde.  Ein  derartiger  wünsch  wäre  nicht 
realisierbar,  und  die  Verhältnisse  liegen  doch  so,  dass  zwar  jeder  ort 
seine  sprachlichen  besonderheiten  aufzuweisen  haben  wird,  besonderhei- 
ten,  welche  das  nachbardorf  meist  sehr  genau  anzugeben  weiss ,  dass 
sich  jedoch  nach  lautbildung ,  ausspräche  und  betonung  stets  eine  gruppe 
von  dorfschaften  zu  einem  grösseren  ganzen  zusammenschliessen.  Oft 
sind  es  natürliche  grenzen,  welche  diese  gemeinsamen  sprachgruppen 
einschliessen ,  nicht  blos  das  gebirge,  auch  der  fluss,  ja  oft  schon  ein 
bach,  ein  sumpf,  ein  wald  scheiden  solche  dialectgruppen  von  einan- 
der. Auch  politische  grenzen  oder  jezt  längst  gefallene  natürliche 
Scheidelinien  trennen  die  dialecte.  Da  hat  nun  der  einzelne  dialectfor- 
scher  die  aufgäbe,  an  der  band  der  heimatlichen  geschichte  uud  geo- 
graphie  die  mundartlichen  gruppen  seiner  heimat  aufzusuchen  und  sich 


476  WEQENER 

der  charakteristischen  unterschiede  scharf  bewust  zu  werden.  Sind  die 
abweichungen  der  dialectgruppen  nicht  principieller  art,  hat  hier  das 
Hochdeutsche  oder  ein  nachbardialect  stärkeren  einfluss  gewonnen  als 
dort,  sind  hier  reste  alter  bildungeu  geblieben,  welche  die  nachbar- 
gruppe  aufgegeben  hat ,  so  fasse  man  diese  gruppen  zu  einer  dialect- 
landschaft  zusammen.  So  hat  in  meiner  heimat  eine  gruppe  von  dorf- 
schaften die  alten  pluralformen  des  indicativ  praes.  auf  t  beibehalten, 
die  nachbargruppe  hat  sie  in  die  auf  -n  gewandelt ,  dieselbe  gruppe  hat 
p,  %  auch  nach  i  und  e  bewahrt,  das  s  ist  auch  vor  w,  m,  n  rein 
erhalten,  der  ei-laut  ist  ein  äi  u.  s.  f.:  das  sind  zum  teil  principielle 
abweichungen,  zum  teil  differenzen,  die  nur  auf  verschiedener  Wider- 
standskraft der  Schriftsprache  gegenüber  beruhn.  Als  mundartliche 
gruppen  sind  die  verschiedenen  dorfschaften  auseinanderzuhalten,  aber 
es  bieten  sich  in  der  gesamten  ausspräche  auch  wider  so  übereinstim- 
mende tatsachen,  dass  man  gut  tut,  dergleichen  bezirke  nicht  ausein- 
anderzureissen. 

Doch  algemeine  gesichtspunkte  für  die  auswahl  eines  dialectgebie- 
tes  lassen  sich  nicht  wol  aufstellen ,  die  abgrenzung  bleibt  der  genauen 
kentnis  der  speciellen  Verhältnisse  und  dem  takt  des  darstellenden  über- 
lassen. Differenzen  jedoch  werden  in  jeder  grammatik  zur  darstellung 
kommen  müssen,  und  für  eine  übersichtliche  gruppierung  des  abwei- 
chenden materials  erlaube  ich  mir  noch  folgendes  hinzuzufügen.  Die 
differenzen  in  der  ausspräche  müssen  im  lautphysiologischen  teile  bei 
jedem  einzelnen  laute  angegeben  werden.  Bei  der  darstellung  der  laut- 
gesetze  ist  scharf  zwischen  den  eigentümlichkeiten  der  einzelnen  grup- 
pen und  Ortschaften  zu  sondern;  habe  ich  z.  b.  die  dialectlandschaft  in 
vier  bezirke  geteilt  (wie  es  für  meine  heimat,  den  Nordthüringgau 
geboten  erscheint),  so  habe  ich  zu  sagen:  „altgerm.  ö  ist  au  in  1 — 4, 
vgl.  über  die  ausspräche  den  lautphysiologischen  teil  unter  au;  der 
umlaut  des  au  ist  oi  2  —  4,  äi  1.  Der  vor  mehrfacher  consonanz  ver- 
kürzte Umlaut  des  alten  o  ist  ö  2  —  4,  ä  1:  röpst  räpsf." 

Wie  schon  oben  gesagt,  lässt  sich  an  der  lebenden  spräche  die 
fortschreitende  Umwandlung  eines  dialects  durch  Schriftsprache  und 
nachbardialecte  beobachten ;  die  älteren  leute  meiner  heimat  z.  b.  spre- 
chen lud,  die  jüngere  geueration  einen  laut  mit  geringerer  lippenrun- 
dung,  der  zwischen  ü  und  i  steht,  die  spräche  ist  zweifellos  auf  dem 
wege  zu  einem  hellen  i  und  e  statt  ü  und  ö.  Ähnlich  steht  es  mit 
den  schon  genanten  pluralformen  des  indic.  praes.  auf  f,  sd  jewot,  S9 
daut,  die  in  vielen  Ortschaften  nur  noch  von  den  alten  gebraucht  wer- 
den, während  die  jungen  leute  die  hchd.  bildung  auf  -n  verwenden. 
Im  Drömling  und  in  Braunschweig  hörte   ich   von  der  alten  und  mitt- 


ÜBER    DEUTSCHE    DIALECTPORSCHÜNG  477 

leren  generation  sal  (debeo) ,  die  kinder  gebrauchten  daneben  schon  fal 
und  fol.  —  So  hat  der  dialectforscher  auch  auf  die  altersunterschiede 
rücksicht  zu  nehmen.  Dass  die  verschiedenen  stände  verschieden  beein- 
llusst  Averdeu ,  zeigte  ich  oben.  Ja  selbst  bei  den  geschlechtern  finden 
sich  difterenzen:  im  fischerdorfe  Treptower  -  Deep  an  der  hinterpommer- 
schen  Ostseeküste  hörte  ich  die  schiffer  im  wesentlichen  das  aus  Ham- 
burg bekante  platt  reden,  mit  nur  geringen  abweichungen  in  der  laut- 
bildung,  die  frauen  aber  sprachen  eine  wesentlich  verschiedene  mund- 
art ,  sie  hatten  tonloses  s  im  anlaut ,  ebenso  q  statt  j ,  statt  altschs.  e 
sprachen  sie  äi.  Die  mäuner  fahren  sämtlich  jähre  lang  auf  schüfen 
als  matrosen  und  nehmen  die  schifferkoiue  an. 

Ich  glaube  nach  diesen  kurzen  andeutungeu  die  folgenden  thesen 
aufstellen  zu  können: 

These:  Jede  grammatik  behandelt  einen  kleineren  histo- 
risch und  kulturhistorisch  seit  alter  zeit  zusammengehö- 
rigen bezirk. 

a)  Die  grundlage  bildet  der  heimatsort  des  Verfassers. 

b)  Die  behandelte  landschaft  ist  in  ihre  dialectsprengel 
zu  zerlegen,  mit  genauer  angäbe  aller  zu  einem  dia- 
lectsprengel gehörigen  Ortschaften. 

c)  Die  dialectgrenzen  sind  möglichst  durch  natürliche 
oder  historisch-politische  grenzen  zu  bestimmen. 

d)  Die  gesichtspunkte  bei  der  abgrenzung  sind  die  diffe- 
renzen  in  den  lautgesetzen,  in  der  gesamtlage  der 
Sprachwerkzeuge  und  dem  accente. 

e)  Die  Verschiedenheit  in  der  behandlung  der  aualogie 
der  beeinflussuug  des  dialects  durch  die  Schrift- 
sprache, resp.  die  nachbardialecte  ist  kein  grund  zur 
Scheidung  in  verschiedene  dialectsprengel.  Sie  wird 
an  betreffender   stelle  vermerkt. 

f)  Die  abgrenzung  des  dialects  von  seinen  nachbardialec- 
ten  und  in  seine  dialectsprengel  geschieht  in  der  ein- 
leitung,  oder  in  einer  am  Schlüsse  folgenden  zusam- 
menhängenden abhandlung.  Hier  sind  auch  die  ver- 
schiedenen Sprengel  mit  bequemen  namen  zu  benen- 
nen, nach  denen  sie  im  texte  der  grammatik  ange- 
führt werden. 

Würde  es  gelingen,  nach  den  angeführten  gesichtspunkten  von 
allen  teilen  Deutschlands  dialectgrammatiken  zu  erhalten,  so  würde 
es  einer  eingehenden  methodischen  Sprachforschung   auch  sicher  gelin- 


478  WEGENER 

geu ,  die  alten  stammesgrenzeu  der  deutschen  vorzeit  wider  aufzufinden, 
aber  es  stellen  sich  erhebliche  Schwierigkeiten  der  ausfährung  eines 
solchen  Unternehmens  entgegen.  Es  sind  vor  allem  zwei  punkte,  die 
hindernd  der  mundartlichen  forschung  in  den  weg  treten:  1)  die  Schwie- 
rigkeit der  materialsamlung ,  2)  die  Schwierigkeit  der  Verwertung  des- 
selben. 

Die  samlung  für  den  lautphysiologischen  teil  und  die  behandlung 
des  accentes  kann  niemand  dem  dialectforscher  abnehmen,  der  nicht 
selbst  grammatisch  und  lautphysiologisch  gebildet  ist.  Mechanische 
mittel  zur  genauen  photographischen  widergabe  der  laute  fehlen,  — 
da  muss  der  forscher  selbst  hören  und  nachzusprechen  suchen,  bis  ihm 
die  fixierung  gelingt.  Anders  steht  es  mit  der  samlung  der  werte  und 
formen,  da  kann  auch  der  laie  viel  helfen,  wenn  er  richtig  angeleitet 
wird;  schreibt  mir  der  laie  aus  irgend  einem  dorfe,  dessen  lautbildung 
mir  bekant  ist,  „mis  heisst  hier  üs /'  so  weiss  ich  welcher  ü-  und 
welcher  s-laut  gemeint  ist,  die  tatsache  ist  somit  wissenschaftlich  ver- 
wertbar. Dasselbe  gilt  vom  syntaktischen,  stilistischen  und  semasiolo- 
gischen  material.  Einem  einzelnen  manne  zuzumuten,  dass  er  50  und 
mehr  dörfer  uuter  umständen  durchwandert  und  hier  nach  den  ange- 
gebenen gesichtspunkten  ermittlungen  anstelt,  ist  nicht  möglich,  und 
schliesslich  würde  die  samlung  doch  nur  unzureichendes  material 
ergeben. 

Ohne  frage  müssen  hier  viele  bände  helfen ,  und  es  ist  kein  neuer 
weg ,  den  wir  vorschalgen ,  wenn  wir  die  ausarbeitung  von  fragebogen 
empfehlen.  Möglichst  für  jeden  dialect  müsten  bogen  aufgestelt  wer- 
den, auf  denen  1)  hochdeutsche  Wörter  zur  Umsetzung  in  die  mund- 
artliche form  gegeben  wären,  2)  müsten  die  kategorien  genant  sein, 
nach  denen  werte  gesammelt  werden  selten,  jedesmal  mit  der  stilisti- 
schen einteilung  in  gewöhnliche  Verkehrssprache,  kosende  rede,  scherz- 
rede und  rede  höheren  stils,  wie  sie  sich  in  der  erzählung  gibt,  mit 
angäbe  der  gleichnisse  und  bilder,  also  des  sämtlichen  künstlerischen 
materials.     Ähnlich  für  die  syntaktischen  Verhältnisse. 

Soll  der  einzelne  dialectforsclier  die  fragebogen  ausschicken,  so 
stösst  man  auf  eine  doppelte  Schwierigkeit,  druck  und  porti  verur- 
sachen kosten,  denen  sich  der  mit  Selbstaufopferung  arbeitende  dialect- 
forscher in  seltenen  fällen  unterziehen  kann,  und  wendet  er  die  kosten 
auf,  so  darf  er  nur  von  denen  beantwortung  seiner  fragen  erwarten, 
denen  er  persönlich  bekant  ist,  oder  die  ein  ähnliches  interesse  an  der 
Sache  haben  als  er  selbst.  An  eine  volständige  samlung  des  materials 
ist  daher  unter  diesen  umständen  nicht  zu  denken.  Anders,  wenn  eine 
behörde    die    bogen    der    beantwortung    ihrer    untergebenen    beamten 


ÜBER    DEtTTSC'HE    DIALECTFORSCHDNG  479 

empfiehlt.  Geeignet  für  die  beautwoitung  auf  dem  lande  sind  in  der 
regel  nur  die  geistlichen,  lehrer  und  postbeamten,  die  auch  den  Vor- 
zug haben,  in  stetem  verkehr  mit  dem  landmaune  ihm  seine  spräche 
abhören  zai  können.  Unser  verschlag  geht  darum  dahin,  den  reichs- 
kanzler  zu  bitton,  aus  reichsmitteln  den  druck  und  die  Ver- 
breitung der  fragebogen  zu  bestreiten  und  die  behörden 
veranlassen  zu  wollen,  die  beantwortung  den  ihnen  unter- 
stelteu  beamten  zu  empfehlen.  Es  würde  hiermit  ein  statistisches 
material  von  der  höchsten  Wichtigkeit  geschaffen  werden ,  ein  material, 
das  sich  getrost  allen  ermittlungen  des  statistischen  anites  zur  seite 
stellen  dürfte.  Mein  persönlicher  Vorschlag  würde  dahin  gehn,  dem 
reichskanzler  vorzuschlagen,  im  statistischen  amte  eine  ab- 
teilung  für  ermittlung  der  dialectverhältnisse  zu  gründen. 
Selbstverständlich  müste  sachverständigen  die  ausarbeitung  der  bogen, 
die  Sichtung  des  gesamten  materials  und  deren  Verwaltung  übertragen 
werden.  Au  das  statistische  amt  hätte  sich  dann  der  betreffende  zu  wen- 
den, der  die  ausarbeitung  der  grammatik  seines  heimatsdialectes  zu 
übernehmen  wünschte.  Es  müste  der  reichskanzler  weiter  gebeten  wer- 
den, die  bogen  zur  beantwortung  über  sämtliche  landschaften  deut- 
scher zunge  durch  diplomatische  Vermittlung  zu  verbreiten. 

Eine  andere  Schwierigkeit  der  dialectforschung  liegt  in  der 
benutzung  des  schon  gedruckten  dialectmaterials  wie  der  belletristischen 
mundartlichen  dichtuug.  Diese  publicationen  sind  derart  verstreut  und 
schwer  zugänglich ,  —  selbst  auf  den  reichsten  bibliotheken  fragt  man  ver- 
gebens darum  an,  —  dass  dem  dialectforscher  meist  nur  der  eine  weg 
bleibt,  dergleichen  erscheinuugeu  zu  kaufen,  Herr  dr.  Winteler  macht 
mich  brieflich  mit  recht  auf  diesen  mangel  aufmerksam,  er  empfiehlt 
die  gründung  einer  deutschen  dialectbibliothek ,  die  mit  dem  durch 
fragebogen  gesammelten  material  zu  vereinigen  wäre.  Die  dialectlitte- 
ratur  müste  in  mehreren  exemplaren  angeschafft  und  dem  forscher 
leicht  zugänglich  gemacht  v/erden.  Der  verschlag  scheint  mir  sehr 
empfehlenswert,  und  ich  würde  auch  hierfür  eine  Vereinigung  mit  dem 
statischen  amte  in  verschlag  bringen.  Eine  ständige  abteilung  im  sta- 
tististischen  amte  hätte  die  weitere  aufgäbe  von  etwa  10  zu  10  jähren 
ihre  fragen  zu  erneuen  und  die  in  dieser  zeit  eingetretenen  Verände- 
rungen festzustellen,  ebenso  lücken  einer  früheren  beantwortung  durch 
neues  material  zu  ergänzen. 

Eine  weitere  Schwierigkeit  für  den  dialectforscher  ist  der  vorlag 
seiner  mühsam  geförderten  arbeit;  die  handvoll  germanisten,  welche 
die  Verwertung  des  dialectmaterials  für  wissenschaftlich  notwendig  hal- 
ten, lassen  sich  vielleicht  zählen,    der  vertrieb  der  grammatiken  wird 


480  WEGENER,    ÜBER    DEUTSCHE    DIÄLECTFORSCHUNG 

somit  nur  in  einem  engen  kreise  möglich  sein.  Ein  weiterer  Vorschlag 
ist  daher  den  reichskanzler  zu  bitten,  das  buchhändlerische 
unternehmen  aus  reichsmitteln  unterstützen  zu  wollen. 

Ehe  die  germanistische  section  der  philologenversamlung ,  welche 
ein  warmes  Interesse  für  die  sache  in  Trier  an  den  tag  gelegt  hat, 
den  plan  dem  reichskanzler  vorlegen  kann,  hält  sie  es  für  geboten, 
dass  eine  anzahl  von  germanisten  zusammentreten ,  welche  die  ausarbei- 
tung  der  grammatik  ihrer  heimatsmundart  übernehmen,  damit  dem 
reichskanzler  bestimmte  und  greifbare  vorschlage  über  die  mitarbeiter 
und  die  kosten  des  Unternehmens  gemacht  werden  können.  Verfasser 
richtet  daher  an  alle  freunde  der  wissenschaftlichen  dialectforschung 
die  bitte,  das  unternehmen  unterstützen  und  fördern  zu  wollen,  damit 
das  werk  deutscher  dialectforschung  nicht  zurückgehe ,  sondern  zur  wis- 
senschaftlichen ausbildung  heranreife.  Und  wollen  wir  hoffen,  dass 
ein  unternehmen,  das  sich  zur  aufgäbe  macht,  die  wichtigsten  stücke 
deutscher  spräche  der  Wissenschaft  und  der  geschichte  zu  retten,  ein 
werk,  das  im  höchsten  und  idealsten  sinne  als  eine  nationale  tat  gel- 
ten darf,  —  von  dem  grossen  kanzler,  dem  die  deutsche  nation  so 
unendlich  viel  für  erstarkung  und  einigung  dankt,  nicht  im  stiche 
gelassen  wird.  Wollen  wir  hoffen,  dass  das  gestein,  aus  dem  die 
bausteine  zur  deutschen  Schriftsprache  gebrochen  sind,  das  da  verwit- 
tert und  vergeht  unter  den  strahlen  der  gewaltigen  tochter,  nicht  ver- 
achtet am  wege  verkomt,  sondern  wie  andere  reste  der  deutschen  Vor- 
zeit, wie  die  marmorsäulen  Italiens,  die  Torsos  griechischer  kunst 
gesammelt  und  sorgsam  der  geschichte  und  dem  bewustsein  des  deut- 
schen Volkes  gerettet  wird,  —  denkmäler  der  individuellen  gestaltung 
der  deutschen  stamme ,  denkmäler  der  entwicklungsgeschichte  des  deut- 
schen Volksgeistes,  denkmäler  der  langen  trennung  deutscher  nation, 
deren  sehnen  und  trachten  nach  einheit  endlich  ihrer  Verwirklichung 
nahe  geführt  ist. 

MAGDEBURG,    IM   OCTOBER    1879.  PH.   WEGENER. 


DIE  LOBRISER  HANDSCHRIFT  VON  HEINRICH 
MINSINGER. 

Auf  der  reiclisgräflich  Nostizischen  bibliothek  zu  Lobris  bei  Jauer, 
über  welche  ich  bereits  in  Petzolts  anzeiger  1875  berichtet  habe, 
befindet  sich  auch  eine  handschrift  von  Mynsyngers  buch  über  die  fal- 
cken,  habichte,  pferde  und  liunde,   Avelches  Hassler  nach  einer  andern 


MEISNER,    LOBRISER   HS.    VON   MYNSINGER  481 

liaiidscluift  1863  für  den  Stuttgarter  litterarischen  verein  herausgege- 
ben hat.  Da  zwischen  dieser  und  der  von  mir  gefundenen  einige  ver- 
scliiedenheiten  sich  ergeben ,  so  ist  eine  nachricht  von  der  lezteren 
vielleicht  wilkommen. 

Von  den  116  quartblätteru  derselben  haben  die  ersten  23  —  24, 
die  lezten  30  —  32  Zeilen  auf  jeder  seite ;  die  schriftzüge  gehören  noch 
dem  15.  Jahrhundert  an.  —  Mynsingers  werk  scheint,  wie  es  auch 
in  hinsieht  auf  den  stoff  begreiflich  ist,  mehr  Verbreitung  gehabt  zu 
haben,  als  Hassler  ihm  beimisst.  Wenigstens  sind  mir  einige  sowol 
handschriftliche  als  auch  gedruckte  werke  bekant,  die  ähnlichen  stoff 
behandeln.  Die  quelle  aller  ist  nicht,  wie  Hassler  anuinit,  der  tractat 
des  Albertus  Magnus  de  falconibus,  sondern  das  tierbuch  des  Albertus 
selbst,  aus  dessen  23.  buche  der  oben  angeführte  tractat  entnom- 
men ist. 

Die  von  Hassler  edierte  handschrii't  gibt  an,  dass  das  werk  auf 
befehl  des  grafen  Ludwig  von  Würtemberg  verfasst  sei,  daraus  und  aus 
der  erwähnung  Waiblingens,  welches  nach  der  teilung  von  1442  nicht 
mehr  Ludwig  sondern  dem  grafen  Ulrich  von  Würtemberg  zugehörte, 
schliesst  der  herausgeber,  dass  es  um  diese  zeit  und  jedenfals  vor  1450 
verfasst  sei,  da  Ludwig  in  diesem  jähre  starb.  Die  Lobriser  handschrift 
nent  an  stelle  des  grafen  Ludwig  den  grafeu  Ulrich ,  so  dass  hiernach 
die  Vermutung  nahe  liegt,  dass  das  werk  nach  1442,  als  Ulrich  Waib- 
lingen vertragsmässig  erhielt  und  daselbst  also  seinen  aufenthalt  neh- 
men konte,  geschrieben  ist.  Da  Ulrich  erst  1480  starb,  so  würde  die 
entstehung  von  Mynsingers  werk  unserer  handschrift  nach  in  die  zeit 
von  1442  —  80  7A1  setzen  sein. 

Schliesslich  lasse  ich  noch  den  anfang  und  den  schluss  der  Lobriser 
handschrift  und  einige  geringe  abweichungen  innerhalb  derselben  zur 
vergleichung  folgen. 

Hie  hebt  sich  an  das  hüch  von  den  falcken ,  hebchen,  sperhern, 
Pferden  vnd  hundeu. 

Hochgehorner,  gnediger  lieher  her.  alfs  üwer  gnad ,  die  von  ange- 
porner  arte  mo  adelichen  dingen  vnd  zu  allem  dieni,  das  den  adel 
gesyren  tnag,  fürtreffenllchen  genayget  i^t,  zu  den  zyten,  alfs  ich  zu 
dem  letssten  zu  Wayblingen  hy  den  selben  üivern  gnaden  gewesen  bin, 
Mir  gehotten  hat  zu  tütschen  vnd  in  tutsch  zu  schrihen  solichs  alfs  die 
philosophi  vnd  mayster  von  der  natiire  der  falcken ,  der  hehch ,  der  sper- 

1)  Bibliothek  des  litterarisclien  vereius  in  Stuttgart.  LXXI.  Heinrich  Myn- 
singer  von  den  falken,  pferden  und  hunden,  lirrausgegebcn  von  dr.  K.  D.  Hassler 
Stuttgart  1863. 

ZEITSCHR.    F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.      «D.  XI.  31 


482  MEISNER,   LOBRISER  HS.    VON  MTNSINGER 

her,  der  hunde.  vnd  darsü  ouch  der  pferde  in  latin  geschriben  hant, 
vnd  da  mit  ouch  was  sye  von  den  seihen  jrn  nature  geschriben  hant, 
alfs  die  ietzü  jn  Jr  gehresten  vnd  gesuchten  gefallen  ist,  wie  man  die 
mit  ertzny  zu  gesunthajt  wjderhringen  soll:  also  gnediger,  lieber  her, 
nach  dem  vnd  es  billich  ist,  das  ich  nach  allem  minem  vermügen  den- 
selben üwern  gnaden  in  dem  vnd  in  andern  Sachen  yestu  vnd  zu  allen 
syten  gehorsam  vnd  willig  sy ,  so  han  ich  hye  in  diesem  buch  nach 
begrifflichayt  miner  sinn  vnd  nach  vermügunge  miner  vernunfft  mitt 
der  hilff  gotes  volbracht  solichs ,  dafs  mir  üwer  gnade  also  in  den  obge- 
schriben  stucken  zu  tünd  geboften  hant ,  mit  solicher  Ordnung  vnd  wyse, 
das  ich  das  buch  in  vier  tajl  getajlet  han 

Der  schluss  lautet: 

.  .  .  Vnd  darmit  hat  ouch  ain  ennd  der  tayl  difs  buchs  vnd 
damit  ouch  das  gantze  buche ,  das  gemacht  hat  Majster  hainrich  Mün- 
singer,  Doctor  in  der  ertznye  dem  tvolgebornen  herren  und  grawen 
Ulrichen  zu  Wirtemberg.  —  Es  sind  zway  vnd  sind  doch  nit  zway 
vnd  werend  die  selben  zway  zway  so  iver  nichs  etwafs.  Ach  got  hett 
ich  von  jr  ain  salue. 

Am  ende  des  zweiten  teiles  des  buch  es  (nach  den  habichten)  steht 

vom  Schreiber  hinzugefügt: 

Hab  dancli. 
Drei  viertel  dieser  seite  sind  leer.  —     Am  ende  des  dritten  teils 
heisst  es :    ...  vnd  damit  hat  das   drittail   difs  buchs  ain  end.     Got 
vnfs  ein  hayligen  frid  send.     Laus  deol  lach.  lieb.  lach. 

BERLIN.  HEINRICH    MEISNER. 


KLEINERE   MITTEILUNGEN. 


Cristi  l)luomeii. 

Ich  habe  Grermania  19,  182  nachzuweisen  versucht,  dass  unter 
„Kristes  bluomen"  MSF  210,  37  (=  Hartmann  v.  Aue,  lieder,  ed. 
Haupt  11,  17)  die  wundmale  Christi  gemeint  seien.  Meine  ansieht  bestä- 
tigen folgende  verse: 

wir  cristen  sulen  minnen  crist, 

der  von  der  megde  wart  geborn 

und  uns  den  blüenden  rosendorn 

bezeichent  wol  in  aller  stunt: 

(ler  an  dem  criuze  durch  uns  wunt 


ZINGERLE,    CRISTI    BLÜOMEN    —    FRAU    HITT  483 

lüort  in  den  tot  ptnliche  gnuoc, 
und  der  die  röten  rosen  truoc 
mit  hitterlichen  smerzen 
durch  uns  an  sinem  herben, 
an  vüezen  und  an  henden. 

Heinrichs  v.  Freiberg  Tristan  6860—6869. 
und:   —  mi  ruofe  wir  an 

den  vatcr  des  Jmnelischen  suns, 
das  er  lä  vlechten  sich  in  uns 
den  wären  b  tuenden  rosendorn, 
crist  sinen  zarten  sun  cinhorn. 

Ebendas.  6876  fg. 

2. 
Frau  Hitt. 

Die  sage  von  der  versteinerten  riesenkönigin  frau  Hitt,  die  auf 
Innsbruck  niederblickt,  ist  algemein  bekant.  Grimm  hat  dieselbe  in 
den  Deutschen  sagen  I,  314  schon  mitgeteilt  und  ich  habe  andere  ver- 
öifentlichungen  in  den  Tiroler  sagen  s.  88  verzeichnet.  K.  E.  Ebert 
und  G.  Seidel  haben  die  sage  in  verse  gebracht.  K.  Weinhold  nimt  in 
„  Die  Riesen  des  germanischen  Mythus "  s.  63 ,  wie  Simrock  „  Hand- 
buch der  deutscheu  Mythologie"  4.  aufl.  s.  409  darauf  bezug,  wie  spä- 
tere forscher  auf  dem  gebiete  der  deutschen  mythologie.  Bislaug  ist 
aber  meines  wissens  der  name  nie  erörtert  worden.  Ausser  unserer 
frau  Hitt  begegnet  uns  ein  berg  Hitt  im  Bregenzer  walde.  Am  fusse 
desselben  liegt  die  gemeinde  Hittisau,  das  alte  Hittisauwa.  Von  einer 
riesensage ,  die  sich  daran  knüpfte ,  ist  mir  aber  nichts  bekant.  Den 
namen  Hitt  finden  wir  wider  in  einer  Tiroler  sage,  die  R.  v.  Alpen- 
burg in  „Mythen  und  Sagen  Tirols"  s.  23  mitteilt,  wo  ein  saliges 
fräulein  „Hitte  Hatte"  heisst.  Diese  fräulein  sind  aber  oft  in  der 
sage  an  die  stelle  der  „Waldweiber"  getreten. 

Derselbe  name  taucht  im  hohen  norden  wieder  auf  Conrad  Mau- 
rer berichtet  „Isländische  Volkssageu  der  Gegenwart"  s.  53  von  einer 
talriesin  Hitt.  Man  zeigt  noch  ihre  grabstätte  „Hitargröf"  und  in 
einer  andern  quelle  wurde  erzählt,  dass  sie  im  Hundahellir  (Hunds- 
höhle) gewohnt  habe,  welche  man  noch  jezt  im  Hitard alr  zeige.  Er 
bemerkt:  „Der  name  Hitt  bedeutet  sack."  Hitardair  wird  noch 
s.  41.  51  genant  und  man  vergleiche  auch  Hitardalsskotta  s.  84.  Vgl. 
IslenzTiar  pjodsögur  og  aefintyri  sofnad  hefir  Jon  Arnason.  I,  211 
und  142.  anm.     Das  hier   aufgeführte  „Hitarvatni"  entspricht   unserni 

31* 


484  ZINGERLE 

tirol.  „  Türschenbach/'  Wir  haben  demnach  in  Tirol  wie  in  Island  den 
namen  Hit  für  riesin  und  derselbe  war  ein  appellativnm  und  mit 
iötunn  aufs  engste  verwant.  (Über  iöftmn  und  verwantes  s.  Grimm 
Myth.  486.) 

Zweifelsohne  stehen  damit  die  langobardischen  eigennamen  Hitta 
und  Hitto  (C.  Meyer,  Sprache  und  Sprachdenkmäler  der  Langobarden 
nr.  129)  und  mehrere  der  von  Förstemann  „Altdeutsches  Namenbuch 
II,  733"  angeführten  Ortsnamen  in  nächster  verwantschaft. 


Holapfonneii.  * 

J,  Grimm  bemerkt  Myth.  s.  581  von  den  notfeuern:  „Nicht 
unv^^ichtig  ist  es  w^ahrzunehmen,  dass  sie  im  nördlichen  Deutschland 
auf  Ostern,  im  südlichen  auf  Johannis  stattfinden.  Dort  bezeich- 
nen sie  des  frühjahrs  eintritt,  hier  die  mitte  des  sommers  (Sonnen- 
wende); es  läuft  wider  auf  den  alten  unterschied  zwischen  sächsischem 
und  fränkischem  volk  hinaus.  Ganz  Niedersachsen,  Westphalen  und 
Niederhessen ,  Geldern ,  Holland ,  Friesland ,  Jütland ,  Seeland  kent 
0  s  t  e  r  f e  u  e  r ;  am  Rhein ,  in  Franken ,  Thüringen ,  Schw^aben ,  Baiern, 
Ostreich,  Schlesien  gelten  Johannisfeuer.  Doch  mögen  einige  gegen- 
den  beiden  huldigen,  z.  b.  Dänemark  und  Kärnten." 

Was  J.  Grimm  bemerkt,  findet  selbst  auf  Tirol  anwendung,  doch 
mit  dem  unterschiede,  dass  in  Südtirol  meist  Frühlingsfeuer,  in 
Nordtirol  meist  Johannisfeuer  angezündet  werden.  Wir  haben  hierzu- 
lande demnach  das  umgekehrte  Verhältnis.  Bei  Innsbruck  und  im  ünter- 
innthale,  auch  in  Ausserfern  lodern  zur  Sommersonnenwende  die  Jo- 
hannesfeuer. (Vgl.  Sitten,  Bräuche  und  Meinungen  des  Tiroler  Vol- 
kes. Innsbruck  1871  nr.  1353.  1354j.  Im  Obervinstgau ,  wo  germani- 
sierte Romanen  mit  alemannischem  anfinge  der  spräche  wohnen ,  ist 
das  scheibenschlageu  am  24.  juni,  wie  es  ehemals  im  Lechthale  sitte 
war.  (Chr.  Schneller,  Anton  Falger  und  das  Lechthal.  Innsbruck  1877 
s.  55.)  Auch  im  Pusterthale,  mit  ausnähme  des  dekanates  Innichen 
werden  Johannesfeuer,  aber  nirgends  Osterfeuer  angezündet.  Im 
Eisackthale,  vom  Brenner  bis  Bozen,  fehlen  derartige  feuer  ganz,  weder 
Frühlings-  noch  Johannesfeuer  findet  man  dort. 

Dagegen  findet  mau  Frühlingsfeuer  am  sonntag  Invocavit  im  Ober- 
innthale,  wo  dieselben  mit  scheibenschlageu  verbunden  sind  (Tirol. 
Sitten  nr.  1225.  1226),   wie  an  der  Eifel,  in  Schwaben,  Baiern  und  in 

1)  So  wird  durchaus  gesprochen,  wenn  aucli  Holapfftnucu  gesclirieben  wird. 


HOLAPFONNEN  485 

der  Schweiz.  (Keiusberg  -  Düviugsfeld ,  Das  festliclie  jabr  s.  71.)  In 
Vorarlberg,  wo  diese  feuer  am  palmsonntage  oder  am  ersten  sonutage 
der  fasten  vorkommen,  lieisst  lezterer  geradezu  der  funken sonntag. 

Die  sitte,  am  Sonntage  Invocavit  feuer  anzuzünden,  zeigt  sich 
auch  in  der  deutschen  gemeinde  Proveis  in  Nonsberg ,  dem  schauplatze 
der  Eckeusage  (Tirol.  Sitten  nr.  1227),  während  ähnliche  feuer  in 
Luserna,  dem  äussersten  vorposteu  deutscher  spräche  im  Süden,  am 
lezteu  märz  angezündet  werden  (Tiroler  Bote  v.  30.  märz  1878.)  Im 
Burggrafenamte ,  in  der  gegend  von  Meran ,  lodern  diese  feuer  bei  jedem 
hofe  am  ersten  fastensonntage ,  der  urkundlich  dort  Kassuntag  (käs- 
sonntag)  heisst ,  aber  im  volksmunde  Holapfounsonntag ,  denn  die  feuer, 
die  an  diesem  abende  lohen,  heissen  Holapfonnen,  daher  der  volkstüm- 
liche name  des  tages.     Die  das  feuer  umspringende  Jugend  singt: 

Hole]}fonn ,  Holepfonn ! 
Korn  in  der  wann! 
Schmalz  in  der  pfonn! 
Pflueg  in  der  erd! 
Schau,  wie  die  scheiV  aussirert. 

Tirol.  Sitt.  nr.  1224. 

Der  name  Holepfonnen  für  diese  feuer  veranlasste  zu  manchem 
nachdenken.  Herr  Keinsberg-Düringsfeld  bemerkt  „Das  festliche  Jahr 
s.  71":  „Im  Etschland  müssen  bei  den  bauern  am  abend  krapfen  auf 
den  tisch  kommen,  die  in  tiefen  pfannen,  den  holepfannen, 
geschmort  werden."  Unsere  feuer  führen  aber  nicht  im  Etschlande, 
sondern  nur  bei  Meran  dieseu  namen  und  haben  mit  „  tiefen  pfannen " 
gar  nichts  zu  schaffen.  Denn  die  krapfen,  die  an  allen  hohen  fest- 
abenden  gebacken  werden,  heissen  nicht  Holepfannen,  sondern  die  an 
diesem  tage  entzündeten  uotfeuer.  Ebensowenig  haben  sie  mit  frau 
Holle,  wie  derselbe  Verfasser  in  der  schrift  „ Culturhistorische  Studien 
von  Meran.  Leipzig  1874  s.  29"  annimt,  zu  schaffen,  Jos.  Tbaler, 
der  unermüdliche  forscher  in  seiner  engsten  heimat,  berichtet  in  sei- 
nem aufsatze:  „Können  auch  in  Tyrol  spuren  vom  germanischen  hei- 
dentume  vorkommen?"  Zeitschrift  für  deutsche  Mythologie  I,  286.  87 
über  diese  feuer  und  wagt  die  deutung:  „Der  name  Holepfann  wird 
wol  soviel  als  hollunderkuchenpfaune  bedeuten,  da  wirklich  solche 
kuchen  in  einigen  orten,  z.  b.  im  Innthal,  gebacken  werden,  und  wir 
hätten  somit  opferkuchen  bei  diesem  fest  zu  suchen."  Dagegen  ist  zu 
bemerken,  dass  der  name  Holepfannen  nur  im  Burggrafenamte  vor- 
komt  und  dass  die  hollunderkucheu  dort  gar  nicht  bekant  sind,  —  und 
um  diese  Jahreszeit  zu  dem  unmöglichen  gehören  würden. 


486 


K.    DOMANIG 


Mein  freund  Job.  Schöpf  erwähnt  in  Frommanns  zeitschr.  11,  233 
der  Thalerschen  hypothese  und  sezt  bei:  „andere  leiten  hole  aus  alt- 
sächs.  Jioly,  heilig  ab;  daher  holepfann  als  heilige  feuer-  oder  glut- 
pfanne  zu  erklären  wäre."  Aber  von  einer  glutpfanne  kann  bei  diesen 
im  freien  entzündeten  und  lange  zeit  brennenden  feuern  keine  rede  sein. 

Im  jähre  1863  veröifentlichte  Felix  Dahu  in  Prutzs  Deutschem 
Museum  reisebriefe  aus  Tirol  und  Italien  s.  424  fg.  und  erklärte  darin 
die  bewohner  des  Burggrafenamtes  als  nachkömlinge  der  Goten.  Heisst 
es  ja  in  den  Regensburger  glossen  aus  dem  XII.  jahrhundeit:  „Gothi 
Meranare. "  Haupts  ztschr.  XII,  415.  Der  mehrseits  begründeten 
ansieht  Dahns  sehloss  sich  dr.  L.  Steub  an.  (Herbsttage  in  Tirol. 
München  1867  s.  159.)  Pflichten  wir  dieser  annähme  bei,  so  liegt 
den  Holepfonnen  ein  got.  hailafön,  pl.  hailaföna  zu  gründe,  das  zum 
mhd.  Heilawäc  (vgl.  Grimm  Myth.  551.  Simrock*  495.)  heilwasser,  als 
heilfeuer,  notfeuer  stimmen  würde.  Das  unverständlicbe  fona  wurde 
im  volksmunde  in  pfonnen  verdreht,  und  da  das  ai  im  dialecte  meiner 
heimat  als  oa,  ö  gesprochen  wird,  liegt  die  änderung  haüa  in  hola 
nur  alzunahe. 

WILTEN,   28.  DEC.    1879.  J.    ZINGERLE. 


BERICHTIGUNG. 


K.  Kinzel  bemerkt  in  seiner   anzeige   des  I.  heftes  meiner  Par- 
zival -Studien  (Ztschr.  f.  d.  phil.  11.  bd.,  1.  h.  s.  126  fg.): 

„Wäre   D.   bei   dem  stehen   geblieben,    was    er    am   ende   des 
büchleftis  als  seine   absieht  angibt:    „die  tatsache  der   (inneren)   Zu- 
sammengehörigkeit beider  dichtungen"    zu   erweisen,    so  würden  wir 
ihm  rückhaltlos  zugestimt  haben''  usw. 
Indessen  fordert  die  ansieht  Kinzels ,  dass  ich  weiter  gegangen  sei ,  eine 
tatsächliche  berichtigung.     Ich  habe  nirgendwo,  mit  keinem  werte  mehr 
behauptet  als  eben  die  (innere)  Zusammengehörigkeit  des  Titurel  und 
des  Parzival.     Wenn  es  (s.  58  u.  ö.)  heisst,   der  Parzival  sei  die  fort- 
setzung  und  bilde  den  schluss  des  Titurel,  so  ist  das  nach  allem  stoff- 
lich und  nicht  zeitlich  zu  verstehen;  ebendaselbst  (s.  58)  liest  man 
ja  als  ergebnis  unserer  forsehung;    „Der  dichter  also,  wenn  er  seinem 
leser  das  Verständnis  des  Titurel  erschliessen  wolte ,  hat  ihm  die  lektüre 
des  Parzival  zur  pflicht  gemacht,   so  wie  er  andererseits  .  .  .  das  volle 
Verständnis  des  Parzival  von  der  kenntnis  des  Titurel  abhängig  machte." 
Auch  an  änderer  stelle  habe  ich  den  nachweis  dafür,  dass  der  Titurel 


BERICHTIGUNG  487 

zum  Paizival  gehöre  uud  ,,  mit  ihm  ein  /Aisaramoiihängeudes  ganze 
bilde"  (s.  62)  als  den  eigentlichen  und  alleinigen  zweck  meiner  arbeit 
bezeichnet,  dem  gegenüber  mir  die  frage  über  die  priorität  der  einen 
oder  anderen  dichtung  sogar  „ohne  schaden  der  Wissenschaft  auf  sich 
beruhen  zu  können  schien."  —  Nur  aber  um  dieser  frage  „nicht  geflis- 
sentlich auszuweichen "  (s.  63)  und  ohne  der  textkritik  vorgreifen  zu 
wollen,  habe  ich  mir  erlaubt  „eine  diesbezügliche  Vermutung  —  als 
solche,  mit  aller  reserve  auszusprechen";  sie  geht  dahin,  dass  der 
Titurel  zwischen  dem  IL  uud  III.  buche  des  Parzival  seinen  platz  gefun- 
den habe.^  Es  ist  also  auch  hier  zunächst  nur  von  einem  örtlichen, 
nicht  vom  zeitlichen  Verhältnisse  die  rede.  Doch  muss  da  freilich  (nach 
der  natur  der  gründe,  welche  mich  diese  Vermutung  aussprechen  Hes- 
sen) angenommen  werden,  dass  der  Titurel  auch  in  derselben  folge 
entstanden  sei ,  in  welcher  er  schliesslich  seinen  platz  im  Parzival  erhal- 
ten hat;  und  dieser  umstand  veranlasste  mich,  meine  meinuug  auszu- 
sprechen, „dass  die  frage  über  die  anciennität  unserer  beiden  dichtun- 
geu  noch  immer  als  eine  offene  zu  betrachten"  (s.  63j  sei;  denn  aller- 
dings haben  mich  weder  Pfeiö'er,  noch  Herforth  =  Kinzel  von  ihren 
anschauungen  zu  überzeugen  vermocht.  —  Übrigens  steht  dahin,  ob 
ich  auf  diese  „Vermutung"  nicht  etwa  noch  zurückkommen  werde,  und 
dann  mag  man  ja  sehen,  ob  „auch  nur  das  geringste"  dafür  spreche; 
das  geringste  scheint  mir  selbst  dasjenige  nicht  zu  sein,  was  ich  über 
die  Wechselbeziehung  beider  dichtungeu  in  meinem  I.  hefte  mitgeteilt 
habe  —  jedenfalls  genügt  es,  um  „eine  Vermutung,  als  solche,  mit 
aller  reserve"  aussprechen  zu  dürfen. 

Auch  eine  vergleichung  des  Titurel  mit  der  geschichte  Gret- 
chens  im  Faust,  welche  mir  Kinzel  aufbürdet,  habe  ich  nirgendwo 
gegeben;  s.  36  m.  h.  ist  ein  beispiel  für  das  vorgehen  eines  dichters 
angeführt. 

Die  bemerkungen  Kinzels  zu  s.  27  fg.  verstehe  ich  nicht;  die 
„  kleinigkeiten "  übergehe  ich  gerne. 

KAKL   DOMANIG. 

1)  Ungenau  berichtet  auch  Wackernagel  [E.  Martin]  (Gesch.  d.  d.  L. 
2.  aufl.  I.  s.  464):  „Entstehung  der  Titurellieder  zwischen  den  einzelnen  büchern 
des  Parzival  nimt  D.  an." 


488 


ZWEI    BRIEFE    VON    JACOB    GRIMM 

AN   DIRECTOR   C.  F.  RANKE   IN   GÖTTINGEN, 

(gestorben  als  director  des  Friedrich  Wilhelms -gymnasiums  in  Berlin) 

mitgeteilt  von  herni  dr.  J.  Jmelmann,  professor  am  Joachimsthalschen  gymnasium 

in  Berlin. 

1. 

Lieber  Eanke, 

Sie  haben  gelegenbeit  gehabt  eine  noch  neue,  aber  gleich  feste  und  treue 
freundschaft  unserm  ganzen  hause,  an  alten  wie  an  jungen,  zu  bewähren;  das  kön- 
nen wir  nie  vergessen ,  und  wohin  uns  auch  das  dunkle  Schicksal  verschlagen  wird, 
wollen  wir  Ihnen  immer  zugethan  bleiben. 

Heute  an  Dortchens  geburtstage  treten  Sie  gewis  mit  erhöhter  empfinduug 
in  den  räum,  aus  dem  wir  (wer  hätte  das  vor  einem  jähre  gedacht)  jezt  entfernt 
sind,  und  nur  noch  ein  theil  der  unsrigen  haust  noch  dort  auf  kurze  zeit.  Wie 
betrübt  ists  für  Hermann,  dass  er  so  bald  wieder  aus  ihrer  lehre  komt  und  dass 
Rudolf  ihr  gar  nicht  einmal  theilhaftig  wird. 

Es  war  mir  bange,  dass  meine  flüchtig  und  unbedacht  niedergeschriebne  gra- 
tulation  für  Hugo  unausbleiblich  in  die  bände  von  philologen  gerathen  würde,  die 
sich  an  falschen  Wörtern  und  Wendungen  ärgern  könnten.  Das  altdeutsche  und 
mittellateinische  haben  längst  meinen  stil  zu  gründe  gerichtet;  wenn  es  also  noch 
erträglich  geworden  ist,  so  muss  es  kinderleicht  sein  solche  hergebrachte  phrasen 
und  formein  zusammenzusetzen. 

Den  Waltharius,  Rudlieb  und  die  Ecbasis  captivi  i  habe  ich  Ihnen  durch 
Dietrichs  übermachen  lassen,  schon  aus  dankbarkeit  für  die  aufgenommene,  frei- 
lich aber  noch  zweifelhafte  conjectur  cesto,'-  wobei  ich  jedoch  Ihren  namen  nicht 
zu  misbraucheu  wagte.  Haben  Sie  einmal  nichts  besseres  zu  thun,  so  werden  Ihnen 
leicht  ergänzungen  der  lückcn  im  Rudlieb  einfallen. 

Wilhelm  ist  noch  hier.  Wir  freuen  uns  einmal  wieder  beisammen  zu  sein 
und  er  letzt  sich  an  erinncrungen.  Grüssen  Sie  von  mir  Schneidewin  uud  unbe- 
kannterweise seine  junge  frau. 

Von  herzen  Ihr  freund  Jacob 

Cassel  23  mai  1848.  Grimm. 

Äussere  aufschrift  des  briefes : 
Herrn  Director  Ranke 

Göttingen. 

2. 

Da  ich  aus  Ihren  Hesiodeischen  Studien-"  entnehmen  darf,  dass  Sie,  lieber 
freund,    mein  buch  über  Reinhart  Fuchs  besitzen,    so   hat  auch  wol   beifolgender 

1)  Lateinische  gedicbte  des  X.  und  XI.  jh.  Herausgegeben  von  Jac.  Grimm  und 
Andr.  Schmeller.     Göttingen  18o8. 

2)  S.  248  in  v.  172  der  Ecbasis  captivi. 

3)  Ranke,  hesiodische  Studien.     Göttingen  1840.    4. 


KINZEL,    ÜBER    SCHULTZ,    HÖF£SCHES    LEBEN 


489 


nachtrag '  einiges  iuteresse  für  Sie.  Sie  finden  darin  ein  neugriecliischcs  gedieht 
abgedruckt  ,2  dessen  inlialt  merkwürdiger  ist  als  die  form.  Ein  paar  mir  dunkel 
gebliebne  ausdrücke  können  Sie  vielleicht  aufklären. 

Von  hahicht  und  nachtigall  gab  es  gewis  eine  griech.  erzählung,  die  wir 
nur  in  Aesop  nicht  mehr  nachweisen  können.  Der  dichter  schöpfte  aus  dem  Volks- 
glauben; hinter  der  äsopischen  kürze  muss  überall  die  alte,  breite  grundlage  von 
volkssagen  stecken.  Mir  ist  undenkbar  dass  das  bedürfnis  der  lehre  den  Ursprung 
der  fabel  veranlasst  habe. 

Herzliche  grüsse  von  uns  allen. 

Ihr 

Jac.  Grimm. 


LITTERATUR. 


Das    höfische    Leben    zur   Zeit    der    Minnesinger    von    Dr.   Alwiu  Schultz, 

ao.  Prof.  d.  Kunstgeschichte  an  der  Universität  Breslau.  I.  Band 
mit  111  holzschnitten.  Leipzig,  Hirzel.  1879.  XVIII  u.  520  s.  gr.  8.  13  m. 
Es  ist  wol  nicht  häufig  ein  buch,  das  auf  einem  fremden  gebiete  erwachsen, 
von  gleicher  bedeutung  auch  für  die  deutsche  philologie,  wie  das  vorliegende. 
Kulturgeschichte  zu  schreiben  ist  überhaupt  nicht  jedermanns  sache,  und  diejenigen 
sind  selten,  welche  sich  die  mühe  nicht  verdriessen  lassen,  das  material  zusam- 
menzulesen oder  die  gar  wie  Freytag  mit  schöpferischer  phantasie  begabt  aus  ihrer 
lectüre  bilder  deutscher  Vergangenheit  hervorzaubern  können.  An  einzelnen  beitra- 
gen kleinerer  und  grösserer  art  hat  es  ja  nicht  gefehlt,  und  Verdienste  wie  die 
Wackernagels  und  Weinholds  bleiben  ungeschmälert.  Aber  es  bedurfte  längst  ein- 
mal eines  zusammenfassenden  werks ,  an  das  sich  neue  Untersuchungen  anlehnen 
könten,  und  wir  müssen  es  dankbar  anerkennen,  dass  dies  von  einer  seite  her 
geschehen  ist,  welche  im  algemeinen  dem  philologen  fern  liegt,  und  auf  der  es  für 
ihn  überaus  schwer  ist,  sichere  anschauungen  zu  gewinnen,  nämlich  von  der  kunst- 
geschichtlichen. Der  Verfasser  sagt  in  der  vorrede  s.  VII  über  seine  absieht  fol- 
gendes: „Es  ist  nicht  so  leicht,  sich  eine  Vorstellung  von  den  denkmälern  der  pro- 
fankunst  des  mittelalters  zu  machen ;  allein  wenn  dies  auch  eine  jedenfals  mühe- 
volle arbeit  erfordert,  deshalb  darf  es  doch  nicht  unversucht  bleiben.  Nehmen  wir 
das  wenige,  was  uns  noch  erhalten  geblieben  ist;  suchen  wir  auf,  was  an  abbil- 
dungen  noch  übrig,  und  sammeln  wir,  was  uns  von  den  gleichzeitigen  autoren, 
dichtem  wie  geschichtsschreibern  überliefert  wird;  versuchen  wir,  die  angaben  der 
einen  durch  die  abbildungen  der  andern  zu  ergänzen  und  zu  controlieren ,  dann 
werden  wir  wenigstens  das  resultat  erzielen,  das  unter  den  schwierigen  umständen 
zu  erreichen  überhaupt  möglich  ist."  Wenn  der  Verfasser  bei  diesem  hohen  ziele, 
das  er  sich  gesteckt  hat,  das  ziemlich  umfangreiche  werk  eine  Vorstudie  nent,  so 
mag  dies  ein  ausdruck  der  bescheidenheit  sein  ,  oder  es  hat  doch  nur  den  beschränk- 
ten sinn,  dass  er  hofft,  es  werden  sich  weitere  forschungen ,  besserungen  und  ver- 
volständigungen  an  dasselbe  knüpfen.  Eine  der  lezteren  verspricht  er  selbst.  Denn 
der  II.  band  soll  „das  leben  unter   den  waffen"   schildern  und   ein   sehr  erwünsch- 

1)  Sendschreiben    an  Karl  Lachmann   von   Jacob  Grimm.     Über  Reinhart  Fuchs. 
Leipzig  1840. 

2)  S.  68  — lOÜ. 


490  KINZEL 

tes  „  auöiuhrlichcs  register"  bringen.  Wir  haben  dies  freilich  schon  zum  ersten 
bände  ungern  verraisst.  Obgleich  im  algemeinen  die  ausführliche  Inhaltsangabe 
schnell  orientiert,  so  sind  doch,  was  nicht  zu  vermeiden  war,  viele  dinge  an  meh- 
reren stellen  besprochen,  und  es  wird  nicht  grade  zur  leichten  handhabung  des 
Werkes  beitragen ,  wenn  man  das  umfängliche  register  des  II.  bandes  wird  benutzen 
müssen.  Auch  ist ,  was  s.  XI  bezweifelt  wird ,  ein  index  der  benuzten  quellen  nicht 
gut  zu  entbehren.  Es  ist  schon  an  sich  interessant,  ein  übersichtliches  Verzeich- 
nis der  Schriften  zu  haben,  welche  wirklich  material  lieferten;  andrerseits  ist  es 
für  manche  citate  gradezu  unerlässlich ,  da  nicht  immer  angegeben  werden  konte, 
welche  ausgäbe  benuzt  ist.  Beispielsweise  erwähne  ich,  dass  der  Alexander  Lam- 
prechts ohne  die  angäbe  ,, herausgegeben  von  Weismann"  nach  Zählung  dieser  aus- 
gäbe s.  11  Alexanders.,  s.  18  Alexanderl.  citiert  ist;  „herzog  Ernst  (alte  ausgäbe)" 
s.  20  anm.  bedeutet  Ernst  D,  während  sich  s.  46  der  zusatz  findet  „hgg.  v.  v.  d. 
Hagen  und  Büsching."  S.  21  wird  Herbort  von  Fritzlar  citiert  unter  ,,liet  von 
Troje,"  s.  41  unter  „HTroj." 

Was  das  verfahren  des  Verfassers  und  die  einrichtung  des  buches  anbetrift, 
so  ist  nur  anerkennung  zu  zollen.  Solche  gebührt  zunächst  der  weisen  beschrän- 
kung  auf  die  scharf  abgegrenzte  zeit  von  1150  bis  1300.  So  wünschenswert  auch 
oft  ein  blick  auf  die  vorhergehende  entwicklung  oder  auf  den  nachfolgenden  verfall 
gewesen  wäre,  bei  der  menge  des  zu  bewältigenden  materials  hätte  derselbe  leicht 
die  Übersichtlichkeit  beeinträchtigen  können.  Schultz  benuzt  nur  die  kunstwerke 
dieser  periode  und  dazu  die  lateinischen,  deutschen,  fi-anzösischen  und  englischen 
quellen  dieser  Jahrhunderte.  Wie  vorteilhaft  diese  abgrenzung  ist,  erkent  man 
noch  deutlicher,  wenn  man  das  prachtvoll  ausgestattete  werk  Moeurs,  usages  et 
costumes  en  raoyen  äge  et  ä  l'epoque  de  la  renaissance  par  Paul  Lacroix,  Paris 
1874  aufschlägt.  Über  400  holzschnitte  und  15  buntdruckbilder  treten  uns  da 
geordnet  nach  den  beschäftigungen  usw.  entgegen.  Aber  spätes  und  frühes  steht 
neben  und  durch  einander,  und  die  benutzung  ist  erschwert.  Dagegen  hat  Schultz, 
wie  es  scheint ,  eine  sorgfältige  auswahl  unter  den  kunstdenkmälern  getroffen  ,  und 
dass  es  ihm  nicht  au  kritischer  schärfe  fehlt,  zeigt  s.  246,  wo  er  das  material  der 
Skulpturen ,  abbildungen  usw.  sichtet  und  z.  b.  davor  warnt ,  zur  Interpretation 
Wolframs  und  Walthers  ohne  weiteres  die  abbildungen  der  Pariser  liederhandschrift 
zu  verwenden,  welche  erst  im  14,  Jahrhundert  ausgeführt  wurden. 

,,Mein  hauptbestreben  ist  es  gewesen,"  so  heisst  es  s.  XI,  ,,alle  Schriften 
der  Zeitgenossen,  soweit  dieselben  mir  zugänglich  waren,  zu  benutzen;  ich  habe 
die  geschichtsschreiber,  die  dichter,  vor  allem  die  deutschen  und  französischen 
epiker  zu  rate  gezogen,  in  vielen  werken  gar  nichts,  in  manchen  etwas,  in  einigen 
viel  für  meinen  zweck  brauchbares  gefunden.'"  Das  aber  ist  besonders  anzuerken- 
nen, dass  der  Verfasser  die  betreffenden  stellen  in  extenso  unter  den  text  gesezt 
hat.  Erst  dadurch  hat  sein  buch  einen  practischen  wert  gewonnen.  Nicht  nur  ist 
bei  blossen  citaten  die  benutzung  auch  für  ,,den  philologen  von  fach"  sehr  erschwert, 
sondern  wer  hat  müsse  und  lust ,  alle  stellen  nachzuschlagen  und  eventuel  auszu- 
schreiben, um  die  auffassung  des  Verfassers  nachzuprüfen?  Recht  fühlbar  wird  dies, 
wo  anders  verfahren  ist.  oder  wo  gar,  wie  s.  165-67,  unter  Verweisung  auf  die 
habilitationsschrift  des  Verfassers  eine  aufzühlung  der  erfordernisse  gegeben  wird, 
welche  zu  einem  schönen  körper  nach  der  anschauung  jener  zeit  gehörten.  Diese 
aufzählung  ist  in  dieser  form  unnütz  und  überflüssig.  Im  übrigen  müssen  wir  auch 
dem  texte  anerkennung  zollen.  Derselbe  gibt  kurz  und  klar  eine  mosaikartige 
Zusammenstellung   der    aus    den    quellen    gezogenen  resultate,    und  doch  ist  eine 


ÜBER    SCHULTZ,    HÖF.    LEBEN  4:91 

geschickte,    Üiessende  darstellung  gewahrt,    weil  das  material  ausserordentlich  gut 
zu  einander  gruppiert  ist. 

Nach  einer  einleituug,  welche  einen  überblick  über  die  entwicklung  der  cul- 
tur  iui  12.  Jahrhundert  gibt,  wird  der  gesammelte  stoft"  in  sieben  capitel  geordnet. 
Man  müste  das  Inhaltsverzeichnis  abdrucken  lassen ,  um  einen  vollen  einblick  zu 
gewähren.  Doch  die  angäbe  einiger  hauptpunkte  mag  genügen.  Das  I.  capitel 
zeigt  uns,  wie  die  vornehmen,  die  fürsten  und  herren  des  12.  13.  Jahrhunderts 
gewohnt  haben ,  wie  ihre  wolinungen  eingerichtet  und  ausgestattet  gewesen  sind. 
Das  11.  handelt  von  geburt,  eruährung,  erziehung,  Unterricht  und  beschcäftigungen 
der  kinder,  der  kuaben  bis  zur  schwertleite,  der  mädchen  bis  zur  ehe:  das  III., 
um  es  mit  einem  werte  zu  bezeichnen,  von  der  toilette  im  weitesten  sinne;  das 
IV.  von  aUem  was  zum  mahle  gehört,  von  speise  und  trank,  geraten  und  sitten. 
Im  V.  capitel,  welches  tiere  und  jagd  bespricht,  werden  mehi-ere  Jagden  und  die 
abrichtung  der  falken  ausführlich  mitgeteilt.  Das  VI.  behandelt  reisegerät,  reiten, 
feste  und  gaste ,  spiele ,  musik  und  spielleute :  das  VII  endlich  die  minne  und  ihre 
auswüchse.  Dass  der  Verfasser  im  ganzen  mit  grosser  Sorgfalt  gearbeitet,  beweisen 
u.  a.  die  Zusammenstellungen  der  kleiderstoffe  und  weine ,  und  besonders  die  beiden 
excurse.  Im  ersten  gibt  er  s.  102—  107  in  je  zwei  spalten  eine  übersichtliche 
Zusammenstellung  alles  dessen,  was  er  ,,über  das  wetter  der  uns  beschäftigenden 
Periode  in  den  aunalen  gefunden  und  notiert"  hat.  Es  begint  mit  ,,1100.  Sehr 
harter  winter,  hungersnot,  grosse  Sterblichkeit.  (Annal.  Saxo.)"  und  schliesst  mit 
,,1315.  Hungersnot  in  Liefland  und  Esthland.  Mütter  schlachten  ihre  kinder  und 
verzehren  sie  (Can.  Sambiens.  Ann.)."  Der  zweite  excurs  s.  302 — 304  verzeichnet 
in  ähnlicher  weise  alles,  was  dem  Verfasser  über  die  Weinlesen  aufgefallen  ist. 

Dabei  billigen  wir  das  meist  massvolle  urteil  des  Verfassers.  Im  lezten  capi- 
tel wird  die  sittenlosigkeit  der  zeit  in  den  grellsten  färben  geschildert,  und  das  bild» 
das  mit  den  nötigen  citaten  illustriert  wird ,  ist  wenig  erfreulich.  Man  darf  aber 
nicht  vergessen :  es  ist  nur  dadurch  zu  stände  gebracht ,  dass  alle  zugänglichen 
belege  aus  der  grossen  litteratur  der  periode  hier  zusammengehäuft  sind.  Mit  recht 
wird  daher  gegen  schluss  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  man  nach  dieser  dar- 
stellung nicht  die  ganze  zeit  messen  dürfe  und  dass  ,,die  paar  beispiele"  für  die- 
selbe wenig  genug  beweisen  (s.  477).  Um  so  auffälliger  ist  es ,  dass  nicht  zum 
Zeugnis  für  die  existenz  edlerer  gesinnung  auf  Wolframs  verherlichung  ehelicher 
liebe  hingewiesen  wird.  Grade  dass  dieser  dichter  so  etwas  zu  singen  wagte,  sezt 
voraus,  dass  er  des  beifalls  der  edlen  gewiss  sein  durfte,  und  es  ist  nicht  nach- 
weisbar, dass  „solche  gesinnungen  damals  als  sehr  philiströs  gegolten  haben,"  wie 
Schnitz  s.  475  sagt.  Die  oft  erwähnten  strafen ,  welche  den  ehebrecher  oder  die 
ehebrecherin  trafen,  sprechen  ebenfals  für  eine  ernstere  auffassung  der  sittlichen 
Verhältnisse,  und  das  beste,  was  der  Verfasser  über  die  sache  gesagt  hat,  liegt  in 
den  Worten  s.  479:  ,, Vielleicht  verdachte  man  den  sagenhaften  beiden,  die  man  als 
in  einem  idealen  Zeitalter  lebend  sich  vorstelte,  manches  nicht,  was  man,  sobald 
es  einen  selbst  berührte,  aufs  schärfste  verurteilte."  Dass  es  aber  selbst  in  den 
erwähnten  stellen  nicht  immer  nötig  ist  an  unsittliche  Situation  zu  denken,  beweist 
Scherers  auffassung  QF  12,  71.  Er  nent  MSF  8,  9  {jö  stuont  ich  nehtint  späte) 
den  „morgendialog  einer  kleinen  ehestandsscene "  und  nent  den  mann,  welcher 
10,  17  {wip  unde  vederspil)  singt,  oder  ,,der  spröde  tut,  als  ob  er  keine  ruhe 
habe,  eine  dame  wolle  ihn  zur  liebe  zwingen,"  einen  renommisten.  Das  ist  ein 
massstab,  den  Schultz  nicht  berücksichtigt  hat. 


492  KINZEL 

Es  mag'  uns  nun  gestattet  sein,  auch  einige  ausstellungen  zu  niaclicn.  Dass 
es  einer  so  unjfassendcn  arbeit  an  lücken  nicht  fehlt,  ist  selbstverständlich.  Bei- 
spielsweise ist  das  leben  in  öffentlichen  versamlungen  und  beratungeu ,  das  Verhält- 
nis von  fürsten  und  herrn  zu  lehnsleuten  und  dienern,  der  ceremouielle  verkehr 
nicht  berücksichtigt.  Auffallender  ist,  dass  das  ende  des  buches  zum  teil  gegen 
den  anfang  etwas  abfält,  als  wäre  die  kraft  des  Verfassers  stellenweise  erlahmt. 
Der  sonst  gedrungene  stil  wird  breiter,  wie  s.  410  fgg. ,  und  vermeidet  nicht,  alge- 
meine Vermutungen  behaglich  auszuspinnen  und  dadurch  an  den  feuilleton-ton  zu 
streifen.  Es  zeigt  sich  dies  z.  b.  in  dem  satze  s.  428:  ,,Dass  natürlich  das  eifern 
der  Prediger  nichts  fruchtete,  liegt  auf  der  band.  Sie  haben  Jahrhunderte  hindurch 
den  tanz  verdamt  und  doch  wol  kaum  jemals  einen  wirklich  tanzlustigen  bekehrt." 
Derartige  bemerkungen  sind  einem  wissenschaftlichen  buche  so  wenig  angemessen 
wie  die  in  die  anmerkung  s.  478  eingefügten  worte  Walthers,  mit  welchen  über 
obscöne  stellen  gewitzelt  wird.  Hier  verlieren  auch,  wie  es  uns  scheinen  will,  die 
artikel  an  ausführlichkeit  und  gediegenheit  und  die  belege  werden  weniger;  auch 
ist  bisweilen  das  material  nicht  ausreicliend  benuzt.  Zum  beweise  diene,  dass  zu 
der  behandlung  des  spiels  s.  411  fgg.  Haupts  lehrreiche  anmerkung  zum  Erec  875 
u.  a.  nicht  Verwendung  gefunden  hat.  Für  das  Schachspiel  ist  nur  s.  415  Massmanns 
geschichte  des  mittelalterlichen  Schachspiels ,  nicht  aber  Wackernagels  abhandlung 
„Das  Schachspiel  im  mittelalter"  (Kl.  Schrft.  1,  107  fgg.)  angeführt.  Hier  hätte 
der  Verfasser  gefunden ,  was  hurrier  ist.  Er  sagt  s.  414 :  ,,  die  im  Wigalois  erwähn- 
ten kurrier  bezeichnen  wol  die  in  das  trictrac  -  Spielbrett  eingelegten  figuren.  Die 
zum  spiele  benuztcn  steine  können  sie  nicht  wol  bedeuten,  da  diese"  usw.  Man 
vergleiche  Wackernagel  s.  112,  wo  es  auf  das  kurrierbrett  gedeutet  wird.  In  die- 
sen kleinen  Schriften  befinden  sich  auch  bemerkungen  zu  dem  s.  421  erwähnten 
kugelspiel  in  dem  aufsatz  ,,das  glücksrad  und  die  kugel  des  glucks"  s.  255. 

Die  abhandlung  über  die  Instrumente ,  welche  mit  sehr  instructiven  abbil- 
dungen  versehen  ist,  leitet  der  Verfasser  mit  den  sonderbaren,  wol  mehr  scherz- 
haft gemeinten  werten  ein  s.  429 :  ,,Es  ist  mir  nun  die  Verpflichtung  auferlegt, 
mitzuteilen ,  was  ich  über  die  musikalischen  Instrumente  zusammengestelt  habe. 
Da  ich  gar  nichts  von  dieser  sache  persönlich  verstehe,  halte  ich  mich  an  eine  so 
anerkante  autorität  wie  Fetis."  Gefragt  wird  in  diesem  abschnitte  s.  439  nach 
armonie ,  die,  chore,  ravetvne,  schirmelle.  In  Lexers  Wörterbuch  wird  die  als  eine 
art  pfeife  erklärt  und  auf  glien  verwiesen,  ein  verbum,  das  vom  schreien  der  raub- 
vögel  gebraucht  wird  und  einmal  in  Verbindung  mit  schalmien,  floitieren  in  Roths 
dichtungen  vorkomt.  Auch  hätte  sich  Verfasser  eine  feine  bemerkung,  wie  sie 
Wackernagel  in  seiner  litt.  Gesch.  §  103,  21  über  entwicklung  und  gebrauch  der 
Instrumente  macht,  nicht  entgehen  lassen  sollen.  Wenn  man  das  höfische  leben 
beschreibt,  darf  man  nicht  in  eine  blosse  aufzählnng  solcher  dinge  verfallen,  son- 
dern muss  ihre  Verwendung  im  leben  und  zu  verschiedenen  zeiten  ins  äuge  fassen. 
Dass  der  Verfasser  ein  äuge  für  die  entwicklungsgeschichte  der  cultur  hat,  beweist 
er  in  der  einleitung  und  auch  sonst  mehrfach.  Darum  ist  es  zu  verwundern,  dass 
bisweilen  eine  hindeutung  auf  einen  Umschwung  fehlt,  der  sich  grade  im  13.  Jahr- 
hundert anbahnt.  So  sind  die  gasthäuser  nur  wie  gelegentlich  (s.  3^4)  erwähnt 
und  durch  ein  citat  aus  französischer  quelle  belegt.  Unter  benutzung  der  sonst 
öfter  angezogenen  Gesamtabenteuer  hätte  darauf  hingewiesen  werden  können,  dass 
dieselben  mit  dem  verfall  des  höfischen  lebens  in  aufschwung  kommen,  als  die 
armen  ritter,  nicht  mehr  freigebig  am  hofe  aufgenommen,  oft  rosse,  knechte  und 
ausstattung   von   den    wirten    erborgen   müssen.     Ähnlich   verhält   es    sich  mit  der 


ÜBER    SCHULTZ,    HÖF.    LEBEN  493 

erwähnung  der  raubritter  s.  397.  Auch  hier  ist  nicht  des  wandeis  der  zeiten 
gedacht.  Für  die  gute  höfische  zeit  wird  sich  doch  schwerlich  ein  beweis  bringen 
lassen,  dass  ritter  in  Deutschland  berufsmässig  strassenraub  trieben.  Spuren  des- 
selben finden  sich  am  ausgang  des  13.  Jahrhunderts  z.  b.  im  Wilh.  von  Wenden, 
wo  die  beiden  brüder  sich  mit  vier  knechten  in  einem  walde  niederlassen  mit  der 
absieht,  die  kaufleute  zu  berauben,  wenn  es  auch  b.ier  motiviert  ist:  des  tioanc  sie 
armuot  geivalt  5439. 

Zum  Schlüsse  mag  hier  noch  einen  platz  finden .  was  ich  mir  zu  einzelnen 
stellen  notiert  habe. 

Das  mhd.  Wörterbuch  ist  für  die  arbeit  natürlich  fleissig  benuzt.  Lexer 
dagegen  zu  unsrer  verwunclrung  gar  nicht,  während  doch  sonst  Schriften  von  1878 
citiert  sind.  Hier  hätte  der  Verfasser  erfahren .  was  s.  133  anm.  im  Wilh.  187,  9 
mit  püscJien  striten  heisst.  Im  WB.  ist  es  freilich  unklar  und  bei  Lexer  nur  unter 
„husch  =  knüttel  "  aufgeführt.  —  S.  217  wird  gefragt:  was  ist  der  bruchseckel? 
vergleiche  Lex.  I,  369  saccus  herniosus.  —  Bei  Lex.  IT,  818  hätte  man  auch  (zu 
s.  220)  belege  dafür  gefunden ,  dass  die  schuhe  gebunden  wurden ,  wenngleich  bei 
Lexer  schuoJihant  Alex.  1455.  1545  fehlt. 

Dass  s.  26  „ictchüs  die  deutsche  bezeichnung  für  türm"  sei,  ist  nach  den 
angeführten  stellen  nicht  wahrscheinlich.  Das  in  der  anm.  2  gegebene  citat  Serva- 
tius  81  nennt  türme  auf  den  Wikhäusern.  In  demselben  abschnitte  ist  die  stelle 
des  Alexander  203,  5  —  10  (Diemer)  zu  verwerten  vergessen:  claz  f/olt  sie  ne  hellen, 
sie  thäten  die  turne  malen,  daz  äaz  röthe  golt  dar  ab  schein  gemüseth  oben  an  den 
stein,  dan  zesviscen  gingen  de  bogen,  si  ivären  al  mit  golde  bezogen.  Sie  zeigt  die 
türme  mit  bogen  verbunden  und  gemalt.  Erleuchtet  wird  sie  durch  die  s.  51  mit  ? 
aufgeführte  stelle  aus  Troj.  Der  türm  loas  mit  vlize  vollebräht  uz  grözen  quader- 
steinen.  die  gäben  alle  reinen  und  üzerwelter  varioe  schin.  gesmelzet  und  gemäht 
drin  ivas  beidiu  läsür  utide  golt.  Aus  beiden  erhelt  deutlich,  dass  die  musivische 
arbeit  aussen  an  den  türmen  angebracht  war.  Erst  s.  96  anm.  werden  die  werte 
aus  Alexander  ausgehoben  und  neben  Ernst  D  2216  gestelt. 

S.  44.  Aus  der  einen  stelle  Krzf.  3404  ich  wene  um  einen  fütersac  er  wolde 
sich  slahen  ist  wol  nicht  zu  schliessen,  dass  ein  dem  pferde  zur  fütterung  vorge- 
bundener sack  gemeint  sei.  Es  liandelt  sich  dort  um  einen  mit  viehfutter  gefüll- 
ten sack. 

Zu  s.  138,  wo  von  der  heiligkeit  der  boten  die  rede  ist,  hätte  der  stelle  aus 
dem  Alexander  213 ,  17  (1491)  gedacht  werden  sollen.  Der  könig  will  die  boten 
aufhängen  lassen,  welche  ihm  des  Darius  schmähliche  sendung  überbringen.  Aber 
einer  derselben  sagt:  herre  tut  ims  nehain  xmgemach,  loande  ez  ne  dücht  iuch 
gnade  noch  reht ,  swä  so  imver  chtieM  iuiver  botescaph  tribe ,  daz  er  drumbe  föht 
helibe.  unde  niene  scentet  iuweren  namen. 

Die  Vermutung  s.  170,  dass  ,,die  männer,  ehe  sie  ins  bad  stiegen,  eine  art 
badehose  anlegten,"  entbehrt,  wie  es  scheint,  der  stütze.  Von  dem  schamgürtel 
der  Schacher  am  kreuz  allein  darauf  zu  schliessen,  ist  kühn.  Offenbar  passt  die 
annähme  nicht  zu  andern  stellen ,  wie  Parz.  166.  Das  s.  171  angeführte  bild  kann 
dafür  nicht  beweisen,  weil  es  die  geschlechter  in  gemeinsamem  bade  zeigt.  Selbst 
die  .stelle  aus  Seifrid  Helb.  III  s.  172  spricht  nicht  dafür.  Schultz  erklärt:  ,,er 
lässt  sich  einen  wadel  umbinden."  Aber  die  werte  nennen  nur  eine  badequaste, 
doren  einzelne  teile  durch  binden  vereinigt  sind:  er  sprach  nu  her  an  allen  tadel 
einen  frischen  ninwen  wadel  hinden  nml  gebunden!     Den  hän   ich   schiere  funden 


494  KINZEL 

sprach  der  wirt  uttd  gap  mis  vier,  dar  üz  näm  die  besten  wir.  Und  vers  40  heisst 
es:  macht  vinster  da  wir  sitzen,  das  wir  die  wedel  swingen. 

S.  113  wird  von  der  baartracht  der  männer  gehandelt  und  angenommen ,  dass 
diese  das  haar  nicht  minder  sorgfältig  pflegten  als  die  damen  (vgl.  s.  168).  Ob  dies 
in  Deutschland  der  fall  war,  wird  doch  zweifelhaft,  wenn  man  sich  erinnert,  dass 
man  dort  der  Franzosen  um  ihrer  haarpflege  spottete.  Bei  gelegenheit,  wo  sie  sich 
feige  zeigten,  nante  man  sie  härsUhtcere  wie  Wilh.  322,  21.  Man  vgl.  Wilh.  302, 
Krzf.  2621  und  4036. 

Über  die  Verwendung  der  stüche  wird  s.  191  eingehend  gehandelt.  Hierzu 
und  zu  s.  19,  wo  vom  kämpf  gegen  die  au  die  mauer  vordringenden  feinde  die  rede 
ist,  vergleiche  man  Krzf.  2947  ivö  so  die  üzern  brächen  in,  dargegen  sie  stüche 
hlancten,  tief  zur  erden  die  sancten.  ouch  heiz  wellic  ivazzer  sie  über  die  müre  üf 
die  quzzen  sie,  di  da  brächen  in.  dämite  sie  loe  täten  in. 

Dass  icb  mit  des  Verfassers  art  zu  eitleren  nicht  immer  einverstanden  bin, 
habe  ich  erwähnt.  Es  ist  unerlaubt,  dass  er  s.  272  und  408  den  dichter  Hartmann 
von  der  Aue  nent,  dass  er  s.  440  vom  hurnin  Siegfried,  s.  462  der  von  Kiurenberk 
schreibt  und  lezteren  nach  HMS  citierti.  Ebenso  hätte  er  Nitbart  nach  Haupts  aus- 
gäbe eitleren  sollen.  (Die  stelle  Hpt.  86.  15  ist  zweimal  ausgehoben,  s.  168  als 
Nith.  IX,  10  und  s.  241  als  Nith.  XI,  10.  Ein  citat  ist  also  falsch.)  Bei  Haupt 
hätte  er  auch ,  wie  ich  zu  s.  242  bemerke ,  zu  Nith.  54,  13  eine  ausführliche  anmer- 
kung  über  schavernac  gefunden ,  die  zu  berücksichtigen  und  für  die  auf  s.  301  gege- 
bene ausführung  über  den  wein  schavernac  zu  verwenden  gewesen  wäre.  Eine 
erklärung  des  namens  findet  sich  freilich  auch  dort  nicht.  Man  vgl.  auch  Lexer 
zu  diesem  Avorte. 

Im  VII.  capitel  tritt  der  unterschied  von  lioher  und  niederer  minne  nicht 
o-enug  hervor.  Hier  wird  uns  eine  neue  auslegung  des  halmmessens  zu  Walth.  66,  5 
geboten.  Verfasser  kent  nur  die  längst  von  Wackernagel  und  Simrock  zurückgewie- 
sene erklärung  Pfeiffers  vom  zählen  der  knoten.  Simrock  (ed.  Walther.  Bonn  1870 
s.  155)  sagt:  ,, das  wahrscheinlichste  bleibt  Waekernagels  Vermutung,  dass  der  halm 
abwechselnd  zwischen  daumen  und  Zeigefinger  der  rechten  und  der  linken  band 
gefasst  werde,  so  dass  immer  eine  band  die  andere  ablöst,  bis  die  spitze  des  hal- 
mes  mit  den  entscheidenden  werten  erreicht  ist.''  Dagegen  Schultz  s.  468:  ,,es 
scheint  mir  am  einfachsten  anzunehmen,  der  dichter  habe  einen  grashalm  gepflückt 
und  auf  gut  glück  denselben  an  einer  stelle  geknickt,  nun  mit  dem  masse  des 
geknickten  Stückes  den  übrigen  halm  umgebrochen  und  versucht,  wie  oft  dies  erst 
eingebrochene  Stückchen  im  ganzen  lialme  enthalten  war." 

Für  das  wechseln  der  ringe  bei  der  Verlobung  s.  486  war  noch  zu  eitleren 
die  stelle  aus  dem  Gr.  Rud. ,  welche  sich  schon  bei  Grimm  RA  177  findet,  und 
Kudr.  1247  fg. ,  wo  sich  die  verlobten  an  den  ringen  erkennen,  die  sie  selbst 
vordem  getragen  hatten.  Die  stellen,  welche  das  eindringen  kirchlicher  sitte 
in  den  act  der  Verlobung  und  Vermählung  bezeugen  (s.  487),  lassen  sich  natürlich 
sehr  vermehren.  Aufmerksam  zu  machen  wäre  vielleicht  gewesen  auf  H.  Trist. 
Hier  wird  nicht  im  kreise  verlobt,  sondern  der  bräutigani  schwört  auf  das  crucifix, 
dass  er  Isoten  zu  einem  ehelichen  weibe  wolle.  Nach  vier  wochen  ist  hochzeit. 
Während  des  festtanzes  erscheint  ein  bischof  im  ornatc  und  gibt  beide  ze  rehter  e, 
die  durch  eide  bestätigt  wird.     Darauf  tauschen  sie  die  ringe  H.  Trist.  635  fg. 

Auch  conjecturen  hat  der  Verfasser  einige  male  gemacht  und  zwar  zu  Walb. 
(DHB  I)  905,  wie  es  scheint  mit  glück.  Er  liest  s.  389  ein  leiter  man  im  dar 
truoc,  diu  toas  usw.,  indem  er  im  text  bemerkt:    „Während  die  damen  gewöhnlich 


ÜBER  REGELN  F.  D.  DEUTSCHE  SCHREIBUNG  495 

in  und  aus  dem  sattcl  gehoben  wurden,  war  es  für  einen  zwerg  schwer  genug, 
auf  das  ross  zu  steigen.  Walberan  hat  sich  deshalb  eine  kunstreiche  leiter  verfer- 
tigen lassen,  die  in  den  sattel  eingehakt  wird."  Die  hs.  liest  em  lauterman  man 
in  dar  truoe,  nicht  laterman,  wie  Schultz  irtümlich  bemerkt. 

Dass  auch  incorrectheiten  in  dem  buche  vorhanden  sind ,  ist  bei  dorn  umfange 
zu  entschuldigen.  So  steht  s.  11  a.  Iw.  3711  für  3771,  s.  83  a.  behawen  Alex.  54.39 
für  hehalden,  oft  cärimoniell  wie  358  neben  ceremoniell  s.  351.  Incorrect  ist  der 
ausdruck  ,, Leiche  und  andere  Lieder"  s.  441 ,  fehlerhaft  dasa  coraposita  oft  als  zwei 
Wörter  geschrieben  sind ,  wie  s.  31  häl  türlin ,  382  kamer  tvaf/en ,  440  sfMrm  recken. 
Das  citat  s.  27  anm.  2  ist  falsch,     zogebrücke  steht  H.  Trist.  6009. 

Die  hier  gemachten  bemerkungen  haben  vorzugsweise  den  zweck,  an  einzel- 
nen beispielen  zu  zeigen ,  wie  der  Verfasser  gearbeitet  hat.  Daas  sie  nichts  erschöp- 
fen wollen,  beweist  schon  der  umstand,  dass  sie  einseitig  auf  die  deutsche  philo- 
logie  bezug  nehmen  und  die  beachtenswerten  lat. .  franz.,  engl,  citate  und  die  Verwer- 
tung der  kunstdenkmäler  ausser  acht  Hessen.  Aus  allem  gesagten  aber  geht  hof- 
fentlich hervor,  dass  wir  dem  verdienstlichen  werke  anerkennung  zollen. 

BERLIN,    NOV.    1879.  KARL    KINZEL. 

Regeln  für  die  deutsche  Schreibung  herausgegeben  von  dem  Verein 
für  deutsche  R,ecbtschreibung.  Mit  einer  lith.  Tafel  zur  Schrei- 
bung des./^.     Berlin  1879.     Verlag  von  Barthol.    36  s.     8. 

Herr  professor  Michaelis,  der  zeitige  Vorsitzende  des  Vereins  für  deutsche 
rechtschreibung  zu  Berlin,  welcher  sich  seit  jähren  mit  regelung  der  deutschen 
Orthographie  beschäftigt  und  schon  manchen  interessanten  beitrag  zur  geschichte 
der  Schreibung  geliefert  hat,  gibt  in  dieser  kleinen  schrift  übersichtliche  vorschlage 
s.  23  —  33,  wie  sie  aus  den  beratungen  des  Vereins  hervorgegangen  sind.  Die 
Schlussbestimmung  lautet :  ,,Wo  die  Verhältnisse  nicht  gestatten  die  beschlüsse  sämt- 
lich sofort  durchzuführen,  empfiehlt  es  sich  in  folgender  Ordnung  schrittweise  vor- 
zugehen: I.  beseitigung  desth,  IL  durchführung  der  Heyseschen  regel,  III.  beschrän- 
kung  des  dt,  IV.  beseitigung  der  dehnungszeichen  nach  ii,  ü.  o,  ö ,  a,  ä,  e, 
V.  beschränkung  des  e  nach  ?'."  Der  Standpunkt  wird  im  wesentlichen  dadurch 
charakterisiert,  dass  im  lezten  punkte  nach  §  8  die  etymologisch  berechtigten  ie 
beibehalten  und  die  werte,  welche  ein  solches  haben,  aufgezählt  werden.  Referent 
beabsichtigt  auf  wünsch  nur  auf  die  kleine  schrift  hinzuweisen  und  sich  jeder  pole- 
mik  auf  diesem  gebiete  zu  enthalten. 

Noch  wichtiger  als  dieser  lezte  teil  des  heftchens,  dem  auch  kleine  druck- 
proben, ein  Statut  des  Vereins,  und  eine  tafel  zur  Schreibung  des,/?  beigefügt  sind, 
erscheint  die  einleitung  s.  3  —  22,  welche  eine  geschichte  der  Orthographie  in  nuce 
von  Luther  an  mit  interessanten  einzelheiten  gibt.  Besonders  ins  äuge  gefasst 
werden  von  Michaelis  diesmal  dehnungszeichen  bei  /,  Verdoppelung  der  consonan- 
ten  und  die  Schreibung  der  s- laute,  und  berücksichtigt  sind  in  der  ersten  hälfte 
Niklas  von  Wyle,  Luther,  die  kirchenordnungen ,  Sebastian  Brant,  Paul  Schede, 
Philipp  von  Zesen,  Gottsched  u.  a. ,  besonders  buchdrucker.  Die  zweite  hälfte 
s.  11  fgg.  trent  die  historisch -etymologische  und  die  phonetische  seite  und  sieht 
die  ersten  Vertreter  jener  in  Fulda  und  Nast  (,,Teutscher  Sprachforscher"  1777 — 78), 
dieser  in  Klopstock  (,,Über  die  deutsche  rechtschreibung"  Leipzig  1778).  Von  ihnen 
aus  werden  dann  die  hauptbestrebungen  bis  auf  die  Berliner  conferenz  und  den 
verein  für  deutsche  rechtschreibung  charakterisiert. 

BERLIN.  KARL   KINZEL. 


496  GERING 

Voluspaa  og  de  Sibyllinske  OrakUer  af  Dr.  theol.  A.  Chr.  Bang:.  (Chri- 
stiania  Videnskabselskabs  Forhandlinger  1879.  No.  9.)     23  s.     8. 

Durch  die  nordischen  Zeitungen  war  es  bekant  geworden,  dass  in  der  gesel- 
schaft  der  Wissenschaften  zu  Christiania  von  den  professoren  Bugge  und  Bang  meh- 
rere vortrage  gehalten  worden  sind,  durch  welche  bewiesen  werden  solte,  dass 
ziemlich  bedeutende  teile  der  altnordischen  götter-  und  heldensage  nicht  nationales 
erbgut  seien ,  sondern  Umwandlungen  christlicher  und  hellenischer  mythen ,  welche 
durch  vermittelung  der  Kelten  zur  kentnis  der  Skandinavier  gelangten.*  Einer  die- 
ser vortrage  liegt  nun  gedruckt  vor  und  wird  nicht  verfehlen,  in  den  kreisen  unse- 
rer germanisten  begründetes  aufsehen  zu  erregen.  Es  wird  nämlich  in  der  kleinen 
Schrift  in  überzeugendster  weise  der  nachweis  geführt,  dass  die  Voluspä,  in  wel- 
cher man  ja  schon  längst  christliche  elemente  vermutet  hat  (vgl.  z.  b.  E.  Jessen 
in  dieser  zeitschr.  III,  72.  494)  nicht  anderes  ist  als  eine  nordische  nachahmung  der 
sibyllinischen  Orakeldichtung,  welcher  nicht  blos  die  art  und  weise  der  composi- 
tion,  sondern  zum  teil  auch  der  stoff  entlehnt  wurde;  dass  ferner  das  eddische 
gedieht  keineswegs  beabsichtigt,  einen  abriss  der  nordischen  götterlehre  zu  geben, 
sondern  wie  die  sibyllischen  orakel  die  tendenz  verfolgt,  über  das  heidentum  hin- 
auszuweisen, in  den  gemütern  furcht  vor  den  Schrecknissen  der  lezten  tage  zu 
erwecken  und  die  ahnuug  einer  neuen  weltordnung  hervorzurufen,  welche  unter  der 
herschaft  des  almächtigen  beginnen  soll,  nachdem  die  alten  götter  ihre  rolle  aus- 
gespielt haben.  —  Der  Verfasser  analysiert  den  Inhalt  mehrerer  sibyllinischen 
gedichte,  die  im  grossen  und  ganzen  nach  einer  Schablone  gearbeitet  sind,  und 
weist  auf  die  Übereinstimmungen  mit  der  Vgluspä  hin.  Besonders  schlagend  sind 
dieselben  bei  der  Schilderung  der  lezten  dinge.  —  Nacli  der  ansieht  Bangs,  der 
sich  hierbei  auf  die  autorität  von  Sophus  Bugge  stüzt,  wäre  sogar  altn.  vqlva  nichts 
anderes  als  eine  Verstümmelung  des  gr.  aißvlln,  wie  ähnliches  bereits  von  GuS- 
brandr  Vigfüsson  behauptet  worden  ist  (im  dict.  s.  v.  völoa).  Es  ist  bekant,  dass 
aus  der  fremde  entlehnte  Wörter  im  nord.  zuweilen  die  erste  silbe  eingebüsst  haben 
(der  Verfasser  weist  auf  altn.  pulkrokyrkja  =  sepulcri  ecclesia  hin:  ein  anderes 
beispiel  ist  gr.  iTrnöäQofxos ,  welches  zu  paäreimr  norrönisiert  ward);  doch  lässt 
sich  über  die  richtigkeit  der  Buggeschen  erklärung  streiten  und  ebenso  über  die 
behauptung.  dass  in  den  übrigen  germanischen  sprachen  nichts  dem  altn.  vqhm 
entsprechendes  vorhanden  sei  (Jacob  Grimm  verglich  bekantlich  Veleda  und  Vohindr). 
Wie  dem  aber  auch  sein  möge ,  die  abhängigkeit  der  Vcjluspä  von  der  sibyllinischen 
Orakeldichtung  ist  bewiesen ,  und  damit  verliert  denn  natürlich  das  gedieht  so  ziem- 
lich allen  wert  als  quelle  für  unsere  kentnis  der  altgermanischen  mythologie. 

HALLE,   DECEMBER    1879.  HUGO    GERING. 

Clarus  saga.  Clari  fabella.  Islaudice  et  latine  cdidit  G-.  Cederschiöld. 
Lund  1879.  VI,  38  s.  4.  (Separatabdruck  aus  der  festschrift  der  Universität 
Lnnd  zum  400jährigen  Jubiläum  der  Universität  Ko])enhagen.) 

Gustaf  Cederschiöld ,  der  sich  schon  durch  eine  ganze  reihe  von  publicationen 

altnordischer  texte  ,2    welche   sämtlich  mit  musterhaftester  Sorgfalt  bearbeitet  sind, 

1)  [Vgl.  jezt  Konrad  Maurers  bericht  in  der  Münchener  akademie  der  wis- 
sensoh.  (6.  decbr  1879)  und  Henry  Sweets  aufsatz  in  der  Acadeniy  vom  29.  novbr 
1879,  s.  396.  —  Über  die  Buggesche  schrift ,  welclie  voraussichtlich  im  märz  zugleich 
norwegisch  und  deutsch  erscbeinen  wird ,  werden  wir  seiner  zeit  eingehender  berichten. 

Jan.  1880.     H.  G.] 

2j  Banil.amanna  saga  (nach  cod.  reg.   2845)  Lund  1874.  4.  —     Geisli  eöa  Olafs 


ÜBER  CEDKRSCmÖLD ,  CLARUS  SAGA  497 

vorteilhaft  bekant  gemacht  hat,  erfreut  uns  widcrum  durcli  die  ausgäbe  einer  roman- 
tischen sage ,  deren  inhalt  dieselbe  der  Veröffentlichung  durchaus  würdig  erscheinen 
lässt.*  Es  ist  die  oft  behandelte  gcschichte  von  der  hochmütigen  und  männer- 
feindlichen,  aber  auch  geldgierigen  prinzessin,  die  mit  henutzung  dieser  leiden- 
schaft  von  dem  zuerst  verschmähten  freier,  der  in  einer  Verkleidung  widerkehrt, 
überwunden  wird,  worauf  sie  eine  reihe  von  demütigungen  und  ontbehrungen  durch- 
machen muss,  bis  sie  bekehrt  und  geläutert  (]•:")•  widorvereinigung  mit  dein  könig- 
lichen gemahle  sich  erfreuen  darf. 

In  der  lateinisch  geschriebenen  vorrede  (s.  I  -  VI)  bericlitet  der  herausgeber 
zunächst  über  erzahlungen  verwanten  Inhalts  aus  der  scandinavischen,  italienischen 
und  deutscheu  litteratur,  sodann  über  den  Ursprung  der  Clarussaga  selbst,  welche 
nach  dem  unverdächtigen  Zeugnisse  der  handschriften  von  dem  isländischen  bischofe 
Jon  Halldorsson  "^  ff  1339)  aus  einem  lateinisclien  gedichte,  das  bisher  noch  nicht 
wider  aufgefunden  werden  konte.  übcrsezt  worden  ist.  wie  das  durch  lateinische 
Wörter  und  Wendungen,  die  in  dem  altn.  texte  begegnen,  bestätigt  wird.  Es 
folgen  darauf  die  aufzählung  und  Würdigung  der  handschriften,  in  welchen  die 
saga  erhalten  ist,  sowie  die  notwendigen  aufklärungen  über  die  art  der  henutzung 
derselben  in  der  ausgäbe:  zulezt  bespricht  Cederschiöld  die  bereits  früher  durch 
C.  E.  Unger  und  Konrädr  Gislason  veröffentlichten  proben  aus  der  saga  und  die 
lexicalische  Verwertung  derselben  in  Eritzners  ordbog.  In  kurzen  Worten  wird  dann 
auch  noch  der  notiz  Halfdan  Einarsons  gedacht,  uacli  Avelcher  die  saga  auch  in 
isländischen  rimur  behandelt  worden  sein  soll. 

Der  isländische  text  (s.  1—24)  ist  mit  sorgfältiger  henutzung  des  gesamten 
handschriftlichen  materials  constituiert.  Dieses  zerfält  in  zwei  gruppen,  deren  füh- 
rer,  cod.  AM.  6.57  B.  4..  eine  memhrane  aus  der  zweiten  hälfte  des  M.Jahrhun- 
derts, und  cod.  Holm,  membr.  (3.  4,  geschrieben  um  1400,  der  herausgeber  mit  A 
und  B  bezeicluiet  hat.  Im  algemeinen  folgt  Cederschiöld  A  und  verweist  die  Vari- 
anten aus  B  in  die  noten,  doch  sind  zuweilen  auch  aus  dem  lezteren  codex,  oder 
wo  derselbe  lückenhaft  ist,  aus  jüngeren  liandschriften  derselben  gruppe  lesarten, 
fals  sich  dieselben  als  ursprünglicher  und  besser  erwiesen ,  in  den  text  aufgenom- 
men worden.  Audi  in  A  finden  sich  zwei  grössere  lacunen ,  dieselben  sind  aus  B 
ergänzt,  während  hier  die  abweichungen  einer  jüngeren  handschrift  der  A-klasse 
in  den  noten  aufnähme  fanden. 

Die  Orthographie  ist  von  Cederschiöld  nicht  normalisiert,  vielmehr  ist  die 
Schreibweise  von  A  bez.  B  beibehalten  worden:  fals  jedoch  in  den  text  von  A  oder 

dräpa  ens  helga  (nach  der  Bergsbök)  Lund  1874.  4.  —  Jömsvikiiiga  saga  (nach  cod. 
Holm,  membr.  7.  4.)  Lund  1875.  4.  —  Versions  nordiques  du  fabliau  fran(,'ais  „le 
mantel  mautaillie"  (mit  F.  A.  Wulff)  Luml  1877.  4.  —  Fornsögur  Sudrlanda,  Lund 
1878  fg.  4.  In  dieser  samlung  sind  bereits  erschienen:  Magus  saga  jarls,  Konrads 
saga,  Baerings  saga,  Flövents  saga.  A'^ach  Vollendung  des  ganzen,  welche  in  b:ildiger 
aussieht  steht,  gedenke  ich  eingehend  über  diese  lu'beit  zu  referieien. 

1)  Dieses  lob  kann  nicht  allen  romantischen  Siigas  gespendet  werden.  Baerings 
saga  und  Flövents  saga  z.  b.  sind  so  gehaltlos  und  armselig,  dass  man  kaum  begreifen 
kann,  wie  dieselben  ihrer  zeit  einer  so  grossen  beliebtbeit  sich  erfreuen  konten. 

2)  Jon  Halldörsson  hat  verschiedene,  meist  romanische  stoiFe,  die  er  während 
seiner  Studienjahre  zu  Paris  und  Bologna  kennen  lernte,  ins  isländische  übertragen, 
darunter  auch  eine  samlung  von  märchen  und  legenden,  deren  herausgäbe  von  mir  vor- 
bereitet wird. 

^EITSCHR.    F.    DEÜTSCHF.    PHILOLOGIE.      nD.    XI.  32 


498  ZACHEE,   LITERATÜRBLATT   F.    GERM.    U.   ROMAN.    PHIL. 

B  nur  eine  andere  lesart  aufgenommen  wurde ,  ist  in  dieser  die  in  der  haupthand- 
schrift  befolgte  norm  hergestelt.  Sonst  beschränken  sich  die  abweichungen  von 
der  handschriftlichen  grundlage  auf  die  auflösung  der  conipendien,  die  einführung 
der  modernen  interpunction  und  die  anwendung  grosser  buchstaben  am  satzanfange 
und  in  eigennamen.  Im  grossen  und  ganzen  kann  ich  mich  mit  diesem  verfahren 
volstäudig  einverstanden  erklären ,  nur  wäre  es  meines  erachtens  nicht  nötig  gewe- 
sen, die  in  der  handschrift  beobachtete  trennung  der  compositionsglieder  und  die 
zusammenrückung  von  praeposition  und  zugehörigem  nomen  in  den  abdruck  hinüber- 
zunehmen. 

Um  die  saga  auch  denjenigen  zugänglich  zu  machen,  die  der  altnordischen 
spräche  nicht  mächtig  sind,  ist  der  au.sgabe  eine  lateinische  Übersetzung  beigefügt 
(s.  25  —  38) ,  die  auch  manchem  weniger  fortgeschrittenen  zum  Verständnis  des 
isländischen  textes  behilflich  sein  wird.  —  Der  druck  ist  sauber  und  correct:  nur 
auf  seite  11,  anm.  4  ist  wol  hinter  narratiunculis  ein  wort  wie  oceurrit  ausgefallen. 

HALLE.  HUGO    GERING. 


Literaturblatt  für  germanische  und  romanische  philologie.  Unter 
mitwirkung  von  professor  dr.  Karl  Bartsch  herausgegeben  von 
dr.  Otto  liehaghel,  docenten  der  germanischen  philologie  und 
dr.  Fritz  Neumaim,  docenten  der  romanischen  und  englischen  phi- 
lologie an  der  Universität  Heidelberg.  Verlag  von  Gebr.  Henninger  in 
Heilbronn. 

Unter  diesem  titel  hat  eine  neue  Zeitschrift  zu  erscheinen  begonnen.  Die 
herausgeber  haben  sich  zu  ihrem  unternehmen  durch  die  erwägung  bestimmen  las- 
sen, dass  die  studien  auf  den  gebieten  der  deutschen  und  wälschen  sprachen  und 
litteraturen  und  der  vergleichenden  Sprachforschung  so  bedeutende  erweiterung^ 
erfahren  und  zum  teil  auch  so  neue  wege  eingeschlagen  haben ,  dass  der  einzelne 
nicht  mehr  allen  diesen  bewegungen  und  ersch einungen  teilnehmend  zu  folgen, 
ihre  gesamtheit  nicht  mehr  zu  bewältigen  vermag,  während  doch  der  Zusammen- 
hang aller  dieser  studien,  wegen  ihrer  nahen  inneren  verwantschaft  und  ihrer  wech- 
selseitigen bedingtheit,  stets  zu  wahren  und  zu  pflegen  ist.  Kommen  doch  selbst 
den  Universitätslehrern  sogar  wichtige  einschlägige  neue  werke  und  arbeiten  teils 
gar  nicht,  teils  erst  verspätet  zu  gesiebte,  geschweige  anderen,  die  an  wissenschaft- 
lich minder  begünstigten  orten  wohnen.  Daher  haben  die  herausgeber  sich  die 
aufgäbe  gestelt,  den  fortschritten  der  gesamten  deutschen  und  wälschen  philologie, 
unter  berücksichtigung  auch  der  sprachwissenschaftlichen  studien,  möglichst  vol- 
stäudig zu  folgen,  während  die  fachzeitschriften,  durch  selteneres  erscheinen  und 
beschränktheit  des  raumes  beengt,  und  die  algemeinen  litteraturzeitungen ,  durch 
die  gesamte  übrige  litteratur  vorwiegend  in  anspruch  genommen ,  grade  hierfür  nur 
unvolständiges  leisten  und  bieten  kimnen. 

Um  diesem  zwecke  gerecht  zu  werden  soll  die  Zeitschrift  als  ihren  haupt- 
bestandteil  darbieten :  besprechuugen  von  neuen  büchcrn  und  auch  von  bedeuten- 
deren in  zeitscliriften  veröffentlichten  abhandlungen ,  und  soll  neben  \vissenschaft- 
lichen  werken  auch  solche  berücksichtigen ,  die  dem  bcdürfnis  der  Schulpraxis  gewid- 
met sind;  die  besprechung  selbst  aber  soll  sich  frei  halten  von  allem  parteiwesen. 
Weiter  sollen  daran  sich  schliessen:  Verzeichnisse  neu  erschienener  bücher  und 
rccimsionen,    inhaltsangaben    von    /citscliriften,    nachrichten    über    in    Vorbereitung 


HENRICl,    JAHRKSBKRICHT  499 

büdudliclie  werke,  mittciluiigen  über  Vorlesungen,  personaluachriehten  und  aufra- 
gen. —  Jährlieh  sollen  12  nummern,  zu  je  2  bogen  oder  32  spalten  in  quart, 
orscheiueu,  zu  dem  abonnementspreise  von  10  mark. 

Bis  jezt  liegen  zwei  Jiummern  vor,  mit  deren  zweiter  ein  verzeichniss  von 
nahezu  2Ü0  gelehrten  ausgegeben  worden  ist,  die  ihre  niitwirkung  in  aussieht 
gestelt  haben.  Diese  beiden  nummern  enthalten  18  mehr  oder  minder  eingehende 
besprechungen  von  werken  und  abhandlungen  aus  der  deutschen,  skandinavischen, 
englischen,  französischen,  proveuzalischen,  spanischen  und  italienischen  litteratur, 
und  auch,  der  ankündigung  gemäss,  eine  reiche  fülle  anderweiter  beigaben. 

Es  ist  eine  verdienstliche,  aber  auch  eine  schwierige,  reichlichen  aufwand 
von  mühe,  zeit  und  kosten  erfordernde  aufgäbe,  welche  die  herausgeber  sich  gestelt 
haben.  Möge  ihnen  die  bewältigung  derselben  glücklich  und  andauernd  gelingen. 
Die  beiden  vorliegenden  nnmmern  zeugen  von  redlichem  beniühen  und  lassen  gün- 
stigen erfolg  hoffen. 

HALLE,    10.   JANTJAK    1880.  J.   Z. 


Jahresbericht  über  die  erscheinungen  auf  dem  gebiete  der  germa- 
nischen Philologie  für  das  jähr  1879.  herausgegeben  von  der 
gesellschaft  für  deutsche  pbilologie  in  Berlin  (unter  redaction 
von  Emil  Henrici,  Karl  Kiuzel,  Haus  L'öschboru.)  Berlin,  S.  Calvary  &  Co. 
1880. 

Die  bibliographie ,  welche  drei  jähre  lang  (1876  — 1878)  als  ein  teil  der  ztschr. 
f.  d.  pbil.  erschien,  ist  von  1879  an  zu  einem  besonderen  unternehmen  umgestal- 
tet, welches  jährlich  eiue  Übersicht  über  die  gesamten  erscheinungen  auf  dem 
gebiete  der  deutschen  altertumswissenschaft  einschliesslich  des  nordischen  und  eng- 
lischen geben  soll.  Dieser  Jahresbericht  soll  weniger  kritiken  enthalten ,  als  den 
Inhalt  der  in  einem  jähre  erschienenen  Schriften  und  artikel  referierend  widergeben 
und  zwar  in  systematischer  anordnung.  In  der  auordnung  sind  wir  wesentlich 
abgewichen  von  dem  gebrauche,  wie  ihn  z.  b.  die  Germania  hat,  und  den  auch 
wir  zum  teil  in  den  drei  ersten  bibliograi)hien  befolgten :  alle  grammatischen ,  lexi- 
calischen  und  litterarhistorischen  specialscliriften  sind  nicht  unter  die  algeraeinen 
rubriken  gebracht,  sondern  zu  den  autoren  und  denkmälern  gestelt,  zu  denen  sie 
zunächst  gehören ;  und  dann  ist  durch  Verweisungen  dafür  gesorgt ,  dass  auch  solche 
Schriften  genügend  beachtet  werden  können,  die  ihr  inhalt  verschiedenen  gebieten 
zuweist. 

Bei  der  ausdehnung  des  Jahresberichtes  auch  auf  die  hilfswissenschaften  war 
es  noch  nicht  möglich  feste  grenzen  zu  ziehen.  Gebiete,  wie  die  volks-  und  kin- 
derlieder,  sagen  undmythen,  kulturgeschichte  und  kunst  müssen  eher  eingeschränkt 
als  ausgedehnt  werden.  Gleichfals  verwerflich  ist  die  auffuhrung  von  Zeitungsarti- 
keln ohne  wissenschaftlichen  wert.  Hier  haben  wir  nicht  nach  volständigkeit  getrach- 
tet. Unfreiwillig  dagegen  musten  wir  auf  manches  wichtige  verzichten,  weil  es 
ans  zu  spät  oder  gar  nicht  zu  gesiebt  kam.  Wer  sich  je  mit  bibliographischen 
arbeiten  beschäftigte,  wird  wissen,  dass  dies  ein  verzeihlicher  mangel  ist,  den  selbst 
alte  bibliographien  nicht  überwinden  können.  Hier  soll  der  Jahresbericht  mehr 
bedeuten  durch  das,  was  er  zu  werden  hofft,  als  durch  das,  was  er  schon  ist.  Wir 
meinen,  dass  wir  bei  alseitiger  Unterstützung  von  selten  der  Verfasser  und  Verleger 

32* 


5(J(J  GERING 

es  bis  zur  alisoluteu  volstäudigkeit  briugeu  werden    und  empfehlen  unser  unterneh- 
men auch  in  diesem  punkte  dem  wolwollen  der  fachgenossen. 

Aber  der  Jahresbericht  ist  nicht  bloss  für  eigentliche  fachgermanisten  bestirnt, 
sondern  ganz  besonders  auch  für  solche,  die  dem  eigentlichen  gange  der  Wissen- 
schaft ferner  stehen  und  nur  als  lehrer  oder  philologen  und  historiker  überhaupt 
in  der  notwendigkeit  sind,  sich  stets  kcntnis  von  den  neuesten  erscheinungen  auf 
dem  gebiete  der  germanischen  philologie  zu  verschaffen.  Dass  eine  einfache  biblio- 
graphie  dazu  nicht  genügt,  davon  haben  wir  uns  aus  eigener  erfahrung  überzeugt; 
das  nähere  darüber  ist  in  der  vorrede  zum  Jahresbericht  ausgeführt.  Wir  lioffen 
mit  dem  Jahresberichte  sowol  dem  fachmann  als  dem  laien  manche  unnützen  wege 
zu  ersparen  und  jeden  in  den  stand  zu  setzen,  ohne  grosse  mühe  sich  stets  über 
die  fortschritte  der  Wissenschaft  genau  zu  unterrichten. 

BERLIN,   DEN    10.  DECBB.  1879.  EMIL   HENRICI. 


Nyare  bidrag  tili  kännedom  om  de  svenska  landsmälen  ock  svenskt 
folklif.  Tidskrift  utgifven  pä  uppdrag  af  landsmälsföreningarne 
i  Uppsala,  Helsingfors  ock  Lund  genom  J.  A.  Lundell.  Stockholm, 
Samson  &  Walliu.  1878.     8.    274  s.     4,50  kr.  =  5,1U  mark. 

Während  bei  uns  die  Zeitschrift  für  deutsche  mundarten  aus  maugel  an  teil- 
nähme hat  eingehen  müssen,  wird  jezt  in  Schweden,  wo  seit  Ihres  tagen  der  leben- 
dige eifer  für  erforschung  der  muttersprache  nie  erkaltet  ist,  ein  ähnliches  unter- 
nehmen ins  werk  gesezt.  Vor  kurzem  ist  unter  dem  oben  verzeichneten  titel  das 
erste  heft  einer  Zeitschrift  ausgegeben  worden,  die  ihrem  programme  nach  das  ziel 
verfolgt,  ,,die  kentnis  von  dem  geistigen  leben  des  schwedischen  volkes  nach  allen 
richtungen  zu  fördern  und  teilnehmendes  Interesse  für  dasselbe  zu  erwecken."  Vor- 
zugsweise wird  die  neue  Zeitschrift,  von  welcher  jährlich  mindestens  6  druckbogeu 
erscheinen  sollen,  wissenschaftliche  arbeiten  auf  dem  gebiete  der  schwedischen  dia- 
lektfoischung  veröffeutlicht^n ,  daneben  aber  auch  sitten  und  gebrauche,  Sprichwör- 
ter und  sagen,  aberglauben  und  volkstümliche  heilkunst,  lied  und  melodie,  spiel 
und  tanz  in  den  kreis  ihrer  betrachtuugen  ziehen. 

Nach  einem  warm  geschriebenen  einleitenden  Vorworte  von  G.  Djurklou 
(s.  1--9)  enthält  das  erste  heft  einen  längeren  aufsatz  von  dem  hauptredacteur 
J.  A.  Lundell  über  das  schwedische  dinlektalpiiabet,*    welches  zugleich  eine  über- 

1)  Uin  eine  genaue  gnphische  widerj;alie  der  einzelutn  sprachlaute  zu  ermög- 
lichen, hat  Lundell  im  auftrage  der  sohwedischon  dialektvereine  und  mit  beuutzung  der 
bereits  im  jähre  18ö6  von  Carl  J.  Suudevall  geniaehten  vorschlage  nanh  lautphysio- 
logischeu  principien  eiu  neues  aiphabet  ausgearbeitet,  welches  nicht  weniger  als  89  zei- 
chen enthält,  und  zwar  sind  diejenigen  zeicben,  welche  in  der  gewöhnlichen  schwe- 
dischen buchschrift  nicht  üblich  sind,  durch  leichte  modificationen  aus  den  minusceln 
der  lat.  cursivschrilt  gebildet.  Dieses  aiphabet  ist  von  dem  gemeinsamen  ausschusse 
der  schwedischen  dialektvereine,  deren  organ  die  neue  Zeitschrift  sein  soll,  nachdem 
von  den  einzelnen  vereinen  begutachtende  äusseruiigen  eingeholt  waren,  gebilligt  und 
angenommen  worden:  es  wird  daher  in  sämtlichen  aufsätzen,  die  der  dialektl'orschung 
gewidmet  sind,  und  in  den  iiiitzuteileiiden  dialektprobeii  zur  Verwendung  kommen.  Man 
hat  also  in  diesem  punkte  in  Schweden  bereits  die  tinigung  erreicht,  welche  bii  uns 
bisher  vergeblich  angestrebt  wurde. 


ÜBEB   LÜNDELL,    TIDSKRIFT    Ü3W.  501 

sieht  über  die  im  Schwedischen  vorkommenden  laute  geben  soll  (s.  13  — 158). 
Neben  einer  sorgfältigen  Classification  sämtlicher  schwedischen  laute  (nach  articu- 
lationsstelle  und  articulationsart)  finden  wir  hier  äusserst  wertvolle  niitteilungen 
über  das  Verbreitungsgebiet  derselben  in  den  einzelnen  dialekten ,  die  der  Verfasser 
augenscheinlich  ebenso  volständig  beherscht  wie  die  verwanten  scandinavischen 
sprachen,  welche  gelcgentlicli  zur  vergleichung  herangezogen  werden. 

Es  folgt  darauf  (s.  161  —  220)  die  darstellung  der  laut-  und  forraenlehre  der 
im  kirchspiele  Dalby  (im  nördlichsten  teile  von  Wermland)  gesprochenen  muudart 
von  Adolf  Noreen,  der  au  ort  und  stelle  eingehende  Untersuchungen  vorgenom- 
men liat.  Der  lautphysiologischen  einteilung  der  vorkommenden  laute  schliesst  sich 
eine  Übersicht  der  etymologischen  entsprechungen  (besonders  in  der  schwedischen 
Schriftsprache  und  im  altn.) ,  sowie  eine  ausführliche  Übersicht  über  declination  und 
conjugatiou  an,  welche  u.  a.  auch  ein  Verzeichnis  der  im  Dalbydialekt  lebendigen 
st.  verba  enthält.  Wieweit  diese  Zusammenstellungen  auf  volständigkeit  und  Zuver- 
lässigkeit anspruch  haben,  kann  natürlich  nur  ein  genauer  kenner  der  in  rede  ste- 
henden mundart  beurteilen,  indessen  macht  der  ganze  aufsatz  den  eindruck,  dass 
die  Untersuchungen  mit  umsieht  und  sorgfältiger  methode  angestelt  sind. 

Die  nächstfolgenden  seiten  (221 — 229)  enthalten  eine  dialektprobe  aus  einer 
schoniscLen  mundart  (von  Färs  härad)  nach  einer  mitteilung  von  L.  P.  Holmström, 
linksseitig  in  genauer  phonetischer  widergabe  vermittels  des  dialektalphabetes, 
rechtsseitig  in  gewöhnlicher  schwedischer  Orthographie;  daran  schliessen  sich  (s.  233 
—  264),  märchen,  sagen  und  erzählungen  aus  Helsingland,  die  ein  anonymer  mit- 
arbeiter  beigesteuert  hat.  Das  erste  stück  {tröllhruden)  erzählt  von  einem  mäd- 
chen,  das  durch  ein  leichtsinniges  versprechen  in  die  gewalt  eines  kobolds  geraten 
ist,  aher  von  ihrem  bräutigam  befreit  wird;  das  zweite  {Härcjodunsen)  berichtet 
von  einem  gespenstigen  spielmanne,  der  eine  muntere  getelschal't,  dio  den  sonntag 
durch  lärmenden  tanz  entheiligt,  durch  sein  spiel,  wie  der  rattenfänger  von  Hameln, 
aus  der  stadt  hinaus  und  auf  den  Härgaberg  lockt,  wo  der  wilde  reigen  fortrast, 
bis  den  unsinnigen  das  Heisch  von  den  knochen  sich  löst  und  die  unermüdlich  fort- 
tanzenden gerippe  in  stücke  fallen.  Nr.  3  und  4  enthalten  einige  localsagen,  die 
sich  an  die  kii-che  zu  Tröne,  die  älteste  in  Helsingland,  und  die  Ortschaft  Kärböle 
knüpfen.  Sehr  interessant  ist  nr.  5,  das  märchen  von  dem  burschen,  der  mit  dem 
kobold  rang  {gössen  som  slogs  med  trollet).  Wir  erfahren  daraus ,  dass  man  es 
den  erdgeistern  unmöglich  macht,  ihre  schätze  wlderzuerlangen ,  wenn  man  stahl 
darauf  legt,  und  dass  diese  schätze  von  den  menschen  nicht  eher  berührt  werden 
dürfen,  als  bis  die  sonne  sie  beschienen  hat,  weil  sie  sonst  wider  verschwinden. 
Nr.  6  [Star  -  Grumjun)  enthält  eine  kurze  sage  von  einem  riesen  und  einem  zwerge, 
die  jedoch  weniger  charakteristisch  ist.  Nr.  7  —  9  {Hur  det  koni  fmiblod  i  siedeten; 
Tcungens  tjänare ;  tocken  kar  inlle  o  ha)  sind  novellenartigen  Charakters;  sie  schil- 
dern das  bauernleben  in  Norrland  in  lebendiger  weise. 

Die  Schlussseiten  (s.  265  —  70)  enthalten  bibliographische  notizi  n  und  (als 
lückenbüsser)  einige  Sprichwörter  aus  Härjedal. 

Diese  zeilen  werden  genügen,  um  von  dem  reichen  Inhalte  des  heftes  eine 
Vorstellung  zu  geben.  Die  Zeitschrift  verspricht  eine  wertvolle  fundgrube  für  die 
kentnis  der  schwedischen  dialekte  und  des  schwedischen  Volkslebens  zu  werden  und 
sei  daher  den  freunden  nordischer  spräche  und  litteratur  bestens  empfohlen. 

HALLE.  HUGO   GERING, 


502 


V  E  R.  E I IV 

für   herausgäbe   alter   nordischer   litteratur. 

In  Kopenhagen  hat  sich  nach  auflösung  des  ,,  nordischen  litteratur -Vereins" 
ein  neuer  verein  für  lierausgabe  alter  nordischer  litteratur  (samfund  til  udgi- 
velse  af  gammel  nordisk  litteratur)  gebildet,  der  sofort  in  Wirksamkeit  treten  und 
bereits  im  jähre  1880  eine  alte  isländische  handschrift  und  ein  wichtiges,  nur 
in  einem  einzigen  vulständigen  exemplar  erhaltenes  altdänisches  werk  heraus- 
geben wird. 

Als  seine  hauptaufgabe  bezeichnet  der  verein  in  seiner  auch  an  fremde 
gelehrte  versendeten  auffordorung  zum  beitritt  die  Veröffentlichung  der  ältesten 
und  wichtigsten  handscliriften,  die  bisher  entweder  gar  nicht  oder  nur  ungenügend 
herausgegeben  sind;  ferner  soll  der  reichhaltigen  litteratur  der  rimur,  den  im  kvi- 
duhättr  abgefassten  gedichten  sagenhaften  Inhalts,  den  erhaltenen  resten  der  alten 
christlichen  poesie ,  sowie  den  romantischen  sagas  besondere  aufmerksamkeit  gewid- 
met werden.  Endlich  wird  der  verein  seine  tätigkeit  auch  auf  die  dänische  litte- 
ratur des  14.,  15.  und  16.  Jahrhunderts  ausdehnen. 
Die  Statuten  des  vereins  lauten: 
§  1.    Der  zweck  des  vereins  ist  es,    nordische    litteraturdenkmäler   der  älteren 

zeit  herauszugeben  und  zu  verbreiten. 
§  2.     Der  verein   hat    seinen   sitz  in  Kopenhagen ,    woselbst  er  vor  ausgang  des 

raonates  märz  seine  jahresversamlung  abhält. 
§3.    Der  vorstand,    welcher    in  der  jahresversamlung  gewält  wird,    besteht  aus 
5  in  Kopenhagen   angesessenen   mitgliederu ;    jedes  jähr  scheiden    abwech- 
selnd zwei  und  drei  mitglieder  aus  dem  vorstände  aus,    die  jedoch  wider- 
gewählt werden    dürfen.     Der   vorstand   wält  selbst  aus   seiner   mitte    den 
Vorsitzenden  des  vereins. 
§  4.     Der  vorstand  bestimt,  welche  werke  herausgegeben  werden  sollen  und  lei- 
tet die  herausgäbe  derselben;    er  besorgt   deren  Versendung  und  zieht  den 
beitrag  von  den  mitgliedern  ein.     In  der  jahresversamlung   erstattet  der 
vorstand  bericht   über   die   Wirksamkeit  des   verflossenen   jahres   und    legt 
rechenschaft  ab.     Fals  vor  dem  Schlüsse  des  kalenderjahres  vorschlage  von 
selten   der   mitglieder    des    Vereins  eingegangen    sind,    werden    diese    vor- 
gelegt. 
§  5.    Jedes   mitglied   erhält  sämtliche   nach    seinem    eintritte    von   dem   vereine 
herausgegebenen    schritten.     Neue  mitglieder  werden   durch  anmeldung  an 
den  vorstand    aufgenommen.      Der  jährliche  beitrag  beträgt    5  krönen   = 
m.  5,62,  die  bei  der  ersten  sendung  eines  jeden  jahres  durcli  postvorschuss 
erhoben  werden. 
Im    buclihandel  werden   die  schrlften  des    Vereins  nur  zu   einem   sehr 
erhöhten  preise  zu  haben  sein. 

Anmeldungen  sind  zu  richten  an  den  Vorsitzenden  des  vereins, 

pvofessor  dr.  Svend  Orundtvig, 

Kopenhagen.  V.  Platanvej. 


503 


I.     8  A  C  H  K  E  G  I  S  T  E  R. 


accent.  accontuation  iu  den  Ütfridhss. 
99  ff.  —  deutsches  betonungisgesetz 
37U  f. 

Alcuin,  quelle  für  Otlr.  114. 

Alexandorsage.  franz.  Alexandrois  des 
Eiberich  v.  Bisenzun  402.  —  des  Waltli. 
V.  Chätillon  404  f.  —  auf  die  A.  bezüg- 
liches in  einer  Oxforder  lis.  407  f.  — 
span.  poema  de  Alexandro  400  f. 

Alexius,  altfranz.  leb.  des  li.  A.  üO. 

Aldhelm  s.  glossen. 

altfranz.  stücke  z.  vorlesen  i.  d.  kirche 
60  ff.  —  fragni.  eines  altfr.  prosaroma- 
nes  429  ff. 

althochdeutsch,     kürzung  urspr.  lan- 
gen vocals  bei  Otfr.  123  f.  —  Zeitfolge 
der  abhängig,  rede  376  ff.    —    Überlie- 
ferung poet.  formein  im  ahd.  epos  120.  - 
vgl.  Otfr. 

Arnoldus  deAlmelu,  schreiber  einer  nie- 
derdeutschen paphs.  d.  XV.  jh.  49  f. 

Batulus  53. 

Beda,  quelle  f.  Otfr.  114. 

Beliand,  s    Wittig. 

Betulius  s.  Birk. 

Birk,  Sixt,  Susanna  deutsch  142  ff. 
lat.  (Betulius)  169  ff.     vgl.  Susanna. 

bluomen  Christi  482. 

Bon  er.  quellen  z.  einigen  fab.  324  ff. — 
fabeln  in  Boners  nianier  336  ff. 

Bromyard  ,  Job.  de ,  verh.  zu  Boner  333  ff. 

casus,  pronominal,  dat.  auf  n  u.  ver- 
wechsig. V.  dat.  u.  acc.  i.  d.  Ötrassb. 
hs.  bei  Massmann ,  deutsche  gedd.  des 
XII.  jh.  73  ff. 

Chemie,  werke  u.  ausdrücke  mittelalterl. 
ehem.  66  ff. 

chorgesänge  i.  drama  des  XVI.  jh.  s.drama. 

chronicon  Reicherspergense,  verh.  z.  nfränk. 
legendär  36  ff. 

Clarussage  496. 

Clemens,  leg.  v.  s.  tode  12. 

Cnostinus  s.  Knaust. 

Cosdras  32  ff. 

Cristi  bluomen  482. 

Crocus ,  Corn.,  üb.  technik  d.  dramas  136. 
polemik  ge,^.  weltl.  stoffe  u.  d.  antike 
komoedie  170. 

dialecte.  bedeutung  u.  aufgäbe  deut- 
scher dialectforschung  450  ff.  project 
deutsch,  dialectgramniatikeu  362.  450  ff. 
methode    der    dialectforschung    462  ff. 


anläge  der  gramni.  457  ff.  dialectal])ha- 
bet  458  ff.  499.  verwandig  der  dial. 
durch  einfl.  der  schriftspr.  464  ff.  lexi- 
calischc  Verschiedenheit  beider  467  ff. 
syntaktische  472  ff.  abgrenzung  der 
dialectbezirke  475  ff.  materialsamlung 
u.  Verwertung  478  ff.  —  dialectforschg 
iu  Schweden  500  ff. 

drama  im  XVI.  jh.  algemeines  129  ff. 
einfl.  der  engl.  kom.  207  ff.  202.  204. 
der  antiken  165.  184  f.  ausbeutg  eines 
dicht,  durch  d.  folg.  205.  —  technik 
136.  137.  158  ff.  177.  vgl.  165.  184  f. 
chorgesänge  142.  150.  165.  171.  Zwi- 
schenspiele 206  ff.  —  metrik  139.  145  ff. 
155  ff.  162  ff.  189.  fünftuss.  jamb.  u. 
troch.  163  f  reim  163.  164.  168.  — 
abneigung  geg.  d.  deutsche  spr.  184  f. 
gebr.  der  prosa  u.  des  dialectes  202. 
Wortspiele  154.  —  liebhaberei  f.  bibl. 
Stoffe  169  ff.  Verteidigung  der  weltl. 
Stoffe  u.  der  antik,  kom.  169  f.  176  f. 
Vorliebe  für  gerichtl.  scenen  131.  142. 
173  f.  200.  —  moral.  declamat.  154  f. 
komische  vorspiele  z.  trag.  155.  kom. 
schluss  140  f.  kom.  Zwischenspiele  206ff. 
komisch,  gebr.  des  dial.  199.  203.  der 
narr  i.  d.  engl.  kom.  (Pickelhäring)207  ff. 
i.  d.  deutsch.  211  ff.  —  Vgl.  Susanna. 

Ekkehart  IV  s.  glossen. 

Eiberich  v.  Bisenzun ,  Alexandreis  402. 

Eulenspiegel  211.  212.  213  ff. 

fabeln  s.  Bouer.  —  aus  einer  Wernigerod. 
hs.  336  ff 

Finuboga  saga  3(2  ff. 

formelhaftes  i.  reim  u.  satzbildung  mhd. 
gedd.  45.  Überlieferg  poet.  formen  im 
ahd.  epos  120. 

französ.  prosaroman,  fragm.  429  ff. 

Frischliu.  Susanna  lat.  176  ff.  deutsche 
dichtungen  184  f.     vgl.  Susanna. 

St.  Galler  hss. ,  mitteilgg.  aus  257  ff. 
collat.  V.  de  musica  257  ff.  der  St.  G. 
glaubeusbekenntnisse  274  f.  des  psal- 
terium  Notkeri  275  ff.  des  sieb,  brie- 
fes  Ruodperts  v.  St.  G.  285  f.  —  Vgl. 
glossen. 

gebet  a.  Maria,  frgm.  434  f. 

geselschaft,  kurfürstl.  deutsche,  i.  Mann- 
heim 365. 

gesta  Romanorum,  verh.  Boners  z.  ihnen 
324  f. 


504 


SACHREGISTER. 


glauben,  voiu ,  giiuiiiiiatisches,  s.  casus, 
glaubensbekeiintnisse ,    St.  Galler,    s.  St. 

Gallen, 
gl  OS  seil,  aus  codd.  Saug.:  deutsch,  vo- 

cab.  des  X.  jh.   258  if.      des  VIII.  jh. 

265  f.      zu  Aldhelm  :    enigraata  266  ff. 

de   virginitate   270  ff.     de  vitiis  272  f. 

zu  Sedulii  carmen  paschalo  273.    gl.  Ek- 

keharts  IV  z.  d.  psalraen  273.  —  gl.  i. 

der    St.  Pauler   hs.    altdeutsch,    predd. 

249  ff.  —  Essener  glossen  361.  —  frag- 

inente:    eines  glossars  d.  XI.  jh.  427  f. 

des  XIII.  jh.  228  f.  —     Kölner  natur- 
geschichtliche glossen  286  ff.     naturge- 

schichtl.  glossen  aus  hss.  d.  X  —  XV.  jh. 

299  ff. 
Goethe,   burschikose,  student.  redewen- 

dungen  71.     bezeichnung  von  personen 

durch  eigenschaftswörter  71.  —  Faust. 

spätere  Zusätze  i.  Walpurgisnachtstraum 

72  f.  —  vgl.  127. 
Gotfried.   Tristan,  reiuiniscenzen  aus 

228  ff.     benuzt   v.  Pleier  u.   v.  Job.  v. 

Wirzburg  228  f. 
Gralsage,  zur  361. 

Gregors  homilien ,  quelle  tiir  Otfr.  115. 
Grimm ,  Jacob ,  2  briefc  488. 
handschriften ,  St.  Galler,  s.  St.  Galleu. 
Hans,  bruder,  s.  Marienlieder. 
Heinrich  Julius  v.  Braunschweig. 

Susanna  189  ft'.      Sein   verh.   zur  engl. 

komöd.  206  ff.     vgl.  Susanna. 
Heinrich  v.  Veldeke,  Eneide  362. 
Helena,  leg.  v.  d.  kreuzfindung  21  f. 
Heiland ,  berührungen  mit  Otfr.  116.    vgl. 

mit  Otfr.  119  f. 
Heraclius  u.  Cosdras  32  ff. 
Hildebrandslied,    Übereinstimmung    eines 

Verses  mit  ein.  Otfr.  117. 
historia  de  preliis  402  ff. 
Hitt,  frau  483  f. 

hölle.  zwei  höllen  in  mittelalt.  leg.  45  ff. 
hof feste  in  Wien  63. 
Hohenburger  hohes  lied ,  fragm.  416  ff. 
holapfonnen  484  ff. 
homilien  s.  Gregor. 

Hrabanus  Maurus,  quelle  für  Otfr.  114. 
hymnus  Ambrosianus  de  epiphania  domini, 

quelle  Otfrids  105.  115. 
Jacobus  a  Cessolis,  Bonors  verh.  z.  325. 
Jambus,  5füss. ,  s.  draraa. 
Jerusalem  leg.  v.  d.  Zerstörung  17  f. 
Isaak  und  ßebekka  ,  s.  Tirolft". 
Johannes  de  Bromyard ,    summa   [iraedi- 

cantium ,  verh.  Bon.  z. ,  333  ff. 
Johannes  junior,    scala  caeli  ,   verh.  Bon. 

z. ,  325  ff. 
Johann   v.  Wirzburg,    benuzt    d.  Tristan 

228  f. 


Johannisfeuer  in  Tirol  484. 
Israel ,  Samuel.     Susanna  188  f. 
Judenverfolgungen   des   XI.  jh.   im  südl. 

Mittelfranken  18  f. 
juristarum  termini  317  ff. 
Kärnten,  altdtsch.  predigten  des XII.  jh. 

aus  K.  244  ff".   —     denkmäler  des  XI. 

und  XII.  jh.  aus  K.  246. 

Kaiserchrouik ,  ungenauigkeiten  in  d.  K. 
42  ff'. 

Kirchhof,  Wendunmut,  verh.  Bon.  z.  330. 

Klopstock.  jugeiidlyrik  364f.  z.  textgesch. 
des  Messias  371  f.  —  vgl.  101.  119. 123. 

Knaust  (Cnostinus) ,  Heinr.,  seine  metrik 
162  f. 

komödie,  röm.,  s.  drama.  englische,  einfl. 
auf  d.  deutsche  202.  207  ff.  Vgl.  drama, 
Susanna,  Heinrich  Julius. 

Konrad  v.  Würzburg,  frgm.  aus  d.  herz- 
maere  432  f. 

kreuzbrüderklost.  Marienfrede  218.  225.  — 
aus  breitung  der  kreuzbrüder  am  Nie- 
derrhein 224  f. 

kreuzträgerord. ,  ausbreitung  225. 

La mp recht,  x41exanderlied.  grammati- 
sches s.  casus,  handschriftenverh.  385  ff', 
verh.  V.  BVS  385  ff.   Strassb.  text  396  ff. 

Laurentius,  leg.  v.  d.  tode  12.  15  f.  58. 

lautverschiebung ,  innerer  grund  derselb. 
371. 

leich  V.  d.  Samariterin,  verh.  z.  Otfr.  117. 

legendär,  fränk.  aus  d.  auf.  des  XII.  jh. 
12  ff  ort  d.  entstehung  13.  14.  31. 
59  f.  Zeitbestimmung  18  f.  20.  art  der 
entstehung  30  f.  44.  54  ff.  dichter  58  f. 
dessen  heimat  62.  Inhalt  und  quellen 
12  ff",    zweck  u.  bedeutung  54  ff. 

legenden,  tod  des  h.  Clemens  12.  — 
Martinus  13.  —  Walpurga  13.  —  tod 
des  Laurentius  12.  15  f.  58.  —  Zerstö- 
rung Jerusalems  17  ff.  —  kreuzfindung 
(Helena)  21  ff.  —  Judas  Quiriacus  23  ff. 
—  Heraclius  u.  Cosdras  32  ff. 

Leo.  archipresbyter,  bist,  de  preliis  402  ff. 

Leopold  Vn.  V.  Ost.  hotfeste  z.  Wien  63  ff. 

Lessing  z.  Boner  329.  336. 

litanei,  grammatisches,  s.  casus. 

Luther,  empfiehlt  dramat.  spiele  175. 

Mannheim ,  kurfürstl.  deutsche  gesell- 
schaft  365. 

Maria,  trausitus  M.  58.  —  iTagm.  eines 
gebetes  a.  M.  434  f. 

Marienfrede ,  s.  d.  flg. 

Marien  lied  er,  brud.  Hansens  218  ff. 
hs.  aus  d  klost.  Marienfrede  218  f. 
spräche,  versmass  219  f.  heimat  22 i. 
lesarteu  226  f. 

Martinus,  h.,  cultus  a.  Rhein  13.  58. 


SACHREGISTER 


505 


Mattliaeuscv.  ,  frgiii.  eine«  coiuiiietitars 
■123  if. 

111  0  trik.  metr.  wert  d.  accentc  in  den  Ot- 
fridhss.  99.  vgl.  acceut,  drania,  mhd., 
Knaust. 

Merseburger  Zaubersprüche ,  veih.  z.  Otfr. 
117. 

Min.singer,  Heinr. .  Lobriser  hs.  480  ft". 
entstehungszeit  des  Werkes  481. 

mittel  hoch  deutlich,  formelhafte  satz- 
u.  reimbildung  im  mhd.  45.  —  decli- 
nation  s.  casus.  —  über  einige  fälle  des 
conj.  380  ff. 

Modwenna,  h.,  anglo-nürmaiinische  lebens- 
beschreibung  61. 

musica ,  cod.  sang,  de  m.  s.  St.  Galleu. 

Muspilli,  verh.  z.  Otfr.  117. 

narr,  d.,  i.  engl.  u.  deutsch,  drama  des 
XVI.  jh.  207  ff. 

Notkeri  psalterium ,  cod.  sang.  275  ff. 

Nürnberger  anonymus,  Susanna  151  ff. 
vgl.  Sus. 

Odo  de  Ceringtoue.  Boners  verh.  z.  329  f. 
330  f. 

Osterfeuer  in  Tirol  484. 

Otfrid.  gesch.  u.  entstehuug  des  textes 
80  ff-  urschriit  85.  verh.  der  hs.  F  zu 
V  u.  P  85  f.  verh.  von  D  zu  V  86  ff. 
entstehg  von  V  88  ff.  äussere  einrich- 
tung  von  V  106  ff.  verh.  von  P  zu  V 
90  ff.  —  acceutuatiou  der  hssl  99  ff. 
entstehg.  der  einz.  bücher  144  ff.  titel 
des  Werkes  lU6.  Sigihard ,  schreibcr 
von  r  83.  84  f.  —  kürzung  urspr.  lan- 
ger vocale  123  f.  Zeitfolge  der  abhäng, 
rede  376  ff.  —  Otfrids  leb.  IIU  f.  seine 
eigne  tätigkeit  b.  herstcUung  der  hss. 
83  ff.  —  quellen  111  ff.  verh.  z.  vul- 
gata  112  ff',  bes.  z.  ev.  .Johann.  120. 
benutzg  v.  lat.  commentaren  u.  a.  theol. 
werken ,  v.  hymnen  u.  sonst,  christl. 
dichtuugen  114  ff.  v.  deutsch,  denk- 
mälern  116  ff.  vergl.  mit  Heliand  119  ff. 
bibl.  u.  theol.  gelehrsamkeit  11''5.  dich- 
terische u.  schriftstell,  bedeutung  119  f. 

paradies.  existenz  v.  2  p  i.  d.  mittelal" 
terl.  leg.  52. 

Paulus,  ap.,  quelle  f.  d.  nfräuk.  legendär  12. 

Paulus  diaconus ,  verh.  Bon.  z.  326. 

Petrarca,  Bon.  verh.  z.  326. 

Petrus  Alfonsi,  Bon.  verh.  z.  325.  332. 
342. 

Pickelhäring  i.  d.  engl.  kom.  207  ff. 

Pilatus ,  grammatisches ,  s.  casus. 

Pleier ,  d. ,  benuzt  d.  Tristan  228  f. 

poema  de  Alexandro,  span.  400  f. 

predigten,  altdeutsche,  aus  d.  Bene- 
diktinerstift St.  Paul  i.  Kärnten  244  ff. 


heimat  u.  alter  der  hs.  245  ff.  sjtrachl. 
eigentündichkeiten  246  ff.  glosseii,  bil- 
derreichtuni  249.  textkritik  249  ff.  glos- 
sar  250. 

predigtsamlung,  frgm.  einer,  aus  d. 
XIV.  jh.  420  ff. 

jirosaroman  ,  altfrauz. ,  frgm.  429  ff. 

Pseudokallisthen.  s  402  ff. 

rätsei  V.  tieren  344  ff. 

Rebekka,  Isaak  u. ,  s.  Tirolff. 

reim  s.  metrik. 

Rebhun,  Susanna  156  ff.  vgl.  Sus.  — 
deutsche  grammat.  168  f. 

Roberti  anonymus,  Boners  verh.  z.  332. 

Ruodperts  v.  St.  Gallen  7.  brief,  cod.  Sang. 
285  f. 

Samariterin,  leich,  verh.  zu  Otfrid  117. 

Sapphische  chöre  im  drama  des  XVI.  jh. 
150. 

schachbuch,  mitteldeutsch..  Boners  verh. 
zum  325. 

Schoenaeus.  Susanna  lat.  185  ft'.  —  Te- 
rentius  christianus  186.     vgl.  Sus. 

Sedulius,  d.  alt.  u.  d.  jung.,  quelle  für 
d.  nfränk.  legendär  14  f. 

Sedulii  Carmen  paschale,  glossen  zu  273. 

Sigihard,  Schreiber  des  Otfridtextes  F  83. 
84  f. 

Stöckel ,  Susanna  175  ff. 

Susanna,  dramatisierungeu  im  XVI.  jh. 
129  ff.  allgemeines  129  ff.  217.  —  16 
bearbeitungen  132  ff.  —  Wiener  ano- 
nymus 135  ff.  dramatisches  geschick 
136  ff.  abweichg  v.  d.  bibl.  erzählung 
138.  sjiraciie,  metrik  139.  komischer 
schluss  140  f.  —  Sixt  Birck  142  ff. 
chorgesänge  142.  fortschritt  in  d.  be- 
haudlung  des  einzelnen  143.  metrik 
145  f.  150  f.  —  Nüriib.  anonym.  151  ff. 
verh.  des  Nürnb.  druckes  z.  Magdebur- 
gischen 132  f.  kom.  Vorspiel  155.  ab- 
weichg vom  bibl.  bericht  154.  moral. 
declamationen  154  f.  metrik  155.  — 
Rebhun  156  ff.  benuzt  Birk  156  ff.  treft- 
liche  technik  158  ff.  Charakteristik  160. 
metrik  162  ff.  Umarbeitung  durch  Seb. 
Wagner  166  ff.  —  Sixt  Birk,  lat.  bear- 
beitung  (Betulius)  169  ff".  Verteidigung 
der  weltl.  stoffe  u.  d.  antik,  konioed. 
169  f.  vergl.  mit  d.  deutschen  stück 
172  f.  -  Stöckel  175  f.  —  Frischlin. 
lat.  bearbeitg  176  ff.  benuzt  Betul.  u. 
Rebh.  177.  179.  technik  177.  treffl. 
charakt.  178  ff.  —  Schoenaeus,  lat.  185  ff. 
benuzt  Frischlin  186  f.  —  Samuel  Israel 

188  f.  —    Heinr.  Jul.  v.  Braunschweig 

189  ff.  benuzt  Frischlin  189  ff.  spräche 
(prosa ,  dialect)  202  f.     verh.  z.    engl. 


506 


VEBZEICHNIS   DER   BESPROCHENEN   STELLEN 


koiii.  207  tt".  der  narr  verschiedeu  von 
dem  engl.  211  ff.  verschiedene  beurtei- 
lungen  des  stücks  203  ff. 

syntax.  Zeitfolge  der  abhäng,  rede  im 
Deutsch.  376  ff.  —  über  einige  fälle  des 
conj.  i.  mhd.  380  ff. 

Tanfana  370. 

Tatian  nicht  quelle  Otfr.  112.  vgl.  117. 
120. 

Terentius  christianus  des  Schoenaeus  186. 

termini  juristarum  317  f. 

Thomas,  leb.  des  h.  61  f. 

Tirolffs  Isaak  u.  Eebekka  160. 

trochaeus,  5füss.  i.  drama  des  XVI.  jh. 
s.  drama. 

Urzeit,  deutsche,  366  ff.  äussere  zu- 
stände 366  ff.     innere  368  ff. 

Vagdabera  Custia  370. 

Vincentiiis  Bellovaceusis ,  Bon.  verh.  z. 
325.  328  f.  329.  —  vgl.  39  f. 

vocabularien ,  altdeutsche  s.  glossen. 

vocabularius ,  lat.  -  deutsch,  s.  glossen. 

vocalismus,  üb.  germanisch.  235  ff. 

Volksrätsel,  d.  tierweit  i.  v.  344  ff. 


Vgluspä,  eine  nachahmung  der  sibyllin. 
Orakeldichtung  496. 

Vulgata,  als  quelle  Otfr.  111  ff".   120  f. 

Wagner,  Seb.,  Umarbeitung  der  ßebhuu- 
schen  Susanna  166  ff. 

St.  Walpurga,  statten  ihres  cultus  13. 

Walther  v.  d.  V.,  sein  zweiter  aufent- 
halt  i.  Wien  62  ff. 

Wall  her  v.  Chätillon,  Alexandreis  404  f. 

Weigand,  F.  L.  K.,  233  ff. 

Wiener  anouymus ,  Susanna  135  ff.  vgl. 
Sus. 

Wittig  V.  Jordan ,  frgm.  des  435  ff.  ver- 
gleich der  Gothaer  hs.  mit  d.  Harden- 
bergischen frgm.  441  ff.  schluss  der 
Gothaer  hs.  444  ff 

Wolfgers ,  bischof  v.  Passau,  reiserechngg. 
63  f. 

Wolfram.  Parzival,  fragm.  in  d.  Mi- 
lichschen  biblioth.  in  Görlitz  1  ff.  — 
verh.  V.  Titurel  u.  P.  126  ff.    vgl.  486. 

Wortspiele  i.  drama  des  XVI.  jh.  154. 

Wright,  selections  of  latin  stories,  paral- 
lelen z.  Bon.  331  f. 


11.     VPJRZEICHNIS  DER  BESPROCHENEN  STELLEN. 


Otfrid. 
I, 


Llthoclideutsch. 

1,    17  s.  110  f. 

13  s.  113. 

19,  7  s.  96  f. 

31  s.  114. 

15  s.  95. 

m,  3,  13  s.  111. 

1,  17  s.  239. 

24  s.  94. 

4,  47  s.  114. 

18  s.  239. 

20,  35  s.  124. 

119  s.  114. 

2,  1  s.  112  f. 

21,  14  s.  95. 

6,  35  —  36  s.  115 

8,  2  s.  239. 

22,  16  s.  124. 

7,  45  s.  97. 

4,  41  s.  114. 

23,  10  s.  90. 

8,  41  s.  114. 

42  s.  239. 

25,  12  s.  93  f. 

9,  8  s.  95. 

48  s.  239. 

20  s.  94. 

9  s.  125. 

51  —  56  s.  111. 

26,  14  s  96. 

12,  39  s.  98. 

5,  10  s.  97. 

II,  3,  2-5  s.  124  f. 

40  s.  93. 

7,  28  s.  116  f. 

4,  3-4  s.  94. 

14,  5  s.  125. 

10,  13  —  14  s.  113. 

29  s.  125. 

79  s.  94. 

11,  13  s.  97  f. 

6,  44  s.  95. 

98  s.  125. 

11,  55  s.  115. 

53  s.  125. 

22,  59  s.  96. 

12,  31  s.  115. 

8,  37  s.  93.  96. 

IV,  11,  5  s.  113. 

15,  18  s.  113. 

41  s.  91. 

15,  25'^  s.  125. 

34  s.  87. 

9,  94  s.  239. 

30  s.  239. 

45  s.  94. 

13,  28  s.  113. 

18,  28  s.  125. 

16,  16  s.  96. 

14    s.  117  f. 

41  3.  125. 

23^  s.  87. 

14,  71  s.  113. 

21,  3  s.  125. 

17,  9  s.  95. 

14,  89  s.  125. 

22,  1"  s.  114. 

43  s.  90. 

18,  9  s.  95. 

24,  6  s.  98. 

75  s.  98. 

21,  38  s.  98. 

27,  23  s.  113. 

18,  9  s.  117. 

22,  9  s.  113. 

30,  2  s.  113. 

VERZEICHNIS    DER   BESPROCHENEN   STELLEN 


507 


IV,  31,  17  s.  239. 

36,  17  s.  113. 

V,    6,  22  s.  125. 

12,     1  s.  115. 

11  —  14,  s.  115. 
100  s.  239. 
23,  137  —  44  s.  111. 
201—204  s.92f. 
25,  1  —  6  s.lll. 


Mittelhochdeutsch. 


Boner: 


fab.  2  s 

329. 

4  s 

335. 

42  s 

341  f. 

43  s 

332. 

48  s 

326. 

49  s 

330. 

52  s 

326. 

53  s 

335. 

57  s 

336  f. 

58  s 

324.  335. 

70  s. 

330  f.  335. 

71  s 

325.  334. 

72  s. 

326. 

74  s. 

325.  334. 

76  s. 

325. 

82  s. 

326.  339  f. 

85  s. 

331  f. 

87  s. 

332  f. 

89  s. 

335. 

92  s 

324.  335. 

94  s. 

327.  334  f. 

95  s. 

327  f. 

96  s. 

333  f. 

97  s. 

324. 

98  s. 

328. 

99  s. 

335. 

100  s. 

324.  334. 

Kaiserchronik : 

11281- 

-92  s.  42f. 

11309- 

-23  s.  43. 

Lamprecht,  Alexander: 

S        Y 

V.  306  =  190  =  B  s.  359. 

190, 12  s.  392. 

322  =  190,  25  =  B  s.  393. 

335  =  191,5   =Bs.390. 

345  s.  390. 

385  s.  393. 

416  =  193,1    =Bs.393. 

457  s.  393. 

488  =  194,22  =  Bs.394. 

199,  3  s.  403. 

998  =  204,2   =Bs.  391. 

1009  =  204,8    =Bs.395. 

1058  =  204,  22  =  B  s.  391. 

1093  =  205, 10  =  Bs.  392. 

1135  =  206,2   =Bs.392. 

1149=206,9    =Bs.394. 

1239  =  207, 36  =  B  s.  392. 

1256-59=208,7ff.=Bs.389. 

1347  s.  390. 

1371  =  210,  22  ==Bs.  394. 

1396ff.=21  l,16ff.=B  s.386f. 

1411  =  211.  21  =Bs.  394. 

1438  =  212,8   =Bs.393. 

1488  =  213, 14  =  Bs.  393. 

1494  =Bs.389. 

1503ff.=  216,8ff.  =  Bs.387. 

1557  =  215,7   =Bs.394. 

1578  =  215,  24  =  Bs.  393. 

1581  =  215,  27  =  Bs.  395. 

1735  fF.  s.  390. 

218,2  S.395. 

218,  8  =  BS  s.  395. 

219,5  s.395. 

1738ff.  =  219.9   =Bs.388. 

1759f.  =  219,  13  =  Bs.388. 

1761  s.390f. 

1796  =  219, 28  =  B  s.395. 

220. 15  s.  395. 

1857  =  221,  13  =  B  s.395. 

2001  =  225,1    =B  s.395. 

2013  =  22.5,6    =B  s.395. 

2300  s.396.  399  if. 

2457  =  B  s.  396. 


S 
3230  f. 
3453 
3547 
3606 
3665 
5057 
5125  f. 
5599 
5721 
6567 


s.396. 

S.397. 

S.397.  414  f. 

s.397.  415  f. 

s.397. 

s.  398.  416. 

=  Bs.398. 

=  Bs.398. 

=  Bs.399. 

=  B  s.  399. 


Altdeutsclie    i)redigten    ed 
Ad.  Jeitteles: 
4  s.  253. 
4,  12  s.  251. 
6,  10  s.  251. 
19  s.  251. 
13,  14  s.  250. 
18  s.  253. 
23,  23—24  s.  254. 
25,  2  s.  250. 
28  s.  254. 

33.  5  s.  251. 

12  s.  250.  251. 

34,  29  s.  250. 
40,  24  s.  251. 

43,  19  s.  251. 

44,  13  s.  252. 
24  s.  252. 

45,  24  s.  252. 

49,  24  s.  252. 

50,  26  s.  250. 

51,  23  s.  251. 

52,  15  s.  252. 

53,  25  s.  251. 
.54,  1     s.  252. 

2     s.  250. 

56,  26  s.  251. 

57,  26  s.  251. 

58,  20  s.  250. 
60,  7  s.  250. 
68,  9    s.  251. 

Walther  v.  d.  Vogelweide 
25,  26  s.  63  ff. 
25,  35  s.  65. 


III.     WORTEEGISTER. 


Mittellateinisch. 

araudare  324. 
arra  323. 
arrestare  323. 
cardo  314. 


carpenus  316. 
cassidolus  315. 
castanicus  314. 
cornupis  315. 
cornus  316. 
doreiis  315. 


encheiresis  6G  f. 
emgo  314. 
exp  agare  322. 
foca  315. 
gladius  315. 
homagium  .321. 


508 


WORTREGISTER 


hortiganum  321. 
ilex  316. 
juniperus  317. 
lucar  323. 
mercipotus  322. 
muUus  315. 
ornus  316. 
palmitare  323. 
platanus  316. 
psalmus,  psalteriura  97. 
precium  321. 
prinus  317. 
sompnifer  314. 
sosorra.t  324. 
taxus  317. 
terebinthus  317. 
tribvüus  316. 
ulnus  316. 
vimen  317. 


Altnordisch. 

fafnismäl  375. 
gora  373  f. 
padreimr  496. 
pulkrokyrkja  496. 
VQlva  496.' 


Althochdeutsch. 

brumio  118. 
otigil  118. 
lobduam  239. 
puzzi  118. 
salmo,  salteri  97. 


.sextäri  118. 
zepar  371. 

Mittelho  ch  deutsch . 

dünken  constr.  77.  78. 
heizen  constr.  77.  78. 
irwern  constr.  76. 
läzen  constr.  77. 
müwen  constr.  77.  78. 
rüwen  constr.  77.  78. 

Neuhochdeutsch  und 
dialecte. 

fiedler,  fiedel,  fiedeln,  fie- 
delbogen 70. 
holapfounen  484  ff. 

Niederdeutsch. 

anvertigen  322. 
arn  78. 
bede  .321. 
bön  349. 
butinge  321. 
czerte  316. 
degen  323. 
cruppelk  3(J0. 
düftertke,  düwke  353. 
erworgen  322. 
fäske  358. 
ffeneren  78. 
fömmeln  356. 
gheneren  78. 
balbvisch  315. 


hodere  232. 
buwke  353. 
inleger  321. 
kösske  356. 
kreken  317. 
lezynbom  317. 
nare,  uarwe  78. 
pipop  348, 
plässere  351. 
pungel  355. 
quarrop  348. 
raren  350. 
reitar  355. 
schär  349. 
schnodderlang  359. 
sei  315. 
slie  315. 
smarre  78. 
snare  323. 
suns,  sunist  360. 
toherdeu  322. 
twierstrid  322. 
uekelei  315. 
ungelt  .321. 
utpanden  322. 
utvodere  232 
vlederbom  317. 
vlomen  323. 
warnen  (wernen)  79. 
warpap  (wappup)  348. 
wöppop  (wippup)  348. 
wrad  232. 
weclon  321. 
zech  349. 
zichlein  355. 


Berichtigung. 

S.  412  z.  13  V.  u.  lies: 

Hnde  ga^y  im  funfzic  pimnt 

n/nde  silber  iinde  cfolt: 

des  ivart  ime  der  hininc  holt. 


Halle  .    Bl.plir 


ei  <l?s  Wnipenliauses. 


PF       Zeitschrift  für  deutsche 

3003        Philologie 

Z35 

Bd.  11 


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