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ZEITSCHRIFT
FÜR
DEUTSCHE PHILOLOGIE
HERAUSGEGEBEN
VON
Dr. ernst hopfner und Dr. JULIUS ZACHER
PROVINZIALSCHULBAT IN KOBLENZ PROF. A. D. UNIVERSITÄT ZU HALLE
iisqh
ELFTER BAND
HALLE,
VERLA« DER BUCHHANDLUNG DES WAISENHAUSES.
18 80.
Ff
3oo3
INHALT.
Sßite
Görlitzer bruchstück aus Wolframs Parzival. Von E. Joachim 1
Pin legendär aus dem anfange des zwölften Jahrhunderts. Von Hugu Busch.
(Schluss) 12
Zum zweiten Wiener aufenthalte Walthers von der Vogelweide. Von J. E.
Wackern eil 62
Über zwei stellen aus Goethes Faust. Von Heinrich Düntzer 66
Einige fälle des pronominalen dativs auf w und der Verwechselung von dativ
und accusativ. Von K. Kinzel 73
Beiträge aus dem Niederdeutschen. Von F. Woeste 79. 232. 360
Die dramatisierungen der Susanna im 16. Jahrhundert. Beitrag zur entwick-
lungsgeschichte des deutschen dramas. Von R. Pilger 129
Zu bruder Hansens Mariculiedern. Von F. Gerss 218
Reminiscenzeu aus Gotfrids Tristan. Von M. Strobl 228
Aus Sanct Galler haudschriften. Von P. Piper 257
Bruchstück eines lateinisch - deutschen vocabulars. Von W. Schmitz 286
Die nomina volucrum und die termini juristarum. Von J. Zacher 299
Quellen zu einigen fabeln Boners. Von R. Gottschick 324
Fabeln aus einer Wernigeröder handsclirift. Von J. Zacher 336
Die tierweit in volksrätseln aus der provinz Preussen. Von H. Frischbier.... 344
Zu Lamprechts Alexander. Von K. Kinzel.
I. Das handschriftenverhältnis des Alexander 385
II. Zum Strassbiu'ger texte von Lamprechts Alexander 396
Zu Lamprechts Alexander. Von J. Zacher 399
Bruchstücke aus der samlung des freiherrn von Hardenberg. Zweite reihe
(fortsetzung zu bd. IX, s. 395 fg.)
1. Hohenburger Hohes lied 416
2. Aus einer predigtsamlung des elften jahrh 418
3. Aus einer predigtsamlung des vierzehnten jahrh 420
4. Aus einem commentar zum Matthaeusevangelium 423
5. Aus einem glossare des elften jahrh 427
6. Aus einem glossare des dreizelinten jahrh 428
7. Aus einem französischen prosaromane 429
8. Aus Konrads v. Würzburg Herzmaere 432
9. Aus einem gebete an Maria 434
10. Aus Wittig vom Jordan 435
Über die Gothaer handschrift des Wittig vom Jordan. Von K. Regel 441
Über deutsche dialectforschung. Von Ph. Wegener 450
Die Lobriser handschrift von Heinrich Minsinger. Von H. Meisner 480
Kleinere mitteilungen. 1. Cristi bluomen. 2. Frau Hitt. 3. Holapfonnen. Von
L Zingerle 482
Berichtigung. Von K. Domanig 486
IV INHALT
Seite
Miscellen.
Einladung zur philolögenversamluug in Trier 128
Bericht über die Verhandlungen der deutsch -romanischen abteilung der philo-
logenversaiuluug zu Trier, von Franck 361
Zwei briefe von Jacob Grimm, mitgeteilt von J. Im el mann 488
Verein für herausgäbe alter nordischer litteratur 503
L i 1 1 e r a t u r.
Otfrids Evangelicnbuch , herausg. von Piper: angez. von Erdniann 80
K. Do man ig, Parzivalstudien; angez. von K. Kinzel 126
0. Bindewald, Zur eriniierung an F. L. K. Weigand: angez. von Gombert 233
H. Paul, Untersuchungen über den gernian. vocalisnius; angez. von Chr. Bar -
tholomae 235
Kelle, Glossar zu Otfrids evangelienbuch; angez. von 0. Erdmanu 238
Lexer, Mittelhochdeutsches handwörterbuch: angez. von K. Kinzel 339
Lexer, Mittelhochdeutsches taschenwörterbuch ; angez. von K. Kiuzel 243
Altdeutsche predigten, herausg. von Ad. Jeitteles; angez. von K. F. Kummer 244
J. Kost, Die syntax des dativus im althochd.; angez. von E. Bernhardt .... 256
W. Arnold, Deutsche urzeit; angez. von Th. v. Hagen 366
E. Hamel, Zur textgeschichte des Klopstockschen Messias; angez. von 0. Erd-
mann 371
Finnboga saga hins ramma, herausg. von H. Gering; angez. von B. Sijmons 372
0. Behaghel, Die Zeitfolge der abhängigen rede im deutschen; angez. von
H. Klinghardt 375
L. Bock, Über einige fälle des conjunctivs im inhd.; angez. v. H. Klinghardt 375
A. Schultz, Das höfische leben zur zeit der minnesinger: angez. v. K. Kinzel 489
Regeln für die deutsche Schreibung, herausg. von dem verein für deutsche recht-
schreibung; angez. von K. Kinzel 495
Chr. Bang, Voluspaa og de sibyllinske orakler; angez. von H. Gering 496
Clarus saga ed. C. Cederschiöld ; angez. \on H. Gering 496
Literaturblatt für germanische und romanische philologie, herausg. von 0. Be-
haghel und Fr. Neumann; angez. von J. Zacher 498
Jahresbericht über die erscheinungen auf dem gebiete der germanischen philo-
logie für das jähr 1879. Herausg. v. d. gesellsch. für deutsche philologie
in Berlin; angez. von E. Henrici 499
Lundell, Nyare bidrag tili kännedom om de svenska landsmälen : angez.
von H. Gering 500
Register von E. Matthias 503
GÖRLITZER BRUCHSTÜCK AUS WOLFRAMS PARZIYAL.
Unter den liandschriften der Miliclischen bibliotliek zu Görlitz
befindet sich ein bruchstück aus Wolframs Parzival, welches nunmehr
hier volständig veröffentlicht wird, nachdem bereits 1841 im 19. bände
des Neuen Lausitzischen Magazins eine probe davon mitgeteilt worden
war. Es befasst zwei pergamentene doppelblätter in quart, welche
einst als buchdeckel gedient haben, wie sich ergibt aus der darauf
geschriebenen bemerkung von einer band des 15. Jahrhunderts: ,,liber
magistri Audree Rüdiger. 75. Nunc Magistri Pauli Suoffheim de Gor-
licz Nepotis."
Andreas Rüdiger, aus Görlitz gebürtig, war professor an der Leip-
ziger Universität, sowie collegiat des grossen fürsten - collegii. Im
jähre 1451 war er rector der Universität, und 1452 dekau der theolo-
gischen facultät. Er starb als domherr der Stifter Meissen und Bautzen
am 7. juni 1495 zu Leipzig, woselbst er in der Paulinerkirche an der
morgenseite des decemviralbegräbnisses beigesezt wurde und einen lei-
chenstein mit seinem bildnis in seiner amtstracht erhielt.^ Andreas
Rüdiger war in schrift und rede ein eifriger gegner der damaligen
römischen hierarchie und so standen auch seine Schriften im catalogus
librorum prohibitorum unter der ersten Masse.
Paul Suoffheim, oder Schwoffheim, war der enkel des Andreas
Rüdiger und war ebenfals professor der theologie in Leipzig, collegiat
des grossen fürsten - collegii , dekan der philosophischen facultät und
rector der Universität. Er starb 1539 als domherr zu Meissen.^
In richtiger Würdigung hat jemand die pergamentblätter abgelöst
und damit dem drohenden untergange entzogen.^ Jezt befinden sie
1) Es ist dieser grabsteiu hinge zeit für den des Tozel gehalten worden,
indem man das etwas unförmliclie buch , welches der mann in seinen bänden liält,
für einen vollen geldsack ansah.
2) Über Andreas Eüdiger und Paul Schwoffheim vgl. das lexicou Oberlau-
sitzischer schriftsteiler und künstler von Gottlieb Friedrich Otto. Görlitz 1803.
3) Gustav Köhler, der Verfasser des schon oben erwähnten aufsatzes im
19, bände des Neuen Lausitzischen Magazins, vermutet, dass das bruchstück vom
gymnasial - conrector Geissler (bibliothekai' der Milichschen bibliothck vom jähre
1755 — 1765) gerettet worden sei.
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI. 1
sich in der haiulscliriftensamhuig der Milichsclieu bibliothek zu Gör-
litz unter nr. 441. fol. ;^ wann und wie sie aber dabin gelangt sind,
wissen wir nicht. Die von Gustav Köhler im 19. bände des Neuen
Lausitzischen Magazins aufgestelten behauptungen über ihr Schicksal
sind nur unerwiesene Vermutungen. Der hinweis (s. 403) auf Script,
rer. Lusat. I. s. 340, welcher mit der behauptung in Verbindung gebracht
ist, dass diese pergamentblätter als hülle eines „scholastischen Wer-
kes" mit diesem unter andern büchern von ihrem lezten besitzer Paul
Scliwoffheim an die bibliothek des ehemaligen Franziskanerklosters zu
Görlitz geschenkt worden seien, ist in dieser beziehung durchaus nich-
tig, da an der erwähnten stelle wol von schenknngen an die kloster-
bibliothek im algemeinen die rede ist, nicht aber von einer Schenkung
des Paul Schwoffheim oder irgend einer andei-en person. Nnr so viel
steht fest, dass die blätter als liülle eines buclies aus dem nachlasse
des Paul Schwoifheim in seine Vaterstadt Görlitz, und liier früher oder
später, jedoch schon im vorigen Jahrhundert, zur Milichschen biblio-
thek gekommen sind.
Das aus zwei pergamentenen doppelblättern in quart bestehende
bruchstück ist geschrieben von einer zwar nicht kalligraphisch aus-
gebildeten, aber doch festen und deutlichen band, die sicher noch dem
13. Jahrhundert, und wol noch dessen erster hälfte angehört. Linie-
rung ist nicht vorhiüiden, docli sind die Zeilen gerade, und die capital-
buchstabeu , mit denen jede verszeile begint, stehen, von dem zu ihnen
gehörigen worte durch einen kleinen Zwischenraum getrent, genau senk-
recht unter einander. Das i ist überall noch ohne punlvt, für das s
ist durchweg, auch im auslaute, das lange zeichen f gebraucht. Jede
zeile schliesst mit einem punkte, hat aber abgesehen hiervon keinerlei
interpunction. Meist begint jede dreissigste verszeile mit einer bis an
die darüber stehende zeile hinaufreichenden roten initiale und grösten-
teils treffen diese initialen mit den anfangen der dreissigzeiligon absätze
in der Lachmannschen ausgäbe zusammen. Ohne solche rote initialen
beginnen nur die absätze 521. 572. 587, 588. 589; dagegen sind mit
solchen ausgestattet die verse 587, 5 und 588, 7. Jede seile enthält
2 spalten, von ursprünglich 40 versen; doch hat davon das erste und
das zweite blatt je 3 verse am unteren, das dritte je 6 am oberen, und
das vierte je 5 ebenfalls am oberen rande eingebüsst. Ausserdem ist
dem ersten, und ebenso dem vierten blatte die spalte bc durch abschnei-
den fast ganz verloren gegangen, so dass auf den Vorderseiten nur die
1) S. die geschichte der Milichschen bibliothek von dr. Eobert Joachim. I.
Seite XXX. 4.
G((RI.ITZER PARZIVALTiRUCIISTÜCK 6
versanfäiige von den hpalteu b, und auf den rückseiten nur versaus-
gänge von den spalten c übrig geblieben sind , die sich bei 1 c auf
wenige budistaben beschränken. Das erste l)latt enthielt ursprünglicli
die verse 516, 11 — 521, 20, das zweite 553, 28 — 559, 7, das dritte
569, 29 — 575, 10, und das vierte 586, 12 — 591, 24. Das erste blatt
bildet mit dem zweiten, und ebenso das dritte mit dem vierten je ein
doppelblatt. Es scheinen zu fehlen zwischen dem ersten und zweiten
blatte 6 blätter (= 3 doppelblätter) , zwischen dem zweiten und drit-
ten 2 blätter, zwischen dem dritten und vierten 2 blätter (= 1 dop-
pelblatt). Darnach lässt sich vermuten, dass die handschrift in qua-
ternionen geschrieben und geheftet war, und dass die erhalteneu blät-
ter solchen quateruionen sich folgeudermassen eingeordnet hatten:
1 * * * I * * * 2 und * * 3 * I * 4 * *. Von den erhaltenen bruchstückeu
fällt bl. 1 in das zehnte , bl. 2 und 3 in das elfte , bl. 4 in das zwölfte
buch des Parzival. Im 10. und 11. buche verschwindet der gegensatz
der beiden textklassen D und G fast völlig. Dem entsprechend lässt
sich auch nicht mit voller Sicherheit erkennen , welcher von diesen bei-
den textklassen der auf den blättern 1, 2 und 3 enthaltene text zuge-
wiesen werden müste; dagegen stelt sich der zum 12. buche gehörige
text des vierten blattes ganz entschieden zu der textklasse G , und dazu
stirat es genau, wenn aus den resten der spalte 4c deutlich zu erken-
nen ist, dass die verse 589, 27 — 29 in einen vers zusammengezogen
waren. Dagegen ist die auslassuug von vers 588, 12 ein blosses ver-
sehen des Schreibers.
Der hier folgende abdruck gibt den text der handschrift mit buch-
stäblicher treue wider; nur der strich über vocalen im wortauslaute ist
im abdrucke durch u ersezt, und statt des in der handschrift allein
herschenden langen stets das bequemere kurze s gebraucht worden.
Einzelne buchstaben, silben oder Wörter, die in der handschrift so gelit-
ten hatten, dass sie nur mit hilfe der Lachmanns(dien ausgäbe gelesen
oder ergänzt werden konten, sind im abdrucke mit cursivtypen wider-
gegeben worden,
Erwäluit, aber auch eben nur erwähnt waren diese bruchstncke
bereits in Goedekes Deutsche dichtuug im Mittelalter. Hannover 1854
s. 738, und darnach in Pfeiffers Quellenmaterial zu altdeutschen dich-
tungen (Denkschr. d. Wien. akad. phil. bist. cl. bd. XVII. 1867) 2, 36
unter nr. 43. Als vierzigzeilig gesellen sie sich den bei Pfeiffer auf-
geführten nummern 19 (pgin. 13. jh. J. Grimm, bei Lachmanu I);
29 (pgm. 13. jh. Karlsruhe); 38 (Stuttgart); 40 (pgm. 13. jh. Würz-
burg); 41 (Berlin).
1*
l^latt 1. vonv. spalte a.
516 11 S waz si hat . . . Gawan.
I u ir zorn missetaii.
0 d daz si noch getiit gein im.
D ie räche ih alle von ir nim.
15 0 j-gillus div riche.
F ur vngesellec?ic7^e.
Z e Gawan si kom geriten.
M it also zornlichen siten.
D az ihs tvenic mih trost.
20 D az si mih von sorgen lost.
S i riten dan beide.
Vf ein liht heide.
E in chrnt Gawan da stende sach.
D ez wrz ze der wunden helfiach.
25 D 0 erbaizt der werde.
N ider zv der erde.
E r grub si wider uf er saz.
D iv fro ir rede niht vergaz.
S i sprach chan der geselle min.
30 A rzet vnd riter sin.
517 E r mag sich hart wol beiagen.
G elernet er bussen veil tragen.
Z e der frowen sprach Gawans
mvnt.
1 ch reit vf ein riter wnt.
5 D es dah ist ein linde.
0 b ih den noh vinde.
D isiu wrz sol in wol ernern.
Und alle sin vwchraft er-
wern.
S i sprah daz sihe ih gern.
10 W as ob ih chnnst gelern.
D a für im bald ein knape nah.
I) em was ze der botschaft gab.
D ie er werben sohle.
G awan niht beiten wolde.
15 D 0 duht er in . . . hiwer.
M ala creatiir.
17 H iez der knape fiere.
{abgeschnitten 3 verszeüen.)
sp. b.
21 G ar wa
I m stunt
A Is ein eber
LT ngelich men
25 Im was daz
A Is is Gundr
C hurz schraf
B i dem wazer
I n dem lande
30 W ahsent
518 U nser va
D ie chunst
E r gap allen
B eidiv wilde
5 E r er chan d
D arzu der
D er siben
W az die chref
E r chand all
10 U nd waz ies
D 0 siniv kin^
G ewnuen daz
Wrden mens
E r widerriet
15 S wa siner
V il diche er
D eu rat er
V il wrz er
D ie mensche
20 U nd sin ge
A nders dann
D 0 er ze we
S prah er
Nif, Sit an se
25 D iv ^vi]) tat
E tslicher rie
D az si div
(abgeschnitten 3 verszeilen.)
GÖRLITZER PARZrV'ALBRÜCHSTÜCK
rückw. sp. c.
519,
10
al
11
as
22
r.
24
r.
(nur so viel ist von dieser spalte
übrig gehliehen, alles andere ist
ahgeschnitten.)
sp. d.
520, 11 I edoli ein be/er phaeiit reit.
D es tags da parcital erstreit»
A b oriluse die hulde.
D ie vlos si an alle ir schulde.
15 D er knape an Gawanen sach.
M aleventure mit zorn sprach.
H erre sit ir von riters art.
S i moht ir gern lian bewart.
I r dunchet mih ein tnmb man.
20 D az ir min fron füret dan.
( h wert irs vnder wiset.
D az mau ivch darunib priset.
0 b siclis erwert iwer haut.
S it abir ir ein sariant.
25 S 0 wert ir galünet mit staben.
D az irs gern moht haben.
G awan sprach min riterschaft.
E rleit nie solher zvht chraft.
S US sol man walchen campel
her.
30 D ie uechunnen mit manlicher
wer.
521 I ch pin nohledichvon solhen pin.
W elt aber ir und div fro min.
M ir smaehe rede bieten.
1 r mvzet ivch ein nieten.
5 D az ir wol mvgt für zürne hau.
S wie fr eislich ir sit getan.
I ch enber doh sanft iwer dro.
G awan in beidem hare do.
B egraif unt(?) swanc in vnders
pherit.
10 D er knap wis vnd wert
V orhtlichen wider sach.
S in igelmaeziges har in räch.
D az versueit Gawan so die haut.
D iv wart von blüt al rot be-
chant.
15 D es lacht div vrow.
S i sprah vil gern ih schöwe.
17 I vch zwen sus
(ahgeschnitten 3 verszeüen.)
*
fehlen 6 hl. (:=: 3 doppelhlätter).
*
Blatt 2. vorw. sp. a.
553,28 . . brach ir slaf des si e phlach.
V nd gie zv ir gast.
D er sleif dannoh al vast.
554 D iv maget ir dienest niht ver-
gaz.
F ur daz bette vf den tepih si
saz.
D iv clare ivnchvro.
B i mir ich selten schowe.
5 D az mir abendes od fru.
S olich aveutiwer sleich zu.
B i einer wile Gawan erwacht.
E r sach an sie und lacht.
E r sprach got halde ivh vro-
welin.
10 D az ir durch den willen min.
I wern slaf durch mih brechet.
U nd an iv selben rechet.
D ez ih niht han gedienet gar.
D 0 sprach div meit wol gevar.
15 I wers dienst wold ih enbern.
I ch sol niwan hulde gern.
H erre gebietet vber mih.
S was ir gebiet daz leist ih.
A Ue die mit minem vater sint.
20 B eidiv min mvter und ir chint.
S uln iv ze eren iemer han.
S 0 lip liapt ir uns getan.
E r sprali sit ir lang chomen.
H et ich iwer chraft e vernomen.
25 D az war mir lip durh fragen.
W olt ivli des niht betragen.
D az ir mir geruchet sagen.
I eil bin in diseu zwein tagen.
V il fron ob mir da gesehen.
30 V on den sult ir mir verleben.
555 D urch iwer gute wer die sin.
D 0 erscraht daz ivncvrowelin.
S i sprach herre nv fragt ez
niht.
4 I ch bin divez niemer iv vergibt.
(abgeschnitten 3 versseilen.)
s}). h.
8 U nd fraget ander maere.
D az rat ih weit ir volgen mir.
10 G awan spracb abir zir.
M it frage er gie dem maere
nacb.
U mb alle die frön die er da
sach.
S itzende vf dem palas.
D iv maget so wol getriwe was.
15 D az si von herzen weinde.
U ud groz chlage erscheinde.
D anoh was ez hart frü.
I nners des gie ir vater zu.
D er liez ez au zorn gar.
20 0 b der maget wol gevar.
I ehtes da waere bedwngen.
U nd ob da vns gerungen.
D em gebart si geliche.
D iv maget zuht riebe.
25 W an si dem bette nahen saz.
D az lie ir vater au haz.
D 0 sprah er tohter weinet
niht.
S waz iu schimf alsus gegiht.
0 b daz von erst bringet zorn.
30 D er ist schier darnah verlorn.
556 G awau sprah hie ist niht ge-
schehen.
W an dez wir vor iv wellen
iehen.
I ch fraget dise maget ein teil.
D as duht si ein vnheil.
5 U nd bat mih daz ichz lieze.
0 b ivh des bedrieze.
S 0 lat min dienest vnb mih
beiagen.
W irt daz ir mir ruchet sagen.
V mb die fron ob vns hie.
10 I chn freisch in allen landen nie.
D a man moht schowen.
S 0 manig elare frowen.
M it so liehtem gebende.
14 D er wirt want sin hende.
(abgeschnitten 3 versseilen.)
rückw. sp. c.
18 S praeh Gawau wirt ir sult
sagen.
W arumb ist iv miu fragen leit.
20 H erre durch iwer manheit.
C hunet ir fragen niht verbern.
S 0 weit ir liht furbaz gern.
D az lert ivh herzen swaere.
U nd machet vns frevden laere!
25 M ich und elliv miniv kint.
D iv iv ze dienst geborn sint.
G awau sprach ir sult mirs
sagen.
W elt abir ir mi . s gar verda-
gen.
D az iwer maere mich verget.
30 I ch freis doh wol wi ez da
stet.
557 D er wirt sprach mit triwen.
H erre so mus mih riwen.
D az ivch des vrageus uiht be-
vilt.
GÖRLITZER PARZIVALBRUCHSTÜCK
I ch wil iv lilieu einen schilt.
5 N V Avapent ivcli vf ein strit.
Z e terie maiviol ir sit.
L iet raarviel ist hie.
H erre ezu wart versiischet nie.
V f statel maiviel div not.
10 I wer h;ben wil in den tot.
I st iv aventiwer bechaut.
S waz ie gestreit iwer hant.
D az was uoh gar ein chindes
spil.
N u nahent iv rivbaeriv zil.
15 G awan sprach mir waere leit.
0 b min lip au arbeit.
V on disen fron hinnen rite.
1 ch versucht e baz ir site.
I ch han öh e von in vernonien.
20 S it ih so nahen nv biu chomen.
M ih sol des niht betragen.
I chu welle ez dur . . ragen.
D er wirt mit triwen ^ chlage.
24 S inest gast er chlagte.
{abgesclmitten 3 versseilen?)
sp. d.
28 D iv ist scharf vnd uugehiwer.
F ur war und an liegen.
H erre ich uechan niht triegen.
558 Gr awan der pris erchande.
A n die vorht sich nin wände.
E r sprach gebt mir strites
rat.
D 0 ir gebietet riters tat.
5 S ol ich . . . . ruchet ez got.
1 wer rat vnd kver gebot.
W il ih iemer gern han.
H er wirt ez war missetaw.
S old ih sus hinnen scheidei*.
10 D ie lieben vnd die leiden.
H eten mih für einen zagen.
A Herst der wirt beguud clagen.
W an im so leid nie geschach.
H inz siu gast er sprach.
15 0 b daz got erzeige.
D az ir niht sit vaeige.
S 0 wert ir herre ditz landes.
S waz vrön hie stet phandes.
D ie starches wnder her be-
dwauch.
20 D az uoh nie riters pris ent-
wanch.
M anic sarian edeliv riterschaft_
0 b die hie erloset iwer chraft.
S 0 sit ir prises geeret.
V nd hat ivch got vil genieret.
25 I r muget mit frevdeu herre sin.
V ber manigeu lihten schin.
V ron vn manigeu landen.
W er jehe iv des ze schänden.
0 b ir hinnen scheidet alsiis.
30 S it lihsovs Gwellivs.
559 I V sineu pris lazen hat.
D er manig riterlich tat.
G efrumet hat der suze.
V on .... alsus gruze.
{abgeschnitten 3 verszeilen.)
*
fehlen 2 hlätter.
*
Blatt 3 vorw. sp. a.
(abgeschnitten 6 versseilen.)
570 5 E in cholben * in der hende
er truc.^
D es kivl was grozer daune ein
cruch.^
E r gie ge Gawan her.
D as ne was doh ninder sin ger.
W an in siu chomens da bedroz.
10 G awan daht dirre ist bloz.
1) Hdschr. twen.
1) Hdschr. clolbeu. 2) tu. 3) cch.
S in wer ist geiii mir hart laz.
E r riht sich vf und saz.
A Is ob im swr nicnder lide.
J ener trat hinder ein trit.
15 A Is ob er wold entwichen.
U nd sprach doh zorncchlichen.
I r dürft ]iiih ensitzeu niht.
I h fug aber daz iv geschiht.
D a vor ir den lip ze phande
gebt.
20 V on tiefeis chreften ir noch ^
lebt.
S ol ivh der hie han ernert.
I r sit doh Sterbens vnerwert.
D es bring ih iv wol hmen.
A Is ih nv scheide hinnen.
25 D er vilan trat wider in.
G awan mit dem swert sin.
V on dem schilt sluch die zaine.
D ie phile algemeine.
W arn hin durch gedrungen.
30 D az si in den ringen chlungen.
571 D 0 gebort er einen brunneu.
A Is der wol zweiuzic drungen.
S lug hie ze tanze.
S in wester müt der ganz.
5 D en div wäre zageheit.
N ie versert noh versneit.
D aht waz sol mir geschehen.
I ch moht nv wol chumbers
iehen.
sp. h.
(ahgescimitten 6 verszeilen.)
15 D en schilt er mit den rimen
uam,
E r tet als ez der wer zam.
E r sprauc vf den estrich.
D urch huuger was vreislich.
D irre starche lev groz.
20 D es er doh wenic da genoz.
1) Udschr. nol.
M it zorn lief er an den man.
Z e wer stunt her Gawan.
E r het im den schilt nah ge-
uomen.
S in erst grife was also choraen.
25 D urli den schilt mit al den
chlan.
V on tiere ist selten e getan.
S in grif durh solich hert.
G awan sich zvches wert.
E in bein er im hin abe swanc.
30 D er lev vf den fuzen spranc.
572 I n dem schilt beleip der vierd
fuz.
M it blute gab er solhen guz.
D az Gawan moht vast sten.
D ar vnd her begunde ez vast
gen.
5 D er lev spranc diche an den
gast.
D vrh die nase manigen phnast.
T et er mit blechenden zenen.
W old er in solher spise wenen.
D az er gut lut eze.
10 V ngern ih bi im seze.
E s was och Gawanen leit.
D er vf den lip da mit im streit.
E r het in so geletzet.
M it blut wart benetzet.
15 A 1 div kemenate gar.
M it zorn spranch der lev dar.
U nd wold in zvchen under sich.
G awan tet im ein stich.
rücJcw. sp. c.
{cibgeschuitten 6 verszeilen.)
26 I ch sitz vngern in ditz blut;
0 h sol ih wol bewarn.
D itz bette chan so vmbevarn.
D az ih dran sitz od lige.
30 0 b ih rehter wishei^
573 D 0 was im sin hübet.
GÖRLITZER PARZIVALBRÜCHSTÜCK
M it s'^^rfen so betavbet.
V nd do si wndeu.
B kitten beguiideii.
5 D az im sin snellich chraft.
G ar lie mit geselleschaft.
D urh swindlin er stclieus phlach.
D az hübet in vf den lewn lach.
D er schilt viel nider under in.
10 G ewan er ic chraft od sin.
D ie warn in beid enphvret.
V nsanft er was geruret.
A 1 sin sin tet im entwich.
S in wanchusse vngelich.
15 Was daz im Gimmile.
V 0 monte Ribale.
D iv suze und div wise.
L ege Kahenise.
D ar vf er sin pris verslief danne.
20 D er pris gein disem manne.
W an ir hapt daz vernomen.
W an er was von witze chomen.
D az er lach vnversunnen.
W ie des wart beguunen.
25 V erholn ez wart beschowet.
D az mit blut was betowet.
D er kemenaten estrich.
S i bede dem tode warn gelih.
D er lev und Gawan.
sp. d.
(abgeschnitten 6 verszeilen.)
574 7 D az si den riter nerte.
V nd im sterben werte.
D 0 gie 6h dar durh schowen.
10 Do wart von der frowen.
Z u dem venster oben in gese-
hen.
D az si tweders moht iehen.
I r chvmftlichen frevden tage.
0 de immer ^ herzenlicher chlage,
1) Hdschr. mm'.
15 S i furcht der riter wer tot.
D es lerten si gedanch not.
W an er sus vf dem lewn lach.
U nd anders bettes nien phlach.
S i sprah mir ist von herzen
leit.
20 0 b diu getriv manheit.
D in werdez leben hat verlorn.
H astu dv den tot al hie er-
chorn.
D urh vns vil eilend diet.
S it dir diu triwe daz geriet.
25 M ih erbarmet iemer diu tugent.
D V hast alter ode jvgent.
H inz allen den frön si sprach.
W an si den holt sus ligen sach.
I r vron die des tavfes phlegen.
30 R uffet alle an got vmb sin
segen.
575 S i Saud zw ivnchvron dar.
V nd bat si reht nemen war.
D az si sauft slichen.
E daz si dau entwichen.
5 D az si ir brehten mere.
0 b er bi dem leben waere.
0 d ob er waer verscheiden.
D az gebot si den beiden.
D ie suzen meid reine.
10 0 b ir ietweder weine.
* * *
(fehlen 2 Matter.)
* * *
Blatt 4 vorw. sp. a.
(abgeschnitten 5 verstellen.)
586 17 D es werden Parzifals lip.
D urh die kunegin sin wip.
G aloes vnd Gahmureten.
20 D ie hapt ir getreten.
D az ir si gäbet an den re.
D iv werde Itonie,
10
L eit och nah roys Gramflanz.^
M it triwen stete mine ghiiiz.
25 D az was Gawaus swester glar.
F ro minne ir teilet iwer var.
S ardomor nah Alexander.
D ie ein und die ander.
S was Gawan chuunes ie gewan.
30 V ro minne die wolt ir niht lan.
587 S i mvsen dienst iv tragen.
W elt ir nv pris an in beiagen.
I r moht chraft gein chreft ge-
ben.
ü nd liezet Gawanen leben.
5 S iechen mit sinen wnden.
U nd wndet die gesunden.
M aniger hat von minnen sauch,
D en doh div minne nie bedwanc.
I ch moht nv wol stille dagen.
10 U nd liez min chlagen.
W as dem von Norwege was.
D 0 er der aventiwer genas.
D az in bestunt der minne scor.
A n helf gar ze sower.
15 Do sprah er we daz ih erchos.
D ise bette rüwelos.
D az ein hat mich verseret.
D az ander mih gemeret.
G edanc nach minne.
20 0 rgillus div herzoginne.
M US gnade an mir hegen.
sj). b.
{abgeschnitten 5 versseilen?)
27 D es het er unsanft
E r het öh da for
M it swertew nan
30 D oh sanft er dise
Ö88 0 b chumber sich
S weih minner den
D er erst werde
1) Hdschr. Oramflanz.
M it philen also sere
5 D az tut im liht
A Is sin minne
Gr awau truc minne
N v begund ez lihten
D az siner grozen
10 V nnah so verre
11 V f riht sich der
13 N ah wnden und
Z V im was geleit
15 H emide und hviich
D en wehsei er do
V nd den harnasch
D es selben ein ch
0 b den zwein su
20 V on Alahers dar
Z wen stival och
D ie niht groz ph
D en niweu chleid
D 0 gie min her
25 V z der kemenate
S US gie er wider
V nz er den riehen
S inen ögen den wart
R icheit div dazu
30 D az si dem geliehen
589 V f durh fZaz palas
G ie ein gwelbe
6;^^. c.
(abgeschnitten 5 verszeilen.)
9 en.
11 nsohr.
12 enbor.
13 ez was.
14 as.
15 haut.
16 ekaut.
17 ... ste.
19 wi..eulat.
23 ch.
25 sach.
GÖRLITZER PARZIVALBRUCHSTUCK
11
26
29
30
590 1
2
5
6
7
8
9
10
11
12
14
dach.
zwise stunt.
. . . r chunt. 30
ht han. 591
er Gawau.
luler gTOz.
verdroz.
V laut.
ani bechan.
vube giengen. 5
npfiengen.
in ander.
ander.
neu steu.
{Nur so viel ist von spalte ic 10
erhalten; alles andere Ist wegge-
schnitten. Für 589, 27. 28 ist Icein
ramn vorhanden, demnach war 589,
27 — 29 in einen vers zusammen-
gebogen).
sp. d. 15
{abgeschnitten 5 versseilen?)
590 21 E r spranc vf do er si cho-
men sach.
D iv kunegin Araiv sprach.
H erre ir siüt noh slafes phle-
gen. 20
H apt ir ruweus ivli bewegen.
25 D a zuo sit ir ze sere wont.
S ol iv ander vugemac/i sin
chunt.
D 0 sprach er fro und meiste-
rinue.
M ir hat chraft und sinne.
I wer helf also gegeben.
D az ichz gediene sol ih leben.
D iv kunegin sprah mus ih
spehen.
D es ir mir herre hapt verle-
ben.
D az ih iwer meisterinne si.
S 0 cliusset dise fron alle dri.
D a sit ir lasters an bewart.
D i sint geborn von hoher art.
D irre bit was er fro.
D ie claren vron chust er do.
S aiven und Itonien.
U nd die suzen Kundrieu.
G awau saz selbe vierd nider.
D 0 sah er für und wider.
A n der claren magt lip.
J edoh bedwanch in des ein
wip.
D iv in sinen herzen lac.
D irre meide blich ein nebeis
tac.
W as bi Orgilusen gar.
D iv duht et in vil wol gevar.
V on Logrois div herzoginn.
D ar iage^ in sines herzen
pin.
N V diz was ergangen.
G awan was enphangen.
V on den vron allen drin.
D ie trvgen al liebten schin.
GÖRLITZ.
R. JOACHIM.
12
EIN LEGENDÄR AUS DEM ANFANGE DES ZWÖLFTEN
JAHRHUNDERTS.
(ScMuss.)
V. Betrachtungen über den tod verschiedener hekenner.
§ 1. Nur der Übersichtlichkeit halber behandle ich diesen teil
als besonderen abschnitt, eigentlich bildet er mit dem vorhergehenden
apostel - martyrologium ein ganzes. Jedenfals Avar es noch ein teil des
Vortrages des compilators (vgl. IV § 17), hervorgerufen vielleicht
dadurch , dass der vortragende , der seine angaben doch zumeist mar-
tyrologien entnahm, nun auch die übrigen in diesen aufgeführten hei-
ligen und märtyrer nicht ganz unerwähnt lassen wolte. Der abschnitt
hat mehr dogmatischen Charakter; seine wegen der unklaren und etwas
weitschweifigen ausführung nicht gleicli erkenbare basis ist die angäbe,
dass es drei kategorien von seligen (apostel, heilige und sonstige beken-
ner) gebe.
Der erste teil (v. 402 — 18) führt aus, dass die apostel die mar-
ter erdulden musteu, um sich dadurch die Seligkeit zu erwerben. Als
quelle wird Paulus angeführt. Eine stelle, welche derartiges bestimt
und ausdrücklich angäbe, findet sich aber in den brieten des apostels
Paulus nicht, deshalb bleibt wol das wahrscheinlichste, dass an die
algemeiner gehaltenen aussprüche des apostels im 8. kapitel des Römer-
briefes gedacht ist, vgl. v. 18. Existimo enim, quod non sunt condig-
nae passiones hujus temporis ad futuram gloriam, quae revelabitur in
nobis. 30. Quos autem praedestinavit , hos et vocavit; et quos vocavit,
hos et justiticavit; quos autem justificavit , illos et glorificavit. 35. Quis
ergo nos separabit a charitate Christi? tribulatio? an angustia? an
fames? an nuditas? au periculum? an persecutio? an gladius?
§2. Der zweite teil (v. 419 — 446) handelt von den heiligen,
und zwar erstens von solchen, die den martertod erduldeten (Clemens
und Laurentius) , und zweitens von solchen , die , ohne märtyrer zu wer-
den , durch ihren gott wolgefälligen wandet sich einen platz im himmel
erwarben (Martinus und Walburga). Über ihr leben resp. ihren tod
wird niclits genaueres mitgeteilt. Von Clemens und Laurentius heisst
es nur v. 426: ivether gethrenJcet nog verbrant, so Clemens ande Lau-
rentius tvurthen, also der tradition gemäss. Für Clemens verweise ich
z. b. auf Bedas martyrologium zum IX. cal. decemb. : Clemens ....
qni jubente Traiano missus est in exilium trans Pontum mare, in ere-
mo : ubi multis ad fidem vocatis per miracula et doctrinam ejus , prae-
cipitatus est in mare , ligata ad collum ejus anchora .... Für Lau-
rentius werde ich weiter unten mehreres beibringen.
BUSCH, EIN LEGENDÄR DES XII. JAHRII. VI 13
Ob man aus den hier gegebenen namc.n einen schluss auf die
gegend resp. das kloster ziehen kann, in dem unser gedieht verfasst
wurde, ist mir mindestens zweifelhaft. Auch Scherer erklärt dies für
unmöglich (QF. XII s. 40 anm.). Genaueres darüber, wie es mit der
Verehrung dieser heiligen im westlichen Deutschland, wo unser gedieht
entstand, aussah, weiss ich nur bei Martin anzugeben. Auf die Ver-
breitung- der Martinslegende am Niederrhein habe ich früher (vgl.
abschnitt III § 4) aufmerksam gemacht; ich ziehe hier nur noch die
vielen im Rheinlande St. Martin geweihten kirchen und klöster an, wie
sie die Germania sacra ed. Böttcher (Leipzig 1874) gibt: Im reg.-bezirk
Cobleuz eine Martinskirche in Oberwesel und Münstermaifeld, Trier:
abtei St. Martin in Trier schon zwischen 570 und 596 erbaut, im
10. jh. mönchen eingeräumt (Rettberg, Kirchengeschichte Deutschlands
I, 476), Cölu: Gross -St. Martin zwischen 1152 und 73 erbaut, end-
lich reg.-bezirk Düsseldorf: münster St. Martin in Emmerich, im
11. jh. gegründet. Sonst kann ich nur noch für die Verehrung der Wal-
burga belege beibringen. Böttcher gibt zwar keine einzige ihr geweihte
kirche in Rheinland und selbst Rheinpfalz an ; nur für Unterelsass :
Walburg bei Wörth, 1074 gegründet, 1164 von kaiser Friedrich I.
vollendet. Indessen deuten namen in der Rheinprovinz auf ihre Vereh-
rung hin, so kloster Walburgenberg in der diöcese Köln [Enneu und
Eckertz, Quellen zur geschichte der stadt Köln bd. III urk. nr. 207
a. 1281: „conventus montis sancte Walburgis ordinis Cisterciensis Colo-
niensis dioecesis/' vgl. auch a. a. o. bd. III nr. 323 a. 1253 und 362
a. 1255]; am frühesten finde ich dasselbe erwähnt in einer Urkunde von
1210 (Lac. II. 33). Ob auch der name des Städtchens Walporzheim
[früher Walprechshouen Lac. II, 298 und Walbregtzhouen Lac. II, 558]
mit der heiligen zusammenhängt , weiss ich nicht zu sagen. Ausserdem
verweise ich auf eine stelle in dem Martyrologium ecclesiae germ. e
bibliotheca E. F. Beckii: „Calend. Maji S. Walburge, virgo, cujus
meminerunt Beda, Calendarium runicum, Martyrologium Romanum et
Maurolycus; mirorRabanum et Notkerum eam praeteriisse , cum cele-
bris Sit Germanis, etiam Belgis, hujus virginis memoria, obser-
vante Gretsero lib. II cap. 3." Vergleiche auch Acta SS. Februar T. III
s. 517 § V: Sacra veneratio S. Walburgis per reliquam Germaniam,
Burgundiam, Franciam, besonders nr. 32, 33, 34, 35, sowie §VI: Templa
et reliquiae S. Walburgis Furnis et in reliqua Flandria. § VII: Templa
et cultus S. Walburgis Antverpiae, Tilae, Zutphaniae, Groningae. —
Für die Verehrung des Clemens und Laurentius finde ich gar keine
belege. Aber auch wenn ich im stände wäre, für die Verehrung und
verehrungsorte aller vier heiligen näheres beizubringen, würde dies
14 BUSCH
docil die iintersuchiing nicht sehr fördern, denn es ist unmöglich , anzu-
geben, welcher der vier heiligen dem kloster, in dem unser gedieht
verfasst wurde, näher stand, ja sogar, ob überhaupt einer derselben
dem kloster näher gestanden habe. Mir scheint, dass der Verfasser der
vorläge nur aus dem vorrat von heiligen, der ihm zu geböte stand,
vier von den bedeutendsten ausgelesen hat und zwar zwei märtyrer, und
zwei heilige die nicht den martertod erlitten.
§ .3. Der dritte teil handelt von den seligen, welche gott, wenn
auch nicht unter seine heiligen, so docli in sein himmelreich aufnahm.
Namen werden nicht genant. Aber als quelle dafür, dass auch diese
selig zu preisen sind, wird Sedulius augeführt. Auf Avelche stelle hier
angespielt wird, weiss ich nicht. Gemeint ist unter dem namen Sedu-
lius wol der ältere Caelius Sedulius (vgl. Ebert, Gesch. der christl.-
latein. litter atur s. 358); erlialten sind von ihm drei werke, eine elegia,
ein hymnus auf Christus und ein carmen paschale, welch lezteres er
später in prosa übertrug (opus paschale). Die beiden erstereu kommen
für uns .gar nicht in betracht, von dem lezteren köute man höchstens
eine stelle am ende des ersten buches hierherziehen, wo Sedulius im
geist die „bürg Christi ersieht, iu die er als soldat aufgenommen zu
werden den herrn bittet. Er hofft eben das ewige leben als preis sei-
ner christlichen gesinnung" (Ebert). Ich setze die betreffenden verse
hierher (Quarti saeculi Poetarum Christianorum . . . opera omnia. Tomus
unicus. Parisiis 1846 pag. 588 seq.):
334 Interea dum rite viam sermone levamus,
Spesque fidesque meum comitantur in ardua gressum,
Blandius ad summam tandem pervenimus arcem.
En signo sacrata crucis vexilla coruscant:
En regis pia castra micant, tuba clamat herilis,
Militibus sua porta patet; qui militat intret:
340 Janua vos aeterna vocat, quae janua Christus.
Aurea perpetuae capietis praemia vitae,
Arma quibus Domini tota virtute geruntur,
Et fixus est in fronte decus. Decus armaque porto,
Militiaeque tuae, hone rex, pars ultima resto.
345 Hie proprias sedes, hu jus mihi moenibus urbis
Exiguam concede domum, tuus incola sanctis
- üt merear halntare locis, alboque beati
Ordinis extremus conscribi in saecula civis.
Grandia posco quidem: sed tu dare graudia nosti,
350 Quem magis offendit, quisquis sperando tepescit.
EIN LEGENDÄR PES XII. JAITRH. VI 15
Christe , fave votis , qui mmidiim in morte jacentern
Vivificare voleiis quondam terreua petisti
Coelitus, hiinianam dignatiis sumore formam,
Sic aliena gereus, ut nee tua linqiiere posses.
355 Hoc Mattliaeiis agens honiinem genevalitcr implet.
Marcus ut alta fremit vox per deserta leonis.
Jura sacerdotis Lucas tenet ore juveuci.
More volans aquilae verbo petit astra Joannes.
Quattuor hi proceres una te voce canentes.
360 Tempora ceu totidem, latuni sparguntur in orbem.
Sic et apostolici semper duodenus bonoris
Fulget apex numero, menses imitatus, et boras,
Omnibus ut rebus totus tibi militet anuus.
Hinc igitur veteris recolens exordia mortis
365 Ad vitam properabo novam, lacrymasque serendo
Gaudia longa metam : nam qui deflemus in Adam
Semina mitteutes, mox exsultabimus omnes
Portantes uostros Cbristo veniente maniplos. fiuis.
Fast ebenso das opus pascbale. Die äbnlicbkeit mit dem passus unse-
rer handschrift ist eine nur geringe; jedenfals scbliesst sie eine genaue
bekantscbaft mit dem dicbter Sedulius aus, und es würde also aucb
bier wider aufzeicbnung nacb börensagen zu erkennen sein. Docb
bezieht sich die stelle möglicherweise auf die Collectaneen (in epistolas
Pauli, in Matthaeum usw.) des jüngeren Sedulius, welcher zu anfang
des 9. jbs. lebte (vgl. Baehr, Gesch. der röm. litteratur im karoliug.
Zeitalter § 142), wo ich vielleiclit einen diesbezüglichen passus über-
sehen habe. Sicheres ist also nicht zu geben , wenn es aucb wahr-
scheinlicher ist, dass die anspielung sich auf das algemein bekante
werk des dichters Sedulius bezielit.
§ 4. Der vierte und lezte teil dieses abschnittes endlich (v. 457
— 466) erzählt ohne logischen Zusammenhang mit dem vorigen das
martyrium des schon einmal erwähnten Laurentius. Das in unserer hs.
gegebene erscheint übrigens mehr wie eine kurze notiz, wenn wir die
ausführlichen erzählungen dagegen halten, welche die von dem hei-
ligen handelnden kirchenväter geben. Ich verweise nur auf das mar-
tyrologium Adonis zum 4. Td. August (bibl. max. Lugd. 1677. bd. XVI
s. 872), den Hymnus Prudentii in seinem liber ..ytegi oteqdvftjv"- (Acta
SS. August T. II s. 512), des Honorius Augustodunensis „speculum
ecclesiae" (Mignes Patrol. T. 172 s. 987). Vgl. auch die sehr ausführ-
liche darstellung der Kaiserchronik (v. 6227— 6384), und Surius, de
16 BUSCH
vitis prob, saiictt. August s. 94. Wie verbreitet die angäbe über das
umwenden, nachdem der leib auf der einen seite geröstet ist, gewesen,
weiss ich nicht; Ado hat sie trotz seiner sehr ausführlichen darstellung
(17-2 folio- Seiten der Acta SS.) nicht, ebensowenig Honorins Augusto-
dunensis, wol aber Prudentius a. a. o. s. 515:
Postquam vapor diutinus
Decoxit exustum latus
Ultro e catasta judicem
Compellat aflfatu brevi:
Converte partem corporis
Satis crematani jugiter:
Et fac periclum, quid tuus
Vulcanus ardens egerit.
Praefectus inverti jubet.
Tunc ille: Coctum est, devora,
Et experimentum cape
Sit crudum an assum suavius etc.
und die Kaiserchronik v. G330 fg.:
6330 dö sie alle wänden das er tot tvaere,
die engele er von himile sach.
ZUG den tvtsenaren er dö sprach:
„0 tvol ir vil ttmiben,
wen Tiert ir mich iinibe?
6335 ir sU cdso virgehenc hie gesessen,
ir muget mich einhalp wol ezzen.
da hin ich gar sam ein visc,
den man setzet üf des kunigis tisc.
dise ivize netuont mir niht we
6340 ich lige tif einem touwigen Tde.
daz hänt die engele vom himile getan}''
dö hekarte sich manic wtp unde man.
Unser gedieht erwähnt dieses umstandes nicht, oder soll alse ein
visg gehrudcn vielleicht bedeuten , dass er auf beiden Seiten geröstet
wurde? — Es erhebt sich die frage: wie komt es, dass das mart}^-
rium des Laurentius am Schlüsse ausser jedem logischen Zusammen-
hang und trotz der vorherigen erwähnung noch einmal behandelt wird
und dass auch diese notiz sehr kurz und flüchtig ausgefallen ist. Die
beantwortung dieser frage werde ich im schlusskapitel versuchen.
Die eigentümliclie berührung unseres gediclites v. 460: wart also
ein visg gehräden mit v. 6337 der Kaiserchronik: da hin ich gar sam
EIN LEOENDÄR DES XII. JAHRII. VI 17
ein visc kann ich bei der sonstigen verscliiedenheit beider werke nur
als Zufall ansehen.
VI. Zerstörung Jerusalems.
§ 1. Von den leiden der frommen zu den leiden der gottlosen
übergehend, komt unsere handschrift zur Zerstörung Jerusalems. Hier
lässt sich ohne weiteres die zusammenwürfelung erkennen. Der erste
teil, Christi rede an Jerusalem, lehnt sich direkt an Lucas 19, 41—44
an. Für das folgende bietet die grundlage die erzählung des Josephus
in seinen „jüdischen kriegen," jedoch in einer weise, welche die völ-
lige unbekautschaft des dichters mit diesem originale voraussezt. Von
besonderen tatsachen ist einzig das grässliche ereignis bewahrt, dass
eine mutter ihr eigenes kind verzehrt, welche tat indessen durch sämt-
liche geschichtsbücher des mittelalters läuft, vgl. Massmann Kehr. III,
590 fg. Von weiteren charakteristischen zügen, besonders auch wie
Josephus selbst sich errettet [was die Kaiserchr. v. 985 fg. ausführlich
berichtet] findet sich keine spur. Das ganze macht den eindruck einer
flüchtigen, unvolständigen notiz [„recht schlecht" sagt Scherer QF. VII,
s. 42] , welche vielleicht als einleitung und Übergang zu der nun folgen-
den geschichte der kreuzfindung dienen solte.
§ 2. Diese Vermutung gewint durch einen andern umstand an
wahrscheiuliclikeit. Die erzählung von der Zerstörung Jerusalems hat
sich im mittelalter zu einer algemein bekanten , in sich abgeschlossenen
legende verdichtet, indem sie mit der heilung des römischen kaisers
vom aussatz durch Christi gnade (Veronica) in Verbindung gebracht ist;
in folge dieser heilung fühlt der römische kaiser sich bewogen, die
mörder Christi zu bestrafen. Wir finden zwei Versionen dieser legende,
vgl. Paul Meyer (Bulletin de la societe des ancieus textes nr. 3 et 4.
Paris 1875 s. 52): „La forme la plus ancienne de ce recit parait se
rencontrer dans un apocryphe, dout on a deux redactions: la Vindicta
salvatoris publice par Tischendorf et la Cura sanitatis Tiberii, publice
par Mansi. Dans cette legende c'est Tibere, qui est malade puis gueri.
Une autre forme, infiniment plus repandue au moyen äge, est celle oü
Vespasien et uon plus Tibere est atteint de la lepre, et miraculeuse-
ment gueri entreprend la vengeance de Jesus mis ä mort par les Juifs.
Cette forme de la legende a eu un succes enorme, atteste par des
redactions en toutes les langues romanes. Si repandue qu'elle ait ete,
on n'en connait pas de texte auterieur au XIP siecle: c'est au XIP
siecle qu'on la voit apparattre completement constituee dans le poeme
fran9ais, en forme de chanson de geste, de Vespasien, ou de la Prise
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI. 2
18 BUSCH
de Jerusalem (bist, litter. XXII, 412 et suiv.)." Wenn nun aucli die
legende erst in der zweiten Version zur grösten Verbreitung gelangt,
so beweist docb der umstand, dass die Kaisercbronik die Zerstörung
Jerusalems an die heilung Tibers anknüpft, dass aucb diese fassung
scbon um die mitte und jedenfals aucb zu anfang des 12. jbs. sebr
verbreitet war. Dass dem compilator die Verknüpfung mit der beilung
des römiscben kaisers unbekant geblieben sein solte, ist bei seiner
belesenbeit mebr als zweifelbaft; auch wird v. 501 und 502 ausdrück-
lich die Zerstörung Jerusalems als rachezug des römischen kaisers dar-
gestelt; weshalb solte der kaiser aber den heiland rächen, wenn dieser
sich ihm nicht gnädig -erwiesen hätte? Der compilator kante also
höchst wahrscheinlich die Verknüpfung. Wie kam er denn dazu, die
beiden teile getrent von einander zu behandeln? Die einzige erklärung
dafür scheint mir , dass er die geschichte der Zerstörung Jerusalems
nicht als für sich dastehendes ganzes geben wolte, sondern diese nur
als einleitung zu einem anderen thema benuzte, deshalb nicht breit
erzählt, sondern kurz erwähnt, dass bei der einnähme Jerusalems durch
die Römer die Juden nicht alle getötet wurden, sondern einige ze Übe
(d. i. ze leibe vgl. anm, zu v. 529) belihen; deren nachkommen fand
dann Helena, tJiie furch thaz heilige crüce quam in thaz lant. Vgl.
noch abschnitt VII § 2.
§ 3. Wichtig ist dieser abschnitt für uns besonders dadurch , dass
er einen schluss auf die abfassungszeit zulässt ; v. 520 fg. lauten nämlich :
thö wart ire thie zwei teil geslagen uncle verbrant
thas dridte teil gienc in hant (in fremdiu lant bessert Scherer
QF. VII s. 42)
vnce sie an unsen gcztden von then cristen verraten
verraten unde vervohten
also iz tvolde unser drehtin.
Die stelle ist verderbt, doch scheint mir so viel klar, dass hier von
einer Judenverfolgung die rede ist, welche sich zur abfassungszeit des
gedichtes (resp. der vorläge) zugetragen. Und wirklich berichten ge-
schichtswerke jener zeit über eine Judenverfolgung in den lezten jähren
des 11. jhs. , also wenig früher als die zeit, in welche wir schon aus
sprachlichen und metrischen gründen unser gedieht sezten. Die haupt-
quelle für die zeit von 1080 — 1125 (vgl. A. Potthast, Wegweiser durch
die geschichtswerke des raittelalters) , das Chronicon universale des
Ekkehardus, Uraugiensis abbas, gibt zum jakre 1096 (Mon. Germ.,
scriptores VI, s. 208): Signum in sole apparuit 5. Nou. Mart. , feria
EIN LEGENDÄR DES XII. JAHRH. VI 19
secuiida incipientis quadragesimae. Diversa quoque prodigia muudus
parturisse iibique reforebatur. Mox ex omnibiis peiie terrae, sed maxime
ab occideiitaliuni regnorum partibus, tarn regum et nobilium quam
etiam vulgi utriusque sexus innumei'abiles turmae armata manu Hiero-
solimam tendere coeperunt, excitati scilicet in zeluni frequentibus nun-
ciis super obpressioue dominici sepulchri ac desolatioue omnium eccle-
siarum orientalium, quae gens ferocissima Turicorum per aliquot annos
suü subactas doniinio inauditis calamitatibus jam jamque deleverat.
Quibus, ut dictum est, subvenire statuentes, sicut diversis agminibus,
ita diversis et incertis plerique ducibus properabant. Primi namque
Petruni quendam monachum sequentes , quem tamen postea niulti hypo-
critam fuisse dicebant, ad 15000 estimati, per Germaniam indeque
per Bajoariam atque Panuoniam pacifice transiebant; quam plurimi
vero navali per Danubium vel per Alamanniam pedestri itinere, aliique
ad 12000 per Saxoniam atque Boemiam a quodam presbitero Folcmaro,
itemque nonnulli a Gotescalco presbitero per orientalem Franciam ducti
sunt. Qui et ipsi nefandissimas Judaeorum reliquias, ut vere
intestinos hostes aecclesiae, per civitates quas transibant aut
omnino delebant aut ad baptisniatis refugium compellebant,
quorum tamen plurimi , sicut canes advomitum, postea retro rediebant. —
Dass diese Verfolgung gerade in der gegend , wo unser gedieht entstanden
sein muss, also im südlichen Mittelfrauken , besonders heftig war, geht
hervor aus dem berichte der Gesta Treverorum (Mon. Germ, scriptores
YIII s. 111 fg.) in Additamentum et coutinuatio prima s. 190: Ea tem-
pestate (i. e. während des episcopates von Egilbert v. Trier 1078 —
1101) populus multus utriusque sexus ex omni terra et natione Jeru-
salem ire intenderunt, et totis desideriis anhelabant pro Dei et fidei
amore aut ipsi mortem suscipere aut incredulorum colla fidei subju-
gare ; et hac mentis iutentione incitati decreverunt primum Judaeos in
civitatibus et castellis ubicunque habitarent persequi, et cogere illos
ad Dominum Jesum Christum credere aut sub ipsa hora vitae periculis
subjacere; cumque eodem fervore civitati Treverorum appropiuquarent,
Judaei qui ibi habitabant, similia sibi arbitrantes fieri, quidam ex eis
accipientes parvulos suos , defixerunt cultros in ventribus eorum , dicen-
tes, ne forte Christianorum vesauiae ludibrio fierent, debere eos in
sinum Abrahae transmittere : quaedam autem ex mulieribus eorum ascen-
dentes super ripam fluminis et adimpletis sinibus earum et manicis
lapidibus, praecipitaverunt se in profundum: reliqui vero quibus adhuc
vivere cordi erat, assumptis secum rebus suis et liberis in palatium
quod est asyle Treverorum, ubi ipsa hora Egilbertus manebat, confu-
geruut et coeperunt lacrymis flagitare suflfragium. Die Juden lassen
2*
20 BUSCH
sich taufen, besonders auch ein legis cloctor, Michaeas, Der bericht
schliesst übrigens mit demselben stossseufzer wie der des Ekkehardus:
aliis Omnibus insequenti anno apostatantibus, iste (i. e. Michaeas)
adhaerens Episcopo in fide permansit.
Dass auf die in vorstehendem beschriebene Judenverfolgung zur
zeit des ersten kreuzzuges in v. 520 fg. unseres gedichtes angespielt ist,
erscheint mir kaum fraglich. Von Interpolation der drei betreffenden
verse (522 — 24) kann um so weniger die rede sein, als wir erstens
in keinem der den älteren bruchstücken entsprechenden verse der jüngeren
handschrift ein einziges beispiel einer Interpolation finden, und zweitens
gerade der verderbte text beweist, dass der Donaueschinger Schreiber,
Aveil jener zeit fern stehend, die anspielung seiner vorläge nicht mehr
verstand und deshalb fehlte.
Übrigens sprechen auch die folgenden verse 525 fg.:
Nu wären ouch tempora naUonum vollegun,
tJiaz sie then Jieithen scolden sin undertän,
Wände iz unser herre habefe vor gesaget,
so uns Lucas vor gescriben habet,
nach meiner ansieht dafür, dass die abfassung unseres gedichtes (resp.
seiner vorläge) in die zeit des ersten kreuzzuges fält. Die stelle bezieht
sich auf Lucas 21, 24: Et cadent in ore gladii et captivi ducentur
in omnes gentes, et Jerusalem calcabitur agentibus, donec impleantur
tempora nationum. V. 525 — 26 sind also zu erklären: „Jetzt (d. h.
zur zeit dieser Judenverfolgung oder zu unsen gestden) waren auch die
Zeiten der beiden erfült und damit die zeit, während welcher die Juden
denselben Untertan sein solten." Damit kann doch wol nur gemeint
sein die eroberung des heiligen landes durch die Christen und die
dadurch bewirkte erlösung der Juden von dem heidnischen joch.
Ob schon der compilator oder erst der dicliter diese anspielungen
auf die Zeitverhältnisse verschuldet, ist nicht zu entscheiden. Wun-
derbar wäse es gerade nicht, wenn der dichter auch ohne dass die
anspielung in der vorläge vorlianden war, der damals hauptsächlich
das abendland bewegenden ereignisse gedacht hätte, aber die treue,
womit er sich sonst an die vorläge hält, macht es wahrscheinlicher,
dass schon diese die anspielung hatte. Wir werden also am besten
annehmen, dass die vorläge ungefähr um 1100, das gedieht einige
jähre später entstand.
Mit der erzählung der Kaiserchronik berührt sich unser bericht
durchaus nicht, wie auch schon Scherer bemerkt (QF. VII s. 42).
EIN LFXtENUAR des XII. JÄHRH. VI 21
VII. Die kreuzfindiiiig.
§ 1. Der mitlere teil dieser legende, nach meiner berechnung
ungefähr 40 verse , ist uns nicht erhalten , doch genügt das uns über-
kommene zur kritischen Untersuchung.
Bevor ich indess zur näheren vergleichung übergehe, erübrigt
eine kurze Übersicht über quellen und genesis der legende; ich halte
mich dabei an die notizen, welche die Acta SS. Mai I, 361 fg. und
August III, 548 fg. geben.
Inwiefern die legende auf wirklichen tatsachen beruht, lasse ich,
als für meinen zweck zu weit abliegend, dahiugestelt. Der comraen-
tator der Acta SS. August III, 548 fg. verhebt § VIII mit grossem
eifer die Avahrheit der darstellung; er lässt sich sogar zu einer hef-
tigen polemik gegen Andreas Rivetus, dem die legende miglaubwürdig
erschien, hinreissen, aber seine arguuiente stehen doch auf schwachen
füssen. Das hauptsächlichste bedenken nämlich erregt der umstand,
dass der biograph Constantius, Eusebius (vita Constantini) nichts von
einer inventio crucis durch Helena erzäblt. Der coramentator der acta SS.
sucht nun nachzuweisen, dass Eusebius doch davon gewust und ge-
schrieben habe; es gelingt ihm aber nicht recht und da er dies selbst
füblt, hilft er sich schliesslich mit der apostrophe (VIII, 76): „Dato
autem, uon concesso, Eusebium in hac re fuisse pisce, ut ita loquar,
mutiorem , an propter silentium unius Eusebii , tot alii gravissimi aucto-
res , qui adeo diserte eam asserunt, falsitatis accusandi sunt?" Am
wahrscheinlichsten ist es mir, dass die erzählung in der form, wie sie
diese „gravissimi auctores" bringen, eine spätere dichtung ist, welche
sich vielleicht auf einzelnen notizen, die Eusebius gibt [vita Constan-
tini 3, 42 von der reise der Helena nach Palaestina, „ut populos ac
provincias Orientis viseret, eorumque necessitatibus prospiceret," fer-
ner 3, 3 brief Constantins an Macarius: „Tunc est servatoris nostri
gratia, ut nulla sermonis copia ad praeseutis miraculi narrationem suf-
ficere videatur. Nam sacratissimae illius passionis Signum, sub terra
jam pridem occultatum, tot annorum spatio delituisse, quoad communi
omnium hoste sublato, famulis ejus in libertatem vindicatis affulgeret;
omnem revera admirationem superat . . . ."] aufbaute.
Was nun die „gravissimi auctores" betriff, bei denen zuerst die
erzählung auftaucht, so sind damit vorzugsweise gemeint Rufinus, Theo-
doretus, Paulinus (im 5. jh.), denen dann später Sozomenus, Theopha-
nes (im 9. jh), Altmannus monachus Altvillarensis (f 882) u. a. m. folg-
ten, alle sehr wenig von einander abweichend. Ich gebe als beispiel
dieser fassung den bericht des besonders au Rufinus sich anschliessen-
den Altmann (Acta SS. August III s. 580 fg.): cap. II: Constantinus
22 BUSCH
zieht gegen den Rom tyrannisierenden Maxentius. Quem volens Con-
stantinus opprimere et Romanos a cladibus liberare, cogitabat, quem
in bello Deum haberet auxilio; sciens nihil prodesse deos, quos Dio-
cletiaiius venerabatur et quia pater ejus potius contempta pagano-
rum religione feliciter advixisset. In bis igitur sollicitudinibus con-
stitutus, ut refert Sozomenus, in somno vidit crucis signum [caelo]
splendide collocatum: mirantique visionem astiterunt angeli dicen-
tes: 0 Constantiue in hoc vince, et reliqua de eadem revelatione.
Mater vero et propter filii sollicitudinem et propter amorem, quo
ferventissime circa Deum erat accensa, sanctae crucis lignum instan-
ter desiderare, ut inveniret, coepit. Sed occupato imperatore in
praeliis hostium, delegatum est sanctae matri Helenae hujusmodi
pretiosum negotium et merito; quippe quae et sapientia et doctrina
evangelica pollebat , et in Crucifixum miro amore fervebat. Itaque cum
ingenti multitudine et regia ambitione Hierosolymam pergit et ingredi-
tur urbem non jam Judaea sed Christiana et coepit quaerere animo
virili et ferventissime zelo lignum sanctae crucis. Quod ideo ad inve-
niendum valde difficile erat, quia, ut ecclesiastica narrat historia, ab
Hello Adriano ad suggestiouem pontificum Judaeorum in eo loco tem-
plum Veneri fuerat constructum. Qui pontifices ideo hoc fecerunt, ut
aemulatione livida tollerent fidelibus locum, ne ibi possent Christo
flectere genua, ubi prostibulae mulieris erat simulachrum affixum. Sed
regina fidelissima, funditus everso templo, pariter et idolo memorato,
invenit tres cruces, Domini pariter et latronum, de quibus cum orta
fuisset haesitatio, cum, qualis esset crux Dominica, proprio nesciretur,
juxta narrationem praedictae historiae, vir venerabilis Hierosolymorum
tunc temporis antistes Macharius solvit hanc dubitationem, quod qui
plenius nosse desiderat, ejusdem historiae librum decimum (i. e. Rufi-
nus lib. X cap. 8) legat. Sed non abs re judicavimus, si et breviter
eamdem hie rationem prosequamur. Eo tempore erat ibi vidua nomine
Libania, quae prius fuerat Judaea, sed defuncto viro suo, Isachar,
relicta synagogae perfidia, contulit se ad ecclesiam Christi. Haec illo
tempore subitauea morte praeveuta, supremo flatu pectoris sui extre-
mum trahebat spirituui Diese frau wird zu den drei kreuzeu
gebracht und wider lebendig , als sie auf die crux dominica gelegt wird.
Sic evidenti indicio regina voti compos effecta, templum mirificum in
eo loco, in quo crucem repererat, regia ambitione construxit. Clavos
quoque, quibus corpus Domini fuerat affixum, portat ad filiuni, ex qui-
bus ille fraenos composuit , quibus uteretur ad bellum et ex aliis galeam
nihilominus belli usibus aptam fertur armasse. Ligni vero ipsius salu-
taris partem detulit filio ; partem vero tbecis argenteis conditani dere-
EIN LEGENDÄR DES XII. JAHRH. VI 23
liquit in loco, quae etiam nunc ad memoriam sollicita veneratione ser-
vantur
Neben dieser form der legende taucht aber schon früh eine andere
darstellung auf, eine nähere ausführung zu der angäbe einiger Schrift-
steller, erfahrene Juden hätten Helena bei ihren nachforschungen nach
dem versteck des kreuzes unterstüzt. So sagt z. b. Paulinus: „Non
solum de Christianis doctrina et sanctitate pleuos viros, sed et de
Judaeis peritissimos ... accitos in Hierosolimam congregavit." Vgl.
auch Sozomenus lib. 2, cap. 1: der ort sei entdeckt worden ,,sive
indicio cujusdam Hebraei in Orientis partibus degentis, ut quidam
aiunt, qui paterno quodam scripto edoctus rem indicavit : sive ut verius
opinari licet, Deo siguis quibusdam ac somniis eum ostendente. Neque
enim arbitror , res divinas indicio homiuum egere , quotiens Dens eas
manifestare decrevit." Wie gesagt, hieran sich anlehnend bildet sich
schon früh eine legende aus, in welcher neben Helena als zweite haupt-
person nicht mehr Macarius, sondern Judas Quiriacus auftritt; dieser
findet das versteck der kreuze, erkent das richtige durch auflegen eines
toten, wird später bischof von Jerusaleni. Es sind dies die acta
S. Judae Quiriaci (oder Cyriaci) acta SS. Mai I s. 445 fg. von einem
unbekanten autor.
Trotzdem diese acten die grösten Unrichtigkeiten enthalten —
omnis sacrae et profanae historiae imperitissimum nent der commenta-
tor der Acta SS. Mai I s. 363 den Verfasser und führt in der folge
eine menge solcher jeder geschichte widersprechender daten an — und
trotzdem „Gelasius papa in Syuodo episcoporum septuaginta anno 494
inter apocrypha retulit scripta de inventione Crucis dominicae, velut
quae sint novellae quaedam relationes," gelangte doch diese legende
zu sehr grosser Verbreitung. So bringt schon der Catalogus Pontificius
secundus (6. jh.) und nach ihm „ ceteri Pontificiorum catalogorum com-
pilatores," bei Eusebius papa die notiz: „sub hujus tempora inventa
est sancta crux Domini nostri Jesu Christi V. Nouas Maji. Hie bapti-
zatus est Judas Quiriacus." Ferner gibt Gregorius Turonensis bist,
franc. I, 36, ubi de Constantiuo imperatore agit: „Hujus tempore vene-
rabile crucis Dominicae lignum per Studium Helenae repertum est pro-
dente Juda Hebraeo, qui post baptismum Quiriacus est vocitatus."
Ebenso Florus, Rabanus, Notker. „Denique (Acta SS. Mai I, 361 fg.
cap. H, 14) Berengosius, S. Maximini abbas, non seculo VH (cui eum
fortuito adscripsit Bellarminus, praefatus incertum esse quo tempore
vixerit) sed initio seculi XH (uti ex diplomate Henrici V probant Samar-
thani) Berengosius, inquam, abbas tres libros scribens de laude et
inventione S. Crucis, eorum medio aliud non egit, quam dilatare et
24 BUSCH
exornare praefatam de Juda crucis revelatore fabellam, hoc cautior
quam Floms et Notkerus, quod anni designationem omiserit, neque de
Hierosolymitano illiiis episcopatu verbum fecerit aliquod , soll argumento
de Cruce inhaerens." Die apokryphe war demnach auch im 12. jh.,
also speciel zu der zeit, in welche unser gedieht fält, beliebt und
angesehen, wenn auch männer wie Berengosius einzelnen angaben der-
selben ein gewisses mistrauen entgegenbrachten. Sonst steht das werk
des Berengosius in keiner beziehung zu unserem gedichte ; höchstwahr-
scheinlich ist es sogar später abgefasst. Aber selbst wenn wir die
abfassung in eine frühere zeit rücken wolteu, so schliesst doch der
umstand, dass der vorsichtige autor weder des kirchenbaus auf dem
Calvarienberg noch Judas taufe erwähnuug tut, jede benutzung seitens
unseres gedichtes aus.
§ 2. Dieses schliesst sich vielmehr der hauptsache nach, wenn
auch sehr kürzend, der erzählung der erwähnten apokryphe an; erst im
lezten teil (Übertragung eines kreuzbalkens nach Constantinopel) ist der
einfluss der darstellung, welche Kufiuus, Theodoretus usw. bringen, zu
bemerken. Ich stelle im folgenden den lateinischen text den in unse-
ren fragmenten noch erhalteneu versen gegenüber; derselbe findet sich,
wie schon bemerkt. Acta SS. Mai I s. 445 fg. unter dem titel: Acta
apocrypha. Pars I. In qua S. Quiriacus post indicatam S. Helenae
Crucem Domini mortuo S. Macario Hierosolymis suffectus et a S. Eu-
sebio papa ordinatus fingitur. Ex quatuor mss. et Mombritio. Die
erzählung begint: Anno 233 regnante Constantino, in sexto anno regui
ejus, gens multa barbarorum congregata est super Danubium parati ad
bellum contra Komauiam. Constantin besiegt dieselben mit hilfe des
Christengottes und lässt sich in folge dessen durch den bischof Euse-
bius von Eom taufen. Er wird ein eifriger christ. Cum didicisset
autem a sanctis evangeliis ubi esset Dominus crucifixus, misit suam
matrem Helenam, ut exquireret sanctum lignum Crucis Domini, et in
eodem loco aedificaret ecclesiam .... Helena macht sich nach Jerusa-
lem auf. § 3. Vicesima et octava die secundi mensis in sanctam civi-
tatem Hierusalem iutroivit una cum exercitu magno et congregavit in
ea congregationem magnam de impiissima gente Judaeorum. Non solum
autem eos, qui in ea erant civitate sed eos qui in circuitu erant,
castellis possessionibus vel civitatibus Judaeos congregrari praecepit.
Erat autem Hierusalem deserta tempore illo , ut vix invenirentur omnes
Judaei tria millia virorum. Unsere fragmente geben v. 529 fg.:
Äbe them gestallte tlier juthen,
thie tho 06 libc betiben,
EIN LEGENDÄR DES XII. JAHRH. VI
25
Sancta Helena zu Jerusalem vant,
ihie turch thaz heilige crüce quam in thaz laut.
Vgl. die anmerkung zu v. 529 fg. Deutlich ist hier zu sehen, wes-
halb der kreuzliudung in unserem gedieht die Zerstörung Jerusalems
vorangeht; ^s handelt sich allein um die erklärung der werte „erat
autem Hierusalem deserta tempore illo, ut vix iuveuirentur omnes Judaei
tria millia virorum."
Die apokryphe fährt fort : Quos couvocans beatissima Helena dixit
ad eos: Cognovi de sanctis libris propheticis, quia fuistis dilecti Dei:
sed quia repellentes omnem sapientiam, eum qui volebat de maledicto
vos rediniere, maledixistis, et eum qui per Sputum oculos vestros illu-
minavit immundis potius sputis iujuriastis, et eum qui mortuos vestros
vivificabat in mortem tradidistis, et lucem tenebras existimastis et veri-
tatem mendacium, pervenit in vos maledictum quod est in lege vestra
scriptum. Nunc autem eligite ex vobis vires qui diligenter sciunt legem
vestram, ut respondeant mihi de quibus interrogavero eos. Qui abeun-
tes cum timore et multas quaestiones inter semetipsos facientes, inve-
runt legis doctores numero mille et adduxeruut eos ad Helenam, testi-
monium perhibentes eis , quod legis scientiam multam haberent. Helena
autem dixit ad eos: Audite mea verba, auribus percipite meos sermo-
nes. Non enim intellexerunt patres vestri, neque vos in sermonibus
Prophetarum, quemadmodum de adveutu Christi prophetaveruut , quia
prius dictum est, Puer nascetur et mater ejus virum non agnoscet, et
Isaias vobis dixit, Filios genui et exaltavi, ipsi autem spreverunt me:
cognovit bos possessorem suum et asinus praesepe Domini sui, Israel
autem me non cognovit, et populus mens non me intellexit et omnis
scriptura de ipso locuta est. Qui sciebatis legem errastis , nunc autem
eligite ex vobis, qui diligenter noverint scientiam legis, ut ad interro-
gationes meas dent responsum: et militibus jussit, ut custodireut eos
cum summa diligentia. § 5. Consilio autem facto inter se elegerunt
optimos legis doctores vires numero quingentos, et venientes steterunt
in conspectu Helenae : quae dixit : Qui sunt hi ? At illi dixerunt : Hi
sunt qui optime nov^runt legem. Et coepit iterum dicere ad eos: Vos
quam stulti estis filii Israel secundum Scripturas, qui patrum vestro-
rum caecitatem secuti estis, qui dicitis Jesum non esse filium Dei, qui
legistis legem et Prophetas et non intellexistis. Illi autem dixerunt:
Nos quidem et legimus et intelligimus ; pro qua causa talia nobis
dicis , Domina , manifesta nobis , ut et nos coguoscentes respoudeamus
de his quae a te dicuntur. Ipsa autem dixit iterum ad eos: Adhuc
euntes eligite meliores legis doctores. Qui cum irent, dicebant iutra
se , pro qua causa putas hunc laborem facit nobis Kegina.
26 BUSCH
Diese ganze partie bis zum auftreten des Judas ist in unserem
gedichte in einer weise behandelt, welche deutlich zeigt, dass der Ver-
fasser von dem genauen Sachverhalt keine ahnung hatte. Die darstel-
lung bewegt sich lediglich in phrasen, die dann nachher in wirklicher
anlehnung an die vorläge widerholt werden, z. b.: *
540 sie scolden lehendich verbrinnen und
560 unde sprach das sie hrinnen scolden.
Unsere hs. gibt nämlich 533: then sie gebot, thaz sie ire sageten, toär
sie tJiaz heilige crüce habeten, ganz im gegensatz zu der apokryphe,
wo die Juden ja eben deshalb in Verlegenheit sind, weil sie nicht wis-
sen , was die königin von ihnen will. Aber gerade die ansieht , dass
die königin gleich nach dem kreuze fragt, hält unser gedieht mit
eifer fest:
537 sancta Helena sie aver ane sprach
unde sie vil minneclich bat.
542 unde gebot, thaz sie sich besprcechen
unde sie iz ire nicht nebesuigen.
Ebenso verfrüht ist natürlich die durch diese darstellung veranlasste
antwort der Juden
535 sie sageten., thaz sie tho nicht geboren newceren,
thö man marterot then herren,
und Helenas Strafandrohung
539 ire nechein behilde then leben,
sie scolden lebendich verbrinnen.
Erst mit dem auftreten des Judas begint die genauere Überein-
stimmung :
Unus ex eis, nomine Judas, di- 544 Judas, ther ther aldest, in al-
xit: scio quia quaestionem vult fa- len tho sagetc:
cere ligni, in quod Christum sus-
penderunt patres nostri: videte
ergo, nemo ei confiteatur, nam vere
destruentur paternae tradi-
tiones et lex ad nihiluin redi- ^
getur. Zachaeus autem avus 545 einen aldervader ich habete,
mens praenunciavit patri meo ther hiez Zacheus,
(§7 wird Judas vater Simon ge- ther sagete minem vader Symoni
nant), et pater mens cum more- sws:
retur, adnuntiavit mihi, dicens:
§ 6. Vide lili, cum quaestio Man sal unser afterkomen,
facta fuerit de'ligno, in quod thie in dirre stat sculen wo-
Christum suspenderunt patres neyi,
EIN LEGENDÄR DES XII. JAHRH. VI
27
iiostri, mauifesta illud ante- 550 in grozem gethuange haben,
quam crucieris: jani enim am- thas sie von tliem cruce sagen,
plius Hebr^orum genus noii Sagcnt sie das,
regnaloit, sed reguum eorum so zeget unser euive in ther
erit, qui adoraiit Crucifixum, stat,
ipse aiitem reguabit in seculum se- imde sie selbe werthent verdri-
culi. Ego vero dixi ei, Pater si ben,
ergo sciebant patres nostri quia ipse 555 of sie ouch hehalden then leben.
esset Christus, quare manus suas
injecerunt in eum? Dixit autem
mihi: Audi me fili et cognosce ejus
inenarrabile nomen .... längere
rede, schliessend : Propter quod ego
et patres mei credidimus in eum,
quia vero filius Dei est. Et nunc
fili, uoli blasphemare eum, neque
eos qui in eum credunt, et habe-
bis vitam aeternam. § 7. Haec mihi
contestatus est pater meus Simon.
Ecce orania audistis : quid vobis
placet, si interrogaverit nos de ligno
crucis ? Ceteri autem dixerunt : Nos
talia numquam audivimus, qualia
a te hodie dicta sunt. Si ergo 556 under in sie thö gelobeten,
inquisitio facta fuerit de hoc , vide tliaz sie is ire nieht nesageten.
ue osteudas. Manifeste autem, qui
haec dicis et locum nosti. Haec
eis dicentibus, ecce veniunt milites
ad eos, dicentes: Venite, vocat vos
regina. Uli autem dum venissent
judicabantur ab ea, et nihil verum 558 Also sancta Helena thice ge-
volebant dicere de hoc, uude per- hörte,
cunctabantur. Tuuc beata Helena so trowet sie in aver harte,
jubet illos omues igni tradi. Qui 560 imde sprach, daz sie br innen
cum timuissent, tradiderunt ei Ju- scolden,
dam, dicentes: Hie viri justi et nu sie iz ire sagen newolden.
prophetae filius est, et legem novit van Jüda sie ire thö sageten,
cum actibus suis: hie, Domina, waz sie von ime vernomen ha-
omnia quae desiderat cor tuum beten.
ostendet tibi diligenter. Et Omni-
bus simul testimonium illi perhiben-
28
tibus, dimisit eos et tenuit Judam
solum. Et convocans eum , dixit ad
illum: Vita et mors propositae sunt 566
tibi: elige tibi, qiiod vis, vitam an
mortem. Judas dixit: Et quis in
solitudine constitutus panibus sibi
appositis, lapides manducat? Beata
autem Helena dixit : Si ergo in caelo
et in terrra vis vivere, die mihi,
ubi absconditum est lignuni prae-
tiosae crucis. § 8. Judas dixit
Quemadmodum habetur in gestis,
sunt jam anni ducenti plus minusve :
et nos cum sumus juniores quomodo
possumus haec nosse. Beata Helena
dixit: Quomodo ante tantas genera-
tiones in Hio et Troade factum est
bellum et omnes nunc commemo-
rantur, qui ibi sunt mortui: et mo-
numenta eorum et loca scriptura
tradit. Judas dixit: Vere Domina,
quia conscripta sunt, nos autem
non habemus haec conscripta. Beata
Helena dixit: Quid est quod paulo
ante confessus es a te ipso, quia
sunt gesta? Judas dixit: In dubio
locutus sum. Beata Helena dixit:
Ego quidem habeo beatam vocem
Evangeliorum , in quo loco cruci-
fixus est ipse Dominus; tantum
ostende mihi, qui vocatur Calvari^
locus, et ego faciam muudari locum,
forsitan inveniam desiderium meum.
Judas dixit : Neque locum novi, quia
nee eram tunc. Beata Helena dixit:
Per crucifixum fame te interficiam,
nisi dixeris veritatem. Et cum haec 572
dixisset, jussit eum mitti in lacum
siccum usque in Septem dies, sie
ut custodiretur a custodibus. Cum
transissent autem septem dies , cla-
Jüdam sie aver bat unde gebot,
tlias her iz saget äne not.
568 Wie mohte ich thize ivizzen,
sprach Judas,
ther fhannen nieht geboren waSj
unde thes ouch zweihunderet
jär sint vergän,
thaz thise dinc wurthen getan.
Ther vroiven her iz nieht ne-
sagete
er sie in in ein ertgrübe legete.
EIN LEGENDÄR DES Xn. JAHRH. VI 29
mavit Judas de lacu, diceus: Obse-
cro vos, educite me, et ego osten-
dani vobis criicem Christi.
Die in § 9 und 10 erzählte fin-
dnng der drei kreuze und erken-
nung des rechten durch auflegung
des toten ist in unserer handschrift
nicht erhalten. Dieselbe sezt erst
wider ein zu ende des § 11. ... et
ecclesiam construxit in ipso Calva- 574 calvärie locus,
riae loco. Judas autem accipiens thär liez santa Helena machon
iucorruptiouis baptisraum in Chri- ein godeshüs.
sto Jesu de praecedentibus signis
ostensus est fidelis, et commendavit
eum episcopo qui illo tempore erat
adhuc Jerosolymis et baptizavit eum
in Christo. Cum moraretur beata 576 tlw ivart Judas cristen
Helena in Hierosolyma factum est
beatum episcopum dormitionem ac-
cipere in Christo. Beata autem He- 578 tlio tlier hiscof Etisehius tvas
lena accersivit episcopum Eusebium heliven,
urbis Eomae et ordinavit Judam tJid ivart imo tliat hiscofdom
episcopum in Jerosolyma ecclesiae gexjiven.
Christi: mutavit autem nomen ejus
et vocatus est Cyriacus. § 12. Auf- 577 ande ivart Ciriacus geheimen.
findung der nägel, womit Christus
ans kreuz geschlagen ward. § 14.
Helena übergibt die nägel einem
vertrauten, damit er sie „in freno
equi regis" befestige. Endlich: bea-
ta autem Helena, qui in Christo
Jesu fide sunt confirmans in Hiero-
solymis, et omnia perficiens , perse- 580 thö ivortlien oug van themo
cutionem Judaeis immisit, quia in- lande tlie jutlien
creduli facti sunt et minavit eos a van sanctam Helenam verdriven.
Judaea. Tanta autem gratia secuta
est sanctum Cyriacum episcopum ut
daemones per orationes ejus effu-
garet et omnes hominum sanaret
infirmitates. Beata autem Helena
dona multa derelinquens sancto
30 BUSCH
episcopo Cyriaco ad miuisterium
paiipeiTim dormivit iu pace septimo
decimo Kalendas Maji.
§ 3. Ich habe absichtlich die apokryphe, wenigstens die unserer
haudschrift parallelen stücke derselben, ziemlich ausführlich gegeben,
um dadurch klarzulegen, dass sie nicht die directe vorläge unseres
dichters gewesen sein kann; welche gestalt unser gedieht bei directer
benutzung ungefähr gewonnen hätte, kann uns ungefähr cod. Viudob.
rec. 2259: „Da^ ist von dem heiligen hriuze ivie daz funden ivart"
(ed. Massmann, Eraclius s. 194 fg.) lehren. Die angaben unseres
gedichtes sind zum teil derart verworren und unbestimt, besonders
was den anfang betrift, dass der autor dieser fassung die originalapo-
kryphe unmöglich zur band gehabt haben kann. Ebensowenig kann die
fassung entstanden sein dadurch, dass der autor früher einmal die
apokryphe gelesen und längere zeit nachher dieselbe ans der erinne-
rung niederzuschreiben versucht hätte, weil in diesem falle die fast
wörtliche widergabe einzelner partien unerklärlich wäre. Es bleibt
wider allein die annähme, dass die vorläge unseres dichters die nach-
schrift eines Vortrages war, der sich wenigstens in seinem hauptteil an
die apokryphe von Judas Quiriacus hielt. Die Verwirrung entstand
dadurch, dass der Schreiber ausser den während des Vortrages gemach-
ten uotizen nur sein eigenes gedächtnis zu i'ate ziehen konte. Vorzüg-
lich wird diese annähme bestätigt durch v. 576 fg.:
I%o wart Judas cristen
ande wart Ciriacus geheizen.
TJid ther biscof Eusehius was heliven,
thö wart imo that hiscofdöm gegiven.
Der Zuhörer hatte vergessen, iu welcher Verbindung der name Euse-
hius in der legende auftritt, und machte ihn ohne weiteres zum bischof
von Jerusalem, während nach der apokryphe Eusebius bischof von
Rom ist und den Judas nur zum bischof von Jerusalem ordiniert.
§ 4. Der lezte teil des gedichtes bringt noch die notiz , dass
Helena denjenigen teil deskreuzes, thär ana genagelet ivären the hande
unses herren, nach Constantinopel zu ihrem söhne Constantin gesant
habe. In keinem der mir bekanteu lateinischen texte findet sich die-
ser bericht mit der erzählung von Judas Quiriacus verbunden; er ist
allein angefügt der darstellung, nach welcher Helena mit des Maca-
rius beihilfe das kreuz auffindet. So bei Rufinus X, 8: „Ligni
ipsius salutaris partem detulit filio; partem vero thecis argenteis con-
EIN LEGENDÄR DES XII. JAHRH. VI
31
ditam dereliquit in loco." Theodoretus I, 18: „Dominicae aiitem
crucis partem quidem palatio attribuit, reliquum argentea theca inclu-
sum civitatis episcopo (Macario), liortata ut salutis nostrae moniiiueu-
tura ad posterorura memoriam diligenter ciistodiret," Socratis scho-
lastici bist. eccl. cap. XIII (bibl. max. patr. Liigd. 1677 t. VII s. 276)j
„Unain crucis partem in tbeca argentea occlusam pro moniniento iis,
qui illius spectaudi cupiditate ducerentur, ibi relinquit: alteram mittit
iiuperatori." Den text bei Altmaunus habe ich oben schon gegeben.
Über den balken speciel, welchen Helena ihrem söhne schickte, finde
ich allein auskunft bei Sozomeiuis bist. eccl. lib. II cap. 1 (bibl. max.
bd. VII s. 389): Hujus aiiteni crucis salutaris jam tum iuventae maxima
pars adhuc etiam Hierosolymis in capsa argentea custoditur: reliqua
vero ab imperatrice ad filium Constantinum deportata est." Der klei-
nere balken, oder wie unser gedieht richtig angibt, der teil thär ana
genagelef wären the hande unses Jierren kam also nach Coustantinopel.
Dem entgegen steht die angäbe Ottos v. Freisingen: „circa idem
tempus Helena Constantiui mater crucem Domiui Hierosolymis iuvenit,
mediaque parte ejus ibi relicta alteram ad urbem regiam transpor-
tavit." Mit media pars ist doch wol der querbalken gemeint, an dem
die bände angenagelt waren.
Ob leztere darstelhmg schon in früherer zeit mit der apokryphe
verbunden wurde, oder ob diese Verbindung erst bewerkstelligt wurde
durch diejenige person, welcher wir die compilation der gesamt- vor-
läge unseres gedichtes zuschreiben müssen, ist nicht zu entschei-
den, auch für den zweck unserer Untersuchung gleichgiltig. Soviel
ist jedenfals sicher, dass die in unserem gedieh te vorliegende fassung
ursprünglich dadurch entstanden ist, dass ein nach den originalquelleu
gearbeiteter Vortrag aus der erinnerung niedergezeichnet wurde. Dass
die so entstandene fassung dann [,in anderen kreisen geltnng erlangte
ist wegen der grossen Verbreitung und beliebtheit der originalapokryphe
kaum anzunehmen. Höchst wahrscheinlich blieb sie ein unicum, das
der dichter also aus erster band erhielt.
§ 5. Zulezt mache ich noch darauf aufmerksam, dass auch die-
ser abschnitt gegen Trier und Umgebung als abfassungsort unserer
fragmente oder ihrer lateinischen vorläge spricht , denn sonst wäre wol
erwähnt worden, dass Helena aus Trier gebürtig sei, wie dies schon
früh kirchliche tradition geworden ist. Altmaunus (f 882) sagt: „beata
Helena oriuuda Trevirensis." Gotfridus Viterbiensis chronic: „Helenam
quidam ex pago Treverorum oriundam dicunt: uude eamdem ecclesiam
plurimum eam decorasse tradunt " u. a. m. Vgl. Acta SS. August t. III
s. 548 fg. §1,6.
32 BUSCH
Die Kaiserclironik bietet wider keine parallele; sie gedenkt der
kreuzfindnng nur ganz kurz in zwei versen:
10401 sie (Helena) vuor suo Jerusalem in das laut,
tha0 heilige hriuse sie da vant.
VIII. Heraclius und Cosdras.
§ 1. Über die entwicklung der legende aus geschiohtliclien tat-
saclien hat Massmann im 3. bd. seiner ausgäbe der Kaisercbronik und
ausführlicher in seiner ausgäbe des Eraclius (Quedlinburg und Leipzig
1842) s. 477 fg. gehandelt. Hauptsächlich an vier von byzantinischen
Schriftstellern erzählten fakten rankt sich die legende empor; dies sind
1) die macht und der reichtum des Cosdras, woraus sich in der legende
der tronhimmel und die dem perserkönig zu teil werdende göttliche
Verehrung entwickelt. 2) Der raub des von Helena in Jerusalem zu-
rückgelassenen balkens des heiligen kreuzes. 3) Die kämpfe des Hera-
clius mit den persischen feldherren besonders an flussübergängen , spe-
ciel die notiz , dass der kaiser auf einer brücke einen riesenhaften Per-
ser (vir giganteus) besiegt und in den fluss wirft. Dies wird die basis
für den Zweikampf des Heraclius mit dem söhne des Cosdras auf der
donaubrücke. 4) Die widerbringung des geraubten kreuzes nach Jeru-
salem , in der legende zu dem demütigen einzug des kaisers in die hei-
lige Stadt ausgebildet. Für das nähere verweise ich auf Massmanus
ausführuugen. Wie leichtes spiel übrigens die legende mit der geschicht-
lichen Überlieferung hatte, lässt besonders eine vergleichung des Zwei-
kampfes in der legende mit dem Zweikampf des Eraclius in der geschichte
erkennen. Da Massmann über diesen punkt wol zu schnell hinweg-
gegangen ist, setze ich den bericht der an dieser stelle die Bj^zantiuer
ausschreibenden „historiae miscellae a Paulo Aquilejensi collectae,
post etiam a Landulpho Sagacis auctae . . ." (max. bibl. patr. Lugd. 1677
t. XIII s. 200 fg.) hierher. S. 289G: Imperator, cum transisset
pontem Sari ... circa ipsum castra metatus est. Pervenit autem
et Sarbaras in partem quae contra ex altera parte esse vide-
batur. Invento vero ponte ac propugnaculis , quae in eo erant a Eom.
obtentis, castra metatus est. Excurrentes autem multi Komanorum
per pontem in ordinate cum Persis contulere conflictum, multa in ipsos
caede commissa. Verum Imperator hos inordinate prohibebat
discurrere, ne forte iter fieret adversariis cum illis convenieudi ad
pontem et pariter commeandi. Populus autem non acquiescebat impe-
ratori. Porro Sarbaras quibusdam exercitus sui clam in locis abditis
coUocatis, ostendit se quasi fugientem ac sie abstraxit multos Rom.
praeter votum imperatoris ad insequutionem sui transeuntes.
EIN LEGENDÄR DES XII. .TAHRH. VI 33
Ileversis autem et liis in fiigam versis qiiotquot extra pontera occupa-
vit occidit, vindictam perpessos inobedientiae. Imperator vero, cum
barbaros vidisset inseqiuitione ordiues dissolvisse et ex Rom. stantibus
in autemuralibus multos extiuctos contra eos prosequutus est. Porro
vir quidam Persa giganteus imperatori occurrens hunc in
medio pontis adgreditur. Ast imperator hoc percusso in
amuis flueuta projecit. Hoc vero ruente barbari in fugam versi
sunt , et prae angustia pontis utraque parte -seraet in fluvium jaciebant,
alii autem gladiis trucidabantur. Porro multitudo barbarorum per flu-
minis ripas sagittabat ac resistebat, non sinens trausire Rom. Verum
imperator transiens viriliter barbaris resistit cum paucis
quibusdam societatis suae super agonizans: ita ut etiam Bar-
baras super hoc obstupesceret et ad Cosmam queradam juxta
se stautem Rom. perfugam magaritam diceret: Vides, in-
quiens, Caesarem o Cosma, quam audax ad pugnam stet, et
contra tautam multitudinem solus decertet et velut incus
jacula renuat? Ex rubris enim ocreis aguoscebatur , multasque pia-
gas, licet nullam in hoc praelio periculosam acceperit, dedit. Tota
vero die cum in hoc hello pugnassent, accedente vespera ab invicem
separat! sunt. Et Sarbaras quidern timens per noctem reversus est . . ."
§ 2. Eine genauere angäbe, bis wann unsere legende zu volstäu-
diger ausbildung gelaugt war, d. h. so, wie wir sie etwa in der Kai-
serchronik oder bei Viucentius Bellovac. und Jacobus a Voragine finden,
gestatten die mir zu geböte stehenden quellen nicht. Massmann scheint
dafür erst die mitte des 12. jhs. anzunehmen, vgl. Eraclius s. 494, wo
er die kämpfe der Christen im morgenlaude zwischen 11.38 und 1150
zur erkläruug des legendarischen Zweikampfes anzieht, und besonders
s. 495 § 239 : „ Aber auch für den demütigen eiuzug des siegers in Jeru-
salem hatten die zeiten sich erneut. Jedem war um das jähr 1150
gewiss noch in eriuuerung und allenthalben wurde davon gesungen,
wie der edle Gottfrid v. Bouillon, der auch als könig später keine
andere, als eine dornenkrone tragen mochte , bei seinem einzuge in das
befreite Jerusalem, das 432 jähre unter muselmännischer herschaft
gelitten hatte, am 15. juli 1099 sich in aufrichtiger demut in ein wol-
lenes pilgerhemd kleidete und mit entblösten füssen um Jerusalems
mauern walfahrtete, ehe er durch das tor, welches gegen den ölberg
liegt , zur kirche des heiligen grabes eingieng. Und mit ihm sein gan-
zes beer. Wahrlich eine solche zeit konte leicht um den einzug des
Heraklius ihren eigenen seelenglanz legen. Wurde doch damals wie
zur zeit Helenas ein stück des heiligen kreuzes in der erde widergefun-
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI. O
34 BUSCH
den, das ein clirist dahin vergraben haben wolte. Alles volk, von
jenem geleitet, ging in feierlichem zuge hinaus an einem freitage und
brachte dasselbe im jubel zur kirche des h. grabes zurück."
Es ist aber gewiss, dass schon in viel früherer zeit die legende
volständig entwickelt war, wenigstens was den ersten teil derselben
anlangt; der zweite teil, Heraklius demütiger einzug in Jerusalem,
scheint erst später ausgebildet zu sein. Schon in einem werke aus dem
anfange des 10. jhs. finde ich einen bericht, der wenigstens die ersten
anfange der legende bezeichnet, nämlich in Keginos chronik (Mon.
Germ. I s. 550): „Anno dominicae incarnationis 538. Phocas regnavit
annos 8 Persae adversus rem publicam gravissima bella gerunt
et Hierosolymam intrantes, vexillum dominicae crucis asportant. Anno
d. i. 546. Heraclius regnavit annos 26. Qui adversus Persas bellum
aggressus, occiso Cosdroe eorum rege, Persas in deditionem accepit,
et lignum sanctae crucis Jerosolymam, unde ablatum fuerat, cum magna
veneratione restituit." Die quelle nun, welche am treuesten die ent-
wickelte legende widergibt, das Chronicon Reicherspergense (vgl. unten
§ 3), zeigt damit zum teil wörtliche Übereinstimmung: his temporibus
sub Foca imperatore Persae adversus rem publicam gravissima gesse-
runt bella .... und zu ende : auferensque lignum sanctae crucis Hiero-
solimam , illud cum magna veneratione restituit , unde ablatum fuit.
Wollen wir nun nicht annehmen, schon um 900 sei wenigstens der
erste teil der legende volständig entwickelt und schriftlich fixiert gewe-
sen, so dass Eeginos worte nur ein excerpt derselben wären, so müs-
sen wir diese worte als die basis ansehen, auf denen sich die legende
aufbaute und zwar schnell aufbaute, denn schon Aimoiu (erste hälfte
des 11. jhs.), dessen bericht Massmann (Eraclius s. 185) mitteilt^ bringt
die geschichte von dem silbernen türm , dem Zweikampfe des Heraclius
mit dem söhne des Cosdras, des alten Cosdras enthauptung und der
taufe seines kleinen söhnleins. Aimoin ist aber nicht selbst Urheber
dieser erzählung gewesen, sondern scheint nur eine vorläge umge-
arbeitet ZU haben, denn wider zeigen sich verschiedene wörtliche Über-
einstimmungen mit der sonst ziemlich abweichenden fassung des Chron.
Reicherspergense; man vergleiche zum beispiel:
Aimoin. Chron. Reich.
Partem salutiferae crucis, quam ibi Ligui salutaris partem, quam ibi
Helena mater Constantini quondam religiosa regina Helena quoudam
Augusti reliquerat , asportavit reliquerat , asportavit
Tradito filio suo regno ipse in argen- In hoc ergo loco sedem sibi Chos-
tea turri, quam ad hos usus parave- droas paraverat, atque juxta eam
rat, aureo residens solio vexillum quasi collegam Dei crucem Domi-
EIN LEGENDÄR DES XII. JAHRH. VI 35
iiostrae redemptionis quasi collegam iiicam posuerat, ac filio suo regiio
leg'iii e latere constituit tradito , ipso in fano residebat ....
Dill igitur auimosaque congressione Diu multumque iu uiedio pontis
facta cougressi sunt
utrum Christi tidem accipere et si vis salutem habere, pro eo quod
salutare lignum, quod licet indignus lignum sanetae crucis, quamvis
honorilice tarnen juxta suum tracta- indignus , honorifice tanien juxta
verat modum .... modulum tuum tractasti ....
filium Chosdroe parvuluni , quem liliumque ejus parvulum, quem
cum eo inveuerat, baptizari prae- cum eo invenerat, baptizari
cipieus eidem proponit jussit
u, a. m.
Die quelle, nach welcher beide arbeiteten, wenigstens den ersten teil
in volständiger ausbildung enthaltend, muss also schon zu anfang des
11. jhs. vorhanden gewesen sein. Die kämpfe der kreuzfahrer von
1138 — 1150 (vgl. die oben angeführte stelle von Massmann) sind also
keinesfals von einfluss gewesen.
Wol mag aber die ausbildung des zweiten teiles in anlehnung an
den demütigen einzug Gottfrids von Bouillon in Jerusalem erfolgt sein ;
Kegino, Aimoin und das Chronic. Eeichersperg. wissen nichts davon;
ich finde ihn überhaupt erst in Schriften, die nach dem ersten kreuz-
zug verfasst sind , so bei Honorius Augustod. , Vincentius Bellov. , Jaco-
bus a Voragine. Allerdings müste sich die legende dieses ereignisses
sehr schnell bemächtigt haben, denn Honorius schrieb noch im ersten
viertel des 12. jhs. , etwa 1120, und sein bericht selbst macht den ein-
druck eines excerptes , unser gedieht resp. seine vorläge aber ist höchst
wahrscheinlich kurz nach dem ersten kreuzzuge verfasst worden (vgl.
VI § 3).
§ 3. Was nun den Inhalt der legende anlangt, so ist uns der
erste teil überliefert in Aimoin, Honorius Augustodunensis , Chron.
Keicherspergense (ende des 12. jhs.), Vincentius Bellovacensis (mitte
des 13. jhs.), Jacobus a Voragine (ende des 13. jhs.), der lezte teil nur
bei Honorius, Vincenz und Jacobus. Jacobus stimt mit Vincenz ziem-
lich überein, hat aber einzelne züge, die sich schon in älteren fassun-
gen finden; er kann daher nicht den Vincenz, wenigstens nicht allein,
benuzt haben. Beide berichten dagegen im ersten teile nichts, was
nicht auch im Chr. Keichersp. stünde, doch schliesst der umstand, dass
im Chr. Reichersp. des kaisers demütiger einzug in Jerusalem fehlt,
die benutzung dieses Averkes durch Jacobus oder Vincenz aus. Hono-
rius berichtet excerpierend nichts, was nicht auch andere fassungen
3*
36 BUSCH
hätten, lässt aber manches aus. Aimoiu hat eine eigentümliche clar-
stelhmg (Heraclius besiegt den söhn des Cosdras durch eine list), welche
sich mit keiner der anderen quellen deckt. Keine der quellen hat also
die andere benuzt, aber die grosse oft wörtliche Übereinstimmung unter
einander beweist, dass sie alle ein und derselben quelle und zwar mit
ziemlicher treue gefolgt sind. Eine fassung ist nun darunter , die nichts
wesentliches auslässt, und deren sätze (worte könte man fast sagen)
durch parallelstellen der anderen darstellungen durchaus bestätigt wer-
den. Da, wie gesagt, die angezogenen quellen von einander unab-
hängig sind, so ist dies verhalten nur dadurch zu erklären, dass die
originalquelle hier fast oder ganz wörtlich abgeschrieben ist. Diese
fassung findet sich im Chronicon Keicherspergense. Vollkommen bestä-
tigt wird dies resultat durch die auffallende Übereinstimmung des tex-
tes der chronik mit dem unserer handschriffc. Ich stelle die beiden
texte einander gegenüber (Chr. Reichersp. ed. Gewoldus 1611 s. 85fg.):
His temporibus sub Foca impera-
tore Persae adversum rem publicam
gravis sima gesserunt bella. Nam
quidam impius et profanus adeptus
erat tunc regnum Persarum, nomine 594 In Perside thö geweidig was
Chosdroas : qui in tantam ausus est ein grimme Icunig, the liies Cos-
prorumpere audaciam et superbiam, dras,
ut ab incolis vicinarum gentium,
quos impetu vastans barbarico suo ther tliö manige lant
nefando subjugaverat dominio, et hetuang so siner hant.
coli se juberet ut Deum et vocari
se regem regum et dominum domi-
nantium. Nee cum hoc soluni ei
sufficeret ad suae damnationis iu-
teritum, etiam Syriam cum suh- ^98 Her hegreif Egm^tum ande Sy-
jugasset et Aegyptum, regnaque riam
quae extra et infra limites glomera-
bantur per circulum suo crudelis-
simo subigeret dominatui, Hiero-
solymam adiit, ecclesias Christi ande vor tho zo Jerosolimam.
subvertit totamque finitimam re- 600 tlie stat her zevorde,
gionem vastavit, incendit ac prae- the cristenheit her cestördo.
datus est. Ad sepulcruni ergo
Domini cum voluisset accedere,
territus divinitus rediit: sed ta- ande nam that heilige crüce ge-
men ligui salutaris partem, quam iveldeliche
EIN LEGENDÄR DES XII. JAHRH. VI 37
religiosa regina Helena ibi qiion-
clam in testinioninm virtutis reli- ande vorde is in sin ncJie.
qiierat, asportavit. Fecerat nam- up einen silverinen turren
qne sibi turrim argenteam, in qua 605 lies her iz fuoren.
interlucentibus gemmis thronum the turn was gros ande crlig,
exstruxerat aureum, ibiqiie solis her solde sin themo himile gelig.
quadrigam et luuae vel stellarum in themo himile stönt thas ge-
imagiuem collocaverat, ut quasi steine,
Dens pluviam desuper videretur heithe gros ande deine,
iufuudere, et dum subterraneo spe- 610 minnere ande merre
cu eqnis in circuitu trahentibus also an themo himile that ge-
circumacta turris fabrica moveri stirne.
videretur, quasi quodammodo ru-
gitus tonitrui juxta possibilitatem
artilicis inde ciebatur. In boc ergo Tjovon themo sas Cosdras ther
loco sedem sibi Cbosdroas para- herro^
verat, atque juxta eam quasi col- alse her ein got were.
lega Dei crucem Dominicam po-
suerat , ac filio suo regno tra- sinemo siine heval her sine riche
dito, ipse in fauo hujuscemodi resi- 615 ande sas imo thär gesuesliche.
debat.
Anno 611. Heraclius imperator. Eräclius, ein godes thrüt,
Adversum hunc Heraclium impera- machode sig mit here üs,
torem also man imo sagode,
that Cosdras that crüce havode,
620 that her iz wither gewunne
van themo heithenen manne.
filius Chosdroe theshuningessimougthisvernam
ad bellum pergens ande mit here imo angigen quam.
juxta Danubium fluvium cum up einer hruggen hi there Do-
suo consedit exercitu. nouwen
Tandem inspirante dementia sal- 625 solden se is mit then suerden
vatoris utriusque principibus pla- hehouwon.
cuit, ut ipsi singuli in medio 626 Eimvige the herren selvon ge-
pontis fluminis dimicarent, et cui lovodon.
sors victoriam contulisset, ut sine 628 uppetherehruggensethazfuhton.
damno utriusque exercitus Imperium
teneret.
Decretum etiam cum juramento 630 an heithen half ere man that
processit, ut si aliquis ex gesuöron,
38
eorum popiilo priucipi suo venire
iu auxilium praesumpsisset,
cruribus excisis et bracliiis
ab 60 in fluvio mergeretur.
Cumque utriqiie populo haec
pactio placuisset, iuvicem
ut dictum est, dimieantes , diu
multumque in pontis medio
sunt cougressi. Tandem
pulsatus Dominus lacrymis Christi- 635
anorum per virtutem S. Crucis,
cui se die eodem princeps Hera-
clius commendaverat, lideli suo
Christus concessit de hoste victo-
riam: tautaque mentis mutatio Chos-
droe invasit exercitum, ut non so-
lum praedictam pactionem uequeaut
transcendere , sed etiam voluntarii
cum omni familia sua atque prole
Heraclio se subderent tarn potestate
quam fide. Quos ille benigne sus-
cipiens, iu hoc illis clementiam
praestitit, ut omnes ad baptismum
convolarent, quod ita se facturos
omnes spoponderunt. Ipse autem
regna quae Chosdroes tenuerat per-
lustrans ad sedem ipsius venit,
cum paucis ad eum ascendit, se-
dentemque in throno aureo repe-
rit. Nullus enim ex ejus exer-
citu fuerat, qui ei aliquatenus exi-
tum belli nunciasset, qiiia propter
suae crudelitatis superbiam , omnes
eum exosum habebant. Cumque
ipse tremefactus salutationis verba
proferret Heraclio, ille respondit,
si vis salutem habere, pro eo quod 640
lignum sanctae crucis, quamvis in-
dignus, honorifice tarnen juxta mo-
dulum tuum, tractasti et si cre-
dere Domino Jesu Christo volueris
tliat thär nieman ne half sine-
mo herren,
tJier sin stiert thär üf geliüve,
thas min imo hande ande vöse
avasloge.
tlio se vile lango havodon ge-
vohton,
tJiö geliorde the cristenen tmse
threJiton.
Cosdre is nieman ne sagodo,
tliat sin sun tJien leven verlo-
ren havodo.
ande thär niet an ne dahto,
er inen Eräclius keime sohto.
EräcUus enio tho riet
EIN LEGENDÄR DES XII. JAHRU. VI
39
et servum te illiiis esse, cujus
ego famulus sum, confessus fueris,
regnuni tibi Persarum tautuui cum
patrimouio et vitam, paucis a te
datis obsidibus dabo.
Cumque ille nequaquain acquiesco-
ret, Heraclius gladio 645
Caput ejus araputavit,
filiumque ejus parvulum, quem
cum eo iüveuerat, baptizari
jussit, ipseque eum de sacro
fönte suscepit, erat enim
annorum decem.
Desciiptioues etiam regni 650
Persarum sul) illius nomine
fecit, totumque argentum
turris, quam Chosdroes fecerat,
in prffidam sui exercitus depu- 656
tavit. Aurum vero et gemmas
in vasis vel utensilibus
ad restaurationem ecclesiarum, 654
quas tyrannus ipse destruxerat,
reservavit, auferensque inde
ligDuui sanctae crucis, quod impius
asportaverat , Hierosolymam illud 659
cum magna veneratione restituit,
unde ablatum fuit.
that her süj heJcande 00 tliere
cristcnheit,
ande sagodo imo , of her thas
ne ivolde,
thaz her thes houvedes tharveu
solde.
Thö Cosdras thes niet negerede,
that her thie sielen gener ede,
thö lies imo Eruclius that houvet
avaslän
ande dede sin kint then douf
untfän,
wände iz havodo einen sun Cos-
dras,
ther sein jär alt was.
ther untfieng sines vader riche
ande levede sint cristenliche.
Eräclius lies thö zevören
then selverinen turren,
ande machodo thö alle th6 se
herren,
the mit imo an ther varth wären.
ande gaf enen so godeshüsen.
ande thas crüce se Jerusalem
vörde.
§ 4. Der lezte teil der legende , der demütige einzug des kai-
sers in Jerusalem, der, wie die darstellung des Honorius lehrt, schon
zu anfang des 12. jhs. volständig ausgebildet gewesen sein muss, fehlt
im Chronicon und dies spricht für die oben schon angedeutete möglich-
keit, dass dieser teil sich erst später entwickelte, und dann die erzäh-
lung- eine zeit lang in zwei verschiedenen fassungen umlief, das eine
mal der eine teil allein, das andere mal beide teile zusammen, bis sich
dann im 13. jh. auch der zweite teil volständiges heimatsrecht erwor-
ben hatte, und die legende nicht mehr ohne ihn erzählt wurde. Ich
stelle unseren text dem des Vinceutius Bellovacensis (ed. Massmann,
Eräclius s. 179) gegenüber:
40
Ciimque Imperator de monte Oliveti
descendens per portam qua Domi-
nus intraverat, quaudo ad passio- 660
nem venerat, cum equo regio et
oruamentis imperialibus intrare vel-
let, repente lapides portae descen-
dentes clauserunt se invicem et
factus est paries unus, cumque
mirarentur attouiti et nimio moe-
rore constricti respicientes in -al-
tuni viderent Signum crucis in coelo
flammeo fulgore splendescere, ange- 665
lus quoque domini accipiens illud
manibus, stetit supra portam et
ait: „'Quando rex coelorum pas-
sionis sacramenta completurus, per
hunc aditum introivit, non se pur- 670
puratum nee diademate renitentem
exhibuit, vel equi potentis vehi-
culum requisivit, sed bumilis aselli 668
terga insidens cultoribus suis liu-
militatis exemplum reliquit." His
dictis angelus in coelum confestim
rediit, tunc imperator gaudens se 672
visitatu angelico , depositis imperii
insignibus , discalciatur , protinus
zona linea tantum praecinctus cru- 675
cem domini manu suscipiens per-
fusus faciem lachrymis oculos ad
coelum erigens properabat ad por-
tam. Illo humiliter propinquante
duritia lapidum coeleste sensit im-
perium statimque porta se surri-
gens liberum intrantibus patefecit
ingressum. Odor quoque suavissi-
mus qui voluntate divinitus aura de
Persarum provincia per longa ter-
rarum spatia Hierosolymis fuerat il-
lapsus, eodem momento, quo de
fano Cosdroe sancta crux fuerat
Heraclio bajulante egressa, tunc
Tlid her quam zo tliere stat,
upfo shien rosse her sat.
the Jjurgporta zesamene slog,
tvant her that crüce niet ötmüt-
llche ne drdg.
ein godesengel dovon ther hurg-
porten stönt
ande havodo ein crüce an smer
hant
ande 'sprag , tho in the porta
unse herro
zo siner martirien vore,
her ne ride up negeinen rosse
mit güden gewande,
so Eräclius dede mit themo crüce.
that her harvoz einen esel ride
nd armer liude side.
alse Eräclius thiz vernam,
vile harde her is underquam.
van sinen rosse her gesät
ande vile innelicho her gode bat.
sin gewant her üzgezö,
van sinen vozen the scö,
ande drdg that crüce mit gro-
zer vorhten,
tho offouodo imo got theporten.
EIN LEGEND AB DES XII, JAlIßll. VI 41
rediit et per pectora se gratanter
infiidit. Igitur populo dei laudante 680 TM tvart that crüce tJiär unt-
poteutiam, gloriosus qiioque Augii- fangen mit tlien eren
stus erumpens in laudibus ait: „0 also is gemm godo unsem her-
crux splendidior astris etc. " Haec ren.
cum dixisset preciosum illud liguum
in loco siio restituit.
Fast dieselben werte finden sich bei Jacobus a Voragine , nur hat
dieser noch, übereinstimmend mit Honorius Augustod. , folgende Zeilen:
et antiqua miracula renovantur. 682 gros seichen sän tJiär geschiede,
Mortuus quidam vitae restituitur, thär wart levendig ein döde,
paralytici quattuor cnrantur, thär tvart genäthe anderen meren,
685 tlie vergihtigot wären.
leprosi decem mundantur,
ceci XV illuminantur thehlindenwurthenfhärgesiende,
the haUon ivurthen thär gände.
demones effugantur, et variis lau-
guoribus plurimi liberantur; et sie
Imperator ecclesias reparans et re-
giis muneribus cumiüans, ad pro- Eräclius vor in Crieglant,
pria remeavit. thä her sanctam Helenani vant,
690 the unson herron goth lovodo,
thö her ero allet thtt sagodo.
§ 5. Ich knüpfe einige bemerkuugen an diese vergleichung. Dass
dem compilator eine fast wörtlich gleiche quelle vorgelegen , steht ausser
aller frage. Unser gedieht zeigt nun einige abweichungen. Zunächst
fällt die mangelhafte beschreibung des thronhimmels auf; es wird nicht
mehr gesagt, als dass Cosdras sich einen silbernen türm baut, der dem
himmel gleich sein soll und dass er darin die gestirne durch edelsteine
ersezt. Mit der annähme , dieser teil der legende sei zur zeit des Ver-
fassers noch nicht so ausgebildet gewesen wie das übrige, kommen
wir nicht aus, denn schon der sonst so kurze Honorius Augustod. ist
hier ganz ausführlich (Mignes Patrol. t. 172 s. 1006): „crucem sanctam
ab Hierosolymis in terrani suam asportavit ibique aeream turrim pro
coelo construxit, in qua similitudinem solis et lunae stellarumque fin-
xit : quae turris quodam artificio movebatur et raugitum touitruum imi-
tabatur. Aqua quoque per fistulas occultas ascendebat, per quasdam
cavernas pro pluvia descendebat. In hanc turrim crucem a dextris suis
pro filio sno fixerat , a sinistris autem gallum aureum pro spiritu sancto
posuerat, in medio ipse in throne sedens se ut deum patrem coli jus-
42 BüSCH
serat." Wir werden hier also eine ähnliche ungenauigkeit constatieren
müssen, wie wir sie schon so oft in den vorhergehenden stücken
fanden.
§ 6. Wichtig ist, dass in unserem gedichte an den Zweikampf
nicht die bedingung geknüpft ist, Avodurch derselbe erst einen wirk-
lichen sinn erhält, nämlich die, dass das beer des besiegten dem Sie-
ger Untertan sein solle. Die quellen haben sie selbstverständlich alle,
auch Aimoin, wenn lezterer auch vergessen hat, sie ausdrücklich anzu-
geben (wie es sicher in seiner vorläge der fall war); er sagt nämlich
zu anfange nur: „et conspirantibus utriusque partis studiis Imperator
cum Persarum ductore singularem aggressus pugnani" usw., fügt aber,
nachdem Heraclius den Perser besiegt hat; zu: „Persae statim suppli-
ces se Heraclio subdant." Honorius sagt: „Placuit itaque populo, ut
principes singuli duellum inirent, viucentique omnes obedirent. Quo
facto Heraclius victoriam obtinuit, omnisque exercitus ei paruit."
Allein die Kaiserchronik weiss weder etwas von der bedingung noch
der späteren capitulation des persischen heeres , doch erklärt sich dies
daraus, dass die Kaiserchronik an dieser stelle derart verwirrt und
ungenau erzählt, dass Massmann sogar bei der Inhaltsangabe dieses
abschnittes (Kehr. III, s. 885) fehlt. Massmann gibt nämlich: „Da
ward Heraclius durch eine stimme vom himmel aufgefordert, gegen
Cosdras zu ziehen, und er zog in der beiden land, hielt eine anrede
an sein beer, schlug den feind und den jungen Cosdras blutig. Da
bot der alte Cosdras einen Zweikampf auf einer brücke an. Heraclius
verlangte vorher die taufe, der sich Cosdras weigert, worauf ihm
Heraclius das haupt abschlägt. Als Heraclius das h. kreuz gefunden,
liess er jenen saal zerstören , erschlug den älteren Cosdras, nahm den
söhn auf des vaters tronhimmel gefangen und taufte ihn zum h. Cyril-
lus.'' In Wirklichkeit aber gibt die Kaiserchronik folgendes: Heraclius,
durch eine stimme vom himmel aufgefordert, zieht gegen Cosdras, um
das h. kreuz widerzugewinnen. Er stösst auf die feinde , hält eine rede
an sein beer (welche ungefähr den vierten teil der ganzen erzählung
ausmacht) , greift die Perser an und schlägt sie volständig. Da erblickt
er den jungen Cosdras mit hluote gar hermmen, dem die seinigen alle
erschlagen und entronnen waren.
11281 Ein einwic wart cid gelohet,
das der romisJce voget
mit dem heiden solde vehten.
der kunic was gerehte,
11285 daz shi da tverden solde,
EIN LEGENDÄR DES Xll. JAURII. VI 43
sivaz got tibir in virhengen wolde.
üf einir hnicJcen
da gesameneten sie sich in almiUen.
ir ieweder kunte sinen han
11290 iibir alle sine man,
siver dicheinen strit irJmohe,
das man im an der stete das lioid)ct ahe sluoge.
Eraclius suelit dann noch den Leiden (also den jungen Cosdras) zu
überreden, sicli tauten zu lassen, da dieser aber nicht will, zieht er
das Schwert und
11309 sluoc im ahe den hals sin
des gehalf im selbe min trehtin.
Do der himic die heiden uhirwant,
unde er das heilige Icriuse da vant,
do hies er brechen den sal,
niderstösen ubir al
11315 den himel suo der erde,
das hriuse nam er vil werde.
Heräclius ein helt vil giiot
den alden Cosdram er ir sluoc,
den sun er üffeme himele vienc,
11320 das im sit vil wol irgienc,
wände er in suo Börne üs der toufe huop.
er ivart ein crisfen vil guot,
von demiz buoch michile tugent saget.
Nach der darstellung der Kaiserchronik bezieht sich bis v. 11310 alles
auf den jungen Cosdras, während Massmami a. a. o. sagt: „Der alte
Cosdras bot einen Zweikampf au." Massmann wurde zu dieser angäbe
verleitet durch den umstand, dass der Perser, dem Heräclius v. 11309
das haupt abschlägt, wirklich der alte Cosdras ist, iudess hat Mass-
mann sich nicht die mühe genommen, den Sachverhalt klarzulegen.
Nach V. 11292 macht die Kaiserchronik einen plötzlichen sprung; sie
überschlägt den in der vorläge sicher vorhandenen bericht über den
Zweikampf des Heräclius mit dem jungen (d. i. dem söhne des) Cosdras
und den zug des kaisers vor den türm des alten Cosdras. Mit v. 12293
knüpft sie plötzlich wider an mit der an den alten Cosdras gerichteten
aufforderung, er möge sich taufen lassen. Der eigentliche Zweikampf
fehlt also , und deshalb ist es natürlich , dass auch die an densel-
ben geknüpfte be dingung nicht zur spräche komt. Wir dürfen mit-
hin den umstand, dass die Kaiserchronik nichts von der bedingung
44 BUSCH
weiss, nicht zur erklärung anziehen dafür, dass der passus in unserem
ge dichte fehlt.
§ 7. Die hier wie bei der beschreibung des thronhimmels zu tage
tretende ungenauigkeit scbliesst es aus, dass dem seiner vorläge treu
folgenden dichter die originalquelle vorlag. Er muss sich an eine kür-
zere fassung gehalten haben. Ob der autor dieser fassung die original-
quelle zur band hatte oder nicht, lässt sich nicht entscheiden; unmög-
lich wäre es nicht, dass er diese zu kürzen versucht, die kürzungen
aber etwas ungeschickt vorgenommen hätte. Indess sprechen andere
verse mehr dafür, dass er das original nicht zur band hatte. Nach
v. 687 — 691:
Eräclius vor in Crieglant,
thä her sanctam Helenam vant usw.
ist nämlich Eräclius ein Zeitgenosse der Helena;, während doch in Wirk-
lichkeit Eräclius einige Jahrhunderte später lebte. Diesen fehler hat
schwerlich der gebildete compilator der gesamtvorlage unseres gedich-
tes hineingebracht; er kann kaum anders entstanden sein als dadurch,
dass die legende nach einem vortrage der originalquelle von einem
Zuhörer aufgezeichnet wurde, und zwar so, dass dieser zuhörer wäh-
rend des Vortrages so gut wie möglich nachschrieb und später diese
nachschrift ausarbeitete, denn wenn er blos sein gedächtnis hätte zu
rate ziehen können, so wäre die zum teil wörtliche Übereinstimmung
unerklärlich, hätte er aber seine notizen später nicht ausgearbeitet, so
wäre der fehler unmöglich gewesen, weil der zuhörer während des Vor-
trags doch höchstens davon sich notizen machte, wovon der vortra-
gende wirklich sprach. Wie aus der Verknüpfung zu schliessen ist,
umfasste der eine vertrag beide legenden, sowol die der kreuzfindung
durch Helena als die der widergewinnung durch Heraclius, mit einigen
einleitenden worten über die Zerstörung Jerusalems, und da war es
leicht möglich, dass der wenig gebildete zuhörer zum Schlüsse noch
einmal an die person anknüpfen wolte, von der der Vortrag ausgegan-
gen war, an Helena. Übrigens findet sich schon v. 594: in Perside
thö gewßldig tvas die angäbe, dass Helena zur zeit des Cosdras gelebt
habe; das einfache thö könte zwar allenfals der dichter verschuldet
haben, aber die späteren verse machen es mir wahrscheinlicher, dass
der Verfasser seiner vorläge auch hier schon gefehlt hatte.
§ 8. Zulezt noch einige werte zu den bemerkuugeu Scherers
QF. s. 39. Zunächst bemerkt Scherer zu v. 634 — 637
Thö se vile lango havodon gevohton,
thö gehorde the cristenen tmse threJdon.
EIN LEGENDÄR DES XII. JAHRH. VI 45
Cosdre i0 nienian ne sagodo,
tJiat sm sun then leven verloren Jiavodo:
„Den Zweikampf selbst erzählt das gedieht eigentümlich scliön bei aller
kürze." Ich miiss den dichter gegen dies nngerechte lob in schütz
nehmen nnd verweise deshalb besonders auf den diesen versen paralle-
len text des Chron. Keichorsp. und Vinc. Bellovac. Die schöne kürze
hat allein die vorläge, welcher sich der dichter hier fast wörtlich
anschliesst, verschuldet.
Dann glaubt Scherer a. a. o. verwantschaft der Kaiserchronik mit
unserem gedichte zu entdecken. Ich habe absichtlich vorhin so aus-
führlich über die fassuug der Kaiserchronik gehandelt, um zugleich
dort zu zeigen, wie sehr sie von der unseres gedichtes abweicht. Von
vornherein spricht es sehr gegen eine solche verwantschaft, dass die-
selbe sich nur in einem einzigen abschnitt oder vielmehr nur in der
lezten hälfte dieses abschuittes (denn kreuz -finduug und widergewin-
nung sind ein ganzes) finden solte. Sodann die differenz beider fassun-
gen, die sogar eine gemeinsame vorläge völlig ausschliesst! Daneben
kommen die vereinzelten ähnlichkeiten , welche Scherer an der erwähn-
ten stelle sammelt, besonders die gleichen reime, nicht in betracht.
Ich verweise nur auf die worte Roedigers in seiner Untersuchung über
die metrik des Aegidius (Zs. XXI, s. 331 fg.): „Mau kann sehen, wie
auch bei unreinen bindungen manche worte fest zusammenhängen, wie
das eine fast mit Sicherheit ein bestimtes anderes als reimwort nach
sich zieht, und wie daraus eine gewisse formelhaftigkeit der gedanken
erwächst. Dass reim-armut auch in den erzeugnissen der blüteepoche
unwillkürlich zu grosser einförmigkeit des ausdrucks und zum teil der
darstellung äusserer und innerer Vorgänge geführt hat, scheint noch
nicht recht beachtet zu sein." Auch aus anderen gedichten lassen sich
beispiele für ähnliche satz- und reimbildung genug beibringen. Ich
ziehe nur an die erzähluug des grossen Passionale (Massmanu, Eraclius
s. 170 fg.), von dem doch gewiss niemand verwantschaft mit unserem
gedichte behaupten wird: s. 173, 56. do er U der staf kam vgl. Fragm.
660; s. 173, 68. diu mür sich zesamene sluoc vgl. Fragm. 662; s. 173,
79. ande Jiete ein Icriuse in der Jiant vgl. Fragm. 665 und anderes
weniger auffallende mehr. Vgl. auch Lamprechts Alexander v. 4493 :
unde gelobete thas einwich.
IX. Himmel und hölle.
§ 1. Der Eracliuslegende folgt direct ein dogmatisches stück,
allerdings in einer weise verarbeitet, dass wir die bedeutung kaum
mehr erkennen würden , wenn uns nicht hier die quellen in ausreichend-
46 BUSCH
stem masse zu geböte stünden. Das ganze soll nämlicli niclits mehr
und uiclits weniger sein als ein aus bibelstellen gezogener beweis für
die existenz von zwei höllen und deren beschaffenbeit.
Die kircbenväter , meines wissens zuerst Augnstin, knüpften die-
sen beweis zunächst an Psalm 86, 13: „Eruisti animam meam ex inferno
inferiore ," und führten dann als beispiel die parabel vom reichen mann
und armen Lazarus an. S. Augustinus (Benediktiner ausgäbe t. VI,
s. 143): Verum quia dicit scriptura cui contradici non potest: „Eruisti
animam meam ex inferno inferiore" intellegimus tamquam duo inferna
esse, superius et inferius. Nam unde infernum inferius nisi quia est
infernum superius? Aliud non diceretur infernum , nisi in comparatione
illius superioris partis Eine stelle, wo Augustin direct Laza-
rus und den reichen zum beweis anzieht, muss mir entgangen sein,
denn Julianus Toletanus (vgl. weiter unten) erwähnt eine solche aus
seinen schritten.
Gregorius Magnus (Benedictiner - ausg. 1705. t. I s. 397) behan-
delt Augustins folgerung schon als völlig feststehende tatsache; er hält
es nicht einmal für nötig, bibelstellen dafür anzuziehen: Sed esse supe-
riora inferni loca, esse alia inferiora credenda sunt: ut in superioribus
justi requiescerent, et in inferioribus injusti cruciareutur.
Eine ausführliche darstelhmg mit berufung auf Augustin gibt
Julianus Toletanus, 680 — 690 bischof von Toledo, in seinem Progno-
stiken (bibl. max. Patrum. Lugd. 1677. t. XII s. 597), in dem er sich
über die beschaffenbeit der aussersinlichen weit überhaupt auslässt.
Lib. II cap. I : de differentia paradysorum, Unus est terrenns paradysus,
ubi primorum hominum vita corporaliter extitit. Alter vero coelestis,
ubi animae beatorum statim ut a corpore exeuut, transferuntur , atque
digna felicitate laetantes expectant receptionem corporum suorum. De
hoc paradyso Julianus Pomerius ait: Hinc quoque videntur animae
justorum duci vel ire in paradysum recedentes a corpore
Cap, IV. de differentia infernorum. De discretione infernorum in beati
Augustini tractatibus legisse memini, ubi duo inferna esse mani-
festius dicit , ut unus infernus super terram , alter vero sub terra
infernus esse accipiatur: secundum vocem Psalmistae Deo coufitentis:
eruisti animam meam ex inferno inferiori. Nam propter duo ista
inferna missus est filius Dei, undique liberans. Ad hunc infernum
missus est nascendo, ad illum moriendo. Et haec quidem dicens,
infernum , ait , fratres , nee ego expertus sum adhuc , nee vos : et for-
tasse alia via erit et per infernum non erit. Incerta sunt haec.
Verum quia dicit scriptura, cui contradici non potest: eruisti animam
meam ex inferno inferiori, intelligimus tanquam duo inferna esse, supe-
EIN LEGENDÄR DES XII. JAHRII. VI 47
rius et iiiferius- Naiii iiiule internus inferior, nisi quin est superior?
Item aliam opiuioncni idem doctor sanctissinms ponit , dicens quod apud
ipsos inferos sit aliqua pars inferior, iibi dives ille imnianiter torque-
batur et aliqua pars superioris inferui, in quo Abraham cum Lazaro
laetabatiir, ubi etiam omnes Sancti ante adventum Christi habiti sunt.
Sic enim praedictus doctor ait: fortassis apud inferos est aliqua pars
inferior, quo traduutur impii, qui plurimum peccaveruut. Etenim apud
inferos utrum in locis quibusdam jam fuisset Abraham uon satis pos-
sumus definire. Nondum enim venerat Christus ad infernum, ut eme-
ret inde omuium sanctorum praecedentium animas: et tamea Abraham
in requie ibi erat. Et quidem dives cum torqueretur apud inferos, cum
videret Abraham , levavit oculos. Nou enim posset levatis oculis videre,
nisi ille esset superius et ille infernus. Et quid ei respondit Abraham,
cum diceret: Pater Abraham mitte Lazarum ut intiugat digitum suum
in aquam et stillet in linguam meam, quoniam crucior in hac flamma?
Fili memento, ait, quia percepisti bona in vita tua et Lazarus mala:
nunc autem hie requiescit, tu autem torqueris. Et super haec ait:
inter uos et vos Chaos niagnum firmatum est, ut nee nos possimus ire
ad vos, nee inde aliquis venire ad nos. Haec ergo fortasse sunt duo
inferua, quorum in uno quieverunt animae sanctorum, in altero tor-
quentur animae impiorum.
Auch Beda zieht in seinem commentar zu Psalm 8G, 13 (com-
ment. in Psalmos lib. VIII, 745) die parabel an: Potest etiam quantum
ad membra accipi , hoc modo , ut in locis poenalibus superiorem et
inferiorem infernum iutelligamus: et accipiamus superiorem locum, ubi
sancti viri, Abraham scilicet et Lazarus in sinu ejus, et alii ante
adventum Domini in quiete quadam servabantur : inferiorem vero locum
iutelligamus, ubi superbia divitis erat damnata cum aliis aeternaliter
punieudis. Et quod ille locus superior esset, iste inferior, hoc Evan-
gelista testatur , dicens : Elevans autem oculos dives , cum esset in tor-
mentis, vidit Abraham a longe et Lazarum in sinu ejus. Non enim
oculos elevare posset, nisi quod sursum erat aspiceret.
Von anderen Schriften führe ich nur noch an Remigii Antissio-
dorensis enarrationes in Psalmos (bibl. max. patrum XVI, s. 1210 B
und C): .... ecce quomodo eripuisti auimam meam, id est animam
meorum , ex inferno inferiori. Nota quia est infernus superior et infe-
rior. Vita enim ista, quantum ad diguitatem illam in qua sunt angeli,
infernus dici potest: sed infernus inferior poena quae consequitur hanc
vitam, a qua eruuntur animae sanctorum: quod hie dicit, eruisti auimam
meam ex inferno inferiori, id est ex poena infernali, licet non eruisset
animas eorum ex hac vita, in qua passi sunt multas tribulationes et
48 BUSCH
miserias: vel eruisti auimam meam ex iiiferno iufeviori , id est ex pec-
cato criminali, licet uon ex peccato veuiali. V.el ad litteram dicamus:
Emisti auimam meam ex infenio iuferioii, id est a loco torraentorum
uon a loco teuebrarum. Legitur enim quod omues sancti aute resur-
rectiouem Domiui mortui desceuderuut ad iuferos: ubi eraut h. teue-
bris, sed uou in poeuis, non in illo loco, unde dives respexit Lazarum
in sinn Abrae repositum: quod dicit cripuisti auimam meam ex inferuo
iuferioii. Vgl. auch Notker zu Psalm 85, 13 und Heurici, die quellen
von Notkers psalmen s. 227, 18.
§ 2. Endlich als beweis für die Verbreitung gerade zu aufang
des 12. jhs. die darstelhmg des Honorius Augustodunensis in dessen
Elucidarium (Mignes Patrol. t. 172 lib. III):
4. De malorum deductione ad iuferos et de poeuis quas ibi sustinent.
Discipulus: die qualiter agatur circa malorum exitum.
Magister : Cum mali in extremis sunt , daemones maximo strepitu
conglobati veniunt et crudeliter ad iuferni claustra per-
trahunt.
D: Quid est infernus vel ubi?
M: Duo sunt iuferni: superior et inferior. Superior, iufima pars
hujus mundi, quae plena est poeuis; nam hie exundat nimius
aestus, magnum frigus, fames, sitis, varii dolores corporis, et
verbera animi , ut timor et verecundia. De hoc dicitur: „Educ
de carcere," hoc est de Inferno, „auimam meam" (Ps. 141, 8)
id est vitam meam. Inferior vero est locus spiritualis, ubi
ignis inexstinguibilis, de quo dicitur: „Eruisti auimam meam
de inferuo inferior!" (Ps. 85, 13). Qui sub terra dicitur esse,
ut sicut Corpora peccautium terra cooperiuntur, ita animae pec-
cantium sub terra in inferuo sepeliantur; ut de divite dicitur:
„Sepultus est in iuferno" (Lucas 16, 22). In quo uovem spe-
cies poenae esse leguntur.
D : Quae suut illae ?
M: Prima ignis, qui sie semel accensus est, ut si totum mare
iuflueret, non exstingueretur
D: Quare tot miserias patiuntur?
M: Quia consortium uovem ordinum angelorum ueglexerunt ....
5. Quomodo beati erga damnatos se habeaut.
6. Quis infernus justorum animas ante Christi adventum exciperet.
D: In quo iuferno erant justi ante adventum Christi?
M: In superiori, in quodam loco juncto inferiori, in quo poterant
alterutrum conspicere. Qui erant ibi, quamvis carereut sup-
EIN LEOENDAE DER XII. JAIIRH. VI 49
plicio , videhantur sibi osse quodammodo in iiiferno , cum essent
separati a rogno. Ulis autem qui erant in iiiferiori inferno,
videbatur quod illi qui erant in illo inferno juncto inferiori,
erant in refrigerio paradysi, unde et dives rogabat a Lazaro
guttam super se stillari.
D: Quam poenam habebant ibi? ''
M: Quasdani tenebras tantum, unde et dicitur: babitantibus in
regione uml)rae mortis lux orta est eis (Jsa. IX, 2). Quidam
ex eis erant in quibusdam poenis. Venit ergo Dominus ad
iufernum superiorem uasceudo, ut liberaret oppressos a diabolo,
descendit ad inferuum infeiiorem moriendo , ut redimeret capti-
vos a tyranuo ut dicitur: „Dices bis qui vincti sunt, Exite et
bis qui in tenebris sunt, Revelamini (Jsa. 49, 9)." Vinctos
vocat, qui erant in poenis: alios vero in tenebris: quos omnes
absolvit, et in gloriam duxit rex gloriae.
7. Quomodo beati se invicem cognoscant et pro nobis intercedant.
D: Cognoscunt se justi et boni in gloria?
M : Animae justorum omues justos cognoscunt .... Malos omnes
etiam in tantum cognoscunt, ut propter quod meritum unus-
quisque ibi sit , sciant. Mali quoque malos cognoscunt et bonos
quos vident in tantum, ut etiam nomina illornm sciant, ut
dives nomina Abrabae et Lazari cognovit.
Diese fassung wurde dann später von den niederdeutschen Eluci-
darien benuzt; genau gibt den Honorius wider eine niederdeutsche
papier - bandscbrit't des lö.jhs. 4°, geschrieben von Arnoldus de Almelo,
aus dem kloster Frenswegeu . jezt eigentum der Strassburger bibliothek
(noch nicht signiert):
Bl. 45 a : Daer synt twe hellen als de oveiste eil onderste. Die ouerste helle
is dit ertrike, dat vul pinen is. Want hyr is somtyt (die grote hette en
somtyt alte grote kulde. Hyr is hungher dorst en nianigherhande pyne
manigherhande sericheit en siecheit des lichaems. Hyr sin slaghe anxt
droefJieit en schaemte, van desser hellen secht de psalmista [141, 8]:
Wileyde myne ziele, dat is myn leven, van den herkener, dat is vä
desser ouerster hellen. De nederste helle is een onlesschclic vuer ; hyr
van secht de scriftuer [Ps. 85, 13]: verlose myne siele van der nedersf
helle , en men secht dat desse onder der eerde is. En als de lichame der
doden bedecket werden onder der eerde, so werden de sundighe sie-
len onder de eerden v'grave ond' in de helle als Xpiis secht van den
ryken mane: he is begrauen in de helle. Eil men lest dat in deser
hellen sint seuen sunderlinghe pyne
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI. 4
50 BUSCH
Bl. 47 b. D: In ivat hellen tveren de recMuerdighen voer der toecomft
Xpi? M: In ener stede de hogher was dan de nederste helle en so
na daer hy dat se malcanderen sien mohten de daer weren. En
al wast dat se ghene pyne en hadde nochtan duchte em dat se in
der helle tveren, want se verscheide weren van den ryhe gods. Mer
de in der nederster helle loere den duchte dat de anderen in der
wallust des paradyses were. Hyr ome had de ryhe man dat he van
lazarus mohte ontfanghen een dropelken waters.
D: Wat pine hadde de guede daer? M: Somighe hadden allene
duysternisse. Somighe van en hadden wat pyne. Hyr oifie steech de
here neder da he an den cruce starf en verlosede sie en leyde se tot-
ter glorien synre godheit.
D: Bekennet de rechtuerdighe malcanderen oec? M: De zielen
der rechtuerdighe bekennen alle recMuerdighen hy ere name en ghe-
buerten en er Verdiensten recht of se altoes hadde mit em omegaen.
Se hehene de quaden so wal dat se weten in ivat mysdaet dat een
yeghelic verdomet is. Die quaden hekenen die quaden en de gudcn
de se sien also dat se er namen weten als de ryke 7nan bekande
abraham en lasarus by namen.
Eine etwas freiere bearbeitung gibt „ die dietscbe Lucidarius " in
Ondvlaenische gedieh ten der XIP, XIIP, XI V" eeuwen ed. Blomniaert,
Gent 1851. derde deel. s. 4 fgg. Die uns angebende stelle findet sieb
s. 59 — 62:
V: Meester waer staet die helle
daer onsaliger sielen quellen? usw.
Dass Honorius schon von unseren fragmenten benuzt ist , ist niclit
wahrscheinlich, wenn sich auch am rande der handschrift einige aus sei-
nem Elucidarium genommene Sätze finden:
Honorius. Hs.
duo sunt in- duo st in
ferni: ferui ut
supe- dixim^ supe
rior et infe- rior et infe
rior. In su- rior. In su
periori erant periori erat
justi ante justi ante .
adveiituni Christi adventum X.
in qnodam loco Loco quodä
juncto inferi- juncto T feri
ori, in quo ori. I quo se
RIN LEGENDÄR DES XII. JAHRII. VI
51
Hoiiorius.
poteraut al-
tei'utrum con-
spicere. Qui
evant ibi,
qimmvis care-
rent suppli-
cio
vide-
bautur sibi
esse quodammodo in
inferno, cum esseiit
a regiio sepava-
ti. Ulis autem
qui erant in iufe-
riori inferno vide-
batur, quod illi,
qui erant in illo
inferno juncto in-
feriori, erant in refri-
gerio para-
dysi.
Hs.
poterat al
terutrü 9
spicere. qui
quis care
rent suppli
cio q'a tantü
1 tenebris
erat vide
batur eis
se ee i I feri
ori cfl esse[nt]
a regno sep[a]
rati. Ulis a[utem]
q' erfit I ife
riori vide
retur
refr[i]
gerium para
dysi si esse[nt]
I superior[i]
Das werk des Houorius fält wol in eine etwas spätere zeit, als
wir für die abfassung unseres gedichtes annehmen müssen , und ausser-
dem verstrich jedenfals einige zeit, elie das Elucidarium in Nieder-
deutschland Verbreitung fand. Wir müsten die abfassungszeit wenig-
stens um 20 bis 30 jähre später rücken, und ich glaube nicht, dass
spräche und schrift der fragmente sowie v. 522. wo das gedieht von
den lezten jähren des 11. jhs. als von unseren gcMden spricht (vgl. VI
§ 3) , dies erlauben. Wahrscheinlich wurde die raudglosse erst später
zugesezt; unsere handschrift ist, wie wir bei der sprachlichen Unter-
suchung nachwiesen, keinesfals das original, sondern eine im südlichen
Deutschland gefertigte abschrift; in Süddeutschland aber genossen die
werke des Houorius eines grossen ansehens (vgl. Wattenbach II, 197);
so wäre es möglich , dass schon der abschreiber die glosse zufügte.
§ 3. Sei dem nun auch, wie ihm wolle, keinesfals ist Houorius
allein benuzt, denn er weiss zwar vou drei himmeln (Elucid. lib. I,
Migues Patrol. s. 111: „tres coeli dicuntur: corporale, spirituale et intel-
4*
52 BUSCH
lectuale," ihm nach „die dietsche Lucidnrius" a. a. o. s. 4: III Jiimde
sonder waen sijn hoven 'der liicld gestaen) , aber von den zwei paradieseu
weiss er niclits. Ebenso Beda „de sex diernm creatione" (a. a. o. de
secunda die s. 55). Von den zwei paradiesen spricht meines wissens
überhaupt nur Juliauus Toletanus an der schon angeführten stelle.
Ebensowenig findet sich bei Honorius eine parallele zu v. 714 fg.:
Bahdus sagen sumeltche,
that hieze tJiese riche.
tJier evangelista sig thes vermeitJi,
that her sinen namen niet ne screif,
wände se niet ne werthen gescriven in lihro vite,
fhe niet gezeichet ne sin zo godes riche.
Lazarum scrcif her, the vor thes riehen dure lag . . . .,
während doch sonst durch die ganze theologische litteratur des mittel-
alters eine dem entsprechende notiz läuft. Wie es scheint kann auch
hier wider Augustin die Vaterschaft in auspruch nelimen , bei ihm finde
ich sie zuerst (Benedict. - ausg. t. VII s. 206) : „ Merito Dominus Jesus,
fidei dator et amator, plus adtendit ipsam fidem in paupere, quam
aurum et delicias in divite; plus adtendit pauperis possessionem, quam
divitis elationera. Nam ideo pauperem illum nominavit, illius autem
nomen esse tacendum judicavit." Ausführlicher schon Gregorius Magnus
(Benedictiuer-ausg. t. I s. 1655): „Homo quidam erat dives, et proti-
nus subinfertur: „Et erat quidam meudicus nomine Lazarus." Gerte
in populo plus solent nomina divitum quam pauperura sciri. Quid est
ergo, quod Dominus de paupere et divite verbum faciens, nomen pau-
peris dicit, nisi quod deus humiles novit et approbat et snperbos igno-
rat? ... Ait ergo de divite: Homo quidam. Ait de paupere: Egenus
nomine Lazarus. Ac si aperte dicat: Pauperem humilem scio, super-
bum divitem nescio." Titus Bostrensis (Bibl. max. patr. IV s. 435D):
„Homo quidam erat dives: Hunc tanquam durum et in pauperes inhu-
manum Dominus anonymum nominisve expertem inducit: nempe ut
exemplo id confirmet, quod per prophetam de iis aliquando praenun-
tiarat, qui Deum non metuunt: Non, inquit, memor ero nominum illo-
rum per labia mea, At pauperem vero proprio nomine designat; siqui-
dem tales in dei lingua et ore observabantur." Bei Beda finde ich
eine entsprechende stelle nicht, doch schreibt Maldouatus, comment. in
Luc. XVI, 19 fg. (commentarii in quatuor evangelia s. 1127) demselben
eine solche zu. Fast wörtlich stimt Eusebius episcopus Gallicanus mit
unserer hs. überein (Foria V. post secundam dominicam , Bibl. max.
patr. VI s. 723): „sanctorum etenim nomina scripta sunt in coelis,
EIN LEGENDÄR DES Xll. JAIIRH. VI 53
muloriiüi vcru uoiiiiua noii sunt scripta in libro vitae. Unde
et hoc loco divitis iiomeii iioii dicitur, mondici vero dicitur. Hie Laza-
rus vocatus, ille quomodo vocetur, nescinius."
§ 4. Den namen für den reichen mann „Batiüus" habe ich dagegen
nirgend entdecken können, obwol demselben in theologischen schritten
nicht selten ein name beigelegt wird. Euthymius Zigabenus, comment. in
quatuor evangelia, zu Lucas XVI, 20 (Bibl. max. patr. XIX s. G49) : „divitis
quidem nomen nou edidit, utpote odio digni. Scriptum est euini: Xec
memor sim nominum eorum per labia mea. Meudici vero nomen addidit,
tanquam amore digni. Aiunt autem quidara ex traditione Hebi'aeorum,
quodjuxta ea tempora dives ille fuerat Nineusis appellatus et mendicus
iste Lazarus." Ferner Fratris Felicis Fabri evagatorium in terrae sanctae
ed. Hassler voL I (Bibl. des Stuttg. litter. Vereins IL Stuttg. 1843
s. 357): „Cousequeuter descendimus per vicum et ad domum vetustam
sed pulchram venimus, quae dicitur fuisse divitis epulonis domus qui
proprio nomine Dodrux dicebatur, quod tarnen Dominus in evangelio
exprimere noluit, sicut nomen pauperis expressit, propter causam, quam
ponit Gregorius in oratione ejus de parabula." Die erste veranlassung
zu dem namen Batulus war vielleicht eine ähnliche stelle, wie sie Ado
bei seiner beschreibung des Martyriums des h. Laurentius (Martyrol.
4 Id. August) gibt (Bibl. max. patr. XVI s. 872): „Decius autem Cae-
sar pergit ad thermas juxta palatium Sallustii, et exhibitus est ei ite-
runi sanctus Laurentius et allata sunt omnia genera tormentorum, plum-
batae fustes, laminae, ungues, lecti, batuli" (Ducange, gloss. med. et
iüf. latinitatis: qua voce batillos vel batilla innui censet Kosweydus,
de quibus Plin. lib. 33 cap. 8, lib 34 cap. 11 et Treb. Pollio in Clau-
dio. Sunt autem batilli ferrea instrumenta palae similitudine, quibus
prunae in fornacibus coUiguntur). In irgend einem commentar kann
der ausdruck batulus bei beschreibung der feuersqual, die der reiche
mann in der hölle zu erdulden hatte , gebraucht und von einem mOnche
misverstanden worden sein. Man braucht nur Ados satz umzustellen,
um die leicbtigkeit eines misverständnisses zu begreifen : allata sunt
omnia genera tormentorum batuli d. i. Herbeigebracht wurden aller-
hand marterinstrumente des (i. e. für den) Batulus. Oder hängt der
name zusammen mit dem griech. BdO^cXlog (der in der tiefe sitzende) ?
§ 5. Die im vorstehenden verzeichneten quellen erlauben uns ein
urteil über das ganze. Zunächst können wir coustatieren , dass minde-
stens zwei quellen beuuzt worden sind , einmal ein commentar zu
Psalm 86, 13 und andererseits ein commentar zu Lucas XVI, 19, jener
für die angaben über die zwei höllen, dieser für die notiz, dass die
54: BUSCH
nameii der gottlosen uiclit iu „libro vitae" geschrieben weiden. Viel-
leicht eiitstamt die erwähnuug der zwei paradiese einer dritten quelle,
doch kann sie auch wie bei Julianus Toletanus mit dem bericht über
die zwei höUen verbunden gewesen sein. Jedenfals war die vorläge
des dichters keine originalquelle, sondern nur eine compilation aus ver-
schiedeneu werken. Wichtiger aber als dieses ergebnis ist ein anderer
schluss , welchen wir betreffs der vorläge ziehen können , denn den nur
versificierenden dichter brauchen wir nicht in rechnung zu bringen. Ihr
Verfasser hat nämlich den grund, weshalb die parabel von Lazarus
eingeführt ist, ganz und gar nicht verstanden; anstatt diese zur beweis-
führung zu benutzen, knüpft er sie einfach an die auseinandersetzung
an, und da der zweck der einführung einmal vergessen ist, kann es
nicht wunder nehmen, dass nun die parabel als geschichte für sich
volständig hinterher gegeben wird. Ein solches misverständnis kann
aber dem ursprünglichen compilator, der die quellen zur band hatte,
unmöglich zugeschrieben werden; nur jemand, der uacli höreusagen
arbeitete, kann es verschuldet haben. Wir werden also Avider zu der
annähme gedrängt, dass die vorläge des dichters dadurch entstand,
dass jemand den vertrag einer dritten person niederzuzeichnen ver-
suchte, indem er sich jedenfalls an während des Vortrags gemachte
notizen anlehnte. Dass aber nicht vielleicht diese notizen allein die
vorläge des dichters bildeten , sondern diese hinterher wirklich ausgear-
beitet wurden, ist hier ganz klar. Der vortragende hat die parabel
vom reichen mann und armen Lazarus jedenfals nur zur beweisführung
angezogen, keinesfals aber dieselbe ausführlich erzählt; während des
Vortrags hätte dieselbe also nicht in dieser weise aufgezeichnet werden
können.
X. Schluss.
Im folgenden stelle ich die sämtlichen resultate, welche sich bei
Untersuchung der einzelnen abschnitte ergeben, möglichst übersichtlich
zusammen und suche zu ermitteln, ob dieselben irgend einen schluss
auf zAveck und bedeutung des ganzen gestatten.
Zunächst war es unmöglich, irgend eine Ordnung in der folge
der verschiedenen legenden zu entdecken. Selbst wenn wir von dem
lezten teile des gedichtes, der beschreibung von himniel und hölle,
absehen, können wir nicht annehmen, das ganze sei „eine an die rei-
henfolge der könige (und päbste) geknüpfte legendensamlung" (Zarnckes
lit. centralbl. 1867 nr. 50) gewesen, eine behauptung übrigens, welche
bei genauerer kentnisnalime des Inhaltes schwerlich mit so absoluter
bestimtheit aufgestelt worden wäre, und ilir dasein wol nur der sehn-
EIN LEGENDAK DES XII. JAIIRH. VI 55
sucht des verfasseis veidaiikt, jenes deutsche buch, welches die Kaiser-
chronik zu aniang nent, aufzufinden. Chronologiscli ist die folge in
dem Legendär sicher nicht. Zuerst komt die erzählung von der Vero-
uilla, vorher aber soll (nach v. 33) schon der tod des Pilatus, der
chronologisch später fält, erzählt sein. Es folgt die legende vou dem
streite der apostel Petrus und Paulus mit dem magier Simon und ihrer
passion, dann der transitus Mariae, wo Petrus (wenigstens in der Apo-
kryplio) wider eine der hauptpersonen ist. Dann das apostel -martyro-
logium , wo Petrus uud Paulus widerum auftreten ; bei Jacobus und
Johannes (v. 341 und 361) wird angegeben, vou ihrer passion sei schon
einmal berichtet worden usw. Ebensowenig ist irgend eine Ordnung
nach massgabe der kalendertage , an welchen die feste der verschiede-
ueu heiligen gefeiert werden, zu entdecken.
Dies volständige durcheinander brachte auch wol Scherer zu der
Vermutung, das ganze möchte eine samlung geistlicher gedrehte vou
verschiedenen Verfassern sein. Wie ich indess abschnitt IV § 2 darge-
tan zu haben glaube, entbehrt diese vermutuug aller Wahrscheinlich-
keit. Wenn aber das ganze das werk eines einzigen dichters ist, so
erhebt sich die frage, wie dieser zu einem derart zusammengewüifelten
Stoffe kam.
Zweierlei ist möglich : entweder er suchte sich seinen stoff selbst
aus verschiedeneu quellen zusammen, oder er hielt sich an eine vor-
läge, iu welcher der stoff schon zusammengetragen war. Einen siche-
ren schluss gestattet der umstand , dass schon in der vorläge eine
partie auf die andere bezug genommen haben muss (vgl. IV § 5).
Danach hat nicht erst der dichter die verschiedenen stücke zusammen-
gesucht, sondern dieselben waren schon in seiner vorläge compiliert.
Er kann nicht einmal insofern bei auswahl der legenden beteiligt gewe-
sen sein, als er aus dieser vorläge blos einzelnes herausnahm, anderes
aber liegen Hess. Er muss vielmehr mit einer so sklavischen treue
dieser einen vorläge gefolgt sein, dass er nicht allein stück für stück,
sondern fast wort für wort in verse umsezte (vgl IV § 5). Demnach
geben die uns erhaltenen bruchstücke des deutschen gedichtes ein ganz
genaues bild wenigstens eines teiles der vorläge , und unsere frage wird
mithin genauer lauten : wie entstand diese vorläge und wie kam der
dichter dazu, dieselbe seinem werke zu gründe zu legen?
Vorerst, wie haben wir uns ihre entstehung zu erklären? Wir
müssen hier unterscheiden zwischen entstehung der einzelnen abschnitte
uud entstehung der gesamtvorlage. Was erstens die einzelnen
abschnitte anlangt, so fanden wir, dass in die vorläge keine einzige
originalqueUe aufgenommen war, dieselbe vielmehr nur abgeblasste,
56 BUSCH
verworrene, den originalquellen oft widersprechende darstelluugeu ent-
hielt. Der autor dieser fassungeu, d. h. der erzählungen wie sie in
unserem gedichte vorliegen, kann keiuesfals die originale zur hand
gehabt haben; dass er die origiualquelleu früher selbst gelesen und
später aus der erinnerung aufzuzeichnen versucht haben solte, ist nur
für wenige stücke allenfals möglich, für alle unwahrscheinlich, für die
meisten absolut unmöglich. Die weitaus meisten der erzählungen kön-
nen ursprünglich nur so entstanden sein , dass irgend jemand die betref-
fende partie, von ihm nach den originalquellen compiliert, vortrug und
ein Zuhörer diesen vertrag schriftlich fixierte (vgl. I § 4. II § 9. III § 3.
IV § 17. V § 1. VII § 4. VIII § 7. IX § 5), und zwar so, dass
der Zuhörer während des Vortrages so gut wie möglich nachschrieb
oder wenigstens sich notizen machte und später diese aufzeichnungen
ausarbeitete (vgl. I § 4. IV § 5. 1 7. VIII § 7. IX § 5). Für die
weitaus meisten der in unserem gedichte vorliegenden fassungen ist
diese erklärung ihres Ursprungs, wie gesagt, die einzig mögliche, für
alle die wahrscheinlichste; wir werden daher nicht fehl gehen mit der
annähme, dass jede unserer fassungen in der angegebenen weise ent-
standen ist. — Was zweitens die gesamtvorlage betrifft, so habe
ich abschnitt IV § 5 gezeigt, dass der Schreiber derselben nicht auch
ihr compilator gewesen sein kann, dass die compilation des ganzen
vielmehr das werk eines dritten war, und die vorläge speciel unseres
gedichtes nach dem vortrage dieses compilators gefertigt ist.
Wenn nun die einzelnen fassungen sowol wie die gesamtvorlage
nur aufzeichnungen nach dem vortrage eines compilators sein können,
so ist es von vornherein wahrscheinlich , dass der compilator des gan-
zen und der des einzelnen ein und dieselbe person waren , d. h. dass
derselbe cleriker sämtliche stücke der vorläge nach den originalquellen,
oder von ihm aus den originalquellen compiliert, in der reihenfolge,
wie sie unser gedieht zeigt, vortrug; in diesem falle wäre der compi-
liereude cleriker der mittelbare , der nachschreibende zuhörer aber (d. i.
der Schreiber der vorläge) der unmittelbare autor der vorliegenden fas-
sungen; die vorläge unseres gedichtes hätte also nur unica enthalten.
Allerdings ist auch eine andere auffassung möglich, nämlich dass die
einzelnen fassungen zwar ursprünglich auf die angegebene weise ent-
standen seien, dann aber neben den originalquellen geltung erlangt,
weitere Verbreitung gefunden und schon zur zeit der abfassung der vor-
läge als wirkliche, wenn auch secundäre, quellen gegolten hätten,
dass der vortragende cleriker also die einzelnen partien nicht selbst
nach den originalien compilierte, sondern schon vorhandene compila-
tionen vortrug. Wenn auch bis jezt für keins der in unserem gedichte
EIN LEGENDÄR DES XII. JAHRH. VI 57
behaudelten stücke eine derartige secundäre quelle bekaiit ist, so darf
darum doch nicht die augegebeue iiiöglichkeit direct geleugnet werden,
da unsere kentuis der secundärquellen des mittelalters eine sehr mangel-
hafte ist. Wir müssen zusehen , ob die beschaffenheit der einzelnen
fassungen eine weitere Verbreitung derselben möglich erscheinen lässt.
Wenn von derart beliebten und im original überall vorhandenen stücken,
wie unsere fragmente sie bieten, eine neue fassung irgend welche gel-
tung uud Verbreitung finden soll , so muss diese fassung entweder neue
daten enthalten oder eine compilation verschiedener quellen sein; dass
aber eine fassung, welche nur den Inhalt eines algemein bekanten
Originals in ganz corrumpierter weise widergibt , neben diesem original
zu irgend welclier Verbreitung gelangt sein solte, ist undenkbar. Neue
daten bringt nun keine der darstellungeu , wol aber sind einige eine
compilation nach verschiedenen originalquellen: diese könten also mög-
licherweise secundärquellen geworden sein (vgl. z. b. II §9), wenn
auch der umstand, dass sie so oft den originalquellen (deren bericht
niemand in zweifei zog) widersprechen, eine solche annähme bedenk-
lich macht. Einige erzähluugen unseres gedichtes aber geben nur den
Inhalt einer einzigen originalquelle uud zwar derart unvolständig und
ungenau wider, dass wir keinesfals annehmen dürfen, diese fassungen
seien im mittelalter neben den algemein bekanten originalien in Umlauf
gewesen (vgl. z. b. III § a. VII § 4. VIII § 7). Für einzelne der
fassungen ist es also gewiss, für die meisten aber wahrscheinlich, dass
sie unica waren , d, h. dass ihr unmittelbarer autor erst der Schreiber
der vorläge unseres gedichtes war. Halten wir dazu , dass es erstens
höchst wunderbar wäre, wenn der compilator der gesamtvorlage zufäl-
lig nur solche corrumpierte darstellungeu, aber keine einzige der ori-
ginalquellen in die band bekommen hätte, und zweitens, dass einzelne
teile unseres gedichtes unmöglich den text des Originals so wörtlich
treu widergeben könten, wenn schon der compilator des ganzen eine
durch aufzeichuung nach einem vertrag entstandene fassung vortrug
und diese dann widerum nach hörensagen aufgezeichnet wurde, so dür-
fen wir wol ohne bedenken annehmen , dass der compilator der gesamt-
vorlage auch die einzelnen fassungen nach den origiualquellen compi-
lierte, und nach seinem vertrag die vorläge unseres gedichtes nieder-
geschrieben wurde; der unmittelbare autor war also erst der Schreiber
der vorläge, und der dichter erhielt die neu entstandenen fassungen
aus erster liand.
War aber der vortragende cleriker selbst der compilator der ein-
zelnen Partien, so müssen wir ihn unbedingt für einen gelehrten und
belesenen mann halten, während andererseits der zuhörer, der den vor-
58 BUSCH
trag in einer derart corriimpierten weise nicht nur nachschreiben, son-
dern ausarbeiten konte (vgl. z. b. VIII § 7. IX § 5), eine ziemlich
ungebildete person gewesen sein muss. Wo waren aber solche geist-
liche vortrage fiir ungebildete möglich? Man könte zunächst an die
kirche denken, aber während einer predigt konte ein zuhörer unmög-
lich in der weise nachschreiben, wie wir es für manche partien anneh-
men müssen (vgl. z. b. I § 4. II § ü. III § 3. IV § 17. VIII § 7),
ganz abgesehen davon, dass einzelnes, wie z. b. die theologischen Spitz-
findigkeiten in abschnitt IX, doch eigentlich sehr wenig in eine predigt
passt. — Es bleibt nur eine mögiichkeit, nämlich dass die vortrage
gehalten wurden .in einer schule , sei es nun eine dom - , stitts - oder
klosterschule, dass also die vorläge des dichters weiter nichts war als
eine art collegienheft , welches so entstand, dass ein schüler die vor-
trage des lehrers so gut wie möglich nachschrieb und nachher aus-
arbeitete.
Erst wenn wir uns die entstehung der vorläge in dieser weise
erklären, lösen sich alle Widersprüche, und zugleich treten nicht nur
das ganze, sondern auch manche einzelheiteu in ihrer wahren bedeu-
tung hervor. So wolte der lehrer mit der erwähnung der am Nieder-
rhein algemein bekanten sage vom tode Martins v. 295 (vgl. III § 4)
jedenfals seinen Zuhörern die geschichte deutlicher und glaublicher
machen: „ihr wisst ja dem heiligen Martin erschien bei seinem tode
auch der teufel." Auch das dem transitus Mariae angehängte gebet
an die heilige Jungfrau komt so erst zur richtigen geltung; der lehrer
durfte natürlich seinen vertrag nicht schliessen, ohne an die wie noch
heute in der katholischen kirche so besonders auch im mittelalter ver-
ehrte und angeflehte mutter gottes, die almächtige fürbitterin, ein
gebet zu richten; der zuhörer fügte denn auch dieses bei ausarbeituug
des Vortrages an; dass er die werte schon während des gebetes nieder-
geschrieben haben solte, ist natürlich unwahrscheinlich. Endlich lässt
sich jezt auch die frage beantworten, weshalb v. 457 --466 (vgI.V§4)
das martyrium des Laurentius am Schlüsse ausser jedem logischen
Zusammenhang trotz der vorherigen erwähnung und zwar kurz und
flüchtig behandelt ist. Abschnitt IV und V war ein in sich abgeschlos-
sener Vortrag, der mit v. 456 endigte; das folgende wurde einfach ver-
anlasst durch die inteipellation eines zuhörers, welcher über das Schick-
sal des Laurentius im unklaren war und darüber aufklärung wünschte,
welchem verlangen denn der lehrer durch kurze angäbe der todesart
des heiligen entsprach.
Über die entstehung der vorläge kann nach obigen feststellungeu
wol kaum ein zweifei obwalten. Wie aber der dichter zu diesem col-
EIN LEGENDÄR DES XII. JAllBII. VI 59
legienbefte kuiu, und welchen zweck er mit rfeiner cliclitung verfolgte,
darüber lassen sich nur Vermutungen aufstellen. Sicher ist, dass das
gedieht nicht in einem kloster entstanden sein kann, in dem einige
gelehrsamkeit zu hause war. Die abfassung eines grösseren deutschen
gedichtes galt zu jener zeit immerhin für ein so bedeutendes untorneli-
men , dass der dichter sicher zu seiner vorläge die darstellung einer
autorität wählte, um nicht durch oft'enbare Unrichtigkeiten den erfolg
seines werkes in frage zu stellen. In einem kloster aber, das der wis-
senscliaft auch nur einige pflege angedeihen liess, konte ein heft mit
solchen darstellungeu nicht als autorität gelten; war der dichter selbst
auch wenig gebildet, der abt oder seine mitbrüder würden ihn schon
über den wert seiner quelle belehrt haben. Am allerwenigsten kann
natürlich das werk in dem kloster oder stift gedichtet sein, in wel-
chem die vorläge geschrieben war; hier würde schon ilir gelehrter com-
pilator, der vortragende lehrer, dem die versificierung seines Vortrages
doch jedenfals zur band gekommen wäre, den dichter auf die mannig-
fachen Unrichtigkeiten aufmerksam gemacht haben. Gedicht und vor-
läge müssen in verschiedenen gegenden gefertigt sein , und daraus
erklärt sich auch, weshalb bei dem berichte von Matthias tod (vgl. IV
§ 14) und Helenas kreuzfindung (vgl. VII § 5) nicht der zu Matthias
und Helena in enger beziehung stehenden stadt Trier gedacht ist,
trotzdem unsere fragmente in der nähe von Trier gedichtet sein müs-
sen. Die vorläge, welcher der dichter ja ganz treu ohne eigene zuta-
ten folgt, war jedenfals in einem fern von Trier gelegenen kloster ent-
standen.
Der dichter muss also sein werk gefertigt haben au einem orte,
wo er an quellen wenig mehr als seine vorläge zur band hatte. Man
könte nun zunächst denken, er habe in frülierer zeit nach dem vor-
trage seines lehrers die vorläge selbst geschrieben und später, nach-
dem er (vielleicht als weltgeistlicher), an einen anderen ort versezt war,
wo ihm litterarische hilfsmittel nicht zu gebot standen , in ermangelnng
von etwas besserem diese vorläge in verse umgesezt, aber dem steht
entgegen, dass er seiner vorläge gegenüber so ganz unselbständig ist;
unmöglich konte er gegen das, was er selbst niedergeschrieben hatte,
wovon er wissen muste, dass es oft ungenau und lückenhaft war, eine
derartige pietät bewahren, dass er sich jeder composition enthält, nicht
z. b. allein die legenden zum Vorwurf für seine dichtung wählte , son-
dern die aufzeichnung wort für wort widergab. AVahrscheinlicher ist,
dass der dichter das collegieuheft eines anderen benuzte.
Was für eine Stellung aber der dichter einnahm , ob er weltgeist-
licher war oder mönch in einem kleineren kloster. welches nur eine
60 BUSCH
kleine bibliotliek besass imd iu dem die wisseüschaft nicht besonders
gepflegt wurde, lässt sich nicht entscheiden; vielleicht hatte ein junger
mönch, auf fremder angesehener schule gebildet, sein ausgearbeitetes
collegienheft mit iu ein solches kloster gebracht, und dass dem dich-
ter in diesem falle das heft auturität genug war, ist leicht begreiflich.
Doch will ich noch einer möglichkeit gedenken, welche manches für
sich hat, nämlich dass das gedieht vielleicht in einem nonnenkloster
entstand, wohin die vorläge auf irgend eine weise gekommen sein
mochte; es ist ja nicht undenkbar, dass irgend ein abt oder domherr,
der die origiualquellen und damit auch den untergeordneten wert die-
ses heftes kante , damit den guten klosterfraueu eine freude gemacht
hätte, und eine nonne dann dem unschätzbaren werke die ehre erwies,
es in verse umzusetzen. Möglich auch, dass keine der bewohneriunen
des klosters genügend latein verstand, um den Inhalt zu ergründen,
und die äbtissin ihren geistlichen berater oder sonst einen geistlichen
herrn bat, die samlung zu verdeutschen. In beiden fällen muste natür-
lich die vorläge wörtlich treu widergegeben werden.
Dass das werk nicht allein zum rühme des Verfassers, oder um
die neugierde einer äbtissin zu befriedigen, gedichtet war, ist möglich,
sogar wahrscheinlich. Jedenfals hat es auch praktischen zwecken
gedient. Vielleicht wurde es in der kirche oder im kloster abschnitt-
weise zur erbauung vorgelesen. Dass zu jener zeit geistliche gedichte
wirklich in dieser weise verwant wurden, lässt sich zwar nicht direct
für Deutschland, wol aber für andere länder erweisen. Der gute des
herrn prof. Suchier verdanke ich folgende nach Weisung von vier altfrz.
stücken, die allem anscheine nach zum vorlesen in der kirche bestimt
waren: 1) das leben des h. Alexius, vom herausgeber in die mitte des
11. jh. gesezt. Das gedieht ist in füufzeiligen strophen gedichtet und
in der ältesten handschrift mit einem vorwort versehen, das eine mit
reimen untermischte prosa zeigt. Über dieses vorwort sagt Gaston
Paris (la vie de saiut Alexis. Paris 1872 s. 177): En tete du poeme,
dans le seul m. L. (d. h. in der Lambspriuger hs. , die jezt in Hildesheim
ist), on trouve le prologue siiivant, dont je n'ai pas tenu compte dans
l'introduction , parce qu'on peut le regarder comme Toeuvre propre du
copiste. C'est, ä ce qu'il semble, l'avis de M. Hofmann, bien qu'il ne
s'explique pas clairement sur ce point (s. 8). Je suis plus porte , pour
ma part, ä croire que ce prologue precedait dejä le texte original de
notre poeme; en tont cas il devait se trouver dans le manuscrit que
l'auteur de L. a eu sous les yeux. l\ est important en ce qu'il moiitre
bien la destinatiou du poeme; il me semble du moins que la phrase
„dal quel nos avous odit lire e chauter" indique que cette ,,aimable
EIN LEGENDÄR DES XII. JAHRH. VI 61
chaii9on'' se disait dans TEglise, lo jour de la fete du Saint, apres
que l'office latin etait tevmine. Le poeme prend ainsi un caractere,
sinon liturgiqiie . du moius ecclesiastique. — 2) Die Übersetzung der
vier bücher der könige, deren einzige hs. um 1180 in der normanni-
schen mundart Englands geschrieben wurde. Die Übersetzung ist eine
freie und ungezwungene. In die prosa sind , wie bei dem vorwort des
Alexius, besonders an lyrischen stellen und in schlachtschilderungen,
reime eingemischt. Dass der text in der kirche vorgelesen werden
solte, geht einmal aus anreden hervor, wie s. 4: Fedeil deu, entend
Testorie; assez est clere usw.; sodann aber besonders aus einer stelle,
die sich s. 248 findet , wo bei der erzählung des tempelbaues von Salo-
raon gesagt wird: le temple devisad, si cume vus veez que ces mu-
stiers en la nef e al presbiterie sunt partiz (worauf schon der heraus-
geber aufmerksam gemacht hat). — 3) Das noch ungedruckte anglo-
normannische leben der heil. Modwenna, wahrscheinlich zu ende des
12. jhs. in vierzeiligen strophen gedichtet. Hier lassen die Übergänge,
welche von einem wunder zu dem andern überleiten , die bestimmung
des ganzen erkennen , z. b. :
208 Cest miracle voil finer
ne voil plus dire ne cunter.
Un märe grant voil cuniencer,
si vus pleist a escuter.
209 Cunter vus voil un' aventure usw.
275 Vein dit en reprovier:
„suvent ennue heau chanter."
Pur ceo mun cunt voil terminer
que nids [1. md] n'enust mun lung parier.
.276 Nel di imr ceo que seit fini
cest miracle que avez o'i,
ainz Vai pur ceo en dous parti
pur le esum [1. pur la raisum] dunt ja vus di.
365 Ore me voil ici reposer
e cest miracle terminer.
Bien i purres recovrer,
quant il vus plarra de Vescidter.
4) Garnier von Pont -Sainte-Maxence dichtete a, 1172 in Canterbury
sein leben des heil. Thomas in fünfzeiligen strophen. Er nent sein
gedieht „serraun" und sagt, er selbst habe es oft am grabe seines
heiligen in der kathedrale zu Canterbury vorgelesen ; vgl. die ausgäbe
von Hippeau s. 205:
62 BUSCH , EIN LEGENDÄR DES XU. JAHRH. VI
Guarniers li clers äel Punt fine ci sun sermun
äel marttr saint Thomas et de sa passiun,
et meinte fcis le list a la tumbe al barun.
Ähnliche Verwendung fanden auch wol in Deutschland geistliche gedichte.
Aber das sind alles nur Vermutungen; über den etwaigen zweck
unseres gedichtes , wie über person und stand des Verfassers , ist nichts
näheres zu bestimmen. Fest steht nur, dass er aus dem nördlichsten
teile Mittelfrankens, wenn nicht aus Niederfranken , gebürtig war, spä-
ter nach dem südlichen Mittelfranken kam (vgl. die sprachl. Unter-
suchung), und hier zu aufang des 12. jhs. (vgl. die metrische Unter-
suchung und VI § 3) das gedieht verfertigte. Was seine poetische
befähiguug anlangt, so dürfen wir an das werk nicht den massstab
legen, nach dem wir die gedichte von ende des 12. jhs. an beurteilen
müssen. Es ist nämlich überhaupt die frage, ob wir das ganze als
gedieht in unserem sinne auffassen dürfen. Wie ich schon in der ein-
leitung bemerkte , war es zu jener zeit weit schwerer in prosa zu
schreiben als in versen; mancher bediente sich bei einer Übersetzung
der gebundenen rede, weil sie ihm so weit leichter wurde. Da nun
aus der quellenuntersuchung hervorgieng, dass der dichter fast wörtlich
seiner vorläge gefolgt ist, so hat die annähme manches für sich, er
habe nicht sowol ein gedieht als vielmehr eine Übersetzung liefern
wollen und nur zu seiner bequemlichkeit dabei die gebundene rede
angewant.
Dass das gedieht in keiner beziehung zu der Kaiserchronik steht,
glaube ich zur genüge dargetan zu haben (vgl. I § 5. II § 9. V § 4.
VII § 5. VIII § 8).
HOCHNEUKIRCH. H. BUSCH.
ZUM ZWEITEN WIENER AUFENTHALTE WALTIIERS
VON DER VOGELWEIDE.
Es gibt fragen im leben Walthers , die nicht über eine bloss sub-
jective Wahrscheinlichkeit hinaus zu lösen sind, weil uns ausreichende
beweismomente fehlen: jede ansieht, die in sich begründet und mit
den bekanten lebensverhältnissen in passenden zusammenliang zu brin-
gen ist, hat hier lierechtigung ; daneben gibt es aber auch fragen, bei
denen die blosse mutmassung aufhört, wo uns wirkliche, greifbare
gründe vorliegen , mit denen wir rechnen und Schlüsse ziehen können,
welche, wenn auch nicht zu völliger gewissheit, doch zu relativ hoch-
WACKEKNELL, WALTIIBRS ZWEITEK WIENEE AUFENTHALT 63
ster Wahrscheinlichkeit zu bringen sind. Zu lezteren zähle ich den
zweiten Wiener aufenthalt. Als zeugnis für denselben steht der spruch
L. 25, 26 da. Darnacli finden wir Walther auf einem glänzenden hof-
feste des österreichischen herzogs (Leopold VII) in Wien; der junge
fürst gibt mit vollen bänden , und auch Walther erhält.
Die frage lautet nun: Welches fest ist gemeint?
Lachmann nahm Leopolds schwertleite 1200. Der ausatz wurde
ziemlich algemein acceptiert, weil er den Voraussetzungen des Spruches
entsprach; freilich fehlte ihm noch die bauptstütze, nämlich der nach-
weis, dass auch Walther um diese zeit, oder wenigstens in diesem
jähre , in Wien sich aufgehalten habe. ^ Allein dafür konte man damals
überhaupt keine anhaltpunkte aufbringen.
Ganz anders aber stellen sich die dinge seit der publication der
reiserechnungen bischof Wolfgers von Passau. Dadurch erhielten wir
den wichtigen nachweis, dass Walther 1203 wirklich in Wien war.
Da herzog Leopold in demselben jähre ganz sicher ein glänzendes hof-
fest feierte, das selbst die Chroniken rühmen,^ so hat Walthers anwe-
senheit bei demselben, von der L. 25, 26 spricht, ohne jede einrede
die grössere Wahrscheinlichkeit als die beim feste der schwertleite, weil
jezt auch die lezte wichtige Voraussetzung des Spruches zugleich mit
den übrigen erfüllt ist. Diese wahrscheiuliclikeit gewint noch ausser-
ordentlich, wenn sich nur annähernd zeigen lässt, dass das grosse fest
dieses Jahres, die Vermählung Leopolds mit Theodora Comnena, in die
gleiche zeit fält mit Walthers anwesenheit in Wien. Ich tat das
a. a. 0. s. 29 — 31 und 75 — 79, und brauche hier nichts mehr zu
widerholen.
Seitdem erfuhr ein teil von Wolfgers rechnungen durch W. Wiuckel-
mann (Germania XXIII, 236 fg.) eine andere datierung, wonach die
für uns wichtige stelle nach 1199 versezt wurde. Hätte Winckelmann
recht , so verlöre unser ansatz dadurch seine bauptstütze gegenüber dem
von 1200.
Nun aber hat Zarncke in den „Berichten der k. sächsischen
geselschaft der Wissenschaften" (phil. - bist, cl.) in der sitzuug vom
13. märz 1878 s. 32 — 40 dargetan, dass Winckelmann sich völlig
geirrt habe, dass die ursprüngliche datierung feststehe und wir somit
„keinen andern tag als den 12. november 1203 als den tag anzusehen
1) Dass darauf das grössere gewicht ruht als auf den andern Voraussetzun-
gen liegt auf der hand , denn hoffeste des jungen herzogs Leopold sind mehrere
nachweisbar.
2) Ich habe die bezüglichen stellen ausführlich zusamniengestelt in „Walther
von der Vogelweide in Österreich " s. 75 fg.
64 WACKERNELIi
haben, an welchem Walther von der Vogelweide in Zeiselmauer von bischof
Wolfger 5 solidi für den nunmehr „historisch gewordenen pelzrock"
empfieng." Damit bleibt auch unser ausatz von L. 35, 26 und folge-
richtig auch der von Walthers zweitem Wiener aufenthalte heute ebenso,
wie vor zwei jähren ganz im rechte.
Ist das der fall, so kann der im lezten hefte der Germania
(XXIV, 157 fg.) von A. Nagele veröffentlichte neue ansatz nicht auch
richtig sein. Nagele sezt L. 25, 26 in das jähr 1198 und zwar so,
dass der bisher geglaubte zweite Wiener aufenthalt mit dem ersten,
der nun bis schluss 1199 reichen würde, zusammenfiele. Er bringt
zwei gründe dafür: erstens fand im herbste dieses Jahres ein hoffest
(die huldigungsfeierlichkeit herzog Leopolds) statt, zu dem L. 26, 25
passt; zweitens war Walther damals noch in Wien, da er sich hier
nach Winckelmanns datierung der reiserechnungen bis 1199 aufgehal-
ten hat.
Der leztere grund ist nach dem, was wir soeben gehört, bereits
beseitigt: Nagele ist Zarnckes abhaudlung entgangen; der erstere aber
existiert gegenüber 1200 und 1203 überhaupt nicht, da auch in diesen
Jahren hoffeste (und zwar bedeutendere) gefeiert wurden, zu denen
L. 25, 26 passte. Der neue ansatz ist somit grundlos.
Demnach steht schon von vorn herein zu erwarten, dass Nageies
polemik gegen den ansatz von 1203, wodurch er dem seinen noch eine
gewisse stütze zu geben suchte, eitel sein werde. Zwei angriffe macht
er: L. 25, 26 kann ,,auf die festlichkeit des Jahres 1203 nur schwer
bezogen werden; denn im jähre 1203 war Leopold mehr als fünf jähre
herzog von Österreich, also kaum mehr als junger fürst zu be-
zeichnen." Dass N. selbst die hinfälligkeit seines einwandes rich-
tig fühlte, beweist das „kaum mehr" — ist übrigens begreiflich, denn
so lange ein regierender fürst in den zwanziger jähren steht (und 1203
war Leopold noch nicht völlig sieben und zwanzig) kann er nicht nur
von einem dichter, der ihn verherlicht, sondern von allen „ein junger
fürst " genant werden. Ich hatte wol vorausgesehen , dass etwa einmal
einer diesen einwurf, so leer er ist, im falle der not (wo „man nach
dem Strohhalm greift") zu bringen versucht sein könte und daher
a. a. 0. s. 82 und 83 demselben vorgebeugt; es war somit doppelt
ungut, ihn zu bringen.
Noch schlimmer steht es mit dem zweiten einwurf, der lautet:
„Als einen der gründe, die es wahrscheinlich machen sollen, dass sich
der Spruch auf das hochzeitsfest des Nov. 1203 beziehe, führt Wacker-
nell a. a. o. s. 82 folgendes an: „Der dichter zählt sich selbst zu den
gernden und zwischen gerndeu und varnden ist kein unterschied (vgl.
WALTHERS ZWEITER WIENER AUFENTHALT 65
Eieger ö. 10); er hatte somit damals keinen ständigen aiifent-
halt in Wien und das gedieht muss sich auf Leopold beziehen, da
er unter Friedrich Wien nie für längere zeit verlassen hatte." Allein
diese ausffihrung trifft nicht durchweg das richtige; denn bei L. 25, 28
sagt der dichter: als tvir se Wiene haben dur ere enpfangen, und bei
L. 25, o5 heisst es:
oucli hiez der fürste dur eh der gernden hulde
die malhen von den stellen Imren usw.
Offenbar ist hier ein gegensatz zwischen gernden d. h. varnden und
den übrigen , die ebenfals beteilt wurden , aber eben keine varnden
waren, ausgedrückt." Aber diese Interpretation ist gezwungen und
weicht von der aller anderen ab ; N. gibt dem ouch eine bedeutung,
die es nicht hat, denn es sagt durchaus nicht, dass jene, welche s«76er
und riche ivät bekamen, nicht die varnden gewesen sein können, im
gegenteil ist die stelle vielmehr so zu verstehen: der herzog gab den
varnden die gewöhnlichen geschenke, silher und wät , in reichem
masse und dazu auch , damit sie recht zufrieden seien , noch ors. Doch
wenn dem auch nicht so wäre, so hätte N. dennoch einen blinden
streich getan; weil ich diesen satz gar nicht als beweis für das hoch-
zeitsfest um 1203, sondern nur Simrock gegenüber anführe, der
L. 25, 26 bekantlich auf herzog Friedrich bezieht, und somit ist dieser
zweite Vorwurf inhaltslos.
Da nun die vorgebrachten gründe zum einen teile unhaltbar, zum
andern teile, bei genauerem zusehen, gar nicht vorhanden sind, ent-
behrt der neue ansatz aller grundlage.
Als gesamtresultat dieser erörterung ergibt sich demnach, dass
der ansatz des Spruches L. 25, 26 auf 1198 ganz unbrauchbar, der auf
1206 gegenüber dem auf 1203 unhaltbar ist: Walthers zweiter
Wiener aufenthalt (meinetwegen nenne man es auch besuch) muss
demnach ins jähr 1203 gesezt werden, daran ist weder zu
rütteln noch zu deuteln, so lange feststeht, dass Walther
im november 1203 mit bischof Wolfger in Zeiselmauer war.
INNSBRUCK. J. E. WACKERNELL.
2EITSCHB. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XX.
66
ÜBER ZWEI STELLEN AUS GOETHES FAUST.
I.
Die encheiresis naturae.
(Werke. Ausgal)e lezter band. 1828. 1'2, 96.)
Wer will was lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben.
Dann hat er die Theile in seiner Hand,
Fehlt leider! nur das geistige Band.
Encheiresin naturae^ nennts die Chemie,
Spottet ihrer selbst und weiss nicht wie.
Die encheiresis naturae schien mir früher ihre entschiedene
deutung aus Goethes eigener anwenduug dieses ausdrucks in einem
briefe zu gewinnen, den er zwei monate vor seinem tode an einen Che-
miker schrieb. Daran hält Loeper noch in seiner zweiten ausgäbe der
tragödie fest: mir scheint das licht jezt ein Irrlicht. Vor einiger zeit
wurde mir geschrieben, man sei der quelle auf der spur, aus welcher
Goethes encheiresis naturae geschöpft sei. Aber von Loeper sagt
noch neuerdings : „ Die quelle obigen ausdrucks ist nicht ermittelt ; in
Boerhaves Elementa Chemiae, einem Goethen von früh auf bekauten
lehrbuche, hat ihn ' der herausgeber vergebens gesucht." Und doch
steht er dort, freilich nicht im texte, aber in einer den Inhalt kurz
bezeichnenden randbemerkung. I s. 29 (der Leipziger ausgäbe von 1732)
begint der Verfasser, die auctores qui operatioues ipsas in syn-
taxeos ordinatae corpusculum redactas tradiderunt aufzuzäh-
len, was die randbemerkung als Catalogus auctorum pro enchei-
resi bezeichnet. Das ist für die sache fast bedeutender, als wenn
encheiresis in Boerhaves ausführung stände, da es zeigt, dass en-
cheiresis der gangbare name für das verfahren war, mit welchem
nur die in schönem latein fliessende spräche nicht entstelt werden solte.
Boerhave braucht dafür ope ratio nes, wie denn sein ganzes werk in
zwei teile zerfält, die Theoria artis und die operatioues artis.
Dieses genügte volkommen, um den gangbaren gebrauch von enchei-
resis von dem chemischen verfahren nachzuweisen. Ich hatte schon
früher darauf hingewiesen, dass Andreas Libau (Libavius), zuerst arzt
in Halle, dann professor in Jena, darauf gymnasialdirector in Koten-
burg, zulezt in Coburg, in seiner zuerst 1595 erschienenen Alchymia
collecta, accurate explicata et in integrum corpus redacta
1) Der vers begint wie der folgende anapästisch.
nÜNTZER, Zu OOETHES FAUST 67
den ausdruck encheria gebrauche; da ich aber nach einer enchei-
resis naturae suchte, in dem sinne, wie Goethe den ausdruck in der
briefstelle vom 21. januar 1832 fasste, so hielt ich diese für etwas
durchaus verschiedenes, und auch der beriümite geschichtschreiber der
Chemie wies mich auf meine frage nicht darauf hin. Er selbst hatte
TI, 11 bemerkt, Libau teile die Aldi ymia in die Encheria, fyx€io)jGig,
die manuelle behandlungsweise, und die Chymia. Vor mir liegt ein
anderes werk Libaus : Praxis Alchymiae ex Germanico idiomate
in Latinum traducta (Francofurti 1604), dessen deutsche Urschrift
ich nirgends augeführt finde. Hier steht praxis für encheiresis. Ein
besonderer abschnitt ist überschrieben: Instructio chyraica seu
encheria Alchymiae, quomodo destillationibus opera danda.
Hier finde ich einmal den ausdruck chymica hyeiqi^oig (sie), während
sonst praxis steht. Das wort eyyeiQijGi^ hat sich eben aus den grie-
chischen darstellungen der chemie , von denen die meisten noch unge-
druckt in den bibliotheken ruhen, in den gangbaren gebrauch gerettet,
begint aber schon zum teil dem gangbarem praxis zu weichen. Anzie-
hend ist es, mit Libau des Hamburger Werner liolltinck, seit 1629 pro-
fessor der chemie in Jena, Chimia in artis formam redacta libris
VI comprehensa zu vergleichen, die von griechischen Wörtern,
redensarten und stellen überfliesst. Hier finden wir s. 13 tijv yslQci
^rou/aiyj'iv, und zwei selten später werden die pharmacopoei gewarnt,
ne formulis suis omnem fyxeiQijOir concredaut. Weiter bemerkt
Rollfiuck s. 30: Chimia dupliciter considerari potest 1. x«r'
eyyeiQijoii' ]j srord^f-iiijv rojv yeiQHov (sie). 2. /.ata fie^odoi', secundum
concinnatam praeparationem, et legitimum utendi niodum.
Im zweiten buche werden als media, quibus chimia finem suum
assequitur, drei genant, an erster stelle die opera tiones, fyyuQij-
aeig, iit}]xccpfjf-tccTa, sveQyrjiiiaTa , die nichts anderes seien als anatome
corporum mistorum. Als prima praxeos et fyyeiQiag chymi-
cae pars et principalis wird (iidy.QiGiQ (diaycoQ)jOig, (iiaj.iSQiai.i6g,
solutio, separatio) bezeichnet und auf der hier eingefügten tafel
werden die zwei teile lyyEiQiag^ artificiosae operationis, schema-
tisch aufgeführt. Im weitern verlaufe dieses buches bedient sich Roll-
fiuck der bezeichnung chimicae operationes oder operationes
chimicae. Bei den dazu dienenden Instrumenten werden die griechi-
schen namen angegeben und erklärt. Das dritte buch behandelt lä
Tsyvoi'Qyt]fAaTa , opera seu effectus operationum. Hier werden die
verschiedenen verfahrungsweisen beschrieben, um die einzelnen wasser
und geister zu bereiten, bei welchen am rande das verfahren durch
modus coucinnandi, destillandi, parandi, praeparatio, pro-
5*
68 DÜNTZEE
cessus, aber auch (s. 155. 18;J. 187. 191) durcli fyyeiQrjoig bezeichnet
wird, das dann auch in den folgenden bücheru häufig, selten mit einem
Zusätze (concinnandi, parandi, praeparationis), vorkomt. Hier-
nach kann es keinem zweifei unterliegen , dass die chemie das grie-
chische iyxeiQijGig in dem sinne von verfahren, operatio braucht,
in derselben weise, wie wir bei Galen eyxeiQtjGig a.vatof.iiy.rj finden.
Daran, dass Goethe sich in unserer stelle auf einen irgendwo gefun-
denen ausdruck eucheiresis naturae beziehe, ist um so weniger zu
denken, als hier von einem algemeinen gebrauche die rede ist.
Die Wissenschaft wüste schon längst, dass die gegenstände der chemi-
schen Operationen nicht die uatur, sondern zusammengesezte körper
seien, und hätte Goethe auch aus den Vorlesungen über chemie von
Professor Spielmanu in Strassburg, der selbst Institutiones chemiae
herausgegeben, wenig gelernt, aus seinem Boerhave muste er wissen,
dass die chemie sich nicht rüluiien dürfe , die reinen elemente darzu-
stellen, dass die prahlereien der alchemisten längst als solche erkant
waren. Bei Spielmann mochte er die gangbare bezeichnung euchei-
resis vielfach vernommen, aber dieser konte nicht von einer euchei-
resis naturae gesprochen haben. Diese bezeichnung muss entweder
auf einer Verwechslung beruhen oder mit bewustsein schrieb Goethe
hier der altern zeit, in welcher das stück spielt, eine solche bezeich-
nung zu. Der sinn der stelle kann nicht zweifelhaft sein. Mephisto-
pheles spottet auf den griechischen ausdruck, den er seiner abstammung
nach im sinne von in die band nehmen fasst. Dass die chemie sich
rühmt, die natur in die band zu nehmen, ist ein spott auf sie selbst;
freilich löst sie das lebendige in seine teile auf, abei' der sie zusam-
menhaltende geist, das sie einigende leben schwindet unter ihren
rohen bänden. Goethe , dem bei seinen spätem naturwissenschaftlichen
anschauungen dieser spott des Mephistopheles oft vor die seele trat,
nahm freilich damals die verse in einem anderen sinne, indem er sich
unter der eucheiresis naturae das leben der natur, den geist des
lebens dachte, aber kaum dürfte er schon wenige jähre nach seiner
beschäftigung mit chemischen Operationen so sehr den sinn von enchei-
resis in ihr gegenteil verkehrt haben. Sieht man sich die stelle genau
an und will einen iniiern Zusammenhang in ihr finden, so kann kaum
ein zweifei darüber obwalten, dass die art der den geist austreibenden
Philosophie mit dem verfahren der chemie verglichen wird , die ihrer
selbst spotte durch den namen, den sie ihrem verfahren gebe, indem
sie sich rühme die natur in die band zu bekommeu, da sie doch nur
die teile sondere, deren geistiges l)and , den archaeus rector, wie die
alchemisten sagen, sie verflüchtige. Von Loeper meint, der spott sei
Zu GOETHES FAUST 69
klar. Die pbilosopliie wolle das weseii der diuge lehren, demonstriere
auch die einzelnen elemente ad oculos, jedoch auf die eigentliche frage,
wie die teile sich zu organischem oder unorganischem ganzen verbin-
den, antworte sie: das bewirkt die tätigkeit der natur, gebe daher
das zu erklärende als erklärung, als erklärungsgrund. Bei dieser
geschraubten deutung ist ganz übersehen, dass dem Wortlaute nach es
die Chemie ist, die ihrer selbst spottet, nicht die philosophie ; und wo
ist denn von einer frage an die philosophie die rede? Mephistopheles
spottet: „Ja, so ist es recht. Wer etwas lebendiges erkennen will,
muss es auflösen; er bekomt dann die teile, wenn auch das leben ent-
flohen ist. So macht es die chemie, die mit ihrem vorgeben einer
encheiresis natur ae sich selbst zum besten hat."
II.
Fidcler oder Fiedler?
(Werke. Ausgabe lezter band. 1828. 12, 228.)
In das Intermezzo „Walpurgisnachtstraum oder Oberons und Tita-
nias goldne hochzeit," das von Loeper neuerdings, ich sehe nicht, mit
welchem rechte, für eine parodie der schon 1796 aufgeführten, im fol-
genden jähre dreimal widerholten oper Oberon von Wranitzky erklärt,
wurden in die ausgäbe lezter hand die beiden stroplien' eingeschoben:
Tauzmeister.
Wie jeder doch die Beine lupft!
Sich wie er kann herauszieht!
Der Krumme springt, der Plumpe hupft
Und fragt nicht wie es aussieht.
Fideler.
Das hasst sich schwer das Lumpenpack
Und gab' sich gern das Eestchen ;
Es eint sie hier der Dudelsack,
Wie Orpheus Leyer die Bestjeu.
Von Loeper hatte hier ohne irgend eine andeutung der äuderung
fiedeler geschrieben, indem er es für selbstredend hielt, dass hier
ein geiger spreche. In der dritten aufläge meiner „Erläuterungen"
bemerkte ich, Goethe würde wenigstens fiedler, nicht fiedeler ge-
schrieben haben; auch die Übersetzer hätten den fiedeler dem fide-
len untergeschoben. Meiner auch aus dem Zusammenhang sich erge-
1) Nicbt drei Strophen , wie von Loeper neuerdings (s. 190) behauptet.
70 DÜNTZER
benden erkläruug ist der leider zu früh auch den Goethestudieu entris-
sene Taylor gefolgt, oder er hat sich, wie von Loeper meint, durch
mich verleiten lassen. Der neueste herausgeber hat jezt fideler im
texte beibehalten, behauptet aber, dies sei „eine althergebrachte,
noch in der neuesten zeit gültige Schreibweise neben fiedeler." Son-
derbarer weise meint er, es handle sich blos um das e nach i. Dass
man früher das e nicht kante, auch später noch viele mit rücksicht
auf den Ursprung des wortes dieses ausliessen, die neuere zeit, die dem
unberechtigten blos dehnenden e den krieg erklärt hat , sich mehr oder
weniger desselben entledigte, bedurfte keines weitern beweises. Es
fragt sich nur , wie sclirieb Goethe und welche Schreibung befolgte die
Augsburger druckerei? Beide schrieben fiedel. In dem bauern-
liede des Faust selbst lesen wir zweimal fiedelbogen, in der unmit-
telbar vorhergehenden rede Wagners fiedeln und gleich darauf fie-
del, und von Loeper hat nicht gewagt, das e daselbst zu tilgen, so
dass er uns im Faust eine doppelte Schreibung desselben wortes zumu-
tet. Auch in dem unter Goethes äugen gedruckten Di van steht im
zweiten gedieht des „Buches des Unmuts" fiedler gedruckt, was in
die ausgäbe lezter band übergieng und sich auch in von Loepers aus-
gäbe findet. Kann schon hiernach bei Goethes fideler nicht an die
fiedel gedacht werden , so spricht noch viel entschiedener dagegen die
dreisilbigkeit des wortes. Von Loeper meint, fiedeler sei nur üblicher
als fideler (für geig er), aber weder die eine noch die andere form
komt im neuhochdeutschen vor. Freilich hat Grimm im wörterbuche
als lemma fiedeler, aber nur mit beziehung auf die mittelhochdeut-
schen formen, ein neuhochdeutsches fiedeler ist gar nicht nachzuwei-
sen, nicht einmal ein beispiel beigebracht, dass ein dichter aus reim-
not sich dieser form bedient hat. Adelung schreibt fiedel, fiedeln,
ein fiedler führt er nicht als besonderes wort an, sagt nur, es sei in
der Zusammensetzung hier fiedler (vgl. dorffiedler, b au er nfi ed-
ler) noch am üblichsten. Auch der nicht seltene name lautet in den
drei lezten Jahrhunderten Fiedler, mag auch noch ein Fedeler, viel-
leicht auch bei dem eigensinne der namenschreibung ein einzelnes
Fiedel er sich erhalten haben. Die stehende form ist die zweisilbige,
wonach es durchaus nicht angeht fideler, obgleich es das e gerade
an der verkehrten stelle hätte, als geiger zu nehmen. Die zweisilbige
form aber beruht niclit auf blosser wilkür, sondern stüzt sich auf eine
durchgreifende analogie. Bei den ableitungen der verbal- und nomi-
nalstämme auf el fält vor dem ableitenden er regelmässig das e weg.
So sagt man dudler (auch früher dodler), siedler (ansiedier, ein-
siedler), tadler, Jodler, strudler, sprudler, segler, hechler,
zu GOETHES FAUST
71
gaukler, schaukler, Hchaiifler usw. Luther hat die dreisilbige
form, wo er deu mittelconsouanteu verdoppelt, wie fiddeler, sudde-
1er, taddeler. Auch in andern auf gleiche weise endenden bilduugen
lässt der neue gebrauch das e fallen, wie in edler und dem aus einer
Zusammensetzung entstandenen adler.
Lässt demnach die form keinen zAveifel, dass fideler nicht deu
geiger bezeichnen kann, so könte die Vermutung, es sei trotz der form
doch an diesen zu denken , nur dadurch begründet werden , dass die dem
tidelen in den mund gelegte Strophe auf diesen gar nicht passe oder ein
sonstiger äusserer grund den good fellow, wie Taylor übersezte, unmöglich
mache. Von Loeper bemerkt: „Es ist nicht Goethes art, personen nur nach
charakteristischen eigenschaftsworten zu bezeichnen (lustiger, melan-
cholischer und ähnlich); und der gebrauch des studentischen ffdele im
sinne von lustig lässt sich bei ihm sonst nicht nachweisen." Das leztere
können wir nicht als berechtigte Instanz anerkennen. Der katzenjam-
mer komt nur einmal im Di van vor, bemooster herr nur im zweiten
teil des Faust, zweimal als rede weise suiten reissen, und wie manche
ausdrücke nur in Auerbachs keller ! Und was den ersten punkt betrift,
so finden wir ja in demselben Intermezzo die Überschriften die gewan-
ten, die unbehülflichen, die massiven, welche uns der mühe
überheben , sonstige beispiele heranzuziehen. Von Loeper hätte zeigen
müssen, dass die rede, welche fideler überschrieben ist, auf einen
im fidelen zustande befindlichen Zuschauer nicht passe, dass meine
von dem scharfsinnigen und geschmackvollen Taylor gebilligte deutung
unmöglich sei, statt dessen lesen wir: „Hier ist aber der spielmann
ganz an seiner stelle; er spricht von dudelsack, von Orpheus und
leier (doch vielmehr von der leier des Orpheus), er hat Ariels
(oben V. 3882) und der tanzmeister Pucks funktionen (oben v. 387 8 j."
Die leztere behauptung können wir nicht zugeben. An den angeführ-
ten stellen treten Puck und Ariel auf Oberons befehl hervor:
Seid ihr Geister, wo ich bin.
So zeigts in diesen Stunden,
und beide künden gleichsam die folgenden erscheinungen an; hier aber
ist das „neue chor" schon durch die tanz er überschriebene Strophe
eingeleitet. Von Loeper nimt an, es spreche hier ein täuzer; das
ist so wenig der fall, als dass die mit neugieriger reisender bezeich-
nete Strophe dieser selbst spricht, der unmöglich andere fragen kann,
wie der steife mann heisse, der mit stolzen schritten einhergehe.
Von Loeper bemerkt mit recht, dass wir in der dortigen strophe frage
und antwort haben und es ebenso hier sich verhalte ; aber er hat nicht
erwähnt, dass dort die strophe aus frage und antwort über den vor-
72 DÜNTZER, ZU GOETHES FAUST
beischreitenden reisenden besteht. Da er darauf nicht geachtet,^ ent-
geht ihm auch, dass es sich in unserem falle ganz so verhält, dass auch
hier nicht ein tänzer oder vielmehr zwei tänzer diese strophe sprechen,
vielmehr die Überschrift darauf deutet, dass es sich von den in der
ferne kommenden täuzeru handelt, welche keine andern als die gleich
darauf sich vorstellenden philosophen sind. Der eine hört ein gelärm
wie von fernen trommeln; der andere belehrt ihn, dass es nur ein-
töniges geschrei wie von rohrdommeln sei, nicht, wie von Loeper sagt,
der lärm ferner rohrdommeln, die man eben nicht fern hört; uur
wie ferne trommeln tönt es. Von Loeper meint, diese Strophen
seien „vermutlich viel früher verfasst." Das scheint mir nur eine sehr
entfernte möglichkeit. Goethe hatte bei der zweiten ausgäbe der werke
hier so scharfe stellen, selbst persönlicher art aufgenommen, dass es
sonderbar gewesen wäre, wenn er damals diese beiden strophen aus
bedenklichkeit zurückgelegt hätte ; und dass sie durch zufall weggeblie-
ben, ist wenigstens nicht sehr wahrscheinlich. Dagegen dürfte er, als
er das Intermezzo von neuem durchsah, die bezeichnung des wunder-
lichen gebarens der streitenden philosophen nicht genügend gefunden,
und neben dem lärmen noch aus zwei andern gesichtspunkten die-
ses treiben kenzeichnen zu müssen geglaubt haben. So lässt er denn
zunächst einen tanzmeister über diese wunderlichen tänzer sein urteil
abgeben und hervorheben , wie sonderbare Sprünge die einzelnen machen,
um auf ihre weise sich herauszuziehen, unbekümmert darum, wie sich
dies ausnehme. Der dichter deutet hier darauf, dass die philosophen
sonderliche ansichten entwickeln, welche dem fernstehenden gar wun-
derlich, ja unbegreiflich scheinen. Wenn der tanzmeister sich auf die
Seltsamkeit der Systeme bezieht, so solte daneben auch die grimmige
Streitsucht der philosophen noch besonders getroffen werden. Wie
Goethe einmal sagt, die gelehrten seien meist gehässig im widerlegen,
sie sähen einen irrenden gleich als ihren todfeind an, so lässt er hier
einen Bruder Lustig auftreten , der mit heitrem blicke sich dieses trei-
ben ansieht und den bitteru hass bespottet, welcher die weltweisen ent-
zweit , die nur heute auf dem Blocksberg sich vereinigen , weil sie der
gewalt des dudelsackes folgen müssen. Der dudelsack ist freilich das
auf dem hexensabbath gangbare Instrument, aber in unserem Intermezzo
ist doch das Orchester ganz anders bestelt (der hier einmal genante
1) In der ersten aufläge war in der einleitung s. LXII richtig bemerkt , der
neugierige reisende sei gegenständ der verse, docii sollen auch dort „die andern
Überschriften'' in der regel die person des sprechenden anzeigen. Dass auch noch
in andern fällen die iü)erschrift auf den gegenständ der betreifenden verse geht,
habe ich in meiner erklärung und den erläuterungen gezeigt.
KINZEL , PRON. DATIV AUF -H
73
dudelsack ist als eine art hummel zu denken , wie seine genaue beschrei-
bung zeigt), und so fält die erwähnung desselben hier aus der scene-
rie, was sich ganz leicht bei der annähme erklärt, dass unsere strophe
erst später gedichtet wurde. Der fidele spottet eben auf den tötlichen,
in grimmiger bekämpfung ausbrechenden hass der lehrer der weltweis-
heit und gibt seiner äusserung einen scharfen, in seinem munde weni-
ger verletzenden ausdruck. Wie der dichter dazu hätte kommen sollen,
neben dem tanzmeister einen geiger einzuführen, ist mir unerfindlich.
Ein geiger wäre nur dann an der stelle, wenn der dichter die Philo-
sophen nicht blos als tänzer, sondern auch als musiker hätte bezeich-
nen wollen, wo dieser über ihre unharmonische musik seine bemerkun-
gen hätte macheu können. Aus der erwähmmg des dudelsacks und der
dadurch veranlassten erinneruug au Orpheus, der die bestien auf ähn-
liche weise durch seine leier zusammengebracht habe, folgt für die musi-
kalische uatur des redenden nichts, der vielmehr durch die burschikosen
ausdrücke , zu denen er in seinem behaglichen spotte greift , als fideler
sich zu erkennen gibt.
KÖLN. HEINR. DÜNTZER,
EINIGE FÄLLE DES PRONOMINALEN DATIVS AUF .V
UND DER VERWECHSELUNG VON DATIV UND
AGCUSATIV.
Auf die Verwechselung von mir dir und mich dich ist in lezter
zeit verschiedentlich rücksicht genommen v^ordeu. Die ansieht Scherers,
welche er in Miscellen IV Z. f. d. a. XXII, 321 aussprach, hat fast
gleichzeitig zwei angrifte erfahren, von Busch in dieser zs. X, 172 fg.
und in einem längeren artikel „Beiträge zur deutschen syntax" von
Behagel Germ. XXIV, 46 fg. Es ist nun nicht meine absieht , in den
streit einzugreifen, auch muss ich es einem berufeneren überlassen, die
aufstelluugen Behageis zu prüfen. Die frage scheint mir so lange
nicht spruchreif, als man nicht die handschriften unsrer litteratur wei-
ter in den bereich der Untersuchung zieht. Dazu sollen die folgenden
Zeilen einen beitrag bilden , indem sie die belege aus der von Mass-
mann „Deutsche gedichte des 12. Jahrhunderts" abgedruckten Strass-
burger handsclirift geben. Es erhellt aber sogleich , dass es nicht genügt,
nur auf den Wechsel der angeführten pronomiua zu achten, sondern
dass überhaupt Verwechselung von dativ und accusativ ins äuge
zu fassen ist. Dadurch tritt eine reihe von fällen in ein anderes licht
74 KINZEL
und es zeigt sich, dass Zusammenstellungen wie Behageis von eiusei-
tigkeit nicht frei sind.
Diesen schicken wir aber voran , weil beide vielleicht nicht ohne
inneren Zusammenhang sind , ein Verzeichnis derjenigen stellen , in wel-
chen sich der dativ der pronomina oder starken adjectiva auf -eu findet.
Weinhold hat in der mhd. gr. einige belege zusammengestelt.
Er bemerkt § 465 : „ Auf schlechte ausspräche , den Übergang von m
zu n, gründet sich die schon im 11/12. jh. meist in md. Schriften
nachweisbare scheinbar aecusative form den für dem.'' Er nent es 468
„Verdünnung des flexionsconsonanten." Bei der starken flexion der
adjectiva aber gibt er auch oberdeutsche belege. In §487 heisst es:
„das m der dativflexion gieng in nachlässiger rede des tages in n über,
das sich schon im 12. jh. auch (?) in hss, bemerklich macht und obd.
wie md. Schreibern oft entschlüpft; selbst in den reim drängte dieses u
sich ein." Wenn nun aber hinzukam, was in md. Schriften nicht ganz
selten ist, dass das substantivum sein e gleichzeitig einbüsste, so ist
der dativ von einem aecusative nicht mehr zu unterscheiden, die stel-
len fallen also mit denen zusammen, in welchen offenbar der acc. an
stelle des dativs steht.
Apocope des e im dat. findet sich z. b. im Alexander mit reh-
ter ivärheü 78. an einem huninc 440. an des meres grünt 1159.
in der werlt 3659. 5800. üf ir Jiouhet 5847. zo dmem Jiüs 5873.
siheineme hieht 6324. di trügen an ir Hb 6051.
1) Und nun vergleiche man die folgenden stellen: den wir hor-
ten in den^ walt : halt 5219. di edelen hlümen in den walt hegunden
üf gän 5251. mir ivas in mmen gedanc (: lanc) also wol ze mute
5854. Mexandrb düchte in sinen müt der tumher lüte rät gut 6667.
ingegen den Jcuninc 3100. gewinnen inne den strtt 6499. In den
übrigen gedichten der hs. habe ich nur eine stelle der art gefunden:
Herodes quam zu den rät (; tat) Pil. 602. ^
2) Einer besonderen erwähnung verdienen im anschluss daran die-
jenigen fälle, in welchen der dat. und acc. des Substantivs gleich
lauten.
Glaub, den vater danken 982. indenhimel unde in der erden
1485. der riche mit den armen 2721.
L i t. hilf dinen armen dienistman {: Columhän) , einen offin sun-
dere 807. Es sei hier gleich bemerkt, dass die Grazer hs. '' dieses
1) So stand nach Weisni. in der hs.
2) Zählung des Pilatus nach Miillenhoff Sprachpr." 1878. Vgl. Weinh. diese
zs. VIII.
3) Gedruckt Fundgr. II, 215 fg.
l'ßON. DATIV AUF -H 75
nach Südosten gehörenden denkmals kein -u für den dat. zeigt Die
eben citierte stelle gehört übrigens einer Interpolation der Strassbur-
ger hs. an.
Alex, shioi vater glenc er ingagen 393. nach riterUchcn site 430.
nach den site 3878. daz was an slnen ivillen 1084. ummcre ieglichen
frumen man 91. von einen man 3412. einen Persischen man 3165.
(diese beispiele gehören zu nr. 1 , wenn man flectiertes man annimt).
an einen galgen 1611. ingagen den graben 1855. zo dinen herren
2847. mit einen volen 3032. üf den grünen de 5213. In welchem
der aufgeführten beispiele dem Schreiber resp. dichter wirklich ein acc.
vorgeschwebt hat , lässt sich nicht entscheiden. Dass es aber wol mög-
lich war, beweisen die unter nrr4 verzeichneten fälle.
3) Dagegen in folgenden ist der dativ ausser zweifei:
Glaub, er saz an den hanke 981. mit den wme 1002. mit
den voze 2316. mit innichlichen gebete 1101. 20 michelen werde 1182.
horche minen rate 2861. in minen gedinge 3732. disen ivibe 2174.
in einen füre 2256.
Lit. in dlnen lobe 192. mit großen unrehte 254. dtnen binde
304. von einen wibe 317. vo7i slnen toive 360. zu einen helfere 504.
zu einen vogete 519. nicheinen engele 640. in slnen scöze 637.
von disen Übe 672. ühen sige 1093. mit dinen Jcnehte 1221. mit
einen penninge 1278. von allen unrehte 1348. mit dlnen keliche 1445.
Pil. von fremeden lande 606.
Alex, in den mere 152. in disen lande 3715. in den wazzere
1366. in den wlge 3675. in den füre 5564. 6098. in den blute 2146.
in den tvalphade 3309. in sinen lande 2579. in den sträge 3328.
in Persischen rlche 4016. in allen den gebere 5663. in minen brieve
6475. in allen ertriche 6607. 7104. in disen wäge 6787. in den
ivege 7018. — üz den velde 443. üz den walde 5186. — von den
mere 1092. von den velde 1901. von Persischen lande 2940. von
minen gesinde 5697. von im lande 6478. von starken gewidere 6705.
von unrehten g. 6757. von edelen golde 5951. von edelen gesteine <68hl .
7039. — mit den füre 1382. mit slnen llbe 2486. mit slnen grozen
here 3036. mit edelen gesteine 5571. mit grozen sinne 5686. mit
iren tiefen sinne 5972. mit michelen sinne 6310. mit allen filze 6390.
mit im munde 6674. — an den ende 3653. an im Übe 1663. an
im gute 16G5. an allen sinen Übe 4370. an einen buche 4917. an
den palase 5418. an einen gaste 6355. an allen ertriche 6883. —
zeinen guten knehte 2752. ze slnen tische 4036. zo im tische 6402. —
nach den sige 2791. nach slnen geböte 3522. nach Anion minen gote
5533. — üf einen velde 2890. üf den bette 5457. — vor sinen bette
76 9 KINZEL
5467. — hl im lande 6540. "— hinnen disen rate 2547. — minen
wthe 2897. manigen stolzen manne 4714. disen wigande, dem holen
6265. das du den will vor stän 6295.
4) Acciisativ an stelle des dativs zeigt die Strassburger
handschrift in folgenden fällen:
a. mih dih für mir dir: Lit. grosis wundirs er an dih hegan zu
sagetie von dtner magitheit 380. das des üwit üf mih gelige 944.
Beide stellen fehlen in der Grazer hs. — Alex, an mih rechen 2728.
vgl. an üh 3740. daz manz reche an sinen hals unde an sin Uh 3910,
aber an ime 4629. Der dat. ist das gewöhnliche, doch komt der acc.
auch sonst vor, vgl. Lexer. ih irforhte mih das 6410; Lexer belegt
nur mit acc. und refl. dativ. irweren* das trans. mit dem dat. vor-
komt {das er mir erwere sine riche 2110, vgl. 2330 u. o.), erscheint
reflexiv mit dem gen. wie durstes tvänede wir uns irweren 4939 , mit
dem dat. wie den lewen müsten wir uns tveren 4987 (vgl. Lit. 1389
das wir uns dem tüvele miXsin irwern, wo in der Grazer hs. der gen.
steht Fundgr. II, 235, 33), auch mit praep. sine mohten sih nhvit
irweren vor ime 2260, aber auch mit dem accusativ, was Lexer nicht
erwähnt: er ne mac sih niemer mih irweren 2093. mahtu dih mih
irweren 2891. si mugin sih uns nit irweren 4550.
b. Andere pronomina: Glaub, ih sage üh 704. 1623. — Lit.
ein hessir dinc ih üh noh seile 334 {uh fehlt G). wir sprähen hin
züch heiden samt, such herren, üh htjehtäre, swene nöthelfere 957 (die
stelle steht nicht in G). — Alex, mit üh herren 2232. ih sag üh
5266. so sin 5378 (vgl. so zime 5887). der üh allen hat gegeben sin
7218. segegen^ si do quam 4189. gagen in si dö voren 4817. is
quam in rehte in den gedanc 3118.
c. Accus, für dat. findet sich auch bei Substantiven. Oft mag
eine accusative Vorstellung veranlassung sein ; die entscheidung ist nicht
leicht. Beispiele habe ich nur im Alex, gefunden: ime ne tvart nie
nehein geltch in alle criechische lant 346. so spottet man unser in das
lant 1344. di da wären in di türme 4425. nach dise süse ivort
6363. di da woneten in das lant 6766. da si des Schildes rande
sehiwen vor di hande 4663. hete Alexander an di hande 494 (hier
wäre möglich di für der verschrieben anzunehmen), di frowen sih he-
wart haheten vor andre wigande 6539.
Die folgenden fälle berühren sich dann mit den unter nr. 1 ange-
führten. Es kann z. b. zweifelhaft sein , wohin gehöre : ih hiez in hr in-
nen in ein für 5407 ; aber vgl. si hranten si al in eine glüt 2283.
1) Vgl, nr. 1 ingegen den kuninc.
PRON. DATIV AUF -W . 77
in im mimt si sie äsen 4958. er sühte mih an das vclt, \ do lac ih
under min gezelt 5605, vgl. gienc under mm gezelt \ da ih lac an daz
velt 5635.
5) Dativ an stelle des accusativs:
ab. mir dir für mih dih und andere pronomina: h&iläzen:
las mir geniesen Glaub. 1910; im Alex, ist der acc. das gev^öhnliclie
1655. 2239. 2442. 2552. 3045 usf., aber läset ir mir genesen 3722
(vgl. läset mih genesen 3732. si 3948 usw^.). ih müs ü varn läsen
4142. ih ü da heime lies 4923. läsent mir den leben hän 6335. — ■
heisen, gewöhnlich mit acc. 2347. 3186, siehe unten, nun herre hei-
set dir comen 3069. dö hies in Alexander, das 4844. heis mir ime
gcivinnen 5656. heiset ime das lant rümen. — dünken, acc. ist alge-
mein das gewöhnliche, vgl. 2252. 2329 io ne dühte mihs nie gilt , doch
komt dat. vor, vgl. Lexer. Alex, is dunJcet mir gut 473. di gäbe
dühte mir gut 2758. als ime dühte 4314. mir 5235. 5372. 5922.
ime 6613. uns allen 5225. ü 5817. das dühte ime deine Pil. 600
(vgl. Weinh. z. d. stelle). — müwen. acc. joh müwet mih vil sere
4227. si 2554. vgl. 6751. Acc. und gen. wes mmvestu dih 4803. Aber
mir dise roubere müwit 2437 s. unten. — rütoen. acc. du rüwis mih
3780. das rou si 7027. Aber sine sunde begunden ime rüiven Glaub.
2075 und Alex, ynir müs nü balde rmven 3447. du müst mir iemer
rüwen 3799. läset ü rüwen Barium 4564.* ime 5118. in 6778. —
mir ne hetriege min wän 1267. — er ne tar mir bestän 1528 (der
dat. ist möglich) vgl. 2271 si ne mohten ime niwit vor bestän. Doch
acc. 1577, 2248. 2351. 2929. — vor mir quämen si 6516. als er vor
ime quam 1645. — tvarumbe woldet ir mir slän 2746. — tnine ivun-
den smersent mir sere 3850, — mir ne sah nie nehein man gän 4156. —
ih hän mir der bedäht 5040 (sonst nur reflexiv). — mir fragen 5536. —
so dir begrife der tot 7241.
si lärten ime striten 195; sonst acc. 202, 205. 208. 209. 214.
217 usw. — sere mohtes deme wunderen 1214. ob ü der herren wun-
dert 1978. — si manten im stner eide 3947. wes ih ü nü hie mane
4145. — wes ime der riche kuninc bat 3986. si ime einer bete bäten
4847. — des mac ü nemen wunder 5245; doch mih 5460. si 5718. —
gehabet ü ivol 6781 , sonst reflexiv.
c. Auch s u b s t. finden sich im dat. für acc. , docli seltener.
Zunächst einige beispiele für die oben besprochenen verba: heisen.
1) Weinh. bemerkt § 453 unter anführung der lezten beiden stellen ans Alex,
und noch zweier andrer , ,, dass im md. bei den reflexiv gebrauchten zeitworten des
erapfindens und sinnens der dat. (nicht blos der acc.) des Personalpronomens ver-
want wird."
78 WOESTE
er hiez sinen hnehte 961 soll dativ sein, um des reims willen ist n
beseitigt. Vgl. 6824. Alexander hiez do sinen : pinen. Doch steht
acc. 1033. 1070. 1238. 2610 u. o. Zweifelhaft scheint 3531 den hiez
er vil gut wesen. — Alexandra dühte 6667. — Alexandra müwete
daz 1695. — do gerou allen di herevart 6701.
Zweimal hat die präposition an den dat. bei einem verbum der
bewegung: mm vane quam an diner hant 1857. der ie an discr werlt
quam 3474.
BERLIN, MAI 1879. KARL KINZEL.
BEITRÄGE AUS DEM NIEDERDEUTSCHEN.
Smarre, narwe, iiare, arii.
Eine ähnliche folge der bedeutungen, wie bei liJcMave, findet sich
bei smarre. Wenn es bei Hagen Köln, reimchr. 4989 heisst: einen
smeirre sloich hei durch sin zende, so ist smeirre (für smerre) = riss,
wunde. In Vernes bearbeitung der Nordhofschen chronik (Seih. Qu. 1,
19) wird die widererkennung des grafen Eberhart folgendem! assen
erzählt: wert den grauen, dar he de swine hoett, hy einer smarrhen
des angesichtes , yn der vhede gekregen, erJcennen(d). Dasein smarrhe
gehört zur Orthographie der abfassungszeit (anf. d. 16. jh.); die bedeu-
tung ist narbe.
Als ältere form für smarre wii"d smarwa anzunehmen sein. Bei
ausfall des w wurde durch rr kürze gewahrt. Vielleicht hängt mit diesem
Worte ml. marra (karst) und marrire (fossam ligone facere) zusammen ;
vgl. Frisch 2, 205. Auch span. marrano, schwein, wol eigentlich Wüh-
ler , möchte ich hieher ziehen. Neben smarwa wird sicli aber früh ein
marwa eingefunden haben. Für den abfall eines vorlehnenden s im
anlaute gibt es beispiele genug. Aus marwa entstand dann durch Ver-
dünnung des anlauts nariva, mhd. narwe, südwestf. narwe, nhd. narbe.
Für solche Verdünnung lassen sich beispiele geben : hommarder : höm-
narter; mappa : fr. nappe; mespilus : fr. nefle; mopen : nöpen; sogar
mit vorlehnendem s : smaügen : snaigen. Im mnd. wurde narwe meist
zu nare, im südlichsten Westfalen durch Versetzung zu am.
Ff eueren oder g-heneren?
In der Z. d. westf. GV. , neue folge 7, 314 lesen wir: mosten
ffeneren alle dath se hehoveden huthen landes. Wahrscheinlich stand
in der handschrift ghencren mit einem dem /" ähnlichen g. Zu die-
sem generen (erwerben) vergleiche man sik generen in folgender stelle:
so wie dar slaept als hy sich generen (für sich erwerben) sal, die
BEITRÄGK AUS DEM NIEDERDEUTSCHEN 79
mist als hy feren sal, Z. d. berg. GV. 4, 43. In der gewöhnlichen
bedeutung „sich erhalten" steht der ausdruck in: wer nicht wen mit
der warlieit veret, vil kume he sik nu generet, Wigg. Scherfl. 2, 68.
Warneu, weruen.
Wie im mhd. , so findet sich auch im mnd. warnen in der älteren
bedeutung ausrüsten, versehen, und mit diesem sinne ist das deut-
sche wort ins romanische (garnir, guernire) übergegangen. So über-
sezt das particip ivarnet ein lat. nmnitus in folgenden stellen; lichte
mach he vynden ene warnende stat, dat he vns entvle, Vier bb, der
könige 108; scloch de heiden, van Asa an wente to der warne den stad,
ebd. 213. In dem ersten dieser beispiele steht warnende für warnede:
ein solcher einschub des n vor ^-lauten ist namentlich im participe
nicht selten. Dass das ptc. warnet nicht, wie im glossar steht, aus
ivaren entspringen könne , lelirt schon die form. Dieses ptc. komt aber
auch anderwärts vor , und zwar deutlich im sinne „ mit etwas ver-
sehen" in folgender stelle: ener langhen divele he sie hade warnet,
darhi let he sik ute dcme vinstere, Lüb. Chr. 1, 140. Daran schliessen
sich weiter die bedeutungen schützen und (mit sik) sich vorsehen,
z. b. (wi) lovet ew, dat loi se sollet vor erme schadden warnnen,
war ivi moghet , Selb. Urk. 771; de greve sie darweder hadde ivarnet,
Lüb. Chr. 1, 140. Weiter findet sich die bedeutung, auf etwas auf-
merksam machen in: hehhe — gesworen to den heyligen — er argeste
to warnene, F. Dortm. Urk. 1 s. 168. Ferner an etwas erinnern,
zu etwas ermahnen in: ick wort gewarnet van ethlichen wysen,
de myn hoverye plechten tho prysen, dat ick solde uth der stat wiken,
Dan. 44 ; hyrumme hat he den hichtvader, dat he altohant na syneme
dode wernen scholde den rad van kollen, dat se wol toseghen unde
ivarden ere stad, Lüb. Chr. 2, 299; worden ouck de prouisor offt
tnoder — sick to hettern, dnrch de vormunder drye getvarnt, F. Dortm.
Urk. 1, s. 344. Dies führt endlich zu der bedeutung warnen, z. b.
dat se hertoch Jürgen scholden wernen, dat he — nicht — nha dem
marstalle und harnisthuse ginge, Kantz. 185; höret wat dut hispel
hedude; id wem et alle valschen lüde, Wigg. Scherfl. 2, 38; oft hey
sey to recht icht loarnen, yn eyschen vnd verboden solde, F. Dortm.
Urk. 1, 294; dar vor so tvarne ick dy , Geistl. Lied. (Hölscher)
XXVIII, 10; de beste clemmer kumpt tneiste so valle, des warnen ich
min vrunt bedalle, Hagen Köln. Chr. 3759; ich wolde Colne yewar-
net hain, hedde ich si wale mögen vurgain, ebd. 558.
ISERLOHN. F. WOESTE.
80
LITTERATUR
Otfrids ETaugelienbuch. Mit Eiuleitung, erklärenden Anmerkungen
und ausführlichem Glossar herausgegeben von Dr. Paul Piper.
I. Theil: Einleitung und Text. [Bibl. der ältesten deutschen
Litteraturdenkmäler IX. Bd.] Paderborn, ¥. Schöningh. 1878. VIII, 293
und 696 selten. 15 m.
Unermüdlichen fleiss und aufopfernde hingäbe an seinen zweck müssen auch
diejenigen an Otfrid anerkennen , die an ihm als dichter wenig oder nichts loben
wollen. Ohne einen anteil an diesen eigenschaften aber, durch die der Weissen-
burger mönch vor mehr als tausend jähren sein werk zu stände brachte, ist es
auch den forschern der späteren zeit nicht möglich gewesen , die wissenschaftliche
ausbeute aus diesem werke zu schöpfen. Jedem , der sich in das werk versenkte,
wurde klar , dass aus ihm eine reiche erkentnis für die geschiehte der spräche , der
metrik, der litteratur zu gewinnen war, und die Überlieferung in mehreren gleich-
zeitigen handschriften eröffnete überraschende einblicke in die eutstehung des Wer-
kes, in die individuelle persönlichkeit des Verfassers und in das geistige leben des
kreises, der ihm nahe stand. Erklärt sich hieraus das grosse mass von fleiss und
Sorgfalt, das frühere forscher seit dem widerbekantwerden der handschriften dem
werke immer wider gewidmet haben , so beweisen die zahlreichen unvollendeten,
zum teil als manuscripte auf bibliotheken lagernden arbeiten über Otfrid , von denen
Kelle berichtet (I, 109. 113), dass es nicht leicht war, alles auszuschöpfen und zu
verwerten, ja auch nur über die zweckmässige auswahl aus dem unübersehbaren
stofFe und über die richtung der Untersuchung volle klarheit zu gewinnen.
An fleiss hat es auch der jüngste herausgeber Otfrids wahrlich nicht fehlen
lassen. Für die lösung aller an Otfrid sich anknüpfenden fragen hat er gearbeitet;
freilich verlangt auch seine arbeit, wie er an mehreren stellen selbst andeutet, ein
eingehendes mit- und nacharbeiten. Die ausgäbe enthält ausser dem text mit
sämtlichen Varianten und commeutar umfangreiche Untersuchungen über Otfrids
leben , über die art und eutstehung der handschriftlichen Überlieferung , sowie zur
geschiehte und Charakteristik des Werkes. Ich will versuchen , über das von Piper
auf den drei gebieten der textkritik , der litteraturgeschichte , der sprachkunde
geleistete in besonderen abschnitten zu berichten und diejenigen punkte hervorzu-
heben , die mir auch nach Piper weiterer Überlegung und Untersuchung zu bedür-
fen scheinen.
A. Zur textkritik.
In volständiger widergabe und genauer beschreibuug des überlieferten hat
Piper alle seine Vorgänger überboten. Es ist ihm möglich gewesen, sämtliche
handschriften, ich weiss nicht ob auch neben einander, neu zu vergleichen, und
er hat danach gestrebt, durch seine ausgäbe möglichst die gleichzeitige einsieht
sämtlicher handschriften zu ersetzen. Die vorrede enthält eine sehr ausführliche
beschreibung jeder handschrift nach äusserer einrichtung, pergament, tinte , schrift,
schreibgewohnheiten ; auch die interpunctionen von V und P Averden, wenn auch
nur in mühsam zu benutzenden ziflerangaben , s. 57 — 66 volständig angegeben;
ebenso werden die rasuren und correcturen, ligatureu, accente s. 66 — 79 mit einer
genauigkeit beschrieben und besprochen, die schwerlich jemand zu überbieten im
ERDMANN, ÜRER OTFRTl» EP. riPRR. A. ZUR TEXTKRITIK 81
stände; sein wird. Namentlich wird aucli aus der Ijcscliatt'enheit der bruchstücke
von D die anzalil der blätter, welclie die liandsclirift enthielt, berechnet und danach
die ganze einriehtimg der handsehrift reconstruiert (s. 179 — 199).
Fi'ir den text erstrebt Piper, seiner gleich zu besprechenden hypothese über
die entstehung und geschichte der handschriften entsprechend, die volständige und
genaue widergabe alles dessen, was in VPD überliefert ist, mit einschluss sämt-
licher orthogra])hischen änderungen, acccnte, s3-nalöphepunkte, sowie mit höchst
genauer beschreibung sämtlicher correcturen und rasuren : oft nimt die beschrei-
hung einer solchen drei oder mehr zeilen ein (z. b. 1, 17, 21. 20, 23. 24, 6 u.a.):
von den abweichungen der handsehrift F gibt er unter dem texte nur diejenigen,
die eine wirklicli sachlich oder formell verschiedene lesart darstellen: die zahllosen
rein lautlichen abweichungen stelt er, um eine genaue Übersicht über dialekt und
Orthographie des Schreibers (Sigihard) zu ermöglichen, in einer nach lauten und
den einzelnen Worten geordneten Übersicht s. 20ö — 233 zusammen, welche die zif-
fernsamlungen des zweiten teiles der Kelleschen ausgäbe noch überbietet. Schon
für V. auf welches Kelle seine aufmerksamkeit hauptsächlich concentriert hatte,
bietet Piper namentlich bei den correcturen viele genaueren angaben über das zuerst
geschriebene und die art der correctur, die für die wirkliche erkentnis des textes
und der textgeschichte wichtig sind. So wird z. b. die richtige Verstellung auch
für Y bezeugt in dem versa I, 11, 44 io/t thia in bette ligit inne | mit suKchemo
Tiinäe; Keiles auffallende Umstellung der worte [Innc ligit \ ) erklärt sich dadurch,
dass er den hinter inne stehenden versteilungspunkt für einen auf das übergeschrie-
bene ligit bezüglichen auslassungspunkt ansah. Ahnliche resultite in sehr vielen
fällen. Bei Kelle niclit augegeben ist z. b. auch die erste Schreibung von V
IV, 5, 33 gileggen , die für die moduslehre nicht unwichtig ist; ebenso das eben-
falls interessante und zum nachdenken anregende in V zuerst geschriebene fuari
I, 4, 82, vgl. I, 4, 11 fg. und vieles andere, was jeder selbst im buche nachlesen
und studieren muss. In vielen fällen freilich handelt es sich nur um Schreibfehler,
wie das /' statt s I, 22, 18. II, 4, 55. III, 13, 6. S. 41 (s. 175), oder um fragen,
die mit absoluter gewissheit schwer werden zu entscheiden sein, wie die, ob I, 24, 6
in fiuntar das a aus e corrigiert ist (wie Kelle annahm) , oder das erst geschriebene
a später erst in e corrigiert wurde , wie Piper jezt angibt.
Mit gleicher Sorgfalt hat Piper aber auch gelesen und widergegebeu die von
Kelle gelegentlich erwähnten , aber fast niemals in den Varianten angegebenen
correcturen in P und F, die zwar nicht so zahlreich als die in V, aber oft
ebenfalls interessant und lehrreich sind. Die auf alle diese feststellungen verwante
mühe Pipers ist der höchsten ancrkennung wert , wie auch der Verlagshandlung für
die herstellung des schwierigen druckes dank gebührt. Die volständige darstellung
des tatsächlichen in einem masse , wie sie von keinem bisher erreicht werden konte,
wird der ausgäbe unter allen umständen einen dauernden wert sichern und eine
grundlage für die Untersuchung der geschichte des textes bieten , vorausgesezt
natürlich, dass man das unwesentliche vom wesentlichen scheidet und nicht bei der
tatsache der correctur sich beruhigt, sondern die gründe ins äuge fasst, die sie
hervorgerufen haben.
Bisweilen freilich möclite man aucii neben der ausführlichen beschreibung
Pipers die kürzeren angaben Keiles nicht missen. So z. b. I, 28, 14, wo durch
Keiles angäbe wahrscheinlich wird, dass das nach Piper in Y zuerst übergeschrie-
bene i nur der am folgenden minnni fehlende erste strich sein solte; erst später
(wahrscheinlich erst nachdem P aus Y abgeschrieben war) erfolgte die zweite cor-
ZKITSCHR. F. DEFTSCHR PHTLOIiOGIE. BD. XI. 6
82 EEDMANN
rectur in thio eiminigon uuuuni, was in D gleich anfangs gescliriebon war. Und
manchmal möchte man doch fragen , ob Piper nicht etwa zu viel aus den correc-
turen herausgelesen habe. Zu I, 5, 61 weicht seine angäbe des in V über giburäi-
nöt geschriebenen wertes ganz von dem ab, was bei Kelle und wider auch von
dem, was nach Hoffmanns lesung bei Lachmann Kl, Sehr. I, s. 405 und auch in
Müllenhoffs Sprachproben ^ s. 72 angegeben ist. I, 22, 41 liest Kelle in V liabon,
Piper: ,,Uoban mit radiertem acceiit über a." II, 4, 4 ist mir das von Piper in
P gelesene sehs ziit schwer glaublich. Nicht augegeben hat Piper zu I, 17, 9 die
(richtige) lesart von D qnämun; zu V, 23, 70 die dui"ch Graif und jezt wider durch
Müllenhoff Sprachproben ^ s. 83 bezeugte lesart von P : thie (VF thio) seiet filu riche,
wonach die incorrecte ma'sculinform in dieser handschrift mit äusserlicher conse^
quenz auch auf das pronomen übertragen ist. Die im Inhaltsverzeichnis von lib. I
von Graffund Kelle angegebene, selir merkwürdige lesart von V: VIII cur esset
(lesponsata mater Jesu Maria gibt Piper mit recht nicht: im cod. V steht deut-
lich: cum.
Auf der grundlage der neu untersuchten handschriftlichen Überlieferung aber
hat Piper ein ganz neues gebäude von hypothesen über die entstehung und
geschichte des Otfridtextes aufgebaut. Er ist zu einer Wertschätzung der
handschriften gekommen, die von der seit Keiles ausgäbe üblichen abweicht; und
er hat versucht, eine ganze reihe von ,,stadien" in der entstehung und allmäh-
lichen aus- und Umarbeitung des werkes selbst aufzu.stellen und bis in alle einzel-
heiten hinein an den abweichungeu und correcturen der handschriften nachzuwei-
sen. Dieses neue gebäude Pipers kann ich , soweit ich ohne eigene einsieht der
handschriften nach Pipers eigenen angaben und nach inneren gründen mir ein
urteil bilden konte, als ein durchaus sicheres und solides nicht anerkennen. Ich
stelle, um die Orientierung über diese fragen jedem zu erleichtern, erst die vor
Pipers ausgäbe namentlich von Lachmann und Kelle gewonnenen resultate, sodann
die über dieselben hinausgehenden oder von ihnen abweichenden neuen sätze Pipers
zusammen.
Dass die Überlieferung des Otfridschen werkes gestatte, dasselbe bis in die
zeit seiner entstehung zurück zu verfolgen, war schon lange anerkant; doch hatte
sich bisher beobachtung und interesse hauptsächlich auf die Wiener handschrift (V)
concentriert. Von ihr hatte schon Lachraann vermutet, dass die durch die ganze
handschrift gehenden Verbesserungen vielleicht von Otfrids eigener band her-
rührten (Kl. Sehr. I, s. 452; vgl. dazu die aus dem jähre 1834 stammende, erst
jezt gedruckte bemerkung s. 406: „iveil ich mich immer mehr überzeuge, dass
die verbesserringen in der Wiener handschrift von Otfrids eigener hand sind").
Diese Vermutung Lachmanns weiter verfolgend nahm Kelle an, dass der codex V
die erste, nach seiner meinung von zwei verschiedenen bänden gemachte abschritt
des almählich entstandenen Originalentwurfes der dichtung sei (Ausg. II , XXXI),
welche dann der dichter Otfrid selbst durchweg eigenhändig überarbeitet und cor-
rigiert habe ; er erwies die richtigkeit dieser lezten annähme bis zum höchsten
grade der Wahrscheinlichkeit erst durch die art der correcturen selbst (Ausg. I,
161 fg. II, XXXIII fg.); sodann durch die ähnlichkeit der correcturen nach hand-
schrift und art der ausführung mit den vermutlich von Otfrid selbst ausgeführten
correcturen in einer Weissenburger Urkunde (Ausg. II, s. XXXIV fgg. : dazu die
nachbildungen am Schlüsse des bandes tafel III). Kelle aber behauptet, dass von
dnr hand dieses corrcctors nur noch in der widmung an Lintbcrt 6G — 68 an stelle
von zwei ausgekratzten zeilen drei andere gesclirieben seien, während das in T
ÜBER OTFRID ED. PIPER, A. ZUR TEXTKRITIK 83
zuerst goscliriebciie von zwei aTideren liiindeii staniino: also nicht von Otfrid selbst
(I, 159. II, XXXII).!
"Vom Palatinus (P) wies Kelle nach, dass er aus V abgeschrieben sei (I, 159);
er erkante an, dass der sclireiber bemüht gewesen, die Schwankungen der Schrei-
bung zu beseitigen und in die formen mehr gleichtörniigkeit und Übereinstimmung
zu bringen (I, 164), und dass er in lauten, formen und Schreibweise mit dem cor-
rector von V übereinstimme, auch in selbst.ändiger mit dessen principien überein-
stimmender weise die Schreibung von V geändert habe: dass sonach auch anzuneh-
men sei, dass die herstellung des codex in Weissenburg selbst erfolgt sei und der
zeit nach der von V ganz nahe liege (II, s. VIII. XXX). Vernmtungen über die
jxTson des Schreibers von P stelte Kelle nicht auf. Auch von der zerschnittenen
Iiaudschrift D nalim Kelle an, dass sie aus V vielleicht als dedicationsexemplar für
könig Ludwig in Weissenburg abgeschrieben sei (II, s. XXXI). Vom codex Frisin-
gensis (F), als dessen schreiber sich am ende der presbyter Sigihard selbst nennt,
wies Kelle nach, dass er aus V abgeschrieben sei, und zwar in Freisingen vor 905
(II, s. XII. XVIII).
In folge dieser ansieht über das Verhältnis der handschriften legte Kelle für
die con.stituierung des textes überall V zu gründe und bis auf einzelne andeutun-
gen in kleineren schritten (Hügel, Otfrids versbetonung. Leipzig 1869. S. 4:
sowie jezt Schmecke hier, zur verskunst Otfrids. Kiel 1877), die auf einzelne
besser motivierte accente in P hinwiesen, beruhigte sich, so weit es öffentlich
bekant wurde, jeder bei dem Kelleschen resultate, das durch den nachweis einer
vom Verfasser eigenhändig corrigierten reinschrift eine autorität hinstelte, vor der
jede kritik verstummen zu müssen schien: eine textüberlieferung, so sicher wie sie
kaum für irgend ein grösseres litteraturdeukmal älterer und neuerer zeit vorhan-
den ist.
Piper aber will über das von Kelle erreichte noch weit hinausgehn; er ver-
feinert das resultat , zerstört aber die einfachheit desselben , ohne (für mich wenig-
stens) eine gleiche Sicherheit zu erreichen. Die von ihm in der vorrede s. 79 — 250
aufgestelten und ausgeführten neuen behauptungen sind für die verschiedenen hand-
schriften folgende :
1) Schon der grundtext von V ist von Otfrid selbst eigenhän-
dig geschrieben — vermutlich nach einem ersten entwürfe, den Piper unter
dem schönen namen ,, Kladde" (Kl) weiter vorfolgt (s. 5): vermutlich in längeren
pausen , aber schon mit der absieht die einzelnen bücher mit je einem vollen per-
gamentquaternio abzuschliessen (s. 81 fg.). Hierauf ist V zu widerholten
malen von Otfrid selbst durchcorrigiert worden (s. 84 fgg.). Die sehr
zahlreichen correcturen versucht Piper auf eine reihe von stadien zu verteilen, und
1) Einige äusseruugen Pipers könten diu meiaung erwecken, als habe schon
Kelle es ausg:esproolien, dass Otfrid den text von V selbst geschrieben habe. Piper
sagt s. VIII: „es ist mir unbegreiflich, warum bei diesem stände der dinge noch nie-
mand den schluss gewagt, dass auch die Heidelberger handschrift von Otfrid geschrie-
ben sei, auch Kelle nicht usw." S. 80: ,,Dass der schreiber beider handschriften
Otfrid selber gewesen sei, ist, wie für die Wiener handschrift schon von
Kelle geschehen ist, zweifellos." Jeder aufmerksame lescr von Keiles beiden vor-
reden weiss,, dass Kelle dort immer nur correcturen von Otfrids liand meint. Nie-
mals hat Kelle dort auch nur entfernt das angedeutet, was herr Piper ihm kaltblütig
als zweifellose behauptung zuschielit.
6*
84 ERDMANN
zwar meint er zunächst, dass eine anzahl derselben gleich beim schreiben von V
gemacht sei (stadium V, ) , „ leicht kentlich an der sorgfältigeren form der schrift
und der art der correctur" s. 84; andere „nachdem die einzelnen quaternionen
zusammengebunden und numeriert waren" (s. 84), also doch nach Vollendung der
ganzen handschrift (stadium V2). Teils zwischen diesen beiden Stadien (weil nach
Pijters annähme noch vor Vollendung der handschrift V fallend), teils zeitlich spä-
ter sezt Piper noch eine reihe von- Stadien, die auch in V correcturen bedingt
haben, obwol sie, weil von der herstellung der anderen handschriften abhängig,
nach diesen benant sind. Piper nimt nämlich weiter an:
2) Auch der grundtext von P ist von Otfrid eigenhändig aus V
abgeschrieben worden, und zwar wurde P begonnen, ehe V vollendet (d. h.
nach dem zusammenhange: ehe der text bis zum ende in T eingetragen war)
(s. 86 fg.) , und zwar vermutlich weil Otfrid ,, es aufgegeben hatte , V zum dedica-
tionsexemplar zu verwenden, was anfangs seine absieht gewesen sein mochte, son-
dern es zu seinem handexemplar bestirnte" (s. 84). Beim abschreiben aus V wurde
der text in P vielfach gleichmässiger gestaltet und verbessert (stadium P,). Diese
änderungen, die in P gleich richtig hingeschrieben wurden, trug Otfrid dabei nach
Piper teilweise auch (flüchtig als correcturen) in seine vorläge V ein (s. 86) Also
repräsentiert, wie oben bemerkt, das stadium P, auch eine bestimte klasse der
correcturen in V, die Piper hätte mit V3 bezeichnen können (als forniel etwa:
Pj >• V3). 1 Nachdem P vollendet war, wurde es von Otfrid selbst mit accenten
versehen und unter vergleichung von V im ganzen durchcorrigiert (stadium P2);
auch hierbei scheint Piper correcturen in V anzunehmen (V4 < P2); wie er sich
das Verhältnis derselben zu den oben mit V2 bezeichneten denkt, ist mir nicht
klar geworden.
Nach dieser ersten gemeinsamen durchsieht von V und P nimt Piper dann
noch ein besonderes stadium an, in welchem Otfrid selbst an dem in beiden hand-
schriften fertig vorliegenden werke noch gebessert habe (stadium 0,) s. 87. Diese
Verbesserungen soll er zum teil in beiden handschriften gleichzeitig und gleich-
massig, zum teil nur in V seinem handexemplar eingetragen haben. (Also könte
man eine gleichung ansetzen: Oi = V5 > P3). Da Piper schon für sein stadium
P2 eine gemeinsame durchsieht beider handschriften annahm, so kann sich dieses
Stadium Oi von jenem nur durch das spätere beginnen und vielleicht durch die
längere ausdehnung des Zeitraumes imterscheiden , innerhalb dessen diese Verbesse-
rungen ausgeführt sind. Aber auch nachher unterscheidet Piper noch ein Sta-
dium O2 sowol für P als für V, und zwar mit sehr verschiedenen bestandteilen.
Ein teil der correcturen soll ,,auch später noch" von Otfrid selbst gemacht sein,
wenn er „in mussestunden sich in sein werk vertiefte" s. 88 (O2 = P4 -|- Vg);
dass diese annähme schwer zu der s. 15 ausgesprochenen Vermutung stimt, P sei in
manchen punkten unvollendet geblieben, weil Otfrid durch den tod aus der arbeit
abgerufen sei, will ich nicht betonen, da der ganze abschnitt über Otfrids leben
einem früheren stadium der Piperschen ansichten über die geschichto des Otfridtex-
tes anzugehören scheint. Ausserdem sollen aber noch correcturen teils in V, teils
in P, teils in beiden zugleich von dem Schreiber Sigihard beim abschreiben in diese
1) Potenziert wird diese höchst künstliche annähme nonb auf s. 200, wo Piper
meint, dass bei dieser gelegenheit ein teil derselben correetiireii auch in die (frühere!)
vorläge von Y, nämlich Kl , übertragen und aus dieser in die handschrift D gekom-
men seien !
ÜBER OTFRID ED. PIPER. A. ZUR TEXTKRITIK 85
seine vorlagen eingetragen sein (s. 88. 173); also wäre, wenn man will, ein teil
von 0-2 = *P5 -j- * V, ; ja dasselbe wird im Widerspruch mit dem sonst gesagten
sogar behauptet vom Schreiber von D (s. 88. 173); also ein anderer teil von 0.j
iiönte gelten als P« -|- Vg
3) Piper meint ferner (s. 1119 fg.): Die handschrift D wurde nicht aus
V,' sondern aus dem urentwurfc KI abgeschrieben; nicht von Otfrid
selbst, denn die liand sei sichtlich eine andere , aber vermutlich unter seinen äugen
und nach seiner anweisuiig von einem seiner l'reunde. Die zeit, wann dies gesche-
hen sei, suclit Piper dadurcli zu bestimmen, dass der Schreiber von D correcturen
benuzt habe, die in V und P im stadium Oi gemacht seien (s. 202); dies wird
nur möglicli durch die annähme , dass diese correcturen nachträglich von Otfrid
auch n ych in seinem urentwurf Kl eingetragen seien. Über die accente s. u.
4) F ist nach Piper hauptsächlich aus V, aber mit gleichzei-
tiger benutzung von P abgeschrieben, indem der Schreiber Sigihard bis-
weilen dem in P geschriebenen den Vorzug gab, bisweilen seinen text aus beiden
haudscliriftcii combinierte (s. 234 — 237). Piper vermutet, dass die abschrift in
Mainz gescheiten sei, wohin P vielleicht durch Liutbert gekommen sei, und wohin
dann auf veranlassung des bischofs Waldo auch noch die handschrift V aus Weis-
senburg leihweise hingeschickt sei (s. 239). Sigihard habe sich erlaubt, in seinen
vorlagen V und P änderungen zu machen (s. 88. 173).
5) Endlich gewinnen auch die Vermutungen über Kl, den bis jezt nur ange-
nommenen urentwurf des gedichtes , einen tatsächlichen anhält , eine greifbare
gestalt dadurch, dass Piper annimt, in dem blatte 200 des codex P, welches
die verse Hartm. 142 — 168 (und datin von einer anderen band noch des neunten
Jahrhunderts den anfang des Georgsleiches) enthält, sei uns ein Kladdeblatt
Otfrids erhalten (s. 81). Er begründet diese Vermutung durch die wenig sorg-
fältige Schreibung auf diesem blatte, sowie dadurch, dass ihm die ab weichungen
von V gegenüber diesem blatte von P überall als Verbesserungen erscheinen (s. 82).
Meine ansieht über diese fünf Piperschen sätze glaube ich am besten in
umgekehrter reihenfolge angeben zu können.
ad 5. Dass eine Urschrift Kl existiert habe, ist unbedenklich anzunehmen,
wie schon Kelle es annahm : dass das blatt 200 von P aus dieser Urschrift stamme,
ist möglich , aber schwer zu erweisen. Ich muss mich hier ohne einsieht der hand-
schrift jedes eigenen Urteils enthalten. Alles was Piper weiter über spätere cor-
recturen in diesem urentwurfe antiimt, betrachte ich als unerwiesene und wol für
immer unerweisliche Vermutung. Namentlich erscheint mir die annähme (welche
der auseinandersetzung auf s. 202 zu gründe liegt) höchst künstlich und tmwahr-
scheinlich, dass beim abschreiben von P aus V der Schreiber (d. h. nach Piper
Otfrid selbst) , nicht nur in seiner vorläge V correcturen gemacht , sondern auch
diese correcturen in die (frühere!) vorläge von V, d. h. in Kl selbst tibertragen
habe, mühsam zwischen drei pergamentlagen seine arbeit verteilend. Viel eher ist
es möglich, dass viele, wenn nicht die meisten stellen, bei denen der erste Schrei-
ber von V fehler machte, schon in dorn urentwurfe des Verfassers Kl gleich ganz
richtig, wenn auch vielleicht schwer leserlich, geschrieben waren.
ad 4. Dass F nicht nur nach V, sondern nebenher mit benutzung von P
geschrieben sei, scheint mir durch die von Piper s. 235 fg. angeführten gründe
1) Schlecht stimt dazu aber die s. 88. 173. 202 ausgesprochene Vermutung, dags
mfinche oorreotur(>n in V von dem sclireiber von D gemacht seien.
86 ERDMANN
allerdings bewiesen. Ich mache z. b. auf die besonders überzeugende stelle I, 11, 13
(V nist, PF ni si) aufmerksam. Bestehn aber bleibt, dass der schreiber von F in
erster linie V berücksichtigte und in der grossen niehrzahl der fälle dieser hand-
schrift und nicht P folgte. Dies ist eine für die damals kaum 25 jähre nach Vol-
lendung dos Werkes geltende Wertschätzung beider handschriften wichtige tatsache,
die Piper s. 239 zwar anerkent, aber nicht überall gebührend berücksichtigt. Die
ausmalung der einzelnen begebenheiten , welche die gleichzeitige benutzung beider
handschriften ermöglichten , gehört in das gebiet der novellendichtung. Dass aber
der Schreiber von F in seinen beiden vorlagen, bald in V, bald in P, eigenmäch-
tig geändert habe, halte ich für eine ganz ungeheuerliclie annähme Pipers. Es
wäre schlimm, wenn jeder benutzer der liandschriften V und P sich dergleichen
erlaubt hätte. Dem indignus presbyter Sigihard traue ich dazu weder genug Über-
legung und eigenes urteil, noch genug rücksichtslosigkeit gegen seine wertvollen
und berühmten vorlagen zu. Auch hier stelt Piper die einfache und zunächst lie-
gende annähme künstlich auf den köpf, nämlich die, dass die betreffenden correc-
turen in V oder P bereits ausgeführt waren , als der schreiber sie copierte. Bis-
weilen kann es diesem begegnet sein, dass er eine correctur in seiner vorläge
anfangs übersah und erst später in seiner abschritt ebenfals als correctur nachtrug.
Auf mehrere der von Piper dem Sigihard zugeschriebenen änderungen in V komme
ich unten noch zu sprechen. Nirgends sehe ich einen genügenden grund für diese
annähme Pipers.
ad 3. Dass D keinerlei directe beziehung zu P hat, zeigt die vergleichung
der lesarten überall: wol aber steht es dem texte von V zwar nahe, zeigt aber
doch bemerkenswerte abweichungen von demselben. Es bleibt also die frage: Ist D
nach V selbst, oder ist es nach der vorläge von V, der Urschrift Kl angefertigt?
Piper nimt das zweite an ; ich halte es zwar für möglich , aber doch nicht für evi-
dent bewiesen. Im algemeinen ist es schwer glaublich, dass eine so kostbare und
sorgfältig geschriebene handschrift, sei sie nun für den könig Ludwig oder für
einen anderen bestimt gewesen, nicht aus einem bereits zum abschluss gebrachten
und revidierten texte geschrieben sein soll. Die bemei'kenswerten abweichungen
der uns erhaltenen bruchstücke der handschrift D von dem texte der handschrift V
zerfallen in folgende klassen:
a) Orthographische änderungen. So namentlich uim in D gegen uu in V,
wofür Piper s. 201 zwölf fälle anführt; aber ganz consequent ist der schreiber von
D doch nicht, denn III, 20, 56 steht auch in D uuntar gegen uuntar in V, wo
nach Piper mit derselben tinte noch v vorgeschrieben ist. Ebenso sezt D oft d
statt th in V, auur statt afttr (z. b. IV, 3, 14) und ähnliches. Alle diese Schrei-
bungen halte ich nach keiner richtung für beweisend, denn sie können auf ein-
facher mündlicher an Weisung des Verfassers an den schreiber, der ja ein gewanter
kanzlist gewesen sein muss, oder auf eigener gewohnheit desselben beruhen und
brauchen gar nicht in seiner vorläge gestanden haben. Dass Otfrid, wie Piper
annimt , diese orthographischen besserungen in Kl nachgetragen habe , während er
es sogar in V unterliess , ist mir sehr unwahrscheinlich.
b) D hat öfters das in V erst durch correctur einer fehlerhaften Schreibung
hergestelte gleich richtig geschrieben. So I, 15, 4 beitöta er thär suazo thero
druhtines giheizo (nach Luc. 2, 25 exspectans consolationem Israel), wo in V
zuerst geschrieben war betöta. I, 15, 7 dötlies, wo in V erst geschrieben war thö
thes. I, 16, 23 thaz Icind uutmhs mitar mannon (Luc. 2, 40 puer autem erescebat).
ÜBER OTl'ßlD ED. l'll'EK. A. ZUR TEXTKRITIK Ö7
WO in V erst gescliriobon war nuasJ 11, 4, 25 (jieiscöta, in V erst geiscöta.
111, 23, 37 bi(jinnit er, in V erst fehlerhaft hüjinnet ir. III, 23, U thaz ira fahs,
wo in V thaz erst später ,, mit anderer tinto" übergeschrieben ist. III, 23, 49
gilegan, in V erst felilerliaft legan; 54 allaz , V erst al. III, 24, 2 iu er, wo iu
in V übergeschrieben ist. Aucli diese fälle sind nicht entscheidend, denn der Schrei-
ber von 1) kann die richtige, von Otfrid ofleubar überall gleich anfangs beabsich-
tigte Schreibung ebensogut aus Kl entnommen , als sie trotz des noch nicht corri-
gierten felilers in Y nach eigener einsieht gebessert, als auch endlich schon die
correctur in V vor sich gehabt haben.
c) Drittens gibt es fälle, iu denen D etwas bietet, das sichtlich oder ver-
mutlich in V auch gestanden hat, hier aber später verändert ist. Meist gibt auch
die Schreibung von D einen genügenden sinn und kann sehr wol vom dichter zuerst
beabsichtigt sein. So I, 18, 10 engilo kimni, später bekantlich von Otfrid corri-
giert engiUchaz , in P geschrieben engüUchaz. 1, 23, 10 kundiiiti, später in V das
n ausradiert. 1, 28, 14 thio eumnigo uuunni, später in V corrigicrt euiiimgon
(statt -an). II, 5, 7 inan, später in V corrigiert ienan. III, 23, 40 scomio er,
in V das o ausradiert. An zwei stellen aber handelt es sich um einen wirklichen
fehler. Die erste ist I, 16, 23''. Otfrid dachte hier ohne zweifei an die in der
kirchlichen poesie später nicht selten benuzte stelle cant. cant. 2, 2 sicut lilium
inter spinas , und er hat nie etwas anderes beabsichtigt, als : sö'^lUia untar thornon.
In D aber steht (abgesehn von dem Schreibfehler antar) sehr unpassend: chornon,
und ebenso hat vielleicht unter der von Pijier angemerkten rasur in V gestan-
den. — Zweitens war 1 , 15 , 34 in V statt töd erst das unsinnige thoh geschrie-
ben, und denselben fehler hat auch D. Diese fälle Hessen sich allerdings durch
abschrift von D aus Kl erklären, wo vielleicht I, 16, 23 das t von thornon so
undeutlich geschrieben war , dass sowol der schreiber von V als der von D , da
beiden die biblische anspielung nicht geläufig war, es für c lesen konteu. Aber
ebensogut kann D aus V abgeschrieben sein, ehe diese correcturen in V gemacht
Avaren , wie wir dasselbe in vielen anderen lallen für P annehmen müssen (s. s. *J1).
d) Endlieh gibt es fälle , in deuen D in werten oder Wertformen von V ganz
abweicht. Von blossen Schreibfehlern, die namentlich in den stücken des zweiten
und dritten buches auch in D vorkommen, sehe ich ab. Ein Schreibfehler ist wol
auch III, 20, 132 tho statt thü. Aber es gibt ziemlich viele abweichungen , für
die ein grammatischer oder stilistischer oder metrischer grund sich anführen lässt.
1, 15, 3 V er uuas goteforahtal loh rehto er lebeta uharal. In D fehlt das zweite
er; dies geschieht bei Otfrid oft genug, so z. b. sehr ähnlich II, 6, 6. Die syna-
1) Diese stelle Luc. 2 , 40 ist nochmals benuzt am Schlüsse eines sonst nach
Matthaeus gearbeiteten abscbnittcs I, 21, 15. 16, und zwar hier combiniert mit einer
anderen (Luc. 2 , 52), die dann I, 22, 61. 62 nochmals ähnlich aber weniger genau
widergegeben wird. Sehr ähnlich sind auch die schlussverse von I, 10 (nach Luc. I, 80),
die sich auf Johannes beziehen. Ofienbar zeigt sich in dieser viermaligen benutzung
desselben gedankens zum ubschlusse eines kapitels ein bestreben künstlerische iibrundung
und zugleich wechselseitige beziehung zwischen den verschiedeneu gliedern des ganzen
herzustellen. Widerholte benutzung derselben evangeliensteile findet sich sonst bei Otfrid,
abgesehen von den recapitulierenden schluss- und eingangscapiteln, nicht. Nur einmal
kernt es vor, dass eine früher ausführlich erzählte geschichte (II, 11, 1 — 30 nach
Joh. 2, 12 — 16 mit hinzuzLehung einiger worte aus Mt. 21, 12. 13) nochmals nach der
fassuiig von Mt. 21, 12 kurz erwähnt wird (IV, 4, 65 — -66).
löplie des o fält dadurch fort. I. 15, 19 V inti alla uuurolt rinlt. In D fehlt alla;
dadurcli fält die synalöphe des i fort. I, 15, 23 V thes kiudes fater ; D ther kin-
des fater, weniger passend , aber mit manchen parallelstellcn aus Ütfrid zu vertei-
digen. I, 16, 21 V thio buuh; D correct thiu. I, 18, 44 V er güeitit thih heim;
D ther. I, 19, 21 V emiyan nun; D eiganan. I, 23, 13 V erlicho imo guganlin
(aber I, 25, 2 ingaganta); D imo ingagantui. II, 4, 8 V ingung therera uiiorolti
(bei uuorolt sczt Otfrid gewöhnlich dies pronomen); D thera. II, 4, 22 V wol
fehlerliaft heriduames, D herduames. II, 6, 2 V im is, D iz nu. II, 6, 11 lüaz
inan uualtan, D liaz, was einen ganz guten sinn gibt, aber den bibclworten weni-
ger genau entspricht. III, 20, 124 nü so zi frägänne; das so fehlt in D, aber
auch in F. Vielleicht hielt der schreiber nacli nü das so für iibertiüssig. III, 23, 8
V siner liobo; D sin liobo , so dass die Senkung fehlt. III, 24, 17 \ uueiz ihthoh;
in D fehlt ih (s. o. I, 15, 3), was bei uaeiz öfters vorkomt (V, 5, 5. 10, 8).
IV, 2, 18 V thie selben fuazi, D correct selbun. IV, 3, 7 '^ fehlt in D das zur
construction der folgenden Worte nicht stimmende thaz. IV, 3, 16 V üzer, D cor-
rect üzar. Auch F schreibt üzzar. Ich erkläre mir diese Schreibungen am lieb-
sten als änderungen des Schreibers von J) , der nicht nur ein gewanter kanzlist,
sondern aucli ein dem werke mit Verständnis und teilnähme sich hingebender mann
gewesen sein muss ; vielleicht war er vom Verfasser zu redactionellen änderungen
autorisiert und hat manches mit absieht, manches bei einiger Vertrautheit mit
Otfrids sprachgebrauche ohne es selbst zu merken anders geschrieben, als es in
seiner vorläge stand. Bei diesen Voraussetzungen könte ich mir selir wol V als
seine vorläge denken und könte Pipers annähme, dass er nach Kl geschrieben
habe, entbehren. In jedem falle aber ist D als eine selbständige, wahrscheinlich
vom Verfasser autorisierte, wenn auch vielleicht nicht so genau revidierte ausgäbe
des Werkes zu betrachten. Namentlich ist auch, wie Piper selbst bemerkt, die
accentuation in D eine selbständige, und sie ist nicht ohne weiteres ilirem werte
nach der in den anderen handschriften überlieferten unterzuordnen, namentlich nicht
der oft recht schlechten von P (s. u.).
ad 1 und 2. Als die wichtigste und schwierigste bleibt noch zurück die
frage nach entstehung und autorität von VundP. Gewiss kann über die aus beob-
achtung vieler tausend eiiizelheiten gewonnenen sätze Pipers nicht leicht und
schnell abgeurteilt werden ; doch bleiben mir nach prüfung derselben , soweit ich
sie ohne eigene einsieht der handschriften vornehmen konte, sehr schwere beden-
ken, die ich möglichst nach den einzelnen fragen gesondert hier vorbringen will.
Die erste frage ist: Wer hat den ersten text von V geschrieben
und wer hat ihn corrigiert? Gegenüber den früheren ansichten behaup-
tet Piper entschieden , dass eine einzige band den ganzen text geschrieben habe,
und dass diese mit der band dos correctors, d. h. Otfrids, identisch sei. Über die
äusseren gründe kann ich mir kein abschliessendes urteil erlauben; ich kann nur
bemerken , dass mir in dem Kelleschen facsimile die band des correctors doch aller-
dings sehr verschieden zu sein scheint von der band , die den ersten text geschrie-
ben hat; und ich darf hinzufügen, dass ein so bedeutender handschriftenkenner wie
Joseph Haupt nach mir gütigst gemachten mittel lungen , auf die ich unten noch-
mals zurückkomme, nicht nur zwei, sondern noch mehr, wenn auch derselben
schule angehörige, so doch individuell verschiedene bände in V erkennen will. Die
Übereinstimmung in ,,schreibgewolniheiten'- nebst der art des radierens und ein-
kratzens , auf die Piper widerholt grosses gewicht legt, kann ebensogut einem eng
verbundenen kreise von genossen in einem kloster als einem einzelnen eigentüm-
ÜBEK UTl-'ßll; HD. rii'iUl. A. ZUR TEXTKRITIK 89
lieh ycwcaeii äciii. Dasselbe yilt noch mehr von den schwaukungen der Orthogra-
phie und den doch nirgends ganz conscquent und einheitlich durchgeführten ände-
rungen derselben. Das wichtigste und entscheidendste aber sind für mich die
inneren gründe, d. h. die betrachtung der worte nach form, bedeutung, Zusam-
menhang. Ich finde viele Worte in dem noch lesbaren ersten texte von V, die der
Verfasser selbst mit bewustsein nicht geschrieben haben kann, und bei denen die
annähme von versehen oder Schreibfehlern gerade für ihn selbst mir sehr schwer
glaublich ist, während derartige versehen bei einem mit dem zusammenhange des
ganzen noch nicht vertrauten, am einzelnen haftenden abschreiber trotz des besten
willens wol vorkommen konten. Gerade ungewöhnlichere und schwierigere worte
und Verbindungen, die dem Verfasser selbst nicht so leicht wider entfallen konten,
sind von dem ersten sehreiber öfters so widergegeben , dass man ein misverständ-
nis oder den versuch einer eigenen deutung annehmen muss. Öo an der schon
oben für D besprochenen stelle 1 , 15 , 4. Ein abschreiber mit halbem Verständnis,
der beim aufenthalte im tempel vor allem ans beten dachte, konte achrc'ihen'hetüta,
nicht der autor, der einmal übersezt hatte Luc. 2, 25 exspcctans consolat to-
ne m Israel, Ebenso I, 16, 8, wo in V zuerst geschrieben war kundta thas ira
ser statt des vom dichter offenbar gleich beabsichtigten kümta. Ebenso I, 16, 23
iiaas statt uuuahs (derselbe fehler war auch gemacht I, 10, 27) und wahrschein-
lich chornoH statt thoriion, s. o. I, 24, 6 war dem sehreiber von V (ebenso wie
später dem von F) das compositum rehtdeila nicht geläufig, und er hatte dafür
etwas anderes geschrieben, das der corrector vernichtete. In den sätzen III, 2, 13
ob er giloiihti ubaral. III, 23, 37 bicjinnit er es nahtes konte ein durch die beide-
mal kurz vorher gebrauchte zweite person plur. irre geführter sehreiber darauf kom-
men zu schreiben ir (jiloubit, biginnet ir, nicht aber der Verfasser, wenn ihm der
Zusammenhang seiner sätze einigermassen klar war. Als ähnliche fehler der ersten
schrift von V, die später meist corrigiert sind, betrachte ich I, 17, 68 tlür statt
thiz. 1 , 18, 2 einigan oder einigaz statt eigan. 1 , 19 , 7 wahrscheinlich githinges
statt biginnes. I, 20, 23 bezent statt lezent; 31 mtdaz statt inid iz. I, 21, 5 In-
bringe statt bibringe. 1 , 24 , 6 einiges statt eiganes. II , 5 , 22 heriduames (nicht
corrigiert) statt herduames. II, 9, 96 duat im reim auf muat statt diient. II, 14, 89
bi then uuän min statt M then uuänin. III, 3, 1 thiz ist uns gizämi statt thiz
ist uns ungizämi. III, 5, 6 nach Pipers Vermutung tJiia sela statt tliera sela.
III, 7, 53 so imer statt so uuär. III, 14, 80 er brast statt es brast ; der sehreiber
von P und Piper haben den in V zuerst geschriebenen fehler in ihren text auf-
genommen III, 22, 3 folget statt folgent. IV, 5, 33 gileggen (conj. wegen des imp.
34"-) statt des otfridischen ind. gileggent. IV, 13, 29 theiz allesuaio ni tumrti,
wo das später ausradierte ni ein misverständnis des Schreibers zu bezeugen scheint.
Mit passendem ni steht dieselbe formel IV, 27, 29. V, 9, 36.
Auch die vereinzelten syntaktischen Ungeheuerlichkeiten, die im
texte von V unleugbar stehn geblieben sint, könte ich mir am besten durch einen
wenig verstehenden und auf äusserlichkeiten i^wie z. b. genau klappenden reim, auch
wo der Verfasser üju nicht hergestelt hatte) bedachten abschreiber erklären. Viel-
leicht fand derselbe in seiner vorläge, dem urentwurfe des gedichtes, auch öfters
eine erst als versuch hingeschriebene fassung des verses ungenau oder nur teil-
weise geändert vor, oder es standen zwei verschiedene fassungen da, die er in
unverständiger weise combinierte. Der corrector hat an diesen wenigen stellen die
fehler entweder übersehen , oder er war nicht gleich entschlossen , was er statt des
fehlerhaften einsetzen solte und liess es deshalb ungeändert. So mag der uns vor-
90 EKDMANN
liegende text entstandeu sein I, 2, 5. I, 4, 6. 7. 62. IV, 3, 7. IV, 6, 27. IV,
24, 6, vielleicht auch IV, 18, 28, und es kann jeder versuchen, sich die entste-
hnng dieser uiis- oder mischconstructionen zurechtzulegen. An der stelle IV, 3, 7
scheint die Überlieferung in D einen bestirnten anhält dafür zu bieten.
Ahnlich können bisAveilen auch auffallende wortformen in 'den text von V
gekommen sein. Vielleicht ist das mir sonst sehr auffällige eigiscota I, 17, 43 V
nichts als ein falsch gelesenes eiscöta mit übergeschriebenem yi- (Zupitza in dieser
ztschr. II, 366); vielleicht auch I, 23, 10 kundinti VDF nichts als ein falsch gele-
senes Tcimdti mit übergeschriebenem in, d. h. in kundti oder auch kundti in =
er fuhr um ihnen das zu verkünden; vgl. zum sinn der stelle v. 5. 6, zur con-
struction II, 2, 12 und meine unters. I § 288. Doch das sind nur Vermutungen.
Nach alledem zeigt sich bei dem Schreiber von V, wenn es ein einziger war,
oder bei den mit der herstellung der reinschrift beauftragten Zöglingen derselben
schule ein mangel an Übersicht über den Inhalt und Zusammenhang der worte und
Sätze, 'den ich dem Verfasser selbst nicht zutraue: und ich glaube deshalb nicht,
dass Otfrid den ersten text von V eigenhändig geschrieben habe. Selbst wenn es
übrigens so wäre, würde darauf wegen der vielen fehler des ersten textes kein
grosser wert zu legen sein. Wol aber habe ich keinen grund, von Keiles bis zum
höchsten grade der Wahrscheinlichkeit erwiesener behauptung abzugehn, dass der-
jenige, welcher die fehler des ersten Schreibers mit wenigen ausnahmen sorgfältig
corrigierte und dann auch über den ersten entwurf hinaus am texte änderte und
besserte, der Verfasser Otfrid selbst gewesen sei. Nur der Verfasser hatte veran-
lassung und berechtigung zu änderungeu wie I, 25, 17 diurer statt gitater (wol um
das schon v. 16 gebrauchte wort zu vermeiden und zugleich einen volkommenereji
reim herzustellen); I, 18, 10 cngilichaz statt engilo; V, 23, 201 fuarent und rua-
rent statt des schon 197 gebrauchten sg. ftmrit, ruarit (s. u.) und viele andere,
s. Kelle I s. 161. II s. XXXIII. Dass diese besserungen almählich in verschiede-
nen Zeiträumen gemacht sind, ist nicht mir an sich wahrscheinlich, sondern wird
auch dadurch bewiesen, dass ziemlich viele derselben in P nicht stehen und also
noch nicht gemacht waren, als Paus V abgeschrieben wurde (s. u. , und vgl. über
D oben s. 88). Manche änderuugen in V müssen aber auch von unberufener band
gemacht sein , wie die von Piper (nicht von Kelle) zu II , 20 , 13 angegebene des
richtigen thär in das unverständliche thaz; I, 22, 53 die rasur des erst richtig über
mir geschriebenen /* (= mih). Über die acceute spreche ich unten.
Die nächsten fragen sind: Wer hat den ersten text von P aus V
abgeschrieben und wer hat ihn corrigiert? Wie sind die abwei-
chungen beider handschriften zu beurteilen? Piper behauptet zunächst
aus äusseren gründen die Identität des ersten Schreibers von V und von P. So
weit ich nach dem facsimile bei Kelle urteilen kann , haben beide bände allerdings
grosse ähnlichkeit, doch weiss ich nicht, ob diese ähnlichkeit genügt um beide für
identisch zu halten. Alle Übereinstimmungen in ,,schrcibgewohnheiten," die Piper
s, 55 — 58. ^^ fg. hervorhebt, könte ich mir sehr wol aus gleicher gewöhnung eines
engverbundenen kreises mehrerer erklären; ähnliche gewohnheiten in zusarameu-
ziehung und trennung der worte finden sich z. b. auch bei dem schreiber von D.
In der Orthographie von P sucht Piper eine im vergleich mit der von V consequent
und coustant fortschreitende reform nachzuweisen , aber in sehr vielen fällen gelingt
ihm dies nicht, und er muss häufig wider rückläufige bewegungen oder unberechen-
bares schwanken constatieren. Merkwürdig ist dabei nur, dass er bald jene conse-
quenz, bald dieses scliwankeu zum beweise der Identität des Schreibers beider band-
ÜBER OTFEli) ED. l'IPEK. A. ZUR TEXTKRITIK Öl
sclirifteu anfühlt. Dass OttVid (ebenso wie seiner zeit Klopstock) viel über deut-
sche urthograpliie nachdachte, sehen wir schon ans seiner widniung an Liutbert;
aber er kann diese neigung auch seinen Schreibern mitgeteilt oder mit ihnen
gemeinsam gehabt haben. Dass in Pipers massenhaften citaten hier und da fehler
vorkommen, ist leicht erklärlich; z. b. ist s. 107 (ur. 38) das verliältnis von k zu
ch I, 1, 63 falsch augegebi-n. Aber auch algemeinere behauptungen sind nicht
ganz richtig. Ohne einschränkung gilt der satz (s. 106) nicht, dass P keine
Orthographie ausweise, die nicht in V auch vertreten wäre. IV, 19, 39 P bischof
ist isolierte Schreibung eines einem klosterbruder doch gewiss geläufigen Wortes;
ebenso , so viel ich weiss , die einschiebung des p in III , 4 , 22. 10 , 5 kümpta,
I, 13, 14 youmptun; ebenso ist isoliert II, 2, 37 giuuunxsti; I, 20, 19 zachari statt
zahari. ÜAl flrliache. Die kürzungen für fcmi in P mannigfaltiger als in V (s. 57).
Ich meine jedoch, dass aus diesen übereinstimmungeu und abweichungen
die identität des schi-eibers beider handscliriften weder bewiesen noch widerlegt
werden kann. Ich lege auch hier vor allem gewicht auf diejenigen abweichungen
zwischen V und P, die eine äuderung der worte nach form, bedeutung, Verbin-
dung enthalten. Sie sind sehr zahlreich und sehr verschiedener art. Ich suche die
wichtigsten zur eutscheidung der frage nach der person des Schreibers und nach
art seines Verhältnisses zur vorläge P in gruppen zu ordnen.
a. Oft ist dasjenige, was in V erst durch correctur hergestelt
ist, in P sofort richtig hingeschrieben. Die einfachste erklärung dafür ist
natürlich, dass die handschrift V an diesen stellen bereits corrigiert war, als der
Schreiber von P sie abschrieb. Piper aber denkt sich die sache (s. 86 u. a.) so,
als ob der Schreiber eben erst beim abschreiben die correctur machte, sie in P
richtig hinschrieb uud ,,danu" oder „zugleich" in seiner vorläge V corrigierte.
Erklärlich wäre diese annähme nur, wenn eben Otfrid selbst beide texte geschrie-
ben hätte: auch dann bleibt sie höchst künstlich und jedenfalls nicht sicher zu
beweisen, und ich bleibe hier (ebenso wie für F und D) bei der zunächst liegen-
den annähme, dass die vorläge an diesen stellen bereits corrigiert war, als die
abschrift gemacht wurde. Sicher lässt sich dies aus der art der Überlieferung
schliessen z. b. 11, 8, 41. In V war (vielleicht schon in folge eines Versehens)
zuerst geschrieben: thie man, thie thdr tJioh scanUun; der corrector bezeichnete
das thoh an dieser stelle durch unterstreichen als ungültig und schrieb ein tholi
hinter man mit einschaltungspunkten über. Der Schreiber von P schrieb erst
mechanisch beide ihoh ab: thie man thoh, thie thar thoh scanktun ; später erst
wurde durch rasur das zweite getilgt.
b. Ziemlich häufig aber komt es auch vor, dass eine in V gemachte
correctur vom ersten Schreiber von P nicht benuzt ist und entweder
auch dort erst später durch correctur nachgetragen ist oder in P überhaupt gar
nicht steht. Die art der correctur, die nicht leicht übersehen und nicht leicht
verachtet werden konte, zeigt in vielen fällen deutlich, dass diese correcturen
in V erst ausgeführt sind, nachdem P aus V abgeschrieben war, und
soweit wir sie für besserungen von der band oder im sinne des Verfassers halten
müssen , bestimmen sie den höheren wert von V gegenüber P. Piper sucht viele
solcher correcturen nicht auf Otfrid selbst, sondern auf den schreiber von F zurück-
zuführen, eine annähme, die ich schon oben für höchst imwahrscheinlich erklären
nmste. Ich gebe eine samlung solcher in V erst nach der herstellimg von P
gemachten correcturen , indem ich einige besonders lehrreiche fälle ausführlicher
bespreche. Im Inhaltsverzeichnis von lib. I stand in V Cupitnlae; später ist das e
92 ERDMANN
radiert. P schreibt Capüiilae und widerholt denselben fehler bei lib. III, wo er
in V nicht stand. Vgl. auch I, 18, 1 imjsticae. 1,2,3 fingar thinan dua ana
iiiaiid miiutn schreibt P nach der ersten Schreibung von V ; später ist in V anan
corrigiert (Gratf präp. s. 76). I, 5, 6 itins in V von P copiert; später in V das
H radiert. I, 5, 60 leidenti, das Piper als part. von leiden in den text sezt; spä-
ter in V das allein passende leitenti hergestelt, vgl. I, 16, 7. I, 17, 50 thinge
mit fehlender Senkung; später in V corrigiert githinge. I, 23, 3 stimna in V aus
stimiiia durch rasur gemacht; P schreibt gegen seine sonstige gewohnheit stimma.
I, 28, 14 thio euulnigö uimnni; V sezt später ein n hinter das adj., so dass her-
auskomt euuinigon , was auch in D steht , offenbar um die von Otfrid beabsichtigte
schwache adjectivflexion herzustellen (wenn auch -on statt -un). Diese äuderung
würde P ohne frage benuzt haben, wenn sie ihm schon vorgelegen hätte. — I, 22, 17
stand in V hidrogeniu; P verschlechterte es in hidivginiu ; der corrector von V
stelte dann das für Otfrid correcte bidrogeim her. F combinierte aus V und P
sein bidrogeiiiul — I, 22, 29 war in V im reime auf not zuerst geschrieben uuida-
rot; danach wurde in P geschrieben mit assimilation imidorot. Erst später wurde
in V das dem worte gebührende, wenn auch den reim verschlechternde r eingefügt:
uuidarort , wahrscheinlich von Otfrid selbst, gewiss nicht, wie Piper meint (s. 115)
von Sigihard, der in F sein uuidorort aus V und P combinierte. Merkwürdiger
weise sezt Piper diese Schreibung von F in seinen text. — II, 1, 11 then anaginni
ni fuarit, wie zuerst in V stand, war vielleicht nur ein irtum des Schreibers; P
schreibt ihn nach. Später wurde durch rasur hergestelt: anagin ni, was in jedem
falle eine metrische und lexicalische besserung ist, die wir sehr wol Otfrid selbst,
nicht dem Schreiber von F (Piper .s. 173) zutrauen dürfen, und die P gewiss benuzt
haben würde, wenn sie ihm vorgelegen hätte. — H, 3, 54 sangta mit roter tinte
in saiikta corrigiert; P sangta. II, 20, 11 V erst aus misverständnis sie, was P
copierte; später in V corrigiert sia. II, 12, 56 intfähent als 2. pl. ; in V später
das correcte intfähet hergestelt. II, 14, 45. 102 emmizen durch rasur hergestelt
aus dem von P lopierteu emmizigen. II, 14, 67 stand in V wahrscheinlich das
schwer zu lesende loh souh , das P als ioli si ouh copierte ; später ist in V das
entbehrliche s ausradiert. II, 22, 17 stand in V mithot, was P copierte; später
corrigiert in V mithont, was F nicht übersehen hat. III, 6, 50 higondutn statt
bigondun. V, 8, 55 thiu, V später corrigiert the.
Lehrreich ist besonders die stelle V, 23, 201 fg. In V stand zuerst:
201 thaz spil, tliaz seiton fuarit ioh'man mit hanton ruarit,
202 uuh mit bläsanne, thaz hörist thu allaz thanne ;
203 thaz niuzist thu io geltcho thär scöno geistlicho,
204 iz ist so m alauuäri in himile gizämi.
Die vcrsc 201—202, welche die v. 197—199 einzeln aufgezählten Instrumente
noch einmal, sie in zwei klassen gruppierend, zusammenfassen, haben so auch
einen sehr guten sinn, wenn mau nur nicht, wie Piper unerklärlicher weise tut,
das auf spil zurückweisende relativpronomen thaz als subjcct von fuarit, und seiton
als acc. pl. ansieht. Er scheint zu denken, spil könte im ahd. ein musikalisches
Instrument bedeuten. Gemeinsames subject in fuarit und ruarit ist vielmehr man,
und seiton ist dat. instr. plur., durchaus entsprechend dem mit hanton 201'', und
mit ihm zusammen gegenübergestelt dem mit bläsanne 202 \ Zu übersetzen ist:
das spiel , das ein (irdischer) mensch mit saiten hervorbringt und mit händen erregt
(= die musikalischen Idänge, die ein irdischer mensch mit von den händen geschla-
genen saiten hervorbringt), oder auch durch blasen (der instrumente) : das hörst
ÜBER OTFRID ED. PIPER. A. ZUR TEXTKRITIK 93
(hl dann aUei< — das fieniessest du immerfort dort in geistlicher weise (d. h. ohtie
rertuittlunfj köri^erlicher tverl'seuffe): so ist es fiirtvahr im kimmel f/eziemend.^
Zu beachten ist auch, dass in V gerade die drei den gegensatz bildenden worte
seitön — hanton — Idäsanne, und zwar nur sie allein in den betreffenden halb-
versen, accentuiert sind. Der Schreiber von P schrieb da.s in V stehende einfach
ab , nur einen accent auf spil hinzufügend : wäre die (in Keiles facsimile tafel III
mitgeteilte) änderung in T damals schon ausgeführt gewesen, so hätte er sie nicht
übersehen können und gewiss aufgenommen. Später nämlich veränderte der
corrector in V die beiden verbalformen in den plural: fuareut, ruarent,
wahrscheinlich weil ihm die widerholung der eben schon v. 197 gebrauchten singu-
larfornien anstössig war. Diese corrcctur kann sehr wol als von der band und im
sinne Otfrids ausgeführt gelten und braucht nicht als änderung der construction
aufgefasst zu werden , da man auch nom. plur. sein kann und auch ohne thie allge-
mein gebraucht wird, z. b. II, 17, 21; (gegensatz dann thero engilo sang, v. 179 fg.).
Der Schreiber von F folgte dann später, wie gewöhnlich, dem corrigierten texte
von T, nicht dem von P: ob er vielleicht seiton jezt als nom. plur. auffasste, ist
nicht zu entscheiden.
c) Sehr zahlreich ferner sind die fälle, in denen P von V überhaupt
abweicht. Unter diesen abweichungen sind zunächst solche, die entschiedene
Verschlechterungen sind, Verschlechterungen in der auswahl der worte, der
wortformen , der constructionen , wie sie wol ein halbverstehender und falsch reflec-
tiercnder Schreiber, nicht aber Otfrid selbst mit bewustsein gemacht haben kann.
II, 8, 37 T thö quad er, tliaz sie skanctin, zi themo heresten sih utiantin (nach
Job. 2, 8 et dicit eis Jesus: haurite nunc et ferte architriclino). Ganz unpassend
und auch durch streben nach vervolkomnung des reimes nicht entschuldbar ist die
erste Schreibung in P : santin , die deshalb auch vom corrector als fehlerhaft erkant
und in seanctin cnrrigiert ist. — III, 12, 40 {thaz thü) then insliazes, thie thü
tharazna giliazes. Der Schreiber von P sezt statt des vom dichter mit feiner Über-
legung gebrauchten (vgl. I, 11, 8. V, 22, 12. 23, 8) verbums das ihm geläufigere,
aber weniger bezeichnende giläzes. Pi])er s. 136 vermutet selbst ,,ein beim abschrei-
ben begegnendes raisverständnis." Er sezt es aber in den text.
I, 25, 12 V ims limphit, uuir mit uuillen guatalih irfullen nach Matth. 3, 15
. . sie enim decet nos implere omnem justitiam. Abhängiger conj. ohne conjunction
findet sich bei dem verbum noch V, 9, 45 ja lamf, . . er al iz so irfulti; thaz mit
conj. I, 22, 54 limphit mir, theih uuerbe. II, 12, 67. III, 20, 13; der inf. ist bei
1) Zur grammatischen erklärung meiner auf den ersten blick vielleicht auffallen-
den construction führe ich an: a) die gleiche Stellung des gemeinsamen subjects findet
sich z. b. I, 1, 39 tfurz tliärana singe, iz seovo man gifienne (s. diese zeitschr. V, 339).
II, 7, 63 er thih holoti ioh Philippus giladöti u. a. h) fuaren = hervorbringen findet
sich kurz vorher v. 197 al, thaz Organa fuarit = Alles [spiel, alle musik) , was die or gel
hervorbringt, d. h. erschallen liisst. Dass ruaren , welches v. 197 reflexiv stand, hier
neben fuaren ebenfalls mit dem factitiven acc. tl(az [spil) verbunden ist, ist nicht auf-
fallend; möglich auch, dass die verbimUmg thie seifon ruaren Otfrid dabei unklar vor-
schwebte, c) mit nur bei einem von zwei verbundenen instrumentalen dativen steht
auch III, 26, 44 {fallent sie) speron ioh mit suerton. I, 25, 28 mit snabulu ni uuinnit
ioh fuazin ouh ni krimmit. III, 24, 102. Ähnliche Verbindung zweier in ungleicher
weise an der handlung beteiligten gegenstände im dat. instr. ohne mit V, 20, 63 hanton
ioh ouh ougon biginnent sie nan scouon.
94 ERDMANN
Otfrid ganz unerhört. P sclireiht mir statt imir, was entweder sclircib fehler , oder
eine ganz alberne, zum bibeltexte und zu Otfrids Sprachgebrauch nicht passende
ändei'ung ist. Piper sezt sie in den text und vei'sucht sogar sie zu verteidigen. —
I, 25, 20 ih uuäne , therer fidle allaz , thaz ih uiiolle (später corrigiert uniUe).
P schreibt aus versehen oder absichtlich das weniger bezeichnende ther statt therer,
wobei zugleich durcli fehlende Senkung der vers schlechter wird. Der corrector
schreibt, um diese herzustellen: irfulle. Sowol einfaches füllen (I, 2, 50. II, 19, 27.
III, 20, 134. V, 23, 192) als auch irfullen (I, 24, 19. II, 14, 102) entspricht in dieser
bedeutung Otfrids sprachgebrauche. — II, 4, 3 V er fastUa unnöto thär niiman hwnt
zito , 4 sehszitg ouh tharmiti in uuär usw. ütfrid hat, wahrscheinlich der mysti-
schen Zahlenspielerei irgend eines commentators folgend , die 40 tage in 960 stun-
den verwandelt. Nach Pipers losung steht in P das ganz ungeheuerliche sehs ziit
(Kelle las sehszut, vgl. in F V, 13, 19 finfzu(jht : gihugt). Wenn der Schreiber von
P hier nicht ganz gedankenlos gewesen ist und wirklich sehs ziit, d. h. sehs ziti
oder zito mit elision des lezten vocals hat schreiben wollen , so hat er nicht gewust,
dass hier 40 mit 24 zu nmltiplicieren war, und kann also nicht der Verfasser gewe-
sen sein, der diese multiplication an dieser stelle früher ausgeführt hatte. — III,
14, 79 so uuer so thes ruahta, thaz fruma zimo suahta, 80 uuizist iz in alauuär,
es ni hrast imo thär. Nur so konte Otfrid construieren, bei dem bristit. etwa
20 mal unpersönlich mit sächlichem gen. steht, während eine Verbindung dieses ver-
bums mit persönlichem subject bei ilim ganz unerhört ist. Der durch es angedeu-
tete sächliche Inhalt ist ganz gleich dem vorher durch thes bezeichneten. Hätte
Otfrid, wie Piper meint, ausdrücken wollen: er fehlte ihm nicht, so hätte er den
gen. sin gesezt wie IV, 15, 57; min V, 16, 46. Nach Kelle (I s. 160) steht auch
in V es, nur undeutlich geschrieben. Nach Piper war in V erst er geschrieben;
das würde ein vielleicht durch das auslautende r dos vorhergehenden wortes ver-
anlasster Schreibfehler sein, den der corrector selbstverständlich in es verbesserte.
Der Schreiber von P schrieb er; ich will zu seiner ehre annehmen, dass dies auch
nur ein schreibe- oder lesefehler war, nicht eine bewuste änderung der richtigen
construction in eine falsche, obwol wir allerdings derartige dinge bei ihm finden
werden. Piper sezt dies er in den text und meint, es sei erst eine künstliche Ver-
änderung, die der Schreiber von F eingetragen habe! Piper verdreht den einfachen
Sachverhalt einer künstelei zu liebe. — Dieselben worte es und er sind in noch törich-
terer weise vertauscht I, 19, 24. In V stand; sume quedent ouh in uuär, thaz es
uuärin zuei jär (über den gen. meine unters. II § 190). Der Schreiber von P
(wahrscheinlich beeinflusst von I, 19, 23'' er fiar jär thär niiäri) schrieb dafür:
thaz er uuär im, zuei jär, wobei das in ganz unverständlich bleibt. Piper sezt die
alberne änderung in den text. — Nicht ganz so schlimm , aber jedenfalls eine Ver-
schlechterung der construction, die dem Verfasser selbst nicht zuzutrauen ist, ist
auch die änderung an den stellen IV, 22, 1 V ih uueiz , es uuirdig ni uuarä,
2 thaz thaz . . . (PF er). 11, 8, 40 VF es uuiht ni quam imo ouh in uuän (P iz).
S. Kelle II, 324. — I, 15, 45 ioh uuuntöt ferah thinaz uuäfan fihi uuassaz,
46 bitturu pina thia selbün sela thtna. P schreibt uuuntont, entweder durch mis-
verständliche Verwechselung mit den vorhergehenden pluralformen 43 abahönt,
44 firsprechent , oder durch unpassende grammatische klügelei bewogen, weil näm-
lich zwei subjecte {uuäfan und pina) zum verbum zu gehören schienen. Beides
ist für den Verfasser selbst sc^hwer glaublich. Piper sezt uuuntöt in den text, folgt
also hier seiner verliebe für P nicht. — Ebenso scheint mir II, 3, 2 niazent statt
niazet in P auf versehen oder raisverständnis zu beruhen, vgl. Kelle II, s. 43;
ÜBER OTFEID KD. PIPER. A. ZUR TEXTKRITIK 95
II. 19, 16 ist aus dem zuerst in P geschriebenen minnönt vom corrector das rich-
tige minnöt hergestelt. II, 6, 3 ist ir in P, das Kelle ganz übersehen hat {Schil-
ter hat es), ein blosser .Schreibfehler gegen er VDF. Piper sezt beidemal die
iucorrcctheiten von P in seinen text. — I, 17, 9 tliö qiiämun (VD) östana in thaz
hint, thie irkantan suunün fürt ist ohne jeden anstoss. P schreil)t quam mit
einem punkte, der nach Keiles angäbe etwas über der zeile steht: quam. Viel-
loielit hat der sclireilier nur die abkürzung andeuten wollen. In jedem falle ist der
sing, quam nicht zu verteidigen : die von mir Unters. II § 42 fg. zusammeugestel-
ton fälle des sing, verbi bei pluralisclien nouion sind alle anderer art. Dass F
ihn sezt (ohne punkt) , bezeugt nur die Unselbständigkeit, mit der sich der Schreiber
liiur von P leiten liess. Piper sezt quam in den text und gibt nicht an, dass iu
1) quchnan steht: doch berichtigt er beides s. 293. II, 6, 44 {oh er . .) zalti iz
allaz üfan sih , ni uuurtiz alles so erjisUh = hätte er alles auf sich genommen,
so wäre es nicht ganz so schlimm geworden. Das adverbium alles VDF ist sehr
passend und mit feiner Überlegung vom dichter gebraucht; ähnlich steht es bei
einem prädicativen adj. IV, 6, 36 siu uuas alles zi breit. Der schreiber von P,
dem diese Verbindung vielleicht nicht geläufig war, schreibt durch die gleichen
Worte der ersten vershälfte beeinflusst unpassend allaz. Piper sezt es in seinen
text. — III, 9, 8 thie in ummizzm uuärun. Der plural entspricht durchaus Otfrids
sprachgebrauche, s. meine Unters. II § 33. Dieselbe t'ormel steht III, 10, 11.
18, 27. Dem schreiber von P war sie vielleicht nicht geläufig, er schrieb an die-
ser stelle, wo sie ihm zum ersten male begegnete, den sg. unuuizzi. Piper sezt
ihn in den text. — Formelhaft ist andererseits der sg. II, 18, 9 uuizut ir thia
rcäina, vgl. den gegensatz 13 ih zelliu afar thanana mines selbes redina, 14 sel-
bon han minan. V, 19, 31 läsi thu io thia redina. Wenn P II, 18, 9 die incor-
recte pluralforra sezt: thie redinä, so kann dies (vgl. oben zu I, 15, 45) auf der
Überlegung beruhen, dass mehrere citate aus dem alten testament im folgenden
vorkommen; dass es der Verfasser selbst gewesen sei, der diese reflexion gemacht,
ist weder notwendig noch wahrscheinlich , da er vor allem eine hinweisung auf das
eine unmittelbar folgende citat brauchte. Auch an den anderen von Piper s. 132
angeführten beispielen des Schwankens zwischen sg. und plur. der abstracta kann
ich weder anerkennen, dass sich eine constante richtung der bewegung von V nach
P nachweisen lasse, noch dass das jedesmal in P stehende besser begründet sei
als das in V stehende.
Ein Zusammenhang scheint mir zu bestehen zwischen den änderungen des
Schreibers von P an den beiden stellen I, 19. 15 {thaz . .) er otih baz ingiangi,
siu uuäfan ni bifangi. I, 21, 14 thaz kind er scöno thär irzöh ioh then fian-
ton intflöh. Die durch VDF für die erste, durch VF für die zweite stelle über-
lieferten gesperrten werte sind tadellos. Der schreiber von P änderte aber nach
Pipers lesung in der ersten stelle das baz in thaz (Graff und Kelle führen es nicht
nn, aber bei Schilter steht es ebenfalls), und .an der zweiten stelle den dat. pl.
ihcn fianton in den acc. sg. then fiant. Er versuchte also beidemal intgangan
und intfliahan analog dem lat. evitare oder effugere mit dem acc. zu construieren.
Otfrid hatte das freilich einmal auch getan H. 62 er eino, ther intßöh thaz, wo
das anagramm ihn nötigte: dass er selbst es aber ohne grund au stelle einer feh-
lerlosen constructiou in den text hineingetragen haben solte, glaube ich nicht. Wol
aber konte ein superkluger abschreiber darauf kommen , der an der ersten stelle
die loekere Satzverbindung nicht würdigte, an der zweiten eine beziehuug auf den
einen hauptfeind Herodes verlangte. Der corrector hat an der lezten stelle natür-
96 ERDMANN
lieh („mit accenttinte") den rielitigen dat. jil. wider liergestelt. — Ganz fehlerhaft
und entweder aus versehen des Schreibers oder aus metrischer klügelei zu erklären
jst auch der dat. uns statt des richtigen, in VF stehenden acc. unsih in dem
verse I, 2G, 14 thiu gilouha iinsih oiih rehte in thionost sinaz rihte. Piper sezt
don fehler in den text. — I, 16, 16 tJiaz IdndiUn si thär güali ioJi lob ouh drtih-
tiiies (YDF) sprüh. Der gen. entspricht ganz dem Sprachgebrauch Otfrids, vgl.
z. b. I, 1, 116 Kristes loh sunyi. I, 2, 5 u. a. Der Schreiber von P sezte den
dativ, vielleicht als Schreibfehler, vielleicht um das doppelte s zu vermeiden, in
jedem falle eine einfache construction mit einer gekünstelten vertauschend. Dass
der text der vulgata Luc. 2, 38 confitebatn/r domino eingewirkt habe , ist nicht wahr-
scheinlich , da gerade der Schreiber von P auf denselben bei seinen ändeiungen
sonst nicht rücksicht nimt, wie z. b. aus der bald folgenden stelle III, 22, 59 her-
vorgeht.
II, 8, 37 ther tliero thrioseszo loas furisto gimazzo P schreibt fiirista,
was in jedem falle, ob man gimazzo als nom. sg. oder mit Piper als gen. pl.
betrachtet, eine Übertragung der häufig mit einem sächlichen gen. verbundenen
formel furista sin auf einen fall ist, in dem Otfrid sie sonst nicht braucht, näm-
lich bei aussonderung einer person aus der menge , der sie angehört. Er ist also
ganz eigentlich ,,otfridischer, als Otfrid selb.st zu sein pflegt" (Piper vorrede s. VIII),
d. h., wie ich diese worte verstehe, er ist wahrscheinlich nicht auf Otfrid, son-
dern auf einen einigermassen mit dessen s})rache vertrauten, klügelnden abschrei-
ber zurückzuführen.
III, 22, 59 ni (VDFj duan ili sinn locrlc iu entspricht genau Job. 10, 37
si non facio opera pairis mei; den nachsatz scheint Otfrid allerdings anders gewant
und für das nolite credere mihi ein non vultis credere eingesezt (oder in seinem
texte gelesen?) zu haben. Der schrciber vonP, den gegensatz dieses satzes zu 61*
Verkennend und denselben nach seiner weise ausdeutend, schrieb nu statt w«. Piper
will dies dadurch erklären, dass Otfrid selbst, der erst die stelle der vulgata mit
genauer beobachtung des gegensatzes übersezt hatte, dieselbe (und seine eigene
Übersetzung !) später nicht mehr genau verstanden habe. Der arme Otfrid ! Noch
schlimmer freilich und noch weniger begründet sind die vorwürfe, die Piper seiner
behandlung des bibeltextes und seiner ehrlichkeit im conmientar zu V, 11, 5 fg.
macht, wie jeder aufmerksame leser bei vergleicliung der quellen sehen kann.
Hier muss ich endlich zurückkommen auf die stelle I, 19, 7 (s. diese ztschr.
VI, 446). Dass Otfrid wirklich beabsichtigt hat untarmiiari, scheint mir durch
die Überlieferung in V, D (wo das wort wenigstens bis zum m lesbar ist) und F
sicher bezeugt. Dass der schrciber von V erst geschrieben hatte : untarmari,
spricht nur dafür, dass es sich um ein ihm nicht geläufiges wort handelte. Durch
correctur ist hergestelt untarmuari, und der in V und D auf die präposition
gesezte accent spricht für meine aufstellung eines zusammengesezten unflectiorten
adjectivs trotz der getrenten Schreibung (Schade wb. '^ s. 628). Wenn nun in P
steht: tmtar nuari, so beweist dies zunächst (falls nicht blosser Schreibfehler vor-
liegt), dass auch dieser schrciber das in V ihm vorliegende nicht verstand. Ent-
weder copierte er, ohne bei dem was er schrieb, sich etwas zu denken , und machte
dabei einen strich zu wenig (oder, wenn das u etwa iu V damals noch nicht über-
geschrieben war , einen zu viel) ; in diesem falle wäre dann auch, der accent mecha-
nisch ohne viel Überlegung auf die vorlezte silbe des halbverses gesezt. Oder der
Schreiber von P wolte durch das, was er schrieb, seine vorläge irgendwie ausdeu-
ten, und ebenso der, welcher den accent sezte. Ich, der ich untar nuari durch-
ÜBER OTPRID EI). PIPER. A. ZUR TEXTKRITIK
97
aus nicht verstelle, «laube das erste und kann daher Otlrid nicht für den Schrei-
ber dieses unsinns halten. Piper, der in der einst hei Kelle beliebten geheimnis-
vollen weise einen deutungsversueh des Wortes in seinem künftig erscheinenden wör-
terbuche ankündigt, scheint das zweite zu meinen; vgl. auch seine einleitung s. 138.
Dass er in seinen text die in V{D)F überlieferten buchstaben, aber mit der accen-
tuation von P, sezt, ist höchst inconsequent.
I, 5, 10 mit salteru in henti, then sang d uiiz in enti in VF zeigt die schon
im kirchlichen angelsächsisch heimische, bei Otfrid noch III, 7, 45. IV, 28, 19.
20. 23 belegte und bei Kero, Tatian, Notker häufige volkstümliche Umgestaltung
der fremdAvorte i)^altcrhtm , pmhmis. Das wort alliteriert in dieser fassung mit
dem sang des anderen halbverses, wie in diesem mit besonderer kunst und höhe-
rem Schwünge des ausdrucks gedichteten stücke die alliteration häufig als neuer
schmuck zum reime hinzutritt. Der Schreiber von P zerstörte die alliteration, welche
dem dichter doch kaum entgangen sein konte, indem er die der lateinischen her-
kunft entsiirechende form psaltcreH einsezte; ebenso hat er nach Pipers lesung
III, 7, Ah zuerst geschrieben pselini , hier aber radierte er selbst oder der corrector
das jj wider aus. Die mit ps anlautenden formen finden sich nach GrafT III, 370
sonst nur bei Isidor; die änderung der volkstümlichen form in die correcte aber
fremdartige scheint mir eine dem Schreiber von P eigentümliche, für Otfrid selbst
schwer glaubliche gelehrte künstelei zu sein , die sich den oben erwähnten latinisie-
renden constructionen des Schreibers von P I, 19, 15. 21, 14 zur seite stelt.
Ich stelle noch eine reihe anderer fehlerhaften abweicliungen der ersten
Schrift von P zusammen, die mir gerade für die eigene band des Verfassers schwer
glaublich sind: I, 5, 7 zi ediles frouuon (von Kelle nicht bemerkt, aber von Schil-
ter ebenfalls angegeben) statt frouün im reime auf müriün (Schilter schreibt
marion). Wol Schreibfehler, vielleicht veranlasst durch fordoron im nächsten
verse. Piper sezt es in den text: ebenso I, 5, 11 uuirkendo statt uuirkento,
16 zeizästo statt zeizösto; dieses lezte sucht er s. 118 zu verteidigen. — I, 16, 10
driunlicho statt driulicho. 25 thehemo statt theh imo. I, 18, 10 frinstri statt fin-
stri. I, 22, 6 gihogetuu statt giliugitun (später eorrigiert) I, 22, 25 thö statt
tliio, vom corrector gebessert. I, 22, 57 untarthioh statt ^mtarthio. II, 4, 31.
12, 21 Zusatz des unpassenden er (oder er?) , das Piper an der ersten stelle in den
text aufnimt, an der zweiten nicht. II, 4, 38 blimjo statt blügo. II, 6, 47 raht
statt rät. II, 9, 92 rediafto statt redihafto. II. 14, 42 manmonto statt mammonto
(Piper sezt beides in den text). II, 14, 7 V so uuir gizaltun Mar nu er und 103 thaz
vumödo sin nah fiari stellt P worte um : nü Mar und noh sin , beidemal zum
schaden der dictiou und betonung; auch Sal. 33. Piper folgt ihm. IV, 2, 27 thaz
statt iz VDF. V, 23, 135 V tlier ni gihit tMr thia frist. P (wol durch die vie-
len auslautenden r beirrt) schrieb ohne genügenden grund: tMr tliär frist.
d. Mit alledem soll nicht geleugnet werden , dass sich auch abweichungen
in P finden, die als wirkliche Verbesserungen des in V vorliegenden textes
angesehen werden müssen. Aber ich finde keine unter ihnen, die mit notwendig-
keit, wie Piper s. 80 meint, oder auch nur mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade
dem Verfasser selbst zugeschrieben werden müste, die vielmehr nicht bewuste oder
unbewuste änderung eines reflectierenden abschreibers sein könte. Hierher rechne
ich folgende stellen: I, 11, 13 V hurg nist, thes uiienlce. P schreibt: nisi, schliesst
also den satz der vorhergehenden abhängigen rede an. Diese Verbesserung braucht
nicht notwendig der dichter gemacht zu haben , der oft genug ähnliche Sprünge
aus indirecter ^in directe rede unverändert stehn Hess (Unters. I §313), und der
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI. i
98 EBDMANN
liier die directe rede mit den Worten des kaisers schon v. 13, nicbt v. 15 beginnen
Hess ; sondern sie kann anch von einem reflectierenden abschreiber stammen , der
einen parallelismus der construction herstellen weite zu v. 10 ni si man nihein so
ueigi , wo er (nach Pij^er) in seiner vorläge das ni si so undeutlich geschrieben
fand , dass es gleich dem in v. 13 stehenden auch für nist gelten konte. Auch F
(Sigihard) erkent die Verbesserung an und folgt hier P, nicht wie sonst T (s. oben). —
I, 17, 75 V tliaz sie otih thes ni thähtin, 76" noli (jikundttn thanne thia fruma
thcmo manne. P schreibt: noh ni kundtin. Allerdings entspricht noh ni der von
Otfrid meist befolgten regel (Kelle II, 418). Aber auch bei ihm finden sich aus-
nahmen (I, 22, 58. IV, 12, 20. IV, 36, 12. V, 22, 9), und auch diese stelle kann
zu den ausnahmen gehört haben und braucht nicht von ihm selbst geändert zu
sein , während er sicli vielleicht bei der durchsieht (s. u.) die von seinem Schreiber
vorgenommene äuderung wol gefallen Hess. — III, 12, 39 V thaz thcn thio duri
sin bidän, thie tliarin ni sculnn f/än. Der conj. in P: sciiltn zeigt das bestre-
ben, den zu einem absichtssatze gehörigen relativsatz ebenfalls in den conj. zu
setzen; aber diese gleichförmigkeit ist bei Otfrid sonst nicht überall durchgeführt
und namentlich bei dem schon für sich den Inhalt des nebensatzes als beabsichtigt
bezeichnenden httlfsverb scal bedenklich, s. meine Unters. I § 67. 240 fg. — II, 21, 38
P bifalUn statt c/i fallen in YF entspricht allerdings dem durch die stellen II, 24, 19.
III, 13, 15 belegten gebrauche des ersten verbums. Doch ist nicht ausgeschlossen,
dass Otfrid an der ersten stelle das verbum fiifallan gebraucht und nur sein Schrei-
ber es geändert habe.
Einigemal ist in P nach dem pronomen ther die in V stehende pronomi-
nale (starke) flexion eines attributiven adj. in die consonantisch- substantivische
(schwache) verwandelt: III, 15, 1 V thuriih then michilan haz = wegen des lias-
ses. welcher gross war; P: inihilon. IV, 27 , 9 P then ktinincf himilisfj an,
P: hiviilisgoH. Dazu I, 22, 41, wo wirklich (nach Pipers lesung) in V Hob an
steht. Aber die authenticität dieser Verbesserungen ist mir sehr zweifelhaft, denn
in ganz ähnlichen stellen ist die pronominale flexion in V und P unverändert
stehn geblieben : IV, 33 , 5 thaz scönaz annuzzi. IV, 35 , 28 then liaban man.
I, 28, 16 then spihiri siiazan; vgl. III, 6, 35. III, 7, 29. 18, 30. Nur F hat an
den beiden ersten stellen sicher, an der dritten wahrscheinlich die schwache form
eingesezt. I, 28, 14 (s. o.) ist das Verhältnis von P zu dem (corrigierton) V gerade
umgekehrt als in jenen stellen, und man wird mit Kelle II, 269 annehmen müs-
sen, dass Otfrid selbst noch in sehr mannigfacher weise zwischen starker und
schwacher adjectivflexion wechselte, was ein gefühl für den unterschied der bedeu-
tung im einzelnen fall nicht ausschliesst. — Ebenso ist mir an den stellen, wo
in P das pronomen er statt des thcr in V eingesezt ist, II, 12, 9 nist, ther thes
beginne (P: er). I, 1, 95 ander thes beginne, . . thaz fg. P: es, Ursprung und
wert der in P vorliegenden änderung sehr zweifelhaft. — Eine — vielleicht durch
unvollständige correctur des urentwurfes erklärliche — combiuatiou zweier construc-
tionen war in V stehn geblieben IV, 24, 6 in heilen hant (s. meine Unters. II § 2) ;
um zu verbessern: in heila hant (P) brauchte man nicht Otfrid selbst zu sein.
Merkwürdig ist hier die naive pietät Sigihards, der um keiner handschrift unrecht
zu tun sich aus beiden sein heilan hant combiniert. — Auch zu der Verbesserung
uuas so statt uuur so V, 16, 13 gehörte nicht viel Überlegung. Dass der Schreiber
von V dort das Präteritum des sonst bei Otfrid immer mit acc. verbundenen ver-
bums tvirrati gemeint habe, glaube ich nicht: vielleicht schwankte er zwischen
uuäri und uuas. — Ähnliche coiTecturen sind IV, 26, 16 uuizet^ statt nutzen.
ÜBEB OTKRID KD. PIT'RR. A. ZUR TEXTKRITIK 99
V, 20, 17 sizzent statt sizzen, vgl. V, Ö, 29 ineincnt. IV, 7. 89, wo die gleiche
correctur in V selbst auch ausgeführt ist. 1 , 17, 57 P Ihdr thnz kinä mi((s statt
thär tiuas thaz Jciiid VF. I. 17, 65 sclnentaz statt ficinantdz. I, 18, 9 liohi P
statt Uothy : die correctur überhietciul schreibt F sogar lih(it\ 11, 14, 109 thoh P
statt tliö V.
e. Viele mühe liat Pijier verwaiit auf die uutersuchuug und inotivierung der
abweichungen in den accenten zwischen V und P (s. 14G — 171. 250), über die
ich ohne die von a — d gemachten Unterscheidungen durchzuführen einige benier-
kuugen hier zusammenstelle. Pi])er geht von der ansieht aus (s. 146. 149), dass
Otfrid selbst erst die accente in T gesezt, dann mit bcrücksichtigung derselben,
aber mit häutigen änderungeii auch die handschrift P accentuiert habe. Diese
änderuugen müsten danach sämtlich überlegte Verbesserungen sein; da sich aber
häufig in P accente finden, die ,, offenbare vei'schlechterungen " sind (s. 155), so
meint Piper, diese accente rührten von unberufener band, und es sei von einem
jeden einzelnen in P überlieferten accente zu prüfen, ob er von Otfrid herrühre,
(s. 155). Dennoch versucht er, durch aussonderung bestimter gruppen die accentua-
tion als eine allmählich in fortschreitender entwicklung ausgebildete zu erkennen.
Er meint, Otfrid selbst habe nie mehr als einen oder zwei accente auf den halb-
vers zu setzen beabsichtigt : wo mehr überliefert seien , erkläre sich das durch spä-
tere correcturen , bei denen die tilgung der jezt als ungiltig zu betrachtenden accente
von Otfrid unterlassen sei (s. 250), oder auch dadurch, dass unberufene bände
accente zugefügt hätten (s. 155). Trotzdem hält Piper es für möglich, die von
Otfrid als lezte entscheidung aufgestelten accente in jedem falle zu erkennen: er
selbst hat es aber für jezt noch unterlassen , diese Scheidung zu treffen (s. 250).
Auch von D hält er es für möglich , dass die handschrift von Otfrid selbst accen-
tuiert sei, aber unabhängig von V und P, denn es zeigen sich in den wenig
umfangreichen bruchstücken nicht weniger als 262 abweichungen (s. 203). Von F
gibt auch Piper zu, dass die accontuation (abgesehn von den diakritischen accen-
ten auf io u. a.), gänzlich planlos sei und nur einigemal dazu diene, den reim für
das äuge hervorzuheben (s. 207).
Ich habe das sehr umfangreiclie material, das in den zahllosen abweichungen
der accentuation von T und P liegt, noch nicht volständig durcharbeiten können.
Aber ich habe genug davon kennen gelernt, um Pipers hofnungen doch für alzu san-
guinisch, seine Vorliebe für die accentuation von P für ungerechtfertigt zu halten:
und ich meine zugleich, dass die abschätzung des wertes der überlieferten accente
für Otfi-ids metrik auf ein bescheideneres mass zurückzuführen sei. Wer zum
ersten male davon gehört hat, das werk Otfrids , des hauptbogründers einer neuen
metrik, sei uns mit accenten überliefert, der muss überrascht und enttäuscht wer-
den, wenn er dann dazu erfährt, dass die drei aus der zeit des Verfassers stam-
menden handschriften VDP in ihrer accentuation massenhaft von einander abwei-
chen, und dass es kaum 30 jähre später möglich war, dass ein sclireiber, der nach
zwei dieser handschriften copierte , seine abschi-ift mit ganz wilkürlichen anderen
accenten versah. Diese Sachlage wird erst begreiflich, wenn man weiss, dass die
accente in VDP zwar hauptsächlich aus metrischen gründen gesezt sind. d. h. dass
sie hauptsächlich dazu dienen sollen, das metrisch richtige lesen zu erleichtern;
dass sie aber die zahl der betonten silben des verses nicht erschöpfen , und dass
neben den metrischen gründen auch andere rücksichten die auswahl der zu accen-
tuierenden silben bestirnten. Wenn z. b. der halbvers IV, 19, 58'^ in V so accen-
tuiert ist: after thmi stehet ir, in P aber so: aftcr thisu sehet ir: oder III, 24, .')P
7 ••'•
100 ERDMANN
in V: ni thültin uuir nü thesa quist, in P: ni thültin uuir nü thesa quist, so wird
es anschaulich, was ja seit Lachniann jeder weiss, dass nicht zwei oder drei, son-
dern vier betonte silben da sind, und dass ein schwanken darüber stattfinden
konte und oft stattfand, welche dieser silben der bezeichnung ihres tones durch
einen accent entweder am würdigsten oder am bedürftigsten seien. Jede von die-
sen beiden einander entgegengesezten rücksichten ist, wie mir scheint, unter
umständen massgebend gewesen ; die lezte , nämlich das bestreben nach bezeichnung
einer tonsilbe, die beim ersten lesen leicht übersehen werden konte, war es beson-
ders oft in P, z. b. I, 12, 28" ihaz er fon thir nirstriche gegen V: thaz er fon
thir nirstri'che. I, 28, 4*^ ni mwizin io biscouuön gegen Y: ni iiiüazin io biscö-
uuön. Ja namentlich P (selten V), wie Piper selbst s. 166 anführt, geht sogar
oft so weit, den auftakt mit einem accent zu versehen, was, wenn es nicht etwa
ganz auf unkentnis des accentuators beruht, doch nur den i^rund gehabt haben
kann , den Icser vor einer allzu geringen betonung desselben zu warnen : z b.
I, 15, 9 P thö quam ther sälic/o man (V tho ohne accent) und an vielen anderen
stellen, bei denen zum teil (s. I, 16. 9) Piper selbst meint, dass der accent nicht
von Otfrid, sondern von anderer band gesezt sei. Bisweilen könto man solche
accente freilich auch als bezeichnung der schwebenden betonung erklären, wie
II, 12, 25, III, 4, 10, aber durchaus nicht immer. Es komt ferner, und zwar
(wie Piper selbst zugibt s. 166) namentlich in P vor, dass accente gar nicht aus
metrischen, sondern aus rhetorischen gründen gesezt sind, sogar auch auf
silben, die gar nicht metrisch zu betonen sind: III, 19, 27 P ni uuölt er uuiht
tlies sprechan (V thes sprechan) , u. a. Auch bei der auswahl aus den der betonung
fähigen silben scheinen mir gewisse schülerhafte grillen auf die accentuation von
P grossen einfluss geübt zu haben. Durcliaus nicht, so viel ich sehen kann, ist
im algemeinon die behauptung gerechtfertigt, dass die accentuation in P einen
fortschritt gegen die in V bezeichne (s. 171). Es kommen in P ganz fehlerhafte
und unsinnige accentuationen vor, wie z. b. III, 24, 64 bidolban II. 6, 38 uruiidse
statt w-uuise YD (Lachmann Kl. Sehr. I, 366). Über I, 19, 7 s. o. Die conse-
quente durchführung der grundsätze aber ist sehr lückenhaft. Bei vielen gruppen
(s. 168 fg.) von fällen, in denen Piper eine überlegte temlenz der accentänderung
für den schreiber von P annimt, rauss er mit einem ,,aber" selbst wider zahlreiche
beispiele des directen gegenteils constatieren , d. h. fälle in denen das gegenteil
des bei jenen änderungen beabsichtigten nicht etwa nach Y in P stehn geblieben,
sondern gegen Y in P bergest elt ist. Die einzelnen nachweise Pipers scheinen
genauer nachprüfung und sonderung zu bedürfen. Ich habe dies z. b. bei den
bemerkungen über die accentuation der personalpronomina s. 169 nr. 210 bemerkt.
Manche citate sind ganz falsch verwertet (IV, 10, 3. II, 14, 58. I, 17, 38 u. a.).
Die accentuation der pronomina in Y ist in der regel sehr wol metrisch begründet ;
P lässt öfters den accent fort, nur selten aber so, dass es eine dem widerspre-
chende betonung andeutet, die allerdings in manchen fällen (I, 8, 21. II, 14, 109)
eine bessere ist. Häufig aber sezt gerade auch P gegen Y den accent auf perso-
nalpronomina, und öfters auch in fällen, wo gar kein besonderer nachdruck auf
ihnen ruht und wo die betonung metrisch recht schlecht wird. Manche fälle der
art sind schon angeführt; andere sind 11, 14, 61 P nuib , quacl er, ich sägen thir,
(Y: quad er). II, 15, 22 deta er then Uutin mit thiu drost (Y accente auf liutin
und dröst). II, 13, 5 P thaz ir hortut quedan mih (Y: thäz ir): II, 13, 7 P ih
bin selbes böto sin (Y: ih bin). II, 13, 17 er scal uuähsan dräto (Y ohne accent).
II, 13, 8. 24. 1, 26, 13 II, 2, 21. I, 19, 17. V, 3, 5 u. o. In diesen wie in
ÜBER OTFRin ED. l'U'KR. A. ZUR TEXTKRITIK 101
anderen fällen scheint mir also ein durcligebender t'ortschritt der acceutuation nicht
vorhanden zu sein, und die von Piper selbst zujicgebcne zunalinie rliotorischer rück-
sichten bei der acccntsetzuug in P köntc ich mir viel eher bei freunden oder Schü-
lern Otfrids, als bei ihm selbst wirksam denken. Ohne frage wird an dem von
Piper massenhaft zusammcngestelten material über die grundsätze der otfridischen
accentuation und i^mit den obeii angcileutetcn beschränkungen) auch der otfridischen
metrik sich noch manches beobachten und lernen lassen ; dass die resultate so ein-
heitlich und sicher werden, wie Pijier meint, niuss ich bezoifeln. Die authentici-
tät der accente in P will er ja an vielen stellen aus inneren gründen selbst nicht
gelten lassen.
Die besproclieuen gruppen a — e zusammenfassend kann ich von dem ersten
Schreiber von P nur das bild gewinnen, dass er sich berufen und berechtigt glaubte,
eine grössere regelung der Orthographie durchzuführen, ohne jedoch zu fester con-
sequenz zu gelangen; dass seine änderungen des wortsinnes und der construction
in vielen fällen auf eigener ausdeutung oder klügele! beruhen, die ich dem dichter
selbst schwerlich zutrauen kann;» dass sie in manchen fällen zwar besserungen
enthalten , aber nirgends solche , die der dichter selbst geschrieben haben müste.
Mir ist es also aus inneren gründen für P ebensowenig als für V wahrscheinlich,
dass wir in dem gesamten texte der handschrift ein autograph Otfrids besitzen
sollen. Dagegen vermute ich allerdings, dass auch P in der Umgebung des dich-
ters durch einen Schreiber gefertigt ist, den er selbst in das Verständnis des Wer-
kes eingeführt, vielleicht in vielen punkten mit directer anweisung versehen hatte.
Wie sich in neuer zeit um den alternden Klop stock jüngere freunde sammelten,
die mit mehr oder weniger tiefem Verständnis, aber mit voller Verehrung und
begeisterung für die Sache die werke des meisters studierten und für die Verbreitung
und erläuterung derselben mit aufopfernder hingäbe, wenn auch nicht ohne Selbst-
gefälligkeit wirkten — ich erinnere namentlich an K. F. Gramer, der sieben jähre
nach Vollendung des Messias in steter Verbindung mit dem dichter die commentie-
rung des Werkes begann — so haben sich vermutlich auch danuils um den altern-
den Otfrid jüngere schüler und freunde gesammelt, die unterstüzt und gefördert
von den gönnern des werkes und des dichters ihre kräfte an die herstellung meh-
rerer reinschriften des evangelienbuches sezten. Diese reinschriften wurden viel-
leicht unter Otfrids äugen und nach bestimten anweisungen Otfrids angefertigt;* es
konten aber gerade wegen des persönlichen Interesses der Schreiber an der dich-
tung je nach dem grade ihres Verständnisses und ihres Selbstvertrauens falsche
ausdeutungen und auf klügelnder Überlegung beruhende änderungen der vorläge
vorkommen, wie wir die ersten namentlich in V, die lezten namentlich in P gefun-
den haben. Ein solcher freund muss der Schreiber von D auch nach Piper gewe-
sen sein, der formelle correctheit mit im ganzen guten Verständnis verbunden, sich
aber im einzelnen recht selbständige änderungen erlaubt hat (s. oben s. 87). In ähn-
licher weise Otfrid nahestehend denke ich mir auch den oder die Schreiber von V,
1) Ich halte es für ganz richtig, was Piper im vorwort s. VIII bemerkt, dass
in solchen fällen der Schreiber von P otfridischer als Otfrid selber sei. Man kann
diese äusserung als eine unwillkürliche und unbewuste Selbstwiderlegung Pipers
betrachten.
2) Vielleicht kann man hierfür auch den Wortlaut einer stelle des Vorwortes an
Liutbert anführen: ibi y graecum mihi videbatur ascribi (nicht ascribere).
102 ERDMANN
obwol an Verständnis jenem uacbstehend. Solte sich die identität der band, welche
den hauptteil von V schrieb, mit der des Schreibers von P, wie Piper meint, wirk-
lich aus äusseren gründen mit Sicherheit ergeben , so könte icli mir sehr wol den-
ken , dass Otfrid von demselben schülor oder freunde , der ihm schon V geschrie-
ben hatte, später, nachdem er selbst viele (aber noch nicht alle uns vorliegen-
den) besserungen in V angubraclit hatte, danach auch noch P schreiben Hess; und
ich könte mir wol denken , dass derselbe , der beim schreiben von V viele fehler
aus unkentnis und aus falschem Verständnis des in dem schlecht geschriebenen
urentwurfe ihm vorliegenden textes gemacht hatte, nach längerer beschäftigung
mit dem werke bei der zweiten abschrift desselben nur wenige derartige fehler
machte, wol aber wegen jener genaueren kentnis und seines nahen Verhältnisses
zum dichter selbst sich zu änderungen wie die oben angeführten berechtigt halten
konte; der ,,schüler" war mittlerweile ,, bacealaureus " geworden, wie dies ja manch-
mal vorkomt.
Dass Otfrid selbst an vielen stellen auch den text in P corrigierte , vielleicht
auch selbst mit accenten versah (oder wenigstens einen im algemeinen in seine
metrischen gruudsätze eingeweihten nüt der accentuation beauftragte), kann bei alle-
dem unbestritten stelm bleiben und wird durch die behauptung Pipers bestätigt,
dass gerade die band der correctureu in V und P zweifellos dieselbe sei (s. 68).
Bei vielen fällen ist es höchst wahrscheinlich , dass dieselbe correctur gleichzeitig
in V und P vorgenommen sei. So z. b. I, 17, 26 stand in V von erster band
geschrieben (jienot (= fji-enöt)\ P schrieb d&iüv geinöt ; der corrector machte sowol
aus der fehlerhaften vorläge in V als aus der unvollkommenen Verbesserung in P
das correcte gieinöt. Ähnliche fälle sind I, 10, 27 utmahs. IV, 6, 37, s. die
beschreibung des überlieferten bei Piper; hierher gehören sicher viele der von Piper
in sein stadium Oj gerechneten stellen (s. 171. 172). An vielen anderen dagegen
besserte der corrector (oder auch schon der schreiber selbst) nach dem in V bereits
stehenden, oder vorher durch correctur hergestelten , s. oben über 11, 8, 41. So
IV, 19, 53 güoubet ir, in V corrigiert aus dem sinlosen güouhit er, wo P das erste
wort zuerst falsch, das zweite gleich richtig copiert hatte. Nicht sehr zahlreich
und wie ich glaube von geringer bedeutung sind die stellen, an denen eine correc-
tur der ersten Schreibung nur in P ohne rücksicht auf V voi'genommen ist. L. 83
richduam statt richiduam. I, 1, 112 tliionönte aus thionönti. I, 9, 5 gieisgötun
statt geisgöhin. 1, 21, 10 thera muater statt tJier, das in V und danach aucli in F
steht, freilich der form nach incorrect statt theru. I, 25, 20 ir fülle statt fülle,
s. 0. s. 95. V, 23, 45 süftönt aus süftent. IV, 15, 3 ni si iuz statt siuz. Dazu andere
stellen, die Piper s. 174 aufführt. Sehr erheblich dagegen nach zahl und bedeu-
tung sind die oben unter 1)) besprochenen stellen, an denen nach der herstelluug
von P der text von V allein noch geändert und gebessert worden ist.
Der text, welchen Piper gibt, ist — ausser in den am anfange (Lud. 1 — 75)
und ende (V, 23, 265 — 298. V, 24. V, 25. Hartm. 1 — 141) in P fehlenden und
den auf blatt 200 von P erhaltenen (Hartm. 142 — 168) stellen, welche Piper nach
dem corrigierten texte von V abdruckt - grösten teils der durch die correcturon in
P hergestelto , zu welchem Piper die längenbezeichnung der vocale (vgl. u.) und
die interpunctiou hinzugetan hat. Ganz ausschliesslicli aber triff diese, Pipers
eigener angäbe s. 250 entsprechende, Charakterisierung seines textes doch nicht zu.
Häufig, wie wir oben öfters zu bemerken gelegenheit hatten, ist er zwar wirklich
in seiner Vorliebe für P so weit gegangen , demselben auch offenbare fehler nach-
zudrucken. Aber in manchen fällen ist er doch von P abgewichen , und zwar nicht
ÜBEK OTFRID ED. PIPEU. A. ZUR TEXTKRITIK 103
nur diuvli corrcctur von blossen Schreibfehlern, wie er sie (jedoch nicht volständig;
s. z. b. I, 25, 30. II, 12, 44. V, 3 , 7) s. 250 autzühlt. I, 19, 7 hat er untar
nuari von P nicht in den tcxt gesezt, obwol er es für keinen Schreibfehler hält.
I, 28, 17 schreibt er heilcija nach V, nicht hcilicja nach P. III, 8, 7 sezt er uui-
dorort in den text, wo nicht in P, sondern in V: und 1, 22, 29 sogar, wo es weder
in V noch P, sondern nur in F so geschrieben ist. In den oben erwähnten zahl-
reichen fällen, in denen in P der auftakt accentuiert ist, gibt Piper die accentua-
tion in seinem texte nach V und nicht nach P, obwol er auch hier conseqnente
fortbildung der grundsätzo Otfrids behauptet (s. 166). Also eine genaue widergabe
des textcs von P ist der Pipersche text doch nicht. Er ist aber auch nicht ein text,
wie man ihn in einer historisch -kritischen ausgäbe Otfrids erwarten oder wenig-
stens wünschen könte. Eine solche köute entweder den ältesten für Otfrid nach-
weisbaren oder mit Wahrscheinlichkeit anzunehmenden text zu gründe legen, und
die späteren änderungen desselben unten angeben; dann würde sie sich vor allem
an V, in manchen fällen vielleicht an D zu halten haben, was Piper nicht getan
hat. Oder sie könte versuchen^ den jüngsten wirklich nachweisbaren text, so
weit er mit Wahrscheinlichkeit auf Otfrid zurückzuführen ist , zusammenzustellen ;
das hat Piper auch nicht getan, denn viele correcturen in V, die als verfassercor-
recturen lezter band gelten können, hat er nicht in seinen text gesezt. Endlich
ist Pipers text auch kein consequent gebesserter, kein idealer Otfridtext, wie Otfrid
ihn vielleicht in irgend einer stunde seines lebens als den besten betrachtet und
gewünscht haben würde oder wie wir ihn uns vielleicht wünschen könten. Das
streben nacli diesem ziele, welches Graff vorschwebte, bezeichnet Piper s. 250 als
ein unmögliches unternehmen. Doch halten mich diese einwondungen und wünsche
nicht ab, widerholt ausdrücklich anzuerkennen, dass Piper sich durch die sorgfäl-
tig und in sehr vielen fällen wol als endgültig zu betrachtende feststcllung und
beschreibung der Überlieferung ein grosses verdienst erworben hat. Durch die voll-
ständige angäbe der Varianten von VDP unter dem texte ist es dem leser möglich
gemacht, die geschichte des Otfridtextes nach allen richtungen zu durchforschen
und sich im einzelnen falle über dasjenige, was in Pipers textconstituierung für
consequent oder inconsequent , was im texte selbst für das älteste oder jüngste,
für echt oder unecht, richtig oder unrichtig zu halten ist, an der band der
Überlieferung ein urteil zu bilden. Hierfür wird auch die feststellung und grup-
pierung (in 213 abteilungen) der vielen tausend abweichungen und correcturen von
V undP, welche Piper mit staunenswertem fleisse s. 93 — 171 vollzogen hat, hohen
wert haben, da sie die vergleichung jedes fallos mit anderen ihm ähnlichen ermög-
licht, obwol ihre benutzung ohne register recht mühsam ist. Dass aber eine Ver-
teilung aller dieser änderungen auf stadien, seien es die von Piper aufgestelten
(s. oben s. 84), deren grundlage ich zum teil bestreiten muste, sei es auf anders
bestirnte, überhaupt mit einiger Sicherheit erreicht werden könne, glaube ich nicht.
Nach meiner ansieht greifen Pipers bestrebuugen in dieser richtung , besonders was
das rein orthographische betriff, über das erreichbare, ja auch über das wünschens-
werte hinaus. Es werden nicht die schlechtesten leser Otfrids sein, denen es gleich-
gültig ist. in welcher handschrift und zu weicher zeit jedesmal von Otfrid oder
seinen schülern uüntar, vüntar, tmüntar, uümitar, vuuntar, vvvntar (V, 1, 1 P!)
oder noch anders geschrieben sei.
Leider finden sich in Pipers texte noch einzelne druck fehler. Ausser den
auf s. 293 angegebenen glaube ich auch ohne eigene einsieht der handschriften
solche annehmen zu müssen an folgenden stellen: I, 15, 22 hat nach ausdrücklicher
lÜ4 EKDMANN
augabe von Graff und Kelle auch P: in allen then stuntdn, wenn auch ohne syna-
löphcpunkt. Piper scheint das in nur aus versehen ausgelassen zu haben. I, 23, 6
thes druhtines hmfti. Schilter, Graff vmd Kelle geben als lesart aller haudschrif-
tcn das dem sprachgebrauche Otfrids allein entsprechende thio. V, 4, 24 thaz
dreso, thaz in iru lag. Kelle gibt als lesart aller handschriften: thür (F dar).
Die Partikel dient zur bezeichnung der relativen satzverknüpfung wie V, 6, 22 (vgl.
V. 49). S. meine Unters. I s. IX und §228. — Unter dem texte ist zu IV, 4, 12
die correctur von thin für V, nicht für F anzugeben.
Als anhang zur besprechung der Piperschen textkritik muss ich noch einige
bemerkungen hinzufügen über Schlüsse, die Piper, wie mir scheint ohne genügende
begründung, aus einzelnen orthographischen eigentümlichkeiten und aus
der äusseren einrichtung des codex V auf die art und reiheufolge der ent-
stehung der einzelnen bücher Otfrids gemacht hat. Piper hat an mehreren stel-
len der vorrede versucht, die reiheufolge festzustellen, in welcher die einzelnen
bücher in V und in P (wie er meint von Otfrid eigenhändig) eingetragen wurden.
Öfters aber überträgt er dabei sätze, die für die dauer und die zeit der abfas-
sung im ganzen als wahrscheinlich gelten können, ohne genügende vorsieht auf
die uns in V, teilweise auch auf die uns in P vorliegende aufzeichnung der-
selben.
Gewiss ist das werk Otfrids ein werk vieljähriger arbeit gewesen, und schwer-
lich wird die zeit, über welche sich seine abfassung ersti-eckte, geringer sein als
die des Klopstockschen Messias. Sprachliche und sachliche gründe sprechen für
Lachmanns annähme , dass das erste und das fünfte buch früher gedichtet seien
als die anderen. Da ferner Otfrid selbst in einem in V nachträglich eingescho-
benen, in P gleich mitgeschriebenen satze der vorrede an Liutbert von der mitte
{medium) seines buches sagt: hoc novissime edidi , so ist die von Pi])er s. 263 auf-
gestellte reiheufolge der bücher: I. V. IV. II. III als eine im grossen und ganzen für
die abfassung derselben wahrscheinlich zutreffende anzuerkennen. Damit ist aber
nicht gesagt, dass nicht einzelne abschnitte in jedem buche später noch hinzu-
gefügt, umgestellt, abgeändert oder auch fortgelassen seien.
Vor allem sind die eingangscapitel sämtlicher bücher mit besonderer
kunst gearbeitet; sie enthalten nicht nur anspieluugen auf den Inhalt des betreffen-
den buches, sondern auch andeutungen über den zweck und die bedeutung des gan-
zen Werkes oder algemeinere erörterungen , für die sich innerhalb der bücher keine
stelle gefunden hatte ; sie sind also wol zu den spätesten teilen des Werkes zu rech-
nen. So vermute ich z. b. , dass die ganze reihe der capitel II , 1 — 6 erst in folge
späterer crwägungen ihre stelle erhalten hat. Der abschnitt II, 1 ist durch eine
geistreiche erwägung gerade an den anfang des zweiton buches gekommen. Weil
nämlich dieses nach dem festgestelten gesamtplano hauptsächlich die reden Jesu
enthalten solte, so war für die Schilderung der vorwcltlichen existenz des Logos
und seiner mitwirkung bei der weltschöpfung gerade hier ein geeigneter platz; im
Heliand ist die stelle Joh. 1, 1 — 6 im anschluss an die auordnung des Tatian
gleich am anfange des Werkes widergegeben. Dass bald nach diesem in die urzeit
zurückführenden abschnitte die versuch ungsgeschichte und die sich an sie anschlies-
senden betrachtungen II, 4 — 6 eingefügt wurden, mag damit zusamraonhängeu,
dass auch von Otfrid, wie häufig in den angelsächsischen gedichteu , der kämpf
Christi mit dem Satan als die ernouerung und Vollendung des alten, seit erschaf-
fung des ersten menschen bestehenden streitos aufgefasst wird. > Von den auderen
1) Vgl. ausser diesen abschnitten die stellen 1, 5, 52 — 5b. IV, 12, 61 fg. V, 16, 1 — 4.
ÜBKß OTiaUD KD. VlL'lili. X. ZUK TEXTKßlTIK 105
absclinittou ist II, 2 die einfache t'ortt'üliruiig der bibelstelle, die für II, l das
tlieiua angegeben hatte. 11, 3 ist ein selbständiges stück, von dem nur die Iczten
Verse von 5'J an mit beziehung auf die zulezt erwähnte taufe Christi zur ver-
suchungsgeschichte hinüberführen. Eine bestirnte beziehung oder liindeutung darauf,
dass die kurz zusammeugestelten ereignisse im ersten buche bereits ausführlich
erzählt waren , enthält das stück aber nur in v. 29 muht lesan üuh Mar forna,
utiio fgg. ; V. 2 bHuh und 11 muht lesan bezieht sich offenbar auf den biblischen
grundtext. Das ganze stück ist vielleicht seinen haui)tbestandteilen nach ohne
rücksicht auf das erste buch entstanden, angeregt vielleicht durch eine ähnliche
Zusammenstellung verschiedener wunder in einem kirchlichen liymnus ' oder in einer
homilie und ist dann mit wenigen äuderungen hier zwischen dem ersten und zwei-
ten buche eingeschaltet worden; sehr ähnlich ist ihm vielleicht auch in der art
drr entsteliung das capitel III, 14. Erst das im abschnitt II, 7 erzählte wird als
Inhalt des zweiten buches ausdrücklich angegeben in der Widmung an Liutbert
(Kelle 41 fg. Piper 30 fg.); secnndns [liher] jam accersitis ejus discipulis
refert fg.; und gerade auf die verse II, 7, 1. 2 scheint mir auch anzuspielen die
algemeine inhaltsangabe des zweiten buches in den versen I, 2, 7 — 8 (s. u.)
Ebenso wie die eingangscapitel können auch die schlusscapitel mehrerer
bücher später gedichtet sein oder erst bei der schlussredaction ihre stelle gefunden
haben. Solten die beiden ersten und die beiden lezten kapitel des ganzen Werkes
nur zufällig nach ihrem inlialtc correspondieren (I, 1 weltliche vorrede, I, 2 gebet:
V, 24 gebet, Y, 25 weltlicher schluss)? Auch verbindende Übergänge (z. b. I, 3,
45 — 50) oder Verweisungen auf den Inhalt späterer bücher (z. b. I, 15, 32 — 40)
können später hinzugefügt sein.
Mit ausnähme solcher einzelnen änderungen uad Zusätze also mag die abfas-
sung der verschiedenen bücher in der von Piper angenommenen reihenfolge statt-
gefunden haben. Die reinschrift eines so wertvollen Werkes aber wird doch
erst begonnen sein, als grundplan und text im grossen und ganzen feststanden.
Diese annähme scheint Piper aucli noch gehabt zu haben , als er die Untersuchung
über Otfrids leben schrieb , da er dort s. 15 meint , dass Otfrid erst nach abfassung
des auf das ganze werk bezüglichen widmungsgedichtes an Ludwig um 868 ,,die
reinschriften " angefertigt habe. In späteren stellen der vorrede aber spricht Piper
ganz andere ansicliten aus. S. 82 (vgl. s. 47) vermutet er, dass Otfrid, als er
selbst an V zu schreiben begann, noch nicht den plan gehabt habe, das ganze in
fünf bücher zu teilen. Die grundeinteilung des Werkes in fünf bücher wird aber
schon I, 2, 6 — 14 im texte deutlich angegeben mit anspielung auf bestimte stellen
jedes buches und in Übereinstimmung mit der kurzen inhaltsangabe in der vorrede
an Liutbert. Also ist entweder der ganze abschnitt 1 , 2 erst gedichtet , als das
werk im ganzen vollendet und summarisch in fünf bücher eingeteilt war , oder es
sind wenigstens die auf lib. II — V bezüglichen verse 7 — 14 erst in dieser zeit ein-
gefügt, während die verse 1 6. 15 fg. vielleicht früher nur die einleitung des
ersten buches bildeten, mit dessen ältesten abschnitten sie manche unbeholfenheit
der construction und des ausdrucks gemein haben. Jedenfalls war aber, als der
abschnitt in vollständiger gestalt in T eingetragen wurde, das werk im ganzen
1) Der Hymnus Ambrosianus de epiphania doniini (Mone I, 73. Daniel I, 14),
dessen eine strophe bei Otfrid III, 6, 37. 42 und im Heliand 2859 fgg. wörtlifh durch-
klingt, enthält z. b. eine solche Zusammenstellung, aber ohne Übereinstimmung mit
Otfrid II, 3.
106 EKDMANN
abgeschlossen und eingeteilt. Dass der vom sclirciber für das ganze werk bestirnte
titel: liher evangeliorum, später erst durch hinzufüguug von ■priiims in einen special-
titel des ersten buches verwandelt wurde, erklärt sich dadurch, dass der schreiber
noch keine vorläge hatte , in der die bücher bereits mit besonderem titelblattc ver-
sehen waren , und auch keine ausdrückliche anweisung erhielt dies zu tun , sondern
nur wüste, er habe ein „ evangelienbuch " zu schreiben. Auch die noch beim ein-
tragen der Überschriften in die Inhaltsangabe von lib. I. II. IV vorgenommeneu
correcturen einzelner zahlen betrachte ich als unwesentliche redactionelle änderun-
gen, wenn es nicht blosse Verbesserungen von ungenaiiigkeiteu des Schreibers sind.
Nach feststellung des hauptplanes, meint Piper ferner s. 82, habe Otfrid
,, abwechselnd an den fünf büchern gearbeitet und mundiert, was er fertig hatte,
indem er für jedes buch einen neuen quaternio begann." Es würde demnach
die herstellung unseres codex V sich über ziemlich denselben Zeitraum erstrecken
wie die dichtung des ganzen Werkes. Ja nach Piper s. 84 fg. würde in den lezten
teil dieses Zeitraumes auch noch die allmähliche anfertigung der in P vorliegenden
abschrift zu legen sein, da Piper meint, Otfrid habe, „als er nicht mehr daran
dachte die handschrift V als dedicationsexemplar herzustellen . . . , sondern sie zum
handexemplar bestimt hatte," bald an V weitergearbeitet (d. h. also: einzelne
abschnitte gedichtet — mit schriftlicher aufzeichnung in Kl - - und dann in V
eingetragen), bald P aus den bereits vorliegenden teilen von V abgeschrieben.*
Diese annähme hat Piper an mehreren stellen seiner vorrede zu begründen und
genauer zu bestimmen versucht, doch kann ich keine dieser beweisführungen für
gelungen erachten, um so weniger, als sie unter einander in Widerspruch stehu.
S. 121 nämlich vermutet Piper aus der beobachtung der häuflgkeit des y in den
verschiedenen büchern von V und P folgende reihenfolge der herstellung: I V IV
in V; I in P; II in V, II in P; III in V, III in P ; IV und V in P. Er sezt
also hier die im ganzen wahrscheinliche reihenfolge der abfassung jedes buches mit
der seiner niederschrift in V gleich und combiniert sie mit einer in sich continuier-
lichen herstellung von P. Mit dieser künstlichen hypothese lassen sich aber andere
beobachtungen Pipers nicht vereinigen. Das vorkommen des uuu steigert sich
nach Piper s. 98 contiuuierlich vom ersten bis zum fünften buche; das TH und
einige andere doppel- initialen finden sich nach Piper s. 56 in V nicht mehr im
fünften , in P nicht mehr im vierten und fünften buche. Beides spricht nicht für
die s. 121 aus dem y gefolgerte combination, sondern für die an sich natürliche
annähme, dass der text einer jeden handschrift in sich contiuuierlich geschrieben
sei. Was aber dem y recht ist, ist doch auch dem mm und dem TH billig.
Noch schlimmer steht es mit den aus der einrieb tu ng und einteil ung
der handschrift V hergenommenen gründen, welche hcrr Piper s. 82 und schon
vorher s. 47 für die von ihm angenommene art und reihenfolge der niederschrift
anführt. Er gibt an, dass die handschrift V „aus quaternionen bestehe" (s. 47),
und dass ,,der text eines jeden buches ausser dem ersten mit dem dritten blatte
eines quaternio anfange " (s. 82). Da am anfange der handschrift ein ungezähltes
1) Nai;h s. ö3 hält Piper es sogar für möglich, dass diuselben pergamentlag eu,
die in dem codex V das erste buch mit der widmung au Salomo enthalten, bereits
vorher als abgesondertes ganzes an denselben zur lectüre und approbation eingesant
seien. S. 249 dagegen spricht er von besonderen dedicationsexemplaren des I. und
VI. buches für Constanz und St. Gallen. Gegen die erste Vermutung ist einzuwenden,
dass sich, wie schon Laclmiann bemerkte, berührungen zwischen der widmung an Salomo
und dem fünften buche finden.
ÜBEU OTl''Kli) ED. l'll'Jill. A. ZUK TEXTKRITIK
107
hlatt vorhaiulcn ist, so denkt ur sich also offeubar die saclic so, dass dieses mit
toi. 1 — 7 den ersten quaternio bilde, fol. 8— 15 den zweiten, und so weiter, so
dass jeder quaternio mit einer zahl von der form 8n — 1 al)sehliesse, der neue mit
einer zahl von der form 8n anfange. Wäre das der fall, so wäre die eben angeführte
behauptung auf s. 82 richtig , denn der text von buch II begint auf fol. 42 *, von
buch III auf 74'*, von buch IV auf 114 'S von buch V auf 154 'S lauter zahlen von
der form 8n -{- 2, die nach der obigen rechnung jedesmal das dritte blatt eines
(iuaternio bilden würden. Wäre das also wirklicli so, so lies.se sich über die von
herrn Pijier daraus gezogenen folgerungen reden. Er ist nämlich auch gleich mit
der erklärung der von ihm angegebenen tatsache bei der band, indem er meint
(s. 82. 83), Otfrid habe, als er in der oben angegebenen weise abwechselnd an den
fünf büchern arbeitete, vor dem beginu jedes buebes zwei blätter für den titel
und das Inhalts Verzeichnis zunächst freigelassen, diese dann aber, wenn er mit
dem vorhergehenden buche zu ende kam, soweit es gieng, auch für die schluss-
verse des jedesmal vorhergehenden buches beuuzt (s. 83). Dieses würde nach Pipers
rechnuug zutreffen für die schlussverse von buch I, II, IV, die sich bis auf die
foU. 40", 72^*, 152 " erstrecken. Es wären dann also, wie ich Piper verstehen muss,
wenigstens die Schlussabschnitte dieser bücher später gedichtet und auch später in
unseren codex eingetragen als die anfangsabschnitte des jedesmal folgenden buches.
Daraus würde sich freilich, wenn mau aus der zeit der niederschrift der lezten
verse wenigstens ungefähr und im algemeinen auf die zeit der niederschrift des
ganzen buches seliliessen könte, wider eine ganz andere (und zwar eine sehr unwahr-
scheinliche) reihenfolge der abschritt ergeben als die oben erAvähnte. Aber ich
habe niclit nötig auf die Widersprüche der Piperschen meiuuiigen aufmerksam zu
macheu; das ganze obige r echenexempel beruht auf tatsächlich
unrichtigen angaben. Ich muss vermuten, dass herr Piper seine behauptung
(s. 82), der text jedes buches ausser dem ersten fange mit dem dritten blatte eines
quaternio an. in die weit hineiugesclirieben und folgerungen daraus gezogen hat,
ohne sich den codex, den er doch lange in bänden gehabt hat, überhaupt darauf
liin anzusehen. Auch die beiden quaternionummern , die er bemerkt hat (s. 47),
während die grosse zahl der anderen seiner aufmerksamkeit entgangen ist, und von
denen er selbst gemerkt hat, dass sie zu einer durchgeführten quaternioeinteilung
nicht passen, haben ihn nicht gehindert, jene behauptung zu machen. Nach einer
mir VDU einem kenner der handschrift gemachten mitteilung ist dieselbe unrichtig.
Der custos der kaiserlichen hofbibliothek in Wien nämlich, herr Joseph Haupt,
hatte die freundlichkeit , mich nach genauer durchsieht der handschrift über die
wirkliche Verteilung der blätter derselben auf die verschiedenen lagen zu belehren.
Ich gebe zur berichtigung der Pi]ierschen behauptung diese Verteilung genau nach
Haupts mitteilungen hier an.
Erste läge: Das vorderste, auch von Kelle I, 159 erwähnte ungezählte,
nur auf der Vorderseite mit einer zeiclmung (,, coucentrische kreise nach art eines
Irrgartens gebrochen, wie ein schirm ruhend auf zwei ptlanzenartigen füssen")
bedeckte , auf der rückseite leergelasseue blatt und fol. 2 bilden ein doppelblatt,
zwischen dessen beiden hälften fol. 1 eingeschaltet ist.
Zweite läge: fol. 3 — 7, wovon nur fol. 5 und 6 ein doppelblatt ausmachen,
die anderen aber (3. 4. 7) einzelne blätter sind.
Dritte läge: fol. 8 ein einzelnes blatt, das aber mit dem folgenden vollen
quateruio 9 — 16 vom alten buchbinder vereinigt ist. Diese läge ist auf fol. 16**
unten als III gezählt.
108 ERDMANN
Lage IV — XVIII sind vollzählige quaterniouen , umfassen also fol. 17 — 24,
25—32 usw. (nicht, wie Piper meinte, 16 — 23, 24 — 31 usw.) und sind jedesmal
genau und richtig auf der kehrseite des lezten blattes unten numeriert.
Auch läge XVIII ist auf dem 8. blatte 144'' unten numeriert, es ist aber
fol. 145, welches ein einzelnes blatt ist, vom alten buchbinder mit dieser
läge vereinigt.
Lage X-X — XXIV sind wider quaternionen, und enthalten fol. 146 — 153,
154 — 161, 162, 169, 170—177, 178 — 185, alle genau und richtig numeriert mit
ausnähme von XX, wo auf fol. 153 '' das bild (crucifix) im wege war.
Die lezte nicht numerierte läge besteht aus fol. 186 (einzelnes blatt) , 187 -|-
194 (doppelblatt, welches in sich fasst :) 188 (einzelnes blatt), 189 + 193. 191 + 192
(zwei doppelblätter). Die zahl 190 fehlt bei der beziiferung (s. u.); Kelle und Piper
haben die Zählung nach den uns wirklich vorliegenden blättern berichtigt; sie
bezeichnen also das in der handschrift als 191 gezählte blatt mit 190 usw.
Es trifft also in keinem einzigen falle Pipers angäbe zu, dass der (oder die)
Schreiber von V die schlussverse eines buches auf den vor dem nächsten (schon
geschriebenen) buche leergelassenen räum am anfange eines quaternio geschrieben
habe. Vielmehr besteht allerdings eine beziehung der lageneinrichtung zu der
Unterscheidung der bücher insofern, als von lib. I — IV der text jedes buches gegen
das ende einer läge schliesst, Überschrift und text des anfangscapitels des nächsten
buches aber erst in der nächsten läge begint, und zwar von lib. II — V (bei buch I
war es noch nicht geschehen) abgesondert von dem capitelverzeichnis und bei
lib. II — IV ganz oben am rande der Vorderseite; nur bei buch V ist hier erst der
buchtitel und die ungefähre angäbe des liauptinhaltes angegeben, für die sich vor-
her kein geeigneter platz gefunden hatte. Ich stelle die einzelheiten möglichst
vollständig und genau zusammen :
Buch I schliesst mit 15 zeilen auf 40% leztem blatte von läge VI. Der
rest der seite ist frei ; auf 40 '' steht nur titel und kurze Inhaltsangabe von buch IL
Von quat. VII enthält das erste blatt 41 das capitelverzeichnis von buch II, das
die erste seite 41 '^ ganz , die zweite 41 "^ nur zum kleinen teile füllt ; das erste
capitel von lib. II begint oben auf 42* (zweites blatt von läge VII).
Buch II schliesst mit 10 zeilen auf 72", leztem blatte von läge X. Der
rest dieser seite ist frei ; die nächste enthält wider nur den titel von buch III.
Vom nächsten quaternio XI enthält wider das erste blatt 73 nur das capitelver-
zeichnis von buch III, welches die erste seite 73" ganz, die zweite 73'' nur zum
kleinen teile füllt; das erste capitel von buch III begint auf 74* oben i zweites
blatt von läge XI).
Buch III schliesst mit 14 + 1 zeilen auf IIP, vorleztem blatte von
läge XV. Der rest dieses blattes ist frei; das lezte blatt 112 ist auf jeder seite
zu einer bildlichen darstellung benuzt; beide bilder aber beziehen sich auf den
inhalt des folgenden vierten, nicht des vorhergehenden dritten buches. Dass das
lezte blatt für diese bilder frei blieb, ist erreicht dadurch, dass auf jede seite die-
ses lezten quaternio (fol. 105* — 111*) eine zeile mehr als gewöhnlich (22 statt 21)
geschrieben wurde; hierdurcli ist der räum von 13 zeilen erspart. Für einen buch-
titel mit algemeiner bezoichnung des inlialts, wie er vor buch II und III eine
ganze averso- seite bedeckt, blieb dagegen hier kein platz. Von der nächsten läge
XVI enthält das erste blatt 113 gleich das capitelverzeichnis von buch IV, welches
diesmal auch die zweite seite beinahe füllt, und darunter die Worte: incipit Über
evangeliorum quartus theotii^ee conscripttis (ausführlicliere bezeichnung als vor dem
ÜBER OTFRID ED. PIPER. A. ZUR TEXTKRITIK 109
text von biicli II und III, aber ohne Inhaltsangabe). Das erste capitel von buch IV
begiut auf 114" oben, wider auf dem zweiten blatte von läge XVI.
Bucli IV schliesst mit 14 Zeilen auf 152*, vorleztem blatte von läge XX.
Dieses resultat ist dadurch erreicht, dass zwischen läge XIX und XX das einzelne
blatt 145 eingeschaltet ist. Übrigens enthält fol. 144'' 22, 145" sogar 23 zeilen,
145'' 21 und eine lange capitelüberschrift. Es scheint fast, als ob der schreiber
hier wie bei dem lezten quaternio von buch III erst versuchte, durch Vermehrung
der Zeilen auf jeder seite räum zu sparen, und sich später erst überzeugte, dass
bei einschaltung eines einzelblattes diese vorsieht nicht nötig sei, denn fol. 140 —
151 enthalten wider regelmässig 21 zeilen auf jeder seite.' Der rest von 152°- ist
leer: 152'' und 153* sind bereits zum capitelverzeichuis von buch V benuzt; auf
153 *" steht ein bild (crucifix), das zu dem unmittelbar darauf folgenden abschnitt
V, 1 {cur dominus ignominiani crucis . . . pertulerit) beziehung hat. Auf 154"
(erstem blatte von läge XXI) steht, abweichend von der bei den bücheni II — IV
befolgten gewohnheit, oben erst der buchtitel mit allgemeiner angäbe des Inhaltes:
incipit Über qxmitiis (nicht: evangeliorwm) de resurreetione et ascensione domini
et die iudicii; daran schliesst sich unmittelbar Überschrift und text von capitel V, 1.
Buch V schliesst mit 17 zeilen auf 189"*, dem dritten blatte der vereinigten
lezten läge; die beiden vorhergehenden selten des einzelblattes 188 haben nur je
19 Zeilen. Der rest der seite 189'' ist ausgefüllt mit dem titel der widmung an
Hartmut und Werinbert. Vielleicht folgte hier früher ein besonderes mit 190
numeriertes schluss- oder titelblatt , welches es erklärt, dass die folgenden blätter
unseres codex mit 191 — 194 numeriert sind. Der text der widmung an Hartmut
und Werinbert fült zwar mit seinen 164 -|- 4 versen (die lezten vielleicht eben nur
zur füllung hinzugesezt) genau diese 4 blätter (nur dass zur erzielung eines gefäl-
ligeren abschlusses auf 194 "" 22, auf 194'' nur 20 zeilen geschrieben sind): doch
häugen dieselben, wie oben bemerkt, mit einigen der lezten blätter von buch V
zusammen, haben also niemals von jenen getrent werden können.
Dagegen bilden die beiden Widmungen an Ludwig und Liutbert zusammen
die beiden ersten lagen des codex fol. 0 — 7. Die widmung an Salomo aber hängt
mit den blättern des ersten buches zusammen.
Es zeigt sich also allerdings das bisweilen auch durch Veränderung der Zei-
lenzahl und einschaltung eines einzelneu blattes bezeugte bestreben, den text jedes
buches gegen das ende eines quaternio hin abschliessen zu lassen. Dies wird aber
durch die annähme erklärt, dass der Verfasser und seine freunde jedes buch abge-
sondert durchsehen wolten , während die niederschrift des textes vielleicht unter-
dessen schon auf dem nächsten quaternio mit dem texte des jedesmal folgenden
buches fortgesezt wurde. Es zeigt sich ferner in der einrichtung und bezeichnung
des anfanges der bücher volle Übereinstimmung zwischen II und III, dagegen
kleine abweichungen schon bei IV und noch mehr bei V; doch lassen diese sich
durch die rücksicht auf die im vorherigen quaternio eingeschalteten, jedesmal auf
das folgende buch bezüglichen bilder erklären.
1) Abweichungen von der gewöhnlichen Zeilenzahl von 21 .sind soni5t nur verein-
zelt. Auf fol. 12" stehn 23 verse I, 1, 74 — 96 auf 22 Zeilen (zwei ver.se später zuge-
sezt? Ein anderer grund ist hier nicht zu finden, denn auf 12''. 13" stehn 21). 22
verse stehn ausserdem noch auf IG" (I, 4, 7 — 28 auf 21 zeilen) und auf 194" (Hartm.
1^7—148). Nur je 19 zeilen stehn auf den beiden selten des blattes 131 (IV, 15,
30 — IV, 16, 2), sowie des einzelblattes 188 (V, 25, 29 — 66).
110 ERDMANN
Nach alledem tiiide ich in der eiiirichtiiug der lagen des codex keinen erheb-
lichen grund gegen die annähme, dass der codex V (abgesehen von den Widmun-
gen an Ludwig und Liutbert, die nachträglich geschrieben und vorgeheftet sein
können) von der widmung an Salomo bis zu der schlusswidmung an die Sanct Gal-
ler mönche im ganzen continuierlich so geschrieben sei, wie er uns vorliegt, und
ich habe auch keinen grund , grosse pausen zwischen der uns vorliegenden nieder-
schrift der einzelnen büclier anzunehmen. Dass die capitelverzeichnisse von buch
II — IV, die jedesmal ein besonderes blatt, und zwar das erste eines quaternio,
ausfüllen , erst nach dem texte der betreffenden bücher gesclirieben seien , ist mög-
lich, aber nicht als notwendige annähme erwiesen: bei buch V, wo das capitelver-
zeichnis auf zwei blättern der vorhergehenden läge steht, ist os mir wenigstens
unwahrscheinlich, bei buch I aber, wo der text von I, 1 sich fol. 10* unmittelbar
in genauer Übereinstimmung der Zeilenzahl an das capitel Verzeichnis anschliesst,
gar nicht glaublich.
B. Zur litteraturgeschichte.
1) Den äusseren lebe ns gang Otfrids aufzuhellen hat Piper sich eifi'ig
bemüht (s. 1^-42, vgl. auch s. 238 fg.). Über das vorkommen des namens in
Weissenburger Urkunden, über Werinbert und Hartmut. über Salomo von Constanz,
über den abt Grimald von St. Gallen und andere gönner und freunde Otfrids wer-
den die bisher bekanten notizen zusammengestelt und aus den quellen um neue
vermehrt. Es wird aus dem allen ein lebensbild Otfrids construiert, das freilich
in vielen punkten über die blosse Vermutung nicht herauskomt. Ich verweise hier-
für auf das buch selbst und möchte mich hier nur gegen eine bedenkliche neigung
Pipers erklären. Oft zieht er als quellen für das äussere leben Otfrids einzelne
stellen des evangelienbuches heran, indem er ort und gelegenheit augeben will,
wo Otfrid die im buche ausgesprochenen crfahrungen erworben , die ausgedrückten
Stimmungen des gemütes erlebt habe. Ich halte es für falsch, wenn man Otfrid
gar keine objectivität, gar kein versenken in seinen stoff zutraut und deshalb in
manchen durchaus dem behandelten gegenstände angemessenen stellen gewaltsam
eine beziehung zu persönlichen erlebnissen des dichters , die zum teil in eine viel
frühere zeit fallen sollen , finden will. Icli rechne hierher zunächst die von Piper
auf s 1. 17 der einleitung und auch im comraentar in dieser richtung verwertete
bekante stelle I, 18, 25 — 30 nuoJaga elüenti, harto bistü herti fg. Nach Jac.
Grimms vorgange hat man diese worte fast algemein als eine hiudeutung auf Otfrids
eigene, entweder zur zeit der dichtung fortdauernde oder früher durchlebte entfer-
nnng von seinem geburtsorte erklärt. Wenn die worte sich unmittelbar an die
erzählung von der heimkehr der magier anschlössen und etwa die Sehnsucht der-
selben nach ihrer heimat erläuterten, so wäre eine solche auffassung und erklärung
derselben zulässig; ähnliche, wenn auch meist kürzere berufungen auf die eigene
erfahrung des dichters und des lesers finden sich auch sonst bei Otfrid. Aber hier
bietet das erzählte factum gar keine veranlassung dazu. Die weisen kehren nicht
aus Sehnsucht nach der heimat, sondern auf befehl des engeis heim. Auch schlies-
sen sich die worte gar nicht unmittelbar an die erzählung von den weisen I, 17
an, sondern sie stehn erst in dem folgenden, in sich einheitlichen und in stetem
gcdankengange fortschreitenden betrachtenden abschnitte I, 18. Hier wird mystisch
die heimat auf das himmelreich, das ausländ auf die irdische weit mit ihrer angst
und not gedeutet , und nur in diesem allegorischen sinne sjtricht Otfrid von seinem
und der leser herrlichem adnlerbi (v. 17), sowie von dem elüenti (v. Iß. 25 fg.),
ÜBER OTFRID ED. PIPER. B. ZUR LITTERAT^RGESCHICHTE 111
dessen bittcrkeit er crfuliren und empfunden liabe. Gewiss bezcTigt diese stelle ein
tiefes ö-efülil und eine lebliafte gemütsbewegung des dicbters: das liegt aber daran,
dass ihm die religiösen gedanken, die er ausspricht, Avirklicli hohe und lieilige
herzenssachc waren, und dass durch sie auch seine worte poetischen schwuug und
echte begeisterung erhalten konten. Und so finde ich in diesen versen allerdings
ein bedeutsames zeugnis für Otfrids dichterische eigentümlichkeit , nicht aber eine
aus dem zusammenhange herausspringende ansjiielung auf ein äusseres ereignis sei-
nes lebens. Dass mir dieses Zeugnis übrigens auch lieber und wertvoller ist, als
eine biographische notiz es sein könte, bitte ich meinem geschmacke zu gute zu
halten. Ebenso urteilte über die stelle schon Grünhagen (Otfrid und Heliand
s. 8), sowie Eechenberg (Otfrid s. 102), dessen oft sehr feine und verständnis-
volle bemerkungen über Otfrids eigentümlichkeit bisher wenig berücksichtigt wor-
den sind.
Ebenso halte ich für eine unnütze Spielerei die Vermutung Pipers (s. 25),
dass Otfrid die III. 3, 13 fg. ausgesprochene erfahrung von der falschen Wert-
schätzung der grossen menge gerade als schüler des Hrabanus Maurus gemacht
habe. Solche erfahrungen kann man überall machen.
Dass im himmelreiche die leiden des alters, krankheiten, tod, begräbnis
fortfallen, dass es dort keine nacktheit und keine armut gebe, war ein in kirch-
lichen lateinischen gedichten schon oft ausgeführter gedanke: manche speciellen
Züge finden sich in ähnlicher weise wie bei Otfrid V, 23 schon in den dichtungen
des Syrers Ephraem. In der stelle V, 23, 137 — 144 aber, wo von krankheit, alter
und husten die rede ist, eine besondere beziehung auf Otfrids eigene körperbeschaf-
fenheit zu suchen, wie Piper s. 15 — hier in Übereinstimmung mit Eechenberg —
tut, ist um so unpassender, als gerade dieser abschnitt nach Pipers eigenen aus-
führungen höchst wahrscheinlich zu den früheren des werkes gehört. Dasselbe gilt
von der stelle I, 4, 51 — 56 (Piper s. 15). Das verweilen des hohenpriesters Zacha-
rias bei den ti'aurigen folgen, die sein alter für ihn und seine gattin hat, (das
sehr massvoll und würdig erscheint gegenüber der breiten ausführlichkeit , mit der
Zacharias im Heliand 151 — 157 sich in ausmalung der hässlicheu züge des grei-
sen körpers ergeht) , hebt die anschaulichkeit der erzählung in echt epischer weise
und entspricht vielen anderen stellen, an denen Otfrid in die reden seiner personen
charakteristische züge selbständig einlegt. Daraus aber zu folgern, dass Otfrid bei
abfassung dieses abschnittes , der nach spräche und versbau zu den ältesten des
ganzen werkes gehört, selbst ein greis gewesen sei, ist seltsam.
Den abschluss seines Werkes vergleicht Otfrid in einem passenden und fein
durchgeführten vergleiclie V, 25, 1 — 6 mit dem ende einer langen seefahrt: dass
er die dort ausgedrückten anschauungen und kentnisse nur durch längeren aufent-
halt am Bodensee habe erwerben können (s. 3G) , will mir nicht einleuchten. Die
folgerung komt mir etwa vor, als wenn man aus Goethes ,, Seefahrt" auf eine wirk-
liche Seereise des dichters schliessen wolte. Man darf von der lectüre und der
eigenen phantasie Otfrids nicht zu gering denken. Mit demselben rechte könte
Piper aus I, 2, 1 — 2 folgern, dass Otfrids mutter eine leibeigene gewesen sei,
oder aus III, 1, 32 fg. , dass sie ihn oft arg geschlagen habe.
2) Auch die für das Verständnis und die beurteilung des otfridischen werkes
wichtige frage nach den quellen Otfrids hat Piper einleitung s. 251 — 258 und
gelegentlich im commentar behandelt, ohne jedoch die positiven und negativen
ergebnisse der unter.suchuug vidlig ausgenuzt und veranschaulicht zu haben. Piper
unterscheidet drei klassen von quellen Otfrids: 1. Text der Vulgata. 2. Lateinische
112 ERDMANN
commentarc und andere theologische Schriften. 3. Deutsche quellen. Unter diesen
gewährt ohne zweifei die erste klasse, nämlich die von Otfrid benuzten stellen
des Vulgatatextes , bei genauer vergleichung mit Otfrids Worten die wichtigsten
und umfassendsten resultate. Vielleicht weil diese quelle am leichtesten für jeden
leser erreichbar war, haben die früheren horausgeber und erklärer sie am wenigsten
eingehend berücksichtigt. Scherz z. b., der doch den Otfrid ins Lateinische über-
sezte, hat gar nicht einmal daran gedacht, seine Übersetzung mit der lateinischen
hauptquelle Otfrids zu vergleichen, wodurch allein er an sehr vielen stellen seine
auffassung hätte berichtigen können. Kelle machte den grossen fortschritt, dass er
unter seinem texte den anfang jedes grösseren evangelienabschnittes angab, dem
Otfrid gefolgt war. Schon aus diesen angaben Keiles Hesse sich die völlige grund-
losigkeit der leider selbst von H. Kückert (Einleitung zur ausgäbe des Heiland
s. VIII) ausgesprochenen beliauptung erweisen , dass Otfrid den Tatian als leitfaden
bei seiner anordnung benuzt habe und ihm im ganzen sogar treuer, wenigstens
entschieden geistloser als der dichter des Heliand gefolgt sei. Wie dieses beispiel
beweist, waren die angaben Keiles selbst für fachgelehrte zur erkentnis des von
Otfrid befolgten Verfahrens nur dann brauchbar, wenn sie zu jedem abschnitte
Otfrids die Vulgata und bei vergleichung mit dem Heliand auch den Tatian auf-
schlugen und vers für vers verglichen. Im einzelnen war auch bei Kelle manches
citat unrichtig oder unvolständig gegeben. Piper hat unter dem texte die citate
aus den evangelien etwas genauer angegeben als Kelle und ausserdem viele, von
Kelle meist nicht angegebene, stellen aus anderen büchern der bibel citiert, die
Otfrid gelegentlich einÜicht oder andeutet. In welcher art aber Otfrid die bibel-
stellen benuzte , das wird auch durcli Pipers (teilweise ebenfalls der berichtigung
bedürfende) angaben nicht veranschaulicht. ^ Für das lehrreichste und fruchtbarste
verfahren würde ich auch bei Otfrid halten das von Sievers in seiner ausgäbe des
Heliand befolgte: völligen abdruck der wirklich von Otfrid widergegebenen werte
des bibeltextes mit andeutuug der lücken und genauer bezeichnung der betreffenden
verse Otfrids und der capitel und verse der bibel, die lezten zur bequemlichkeit
der leser nach der modernen Zählung. Dass eine genaue vergleichung dieser bibel-
stellen mit den Worten Otfrids sehr lehrreich und unter umständen höchst interes-
sant ist, habe ich, seitdem ich mir eine möglichst vollständige Zusammenstellung
derselben gemacht habe, vielfach erfahren. Manche sprachliche controverse wird
durch die blosse angäbe der quelle erledigt. So ist in der stelle 1,2,1 mwla
druhtin min, iä hin ili scale thin die richtige deutung der partikeln wola und ja
sofort gegeben, wenn man die (schon von Rechenberg s. 72 gefundene) quelle nach
1) In dem ersten aus den evangelien entnommenen abschnitt I, .S z. b. ergibt
die vergleichung folgendes resultat: die verse 1 — 2. 15 — 16 freie ausführung der stelle
Mt. 1, 1 liber gener ationis Christi , ßlii David, filii Ahralmm. 5 — 6 nach Luc. 3, .'iS ..
qui fuit Adam, qui fuit Bei. 23 — 24 mit bezug auf die Mt. 1, 17 angedeutete drei-
teilung der ahnen Christi, die aber von Otfrid eigentündich angewant wird. 27 — 28
anspielung auf Jes. 11, 1 et egredietur rirga de radice Jesse, et flos de radice eins ascen-
det. 35 — 36 kurze notiz über eine der vielen, in den commentaren des Beda und drs
Hrabanus zu Mt. 1, 17 ziisammengestelten mystischen zahlenspiolereien. Alles dazwi-
schen liegende ist eigene, wol disponierte und in abschnitte von je 4 versen gegliederte
ausführung Ottrids. Wenn nun Kelle (s. 59) und Piper dazu einfaeh als quelle hin-
setzen: Mt. 1, 1 17, und dann eine lange stelle aus Hralianus abdrucken, so erweckt
dies ein ganz falsches bild von der tätigkeit Otfrids.
ÜBER OTFEID ED. PIPER. B. ZUR LITTER ATURGESCHICHTE 113
dem Vulgatatexte vergleicht: psalm 115, 16 o domine, quia ego servus tuus,
Über I, 16, 23 s. oben. In dem verse IV, 11, 5 krist minnöta thie sine unz in
enti themo Vthe kann ich die beiden lezten worte nur verstehn als eine nicht recht
gelungene Übertragung des lat. in mundo (Joh. 13, 1: . . cum dilexisset suos, qui
ernnt in mundo, in flnem dilexit eos). Der ausdruck des verses IV, 27, 23 Pila-
tus hiiab giscribana sines selben redina wird verständlich durch corabination von
Joh. 19, 19 scrijosit [autem et titulnm] Pilatus et posnit super crucem mit Mt. 27, 37
[et imposuernnt super Caput eiusj causam ipsius scrij)tam. Vgl. IV, 36, 17 sie . .
tliaz grab gizeinötun 18 . . mit mihileru festi mit Mt. 27, 66 munienint sepulchrum
signantes hipidem. IV, 30, 2 hertön scheint hinzudeuten auf die im Tatian nicht
berücksichtigten Worte Marc. 15, 31 summi sacerdotes illudentes ad alterutrum
cum scribis dicebant.
Von Otfrids leistungen als Übersetzer und erklärer kann man nicht gering
denken, wenn man seine worte mit dem Vulgatatexte vergleicht. Mit ausnähme
desjenigen, was er aus bcstimten gründen übergeht, ist er sichtlich bemüht, den
sinn der bibelworte bis auf die kleinsten einzelheiten genau und vollständig wider-
zugeben. In mancher widerholung erkent man das bestreben , die zuerst noch nicht
ganz gelungene oder noch nicht für jedermann verständliche Übersetzung durch
Umschreibung desselben gedankens mit anderen worten fasslich zu machen. Öfters
zeigt sieh eigentümliche combination verschiedener berichte; öfters auch das bestre-
ben scheinbare Widersprüche auszugleichen. Durch die vergleichung mit dem Vul-
gatatexte erst unterscheidet man deutlich Otfrids eigene zusätze, motivierungen,
erläuterungen. Genaue Unterscheidung synonymer worte zeigt sich oft : so II, 22, 9
sehet nach Mt. 6, 26 respicite, 13 beginnet anascouön nach 28 considerate. Über
die Unterscheidung von fons und puteus II, 14 spreche ich unten.
Unrichtige auffassung der lateinischen construction zeigt sich verhältnis-
mässig sehr selten. Ich habe , obwol ich besondere aufmerksamkeit darauf gerich-
tet habe , im ganzen Otfrid nur folgende stellen gefunden , in denen man eine
solche annehmen muss: I, 10, 13 sös er gihiaz . . 14 thaz er uns sin gisiuni in
lichamen gäbi , frei nach Luc. 1, 73 [iusiurandum,] qiiod iuravit . ., daturum se
nobis, 74 ut fg. Die worte Otfrids geben zwar einen guten sinn, scheinen aber
anzudeuten, dass er se als object zu daturum construierte. II, 13, 28 giduent sie
lütmäri, thaz er io druhtin uuäri nach Joh. 3, 33 ... signavit, quia deu^ verax
est. Otfrid fasst das adj. verax attributiv, nicht prädicativ. II, 14, 71 ther geist,
ther ist druhtin nach Joh. 4 , 24 Spiritus est deus , wo Otfrid Spiritus und nicht
deus als subject des satzes ansah. Nicht hierher rechne ich die stelle I, 15, 18
thia heili , thia thti uns garotös , er thü luiorolt uuorahtös. Sie entspricht Luc. 2,
30 salutare tuum , 31 qxMd parasti ante faeiem omnium populorum. Dass Otfrid
auch nur in augenblicklichem misverständnis fades für ein von facere abgeleitetes
subst. = creatio geuomraon habe , ist mir doch nicht glaublich. Er hat wahrschein-
lich diese ihm auch sonst geläufige wendung, die er V, 23, 26 (wahrscheinlich nach
Ephes. 1, 4 elegit nos in ipso ante mundi constitntionem) ebenfalls gebraucht hat.
selbständig zur füllung des verses eingeschoben.
Nicht uninteressant ist übrigens das Verhältnis der lateinischen capitel-
überschriften und randbemerkungen zum lateinischen Vulgata- und zum
deutschen Otfridtexte. Piper hat dieselben diplomatisch genau beschrieben und
widergegeben; sie verdienen aber auch nach ihrem Wortlaute und inhalte eine
genauere Untersuchung. Bei weitem die meisten sind der von Otfrid gerade über-
sezten bibelstelle entnommen , aber öfters mit abweichungen vom lateinischen bibel-
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE' PHILOLOGIE. BD. XI. "
114 ERDMANN
texte, die nur durch rücksicht auf Otfrids deutsche worte zu erklären sind. So z. b.
zu III, 4, li> cognovit Christus als hauptsatz nach Otfrids construction , während
in der quelle Joh. 5, 6 steht: cum . . cognovisset Jesus fg. III, 8, 41 domine,
adjuva me nach Otfrids hilf mir, während Mt. 14, 30 steht salvum me fac. Vgl.
III, 5, 7. 9, 1. 11. Bisweilen aber stamt die randbemerkung aus einer ganz ande-
ren stelle, als diejenige war, welche Otfrid übersezt hatte; so II, 22, 31 quis ex
vobis patrem petit panem aus Luc. 11, 11, während Otfrid hier genau nach Mt. 7, 9
gearbeitet hat. Bisweilen enthält die randbemerkung worte, die Otfrid bei der
Übersetzung ausgelassen hatte; so zu III, 4, 47 [ahiit ille homo et] nunciavit
(Joh. 5, 15). Einmal bietet die randbemerkung einen ganz anderen text, als der
war, den Otfrid übersezte: I, 4, 41 com^ertet corda fdiorum ad patres eorum (Luc. 1,
17); Otfrid las: corda patrum in f'dios. Manche randbemerk ungen und Überschrif-
ten sind ganz freie Inhaltsangaben ohne rücksicht auf eine einzelne bibelstelle. Zu
IV, 16, 55 hebt dies auch Piper hervor.
Dass auch die sogenanten apokryphischen evangelien auf Otfrids
erzählung eingewirkt haben, hat für die stellen I, 5, 11. 12. I, 17, 27 nachgewie-
sen Schade, liber de infantia Mariae et Christi salvatoris (Königsberger universi-
tätsschrift 1869. I) s. 6. 23. 32. Piper hat davon keine notiz genommen.
Was die zweite klasse der otfridischen quellen, die lateinischen commen-
tare und andere theologische schriften jener zeit betrift, so hat Kelle, durch Lach-
manns bemerkung angeregt, nach fieissiger Untersuchung bereits so reiche nach-
weise von stellen gegeben, die Otfrid sicher oder höchst wahrscheinlich benuzt hat,
dass Vervollständigungen aus der uns erhaltenen kirchlichen litteratur nur noch in
geringem masse möglich sein werden. Piper hat nur unbedeutende nachtrage gelie-
fert, unter denen z. b die zu I, 6, 15 — 18 aus Beda ausgeschriebene stelle gar
wenig zu Otfrids Worten passt. Mir bleibt bei den höchst verdienstlichen nachwei-
sen Keiles jedoch ein bedenken , das Piper auch nicht gehoben hat. Die von Piper
(s. 251) ohne weiteres nachgeschriebene behauptung Keiles (I s. 46), dass Otfrid
für die stellen aus Matthaeus ausschliesslich den commentar des Hrabanus Maurus,
für die aus Lucas aber den des Beda, für die aus Joliannes den des Alcuin benuzt
habe, kann ich nicht als völlig bewiesen anerkennen. Da die verschiedenen com-
raentare unter einander und mit älteren theologischen schriften (des Augustin, Hie-
ronymus , Gregor) vielfach wörtlich übereinstimmen , und da durch Otfrids eigenes
Zeugnis erwiesen ist, dass er auch diese lezteren kante und studierte, so wird der
nachweis darüber, welche schrift er für jede stelle zu rate zog, zumal bei der lau-
gen dauer der arbeit, nicht mit Sicherheit zu führen sein. Ich mache z. b. darauf
aufmerksam . dass die von Kelle aus Alcuins commentar zum Johannesevangelium
angeführten stellen fast sämtlich auch in Bedas commentar zum Johannes stehn ;
die einzige bemerkenswerte ausnähme ist der satz: nee expeetavit [Judas] audire,
quid ei responderet Jesus, quia forte non dignus erat audire (Alcuin zu Joh. 18, 38;
quelle für Otfr. IV, 22, l** ih uiieiz [er] es uuirdig ni uuard, 2 thaz er thaz
gihörti , uuaz druhtln thes giquäti) , den ich bei Beda nicht gefunden habe. Ebenso
stehn die aus Hrab. Maurus zum Matthaeus angeführten stellen meist auch in
Bedas commentaren oder homilien. Nach angäbe der Kölner ausgäbe des Hrabanus
hatte derselbe auch einen commentar zu den evangelien des Marcus, Lucas, Johan-
nes geschrieben oder zusammengestelt, der für uns verloren ist. Vielleicht haben
in diesem alle die stellen ebenfalls gestanden, die Kelle aus den anderen commen-
taren citiert, vielleicht war er aucli die quelle für manche jezt noch nicht belegte
stelle Otfrids. Während sich so die quellenangaben aus den commentaren vielleicht
ÜBER OTFRID KD. PIPER. B. ZUR LI TTERA TÜRGESCHICHTE 115
vereinfachen Hessen, wenn uns der des Hrabanus vollständig vorläge j muss doch
immer die beiuitzung verschiedener anderer Schriften in ausgedehntem masse zu-
gestanden werden. In Gregors liomilien finden sich auch ausser den in die von
Kelle angeführten comnientare aufgenommenen stellen einige , die Otfrid entweder
direct oder durch verniitlung andere)- Schriften benuzt hat. Ich kann als solche
stellen anführen: 1) Zu I, 11, 55 druhtin queman ivolta , thö man alla uuorolt
zalta, thaz unir sin cd giltclie gibriefte in himilriclic , vgl. Gregor homil. 8, 1
(sp. 1460) quid est, quod nascituro domino mimdus describitur, nisi hoc, quod
aperte monstratur, qiiia ille vcniebat in carne, qui elcctos suos ascriberet in aeter-
nitate? (Bei Beda ad Lucam nicht aufgenommen). 2) Zu I, 12, 31 hiseof, tlier
sih uuachoröt ubar kristinaz thiot , tlier ist ouh würdig scönes engilo gisiunes
aus derselben homilie (sp. 1461 e) Quid est, quod vigilantibus pastoribus angelus
apparet , . . nisi quod Uli prae cetcris videre subliviia merentur, qui fidelibus gre-
gibus praeesse solliciie sciiont? Duinque ipsi pie super greges vigilant, divina
super eos gratia largius coruscat. Dies fast wörtlich auch bei Beda zu Luc. 2 , 9
(V, 206). 3) Zu V, 12, 1 lekza therero uuorto thiu gruazit zeichan harto, . .
9 in uuelicha uuisün uuurti, ther man uuas in giburti , . . 11 ioh habet fasto ou?i
unser muat, sid er fon döde selbo irstuant , 12 giuuisso imizun uuir thaz,
theiz sid uuär liehamo uuas, 13 uuio er selbo quämi . . 14 bisparten
duron thara zi in, vgl. Greg, homil. 26 (sp. 1552): prima lectionis hujus erange-
licae quaestio animum pulsat, quomodo post resurrectionem corpus domi-
nicum verum fuit, quod clausis januis ad discipulos ingredi potuit. (Dies
steht bei Beda zu Luc. nicht).
Wichtig aber ist ferner, dass auf die art gewicht gelegt werde, in welcher
Otfrid die ihm vorliegenden erklärungsschriften verwertete. Während er den bibel-
text mit gröster Sorgfalt und treue übersezt , zeigt er sich diesen ' Schriften gegen-
über durchaus selbständig sowol in der auswahl des in ihnen massenhaft gebotenen
Stoffes als im sprachlichen ausdruck. Nur selten haben diese Schriften, wie es bei
zwei der eben angeführten stellen aus dem ersten und fünften buche der fall ist,
merklich auf den ausdruck im einzelnen eingewirkt. Ein herausgeber Otfrids könte
sieh daher, wie ich glaube, auf den abdruck solcher stellen, bei denen eine solche
ein Wirkung sichtbar ist, beschränken und sonst mit einfachem citate oder kurzer
inhaltsangabe der in den commentaren gegebenen erklärungen begnügen. Oft hat
Kelle lange stellen abgedruckt, aus denen Otfrid nur wenige wortc wirklich deutsch
widergegeben hat, und Piper dann nur wenig davon gestrichen.
Es liegt nahe als eine besondere gruppe der lateinischen quellen Otfrids
hymnen und andere christliche dichtungen zu vermuten. Schon Eechen-
berg s. 81 hatte darauf aufmerksam gemacht, dass die verse III, 6. 35. 36 so thaz
heri thö gisaz, thaz hröt gisegonötaz az , iz uuuahs thär thera ferti in m rinde
ioh in henti anklänge an einige stellen des hymnus Ambrosianus de epiphania
Domiui (Moue I, 75; Daniel I, 14) enthalten: 23 edentium sub dentibus in ore
crescebat cibus. 29 inter manus frangentium panis rigatur pfofluus. Doch
stimme ich mit Sievers (Heliand s. XLII) darin überein, dass dies bei Otfrid wie
im Heliand 2859 nur als Verwertung eines durch jenen hymnus zum gemeingute
gewordenen bildlichen ausdrucks zu betrachten ist; Otfrid widerholt das verbum mit
Variationen der anderen satzbestimmungen nach seiner art dann noch 37. 42. Nach
ähnlichen berührungen des ausdrucks mit Otfrid habe ich die hymnensamlungen
von Daniel und Mone eingehend durchsucht, ohne jedoch (wie dies auch Rechen-
berg a. a. 0. andeutet) ein irgendwie nennenswertes resultat zu finden. Auch das
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116 EEDMANN
gedieht Bedas de die iudicii , das Piper zu V, 23 anführt , stimt nur in dem grund-
gedanken, der auch in unzähligen anderen dichtungen ausgesprochen war, mit
Otfrids ausführung überein. Also ist es zwar sicher, dass Otfrid durch die ihm
bekanten lateinischen dichtungen christlichen Inhaltes die algemeine anregung zu
seinem werke erhielt; vielleicht wurde er auch durch rücksicht auf sie bestirnt,
manche in der christlichen poesie häufig behandelten stoffe ebenfalls in sein werk
hlneinzuziehn und zum teil mit besonderer kunst zu behandeln (Weltschöpfung II, 1.
Weltgericht und paradies V, 20. 23; Eigenschaften und Wirkungen des heiligen
kreuzes V, 1 — 3 ; persönlicher kämpf zwischen Christus und satan 1 , 5 , 51 — 58.
II, 4, 5-26. IV, 12, 61-64. V, 16, 2 — 4). Ferner hat er ihnen in der for-
mellen technik bisweilen manches nachgebildet, wie den refrain, anfange von
responsorien, gliederung in strophen von gleicher verszahl. ' Auch die öfters vor-
kommenden widerholungen^ von halben oder ganzen versen (das lezte auch in
Dkm. XIII (Psalm 138) nach der handschriftlichen Überlieferung) können vielleicht
auf einen derartigen einfluss zurückgeführt werden. Übereinstimmungen in der
behandlung des einzelnen und im sprachlichen ausdruck aber sind bisher fast gar
nicht nachgewiesen ; wir werden daher annehmen müssen , dass Otfrid die ihm
bekanten christlichen lateinischen dichtungen als Vorbilder und muster, nicht aber
als eigentliche quellen betrachtet und benuzt habe.
Nur kurz und unklar spricht Piper s. 251 über die dritte klasse der
quellen Otfrids, über das was er „deutsche quellen" nent. Die neben sehr vielen
entschiedenen abweichungen öfters hervortretenden Übereinstimmungen Otfrids mit
dem Heliand sind zu erklären teils durch benutzung derselben oder ähnlicher
lateinischer quellen, teils auch wol dadurch, dass eine gewisse tradition, ein über-
einstimmender usus in auswahl , anordnung , erklärung und anwendung der bibli-
schen geschichten in Deutschlands klöstern geptiegt wurde. Dass aber manche
verse Otfrids sich wörtlich auch in anderen ahd. gedichten finden, ist bei der gerin-
gen anzahl und ausdehnung der aus jener zeit erhaltenen doch sehr bemerkens-
wert. Es scheint daraus hervorzugehn , dass deutsche metrische Übungen , die mit
Übertragung bestimter kirchlicher formein und redewenduugen , vielleicht auch
psalmstellen (vgl. Otfr. I, 2, 1. 2) beginnen und zur composition von gedichten
kirchlichen inhaltes fortschreiten mochten, sowol in alliterierenden als in gereim-
ten versen an verschiedenen stellen und vielleicht schon vor Otfrid gepflegt und
verbreitet wurden. Ein vers wie Petruslied 3, 2, den Otfrid in fränkischen
wortformen mit aufgäbe des dort vorhandenen genauen reimes gibt I, 7, 28 thaz er
uns firdänen giuuerdö ginadön (dort: ginaden) mochte nicht nur von Petrus und
Johannes, sondern auch von manchem anderen apostel oder heiligen in metrisch
1) Oft zerfallen längere partien deutlich in abschnitte von 4 langversen. Vgl.
z. b. I, 27. II, 15. 18 u. a. Abschnitte zu vier hexametern finden sich häufig im
Diptychon des Prudentius , den ja Otfrid als sein Vorbild nent. Dass freUieh Piper
(zu 111, 22) nach Behringer die bei Otfrid häufig bemerkbare gliederung des stotfes
mit der erst nach der erfindung der buchdruckerkunst gemachten einteilung des bibel-
textes in verse zusammenbringt, beweist nur, dass er im stände ist unüberlegte einfalle
anderer kritiklos nachzuschreiben. Dasselbe zeigt sich übrigens auch bei einer andern
grille des herrn Behringer, die Piper zu I, 20, 23 anführt.
2) Ein halbvers ist widerholt IV, 3, 18''. 19». V, 4, 54'^. 55 ^ V, 11, 16^
17*. V, 12, 36*. 37*. 42". 43*, weniger genau III, C, 36*. 37*; ein ganzer lang-
vers 1,6, 16. 17. Widerholung de.sselhen gedankens in chiastischer Umstellung der
»atzbestandteile findet sich III, 6, 8. 9. III, 16. 71. 72.
ÜBER OTFßlD ED. PIPER. B. ZUR LITTERATÜRGESCHICHTB 117
geformten Sprüchen oder gebeten gebraucht sein. Ebenso mag es alliterierende
Schilderungen der herlichkeit des himmelreiches , die den Apocal. 21 , 4 gegebeneu
grundgcdanken ausführten, in verschiedener fassung gegeben haben, da dieses
thenia in kirchlichen lateinischen dichtungeu sehr beliebt war. Eine solche fassung
liegt vor in jenem Muspilli 14 und bei Otfrid I, 18, 9 überlieferten verse thär
ist lib dna töd, Höht äna fmstri. Zu beachten ist, dass nach diesem verse bei
Otfrid statt des im Muspilli folgenden nur alliterierenden ein anderer steht, wel-
cher alliteration und reim verbindet: engilo (sj)äter: engilichaz) kunni loh eiminigo
uuunni; überhaupt ist ein herausarbeiten Otfrids aus dem alliterierenden verse
und seiner technik in den neuen reimvers ohne völlige aufgäbe der alliteration in
den älteren teilen des Werkes auch sonst merklich. Dass auch ein otfridischer
halbvers (1 , 27 , 31 '' sös er uuola kondu) ganz mit einem verse eines Mersebur-
ger Zauberspruches , und ein anderer (II , 4 , 26 "^ uuer ther fater uuäri) grös-
tentheils wörtlich mit einem verse des Hildebrandsliedes übereinstimt, hat
Piper nicht angemerkt. — Ungenügend und wenig eindringend ist auch das,
was Piper, einigen bemerkungen der zweiten ausgäbe von Müllenhoifs und Sche-
rers denkmälern oline eigene Untersuchung folgend, über das Verhältnis von
Otfr. II, 14 zum Leich von der Samariterin (Dkm. X) sagt. Die ver-
gleichung beider darstellungen unter sich und zum teil auch mit der deutschen
Übersetzung des Tatian 87 (im Heliand ist die geschichte wie vieles aus Johan-
nes ausgelassen) zeigt allerdings spuren einer gemeinsamen tradition, eines über-
einstimmenden usus bei behandlung dieser geschichte, die in den klosterschulen
oft genug erzählt und besprochen werden mochte; aber kein für mich genügender
grund liegt vor für die annähme, dass Otfrid gerade jenes gedieht gekaut habe,
oder dass er gar mit v. 8"" ausdrücklich auf dasselbe habe verweisen wollen. Über-
einstimmung der satzform und Satzverbindung zeigt sich namentlich zwischen
Otfr. II , 14 , 31 und Sam. 15 , wo die (im Tatian genau wörtlich übersezte) zwei-
felnde frage des lateinischen textes in einen negativen behauptungssatz verwandelt
ist; zwischen Otfr. 30 und Sam. 14, wo das (auch im Tatian nicht übersezte)
ergo des lateinischen textes ausgelassen und der satz selbständig (bei Otfrid aus-
drücklich noch durch ubar thaz als etwas neues bezeichnet) ist; zwischen Tatian
87, 3 und Samar. 11, wo statt der lateinischen coordinierten sätze Joh. 4, 10 tu
forsitan petisses ab eo et dedisset tibi beidemal abhängige construction steht:
Tat. 87, 3 thü odoiuiän . . bätis fon imo, thaz he dir gäbi; Sam. 11 tu bätis dir
unnen fg. Otfrid dagegen scheint mir hier der construction des lateinischen textes
zu folgen 25 thü bätis inan odo sär, er gäbi thir in alauuär, dann bätest du ihn
vielleicht, {und) er gäbe dir gewiss fg. (schwerlich so gemeint: du bätest ihn, er
möchte dir geben, wozu die Wortstellung und die beteuerung in alauuär nicht passt).
Merkwürdig weicht sowol Otfrid als auch jenes gedieht von der (im deutschen text
des Tatian genau befolgten) construction des lateinischen textes ab bei der stelle
Joh. 4, 15 dicit ad eum midier: domine, da mihi hanc uquam , ut non sitiam
neque veniam huc haurire. Otfrid sezt statt des imp. einen conditionalen conj.
prät. 43 thü mohtis , quad siu , einan ruam ioh ein gifuari mir giduan , mit themo
brunnen, thü nü quist , mih uuenegün gidranktist fg.; und ebenso muss, wenn man
nicht eine ganz unmotivierte Verletzung der tempusfolge annehmen will , aufgefasst
werden Sam. 21 herro , ih thicho ze dir, thaz uuazzer gäbist du mir = herr, ich
bitte dich, dieses ivasser köntest du mir wol geben. Dem sinne nach sind ferner
übereinstimmend die Zusätze Otfr. 45 sus emmizen, Sam. 22 ubar tac. In vielem
anderen aber weicht Otfrid von der kurzen erzählung jenes gedichtes erheblich ab.
118 EBDMANN
Das verlegen tatsächlicher umstände in die rede der sprechenden ijerson ist ein
kunstindttel, welches beide anwenden, aber an verschiedeneu stellen. Fast überall
sind die ausdrücke bei Otfrid ganz andere als dort ; bemerkenswerte Übereinstim-
mung im einzelnen bietet eigentlich nur der ausdruck hita = gebet oder heteplatz,
der Sam. 31 und (nicht in dem genau entsprechenden satze) auch wahrscheinlich
Otfr. 58 anzusetzen ist, da das von ihm sonst öfter gebrauchte bita hier nicht recht
passen würde (II, 4, 41 braucht er beta .^ bitte). Ausserdem steht bei Otfrid an
den beiden stellen, im Sam. an der ersten von beiden, wo im bibeltexte (Job. 4,
11 und 12) das wort puteus vorkomt, ein aus diesem entlehntes fremdwort, aber
in abweichender form: Otfr. 2ft und 34 tlier pwzzi, Sam. 12 dii^iu buzza; für das
lateinische fons brauchen beide das deutsche wort brunno, welches Sam. auch an
der dem puteus Job. 4, 12 entsprochenden stelle v. 16 sezt. Dieselbe Unterschei-
dung aber findet sich bereits im deutschen Tatian 87, wo für lat. fons überall
brunno, für puteus an jenen beiden stellen ein fremdwort gesezt ist, mit einem
schwanken der form (erst thiu fuzze, dann gleich darauf der j)/jM0t) , welches
beweist, dass das wort kein geläufiges und feststehendes war. Dies aber und nichts
anderes ist, wie ich glaube, der grund, weshalb Otfrid im eingange der erzählung
II, 14, 8 die Identität beider ausdrücke ausdrücklich angibt, wie er in ähnliclier
Wendung II, 8, 31 eine erklärung des fremdwortes sextäri, V, 8, 7 eine erklärung
von engil gibt. Eine ausdrückliche beziehung oder Verweisung auf jenes gedieht
(Dkm. X) kann ich also weder in dieser noch in einer anderen stelle Otfrids finden,
ebenso keinen sicheren beweis dafür, dass er es überhaupt kante. — Dass Otfrid
deutsche prosa kante, also vor allem doch wol Übersetzungen biblischer stücke,
scheint er mir I, 1, 36 (vgl. 19 fg.) anzudeuten; dass er sie für sein werk benuzt
habe , ist nirgends sichtbar.
Die Übersicht über die bisher nachgewiesenen quellen Otfrids gewährt uns
also das resultat, welches durch weitere forschungen vielleicht im einzelnen modi-
ficiert, im ganzen aber scliwerlich erheblich umgestaltet werden wird, dass Otfrid
die biblische und theologische gelehrsamkeit seiner zeit volkommen beherschte, und
dass Trithemius ihn mit recht als vir in divinis scripturis eruditissimus et in secu-
laribus egregie doctus . . theologus milli suo tempore secundus bezeichnete. Wir
sehen, dass er alle seine quellen mit durchaus selbständiger auswahl und eigener
coniposition des stofFes für sein werk verAvertete und dass er im sprachlichen aus-
druck nur den lateinischen bibelworten treu, aber nicht sklavisch folgte, während
er die commeutare gewöhnlich ganz frei bearbeitete. Die Zusammenstellung der
quellencitate , welche Piper s. 252 — 258 gibt , muss ich daher geradezu als irre-
führend bezeichnen, insofern er durch dieselbe zeigen will, wie „ compilatorisch "
Otfrid verfahren sei. Ohne Unterscheidung führt Piper dort wörtlich oder sinngetreu
übersezte abschnitte der bibel auf neben stellen, die aus dem gedächtnis ein-
gestreut oder nur mit geistreicher anspielung angedeutet sind ; dazwischen auch
stellen der bibel oder der comnientare, die Otfrid nur im auszuge widergegeben
hat; oder auch solche die sehr geringe oder gar keine Übereinstimmung mit Otfrids
Worten zeigen , vgl. z. b. die quellenangaben s. 252 fg. zu Otfr. 1,2,3 (wol nach
psalm 50, 17 oder 70, 8; zugleich aber anspielung auf die von Otfrid nicht erzählte
geschichte Marc. 7, 33 — 35). I, 2, 17. I, 3, 1 — 34. I, 6, 15 — 18. II, 1, 29 fg.
II, 3, 65 fg. IV, 37, 1 — 46. V, 19, 1 — 20. 59—66. V, 23, 1—298; ebenso fast
alle aus Muspilli und Heliand zu V, 20 angeführten stellen , während Piper das
citat Otfrids V, 20, 9 (Zurückweisung auf V, 18, 2 fg. = acta apost. I, 11) ganz
jnis verstau den hat. Ja Piper führt in dieser Übersicht sogar stellen auf, von denen
ÜBER OTFRLD ED. PIPER. B. ZUR UTTERATURGESCHICHTE 119
er im commentar iicichgewicsen hatte, dass Otfrid sie uicht benuzt habe, sielie
s. 253. 257 die (luellenaiigaben zu II, 9, 19-28. V, 2, l 18. V, 3, 1 — 20.
Was wir schon bei anderen teilen des buches bemerken muston , das zeigt sich
auch hier: eine unruhige hast nach einem überall abschliessenden und volständigen
resultate auch wo ein solches nicht erreichbar oder wenigstens bisher nicht erreicht
ist. Diese hast veranlasst ungenauigkeiten und Selbsttäuschungen des Verfassers,
die bei unkundigen oder obertiächlicheii lesern schaden anrichten können.
3j Trotz dieser ausstoUungen, welche ich gegen die auffassung einzelner
stellen machen muste, erkenne ich gern an, dass im algemeinen in der vorrede
und im commentar Pipers die dichterische und schriftstellerische bedeu-
tung Otfrids besser gewürdigt ist, als es in lezter zeit — eine glänzende aus-
nähme macht H. Rückerts geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache — meist
der fall gewesen ist. Schon die nachweise über die entstehung der vier hand-
schriften, selbst wenn wir die eigenhändige niederschrift des textes in V und P
niclit als bewiesen annehmen, lassen uns die persönliche teilnähme und Wert-
schätzung in hollerem lichte erscheinen , welche der kreis , für den das werk bestirnt
war, demselben vor und nach seiner Vollendung widmete. Freilich zeigen uns
gerade auch diese nachweise deutlich , dass dieser kreis nie ein weit ausgedehnter
gewesen ist und sich zunächst auf die persönlichen freunde und gönner Otfrids
beschränkte, denen sich dann nur gelehrte, innerhalb der höchsten bildung ihrer
zeit stehende und von christlicher gesinnung erfülte männer anschliessen konten,
die eine so kunstvolle , aber ernste und schon damals nicht leicht verständliche dich-
tung zu würdigen im stände waren, wie das alles von Klopstocks Messias, den mit
Otfrids evangelienbuche zu vergleichen sich schon öfters gelegeuheit bot, ebenfalls
gegolten hat und gilt.
Im einzelnen erwähne ich die guten gedauken über den einfluss des reiraes
auf Otfrids spräche (zu II, 4, 97). Mit recht macht Piper auch gelegentlich auf-
merksam auf die gemütvolle autfassung persönlicher Verhältnisse (zu III, 1, 31)
sowie auf die mit feiner beachtung der Individualität des sprechenden ausgeführten
reden bei Otfrid (zu III, 13, 17 u. a.); auf die genaue disposition und den
gedankengang der eigenen betrachtungen und erörteruugen Otfrids (zu II, 24, 17 fg.
und namentlich zu dem langen capitel V, 23). Doch hätte nach dieser richtung
hin noch sehr viel mehr geschehen können.
Bei der s. 43 und an manchen stellen des commentars berührten verglei-
chung des Heliand mit Otfrid bewegt sich Piper noch in dem alten von man-
chem Pädagogen der töchterschule nachgetreteuen geleise von anschauungen , die
für jeden, der den Heliand gelesen hat und die nachweise über seine jezt in der
ausgäbe von Sievers bequem zusammengestelten tiuellen kent, überwundene sein
müssen. Die gegensätze zwischen beiden dichtungen, auch abgesehen von der
Sprache , sind ja freilich deutlich genug. Verschieden sind beide in der metrischen
form, indem der dichter des Heliand den alten alliterationsvers und mit ihm viele
epische formein beibehielt , Otfrid fast ausschliesslich ein neues versprincip befolgte
und seinen reimvers (in viel höherem grade als später Klopstock seinen hexameter)
in der deutschen poesie herschend machte. Jener pfropfte, wenn ich bildlich spre-
chen darf, ein neues reis auf einen alternden stamm, dieser pflanzte einen frischen
bäum an stelle des alten. Aber selbst der gegensatz der metrischen form und des
dichterischen stiles ist kein unvermittelter und ausschliesslicher. Bekantlich finden
sich auch bei Otfrid alliterierende verse; ja alliteration neben dem reime komt so
häufig vor, dass ein gefühl und selbst eine bewuste auwendung derselben Otfrid
120 KRDMANN
schwerlich abgesprochen werden kann; und ebenso glaube ich, dass sich bei ein-
gehender Untersuchung auch wol ein fortleben oder wenigstens ein eintiuss überlie-
ferter poetischer formein nachweisen lassen würde. Eine genaue erörterung dieser
erscheinungen , die vielleicht auch zu verschiedenen ergebnissen für die zu verschie-
denen Zeiten entstandeneu teile der dichtung führen könte, fehlt noch gänzlich und
ist auch von Piper nicht gegeben. Sie würde meines erachtens die ahd. uictrik
mehr fördern als angebliche Widerlegungen der Lachmannschen grundsätzo.
Gemeinsam aber ist beiden dichtem der stoff und ebenso auch die quel-
len, aus denen sie ihre kentnis desselben schöpfen: die evangelien nach dem vul-
gatatexte und die in der deutschen kirche jener zeit algemein gebrauchten lateini-
schen commentare. Nun sind ja freilich Verschiedenheiten vorhanden in der anord-
nung (s. oben) und auswahl, sowie in der persönlichen Stellung des dichters zu
seinem gegenstände. Der Heliand folgt in der anordnung der ausgewählten geschich-
ten und reden dem Tatian; auch bei ihm bildet wie im Tatian das Matthäus-
evangelium den hauptbestandteil des stoffes, s. Windisch der Heliand und seine
quellen s. 32 — 34, Sievers ausgäbe s. XLl ; auch der im Tatian gegebenen com-
bination verschiedener berichte schliesst er sich mit sehr geringen eigenen Zusätzen
an. Commentare benuzt er sehr häufig, aber meist zu einzelnen in die erzählung ein-
gestreuten bemerkungen. Otfrid dagegen geht, was schon Wiudisch s. 25 richtig
bemerkt hat, was ich aber gegenüber der entgegengesezten behauptung von
H. Eückert (Ausgabe des Heliand s. VIII) ausdrücklich hervorhebe, durchaus auf
die einzelnen evangelien selbst zurück, unter denen er das Johannisevangelium
besonders bevorzugt. Seine auswalil ist nicht auf die im Tatian enthaltenen stel-
len beschränkt, seine anordnung sehr abweichend von der des Tatian; dass er Jesu
gehurt am anfange , die passionsgeschichte , aufersteh ung und himmelfahrt am ende
erzählt, kann man nicht als merkwürdige Übereinstimmung betrachten. Wo Otfrid,
was nicht sehr häutig vorkomt, zwei evangelienberichte combiniert, verfährt er
vorsichtig und, so viel ich sehen kann, selbständig, jedenfalls oft ganz anders als
Tatian. Aus reicher belesenheit streut er oft reminiscenzen aus anderen biblischen
büchern, namentlich den psalmen, einzelnen epistcln und der apokalypse ein. Der
Heliand ergeht sich in behaglicher breite der erzählung, bei der ausmalung des
zuständlichen verweilend , auch wo es hässlich ist. Neben der erzählung der tat-
sachen hat für ihn selbständige Wichtigkeit die genaue anführung und ausführung
von regeln für sitte und recht der gesamtlieit. ' Das persönliche Verhältnis des
dichters und überhaupt des einzelnen zum erzählten tritt wenig hervor. Otfrid
1) Deutlich zeigt sich dies z. b. bei der bergpredig t. Sie ist im Heliaud
unter benutzung vieler commentarstellen in 526 versen ziemlich vollständig widergege-
ben (Sievers 1300'' — 1826"). Bei Otfrid .steht nur eine fast ausschliesslich an den
text des Matthäus sich anschliessende auswahl in 246 versen (II, 16 — 23), in der
gerade fast alles , was sich auf die gesellschaftliche und statliche ordmmg bezieht,
übergangen ist. Nicht berücksichtigt sind nämlich folgende stellen: Mt. 5, 18 — 19
(verheissung der ewigen gültigkeit des gcsetzes). 25 — 26 (Verhältnis zum Widersacher,
gericht, kerker). 29 — 32 (abtrennung des ärgerlichen gliedes, ehescheidung). 34'' —
36'. 37 (specialisierung der schwurformeln). 37 — 42 (verhalten gegen Widersacher).
47 — 48 (gesellige Verhältnisse). Mt. 6, 16 — 24* (fasten; irdischer besitz; horrendienst).
Mt. 7, 1 — 8 (splitt(rricliterei u. a.). 13 — 14 (enge pforte zum himmelreiche). 18. 24
— 27. Aus Lucas benuzt Otfrid nur die stelle 6, 19. 20 am eingange der rede II, 15,
7 — 8. 23. 16, 1*. 3. Man vergleiche damit die vom Heliand überseztcn stellen der
bibel und der commentare bei Sievers.
ÜBER OTFRID ED. PIPER B. ZUR LITTKRATURGESCHICHTE 121
dagegen geht auf die sitteii des Volkes und gesellsehaftliclie verliättnisse nur ein,
wo entweder das Verständnis des gerade erzählten es erfordert, oder wo eine solche
hindeutung den sachen oder personen höheres Interesse verleihen kann. Seiner
erzählung fehlt es nicht an echt epischen zügen.i Aber schon in der erzählung
zeigt er überall, auch hierin Klopstock vergleichbar, ein feines Verständnis für die
subjectivität der handelnden personen. Mit eigener teilnähme lässt er ihre gemüts-
stimniung und die motive ihrer handlungen erkennen teils durch in die erzählung
eingestreute bemerkungen , teils — ein meiner meinung nach an ihm noch nicht
genug gewürdigtes poetisches kunstmittel — indem er sie selbst ihre Stimmungen
und empfindungen viel eingehender, als es in der biblischen quelle ihm angegeben
war, aussprechen lässt. Die gespräche und reden seiner personen zeigen ein aner-
kennenswertes streben nach Individualisierung und Charakteristik und erreichen bis-
weilen eine echt dramatische lebendigkeit. ^ Dann aber ist es ihm auch neben der
erzählung ein bedürfnis seine und der leser eigene persönliche Stellung zum erzähl-
ten anzugeben und belehrung und nutzanwendung anzuknüjjfen. Daher die lyri-
schen stellen , oft voll echter und tiefer emphudung : daher die beim fortschreiten
des Werkes immer mehr von der erzählung getrenten und in besondere abschnitte
zusammengefassten allegorischen ausdeutungen und moralischen ermahnungen, die
er mit vollem Verständnis nach einer menge theologischer Schriften selbständig aus-
gearbeitet hat in wol disponierter gedankenentwicklung ; in ihrer ausdehnung hält
er, wenn man die gewohnheit seiner lateinischen Vorgänger vergleicht, ein sehr
bescheidenes niass. '^
1) Der flug des engeis I, 5, 5 — 10 ist ganz das was Lessing ein poetisches
gemälde nennt. Veranschaulichung der algemeinen Situation durch angäbe der sich lol-
genJen handlungen II, 11, 9 fg. III, 4, 2.ö. 26. Veranschaulichende hinweisung auf das
sinlich fassbare der äusseren Umgebung: II, 22, 9 sehet t h e s e foyala , thie hiar ßiagent
obana. II, 4, 8U sulih untlmrft ist es mir. IV, 17, 38. V, 20, 63. hanton joh
ouh ougon biginnent sie »an scouön. Vgl. II, 26, 10.
2) Ich gebe nur eine auswahl von beispielen: zuerst die stelle I, 11, 1 — 20.
Das zusauimentrefifen der gründung der irdischen weltnionarchie des Augustus mit der
geburt Christi, des himmlischen königs , war oft hervorgehoben. Eine Schilderung der
nach allen himmelsgegenden (^vgl. 15 ellu imoroltenti fg.) ausgedehnten macht des kai-
sers steht bei Hraban. zu Mt. 2, 1 (^ed. Colon. V, 13, g) , und wenn der commentar
Hrabans zu Lucas erhalten wäre, so würden wir in demselben vielleicht eine noch
genauer zu Ütfrids werten stimmende fassung finden. Die Verlegung dieser Schilderung
aber in die eigene rede des seine boten von Rom aussendenden herschers scheint eigene
poetische irfindimg Otfrids zu sein. — I, .o, 47 — 58 (einschaltung in die rede des
engeis an Maria). I, 15, 32 — 40 (einschaltung in die rede Simeons). I, 27, 13 — 50
(kunstvoll gegliedertes gespräch, meist in abschnitte von 4 versen zerfallend). II, 7,
27 — 32 (Andreas und Petrus). III, 24, 2h — 26 (veranschaulicbung der Situation des
redenden). III, 10 (cananäisches weib). III, 24, 8 — 10. 12 — 16. 46 — 56 (trauerund
rührung der hinterbliebenen Schwestern), IV, 8, 5 — ^12 (bannfluch der priester). IV,
11. 21—28. 13, 41 fg. (reden des Petrus). IV, 12, 6—10. 31 — 38 (erläuternde zusätze
in die reden Jesu eingelegt). IV, 21 (erläuternd ausgeführtes verhör vor Pilatus).
IV, 26, 7 — 28 (stimnumg und reden der frauen). V, 7, 19 — 42 (rede der Maria
Magdalena).
3) Vgl. z. b. die stelle II, 9, 29—88 mit der bei Beda und Alcuin zu Joh. 2
gegebenen viele folioseiten füllenden „elegans cleduetio" der sechs weltalter (Marginale der
ausg. des Beda Basel 1563 V, 542), ;ius welcher sie ausgewählt ist.
122 EBDMANN
Ohue frage hat also der dichter des Heliaud die objectivität des epos reiner
bewahrt, während bei Otfrid daneben das subjectivc lyrisch -didaktische element
mehr hervortritt; wenn dasselbe auch von anfang an der individualität Otfrids beson-
ders zusagen niociite, so lässt sich doch ein weiteres herausbilden dieser eigentüm-
lichkeit, eine alniählich zunehmende Selbständigkeit der lyrisch -didaktischen stel-
len bei Otfrid nachweisen. Die betrachtungen sind im ersten buche nur in 1, 18
und 26 in besonderen abschnitten ausgeführt; I, 11. 15. 17 waren sie nur als kur-
zer anhang der erzählung angefügt. Aber bildung, gesinnung, erstrebte ziele sind
bei beiden dichtem im wesentlichen gleichartig. Auch der Verfasser des Heliaud
war ein mann geistlichen Standes von nicht gewöhnlicher gelehrsamkeit, das kann
nach der einsieht in seine quellen nicht zweifelhaft sein und ist von beiden neuen
herausgebern des Heliand (Rückert s. VI. IX. Sievers s. XLIII) mit voller ent-
schiedenheit ausgesprochen worden. Wenn er seine theologische bildung nicht wirk-
lich in derselben schule des Ehabanus Maurus erhalten hat,* aus der Otfrid her-
vorgieng, so hat er sie jedenfalls in einer sehr ähnlichen erhalten. Aus vielen
Übereinstimmungen in der erklärung bestirnter biblischer geschichten , ja auch in
der wähl bestirnter deutscher ausdrücke , die sich zwischen dem Verfasser des
Heliand und Otfrid finden , lässt sich mindestens auf eine übereinstinmiende tradi-
tion für die behandlung dieser geschichten in den klosterschulen schliessen, welche
für beide bis zu einem gewissen grade bindend geworden war,^ Beide dienten der
ausbreitung des Christentums, wozu, wie ßückert s. XII richtig bemerkt, der christ-
liche Sachse eine noch dringendere veranlassung hatte, als Otfrid der Franke, und
beide dienten damit zugleich auch derselben weltliehen macht, was jenem nicht
weniger klar gewesen sein kann als diesem. Und ein jeder hatte dabei zugleich
den nationalen zweck, den hauptinhalt des Christentums dem bewustsein und der
anschauung seines stammes durch die dichtung nahe zu bringen. Beide streben
danach , fremdartiges in sitte und ausdruck , soweit es nicht wesentlich war , zu
übergehen: soweit es nicht übergangen werden konte, wenigstens zu erläutern und
fasslich zu machen. Auf Vermeidung fremdartiger bezeichnungen ist Otfrid, wo es
irgend angeht, viel sorgfältiger bedacht als der dichter des Heliand (vgl. das Ver-
zeichnis bei Rückert s. XIX). Dieser behält sehr viele lateinische worte ganz oder
beinahe unverändert ohne bemerkung bei (vgl. das Verzeichnis bei Rückert s. XIX),
wie es noch heute niederdeutsche gewohnheit ist. Otfrid dagegen führt, wo er ein
iremdwort braucht, dasselbe oft (gleich bei der erklärung) ausdrücklich als solches
ein: V, 8, 7 {engil). V, 23, 61 eigtm iz gnveizit, thie martyrä man heizit. II, 8,31
sextäri. II, 14, 8 puzzi. II, 18, 20 [altare). II, 20, 11. 21, 9 (hypocritae).
II, 21, 42. 44 {delicta = missidäti, peccata = umläti). II, 22, 4 {mammona).
Wo es irgend angeht, vermeidet er aber freradworte und eigennamen ganz oder
verdeutscht sie in oft sehr geschickter weise; so z. b. II, 8, 37 {tricliniarchus). II,
22, 13 {lilia). III, 24, 38 {rabhi). IV, 19, 65 {hlasphemia). IV, 22, 27 {ave).
Auch Otfrid sucht durch vergleichung und vertauschung der jüdischen mit den deut-
scheu Sitten seine darstellung anziehender und verständlicher zu machen , was schon
Kelle durch die schöne samlung in seiner ausgäbe I, 77 nachgewiesen hat; und
1) Sievcrs bezeichnet dies als willkürliche annähme s, XXXIX.
2) Vieles derartige lässt sich entnehmen aus der schrift von Bchringer Krist
und Heliand. Berlin (Würzburg) 1870, obwol man in derselben schärfere sonderung
und übersichtliche anordnuiig oft vermissen nniss. — Polemik gegen eine durch diu
Heliand bezeugte auflässung scheint vorzuliegen I, 4, 57 f:prah ther gotcs hoto thö , ni
ihoh irbolgo7io, da Hei. 159 fg. gerade die eatrüstung des engeis betont ist.
ÜBER OTFßlD ED. PIPEK. B. ZUR LITTKKATURGESCHICHTE 123
wenn or die Verkleidung Christi in das gewaud eines deutseben königs weniger cou-
sequent festhält als der dichter des Heliand, so liegt das daran, dass er in die
tatsächliche Verschiedenheit beider culturstufen vielleicht eine tiefere einsieht hatte
als jener, jedenfalls aber eine solche bei seinen lesern und hörern eher voraus-
setzen durfte. Vgl. Gervinus Litgsch. I, 169. Auch Otfrid wolte die edelen eigen-
schaften des deutschen Volkes nicht vernichten, sondern dem christentume dienst-
bar machen und innerhalb desselben zu neuer blute bringen ; an nationaler gesin-
nung und an dem streben nach Volkstümlichkeit und Verständlichkeit für jedermann
hat es ihm eben so wenig gefehlt als jenem, der doch nur, wie Eückert s. IX
sagt, den traditionen seiner heimischen kunst sich fügte, soweit dadurch sein
eigentliches ziel nicht verdunkelt wurde. Dass übrigens der Heliand eine grössere
Wirkung und Verbreitung ini volke wirklich erlangt habe, als Otfrids evangclien-
buch, dafür haben wir keinen beweis; dass er Otfrid nicht bekant geworden ist,
hat man oft genug hervorgehoben.
Kehre ich nun zu den äusserungen Pipers zurück, welche mich zu diesen
excursen veranlassten , so kann ich es nur für einen Widerspruch erklären , wenn
Piper s. 43 sagt, dass „z. b. der Heliand [als wenn es viele solche beispiele gäbe!]
im leben und in den anschauungen des volkes wurzele und die reife frucht eines
abschnittes im geistigen leben der Deutscheu sei," während er gleich darauf mit
bezug auf Otfrid zugibt, dass „im 9. Jahrhundert die heidnische diehtuug noch
kräftig im volke lebte." Und was die vergleichende Wertschätzung beider dichtungen
(soweit davon die rede sein kann) betrift, so ist doch auch diejenige anschauung
berechtigt, welche das sich herausarbeiten des subjectes aus dem steife, die aus-
bildung eines persönlichen Verhältnisses zu demselben und die dadurch erworbene
bewuste herschaft über denselben tür einen geistigen fortschritt hält. Und wenn
Otfrid, der für seine person sehr demütige mönch, seinem gegenstände, der ihm
(wie Klopstock der sein ige) der höchste und der dichtkunst würdigste war, eben
auch persönlich gegenübertrat in einer weise, die er jedem seiner leser mitzuteilen
dachte , Avenn er zur verherlichung dieses gegenständes alle ihm erreichbare bilduug
und kunst aufbot und sein werk den höchsten und gebildetsten seiner gesellschaft
darbrachte zugleich mit dem unverkeubaren wünsche, auch den geringsten seines
Volkes zum Verständnis desselben emporzuheben, so ist das doch nichts geringes.
Unangenehm hat mich deshalb berührt die auf die oben citierten sätze folgende
bemerkung Pipers: ,, Otfrids gedieht ist nur der ausdruck der phib^sophischen und
religiösen Überzeugung seines Verfassers." Dieses geringschätzende nur hat Otfrid
nicht verdient.
Ich erwähne noch die s. 269 — 292 gegebene chronologische Übersicht der
Otfr idliteratur. Sie zeigt, wie viel studium und teilnähme dem werke seit
Trithemius zugewant ist. Doch enthält sie sachlicli betrachtet viele Schriften, die
nicht verdient hätten der Vergessenheit entrissen zu werden. Nicht erwähnt ist
der aufsatz von Kelle in Naumanns Serapeum 1860. Nr. 5 — 8, der auch mittei-
lungen über die Übersetzungsversuche von Stade, HolfmannsAvaldau, Koplhubcr und
Füglistaller enhält.
C. Zur s p r a c h k u n d e.
Ein Wörterbuch zu Otfrid will Piper als zweiten teil der ausgäbe folgen
lassen, und er hat fast alle erörterungen über die bedoutuug der werte für dieses
zurückgelegt. Unter den grammatischen fragen, zu denen Piper Stellung neh-
men muste, ist es besonders die nach der läng enbezeichnung der vocale,
124 ERDMANN
die ich nicht unbesprochen lassen kaun. Völlige gewissheit darüber, welche von
den alten längen in Otfrids spräche bereits gekürzt waren, wird schwerlich jemals
zu erlangen sein ; ein herausgeber , der seinen lesern das Verständnis durch hinzu-
fügung der circuniflexe erleichtern will, wird gut tun, sich auf die unzweifelhaften
längen zu beschränken. Dies hat Piper für die auslautenden vocale auch getan;
vielleicht ist er manchem in manchen fällen zu weit gegangen. Er schreibt n. pl.
ziti; n. pl. fem. allo, thio, ja sogar 1. 3. sg. cj. praes. lobo, liehe (aber 1. 3. sg.
praet. cj. irfulti, loböti, hahetil). Bei inlautenden vocalcn aber ist er nicht so
vorsichtig; er schreibt nicht nur dat. pl. sterrön , mennisyön , was wegen der bei
Otfrid vorkommenden Schwächung mennisgen (Kelle U, 244) sehr bedenklich ist,
sondern auch gen. pl. unser, iuuer, unker (I, 10, 24. III, 22, 32 und überall) ; dat.
sg. fem. armem I, 7, 10, ulteru V, 20, 44; gen. pl. m. blintero III, 14, 71, uui-
sero L. 18 (aber merkwürdigerweise gen. sg. fem. iungera I, 10, 24. uuisera L. 14).
Über die ihn hierin leitenden grundsätze, Avenn er deren gehabt hat, hat er sich
nicht ausgesprochen.
Für die sprachliche erklärung der einzelnen stellen hat Piper die vor-
handenen Untersuchungen sorgfältig benuzt , nicht immer mit angäbe der quelle.
Öfters hat er auch neues und eigenes hinzugefügt ; doch wird man bei vielen schwie-
rigen stellen eine genügende erklärung vergeblich suchen und an vielen anderen
mit dem von Piper gesagten nicht einverstanden sein können. Viele stellen dieser
art habe ich schon im vorhergehenden zu besprechen gelegenheit gehabt; alle kann
ich natürlich hier nicht anführen und begnüge mich für jezt mit einzelnen beispie-
len , der reihenfolge der bücher mich anschliessend.
I, 20, 35 nü folget imo thuruh iliaz githigini so managaz. Piper stelt die
von ihm schon früher ausgesprochene behauptung, dass folget apocopierte form des
prät. = folgeta sei, hier als zweifellose tatsache hin. Ich sehe nicht den minde-
sten grund dafür. In keiner handschrift ist die apocope angedeutet; die bedeutung
des nü und der Zusammenhang des ganzen satzes sprechen dagegen. Warum soll
Otfrid sich nicht die getreuen Christi als ein ihm noch jezt, in der gegen wart,
treu gewärtiges, d. h. ihm geistig dienendes zahlloses gefolge denken? Diese auf-
fassung ist phantasievoll und poetisch schön.
I, 22, 16 ist ohne zweifei von Piper richtig geschrieben [thiu Jcind . .] lia-
fun . ., SOS in uuas muatuuillo = sie liefen so, wie es ihnen mutwille tvar, d. h.
tvie ihre neigung sie trieb. Vgl. II, 12, 41 ther geist , ther bläsit stillo , thara imo
ist muatuuillo. Alle früheren herausgeber teilten die worte ab: so sin, und es
war annähme eines kühnen numeruswechsels nötig (,s. meine Unters. II § 50). Durch
Pipers Schreibung wird Otfrid wider von einer graiiimatischen incorrectheit befreit,
die man ihm bisher zuzuschreiben pflegte.
Entsetzlich dagegen wird construction und Zusammenhang verunstaltet durch
Pipers interpunction von II, 3, 2 — 5. Ich sehe nicht die mindeste Schwierigkeit
bei folgender interpunction:
2 thaz duent buah festi; nü niazet mit gilusti.
3 thärana sint giscribene urkundon manage,
4 drütä sine in alauuär: selbo mäht thu iz lesan thär.
5 uuuntar filu managaz — thaz uuir iz bithenken thes thiu baz —
6 thaz uuard allaz märi, iheiz unfarholan uuäri.
Natürlich geht thärana v. 3 zurück auf buah (sehr ähnlich III, 14, 5. V, 10, 12.
V, 11, 49; auch bei Notker ps. 49, 5 so er an biiochen geboten habet): in den
evangelischen bücher n sind viele zeugen aufgeschrieben, nämlich Christi eigene jün-
ÜBER OTFRID ED. PIPER. C. ZUR SPRACHKUNDE 125
ger (die es berichtet habendi; thas in v. 6 deutet anaphoriscli auf nuiwtar managaz
zurück: (Jnters. I § 88.
II, 4, 29 oha thiz ist thes sun, ther liuti fuarta herasun ig. Die sätze
wollen nichts anderes ausdrücken, als was v. 39 in zweiter person ausgedrückt ist:
oba thü gotes sun sis. Piper tut dem ausdriick nicht weniger als dem gedanken
gewalt an durch seine künstliche erklärung: Solte ea ein mann von der art (!) des
Moses sein?
II, 6, 53 thoh üdäm onh hl nöti si thiu einen missidäti kann nicht heissen:
in dieser einen hinsieht (Piper), sondern nur: zu dem einen zwecke. Den durch
die vorseliung bestirnten zweck des sündenfallos gibt Otfrid (nach welcher quelle,
das hat auch Piper nicht nachgewiesen) im nächsten verse an : thaz sulih urJösi
fora gote misih firuiiäsi , d. h. damit Christi erlösung möglich icäre. Aus Graffs
meisterhafter schrift über die ahd. präpositionen hätte herr Piper viel lorneu können.
II, 14, 89 fasst Piper die werte der Saraariterin : frö min als ausruf = mein
gott, wie er zwar nicht zu dieser stelle, aber zu I, 5, 35 angibt. Mir ist dies
nicht wahrscheinlich ; s. meine Unters. II § 71 note.
III, 9, 9 sie uuunsgtun , muasin rinan thoh sinan tradon einan heisst natür-
lich : sie iciinschten , sie möchten doch (icenigstens) allein seinen säum berühren,
vgl. ni, 14, 19. Piper, wahrscheinlich durch Keiles Übersetzung verleitet, über-
sezt: einen seiner säume. Wie er sich die kleidung mit vielen säumen denkt, das
sagt er nicht.
ni, 14, 5 muss gedruckt werden: thdr mäht thü ana findan = darin {in
den ei'angelien) kannst dn finden: s. oben zu II, 3, 3. Weder aus dieser stelle
noch aus III, 19, 13 ist ein verbum *anafindan aufzustellen.
III, 14, 98 einluzze heisst einsam und hat hier ebensowenig als I, 4, 4 ein-
kunne mit der ehelosigkeit der katholischen geistlichen etwas zu tun.
IV, 15 , 25 ''. 26 folgt Piper der unnötig künstelnden interpunction Keiles.
Schon Graif präp. s. 180. Sprachschatz I, 383 hatte die einfach richtige Verbindung
angegeben : thiz selba uuas imo nntar zuein = dies ebengesagte xoar ihm zweifelhaft.
IV, 18, 28 ist Pipers erklärung von nüa als ,, plural des adj. nitmi" für
jeden, der einige kentnis von der ahd. adjectivtlexion hat, unglaublich. Wer von
der gründlichkeit Piperscher erklärungen einen begriff bekommen will, schlage die
dazu citierte stelle V, 9, 19 nach.
IV, 18, 41 uuanta druhtin , in uuär, e r sah ubar inan sär ; 42 bigonda er
inan scouuön ginädlichen ougon. Anaphorisches er steht ebenso wie 41'' L 2. lU,
18, 49. V, 14, 25. Dass Piper beidemal schreibt er, ist schwer begreiflich: dass
er als commentator zu 41 schreibt: ,, uuanta er = nachdem," lässt auf merkwür-
dige ansichten über die b^deutung der ahd. conjunctionen schliessen. Das margi-
nale in P: q7iia respexit dominus eum (F: q_uod dominus respexit cum) druckt
Piper selbst ab. Die qiielle Otfrids war hier Luc. 22 , 61 et conversus dominus
respexit Petrum; dazu Beda (V, 488): respicere namque eius misereri est.
IV, 21, 3 ist die von Piper angenommene construction von insizzan unglaub-
lich. Soll sinsaz zusammengehören , so könte es höchstens = .so insaz (wie II,
14, 88 sih == so ih) sein.
V, 6, 22 thio buah oidi thär giuuiiagun habe ich relativ erklärt entsprechend
V. 19 thio buah thir (= thio ir) fruma zaltwn, 20 ivio fg.; an eine andere
schrift als die biblischen bücher (hier des alten testamentes) zu denken ist mir
nicht eingefallen. Das ouh dient nur dazu, den 22'' folgenden satz uuio an die
beiden vorhergehenden 20 und 21* anzureihen.
126 KINZEL
Ich stehe am schlösse der laugen besprechuiig. Mein gesamturteil kann nur
lauten: Hätte herr Piper sich für jezt mit gründlicher lösung eines teiles der auf-
gaben begnügt, welche er sich gestelt hat, so würde das von ihm gebotene von
allen selten mit dankbarer freude begrüsst werden können. Jezt aber hat er in
dem umfangreichen werke ungenügend begründete hypothesen, incon Sequenzen , ja
auch einzelne unrichtige angaben des tatsächlichen nicht vermeiden können, und
die erklärung gewährt nicht alles das. was viele leser Otfrids erwarten und wün-
schen werden. Deshalb kann bei aller anerkennung der fleissigen arbeit, von wel-
cher das buch zeugnis ablegt, mein beifall nur ein geteilter sein.
KÖNIGSBERG 1878. OSKAR ERDMÄNN.
Die über die herstelluug der Wiener handschrift oben ausgesprochenen ansich-
ten habe ich jezt bei durchsieht derselben im wesentlichen bestätigt gefunden.
Über die verschiedenen bände derselben hoffe ich demnächst einen bericht veröffent-
lichen zu können.
WIEN, 2. JULI 1879. o. E.
Parzival-Studien von Dr. Karl Domauig'. I. heft: über das Verhältnis
von Wolframs Titurel und Parzival. Paderborn, Schöningh. 1878. 64 s.
kl. 8. M. 1.
Die untersuchnng , welche vom aesthetischen Standpunkte den Zusammenhang
des Parzival und Titurel einer eingehenden betrachtung unterwirft, zieht nur die
beiden echten sogenanten bruchstücke des Titurel in ihren gesichtskreis , indem der
Verfasser den worten Lachmanns (Kl. Sehr. 1 , 352) hinzufügt . anders habe Bartsch
(Germ. 13) geurteilt, „wol freilich mit mehr Zuversicht als gründen." Der I. teil
macht es sich zur aufgäbe, nachzuweisen, wie der Titurel den Parzival ergänzt,
komt aber mehrfach zu dem resultat, es sei eine Wechselbeziehung beider anzuneh-
men, so dass sich die werke gegenseitig ergänzen. Der verf. hebt hervor, wie das
lückenhafte in der erscheinung Sigunens im Parzival durcli den Titurel ausgefült
werde, wie sich das dunkel, welches über ihren verwantschaftlichen beziehungen
im Parzival liege , im Titurel volständig aufhelle und wie auch die bedeutung Sigu-
nens für die geschicke des Parzival und ihr grund erst im Titurel klar werde.
Amphlise, im Titurel so oft genant, wird im Parzival vernachlässigt, und die
Ursache des todes Sehionatulanders bleibt im Parzival allein wie im Titurel allein
unaufgeklärt. Die beziehungen beider werke werden s. 26 übersichtlich zusammen-
gestelt.
Im folgenden geht Domanig zu weit. Er versucht auf s. 27 fg. nachzuwei-
sen, dass Wolfram an die leser des Titurel dachte, wenn er Parz. 805, 6 dadurch
mit Tit. 25 vereinbar machte, dass er Kyot die Verantwortung zuschob (805, 10).
Es genügt die annähme, dass er auf den später zu behandelnden stoff rücksicht
nahm, dass ihm nicht ,,der Titurel vor äugen stand," sondern nur der Inhalt
des künftigen werkes.
Der Tl. teil untersucht das gegenverhältnis des Parzival zum Titurel s. 31 fg.
und unterscheidet 1) solche dinge, in welchen der Parzival die erklärung des Titu-
rel, und 2) solche, in welchen er die ergänzung des Titurel ist. In dieser dar-
legung entsteht manche Unklarheit, schon dadurch, dass des Verfassers stil nicht
immer die volle wissenschaftliche ruhe bewahrt, besonders aber dadurch, dass er
meint, die frage nach der Priorität des Titurel könne „ohne schaden der wissen-
CBER DOMANIG. PARZIVALSTUDIEN 127
Schaft auf sich beruhen," dann zu dem Schlüsse komt, der Parzival soi die fort-
setzung des Titurel (s. 51) und endlich (s. 63) den ,, ursprünglichen platz des Titu-
rel in der mitte des Parzival vermuten " will. Er verwirft also die annähme , dass
Wolfram die episoden , welche er im Parzival aus bestimten gründen nur andeutete,
sjiäter in zwei volksmässigen liederu ausführte. Sie dienen zur ergäuzung des Par-
zival und setzen natürlich voraus was in diesem gedichte vom stoffe erwähnt ist.
Deshalb polemisiert er auch gegen Müllenhoffs ansieht (Z. f. d. a. 18, 297) in der
anm. s. 32. Doch verwirft auch er die ansieht, der Titurel sei ein fragment, von
dem gesichtspunkte aus, dass der Parzival die ergänzung desselben sei.
Die nun (s. 36) folgende vergleichung des Titurel mit der geschichte Gret-
chens im Faust hätte füglich unterbleiben können. Einmal scheint mir im ,,Gret-
chen," auch allein betrachtet, dem zu schau er nichts unklar zu bleiben; dann ist
erst zu erweisen, dass der Titurel eine episode im Parzival sei und endlich lassen
epos und drama in dieser beziehung gar keinen vergleich zu.
S. 38 fg. wird nun die idee des werks (Tit. 56) und die absieht (Tit. 37, 4)
des dichters erörtert. Domanig komt hier zu dem Schlüsse (s. 44): ,,er, der uns
im vorliegenden Titurel die beiden liebenden vor äugen führt ohne besondere bevor-
zugung weder des einen noch des andern, verheisst uns ebendaselbst eine vorzugs-
weise behandlung Sigunens und zwar in der weise, dass wir ihr nach dem tode
Schianatulanders noch einmal zu begegnen, dann eine Schilderung ihrer mufftuom-
lichen minne und in derselben die der tvären minn mit trimven Titurels erwarten
müssen. Also hat sich Wolfram ursprünglich mit dem gedanken getragen, eine
erzählung des gedachten Inhaltes als zweiten teil dem Titurel als ersten folgen zu
lassen." Der Verfasser geht nun unter dem gewonnenen resultate noch einmal auf
den Inhalt des Titurel ein, zergliedert ihn in angemessener weise und zeigt, dass
als ende der entwicklung der tod des geliebten folgen muste. ohne dass damit die
geschichte aus sei, weil nicht Schianatulander, sondern Sigunens maiitunmliche
minne der gegenständ der dichtung sei. Eine Schilderung der irfahrt nach dem
brackenseile könne also niclit beabsichtigt gewesen sein. Die plötzliche erwähnung
des todes genüge für den plan. Ein mehr sei nicht zu erwarten: also könne Wol-
frams Titurel auch nicht viel melir enthalten haben als die beiden überlieferten
abschnitte.
Endlich der trumpf der ganzen arbeit (s. 52): ,,was uns der Titurel zu kün-
den versprach , die iväre minn mit triuiven Titurels , die an Sigune sich offenbare
nach Schianatulanders tode, findet seine ganz befriedigende behandlung im Parzi-
val , dieser bildet also nicht nur die fortsetzung , sondern auch den schluss des
Titurel." Daran knüpft sich die rechtfertigung dessen, dass Wolfram die episode
aus dem Parzival ausgeschieden und in anderem versmasse behandelt habe. Es ist
unbegreiflich, wie der Verfasser dennoch behaupten kann: ,,die frage über die
aiiciennität unserer beiden dichtungen ist noch immer als eine offene zu betrachten."
Wenn er ,,dem kritiker das feld räumen" zu müssen glaubt, wie er selbst s. 63
sagt, so solte er sich auf die resultate der Herforthschen Untersuchungen (Zs. f.
d. a. 18, 281 — 297) verlassen haben und nicht aus aesthetischen gesichtspunkten
dinge anzweifeln, die nun endlich feststehen solten. Doch auch von ., seinem Stand-
punkte" aus, wie will er sich denn die sache vorstellen? Etwa so dass Wolfram
erst die beiden Titurellieder gedichtet habe und zu ihrer ergänzung das riesenwerk
des Parzival? Scheint es nicht in jeder beziehung einfacher und klarer, festzuhal-
ten, dass es in Wolframs plane lag, Sigune nur soweit im Parzival vorzuführen,
als sie in die entwicklung desselben , besonders in die geschicke Parzivals eingriff
128 KINZEL, ÜBER DOMANIG , PARZIVALSTUDIEN.
und tlass er dann nachher die rührende Vorgeschichte, die um ihres mehr lyrischen
Charakters willen nicht in das epos passte, hinzugedichtet habe? Aber Domanig
hat eine neue lösung: nicht vor, nicht nach, sondern mitten hinein! Allein spricht
auch nur das geringste dafür, dass eine episodo, welche zwischen das zweite und
dritte buch gehört, auch zwischen beiden gediclitet sein muss? Diese idee ist ver-
fehlt. Wäre Domanig bei dem stehen geblieben, was er am ende des büchleins
als seine absieht angibt: ,,die tatsache der inneren Zusammengehörigkeit beider
dichtungen" zu erweisen, so würden wir ihm rückhaltlos zugestimt haben.
Wir wollen zulezt noch auf einige kleinigkeiten aufmerksam machen. Auf-
fallend sind folgende Wörter und formen: verwickeltheit s. 25, unterrichtetheit 10.
sohin 19. beglichen 19. ehevor 30. 61. Ganzheit 30. vorenthält uns 23. der
wille untersteht den gesetzen 32. es fragt sich 32. Urrepanse de Schoyen (noni.)
41. Für druckfehler mögen gelten: sidcn 55 anm. her für 42. wis imp. 46.
Auch Schionatul ander wars hekaiit 48, während s. 42 eingeschaltet ist si [ivär]
erborn ?
BERLIN, 31. JAN. 1878. KARL KINZEL.
Die XXXIV. Versammlung Deutscher Philologen
und Schulmänner
findet von Mittwoch den 24. bis Samstagr den 27. September d. J. zu Trier
statt, und laden wir die Fach- und Berufsgenossen zu zahlreicher Betheiligung ein.
Für die einzelnen Sectionen haben die Leitung der Geschäfte übernommen:
1) für die pädagogische Section: Hr. Dir. Dr. Droulie in Trier,
2) für die orientalische Section Hr. Prof. Dr. Gildemeister in Bonn,
3) für die germanistisch -romanistische Section Hr. Prof. Dr. Wilmanns
in Bonn,
4) für die archäologische Section Hr. Museums -Dir. Dr. Hettuer in Trier,
5) fär die kritisch- exegetische Section Hr. Prof. Dr. Usener in Bonn,
6) für die mathem.-naturwissenschaftl. Section Hr. Gymn.-Dir. Prof.
Dr. Renvers in Trier.
Vorträge und Thesen, so weit sie nicht schon angemeldet sind, wolle man
bis spätestens 5. September anmelden, und zwar für die allgemeinen Sitzungen bei
dem unterzeichneten ersten Präsidenten, für die Sectionen bei den oben genannten
Herren. — Wegen Beschaffung guter und billiger Quartiere wolle man sich mög-
lichst frühzeitig an den mitunterzeichneten Director Dr. D r o n k e wenden. Alles
Nähere besagt das heute ausgegebene Programm.
Bonn und Trier, den 12. Juli 1879.
Das Präsidium. Das Local-Comite.
Prof. Dr. Bücheier. Dir. Dr. Dronke. über -Bürgermeister de Uys.
HaUe, Buchdruckerei des Waiaenhauseg.
DIE DRAMATISIERUNGEN DER SUSANNA
IM 16. JAHRHUNDERT.
BEITEAG ZUR ENTWICKLUNGSGESCHICHTE DES DEUTSCHEN DRAMAS.
Wie im 10. Jahrhundert selbst einst das interesse an dei- drama-
tischen dichtung vorwiegend dem inhalt ZAigewant war. so liat sich
auch die bisherige wissenscliaftliche betrachtung derselben wesentlich
auf den stoff beschränkt. Der form — ich meine die form im vollen
sinne des wertes, nicht die art des sprachlichen ausdrucks — wird
auch in den besten einschlägigen werken nur geringere aufmerksamkeit
geschenkt. Fast überall finden sich über diese nur summarische urteile
oder vereinzelte bemerkungen; zu einer wissenschaftlichen forschung,
welche methodisch auf die einzelnen momente der dramatischen tech-
nik, die composition. die Charakteristik, spräche und vers eingienge,
und die ferner an diesem massstabe die wertunterschiede der einzelnen
dichter beurteilte, sind bisher nur vereinzelte ausätze gemacht.
An sich ist die Unterlassung einer eingehejulen ästhetischen Unter-
suchung dieser litteratur gegenüber leicht begreiflich: was lässt sich
von der inneren entwicklung eines dramas erwarten , das in derselben
durch die vorwiegende rücksichtnahme auf den stotf von vornherein in
hohem grade gehemmt war? Bewirkte diese doch einmal, dass die
mehrzahl der dichter selten die grenzen der biblischen erzählung ver-
üess, um die beiden grade auch für die bildung der dramatischen form
so wichtigen gebiete , das der geschichte und des gleichzeitigen lebens
zu betreten! Und was noch viel unheilvoller war, durch das fast aus-
schliesslich am inhalt haftende Interesse Avurde der sinn für die Schön-
heit der form, also eben für das der kuiist wesentliche, geradezu
geschwächt und abgestumpft. Dazu kam schliesslich , dass die zahl der
unberufenen bände, die im 16. Jahrhundert der muse des dramas ihre
gaben darbrachten, doch noch ein gut teil grösser war, als sie auch
zu anderen zelten zu sein pflegt!
Trotzdem konte sich der Verfasser nicht davon überzeugen, dass
die so entstandene litteratur nicht eingehendere beachtung verdiene als
_ ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. ]:1>. XI. 9
130 . PILGER
ihr. bis jezt zu teil geworden: es handelt sich ja um die ersten, wenn
auch unbehülflichen schritte einer kunstübung auf einer neuen bahn
und überdies auf derjenigen , auf welcher sie einst zu ungeahnter Vol-
lendung sich entwickeln solte. Und wenn auch das künstlerische ziel
dieses weges der mehrzahl der dichtenden mehr oder weniger getrübt
oder verdeckt blieb durch die religiösen und didaktischen teudenzen,
die sie verfolgten , so ist es doch nicht wahrscheinlich , dass es gänz-
lich an solchen gefehlt hat, welche mit klarem bewustsein und mit
wirklichem erfolg dahin strebten, den moralisch - lehrhaften Inhalt
ihrer stücke mit den schönen und gefälligen formen, die man so
eben aus dem altertum kennen zu lernen begann , zu umkleiden.
Diese erwägungen leiteten den Verfasser zu der auf den folgenden
blättern behandelten aufgäbe , einige hervorragendere dramen aus dem
verlaufe des 16. Jahrhunderts nach ihrer gesamten technik eingehender
zu analysieren und die etwaigen fortschritte in dieser beziehung zu
verfolgen. Zu diesem zwecke empfahl sich ihm eine der nicht wenigen
dramengruppen jener zeit, die denselben stoff behandeln, und zwar die
von der Susanna und Daniel. Abgesehen davon , dass an den verscliie-
denen bearbeitungen derselben fabel die entwicklung der form um so
leichter erkenbar sich darstellen muste, versprach grade diese gruppe
aus doppeltem gründe ein lohnendes resultat. Einmal sind es einige
der berufensten Vertreter der deutschen und lateinischen dramatik jener
zeit, Sixt Birk, Rebhun, Frischlin, Heinrich Julius, die ihre kraft au
demselben versuchten. Und dann fügt es sich glücklich, dass, wäh-
rend die vorlezte bearbeitung noch die einwirkung erfuhr, die sich
von England her gegen das ende des 16. Jahrhunderts in unserem
drama geltend machte, die erste noch zurückreicht in die periode
vor der reformatiou, in die zeit des so eben erst beginnenden huma-
nismus. —
Die geschichte von der Susanna, die wie die von der Judith, von
Lazarus, dem verlorenen söhn das ganze Jahrhundert hindurch zu den
bevorzugtesten lieblingsstoffen des deutschen dramas gehörte, erfuhr
vom ende des 15. Jahrhunderts bis 1627, die Übersetzungen ungerech-
net, nicht weniger als sechzehn verschiedene bearbeitungen.
Begreiflich wird uns diese verliebe, wenn wir uns die einzelnen
momente der biblischen historie vergegenwärtigen.
Zwei alte ungerechte richter, so erzählt dieselbe, sind von lust
entbrant gegen die schöne Susanna , die tochter frommer eitern und gat-
tin des angesehenen Jojakim. Sie beschliessen sie im bade zu überfal-
len und, falls sie unwilfährig, durch eine falsche anklage zu verder-
ben und sich zu rächen.
DKAMAT. DEK SUSANNA IM 16. .111. 131
Susanua wird belauscht, überfallen. Auf ihren hilferuf und der
richter schreien laufen die knechte hinzu, welche die Verleumdung der
alten hörend sich ihrer herrin schämen.
Am nächsten tage angeklagt wird sie auf den schwur der ricliter liin
zum tode verurteilt, während sie gott zum zeugen ihrer Unschuld anruft.
Und gott erhört sie: denn der Volksmenge, welche Susaima zum
gerichtsplatz leitet, tritt von gott erweckt der junge Daniel entgegen,
der das gerichtsverfahren tadelnd ein neues lierbeiführt, in welchem
die beiden alten des' meineids überführt und zum tode verurteilt wer-
den. Susanna aber samt ihrer familie lobt und preist den herrn.
Lässt eine reihe wirklich wesentlicher eigenschaften, auf die wir bei
der besprechung der ersten bearbeitung noch zurückkommen werden, diese
erzähluug für eine dramatische bearbeitung überliaupt nicht ungeeignet
erscheinen, wie sie eine solche ja uocli in unseren tagen erfahren hat,*
so bot sie überdies für das 1 6. Jahrhundert noch mancherlei ganz beson-
dere Vorzüge. Vor allem enthielt sie an moralisch und religiös erbau-
lichen momenten einen reichen stoff: das bild einer frommen, keu-
schen hausfrau, umgeben von einem glücklichen familienleben , ihre
unbesiegbare standhaftigkeit , ihr unerschütterliches gottvertrauen und
den herlicheu lohn ihrer frömmigkeit. Im gegensatz dazu zwei unge-
rechte, unkeusche greise,^ deren bosheit, von den leichthin urteilenden
richtern unentdeckt, an das tageslicht gebracht wird durch die Weis-
heit eines gotterweckten jungen knaben.
Einer speciellen lieblingsneigung derzeit ferner, welche seitdem
15. Jahrhundert sich vielfach in der litteratur, zumal in den fastnacht-
spieleu, abspiegelt, entsprach die doppelte gerichtssitzung-. Sogar für
die rein weltliche lust des 16. Jahrhunderts, das sich ja der ausgelas-
sensten lieiterkeit ebenso gern hingab, als dem andächtigsten ernste,
war der stoff nicht undankbar: die verführungsscene der Susauna oder
auch eine eingehendere Charakteristik der verliebten alten bot für die-
sen zweck reiche motive. —
Zum Schlüsse dieser einleitenden bemerkungen gebe ich eine Zu-
sammenstellung der verschiedenen bearbeitungen unseres Stoffes.
1) Etwa 1859 gieng — nicht ohne beifall — über die bühae des königlichen
Schauspielhauses zu Berlin ,, Susanna und Daniel," Schauspiel in vier akten von
C. L. Werther.
2) üass dieselben, wie (loedeke, Eoemoldt s. 103, annimt, auch dazu gedient
hätten , die aus dem priestercölibat für die frauen entspringenden gefahren zu ver-
sinlichen . habe ich in keiner bearlieitung bestätigt gefunden : sie erscheinen fast
in allen verheiratet.
9*
132 PILGER
1) Die frülieste derselben — das werk eines nnbekanten Verfas-
sers — stamt noch aus dem 15. Jahrhundert. Sie befindet sich hand-
schriftlich in Wien und ist gedruckt bei Keller, Nachlese zu den fast-
nachtspielen aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Stuttgart 1859. Der
titel lautet : Hyr hebt sich an dz leben der heyligen frawen Susana wie
sy von zwain falschen richteren pracht bardt vom leben zum tod, vnd
doch dar von erledigt war dt.
2) Gegen vier decennieu später erschien eine zweite deutsche
bearbeitung und zwar von Sixt Birck, rector zu Basel, 1532; s. Goe-
deke, Grundr. s. 302 [in WolfenbüttelJ. Über eine vermehrte, mir
unbekant gebliebene ausgäbe Zürich c. 1545, s. Weller, das alte volks-
theater der Schweiz s. 16 und Annalen II s. 361. Das „alte Zürcher
stück," in welchem Herman Grimm, Fünfzehn essays 1875, s. 149 ein
„ brüderlein und schwesterlein Susannä " fand , ist jedenfals diese bear-
beitung.
3) Ein kurtz und seer schon spil, von der Gotfürchtigen und
keuschen frawen Susanna. Am schluss: Gedruckt zu Nürnberg durch
Kunegund Hergotin.^ 24 bl. 8. o. j. Das einzige mir bekant gewor-
dene exemplar befindet sich in Zwickau. Dass dies spiel zu Nürnberg
nicht blos gedruckt, sondern auch aufgeführt wurde, geht aus den Wor-
ten des prologs hervor:
Hie ist nun Babylon behend
Doch so das spil erreycht seyn end
Nürnberg es wider werden sol.
Ich halte diese ausgäbe für den origiualdruck dieser bearbeitung,
nicht die von Gottsched, Nöth. vorr. s. 63 unter 1534, und von Goe-
deke, Grundriss s. 306 nr. 117 angeführte. Diese, die sich nirgend
finden will [Goedekes angäbe, dass sie sich in Zwickau befinde, ist
unrichtig, s.u.], scheint mir überhaupt nicht zu existieren und nur auf
einem versehen Gottscheds zu beruhen, das vielleicht dadurch mitver-
anlasst wurde, dass der von ihm unter 1535 erwähnte druck, der
ausser dem spiel von Jacob auch das von der Susanna enthält und auf
dem titel die angäbe hat: „Zu Magdeburg ... im 1535. iar gehalten,"
unter der vorrede das jähr 1534 trägt.-
1) Nicht, wie H. Grimm a. a. u. s. 149 angibt, bei König und Hergotin.
2) Der Widerspruch löst sich übrigens einfach dadurch, dass man bei dieser
ausgäbe des spieles von Jacob, die nur ein neudruck der 1534 erschienenen war
[s. Goedeke s. 306 nr. 123 und Weller, Annalen II, 364], die frühere vorrede samt
dem datum unverändert mit abdruckte.
DRAMAT. DER SUSANNA IM 16. JH. 133
Nun köiite freilich diese Magdeburger ausgäbe von 1535 [ein
exemplar in Weimar] der originaldruck sein. Dagegen aber spricht fol-
gendes :
Erstens macht dieselbe der Nürnberger gegenüber durchaus den
eindruck einer nachgebesserten. Dies gilt von der Interpunktion, die
in der Magdeburger sehr zahlreich , in der andern [s. proben auf s, 152
und löoj überaus ^ärlich ist, und ferner von den modernisierenden wort-
änderungen. Der Nürnberger schreibt spil, weyb, zeyt, Teudtsch,
kleynodt, iunhalt, der Magdeburger spiel, weib, zeit, Deudsch, kiei-
nod, Inhalt; jener hewüsst im reime zu ist, dieser den reim zerstörend
hetvusst; jener kumpt, für in lokalem sinne, empfahen, den tuclieu,
dieser komt, vor, entpfangen, tüchern, wider den reim auf suchen ver-
nichtend.
Ferner verrät sich doch augenscheinlich die zeile des prologs
„Magdeburg es wider werden sol" mit ihren fünf hebungen - im gan-
zen stücke finden sich nur drei oder vier solcher verse — der oben
mitgeteilten gegenüber als eine spätere Umänderung , die zum zwecke
der aufführung in Magdeburg vorgenommen wurde.
Die ausgäbe hat auch im übrigen trotz der Versicherung des titeis
„jetzund erst gedruckt" weniger das aussehen eines Originals als das
eines nachdrucks, der als eine beilage zu dem spiel von Jakob mitge-
geben wurde. Schon auf dem titelblatt, das zum grasten teil von dem
sehr ausführlichen titel des lezteren Stückes eingenommen wird, wird
die Susanna nur in kleinerer schrift erwähnt. Die vorrede des druckers
ferner spricht rühmend von jenem spiel und seinen Verfassern , die sie
nicht nent,^ nimt aber von der Susaima nicht die geringste notiz. Auch
die vom dem brauche der zeit durchaus abweichende kürze des titeis
„ein kurtz und seer schon spiel, von der Susanna," ist auffallend und
spricht eher für eine durch den mangel an räum veranlasste Verkür-
zung des Nürnberger titeis , als die ausführlichkeit des lezteren für eine
interpolierende Verlängerung.
In Goedekes angaben über die verschiedenen drucke dieser bearbei-
tung s. 306 ist folgendes zu ändern: nr. 117 und nr. 118 sind zu streichen,
jedenfals befindet sich von diesen Magdeburger separatausgaben, deren
existenz nach dem obigen überhaupt sehr unwahrscheinlich ist, weder
die erste in Zwickau, noch die zweite in Weimar. Auf irtum beruht
1) Es sind übrigens, wie schon Weller II s. 364 gesehen und sich aus einem
am schluss des Jacob unter der Überschrift ,,ein bitt zu Gott" abgedruckten akro-
stichon ergibt, Georgius Major und Joachimus Gref. Lezterer verarbeitete das spiel
dann jedenfals in seine „Drey ... Historien .. Abrahams, Isaacs und Jacobs," s.
Goedeke s. 307 nr.l28.
134 pn-GER
ferner nr. 122. da dies ein uachdruck des Rebhunschen stückes ist.
8. unter 4. Dagegen ist hinzuzufügen ein Augsburger druck von 1580,
über welchen s. Weller II, 249. Ob eine leider um den titel und das
lezte blatt verstümmelte, nach der modernisierten Orthographie aus
dem ende des Jahrhunderts herrührende Nürnberger ausgäbe [in Wol-
feubüttel] etwa mit nr. 119 bei Goedeke identisch sei. kann ich nicht
entscheiden.
4) Deutsch von Rebhun, Zwickau 1536, nachgedruckt Wittenberg
1537, „vermehrt und gebessert" Zwickau 1544. Goedeke s. 307. Seit-
dem wider gedruckt bei Palm, Paul Rebhuns drameu, Stuttgart 1859
[Biblioth. des litter. Vereins in Stuttgart bd. 49.] und bei Tittmaun,
Schauspiele aus dem sechzehnten jahrh. I. Leipzig 18G8.
Nachzutragen ist bei Goedeke der nachdruck von Sebastian Wag-
ner, Worms 1538, den er irtümlich s. 306 als eine ausgäbe der Nürn-
berger Susanna betrachtet. Kurz , Gesch. der deutschen litter. , 5. aufl.
II, 107 erwähnt eine zweite aufläge dieses nachdrucks, wol veranlasst
durch die vorrede Wagners, die von dem vergriffenen ersten drucke,
mit dem aber nur die Originalausgabe gemeint ist, spricht.
5) Lateinisch von Sixt Birck. latinisiert Xystus Betulius. Goed.
s. 134 führt 7 drucke an, ich benuzte den 1538 bei Johannes Gymui-
cus in Cöln erschienenen [in Zwickau].
6) Lateinisch von Makropedius um 1540, Goed. s. 135.
7) Deutsch von Jaspar von Gennep 1552. Goed. s. 318.
8) Deutsch von Leonart Stöckel. 1559. Goed. s. 334.
9) Deutsch von Conrad Graff 1566, Goed. s. 330.
10) Latein, von Nicodemus Frischlin , Tübingen 1578. oft gedruckt,
Goed. s. 136.
il) Deutsch von herzog Heinrich Julius, Wolfenbüttel 1593,
verkürzte zweite bearbeitung ebendort in demselben jähre. Wider-
gedruckt bei Holland, die Schauspiele des herzogs Heinrich Julius.
Stuttgart 1855.
12) Latein, von Cornelius Schonaeus , Amsterdam 1595, im zwei-
ten teile des Terentius Christiauus, der oft aufgelegt wurde, Goed.
s. 137. Ich beimzte die ausgäbe von 1712, Frankfurt a/M.
Die von Goedeke, Roemoldt s. 103, erwälinte anonyme. Leipzig
1597 erschienene ausgäbe ist wol die im grundriss s. 306 nr. 120
genante , also ein abdruck der Nürnberger bearbeitung.
13) Deutsch von Georg Pondo , Wittenberg 1605, Goed. s. 329.
14) Deutsch von Joachim Leseberg. Lemgo 16o9, Goed. s. 331.
Die hier geäusserte Vermutung, dass Leseberg die alte Magdeburger
oder richtiger Nürnberger bearbeitung zu gründe gelegt habe, ist wol
DRAMAT. DER SÜSANNA IM 16. JH. 135
unrichtig, da nach Freiesleben fast in jeder scene jenes stückes platt-
sprechende bauern anftreten; diese aber fehlen in der Nürnberger
bearbeitung gänzlich nnd lassen vielmehr als das original Heinrich
Julius vermuten.
15) Deutsch von Samuel Israel von Strassburg [1603], Basel 1607,
Goed. s. 418 [in Berlin].
16) Deutsch von Graffenried [1627], Basel 1684. S. Weller,
Volkstheater s. 111, Annalen II, 292 [in Lausanne].
Von diesen sechzehn spielen habe ich leider die von Macropedius,
Jaspar von Gennep, Graft", Pondo, Leseberg, Graftenried trotz viel-
facher bemühung — sie mögen zum teil überhaupt verloren sein —
nicht erreichen können, so dass sich meine arbeit auf die übrigen zehn
beschränken muste. Ob dieselbe hierdurch eine beträchtliche einbusse
erlitten, lässt sich a priori mit bestimtheit natürlich nicht entscheiden,
doch möchte ich es kaum glauben: denn einmal hat sich mir bei der
Untersuchung der übrigen bearbeitungen die Vermutung , dass sich unter
den fehlenden eine wichtige befinde, in keiner weise aufgedrängt, und
überdies bekundet das fehlen widerholter auflagen derselben wenigstens
den mangelnden beifall der Zeitgenossen. —
Ich behandle die einzelnen stücke natürlich in chronologischer
folge und beginne mit dem ersten, uns handschriftlich in Wien über-
lieferten spiel.
2.
Der Wiener auunymus. Ende des 15. Jahrhunderts.
Diese älteste bearbeitung gehört zu den interessantesten Über-
resten der dramatischen Produktion des 15. Jahrhunderts, Der förder-
liche einfluss, den die antike bereits zu gewinnen begint, ist unver-
kenbar.
Er bekundet sich zunächst schon in der höchst glücklichen wähl
des Stoffes. Wir sehen die beiden gewohnten geleise der fastnachtspiele
und der geistlichen aktiouen verlassen und die neue bahn eingeschlagen,
die einzig und allein zu einem drama in der vollen und eigentlichen
bedeutung führen konte. Denn so vielfach entgegengesezt auch jene
beiden gattungen sein mochten , in dem fundamentalen mangel hinsicht-
lich der art ihrer Stoffe waren sie durchaus gleich. Weder die geist-
lichen spiele,- die meistens aus einer aneinanderreihung von dramatisch
durchaus unzusammenhängenden einzelhandlungeu bestanden, noch die
fastnachtspiele, deren kärgliche fabel sich fast durchweg auf eine ein-
zelne scene oder ein ganz eng begränztes ereignis beschränkte, besassen
handlungen von derjenigen organischen gliederung und zugleich von
136 PILGER
derjenigen fülle, die das drama verlangt. Vergebens suchen wir in
ihnen eine einheitliche, leicht übersehbare und doch aus einer reihe
eng zusammengehöriger Vorgänge sich zusammenschliessende liandlung
und zwar eine solche, die geeignet wäre von der ersten sceue bis zur
lezten durch ihre entwicklung das interesse des hörers in dem grade
zu fesseln und zu steigern, wie es der draniatisclien dichtung möglich
ist. Einen solchen stoft' aber, der überdies durch seinen inhalt erhe-
bend und rührend zu herz und gemüt sprach, bietet unser stück: ihn
unter der grossen menge undramatischer erzähluugen, die vorher und
auch später aus der profanlitteratur wie aus der bibel dramatisiert
wurden, entdeckt zu haben, ist kein geringes verdienst, kaum ein
geringeres, als ihn frei aus eigener erfiudung gestaltet zu haben.
Wie hoch den Verfasser die wähl dieses Stoffes allein über die
gleichzeitige, ja zum teil auch über die nachfolgende dramatik heraus-
hebt, sehen wir am besten daraus, dass es selbst noch bis zum ende
des 16. Jahrhunderts häutig vorkommen konte, dass man in einem fort-
laufenden spiel die gesamte heilsordnuiig der weit von ihrer erschaf-
fung bis auf Luther, oder auch den ganzen lebenslauf eines menschen
umfasste , ja blieb es doch möglich , dass man es ganz in das belieben
der aufführenden stelte , ein stück au einer bestirnten stelle abzubrechen
oder weiterzuspielen.' Und wenn im gegensatz zu diesen im verlaufe
des Jahrhunderts allerdings almählich abnehmenden misgrift'en die bes-
seren poeten vom beginne desselben an mehr und mehr zu der ein-
sieht gelangten , dass die dramatische dichtung enger umgränzte stoffe
von spannendem verlaufe verlange,^ so bleibt unserem anonymus das
1) So gibt es Wild in seiner Gelmrt Christi, 1561, den spielenden anheim,
bei dem Bethlehemitischen kindermord aufzuhdren oder bis zu Jesu darstellung im
tempel fortzufahren.
2) Gegenüber der erst kürzlieh wider ausgesprochenen ansieht, als hätten
die dramatiker des 16. jahrh. fast samt und sonders von dem wesen und der tech-
nik des dramas ,, nicht die leiseste ahnung gehabt," verweise ich noch im vorüber-
gehen auf ein interessantes, bislier unbekant gebliebenes document der almählich
beginnenden kunsteinsicht, auf die von (Cornelius Crocus seiner treflich comi)onierten
comödie Jose}ih [Cöln 1537] vorausgeschickte epistel an Martin Nivenius. Verstän-
dig wird hier über die drei einheiten gehandelt: Crocus legt dar, dass die geschichte
Josephs in ihrem gesamten umfange für ein einziges stück sich nicht eigne, und
dass er daher nur den kleinen abschnitt von Josephs Versuchung durcli Potiphars
weib bis zur befreiung aus dem gefängnis behandelt habe. Er rechtfertigt danu
mit einem hinweis auf Aristophaues und die römischen komiker sowol seine Ver-
einigung zweier zeitlicli getrenten handlungen, als auch einen gewissen, massigen
Ortswechsel, indem er zugleich diejenigen der neueren dichter tadelt, die sich
nicht scheuten weit auseinander gelegene örtlichkoiten plötzlich auf der scene zu
verbinden, was an sich höchst verkehrt und durch beispiele der alten nicht zu
rechtfertigen sei.
DRAMAT. DKR 8USANNA IM 1(). JH. 137
verdieust daiauf zuerst oder doch als einer der ersten liiugewieseu zu
haben.
Dasselbe geschick wie in der wähl des stoffes bekundet der unbe-
kante Verfasser in der formieruug desselben zu einer dramatischen hand-
lung. Schon die Verteilung und Ökonomie des ganzen ist bemerkens-
wert: obwol er akt- und sceneneinteilung nicht anwendet, gliedert er
doch die handlung zu drei abschnitten, die, von ziemlicli gleicher aus-
dehnung, sehr augemessen die drei hauptniomente derselben darstellen:
den Überfall der Susanna, ihre anklage und Verurteilung, ihre rettuug.
Viel bemerkenswerter aber noch ist das für seine zeit höchst sel-
tene Verständnis für die Umsetzung der epischen erzählung in eine dra-
matische aktion. Er beschränkt sich nämlich darauf, uur die wirklich
wichtigen einzelhandlungen vorzuführen und verlegt das unwesentliche
hinter die scene. Wie selbstverständlich dies moment auch uns erschei-
nen mag — die bedeutung desselben springt in die äugen, wenn man
bedenkt, dass eine jahrhundertelange dramatische produktion dasselbe
nicht gefunden hatte: erst das mit unserem stück etwa gleichzeitige
spiel von einem kaiser und einem abt kent es gleichfals.
Das dramatische geschick des Verfassers zeigt sich gleich in der
anfangsscene , und ich kenne kein einziges stück der zeit , dessen erster
auftritt — ein prolog geht nicht vorher - so frisch und ohne alle
Umschweife mitten in die handlung einführte. Die beiden alten haben
sich früherer Verabredung gemäss in dem garten der Susanna ein-
gefunden. Beide haben sich längst ihre neigung zu derselben gestan-
den, so dass der eine sofort mit den Worten begint:^
Gesell du wayst wol dy mär
Warumb wir kommen sein her
Was wir haben gedacht
Gedenk dz es werd volpracht
Au Susanna dem schon vs^eyb . . .
Darauf teilt er ihm seinen plan mit, Susanna nötigenfals durch eine
anklage zu verderben. Zusammenhängend wird nun die handlung bis
7Ai der scene mit den knechten geführt, die, wenn auch nicht als
aktschluss bezeichnet, in der tat doch durch das abtreten der personen
sich einem solchen ähnlich geltend machte.
Geschickt wird nun wider die für das drama durchaus unwesent-
liche anklage der beiden ältesten bei dem rabi Moyses hinter die scene
verlegt, und es folgt sogleich die gerichtssitzung , beginnend mit den
Worten des Moyses:
1) Ich eitlere nach der handschrift.
1S8 PILGER
Joseph du lieber diener mein
Gee vnd folg dem rat mein
Deinen gesellen uym zu dir
Vnd erfült vns unser pegir
Pringt vns Susana für gericht
Dz verhört werdt dise geschieht
Als vns dy richter thundt kundt
Auss iren payden worten zestuudt
Das folgende weicht zunächst dadurch zweckmässig von der biblischen
erzählung ab, dass der dichter die beiden stellen derselben, die zu
lebendig- dramatischen gefühlsergüssen anlass boten, zu solchen ver-
wertete. Aus den worten „und da sie gefordert ward, kam sie mit
ihren eitern [vor gericht]" gestaltet sich eine klage- und trostscene
zwischen Susanna und ihren eitern, bevor sie vor dem gericht erschei-
nen. Ein ähnlicher bewegter auftritt, mit welchem der zweite teil
des Stückes endigt, schliesst sich der Verurteilung der Susanna an,
während in der bibel nur ein gebet derselben folgt. Natürlich sind
ausserdem die werte „und das volk glaubte den zweien, als richtcrn
und obersten im volk; und verurteilten die Susanna zum tode" zu einer
ausgedehnten gerichtsverhandlung geworden, in der auf die anklage
des einen richters durch den rabi Moyses und seine beisitzer Susanna
verurteilt wird.
Der dritte teil begint mit der anweisung [bei Keller s. 240] : Da
dy ding also geschehen da furth man Susanna hyn dz man sy verstay-
net aber Daniel der prophet sprang auß der mitt des Volkes herauß
und sprach
Vnschuldig pin ich an disem pluet
Secht dz ir den Sachen recht thuet
Der fortgang schliesst sich der biblischen erzählung an bis zur bestra-
fung der beiden richter, die sich wider sehr geschickt zu einer leben-
digen scene gestaltet, in welcher der „züchtiger" [henker] die beiden
alten verhöhnt und diese ihre sündeu reuig bekennen. Auf den mit der
handlung in keinem Zusammenhang stehenden schluss des Stückes gehen
wir unten ein.
Verständig wie diese Organisierung des stoftes im ganzen, seine
gliederung in drei hauptteile, die Umsetzung der epischen erzählung in
dramatische handlung, ist auch seine Verteilung auf die einzelnen sce-
nen : nirgend überwuchert ein auftritt auf kosten des andern , selbst
nicht die gericbtlichen scenen, wenn sie auch der neigung der zeit
gemäss mit einer gewissen ausführlichkeit behandelt sind. Ganz besou-
DRAMAT. DER SUSANNA IM 10. JH. 139
ders erwähnenswert für jene zeit ist schliesslich noch, dass das stück
frei ist von allen episodischen auhäugseln.
So dürfte es denn wol, was die dramatische coniposition betritt,
nur äusserst wenig spiele des funfzelmten Jahrhunderts geben, die die-
sem an die seite zu stellen wären, ja sogar die meisten der späteren
stehen ihm , wie wir seheu werden , in der beziehung nach , dass sich
in ihnen episodische scenen oder didaktische demente störend vor-
drängen.
In der behaudluiig des einzelnen unterscheidet sich freilich das
stück nicht von den anderen gleichzeitigen versuchen. Es ist zwar
alles knapp und kurz und streng bei der sache bleibend gehalten, aber
zugleich noch durchaus steif, leblos und niarionettenhaft. Von Charak-
teristik der einzelnen personen, deren zahl die der bibel nicht über-
schreitet, noch keine spur; man niüste denn etwa die haltung Joachims
vor gericht, der, wenn auch schweren herzens, im gegeiisatz zu den
eitern der Susanna, der Verleumdung glaubt, als einen antlug dazu
betrachten wollen. Nur in einer beziehung erhebt sich das stück weit
über den geschniack seiner zeit, in der auffallend keuschen behand-
luug des zu obscönitäten so leicht gelegenheit bietenden stoffes.
Die spräche ist noch recht ungewaut, herb und trocken. Einen
anflug von belebterer färbung hat einzig die klagescene nach Susannas
Verurteilung. Ich setze einen teil derselben her [bei Keller s. 238],
zugleich als eine probe der regellosen verse, die zwischen drei, vier,
fünf, ja sechs hebungen schwanken und die Senkungen nicht minder
frei behandeln.
Da dz vrtayl waß geben sprach dy fraw Susana
0 her got in der ewikayt
Du pist ein erkenuer der verporgenhait
Du erkenst alle ding ee dz sy geschehen
Du kanst es in der klarhält sehen
Herr du wayst und erkenst das
Das dy richter durch neyd vnd haß
Mich zw dem tod haben verdambt
Sy haben sich des nit geschambt
Vor dir vnd aller weldt
Haben sy ain falsch vrtayl gefeldt
Vber mich dy arm tochter dein
Das laß dir herr armen sein
Und erloß mich von irer hendt
Das ich nit werd also geschenndt
14:0 PILGER
Da sprach Joachim der Susaiia hawßwirt mit klag
Ach mir der jamerlaichen klag
Dz ich nye gelebt hab den tag
Was jamers geschiecht meinem leyb
Den ich sech an meinem schonen weyb
Ich het sey mir auß erkoren
So hab ich mein trew an ir verloren
We mir der jamerlichen geschieht
Hat sy sich zw ainem andern verpflicht
Dy mir dy liebst ist gebesen
Ach got wie sol mein hercz genesen
Wäger war mir der tod
Wen daß ich leyden sol disen spot
0 höchster got in der ewikait
Laß dir dz wesen ymer layd
Besondere er wähnung fordert schliesslich noch der zu der streng
ernsten haltung des ganzen Stückes in contrast stehende scherzhafte
schluss. Nach der Steinigung der alten nämlich durch den züchtiger
folgt noch ein mit dem vorhergehenden ganz unvermittelter dialog
zwischen diesem und seinen knechten, in welchem er sich denselben
ironisch zum vorbild an kunst und ehren hinstelt [bei Keller s. 244].
Der zuchtiger zw seinen knechten sprach
Nun lieben sun mein habt der sach vleyß
Vnd lerndt nach meiner weyß
Das ir auch zw eren kombt als ich
Darvmb dy stummen ^ loben mich
Wann ich hab mich wol an lassen
Das secht man hye an mir auff der Strassen
Das ich in meiner kunst in maisterschafft stee
Ich reytt oder ich gee
So thuent dy lewt auft" mich zaygen
Vnd sprechen secht an den vaygen
Wie treyt er der ern ain krancz ^
Recht als der äff den langen swancz
So kan ich auch solch vrtayl nit widersprechen
Ich wolt denn an der warhait prechen
Wan ich pin ye ain erbar man
1) Keller ändert in stimen, die ironie der stelle vernichtend.
2) Statt des handschriftlichen am; Keller vermutet er an der eren
kränz.
DRAMAT. DKR SÜSANNA IM 16. JH. 141
Das merkt ir all auf disem plan
Dar vmb lern ewr yeder alz ein guetter knecht
So wirt er auch zw solichen erbarn ^ saclien recht
Dy knecht antburteten vnd sprachen
Lieber maister wir volgen gancz deiner 1er
Da mit wir auch erlangen solch er
Vnd kainer sol anders von vns gelauben
Denn dz wir geren er wolten auff klauben
Vnd wo einer sy vor vns zett
Da lauften wir dar vmb dy gbett
Wir haben auch selbs vil eren zerstratt
Dy vns der windt hat hyn gewatt.
Darvmb burff ainer wol ein schaff" arbayß auff disem plan
Ee er vndter vns truff' ein frummen man ^
Nun erst folgt der „peschleusser" mit der moralischen nutzanwen-
dung und dem heiteren an den schluss der fastnachtspiele anklingen-
den endwort:
Nun macht auft" vnd last vns singen
Vnd darnach ein tancz oder zwey her vmb springen
Diese schlussscene findet ihre erklärung in der bekanten, naiveren zel-
ten eigenen ueigung des Volkes sich von tragischen erschütterungen der
bühne durch komische zwischen- und nachspiele zu befreien. Es ist
derselbe zug, der an den schluss der geistlichen spiele die teufelssce-
nen sezte, der in die späteren osterspiele das komische Intermezzo des
salbeuhändlers mit seinem knechte Rubin verflocht, der bis zu wilder
entartung in den französischen mysterien und den spanischen autos
wuchert, und der uns so manchen Shakespeareschen narren geschaf-
fen. Wir werden demselben in unserer Untersuchung noch widerholt
begegnen.
Ich bemerke zum schluss , dass das Wiener stück von keinem der
späteren bearbeiter des stolfes benuzt worden ist. Für die behauptung
Hermann Grimms a. a. o. s. 149, dass es „den keim der späteren arbei-
ten" enthalte, habe ich ebensowenig einen anhält gefunden, wie für
seine weitere Vermutung, dass es „die aufzeichnung eines althergebrach-
ten Schauspieles" sei.
1) Mit Keller statt erben.
2) D. i. darum würfe einer wol einen scheffel erbsen auf diesen plan, ehe
er [mit einer erbse] unter uns träfe einen braven mann.
142 PILGER
3.
Sixt Birck. 1532.
Diese erste bearbeituug aus der reformatiouszeit zeigt weitere
glückliche einwirkungeu der antiken muster, wenn sie auch in einer
sehr wesentlichen beziehung der eben besprochenen nachsteht.
Die Umformung der erzählung in die dramatische form ist hier
viel unbeholfener als dort. Zwar scheidet Birck die einzelnen teile des
Spieles schärfer von einander, nämlich durch eingelegte chorgesänge
— sceueneinteilungen kent auch er noch nicht — , aber diese ein-
schnitte legt er zum teil an sehr ungeeignete stellen. Nur der erste
teil ist zweckmässig: er führt wie im Wiener stück, gleichfals mit
einem dialog der beiden ältesten beginnend, die handlung bis zur Ver-
leumdung der Susauna beim gesinde, worauf ein gesang folgt, der das
gottvertrauen der frommen und unschuldigen preist. Im folgenden aber
huldigt Birck dem geschmack des publikums an processualischen Vor-
gängen derart, dass er den zweiten teil einzig und allein zur einlei-
tung der eigentlichen gerichtssitzung verwendet, nämlich zur entschei-
dung der beiden Vorfragen, ob die Wäger abtreten sollen, und ob
Susanna nur „beschickt" oder als gefangene vorgeführt werden solle.
Bei dieser ausführlichen behandlung der gerichtlichen scenen mag übri-
gens nnsern dichter , der ein grosses Interesse an dem öffentlichen leben
besass,^ auch die absieht geleitet haben, ein bild gewissenhafter öffent-
licher rechtspflege zu geben. Passend schliesst sich an diese auftritte
ein gesang, der gott um strafe für die ungerechten und die Unter-
drücker der unschuldigen anfleht, wie überhaupt als ein fortschritt für
Bircks chorgesänge die bezugnahme ihres Inhalts auf die vorhergehende
handlung hervorzuheben ist, die z. b. in Keuchlins progymnasmata
noch nicht stattfindet.
Dem dritten teil, der viel länger ist als die beiden anderen zu-
sammen, fält alles übrige zu, d. i. vorzugsweise wider gerichtliche
beratungen über Susanna und die ältesten, welche dadurch, dass jedes-
mal die acht beisitzer von dem richter um ihr urteil befragt werden,
was im ganzen stück nicht weniger als fünf mal geschieht , zu entsetz-
licher länge und langweiligkeit sich dehnen. Nach der Steinigung der
alten finden wir zum Schlüsse auch hier eine völlig aus der handlung
herausfallende scene: zwei zur Steinigung herbeieilende männer geraten
in einen streit, in welchem der eine sich den getöteten bösewichtern
zugetan erklärt. Komischen auflug, der doch jedenfals beabsichtigt
war, hat dieser auftritt nur iu sehr geringem grade.
1) Vgl. Scherer in der Allgem. Deutschen Biogr. unter Birck II, 657.
DEAMAT. DER SUSANNA IM 16. JH. 143
Gewiss, diese composition, bei welcher den gerichtlichen scenen
fast die hälfte des ganzen Stückes zufält, und bei der nur der eine
glückliche griff" anzuerkennen ist , dass der erste dialog der beiden alten,
wie in der ersten bearbeitung, sogleich in die handlung einführt, ist
in der algemeiueu anläge höchst mangelhaft und steht hinter dem Wie-
ner stücke weit zurück. Dagegen überragt Birck in der behandlung
des einzelneu, so unbeholfen und hart dieselbe auch noch immer ist,
seinen Vorgänger um ein beträchtliches.
Mit feinerem blick als jener hat er sclioa einige ziemlich ver-
steckte momente der epischen erzähluug herausgefunden, die für eine
dramatische behandlung zu weiterer ausführuug sich , dringend empfah-
len. In der ersten bearbeitung bleiben z. b. Joachim wie die eitern
und die kinder der Susanna abseits stehen: jener wird überhaupt nur
vor dem atteutat auf sein weib erwähnt, in der handlung selbst tritt
er gar nicht auf; von diesen wird nur das eine berichtet, dass sie
Susanua vor gericht begleiten, handelnd oder auch nur sprechend grei-
fen auch sie nicht ein. Diese teilnamlosigkeit der nächsten angehörigen,
die in dem epischen bericht, welcher der phantasie des lesers freien
Spielraum zu weiterer ausgestaltung lässt, allenfals zu ertragen ist,
erscheint im drama durchaus unnatürlich und unwahrscheinlich. Birck
rückte daher diese personen, denen er noch aus eigener erfindung zwei
gescliwister der Susanna hinzufügte , mit recht mehr in den Vorder-
grund und gab ihnen diejenige herzliche teilnähme, die einerseits für
sie selbst natürlich und notwendig erschien, und andererseits das
geschick der heldin um so rührender machen rauste.
Diese nebenfiguren haben überdies bei Birk sogar schon einen
anflug von Charakteristik, sie gewinnen gegenüber der holzschnittmanier,
in der auch er noch die hauptpersonen zeichnet, schon ein wenig färbe
und ausdruck. So lässt er z. b. die muttei- den verbuhlten beiden alten,
als sie in der gerichtsitzung der Susanna den schleier nehmen wollen,
in ihrem mütterlichen eifer sehr heftig entgegentreten. Zwischen den
geschwistern der Susanna und den beiden alten komt es , als diese die-
selbe bei ihren dienern anklagen, zu folgender erregten charakteristi-
schen scene.
Das schwesterle Susanne
Pfuch Schemen üch jr alten wicht
Kein gute ader in üch ist
Ir stecken vol der bösen list
Ich sag ücli lond jr nit daruon
So würt üch werden üwer Ion
144 PILGER
Achab Was dannttet dises schnepperlin
Gib du jm eins vffs klepperliu
Sedechias Was lyt dir an du suppen wüst
Weistu ouch was du yetzunder thiist
Das du also redst freuenlich
Wider uns herreu gewaltigklich
Über dich uud dyn gantzes geschlecht
Das brüderle Susanne
Du würst nit handien wider reebt
Woltstu dich vft" dyn gewalt verlon
, Wie du hast myner Schwester thon
So ich zu mynen tagen kum
So lüg und schow dich ebeu vmb
Die katzen müstu halten mir ^
Dariimb lüg vnd sich dich eben für
Von eim kind soltu gewarnet syn
Das schwesterle Susanne
Ach nein niyn liebs bruderlin
Die alten gouch laß mit frid
Darumb ich dich jetzund hir bit
In lydeii brechten sy uns baldt
Als Daniel Susanna gerettet hat, dankt ihm „das kuäblin Susanne"
mit den Worten :
Du bist ein gutes gsellelin
Du hast erlost min mütterlin
Büt mir diu band und dauck dir gott
Du bist mir lieb on alle spott
worauf Daniel, der im anschluss an die bibel als ein junges knäblein
gezeichnet ist, antwortet:
Sich nimm ouch hin das rößlin myn
Und dises hübsch wintmülelin
Auch das erste auftreten der kinder, als die mutter weggeführt
wird , ist von natürlicher , wirklicher empfindung getragen.
Noch andere momente der epischen erzählung arbeitet Birck
geschickt heraus. So lässt er die gerichtsdiener, die er gleichfals ein-
führt, gegen die beiden alten partei nehmen, wie auch Joachims knechte,
abweichend von der bibel, den Verleumdern nicht glauben: den mäg-
den der Susanna legt er freundlich tröstende worte in den mund.
1) Du must mir stand halten. S. Sanders s. v. Katze, der die redensart wol
richtiger von dem kat/.hall-s}iiel herleitet, als Hildebrand bei Grimm 5, 288 aus
einem rechtsbrauch.
DRAMAT. DER SUSANNA IM IC. jH. 145
Selbst in die langen Gerichtsverhandlungen konif dadurch wenigstens
einige bewegung. dass ein teil der ricliter für Susanna günstig stiuit,
und in die hauptberatung das umstehende volk sicli mit seinem geschrei
einmischt.
Es sind nur geringe anfange von dramatischer belebung der hand-
lung und der charakt(M-e, abei' immerhin lieben sie doch das stück weit
über die frühere bearbeitung liinaus.. Bezeichnend ist es, dass dem
dichter die nebenpersonen . die xu einer mehr derben und komischen
färbung anlass boten , und \nv die er im wirklichen leben leicht Vor-
bilder fand, besser gelingen als die ernsten hauptcharaktere , die auch
bei ihm noch recht marionettenliaft bleiben. Selbst die beiden alten,
die den meisten späteren dichtem, da sie ihnen komische Zeichnung
gaben, zu recht lebensvollen figuren wurden, bleiben noch durchaus
farblos: ja die steife biederkeit ihrer haltung im ersten auftritt ist der
Situation grade ebenso unangemessen. Avie ihre täppisch zufahrende
Plumpheit in der verführungssceue.
Tn noch höherem grade als in der Charakteristik überragt Birck
seine Vorgänger in formeller beziehung; denn wenn auch seine spräche
noch ziemlich abgebrochen und ohne fluss bleibt, im versbau zeichnet
er sich vor jenen wie vor den meisten der gleichzeitigen poetea aus.
Aus der Verwilderung unserer metrik begann sich mitlerweile
bei den besseren dichtem , jeden [\ils in folge der bekan tschaft mit
der römischen poesie, in der praxis das eine feste gesetz des acht-
oder neunsilbigeu verses mit gewöhnlich vier hebungen herauszuarbei-
ten, aber Birck begnügte sich damit nicht, sondern strebte zugleich,
wie andere gleichzeitige schweizer dichter, z. b. Kolros und vor ihnen
schon Gengeubach, sichtlicdi mit bewustsein dasselbe an, was einst
schon Konrad von Wttrzl)urg eingeführt hatte , was aber erst durch
Opitz wider zu einem algeraeinen gesetz werden solte, nämlich einen
regelmässigen Wechsel von hebung und Senkung. Ich sage mit bewust-
sein, denn instinctiv war bei allen dichtem uuverkenbar „ein gewisser
drang des verses nach diesem regelmässigen Wechsel geblieben ," ^ und
die ansieht, als hätten die dichter des 16. jalirhunderts ihre verse nach
rein mechanischem abzählen von acht oder neun silben und zwar mit
betonung der geraden ohne jede beachtung des tonwertes gebildet,
erscheint mir, worüber s. 146 fg. näheres, nicht zutreffend.
Es liegt mir fern in der neuerung Bircks einen fortschritt unserer
rhythmik überhaupt sehen zu wollen, aber gegenülter der wilden bar-
barei jener zeit ist doch der neue brauch . durch welchen man die
1) Goedeke, Gediclite von Wockherliii 1873, vovw. XIX. [Deutsclie flicliter des
17. jahrli. 5. bd.]
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI. 1 "
146 PILGEE
freiere beliandlung der Senkungen aufgab, ein durchaus heilsamer.
Vielleicht erfordert ja kein rhythmisches princip eine von so feinem
gefühl getragene auwendung als gerade das der freieren behandlung
der Senkungen in einer accentuierenden spräche , und nun betrachte
man die rohe, jeder empfindung für rhythmus haare behandlung, die
man ihm im 15. und vielfach im 16. Jahrhundert zuteil werden liess!
War doch die Verwendung der Senkungen , also z. b. der ausfall
derselben am anfang oder zwischen zwei hebungen, ferner ihre Verdop-
pelung eine fast rein M^ilkürliclie , so dass oft die widrigsten misklänge
entstanden und von einem rhythmus überhaupt nicht mehr die rede
sein konte. Man sehe eine probe solcher verse unten s. 162 fg.
Vermochte nun auch der dichter die neue norm nicht in der vol-
kommenheit zur anwendung- zubringen, wie etwa fast gleichzeitig Bin-
der, der auch sonst, z. b. in der anwendung klingender und stumpfer
reime, eine noch grössere versgewantheit bekundet, so gestattet er
sich doch etwa nur in je sieben versen eine abweichung von dem regel-
mässigen rhythmus, also eine freiere Stellung der hebungen. Grösten-
teils finden sich dieselben überdies im ersten fusse, also an der stelle,
an welcher sie nicht nur metrisch am leichtesten ertragen werden,
sondern auch, besonders für den dichter des 16. Jahrhunderts, sprach-
lich kaum zu vermeiden waren. So lauge nämlich , was ja das gewöhn-
liche war, versschluss und satzende oder -abschnitt noch zusammen-
fielen, waren trochäische anfange schwer zu umgehen: so in Imperati-
vischen und interrogativen pluralsätzen , zumal wenn, wie bei Birck, in
der diabetischen zweiten person pluralis auf -end, wie heissend, mei-
nend, ylend, die elision des e nicht zugelassen wird, ferner bei der
conjunction aber , dem relativ welcher u. a.
Wie aus dem gesagten ersichtlich , fasse ich diese abweichenden
verse als rhythmisch freiere l»ildungen auf, lese also mit wahrung des
wortaccents z. b. den sechsten der s. 144 mitgeteilten verse :
Wider uns herren gewältigklich.
Im gegensatz dazu steht die oben erwähnte, viel verbreitete ansieht, nach
welcher auch in solchen fällen der regelmässige rhythmus aufrecht zu
erhalten, also in unserem falle mit spracliwidriger betonung zu lesen wäre:
Wider uns herren gewältigklich.
Da die entscheidung zwischen beiden auffassungen für die beurteilung
der rhythmik des 16. Jahrhunderts, namentlich des dramatischen verses,
eine principielle bedeutung hat, so füge ich eine kurze begründung und
erläuterung meiner ansieht hinzu.
Im algemeinen scheint mir die frage, ob blosse silbenzählung
und sprachwidrige betonung für das 16. Jahrhundert zu statuieren sei,
DRAMAT. DER SÜSANNA IM Ifi. JH. 147
weder mit Hopf iier ' iiiid Vilmar- bejaht, noch mit Goedeke mid ande-
ren ^ verneint werden zn können. Dass die lyri^clie poesie sie zuliess,
ist nn zweifelhaft . weil doch die für den gesang bestirnten gedichte der
melodie wegen in den correspondierenden versen der einzelnen strophen
denselben bau haben müssen. So folgt also z. b. ans dem anfang der
dritten strophe von Hans Sachsens meistergesang dicliter und singer:*
Won alle künst auf erden
teglich gescherfet werden
von grobheit und geferden,
die man vor darin fant,
dass die ersten Zeilen der zweiten strophe folgendermassen zu scan-
dieren sind: Das brünlein ich geleiche
einem dichter kunstreiche.
der gesang anfenkleiche
dichtet aus künsten grünt.
Die auf den ersten blick freilich unerträgliche härte dieser ton-
verschiebungen erscheint wesentlich anders, wenn man bedenkt, dass
wir es hier mit gedichten. die ausschliesslich für den gesang bestirnt
waren, zu tun haben, und dass die melodie dergleichen härten ausser-
ordentlich mildert. Gestatten sich doch bis lieute die besten unserer
componisten niclit selten eine ganz ähnliche freiheit , wenn sie sprach-
lich unbetonte silbeu in der melodie accentuieren.
Ganz anders stelt sich die sache bei der epischen erzähluug und
dem drama. Hier, wo durch keine melodie die rohen Verzerrungen der
spräche dem obre teilweis verdeckt würden, halte ich es nicht für
möglich, dass man sich dieselben gestattete, dass man also z. b. in
Hans Sachsens rossdieb von Fünsingen solte gesprochen haben :°
Weyl die Alten gesaget liaben
Sänffter sey Eyd schwern,^ den rubn graben,
oder: Doch bitt ich wolt das best gedencken
Mit einr zehrüng begaben mich
Weyl kein baren Pfennig hab ich
Solt ich wider stehln, vnd würd gfangen.
1) Reformbestrebungen auf dem gebiete d. deutsehen dicht. [Progr. dos Wil-
helms-gymn. zu Berlin] 1866 s. 5.
2) Deutsche verskunst 1870 s. 81.
3) Goedeke. Weckherlin s. XIX. Rachel, Reimbrechung usw. [Progr. des
Freiberger gymn.] 1870 s. 4.
4) Dichtungen von Hans »Sachs, I. her. von Goedeke, 1870, s. 26 und 25.
5) Goedeke, Elf bücher 86 b 1 , 2 und 23—26.
6) schweren ist jedenfals nur vorsehen des drucks,
10='=
148 PILGER
Nocli anmutigere gebilde würden folgende verse darstellen, die freilich
von einem der grösteu verspfuscher des 16. Jahrhunderts, von Wild
aus dem spiel von dem doctor.^ herrühren:
Wilt dii allen menschen ton recht
und wilt schlafen bis neune schlecht,
wil ich geren sehen von dir!
und: Warumb laßt ir den knaben nit
zu fuße gan? wollet ir mit
eurem reiten das arme tier
gar zii boden trücken? secht ir
nicht, wie es ist so gschwil und heiß,
und dem tier austreibet den schweiß.
Es erscheint mir undenkbar, dass man jemals eine lebende spräche
derart mishandelt haben solte. Denn wenn man selbst noch annehmen
wolte, dass mund und ohr der menschen des 16. Jahrhunderts an sich
einer solchen entartung fähig gewesen wären , das ist doch wol zu
unwahrscheinlich, dass zum zwecke einer aufführung die spielenden sich
solten die tortur auferlegt haben, sich derartige mundverrenkungen
einzuüben, um — schliesslich von ihren zuhörern gar nicht verstanden
zu werden! Dies aber wäre die notwendige folge gewesen: man mache
doch einmal den versuch, nach dem in rede stehenden betonungsprin-
cip einem unbefangenen menschen dramatische scenen aus dem 16. Jahr-
hundert vorzulesen , er wird vieles nur mit mühe , anderes überhaupt
nicht zu verstehen vermögen.^
Noch ein anderes moment spricht doch wenigstens gegen die
annähme einer uneingeschränkten Zulassung sprachwidriger betonung,
' nämlich das selbst bei dem elendesten reimer höchst seltene vorkom-
men eines verses, der auf keiner einzigen der vier geraden silben den
wortton hätte.
1) Tittraann, Schauspiele aus dem sechzehnten Jahrhundert ISliS. I s. 220
V. 186 — 188 und 233 v. 143 — 148.
2) In einzelnen fallen und bei formell sehr sorglosen dichtem könte freilich
der reim sprachwidrige betonung zu fordern scheinen; so bei Wild, Tittniann,
Sciiauspiele I s. 234: fürwar wir werden wol besten,
so wir uusern esel tragen.
und bei B. Waldis, dessen hochdeutsche verse gleichfals sehr roh sind, Goedeke,
Elf bücher I 196 b 3 :
Annemen die bestimpten radtzol
Welche jm nit bhagten all zu wol.
Doch halte ich es an sich und besonders auch angesichts der übrigen licenzen , die
sich solche poeten gestatteten — Wild reimt z. b. mit dem und ungestem [für
ungestüm], Waldis nider und bc}- dir — für wahrscjieinlicher, dass sie sich in
dergleichen fällen damit begnügten , dass der reim nur für das äuge vorhanden war.
DRAMAT. DKK SUSANNA IM 10. JH. 149
So glaube icli deiiu, das« iiuin für die kurzen roiiiipaare der epi-
schen und dramatisclu'ii gedichte des 16. jalirluinderts im algemeinen
nach folgenden normen verfuhr. Abgesehen von dem obersten gesetz,
von dem sich freilich nicht wenige dichter auch emaucipierten [s. unten],
dass jeder vers acht oder bei klingendem reim neun silben haben muste,
erstrebte mau im algemeinen auch — freilich mit ausserordentlich
ungleichem nachdruck uud erfolg — einen regelmässigen Wechsel von
hebung und Senkung und zwar mit dem l)eginn einer Senkung; zugelas-
sen wurde jedoch auch jede andere Stellung der hebungen nur mit der
einen, höchst selten übertretenen beschränkung , dass mehr als vier Sil-
ben nicht accentuiert werden durften.
Ich lese daher die obigen verse folgendermassen:
Weyl die Alten gesaget haben
Säriifter sey Eyd schwern , den rübn graben . . .
Doch bitt ich wolt das best gedencken
Mit einr zehrung begäben mich
Weyl kein baren Pfennig hab ich
Solt ich wider stehln, vnd würd gfängen usw.
Die zulässigkeit einer derartigen betonung für das 16. Jahrhundert
erweist übrigens unzweifelhaft eine nicht geringe reihe von dichtem,
deren nicht selten zehn-, elf-, ja zwölfsilbige , oft sehr wolklingende
verse niemand ernstlich in das Schema jambischer betonung wird zwingen
wollen. Zu ihnen gehört z. b. Jakob Frischlin, der sprach- und vers-
gewante Übersetzer von seines bruders Susanna und Rebekka, s. z. b.
II. 3 jenes stückes : ^
Zittert mit Händen, hat lauge Leff'tzen,
Die hangen herab wie Nestel Stefi'tzen,
ferner der Verfasser der Zwickauer „ Einleitungen ," ^ z. b.
Am selbigen bergk an lustiger stell
Entspringt ein schon lauter quell
Rauscht vber die steine hinab gen taal
Wessert wisen , gerten vber all,
Vmbher viel bäum stehnn nacli der rey
Vnd singen die vogle mit hellen geschrey.
Während aber im hochdeutschen solche freieren verse sich nur verein-
zelt finden und im algemeinen das streben nach regelmässigem ton-
wechsel und einer beschränkung des verses auf acht oder neun silben
vorherseht, ist diese freiere versbildung im Niederdeutschen geradezu
1) Frankfurt a/M. 1589.
2) Straumer, Programm des gymn. zu Freiberg 1868 s. 29.
150 PILGER
beliebt. Als eine probe dieser z. b. von Burkaid Waldis im Verlorenen
solm 1527 durchweg augewauten messuug dienen folgende zeileu:^
Vor di ik mi nicht romen kan
Als düsse hillige frome man! ^
Ik bidde di, here, wes gnedich mi armen
' Unde wil di over min sunde erbarmen.
Grade in dieser behaudlung brachte übrigens Goethe, bei dem zehn-
bis zwölfsilber gieichfals vorkommen, die kurzen reimpaare wider zu
ehren.
Ich kehre zu Sixt Birck zurück. Das streben nach reinerer und
schönerer form, das ihn bei seiner regulierung des achtsilbers leitete,
zeigt sich bei ihm auch in anderen beziehungen. Sorgsam ist er bemüht
um Vermeidung von elisionen: die vorkommenden überschreiten nur in
sehr wenigen fällen die mittelhochdeutschen licenzen. Seine reime wer-
den selten zu blossen assonanzen , das den dialog belebende kunstmittel
der reimbrechung wendet er widerholt, wenn auch nicht häufig, an.
In einem punkte geht er in seiner strengeren versbehandlung
sogar zu weit. Er vermeidet alle klingenden reime: die eine aus-
nähme, die mir aufgefallen, schtveren : keren, komt wol auf rechnung
des drucks. Jedenfals liess er sich hier , wie ansprechend vermutet
worden ist,^ durch die nachahnmug der antiken metrik, die bei jam-
bischen versen natürlich nur betoute Schlüsse zulässt, verleiten, seine
kurzen reimpaare in ein für deutsche verse fehlerhaftes Schema zu
zwängen und beraubte sich dadurch eines wichtigen mittels schöner
versbildung.
Haben wir bisher Bii'ck in den hergebrachten reimpaaren sich mit
unverächtlichem erfolge strengerer form befieissigen sehen , so gelangen
ihm dagegen die complicierteren versgattungen der beiden eingelegten,
sogenanten sapphischen chöre sehr viel weniger.'' Zwar mutete er den
formen der spräche nicht grössere härten zu, allein die tonverschiebun-
gen sind häufiger, die klingenden reime sehr mangelhaft, so dass er
z. b. find seer : fhnot mir, denen : schade, mach ich : sterblich als reime
gelten lässt, und was das schlimste ist, der sinn der in die ungewohnte
versart gepressten worte bleibt für den, der das biblische original
nicht zur seite hat, zum teil durchaus unverständlich. So z. b. in der
folgenden vierten und fünften strophe des zweiten chores:
Sy sind verblendet, band ouch nit verstanden
Hand nicht erkennet, sunder allzyt wandlen
1) S. Höfer, Denkmäler niederd. spräche III. 1851 s. 125.
2) Rachel a. a. o. s. 5.
.3) Ahgedruckt hei W. Wackernagel, Lesebuch (2. ausg. 1840) II, 27.
DRAMAT. DER SÜSANNA IM 16. JH. 151
Auch in duiikclheit waren sy allzyt breyt
Bewegt wtirt die erde
Ir ' liatt ücli geben , das ir götter werend
Auch das jr leben solteu hie in eeren
Wie Adam mach ich das jr sigen sterblich
Deß falfs ge wertig.
Diese worte sollen eine nachbildung sein von Psalm 82 , 5 — 7: Aber
sie lassen ihnen nicht sagen, und achten es nicht; sie gehen immer
hin im finstern; darum müssen alle grundvesten des landes fallen. Ich
habe wol gesagt: Ihr seid götter, und allzumal kiuder des höchsten;
ihr werdet sterben, wie menschen, und wie ein tyrann zu gründe gehen.
Bei weitem besser übrigens gerieten Birck diese metrischen neu-
bildungen schon in der „Tragedi wider die Abgöttery" [Beel] 1535^
und in der Judith 1539.
4.
Der Nürnberger anonymus. 1534?
Die anordnung des stofl'es, bei der sich die einwirkung des anti-
ken dramas bereits in der akt- und sceneneinteilung zeigt, ist hier
geschickter als bei Birck, erreicht aber die erste bearbeitung nicht.
Der hauptfehler beruht darin, dass der erste akt noch gar nicht in
die eigentliche handlung einführt, sondern nur zu einer Charakteristik
Joachims und besonders der beiden ältesten verwant wird.
Das stück beginnt mit einem monologe des ersteren, in welchem
er gott für die den Juden und ihm selbst erwiesene gnade, besonders
für sein keusches, züchtiges weib preist. Es folgt eine scene, in wel-
cher der eine der ältesten , Balach , seinem collegen Esrom einen lusti-
gen, im anklang an Jesaias 4, 1^ erfundenen schwank erzählt, dass zu
Jerusalem sieben weiber vor gericht um einen mann gestritten und alle
ihn zugewiesen erhalten hätten. Esrom bedauert den armen mann von
herzen , denn mir , so ruft er aus "*
mein eynigs weyb die zeyt
durch Kiff un zank lang macht durch leid
darzü auch meyn groß hauB zu enge.
1) Wol Ich.
2) S. Wackernagel a. a. o.
3) Die worte des propheten; „Dass sieben weiber werden zu der zeit einen
mann ergreifen usw." fanden im 14. und 15. Jahrhundert öfter eine mutwillige
anwendung. So z. b. reizt in dem spiel von Salomon und Markolf (Keller II, 535)
ersterer die weiber dadurch zum aufstände, dass er vorgibt, der könig hätte jedem
manne sieben weiber zu haben gestattet.
4) Ich eitlere nach dem ersten, Nürnberger druck.
152 PILGER
Spottend zieht darauf Balach ihn auf:
Ja was jr im schertz redet nun
Das zeigen ewr nachtbarn an auch
Das euch oft't daheym beißt der rauch
So seer, das euch die äugen rinnen
Ob schon keyn fewr im hauß thüt prinnen
Das mir ye groß wunder ist
Es ist auch menigklich bewiiht
Wie jr nun des käfs hieben thet
Da jr vil gest geladen het
Und ewrem weib nichts gesagt daruon
Da sie mit gabeln richtet an.
Doch Esrom bleibt ihm die erwiderung nicht schuldig:
Balach jr sagts als gleych herauß
Sam seydt jr herr in ewrem hauß,
So doch bey eucli Doctor Sieman ^
Die Herberg hat lassen bestan,
Wolt yr den speck zu Brombey holen -
War euch doch nun ein aug geschwollen
Da jr spracht jr hat euch gestosseu
Es geschieht mir offt solcher messen.
Nachdem beide so in nicht unergötzlicher weise ^ einander ver-
höhnt , tritt Joachim zu ihnen , und als sie auch ibm die geschichte aus
Jerusalem scherzend erzählt, verweist dieser ihnen ihr gespött, da der
vielfache tod der männlichen bevölkerung unter den Juden eine strafe
gottes sei. Nachdem sie dann alle in Joachims haus eingetreten,
schliesst der erste aufzug, ohne dass die handlung überhaupt einge-
leitet ist. Dies geschieht erst im zweiten akt, der die gegensei-
tigen liebesgeständnisse der beiden alten und ihren plan, Susanna im
garten zu überfallen , behandelt. In den folgenden drei akten wer-
1) Diesen für die pantull'elheldeii im 1(3. jalirlmudert gäng und gäben aiis-
druck verwendet auch Eeblmn zu widorliolten scherzen und Wortspielen mit >Simeon
in seiner hochzeit zu Cana.
2) Mir unverständlicli.
3) Der Verfasser liebt auch sonst wol den scherz. Im prulog neckt er die
„wolweyscu achtbaren hcrrn " mit der einfachen bühnenzurichtuug:
Das ist auch der schöne garten
In dem die zwen alten warten ....
Dieser gart ist gar hübsch und schön
Von kreutern vnd vil bcumcn grün,
Welchen so euch zu sehen gelust
Gar scharpff brillen jr haben nuist.
DRAMÄT. DEB SUÖANNA IM 16. JH. 153
den Claim die drei grossen abschnitte der biblischen crzälilung in engem
aiischluss an dieselbe dargestelt.
Auf eine abweiclmug könte das ende hinzudeuten scheinen. Nach-
dem nämlich Daniel die alten nach ihrer Verurteilung hat gefesselt
in den turni werfen lassen und Susauna ein dankgebet gesprochen
hat, die handlung also volständig zu ende geführt ist, kündigt der
„beschluss" au:
Autt' morgen ein gestrenger gerichts tag
(resetzt ist den alten zweyen
On g-fehr ein lialb stund vor dreyen
Da wirdt jn jr recht geschehen
Wo jr sie nun wollet sehen
So kumpt zeytlich für das ßathauß
Denn wirdt man die bößwicht füren auß
Das sie empfahen jrn verdienten Ion.
H. Grimm a. a. o. s. 150 schliesst in der tat aus diesen worteu,
dass die volziehung des Urteils als ein besonderer leckerbissen für den
folgenden tag aufs^ehoben worden sei — unglaublich , da man doch zum
anblick einer blossen steinigungsscene die Zuschauer nicht noch einmal
sich versammelt denken kann. Mir scheinen diese worte wie die des
prologs, s. 152 ^ nichts als eine neckerei des dichters, der dem publi-
kum durch die abführung der bösewichter den gern gesehenen anblick
einer execution entzogen hatte. Dafür spricht auch, dass eine spätere
von mir benuzte Nürnberger ausgäbe [s. s. 134] den schluss dahin modi-
ticiert, dass Daniel den steckenknecliten befiehlt die alten auf den
richtplatz abzuführen und dort zu steinigen.
Wie die composition der handlung hält sich auch die gesamte
ausführung des einzelneu, abgesehen vom ersten akt, streng innerhalb
der grenzen des biblischen berichts: sie begnügt sich in jeder bezie-
hung mit dem allernotdürftigsten.
Wenn Birck mit feinem blick für das dramatisch wirksame die
in der biblischen erzählung kaum genanten personen der eitern und
kinder der Susauna kräftiger herausgearbeitet, ja ihnen uocli zwei
geschwister und gerichtsdiener hinzugefügt hatte, so schliesst im ge-
genteil unser Verfasser der bibel alzu gewissenhaft folgend sogar den
Joachim von der eigentlichen handlung aus, die eitern und kinder lässt
er überhaupt nicht auftreten. Für die belebung der Situation bequem
zu verwendende Vorgänge der biblischen erzählung, wie in der gericht-
lichen scene die begleitung der Susauna durch ihre verwanten und die
entfernung des Schleiers bleiben gänzlich unbenuzt; auffallenderweise
werden sogar die gerichtlichen scenen mit alzu oberflächlicher kürze
154 TILG ER
behandelt, so dass Susanna so ziemlich kurzweg vuiii Judex verurteilt
wird. Eigene erfindungen mangeln fast gänzlich , sogar die selbstver-
ständlichsten, wie etwa dankesworte der Susanna au Daniel.
So beraubt das Ungeschick des Verfassers sich der nächstliegen-
den dramatischen effekte , und von jenen accenten des gefühls , über die
Birck zu verfügen verstand, findet sich kaum eine spur, ausser etwa,
dass der eine kneclit Joachims sich seiner herrin den anschuldis'unj^en
der alten gegenüber annimt.
Ein einziger zug ist eine glückliche änderuug des biblischen
berichts. Hier wird bei dem verhör der alten durch Daniel v. 55 fg.
nicht klar , warum dieser die antwort des ersten , er habe Susanna
unter einer linde gesehen , sofort als eine lüge bezeichnet — mau muss
eben annehmen, Daniel kenne aus göttlicher eingebung bereits den
wahren Sachverhalt. Unser Verfasser, der, wie es scheint, bereits ein
gefühl dafür hatte, dass eine solche wunderwirkung für die bühne sich
nicht eigne, und dass hier „alles seinen ordentlichen lauf behalten"
müsse, änderte dies. Bei ihm entgegnet Susanna auf jene angäbe, in
dem garten stehe keine linde, und Daniel kann daraufhin den alten
der lüge zeihen, wie er denn auch bei dem zweiten, der eine hasel-
staude nent, auf dessen Widerspruch mit den Worten des ersten aus-
drücklich hinweist, was die bibel gleichfals unterlässt.^
Zu erwähnen bleibt noch eine selbständige zutat des Verfas-
sers, nämlich die der handlung eingefügten moralischen deklamationen,
denen wir liier zum ersten male begegnen. Als die magd vor dem
11 Von den späteren bearbeitungen verfährt in fast gleicher weise nur Hein-
rich Julius, woraus ich übrigens nicbt, wie H. Grimm a.a.O. s. 149, auf einen
Zusammenhang zwischen beiden stücken schliessen möchte ; der Wiener anonymus,
Frischlin und diesem folgend Schonaeus begnügen sich nur den Widerspruch zwi-
schen den aussagen der beiden greise hervorzuheben , Eebhun , und so viel ich mich
erinnere, auch Birck, Stöckel und Israel schliessen sich genau der bibel an.
Ich füge bier zugleich noch eine die eben liehandelte stelle betreffende klei-
nigkeit an. Die biblische erzählung hat v. 55 und 59 zwiselien den namen der
bäume und Daniels antwort die Wortspiele a/Jru^ af a/i'ai-i und norrog 7T{)iati ae.
Nur einige stücke ahmten dieselben nach. Der erste war Eebhun , der sie , wie
Luther [linde finden, eiche zeichnen], durch reime nachbildete, nur dass
er statt der lezteren Verbindung, die einen unreinen reim abgab, Asche erha-
schen wählte. S. seine anmerkung zu der stelle, Tittmann s. 89. Betulius nahm
das Wortspiel des Urtextes fast ungeäiulert hinüber: schinus te a/i'an, pinus
[sie!] TiQiani at [griechische Wörter linden sicli öfter bei ihm]. Frischlin bildete
lentiscus lentus, sub ilice ilicet, Heinrich Julius folgte Luther. Alle übri-
gen verzichteten auf eine nachahmung , nur bei Stöckel findet sich noch ein gewisses
spiel mit den worten: Linde — ,,der linde holtz gnug hart dir sol werden,"
Eiche — „des asch ist dir gesund ungebrand."
DRAMAT. ÜEK SUSANNA IM 10. JH. 155
bade der Susanna den garton untersucht, lässt sie sich z. b. des wei-
teren darüber aus, dass „ein erbar weib für allen leuten Ir ehr und
zucht l)ewaren sol." Susanna selbst dankt, als sie sich zum baden
rüstet, gott wegen aller woltaten, die er ihr habe zu teil werden las-
sen , und preist die tugend als den einzig wahren schmuck des weibes ;
unmittelbar, nachdem sie zum tode verurteilt ist, ermahnt sie die vor
dem gericht versammelten fraueu , sie selten sich ein beispiel an ihrem
Unglück nehmen und selten gott mehr zu gefallen suchen als den men-
schen „mit saniet, seyden, schönen tuchen."
Diese didaktischen expectorationen , die nunmehr in das deutsche
drama einzudringen beginnen, sind eine der beiden schädlichen ein-
wirkungen, welche dasselbe leider durch die reformation erfuhr, und
von welchen wir die andere unten näher kennen lernen werden. Sie
war um so verderblicher, weil sie ein ungehöriges und störendes dement
an einen kaum aus roher unform sich herausbildenden Organismus
anheftete und sogar — denn dies war die schlimmere folge — ohne
unterschied allen seinen teilen gewaltsam aufdrängte. Wurde doch
für die grossenteils leider ebenso ungeschickten und unberufenen, wie
eifrigen bände, welche diese teudenzpoesie pflegten, das, was bei gewan-
tester behandlung höchstens als ornament hätte verwant werden dür-
fen, ehi so wichtiger und wesentlicher bestandteil des ganzen, dass die
meisten denselben ohne wähl an jeder beliebigen stelle glaubten anbrin-
gen zu dürfen. Freilich unterschieden sich — wir kommen darauf
zurück, s. s. 160, 174 fg. — auch in dieser, wie in allen übrigen bezie-
hungen die besseren dichter des 16. Jahrhunderts in sehr erheblichem
grade von der grossen menge.
Von der trockenen dürren ausführung, in der das übrige stück
gehalten ist, sticht etwas vorteilhafter nur das komische verspiel
des ersten actes ab. Hier haben die scherzreden der beiden ältesten
in der tat einiges wirkliclie leben, und insofern die Charakteristik der-
selben als unbefriedigter ehemänner die entstehung ihrer liebe zu Susanna
motiviert, ist sie nicht übel: freilich erscheint für den ernst der fol-
genden handlung die lächerlichkeit ihrer figuren als pantoflfelhelden
wenig augemessen.
Auf recht niedriger stufe steht in unserem stück auch der Vers-
bau. Nur der eine fortschritt ist gegen Birck zu bemerken, dass das
kunstmittel der reimbrechung sehr häufig , einigemale sogar die zeilen-
brechung sich findet. Für jene, die Hans Sachs seit 1518 besonders
in den fastnaclitspielen anwendet,^ bietet das stück aus der kunstdich-
1) S. Rachel, Progr. des Freiberger gyran. 1870 s. 10.
156 PILGER
tung der zeit einen der ersten fälle häufigen bewusten gebrauches ^ —
bei ßirck fand sie sich nur selten — , für diese hat es, so viel mir
bekant, keinen Vorgänger. Im übrigen bleibt unser Verfasser weit hin-
ter seinem Vorgänger zurück. Wenn auch, wie dieser, sichtlich um
regelmässigen Wechsel von hebung und Senkung bemüht, stösst er doch,
während er obenein nicht selten mit einer hebung begint. schon bei
jedem fünften verse an und zwar gröstenteils in der zweiten, zu einem
ganzen drittel der fälle sogar in der dritten und vierten versstelle,
wodurch denn der angestrebte regelmässige rhythmns vernichtet wird.
Das stück hat keinen Zusammenhang mit irgend einer der übrigen
mir bekanten bearbeitungen,^ obwol es, wie die mehrfachen drucke
beweisen, bei dem publikum in Mittel- und Norddeutschland grossen
beifall fand. Der volkstümlich, ja schwankartig gehaltene erste akt
mochte besonders ansprechen, vielleicht auch die knappe, der bibel eng
angeschlossene behaudlung der folgenden akte. Wahrscheinlich kam dem
stück auch zu statten , dass von den übrigen bearbeitungen die Bircksche
durch ihren schweizerisch gefärbten dialekt an algemeinerer Verbreitung
verhindert war, und dass die von Rebhun, zu der wir jezt übergehen,
durch ihre metrische vervolkomnung dem verwilderten geschmack zu
ungewohnt und unheimisch vorkommen mochte — eine annähme, für
welche wir unten eine bestätigung finden werden.
5.
Rebhun. 153 5.
Die bearbeitung Rebhuns zeigt in der inscenirung des Stoffes wie
in der Charakteristik der personen vielfache verwantschaft mit der von
Birck. Der beginn des Stückes durch den dialog der beiden alten, ihre
uncharakteristische haltung in dieser, wie ihre täppisch unbeholfene
Werbung in der verführungsscene , die den anklagen gegenüber zweifeln-
den knechte, die tröstenden mägde, die eintührung der mutter, der
Schwester, der kinder, die innige teilnähme aller dieser, wie der Scher-
gen des gerichts, die haltung der richter, der reuevolle tod der alten,
die dankscene der Susanna — alles dies ist bei beiden diclitern gleich.
Könte nun auch unzweifelhaft eines oder das andere dieser
momente selbständig von beiden gefunden sein, die gesamtheit dersel-
ben beweist doch eine anlehuung Rebhuns, die überdies durch eine
1) Fast durchgängig findet sich dieselbe in dem Verlorenen söhn von Burkard
Waldig 1527 und merkwürdiger weise [nach Kurz Literat, gesch. II, 109] auch in
demselben stück von Ackermann.
2) Über die von Goedekc vermutete bcnutzung desselben durch Leseberg siehe
s. 134. Vgl. auch s. 154 anmcrk.
DKAMAT. DEK SUSANNA IM IG. JH. 157
ganze reihe von wörtlichen anklängen bestätigt wird. Icli teile einige
derselben mit.
Bei Birck sagt Susanua, als sie mit den mägden in den gar-
ten tritt: Das wätter ist gantz warm und fin
Die sonn schint heyß mit jhrem schin
Dorumb ich mich hie waschen will
Deßhalb gond hin inn schneller yl\
. . . bschliesseud die thür . . .
Domit khein falscher klapper man
Schlich jnnhar, thü mir ungmach an
Es erwidert „ die jnngkfrouw " :
Ach frouwe myn, die sorg londt farn
Bei Bebhnn III, 1^ lauten Snsannas worte:
Itzund scheint fein warm die sunn,
drumb ich gelten wil zum brunn
und daselbs mich badn ein weil;
drumb so macht euch auf mit eil . . .
Das ir wol die tür vermacht,
das nicht jemands kom herzu
und mir leid und ungmach tu.
Dabira : Seit on sorge , liebe frau.
Als Susanna abgeführt wird, klagt in herzlichem ausdruck bei
Birck „ das töchterlin Susane " :
Ach müterlin, ach müterlin
Wo füren dich die Schelmen liin
„ das kneblin Susane " :
Ach mutterlin laß mich mit dir
War fürt mau dich , das sag du mir
sie selbst antwortet:
Ach kindlin myn behut üch gott
Villicht alsl)ald zum bitteru todt •
Vergleiche bei. Kebhun IV, 3 die ganz ähnliche scene:
Benjamin: Wo solt ir hin, lieb muter mein?
Susanna: Ach liebes kind, ins todes peiu!
Jahel: 0 we, laß mir mein memmelein!
Bei Birck erzählt Achab in der anklage vor gericht:
Indem do kam geschlichen bar
Ein junger knab . . .
1) Ich citiere nach der ausgäbe von Tittniann.
158 PILGER
Sumpt sich uit laug er wolt au dsach
Zur gyrlichkeit was jm fast gacli
Vß disem mocht jr merckeu fr}^
Das solchs ouch vor gschehen sj'^
Sy wert sich uit
und weiter unten: [wir fragten] wer dieser wer
Dem sy gezilet hette her.
In fast denselben ausdrücken lässt Rebhun IV, 4 Resatha sprechen:
bald ein junger gsell herfür kam gschlichen,
eilt zu ir und tet sie bald umbfangen,
dran zu spürn, das sie sölchs mer begangen,
dann sie sich nichts weret überalle . . .
wer der junge gsell gewesen were,
dem sie het so fein gezilet here.
Ich erwähne schliesslich noch das dankgebet der Susanna nach
ihrer errettung, das in seiner gedankenfolge genau bei beiden dichtem
übereinstimt.
So sehen wir, dass Rebhun selbst bis auf zahlreiche einzelheiten
seinem Vorgänger vieles verdankte. Aber wie mannigfaltig und wich-
tig auch die einwirkungen sind , welche Rebhun durch Birck und durch
ihn schon in wesentlichen beziehungen aus dem alten drama empfieng,
ungleich bedeutender sind doch die Vorzüge, die er aus dem eigenen
Studium der antike seiner dichtung verleihen konte.
In sehr hohem grade gilt dies zunächst von seiner dramatischen
techuik.
Die exposition des ersten aktes ist geradezu vortretiich. Nachdem
uns in der ersten scene die beiden alten mit ihren gegenseitigen geständ-
nissen und dem anschlag, die Susanna im bade zu überfallen, vorge-
führt sind, tritt Joachim mit einem knechte aus dem hause, um eine
reise anzutreten — eine geschickte erfindung , die der dichter in sehr
feiner weise noch dadurch verwertet, dass er Joachim sein haus wäh-
rend seiner abwesenheit dem schütze der beiden alten empfehlen lässt.
Nach dem herzlichen abschiede desselben von der über die trennung
traurigen gattin und den kleinen kindern, die ihn bitten, ihnen etwas
von der reise mitzubringen, schliesst der erste akt mit den zur seite
gesprochenen Worten Resathas, des einen richters:
Got geb, das er ein jar ausbleib,
wenn uns nur wurd zu teil sein weib!
DKAMAT. DKR SU8ANNA IM IG. JH. 151»
So ist der zweck des ersten aktes, den /.uschaiier 7,11 orientieren
und in Spannung 7a\ versetzen , durchaus erreicht. Der zweite fält dage-
gen freilich ab, denn die liandlung rückt nur insofern vor, als Susanua
sich entschliesst, der hitze wegen ein had zu nehmen, worauf die bei-
den alten, welche dies erfahren, in den garten eilen. Den grösseren
teil des aktes verwendet Kebhun zu einer volleren Charakteristik der
beiden alten : er führt nämlich im auschluss an die bibel v. 52 und 53
einen Wucherer ein, der mit hülfe derselben eine gleichfals aultretende
arme witwe um ihren acker betrügt — eine zweite wird mit ihrer
klage schroif von ihnen abgewiesen. An sich bleiben diese sceneu freilich
ein hors d'oeuvre, aber von wie viel gereifterem Verständnis zeigt die
behandlung desselben gegenüber dem episodischen ersten akt der Nürn-
berger bearbeitung ! Seine ausdehnung ist eine viel geringere , es ist
statt am anfange an einer stelle, wo wir es viel leichter ertragen, ein-
geflochteii , es wird mit der weiteren handlung dadurch , dass die armen
weiber die alten in der hiuricbtungs-scene mit spottenden worten ver-
höhnen, in glücklichsten Zusammenhang gebracht, und vor allem ist
sein Inhalt organischer mit dem ganzen verbunden. Dort als blosse
Pantoffelhelden charakterisiert, erscheinen die alten bösewichter in einer
für die übrige handlung geradezu störenden komischen beleuchtung,
hier, wo wir sie auch als geldgierige, betrügerische richter kenneu
lernen, ist ihr Charakter angemessener dem ganzen augepasst. Nicht
der geringste Vorzug Rebhuns ist schliesslich der, dass er sich seiner
licenz wol bewust war, denn er schreibt über die erste dieser scenen:
Haec scena cum sequenti extra argumentum admixta est, ad depingen-
dam judicum iniquitatem. Wie selten mochte damals eine solche ein-
sieht sein !
Die beiden folgenden akte enthalten die durch die erzählung in
natürlichem fortschritt gegebenen beiden handlungeu, den Überfall der
richter und die gerichtsscene. Dramatisch geschickt ist hier z. b.
wider die rückkehr des von schlimmen ahnungen bewegten Joachim
gerade in den augenblick verlegt, in welchem die stadtknechte mit
stricken und banden vor seinem hause angelangt sind, um seine haus-
frau vor gericht zu holen.
Mit dem Schlüsse des vierten aktes , der Verurteilung der Susanna,
hat die handlung ihren höhepunkt erreicht: das mitleid der Zuschauer
mit dem geschicke der heldin in höchstem grade erweckend, begint
der fünfte akt. Susanna auf ihrem wege zum richtplatze nimt den
lezten rührenden abschied von den ihrigen — eine zwar wider recht
nahe liegende, aber doch von keinem einzigen der früheren bearbeiter
eingeführte scene. Wirkungsvoll schliesst sich unmittelbar an diesen
KIO PILGER
auftritt Daniels plötzliches ei-scheiueu. Susamia wird i^^erettet, die alten
erleiden unter dem spotte der armen weiber und der schergeu den tod.
In seiner zweiten bearbeitung des Stückes lässt der dichter auch noch
den reichen Wucherer an gewissensbissen sterben. Mit einer herzlichen
familienscene , wie sie in kurzem umriss schon bei Birck sich findet,
dem danke der Susanna an Daniel und Joachims einladung der richter
zu einem festmahl schliesst das stück.
Finden wir so eine fast durchweg wol berechnete zweckmässige
Verteilung des stoflfes auf die fünf akte , so gilt das gleiche auch von
dem aufbau eines jeden aktes aus den einzelnen scenen. Nirgend stört
ein unberechtigtes hervorheben des einzelnen wie die breitgedehnte aus-
fflhrung der gerichtlichen Vorgänge bei Birck, oder gewaltsam herbei-
gezogenes moralisieren wie bei dem Nürnberger. Nur ein einziges mal
zahlt auch Rebhun dieser lezteren richtimg des Zeitgeschmacks einen
geringen tribut: II, 3 erscheint die kurze ermahnung der Susamia an
ihren söhn, nicht zu fluchen, ziemlich überflüssig. Um diesen vorzug
Rebhuns, das strenge ausscliliesseu alles über die einheitliche handlung
hinausgehenden, volständig zu v/ürdigen, muss man nur ein gleich-
zeitiges Schauspiel, das so recht den zeitgemässen teiidenzen rechnung
trug, wie z. b. Tirolfts Isaak und Rebekka, ^ daneben halten. Hier kom-
men im ersten akte vor Abrahams langgedehnten erzählungeu von got-
tes wunderbarer leitung, vor der Vorführung des kindlichen gehorsaras
von Isaak, der betrachtuug Abrahams über den schaden heimlicher Ver-
lobungen der kinder, den Unterhaltungen über die teils sorglose, teils
unverständig unfreundliche erziehung der kinder — die handlung über-
haupt nicht in gang. Und im zweiten akte müssen sich in der familie
Bethuels dieselben scenen widerholen! Wider vor Unterhaltungen über
kindlichen gehorsam, heimliche Verlobungen, zweckmässige behandlung
der kinder, wie über die modische tracht der zerflamten kleider, die
trink- und spielsucht der jungen gesellen fast gar keine handlung.
Nichts ähnliches finden wir bei Rebhun. Wenngleich auch ihm
das drama einen moralischen zweck hatte , so sinkt es doch bei ihm
nicht herab zu einem blossen mittel für moralische tendenzen.
Bei weitem weniger glücklich als in der dramatischen anordnung
des Stoffes zeigt sich die band des dichters in der Zeichnung lebensvol-
ler, individueller Charaktere, wenn er auch, wie wir sahen, das bedürf-
nis darnach in hohem grade empfand und immerhin aucli hierin alle
seine Vorgänger Übertrift. Will man auch mit Wackernagel ^ die
1) Wittenberg 1539.
2) Geschiclite dor doutschen littor. s. 455.
DRAÄIAT. DER SUSA.NNA IM 10. JH. 161
Charaktere iu der Susauna fest und rund gebildet iieiiiicü, so darf mau
doeli nicht verschwei«'en . dass sie trotzdem sicli noeli ziemlich steif
und unbeholfen bewegen. Nur selten nimt der dialog, der, wenn
auch gewanter und ausdrucksvoller als bei Birck , immer noch recht
trocken und spröde bleibt, eine charakteristische, naturwahre färbung
an, wie etwa ])ei dem abschiede der Susauna von ihren kindern.
Noch ebenso wie bei Birck gerieren sich in der eingangsscene die bei-
den alten bösewichter wie zwei Inedermänner , die sich gegenseitig treu-
lich mit rat und tat beistehen; in der verfülirungsscene fahren sie
plump und täppisch darein. Ohne jede individuelle beweguug verlau-
fen auch die gerichtlichen sceiien, die doch leicht zu einer solchen
gelegeuheit boten. Susanna muss eben verurteilt werden, und so wird
sie denn trotz des einspruchs von Joachim und Helkias, der übrigens
auch nur, um das decorum zu wahren, gemacht scheint, ohne weite-
res auf die verleumderische anklage hin zum tode verdamt.
Viel menschlich natürlicher und lebenswahrer ist das verhalten
des gesindes bei dem Unglück der herriu und das der beiden Scher-
gen, die innerlich der unglücklichen frau mitleidig zugetan sind und
mit ausgelassen bitterem spotte die alten nach ihrer Verurteilung ver-
folgen. Wie hier, so ist Bircks eintluss auch in den familien- und
kinderscenen uuverkenbar. In diesen gelingen dem dichter schon recht
ansprechende lebenswarme züge , wie wenn z. b. das kleinste kind noch
in khidischem lallen spricht. Beim abschiede Joachims I, 2 bittet Ben-
jamin denselben:
Lieb vater, kumt herwider schier
und bringt auch etwas schönes mir.
Jahel: Mie auch, mie auch, lieb vate mein,
hingt was, das gülden ist und fein.
Als die mutter bei der Verleumdung der ältesten in tränen aus-
bricht III, 3, fragt Benjamin:
Was ist euch , liebe muter mein.
das ir so weinend kumt herein?
Jahel: We hat euch tan. lieb memmelein?
Bei der wegführung der mutter durch die schergeu IV, 3 klagt
das kind : 0 we , laß mie mein memmelein !
Giezi: Nein, liebes kind, es kann nicht sein,
wir wollu dirs widerbringen schon.
Jahel: Neu, nen, je wedt je etwas ton.
Mit kindliehen worten begrüssen sie V, 6 die gerettet heimge-
kehrte mutter:
ZEITSCHR. F. DEUTSCHIC PHir.OI.OOIE. DD. XI. H
162 PILGER
Benjamin: Ja, liebe, lierzne miiter mein,
wir wollen nu vil frümer sein,
Jahel: Ich auch wil frum und thosam sein.
Susanna : Ja , tus , du liebes töchterlein.
Vielleicht der grosseste Vorzug unseres Stückes liegt auf dem
gebiete der form im engeren sinne. Denn verdient schon Rebhuns
spräche gebildet, im ganzen gewant und den verschiedenen Situationen
angemessen genant zu werden , so überragt er doch in noch viel höhe-
rem grade alle seine Zeitgenossen durch seine Sorgfalt und umsieht in
der behandlung des verses.
Zunächst brachte der dichter das neue metrische princip, das wir
bei Birck kennen gelernt haben und das er jedenfals von den Schweizer
dichtem aufgenommen hatte , in einer reinheit und consequenz zur
anwendung, die wie sie seine Vorgänger weit hinter sich Hess, so auch
von den späteren noch lange zeit hindurch nicht erreicht werden solte.
Bei Birck fanden wir noch immer auf sieben verse eine abweichung
von dem regelmässigen tonwechsel, bei Rebhun in dem ganzen stücke
fast keine einzige.
Mochte diese äusserste consequenz an sich auch nicht notwen-
dig sein, der noch immer herschenden Verwilderung gegenüber war
dieselbe nicht nur erklärlich , sondern auch verständig. Um sich davon
zu überzeugen , darf man Rebhuns versen nur die zu seiner zeit noch
immer gäng und gäben gegenüberstellen, z, b. die der Nürnberger
Susanna oder etwa von Heinrich Knaust [Cnostinus] oder von Seba-
stian Wild, Bei jenem tinden sich in der „Tragedia von Verordnung
der Stende " ^ nicht selten verse wie
Im anfang gwest mit gnadn ubrschut B 6 b.
Wenn unsr vatr ein scheps zu opfr tregt B 7 b.
Herundr reissn, schlagn jn für die fron E 1.
Von Wild 2 führe ich neben der schon oben mitgeteilten probe noch
folgende aus der tragödie von dem doctor an:
Doctor; In die stat Paris hab ich sin.
Abenteurer: So werdt ir gewiss ein doctor sein.
Doctor: Ja, mein lieber freund, ich bin ein
doctor, aller weit angenem,
1) Wittenberg 1539.
2) S. Tittnuinn, Schauspiele I, s. 221. Wilds verse geliören zu den schlech-
testen, die ich angetroffen habe, und es ist nicht richtig, wenn Tittmann s. 207
angibt, dass verse wie „ dass kt iner mehr klage hinfür" hei ihm nicht grade
häufig seien.
DRAMAT. DKR SÜSANNA IM IT.. ,m. Iß3
Abenteurer: Mein lierr, wolfe ir in der stat dorn
knaben helfen /n einem lierren.
oder nmß er studieren lernen,
dort auf der hohen schule nun V
Dass diesen holprigen, jedes i'hythmus haaren Zeilen gegenüber Kebhuns
verse mit ihrer conseiinenten durchführung des neuen princips der ste-
ten abwechselung von liebnng und Senkung eiiu^n wirklichen und bedeu-
tenden fortschritt zu scliöner form darstellen, Jiedarf keines l)eweises.
Es raubt dem dichter wenig von seinem Verdienste, wenn er in
der strengeren beliandluiig der kurzen roimpaare ebenso wie Birck in
einem jtunkte über das nniss hinausgeht: er lässt nämlich wie jener
dieselben immer mit stumpfem reim schliesseu, während ei' den aus-
gang mit klingendem reim als eine eigene versart, z. b. in der ersten
scene, verwendet. Noch w^eniger aber darf man billigerweise dem dich-
ter daraus einen Vorwurf machen, dass er nicht auch zugleich bei sei-
ner reg-ulierung des rhythmus die sprachlichen freiheiten, die sich jene
zeit glaubte gestatten zu dürfen, gänzlich vermied, um so weniger,
als man doch anerkennen muss , dass er auch hierin mit feinerem gefühl
verfuhr als seine Zeitgenossen.
Als ein wirkliches, wenn auch geringeres verdienst betrachte ich
auch Rebhuus zweite neuerung, die auwendung fünffüssiger jambischer
und fünf- bis sechsfüssigci' trochäischer verse. Denn gegenüber dei'
monotonen alleinherschaft des achtsilbers. unter dessen einförmigem
geklapper der spräche jede reichere rhythmische bewegung mehr und
mehr verloren gegangen war, erscheint mir der versuch aller anerken-
nnng wert, der dichtung durch Zuführung neuer und edler formen wider
wolklang und belebenden Wechsel zuzuführen.
Erfuhr der dichter, wie wir sogleich sehen werden, für diese
refoi'men bei seinen Zeitgenossen wenig dank, wie es grade auf die
Schönheit der form gerichteten bestrebungen in dem Schlendrian ästhe-
tischer Verwilderung nicht selten zu geschehen pflegt, so ist es doch
viel befremdlicher, dass er auch heut die algemeine anerkennung noch
nicht gefunden hat. Selbst nachdem Palm und Höpfner^ des dichters
doppeltes verdienst eingehend gewürdigt hatten, fertigt Tittmann in
seiner ausgäbe der Susanna,- indem er die wichtigere neuerung, die
durchführung des regelmässigen betonungswechsels , mit schweigen über-
geht, die zweite als „eine wunderliche gelehrtengrille " eines mannes
1) Jener in der ausgäbe von Rebhuus dramen 185it , dieser in ,. Eeformbestre-
bungen usw." s. 12 fg.
2) Schauspiele I, s. XXIV.
11*
164 PILGER
ab, der „vom volksmässigeu, in welchem unzweifelhaft die keime
naturgemässer fortentwicklmig lagen, abweichend zur nachahmung eines
schon fertigen, aber fremden schritt."
Ich bedaure einmal, dass diese worte keine nähere andeutung
darüber enthalten, welche ,, keime naturgemässer fortentwicklmig" hier
gemeint sind, aber ich möchte doch zugleich die berechtigung des
Standpunkts bezweifeln, von dem aus selbst die verständige uacbbildung
eines fremden, wie in diesem falle, verworfen wird. Verständig aber
war der versuch Kebhuns wie jeder andere, der den zweck hat, die
rhythmischen formen einer spräche , zumal so herabgekommene wie die
damaligen, durch fremde zu bereichern, sofern sie nur dem geist der-
selben nicht zuwider sind. Was z. b. von der eiuführung des endreims
im neunten , und des fünffüssigeu Jambus im achtzehnten Jahrhundert
gilt, darf doch auch von dem dichter des sechzehnten Jahrhunderts gelten.
Oder wäre etwa der trochäische tonfall eine abirrung von den gesetzen
unserer spräche, etwa wie Konrad Gessners quantitierende hexameter?
Der tatsächlichen eutwicklung gegenüber , die inzwischen unsere rhyth-
mik erfahren, dürfte sich eine solche ansieht doch schwerlich recht-
fertigen lassen.
Müssen wir also Rebhuns beide neuerungen als wirkliche Verdienste
bezeichnen , so soll damit nicht auch zugleich die art , wie er die von
ihm neugebildeten metra im einzelnen verwendete, gutgeheissen werden.
Man wird sich aber überliaupt in einer zeit, die noch mit der aneig-
nung der elementarsten gesetze der kunst zu ringen hatte , daran genü-
gen lassen müssen , wenn der dichter in solchen dingen nicht rein äusser-
lich, sondern nach einem irgendwie verständigen princip verfuhr. Titt-
mann spricht ihm auch dies ab. „Rebhuns kunst, sagt er, besteht ledig-
lich darin, für die hochtönenden reden erhabener personen einen län-
geren vers zu wählen als für die gewöhnliche Unterhaltungssprache."
Auch dieser tadel erscheint mir nicht billig, um so weniger, als gerade
das princip pathetische reden in verse von grösserem gewicht zu klei-
den , als den gewöhnlichen dialog , doch wol auf einem sehr richtigen
gefühl beruht.
In der bildung der reime teilt Rebhun noch in ziemlich hohem
grade die algemeinen schwäclien seiner zeit und begnügt sich z. b. zu-
weilen mit blosser Assonanz, doch bleibt auch hier ein streben nach
correctheit unbestreitbar. Reimbrechung findet sich bei ihm nur ziem-
lich selten. Dass er dies wichtige mittel der belebuug des dialogs so
wenig beachtete, ist um so befremdlicher, als er sonst auf dieselbe
grade bedacht nimt, wie die von ihm nicht selten und mit geschick
an bewegteren stellen angewante brechung des verses durch personen-
URAMÄT. DER SUSANNA IM 16. JH. 165
Wechsel zeigt. S. besonders Hl, 3, IV, 3, V, 2. lu der leztcreii
stelle wird das überniscliende des plötzlichen crscheiuens von Daniel
geschickt durch den folgenden, drei personen zugeteilten vers dar-
gestelt:
Simeon. Horcht da!
Gamaliel. Was daV
Zacharias. Wes ist die stimme?
Kebhuns lyrische , in kunstreicher stropheulbrm gedichtete chor-
gesänge sind jedenfals auch im hinblick auf die cliorlieder der antiken
tragödie eingefügt: die „proportio" des ersten und zweiten chors
weist vielleicht sogar ausdrücklich auf die antistrophe derselben hin.
Aber eine weitere verwautschaft findet nicht statt. lu dem ersten liede
haben der chorus und die proportio zwar gleichen rhythmus, aber ver-
schiedene takteinteilung, im zweiten nicht einmal jenen: im übrigen
halten sie sich der volksmässigen Übung durchaus getreu. Die Strophe
des ersten chors ist geradezu einem volksliede nachgebildet, die sämt-
licher andern sind von der art der strophen in den Volksliedern und
meistergesängen in nichts verschieden. An diese erinnert besonders
die dreiteiligkeit der strophen des ersten, dritten und vierten gesan-
ges, so wie der proportio des zweiten: der chorus selbst besteht hier
aus fünf vier zeiligen strophen. Mit wie grosser gewantheit Rebhun
auch diese kunstvolleren metrischen bildungen , deren Schönheit an sich
ich nicht verteidigen will, handhabte, das zeigt auf den ersten blick
eine vergleichung mit Bircks steifen, schlecht betonten, zum teil sogar
unverständlichen chorgesängen.
Fassen wir schliesslich die vielseitigen Vorzüge der Rebhunschen
dichtung zusammen, so wird das urteil gerechtfertigt erscheinen , dass
ein bedeutender fortschritt zu dramatischer gestaltung des Stoffes und
zugleich zu reicherer und edlerer rhythmischer form dieselbe von allen
ihren Vorgängern und von dem gesamten bisherigen deutschen drama
trent.
Wir haben in Rebhuns Susanna die erste gereiftere frucht zu
begrüssen, welche der same, den seit einem halben Jahrhundert die
humanisten ausgestreut und gepflegt, auf dem gebiete des deutschen
dramas hervorbrachte. Unangebracht erschiene mir hierbei die klage,
dass dieser same nicht dem heimischen boden entstamte , dass die neue
kunstform sich in ihrem eigentlichen wesen von der früheren nationalen
art abwante; denn solte überhaupt unsere litteratur durch diejenige
kunstgattung , die wir heut drama nennen, bereichert werden, so war
diese abkehr notwendig: die dramatischen versuche der früheren zeit,
die geistlichen wie die fastuachtspiele , waren kaum mehr als dialogi-
1(56 PILGER
sierte epische erzäliluugeii imd liatteii mit deinwesen des drainas wenig
gemein.
Die aufnähme, die Rebhims stück fand, und die Wirkung-, die es
auf seine zeit übte , blieben leider weit hinter seinem werte zurück.
An einem gewissen beifall zwar fehlte es ihm nicht; denn trotzdem es
ein jahv nach seinem erscheinen 1537 in Wittenberg nachgedruckt
wurde und 1538 die sogleich zu besprechende Wormser Umarbeitung
erfuhr, erschien doch 1544 eine zweite rechtmässige ausgäbe; auch
aufführungen sclieint es niclit selten erlebt zu haben. Aber der ein-
Üuss, den es auf unsre dramatische litteratur gewann, war ein sehr
geringer.
Von Eebluins dramatischer technik zu lernen , war wol keiner sei-
ner Zeitgenossen einsichtig genug, seinem bestreiten in formeller bezie-
hung schlössen sich zwar mehrere, leider aber unbedeutendere männer
an, wie Ackermann, Tirolff, Krüginger u. a.,' und so erlangten denn
Kebhuns reformen den beifall des grossen publikums nur in geringem
grade. Wie wenig dasselbe, in seiner ästhetischen Unbildung befangen,
sich denselben zugänglich zeigte, dafür ist bezeiclmend, dass der
buchdrucker Sebastian Wagner, der zu Worms Rebhuns werk nach-
druckte, die neuen metra samt und sonders in die gewohnten reim-
paare umsezte: viel bezeichnender aber noch als diese reaction selber
ist die ausführung derselben, und es verlohnt einen augenblick dabei
zu verweilen.
In der vorrede rühmt Wagner, dass er Kebhuns stück heraus-
gebe „nit on radt eyns guten freunds welcher - diß spiel mit etlichen
personeu und reimen gemert und gebessert hat: Also, daß es dem vori-
gen gedieht nit eyn kleine zierd gibt."
Diese zierde aber bestand ■ — abgesehen von der törichten Ver-
mehrung der richterzahl , der dehnung der gerichtsscenen und kleineren
durchaus überflüssigen änderungen ^ — darin, dass er mit einer geradezu
unglaubliclien barbarei alle jene neuen, wolgebildeten metra Rebhuns
durch entsetzliche Avortverrenkungeu ^ und noch viel entsetzlichere syn-
taktische Verstümmelungen — er lässt z. b. zuweilen das Subjekts - pro-
nomen aus — in die gewohnten kurzen reimpaare zusammenpresste
oder auseinanderzerrte. Würdig dieser sprachlichen rohheiteu, die zuwei-
1) S. Hö])fiHH- a. II. y. s. 13 und 14.
2) Vielleicht nach Bircks vorbild; denn auffallender weise hat auch er V, 4
statt der asche und linde wie Birck ,, maulbeerbaum " und „granatopfclbaum."
3) Ver wird in v, sämtliche formen des artikels in d, niemandes in nierads
verkürzt u. a.
DRAMAT. DKR SU6ANNA IM 16. JH. 167
leu selbst den siuii volstäiidig zerrütten,^ ist die versbeliandlung. Die
verse schwauken regellos zwischen vier bis sechs hebimgen und zwi-
schen jambischem und trochäischem rhythmus. Ich gebe zui' veran-
schaulichung seines Verfahrens folgende stelle aus IV, 1 , in welchen
die trochäen des Originals vielfacii durchklingen :
Dise red thiit mich betrüben seer,
Daß ich solcli klag von fraw Susaii hör
Welch ich kaü glaubt, wo mich nicht vrseh
Zu euch , jr thet die warheyt jehn.
Weil jrs dail selbs solt hon gsehen.
Kann ich de verschlag nit widerstehn.
Sonder sag, man laß sie holen,
Vnd vrtheylen , wies got befolheu.
Das original lautet:
Eure wort die haben mich l)etrübet sere,
das ich solche klag von frau Susannen höre,
welch ich nicht kund glaubn, wo ich nicht tet versehen
mich zu euch, daß ir nicht tut uuwarheit jehen.
weil dann ir sölchs, wie ir sagt, habt selbs gesehen,
kann ich eurem Vorschlag auch nicht widerstehen,
1) Z. b. in folgender stelle IV, 1:
Domit wir nit fallen iü schuld,
Als gerecht richter befunden,
Macht, daß wir nit schweige künde
Eyii Ehbruch, den wir hon gsehen,
Mußn wir mit warheyt verjehen.
Woln wir dangen nit verkeren,
Vom gsetz, zum gunst vn der ehren.
Suust woltn wirs nit offenbaren,
Moses der zeucht vnß bein hären.
Tringt auff unß mit Gottes gesetz,
Drumb gunst, ehr, gwalt, bindan wirf gsetzt,
Umbildung von Kebhun:
Das wir nu auf uns nicht laßen solche schulde.
sonder als gerechte richter werdn befunden,
achten wir , das wir mit recht nicht schweigen künden
einen ehebruch, den wir beide selber gsehen,
welchen, so wir wolten die person ansehen,
oder vom gesetze unser äugen keren.
oder höher achten frenndschaft , gunst und ere.
Avolten wir in keinem weg euch offenbaren:
weil uns aber Moses gleich als zeucht bein baren
und auf unsern nacken dringt mit Gottes gsetzen,
wollen wir gunst, er und gwalt hindan itzt setzen.
168 PILGER
souder sage, das man sie sol laßen holen
und darnach sie urteiln, wie uns got befoleu.
Erkent man in diesen barbareien wenigstens noch eine absieht, so fehlt
für andere jede erklärung, so z. b. für die volständig sinlose behand-
lung von Rebhuns kurzen reimpaaren mit weiblichen reimen. Bald
lässt er dieselben volständig unverändert, bald verkürzt er sie um eine
silbe — aus welchem zwecke, fragt man sich vergeblich, da er die
weiblichen reime meistens stehen lässt — und zwar verkürzt er sie
oft derartig, dass der rhythmus trochäisch wird!
Der anfang des Stückes heisst bei Rebhun:
ßesatha: Ein guten tag euch Got woll geben!
Ichabot: Und euch vil guter jar daneben!
Kesatha: Wie soll ich das von euch verstehen,
das ir so traurig itzt tut sehen
und euren Kopf laßt nider hangen,
als het euch Unglück übergangen?
ist euch was böses widerfaren,
so wolt mir auch das offenbaren.
odr seind euch sonst so schwere sachen
itzt kumen für, die euch so machen
bekümert und so gar erschlagen,
wolt mir die selben auch fürtragen.
Wagner lässt die ersten sechs verse metrisch unverändert , nur dass er
V. 4 itzt streicht, dann „bessert" er folgendermassen :
Ist euch was böß widerfaren,
So wolt mir das offenbaren.
Oder seind euch sunst schwer sachen.
Kommen für, die euch so machen
Bkttmmert und so gar erschlagen,
Wolt mir dselben auch fürtragen.
Diese proben werden genügen , um eine Vorstellung von der roh-
heit, mit der hier ein trefliches werk verunstaltet wurde, zu geben
und zugleich nicht blos den geschmack der zeit zu brandmarken, son-
dern auch ihre Unfähigkeit das bessere nur zu würdigen.
In den schlimmen erfahrungen, die Rebhun mit seinen metri-
schen reformen machte, lag vielleicht auch der grund, warum er nur
noch so weniges geschrieben, denn augenscheinlich entsprang auch aus
ihnen die befürchtung, die er 1544 in der vorrede zur zweiten bear-
beitung der Susanna im hinbiick auf seine deutsche grammatik aus-
spricht: „dass ich noch mit mir im zweiffei stehe, ob vnsere teütscheu,
DBAMAT. DER SUSANNA IM Ifi. .111. 169
diss worckli werden zu dauek auuelimeu, — nach dem wir, leyder,
i^meineklich also gesiuuet, das wir andere leüt arbeit, wie gut sie
auch ist, lieber taddeln, denn vnns der selben amveißung in unserem
thun bessern." Der wackere manu hatte mit dieser klage nur alzu
recht, und eine ganze reihe decennien solte noch vergelten, bis zu
günstigerer zeit und auf besser vorbereitetem boden ein anderer das-
selbe, was er angestrebt, unter dem rulinie von mit- und nachwelt
durchsezte.
G.
Sixt ßirck |Betulius|, lateinische bearbeitung. 1537.
Der prolog dieses Stückes gewährt einen interessanten einblick
in die Vorurteile, unter welchen jezt hinsichtlich der wähl des Stof-
fes [vgl. s. 155J unser drama in folge der reformation zu leiden begann.
Hatte dasselbe seit dem ende des 15. Jahrhunderts unter den bänden
der humanisten in glücklichster weise angefangen, die eng umschlos-
senen grenzen, in denen es bis dahin als geistliches spiel den Inhalt
einiger abschnitte der bibel, als fastnachtspiel das niedere plebejische
treiben dargestelt hatte, zu verlassen und mehr und mehr in das
reiche leben und die vielseitigen Interessen der gegenwart einzutreten,^
so begann leider jezt bereits wider eine gegenströmung, welche die so
eben erst aufgenommenen stoft'e von neuem und auf lange zeit in
den hintergrund drängte. Die biblischen erzählungen, die während
der ersten drei decennien des 16. Jahrhunderts nur höchst selten eine
bearbeitung erfahren hatten, werden jezt die lieblingsstoffe des dra-
mas und bleiben es das ganze Jahrhundert hindurch. Ja es fehlte
nicht an eiferern, die, wie sie Terenz und Plautus von den drama-
tischen aufführungen fern gehalten wissen wolten, so auch die welt-
lichen Stoffe überhaupt bekämpften. Gegen einen Vertreter dieser rich-
tuug polemisiert Birck in dem erwähnten prolog auf das heftigste.
Ironisch rühmt er seine zeit:
Sic nos sumus (ut diis placet)
lam sanctuli, quibus istaec sancta cautio est,
Quo non puer tenellus Christo deditus
Ex limpido latice castarum virgiuum
Ingurgitet quid philtri.
1) Man denke an die lateinischen stücke von Wimpfeling, Eihart Battmaun
[s. WiskowatofiF, "Wimpfeling, Berlin 1867, s. 33fgg.], Eeuchlin, Locher, Hegen-
dorf u. a., so wie an die durch dieselben angeregten versuche in deutscher spräche,
wie das Zürcher neujahrsspiel , Gengenbachs Geuchmatt und Nollhart, Manuels
fastnachtspiele.
170 PILGER
Freilich seien auch die biblischen stofte, die der geguer wünsche,
durchaus nicht frei von Charakteren, wie sie Terenz darstelle , und auch
die personen des vorliegenden, wenn gleich biblischen dramas würden
ihm schwerlich gefallen :
Quia non decet malas persouas fingere
Bonas. Malus manebit usque malus.
Die beiden greise z. b. in der Susanna seien verworfner, als sie jemals
Plautus und Terenz geschildert, Acolastus [der verlorene sohu bei
Gnaphaeus] sei um nichts besser als Aeschinus und Pamphilus. Und
scheine ihm etwa ein stoff, wie „der gekreuzigte Christus" besonders
angemessen ?
uil crudelius
Sophocles dedit neque ulluui tota antiquitas
Immanius memorat scelus,
oder die geschichte von Joseph? Terenz habe keine ärgere dirne
geschildert als Sephirach
Für Betulius Zeitgenossen lag in diesem citat die deutliche hinwei-
suug auf den ungenanten gegner. Es war augenscheinlich Crocus, in
dessen Joseph natürlich auch Potiphars ehebrecherisches weib, das hier
den namen Sephirach führte, eine grosse rolle spielt. Dieser hatte in sei-
ner schon oben s. 136 erwähnten einleitungsepistel zu diesem stück, aus
der wir ihn übrigens als einen einsichtigen und klassisch gebildeten mann
kennen gelernt haben, ebenso wie im prologe gegen jede dramatische
bearbeitung weltlicher stoffe , wie gegen die auiführung der römischen
comödien protestiert. In der invitatio und dem prolog komt er in sei-
nem eifer wider und wider auf seine ansieht zurück. Dort rühmt er
sein stück: sacram
Novamque nee visam prius comoediam:
Sensis , lepore , argutiis bellissimam.
Veteres, sed absit invidia, quae fabulas
Pudore, religione, sanctimonia
Christoque dignis anteit sermonibus;
hier sagt er gieichfals:
Apporto namque non Plauti aut Terentii,
Quas esse fictas nostis omnes fabulas,
Vanas, prophanas, Indicras ac lubricas,
Verum veram sacraraque porto et seriam,
Castani, pudicam, sie ut ipsas Yirgiues
Dictasse Musas ac Minervam diceres.
Selbst das derbe motto des titelblatts: „abstine sus, non tibi spirc'
wendet sich wol gegen die anhänger der entgegengesezten ansieht.
DRAMAT. J)EK SUSANNA IM 16. JH. 171
Diese heftige art der polemik, ebenso wie der eifer, mit welchem
Betulius diese engherzige auftassung al)weist, zeigt, dass es sich damals
noch um viel beslritteuc ansichten handelte. Welche, wenigstens in
einzelnen gegenden, in der nächsten folgezeii zum schaden der freien
entwicklung unserer dramatischen poesie die oberhand gewann, ist
bekannt: wurde doch sel])st Betulius trotz seiner theoretischen einsieht
von dem zuge der zeit so beeinHusst, dass er in seinen neun dramen
nicht einen einzigen ausserbiblischeu stoff beliandelte. —
Seine lateinische bearbeitung der Susanna, die, wie die wider-
holten ausgaben bezeugen, grossen beifall fand, hat mit der deutschen
nichts gemeinsam als die im ganzen gleiche einrichtung des stoffes.^
Aber auch in dieser beziehung linden sich nicht unbedeutende abwei-
chungen, die zugleich einen gewissen fortschritt des dichters bekunden.
Der Inhalt des ersten aktes stimt in beiden stücken überein ; dann
folgt in dem lateinischen ein ziemlich inlialtsloser zweiter akt: ein
kurzer dialog der beiden ältesten iil)er die beste form der anklage,
eine raitteilmig des nocli nichts ahnenden Joachim an Helkias über die
traurige Stimmung der Susanna, zwei durchaus überflüssige Unterhal-
tungen einiger richter über ihr amt und eine lobpreisung Joachims
durch die gerichtsdiener. Der dritte akt ist dem zweiten der deut-
schen bearbeitung gleich, während der, wie wir sahen, vollgepfropfte
dritte akt der lezteren jezt zweckmässig in zwei zerlegt ist, so dass der
fünfte mit dem auftreten Daniels begint und der Steinigung der reuigen
alten schliesst. Eine wunderliche zutat erhält derselbe durch das etwas
gewaltsam herbeigezogene auftreten Nabucliadonosors und seines gesamten
hofstaates: er muss nämlich die entscheidung über die todesstrafe der
beiden alten geben , zu welcher die richter sich nicht competent betrach-
ten. Zu erklären ist wol dieser ganze auftritt nur aus dem wünsche,
gelegenheit zu einem prächtigen aufzug zu haben — wie ja die nei-
gung zu dergleichen decorativem pomp bald in hohem masse in unser
drama einriss.
Die einzelnen akte sind, wie in der deutschen bearbeitung, durch
chorgesänge geschieden, die wie dort sich dem Inhalt derselben anschlies-
sen und nach biblischen stellen , besonders aus den psalmen . gedich-
tet sind.
Die behandluug des stoffes im einzelnen ist in der lateinischen
bearbeitung ungleich lebensvoller und abgerundeter, nur die gerichts-
scenen sind in beiden von derselben geschmacklosen breite und werden
1) Goedckes bemerkung Grundviss s. IM: ,, Birck schrieb seine stücke
ursprünglich deutsch und übersezte sie dann selbst ins lateinische" trift also auf
die Susanna nicht zu.
172 PILGER
hier durch die auweuduug allerlei juristisch -technischer ausdrücke,
wie einer anderthalb selten langen eidesformel , ferner durch die unter-
lialtungen der richter über ihr amt und durch die befragung Nabucha-
douosors und seiner Satrapen noch einförmiger und langweiliger. In
allen übrigen beziehuugen steht die deutsche bearbeitung mit ihrer im
algemeinen ja noch immer recht unbeholfenen und dürftigen behand-
lung weit zurück. Es ist interessant zu sehen , mit wie ärmlicher skiz-
zierung sich der dichter im deutschen begnügt, während im lateini-
schen ihm vielfach fülle und rundung nicht blos im ausdruck und in
der darlegung der einzelnen gedanken , sondern auch , was freilich eng
damit zusammenhängt, in der darstellung der Charaktere und in der
ausführung ganzer sceuen zu geböte stehen. Man merkt die Schulung,
die der dichter aus dem studiuni einer gebildeten spräche und nach-
ahmenswerter Vorbilder gewonnen.
Die glücklichen striche , durch die wir schon in der deutschen
bearbeitung die nebenpersonen charakterisiert fanden, sind hier geschickt
weiter ausgeführt. Neue lebensvolle züge sind hinzugetreten , wie z. b.,
als Susanna fortgeführt wird, die frauenhaft masslose heftigkeit der
mutter und im gegensatze dazu die ruhig würdige haltuug des vaters.
Ganz besonders aber hat die Charakteristik der beiden greise gewon-
nen , die aus den Schemen der ersten bearbeitung zu lebendigen figuren
geworden sind.
In folge dieser Vertiefung der Charaktere gelingen Betulius schon
in viel höherem grade als früher einzelne vortrefliche scenen. Zu
den besten gehört diejenige, in welcher die beiden alten die sich
entkleidende Susanua belauschen I, 3. Hier ist auf das anschaulichste
die sinliche Verliebtheit derselben gezeichnet, wie auch die verschmizl-
heit Achabs, welcher Susanna einreden möchte, er habe zuverlässige
Prophezeiungen erhalten , dass sie von gott auserkoren sei , von ihm
den messias zu gebären. Ich setze zur vergleichung den beginn dieser
scene in beiden bearbeitungen her: die Vorzüge der lateinischen wer-
den in die äugen fallen.
Achab: Harnach, das vus jetz wol geling
Sedechias: Farhin, ich louif, ich yl, ich spring
Susanna : Ach wee , mir arbeitsäligs wyb
Die schelck die stellen noch mym lyb
Achab : Ach neyn , du Edle zarte frouw
Merck recht, wir sind nit dorumb do
Khehi fyndtschafft hat vns tragen har
Die liebe thüt es gantz vnd gar
Sedechias: Die liebe zwingt hie vnser hertz
DRAMAT. DER SUSANNA IM IC). Jll. 173
Achab: Non ;unplius meiim queo morbuni pati.
Sedechias: Noudum puellae abieve prorsus, beiis maiie.
A.: Eu criira uudat uiuculis. Se. Eburnea
Sunt. A. Quae latent meliora sunt. S. Putas? A. Puto.
Se. : Quid nunc moramur? approperemus oeyus.
Quid, odium, cessas gradu testudinis?
Quin te moues? A. Moueo. Se. Tarne uil promoues.
A.: Studio gradum celero seuili maxiuie.
Scena IV.
Susanna, Acbab, Sedechias.
Susanna: Peru, Procul dubio mens pudor male
Periclitatur. Heu mihi miserae Dens.
Se. : Hem fortiter, tenta, perage decretum tuum.
Intrepida constent uerba : qui timide vogat,
Docet negare. Magna pars sceleris tui
Olim peracta est, serus est uobis pudor,
Incepimus . ne cesses. A. Sic coepta exequar.
Non est quod expauescas, o decus meum.
Se. : 0 corculum meum , tuum suspirium,
Lachryraas tuas omitte: nullus hostis hie,
Nullum periculum timendum erit tibi,
Non arbiter, paradysus hie dolis uacat.
Secreta cum sit culpa, quis testis fiet?
A.: Causa est amor, quod adsumus. Moroni geras.
Amor sacer, si tu modo Christi cupis
Fieri parens. Sunt certa, crede, oraeula.
Se.: Morem geras nobis precamur, omnium
Pulcherrima, et sanctissimae libidini
Medere. Opus facies pium. Su. Tantumne ego
Facinus? Dens meliora det.
Wie gewant erscheinen hier die im deutscheu nur kurz angeschla-
genen themen [die entsprechenden lateinischen stellen sind durch den
druck hervorgehoben] moduliert und weiter ausgeführt! Es ist, als
wenn diese menschen plötzlich die fiihigkeit erlangt hätten, was sie bis
dahin nur in abgebrochenen lauten anzudeuten vermocht, jezt wirklich
auszusprechen. In solchem grade war dem gelehrten dichter des sech-
zehnten Jahrhunderts das lateinische zur muttersprache geworden !
Noch zwei andere auftritte möchte ich hervorheben, in denen
merkwürdiger weise der dichter bereits das für das drama so eflektvolle
kunstmittel der tragischen Ironie anwendet. Die erste gerichtssitzung
174 PILGER
III, 2 begiut mit folgender ganz vortrett'lichen scene. Der quaesitor,
Joachim begrüssend, preist gottes gnade gegen sein volk. Joachim
erwidert, dass leider doch bosheit und Schlechtigkeit mehr und mehr
um sich greife : täglich halle von ihrem gezänk der gerichtsplatz wider.
Da aber am heutigen tage grade kein process vorläge, so schlage er
vor, zu untersuchen, wodurch recht und sitte Avider zu dem früheren
glänze gehoben werden könten. Der quaesitoi" billigt den Vorschlag
und befragt zuerst Achab um seine meinung. Scheinheilig begint die-
ser, dass sein gewissen ihn zwinge, ein verbrechen zu enthüllen, das
um so schwerer wiege , als es im haupte des Staatskörpers begangen
sei. Und zögernd und den nichts ahnenden Joachim um Verzeihung
bittend komt er endlich mit der spräche heraus : Joachims eigenes weib
ist eine ehebrecherin. Nicht minder wirkungsvoll lässt Betulius II, 2
Joachim, als er die beiden alten von ferne in eifriger beratung erblickt —
sie besprechen sich über die beste form der anklage seines eigenen wei-
bes — , ahnungslos ausrufen:
0 beatum, qui suam
Vitam seorsim ab omnibus foreusibus
Negociis agit sibique victitat
Deoque.
Freilich scenen, wie die angeführten, finden sich auch hier nicht
grade häufig. Vieles bleibt trocken, steif und stört durch seine sich
vordrängende lehrhaftigkeit ; so fast überall das auftreten der Susauna
selbst. Auf die furchtbare anklage Achabs erwidert sie z. b. nichts als
die worte:
Praecido eo modo, quo nulla exceptio
Siet. nego praecise quae dicunt senes.
Nouit Dens doli peruersam fabricam.
Nee quicquam eorum, quae calumniis malis
Dixere, testimoniis queunt bonis
Probare: sufficiat mentem esse consciam.
Und als sie verurteilt ist, lehnt sie IV, 7 trotz des Schmerzes ihres
gemahls und ihrer angehörigen die appellation an Nebukadnezar kurz-
weg ab, ja es komt kaum eine regung wirklicher betrübuis über sie.
Ihr gottvertrauen wird, menschlich betrachtet, zur Unnatur und hart-
herzigkeit. Die mutter, welche ihr klagend zuruft:
0 gnata, te miseram nefanda mors rapit?
belehrt sie : Genitrix mea , haud miserum est fatis concedere,
Miserum est nefanda morte dignuni admittere.
Mortalium id sors fert bonis juxta ac malis,
Ut sint malis hie fortuitis obnoxii.
DRAMAT. IIKR SUSANNA IM 16. JH. 175
Uud der vater billigt dies und lobt sie obeneiii:
Kecte sapis, qiiod baec aequi boni facis,
Eobur Dens tuis addat conatibus,
Virtutibus macta, et ferendo iiiucito,
Grenuisse me inortalem liaiidquaqiiam iiescio.
Zu einer solclien , alle poesie und alle natur vernichtenden vor-
dräugnng von didaktik und moral Hess sich durch die zeittendenzen
selbst ein manu treiben , dem es doch weder an geschmack und vor-
urteilslosem blick noch an wirklicher begabung gebrach. Dass seine
nur fünf jähre vorher verfasste deutsche bearbeitung von diesem stö-
renden element sich durchaus frei hält, ist nicht auffallend: kam das-
selbe doch erst so recht in aufnähme, seit Luther 1534 in den bekan-
ten vorreden zu den bttchern Tobias uud Judith die dramatischen
spiele — von seinem Standpunkt aus mit vollem recht — als religiöses
uud moralisches bildungsmittel für die Jugend empfohlen hatte.
Stöckel. 1559.
Diese bearbeitung ist ein nach allen beziehuugeu unbedeutendes
machwerk, auf welches ausführlich einzugehen die mühe nicht lohnt.
Obgleich Stöckel in der vorrede erwähnt, etlicher scribenten com-
positionen gelesen zu haben, ja sogar ausdrücklich erklärt, er lasse
jeden von ihnen bei seiner würde und wolle es selbst versuchen , so
beutet er doch einen seiner Vorgänger auf das unbefangenste aus uud
zwar Betulius. Ihm folgt er zunächst in der einrichtuug des stoflfes
und in der reihenfolge der scenen durchaus. In der einen abweichung,
die er sich gestattet, verrät er sein gänzliches Ungeschick: er ver-
schiebt die akteinteilung so unglücklich, dass er am schluss des
vierten akts schon bei der Überführung der alten angekommen ist und
für den fünften nichts als den Urteilsspruch und die hinrichtung übrig
behält. Nicht minder kenzeichnet seiuen mangel an Verständnis für
dramatische composition folgendes. Wol aus an und für sich aner-
kennenswerter decenz, die ihn auch sonst im gegensatz zu den welt-
lichen neigungen der zeit, die bei Birck und Frischlin hervortreten,
alles anstössige möglichst vermeiden lässt, verlegt er den Überfall der
alten selbst hinter die scene. Als Susanna dann aber auf der bühne
erscheint, klagt sie nur im algemeinen über die den weibern drohen-
den gefahren und erzählt ihren mägden ohne weitere besorgnis das
eben geschehene; von der drohung der alten, sie des ehebruchs
anzuklagen, sagt sie kein wort. So lässt denn also unser poet grade
176 PILGER
das moment, auf welchem doch allein der fortgang der haudlimg beruht,
einfach fort, und der erste akt verläuft im sande; erst im zweiten erfin-
det Achab hinterher nur aus räche die Verleumdung.
In der behandlung des einzelnen schliesst Stöckel sich ebenfals
seinem vorbilde vielfach an/ doch so geschmacklos, dass er vornehm-
lich die schwächen beibehält, die Vorzüge sämtlich entweder unbeachtet
lässt oder verballhornisiert, so dass er z. b. die der Susanna freund-
liche gesinnung des prätors zu einei' plumpen Parteinahme verkehrt.
Eine eigene und recht unglückliche erfindung Stöckeis ist es, dass die
beiden greise nach ihrer Verurteilung als durchaus unbussfertige sünder
den sie zur reue ermahnenden priester verhöhnen — ein wenig glück-
licher zug, der überdies zu der anfänglichen Zeichnung des sehr
schüchternen Sedechias durchaus nicht passt — , und dass der Henker,
der sich „des fetten wildprets" freut, sie verspottet.^
Ziemlich breit macht sich die obeuein recht ungeschickt herbei-
gezogene didaktik, wie z. b. die der Susanna, als sie ins bad gehen
will, in den mund gelegte klage über die unbrauchbarkeit der mägde
und die von Betulius herübergenommenen, nur noch langweiliger aus-
gedehnten Unterhaltungen der richter über ihr amt, oder die aus der
bestrafuug der beiden richter am Schlüsse des Stückes gezogene moral,
dass dies die folgen des Ungehorsams gegen eitern und lehrer seien.
«.
Frischlin, lateinisch. 1577.
In dem dem stücke vorausgesanteu prolog wendet sich Frischlin
mit gleicher tendenz wie vierzig jähre vorher Betulius gegen die alzu
rigorosen moralisten : wie jener die ausschliessliche dramatisierung bibli-
scher stofte bekämpfte, so weist Frischlin die homines nasutuli ab,
welche eiferten:
Leves Personas in sacris comoediis
Non introduci oportere : sed omnes graves :
Et quas imitari possit adolescentia,^
1) Manche züge mag er auch dem medium der Rebhunschen bearbeitung
entnommen haben , die er gleichfals kante , wie z. b. 1 , 2 die antwort Achabs auf
das liebesgeständnis des Sedechias: .,ich lieg auch in diesem Spitall" den Worten
Resathas I, 1 bei Reblum entspricht: ,,so wißet, das in dem spitale auch ich
lig krank."
2) Schwerlich weist dieser naheliegende gedanke auf eine bckantschaffc Stückeis
mit der Wiener Susanna.
3) Ich citiere Frischlius Susanna nach der ausgäbe von Pfiüger [in der sani-
lung von Frischlins latein. draiiicn , Strassburg 1021], deren text mit den älteren
drucken faat buchstäblich übereinstinit.
URAMAT. DKR SUSANNA IM 10. JH. 177
da er es nur für seine aufgäbe halte,
.... ut tanquani in speculo vitam omnium
Proponeret: uncle alii exempluui sibi sumerent.
Böte doch auch die lieilige schrift zahlreiclie beispiele von bösen, laster-
liaften Charakteren, wie z. b. die beiden greise seines Stückes.
Dieselbe im 16. Jahrhundert nicht seltene ersclieinung, die wir
bereits in einigen bearbeitungen antrafen, den engen auschluss, den
mau sich an seine Vorgänger gestattete, finden wir auch bei Frischlin.
Er keut nicht nur Betulius und Kebhun, sondern benuzt sie auch in
ziemlich ausgedehntem masse , aber mit so feinem urteil und zugleich
in so vervolkomneuder nachbildung, dass das entlehnte erst in seiner
band den wahren wert erlangt. Er begint wie Betulius das stück mit
einem monolog des einen alten, an den sich ein dialog mit dem
anderen anschliesst, er entnimt ihm ferner, abgesehen von unwesent-
licherem, das motiv der belauschungsscene und der traumerfindung,
beides auf das geschickteste weiter ausführend. Von Rebhun überträgt
er die reise Joachims und ausserdem die exemplificierung der bosheit der
richter durch die beiden bauern Sichar uud Hiram, die er an stelle
der armen witweii eintreten lässt.
In einer beziehuug Übertrift er jedoch trotz dieser vielfachen
benutzung den einen seiner Vorgänger nicht, in der dramatischen teeh-
nik: hier steht er Eebhun beträchtlich nach. Wie Betulius führt er
nämlich im ersten akt die handlung zu weit, bis zu dem Überfall der
greise — sie führen hier die namen Midian und Simeon — und komt
daher später mit seineu fünf akteu in Verlegenheit. Den grösten teil des
zweiten verwendet er zu einer episodischen Charakterisierung- des Midian,
der den armen betrogenen bauer Sichar mit einer klage abweist, wofern
er ihm nicht drei silberseckel bringe, und zweitens zu einem zusam-
mentreffen Sichars mit seinem nachbar Hiram , der in die hauptstadt
gekommen, um beim könige schütz und recht gegen die verruchtheit
der beiden alten bösewichter zu suchen: Simeons söhn hat eine ver-
wante von ihm geschändet, und als sie denselben bei Midian verklagt,
widerholt dieser das verbrechen. Hiram, so eben von einem wirte
geprellt, schüttet bei dieser gelegenheit in einem langen, an sich höchst
ergötzlichen monologe, der freilich mit dem drama keinen Zusammen-
hang hat, sein herz über die habgierigen gastwirte aus, deren gaune-
reien er auf das anschaulichste schildert.'
1) Ähiiliclie treffeutle scliilderuugen von dem leben uud treiben des Volkes
auf markt und gasse gibt der dichter in mehreren seiner dranien , s. die bettler-
scenen in der Wendelgard , die schuitterscenen in der Ruth, die auftvitto zwiselien
ZEITSCHB. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI. 12
178 PILGER
Auch im dritten akt, der mit der rückkehr Joachims begint,
schreitet die handlung nur wenig vor: hier bringt Frischlin dem Zeit-
geschmack einige moralisch - didaktische deklamationen über gute und
schlechte gattinnen und über die boslieit der weit. Der vierte und
fünfte akt ist fast von gleichem Inhalt wie bei Rebhun , nur dass IV, 2
Sicliar von Midian, dem er die verlangten drei seckel bringt, geprellt
wird und V, 3 durch seine anklage der beiden alten zu ihrer Verurtei-
lung beiträgt. Ein sehr glücklicher griff ist es, dass Frischlin die ein-
leitung der anklage, ebenso wie der Wiener anonjmus , hinter die scene
verlegt und so dem Zuschauer die eine der drei gerichtlichen Verhand-
lungen erspart.
Steht aber auch Frischlin im algemeinen in der dramatischen com-
position Eebhun nach , so überragt er ihn wie auch seine übrigen Vorgän-
ger in sehr hohem grade in der lebensvollen Zeichnung der personen und
der frischen, naturwahren ausführung der einzelnen scenen. Vortrefflich
ist seine Charakteristik der beiden alten, zu der er die ersten glück-
lichen, freilich nur geringen anfange bei Betulius fand. Scharf und
greifbar tritt uns hier der hohläugige, habichtnasige, krumbeinige
Midian entgegen, der ebenso wollüstig als einfältig und furchtsam sich
selber im vergleich zu seinem schlauen collegen Simeon. dem aufge-
schwemten, kleinen fettwanst mit den hängenden backen, der nie um
einen guten rat verlegen ist, einen stock und esel und einfaltspinsel
nent. Nur in einem punkt erscheinen beide gleich, in der neigung zu
obscönität und wollust.
Ganz besonders komt diese kräftige Charakteristik den ersten
scenen des Stückes zu gute. Midian befindet sich 1,1 in Joachims
garten, um vielleicht Susanna zu gesiebt zu bekommen. Da erblickt
er plötzlich Simeon, der zu demselben zweck sich eingefunden. Ver-
geblich versucht jeder den andern durch list aus dem garten zu entfer-
nen, bis endlich Midian seine liebe zur Susanna eingesteht; Simeon
aber, statt das geständnis zu erwidern, kann es sich nicht versagen,
ihn erst eine weile zu foppen:
Inest , so spricht er bei seite , huic homini amoris
macula in pectore ....
Ludificabo ipsum egregiis et falsis modis.
Mit einem bedauernden „ miseret profecto nie tui" wendet er sich
darauf zu Midian; dies mitleid aber drückt er, nachdem der andere
ihm seine liebespein geschildert, folgendermassen aus:
keller und ]<ocli in der hoclizeit zu Kana. Nach Grimm a. a. o. s. 155 ist übrigens
Hirams satirische deutung der wirtshausschilder auf die eigenschaften der wirte
die uach])ihhing einer scene in Naogeorgs Haman.
DEAMAT. DER SUSANNA IM IG. JH. 179
Prob Juppiter! quae te agit ameutia.
Jam pleuus aetatis, animaque foetida,
Senex liircosus, tu osculOre haue mulierom?
Cave ne advenieiis excutias vomitum mulieri.
Vergeblich bittet Midiaii
Ah enecas; quin tu potius nie opera juvas.
Simeon ergözt sich noch eine ganze weile an der Verzweiflung des
andern, der ihn beschwört mit seiner Überredungskunst ihm beizuste-
hen, und erst, nachdem er das versprechen eventuellen beisfaudes für
eine ähnliche läge empfangen, erklärt er sich dazu bereit, indem er
ihm zugleich eröfnet, dass — auch er Susanna liebe. Von neuem jam-
mert Midian über seine Unvorsichtigkeit. Endlich teilt Simeon ihm
seinen plan, Susanna im bade zu überfallen, mit. Da tritt Susanna
selbst in den garten, dem boten, der die nachricht von der rückkebr
Joachims gebracht, eine belohnuug gebend und vor dem bade mit der
magd plaudernd. Im winkel versteckt führen die beiden alten dazu
ihre zwischenreden. Midian kann sich bei dem anblick des schönen
weibes nicht der seufzer enthalten, wie: ah difteror cupidine, und als
jene zu der magd von der liebe zu ihrem gatten spricht, glaubt er den
verstand verlieren zu müssen. Doch Simeon, der weiberkundige, schilt
ihn einen toren:
Delire, crediu' ex animo sie ipsam proloqui? Solent
Ita plaeraeque mulierculae suas fallere pedissequas:
Ne suspectae viris reddantur.
Endlich schickt sie die mägde fort, die eine um öl und baisam
für das bad zu holen, die andere, um die garteutür zu schliessen und
das haus zum empfange des hausherrn zu schmücken. Als sie allein
ist, ruft Midian bewundernd aus:
Dii immortales, omnipotentes, quid apud vos pulchrius?
und sezt hinzu: Sein' tu quid fieri nunc optem?
Si: Quid? Mi: Juppiter. Si: quamobrem? Mi: ut hac
Cum Junone accubem illico. Si: At ego te alium hie fieri mauelim.
Mi: Quemnam? Si: Vulcanum! ut me cum hac Venere catena
nectas ferrea.
Mit lebendigen, ihre sinlichkeit charakterisierenden ausrufen begleiten
sie wetteifernd das beginnende entkleiden der Susanna, und unverken-
bar ist hier wie im fortgange des gesprächs der einfluss von Betulius.^
1) Vgl. mit dem folgenden die s. 173 mitgeteilte stelle. Sogar einzelne Wen-
dungen klingen an die.se an, so die ersten zeilen, die bei Betuliiis lauten:
Aehab: En crura nudat uinculis. Sedechias: Eburnea
Sunt.
12*
180 PILGKE
Si: En calceos jam solvit. Quales hae' videntur tibiae?
Mi: Eburneae. Si: Istae surae cujusmodi ? Mi: Lacteolae argen-
teae.
Sed, quid si nunc adeamus? Si: Adeas.
Doch Midian hat nicht den mut zur anrede, da er geschickte worte
nicht finden kann , bis endlich Simeon sich das herz dazu fasst. Susanna,
die schon vorher die mänuerstimmen gehört hat und sich schnell wider
ankleiden will , wehrt ihn erschreckt ab und ruft nach der magd , doch
verschmizt bittet er:
mane, obsecro
Atque audi verbum unum. Quid audiam? fragt Susanna. Si: Ali-
quod de te somnium.
Su : Quid somnii ? Und nun erzählt er : Praeterita nocte per quie-
tem Visus est
Mihi Kaphael astare ad lectulum , et his me verbis alloqui :
Simeon, iuquit, Simeon evigila, quoniam immortalis Dens,
Dominus coeli et terrae, ad te mittit, ut laetum tibi nuucium
Annunciem. Nam ex te prodibit Servator populi mei,
Messias, qui e babylonica captivitate ipsum eximet
Et in patriam terrani reducet.
Staunend fält der einfältige Midian hier ein :
Proh Deum! quam fabulam
Inceptat hie veterator! miror quorsum isthaec oratio.
Simeon aber fährt fort:
Cumque angelo dicerem ego: Domine mi, ecce ego sura jam senex:
Et uxorem domi habeo vetulam et sterilem: quomodo liberos
Ex illa suscipiam? ibi respondit mihi sacer angelus:
Tuos ut sollicitarem concubitus. Su: quid ais, homo impudeus?
Meum tu sollicites concubitum? Si: imo maxime. Id enim Dens
Jussit. Su: Deus? quasi vero is leno sit, qui amores copulet
Meretricios? pudeat te cano capite, has nugas prodere.
Si: Imo te pudeat, quod nondum sacras didiceris literas.
An enim ignoras Thamarin suo concubuisse socero: et Pharem
Peperisse? an nescis Rahabem, nobile scortum Hierichuntium
Salmae ejus abnepoti nupsisse , ac mox peperisse illi Boam V
An nescis Rutham ultro ad Boam noctu venisse ut accubet?
Atque istae omnes Davidis, e quo Messias venturus est,
Factae sunt aviae.
Da diese beweisführung bei Susanna nicht verschlägt, versucht er es
mit witzigen schmeichelwortrn. Als Susanna seinen bitten entge-
genhält :
DRAMAT. DER SUSANNA IM IG. JH. 181
Proh summe Deus! quam tu me rere tbeminam?
antwortet er: quam? melleam,
Koseam, auream, aureas quaeso da mihi maiius, ut osculer,
bei welchen worteu Midian wider staunend ausruft:
Ut blandus est palpator mulierum hie senex!
Mit immer neuen Wendungen zum preise ihrer Schönheit begegnet Simeon
den ernsten mahnworten der Susanna. Sie erinnert ihn warnend an
das Schicksal der Sodomiten und Benjamiten. Er antwortet:'
Nimium religiosa es: nocet ista religio formae tuae.
Sie fragt ihn, ob er, der richter, denn Moses gebot und gesetze ver-
gessen? er darauf: Ah desine
Memorare , quae scio ; potiusque mihi illa die , quae nescio.
Quid nescis? fragt Susanna. Schmeichelnd antwortet er: Tuum
amorem.
Einen wie treflichen gegensatz bildet hierzu die täppische plump-
heit Midians, der, als er sich endlich entschliesst, auch sein heil bei
Susanna zu versuchen, kaum anderes vorzubringen weiss, als:
Quid clamitas? tace sis! nam si hunc odio persequeris: at me ames,
worauf Susanna die auch ihn charakterisierende antwort gibt:
Amem? multo te quam hunc minus.
Er entgegnet wider sein: tace sis! und:
Ah sine te exorem : sine preheudam auriculis : sine dem suaviuni . . .
Ah sine contrectem te modo parum.
Endlich räumt er mit einem „nimium fera es" dem Simeon wider das
feld, der, nachdem er alle list und Schmeichelei als unwirksam erkant,
es schliesslich mit dem anerbieten von geld versucht. Mit den worten:
Ah, ne recuses animule mi, mea vita, mea festivitas. •
Sunt aurei nummi complures,
nähert er sich noch einmal, und auch jezt mit einem zürnenden „pereas
cum auro tue" abgewiesen, entschliesst er sich zu drohungen und zur
gewalt.
Treflich ist diese Charakteristik das ganze stück durchgeführt. In
stiller bewuuderung monologisiert Midian II, 3 über seinen verschla-
genen collegen, wie über die eigene dummheit, fortdauernd sogar von
der furcht gepeinigt, dass Simeon ihn schliesslich noch ins verderben
bringe. In der naclit hat er sogar den sehr beunruhigenden träum,
dass sie beide gesteinigt werden. Doch als er denselben IV, .3 ängst-
lich Simeon am morgen erzählt, antwortet dieser:
1) S. den folgenden abschnitt dieser i^cene volständiger s. 195 fg.
182 PILGER
Male pereas cum somuio tuo Midian.
Sed qua cum dormivisti?
und nun ergehen sich beide in einer obscönen Unterhaltung, bei der
Midian wider wegen seines alten hässlichen weibes herhalten muss.
Eigneten sich auch die übrigen personeu nicht zu einer gleich
markierten Zeichnung, ihnen allen sind doch hinreichende charakterisie-
rende Züge geliehen, die sie nie zu blossen Schemen werden lassen.
Dies gilt sogar von der Susanna selbst, dem am wenigsten dankbaren
Charakter des ganzen Stückes. Auch sie bewegt sich zwar mehrfach noch
in den schranken des steifen moralisierenden lehrtons, den der dichter
des 16. Jahrhunderts bei der darstelluug der ernsten und tragischen
personeu fast regelmässig anschlägt, da es ihm an wirklich tragischem
pathos noch durchaus gebricht; aber es mangelt ihrem auftreten doch
nicht mehr ganz an freierer und natürlicherer empfindungsart. So ist
recht ansprechend ihr dialog mit der magd I, 2. Besorgt äussert sie
bei der drückenden liitze des tages , wie sehr ihr mann auf der reise
schwitzen werde; da die botschaft gekommen, er werde noch an dem-
selben tage zurückkehren , trägt sie dem gesinde auf, zu seinem
empfange das haus auf das sauberste zu reinigen und zu schmücken,
sie selber will vorher noch in dem klaren wasser des teiches ein bad
nehmen. Als die magd ihre Schönheit rühmt, erwidert sie: ich bin
schön genug, wenn ich meinem mann gefalle. Als sie IV, 5 vor gericht
gefordert wird, und Joachim sie mit dem hinweise tröstet, dass gott
den frommen kein übel widerfahren lasse, entgegnet sie ihm, echt
menschlich , obwol auch sie vor allem gott vertraue , so verlasse sie
sich doch auch auf seinen, ihres gatten schütz und hülfe.
Auch die nebenpersonen weiss Frischlin fast durchweg durch ein-
z:^lne glückliche striche zu lebendigen gestalten herauszuarbeiten.
Kecht charakteristisch ist die mutter gehalten. Der gedanke, auf
den sie widerholt zurückkomt, dass Susauna sich von dem verdachte
der unkeuschheit durch einen trunk bitteren wassers befreien solle,
und die Versicherung, dass sie für die unverlezte jungfrauschaft dersel-
ben zeichen zu hause habe,^ bezeichnet die frau nicht minder, als die
angst, die sie aussteht, als der Schwiegersohn nicht an dem bestirnten
tage wider zu liaus eintritt,^ oder der von ilir auf die nachstellungen
1) III, 4 iiou dubito, quin aciiuie amarae potibus
iSe libcrare hac suspicione possit filia ....
signa bic habeo domi
Meae: quibus vi ryinitatem eins intactam moustravero
vgl. IV, 5.
2) IV, 4.
UllAMAT. DEK SUSAKNA IM 16. JH. 183
der beiden alten gedeutete träum/ dass zwei alte bocke über ein jun-
ges Zicklein hergefallen seien, und die ohnmacht, der sie sich beim
abschiede der Susanna nahe fühlt. ^
Wirkungsvoll ist in der scene, in welcher die richter sich ver-
sammeln IV, 4 , wie in der gerichtssitzung selbst IV, 6 , der gegeusatz
zwischen den beisitzern, welche den ältesten leichtfertig glauben und
der Susanna von vornherein nicht günstig sind, und dem ruhig prüfen-
den, die Verleumdung durchscbauenden praetor, der wohlwollend, so
weit es sein anit zulässt, sich des armen weibes annirat und sie schüzt.
Als jene auf das formale recht sich stützend ihn endlich genötigt
haben, das urteil über Susanna auszusprechen, und diese zum tode
gefül)rt werden soll, ruft er schweren herzeus am schluss der gerichts-
sitzung aus:
Ah! quam nie hujus matronae miseret ac piget.
Utinam Deus aliquis subito eam liberet!
Noch ein kleiner zug! Als Susanna in der schon oben angeführ-
ten scene I, 2 der magd gegenüber den wünsch ausspricht, vor der
rückkehr des mannes sich von schweiss und staub durch ein bad zu
reinigen, fragt diese erstaunt: quas sordes? Susanna antwortet:
quas in vultu conspicis.
Et quas per hosce dies contraxi.
Da ruft die magd gleich der gewantesten zofe aus:
ah tace , ego tuas sordes mihi
Pro munditie exoptare velim ; qui enim tu sis venustior?
So sehen wir, dass frisches leben in unserer dichtung pulsiert.
Menschen von fleisch und blut treten uns entgegen und vereinigen sich
zu naturwahren und charakteristischen scenen. In dieser annäherung
der personeu und Situationen der bühne an das wirkliche leben liegt der
fortschritt unserer dichtung selbst den glücklichen, aber vereinzelten
anfangen Kebhuns und Bircks gegenüber. Aber Frischlin stelte nicht
blos diese, sondern selbst die meisten der gleichzeitigen dramatiker in
schatten: auch jezt, im achten decennium des 16. Jahrhunderts, trie-
ben ja noch vielfach in der kunstdichtung jene blutlosen, holzge-
schnittenen marionetten, die wir widerholt kennen gelernt haben, ihr
Unwesen. Freilich genügte sie zu beleben die blosse kentnis der anti-
ken muster, so bildend sie war, nicht, dazu bedurfte es des leben-
1) III, 4 und IV, 5.
2) IV, 7 . . . . Heu me miserani! . . . Thamar age sustiue,
Tenebrae oboriuntur.
184 PILGER
digen atems eines wirklichen dichters. Und ein solcher war, wenn
auch nicht hervorragenden ranges, Frischliu.
Leider kommen alle die reichen Vorzüge von Frischlins dichtung
der heimischen litteratur nur in bedingtem masse zu gute, da der
gelehrte dichter sie in das feinere und ihm bequemere gewand der
lateinischen rede kleidete; und mit welchem bedauern auch immer der
freund der deutschen litteratur auf die unverächtliche poetische kraft
und begabung der vaterländischen talente blicken mag, die für unsere
litteratur in den zahllosen lateinischen Produktionen des sechzehnten
Jahrhunderts verloren gegangen sind, auf keinem gebiete ist der verlust
grösser, als auf dem der dramatischen dichtung. Hätten mäuner wie
Frischlin und Macropedius deutsch geschrieben, wir hätten am ende
des Jahrhunderts nicht nötig gehabt, mit den abfallen des englischen
dramas unsere armut aufzuputzen und noch anderthalb Jahrhunderte
lang bei allen nachbarn herumzubetteln , bis wir endlich selbst zu
einem nationalen drama gelangten. Und man wende nicht ein: nur
die lateinische spräche war es, welche die Vorzüge jener dichtungen
ermöglichte. Das deutsch des sechzehnten Jahrhunderts war durchaus
nicht mehr so ungebildet, um für höhere poetische Produktionen
unbrauchbar zu sein. Die spräche von Luthers bibelübersetzung , des
evangelischen kirchenliedes , von Fischarts dichtungen wäre, zumal
nach Rebhuns metrischen reformen, auch fähig gewesen, dramatische
Produktionen von wirklichem kunstwert zu tragen.
Aber leider wirkte das Studium der alten , dem , wie wir gesehen,
die förderung unseres dramas im übrigen ihr bestes verdankte, in der
beziehung hemmend auf seine entwicklung ein , dass es viele der besten
kräfte der nation von der heimischen litteratur abwante.
Bei Frischlin ist dies um so lebhafter zu beklagen, als seine
versuche in deutscher dichtung, z. b. die parabel von St. Christoflfel
und seine Schauspiele Wendeigard und Ruth, beweisen, dass er auch
seine muttersprache ungleich gewanter und lebensfrischer zu behandeln
verstand, als die mehrzahl der deutsch dichtenden seiner zeit. Man
kann durch viele Schauspiele des Jahrhunderts sich durchwinden, ehe
man einmal auf eine stelle stösst, die so treflich in gedanken und
spräche ist, wie Ulrichs erster monolog in der Wendeigard und die
bettlerscenen des zw^eiten akts, oder die schnitterscenen in der Ruth.^
Auch aus einem anderen gründe noch ist es ein verlust, dass
Frischlins talent dem deutschen drama fast verloren gieng. Zeigt sich
1) Deutsche dichtunjc^en von N. Frischlin, herausg. von D. F. Strauss. 1857.
S. 21. M bis 32. 41 bis 45. 101 bis 104. 114 bis 117.
DRAMAT. DER SüSANXA IM 1 <> JII. 185
ducli bei ihm auch in der wähl der stoffe, trotz voller hingäbe an die
grossen religiösen gedanken des Jahrhunderts — man denke an seinen
Christoffel — ein viel kräftigerer sinn für heimat und Vaterland, als
die meisten dramatischen poeten seines Jahrhunderts sich bewahrt hat-
ten. Davon legt unter den lateinischen dranien sein Julius Redivi-
vus und seine Hildegardis, unter den deutschen die Wendeigard und
die Weiugärtner zeugnis ab , leztores wol ausdrücklich bestirnt zur dar-
stellung heimischen Volkslebens.
Leider ergieng es ihm mit seinen bemühungen für das deutsche
drama noch übler, als Rebhun. Seine Wendeigard erschien nicht öfter als
zwei mal im druck, während die lateinischen stücke fortdauernd begehrt
wurden; und als er trotzdem im kerker auf Hohenurach sich beson-
ders eifrig dem deutschen Schauspiel zuzuwenden begann , da muste er
sich von den Stuttgarter theologen, deren gutachten seine arbeiten
unterbreitet wurden , sagen lassen : „ Frischlin sei bei weitem nicht so
felix in deutschen reimen (die unterweilen übel klappen), als in latei-
nischen versen ; man finde allerwegen deutsche reimenmacher , die in
hoc genere feliciores seien dann Frischlinus;" und ein ander mal, seine
komödie von der Ruth — die übrigens eine recht gelungene, saubere
ausführung des idyllischen Stoffes ist — habe „ eine schlechte gratiam,
wie fast alle seine teutsche reime;" es wäre besser, „dass er solchen
laborem an lateinische scripta verwendete." ^ So wirkte mit dem algemei-
nen druck, der in folge der gesamten geistigen richtung des Jahrhun-
derts unser drama belastete und an freiem aufschwung hemte, noch
der besondere Unverstand, der sich an die treflichen bestrebungen ein-
zelner männer kettete, zusammen, um auch die glücklichsten keime
nicht zu voller entwickelung gelangen zu lassen.
9.
Schonaeus, lateinisch. 1595.
Von den drei bearbeitungen , deren besprechung uns noch übrig
bleibt, nehmen wir die beiden unbedeutenderen in der kürze voraus.
Wenn auch der zeit nach ein wenig später fallend als die dritte, die
von Heinrich Julius , gehören sie doch durchaus in den kreis der bisher
besprochenen schulkomödie , während diese aus demselben heraustritt;
und sie sind überdies nichts als unselbständige nachbildungen des zulezt
betrachteten Werkes.
Der Harlemer rector Cornelius Schonaeus, der von 1591 an. um
Plautus und Terenz, wie im vierten decennium u. a. schon Crocus,
1) A. a. 0. s. 66 und 88.
186 PILGER
gänzlich aus den schulen zu verdrängen,^ eine dreibändige samlung
lateinischer, meist biblischer dramen unter dem titel Terentius Chri-
stianus herausgab, lieferte im zweiten bände auch eine Susanna.
Das stück ist ein trauriges machwerk. Schonaeus beutet Frisch-
lins Susanna in mannigfacher, urteilslosester weise aus. Besonders in
den ersten aufzügen ist von Frischlin die anläge der scenen , wie auch die
themen der dialoge , beides nicht ohne original -ungeschickte Verdre-
hungen, vielfach herübergeuommen ; was von Charakterzeichnung, was
von gelungener ausführung einzelner scenen im ganzen stücke sich
findet, stamt von Frischlin — viel ist dies freilich nicht, die figuren
bewegen sich meistens langweilig und leblos, oder in folge der Ver-
drehung der Intentionen des Originals närrisch und unbegreiflich.
Einige auftritte aus den ersten akten werden genügen dies urteil
zu rechtfertigen. In der anfaugsscene preist Joachim sich in langwei-
lig didaktischem Selbstgespräch wegen seines tugendhaften weibes glück-
lich : die gedanken sind entnommen aus Frischlin III , 1 , wo sie bei
dem von einer reise zurückkehrenden und auf das widersehen mit
Susanna sich freuenden manne sehr viel natürlicher sind. Es folgt
scene zwei, in der nun Susanua ihrerseits das glück preist, Joachim zu
besitzen, der ungesehen ihre worte hört und sich dann zur seite über
den wert einer tugendhaften frau auslässt: die anläge der scene und,
wie auch sonst, einzelne Wendungen sind aus Frischlin 11, 5, zum teil
1) Interessant ist es zu sehen, wie wenig diese strengsten moralisten des
16. jahi-himdcrts in der praxis sich durch ihre theorie beschränken Hessen. Zeich-
net sich auch unser stück im algemeinen durch eine keusche behandhing aus, so
gestattet sich doch auch hier Schonaeus den einen richter II, 3 sagen zu lassen:
Exutos eius video pedes , ita
Me Deus amet, pulchros, et quavis nive
Candidiores. Ex bis, tanquam ex uugue leonem,
Ut ajunt, cognoscere mihi videor caetera.
Noch viel bedeuklicher sind scenen anderer stücke, so im Vitulus II, 3, wo die
beiden meretrices einen bauer trunken machen, und als er schliesslich taumelt,
die eine ausruft: Ha, ha, hae, in cacabum incidet,
Aqua repletum sordidas ut abluat nates.
Trotzdem rühmt der prolog das stück als keusch und züchtig und legt dem schüler,
der ihn sprach, die Versicherung in den mund:
obscoenos cnim jocos
Salesque inurbauos noster didascalus
Cane peius et angue fugiendos sibi putat.
Vgl. auch Prancko, Tcrenz und die latein. Schulcomoedie 1877 s. 127, und die von
Goedeke , Roemoldt s. 83 , citierte äusserung des Marburger professors Goclenius [vor
der Bachmannschen bearbeitung des miles Christianus von Dedekind l(i04]: non
est indecorum virum [d. h. doch für die damalige zeit ein schüler] repraesentare
raeretriculam , si id eo fiat, ut vitia meretriculae depingautur.
DKAMAT. DER 8USANNA IM 16. JH. 187
auch aus III, 1 herübergenommen / wo Hirams Selbstgespräch von
Sichar belauscht wird. Hierauf treten die beiden richter Judas und
Melchias auf, bewundern zuerst mit einander Susannas Schönheit und
beeilen sich dann wetteifernd — dem hinzutretenden Joachim mitzu-
teilen, wie sehr sie ihn seiner schönen gattin wegen beneiden, und
wie glücklich sie sich fühlen würden mit einem solchen weihe auch
nur unter einem dache zusammen wohnen zu dürfen! Nachdem sie
darauf noch einmal sich gegenseitig erklärt, wie sehr die anmut der
Susanna, im gegeusatz zu der hässlichkeit ihrer eigenen frauen, ihr
herz entflamt, und dann sich getrent haben, begint der zweite akt
mit folgender uubegreiliichen sceue. Melchias, sogleich wider zu
Joachims haus zurückgekehrt, ist nicht blos ganz unwillig, sondern
sogar erstaunt, als er auch Judas sich dem hause wider nähern sieht,
und, obwol er, wie er ausdrücklich hinzufügt, dies täglich erlebt
hat, ahnt er doch die Ursache nicht, sondern dringt mit fragen in
Judas, bis dieser endlich nach langen, widerum nach I, 4 durchaus
unverständlichen Umschweifen ihm seine liebe zu Susanna eingesteht,
und — was der geschmacklosigkeit die kröne aufsezt , den Melchias , aus
dessen munde er erst so eben die glühendste bewunderung der Susanna
vernommen, bittet: Haue tu mihi vel vi, vel pretio, vel precario fac
tradas.
Und Avie erklären sich alle diese Verkehrtheiten ? ^ Schonaeus hat
Frischlins hübsche eröflfnungsscene — übrigens unter wörtlicher entleh-
imug mehrerer stellen — in seinen zweiten akt verlegt , ohne zu beden-
ken , dass was dort natürlich und vom dichter fein berechnet war , hier
nach dem vorausgang der oben erwähnten scenen zu plumpster unwahr-
scheinlichkeit wird !
1) Bei Frischlin II, 5 ruft Sichar aus:
Ita me Deus
Amet, ut ego hunc ausculto lubens
und weiter: Compellarem illum lubens:
Ni mctuam, ne mores cauponum commemorare desiuat.
Bei Schonaeus Joachim :
Ita me deus amet, ut ego hanc audio lubens Loquentem
und: Compellarem illam, nisi metuam, ne desinat narrare . . .
2) Es sind uicht die einzigen. Bei Frischlin I, 1 sagt Midian unwillig zu
Simeon, als er ihn vor Joachims hause tritt:
Sod tu non modo digredienti mihi dixeras,
Quod hinc ires domum prandendi gratia?
Schonaeus lässt sich dies nicht entgehen und legt dem Melchias II , 1 in der glei-
chen Situation die worte in den mund:
Qui se pransum iterum dicebat modo —
obwol Judas [I, 4] darüber kein wort geäussert.
188 PILGER
Es wird genügen, wenn ich zur cliarakterisiernng des Verfassers
noch hinzufüge, dass er trotz dieser weitgehenden anlehnung an sein
Vorbild doch die meisten der feinsinnigen erfindungen und motive, die
er aus demselben hätte entnehmen können, die einführung der eitern,
der kinder, die reise Joachims, den träum Simeons u. a. unbeuuzt gelas-
sen hat: dagegen hat er der zeitgemässen moralisch - didaktischen nei-
gung bis zu vrahrhaft entsetzlicher unnatur nachgegeben. So erw^idert
z. b. Susanna III, 2 ihrem manne, der empört über die Schlechtigkeit
der beiden richter „Deus perdat sacrilegos" ausruft:
Joachime, cohibe te amabo et
Tuis moderare aifectibus!
und tröstet ihn damit, dass die Übeltäter stets von gewissensbissen
gepeinigt werden würden! Als sie zur liinrichtung abgeführt werden
soll, klagt Joachim V, 2:
Itane tu mea Susanna nunc a me distraheris ad mortem
Nulla tua culpa? Eheu nos miserrimos !
Wider antwortet sie nicht minder weise:
Tace obsecro mi Joachime, ac desiste lamentarier.
Omne malum fit levius, si leviter feras.
10.
Israel. 1607 [1603].
In gleichem masse etwa wie Schonaeus zeigt sich Samuel Israel,
schul- und kirchendiener zu Münster in St. Gregory Thal, in seiner
bereits 1603 aufgeführten, aber erst 1607 zu Basel gedruckten Susanna
von Frischlin abhängig. In der vorrede entschuldigt er die zusätze zu
der biblischen erzählung, den eugel Raphael, den bauer u. a. als „illu-
strationis causa herbeygesetzt. dieweil es nimmer lähr abgehen kann,
da nit in solchen Sachen intermedia eingeführt werden, ut misceantur
tristia laetis" und gedenkt hierbei rühmend der hülfe eines mir unbc-
kanten Johannes Ochs von Colmar^ „qui facetiis suis Gnatonem Teren-
tianum superasse creditur." Dass er Frischlin benuzt, verschweigt er wie
Schonaeus wol weislich, und doch hat er von ihm die gesamte einrich-
tung des stoifes, die vorhandenen anfange von Charakteristik, vielfach
den Inhalt des dialogs, kurz fast alles irgendwie wesentliche bis auf
einen teil der namen herab copiert. Wo er abweicht, ist er eben
nicht geschickt, wie z. b. in der einführung der allegorischen tiguren
\) Derselbe war auch in dem spiele selbst, als es 1603 „von einer Ersamon
burgerschaft vnd andern ehrlichen Leuten" aufgeführt worden war. als Prologus
und bauer Corydon aufgetreten.
URAMAT. DEK Sl'SANNA IM 16. JH. 189
Justitia und Veritas, die oliiic jode Verbindung- mit der handlung 111, 1
die bosheit der weit beklagen, oder wenn er, wie Stoeckel , Midian
als reuelosen , verstockten sünder sterben lässt. Nur den iubalt der
bauernsceuen hat er, wol mit benutzung eiues volkstümlichen schwan-
kes, nicht grade unglücklich geändert.
Einen gewissen wert hat das stück nur in spraclie und vers. Der
dialog zeigt das bemühen natürlich und volksmässig zu sein und ist
z. b. in den familienscenen bei Joachims rückkehr recht ansprechend :
Sprichwörter und volkstümliche Wendungen sind passend eingeflochten,
einmal freilich auch ein lateinischer hexameter.^ Der versbau bringt
den regelmässigen tonwechsel, wie bei Kebhun, recht geschickt zur
anweudung , was um so bemerkenswerter ist , als die richtigen Wertfor-
men fast durchweg gewahrt bleiben.^
Eigentümlich ist die etwas opernhafte schlussscene des dritten auf-
zuges. Worte der zu gott betenden Susauna wechseln mit trostsprüchen
des engeis Raphael, die man sich, da sie liedform haben, jedeufals
gesungen zu denken hat. Die werte des engeis werden, wie es
scheint, von Susanna gar nicht vernommen und drücken zum teil nur
die empfindung der betenden aus: die scene erinnert hierdurch an das
gebet Gretcheus im Faust. Das ganze stück endigt gleichfals mit
gesängen und zwar vierzeiligen, die abwechselnd von zwei chören vor-
getragen werden, von Susanna mit ihrer farailie, und von Daniel samt
den engein: die übrigen akte schliesst Instrumentalmusik.
11.
Heinrich Julius. 1593.
Wir kommen zu der lezten bearbeitung unseres Stoffes im 16. Jahr-
hundert, zu der vielgerühmten Susanna des herzogs Heinrich Julius.
Um das resultat vorweg anzudeuten : wir werden zu einer der herschen-
deu ansieht in den meisten punkten entgegeugesezteu beurteilung gelan-
gen ; denn das stück des herzogs ist nichts , als eine teils freiere,
teils wörtlich sich anlehnende bearbeitung des Frischlinscheu dramas,
welche mit solchem Ungeschick gemacht ist, dass sie in fast allen
1) II, 5 sagt Philergus , Joachims diener:
Es geht auch hie nicht änderst dan,
Wie Cato ein vers zeiget an,
Conscius ipse sibi , de se putat omnia dici,
Wer etwas böses hat gethon
Der meint man sag nur stets dauon.
2) Aufgefallen ist mir im dritten akt die freilich entsetzliehe Verstümmelung:
Nein Juncker solchs mein nachb auch sagt, für n achbar.
190 PILGER
wesentlichen beziehungen diesem bei weitem nachsteht, ja zum teil
gradezu eine Verhunzung desselben genant werden muss. Eigenen wert
besizt sie, abgesehen von der spräche, nur in den sehr ausgedehnten
nebenwerken.
Die handlung ist fast ganz von Frischliu herübergenommen und
weicht nur in den die Ökonomie des ganzen durchaus zerstörenden Zwi-
schenspielen ab. Diese füllen den ganzen ersten aufzug und einen teil
des lezten und sind um so ungehöriger, als sie mit der handlung nur
selten in irgend einem zusammenhange stehen, was docli bei Rebhun
durchweg, mit einer ausnähme auch bei Frischlin der fall war.
Der erste akt wird begonnen und zum grösten teile ausgefült
durch weit ausgedehnte, teils au die geböte sich anschliessende, zum
grösten teil wörtlich Jesus Sirach [s. s. 202] entnommene ermahnun-
gen, die der alte Helkia seiner vor kurzem verheirateten tochter gibt.
Zu erklären ist diese ungeschickte erfindung nur dadurch, dass Hein-
rich Julius das stück , wie schon Grimm vermutet , zur feier einer hoch-
zeit schrieb, und zwar zu der 1590 in Wolfenbüttel stattfindenden
widerholung seiner eigenen hochzeitsfeier [die Vermählung selbst hatte
in Kopenhagen statgefunden], und diese scene zur erbauung der gaste
bestimte : ^ dabei übersah er denn freilich , wie er durch diese einleitung
gegen die Chronologie der sich unmittelbar anschliessenden liaudlung,
in welcher schon kinder der Susanna auftreten, verstiess. Auf diese
ermahnungen folgt eine komische, an und für sich höchst trefliche scene
mit dem narren Johan Claut, dem auf sein bitten Helkia die der
Susanna gegebeneu lehren widerholt.
So sind drei sehr lange scenen, der fünfte teil des ganzen Stückes,
mit durchaus nicht hingehörigen moralischen deklamationen und mit
scherzen hingebracht, ohne dass man den beginn der handlung auch
nur ahnte. Unmittelbar an den lezten auftritt und wuuderlicherweise
ohne scenenwechsel schliesst sich ein langer monolog Midians an mit
langweilig didaktischen betrachtuugen über die natur der liebe. Auch
nach dessen ende, an welches doch , wie es bei Betulius in der tat
geschieht, ein zusammentreffen mit Simeon und dann mit Susauna sich
bequem angeschlossen hätte , begint die handlung noch nicht. Es folgt
jezt erst ein langes , die aufmerksamkeit des Zuschauers von neuem
1) Grimm a. a. o. s. 147 macht für diese Vermutung mit reclit geltend, dass
die zweite bearbeitung des Stückes, gleichfals von 1593, diese ganze scene [so wie
die folgende mit Clant] nicht enthält, und dass von der feierlichen anspräche an
die „Durchleuchtige Hochgeborne, gnedige Fürsten und Herrn usw." in dem sehr
verkürzten prolog der zweiten ausgäbe alles nur für die besondere gelegenheit pas-
sende weggelassen ist.
DRAMAT. DER SLSANNA IM IC. JH. 191
ganz ablenkendüs gespräcli Midians mit dem einfältigen bauern Haus,
dem er hilfe vor gericht nm' gegen eine „Verehrung" verspricht: das-
selbe ist seinem Inhalt nach grosseuteils wörtlich aus Frischlin her-
übergenommeu, der es freilich sehr geschickt in den zweiten akt, wo
die handlung bereits in vollem gange ist, eingeschoben hatte. Damit
schliesst der erste aufzug!
Erst jezt, nachdem man sich durch dies couglomerat der ver-
schiedenartigsten hors d'oeuvres hindurchgearbeitet, rückt man endlich
mit derselben scene, mit welcher Frischlin sehr angemessen das stück
eröfnet, dem zusammentreffen der beiden ältesten vor Jojakims hause, ^
zur eigentlichen handlung vor.
In der Zurichtung derselben schliesst sich nun der herzog eng sei-
nem vorbilde an und zwar in den hauptzttgen folgendermassen. Act zwei
ist gleich Frischlins I. IL 1. 2. .5. Das zusammentreffen der bauern mit
dem richter hat Heinrich Julius ungeschickterweise, wie wir sahen, aus
dem zweiten in den ersten akt verlegt; dadurch entsteht der weitere
übelstand , dass das bei Frischlin an diese scene sich passend anschlies-
sende zusammentreffen der beiden geprelten bauern bei Heinrich Julius,
der beide sceneu auseinanderreisst , wider reines anhängsei zum zweiten
akt wird. Sein dritter und vierter akt entspricht im wesentlichen in
der reihenfolge der scenen Frischlin III bis V, 4; nur schliesst er
jenen mit weit ausgeführten auftritten, in denen zwei bauern vergeb-
lich bei Midian recht suchen, und lässt in den lezten sceneu des
vierten, dem verhör der ältesten und ihrer Steinigung, sämtliche fünf
von Midian betrogene bauern, so wie drei neu auftretende bäuerinnen,
deren töchter von Simeon geschändet sind, ihre klagen vorbringen und
an der Steinigung teilnehmen. Vom fünften aufzug gehören nur die
langgesponnenen und fast inhaltslosen scenen zwei bis fünf, die eine
ausführung von Frischlins schlussscene sind, zur handlung. Der erste
und lezte auftritt enthält den beschluss der komischen nebenhandlung,
der Werbung Johan Clants um Thamar. Wir begegnen hier wider
demselben zuge, wie bei dem Wiener anonymus und bei Birck, die
ernste handlung mit einem komischen nachspiel zu schliessen, ja sogar,
wie wir sahen, ausgedehnt auf die einzelnen aktschlüsse.
Frischlins Verteilung des Stoffes, die an sich schon nicht beson-
ders zu loben war, erscheint hier in jämmerlicher weise verdorben:
die mängel sind übertrieben und werden zn karrikaturen , die Vorzüge
1) Die verkürzte zweite bearbeitung leitet auch der herzog mit diesem zusam-
mentreffen ein, wie diese überhaupt, da sämtliche nebenwerke — selbst die bauern-
scenen — wegfallen, der anläge des Frischlinschen Stückes trotz der abweichenden
akteinteilung noch näher steht.
192 PILGEK
sind nicht benuzt. Die hauptmasse des stoös ist im zweiten und vier-
ten akt verarbeitet; der erste hängt mit der handlung überhaupt nicht
zusammen, der dritte hat geringen, der fünfte, abgesehen von den
narrenscenen , fast gar keinen inhalt. Schon quantitativ ist das Verhält-
nis sehr auffällig: während der vierte akt 58 selten umfasst, beschränkt
sich der dritte auf 20, der fünfte gar auf 8V2 selten. Ebenso willkür-
lich ist die Verteilung des stoffs auf die einzelnen scenen. Ein wah-
res monstrum ist IV, 4. Sie umfasst nicht weniger als den dreifachen
umfang des ganzen lezten aufzugs und enthält folgende drei auftritte : des
Cleophas vermahnung an die richter und Susannas Verurteilung, ihr
gebet und ihren abschied von den ihrigen, das auftreten Daniels und
den beschluss der richter, ihn anzuhören. Aus nicht minder hetero-
genen bestandteilen ist I, 3 zusammengeschweisst.
Wie aber, abgesehen von diesen Verschlechterungen im einzel-
nen, die Ökonomie des Stückes im ganzen nichts als eine copie Frisch-
lins ist, so stelt sich die abhängigkeit des herzogs in der ansführung
der einzelnen scenen als nicht minder bedeutend heraus. Eine ver-
gleichende gegenüberstellung der beiden stücke wird dies am leichtesten
erkennen lassen.
In betreff" des ersten aktes von Heinrich Julius bescliränke ich
mich auf die bemerkung, dass, abgesehen von den narrenscenen, deren
Würdigung ich mir vorbehalte , alles übrige von ihm selbst herrührende
von langweiligster didaktik strozt und in jeder beziehung unbedeutend
ist. Von der Frischlin nachgebildeten scene zwischen Midian und dem
bauern lasse ich einen teil samt dem original folgen: wie hier, so
begnügt sich der herzog an zahlreichen und zwar gerade bedeutenden
stellen seines Stückes mit einer blossen erweiternden bearbeitung.
Frischlin II, 3. Heinrich Julius I, 3.
Sichar. In hac habitare platea Hans. Eck liabbe jha gehört,
dictus est Midian, dat in dösser grauten Strafe ein
Cui literas fero , sed quem percon- Kerl wohnen schal , eck meine ödt
ter Video. sy dei Richter hyr in der Stadt,
Ehodum vir bone , salve. he schal Midian heiten , dar habbe
eck eine Suppelcaci an maken la-
then, dar wil eck henthau gähn,
vnde öne myne sake vor br engen.
Eck weit ödt auerst nicht , in wel-
ckem Huse he wohnt, Auerst süh
dorth glieit ein Kerl, den maut
eck anspreken , dat hei meck wolde
ÜRAMAT. DER SUSANNA IM IC. JH.
193
Midian. quid est? quid vis tibi?
S. Hominem in liis quaorito locis.
M. homiuem vides.
S. Non te, sed aliiim.
Midian. quemnamV
S. imbarbatum senem
Cavis oculis, naso aquilino, tre-
muluni, labris
Demissis, poplite varo, pendulis
genis,
Tili profecto non multum absimi-
lem.
M. Cedo
Quod nomen illi? S. Midian.
M. Dii te perdant
Scelus, qui me sie despicatui liabes
tibi.
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI.
in des Mans Hus brengen. GOdt
geue yöck ein gouden Dach, myn
goude Here , effte wat gy sind.
Midian. Was ist dein beger?
Hans. Eck söke einen Kerl.
Mid. Bin ich doch auch ein
Kerl.
Hans. Eck söike yöck auerst
nicht.
Mid. Wen suchestu denn?
Hans. Eck söike einen Kerl, de
schal in düsser Straten whonen,
he schal maschen dei Richter wei-
sen.
Mid. Es sind hier mehr Eich-
ter denn ein. Wie ist er aber ge-
stalt von Person, den du meinest?
Hans. Ey wat, eck habbe öhn
myn leeuedage nicht sein , Auerst
sei Seggen meck, edt schal ein
oldt Vorreer weisen, vnde schal
einen langen Barth habben, vnde
dei Ogen schöllen öhme gar depe
im Koppe liggen, vnd syne Nase
schal öhme so krum wesen abe
ein Hauickes Schnauel, he schal
so mager vnd dröge syn als ein
stock, de Hende schöllen öhm
beuen, vnd schal öuel tho Voute
syn, vnde als se meck gesacht
habben, so schalt euen sau ein Kerl
wesen als gy syd.
Mid. Wie heist er dann?
Hans. He hett Midian.
Mid. Das dich heillosen Kerl
S. Veits Tantz ankomme, Wie
kömpstu darzu, das du mich der-
gestalt darffst beschreiben vnd aus-
ruffen, vnd mir mein Alter vnd
gebrechen fürwerifen, Wiltu nicht
Alt werden , so las dich Jung hen-
13
194
PILGER
S. Egone te?
M. maxime : ut qui Midiau,
is sum ego.
S. Obsecro te hercle, mi seiiex, si
quidem tu is es,
Mihi ignoscas, namque haiid te
noveram, hercle:
Neqiie his vidi oculis nnqiiam.
gen, vor Tausent Teuffei, das
dich die Plage bestehen müsse,
alles losen Kerls, Vnd so Alt ich
bin, durfte ich dich baldt beim
Kopffe kriegen, vnd dir die Haer
ein wenig verlesen.
Haus. Ey hört doch, wei syn
gy? eck meine yöck nicht, dar
behöde meck Godt vor , Sei habben
meck gesacht, dat Midian ein sölck
Kerl syn scholde.
Mid. Ich bin Midian.
Hans. Och, Eck bidde, gy wil-
lent meck vorgeuen, eck habbet
vorwar nichte wüst, Eck habbet
so arch niche meint, Vude alse
meck ander habben vor gesacht,
sau segge eckt na. Eck habbe
yöck myn leeuedage mit Ohgen
nicht gesein, eck wil yöck fründt-
lick gebeden habben, gy willent
meck tau goude holden.
Unleugbar zeigt der dichter in einer beziehung, nämlich in der
handhabung der spräche und speciell der ausdrucksweise des Volkes,
auf die wir unten zurückkommen, ein ausserordentliches geschick.
Leider lässt sich irgend welcher andere Vorzug an der gesamten
übrigen einzelausführung nur an sehr wenigen stellen rühmen. Eine
derselben ist der anfang des den zweiten akt beginnenden dialogs der
beiden alten. Derselbe wird bei Heinrich Julius dadurch, dass er mit
geschickter benutzung einer stelle seines Originals ^ den Midian durch
seinen ärgerlichen husten sich seinem coUegen verraten lässt, lebendiger
und komischer. Würde nur nicht die breite geschwätzigkeit in dieser
scene so lästig. Aber Simeon kann gar nicht genug worte finden, um
Midians anwesenheit zu verwünschen, und ermüdend schleppt der dia-
log sich hin , ehe lezterer es über sich gewint , seine liebe zur Susauna
einzugestehen. Der verlauf der scene verliert ferner dadurch , dass der
gegensatz zwischen dem albernen Midian und dem verschmizten Simeon
1) I, 2 sagt Simeon zu Mi(li;m: Cave ne adveuiens excutias vomitum mulieri.
S. oben s. 179.
DRAMAT. DER StJSANNA IM IC. JII.
195
olme grimd sehr abgeblasst wird. Auch der folgende auftritt ist bei
Frischlin, bei welcliem Susanna dem boten für die nachriclit, dass ihr
gemahl am abend zurückkeliren werde, eine belohnung gibt und dann,
um denselben in Schönheit und Sauberkeit empfangen zu können, sich
zu einem bade anschickt, viel ansprechender als bei Heinrich Julius,
wo sie, um nachricht von ihrem mann zu erhalten, den diener nach
Susa sendet und dann nur der hitze wegen ein bad nirat. Dort wird
ferner das gespräch zwischen der herrin und derdienerin, welches ohne
die feinere ausführung herübergenommen wird, dramatisch wirksamer
durch die charakteristischen zwischenreden der beiden alten, die Hein-
rich Julius gestrichen. Nicht minder hat bei ihm die verführungs-
scene eingebüsst: er hat hier den die ganze handluug beleben-
den gegensatz zwischen den beiden alten, den er vorher wenigstens
andeutete, ohne grund gänzlich fallen lassen, ja er hat sogar — ob
absichtlich?^ — die rollen beider jezt fast durchweg vertauscht, dabei
aber all die zahlreichen feinheiten der Werbung Simeons wider oline
jeden grund unbenuzt gelassen. Die zweite hälfte der scene ist wesent-
lich nichts als eine verkürzte Übersetzung , die dem originale bedeutend
nachsteht. Ich setze zur vergleichung einen teil derselben her.
Frischlin I, 6.
Sim. Nimium religiosa es: nocet
ista religio formae tuae.
Sus. 0 Chanaae progenies! nihil te
pudet ista senem proloqui
Cano capite: qui jam alterum pe-
dem in Charontis cymba habes ?
Tune populi sis judex ? tune prae-
sidium reipublicae?
Hoscene niagistratum est aequum
mores civibus largirier?
Itane praecepta et leges Mosaicas
meministi ?
1) S. anmerk. 1 zu s. 204.
H. Julius 11, 3.
Mid. Du bist grausam heilig,
aber höre , vns ist mit deim
schnattern nicht gedienet, Erklere
dich, ob du vnsern willen gutwil-
lig thun wilt oder nicht.
Sus. 0 du Cains Geschlecht.
0 du Heyloser Gottloser Bube,
Schemestu dich denn gar nichts
mehr, weder für Gott oder der
Welt. Bedencke doch, das du so
ein alter Heiloser Mann bist, der
du schon einen fuss im Grabe hast,
vnd bist darzu der Kichter allhier
in der Stadt, vnd also ein Glied
und Seule des Regiments. Lieber
bedencke doch, ob dir nun gebü-
reu wolle, als einem der im Ampt
der Obrigkeit sitze, dergestaldt sei-
nen Bürgern mit bösen Exempeln
13
196
PILGER
Sim. Ah desiue
Memoiare, qiiae scio: potiusque
mihi illa die, quae nescio.
Sus. Quid nescis?
Sim. Tuura amorem
sine te, amabo, ameamarier,
Mens festus dies: quaeso da sua-
vium mihi.
Sus. suavium?
Id me Deus prohibeat. semper flam-
ma furao est proxima.
Sim. At die rae saltem suavium
tuum.
Sus. Miüime vero omnium.
Sim. Die igitur me tibi columbam,
meumque Collum ampleetere.
Sus. Egone isthue dicam autfaciam?
id me magnus prohibessit Deus.
Virum habeo, quem solum amo,
solum ampleetor, solum deosculor.
Cui soli conjugalem uti dedi, sie
servabo datam
Fidem.
Sim. Vah! stulta es, quae virum
metuas, qui abest harum inscius
Rerum? nisi tute garrias : nee quis-
quam est hominum qui videt.
Sus. Si homines non vident, at
Deus videt, quem nihil usquam
latet . . .
Midian. Enimvero tempus nune esse
video: ut et ego amoris hie
Faciam periculura, ....
fürzugehen, vnd solche böse ge-
breuche ZAileruen. Hastu in den
Geboten vnd Gesetzen Mosi solches
gelesen?
Mid. Was gehet mich Moses
vnd sein Gesetze an. Ich habe mit
Mose jetzo nicht zuthun, Sondern
ich habe mit dir zuthun. Ey lie-
ber, sey doch nicht so störrisch,
vnd gib mir ein Sehmetzigeu, vnd
nim mich einmal freundlich in den
Arm.
Sus. Dar behüte mich GOtt
für. Ich habe meinen Man, den
ich allein liebe, vnd in den Arm
nehme, den ich alleine küsse vnd
helse, Vnd wie ich demselben al-
leine die Eheliche trewe habe zu-
gesaget, so wil ich sie jhme auch
alleine halten.
Mid. Es sihets doch niemant
nicht. Wer wils deinem Manne
sagen ?
Sus. Sehens die Menschen nicht,
so sihets doch Gott, für dem kan
nichts verborgen sein.
DRAMAT. DER SÜSANNA IM 16. JH.
197
Sus. Ah mi Midiaii, l'er opein mihi
obsecro
Mid. Vbi vohintas prompta est,
vi uihil est opus ....
Sus. Jehova! quaeso da paceiu pro-
pitius: seiva nie obsecro.
Nain ex composito uterque pudici-
tiam oppugiiatuni veuit meam.
Mid. Quid clamitas ? tace sis. uam
si hunc odio persequeris: at me
ames.
Su. Amem? multo te quam hunc
minus ....
Mid, Ah sine te exorem : sine pre-
hendam auriculis: . . .
Mid. Ah sine contrectem te
modo paruni:
Sus. Ecqiüd te pudet, honiinem
seuem, senatus columen, judicem,
Clam in hortum perrepere, ut in-
sidias mihi struas claio die:
Apage a me, apage.
Mid. nimium fera es.
Sim. reddam
ego mansuetam ex fera.
Ah, ne recuses animule mi, mea
vita, mea festivitas.
Sunt aurei nummi complures.
Simeon. Nun lieber sage, was
helstu vns lange autt", wiltu es gut-
willig thun, so darftstu dich für
keiner gewalt befahren.
Sus. Ach ich Annes betrübtes
Mensch, wie kome ich doch vnter
diese verrederische Buben.
Mid. Nhun sage wiltu es gutt-
willig thun.
Sus. 0 Jehoua ich bitte dich
errette mich gnediglich, vnd be-
ware mich , denn diese beiden sind
kommen, mir meine Ehre zunhe-
men.
Mid. Sihe warumb ruffestu so,
wer beisset dich.
Sus. Hörstu es wol du Heilloser
verreter, las mich zu frieden.
Mid. Ey, lasse dich doch nur
ein weinig anrüren.
Sus. Schemestu dich nicht, das
du alß ein alter Mann vnd Stutze
des Rades, vnd ein fürnhemer vnter
den Eichtern, heimblich in den
garten schleichest, auff das du mir
bey hellem Hechten tage mögest
nachstellen, dencke vnd laß mich
vnangerüret, vnd packe dich au
die örter da du zuschaften hast.
Mid, Ich habe sonst nirgents
jtzunder etwas zuschaifen , oder zu-
thun, als eben hier.
Sus. Gedencke, vnd halt die
Hände stille.
Mid. Wirstu meinen willen thun,
ich wil dir einen Beutel voll rother
Gülden greben.
198 PILGER
Sus. pereas cum auro tiio, Sus. Ey packe dich mit deinen
Auro uon vendam, quod redimi Gülden, Ich wil lieber betteln
auro non potest. gehen , als das ich für Geldt meine
Ehre verkauffen solte.
Der folgende auftritt, in derü Simeon die Susanna bei ihren die-
nern verklagt, ist in seiner anläge aus Frischlin herübergenommen,
doch ist das dort lebendige gespräch zwischen den Verleumdern und
dem sie abweisenden Philergus zu langweilig gedehnten hin- und her-
redereien verwässert. Ehe Simeon dazu komt , dem knecht eine bestimte
auskunft zu geben über die „schimpflich geschieht," die sich zugetra-
gen, reisst wahrlich auch dem gelassensten zuschauer die geduld. Auf
seine widerholten fragen hält er ihn [bei Holland s. 69 fg.] hin mit
antworten, wie:
Das wirstu wol erfahren, ehe denn es dir lieb ist.
Das soltu baldt vernhemen, so baldt als jenner der da hergehet zu
vns kömpt.
Unglücks gnug, welches sie aber selber verursachet.
Es were besser, sie were vertruncken.
Jetzunder wirstu es vernhemen, wenn der zu vns kompt, so dar
her eilet.
Ey warte nun so lange, biß das ich dirs gesagt habe.
Was sol ich viel sagen, Sie hat eine große schände begangen.
Was ich gesehen habe, das kan mich nicht triegen.
[Hyramus. Was habt ihr gesehen?] Das Susanna eine schände began-
gen hat.
[Hyramus. Was ist das für eine schände?] Das weis jenner eben so wol
als ich, der dorth her kömpt.
Nach all diesen endlosen zögerungen solte man doch meinen,
Simeon hätte einen wichtigen grund , dem Midian die weitere erzählung
zu überlassen. Weit gefehlt! er überlässt sie ihm überhaupt nicht,
sondern — um der Verkehrtheit die kröne aufzusetzen — als dieser
endlich herangekommen, erzählt Simeon das wesentlichste selbst!
Heinrich Julius scheint die eintönige art jenes geschwätzes nicht
misfallen zu haben, denn gleich darauf gerieren sich knecht und magd
nicht minder hölzern mit ausrufen wie:
Judith. Ach das kan ich nicht gleuben.
Hyramus. Habt ihrs gesehen?
Judith. Ach das kan ich nicht gleuben.
Hyramus. Viid ich kan es viel weiniger gleuben, Dann desglei-
chen hat man ja vorhin niemals von jhr gehört.
Hyramus. Icli gleube, es müsse euch getreumet haben, was jhr saget.
DKAMAT. DER SUSANNA IM 16. JH. 199
Von der den zweiten ukt scliliessenden bauernscene stiimnii nur die
anläge im algenieinen , die klage eines von einem wiite gcpixdten bauern
zu einem anderen , dem gleichfals unrecht geschehen , aus Frischlin
II, 5. Die ausl'ührung gehurt Heinrich Julius, ausser dass er s. 76 den
anfaug von Hirams mouolog einflicht. ^ Wider ist der volkston —
Clas spricht thüringisch, Conrad schwäbisch — gut getroffen, aber wider
stört überladenheit: während Frischlin mit dieser scene das bereits II, 3
begonnene Zwischenspiel fortsezt, führt Heinrich Julius zunächst die
beiden genanten bauern ein und lässt erst in der zweiten hälfte der
scene den von Midian I, 3 abgewieseneu Hans mit ihnen zusammen-
treffen.
Der monolog des voll freude zurückkehrenden Jojakim III, 1 ist
eine au einigen stellen sogar wörtliche copie, ebenso wie die sich
anschliessende begegnung desselben mit seinem treuen diener Hyra-
mus. Ungeschickt ist folgende änderung: als Jojakim von dem diener
erfahren, dass Susauna tief betrübt über das vorgefallene zu hause
sitze, eilt er nicht etwa, wie bei Frischlin, sogleich zu ihr, um sie
zu trösten, sondern er verhandelt zuerst mit den Schwiegereltern und
begnügt sich seiner frau sagen zu lassen, er werde, „sobald er mit
diesen ausgeredet habe, nach hause kommen." Während seines gesprä-
ehes mit diesen erscheint dann Susanna selbst klagend und ihre Unschuld
betheuernd und wird nun von eitern und gatten getröstet — eine
scene , die widerum zum teil mit denselben werten ^ von Frischlin IV, 5
herübergenommen ist, wo sie zwischen der vorberatung der richter
und der eigentlichen gerichtsverhandlung steht.
Die erste hälfte von III, 5, ein kurzer monolog des besorgt an
die gerichtsverhandlung denkenden Midian , der dann aber den befremd-
licher weise jezt noch ängstlicheren Simeon ermuntert, ist im algemei-
nen aus Frischlin IV, 1 und 3 zusammengesezt. Ein reines anhängsei
dieses auftritts ist die sehnöde abfertigung der beiden recht suchenden
bauern Clas und Conrad durch Midian, auch dies nicht ohne eine
anlehnung au das wider einheitlichere original, wo nach des lezteren
monolog IV, 1 Sictar mit den vorher für die rechtsunterstützung gefor-
derten drei seckeln erscheint, um von neuem von demselben geprelt
zu werden.
1) Im Wirthe, Hollaud s. 463, benuzt er diese zeilen noch einmal, wenn
auch in etwas abweichender bearbeitung.
2) Die werte der Susanna, Holl. s. 93: ,.Ich wil gerne sterben. Wenn nur
meine Unschuld möchte gerettet werden" sind ein in der eile untergelaufenes mis-
verständnis von Frischlin IV, b: Emoriar, si non extra hanc noxam inventa fuero.
200 PILGEK
Der beginn der gerichtssitzung IV, 1 ist wider kaum etwas ande-
res als nach jeder riclitung hin eine verballhornisieruug des latei-
nischen dichters. Das Verhältnis des der angeklagten wolwollenden
Cleophas zu den sie verurteilenden richtern erscheint ohne grund
umgekehrt. Derselbe ist sogar in ganz ungerechtfertigter weise durch-
aus übelwollend und parteiisch : er will eigentlich Susanna ohne verhör
zum tode verdammen und lässt sie, daran gehindert, willkürlich wenig-
stens gebunden vorführen, obwol die richter, darüber von ihm aus-
drückhch befragt, dagegen stimmen! Interessanter und dramatischer
wird überdies bei Prischlin der ganze auftritt durch die zwischenreden
des Sichar und Midian, auf die Heinrich Julius verzichtet hat.
Der sich anschliessenden grossen gerichtsscene ist ein kleiner
dialog zwischen den beiden ältesten vorgeheftet, der bei Frischlin
passender den schluss der vierten scene bildet; dann aber folgen in
engem, vielfach wörtlichem anschluss die bitte Midians, Susanna den
Schleier zu nehmen , die ermahnung des Cleophas und die anklage-
reden der beiden greise — der lezteren werte sind der rede Simeons
bei Frischlin entnommen. Die Verteidigung der Susauna ist bei dem
herzöge wortreicher, zum teil wol auch im ausdruck wärmer und
inniger.
Im folgenden lässt derselbe der zeitgemässen liebhaberei für
gerichtliche debatten, abweichend von seinem original, in geschmack-
losester weise die zügel schiessen. Nach der entfernung der parteien
und einer höchst langweiligen förmlichen befragung der einzelnen rich-
ter wird von Cleophas das urteil gefällt, die kläger seien zum eide
zuzulassen. Dann folgt IV, 4 eine wörtliche widerholung des urteils
vor den parteien , eine langweilig gedehnte Verwarnung des versitzenden
vor dem meineid, endlich der eid nach einer denkbar gedehntesten,
sieben selten laugen formell Den schluss bildet das wörtlich entlehnte
urteil, das jedoch hier durch zwölfmaliges , selbst von den steckenkuech-
ten gesprochenes amen bekräftigt wird. Diese ganze dreiundzwanzig
selten lang sich hinschleppende Verhandlung ist nichts als die breite
ausführung von Frischlins gedrängter, alles wesentliche enthaltender
darstellung. Auch Susannas nun folgende klage ist widerum zum teil
eine copie , ebenso wie auch ihre bitte von den ihrigen abschied neh-
men zu dürfen und deren gewährung durch Cleophas. Wunderlicher
weise ruft dieser jezt plötzlich aus seiner rolle fallend aus: „ach, GOtt
weis, mich jammert des Weibes," in unberechtigtem mechanischen
anschluss an das original, wo die worte: „ah! quam nie hujus matro-
nae miseret ac piget" dem ursprünglichen Charakter des praetors
durchaus gemäss sind.
DRAJIAT. DKR SUSANNA IM Ui. JU. 201
Der abschied der Susanna von den ihrigen enthält zwar dem
gedanken nach auch nur ausgeführte Variationen zu den von Frischlin
kurz angeschlagenen tlienien, doch wird er eben dadurch, wenn auch
entsetzliche Weitschweifigkeit den eindruck wider abschwächt, und
durch einige wirklich treftende accente zum teil inniger und rührender.
Mehrmals wird freilich dieser eindruck auf sehr bequeme weise durch
einflechtung längerer stellen aus dem buche Hiob erreicht [s. folg. s.],
aber es findet sich doch auch eigenes gute, wie der rührende, leider
nur wider gar zu gedehnte abschied der kleinen Rebecca. Ach, liebe
Mutter, ruft das kind aus, Müsset jhr dann nun sterben? Ach ich
armes Kind , Wo wil ich nun eine Mutter wieder bekommen ? . . . Ach,
ach noch ein Püssichen, zu guter letzte, meine hertzliebe Mutter . . . und
noch „ im weg tragen rüflfet das Kindt jmmer " : Ach mein liebe Mut-
ter, Ach mein Mutter, Viel tausent guter nacht. Uubenuzt geblieben
ist in dieser sceue die charakteristische und dramatisch wirksame Par-
teinahme der knechte bei Frischlin für Susanna, die sich bis zu aus-
gelassener Verhöhnung der beiden alten steigert.
Mit versäumung des angemessenen aktschlusses lässt der dichter
jezt plötzlich, sogar mitten in der scene Daniel erscheinen. Das auf-
treten desselben, wie das IV, 5 abgehaltene gericht über die alten
hat er vielfach seiner vorläge nachgebildet — in einem punkt wider
mit ganz besonderer geschmacklosigkeit. Nahm dort an der anklage
derselben auch Sichar teil, so lässt Heinrich Julius gegen Midiau
allein nicht blos die drei bereits aufgetretenen bauern, sondern noch
zwei andere ihre klagen vorbringen, und gegen Simeon drei nur zu
diesem zweck erscheinende bäuerinnen, die ihn beschuldigen ihre töch-
ter geschändet zu haben — lezteres motiv wider eine anlehnung an
Frischlin II, 5, s. s. 191. So wird denn dieses bauernintermezzo,
dem obeneiu in diesen auftritten noch die scherze des narren zur seite
gehen, zu einer ausdehuung aufgebauscht, die nur die Wirkung hat
die haupthaudlung in zweckwidrigster weise zurückzudrängen.
Es folgt wider IV, 7 eine gedehnte befragung der richter, eine Ver-
urteilung mit sechsundzwanzigmaligem amen, die bitten der beiden greise,
ihre busse und weitläufige vermahnungsrede an die Zuschauer, in welche
[HolL s. 156] Sprüche Salomouis , kapitel V, 3 — 6 verflochten sind, end-
lich ihre Steinigung auf der bühne — alles nur ausführung der oft
wörtlich benuzten darstellung Frischlins , nur dass dieser IV, 5 mit
ästhetisch feinerem gefühl die bösewichter durch die steckenknechte zu
der execution wegführen lässt.
Während bei lezterem nun das stück mit einem kurzen gebet der
Susanna und einer danksagung an Daniel schliesst, begint Heinrich
202 - PILGER
Julius noch einen neuen akt. Nach einem monologe des so eben von
der Steinigung zurückkehrenden narren, in welchem er in lächerlicher
weise mit der hässlichkeit der beiden alten seine eigene Schönheit ver-
gleicht , spricht Susanna ein langes gebet. In ihrer wortreichen manier
holt sie wider gar zu weit aus, wenn sie anfängt: „0 Allmechtiger,
Ewiger , Barmhertziger GOtt , Ich dancke dir .... das du .... Mir
Leib vnnd Seele, vnd alle Glieder, Vernunfft, Verstand, vnd alle Sinne
gegeben hast, vnd noch bewarest." Hieran schliessen sich breitgedehnte
scenen algemeiner familieufreude , die endlich mit dem gemeinsamen
gesange des liedes von Johann Agricola: „Frölich wollen wir Alleluia
singen " ihr ende finden. Den schluss des ganzen bildet das komische
nachspiel, in welchem Clant von der Magd Helkias einen korb erhält.
Es bleibt uns noch übrig die Würdigung der spräche unseres
Stückes. Bemerkenswert ist zunächst, dass sich der Verfasser abwei-
chend von dem bis dahin im deutschen drama üblichen brauche der
prosa bedient hat. Unzweifelhaft ist diese neuerung auf das beispiel
der englischen komödianten zurückzuführen, aber auch die specielle art
wenigstens seiner hochdeutschen prosa weist augenscheinlich auf diesen
Ursprung. Diese zeichnet sich nämlich vor der gleichzeitigen durch
eine gewisse, oft freilich nur äusserliche und zu lästiger geschwätzig-
keit werdende fülle und lebendigkeit aus, ja sie müht sich sichtlich
sogar um einen schwungvolleren, pathetischen ausdruck. Beides sind
die eigentümlichkeiten der spräche in der uns erhaltenen samlung
„englischer komödien" vom jähre 1620, durch die sich dieselbe trotz
all ihrer rohheit, die nicht einmal von groben sprachverstössen ^ frei
ist, vorteilhaft von der des gleichzeitigen deutschen Schauspiels unter-
scheidet. Mit diesen momenten verwant ist anderes in den englischen
komödien, das sich gleichfals bei dem herzöge findet: der gebrauch
von fremdwörtern und ungewohnten, steif klingenden Wendungen, die
neigung zu volkstümlicher ausdrucksweise, die nachahmung oder
directe entlehnung biblischer stellen. Leztere besonders verleiht der
spräche des herzogs widerholt einen schein von kraft und eindring-
lichkeit, der ihr an sich fast gänzlich abgeht: so sind die langen
ermahnungen des Helkia an seine tochter I, 2 fast ausschliesslich,
Susannas abschied von den ihrigen IV, 4 wenigstens zum teil ein cento
aus der bibel.^
1) Verstösse gegen mir und mich finden sich z. b. G 8, H 1 2 6 7; sonst
ist mir erinnerlich: bei alle götter, durch ihr, höre niicli zu, er suchet nach mich.
2) In der ersten stelle sind ausser den geboten verwertet: Holl. s. 8 Jesus Siracli
30, 1?; 7, 26; 30, 1; s. 9 Sir. 1, 16, 13 — 34; s. 10 Sir. 23, 10; 11, 20-22, 14, 22;
s. 11 Sir.32, 19; 3, 4 5, 12-15; 7,29 — 30; s. 12 Sir. 26, 3 — 4, 17 — 18,
DRAMAT. DER SÜSANNA IM 16. JH. 203
Für die sehr geschickte anweiiduiig der dialecte, die ich in die-
sem zusammenhange sogleich mit erwähnen will , lält natürlich die
annähme des englischen Vorbildes fort. In diesen scenen trift Heinrich
Julius , so viel ich sehe ohne Vorbild , den ton des Volkes ausserordent-
lich glücklich, und selten mag im drama des IG. Jahrhunderts mit sol-
cher realistischen, freilich auch sehr derben uaturwahrheit gesprochen
worden sein. Wenn diese auftritte wirklich ganz original sind, so darf
die volständige Vertrautheit mit der rede- und denkweise des gemei-
nen mannes, ganz abgesehen von der ausserordentlichen dialectkent-
nis, die sie bekunden, bei dem fürstlichen Verfasser gradezu staunen
erregen.
Nicht zu unterschätzen ist hierbei freilich die Wirkung, welche
der dialect au und für sich auf den hochdeutschen leser ausübt. Für
diesen wird dadurcli der eindruck der frische und natürlichkeit sehr
leicht hervorgebracht, ohne dass die kunst des dichters mitzuwirken
hätte — ich erinnere an mancherlei verwaute erscheinuugen unserer
tage. Übrigens ist die anwendung der dialecte nicht eine erfindung
von Heinrich Julius, auch sie ist vermutlich nur eine nachahmung
von Frischliu, der ja bekantlich mannigfache freundliche berührungen
mit dem herzöge hatte — er dedicierte demselben z. b. den ersten
teil seiner griechisch -lateinischen grammatik^ — und dessen Schriften
ihm wol grossenteils bekant waren. Frischlin aber hatte, wol in nach-
ahmung von Aristophanes und Plautus, schon in den 1577 verfasten,
leider verlorenen Weingärtnern ein gemisch von verschiedenen sprachen
oder mundarten angewant, wie er ja auch im Julius Redivivus den
Allobrox französisch, den Caminarius italiänisch sprechen lässt.^
Fassen wir die ergebuisse unserer analyse des Stückes zusammen,
so darf wol das am anfang derselben vorausgeschickte ungünstige urteil
als erwiesen gelten. Wir fanden nicht nur in den beiden wesentlich-
sten beziehungen , der composition und der Charakteristik, eine abhän-
gigkeit von Frischliu, die vielfach jede Selbständigkeit vermissen Hess,
25, 26; 26, 9—10; s. 13 Sir. 27, 33; 28, 1 — 2; 10, 14 — 16; 11, 4; Ephes. 5, 5;
s. 14 Sir. 26, 19-22, 12 — 13; 22, 33; s. 15 Sir.5, 17 — 6, 1; 20, 26—28;
Spr. Salom. 18, 8; 19, 5; Sir. 3, 19 — 21; 7, 16; 11, 26 — 27; in der zweiten:
s. 123 Hiob 19, 25 — 27; s. 124 und 125 3, 3 — 13, 26. S. auch oben s. 201.
1) S. Strauss , Leben Frischlins 1855 s. 444.
2) Gleiclizeitig mit Frisclilin 1577 legte Omiobius niederdeutsche, teilweis aus
Claws Bur entnommene scenen in seinen Dämon und Pythias ein; thüringischer
dialect findet sich bei Hayneccius 1582, niederdeutscher ferner bei Goebel in der
Fahrt Jacobs, bei Georg Pondo in der Comoedie von der Geburt Christi 1589 [in
den hirtenscenen] und wahrscheinlich auch in andern seiner stücke. Vgl. Wacker-
uagel Litteraturgesch. 463 anni. 12 und 13.
204 PILGER
sondern — was noch viel schlimmer — wir erkanten da, wo abwei-
chungen vorgenommen waren, fast nur dm'chaus zwecklose änderungen,
die ebenso sehr grobe fahrlässigkeit und leichtfertigkeit wie einen kaum
glaublichen raangel an feinerem Verständnis dokumentierten.^ Nach der
Seite der dramatischen technik kam auf des herzogs eigene rechnung fast
nichts als einmal eine reihe plumper Verunstaltungen seines Originals
und dann das überwuchern gänzlich ungehöriger nebenwerke. In der
Zeichnung der Charaktere wie in der ausführung des einzelnen verdirbt
er sein vorbild, das er zum teil wörtlich abschreibt, gleichfals durch
eine reihe ungeschicktester änderungen. Anzuerkennen bleibt in lezterer
beziehung wesentlich imr eins, die teilweise recht gelungene ausfüh-
rung der hors d'oeuvres, der bauern- und narrenscenen , deren specielle
Würdigung, da sie mit dem übrigen stücke sehr wenig zusammenhän-
gen, einem eigenen abschnitte vorbehalten bleibt. Selbständigen wert
besizt ausserdem das stück nur in sprachlicher beziehung.
Von den bisherigen beurteilungen der Susanna von Heinrich Julius
weicht die unsrige so bedeutend ab, dass es notwendig erscheint auf
dieselben etwas näher einzugehen.
Hatte schon Wackernagel ^ an dem herzoglichen dichter im alge-
meinen eine behandlungsweise , wie sie allein den Engländern abzu-
sehen war, eine nicht kunstlose anläge, mannigfaltige und körperhafte
Charaktere gerühmt, so hob Gervinus ^ speciell an der Susanna neben
den Vorzügen der spräche die tragischen scenen und in diesen die
meuschenkentnis und das beredte spiel der leidenschaften hervor und
nante den vierten und fünften akt im vergleich zu den übrigen dramen
der zeit geradezu meisterstücke.
Ausführlicher urteilte Hermann Grimm.* Den theatralischen auf-
bau der handluug und den dramatischen gang des dialogs rühmend
sagt er: „Hierin konte Heinrich Julius niemand nachahmen, denn vor
ihm verstand es keiner so besonnen und geschickt ein werk für die
bühne einzurichten. Selbst bei dem viel geistreichern Frischlin finden
1) Noch auf eine bezeichnende kleinigkeit möchte ich hinweisen. Auch da,
wo Heinrich Julius der hauptsache nach sich Frischlin anschliesst, weicht er öfter
in einzelheiten ab und zwar zuweilen ohne jeden grund, so z. b. wenn er das Ver-
hältnis der beiden ältesten zu einander vielfach umkehrt, wenn aus dem milden
Cleophas ein unfreundlicher, parteiischer gemacht wird, wenn in den beiden gerichta-
scenen statt Siraeons zuerst Midian befragt wird. Trotzdem können diese wider-
holten abweichungen doch kaum absichtslos sein. Solte durch dergleichen etwa die
abhängigkeit von Frischlin einigermassen verdeckt werden?
2) A. a. 0. s. 463.
3) Geschichte der deutschen Dichtung 4. aufl. III, s. 119.
4) A. a. 0. s. 151.
DRAMAT. DER SUSANNA IM 16. JH. 20r)
wir stets nur coiiversation , nirgonds tlieatralisclien dialog. Bei jenem
haben die beiden sprechenden nur sich im äuge , bei diesem wird ein
dritter angenommen, welcher zuhört. (!) Eins geht aus dem andern
hervor und drängt vorwärts, die scenen haben eine spitze, der gang
der intrigue eine Spannung." Dies verdienst des herzogs erscliien
Grimm so auft'allend, dass er zu der Vermutung geleitet wurde, „es
sei vielleicht irgend jemand von den [englischen] schauspielern ihm
dabei behilflich gewesen, den compositionen jenen theatralischen anstrich
zu geben , welcher von zu grosser routine zeugt , als dass ihn Heinrich
Julius, auch beim grösten talente, ohne eine lange praktische erfah-
rung seinen stücken hätte verleihen können." Zum beweise , wie sehr
derselbe in diesen gerühmten beziehungen sich vor Frischlin und den
anderen gleichzeitigen dichtem auszeichne, greift dann der Verfasser
die ersten drei auftritte des zweiten aktes zu eingehenderer bespre-
chung heraus. Eigentümlich! Grade diese scenen stelten sich uns
als eine arge Verschlechterung von Frischlin heraus: was selbst unter
den plumpen bänden des herzogs diesen auftritten an „ besonnener und
geschickter technik, an theatralischem aufbau der handlung, an dra-
matischem gang des dialogs" verblieben war — viel war es nicht —
das, sahen wir, stamte alles fast ausnahmslos von Frischlin.
Noch weiter gieng im anschluss an Grimms Untersuchung Albert
Cohn.^ Er erklärte den plan und die gesamte construction der hand-
lung, den dramatischen fortschritt der intrigue und des dialogs in allen
stücken des herzogs und besonders in dem unsrigen für so gelungen,
die Charaktere erschienen ihm so mannigfaltig und real, dass er dem
herzöge mehr dramatisches talent zuschreibt als all seinen Vorgängern,
Zeitgenossen und unmittelbaren nachfolgern. Aber trotzdem hielt auch
er jene Vorzüge für zu bedeutend, als dass er sich dieselben ohne
annähme fremder hilfe hätte erklären können. Auch er meinte, dass
sie speciell auf die Unterstützung durch einen englischen Schauspieler
zurückzuführen seien , da ein Deutscher zu jener zeit die dazu nötige
erfahrung und einsieht überhaupt nicht hätte haben können.
Nun wir haben diesen unbekanten helfer des herzogs, der a priori
ein Engländer sein muste, in Frischlin gefunden: grade in allen jenen
gerühmten beziehungen ist Heinrich Julius nichts als der plagiator
desselben und noch dazu, wie wir gesehen, ein ebenso leichtfertiger
als ungeschickter. 2
1) Shakespeare in Germany. London 1865 s. LVI fgg.
2) Diese rücksichtslose ausbeutung eines fremden Originals, ohne angäbe
desselben, ist für das 16. Jahrhundert weniger befremdlich als für unsere zeit.
Man denke an die bekanten entlehnungen von Fischart, Vitus Garlebe, Oraichius,
206 PILGER
So ergibt sich denn schliesslich aus unserer Untersuchung über
die Susanna des herzogs das für die entwicldungsgeschichte unserer dra-
matik interessante resultat, dass abgesehen von der spräche alle wesent-
lichen fortschritte derselben, welche gegen ende des 16, Jahrhunderts
in dem bedeutendsten stücke der zeit hervortraten und allein durch
englischen einfluss erklärlich schienen, lange vorher von einem heimi-
schen dichter und zwar in ungleich höherem grade erreicht waren.
12.
Die komischen Zwischenspiele des lezten Stückes.
Widerholt haben wir bereits bei dem zulezt besprochenen Schau-
spiel der einen breiten räum einnehmenden komischen Zwischenspiele
desselben gedacht. Sie fordern zum schluss um so mehr eine gründ-
lichere beachtuug, als sie meiner ansieht nach selbständigeren wert,
als die spräche ausgenommen das ganze übrige stück besitzen und
zugleich nach algemeiner annähme den vielbesprochenen einfluss der
Engländer ganz besonders zeigen sollen.
Über den einen teil dieses Zwischenspiels, die am Schlüsse der
ersten vier akte sich findenden bauernscenen , können wir uns sehr kurz
fassen. Ihr Inhalt ist von geringer bedeutung: sie stehen mit der
handlung nur dadurch, dass sie die bosheit und Verworfenheit der bei-
den alten illustrieren, in einem gewissen zusammenhange und werden
überdies durch ihre ganz unverhältnismässige ausdehnung lästig. Wirk-
lichen wert besizt nur ihre bereits von uns gewürdigte höchst lebens-
Bachmann, Georg Lucz [s. das nähere bei Goedeke, Gengenbach s. 527, 605 und
Grnndriss s. 328, 331, 333, 335]: ein noch frappanteres beispiel liefert die hand-
schriftlich zu Cassel vorhandene komödie Speculum aistheticum, die der Casseler
arzt Johannes Rhenanus 1616 dem landgrafen Moritz als sein werk überreichte, und
aus der Höpfner in der öfter citierten abhandlung s. 40 fg. einige proben mitteilt.
Das werk ist nämlich nur eine wortgetreue Übersetzung der englischen moralität
Lingua von Anthony Brewer [s. Dodsley, Old Plays, vol. V]. — Es fand indess die
entgegengesezte auffassung von litterarischem cigentum auch damals schon ihre
Vertreter, zahlreichere, als man nach der verbreiteten ansieht, dass im 16. Jahrhun-
dert die litteratur als ein gemeingut aller betrachtet wurde, glauben solte. Wie
energisch wird z. b. Klauber von Hayueccius wegen des an seinem Almansor ver-
übten Plagiats abgefertigt! Viel bezeichnender noch ist die gewissenhaftigkeit, mit
der z. b. Andreas Calagius bei seiner Übersetzung von Prischlins Susanna, Görlitz
1604 „nicht ein einig Formular anzusehen bgcret, damit nit jrgend auch ein Verß-
lein, das eines andern, ihm entschlipte. " [Hiernach ist der Irrtum Goedekes
Grundr. s. 336 zu verbessern]. Man lese ferner die bedenken von Burkhard Waldis
hinsichtlich seiner bearbeituug des Teuerdank bei Höfer, Denkmäler niederdeutscher
Spr. III. s. XXVI, und die an „den leser" gerichteten worte von Greff vor seiner
Übersetzung des Lazarus von Sapidus, Wittenberg 1545.
DBAMAT. DEE SUSANNA IM IC. JH. 207
wahre ausführung. Dass in ihnen von englischem eintiuss nicht die
rede sein kann , bedarf wol nicht der erwähnung.
Eingehender haben wir die narrenscenen zu behandeln , also den
Charakter der Instigeu figur und zugleich ihre Stellung zu der handlung
des Stückes. Bekantlich unterscheidet sich dieselbe von der bis dahin
in Deutschland auf der bühne gewöhnlichen art nicht unerheblich, und
diese diiferenz erschien so bedeutend, dass man auch hier wie bei der
composition des stückes auf ein englisches vorbild schloss.
Im algemeinen hat sich mir auch diese ansieht nur in geringem
grade bestätigt, und wenn es wahr ist, was ein in der deutschen litte-
ratur wolbewanderter Engländer sagt, dass vier fünftel alles dessen,
was Europa im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert an populärer
und humoristischer litteratur besessen, es Deutschland zu verdanken
gehabt habe — wäre es da nicht schon an und für sich verveunderlich,
wenn wir grade für die bühnenrolle des narren das vorbild des auslän-
des nötig gehabt hätten? Um die frage zu entscheiden, gibt es, so
viel ich sehe, nur einen weg, der auffallenderweise bisher von niemand
eingeschlagen worden ist.
Wir werden nämlich zuvörderst zu untersuchen haben, welcher
art denn die rolle der komischen figur gewesen, welche von den eng-
lischen komödiauten zu uns herüber gebracht ist, dann erst wird doch
ein urteil darüber möglich sein, ob der herzog sie nachgeahmt. Zu
dieser Untersuchung bietet uns ein, wenn auch nicht volständiges, doch
wol ausreichendes raaterial die schon erwähnte samlung englischer
komödien.
Das buch enthält acht komödien und tragödien , zwei pickelhärings-
spiele und fünf englische aufzüge. In den beiden lezteren arten ist der
narr die hauptperson; von den grössern stücken finden wir ihn in vie-
ren überhaupt nicht und im Fortunat ohne vorgeschriebene rolle, so
dass nur zuweilen bemerkt ist „alhier agieret Pickelhäring." In eige-
ner rolle tritt er nur auf in drei stücken, in Esther und Haman als
Zimmermann Hans Knapkäse,^ in Sidonia und Theagenes als bauer
Cnemon, kuecht der Sidonia, in Julius und Hippolyta als Grobianus
Pickelhäring, diener von Julius.
Sein Charakter ist der eines gefrässigen, geldgierigen, über alle
beschreibung gemeinen gesellen. Er erscheint so eingebildet wie jeder
1) Dass in dem personenverzeichuis des stückes nach Hans Knapknäse noch
ein Hans aufgeführt wird, ist jedenfalls nur ein versehen des drucks. Denn offenbar
ist der in den prügelscenen des ersten und zweiten aktes erscheinende Hans derselbe,
dor als Knapkäse Zimmermann im dritten akt und am schluss als Hans Knapkäse
auftritt. Man hat in dem personenverzeichnis zu verbinden Hans Fraw.
20B PILGER
narr: er bietet trotz einem köuige „in anreden, Laurentzen, tantzen"
(G 1), spricht im gespräch mit seiner frau von sich als „unser Ehren-
vest" und „dein Herr" (L 5), rühmt seine list und seinen gelehrten
köpf — aber er ist zugleich dümmer und alberner, als es sich für
einen narren , wenigstens auf der bühne , schickt. Seine haupteigen-
schaft, seine lust an widerlichster und zugleich witzlosester obscönität
tritt nur selten gegen andere kaum weniger hässliche eigenschaften
zurück, wie in der Esther, wo der hauptreiz der narren scenen in den
widerwärtig rohen prügeleien zwischen Hans und seinem weihe um die
herschaft im hause liegen soll — ein beliebtes thema,^ das im dritten
englischen aufzug und im zweiten Pickelhäriugsspiel widerkehrt. Ver-
gebens sieht man sich in allen stücken nach irgend einem gemütlichen
zuge um, wie sie doch sonst das wesen des narren charakterisieren, ja
fast vergebens sucht man an ihm selbst nur eine spur von drolligkeit
und witz. Er versucht sich darin überhaupt nur höchst selten, am
häufigsten noch als bauer Cnemon in der Sidonia, Dann aber sind
seine spässe gröstenteils von folgender art (Z 5).
Aleke: Wenn wir aber nun Hochzeit haben gehabt, was fangen
wir darnach an, womit wollen wir uns ernehren?
Cnemon: Das will ich bald sagen, höre nur zu, ich habe einen
gantzen Hut voll Gelt.
Submisse ad spectatores: Ein Fingerhut mein ich.
Ein Weinberg , der wegt alle Jahr sieben Fuder.
Ad spectat.: Steine.
So speise ich auch alle tage 10. gericht.
Zweene Hering creutzweise vber den andern gelegt das
sein 10.
Desert^ vollauf, keine fische, mangelkern, vnnd Spritzkuchen.
Die hinter den zäune stehen.
Weniger platt und gemein erscheint der narr der englischen
komödien fast nur in folgenden wenigen scenen, die in der tat nicht
ohne komische Wirkung sind. In Julius und Hippolyta empfängt er als
liebeswerber seines herrn den auftrag LI 5 „sag und machs ihr gross
vor, wie hefftig ich in ihr verliebet .... in Summa mache den Teuffei
gross vnd zehenmal mehr, denn es ist." Dies führt er denn so aus,
dass er der Hippolyta meldet: „ich verleih ein gut Wort vor meinen
Herrn, denn er mich sehr darumb gebeten, ich sol es höher vor Ihr
1) Es findet sich auch z. b. in Ayrers König Eduard der dritte.
2) Es ist möglich, dass der druck — ich kann ihn leider jezt nicht ein-
sehen — „Defect" hat als Verdrehung von „Confect."
DRAMAT. DEE SUSANNA IM 10. JH. 200
Gii. vorbriiigeu , als es jiiimer ist." ^ Wie hier so ist noch in zwei
sceneu der Esther, in welcher er überhaupt am besten gezeichnet ist,
wenigstens ein versuch gemacht, ihn anders als durch plumpheit und
rohheit zu charakterisieren.
Hamann auf dem gipfel seiner macht will den Mardocheus hän-
gen lassen. Im Selbstgespräche darüber erblickt er sich umwendend den
Zimmermann Hans Knapkäse , der zugleich der henker ist. „Sieh Zimmer-
mann , ruft er aus , du bist gleich , als werestu geruffen." „ 0 ja, erwi-
dert jener, auf sein henkerhandwerk anspielend, ich bin ein solch wun-
derbarlich Kerl, ich kom ehe man mich rufft." Hamann: „Ich sehe
d;iss du ein wunderlicher narr mit zu bist." Hans: „Das kan wol seyn
mein Herr." Mit täppischer dreistigkeit nimt er dann das mass zu
dem galgen an Hamann selbst, und als dieser ihn mit den werten
abweist: „Gehe du alber Narr, und seume dich nicht," erwidert er
frech und Hamanns geschick voraussagend: ,,nein, ich werde mich
[nicht] seumen vor euch ein Galgen zu bawen." Aber auch diese worte
bleiben so vereinzelt, dass der henker bei Hamanns hinrichtung, was
doch so nahe lag, gar keinen bezug darauf nimt.
Am ende des stücks erscheint er noch einmal und zwar mit
seinem weibe. Obwol beide vor dem könige sich gegenseitig anklagen
wollen, treten sie doch gemütlich zusammen plaudernd ein, und er,
auf die neugierigen fragen der frau antwortend , versichert ihr : „ Fraw,
dancke du dem lieben Gott, dass du so einen verständigen und viel
erfahrenen Mann hast, der dich vnterrichten kan." Dann bringen sie
ihre anklage vor, sich gegenseitig lose hure und schelm scheltend. Als
der könig ihnen dies untersagt und sie ermahnt , einander in ehren zu
halten und anzureden mit „mein liebe Fraw, mein lieber Mann," da
wenden sie sogleich diese anrede an, und er z. b. sagt „Potz Element
wie schlug da meine liebe Fraw auff mich loß .... darumb wil ich
mich auch viellieber mit meiner lieben Frawen scheiden lassen, denn
ich bin jhr so feind wie alle der Teuffei." Als sie aber schliesslich
von einander geschieden werden sollen, klagt Hans: „0 mein lieber
Ehreuvester Herr König, solches kan ich nicht vber mein Hertze brin-
gen. 0 mein lieber Herr König, des Tages können wir vns nicht ver-
tragen, aber des Nachts so seynd wir gute Freunde."
1) Das verdrelieu und misverstehen von Worten , auf dem nach Grimm s, 159
ein grosser teil der englischen theaterspässe beruht, und woraus er u. a. die ver-
wautschaft des narren des lierzogs mit dem englischen herleitet, findet sich in der
ganzen samlung der englischen komödien nur etwa drei- oder viermal. Der witz
ist dann folgender art. Hingewiesen auf ein haus „das dort stehet" erwidert Cne-
mon in der Sidonia Cr 3: „Ich sehe kein haus, das füsse hat,"
ZEIT9CHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI. 14
210 PILGER
Diese wenigen scenen — ich habe sie absichtlich ausführlicher
erwähnt — - sind aber auch in der ganzen samlung die einzigen, in
denen der narr sich über seine gewöhnliche Sphäre erhebt: sie sind
alzu vereinzelt, um wesentlich seinen schmutzigen, witzlosen Charakter
zu modificieren.
So finden wir die komische figur in den englischen komödien,
wenn sie auch quantitativ nicht unbedeutend und zuweilen recht breit
ausgeführt ist, auf äusserst niedriger stufe — sie erhebt sich nur sel-
ten über den bajazzo der gemeinsten kunstreiterbude , dem sie durch
ihre geschicklichkeit im gesichterschneiden und in anderen körperlichen
possen sehr ähnlich war. Grade dergleichen wie auch ihr auffallendes
costüm wird ihr wol auch den besonderen beifall des grossen haufens
gewonnen haben. ^
Die rollen, zu denen der narr verwendet wird, sind vorzugsweise
die des dieners in liebesangelegenheiten , in den Pickelhäringsspielen
auch eines malträtierten oder geprelten ehemanns; einmal , überlistet
er diesen selbst. Immer also bewegt er sich auf demselben eng abge-
schlossenen gebiet , immer da , wo es sich um geschlechtliche angelegen-
heiten handelt, in deren schmutz zu wühlen ja seine haupteigenschaft
ist. Seine Verbindung mit der handhmg ist im algemeinen eine sehr
lose: in der Esther besteht sie allein darin, dass er als Zimmermann
zugleich der henker ist, im Julius wie in der Sidonia ist er diener;
in den Pickelhäringsspielen stelt er natürlich die hauptperson dar.
Häufig wurde seine rolle wie im Fortunatus offen gelassen, so
dass man sich wie in der italiänischen comödie mit blossen Improvisa-
tionen begnügte,^ oder man schob an irgend einer stelle ein beliebiges,
1) S. in des „Marktschiffs Nachen," vom jähre 1597 [bei Grimm s. 162] die
Schilderung des narren im „englischen spiel," der hier noch einen besondern
„Wursthänsel " und überdies einen „Springer" zur seite hat. Es heisst dort:
Wie der Narr drinnen, Jan genannt,
Mit Bossen war so excellent ....
Verstellt also sein Angesicht,
Dass es kein Menschen gleich mehr sieht,
Auf tölpisch Bossen ist sehr geschickt,'
Hat Schuh der keiner ihn nicht drückt;
In seinen Hosen noch einer hätt Platz,
Hatt dann einen ungeheuren Latz.
Sein Juppen ihn zum Narren macht . . .
Diese eingehende Schilderung beweist wol am besten, wie sehr grade das äussere
auftreten des englischen possonreissers einmal von dem heimischen narrencostüm
abwich und zugleich die grosse menge belustigte. Auch in den englischen komö-
dien ist von seinem „greulichen aussehen" die rede (Mm).
2) Beweis auch Hamlets woite lU, 2: „Und die bei euch den Narren spie-
len, lasst sie nicht mehr sagen, als in ihrer Rolle steht."
PRAMAT. DER SüSANNA IM Ifi. JII. 211
mit der liandlimg des Stückes in gar keinem Zusammenhang stehendes
possenspiel ein. Dass lezteres sehr häufig geschah, beweisen die eng-
lischen aufzüge , von denen man im ersten bände der samlung gleich
fünf mitteilte, und die — wie die spanischen entremeses — allein den
zweck hatten, „nach beliebung- zwischen die comödien agiret zu werden."
Fassen wir das resultat zusammen: der narr in den englischen
komödien ist ein ebenso platter und witzloser, als gemeiner gesell , ver-
wendbar fast nur da, wo es sich um liebe und eheverhältnisse in ilirer
rohesten form handelt, dann aber mit sichtlicher Vorliebe in den vor-
vordergrund gezogen. In der rolle eines dieners zuweilen einigen anteil
an der handlung nehmend, bleibt er doch in vielen fällen volständig
ausserhalb derselben.
So also war das vorbild beschaffen, dem Heinrich Julius seinen
narren nachgebildet haben soll. Stellen wir demselben den Charakter
seiner eigenen lustigen person gegenüber. Dieselbe tritt ausser im
Ungeratenen söhn in allen seinen stücken und zwar unter folgenden
namen auf: Johan Clant, Johan (Joan) Bouschet (Bouset, Bousett),
Johan Gonget.
Seine hervortretendste eigenschaft ist die, die vermeintlich klugen
damit zu necken, dass er die in herkömlichem sinne oder auch in
ungenauer, misverständlicher ausdrucksweise an ihn gerichteten werte
buchstäblich auffasst. „Warsagen vnd Wicken ist das," lehrt ihn Hel-
kia 1, 3 [s. 27] bei der erklärung des zweiten gebots, „wenn sich Leute
vnderstehen, wenn etwas gestolen, das sie den wollen nachweisen,
wohin es kommen, vnd das ist vnrecht, vnd GOttes Name wird dar-
durch mißbrauchet .... dann es geschieht mit hülff des Teuffels."
„Wel et is gut min Here," erwidert Clant, „als au wat gestolen is,
und ick salt weteu , so sal ickt au nit seggen , weil et mit dem Deuffel
thogehet, denn mit dem Deuffel mag ick nit tho donde hebben." „Es
stehet geschrieben in der Schrifft," sagt Helkia s. 28, „Wann einer
auff einen Backen geschlagen wirdt, so sol man jhm den anderen auch
zu halten." „Wel dat is gut," ruft Clant, „ick salt an au versuken,
ick sal au ein Maultasche geuen ," und da der herr ihn darauf zu mis-
handeln droht, erwidert er ihm treffend: „Auerst wat seid jey vor ein
Meister, jey secht, Man muth sich nicht wheren, und jey wilt et sül-
uest dohn." Der alte weiss darauf nichts zu erwidern als: „Du bist
ein Esel." Diese bei Clant ganz besonders beliebte art der neckerei
ist eine dem englischen narren fast gänzlich fremde und weist uns viel-
mehr auf ein ganz anderes, viel näheres vorbild, nämlich auf Till
Eulenspiegel, dessen schalkstreiche bekantlich gröstenteils auf dieser
buchstäblichen auffassung der werte der anderen beruhen.
14*
212 PILGER
In der Susanua nicht, häufig dagegen in den stücken, wo der
narr als diener auf dem markte einkaufen soll und die in anderen dialec-
ten redenden vei'käufer nicht versteht , spielt er bloss witzelnd mit den
unverstandenen worten. So erwidert Bouset in der komödie von einem
wirte oder gastgeber II, 2 s. 455 dem Schwaben Conrad auf seine
frage: „Hairsts, bist hie in der Stadt bekant?" „Wat secht ghy,
wilt ghy ein Kanne hebben?" und als jener bemerkt: „Ich glaub du
werdest mich nit verstauu." „Wat? wat wilt ghy by einTaun?" Hat
auch Eulenspiegel grade diese specielle art von wortwitzeleien nicht
geübt, 60 begegnen wir ihr doch wenigstens als einer heimischen nicht
selten in älteren deutschen spielen^ wie auch bei Hans Sachs, ^ während
wir sie in den englischen komödien wider vergeblich suchen.
Nicht selten gehen Clants neckereien, besonders in jener schon
angeführten scene der Susanna über die gewöhnlichen eulenspiegeleien
sogar hinaus und erheben sich zu wirklichem humor. So deckt er
widerholt mit seinem schlichten meuschenverstand die Widersprüche
in der einsieht der sich klug dünkendeu auf. Als Helkia die zaubere!
als teufelswerk verdamt, fragt er ihn zuerst s. 25: „Als man ein Natur
verändert in ein ander Natur, is dat ockTöuerye?" und als jener dies
bejaht, wendet er ihm ein: „Bedencket au wal, min Here, wat jey
secht, Heflft doch dat hillige Man die Moses aut eim Stock ein Schlange
gemaket, is dann dat ock ein Töuerer west." Und ganz treflicb weist
er den alten widerholt, so bei dessen erklärung des zweiten gebotes
„ du solt nicht fluchen ," auf den Widerspruch hin zwischen seiner lehre
und seinem handeln. „Nit fluken," fragt er ihn s. 23, „worumme doth
jeit dann?" und als der alte sich entschuldigt: „das habe ich so böse
nicht gemeinet, das ist aus haste geschehen," erwidert ihm der narr
mit treuherziger verschmiztheit : „Als ick ock floke, so sal ickt ock
1) So in dem Zwischenspiel des sogenanten Innsbrucker osterspiels, abgedruckt
ausser bei Mone auch in Kurz, Geschichte der deutsch. Lit. 5. aufl. I, 717 — 722.
Als die drei Marien wehklagen :
Heu quantus est noster dolor!
sagt Rubin : Waz heu , waz heu , waz heu ?
was sagit ir von hau?
Saget uns von zygner und von keszen,
des moege mir wol genesen!
In dem spiele von Rumpolt und Marecht, Keller Nachlese s. 253 [s. auch 254 und 257]
der official sprach: ipse est suspectus,
der Rumpolt sprach: Herr ich han kain spek nicht gessen.
2) Z. b. iu den fastnachtspielen ,, der Ketzermeister mit den vil Kesselsup-
pen" Nürnberger ausg. III, 3. 77. [1561] und „der schwanger Bauer mit dem Füll"
V, 353 [1579].
DIIAMAT. DER SUSANNA IM 16. JII. 213
nit böse meinen." Vgl. s. 10, 28 und 2'J, 33. Helkia weiss sich den
treffenden einwenduugen des narren gegenüber nicht anders zu helfen,
als mit einem „Halt das Maul" oder „Du hast wunderliche Tauben."
In ähnlicher weise, wenn auch nicht so witzig als in dieser scene
macht sich der narr auch in den anderen stücken des herzogs über die
kurzsichtigkeit und torheit der klugen leute lustig. So in den hahn-
reispieleu über den von der listigen frau betrogenen ehemann, oder im
abt und edelmann, wo er durch seinen gesunden menschenverstand
sogar seineu bedrängten herren rettet. Und wie hier den einfältigen
und geprelten gegenüber die klugheit, so vertritt er in der komödie
vom wirth und dem fleischhauer den betrügern gegenüber die seite der
moral.
Auch für diese beziehungen wird man sein vorbild in den eng-
lischen komödien nicht, wol aber in deutschen narren, Avie im Eulen-
spiegel wider finden, der z. b. ganz wie Bouset im abt die zum teil
sogar gleichen spitzfindigen fragen der gelehrten Prager professoren
mit schalkhafter list beantwortet.^ Zuweilen werden wir auch wol an
andere jenes gelichters erinnert, so au Markolf, der iu seinem wett-
gespräch mit Salomon des königs Weisheit und hohes selbstbewustsein
durch treffende parodien oft sehr glücklich verhöhnt.^
Wie alle narren überträgt auch Clant die iu dieser einen bezie-
hung, dass oft ,,der uarr der allerweisest ist,"^ nicht ganz unberech-
tigte einbildung auf sein ganzes wesen. Auch er rühmt widerholt , wie
er „so ein schon wol proporcionirt Man" [s. 407 vgl. 236] sei. Und
in einem langen monologe über die torheit der beiden hässlichen alten,
mit der schönen Susanna bulilen zu wollen, sagt er mit lächerlichem
selbstbewustsein s. 158, „als sie so schon weren gewest als ick, so
hedde yt syne wege gehat." In dem vergeblichen gespräche mit den
fremden bauern s. 308 kann er sich nicht genug verwundern, dass sie
ihn nicht verstehen, „vnd ick hebbe doch ein schöner sprake, als den
Herings Nasen."
Trotz seiner lust am necken und sichlustigmachen ist aber Claut,
wenn er auch sehr schadenfroh darüber lachen kann, dass sein einfäl-
tiger herr sich zum hahnrei machen lässt, und wenn er ihn auch durch
seine verstelte dummheit zuweilen in arge Verlegenheiten bringt, im
algemeinen ein durchaus gutmütiger schalk und beschränkt sich fast
durchweg anf wortneckereien. Selten — und dann in äusserst liarm-
1) S. Lappenberg, Ulenspiegel s. 17 und 39.
2) S. Hagens Narrenbuch, z. b. s. 220, 221, 239 und das Fastnachtspiel
Salomon und Markolf im zweiten bände von Kellers samlung.
8) S. Keller, Fastnachtspiele s. 674.
214 PILGER
loser weise — sezt er dieselben zur tat um. So erscheint er ein-
mal in der Susauua I, 2 mit einem schloss vor dem munde, da sein
lierr ihm zugerufen: „Tue das maul zu"; in der komödie von einem
weibe lässt er den koffer, den er seinem herrn nachtragen soll, stehen,
weil jener ihm nur befohlen: „Komm und folge mir nach." In dieser
beziehung unterscheidet er sich von Eulenspiegel, der, wenn ihm auch
Wortneckereien nicht gerade fremd sind,' im algemeinen durch sehr
handgreifliche spässe die leute in zuw^eilen recht boshafter weise
schädigt.
Schliesslich erv^ähne ich noch , dass der narr des herzogs von
obscönitäteu sich durchaus frei hält, wie sehr auch der schlüpfrige
Stoff mancher stücke dieselben nahe gelegt hätte.
Fragen wir nun, welche züge aus dem Charakter des fremden
narren hat Heinrich Julius für den seinen verwaut? ich denke, wir
haben auch nicht einen einzigen gefunden. Denn dass auch des her-
zogs narr zuweilen in seiner geschwätzigkeit eine platte bemerkung
macht, und andererseits auch Knapkäse und Cnemon einmal statt einer
obscönen eine eulenspiegelische antwort gibt , das ist so unwesent-
lich, dass es nicht in betracht kommen kann. Der gegensatz zwischen
der komischen figur des herzogs und der Engländer offenbart sich
übrigens besonders frappant in den eigenschaften , in denen sie sich
als narren am ersten berühren könten, so in der lust am essen, in der
freude am gelde. Pickelhäring ist so gefrässig, dass er die milchsuppe,
um seiner frau möglichst wenig zu lassen, mit der band isst. Auch
Bouset isst gern, aber wir erfahren das nur ganz beiläufig. Als sein
herr einst im mismut über die untreue seiner frau nicht zum essen
kommen will, weil ihm, wie er Bouset sagt, der appetit vergangen,
erwidert dieser s. 404: „Wat aw mangelt sal ick uiet weten, Auerst
vor min Person , hebb ick ein gudt appetit tho etheu." Und während
Pickelhäring sich stets mit unverschämter grobheit für jeden ausgerich-
teten auftrag seine „penunce" fordert, ist Bouset ganz seelenvergnügt,
wenn er einmal ein trinkgeld erhält und ruft dann aus: „Auer dat
Bulieren werde ick ein Ryke Man, So vel Geldt hebb ick all min dage
niet gehatt,"
So ist denn Clant in allen wesentlichen zügeu dem narren der
englischen komödien so unähnlich als möglich und hat sich uns viel-
1) Besonders als der schalk auf dem kraiilvcubetto liegt, inuss er sich dai'an
genügen lassen. S. La})j)enberg, 90. histor. Seine alte inutter fragt ihn besorgt:
,,Mein lieber sun, wa bistu krank? Ulenspiegel sprach: liebe mutter, hie zwüschen
den kisten und der wand. Acli, lieber sun, sprich mir noch zu ein süß wort.
Ulenspiegel sprach: liebe mutter, honig, das ist ein süß wort."
DRAMAT. DER SUSANNA IM 16. JH. 215
mehr, mag er auch selbst fromdtuend sieb für einen „Englisch Mann"
ausgeben s. 411, als der nahe augehörige unserer eigenen grossen nar-
rensippe entpuppt. Freilich war derselbe — und bier treffen wir wider auf
ein wirkliches verdienst des herzogs — , Avenn auch längst auf unserer
bühne heimisch, doch in so ansprechender weise dort noch nicht ver-
wertet worden. Natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass der herzog
wie die fremden namen, so vielleicht auch hier und da einen charak-
teristischen zug anderen, als den uns erhaltenen englischen komödieu
entlehnt habe, wie Gervinus dies von dem bei Heinrich Julius wie bei
Ayrer häutig vorkommenden zuge vermuthet, dass der narr, der den
auftrag des herrn nicht behalten oder misverstanden, sich mit peini-
genden fragen immer von neuem darnach erkundigt;^ höchst wahr-
scheinlich hat der herzog auch das äussere costüm von den Englän-
dern herübergenommen.
In höherem grade als in der Zeichnung der lustigen person ist
englischer einfluss bei dem herzöge darin zu constatiereu , dass dieselbe
einmal zu einer ständigen figur mit vorgeschriebener rolle wird und
zweitens eine breite ausführung erhält. Doch ist auch in diesen bezie-
hungen die fremde einwirkuug nicht zu überschätzen.
Seit Jahrhunderten war bei uns, im geistlichen wie im fastnacht-
spiel, der narr durchaus beliebt,'^ und wie seine rolle bis zum ende
des fünfzehnten Jahrhunderts vielleicht ausnahmslos eine vorgeschriebene
war, so blieb sie es auch in den meisten fällen während des sechzehn-
ten, in welchem sie sich steigenden beifalls erfreute, in der Schweiz
eines derartigen, dass schon um 1550 ein spiel ohne narren eine Sel-
tenheit war.^
1) Vgl. Gervinus, Gesch. der deutschen dicht. 4. aufl. III, s. 112.
2) S. z. b. Wackernagel a. a. o. s. 307 anm. 2 — 4 , s. 458 anm. 129. Vgl.
auch den „züchtiger" in der Wiener Susanna.
3) Den um 1540 erschienenen ,, frischen Corabißt," wider abgedruckt in Goe-
deke, Gengenbach 292 fg. begint der narr mit den worten:
Selten ein spil wirt gfangen an
Das nit auch muß ein Narren han.
In dem handschriftlich zu Bern erhaltenen Miles Christianus, nach Weller, Volks-
theater s. 97 zwischen 1550 und 1570 entstanden, sagt der narr:
wänu kein narr, har khommen war
wurd der platz halb syn bliben lär;
in einem anderen ebendort befindlichen Schauspiele gleichen namens:
es ist ein sprüchwort all gemein
das kein spiel jenen sig so klein
in dem nitt ein narr mülie syn.
Mone, Schauspiele des Mittelalters II, 413. 415, s. auch Wackernagel a. a. o. 458
anm. 130 und Weller a. a. o. s. 99 und 254.
216 PILGEE
Auch au umfangreicheren narrenrollen hatte unser drama keinen
maugel. Denn wenn auch derselbe oft nur als prologist und epilogist
auftritt, zuweilen auch nur am ende der akte mit seinen spässen
erscheint, so übernimt er doch nicht selten schon von anfang an die
rolle eines dienern oder eines hofnarren, eines boten oder des henkers.
Man denke z, b. an das breite Intermezzo der späteren osterspiele, in
denen Kubin, der knecht des salbenhändlers, eulenspiegelartig seinen
herrn und dessen kunst verspottet und zum schluss wol einmal die
frau desselben entführt. Ja selbst solche stücke, in deren handlung
der narr, ohne grade immer diese bezeichnung zu führen, eine sehr
wichtige Stellung einnimt, sind nicht selten: in dem fastnachtspiel vom
kaiser und abt ist er als müller, bei Haus Sachs mehrmals als Eulen-
spiegel eine hauptperson.
Freilich im algemeinen bleiben diese fälle nur vereinzelt; bei Hein-
rich Julius dagegen wird ihm wie bei den englischen komödianten
ein bedeutender platz eingeräumt; ja in zweien seiner stücke, im Edel-
mann und im Fleischhauer, nimt derselbe sogar, wovon wir dort ein
beispiel nicht fanden, den wesentlichsten anteil an der handlung, im
Edelmann denselben, wie der Müller in dem eben erwähnten fast-
nachtspiele.
Das facit unserer Untersuchung über die einwirkung der eng-
lischen komödie auf den narren des herzogs ergibt , dass sie viel gerin-
ger war, als man gewöhnlich angenommen. Das wesentlichste gerade
dieser figur, die Charakteristik, zeigte fast keinen dorther entlehnten
zug; nur ihre beliebtiieit war durch das fremde vorbild gewachsen, und
zugleich hatte sie einen grösseren platz als bisher erhalten.
Von heilsamen folgen war besonders der leztere umstand niclit;
denn durch den weiten umfang, zu dem in der Susanua wie in den mei-
sten anderen stücken von Heinrich Julius die rolle des narren ange-
schwollen ist, wurde sie zu einem störenden auswuchs an dem körper der
handlung zu einer zeit, als dieser selbst erst sich organisch zu gestal-
ten und zu einiger Schönheit abzurunden begann. Für das spätere
drama wurde der wachsende einfluss der Engländer in dieser beziehung
geradezu verderblich, um so mehr, als nun auch die gemeinheit und
Plumpheit der fremden komischen figur die so viel ansprechendere art
des heimischen narren zerstörte.
Doch dies führt uns über die grenzen unserer aufgäbe hinaus in
eine periode, in welcher die mit Heinrich Julius beginnenden einflüsse
fremder moderner literaturen unser drama von dem wege abdrängten,
auf dem wir es ein Jahrhundert hindurch verfolgt haben. —
ÜKAMAT. DER SÜSANNA IW lU. JH. 217
Werfen wir zum schluss noch einen flüchtigen blick auf die ent-
wickelung des deutschen dramas während dieser zeit, so weit sie uns der
fi'eilich eng begrenzte gang unserer Untersuchung erkennen liess, so sehen
wir zunächst, dass, wenn auch im algemeinen die ästhetische form erst in
zweiter linie beachtung fand, das mass dieser beachtung doch bei den
einzelnen dichtem ein höchst verschiedenes war. Neben jenen wolmeinen-
den, aber talentlosen pedanten, wie Stöckel und Schonaeus, denen die
dramatische Übung ausschliesslich dazu diente, in ihren schülern mora-
lisch-religiöse gesinnung zu fördern oder auch nur lateinische phrasen
und Sentenzen einzuprägen , fanden \vir mäuner wie Eebhun und Frisch-
liu, die mit jenem ersten zwecke in klarer erkentnis und bewustem
streben den anderen verbanden, die formenschönheit, die ihrem em-
pfänglicheren und feiner gebildeten sinn aus dem antiken drama sich
erschlossen, der heimischen dichtung zu eigen zu machen.
Und ihr erfolg war ein durchaus unverächtlicher! Wenden wir uns
vom ende des sechzehnten Jahrhundert zu dem beginn desselben zurück,
so zeigt sich uns ein fortschritt in der inneren gestaltung unseres
dramas, wie es einen ähnlichen, freilich noch ungleich bedeutenderen,
nur noch einmal zu verzeichnen gehabt, in der zweiten hälfte des vori-
gen Jahrhunderts. Einen sehr wesentlichen anteil daran hatte das latei-
nische Schauspiel , einen — der hergebrachten anschauung entgegen —
äusserst geringen Heinrich Julius und die englische komödie.
Nicht das vielfach unterschätzte schuldrama trägt die schuld,
dass diese günstige entwickelung weiterhin einen so langsamen ver-
lauf nahm, sondern das siebzehnte Jahrhundert, das die so glücklich
begonnene selbständige nachbilduug der antike mehr und mehr aufgab
und die mangelhaften nachahmungen derselben durch die verschieden-
sten modernen Völker sich zum muster nahm. Die folge dieses bekla-
genswerten Irrweges war es ja, dass die dramatische litteratur dieser
zeit — selbst durch das talent eines Gryphius vor ihrem verfalle nicht
bewahrt — mit dem untergange alles bisher errungenen in dem wüsten
chaos der Staatsaktionen und possenreissereien endigte. Erst um die
mitte des vorigen Jahrhunderts konte das deutsche drama wider, nach-
dem es in der Gottschedschen schule einen heilsamen reinigungsprocess
durchgemacht, auf die bahn zurückgeleitet werden , die es am ende des
sechzehnten, nicht ohne sie mit ehren betreten zu haben, verlassen
muste.
LUCKAU. ROBERT PILGER.
218
ZU BRUDEE HANSENS MARIENLIEDERN.
Zu den beiden bisher bekant gewordenen haudschriften der Marien-
lieder, die durch Minzloffs ausgäbe den uamen „Bruder Hansens
Marienlieder" erhalten haben, ^ ist es mir gelungen, bei gelegenheit
meiner katalogisierungsarbeiten in der königlichen landesbibliothek zu
Düsseldorf eine dritte zu entdecken, welche schon darum genauer
beschrieben zu werden verdient, weil sie in sprachlicher beziehung von
jenen ganz erheblich abweicht.
Die von mir entdeckte handschrift, die ich zum unterschiede von
der Petersburger (P) mit D bezeichnen will, bildet das lezte stück
eines in einen festen lederband gebundenen und mit einer eisernen
klammer versehenen sammelbandes in klein -quartformat, welcher jezt
das katalogszeichen C. 93 trägt. Dass derselbe aus der bibliothek des
ehemaligen unweit Wesel belegenen kreuzbrüderklosters Marienfrede
stamt, zeigt schon das auf die obere Schnittfläche eingebrante kreuz
und die beschaffenheit der einbanddeckel , besonders aber der umstand,
dass die gleiche band desselben Schreibers widerholt auch in solchen
haudschriften begegnet, die auf dem titelblatte ausdrücklich als eigen-
tum des Marienfreder konvents bezeichnet sind. Die voraufgehendeu
stücke liaben folgende titel: 1) Die passie ons heren, als sunte Bri-
gitten apenbaert is. 2) Van vierderhande oeifenynghe der zielen.
3) Die glose op dat Paternoster. 4) Eyn schoen sermoen tot den die
eyn gheistlick leuen beghynnen. 5) Eyn epistel van ghelofte gheist-
lick lüde ende van beslot. 6) Twe schoen exempel in den bueke van
den bruederen in sunte Bernards orden geheiten De illustribus viris.
7) Drie schoen sermonen van den vtersten des mynschen. Die darauf
folgenden Marienlieder sind auf zwei papier - quaternionen von je 16
quartblättern, welche beide zur hälfte zweifach durchfoliiert sind, und
zwar am oberu rande mit buchstaben, am untern mit arabischen Zif-
fern, von einer und derselben zierlichen band aus der mitte des fünf-
zehnten Jahrhunderts in der weise niedergeschrieben , dass die verse der
einzelnen Strophen ununterbrochen hinter einander laufen, und nur die
Strophen selbst durch absatz getrent sind. Die initialen der einzelnen
lieder sind kunstlos mit roter färbe eingezeichnet. Ausserdem bediente
1) Die Petersburger baudschrift , bcscbrieben und herausgegeben von Rudolf
Minzloff unter dem titel „Bruder Hansens Marienlieder aus dem vierzehnten Jahr-
hundert. Hannover 1863" und die Pariser handschrift, beschrieben von Bethmann
in Haupts Zeitschrift V, s. 419 fgg. Auf die Identität des inhaltes der beiden
handschriften hat zuerst aufmerksam gemacht Bartsch in Pfeiffers Germania XII,
s. 89.
GJäßSS, ZU ÜK. UAiSSENS MABIENLIEDERN 219
sich der abschreibe!' der roteu tarbe, um die autaugsbuchstaben der
stropheu durch einen vertikalen strich zu markieren, die verse durch
einen gleichen strich zu trennen und die durch absatz der strophen
entstandenen Kicken durch eine horizontale linie auszufüllen. Zur her-
vorhebung der akrostichen wird nicht nur durch schräge parallelstriche
auf die strophenaufänge hingewiesen, sondern die betreffenden buchsta-
ben sind ausserdem besonders auf den rand geschrieben , mit dem fusse
gegen die blattkante gekehrt. Dies gilt jedoch nur von den ersten
vier liedern. Bei den beiden leztereu fehlen die akrostichen, bei dem
grösseren teile des lezten auch die parallelstriche, die nur zum Schlüsse
mit roter färbe nachträglich hinzugefügt worden sind.
Dass wir in D nicht das original, sondern nur eine abschrift
besitzen, ist unzweifelhaft. Dies beweisen Schreibfehler wie v. 356 Jieh
dy statt hebd y und v. 1030 verste in dem statt versteindem ; lücken
für Worte, die der Schreiber in seiner vorläge nicht hat lesen können,
und die er dann später wilkürlich ausgefült hat ; endlich die auslassung
von zwei strophen vv. 2435 — 2441 und 2848 — 2854, Ebensowenig
aber bietet P das original , auch nicht in der ersten hälfte , wie Miuz-
loff a. a. 0. ö. XIII noch für möglich hält ; denn wie hätten dem Ver-
fasser sechs volle stropheu (v. 1210—1251) so unter der band ver-
schwinden können , ohne dass er etwas davon merkte ? Abgesehen von
so manchen Schreibfehlern, für welche ich auf das Variantenverzeich-
nis am Schlüsse dieser abhandlung hinweise. So handelt es sich denn
bei der grossen Verschiedenheit beider handschriften nur darum, welche
von ihnen dem originale näher gestanden haben mag.
Betrachten wir D etwas genauer, so finden wir, dass zwischen
den vier ersten und den beiden lezten liedern nicht nur jener äusser-
liche unterschied besteht, den wir bereits oben angedeutet haben, son-
dern dass sie sprachlich und metrisch einen ganz verschiedenen Cha-
rakter zeigen. Die spräche der vier ersten lieder ist fast unvermischt
niederdeutsch, oder richtiger gesagt niederländisch, da die anklänge
an den Klevischen dialekt ganz gut auf rechnung des abschreibers gesezt
werden können. Die metrische form ist nachlässig; besonders fehlt es
den vierten versen der Titurelstrophe oft an der nötigen anzahl von
hebungen. In den beiden lezten liedern tritt eine grössere Überein-
stimmung mit P hervor: dieselbe hinneigung zu hochdeutschen sprach-
formen und Orthographie, dieselbe relative regelmässigkeit im versbau.
Eine solche Ungleichheit kann nicht vom abschreiber herrühren, son-
dern sie muss in der vorläge vorhanden gewesen sein. Ob auch im
originale, ist mir sehr zweifelhaft. Dass hier zwei handschriften gegen
eine stehen, ist allerdings unwesentlich; dagegen fält die beobachtung
220 GERSS
sehr ins gewicht, class in der ersten partie von D die Umsetzung in
die niederdeutsche mundart doch nicht so radikal durchgeführt ist, dass
nicht vereinzelte hochdeutsche wortformen stehen geblieben wären. Bei-
spielsweise hat der Überarbeiter das wörtchen sam regelmässig in als
verwandelt, aber an einigen stellen aus versehen stehen gelassen. Durch
eine solche Überarbeitung lässt sich auch die Verwilderung der metri-
schen form am besten erklären. Bndlich gehören die Pariser und die
Petersburger handschrift noch dem 14. Jahrhundert an, haben also dem
originale, das nach Minzloffs richtiger bemerkung nicht vor dem lezten
viertel des 14. Jahrhunderts entstanden sein kann, zeitlich sehr nahe
gestanden, während dies von der vorläge von D wenigstens nicht fest
steht. Wahrscheinlich hat also der Schreiber unserer vorläge an dem
mischdialekte des dichters anstoss genommen und wenigstens in den
vier ersten liedern ein reines Niederdeutsch widerherzustellen versucht.
Die beiden lezten lieder dagegen, denen auch die Pariser handschrift,
so weit die mitgeteilten proben erkennen lassen, nahe komt, können
als eine getreue widergabe des Originals augesehen werden , während
die handschrift P einer noch mehr verhochdeutschten Überarbeitung
ähnlich sieht.
Um den lesern dieser Zeitschrift eine selbständige vergleichung
beider handschriften zu ermöglichen , lasse ich hier die anfangs - und
endstrophen sämtlicher sechs lieder folgen:
1. Onser vrouwen kunne (100 stropheu).
Adam onser alre vader,
Den Jiaet got selue geschaffen,
Als yr wal ivissent alle gader.
Da van moet ich een wenych claffen,
Woe dat van synen stam is gesprasen
Die Heue stiele müder,
Die ons die hemelsche porte haet onlslasen.
Nv bid ich voer se vroiuve,
Als ich haen gehcden,
Der ich vnyt gansen trouwen
Dienden myt werken en myt reden.
Die mynden ich tswaeren , des en wil ich my nyet schämen.
Der siel die heuel ich dich.
Nv vuer se in dyns Jcynds ryck. Amen.
zu BR. HANSENS MARIENLIEDERN
2. Onser vrotiwen ijrucAe (100 strophen).
Ave vil tverte suete!
Aue vil doyenriche!
Mit aue ich dich gruese,
Du iverde müeder mynnentUche,
Die al der werlt scepper wordes dragende
In dynen zarten lyue,
Doe Gabriel dit Aue dy was sagende.
■Ji. *
*
Nv help dan vroti ons beiden
To dynen tmrten hynde,
Die du haest hier gescheiden,
Dat een yegelick daer den anderen weder vynde.
Sy is dyn dyrn, ick hyn dyn armer slaue.
Ick hid, dat sy ons leste woert:
Maria mueder joncfrou altyt Aue. Amen.
3. Onser vrouwen zwanc (100 strophen).
Aller duuel dwyngeryn
Ende aller engel vrouwe!
Veruucht myn dorre dumme syn.
Als in den mey die hluemelyn van den douwe
Vyt droeger erden lustelick kommen breken,
So laet vyt dummen herten
My hondcrt lied dy to laue sprechen.
* *
*
Nv verleen my die synne,
Dat ick dyn huld möge weruen,
Want ick gern doer dyn ynynne
Dat liefste dat ich op erden haen wil deruen.
Gun ons dat wi in hemelrick beid samen
Die een den anderen lieflick weder sien.
Daer to help ons die suete mueder. Amen.
4. (Ohne Überschrift. 98 strophen.)
Aenvanc al mynre Salden,
Myns heils ende myns geluckes!
Nv en la doch nyet vekalden
Dat vuer, dat du in mynen harten druckes.
Mer laetet ryslick vaclen ende brynnen
221
222
In onlesUcker wise
Myt vuriger liefd in steder truwen mynnen.
* *
*
Noch bid ick honyngynne,
Synt ich hyn auergeuende
Doer dyn sarte niynne
Die tiefste die ick op erden weet leuende.
Ick en nuem se nyet , du kenst wal oren namen,
Dat du ons beiden helfes,
Dat wy dyns kyndes liuld verweruen. Amen.
Onser vrouwen dansch (100 strophen).
Aver wil ons glymmeren
Der lichten sonnen glesten.
Die vogel suyt men tymmeren
0er nysten hier en daer op esten.
Die somer syn getselt haet op geslagen
To wald en op den velde,
In buysch, in heyd, in anger end in hagen.
* *
*
Nv wil mych hy was geben
Mich armen broeder Hanzen
Vnd stuer also myn leben,
Das ich mach komen dort an dynen danze,
Ich vnd die alre liefste myn tzo samen,
Die ich durch dich gelasen haen.
Das gun ons durch dyn grose guete. Amen.
6. (Ohne Überschrift 100 strophen).
Aber spricht myn herts myr in,
Das ich der tsarter conygin,
Der die lichtende cherubyn
Vnd die brynnende seraphyn
Dienent vnd syn ondertaen,
Hondert liet so labe begyn.
Nv synt myn tumme tore syn
So wyt gestreuwct her vnd hyn.
Das ich der konst onwitsich byn.
Doch willich vrylich aenevaen.
Men spricht, das man 7nyt arbeit wyn
Vil etels siluers vis dem tsyn,
zu BR. HANSENS MARIENLIEDERN 223
Vnd daz men galt vy0 cuppcr l/ryn.
Ich liaef, dat my yr tzarte myn
Sal gehen stuer. vnd wilz bestaen.
Sus haeh ich aen.
* *
*
Nv dar lieb vrou dogentrych,
Synt das die drie persoen gelych
Myt dyr haent verbunden sich
In eynre vrimtschaf heymelich,
Das du ewelich suis syn tzo samen:
So helf niyr hye yn desen slych,
Daz ich com vyz des duuels strych.
Vnd of icht sta weder mich
Geschreben, lief vrou mynnentlich,
Daz wil durch dyn guet vyt plamen.
Eyn woert doch voer onz beiden sprich,
Daz die liebste myn vnd ich,
Die ich gelatzen haen durch dich,
Voer dynen kynd von hemelrich
Tzem ordel onz nyet mueten schämen.
Heer got. Amen. Amen. Amen.
Zugleicli mögen hier die in P fehlenden sechs stroplien, die
glücklicherweise in D erhalten sind, aufnähme finden.
1210 In den dat wy eens honden
Ynlich Aue gespreken
Myt rouwen onser sunden
So en mach ons geen genaed ontbreJcen
Want woe sold tuen so wenych mvgen horten
1215 Een vat, dat vol van tvaters weer,
Daer muest vmmers ychtes yet vyt störten.
Eya du reyne gehure
Du toeuluest ons armen !
Woe sachte men dy rure
1220 Myt Aue tzwaren du stortes dyn verbarmen,
Als een vat, dat mynnentlich auerlopet.
Du geues dyn genaden
Myt so gedructer maet en opgehoepet.
Heyn megdelicke mueder
1225 Ende muederliche maget!
224 GERSS
Jhesus dyn soen vil gueder
Den haet Aue dat woert so wal behaget,
Doe he dyns reynen lyffs wold hehhen mangel,
Dat Aue was die peter syn,
1230 Doe he den syrJcel machten vyt den tryangel.
Ich wold voel gern ingrauen
End prenten in myn herne
Aue die drie huecstauen,
Want wie den tau nyet en haet voer synre sterne,
1235 Die sal to yonchsten dagen syn verslagen.
Ich meyn, dat aue is die tau,
Daer van men hoert Ezechiel gewagen.
Brueder myn ende susteren!
Lact ons dan halde ylen,
1240 Want huyden dat wordt gisteren
Ende morgen dat wordt huden in horter wilen.
Die tyt geet hyn, die doet die comt her dryngen.
Lact ons nu aue to oer zaen,
Die ons myt enen word dan mach verdyngen.
1245 Vorware sy is doergaten
Mit volre haritaten;
Se is die port heslaten,
Daer doer loy alle comen to gnaden.
Daer van die selue Esechiel oech scryuet:
1250 Aue du wonderliche poerts,
Die vast heslaten altyt apen hliuet.
Eines beweises dafür, dass die Marienlieder in den Niederlanden
entstanden sind , solte es eigentlich nicht mehr bedürfen. Der dichter
nent sich selbst einen Niederländer; ein Deutscher des Niederrheins
würde sich nie so genant haben. Die polyglotte kann nur dort ent-
standen sein , wo die intimen handelsbeziehungen zu England und Frank-
reich eine kentnis beider sprachen notwendig machten. Der zoll zu
Bonn und die nobeln zu Lyon waren dem Niederländer in gleicher
weise bekant.^ Auch die spräche weist auf die Niederlande hin; aus-
drücke wie jeesten und rivier sind , so viel ich weiss , nur dort heimisch
gewesen. Dennoch sollen die momente, die sich aus der beschaffen-
heit unserer handschrift dafür ableiten lassen , nicht unerwähnt bleiben.
1) Der schätz der deutsch herren in Preusseii war sprichwörtlicli. Vgl. Script.
Rer. Pruss. II s. 84 anm. 8 und s. 169 aum. 7.
zu HR. HANSENS MARIENLIEDKRN 225
Hokantlicli ist dif aiislircituno- des kvciizbriidcrortleiis im o'aii/en auf
Frankreich und die Niederlande beschränkt «^ehlielH-n. Die wenigen
niederlassungeu am Niederrhein lehnten sich an Holland an und enipfien-
gen von dort ihr geistiges gepräge. Insbesondere war dies bei Marien-
frede der fall.' welches durch translocation des conventes aus dem
im histume Utrecht ])olegenen Städtchen Schoonhoveu im Jahre 1 i;^9
begründet worden war. So komt es, dass der gröste teil seiner manu-
scriptenschätze jener mystisch- ascetischen richtung angehört, welche
vorzugsweise in den Niederlanden zu hause war und von den regulir-
herren des Augastinerordens und den geistesverwanten brüdern des
gemeinen lebens gepHegt wurde.'
Was nun unsere handschrift betritt, so scheint diese ausserhalb
des klosters auf einer reise entstanden zu sein. Die liniirung, die der
1) Vgl. UUmaiin, liefonuiitoreii vor der Rctonnatidn II, s. M fgg und Böli-
riiiger. Die Kirche Christi und ihre Zeugen II, o s. G3G fgg. —
tlbor den kreuzträgororden gibt mir mein verelirter 1'rcund, herr prof. Jaco])i,
folgende auskunft, unter Verweisung auf P. Hijjpolyt Helyots ausführliche geschichto
aller geistlichen und weltlichen klost(^r- und ritterordcn, aus dem Französischen
ühersotzet Leipzig 1753. 4., wo bd. 2 s. ^öü — 278 in eapitel 36 unter der Über-
schrift: Von den Kreuzträgermönchen in Frankreich und den Niederlanden, in.sge-
niein die Gekreuzeteu oder vom heiligen Kreuze genant, nebst dem Leben des
P. Theodor von Celles, ihres Stifters, reichlichere Nachrichten zu finden sind:
Der ordon der kreuzträger (Crucifcri) wurde um 120l Vdii Theodor von r!el-
les gestiftet. Celles ist ein flecken im gebiete von Lütticb. Honorius III gab die
erste bestätigung; der orden veränderte aber seine gestalt, und erhielt in dieser
form bestätigung von lunocenz IV 1248. Der stamm des ordens waren einige
kanoniker. Die regulierten, d. li. mönchisch lebenden kanoniker richteten sich sehr
liäufig nach der sogenanton Augustiner-eremitenregel. Davon war der orden aus-
gegangen: er verband aber damit Dominikanersatzungen, schon vor der bestätigung
durch lunocenz IV. Sie l)estandeu vermutlich in predigt, bettel. kämpf gegen
liaeretiker, auch in verwantschaft der kleiduug. welche wenigstens späterhin auch
schwarz und weiss ist. Das unterscheidende abzeichen ist ein weiss -rotes kreuz
auf dem .skapulier. Das stammkloster ist Clair-Lieu bei Huy im sprengel von Lüt-
tich , und der dortige abt ist das haupt des ordens. Sie hatten viele und reiche
klöster in Prankreich: in Paris, Caen , Toulouse, Verger (in Anjou), Busauzois,
Vareunes, Gharuy und besonders auch in den Niederlanden und am Rheine: in Cöln,
Aachen, Lüttich, Namur, Venloo, Doorniek , Brügge, Mastricht, und in Herzogen-
buscli, einem haiiptorte zugleich der brnder d 'S gemeinsamen lebens. Die.^e wie
jene scheinen sich besonders unter 'Ten regulierten kauonikern ausgebreitet zu
haben.
Unabhängig von diesen kreiizträgern (und deshalb hier schwerlich in betracht
kommend), aber ziemlich gleichzeitig, .scheinen die krenzträger in Böhmen entstan-
den zu sein, welche rotes kreuz und stern trugen. Sie adoptierten gleichfalls die
Augustinerregel. Denn nachdem das concil von 1215 die Stiftung neuer orden ver-
boten hatte, muste man pro forma sich an eine frühere rege! halten, wozu jene
denn häufig diente. J. Z.
ZT5ITSCHR. V. DEUTSCHK PUILOLOGIE. Uli. XI. 15
226 GERSS
Schreiber bei seinen sonstigeu liandschritten uie unterlassen hat, fehlt
liier. Die beiden textrevisiouen , die erste mit roter färbe bei gelegenbeit
der Verzierung der handschrift, die andere mit schwarzer dinte, sind
nachträglich ohne mithülfe der vorläge erfolgt.^ Wenn der Schreiber die
Kicke für das unverstandene wort oudernoughe v. 1912 durch kimp in
Striae ausfüllt, so kann er die vorläge nicht mehr vor äugen gehabt
haben. Auffallend viele schmutztleckeu, besonders auf den ersten folien
der beiden quaternionen, so wie nachträglich ausgebesserte brüche in
der faitenlage deuten auf eine schlechte aufbewalirung bei einer reise.
Endlich sind die lieder nicht in den manuscriptenband eingetragen,
sondern als fertiges stück zum Schlüsse angeheftet worden. Daher ist
es gekommen , dass bei der beschneiduug einige über den rand geschrie-
bene Wörter und ein teil der foliiruugsvermerke verstümmelt worden
sind. Auf diese äussern indicieu stütze ich die Vermutung, dass ent-
weder ein prior des Marienfreder convents auf einer reise zum general-
capitel in Huy das manuscript entdeckt und eine abschritt davon für
seine klosterbibliothek zurückgebracht habe, oder, was nach dem dia-
lecte der handschrift noch wahrscheinlicher ist, dass die vorläge aus
Schoenhoven selbst stamt und dort von einem klosterbruder, sei es
beim umzuge nach Marienfrede oder bei einer späteren besuchsreise,
kopiert worden ist.
Zum Schlüsse gebe ich noch als auszug aus meiner varianten-
samlung eine anzahl von lesarten aus D, welche sich meist als offen-
bare Verbesserungen des Minzloffschen textes erweisen: v. 233 san (cor-
rectum sagen) st. sam; v. 275 die st. und; v. 329 Van Zem st. Von
dem; v. 372 herghe st. hegrJie; v. 396 hp synen voet st. U den vors;
v. 484 Mer st. An; v. 523 ontslagen st .untlaghen; v. 544 dat grote
hapen st. der grase hafc; v. 558 Doe docht om, dat hye nyet geivonnen
Jieddß; v. 623 Dat guede hoern van x^eren; v. 653 ontgeldcn st. vidglid-
den; v. 713 schcyd st. scJieyn; v. 748 vorscreuen st. wer soreven; v. 866
vrielicJc st. vulh'ch; v. 1(>36 wanden ^i. wunder ; v. 1084 siind ^i.hund;
V. 1152 War st. Nur; v. 1297 am heyn st. ymer; v. 1776 bitter st.
guter; v. 1950 gevrist st. ghebrist; v. 1964 doet eer st. tode; v. 2075
vergeten st. vergellen; v. 2185 dis nemt (viell. nim) goem st. dk min
goum; v. 2231 dwelt st. irt, v. 2238 mtmiber st. numher; v. 2256 vyt
den [?] st. hiss ein; v. 2319 vloyende st. hloyende; v. 2528 Vorivner
st. Unt waer; v. 2580 Daer st. Der; v. 2638 vroer st. hroer; v. 2702
Twaar st. Zart; v. 2722 gezyere st. geschire : v. 2819 Tru st. Im;
V. 2839 suyg st. singh; v. 2844 daer all st. der alle; v. 2845 vuedsel
1) Da die Überschriften der lieder 1. 2. 3 und 5 mit rotor farbo geschrieben
sind, so dürfen sie auf authenticität keinen anspruch machen.
zu BR. HANSENS MARIENLIEDERN 227
St. vnetsd; v. 2855 Wast st. Id;^ v. 2898 Bar st. Der; v. 2t)28 lau
st. laen; v. 2!»6:i fZ//j«r' st. dinc; v. 3003 ruUcn st. wisen; v. 3062 «7.<?o
st. aZ,4«.; V. 3152 vomiieh st.vundich; v. 3159 sicnlicken st. seeliichen;
V. 3171 doerzimcn st. durclizimcn ; v. 3173 rimen st. rimen; v, 3220
merteleren st. werfen leren; v. 3275 ?; huerdcn st. hehorden; v. 3276
matten st. natten: v 3314 Jiorni/cJc st. hornit; v. 3326 und 27 Die por-
ten stacn gelderet Tnt oriejifeti drie ende drie int noerden; v. 3355 c?/wjt
guldenre arenstengcl st. eynen gidden raren sfengel;'^ v. 3486 coiifet
st. eoiiset; v. 3488 verloiifet st. verlouset ; '"^ v. 3511 mynnen st. tneynen ;
V. 3678 f??e st. c?m; v. 3708 towr/e tsivertse st. langeswanste ; v. 3727
spreclient st. sprachent: v. 3735 aZi^-^o st. ^tt; v. 3745 vertsuch st. voer-
swi ; V. 3773 vyentUeh st. vrientliich; v. 3837 Lypert st. Zupert; v. 3966
r;r?7)/>f st. ^n'&; v. 3975 diephen st. diesen; v. 3996 i^.so st. sw; v. 4012
onaiihers st. tm.s uhers ; v. 4017 m^if st. ww; v. 4123 ^e /iow/" st. zehouf;
V. 4140 sidlcn st. seien; v. 4145 Vernement st. Ferw^ w<ewf,- v. 4162
w^/^ st. wii^; V. 4178 /f^ eynen st. meynen; v. 4193 nydersehymp) st. m?
fZe;- scimph; v. 4279 sivoen [?J st. .soo>^; v. 4362 verhardet st. verhad-
det; V. 4408 .sc/m7/ st. soZ^; v. 4419 (jenendich st. gevendich; v. 4431
velscJicr st. v eist er ; v. 4505 gelierte st. gehertc; v. 4564 '»^?/^ st. wm^,-
V. 4620 crcclüich st. krestlych ; v. 4684 aZ 5o tvrihen st. Buwriben;
V. 4703 if^er st. ^i^rir; v. 4705 Foe>- ^öcsZJ st. TFc/- 6e.s^,- v. 4709 i^^tt^e?/
(jfcw (correctimi legen) st. siveygen; v. 4726 ^JW'^'^ e^^ ^'«^ st. punden
hat; V. 4733 &oc st. /ioc; v. 4770 w_?/e st. me; v. 4816 ä/ cZoc st. Doe;
V. 4823 «(^eer Zier renwat. st. wer^ herren walt; v. 483(i Z//^ st. Z/iZ>;
V. 4839 wer eer st. meere; v. 4846 adamanten st. aechmanten; v. 4881
Sprech st. sprach; v. 4954 Drt^ rZan st Der rZa«; v. 5000 vc/sZ st.
?^;asZ; V. 5011 ^/ei^ st. Zwe^,- v. 5031 rZ«Z st. keyn; v. 5068 f«sZ st. tvast
und hemueren st. hemoeten; v. 5104 TZer sceriacker st. Her scher iackcr ; ^
V. 5117 honerdich st. hoividich.
HANNOVER. FR. GERSS.
1) Die aufaiigswörtor der stro|)lien in abschnitt 1 (.Marien staat) geben das
akrosticlion: Ave Maria gracia plena dominus tecura benedieta tu in mulieribus et
bencdictus fructus ventris tui Jhcsus Cristus Amen: daraus folgt mit zweifelloser
notwendigkeit, dass v, 2855 mit Ifif beginnen muss, und dass mithin ]\''afit nur
ein Schreibfehler sein kann. J. Z.
2) Apoc. 21, 15: Et qui loquebatur raecum , habebat mensurani arnndineam
auream, ut metiretur civitateni , et portas ejus et murum etc. Z. Z.
3) L. kiuffet : iterliuset. J. Z.
4) Ich vermute, es sei in dieser von der kürze des lebens liandelndnn stroplie,
V. 5101 fgg. zu lesen: Mich duiict vii fiicherllchen dnz.
wie der äöf f/ar grözeii ivia
15='^
228
REMINISCENZEN AUS GOTFRTEDS TRISTAN.
W. Wackernagel bemerkt in seiner litteraturgeschichte , flass
mancher untergeordnete dichter des mittelalters gedanken imd werte
aus öotfrieds „Tristan" entlehnt habe, verweist aber nur namentlich
auf den dichter des schwankes ,. Aristoteles und Phyllis." ' Ich bin
nun in dei" läge noch zwei dichter untergeordneten ranges diesbezüg-
lich nennen zu können, nemlich den Fleier, den Verfasser des ,, Me-
ier an z" und Johann von Wirzburg, den dichter des „Wilhelm
von Österreich. Als ich mich im verflossenen semester eingehender
mit Melerauz beschäftigte, fielen mir bei der lectüre öfters verse und
gedanken auf, die ich schon einmal im Tristan des Gotfried von Strass-
burg gelesen zu haben glaubte. Ich verglich einzelne episoden genauer
mit Tristan und überzeugte mich dabei, dass Fleier inhaltlich und for-
mell den Gotfried stark benüzt, dass er ganze episoden aus Tristan
entlelint und in seiner manier verarbeitet widergegeben habe.
So z. b. erinnert die entwicklung des liebesverhältnisses zwischen
dem jungen Meleranz und der schönen Tydomie unwillkürlich an Riva-
lin und Blanscheflur; namentlich sind die beratungen der „Tydomie"
mit ihrer weisen „meisterinne" und ihre liebesklagen fast ganz getreu
aus Tristan copiert.^
Ja nicht blos inhaltlich ähneln sich diese episoden im Meleranz
und Tristan, auch geradezu völlig gleiche verse kommen vor, die im
Meleranz offenbar ans Tristan entlehnt sind.
rischlich über reit und aclcer
her scher jacker.
un<l zu nbersetzpii : micli dünkt nun sicherlich das,
wie der tod gar grossen sclirittcs
rasch über feld und acker
liierher bald jackere.
Eruder Hans hat eine sucht, sein gedieht mit seltenen reimen und ausdrütken bunt-
scheckig aufzuputzen. So reimt er in dieser strophe rJaclcer : ivaclcer : acker : jncker.
Ein von jruien gebihletes frequentativum jockern ist in der bedeutung ,, schnell rei-
ten, schnell faiiren" nach Vilmar (Idiotikon von Kurhessen. Marburg und Leipzig
18ß8 s. 181) in ganz Hessen iiblich. Belege für hoch- und niederdeutsches jacher n
nw\ jachiern = eilend, schnaufend, lärmend herumlaufen, bringt Heine in Grimms
wörterbucho 4, 2, 211)9. Lübben im mittelniederdeutsclien wörterbuche 2, 39ü ver-
zeichnet und belegt nur jachtern = wild umherspringen, einander jagen. — scher
(schere, schir) ist niederdeutsche form für mhd. schiere = bald. .T. Z.
1) Litteraturgeschichte s. 200 anm. 17.
2) Man vgl. Tristan. Massmann 15, 15 — 40, 30 und Meleranz von K. Bartsch
von V. 420 — 1917.
STUÜBL, KEJIINHCENZI'.N AUS TKISTAN 229
Ich will die uull'allendstuii hier zusamineiistellen:
Meleranz v. 1713 fg.: loiß ist mir von im gescliehcn?
nü hän ich mangcn man gesehen.
Tristan 26, 2:5 fg.: ivie unde was ist mir geschehen?
ich hän doch manegen man gesehen.
Mel. V. 7Ü7 : er herte um und ivolde dan.
Trist. 24, 2.") : sus neig er ir und ivolte dann.
Mel. V. 808 : swaz ir weit, das tuon ich.
Trist. 21, 1.^: sivas ir gebietet, das tuon ich.
Mel. V. 8!)2: /;• clärer Up, ir säesiu Jugent,
und V. 39 '.)8: iur Märer li2> , hir süesiu jugent.
Tivist. oO, 31 : .s7» seJioencr l^p ^ sin süesiu jugent.
Mel. V. 1828: das mir ist in min herze komen.
Trist. 28, 32 : das ist mir an mm herse komen.
Mel. V. 1753: so waer ich immer mere frb.
Trist. :>9, 3(»: so ne ivirde ich niemer mere frö.
Mel. V. 838 fgg. : Venus sunt in an der stunt
mit ir heisen vackel an.
herse und Up ime hran
von der minne glüefe.
Trist. 25, 9 fgg.: do kom diu rehte minne,
diu iväre viuraerinne
und sties ir seneviuwer an,
das viur, da von sin herse enbran,
das sinem lihe sä sestunt usw.
Mel. V. 1219 fg.: so wart er bleich und dar nach rot,
als im ir minne gebot.
Trist. oUO, 5 fg. : si wurden rot unde bleich,
als es diu minne in tinder streich.
Mel. V. 303 fg.: got x^lege iur, ich ivil hinnen varn.
juncherre, got mües iuch bewarn.
Trist. 37, 23 fg.: ich sol und muos sc lande varn.
iuch schoene müese got beivarn!
Ferner z.eigt die jagdscene im Meleranz auftallende ähnlichkeit
mit der jagdscene im Tristan. ' Auch liier liat Fleier widerum Got-
fricdsche verse entlelmt, so z. b. :
1) Vgl. Meleranz v. 1928 — 2252 uud Tristan v. 70. 39 — 86. 19.
230 STROBL
Mel. V. 1931 fg.: got grüese iucli, herre und meister min.
möht das in iuwern hulden sin.
Trist. 72, 24 fg.: .... lieber meister min
sol ez mit iuren Imlden sin.
Mel. V. 1979 u. 2249: von 'welchem lande er waere.
Trist. 79, 6: von tvelhem lande er waere.
Mel. V. 2093: lie den hirz ze hile stän.
Trist. 71, 7: und stuont aldä ze hUe.
Andere aus Tristan geüommeue verse sind z. b.:
Mel. V. 1878: yehaht iuch tvol und weset frö.
Trist. 60, 11: geliahet iuch tvol und sU vrö.
Mel. Y. 1220: als im ir minne gebot.
Trist. 85, 13: als ez diu minne gebot.
Als anklänge an Gotfriedsche verse köute man anführen:
Mel. V. 404 : anderthalj) den berc ze tal.
Trist. 66, 14: den kerte er anderthalp ze tal.
Mel. V. 373 fg.: nu begund er umb und umbe sehen,
ob er iendert sach erbüwen laut.
Trist. 65, 'o ig.: und sehen
ob deheiner slahte bü hie st.
Mel. V. 876: des nam diu tnaget touyen war.
Trist. 298, 8 : und nam sin tougenliche ivar.
Anschliessend an diese entlehuungen Fleiers in seinem „Meleranz"
will ich noch einige stellen aus „Wilhelm von Österreich" von Johann
von Wirzburg eitleren, die in bezug auf Inhalt völlig mit stellen im
Tristan übereinstimmen, hie und da auch formell so viel ähnlichkeit
zeigen, dass man eine uachahmung wol mit fug annehmen kann, z. b.:
V. 7362 fgg. (Stuttgarter hs.):
Wer ze liebe gewan ie sin,
der hoert von liebe gerne sagen
und liep gein liebe sich er klagen. 56 d.
Trist. 5, 1 fg, : der edele senedaere
der minnct senediu maerc.
und 6, 25 fg. : da man von herzeliebe saget
und herzeleit üz liebe klaget.
KEMlNlSCIiNZT'^N AU? TRISTAN Ü31
Ferner v. 2()'JH fgg. (Stiittg. lis.):
vil manic ritter schänden bar
lau ^''^ '^'^'^'' tthtsehenden tag.
fruo vor Twingen vor dem hag
in des Hellten meien sier.
durch die hluonien die rivier
rüschten unde Mimgen.
diu Ideinen vogelUn sitngcn
richUchen in der schouwe.
auch was der plan mit touwe
hegos.zen und die hluomen surf,
därumhe manc geselle wart
zerspant und Mitten sldenin.
gesteine und, hluomen widerschin
gäben dem liehteii golde. 16 d.
Man vergleiche mit diesen versen Tristan 15, 16 — 1<>, 26 und
424, 8 — 20.
Auch folgende stelle, worin Johann von Wirzburg dem Gottried
lob spendet, klingt stark an Tristan au:
V. is:)8 fgg (StutLg. htf.):
0 we zarter me ister Mär
genant der Sträsburgaere,
Gotfrit ein guot tihtaere,
haete ich die sinne din,
biz [daz] ich der frouwen min
Seite danc an dirre stunt. \ ö b.
Man vergleiche damit Tristans Schwcrtleite l i6, 40 — 122, 20.
Die einleitung (Wiener lis.) v. 51 fgg.:
ez ist zweier hande Hute
als ich mit rede betiute.
den einen, den sint tagende fri
und nement keiner tagende war.
die tugentricJien bietent dar
ir ören, da man von tagende list,
mit tugenthaftcr rede in ist
sanfte gar und sint ir holt.
232 WOESTE, BEITRAGE AUS DEM NIEDERDEUTSCHEN
mahnt an den scliluss der betvaohtung , mit welcher Gotfried von Strass-
biirg seine eizählnng von Tristan eröfuet nnd worin er das Verhältnis
des dichters znr leseweit und zur kritik berührt. Mau vergleiche Tri-
stan 8, 1 — 5.
INNSBRUCK. MARTIN STROBL.
BEITKÄGE AUS DEM NIEDEKDEUTSCHEN.
Hoderen, utvodere.
Wenn es vier bb. d. könige s. 21 heisst: de de vtvodere vnse
vedere, so kann vtvodere nur aus utvorede (ausführte) entstelt oder ver-
schrieben sein. Die berufung auf diese stelle in der anm. zu s. 19,
als sei voderen eine andere form für voren (führen) , ist also verfehlt.
Was aber die stelle he vlesekede se aik to li öderen s. 19 betritt, so
ist es zunächt ganz unglaublich, dass man irgendwo huderen im Itoren
(hören) gesagt habe. Wer vodere für voredc schrieb, konte auch köde-
ren \vlX hörende schreiben, mag imuieiimi he vlesekede se (schmeichelte
ihnen) sik to hörende (dass sie ihri hörten = dass sie ihm gehorchten)
syntaktisch autfällig' und als Übersetzung von ille enini dissinmlcÜHÜ se
audiri seltsam sein.
Wrad, 1.
Das unter selierne angeführte weistum von 1409 enthält auch:
ok suchten sey , wan eync vulle mast were, so plege dey torait ivol
to llggene to Redynchusen (heute: Renysen), d. h. bei voller mast
pflege die scli vveineherde ihre stegft (pferche) in Eediuchusen zu
erlialten. Das seltene wnid für schweineherde begegnet ausserdem noch
in einem jüngeren südwestf. weistume (Selb. qu. 1, 112): sdyen, duf
ein holdtfiirste förster .... to dero tvraedt in diese marckh, als ein
eckher were, X, XX, XXX auch mehr of myn, darnach dat eckher
in dero marckh were , 2ue (fetrieffeu halte. Da die erstgenante Urkunde
auch ailden füi' alden bietet, so darf man wol in dem ai und ae unor-
ganische dehnung eines ursprünglich kurzen a, grade wie in dem so
häufigen staid (stadt) annehmen. Man vergleiche daher got. vripus,
ags. vräd, südschwed. tvrath und dän. vraad, von welchen die beiden
lezten eine herde von 12 stück Schweinen bezeichnen, s. Gr. gram. 3, 475.
ISERLOHN. F. WOESTE.
233
Zur eriniicr u uu;' ;ui Friedricl» Luchvig- Karl Weig'uiul. Ein lubciis bil J,
Von dr. Otto UiiuliMvald , VL'al 1 e lirer. Giesscii . J. Kickcrsi-lR' budilumdluiig.
1879. 112 s. 8. 2 in.
Schon ein jähr und mehr ist verllosscu . seitdoui am 30. juni 1878 Fric-
dric'li Ludwig- Karl Wcigand nach lang'cni an arbeit wie an wissenscliaf't-
licliom ertrage reichem leben seine äugen sciilos.s. Die tätigkeit des entsi hlafeueu
war mannigfach, gipfelte aber für die Wissenschaft in seiner arbeit am deutschen
Wörterbuch: Weigand hat ein vortrefliches wörterbucli der deutschen synu-
nymen und ein nocli vortrcflichcres algemeines deutsches Wörterbuch verfasst
und sich als berufener fortsetz er des Grimmschen Wörterbuches hohe
und von niemand bezweifelte Verdienste erworben. Allen freunden und Verehrern
Weigauds und der Weigandschen bücher hat hr. dr. Bindewald durch sein als bei-
gäbe des Programms der realschule zu Gie.^seii erschieneiies lebcnsbild des verewig-
ten eine erfreuende gäbe geboten, und der zweifei des hm. Verfassers, ob wol die
aus dem leben Weigands mehrfach eingestreuten persönlichen züge aucli für den
weiteren leserkrois derjenigen interessant sein möchten, die dem entschlafenen per-
sönlich fremd gewesen sind, scheint mir völlig unbegründet. Wer den iorschungen
auf dem gebiete der deutsch! n spräche mit aufmerksamkiit und Verständnis gefolgt
ist, hat sich uhn.'hin ülier die wissenscliaftlichc bedeutuug Weigands ein urteil
gebildet, aber das viele persönliche kann man sich nicht so leicht hinzudenken ;
mau ist daher für alle s(dche das biUl des mannes schärfer zeichnenden und bele-
benden Züge reclit dankbar, und wenn der herr Verfasser, der Weigands schüler
als Student war und später zehn jähre unter Weigands directorat au der realschule
zu Giesseu gearbeitet hat, uns noch mehr erinnerungeu aus dem äusseren leben
jenes gegeben hätte, wir würden ihm sicherlich nicht gegrollt haben. Doch auch
schon das gebotene ist viel, und in erwäguug dass die arbeit schnell gemacht wer-
den muste, um schon dem osterprogramm von 1879 beigegeben zu werden, können
wir uns billig über die reiihhaltigkeit und ausführlichkeit der mitteilungen wun-
dern und danken doppelt für die so zeitige gäbe.
Nach einleitenden bemerkungen behandelt der herr Verfasser von s. 6 — 31
Jugendzeit und leltrjahre, von s. 31 — ü das reallehramt, von s. M — 92
den gerraanisten, akademischen lehr er und lexicographeu, s. 95— 110
folgt ein verzciclmis von Weigands kleineren anfsätzen und recensionen und endlich
s. 111 112 ein von Weigand im jähre 1824 bei seinem abgange vom seminar zu
IMedberg verfasstes abschiedslied.
Es soll dem Verfasser der lebenslauf Weigands niclit nacherzählt werden,
nur einige dahin gehende angaben mögen hier platz linden. Geboren am 18. nuv.
1804 in der Wetterau, bezieht der junge Weigand nach unregelmässiger und mehr-
fach, zumal durch den tod des vaters 1818, unterbrochener Vorbildung im jähre
1821 das schullehrerseminar zu Friedberg, weilt dann öVs jfihre vom herbst 1824 bis
in den aufang 1830 als hauslehrer bei dem preussischen generalmajor v. Müifling in
Mainz, wird im mai d. j. nach einer nuituritätspriifung als stud. theol. in Giessen
inscribiert, nimt nach ablauf dos trienniums wider eine hauslehrerstelle in Nidda
an, wird Michaelis 1834 an die realsclmle zu Michelstadt im Odenwald und zum
1. april 1837 an die realschule zu Giesseu berufen , der er bis zum jähre 1855 als
lehrer, dann bis 1857 als provisorischer und endlich von 1857 — 1867 als wirklicher
director angehört hat. Inzwischen hatte er bei der |iliilos. faeullid der Universität
234 GOMBKRT, ÜBER BIN DEWALD , WEIGAND
Giesson die vuiiia k-gcndi erlangt und begann im souimer 1849 seine tätigkeit als
privatdocent, wurde 1851 ausserordentlicher und endlich 1867 ordentlicher profes-
sor unter gleichzeitiger enthebung von seiner directorstelle.
Wie nun Weigands wissenschaftliche tätigkeit schon in Mainz mit bescheide-
ner samlung wetterauischer ausdrücke begint, wie er dann durch die bekantschaft
mit Erasmus AJbers Wörterbuch und später mit den arbeiten Grimms und Schmel-
lers mehr und mehr zu hingebender erforschutig der deutschen spräche gezogen
wird, wie in Giessen der damalige professor Fr. Jac. Schmitthenner einen weitgrei-
fenden einfluss auf seine studien gowint, wird am besten in Bindewalds ausführ-
licher mit mancherlei persönlichen mitteilungon durchÜoehtener darstellung nach-
gelesen.
Weigands erstes zusammenhängendes werk ist eine Kurze deutsche
Sprachlehre für real-, bürger- und Volksschulen, Mainz 1838; es folgt
von 1840 — 1843 das Wörterbuch der deutschen synonymen (zweite auliage
1852). Seit 1844 beschäftigt ihn der gedanke, ein kleines deutsches Wörterbuch
herauszugeben, und zugleich sammelt er als „einer der fleissigsten der fleissigen"
für das in Vorbereitung begriffene grosse Wörterbuch der brüder Grimm (s. J. Grimms
vorrede zum 1. bände sp. LXVI). Im jähre 1852 maclit ihm J. Ricker in Giessen,
in dessen verlag das 1834 in erster und 1837 in zweiter aufläge erschienene kurze
deutsche Wörterbuch F, J. Schmitthenners übergegangen war, den verschlag, das
buch aufs neue herauszugeben. Weigand geht auf den Vorschlag ein, arbeitet aber
Schmitthenners buch so volständig um, dass das werk schon in den ersten liefe-
rungen als seine eigene arbeit erscheint und als solche von den berufensten beur-
teilern, J. Grimm und W. Wackernagel, erkant und bezeiclmet wird. Doch das werk
rückte langsam vor, zumal da Weigand nicht bloss fortfuhr reichliche beitrage zum
Grimmschen wörterbuche zu spenden, sondern auch nach J. Grimms tode im jähre
1863 mit Eud. Hildebrand zur selbständigen fortsetzuug jenes grösseren Unternehmens
gewonnen wurde. So wird das eigene werk erst im jähre 1871 nach fast neunzehn-
jähriger arbeit fertig, ersclieint dann aber schnell 1873 — 76 in zweiter und 1878
in dritter aufläge. Mit recht bezeichnet Bindewald dies zweibändige deutsche Wör-
terbuch als die eigentliche hauptleistung Weigands , und erteilt dem werke das wol-
verdiente lob der genauigkeit , gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit. Es ist über-
flüssig zur kenzeichnung von Weigands wörterbuche weitläufiger zu werden: das
werk ist als vortreüich und in seiner art einzig dastehend anerkant, und doch, wie
man sich gelegentlich auch im kreise von studierten lehrern überzeugen kann , immer
noch nicht algemein genug bekant und beiiuzt.' Mit einer kurzen Würdigung Wei-
1) Die beiden Wörterbücher von Weigaud, das ,,W ort er buch der deut-
schen Synonymen" und das ,, Deutsche Wörterbuch'' sind entschieden die
besten in ihrer art, mit vorzüglicher sachkentnis und mit grosser Sorgfalt und emsig-
stem fleisse «ie.irbeitet. Beide sind namentlich für den lehrer an höheren schu-
len ganz unentbehrlich iind selten in keiner schulb ibliothek fehlen.
Dass sie leider weit weniger bekant und verbreitet sind als sie verdienen, ist wol zum
guten, ja vielleicht zum grösten teil schuld ihrer Verleger, die in verkennung ihres
eigenen Vorteiles den ladenjireis derselben zu hoch äugest zt haben , nicht zu hoch zwar
im Verhältnis zu ihrem wissenschaftlichen werte , wol aber im Verhältnis zu der allge-
meinen absatzfähigkeit und insonderheit zu der in schulkreisen ; leztere rücksicht aber
muss für den Verleger als geschättsmann die massgehcndu für seine berechnung sein.
Die zweite aufläge des Synonymenwörterbuches ist übrigens nur eine titelaullage. Isur
BAKTIIOLOMAE, ÜBER PAUL, VÜCALISMÜS
235
gandü auf ilem feUlu der doiitschuu sprachfürsclmiiL;' .schlicsat Biudcvvald sciuo ver-
dienstliche und von dem Lauche der pielät wolUuaul (lurchwehtc schrift, und wir
danken noch einmal für die ansprechende gäbe.
GROSS - STRELITZ IN OBEBSCHLESIEN. GOMBERT.
H. Paul, Untersuchungen über den ujermau i.sclien vocalisnius. 425 s.
b. Halle, 1879. Niemeyer. lU ni.
Zwei in den beitragen zur geschichte der deutschen spräche bd. IV und VI
erschienene abhandlungen bilden den Inhalt dieses buehs, nämlich
I. Die vocale der floxions- und abloitungssilben der ältesten
germanischeu dialecte, s. 1 — 162;
IL Zur geschichte des germanischen vocalismus, s. 1G5 — 420.
Die erste der beiden abhandlungen geht aus von der betrachtung derjenigen
laugen vocale, welche im urgeruiauischeu nach Wirkung des vokalischeu auslauts-
gesetzes als längen erhalten blieben und untersucht der reihe nach die urger-
manischen vocale: 1) auslautend ö = got. ö, altnord. a, westgerm. ö, a (s. 23 —
45) ; 2) ö in auslautender silbc vor consouant = got, , westgerm. , altnord. ö und
ü, lezteres vor n (s. 57 — 63); 3) die diphthonge ai und aa (s. 63 — 86); 4) i
(s, 111 — 138); daran schliesst sich noch eine betrachtung der Schicksale, welche
urgerm. e und a in den dialecten erlitteu (s. 46 — 57, 86 — 111, 138 — 162).
Die zweite abhandlung untersucht zunächst die brechungsverbältnisse im alt-
nord. {eq, jq älter als ea , ja) nnd angels. (vornemlich «?) s. 181 — 240, sodann das
Verhältnis von e zu ^ in Wurzelsilben (e vor n -\- cons. ist schon im gemein-
germanischen zu i geworden), sowie die Umgestaltung, welche die urgerm.
diphthonge eo , ea, eu, oa im althochd. und attsächs. erfuhren {e und o als erste
componeuten eines diphthougen werden i und u) s. 240 — 252. Es folgt
ferner eine besprechung der angelsäehs. diphthonge eo und ea, endlich der altnord.
langen vocale und diphthonge (s. 272). Den kern der zweiten abhandlung bildet
eine erschöpfende darstellung der germanischen vocale in ihrem Verhältnis zu den
indogermanischen, welche den ganzen übrigen teil des buches eiunimt. Dieser
abschnitt ist nicht nur lür den germanisten, sondern ebenso für den linguisten
von herworragendem Interesse. Mit Osthoii' und Brugman vindiciert Paul der indo-
germ. ursprache zwei «-laute, von denen sich jeder in dreifacher weise spal-
einige blätter sind unter Verbesserung der druckfehler durch cartons ersezt, und ein
neues reichlicheres quellenverzeichnis ist hinzugefügt, das druckfehlerverzeichnis dage-
gen (auch für die nicht durch corrigierte cartons ersczten blätter) ist weggelassen. —
Sehr zu wünschen wäre , dass unsere höchsten unterrichtsbehörden nicht nur dann und
wann dies oder jenes einzelne buch durch circular zur auschaffung für die schulbiblio-
theken empföhlen, sondern dass sie alljährlich ein- oder lieber zweimal ein gedrucktes
Verzeichnis derjenigen neuerschienenen werke veröffentlichten, deren anschafifung für die
Schulbibliotheken wiinsohenswert erscheint, und dass auch den schulräten ausdrücklich
zur iJÜicht gemacht würde , bei den scbulrevisionen stand und Verwaltung der schul-
bibliothek zu prüfen und für deren beste forderung unausgesezt aufs förderlichste zu
sorgen. Denn sollen sich die lehrcr wissenschaftlich gesund und kräftig und loistuiigs-
frisch erhalten, was für das gedeihen der schule unbedingt notwendig ist, so niuss
ihnen eine gute, nach umfang und Inhalt reichlich bemessene und gediegene schul-
bibliothek zu fruchtbarur benutzung dargeboten werden. J. Z.
236 BARTHOLOMAE
tute: in eine atiirke, mittlere und sclnviiclio stufe. Auf lezterer, der scliwa-
eheu stufe stehen alle tieftonigen «ilben , alle silben, welche vur oder hinter
einer nebentonigen stehen; der vocal fällt aus. Die mittlere stufe hat den
neben-, die starke den hauptton. Diese ursprüngliche dreihcit war frühcrhin
in der Üexion meist vorhanden, sie wurde aher schon sehr früh, ziam teil schon in
indogermanischer zeit durch ausgleichung verwischt. Die reguläre Vertretung der
indogermanischen vocale im germanischen ist die folgende:
Erste reihe («.2 = griech. u, a^ = griech. t).
St. st. ((.2 = germ. u: gab, band, staig , guut.
Mittl. st. Ui = germ. a) iu ursprünglich betonter silbe e (got. i): glba, steiga,
giuta, nima.
b) in indogerm. unbetonter silbe e, vor nasal und liquida {r, l, n, in) 0
(got. u): gibans, gifts; numans. haurrms.
Schw. st. Der vocal hei aus ; so z. b. in liutu gegenüber lat. gemo (mittl. st.)
und griech. yöru (st. st.). In diesen und ähnlichen fällen gieng die silbe
überhaupt verloren; dagegen blieb sie erhalten:
a) wenn der vocal a von i, j , k,, v begleitet war; aus cd, ja wurde dann i,
aus an, oa u: atigaas zu steiga und ■';taig , gntans zu giuta und gaiit.
b) wenn der vocal a von n, m, r, l begleitet war; in diesem falle wurde
n, m, r, l nach dem schwund des a sonantisch, im germanischen aber ent-
wickelt sich aus diesen sonanten: un, um, ur, ul, resp. nu, {mv), rii, , lu,
'£. h. got. svummun , bundun, tmurpun, huljjun, altu. truda; ahd.
fliihtmi.
Zweite reihe (^4^, = griech. f7, i] , A^ == griech. «).
St. st. A^ = a) in offner silbe ö : för, taitoh.
b) in geschlossner silbe und im diphthongeu a: haihald, huihait, aiauk.
Mittl. st. Ai = a: farans , halda, haldan, auka.
Schw. st. Der vocal fällt aus : im übrigen ist alles wie bei der ersten reihe.
Beim verbum ist die schwache stufe zu gunsten der mittlem aufgegeben.
Sie findet sich in ahd. scidön, inhd. stutz zu stoseii; ahd. fart zu faran,
ahd. snlza zu salz.
Durch diese auf s. 272 fg. gegebene darstellung berichtigt sich Pauls früliere,
gegen Brugman autgesteltc behauptung (s. 89), die sclieiduug in tt^, «j usw. beruhe
nicht, wie Brugmann meine, auf dem accent, sondern auf dem eintiuss von nach-
barlauten. Auch für die /- und ((.-stamme, deren vocalerscheiniingen den Verfas-
ser vornehmlich zu dieser annähme verleiteten, lässt sich, in einigen fällen wenig-
stens, die reguläre, durch den accent bedingte, vocalabstufung, die wechselseitige
ablösung der vocale noch deutlich nachweisen. Im indischen und iranischen wird
«.2 durch ((, <i^ durch « vertreten. Wir liaben nun im indischen nebeneinan-
der: ind. sing. nom. djitas, plur. nom. djäras mit d = «2; ■'^ing- 1"C. djavi mit
a = «] ; sing, instr. dit^ä mit schwund des a. Im avesta finden wir: sing. nom.
häzCms , sing. acc. nasäinii, d. i. nasärem; pl. nom. danhävö mit ä = a.^; sing,
dat. danhavc mit a =^ a, : jiliir. dat. tamibjö mit ausfall des a. Vergleichen wir
damit die entsprechenden casus von coi- stammen: sing. nom. r<2gä{n), acc. räga-
nem, plur. nom. räganas (mit a = a.,), sing. loc. ragani (mit a = ai), sing, instr.
ragnä und ebenso phn-. dat. rdgublijas (mit schwund eines a; rägabhjas steht für
ursprünglich rdgnbhjas, das sonantische n und m wurde in den arischen sprachen
durch a ersezt, vgl. tatäs , rarng, tentus): so ergibt sich die vollständige überein-
ÜBER PAUL, VOCALTSMUS 237
stinimuiio- in der boliaiuUmit;- <1im- u- (nnd ?-) und der r<»-stänmH'. Ks ist diirnach
durcluius nicht notwendig- die gotischen nom. nnd acc. der ?t- stamme, welche an
haben, mit dem Verfasser (s. 127) als junge bildungon anzusehen; der nom. smutns,
acc. simau lassen sich ebensowol auf die, gemäss den rm-stäniiuen als ursprüng-
lichst anzusetzenden, formen snna.^ns, .s»»«.,»»; {nmuLiVam) zurücld'iihron.
Besondere hervorhebuug verdienen auch die kapitel ,,übcr vocal sync(i]ie
und accent" und ,,ül)er die priorität des rt, und o gegenüber dem «.."
Die wesentlichsten resultate der dort geführten Untersuchung sind in kürze: Es
gibt kein u r g c r m a n i s c h e s a u s 1 a n t s g e s e t z , alle v o c a 1 a u s s t o s s u n g e n
sind von den drei germanischen liauptdialecteu (got., skand., west-
germ.) selbständig vollzogen. — Das germanische hat drei haupt-
stufen des accents, die starke, mittlere und schwache, dieselben,
welche im Indogermanischen den Wechsel der vocale gleicher reihe
veranlasst haben. — Die gesetze für die syncope der german. vocale
sind aus der accentuation zu ermitteln, wie sie zur zeit derselben
bestanden hat. — Für das westgermanische nun gilt folgendes gcsetz: Aus-
gestossen wird nur kurzer vocal auf schwacher stufe in offner silbe,
1) wenn die vorhergehende silbe starkstufig und lang, 2) wenn die
vorhergehende mittelstufig ist (s. 308) — Im nordischen wirkten melirere,
zeitlich geschiedene gesetze, und es unterscheidet sich lezterer dialect vom west-
germanischen hauptsächlich dadurch, dass hier auch synkope kurzer vocale in
geschlossener silbe eintritt (s. 170, 174). -- Was den zweiten oben erwähnten punkt,
das Verhältnis von m nnd o zu a betrifft, so gelangt Paul (s. 343) zu dem resul-
tat: Alle spontane lautentwicklung der vorhistorischen germani-
schen periode gieng in der richtung u — o — a. Es ist daher für jedes
altgermanische a, mag es nun auf indogerm. «,, = griech. o, oder auf
indogerm. A^ = griech. a zurückgehen, die entstehung aus älterm o
und noch früherem u anzunehmen.
Im einzelnen bemerke ich: s. 278 abaktr. zeinö ist nicht zum stamm *(/haim-,
sondern zum stamm *glim- zu stellen, und entspricht völlig dem ind. f/mrui ; e ist
eingeschoben. S. 280 unten ist ^snna^ri- für *sunau zu lesen. S. 416, 417 sind
die Seitenzahlen vertauscht.
Die richtung des Verfassers ist die sogen. ,, junggrammatische ," und der Ver-
fasser bekent sich selbst ausdrücklich zu ihr und bespricht auch zu widerholten
malen (s. 1 fg., 165 fg.) seine und überhaupt der junggrammatischen schule methode,
welche er bezeiclmet als: begründet auf der Voraussetzung, dass jedes lautgesetz
mit absoluter notwendigkeit wirke, und dass abweichungen von einem als richtig
erkanten lautgesetz nicht auf i>hysiologischem, sondern nur auf psychologischem wegc,
durch ,,forraeuassociation" entstanden sein können. Mag man nun diese Voraus-
setzung als richtig anerkennen oder nicht, auf keinen fall wird man ein recht
haben, das Panische buch zu ignorieren und wir wollen es hiermit allen, den ger-
mauisten wie den linguisten, aufs beste empfohlen haben.
HALLE. CHR. BARTHOLOMAE.
238 EKDMANN
Kelle, pro f. dr. , Glossar zu Otfrids Evangelienbuclie. (Dritter band
der Otfridausgabe.) 1. heft, bog. 1-6. Eegensburg, Manz. 1879. M. 2,80.
Lange verheissen und allseitig gewünscht war Keiles Otfridglossar , und wer
die Schwierigkeiten einer solchen arbeit kent, wird über das erscheinen derselben
hoch erfreut sein , um so mehr , da der ersten lieferung {dhaliön — elichör) die
anderen druckfertig vorliegenden bald folgen sollen. Über die einrichtung des Wer-
kes und das, was von demselben erwartet werden darf, glaube ich die leser dieser
Zeitschrift schon jezt orientieren zu können.
Etj'mologische angaben hat Kelle von diesem specialwörterbuchc natürlich
ausgeschlossen; wer diese sucht, wird immer zu Schades Wörterbuch greifen müs-
sen. Die anordnung ist streng alphabetisch , so viel ich sehen kann für jedes wort
nach der in dem corrigierten texte der Wiener handschrift vorhersehenden Schrei-
bung: es fält mir nicht ein, hier über einzelheiten (z. b. über die Schreibung deß
subst. döä) mit dem Verfasser rechten zu wollen. Bei den belegen sind, wo es
nötig schien , die abweichungen aller handschriften berücksichtigt , selbst die von
F, z. b. gleich anfangs I, 15, 43 abahöi. Auch alle composita (z. b. die mit bi-)
sind nach dem anlaute der ersten silbe eingereiht: doch wird die Übersicht des
Wortschatzes in höchst dankenswerter wei^e dadurch erleichtert , dass alle Zusam-
mensetzungen bei dem zweiten stamniwortc mit kleinerer schi-ift übersichtlich zu-
sammengestelt sind. Auch die bei Otfrid nur in Zusammensetzungen vorkommen-
den stamme (z. b. -bäri, -barmen) sind an gehöriger stelle mit cursivschrift ange-
geben und die nur bei Otfrid belegten worte durch Sternchen ausgezeichnet.
Der Schwerpunkt der arbeit liegt in der feststellung der bedcutungen
aller worte; und nach dieser richtung hin wird wol jeder leser gleich mir durch
die fülle und reife der hier gebotenen fi'üchte einer jahrelangen arbeit überrascht
sein. Sämtliche belegstellen sind angeführt und fast sämtlich ausgeschrieben, alle
schwierigeren auch übersezt und erläutert: und die bedeutungeu sind so genau
angegeben und so sorgfältig gruppiert, wie es nur jemand tun kann, der, nach-
dem er erschöpfende samlungen über Otfrid angestelt hat, sich auch die mühe
nicht verdriessen lässt dieselben ohne hast durchzuarbeiten. Die syntaktischen
Verbindungen sind bei jedem nomen, jedem verbum , jeder partikel sorgfältig ver-
zeichnet und gesondert. Zur erklärung sind auch die lateinischen quellen heran-
gezogen, darunter viele in Keiles ausgäbe teil I noch nicht angeführte stellen
(z. b. zu IV, 1, 28 unter antikrtsto, zu IV, 35, 6 unter billbu); eine übersichtliche
Zusammenstellung dieser neu ^nachgewiesenen quellen, die dem Verfasser ja ein
leichtes wäre, würde jedem besitzer des ersten teiles eine wilkommene zugäbe sein.
Auch parallelstellen aus anderen litteraturdenkmälern werden zur stütze der erklä-
rung reichlich gegelien: überraschend war mir namentlich die unter bithvincju zu
I, 1, 35 angeführte stelle aus dem Pilatus, die ein fortleben otfridischer gedauken
und Wendungen bis ins 12. jalirhundert bezeugt. Hier und da schweift der verf.
vom rein lexicalischen gebiete ab; z. b. wird die Verbindung von adverbien mit
sin und toerdan bei ango (als dem ersten in betracht kommenden) erörtert; con-
junctive in rhetorischen fragen (über die ich teilweise andrer ansieht bin) zu V, 1, 11
unter brennu; substantivierte infiiiitive zu IV, 10, 13 unter drinJcu.
Unter einer grossen zahl von stellen, deren erklärung ich geprüft habe , blei-
ben mir verhältnismässig wenige auch nach Keiles nachweisen zweifelhaft. Einige-
raal gibt er selbst zwei erklärungen zur auswahl, so für IV, 16, 46 unter bifora,
für IV, 4, 39 unter biqueviun, für III, 14, 54 unter äiufal; an allen drei stellen
möchte ich mich für die zulezt vorgeschlagene entscheiden. Bedenklich ist mir
ÜBER KELLE, GLOSSAR ZU OTFRID 239
Kellos Übersetzung von äna bäf/a zu I, 3, 2: ohne loidersjtruch , übereinstimmend;
besser wol: ohne misiiidime. voUläiuVui , mit bezuf>' darauf, dass die evangelisten
alle ahuen Christi aulV.älilen, während Otfrid nur die hekantesten auswählt; vgl.
I, 1, 2G. avur übcrsezt Kelle zu V, 12, lÜU: nämlich; solte es sich nicht dadurch
erlvläron, dass der hauptbogriff minna (wie 1, 28, 13 himiJrichi. V, 1, 33 worolt-
riiifi) wider holt genant und erklärt ist? allestcio leeren erhält die von Kelle zu
IV. 15, 30 angegebene bedeutuug: .ztirecht führen doch erst durch den gegensatz
zu dem vorher gebrauchten i}i ahuh, also nur im Zusammenhang dieser stelle. Die
von Kelle schon in seiner Übersetzung vorgeschlagene auffassung von thie däti
I, 1, 17 als eines adverbialen accusativs = auf diese weise ist mir nicht glaublich:
icli fasse es als objectsacc. zu giscrihe (vgl. v. 4 thio chnanheiti </imeinen), wie ich
an anderer stelle ausführlich begründet habe. Dass trahta IV, 31, 17 (so schreibt
der zweite hauptschreiber der Wiener handschrift. derselben neigung folgend, die
er bei truhtin IV, 27, lU u. o. treso IV, 35, 13 beweist, ohne überall vom correc-
tor corrigiort zu sein) nicht mit dem verbum drahtön zusammenhänge , gebe ich
Kelle gern zu; aber nicht das gleiche gilt von drahta I, 1, 18. II, 9, 94, das, wie
mir scheint, von jenem worte ganz zu trennen ist. — Das unter den compositis
von duam angeführte lohdiuim, ist, wie ich an anderer stelle ausgeführt habe, aus
den ahd. Wörterbüchern zu streichen ; es beruht nur auf einem in P copierten feh-
ler des ersten Schreibers von V, der vom corrector durch rasur gebessert ist: thaz
ih ni .-criha thuruh ruam , swntar hi thin loh duan = id quod non scribo fjloriae
cnnsa, sed ad (propter) laudem tuam facio (sc. scribo). — I, 4, 42 möchte ich
inbrusti und wol auch analusti als st. ntr. (ia- stamme) ansetzen: nnawäni I, 4, 48
ist als unflectiertes adj. zu fassen, gegensatz nrwäni v. 52.
Sinnstörende druckfehler sind s. 47'' 11, 18, 23 sär statt /ar; s. (30" III, G, 42
io statt io so.
Doch hier ist nicht der ort an einzelheiten zu mäkeln oder alle noch uner-
ledigten fragen abschliessen zu wollen. Dankbar wird jeder leser Otfrids anerken-
nen, dass das vsrerk einen reichen schätz von erklärungen zu dem im ersten teile
der ausgäbe gebotenen texte gibt, und dass es zugleich durch häufige Verweisun-
gen auf die im zweiten teile enthaltene formen - und lautlehre den oft vermissten
index derselben ersezt, so dass es eine höchst willkommene ergänzuug der vor fast
einem vierteljahrhundert begonnenen Otfridausgabe Keiles zu bilden bestirnt ist.
Zugleich aber hat es durch den volständigen abdruck der belegstellen selbständige
bedeutung gewonnen: auch ohne den text jedesmal nachschlagen zu müssen, kann
sich jeder unterrichten über den Wortschatz Otfrids, dessen sin-achgebrauch für die
bedeutungslehre des ahd. ebenso wichtig ist als für die syntax und den latinisieren-
den Prosaikern gegenüber in vielen fällen massgebend. Und deshalb ist der titel
,, Glossar" zu bescheiden; Keiles werk muss gelten als kern und grundlage eines
vollständigen ahd. Wörterbuchs.
KÖNIGSBERG IM AUGUST 1879. OSKAR ERDMANN.
Matthias Lexer. Mittelhochdeutsches Handwörterbuch, zugleich als
Supplement und alphabetischer Index zum mittelhochdeutschen
Wörterbuch von Beuecke- Müller -Zarncke. III bände. Leipzig, S. Hirzel.
1872. 1876. 1878. XXIX s., 2268 sp.; VH s., 2052 sp.; VI,s., 1228 und 406 sp.
n. 66 m.
Man l-.aiin wol zwcifdliaft sein, ob es einen sinn liat, ein werk wie Loxers
wörterbnch , das sich von dem erscheinen der ersten lieforung .an der zustinununff
240 KINZEL
der fachgenosseii zu erfreuen hatte * und das auch sofort, nun alsi» schon seit fast
zehn Jahren, in gebrauch kam und überall citiert wurde, einer besonderen bespre-
chung zu unterwerfen. Aber einerseits ist dies, wie jeder anerkennen muss, nicht
unnötig, in ein(n' Zeitschrift, welche nicht nur dem speciellen interesse der einge-
weihten dienen, sondern" ihre netze etwas weiter werfen möchte: andrerseits ist
es wol schicklich, dass dem manne öffentlich und bcsnndcrs dank »^'esagt werde,
welcher zwanziü" jähre seines lebcns auf diese arbeit verwant und nun in zehnjäh-
riger ausarbeitung ein im wahren sinne des wortes unentbehrliches hilfsmittel den
Germanisten geboten hat. (Ueiche anerkennung gebührt dem nun schon verstorbe-
nen veideger, welcher im jähre 18G7, nachdem eben (186G) der lezte (11-) band des
mhd. Wörterbuches in seinem Verlage erschienen war, dem Verfasser die ausarbei-
tung eines neuen anbot, das zugleich ein al]»habetischer iudex und ein Supplement
zu jenem sein solte.
So liegt nun das werk seit Weihnachten vollständig vor, in stattlicher aus-
stattiing und gutem, klarem druck, zusammen gegen GüüO spalten, darunter 40G
spalten nachtrage. Der Vorzüge gegenüber dem mhd. wörterbuche ist viel. Die
l)i>nutzung jenes war durch die eigeutiimliciu^ anordnung des Stoffes nach stammen,
die ja in besonderen fällen auch ihre vorteile haben konte, ausserordentlich erschwert:
bei selteneren Wörtern schwieriger abstauimung war oft überhaupt nicht festzustel-
len , ob das wort im buche verzeichnet sei. Dies ist nun durch die alphabetische
Ordnung beseitigt. In den einzelnen artikeln sind die belege, welche in jenem .ste-
hen , hier nur durch den namen des avitors angedeutet, womit nuf das wb. ver-
wiesen ist. Für den benutzer wäre es wol bequemer gewesen, wenn die zahl dem
namen beigefügt wäre, weil man oft wissen möchte, ob grade die stelle im wb.
steht, welche zum aufschlagen veranlasste.
Dies also die gewiss schon ungeheuer mühsame Verarbeitung des materials,
welche das wb. bot, wobei eine nicht geringe anzald von fehlem und versehen zu
verbessern war. Dennoch hat sich der Verfasser der polemik gegen das oft ange-
griffene und viel getadelte buch, das immerhin seine grossen Verdienste hat, gänz-
lich enthalten und stillschweigend gebessert. So verfuhr er aucli bei der eutwick-
lung der bedeutung. was nicht immer auf den ersten blick zu erkennen ist. Es
ist klar, dass dies unter umständen nicht grade zur leichtigkeit der benutzung bei-
der wörterbüclier beiträgt, zumal da Lexer bisweilen nicht einmal auf die belege
des wb. hingewiesen hat. Man vergleiche z. b. den artikel not , welcher im mhd.
wb. zehn spalten nmfasst, bei Lexer grade eine. .Teuer ist ausserordentlich reich
an schätzenswerten citaten, aber das ziemlich äusserlichc einteilungsprincip hat
recht auftallend zusammengehöriges getrent. So muss man sich die beispiele für
not mit gen. obj. in den Verbindungen mir (jeschiht nüt , get not, ist not, tnot not,
wohin auch die mit wÄch gtihöreu , aus vielen spalten zusammensuchen, während
Lexer wenigstens die eonstructinnen zusammenstelt. Vielleicht wäre es doch gut
gewesen, hier für die einzelnen fälle noch die angäbe zu machen, wo im wb. die
belege zu finden seien. Dadurch gewann der Verfasser allerdings räum , und darum
mag es ihm manchmal zu tun gewesen sein. So behandelte er auffallend kurz die
Präpositionen. Man vergleiche nach, ein wort das einer sorgfältigen darstellung
bedarf und im wb. zu wünschen übrig Hess. Hier fehlen z. b. die prägnanten b(d-
spiele Parz. 15!». IG er sties den gabylötes stil zno zim nach der marter sil. 107. 10
1) Dessen zwei erste lirferungen wurden in dieser zt.Sfhr. II, 1870 von Stein-
nieyer liesproclion.
ÜBER LEXER, MHD. WÖRTERBUCH 241
ein krinze nach der marter site. 119, 20 der antlitzes sich hcwuc nach menschen
antliUe. Krzf. 1470 ein bilde nach der, die sin mit liebe phUic. Wilh. v. Wend.
3583 rötiu zeichen nach des krinzes siten.
Im algomeinen aber nahmen die artikel intensive au umfang bedeutend zu.
Abgesehen davon , dass aus den schon im wb. benuzten werken eine reihe wich-
tiger stellen hinzukam, die zahl der zugänglichen werke war bedeutend gewachsen.
Um davon eine Vorstellung zu bekommen, vergleiche man die beiden vorangestel-
ten quelleuangaben. Aber auch das bearbeitete gebiet ist grösser geworden. Lexer
sagt selbst in der vorrede 1, VI: ,,Vor allem habe icli die im mittelhochdeutschen
Wörterbuche gesteckten grenzen erweitert , indem ich auch die spräche des 15. Jahr-
hunderts noch in den bereich meiner forschung zog, wozu ich schon durch meine
langjährige bescliäftigung mit den „deutschen städteclironiken " hingeleitet wurde,
und mein augenmerk auch auf die ungenügend dm-chforschte spräche der deutschen
rechtsdonkmäler und Urkunden richtete , sowie auf die vocabularien und glossen,
wie sie nameutlich in Diefenbachs musterhafter, fast unerschöpflicher samlung vor-
liegen. Sodann war ich bestrebt, die hauptquellen und die im mhd. wb. nur teil-
weise oder gar nicht benuzten oder während meiner arbeit neu oder in neuer auf-
läge erschienenen quellenwerke für meinen zweck zu lesen und auch aus den
Varianten, diesem fast gar nicht untersuchten schachte, einiges wichtige beizubrin-
gen." Daneben hat der Verfasser auf die etymologie sorgfältig bezug genommen,
auch in zweifelhaften fällen die verschiedenen ansichten erwähnt, man vergleiche
den artikel bie.
Es ist wert und interessant genug , sich das eben dargelegte mit zahlangaben
vor äugen zu stellen, um zu sehen, in wie weit dem buclie der name Supplement
mit recht zukomt. Lexer sagt im anfange der vorreue zum III. bände: ,,Im laufe
der zehn jähre, welche die ausarbeitung des mittelhochdeutschen handwörterbuchs
in anspruch genommen hat, wurden gegen 2U0 neue, in neuen bearbeitungen
erschienene oder mir erst später zugänglich gewordene oder in auszügen mitgeteilte
werke und handschriften in den kreis der quellen und hilfsmittel eingereiht, so dass
zu den circa 250 schon im mhd. wörterbuche mehr oder weniger benuzten werken
im ganzen noch ungefähr 470 hinzugekommen sind und das ,, Supplement" nun
(mit einschluss der nachtrage) aus circa 34,000 neuen artikeln besteht."
Am Schlüsse der bände ist eine reihe von druckfehlern , die bei einem sol-
chen werke nicht fehlen kouten, berichtigt. Leider ist die mühsame arbeit nicht
immer von erfolg gekrönt. Folgende „berichtigungen" scheinen fehlerhaft:
Ende des Il.bandes: „bd. I sp. 328, 2 lies 72 st. G2." — „bd. I 1825, 5 lies
adj. St. adv." — „bd. H, 301, 29 lies 407 st. 107."
Umschlag von lief. 15: „bd. I 1438, 18 lies 230 st. 250."
Umschlag von Hef. 17: „bd. I 1076, 16 lies 895, 1 st. 875, 1." — „1117, 11
lies 6039 st. 163;i." — „bd. II 1038, 10 lies 461 st. 401." — „1620, 11 lies 10133
st. 11133."
Ende von bd. I: 125, 25 — 164, 19 - 286, 15 fehlt „v.u.-' — 488, 19 muss
heissen 6074 und 6248.
Ende von bd. III: „v. u." fehlt zu I 292, 6. 466, 9. II 1096, 11. — Bei
II 386 fehlt 8, bei II 1431 fehlt 27. Bei I 1322 muss es heissen 20 .st. 22, bei
II 1831, 15 st. 31. Falsch sind 1 1438. II 615 und II 1620.
Folgende nachtrage resp. Verbesserungen, die für die lezte lieferung zusam-
menzustellen nicht mehr möglich war, mögen zunächst hier ihren platz finden.
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI. 16
242 KINZEL
Bd. 1, 42 ist Alex. 3848 unter alsamen zu tilgen und unter alsam zu setzen. —
alzane. allizane Alex. 4770. — amie Krzf. 3474. — amiral. emmural Krzf. 2071. —
emeral 1451. — amis Krzf. 3133. Wh. v. Wend. 1134. 1256. 1990. — anebös
Krzf. 4382. — ane Wlg. 234. — anlcern Krzf. 3644. — armbrust Krzf. 3948. —
art. von arde vri Krzf. 4436. 4255. 5450. von höher art 275. von aräe ho 394.
G30. — ast. blünder a. Krzf. 5575.
ban, swm. Alex. 1166. 1866. 2440. — barez swert Krzf. 1970. Alex. 3706. —
bart = barbiere Beclist. z. H. Trist. 2077. — 141. betiitlich Krzf. 4680. — behü-
sen Krzf. 5571. — beneben Krzf. 1991. — bercvrit Krzf. 2473. — beruochen Ernst
D 4007. — besamenen Krzf. 5037. — besit Krzf. 7210. — betrafen sich Alex. 4824. —
betragen Krzf. 4901. — betivungen in zorne Krzf. 2573. — bi c. acc. Krzf. 942. 971.
2387. 2652. — bivelde. pivilde Willi. 73, 25. — blenken. dar gegen sie stüche blanc-
ten Krzf. 2948. — basünen braht Krzf. 1381. — brunft diu rehte H. Trist. 2402. —
brvnje (? brunnige) Alex. 1300. — bunt, grä unde b. Alex. 6069.
I 423 diu in8tr. die baz Krzf. 2613. — degenliche. degintUehe Alex. 27(51.
3229. — druc Krzf. 2225. — durchlütec Krzf. 1328. — düren, tnren. Weinscliwelg
309. Krzf. 4117. 6495. 4920 {timern : uwern).
ebenhöhe Krzf. 2825. — eidem. auch Schwiegersohn Alex. 3358. — 538 elfen-
tiere Alex. 6110. — endecUch Krzf. 2165. 5865. — entwer Ernst D 3887. — ent-
loeseyi Ernst D 3640. — erbeizen, ,,vom schüfe ans land steigen" Krzf. 654. —
erben, manheit erbet üch von im an Krzf. 2547. — erbliugen refl. Alex. Diem. 191,
24. — ersprengen Krzf. 2743. 3468. — ervülen Krzf. 7542. — erwegen libes unde
gutes Krzf. 4158. — erwünsehen. erioimschter lip Krzf. 4985. — erzagen Krzf. 5215.
gcberc Krzf. 2919. des prts ninder hat geberc Krzf. 4271. — gelingen an
Weinschw. 81. — gelt ersatz Krzf. 4323. — gesament Krzf. 4529. — getemere Krzf.
4380. — gevriunden Ernst D 3792. — geivcete Alex. 5300. Ernst D 4903. — geiverf.
gewerb Krzf. 5799. — girde Krzf. 1102. — glainn Krzf. 4566. Parz. 505, 4 auch
glävine. — grözen von der Schwangerschaft Bas. Alex. 25''. — güete plur. Ernst D
4495. - gürten ohne casus Krzf. 5137.
1143 fehlt hager : mager H. Trist. 5110. — hant. gotes zuolcunft nach der
neuwen hant {= sitte, bund) vgl. Anz. f. d. a. I, 19. — helfe, hülfe Krzf. 3075. —
1258 hermiUolZ H. Trist. 697. — hert. Sturmes h. Krzf. 1390. mütes h. 7040. —
Jierte , kern des heeres, Krzf. 3111. 4194. — herten, ausdauern Krzf. 2873. 4057. —
1287 fehlt himelminne Krzf. 5514. — hinnisch tvin vgl. DWB. 4'^ 1291. (Anz. f.
d. a. IV, 139). Z. f. d. a. 23, 207 u. Zs. f. d. ph. IX, 141 : francim et huncsch. —
hiure heute Krzf. 6803. — houbetman Krzf. 4722 fol. — hurt stf. H. Trist. 3144.
zum schütze Krzf. 2856. — hurt stm. Krzf. 4213, 6195. mit vollem hurte 1925.
2105. hurtes eraft 3013.
irdisch, erdische lant Alex. 1555. man 6439. — itewiz. dne armüt i. Krzf.
6523.
kluoc ze strtte Krzf. 4325. — krie. krien : schrien Krzf. 2218, vgl. 4108. —
kristcnlichc kint Krzf. 2126 (= gotes kint, heilige kint , Ordensritter?)
lade, ein lutzel goldes in einer laden Alex. 1456. — lampriure Willi. 91, 28. —
Idzen, sich von der arbeit l. Krzf. 2494. — lengen. des bat sie ein herre lengen,
aufschieben Krzf. 3469. — lichter prls Krzf. 4165. — liumunt. an dem Munde
Myst. 397, 9.
Majestät Krzf. 1012. — marc. er fuorte aller tugende marc üf hehne Wilh.
V. Wend. 507. —' nuerc, einen ze mere bringen Alex. 3928. Trist. 8331. — market^
ÜBEK LEXER, MHD. W()RTEEBÜCH 243
handcLswaare Krzf. 6243. ^ marterere. fjottes m. Krzf. 4(557. — martcr. der m. not
Krzf. 1592. 6315. — mcnvje. numje Alex. 1953. — mile. wehchm ui. H. Trist. 3414.
Bd. II. ndcluiehürc. herter n. Krzf. 3879.
obetvenäic. ohemvendic Alex. 1876. — önichinus Alex. 5.S88. 7()52. — ort
,, spitze, besonders der waffo." miner lanzen ort Krzf. 5827. nf allen or^ 4564. —
phaffen vürste Krzf. 2072. — 257 plümeKn Krzf. 7816. — planJie „bofostiguiig."
blwnlcen imd wer Krzf. 3241 .
rcemen Willi, v. Wcnd. 5007 im reim. -- rore „brunnonröhre" Ernst D
2453. — rossiocmz Bas. Alex. 43''. — rüclcen daz swert Krzf. 6180. — rum machen
Krzf. 6884.
Rchorpe. scorpiönes Alex. 4977. — schuohbant stn. (fehlt) Alex. 1455. 1470.
1545 u. ö. — T spellen sich, märclienhaft werden, Kud. Alex. 15689. (Z. f. d. pli. X,
97). — stiezen praet. stöz Bas. Alex. 60''. — stüche Krzf. 2948. s. hlenJcen. —
Runderlingen Alex. 3460. — sivanc adj. Alex. Diem. 189. 25. — fiivingen. als in
siuche (jewalt swuncje Krzf. 7727.
tepich Krzf. 6043. — tiuren trans. Krzf. 6266. — trincvaz Krzf. 8050.
«&er7«rt»c Bas. Alex. 34*^. 60''. — iibersitzen Bas. Alex. 51'". — uwjelocjen.
vor w. Alex. 6066. — nngenmot Krzf. 4897. — untät Krzf. 4241. — untüre. in hat
u. daz Krzf. 6627.
Bd. III. versinnen. alse ein kindischer man der sih tiersinnen mit ne kan
Alex. 1443. — ivirken. part. geivart : hart Alex. 6390.
1128, zinsgeschol (fehlt) = zinsere Bas. Alex. 40''.
BERLIN, OSTERN 1879. KARL KINZEL.
Mittelhochdeut-sches Taschenwörterbuch mit grammatischer einlei-
tiing von Matthias Lexer. Leipzig, verlag von S. Hirzel. 1879. XXIII und
314 s. Kl. 8. u. 4 m.
Wer erinnert sich nicht aus eigner erfalirung dei' Verlegenheiten , welche dem
anfänger im Studium des Mittelhochdeutschen aus dem raangel eines brauchbaren
Wörterbuchs erwuchsen ? Hatte man den Iwein mit seinen trefiichon hilfsraitteln
überwunden , so war man den Irrwegen des grossen mhd. Wörterbuchs ohne compass
und Wegweiser preisgegeben und stundenlange mühe geliörte dazu, sich etwa für
MüUenhofPs geselschaft auf ein stück Parzival vorzuber*eiten, wenn es überhaupt
gelungen war, auf der königlichen bibliothek des vielbegehrten buches herr zu wer-
den. Hier hat nun Lexer durch sein kleines taschenwörterbuch abhilfe geschaffen;
zugleich hat er aber auch ferner stehenden , ., historikern . archivbeamten , Juristen "
u. a. ein sehr nützliches hilfsmittel geboten und es ist nicht zu bezweifeln , dass
das buch weite Verbreitung finden wird.
Über die anläge spricht sieh die vorrede aus: ,,ini ganzen ist es nur ein aus-
zug meines nun vollendeten mittelhochdeutschen haudwörterbuchs , dessen (und der
nachtrage) hauptsächlichster Wortvorrat hier in knappster und doch deutlich -gefälliger
form reproduciert wird mit angäbe der bedeutungen und wichtigeren syntactischen
constructionen. Bei den unzähligen Zusammensetzungen muste eine passende aus-
wahl getroffen werden" usw. ,, Belegstellen und etymologische erklärungen wur-
den grundsätzlich ausgeschlossen und mundartliche nebenformen nur ausnahmsweise
angegeben." Das lezte dürfte vielleicht in ausgedehnterer weise wünschenswert
gewesen sein, da es doch nicht leicht ist etwa ciiieral, emmaral nntor amiral (s. 3)
zu suchen. Auch sonst sind werte ausgelassen, die wir ungern vermissen, wie
16*
244 KUMMER
s. 7 aspinde , afipis , weil sie bei Wolfr. vorkommen. Doch das sind kleiiiigkeiteu;
Lexer wird seine gründe auch für sie gehabt haben und wo dieselben sich nicht
stichhaltig erweisen, wird eine neue aufläge des buches gelegenheit geben, abände-
rungen zu treffen und etwaige versehen (wie s. 7 äspi-ceche, Handwb. I, 101 äs2)rä-
che, s. XIII congugation) zu bessern. Viele mängel kann in solchem falle erst
Längere benutzung herausstellen: es ist wünschenswert, dass der verf. dann darauf
aufmerksam gemacht wird.
Dem Wörterbuche geht auf etwa 17 selten eine grammatische einleitung
voran, welche nach der vorrede besonders für die schule bestimt ist und einem
,, mehrfach ausgesprochenen wünsche" ihren Ursprung verdankt. Wir wollen uns
hier auf pädagogische fragen nicht weiter einlassen , glauben uns aber zu der bemer-
kung veranlasst, dass weder das Wörterbuch noch diese einleitung für die schule
passen. Ehe dürften wir sie mit recht manchem gymnasiallehrer empfehlen , der
berechtigt ist, in allen klassen deutschen Unterricht zu geben. Auch können wir
nicht finden , dass ein bedürfnis nach solcher einleitung für die schule vorhanden
war. Martins kürzere und elementarere darstellung in seiner mhd. grammatik nebst
Wörterbuch zu der Nibelunge Not, Walther von der Vogelweide und Laurin genügt
unsres erachtens volkommeu. Damit soll die einleitung an sich nicht verurteilt
sein, sondern ihr zweck. Wir sind überzeugt, dass sie manchem anfänger, sei er
nun gymnasiallehrer, historiker oder Jurist, eine wilkommene zugäbe ist.
So können wir uns dem wünsche des Verfassers anschliessen , ,,dass es dem
buche gelingen möge, dem eingangs erwähnten bedürfnisse abzuhelfen, die gehoff'-
ten dienste zu leisten und auch dem mhd. handwörterbuch, dem es sein dasein
verdankt, neue freunde zu erwerben."
BERLIN, MAI 1879. KARL KINZEL.
Altdeutsche Predigten aus dem Benedictinerstifte St. Paul in Kärn-
ten. Heran sgegeben von Adalbert Jeitteles. Innsbruck 1878. XLIII und
188 selten. (Auch u. d. t. : Altdeutsche hau dschriften aus Österreich,
l.band.) u. m. 5,20. ^
Die ziemlich umfangreiche deutsche litteratur Kärntens bis zum schlus.se des
XII. jh. erfährt durch die eben genanten predigten aus St. Paul eine ansehnliche
bereicherung.
Die hier veröffentlichten predigten waren bisher nur dui-ch zwei proben
bekant; die erste steht in den altdeutschen blättern von Haupt und Hoffmann
II. bd. s. 159 (Leijizig 1840), die zweite im Anzeiger für deutsches altertum IL bd.,
s. 202 (Berlin 1876), veröffentlicht von Schönbaeh. Der eben genante gelehrte hat
auch die textangaben der St. Pauler predigten, nach den Seitenzahlen der hdschr.
citiert, zu Steinmeyers vortreflichem Verzeichnisse deutscher predigten im Anz. 11,
228 — 234 beigesteuert.
Herr bibliothekar Jeitteles, dem wir bereits mitteldeutsche predigten ver-
danken (Germania XVII und Wien, Gerold, 1872), macht die freunde der altdeut-
ßchen prosalitteratur mit einem sprachlich und inhaltlich sehr interessanten vater-
ländischen dcnkmale bekant.
1) Diese besprechunp,- der von herrn Jeittele.? herausgegebenen St. Pauler pre-
digten gelangte an mich als die in bd. X s. 238 fgg. mitgeteilte von herrn professor
I?ech sich bereits im drucke bofmd. Als reohtfertigung auch ihrer aufnähme wird die
fülle der in ihr enthaltenen positiven tatsachen gelten dürfen. J. Z.
ÜBER ALTD. PRED. ED. JEITTELES 245
Er liat die gepllogcnhoit der meisten auf einer lis. beruhenden predigtaus-
gabfU, den text diplouiatisch genau abzudrucken, aufgegeben und, gestüzt auf
sorgfältige, in einer umfangreichen einleitung (s. XII. XIV. XIX — XXXllI) sowie
in anmerkungen (s. 141 — 181. 189) und Wörterverzeichnis (s. 182 — 187) nieder-
gelegte beobachtung des Sprachgebrauches, einen gefälligen leicht lesbaren te,xt
herzustellen sich bemüht. Wer die St. Pauler jiredigten für Studien zur geschichte
der deutschen predigt und der theologie des mittelalters benüzt, wird dem herru
herausgeber für seine beraühung danken, und wer zu sprachlichen Studien auf den
ursprüuglichen text in seinen einzelheiten zurückzugehen genötigt ist, findet alles,
was Jeitteles gelesen und wie er gelesen, in den LA. verzeichnet.
Es sei mir gestattet, einiges von dem was mir bei eingehender beschäftigung
mit den St. Pauler predigten der weiteren erörterung bedürftig erschien , in kürze
zu erwähnen.
1. Heimat und alter der handschrift. Eine handschrift aus der im
jähre 1085 gestifteten Benedictinerabtei St. Paul im unteren Lavantthal niuss nicht
von allem anfang an für südostdeutsch gehalten ivcrden, denn einmal waren an
der Stiftung selbst Hirschauer, also alemannische monche beteiligt (Arch. d. Gesch.
Ver. f. Kärnten 7, 52), und dann ist das kloster 1809 neuerdings von niönchen
aus St. Blasien im Schwarzwalde bestiftet worden (Vorr. s. XIII). * Die handschrift
weist indess unverkenbar den bairisch- österreichischen dialekt mit den dem Süd-
osten, dem nachmaligen Inrnr- Österreich, eigenen erscheinungen auf und wird
demnach wol dort, wo sie noch aufbewahrt wird, auch entstanden sein. Das geht
sowol aus der kurzen Zusammenstellung ihrer dem bair. - österr. dialekte angehö-
rigen eigentünilichkeiten (vurr. XIII — XV), als namentlich aus eiuer vergleichuug
mit der gleichzeitigen kärntnischen litteratur hervor. Dass der herr heraus-
geber leztere verhältnissmässig weniger herangezogen — er beschränkt sich darauf,
nahe verwantsi haft zwischen den St. Pauler pred. und den bei Hoffmanu, Pgr. J,
70— 126 aus einem Wiener codex abgedruckten predigten des XIII. jh. nachzuwei-
sen — mag darin seinen grund haben , dass derselbe das von ihm bearbeitete denk-
mal für bedeutend jünger als die stattliche geistliche litteratur Kärntens hält.
Über das alter der handschrift liegen mir drei angaben vor: Haupt in
den altd. Bl. II, 159 gibt das XIII. jh. an; Schönbach im Anz. II, 169 weist sie
mit ausdrücklicher bezugnahme auf Haupts angäbe dem XII. jh. zu; Jeitteles erklärt
sie ,in palaeographischer beziehung durch nichts verschieden von den besten hand-
schriften des XIII. jh." (s. XI) und spricht sie (s. XII) ,,jedenfals noch der grenz-
scheido des XIII. oder höchstens dem ersten viertel des XIV. jh." zu.
Den herrn herausgeber hat zu dieser vordatierung seines denkmals hauptsäch-
lich ,,die vielfach beliebte abschleifung der flexionen und der häufige durchbruch
der diphthonge ei = i, eu ^ iu" bewogen. Diese und wol einige andere anhalts-
punktc ,, vorgeschrittener beschaifeuheit" — so vielleicht auch die häufige Verwen-
dung von s für s und umgekehrt , sowie von ss für Z2 und die häufige consonan-
tcngemination nach liquiden und vocallänge (s. XXVI) — gegenübergehalten den
vielen altertümlichkeiten in spräche und anläge (s. XII fg.) , veranlassten ihn dann
auf eine ältere vorläge zu schliesseu (s. XIII).
1) Man vergleiche die von Holder in Saublasianer Codices zu S. Paul aufgefun-
denen Augsburger glosscn, bruchstücko aus Notkers psalter, Glossae Sanblasiaaae,
Glossen zum Lucasevangtiium (G XXI, 1, 129, 135, 332). Ferner erinnere man sich
daran, dass Roediger (Zs. XX, 317) für die Millstätter Süudenklage (Kar. Spr. D
47 — 67) alemannische grundlage auiielimen möchte.
246 Kummer
AYcnn die zügc der handsclirift geübte betracliter zu so bedeutenden dilferen-
zen in der datierung führten, so blieb dem leser der ausgiibo wol nichts übrig
als die si^racbe der handschrift und ihre lautgebung mit diplomatisch getreuen
abdrücken bereits datierter deiikmäler gleicher herkunft zu vergleichen. Wenn sich
aber alle, auch die wenigen auf spätere niederschrift hindeutenden eigeutümlich-
keiten in kärntnischen oder doch innerösterreichischen denkmälern des XII. Jahr-
hunderts nachweisen lassen , und der äussere umfang der predigten sowie die vor-
angeschickten katechetischen stücke auf eine ältere periode der deutschen predigt
hinweisen — man vgl. die von Jeitteles s. XIII angezogene stelle aus Wacker-
nagel, Pred. 8. 333 fg. — : so wird hiermit die datierung Schönbachs als richtig
erwiesen. 1
Folgende denkmäler des XI. und XII. Jahrhunderts sind uns aus
Kärnten erhalten: Wiener Genesis c. 1070, Fgr. II; Adelbrechts Johannes der Täu-
fer, S. Veit, XU. Jh., Mone Anz. VIII; Heinrichs Litanei, 1161 — 77, Fgr. II,
(Zs. XIX, 340); Wurmsegen, XII. Jh., MSD. XL VII, 2B; Millstätter Predigten,
XII/XIII. jh. , Mone Anz. VIII; Millstätter Blutsegen, leztes viertel des XII. jh.,
MSD. XLVII, 1: Lambrechter Mariensecjueuz , leztes viertel desXILjh., MSD. XLI:
Vom Eechte, XII. jh. , Karajan Sprachdenkmäler (QF. XII, 51): Die Hochzeit,
XII. Jh., K. Sprd.; Exodus Fgr. II; Prosaischer Physiologus, Fgr. I; Poetischer
Physiologus der Millstädter hs., K. Sprd.; Millstätter Genesis und Exodus vor
mitte des XII. jahi-hunderts , Diemer, Genesis und Exodus (QF. XII, 51); Mill-
stätter Sündenklage, K. Sprd., Zs. XX; Paternoster 1120/30, MSD. XLIII; Von
der Siebenzahl, MSD. XLV, A. (Anz. I, 68); (Zukunft nach dem tode, K. Sprd.)
(QF. Vn, 26); Vorauer Genesis, Diemer Deutsche Gedichte (Anz. I, 69); Josef in
Ägypten, Diemer Beiträge V (QF. VII, 75); Moses, Diem. D. G. (Anz. I, 68);
Marienlob MSD. XL (QF. VII, 49); Balaam , Diem. DG. (Anz. I, 69); Die Wahrheit,
Diem. DG. (QF. VII, 54); Priester Arnold, Diemer DG. (QF. VII, 89); Lambrechtcr
Breviarien 1150 — 1190, Zs. XX (ebda 130. 186); Kärntnische Predigten, XII. jh.,
Wackernagel, Pred. XXI -XXVI und Fgr. I, 66 — 68, (Anz. II, 217). — In diesem
Verzeichnisse, das auf Scherers Untersuchungen in QF. I, (bes. s. 64), VH, XII
(44 — 54), sowie auf Eoediger in Anz. I, (s. 68 fg.) zum grösseren teile beruht,
gibt der erste nachweis den zur vergleichung benüzten druck, der zweite die für
alters- oder heimatsbestiiumung massgebende stelle an. Mit einbezogen sind auch
denkmäler aus angrenzenden teilen Steiermarks (S. Lambrecht), weggelassen nur
einige kleinigkeiten aus den neueren bänden der Zs. f. d. altert.
Die vocalischen eigentümlichkeiteu der St. Pauler hs. nun (s. XIX —
XXIII) lassen sich sämtlich in den angeführten denkmälern nachweisen , bald zu
grösseren , bald zu kleineren grujipen vereinigt ; namentlich nahe stehen die Mill-
stätter- und die von Steinmoyer für Kärnten vindieierteu predigten (Wackern. XXI fg.,
1) Dabei bleibt Jeitteles annähme einer älteren vorläge aufrecht; ja sie wird
durch gewisse falsche LA. , welche sich am einfachsten als irrtümliche Auflösung von com-
pendieu erklären, gefordert: 44, ;< bereitte für bereitet. 45, 26 ivarre iüx tvarer. 54, 17
Wonne für wonen (l. pl. conj.) 68, 24 rvfte für ruofet, vgl. anm. z. 73, 27. Als
falsch gelesene und verschriebene corapcndieu oder anfangsbuchstaben dürften auch die
bit. texte 18, 2.'5 obstetricum vice con. a. tj. (V o' und 53, 25 et prophele mwtuis
augesehen werden. Hätte der herr herausgeber auch die conipeuilicn der von ihm in
den text gesezten lat. citate in den LA. gegeben, so könte man vielleicht die art der
entstehung jener buchstaben (18, 23) ers(-hlicsseu.
ÜBER ALTl). PRED. ED. JEITTELES 247
Fgr. I, 66 t'g- ) , sowie die oben angeführten gedichte der Vorauer lis. Um von
durchgängigen Übereinstimmungen abzusehen , belege ich Wechsel von ue und e (s. XX)
mit MSD. XLI, 2 ce seiden, Mune Anz. VIII, 411 fg. iveren, spreche, hel/crc,
■wef/ere; a für o mit Fgr. II, 82 muhte, 83 ruwe, Diem. DG. 50 raice, 73 viahte;
e für ei mit MSD XLIIl, 11 heliyen nach der Innsbr. hs., XLVII, 1 hcUr/o, Kar.
Sprd. 5 hede; ü für m mit Mono Anz. VIII, 48 geivten , Wackern. 39 luten; ai, ei
für ae (s. XXI) mit Diem. Gen. Ex. 89 meien, Jos. 928 (Diem. Beitr. V, 37) sailde;
aei für ai mit Diem. DG. 88 fraeisliche enhaeiii; eu im iu (s. XXII) mit Diem.
DG. 8 deu, elleu, 50 deumüte , 51 edclett, liehen, 73 heu; o für ou (s. XXIII) mit
Fgr. I, 66 oh, 67 ogeti, Fgr. II, 13 hlhit, Diem. Gen. Ex. 15 trot; ue für uo mit
Kar. Sprd. 26 hcrmüede , Diem. Gen. Ex. 75 muedir. Nur von der diphthongiernng
des i , die in der ersten hälfte der St. P. Pred. sehr sparsam (z. b. 4, 11 fg. Epi-
phania, 14, 26 Dom. IV. in Adv. , 30, 24 fg. de innocent.), später häutiger ist
(s. XXI) , halten sich die oben zusammengestelten denkmäler frei mit ausnähme der
Lambr. Brev, , auf die ich zurückzukommen gedenke. Umgekehrt zeigen unsere
Predigten im ursprünglichen texte kein ou , au für ü, wol aber in den späteren
Zusätzen.
Gleiche Übereinstimmung findet in der conso nantenbezeichnung statt;
auch hier sollen aus den s. XXIII — XXVI zusammengestelten eigentümlichkciten
nur einige weniger häufige erscheinnngen belegt werden: j/t statt h vor Z> (s. XXIII)
Diem. DG. 280 umhuric; b für ja im anlaut Diem. DG. 304 buluer; p für h im
anlaute Fgr. II, \2 päre, perchteler, 1^ pilidi pittir peinin, S2p)eren, Mono Anz.
VIII, 48 preitte, Mone Anz. VIII, 411 p^-ot, 529 piirli , Diem. DG. 8 plint , 48 perc,
51 pitter; v für h (s. XXIV) Mone Anz. VIII, 411 aver, Diem. DG. 50 iverfen,
Wack. 39 aue , 41 werue, 42 ivarfe, Fgr. 1, 67 weruaere weruen, 67 au; d vor w
Diem. Beitr. V, 24 divügen; t für d im anlaut Mone Anz. VIII, 48 getvten; t für d
nach liquiden MSD. XLI, 20 loiwte, Mone Anz. VIII, 411 ivunter, ente, Diem. GEx.
90 gesunie , laute, Kar. Sprd. 9 schaute, Diem. DG. 11 ivurten; k für g im anlaute
Mone Anz. VIII, 424 kclegit, Diem. Beitr. V, 48 inkuUe; h im auslaut und inlaut
für ch (s. XXV) Mone Anz. VIII, 47 ensprehest, noh, 411 tvaJisene , enphclhen,
529 durh, Wackern. 40 enzoh , doh, nah, oiih , 41 ansih, Fgr. I, 66 oh , 67 sihtüm,
Diem. Beitr. V, 48 iah mihel zehrah; e für z MSD. XLVII, 1 ce, Mone Anz. VIII,
411 cruce. Wackern. 39 cite , 41 hince, Fgr. I, 66 hercen ; consonantengemination
kann nicht in dem umfange wie in S. P. Pred. i^s. XXVI) belegt Averden , nur ff' iu
Fgr. II, 11 rüffe, Kar. Sprd. 4 begriffet, ss Fgr. II, 13 icahsse, Diem. DG. 69, zz
sehr häufig in Fgr. II , Kar. Sprd., Wackeru. und Fgr. I, Diem. DG. Nur s für z
und SS für zz (s. XXVI) ist in den erwähnten denkmälern nicht nachzuweisen, oder
höchstens sehr vereinzelt: man vgl. Fgr. I, 66, 4 das luas ir gebet taegelichef hince
unferm herren, 68, 3 daz rehtes geriht ze allem cite uuoret dar nah. Weinhold in
der b. G. § 151 führt zu s für z erst späte belege an und sezt m. G. § 186 den
eintritt von ss für z für die mitte des XIII. Jahrhunderts fest; erst dem XIV. Jahr-
hundert spricht er zz für ff und z für s zu (b. G. 152. 153). Um das höhere alter
dieses auf ähnlicher ausspräche beruhenden wechseis nachzuweisen, genügt es auf
MSD. 294 (z. X, 27 daez für des), 300 (z. XI, 21 erbarmedes), 484 (z. dem bair.
sogen aus dem XL jh. s. 483) , 608 (z. XCIII, 4 das) zu verweisen ; aber den unmit-
telbaren beweis , dass dieser Wechsel der zeit und heimat der S. P. Pred. nicht
fremd war, bieten wider die Lambr. Brev. In der zeitlichen abfolge derselben
(Zs. XX, 186) weist zuerst das IV. breviar (ebda 157 fg.) in den älteren Überschrif-
ten , die auch sonst viel mit unseren S. P. Pred. gemein haben (z. b. i für e , eu
248 KUMMER
für iu, iie für ao; f für h, c für z, gemination von ff, nn) aber noch kein ei für i
zeigen, „s für z oft, noch häufiger ss für zz'' auf; schon die jüngere interliuear-
version desselben broviers (s. 159) bringt dann ei für t, und so fallen denn die
meisten der von Schönbach (ebda 187) zusamniengestelten eigentümlichkeiten jeuer
breviere mit den Schreibweisen unserer S. P. Pred. zu-ammen.
Braucht bei so zahlreiclien nachweisen noch auf einzclheiten hingewiesen
zu werden, wie auf das häufige o der flexionen (s. XII anm. : W. Gen., Pr. Adelbr.,
DM.41, Kar. Sprd., Millst. Pr.), auf den zwischenvocal nach l (23, 7 uertiligea,
51,20 Walichen: Wackern. Pred. 40 enphalich , vgl. auch Zs. XX, 157), auf e beim
st. praet. (A. z. 104, 27: Wackern. Pred. 40 gienge, 41 uanäe , 42 icarfe, vgl. auch
Wcinholds abh. ebda s. 450) auf Mete (s. XIV: Millst. Pred., Wackern. Pred. , vgl.
auch Steinmeyer Anz. II, 217) auf diu zale (anra. z. 11, 12: Millst. Gen., Millst.
Pred.) u. a.?
2. Über die sprachliche einleituug kann ich mich kürzer fassen, da ich
hier nur wünsche auszusiirechen habe. Der herr herausgeber hat ausser der bereits
erwähnten lautlehre noch apokope, synkope und inclination ausführlich (s. XXVII —
XXXIII), dann wider aus der syntax den gebrauch der adjectiva im zusammen-
hange behandelt (XXXIII — XLIII). Hier treten wichtige eigentümlichkeiten des
bairisch - österreichischen dialectes an unserm denkmale zu tage; man vgl. über das
flexionslose schwache adjectiv Eoediger zur Litanei (Zs. XIX, 299), über das starke
adj. nach dem artikel Schönbach zu Lambr. Brev. (Zs. XX, 187, 1). Ich habe in
dieser partie ausser einigen fehlenden belegen wenig nachzutragen: z. s. XXII, a.
Statt auf die zum grösseren teile nicht in Kärnten abgefassten Urkunden des Codex
austriaco - frisingensis (Pontes rer. austr. IL abt., bd. XXI u. fg.) hätte ich auf das
urkundenbuch von S. Paul (Ders. samml. bd. XXXIX) verwiesen , welches in den
namen des XII. jh. bereits die unseren predigten eigenen Wandlungen von ei in ai,
iu in eu, i in ie (s. 95 Vriberg , bald darauf vrieherg J. 1192; z. MSD. 586) auf-
weist. — S. XXIV fehlt g als bildungsconsonant in gevriget 55, 18: a. Gr. 215,
b. Gr. 178. — S. XXXVII wären aus den beispielen für das st. adj. nach dem
pers. pron. (ich vil armer chneht 110, 1) die mit dem gen. ir auszuscheiden. —
Die ganze flexion sichre und wichtige teile der Satzlehre sind teils gar nicht
zur darstellung gekommen^ teils in den anmerkungen besprochen worden, was um
so mehr zu bedauern ist, als in den lezteren das zusammengehörige nicht immer
beisammen steht, und auch ein register fehlt. In der verbalflexion verweise ich
besonders auf die III. p. pl. praes. ind. auf -en statt -ent (anm. z. 10, 27. 65, 7.
78, 28. 111, 2. 123, 6; zu den hier gesammelten beispielen gehört noch 3, 16
halsen ; Weinhold bG. 285 und mG. 379 führt nur Diem. DG. 284, 23 bergen und
dann erst zahlreiche beispiele aus Suchenwirt an). Geradezu bunt geht es in der
nominalflexion her : nicht wenige subst. , die im guten mhd. stark gebraucht wer-
den, sind hier schwach, und umgekehrt; die adjectivfiexion ist aus rand und band:
der starke dativ masc. zeigt -en statt -em, z. b. 12, 16. 13, 28. 14, 8. 11, was
auch im texte beizubehalten gewesen wäre; dafür ist die pronominale endung -em
auf ein subst. übertragen 2, 15 herrem , was uns erst in Urkunden des 13. jh.
begegnet; das st. fem. zeigt im nom. sg. e statt tn 9, 19 A. z. 54, 24, im acc. iu
statt e, A. z. 41 , 2 (auch die S. Gallner Pred., Germ. VII, haben das s. 343 so
hat er volkomniu riuive gehcpt); das neutr. pl. hat e statt iu, A. z. 17, 16; das
schw. adj. zeigt schon im nom. sg. -en, 53, 4 diu engelischen sptse. Dass diu,
die, di ebenso gut neben einander stehen, (53, 17) als st. und schw. oder flexions-
loses adjectiv, hat J. widerholt angemerkt. Man wäre versucht, manches hievon
ÜBER ALTD. l'UED. ED. JEITTELES 249
als Schreibfehler auzusehen und mit J. in die LA. zu verweisen; da aber die syu-
tax ebenso abwechslungsreich ist, so wird wol eben diese ungleichniässigkeit als
charakteristicum des deukmals gelten müssen und zu bewahren sein. Hinter col-
Icctivischem singular ist }ilural bäuiig: Anm. z. 35, 8; dazu noch 12, 20 manigen
mennischen ..., di davor hlint ivärn. 45, 13 diu heidenschaft diu loas als
Dcste daz si gevangen ivären u. a. Singular des praed. bei plural. subj. ist mit
zahlreichen beispieleu in den anm. z. 35, 7. 53, 21. 58, 30. 131, 30. 135, 1 belegt.
Das natürliche geschlecht tritt an stelle des grammatischen (A. z. 116, 29. 122, 3),
z. b. 31, 24 elliu diu chindelin, di ze B. waren. Zur ersten beobachtung vgl.
mau G. YII, 342 sit daz got deJcein ding hazzet, die er geschaffen hat, zur
dritten Mone Anz. VIII, 414 do vurhter daz ein leint geborn were, der in . ..
rerstieze. Das relativ wird attrahiert 31, 17 dö hat er di giviset %vären (das in der
anm. angeführte beispiel aus Kudr. 412 iver sint die sitzen hie, passt nicht, da
hier beide prou. im gleichen casus stünden) , selbst ausgelassen 16, 21 daz di vische
dar in ivären . ., stürben; vgl. Mone Anz. VIII, 414 Ir mine holden, ir da arbeit
unde not in dirre werlt habet erliten , ich teil iu Ionen. Gemischte constructionen
und kühne , mehr dem gesprochenen worte als der schriftlichen darstellung eigene
Übergänge sind zahlreich; man füge zu den in den Anm. z. 28, 23. 43, 16. 48, 2.
61, 12. 85, 25. 129, 16 aufgezählten noch 25, 2 und die ellipse von suln 41, 12.
Über die glossen und correcturen der handschrift spricht J. s. XI; von
den „erweiternden glossen" soll später die rede sein; die erklärenden aber geben,
wenn man sie zusammenträgt, ein höchst beachtenswertes Verzeichnis von aus-
drücken, die zu einer gewissen zeit nicht mehr verständlich oder üblich waren.
Falls diese alle der gleichen band gehören und die zeit der lezteren sich bestim-
men lässt, gewiut man durch sie — sie sind zahlreich und ich habe mii- von
s. 1 — 70 über vierzig notiert — für eine bestirnte gegend und zeit einsieht in den
wandel der bedeutungen und die abnutzung des sprachmaterials. Häufig freilich
vertauschen sie nur die ältere, sinliche, concreto ausdrucksweise mit einem mehr
abstracten, gewöhnlichen worte, z. b. 65, 26 chrimmiger, darüber zorniger. Mit
einigen belegen für den bild err eich tum der predigten und mit dem bedauern,
dass nicht auch diesem ein kleines capitel der einleitung geworden , schliesse ich
diesen abschnitt; zahlreiche bilder liefert der kämpf, z. b. 19, 26 fgg. volchwich,
brunne , 20, 3 versniden, halsperg, 25, 10 vleischliche briinne, 48, 21 halsperge
siner erlösunge, 65, 21 halsjierge alles rehtes (vgl. Corinth. 2, 6, 7 arma iustitiae) ;
menschliche Wohnungen: 55, 3 di breiten hon/pstat der himlischen freuden und die
schönen tveide . . in smein paradisö, 67, 2 a}is^<ler grede des rehten gelouben;
39, 25 nachvolgen ir vuozspar, so si umbeblicke , daz si iht einge {chirchJcanch
unser frowen); die pflanze: 66, 23 ir saelde . . . muge geivurzen; usw.
2. Meine vorschlage zur richtigsteUung eines teiles des textes (s. 1 —
70) gelten zunächst den Zusätzen über dem handschriftlichen texte („er-
weiternde glossen" s. XI). Ob in beziehung auf diese consequenz hersche oder
nicht, ist dem beurteiler des buches schwer zu entscheiden, da nicht jedesmal
bemerkt ist, ob die glosse von gleicher oder späterer band stamme. Manchmal ist
die aufnähme eines derartigen Zusatzes ^ allerdings nötig, z. b. 46, 2 Des erchom
si vil sere und versucht aver ir heil und {do si sach daz if) niht davor half, dö
ivarf si . . .; zuweilen überflüssig: 18, 27 Si gruozten uns armen, {in diser werld)
1) Hier und im folgenden bezeichnet die runde klammer handschriftliche Zusätze
über dem texte, die eckige klammer Zusätze des herausgebers.
250 KUMMEK
war offenbar als i,^luasc zu üf irdischer sarge , z. 26, bestirnt und geriet irrtüiulich
über armen), 43, 29 daz uns des civigen Uehtes nimmer zerinne und (wir) wirdich
tverden si ze sehen . . . (ergcänzung des pronominalen subjectes aus einem voraus-
gehenden casus obliquus belegt J. i. d. A. z. 4, 26; man füge zu den hier gesam-
melten beispielen nocli 11, 21. 50, 4 und 49, 17a), 44, 1 chomt herze mir, sxwicht
er {vnser herre) ir hirt di gesegent mines vater, 44, 7 Sant Marie diu ist frotve
und [ein) suoversiht aller dirr toerlt, 44, 9 si ist ein loisunge {alles) geistliches reh-
tes , usf.; häufig gewint der text an rhetorischer färbung durch nichtbeachtung der
Zusätze, die demselben streben nach prosaischer ernüchterung zu verdanken schei-
nen, wie ein teil jener oben erwähnten glossen, z. b.: 45, 3 nu sehen {uns) an
und erchennen di steige siner gnaden, {imd) di minne sines geistes , den vater-
lichen tröst (asyndeton!), 47, 19 iverfen {wir) ze ruclie {di) ivertlich sorge, {und)
schämen ims der alten sunten, iverven den antläz (asyndet. enthyniem mit ausge-
lassenem xoir bei der I. pl. conj. in imperat. Verwendung, vgl. anm. z. 45, 3 und
Müllenhoff Sprachproben, 2. aufl. s. IV), 54, 17 ebenso, 59, 9 D6 sprah Andreas,
sant Peters hruoder : hie ist ein chint, das hat fimf . . hrot und zicen vische . . .
nu zeige den unchunden . . . das wir (19) is an dir tvöl ivizen, {dv) sprah sant
Andreas, der zwelfputen ainer, herre , du heizest {ein) toenigen sämen . . loerfen
usw. (durch nichtbeachtung des dv = duo ist die widerholung des „sprach sant
Andreas" viel besser als wenn mit duo die fortgesezte rede als neue bezeich-
net wird).
An mehreren stellen scheint änderung der Überlieferung nicht nötig und wäre
die hsl. lesart beizubehalten: 25, 2 der lach . . in der schöse siner l. muoter
an vater und irdischer (J. irdische) sunde. Wegen äne mit gen. neben an vater
(1, 21 steht Vaters) konte auf Lachmann z. Nib. 2308, 3 hingewiesen werden, wo
ähnliche beispiele doppelten casus bei einer praep. gesammelt sind. — 34, 29
tvand uns hezzerunge chomen ist von sinen gnaden, diu [J. durch die'] heiige totif.
Die nachgesezte erklärende apposition ist nicht zu beanstanden. — 50, 26 duz er
sich lie versuochen [durch] den tievel, Gr. IV, 630, besonders das aus Hei. 48, 15
citierte beispiel zeigt, dass die einschiebung ganz überflüssig ist. — 54, 2 fgg.
Nu {suhl) wir den Uhnam hestaten ze der erden dannen er chomen ist, [und bit-
ten, daz] alles himelischez her di s. sele ze st ivesunge bringe .... Fasst man
den ersten satz als couditionaleu Vordersatz mit ausgelassener conjunction , wie
er ursprünglich gemeint war, so ist der Zusatz überflüssig und im optativischen
nachsatze ist nur die Wortstellung auffällig. — 58, 20 under andern den seichen
. . . spricht s. Johannes, [da von] das er siniu ougen huob. Der zusatz ist über-
flüssig. — 60, 7 diu girstin bröt (hs. girstinn , J. girstinen) entspricht der hs.
besser als Js. auflösung; über das flexionslose adj. nach dem art. vgl. s. XXXVI. —
65, 15 sioer . . niht miden ivil dehein unreht durch sines schepfacres Übe (hs. Übe,
J. liebe) , über i für ie vgl. s. XX.
Für folgende stellen schlage ich emendation vor: 13, 14 di blinten tver-
den gesehente, di touben (hs. toten) gehörente. In der A. z. 14, 5 weist J. für
ertören die bedeutung „taub werden" nach; zu seinen beispielen füge man hinzu
Fgr. 1, 67, 22 ^cir toaren ertort unt erstummet; dem gemäss schlage ich vor mit
näherem anschlusse an die züge der hs. zu lesen: di tören gehörente. — 33, 12
diu wirdich ist aller wirdicheit und loillich ist alles unsers gebetes ze hören. So
wie s für s besonders beim neutr. des adj., ebenso sezt die hs. manchmal s für s
beim genet. und verbum; man wird schreiben müssen alles und gebetes; denselben
fehler hat der licrr herausgeber verbessert 52, 20 alles fkisches (hs. alles), den
ÜBEK ALTD. PKED. ED. JEITTKLES
251
uiugekehrteu liiD, 17 über alz jur (ha. als); dagegcu ist er stclm geblieben 57, 2G
alles sines lihes , \vu ich nicht an das adverb allez (anni. z. 33, 12) denken möchte;
vgl. auch 59, 11 (16 ivus (hs. tvuz) ir geloub i. m. (lest staeter. — 40, 24 der
engel und der wissage, se dem si lange tvären (jetr ästet an ir hnochen und an ir
Schrift, der forbot xoas sant Johannes d. t. Durch tilgung des hinter schrift im
texte stehenden chomen wird der satz verständlich und dem folgenden parallel;
chomen mag durch abirren auf das z. 21 vorausgehende cJmne oder das z. 26 fol-
gende chum, wenn eines in der vorläge etwa am ende der zcile stand, in den text
geraten sein; tröst ze einem dinge belogt das Wb. z. Iwein , troesten zuo, aller-
dings in der bedoutung „geleiten bis," das Mhd. Wb. 3, 116 '\ 45. — 43, 19 der
besaz di freien wamben sant Marien. Die glosse den rnin bavch , zusammengehal-
ten mit der gepflogenheit unseres Dm., mit rain nicht vri vrei, sondern her zu
glossieren (38, 6. 39, 26. 40, 27. 67, 26), imd mit dem sprachgebrauche, der bei
s. 31. loambe niemals vri, wol aber liiusch und rein aufweist — her ist nach den
augeführten glossen mit rein synonym — lässt sich vermuten, dass im ursprüng-
lichen texte lieren stand und für vrien verlesen wurde. — 51, 23 vert diu ze
Ungnaden, (J.?) diu mach wol jehen, das si eilende si , loande .. . Durch ände-
rung der interpunction erhalten wir hypothetischen Vordersatz ohne conjunction,
ähnlich wie oben 54, 2. — 53, 25 1.: et prophete mortui s. (lis. und J. mortuis.)
nach der Vulg. — 56, 26 schlage ich geänderte interpunction vor: wirt er unser
geioaltich, daz -wir d. s. z. sunden begen, loerden wir d. erlöset v. s. g. mit dem
h. tröste, (J. sezt punctum) wir snln bexvarn, daz er d. «'. iht chome . ., und fasse
die beiden mit wirt und -werden beginnenden sätze als einander vorgeschobene,
subordinierte bedingungen , ähnlich wie 52 , 6 u. ö. - 68 , 9 . . Daniel , der ver-
dient an dirre vasten: (J. sezt punctum) dö in sin vient, d. u. li., in ein chivr-
chere ivurfin, i. e. l., da loärn inne siben lewen. Durch meine änderung wird die
mit dö beginnende periode als object des verdienen gekenzeichnet; während es vor-
her hiess dö (Helias) . . wol begiench . . dise vierzich tag, dö wart er got so heim-
lich, daz usw., ist an unserer stelle die construction gewechselt und die folge in
einem selbständigen, dann anakoluthisch auslaufenden satze ausgedrückt. Durch
die vorgeschlagene interpunction wird die anm. z. 68, 9 überflüssig, dass verdienen
hier in intrans. bedeutung = „sich verdient machen" stehe.
4. Um auch zu den anmcrkungen (s. 141 — 166) mein bescheiden teil bei-
zutragen, mache ich auf folgendes aufmerksam: 4, 12 Der eingang von Kelle Spec.
37 (Epiphan.) stimt viel näher zu ö. Paul Pr. 37, 8 (gleicher text!) als zu unserer
predigt. Über das übrige s. unten. — 6, 10 (jart hier und z. 19 ist „stachel,"
wie aus Act. Apost. 9, 5 durum est tibi contra stimtcUun calcitrare und Leyser
82, 33 iz ist dir vil herte . . . vf zv slahne ivider dem garte hervorgeht. — 33, 5
omnis anima, que eircumcisa non fuerit, delebo illam de popiilo meo ist zusam-
mengeflossen aus Gen. 17, 14 masculus cuius p. caro eircumcisa non fuerit,
delebitur anima illa de populo suo und Levit. 23, 29 omnis anima, quae
afflicta non fuerit die hac, perebit de populis s^iis, 30 et quae operis quid fece-
rit, delebo eam de populo suo; der Inhalt und die erwähnung des Abraham 34, 4
macht Steinmeyers bestimmung sogar wahrscheinlicher; ähnliche contaminationen
hat Schönbach zu den von ihm herausgegebenen predigtbruchstücken (Zs. XIX, 192, 30.
XX, 229, 26 u. ö.) nachgewiesen. — 33, 12 erklärt sich einfacher, wenn man aus
„alles unseres gebetes ze hören" sich ein unbestimtes object (iz) zu ze bringen
ergänzt und das folgende uns ze etvichlichen vreuden als dat. commodi fasst. —
252 KUMMER
44, lo Hieher ist nameutlicli noch zu ziehen Leys. 102, 21 Sie üt ouch hezcichent
hi der gerten die . . . loubete vnd hlüioete und brachte nvzze vnd ivas doch dvrre;
ebda 24 vnd blüwete doch, loane die hlüme . . . loart v. i. geborn vnd daz loub
vnd die nvzze . . . quamen von ir. Mit si ist diu himelisch porte (S. P. Pred. 44, 20)
ist Ezechiels pforte (Ezech. 44, 2) gemeint; vgl. Walth. 4, 6 Ezechieles porie und
Wilnianns Walther s. 313. — 45, 24 Ebenso steht an bet in der von J. zu 45, 12
herangezogenen predigt in Mone Anz. VIII, 432, die übrigens noch mehrere auf-
fallende parallelen bietet z. 45, 28. 46, 3. 19. — 49, 24 Imp. ginch mit ? sezt
Weinhold in der bG. und in der mG. an, ebenso Heinzel in der Er. an den von
Weinhold angeführten stellen. — 52, 15 und 54, 1 sent Michelen. Auch Fgr. I,
114, 28 {coimncmoratio defunctorum) heisst es am Schlüsse: desselbe pitet oh den
guten S. Michaelen unde hellet itvern ruf: nu enphelhin loir die s. Kelle Spoc. 125
unt. {S. Michaelis) manet in . . . sines grozzen getvaltes . . . , daz er vns gcnadec-
lichen röche zenphahenne, so sich sele vnd Hb seeidet. uleget in och umbe
di angestlichen not der iungsten urteile. Über S. Michael als türsteher des para-
dieses und propugnator animorum vgl. R. Hofmann , Leben Jesu nach den Apokry-
phen, Leipzig 1851, s. 270 und 433. — 53, 24 brüten. Hier war auf Haupt z.
Ncidh. 44, 26 zu verweisen. — 54, 13 volgen noh dem heilant. Falls wir in die-
sem noh einen neuen beleg für die im bairischen dialect beliebte vcrdumpfung von
ä in d erblicken dürfen, wie der sinn zu fordern scheint, so wäre zu schreiben
noh; Weinh. bG. 56 belegt noh für näh erst aus späteren quellen; über h für ch
vgl. s. Xll. — 55, 16 als andersioä geschriben stet, nemlich Matth. 12, 22. —
63, 8 unser herre wolt niht lougen, ern tvaer von Samaria, daz spricht von
der huote. Diese stelle findet ihre erklärung in der kirchlich recipierten etymo-
logie Samaria = custodia, adamas, vgl. Galura, Nov. Testam. Oenip. 1835,
s. 295. Andere namenumdeutscliungeu unserer predigten stimmen nicht zu den reci-
pierten, z, b <o, ^ Saulus daz sprichet tiutsch ein loolf und ein achter, ebda 13
Paulus sprichet ze tiutsch liehtvaz, vgl. Leys. 8, 5. 82, 2 und 30; oder 45, 12
Tyro et Sydon, captivitas et venatio, vgl. anm. z. St. — 66, 14 Die predigt gehört
dem I. , nicht , wie J. schreibt , dem IL sonntage in der fasten zu ; die epistel
jenes Sonntages ist Corinth. 11, 6, 1 — 10, derselben ist aber der text unserer pre-
digt entnommen , weshalb sie Schönbach in Steinmeyers Verzeichnisse s. 229 der
Dom. I. in quadrag. zuweist. — 68 , 20 In demselben Verzeichnisse steht bei Dom.
IV. in quadrag.: „(Esai 49, 18 und sonst) S. Paul 149." Die predigt ist identisch
mit der bei J. 68, 20 überschriebenen In dominica Letare, der text ist aber, wie
J. richtig bemerkt, Ezech. 33, 11 entnommen: vivo ego, dicit Dominus Dens, nolo
mortem impii {peccatoris S. Paul).
5. Auf den Zusammenhang der von ihm herausgegebenen samlung
mit anderen oder auf die benützung der apokryphen, der legenden, auf
symbolische erklärung von bibeltexten, festen, gebrauchen einzugehen, hat
wol nicht in der absieht des herrn herausgebers gelegen; refereut glaubt, dass er
selbst die ab und zu in den anraerkungen verstreuten bemerkungen als gelegent-
liche angesehen wissen will. Eben so wenig ist ihm sicherlich entgangen, dass
bei vergleichung der predigten des gleichen festes und des gleichen
textes an der band von Steinmeyers erwähntem Verzeichnisse, das er ja benüzt
hat, sich ganz interessante parallelen zwischen den von ihm veröffentlichten pre-
digten mit anderen samlungen im einzelnen und für die ganzen samlungeu ergeben.
Offenbar hält es Jeitteles noch nicht an der zeit über den Zusammenhang der mit-
ÜBER ALTD. FRED. ED. JEITTELES 253
telalterlicbeu deutschen predigtsainlungeii unter eiiiander und mit lateinischen ori-
ginalen sich auszusprechen, da ja noch so manche wichtige samlung der Veröffent-
lichung harrt.
Mit rücksicht auf den umfang, den diese besprechung bereits gewonnen,
greife ich nur drei predigten heraus: s. 4 (und 37) in epiphania. 4, 17 die
chunige di ivären geJi'rt die chunst, daz si sähen an dem gestirne chumftigeu
dinch: Fgr. I, 84 drie kunige . . . die ein iegeUch dinch wol an dem gestirne
künden gisehen: Leys. 55, 4 die magi hatten des getronheit, daz si sahen an
das gesterne. — Bei der deutung der gaben, wobei ausser den in der anm.
z. 4, 15 erwähnten stellen (Wackern. XV, Mono Anz. VIII, 419, Kelle 37) noch
Fgr. I, 84, 3, Germ. VII, 343 fg., Leys. 54 in betracht kommen — Birlingers Ale-
mannia war mir nicht zugänglich — findet sich bald mehr, bald minder genaue
Übereinstimmung: in S. P. Fred. 5, 9, bei Kelle, Wackern., Mone und Hoffmann
ist die deutung mit hediuten eingeleitet; mit ausnähme von G. VII und Leys. stim-
men in der deutung des goldes auf das königtum alle übrigen überein, doch so,
dass der ausdruck „könig aller könige" bei Kelle 38 med., Wack. XV, Fgr. 84, 38
gemeinsam ist; Mone 419 hat das lateinische original deus deorum, rex regum,
dominus dominantium; bei der deutung des Weihrauches ist der ausdruck eivart
den beiden S. Paul. Pred. mit Fgr. gemeinsam, eine Übersetzung des lat. summus
pontifex, verus sacerdos bei Mone. In Keiles Spec. 38 steht ivihroch an dritter
stelle und wird gedeutet der wäre krist, der die ivelt mit sinem tode erledigen
solte, ein ausdruck, der in der deutung der myrrhen in S. Paul. Pred. 38 und
Fgr. 84 wörtlich widerkehrt. Als symbol der trinität deuten die drei gaben Mone
VIII , 419, 0. , Leys. 58 , 12. Fast alle predigten knüpfen an die deutung der gaben
die aufforderung zum opfer; während sich aber einige auf die algemeine mahnung
oder aufzähluug der geistigen opfergaben beschränken, setzen andere die lezteren
mit den gaben der drei weisen in beziehung und sehen diese als symbole jener an:
Mone, G. VII, Leys. Als fest der heidenberufung, vocatio gentium, wird Epipha-
nia gedeutet bei Wackern. XV, Mone VIII, 418 unt, Fgr. I, 85, 4, Leys. 54, 39.
55, 15. Dem lateinischen texte bei Matth. 2, 3 Herodes rex turhatus est entspricht
zwar die Übersetzung Herödes betrüebet in S. P. Pred. 4, 28, Mone VIII, 418 med.,
G. VII, 344 unt. , Leys. 56, 8, nicht aber die anderwärts begegnende erschrecket.
Fast gleich lautet die erklärung von Matth. 2, 1 magi ah -Oriente in den ,S P. Pred.
4, 15 drin chicnigen in Oriente, daz ist in dem lande, da deu sunne uf hrichet
und in G. VII, 344 med. die künige komen sint von Oriente, daz ist von dem teile
der iverlt da diu sunne üf gät. Endlich wird die gleichzeitige feier von drei festen,
nemlich ankunft der weisen, Jesu taufe und hochzeit zu Ghana, erwähnt in S.Paul.
Pred. 5 und 38, Mone VIII, 419, G. VII, 344; dazu fügen als viertes die erweckung
des Lazarus Spec. 38 und Fgr. 85 , 25. — Aus solchen nicht biblischen Überein-
stimmungen Schlüsse zu ziehen wäre vorschnell, wenn nicht sämtliche zugängliche
pr<^digten gleichen anlasses oder textes verglichen werden, und wenn nicht die
lateinischen homilien (s. Kelle Spec. einl. s. X) und die lateinische geistliche poesie
des mittelalters zur vergleichung herangezogen werden können. Über die weisen
und ihre gaben vgl. R. Hofmann 127 fg. ; den gang , welchen die deutung der
gaben almählich genommen, hat Schade, Liber de infantia Mariae et Christi sal-
vatoris, Halis 1869, s. 35, a. 213 gezeichnet.
In der predigt ad missam in galli cantu heisst es 18, 21 dö si heiligiu frowe
sah die heiligen engel ir lichcz chint in ivinten und an hitten als da geschri-
ben stet: Obstetricum vice con. a. g. d. o\ allez daz d. di v\ ammen a. eh.
254 KUMMER
pflegent ze tuon, äaz begiengen alles cli engel a. u. h. Was mit der unauf-
lösbaren stelle (anm. z. 18, 23) gemeint sei , zeigen die aufangsworte und die deut-
sche Umschreibung ; wir haben es mit einer traditio» zu tun , welche in naher
beziehung steht zu dem apokryphen über de infautia Mariae et Christi Salvatoris;
dort heisst es 26 (Schade) . . et peperit viaseulum. Quem circumdeäerunt nas-
centem angeli et natum statim adoraverunt. Die abhängigkeit der Hrosvitha,
Historia nativitatis . . dei genetricis , des Bruder Weruher , des Konrad von Pusses-
brunnen, des Passionais, des Br. Philipp und des Walther von PJieinau von die-
sem bei Tischendorf Evangelia apokrypha Lipsiae 1853 Evangelium Pseudo-Mat-
thaei überschriebenen apokryph hat Schade in der eiuleitung nachgewiesen : an unse-
rer stelle A. 171 macht er darauf aufmerksam, dass K. v. Fussesbrunnen , Br. Phi-
lipp und W. V. Eheinau fast mit den gleichen worten berichten, dass die engel
hobammendienste geleistet. In der tat ist die Übereinstimmung auffallend:
Hrosv. (opera Norimbergae 1501 fol. e. 1 vorne) quem genituvi . . . angelicus
circumstat deniqiie caetus laudans, (Wernh. Fgr. II, 196, 15) ir tvären die
engele M . . iane ^cas ouli bi der froiven nehein loerltlicher lip, K. v. Fussesbrunnen
(Hahn, 76,47) der engel ein michel wenige ivas, die der ammen reht begien-
gen, Pass. 19, 53 waz da godes engele vil, di ir . . . daz kint Imlfen berü-
cken, do si beioant mit tuehen ir Unt , Br. Phil. 2048 die engel do . . mit der
muoter ouch begiengen hevammen reht, W. v. Rheinau (Keller 58, 52) kam
ein michel engel schar . . und umbstuond .. die gebernden maget . . vm,d
dienten . . an der stat der gnäserin. Da mir die vita metrica beatae Mariao,
die quelle für Br. Philipp und W. v. Eheinau (vgl. Eückert einl. z. Br. Philipp
s. VIII) , nicht zugänglich war , so kann ich nur annäherungsweise andeuten,
was jenen vielleicht falsch gelesenen corapendien der S. P. Pred. zu gründe gele-
gen zu haben scheint, nemlich eine etwas veränderte fassuug der Avorte des liber
de infantia: obstetricum vice circum ^ederunt iiascentem Avgeli et aAoraverunt.
Unaufgeklärt bleibt da immer noch die herkunft der beiden ausgeschriebenen ein-
gangsworte. Auch hier verweise ich auf E. Hofmann 112.
Eben so vielfache berührung mit der geistlichen dichtuug wie die
behandelte stelle bildet in einer anderen weihnachtspredigt die erzählung von den
wundern bei Christi gehurt, 28, 23 — 24, 5 Datze Börne toas ein apgot ...
den hiezen si Martern . . . ze den toihnahten ... viel daz apgot und fuor scJiriende
üz der stat ze Börne. Allen den taeh toas ein guldiner rinc umb di sunne.
Uz 'einem herten steine datze Börne vlöz ole an dem tage. Im anschlusse an
die wunderbaren erzählungen in den evangelien und in den apokryphen wurden
schon früh berichte von anderen wundern in andern gegonden gesammelt und mit
der zeit auf eine stattliche anzahl gebracht; vgl. E. Hofmann 110 — 112. Diesel-
ben spielen in den geistlichen dichtungen des mittelalters eine grosse rolle. Ich
habe sie durch zehn dichtungen sowie mehrere predigten verfolgt und gebe im fol-
genden aus meiner tabellarischen Übersicht, was für unsere predigten in betracht
komt. Unter deutschen dichtungen finde ich zuerst solche nicht biblische ^vunder
im leben Jesu in Diem. D. G. und zwar 233, 19 fg. ... si sähen ze Börne ein
rinch gen umb den sunnen, üz einem hiis flöz ein olebr rinne. Das zweite
und dritte zeichen also in gleicher reihenfolge. Das erste fehlt in der Vorauer
handschrift ; das wunder mit dem Mars (ebenso in Wernh. Maria 201 , 3 , und in
Grieshabers Vaterland. 269), für welchen sonst der Friedonstempel eintritt, wird
allerdings allenthalben nach Eom in Octavians rogierung verlegt und könte mit
den Worten im Leben Jesu 233, 17 er wart e gurchundet in Octatiiänes siten vor
ÜBER ALTD. PRED. ED. JEITTELES 255
heidiniscen lüten angedeutet sein. Gleichwol ist dio S. Pauler Prcd. nicht vom
Leben Jesu abhängig; mau vgl. üs einem lierten steine S. Paul > üz einem-
hüs Vor. hs.; ferner die verschiedene deutung: in der Vor. hs. beide wunder
gedeutet, ivdres licht, diu oberesten (jnäde (vgl. QF. VII, 68), in der predigt nur
das lezte doppelt, Röme mnoter aller Christenheit , ole siner hermde. Der ölbrun-
nen erscheint in allen von mir verglichenen dichtungen, also im Leben .Jesu a. a. o.
in der .vita metrica b. Mar. virg. (Rückort, Br. Phil. 353), Wornli. Mar. 200, 32,
Pass. 21, 32, Br. Phil. 2250, W. v. llheinau 63, 6, Grazer Weltclir. (Diom. Beitr. I)
15% 32, ndrh. Gcd. (Heinzel Zs. XVII, 18) 187, ferner bei Leys. 48, 16 mit beru-
fung auf einen lateinischen hymnus und kSchönbach Pred. Bruchst. (Zs. XIX, 185,
23). Nur Hrosv. und K. v. Pussesbr. , die überhaupt ausser den biblischen wun-
dern (stern , cugel bei den hirten) nichts bringen , haben ihn nicht. Auch der ring
um die sonne ist häufig und zwar ein rinc bei Br. Wernh. , ein cireel im Pass.,
Corona in der vita metr. und darnach bei Br. Phil. , W. v. Rhein, und Graz. Welt-
chron. Der stürzende Mars ist schon erwähnt, der friedenstempel findet sich in
der vita metr. , bei Br. Phil. , W. v. Rheinau , Graz. Weltchr. und Leyser , im Pass.
steht vor dem vrides tempil ein bilde des Romulus. Neben diesen weitverbreiteten
Vorzeichen erscheinen noch viele andere; die vita metr. zählt deren 18 auf, ebenso-
viele W. v. Rheinau, die Grazer Weltchron. gar 25 (Dieni. Beitr. I, 31); Passional,
W. v. Rheinau und Grazer Weltchrouik führen als gewährsmänner zu einzelnen
wundern kirchenväter und Chroniken an.
Zur Predigt de S. .Johanne evang. s. 28 habe ich noch eine alemanni-
sche predigt des XII. Jahrhunderts aus Priester Konrads Predigtbuch, das
Job. Schmidt demnächst herausgeben wird , und von welchem er proben im progr.
des gymuasiums a. d. Landstrasse in Wien 1878 verötFentlicht hat, herangezogen.
Die S. P. Pred. enthält die legende im wesentlichen, aber umfangreicher und aus-
führlicher ist Leys. 77. Beide gehn vom gleichen text, einer stelle des Brev. Rom.
aus, haben zuweilen ähnliche ausdrücke, die gleichen wunder ; aber in verschiedener
Unordnung. — Zs. XX, 233 stimt anfangs dem Inhalte nach {mümin sun, Hoch-
zeit des Johannes identisch mit der Hochzeit zu Ghana) zu Mone Anz. VIII, 411,
später, oft bis zu wörtlicher anlehnung mit Leys. 77; z. b. Zs. 235, 32 oo Leys. 80, 30.
Zs. 236, 7 oo Leys. 81, 2; Schönbach z. Zs. 236, 12. — Gleichen text haben Mone
Anz. VIII, 311 und Roth 21 = Schmidt 16, welcher Roths fragment ergänzt.
Schmidt 16 und Leys. 77 haben die meisten wunder gemein, bei Schmidt fehlen
die geschichten von der witwe (Leys. 79, 8) und von dem jüngling (Leys. 80 , 10),
bei Leyser die breite ausführung über das Johannesevangelium (Schmidt 18, 17 —
19, 25); anderseits stehen sie einander im ausdrucke widerholt so nahe, dass man
eine gemeinsame quelle vermuten darf; man vgl. Schmidt 17, 13 der guote sunt
Johannes oo Leys. 79 , 32 der gute sente Johannes (giftprobe des Aristodemus) ;
Schmidt 17, 30 Domiciänus ivarf in da ze Börne in eine botengen volle loellendi-
ycs oles (Mone VIII , 413 tvart er geivorfen in eine potegen volle oles , S. P. Pred.
29, 13 Domiciänus hiez im, toerfen in tvelligez ole, Zs. XX, 235, 6 Domiciänus . . .
in ein potige volle waziris und ivallindis olis) oo Leys. 77, 37 domiciänus . . . Ines
in werfin in eine hüte wallendis oleies; Schm. IS, S da eroffent unser herre . . .
elliu diu tougen cjo Leys. 78, 8 so eroffente im vnser herre die himelischen tougen;
19 , 23 das er . . . die wirtscaft besäse oo Leys. 81 , 19 d^i hast mich geladen zv
diner Wirtschaft (himmelreich); Schm. 20, 3 gienger lebentiger in das grap oo Leys,
81, 25 gincli also lebendich in daz grab.
256 BERNHxiRDT, ÜBER ROST, SYNT. DES DATIVS IM AHD.
Das glossar s. 182 — 187 bereichert den mhd. Wortschatz mit einer ansehn-
lichen zahl von Wörtern , wie man sich aus dem schlusshcfte von Lexer und aus
den nachtrügen überzeugen kann. Ohne einzelnes anzuführen beschränke ich mich
auf die bemerkung, dass es handlicher und reicher ausgefallen wäre, wenn der
lierr herausgeber 1. alle äna^ tiorj/jevu als solche gekenzeichnet, 2. alle nur in
österreichischen quellen vorkommenden Wörter, 3. alle in den predigten zuerst
belegbaren, 4. alle, welche von der gewöhnlichen abweichende form zeigen {strü-
zeich 43 , 13 > Lex. 2 , 1245 striuzach) , 5. alle , welche veränderte bedeutung zei-
gen, aufgenommen hätte.
Wenn meine bemerkungen die leser dieser Zeitschrift veranlassen, sich mit
dem Wortlaute der S. Pauler Predigten, die wir herrn bibliothekar Jeitteles ver-
danken, vertraut zu machen, so hat meine über das gewohnte mass ausgedehnte
anzeige ihren zweck erreicht.
WIEN, IM JANUAR 1879. K. F. KUMMER.
Die Syntax des dativus im Althochdeutschen und in den geistli-
chen dichtungen der Übergangsperiode zum Mittelhochdeutschen.
I. teil: der eigentliche dativus bei verben. Inauguraldissertation
von Johannes Rost. Halle 1878. IV, 82 s. 8.
Vorliegende sorgfältig gearbeitete abhandlung enthält eine dankenswerte
ergänzung des entspreclienden abschnitts in Erdmanns Syntax der Sprache Otfrids,
indem sie den gebrauch des eigentlichen dativs bei verben durch die übrigen ahd.
quellen , soweit dieselben nicht Übersetzungen sind , und durch die geistlichen dich-
tungen der Übergangsperiode verfolgt. Dass die weltlichen dichtungen der lezteren
zeit ausgeschlossen wurden, mag durch rücksicht auf den umfang der dissertation
geboten gewesen sein; dass sich aber hier, wie der Verfasser s. 5 meint, ,,eine geson-
derte betrachtung der syntax jedes einzelnen Verfassers" empfehle, will mir nicht
einleuchten.
Von Erdmann weicht der Verfasser in seiner ansieht über die entstehung des
synkretistischen germanischen dativs mehrfach ab, befolgt aber zweckmässigerweise
im allgemeinen die bei Erdmann vorliegende einteilung des stoffs; fast will es mir
scheinen, dass er die brauchbarkeit seiner abhandlung erhöht hätte, wenn er sich
ganz an Erdmann angeschlossen hätte; er hat jedoch vorgezogen, die unpersönlichen
verba nicht, wie Erdmann s. 222 fg., abgesondert zu behandeln, und die bei Erd-
mann s. 207 fg. alphabetisch aufgeführten verba in gruppen nach ihrer bedeutung
zusammenzuordnen. Auch sonst finden sich einzelne abweichungen. Die bei Otfrid
nicht vorkommenden verba bezeichnet ein Sternchen, was jedoch einigemale durch
versehen unterblieb, so s. 38 bei loimsgen, s. 41 fg. bei rihtjan, s. 49 bei erlauben,
s. 56 bei gollen.
Im einzelnen will ich noch erwähnen, dass bitten mit dativ (für jeman-
den bitten) nicht in § 9 unter den verben der rede aufzuzählen war und dass die
nicht consequent durchgeführte vergleichung des Gotischen keinen rechten zweck hat.
Sehr zweckmässig ist, dass der Verfasser seiner abhandlung ein Verzeichnis
der quellen und hilfsmittel vorangeschickt und eine ausführliche Inhaltsangabe hin-
zugefügt hat,
ERFURT, IM JUNI 1879. BERNHARDT.
IlaUe, Buchdruckerei des Waisenhauses.
AUS SANGT GALLER TLVNDSCIIRIFTEN.
L
Als ich im tvinfer d. j. 1877 einige Sand Galler handschriften
für einen andern mvecJc henuzte, fiel es mir auf, dass Graffs , Hatte-
mers, Steinmeyers collationen der in denselben manuscripten enthaltenen
glossen und vocahidare, soivie der schrift de musica 7ioch mancher Ver-
besserung und ergänzung bedürften. Einige der unten stehenden mit-
teilungen verdanke ich auch der gute des herrn Stiftsarchivars von Gon-
zenbach in St. Gallen, der mit der gr Osten uneigennüfzigkeit meine
anfragen beantwortete. Die rcsultate meiner lesimg lege ich im fol-
getiden nieder, hoffend und fürchtend , damit noch rechtzeitig für Stein-
meijers langersehnte und langverheissene glossenbearbeitung zu Jcotmnen.
1. Cod. Sang. 242 s. 10 — 16 de musica (vgl. Hattemer, Dd. M.
III s. 1)86 — 590; Steinmeyer, Z. f d. a. XVII s. 503 fg.; die citate gebe
ich nach Hattemer): 586^ z. 10 discrimina oms o corr. z. 14 daz vor
2i\^\\^\)k\\m. mit einschaltungspunMen übergeschrieben 586'' z. Ih cü fabri-
cator 587" z. 1 die {ohne accent) z. 10 ^portio (or in ligatur) z. 12
lieiz& z. 14 mäcliont ein z. 17 diapasou. ein z. 26 quatuor (or in ligatur,
ebenso in tetrachorda.) z. 28 ciiincta 587" z. 4 heiz& grauiü. z. 5 lieiz&
z. 6 siipiom. z. 7 excellentiü. z. 10 sümelichero z. 23 ton' ton' semitoniü
ton . z. 24 ton ton z. 25 semitoniü 588'' z. 3 oüh z. 12 &euudz z. 17
gentib' z. 1^ dorium. [s. 12] n^odu z. 22 ton. Die nachfragung ist vor
dem zeilenanfange am rande ist von derselben hand und dinte. Z. 24
ypmixolidius 588 '^ z. 2 ypniixolius z. 5 ypraixolidio z. 6 keöug& z. 10
tonü tonü semitoniü ^.11 tonü tonü semitoniü ^.12 tonü ^.13 duplü z. n
di
übe ohne einschaltungspunkte übergeschrieben z.l^ ünde z. 22 ypmixolius
(di nach 1 mit einschaltungsp^mlden übergeschr.) z. 25 mügen. (g aus b
corr.) miända oiih 0. 29 unilon {der erste circumflex aus einem acut cor-
rigiert) z. 30 buobstabe. z. 30 liut&. 589* z. 1 buohstäb. z. 3 nieht (e
steht nicht auf rasur) z. 5 das erste ih nü cbäd steht rechts am rande von
.5. 13 0. 1, ist aber wider ausgewischt z. 9 demo. C. in ypmixolidio. ^.11
buohstabse. z. 13 liut&. z. 14 stig& z. IS tänne in pmixolidio. z. 22
buobstabe z. 24 stürz& z. 25 alphabetü. z. 26 buobstabe. also z. 27
peuider&. z. 29 häb& z, 31 erbeu&. z. 32 gerüccb&. z. 32 bäb& z. 35
simplü. z. 36 duplü. z. 36 cbiinu& 589" z. 4 sie z. 6 oüb ^.12 buob-
stabe Z.1& häb& ^.17 diametrü. z. 18 dodrante ^.19 triente z. 25
FISTÜLARÜ z. 26 ORGANICAEÜ : — , z. 31 Mäcbä {der zweite accent
getilgt, das zweite a auf räsiir für et) z. 32 gesdget z. 37 si si. diu
{der erste circumßex radiert) z. 32 beiz& z. 38 diametrü. 590* z. 4
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI. 17
258 PIPER
plectrü heiz&. s. 5 micheliu {der zweite accent ist anradiert) z. 16 teil
{der circwnflex ist aus einem acut corrigiert) z. IQ diämetri {der cir-
cumflex ist getilgt) z. 18 in fier z. 19 lengi. z. 22 io ze io gelicliemo.
0. 31 daz ander 590 '' z. 8 sibenen {das zweite e trägt keimten cir-
cumflex, sondern ist ein e mit einem haken, wie sich solches auch findet
in s. 588* z. 10 ünder 588*' z. 1 der z. 8 föne z. 25 änafähen 589"
0.31 uuile. ^ 589^ z. 32 übe 590" z. 17 dero) z. 9 häb& z. 10 diame-
trü 0. 11 Unde so samo hab& 0. 13 diaraetrü 0. 14 häb& fier 0. 18
ratione. 0. 19 läz& z. 20 diametrü. z. 26 diametrü. z. 29 diametrü.
0. 31 Seiten ist nicht, wie ST. will, durch zeichen getilgt, sondern die
Worte sind nur dtirch zeichen umgestellt worden. Der schluss von s. 16
z. 1 sieht so aus: sehszen -^ Seiten:, der anfang von z. 2: biiohstäba.
0. 32 daz ohne einschaltungspunkte ühergeschriehen 0. 33 tien ereren
In der vorstellenden collation habe ich Hattemers " für den circwn-
flex auf dem zweiten huchstahen eines diphthongen , sowie dessen Bezeich-
nung von ^ als hekant vorausgesezt. Die dbhreviaturen der worte habe
ich volständig hinzugesezt, weil sie anhaltspunkte zur feststellung des
Schreibers werden können. Wirkliche besserungen der lesarten sind
nach Steinmeyers collation noch in 22 {24) Wörtern möglich gewesen.
2) Cod. Sang. 242 s. 247 — 252. Deutsches vocabular des
zehnten {nicht des elften) Jahrhunderts {Hatt. I, s. 294 — 300; vgl.
Graff Diut. III, 221 — 224. Hagen Denkm. s. 33 fgg.; die vorliegende
collation schliesst sich an Hattemers ausgäbe an). Die handsclirift
hegint s. 247 z. 9. Jede seife enthält 3 spalten, deren jede 25 Zeilen
enthält, nur auf s. 247 hat jede spalte 17, und 250^ hat 23 Zeilen.
250 * steht auf dem rande , nicht auf den eingerizten linien. Bisweilen
stehen zwei worte neben einander, so 249", 21 ursus pero. ursa pirin
249', 24 bos ohso. tbaurus stir 250% 7 asinus esil. asina esilin
250", 8 |uis scaf. Agnus Lamp 250", 11 agalis barug. uersus (uor-
sus?). be: 250", 12 |apra Geiz, hedus. cb::: 250", 13 Icus. pocb.
canis. hunt. 250", 16 [upus unolf lupa u:::in 250", 17 julpis. foba.
Lepus. ::so 250", 18 |astor pipar. Lnstrus ottar 250", 22 ::. elabo.
gripes. grif 250", 23 |:inx. luhs. Simia. affo 250% 10 Membrus. lid.
borao man 250% 12 femina. uuib. uinus quecher 250% 13 üiua que-
cbiu vifcalis liblib 250% 14 Mortalis. todlih. Inmortalis untodl 250% 18
Corpus, libamo. spiracio. atmOga 250% 19 figura. gilibnissi. Caluaria
gibilla 250% 21 Crispus. reider. caluus chalo. 250% 22 vertex. nilla.
crinis. loc 250% 23 cerebrum. birni. mebran' birnifel 250% 25 tim-
pus. dunuuengi. pupilla. selia. 251% 4 costa. rippi. coxsa tbioh 251% 8
Tibia scinca. sura uuado. 251% 9 crus. bein. Talus. ::cli 251% 14 Planta,
sola. os. bein. Ferner finden sich drei worte nebeneinander in 250% 20
AUS S. GALLER HS,?. I. 259
Cutis, huut. pelis. fei. Capillus. har. 250% 24 coma. falis. ocepicius.
anca. frons. endi Li s. 250" sind die anfangsbuclistahen der lateini-
schen Wörter durch den schnitt weggefallen. Die handschrift ist durch
die lesung SV er steche arg mitgenommen, und vieles, ivas hei früheren
collationen noch lesbar war, Jconte ich nicht tnehr erJcennen, so z. b.
ist s. 252 fast ganz unleserlich geworden. Diese scheint die rücJcseite
des heftes gebildet zu haben. Die schrift dieser seile ist durchweg mit
ivasser behandelt. Ich lese noch 252", 1 Ingratus. imlu 252% 1
:::::::: tus. iiua. Mit flüssigJceiten sind behufs der lesung behandelt
247% 1 — 7. 247% 2 — 5. 248% 4. 7 — 11. 248% 1. 248% 2% 10%
11. 14. 15. 249% 1% 2. 4 — 12. 249% 1. 9% 12. 13. 249% 1. 2. 3%
4% 10. 12. 14% 15. 250% 1—25. 250% 1. 2. 4—17. 250% 3%
4 — 8. 10. 11% 12. 13. 14% 15% 16^ 17% 18% 19% 20% 21% in z. 24
und 25 einige worte. 251% 1. 2. 4. 7^ 8. 9. 10—14. 18% 20. 21%
23. 25. 251% 2. 3% 10% 11—14. 19% 20. 21% 22% 25% 251% 1—4.
5% 6% 7% 8% 9% 12% 13% 14% 17% 18. 21. 23—25. Die ersten
acht Zeilen auf s. 247 gehören noch zu Sedulius hymnus , an dessen
Schlüsse kyrorphiis ^ id ~ medicus steht. Die capitelüberschriften ste-
hen im texte, nur DE BESTIIS ist zu 249% 10 an den rand geschrie-
ben; 248% 23 stand DE ARBORIB, ist aber wider radiert; auf der
folgenden zeile aber steht volständig DE ARBOßlBVS. Im folgenden
abdruch gebe ich nur das, was ich noch sicher erJcant habe, mache
aber darauf aufmerksam, dass Hattemer noch manches mehr lesen
honte, als die handschrift noch nicht durch reagentien verdorben war.
Nur von feinur, ivelches Hattem. III, 299^", 6 angeführt ist, sehe ich
in 251", 3 kaum eine spur (vgl. die anmerJcung).
247^ Ds got Nöps. uuolcuu
dns trohtiu
Ihs helant
xp~s. xrist
sps scs heilag geist 5
Omps almactic
Saluator. heilaut
Augelus. engil
cselü. himil
aer. luft 10
Tonitruiis. tlionar.
Mm. plecca zunga
Irus. regaupogo
Pluiiia. regaua 15
Imber: regan
tepestas. mmst. 17
247" grando. liagal
Nix. sneo
Algiil. gelu
247"^, 4 zwischen s — t ein nicht zum ivorte gehöriger, nach unten f/ehender
strich. 6 Das erste c unten mit einem nach rechts offenen häkchen. 8 Der haken
des ersten e ist verwischt. 257*', 3 am besten sind noch lg tmd lii zu lesen, das
andere ist noch eben erkenbar.
1) Nach prof. Zacher s einleuchtender Vermutung x^'QovQyös; rp für vq hegreift
sich leicht.
17*
260
15
17
frigus. frost
glacies. is 5
Pruina riifo
Eos. tou
Nebula. uebul
Uentus. uuint
Supra. obana 10
subtus. nidana
Ante, foru
retro. aftar
dextra. inzeso
leua. inuuistar
aqua, uuazzar
Mare. seo
247" Ocean'. uuentilseo
carectus. ra
fretus. geozo i stagn'
Abissus. abgruti
flutiis, vnda 5
gutta, troffo
fluuius. aha
Torrens. clingo
riuus. bah
gurges. uuag 10
uuortex. uueruo
vorago. suuelgo
fous. prunno
Puteus. puzza
Pons. prugca
fundus. grünt
salbo. sant 17
248°^ (Die drei ersten glossen un-
lesbar.)
: : : : : OS SCÜuf
palus. striu: 5
arund: rora
ost : ta — a : ang
auis f : gul
aquila aro
Cignus. ala .- : : 10
ciconia. sturah
grux. cranuh
coruus. hraban
pauo. phao
mil uus. uuiuuo 15
cuculus. gouh
graculus. hruoh
cornix. chrauua
cornicula. caha
fica. agalstra 20
galkis. hauo
gallina. henin
anser. gans
mergulus. tuchari
accipit'. habuh 25
248^ g. falco
tnrtur. tuba .- : la
columba tuba
oppoba uuituhoppa.
passer sparo. 5
merulus. amfsla
turdus. stara
turdella. drosea
ficetula. snepfa
carduelus. thistilfinco 10
hirundo. suualuuua
247'', 5 is ist noch erlcenbar. 247", 1 seo ist verwischt , aber noch erlcenhar.
2 Beutlich sind nur c : : : tus. ra : das lezte r kann nicht als n gelesen werden. Die
ganze glosse ist getilgt. 4 Bie beiden s sehen mehr wie rr aus. 11 ex in ligatur.
Bas dritte u des deutschen wertes sieht fast loie ein langobardisches a aus {vgl.
Hatt. I, 294 anm. 2). 17 salbo b aus u corr. 248% 4 Tcönte auch zu lesen sein
:: :: aussciluf. 5 Nach u könte ein t stehn. 7 0 und das erste a sind mir zwei-
felhaft. Bas deutsche wort könte zu lesen sein alang oder aring. 8 Bas zweite u
undeutlich, ebenso z. 9 aq deutlich, nil noch eben zu erkennen, das vorlezte a sehr
schwach. 248'", 3. 4 sehr matt, b in 4 zweifelhaft.
AUS S. GALLER HSS. I
261
strucio. strux
lusciuia. natliagala
Aneta. anut
caradrius. leraha 15
Singellus. finco
picus. hehara
parux. meisa
Ala federa : ,
Penna slegifedera:, 20
Pluma pliimifedera : ,
Kostrum snabul :,
Abis bian
costrus uuiso.,
Fucus treno; 25
248'' Mel bouag.,
fauus uueb'ar
Nectar seimbouag:
Crabro borniiz.
scarabeus iiuibil 5
cicendiila gleimo
Lucusta stafol
Miisca fliuga.
Ciüix. mugga
scinifes luizuu 10
Basta : a : . b : emo
Pi : : : S. fisc.
: C : : tus. un : : a
Pboc : : S. : dale : : a
Crocodrillos niluos 15
Timallus. urco
Tructo. forahana
Angiiilla. aal
capedo. cutto
errox. labs. 20
porco. sterac.
deltin. merisuun.
DE AKBORIB
DE ARBORIBVS
Arbor. bouum 25
249 ' Arbiistus. sal : : tus
vim : tu.
frutex ast.
; : a. bolz
; : s. uuald 5
; : . uuaso
— — . p : : ino
: adix uurzala
Truncus stam 10
cortex rinta
virga garta
folium blat.
feld Campus
terra berda. 15
Insula uuerid
Mons berg
Albis albuu
Collis bubil
Vallis tal 20
Puluis melo
Aruuni accar.
Agev
Inger
gleba scorno 25
248% 10 Ber Uzte huchstabe des lateinischen wortes Icönte auch ein s sein.
11 Vor und nach dem lezten a sieht man spuren eines hohen buchstahen. 13 Vor
dem lezten a spuren eines hohen buchstaben. 14 In dem deutschen ivorte Icönte
das d auch ein \, und das e auch ein r gewesen sein. 16 r ist undeutlich, loar
aber schwerlich ein i. 23 ist icider ausgekrazt. 249'', 1 Das erste a des deut-
schen Wortes ist mir ztveifelhaft , : : honte etioa ic zu lesen sein. 2 ohne deutsches
ivort; statt des m Icönte auch ri zu lesen sein. 4 — 12 sind sehr undeutlich.
4 holz habe ich bei günstigem lichte noch deutlich erkant. 7 zweifelhafte lesung.
8 unlesbar. 10 noch eben lesbar. 12 Das lezte r sehr unklar. 23 und 24 ohne
deutsches wort.
262
249" M : : st. faza
Sata
seinen samo
Stipula. halni
Spica ahir
Arista. agana
Graniis. corn
palia. stro
frumentum. iiuezi
hordeü. gersta
Annona. corn
Auina. euina.
Zizana. turd
Triticum. thincil.
Siclo. rogco
Pratü. Uliisa
gramus, gras,
herba. imrz
fen . heuiii
flos. bluomon
Solitiido. einoti
deiiiü. auiiigci
Iniiiü. anoimeg
Semita. stiga.
calis. pfad
249" Specus. griut
hiatus. erdfal
Saxum. : : : :
Kiipis. fliusa
cauerna. hol
foramen. loh
Gemma. gimma
10
15
20
25
ciiiitas. purg
Lediticiü. monia. gizimbri 10
viciis. torpf
Villa, giuupffila
sepis. zun
Murus. mura
tuiTUS. turra 15
Lustrus. teorcimeida DE
BESTIIS
bestia. teor
fera, iiiiild
leo, lio
catulus. iiuelf 20
ursus pero. ursa pirin
leena lioin
elefans. helfant
bos. ohso. thaurus stir
uacca. chouuua 25
250" |tula. chalba
|tiilus. chalp
|uencus stior
jquus. hros
|ndomiti. iingizamit 5
|: mida. gizata :
asinus esil. asina. esilin
|uis scaf, Agnus Lamp
|orcus. suuin
|: celli. farahir 10
I agalis barug, uersus. be :
|apra Geiz, hedus. ch —
jciis. poch, canis. hunt.
I : llana. zaga
Ituli. ime'fir 15
Lacus. gruopa
249'', 1 Das lezte a imsicher. 2 Ohne deutsches wort. 11 Oben vor dem
ersten o ist ein fleck wie ein übergeschriebenes i. 249'', 3 Das deutsche wort
erkenne ich nicht mehr, es mag aber stein gelautet haben. 4 Das deutsche ivort
ist von moderner hand nachgebessert. 10 e klein über o geschrieben. 16 c zwei-
felhaft. In 250'' ist der erste teil der lateinischen tvorte durch den schnitt abhan-
den gekommen. 4 q durchschnitten. 5 Das lezte i ist schwerlich als o zu lesen.
6 Vom lat. ivorte sind rnicl unsicher, vom deutschen das t; der lezte buchstabe könte
ein N gewesen sein. 8 u durchschnitten. 11 Es könte auch uorsus gelesen iverden
{es ist sicher verres bcr. Zacher). 14 IIa sind unsicher. 15 1 vor f klein übergeschrieben.
AUS S. GALLER HSS. I
26S
|pus imolf. lupa U : : : ill
julpis. foha. Lepiis. : : so
|astor. pipar. Lustriis ottar
|cuuiculiis. lorichiu
|bex. stengeiz 20
|:nager. imilder esil
|: : . elaho. gripes grif
i:inx. liüis. Simia. aftb 23
250'' vnicornus. euhorno
Ericius. Igil
capriolus. relio
cemus. liiruz
cerua. uuinta 5
Siirex. mus
grulis grello
talpa. multimeif
Miistela. uuisala
formica. ameiza 10
aranea. spimia
Tinea, miluiuui
Pulix. floch
pediculiis. luus
mmiceps. cazza 15
tarnus. mado
quadnipes. fiorfuoszi
pecus. iielio
pullus. fiüi
Camelus. olbenta 20
mnliis. miü.
hiuuiüus. hintcalb
Rana. frosc
Rubeta. creta
testudo. portapara 25
250'' serpens natra.
coluber iiurm.
draco. traccho
R : gulus. Basilicus.
laculus. liiiuiu'uiu 5
Cecula. blinteslich
Lacerta. arma
basilicus aspis.
DE MEMBRIS HüMANIS
Membrus. lid. liomo mau 10
Homuncio mannil :
femina. uuib. lüiius quecher
Uiua quecbiii vitalis liblili
Mortalis. todlih. Inmortalis
iintodl
Semiuiuus. samiquec. 15
Semimortuus. samitoto.
semianimis. uuanheli
Corpus, lihamo. spiracio. atinuga
figura. gilihuussi. Caluaria. gi-
billa
Cutis, huut. pelis. fei. Capillus.
bar. 20
Crispus. reider. caluus. chalo.
Vertex, uilla. crinis. loc
cerebrum. birui. mebran hii'nifel.
coma. fabs. ocepicius. anca.
frous. endi
timpus. dunuuBDgi. pupilla.
seba. 25
251" Palpebre, slegipra
Anguli oculoril
Lacrima. zabar
geues. biulilo
auris. ora 5
auditus. gihoruussi
Narus. nasa
250'', 8 Das Uzte e ist ziveifelhaft. 17 Das lezte s sieht einem r ähn-
lich und ist mit z verschlungen. 18 Daneben steht mit andrer dinte deus me.
250', 12 ch undeutlich. 13 t undeutlich. 17 Über dem lezten e scheint ein i
übergeschrieben zu sein. 251'', 1 undeutlich, aber wol sicher. 2 ohne deut-
sches lüort.
264
flegma —
Lab
Memu c ius
Subment ta : chinn
Lingua, zimgili
Palatus. bilarn
dentes. ceni.
molares, chinuiceu : :
Collü. hals,
gingiue. bilarna
Gurgulio. querca
Guttus. guomo
gula. kelaraho
Saliua. spichilla
sputus. tugulu
251'' vmerus. ahsla.
armus. al
brachiiis. arm
cubitus. elinpogo
iilna. elina
palma spauna
manus. haut
digitus. fingar
Articulus. lidali
unguis, nagil
thumo
— INPUDICUS
: : ularis. auricularis
pugnus. fuust
Ascella. hohasa
mamilla. tutto
10
15
20
25
10
15
Lac. miluh
scapula. harti
Spina, ruggipeini
Renes. lenti 20
ilia. hlauca
Latus. Sita
uenter. uuamba.
vteres href.
Uiscera. innodli 25
251'' Umbilicus. nabulo
Clunes. hodon.
Nates. arsbelli
Costa, rippi, coxsa thioh
üesica. blatra 5
Iiiguis. hegedrus
Genu. cneo. poples . r : h , . .
Tibia. scinca. sura uuado.
crus. bein. Talus, encli
calcaneum fersna 10
Vestigius. spor
gressus. canc
pes. fuoz l stapfo
Planta, sola. es. bein.
medulla. marg 15
sanguis. bluot
testiculi. niorun
Umor. fuhti.
cor. herzi
lecur. lebara 20
Pulmon. lunguüna
splenis. milzi
reticulus. nezzi
intistiua. gidermi
Stomahus. mago 25
251", 8 ist noch flegma zu erkennen, nicht aber die deutsche Übersetzung
des ivortes. Von z.9 — 11 kami ich nichts mehr erkennen. Von ^r. 9 — 13 i*i ein
loch im pergament, und ivas Haitemer z.d — 11 gelesen hat, ist mir nicht mehr
erkenbar gewesen. 15 Statt des lezten i könte auch a zu lesen sein. 18 Der huch-
stabe nach dem lezten n gleicht einem a. 20 r undeutlich. 25 Das ziceite t gleicht
einem c. 251 '', 2 Es ist mir sehr zweifelhaft, ob hinter 1 noch etwas stand.
11 Das lateinische wort vor thumo ist ganz getilgt. 25V Zxvischen 3 und 4:, unter-
halb belli könte ein ivort, toie femur, eingeschrieben getvesen zu sein.
AUS S. GALLER HSS. I
265
3) Cod. Sang. 193 s. 302 — 303, Deutsches vocahular aus
dem anfang des achten Jahrhunderts in lang oh ardischer
Schrift. Das vocabular schliesst sich an die orationes pro intrantibus
usw., wie J. V. Arx auf dem titclblatt den inhalt von s. 284 — 302 bezeich-
net. Es begint auf zeile 9 der seite 302 und ist von jüngerer hand
ergänzt. Die ergänzungen sind bei Hattemer bezeichnet. Die buchsta-
ben derselben sind feiner , obwol in ihrem schriftcharahter nicht wesent-
lich verschieden von den ersten {vgl. Halt. I, 311 — 312). Das ursprüng-
liche glossar ivar so geordnet, dass auf Je eine zeile der octavhand-
schrift ein lateinisches wort mit seiner deutschen Übersetzung ham. Die
ergänzungen füllten die lücJcen vor und neben dem eigentlichen text
aus. Der erste text ist der folgende:
302 z. 11 licet, mit tiüli 1 luiiadat. auaiiarkauge.
texentiiim. uuepantero inertiam. slaffi
^quera. seouuazzai- i 5 iugenmt. auapringaut
Limpha amnis. aha uuazzar ' mimilia. kisteini
15 inqiiam. ih quidu
immin& ana ist.
depitaiiare. keirreo.
conditio, kescaft.
note. masim
20 — — ze f : rhtenue ist
lugubre. k^aralih ' detorqueat. kiride
303 indefesso. studio, unarmodeu- eminens. fora uuisanter
lichem. 15 confligere. flizzan
addimtur. zuasint kaouhot tuti. kesiinti.
Von zioeiter hand sind nachträglich hinzugesezt auf s. 302 auf
z. 9 neben sps sei p (dem Schlüsse der oratio pro iutrantibus in pisale
seu hypocaustiim) und auf z. 10 eximios. urmare. tyrones. keringuu.
insiniiare. kech.-nden. iure, pirehte.
Hechts neben z. IQ: prediti keerete
Rechts neben z. 17: iudustria. kerni
Rechts neben ^.18: dö insunuante
302, 11 Der untere teil von licet, sowie die lücke bis mit ist durch ein loch
im pergamente iveggenommen. 20 Von dem lateinischen worte ist ivegen eines
lochs im Pergamente nichts zu erkennen , als ein senkrechter strich , iind zivei haken,
tvie die anfange sioeier z. 21 h steht oben neben k nachgetragen ; hinten auf der
Seite steht, scheinbar von derselben hand, charalih. 303, 1 ru. ist übergeschrieben.
2 Der obere teil von sint nnd oubot durch ein loch im pergament iveggenommen.
6 u scheint aus o corrigiert. 7 Am rande m. a. d. anima mea. 10 Von k ab ist
das wort durch ein langes loch im pergament verdorben. 13 o durch einen Wurm-
stich vernichtet. 14 Das leste n ist abgeschabt.
euasisse. arnesan
spacium. frist
non obtinuit. ni kehalota
10 inlesus. uu k : te : :
minatur. kadroti
frauderemur. uuarin piteilit
266 PIPER
BecMs neben ^.19: kote. kimdeutemo.
Auf s. 303: rechts neben z. 16: sentinatur. ist arscaffan.
Auf z.ll \ a sitiila. foua fazze. inqiiid. er quid.
Auf z. 18: redisse. uuarpen. malagma. salpa.
Auf 3. 19: iibula. li"eizzilo.
Tinten auf der seite steht noch in schräger schrift ferti ' als
schreibübung von andrer hand. In begug auf die schrift ist zu mer-
ken, dass die a der zweiten hand sämtlich die offne langobardische
form zeigen, während dieselbe in der ersten hand nur vorJcomt in
302, 13 ^quera. seouuazzar 303, 2 zuasint kaouhot 303, 3 Iniiadat.
auauuarkange. 303,4 inertiara. slaffi 303, 5 anapviugant 303, 6
munili« 303, 7 euasisse. arnesan 303, 8 spacium 303, 9 kehalot«
303, 11 minatur. kadroti 303, 12 frauderemur. imarin 303, 13 det:r-
queat 303, 14 fora luiisanter; alle andern worte zeigen das karoUn-
gische a. Von ligaturen finden sich die langobardischen von nt in sint
303, 2 aiiapringant 303, 5; ri in uuarin 303, 12 kiride 303, 13
keringim 302, 9 (2) industria 302, 17 (2); re in depitauare 302, 17
keirren 302, 17 liigiibre 302, 21 urmare 302, 9 (2) insinuare
302, 10 (2) iure 302, 10 (2) relite 302, 10 (2) prediti 302, 16 (2)
keerete 302, 16 (2); ex in texeutium 302, 12 eximios 302, 9 (2)
en in ze f:rhteime 302, 20 eminens 303, 14 uuarpeu 303, 18 (2)
er in 303, 17 (2); & in imniiuet 302, 16; ro in uuepautero 302, 12
ti in texentium 302, 12.
4. Cod. Sang. 242 s. 21 — 48. Glossen zu den enigmata
Aldhelms. Die Überschrift auf s. 21 lautet: Incipiunt enigmata althelmi
epi; oben rechts in der ecke steht noch einmal Enigmata aldhelmi epi
incipiüt. Die roten anfangs- und endbuchstaben des einleitenden gedich-
tes bilden den vers: Aldhelmus cecinit milleuis versibus odas. Die
Überschriften der einzelnen enigmata sind glossiert, wofern nicht der
dem ausländischen namen entsprechende deutsche fehlte. Auch diese
Überschriften, welche Hattemer I, s. 279. 280 übergeht, sind im folgen-
den aufgezählt. Die Überschriften selbst sind rot geschrieben, die deut-
schen Wörter Mein darüber mit schwarzer dinte. Die vorstehenden zah-
len bezeichnen seite und zeile der handschrift.
23, 8 de iri vel arcu celesti .i.
regaupogo.
13 de Ivna .i. mauo
22, 13 De terra, tetrastichon
18 De vento .i. vuint
23 De uvbe .i. uuolchan
23, 3 De natura .i. Gipurt.
18 de fatv vel genesi .i. vrlaga
23, 18 Die glosse steht über fatv.
AUS S. GALLER HSS. I
267
23,23 de plicidibvs .i. sipun stiiNi
24, 4 DE ADAMANTE .1. llOIlien
lapidis.
8 de cane i. hunt.
12 de poliadibvs. } follibvs fa-
brorv. .i. palga dero smido.
17 de bombicib; id e verinibvs
sericas vcstes texentib. .i.
dia uurmi dia daz gotu-
uueppi machont.
21 de Organa .i. Organa
25, 1 de pavone .i. fao
6 de salamandra. quae e si-
milis lacertffi. .i. natra
11 de Ivligine. id e pisce uo-
lante
16 de periia quae multo maior
est ostreis. .i. snecco.
21 De mirmicaleone. compositü
nom e.a formica & leone.
mirmica gr. formica dr.
leones s in coparatioiie mi-
narü formicarü.
26, 1 de sale .i. salz
6 de apibvs .i. piana
11 Lima .i. saga 1 lüla
16 de achalantide. 1 lusciuia .i.
nachtegala
22 de trvtiua i. miaga.
27, 1 de dracontia. geuus herbae
7 de magnete ferrifero i no-
men lapidis.
13 de gallo i. liano.
18 de coticvlo .i. uueziste'n.
23 de minotam'O i. nom ani-
malis.
28, 2 de aqua i. uuazar.
8 de elemento t abedario i.
pohstapa.
24 de pugillarib; i. paruis ta-
bulis
29, 4 de lorica i. gisaruuui
11 de locvsta i. stafol
18 de nicticorace i. uacbtram
25 de scinife i. mizun.
30, 7 de cancro .i. chrepazo
13 de tippula quae n nando sed
gradiendo aquas transilit
.i. abageiz
20 de leone. leo.
31, 1 de pipero .i. fefor.
7. 8 de pvl[villo. i. uuengi
13 de strvtioue .i. struz.
19 sanguisuga i. egala.
25 de igne i. uuir
32, 8 de fvso i. spinnila.
15 vrtica i. nezzila
20 hiruudo i. sualuuua
33, 4. 5 de vertigine | poli i. mipi-
uueruunga himiles.
13 de cacabo i. cbezzil
18 de mirmifilone .i. garauua.
23 de eliotropo grece. solsequia
latine i. nom herb^
24, 8 Biese überscJirift steht rechts am ranäe. 24, 12 Die glosse steht über
poliadibvs. 24, 17 texentib. ist am ende der seile übergeschrieben und mac — hont
dadurch in zivei teile geteilt. 25, 6 von quae ab schioarz als erlclärung daneben;
i. natra schwarz über salamandra. 16 snecco über perna. 21 von couipositü ah
schwarz. 26, 16 Über achalantide steht grece, über luscinia steht latine; von .i. ab
mit schtvarzer dinte. 27, 18 i nach e klein übergeschrieben, 28, 8 pohstapa steht
über elemento. 30, 13 abageiz steht über tippula. 25 v Mein nach i übergeschrie-
ben. 33, 13 Rechts darunter steht noch einmal chezzil von andrer hand. 18 Links
davon steht noch einmal von andrer hand cara:: :, aber verwischt. 23 von i. ab
schwarz rechts am rande.
268
34,
3 de caudela i. charza.
11 de ar'tiiro i. iiuagau.
20. 21 de cocuma duplici i.
noni uasis.
35
2 de ciismaria i. chresani : uaz :
11 de castore qui latine fiber dr
21 aquila i. aro
36,
4 de vespero sidere i. apand
Stern.
11 penna i. iiedara
19 de monocero. id e vnicorao
i. einhurno.
37,
6 de pvgione i. suert
13 de fanfalica gr. quae bulla
aquatica latine d" i. uua-
zar platra
21 de Corvo, i. ram.
38,
5 de colüba. i. tüpa
11 de mnrice i. chazza
20 de mola. i. niuli
39,
2 de cribello furfures a fariua
sequestrante i. hasip. l ritra
12 de salpice i. hörn.
20 de taxo igo
40,
3 de tortella i. leip. 1 zelto
10 de pisce i. uisc
16 de coloso i. nom gigantis.
24 Föns i. prunno.
41,
6 de fundibalo i. sliuga
15 de crabone. i. hornuz 1
Dies sind die titel der in der
fehlen in der sandung de helleboro
42, 2. 3 de melario | l malo i. ar-
bor de qua adä comedit
9. 10 de ficul I nea. i. fic poum
16. 17 de cvba | vinaria i. uiiin-
chuofa.
43, 1 de sole et luna
12 de calice vitreo i. glesiner
cbelih.
21 De Ivcifero i. tagastern.
44, 6 mustela .i. vuisala
14 de ivuenco i. stior.
20 de srofa pregnaNTE i. svu
suangariu.
45, 4 de ceco nato i. plint po-
raner.
10 de ariete i. uuidar.
18 de clipeo i. seilt
24. 25 de aspida | 1 basilisco 1.
natra.
46,6. 7 de arcba | lib'aria .i. poh
aracha
11. 12 de pverpera gemi ] nos
enixa i. partu liberata
15 de palma. similit.
47, 1 de faro editissima i. tiirri.
hoher
11 de scintilla i. gneisto
22 de ebvlo i. atiich
48, 6 de Scilla i. nom. mulieris.
19 de elephaNTO i. helfant
liandsclirift gegebenen rätsei. Es
(Giles, sancti Aldhelmi ex abbate
34, 11 ist ganz mit schtvarzer dinte, c nach v Mein übergeschrieben. 35,2 z
durch rasur ivider getilgt. 36, 10 Das deutsche ivort deutlich so, es steht über
monocero. 37, 13 Das deutsche wart steht über fanfalica. 38, 20 muH ohne accent;
der strich gehört zum vorigen verse; ähnlich bei uisc in 40, 10. 41, 6 a vor 1 mit
schwarzer dinte aus rotem, u corrigiert. 42, 2. 3 comedit ist dem übrigen erklären-
den Satze noch übergeschrieben. 43, 12 i in glesiner ist durch ein ursprüngliches
e gezogen. 44, 20 nt in ligatur. 46, 7 r nuch b Mein übergeschrieben. 47, 1
Darunter steht: Farus. dr alta turris. a fando in qua faciuut principes populi iudi"
cia & questioues. 48, 19 ni in ligatur.
AUS S. GALLER HSS. I
269
Malmesburiensi episcopi Scliireburnensis opera quae extant. Oxonii 1844
s. 260), de camelo (Giles s. 260), de nocte (Giles s. 270), de creatura
(Giles s. 271 fgg".). Die angeführten lateinisclien tifel der enigniata sind
mit roten uncialhuchstaben gcschriehen, meist auf besondrer zeile, aber
auch rechts am rande, so 24, 8. 26, 6. 11. 22. 27, 13. 18. 23. 28,
2. 24. 29, 4. 11. 18. 25. 30, 7. 20. 31, 1. 7. 13. 19. 25. 32, 8. 15.
20. 33, 4. 13. 18. 34, 3. 11. 20. 35, 2. 21. 36, 11. 37, 6. 21.
38, 5. 11. 20. 39, 12. 20. 40. 3. 10. 16. 24. 41, 6. 15. 42, 2. 9.
16. 43, 12. 21. 44, 6. 14. 45, 4. 10. 18. 24. 46, 6. 15. 47, 1.
11. 22. 48, 6. 19; linhs am rande stehn 36, 4. 44, 20. 46, 11.
Die deutsche Übersetzung steht meist über dem lateinischen ausdruck;
daneben nur in 27, 18. 31, 8. 35, 11. 43, 20. Die titel 25, 1.
26, 1. 27, 1. 43, 1 sind tiachträgh'ch über der ersten zeile der Seite hin-
zugefügt. 24, 21 steht zivisehen den Zeilen 21 und 22, die glosse eng
darüber.
Ausser diesen tifelglossen enthält die handschrift noch folgende
interlinear- und marginalglossen (bezeichnet durch J und. R.):
23,24 R. athlas. nom. montis I 29, 6 R. Licia .i. iiizza
24, 18 J. telas i. uueppi 8 J. radiis i. raimn.
20 R. orenesta. o-euus arboris t 15 R. Rub&a i. ch'&a
magnitudine fruticü.
25, 17 J. concis .i. scalon.
26, 11 E. Lima .i. Sega
22 R. trutina i. libra quae mom-
tana dr eo qd ad momtfl incli-
nata ^lergit
27, 12 J. cypri i. insula
25 J. gnosia i. greca
28, 10 R. Zu dem verse Sex alias
nothas n dicimus adnurae-
randas steht a. r. id J. H.
K. Q. X. Y. Z. noth quia
de grecis sumptas
16 J. ciconia i. storah.
26 Zdi dem verse Calciamta mi-
hi tradebant tergore dura
steht a. r. Sic iiid&ur in
tabiilis scotoiv
23 J. pelasga i. gveca
R. nyctos. grece. nox. corax,
coruiis gf
30, 5 R. memphitica i. egiptia
32, 12 R. Parc^ .i. de» infernales.
33, 2 R. cataplasma. medicamentü
34, 18 R. Stix. fluuius inferualis.
Letheus. palus inferui.
35, 1 R. incus .i. auapoz
11 jR. castor .i. pipar
21 R. ganimedis .i. filius pri-
ami.
23 R. prepes .i. auis
36, 11 R. Onocratulus. penna ono-
cratuli optima ad scribeudü
ee diciüir.
37, 4 J. pelasga i. greca
26, 11 links am rande; vgl. oben 26, 11. 22 linlcs am rande; vgl. oben
26. 22. 29, 15 r vor Sz in chreta Tilein HbergencJiriehen. 30, 5 Knhs am rande
34, 18 links am rande. 35, 11 vgl. oben 35, 11. 36, 11 links am rande.
270
39, 22 R. circiiis & boreas. iiomina
uentor^. similiter chaurus.
40, 16 -R. Colosus. noiii gigantis
cuius simulacrü in urbe
roma fuerat fabricatü alti-
tudine nimia
41, 6 jR. Fundibalum compositü
nom e. a fimda & iusulis
balearib. quia illic primü
iniienta. l a balasta .i.
osteusione. funda tarn. &
fundibalfl. unü. sig
43, 3 R. Delus. nom insnlse.
10 E. chaos. grece. confusio.
sine tenebre. 1 mors, df lat.
44, 25 B. Popiüus. alpari. tax. iigo.
45,
47
48,
3 R. ilex .i. genus arboris
glandiferae
19 R. : : : Scinifes .i. minores.
muscQ .i. miznn
22 R. Sambncns. holantar
24 B. Bacca .i. beri. Corim-
bos .i. Trnpilun
6 R. Scilla, filia porci. qnä
iuppit uoluit corrumpere.
& iuno postulabat circa
filiä solis ut p magica arte
eä conuerter& in insaniä
15 _R. Palmula .i. extrema pars
remi .i. laifa.
23 R. Sistrü, gen', tub^.
5. Cod. Sang. 242 s. 50 — 148 Glossen zu Aldlielm de vir-
ginitate {vgl.HaU.I,s.280—28i). Dte Überschrift : INCIPIT LIBER
ALDHELMI EPI DE UIRGINITATE. Die roten buchstnhen des ein-
leitenden gedichtes bilden den vers: Metrica tirones nnnc promant car-
mina castos. Die glossen stehen am rande, wofern es nicht anders
hemerJit ist:
51, 23 Glumas .i. granas.
52, 4 Pipant .i. gellent
54, 16 Calcnlns .i. licliinus
57, 21 Obrizn. smelzigold.
58, 4 Glebula .i. scollo
5 Cornus. genus arboris
9 Vnio .i. merigroz
22 Bratea fila. giunntana fa-
dana
59, 2 crepundia .i. gisteini
8 ligustra, gens floris.
21 J. buUis .i. cuopfon.
21 Fibula .i. nusca. qu^ coniun-
git pallia imperatorü.
24 Salignis. Salaliinen.
60, 2 Lichiuus .i. cbarz.
8 Anthlia i. galgraha
11 Mergula .i. scarua.
13 Graculus .i. : : ruoh
14 Occas .i. : : suochun.
18 Venustas. fronisk.
65, 13 mirtus e gen' arboris
21 massä .i. offä 1 cliuuua.
66, 13 Sambuca. gen' tub^ a sam-
buco facta. Constat musi-
ca ars trib. mod. uoce.
pulsu. & flatu.
14 Poplite. chneorado.
40, 16 links am rande , vgl. oben 40, 16. 41, 6 i in Fundibalum ist durch
ein ursprüngliches a gesogen; vgl. oben 41, 6. 44, 25 links am rande. 47, 19 :: :
Tilgung von Sni. 48, 6 links am rande, ebenso 15. 23. 60, 13 : : rastir von ro.
14 : : rasw von so.
AUS S. GALLER HSP. T
271
67, 21 Paranimphus .i. brutiboto
70, 13 armonia .i. soiius suauissim'.
71,25 chaos grece. confusio 1 mors
dr lat
73, 11 fimesto .i. fuleino
14 Natrix. gen' serpentis
74, 17 Necvomantia .i. belliruna
Necros. gf. niortuus dr lat.
Necromautia. resuscitatio
mortui intpretatur. hoc
sua magica faciebant arte
vt homiüib. stultis puta-
bantur mortiios posse re-
suscitare. qui hac arte pe-
riti eraut
Culcita .i. p&ti.
Kugosse i. girunfan
cycladib. i. uestis qua utunt'.
mulieres in grecia & roma.
omina .i. helisod
•Ppugnacula .i. uueri.
Caries. Carix .1. uermis qui
ligua comedit.
scrobem .i. uuason
Imbrice rubra .i. testa. 1 te-
gula .i. ziagal.
Ambrosia, gen' herbse
Turificare .i. rochan.
In uerib. i. in spiznn.
memphitica .i. egiptiaca.
Fotu .i. paunga.
Titnlantis. pungentis. 1 mo-
uentis siue chizilontis.
Gypsa. gen' serpentis.
chelydrü. serpente.
ausoniae. italiae.
narcisus. nom herbe .i.Chres|
Papirus .i. pinoz. Centro
.i. medi&ate
75,
10
11
24
76,
3
77,
3
4
7
11
18
79,
9
10
81,
15
82,
8
83.
19
22
25
85,
9
87,
9
88,
5
76 . 3 Das Uzte i verwücM.
79,
90, 16 Extales .i. grozdrä. ani .i.
posterior pars, corporis
17 Latrina .i. feldgaug
91, 15 arseniü. fpriü nom.
92, 2 Buxeus .i. arbus
95, 1 Blessos .i. lispante. balbos
i. stam|
96, 4 Salamandra uocata e qd
contra incendia ualeat. nä
si arbori inrepserit oina
pomaintficitueneno. &eos
qui ederint occidit. Quq
etia si in puteü cadit.
vis ueueni eins potantes
intficit.
97, 11 Bombix. qui sericü facit
98, 1 vestalis .i. uuat lihhiu.
11 vesta .i. dea. ignis.
99, 9 suras .i. uuadon. Cipporü.
druho. Cippus .i. druh.
100, 5 Papirus .i. pinoz
104, 13 Mars .i. deus belli
17 minerua. dea artis.
105, 4 Centaurus .i. gen' bestioe
horribilis
5 Cacus monstrü fuerat qd
habitauit in cripta & fo-
ras spirabat fumü & furti
herculis armta fdauit.
7 Claua e geu' armorü lig-
neü l fe| & nodosü qd
hercules semp portar| con-
sueuerat
20 Dagon .i. idolü.
106, 1 Spina .i. rucki
21 Glus .i. lim
22 Calcis .i. c''alc
108, 5 in cupas .i. chofon
14 Gypsa .i. serpens
9 V Mein über o geschrieben. 87, 9 .i.
getilgt. 106, 22 li nach c Ideiyi übergeschrieben.
272
visco. i. laqueo. }. fogallim
Per ipsima i. purgamta far-
ris .i. spriuiiir.
iabara .i. uexilla
Argolicas .i. grecas.
Bargina .i. peregrina
Ausonise. italise
Puuica .i. afifricania
Obrizü. iibar guldi
caccabis .i. caldeariis
Gurgustia .i. ciibibicula (sie)
Larba .i. monstru. scrato.
ciclades .i. uestes
Riigis .i. rumfiiiiguu
Macheras .i. gladios. vibex
.i. sumarlata.
Thermas .i. bad.
Plaiica. pars nauis
Gypsä. i. serpente
114, 16 Im texte steht Gliscit {das erste i durch e gezogen). 127, 3 Im texte
steht basternä.
109,
9
Nilotica i. egiptiaca
128,
18
20
Fusus .i. spiunila.
133,
12
23
Nitrü .i. gen' herb^.
opti-
mü e ad abbliieudas
{sic)
134,
23
sordes. sie sobona
136,
24
111,
1
doliü .i. putimia
137,
3
22
Stuppea .i. aimiribhiniu
4
112,
20
Comp&a .i. giuiücci
18
113,
2
Bellona. dea belli
138,
8
5
Mauors. deus belli
140,
14
6
Salpix .i. gen' tubse.
18
114,
16
Glescit .i. crescit
21
115,
8
Colostrfi .i. piost
141,
14
116,
8
bargiua j. peregrina
142,
15
20
Gabiilu i. patibulü.
143,
12
119,
24
Pierides, s müsse.
120,
14
LeuirQ. i. zeibhor
24
122,
3
aetbiia .i. mens siciliae.
144,
11
10
Triuacria. i. sicilia
146,
19
127,
3
Basteua. i. sambiih
6. Cod. Sang. 242 s. 148 — 167 Glossen zu Aldhclm de
vitiis {vgl. Hatt. I, s. 282). S.148, 20 hegint DE PRINCIPALIB'
VITIIS. Auf s. 167. 4 — 11 schlieszt es mit den versen:
Naiita rudis pelagi ut SQuis ereptns ab undis
In portv veniens pectora laeta teLi&
Sic scriptor fessus calamü siib calce laboris
Deponens habeat pectora la&ta quide
nie dö dicat grates p sospite vita
Proq. laboris agat iste sui reqiiie
Gracia magna tibi sit xpe semper in ^uo
Qui mihi donasti pficere istud opus.
149, 8 Salpix .1. genus tubse.
12 ancile .i. genus scuti
14 Semispatifi .i. sabs.
16 Sparus .i. sper.
151, 16 Scortatores i. liorara
152, 8 Balena .i. draco.
156, 9 ydris .i, serpentib.
13 contos .1. strangun
151, 16 Über dem lezten o scheint ein kleines hakchen zu sein.
tmterpungiert.
156, 13 r
AUS S. GALLER HSS. I
ö7a
163, 6 Antemnas .i. segalruota.
Baica. geiius nau|
164, 25 Spina. Rucki
165, 1 Capulus. helza
2 Ocreis. beinberga.
4 Laßba .i. sklezzo.
6 Masca .i. monstrü.
161, 14 cote ,i. sexisü
162, 2 porcaster .i. paruch.
3 Filex .i. gemis herb^
12 barbita .i. Organa
17 acescant .i. arsüren
21 Defruti .i. uini. cupis. chu-
ofon. adstipulans. congre-
gans.
161, 14 Das deutsche wort ist undeutlich , könte auch serirü gelesen werden.
7. Cod. Sang. 242 s. 168 — 242. Glossen zu Sedulii Car-
men paschale (^vgl. Hatt. I, s. 282).
175, 13 Labrusca geuus herb^ amarissimü sucü babens
14 aliuncä .i. calcatrippa e flos simil rosQ
178, 14 Cbaos grece. latine cfusio 1 mors dr
180, 5 gabaon .i. locus prope bierfl | nbi medi&as e c^li.
194, 18 vada vurt
197, 13 alat. gitrosta.
210, 10 reliquiasque suas. i. edrä
8. Cod. Sang. 162. Glossen Ekkeharts IV. zu den psalmen
(vgl. Hau. I, s. 411).
58, 19 J". Uinacia .i. trestir. {su X)S. VIII).
59 J. acnerit. süret.
71, 7 J. {{her sanus sit (mi ps. IX) steht Glos sa e. — Veluti sanus
sit cum medicus non sit necessarius ist unterstrichen, die
Worte darüber sollen also wol hetssen: Glossa est.
9. Cod. Sang. 166. Glossen Ekkeharts IV. zu den psalmen
{vgl. Hatt. I. s. 411).
p. 69 (Ps. CHI) col. I. lin. III: paries dealbatus. Daneben steht im
ztvischenrande : tuuicba.
p. 79 (Ps. CHI) col. II lin. penult. : viscum habet in pennis, darüber:
fögil chleib.
p. 314 R. chumo kibeit.
„Ceterae non numeratae glossae interlineares latina lingua scrip-
tae emendationes sunt textus valde mendosi. Itaque tota praeda assi-
duae per tres dies continuatae venationis consistit tribus vocabulis mino-
ris momenti! Sic nos docti tribulamur!" Gonzenbach.
ALTONA, IM JULI 1878.
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI.
274
II.
AucJi eine erneute durclisicM der Sanct Galler glauhensheJcenfnisse
und Nofkers ergnh mir nach Steinmeyers coUationen {Z.f.d.A.XVII,
431 — 50i. Ans. f. d. A. III, 1S8 — 164) noch einige resultate, die
im folgenden zusammengestellt sind. Ich habe mich, der hequemlich-
heit des gehrauchs wegen , ganz nach Steinmeyers herstellimg der colla-
tion gerichtet: die abkürzungen der lateinischen worte sind nicht ver-
zeichnet {nur wo ein wort aus andrem gründe angeführt werden m.uste,
oder wo die genaue tvidergahe der handschrift von wichtigheit war, habe
ich die abbreviatur angefürt), die ! der handschrift sind durch ; wider-
gegeben, und die zahlen bezeichnen die seilen und Zeilen von Hattemers
text. Abweichend von St. habe ich die stelle einer rasur von dem
räume eines buchstaben durch : bezeichnet. Über einige nur Notker
betreffende einzelheiten ist unten das nähere mitgeteilt.
10. Cod. Sang. 1394 (vgl. Hattem,cr I, s. 325 — 328. Stein-
meyer in der Z. f. d. Ä. XVII, s. 448 fg.).
326", 2 uocamini. audite 326", 1 prodere 3 pird aus it corr.
4 troliti"''". 9 neccet lögöti 20 wrdin dier anm. 2 zu tilgen 327^1
^uas auf q geschrieben 12 kirn d. i. carissimi 22 die accente auf ili
und tinfel. sind mir sehr ziveifelhaft 23 gezi:rde. (loch im pergament)
26 Ih wil 327 ^ 2 ge^ 3 libe mit höre. 4 hören. 19 himiliskes-
chüiiig:s (loch) protelbften 13 keist?ichen «ms e corr. 17 dr/'z sehr
zweifelhafter accent. 19 göten 32 gefangrm aus e corr. 328", 3 scöl-
digeu. 4 allen noch zu erkennen 6 pikerc?e. aus n corr. 9 motes
12 gena''^ 14 iursela. f 15 ffs krih d. i. fratres carisshni.
11. Cod. Sang. 232 {vgl. Halt. 1, s. 328-— 329. Steinmeyer
Z. f d. A. XVII, s. 449).
329", 7 s^tondon aiis on corr. 13 ungewno aus r corr. 16 un\
uuizindo nachträglich auf dem rande vorgesehrieben Zeso 18 mit.
20 gotes aus t corr. 21 heiligen, ist wol richtig, obgleich der haken
am e nur sehr klein ist 329", 9 «n aus corr. 15 er vor der zeile
nachgetragen.
12. Cod. Sang. 338 {vgl. Halt. I, s. 330. Steinm,cyer Z.fd.A.
XVII, s. 449).
330% 3 gelobe 6 sinin 12 fröwin 17 and' mannisheit. nivt
and' gotheit. beide mcde ander zu lesen. 21 deme 330'', 5 I. g. d. i.
Ich gelobe, ebenso z. 6. 7. 9. 6 üh d. i. unde 7 gemeinsämi 9 «Vster-
bin verwischt. 12 gesüdot 14 d" riuwit 20 d" mir d. i. daz mir. In
anm. 6 ist „gelovbis oder" zu tilgen.
AUS S. GALLER HSS. 11 275
13. Cod. Sang. 878 {vgl Hatt. III, s. 609).
609% 7 ist zu lesen iiezzela.
14, Für meine neue collnüon des psalterium Notkeri {cod. Sang. 21)
bemerke ich, dass ich mir im anfange an einigen stellen notiert hahe,
wo abweichend von Hattemer eine zusammenschreibung zioeier werte
stattfindet oder tvo auf diphthongen der eircumflex ganz deutlich vom
Schreiber für den andern vocal, als welchen H. bezeichnet, beabsichtigt
ivar. Im übrigen habe ich mich ganz an Steinmeyers methode gehalten
und lezteren mir vervolständigt. Zu er iv ahnen ist, dass Hattemer das I
des Originals bald durch 1, bald unrichtig durch J ividergibt. Das lez-
tere ist geschehen in 26^ 14 lam 33", 26. 37", 24. 88", 7 ludica 34", 13
leraer 37^ 16 Iiistum 39^ 15 ludei 4o", 11. 71", 3 ludicia 40", 20 lOB
42", 18 Iiidicabit 44", 23 ludicentur 48", 19 ludicare 49", 28 lustus
57", 9 lusti 57", 10 IVSTI 71", 6 Iiistificata 205% 20 Inda 306", 31
locunda 308", 29 locundet' 316", 6 luraui 318", 31 lustitia 350", 8
lubilate 435", 15 ludeorü. Für das H, li hat der Schreiber des Psal-
teriums eben diese buchstabenformen, glcichwol hat derselbe ohne zwei-
fei auch h in etwas grösserer gestalt als capitalbuchstabcn gebraucht,
wie z. b. aus dem hODIE 485", 18 folgt. Da nun aber beide formen
des H h bei Notker stehen und das majuskel h, wo es vorkomt, sich
oft — nur ganz unmerklich — iion dem minuskel h unterscheidet, so
seien hier die fälle angeführt , wo die minuskelform steht , von Hattemer
aber durch H widergegeben ist: 104", 33. 385", 26. 402" 10. 430", 8.
490", 12 hier 298", 10 Ms mahelit^ 305", 19. 426", 18. 488", 15
beide 345", 26 büs 349", 8 bäbent 351", 24. 523", 2 habe 354", 18.
430", 16. 438", 25. 526", 30 humilitas 356", 16 heretico 393", 27.
488", 7 bomo 398", 26. 428", 1 hoc 398", 19 börsco 399", 24 hilf
407", 14 bumiles 409", 18. 435", 20 babeiit 412", 1. 439", 18 humi-
liatus 306% 7 heiligen 412", 22 bina 416", 8 hie 427", 2 buius
429", 15. 430", 13. 467", 15 h^c 439", 17 bereditate 459", 17 hin-
nän 467", 27 HVMILES 440", 15 hilf 448", 6. 476", 7 herro
477", 8 heue 480", 12 hiiote 482", 6 babitabunt 485", 18 boDiE
494", 30 bertiü 501", 7 haurietis 511", 16 bimela 511", 1 hörn
516", 24 heccine 518", 8 bohez 520", 1 hüngeres 525", 17 hörn
525", 25 belli. Die nummern der psalmen stehen nicht im original.
Die abkürzung isfl z. b. 55", 23. 26. 77", 32 ist Israel zu lesen nach
gewöhnlicher art , obgleich sich, ivo das wort ausgeschrieben ist, sowol
Israel als israbel findet.
25", 18 demo 25", 20 loüb 23 perabuntur;! 24 boum über o
spur eines einstigen circumflexes. 26", 4 pulvis aus p gebessert.
1) : bezeichnet hier die interpunlition der hs., nicht eine rasur.
18*
276 PIPER
26", 17 wals anradiert. 18 oügendo. 27*, 6 Nalstaz 17 tüot 27\ 14
zit 28^ 10 Tamqiiam 15 PROPHET E 28 ^ 13 zeimo accent matt.
20 mänege. 21 einer note 4.: DVM DISCERNIT CELESTIS REGES.
29*, 11 ostir tage). 12 clamaui. 14 stimnio. 16 mih; 17 heiligen
29^ 9 göt.
30", 8 inbinoii. 14 io. 22 qu^ritis das hähchen des e scheint getilgt
0u sein. 30'', 2 (Fuogi 5 stimmon.). 16 f. Trühteii kehoret' iüh' so' ir' ze
imo' härent'. härent' ze imo' mit' knoten' uuerchen. 19 Irascimini'&
das trennungszeichen vor & onif roter dinte. 20 s^mdon schwacher accent.
21 Riüuont schwacher circumflex. 31% 5 MIT 23 ^terna? Vuer
oüget uns daz küot? (vgl. Hatt. II, 540) 27 daz danach ein punM
radiert. Sl'', 7 Si'ne 16 dia es stand zuerst n, dieses ivurde zu e
und dann zu a corrigiert. 32", 3 babyloni^ 32^^, 9 unrechte. 18VVEN
S.lß 20 In guotlichi). note 2: lERüSALrEM. nach L rasur von A
33% 9 trügenare; 33% 4 lonon.). 19 soue 34% 10 fersehent. note 2:
das „t" ist durch U.S.W. 35% 6 (ür soche) 19 iihtig? 27 bette; .'»^ahte-
liches. auf rasur für be 28 TIESCUMQUE 35% 11 fienden. 31 eru-
bescant [21] ualde 32 Pecheren 36% 4 P.RO 5 ABSALON 6 hiez
13 toügeuo 17 saluum 20 mih. 23 (keistlicho) 24 nidir rise.).
se**, 6 ab w I inimicis unterstrichen. 37% 10 so 11 ümbe hälbot
ijüber dem ersten strich des m steht ein punJct. 19 üroge 23 töte.).
37% 9 dar du in 12 so 15 lanchon.). 38% 8 illum. 11 eo.) 16 häbe^
auf rasur für r 38^", 10 apeuit (sie) 39", 5 uuerchen.), 19 uuielich
39'', 3 die' uueiche andero' geloubo' uuären' die habest du fölle bräht
zedinemo 13 defensorem. aus o corrigiert 32 memores schwarzer accent
40'', 17 suendi. 19 emendationem aus a corrigiert 41% 5 CON-
FITEBOR TIBI DNE IN TOTO CO-RDE 20 (ir stau). 42% 15 ine-
bini. 21 ünscuidige auf rasur. 42'', 13 truhten 43", 10 truhten.
24 leitent. Note 5: feines unter den huchstahen geseztes strichelchen
u. s. w. 44", 6 iro nü aus nü radiert. 15 sehendo 16 truhten. 21 eine
24 spuotigo irteilet 44% 16 geloübet? 20 Ziu' indürften' unde' an-
dero 22 fersiest' unsih. 46", 4 änden 47% 4 inuersihtigen. 15 föne
47% 4 dm? d. i. deum ? 6 ubelo? 48% 19 regua^it aus u corrigiert.
48% 2 ineuua. 49% 1 demo uueisen 6 nioman 18 CITIS anim^
49% 27 herzen.).
50", 3 inhimele. 4 (keloübic 50", 6 teil 9 scheidet 12 teil
13 meze 26 salmo. 29 tage 51", 6 D«z anradiert 26 öfter auf
rasur für t 52", 3 ineuua. 26 XPE d. i. CHRISTE 52", 21 Ir liebte
53", 16 dm. d.i. deum. 21 sönehein 24 un nüzze. 54", 4 nü 9 fer-
Zörnissedo. auf rasur 15 zefürhtenne 17 zeferliesenne. 23 hma so
24 romara unde 27 (zit fristigiü 29 euuigen.). 31 inrehtero 55", 12
AUS S. GALLER HSS. 11 277
angöte 16 Neist öö*", 5 tnihtou 18 tiiot. 56", 13 zeuuöcheroune.
18 nesciideta. 56", 21 (lii lümele). i^8 hier 56'', 5 (.i. titulus) 21 au
in? 57*, 3 neheizo 16 me^. & 18 teil 20 teil 21 (stoüfes). 57", 2
luzörften 30 fölletäuero 58% 3 zelielfo. 18 iühello 21 lieiligeu
23 nefület. noh nerozzet. 24 audeiro aus o corrigiert 27 iüq 29 in-
adani öS*", 9 chit. 20 trübten min 59", 5 inüngetriüuiien 20 luär-
beiten 59", 2 leid. 4 leid 23 zedir. 28 gereichen
60", 8 (dinimo 16 (sundige) 25 cÄeli aus e corrigiert. 60", 11
beueimdon 61", 4 trübten 14 (.i. immunditia.). 16 sie aus a corri-
giert 61", 5 neuuären. 62", 11 uugeloübigou. 14 ketruobet. 16 die
leidegout 21 leitet. 23 sunda 24 diä 28 Originale 62", 11 ora.
27 eins. (i. 29 rüch 63", 5 gloübigero). 10 in. 64", 12 tode.).
14 zeicbenteta 64", 12 gemalmi.). 65% 13 kebaltena.)? 27 bebuota.
34 urteilda 65", 17 fidei.quQ 19 uuerchot)? 26 nienianne. 27 sin
66% 8 f/ie aus b corrigiert. 15 IVSTITIÄ.SVÄ 20 beigen 21 ne
bein 66", 8 infiüre 15 zein 22 dero 30 üngefleceboten 67% 11
brachia aus ü corrigiert 13 zefölletuonne. 23 mili). aus r corrigiert.
67", 12 sie. sie Nota 4: das stricheichen üher c dient nicht zur silhen-
ahteilung; es steht senkrecht wie ein i. 68% 15 innote. 68", 2 uuerlt.).
9 (inlicbamin) 10 oügon 69% 32 chüniges. 69", 12 XPM. d. i.
CHRISTVM. 16 (föra sägin) 31 chundet
70% 4 quorum idest 21 sinero 22 muoter 71% 16 (föne
26 for/ita auf rasur 31 p^na 71", 14 selbiü 72% 5 toügenon 14
tuout.). 31 foue 72", 24 XPE d. i. CHßISTE 73% 3 iro 73", 22
tode). 23 uuizzictuöm.) 25 in 32 inmäbteu. 74% 1 (uuartsali) aus
e corrigiert. 12 sprangOA-r (m ligatur) il zeuns 26 rege. & 28 Truliten
74% 4 föne 7 KEX. 75% 9 boübet. 10 steine 11 (iüngeriu) corr.
aus 0 26 iro 75% 19 XPE d. i. CHßISTE 76% 12 Föne 76", 21
XPC 77% 5 Ferro 22 cZen'ne auf rasur. 23 (heilida). 77% 15 (eiu-
dinch 17 sun.). 30 gebalten 78% 1 fersäb'er 7 Gote er 8 übe. er
18 luierite aus 1 corr. 78", 1 baibot : nianigiü nach t rasur von m
27 una/tö aus s corr. 79% 11 mine 79", 6 (licbwmin) aus u corr.
9 (menniscben). 21 heiligmeineda. 25 (irrarin). aus e corr. 28 neteilta.
80", 11 keseben 14 depcatione. 81", 13 die ?öbont auf rasur.
81% 2 zeseti. 20 nach ze rasur von E 82% 4 anuuizzegon) 9 (toüffi).
23 uängiren der ziveite accent Idein. 82", 9 föne 18 tuot 83", 7 di-
ser 30 dia 83% 10 ineuuigbeite. 18 geimünnen'uuile. 84", 9 kät
84»', 21 zescämon 85", 7 pbäd. 85", 18 deliguentib, aus u corr. 25
indär 86% 3 Andemo 4 andemo 86", 1 sundon. 87% 10 uuerltki-
reda 14 abundante aus i corr. 15 (über sueifigemo 32 anmine
87% 15 zebelfo 24 nefieng. 88", 5 xhristanin 12 inünsundigi, 14 iro
278 piPEK
20 Be suoche 29 do 31 (uiiert sämot). 88^ 12 danch päre). 22
(spile hus) 89% 8 reiüiü 9 häbeut. 18 uocem aus i corr. 27 zelöbe.
29 tnihten. 31 Iniro 89'', 27 ingrehti.
90% 22 fienda 90% 5 eines 91% 5 Andemo 91% 22 chere
92% 19 treibent 26 zefreison 29 zeh 93% 10 zeheili. 23 ES. ET
24 (meister 25 imeg. keuuäro 27 iniro 93% 21 ne 94 ", 2 CON-
SVMMATIONIS 25 insinemo 95% 25 inuuerlte. 95% 15 einote.
96% 15 inmitten 19 bezeichenet 31 infride. 96% 2 zu. spilunga.
13 Mr schürfta 16 lib puoche) 97% 18 zedir 97% 27 lugent). 29
Sicliümet 98% 2 iüngesta 12 I^ aus i corrigiert. 98% 17 corruptio-
nem? aus in corrigiert. 22 ändere?* aus m corr. 25 so 99% 2 sche-
phido)? 9 inm^ndi. 99% 16 ougendo an aus u corrigiert. 23 (färint
24 dinemo 25 naZs aus s corrigiert.
100% 20 namen. 101% 19 (not haft) 101% 2 inzörne. 11 inmi-
nemo 13 uuirserot die 17 inleide. 19 Föne 27 fer uuuote 102% 11
zeitteuuizze 12 Filii 103% 8 zedir. 14 sölraan 103% 8 herzin.).
13 impii. 15 inbella 22 inünuuirdi. 104", 7 kein ahsats, weil hier
in der hs. keine rote schrift begitit. 12 sia 16 inuuerchen. 17 in-
uuörten. 22 insinemo 33 uuider spracho 104**, 1 in ^ccla 105% 2 diä
12 negeloübent. 105% 10 iiox 21 übe: rasiir vonr 106% 8 stechon-
temo aus o rad. 9 stuont 21 ieho 28 betot' zedir' iegelili 106% 18
sceident 107% 2 peitonte. ih meino 12 in 107% 4 sülin Dien
10 zedir 13 cbämnm 16 (inchriechiscim). 17 latine 24 gedoübot
28 ällenhälbou 108% 5 inherzen. 9 7PS1 auf rasur für D 12 än-
derroiiuerlte. 21 ändere 23 bezeichenet aus i corr. 108% 2 habet.
19 nemag 21 dä^ aus h corr. 30 Andemo 109% 3 chi^. aus a
corr. 7 nuerden 8 gin.). 109% 11 iniibelero 12 sie 18 insinen
23 zefernemenne.
110", 1 nebristet 24 tiligeien aus o corr. IIO"", 9 sälig heit
28 dia 111% 4 herzen 13 Man sihet 24 rihtet 111% 14 inhungere, hier
inuuerlte. 16 hungert 30 andere 112% 14 fer liez. 112% 15 dauid.
30 ke hören 113% 29 ana siüne. 114% 11 besuochent 114% 16 sö,ne
115% 31 temptationes' (chörunga) unde passiones' (märtyra) die 116% 25
fienda 116% 9 fienden. 23 zeguote. 30 scuölare.). 117% 3 Föne
21 indrin 26 qm d. i. quam 117% 9 freuuit 31 ueist. 118% 1
uästuri aus h corr. 4 (unbi/igi) aus g radiert. 9 fZen nur von andrer
form, ist einem gewöhnlichen d vorgesest. 119% 26 waris aus m corr.
119'', 6 tuost 25 insuäremo 32 chörunga) aus o corr.
120% 12 heidineu); unde 25 salman 26 ue hein?)? 120% 3
bene bene. 5 freuten 6 Vuöia uuöla. 121% 18 uuola uuöla 121% 22
(uuola uuola 122", 8 ke horsam 122% 4 intelle(/ere aus e corrigiert.
AUS S. GALLER IISS. TI 279
11 Insinemo 33 nent aus t rad. 123\ 10 m^uniscen 124^ 14 Andemo
18 sunt. nee 125% 11 in. 17 inhimele 125'', 16 lierzon unde 17 Göte
danne 18 skin^;«^ auf rasur 29 oüli 126", 5 /erte. auf rasur für u
12 heizmuoti. IG arguuilligo das erste g ist aus u, ui atis ill radiert.
126\ 2 findest 127% 2 iuiro 26 IHV XPL d. i. lESV CHRISTI. 127% 1
inarbeiten 15 inhüngertagen uuerdeNT (nt in ligatur) 16 rnneliget
18 leära 20 inin 128% 27 geyno aus n radiert. 128% 19 Gotes 26
iu^liehet. darüber ein punht. 129", 7 ne ist 129', 15 inmuote. ioh in-
münde. 17 urteilda. 25 haltet. 30 deniobuöclie 32 NOi?iS aus K corr.
130% 5 in aus m rad. 12 uuirdet; 21 temp'us 23 stis.). 130% 32
?eibo aus e rad. 131% 29 libes 131% 3 dinero 23 uuända 33 habet.
132% 3 sone 5 minero 6 cönscius 12 gärtin). 20 /jeheizzen aus b
corr. 132% 2 uiiäre Daz 9 Vueueg 18 ketrügedes aus d rad. 24 u.
steiua). unterstrichen 133", 3 peto». aus m rad. 133'', 10 pediu
24 ferliez. 31 Mine 134% 3 si 20 Sie aus iu rad. 135% 4 zehühe
135% 3 häzzent. 136% 1 Da.0 aus h corr. XPM. (/. i. CHRISTVM.
137% 20 aa adämis). 31 iiuemo? ISS*", 21 sameut 139% 13 m\h aus
r corr. 139*", 7 mines 20 gesehenne.
140", 14 maui^falti auf rasur für f. 140'', 28 crhistenheit).
141", 4 nieht 5 iumimde 21 du 141% 2 uiiärheite. 142% 17 zei-
chinin). hieneben steht note 3, ist aber durch zeichen auf das erste enge
s. 27 bezogen. 143\ 1 irstän'ne 144% 32 (föne demo 145% 1 loübo
146% 4 ^erot auf rasur. 146'', 5 se?a auf rasur für uz 24 demo
26 msuochen. 25 uuünderhVi auf rasur für h. 147", 4 exultationis
6 indero 148% 32 ih
150", 6 erc^o) aus b corr. 150'\ 2 nealten 7 beiteu 15 ^^atien-
tia auf rasur. 151", 6 bezeichenet 151'', 12 arm, 15 diues 152% 10
ieodoh 18 chräftelose. auf rasur. 153% 26 chit 154% 11 fraget auf
rasur für a. 21 uuir 155% 5 nre? 23 chäd 27 bittir 157", 7 fä-
ter 32 izzit unde 157% 4 Nu 13 gm d. i. gratia 27 Intende.
158'', 2 gerih^et auf rasur. 27 uisibili 159% 18 hiuseren. 159% 6
pauliawe aus ne radiert. 7 mauige: rasur von n 10 regin: adextris
rasur eines a.
160", 29 (äne flecchen äne rünzun) 160% 17 indero 161% 20
Infreuui 161'', 14 indemo 162% 3 zuo tluht. 162 b, 2 nedorftou.
13 zefernemeune 28 (ketriuuuun 163% 16 iro 164% 18 sinero 23
nefersiehet. 164% 3 dir auf rasur. 165% 12 (d chälauui) [l62j unter-
strichen. 165% 25 Äne 166" domuoten). 166% 25 xpm. d. i. Chri-
stum. 167% 13 Indero 27 (keloüba) 32 insüude. 168% 26 bechern-
den, auf rasur. 31 nie. auf rasur. 168% 7 Ziu 169'', 2 indero 27
ist. Vuie
280 PIPER
170^ 6 sprecheilt. 171", 14 foue 171\ 24 dar 27 suis .i. in 173% 10
imsälig. 173 ^ 21 sprecheudo? 174% 3 die 174 ^ 7 Ziu? 30 MI-
DIAM VOLO.ET NON SACRIFICIÜM 31 ih 175% 18 zefreisou
176% 20 ubeles auf rasur. Note 5 löse danne durch mclievi umgestelt.
178 note 6: von den wchir buchis din seze ich üf stül din. 179", 6
FAT. MEI. 20 VOCEM
180b, 8 demo 181% 5 chümftig ist. 181% 17 demo 182% 1
sacer [180] dotes 7 uuas' unde 8 ceTERi tales. 21 potens es?
182^ 26 (.i. 184% 2 chäden 184^ 5 keeiscon auf rasur für s. 186% 23
starche aus o rad. 28 iro 29 nehäbeton 33 toügeno. nals üz uuert.
186^ 10 iniro 187% 2 pürlichi aus 1 corr. 23 DEspexeris 187% 29
cecidit 188% 5 chämen 11 infinstri). 23 herzen 30 slief 188', 16
indero 189% 15 droiumn, aus o corr. 189'', 4 lebende aus o rad.
11 ärguuillo 23 exaudiet uoce
190% 27 liereticus 190'', 30 (: stedi). rasur von a. 191% 5 in puteü
9 helle. Mris). 27 liüt. 19 1\ 6 iudon.). äna 7 Süs 8 saug [191]
dauid 19 intorculari. 31 IHV d. i. lESV 32 (die) aus de corr. 192% 1
Gote). 192', 2 gab. 21 söliche aus o corr. 193% 10 ib.). 26 Dar
min 194% 11 hol.). 194", 14 mih 30 iodöh 195% 4 aber 195^ 2
sie auf rasur. 196% 1 chämen 7 c^ci' claudi' paralitici' ^groti 23 nü
197% 16 libe.). 18 uuwrdin. auf rasur. 20 uuürden; sie 197', 4 ger-
menouten) aus s corr. 7 ander 13 föne 198% 2 si.). 6 nemahti.).
198', 10 äna. 12 göt. 199% 7 uuizza). dero [199] freuuet 199', 13
Vwända auf rasur für be
200% 17 ändere 200", 6 uuölti 27 ist in 201', 30 prin [202]
ge^ auf rasur für nt 202*, 9 tuoien 202', 10 murmurationem tuont
(raürmeront). 12 iz.)? 203'', 2 (üf lanch). Sobal uana 4 (übermuoti)'
uanitate (üppecheity uetustate (älti); pranda 14 uninden 204% 10
chnisteda. 204', 21 Geistis.). 25 (Aähsele) durch striche darüber und
darunter getilgt. 205"", 7 manases. 16 (miUti. mänigfalti). unterstrichen.
21 (xhristis 205', 3 min | nen nichts unterstrichen. 206", 9 arbeite.
29 DEPRECATionem mea. 207% 5 heili darüber und darunter ein
strich, iibcr e ist ein circumflcx durch punkte für ungiltig erklärt.
207% 30 ANima 208% 27 züne. 208', 2 gelonbo lükke) 12 benigna
mente 209% 26 fergondo'. iehendo' uueinondo.
210% 29 viGilo. 211% 9 \Voa aus e corr. 211', 11 chumet
212", 7 ineben dir. 11 uuörten. 12 propicivs [213] esto 28 sie auf
rasur. 212', 8 die auf rasur für a. 213% 2 haben. 23 licharain). 26
fiendes 213% 3 uuunlen. auf rasur. 26 fer raten. 214% 21 Vuieo
214^ 14 lungeren er 215% 4 DESCENDAT DE CRVCE ET CREDIMVS
EI 17 iüch). 216% 7 dauid. 19 HEG AVTE IN FIGVKA CONTIN-
Aus s. gällkk iiss. ii
281
GEBANT ILLIS 216", 13 himiscimn aus s corr. 217% 4 scuMen auf
rasur. 28 sah ora 217'', 8 inari longe. 11 ges^zzenero aus o corr.
218'', 20 ändero 219", 1 tricesimi' & sexagesimi' & 4 zeliinzegösten
219^ 18 (uimoftscreion).
220^ 7 selben 221", 6 se/6en auf rasur für bo 221", 12 Viiir
anm. 5 scimaticos 222% 23 uuile ^). danne Göte. {zit uuile ist die rg.
durch zeichen verwiesen) 222'', 12 ist anui. 5 s. 9 si 223", 2 zelo 10 üf
induou. 14 indes 223", 33 iiiiquitate. giaiu 224^', 13 die:: |225l te.
Rasur von te 24 ds. ds; der punht des ; ist rot, der strich darüber schwarz.
224'', 4 scal in 9 ci eins 225", 8 1. unius 226% 4 hafte accent zwei-
felhaft 20 üz 226", 12 cbwäta auf rasur für a 227% 4 minna.). 227'', 2
Vbe,ir,restent 19 peeptis aui rasur 228'\ 8 imerdent 20 lerare
228% 11 OPERA (min 12 fater in mir 17 wsque mit schwarzer dinte.
229% 12 töd auf rasur von d 229% 30 gmoni. auf rasur von o.
230"*, 7 imürden ist richtig. 231", 12 (geloübo kedingi miuno).
232% 15 Danne 234% 1 sin.sid 235% 3 äuasiüne. 21 meinit izj.
235", 10 uuerden; 22 (.s. 236% 25 muozzin 237'', 21 liden auf rasur.
238% 3 mir unde auf rasur. 9 die auf rasur. 239", 11 pin.). daz
240% 9 paiipQitatis 24 fernemen 241", 10 sih. 242% 24 dih::::
(punJä auf der rasur nach b) [244] diutor initial fehlt. 242", 5 selbemo
243% 11 IHM d. i. lESVM 26 scbendet 243", 6 üf reht atif rasur.
21 min 32 diä 244% 25 uuerdent. 28 Ziu? 244", 10 moeiemvr
(ezzen 245% 11 färendo 245", 20 opibvs 247% 24 uuieo auf rasur.
248% 17 buh 248% 7 chit 20 sune.). 249% 13 lit er. 15 filia
(töhter) syon. 249", 11 in.). 23 intrücchenemo 27 (lera)
250% 18 föne 24 üzzerösten 29 fienda) 250", 21 so 251% 9
Caritas; irbiiret. 31 terr^. 252% 11 eins. 252% 4 genädon). 5 (euui-
giü 254% 13 hohistiu)? 24 dixi .s. asaph. 255% 1 exsurgentis.
14 gescäh 18 huorlüste, in ligatur 25 Yt 256", 24 mih. 33 dar
gehalten, auf rasur. 256", 2 erdo? 8 iöh 21 hedecchit danach rasur
28 minna). 257", 8 diä 12 Du 258% 6 uuieo 9 irslä(/en auf rasur
für h. 30 zeholz 259% 4 finem? Er 259^ 13 er stuont 26 fr^zenne
_ 260% 19 Paulus 24 terr^. 261% 27 Petrus 28 iu 261% 27
FRS? 29 unsih) ketuö 262'', 19 chana'an der punkt rührt von einem
an falscher stelle angefangenen a her. 263% 2 sätttost). 264", 5 Ziu
7 irteilare. 265\ 26 israhel auf rasur. 266% 11 frido. 31 lichamen
266", 12 illumiuati auf rasur 17 sliefen 22 unde danach rasur
25 Hier 267", 27 muoten 268% 9 springinda 14 DNM d. i. DOMI-
NVM 18 mrära {vgl. zu 262% 19) 268% 6 (arbeit)
270% 13 uuehseluuga 21 m\h auf rasur von r 271b, 3 uuerlt
25 gedanchot auf rasur von a 272% 2 sin. 11 fernemen. 24 daz
282 PIPER
auf rusur 28 biueimed«). aus e corr. 21T, 5 ^eburt. auf ras ar von h
11 iuchit. 31 diu bechenne. 273'', 8 imorten? 274:% 16 fernim
17 huöton/Gotes 275% 19 rihten 275", 20 Süntimint 28 sicut/are-
nam 276% 18 iiennit sicher. 276 \ 8 iimbe mmna. 278 '\ 2 föne
279% 5 (föne 20 scificationis d. i. sanctificationis 22 heiligen 279'\ 27
iteniüuues
280% 10 näls 281% 6 Got)? 7 sär 12 äfterin). 22 testamenti.
281*', 10 himiZisca corr. aus sc fördevontin). 23 uuörto. 29 gelicha
282% 15 (.i. pars .i. vetro) 20 gäntiu inphieng 282^, 6 chedent 8 so
283% 3 kescribeu) 18 Göte 284% 3 dinen 13 Vt 30 (arme 286^ 14
pitteppest). 287% 13 Daz 287^ 2 flümen 5 dero 288% 14 PRET
d. i. PRETER 18 imas daz 289% 27 menniscen). ist wol ein e, obgleich
das häkchen sehr Mein ist. 289'', 4 Ba?>tisrauin auf rasur für p
10 (törzilhus),
290% 14 Psalmvs ist 29 büh. 290 \ 31 diu 291% 23 nieht
291^ 12 diu 15 die 292% 11 din 292% 28 (fore 293% 5 m'mest.
293', 25 fienda. 31 Vuieo? 294% 31 chäd,'er 294% 29 imo 295^ 12
eo) 27 imo 296^ 2 uuundire 4 (irblendit). 297% 16 XPE d. i.
CHRISTE 298% 10 hismahelit^ 15 geuuän 19 meino nals 29 LIN-
GENT. 31 alienigen^. 298^ 1 Tyrus. 17 madian. 299% 16 eorü. qui
23 liut)? 26 före 30 r«d. ein circuniflex darüber ist durch punkte
für imgiltig erklärt. 299*', 6 (liehtiü
300", 1 ist kein absatz , iveil hier in der hs. keine rote schrift
begint. 7 imde auf rasur. 8 in auf rasur. 11 du 19 Ziu 26 Ke-
süngener 300'', 15 chrefte. 16 intorculhüsen. auf rasur 301", 4 in
choretale auf rasur 12 der selbo 303% 6 Kesüngener 304% 4 (chun-
hafti) 304^ 7 kein absats cbü [311] met 33 eo). 305% 25 du.
306", 25 ddnne 306*", 23 dia 307% 7 barent schwacher accent. 16 rät)
17 (mänuis)? 24 tieho. 307', 24 dieto) 31 täte
310% 2 Mngee. 22 xpc d. i. cbristus 311', 6 Vuieo? 312", 1
leidin). 312", 15 fouea. & 313^ 25 benden 29 ueritate 30 ingräbe
314", 19 irgezzen danach rasur von t 27 irbölgeni 314', 25 äl'eunan
317^ 7 storbin) unde sepultus (begraben) 12 toneronde). 317% 5 fluc-
tü d. i. fluctum 25 terra (orda) an 29 ist; 31 nieht aus e corr.
318% 27 ubermuötin). 30 die 319% 18 (gcKclianiot) darüber spur
eines accents. 19 tuis.
320", 20 chit ir 320% 2 zeerestpornen. 21 stäto aus e corr.
321", 10 A'ber 321', 5 die 322", 1 xpm d. i. christum 323% 1 ist sal.
unterstrichen 324", 5 iteuuizzes. 325% 23 dero 326", 3 uuile). 326', 15
äh^eg auf rasur für c 23 (die 327", 9 uuerden 327% 4 stultorum.
AUS S. OALLER HSS. II
283
330'', 19 uiiizze diiabraht. anab daz unterstrichen 331^ 18 huö-
ten 332% 32 uiiort 332", 18 in. 333% 1 Dia 3 keiuüzzeda). aus e
corr. 9 iih dinero sündoa. 10 lih 27 uueuuon). 31 A'ndemo 333^ 34
die 334^ 11 brütsamenungo). 31 (suozstancbperge) 335*, 15 leo
335^ 13 före 24 bier 33G% 12 den NON. 32 stat 337% 8 geloüb-
licb. auf rasur 15 iiuesent 337'', 2 steccbit nm unterstrichen 8 owli
darüber ein circwnflcx radiert 13 in'tiiot 22 menniscin). 27 ün baldo
338% 26 ablaz)? 339", 19 conside [349] rat? 23 före 26 (uuidir
341", 15 .1. de 19 selb« aus e corr. 24 jjceptum (kebot) si?
342», 5 Preoccuperaus 21 geuualt 24 gm d. i. gratia 3-12'', 28 iu
er [353] ^mulgatis 343", 10 dürftig 344% 19 änderest 345, 9 hiraela.
27 zeicbenin 346% 1 mammeude.). di (die Gotis kctildir) sint. 347% 13
oüh 347'', 17 dm. aus andrem buchstaben radiert 348% 18 banden.
349% 22 (niim danach rasur 349% 25 gebeizzendo. 31 (antfristo^)
unterstrichen.
350% 16 (beilige aus 1 corr. 351% 33 (intliübtit). 351% 11 die
22 (urteil) aus corr. 30 diu. 353% 15 Moyse 354% 5 ist 11 poe-
nitentiae 356% 9 (ia 356% 26 babo 358% 10 xpi d. i. christi 16 ih
28 (Gotes 359% 17 inegypto
360% 11 fienda. 361% 13 genadeest. 361% 18 Disiu 362% 20
eius; 362% 24 minnero 363% 11 dölent 14 ferlöreu 363% 30 uuor-
ten 364", 18 däncho 364'', 27 üf intuön 365% 1 erist 3 xpo d. i.
cbristo 5 bringet sjnir eines accents 366% 5 bäbet 29 die ne
367% 28 uocem aus u rad. 367% 20 IPSI DAVID, fehlt. 368% 27
füre 368", 2 allen 369% 1 obereren.
370% 10 dinero 25 transgredienf. 26 operire; 29 iruuindewt
auf rasur 370'', mittimin, 371'% 3 bimele. 7 TVRANti 372% 17
cedrorum 372", 16 daz aus u rad. 373% 11 riteroti aus c corr.
373", 2 xpc d. i. Christus 32 Vnder aus n rad. 374% 8 (Gotis 28 föne
376% 11 J.LLELVIA nur eingerid 376% 4 uuerdent 377% 6 er
378% 20 xpös 378% 7 mannes nachträglich hinsugesezt 8 Misit ante eos
379% 27 geuuältes 379", 9 fienden.
380% 30 endegelib. 380", 2 plicbfiiir 26 Iro 381% 5 üugeirret
382", 19 uuir. 383% 22 an auf rasur 29 suuga aws e corr. 383% 10
ist 14 bedä'hta 384% 6 sie auf rasur. 33 gieng 385% 20 bediü
33 uuurfZe aus corr. 385", 13 uuorten 386", 1 iRRiTAuerunt 12 uuor-
ten aus u corr. 386'', 8 (uuidir müot). 387», 23 iro. 387% 33 niu-
uuin). 388", 28 confitemini dnö 388", 12 menniscen 19 tiefeles
389% 15 läugeta. 389% 13 sizzente richtig.
390% 32 spiritaliu d. i. spiritalium 390", 2 do? 391% 31 Göte
392% 5 aqua {sie) uuazzerZosa anradiert. 392", 31 ALIQVIT 393", 9
284 piPEK
(uuizze). 394 -^ 5 l^tabor & partibor sicimä. d. i. sicimam. 9 bin.
394\ 18 brach darüber ein punU. 395\ 2 XPYCTVC 397% 17 uuerde
397", 29 (sist 398', 31 föue 399% 7 nada
400% 15 aber 27 PSALMVS zu I radiert. 400% 20 DEXTKIS
26 fienda 401'', 16 Dara der circumflex ist durch punhte für ungiltig
erklärt 402% 19 ferstozzent. 402", 4 gruoba 12 da er 404a, 13
da^ aus h corr. 404% 18 sie auf rasur von so. 405"-, 33 gibitman
uuirt iu ouch iü). unterstrichen 406^, 2 imeiz 25 Foue' diu spen-
dota 406b, 20 NOmeu dni. 407% 23 respicit 32 soluti' carnis 408% 1
medemo aus 0 rad. 22 sicut 409", 1 In c^lo & in terra mit schivar-
zer dinte. 409", 23 dar
410% 30 frehte 411% 9 QVÖ EXAVDIET d. i. QVONIAM EXAV-
DIET 411% 20 irböten 413% 21 ane 413% 21 AEVIA. 414% 13
maiores. 414% 13 ih. 415% 17 sin ^ccla. d. i. sin (^cclesia. 416% 3
chit. 416% 25 truhtene'' 27 iN 417% 11 mvs' vobis. 419% 16 tuet
21 gänt 419% 18 uuerdent.
420", 14 corde' nieo 422% 6 pat'a 424% 8 üoberon auf rasur
424% 32 folle chömen 425% 26 Kelüstig 425% 10 Friime reht 426% 14
eiiianderen 16 fielen 427*, 34 iusticia 427", 6 mi'ih rasur von e
430% 20 diua 431% 19 die 431% 19 te.& 432% 1 lere 432% 20
geuuunne 22 Vt 433", 3 plasmauerunt 439% 21 haben
442% 1 din 442", 23 derlih 443% 22 gerinnet sia 443% 1
üf 444% 1 minna. 445", 12 MANIFESTATA 446", 2 enaoria 30 Von
Vt ab ein neuer absatz.
450% 2 .i. mentis 452% 27 fierden 453% 1 er 17 An 453% 3 hirta
454% 2 distributionib, i. 9 .id. GRADVV. 456% 12 u^fart aus h
corr. 457% 26 Göte 458% 30 israhel. 459", 21 dero auf rasur.
461", 3 diä 13 resiirr/ere auf rasur 463", 15 hindert aus d
corr. 16 die 464", 12 kein absafs 465% 22 xpe {0u c corr.) 466% 15
ih. 467", 14 he«7egunga. auf rasur 468% 26 DNM d. i. DOMINVM
471", 31 pharaonem. 476", 1 du. 16 Du ist nur eingehrazt
417% 16 iüngesten 477", 27 mere; 29 ^T ist nur eingelirazt 478% 25
Daz ist diu 478", 29 misseuement 479% 25 peccatores;
481% 24 uuirt; 482% 8 GLOßlOAMÜR {sie) 484% 6 stimmo
21 min 486% 10 Absalone. 488% 18 DEVS ist nur eingehrazt.
490% 25 diuero 491% 7 principatus. & 492% 21 hina 493% 5
sih 494", 2 aber aus u rad. 495", 5 LVVDA {sie) 21 lobo. Got.
499% 1 l^tetur
502% 27 du 28 mane. 31 Vuieo 502", 2 (.i. Ingemisco) 27 (.s.
qud uoluit)? 503"- 16 genada Also 21 dih. 504% 9 ET EXALtatum
505% 18 er 505", 24 paupereni 506% 1 est.) 2 nos.). illum.) 5 in.
AUS S. GALLER HSS. II 285
506 b, 8 dien 507% 16 M : Aguificatus est. 7iach M rasur 508% 27
und« aus u corr. 509", 4 kein dbsatz.
511% 17 giiollichi. 512", 16 ppli. d. i. populi 18 Mgendo
513% 13 TOT:VS vor V rasur. 19 uiürsisten. 514", 7 si 23 aife-
rent 515% 4 PEECEPIT 24 scricchenne 515", 9 LOquor. 12 audiat
516% 3 sinne. 517% 6 dero 7 nah davor rasur 16 teil. 518% 2
fremede aus o corr. 10 dero darüber ein federzug, aber kein accent.
519% 3 et 519", 3 GNIS SVCcensus der initial fehlt anm. 5; 3 iä
sepultis. 4 Debitvs 5 raaior 6 Siiccensu. nullvs
521% 18 Ze übele 522% 10 pretev 523", 6 temptationem. 524% 21
mortuus. & 28 ccjlos. sedet 525% 6 QVIA VIsitauit 525", 12 om
[567] Omnibus 526% 7 luieg; frides. 11 EXuItanit 25 täte; dero
526", 10 ^genies 527% 8 saluus esse. 528% 15 lieizent. 22 Föne
30 mänskeite. 528% 17 sinero 22 ungescaffen 529% 8 increatus. &
19 uuerden. aide
530% 2 menneskelieit 22 mennisco 531% 15 Vnus 35 himele
531% 18 euuigemo 19 HAEC GATHOLICA [575] QVAM 30 CIEN-
DVM der initial fehlt 31 PSALteriu 33 delt^ figura aus e corr.
532", 1 quide & 0. 2 ad siuim und z. 4 lein fecerant sind auf dem
rande nachgetragen.
Zu Boethius, Marcianus Capella tmd den Categorien werde ich
an andrem orte einige nachtrage liefern.
15. Cod. Sang. 5 56 (vgl. MSD"^ 79 s. 197) s. 400 — 401 ent-
hält den siebenten brief Fiiiodperts von Sanct Gallen.^ In dem folgen-
den abdruck sind die Zeilenschlüsse durch senkrechte striche bezeichnet:
{s. 400) Quia uirtns cstillationis inictu [ pimgentis e. üuända des kestir |
nis cbraft fergät imde nirlöufit | in so längere uiriste so mau einin
stüpf 1 ketüou mag. luformis materia. Täz | chit skäffelösa zimber.
luteperies. | Intrerteda. fides e sperandarü ] substantia rerü. argumtü n
appa I reutü. Täz cliit küisheit tere uöh | ürougon. Que ds diligit. buuc
ex I audit. Cui deus placabilis. buic ex | orabilis. Temo die heiligen
holt 1 sint. ter mag hörsko gebeton. | Inhumilitate iudiciü eivs sublatü
e. 1 Täz m nioman zerehte ueliez täz 1 uuärt ze leibe, ümbe sina deu-
mö 1 ti. In pasca anuotiuo .i. pascale festfl. I (401) prioris auni ,i. ter
fernerigo oster | tag. Ypapanti .i. cuentus omuiü | ^tatum. | Nomen. ^
nämo. «Pnom. füre däz nom, | verbü. uuört. Aduerbiü. Züoze de | mo
uerbo. Participiu teiluemunga. ] Ciuuctio geuügeda. Pposicio. füre | se-
zeda. Interiectio. ünderuuerf. | ISTomini^ qd accidunt? uui mänegiu | uöl-
1) Zu. der collation liahen vier äugen fjeholfen, die des herrn Stiftsarchivars
W. E. V. Gonzetihacli und die meinigen. 2) N vor der linie.
286 SCHMITZ
gent t6mo nomini. VI. Qu^? [ qualitas te uuilichi. qu^? subau | ditur.
ubi'z eigen {das zweite e aus i corr.) si. aide gemeine | ter substanti^.
aide des acciden | tis. Cöparatio. teuuidermeziinga. | ciiius? tiscompa-
ratiui. aide dis | suplatiui. Züo demo positiuo. \ Genus tiz cliünne.
cuius? sin aide |
ALTONA, DEN 25. OCTOBEE 1878. P. PlfER.
BRUCHSTÜCK EINES LATEINISCH -DEUTSCHEN
VOCABULARIUS.
Unter den handscbriffcenfragmenten, die als kümmerliche Über-
bleibsel des ehemals reichen mannscriptenscbatzes Kölnischer kirchen -
und Idosterbibliotheken gegenwärtig in der bibliothek der hiesigen katho-
lischen gymnasien aufbewahrt werden, befinden sich auch zwei perga-
mentblätterpaare aus dem 14. Jahrhundert mit der aus moderner zeit
stammenden bezeichnuug ., Catalogus nominum, piscium , ferarum, her-
barura et arborum, germanice reddit." Die erwähnung des Papias,
dessen „ elementarium doctrinae erudimeutum" gegen 1063 erschien,^
und des Hugo von St. Victor, der 1141 gestorben ist, beweisen, dass
die vorliegende redaction, deren zusammensteller übrigens das meiste
schon in arger corruption vorfand, nicht vor der mitte des 12. jalir-
hunderts verfasst sein kann. Die herstellung des eigentlichen quelleu-
textes kann freilich nur im zusammenhange mit der behandlung der
zahlreichen Vocabularii ex quo, rerum, gemmae gemmarum, des Voca-
bularius optimus u. dgl. versucht werden, eine arbeit, der unter den
lebenden niemand mehr als Gustav Löwe gewachsen ist. Aber, so viel
ich sehe, bietet das vorliegende fragment, welches zu der zahl ähn-
licher Zusammenstellungen gehört, wie sie L. Diefenbach das raate-
rial zu seinen beiden lateinisch -deutschen glossarien geliefert haben,
auch in der gegenwärtigen form nicht blos eine nützliche ergänzung
zu den von Weigand in Haupts Zeitschrift für deutsches altertum
(IX, 388—398; XI, 175) veröffentlichten lateinischen hexametern mit
deutschen glosseu, sondern enthält auch manche bereicheruug und
bestätigung für mittellateinische sowie für alt- und mittelhochdeutsche
lexikographie und gewährt zugleich einen ebenso lehrreichen einblick
in die selbstgewisse, um auskunft nie verlegene „Wahrheit und dich-
tung" mittelalterlicher etymologie wie in die ehemalige naive darstel-
lungsweise naturwissenschaftlicher belehrungen.
1) S. Löwe, Prodromus glossarior. Latinor. s. 235.
KÖLNEE NATURGESCH. GLOSSEN 287
Ich verdanke die kentnis der blätter der zuvorkommenden freund-
lichkeit des herrn bibliothekars prof. dr. Düntzer. In dem weiter fol-
genden abdruck erscheinen die abknrznngen des originales meistens
aufgelöst; die Verbesserung selbstverständlicher, insbesondere orthogra-
phischer versehen habe ich für überflüssig erachtet, dagegen sind von
mir in den anmerkungen einige emendationsversuche und nachweisun-
geu beigefügt.^
Bl. 1\ Piscibus hie reddo sua nomiua^ corde iocundo.
Nota specialia piscium nomina. — Cete grandia sunt immense
belue marine.^ Et uota quod cete est indeclinabile. neutri generis. et
pluralis numeri. Item hie cetus. ti. est ideni in singulari scilicet ivaluish.
Sic uocatur magnus piscis marinus a cetu dictus ob immanitatem ad
instar cetus, qualis fuit cetus qui excepit lonam cuius aluus tante fuit
magnitudinis ut instar obtineret inferni, dicente propheta: De uentre
inferni clamaui: Ion. 11.^ — Nota echinus /mso uel pocus,^ AUobrox^
uel sarus.' Est etiam echinus vas ad modum illius piscis factum. —
Item rombus sture uel sturio. — Item gamarus sa?)«o uel polcrus.^ —
Item esox lash.'-* — Item lucius hecJiü uel dentrix. — Item melo-
nurus^" snaz. — Perca perslch. — Cephalus carpo uel carabus. —
Item redo mümia.'^'^ — Muren a lemfrida. — Loligo hreseme uel
sepia.^2 — Item salax ^^ harho. — Tinea slia. — Fundulus grun-
1) Um die benutzung dieser glossen bequemer und förderlicher zu machen,
habe auch ich in den anmerkungen eine anzahl von berichtigungen , Verweisungen
und erläuterungen hinzugefügt. Nicht weniges freilich ist mir unverständlich
geblieben. J- Z.
2) Für tiernamen vgl. den „Laterculus" des Polemius Silvius vom j. 448, bei
Mommsen in den Abhandlungen der sächs. Ges. der Wiss. , bd. III (1853) s. 267 fg.,
widerholt in Eeifferscheids Sueton s. 258 fg.
3) ,,Cete dicta t6 xfjTog xccl tu arjTr], hoc est ob immanitatem. Sunt enim
ingentia genera belluarum et aequalia montium corpora , qualis cetus excepit lonam:
cuius alvus tantae magnitudinis fuit, ut instar obtineret inferni, dicente propheta:
Exaudivit rae de ventre inferni." Isid. etym. 12, 6, 8.
4) lonas cap. 2 v. 3. 5) pocus] Ypocus Weigand s. 392.
6) esox? 7) 1. scarus.
8) „salmo, gamarus vel poleris." Heinrici summar. bei HofTmann, ahd. glos-
sen s. 4. 9) 1. lahs. 10) 1. melanurus.
11) redo, muneva. Haupts ztschr. 9, 393. — Et nullo spinae nociturus
acumine redo. Auson. Mosella v. 89. — mmieva. munva, capedo. Graff2, 805. —
alant vel munewa , capito vel capedo vel dendex [cyprinus jeses]. Summar. Hein-
rici, bei H. Hofftnann, ahd. gloss. s. 4. Vgl. Diefenbaeh, gloss. lat. germ. s. v.
capito s. 97''.
12) href:ma luUigo [diiitenfisch] Summ. Heinr b. Hoffm. uhd. gl. s. 4
13) 1. salar , (gewöhnlich parus).
288 SCHMITZ
dela, uel saxatilis, qiüa semper adheret fundo, vel gradius. Cin-
tilla [?] uel turonilla. — Item graciiis crasso. — Gobio roppa ^
vel tactuca. — Item varus vurJia vel trutta.^ — Tunallus ash vel
asco vel umbra. — Item serra stecJiela vel asperagus, qiüa aspere
agit. — Item estaurus ^ erliza. — Debio hasela vel congus.'^ — Item
concrus ^ culhauhet. — Mutilus rorauge.^ — Item hamio steinhiz. —
Fiscedulus dumeUnch. Item albula est idera. — Item miillus
elsena. — Item alausa nunauca. — Item stocus stocvish. — Delphin
merswin. — Item polipus est piscis marinus dictus a nii[bl. l**]mero-
sitate pedum, qui adherens scopulis maris aliis insidiatur piscibus et
eos deuorat et dicitur a polis, quod est phiralitas, et pos, quod est
pes, quasi plures habens pedes. Est etiam fetor narium: unde versus:
Polipus est piscis, polipus fedatio naris.^ — Item capedo dici-
tur piscis alant vel capito. — Item silurus dicitur piscis minutus, qui
et buctulus^ dicitur. Ynde luuenalis : Fracta de merce silurus.^ —
Item alburnus gancvish ; sirauis [?] Jialbuish vel pectenus ; item gario [?]
velh^^ — Zigna piscis, qui dicitur schnda. — AUosa vel horrena vel
dentix, uelra.^"^ — Mugil agebush.^'^ — Ypothamus dicitur piscis qui
appellatur roda. [?] — Item glaucus dicitur piscis cosna.'^'^ — Item
pecten dicitur piscis, qui gallice appellatur pleis.^'^ — Item rastrum
est piscis, qui gallice plaret nuncupatur. [?] — Item millago dicitur
piscis ylaere.^^ — Item cerulus ^'^ est quidam piscis, cuius sauguine
1) 1. groppa vel capito. Vgl. Schmeller^ I, 1006 und Diefenbacli gloss. lat.
germ. s. 97 s. v. capito.
2) Vgl. Diefenb. gloss. lat. germ. s. 599'' s. v. tructa.
3) 1. escaurus [c3'prinus phoxiims].
4) 1. congrus. 5) 1. cottus [gobio]. 6) 1. Rntilus rotouge.
7) Vgl. Lübben, versus memoriales (progr. d. gymn. zu Oldenburg. 1866. 8.)
B. 28 nr. 593.
8) subtellus? vgl. subtellus, harho. Admonter gl. 11. jb. in Haupts ztschr.
3, 380 und Graff 3, 207 s. v. barbo.
9) 1. siluros: vgl. luvenal. 4, 33.
10) Nach Nemnich, Polyglottenlexicon der naturgeschichte. Hamburg 1795;
4, 1212 benennungen des Wcissfelchen, salmo lavaretus, in seinem dritten, fünften
und sechsten jähre.
11) Vgl. uualera , dentix , aus Tlorentiner gl. bei Graff 1, 839.
12) Ahd. agapu^, fehlt bei Graff; vgl. Schmeller^ 1, 118 unter appeis.
13) cofna, glaucus. Heinrici summ, bei Hoffmann ahd. gl. s. 4.
14) pecten, scutte vel plaidise. Graff Diut. 2, 226. Aus einem Berner lat.-
niederd. glossar des 13. jh. Gemeint ist Pleuronectes platessa, die schölle; engl.
plai.se, fz. plie.
15) hylare, milago. Heinrici summ, bei Hoffm. ahd. gl. s. 4.
16) ceruleus, geruleus wird sonst glossiert durch chnrpfo, karpfe, vgl. Graff
4, 491.
KOLNEB NATTJRGESCH. GLOSSEN
289
purpura coloratur. — Itein effimer est genus piscis; qui uero carnes
illius piscis gustauerit, effiraeram ^ incurrit, iit dicitur. — Item pistiix
dicitiir magnus piscis , qui et balena dioitiir , qui cauda sua aquam rait-
tit in nauem et sie eara submergit; et dicitur a baliu ^ quod est niit-
tere. — Item scombri dicuntur pisces salsi, de quibus fit garum .i.
gutturis unguentum. — Item lingulaca est piscis similis liugue homi-
nis. — Item tharaca ^* sunt oua piscium , ut liabent cancri sub cau-
dis. — Matilla [?] matula [?] sluuila [?] blica vel solca.^ — Item murex.
eis. est genus piscis, cuius sanguine purpura coloratur. Item salsus
liquor piscium [bl. 2''] uocatur garrium,* unde fit unguentum. — Item
barisna [?] piscis naso. [?] — Afibrus frilla.^ — Clauculus wiszvish.
Hie uolucres celi referam sermone fideli,
Nota auiuni nomina. — Capus falco, et dicitur a capiendo. —
Item herodius ivüdefcdco, et dicitur ab lierus, heri: quod est dominus. —
Item accipiter JiaUch, et dicitur ab accipiendo. — Nisus sxmrivere, qui
nititur viribus. — Item aquila arc, et dicitur ab acumiue oculorum. —
Item graciljxr*^ stocare vel alietus. — Item miluus wige, et dicitur a
molli uolatu. — Cupida rodihvige. — Item ardalio sied.'' — Ardea re?'-
ger. — Wltur gh\ et dicitur a uoluendo, quia uoluit cadauera. — Pi-
cus s2)cM. — Merops grunespeld. — Pica ageleistera. — Larus musere. —
Laufagus vel leoficus tvamveha. — Bubo Jmivo. — Noctua vJe, et
dicitur quasi auis noctis. — Turdela drosela. — Merula nierla. — Grus
cranich. — Pauo paivo. — Strutio strua. — Cyconia odohero. Item
haec ybis huius. dis. storch. Item haec ybis huius. eis. est auis Nili
fluminis. Item haec ybis, huius ybis, ybi, yben, est auis Egipti, quae
secundum legem est immunda prae omnibus uolatilibus , quia mortuis
cadaueribus semper pascitur. — Mollisvaga hagügans. — Aurificeps
T/sfogcl. — Bitrisculus kungeUn vel purisculus. Furfarius mnsluffil. —
Columba d^iha. — Ficedula sneppa. — Friugellus finko vel carduelis
siue carduellus. ■ — Ceyx cisichin. — Onocrotalus Iwrtdume.^ — Perdix
rcplinne. — Coturuix, cymera, vel oruix, siue cyla,^ quia est auis
1) HfTj/ufQig, eintagsfiebcr, vgl. s. 297; ist effimer etwa entstanden aus mis-
vcrständiiis der epliemera, der im wasser lebenden larve der eintagsfliege?
2) d. i. ßalETv. 2*) vgl. rdoixog.
3) 1. solea; gemeint ist die scJioIle, pleuronectes platessa.
4) 1- gaixun.
5) xoliritta, asforus. Graff 3, 366. Vgl. Diefenbacli 16. s. v. aftbrus.
6) 1. gradipus.
7) Vgl. Diefenbach . gloss. lat. germ. s. v. ardalio. s. 46 ''.
8) 1. Jwrtumel, vgl. Graff 4, 424. Lexer 1, 1344.
9) tylas? vgl. Diefenbach gloss. lat. germ. s. 583''. turdus pilaris, Icrammets-
vofjel, Ziemer.
ZEITSCnR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. ED. XI. 19
290 SCHMITZ
similis perdici. [bl. 2''] sed minor. — Gramuscula [?] grasemuhka. —
Vasianus vasant. — Orthigometra vrhün. — Cruricula warcengil^ —
Graculus ruch. — Sparulus haselhun. — Atagge ^ hircimn. — Liicilio ^
Ijechesterse. — Luscinia est idem quod philomena. — Ailger enger-
linch. — Edera [?] Jieher vel orix siue attacus. — Pellicaniis ivise-
gamo. — Alictus eringrif.^ — Turdus hrachvogil. — Stiirnus stare. —
Sterniüus cleinestare , quia diio sunt genera. — Vppiiba ^ widehoppa. —
Nicticovax nahtrabe. — Parix meisa, et dicitur a pariendo. — Mergus
duchera. — Mergulus diminutiuum. — Quiscula tvaldela vel quasciüa. —
Anas anfrecha. — Aneta ante. — Cuculus gavch vel tuciis. Item
psitacus est idem. — Passer spariva, et dicitur a pariendi libidine,
quia est auis libidinosa , vel dicitur a paruitate , quia paruus est. — Sicut
dixi: cyla est auis similis parue perdici et bene potest dici cymera. —
Item narex [?]^ wasserstelzze. — Olor swane vel cignus. — Item cara-
drion vel alauda lericha. — Item velica est avis matutiualis.
Supra diximus de propriis auium nomiuibus; nunc dicetur
de earum uocibus.
Habent euim uoces proprias.^ — Est enim aquilarum clan-
gere. — Accipitrum plipiare. — Coruorum crocitare. — Turdela-
rum tutulare vel tutelare.^ — Miluorum lupire. — Anserum singire ^
vel gliccire. — Olorum drensare. — Gruura gruere. — Cyconia-
rum grotollare vel crotulare. — Anetarum tetrasitare.^" — [bl. 3*]
Pauonum papulare. — Gallorum cucurire. — Gallinarum gracillare. —
Pulliculoruni mimirrire. ^^ — Graculorum fringulire. — Noctuarum
cucubire. — Mergorum zizinare.^^ — Turdorum est soccitare. —
Sturdorum passitare vel strintinnire. Passerum ticcitare ^^ vel tizi-
are. — Msorum sigilare. — Turturum gemere. — Palumborum pau-
citare. — Perdicum cacabare. — Merularum frandere vel ticciare.^* —
Ceicum lausare. — Nota de vermibus ut aues volantibus: Vespertilio-
num est bractare. — Apuni bumbire vel bocibilare.^^
I) 1. warchengil. 2) 1. attagen. 3) 1. lucilia.
4) 1. aliotus eringrie^. 5) 1. iipupa. 6) idrox? vgl. Diefenb. 284''
7) Über tierstimmen vgl. Reifferscheids Sueton, s. 247 fg. nebst „Äddenda"
s. XI der praefatio ; W. Wackernagels Voces variae animantium , 2. aufl. Basel 1869,
und Gast. Loewe im Rheinischen museum für philologie (1879) bd. 34 s. 493 fgg.
8) 1. tnicilare. 9) 1. sclingire. 10) 1. tetrisitare.
II) 1. minurrirc. vgl. Wackernagel s. 73 anm. 161.
12) 1. merulorum zinzinare. 13) 1. titiare.
14) frindire, frendcre, zinziare. "Wackern. s. 48.
15) 1. bombire , bombilare.
KÖr^NKR NATURGEkSCU. GLOSSEN 291
Noraina paucarum sunt liic scribenda ferariim.
Nota ani mal iura uomina. — Leo lewe, cuius femininum est
leona. Leo graece interpretatur rex latine, eo quod sit princeps omnium
bestianim.^ — Item panthera pantir. — Tigris tigerdir. — Pardus
pantir: inde leopardus dicitm* lebart. — Item rinos graece, nasus latine:
inde rinoceros .i. unicornis, quia habet cornu in naribus,^ et dicitur
eineJiorn. — Item alx elba.^ — Vrus urosso. — Hinulus rehcalp. —
Capricoruus steinhoch. — Caprea rechgeiz. — Dromus est geuus cameli
sed minor camelo ; et est tante velocitatis , quod centum miliaria perua-
dit die uua; cuius femininum est dromeda. Vude dicitur a dromos,
quod est cursus;* inde dicitur dromedarius, qui regit eos. — Nota:
parifa ^ dicitur minor pultrinorum siue poledrorum ; poledrus dicitur
vülen vel pultrinus. Item equaricia dicitur stut. Spado hengist.^ —
Molosus rüde [bl. 3^] scilicet magnus canis. — Item spinga mercazsa. —
Taxus dalise vel melus; inde melota .i. pellis meli. — Item linx lulis. —
Migale Jicrmelin vel candidulus siue nicidulus.'' — Vrsus hero. — Simia
äffe. — Tebulus zohcl. — Martarus marder. — Sorex spiceniüs. —
Glis. ris. ratta. — Hieua cltim.^ — Burdo est animal quod nascitur
ex equo et asina. Mulus autem ex equa et asino.^ — Item barrus
est elepbas vel elephantus, quod idem est. — Bucula calp. — Lin-
tus ^^ tvint. — Basiliscus dicitur regulus. — Cocodrillus est belua
Nili fluminis. — Cyrogrillus est bestia maior ericio ; ericius autem est
ygil tetre. Erinatius ygü petrarum et multo nobilior. — Item cuni-
culus cunigelin. — Cerastes .i. cornutus: a ceros, quod est cornu;
inde renoceros. otis .i. serpens cornutus. Aspis est genus serpentis.
1) ,,Leo autem graece, latine rex interpretatur, eo quod princeps est omnium
bestiarum." Isid. etym. 12, 2, 3.
2) ,,Ehinoceros a Graecis vocatur. Latine interpretatur in nare cornu. Idem
et monoceros, id est unicornus, eo quod unum cornu in media fronte habeat pedum
quatuor." Isid. etym. 12, 2, 12.
3) 1. elaho.
4) „Dromeda genus est camelorum, minoris quidem staturae, sed velocioris.
Unde et nomen habet. Nam ÖQÖ/nog graece cursus velocitas appellatur. Centura
enim et amplius milia una die pergere solet." Isid. etym. 12, 1, 36.
5) parafredus, palafrenus? vgl. Wackernagel, Vocabularius optimus s. 7 und
Diefenb. gloss. lat. germ. 406^ s. v. palefredus.
6) Ist fehlerhafte Übersetzung. Spado ist wall ach, dafür gebrauchte man
im mittelalter den deutschen ausdruck münech.
7) nitidulus?
8) Gemeint ist illitiso, iltis. Vgl. Summar. Heiurici bei Hoffmann, ahd.
gloss. s. 4 und Altd. bl. 2, 211.
9) ,, Mulus ex equa et asino, burdo ex equo et asina." Isid. etym. 12, 1, 61.
10) gewöhnlich Unter.
19*
292 SCHMITZ
Item dispas^ est species, cums morsiis facit homines multum sitive.
Item Tirus est serpens: unde venit tiriaca.^ — Bucerus tvisant vel
bubalus. — Baltus est camelus. — Fiber hiber vel castor. — Item
lustrus^ otter vel luter. — Onager tvüdesü. — Item berbiz dicitur
aries castratus scilicet hamil. Miüto. uis. dum adhuc habet testes.
Aries uero imus et alter. Veruex autem dicitur a verme, quem gerit
in fronte; ab eo enim habet, ut unus impetat alium.^ — Item musmo
est animal, quod geueratur ex capro et oue.° Tytirus est animal, quod
generatur ex capra et ariete.^ — Item hibix dicitur porcus, qui ex
siluestri porca et domito verre nascitur. '' Cycuris autem ex domita
porca et siluestri apro. Item verres dicitur porcus domitus, qui habet
testes. Neferendus autem qui caret utrisque.^ — Item lyncista est
animal, quod [bl. 4*] nascitur a lupo et canicula domita.^ — Item dif-
ferentia est inter beluam et bestiam. Bestia est animal, quod ore et
unguibus seuit, ut leo, lupus, ursus et ßimilia, quae morantur iu siluis
et alienum sitiunt sanguinem ^<'. Belue autem morantur in aquis: inde
dicuntur belue et sunt eiusdem nature sicut sunt et bestie, quoniam ab
uno et eodeni uocabulo sunt nuncupate, scilicet a bibendo; sitiunt enim
et auide bibuut sanguinem alienum. — Item pecudes quasi ad esura
1) d. i. dipsas. Diefenb. gloss. lat. germ. 183 *\ Isid. etym. 12, 4, 13.
2) 0-r]Qiaxä. Vgl. Wackernagel vocab. opt. XL, 59: tirus driakel wrn. Die-
fenb. 585°. — ,,Ex vipera autem fiunt pastilli, qui ß-rjQiaxol vocantur a graecis."
Isid. etym. 12, 4, 11.
8) Gewöhnlich lutrus.
4) „Vervex vel a viribus dictus , quod caetevis ovibus sit fortior, vel quod sit
vir, id est masculus, vel quod vermem iu capite habeat; quorum excitati pruritu
invicem se concutiunt et pugnantes cum magno impetu feriunt." Isid. etym. 12. 1, 10.
5) Jo. de Janua: „Muscino vocatur animal ([uod ex capra et ariete nascitur,
et est dux gregis." Gloss. vetus Ms. Sangerm.: „Musmo vocatur animal quod ex
capra et ariete nascitur." (Adelung) glossar. raanuale ad scriptt. med. et inf. latiu.
4, 786. s. V. muscio.
6) tytirus, tityrus, animal ex hii-co et ovo natum. Diefenb. gloss. lat.
germ. 586 ^
7) Hibrida est ex apro siluestre et sue domcstica. Diefenb. 277 ^ ,,In ani-
mantibus bigenera dicuntur quae ex diversis nascuntur, ut mulus ex cqua et asino:
burdo ex equo et asina: hibridae ex apris et porcis: tityrus ex ove et hirco:
musrao ex capra et ariete. Est autem dux gregis." Isid. etym. 12, 1, 61.
8) nefrendus, porcus etesticulatus. (Adelung) gl. man. 4, 817 ^
9) „Lycisci autem dicuntur, ut Plinius ait, canes nati ex lupis et canibus,
cum inter se forte miscentur." Isid. etym. 12, 2, 28.
10) ,,Bestiarura vocabulum proprie convenit leon ibus , pardis et lupis, tigri-
bus et vulpibus , canibus et simiis , ac caeteris quae vel ore vel unguibus saeviunt,
exceptis serpcntibus. Bestiae autem dictae avi, qua saeviunt." Isid. etym. 12, 2, 1.
KÖLNER NATÜRGESCH. GLOSSEN 293
apte,^ sicut et pecora, sed pania minus apte, siciit liircus et capra. —
Item iumenta dfcuntur a iuuando, quod iuuant hominem in suo labore,^
ut est equus et muliis. asinus et similia. — Item camelus est maior
aquo, duo in dorso gerens tubera. Quidam tarnen non nisi uuum
tuber. ^ — Aspis est genus serpentis, cuius natura est unam aurem
cauda obstruere et aliam terro affigere, ne ab bomine capiatur per
iucantatiouem.-* Item draco est etiam genus serpentis, et buius nature
est, quod natat in aqua, repit in terra et uolat per aera. Item ydra
est etiam genus serpentis plura habens capita ; quod cum Hercules am-
putasset aliqua, alia succreverunt capita. — Nota: verres et aper idem
sunt scilicet he 12.^ Sic magalus et neferendus ** unum sunt, scilicet
harcli. — Item capreolus vel campolus rech. — Item canipa ' silua-
tica steingeiz. — Item camelopardus dicitur bestia camelo capite simi-
lis, equo coUo , pedibus bubalo.^ — Cenocepbalus, bic habet.'*
Nota quod bestie babent proprias uoces, ut uolucres.
Leonum enim est fremere vel rugire. — Tigridum racbare. —
Pardorum felire. — Pantberarum caurire. — Vrsorum uncare uel
seuire. — Aporum ^'^ frendere. — [bl. -i^] Lincis uncare. ^^ — Lupo-
runi ululare. — Serpentum sibilare. — Onagrorum magilare. - — Ceruo-
rum rugire. — Tbaurorum mugire. — Equorum binuire. — Asino-
rum rudere. — Porcorum grunnire. Verris quiritare. — Arietum
lorectare, Ouium balare. — Hircornm bumictare.^^ Hedorum uebare. —
Canum latrare. — Vulpium gaunire. — Catulorum galatire.^^ — Lepo-
1) ,,Pecudes. — illa animalia, quae eduntur, quasi pecuedes." Isid. etym.
12, 1, 6.
2) „Iumenta nomiua inde tvaxerunt, quod nostrum laborem vel opus suo adju-
torio subvectando vel arando iuvant." Isid. etym. 12, 1, 7.
3) Aus Isid. etym. 12, 1, 35.
4) „... aspis, cum coeperit pati incantatorem .... unam aurem in terra
premit, alteram cauda obturat et operit." Isid etym. 12, 4, 12.
5) 1. heir; vgl. Grimm, gescb. d. d. spr.i 36. 695. Deutsch, wb. 1, 1124.
1368. s. v. bar, heier.
6) d. i. raajalis et nefrendus.
7) 1. caprea. Vgl. Graff 4, 286.
8) „Camelopardus ... coUo equo bimilis , pedibus bubulis, capite tamen
camelo est similis." Isid. etym. 12, 2, 19.
9) hc bt : dahinter scheint etwas ausgelassen zu sein , etwa caniuum caput.
Vgl. Isid. etym. 11 , 3 , 15.
10) 1. Aprorum. 11) 1. urcare.
12) Gewöhnl. miccire, mictire; vgl. Wackernagel voc. var. anim. 68.
13) 1. glatire.
294 SCHMITZ
rum vagire. — Mustelariiui driuorare.^ — Miirium minitare vel pipi-
tare. Soricura deflicare.^ — Ranarum coaxare.
E c c e s t i 1 0 d i g 11 0 1 i g ii o r u ui n o m i n a s c r i b o.
Nota: Cornus est arbor glaiidifera sirailis quercui; ciiius friictus
dicitur boc coriiiim. Vnde dicitur Corna gerit cornus. Sunt enim
iste arbores glandiferae, sc. Quercus, Ylex et Cornus; et unumquodque
ponitur pro altero. Vnde legitur in Genesi:^^ ad ylicem Mambre .i.
iuxta quer cum Mambre , sc. illius viri. Tres enim erant germaui, unde
versus: Escol, Auer, Mambre tres hü fratresque fuere. Mam-
bre est indeclinabile. Sunt enim quaedam arbusta quercui similia, quae
ferunt grana parvis glandibus similia. Vnde scarletum coloratur. Quer-
cus eiiiin dicitur a quaerendo, eo quod iude antiqui victum quaerebant,
vel ibi responsa a demonibus quaerebant. — Item populus dicitur
helda.^ Vnde versus: Populus est arbor, populus collectio gen-
tis.^ — Item pinus Jcinuorha vel picea. — Savina [bl. 5*] seuen-
houm. — Parsicus ^ pirsicJibom. — Tremulus as|je. — Prunus prun-
hom. — Nucus nüsbouni vel nucarius. — Abies tanna. — Vibex
Urea vel bedolica. — Fraxinus eschhoum. — Item haec acer. ris. vel
1) Ebenso im glossar Ugutios , nach Wackern. voc. varr. anim. v. 68 statt
drindrare.
2) Statt mintrare, raintrire und desticare. Wackern. s 64.
3) Das citat ist wertvoll , weil es aus der Itala stauit. Sabatier führt an
Augustin de Trin. 1.3 t. 8, 806, g: visus est autera ei Dens ad ilicem
Mambre sedenti ad ostiura tabernaculi sui meridie. Ambros. de Cain
et Abel LI cap. 8: cum visus esset Deus Abrahae ad ilicem Mambre.
V. euud. in Luc. 1. I. 1274. b. Im Brevier steht Eespons. ad Lect. II. Mat. Dom.
in Quinquag.: Dum staret Abraham ad ilicem Mambre, vidit tres vires
ascendentes per viam. In dem von Tobler der mitte des 6. Jahrhunderts
zugeschriebenen Über Theodori de situ terrae sanctae heisst es cap. 21: In de (d. h.
ubi baptizavit Philippus eunuchum) usque ad Terebinthum, quae
appellatur ilex Mambrae millia II. Vgl. auch Toblers Palaest. descriptiones
ex saec. IV. V. VI , itinerar. Burdigal. c. 13 und noten s. 80 fg. Auf Euseb. Namen-
buch, s. 249, 27, Hieronym. übers, s. 114, 16 und Quaestt. Hebraic. in libro genes,
s. 123, 19. Lagard. dürfte Isidor. etym. 17, 7, 38 zurückgehen. In Gen. c. 13,
18 und c. 18, 1 haben die LXX [naQu Trjv Sqvv ri]v Ma/jß^)»] und nQÖg rfj (^qvi t^
M.] anstatt "iDb^l wahrscheinlich TlTi<:3, die Vulgata aber N"'-»:: gelesen: iuxta
convallem Mambre und in convalle Mambre. Das beigefügte ,,sc. illius
viri" findet seine erklärung in Gen. 14, 13: Et ecce unus, qui evaserat, nun-
tiavit Abram Hebraco, qui habitabat in convalle Mambre Amorrhaei,
fratris Eschol, et fratris Aner.
4) Nemnich s. v. populus alba bietet: balle, belle, bollen, bolweide, hel-
baum; poln. topola biala. Der gewTthnl. deutsche name ist ahd. albari , mhd. alber.
5) Vgl. Lübben , versus memoriales s. 28 nr. 597.
6) 1. persicus.
KÖLNER NATURGRSCII. GLOSSEN 295
tramarga mazalderhoum. — Corulus haselhoum. ■— Carpeiius hagen-
hüclm. — Fagiis hücha, et dicitur a fagin ^ quod est comedere. —
Item Lintiscus ^ melboimi. — Cerasus kirsboum. — Vliiiiis elhehoum.^ —
Therebiutus est aibor, cuius resiua eodem nomine appellatur. — Item
Taius * [?] hagedorn. — Alnus erla. — Eiscnlus ^ est idem quod
Sambncus, holder. — Item Vimen tvide, et dicitur a vincio, eis, re
.i. ligare. — Salix salicha.^ — Cottanus quidi'nboum. — Sanguina-
rius liartrugelinholz . — Item aloe, huius aloes, est genus arbovis exi-
mii odoris. — Item carpos graece, fruetus latine; inde dicitur illa
arbor carpeuus. — Item nota , quod dicit Papias : ^ Pinus ^ graece,
lentiscus latine. Hugo ^ autem dicit contrarium. Pinus est arbor,
scilicet ylerum ^^ [?] et est graecum. — Item morus mulhom. — Pi-
rus hirhoum. — Platanus ahorn, et dicitur a latitudine foliorum, a
piatos quod est latum.^^ Est autem arbor teuerrimis foliis et mollibus
ac ficubus similis: ita dicit Ysidorus. — Item de cino'^ dicit Hugo:
Cinus est arbor lentiscus. Lentiscus autem , sicut ait Ysidorus , ' ^ voca-
tur eo, quod eins cuspis sit lenta et moUis. Lentum enim graece [?]
dicitur molle et flexile latine. Huius fruetus desudat oleum; cortex
vero resinam, que mastix appellatur. ^^ Item nota, quod dicit Dyascor-
des:^^ Cynus est arbor non spinosa, cum radice profunda et in pluri-
mas partes diuisa, fructum habens similem mirto sed paulo minorem.
Item secundum [bl. 5"] Galienum tunc ^^ [?] cinus est proprio lentiscus
et inde fluit oleum, ut iu vita Susanne^' legitur. Et est arbor cuius
gummi est mastix] multum enim asimilatur lentisco. — Item heba-
nus ^^ est arbor incremabilis , ut quidam dicunt. — Item mala citonia
sunt cottoda;^^ idem et mela. — Item macis est flos muscate, sicut
I) (f-ayttv. 2) 1. lentiscus. 3) 1. ulmus, elmboum.
4) 1. coviius, gewölinl. rhamuus. 5) gewöhnl. riscus. 6) salaha.
, 7) Vgl. Löwe , Prodronius glossarior, Lat. s. 235 fg.
8) Gemeint ist (y^i'^og, lat. lentiscus, mastixhaum.
9) Hugo de saucto Victore, vgl. Löwe a. a. o. s. 249.
10) ilex? vgl. was unten über die latein. übs. von pinus und cinus gesagt ist.
II) „Platanus a latitudine foliorum dicta, vel quod arbor ipsa patula sit et
ampla. Nam nXchog Graeei latum vocant. Est autem tenerriniis foliis ac mollibus
et Vitium similibus." Isid. etym. 17, 7, 37.
12) d. i. o/ivci).
13) „Lentiscus, quod cuspis ipsius lenta sit et moUis. Nam lentum dicimus
quicquid flexibile est." Isid. etym. 17, 7, 51.
14) „Huius fruetus oleum desudat, cortex resinam, quae mastix appellatur."
Isid. etym. 17, 7, 51.
15) d. i. Dioscorides. 16) tc 17) Daniel, c. 13, 54: „sub scbino."
18) Vgl. Diefenbaeh, gloss. lat. germ. 193^ s. v. ebenus.
19) qidtten, vgl. Diefenbacb gloss. lat. germ. 118" s. v. cydonia.
296 SCHMITZ
potest videri in auellaua. — Item cottana dicuntur mala aurea prop-
ter colorem. — Item mirtiis est arbor pulchemma siciit potest (videri)
in prologo S. l^lieronymi super Zachariam propbetam. — Item esculus
dicitur spirhoum, et fvuctus eins dicitur esculum, quia totum est esca;
iiide esculentus .i. crassns. — Item haec malus appelhoiim. Sed hoc
malum appil. Item hie malus dicitur masthoum in navi. — Nepulus^
dicitur nespolhoum, et eins fructus hoc nespulum. — Dumus dorn. —
Eubus hüsh. — Item hie siler hähvida. — Oleaster agrestis oliva. —
Nota, quod omnia uomiua arborum sunt feminina, praeter dumus,
rubus, Oleaster et siler. Quidam addunt spiuus, etpiaster^ etrates,^[?]
quod caret numero singulari. — Nota versum de „siler": Perficit
ad vitem siler hie, siler haec ad odorem,^ quia haec siler dici-
tur herquennela. — Item pinea dicitur fructus piui arboris. — Item
hie Lybanus est mons ultra mare magis ^ [?] ; sed haec lybanus ^ est
arbor thurifera , cuius läciua '' est nobilissinia et est in Arabia. Arabia
enim dicitur sacra. Hoc enim significare interpretatur , eo quod regio
sit thurifera et creans multos bonos odores,^ in cuius saltibus mirra et
cynamomum. Item mamus ^ [?] dicitur thus minutum; sed olibanum
dicitur thus montis Libani. — Item caprificus est arbor inutilis, cres-
ceus per saxa. — Item hoc librum dicitur succus arborum sive her-
barum.^° — Item malum punicum dicitur arbor quae habet granat-
epele, [bl. 6"] et dicitur a regione Punicea. — Item nota: haec cyna-
mus est arbor; sed hoc cynamum quidam intelligunt cortices superiores
illius arboris, quia sunt spissiores. Et dicunt cynamomum esse corti-
ces subteriores, quia sunt subtiliores et delectabiliores.^^ — Orrius
limhoum?''^ — Item olea et oliva arbor; sed oleum et olivum liquor.
Et quandoque ponitur pro fructu et arbore. — Item oleander est arbor
similis oleastro, quod est oliva silvestris. — Item haec tabanus .i.
oestrum .s. hrenio, animal volatile. — Nota cinus et pinus latine
4-
I) 1. nespulus. 2) d. i. pinaster. 3) sentes?
4) „Proficit ad vitem siler hie (hoc?), siler hoc dat odorem." Lübbeii, ver-
sus memorialcs (Oldenburger programm 1866) s. 32 nr, 705.
5) magnuni? vgl. Isid. etym. 14, 2, 3. 6) d. i. /) Xi'ßuvog. 7) 1. lacrima.
8) „Arabia appellata, id est sacra. Hoc enim significare interpretatur, eo
quod sit regio thurifera, odores creans." Isid. etym. 14, 3, 15.
9) nianna? vgl. ,,micas [turis] concussu elisas mannani vocamus." Plin. H.
N. 12, 14, 32.
10) Vgl. Graif 6, 169. s. v. saf. Im suinmar. Heinrici „saf, labrum" bei
Hoffmann, ahd. glossen s. 5.
II) hs, : delcbiliorcs.
12) 1. ornus, linboum; geuiciiit ist acer platanoides, die lenne, vgl. Nem-
nich s. V. acer. Graif 3, 118. Lexer 1, 1922 s. v. Umboim.
KOLNER NATÜRGHSCri. GLOSSEN
297
dicuDtur ylex et lentiscus; ylex est genus quevcus; leiitiscus dicitur
tylia, [?] quia est lenta 1 Hexibilis. — Item cortex dicitur quasi
corium arboris, oo quod tegat cor arboris. Item ramus dicitur quasi
rol)ur, eo quod de roborc arboris exeat.^
Herbarum species post haec coguoscere debes.
Nota pMsis graece, natura latiue; inde phisicus .i. naturalis, qui
de uaturis omnium rerum disputat. Hanc post ^ adiuveuit Melesyas
Graecus.^ Postea Galienus expositor Melesie, qui dictus est arcMatros
.i. summus et principalis niedicus. Et dicitur ab archia, quod est prin-
cipatus , et ytros, quod est niedicus, quasi principatum tenens iuter
medicos. Vel ab archos, quod est princeps vel primus, et ytros, quod
est naturalis, quasi princeps sive primus loquens de uaturis. — Item
ymera grece, dies latine; inde eifimera dicitur febris unius diei, et
dicitur ab. e. , quod est extra, et ymera, quod est dies, quia raro
durat extra unum diem vel parum plus.
Aloe est genus arboris eximii et suavissimi odoris et gignitur in
ludia et Arabia, et de ipsius ligno fit tbymiama.^ Secundum autem
Ysidorum et Papiani aloe est herba suci amarissimi •'' et [bl. 6"] con-
stringitur illa herba et dat succum ad modum picis; et est fere eius-
dem coloris et valde medicinalis; et potest declinari haec aloe, huius
aloes, tum pro arbore tum pro herba et suco. — Nota: versus de
greca declinatione : Omnes e sed quartus in en, tenet es gene-
tivus. — Ysid'. Aroma dicitur quodlibet pigmentum .i. odoramen-
tum, quod suo odore inficit aerem.'^ Et dicitur aroma quasi aerioma
.i. aeris oma : oma graece , odor latine. Etiam uota : omnes ille herbe
vel species quae suavem raduut '^ odorem et inficiunt aerem, dicuntur
proprio odoramenta et respiramenta ; inde aromatizare .i. redolere et
rei-ipirare. — Nota: amomum est species aromatica. seil, quoddam
genus seminis calidi et confortamenti , ut dicunt phisici: quod faeit
effluere menstrua et provocat urinam. • — Nota: haec balsamus pro
1) „Dictus autem cortex quod corio lignum tegat . . . . . ramus (est) qui de
ipso rotore arboris (puUulat)." Isid. etym. 17, 6, 15. 18.
2) 1. primus.
3) Gemeint ist: Thaies Milesius. Vgl.: „Ph^'sicam apud Graecos primus per-
scrutatus est Thaies Milesius, unus ex iUis sapientibus." Isid. etym. 2, 24, 4.
4) „Aloe in ludia atque Arabia gignitur, arbor odoris suavissimi ac summi.
Denique lignum ipsius vice thymiamatum altaribus adoletur, unde et nomen traxisse
dicitur." Isid. etym. 17, 8, 9.
5) ,,Aloe herba amarissimi suecus." Isid. etym. 17, 9, 28.
6) ,,Aromata sunt quaeque fragrantis odoris . . . Nomen autem aromata
traxisse videntur .... quod aeri sese inserere ac miscere probantur." Isid. etym.
17, 8, 1. 7) 1. reddunt
298 SCHMITZ, KÖLNER NATTJRGESCH. GLOSSEN
arbore, stirpe similis viti, in foliis ruti/ sed albioribus semperque
madeutibus ; ^ sed hoc balsamum dicitur ligiiiim arboris balsami, vel
fructus eins sive siicus. Item xilobalsamum dicitur liguum arboris bal-
sami; xilo graece, ligniim latine. Item tVuctus eins sive semen dici-
tur carpobalsamum ; carpos graece , fructus latine. Item sucus eius
dicitur opobalsamum, quia cortex ligni percussus (per) caveriias suas
miri odoris guttas distillat. Opos graece, caverna latine.^ — Nota:
hec cyuamus vel cynamomus dicitur arbor aromatica in Arabia. Alii
vero dicunt esse virgultum Ethiopie. Vnde hoc cynamomum vel cyna-
mum. Dicitur autem cortex ramorum cynamum, quia est tenuis
et nobilior; cortex vero arboris dicitur cynamomum, quia est spis-
sior et iguobilior ; et dicitur cynamomum quasi cannamomum , quia
in modum canne [bl. 7"] subtiles habet calamos et replicatos; vel
quia cortex eius in modum canne sit rotundus et gracilis et fractum
spirat suavem odorem, quia visibile reddit spiramentum ad modum
nebule sive pulveris.^ — Item haec nardus est herba aromatica et
spinosa^ et foliis deusa, quorum suramitates consurgunt in spicas. Sed
hoc nardum dicitur unguentum sive confectio ex eo factum. Nardum
autem pisticum .i. fidele , seil, purum et non adulteratum .i. non sophi-
sticatum ;iliis herbis. Pistis graece, fides latine. Nardum vero spica-
tum ideo dicitur, quia species nardi in eo sunt. Vel quia de spicis
eius et foliis est confectum. — Item nota: est equivocuni ad .v. [ver-
bum?]; est enim calaraus canna vel stipula segetis; dicitur et penna
scriptoris, item est proprium nomen arboris et fluvius Campanie. Item
calamus est species aromatica, ut dicit Ysidorus:*' ,.Calamus aromati-
cus a similitudine calami usualis vocatur. Gignitur in India multis
modis^ geniculatus " ; qui cum frangitur, in multas fit partes „scissi-
bilis" et est multum medicinalis.
(Dahinter folgt ein moralischer tractat.)
KÖLN. WILH. SCHMITZ.
1) 1. rutae. 2) 1. iiianentibus.
3) Vgl. meine beitrage zur lat. spracli- lunl litteraturkunde s. 282. —
[und Isid. etyni. 17, 8, 14 „stirpe similis viti, foliis rutae, sed albidioribus sem-
perque nianentibus. Arbor enim balsamum, lignum ejus xylobalsamum dicitur,
fructus ejus sive semen carpobalsamum, succus opobalsamum. Quod ideo cum adjec-
tione significatur, eo quod percussus ferreis ungulis cortex ligni per cavernas cximii
odoris guttam distillat, caverna enim graeco sermone onri dicitur."]
4) ,,Cinnamomum dictum, quod cortex eius in modum cannae sit rotundus
et gracilis .... Quod cum confringitur, visibile spiramentum emittit ad iniaginem
nebulae vel pulveris." Isid. etym. 17, 18, 10.
5) ,, Nardus herba est spicosa." Isid. etym. 17, 9, 3.
6) Etym. 17, 8, 13. 7) 1. nodis.
299
DIE NOMINA VÜLUCßUM UND DIE TERMINI
JUIUSTARUM.
Naturgesclüclitliche lateinisch - deutsche glossierungen und glos-
sare sind uns aus alt- und mittelhochdeutscher zeit in beträchtlicher
auzahl erlialten. Aber was davon und darüber bis jezt durch den
druck veröftentlicht wurde , ist au den verschiedeuisteu orten so man-
nigfach verstreut, verzettelt und versteckt, dass es einen grossen auf-
wand von zeit und mühe erfordern würde, um eine auch nur leidlich
volständige, übersichtliche und verlässige Zusammenstellung desselben
zu gewinnen. Umsomehr bleibt zu wünschen, dass die gesamte der-
artige Überlieferung, kritisch bearbeitet und planmässig geordnet, in
einer erschöpfend zusammenfassenden ausgäbe vereinigt werde.
Die auf den vorangehenden blättern abgedruckten glosseu aus
einer Kölner handschrift des 14. Jahrhunderts verraten in den sprach-
formen ihrer deutschen benennungen benutzung einer noch aus alt-
hochdeutscher zeit stammenden glossierten vorläge, und in ihren Über-
schriften weisen sie zurück auf die nicht minder alten lateinischen
hexametrischen versus memoriales de nominibus vo hierum, ferarum,
lignorum, piscium, herbarum. Jedoch hat der zusammensteller der
Kölner glossen mehrere quellen verschiedenen alters benuzt, darunter
vielleicht auch das sogenaute Summarium Heinrici (vgl. R. v. Raumer,
die Einwirkung des Christentums auf die althochdeutsche Sprache, Stutt-
gart 1845 s. 131. 135). Ferner hat er die reihenfolge der benennuu-
gen nach eigenem belieben gestaltet, und überdies hat er verschiedent-
lich erläuternde bemerkungen eingestreut, die meist auf die Etymolo-
giarum libri des Isidor zurückgehen, teils aber auch aus den im 11.
und 12. Jahrhunderte entstandenen werken des Papias und des Hugo
von Sanct Victor und aus noch jüngeren quellen geschöpft sein können.
Aber die quelle jeder einzelnen angäbe aufzuspüren und nachzuweisen
wäre ein ebenso zeitraubendes und mühseliges als undankbares begin-
nen; darum müssen nicht wenige unverständlich oder verderbt erschei-
nende stellen dieser Kölner glossen wenigstens für jezt noch als uner-
ledigt dahingestelt bleiben. — Für die beiden dazwischengeschobeuen
abschnitte, in welchen der Schreiber der Kölner glossen die öfters in
handschriften vorkommenden lateinischen benenuuugen der tierstimmen
aufgeführt hat , bietet reichlichste und völlig- ausreichende auskunft das
trefliche buch: „Voces variae animantium" (2. ausg. Basel 1869), in
welchem W, Wackernagel das gesamte ihm erreichbare material kri-
tisch gesichtet und meisterhaft bearbeitet hat.
300
J. ZACHER
Die entstehung der versus de nomiuibus voliicrum usw. sezt
"Wilhelm Grimm (zur gescliichte des reims. Berlin 1852 s. 141), uacli
der beschaffeulieit ihrer reime urteilend, an das ende des 10. Jahrhun-
derts. Sehr bald sind den lateinischen benennungen in diesen versen
dann auch deutsche glossierungen übergeschrieben worden, und mit
solchen versehen erscheinen sie in handschriften , mehr oder minder
volständig, nicht eben selten. Eine erschöpfende kritische ausgäbe
auch dieser glossen dürfen wir wol in der von Steinmeyer und Sievers
so treflich begonnenen samlung und bearbeitung der althochdeutschen
glossen erhoffen. Die bis jezt vorhandenen gedruckten angaben über
das vorkommen jener verse und ihrer glossen sind ebenfals vielfach
verstreut und sind auch sehr verschieden geartet, von volständiger mit-
teilung herabsinkend bis zu blosser ungenauer notiz. Um einen beque-
men und förderlichen überblick zu gewinnen stelle ich hier übersicht-
lich zusammen was mir von solchen nachrichten eben zur band ist,
wobei ich natürlich die nicht immer sicheren altersbestimmungen der
betreflenden handschriften beibehalten muss , wie ich sie eben augege-
ben finde. Wer müsse hat Zeitschriften und handschriftencataloge zu
durchstöbern, wird manche berichtigende oder ergänzende nachtrage
liefern können.
X, Jahrhundert.
1. Prag. — Weissenauer hs. , jezt in der fürstl. Lobkowitzischen
bibliothek zu Prag, X. jahrh. — H. HoÖmami in den Altdeutschen
blättern von Haupt und Hoffmann (Leipzig 1840) 2, 211 fg. teilt die
glossierten benennungen mit, ohne die verse. — (ferae): panthera,
panter; tigris, tigritir ; elephas, helfentir; urus, vrrmt usw. — (volu-
cres): nisus, sparwer; ciconia, storg; picus, spelite usw. — (ligna):
ficus, uicbom; laurus, lorhoin; populus, alber usw.
XI. Jahrhundert.
2. Wien. Nr. 85 (Univ. 1013). XI. jahrh., besprochen von Denis
in seinen Codices mss. theol. bibl. Palat. Vindob. latini (Vindob. 17ü9.
fol.) bd. 2 unter nr. 229 , der auch sp. 357 einige glossen daraus an-
führt. Graft' hat diese hs. , die er ins 10. jahrh. sezt, erwähnt in
seiner Diutisca (Stuttg. und Tübingen 1829) 3, 183. In seinem alt-
hochdeutschen Sprachschatze hat er sie, unter der bezeichnuug ,,Pers.,"
anscheinend nur für die in ihr enthaltenen glossen zum Persius aus-
genuzt. — H. Hoftmann hat sie aufgeführt in seinem Verzeichnis der
altdeutschen handschriften der hof bibliothek zu Wien (Leipzig 1841)
s. 360 unter nr. 390 und hat ferner aus ihr alle noch lesbaren glos-
DIE NOMINA VOLUCRUM 301
sierteii luiturgescliicbtliclien beneunuiigeii (ohne die verso) mitgeteilt in
den Altdeutschen blättern 2, 213,
(volucres): Nisus, sparaiver; ciconia, storch; picus, spech; pica,
ageUtra usw. — (ferae): Uinoceros, cinhom; camelus, olhent; uros,
um usw. — (ligna): cedvus, cederhoni; ficus, fichhoni; laurus, lor-
honi; populus, albere usw.*
3. Zwettel. Nr. 293. XI. jh. — Hoffmann beschrcänkt sich in
den Altd. bl. 2, 212 auf mitteilung der glossierten benennuugen (ohne
die verse).
(ferae): Leo, lev; tigris, figrltir; leopardus, liehar; rhinoceros,
ainJmrn; camelus, olhent; elephantus, helpJuint; urus, vr usw. —
(volucres): Accipiter, hahich; nisus, spa/nver ; capus, falc; ciconia,
sforc; picus, specli; pica, agistra usw. — (ligna): Cedrus , cedri-
hovm; laurus, lavrhoum; mja'tus, mirtilhovni; populus, alhare usw.
4. Stuttgart. — Aus Zwifalten ist die hs. nach Elwangen und
dann nach Stuttgart gekommen in die öffentliche bibliothek als Ms. theol.
et pliilos. fol. nr. 218, XL jh. — Ungenau besprochen in Gräters Iduna
1812, nr. 30, s. 118 — 120; dann nochmals ungenügend von Massmann
in seinen Denkmälern deutscher spräche und literatur (München 1828)
s. 90 fg. - Grraflf hat diese hs. erwähnt Diut. 2, 71, und hat sie in
seinem ahd. Sprachschatze doppelt aufgeführt unter den bezeichnungen
„Ve. 3 " und „ Zf ," hat sie aber für den Sprachschatz , wie es scheint,
nur unvolkommen ausgenüzt. — Unter der falschen Signatur 210 (statt
218) hat dann Massmann in Mones Anzeiger für künde der deutschen
Vorzeit (Karlsruhe 1836) 5, 462 aus ihr die Überschrift (Hie volucres
cell referam sermone fideli) und die glossierten benennungen (ohne die
verse) mitgeteilt:
(volucres): accipiter, /ia&^'cÄ; nisus, sparivare; capus, falclio ;
ciconia, storh; picus, speht; pica, agilstra usw, — (ferae): leopar-
dus, lehart; rinoceros, ainhurne; camelus, uhnnda; elephantus, helphe;
uros, ürrinder usw. — (ligna): cedrus, cedirhotim; ficus, fighoum;
laurus , lorhotim ; mirtus , mirtilhoum ; populus , alhare usw.
XII. Jahrhundert.
5. Einsiedeln. „Ad calcem cod. Eins, sec. XII, Frowini abb.
de libero arbit." Die verse samt den glossierungen (mit massigen
1) Die von GrafF in seinem alul. Sprachschätze I, LXXI unter ,,Ve. 4" auf-
geführte Wiener hs. des X. jahrh. nr. 247 (Univ. 511; bei Denis, bd. 2 nr. 295)
deren deutsch glossierte vogelnamen er in seiner Diutisca 3, 185 mitgeteilt hat, gehört
nicht hierher, denn jene glossen stehen über versen in des Pseudo-Ovidius, oder
Ovidius Albus Juventinus elegia de Philomela, wie bereits Hoffmann in seinen ahd.
glossen s. XXXIII richtig angegeben hatte.
302 J. ZACHER
lesefehlern) gedruckt in Martini Gerberti Iter alemannicura. Typis Sau.
Blasianis 1765. Anhang s. 136 fgg.
Hoc volucres coeli referam sermone fideli.
liahich spnretvnre falcho atorch .ipt-c/it
Accipiter nisus capus atque cicouia picus
alixter dornsfecht nmsare vnneu'iclie Kr/ypi
Pica merops meropis larus atque loaficus ibis
22 hexameter, deren lezter:
<H.stilfinrfw
Versu(s) stare nequit carduellus quique recedit.
Nomina paucarum sunt liic socianda ferarum.
li'tvo rex
Sed leo sit primus qui cunctarum basileus.
Hunc panthera tigris comitentur cum leopardis.
Einoceros sevus comprenditur atque camelus.
His [etiani] validos elefantes iungo vel uros
12 hexameter, deren lezter:
i'icJmrnil
Copulo spiriolum, reliquorum do tibi nullum.
Ecce stilo digna ponam campestria ligna.
fichtpoum lorhown
Cedrus cipressus ficus laurus quoque mirtus
alharo sphiiiilhoum sevihoum
Populus et palma fusarius atque saviua.
17 hexameter, deren lezter:
l im
Viscum ^ postremo quia crescit in arbore pono.
6. Schlettstadt, in der bibliothek des Beatus Rhenanus. Per-
gament, kl. fol. , aus dem ersten viertel des XII. Jahrhunderts , aber
aus erheblich älterer vorläge abgeschrieben, verschiedenerlei historische,
geographische, naturgeschichtliche und grammatische aufzeichnungen,
auch einige poetische auszüge enthaltend. Darunter die glossierten
ligna, volständig mitgeteilt von W. Wackernagel, in Haupts Zeitschrift
für deutsches altertum (Leipz. 1845) 5, 360 fg.
Ecce stilo digna ponam campoestria ligna.
cedirbouin fifjhown lorboum mirtilhoum
Cedrus cypressus ficus laurus quoque mirtus
alliare palmbotim apinnilbown senilorim
Populus et palma fusarius atque sauina
17 hexameter, deren lezter;
zundra
Iscam postremo quia crescit iu arbore pono
1) Der Schreiber hat, nicht eben ungeschickt, viscum, mistel, gesezt an die
stelle von isca, zunderschwamm.
DIE NOMINA VOLUCRUTtf 303
7. S t ras s bürg, oheuuils der Johanuitor-, dann der öffentlichen
bibliothek angehörig, A. 157, perg. 8. XII. jahrh. — Graff in seinem
ahd. sprachsch. I, LXXI bezeichnet diese lis. durch „Ve. b." und sezt
sie ins XI. jahrh. — Die verse (volucres, ferae, ligna, pisces)
samt den giossierungen hat W. Wackernagel volständig mitgeteilt in
den Altd. blättern 1 , 384 fgg.
De nominibus volucrum.
Hie volucres caeli referam sermone fideli,
hahich sparw' falcho stark spheht
Accipiter nisus capus atque ciconia picus
(ii/ilst^ <jrHonsp7iet musnre ivanumvehul V!e?io
Pica merops larus atque loaficus ibis
21 hexameter, deren lezter:
distiluincJw
Versu stare nequit carduellus quique rece[dit].
De nominibus ferarum.
Nomina paucarum sunt hie socianda ferarum.
Sed leo sit primus qui cunctarum basileus,
Hunc panthera tigris comitantur cum leopardis.
einhurno
Kinoceros seuus compreuditur atque camelus.
iiroJiseJi
Huic eciam ualidos elephantes iuugo vel uros.
13 hexameter, deren lezter:
eichorn
Copulo spiriolum. Reliquorum do tibi nulluni.
De nominibus lignorum.
Ecce stilo digna ponam campestria ligna.
Cedrus cipressus ficus laurus quoque myrtus.
albere spintulhojn seuimhom
Populus et palma fusarius atque sauina.
17 hexameter, deren lezter:
ziinderun
Iscam postremo, quia crescit in arbore, pono.
De nominibus piscium.
hrtcTiit slio ahmt jwrhena asco
Lucius et tincus capedo tructa timallus
harinc v:alera lahs dl lantjrida
Allee ballena uel esox anguilla murena.
Beachtenswert ist, dass den fischuamen kein algemeiu gehaltener
überschriftlicher hexameter vorangebt, und dass ihre aufzählung über-
haupt mit diesen beiden ersten hexametern abbricht, die zu den zwei
ersten in der unter nr. 20 zu erwähnenden Wiener h. (ur. 2237) stim-
304 J. ZACHER
men, aber von denen in der unter nr. 14 zu erwähnenden Frankfurter
handschrift gänzlich abweichen.*
8. 9. Stift Admont in Steiermark. Nr. 106 und 476. XII. jh. —
Eine dieser beiden hss. hatte , ohne angäbe der Signatur , bereits Pertz
erwäbnt im Archive der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde
(Hannover 1831) 6, 170 mit den worten: „De mundi aetatibus allego-
rice explicatis. In fine reperiuntur nomina volucrum , feraruni et arbo-
rum carmine expressa, adjectis vocabulis germanicis." Die glossierten
benennungen (ohne die verse) hat dann Hoffraann volständig mitgeteilt
in den Altdeutsch, blättern (Leipz. 1840) 2, 214 — 216.
(volucres): Accipiter, Jiahich; nisus, spamware {sparwar);
capus, falco (faJcJio); cyconia, storc (storch); picus, speht; pica, agil-
stra usw. — (ferae): Leo, Uwe; panthera, pantirtyer; tygris, tygir-
tier (tigirtyer); leopardus, UhartJi (lihart); riiioceros, einhurno {ein-
horn); camelus, olvinda (olhent) : elephas, helfen {helfant) ; urus, ürrint
(urint) usw. — (iigna): Cedrus, cerdirhon (cecUrhom); cypressus,
cuphirhon; ficus, ficbnn (ficJihon); laurus, lorhon; myrtus, myrtühon
{myriilbom); populus, albäre (alher) usw.
10. München, clm. 19488 (Tegerns. 1488). Xll.jh.. - Erwähnt
von Schmeller in seiner ausgäbe der Carmina Burana (Stuttg. 1847)
s. 267. Der sehr mannigfaltige inhait der handschrift ist kurz verzeich-
net im Catal. codd. lat. bibl. reg. Monac. (1878) 2, 3, 250. Nach den
angaben von Bartsch, in seiner Germania (1874) 19, 436, zu schlies-
sen, enthält die hs. auf s. 118 die nomina volucrum (von denen nur
der erste vers glossiert ist: hauh. spareivare. ualche. storche, speht),
die nomina lignorum (mit der einzigen giosse isca, gunter |d. i. run-
ter] im lezten verse) und von den nomina piscium zwei hexameter,
die nach den glossieruugen (hehchct. slic. allnt. uorhe. asch. harinch.
ivalr. lahs. al. lantfride) zu den oben unter ur. 7 angeführten der Strass-
burger hs. stimmen. — Dann aber auf s. 121 nochmals die nomina
volucrum, ferarum, lignorum, deren deutsche glossierungen, ohne
die verse, und meist auch ohne die lateinischen benennungen, Bartsch
a. a. 0. mitteilt. — (volucres): hahich. sparivare. valche. storc'. speht.
alster usw. — (ferae): vrhosse usw. — (Iigna): populus, alhar;
schliesst: heu sanguiuarium {hartrugel) non uersu ponere possum, so
dass der lezte hexameter der Iigna fehlt.
1) In dem Wackernagelschen , doch wol der hs. getreulich folgenden abdrucke
ist am Schlüsse des 11. hexameters statt ortigometer zu lesen ortigonietra , und das
lezte wort des 30. hexameters melus (ia7i.s), ist an das ende des vorangehenden
29. geraten. Damit erledigt sich Wilh. Grimms bedenken (zur geschichte des reims
s. 142) in betreff der endreime dieser beiden verse.
DIE NOMINA VOLICRDM 305
11. München clni. 4583 (= Bened. 83), pgm. Ibl. 78 bll. ent-
hält nach angäbe des catal. codd. lat. bibl. Monac. (1868) 1, 2, 177:
1) bl. 1. Kegula Benedict!; 2)bl. 41 — 47 (XTIL jh.) fvagmentum de
corpore humano; 3) bl. 47". 77^ (XIL jh.) Nomina herbarum cum
interpretatione germanica (gedruckt in Mones Anzeiger 1839. 8, 94);
4) bl. 47*^ — 77. (XII. jh.) Opus Macri phisici de naturis herbarum (mit
deutscheu glossen des XIV. jh., gedruckt bei Mone, cbendas. sp. 96);
5) bl. 78\ (XII. jh.) Versus de arboribus cum glossis germauicis (nach
Mone, ebendas. sp. 97, beginnend: Cedrus cipressus ficus laurus quoque
mirtus. Die glossierten Wörter, ohne die verse, sind bei Mone abge-
druckt, und die ersten glossieruugen lauten: cederhoin, cijiresse, fich-
hom, lorhom, mirtelhom, albare).
12. Wien. nr. 650 (Rec. 3256). XII. jh. In den Tabulae codd.
mss. in bibl. palat. Viudob. asservatorum (1864) I, 112 ins IX., von
Denis (codd. mss. theol. lat. IL nr. 339) und von Hoffmann (Verz. der
altd. hss. usw. nr. 395) ins XII. jabrh. gesezt. Enthält hinter Augusti-
nus de civitate dei auf bl. 191" vier hexameter mit glossierten fisch-
namen, gedruckt bei Denis 2, 737; die glossierung allein widerholt
von Graff in den Diutisca 3, 404:
Hie iungo fiui pisces tibi carmine tali.
liechet sUe nlent uorlia
Lucius et tincus capedo trutta timallus
cressa al crebez c/i-u.ulele
gratius anguille sunt hie caucri coronille
fiu.fp sahiio carpJiö tvalr sture,
ipocus gamarus carabus balenaque rombus.
Nur der erste glossierte hexameter stimt zu dem ersten in nr. 7
(Strassburger hs.) und nr. 20 (Wiener hs. nr. 2237), die anderen bei-
den hexameter weichen ganz ab, sowol von denen iu nr. 7 und 20 als
von denen in nr. 14 (Frankfurter hs.).
13. Zürich. 58. XII. jahrh. — Mit dieser Signatur und alters-
bestimmung ohne nähere angäbe aufgeführt von Graff, unter „Ve. 5"
in seinem ahd. Sprachschatze I, LXXI.
14. Frankfurt a. M., stadtbibliotliek; pgm., 2 bl. kl. fol. Ende
des XII. Jahrhunderts. — Erwähnt von Massmanu in seinen deukmä-
leru deutscher spräche und litteratur (1828) s. 92. Die verse samt den
glossierun^-en volständig herausgegeben und mit anmerkuugen begleitet
von Weigand in Haupts Zeitschrift für deutsches altertum (1853) 9,
388 fgg. — Am anfange fehlen die nomina ferarum und die ersten
7 hexameter der nomina lignorum, deren lezter hexameter lautet:
zvml'
Iscam postremo quia crescit in arbore pono.
ZEITSCUR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. ED. XI. 20
306 J- ZACHER
Nomina auium.
Hie volucres celi referam sermone fideli.
habch sperw^ vaVk:) storch specht
Accipiter uisus apus atqiie C3^conia piscus.
agelstra grvnspecht muser weho storch
Pica merops meropis larus atque laoficus ibis
21 hexameter, deren lezter:
tsIcUuang
Versu stare ueqnit carduellus quiqiie recedit.
Nomina piscium.
Equoreos disce fetus in uersibus hiisce.
Jivsi: slHro vcrhrnna
Ypocus albunms rombus tactuca siUims.
13 hexameter, deren lezter:
Icchse stelnhtza
Addimus esoces rautilos paruos hamiones.
Nomina lierbarum.
Her])arnm flores tellns fert multicolores,
De quibus hie edam pro posse noeabnla quedam.
tarn tosta t dost ivllhia schernii/ berchtram
Filix origanum blandonia eanna piretrum.
64 hexameter, deren lezter:
hlvtiin-z
Nomine enm reliquis hie sanguinaria stabis.
Doeen erwähnt in seinen Miscellaneen zur geschichte der teut-
schen litteratur (Münehen 1809) 1, 188 eines der Historia eeclesiastiea
des Rufinus beigebundenen lateinisehen glossares von 11 folioblättern
des XI. oder XII. Jahrhunderts , und fügt hinzu: „die lezten blätter ent-
halten eine folge lateinischer leoniniseher verse über die namen der vögel,
tiere, gewäehse und fisehe, mit den darüber gesezten deutschen Wör-
tern, die bei einer andern gelegenheit sollen mitgeteilt werden."
Freiherr von Aretin in seinen Beyträgen zur geschichte und lit-
teratur usw. 2. band, München 2804. Mai. s. 92 führt in dem „chro-
nologischen Verzeichnisse der in die pfalzbair. centralbibliothek aus den
bibliotheken aufgehobener Stifter und klöster übergewanderten altdeut-
schen handschriften vom VIII. — XIV. Jahrhundert" auch auf: „XII. jahrh.
. . . Nomina volucrum etc. cum interpretatione theodisea , den sermoni-
bus variis aus Windberg beygebunden."
Ob und unter welchen Signaturen diese beiden von Doeen und
Aretin erwähnten , schon wegen ihres alters beachtenswerten handschrif-
DIE NOMINA VOLrCRUM 307
teil jezt in der königl. bibliothek zu Müncben vorhanden seien, vermag
ich nicht anzugeben.^
XIII. Jahrhundert.
15. Leipzig, Paulinerbibliothek nr. lüG. pgm. 4. Anfang des
XIII. jahrh. — Leysers nicht mit klarer bestinitheit ausgedrückte
angäbe in Mones Anzeiger (1835) 4, 93 soll doch wol besagen, dass
die versa selbst samt der glossierung in der handschrift enthalten seien.
Nicht sicher erkennen lässt sich, ob die von ihm in alphabetischer
Ordnung mitgeteilten glossen in der handschrift über den einzelnen
verszeileu stehen , oder hinter den versen folgen. Das erstere ist nicht
nur an sich wahrscheinlicher, sondern auch aus der strengen einhal-
tung genauer alphabetischer reihenfolge zu schliessen. Die glossen
beziehen sich auf die volucres, ferae und ligna, enthalten jedoch
auch einige benennungeu , die sonst nicht in diesen versen vorkommen.
16. Molk. K. 51. XIII. jahrh. — Ervs^ähnt von Hofifmann in
seinen althochd. glossen (Breslau 1826) s. XXXIII unter §64, und in
seinen Fundgruben für geschichte deutscher spräche und litteratur
(Breslau 1830) 1, 351. Nach Hoffmanns kargen nachrichten zu schlies-
sen , enthält diese hs. am Schlüsse die glossierten verse über die nomina
volucrum, ferarum, lignorum und piscium.
17. München, clm. 4660 (Bened. 160). mbr. kl. fol. XIII. jh. —
Erwähnt ohne angäbe der Signatur, von Massmann, in seinen denk-
mälern usw. s. 92. Von Schmeller (anonym) herausgegeben unter dem
titel: „Carmina Burana. Stuttg. 1847" (= Bibliothek des lit. ver. XVI).
Darin auf bl. 56 die in Scbmellers ausg. s. 175 volständig abgedruck-
ten nomina avium et ferarum.
Nomina avium.
Hie volucres cell referam sermoue fideli.
liahicli spanver valch storich speht
Accipiter nisus capus atque ciconia picus
aglister f/rti7ispe?it musar viehi
Pica merops larus atque laoficus ibis
1) Ob die im Münchener cataloge der lateinischen handschriften verzeich-
neten nummern clm. 3537. (Äug. civ. 37, vom jähre 1439 , angeführt von Schmoller,
Carmina Burana s. 267), und clm. 14584 (Em. F. 87. XIII. und XII. jahrh., ange-
führt von Massmanu in seinen Denkmälern usw. s. 91), und ferner clm. 14745
(Em. a. 7. XII. und XIII. jahrh. , augeführt von Massmann , ehendaselhst s. 91)
auch die deutsche glossierung der hexameter darhieten , vermag ich nicht sicher zu
erkennen. —- Unsicher und unklar bleibt auch Massmanns angäbe (Denkmäler usw.
s. 91) über cod. Monac. nr. 345 memhr.
20*
308 J. ZACHER
21 hexameter, deren lezter:
(listilvink
Versii Stare nequit carduelis sicqiie recedit.
De nominibus ferarum.
Nomina paucarura sunt hie socianda ferarum.
Tex
Sed leo sit primus qui cunctarum basileus.
pantel tigirtier lic.harl
Hunc panthera tigris comitatur cum leopardis
Ainhurn olbenJe
Rhinoceros sevus conprenditur atque camelus
elephant iirohs
Huic et validos elephantes iungo vel uros,
12 hexameter, deren lezter:
aichor7i
Copulo spiriolum; reliquorum do tibi nullum.
18. München, clm. 614. 32 bl. 4. XIII. jahrh. — Von Graff
in seinem ahd. Sprachschätze I, LXXI aufgeführt unter „Ve. 1." und
ins 12. Jahrhundert gesezt. Von Schmeller erwähnt Carm. Burana
s. 267. Enthält, nach angäbe des catal. codd. lat. bibl. Monac. I, 1, 122,
am Schlüsse: „Versus de nominibus avium, ferarum etc. cum inter-
pretatione germanica. Inc.: Hie volucres celi referam sermone fidei"
(1. fideli).
19. Mayhingen, Fürstl. Wallersteinsche bibliothek. Pgm. fol.
XIII. jh. Enthält am Schlüsse des Vocabulum biblie mammotrectus die
glossierten lat. verse der vögel-, tier- und baumnamen. Anfang:
Hie volucres celi referam sermone fideli.
hahich sperw^ valkc storch speht
Accipiter nisus capus atque ciconia picus
aglest' f/rv7i'spe?it mvs' wannen ive/iil.
Pica merops larus atque Ivaficus ibis.
Nur die deutschen benennungen daraus hat Bartsch mitgeteilt,
Germania (1863) 8 , 47 fg.
(volucres): hahich usw. — (ferae): letve, jianthir. tigirthir.
leharf. einhvrne. cemlin, quidam dicunt olbcnfe. helfant. vrohse usw. —
(ligna): vichaum. lorhaum. mirtilbaum usw.
XIII— XIV. Jahrhundert.
20. Wien. nr. 2237. (lur. civ. 290). pgm. 34 bl. 4. XIII.—
XIV. jahrh. Enthält hinter dem sogenanten Brachylogus, einer Summa
brevis in Hierarchiam S. Dionysii und einem Commentarius in decem
praedicamenta Aristotelis auf bl. 34** von einer band des 13. bis 14.
jahrh. 4 lateinische hexameter mit deutsch glossierten fischnamen,
gedruckt in: Corpus legura sive Brachylogus juris civilis, ed. Ed. Böcking.
DIE NOMINA VOLUCRUM 309
Berol. 1829 s. LXXXIII; die benennungeii ohne die verse gedruckt in
Monas anzeiger (1839) 8, 98.
Ifi-chit slie alnt vorha asch
Lucius tingus capedo trocta timallus
/laerinc irarC lahs atl
allec ballena vel esox anguilla murena
rot stur niste huse sfilm
Coracinus rombus allopeda scaurus echinus
nnse phrasc. barhe ijruntel narpfa
muUus smirua cluma saxatilis indeque porca.
üie beiden ersten hexameter stimmen zu denen in nr. 7 (Strassbur-
ger hs.).^
21. München, clra. 12665 (Ranshofen 65), pgm. 171 bl. kl. 4.
XIII. — XIV. jahrh. Enthält nach dem catal. cod. lat. bibl. Mon. 2, 2,
84 auf bl. 142 „Versus de nominibus volucrum, item ferarum. Inc.:
Hie volucres celi referam sermone fidei" (1. fideli).
XIV. Jahrhundert.
22. Stuttgart, königl. privatbibliothek. Ein in eine hs. von
Eberhardi Bethunensis Graecismus vorn eingeklebtes pergamentblatt des
XIV. jahrh. enthält die glossierten verse Hinc volucres caeli reseram
sermone fideli, deren auf die vögelnamen beschränkte glossen Mone
mitteilt in seinem Anzeiger usw. (1837) 6, 345: accipiter, hahJce; nisus,
spdnver; capus, valk; ciconia, storg ; picus, specht; pica, agelsturr usw.
23. Wien. nr. 1325 (Theol. 484), pgm. 107 bl. 4. XIV. jahrh.
Beschrieben von Denis (codd. mss. theol. lat.) bd. 1. nr. CLIII. Erwähnt
von Hoffmann in seinen ahd. glossen s. XXXIII unter § 65 und in sei-
nem verzeichn. d. altd. hss. der hofbibl. zu Wien , s. 373 unter nr. 399.
Die hs. enthält excerpta e veteri testamento, einen Index vocabulorum
hebraicorum, graecorum etc. zur bibel , darunter auch einige deutsch
glossierte, und dahinter auf bl. 106 fgg. die deutsch glossierten hexa-
meter der nomina volucrum usw., deren Überschriften Denis 1, 429 fg.
angibt :
Hie volucres celi referam sermone fideli.
Nomina paucarum sunt hie referenda ferarum.
Ecce stilo digna pouam campestria ligna.
1) Nach Hoffmanns angäbe in seinen ahd glossen s. XXXIII, unter §63,
würde auch hierher gehören die von ihm entschieden ins XIII. Jahrhundert gesezte
Wiener hs. nr. 1118 (Reo. 3335), pgm. 83 bl. 4., meist theologischen inhaltes , welche
nach Denis (codd. mss. lat. theol. bd. II nr. 71 s. 106 fg.), der sie ins XIV. jahrh.
sezt, gegen ende „Nomina latina et germanica avium, ferarum, piscium et arbo-
rum" enthält, von denen Denis auch einige mitteilt. Aber die Tabulae codd. mss.
in bibl. Pal. Vindob. (1864) 1, 195, welche die hs. gleichfalls ins XIV jahrh. setzen,
bezeichnen die auf bl. 79 fg. stehenden glossen als einen ,,Vocabularius latiuo-
germanicus aniraalium arborumque."
310 J. ZACHER
Dann bemerkt er dazu: „Pisces tantum distichum faciunt" und gibt
einige proben der glossierten Wörter.
24. Innsbruck, Universitätsbibliothek, nr. 355. pgm. XIV. jabrh.
Enthält, nach Mones angäbe in seinem Anzeiger (1839) 8, 99 : 1) bl. 13^
Die fischnamen: Hie etiam pisces et eorum nomina disces. Lucius
hellte, tincus sleye usw. 2) bl. 14. Die vogelnamen: Hie volucres
coeli referam sermone fideli. Accipiter habich, nisus sparwer usw.
3) bl. 15. Die namen der wilden tiere: Nomina paucarum sunt haec
(1. hie) socianda ferarum. Leo Uwe usw. 4) Insecten undgewürme:
apes peije, musca fliuge usw. 5) Baumnamen: Ecce stilo digna refe-
ram campestria ligna. Cedrus zederpoum usw. Darauf noch einige
Zeitwörter und berufnamen. 6) Die in beiden sprachen gemischten
hexameter: Est feodum lehegut, nee non depactio dinge usw.
XV. Jahrhundert.
25. München, cgm. 649. 598 bl. fol. vom j. 1468. Enthält nach
dem cataloge der deutschen hss. der Müncheuer bibliothek (München
1866) s. 105 auf bl. 526 fg. „Versus de animalibus et herbis ger-
manice glossatos. Hie volucres coeli usw."
26. Wien. nr. 12840 (Suppl. 489), papier. 90 bl. 4. XV. und
XVI. jahrh. , enthält vielerlei deutsch glossiertes, darunter nach angäbe
der Tabulae codd. mss. in bibl. Pal. Vindob. (1875) 6, 153: 2) 1"— 2''
Nomina ferarum metrice, cum glossis germanicis interlinearibus. Inc.:
Nomina paucarum sunt hie scribenda ferarum. Expl. : Copula spirio-
lum reliquorum do tibi nullum. 3) 2'''' Nomina volucrum, itidem cum
glossis germanicis interlinearibus. Inc.: Sic volucres cell referam ser-
mone fideli. Expl.: Versus stare nequit carduelus jure recedit. 4) 2*"
Nomina arborum, itidem cum glossis germanicis interlinearibus. Inc.:
Ecce stilo digna ponam cumpestria ligna. Expl. : Istam postremo quia
crescit in arbore pono. 5) 3* Nomina piscium cum glossis germani-
cis interlinearibus. Inc. : Nomina paucorum lector lege pisciculorum.
Expl. : Vmbre timallus simul hijs coujunge cappones.
Die hier versuchte übersichtliche chronologische Zusammenstel-
lung ist doch etwas anderes als ein blosser Zeitvertreib müssiger stun-
den, verwendet auf ein kleines litterarisches curiosum von unerheb-
lichem werte , was nur durch die laune des Zufalles auf uns gekommen
wäre. Denn diese wenigen glossierten hexameter, so dürftig und unzu-
länglich uns auch heute, bei unseren reichen und bequemen hilfsmit-
teln , ihr Inhalt erscheinen mag, veranschaulichen uns doch ein nicht
unwichtiges stück aus der mittelalterlichen gelehrten Schulpraxis, und
zeigen recht augenfällig, wie schwierig und mühselig es vor der erfin-
DIE NOMINA VOLUCRUM 311
duug der biichdnickerkunst war, gelehrte kentiiisso zu erwerben. Weil
es den schüleru damals meist unmöglich war, den besitz umfängliche-
rer glossarien zu erschwingen, dienten diese hexanieter dazu, die
benenuuugen von 72 volucres, 38 ferae und 60 ligna dem gedächtnisse
leichter und fester einzuprägen. Und es sind fast durchweg damals
gangbare alt- oder mittellateinische benenuungen entweder solcher
naturgegenständc, die im täglichen leben häutig begegnen, oder auch
solcher, deren lateinische benennung für den gelehrten jener zeit eine
besondere Wichtigkeit hatte, etwa weil sie in der Vulgata vorkam, wie
z. b. ibis Jes. 34, 11. Lev. 11, 17; nycticorax Ps. 101, 7. Deut. 14, 17;
onocrotalus Lev. 11, 18. Jes. 34, 11; ortygometra Sap. 16, 2. 19, 12;
pelicanus Ps. 101, 7; alietus (haliaeetos) Lev. 11, 13; struthio Lev. 11,
16 u. ö.; dromedarius Jes. 60, 6; ficus Gen. 3, 7 u. ö. ; myrtus Jes.
41, 19. 55, 13; ilex Jes. 44, 14; terebinthus Gen. 35, 4 u. ö. ; paliurus
Jes. 34, 13. Mich. 7, 4; morus Ps. 77, 47 u. ö.; sycomorus Luc. 19, 4
u. ö.; storax Gen. 43, 11. Eccli. 24, 21; myrica Jer. 17, 6. 48, 6.
Solchen biblischen beweggrund der aufnähme lässt z. b. der naive
44. hexameter recht deutlich erkennen:
et, licet ignotum, non pretereo terebintum.
Einige in das Verzeichnis aufgenommene ausdrücke , die uns jezt nicht
mehr geläufig sind, weisen zurück auf die grosse schöpfquelle mittel-
alterlicher gelehrsamkeit , auf die Etymologiarum libri des Isidor. So
turbisce, glossiert durch stoc, und isca, glossiert durch mnder, von
denen es bei Isidor heisst: Turbiscus, quod de uno cespite ejus multa
virgulta surgunt quasi turba. Etym. 17, 7, 56 und: Fungi, quod aridi
ignem acceptum concipiant ; cfßg enim ignis est ; unde et esca vulgo
dicitur, quod sit fomes ignis et nutrimentum. Etym. 17, 10, 18.
ünverkenbar solte die Zusammenstellung dieser benennungen blos-
sem lehrzwecke dienen. Darum war das trachten des Verfassers nicht
darauf gerichtet, tadellose oder gar elegante und geistreiche verse zu
liefern , sondern nur das erlernen und das behalten zu erleichtern durch
die hilfe des versmasses und des reimes, und durch das an verschie-
denen stellen durchblickende bemühen, unter sich verwante oder ähn-
liche gegenstände, wie z. b. einheimische Obstbäume, so gut er es
vermochte, gruppenweise zu verknüpfen. Dass unter den volucres
auch cicada (heimchen), vespertilio (fledermaus) und cicindela (glüh-
wurm, johanneswürmchen) erscheinen, und unter den ferae (um einen
reim auf sorex zu gewinnen) auch cimex {diu wantlüs, die wanze),
wird niemandem auffallen, der die weise mittelalterlichen disponierens
und der anordnung mittelalterlicher glossarien kent. Und als praktisch
brauchbar scheint sich diese Zusammenstellung denn auch wirklich auf
312 J. ZACHEE
die (lauer bewährt imd weite Verbreitung gefunden zu haben, weil sie
in zahlreichen weit verstreuten und bis in die anfange der buchdrucker-
kunst herabreichenden abschrifteu sich erhalten hat.
Die gruppe der pisces zeigt schon mehr den Charakter eines
gelehrten prunkstückes. Einen erlieblicheren praktischen wert kann sie
auch schwerlich beansprucht haben. Wird ja doch selbst des kloster-
koches fischkentnis sich selten weiter erstreckt haben als auf die ihm
erreichbaren arten, die er für seine küche verAvenden konte oder ver-
schmähte; und kaum jemals mag ein abschreiber oder glossator so
bewandert in der schwierigen fischkunde gewesen sein, dass er ver-
mocht hätte, alle in einer längeren reihe von lateinischen hexametern
aufgeführten fische wirklich zu kennen, richtig zu unterscheiden und
zutreffend deutsch zu glossieren. Nach den bis jezt mir vorliegenden
und erreichbaren angaben erscheinen die lateinischen hexameter mit
glossierten fischnamen zuerst in handschriften des XII. Jahrhunderts,
und beschränken sich meist auf wenige, auf zwei bis vier verse, nur
in nr. 13, in der Frankfurter handschrift des XII. Jahrhunderts, stei-
gen sie an bis auf 13 verse. Auch tragen sie keine gemeinsame, in
allen handschriften gleichmässig widerkehrende hexametrische Über-
schrift, und weichen auch in der zahl und in der anordnung der auf-
geführten benennuugen, so wie in deren glossierungen so stark unter
einander ab, dass sie nicht aus einer gemeinsamen alten grundlage
herstammen können. Und nicht minder endlich zeigen arge textver-
derbnisse wie sehr grade hier den Schreibern ein richtiges und sicheres
Verständnis dieser benennungen gebrach.
Auch der abschnitt der nomina herbarum, wie er in nr. 13, in
der Frankfurter handschrift aus dem ende des XII. Jahrhunderts, erscheint,
schliesst sich jenen drei ursprünglichen abschnitten wol nur formal an;
denn nicht nur durch seinen beträchtlichen umfang von 64 hexametern,
sondern auch durch seinen gelehrteren Charakter ist er von jenen doch
merklich verschieden. Für die herbae konte man eines solchen hilfs-
mittels auch je länger je mehr um so eher entraten, weil grade bota-
nische alphabetisch geordnete glossai'e in reicherer zahl und mit reich-
licherem Inhalte entstanden, wahrscheinlich wol gefördert durch das
bedürfnis der mediciner, die ja, nach dem vorbilde der Araber, bis
auf Paracelsus vorzugsweise heilmittel aus dem pflanzenreiche zu ver-
wenden liebten , und folglich für das Studium und für die Verwertung
der seit dem ende des XII. Jahrhunderts aus Salerno heraufkommenden
medicinischen werke einer ausgedehnteren und sichereren kentnis der
lateinischen pflanzennamen bedurften. — Demselben praktischen bedürf-
nisse verdanken auch die herbarien ihre entstehung, werke, in denen
DIR NOMINA VOLTTCRUM
313
zu den beneunuiigen der püaiizeii noch die angäbe ihrer niedicinisclien
Verwendung hinzugefügt wurde, weshalb sie denn auch sehr bald in
verschiedenen ausgaben widerholt gedruckt wurden. Eine historische
und kritische möglichst erschöpfende Untersuchung über diese herbarien
wäre eine höchst verdienstliche arbeit. Gediegene Vorstudien dazu hat
mit eindringender kentnis und hingehendster aufopferung namentlich
Ernst Meyer geliefert in seiner geschichte der botanik, so v^^eit als
ilim das damals und in Königsberg, bei seiner entfernung von den
grossen deutschen bibliotheken, irgend möglich war.
Schon vor geraumer zeit war herr oberbibliothekar professor
dr. Krehl so gütig, mir, für einen nnderen zweck, eine Leipziger
papierhandschrift des 15. Jahrhunderts, nr. 1348, zu senden. Auf der
Innenseite des vorderdeckeis dieser handschrift ist vermerkt: „Iste liber
comparatus est sub decanatu magistri Melchioris Lodwig de Freynstadt
Anno domini Ixxxvnj " (1488). In der handschrift selbst aber findet
sich auf bl. 373"- eine wegen undeutlicher schrift und starker abkürzun-
gen zum teil schwer lesbare einzeichnung: „Et sie est finis per me
g. w. de gott' in anno 1451 dominica Judica in liptzk declarat' et pro-
nunciat' p. m. Ni. gherstman de lemberch," und darunter von anderer
aber gleichzeitiger band in ähnlich beschaffener Schreibweise die ergän-
zende nachricht : „ Et collecta et scripta per Gotfridum Wigardi de Got-
tingen arciuui baccalaureum nouellum anno 51*^ et eodem anno 51*^
obiit in Gottingen in peste." Demnach war diese handschrift ein stu-
dienheft, welches ein Leipziger student, Gotfrid Wigard aus Göttingen,
als Vorbereitung für das baccalaureatsexamen sich augelegt hatte, das
er auch im jähre 1451 bestand, aber bald darauf in seiner Vaterstadt
an der pest starb. Dem entsprechend scheint auch der Inhalt der hand-
schrift bedingt zu sein durch die damals für ein baccalaureats - und
magisterexamen gestelten anforderungen. Sie begint mit „ Distinctiones
librorum ad gradum baccalaureatus et magisterii in artibus," anschei-
nend einer auszüglichen Übersicht der philosophischen Vorlesungen nach
Aristoteles, über welche der candidat rechenschaft zu geben hatte.
Dann folgen: Quodlibetum a 1439 (?) in liipzk disputatum ; Quaestio-
nes quaedam determinatae in Erfforde et Liipzk, und noch einige phi-
losophica; darauf bl. 224" — 237*^ „Grammatica positiua uomina glozata
omnium mechanicorum officiorum;'' dahinter widerum philosophica; fer-
ner: Avicenna de mineralibus (anscheinend eine art collegienheft); Liber
Methodii martiris de fine et inicio mundi; und endlich Liber Morbodij
(Marbodi) de gemrais et lapidibus preciosis.
Die auf bl. 224" beginnenden lateinischen hexameter sind versus
memoriales sachlich gruppierter benennungen, vorauf die Termini jurista-
314 J. ZACHER
rum, denen dann, von bl. 225" an, naturgeschiclitliclie benennungcn
sich auscliliesseu , anhebend:
Homo Caput capitellum cerebrum cerebellum
Vertex calvitium frons occiput oculus auris usw.
Hieraus ist mit voller Sicherheit zu entnehmen, dass dergleichen hexa-
meter , darunter auch die oben aufgeführten schon seit Jahrhunderten
gangbaren über die nomina volucrum usw., damals noch als praktisch
nützlich und für examenzwecke dienlich im gebrauch waren. Deutsch
glossiert sind davon in dieser handschrift die frumenta, pisces et ligna,
die ich hier folgen lasse. In der glossierung macht sich die nieder-
deutsche heimat des Schreibers bemerklich.
fol. 228 ^ Talia frumenta praestaut nobis alimenta.
weyte hersze hauere körne erioitte
Et triticum milium auena siligoque pisum
toverkrut awelik drespe liederik radel körne
Sompnifer et cardo lolium zizania fruges
drespe idem dystel rast hoUwart
Castanicus cinus tribulus rubigo czyredo
Schimmel motte odel roet
5 Erugo tynea vligo siue fuligo
fol. 230''. Piscibus vndosis dedit vsus nomina giosis.
herinck ael st int kreuet kuleharsz
Hallec angwilla gubius cancer cyronilla
1) Die anfzeichnung ist nachlässig gemacht, und durch arge versehen und
fehler in text und glossierung übel entstelt; einige benennungen kehren mehrmals
wider, und ungehöriges läuft mit unter. In den anmerkuugen hier habe ich, von
blossen orthographischen uugenauigkeiten absehend, zwar besserungen uud erklä-
rungen versucht, aber doch manches mir unverständlich gebliebene unerledigt las-
sen müssen.
2) Et] Est? Über siligo, liorne steht als zweite glossierung noch rogglie.
3) Über sompnifer steht noch herba sompni. Gemeint ist doch wol der mohn,
als ein frumentum, obgleich dahinter meist Unkräuter folgen. Wie es der glossa-
tor aufgefasst habe, lässt sich aus toverkrut und aus dem unverständlichen atoelik
nicht erkennen. Die glossierung cardo, trespe belegt Diefenbach, glossar. lat.
germ. lUO*^ aus einem handschrittlicheu Mainzer vocabularius rerum (nr. 261).
Gemeint aber ist mit cardo wol die Aveberkarde, dipsacus fullonum. Vgl. Gf. 4,
490. Mhd. wb. 1, 791. Schmeller 1, 1290; zumal die distel in der nächsten zeile
unter tribulus erscheint. Eigentlich würde drespe als glossierung über lolium , und
hederik und radel würden beide über zizania gehören, fruges] über konie steht
noch die zweite glossierung getreyde.
4) Castanicus] die glosse drespe ist entweder ein irtum, oder ein Schreibfeh-
ler, statt der niederdeutschen benennung trem(e)se. Darüber steht noch die rich-
tige und algemeiner übliche benennung korneblomen. cinus] 1. cyanus. czy-
redo] 1. teredo , holtwurm.
5) Erugo] Über schimmel steht noch die zweite glossieruug eghel, welche
sich erklärt aus- einer auch sonst vorkommenden Verwechslung von erugo (aerugoj
und h-ugo, irudo (hirudo). vligo] odel 1. adel. fuligo] roet, luhd riio2, russ.
7) cyronilla] 1. turonilla.
DIE NOMINA VOLUCRUM 315
hekiit quappe stocr
Luceus allota rumbusque minenosa crata
yriiHdeling bars loalviäch lirasviu la.iz
Fuudiculus parca cetus et balsciam et esox
Unpe smerU' assche rahvfisch
10 Cassidoliis foca stangnalbus post quoqiie dorcus
hornefisch krahbe welsz swertfisch "nlm
Cornipes et polipus miülus gladines quoqiie salniaii
Iliise slcy scel li'ilbvisch st'or
Ipotus balacer kabarus balcamque mmbus
cresnc ae.l veriie amerli:
Gracius agwilla capedo trutta temellus
rlccley mrrsiniii Jiuntßnch brasmeii
Tremelus et delphin canis arcita cerita
8) luceus] 1. lucius ruiubus] 1. rhombus minenosa crata] über crata
stellt errata, und darüber noch wer. Alle vier Wörter unverständlich.
9) parca] 1. perca balsciam] 1. brasma.
10) cassidolus erscheint bei Diefenb. 104:<= glossiert durcb larpe. Bape,
raapfen sind nach Lübben , mnd. wörterb. 3 , 421 und Nemnich , algem. polyglot-
tenlex. d. uaturgesch. deutsche benenuungen von Cyprinus aspius. foca, smerle
ist wol irrige glossierung. Denn phoca wird sonst glossiert durch mcrlcalp,
merrint u. dgl. und smerle dient sonst zur glossierung von fundulus oder tenel-
lus. stangnalbus] 1. thymallus. dorcus, was ich als fischnamen nicht belegen
kann , steht vielleicht statt dorco , einer mittellat. benennung für fresser. Aus Lori,
Urkunden zur geschichte des Lech-Eains 384, bringt Schmeller'^ 2, 78 bei: „Der-
Aveil die Höchten, Eatten und Ruegeten oder Treuschen den Ferchen und Aschen
fast schädlich", (vgl. Schmeller2 2, 189 s. v. rutten, alrutten). Das führt auf
gadus Iota, quappe, wofür Kemnicb s. v. u. a. die benonnungen darbietet: aalraupe,
aalruite, rutte, ohlrapjie, rufolk, treusch usw. Vgl. Lübben, mnd. wörterb. 1, 59''
„älroppe, älruppe, älgrop , älgrupp, olrup, und mit Umsetzung riipoel, rufolke."
11) Cornupis , hornvisch belegt Diefenb. aus dem Mainzer vocabularius rerum
nr. 261; und ferner 113"= cerastinus, hornevisch ; 322'' ledia, homienfisch. Mul-
lus , weis belegt auch Diefenb. 370^ aus dem Mainzer vocab. rer. nr. 261. gladi-
nes] 1. gladius. Vgl. „gladius, mersivert ," im Vocabularius optimus ed. W. Wacker-
nagel. Basel 1847. 4. s. 46 ''. salman] 1. salnio.
12) balacer ist wahrscheinlich verderbt. sUe, sl'uje dient gewöbnlich zur glos-
sierung von tinca (cyprinus tinca); nur selten findet es sich als glossierung von
balaena. Diut. 8, 154. Sumerl. 38, 80- kabarus scheint verderbt und auch
unrichtig glossiert zu sein, sei ist hoch- und niederdeutsche benennung des See-
hundes, balcamque] 1. pecten quoque. Vgl. halpfisc, pectenus, al. pecten, jm
summarium Heiurici bei Hoffmann, ahd. glossen 4, 31. Diefenb. 418". Gf. 4, 709.
Gemeint ist eine schölle, Pleuronectes. Über haJbvisch steht noch als zweite glos-
sierung Baff. Die eingesalzenen oder getrockneten glossen von pleuronectes hippo-
glossus (heilbutt) werden von den Dänen rav oder raft genant. Nemnich s. v. und
Grimm, Wörterb. 4, 2, 823 s. v. heilbutt. rumbus] 1. rhombus.
13) agwilla] 1. anguilla. capedo, gewöhnl. capito. trutta, verne] 1. tructa,
vorhen. temellus] 1. tenellus.
14) Tremulus kann ich als fischnamen nicht nachweisen. Über uekelei, uklei
(cyprinus alburnus, kleiner weissfisch) vgl. K. Schiller, zum tier- und kräuterbuche
316 J. ZACHER
riocczc- czerte karpe
15 Gobba vel sperima calumpus addere debes.
fol. 235*. Ecce stilo digna scribo siluestria ligna.
IZKilrwor cypres uiyhenhom lorherhom ßlulherbom
Cedrns cipressus ficus laurus qiioqiie moriis
poppelhom palmhom spilbom sadenhom
Popiilus et palma susarius atque sauina
hassel dannen keiihom ki-n herhom myspelbom
Nux abies pina pinus pirus esciilus adde
bi-rk ahornel busbom echenbom liartroijle
20 Vibex et platauus buxus quercus simul ibex
Iiven loepenbom hassele. vh'bovi Irnbom
Vlmis et cornus corulus capeuus et onus.
castaneen Mandelbom ImspJnut appelhum
Castanea et amigdalus auelana quoque pomiis
distel espe rcnhom dorne olhom
Tribulus et tremulus terebintiis spinaque taxiis
des Mecklenburgischen volkes. Schwerin 1864. 4. 3, 23. arcita cerita sind mir
unverständliche, wahrscheinlich verderbte benennungen. Die in den glossen neben
hrahsen stehende lateinische benennung lautet gewöhnlich brasmus, brasma , bra-
xina, oder dem ähnlich.
15) gobba] gewöhnlich gobea, gubea. czerte] zarte ist cyprinus vimba;
sperima weiss ich weder zu belegen noch zu erklären. calumpus] 1. carabus.
17) tzede2V07-] 1. ceäerbom.
18) susarius] 1. fusarius.
19) pina] 1. picea.
20) platanus] über ahornel steht als zweite glossierung arle , das ist, nach
Nemnich s. v. acer pseudoplatanus , thüringische und fränkische benennung des
ahorns. ibex, verschrieben, statt ilex. In den älteren hss. lautet der hexameter:
cum platano vibex, cum buxo quercus et ilex. Die glossierung ist unrichtig; ilex
wird meist glossiert durch ibe, hve , eibe, oder durch eiche; andrerseits dient hart-
trügel zur glossierung von sanguinarius (cornus sanguinea).
21) Vlnus , Iwen 1. ulmus, um. Vgl. Lexer, mhd. wb. 1, 541. s. v. clm cor-
nus, die hagebutte, rosa canina. Bei Diefenb. 152'' icipe, wiepe, ivippcJien; bei
Nemnich, s. v. rosa can., wiehTcen, wipe; vgl. Frisch, teutsch-lat. wörterb. (1741)
2, 447* ioiepe; Schmeller^ 2, 965 wippenholz. Die über wepenhotn noch stehende
zweite glossierung heynholcen ist wol verschrieben statt hainboten. capenus, vle-
boni] 1. carpenus (oder carpinus), hagebuoehe (hainbolce). vlebom lässt sich nichts
abgewinnen. onus] 1. ornus. linhotim , leinhaum , ZeHwe sind nach Nemnich übliche
deutsche benennungen für acer platanoides.
22) Die ältere fassung dieses hexameters lautet: Vos (?) auellane uel amig-
dala castanecque. Durch die änderung ist das metrum gestört.
23) distel findet sich zwar häufig als glossierung von tribulus, gehört aber
doch nicht unter die ligna. Die älteren hss. glossieren hier tribulus angemessen
durch hayan, hagen. terebintus] statt der beiden hexameter 23. 24 bietet die
ältere fassung diese drei:
Et licet ignotum non pretereo terebintum.
Cum tremulo tribulus, cum spina taxus et alnus
riscus , sambucus , cum junipero paliurus.
DIE NOMINA VOLUCHUM 317
eire hollumlerbom haghedorne wacghande.lenhom
Alnus sambucus palamicus juniperusqne
zem wi'ydc kre.kcn kreken km-tzhom
25 Vimeu vel salix prinus pvna cerususqiie
ivynstok husclik heydr lezynhom
Vitis et arbusta merica vel ebeniis adde
asl/oem lyndi- büke hayhi'dorn olehum
fol. 235 ^ Fraxiiius et tilia fagus lentigus oliiia.
Wie bereits erwäbnt wurde, enthält diese handschrift auch die
Termiui juristarum, ebenfals gedenkverse praktischen Zweckes, dazu
bestirnt, die erlernung und einprägung juristischer kunstausdrücke zu
erleichtern. Es ist eine reihe kunstloser hexameter, bestehend aus
einem gemeuge der lateinischen benennungeu und der danebengesezteu
ihnen entsprechenden deutschen. Sie scheinen im 14. Jahrhunderte ent-
standen zu sein, und gleichfals rasche und weite Verbreitung gefunden
zu haben, denn vom 14. bis ins 16. Jahrhundert begegnen sie ziemlich
häufig in handschriften : jedoch weichen die einzelnen durch verderb-
terebiuthus lassen die älteren hss. entweder als fremdländischen unbekanten bauin
ganz unglossiert, oder sie glossieren es durch Jerbouin, Urbonm, setzen also den
bekanten einheimischen terpentinbauia , den lerchenbaum , an stelle des unbekanten
fremdländischen. Was der glossator hier unter renbom verstanden habe, lässt sich
nicht sicher erkennen. Gewöhnlich bedeutet renne-, romie-, rwnne-boum grenz -
oder schlagbaum. Hier aber könte doch möglicher weise ren-hom gemeint sein als
rinne -bonm, d. h. bäum aus dem man rinnen macht, was grade auf den lerchen-
baum besonders passen würde. taxus ,, olbom] die glossicrung ist unverständ-
lich und wol verderbt oder irrig. Die gewöhnliche glossierung von taxus ist iioe
oder hüls.
24) sambucus] über hollunderbom steht noch die zweite glossierung vleder-
bom. Über das späte auftauchen dieser benennung, flieder, vgl. Grimm, deutsches
wörterb. 3, 1778. palamicus] 1. paliurus. juniperus] vgl. ivacliandelenhere,
bei Regel , mnd. Gothaer arzeneibuch (progr.) Gotha 1873 s. 22.
25) vimen, zem. Ebenso in nr. 14, der Leipziger hs., uimina, cemwide (in
Mones anz. 4, 95, 71); desgleichen bei Diefenb. 619'', aus dem Mainzer handschriftl.
vocabularius rerum nr. 2H1: vimen, zen. Müller, im rahd. wörterb. 3, 619'', nimt
dieses wort als kamicide, ohne dessen bedeutung näher anzugeben. Lexer3, 1051
nimt es als zeinwide. Hildebrand (Grimms wörterb. 5, 157) scheint es als Tcmnivid,
hölzernes halsband , auszulegen. — In oberdeutschen hss. findet sich vimen glos-
siort durch liel , clematis vitalba, Waldrebe, bindweide. Schmeller^ 1, 1481 s. v,
lien. Vocabularius optimus ed. Wackernagel 49, 176. Von salix ab weicht die-
ser text von den älteren volständig ab. prinus ist eine öfter vorkommende mit-
tellat. form, kreken entspricht dem hochdeutschen kriechenbaum , pruuus insititia.
pvna steht wol für pruna , so dass die benennung der fruchte gemeint ist. ceru-
sus] 1. cerasus.
26) merica] 1. myrica ebenus] die glossierung lezynhom ist mir unbekant
und unverständlich.
27) fra.xinus, asboein, 1. asichbom. lentigus 1. lentiscus.
318 J- ZACHER
nisse und fehler vielfach entstelten aufzeichnimgen stark unter einander
ab. Auch sind sie nach erfindung der buchdruckerkunst in Schul-
bücher aufgenommen worden. So bemerkt Wilh. Wackernagel in sei-
ner geschichte des deutschen hexameters und pentameters (Berlin 1831)
s. 15, dass Goldast in den Ker. alamann. Script, vier dieser hexameter
unter dem namen „Venceslaus Brack in Terminis Juristarum" eitlere.
Ob darunter, wie man doch wol vermuten möchte, gemeint sei das
von Wenzeslaus Brack, artium professor et examinator in Konstanz,
um 1449 verfasste lateinisch - deutsche Wörterbuch , welches unter dem
titel Vocabularius rerum zuerst in Augsburg 1478 erschien, und seit-
dem öfter wider gedruckt wurde, vermag ich freilich nicht zu entschei-
den, weil dieses buch mir nicht zur band ist. Auch einer der frühe-
sten humanisten und schulreformatoren , Hermannus Torrentinus aus
Zwolle (t 1520), ein schüler des Hegius und mitglied der geselschaft
der brüder vom gemeinen leben, hat sie aufgenommen in sein ency-
clopädisch - historisches Wörterbuch, in den zuerst im jähre 1505
erschienenen Elucidarius carminum et historiarum, vel Vocabularius
poeticus, continens historias, provincias, urbes, iusulas, fluvios et
montes illustres. Aus diesem buche des Torrentinus sind dann diese
verse neuerdings wider abgedruckt und mit anmerkungen begleitet
worden von de Geer in B. J. L. de Geer en Boneval Faure, Nieuwe
Bijdragen voor Regtsgeleerdheid en Wetgeving. 1870. XX. s. 1 fgg. und
aus dieser hierlands selten anzutreffenden niederländischen Zeitschrift
hat sie darnach Boehlau herübergenommen in die Zeitschrift für Eechts-
geschichte, herausg. von Kudorff, Bruns, Roth und Boehlau. 1872.
bd. X s. 313 fg. — Haltaus hatte für sein Glossarium germanicum
medii aevi (Lips. 1758. fol.) auch diese verse verwertet; er führt wider-
holt z. b. s. 968. 1016. 1933. 2058, einzelne derselben an, unter der
bezeichnung „veteres rhythmi memoriales" oder auch „ termini jurista-
rum," jedoch ohne nähere angäbe der quelle, aus welcher er sie
geschöpft hat. Für das mittelhochdeutsche Wörterbuch von Müller und
Zarucke und für Lexers mittelhochdeutsches handwörterbuch scheinen
sie nicht ausgenuzt worden zu sein.
Ich gebe widerum eine übersichtliche Zusammenstellung ihres
Vorkommens in handschriften, so weit mir nachrichten darüber eben
bekant und zur band sind. Wer müsse hat darnach zu suchen, wird
vielleicht noch zahlreiche ergänzungen und vervolständigungen nachtra-
gen können.
1. Innsbruck, Universitätsbibliothek nr. 355, pgm. XIV. jahrh.
Die schon oben unter nr. 24 angeführte handschrift enthält, nach angäbe
Mones in seinem Anzeiger (1839) 8, 99, hinter den hexameteru über
TERMINI lURISTARUM 319
die pisces, volucres usw. auch die termiui juristarum. Mones nacli-
richt beschränkt sich auf die erste zeile: Est feodum lehegid, nee non
depactio dinge.
2. Stuttgart, öflfentl. bibl. Poet, et phil. nr. 26. pgm. 1426.
fol. Glossar des Jacob Twinger von Königshofen (verfasst 1399; vgl.
Wackernagel, gesch. d. deutschen litteratur. 2. von Martin bearb. aufl.
Basel 1877. 1, 151. Anm. 27), enthält, nach Mones angäbe in seinem
Anzeiger (1837) 6, 211, die lateinisch - deutschen hexameter der Termini
juristarum, aber defect, Aveil ein blatt ausgerissen ist.
3. Stuttgart, öflfentl. bibl. Poet, et philol. nr. 29. pap. fol.,
geschrieben von Johannes Werner von Urach, Benedictiner zu Zwifal-
ten, 1448. Enthält, nach Mones angäbe in seinem anzeiger (1837)
6, 210, hinter dem glossare des Jacob Twinger von Königshofen 67
hexameter, beginnend:
Est feodum lecken, ins rccJit, depactio dinggelt,
est pactus gedingt, census dns, redditus guet,
ungelt ungelta , tibi sit precaria lihding,
arra morgengah, tibi sit sponsalia brutschaff.
4. Breslau, univ.-bibl. IV. fol. 86. papier, mitte des 15. jh.
Enthält nach angäbe W. Wackernagels in seiner Geschichte des deut-
schen hexameters s. 14 fgg. ein in hexametern abgefasstes incorrect
geschriebenes lateinisch - deutsches vocabular, beginnend mit den ter-
mini juristarum :
Multi scriptores in hoc errare solebant.
Est feudus lengut est depactatio gedinge
ungelt angaria post hec precacio hete
schliessend mit vögelnamen und jagdausdrücken :
venator yegcr zagena (1. sageua) tvate tibi signat
disciplina (1. decipula) druehe sed muscipula mawsfalle.
Et sie est finis horum metrorum sive versiculorum.
Wackernagel hat die ersten 9 hexameter der termini juristarum mit-
geteilt.
5. Wolfenbüttel, nr. 585 (Heimst.). XV. jahrh. 14 hexame-
ter, mitgeteilt von 0. v. Heinemann, im Anzeiger für künde der deut-
schen Vorzeit. Nürnberg 1835. 22, 183 fg.
Multi scriptores errare solent aliquando.
Est feodus lengut ius recht depactio gedinge
bis: Sed quitum dicitur q^uit intersignum dicitur warzechen.
6. Strassbnrg, ehemals Johauniterbibl. , dann stadtbibl. C. 107.
pap. 4. XV. jahrh. Ein giossar in lat. - deutschen hexametern, begin-
320 J. ZACHER
nend mit den termiui jrristarum , scWiessend mit vögelnameu uud jagd-
aiisdrücken (etwa dasselbe wie in nr. 4?), mitgeteilt von Wh. Wacker-
nagel in Haupts ztschr. f. deutsch, altert. (1845) 5, 413 — 416.
Anfg. : Est feudus lehen Depactio sit tibi gedinge
Vngelt angaria post hec precaria tette
Schluss: Decipula ratten voll sed muscipula musuaUe tibi signat
Tribulus sit disfel. la. pfJegel. luni quoque stosel.
7. Strassburg. Mone in seinem Anzeiger 6, 435 beschränkt
sich bezüglich dieser handschrift auf die angäbe : „ In einer hs. zu
Strassburg, betitelt „Carthans," stehen die juristischen glossenverse:
Est feodum lehen jus recht et pactio geding
est pactus gedinge census zins redditus gidte
ungelt ungaria lipdinge tibi precaria
arra morgengohe tibi sunt sponsalia hnitschaft usw.
Das versmass ist oft verdorben."
8. Strassburg. Mone fügt a. a. o. hinzu: „Diese glossen ste-
hen auch in hs. B. 103 am ende." Weiter unten gibt er an, dass
diese hs. dem XV. jh. angehöre. Aus Scherzii Glossarium Germauicum
medii aevi (Argent. 1781. fol.) s. VI ist zu ersehen, dass die hs. „Bibl.
S. Job. Hieros. B. 103 " den Vocabularius lat. germ. des Jacob Twin-
ger enthielt.
9. Wiener-Neustadt, Cisterzienserstift, XII. D. 21. Pap. Anfang
des XVI. jahrh., geschrieben im chorherrenstift zu Bardesholm (Bro-
dersholm) in Holstein. Den meist auf nordische kirchengeschichte
bezüglichen Inhalt hat Zeibig eingehend angegeben im Anzeiger für
künde d. deutsch, vorz. (Nürnberg 1853. 54) 1854 s. 5 fgg. Gegen
ende enthält diese hs. die Termini juristarum in 31 hexametern.
Anfg.: Nota ista metra.
Est feodus lenghut est depaccio dignis
ünghelt angaria post hec precaria hede
Schluss: Decima die tigede pactus ^;ac/ii pugil ein deghcde.
In der Leipziger handschrift nun lauten die Termiui juristarum
folgendermassen :
fol. 224\ Multi doctores errare solent aliquando.
Est pheodus lenghut, sed depactatio dingnisse,
Et pactus sit pacht, census tpns, redditus inghelt
3) ingelt, redditus ist zins oder rente, ein kommen als ertrag ausgeliehe-
nen kapitales. — Haltaus s. lOlG: ,,Vctcres rbythmi memoriales: Est arra hrud-
schatt, census tyns , redditus ingheld."
DIE TERMINI IDRISTAKÜM 321
Vnglirlt anc^aria, post hec precaria hede^
Tnlegglicr obstagiuni, teoloiiium toi, exaccio sit schof,
5 Kedagiiiin uuigenfol , sed pedagium sit tibi voeitol,
Est dothalitium lifgediitli, sit impignovatio pandinglie,
Jlernarf expodicio, sit vandieatio hufynghe,
Branf est iiicendiiim, spoliuni rof, deveriequc furtum.
Omagium manscop, sed die dominium Jierscop,
10 Vectigal vocrloen, sed uaulum sit til)i schiplon,
Ortiganum gardelon, sed brauium sit tibi tciclon,
Sit scortum mynnelon, precium schüüon tibi siguat.
8) ttnqelt , angaria ist zoll, Verbrauchssteuer, also eine abgäbe von einer
ausgäbe, keine einkommens - , sondern eine ausgebenssteuer , und darum Uugelt
genant . d. h. eine leistuug der keine gegenleistung unmittelbar entspricht. Vgl.
Haltaus s. 1933: „est enini unf/clt in geuere pecunia iudebita, indebite exaeta,
quod galli mal-döt exprimuiit . . . . Veteres rhythmi memoriales: umihelä angaria,
post hec precaria hede .... In Frid. I. dipl. Hamb. lu, 1189: raercatores libri sint
ab omni teloneo et unpeld exactione." usw. Ferd. Walter, deutsche rechtsgeschichte
(Bonn 1853) s. 331 §289: .,Zur bestreitung der städtischen bedürfnisse brachten
die Städte eigenmächtig eine accise von den lebensmitteln auf, welches iDuielt [im
13. jahrh.] von reichswegen verboten, almählich jedoch nachgesehen vi^urde." S. 388
§347: „Seit dem 14. Jahrhunderte ahmte man auch das beispiel der städte nach
und bewilligte ein nngelt, licent oder ziese (accise) von trank und nahrungsmitteln."
Vgl. Schmeller, bair. wörterb. 2 a. 1, 907.
precaria bede) mhd. bete. Haltaus s. 155: ,,hete, collectae publicae antiquis-
simae nomen , .. a hiten, rogare, precari, quod prinium ad rogationem dominorum
voluntate dabatur."
4) inleger, obstagiuni) vgl. E. Friedländer, das einlager. Ein beitrag zur
deutschen rechtsgeschichte. Aus Urkunden dargestelt. Münster 1868
teolonium) 1, teloaiuni.
7) vandieatio) 1. vendicatio. hiitinrje ist tausch, kauf, verkauf. Lübben 1,
464 s. v. hiiHnge. Lexer 1, 290 fg. s. v. hinten, hiutange. Im hochdeutschen stirbt
henten in der bedeutung tauschen mit Luther aus. Grimm d. wörterb. 1, 1754.
Diefenb. s. 610*^: „vendicatio hntunge, hufinge , verkauffnng.''
9) omagium) d. i. homagium, manschaft. Über manseop steht von ande-
rer band lantrech Imldinghe.
11) ortiganum) d i. hortiganum. Die lateinische wie die deutsche wortform
sind nicht algemein üblich.
tüielon) gemeint ist wee-hhi. Biehlaus abdruck aus Torrentinus bietet v. 26:
„ortiganum gartenlon, sed bravium sit tibi fiiorlon." Der sehr fehlerhafte abdruck
von nr. 9 (Wiener -Neustadt) v. 11: ,, ortiga gartlon, sed bravium sit tibi nnflon
(verschrieben oder verlesen für värlon).'' Diefenb. s. 81 "^ „brauium, leuffers Ion,
hottodon."
12) precium) über dem unverständlichen Rchiltlon ist als besserung geschrie-
ben sichtlon. Auch in nr. 9 (Wiener- Neustadt) lautet der entsprechende v. 12: Sit
scortum mynlon. sed precium sit tibi sUclitlon. Gemeint ist damit doch wol: lohn
schlechthin, lohn im algemeinen, lohn überhaui»t, im gegensatz zu den davor auf-
geführten besonderen arten.
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PIIir.OLOGIE. liP. XI. 21
322 J. ZACHER
StoMen cippare, beschatten expecuniare,
Monere manen, die expagare hetalen,
15 Die vanghen captare , die uplioläen detinere,
Änverdighen invadere, die iiitrieare hewerren,
BescJieiden assignat, hedreghen autem defraiidat.
Vmmevaen amplector, sed siiffVoeare vortvorden,
f'ol 224''. Vtpanden extorquet, upgJieuen autem resignat.
20 Twierstrid duellum, soU Stipendium tibi siguat.
Die duco leijden, ducatus sit tibi gheleide,
Mercipotus ivincop, sit homicidium manslacM,
WesUnghe sit cambium, sed mercimouia hopenschop.
Impetit die ansprekcn, vepetit vorderen tibi signat,
25 Consequi die volghen, hesitten die possidere,
ThoJierden instigare , ghebeden imperat til)i signat.
13) expecuniare) dafür in nr. 6 (Strassb. C. 107) pecuniare, in nr. 9 (Wien.
Neust.) depecuniare.
14) expag-are, abgeleitet vom altlat. pacare, befriedigen: ital. pagare, franz.
payer, befriedigen, bezahlen. Diez, etymol. wörterb. d. roman. spr. 3a. (1869).
1, 300. s. V. pagare.
16) Belege zu anvertiffen in der bedeutung anfallen , angreifen bieten Halt-
aus s. 26. Müller- Zarncke 3, 259. Lexer 1, 84. Dazu: Novo constitutioncs domin i
Alberti d. i. der landfriede vom j. 1235 hei-ausg. von H. Boehlau (Weimar 1858)
s. 3 § 1 „Swelch son seines vater leip frevelichin anvertiget mit wiuidin, mit sla-
hin, mit gevengvis" und im jüngeren texte von 1298: ,, Swelch sun uf sines vator
lip ratet, oder in urliuclichen angriffet mit untriuwen oder mit vancnüsse " ...
17) Über defraudat ist übergeschrieben das gleichbedeutende aber seltnere
mittellat. paralogitat.
18) 1. suffocare, erivorgen. In nr. 9 (Wien. Neust.) lautet v. 18: VmmeiKm
amplector, sed sutfocare que worglien.
19) Im abdrucke von nr. 9 lautet der entsprechende v. 19: Vthpandcn extor-
queo. uthgeven atque (1. tipgeven autem) resignat. Vthpanden, in der bedeutung
,,debitorem piguoribus coercere," ist auffällig als ein junger ausdruck; früher genügte
das einfache unzusammengeseztc pf enden, pfänden Bei Diefenb. 220'' erscheint
extorquere glossiert durch utpinigen, utmanen. iiztwingeu, uzdnocken, uzpressen,
wtparsen.
20) Umerstrid) Lübben 4, 644" „tivefttrit, tivisirit , kämpf zwischen zweien,
duellum."
22) mercipotus loincop) In nr. 6 (vStrassb. C. 107) lautet der entsprechende
vers 4 (Haupts ztschr. 5, 413): Almasium seu mercipotus winkouff tibi signat.
Über weinhnif, oberdeutsch lltkouf. jezt leikoiif, trunk zur befestiguiig eines abge-
schlossenen kaufes oder vorgleiches s. Grimm, Reehtsaltertümcr s. 191. Schmeller
1, 1536 s. V. leit. Phillips, über den ursprünglichen sinn von Utchnuf in den Mün-
chener gelehrten anzeigen. 1844 nr. 75. 76.
24) Impetit und repetit sind corrigiert aus imiicdit und repedit.
26) Lübben 4. 5()5: ,Jo-herdrn , to-harden. swv. , anreizen, antreiben, hor-
tari , adhortari."
DIE TERMINI lURISTARL'M 323
Braden assare, die viUen excoriare,
VIonien exsquamat, vhveiäen euiscero signat,
CaJcen excoquere, garmahen die elixare,
30 Palmitat die hulden, die hektimmeren arrestai'e,
Corripere straffen, die iudulgere vorgheuen,
PlucJcen deplumat, vorsenghen exiistulat,
Passagium hedeuart, sallarium soU tibi signat,
Arra die truescltat , snaue die cespitat,
35 Deciiiia sit tegede, paetus pacJit , piigil en deghe,
Die lucar heydeghelt , heriditarium erfglmt.
28) Lübben4, 565: „rlomen, swv. . die v/owe« (schuppen) entfernen, abschup-
pen, exsquamare."
30) pahnitare, palmis promittere, mhd. liant sirccken, haut valäen, mit an
einander gelegten flachen bänden in die ebenso gelegten bände des lehosherren
lehnstreue geloben. Vgl. Haltaus s. 9(i4 fgg. s.v. hiüd , Imlden. Grimm, rechts-
altert, s. 189.
arrestare.) Adeluug 1, 390: .,an-estaro, detinere, nianus in aliquem vel in
ejus bona injicere, Gall. arrester." -- Haltaus sp. 128: „hekummem , detinere,
inliibere per interdictum." Lübben 1, 217'' ,,bektcmmeren, belcumberen , pfänden,
mit arrest, beschlag belegen, anhalten." Lexer 1, 170. ,,he1cuml)ern, eine sache
mit arrest belegen, pfenfen und hehimbern." Im neuhochdeutschen ist die anwen-
dung des wertes auf saclien erloschen, und nur die auf personen lebendig geblie-
ben. Grimm d. wörterb. 1, 1433. 5). — Über bekümmeren steht noch eine zweite
glossierung: anveyden, d. i. anfeliden, angreifen. Lübben 1, 115''.
34) arra) Haltaus sp. 1806: ,,treuscli(ttz , tnmsehatz , arrha, sponsalitia in
specie." Lübben 4, 622: „tniioelschat , gäbe als Unterpfand der treue. Ihnjerley
(laue loert gegeuen dorch des echtes loyllen. Dat erste heth arra, dat licth trnwel-
scliat, dat f/eft me vor deme echte. Glosse zu Sachsensp. 1, 20." — Über tnieschat
steht noch die zweite glossierung brtitschat.
snave) Lübben 4, 269 ** ,,sna,ven, sneren, snoveyi , snavelen , snovelen, mhd.
snaben, swv. , straucheln , stolpern , stürzen , fallen." — Über cespitat steht noch
reduplicat, was dasselbe bedeutet. In nr. 6 (Strasb. C. 107) lautet die entsprechende
glossierung in v. 18 (Haupts zt^chr. 5, 414): Reduplicat snahit.
35) Begegnet degen, wie hier, als seltene, vielleicht nur vereinzelte glos.sie-
rung von pugil . dann ist es das alteinheimische , echt deutsclie , aber in dieser zeit
bereits absterbende wort, ahd. degan , mhd. degen, masculus. miles. Denn pugil,
eigentlich faustkämpfer, dem mittelalterlichen latein gleichliedeutend mit campio,
wird deutsch gewöhnlich durch kempfe , kempe glossiert. — Erscheint dagegen
degen als häufigere glossierung von pugio, wovon Diefenbach s. 471'' belege gibt,
dann ist es bereits das im 15. Jahrhunderte in die deutsche spräche eindringende
fremdwort, mittellat. daga, dagarius, bezeiclinung einer kurzen, besonders einer
kurzen schneidenden waffe, wofür das ältere deutsch mezzisacJis oder stechniezzer
brauchte. Vgl. Grimm d. wörterb. 2, 875 fg. s. v. degen.
36) lucar). Adelung 4, 454: ., lucar, vectigal vel aes, quod ex lucis contrahi-
tur." Diefenb. 337'' ,, lucar, tvaJt-zyns."
21*
324 GOTTSCHICK
Vpholt arandat, heweren dico waraiidat.
Vorkopp sosorrat, hesito seniper diibium dat.
HALLE, OSTERN 1879. J. ZACHER.
37. 38) Diese beiden verse sind den vorangehenden mit kleinerer schrift hin-
zugefügt worden.
37) arandare, eine weder bei Adelung noch bei Diefenbach verzeichnete form,
könte etwa als nebenform gelten für das übliche arendare, arrentare = locare vel
conducere, franz arrenter, ein gut in pacht geben oder nehmen. Aber das passt
nicht zu der deutscheu glossierung uplioU. In nr. 6 (Strassb. hs. C. 107) lautet die
entsprechende zeile v. 11 (Haupts ztschr. 5, 414): warandare weren, sed detinet sit
tibi uff haltet und schon oben v. 16 war glossiert: die upholden detinere. Demnach
darf man vermuten, dass hier ein fehler vorliege und dass zu bessern sei: vphelt
arrestat.
38) Es lässt sich nicht sicher erkennen ob sosorrat oder foforrat oder fefer-
rat geschrieben sei. Der entsprechende vers 12 in nr. 6 (Strassb. C. 10) lautet
(Haupts ztschr. 5, 414): vorJcitset suffertat. Hesito musito dubium dat. Aber suf-
ferto ist keine übliche wortform , und vorkuset eignet sich nicht für den ersten fuss
des hexameters , weil sein accent auf seiner zweiten silbe liegt.
QUELLEN ZU EINIGEN FABELN BONERS.
Von den hundert fabeln oder beispielen des Beruer prediger-
mönchs Ulrich Boner lassen sich diejenigen 25, welche nicht aus
den bekanten lateinischen fabelsamlungen des mittelalters genommen
sind, nicht in einem einzelnen werke nachweisen. Einige findet man
bei diesem, andere bei jenem schriftsteiler aus der zeit vor Boner,
noch andere in einem buche, das, obwol nicht früher als Boners Edel-
stein abgefasst, doch sicherlich nicht aus diesem, sondern aus älteren
werken geschöpft hat. Dabei lassen sich über die art der Vermittlung
zwischen Boners fabeln und den ihnen entsprechenden älteren stücken
nur Vermutungen aufstellen , es bleibt uiigewiss , ob Boner wirklich
den vorliegenden Schriftsteller oder einen andern , der das nämliche
erzählte , benuzt hat. Man wird sich also in der regel damit zu begnü-
gen haben , zu sagen : hier ist in einem älteren werke derselbe stoff
lateinisch behandelt, den auch Boner in einer seiner fabeln widergibt.
Je mehr die ganze darstellung und die einzelnen Wendungen und aus-
drücke in beiden stücken einander gleiclien , mit desto grösserem reclite
wird man das betreffende buch als Boners quelle bezeichnen können.
Was das einzelne anlangt, so weisen die vier fabeln Bon er 58,
92, 97, 100 (ausgäbe von Pfeiffer, Leipzig 1844) auf die entsprechen-
den stücke in den Gesta Komanorum hin (vgl. meine abhandlung
im Programm des Charlottenburger gymnasiums 1875). Für Boner 58
QUELLEN ZU BONER 325
V. 61 — 78, die antwort der dritten witwe, ist eine parallele im
Mitteldeutschen Scliaclibuch, das ISÖTj verfasst ist (herausgegeben
von E. Sievers, Haupts ztschr. 17, 199), und da dieses eine genaue
Übersetzung- seines Originals ist, so könte für jenen abschnitt des Boner-
schen beispiels Jacobus a Cessolis, de moribus homiuum usw. (1290)
als quelle genant werden. Als entsteliungszeit der Gesta Komanorum
bezeichnet der lezte herausgeber, H. Oesterley, spätestens den anfang
des 1-4. Jahrhunderts. Mag man nun auch die Gesta ßomauorum für
noch jünger halten, da der älteste codex vom jähr 1342 ist (Oesterley
s. 257 und 750), und sie demgemäss nicht für Boners unmittelbare
quelle halten, so haben sie doch wenigstens aus den Boner vorliegen-
den büchern geschöpft; denn die Übereinstimmung zwischen Boner und
den Gesta Romanorum liegt für die genanten stücke deutlich vor, gegen
das umgekehrte Verhältnis aber spricht die entstehungsgeschichte der
Gesta Romanorum.
Auch für Bon er 76 würde dasselbe gesagt werden können, wenn
nicht auch Petrus Alfonsi (anfang des 12. Jahrhunderts) in seiner
Disciplina clericalis dieselbe erzählung brächte und somit als der der
zeit nach ältere den Vorzug verdiente. Denselben Petrus Alfonsi nent
als seinen gewährsmann das Speculum morale des Vincentius
Bellovacensis 3, 2, 20 De peccati diversis eftectibus, dort heisst
es : Similis est peccator illi maculoso , de quo dicit Petrus Alfonsi , quod,
cum dedisset rex cuidam portitori civitatis suae unum denarium pro
qualibet macula ingredientis maculosi , videns ingredientem quendam
claudum petivit unum denarium pro claudicatione , et cum ille negaret,
audivit eum balbum, et cum peteret duos et ille reddere nollet, remo-
vens ei caputium invenit eum ulcerosum , tunc petivit tres denarios,
quos cum differret solvere, invenit eum monoculum, post gibbosum, et
cum plus rebellis erat et solutionem difierens, plures maculae invenie-
bantur in eo, et plus oportebat eum solvere. Sic peccator etc.
Ferner schliessen sich an die Disciplina clericalis Bon er 71
und 74. Über Bon er 87 soll noch weiter unten gehandelt werden.
Für andere stücke Boners sind die beiden angeführten werke
nicht die quelle.
Eine reilie weiterer fabeln Boners findet sich in der Scala caeli
des predigermönchs Johannes Junior aus der ersten hälfte des
14. Jahrhunderts. Er hat vorzugsweise aus dem Speculum exem-
plorum des Jacobus de Vitriaco (f 1250j und dem Liber ma-
gnus de Septem donis Spiritus sancti des Stephanus de Bor-
bon e (t 1262) seine stoffe entlehnt, nent aber seine quelle nicht über-
32G GOTTSCHICK
all. Darüber s. Goedeke in Orient und Occident b. 1, s. 531 fg., auch
b. 3, s. 397 (1866). Die Boner 52, 72, 82 entsprechenden stücke
sind in meiner oben angeführten abhandlung bereits abgedruckt; auf
die folgenden 4 hat mich herr professor Goedeke gütigst aufmerksam
gemacht, es sind Bouer 48, 94, 95, 98.
Boner 48 {von dem ritten und von der vlo) hatte Jacob
Grimm (Monatsberichte der Berliner Akademie 1851, s. 99 — 103) in
Petrarchs fabel von der spinne und dem podagra zu finden geglaubt,
später (Germania II, s. 378, 1857) hielt er die indische fabel vom floh
und von der laus beim feisten prälaten für ein zwischen Petrarch und
Bouer stehendes bindeglied. Endlich hat Müll enh off (Haupts ztschr.
XIII, s. 320, 1867) ein gedieht des Paulus Diaconus veröffentlicht,
Fabula Podagrae et pulicis, welches in der hauptsache der Boner-
schen fabel entspricht. Nun bringt aber die Scala caeli eine erzählung
von pulex und febris, die sich weit genauer an Boner anschliesst, und
nent dabei Jacob von Vitry als gewährsmann. Unter dem abschnitt
Deliciae heisst es: Refert Jacobus de Vitriaco, quod pulex et febris
semel in uno loco convenerunt simul (v. 1 Ein ritte hegegent einer vlo
eis mäls) et cum solaciarent, pulex dixit: ego hospitata sum in lecto
cuiusdam abbatissae, in quo erant duo lintheamiua albissima et cul-
cit(r)a mollis (v. 18 üf ein hohez, hette icli sprang , da^ was gebettet
zarteMtch der eptiscMn; y. 27 ü§, der gulter ; v. 32 dm UnlacJien)]
cumque coepissem carnes illius pingues comedere, clamavit, caudela
accenditur, ego fui insecuta (v. 34 mnd bald daz, h'echt! v. 35 ,,ich
vlocli vil halde " sprach diu vlo) , et ita de tota nocte quiescere non
potui (v. 43 do vloch ich halde. ez, tet mir not: wcer ich begriffen., ich
wcer tot. daz, trihen si die langen nacht: mir wart da nicht, ivaz, ich
gevacht. des bin ich hungrig unde la^). Tunc febris: ego pessimum
hospitium inveni; nani cuidam mulieri pauperi me coniunxi (v. 53 in
ein hüs ich gester kan, ein wip icli murteron bcgan) , quae de media
nocte surgens fecit lexivium [d. i. lauge] et pannos ad lavandum assunip-
sit, in aurora ad aquam frigidissimam accessit, percussit pannos , cibum
non sumpsit (etwas anders v. 56 do saz, si nider bald, und söi ein
starken bri, und az,. da stuont ein züher bt mit waz,z,er, des tranh si
genuog. ein büttin si har vür do truog vol tuochen, diu si solte buchen,
V. 68 des morgens, do der tag üf brach, den züber üf ir hoidjt si nan,
und zogte zuo dem bach hin dan, und spuolt ir tuoch), et sie ego fati-
gata de tanto labore recessi (v. 62 und enwolte mir kein riiowe läzen,
V. 67 si stattet mir gröz ungemach, v. 71 daz tet mir we, ich mochte
da nicht bliben me). Tunc pulex dedit consilium: vade tu ad abbatis-
QUELLEN ZV BONER 327
sam , et ego ibo ad pauperem mulieiem (Bouer v. 74 macht das fieber
zuerst deu verschlag zu tauscheu). Qiiod cum focisseut et in crastinum
convenisseut, quaelibet mirabili modo commeudavit doniiuam suam
(v. 135 des morgens vruo Jcämen si gesotten duo beide, der ritte imd
ouch diu vlö , ir herhrig ivären si vil vro).
Mit Bouer 94 {iwn einem der Jconde diu swarzen huoch)
stimt übereiu die erzählung uuter dem abschuitt De amicitia: Unde
dicitur de donis spiritus sancti (also aus Stephanus de Borboue), quod
quidam habuit discipulum valde dilectum , quem cum multis documeu-
tis et serviciis obligasset, dixit magistro discipulus, si essem dives,
vobis bona iufiuita facerem (v. 17 ich tcet iu ganzer triuive scliin , ir
söltint her und meister sin edles des mich beriete got). Quem magi-
ster probans (v. 8 und ivolt erkennen sinen muot und sin vriuntschaß,
üb si ganz tvcer gen im und eine schranz) per quandam iucantationem
ostendit sibi, quod esset Imperator (v. 21 der meister brächt mit listen
ztio, V. 25 und tcßtin alle dem gelich , wie er wcer ein künig ?~ich).
Quem magister rogabat, ut sibi promissum impleret, quia multa beue-
ficia vacabant (v. 32 herre, gedcnkent daran, daz, ir mir lobtent , v. 37
als guot sol iuwer gäbe ivesen, daz, ich von armuot müg genesen); quem
discipulus se scire negabat (v. 44 tver ir sint, des wei^ ich nicht)]
cui magister: haec omnia vobis dedi (v. 47 ich bin der, der iu dizhät
geben) et omnia etiam auferam (v. 49 daz, ich iu genzlich rouben ivil
des guotes, v. 51 iur künigrich tvil ich iu nemen); et iucantatione suf-
flata remansit nudus (v. 54 ditt gespenst zergieng und wert nicht me.
dö vant sich der vertriben man . . . an künglich ere utid an getvalt.
Boner 95 (von zwein die mit gäben tvolten gcsigen) steht
unter dem abschnitt De balivo (erklärt durch rector, hier soviel als
richter): Legitur (ohne quelleuangabe), quod quidam balivus fecit nup-
tias filio suo. Qui autem habebant apud eum uegocia, miserunt ei
donaria, et unus misit sibi bovem pulcrum (v. 17 vil heimlich dö der
eine man gegangen zuo dem herren kan, und brächt ein ochsen der
was groz,), cuius uxori misit adversarius vaccam pinguem (v. 30 der
avider man . . . brächt heindlch ein sehcene kuo des herren frouiven).
Cum igitur causa amborum ageretur in iudicio (v. 47 si leiten beide
vür ir klage), et ille, qui miserat bovem, videns, quod pro eo nullum
faceret verbum, ait: o domiue deus, bos mens quando loquetur? (v. 50
red ochse! ... tviltu nicht reden? ez, ist zit) , respondit adversarius:
bos tuus non potest loqui , quia vacca mea eins gulam stringit (v. 55
der herre sprach: „ez, mag nicht sin, daz, reden müg der ochse dhi.
diu kuo den mimt besloz,z,en hat dem ochsen ; als ein stumme er stät ").
328 GOTTSCHICK
(Erst hier sind die aiiführungszeiclieii zu setzen , nicht schon hinter diu
V. 56, wie es von Pfeiffer geschehn ist, da v. 57 und 58 noch der
richter spricht).
Boner 98 (vop^ einem bischofe und einem erzpriester)
steht unter dem abschnitt De amore: Dicitur in eodem (Umberto),
quod quidani sanctns honio semel comedebat cum quodam praelato.
Cum auteni comedebat pira dulcissima sibi missa (v. 1-4 da^ dem hischof
gesendet ivart ein korp mit guoten biren vol) , praecepit praelatus , quae
remanserant, diligentius sibi custodiri (v. 20 der mir der biren Mieten
sol? würde der bim deJ/einiu verlorn, das, wcer mir nicht ein kleiner
0orn). Quia vero ibi praesens erat quidam nepotum eins, (hier felilen
einige worte des inhalts: suasit sanctus homo, so schlug sein gast
vor), ut nepoti suo, cui bene decem milia animarum curani credi-
derat, pira ad custodiam traderentur (v. 24 ich hüet ir wol nach
iuiver gir). Cui praelatus turbatus respondit, quod non unum pirum
sibi committeret (v. 29 icJi^ getriuiv dir nicht der biren wol). Cui
sanctus respondit: Vos praeposuistis eum custodem decem milium
animarum , in quo non confiditis de custodia uuius piri : ideo nunc pro-
batur vestra magna infidelitas (v. 37 nu müe^ erbarmen got, daz, ir
begangen liänt den spot, daz, ir so mange sele liänt bevoln dem . . .
V. 44 dem ir die biren hänt verseif ze hüeten, der sol phleger wesen
der seien! v. 67 der beval dem jungling seien äne zal , und wolt im
doch bevelhen nicht die biren), ut, quod vobis a deo est traditum filiis
dei dare, e converso sibi subtrahitis filiis diaboli etc.
Dieselbe geschichte hat auch das unter dem nameu des Vincen-
tius Bellovacensis gehende, aber erst nach seinem 1264 erfolgten
tode abgefasste Speculura Morale, und zwar in einer form, der das
Bonersche beispiel noch näher zu stehn scheint, 3, 2, 20: Similis est
illi episcopo, qui maiorem sollicitudinem habet de custodiendo calato
pleno pirorum (v. 15 ein horp mit guoten biren vol) quam de multitu-
dine animarum. Cum enim tradidisset nepotulo suo archidiaconatum
(v. 9 erzpriester) et quidam apportasset ei calatum plenum piris, et
quaereret, cui commendaret, (v. 19 und 20 ist eine frage), dixit nepo-
tulus archidiaconus (st. ni): mihi commendate (v. 23 herre, mir!). Ait
episcopus: non contido de te, male mihi custodires. Kespondit quidam
magister (v. 35 dis rede erhört ein wiser man): miser, ei commisisti
infinitum numerum animarum (v. 67 beval . . seien äne zal), cui non
audes committere calatum pirorum.
Noch an einer andern stelle desselben werkes 3, 7, 17, wie mir
herr professor Goedeke mitgeteilt hat, erzählt der Verfasser des Spe-
QUELLEN ZU BONEE 329
culuin Morale das nämliche, De spcciebiis Symoniac : (^uidam episcopiis,
qui iie})olulo suo dederat magnum archidiacuiiatuin , cum deportatus
esset dicto episcopo calatus pirorum, et de eis d<di>set circumstantibus,
quaesivit, qui boiium servaret ei residuum ; obtulit sc ad hoc dictus
archidiaconus ; respoudit episcopus: tu faceres mihi malam custodiam,
sicut cattus facit de caseo, ea eiiim comederes (v. 31 Iclt, vürcht, gosh
ichs in diu (jcivalt, si ivürden ge^^eu ungezalt)] et dixit quidam magi-
ster, qui comedebat cum eo: o miser, quomodo ausus fuisti ei com-
mittere tantam multitudinem aiiimarum, cui uon es ausus committere
paucitatcm pirorum. Es scheint hiernach Boner seine fabel aus dem
Umbertus, der gemeinsamen quelle der Scala caeli mid des Vin-
centius Bellovacensis genommen zu haben. Jedenfals ist nun die
Vermutung Lessings, Boner 48 sei dem Renner Hugos von Trim-
berg V, 10 entlehnt, widerlegt.
Endlich macht mich herr professor Goedeke noch für Boner 2
{von einem äffen und von einer nuz,) auf Odo de Ceringtone
13 aufmerksam. Die Narrationes des Cisterciensermönchs Odo de Ce-
ringtouia (Shirton), ein parabelbuch, sind nach E. Voigt, kleinere
lateinische denkmäler der tiersage, Strassburg 1878, s. 50 , um 1200
abgeschlossen, sie sind herausgegeben von H. Oesterley im Jahrbuch
für romanische litteratur, B. 9, 1868, nach einer Londoner handschrift.
Dort heisst es in nr. XIII: De simia et nucleo. Simia libenter come-
dit nucleum , quia dulcis est ; sed quaudo gustat de cortice et sentit
eins amaritudinem (v. 7 do er die hittcrkeit hevant der hretschen, und
dar nach behaut hegreif der schalen hertekeit), nucleum iratius relin-
quit et nucem proicit (v. 13 hin warf er üf der seihen vart die nus,).
Die nutzanwendung entspricht ebenfals der Boners: Sic est de stolidis
hominibus , quia sub amaritudine poenae praesentis latet gaudium vitae
caelestis. Sed stultus propter hanc amaritudinem , quia non vult ieiu-
nare, vigilare nee aliquam amaritudinem sustinere, dimittit et amittit
dulcedinem vitae aeternae.
Diese fabel finde ich auch in dem erwähnten Speculum Morale
des Vincentius Bellovacensis 3, 4, 5; De temerario iudicio. Simi-
les sunt tales simiae, quae inveniens malum granatum, sentiens corti-
cem amarum extra, iudicavit similem intra, nee gustavit de interiori
dulcedine.
Durch das Vorhandensein dieser beiden stücke wird meine annähme
(in der erwähnten programmabhandlung s. 1) bestätigt, dass Boner 2
nicht aus dem verse ,,et nucleum celat arida testa bonum " in der
voirede zu den fabeln des Anonymus Neveleti entnommen sein könne,
330 GOTTSCHICK
da der gedanke zu algemein ausgesprochen sei. Lessiiig hatte dagegen
die eiitstehung dieser Bonerschen fabel auf jenen einzigen vers zurück-
geführt.
Ferner finde ich unter den Narratioues des Odo ein der 49.
Bonerschen fabel (von einem JiahJce und einer hrcejen) ähnliches stück
in nr. 39 : De cucula et burueta (kuckuck und grasniücke). Cucula
quandoque ponit ovum suum in nido burnetae. Burneta vero pullum
cuculae uutiit. Cum vero maguus fuerit, venit burneta, ut cibum ei
ofterat. At ille os suum aperit et burnetam transglutit et devorat.
Sic plerique cum nutriti fuerunt et promoti per aliquos, contra illos
insurgunt et diversimode infestant etc. Während hier der kuckuck
ohne zutun der grasmücke sein ei in das nest derselben legt, und diese
für die mühe des ausbrütens nachher bösen lohn erntet, stiehlt bei
Boner die krähe die eier des habichts, um ebensolche starken jungen
zu bekommen, wie dieser hat; auch sie komt zulezt auf dieselbe weise
um wie die grasmücke. Zwii^chen beiden stücken ist also zwar ähn-
lichkeit vorhanden , aber freilich bei weitem nicht Übereinstimmung.
Man wird daher die Odosche fabel nicht als Boners quelle selbst, son-
dern nur als eine derselben nahestehende ausehn können.
Im anschluss an den vers im Reinardus III, 528 ed. Mone:
graculus et cuculo, quem fovet, hoste perit, teilt die Odosche fabel
auch E. du Meril, Poesies inedites Paris 1854 s. 142 nach den haud-
schriften mit: De cucula, quae ponit ovum in nido burnetae, et pul-
lum cuculae nutritur burneta , et cum magna (1. magnus) fuerit , venit
burneta, ut cibum offerat ei, et os suum aperit et burnetam transglu-
tat et devorat.
Der Zusammenhang zwischen beiden erzählungen wird auch in
Kirchhofs Wendunmut 7, 152 betont: nachdem erzählt ist, wie die
krähe ein ei aus des adlers nest gestohlen hat und von dem ausgebrü-
teten adler getötet worden ist, beisst es zum schluss: Ist eben, wie
die fabel von der grasmucken, die den huchuch su ilirem cygcn scha-
den ernehret. Übrigens liegt eine fabel desselben inhalts wie Boner 49
vor aus der mitte des 13. Jahrhunderts, also etwa 90 Jahre vor Boner,
herausgegeben von Pfeiffer, Haupts ztschr. Yll, 318 fgg. Altdeutsche
beispiele nr. 27.
Auch eine Boner 70 {von einer hatten, von miusen und
von einer schellen) gleiche fabel sehe ich bei Odo nr. 26: De muribiis
et cato. Mures habuerunt semel consilium inter se , qualiter se a cato
possent praemunire (v. 17 dö wart nicht langer da gespart, der miusen
rät gesamnet ivart. st rieten alle üf einen sin, wte si wol möchtin
OUELT-KN ZU BONKR
331
homen hin, und vor der Jmtsen sorn genesen). Et ait quiclam mus
sapiens: ligetur campauella in collo eins, et tunc poteiimiij^ ipsum, quo-
ciinque perrexit, aiulire et insidias eius praecavere (v. 26 da$ ir ein
söU der kafzen henken an ein schallen, die si sölte hän und tragen,
einzekVich dur daz, das, si sich müchtin deste haz gehüeten vor der
hatten list). Et placuit omnibus hoc consilimii. Et ait nnus quidam:
quis ligabit campanellani ad Collum cati V (v. 38 ivel under uns diu si
allein, diu da^ getärre wol hestun, daz, si der katzen henken an welle
die schallen). Respondit alius: carte non ego; et aliiis: uon ego , pro
toto mundo nollem ei tantuni appropinquare (v. 44 otkein mus wolt
sich seiher gehen an den tot).
Dieselbe fabel Odos de Oiriugtonia teilt aus einer Londoner
handsclirift fast in gleicher fassung Wright mit, Selections of La-
tin stories, London 1842, nr. 92: De consilio murinm. Mures inie-
runt consilium , qualiter a cato se praenmnire (st. ri) possent , et ait
quaedam sapientior caeteris ,, Ligetur campana in collo cati, tunc pote-
rimus praecavere ipsum et audire, quocunque perrexerit, et sie eius
insidias evitare." Placuit omnibus consilium hoc, et ait una „Quae
igitur est inter nos tanta armata audacia, ut in collo cati liget cam-
panam?" Respondit una mus „Gerte non ego!" Respondit alia
„Certe non ego audeo pro toto mundo ipsum catum appropinquare."
Aus dieser Odoschen fabel wird abgeleitet sein das lateinische gedieht
(De muribus, concilium contra Catum), von Robert, Fahles inedi-
tes I, s. 99, Paris 1825, aus einer Pariser haudschrift des 14. Jahr-
hunderts veröffentlicht, welches in meiner erwähnten abhandlung in
ermangelung eines älteren entsprechenden Stückes als Boners quelle
angenommen wurde.
In derselben samlung bietet Wright unter nr. 40 auch für Bo-
ner 85 {von einem ritter, der wart ein münch) eine parallele;
da Wright nur im algemeinen sagt, dass die von ihm benuzten hand-
schriften dem 13. und 14. Jahrhundert angehören, so kann dies stück
nicht mit völliger Sicherheit als älter als Boner bezeichnet werden. Doch
erscheint umgekehrt eine ableitung aus Boner sehr unwahrscheinlich.
In der Londoner handschrift Ms. Arundel nr. 506 fol. 41 also heisst
es: De monacho asinos vendente. Audivi de quodam milite, qui relic-
tis magnis possessiouibus, quas habebat (v. l Ein ritter ... hat ouch
alles des genuog , so man zer tvelte hahen sol; shi hüs tvas uz, und
innen vol), factus est monachus, ut in pace et humilitate Domino ser-
viret (v. 8 wölti varn in geistlich leheu). Attendens autem abbas , quod
fuisset [in claustrisj in seculo, misit eum ad forum, ut asinos et asi-
332 GOTTscrncK ♦
nas moiiasterii veuderet (v. 17 er sölti mit den eseln varn ze margte
hin, und sölti tvarn, wie er si möcM verJcoufett), qui senes esseut
(v. 21 si wcerin trcsg und wcerin alt), et emeret iuniores. Licet hoc
viro nobili clispliceret , tarnen voluit obedire (v. 23 der ritter muost
gehorsam sin, doch änc nmot). Cum autem ad forum pervenisset (v. 25
und dö er hin ze margte lian), illis, qui volebaut asinos emere, inter-
rogantibus, utrum boui esseut et iuvenes, respoiidit „Si essent boni et
iuveues, eos neu veuderemus" (v. 27 si vrägten, üb si wcerin veil.
V. 29 „sint si jung oder alt?" v. 33 ivcerin si jung, stark unde geil,
ivir huttin si ungerne veil). Cum autem ab eo quaererent, cur habe-
rent caudas depilatas , respondit „ quia frequeiiter sub onere decidunt et
per caudas levantur'' (v. 35 ,,war unibe sint ir sweife hlös,?"^ er sprach:
„si tragent seche gros,, da von si dicke vallent nider, so zien wirs bi
dem sweife ivider üf; des hänt si verlorn das, här"). Cum autem
reversus nihil veudidisset (v. 43 mit den eslen vuor er wider kein, daz,
er verkoufte ir enkein), a quibusdam famulis, qui secum in foro ade-
rant, abbas et monacbi contra eum irati (v. 45 vil schier er dö ver-
meldet ivart dem aj^te) ad capitulum vocaverunt. Quibus ille dixit
„ Ego multos asinos et asinas reliqui in seculo (v. 49 ich hab geladen
ere und guot), et credebatis, quod cum vestris asinis vellem proximos
meos decipere (v. 52 liegen mag mir nicht gevromen) et laedere animam
meam?" (v. 56 daz er nicht werde wunt an der sele). Et sie dimis-
sus est in claustro, servire Domino in quiete.
Für Bon er 43 (von einer miuse und von ir kinden) hatte
ich in der erwähnten abhandinng das gedieht des Anonymus Eoberti
(Fables inedites, Paris 1825 II, s. 12) De Gallo et Mure als quelle
mitgeteilt. Der text ist au einzelnen stellen oftenbar verderbt, indes-
sen ist alles verständlich, nur v. 7 sis secum: tibi non sit formidiue
miles muss wol tecum und formidini geschrieben werden, wenn es
einen richtigen siim geben soll.
Der grundgedanke von Bouer 87 {von einem edeln steine
eins keisers. von angedenkunge des tödes) findet sich in der
Disciplina clericalis des Petrus Alfonsi, c. 38, besonders in der
stelle unter nr. 7 Heri terram premebat. Hodie eadem premitur ipse.
Val. Schmidt weist in den amiierkungeu auf orientalische Alexander-
sagen als quelle hin und vergleicht Gesta Komauorum c. 31 De rigore
mortis, das der Disciplina clericalis ziemlich genau entspricht. Auf
die ähnlichkeit dieses gedaukens mit Bouer 87 macht Goedeke, Deut-
sche Dichtung im M. A. 2. ausg, s. 670 aufmerksam. Nun hat aber
eine weit genauere Übereinstimmung in der darstellung dieses beispiels
QUELLEN ZU EONER 333
ein buch, das, zwar erst in der zweiten hälfte des 14. Jahrhunderts
verfasst, doch aus älteren quellen, besonders aus dem Speculum exem-
plorum des Jacobus de Vitriaco geschöpft hat (so heisst es C, XVII, 7
Crux: Unde Jacobus de Vitriaco relert), die Summa praedicantium
des Johannes de Bromyard (darüber Goedeke, Orient und Occident
I, s. 531 fg.). Unter dem buchstaben M, XI, 18, 121 und dem kapi-
tel Mors finde ich: Sic etiam quidam sapiens commemorare legitur,
Älexandrum magnnm de fine suo cogitasse per lapidem ei missum,
cuius natura fnisse legitur , qnod in una parte staterae positus ponde-
rabat, quicquid in alia parte staterae poni potuit (v. 5 tvenn man in
üf die tväge leit , ez, wcerc gröz,, lang oder hreit, waz, man mocM lif
die wäge gelegen, da-s, mocht er aUe§ wol erhehen), sed terra coopertus
non plus ponderabat quam quiscunque alius lapis eiusdem quantitatis
(v. 11 wenn er bedacht mit eschen wart, so verlor er üf der selben vart
sin swceri gar und dl sin Jcraft). asserens ipsum illi lapidi similem,
qui vivus contra totum mundum positus ex una parte totum mundum
ponderabat, quia totum ipso minorem et sibi sufficientem non reputa-
bat , quia et plus , si plus fuisset , desiderasset , quia et post huius
muudi conquestum alium mundum esse audiens , ipsius desiderasse legi-
tur dominium, istius mundi dominium parum reputans (v. 16 tvnnd über
edle hünigrich der ivelte gät , her, din geivalt, der ist gros, und manig-
valf. V. 22 alle diu ivelt ist dir ze Mein.), sed mortuus et terra coo-
pertus non plus ponderabat vel de mundo isto seu terrae spacio occu-
pabat quam quicunque vel pauperrimus, qui aequalis cum illo est quan-
titatis (v. 25 als bald din lioubet wirt bedacht mit erde, so zergät din
macht).^
In demselben werke sehe ich für Bon er 96 (von einer hatzen,
wart besenget) ein ähnliches stück, 0, VII, 8, 18 unter Ornatus:
Exemplum ad hoc habere potevunt de quodam paupere , qui pulcrum
habuisse fertur pullura equinum , quem cum intelligeret vicinum eius
divitem concupiscere , cui illum negare non audebat, caudam eius et
iubam praesciudendo ipsum quod ad adspectum deturpavit et alterius
concupisceutiam mitigavit et pullum suura sibi ipsi domi retiuuit.
Während bei Boner der besitzer einer katze mit weissem glattem feil
dieses versengt und so verunstaltet, damit ihm der nachbar das tier
des schönen feiles wegen nicht stehle, so schneidet bei Bromyard ein
armer mann aus demselben gründe seinem schönen füllen schwänz und
mahne ab. In den lehren und ermahnungen, an die Bromyard diese
1) Vgl. Lamprechts Alexander v. 6813 in Massuianns deutsch, gedd. d. 12. jh.
Quedlinburg und Leipzig 1837. 1, 139 fgg. — Alexan.Iri M. itor ad Paradisum ed.
J. Zacher. Eegimont. 1859 s. 15 fgg. J. Z.
334 GOTTSCHICK
fabel anschliesst, erwähnt er auch das beispiel von der versengten
katze: Tertium remedium a pareutibus depeudet et senioribus, quod
ipsi videlicet eos si in domo habere volueriut, ne discurraut et con-
cupiscant et concupiscanturj [eos] uon ornent, sed potius orna-
tum subtrahant siiperfluum^ scientes, quam cattus adustus, ut
dicitur, non libenter evagatur. Es ist demnach wahrsclieinlich , dass
Boner für dieses Beispiel die quelle Bromyards benuzt hat.
Bromyard hat überhaupt eine reihe Bouerscher fabeln in seiner
Summa praedicantium. Wenn man von den aus dem Anonymus Neve-
leti und dem Avian entlehnten absieht, sind es Boner 43. 52. 58. 70.
71. 74. 87. U2. 93. 94. 95. 96. 100. Da für die meisten derselben die
quelle Boners bei einem andern Schriftsteller vorliegt, so sollen hier
nur diejenigen folgen, die ich anderswo noch nicht abgedruckt sehe.
C, X, 5, 13 = Boner 100 (von einem hünige und einem
scher er): Refertur de quodam, qui in quibusdam nundinis emit a
quodam satis care, ut sibi videbatur, sapientiam, et soluta pecunia
nihil aliud docuit nisi istud : ,,quicquid agis, operis finem semper medi-
teris." Emptor reputavit se deceptum , sed tamen propter trufam fecit
illud scribi in Omnibus utensilibus et parietibus donius sui. Accidit,
quod quidam inimicus eius couduxit barbitonsorem eins ad occidendum
eum, dum eius barbani räderet. Quod cum cogitasset facere, accidit
eum respicere in manutergio, quod erat circa Collum eius, praedictam
sapientiam; qua visa cogitavit, quod finis talis facti est suspendium in
hoc seculo vel in futuro, et a facinore excogitato se retraxit, et ex
cogitatione finis uterque a morte liberabatur temporali.
E, VIII, 14 = Boner 74 ist von Goedekc, Orient und Occident,
B. 3, s. 191 abgedruckt.
G, IV, 21 = Boner 71 (vooi einem slangen, was gebun-
den): In quibusdam parabolis fingitur de quodam homine, qui serpen-
tem sub arbore oppressum inveniens clamantera et auxilium peteutem
liberavit; cui postea non, ut promisit, benefieium, sed secundum natu-
rae suae cousuetudinera venenum reddidit. De quo cum a liberatore
reprehenderetur , respondit se per ipsum non fuisse liberatum, sie quin
[1. siquideml sine illo bene evasisset, ad iudicem in causa perventuin
est, qui iudicavit serpentem in periculo, in quo iuveniebatur , debere
reponi; si, sicut asseruit, liberare se ipsum posset, bene quidem ; sin
autem, proprio staret periculo.
H, IV, 9 = Boner 94 (von einem der konde diu sivarzen
huocli): sicut ministravit quidam nigromanticus discipulo suo, de quo
narrator ait, quod multa magistro suo promittebat, cum nihil habe-
ret: magister vero tum fecit suis incantationibus , quod fecit sibi videri,
QÜELLKN ZU BONKR 335
quod magnus esset dominus, coram quo veuiens ab eo tanquam inco-
gnitus vilipensus, modio quo sie exultabat subtracto, ad pauperem, in
quo illum invenit, rodigit statum.
M, IV, 6, 3 =:: Boiier 58 (von arten ivitiven Ewmerin,
antwort der dritten witwe): Fertur quandam uobilem viduam omues
eam ad matrinionium sollicitantes rcpulisse dicens [1. dicentem]: ,, nul-
luni itei'um volo mavituni, quod, si bonuni habuero , sicut alius fuit,
tiniebo, ne illuni amittam, sieut alium amisi, si malus fuerit, taedio-
sum erit mibi cum eo vivere."
M, XI, 13, 78 = Boner 92 (von einer nahtegal , ivart
gevangen): Patet per exeniplum ... ßarlaam ... de illo, qui habuit
avem, quae eum docuit tres sapientias illa conditioue, quod illam avo-
lare permitteret. Quarum prima videtur, quod non credat rem incre-
dibilem , qmim videlicet contrarium videt ad oculum , licet totus mun-
dus diceret contrarium . . . Secuuda videtur, quod non uitatur nimis
apprebendere, quod apprehensum teneri non poterit ... Tertia videtur,
quod de re irrecuperabili non doleat.
Endlich 0, VI, 8, 71 = Boner 70 (von einer hatten, von
mitisen und von einer schellen): Dici potest de bis, quod dixit
antiquus mus muri de parlamento murium redeunti. De bis namque
fabulae continent, quod mures parlamento cougregato lioc principaliter
tractaverunt, quomodo se a cattis custodire possent, in quo de totius
parlameuti consensu diffinitum fuit, quod cuilibet catto nola poneretur
ad Collum, ut mures eorum adventum nolarum sonitu praecaventes ad
sua possent fugere foramina. Hoc igitur consilio inito et diffinito muri-
bus ad loca sua secure et gaudenter redeuntibus, contigit queudani
redeuntem obviani babere glirem antiquum, qui prae senectute ad con-
silium venire non potuit; qui primo redeunti per impotentiam de non
comparendo se oxcusans et rumores exquirens laetanter audivit cattorum
coertionem , qua audita quaesivit , quis tanti consilii tanique sancti et
utilis statuti executor nolas illas ad cattorum colla deberet suspendere.
Qui respondit, nibil de boc ibi fuisse locutum, consiliatum vel diffini-
tum ; cui ille : ergo parlamentum vestrum nihil valet , quia , licet sta-
tu tum illud ad perpetuam rei memoriam in se rationabile et uobis utile
sit, propter tameu executionis peribit defectum.
Zu Boner 4, 53, 89, 99 vermag ich weder quelle noch paral-
lele anzugeben. B. 53, 1 Von einer vrouwen seit man äa^, und
B. 99, 1 Von einem ritter seit man das,, zeigt an, dass auch diese
beiden fabeln entlehnt sind. Ist nun für die übrigen fabeln die rich-
tigkeit von Bouers angäbe , er habe lateinische stoft'e gehabt , erwiesen,
336 J- ZACHER
SO wird man auch für diese vier stücke lateinisclie vorlagen anzuneh-
men haben.
Von den 25 fabeln, um die es sich hier gehandelt hat, sind also
für 21 die quellen, sei es die unmittelbaren oder wenigstens die mittel-
baren, nachgewiesen, und somit Lessings Untersuchung (5. Beitrag
zur Geschichte und Litt. 1781) ergänzt, der durch seinen tod verhin-
dert wurde, die quellen von 18 dieser fabeln in älteren lateinischen
büchern mitzuteilen, wie er beabsichtigte.
CHAÜLOTTENBUEG, DECEMBEli 1878. EEINHOLD GOTTSCHICK.
Ich lasse hier, weil sie wenig räum beanspruchen, einige fabeln
folgen aus einer handschrift der gräflichen bibliothek zu Wernige-
rode, die sich mehr oder weniger an Bonersche anschliessen. Sind
sie zwar, wegen ihrer sehr nachlässigen aufzeichnung , kaum fruchtbar
für die textkritik, so geben sie doch zeugnis von der grossen Verbrei-
tung und beliebtheit dieser erzählungen. — Die handschrift, bezeich-
net Zb. 4 m, eine papierene von 256 quartblättern, geschrieben von
verschiedenen bänden des 15. und 16. Jahrhunderts, bietet einen sehr
mannigfaltigen Inhalt, den E. Forst emann in seinem handschriften-
kataloge (Die gräflich Stolbergische Bibliothek zu Wernigerode. Nord-
hausen 1866) s. 103 fg. eingehender aufgezählt hat. Den hauptbestand-
teil bildet ein deutsches arzrieibuch, daneben aber finden sich verschie-
dene stücke in versen, darunter auch die 24 stroplien des Wolfdiet-
rich D, welche Jänicke zu seiner ausgäbe benuzt hat (Ortnit und die
Wolf die triebe, herausg. von Amelung und Jänicke =^ Deutsches Hel-
denbuch, th, 3. Berlin 1871 s. VII) , und ferner eine prosaische auf-
lösuug eines gedichtes vom edelen Möringer. — Die fabeln sind ohne
al)setzung der verse wie prosa in durchlaufenden zeilen ge:^chrieben.
Für den druck habe ich , zu bequemerem gebrauche , die verse abge-
sezt, den ausfall der durch die nachlässigkeit des Schreibers übersprun-
genen durch punkte angedeutet und die interpunktion hinzugefügt; aber
die ungebildete Orthographie des Schreibers zu verbessern war ebenso
unnötig, als seine abkürzungen auch im drucke beizubehalten.
L
Diese fabel ist entnommen aus Boner IjVII: Von einer vroitwen
und einem (liebe. — Von vrouwen untriuwe. — Der text stimt zunächst
zu den von Pfeifter angegebenen hisarten von b (Zürcher papierhs. C.
117), weniger genau zu denen von a (Heidelberger papierhs. Cod. Pal.
314), und etwas entfernter zu denen von E (Papierhs. der Strassburger
stadtbibl. Joh. Bibl. B. 94).
337
fol. 135". Man leist | von zwaien menschen, das
ir hertz mit | min verstricket waß.
das waß ein man j vnd auch sin wip,
5 die starcke min die ] scheid der dot.
der man starb, da kam sie | in groß not.
alles trosts waß sie bloß
da sie | verlor iren liben mau.
10
sie schray vnd weint on | vnderlaß;
ob jm sie stetlichen saß.
da er ward | in das grap gelait,
da huob sich not vnd arbait. |
15 Sie wolt nit von dem grab hindan,
sie klagt ] als iren man,
sie schrey lutt ach vnd we,
beid I regen riif vnd sehne
mocht sie geschaideu I von dem grab.
20 sie lept in grossam vngemach i
fol. 136" beide nacht vnd auch den tag,
das sie da | anders nit pflag.
ir rog waß klaiu.
ob dem | grab saß sie alein
25 und weiut by dem für;
kurtz|wil ward ir tür.
Es fuogt sich uflf der selben | vart,
das da einer gehenckt ward
hin von ] dem grab uff ein velt;
30 des huot ein man, | dem gab mau gelt,
das er nit danen solte | komen :
Word von dem galgen genomen
der dipp, | das wer dem richtter zorn,
vnd must sin leben | hau verlorn.
35 Da er das für sach, vnd das wib |
vill sere tursten in began.
czu dem grab ging | er hin dau,
vnd sach die frawen, die waß | stolcz.
40 an das für bracht er ir holtz,
das I sie ver frost word beliuot.
ZKITSCHR. F. DEtTTSCIlK PHILOLOGIE. «D. XI. 22
338 J- ZACHER
Er sprach: „fraw, bout 1 gutten mot!
Sit dot ist iver man,
so solt ir I ucli zu einem lebendigen bou.
45 Ein ander miitter j einen dreit
alß ein gutten, der ucb das | leidt
vnd . . vngemach."
so er sie ie men (1. mer) an sacb, |
so er je men (1. mer) in mine bran.
50 der man gar von jm | selber kam.
Er sprach: „hertzlibe frawe min, |
mocbt es an jwer holden sin,
55 waß lip vud seil ] bertragen mag,
das ist uwer hud uff dissen | dag."
Die fraw wost vil tugent
fol. 136'' die threben von | den äugen.
Der (1. den) man sach sie leiblichen | an
60 vnd sprach: „mocht ich an dir hon
mit I warbeit waß du hast geseit,
ich wolt ab Ion | min hertz lait,
vnd wolt ton den willeu | din."
Er sprach: „libe fraw, das sol sin."
65 gar üblich | er sie vmb fing,
vil libes er mit ir da beging, )
das wil ich nu uit sagen hie.
Da di red also | herging,
vnd von der fraweu kam der man, |
70 vnd wider zu dem galgen kam,
da het er nit | gebewt wol;
sorgen was sin hertz vol
ab dem | galgen waß guomen der deip,
das waß jm nit j lip.
75 Er forcht ser des richtters czorn;
sin leben | must er hon verlorn.
Zu dem grab er wider kam,
da er vor die fraw leiß.
80 Vil üblich sie in vmbfing. |
Er sait ir boß mere,
wie jm geschehen wer. |
339
85
Die fraw sprach: „nii folge mir,
vnd hör waß ich sage dir.
Ein glitten rat wil ich dir geben, |
90 das du wol macht behalten din leben.
wir sollent minen man uß graben,
vnd müssen aucht einen | helssing haben,
vnd zihen an das (1. des) galgen | mat,
vnd hencken an das (1. des) dibes stat.
95 das ratt | Ich uff die trwe min!
fol. 137* werlich, ich wil din hülfe | sin."
Der man dat alß mau jm reit.
von dem | dotten man sie sich scliid.
Das waß ein jemerlich rat.
100 Wol jm , der nit zu ton hat
mit bossen | wiben!
sie kunen machen groß liden.
Ein boß wib | nie wol geryd.
von wibes (1. wiben) vbels vil geschieht,
105 vnd ist geschehen manigfalt,
das (1. des) alles | menschlich kind engalt.
her adam ward betört,
Tray ward sturstort (1. zerstoeret),
110 her Salmon wart gescheut, |
der dot man ward gehenckt.
der ist ein | sinlosser man.
das hat als wibs rat getan!
n.
Diese fabel ist entnommen aus Boner LXXXII: Von einem, pf äf-
fen und von einem esel. — Von uppeheit der stimme. — Das Verhält-
nis des textes zu den lesarten der handschriften b a E der Pfeifferschen
ausgäbe ist dasselbe, wie in der vorigen fabel, tritt sogar noch etwas
entschiedener heraus.
Ein pfalf waß stoltz vnd 1 klug
alß noch ist pfaffen | gnunck.
22*
340 J. ZACHEE
juück waß er vnd | wol geraot,
sin stim ducht | Jn ser gut.
5 vflf siügen | hett er arbait,
jdoch waß er gesanges ge|meit;
er wout, es siing niman baß;
vff singen | er geflisseu waß.
10 Da gevil es niman wol. |
Da vber er vil dick sang,
das in sin narikeit bezwang.
nu kam es von geschickt also,
das I er sang meß hoch
15 vff dem alter. Da stund | bei
ein fraw, het iren essel
verlorn an dem | dritten tag.
Si weint vast, groß was ir | klag.
Da sie der pffaff weinen sach,
fol. 137" 20 vil gutlich | er czu ir sprach:
„ sagt an , fraw , was meint das, |
das wer äugen sint so naß?"
er went ir wer | gefallen in
ein andacht von der stime sein, i
25 vnd sprach: „sol ich uch singen men (1. me)?"
„nein her, | mir ist so we."
„wo von? das solt ir mir sagen." |
„Gern, min her, das wil ich uch klagen,
dar I vmb ich geweinet hon.
30 min essel, der mir ] wol kam,
den hont mir die wol ff fressen, |
das mag ich nit vergessen,
wan ir singtt ] so herlich,
so ist iwer stim glich
35 der stim, | die min essel hat;
so manent ir mich vff' | der stat
an minen essel, here min,
mich wondert | wie das mog gesin.
Das iwer stim so recht | glich
40 mines esseis ist, das wondert mich."
Der I vppig pfaff ward geschant,
eins esseis stim | ward jm herkaut,
doch er gevil er jm selber | wol,
zu BONER 341
alß billich noch ein essel sol.
45
mich won(i[ert daß es stat
bi dem monde
das niman | wol herkende sich
50 sin stim; das wondert mich. !
Es weut mancher singen wol,
des stim ist | hert vnd hol,
man spricht alß der essel | diiot.
hoert er sich selber — das wer giiot —
55 mit ( fremder luett orn,
er Word nit zu einem torn: |
also dissem pfaffeu ist geschehen.
auch hoer | jch die luett jehen:
wer vbel singt der singt | vil;
60 mencklich er hertriben wil.
III.
Diese fabel entspricht nur dem Inhalte nach der Bonerschen XLII.
Von einer naclitegal, ivart gevangen-. — Von tveltUclier torheit; ihre
fassung dagegen gehört zu derjenigen gestaltung, welche A. Keller in
seinen „Altdeutschen gedichten" (Tübingen 1846) s. 12 fgg. unter der
Überschrift „des vögeleins drei lehren" aus einer Münchener papier-
handschrift des 15. Jahrhunderts (cgm. 1020) mitgeteilt hat. — Eine
dritte fassung in versen hatte Docen veröffentlicht in den „ Altdeutschen
Wäldern" der brüder Grimm (Frankfurt 1815) 2, 5 fg., und hatte sie
dort fälschlich dem Stricker zugeschrieben, wie Lachmann bereits 1820
bemerkte in der vorrede zu seiner „Auswahl aus den Hochdeutschen
Dichtern des 13. Jahrhunderts" s. VI. Denselben text hat dann, in
einer unter benutzung mehrerer haudschriften verbesserten gestalt wider-
holt Fz. Pfeiffer in Haupts Zeitschrift für deutsches altertum. (Leipz.
1849) 7, 343 fg. — Eine vierte versificierte fassung findet sich in
Lassbergs Liedersaal (1822) 2, 655 fg. — In deutscher prosa begeg-
net dieselbe fabel in den von A. Keller nach einer Münchener perga-
menthandschrift des 14.— 15. Jahrhunderts (cgm. 54) herausgegebenen
,,Gesta Eomanorum das ist derKoemer tat." (Quedlinbg u. Lpz. 1841)
cap. LVIIII s. 89 fg.
Diese fabel , welche bereits in dem griechischen texte des Barlaam
erscheint, hat überhaupt sehr grossen beifall und ausgedehnte Verbrei-
tung gefunden. Keichliche nachweisuugen über ihr häufiges und andau-
342 J. ZACHER
erndes vorkommen in den verscMedeneu litteraturen haben gegeben
Fr. Wh. Valent. Schmidt in seiner ausgäbe von Petri Alfonsi Disciplina
clericalis. (Berlin 1827) zu nr. XXIII, s. 150 — 154 und Grässe in sei-
ner Übersetzung der Gesta Romanorum (Das älteste märchen- und
legendenbuch des christlichen mittelalters , oder die Gesta Romanorum.
Dresden und Leipzig 1847) zu cap. CLXVII. 2, 276 fg.
fol. 138" Ein gebur ving ein | fogelin
mit einem | hurnin schnebeliu.
Das foglin begunt 1 zu sorgen
wie es den (1. der) bure werd worgeu. |
5 Es sprach: „über frunt, laß mich leben,
das ich | min iung muog neren;
die wil ich al geben | dir;
daß soltu glauben mir."
Der buer sprach: | „ich wil dich nit Ion;
10 ich bin fro: das ich | dich hon;
jch wil dich federn henblossen; |
vnd wil dich an einen spiß stossen,
vnd I wil dich by dem für bratten."
15 Da sprach das I kleine Ibgeliu :
„waß mag ich dir nütz gesin? j
Min getider dir nit sol,
mines flaisch ist 1 kuom ein mont fol.
was mag das geheUfen | dich?
20 da von laß fligen mich,
biß ich min ] juongen bring zu dir,
der sint v. oder iiij, |
das mag vil besser sin dir,
wan das ich i alein blibe dir."
25 Er sprach: „flugstu vflf ein | büschlin,
wo sol ich dich dan suochen?
jch I wil dich bratten bij einer gluot,
du bist mir | zu einem truncklin guot."
Da das foglin i hört die mere,
fol. 138'' 30 da herschrack es vil sere. |
Es sprach: „wiltu lassen fligen mich,
iij ding | Avil ich lernen dich,
vnd wiltu flissig gede|ncken daran,
du wirst wol ein richer | kouffmann."
35 Er sprach: „wiltu es lernen mich, |
zu BONKR 343
SO wil ich lassen fügen dich."
Es sprach: „waz | man dir gesagen kan, |
da hab nit alzit | glauben an;
vnd sich, das duo nit von der | haut hisst,
40 das du wol gehaben masst. |
du solt nit keinen jomer han
nach dem, das 1 nit werden kan.
hon ich die warheit i gelernet dich,
so soltu lassen fligen mich.''' 1
45 Der buer sprach zu dem fogelin:
,,glob mir | vff die warhait diu,
wan ich ruoff dir, |
das du kumest zu mir.''
Es sprach: „vff die warheit!
50 ich wil dir alweg sin bereit." |
Er gab orlub dem fogliu ;
es flog vff I einen bawm durt hin;
es da mit lutter | stim sang,
das es in dem wald herklang. |
55 Der bwer wolt den fogel versuoclien, |
er begunt 1 jm wider ruoffen.
Der fogel sprach zu jm | also :
„ich bin gar von hertzen fro,
das ich | dir bin also entroueu,
60 ich wil nit wider | zu dir kumen."
Er sprach: „waß liastu den | gelobet mir?"
Es sprach: „ich seitz vor dir."
65
Er sprach: „het ich das bekant!
ich het dich
Hier schliesst die seite, und damit bricht das gedieht ab. In
Kellers drucke folgen noch 22 verse.
HALLE. J. ZACHEK.
344
DIE THIERWELT.
IN VOLKSRÄTSELN AUS DER PROVINZ PREUSSEN.
Vergl. diese Zeitschrift bd. IX s. 65.
Die kuh.
1. Ver gäne den weg,
Ver hänge den weg,
Twei wise den weg,
Twei sehne den weg,
finer hängt hin de op em schlacker on
jagt nä.
In Masnren: Vier zum gehen, vier zum melken, zwei zum stos-
sen und einer zum schlackern (schwenken, schwingen). — Cdery cho-
dery ^ cztery doiery, dwa hodery a iedem machay.
In Schwaben: Viere ganget und viere hanget, zwei spitzige,
zwei glitzige und einer zottelt hinten nach. Meier, D. Kinderreime
usw., 296. — Vgl. Rochholz, Alemann. Kinderlied usw., 208 und
221, 358 — 360. Mone , Anzeiger usw. VII, 263, 208- — Die rätsei
sind Varianten des rätseis Odins, das dieser unter andern dem köuig
Heidrek aufgibt. Vgl. Müllenhoif, Sagen, Märchen usw., s. XII.
2. Twe rüge ranken,
Ver kummandanten,
Schnick schnack,
Körensack ^ —
Eäd, wat is dat? Pommerellen.
Zeitschr. f. d. Mythol. usw. III, 5.
3. Ver'm kopp rubb'lig,
Unner 'm buk krabbelwark,
Op 'm rügge knubb'lig,
Unner'm zägel järmarkt.
Pommerellen.
4. Vorn' wie 'ne gabel,
Mitten wie 'n fass.
Hinten wie 'n besen —
Rath', was ist das?
Schon bei Fischart. (Mone, Auz. II, 239). — Vgl. Firmenich,
Völkerst. III, 74; Strelitz. Rochholz, 222,361. Simrock, Räthselb.
I, 413: II, 6.
1) Der wanst.
FRISCIIBIKR, DIK TIIIKRWELT IN VOLKSKÄTSELN 345
5. Kömmt e stock veih äwer de brügg, lieft acht tet, op vSr
geit et.
Die trächtige kuh.
Die zitzen der kuh.
6. Ver Stange rcke nich an e himmel, 6k nich an e erd.
7. Es stehen vier bäume , die erreichen weder himmel noch erde.
Augerburg.
Beim melken.
8. Ver jungfre pösse ön en loch — ön ene topp.
In Li t tauen: Vier Schwestern lassen ihr wasser in eine grübe.
Schleicher, Litauische Märchen usw., 211.
9. Gestrippelt, getäge
Von unde nä bäwe.
Von bäwe uä unde.
10. Zehn gebogen,
Vier gezogen,
Arsch oben,
Arsch unten, Jerrentowitz.
Die melkerin, der schemel und der hund.
11. Tweben set op dreiben,
Kam verben, wull tweben bite,
Tweben nem dreiben,
Wull verben schmite.
Ein ähnliches rätsei bereits im „Reterbüchlein" vom jähr 1562.
(Mone, Anz. IL, 311.) — Englisch bei Halliwell, 74. (Meyer, vor-
rede s. X. Fiedler, Volksreime usw., 44); in altdänischer fassung:
Zeitschr. f. d. Myth. III, 129.
Vgl. K. Dorr, Twöscheu Wiessei on Noacht, 76. Müllenhoff,
507, 18. Fiedler, 44. Meier, 295. Kochholz, 257, 467. Simrock I, 63.
Die kuhglocke.
12. Hemp on hott,
Iserne pil on blecherne kott.
Links und rechts (schwingt) der eiserne klöpfel und die blecherne
hülse. PU eigentlich = penis , kott, hotte = cunnus , vulva.
13. Wat schrit ömmer: Drinke, drinke! on wenn 't au 't wäter
kömmt, denn drinkt et doch nich?
Vgl. Curtze, Volksüberlieferungen usw., 293. Simrock 11, 180.
346 FEISCHBIER
14. Was geht zum wasser, will trinken und trinkt doch nicht?
Vgl. Rochholz, 222, 362.
15. Et geit op 't föld on frett nich, on söppt nich, on kömmt 't
m'i liüs, ÖS 't doch lostig.
Neue Preuss. Prov.-Bl. X, 289.
Der ochs.
16. Wenn öck klen si,
Kann öck ver betwinge,
Wenn öck grot si,
Kann öck barg' (on täl) ombringe.
Wenn öck dodt si,
Kann öck danze on springe.
17. Wi öck klen war,
Hebb öck ver regert,
Wi öck grot war,
Hebb öck barg' gekert,
On wi öck dodt war,
Ging öck ön e körch.
Ebenso in Littauen. Schleicher, 205. — Vgl. Simrock II, 58.
18. Wat geit längs de far ^ on lett tellerkes falle?
Das lamm.
19. Et geit äwer de brügg
On heft e pölz op em rügg.
20. Ging e gedertke äwer de brügg,
De ogen stunjgen em kickerdekick,
De här de stunjgen em kroUerdekroU —
Wer dat nich räth , de ös rasend doli.
R. Dorr, 77. — Var. 4: Wat menst, min kind, wat ös dat woU?
Viol^t, Neringia usw., 199, 7.
Der Ziegenbock.
21. Kam ein männchen aus Engelland,
Hatt' 'n beschlagenen backenbart.
Pommerellen.
Das Schwein.
22. Et geit äwer de brügg
On heft dem schuster sine nädel op 'm rügg.
1) Pär, fahr, ackerfurche.
DIE THIERWELT IN VOLKSRATSELN 347
Beim scblacliten des Schweines.
23. Öck beg min' kne
On legg mi op se,
Öck te dat lange ding herüt,
Stek er ön 't härloch,
Da wackelt dat ganze ärschloch.
Gerdauen.
Das Schwein und die eichel.
24, Rügiingke ging,
Bommelke hing,
Rüglingke opsach,
Bommelke dalag.
Die katze.
25. Twei blanke,
Ver zanke, ^
En brätspiesz.
26. De glatte^ hängt,
De rüge denkt:
Wenn öck di ön mine ranze hadd!
Vgl. ßochholz, 224, 372. Simrock I, 454.
27. Unde huckt e rüger,
Bäwe hängt e glatter.
De rüger denkt:
Wenn öck di ön minem buk hadd!
28. Es kroch das rauhe in das zerbrechliche.
Masurisch. W lado kosmate w p^kate. (Nach dem Poln. Wör-
terb. von Mrongovius Jcosmaty zottig, rauh; p^haty bauchig.)
Der kater.
28. Wat sitt üt wi e katt,
Heft e kopp wi e katt,
Pote wi e katt,
Müst wi e katt
On ÖS dock kein' katt?
1) Zanke(n), krallen. 2) Die wurst.
348 FRISCHEIER
Die mause, die ulir, die tonne, die steine,
29. Op e lucht tripp trapp,
Ön e stäw tick tack,
Öm hüs rund,
Op e gass bunt.
Die maus und der frosch.
30. Pipop on quarrop (quackop)
Ginge op ene barg 'rop;
Acht fet' on ene zägel,
Räd' e mal, wat 's dat fer 'n vägel?
Ähnlich in den N. Preuss. Prov.-Bl. VIII, 373. — Aus Ger-
dauen:
De pipa on de quara,
De ginge op ene barg;
Acht fet', twe kepp on ene zägel,
Räd' e mal, wat es dat fer e vägel?
Bei R. Dorr, 75, 3, mit der lösung: De moltworm on de pogg,
der maulwurf und der frosch:
De wöppop on de warpop.
De gingen beid den barch 'nop;
Acht fet on en zägel,
Rädt, mine herrn, wat 's det för 'n vägel?
Mit gleicher lösung in Conitz:
Wippup un wappup,
Ginge bed de bäg up;
Acht fet' on eä stä't —
Wat is dat?
Worterklärungen: Fip op, der pieprufer, pieper (pipa), pfeifer;
Quarrop, der quarrrufer, quarrer {quara). Wöjjpo^), wippup, der
hüpfauf, hüpfer; warpop, ivappup , der werfauf, erdaufwerfer. stä't,
sterz = schwänz, üblicher: zagel. — Vgl. Zeitschr. f. d. Myth. III, 186.
Simrock I, 415.
Der mausdreck.
31. Op onse bön,
Steit 'ne len',
De hundertdüsend mann
Nich hewen könn'. Pommerelleu.
DIK THIKBWELT IN VOLKäKATHELN 849
32. Op onsein bänen liggt wat, wat dusend mann nicht hewen
können.
R. Dorr, 75, 2. Bön, bönen, der boden, bodenraum; in Ost-
preussen: die lucht.
Der maulwurf.
33. Hinjger onsem hüs
Plegt Peter Krüs,
Ohne schär ^ ou ohne zech,^
Plegt winter on sämer weg.
E. Dorr, 76, 8.
34. Hinjger onsem hüs
Steit Peter Krüs,
Heft kein zech ou kein schär
On plegt doch sin egen för.
Pommerelleu.
Var. : Schwärt Peter Krüs Wähnt hinjge misem hüs, Hett kein
usw. . . . dep fär. Jerrentowitz. — Vgl. Ztschr. f. d. Myth. HI, 185.
Firmenich I, 164: Magdeburger Börde (als Wiegenlied); IH, 132:
Miesterhorst im Drömling. Curtze, 293. Simrock I, 419.
Der wolf, ein trächtig tier fressend.
35. Hinterm busch ich sasz,
Roten wein ich trank,
üngeboren fleisch ich asz —
Rath', mein herr, was ist das?
Jerrentowitz.
Wolf, Schwein und hund.
36. Grimmgram kam,
Griffgraff sasz,
War' Huffhaflf nicht gekommen,
Hätt' Grimmgram Griftgraff" genommen.
Pommerellen.
Der Hahn.
37. Vorn wie ein kämm.
Hinten wie 'ne sichel —
Sieh' mein' uhr und wetterglas!
Spricht der bauer Michel.
1) Schär, pflugschar. 2) Zech =-- mlid. nhd. sec/t, das vor der schar ste-
hende und den boden aufschneidende pflugmesser. Z.
350 FRISCHBIER
Neue Preiiss. Prov. -Bl. X, 288. — Var.: Vorn wie ein kämm,
Mitten wie ein lamm, Hinten wie 'ne sichel — Eat', mein lieber
Michel. — Vgl. Meier, 275. Rochholz, 228, 377. Mone, Anz. VII,
262, 186. Simrock I, 49.
38. Kern e mannke von Höckepöcke,
Hadcl e rockke von düseud flocke.
Var.: Kien mannke usw. — Die N. Preuss. Prov. -Bl. VIII, 373,
haben noch die weitere zeile: On e steuert angesöcht. Bei Müllenhoff,
506, 12, findet sich noch eine vierte reimzeile: Hadd e kämm on
kämmt söck nich, welche in unsei'er provinz als selbständige rätsel-
frage auftritt:
Wer heft e kämm on kämmt söck nich?
Vgl. Firmenich I, 520: Siegen. Curtze, 294. Mone, Anz. VII,
263 , 206. Hier ist der bahn „ e mann von Dickterück."
39. Es e mannke , geit op kröcke,
Heft e pölz von düsend flocke,
En hörnen kämm on e rode hart,
Heir mal to, wo de kerl rärt! ^
Zeitschr. f. d. Myth. IV, 402. Pommerellen.
40. Geit e mannke äwer de brocke,
Heft e pölz möt düsend flocke.
Pommerellen.
41. Op onsem hoff, da steit e mann,
Heft hundertdüsend pölzkes an
On steckt doch den Närsch nä büten.
Pommerellen.
Zeitschr. f d. Myth. IV, 403.
42. Kommt ein mann aus Ägypten,
Hat einen rock von tausend flicken,
Hat ein knöchern angesicht,
Hat 'neu kämm und kämmt sich nicht.
Pommerellen,
Zeitschr. f. d. Myth. IV, 402. — Vgl. Violet, 200, 14. Müllen-
hoff, 506, 12. Simrock I, 47.
43. Et ÖS en kiener mann,
Dei deit sin' ärms ütstrecke
On deit de lüed opwecke.
1) raren, brüllen, stark schroien , zunächst vom rindvieh; auch zur bezeich-
nung des geräusches, das die brandende see hervorbringt: die see rärt.
DIB TIIIERWELT IN V0LKSRVT3KLN 351
Hei wöll söck e mM. plässere *
Oll geit öm gärde spazere,
Hei leewt sehr vele früe,
Doch hei lett söck möt keiner trüe.
Neue Preiiss. Prov.-Bl. X, i'88.
44. Er ist vom grossen prophetenstamm,
Der ist in allen landen bekant.
Er ging iin garten spazieren,
Sich zu verlustieren ;
Er liebte viele frauen,
Liess sich mit keiner trauen,
War eher als Adam und Eva.
Var. : Es ist ein grosser propliet erstanden, Er ist bekant in
allen landen. Er schreit mit grossem krachen, Dass die leute sollen
aufwachen, Er geht im garten spazieren usw. Dönhoffstädt. —
Vergl. Meier, 325.
4.5. Es ist ein grosser prophet.
Er schreit über berg und tal.
Er hat einen roten kämm auf sein haupt,
Er schläft nicht in seid'nen betten.
Er schläft auf einem Stückchen holz,
Er isst keine speise.
Er trinkt keinen wein.
Er hält viel von weiberu und schläft bei keiner.
46. Hoch gekrönt, geschmückt mit sporen,
Ein prophet bin ich geboren.
Nach meinem tode legen sie mich in die hitze,
Dass ich schwitze.
Raten s', meine herren, was ist das für ein mann,
Der nach seinem tode noch leiden und dienen kann.
Pommerellen.
Zeitschr. f. d. Myth. IV, 405.
47. Ein kerl auf der stube.
Eine fleischschüssel auf dem köpfe.
Pommerellen.
Zeitschr. f. d. Myth. IV, 404.
1) Von plaisir = ein plaisir machen.
352 PRISCHBIER
Hahn und regenwürmer.
48. Es steht ein mann auf einem bein
Und hat doch hunderttausend schwein'.
Das „hat" in vers 2 würde wol richtiger hüt't ^= hütet, heis-
sen. — Ein hierhergehöriges rätsei lässt den regen wurm sprechen:
49. Schafft mi doch de hener af, ver 'm hund hebb öck nich
angst !
In den N. Preuss. Prov. -Bl. VIII, 373: Es geht ein langer mann
über den hof und ruft: Wehrt mir nur die hühner ab, die hunde tun
mir nichts! — In Littauen: kommt ein herrchon mit rotem röck-
chen: jagt die hühner fort, vor den hunden fürchte ich mich nicht!
Schleicher, 207. — Vgl. Simrock I, 88.
Die henne.
50. Et rennt öm 't hüs on schrit, on heft e klotzke ver 'm
närsch.
Vgl. Simrock II, 202.
51. Wat rennt öm et hüs on heft e kil öm hing're?
Gerdauen.
52. Brün hund reut rund öm 't hüs on heft e klotzke ön e närsch
53. Wat kröpt dörch e tun on heft de därmel näschleppe?
Vgl. Simrock I, 425.
54. Es kam eine frau von Hessen,
Ihr kleid war weggerissen,
Sie hat ein knorpernes angesicht,
Sie hat einen hals, doch wäscht sie sich nicht.
Zeitschr. f. d. Myth. IV, 403.
55. Op onsem hof steit 'ne jomfer,
Het hundertdusend rock' au,
On ÖS doch dat kahle lif to sehne.
Zeitschr. f. d. Myth. IV, 403.
Das ei.
56. Kömmt e tonnke von Engellaud,
Heft kein i-and nich on kein band
On ÖS doch tweierlei her bön'n.
Vgl. MüUenhoff, 506, 9. Rochholz, 234, 383. Mone, Anz. VII,
262, 188. Simrock I, 16.
DIE THIERWELT IN VOLKSRÄTSELN 353
57. Düffertke on duwke ^
Knitten söck en liüwke ''^
One näht,
One dräht,
Öu' end' -
Wer dat rät,
De ÖS behend. Pommerellen.
58. Hucheldibuchel leg op de bänk,
Hucheldibuclicl füll von de bänk,
Hucheldibuchel hadd dat G'nöck te'bräke,
Kann keiner so 'ne hucheldibuchel me mäke.
Pommerellen.
Ein gleiches rätsei, Annebadadeli beginnend, teilt Rochholz,
245, 427, mit der lösung: „Fallender eiszapfen" mit; auch hört man
in der Schweiz die lösung: Ludihorn, ludel = kinder- saugglas.
Vgl. Meier, 810: Wirgelewargele usw. Firmenicli I, 271:
in Lippescher mundart: ßuntzelpuntzelken (so auch bei Simrock I,
136); 360: in Westfalen: Hümpelken pümpelken; III, 182: Iser-
lohn. Curtze , 294.
59. Hempeldipempel lag auf der bank,
Hempeldipempel lag unter der bank,
Kam ein herr von Ilenapen,
Könnt' Hempeldipempel nicht wider machen.
Pommerellen.
Aus Neu- Vorpommern findet sich im Jahrb. der Berlin. Sprach-
gesellschaft, 1843. Bd. 5, 252, 18, ein ähnliches rätsei: Entepotente
usw. Unser herr von Ilenapen heisst dort von Akel dör Schäkel.
Rochholz, 246.
60. Idelpatidel füll von de bänk,
Adelpatadel kem on wull 't torecht mäke on kunn nich.
Szichen.
61. Hottepotete ober de bank,
Hottepotete under de bank,
Da kam der hottpotete
Und könnt' es nicht mehr ganz machen.
62. Fallderallke füll vom balke,
Wat kein tömmermann meä mäke kann.
1) Täuberchen und täubclieii. 2) Häubchen.
ZFITSCHR. F. DEUTSCHE PUILOLOGTE. P,D. XI. 23
354 FBISCHBIBR
63. Et geit nich, et steit nicli,
Et frett nich, et bett nich;
Äwersch wenn öck wöll,
Denn geit et, denn steit et,
Denn frett et, denn bett et.
Neue Preuss. Prov.-Bl. X, 288. — Vgl. Simrock II, 49.
64. Dort und da ist ein kleines haus,
Und wenn der meister will heraus,
Muss er die wand aufklopfen.
65. Ich kenn' ein kleines weisses haus
Ohne fenster und thoren.
Und will der kleine wirt heraus.
So muss er erst die wand durchbohren.
Pommerellen.
Vgl. Müllenhoff, 506, 11. Kochholz, 234, 382. Simrock I, 18.
66. In der stadt Stuhra
Steht 'ne gelbe blum',
Wer die gelbe blum' will haben,
Muss die halbe stadt abschlagen.
67. In der stadt Weissenau
Blüht ein gelbes blümchen.
Und wer das blümchen will haben,
Muss die stadt Weissenau zerschlagen.
Pommerellen.
Zeitschr. f. d. Myth. IV, 398. — Vgl. Fiedler, 48. Firmenich
III, 120: Kamern bei Sandau. Eochholz, 234, 381. Simrock I, 19. 20.
68. Zwischen Potsdam und Berlin
Liegt eine goldne uhr begraben;
Wer die gold'ne uhr will haben,
Muss Potsdam und Berlin zerschlagen.
69. Hinder Berlin on Wittenberg
Da ligt e gold'ne uhr vergräwe;
Wer to 'r gold'ne uhr wöll käme,
Mot Berlin on Wittenberg terschläne.
Neue Preuss. Prov.-Bl. X, 288. — Vgl. Müllenhoff, 506, 10.
DIE THIEKWELT IN VOLKSBÄTSELN 355
70. Ich ging einmal nach Keitar,
Da stand 'ne gelbe blum';
Wer die gelbe blume will haben,
Muss den ganzen berg durchgraben.
Eeitar, d. i. Kenter, ein durch sein roggenbrot beliebter bäcker,
der eine viertelmeile vor den toren der stadt Danzig wohnt und zu
welchem die kinder ärmerer leute hinausgeschickt werden, um brot zu
holen. Zeitschr. f. d. Myth. IV, 399.
71. Ein gelbes blümlein schwimmt in einem weissen see.
72. Ich pflück' ein gelbes blümchen ab
Auf einem weissen see,
Und wer es mir kann raten.
Den zieh' ich nach der höh',
Und wer es mir kann denken,
Dem will ich ein hühnchen schenken.
Neue Preuss. Prov.-Bl. X, 288.
73. Es ist ein kleines klösterlein,
Geht weder tür noch fenster drein
Und wachset doch fleisch und bein darin,
Davon hat mancher guten gewinn.
Vgl. Simrock I, 17. Pommerellen,
74. Rund werf ich's auf's dach, lang kommt es herunter.
75. Wenn 't 'ropper kömt, ös et witt, wenn 't 'runder kömt,
ÖS et gel.
N. Preuss. Prov.-Bt. VIII, 375. — Vgl. Meier, 285. Firme-
nich III, 74: Strelitz; 195: Solingen. Curtze, 295. Simrock I, 174.
76. Weiss werf ich's auf's dach und gelb kommt's herunter.
77. Wat föllt vom schoppe on geit nich entwei?
Das ei, wenn es die henne legt.
78. Ein zichlein ^ ohne säum (naht).
Masurisch. Poszeivka hez sseivha.
Die gans.
79. Witschelwatschel geit äwer de brügg',
Heft e pungel ^ bedd op em rügg'.
1) Deminutiv von ziehe, zieclie, bezug, Überzug- eines bottkissens.
2) Bündel, kleines pack; doch auch menge, häufe (z. b. ein pungel menschen).
23*
356 FRISCHEIER
80. Patschfötke geit äwer de brögg',
Heft dem könig sine bedd op era rügg'.
Var. 1: Ging en Gederke äwer de briigg' usw. — • Vgl, Siin-
rock II, 16.
81. Et geit wol äwer de Brügg'
On heft e (wittet) kösske ^ op em rügg'.
Vgl. Simrock I, 86.
82. Ein kleines müttercheu hat viele kinderchen.
Die gans mit ihren federn. Littauisch: Maki Moterele daug
drapane lutur. Lepner, Der preusche Littauer usw., 118.
Die gebratene gans.
83. De dösch ös gedeckt,
De mägd liggt gestreckt,
De flinder de flander,
De ben von enander.
Var. 3 und 4: Wenn de herr wöll, fömmelt^ hei 'rön.
Die feder (der gänsekiel).
84. Meine herren bittentaten.
Ich kann nicht länger warten :
Schneiden sie mir den leib auf,
Nehmen sie mir die seele 'raus,
Geben sie mir zu trinken
Und lassen sie mich spazieren gehu.
Ähnlich bei Rochholz, 226, 521.
85. Reisst mir den köpf ab,
Zieht mir die seele aus,
Gebt mir was zu saufen
Und lasst mich dann laufen.
86. Man sclmippert mich, man schnappert mich.
Man schneidet mir den bauch auf.
Man gibt mir was schwarzes zu trinken.
Dann führt man mich aufs weisse feld,
Da wein' ich schwarze thränen.
1) Dem. voll kössc, kissen.
2) Fömmelii, hodid. fimmeln, seltener fcimelii, hin und her fahren,
schieben, stossen, namentlich mit den bänden; wedeln; wehend tiattern; auch coire.
PIK TiriKRWKLT IN VOI.KSRÄTSELN 357
87. Mau schneidet mir den köpf ab, man reisst mir die seele
aus, dami bringt man mich aufs weisse fehl.
In dem litt, rätsei, das Schleicher, 197, mitteilt, heisst es statt
„seele": herz, und lautet der schlusssatz: „mach' mich dann
reden!" (Das rätsei hat die Imperativform.)
88. Ein kurzes ding ist lang genug,
Nur eine gute spanne misst 's.
Am köpf hat es eine ritze,
Ohne diese ritze ist 's unnütze.
Auch mit folgender fortsetzung:
und sticht man in ein schwarzes loch,
So giebt's von sich einen saft,
Der wunderbare dinge schafft.
Manch mädchen nahm es in die band,
Es dient zum gebrauch, nicht bestand.
89. Et ÖS vom lewe on heft kein lewe,
Kann forschte on kön'ge antwort gewe.
Vgl. Rochholz, 266, 522. Simrock I, 68.
Der storch.
90. Schnarraback
Huckt op em dack.
Kickt heraf, wi de jiabock den grasbock nem.
Der storch sah vom dache herab, wie der habicht eine junge
gans nahm.
Die elster.
91. Höher als eine kirche, niedriger als ein holzschlitten , schwär-
zer als kohle, weisser als schuee. Pomme rollen.
Der krebs.
92. Rot, rot, ritter rot,
Heft e lewe on kein blot.
Wer's kann raten.
Kriegt dreitausend dukaten,
Wer's will wissen,
Muss drei Jungfern küssen.
93. Ickepicke hat zwei hörner,
Rot wie Scharlach, schwarze körner.
Vgl. Simrock I, 32.
358 FRISCHEIER
94. Hopp hopp hake, 95. Rot scharläken,
Rot scharläke, Danz'ger wäpen,
Von bönne flesch, Bonnen llesch,
Von hüte knäke. Buten knäken.
Pommerellen.
96. Schwarz geh' ich in's bett, rot komm' ich heraus. Pommerellen.
97. Braun werf ich's 'rein, roth kommt's heraus.
Vgl. Mone, Anz. VII, 266, 253.
Der floh.
98. Et kerne füf gegange,
De nöme ene gefange,
Se föade em nä Röblewötz,
Von Röblewötz nä Nägelspötz,
Da wurd he död geschläge.
Var. : Es kamen fünf gegangen. Die nahmen ihn gefangen, Sie
brachten ihn auf Wirbelwitz, Von Wirbelwitz nach Nagelspitz, Da
haben sie ihn gehangen. Westpreussen.
Es kamen zwei gegangen , Die nahmen einen gefangen Und brach-
ten ihn nach Rollewitz, Von Rollewitz nach Nagelspitz, Da wurde er
zum tode verurteilt. Wehlau.
Vgl. Curtze, 294. Meier, 325. Rochholz, 223, 367.368. Mone,
Anz. VII, 263, 209.
99. Fünf giengen ihn zu jagen.
Zwei brachten ihn getragen
Von Ribblewitz nach Naglewitz,
Von Naglewitz nach Tischlewitz,
Da ward er totgeschlagen.
Angerburg. Dönhoffstädt.
Var.: Fünf Jäger weiten jagen. Zwei brachten ihn zu tragen,
Von Röllendorf bis Nagelsdorf, Da wurd' er totgeschlagen.
100. Fünf männer giengen nach Buckau
Und brachten einen gefangen nach Kuckau;
In Kuckau wurd ihm das urteil gesprochen.
Zwischen tisch und daumen das genick gebrochen.
101. Öck ging läng en gässke,
Begegend' en schwartet fäske,^
Et fung mi an to puschle
Op e bänk, und're bänk,
Ön em bedd am beste. Dönhoffstädt.
1) P'üchsclien, Dem. von Foss, Fuchs.
DIE THIERWELT IN VOI-KSRATSELN 359
102. Et hämmelt ou fämmelt mi und're bänk, op er bänk, öni
bedd am beste.
103. Ich begegnet' einem schwarzen geschelein,
Das bot mir ruschelpuächel an.
Ich aber sagt': Ich hab' einen mann,
Der mich ruschehi und puscheln kann.
104. Ich gieng in mein schwarz kämmerlein,
Ich begegnet einem schwarzen fräulein.
Sie grüsst mich nicht,
Ich dankt' ihr nicht.
In der nacht besucht' sie mich.
Var.: Es kam in meine schlafkammer eine schwarze dame. Ich
grüsste sie nicht, Sie dankte mir nicht, In der nacht kam sie und
besuchte mich.
105. Ganz schwarz bin ich gekleid't
Und springe weit;
Ich bin nur klein
Und mache pein.
106. Die mädel sind als wie der wind
Mit fingern schnell mir auf das feil.
Wenn's ihnen glückt, werd' ich erknickt
Und hab' zum lohn nur spott und höhn.
107. Es kommen fünf andere zum begräbniss. Dönhoffstädt.
Die fliege.
108. Kam a ke'l (kerl) ve (von) Prusel,
Hadd 'na mantel ve Prusantel,
Att mi 'm könig mit. Conitz.
Das Spinngewebe.
109. Et hängt an e wand wie schnodderlang. ^
Die Schnecke.
110. Ich gehe aus
Und bin immer zu haus.
Vgl. Simrock II, 45.
KÖNIGSBERG I. PR. H. FRISCHBIER.
1) Die länge des schnodders = nasenschleimes , rotzes.
360
BEITKÄGE AUS DEM NIEDEEDEÜTSCHEN.
Suns, suuist.
Grimm sagt Gr. 3, 618: ,,Iü den übrigen deutschen dialecten
lässt sich die wiirzel sin (alt) nicht mehr nachweisen, abgesehen von
dem altfränk. siniscalcus.'''' Aber jene wiirzel scheint doch im mnd.
erhalten zu sein. Da nämlich die vocale i und u nicht selten mit ein-
ander tauscheu, so kann dem sin ein sun, dem sinist ein s im ist
entsprechen. Die germanischen wortstämme san (alts. san, mox), sun
(got. s-uns, evd-kog) und sin (ags. sin, perpekw) sind nicht nur im
begriffe der zeitlichen erstreckung zusammenfallend, sondern auch ety-
mologisch eins.^
Simest steht in folgenden stellen: Lüb, Chr. 2, 519: ein islih kos
dar sin suneste, wo he van danne Jconien konde; und ebend. 538:
men se dachte overst ere suneste, dar se was in der erharen veng-
nisse unde lovede so vele gudes eneme van eren deneren^ dat he hestel-
lede hemeliJcen mit gelde tive hengste rasch.
Man wird finden, dass suneste hier durch wichtigstes, bestes
zu übersetzen ist. Bei nd. suns = sins muss sich eine ähnliche folge
der bedeutungen entwickelt haben, wie bei lat. antiquus, der chronist
fand wol in der lat. vorläge, nach welcher er frei arbeitete, ein nihil
antiquius (Suet. Claud. 11), oder antiquissimum (Liv. 1, 32), welche
wichtigst, best bedeuten, und wagte dafür sunest, ein seltenes wort
in seltener bedeutung.
Druppelk.
Bei Kindl. MBtr. 3, 682 steht: de ander drüppelhen häume
hören in den andern stohl. DrüppelJcen ist im Mnd. WB. mit einem ?,
aber unzweifelhaft richtig durch kleiner häufe gedeutet, mit unrecht
indess ein nominativ druppelk angesezt. Kichtig würde die stelle lau-
ten: dat ander drüppelken häume hört in den andern stol, doch mag
der scbreiber wirklich wie oben geschrieben haben und durch die appo-
sition „bäume" zu seinem de und hören verleitet seiu. Drüppelken
steht für drübhclken, n. träublein, fig. häutlein. So wird das wort noch
jezt häufig von einer kleinen anzahl dicht zusammenstehender bäume
gebraucht.
ISERLOHN. F. WOESTE.
1) Näheres und verwantes in einem aufsatze über süss, nmmesüss, Z. f.
d. mda. 7 (1877), 425 fgg.
361
BEEICHT ÜBER DIE VERHANDLUNGEN DER DEUTSCH- ROMANISCHEN
ABTEILUNG DER XXXIV. VERSAMLÜNG DEUTSCHER PHILOLOGEN UND
SCHULMÄNNER ZU TRIER
vom 24. — 27. septcmber 1870.
I. Vorsitzender: prof. dr. Wilmanns, Bonn.
IL ,, ,, ,, ten Briuk, Strassburg.
Nach eröt'ming der ersten sitzung, am 24. September , vormittags 11 V2 ihr
teilt der erste versitzende mit, dass der zum zweiten Präsidenten designirte herr
prof. dr. Förster aus Bonn durch Unwohlsein au der teilnähme verhindert sei.
Dil- stelle desselben wird herrn prof. dr. ten Brink übertragen. Nach wähl der
Schriftführer verteilt herr prof. W ihn ans ein schriftchen, welches er aus dem
luxchlasse Haupts zur erinnerung an die stattfindende versamlung hat drucken lassen:
Fragment einer mhd. Übersetzung der Ilias.
Es ist dies ein versuch Lachmanns, die vcrse Ilias 191 — 244 ins mittelhoch-
deutsche und zwar mit anwendung der Nibelungcnstropbe zu übertragen.
Am anderen tage — • nm dies gleich vorweg zu nehmen — gelangte noch
zur Verteilung eine spende von herrn prof. Crecelius aus Elberfeld ,,aiich zu-
gleich im namen des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung":
Essener Glossen.
Nachdem in der eröfnungssitzung herr prof. Wilmanns noch über die fort-
sehritte und die bevorstehende Vollendung des mittelniederdeutschen Wörterbuches
berichtet hatte , wurde dieselbe geschlossen.
In der zweiten sitzung, den 25. September, vormittags 8 uhr, hielt zuerst
herr prof. Martin aus Strassburg einen Vortrag, den er ,,Zur Gralsage" beti-
telt liatte.i Zunächst tritt er der ansieht entgegen, dass Wolfram nur das werk
Chrestiens von Troies zu seinem Parzival benuzt, mithin alles übrige und nament-
lich auch seinen gewährsmann Kyot erfunden habe. Es seien ja auch noch andere
gedichte aus dem bretonischen Sagenkreise verloren gegangen. Was die Überein-
stimmung zwischen Wolfram, also auch Kyot, und Chrestiens angehe, so seien
dafür verschiedene erklärungen möglich. Am wahrscheinlichsten finde er es, dass
Kyot, wie ja auch andere dichter, Chrestiens werk fortgeführt und erweitert habe.
Namen und sagen deutschen Ursprungs habe ferner die altfranzösische sage auch
anderweitig in sich aufgenommen. Gerade die anknüpfung der sage vom schwan-
ritter finde sich auch bei einem fortsetzer Chrestiens, bei Gerbert.
Die sagen, welche Wolfram behandelt, müssen wir als in damaliger zeit
weitverbreitet und vielfach bearbeitet ansehen. Zum beweise diene auch die Krone
Heinrichs v. d. Türlin. Der vortragende zeigt den compilatorischen Charakter die-
ses gedichtes, macht darauf aufmerksam, dass verschiedene der eingewobenen
erzählungen sich auch in späteren französischen und englischen gedichten vorfinden
und schliesst dann auf eine französische quelle , die bereits diesen compilatorischen
Charakter an sich trug.
Aus der art und mannichfaltigkeit , in welcher die abenteuer erzählt würden,
lasse sich schon vermuten , dass neben der poetischen auch eine mündliche prosaische
Überlieferung hergegangen sei. Dies werde auch ausdrücklich bezeugt. Aus einer
1) Der Vortrag soll erweitert und mit den belegen versehen in den Quellen und
Forschungen (Strassburg, Triibnerj verötfentlicht werden.
362 FRANCK
stelle von "Waces Brut gehe hervor, dass dieselbe sogar sehr frühe anzusetzen sei.
So erkläre sich die schriftliche abfassung der prosaischen erzähluug in so frü-
her zeit.
Ganz besonders wichtig sei Heinrichs gedieht auch für die Gralsage, deren
entwickelung der vortragende — nicht ohne vorbehält — zu zeichnen versuchte.
Zweimal komme bei Heinrich Gawein zum Gral. Das erste mal sei zwar der leztero
nicht beim namen genant, aber die ereignisse trügen ganz den betreffenden Cha-
rakter.
Die erlösung scheinbar lebender, wie sie bei Heinrich in der erzählung vom
Gral vorkomt, begegne auch sonst in deutschen und fremden sagen, nach welchen
könige der vorzeit in bergen oder schlossern hausen. Ein solcher sei auch der
Gralhüter, und in diesem erkent der vortragende Artus. Von ihm werde ähnliches
berichtet in erzählungen, als deren grund prof. Martin einen mythus vom Wechsel
der Jahreszeiten vermutet. Der Gral scheine nichts , als eine geisterhafte erneuerung
der tafeirunde. Neben dieser rein sinlichen auffassung desselben, einer art ,, tisch-
lein deck dich," die anfänglich vorherseht, trete dann erst später die auknüpfung
an die legende von Joseph von Arimathia. Auch bei verwanten stoffen erscheine
der Übergang von der volkssage zur legende, nicht umgekehrt.
Der vortragende schliesst mit dem wünsche , dass ausgaben späterer gedichte
aus der Gralsage , die bereits druckfertig vorlägen , sowie ein in Vorbereitung
befindliches namenbuch der bretonischen sage eine wolwoUende aufnähme finden
möchten.
Hierauf erhielt das wort herr dr. Behaghel aus Heidelberg zu einem vor-
trage über eine neue ausgäbe der Eneide Heinrichs von Veldeke.^
Der vortragende gruppiert zunächst die handschriften und meint, dass keine
derselben einen so guten text biete, um ihre Schreibung einer ausgäbe zu gründe
zu legen. Man sei daher genötigt, das gedieht in die Mastrichter mundart, in der
es ursprünglich abgefasst gewesen, umzuschreiben. Das wichtigste hilfsmittel bei
einem solchen unternehmen wäre der Servatius , wenn dieser in der tat ein werk
desselben Verfassers sei. Die gründe, welche gegen die leztere annähme geltend
gemacht worden sind, seien teilweise schon widerlegt von Braune und Martin.
Der allerdings bedeutende abstand von stil und technik der erzählung erkläre sich
durch die Voraussetzung, dass der Servatius ein unreifes jugendwerk sei. Es sprä-
chen andrerseits positive gründe für die Identität. Als schlagendsten beweis führte
der vortragende die Übereinstimmung beider texte in mehreren eigenartigen aus-
drücken an, und zwar in solchen stellen, wo diese ausdrücke im Servatius durch
die lateinische vorläge ins leben gerufen sind, während in der Eneit die quelle
keine veranlassung dazu bot. Es könne also kein zweifei mehr darüber obwalten,
das Servaes und Eneit demselben Verfasser angehören, und dass dem ersteren
die Priorität zukomme. Der zeitabstand zwischen beiden werken sei jedoch kein
grosser.
Die dritte sitzung, welche am 26. vormittags 8 uhr begann, war der
frage der abfassung einer reihe von deutschen dialectgrammatiken gewidmet. Herr
dr. Wegen er aus Magdeburg begründete in längerem vortrage eine anzahl von
thesen, die er im naraen der im vorigen jähre zu Gera gewählten commission zur
beförderung genanten Unternehmens vorgelegt hatte. Indem der Verfasser die ein-
zelnen unten mitgeteilten punkte ausführte, hier und da sich auch noch etwas
1) Herr dr. Behaghel wird selbst eine solche veranstalten.
PHILOLOGEN - VKESAML. IN TRIKR 363
weiter ergieng, entwarf er ein lebendiges und interessantes bild vom wirken einer
ganzen reibe der wiehtigsten factoren, die das sprachlebcn überbaupt bedingen.
Zur Orientierung über die einzelbeiten des Vortrags , welcber hoffentlich durch den
druck algemeiner bekant werden wird, mögen eben die thesen dienen:
1) Die erste aufgäbe der dialectforschung ist es, den dialectischen sprachstoff
phonetisch und grammatisch möglichst genau zu fixieren und so der histo-
rischen Sprachforschung zugänglich zu machen.
2) Zu diesem zwecke soll eine reihe von dialectgrammatiken ins leben gerufen
werden, die nach einem gemeinsamen plane gearbeitet werden sollen.
3) Die anläge derselben:
a. Sie sollen zuerst eine genaue lautphysiologische Übersicht aller im ein-
zelnen dialecte vorkommenden laute geben.
b. Sie sollen eine Übersicht euthalten über die Veränderungen, welche die
altgermanischen laute im betreffenden dialecte erfahren haben.
Anmerkung 1. In der anordnung ist somit jedesmal der altgermanische laut
zu gründe zu legen. Bei angäbe des modernen lautes ist auf die laut-
physiologische Übersicht im ersten teile zu verweisen.
Anmerkung 2. Die Veränderungen sind in feste lautgesetze zu fassen, wobei
der unterschied von hochbetonter, tieftoniger und tonloser silbe durch-
zuführen ist; ebenso die parallelen einwirkungen von enclisis und pro-
clisis.
Anmerkung 3. Hinter dem lautgesetze sind jedesmal die fälle zu verzeich-
nen, in denen das lautgesetz durchbrochen ist;
ß. nach analogie andrer formen desselben dialects,
ß. durch aufnähme von formen der Schriftsprache oder eines nachbar-
dialects.
c. Die grammatiken sollen einen abriss der fiexionslehre enthalten. Hierbei
sind zu verzeichnen :
a. die substantiva und verba, welche aus der starken in die schwache
üexion und umgekehrt übergetreten sind;
ß. die noch in der spräche wirklich gebrauchten starken praeterita und
participia.
d. Wünschenswert erscheint eine genaue beobachtung der accentverhältnisse
des dialects:
tt. bei dem werte in pausa,
ß. bei dem werte innerhalb des Satzgefüges (Verhältnis vom wort- zum
satzaccent).
e. Wünschenswert erscheint ferner eine genaue angäbe der musikalischen
Intervalle in der rede:
«. nach den logischen nüancen (behauptungssatz , fragesatz , ausrufsatz),
ß. nach den psychologischen nüancen (affecte).
f. Wünschenswert sind syntactische beobachtungen :
a. im einfachen satze, besonders über die casus und tempora,
ß. im zusammengesezten satze, besonders über die fähigkeit der Unter-
ordnung der Sätze und ihren resp. ersatz; über modi und ihre
Umschreibung.
g. Wünschenswert: eine stylistische Zusammenstellung:
«. abstractes und concretes,
ß. auf welchen gebieten finden sich nüancierungen der Vorstellungen,
364 FRANCK
aa. nach sachlichen differenzen der Torstellungen selbst,
ßß. nach psychologischen differenzen, wobei besonders die nüaucen
für edle, alltägliche, kosende und komische rede ins äuge zu
fassen sind.
Die zusaninieustelluugeu sind nach sachlichen kategorien in der augedeuteten
weise vorzunehmen.
h. Die grammatiken sollen ferner enthalten ein lexicalisches Verzeichnis aller
etymologisch nicht durchsichtigen Wörter.
4. Jede grammatik behandelt einen kleineren historisch und kulturhistorisch
seit alter zeit zusammengehörigen bezirk.
a. Die grundlage bildet der heimatsort des Verfassers.
b. Die behandelte landschaft ist in ihre dialectsprengel zu zerlegen , mit
genauer angäbe aller zu einem dialectsprengel gehörigen Ortschaften.
0. Die dialectgrenzen sind möglichst durch natürliche, oder historisch -poli-
tische grenzen zu bestimmen.
d. Die gesichtspunkte bei der abgrenzung sind die differenzen in den laiit-
gesetzen , in der gesamtlage der sprachwerkzeuge und dem accente.
e. Die Verschiedenheit in der behandlung der analogie und der beeintlussung
des dialectes durch die Schriftsprache resp. die nachbardialecte ist kein
grund zur Scheidung in verschiedene dialectsprengel. Sie wird an betref-
fender stelle vermerkt.
f. Die abgrenzung des dialectes von seinen uachbardialecten und in seine
dialectsprengel geschieht in der einleitung oder in einer am Schlüsse fol-
genden zusammenhängenden abhandlung.
Hier sind auch die sprengel mit bequemen namen zu beneniien, nach
denen sie im texte der grammatik angeführt werden.
Es folgten dann noch einige vorschlage, die die erwirkung einer Unterstützung
von höherer seite und einer algemeineren beteiligung an dem unternehmen betrafen.
In der an den Vortrag sich knüpfenden debatte wurden von dem wissen-
schaftlichen teile der thesen nur untergeordnete punkte berülirt, und die Überein-
stimmung der anwesenden mit denselben in allem wesentlichen konte constatiert
werden. Dagegen fanden die praktischen vorschlage vielfachen Widerspruch. So
wünschenswert die in denselben erstrebten ziele auch schienen, so wurde doch von
verschiedenen selten betont, dass die vorschlage das ganze unternehmen noch viel
zu unbestimt Hessen und zu wenig garantie für die wirkliche ausführung böten,
um aussieht auf erfolg zu haben. In anbetracht dessen wurden dieselben von der
versamlung abgelehnt, dagegen wurde beschlossen, die bisherige commission zu
bitten, weiter in tätigkeit zu bleiben, und durch Umschau nach geeigneten Verfas-
sern und mit einem Verleger gemachte kostenüberschläge , di.s unternehmen bis zu
einem punkte zu führen, der die ausführhark eit , die ungefähre ausdehnung und
kosten des Unternehmens erkennen lasse, um dann mit grösserer aussieht auf erfolg
eine Unterstützung beim reichskanzler nachsuchen zu können.
In der vierten sitzung, die am 27. vormittags 8 uhr stattfand, teilte
zunächst prof. dr. Erich Schmidt aus Strassburg aus seinen zum abdruck in den
Quellen und Forschungen vorbereiteten ,, Beiträgen zur Kentniss der Klopstockschen
Jugendlyrik" eine von ihm in Freiburg, von Bernays in Zürich, neu aufgefundene
ode ,,An Herrn Schmidten" mit und erörtert autorschaft und datierung derselben.
Dann gibt er noch Varianten zur ode an Ebert, welche uns einige stellen in fi'eierer
PHILOLOGEN -VERSAML. IN TRIER 365
färbung zeigen, als sie später mit einer auch sonst bemerkbaren alzu ängstlichen
vorsieht gestaltet worden sind.
Den Schlussvortrag hielt herr dr. Seuffert aus Würzburg über die kurfürst-
lich deutsche geselschaft in Mannheim. Ihre gründung steht im zusammenhange
mit den aufklärungsbestrebungen der Pfalz unter Karl Theodor. Des fürsten eifer
konte zwar einzelne männer anregen, aber auf das volk war eine Wirkung noch
nicht möglich, zumal dasselbe durch die Jesuiten von aller aufklärenden bildung
fern gehalten wurde und durch die herschaft der lateinischen spräche in der schule,
der französischen spräche und sitte im leben dem nationalen entfremdet war. Die
versuche des Jesuiten A. Klein für deutsche spräche und dichtung am gymnasium
zu wirken hatten dessen entfernung zur folge. Nach aufhebung des ordens zurück-
gekehrt, nahm er als professor der schönen Wissenschaften seine bestrebungen
wider auf.
Stephan v. Stengel plante die errichtuug einer deutschen geselschaft, und
Karl Theodor gab im october 1775 den stiftuugsbrief , besonders da sich auch Klop-
stock für den entwurf verwante. Der zweck : spräche und geschmack in allen stän-
den zu reinigen , die künste und Wissenschaften in die muttersprache zu verweben
und dadurch auch im gemeinen leben zu verbreiten, auf dass sie jedem getreuen
Pfälzer verständlich und zu eigen würden, wurde sowol in den monatlichen ver-
samlungen, als aucli von den einzelnen mitgliedern innerhalb ihrer berufskreise
verfolgt. Aber verflachung und ein durch wirkliche erfolge ins leben gerufener
localpatriotismus drängten sich ein und zeigten sich auch in den „ Rheinischen Bei-
trägen" dem zwar nicht offici eilen , aber doch tatsächlichen organ der geselschaft.
Die mitglioder verraten vielfach anschluss an Herder. „Sei einfach wie die
natur" war das Schlagwort. Aber man kämpfte eifrig gegen die modernen Vereh-
rer derber Wirklichkeit. Im drama forderte man zwar stoffe aus der deutschen
geschichte nach Goethes vorgange, wünschte aber, besonders Dalberg und Klein,
den ianibischen vers. Klein neigte überhaupt zur französischen tragödie, und sein
einfluss auf den dichter des Don Kaiios, dessen aufnähme in die geselschaft er
veranlasst hatte, was grösser als bisher beachtet wurde.
Die berührung mit dem volke lockerte sich schon , als in den 80er jähren in
den Schriften mehr und mehr arbeiten hervortraten, die in verwantschaft stehen
mit den gleich anfangs von der geselschaft geplanten studien zu einer geschichte
der deutschen spräche. Noch mehr zerriss der Zusammenhang mit dem volke
dadurch, dass die preisgekrönten Verfasser der geselschaftsschriften keine Pfälzer
Avaren. Die politischen ereignisse taten das lezte, und mit der kurfürstlichen Pfalz
hörte auch die geselschaft auf.
Hiermit schlössen die sectioussitzurigen der diesjährigen versamlung. Das
album wies 41 teilnehmer auf. Als präsident der abteilung bei der nächstjährigen
versamlung in Stettin wurde herr prof. dr. Reifferscheidt zu Greifswald in aus-
sieht genommen. Herrn prof. Wilmanns wüste jeder dank für die mit besonderer
umsieht gehandhabte leitung der geschäfte.
366
LITTERATUR
Wilhelm Arnold, Deutsche Urzeit. Gotha, F. A. Perthes. 1879. 441 s. 8.
n. m. 8,40.
Der Verfasser der ,, Ansiedelungen und Wanderungen deutscher Stämme" hat
in vorliegendem werke eine wissenschaftliche darstellung der geschichte der deut
sehen urzeit bis zur gründung der fränkischen monarchie und der Innern zustände
während dieser zeit geliefert. Die ,, Deutsche urzeit" ist zunächst für das nicht-
gelehrte publikum bestimt, wendet sich aber auch an den kleineren kreis der
fachgeuossen. Nach den einleitenden bemerkungen (s. 3 und 4) beabsichtigt verf.
namentlich den streit, der bei der eigentümlichkeit der Germania des Tacitus über
den culturzustand der Deutschen unausbleiblich ist, zu entscheiden und das dun-
kel aufzuhellen, welches über der vülkerb'cwegung im eigentlichen Deutschland vor
und während der Völkerwanderung ruht. Gewiss ist es dankenswert, wenn zu sol-
chem zwecke die resultate der historischen forschungen, der vergleichenden Sprach-
forschung und mythologie zusammengefasst werden, aber während der verf. sich
für sein schweres werk wesentliche Unterstützung durch das heranziehen der orts-
namenforschung verschalft hat, hat er, wie schon von anderer seite bemerkt ist
(s. Augsb. AUg. Zeitung nr. 22 u 23. märz d. j), von den ergebnissen der ethnolo-
gie, technologie und kraniologie sowie der gräberfunde im algemeinen keinen aus-
gedehnteren gebrauch machen wollen — wol deshalb , weil von selten dieser Wis-
senschaften teilweise noch zu wenig sicheres geboten wird.
Im einzelnen ist der stoff so gegliedert, dass ein erstes buch in vier capiteln
die vorgeschichtlichen Wanderungen, die kämpfe mit dcnEömern, den pfahlgraben
und seine bedeutung und endlich die bildung der neuen stamme schildert, während
im zweiten buche die culturstufe , das kriegswesen , Verfassung und recht , glaube
und geistiges wesen behandelt werden. Im ersten capitel wird demnach der Stamm-
baum der indogermanischen Völker aufgestelt, ihre ursprüngliche heimat und der
weg, den die einzelnen stamme genommen, geschildert und endlich ein bild der
cultur des indogermanischen urvolkes entworfen. Darauf wird von der slavisch-
deutschen familie specieller und schliesslich von den Deutschen allein in allen die-
sen beziehungen gehandelt und namentlich an der band der Sprachgeschichte der
culturfortschritt und das eintreten in die nordische weit verfolgt sowie die bildung
der deutschen spräche durch alliteration, accent, lautverschiebung und ablaut dar-
gelegt. — Den algemeinen Vorzügen des Werkes, der klaren und einfach -schönen
darstellung und der geschicklichkeit in der verständlichen widergabe Avissenschaft-
licher gedanken begegnen wir schon in diesem capitel vielfach, doch muss ander-
seits hervorgehoben werden, dass der Verfasser in der darstellung von Sachen,
welche noch gegenständ viel umstrittener wissenschaftlicher fragen sind, nicht sel-
ten zu sichere entscheidungen zu treffen scheint. Dies gilt namentlich von den
partieu, in welchen die ursprünglichen Wohnsitze des urvolkes, die reihenfolge und
richtung der Wanderungen der einzelnen stamme bestimt werden. Ebenso hätte die
deutnng des namens Germanen als nachbaren (s. 26) und die einordnung der Gelten
in die slawo - deutsche gruppe nicht als unumstösslich sicheres ergebnis der Wissen-
schaft hingestelt werden sollen. — Nachdem so die Urgeschichte der Germanen bis
zu ihrem eintreten in den gesichtskreis der alten culturvölker geführt ist, bringt
das zweite capitel die kämpfe mit den Kömern in anziehender weise zur darstel-
lung. Selbst die „müssigen fragen" auf s. 46 und 68 nehmen wir gern mit in den
kauf. — Im nächsten abschnitt schildert verf. die Donau- und Eheinlinie der
VON HAGEN, ÜBER ARNOLD, DEUTSCHE URZEIT 367
römischen befestigmif?en nach ihrer äusseren von einander abweichenden gestalt,
nach ihrer entstehun«^ und richtung, nach ilirem zweck und ihrer politischen bedeu-
tung für die Eömer einerseits und für die westlich und östlich derselben wohnen-
den Deutschen andrerseits. In lezterer hinsieht wird besonders hervorgehoben , wie
das gewaltige werk die fehde- und beutelustigen deutschen hirtenstämme fest-
gehalten und an sesshaftigkeit gewöhnt habe. Dass diesem abschnitte verhältnis-
mässig viel räum gewidmet ist, so dass manches hätte gekürzt werden können —
die beschreibung des Donaulimes kehrt z. b. dreimal wider, auf s. 84, 90 und 91) —
erklärt sich daraus, dass der Verfasser sich bewust war, den meisten lesern gerade
mit diesem teile neue tatsachen und gesichtspunkto zu eröffnen, aber wol auch
daraus, dass er die bedeutung des pfahlgrabens sehr hoch anschlägt, wenn er s. 113
schreibt: ,,der pfahlgraben hat die Germanen überhaupt erst befähigt an den vor-
teilen höherer gesittung und bildung teil zu nehmen" — und s. 114: ,,dass diese
ansässigkeit sich vollziehen konte, das hat der pfahlgraben und seine Verteidigung
durch die Römer bewirkt." Wie viel aber geleistet ist, sieht man leicht aus einer
vergleichung dieses abschnittes mit der darstellung bei Forbiger Handb. d. alten geogr.
2. a. s. 305. — Im zusammenhange mit der änderung in der lebensweise der Ger-
manen steht die bildung der neuen stamme, die seit dem anfange des 3. Jahrhun-
derts an stelle der etwa 50 klein ern der älteren zeit auftreten. Verfasser verzich-
tet darauf eine Verteilung der lezteren auf die fünf hauptklassen des Plinius oder
auf die mythischen hauptstämme des Tacitus vorzunehmen und weist unter scharf-
sinniger benutzung der Ortsnamen nach, aus welchen elementen sich die fünf
stamme der Alemannen, Franken, Sachsen, Thüringer und Baiern gebildet haben.
Als Ursachen , welche das zusammenfliessen der einzelnen stamme erklären , gibt
verf. den Jahrhunderte dauernden krieg mit den Eömern und den in folge dessen
zunehmenden ackerbau sowie die kämpfe der Deutschen unter sich an. Politik und
eroberung und das emporkommen der königsherschaft scheinen hier zu wenig her-
vorgehoben zu sein. Nach s. 124 könte es scheinen, als hätten die Deutschen
überhaupt erst durch Armin gelernt bündnisse zu schliesseu, wenn es heisst: ,,Der
grosse bund, den Armin zusammengebracht hatte, löste sich zwar bald wider auf,
allein das beispiel war gegeben." Das beispiel Ariovists und Marbods zeigt aber,
wie leicht talentvolle fürsten mit ihren gefolgschaften grössere einheiten zu schaf-
fen vermocht hatten. Auch daran konte vielleicht erinnert werden, dass die alte
barbarische sitte der Germanen eine möglichst weite einöde um ihr gebiet zu schaf-
fen (Caes. B. G. VI , 23) mit der zunähme der bevölkerung und nach der entste-
hung des pfahlgrabens von selbst aufhören , die nachbarn offen Stellung zu einander
nehmen und so an stelle der alten mürrischen abgeschlossenheit enge berührungen
treten musten, die sich unter dem druck der römischen Invasion nur freundschaft-
lich gestalten konten. Die auf s. 127 gegebene beantwortung der frage, weshalb
es bei den Ostgermanen nicht zu ähnlichen processen des zusammenschmelzens
kam, hat uns nicht genügt. Da nämlich der beginn der bildung der neuen stamme
im Westen vom verf. selbst ins zweite Jahrhundert gesezt wird und die wanderuno-en
der Gothen aus dem gebiete der untern Elbe und Weichsel nach dem Schwarzen
meere in dieselbe zeit fallen, so ist nichts erklärt, wenn es heisst: „Die östlichen
stamme verliessen ihre früheren sitze, sie wanderten volständig aus und blieben
vorläufig auch auf der Wanderung geschlossene Völker. Eben darum musten die
alten namen mit wandern," denn es fragt sich grade, weshalb sich vor der Wan-
derung nicht grössere einheiten gebildet haben. Es dürfte nicht genügen auf die
spätere und weniger innige berührung zwischen Ostgermanen und Römern hinzu-
368 VON HAGEN
weisen, vielmehr müssen die vei'hältnisse des Ostens überhaupt, die Verschiedenheit
der hodenheschaffenheit und die dadurch bedingten weiteren unterschiede zwischen
Ost- und Westgermanen zur entscheidung dieser frage herangezogen werden. —
Am glücklichsten ist der nachweis , aus welchen dementen die neuen stamme her-
vorgiengen, bei Alemannen und Franken geliefert, bezüglich derer dem Verfasser
die resultate seiner eigenen Ortsnamenforschung zur seite standen; am wenigsten
zwingende gründe scheinen bei der besprechung der bildung des Sachsenstammes
vorgebracht zu sein. Die ausbreitung des Sachsenuamens wird s. 159 erklärt durch
den hinweis darauf, dass verschiedene angriffsweise gegen das römische reich vor-
gehende stamme mit dem namen desjenigen stammes bezeichnet wurden, der in
jenen gegenden die angriffe eröfnet hatte. Doch dürfte diese annähme wol nur
die erweiterte bedeutung des Sachsennamens auf seite der Römer, nicht aber bei
den Deutschen selbst ins licht setzen. Die auffallende tatsache, dass sowol bei
Sachsen als Thüringern der bundesname von dem beziehungsweise schwächsten
bestandteile der neuen stamme (s. 159 und 168) herzuleiten ist, wird nicht hervor-
gehoben oder erklärt. Doch zeigt die geschichte der entwickluug der Thüringer
glänzende combinationsgabe. Die Semnonen werden freilich wol irtümlich als
bestandteil derselben angenommen. — Über die Sueven ins klare zu kommen dürfte
nach den angaben des Verfassers schwer sein. Denn s. 121 werden dieselben zu
den Westgernianen , s. 128 aber zu den ursprünglich niederdeutschen stammen
gerechnet und s. 138 erscheinen sie als die oberdeutschen Schwaben. Die an lezter
stelle mit dem ausdruck ,,die spätem Sueven" beabsichtigte Unterscheidung tritt
jedenfals nicht bestirnt genug hervor. — Weniger neues bietet die darstellung der
Wanderungen der Baiern. Verf. entscheidet sich dafür diesen stamm von den Mar-
komannen abzuleiten und erklärt die uamensänderung aus dem zusammenschmel-
zen kleinerer gotliischer Völker mit denselben.
Die darstellung der innern zustände begint verf. mit der besprechung der
cultur. Nach einer schönen parallele zwischen Kelten und Germanen findet er,
dass wir durch die uns eigentümliche begabung an kraft, Vielseitigkeit und energie
sowie dadurch vom Schicksale begünstigt sind, dass uns eine langsame zweitausend-
jährige stetige entwicklung vergönt war, da sowol die berührung mit dem chri-
stentume als mit dem Römischen reiche zur rechten zeit erfolgte. Im algemeinen
wird die bildung, welche die Deutschen vor den lezterwähnten ereignissen erreicht
hatten, etwas niedrig angesehen. Auch von Südosten auf den s. 234 angeführten
wegen können und müssen ihnen bildungselemente zugekommen sein: erscheinen
doch grade die Gothen als die gebildetsten und bildungsfähigsten aller Germanen.
Bei darstellung der wirthschaftlichen zustände wird zwischen den extremen ansich-
ten der neuem sowie zwischen Caesar und Tacitiis vermittelt, besonders in lezter
beziehung mit glück, indem der widersprach zwischen beider berichten durch die
annähme beseitigt wird, dass Caesar am ende der alten, Tacitus am anfange der
neuen cntwicklungsperiode beobachtet habe. In den ereignissreichen 150 jähren,
die zwischen beiden grossen Schriftstellern liegen , wurde bei den Westgermanen der
folgenschwere Übergang vom halben nomadenleben zur sesshaftigkeit durch die Römer
erzwungen und eine weitere entwicklung trat durch den pfahlgrabeu ein. Diese
gedanken bilden den kern der ansieht des verf. und sie kehren deshalb an verschie-
denen vielleicht zu zahlreichen stellen (s. 113, 207, 216 — 18, 314, 320) wider. —
Dass aber in der urzeit die besiedelungen geringfügig gewesen sein müssen und
dass die bodenbearbeitung sich weder an ausdehnung noch an Intensität auch nur
mit der der fränkischen zeit vergleichen lasse, schliesst verf. zunächst aus der
ÜBER ARNOLD, DEUTSCHE URZEIT
369
g-eriiigen anzahl der ortsnamou, die sich in Hessen — der einzigen zu solclieii
beobachtungen geeigneten landschaft — als uralt herausstellen und aus der masse
von fiur- und forstnanien, die dagegen auf waldige und sumpfige bodenbeschaffen-
heit hindeuten. Analoge Verhältnisse werden für das übrige Deutschland voraus-
gesezt. Zu ähnlichen ergebuissen gelaugt verf. auch, indem er andrerseits die
berichte der alten ins rechte licht sezt. Den vielbesjjrocheuen ausdruck bei Tacitus
(Germ. 26) arva per annos mutant versteht er mit Hanssen (und Baumstark^i gewiss
richtig von einem Wechsel der äcker selbst, so dass auf einjährige bestellung eines
ackers mehrjährige benutzung desselben als Weideland folgte. Einen widersprach,
wie verf. s. 229, können wir daher auch nicht in den worten der Germania: agri —
occupantur und quos — partiuntur finden. Im ersten satze ist die rede von der occu-
pierung des teiles der feldmark, der zur bestellung an die reihe kommen soll; die
grosse dieses stückes richtet sich natürlich nach den vorhandenen arbeitskräften
(pro nuraero cultorum) und an die getroffene auswahl sind alle gebunden (ab uni-
versis occupantur). Im zweiten satze spricht Tacitus dagegen von der sich not-
wendig daranschliessenden Verteilung der zu bearbeitenden fläche unter die gau-
genossen , wobei natürlich die angesehenen besser wegkamen. Da im nächsten jähre
wider ein anderes stück laud an die reihe komt, so ist von einer ,, definitiven
landverteiluug" hier keine rede. Wenn der stamm längere zeit nicht wanderte,
konte sich allerdings das gruudeigentum in der weise entwickeln, dass einzelne
gern früher bearbeitete äcker wider in besitz nahmen, nachdem die reihe der zu
bestellenden teile der flur von vorn angefangen hatte. Gegenüber der lezteren frage,
wie das gruudeigentum sich gebildet habe , verhält sich verf. sehr zurückhaltend :
er nimt an, dass sich dasselbe erst nach einfüliruug der dreifelderwirtschaft gebil-
det habe. — • Unsicher bleiben die Schlüsse von den mit ahd. wawar = vagus
gebildeten Ortsnamen auf eine eriunerung an die sittc des wechseis mit den ackern
und von den mir -Jär gebildeten auf das wandern der niederlassung selbst. — Das
Vorhandensein von städten und damit von allem activen handel und gewerbe wird
in abrede gestelt. Man erwartet an dieser stelle des buches (s. 232) einige andeu-
tungen über die von Caesar erwähnten oppida und die zahlreichen Ortsnamen des
Ptolomaeus (II, 11) die noch Forbiger als städte auffasst, während jezt die aus-
leger zu Tacitus German. 16 dessen äusseruug strict aufrecht erhalten. Die ring-
wälle werden nur kurz erwähnt, von ihrer geographischen Verbreitung findet sich
nichts, von ihrem zwecke weiter unten weniges. Den schluss des capitels bilden
kurze mitteilungen über nahrungsmittel, kleidung und Wohnungen. — Bei der
darstellung des kriegswesens steht verf., wie er selbst andeutet, nicht auf der
grundlage selbständiger studien. Daher wol fehlt diesem abschnitte bisweilen
die anschaulichkeit, welche die Schilderungen des buches sonst auszeichnet. —
Besonderu dank sind wir dagegen dem Verfasser für die folgende darleguug
von Verfassung und recht schuldig: an klarheit wird dieselbe gewiss von kei-
ner andern übertroffen. In wieweit das hier vorgetragene aber sicher ist, wagen
wir nicht zu beurteilen. Lob verdient auch das lezte capitel vom glauben
und geistigen leben , nur hätten wir diesem wegen der inneru bedeutung der
Sache eine noch etwas grössere ausdehnung gewünscht : der räum hätte sich
durch Streichung einzelner stellen, z. b. in dem vom pfahlgraben handelnden
capitel, der diatribe auf s. 40 und der hereinziehung der mosaischen völker-
tafel (s. 8. 16. 17) gewinnen lassen. Übrigens hat das bestreben des Verfassers
den oft ausgesprochenen gedanken als richtig zu erweisen, dass die Deutschen Avie
kein anderes volk bestimt gewesen seien das Christentum zu erfassen zu einer über-
ZEITSCHR. P. DEUTSCHE PHILOLOGIE. HD. XI. 24
370 VON HAGEN
Schätzung der sittlichen bilduiig des deutschen heidentums geführt. Es darf
doch nicht verkant werden, dass unsere vorfaliren nach dieser richturg andera
indogermanischen Völkern weit nachstehen. Während z. b. die Inder die sitte der
menschenopfer schon sehr frühe aufgegeben haben, muss dieselbe bei den Deut-
schen von algemeiner beliebtheit und von hoher bedeutung für das ganze volks-
ieben gewesen sein, da sich das volk in manchen gegenden die äusseren gebrauche
der sühnopfer bis auf den heutigen tag nicht hat nehmen lassen (s. Kluge , Über
die ursprüngliche bedeutung usw. der Johannisfeste. Progr. Mühlhausen 1873). —
Sehr auffallend ist es ferner, wenn s. 425 bei erwähnung der hinopferung sämt-
licher gefangenen nach der schlacht — also bei kaltem blute — gesagt wird:
,,Es ist nicht viel anders, wie wenn in unsern heutigen schlachten bei grosser
erbitterung (!) kein pardon gegeben wird." — Einer correcteren fassung bedürfen
wol auch diejenigen stellen, an denen von der berührung des Christentums mit
dem heidentume gehandelt wird. Es klingt widersprechend, wenn es s. 439 heisst:
,, Ebensowenig ist es zufall, dass der neue glaube grade zu einer zeit verkündet
wurde, als die heidnische form des religiösen bewustseins sowol bei den Völkern
der alten weit wie bei den neu eintretenden Germanen sich ausgelebt hatte" —
während s. 200 (und ähnlich s. 429 unten) gesagt war: „Vor allem war es ein glück,
dass uns das Christentum zugeführt wurde, ehe der verfall und die entartung des
heidentums eintraten." • — Dass ,,bei den Germanen die weibliche mythologie
weniger entwickelt sei," mag im algemeinen richtig sein, doch beweisen die Tan-
fana des Tacitus und die Vagdabera Custia niederrheinischer Inschriften, die neuer-
dings mit glück als eine deutsche göttin erklärt worden ist (s. Fulda, epigraphi-
sche mitteilungen usw. in Jahrbücher des Vereins von altertumsfreunden im Khein-
lande. Heft LXI. Bonn 1877.) , dass manche weibliche gottheiten ganz verschol-
len sind, ihre anzahl also grösser gewesen sein mag, als es jezt scheint.
Bei der geringfügigkeit der von uns gemachten ausstellungen dürfen wir
gewiss das urteil aussprechen, dass der herr Verfasser sich mit seiner arbeit den
dank der gebildeten verdient hat. Wenn auch bei der benutzung für wissenschaft-
liche zwecke eine mühsame prüfimg in manchen abschnitten geboten ist, so sind
wir doch der ansieht, dass sich der wünsch des Verfassers, die fachgenossen möch-
ten sein buch nicht ohne nutzen, die laien nicht ohne vergnügen lesen, jedenfalls
erfüllen wird. Grade deshalb aber möchten wir noch zum schluss auf einige ein-
zelnheiten aufmerksam machen.
Der ausgebildete sinn für schöne form Hess den Verfasser durchweg noten
unter dem texte verschmähen, aber dass auch am ende des ganzen oder der
einzelnen abschnitte begründende, das streitige und zweifelhafte hervorhebende
anmerkungen und alle litteraturnachweisungen fehlen ist zu beklagen, da die
benutzung für den einen teil der leser dadurch sehr erschwert ist. — Die
existenz der s. 10 erwähnten „hohen gebirgskette des Belurtagh" ist nach neuern
forschungen mehr als zweifelhaft. Richtiger wäre als ostgrenze der heimat der
Indogermanen das hohe und breite plateau von Pamir genant worden. — Zu
misverständnissen gibt der ausdruck s. 11: ,,Das gotische zeigt persischen ein-
fluss" um so eher anlass als s. 25 von einer politischen berührung iranischer
stamme mit europäischen die rede ist. — Die s. 32 sehr kurz und sicher gege-
bene erklärung des deutschen betonungsgesetzes , nach der die durchgehende
betonung der stammsibe einfach auf der hervorhebuug der alliterierenden silben
beruht, wäre nur dann annehmbar, wenn es nachweisbar wäre, dass die allitera-
tion älter wäre als jene betonung und dass sie in der spräche des gewöhnlichen lebens
ÜBER ARNOLD, DEUTSCHE URZEIT 371
in demselben umfange gelierscht liabe als in der poesie. Scherer hat in einem
vortrage über den Ursprung der deutschen nationalität die in rede stehende erschei-
nung wol richtiger auf den leidenschaftlich -kriegerischen sinn der deutschen zurück-
geführt, dem es stets nur darum zu tun war das wesentlichste des wertes eindring-
lich hervorzuheben. — Der innere gruud für das auftreten der ersten lautverschiebung,
welcher s. 36 fg. aufgestelt wird, hat wenig Wahrscheinlichkeit. Denn einmal haben
auch die Gelten und Slaven die ursprünglichen aspiraten eingebüsst, andrerseits
kann das Finnische , dem die aspiraten und die Unterscheidung von media und tenuis
fehlen, ?gewiss nicht das auftreten neuer aspiraten und das feine sich im ganzen
vorgange kundgebende gcfühl für die unterschiede der cousonantenstufen erklären,
ganz abgesehen davon, dass es an sich wenig plausibel ist, dass finnische sclaven
das ganze germanische consonantensystem solten erschüttert haben. — In der
besprechung des ablauts (s. 39) ist namentlich der ausdruck ungenau: ,, anfange des
ablauts sind auch in den übrigen arischen sprachen vorhanden." Denn der Vor-
gang der vocalschwächung und namentlich der zwiefachen Steigerung ist in man-
chen indogermanischen sprachen weit durchsichtiger als im deutschen. TiTi'/urjxa
neben rt/udoj ist überdies kein beispiel für den ,,ablaut," für die a-reihe bieten
Qijyvvfxi und fQQwya neben iQQdyrjv beide Steigerungen und den einfachen wurzel-
vocal. — Die dreimal (s. 21, 392, 416) betonte etymologische Identität von dsög
und deus ist nicht ohne weiteres zuzugeben. — Falsch heisst es s. 358: ,,Truch-
sess, lat. dapifer, wie truchsess soviel als speiseträger." Das richtige lehrt jedes
lexikon. — Das ahd. zepar (s. 425) ist im gotischen nicht erhalten , es solte wol
anstatt ,,got. tibr" heissen: ags. über. — Der ausdruck (s. 111) ,,der äussere
kern blieb" und sätze wie s. 75: ,, die Soldaten waren es müde alljährlich nach
Germanien auf die schlachtbank geführt zu werden . . . und auf der heimfahrt in
der nordsee zu ertrinken" und s. 406: ,,Denn trinken tun die germanischen götter
auch" würden auch wol ohne unser zutun in einer neuen aufläge der übrigen dar-
stellung conform gemacht worden sein. Einen erheblichen druckfehler haben wir
nur s. 437 (Reichsaltertümer) bemerkt.
SÄNGERHAUSEN. THEODOR V. HAGEN.
Dr. Richard Hamel, zur Textgeschichte des Klop stockschen Messias.
Rostock, W. Werther. 1879. 62 s. M. 1,20.
Die vorliegende schrift verdient in hohem grade beachtung. Seit J. W. Loo-
bell (1856) und David Strauss (1858) ist der Verfasser meines Wissens der erste, der —
unbeirrt von den landläufigen urteilen und vorux-teilen — Klopstocks dichterische
persönlichkeit und die entwickluug seiner technik studiert hat; und er hat dies
getan nach streng philologischer methode durch genaue vergleichung der zahlrei-
chen und bedeutenden Veränderungen , welche Klopstock an dem texte seines haupt-
werkes vornahm. Das kritische material scheint herr Hamel zu beherschen wie
kein anderer; ich bin auf den genaueren nachweis der s. 8 — 9 nur kurz gegebenen
resultate seiner forschungen über die Chronologie der einzelnen teile des Messias,
sowie über den Avert und die Zuverlässigkeit der verschiedenen ausgaben begierig.
Als Vorläufer weiterer publicationen gibt herr Hamel ferner beobachtungen über die
durch metrische rücksichten hervorgerufenen änderungen, sowie einzelne andeutun-
gen über diejenigen, die ein fortschreiten der stilistischen und grammatischen ein-
sieht oder eine Umgestaltung der dogmatischen anschauung des dichters bezeugen.
24^
'612 ERDMANN, ÜBER HAMEL , ZUR TEXTGESCH. D. MESSIAS
Die mit richtigem gefülil für das wirklicii wesentliche und beachtenswerte ausge-
wählten nachweise sind oft höchst überraschend: sie lassen erkennen, welche fülle
von belehrenden und bildenden beobachtungen sich durch hingebendes Studium auch
an diesem so oft grundlos angegriffenen werke gewinnen lässt. Von den ersten
gesungen 1748 bis zur ausgäbe lezter band 1800 erscheint der dichter nicht in dem
grade, wie es öfters behauptet worden ist, fertig und abgesclilossen auf seinem
Jünglingsstandpunkte verharrend, sondern als ein bis zum greisenalter beständig
fortschreitender, lernender; er strebte, wie Hamel s. 14 mit recht bemerkt, den
fortschritten der von ihm geschaffenen dichtersprache gleich zu bleiben, ja die
führung in ihr zu behalten. Interessant sind namentlich die nachweise (s. 10 fgg.)
des einflusses, welchen die beurteilungen seiner dichtung auf Klopstock übten, so
wenig er es auch seiner würde für angemessen fand, irgend einem seiner Verehrer
oder angreifer öffentlich zu antworten. Merkwürdig sind im einzelnen ferner die
bemerkungen über die alliteration s. 34 fgg. , in der Hamel eine nachwirkung von
Klopstocks altgermanischen studien sieht. Die s. 50 fgg. 56 fgg. in kurzen zügen
dargestelte Klopstocksche dämonologie , sowie namentlich die erst almählich klar
und entschieden erfasste gestalt des bereuenden und endlich begnadigten Abbadona
hat wirklich ein weit in die anschauungen der zeit hineingreifendes Interesse; ich
erinnere an Schubarts dichtungen und plane, an Klingers romane und betrachtun-
gen, an die tiefere auffassung der Faustidee. In manchen dogmatischen fragen
(s. 55) berührt Klopstock sich merkwürdig mit seinem alten Vorgänger Otfrid
(II, 4-6).
Herrn Hamels arbeit beweist sorgfältiges quellenstudium , feine und scharfe
beobachtnng, sowie endlich die bei diesem stoffe besonders wünschenswerte fäliig-
keit, das wichtige und wesentliche aus einer menge von dateu geschickt herauszu-
heben. Diese fähigkeit ist besonders anerkennnenswert in unserer zeit, wo über
deutsche litteratur so mancher junge mann das wort ergreift, der an den unreif-
sten und unselbständigsten arbeiten eines autors hängen bleibt, ohne für einen
zusammenfassenden überblick seiner gesamtentwicklung Verständnis zu zeigen. Des-
halb dürfen wir von den weiteren arbeiten des Verfassers über Klopstock wol nicht
nur reiche belehruug im einzelnen erwarten, sondern auch (mag man auch mit
einigen ästhetischen ansichten nicht völlig einverstanden sein) ein gesamtbild von
Klopstock, welches der wirklichen bedeutung des mannes und des dichters mehr
entspreche, als das jezt bei der mehrzahl des deutschen publikums vorhersehende.
Denn jezt allerdings ist die unwillige Schlussfrage des Verfassers nicht unberech-
tigt: „Was wissen wir Deutschen von Klopstock? "
KÖNIGSBERG, SEPTEMBER 1879. OSKAR ERDMANN.
rinnboga Saga hins ramma herausgegeben von Uug-o Creriug-. Halle,
Buchhandlung des Waisenhauses, 1879. XL, 115 s. 8. M. 3,60.
Die Finnboga saga hins ramma, die uns jezt in Gering« sorgfältiger aus-
gäbe erst recht zugänglich geworden ist, gehört zu den schwächeren erzeugnissen
der isländischen sagalitteratur. Dass sie auf historische glaubwürdigkeit keinen
anspruch machen kann, hat Gudbrandr Vigfüsson nachgewiesen (vgl. Gering
s. XXXIII fgg.). Leider aber hat der Verfasser den mangel an geschichtlicher objec-
tivität auch nicht durch fesselnde erfindung zu ersetzen versucht. Die einzelnen
SYMONS, ÜBER FINNBOGA S. ED. GERING 373
Züge der erzählung, insoweit sie nicht auf historischer grundlage oder auf entloh-
nuüg aus anderen sagas beruhen , sind armselig erdichtet, die kunst der motivirung
ist kaum hie und da in schwachen spuren bemerkbar, die Charaktere der auftre-
tenden personen zeigen nirgends jene innere lebenswahrheit, die uns in den bes-
seren isländischen erzähluugen so heimatlich anmutet, sondern sie sind bald flach,
bald verzerrt. Kein wunder, dass das ganze ohne Wirkung bleibt. Auch der jüngste
herausgeber weiss dem werke, dem er eine lange liebevolle pflege gewidmet hat,
wenig gutes nachzurühmen. Das beste an ihm ist vielleicht, dass es Gering ver-
anlassung zu einer treliicheii ausgäbe geboten hat, durch welche das studium der
altnordischen grammatik eine weitere sichere grundlage erhält Man darf immer-
hin bedauern, dass der herausgeber es nicht vorgezogen hat, seineu fleiss einer
saga von bedeutenderem inneren werte zu gute kommen zu lassen, etwa der Lax-
dsela nach derselben handschrift, die seiner ausgäbe der Finnboga s. zu gründe
liegt; aber mau vergesse eben nicht, dass Grerings hauptzweck ein grammatischer
Avar. Dieser nun ist volständig erreicht, und vielleicht um so volständiger, je
weniger voraussichtlich die reize des Inhalts den leser von dem studium der Ortho-
graphie und des formenwechsels abziehen werden.
Die gestalt, in der uns Gering die saga bietet, ist ein buchstabengetreuer
abdruck des textes nach cod. AM 132 fol., von ihm mit A bezeichnet. Doch sind
offenbare Schreibfehler gebessert (der herausgeber hat sie s. XVII aufgezählt) , die
abkürzungen aufgelöst, die eigennamen durch grosse anfangsbuchstabea kentlich
gemacht, endlich ist unabhängig von der handsclu-ift eine geregelte Interpunktion
durchgeführt, bei der jedoch — ich sehe nicht recht, aus welchem gruude — aus-
schliesslich der punkt verwendet wurde. Vielleicht hätte mancher eine durchweg
normalisierte ausgäbe vorgezogen. Ich meinerseits bin dem herausgeber dafür
dankbar, dass er darauf verzichtet hat. Zu einer im höchsten sinne kritischen
behandlung des textes lag durchaus kein grund vor. So aber hat Gering durch
einen getreuen abdruck, der überall den eindruck grosser genauigkeit macht, dem
grammatiker ein beträchtliches stück einer wichtigen handschrift als schätzbares
material für Untersuchungen geboten. Der codex AM 132 gehört zu den bekan-
testen, zugleich aber zu den vorzüglichsten isländischen handschriften. Bekant
geworden ist er in Deutschland wol namentlich durch die auf ihm beruhende aus-
gäbe der Hallfredar saga in den Fornsögur von G. Vigfusson und Tb. Möbius.
Die Orthographie der handschrift, obgleich ebensowenig wie die irgend einer ande-
ren isländischen handschrift durchaus consequent, ist doch verhältnissmässig gerin-
gen Schwankungen unterworfen und gibt ein vorzügliches bild von dem stände
des laut- und formenwechsels um die scheide des XIII. und XIV. Jahrhunderts.
Der Variantenapparat unter dem texte bietet die lesarten von cod. membr. AM 510.
4. saec. XV/XVI, von Gering mit B bezeichnet, diese in normalisierter Ortho-
graphie.
Die einleitung gibt über alles wissenswerte genügende auskunft. Sie bespricht
zuerst die benuzten handschriften , am eingehendsten natürlich A. Die lautverhält-
nisse dieses cod. sind genau dargestelt , einiges aus der formenlehre ist hinzugefügt
(s. V— XIX). Gerings samlungen sind ein dankenswerter beitrag zur altn. gram-
matik. Dabei fallen auch einige bemerkungen ab, die der aufmerksamkeit der
grammatiker nicht entgehen werden. Namentlich hebe ich hervor das s. VI fgg.
über die formen des verbums (jera gesagte. Gering macht mit recht auf die merk-
würdige erscheinung aufmerksam, dass in den überlieferten formen der handschrift
dieselbe differenzieruug vorliegt, die sich in den neunordischen sprachen bis auf den
374 SYMONS
heutigen tag crhalteu hat. Während der i^raeseiisstamni fast ausnahmslos e zeigt
(nur ein einziges mal findet sich, wol durch schreibernachlässigkeit, die 2. pers.
sing, imperat. gior 11 1^), also fjera , c/eri, ger usw., kent das praeteritum sowie
das adjectiv und adverb neben formen mit e (geräa, gert, gerla usw.) auch solche
mit io resp. o {gioräis , giorr, giorla, gort usw.). Nun ist ohne weiteres klar, dass
mit e einerseits, mit o und io andererseits verschiedene laute gemeint sind: e ist
der combiuierte v-{-j- umlaut des ursprünglichen ä (e), o der einfache t;-umlaut
((?), während nach Gerings wol richtiger auffassung das i (= j) vor dem o in der
Schreibung io aus den praesensformen eingedrungen ist, die, wie das heutige dän.
gjore, norw. gjora, auch isl. ohne frage gJ0ra, gjera gesprochen worden sind. Die
differenzierung scheint, trozdem einige der ältesten isl. hss. sie nicht oder doch
nur teilweise kennen, alt zu sein. Zu entscheiden bleibt, ob die demnach anzu-
setzenden praeteritalformen geräa und gqräa , sowie die adjectiva gorr und gqrr,
beide lautgesezlich aus verschiedenen grundformen zu stände gekommen sind, oder
ob nicht vielmehr physiologisch nur die formen gqräa, gqrr berechtigt sind, die
nebenher laufenden goräa , gorr aber auf formenassociution nach der analogie des
praesensstammes beruhen. Gering neigt sich zu lezterer annähme. Bugge Röksten
s. 43 fg. (nicht 34, wie Gering s. VII anm. irtümlich angibt) denkt für das adj.
wenigstens an verschiedene grundformen *garvir und *garvar. In einer anzeige von
Gerings buch im lezten hefte der Germania (XXIV, 368 fgg.) hat 0. Brenner die
frage eingehend besprochen. Brenner will das io in den formen des praeteritums
als brechuug von e auffassen. Zu einer sicheren entscheidung gelangt er übrigens
nicht. Seine fleissige, aber wenig übersichtliche erörtcrung hat mich nicht über-
zeugt. Ist die diifereuzierung in der tat alt — und diese fi'age bedarf allerdings
noch genauerer Untersuchung — , so halte ich mit Gering eine doppelte formüber-
tragung aus dem praesens, zuerst des * {j), dann des 0 (e), also eine entwicklungs-
reihe *garväa, gqräa, gjqräa, gjeräu (= geräa, geräa) für recht wahrscheinlich.
Gerade der umstand, dass nicht das praet. , wol aber das adj. noch formen mit
einfachem <^ zeigt, spricht für die annähme einer ausgleichung, da das adjectiv,
als ausserhalb des verbalsystems stehend , sich in seiner grösseren Isolierung der
Wirkung der analogie am längsten entziehen konnte. — Eine hübsche beobachtung
ist auch der s. XI erwähnte Wechsel von ä und t im auslaute mehrsilbiger Wörter,
je nachdem die vorlezte silbe mit t schliesst oder nicht. Also getiä, litiä, aber
tekit , mikit. Vgl. jezt auch Brenner a. a. o. s. 371, dem ich beistimme. Zu der
bemerkung s. XIII, dass die hs. vor dentalen, namentlich nach vorhergehendem
kurzen vocal, l und n verdoppelt, verweise ich jezt zur ergänzung auf E. Mogk
Beitr. 6 , 482 anm. 6.
S. XIX — XXXI handeln von den übrigen handschriften , in denen die Pinn-
boga saga ganz «oder teilweise überliefert ist. Die behauptung Gerings, dass A
und B auf eine gemeinsame quelle zurückgehen, A jedoch der urform der saga bei
weitem näher steht, hat sich mir bei nachprüfung der ersten 20 capitel als zutref-
fend erwiesen. Für die textkritik der saga kömt ausserdem das fragment C in
betracht, ein pergamentblatt (cod. AM 162 B fol. saec. XV), das s. XXI fgg. vol-
ständig abgedruckt ist. Der tcxt ist kürzer als der von A und B. Im gegensatze
zum neuen handschriftenkataloge der Universitätsbibliothek zu Kopenhagen hält
Gering das fragment für den rest einer gekürzten recension der saga, die B näher
steht als A, ohne doch direct auf jene hs. zurückzugehen. Auch dieser ansieht des
herausgcbers muss ich beipflichten. Alle übrigen hss. , sämtlich bis auf n papier-
handschriften , schliessen sich entweder an A oder an B an oder sind mischhand-
ÜBEK FINNBOGA S. ED. GERING 375
Schriften, und kommen für die textkritik nicht -weiter in frage. Die vcrwantschafts-
verhältnisse sämtlicher Codices verdeutlicht ein Stammbaum s. XXXI, der für ABC
ohne zweifei richtig ist. Ob auch für die papierhss. , deren Varianten der heraus-
geber verständiger weise nicht mitgeteilt hat, kann ich natürlich nicht entscheiden.
Es kömt übrigens bei dem geringen wert der saga auch gar nicht darauf an.
Das lezte viertel der einleituug verbreitet sich über die bisherigen ausgaben
und die bisherige litteraturgeschichtliche Verwertung der saga (s. XXXI — XXXIII),
ihre historische glaubwttrdigkeit (s. XXXIII — XXXVIII) und ihren ästhetischen
wort (s. XXXVIII — XL). Die ,, schwachen spuren einer gewissen epischen kunst
und eines gesunden, trockenen humors," die Gering s. XXXIX bemerkt haben will,
scheinen mir in der tat so schwach zu sein, dass das äuge eines herausgcbers dazu
nötig ist, sie zu entdecken.
Dem texte folgt ein glossar und namenverzeichnis. Im glossar sind nur die-
jenigen Wörter und bedeutungen berücksichtigt, die in Möbius altnordischem glos-
sar fehlen , und dies verfahren ist nur zu billigen , da man erwarten und verlangen
darf, dass jenes vortreft'liche hilfsmittel sich in der hand jedes anfängers befindet.
Druck und ausstattung des buches lassen nichts zu wünschen übrig. Von
druckfehlern, die s. 113 fgg. nicht berichtigt sind, ist mir nur aufgefallen: s. VIII,
z. 2 V. u. fülle, 1. fälle. Fafnismäl mit kurzer erster silbe s. XII ist wol nur ein
versehen, da die länge des a gesichert ist.
Viele isländische sagas sind kaum zugänglich oder in einer gestalt, die den
an Sprüchen unserer zeit nicht mehr genügt, unter diesen einige der schönsten.
Eine neue ausgäbe der Laxdasla und der Eigla ist ein dringendes bedürfnis. Gewiss
würden alle freunde der altnordischen litteratur es Gering dank wissen, wenn er
sich dazu entschliessen könte, diesem bedürfnis abzuhelfen.
GRONINGEN, 10. SEPT. 1879. B. SYMONS.
1) Die Zeitfolge der abhängigen rede im Deutschen von dr. Otto
Behag-hel. Paderborn , Ferd. Schöningh. 1878. 85 s. 8. M. 1,50.
2) Über einige fälle des conjunctivs im mittelhochdeutschen. Ein
beitrag zur syntax des zusammengesezten satzes, von Ludwig" Bock
(Quellen und Forschungen XXVII). — Strassburg, Karl J. Trübner, 1878.
VIII, 74 s. 8. M. 1,50.
Der in folge verschiedener umstände leider sehr verspäteten anzeige vorste-
hender abhandlungen möge ein kurzes wort über die algemeine äussere fassung
derartiger Untersuchungen vorausgehen.
Derjenige wird sich offenbar den besten dank seiner leser erwerben, welcher
nicht nur ein interessantes wissenschaftliches problem richtig löst, sondern auch
diese lösung in einer weise 'zur darstellung bringt, dass der leser in möglichst
kurzer zeit und mit möglichst geringer mühe Übersicht über und einsieht in den
erörterten gegenständ gewint. Das gilt nun freilich von wissenschaftlichen Unter-
suchungen jeder art, nicht zum mindesten aber von denjenigen, welche syntactische
fragen zum objecte haben, deren heikle natur so wie so schon aufmerksamkeit und
nachdenken völlig in auspruch nimt. Wünschenswert ist also eine klare und über-
sichtliche einteilung der abhandlung in hauptabschnitte , kapitel und paragraphen,
376 KLINGHARDT
und dies nicht nur iiu köpfe des Verfassers, sondern auch für das äuge des lesers
in Überschriften, Vorschriften, gesperrtem druck usav. ersichtlich; zeitweise, gleich-
falls äusserlich hervorgehobene Zusammenfassung der gewonnenen resultate, sowie —
bei selbständig publiciertcn abhandlungen — eine voransgestelte oder nachfolgende
tabellarische Übersicht des Inhalts dienen ebenfalls sehr zur Unterstützung des
lesers.
In dieser hinsieht ist die Bocks che arbeit geradezu als musterhaft zu bezeich-
nen, und man muss auf das dringendste wünschen, dass recht viele sich an solcher
darstellung ein beispiel nehmen mögen. Dagegen erschwert die Behagheische
abhandlung mit ihren endlos ohne alles äussere merkzeichen fortlaufenden abschnit-
ten ausserordentlich die arbeit der lectüre.
Noch etwas anderes aber möchte ich vor allem denjenigen empfehlen , welche
Untersuchungen ähnlicher natur veröffentlichen. Nur in seltenen fällen nämlich
wird es nötig oder möglich sein, diejenige sprachstufe bzw. diejenigen sprach-
stufen, welche das object der erörtemng bilden, nach ihrem ganzen umfange zu
durchforschen. Damit der leser nun aber genaue kontnis erhält des bodens , auf
dem sich die Untersuchung bewegt, würde es recht dienlich sein, wenn die Verfas-
ser immer, bevor sie in ihi-e syntactische erörterung eintreten, genau angeben,
welche schriftsteiler resp. werke sie mit rüeksicht auf die vorliegende frage voll-
ständig durchgearbeitet haben, und welche andere von ihnen nur teilweise und
oberflächlich mit herangezogen worden sind.
1) Ich wende mich nun Behaghels schrift über die Zeitfolge der abhän-
gigen rede im deutschen zu. Dass verf. für Untersuchungen der historischen
bzw. der vergleichenden syntax die richtigen gesichtspunkte bosizt, beweisen
abschnitte algemeiner art wie s. 3 und s. 10, 14, 26, 27; und in der tat ist die
historische syntax eine noch zu junge Wissenschaft, als dass es nicht angezeigt
wäre, ihre grundsätze immer und immer wider zu betonen und zu widerholen. Die
frage aber, die sich verf. stelt, ist diese: ,,Wie werden im deutschen der
conj. praes. und conj. praet. in der abhängigen rede verwendet?"
Derselbe versteht nun unter abhängiger rede* jede mittcilung der worte oder
gedanken eines andern, soweit sie nicht genau in derselben form berichtet werden,
wie dieser sie ausgesprochen hat oder aussprechen würde. Aber unzweifelhaft sind
auch abhängige sätze hierher zu ziehen, welche worte oder gedanken, nicht eines
andern, sondern des redenden selbst enthalten (deren regierendes verbura in der
ersten person steht), wie ik ivänu that st (s. 21), ich bin ein armer grosse)- Sün-
der, und zoch mich des mein sünd , das ich des nit ivirdig tver, bis das ich mein
sünd gebeichtet hab (s. 55, o.), vgl. Erec 7337. 7054. Otfr. IV, 20, 13, vom verf.
auf s. 44 und 45 citiert. Verf. fährt fort: „somit hat das gebiet meiner Unter-
suchung nicht ganz den gleichen umfang, wie in der lateinischen grammatik die
lehre von der cousecutio temporum ; doch sollen auch die verhältnissmässig wenigen
fälle, die durch ineine fassung des themas ausgeschlossen sind, gelegentlich ihre
1) Verf. wechselt ad libitum mit den ausdrucken ,, abhängige rede, iudirecte
rede, oratio oLliqua," was, an und für sich nicht ganz correct, der Sauberkeit der
Untersuchung um deswillen besonders eintrag tut, weil, was verf. darunter versteht,
sich mit dem landläufigen sinne keiner der drei ausdrücke deckt; ähnlich störend wirkt
der Wechsel der bezeichnungeti conjunctiv und optativ (s. 20); vgl. s. 21 bald wann
und bald wäniu,
ÜBER BEHAGHEL, ZEITFOLGE 377
Icrücksiclitigung tindeu." Tatsächlich verhält sich aber verf. so , dass er bis s. 52
sich mit altdeutscher, von da ab mit neudeutscher cons. tempp. beschäftigt; für
jenes capitel, wo er sich hauptsächlich auf Otfrid stüzt und nur gelegentlich mhd.
deukmäler zur aushülfe und Unterstützung heranzieht, verwertet er ideell abhängige,
d. h. vom gesichtspunkte des subjects des regierenden verbums aus gcfasste neben-
sätze verschiedenster art für seine Untersuchung: vor allem natürlich objectssätze
und indirecte fragen, aber auch subjectssätze , appositionelle (resp. explicative) sub-
stantivsätze (z. b. Otfr. II , 8 , 18) , finale nebensätze und cousecutivsätze verschie-
dener art, ferner concessivsätze , auch ein temporaler nebensatz begegnet (Otfr. IV,
15, 54, auf s. 42) und relativsätze; warum nicht auch ideell abhängige causal- und
comparativsätze , und von den abhängigen conditionaleu sätzen wenigstens solche, die
in unabhängiger fassung indicativisch sein würden, behandelt worden sind, ist nicht
recht ersichtlich. Von s. 52 ab aber, wo verf. die neudeutschen Verhältnisse unter-
sucht, beschränkt er sich im algemeinen auf das was wir gemeiniglich abhängige
rede (indirecte rede, oratio obliqua) nennen, und ideell abhängige objectssätze. Es
scheint fast, dass verf., nachdem er sich seine aufgäbe, consec. tempp. der abhän-
gigen rede, gestelt, im ahd. nicht genügendes material für seine Untersuchung
fand — nach natur und zahl der denkmäler ist eigentliche abhängige rede hier
wirklich recht selten — und sich so genötigt sah, eine reihe constructionen mit
herbeizuziebn, die eigentlich nicht unter den begrifi' der abhängigen rede fallen;
für das nhd. mit seiner reichen, namentlich erzählenden litteratur, und mit seiner
fertigkeit in der auwendung der abhängigen rede, war das nicht notwendig. So
bietet uns verf. für das altdeutsche eine darstellung der consec. tempp. nicht nur
in der abhängigen rede, sondern überhaupt in den ideell abhängigen sätzen, wenn
auch nicht alle arten derselben umfassend; für das neudeutsche beschränkt er sich
auf die eigentliche abhängige rede bzw. ideell abhängigen objectssätze. Dem ent-
sprechend hätte verf. besser getan, den titel seiner arbeit anders zu fassen und
zugleich für das ahd. auf alle nebensätze der angegebenen art auszudehnen.
Für das ahd. stüzt sich verf., wie gesagt, ausschliesslich auf Otfrid, zieht
aber auch gelegentlich den ihm wolbekanten Heliand heran und die spräche der
mhd. epiker, durchweg nur zur bestätigung der für Otfrid gemachten beobachtun-
gen. Das gewonnene gesetz aber ist dieses: während im ahd. und mhd. auf prae-
sens der conj. praes. , auf practeritum der conj. praet. folgt (s. 1 — 52), macht sich
seit der mitte des 15. Jahrhunderts im neudeutschen, erst ganz spurenweise, in den
folgenden Jahrhunderten aber immer deutlicher das bestreben geltend, den conj.
praes. nicht nur nach dem praesens, sondern auch nach dem praeteritum eintreten
zu lassen, bis dieses princip in der gegenwart endlich zum siege gelangt ist —
d. h. im sclu-iftdeutschen ; von den dialecten stimt das alemann, , schwäb. , bair.
zum schriftdeutschen, ja führt dessen princip noch viel consequenter durch, wäh-
rend die niederdeutschen, mitteldeutschen, fränk. und Österreich, dialecte das-
selbe auf den köpf stellen und auf praes. wie praet. ausschliesslich den conj. praet.
folgen lassen (s. 82 — 85).
Der zweite teil der arbeit fesselt unser höchstes Interesse, indem er uns
unter der musterhaft umsichtigen, vorsichtigen und sorgfältigen leitnng des verf.
verfolgen lässt, wie ein ganz neues princip in der spräche auftaucht, nach und
nach boden gewint und endlich die herschaft erlangt. Der erste teil aber ist noch
reicher an wertvollen erörterungen und bemerkungen, da er sich zur aufgäbe stelt,
den boden der folgenden Untersuchung durch feste und mannigfaltige Verankerung
nach den verwanten sprachen und erst zu erschliessenden sprachepochen hin allsei-
378 KLINGHÄEDT
tig ZU sichern, und demnächst das so vielfach strittige und umstrittene Otfridische
Sprachmaterial für die vorliegende frage möglichst reinlich zu sichten und klarzu-
stellen. — Die statistischen resultate des zweiten teils und die angefügten moti-
vierungen werden kaum ernstlichem Widerspruch begegnen; dagegen sind die aufstel-
lungen des ersten teils, wie das in der natur der sache liegt, viel mehr discutabler
art. Indem ich nun im folgenden den Inhalt und plan der arbeit kurz skizzieren
werde, will ich — im Interesse der sache — diejenigen punkte hervorheben, wo
ich von der ansieht des Verfassers abweiche.
S. 4 — 35 beschäftigen sich mit den drei beziehungsverschiebungen, durch
welche die indirecte rede sich von der directen unterscheidet: personenverschiebung,
tempus- und modusverschiebung; und zwar v.'irft s. 4 — 13 die frage auf: wie ist
der eintritt der personenverschiebung in indirecter rede zu erklären; s. 13 — 19,
in welcher sprachepoche ist dieselbe zuerst eingetreten ? s. 19 — 22 , wie ist die
modusverschiebung zu erklären? worauf a) mit negativer antwort die entstehung
aus einem potentialis praeteriti zurückgewiesen (s. 22 — 31) und sodann eine posi-
tive lösung versucht wird; auf s. 32 schiebt sich ein versuch ein, die functionsver-
schiedenheit des conj. praes. und des conj. praet. zu erklären, und dann folgen
zum schluss dieses algemeinen teils, s. 32 — 35, ein blick auf das verhalten der
classischen sprachen rücksichtlich der consec. tempp. , s. 35 — 37 eine kurze bespre-
chung der die indirecte rede mit dem regierenden vcrbum verknüpfenden conjunc-
tionen. In summa beschäftigt sich also dieser abschnitt ausschliesslich mit dem
algemeinen wesen der indirecten rede im landläufigen sinne des wertes.
Da die herleitung der personenverschiebung aus der ,, berichtenden" (s. 12)
form unzweifelhaft ist, so übergehe ich die ausstellungen, die sich an verschie-
denen der afranz. und griech. beispiele, die der verf. beibringt, machen Hessen;
die dem hebräischen entlehnten citate sind wol mehr ornamental , und mit dem
vereinzelten ueugriech. beispiel ist zumal so ausserhalb des Zusammenhanges nichts
zu machen. Auch dass die ausbildung des or. obl. in die einzelsprachen zu ver-
legen sei (s. 17 u.) , wird niemand dem verf. bestreiten ; nur dies ist eigentüm-
lich, dass Behaghel sich zu diesem Schlüsse bestimt sieht, trotz der Überein-
stimmung des griech,, latein. und deutschen (s. 14 u.). Ich meine viel-
mehr, ein erster blick auf die drei sprachen muss wegen der grossen Verschie-
denheit derselben in der or. obl. jeden gedanken an eine gemeinschaftliche
abstammung dieser redeweise ausschliessen. Der Lateiner wendet acc. c. Inf. an
ohne tempusverschiebung des Infinitivs. Der Deutsche lässt personen- nnd modus-
verschiebung eintreten, wozu bis zum KJ. Jahrhundert noch notwendiger weise tem-
pusverschiebung kam. Der Grieche wendet zunächst in viel ausgedehnterem mass-
stabe als die beiden andern Völkern die directe rede an, mag er sie nun mit ort
einleiten oder nicht; er kann sich auch mit der blossen personenverschiebung begnü-
gen (in der 2. und 3. person); iS^kcooa KvQog , oti 'hoif.i6g lari ^dxto^at (direct
'hoi/iwg tifit); er kann dazu noch modusverschiebung eintreten lassen: d J' ane-
XQIVCCTO, ÖTI ICXOVOl ^AßQOXÖfiaV l/S^QüV ävSQa ItiI Tüj ElKfQUrt] nOTCCjUÜ (iVKl (st.
axovai und weiter (izoi'fo) ; oder aber, anstatt dessen tempusverschiebung: 6 /»i-
Ctvbg üv!>Qomog fj/uäg (iit3im' iinnuTmi xal X^yoiV (og (pi lad t'jrcaog rjv usw. (st.
iGTiv bzw. fifit). Die alid. und mhd. weise aber, modus- und tempusverschiebung
(neben der personenverschiebung) zu combinieren, ist dem Griechen ganz
unmöglich, da seine practerita (impf., aor., plusqpf.) überhaupt nur einen
modus, den indicativ haben. Das weiss nun Behaghel recht wol, citiert er doch
zur beglaubigung dieser freilich allgemach recht trivial gewordenen tatsache einen
ÜBEB BEHAGHEL, ZEITFOLGE 379
satz Delbrücks: „dass die iiiodi des aorist von denen des praesens nicht derzeitstufe
nach verschieden sind, ist aus jeder seite uusrer beispielsanilung ersichtlich" (s. 22),
wovon gleich mehr. Zuvor will ich nämlich noch aufmerksam machen, wie bedenklich
im abschnitt über modusverschiebung der schluss ist: „weil im griechischen —
deshalb im deutschen" s. 20 o., eine folgerung, die niemals in dieser weise zu zie-
hen ist; gleiche erscheinungen brauchen schlechterdings nicht auf gleiche quelle
zurückzugehn , wie verf. selbst recht schön auf s. 14 auseinaudersezt. Und doch hat
sich derselbe noch einmal, im abschnitt über die teiupusverschiebung , s. 22, in der-
selben weise verfangen. Er fährt nämlich nach den oben citierten Worten Delbrücks
fort: „das ist vom sanscrit und vom griechischen gesagt, gilt demnach schon
a priori auch für die älteste zeit des germanischen." Doppelt falsch : erstens, weil,
wie eben bemerkt, niemals ohne weiteres von einer spräche auf die andere zu
schliessen ist; zweitens, weil die dinge im griech. aor. ganz anders liegen als im
deutschen praeteritum. Nach dem gesunden grundsatze nämlich , dass — im allge-
meinen — nur solche formen , welche praeteritale zeichen tragen , auch praeteritale
bedeutung haben, können conj. usw. des aorist im griech. gar nicht auf die Ver-
gangenheit gehn, weil ihnen ja das — abgesehn von der reduplication — einzig
hierfür charakteristische merkmal, das augment, fehlt. Im deutschen dagegen
muss man zunächst für den conj. praet. auch praeteritale bedeutung erwarten,
weil er ja mit dem indicativ die zeichen des praeteritums , ablaut bzw. reduplica-
tion , teilt. Hiernach wäre die ganze Untersuchung über die ursprüngliche und histo-
rische function des conj. praet. von neuem und auf ganz andrer basis vorzunehmen.
Derselbe falsche gesichtspunkt Hess den verf. auch in der erörterung über den
conj. praet. als aasdruck der Irrealität (s. 32) das richtige verfehlen. Für diese
bedeutung der form liegt der Schwerpunkt nicht , wie Behaghel es auffasst , in ihrem
modalen, sondern in ihrem temporalen Charakter; das zeigen: aXtyov äv, ei
rjäsiv, dicerem si scirem u. ä. , vgl. aber auch „ si mihi omnes, ut erat aequum,
faverent" (Zumpt s. 344) u. ä. , eine redeweise, die einen sehr bedeutsamen finger-
zeig enthält, ferner „je le dirais (i. e. dire avais) si je le savais," auf den ersten
blick, und ich denke nicht, dass jemand gegen die beweiskraft der analogien in
den verwanten sprachen protest erheben wird. Ob das deutsche sich für conj. oder
indic. entschied, war dem zufall resp. den umständen überlassen; etwas andres aber
als das praeteritum für die Vorstellung der Irrealität anzuwenden, wäre ihm nicht
möglich gewesen; war das nicht schon ererbt, so lag es wenigstens in der ererbten
anschauungsweise. Schliesslich will ich doch nicht ganz ohne jede bemerkung an
der besprechung vorübergehn, welche Behaghel den die abhängige rede mit dem
hauptsatz verknüpfenden conjunctionen widmet, und wegen seines Widerspruchs
gegen meine ihm sehr problematisch erscheinende theorie von got. ei als expletiver
Partikel wenigstens so viel entgegnen: Sein schluss vom sanscrit und zend auf das
deutsche ist weder im algemeinen noch im besondern zwingend , und zweitens
erlaube ich mir noch fernerhin ohne weiteres von ö als expletiver partikel im
griechischen zu reden, bis man mir das praefix von oTioTog usw. in anderer und
zweifelloser weise erklärt. Dass Erdmann mit seiner Vermutung (IX. bd. dieser
ztschr. s. 45), hier möge Zusammensetzung mit dem stamm des pronomens selbst
vorliegen, bei den linguisten viel beifall finden solte, bezweifle ich; die annähme
noch in den einzelsprachen selbständig existierender stamme ist wol nachgerade
mehr als problematisch geworden.
So weit der allgemeine teil. Von s. 37 begint verf. das im deutschen vor-
liegende material auf die consec. tempp. zu sichten und festzustellen, und zwar
380 KLINGHABDT
reicht die erörtening des bis zum ausgange des mittelalters giltigen Sprachgebrauchs
bis s. 52, worauf die uütersuchuijg zur neuen zeit übergeht. Für jene erste periode
stelt verf. das gesetz an die spitze: nach praesens des hauptsatzes folgt
praesens im nebeusatz, nach praeteritum folgt praeteritum, um
darauf die legitimen ausnahmen dieser regel festzustellen. Und zwar kann auf
praesens auch conj. praet. folgen, wenn es perfectischen wert hat, ivänit er wäri =
er sei gewesen, s. 37 — 38; sodann kann nach praeteritum auch couj. praes. folgen,
wenn die im nebensatz ausgedrückte tatsache noch in die gegenwart hineinreicht,
doch ist die anwendung des praet. das gewöhnliche, das praesens eine seltene aus-
nähme, die später gänzlich verschwindet (s. 39 — 41); ein gewisses schwanken zeigt
sich nach dem mit dem praesens des hilfsverbums gebildeten perfectum: hier wird
entschieden das praesens vorgezogen (s. 41 — 44); für consec. tempp. nach perfec-
tischem conj. praet. sind nur zwei beispiele beizubringen, von denen eins perfect,
das andere, aus Heliand, praesens aufweist (s. 44u.); nach dem auf die gegen-
wart bezüglichen modus irrealis (conj. praet.) folgt conj. praet., auch wenn der
nebensatz durchaus real ist (s. 45 — 47). Eine illegitime aber begreifliche ausnähme
bildet das formelhafte ni si nach conj. praet. (s. 47); andre ausnahmen sind bei
Otfrid durch reimnot zu erklären, einzelne mögen freilich im Sprachgebrauch noch
gerechtfertigt sein, so auch ein paar aus Ulfilas; jedenfalls ist nach Otfrid ein
praes. nach praet. ein sprachlicher fehler (s. 48 — 50); die lezten ausnahmen erklä-
ren sich durch Übergang in die directe rede (s. 51 — 52).
Können wir in diesem abschnitte der autfassung des geehrten herrn Verfassers
fast punkt für punkt beistimmen , so ist im folgenden lezten teil das beigebrachte
reiche beweismaterial seiner natur nach nirgends strittig; um so mehr verdienst
hat sich der Verfasser erworben durch die Sauberkeit, mit der er seineu stofl" grup-
piert und alle Sonderfälle herausschält, sowie durch die umsichtige genauigkeit,
mit der er die für gewinuung eines augenfälligen gesamtresultats so notwendige
procentrechnung ausführt. Und zwar beschäftigt er sich der reihe nach mit dem
16. jahrh. (s. 52 — 57), dem 17. jahrh. (s. 57 — 63), dem 18. jahrh. (s. 63 — 67),
dem 19. jahrh. (s. 67 — 69) und den dialecten (s. 69 — 75). Treflich ist dann die
Untersuchung, was den anlass zur ausbildung der nhd. consec. tempp. gegeben
(s. 75 — 76), was der grund gewesen, dass das praesens immer weiter um sich
griff (s. 76 — 78) und warum diese bewegung gerade mitte des 15. Jahrhunderts
ihren aufang genommen (s. 78 — 83); lezterer abschnitt enthält eine beachtenswerte
Skizze der geschichte des erst um diese zeit im deutschen reichlicher auftretenden
praesens historicum. In dieselbe zeit und mit der vorhergehenden erscheinung
zusammenhängend, fält die Verwendung des perfectum praesens für praeteritum
(s. 83 — 85).
Wir scheiden von der arbeit — trotz der verschiedenen ausstellungen , die
ref. den geehrten henn Verfasser bittet ihm nicht verübeln zu wollen — mit dem
wo Itu enden gefühl , dass nun wider eine wichtige sache erledigt ist, und mit der
Überzeugung, dass wir nur noch einer reihe solcher arbeiten bedürfen, damit sich
die vergleichende historische syntax mit ehren neben den andern , neuerdings so
zahlreich emporspriessenden jungen disciplinen kann sehen lassen.
2) Erdmann (A. F. D. A. IV s. 343) begrüsst mit freude die von Bock in
der obigen schrift gegebenen ,, positiven nachweise eines Zusammenhanges syntac-
tischer eischeinungen innerhalb eines scharf begrenzten gebietes." Das ist in der
ÜBER HOCK, CONJUNCTIV 381
tat auch anzuerkenueii , imiiierliiii aber innss bemerkt werden, dass die beschrän-
kuiig- nicht genüf^t, dass vielmehr eine monographie der vorliegenden art erst dann
wirklich die Wissenschaft fördert, wenn sie innerhalb ihres melir oder weniger
bescliränkten kreises das darin enthaltene material vollständig und zuverlässig
erschöpft, also wo immer sich ein gewisses schwanken des Sprachgebrauchs zeigt,
die stärke und ausdehnung der auseinandergehenden neigungen ziffermässig und
nach procenten feststelt: Behaghels lezter teil, der die zeit seit der mitte des
15. Jahrhunderts behandelt, gibt für dieses verfahren ein sehr zu beherzigendes
beispiel. Was machen wir mit belegen, die, nur zum teil nach Jahrhunderten
geschieden, im übrigen aus den verschiedenartigsten Schriftstellern zusammengetra-
gen und nach belieben hier und dort einzeln herausgegriffen sind? Es kümmert
uns sehr wenig, dass ,,die folgende beispielsam lung nicht ein gegen diese
auffassung sprechendes beispiel enthält" (s. 8), wir wollen das von den mhd.
denkmälern oder wenigstens einem teil derselben festgestelt wissen; s. 21 heisst
es: ,, diese strenge genauigkeit ist nicht die regel , es erscheint öfter der indicativ "
oder ,,der conjunctiv, sehr gewöhnlich" s. 27 ; „selten im conjuuctiv" s. 30; ,,ira
mhd. findet sich dieser conjunctiv öfter" s. 39; ,,indic. und conj. für das praesens
mögen sich die wage halten , während im praeteritum der indic. bei weitem über-
wiegt" s. 46 u. ä. Dem gegenüber erscheint es dem ref. viel angemessener, wenn
verf. etwa ein paar höfische dichter und ein paar werke volkstümlichen characters
sich herausgesucht hätte , oder einerseits solche , welche sich auf der höhe der mhd.
sprachgewantheit befinden , andrerseits solche , die ihr zeitlich vorausliegen , und
andre, die bereits dem niedergango angehören, für diese aber, mit zahlen und
nach procenten, vollständig genau und bestimt das gegenseitige Verhältnis von con-
junctiv und indicativ constatiert hätte. Nicht als ob wir seinen angaben von häu-
figkeit und Seltenheit usw. nicht im algemeinen gern glauben schenkten, aber es
ist unbestreitbar, dass seine Untersuchung, aus dem angegebenen gründe, für
weiterbauende forschung nicht genügend sichern boden liefert.
Dass im übrigen des Verfassers arbeit sehr planvoll und klar angelegt ist,
wurde schon oben mit genugtuung hervorgehoben, und lehrt schon ein blick auf
die vorzüglich orientierende , fast vier selten füllende Inhaltsangabe. Verf. beschränkt
sich mit recht auf die Untersuchung solcher mhd. nebensätze, wo das nhd. den
conjunctiv entweder gar nicht mehr (abschnitt A.) oder nur seltner (abschnitt B.)
anwendet; unter den ersten teil fallen I. die von einem comparativ abhän-
gigen nebensätze, II. die von e, e dan, e da^ abhängigen adverbialsätze der zeit,
III. der subjectssatz nach impersonalen Wendungen (es ist sitte, es ist immer,
es muss sein), IV. die von einem iraperati vischen und optativischen
hauptsatze abhängigen nebensätze; im zweiten teil werden uns I. fälle geboten,
in denen der conjunctiv mit einer negation im hauj^tsatze im Zusammen-
hang steht; II. die abhängigen Sätze nach den begriffen: glauben, überzeugt
sein, es ist gewiss.
Ein Schlussparagraph fasst endlich die resultate der Untersuchung zusam-
men, und zwar ergeben sich erstens drei negative: 1) es ist keine nachahmung
(fremdsprachlicher muster) anzunehmen, 2) die abschwächung der formen hat nicht
den ersten anstoss gegeben zur aufgäbe des conjunctivs, 3) der conjunctiv bezeich-
net nicht nur die möglichkeit und denkbarkeit. — Den punkten 1) und 2) kann
man ohne weiteres beistimmen; um so entschiedener muss sich ref. dem proteste
Erdmanns gegen 3) (a. a. o. s. 348 — 349 und 351) anschliessen. Bock leugnet, dass
im conjunctiv eine schwäche oder unbestimtheit ausgedrückt sein soll (s. 43) , dass er
3 82 KLINGHARDT , ÜBER BOCK , CONJUNCTIV
auf das nur gedachte, das mögliche beschränkt sei (s. 51); und das ist ja unbe-
streitbar: jede der uns nahe liegenden sprachen liefert uns belege, dass umstände
im conj. ausgedrückt werden können, welche nicht nur gedacht sind, sondern
auch unzweifelhaft der Wirklichkeit angehören (vgl. z. b. daz, miioz, immer st(Ete
sin da^ diu sunne tages schin, oder sätze positiven Inhalts nach lat. quamvis,
quum, frz. quoique, avaut que, ahd. mhd. e u. a.) aber damit ist nur aus-
gesprochen, dass es der spräche jederzeit möglich war und ist, Vorgänge der Wirk-
lichkeit aus dem gesichtspunkte der beobachtung und auffassung hinweg unter den
gesichtspunkt der Vorstellung zu rücken, und wir brauchen darum nicht eine neue
eigenartige function — dass er die notwendigkeit bezeichne, wie Bock will —
in den abhängigen conjunctiv hineinzulegen. Der indicativ drückt tatsächliches
und gedachtes einfach und glatt weg aus, der conjunctiv, der auch beides urafasst,
hebt ausdrücklich hervor, dass sein Inhalt im gegebenen falle, oder notwendig,
object der Vorstellung ist. Hiermit kommen wir für die Würdigung des tatsäch-
lichen Sprachmaterials, wenigstens im deutschen, vollkommen aus, und die aus-
dehnung resp. Verengung des conjunctivgebrauchs ist nur eine sache des sprach-
usus und individuellen oder volkstümlichen stils. Dass freilich damit die frage,
wie man sich für den conjunctiv die geschichte seines Ursprungs — denn die oben
ausgeführte function kann unmöglich die primäre sein — zu denken habe, nicht
im geringsten aufgehellt ist, ist sicher; doch gehört eine diesbezügliche erörterung
nicht hierher.
Wenn Bock weiterhin als das wichtigste positive ergebnis seiner Untersuchung
dies bezeichnet, dass er den nachweis geliefert habe, wie der conjunctiv durch
bezeichnen der möglichkeit (notwendigkeit, gewissheit) zugleich der Satzverbindung
diene, so ist nicht recht abzusehen, was darin neues liegen soll. Dagegen sind
im folgenden seine andeutungen , wie man sich das allmähliche überhandnehmen
des indicativs, das zurücktreten des conjunctivs zu erklären habe, gewiss zu billi-
gen, und schliesst sich wenigstens ref. ohne weiteres denselben an. Von einem
eingehen auf die einzelheiten der Untersuchung glaubt derselbe , wenigstens an die-
ser stelle, absehen zu müssen, will aber nicht unterlassen zu bemerken, dass die
arbeit trotz der gemachten algemeinen ausstellungen viel interessantes material
enthält und von keinem, der sich für syntax interessiert, ohne nutzen und anre-
gung aus der band gelegt werden wird.
Zum schluss möchte ref. noch darauf aufmerksam machen, wie für die Wür-
digung unseres altern Sprachgebrauchs bezüglich des conjunctivs eine sorgfältige
vergleichung des modernen franz. Sprachgebrauchs wenigstens für solche von wesent-
lichem nutzen sein wird, welchen eine etwas eingehendere beschäftigung mit die-
ser spräche zu einem gefühl für den conjunctiv derselben verhelfen hat.
REICHENBACH IN SCHLESIEN. H. KLINGHARDT.
zu LAMPRECHTS ALEXANDER,.
I. Das liaiidsehriften- Verhältnis des Alexander.
Etwa gleichzeitig mit meiner in dieser Zeitschrift X, 14 fgg. ver-
öffentlichten arbeit über Lamprechts Alexander ist das handschriften -
Verhältnis dieses gedichts einer Untersuchung von Richard Maria Wer-
ner unterzogen worden in einer in den Sitzungsberichten der Wiener
akademie publicierten schrift „die Basler bearbeitung von Lambrechts
Alexander" Wien 1879 (abdruck in Commission bei Karl Gerolds söhn
118 s. 8). Es ist natürlich, dass in beiden eine reihe wichtiger tat-
sachen übereinstimmend festgestelt und viele Verhältnisse gleich beur-
teilt worden sind. In bezug auf das Verhältnis der handschriften aber
weichen sie ebenso sehr ab wie in zvi^eck und verfahren. Werner,
welcher einen abdruck der Basler handschrift beabsichtigt, schickt dem-
selben diese eingehende Untersuchung als einleitung vorauf und legt in
der ersten hälfte methodisch das verhalten der drei texte zu einander
dar. Andre ziele verfolgte meine arbeit. Ihr mittelpunkt war die
Strassburger handschrift (S, von Werner M genant). Sie hatte sich
die aufgäbe gestelt, „mit berücksichtigung aller einzelheiten ein bild
ihrer entstehung zu geben " (a. a. o. s. 14). Weshalb die Basler hand-
schrift (B) nicht sogleich mit in den kreis der Untersuchung genommen
worden, war s. 16 gesagt: sie wurde in einem besondern abschnitte
zum vergleich herangezogen. Wenn derselbe für den gegebenen zweck,
besonders für die herstellung eines textes von S brauchbar werden
solte, muste er sich in der form an die darsteilung des I. teils
anschliesseu. Von der darlegung einer methodisclien Untersuchung über
das Verhältnis der drei texte konte dabei um so mehr abgesehen wer-
den, als bei der feststellung der Jesarten für jeden wichtigen fall jedem
leser die nachprüfung leichter ermöglicht war, zumal da kein abdruck
der hs. vorlag. Das ergebnis war in dem algemeinen teile vorweg
angegeben. Es war gesagt (s. 49) , die Übereinstimmung von BS gegen
V an einzelnen stellen beruhe darauf, dass BS den ursprünglicheren
text geben; diese annähme geniige aber nicht, sondern bisweilen biete
sich in V gegen BS das „richtige," während die lesart der lezteren
sich als besserung erweise; daraus sei zu schliessen, dass BS einer
gemeinsamen vorläge entstammen. Es lag allerdings sehr nahe, B zu
V in dieselbe klasse zu stellen, da die Übereinstimmung dieser beiden
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI. 25
386 KINZEL
handscliriften verhältnismässig gross ist. Aber es ist klar: wenn sich
nur eine gleichlautende lesart in BS zweifellos als änderung oder beab-
sichtigte besserung des urtextes erweist, ohne dass es möglich wäre
Zufall anzunehmen, so müssen beide gleiche vorläge gehabt haben.
Um nun die nahe verwantschaft von B zu V zu erklären, hatten wir
angenommen, dass sich ihre vorlagen (L^ die von V, Lg die von BS)
sehr nahe gestanden haben. Lg erfuhr aber durch S eine weitaus
freiere nmgestaltung als durch B. Bei der beurteilung war jedoch fest
im äuge zu behalten, was, wie wir nachweisen werden, Werner oft
ausser acht liess, dass die Überlieferung der Basler handschrift sehr
schlecht ist. Wir haben s. 48 auf die Verstümmelungen , lückeu , reim-
losen Zeilen ausführlieh hingewiesen.
Werners sorgfältige Untersuchung, welche leicht zu überzeugen
im stände ist und genaueste nachprüfuug erfordert, geht nun folgen-
den weg. Im I. capitel werden die stellen betrachtet, in welchen „B
zu V gegen M(S) stimt. Dabei bieten entweder BV 1. einen gemein-
samen fehler oder 2. lässt sich ein fehler in B nur aus der lesart von
V erklären , oder endlich 3. stimmen BV im richtigen und ursprüng-
lichen."
Ich muss mich hier darauf beschränken , das wichtigste zu wider-
legen und das notwendigste beizubringen. Auf punkt o einzugehen ist
unnötig ; er gehört nicht zur kette des beweises. Dass BV oft im rich-
tigen stimmen ist nach dem gesagten selbstverständlich. Die aufmerk-
samkeit richtet sich also zunächst auf die erste position; es ist die
stärkste : daraus , dass BV gemeinsame fehler enthalten , folgt , dass
beide einer vorläge entstammen. Dieser schluss wäre in seiner alge-
meinheit nur zulässig , wenn B eine leidlich gute handschrift wäre. Ich
habe oben auf ihre mängel hingewiesen, und es ist unbegreiflich, wie
Werner s. 6 an der spitze dieses capitels behaupten kann, die lückeu
seien „bei der Untersuchung über das handschriften - Verhältnis durch-
aus ohne belang, sie werden daher hier nicht weiter berücksichtigt."
Dennoch schliesst er von gemeinsamen lücken in B und V auf gemein-
same vorläge, auch an solchen stellen, wo B überhaupt verstümmelt
ist. So gleich in der ersten beweisstelle s. 1896 fgg. B lautet:
des siges den er do geivan
wer er ein hedacM man
des wer er nut gewesen fro
wand der sinen dot gelag
nie den in tirye der stat.
Also drei reimlose zeilen. Nun fehlt in V 211, 16 ein vers' (: helaib),
in S steht des sagen ih u di ivarheü. Dies halte ich für einen flick-
zu LAMPRECHTS ALEXANDER 387
vers , durch welchen S die ursprüngliche lücke ^ beseitigte. Diese mög-
lichkeit gibt Werner zu und sagt selbst, „der hier von M überlieferte
reim findet sich sonst nicht in V." Und diese stelle soll „vor allem
von Wichtigkeit" sein? — Die schlusserwägungen auf s. 7 sind mir
ganz unverständlich erschienen. Es heisst da: „P]s wäre daher weder
V noch B eingefallen, den vers als überflüssig wegzulassen; auch die
Unreinheit kann der grund dazu nicht gewesen sein, denn ist es wahr-
scheinlich, dass B, dessen reime sonst ganz rein sind, einen unreinen
reim durch einen andern ersetzen wird? Freilich ist zuzugeben, dass
B hier überhaupt ändert" usf.
2) S. 8. S 1503 fgg. Es handelt sich um eine vermeintliche lücke
nach V 216, 8:
V Darius sante einen hrief
zeivein herzogen die waren ime
lieh
unde hat das si alexander
diu scehf pesparten
unde sin iverten
B Daryus mven herzogen gehot
daz sy alexander schiff
zersteissen
der eine hies zihotes.
Ich habe angenommen, dass 216, 8 nur ein vers sei. ^ Es wird weder
in V noch in B etwas vermisst. Aus B aber ist auch hier nichts zu
schliessen, da es vier reimlose zeilen enthält. Die algemeine Überein-
stimmung von B mit V erklärt sich genügend aus der harmonie ihrer
vorlagen und hebt nur noch mehr die freie Umgestaltung in S hervor.
3) Die dritte stelle, welche Werner heranzieht, spricht am mei-
sten für seine auffassung; ihr hätte der Vorrang gebührt. Ich stelle
die drei texte genau nach ihm (s. 9) zusammen:
1) In der recension von Rödiger über Werners schrift (Anz. f. d. a. V, 416 —
425), die mir eben nach Vollendung der arbeit zu gesiebt komt, heisst es zu die-
ser stelle: „hier sollen V und B einen gemeinsamen fehler haben, insofern ihnen
die reimzeile auf helaib und gelag mangelt. Nun zeigt Werner , dass ein reim wie
hleip : warheit in V nicht vorkomt, auch nicht, wie sein Verzeichnis ergibt, die
von M gebrauchte form der beteuerung. Er gesteht ferner keinen grund zu wis-
sen , weshalb VB die zeile M 1399 solten weggelassen haben , und dennoch stelt er
es nur als eine möglichkeit hin , dass die reimzeile zu heleip in den vorlagen aller
drei recensionen fehlte. Ich bezweifle das nicht. M schob ein" usw.
2) Eödiger liest S417:
unt bat das si Alexander schef hesparten
unde sin [lant im] luerten
„ im anschluss an M. Von sin auf im konte der abschreiber leicht überspringen,
M schaffte die lange zeile fort" usw.
25*
388
V 219, 9 fg.
a ivie moJite da0 ie wer-
den
mennes slüch alexan-
_ dem m der erde
S 1738 fg. B
do sluch doli alexan-
drcn
mennes nider an das
gras
Nun Zusatz von 10 verseu in S, die in V und B richtig fehlen.
nienos den iverden
slüg nider sü der erden
Alda wart ime der heim
ahgeproclien
der manegen groser siege
usw.
da wart alexandro sin
heim
von dem houhete gebrü-
chen
da was vil nah gero-
chen
darius der iure degen
alexandro wart da ge-
geben
manic stos unde slach
usw.
den heim er im ver-
brach
und slüg ufin mit nide
dar
usw.
Mir ist an der stelle zweierlei auffallend, und ich bedaure, dass Wer-
ner eine correctur von V oder eine construction des ursprünglichen
nicht versucht hat. Nämlich 1) in B ist eine lücke nur an dem in
dieser handschrift unverdächtigen fehlen einer reimzeile zu merken ; der
sinn ist ganz correct. 2) Wenn die beiden verse . . . . : gerochen
degen : in dem urtext und der vorläge von S standen , warum liess sich
S den guten reim degen : siege entgehen und änderte ? Es ist wol mög-
lich, dass die lücke in beiden vorlagen war und von S ergänzt wurde.
Im folgenden, was Werner nicht citiert, stimt S auffällig mit B, wäh-
rend V ganz abweicht:
S 1759 B
doh half in das er genas
allexander ivas mit flisse gewaffnet
gar
das er so wol gewafent was. das half im das er genas.
V 21i), 13 unde war er also wol geivafenht nicht,
er ne bescowet niemers fages lieht.
Dies sind die stellen, aus denen Werner in nr. 1 argumentiert.
Wenn es mir nur gelungen wäre, die Unsicherheit seiner Schlüsse
nachzuweisen, wäre sein beweis schon hinfällig und es wäre kaum nötig
auf nr. 2 einzugehen. Deim dass sich viele fehler in B nur aus V
erklären lassen, ist ja bei dem freien verfahren von S schon au sich
zu LAMPRECHTS ALEXANDER
389
wahrscheinlich und sicher z. b. an der zweiten von ihm angeführtau
stelle S 1380 V 211, 3. Doch auch gegen das hier auf den zAvei sel-
ten (10. 11) gesagte, auf welchen dieses ganze capitel abgehandelt
wird, lässb sich einiges bemerken. Es sind etwa vier stellen urgiert:
1) V 208, 7.
tu sach er stan dem
liersogen
dem al ti/re tvas under-
tan
hegen ime uf der mure.
B
mm sach er an der
zinen stan
den herzogen dem di-
ryus tvas undertan.
S 1256
daz sag ih u vor un-
gelogen
do gesah er den herso-
gen
dem tyren ivas under-
tan
vor sich uf di muren
stan
Die Sache liegt einfacher als W. meint. SV stehen sich oftenbar ganz
nahe. Im ersten verse hat S geändert, wie der fiickvers beweist. Es
bleibt also nur der einzige schluss , da S nicht aus V floss, dass in
ihren beiden vorlagen der irtuni mit hersogen bereits vorlag,^ wie ich
a. a. 0. s. 35 annahm.
2) An der dritten stelle S 1773 der sih ungerne verhal, V 219, 18
der sich vil ungerne in dem stürmte hal, B des loh in dem strit erhol
ist der schluss auf gemeinsame vorläge BV deshalb, weil B wol hal,
nicht aber verhal mis verstehen konte , durchaus unerlaubt. Sie beweist
nur, dass in beiden vorlagen also im urtext hal stand, was S änderte.^
3) Das misverständnis in B liegt nur an Werner, wand es diuchte
dich widerzem das recht heisst offenbar: das recht schiene dir tadelns-
1) Eödiger s. 417: „Werner meint, es müsse in der vorläge von M ein unrei-
ner reim auf herzogen gestanden haben und scheint (er drückt sich nicht klar aus)
in V eine lücke hinter herzogen anzunehmen, aus der sich dann die lesart von B
erklären soll. Gleichviel, ich vermute für die drei dieselbe quelle, welche
durch eigentümliche construction zu änderungen anlass bot. Nämlich
do sach er stan
— dem herzogen xvas Tyre undertan —
gegen im uf der mure.
Zu der zweiten stelle, welche Werner anführt, bemerkt Eödiger ebenda: in B
(S 1380) sei zu lesen:
die stat wer im geioesen diur
ane (hs. dene) daz kreischy fiur.
dene sei Schreibfehler in B und „die lesart dieser hs. erklärt sich aus M ebensogut
wie aus V."
2) Rödiger s. 418: ,, hauptbeweis für die Zusammengehörigkeit von B und V
ist, dass M werte, die der phrase in dem strit entsprechen, nicht enthalten soll,
Werner übersah z. 1775" {sva iz in di not giene).
390 KINZEL
wert, wenn einer usw. S 1494 (vgl. V 213, 19) hat frei geändert und
den satz zum vorigen gezogen.^
Aus dem dargelegten erbellt zur genüge , dass Werners gründe,
aus denen eine Zusammengehörigkeit von BV erwiesen werden solte,
bei genauerer prüfung nicht stichhaltig sind. Es erübrigt nun noch
einmal die stellen vorzuführen, welche das gegenteil beweisen. Icli
richte den blick zu diesem zwecke zuerst auf das II. capitel der Unter-
suchung: „B stimt zu M(S) gegenüber V." Hier soll nämlich gezeigt
werden , dass überall , wo B zu S stimt , BS das ursprüngliche bewahrt
haben. Dass dies in manchen punkten der fall ist, kann nicht geleug-
net werden. Aber da Werner die möglichkeit gar nicht erwogen hat,
ob SB nicht gemeinsamer vorläge entstammen können, so sind seine
alternativen bisweilen unrichtig. So S 32 in der stelle vom huzival
S 345 , wo BS gegen V stimmen. Eine entscheidung ist hier ohnehin
nicht möglich. Unrichtig ist aber die behauptung, dass „B grade an
dieser stelle sich V sonst genau anschliesst." Man vergleiche:
B
was Schalles mag das
sin
daz so lut Mit in die
oren min.
V 191, 5
ich ne weiz waz mir
scillet ifiz ore
S 335
nu sage mir waz daz
sin mach
daz mir schillet in mine
oren
Auch in dem darauf besprochenen zusatz komt W. „nicht zur
gewissheit." Es handelt sich um die verse S 1347 daz er sante uhir
se unde lieze heris comen me B si reitfen daz er über sy sant bald
nach helffe me, welche in V fehlen. Ich habe a. a. o. s. 36 daraufhin-
gewiesen, dass diese werte völlig unnütz sind. Es ist mir also wahr-
scheinlich, dass sie in der vorläge V fehlten. Dass sie zufällig aus-
fielen, wie W. behauptet, ist nach der hs. unmöglich, da das ausgefal-
lene zu viel platz einnimt.
Ebenso wenig kann man behaupten, dass es dem Verfasser gelun-
gen ist, die Schwierigkeiten in S 1735 fgg. besonders 1761 zu lösen.^
Hier liest B daz half in daz er genas, min kam ein riUer anne but
danldin was er genant, über allexander ze hant. Es ist kühn, hier
die ganze erklärung auf die verderbten werte anne but zu bauen, wofür
ane bat zu lesen sein soll. Die mir vorliegende copie von B liest lut
und bemerkt: „hit ist corrigiert, wie es scheint aus rut." Was als
1) Ebenso Eödigcv a. a. o. „in hinsieht auf VM finde ich B nicht fehlerhaft,
ja es könte sogar das ursprüngliche bewahrt haben."
2) Eödiger bemerkt s. 418: „der hier hehandelten stelle wird schwerlich
ganz aufzuhelfen sein."
Zu LAMPKECHTS ALEXANDER
391
S 37. V 204, 22.
S 1058.
B
urspriiugliclier text coustruiert wird , bleibt unklar ^ und es wird gar
nicht bemerkt, dass in V 213, 13 uocli ein vers {: fiench) fehlt, wäh-
rend man danach von den worten unde wäre er also wol gewafent
nieht an nichts vermisst. Ferner: B ist hier überhaupt verstümmelt;
es fehlen nicht nur zwei, sondern mehr verse. Also ist auch hier kein
schluss zu ziehen.
der ivint teht in vü noht
der ivint der tetin starke not
ivand er vil stark was
der selbe der da horeas
in den buchen heilet
unde di aller meist reizet,
den usseren det oucli gros not
ein wint der tvester hies
unde das mer diJce reis.
„ Es ist ganz gewiss , sagt W. , dass hier MB keine gemeinsame zutat
haben, denn in V muss etwas fehlen." Mau müht sich vergeblich zu
suchen, was in V vermisst wird: der wind machte ihnen viel not, dass
hundert schiffe versanken und alle beiden ertranken. Da eine lücke
anzunehmen ohne grund ist, so bleibt zur erklärung nur die Voraus-
setzung, da^s die gemeinsame vorläge von SB den windnamen wester
enthielt. Derselbe komt sonst so nicht vor. Deshalb arbeitete S um
und ersezte ihn seiner eigenart nach durch den gelehrten büchernamen
boreas. Vgl. meine bemerkung a. a. o. s. 60.
S 39.
S 998
bi sime libe er sih ver-
mag,
is gienge in edlen an
den leben
das si ime torsten wi-
derstreben,
er solde sih wol gere-
chen
unde ir stat sebrechen.
do nam er siner fur-
j sten dri —
auch ne wais ich ivie ih ne tveis niht wi ir
ir name si name si —
V 204, 2
bi sinem hals er sich
vermas.
er sprach sin scolte por-
lange sin
er wolle . . .
B
bi sinem leben er sich
vermas
er tvolltc sg hahen sun-
der dank
da nach nut lang
sant er siner fürsten
dry
1) Man vgl. dazu die correcturen und ausstellungen von Eödiger s. 419.
392
V
S
B
unde sante si darwi-
unde sante si wider in
wider in die stat ze
dere in die stat
di stat
Jiant.
unde den alsten sagen
■unde his den besten
er Jiies den besten
das
sagen das
dun behant
Werners Besserung der verderbten stelle in V ist gut:
er sprach ez enscolte sin porlanc,
er wolte si häJien sunder danc
do nani er siner fürsten dri.
Doch bleibt es unglaublich, dass B derselben vorläge entstamme. Wie
wäre zu erklären, dass BS dieselbe änderung vornahmen, indem sie
beide „bei seinem leben" (V zorne) schrieben und beide verständig die
drohung zu töten direct anfügen, ohue den Zwischensatz: er sprach ez
enscolte sin porlanc.
S. 41 beruht Werners auffassung von V 190, 12 auf einem irtum:
dem verteilet was daz leben heisst: dem das leben durch urteil abge-
sprochen war (Lex.).
S. 42 fg. führt Werner ausser einigen , die , wie ich ihm zugebe,
keine entscheidung bieten, vier stellen an, welche gegen ihn zeugen.
V 205, 10
unde hiez die poume
uellen.
er wolte perfriht stellen
S 1093
unde hiz di boume uel-
len
unde berhfride stellen
B
und hies die bäum vel-
len
und bergfrid dar stel-
len.
Hier soll ein misverständnis in V vorliegen ! Offenbar hat die vorläge
von SB den fluss der rede und die construction gebessert. Auftact ist
ebenfals vorhanden.^ Ebenso verhält es sich mit
V 206, 2
his iz alliz gereite ivart.
S 1135
biz daz werc bereitet
tvart
B
bis daz werJc ward
bereit
V 207, 36
unde liez do mit der
loerlte
den ernst stürm werden
S 1239
unde nider an der er-
den
hiz er den stürm tver-
den
B
daz sy bi der erden
den ersten stürm Hessen
werden.
1) Ebenso Eödiger s. 420.
Zu LAMPRECHTS ALEXANDER
393
V 213, 14
TJnde also alexander
den hrief gelas
owi IV l smac inie was
S 1488
Do alexander den hrieb
yelas
vil harte ummere ime
was
B
do aUexander den hrieff
gelas
vil smach er im tvas.
An allen diesen stellen ist W. genötigt anzunehmen, dass BS zufäl-
lig gleichmässig gebessert haben. Gleiche übeieiustimmuug herscht
BS 1438 der riehe Jcuninc darius gegen V 212, 8, wo der fahrende
neu anhebt: Äin richer chunich was darios. Dies leztere wird das
ursprüngliche sein, da sich absätze mit solchen eiuführungen in V öfter
finden. Man vgl. 215, 24 darios was ein chunich rieh, unde also der
brif für in chom usw. gegen S 1578 unde alse dario der hrieh quam
B do daryus den hrieff vernam. Offenbar hatte die vorläge Lg schon
gebessert. ^*
Die stellen S 385 fg. und 457 fg. , welche s. 87 und 91 bespro-
chen werden, sind so verwickelt, ihre lösung durch W. ist so gezwun-
gen, dass ein schluss nicht daraus zu ziehen ist. Um aus ihnen die
ursprünglichkeit von BS zu erweisen, wäre nötig zu zeigen, wie die
Verderbnis in Y entstanden ist.
Dass Werners Untersuchungen nicht alle wichtigen stellen der
drei handschriften berücksichtigt haben, lehrt ein blick auf meine
s. 56 fg. gegebene vergieichung. Es mag hier noch einmal übersicht-
lich zusammengestelt werden , was meiner Überzeugung nach zur evi-
denz bringt, dass BS eine gemeinsame vorläge voraussetzen.
V 190, 252
des umhe das ros was
geseit,
des inhaht er noh tu
vernomen nicht
V 193, 1
unte seh er sich scul-
dich
nieuht versumer sich.
S322
dannoh ne heter nit ver-
nomen
ivi is umhe das ros ivas
comen
S 416
unde sver dir zins sol
geben
wil er iht derivider stre-
ben
B
er hat mit vernommen
tvie das ros dar tvas
Jcomen.
ß
ich getrutv mit minen
handen
den sins gewinnen in
hurcser frist
1) Vgl. Eöcliger s. 420: MB haben nicht das richtige erhalten, „im gegen-
teil, sie änderten."
2) Eödiger bemerkt (s. 420) gegen Werners erklärung dieser stelle (s. 42
oben): ,,B und M haben geändert, weil ihnen nicht deutlich war dass V 190,
25 fg. auf die meidung der boten in 190, 17 fg. gehen."
394
V 193, 1 S 416 B
der muz en dir mit | der uncz lier ussen ist.
scanden
senden von sinen lian-
den
Harczyk bemerkte zu der stelle in S (diese zeitschr. IV, 18): „diese
verse passen doch offenbar gar nicht zu dem vorhergehenden und klin-
gen in diesem Zusammenhang ganz ungereimt. Statt ihrer finden wir
in V z^ei verse , die sich mit der von Alexander eben ausgesprochenen
moralischen sentenz ganz gut in Zusammenhang bringen lassen" usw.
Da nun B dasselbe misverständnis hat, so muss die Ursache in der
gemeinsamen vorläge beider zu suchen sein.
V 194, 22
unt antwurt im ein
smaheit.
S488
unde antworte ime
sm eil che
S 1149
si slugen unde viengen
V 206, 9
unde slugen unde fien
gen
alle die si druffe he- \ svaz si ir hegiengen.
giengen
n
noch mag ich iu sagen
mere ;
si hesencten sich in den
se (das mere?)
V 210, 22
si musen du alle von
der Zinnen gan
V 211, 21
das er mit siner tohter
sliefe
V 215, 7
diz sazte man do alles
an einen hrief.
svem des heduchte
das er untflihen nit ne
mohte,
der sencte sili an der
stunt
wider an des meres
grünt.
B
des antwurt er im
smechlich
B
sie slugen unde Men-
gen
all die sy viengen.
etlich künden mit listen
sich selb also fristen:
sy sangten sich
; in des sewes g r u n d.
S 1371 I B
si mosten von den sin- ! sy müsten von den sin-
nen gan i neti gon.
S 1411
das er sines selbes toh-
ter beslief
S 1557
dis screib Alexander do
B
das er sin dochter he-
sleijf.
B
dis schreib er an den
hrief san
V 215, 7
das -was dem chunige
alexander lieb
er screib in seihe mit
sincr haut
er ivart dem clvunige da-
rio gesant.
er inhof im oiicli damite
zu LAMPRECHTS ALEXANDER
S 1557
395
imdc santis dario
unde embot ime da mite
B
den sant er mit den
hotten dan.
er inhot damit
V 221, 13 I S 1857 [ B
das min vane cJiom in das min vane ie quam \ das min paner kam in
iiiier Jiant I an diner hant ^ din liant
Auch an gemeinsamen lückeu felilt es nicht in BS. So ist 219, 5
der vergleich mit Samson ^ in BS ausgelassen, ebenso die verse 220, 15
so strouwet alexander. dis ne moJde nehain ander, und 218, 2 alsus
hört ich maister alherichen sagen.
Von unbedeutenderen Sachen verzeichne ich: V 190 also, den
S 306 also, das ime B diu schtdde, das im.
V 204, 8 ■unt al Chriechen S 1009 alle Griechische lant B alle
die hrieschen lant.
V 215, 27 mit sorn S 1581 sornliche B sornenhlich.
V 218, 8 uf busival er reiht B sas er S er sas.
V 219, 28 sinem herren ern uf das höhet pant. S 1796 Alexan-
dra er in uf hant B sinem heren er in uf band.
V 225, 1 die user armenin lant BS 2001 die von Armenye.
V 225, 6 die von gase. S 2013 di uhirmutige Gasen B die
snellen Gassem.
Es wird wol niemandem beikommen , die Übereinstimmung aller
dieser stellen, die sich leicht vermehren lassen, durch die annähme zu
erklären, dass sie gegen V das ursprüngliche enthielten (es müsten
dann die lesarten in V als änderungen erwiesen werden), noch weniger
aber durch die ausflucht, B und S seien zufällig auf dieselbe Verbes-
serung geraten.
1) Ein gewicht kann darauf uacli der beschaftenheit von B nicht gelegt
werden, da es die geistlichen beziehuugen überhaupt auslässt, wie ich s. 53
nachwies.
396
II. Zum Strassbiirger texte Ton Lamprechts Alexander.
Nachträge zu X, 14 fgg. dieser Zeitschrift.
z. 2300 CJiorinfhia smes frides gesan
unde Choryn in ander stunt
unde gäben ime funßic phunt
unde süher unde golt.
des wart ime der Jcuninc holt.
Chorinthia was ein micliel stat usw.
Die stelle ist verderbt. Weismann vermutet für Chortjn: unde hören
in an der stunt. Doch damit ist wenig geholfen; man möchte einen
namen vermuten. In B ist 3001 — 7 nicht vorhanden, doch scheint
ein fehlender reim darauf hinzudeuten , dass nicht alles zusatz von S ist.
z. 2457 svenne er dines lieres craft . . .
sehet in gagen ime varn,
so Wirt er des wol geware,
das du wol mit eren
mäht wesen dm sinsere.
Weismanns Vermutung über die correctur der stelle (2460 er. 2461 mach)
wird zur gewisheit durch B, Avas ich X, 66 zu bemerken vergessen
habe. Es heisst hier:
wenne er ersieht din cra/ft,
vnd vnser vesti ritterschaft
von rehte wirt innen,
so heginet er sich versinnen,
daz er mit eren wol
mag wesen din misgescliol.
3038. Ich habe im hinblick auf den Widerspruch mit 3110 darauf
aufmerksam gemacht (X, 72), wie in der Bas. hs. mehr hervortritt,
dass Alexanders ausrüstung ihm das göttliche ansehen gab. Dies bestä-
tigt die parallele in der Strassburger hs. 3230 fg.
vil wole half ime das,
daz er so wol gare was
nach deme criechischeme site.
di ingegen im quämen geriten
di sprächen, er were ein got.
Weismaun verwischt dies, wenn er übersezt: ,,dass er so tüchtig war
bereit."
zu LAMPRECIITS ALEXANDER 397
Das z. 3453 (X, 73) bemerkte bedarf der ergänzung. Ich habe
s. 29 z. 102 gezeigt, dass der epische ausruf a wie, owi wie, der in V
häufig- begegnet, in S an den betreifenden stellen getilgt ist. Nnn
komt der ansdruck in der zweiten hälfte von S vor, doch als ausruf
des dichters in einer kampfesschildernng nur 4655 woh tvi äi swert
Jdungen. ivoch ist selten; findet sich im Parz. und Wig. Zweimal
sind es klagen , die so ehigeleitet werden. 3453 klagt Darius : owi ivic
tve mir daz tut! 3861 oiüi lüie sere ili nü quelen und 3709 owi tvas
lüollent ir mir nü tu! 4557 ruft Porus klagend aus: hei wie groz
untrmve das ivasl und Alexander 3785 owi daz ih disen tac ie solde
gclehcn! Die übrigen drei stellen stehen im briefe Alexanders , können
also auch nicht als epischer ausruf aufgefasst werden: 5074 owi wie
starke uns der verdroz, wandiz ivären gigande. 5216 hei tvi scöne si
sungen. 6058 di juncfrowen sungen; hei wie ivol daz täten.
z. 3547 fg. Weismann nimt zu viel anstoss an der stelle (I, 513).
Das aber ist berechtigt: „wozu sie gruben, weiss man nicht." In der
vorläge mag es deutlicher gewesen sein. Davon zeugt B , das zwar,
wie X, 73 bemerkt wurde, sehr verstümmelt ist, hier aber licht gibt:
do gruohen Alexanders man
nach dem schacz har und dan.
Es war ja 3469 gesagt, dass der schätz vergraben war. Nun brechen
sie die gräber auf, um ihn zu suchen.
z. 3606. Massmanns interpunction und Weismanns interpretation
sind wol unmöglich: ,, Da kam ich wider heim im fliehn. Gar bitter
mir das wol erschien, dass du da nirgends kamst zur wehr des ist
mein herz" usw. Es ist so zu lesen:
do quam ih flthende heim,
vil harte wol mir daz schein.
daz du da nierne were,
des ist min herze swere usw.
In B steht nur:
ich hin hiim flicliende danen körnen,
werest du ht mir gewesen.,
min voTk wer wol genesen. —
z. 3665 gehabe diJi wol, helt gut.
du gesehest er itvit lanc,
daz ih dir hrenge in din lant
so m,anigen snellen svertdegen.
Ich glaube nicht wie Weismann, dass 3666 verderbt ist.
398 KINZEL
B liest: gehab dich wol, trüriger man.
dahin ist nüt lang,
ze JPersya äne smen danJc
hinge ich so mangen degen gut.
Die erkläruug macht Schwierigkeit, über lanc (7019) heisst nach gerau-
mer zeit ; könte nicht er iwit lanc heissen : vor irgendwie langer zeit,
(1. h. in kurzer zeit? Vgl. iwit lange hiten 1485.
Zu der X, 52 von Zacher unzweifelhaft richtig gegebenen erklä-
rung von ir minne scMs in sere stach finde ich folgende parallelen in
Hagen Ges. Ab. III , 45 dö schoz in der Minne spiez so vaste in daz
herze. III, 215 in stach ein sträle in sin herze von vroit Venus smerze.
III, 218 der 3Iinne sträle mich stach inmitten durch min herze. III,
216 der Minnen sträle in ir herze stach. III, 246 ivie hat mich der
Minnen sträle also gar durchschozzen. I, 293 oucli sfuont an dem vür-
span, daz diu maget wol getan truog einen bogen inderhende, damit
si gar behende sclioz der minne sträle durch sin herz al ze male. I, 410
wan du mit der minne sträle mich hast in daz herze troffen; vgl. II, 98.
II, 101 wunden die Venus mit ir sträle dir schöz. Die stellen stehen
freilich dem ausdruck des Bas. Alex, alle nicht so nahe wie die aus
dem Neifen angeführte.
Z. 5057: an ein . . . heizet Ada. Weismann ergänzte richtig velt,
wie B bezeugt: und körnen in Jcurczer zit an ein schoenes velt wit,
das ist aczya genant.
Z. 5125 fg. Weismanu hat die stelle nicht verstanden. Es ist
folgendermassen zu interpungieren :
doch horten si eine stimme
di gebot unde sagete,
daz nieman ne schadete
dem obize noh den bomnen
(daz si des nämen goume,)
neweder wäfen noh man.
Man vergleiche B:
man sol den bluomen schaden niJit
mit wäfen old mit übermuot.
Z. 5599 Candaulus der frowen alder sun
dächte, waz er mohte tun.
er nam sme wise man.
Die stelle ist unklar; deutlicher in B, wo es heisst: sin muot stuond
also daz er mir klagen ivolt gross leit daz er dolt.
zu LAMPRECIITS ALEXANDER 399
Z. 5721 Der kuninc der tvas üs gevaren
mit einer creftigen schare
üf einen shien genoz.
Dies ist wie das vorige auffallend kurz , während B ausRihrlicher berich-
tet : der kling tvas mit ze lant. der ivas durch sm and gezogen üf eine
sm genos, dem ivoU er fügen schaden gros und zivegen (zwingen?) ze
dienst sid. daz landvolk tvas alles mit. daz was der burger not.
Z. 6567 daz ne sal ü froiven
ze neheinem unfromen.
Dass für froiven comen zu setzen ist, scheint B zu bestätigen, wo es
heisst: nii tvissent sicherlich; daz ich nut her komen hin durch mve-
ren ungewin. es is durch ivunder getan (6571), daz ich och hie fun-
den hän.
BERLIN 1879. KARL KINZEL.
Zu dem vorstehenden erlaube ich mir einige ergänzende bemer-
kungen hinzuzufügen.
Zu V. 2300 fgg. (= Massmann, denkmaeler 1950; = Weismann
2145).
Die in betracht kommenden verse lauten volständig in der Strass-
burger (zuvor Molsheimer) handschrift:
2300 Chorinthia smes frides gesan
tmde choryn in ander stunt
unde gäben ime fimfzic phunt
unde Silber unde golt:
des wart ime der kuninc holt.
2305 Chorinthia was ein michel stat,
di bekarte von der heidenscaf
darnäh sanctus Patdus.
Alexander huh sih dar üz
unde fuor ad athenas
Die Vorauer handschrift lässt sich für diese verse zur verglei-
chung gar nicht heranziehen, weil in ihr das gedieht schon an einer
viel früheren stelle, unter verworrener einmengung- einiger späteren
verse, gänzlich abbricht.
Die Basler handschrift stimt vor und hinter dieser stelle im gange
der erzählung zwar im wesentlichen mit der Strassburger überein,
beschränkt sich aber bei erwähnung Korinths auf die beiden verse
Corintya die lobesan
gab sich an sin hidde
400 J- ZACHEE
SO dass die verse 2301 — 2307 der Strassburger handschrift in der Bas-
ler gänzlich fehlen. Aus dem mangel eines auf hulde reimenden Ver-
ses lässt sich zwar ein sicherer schluss nicht ziehen, weil der Schrei-
ber dieser handschrift wörtlich genaue widergabe seiner vorläge und
bewahrung ihrer reimbiudungen überhaupt nicht beabsichtigt hat,
doch lässt sich vermuten, dass er einen vers übersprungen habe, des-
sen Inhalt dem der beiden verse 2302 und 3 der Strassburger hand-
schrift entsprach.
Aus diesem Sachverhalt ergeben sich die beiden textkritischen
fragen :
1) lässt sich ausfindig machen, ob die hier in der Strassburger
handschrift überschiessenden verse bereits in Lamprechts deutscher
Originalfassung gestanden haben und in der Basler handschrift nur
durch nachlässigkeit des Schreibers ausgefallen sind, oder ob sie erst
durch den Schreiber oder redactor des Strassburger textes eingeschaltet
wurden und deshalb im Basler texte zu rechte fehlen?
2) wie ist die augenscheinliche textverderbuis in v. 1301 zu berich-
tigen?
Um die richtige lösung dieser doppelaufgabe zu finden , ist zuvör-
derst zu untersuchen, ob, wo und wie die hier in der Strassburger
handschrift enthaltenen angaben etwa auch anderwärts sich vorfinden.
Da bietet sich denn zunächst zur vergleichung das Poema de
Alexandro, welches zuerst herausgegeben worden ist von D. Tomas
Antonio Sanchez im dritten bände seiner Coleccion de poesias castella-
nas anteriores al siglo XV. Eu Madrid 1782. Alle vier bände der
samlung von Sanchez sind dann widerum , und zwar in einen einzigen
band zusammengedrängt, herausgegeben worden von D. Eugenio de
Ochoa im 20. bände der Coleccion de los mejores autores espanoles.
Paris 1842 , und nochmals in einer mir nicht zu gesiebte gekommenen
etwas vermehrten und verbesserten ausgäbe durch D. Florencio Janer
im 57. bände der Biblioteca de autores espanoles. Eine sehr einge-
hende und sorgsame untersuchuDg über dieses gedieht (verfasser, abfas-
sungszeit, handschriften , spräche, versbau, quellen) hat A. Morel -Fatio
veröffentlicht in der Zeitschrift Eomania , Paris 1872. Bd. 4 s. 7 — 90. —
Der Verfasser des gedichtes ist unbekant. Denn wenn in der lezten
(2510.) Strophe der einzigen erhaltenen, aus dem ende des XIII. Jahr-
hunderts stammenden und mit manchen fehlem behafteten handschrift
als derjenige „quien escrebiö este ditado" ein „Johan Lorenzo bou cle-
rigo e ondrado Segura de Astorga" sich nent, so kann dieser welt-
geistliche Joan Lorenzo Segura aus Astorga in Leon gar wol nur der
Schreiber dieser handschrift, muss nicht der verfasser des gedichtes
zu LAMPRECHTS ALEXANDER 401
selbst gewesen sein. Die abfassung- des gedicbtes sezt Morel - Fatio
(s. 17) bald nach den gedicbten des Berceo, in die jähre 1240 — 1260.
In diesem Poema de Alexandro nnn heisst es, unmittelbar nach
dem berichte von der ermordnug des königs Philipp von Macedonien
durch Pausona (Pausanias):
str. 174. Morio ä 2)oca dora el su padre ondrado,
Fue con los otros Heys ä Corinthio levado,
Cueme el mereciera asi fue soterrado,
En xjoder del infant finco fodol regnado.
175. Era esta Corinta una noble ciudad,
Convertiola Sant Paolo despues ä la verdat,
Sobre todas las otras avia grant hondat,
Gdbeza fue de Xanismo hien de antiguidaf.
176. Quando avien en Grecia Hey ä coronar,
Älli lo avian ä alzar, non en otro lugar:
El infant non la quiso en si desaforar:
Y fiiera cahallero , e fue se y coronar.
Der spanische dichter erzählt also: Als Alexanders vater Philipp
gestorben war, ward er wie die anderen könige nach Korinth gebracht
und mit geziemenden ehren begraben, und sein ganzes reich fiel nun
dem söhne zu. Korinth war eine angesehene stadt, die Sanct Pau-
lus später zum Christentum bekehrte; sie war vor allen anderen aus-
gezeichnet und von alters her haupt der Christenheit. Wenn man in
Griechenland einen könig zu krönen hatte, so hatte man ihn hier, nicht
an einem anderen orte auf den thron zu erheben. Der prinz wolte
die Stadt in beziehung auf sich ihres Vorrechtes nicht berauben. Hier
war er ritter geworden , und hier auch war er um sich krönen zu lassen.
Die ähulichkeit der beiden stellen, in der Strassburger handschrift
von Lamprechts deutschem und in dem spanischen gedichte , springt in
die äugen. Doch kann der um ein halbes Jahrhundert ältere Strass-
burger Schreiber unmöglich aus dem spanischen gedichte , aber eben so
wenig auch der Spanier aus dem deutschen gedichte geschöpft haben,
weil ein unmittelbarer Zusammenhang und verkehr zwischen spanischer
und deutscher dichtung damals ja überhaupt gar nicht bestand.
Wenn nun aber keiner der beiden Verfasser von dem anderen
entlehnt haben kann, und wenn ferner auch ein rein zufälliges zusam-
mentreffen beider, so dass jeder völlig selbständig auf dieselben gedan-
ken verfallen wäre , grade hier schon durch den eigentümlichen Inhalt
der übereinstimmenden äusserungen höchst unwahrscheinlich wird, so
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI. 26
402 J. ZACHER
ergibt sich der schluss , dass beide , sei es mm unmittelbar oder durch
vermitlung von Zwischengliedern , hier aus einer und derselben gemein-
samen quelle geschöpft haben werden. Dafür läge dann am nächsten
Vermutung auf eine gemeinsame französische quelle, auf die leider fast
gänzlich verlorene französische Alexandreis des Eiberich von Bisenzun
(Aubri de Besannen), und an sich wäre diese Vermutung auch durch-
aus nicht unzulässig, denn der deutsche Lamprecht sagt selbst aus-
drücklich, dass er dem Eiberich getreulich gefolgt sei (Vorauer hs. 183,
10 fg.):
AlbericJi von Bisinzo
der hrähte uns diz Ut zuo.
er lietez in walhisheyi getihfet,
nu sol ich es euh in dütisken heriJiten.
niman inshulde sin miJi;
louc er, so leuge ich.
(oder nach der Strassburger hs.
nienian ne schuldige mih,
alse daz buoch saget so sagen ouch ih.)
und dass der spanische dichter auch französische gedichte benuzt hat,
ist durch die Untersuchung Morel - Fatios sattsam erwiesen. Allein
diese Vermutung wird schon von vorn herein erschüttert durch die
Wahrnehmung, dass die äusserungen der beiden gedichte eben hier,
trotz ihrer auffallenden ähnlichkeit in den übrigen angaben, doch grade
in einem wesentlichen punkte entschieden auseinandergehen. Der Spa-
nier nämlich knüpft hier seine äusserungen an den anfang von Alexan-
ders herschaft, er macht Korinth zur begräbnis- und krönungsstadt
der griechischen könige, lässt den Philipp dort begraben und unmit-
telbar darauf den Alexander dort gekrönt werden, und gedenkt dabei
der späteren bekehrung Korinths durch den apostel Paulus. Die Strass-
burger handschrift Lamprechts dagegen verbindet dieselben äusserungen
mit einer sehr viel späteren, erst in die mitte seiner eroberungszüge
gelegten anwesenheit Alexanders in Korinth.
Forschen wir nun nach den Ursachen dieser Verschiedenheit in
den angaben über den Zeitpunkt von Alexanders anwesenheit in Korinth,
so stelt sich folgendes ergebnis heraus.
Lamprecht, und mithin anch sein gewährsmann Eiberich, fol-
gen — abgesehen von einzelnen ausscheidungeu , kürzungen, änderuu-
gen und einschaltungen — demjenigen gange der erzählung, wie ihn
der griechische Pseudokallisthenes gestaltet hatte, und wie er durch
die von dem archipresbyter Leo im 10. Jahrhunderte besorgte latei-
nische bearbeitung , durch die sogenante Historia de preliis , dem christ-
zu LAMPRECHTS ALEXANDER 403
liehen abendlande vermittelt, und hauptquelle für die abendländisclien
bearbeitungen der Alexandersage geworden war. Im Pseudokallisthenes
aber ist die geschichtliche folge der begebr'uheiten derart wunderlich
verschoben, dass Alexander zuerst Italien, Nordafrika, Aegypten und
Tyrus erobert, und den Darius besiegt, dann nacli Europa zurückkehrt,
Theben zerstört , darnach in Koriuth den korinthischen spielen präsidiert
und die sieger in denselben krönt, darauf Athen unterwirft und dann
endlich widerum nach Asien zurückkehrt, um die besiegung des Darius
zu vervolständigen und den übrigen rest seiner laufbahn zu vollenden.
Wie nun Lamprechts erzählung von Philipps tode und den unmit-
telbar daran sich knüpfenden ereignissen gelautet habe , lässt sich zwar
aus der Strassburger handschrift nicht ersehen, weil in ihr zwischen
blatt 14 und 15 ein blatt fehlt, welches die erzählung von Philipps
tode und den darauf folgenden Vorgängen bis zur belagerung von Tyrus
enthielt. Doch tritt ergänzend dafür die Vorauer handschrift ein (in
Weismanns ausgäbe v. 508 — 804). In dieser heisst es hier aber nur
(Diemer, deutsche gedd. des XI. und XII. jh. 199, 3 fgg. = Alexander,
ed. W^eismann 1, 30 v. 637 fgg.):
Philippus da tollt lach.
Düde also Philippus ivas hegraien,
dö wart Alexander ze chunig erhaben.
ich sage in toie ers hegan.
er nam sm aller getriwisfen man,
die ime ze smer note
ie wären einnmofhe;
er sprah: herre, tvir ne haben nieuth ze bUene,
ivir müzcn her laiten,
Chriechlande zcren.
Es wird also zwar erzählt, dass Alexander nach Philipps tode zum könige
erhoben wird , aber weder wird ausdrücklich eine krönung erwähnt,
noch Korinth überhaupt auch nur genant, und folglich auch des Pau-
lus nicht gedacht. Das entspricht durchaus der erzählung bei Pseudo-
kallisthenes (1, 24. 25 ed. Müller):
QaTtTETat oi'v ßaGilixcog, oh]g r/yg Maz-edoviag avvehd-ovGijg. ^Ek-
d-Qvor^g di Tvß Uelh^g elg EvGrad^eiav, tQ^ezai L4Xi^avdQog ercl töv tov
TcaxQog dvdQidvTa, ■/.«/ ßorjoag f-dya ehiev' 'Q 7taidEg TleXXaUov y.al
MxTAEdövoiv VML '^ElXr^vcov Yxd !Ai.i(piyav6vcov '/.cd u4ay.sdaifiovuov y.al Ko-
QivS^icov xat Qrißauov 'Aal l4S-rjvaicov, orvelSers f^ioi rw ovGTQaruoTrj
vficüv xal eiXTtiaxevGaze f.ioi eavtovg, oyrwg y.aTaGTQaTeiocof.i€d-a zolg
26*
404 J. ZACHER
ßaqßaQOLg y.ai tavrovg slEvd-EQcoacoinev zvß xwv Tlegocov öovleiag. /.tL
und ebenso der gekürzten fassung der Historia de preliis (ed. Argentin.
a. 1489. s. ö** 6"): Itaque Alexander plorans mortem PhiUppi ipsum
honorifice sepelivit. Alio autem die Alexander pro trihunali in solio
patris eins sedit et congregata multitudine populi taliter est affatus:
Viri Macedones , Thraces, Ihessalonicenses et Greci, intuemini Alexan-
drum, ut fugiat a vobis timor omnimn barbarorum, etc. Aus dem wei-
teren zusammenhange und verlaufe der erzählung ergibt sich bestirnt,
dass in beiden texten, im Griechischen wie im Lateinischen, Pella in
Macedonien als ort der handlung gemeint ist.
Dagegen lässt Lamprecht, und widerum in völliger Übereinstim-
mung mit Pseudokallisthenes und der Historia de preliis, den Alexan-
der nach Korinth erst kommen nach Vollendung der ersten hälfte sei-
ner eroberungszüge , nach seiner rückkehr aus Asien nach Europa, und
vor dem zweiten aufbruche nach Asien; jedoch ohne hierbei, wie jene
beiden es tun , der korinthischen spiele zu gedenken. Und hier erst
geschieht es, dass die Strassburger handschrift, nicht aber die Basler,
die an sich unverständliche zeile hinzufügt „unde clioryn in ander
stunt ," und daran auch die bekehrung Korinths durch den apostel Pau-
lus knüpft.
Ganz anders ist die reihenfolge der begebenheiten im spanischen
poema de Alexandro gestaltet, und dies widerum in Übereinstimmung
mit dessen massgebender vorläge. Der spanische dichter hat zwar
mehrere lateinische und französische quellen benuzt, wie das Morel -
Fatio so weit er vermochte abschnitt für abschnitt im einzelnen nach-
gewiesen hat, hauptsächlich aber ist er dem Walther von Chätillon
gefolgt, den er auch widerholt als seinen gewährsmann nent (str. 225:
cuemo dis Galente; 1452: como Galant decie), und aus dessen Alexan-
dreis (7, 423 fg.) er (str. 1630) sogar zvrei verse in ihrer lateinischen
Originalgestalt aufgenommen hat.
Walther (Gualterus ab Insulis, oder Gualterus de Castellione),
über dessen leben und Schriften R. Peiper auf grund kritischer for-
schuug gute auskunft gegeben hat (in einem programm des Breslauer
Maria -Magdalenen-gymnasiums zum 300jährigen Jubiläum des Brieger
gymnasiums. Breslau 1869. 4.), war um 1140 in oder bei Lille gebo-
ren, studierte in Eeims und Paris, leitete dann die schule in Laon,
verweilte durch einige zeit am gelehrten hofe des gelehrten königs
Heinrichs U von England, und wirkte darauf, wahrscheinlich als leh-
rer, in Chätillon (Castellio, vermutlich wol Chätillon an der Marne),
wo er zugleich eine bedeutende litterarische tätigkeit entfaltete. Von
einer nach Italien unternommenen reise heimgekehrt, und nach einer
zu LAMPRECHTS ALEXANDER 405
darauf in Chätillou überstandenen schweren krankheit ward er notar
und orator des erzbischofes Guillermus (II) von Reims , durch welchen
er später auch ein canonicat zu Amiens erhielt. Weitere lebeusuach-
richt über ihn gebricht, so dass über ort und jähr seines todes nichts
sicheres verlautet, wonach zu vermuten ist, dass er kein hohes alter
erreicht habe. Neben verschiedenen prosaischen Schriften und einer
anzahl lateinischer gedichte hat er eine in 10 bücher abgeteilte und
dem eben genanten erzbischof Guillermus gewidmete Alexandreis in
lateinischen hexametern verfasst, welche er um 1171 in Chätillon
begonnen hatte und 1177 oder 1178 vollendete.
Einem so gelehrten und in der klassischen litteratur belesenen
manne konte nicht entgehen, dass in den bis dahin algemein gangba-
ren, auf Pseudokallisthenes beruhenden Alexaudriaden die geschicht-
lichen Vorgänge vielfach und gröblich verschoben, verunstaltet und mit
fabeleien durchsezt waren. Deshalb wählte er für seine Alexandreis
als verlässige grundlage die geschichtserzählung des Curtius, deren
lücken er aus anderen ihm dazu geeignet scheinenden quellen zu ergän-
zen suchte. Wenn ihm dabei gleichwol hie und da auch brocken von
blos sagenhaftem Ursprünge und Charakter mit unterliefen, so lag das
in der beschaffenheit des Stoffes selbst und war zu seiner zeit unver-
meidlich. Sein werk fand so grossen beifall, dass es rasch zum schul-
buche wurde und in zahlreichen handschriften sich verbreitete , die auch
nicht selten, wie handschriften alter klassiker, mit reichlichen einge-
schriebenen glossierungen ausgestattet wurden.
Ganz abweichend von denjenigen Alexaudriaden, die, auf Pseudo-
kallisthenes fussend , der erzählung von Alexanders abstammung und
Jugend und von Philipps ermordung einen breiten räum verstatten,
begint Walther mit einer belehrenden anspräche des Aristoteles an sei-
nen nach taten und rühm dürstenden Zögling, und geht dann sofort
über zu dem regierungsantritte Alexanders, den er mit folgenden Ver-
sen einleitet:
Urhs erat auctoris nomen sortita Corinthus,
Quam Situs ipse loci, quam rerum copia major,
205 Quam genus^ et populi, quam regum firma voluntas
Sanxerat, ut regni caput et metropoUs esset.
Hanc, evangelico propulsans idola verho,
1) genus bietet Müldener, der seiner ausgäbe (Leipzig 1863) leider keinen
kritischen apparat beigegeben hat; gens gewährt die ausgäbe von Job. Adelphus
(Strassburg 1513). Ansprechender erscheint statt dessen patrum, was Athanasius
Gugger in seiner sorgsamen , auf einer Engelberger und einer St. Galler handschrift
beruhenden ausgäbe (St. Gallen 1659) ohne angäbe einer Variante darbietet.
406 J. ZACHER
Paulus ad aeterni convertit pascua veris.
Hie igitur Macedo, ne jura retunderet urbis,
Post patris occasum sacrum diadema verendo
Suscipiens capiti sceptro radiavit eburno. etc.
Die Übereinstimmung dieser verse mit den oben augeführten spa-
nischen Strophen ist nnverkenbar, und auch schon von Morel -Fatio
s. 64 gebührend angemerkt worden. Sogar die eigentümliche motivie-
rung Walthers ne jura retunderet urbis hat der Spanier sich angeeig-
net in dem verse El Infant non la quiso en si desaforar.
Aber auch Walther seinerseits muss seine in diesen versen ent-
haltenen angaben doch ebenfals widerum irgendwoher entnommen haben.
Aus Curtius freilich nicht, weil ja dessen erste beiden bücher verloren
sind. Mit voller Sicherheit wird sich die hier von ihm benuzte quelle
schwerlich nachweisen lassen. Zulässig jedoch darf die Vermutung
erscheinen, dass er hier aus Justin geschöpft haben könne, welcher
(11, 2) berichtet: Prima Uli cura paternarum exsequiarum fuit . . . .
Inter initia midtas gentes rebellantes compescuit: Orientes nonnullas
seditiones exstinxit. Quibus rebus erectus citato gradu in Graeciam
contendit, tibi, exemplo patris, Corinthum evocatis civita-
tibtis, dux in locum ejus substituitur. Die erhebung Korinths
zur krönungsstadt der griechischen könige mag Walthers eigene
zutat sein; lag ja doch diese ausschmückung grade für ihn so
ganz besonders nahe, nach dem vorbilde von Reims, au dessen dom-
kirche eben zu seiner zeit die Salbung und krönung der französischen
könige durch den erzbischof von Reims, den primas des reiches, als
bleibendes Vorrecht dieser schon seit Chlodwigs taufe bevorzugten stadt
sich knüpfte.
Übrigens scheinen zu Walthers zeit auch schon anderweite ver-
suche zur ergänzung der lücken des Curtius gemacht worden zu sein.
Unter dem nachlasse des Perizonius zu Leiden fand ich , unter den
Signaturen Cod. Perizon. 9. 11. 12. Q., eine begonnene, aber nur durch
wenige selten fortgeführte und dann abgebrochene abschrift aus einer
handschrift des Oxforder Corpus - Christi - Collegiums , deren anfang lau-
tet: Incipit historia magni Älexandri. — Alexander vesanus juvenis,
qui nicJiil nisi grande concepit animo, et cid pro virtute felix temeri-
tas fortunq cessit in gloriam, etatis suae vicesimum agens annum ador-
tus est expugnare regnum Persarum, aetate quidem tantis rebus inima-
tura sed habunde sufficienti. Erat enim vir in adolescente supra
potentiam Immanam animi magnitudine praeditus. Hujus autem magni-
tudinis futurae multa jiraecessisse leguntur prodigia. etc. Es scheint
diese abschrift des Perizonius entnommen zu sein aus einer handschrift,
zu LAMPRECHTS ALEXANDER 407
welche H. 0. Coxe in seinem Catalogus codd, rass. qui in collegiis aulis-
que Oxoniensibus hodie adservantur (Oxouii 1852. 4.) bd. 2. s. 29.
bezeichnet als „nr. LXXXIl. Cod. mbr. , in folio maximo , ff. 205. sec.
XII.; biuis coliimnis optime exaratus." Weil diese mir mierreichbar
gebliebene handschrift für die Alexaudersage überhaupt nicht unwich-
tig zu sein scheint, und Coxes catalog doch nur wenigen zur band
sein kann, lasse ich die angäbe ihres Inhaltes mit Coxes werten hier
folgen :
1) Quinti Curtii de Alexandri raagni gestis historiarum libri decem;
imperfecta p. 1.
De omissionihus in textu praemisit manus prima rubricam, quae
sequitur: „In huius libri textu et serie plura desunt; quoniam
libri diver si fuerunt, ad quoriiyn exempla hie scriptus . . . prius-
que correptus est, et quoniam que desunt suis interserere locis
ncquivimus nee in margine, glosarum more , super scribere volui-
nms, signatis locis ubi interseri haberetur quicquid defectuum
percipere potuimus ante libri iniciimi prescripsimus. Signa enim
sunt littere Äbecedarii ordinatim posite quotquot fuerint . . . 7ieces-
sarie."
2) Julii Valerii „Alexandri regis magni Macedonnm ortus vita
et obitus." p. 137.
3) Epistola Alexandri regis magni Macedonum „ad suum magi-
strum Aristotelem de situ Indiae et itinerum vastitate." p. 156.
4) Alexandri magni et Dindjmi regis Bragmanorum epistolae
quinque mutuae. p. 165.
5) Epistola „ cujusdam " de quibusdam Indiae locis et de vita Brag-
mannorum, p. 172. — Incip.: „Mens tua que et discere et mnltum dis-
cere cupit." ^
6) De historia Josephi (XL § 8.) qualiter Alexander Hierosolymam
venerit. p. 182.
7) Epistola de itinere Alexandri ad Paradisura. p. 184. — Incip.:
„Postquam Alexander Philippi filius Universum orbem praeter Indiam
solam suae ditioni subegerat , proposuit ut et ipsam . . ." ^
1) Ed. Bissseus, Palladius de gentibus Indiae et Bragmanibus etc. Londini
1668. 4. bietet auf s. 57 — 84: S. Ambrosii tractatus , in quo loca, doctrinam ac
mores Brachmaywrnm describit, beginnend: Desiderium mentis tuae, Palladi,
quae immenso sapientiae amore incensa nova semper discere optat usw. Das könte
wol dasselbe werkchen sein.
2) Für meine ausgäbe „Alexandri M. iter ad Paradisum. Kegimonti 1859."
babe ich nur eine Pariser und eine Wolfenbüttler handschrift benutzen können,
welche beginnen: Igitur Alexander nobili ac multiformi praeda onustus se cum
408 J- ZACHER
8) Julii Caesaris et Hirtii Pansae de bello Gallico commentario-
rum libri octo. p. 188.
9) De gestis Fraucomm libri duo. p. 281.
10) Narratio de Apollonio Tyri rege; initio mutil. p. 329.
11) Pauli Warnefridi Diaconi Langobardi Historiarum Langobar-
doi'um libri sex. p. 346.
In der abschrift des Perizonius heisst es an der entsprechenden
stelle in beziehung auf Korinth: Successit igiiur meliori patri filius
optimus. qiii maiorum more convocatis apud Corinthum universi regni
principihns pari consensu suhliniatur in regem. Auch diese angäbe
könte aus Justin geschöpft sein.
Kehren wir nun zu den versen der Strassburger handschrift zu-
rück, von welchen wir ausgegangen waren, so wird sich mit hilfe der
durch die vorstehende Untersuchung und erörterung gewonnenen ergeb-
nisse wol die möglichkeit einer bestirnteren beurteilung erhoffen lassen.
In der verderbten form cJioryn (v. 2301) kann ein Ortsname
nicht stecken, weil nach dem gange der erzählung, wie die verglei-
chung der entsprechenden griechischen und lateinischen bearbeitungen
ergibt, zwischen Theben und Athen für die erwähnung noch eines zwei-
ten ortes neben Korinth weder veranlassung noch räum vorhanden ist.
Denn eine im Pseudokallisthenes und in der Historia de preliis zwischen
Korinth und Athen eingeschaltete erzählung von einer glück verheis-
senden Weissagung, die Alexander unterweges in einem tempel zu Pla-
tää erhalten habe, kann hier gar nicht in betracht kommen, weil sie
im deutschen texte gänzlich und völlig spurlos übergangen ist.
Muss demnach in cJioryn eine verbal form enthalten sein, so
würde zwar mit leichtester auf einen einzigen buchstaben beschränkter
änderung die form cJioren gewonnen werden, welche Weissmann auf
s. 501 seiner ausgäbe als genügende besserung empfiehlt, indem er
sagt: „es scheint zu lesen: unde koren in an der stunt, und erkoren
ihn zu der stunde"; aber dann solte im texte doch hinzugefügt sein,
wozu denn die Korinther den Alexander erwählt haben. Und wenn
man etwa — was ja dann fast allein zulässig wäre — ein verschwie-
genes 06 herren ergänzend hinzufügen wolte, so würde die vervolstän-
digte formel: si Jcurn in ze Mrren an der stunt, d. h. sie erwählten
ihn sogleich zu ihrem herren, doch nur einen so ungeschickten und so
matten flickvers ergeben, wie man ihn einem gedichte, und zumal
suis copüs a finibus Indorum siirripiens .... Beiläufig bemerke ich , dass von
der ausgäbe nur noch wenig exemplare vorhanden und durch die buchhandlung des
Waisenhauses zu beziehen sind.
Zu LAMPRECHTS ALEXANDER 409
einem sonst so verständigen und kräftigen durch blosse conjectur nicht
aufdrängen soll.
Schärferer beobachtung jedoch werden zwei abweichungen des
Strassburger textes von dem griechischen des Pseudokallisthenes und
dem lateinischen der Historia de preliis nicht entgehen, sondern viel-
mehr so bedeutsam erscheinen, dass grade sie zum ausgangsp unkte
einer prüfenden erwägung gemacht werden. Es lassen nämlich der
griechische wie der lateinische text den Alexander , nachdem er Theben
erobert und zerstört hat, nach Korinth gelangen, und zwar grade in
dem Zeitpunkte, wo dort die Isthmischeu spiele beginnen sollen, und
lassen ihn daselbst, ohne besondere erwähnung einer voraufgegangenen
feindseligkeit oder eroberung, auf bitten der Korinther den vorsitz bei
diesen spielen übernehmen. Auch halten sie es für überflüssig, die
albekante stadt Korinth durch irgend einen zusatz als einen grossen
oder berühmten ort zu bezeichnen. Der griechische text sagt (1, 46) :
'0 de l4l€^avdQog naQayivetm elg KoQivd^ov, 'Aal ■KaraXaf.ißdveL iyiEt rbv
^'iGd-f-iiov Tcöv dytonov. üagayMlovai da airbv ol KoQivd^ioi a^at xbv
dycova. 'O ös /reiad^eig 8/.d&ia€. /.tL; und gleicherweise der lateinische
(ed. Argent. 1489. 11"): Alexander itaqiie TJiebanmn cimtatem relin-
quens äbiit Corinthum. Rogaverunt eum Corinthii ut eis manibus lude-
ret (richtiger in dem überhaupt correcteren niederländischen drucke:
ut luderet cum eis in currihiis). Quorum precibus acquievit. etc. Im
weiteren verlaufe wird dann erzählt, dass Alexander dem sieger in die-
sen wettkämpfen, einem Thebaner KlsiTOf-iaxog , als siegespreis den
von ihm erbetenen wideraufbau Thebens gestattet, und damit zugleich
einen Orakelspruch erfült habe. Und aus dieser schlussvrendung erklärt
sich die entstehung und die gestaltung der geschichte von Alexanders
anwesenheit in Korinth, All das aber fehlt im deutschen texte. War
ja doch auch jede kentnis von den isthmischen spielen längt erloschen,
und damit auch das Verständnis dieser geschichte verloren und das
Interesse daran erstorben. Damit aber war die erwähnung Korinths
inhaltsleer geworden. Und inhaltsleer erscheint sie auch in der Bas-
ler handschrift , welche sich darauf beschränkt nach Thebens Zerstörung
zu berichten (39''): aber fuor er für sich.
gewan manig hurg herlich
under wegen er hegan.
(lies: manig bürg herlich
under wegen er gewan).
Corintya die lobesan
gab sich an sin hulde.
Do fuor er für Äthenas usw.
410 J. ZACHEE
Dies ist die erste abweichung des deutschen textes vom griechi-
schen und lateinischen.
Aber für einen dichter oder schreibor des zwölften Jahrhunderts,
und zumal für einen solchen von theologischer bildung, hatte Korinth
doch ein hervorragendes christliches interesse, als eine der ältesten
Pflanzstätten des christentumes , an welche Paulus zwei briefe gerichtet
hatte, die also doch wol auch eine stadt von beträchtlicher grosse und
bedeutung gewesen sein mochte. Und dass der Schreiber oder redactor
des Strassburger textes kein bedenken getragen hat, die kundgebung
dieses christlichen Interesses an die erwähnung von Korinth zu knüpfen
hat ja auch an sich durchaus nichts auffälliges. Gleichwol wird diese
zweite abweichung des Strassburger textes vom griechischen und latei-
nischen denn doch recht auffällig durch die doppelte Wahrnehmung,
dass sie einerseits im Basler texte fehlt, und andererseits mit dem spa-
nischen texte so merkwürdig übereinstimt. Daraus erwächst denn, wie
oben schon angedeutet wurde, der verdacht, dass beide texte, der
Strassburger und der Spanische , diese zusammentreffenden äusserungen
aus einer und derselben quelle, aus der Alexandreis des Walther von
Chätillon geschöpft haben. Und diese Vermutung ist nun noch des wei-
teren zu untersuchen.
Nach Massmanns angäbe (Denkmäler deutscher Sprache und Lite-
ratur. I. München 1828 s. 1.) stand am unteren rande der Vorderseite
des 29. blattes der leider jezt verbranten Strassburger handschrift , also
auf derselben seite, auf welcher der Alexander endete und der Pilatus
begann, und zwar von derselben band, welche den Pilatus gleichzeitig
mit den anderen in der handschrift enthaltenen gedichten geschrieben
hat, in einer einzigen fortlaufenden zeile die einzeichnung
Captiuante faladino irolitanof
Annof millenof centenof odagenof
Septenofq; reuolu'at incarnatio uerhi.
Demnach ist die Strassburger handschrift in oder bald nach dem jähre
1187 geschrieben worden. Walther von Chätillon aber hatte, wie oben
bereits berichtet wurde, seine Alexandreis 1177 oder 1178 vollendet,
und bei der raschen und weiten Verbreitung, Avelche dieses gedieht
sofort fand , genügte ein Jahrzehnt volkommen dazu , dass es auch in
die hand des Schreibers oder redactors des Strassburger textes gelan-
gen konte. Hiermit ist die grundbedingung , die chronologische
möglichkeit erwiesen, dass der Schreiber oder der redactor des Strass-
burger deutschen Lamprecht -textes die Alexandreis des Walther von
Chätillon kennen und benutzen konte.
zu I,AHPRECHTS ALEXANDER
411
Es erübrigt also nur noch der uachweis der Wahrscheinlichkeit —
denn über eine blosse Wahrscheinlichkeit können wir nach läge der
Sache hier freilich nicht hinauskommen — dass er sie auch benuzt
habe.
Für diese Wahrscheinlichkeit sprechen folgende beobachtungen und
erwägungen :
Von den Korinthern, welche den Alexander sich geneigt machen
wollen, sagt der Strassburger text 2302 fg.:
unde gäben inie fmißic phunt
unde Silber unde golt.
Das muss einen achtsamen leser denn doch ernstlich stutzig machen;
denn die in v. 2302 erwähnten fünfzig pfund können ja doch gar nicht
anders verstanden werden, als ebenfals von fünfzig pfunden goldes
und Silbers. Folglich ist das unde in v. 2303 dem sinne nach völlig
überflüssig, wird aber durch das metrum dennoch als für den vers
notwendig und unentbehrlich erwiesen. Sucht man nun nach der
Ursache dieser eben so ungeschickten als albernen tautologie, so wird
sich kaum eine andere entdecken lassen, als das bedürfnis , auf einen
daneben stehenden vers einen reim zu gewinnen. Eine so wortreiche
und zugleich so unüberlegte und nachlässige ausdrucksweise passt aber
so übel zu dem knappen und verständigen Charakter des alten echten
gedichtes , dass man sie dem von Lamprecht selbst herrührenden Origi-
naltexte nicht füglich zumuten kann, während sie als später hinzuge-
fügte einschaltung aufgefasst wenn auch nicht löblich so doch erklär-
lich wird.
Kaum minder anstössig und verdächtig muss aber auch der vers
2301 erscheinen: vnde cJiorijn in ander stunt, weil für ihn, welchen
sinn man auch der verderbten form cJioryn unterschieben wolle , in der
massgebenden grundlage für den erzählenden Inhalt des gedichtes, im
Pseudokallisthenes und in der Historia de preliis, auch nicht der
geringste anhält dargeboten ist, während er doch augenscheinlich eine
angebliche tatsache berichten, mithin einen zug der erzählung, nicht
einer blossen Schilderung oder betrachtung enthalten soll.
Demnach führt und drängt alles zu der Vermutung, der Verfas-
ser der verse 2300 — 2309 habe die kürzlich erschienene, algemein
angestaunte und gepriesene Alexandreis Walthers kennen gelernt, und
habe, die algemeine bewunderung teilend, sich nicht versagen können,
aus ihr in seinen deutschen Lamprechttext bei der erwähnung Korinths
die hinweisung auf dessen durch Paulus bewirkte bekehrung einzuschal-
ten , habe sich aber zugleich auch verleiten lassen , die bei Walther
unmittelbar danebenstehende angäbe über Alexanders krönung zu Korinth
412 J ZACHER
ebenfals mit aufzunehmen , ohne zu bedenken , dass diese angäbe zwar
bei Walther an gehöriger stelle steht, im Lamprechtschen texte dage-
gen an dieser stelle und in diesem zusammenhange doch widersin-
nig ist.
Von dem Schreiber der Strassburger handschrift können aber
diese verse freilich nicht verfasst und hinzugefügt sein , weil er in die-
sen wenigen zeilen sich mehr als einen starken fehler hat zu schulden
kommen lassen ; denn die pluralformen clioryn und gaben in v. 2301 fg.
können sich, wenn man subjectswechsel zulässt, zwar allenfals mit der
singularform Cliorintliia (v. 2300) vertragen, nicht aber zugleich auch
mit der singularform ime (v. 2304), welche leztere Weismann (s. 501
seiner ausgäbe) zwar als alte pluralform „noch wie im althochdeut-
schen " auffassen will , wofür er aber doch schwerlich Zustimmung finden
wird. Übrigens lässt auch der anlaut ch in der unform clioryn vermu-
ten, dass die Orthographie des Verfassers dieser verse von der des
Schreibers verschieden war, denn der Schreiber der Strassburger hand-
schrift pflegt in ähnlichem falle nicht anlautendes ch, sondern c zu
schreiben, so z. b. v. 462: di ordnen, dt er Nicoiao hete geroubit;
V. 3991 : unde saztir üf di ordnen; v. 5640: unde gab ime niine crone;
5661: tholomeus di crone ontfienc; 5848: eine crone von golde; 6387:
eine gute crone; 7034: bi der cronen; 7290: mit der himelischen
ordnen.
In der gestalt, die ihr Verfasser ihnen gegeben hatte, würden
demnach diese verse, abgesehen von vielleicht vorhanden gewesenen
aber doch wenig erheblichen orthographischen oder dialectischen abwei-
chungen der Schreibweise, etwa gelautet haben:
2300 Corinthja sines frides gesan
unde Jcrdnt in an der stunt,
unde gap im funfzic phunt
des wart ime der Jcuninc holt.
2305 Corinthja was ein michel stat,
di beharte von der heidenscaf
dar näh sanctus Paulus.
In der Basler handschrift scheint sich die ursprüngliche echte
von Lamprecht selbst herrührende fassung in ihrer knappen gestalt
ziemlich gut und rein erhalten zu haben, vielleicht nur mit einbusse
eines einzigen auf hulde reimenden verses, so dass man vermuten darf,
die ursprüngliche Lamprechtsche fassung möge etwa gelautet haben:
Corinthia diu lobesan
gap sich an sin hulde
mit Silber und mit golde.
zu LAMPRECHTS ALEXANDER 413
Vor der erwähnimg Korinths war im griechischen und lateinischen
texte von Theben berichtet, dass es durch Alexander erobert und zer-
stört werden sei, und dann nach der erwähnung Korinths war von
Athen erzählt, das es zwar widerstand beabsichtigt, denselben jedoch
auf rat des Demosthenes aufgegeben habe, und von Lacedämon, dass
es durch Waffengewalt besiegt worden sei. Dagegen war von Korinth
keinerlei feindseligkeit gemeldet, sondern nur der mit den isthmischen
spielen zusammenhängende Vorgang. Wenn nun in Lamprechts, und
wol schon in seines Vorgängers Eiberich bearbeitung die isthmischen
spiele gänzlich fortfielen, so blieb für Korinth nichts weiter übrig, als
sein friedliches und freundschaftliches Verhältnis zu Alexander. Und
was konte dann für Lamprecht oder seinen Vorgänger Eiberich näher
liegen, als dies freundschaftliche Verhältnis dadurch zu motivieren, dass
er in seinen text sezte, die Korinther hätten sich um Alexanders
freundschaft beworben, und seine huld durch freiwillige geldspeuden
gewonnen ? So erklärt sich die fassuug des Basler textes auf die aller-
einfachste und natürlichste weise, ohne herbeiziehung einer zweiten
quelle ; dagegen bleibt an den überschiessenden versen des Strassburger
textes und zumal bei ihrer tatsächlichen Übereinstimmung mit einer
damals sehr gefeierten und verbreiteten quelle, mit der Alexandreis
des Walther von Cbätillon, die Vermutung haften, dass sie eine spä-
tere, aus dieser quelle stammende einschaltung in den echten Lam-
prechtschen text seien.
Wenn ferner der Strassburger text, auch hierin über den Basler
hinausgehend, in v. 2302 eine bestimte zahl von fünfzig pfundeu hin-
zufügt , welche die Korinther dem Alexander als geschenk gesant haben
sollen, so braucht diese Ziffer natürlich nicht notwendig einer anderen
quelle zu entstammen, sondern kann ebensowol aus eigenem freien
belieben erfunden und ganz wilkürlich gewählt sein. Lides fält es doch
auf, dass im Pseudokallisthenes und in der Historia de preliis bald
darnach genau dieselbe zahl angegeben wird von einer Sendung der
Athenienser an Alexander, und zwar in verständlicherer und ansprechen-
derer weise, als werts- oder gewichtsbestimmung eines siegeskranzes
oder einer kröne , welche die Athenienser , durch Demosthenes bewogen,
dem Alexander darbrachten. '^EjteLO&rjaav 7tsf.i7tELv ^Is^ayÖQcp vL%t]ti-
y,öv aT£q>avov Iitqiov 7rEVTrjy,ota heisst es bei Pseudokallisthenes 2, 5,
und dem entsprechend in dem niederländischen drucke der Historia de
preliis : Et statuerunt dirigere Uli coronam auream victorialem x>ensan-
tem libras quinquaginta. — Man möchte vermuten, dass der redactor
des Strassburger textes auch den lateinischen text der Historia de pre-
liis gekaut , und diese darin vorgefundene angäbe mit nicht eben glück-
414 J. ZACHER
liebem geschick von Athen auf Korinth übertragen babe. Die kröne,
durcb welcbe die fünfzig pfund erst einen bestirnten und klaren sinn
erbalten, konte er dabei freilieb niebt braueben, und muste sie weg-
lassen, weil er ja eben erst in der vorangehenden zeile, dem Walther
von Cbätillon folgend, berichtet hatte, dass Alexander von den Korin-
thern gekrönt worden sei.
Die ergebnisse , zu welchen die vorstehende Untersuchung geführt
hat, berechtigen zu dem Schlüsse, dass wir in dem Strassburger Alexan-
dertexte nicht mehr die ursprüngliche gestalt des schon geraume zeit
vor der Alexandreis des Walther von Cbätillon abgefassten gedichtes
des pfaflfen Lamprecbt in ungetrübter eehtheit vor uns haben, sondern
eine jüngere recension, eine Überarbeitung desselben, welche ein mann,
der gelehrte und theologische kentnisse besass, aber weder ein schar-
fer denker noch ein stilistisch gewanter dichter war , kurz vor dem
jähre 1187 ausgeführt hatte, zwar ohne tiefgreifende und wesentliche
Umgestaltung des Lamprechtschen Werkes, aber doch mit mancher
änderung des ausdruekes und mit hinzufügung von einschaltungen , zu
denen andere ihm bekante bearbeitungen der Alexandergescbichte ihm
anlass und anregung gegeben hatten. Und auch nicht die eigenhän-
dige niedersehrift des Verfassers dieser recension liegt uns in der Strass-
burger handschrift vor, sondern eine zwar nur um wenige jähre jün-
gere , aber nicht eben sorgsam gefertigte abschrift. Textkritische Unter-
suchung wird darauf zu achten und zu ermitteln haben , ob, welche,
wie geartete und wober stammende einschaltungen aus anderen quellen
sich ausser der hier bebandelten ferner noch im Strassburger texte ent-
decken und nachweisen lassen.
Zu V. 3547 fgg. (= Massmann Denkmäler 3197 fgg. = Weis-
mann 3392 fgg.).
Diese verse, wie die zunächst vorangebenden und nachfolgenden,
beziehen sich auf die in Pasargadä und Persepolis vorgefundenen präch-
tigen und kostbaren paläste, grabmäler und aufgehäuften schätze der
persischen könige. Der bericht darüber ist schon bei Pseudokallisthe-
nes 2, 17. 18 sehr versehrumpft und verblasst, und im Lamprecht-
schen gedichte ist er endlich zum teil fast bis zur unkentlichkeit ver-
stümmelt. Was mit den fast unverständlich gewordenen versen 3546
fgg. des Strassburger textes gemeint sei, lässt sich aus der Historia
de preliis entnehmen, wo die entsprechende stelle (ed. Argent. 1489.
18*) lautet: Erat ipso in loco etiam ager pulcerrimus et maximus , in
quo antiqui reges et judlces Persarum mortui condehantur. In quo
zu LAMPRECHTS ALEXANDER 415
fodientes Macedones in ipsis sepulchris vascula gemmea comperiebant
(oder nach dem niederländischen drncke: inveniehant vasa gemmata,
aurea et argeyitea). — Der Strassburger text steht hier dem ursprüng-
lichen unzweifelhaft viel näher als der gewaltsam und recht ungeschickt
gekürzte Basler; doch etwas verderbt scheint auch er zu sein, wenn-
gleich wahrscheinlich nur leicht, so dass man etwa vermuten könte,
V. 3547 möge eigentlich gelautet haben
üf gruoben greber sine man.
Zu V. 3606 fgg. (= Massmann, Denkmäler 3256 fgg. = Weis-
mann 3451 fgg.)
Massmann interpungiert foigendermassen :
dö quam ih fUhende heim,
vil harte wol mir daz schein
daz du da nie(r)ne were.
des ist min herze swere
mit unfroweden geladen.
Diese Interpunktion scheint mir doch gerechtfertigt durch den Zusam-
menhang des ganzen, den ich folgendermassen auffasse:
Nach Pseudokallistheues 2, 11. 12 und Historia de preliis 15''
hatte Darius schon früher den könig Porus von Indien brieflich um
hilfe gebeten, dieser aber hatte in seiner antwort, da er jezt durch
krankheit verhindert sei, seine hilfe erst für später in aussieht gestelt.
Diese beiden briefe sind nun im Strassburger texte v. 2924 fgg. wun-
derlicherweise grade in ihr gegenteil verkehrt, so dass Porus den
Darius um hilfe bittet, während dieser antwortend klagt, dass er jezt
von Alexander zu sehr bedrängt sei, später jedoch hilfe senden wolle.
Im Basler texte dagegen sind (fol. 43"), ungeachtet starker textver-
derbnis, doch die deutlichsten spuren des ursprünglichen richtigen
Verhältnisses und Inhaltes der beiden briefe erhalten, so dass Darius
um hilfe bittet und Porus antwortet, er sei zur zeit krank, werde aber
später hilfe senden. — Darauf folgt im Strassburger texte, von v. 2944
bis 3584 der Inhalt der kapitel 2, 13 — 18 des Pseudokallistheues,
und darin namentlich auch die erzählung von der volständigen besie-
gung des Darius durch Alexander am flusse Stranga und von Alexan-
ders vordringen nach Pasargadä und Persepolis. — Und hieran end-
lich schliesst sich, wie im Pseudokallistheues 2, 19 und in der
Historia de preliis 18 ^ der in rede stehende zweite brief des Darius
au Porus, durch welchen er diesen unter verheissung reichen lohnes
nochmals dringend um hilfe bittet. Von der im Pseudokallistheues und
416 J. ZACHER, ZU LAMPRECHTS ALEXANDER
in der Historia de preliis dazu dargebotenen vorläge weicht die fassung
des Strassburger textes nur zu anfange des briefes insofern ab, als
hier Darius auf seinen früheren brief und auf das seitdem geschehene
bezug nimt. Dahinter aber folgt dann, der vorläge entsprechend, die
erneute bitte. Nach meiner auffassung will Lamprecht in diesen den
brief einleitenden Sätzen v. 3590 fgg. den Darius sagen lassen: Ich hatte
dir schon früher gemeldet, wie sebr Alexander mich bedrängt, und
hatte dich deshalb um deine hilfe gebeten. Du aber bist nicht gekom-
men , und in folge dessen ist es mir gar übel ergangen. Ich bin besiegt
worden; viele der meinen sind gefallen; ich selber bin zwar mit dem
leben davon gekommen und heim gelangt, aber als flüchtling. Da
habe ich gar sehr gespürt, dass du nicht bei mir warst. (Natürlich
ist hier zu ergänzen: denn, wärest du mit deinem hilfsheere zu mei-
ner Unterstützung zugegen gewesen, so würde solches unheil nicht über
mich gekommen sein.) In folge dessen ist mein herz mit trübsal über-
laden. Deshalb erbarme dich mein und komm mir rasch zu hilfe usw.
Demnach kann ich auch Weismanns Übersetzung der verse 3606
— 3608 (nach Weismanns Zählung 3451 — 55), obschon sie freilich
gewanter und genauer sein könte, doch nicht für völlig unzutreffend
halten, und auch die entsprechenden verse des Basler textes scheinen
mir von denen des Strassburger nur dem Wortlaute, nicht dem sinne
nach verschieden.
Zu V. 5057 (= Massmann Denkmäler 4707 = Weismann 4904).
Hist. de preliis ed. Argent. 1489. 29": Deinde amoto exercitu
pervenit in campum^ qui dicitur Adzea. Niederl. druck: .... ladea.
Eckehard. Uraug. 71, 17: Moventes inde venerunt in campum, qui dici-
tur Actia.
HALLE. JUL. ZACHER.
BRUCHSTÜCKE AUS DER SAMLUNG DES FREIHERRN
VON HARDENBERG.
ZWEITE REIHE.
Fortsetzung zu band IX s. 395 fg.
1.
Hohenburger hohes lied.
(Das Hohelied üborsezt von Willeram, erklärt von Eilindis und Herrat, äbtissinnen
zu Hohenburg im Elsass, herausg. von Josef Haupt. Wien 1864. s 117. 31 — 119, 5.)
Ein pergamentblatt aus derselben handschrift des 12. Jahrhunderts,
aus welcher ein anderes (enthaltend 121, 24 — 122, 29) bereits in
FRH. V. HARDENBERG, BRUCHSTÜCKE. 1. HOHENB. H. I.. 417
bd. 9. s. 420 fgg. dieser Zeitschrift beschrieben und mitgeteilt worden
ist. Die Vorderseite dieses blattes hat stark, die rückseite weniger
gelitten, so dass manche stellen kaum noch, einige gar nicht mehr
lesbar sind.
Vorderseite.
117, 31 ift der wiftoni er ift diu oberifte göte wie fcolt
du gotef brut uon ime gezertet werden übe
118, 1 du getriulicheu geforget baft über die iunch
urowen. die du mit göten werchen. unt mit
, dinen goten bilden Iterchen fcolt uude mit
dinen goten worteu ziehen fcolt. fo du daz ge
tüft. def die minneren bedürfen, fo du denne
ze dinem gebete geft. fo enphahet dich got mit
micheler miune. fo git got diner gebucht
den gewalt. daz ü dinen chrift füche in den
hohiften himelen. daz du in findeft daz gef..
bet alfo in ictu oculi. fo git dir chrill diner
uernunit den wiftom. daz fi got widere in fich
ziuhet mit der baiteren wider bildunge alfo
luter fo din gewizzede denne ift. alto raine ilt
din herze alf wol mahtu gefeheu und
nen. da bringet dir diu heilige göte aine
wirmene unde aine füze bitze derne uer
itönt nie niemen fo rehte fo unfer genadig . .
frowe do ir diu botfcaft . . am uon himele
die fenfte wermine def heiligen geiiles diu
Eückseite.
118, 19 fuget t da du dinen gemahelen
. . . truteft. unde umbeuaheft. fwaz an dir ftre
bentef ift daz muz da gefwigeu. da ne brahtet
nieht der munt noch diu totliche zuuge. fun
der da betent alle die chrefte def inneren me
nifken. ane fer unt ane cliradem. dune fcolt
nieht wänen daz du dich fumeft mit dinem
Fwigenne an dinem gebete. nieht. für dich
betet der wife wiftbm diuef brbder. hinze
dem gewalte zedinem uater. unde din ua
ter git iz dinem gemahelen. daz ift der heili
ge geift. dem wirt din notdurfte der du nie . .
gegern uechauft noch nemaht daz ordeno .
dir din lieber uater. durch den heiligen gei . .
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI. 27
418 FEH. VON HARDENBERG
doch ift daz felbe unlange daz ne fcule wir
nieht geloiiben. daz die achufte da dehaine
119 ftat haben, da wonent die himilifken tilgen
de nu fciün die brüte daz bewarn daz der
rifFe iinde daz miltoii darane niene chome.
daz ift elatio unde ypochrifif. die machent
dürre uut toup den refkeu wücher der
2.
Aus einer predigtsaiuluiig des elften Jahrhunderts.
Zwei leider sehr schmale und übel zugerichtete pergamentstreifen,
fast 20 centimeter hoch, der eine 6V2, der andere 5 centimeter breit,
beschrieben von einer festen, sehr deutlichen, schönen band aus dem
ende des 11. oder dem anfange des 12. Jahrhunderts. Als zeilenabgrän-
zung sind spuren feiner, eingerizter, senkrechter und wagerechter linien
zu erkennen. Die anfange von abschnitten sind bezeichnet durch rote,
aber nur wenig über die zeile hinausgreifende initialen. Der erste strei-
fen enthält auf der einen seite mittelstücke durchgehend geschriebener
Zeilen, auf der anderen links geringe reste von zeilenenden, rechts
etwas längere von zeilenanfäugen. Der zweite streifen enthält auf der
einen seite kurze Zeilenanfänge; auf der anderen ebensolche zeilen-
enden. Vorhanden sind auf jedem streifen noch stücke von 21 bis
22 Zeilen, die spalten der haudschrift müssen jedoch länger gev/eseu
sein, weil unter den lezten Zeilen noch spuren abgeschnittener buch-
staben erkenbar sind. Nach Charakter und sprachformen scheinen diese
bruchstücke sich zu den in der Wiener Notkerhandschrift enthaltenen
predigten zu gesellen. An selteneren formen vergleichen sich z. b.
ibile 1*, 17 mit ihilcn in Hoffmanns fundgruben 1, 62, 14 := Müllenh.
Scher, denkm.^ 218, 10; ziuuelfti 1'', 14 mit ziuueni in Hoffm. fundgr.
1, 63, 22 =: Müllenh. -.Scher, denkm.^ 215, 2, — Über predigtsam-
lungen jener zeit belehren W, Wackernagel, altdeutsche predigten und
gebete. Basel 1876. s. 326 fgg. und E. Steinmeyer, im Anzeiger für
deutsches altertuni und deutsche litteratur. Berlin 1876. 2, 215 — 234.
J. Z.
Erstes blatt.
Vorderseite.
hin uuirdit uone den g
gotif kagint uuvrti ki
. tin engile. Daz ift ...
daz er nieth ni fcol min
nRtICIISTfiCKK. AUS EINER PKED.-SAML. DES ELFTEN JH. 419
5 iii fcol iifiilleu fine H
. . . der dir cliot. Ih ni
, . . def. der mili fautit.
daz fili der mnifco durli
ihorfame. fcol biliden d
10 f iiiizi au den tot. Daz
daz er iu dera feibin k
def imo uuferafti . unt
phahi mit allerflahti k
uone den guoten uuor
15 fo diu heiligi fcrifth clii
an finen enti. der ift ki
oti. daz er fine ibile kida
diemuoticliche firgehi
mennifgen. alfo diu li
20 n uuec . unte firhiha im
in euuan fo ift fin gnad
muoti. daz er fili in alla u
6. Non quaero voluntatem meani, sed voluntatem ejus qui misit me.
Ev. Joh. f), 30.
10
Erstes
blatt.
Eückseite.
no
kifcriben ift der
. . .
irhoh& fine ftim
demo lahtere. D
nde.
der einlifte ftap
uuiz
diemuoti , daz er
der
chofe mit ....
ti.
. ginnene . unte un
re
uuort. unte fcul
ki
feibin fin uile r
gin
ane kiharida
te
fcriben ist. Der
er
füre bring& fine
unmanigin . . .
gi
Daz'^der ziuuelfti
ige.
diemuoti daz er
ift.
habe, nieth ein h
elin
demo herzun fu
th
demo lihnamen
15
10
1. Patuus in risu exaltat vocem suam. Ecclesiasticus 21, 23.
27
*
420
fBH. VON HAHDENBERU
10
15
Zweites blatt.
Vorderseite.
20
Nu fcule im
iz firfteii
holden üii
Uli heil
f 0 . . . got
unte fcule
ticlicheu
pin def n
unter m
er un
da uuirdi
phangin
mit guot
faliger. a
da uuird
zi deu
der emp
fma uile
ba . do ki
unta fpra
rill, ziuu (?)
ue ift in dero chirich
20 füge demo uuega. unt
h ki ftetiu. da fcol er . , .
az er Azza. oder fte fo
Zweites blatt.
Rückseite.
tuot der. der
demo euui
ieth firnim&
lante
5 libe. fo uf
ren finif her
nit iz alfo
mit den
iz ouh wur
10 . . , en uuer
r niheinir
. . einit . .
. . libe . fo ni
pr edigare
15 eite . iiuande
. . . one gote
n. Er firbot
den fac . un
a . daz er
20 fi ire libnar . .
le dera pre
Alis einer predig tsamlimg des vierzehnten jahrliunderts.
Oberer teil eines pergameutblattes , 15 centimeter hoch, 21^2 cen-
timenter breit, aus einer einspaltigen octav- oder einer zweispaltigen
foliohandschrift des 14. Jahrhunderts stammend. Die zeilen, in kräf-
tigen, grossen, regelmässigen schriftzügen , sind von feinen, mit der
feder gezogenen, senkrechten und wagerechten linien eingeschlossen.
Auf der Vorderseite sind zwei absätze durch rote, den zeilenraum
nicht überschreitende initialen ausgezeichnet. Der Inhalt, anscheinend
auf das fest aller seelen (2. november) bezüglich, ist überwiegend legen-
darisch.
BRUCHSTÜCKE. 3. AUS EINER FRED. - SAML. DES 14. JH. 421
Vorderseite. Sp. a.
haut da^ mä gemaiiileich beget in d'
kriftenhait aller fei tak. auf da^ da^
die fei da mit getroft wurden vü in ir
fegfeur wurd abgenvme. da^ kalt vn
5 hai^ ift. daz, mu^^eu die habri. die hie
niht ain fchon lauters lebü,* vn lieh
uiht hüte vor allen vntugente vn vor
allen funden totleich vn tegleich vn
dar ume niht** v'varen die mu^^e alle
10 in da^ fegfeur Die ab' in totfunde
fterbn die mu^^en in die helle da behut
vns got vor von den wil ich niht fa
gen die aber auf erden niht gar ge
puft habii \n niht volkvmenev rew
15 habii gehabt vn die ir peichtig' niht
weifleich au^ habn geriht nv fprichft
du ich hab gepeiht vn gepuft nach
meines peihtigers rat. hat dich der
peihtig' niht auf ganc^ev pu^? geweift
20 fo pift du de^ fegfevrs uiht frei volkv
Z. 6. *) am rande ist von etwas jüngerer hand nachgetragen haben.
Z. 9. **) niht ist dtirchgesirichen.
Vorderseite. Sp. b.
de profuudis. aines mols korae fein veint
auf dem kirchof vn lieffen im nach mit
fwerte vnd wolte in geflage habn. da lie^
in got fehn da^ er de? petes genie^^e fcholt
5 der toten greber lieh auf vn gingen die
toten leut her für vii het iegleicher ain^
zeug nach seim ampt als er e? pey feine
lehn het gehabt, an feine hantwerk fwert
fchaufelo hemer vn laift meffer vn fpie??
10 vn iagte die veint da mit da:^ li fich vorh
ten vn v'tribn fi mit voller grimmikait
alfo gena? d* maifter wann im half da?
er den feien het gepette Aine pifchof
ward gefagt von aine pfaffen d' fa? auf
15 ainer pfarre da? er alle tag requie fvnge
422 FRH. VON HARDENBERG
im wa^ ^oru* vn v'traib in von d' pfarre
nv fcholt der pifchof vb' aine kirchof gen
da tete ficli die greb' auf vn lieffen die
tote her au:^ mit gewalt an den pifchof
20 vn fprachn :5V im du troft vus etwenne
Z. 16. *) von etwas jüngerer hand corrigiert: do wa^'^i^orn.
Rückseite. Sp. a.
in fne weilTen klaidern kurt^weilen Und
fah der ritter aine der hie^ petrus der
wa^ gepunden mit eyfen da:^ er niht auf
die pruk moht. der ritt' fragt wa^ petro
' 5 de^ irret, da fprach ainer. da räch er alle
wege wa^ im :5V laid gefchah. vn wolt die
räch got niht la^^en. da fah der ritt' aine
pilgrem der ging vb' die prucken. de moht
weder der veint noch vngeluk gefchade
10 wer mit gute werken kom an die pruck
der kom hin vber. vn wer mit pofe w'ken
kom an die pruken der viel in da;^ wai^^er
nv fah d' ritter aine man d' hie^ ftephan
der fcholt vb' die pruk. da kam er in gro^
15 not. ü wa:^ hele. da von begvnd er fleiflfe
da kome zv hant vil morre au^ dem wa:^:^'
die ^uge in pey den fu^i^e vn hete in g'n
in da^ wa^i^er gevellet. da kome dort an
d' fchoue haid. die in den weilTen klaidern
..... den ftephan . . . pey d . . . .
Z. 20 unleserlich.
Eückseite. Sp. b.
dich, der kuab fprach fich difev kappen
die ift mir als fwer als ob ain hoher
turn auf mich gepawt wer. die mu;^
ich trage durch mei kunft die ich geler
5 net hab durch der werlt gunft. fo muz;
ich die glut trage vmb eiteln ere. den
maift' dauht de^ fchulers pein niht als
gro:^ als er fagt. der fchuler fprach gib.
mir dein hant. vnd lie:^ im feins fwai:^^
10 ain tropfen dar ein. da^ für im durch
die hanb noch fneller denn ain pfeil vn
BRUCHSTÜCKE. 4. AUS EINEM COMMENTAR Z. MATTHAEUSEVANGEI,. 423
prent in gar fer. da fpracli der fchuler
alfo prent mich da;^ feur vber al. da er
gab Hell der maifter durch got vn tet
15 fich aller der kiinft ab die im gefchaden
moht au feiner fei vn lernt die kunft
d' weifhait die iu zv dem himel laitet
Zv dem dritte mol fo kumt den felbeu
T,\ nut:^ da^ ampt der heilige meJTe fo
20 ma mit dem vat' fein aingeporn fon
4.
Aus einem commeiitare zum MattliaeuseYaiigelium.
Matth. 12, 43 — 13, 9.
Untere hälfte eines pergamentblattes, 23 centimeter hoch, 32 V2
ceutimeter breit. Die grosse, deutliche schrift ans dem ende des 14. Jahr-
hunderts steht in drei spalten verteilt zwischen starken , mit der feder
gezogenen senkrechten und wagerechten linien. Die angaben der für
den commentar bcnnzten quellen sind rot geschrieben, und grössere
absätze durch rote oder blaue, die höhe von zwei bis drei zeilen ein-
nehmende initialen bezeichnet. Von einer grösseren und reicheren ini-
tiale, die am anfange des 13. kapitels gestanden haben mnss, reicht
der noch übrige teil der bunten Verzierung zwischen den beiden lezten
spalten bis an den unteren rand des blattes herab.
Das blatt hat als Umschlag eines aktenheftes gedient, welches
durch eine aus dem ende des 16. Jahrhunderts herrührende aufschrift
bezeichnet war als „Registra Officiatorum Capituli. 1565 — 1592," und
ist in folge dessen durch abnutzung, Verschmutzung, brüche und löcher
arg beschädigt, so dass auf der verschwärzten Vorderseite sich nur
noch wenige zeilen entziffern lassen , auf der besser erhaltenen rückseite
mehrere zeilen durch löcher lückenhaft geworden sind.
Die handschrift, im grösten folioformat, enthielt eine deutsche
Übersetzung des evangeliums Matthäi, nebst einem an die einzelnen
verse sich anschliessenden commentare, als dessen quellen auf dem
bruchstücke genant werden werke von Chrysostomus , Hilarius , Augu-
stinus , Hieron3^mus , Gregorius , Hrabanus und Remigius. — • Im hier
folgenden abdrucke sind die texte der bibelverse und die benennungen
der quellen des commentares typographisch hervorgehoben und die bezif-
ferung der bibelverse eingeschaltet. J. Z,
424 FEH. VON HARDENBEBG
(Mattb. 12, 43.) Vorderseite. Sp. a.
. . . dürre den fie hatten der gaben
gvs von dem belügen geifte nicht.
Baianus. Der guten lute berzce
llnt von allir bofen luft dürre vn
in den fuchit der bofe geiffc fyne
ftat vnd envindit irer nicht. Be
migiiis. Der tuuel wolte wenen
her hette in den beiden eyne ewi
ge Abir do der ewi
ge
Jeronimuf.
(12, 44)
Das ift in die iuden
. . . ich vor gelefen habe vnd fo her
. . ie kumt fo vindit her is mn
. . g vnd gereynit mit befmen den
. er iuden tempil was viel vnd le
* *
*
(12, 45.) Spalte b.
in
der toufe vnd gezcirt mit
valfchen tugenden. Augufti
nus von den vragen des ewan
gelij. So der menfche vs der ge
rechtikeit vellit fo wirt her
Gregorius in dem
fihenden buche vf Joh.
dem tu
uele eyn weg wie her zcu im
kome vnd
BRÜCHSTÜCKE. 4. AUS EINEM COMMENTÄR Z. MATTHAEÜSEVANGEL.
(12, 46 — 48)1
Do der dennoch zcu d'
fcliare fprach. Sich do
ftunt fyne mutir
vnd fyne bnidere vor der tor vn
fliehten wege wie fie . . .
425
einer zcu im. Sich dyne mutir
und dyne brudere ften vor der
tor vnd fuchen ... Do ant
worde her dem vnd fprach. Wer
ift myne mutir
* *
*
(Von spalte c sind nur einzelne Wörter zu entziffern.)
(12, 47.) Rückseite. Sp. d.
vor und fuchen dich. Jeronimus
Mich bedunket das difir crifto
mit fyme fpruche läge legit vb ir
vleifchliche libe der mutir vnd d'
brudere vor geiftliche libe der pre
digate wolde fetzcen vnd darvm
me vorfmehete her die mutir
noch die brudere nicht fundir
her antworte liner lift. Crisoßo
mus. Her en fprach nicht zcu
dem boten Ge vnd
en fie nicht myne mutir fundir
her fpricht eyne vragende rede zcu
im her antworte dem redende
und fprach zcu im. Welch ift
mine mutir vnd welch ünt mine
brudere. Eylarius. Das en fprach
her nicht fine mutir vorfmehen
de der her fo grofe ruche hatte
hengende an dem cruce. Crifofto
mus. H . . . . her finer mutir wol
dit lou . . en fo hette her ... .
loukent do im die Juden fine mu
1) Adhuc eo loquente ad turbas, ecce, mater ejus et fratres ftabant foris,
quaerentes loqui ei. — Dixit autem ei quidam: ecce mater tua et fratres tui foris
ftant quaerentes te. — At ipse respondens dicenti sibi ait: Quae est mater mea ...
426 FRH. VON HARDENBERG
tir vorwilTeu. Jeronimus. Her
en loukeute fiuer miitiv niclit
als marcbyou viul mauicheus
wellen fundir her bewifete das
(12, 49. 50.) Spalte e.
die min fwellir vnd min mu
tir. Vil wibe lopten gotis
mutir vnd begerten das fie
alfulche mutere mocliten gefin
vnd des en wirt nymant vor
hindirt den beide man vnd wibe
mugen fme mutir werden. Je
ronimus. Der herre fprach zcii
der fchar. vnd larte die heiden
vnd fme mutir die fyuagoge.
vnd fine brudere die iuden
bliben vor der tor. Hylarius.
Die fynagoge fme mutir mocli
te zcu im ßn gegangen als die
anderen teten fundir her qua
in fmeu eigentum vnd die fy
nen enphingen ün nicht, Gre
gorius in der Omelien. Die
fynagoge fme mutir bleib da
vor als ob her irer nicht irken
te den fie hat den geiltlichen fin
der fchrift vorloren vnd helt lieh
ufwendik an den buchftab. Je
ronimus. Sie fendeu eynen
boten vnd mochten felben ko
men ob fie weiden den fie habe
vrie willekvr. Bis iß das driscen
* *
*
(Matth. 13, 7— 9.)^ Spalte f.
wuchfen vnd die dorne vor
dempten fie. Abir andere vilen
in gute erde vnd gaben vrucht
1) et creverunt Spinae, et suffocaverunt ea. Alia autein cecideruut in terram
bonam, et dabant fructum , aliud centesimuni, aliud sexagesimum , aliud trigesiraum.
Qui habet aures audiendi audiat.
BRÜCHSTÖCKE. 5. Al'S EINEN GLOSSARE DES ELFTEN JÄHRH. 427
das eyne hinuliit valt. das
andere fechzcig valt. vnd das
andere drifig valt. Swer oren
zcii hörende habe der höre. Cri
T\o her den foßomus.
hatte geltratit der im fy
lluer mntir kegenwertikeit
hatte gekund
das des . . . bes
vnd ginc zcu ar vmme
fpricht mau. An ge ginc
ihefus vs dem hufe vnd fas bie
dem mere. Augtiftinns von dem
eintragende der ewangelißen
Hie bewifet man das dis nsgen
zcu haut nach den erffcen worten
gefchach adir in kvrzcir zciet
da nach als die Ichrift vndir
wilen ouch eine kurzce zeit
vor eynen tac nimt. Rahanus
Des herren werg vnd fine
wort ünt nicht alleyne vol hei
melichkeit fundir ouch fine
wege in den her der lute heil
5.
Aus einem glossare des elften Jahrhunderts.
Ein pergamentenes zweispaltig geschriebenes doppelblatt , welches
als buchdeckel gedient hat. Durch abschneiden sind am oberen rande
Zeilen verloren, doch anscheinend nicht viele, ferner von der zweiten
spalte des ersten blattes die zeilenenden, und von der dritten die zei-
leuanfänge. Die noch vorhandene höhe beträgt bei jedem blatte 17 cen-
timeter, nnd die volle breite des zweiten blattes ebenfalls 17 centime-
ter. Die schrift, welche zwischen feiner mit der feder gezogener senk-
rechter und wagerechter linierung steht, ist kräftig, gleichmässig und
schön, und weist die handschrift ins elfte Jahrhundert. Ihr format
scheint quart gewesen zu sein.
Das bruchstück stammt aus einem glossare, welches biblische
eigenuamen und griechische und lateinische Wörter mit lateinischer und
zuweilen auch mit deutscher glossierung enthielt. Das erste blatt
begint jezt mit
428 FRH. VON HARDENBERG
und reicht bis
Abiud pater meus.
Abdenago leruiens.
Abdiaf feruus d'i.
Arain pat' excelfus.
Agiograplia fca fcriptura
das zweite begint mit
Ciclopf. inmane monftrü ....
und reicht bis
Cannaf. urbf italie ubi hanni
bal romanof deleuit.
Folgende deutsche glossierungen finden sich auf diesen beiden
selten eingestreut:
1" [Acanthis.] auLf .1. diftihuui.
[Acharis.] fine gratia. vel ingratus .1. grimmecli.
2" Cilindrü. vvelleblech.
Cyclade. gotiuueppe.
2^ Cotibula. wanna.
2" Cacabuf. uaf lapideum .1. ke^sil.
Calathuf .i. sain.
Calcaneü vel calx .i. uerßna.
Calcef .i. cJialch.
Caldariü. vel caldariolü Jcesil.
2** Caluaria. rotunditaf capitif .i. gebal.
Caluitiü .1. chalvua.
Calcatoriü .i. truta.
Camera, abfida vel arcuf .i. gewelhe.
Camboluf. vel capreoluf .i. rech.
Cauiitef. vel canti. uelgan. vel fpeichun. circa rotas.
Cantaruf napli.
Cancer cJirebzo.
Canniua .i. Jianif.
Candimeuf, poculü vel fciphus .i. coph.
6.
Aus einem glossare des dreizehnten Jahrhunderts.
Pergamentenes doppelfolioblatt , nach dem Verluste einiger zeilen
am oberen ende noch 34 centimeter hoch und je 29 centimeter breit.
Die kräftige, deutliche und selir regelmässige schrift aus dem ende des
dreizehnten Jahrhunderts steht, dreispaltig vertheilt, zwischen feiner
BKUCHSTÜCKE. C. AUS EINEM GLOSSARE DES DREIZEHNTEN JAURH. 429
mit der feder gezogener senkrechter und wagerechter linierung. Die
einzelnen artikel beginnen mit capitälchen, welche vor die zeile aus-
gerückt sind. Abwechselnd blaue und rote, gewöhnlich die höhe von
zwei Zeilen einnehmende initialen , deren jede spalte eine oder mehrere
enthält, scheinen nur zum schmucke zu dienen, da sich für diese
absiitze ein eiiiteilungspriucip nicht erkennen lässt. In folge von beschä-
digung und Verschmutzung sind manche stellen schwer, andere gar
nicht lesbar, andere völlig ausgebröckelt.
Das bruchstück gehörte zu einem reichhaltigen glossare, welches
griechische und lateinische Wörter erklärte und viel aus Isidors etymo-
logien aufgenommen hat. Deutsche glossierungen laufen nur wenig
mit unter.
Das erste blatt reicht von Bofporius bis Byllextus, das zweite
von Carabus bis Carthago. Die auf diesen beiden blättern vorkommen-
den deutschen glossierungen beschränken sich auf folgende Wörter:
1" Braciü, mah. Brattea. hledi. d'r tenuiffima lamina.
1^ Bubo. hiiwe.
1^ Bilex. swilch.
Bipennis. helmaks.
Bibellis .i. hihel.
Bvrrus. ueftis. Tiozze.
2" Carab^ karpf.
Carbafa. fegel.
2** Cardam^. hreffo. Cardomon agrion. ideni nafturciü agrefte.
wildk'effo.
Cardiacus. herzfuhtig.
Cardopana. eVwurz.
2° Carduelis. dißeluinJco.
Carduus, dißel.
Cardus. ßluatic^. tvoluif milch.
Careofiliü. quod uulgo cariofalü dict.
Cariola. Taha.
Carice. ficus. a copia nominate füt .i. vigen.
2^ Carix. Riet gras.
2*' Cartularius. Buchuellcer.
7.
Aus einem französischen prosaromane.
Zwei pergamentstreifen, je 28 centimeter breit und 5V2 bis 6 cen-
timeter hoch, anscheinend aus einer zweispaltig geschriebenen folio-
430 FRH. VON HARDENBERG
haiidschvift stammend. Vor imd hinter dem ersten, desgleichen vor
dem zweiten streifen sind Zeilen weggeschnitten , während die lezten
Zeilen des zweiten zugleich das untere ende eines blattes bilden. Die
Schrift ist deutlich, auf der schadhafteren rückseite zwar etwas kräf-
tiger, aber doch wol von einer und derselben band aus dem ende des
13. oder dem anfange des 14. Jahrhunderts herrührend. Durchwegsind
nur lange f gebraucht, über das i ist zuweilen ein strich gesezt. Die
interpunction fehlt meist. Hie und da sind sätze oder Satzglieder
abgegränzt durch einen punkt, oder durch einen schrägen strich von
gleicher höhe mit den nicht über die zeile aufragenden buchstabeu.
Die Vorderseite zeigt zwei grössere rote initalen L und E, welche vor
der zeile mit kleinen schwarzen buchstabeu vorgezeichnet waren. Der
lezte spaltenabschnitt d auf der rückseite des zweiten blattes wird ein-
genommen von einer kunstlosen, sehr verblichenen federzeichnung, dar-
stellend einen baarhäuptigen sitzenden mann , der mit der rechten band
in ein offenes vor ihm auf einem pulte liegendes buch zeigt, mit der
linken sich auf einen stock, oder auf die Stuhllehne stüzt.
Die spräche zeigt einige lothringische formen; so -ant für -ent,
wie in mantenant , certanemant u.a., a für al , das sonst zu au Avird,
wie in asint, ferner einfaches s für scharfes s in comeuse. Auch La on
statt La ou spricht für einen lothringischen Schreiber. Auffallend ist
die provenzalische form vensera.
Der zum Artuskreise gehörige prosaromau, aus welchem diese
bruchstücke herrühren , mag wol noch ungedruckt sein. Anhalt zu sei-
ner auffindung und bestimmung kann der in den bruchstücken neben
Artus, Sagremors, Gaheriet, Gau(vains), Blio(bleheris ?) erwähnte
„ritter mit dem grünen schilde" bieten. S. E.
Vorderseite. Erster streifen, a.
uf que nof trouamef dormant for la fontaine. labati deuant
nof de ce mi fouent il trop ben. par mon cef fet le roi or le pu
ef ci ueoir legrant ch'r. eie lai tant orendroit reguarde que
ie conoif fi la proeffe de lui que ie Tai tot certanement que il
uenfera celte afemblee. e portera le louf e le prif Fe li bon ch'r qui
arfoir porta lefcu vert ni vent. Si mait dief fet fagremor uof
ditef uerite ie ne uoi orendroit en tote cefte afemblee un ch'r que
fi ben Ie proue ne fi bei comfait le grant ch'r eft. eil ne uint que uof
Zweiter streifen, a.
La on li roif parloit en tel maniere a fagremor et re
guarde auquef lueing / e uoit uenir tot contreual la prae
BRUCHSTÜCKE. 7. AUS EINEM FRANZÖSISCHEN PROSAROMÄNE 431
rie le bou ch'r celui qui portoit lesen uert edeioste liü uo
noit Gaheriet. Lef damef qui eftoient al' feneftref def logef
equi fouent reguardoient celle part dont ellef ciüdoient
quil deliuft iienir / quaut ellef iioient lelcu uert ellef le reco
üoissent mantenant / 11 commenfent adoiic a dire ueel" ci ueiür
lebou cli'r ueef ci ueuir le bou cli'r la parole Taut mantenant e
Erster streifen, b.
ie uoudroi mielf que il fuft orendroit en noliomberlande
qua la ou il eft e la reine fe commenfe a rire trop duremant
E li bon ch'r qui fen uenoit tot contreual la praherie le
petit paf del cheual Qnant il fu venuz Ibr lef logef ou
il auoit le ior deuant fa dame vehue 11 farefte edemaude
fon glaiue eleu 11 aporte manteuaut e quant il le tient 11
Heue la tefte por ueoir fa dame aucun pou epor fauolr
fe eile le reguarde et 11 uoit mantenant fa dame U belle
Zweiter streifeD. b.
11 eft fi del tout oblle efoi meefmef eautrui que del tornoie
mant neli fouent nederenf qui orendroit folt elmonde. forf
que de celle folemant ou il a iete son euer quar il eft fanf
euer e fanf fenf fanf pooir e fanf force. il fe fet for fon che
ual tot aufint com lef arbref fechez fanf meole efanf hu
midite fetent eu eftant qui eft mort for terre. Li efcuer qui
la entendolent que pluforf damef faloient la de lui gabant
Eückseite. Erster streifen, c.
au rol artuf qui ne pooient fofrlr legrant efforf degeut quil
auolent for elf comeuferent aguerpir plafe ouil uoulllTent
0 non. mefire Gau. auoit ia tant fofert qua pou quil ne mo
roit danui ede treuail. li roif qui af feneftref def logef eftoit
Quant 11 uoit cefte choufe il eft tout enraie de maltalant.
He dief fet 11 ce que fera dief porquoi demore tant noftre
ch'r alefcu uert porquoi ne muet auec fef autref. ia nos
peuft 11 fere i'i grant aide e fi grant fecorf certef por la bonte de lui
Erster streifen, d.
prent af braf e le tire uerf fol / e 11 dit afint com tot
coracez Sire que demoref uof tant mefire Gaheriet
quant il cuidoit que ce eft. blio. que fi ardiemant par
lolt au ch'r il ne lofe defendre. 11 ch'r reuent en fol
quant blio. lot tire sl duremant e Iete un fofplr mer
uillof. Sire fet blio. que faltef uof et que peiifef uof
432 FBH. VOH HARDENBERG
Zweiter streifen, c.
poufer aucun pou e por recourer force et aleine dont il
ertoit ben deftrant a celle foif. e li bon ch'r / quant il ot
defliure monfegnor. Gau. il nel reguarde pluf ainz
fen uait outre / e fe radrelTe a im autre ch'r / e le porte
a terra molt felonelTemant / e tant fet de celiü glai
ue tant com il duve / que blio. qui apref lui uait
totef uoief / dit ben / qu'il ne cuide paf qu'il ait oren
droit ch'r el monde qui tant en pehuft auoir fet com
Zweiter streifen, d.
(Federzeiclmung. Ein sitzender mann).
8.
Aus Koiirads Ton Wtirzbiirg Herzmaere.
(Die mähre von der miune oder die herzmähre von Konrad von Würzburg, heraus-
gegeben von Franz Roth. Frankfurt am Main, 1846. v. 351 — 390).
Ein pergamentblatt, 11 centimeter hoch, 9Y2 centimeter breit,
durch drei wagerechte schnitte in vier streifen geteilt , welche von dem
rücken einer papierhandschrift aus dem jähre 1404 losgelöst worden
sind. Durch den obersten querschnitt sind die verse 357 und 377 ver-
loren gegangen, durch die beiden anderen sind einige buchstaben
geschädigt worden. Ausserdem ist der obere rand und damit zugleich
die obere hälfte der verse 351 und 371 weggeschnitten. Senkrecht
geht durch das blatt ein die schrift gleichfalls beeinträchtigender knick,
der im ersten und im lezten streifen zu einem volständigen risse gewor-
den ist.
Durchgehend ist in diesem bruchstücke langes f gebraucht, das i
ist mit darüber geseztem striche versehen nur vor n und m, auslauten-
des s und z werden verwechselt. Diese raerkmale und der gesamt-
charakter der schrift weisen die handschrift in den aufang des 14, Jahr-
hunderts. Ihr format war kleinoctav, die seite zu 20 abgesezten ohne
linierung geschriebeneu verszeilen, als deren anfangsbuchstaben bald
majuskeln bald minuskeln erscheinen. Die schrift ist zwar nicht schön,
aber fest und deutlich. Durch beschädigung sind einzelne buchstaben
unleserlich geworden oder auch ganz verschwunden. Der text zeigt,
abgesehen von v. 362. 363, nicht erhebliche Verderbnisse. J. Z.
Vorderseite.
351 Waz inne bi derfelben zit
Do wider rait im vf dem velde wit
Ir man engegen vö gefchiht
BRUCHSTÜCKE. 8. At'S KONRADS VOE WÜRZBlUUi HERZM^RE 433
Vn wolt air Ulli' daz märe gibt
355 Vil lihte han ge[b]aizet
Dez wart der kneht geraizet
Wan do der [ritjter in gefach
Do gedalit [er] al zehant
360 Zware dirre ift her gefaiit
vmb anderf nibt wan vmbe daz
wie balde er daz entfaz
vö fmem rainen wibe
Vö finez her[ren]^ libe
365 Der nacb ir minne iamer [t]ra[it]
Hie mit er zv de knebte rait
vii wolt in maere vragen fa
Do gefacb er fcbiere da
Die lade vo gezierde clyg
370 Dar inne er daz herze trüg.
Rückseite.
vn der vrown vingerlin
er bet ez an dem gvrtel fin
Gebenket baidv vö gefchiht
air ob ez wäre anderf nibt
375 Do der ritter daz gel'acb
Den kappen grvzte er vil fprach
Do fprach der vil gefvge
vii der vil getrvwe iungeling
380 berre ez ift ainer bände ding
Daz verre bi mir ift gefant
La fehen fprach er al zehant
waz dar inne fi verborgen
Do fprach der kuebt mit forgen
385 zware dez en[tv]n ich nicht
Kain menfche ez niemer gefibt
wan der ez fol ze rebte fehen
N[a]in alfo mag ez nit gefcheben
Sprach der ritter aber zv ime
390 wan ich fi wol mit gewalt nime
1) Die zeile ist ihrer ganzen länge nach durchgeschnitten und deshalb nicht
durchweg sicher lesbar. Es scheint herzen, nicht herren , dagestanden zu haben.
ZEITSCHK. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI.
28
434 FBH. VON HARDENBERG
Aus einem gebete an Maria.
Pergamentbriichstück , 18 V2 centimeter hoch, 9 centimeter breit,
enthaltend den oberen teil der ersten und der vierten spalte eines am
oberen rande mit gleichzeitiger rothgeschriebener ziffer 24 bezeichneten
blattes aus einer doppelspaltigen foliohandschrift des 15. Jahrhunderts.
Die columnen sind von feinen mit der feder gezogenen linien eingefasst.
Die schrift, in sehr graden, aber nicht linierten zeilen , ist kräftig,
regelmässig und deutlich; jedoch nur die erste spalte ist noch leserlich
erhalten; von der vierten sind nur versanfänge lesbar; von der zweiten
sind nur anfangsbuchstaben, von der dritten ist gar nichts mehr übrig.
Vorderseite. Spalte a.
Do er het an der martcr fein
La mir den antlaz nucze fein
Da mit er vns vnfchuldet
Vnd vns feinem vater gehuldet
5 Durich chrilti tod vn durch fein plut
Wiz mir genedige vnd guet
Hilf mir von allem laide
Durich di laiden augewaide
Der du an deinem fun mer focht
10 Denn chainer niüter ye gefchech
Aller traurigen herczen trofterin
Hilf mir vil libe vrawe mein
Daz ich von funden werd erloft
Durich daz grab daz aller füd' troft
15 Durich fein dyemut do er ynne lag
Ich chan dich vrawe noch en mag
Nicht gepitten alz mir not wer
Durich di grymigen herczen fwer
Vnd durich di not vor aller not
20 Di du het vmb feinen tod
Vnd durich di grozzen vngehab
Dy mit dir fchied von dem grabe
Durich den vil fenden ganch
Durich all di not di dich twanch
25 Hilf mir von allen noten
Von den di di fei chunnen totten
Hailige müter vnd magt
Din troft fey mir vnuerfagt
BRUCHSTÜCKE. 9. AUS EINKM fiKBETE AN MARIA 435
Gefuege mir vnd leude
30 Durich deines chindes ürfteiide
Dy dich von deinem laid fcliied
Rückseite. Spulte d.
Durich deinen
Du pift an a
Hab mich he
Got herre uater
5 Vnd mach mich
Da^ ich von m
Vnd dem g
Heiiger chrift
Daz ich erwer
10 Enzunde m
Wann du m
Der genaden
Driualtiger
15 La deiner g
In mir ei
So haftu
In mein
Wann ich dir
20 Got vater f
La mich
Chomen
25 Mein chome
Wann ich
La mich
Wann
Vnd
30 Ich lauf an
10.
Ans Wittig toiu Jordan.
Fünf blätter pergament in duodez, 11^2 centimeter hoch, 9V2 cen-
timeter breit, meist 16 verszeilen, zwischen eingerizten kaum noch
sichtbaren linien, auf der seite , doch auch darüber hinaus bis zu
28*
436 FRH. VON HARDENBERG
20 verszeilen, zwar nicht kunstgerecht schön, aber deutlich geschrie-
ben von einer band des 14. Jahrhunderts. Blatt 2 und 5, und ebenso
blatt 3 und 4 sind zusammenhängende doppelblätter. Dem zweiten und
dem vierten blatte sind durch beschneiden des vorderen randes end-
oder anfangssilben der betreffenden verse verloren gegangen; hie und
da sind stellen durch abnutzung und Verschmutzung beschädigt und
unleserlich geworden.
Die erzähluug, zu welcher diese bruchstücke gehören, ist in
abweichenden textgestaltungen von verschiedenem umfange und unter
verschiedenen benennungen — Die Heidin, Herzog Beliand, Herr
Wittig vom Jordan — erhalten. Vgl. Koberstein , geschichte der
deutschen nationallitteratur , 5. aufl. Leipzig 1872, § 98. 1, 194.
W. Wackernagel , geschichte der deutschen litteratur. 2. aufl. Basel 1879.
§ 59. 1, 238.
Eine textgestalt von mittlerem umfange (1902 verse) ist unter
dem titel diu beide ninne aus einer Heidelberger pergamenthandschrift
veröffentlicht durch F. H. von der Hagen in seinen Gesamtabenteueru
Stuttg. und Tübingen 1850. 1, 389 — 439; eine kürzere (1134 verse)
ist unter der benennung die heidin aus einer Pommersfelder hand-
schrift herausgegeben durch K. Bartsch in seinen Mitteldeutschen
gedichten. Stuttg. 1860. (= Bibliothek des Litterarischeu Vereines. LIII)
s. 40 — 72; eine längere (1970 verse) in einer Inusbrucker papierhaud-
scbrift enthaltene ist besprochen und mit der Pommersfelder verglichen
von Zingerle in Pfeiffers Germania (Wien 1864) 9, 29 — 54. Noch
umfänglicher (4661 verse befassend) ist die textgestalt in einer Gothaer
papierhandschrift, von welcher F. Jacobs eine beschreibuug und inhalts-
angabe geliefert hatte in den Beiträgen zur älteren Litteratur, oder
Merkwürdigkeiten der herzogl. öffentl, Bibliothek zu Gotha. Herausg.
von Fr. Jacobs und F. A. Ukert. Leipzig- 1835, 1, 135—146. — P]ine
genügende kritische Untersuchung dieser verschiedenen textgestaltungen
gel)richt noch.
Weil der text der Hardenbergischen bruchstücke dem der Gotha-
ischen handschrift verwant schien, hat herr professor Regel auf mein
ersuchen widerum mit dankenswertester bereitwilligkeit die gute gehabt,
beide zu vergleichen. Das ergebnis dieser vergleichung lasse ich unten
folgen. J. Z.
Bl. 1* Mit plümen wnechleich gechlait
Roten lylyen vber al
Manger vogelein stTm erichal
Der igleich dönte feinen fanch
Daz er in der purig erchlanch
BRUCHSTÜCKE. 10. AUS WITTXG VUM JORDAN 437
Do er der piirig ehoui lo luichet
Do hiez er fein chnecht gacheu
Daz Q. flugen auf den plan
Sein gezelt daz waz getan
Nach dem er do felbe rait
Ze der einen linden prait
Un gepeilt Ichon dar vnder
Do fach man leltzlamew wnder
An dem gezelt daz waz weit
Mit feideu vn mit golt erleit
Der chrillem het gewappet fich
In ein prvn lo lobleich
Er gedacht im wol d' chüne man
Daz er wrt grlmichleich beftan
Bl. 1'' Dem heidem chomen dilev maere
Wi auf feiner beide wsere
Ein h'leich zeit gef lagen
Daz wer mit geftain vber laden
Vn di fliehten rittTchaft
Die wer lobleich vnd endacht
Di heidem gingen fchawen
An die zinn vnd die frawen
Si dauclit ein michel wnd' daz
Daz der heidem in den plümen f . .
Vn lieh geleit in den fchilt
Daz ors datz leinen haiipten Ipilt
Daz in v'drozz nicht in dem chle
Do waz den chriften manne we
Nach div vn fein h'tze gert
Doch wart er ritt'fchaft gewert
Do daz her belyät erfach
Ze feinem rat er do fprach
Befcheit lieb ritt' mein
Bl. 2" Auf heim ietweders flach
Div mued in paiden belach
Daz fi mueften ntwalen
Untz ir chraft wider halen
Di ü bieten gefwendet
Dänoch waz ez vnu'endet
438
FRH. VON HABDENBERG
Bl. 2'
Bl. 3='
Dez ainer an den and'n gert
Do few der Inft wider erwe . .
Der chrefte nacli ir aribait
Ir "wille few auer ze famme . . .
Do ü mit grime an ein and . .
Vn gerten alz zwen wild le . . .
Mit tot an ein ander an gefig . . .
Schaiden in paideu v/ai, v'zi . . .
d oft von allen irn fin . . .
An einander nicht chnden an ... .
, haidem auf fich flachen lie
chriften orlTes er gevie
m zäum vn fürt in
dem haidemifchen her hin
. daz nicht mocht erwern
mit flogen noch mit pern
. wart ein grozzer fchal
. en haiden vber al
div orir erfchutten lieh fer
ten paidev wider eher
von einem wenden da d' chriften
mit ritt'leichen liften
ens in den lauf fo gar
rungen in der chriften fchar
wrden div chriften vil gemait
haiden ein h'tzen laid
Vn ein trawern da gefchach
Daz man den w'den furften fach
Lofen di waffen riemen
Chain vnwird im doch niemen
Erzaigt want er chunich waz
Dreyer lant foldanaz
Vn waz von karadein genät
An der felben ftüt erchant
In der werd von dem yordau
Daz im daz leben waz v'lan
Daz chö von des furften pet
Vn fant in an der felben ftet
Der fchonen fopheyen
Der fuzzen wandeis vreyen
a N dem dritten morgen
BRUCHSTÜCKE. m. AUS WITTIU VOM JORDAN 439
Do liub üch ftreites forgen
Bl. S^ Do eruochten div herhören
Mangeü furften wol geporn
Der in feine fchilt lach
Ez erfchain der leib tach
Sumleichen ze laide
Auf der grünen haide
Alrerft man rechtev waifeu fach
V manich reiches fchildes dach
Zymier michel wnder
Di ritt' alle befunder
Irev orir daz ftrechüt
Dar vber phelle geftreckchent
Ein ifleiches venelein
Chert ze dem panier fein
Di ftürm vanen warn berait
Der igleichen laitt
Ein ftarcher ritt' auz erweit
Bl. 4" Vn alz iz feinen ern tScht
Da beraiten fich div frawen
Auch macht man da fchawen
Hangen müt rofen uar
Vn mangev fpildev äugen d . .
Vn manich minichleiches weip
Div gepreifet het wol irn leip
Waz frawen in dem lande w . .
Auz den man div fchoniften la
Vn pracht di wol gezieret d . .
Auz in allen nam man wa .
Einer magt div dar chomen . .
Liecht alz fam ein fpiegel gl . .
An lieb vn an plikche
Da von div lieb macht lieb . . ,
Do div her belyät er fach
Bl. 4'' . . wrt er vragt vn fpch
eines rechtes vnu'zigeu
ew'n hulden doch genigen
ir von der fuzzen magt
vaz mir ze troft fagt
14U
FRH. VON HARDENBERG, BRÜCKST. 10. AUS WITTIG VOM JORDAN
li euch an wiüde
i\ mich ergetzen viude
ew mit ir dez ger ich
fpch fi an windet alfo mich
müter ift mein müterlein
ir vat' ift der vat* mein
V muez fi an fein paider
nt li fint v'fchaideu laider
daz ir ergetzen gert
mügt ir w*den wol gewert
elt ir mit t'wen mit ir wonen
Bl, 5^ Ich gib evch g'en i'ei ze chonen
Vn lazz eiichs gelubdes frey
Da muez auch fein ein anders pey
Daz ir gehaubt an den fu^i^en iefü chrift
Der got alain wa^ vn imm' ift
Vn da^ ir div tauif enphachet
Ob ew° daz nicht v'fmachet
So ergetze ich eu alfo g'ren
Vn wil auch ew alles dez geweren
Daz ich furbaz mag vn fchol
Difev rede gehagt im wol
Want da^ fuzze magedein
So fchir feines hertzen fchreiu
Mit gantzer mine über maz
Daz er machmetes v'gaz
Er lach ich tun vn var
ßl. ö** Gern nach ewe'm willen gar
Swi ir gepietet pei der zeit
Di ee zehant wart angeleit
Der haidem tauffet fich zewar
Mit grozzen ern offenwar
Da^ wart mit grozzen t'wen fo v'facht
Daz er die geuangen ledig macht
Die furften alle gemain
Mit rat wrdeu des enain
Daz fi tauff enphachen wolden
Vn leben alz di chriften folden
Dez wa^ her witig vil gemait
Nach vil grozzer werdicheit
Er die furften tauffen hiez
ilKGEL, WITTIG V. JORDAN, GOTHAER HS. «1
Dar uacli er uicht euliez
Mit grozzen eru er li laude
* *
ÜBER DIE GOTHAER HANDSCHRIFT DES WITTIG
VOM JORDAN.
Die haiidsclirift der herzoglichen bibliothek zu Gotha cod. chart.
ur. 56, welche auf ihrem ersten blatt den titel „HErtzog Beliand
oder herr wittig von dem Jordann" trägt, aus 119 gezählten
blättern in kl. 4" von je 16—22 zeilen besteht und in einer säubern
band des 15. Jahrhunderts geschrieben ist, enthält die den Hardenber-
gischen bruchstücken entsprechenden stellen in folgender weise:
Erstes bruchstück.
Goth. hs. bl. 7* Vmb die Bürge da ging Eyn hag
Des Mancherhannd thier pflag
215 Auch ib Hundt ein vorlt dabey
Do waren fchoner Linden drey
Auff eyner heyden die war preyt
Mit Blumen wunnigleich becleydt Hard. br. V.
Rofen vnnd Lilien vberall
220 Mancher vogell Stym Erhall
Der Iglichs donet feynen geianck
Das es In der Bürge Erklanck
(Für die initialen der abschnitte ist in der hdschr. ein leer
gelassener räum.)
(D)0 Er nahn der Bürge kam Ib nahn
Do hieß Er lein diener gähn
Bl. 7" 225 Das fie Ichlugn awff den Plan
Sein Czelt das wardt gethann
Nach dem Er dal'elber Reyth
Czu der eynen Linden breyth
Vnnd Erbeyllet fchon dar unther
230 Da Sach man Seltzann wunder
An dem czelt das was weyth
Mit geitein vnnd golt erleydt
Das es der Sunnen glaft entpodt
Alzo was fein Brechenn von gokle Roth
(Diese beiden lezten verse fehlen im Hard. br.)
442 REGEL
235 Der Criften hett gewapiiet fich
In Ein Brun gar loblich
Wan Ime gedacht der küne man
Das er grimmiclich wurd kamen an
Dem hej^den kummen mehre
240 Das awflf feiner heyde were Hard. br. bl. 1''.
Ein herlich czelt awfifgefchlagn
Auch begundt man Im Sünder fagn
Von Criften Eitterfchafft
Goth. hs. Die Wehre Loblich vnnd ardthafft
bl. 8* 245 Diefe heyden gingen fchawen
An die czinnen vnnd auch die frawen
Sie daucht ein michell wunder das
Das der Criften In den Blumen faß
Vnnd heth geleynet awff den Schildt
250 Das Pferdt zu feynem Hawpt fpilt
Er vordros nicht In dem Clee
Do was dem Criften manne wehe
Nach dem vund fein hertz begert
Doch wardt Er Kitterfchaflft gewert
255 Do Herr Belianndt das erfach
Zu feynen dienern ehr do fprach
Befcheinet lieber Eitter mein
[Wer diefer gaft muge gefein
Der dort awff meyner heyde leyth]
Zweites bruchstück.
(Die Zählung stimt von v. 3021 an nicht mehr mit den reimpaareu , weil dieser
vers keinen ihm entsprechenden hat.)
Goth. hs. bl. 90* [Als der doner blicke
So die erfcheinen dicke
3440 Auß den wolcken her zuthal
le als ein glock erhal]
Auff den helmen entweders fchlagk Hard. br. bl. 2'',
Die Müden In heyden oblag
Das fie muften entwallen
3445 Vnnd die Crefft wider holen
Die fie hetten vorfchwendet
Noch dan fo was onuerhendet
Des eyner an den andern begert
Vnnd als fie Nun der lufft wider gewert
WITTir. V. JORDAN, OOTHAKR HS.
443
3450 Der Crefft Nach Irer arbeyt
Ir Will fie aber zuCamen leyt
Das Sie mit grim eynaiider hewen
Von begirden als liueii lewen
Mit tode Eynander gefiegen
3455 Scheyden In beyden was vortzigenn,
(D)0 Sie Nun Mit allenn Sinnen
Einer den andern nit künde gewinnen
Goth. bs. bl. 90*» Der Heyden Auff fich Tchlahen lie Hard. br. bl. 2^
Des Criften Eos er da geuie
3460 Bey dem zam vnnd fm*et In
Czii dem heydnirchen here hin
Das Er fich nicht kundt erwern
Weder mit fchlahenn noch mit bern
Czuhandt fo wardt fo groHer fchall
3465 Vnter den heyden vberall
Das die Kos erfcheuchten fehr
Vnnd thaten beyde widerkehr
Von eynem Avenden das der Criftenn
Kunde mit Kitterlichenn liftenn
3470 Kummen In den lauff fo gar
Vntter Irer danck In der Criften fchar
Des ward her Wittig gemaydt
Aber dem heyden ein raichel leyd
Wan Im zu traurn da gefchach bl. 3*.
3475 Do man den werden furften fach
Lofen die Wappen Kimen
Cein vnwerde Im Niman
Erboth Wan Er ein künig was
Goth. hs. bl. 91" Dreyer lande Her Soldemach.
Die folgenden acht verse des Hard. bruchstücks fehlen in der Goth. hs.
3480 [A]N dem dritten morgenn
Do hub fich ftreyttes forgenn
Do Erweckten Sie die herhorn bl. 3*^.
Manchen Ritter wolgeborn
Der In feinem Schilt da lag
3485 Es Erfchein der felbig tagk
Etlichen vaft nach laydt
Dafelben auff der groenen heyd
Aller Erft man Reiche Wappen Sach
Vnnd Manchs Reichs fchiltes dach
444 REGEL
3490 Czimir auch michel wunder
Auch Mannich frölich hertz daruntter
Die Eos gar wol vordecket
Darüber Pfeiler geftrecket
Da keret ein Itlichs fenlein
3495 Hin zu dem Banier fein
Die Sturm vanen waren von Samat breyth
Diefelbigen Itlichen le3^ttet
Ein Starcker Kitter awferwelt
Goth. hs. bl. 91'' [Dem taufent Ritter waren gefeit]
Das dritte Hard. bruchstück (bl. 4 und 5) findet sich in der
Goth. hdschr. nicht und ist auch seinem Inhalt nach der in dieser
enthaltenen dichtung ganz fremd , indem hier von keiner bekehrung
Beliants durch eine christliche braut die rede ist, sondern nur von
seiner Vermählung mit einer schönen heidnischen königstochter, durch
die er für den verlust der frau Libauet entschädigt vrird, während die-
ser erst, nachdem sie die taufe empfangen hat, herr Wittig vom Jor-
dan in seiner heimat die band reicht. Die Hard. bruchstücke gehören
also einer bearbeitung dieses Stoffes an , welche zum grossen teil mit
der der Goth. hdschr. übereinstimt, aber auch wider von ihr ganz
abweicht.
Der dem Goth. gedichte eigne schlussteil, welcher von v. 2903
bis 4661 fortläuft, verdient übrigens wol, schon um dieses bedeuten-
den umfanges willen, nach seinem wesentlichen Inhalt etwas genauer
gekenzeichnet zu werden ; denn während in der von Bartsch (Md. Ged.
s. 40 — 72) mitgeteilten dichtung der ritter, nachdem er die minne
der heidin genossen hat , ohne sie in seine heimat zurückkehrt und
dort, weil er sein weltliches ziel erreicht hat, durch ein leben in
christlicher Zucht und milde sich gottes huld verdient (v. 1110—1134),—
und während in der von van der Hagen (Gesamtabenteuer I, s. 389 —
439) herausgegebenen erzählung nur kurz erwähnt wird, dass der graf
die heidnische königin auf ihr bündiges verlangen mit sich in sein land
führt und dort mit ihr, nachdem sie die taufe empfangen hat, in glück
und ehre nach gottes hulden lebt, indess der betrogene beide sich
verzweifelten klagen hingibt (v. 1801 —1902), — so hat dagegen der
dichter des in der Goth. hdschr. vorliegenden Beliand oder Wittig die
weiteren Schicksale seiner beiden beiden und der zwischen ihnen
streitigen frau mit gleich lebendiger ausführlichkeit wie die voran-
gehenden, allen bearbeitungen gemeinsamen hauptvorgänge bis zu ende
erzählt.
WITTIG V. JORDAN, OOTHAKK HS. 445
Als sich nach den freuden der miune zwischen den beiden ein
liebliches kosen anliebt, erklärt die heidin unter vielen klagen dem
Christen, dass sie nicht ohne ihn leben könne und dass gegen seinen
süssen gott, der ihn so herrlich gebildet habe, ihre eignen götter ihr
fremd und nichtig erscheinen; der ritter aber erwidert ihre hinneigung
zu seinem glauben durch eine freudige lobpreisung des alleinwahren
gottes, und nachdem er mit ihr die flucht genau verabredet hat, wird
er von ihr mit einer unversehrbaren waffenrüstung geschmückt und
scheidet, um im nahen walde alles zur entführung der geliebten vor-
zubereiten : beim morgenrot des dritten tages geht sie , wie zu einem
frühspaziergang , nur von ihren Jungfrauen begleitet und von einem
vertrauten diener geführt, in den wald, wo herr Wittig sie auf sein
pferd nimt und mit ihr davon reitet, sie dann aber, durch ritterklei-
der für die feinde unkentlich, seinem gefolge zugeselt (v. 2903 — 3091).
Auf ihrer fahrt durch die wilduis begegnen sie zwar dem könig Beliant,
der eben von der andern seite her mit einer zahlreichen ritterschar
heimwärts zieht, aber da er von der entführung seiner frau nichts
ahnt und die verkleidete nicht erkent, so begrüssen sich die beiden
herren freundlich und nach kurzer Unterredung sezt der christ mit den
seinigen unbehindert seinen heimweg fort: im eignen laude wird er
von freunden und verwauten glänzend empfangen und seine siegreiche
widerkehr nach siebenjähriger ab Wesenheit von dem ganzen volk mit
lautem freudenschall gefeiert. Auf dem grossen hochzeitsfeste aber,
zu welchem alle vasallen des fürsten vom Jordan berufen werden,
empfängt die schöne heidin zuerst mit feierlichem gepränge die taufe,
dann wird das beilager bis zum achten tage mit dem höchsten glänze
begangen (v. 3092 — 3217).
Da nun aber herr Beliant, nachdem er seiner schmach inne gewor-
den ist, alle beiden zur räche an dem Christen aufbietet und von den
zusammengeströmten kriegerscharen weit hin das gras auf anger und
auen bedeckt ist , und da auch auf die künde hiervon herr Wittig seine
boten in alle Christenlande ausgesendet hat, um gegen den heidnischen
rachezug hilfe zu werben, da geschieht es eines tages, dass das hei-
denheer sich in solcher menge am Jordan hin lagert, dass der glänz
der blitzenden helme und Schilde und der mit edelgestein besezten
seidnen zelte das licht der sonne und des mondes überstrahlt; auch
die christlichen krieger strömen nun durch die täler und über die
bergeshänge herbei, und nur getrent durch ein klares wasser liegen
sich Christenheit und heideuschaft so massenhaft gegenüber, dass vom
tritt der rosse die erde bebt (v. 3218 — 3331).
446 REGEL
Am zweiten tage reitet ein ritter, dessen kostbare rüstung der
dichter ausführlich beschreibt, aus dem heidenlager bis über den bach
j^gj-Yor, — herr Wittig, mit dem von fr au Libanet ihm geschenkten
waffenschmuck bekleidet, stürmt ihm entgegen, und inmitten der bei-
den beere entbrent zwischen ihnen ein furchtbarer einzelkampf , in wel-
chem, nachdem die lanzen schnell zerbrochen sind, unter den bei-
derseitigen Schwertschlägen die helme wildes feuer sprühen und wie
o-locken erklingen. Auch nach einer ruhepause bleibt der erneuerte
kämpf noch lange unentschieden-, da fasst plötzlich der beide des Chri-
sten ross am zäume und zieht es mit sich dem heidnischen lager zu.
Herr Wittig scheint verloren, aber als durch das vorzeitige sieges-
geschrei des ganzen heidenheeres die pferde scheu werden und sich
ungestüm umwenden, da gelingt es ihm den gegner mit sich als
gefangnen zu den Christen zu entführen, von denen derselbe aber ehren-
voll behandelt wird, weil er als herr Soldemas,^ als ein könig dreier
lande erkant wird. Am folgenden tage wird nun die grosse Schlacht
begonnen , in welcher das gras durch das rote blut seiner grünen färbe
beraubt wird: nach langem erbittertem kämpfe durchbricht herr Wittig
das heidnische beer und nimt den herzog Beliant mit sieben königen
und ihrem gefolge gefangen: die sturmfahne der beiden wird erobert,
viele hunderte von ihnen ertrinken im Jordan, das übrige beer wird
zersprengt und in wilde flucht getrieben , reiche beute fält in die bände
der Christen (v. 3332 - 3559).
Nach seinem volständigen siege über die beiden beweist sich herr
Wittig durchaus mild und gütig: er entlässt die grosse menge der
gefangenen und behält nur herrn Beliant mit sieben königen und acht
herzogen, nachdem sie ihm ihre volle ergebung eidlich angelobt haben,
in ehrenvoller gefangenschaft auf seiner bürg am Jordan. Er gewährt
ihnen nicht nur jeden billigen wünsch , sondern er behandelt sie durch-
aus wie geehrte gaste, indem er ihnen durch ritterliche kurzweil den
kummer zu verscheuchen sucht und mit feinem tact seine geraubte
gemahlin von ihnen ganz fern bleiben lässt, um ihnen eine noch schwe-
rere demütigung zu ersparen; ja, als sie ihn um erlaubnis bitten für
einige zeit in ihr land heimzukehren, gewährt er ihnen auch dies, und
nachdem sie sich mit festen eiden verpflichtet haben nach zehn wocheu
sich wider bei ihm einzustellen, gibt er ihnen noch vier tagereisen weit
ein ehrenvolles geleite bis an seine grenze (v. 3560 — 3655),
1) An dieser stelle (v. 3479) ist der narae verschrieben „Soldemach," aber
schon der reim (was) fordert Soldemas, wie er auch später genant wird, wäh-
rend sein vater und sein bruder Sei dem ach heissen (vgl. die betr. stelle oben im
zweiten br. v. 3438— 79).
WITTIG V. JORDAN, GOTHAER HS. 447
Als nun die entlassenen am zwölften tage in die nähe ihrer hei-
mat gelangt sind, begegnet ihnen der junge könig herr Soldemach
von Coradin, den einst herr Wittig aus der gewalt des lindwurms
befreit hatte und der immer noch nicht ganz von seineu wunden gene-
sen ist; er erkent freudig unter den daherreiteuden fürsten seinen eig-
nen bruder Soldemas, den wir von seinem heldenmütigen Zweikampf
mit Wittig können, und führt sie nun alle in die hauptstadt Gazaphat,
wo sie von seinem vater, dem alten könig Soldemach, als liebe
gaste ehrenvoll aufgenommen und durch reiche bewirtung, herliche
musik und den anblick der schönsten frauen erfreut werden. Die
höchste Zierde dieses reichen hofes aber ist die dem jungen könig Sol-
demach verlobte tochter des königs Acliou von Tirichel, deren
wunderbare Schönheit und prachtvolle kleidung der dichter in nicht
weniger als 125 versen ganz genau abschildert; an ihrer band führt
sie ihre jüngere Schwester, die ihr „an gestalt und an leib, an geberde
und an kleidern" völlig gleich ist und ebenso wie sie ganz in der
pflege und väterlichen gewalt des königs Soldemach steht (v. 3G56 —
3989).
Diesen lezteren umstand benuzt nun der weise köuig, um eine
algemeine Versöhnung zwischen seinen heidnischen und christlichen
freunden zu bewerkstelligen: schon bei dem ersten hoffeste hatte herr
Beliant den ehrenplatz zwischen den beiden schönen Schwestern erhal-
ten und darüber sein schweres leid zu vergessen augefangen ; als aber
nach allen darauf gefolgten lustbarkeiten des gastlichen hofes zu Gaza-
phat endlich die zeit herannaht, wo die fremden fürsten in die gefan-
genschaft an den Jordan zurückkehren müssen , und als sie nun herrn
Soldemach um seine vermittelung bitten, da zeigt er ihnen in kluger
rede, dass ihre befreiung nur dann möglich sei, wenn herr Behaut
jeden ansprach anf frau Libanet völlig fallen lasse und alle rachegedan-
ken gegen herrn Wittig für sich und auch für seine nachkommen gänz-
lich aufgebe, und zur vollen bürgschaft hierfür verlobt er die jüngere
tochter des königs Aclion mit herrn Beliant, welcher mit der grösten
freude auf diese Verbindung eingeht. Den Vorschlag des jungen könio-s
Soldemach aber, die hochzeit gleich am nächsten tag zu feiern, nimt
der besonnene vater nicht an, sondern will vor allen dingen erst die
lösung der fürsten aus der gewalt des Christen zu stände bringen: er
ladet daher herrn Wittig zu einer friedlichen Zusammenkunft nach
Baldac ein und macht sich am vierten morgen mit seiner ganzen
hofgeselschaft in glänzendem zuge dorthin auf (v, 3990 — 4243).
Nach einer fröhlichen reise gelangen die beiden zuerst nach Bal-
dac und empfangen dort den später ankommenden Wittig auf die
448 REGEL
freundschaftlichste und ehrenvollste weise , auch die bürger und bür-
gerinuen der stadt bereiten den Christen die gastlichste aufnähme ; aber
als nun nach vier festlich verbrachten tagen der könig Soldemacli mit
dem Christen allein in einer verriegelten kemenate über das Schicksal
der gefangenen in geheime beratung tritt und meint, dass herr Wittig
ihnen das erduldete leid vergüten und sie für ihre pünktliche widerkehr
belohnen möge , so macht dieser ihren frevelhaften einfall als die allei-
nige Ursache des ihnen widerfahrnen Unheils geltend und beharrt zuerst
bei dem entschluss sie als gefangene auf bürgen und in städte verteilt
in seinem lande fest zu halten , damit er vor jedem neuen angriff sicher
sei. Da ihm jedoch herr Soldemach den eidlichen verzieht der sämt-
lichen fürsten und besonders des am schwersten betroffenen herrn
Beliant auf jeden ferneren rachegedanken verheisst und ihm jede
erwünschte geldbusse anbietet, so lehnt herr Wittig zwar diese ent-
schieden ab, weil sein begehr nicht nach gut stehe, nimt aber um des
hochverehrten vermitlers willen die ausgleichung an und erklärt die
gefangenen fürsten für frei, nachdem sie ihm vergessen und vergeben
des erlittenen ungemachs und feste treue für immer gelobt haben
(v. 4244 — 4565).
So endet der lange hader in frieden und freude: nacli einem lez-
ten frohen schmaus bricht alles zur heimfahrt auf, und nachdem die
beiden die Christen noch ein stück weges geleitet haben, scheiden sie
in liebe von einander. Der könig Soldemach richtet sogleich nach sei-
ner heimkehr die hochzeit seiner schönen pflegetochter mit herrn Beliant
aus, der nun all das grosse leid, das er vorher zu tragen hatte, um
der werten zarten Jungfrau willen vergisst, mit der er nun sein leben
in hohen ehren verbringt. Herr Wittig von dem Jordan aber ergriff',
l)ald nachdem er in sein land zurückgekehrt war, besitz von der stadt
Cecilia, die ihm der mitgefangene könig von Syria bei seiner lösung
abgetreten hatte :
Bl. 118" Er Eichtet Sich valt Sehr
Nach gottes willenn In alweg,
4625 In zarter handlung pfleg
Het Er Sein liebe frawenn:
Man Möcht vil wol fchawenn
An viel lieblichenn trewen,
Das Sie nit bedorfft Kewen,
4630 Was Sie durch In erlittenn heth.
Mit gar lieblicher Stete
Woneten Sie Eynander mith:
Er ftellet mit getrewem Sitt
WITTIO V. JORDAN, GOTHAER HS. 449
Nach Weltlichenu Ern,
4635 Auch begunder vaft kern
Seyuen Miith an Kecht gericht,
Bl. 119* Mit aller Frnmkej^t was fein pflicht
Vnnd ging Ir nach vff Irem fpohr.
Den Armen was er gewalts vohr,
4G40 Den Reichen path Er feinen grus,
Den gernden thet Er knmers bns:
Des half? Ime auch fein Frawe,
Des Wunfehes anefchawe,
Die Suefe Frucht Fraw libanet, —
4645 Den felben Namen Sie da het
In dem tauff gelafenn vohr,
Sie Ward geuennet Beaflor, —
Die Eein vnnd die gehewer
Thete auch Ir guthe ftewer
4650 In allenn guteun Sacheuu:
Sunft künde Sie wol Machenn,
Das Ir lob vil Weyth erfchall.
Die hettenn Freude one zal,
Darunther Richtenn Sie Auch Ir lehn,
4655 Das der Sele dorth warde gegebenn
Das Immer Wernde hayl.
Bl. 119'' Got Wolle, das vnns der felb theyl
Auch Im himelreich dort werd gegebn,
So Ein Ende hath vnfer lebenn,
4660 Das Es gefchech on alle miffewenndt!
Dits Buch hath hie Ein Endt.
Mit den Schlusszeilen der von Bartsch herausgegebenen heidin
(Md. Ged. s. 72) haben die obigen verse der Goth. hdschr. natürlich
nichts gemein , aber sie zeigen in ihrem lezten ende einen deutlichen
anklang an den schluss des gedichts in v. d. Hagens Ges. Ab. (I, s. 439),
wenn es dort heisst:
Sie bäten guot und ere
vür ba^ immer mere
Beide biz; an iren tot;
sie bäten nie kein[e] not,
1895 Und lebten do mit schulden
gar nach Gotes hulden.
Also gelank dem Kristeu man
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XI. 29
450
mit der vroiiwen wolgetän
An' alle missewende.
hie hat da^ biioch ein ende.
Noch ba^ niüe:^' uns gelingen
an allen unsern dingen!
GOTHA, OCTOBER 1879. KAEL REGEL.
ÜBER DEUTSCHE DIALECTFORSCHUNG.
Ich übergebe hiermit dem piiblikum einen aufsatz, den ich als
vertrag in der germanistischen section der philologenversamlung zu Trier
in diesem jähre gehalten habe. Die veranlassung zu demselben gab
ein beschluss der germanistischen section zu Gera im jähre 1878. Hier
wurde eine antwort des reichskanzleramtes mitgeteilt, in der die Unter-
stützung der Frommannschen Zeitschrift für deutsche dialecte abgeschla-
gen und die in derselben befolgte methode als nicht zweckentsprechend
bezeichnet wurde. Ich stelte darauf bei der section den antrag, dem
reichskanzleramte statt jener Zeitschrift die gründung einer reihe von
dialectgrammatiken zur Unterstützung zu empfehlen, die nach gemein-
samem plane gearbeitet ein volles und treues bild des betreffenden
dialectes geben selten. Man acceptierte den verschlag und übertrug
einer commission, bestehend aus dem versitzenden prof. Sievers, den
Professoren Paul und Braune, dem dr. Winteler und mir die aus-
arbeitung einer vorläge für die diesjährige versamlung in Trier. Die
von mir der commission vorgelegten vorschlage wurden gebilligt und
der nachfolgende in Trier zur empfehlung der thesen gehaltene ver-
trag führte dazu , dass sich die section mit dem wissenscbaftlichen teile
derselben einverstanden erklärte, dass sie jedoch meinte, das unter-
nehmen müsse erst noch weiter vorbereitet werden , ehe es dem reichs-
kanzler zur Unterstützung unterbreitet werden könne, vor allem müsten
erst männer der Wissenschaft gewonnen werden, welche die ausarbei-
tung von grammatiken übernähmen, es müste ferner mit einer buch-
handlung der kostenanschlag genau besprochen werden. — Diese auf-
gäbe wurde der in Gera gewählten commission übertragen.
Auf den wünsch der germanistischen section in Trier , den Vortrag
und die thesen zu veröffentlichen, und getragen von der hofnuug, hier-
durch das unternehmen zu fördern, übergebe ich denselben dem wis-
senschaftlichen publikiim mit der bitte, unser unternehmen zu unter-
stützen zum Segen der Wissenschaft und der deutschen nation.
J
ÜBER DEUTSCHE DIALErTPORSCHUNG 451
Schon der begründer der deutschen grammatik und der mitbegrüu-
der des historisch -genetischen Sprachstudiums überhaupt, J. Grimm,
hat es im interesse seiner deutschen grammatik bedauert, dass ihm
so wenig sichres Sprachmaterial aus den dialecten zur Verfügung stände.
Das wort des meisters und das unmittelbare gefühl von der Wichtigkeit
der deutschen dialecte für die Sprachgeschichte der germanischen Völ-
ker hat eine rege tätigkeit auf dialectischem gebiete entwickelt. Um
nur weniges zu nennen , so entstand Firmenichs umfassende samlung
von dialectproben , seine Völkerstimmen , Schmeller begann seine bahn-
brechenden arbeiten über das Bairische , Weinhold entwarf den gross-
artigeu plan, die sämtlichen deutschen dialecte von der ältesten zeit
bis auf die gegenwart grammatisch zu behandeln und veröffentlichte
seine alemannische und bairische grammatik, die Frommannsche Zeit-
schrift wurde in das leben gerufen und hat es auf sieben bände gebracht,
Müllenhoff bearbeitete den dialect seiner dithmarschen heimat, Schlei-
cher schrieb über die Sonneberger, Regel über die Ruhlaer mundart,
Birlinger erhob in einer reihe von arbeiten das schwäbische idiom zu
seiner lebensaufgabe. Ich sehe ganz ab von den samlungen volkstüm-
licher redensarten , lieder , Idiotismen und der dialectdichtung. Und
trotz der regen tätigkeit für erforschung der deutschen dialecte müssen
wir gestehen, dass unsere kentnis der dialecte eine durchaus unzurei-
chende und ungenaue ist. Das material ist unvolständig gesammelt,
wir kennen ein Stückchen von diesem , ein Stückchen von jenem gebiete,
ohne dass wir immer im stände wären, scharf zu sondern und zu
bestimmen, diese eigentümlichkeit gehöre dem, jene einem anderen
Sprachgebiete an; — die lautbezeichnung ist ungenau; die wortsam-
lung ist beherscht von dem streben, merkwürdige, absonderliche worte
an das tageslicht zu ziehn und vernachlässigt das al tägliche und
gebräuchliche. Kurz die dialectischen mitteilungen tragen fast sämt-
lich den Stempel einer mangelhaften methode , vielfach den Charakter
des dilettantismus. Die dialectforschung muss, wie jede junge Wissen-
schaft, erst die wehen der blossen liebhaberei überwinden, um in die
ruhigen bahnen einer zweckbewusten methode einzulenken. Erst dann
wird man nicht mehr verächtlich die achsel zucken über eine verdor-
bene spräche, worunter man die mischdialecte verstellt, erst dann
wird man nicht mehr in dem festen gestein oder dem lockeren geröll
eines dialects herumsuchen, um einen absonderlich gefärbten stein oder
eine singulare Versteinerung zu finden, sondern das gestein selbst wird
man seiner art nach zu bestimmen und zu beschreiben suchen; — erst
dann werden sich auch so viele wissenschaftliche Vertreter der germa-
29*
452 WEGENER
nistik nicht mehr stolz von der mundartlichen forschuug fern halten,
sondern wacker hand anlegen, jeder zu seinem teile.
Die wissenschaftliche beschreibung eines gegenständes oder Vor-
ganges ist nicht so einfach, als es auf den ersten blick erscheinen mag,
sie sezt eine feine und allseitige beobachtung desselben voraus und
diese wider eine scharfe erkentnis von der algemeinen uatur derselben,
eine erkentnis, die dem forscher den zweck ijnd damit die gesichts-
punkte der beobachtuug stets deutlich und klar in das bewustsein tre-
ten lässt. So muss der dialectforscher den grossen zweck verfolgen,
zu seinem teile einen baustein zur construction der Sprachgeschichte
zugehauen und fertig gestelt zu liefern. Seine methode muss also die-
selbe sein wie die der historischen Sprachforschung überhaupt.
Die erkentnis von dem wesen der spräche führt zunächst auf die
natur der laute, speciel der sprachlaute. Die lehre von den sprach-
lauten ist die lautphysiologie. Die fortschritte auf dem gebiete dieser
modernsten Wissenschaft, die erkentnis der modernen Sprachforschung,
dass ohne sie eine wissenschaftliche grammatik oder Sprachgeschichte
mimöglich sei, lassen die zahlreichen arbeiten über dialecte als wenig
oder doch nur einseitig brauchbar erscheinen. Die von Brücke begrün-
dete wissenschaftliche erforschung der sprachlaute hat durch Sievers
Grundzüge der lautphysiologie (Leipzig 1876) eine für den Sprachfor-
scher höchst wichtige Weiterentwicklung erfahren und fast gleichzeitig
hat Winteler in seinem vortref liclien buche , die Kerenzer mundart des
kantons Glarus (Leipz. und Heidelberg 1876) an dem speciellen sprach-
stoffe seiner heimat eine reihe von beobachtungen über natur und Cha-
rakter der sprachlaute und des physiologischen lautlebens überhaupt
veröffentlicht, die einen tiefgreifenden fortschritt für die spracherkent-
nis bezeichnen. Hat die theoretische erkentnis der organischen laut-
bildung ohr und beobachtung für dialectforschung geschärft, so hat
andrerseits die lautphysiologie von der Untersuchung der historisch
gegebenen laute bereicherung und berichtigung in reichem masse erfah-
ren und ferner zu erwarten. Ich erinnere nur an die wichtige richtig-
stellung des Verhältnisses von media und tenuis.
Doch man würde sehr fehl greifen, wolte man das dialectstudium
auf den zweck beschränken, stoflf für den lautphysiologen zu fördern.
Für den Sprachforscher ist die lautphysiologie ja überhaupt nicht Selbst-
zweck, sondern unentbehrliche hülfswissenschaft. Die dialecte bieten
der gesamten Sprachforschung wichtiges material und bilden daher wie
jede einzelne spräche ein fruchtbares erkeutnisobject. — Ich sehe davon
ab, dass jedes sprachliche gejilde auf erforschung gleichen anspruch
hat, mag es nun dem vornehmen gebiete der griechischen oder latei-
ÜBER DEUTSCHE DIALECTPORSCHUNG 453
uischen spräche , oder den engen grenzen eines bescheidenen deutschen
dialects angehören. Die Sprachwissenschaft ist seit Bopp und Grimm
aus ihrer isolierten concentratiou auf einzelne wichtige cultursprachen
herausgetreten uud sucht die vereinzelte sprachform in dem grossen
zusammenhange der Sprachgeschichte zu erfassen.
Wie die politische geschichte schliesslich zu dem grossen gesamt-
bilde der Weltgeschichte hinstrebt, aber ihrem ziele noch fern absteht,
so lassen sich zwar auf dem gebiete der Sprachgeschichte eine reihe
von geschichtlichen zusammenhängen und chronologischen folgen erken-
nen, vor allem in der geschichte der indogermanischen sprachen, —
aber auch hier ist der weg, den die spracheutwicklung genommen, im
einzelnen noch unkentlich, deutlich erkenbar ist meist nur der aus-
gang'spunkt und das endziel einer sprachlichen bewegung, ob die linie
zwischen beiden punkten eine gerade , und welches der treibende motor
der bewegung gewesen, diese fragen sind fast sämtlich noch probleme.
Da muss das Studium der einzelnen sprachzweige, -äste und -ästchen
ergänzend eingreifen. Ein solcher sprach zweig ist auch das Germa-
nische, dessen älteste dialecte uns erhalten sind in einer reihe von auf-
zeichnungen, — aufzeichnungen von der schwerfälligen band fleissiger
mönche des mittelalters. Lesen und schreiben hatten sie gelernt an
den büchern und Schriften der alte und neue cultur vermittelnden
Römer. Die lateinischen buchstaben übertrugen sie auf ihre heimat-
sprachO; mochte der klang der lateinischen und deutschen laute sich
noch SO fern stehn. Das gleiche zeichen für den germanischen uud
lateinischen laut hat zunächst zu dem irtume geführt, als seien darum
auch beide laute gleichwertig, und als entspräclien diese laute wider
dem laute, den der leser nach Jahrhunderten seinem dialecte folgend
bei dem zeichen spricht.
Mau kann den unterschied von lautzeichen und laut nicht scharf
genug betonen, mit der kentnis des buchstabens ist uns die natur des
lautes noch längst nicht erschlossen. Unsere kentnis der alten dialecte
Germaniens ist eine durchaus ungenügende. Die Sprachwissenschaft hat
nun, wenn auch zunächst nur in den gröbsten zügen, eine methode
entwickelt , die aus den Veränderungen , welchen ein laut unterliegt , auf
die echte qualität des lautes zurückschliesst ; gegen einen schluss , dass
ndd. wif mit f im auslaute auf spirantische natur des h in unhe zu-
rückgeht , während hd. tvip auf den verschlusslaut h, lässt sich schwer-
lich etwas einwenden. Zu voller Sicherheit einer solchen methode ist
jedoch eine Übersicht über sämtliche Veränderungen des alten lautes
notwendig, d. h. eine volständige samlung des einschlägigen dialect-
materials. Selbstverständlich muss die kentnis des modernen lautes,
454: WEGENEE
der sich aus dem seiner qualität nach unhekauten älteren laute ent-
wickelt hat, genau sein, sonst steht der Sprachforscher dem unlösbaren
Probleme gegenüber, aus einer unbekanten eine andere unbekante zu
finden. — Somit ist als erste anforderuug an die dialectologie zu stel-
len: genaue lautphysiologische beschreibung eines jeden
sprachlautes.
Doch auch die genauste beschreibung der sprachbildenden facto-
ren bei jedem einzelnen laute würde für die Sprachgeschichte wertlos
sein, wenn sie nicht wüste:
1) welchem altgermanisch eu laute entspricht der moderne laut,
2) unter welchen Verhältnissen verändert sich der eine laut in
einen anderen?
Die erste frage führt zu der forderung , die dialectgrammatik muss
eine vergleichung zwischen dem alten und neuen laute anstellen. —
Kaum wird sich die dialectologie dieser anforderung entziehn , die aus-
führung jedoch ist in den verschiedenen grammatischen aufzeichnungen
eine sehr verschiedene. Meist geht die grammatik von dem modernen
laute aus, so bei Weinhold, Jellinghausen , Franz Koch die Verdener
mundart, und sagt z. b. : „u erscheint selten; wo es sich findet, gibt
es in der regel ags. ü oder u wider" (Fr. Koch). Diese anordnung
würde zweckentsprechend sein, wenn es der dialectgrammatik darum
zu tun wäre , einem Germanisten den grammatischen Schlüssel zu einer
dialectprobe zu geben oder ihn in den stand zu setzen, einen dialect
sprechen zu lernen. Die wissenschaftliche aufgäbe der dialectgramma-
tik war es dagegen , dem forscher einen überblick über die Veränderun-
gen zu geben, die ein germanischer laut im einzelnen erfahren hat.
Er wird z. b. zu erfahren wünschen , was ist aus german. g im dialecte
geworden: bei Weinhold würde er unter sämtlichen gutturalen, unter
7, unter h, unter ausfall des lautes zu suchen haben, und hätte doch
nicht volle gewissheit, dass er alle Veränderungen aufgefunden hätte.
Eine wissenschaftliche grammatik hat zu sagen , altgerm. g wird im
dialecte 1) zu, 2) zu u. s. f.
Bei dieser art der gruppierung ergibt sich zugleich für den dia-
lectgrammatiker die nötigung zu prüfen, unter welchen Verhältnissen
der laut in diesen, unter welchen Verhältnissen in jenen laut übergeht.
Um ein beispiel zu geben: In dem ndd. dialecte meiner heimat (Mag-
deburg) und der benachbarten Altmark ^ wird das nicht umgelautete
1) Das kurze o ist das helle dem a nahestehende o^ im dialecte, das lange
ö = ö8, ebenso e = ä, e = e,^ (dem i nahestehend), au = oHi, ö = ö^, ö=ö^.
Der dem o^ entsprechende lange vocal ist oa geschrieben.
ÜBER DEUTSCHE DIALECTFOBSCHUNG 455
altgerm. a 1) a, 2) toulang zu oa (ö^); doch in dät imd Mt (habet)
in der Altmark zu ä. Der grammatiker wird den grund dieser erschei-
nung aufsuchen, er wird sagen: In den proklitischen Worten dät, hat
tritt a in ä über. Einzelne worte zeigen kurzes o, altmrk. äikot (eich-
katze) , frilntsop u. s. f. , d. h. in tieftonigen ableitnngssilben wurde a
zu 0. — Tritt vocalverkürzung eines tonverlängerten a ein, so wird
der laut umgelautet zu ö^: droapd drögst {moako mökst). Für frünt-
sop tritt jezt fast durchgehend früntsaft ein, d. h. hochdeutsche ablei-
tungssilbe und a statt o.
Gibt die grammatik genau die bedingungen an, unter denen ein
laut in einen anderen gewandelt wird, so entwickelt sie lautgesetze.
Die bunte mannigfaltigkeit von lautverimderungen auf lautgesetze zurück-
zuführen, muss als eine der hauptsächlichsten aufgaben der Sprachfor-
schung angesehen werden. Und schwerlich würde dieses streben auf
irgend welchen widersprach stossen, wenn die ausführung nicht einer
menge von Schwierigkeiten begegnete. Die strenge durchführung der
lautgesetze ist in einer grossen menge von fällen aufgehalten durch das
bestreben der spräche , die formen eines wortes , die zu einer einheit
zusammenzufassen sind, auch in der form gleich oder ähnlich zu
machen , oder worte , die ihrer form oder bedeutung nach , mit anderen
Worten gewisse Übereinstimmungen aufweisen , nach demselben bildungs-
gesetze zu behandeln wie die lezteren, ich erinnere an: icli frug von
ich frage im auschluss an ich trug von ich trage. — So gilt in mei-
ner heimatsmundart als regel die beseitigung des d in der IL und III.
pers. sing. ind. praes. ohne rücksicht darauf, ob das verbum stark oder
schwach flectiert: also
Jcrij^d, krigst, krigt
sriwi), srüfst, srüft
j'ew9, jHfst, jHft
dririkd, drir]kst, drirjkt
säT]k9, säi]kst, sär]M
där]kdf därjkst, därjkt
löpe, löpst, löpt.
Ebenso bei bildung der feminina von familiennamen :
Smät , Smätsd
Höhöm, Hobömsd.
Ist jedoch der den stamm schliessende laut eine tönende spirans oder rj,
so behält man das d bei in sämtlichen schwachen verben und den
weiblichen namensbildungen :
leivd, lewdst, letvdt
he^jd ^ hej^9st, hej^dt
456 WEGENER
spritp , sprirpst , sprirjdt
Klewd, Klewdsa
Höpd, HöpdSd (Höding).
Der grund ist deutlich, man scheut sich die weiche spirans j, w und
den nasal i] in die tonlose spirans resp. rik umzuwandeln, ein vor s
und t notwendiger lautwechsel. Die starken verha, welche in der
I. pers. einen anderen vocal aufweisen als in der IL und III. person,
lässt man unangetastet in ihrer lautveränderten gestalt: j^ewd , jHfsf,
da der widereinsatz des 9 noch nicht zu der zu j^ewd lautrecht stim-
menden form *j^6iV9st führen würde. Dagegen in spri7]9, Jclirjd, sirjd,
wo die I. und IL person gleichen vocal aufweisen, schüzt man den
stamm vor Veränderung durch einsetzen des 9 : sprhp , sprirjdst. — Der
von Schambach lexicalisch dargestelte Göttingisch - Grubenhagensche
dialect dehnt der gleichmässigkeit halber den widereinsatz des e auch
auf andere fälle aus, also läpe löppest, und doch kann der kurze vocal
in löppest nur aus der consonantenhäufung erklärt werden. Und selbst
diese form läppst löppt widerspricht einem anderen lautgesetze, was
sich aus
Mpd, köfst, köft, dkoft
döpdy döfst, döft, ddoft
ergibt, wonach p vor s und t in tonlose spirans f übertritt.
Die beispiele mögen als nachweis für die analogiebildende kraft
in der Sprachgeschichte genügen. Und schwerlich sträubt sich auch
irgend ein Sprachforscher, im princip die analogie als wichtigen factor
anzuerkennen , wenn auch bei beurteilung des einzelnen falls die ansich-
ten über die gestalt des lautgesetzes und die einwirkung der analogie
sehr verschieden ausfallen mögen. Es wäre ja wunderbar, wenn in der
kurzen zeit, seit der man diese beiden faktoreu der Sprachgeschichte
zu sondern bestrebt ist , schon alles richtig erkant und begründet wäre.
In vielen fällen gehört eine reiche fülle von material zur entwicklung
eines lautgesetzes und eine kentnis von sprachgeschichtlichen tatsacheu,
die noch nicht klar gestelt sind.
Wird daher als princip aufgestelt, die lautgesetze zu entwickeln
und die fälle, in denen es durchbrochen ist, nach zwei gesichtspunk-
ten zu sondern, 1) nach der analogie im dialecte selbst, 2) nach ana-
logie a) eines nachbardialects und b) der Schriftsprache, so ist damit
ein weg gewiesen, der eingeschlagen werden soll, ohne dass in jedem
einzelnen falle zu erwarten wäre, dass wirklich das alte lautgesetz
wider aufgefunden würde. Sobald die analogiebildung einem lautgesetze
gegenüber einen grösseren umfang gewint, so verändert sich eben das
unmittelbare bewustsein des volkes vom lautgesetze selbst. Und dieses
ÜBER DEUTSCHE DIALECTFOBSCHUKG
457
bewustsein steht in directem Widerspruch mit der rein mechanisch trei-
benden kraft der physiologischen laiitbildung, kann aber unter umstän-
den die gesamtstellung der organe beeinflussen. In solchen fällen ist
es nicht möglich, aus dem lautbestande eines einzelnen dialects heraus
das alte, vielleicht im mittelalter kräftige lautgesetz zu entwickeln.
Audi hierfür will ich ein beispiel aus meiner heimat anführen. Hier
gilt jezt als lautgesetz: d fält nach vocalen aus, nur vor ?, r, n nach
kurzen vocalen verdoppelt es sich, oder richtiger wird lang und bildet
mit der folgenden liquida die unbetonte silbe, also moddr, kaddln,
dsnäddn. Abweichend werden tvedr (tempestas) , hUdr (folia) und war
neben wäddr (rursus) behandelt. Lässt sich nun auch bei war (rursus)
der grund in dem proklitischen und enklitischen gebrauche sehn, so
bleibt weor und Ueor unerklärt. — Ebenso wenig erklärt sich das t in
noatl, nach dem lautgesetze wäre naddl zu erwarten. — Für leiter
finden sich auf demselben gebiete die formen lättr, läddr, Icdro; lässt
sich hier das t ohne Schwierigkeit als hchd. einfluss ansehn , so weisen
doch läddr und laird auf verschiedene behandlungsweisen des d hin.
Noch vermehrt wird die Schwierigkeit durch spoapdn (spaten), moapd
(made) mit Übergang des d zu p. Es wäre unbillig, wolte man in
solchem falle vom Specialgrammatiker die entwicklung des alten laut-
gesetzes verlangen , das sicherlich in gewissen fällen , in denen wir jezt
ausfall des d zu constatieren haben , Übergang in j enthalten haben
wird. Darauf weist der nachbardialect in der Altmark um Stendal,
der an stelle des in meiner heimat ausgefallenen d j oder mit besei-
tigung von auslautendem <? i aufweist: j^üi (boni), roapd (rate). Selbst-
verständlich erfordert die volle aufklärung dieser lautwandlungen
1) Übersicht über sämtliche verwante dialecte , 2) genaue kenntnis der
entsprechenden lautübergänge im mittelalter. — In fällen, wie der eben
geschilderte, begnügt sich der Specialgrammatiker die abweichungen
als ausnahmen zu verzeichnen.
Aus dem gesagten glaube ich ergibt sich die berechtigung der
folgenden thesen :
Die anläge der grammatiken:
a) Sie sollen zuerst eine genaue lautphysiologische
beschreibnng aller im einzelnen dialecte vorkom-
menden laute geben.
b) Sie sollen eine Übersicht enthalten über die Ver-
änderungen, welche die altgermanischen laute im
betr. dialecte erfahren haben.
Anm. 1. In der anordnung ist somit jedesmal der altger-
manische laut zu gründe zu legen. Bei angäbe des modernen
458 WEGENER
lautes ist auf die lautphysiologische Übersicht im ersten
teile zu verweisen.
Anm. 2. Die Veränderungen sind in feste lautgesetze
zu fassen, wobei der unterschied von hochbetonter, tief-
toniger und tonloser silbe durchzuführen ist; ebenso die
parallelen einwirkungen von enklisis und proklisis.
Anm. 3. Hinter dem lautgesetze sind jedesmal die fälle
zu verzeichnen, in denen das lautgesetz durchbrochen ist:
a) nach analogie anderer formen desselben dialects,
ß) durch aufnähme von formen der Schriftsprache oder
eines nachbardialects.
Es bleibt uns hierbei noch übrig auf eine schwierige, viel discu-
tierte frage einzugehn, die schon einmal der gegenständ der beratung
auf einer philologenversamlung gewesen ist , ich meine die lautbezeich-
nung. — Ohne voraufgegangene beschreibung der Organstellung bei
jedem einzelnen laute würde eine graphische bezeichnung derselben nicht
genügend sein, obgleich die Wissenschaft in ziemlicher fülle mittel zur
bezeichnung der lautnuancen aufgestelt hat. Eine einigung über ein
linguistisches aiphabet fehlt leider noch immer. Es liegt in diesem
mangel an einigkeit entschieden ein starkes hemnis für die entwicklung
der dialectforschuug und eine besondere Schwierigkeit, wenn es sich
darum handelt, eine grössere, zusammenhängende serie von dialec-
tischen grammatiken in das leben zu rufen. Es sind eine ganze reihe
von guten vorschlagen zu einer gemeinsamen lautbezeichnung gemacht,
aber auch hier ist es gegangen, wie so oft im leben, das gute ist
unberücksichtigt geblieben eines möglicherweise bessern wegen. Sieht
man die sache praktisch an, so muss man sich fragen, woher schöpft
der Philologe seine kentnisse über die lautunterschiede und in welcher
graphischen form prägen sich ihm die verschiedenen laute ein? Die
gangbaren lehrbücher sind Druckes und Sievers lautphysiologie , nach
meiner Überzeugung kann daher nur eine von den beiden in diesen
werken durchgeführte lautbezeichung für uns in betracht kommen. Denn
die frage der praktischen Verwendbarkeit eines alphabets, d. h, eines
communicationsmittels , untersteht nicht einer rein theoretischen ent-
scheidung, die machtfrage ist hier von durchschlagender bedeutung.
Nun sind Druckes und Sievers lautzeichen dem philologischen publikum,
für das die dialectgrammatiken berechnet sind, bekant, Sievers Unter-
suchungen führen weiter als die Drückeschen , er behandelt auch die
Silben- und Wortbildung, sowie den lautwandel, Sievers darstellungs-
weise gibt auskuuft über die methode, die physiologischen lautunter-
schiede zu constatieren und nimt in viel ausgedehnterem masse rück-
ÜBER DEUTSCHE DIALECTFORSCHÜNG
459
sieht auf die lautverhältnisse der lebeüden sprachen und dialecte als
Brücke. Die von ihm in aussieht gestelte deutsche grammatik und
vermutlich auch die übrigen indogermanischen granimatiken desselben
Unternehmens Averden sich an Sievers lautbezeichnung anschliessen.
Wintelers Kerenzer mundart, die kein dialectforscher unberücksichtigt
lassen kann, stimt gleichfals im wesentlichen mit Sievers überein. Bei
solcher Sachlage würde ich es für verderblich halten, wolte unser unter-
nehmen die gesunden ausätze zu einer einigung stören und nicht viel-
mehr fördern. Aus diesen gründen würde ich es für das richtigste
halten, die Sieverssche lautbezeichnung den dialectgrammatiken zu gründe
zu legen, ohne hiermit ein abfälliges urteil über andere vorschlage,
besonders über Kräuters thesen (Frommannsche ztschr. bd. 7), die ich
den dialectforschern zur Orientierung nur empfehlen kann, fällen und
eine andere wissenschaftliche lautbezeichnung damit ausschliessen zu
wollen.
Gibt eine grammatik eine genaue phonetische beschreibung der
einzellaute, eine genaue darstellung des lautwandels, so erwarten wir
nach geläufigen Vorstellungen nur noch einen abriss der flexions-
lehre, natürlich wider nach den gesichtspuukten der genetisch -histo-
rischen methode. Diese methode erfordert wider vergleichung des
alten und modernen Sprachbestandes auf grundlage der altgermanischen
flexionsverhältuisse. Es ist festzustellen, welche numeri und casus,
welche tempora und modi und personen unterscheidet der dialect, sind
Veränderungen des genus eingetreten, welche arten der flexiblen stamme
sind noch in den modernen dialecten unterscheidbar, und welche form
haben sie angenommen. Haben die verschiedenen flexionsweisen auf
einander gewirkt und wie? Im streben der spräche nach möglichst
durchgeführter gleichförmigkeit der formbildung liegt der analogistische
trieb enthalten, die selteneren flexionsweisen nach den häufiger vor-
kommenden umzugestalten , starke substantiva und verba in die schwache
flexion überzuführen, seltener das umgekehrte, wie in meiner heimat
moakd mauk. Gerade die starken praeterita und participia sinken mehr
und mehr zu Versteinerungen herab, die man nicht mehr nach einem
deutlich empfundenen bildungsgesetze reproduciert, sondern einzeln als
vocabeln merkt, eine erscheinung, die sich auch in der hochdeutschen
Umgangssprache widerfindet. Ein kind gebildeter eitern wird sich früh
ein bildungsgesetz für das zusammengesezte perfectum entwickeln, es
wird eine form von haben mit dem partic. praet. verbinden. Doch
lange zeit wird das kind sämtliche participialformen schwach mit -t
bilden: ich habe gefallt, gesingt, gebringt u. s. f. Die möglichkeit der
freien starken praeteritalbildung nimt in demselben Verhältnisse ab, als
460 WEGENER
die zahl der starken verba beschränkt wird. Wie weit im Englischen
der Verlust dieser alten bildungsweise vorgeschritten, ist bekant. Viele
moderne deutsche dialecte stehen ziemlich auf derselben stufe , — daher
haben wir den verschlag gemacht , die starken praeterita und participia
zu sammeln. Ich möchte jedoch davor warnen, nach blosser analogie
verwanter verba die betreffenden formen zu geben, eine beobachtung
des wirklichen gebrauchs ist hier dringend geboten.
These: Die grammatiken sollen einen abriss der fle-
xionslehre enthalten.
Anm. Hierbei sind zu verzeichnen:
a) die substantiva und verba, welche aus der starken
in die schwache flexion und umgekehrt übergetre-
ten sind;
ß) die noch im dialecte wirklich gebrauchten starken
praeterita und participia.
Hiermit hätten wir die gegenstände, welche notwendig einer
grammatischen behandlung unterstehn, erschöpft, und es ist nicht zu
leugnen, dass mit der wissenschaftlichen bearbeitung aller der genan-
ten punkte der historischen grammatik ein material geboten würde, das
auf allen selten licht über sprachgeschichtliche probleme verbreiten
würde. Und doch würde es täuschung sein, weiten wir glauben, dass
hiermit die Charakteristik der dialecte auch nur annähernd erschöpft
wäre. Wir fühlen es unmittelbar , dass wir durch die genauste nach-
bildung der einzelnen dialectlaute noch nicht im stände sind, ein wort
oder gar einen satz so zu sprechen wie der eingeborne. Es bleibt ein
gewisses etwas, was auch der laie unmittelbar hört, und woran er den
fremden dialect erkent, eine eigentümliche weise das wort und den
satz zu betonen. In Magdeburg sagt man z. b. dem Thüringer , dem
Westphalen und Kheinländer nach , er singe , in Hessen wurde von mir
gesagt, dass ich sänge. Der ausdruck selbst beweist, dass man einen
musikalischen Vortrag des wortes wie des satzes heraushört. Und das
gehör täuscht den laien nicht. Wir Niederdeutschen leihen der beton-
ten Stammsilbe einen musikalisch höheren ton als den unbetonten Sil-
ben. Nach Kräuter (Fromm. 7, 329) haben die hochdeutschen dialecte
im algemeineii die neigung, die starken silben tief und die schwachen
hoch zu spreclien , ähnlich im Schwedischen. Andere sprachen und dia-
lecte haben sehr geringe oder gar keine musikalischen differenzen zwi-
schen betonter und unbetonter silbe. Es ist deutlich , welche Wichtig-
keit die uotierung des musikalischen Intervalls z. b. zwischen betonter
und unbetonter silbe für den gesamten Charakter eines dialects hat.
ÜBER DEÜTSCHK DIÄLECTFORSCHÜNG 461
Aber es liegt hierin auch ein wichtiger sprachhistorischer factor
enthalten: die tonhöhe ist bedingt durch die zahl der Schwingungen,
in welche die Stirnbänder versezt werden. Die Stirnbänder lassen sich
mit einer geigensaite vergleichen: will ich auf dieser einen höheren
ton hervorbringen, so rauss sie straffer angespant werden, die stärke
des bogenstrichs verändert nur die Intensität und quantität des toues.
Dem bogeustriche entsprechend ist der aus der lunge dringende exspi-
rationshub. Soll der musikalische ton einer sprachsilbe höher werden,
so habe ich die stimbänder durch muskelbewegung stärker anzuspan-
nen. Bei dem musikalischen accente wirken somit zwei factoren, der
exspirationsstrom und die muskeltätigkeit , d. h. die beiden hauptfac-
toren der sprachbilduug überhaupt; wirkt auf der accentsilbe nur der
exspirationsstrom ohne Veränderung der stimbänderstellung, so ist ein
musikalisches Intervall zwischen accentuierter und unbetonter silbe nicht
wahrzunehmen.
In der Veränderung mm der exspirationsstärke und der mus-
keltätigkeit liegen sämtliche mechanische gründe der Veränderungen
enthalten, die eine spräche von ihrem ersten bestehn bis in ihr höch-
stes alter durchmacht. Es unterscheiden sich die einzehien sprachlaute
selbst nach diesen gesichtspunkteu , so erfordern die tenues gegenüber
den tonlosen medien stärkere exspiration und energischere muskeltätig-
keit, das Vernersche gesetz lehrt, dass in gleichem Verhältnisse ton-
lose und tönende spirans steht.. Die affricierte oder aspirierte tenuis
hat stärkere exspiration als die unaspirierte. Der affricierte laut ts, pf,
h/ erfordert mehr muskeltätigkeit als die tonlose spirans s, f, %. Die
assimilationsersch einungen in der spräche beruhen auf der anticipation
der orgaustellung eines folgenden lautes und der annäherung resp.
gleichmachung der orgaustellung des ersten lautes an einen folgenden,
also auf ersparnis von muskeltätigkeit. Der abfall von auslautenden
cousonanten und vokalen , das sogenante verschlucken der silbe ist eine
Unterbrechung des exspirationsstroms durch zurücksinken der organe in
die ruhestellung, d. h. eine trägheitserscheinung der muskelbewegung,
oder die luft ist vor der zeit verbraucht , sie kann daher die folgenden
laute nicht mehr tönen lassen u, s. f. Ich muss auf eine genauere dar-
stellung der Wirksamkeit dieser beiden hochwichtigen factoren an die-
ser stelle verzichten. Ich will nur die aufgaben , die sich für die for-
schung hieraus ergeben , nennen :
Man hat festzustellen:
1) wie stark ist der exspirationsstrom auf der beton-
ten Stammsilbe im Verhältnis zu allen folgenden
oder vorhergehenden silben desselben wertes.
462 WEGENER
2) Wie stark ist der exspirationsstrom jedes einzel-
nen lautes auf der betonten Stammsilbe gegenüber
den folgenden und vorhergehenden unbetonten.
a) vor dem sonauten der betonten silbe,
b) nach dem souanten.
3) Welches ist die absolute musikalische höhe der
betonten silbe, und in welchem musikalischen Ver-
hältnisse steht diese zu den unbetonten silben.
Doch vergleichen wir die mit luft gefülte lunge mit einem glase
wasser und das ausströmenlassen der luft mit dem austrinken des gla-
ses , — so sind verschiedene möglichkeiten :
1) das glas lässt sich auf einen zug austrinken, die zu verbrau-
chende luft auf einen hub ausströmen, oder in mehreren zügen.
2) Das glas lässt sich niederstürzen oder gemächlich ausschlür-
fen, ebenso lässt sich die luft plötzlich und stossweise aus der lunge
stossen oder durch sanften almählich zu- und abnehmenden druck aus
der lunge drängen.
Nach dem zweiten gesichtspunkte richtet sich die form des accen-
tes : acut , gravis , circumflex , mau könte diesen gesichtspunkt den der
geschwindigkeit in ein - und absatz der exspiration nennen , von ihm
hängt wesentlich 1) die quantität und 2) die Intensität der sprachlaute
ab. Nach dem ersten gesichtspunkte richtet sich wesentlich die grös-
sere oder geringere abschwächung der unbetonten silben eines wortes.
Fügen wir diesen kurzen andeutungen über den mechanischen
acceut noch hinzu, dass auch der logische und psychologische
accent zu beobachten ist, so können wir unsere bemerkungen über
den accent schliessen. Unter logischem accente innerhalb eines wortes
verstehe ich z. b. die betonung von harfuss, mit einem nebenton auf
fuss, in folge des bewustseius, dass -fuss auch als selbständiges wort
gebraucht, eine stärkere betonung erfordert als die in ihrer bedeutung
unklar gewordenen flexions- und ableituugssilben. Die spräche hat
nur noch auf wenigen starken ableituugssilben den nebenaccent bewahrt,
ohne dass der sprechende sich noch in allen fällen der logisch höheren
bedeutung dieser silben bewust wäre, da hat die Schriftsprache conser-
vierend gewirkt. Die dialecte, denen ein derartiges conservierendes
normativ fehlt, gehen daher viel weiter in der abschwächung, (z. b.
Höding dJoQV Höjh , häring : herijh , harfuss : harwot , hräutigam : hrtt-
g9n, hulihirt : kohor, ärtfln (st. ärtüfln).
Der dialectforscher hat somit festzustellen, wie weit sind auch
die in der Schriftsprache mit einem nebenton versehenen starken ablei-
ÜBER DEUTSCHE DIALECTFORSCHÜNG 463
tungssilben der Schriftsprache dem mechanischen betonungsprincipe der
unbetonten silben verfallen?
Ganz parallel der betouung des einzelnen Wortes geht die des
ganzen satzes , auch hier steht das logische und mechanische betonungs-
princip im kämpfe. Da wir es im satze mit einer reihe einzelner
Worte zu tun haben, welche bald den stärksten bald den schwäch-
sten acceut im satze tragen können, so wird das bewustsein von der
selbständigen bedeutuug der werte ein bei weitem stärkerer factor sein
als im einzelnen werte. Der verlust, den die logische betonung erlit-
ten, ist daher ein kleiner, es sind die pro- und enklitischen Wörter,
die sich nach mechanischem principe auch in ihrer lautgestalt verän-
dert haben. Trotzdem findet ein gravitätsverhältnis statt zwischen den
Worten vor und nacli dem logisch höchst betonten worte, im satze
wesentlich in derselben weise als im einzelnen worte zwischen den Sil-
ben vor und nach der hochbetonten silbe. Es ist wünschenswert über
diesen punkt sorgfältige beobachtungen anzustellen.
Ebenso wichtig ist die beobachtung der betonungsnüancen
der verschiedenen s atz formen, behauptungssatz , fragesatz, befehl,
wünsch , ausruf u. s. f. Leider kann ich auf die tragweite solcher
beobaclitungeu nicht eingehn , nur ein beispiel will ich anführen : Im
befehle spreche ich z. b. : gib mir das buch, gib trägt den hauptaccent,
und zwar den acut , die nachfolgenden worte fallen mehr und mehr im
tone. Verwandle ich den acut in den gravis und spreche das g}b mit
offenem nasencanal und wenig geöifneten lippen , so wird das i zu einem
M- laute, die nachfolgenden Wörter verlangsamen in der ausspräche,
der satz wird zum wünsche. Man kann keinen augenblick zweifelhaft
sein, dass diese und ähnliche Verhältnisse die praesensbildung der
indogermanischen sprachen so ausserordentlich mannigfaltig gestaltet
haben.
These: Wünschenswert erscheint eine genaue beobach-
tung der acceutverhältnisse des dialects:
«) bei den vrorten in pausa,
ß) bei den werten innerhalb des Satzgefüges (Verhält-
nis vom wort- zum satzaccent).
Wünschenswert erscheint ferner eine genaue angäbe
der musikalischen Intervalle in der rede:
a) nach den logischen nüancen (behauptungssatz, fra-
gesatz, ausruf u. s. f.)
ß) nach psychologischen nüancen (affecte).
464 WEGENEE
IL
Wir hatten oben die eiuwirkuQg der Schriftsprache auf die deut-
schen dialecte kurz angedeutet. Die tatsache selbst und der grund
derselben ist im algemeiuen leicht ersichtlich , die deutsche Schrift-
sprache dient, — als communicationsmittel der gesamten gebildeten
geselschaft Deutschlands, — allen denen als sprachliche norm, welche
irgend welchen ansprach auf bilduug erheben. Dieser ansprach sickert
täglich tiefer und tiefer bis in die untersten Volksschichten hinein, die
schule und das politische leben, wie es dem volke aus der politischen
tagespresse entgegentritt, helfen ein gut stück dazu, diese ansprüche
zu verbreiten. Auch das prognostikon , das man auf grund dieser
erscheinung den volksdialecten gestelt hat, müssen wir als richtig
anerkennen, sie sind sämtlich dem untergange geweiht, dem almäh-
lichen aufgehn in der algewaltigen Schriftsprache. Es ist notwendig,
dass man sich diese tatsache volkommen gegenwärtig hält , um zu einer
samlung der dialecte nicht erst dann zu schreiten, wenn alles oder
doch viel verloren ist, aber auch um nach der wahren Sachlage ohne
Sympathie oder antipathie die richtigen ziele und wege der dialectfor-
schung zu finden. Sind die dialecte ein der Schriftsprache anheimgege-
benes Opfer, ein object, das bei steter beeinflussung durch die spräche
des höheren culturlebens einer steten Umwandlung ausgesezt ist, so hat
die Wissenschaft ihr augenmerk zu richten auf die fragen:
1) wie weit hat sich dieser umwandlungsprocess voll-
zogen,
2) in welchen bahnen schreitet die Umwandlung vor?
Sprechen wir von dialecten, so meinen wir in erster Knie damit
die spräche des bauern auf dem platten lande, dialect ist uns in die-
sem sinne etwa identisch mit Volkssprache. Doch hören wir einen
gebildeten Schwaben auf der kanzel oder tribüne, so sagen wir auch
von diesem, er könne seinen schwäbischen dialect nicht verleugnen,
ohne dass er eine von der Schriftsprache abweichende form oder ein
specifisch schwäbisches wort gebraucht. Unser urteil involviert somit
die Vorstellung , als gäbe es irgend eine feste norm der schriftgemässen
ausspräche; ja wir verlangen diese ausspräche von der gebildeten decla-
mation der bühne.
Nach diesem idealen lautbilde gemessen hat auch der gebildetste
Deutsche wenigstens im persönlichen verkehr seine besonderheiten. Als
quelle dieser besonderheiten fassen wir, wenn nicht Ziererei mit im
spiele ist, die heimatliche spräche, wie sie auf dem platten lande
gesprochen wird, vielleicht ist nur auszunehmen der sog. preussische
ÜBER DEUTSCHE DIALECTFORSCHUNG 465
officierston, der sieb jedoch selbst wider uacb dem märkisch - pommer-
schen hochdeutsch gebildet hat.
Der ungebildete oder halbgebildete städter unterscheidet sich in
seiner spräche in stott'licher wie formaler beziehuug sowohl von dem
deutsch der umwohnenden bauernschaft als der gebildeten spräche der
höheren geselschaft. In meiner heimat mögen die abstände die stärk-
sten sein: der gewöhnliehe städter spricht hochdeutsch, gemischt mit
einigen ndd. werten wie kop, dropni, nur kein schriftgemässes hoch-
deutsch. Es lassen sich die drei verschiedenen sprachformen innerhalb
eines kleineren landschaftlichen bezirks als drei concentrische kreise
um den mittelpunkt der Schriftsprache bezeichnen. Zunächst dem mit-
telpunkte steht der dialect des gebildeten, es folgt der des halbgebil-
deten Städters, schliesslich die bauernsprache. Die kreise sind in ste-
ter verengenden bewegung begriffen mit der richtung auf den mittel-
punkt zu, eine bewegung, die schliesslich zum zusammenfallen mit
dem mittelpunkte führen kann. Natürlich existieren zwischen diesen
drei kreisen eine unendliche menge anderer kreise je nach dem indivi-
duellen bildungsgrade des einzelnen, zu diesen gehört z. b. das ergötz-
liche Bräsigsche messing bei Fr. Reuter.
Die Umwandlung des heimischen Idioms richtet sich also nach
der bildung des einzelnen, Bildung aber wird von jedem in erster
linie als persönliche kraft geschätzt, durch die er im stände ist sich
anerkennung zu erringen, anerkennung in den socialen kreisen, denen
er angehört. Je gebildeter daher die geselschaft ist, in der der ein-
zelne lebt, um so mehr wird er sich bemühen gebildet zu reden. Der
landmanu wird mit seinem nachbarn auf der steinbank vor der liaus-
tür die bauernsprache reden, so lauge er nicht das bedürfnis hat, sich
durch annäherndes Schriftdeutsch dem nachbaren gegenüber ein höheres
ansehn zu geben. Gliedert sich die bauernschaft in stände und hält
es der erste derselben für geboten, auch gebildeter zu sein oder zu
scheinen als der hausier oder tagelöhner , so wird er sich auch bemühen
schriftgemäss zu reden.
In meiner heimat ist die eben in algemeineu zügen geschilderte
einwirkung der Schriftsprache eine doppelte, eine directe und indirecte.
Das Magdeburger gebiet liegt au der Sprachgrenze von Mittel- und
Niederdeutschland. Die unmittelbar an mitteldeutsches gebiet stossen-
den dorfschaften erliegen mehr und mehr dem mitteldeutschen einflusse,
das Volk fühlt es , dass der mitteldeutsche dialect dem schriftdeutschen
viel näher steht als das niederdeutsche. Nach dem oben gesagten muss
ihm also der mitteldeutsch redende nachbar als gebildeter gelten. Die-
ser gehört zum socialen verkehrskreise des niederdeutschen bauern,
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIK. BD. XI. oO
4^6 WEGENER
der leztere wird daher seinem naclibar uachziisprechen suclien. So drin-
gen zunächst eine menge von md. worteu in das Niederdeutsche ein.
und zwar gerade die gebräuchlichsten werte wie niutr, grosvoadr, clim
u, s. f. Man lernt dem nachbarn seine ausspräche und seine lautgesetze
ab, das g wird zu j\ die vocale mit lippeuarticulation wie ü, ö, äu
verlieren diese und gehn in i, e, ai über, der s-laut dringt auch vor
t und p ein, das vor s beseitigte r wird wider eingesezt, die alten ai
werden zum zweiten male in e gewandelt , u. s. f.
Mein heimatsort (Olvenstedt) liegt jener Sprachgrenze zu fern,
als dass ein directer verkehr mit dem md. bauern statt finden könte,
aber der gemeine mann in Magdeburg hat in derselben weise als jene
ndd. bauern sein früheres platt in md. gewandelt; die arbeiter und
maurer vom lande gehn täglich zur arbeit nach Magdeburg: nur kurze
zeit, und sie sprechen das Magdeburger md., ja nehmen sogar das so
vielfach als geschnarrt verspottete uvulare r an.
Die Schriftsprache hätte in diesen kreisen nicht direct wirken
können, wol aber das denselben social viel näher stehende md. Ganz
anders bei dem reichen bauern, der mit dem rittergutsbesitzer, dem
pastor und anderen gebildeten leuten anfängt zu verkehren: dieser bil-
det das in den genanten kreisen gesprochene hochdeutsch nach. Ebenso
nähert sich der reiche bauer aus dem Braunschweigischen Fruchtlande
bei Schöppenstedt, Wolffenbüttel , Börssum viel mehr der spräche der
gebildeten weit als der arbeiter meiner heimat.
Ähnliche Verhältnisse müssen sich überall in Deutschland zeigen
und es ist die unabweisliche pflicht des dialectforschers darauf zu ach-
ten. Sehen wir doch in diesem kleinen bilde eines engbegrenzten krei-
ses, wie sich Sprachumbildungen überhaupt vollziehen. Wir können
daraus lernen, dass in gleicher weise ein grosser teil des jezt md.
gebiets aus dem ndd. hervorgegangen ist, dass in dieser weise das
Slavische dem Deutschen, das Celtische dem Eomanischen erlegen ist.
Die Sprachenfrage ist wesentlich eine sociale machtfrage, daher der
bedeutende einfluss des kaiserlichen hofes auf die yMiv/j des mittel-
alters, der Wiener kanzleisprache auf die ausbildung der Schrift-
sprache.
Die dialectforschung hat also, das erscheint sehr wünschenswert,
das Verhältnis jener drei concentrischen kreise zu einander wenigstens
in algemeinen zfigen darzustellen und die differenzen und Übereinstim-
mungen derselben vor allem in der gesamtstellung der organe zu unter-
suchen. Überwiegend muss sich ja selbstverständlich der dialectgram-
matiker mit dem bauerndialecte als dem ausgangspuukte der sprach-
lichen Umwandlung beschäftigen.
ÜBER DEUTSCHE DIALECTPORSCHÜNG 467
Doch wir sehen jezt ab von eleu lautlichen differenzen zwischen
dialect und Schriftsprache, diese scheinen uns heute bei der zunächst
auf die lautgeschichte concentrierten richtung der Sprachwissenschaft
vielleicht wichtiger als die differenzen im Sprachstoffe und dem wort-
vorrate. Doch wir dürfen hoffen, dass auch die von der Sprachwissen-
schaft bisher unbebaut gebliebenen gebiete der Semasiologie und der
Syntax stärker betont werden als bisher.
Im wortvorrate schliesst sich der gebildete viel enger an die
Schriftsprache an als die beiden anderen kreise. Auf allen gebieten des
höheren lebens, die ihre Vertretung in der Schriftsprache finden, wird
er selten von dieser abweichen. Doch schon im verkehr mit dem
kinde verleugnet er seinen nahen Zusammenhang mit den beiden tie-
feren schichten nicht: er nent dem kinde den hund wau-wau oder
haufimt, das laufen hafrn, das schaf hälani, die wiege hoaho^ u. s. f.
und entfernt sich hierbei nur in den lautverhältnissen von der bauern-
sprache. Der ungebildete städter verschmäht es in seiner Unterhaltung
durchaus, sich dem schriftgemässen ausdrucke zu fügen, das würde
ihm geziert erscheinen, kurz um so viel roher der geselschaftliche ton
ist , um so ferner steht die spräche stofflich dem schriftdeutschen.
Diese tatsache drängt sich dem beobachter sehr scharf auf, und sie
hat zu samlungen von Idiotismen geführt, wie Hoefers buch „Wie das
Volk spricht ," bei dem man sich fast des gefühls nicht erwehren kann,
als meine der samler, dass das charakteristicum der Volkssprache in
gewissen rohheiten und gemeinheiten bestehe. Dass sich dergleichen
viel findet, wird niemand leugnen, und es hängt dies mit dem tieferen
stände der sittlichen und ästhetischen bildung des gemeinen mannes
zusammen.
Über den begriff Volkssprache herschen ziemlich verworrene Vor-
stellungen, wir bezeichnen mit diesem ausdrucke eine unausgebildete
spräche, bevor sie zur litteratursprache herangereift ist, so das latei-
nische und griechische der ältesten zeit, sprachen die von königen,
kriegern, priestern, bauern u. s. f. gesprochen wurden, die zur bera-
tung in der volksversamlung , zur anbetung der götter, zum pathe-
tischen vortrage des rhapsoden ebensowol gebraucht wurden wie zur
altäglichen Unterhaltung in handel und wandel.
In diesem sinne lässt sich kein deutscher dialect als Volkssprache
bezeichnen, das vergisst die dialectdichtung gar zu leicht. Der dialect
ist, als Volkssprache genommen, vor allem die spräche des niederen
landvolkes, teilweise einzelner städte und des norddeutschen Schiffers.
Dies sind hinter dem grossen culturstrorae der gebildeten weit zurück-
gebliebene Volksschichten, isoliert auf ihrer schölle, isoliert durch die
30*
468 WEOENER
einseitigkeit ihrer beschäftigung , beschränkt durch die fortschritte der
Schriftsprache in schule und kirche, welche, wenigstens in sehr vielen
dialectgebieten , die Volkssprache nicht für das höhere geistes- und
gefühlsleben in gebet, erbauung und poesie zulässt.
Unschwer lassen sich die folgen erkennen, welche die locale iso-
lierung für die Volkssprache mit sich bringen muste. Es ist ein siche-
res gesetzt Die menge der worte des Sprachschatzes richtet sich nach
der menge der bewusten Vorstellungen eines volkes oder volksteiles.
Die menge dieser Vorstellungen ist natürlich in erster linie von der
Vorstellungstätigkeit des volkes bedingt, in zweiter linie a) durch die
menge der gegenstände, die sich im gesichtskreise des volkes befinden,
b) durch ein sociales moment, nemlich ob das volk oft oder selten
oder gar keine veranlassung findet über gewisse Vorstellungen zu reden,
also ob es gezwungen ist, die sprachlichen communicationsmittel zu
bequemerer mitteilung zu mehren oder nicht, c) Es komt hinzu die
häufigere oder seltenere Veranlassung, die einzelnen Vorstellungen zu
neuen Vorstellungen oder gedanken zu combiniereu.
Der landmann, der in wald und feld lebt, wird entschieden auch
mit dem leben von feld, wald und wetter genauer bekant sein als der
Städter. Er hat eine menge von Wetterregeln und wetterbezeichnungen,
die getreidearten auf dem felde unterscheidet er genau mit namen,
das dazwischen wuchernde unkraut ist schon weniger scharf nach namen
geschieden, die bäume des waldes, die als nutz- oder brennholz die-
nen, weiss er gleichfals zu benennen, sträucher oder blumen fallen
ihm vielfach unter gemeinsamen namen zusammen. Die grossen jagd-
baren tiere werden vom walddörfler benaut, die vögel schon in gerin-
gerem masse, für die käfer gar und andere Insekten kent er nur
wenige namen.
Man muss einmal mit einem waldbegangenen buschdorfbewohner
den wald durchstreift haben, um zu wissen, wie wenig doch das volk
von den mannigfaltigen gegenständen unterscheidet. Weiss das volk
für eine blume oder ein kleineres tier einen besonderen namen zu sagen,
so darf man getrost glauben , es knüpft sich auch ein glaube oder ein
scherz an dieselben. Ich erinnere an den hirschkäfer, den donnerkäfer
oder füdrdräj^or, an das marienwürmchen , das hargotsöndh] meiner
heimat, an die pimpernelle, die blaue jölke, Mariae bettstroh und so
vieles andere. Knüpft sich aber ein aberglaube an tier oder pflanze,
so gibt es gelegenheit zur besprechung, denn es steht mit wetter und
krankheit, mit glück und Unglück in beziehung. Das volk hat nicht
das Interesse des botanikers oder entomologen am naturleben, das volk
spricht nur über dinge, die ihm nutzen oder schaden bringen, an
ÜBER DEUTSCHE PIALECTFORSCHUNG 469
denen es lust oder leid hat. Wenn das volk bei uns eine kallaart
paopmJcindr nent wegen ihrer versteckten samen, so ist meines Wis-
sens die freude an der komischen parallele mit den pfaffenkindern frü-
herer Zeiten die einzige veranlassung 7Air benennung gewesen. Die
komische tatsache fordert zur mitteilung und zur namengebung anf.
Somit dürfen wir sagen, nur die erfahrungen des menschen
erhalten besondere sprachliche benenniingen , welche gegenständ des
gesprächs werden.
Nach diesem gesichtspunkte regelt sich nun der einfluss der durch
den Schulunterricht und den verkehr mit den höheren Volksschichten
erweiterten kentnis auf den Sprachschatz. Benant werden nur die
neuen erfahrungen, die eine bestirnte beziehung zum Volksleben gewin-
nen, die landwirthschaftliche maschine, welche der bauer angeschafft
hat, behält bei ihm ihren handelsnamen, der arbeiter, der sich über
sie lustig macht, erfindet für sie einen Spottnamen. Neue Verhältnisse,
wie der militairdienst, die eine Wichtigkeit für das volk haben, wer-
den vielfach mit ihrem neuen namen benant, der militairdienst heisst
in meiner heimat dinst, das verb dazu dinn, beim kartenspiele hedint
man , aber der knecht und die magd dainf.
Für den dialectforscher ergibt sich aus dieser betrachtung die for-
derung, zu untersuchen: welche sachlichen uüancen werden
vom volksdialecte sprachlich benant und unterschieden.^
Verfolgte also die spräche das ziel möglichster distinction und
praecision in der bezeichnung der für die mitteilung geigneten und
bestirnten gegenstände, so muss der Sprachschatz je nachdem umfange
des gebietes wachsen, das zur mitteilung gewählt wird. Der umfang
des zur mitteilung bestirnten vorstellungsgebietes ist in der Schrift-
sprache um so viel grösser, wie die weltgrenzeu ausgedehnter sind als
irgend ein eng begrenzter localdialect. — Eine Statistik des volkstüm-
lichen Wortschatzes seinen sachlichen nüancen nach würde die untrüg-
lichste Statistik des geistigen horizontes des deutschen bauern ergeben,
die sonderung der aus der Schriftsprache eingedrungenen Worte eine
Übersicht über den bildenden einfluss der höheren culturelemente auf
das volk.
Wir hatten oben geschieden zwischen werten, die der gebildete
im kosenden und tändelnden verkehr mit dem kinde gebraucht und dem
eigentlich schriftgemässen ausdrucke. Nante der gebildete die wiege
tociboi, so ist deutlich das ihn beim gebrauch beherschende streben
nicht ein streben nach blosser distinction, wlj^d oder nd. tvaij^a würde
1) Vgl. hierzu Vf. in den Magdeburger geschichtsblättern 1878 s. 416 fgg.
470 WEGENEÄ
zur Unterscheidung ebenso brauchbar sein als hodboK Gebrauchen wir
in der Schriftsprache neben einander gesteht, angesicht, antlitz, so
scheint das ein luxus zu sein , etwas sachlich verschiedenes wird mit
den verschiedenen ausdrücken nicht bezeichnet. Und doch ist ein
unterschied, derselbe unterschied als zwischen fraUj gattin, gemahlin.
Die differenz liegt nicht in der sache selbst, sondern in der Stellung
des sprechenden dem genanten objecto oder der angeredeten person
gegenüber. Die nüance ist also eine psychologische. Der grund
dieser nüancierung liegt in der Stimmung des sprechenden seinem gegen-
stände oder der angeredeten person gegenüber und richtet sich somit
unter umständen wider nach dem beabsichtigten eindrucke , den die
Worte auf die angeredete person hervorbringen sollen. Diese Stimmun-
gen liegen 1) in der scala von der freude zum schmerze, 2) in der
scala vom komischen zum erhabenen. Wie die tonmittel der stimme
eine grosse reihe von nüancen in den beiden genanten Scalen zu unter-
scheiden vermögen, so bildet sich für die einzelnen stimmungsnüanceu
auch ein besonderer wortvorrat. Dieser verrat ist wider abhängig von
der gelegenheit die verschiedenen stimmungsnüanceu zum ausdrucke zu
bringen.
Beim gespräche über kornpreise , miswachs , mein und dein hat
der landmann wol gelegenheit im zorne herauszuplatzen, oder ein-
schmeichelnd zu loben, wegwerfend zu tadeln, wol aber kaum, einen
edleren oder pathetischen ausdruck zu wählen. Auch bei der vermah-
nung der kinder, bei der hausandacht, wo sie im bauernhause noch
vorkomt , wird das pathetische durchaus fern liegen , doch ist ein grös-
serer ernst geboten. Sizt die junge weit tändelnd und liebelnd in der
spinnstube oder auf der dorfstrasse zusammen, da bietet sich gelegen-
heit zum kosewort, zu scherz und Übermut. Werden an der ofenbank
geschichten erzählt aus der Franzosenzeit oder mährchen und sagen
aus alten tagen oder eine lustige anecdote, da ist die Stimmung dem
staube des gewöhnlichen altagslebens entrückt, und auch der sprach-
liche ausdruck wird sich der Stimmung anschmiegen. Also an gele-
genheit zur sprachlichen nüancierung nach der psychologischen Stim-
mung fehlt es auch dem landvolke nicht; aber vergleicht man 1) die
feinheit der nüancierung, die das moderne eulturleben auf ethischem
gebiete wie im genusse geschaffen hat, 2) die massenhafte gelegenheit
des gebildeten, im salon, auf der kanzel, der tribüne und vor allem
in der litteratur die Seelenstimmungen zu nuancieren, so wird man
sich ein bild machen können, wie verschieden der hierauf basierende
umfang des Wortschatzes im volksdialecte und in der Schriftsprache aus-
fallen muss.
ÜBER DEUTSCHE DIALKCTFORSCHÜNG 471
Es war gesagt, der sprechende suche auch deu hörer unter
umständen in die Stimmung zu versetzen, in der er sich befindet oder
in der er sich befunden hat. Dieses bestreben würde man als einen
künstlerischen zug zu bezeichnen haben. Die sprachliche ausbildung
desselben geschieht wesentlich durch rhetorik und poesie. Bei aller
Verschiedenheit der sprachlichen mittel zum ausdruck einer solchen
Stimmung lässt sich als der algemeine und durchgehende zug der
bezeichnen , durch anschauliche darstellung die für die Stimmung bedeu-
tungsvollen Seiten des gegenständes oder Vorganges in charakteristi-
schen färben zum ausdruck zu bringen. Der gewöhnliche mann erzählt
die höchst ergötzliche tatsache einer prügelei mit lachendem munde,
der darsteller wünscht bei seinen zuhörern das gefühl des komischen,
das ihn selbst beherscht, zu erregen, er wird versuchen, ein möglichst
anschauliches bild von dem kämpfe zu geben und gerade die komischen
Seiten desselben hervortreten lassen. Er wird darstellen, wie eine ohr-
feige nur so „knallte," wie die „ro^e suppe" nur so „runter stürzte" wie
der sich ^/im kotJie tvälzte," der „ wie ein schlosslmnd heulte^' u. s. f. —
Zu dieser anschaulichkeit genügt vielfach nicht der einfache correcte
ausdruck für die sache oder handlung, man greift daher zum bilde,
das blut ist die rote suppe, der getroffene heult wie ein schlosslmnd,
oder als oh er am spiesse stäke. — Eine reihe von Wörtern sind so
abgeblasst, dass wir eine sinnlicb farbige anschauung nicht mehr mit
ihnen verbinden, die spräche greift daher nach neuen werten, denen
vermöge ihres bildlichen gebrauches eine reihe sinnlicher Vorstellungen
anhaftet. Das künstlerische bestreben ist einer der vornehmsten fac-
toren, der zur neubildung treibt, der an stelle von nase gurke, statt
Caput testa (tete), statt schlagen hatjsen, knuffen, pelzen, und wie die
reiche mannigfaltigkeit der ausdrücke für diese beliebte Volksbelustigung
heissen mag, sezt.
Der künstlerische trieb ist in der Volkssprache eben so kräftig
als in der Schriftsprache , nur muss er wider den oben genanten beschrän-
kungen unterstehn , die Stimmungen , welche erregt werden sollen , sind
primitiver, weniger nuanciert im volksieben, die edleren und patheti-
schen Stimmungen, wie sie ein redner oder dichter erweckt, fehlen
dem Volke ganz. Aber die Volkssprache bat mindestens ein ebenso
ausgeprägtes gefühl für das verblassen eines wertes, dessen etymolo-
gisches gepräge abgegriffen ist, wie das bild einer münze, — ein
gefühl, das notwendig zum ersatz durch sinnlich lebendigere worte treibt.
Die beiden grossen Strömungen in der Sprachgeschichte, das abschlei-
fen der bedeutung und der widerersatz durch ein farbig lebensfrisches
bild treten in der Volkssprache mit gleicher stärke auf wie in der
472 WEGENER
spräche des gebildeten. Ja man darf sagen, die Volkssprache reagiert
kräftiger gegen ein abgestorbenes wort, sie stösst das tote glied ab.
Die Schriftsprache hat zu vielfach die aufgäbe, das abstrakte erkennen
zu vermitteln, als dass sie der abgegriffenen münzen entbehren könte,
gerade diese sind für das höhere erkentnisgebiet so wichtige communi-
cationsmittel , dass die fähigkeit der Schriftsprache, über alle nur mög-
lichen erkentnisgebiete zu sprechen, wesentlich von der menge jener
farblosen worte bedingt ist. Man denke an ausdrücke wie Verhältnis,
inhalt, gegenständ, mittel, swech, folge u. s. f., der vielen abgeblassten
fremdworte zu geschweigen. — So versteht man erst, welche Schwie-
rigkeiten sich dem Cicero in den weg stelten , als er aus einer eben
erst den kinderschuhen entwachsenden Volkssprache eine für das weite
rhetorische und philosophische gebiet verwendbare Schriftsprache zu
schaffen versuchte. Sagte er mtes quasi cognatione quadam inter se
continentur, so stand ihm bei cognatio die störende Vorstellung von
gehurt vor der seele, ein quasi und quadam soll alle störenden neben-
vorstellungen beseitigen. Dem dichter dagegen sind jene farblosen
ausdrücke wider sehr im wege, er greift in die anschauliche sinnen-
weit, den blassen gedanken kleidet er in das lebensgrüue bild, darum
gehört ihm die sinnlich kräftige periode vor der entvvicklung der Schrift-
sprache.
Wir dürfen wol sagen, eine Untersuchung dieser sprachverhält-
nisse im einzelnen wird ein bild geben von dem inneren künstlerischen
schaffen des Volkes , von seinem gesamten geistigen denken und fühlen.
Hierauf geht unser verschlag :
Wünschenswert erscheint eine stilistische Zusammen-
stellung:
a) Abstractes und concretes.
ß) Auf welchen gebieten finden sich nüancierungen der
Vorstellungen:
aa) nach sachlichen differenzeu der Vorstellungen
selbst,
ßß) nach psychologischen differenzeu, wobei beson-
ders die nüancen für edle, alltägliche, kosende
und komische rede ins äuge zu fassen sind.
Die Zusammenstellungen sind nach sachlichen katego-
rien in der angedeuteten weise vorzunehmen.
Die geistige Isolierung und bescliränkung der Volkssprache hat
noch weitere tiefgehende folgen für die Volkssprache gehabt. Vergegen-
wärtigen wir uns, auf welche Schwierigkeiten die altdeutsche spräche
ÜBER DEUTSCHE DIA.LECTFORSCHÜNG
473
bei der nachahumng des lateinischen satz- und periodenbaus gestossen
ist, wie wenig sie im stände war, die logische Unterordnung der sätze
unter einander dem lateinischen nachzubilden , so verstehen wir , welche
arbeit nötig war, um die mittel der vielfachen zeitlichen und logischen
Verknüpfungen im nebensatze zu gewinnen. Die nebensätze sind ja
sämtlich, me die etymologie beweist, aus hauptsätzen hervorgegangen.
Ein beispiel statt vieler, deutsch liivanta, ivande ;= denn, weil ist
ursprünglich wie latein. qiiando tvann? — Der wortstamm war ursprüng-
lich interrogativ, also: es ist nass , ivann? — Antwort: Es regnet.
Erst almählich fliessen frage und antwort in einen satz zusammen,
nachdem das etymologische gepräge von quando undeutlich geworden
ist. Durch weiteres verblassen muste sich aus dem conditionalen sinne
wann, tvenn der causale tveil entwickeln. Ebenso lateinisch qiii2)pe,
dessen bedeutung ivanim quippini = ivarum nicht sicher stelt, quia
iveil, quianam = ivarum denn? Also es ist tiass, tvarum? es reg-
net.'^ — Es währte sicher eine lange zeit, ehe jene conjunctionen zu
der farblosen, rein logischen bedeutung von heute herabsanken.
Das bedürfnis zur Unterordnung stelte sich in den indogermani-
schen sprachen erst verhältnismässig spät heraus , als man fühlte , dass
ein lockeres paratactisches aneinanderreihen zu mancherlei Zweideutig-
keiten und misverständnissen führte. Die frage der persou, mit der
man sprach, nach dem zusammenhange der gedanken, führte zunächst
zur antwort; dann nahm man der angeredeten person die als möglich
vorausgesehene frage vorweg und fügte die antwort unmittelbar an, dies
muss der weg im lateinischen und zum teil auch im deutschen und
griechischen gewesen sein.
Je schwieriger die gedankenverbindungen werden, um so schär-
fere sprachliche mittel werden nötig diese Verbindung anzudeuten. Je
abstracter das denken, um so schwieriger die Verknüpfungen. — An
der wissenschaftlichen spräche der beweisführung vor allem lernt die
spräche die logische Verbindung, besonders die Unterordnung.
Der Volkssprache fehlt in ihrer Isolierung fast ganz die gelegen-
heit zur logischen deduction, und der gemeine mann zeigt wenig nei-
gung, den logischen Zusammenhang scharf ins äuge zu fassen und zum
ausdruck zu bringen. Die entwicklung des nebensatzes ist daher in den
volksdialecten sehr weit zurück, sie stehen also auf einer älteren stufe
als die Schriftsprache. Daher leuchtet der gewinn unmittelbar ein, den
die Sprachgeschichte aus einer genauen beobachtung der sprachlichen
mittel für die logische gedankenverbindung in den dialecten ziehen muss.
1) Vgl. Vf.: Der Lateinische Kelativsatz, Treptower Osterprogramm 1874-
474 WEGENER
Ähnlich steht es mit tempus-, modus- und casus - Verhältnissen,
die ja sämtlich dazu dienen, die localen, temporalen und logischen
beziehungen der Vorstellungen untereinander zu vermitteln. Die Ver-
armung auf diesem gebiete gibt auf der einen seite ein bild von der
geistigen trägheit des denkens , oder wenigstens von der bequemlichkeit
des Volkes , die es dem hörenden einfach überlässt , die betreffende bezie-
hung selbst zu finden. Auf der anderen seite jedoch , wo ein ersatz
für den Verlust geschaffen wird, tritt uns das oben gekenzeichnete bestre-
ben deutlich entgegen, die ihrer form und fuuction nach unkentlich
gewordenen Wörter durch sinnlich lebendigere Sprachmittel wie präposi-
tioneu und hilfszeitwörter zu ersetzen. Der neue ersatz beweist das
bedürfnis des Volkes , sich klarer und schärfer auszudrücken , ein bedürf-
nis, das mit der Schwierigkeit des mitzuteilenden vorstellungsmaterials
wächst. — Es ist charakteristisch, dass gerade auf diesem gebiete in
der entwicklung der indogermanischen sprachen perioden der Verar-
mung mit Perioden des widerersatzes der verbalformen wechseln. Für
die psychologischen gründe dieser erscheinung können uns gerade die
dialecte viele bedeutungsvolle winke und aufschlüsse geben.
These: Wünschenswert sind syntactische beobach-
tungen:
a) im einfachen satze, besonders über casus und tem-
p 0 r a ,
ß) im zusammengesezten satze, besonders über die
fähigkeit der Unterordnung der sätze und ihren
resp. ersatz, über modi und ihre Umschreibung.
Die zulezt besprochenen punkte haben wir als wünschenswert
bezeichnet, da das nächste wissenschaftliche bedürfnis allerdings die
behandlung der laut- und flexionslehre verlangt. Doch ist zu hoffen,
dass die zeit nicht mehr fern ist, wo die Sprachwissenschaft sich auch
der erforschung der Semasiologie, der syntax und der Stilistik zuwen-
det. — Da auch die von uns vorgeschlagene umfassendere behandlung
des dialectmaterials einen überschuss an werten lassen wird , die sich
einer sicheren etymologischen erkentnis entziehen , und da wir die hoff-
nung nicht aufgeben dürfen, dass die fortschritte der Sprachwissen-
schaft auch diese rätsei einmal lösen wird , so haben wir den verschlag
gemacht, diese dunkeln werte einfach in einem lexicalischen
anhange der grammatik anzufügen.
ÜBÜR UKU'ISCHü DIALECTFOKSCUUNG 475
III.
Das gebiet.
Gerade die bekautesteii dialectgrammatiken umspannen ein weites
gebiet, so Weinholds alemannische und bairische, Nergers mecklen-
burgische, Jellinghausens westphälische grammatik. Je weiter die gren-
zen der arbeit gesteckt werden, um so massenhafter häuft sich das
material, um so schwerer ist hier eine volstäudigkeit zu erzielen, um
so weniger gelingt eine wirklich correcte lautphysiologische bestimmung
der dialectlaute. Die genanten grammatiken leiden daher alle an unge-
nauigkeit und unvolständigkeit , wir müssen dem gegenüber Wintelers
weiser Selbstbeschränkung rühmend gedenken, dieser gibt im wesent-
lichen nur die grammatik seines heimatsortes. Denn welche Schwie-
rigkeiten sich dem Sprachforscher entgegenstellen, wenn er ein frem-
des idiom nach den oben angeführten gesichtspunkten darstellen will,
Avird nur der voll würdigen können, der selbst versuche auf diesem
fehle gemacht hat. Nur langer und fortgesezter beobachtung und einem
fein ausgebildeten obre gelingt es , an der eigenen spräche artikulation
und accent genau zu bestimmen; steht man einem fremden idionie
gegenüber , so machen sich zwar schnell einzelne abweichungeu bemerk-
bar, die sich einer genaueren bestimmung nicht entziehen, aber die
differenz in der gesamtstellung der Organe, die stärke der exspiration
und muskeltätigkeit zu fixieren, gelingt erst dem, der im stände ist,
das fremde idiom genau nachzubilden. Derartige beobachtungeu für
ein weites gebiet wie Baiern oder Mecklenburg anzustellen, ist einem
einzelnen eben nicht möglich. Die volle lösung der von uns gestelten
aufgäbe gelingt nur für den heimatsdialect. Die ideale forderung- würde
somit die sein , dass für jeden einzelnen ort deutscher zunge eine beson-
dere grammatik gearbeitet würde. Ein derartiger wünsch wäre nicht
realisierbar, und die Verhältnisse liegen doch so, dass zwar jeder ort
seine sprachlichen besonderheiten aufzuweisen haben wird, besonderhei-
ten, welche das nachbardorf meist sehr genau anzugeben weiss , dass
sich jedoch nach lautbildung , ausspräche und betonung stets eine gruppe
von dorfschaften zu einem grösseren ganzen zusammenschliessen. Oft
sind es natürliche grenzen, welche diese gemeinsamen sprachgruppen
einschliessen , nicht blos das gebirge, auch der fluss, ja oft schon ein
bach, ein sumpf, ein wald scheiden solche dialectgruppen von einan-
der. Auch politische grenzen oder jezt längst gefallene natürliche
Scheidelinien trennen die dialecte. Da hat nun der einzelne dialectfor-
scher die aufgäbe, an der band der heimatlichen geschichte uud geo-
graphie die mundartlichen gruppen seiner heimat aufzusuchen und sich
476 WEQENER
der charakteristischen unterschiede scharf bewust zu werden. Sind die
abweichungen der dialectgruppen nicht principieller art, hat hier das
Hochdeutsche oder ein nachbardialect stärkeren einfluss gewonnen als
dort, sind hier reste alter bildungeu geblieben, welche die nachbar-
gruppe aufgegeben hat , so fasse man diese gruppen zu einer dialect-
landschaft zusammen. So hat in meiner heimat eine gruppe von dorf-
schaften die alten pluralformen des indicativ praes. auf t beibehalten,
die nachbargruppe hat sie in die auf -n gewandelt , dieselbe gruppe hat
p, % auch nach i und e bewahrt, das s ist auch vor w, m, n rein
erhalten, der ei-laut ist ein äi u. s. f.: das sind zum teil principielle
abweichungen, zum teil differenzen, die nur auf verschiedener Wider-
standskraft der Schriftsprache gegenüber beruhn. Als mundartliche
gruppen sind die verschiedenen dorfschaften auseinanderzuhalten, aber
es bieten sich in der gesamten ausspräche auch wider so übereinstim-
mende tatsachen, dass man gut tut, dergleichen bezirke nicht ausein-
anderzureissen.
Doch algemeine gesichtspunkte für die auswahl eines dialectgebie-
tes lassen sich nicht wol aufstellen , die abgrenzung bleibt der genauen
kentnis der speciellen Verhältnisse und dem takt des darstellenden über-
lassen. Differenzen jedoch werden in jeder grammatik zur darstellung
kommen müssen, und für eine übersichtliche gruppierung des abwei-
chenden materials erlaube ich mir noch folgendes hinzuzufügen. Die
differenzen in der ausspräche müssen im lautphysiologischen teile bei
jedem einzelnen laute angegeben werden. Bei der darstellung der laut-
gesetze ist scharf zwischen den eigentümlichkeiten der einzelnen grup-
pen und Ortschaften zu sondern; habe ich z. b. die dialectlandschaft in
vier bezirke geteilt (wie es für meine heimat, den Nordthüringgau
geboten erscheint), so habe ich zu sagen: „altgerm. ö ist au in 1 — 4,
vgl. über die ausspräche den lautphysiologischen teil unter au; der
umlaut des au ist oi 2 — 4, äi 1. Der vor mehrfacher consonanz ver-
kürzte Umlaut des alten o ist ö 2 — 4, ä 1: röpst räpsf."
Wie schon oben gesagt, lässt sich an der lebenden spräche die
fortschreitende Umwandlung eines dialects durch Schriftsprache und
nachbardialecte beobachten ; die älteren leute meiner heimat z. b. spre-
chen lud, die jüngere geueration einen laut mit geringerer lippenrun-
dung, der zwischen ü und i steht, die spräche ist zweifellos auf dem
wege zu einem hellen i und e statt ü und ö. Ähnlich steht es mit
den schon genanten pluralformen des indic. praes. auf f, sd jewot, S9
daut, die in vielen Ortschaften nur noch von den alten gebraucht wer-
den, während die jungen leute die hchd. bildung auf -n verwenden.
Im Drömling und in Braunschweig hörte ich von der alten und mitt-
ÜBER DEUTSCHE DIALECTPORSCHÜNG 477
leren generation sal (debeo) , die kinder gebrauchten daneben schon fal
und fol. — So hat der dialectforscher auch auf die altersunterschiede
rücksicht zu nehmen. Dass die verschiedenen stände verschieden beein-
llusst Averdeu , zeigte ich oben. Ja selbst bei den geschlechtern finden
sich difterenzen: im fischerdorfe Treptower - Deep an der hinterpommer-
schen Ostseeküste hörte ich die schiffer im wesentlichen das aus Ham-
burg bekante platt reden, mit nur geringen abweichungen in der laut-
bildung, die frauen aber sprachen eine wesentlich verschiedene mund-
art , sie hatten tonloses s im anlaut , ebenso q statt j , statt altschs. e
sprachen sie äi. Die mäuner fahren sämtlich jähre lang auf schüfen
als matrosen und nehmen die schifferkoiue an.
Ich glaube nach diesen kurzen andeutungeu die folgenden thesen
aufstellen zu können:
These: Jede grammatik behandelt einen kleineren histo-
risch und kulturhistorisch seit alter zeit zusammengehö-
rigen bezirk.
a) Die grundlage bildet der heimatsort des Verfassers.
b) Die behandelte landschaft ist in ihre dialectsprengel
zu zerlegen, mit genauer angäbe aller zu einem dia-
lectsprengel gehörigen Ortschaften.
c) Die dialectgrenzen sind möglichst durch natürliche
oder historisch-politische grenzen zu bestimmen.
d) Die gesichtspunkte bei der abgrenzung sind die diffe-
renzen in den lautgesetzen, in der gesamtlage der
Sprachwerkzeuge und dem accente.
e) Die Verschiedenheit in der behandlung der aualogie
der beeinflussuug des dialects durch die Schrift-
sprache, resp. die nachbardialecte ist kein grund zur
Scheidung in verschiedene dialectsprengel. Sie wird
an betreffender stelle vermerkt.
f) Die abgrenzung des dialects von seinen nachbardialec-
ten und in seine dialectsprengel geschieht in der ein-
leitung, oder in einer am Schlüsse folgenden zusam-
menhängenden abhandlung. Hier sind auch die ver-
schiedenen Sprengel mit bequemen namen zu benen-
nen, nach denen sie im texte der grammatik ange-
führt werden.
Würde es gelingen, nach den angeführten gesichtspunkten von
allen teilen Deutschlands dialectgrammatiken zu erhalten, so würde
es einer eingehenden methodischen Sprachforschung auch sicher gelin-
478 WEGENER
geu , die alten stammesgrenzeu der deutschen vorzeit wider aufzufinden,
aber es stellen sich erhebliche Schwierigkeiten der ausfährung eines
solchen Unternehmens entgegen. Es sind vor allem zwei punkte, die
hindernd der mundartlichen forschung in den weg treten: 1) die Schwie-
rigkeit der materialsamlung , 2) die Schwierigkeit der Verwertung des-
selben.
Die samlung für den lautphysiologischen teil und die behandlung
des accentes kann niemand dem dialectforscher abnehmen, der nicht
selbst grammatisch und lautphysiologisch gebildet ist. Mechanische
mittel zur genauen photographischen widergabe der laute fehlen, —
da muss der forscher selbst hören und nachzusprechen suchen, bis ihm
die fixierung gelingt. Anders steht es mit der samlung der werte und
formen, da kann auch der laie viel helfen, wenn er richtig angeleitet
wird; schreibt mir der laie aus irgend einem dorfe, dessen lautbildung
mir bekant ist, „mis heisst hier üs /' so weiss ich welcher ü- und
welcher s-laut gemeint ist, die tatsache ist somit wissenschaftlich ver-
wertbar. Dasselbe gilt vom syntaktischen, stilistischen und semasiolo-
gischen material. Einem einzelnen manne zuzumuten, dass er 50 und
mehr dörfer uuter umständen durchwandert und hier nach den ange-
gebenen gesichtspunkten ermittlungen anstelt, ist nicht möglich, und
schliesslich würde die samlung doch nur unzureichendes material
ergeben.
Ohne frage müssen hier viele bände helfen , und es ist kein neuer
weg , den wir vorschalgen , wenn wir die ausarbeitung von fragebogen
empfehlen. Möglichst für jeden dialect müsten bogen aufgestelt wer-
den, auf denen 1) hochdeutsche Wörter zur Umsetzung in die mund-
artliche form gegeben wären, 2) müsten die kategorien genant sein,
nach denen werte gesammelt werden selten, jedesmal mit der stilisti-
schen einteilung in gewöhnliche Verkehrssprache, kosende rede, scherz-
rede und rede höheren stils, wie sie sich in der erzählung gibt, mit
angäbe der gleichnisse und bilder, also des sämtlichen künstlerischen
materials. Ähnlich für die syntaktischen Verhältnisse.
Soll der einzelne dialectforsclier die fragebogen ausschicken, so
stösst man auf eine doppelte Schwierigkeit, druck und porti verur-
sachen kosten, denen sich der mit Selbstaufopferung arbeitende dialect-
forscher in seltenen fällen unterziehen kann, und wendet er die kosten
auf, so darf er nur von denen beantwortung seiner fragen erwarten,
denen er persönlich bekant ist, oder die ein ähnliches interesse an der
Sache haben als er selbst. An eine volständige samlung des materials
ist daher unter diesen umständen nicht zu denken. Anders, wenn eine
behörde die bogen der beantwortung ihrer untergebenen beamten
ÜBER DEtTTSC'HE DIALECTFORSCHDNG 479
empfiehlt. Geeignet für die beautwoitung auf dem lande sind in der
regel nur die geistlichen, lehrer und postbeamten, die auch den Vor-
zug haben, in stetem verkehr mit dem landmaune ihm seine spräche
abhören zai können. Unser verschlag geht darum dahin, den reichs-
kanzler zu bitton, aus reichsmitteln den druck und die Ver-
breitung der fragebogen zu bestreiten und die behörden
veranlassen zu wollen, die beantwortung den ihnen unter-
stelteu beamten zu empfehlen. Es würde hiermit ein statistisches
material von der höchsten Wichtigkeit geschaffen werden , ein material,
das sich getrost allen ermittlungen des statistischen anites zur seite
stellen dürfte. Mein persönlicher Vorschlag würde dahin gehn, dem
reichskanzler vorzuschlagen, im statistischen amte eine ab-
teilung für ermittlung der dialectverhältnisse zu gründen.
Selbstverständlich müste sachverständigen die ausarbeitung der bogen,
die Sichtung des gesamten materials und deren Verwaltung übertragen
werden. Au das statistische amt hätte sich dann der betreffende zu wen-
den, der die ausarbeitung der grammatik seines heimatsdialectes zu
übernehmen wünschte. Es müste der reichskanzler weiter gebeten wer-
den, die bogen zur beantwortung über sämtliche landschaften deut-
scher zunge durch diplomatische Vermittlung zu verbreiten.
Eine andere Schwierigkeit der dialectforschung liegt in der
benutzung des schon gedruckten dialectmaterials wie der belletristischen
mundartlichen dichtuug. Diese publicationen sind derart verstreut und
schwer zugänglich , — selbst auf den reichsten bibliotheken fragt man ver-
gebens darum an, — dass dem dialectforscher meist nur der eine weg
bleibt, dergleichen erscheinuugeu zu kaufen, Herr dr. Winteler macht
mich brieflich mit recht auf diesen mangel aufmerksam, er empfiehlt
die gründung einer deutschen dialectbibliothek , die mit dem durch
fragebogen gesammelten material zu vereinigen wäre. Die dialectlitte-
ratur müste in mehreren exemplaren angeschafft und dem forscher
leicht zugänglich gemacht v/erden. Der verschlag scheint mir sehr
empfehlenswert, und ich würde auch hierfür eine Vereinigung mit dem
statischen amte in verschlag bringen. Eine ständige abteilung im sta-
tististischen amte hätte die weitere aufgäbe von etwa 10 zu 10 jähren
ihre fragen zu erneuen und die in dieser zeit eingetretenen Verände-
rungen festzustellen, ebenso lücken einer früheren beantwortung durch
neues material zu ergänzen.
Eine weitere Schwierigkeit für den dialectforscher ist der vorlag
seiner mühsam geförderten arbeit; die handvoll germanisten, welche
die Verwertung des dialectmaterials für wissenschaftlich notwendig hal-
ten, lassen sich vielleicht zählen, der vertrieb der grammatiken wird
480 WEGENER, ÜBER DEUTSCHE DIÄLECTFORSCHUNG
somit nur in einem engen kreise möglich sein. Ein weiterer Vorschlag
ist daher den reichskanzler zu bitten, das buchhändlerische
unternehmen aus reichsmitteln unterstützen zu wollen.
Ehe die germanistische section der philologenversamlung , welche
ein warmes Interesse für die sache in Trier an den tag gelegt hat,
den plan dem reichskanzler vorlegen kann, hält sie es für geboten,
dass eine anzahl von germanisten zusammentreten , welche die ausarbei-
tung der grammatik ihrer heimatsmundart übernehmen, damit dem
reichskanzler bestimmte und greifbare vorschlage über die mitarbeiter
und die kosten des Unternehmens gemacht werden können. Verfasser
richtet daher an alle freunde der wissenschaftlichen dialectforschung
die bitte, das unternehmen unterstützen und fördern zu wollen, damit
das werk deutscher dialectforschung nicht zurückgehe , sondern zur wis-
senschaftlichen ausbildung heranreife. Und wollen wir hoffen, dass
ein unternehmen, das sich zur aufgäbe macht, die wichtigsten stücke
deutscher spräche der Wissenschaft und der geschichte zu retten, ein
werk, das im höchsten und idealsten sinne als eine nationale tat gel-
ten darf, — von dem grossen kanzler, dem die deutsche nation so
unendlich viel für erstarkung und einigung dankt, nicht im stiche
gelassen wird. Wollen wir hoffen, dass das gestein, aus dem die
bausteine zur deutschen Schriftsprache gebrochen sind, das da verwit-
tert und vergeht unter den strahlen der gewaltigen tochter, nicht ver-
achtet am wege verkomt, sondern wie andere reste der deutschen Vor-
zeit, wie die marmorsäulen Italiens, die Torsos griechischer kunst
gesammelt und sorgsam der geschichte und dem bewustsein des deut-
schen Volkes gerettet wird, — denkmäler der individuellen gestaltung
der deutschen stamme , denkmäler der entwicklungsgeschichte des deut-
schen Volksgeistes, denkmäler der langen trennung deutscher nation,
deren sehnen und trachten nach einheit endlich ihrer Verwirklichung
nahe geführt ist.
MAGDEBURG, IM OCTOBER 1879. PH. WEGENER.
DIE LOBRISER HANDSCHRIFT VON HEINRICH
MINSINGER.
Auf der reiclisgräflich Nostizischen bibliothek zu Lobris bei Jauer,
über welche ich bereits in Petzolts anzeiger 1875 berichtet habe,
befindet sich auch eine handschrift von Mynsyngers buch über die fal-
cken, habichte, pferde und liunde, Avelches Hassler nach einer andern
MEISNER, LOBRISER HS. VON MYNSINGER 481
liaiidscluift 1863 für den Stuttgarter litterarischen verein herausgege-
ben hat. Da zwischen dieser und der von mir gefundenen einige ver-
scliiedenheiten sich ergeben , so ist eine nachricht von der lezteren
vielleicht wilkommen.
Von den 116 quartblätteru derselben haben die ersten 23 — 24,
die lezten 30 — 32 Zeilen auf jeder seite ; die schriftzüge gehören noch
dem 15. Jahrhundert an. — Mynsingers werk scheint, wie es auch
in hinsieht auf den stoff begreiflich ist, mehr Verbreitung gehabt zu
haben, als Hassler ihm beimisst. Wenigstens sind mir einige sowol
handschriftliche als auch gedruckte werke bekant, die ähnlichen stoff
behandeln. Die quelle aller ist nicht, wie Hassler anuinit, der tractat
des Albertus Magnus de falconibus, sondern das tierbuch des Albertus
selbst, aus dessen 23. buche der oben angeführte tractat entnom-
men ist.
Die von Hassler edierte handschrii't gibt an, dass das werk auf
befehl des grafen Ludwig von Würtemberg verfasst sei, daraus und aus
der erwähnung Waiblingens, welches nach der teilung von 1442 nicht
mehr Ludwig sondern dem grafen Ulrich von Würtemberg zugehörte,
schliesst der herausgeber, dass es um diese zeit und jedenfals vor 1450
verfasst sei, da Ludwig in diesem jähre starb. Die Lobriser handschrift
nent an stelle des grafen Ludwig den grafeu Ulrich , so dass hiernach
die Vermutung nahe liegt, dass das werk nach 1442, als Ulrich Waib-
lingen vertragsmässig erhielt und daselbst also seinen aufenthalt neh-
men konte, geschrieben ist. Da Ulrich erst 1480 starb, so würde die
entstehung von Mynsingers werk unserer handschrift nach in die zeit
von 1442 — 80 7A1 setzen sein.
Schliesslich lasse ich noch den anfang und den schluss der Lobriser
handschrift und einige geringe abweichungen innerhalb derselben zur
vergleichung folgen.
Hie hebt sich an das hüch von den falcken , hebchen, sperhern,
Pferden vnd hundeu.
Hochgehorner, gnediger lieher her. alfs üwer gnad , die von ange-
porner arte mo adelichen dingen vnd zu allem dieni, das den adel
gesyren tnag, fürtreffenllchen genayget i^t, zu den zyten, alfs ich zu
dem letssten zu Wayblingen hy den selben üivern gnaden gewesen bin,
Mir gehotten hat zu tütschen vnd in tutsch zu schrihen solichs alfs die
philosophi vnd mayster von der natiire der falcken , der hehch , der sper-
1) Bibliothek des litterarisclien vereius in Stuttgart. LXXI. Heinrich Myn-
singer von den falken, pferden und hunden, lirrausgegebcn von dr. K. D. Hassler
Stuttgart 1863.
ZEITSCHR. F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. «D. XI. 31
482 MEISNER, LOBRISER HS. VON MTNSINGER
her, der hunde. vnd darsü ouch der pferde in latin geschriben hant,
vnd da mit ouch was sye von den seihen jrn nature geschriben hant,
alfs die ietzü jn Jr gehresten vnd gesuchten gefallen ist, wie man die
mit ertzny zu gesunthajt wjderhringen soll: also gnediger, lieber her,
nach dem vnd es billich ist, das ich nach allem minem vermügen den-
selben üwern gnaden in dem vnd in andern Sachen yestu vnd zu allen
syten gehorsam vnd willig sy , so han ich hye in diesem buch nach
begrifflichayt miner sinn vnd nach vermügunge miner vernunfft mitt
der hilff gotes volbracht solichs , dafs mir üwer gnade also in den obge-
schriben stucken zu tünd geboften hant , mit solicher Ordnung vnd wyse,
das ich das buch in vier tajl getajlet han
Der schluss lautet:
. . . Vnd darmit hat ouch ain ennd der tayl difs buchs vnd
damit ouch das gantze buche , das gemacht hat Majster hainrich Mün-
singer, Doctor in der ertznye dem tvolgebornen herren und grawen
Ulrichen zu Wirtemberg. — Es sind zway vnd sind doch nit zway
vnd werend die selben zway zway so iver nichs etwafs. Ach got hett
ich von jr ain salue.
Am ende des zweiten teiles des buch es (nach den habichten) steht
vom Schreiber hinzugefügt:
Hab dancli.
Drei viertel dieser seite sind leer. — Am ende des dritten teils
heisst es : ... vnd damit hat das drittail difs buchs ain end. Got
vnfs ein hayligen frid send. Laus deol lach. lieb. lach.
BERLIN. HEINRICH MEISNER.
KLEINERE MITTEILUNGEN.
Cristi l)luomeii.
Ich habe Grermania 19, 182 nachzuweisen versucht, dass unter
„Kristes bluomen" MSF 210, 37 (= Hartmann v. Aue, lieder, ed.
Haupt 11, 17) die wundmale Christi gemeint seien. Meine ansieht bestä-
tigen folgende verse:
wir cristen sulen minnen crist,
der von der megde wart geborn
und uns den blüenden rosendorn
bezeichent wol in aller stunt:
(ler an dem criuze durch uns wunt
ZINGERLE, CRISTI BLÜOMEN — FRAU HITT 483
lüort in den tot ptnliche gnuoc,
und der die röten rosen truoc
mit hitterlichen smerzen
durch uns an sinem herben,
an vüezen und an henden.
Heinrichs v. Freiberg Tristan 6860—6869.
und: — mi ruofe wir an
den vatcr des Jmnelischen suns,
das er lä vlechten sich in uns
den wären b tuenden rosendorn,
crist sinen zarten sun cinhorn.
Ebendas. 6876 fg.
2.
Frau Hitt.
Die sage von der versteinerten riesenkönigin frau Hitt, die auf
Innsbruck niederblickt, ist algemein bekant. Grimm hat dieselbe in
den Deutschen sagen I, 314 schon mitgeteilt und ich habe andere ver-
öifentlichungen in den Tiroler sagen s. 88 verzeichnet. K. E. Ebert
und G. Seidel haben die sage in verse gebracht. K. Weinhold nimt in
„ Die Riesen des germanischen Mythus " s. 63 , wie Simrock „ Hand-
buch der deutscheu Mythologie" 4. aufl. s. 409 darauf bezug, wie spä-
tere forscher auf dem gebiete der deutschen mythologie. Bislaug ist
aber meines wissens der name nie erörtert worden. Ausser unserer
frau Hitt begegnet uns ein berg Hitt im Bregenzer walde. Am fusse
desselben liegt die gemeinde Hittisau, das alte Hittisauwa. Von einer
riesensage , die sich daran knüpfte , ist mir aber nichts bekant. Den
namen Hitt finden wir wider in einer Tiroler sage, die R. v. Alpen-
burg in „Mythen und Sagen Tirols" s. 23 mitteilt, wo ein saliges
fräulein „Hitte Hatte" heisst. Diese fräulein sind aber oft in der
sage an die stelle der „Waldweiber" getreten.
Derselbe name taucht im hohen norden wieder auf Conrad Mau-
rer berichtet „Isländische Volkssageu der Gegenwart" s. 53 von einer
talriesin Hitt. Man zeigt noch ihre grabstätte „Hitargröf" und in
einer andern quelle wurde erzählt, dass sie im Hundahellir (Hunds-
höhle) gewohnt habe, welche man noch jezt im Hitard alr zeige. Er
bemerkt: „Der name Hitt bedeutet sack." Hitardair wird noch
s. 41. 51 genant und man vergleiche auch Hitardalsskotta s. 84. Vgl.
IslenzTiar pjodsögur og aefintyri sofnad hefir Jon Arnason. I, 211
und 142. anm. Das hier aufgeführte „Hitarvatni" entspricht unserni
31*
484 ZINGERLE
tirol. „ Türschenbach/' Wir haben demnach in Tirol wie in Island den
namen Hit für riesin und derselbe war ein appellativnm und mit
iötunn aufs engste verwant. (Über iöftmn und verwantes s. Grimm
Myth. 486.)
Zweifelsohne stehen damit die langobardischen eigennamen Hitta
und Hitto (C. Meyer, Sprache und Sprachdenkmäler der Langobarden
nr. 129) und mehrere der von Förstemann „Altdeutsches Namenbuch
II, 733" angeführten Ortsnamen in nächster verwantschaft.
Holapfonneii. *
J, Grimm bemerkt Myth. s. 581 von den notfeuern: „Nicht
unv^^ichtig ist es w^ahrzunehmen, dass sie im nördlichen Deutschland
auf Ostern, im südlichen auf Johannis stattfinden. Dort bezeich-
nen sie des frühjahrs eintritt, hier die mitte des sommers (Sonnen-
wende); es läuft wider auf den alten unterschied zwischen sächsischem
und fränkischem volk hinaus. Ganz Niedersachsen, Westphalen und
Niederhessen , Geldern , Holland , Friesland , Jütland , Seeland kent
0 s t e r f e u e r ; am Rhein , in Franken , Thüringen , Schw^aben , Baiern,
Ostreich, Schlesien gelten Johannisfeuer. Doch mögen einige gegen-
den beiden huldigen, z. b. Dänemark und Kärnten."
Was J. Grimm bemerkt, findet selbst auf Tirol anwendung, doch
mit dem unterschiede, dass in Südtirol meist Frühlingsfeuer, in
Nordtirol meist Johannisfeuer angezündet werden. Wir haben hierzu-
lande demnach das umgekehrte Verhältnis. Bei Innsbruck und im ünter-
innthale, auch in Ausserfern lodern zur Sommersonnenwende die Jo-
hannesfeuer. (Vgl. Sitten, Bräuche und Meinungen des Tiroler Vol-
kes. Innsbruck 1871 nr. 1353. 1354j. Im Obervinstgau , wo germani-
sierte Romanen mit alemannischem anfinge der spräche wohnen , ist
das scheibenschlageu am 24. juni, wie es ehemals im Lechthale sitte
war. (Chr. Schneller, Anton Falger und das Lechthal. Innsbruck 1877
s. 55.) Auch im Pusterthale, mit ausnähme des dekanates Innichen
werden Johannesfeuer, aber nirgends Osterfeuer angezündet. Im
Eisackthale, vom Brenner bis Bozen, fehlen derartige feuer ganz, weder
Frühlings- noch Johannesfeuer findet man dort.
Dagegen findet mau Frühlingsfeuer am sonntag Invocavit im Ober-
innthale, wo dieselben mit scheibenschlageu verbunden sind (Tirol.
Sitten nr. 1225. 1226), wie an der Eifel, in Schwaben, Baiern und in
1) So wird durchaus gesprochen, wenn aucli Holapfftnucu gesclirieben wird.
HOLAPFONNEN 485
der Schweiz. (Keiusberg - Düviugsfeld , Das festliclie jabr s. 71.) In
Vorarlberg, wo diese feuer am palmsonntage oder am ersten sonutage
der fasten vorkommen, lieisst lezterer geradezu der funken sonntag.
Die sitte, am Sonntage Invocavit feuer anzuzünden, zeigt sich
auch in der deutschen gemeinde Proveis in Nonsberg , dem schauplatze
der Eckeusage (Tirol. Sitten nr. 1227), während ähnliche feuer in
Luserna, dem äussersten vorposteu deutscher spräche im Süden, am
lezteu märz angezündet werden (Tiroler Bote v. 30. märz 1878.) Im
Burggrafenamte , in der gegend von Meran , lodern diese feuer bei jedem
hofe am ersten fastensonntage , der urkundlich dort Kassuntag (käs-
sonntag) heisst , aber im volksmunde Holapfounsonntag , denn die feuer,
die an diesem abende lohen, heissen Holapfonnen, daher der volkstüm-
liche name des tages. Die das feuer umspringende Jugend singt:
Hole]}fonn , Holepfonn !
Korn in der wann!
Schmalz in der pfonn!
Pflueg in der erd!
Schau, wie die scheiV aussirert.
Tirol. Sitt. nr. 1224.
Der name Holepfonnen für diese feuer veranlasste zu manchem
nachdenken. Herr Keinsberg-Düringsfeld bemerkt „Das festliche Jahr
s. 71": „Im Etschland müssen bei den bauern am abend krapfen auf
den tisch kommen, die in tiefen pfannen, den holepfannen,
geschmort werden." Unsere feuer führen aber nicht im Etschlande,
sondern nur bei Meran dieseu namen und haben mit „ tiefen pfannen "
gar nichts zu schaffen. Denn die krapfen, die an allen hohen fest-
abenden gebacken werden, heissen nicht Holepfannen, sondern die an
diesem tage entzündeten uotfeuer. Ebensowenig haben sie mit frau
Holle, wie derselbe Verfasser in der schrift „ Culturhistorische Studien
von Meran. Leipzig 1874 s. 29" annimt, zu schaffen, Jos. Tbaler,
der unermüdliche forscher in seiner engsten heimat, berichtet in sei-
nem aufsatze: „Können auch in Tyrol spuren vom germanischen hei-
dentume vorkommen?" Zeitschrift für deutsche Mythologie I, 286. 87
über diese feuer und wagt die deutung: „Der name Holepfann wird
wol soviel als hollunderkuchenpfaune bedeuten, da wirklich solche
kuchen in einigen orten, z. b. im Innthal, gebacken werden, und wir
hätten somit opferkuchen bei diesem fest zu suchen." Dagegen ist zu
bemerken, dass der name Holepfannen nur im Burggrafenamte vor-
komt und dass die hollunderkucheu dort gar nicht bekant sind, — und
um diese Jahreszeit zu dem unmöglichen gehören würden.
486
K. DOMANIG
Mein freund Job. Schöpf erwähnt in Frommanns zeitschr. 11, 233
der Thalerschen hypothese und sezt bei: „andere leiten hole aus alt-
sächs. Jioly, heilig ab; daher holepfann als heilige feuer- oder glut-
pfanne zu erklären wäre." Aber von einer glutpfanne kann bei diesen
im freien entzündeten und lange zeit brennenden feuern keine rede sein.
Im jähre 1863 veröifentlichte Felix Dahu in Prutzs Deutschem
Museum reisebriefe aus Tirol und Italien s. 424 fg. und erklärte darin
die bewohner des Burggrafenamtes als nachkömlinge der Goten. Heisst
es ja in den Regensburger glossen aus dem XII. jahrhundeit: „Gothi
Meranare. " Haupts ztschr. XII, 415. Der mehrseits begründeten
ansieht Dahns sehloss sich dr. L. Steub an. (Herbsttage in Tirol.
München 1867 s. 159.) Pflichten wir dieser annähme bei, so liegt
den Holepfonnen ein got. hailafön, pl. hailaföna zu gründe, das zum
mhd. Heilawäc (vgl. Grimm Myth. 551. Simrock* 495.) heilwasser, als
heilfeuer, notfeuer stimmen würde. Das unverständlicbe fona wurde
im volksmunde in pfonnen verdreht, und da das ai im dialecte meiner
heimat als oa, ö gesprochen wird, liegt die änderung haüa in hola
nur alzunahe.
WILTEN, 28. DEC. 1879. J. ZINGERLE.
BERICHTIGUNG.
K. Kinzel bemerkt in seiner anzeige des I. heftes meiner Par-
zival -Studien (Ztschr. f. d. phil. 11. bd., 1. h. s. 126 fg.):
„Wäre D. bei dem stehen geblieben, was er am ende des
büchleftis als seine absieht angibt: „die tatsache der (inneren) Zu-
sammengehörigkeit beider dichtungen" zu erweisen, so würden wir
ihm rückhaltlos zugestimt haben'' usw.
Indessen fordert die ansieht Kinzels , dass ich weiter gegangen sei , eine
tatsächliche berichtigung. Ich habe nirgendwo, mit keinem werte mehr
behauptet als eben die (innere) Zusammengehörigkeit des Titurel und
des Parzival. Wenn es (s. 58 u. ö.) heisst, der Parzival sei die fort-
setzung und bilde den schluss des Titurel, so ist das nach allem stoff-
lich und nicht zeitlich zu verstehen; ebendaselbst (s. 58) liest man
ja als ergebnis unserer forsehung; „Der dichter also, wenn er seinem
leser das Verständnis des Titurel erschliessen wolte , hat ihm die lektüre
des Parzival zur pflicht gemacht, so wie er andererseits . . . das volle
Verständnis des Parzival von der kenntnis des Titurel abhängig machte."
Auch an änderer stelle habe ich den nachweis dafür, dass der Titurel
BERICHTIGUNG 487
zum Paizival gehöre uud ,, mit ihm ein /Aisaramoiihängeudes ganze
bilde" (s. 62) als den eigentlichen und alleinigen zweck meiner arbeit
bezeichnet, dem gegenüber mir die frage über die priorität der einen
oder anderen dichtung sogar „ohne schaden der Wissenschaft auf sich
beruhen zu können schien." — Nur aber um dieser frage „nicht geflis-
sentlich auszuweichen " (s. 63) und ohne der textkritik vorgreifen zu
wollen, habe ich mir erlaubt „eine diesbezügliche Vermutung — als
solche, mit aller reserve auszusprechen"; sie geht dahin, dass der
Titurel zwischen dem IL uud III. buche des Parzival seinen platz gefun-
den habe.^ Es ist also auch hier zunächst nur von einem örtlichen,
nicht vom zeitlichen Verhältnisse die rede. Doch muss da freilich (nach
der natur der gründe, welche mich diese Vermutung aussprechen Hes-
sen) angenommen werden, dass der Titurel auch in derselben folge
entstanden sei , in welcher er schliesslich seinen platz im Parzival erhal-
ten hat; und dieser umstand veranlasste mich, meine meinuug auszu-
sprechen, „dass die frage über die anciennität unserer beiden dichtun-
geu noch immer als eine offene zu betrachten" (s. 63j sei; denn aller-
dings haben mich weder Pfeiö'er, noch Herforth = Kinzel von ihren
anschauungen zu überzeugen vermocht. — Übrigens steht dahin, ob
ich auf diese „Vermutung" nicht etwa noch zurückkommen werde, und
dann mag man ja sehen, ob „auch nur das geringste" dafür spreche;
das geringste scheint mir selbst dasjenige nicht zu sein, was ich über
die Wechselbeziehung beider dichtungeu in meinem I. hefte mitgeteilt
habe — jedenfalls genügt es, um „eine Vermutung, als solche, mit
aller reserve" aussprechen zu dürfen.
Auch eine vergleichung des Titurel mit der geschichte Gret-
chens im Faust, welche mir Kinzel aufbürdet, habe ich nirgendwo
gegeben; s. 36 m. h. ist ein beispiel für das vorgehen eines dichters
angeführt.
Die bemerkungen Kinzels zu s. 27 fg. verstehe ich nicht; die
„ kleinigkeiten " übergehe ich gerne.
KAKL DOMANIG.
1) Ungenau berichtet auch Wackernagel [E. Martin] (Gesch. d. d. L.
2. aufl. I. s. 464): „Entstehung der Titurellieder zwischen den einzelnen büchern
des Parzival nimt D. an."
488
ZWEI BRIEFE VON JACOB GRIMM
AN DIRECTOR C. F. RANKE IN GÖTTINGEN,
(gestorben als director des Friedrich Wilhelms -gymnasiums in Berlin)
mitgeteilt von herni dr. J. Jmelmann, professor am Joachimsthalschen gymnasium
in Berlin.
1.
Lieber Eanke,
Sie haben gelegenbeit gehabt eine noch neue, aber gleich feste und treue
freundschaft unserm ganzen hause, an alten wie an jungen, zu bewähren; das kön-
nen wir nie vergessen , und wohin uns auch das dunkle Schicksal verschlagen wird,
wollen wir Ihnen immer zugethan bleiben.
Heute an Dortchens geburtstage treten Sie gewis mit erhöhter empfinduug
in den räum, aus dem wir (wer hätte das vor einem jähre gedacht) jezt entfernt
sind, und nur noch ein theil der unsrigen haust noch dort auf kurze zeit. Wie
betrübt ists für Hermann, dass er so bald wieder aus ihrer lehre komt und dass
Rudolf ihr gar nicht einmal theilhaftig wird.
Es war mir bange, dass meine flüchtig und unbedacht niedergeschriebne gra-
tulation für Hugo unausbleiblich in die bände von philologen gerathen würde, die
sich an falschen Wörtern und Wendungen ärgern könnten. Das altdeutsche und
mittellateinische haben längst meinen stil zu gründe gerichtet; wenn es also noch
erträglich geworden ist, so muss es kinderleicht sein solche hergebrachte phrasen
und formein zusammenzusetzen.
Den Waltharius, Rudlieb und die Ecbasis captivi i habe ich Ihnen durch
Dietrichs übermachen lassen, schon aus dankbarkeit für die aufgenommene, frei-
lich aber noch zweifelhafte conjectur cesto,'- wobei ich jedoch Ihren namen nicht
zu misbraucheu wagte. Haben Sie einmal nichts besseres zu thun, so werden Ihnen
leicht ergänzungen der lückcn im Rudlieb einfallen.
Wilhelm ist noch hier. Wir freuen uns einmal wieder beisammen zu sein
und er letzt sich an erinncrungen. Grüssen Sie von mir Schneidewin uud unbe-
kannterweise seine junge frau.
Von herzen Ihr freund Jacob
Cassel 23 mai 1848. Grimm.
Äussere aufschrift des briefes :
Herrn Director Ranke
Göttingen.
2.
Da ich aus Ihren Hesiodeischen Studien-" entnehmen darf, dass Sie, lieber
freund, mein buch über Reinhart Fuchs besitzen, so hat auch wol beifolgender
1) Lateinische gedicbte des X. und XI. jh. Herausgegeben von Jac. Grimm und
Andr. Schmeller. Göttingen 18o8.
2) S. 248 in v. 172 der Ecbasis captivi.
3) Ranke, hesiodische Studien. Göttingen 1840. 4.
KINZEL, ÜBER SCHULTZ, HÖF£SCHES LEBEN
489
nachtrag ' einiges iuteresse für Sie. Sie finden darin ein neugriecliischcs gedieht
abgedruckt ,2 dessen inlialt merkwürdiger ist als die form. Ein paar mir dunkel
gebliebne ausdrücke können Sie vielleicht aufklären.
Von hahicht und nachtigall gab es gewis eine griech. erzählung, die wir
nur in Aesop nicht mehr nachweisen können. Der dichter schöpfte aus dem Volks-
glauben; hinter der äsopischen kürze muss überall die alte, breite grundlage von
volkssagen stecken. Mir ist undenkbar dass das bedürfnis der lehre den Ursprung
der fabel veranlasst habe.
Herzliche grüsse von uns allen.
Ihr
Jac. Grimm.
LITTERATUR.
Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger von Dr. Alwiu Schultz,
ao. Prof. d. Kunstgeschichte an der Universität Breslau. I. Band
mit 111 holzschnitten. Leipzig, Hirzel. 1879. XVIII u. 520 s. gr. 8. 13 m.
Es ist wol nicht häufig ein buch, das auf einem fremden gebiete erwachsen,
von gleicher bedeutung auch für die deutsche philologie, wie das vorliegende.
Kulturgeschichte zu schreiben ist überhaupt nicht jedermanns sache, und diejenigen
sind selten, welche sich die mühe nicht verdriessen lassen, das material zusam-
menzulesen oder die gar wie Freytag mit schöpferischer phantasie begabt aus ihrer
lectüre bilder deutscher Vergangenheit hervorzaubern können. An einzelnen beitra-
gen kleinerer und grösserer art hat es ja nicht gefehlt, und Verdienste wie die
Wackernagels und Weinholds bleiben ungeschmälert. Aber es bedurfte längst ein-
mal eines zusammenfassenden werks , an das sich neue Untersuchungen anlehnen
könten, und wir müssen es dankbar anerkennen, dass dies von einer seite her
geschehen ist, welche im algemeinen dem philologen fern liegt, und auf der es für
ihn überaus schwer ist, sichere anschauungen zu gewinnen, nämlich von der kunst-
geschichtlichen. Der Verfasser sagt in der vorrede s. VII über seine absieht fol-
gendes: „Es ist nicht so leicht, sich eine Vorstellung von den denkmälern der pro-
fankunst des mittelalters zu machen ; allein wenn dies auch eine jedenfals mühe-
volle arbeit erfordert, deshalb darf es doch nicht unversucht bleiben. Nehmen wir
das wenige, was uns noch erhalten geblieben ist; suchen wir auf, was an abbil-
dungen noch übrig, und sammeln wir, was uns von den gleichzeitigen autoren,
dichtem wie geschichtsschreibern überliefert wird; versuchen wir, die angaben der
einen durch die abbildungen der andern zu ergänzen und zu controlieren , dann
werden wir wenigstens das resultat erzielen, das unter den schwierigen umständen
zu erreichen überhaupt möglich ist." Wenn der Verfasser bei diesem hohen ziele,
das er sich gesteckt hat, das ziemlich umfangreiche werk eine Vorstudie nent, so
mag dies ein ausdruck der bescheidenheit sein , oder es hat doch nur den beschränk-
ten sinn, dass er hofft, es werden sich weitere forschungen , besserungen und ver-
volständigungen an dasselbe knüpfen. Eine der lezteren verspricht er selbst. Denn
der II. band soll „das leben unter den waffen" schildern und ein sehr erwünsch-
1) Sendschreiben an Karl Lachmann von Jacob Grimm. Über Reinhart Fuchs.
Leipzig 1840.
2) S. 68 — lOÜ.
490 KINZEL
tes „ auöiuhrlichcs register" bringen. Wir haben dies freilich schon zum ersten
bände ungern verraisst. Obgleich im algemeinen die ausführliche Inhaltsangabe
schnell orientiert, so sind doch, was nicht zu vermeiden war, viele dinge an meh-
reren stellen besprochen, und es wird nicht grade zur leichten handhabung des
Werkes beitragen , wenn man das umfängliche register des II. bandes wird benutzen
müssen. Auch ist , was s. XI bezweifelt wird , ein index der benuzten quellen nicht
gut zu entbehren. Es ist schon an sich interessant, ein übersichtliches Verzeich-
nis der Schriften zu haben, welche wirklich material lieferten; andrerseits ist es
für manche citate gradezu unerlässlich , da nicht immer angegeben werden konte,
welche ausgäbe benuzt ist. Beispielsweise erwähne ich, dass der Alexander Lam-
prechts ohne die angäbe ,, herausgegeben von Weismann" nach Zählung dieser aus-
gäbe s. 11 Alexanders., s. 18 Alexanderl. citiert ist; „herzog Ernst (alte ausgäbe)"
s. 20 anm. bedeutet Ernst D, während sich s. 46 der zusatz findet „hgg. v. v. d.
Hagen und Büsching." S. 21 wird Herbort von Fritzlar citiert unter ,,liet von
Troje," s. 41 unter „HTroj."
Was das verfahren des Verfassers und die einrichtung des buches anbetrift,
so ist nur anerkennung zu zollen. Solche gebührt zunächst der weisen beschrän-
kung auf die scharf abgegrenzte zeit von 1150 bis 1300. So wünschenswert auch
oft ein blick auf die vorhergehende entwicklung oder auf den nachfolgenden verfall
gewesen wäre, bei der menge des zu bewältigenden materials hätte derselbe leicht
die Übersichtlichkeit beeinträchtigen können. Schultz benuzt nur die kunstwerke
dieser periode und dazu die lateinischen, deutschen, fi-anzösischen und englischen
quellen dieser Jahrhunderte. Wie vorteilhaft diese abgrenzung ist, erkent man
noch deutlicher, wenn man das prachtvoll ausgestattete werk Moeurs, usages et
costumes en raoyen äge et ä l'epoque de la renaissance par Paul Lacroix, Paris
1874 aufschlägt. Über 400 holzschnitte und 15 buntdruckbilder treten uns da
geordnet nach den beschäftigungen usw. entgegen. Aber spätes und frühes steht
neben und durch einander, und die benutzung ist erschwert. Dagegen hat Schultz,
wie es scheint , eine sorgfältige auswahl unter den kunstdenkmälern getroffen , und
dass es ihm nicht au kritischer schärfe fehlt, zeigt s. 246, wo er das material der
Skulpturen , abbildungen usw. sichtet und z. b. davor warnt , zur Interpretation
Wolframs und Walthers ohne weiteres die abbildungen der Pariser liederhandschrift
zu verwenden, welche erst im 14, Jahrhundert ausgeführt wurden.
,,Mein hauptbestreben ist es gewesen," so heisst es s. XI, ,,alle Schriften
der Zeitgenossen, soweit dieselben mir zugänglich waren, zu benutzen; ich habe
die geschichtsschreiber, die dichter, vor allem die deutschen und französischen
epiker zu rate gezogen, in vielen werken gar nichts, in manchen etwas, in einigen
viel für meinen zweck brauchbares gefunden.'" Das aber ist besonders anzuerken-
nen, dass der Verfasser die betreffenden stellen in extenso unter den text gesezt
hat. Erst dadurch hat sein buch einen practischen wert gewonnen. Nicht nur ist
bei blossen citaten die benutzung auch für ,,den philologen von fach" sehr erschwert,
sondern wer hat müsse und lust , alle stellen nachzuschlagen und eventuel auszu-
schreiben, um die auffassung des Verfassers nachzuprüfen? Recht fühlbar wird dies,
wo anders verfahren ist. oder wo gar, wie s. 165-67, unter Verweisung auf die
habilitationsschrift des Verfassers eine aufzühlung der erfordernisse gegeben wird,
welche zu einem schönen körper nach der anschauung jener zeit gehörten. Diese
aufzählung ist in dieser form unnütz und überflüssig. Im übrigen müssen wir auch
dem texte anerkennung zollen. Derselbe gibt kurz und klar eine mosaikartige
Zusammenstellung der aus den quellen gezogenen resultate, und doch ist eine
ÜBER SCHULTZ, HÖF. LEBEN 4:91
geschickte, Üiessende darstellung gewahrt, weil das material ausserordentlich gut
zu einander gruppiert ist.
Nach einer einleituug, welche einen überblick über die entwicklung der cul-
tur iui 12. Jahrhundert gibt, wird der gesammelte stoft" in sieben capitel geordnet.
Man müste das Inhaltsverzeichnis abdrucken lassen , um einen vollen einblick zu
gewähren. Doch die angäbe einiger hauptpunkte mag genügen. Das I. capitel
zeigt uns, wie die vornehmen, die fürsten und herren des 12. 13. Jahrhunderts
gewohnt haben , wie ihre wolinungen eingerichtet und ausgestattet gewesen sind.
Das 11. handelt von geburt, eruährung, erziehung, Unterricht und beschcäftigungen
der kinder, der kuaben bis zur schwertleite, der mädchen bis zur ehe: das III.,
um es mit einem werte zu bezeichnen, von der toilette im weitesten sinne; das
IV. von aUem was zum mahle gehört, von speise und trank, geraten und sitten.
Im V. capitel, welches tiere und jagd bespricht, werden mehi-ere Jagden und die
abrichtung der falken ausführlich mitgeteilt. Das VI. behandelt reisegerät, reiten,
feste und gaste , spiele , musik und spielleute : das VII endlich die minne und ihre
auswüchse. Dass der Verfasser im ganzen mit grosser Sorgfalt gearbeitet, beweisen
u. a. die Zusammenstellungen der kleiderstoffe und weine , und besonders die beiden
excurse. Im ersten gibt er s. 102— 107 in je zwei spalten eine übersichtliche
Zusammenstellung alles dessen, was er ,,über das wetter der uns beschäftigenden
Periode in den aunalen gefunden und notiert" hat. Es begint mit ,,1100. Sehr
harter winter, hungersnot, grosse Sterblichkeit. (Annal. Saxo.)" und schliesst mit
,,1315. Hungersnot in Liefland und Esthland. Mütter schlachten ihre kinder und
verzehren sie (Can. Sambiens. Ann.)." Der zweite excurs s. 302 — 304 verzeichnet
in ähnlicher weise alles, was dem Verfasser über die Weinlesen aufgefallen ist.
Dabei billigen wir das meist massvolle urteil des Verfassers. Im lezten capi-
tel wird die sittenlosigkeit der zeit in den grellsten färben geschildert, und das bild»
das mit den nötigen citaten illustriert wird , ist wenig erfreulich. Man darf aber
nicht vergessen : es ist nur dadurch zu stände gebracht , dass alle zugänglichen
belege aus der grossen litteratur der periode hier zusammengehäuft sind. Mit recht
wird daher gegen schluss darauf aufmerksam gemacht, dass man nach dieser dar-
stellung nicht die ganze zeit messen dürfe und dass ,,die paar beispiele" für die-
selbe wenig genug beweisen (s. 477). Um so auffälliger ist es , dass nicht zum
Zeugnis für die existenz edlerer gesinnung auf Wolframs verherlichung ehelicher
liebe hingewiesen wird. Grade dass dieser dichter so etwas zu singen wagte, sezt
voraus, dass er des beifalls der edlen gewiss sein durfte, und es ist nicht nach-
weisbar, dass „solche gesinnungen damals als sehr philiströs gegolten haben," wie
Schnitz s. 475 sagt. Die oft erwähnten strafen , welche den ehebrecher oder die
ehebrecherin trafen, sprechen ebenfals für eine ernstere auffassung der sittlichen
Verhältnisse, und das beste, was der Verfasser über die sache gesagt hat, liegt in
den Worten s. 479: ,, Vielleicht verdachte man den sagenhaften beiden, die man als
in einem idealen Zeitalter lebend sich vorstelte, manches nicht, was man, sobald
es einen selbst berührte, aufs schärfste verurteilte." Dass es aber selbst in den
erwähnten stellen nicht immer nötig ist an unsittliche Situation zu denken, beweist
Scherers auffassung QF 12, 71. Er nent MSF 8, 9 {jö stuont ich nehtint späte)
den „morgendialog einer kleinen ehestandsscene " und nent den mann, welcher
10, 17 {wip unde vederspil) singt, oder ,,der spröde tut, als ob er keine ruhe
habe, eine dame wolle ihn zur liebe zwingen," einen renommisten. Das ist ein
massstab, den Schultz nicht berücksichtigt hat.
492 KINZEL
Es mag' uns nun gestattet sein, auch einige ausstellungen zu niaclicn. Dass
es einer so unjfassendcn arbeit an lücken nicht fehlt, ist selbstverständlich. Bei-
spielsweise ist das leben in öffentlichen versamlungen und beratungeu , das Verhält-
nis von fürsten und herrn zu lehnsleuten und dienern, der ceremouielle verkehr
nicht berücksichtigt. Auffallender ist, dass das ende des buches zum teil gegen
den anfang etwas abfält, als wäre die kraft des Verfassers stellenweise erlahmt.
Der sonst gedrungene stil wird breiter, wie s. 410 fgg. , und vermeidet nicht, alge-
meine Vermutungen behaglich auszuspinnen und dadurch an den feuilleton-ton zu
streifen. Es zeigt sich dies z. b. in dem satze s. 428: ,,Dass natürlich das eifern
der Prediger nichts fruchtete, liegt auf der band. Sie haben Jahrhunderte hindurch
den tanz verdamt und doch wol kaum jemals einen wirklich tanzlustigen bekehrt."
Derartige bemerkungen sind einem wissenschaftlichen buche so wenig angemessen
wie die in die anmerkung s. 478 eingefügten worte Walthers, mit welchen über
obscöne stellen gewitzelt wird. Hier verlieren auch, wie es uns scheinen will, die
artikel an ausführlichkeit und gediegenheit und die belege werden weniger; auch
ist bisweilen das material nicht ausreicliend benuzt. Zum beweise diene, dass zu
der behandlung des spiels s. 411 fgg. Haupts lehrreiche anmerkung zum Erec 875
u. a. nicht Verwendung gefunden hat. Für das Schachspiel ist nur s. 415 Massmanns
geschichte des mittelalterlichen Schachspiels , nicht aber Wackernagels abhandlung
„Das Schachspiel im mittelalter" (Kl. Schrft. 1, 107 fgg.) angeführt. Hier hätte
der Verfasser gefunden , was hurrier ist. Er sagt s. 414 : ,, die im Wigalois erwähn-
ten kurrier bezeichnen wol die in das trictrac - Spielbrett eingelegten figuren. Die
zum spiele benuztcn steine können sie nicht wol bedeuten, da diese" usw. Man
vergleiche Wackernagel s. 112, wo es auf das kurrierbrett gedeutet wird. In die-
sen kleinen Schriften befinden sich auch bemerkungen zu dem s. 421 erwähnten
kugelspiel in dem aufsatz ,,das glücksrad und die kugel des glucks" s. 255.
Die abhandlung über die Instrumente , welche mit sehr instructiven abbil-
dungen versehen ist, leitet der Verfasser mit den sonderbaren, wol mehr scherz-
haft gemeinten werten ein s. 429 : ,,Es ist mir nun die Verpflichtung auferlegt,
mitzuteilen , was ich über die musikalischen Instrumente zusammengestelt habe.
Da ich gar nichts von dieser sache persönlich verstehe, halte ich mich an eine so
anerkante autorität wie Fetis." Gefragt wird in diesem abschnitte s. 439 nach
armonie , die, chore, ravetvne, schirmelle. In Lexers Wörterbuch wird die als eine
art pfeife erklärt und auf glien verwiesen, ein verbum, das vom schreien der raub-
vögel gebraucht wird und einmal in Verbindung mit schalmien, floitieren in Roths
dichtungen vorkomt. Auch hätte sich Verfasser eine feine bemerkung, wie sie
Wackernagel in seiner litt. Gesch. § 103, 21 über entwicklung und gebrauch der
Instrumente macht, nicht entgehen lassen sollen. Wenn man das höfische leben
beschreibt, darf man nicht in eine blosse aufzählnng solcher dinge verfallen, son-
dern muss ihre Verwendung im leben und zu verschiedenen zeiten ins äuge fassen.
Dass der Verfasser ein äuge für die entwicklungsgeschichte der cultur hat, beweist
er in der einleitung und auch sonst mehrfach. Darum ist es zu verwundern, dass
bisweilen eine hindeutung auf einen Umschwung fehlt, der sich grade im 13. Jahr-
hundert anbahnt. So sind die gasthäuser nur wie gelegentlich (s. 3^4) erwähnt
und durch ein citat aus französischer quelle belegt. Unter benutzung der sonst
öfter angezogenen Gesamtabenteuer hätte darauf hingewiesen werden können, dass
dieselben mit dem verfall des höfischen lebens in aufschwung kommen, als die
armen ritter, nicht mehr freigebig am hofe aufgenommen, oft rosse, knechte und
ausstattung von den wirten erborgen müssen. Ähnlich verhält es sich mit der
ÜBER SCHULTZ, HÖF. LEBEN 493
erwähnung der raubritter s. 397. Auch hier ist nicht des wandeis der zeiten
gedacht. Für die gute höfische zeit wird sich doch schwerlich ein beweis bringen
lassen, dass ritter in Deutschland berufsmässig strassenraub trieben. Spuren des-
selben finden sich am ausgang des 13. Jahrhunderts z. b. im Wilh. von Wenden,
wo die beiden brüder sich mit vier knechten in einem walde niederlassen mit der
absieht, die kaufleute zu berauben, wenn es auch b.ier motiviert ist: des tioanc sie
armuot geivalt 5439.
Zum Schlüsse mag hier noch einen platz finden . was ich mir zu einzelnen
stellen notiert habe.
Das mhd. Wörterbuch ist für die arbeit natürlich fleissig benuzt. Lexer
dagegen zu unsrer verwunclrung gar nicht, während doch sonst Schriften von 1878
citiert sind. Hier hätte der Verfasser erfahren . was s. 133 anm. im Wilh. 187, 9
mit püscJien striten heisst. Im WB. ist es freilich unklar und bei Lexer nur unter
„husch = knüttel " aufgeführt. — S. 217 wird gefragt: was ist der bruchseckel?
vergleiche Lex. I, 369 saccus herniosus. — Bei Lex. IT, 818 hätte man auch (zu
s. 220) belege dafür gefunden , dass die schuhe gebunden wurden , wenngleich bei
Lexer schuoJihant Alex. 1455. 1545 fehlt.
Dass s. 26 „ictchüs die deutsche bezeichnung für türm" sei, ist nach den
angeführten stellen nicht wahrscheinlich. Das in der anm. 2 gegebene citat Serva-
tius 81 nennt türme auf den Wikhäusern. In demselben abschnitte ist die stelle
des Alexander 203, 5 — 10 (Diemer) zu verwerten vergessen: claz f/olt sie ne hellen,
sie thäten die turne malen, daz äaz röthe golt dar ab schein gemüseth oben an den
stein, dan zesviscen gingen de bogen, si ivären al mit golde bezogen. Sie zeigt die
türme mit bogen verbunden und gemalt. Erleuchtet wird sie durch die s. 51 mit ?
aufgeführte stelle aus Troj. Der türm loas mit vlize vollebräht uz grözen quader-
steinen. die gäben alle reinen und üzerwelter varioe schin. gesmelzet und gemäht
drin ivas beidiu läsür utide golt. Aus beiden erhelt deutlich, dass die musivische
arbeit aussen an den türmen angebracht war. Erst s. 96 anm. werden die werte
aus Alexander ausgehoben und neben Ernst D 2216 gestelt.
S. 44. Aus der einen stelle Krzf. 3404 ich wene um einen fütersac er wolde
sich slahen ist wol nicht zu schliessen, dass ein dem pferde zur fütterung vorge-
bundener sack gemeint sei. Es liandelt sich dort um einen mit viehfutter gefüll-
ten sack.
Zu s. 138, wo von der heiligkeit der boten die rede ist, hätte der stelle aus
dem Alexander 213 , 17 (1491) gedacht werden sollen. Der könig will die boten
aufhängen lassen, welche ihm des Darius schmähliche sendung überbringen. Aber
einer derselben sagt: herre tut ims nehain xmgemach, loande ez ne dücht iuch
gnade noch reht , swä so imver chtieM iuiver botescaph tribe , daz er drumbe föht
helibe. unde niene scentet iuweren namen.
Die Vermutung s. 170, dass ,,die männer, ehe sie ins bad stiegen, eine art
badehose anlegten," entbehrt, wie es scheint, der stütze. Von dem schamgürtel
der Schacher am kreuz allein darauf zu schliessen, ist kühn. Offenbar passt die
annähme nicht zu andern stellen , wie Parz. 166. Das s. 171 angeführte bild kann
dafür nicht beweisen, weil es die geschlechter in gemeinsamem bade zeigt. Selbst
die .stelle aus Seifrid Helb. III s. 172 spricht nicht dafür. Schultz erklärt: ,,er
lässt sich einen wadel umbinden." Aber die werte nennen nur eine badequaste,
doren einzelne teile durch binden vereinigt sind: er sprach nu her an allen tadel
einen frischen ninwen wadel hinden nml gebunden! Den hän ich schiere funden
494 KINZEL
sprach der wirt uttd gap mis vier, dar üz näm die besten wir. Und vers 40 heisst
es: macht vinster da wir sitzen, das wir die wedel swingen.
S. 113 wird von der baartracht der männer gehandelt und angenommen , dass
diese das haar nicht minder sorgfältig pflegten als die damen (vgl. s. 168). Ob dies
in Deutschland der fall war, wird doch zweifelhaft, wenn man sich erinnert, dass
man dort der Franzosen um ihrer haarpflege spottete. Bei gelegenheit, wo sie sich
feige zeigten, nante man sie härsUhtcere wie Wilh. 322, 21. Man vgl. Wilh. 302,
Krzf. 2621 und 4036.
Über die Verwendung der stüche wird s. 191 eingehend gehandelt. Hierzu
und zu s. 19, wo vom kämpf gegen die au die mauer vordringenden feinde die rede
ist, vergleiche man Krzf. 2947 ivö so die üzern brächen in, dargegen sie stüche
hlancten, tief zur erden die sancten. ouch heiz wellic ivazzer sie über die müre üf
die quzzen sie, di da brächen in. dämite sie loe täten in.
Dass icb mit des Verfassers art zu eitleren nicht immer einverstanden bin,
habe ich erwähnt. Es ist unerlaubt, dass er s. 272 und 408 den dichter Hartmann
von der Aue nent, dass er s. 440 vom hurnin Siegfried, s. 462 der von Kiurenberk
schreibt und lezteren nach HMS citierti. Ebenso hätte er Nitbart nach Haupts aus-
gäbe eitleren sollen. (Die stelle Hpt. 86. 15 ist zweimal ausgehoben, s. 168 als
Nith. IX, 10 und s. 241 als Nith. XI, 10. Ein citat ist also falsch.) Bei Haupt
hätte er auch , wie ich zu s. 242 bemerke , zu Nith. 54, 13 eine ausführliche anmer-
kung über schavernac gefunden , die zu berücksichtigen und für die auf s. 301 gege-
bene ausführung über den wein schavernac zu verwenden gewesen wäre. Eine
erklärung des namens findet sich freilich auch dort nicht. Man vgl. auch Lexer
zu diesem Avorte.
Im VII. capitel tritt der unterschied von lioher und niederer minne nicht
o-enug hervor. Hier wird uns eine neue auslegung des halmmessens zu Walth. 66, 5
geboten. Verfasser kent nur die längst von Wackernagel und Simrock zurückgewie-
sene erklärung Pfeiffers vom zählen der knoten. Simrock (ed. Walther. Bonn 1870
s. 155) sagt: ,, das wahrscheinlichste bleibt Waekernagels Vermutung, dass der halm
abwechselnd zwischen daumen und Zeigefinger der rechten und der linken band
gefasst werde, so dass immer eine band die andere ablöst, bis die spitze des hal-
mes mit den entscheidenden werten erreicht ist.'' Dagegen Schultz s. 468: ,,es
scheint mir am einfachsten anzunehmen, der dichter habe einen grashalm gepflückt
und auf gut glück denselben an einer stelle geknickt, nun mit dem masse des
geknickten Stückes den übrigen halm umgebrochen und versucht, wie oft dies erst
eingebrochene Stückchen im ganzen lialme enthalten war."
Für das wechseln der ringe bei der Verlobung s. 486 war noch zu eitleren
die stelle aus dem Gr. Rud. , welche sich schon bei Grimm RA 177 findet, und
Kudr. 1247 fg. , wo sich die verlobten an den ringen erkennen, die sie selbst
vordem getragen hatten. Die stellen, welche das eindringen kirchlicher sitte
in den act der Verlobung und Vermählung bezeugen (s. 487), lassen sich natürlich
sehr vermehren. Aufmerksam zu machen wäre vielleicht gewesen auf H. Trist.
Hier wird nicht im kreise verlobt, sondern der bräutigani schwört auf das crucifix,
dass er Isoten zu einem ehelichen weibe wolle. Nach vier wochen ist hochzeit.
Während des festtanzes erscheint ein bischof im ornatc und gibt beide ze rehter e,
die durch eide bestätigt wird. Darauf tauschen sie die ringe H. Trist. 635 fg.
Auch conjecturen hat der Verfasser einige male gemacht und zwar zu Walb.
(DHB I) 905, wie es scheint mit glück. Er liest s. 389 ein leiter man im dar
truoc, diu toas usw., indem er im text bemerkt: „Während die damen gewöhnlich
ÜBER REGELN F. D. DEUTSCHE SCHREIBUNG 495
in und aus dem sattcl gehoben wurden, war es für einen zwerg schwer genug,
auf das ross zu steigen. Walberan hat sich deshalb eine kunstreiche leiter verfer-
tigen lassen, die in den sattel eingehakt wird." Die hs. liest em lauterman man
in dar truoe, nicht laterman, wie Schultz irtümlich bemerkt.
Dass auch incorrectheiten in dem buche vorhanden sind , ist bei dorn umfange
zu entschuldigen. So steht s. 11 a. Iw. 3711 für 3771, s. 83 a. behawen Alex. 54.39
für hehalden, oft cärimoniell wie 358 neben ceremoniell s. 351. Incorrect ist der
ausdruck ,, Leiche und andere Lieder" s. 441 , fehlerhaft dasa coraposita oft als zwei
Wörter geschrieben sind , wie s. 31 häl türlin , 382 kamer tvaf/en , 440 sfMrm recken.
Das citat s. 27 anm. 2 ist falsch, zogebrücke steht H. Trist. 6009.
Die hier gemachten bemerkungen haben vorzugsweise den zweck, an einzel-
nen beispielen zu zeigen , wie der Verfasser gearbeitet hat. Daas sie nichts erschöp-
fen wollen, beweist schon der umstand, dass sie einseitig auf die deutsche philo-
logie bezug nehmen und die beachtenswerten lat. . franz., engl, citate und die Verwer-
tung der kunstdenkmäler ausser acht Hessen. Aus allem gesagten aber geht hof-
fentlich hervor, dass wir dem verdienstlichen werke anerkennung zollen.
BERLIN, NOV. 1879. KARL KINZEL.
Regeln für die deutsche Schreibung herausgegeben von dem Verein
für deutsche R,ecbtschreibung. Mit einer lith. Tafel zur Schrei-
bung des./^. Berlin 1879. Verlag von Barthol. 36 s. 8.
Herr professor Michaelis, der zeitige Vorsitzende des Vereins für deutsche
rechtschreibung zu Berlin, welcher sich seit jähren mit regelung der deutschen
Orthographie beschäftigt und schon manchen interessanten beitrag zur geschichte
der Schreibung geliefert hat, gibt in dieser kleinen schrift übersichtliche vorschlage
s. 23 — 33, wie sie aus den beratungen des Vereins hervorgegangen sind. Die
Schlussbestimmung lautet : ,,Wo die Verhältnisse nicht gestatten die beschlüsse sämt-
lich sofort durchzuführen, empfiehlt es sich in folgender Ordnung schrittweise vor-
zugehen: I. beseitigung desth, IL durchführung der Heyseschen regel, III. beschrän-
kung des dt, IV. beseitigung der dehnungszeichen nach ii, ü. o, ö , a, ä, e,
V. beschränkung des e nach ?'." Der Standpunkt wird im wesentlichen dadurch
charakterisiert, dass im lezten punkte nach § 8 die etymologisch berechtigten ie
beibehalten und die werte, welche ein solches haben, aufgezählt werden. Referent
beabsichtigt auf wünsch nur auf die kleine schrift hinzuweisen und sich jeder pole-
mik auf diesem gebiete zu enthalten.
Noch wichtiger als dieser lezte teil des heftchens, dem auch kleine druck-
proben, ein Statut des Vereins, und eine tafel zur Schreibung des,/? beigefügt sind,
erscheint die einleitung s. 3 — 22, welche eine geschichte der Orthographie in nuce
von Luther an mit interessanten einzelheiten gibt. Besonders ins äuge gefasst
werden von Michaelis diesmal dehnungszeichen bei /, Verdoppelung der consonan-
ten und die Schreibung der s- laute, und berücksichtigt sind in der ersten hälfte
Niklas von Wyle, Luther, die kirchenordnungen , Sebastian Brant, Paul Schede,
Philipp von Zesen, Gottsched u. a. , besonders buchdrucker. Die zweite hälfte
s. 11 fgg. trent die historisch -etymologische und die phonetische seite und sieht
die ersten Vertreter jener in Fulda und Nast (,,Teutscher Sprachforscher" 1777 — 78),
dieser in Klopstock (,,Über die deutsche rechtschreibung" Leipzig 1778). Von ihnen
aus werden dann die hauptbestrebungen bis auf die Berliner conferenz und den
verein für deutsche rechtschreibung charakterisiert.
BERLIN. KARL KINZEL.
496 GERING
Voluspaa og de Sibyllinske OrakUer af Dr. theol. A. Chr. Bang:. (Chri-
stiania Videnskabselskabs Forhandlinger 1879. No. 9.) 23 s. 8.
Durch die nordischen Zeitungen war es bekant geworden, dass in der gesel-
schaft der Wissenschaften zu Christiania von den professoren Bugge und Bang meh-
rere vortrage gehalten worden sind, durch welche bewiesen werden solte, dass
ziemlich bedeutende teile der altnordischen götter- und heldensage nicht nationales
erbgut seien , sondern Umwandlungen christlicher und hellenischer mythen , welche
durch vermittelung der Kelten zur kentnis der Skandinavier gelangten.* Einer die-
ser vortrage liegt nun gedruckt vor und wird nicht verfehlen, in den kreisen unse-
rer germanisten begründetes aufsehen zu erregen. Es wird nämlich in der kleinen
Schrift in überzeugendster weise der nachweis geführt, dass die Voluspä, in wel-
cher man ja schon längst christliche elemente vermutet hat (vgl. z. b. E. Jessen
in dieser zeitschr. III, 72. 494) nicht anderes ist als eine nordische nachahmung der
sibyllinischen Orakeldichtung, welcher nicht blos die art und weise der composi-
tion, sondern zum teil auch der stoff entlehnt wurde; dass ferner das eddische
gedieht keineswegs beabsichtigt, einen abriss der nordischen götterlehre zu geben,
sondern wie die sibyllischen orakel die tendenz verfolgt, über das heidentum hin-
auszuweisen, in den gemütern furcht vor den Schrecknissen der lezten tage zu
erwecken und die ahnuug einer neuen weltordnung hervorzurufen, welche unter der
herschaft des almächtigen beginnen soll, nachdem die alten götter ihre rolle aus-
gespielt haben. — Der Verfasser analysiert den Inhalt mehrerer sibyllinischen
gedichte, die im grossen und ganzen nach einer Schablone gearbeitet sind, und
weist auf die Übereinstimmungen mit der Vgluspä hin. Besonders schlagend sind
dieselben bei der Schilderung der lezten dinge. — Nacli der ansieht Bangs, der
sich hierbei auf die autorität von Sophus Bugge stüzt, wäre sogar altn. vqlva nichts
anderes als eine Verstümmelung des gr. aißvlln, wie ähnliches bereits von GuS-
brandr Vigfüsson behauptet worden ist (im dict. s. v. völoa). Es ist bekant, dass
aus der fremde entlehnte Wörter im nord. zuweilen die erste silbe eingebüsst haben
(der Verfasser weist auf altn. pulkrokyrkja = sepulcri ecclesia hin: ein anderes
beispiel ist gr. iTrnöäQofxos , welches zu paäreimr norrönisiert ward); doch lässt
sich über die richtigkeit der Buggeschen erklärung streiten und ebenso über die
behauptung. dass in den übrigen germanischen sprachen nichts dem altn. vqhm
entsprechendes vorhanden sei (Jacob Grimm verglich bekantlich Veleda und Vohindr).
Wie dem aber auch sein möge , die abhängigkeit der Vcjluspä von der sibyllinischen
Orakeldichtung ist bewiesen , und damit verliert denn natürlich das gedieht so ziem-
lich allen wert als quelle für unsere kentnis der altgermanischen mythologie.
HALLE, DECEMBER 1879. HUGO GERING.
Clarus saga. Clari fabella. Islaudice et latine cdidit G-. Cederschiöld.
Lund 1879. VI, 38 s. 4. (Separatabdruck aus der festschrift der Universität
Lnnd zum 400jährigen Jubiläum der Universität Ko])enhagen.)
Gustaf Cederschiöld , der sich schon durch eine ganze reihe von publicationen
altnordischer texte ,2 welche sämtlich mit musterhaftester Sorgfalt bearbeitet sind,
1) [Vgl. jezt Konrad Maurers bericht in der Münchener akademie der wis-
sensoh. (6. decbr 1879) und Henry Sweets aufsatz in der Acadeniy vom 29. novbr
1879, s. 396. — Über die Buggesche schrift , welclie voraussichtlich im märz zugleich
norwegisch und deutsch erscbeinen wird , werden wir seiner zeit eingehender berichten.
Jan. 1880. H. G.]
2j Banil.amanna saga (nach cod. reg. 2845) Lund 1874. 4. — Geisli eöa Olafs
ÜBER CEDKRSCmÖLD , CLARUS SAGA 497
vorteilhaft bekant gemacht hat, erfreut uns widcrum durcli die ausgäbe einer roman-
tischen sage , deren inhalt dieselbe der Veröffentlichung durchaus würdig erscheinen
lässt.* Es ist die oft behandelte gcschichte von der hochmütigen und männer-
feindlichen, aber auch geldgierigen prinzessin, die mit henutzung dieser leiden-
schaft von dem zuerst verschmähten freier, der in einer Verkleidung widerkehrt,
überwunden wird, worauf sie eine reihe von demütigungen und ontbehrungen durch-
machen muss, bis sie bekehrt und geläutert (]•:")• widorvereinigung mit dein könig-
lichen gemahle sich erfreuen darf.
In der lateinisch geschriebenen vorrede (s. I - VI) bericlitet der herausgeber
zunächst über erzahlungen verwanten Inhalts aus der scandinavischen, italienischen
und deutscheu litteratur, sodann über den Ursprung der Clarussaga selbst, welche
nach dem unverdächtigen Zeugnisse der handschriften von dem isländischen bischofe
Jon Halldorsson "^ ff 1339) aus einem lateinisclien gedichte, das bisher noch nicht
wider aufgefunden werden konte. übcrsezt worden ist. wie das durch lateinische
Wörter und Wendungen, die in dem altn. texte begegnen, bestätigt wird. Es
folgen darauf die aufzählung und Würdigung der handschriften, in welchen die
saga erhalten ist, sowie die notwendigen aufklärungen über die art der henutzung
derselben in der ausgäbe: zulezt bespricht Cederschiöld die bereits früher durch
C. E. Unger und Konrädr Gislason veröffentlichten proben aus der saga und die
lexicalische Verwertung derselben in Eritzners ordbog. In kurzen Worten wird dann
auch noch der notiz Halfdan Einarsons gedacht, uacli Avelcher die saga auch in
isländischen rimur behandelt worden sein soll.
Der isländische text (s. 1—24) ist mit sorgfältiger henutzung des gesamten
handschriftlichen materials constituiert. Dieses zerfält in zwei gruppen, deren füh-
rer, cod. AM. 6.57 B. 4.. eine memhrane aus der zweiten hälfte des M.Jahrhun-
derts, und cod. Holm, membr. (3. 4, geschrieben um 1400, der herausgeber mit A
und B bezeicluiet hat. Im algemeinen folgt Cederschiöld A und verweist die Vari-
anten aus B in die noten, doch sind zuweilen auch aus dem lezteren codex, oder
wo derselbe lückenhaft ist, aus jüngeren liandschriften derselben gruppe lesarten,
fals sich dieselben als ursprünglicher und besser erwiesen , in den text aufgenom-
men worden. Audi in A finden sich zwei grössere lacunen , dieselben sind aus B
ergänzt, während hier die abweichungen einer jüngeren handschrift der A-klasse
in den noten aufnähme fanden.
Die Orthographie ist von Cederschiöld nicht normalisiert, vielmehr ist die
Schreibweise von A bez. B beibehalten worden: fals jedoch in den text von A oder
dräpa ens helga (nach der Bergsbök) Lund 1874. 4. — Jömsvikiiiga saga (nach cod.
Holm, membr. 7. 4.) Lund 1875. 4. — Versions nordiques du fabliau fran(,'ais „le
mantel mautaillie" (mit F. A. Wulff) Luml 1877. 4. — Fornsögur Sudrlanda, Lund
1878 fg. 4. In dieser samlung sind bereits erschienen: Magus saga jarls, Konrads
saga, Baerings saga, Flövents saga. A'^ach Vollendung des ganzen, welche in b:ildiger
aussieht steht, gedenke ich eingehend über diese lu'beit zu referieien.
1) Dieses lob kann nicht allen romantischen Siigas gespendet werden. Baerings
saga und Flövents saga z. b. sind so gehaltlos und armselig, dass man kaum begreifen
kann, wie dieselben ihrer zeit einer so grossen beliebtbeit sich erfreuen konten.
2) Jon Halldörsson hat verschiedene, meist romanische stoiFe, die er während
seiner Studienjahre zu Paris und Bologna kennen lernte, ins isländische übertragen,
darunter auch eine samlung von märchen und legenden, deren herausgäbe von mir vor-
bereitet wird.
^EITSCHR. F. DEÜTSCHF. PHILOLOGIE. nD. XI. 32
498 ZACHEE, LITERATÜRBLATT F. GERM. U. ROMAN. PHIL.
B nur eine andere lesart aufgenommen wurde , ist in dieser die in der haupthand-
schrift befolgte norm hergestelt. Sonst beschränken sich die abweichungen von
der handschriftlichen grundlage auf die auflösung der conipendien, die einführung
der modernen interpunction und die anwendung grosser buchstaben am satzanfange
und in eigennamen. Im grossen und ganzen kann ich mich mit diesem verfahren
volstäudig einverstanden erklären , nur wäre es meines erachtens nicht nötig gewe-
sen, die in der handschrift beobachtete trennung der compositionsglieder und die
zusammenrückung von praeposition und zugehörigem nomen in den abdruck hinüber-
zunehmen.
Um die saga auch denjenigen zugänglich zu machen, die der altnordischen
spräche nicht mächtig sind, ist der au.sgabe eine lateinische Übersetzung beigefügt
(s. 25 — 38) , die auch manchem weniger fortgeschrittenen zum Verständnis des
isländischen textes behilflich sein wird. — Der druck ist sauber und correct: nur
auf seite 11, anm. 4 ist wol hinter narratiunculis ein wort wie oceurrit ausgefallen.
HALLE. HUGO GERING.
Literaturblatt für germanische und romanische philologie. Unter
mitwirkung von professor dr. Karl Bartsch herausgegeben von
dr. Otto liehaghel, docenten der germanischen philologie und
dr. Fritz Neumaim, docenten der romanischen und englischen phi-
lologie an der Universität Heidelberg. Verlag von Gebr. Henninger in
Heilbronn.
Unter diesem titel hat eine neue Zeitschrift zu erscheinen begonnen. Die
herausgeber haben sich zu ihrem unternehmen durch die erwägung bestimmen las-
sen, dass die studien auf den gebieten der deutschen und wälschen sprachen und
litteraturen und der vergleichenden Sprachforschung so bedeutende erweiterung^
erfahren und zum teil auch so neue wege eingeschlagen haben , dass der einzelne
nicht mehr allen diesen bewegungen und ersch einungen teilnehmend zu folgen,
ihre gesamtheit nicht mehr zu bewältigen vermag, während doch der Zusammen-
hang aller dieser studien, wegen ihrer nahen inneren verwantschaft und ihrer wech-
selseitigen bedingtheit, stets zu wahren und zu pflegen ist. Kommen doch selbst
den Universitätslehrern sogar wichtige einschlägige neue werke und arbeiten teils
gar nicht, teils erst verspätet zu gesiebte, geschweige anderen, die an wissenschaft-
lich minder begünstigten orten wohnen. Daher haben die herausgeber sich die
aufgäbe gestelt, den fortschritten der gesamten deutschen und wälschen philologie,
unter berücksichtigung auch der sprachwissenschaftlichen studien, möglichst vol-
stäudig zu folgen, während die fachzeitschriften, durch selteneres erscheinen und
beschränktheit des raumes beengt, und die algemeinen litteraturzeitungen , durch
die gesamte übrige litteratur vorwiegend in anspruch genommen , grade hierfür nur
unvolständiges leisten und bieten kimnen.
Um diesem zwecke gerecht zu werden soll die Zeitschrift als ihren haupt-
bestandteil darbieten : besprechuugen von neuen büchcrn und auch von bedeuten-
deren in zeitscliriften veröffentlichten abhandlungen , und soll neben \vissenschaft-
lichen werken auch solche berücksichtigen , die dem bcdürfnis der Schulpraxis gewid-
met sind; die besprechung selbst aber soll sich frei halten von allem parteiwesen.
Weiter sollen daran sich schliessen: Verzeichnisse neu erschienener bücher und
rccimsionen, inhaltsangaben von /citscliriften, nachrichten über in Vorbereitung
HENRICl, JAHRKSBKRICHT 499
büdudliclie werke, mittciluiigen über Vorlesungen, personaluachriehten und aufra-
gen. — Jährlieh sollen 12 nummern, zu je 2 bogen oder 32 spalten in quart,
orscheiueu, zu dem abonnementspreise von 10 mark.
Bis jezt liegen zwei Jiummern vor, mit deren zweiter ein verzeichniss von
nahezu 2Ü0 gelehrten ausgegeben worden ist, die ihre niitwirkung in aussieht
gestelt haben. Diese beiden nummern enthalten 18 mehr oder minder eingehende
besprechungen von werken und abhandlungen aus der deutschen, skandinavischen,
englischen, französischen, proveuzalischen, spanischen und italienischen litteratur,
und auch, der ankündigung gemäss, eine reiche fülle anderweiter beigaben.
Es ist eine verdienstliche, aber auch eine schwierige, reichlichen aufwand
von mühe, zeit und kosten erfordernde aufgäbe, welche die herausgeber sich gestelt
haben. Möge ihnen die bewältigung derselben glücklich und andauernd gelingen.
Die beiden vorliegenden nnmmern zeugen von redlichem beniühen und lassen gün-
stigen erfolg hoffen.
HALLE, 10. JANTJAK 1880. J. Z.
Jahresbericht über die erscheinungen auf dem gebiete der germa-
nischen Philologie für das jähr 1879. herausgegeben von der
gesellschaft für deutsche pbilologie in Berlin (unter redaction
von Emil Henrici, Karl Kiuzel, Haus L'öschboru.) Berlin, S. Calvary & Co.
1880.
Die bibliographie , welche drei jähre lang (1876 — 1878) als ein teil der ztschr.
f. d. pbil. erschien, ist von 1879 an zu einem besonderen unternehmen umgestal-
tet, welches jährlich eiue Übersicht über die gesamten erscheinungen auf dem
gebiete der deutschen altertumswissenschaft einschliesslich des nordischen und eng-
lischen geben soll. Dieser Jahresbericht soll weniger kritiken enthalten , als den
Inhalt der in einem jähre erschienenen Schriften und artikel referierend widergeben
und zwar in systematischer anordnung. In der auordnung sind wir wesentlich
abgewichen von dem gebrauche, wie ihn z. b. die Germania hat, und den auch
wir zum teil in den drei ersten bibliograi)hien befolgten : alle grammatischen , lexi-
calischen und litterarhistorischen specialscliriften sind nicht unter die algeraeinen
rubriken gebracht, sondern zu den autoren und denkmälern gestelt, zu denen sie
zunächst gehören ; und dann ist durch Verweisungen dafür gesorgt , dass auch solche
Schriften genügend beachtet werden können, die ihr inhalt verschiedenen gebieten
zuweist.
Bei der ausdehnung des Jahresberichtes auch auf die hilfswissenschaften war
es noch nicht möglich feste grenzen zu ziehen. Gebiete, wie die volks- und kin-
derlieder, sagen undmythen, kulturgeschichte und kunst müssen eher eingeschränkt
als ausgedehnt werden. Gleichfals verwerflich ist die auffuhrung von Zeitungsarti-
keln ohne wissenschaftlichen wert. Hier haben wir nicht nach volständigkeit getrach-
tet. Unfreiwillig dagegen musten wir auf manches wichtige verzichten, weil es
ans zu spät oder gar nicht zu gesiebt kam. Wer sich je mit bibliographischen
arbeiten beschäftigte, wird wissen, dass dies ein verzeihlicher mangel ist, den selbst
alte bibliographien nicht überwinden können. Hier soll der Jahresbericht mehr
bedeuten durch das, was er zu werden hofft, als durch das, was er schon ist. Wir
meinen, dass wir bei alseitiger Unterstützung von selten der Verfasser und Verleger
32*
5(J(J GERING
es bis zur alisoluteu volstäudigkeit briugeu werden und empfehlen unser unterneh-
men auch in diesem punkte dem wolwollen der fachgenossen.
Aber der Jahresbericht ist nicht bloss für eigentliche fachgermanisten bestirnt,
sondern ganz besonders auch für solche, die dem eigentlichen gange der Wissen-
schaft ferner stehen und nur als lehrer oder philologen und historiker überhaupt
in der notwendigkeit sind, sich stets kcntnis von den neuesten erscheinungen auf
dem gebiete der germanischen philologie zu verschaffen. Dass eine einfache biblio-
graphie dazu nicht genügt, davon haben wir uns aus eigener erfahrung überzeugt;
das nähere darüber ist in der vorrede zum Jahresbericht ausgeführt. Wir lioffen
mit dem Jahresberichte sowol dem fachmann als dem laien manche unnützen wege
zu ersparen und jeden in den stand zu setzen, ohne grosse mühe sich stets über
die fortschritte der Wissenschaft genau zu unterrichten.
BERLIN, DEN 10. DECBB. 1879. EMIL HENRICI.
Nyare bidrag tili kännedom om de svenska landsmälen ock svenskt
folklif. Tidskrift utgifven pä uppdrag af landsmälsföreningarne
i Uppsala, Helsingfors ock Lund genom J. A. Lundell. Stockholm,
Samson & Walliu. 1878. 8. 274 s. 4,50 kr. = 5,1U mark.
Während bei uns die Zeitschrift für deutsche mundarten aus maugel an teil-
nähme hat eingehen müssen, wird jezt in Schweden, wo seit Ihres tagen der leben-
dige eifer für erforschung der muttersprache nie erkaltet ist, ein ähnliches unter-
nehmen ins werk gesezt. Vor kurzem ist unter dem oben verzeichneten titel das
erste heft einer Zeitschrift ausgegeben worden, die ihrem programme nach das ziel
verfolgt, ,,die kentnis von dem geistigen leben des schwedischen volkes nach allen
richtungen zu fördern und teilnehmendes Interesse für dasselbe zu erwecken." Vor-
zugsweise wird die neue Zeitschrift, von welcher jährlich mindestens 6 druckbogeu
erscheinen sollen, wissenschaftliche arbeiten auf dem gebiete der schwedischen dia-
lektfoischung veröffeutlicht^n , daneben aber auch sitten und gebrauche, Sprichwör-
ter und sagen, aberglauben und volkstümliche heilkunst, lied und melodie, spiel
und tanz in den kreis ihrer betrachtuugen ziehen.
Nach einem warm geschriebenen einleitenden Vorworte von G. Djurklou
(s. 1--9) enthält das erste heft einen längeren aufsatz von dem hauptredacteur
J. A. Lundell über das schwedische dinlektalpiiabet,* welches zugleich eine über-
1) Uin eine genaue gnphische widerj;alie der einzelutn sprachlaute zu ermög-
lichen, hat Lundell im auftrage der sohwedischon dialektvereine und mit beuutzung der
bereits im jähre 18ö6 von Carl J. Suudevall geniaehten vorschlage nanh lautphysio-
logischeu principien eiu neues aiphabet ausgearbeitet, welches nicht weniger als 89 zei-
chen enthält, und zwar sind diejenigen zeicben, welche in der gewöhnlichen schwe-
dischen buchschrift nicht üblich sind, durch leichte modificationen aus den minusceln
der lat. cursivschrilt gebildet. Dieses aiphabet ist von dem gemeinsamen ausschusse
der schwedischen dialektvereine, deren organ die neue Zeitschrift sein soll, nachdem
von den einzelnen vereinen begutachtende äusseruiigen eingeholt waren, gebilligt und
angenommen worden: es wird daher in sämtlichen aufsätzen, die der dialektl'orschung
gewidmet sind, und in den iiiitzuteileiiden dialektprobeii zur Verwendung kommen. Man
hat also in diesem punkte in Schweden bereits die tinigung erreicht, welche bii uns
bisher vergeblich angestrebt wurde.
ÜBEB LÜNDELL, TIDSKRIFT Ü3W. 501
sieht über die im Schwedischen vorkommenden laute geben soll (s. 13 — 158).
Neben einer sorgfältigen Classification sämtlicher schwedischen laute (nach articu-
lationsstelle und articulationsart) finden wir hier äusserst wertvolle niitteilungen
über das Verbreitungsgebiet derselben in den einzelnen dialekten , die der Verfasser
augenscheinlich ebenso volständig beherscht wie die verwanten scandinavischen
sprachen, welche gelcgentlicli zur vergleichung herangezogen werden.
Es folgt darauf (s. 161 — 220) die darstellung der laut- und forraenlehre der
im kirchspiele Dalby (im nördlichsten teile von Wermland) gesprochenen muudart
von Adolf Noreen, der au ort und stelle eingehende Untersuchungen vorgenom-
men liat. Der lautphysiologischen einteilung der vorkommenden laute schliesst sich
eine Übersicht der etymologischen entsprechungen (besonders in der schwedischen
Schriftsprache und im altn.) , sowie eine ausführliche Übersicht über declination und
conjugatiou an, welche u. a. auch ein Verzeichnis der im Dalbydialekt lebendigen
st. verba enthält. Wieweit diese Zusammenstellungen auf volständigkeit und Zuver-
lässigkeit anspruch haben, kann natürlich nur ein genauer kenner der in rede ste-
henden mundart beurteilen, indessen macht der ganze aufsatz den eindruck, dass
die Untersuchungen mit umsieht und sorgfältiger methode angestelt sind.
Die nächstfolgenden seiten (221 — 229) enthalten eine dialektprobe aus einer
schoniscLen mundart (von Färs härad) nach einer mitteilung von L. P. Holmström,
linksseitig in genauer phonetischer widergabe vermittels des dialektalphabetes,
rechtsseitig in gewöhnlicher schwedischer Orthographie; daran schliessen sich (s. 233
— 264), märchen, sagen und erzählungen aus Helsingland, die ein anonymer mit-
arbeiter beigesteuert hat. Das erste stück {tröllhruden) erzählt von einem mäd-
chen, das durch ein leichtsinniges versprechen in die gewalt eines kobolds geraten
ist, aher von ihrem bräutigam befreit wird; das zweite {Härcjodunsen) berichtet
von einem gespenstigen spielmanne, der eine muntere getelschal't, dio den sonntag
durch lärmenden tanz entheiligt, durch sein spiel, wie der rattenfänger von Hameln,
aus der stadt hinaus und auf den Härgaberg lockt, wo der wilde reigen fortrast,
bis den unsinnigen das Heisch von den knochen sich löst und die unermüdlich fort-
tanzenden gerippe in stücke fallen. Nr. 3 und 4 enthalten einige localsagen, die
sich an die kii-che zu Tröne, die älteste in Helsingland, und die Ortschaft Kärböle
knüpfen. Sehr interessant ist nr. 5, das märchen von dem burschen, der mit dem
kobold rang {gössen som slogs med trollet). Wir erfahren daraus , dass man es
den erdgeistern unmöglich macht, ihre schätze wlderzuerlangen , wenn man stahl
darauf legt, und dass diese schätze von den menschen nicht eher berührt werden
dürfen, als bis die sonne sie beschienen hat, weil sie sonst wider verschwinden.
Nr. 6 [Star - Grumjun) enthält eine kurze sage von einem riesen und einem zwerge,
die jedoch weniger charakteristisch ist. Nr. 7 — 9 {Hur det koni fmiblod i siedeten;
Tcungens tjänare ; tocken kar inlle o ha) sind novellenartigen Charakters; sie schil-
dern das bauernleben in Norrland in lebendiger weise.
Die Schlussseiten (s. 265 — 70) enthalten bibliographische notizi n und (als
lückenbüsser) einige Sprichwörter aus Härjedal.
Diese zeilen werden genügen, um von dem reichen Inhalte des heftes eine
Vorstellung zu geben. Die Zeitschrift verspricht eine wertvolle fundgrube für die
kentnis der schwedischen dialekte und des schwedischen Volkslebens zu werden und
sei daher den freunden nordischer spräche und litteratur bestens empfohlen.
HALLE. HUGO GERING,
502
V E R. E I IV
für herausgäbe alter nordischer litteratur.
In Kopenhagen hat sich nach auflösung des ,, nordischen litteratur -Vereins"
ein neuer verein für lierausgabe alter nordischer litteratur (samfund til udgi-
velse af gammel nordisk litteratur) gebildet, der sofort in Wirksamkeit treten und
bereits im jähre 1880 eine alte isländische handschrift und ein wichtiges, nur
in einem einzigen vulständigen exemplar erhaltenes altdänisches werk heraus-
geben wird.
Als seine hauptaufgabe bezeichnet der verein in seiner auch an fremde
gelehrte versendeten auffordorung zum beitritt die Veröffentlichung der ältesten
und wichtigsten handscliriften, die bisher entweder gar nicht oder nur ungenügend
herausgegeben sind; ferner soll der reichhaltigen litteratur der rimur, den im kvi-
duhättr abgefassten gedichten sagenhaften Inhalts, den erhaltenen resten der alten
christlichen poesie , sowie den romantischen sagas besondere aufmerksamkeit gewid-
met werden. Endlich wird der verein seine tätigkeit auch auf die dänische litte-
ratur des 14., 15. und 16. Jahrhunderts ausdehnen.
Die Statuten des vereins lauten:
§ 1. Der zweck des vereins ist es, nordische litteraturdenkmäler der älteren
zeit herauszugeben und zu verbreiten.
§ 2. Der verein hat seinen sitz in Kopenhagen , woselbst er vor ausgang des
raonates märz seine jahresversamlung abhält.
§3. Der vorstand, welcher in der jahresversamlung gewält wird, besteht aus
5 in Kopenhagen angesessenen mitgliederu ; jedes jähr scheiden abwech-
selnd zwei und drei mitglieder aus dem vorstände aus, die jedoch wider-
gewählt werden dürfen. Der vorstand wält selbst aus seiner mitte den
Vorsitzenden des vereins.
§ 4. Der vorstand bestimt, welche werke herausgegeben werden sollen und lei-
tet die herausgäbe derselben; er besorgt deren Versendung und zieht den
beitrag von den mitgliedern ein. In der jahresversamlung erstattet der
vorstand bericht über die Wirksamkeit des verflossenen jahres und legt
rechenschaft ab. Fals vor dem Schlüsse des kalenderjahres vorschlage von
selten der mitglieder des Vereins eingegangen sind, werden diese vor-
gelegt.
§ 5. Jedes mitglied erhält sämtliche nach seinem eintritte von dem vereine
herausgegebenen schritten. Neue mitglieder werden durch anmeldung an
den vorstand aufgenommen. Der jährliche beitrag beträgt 5 krönen =
m. 5,62, die bei der ersten sendung eines jeden jahres durcli postvorschuss
erhoben werden.
Im buclihandel werden die schrlften des Vereins nur zu einem sehr
erhöhten preise zu haben sein.
Anmeldungen sind zu richten an den Vorsitzenden des vereins,
pvofessor dr. Svend Orundtvig,
Kopenhagen. V. Platanvej.
503
I. 8 A C H K E G I S T E R.
accent. accontuation iu den Ütfridhss.
99 ff. — deutsches betonungisgesetz
37U f.
Alcuin, quelle für Otlr. 114.
Alexandorsage. franz. Alexandrois des
Eiberich v. Bisenzun 402. — des Waltli.
V. Chätillon 404 f. — auf die A. bezüg-
liches in einer Oxforder lis. 407 f. —
span. poema de Alexandro 400 f.
Alexius, altfranz. leb. des li. A. üO.
Aldhelm s. glossen.
altfranz. stücke z. vorlesen i. d. kirche
60 ff. — fragni. eines altfr. prosaroma-
nes 429 ff.
althochdeutsch, kürzung urspr. lan-
gen vocals bei Otfr. 123 f. — Zeitfolge
der abhängig, rede 376 ff. — Überlie-
ferung poet. formein im ahd. epos 120. -
vgl. Otfr.
Arnoldus deAlmelu, schreiber einer nie-
derdeutschen paphs. d. XV. jh. 49 f.
Batulus 53.
Beda, quelle f. Otfr. 114.
Beliand, s Wittig.
Betulius s. Birk.
Birk, Sixt, Susanna deutsch 142 ff.
lat. (Betulius) 169 ff. vgl. Susanna.
bluomen Christi 482.
Bon er. quellen z. einigen fab. 324 ff. —
fabeln in Boners nianier 336 ff.
Bromyard , Job. de , verh. zu Boner 333 ff.
casus, pronominal, dat. auf n u. ver-
wechsig. V. dat. u. acc. i. d. Ötrassb.
hs. bei Massmann , deutsche gedd. des
XII. jh. 73 ff.
Chemie, werke u. ausdrücke mittelalterl.
ehem. 66 ff.
chorgesänge i. drama des XVI. jh. s.drama.
chronicon Reicherspergense, verh. z. nfränk.
legendär 36 ff.
Clarussage 496.
Clemens, leg. v. s. tode 12.
Cnostinus s. Knaust.
Cosdras 32 ff.
Cristi bluomen 482.
Crocus , Corn., üb. technik d. dramas 136.
polemik ge,^. weltl. stoffe u. d. antike
komoedie 170.
dialecte. bedeutung u. aufgäbe deut-
scher dialectforschung 450 ff. project
deutsch, dialectgramniatikeu 362. 450 ff.
methode der dialectforschung 462 ff.
anläge der gramni. 457 ff. dialectal])ha-
bet 458 ff. 499. verwandig der dial.
durch einfl. der schriftspr. 464 ff. lexi-
calischc Verschiedenheit beider 467 ff.
syntaktische 472 ff. abgrenzung der
dialectbezirke 475 ff. materialsamlung
u. Verwertung 478 ff. — dialectforschg
iu Schweden 500 ff.
drama im XVI. jh. algemeines 129 ff.
einfl. der engl. kom. 207 ff. 202. 204.
der antiken 165. 184 f. ausbeutg eines
dicht, durch d. folg. 205. — technik
136. 137. 158 ff. 177. vgl. 165. 184 f.
chorgesänge 142. 150. 165. 171. Zwi-
schenspiele 206 ff. — metrik 139. 145 ff.
155 ff. 162 ff. 189. fünftuss. jamb. u.
troch. 163 f reim 163. 164. 168. —
abneigung geg. d. deutsche spr. 184 f.
gebr. der prosa u. des dialectes 202.
Wortspiele 154. — liebhaberei f. bibl.
Stoffe 169 ff. Verteidigung der weltl.
Stoffe u. der antik, kom. 169 f. 176 f.
Vorliebe für gerichtl. scenen 131. 142.
173 f. 200. — moral. declamat. 154 f.
komische vorspiele z. trag. 155. kom.
schluss 140 f. kom. Zwischenspiele 206ff.
komisch, gebr. des dial. 199. 203. der
narr i. d. engl. kom. (Pickelhäring)207 ff.
i. d. deutsch. 211 ff. — Vgl. Susanna.
Ekkehart IV s. glossen.
Eiberich v. Bisenzun , Alexandreis 402.
Eulenspiegel 211. 212. 213 ff.
fabeln s. Bouer. — aus einer Wernigerod.
hs. 336 ff
Finuboga saga 3(2 ff.
formelhaftes i. reim u. satzbildung mhd.
gedd. 45. Überlieferg poet. formen im
ahd. epos 120.
französ. prosaroman, fragm. 429 ff.
Frischliu. Susanna lat. 176 ff. deutsche
dichtungen 184 f. vgl. Susanna.
St. Galler hss. , mitteilgg. aus 257 ff.
collat. V. de musica 257 ff. der St. G.
glaubeusbekenntnisse 274 f. des psal-
terium Notkeri 275 ff. des sieb, brie-
fes Ruodperts v. St. G. 285 f. — Vgl.
glossen.
gebet a. Maria, frgm. 434 f.
geselschaft, kurfürstl. deutsche, i. Mann-
heim 365.
gesta Romanorum, verh. Boners z. ihnen
324 f.
504
SACHREGISTER.
glauben, voiu , giiuiiiiiatisches, s. casus,
glaubensbekeiintnisse , St. Galler, s. St.
Gallen,
gl OS seil, aus codd. Saug.: deutsch, vo-
cab. des X. jh. 258 if. des VIII. jh.
265 f. zu Aldhelm : enigraata 266 ff.
de virginitate 270 ff. de vitiis 272 f.
zu Sedulii carmen paschalo 273. gl. Ek-
keharts IV z. d. psalraen 273. — gl. i.
der St. Pauler hs. altdeutsch, predd.
249 ff. — Essener glossen 361. — frag-
inente: eines glossars d. XI. jh. 427 f.
des XIII. jh. 228 f. — Kölner natur-
geschichtliche glossen 286 ff. naturge-
schichtl. glossen aus hss. d. X — XV. jh.
299 ff.
Goethe, burschikose, student. redewen-
dungen 71. bezeichnung von personen
durch eigenschaftswörter 71. — Faust.
spätere Zusätze i. Walpurgisnachtstraum
72 f. — vgl. 127.
Gotfried. Tristan, reiuiniscenzen aus
228 ff. benuzt v. Pleier u. v. Job. v.
Wirzburg 228 f.
Gralsage, zur 361.
Gregors homilien , quelle tiir Otfr. 115.
Grimm , Jacob , 2 briefc 488.
handschriften , St. Galler, s. St. Galleu.
Hans, bruder, s. Marienlieder.
Heinrich Julius v. Braunschweig.
Susanna 189 ft'. Sein verh. zur engl.
komöd. 206 ff. vgl. Susanna.
Heinrich v. Veldeke, Eneide 362.
Helena, leg. v. d. kreuzfindung 21 f.
Heiland , berührungen mit Otfr. 116. vgl.
mit Otfr. 119 f.
Heraclius u. Cosdras 32 ff.
Hildebrandslied, Übereinstimmung eines
Verses mit ein. Otfr. 117.
historia de preliis 402 ff.
Hitt, frau 483 f.
hölle. zwei höllen in mittelalt. leg. 45 ff.
hof feste in Wien 63.
Hohenburger hohes lied , fragm. 416 ff.
holapfonnen 484 ff.
homilien s. Gregor.
Hrabanus Maurus, quelle für Otfr. 114.
hymnus Ambrosianus de epiphania domini,
quelle Otfrids 105. 115.
Jacobus a Cessolis, Bonors verh. z. 325.
Jambus, 5füss. , s. draraa.
Jerusalem leg. v. d. Zerstörung 17 f.
Isaak und ßebekka , s. Tirolft".
Johannes de Bromyard , summa [iraedi-
cantium , verh. Bon. z. , 333 ff.
Johannes junior, scala caeli , verh. Bon.
z. , 325 ff.
Johann v. Wirzburg, benuzt d. Tristan
228 f.
Johannisfeuer in Tirol 484.
Israel , Samuel. Susanna 188 f.
Judenverfolgungen des XI. jh. im südl.
Mittelfranken 18 f.
juristarum termini 317 ff.
Kärnten, altdtsch. predigten des XII. jh.
aus K. 244 ff". — denkmäler des XI.
und XII. jh. aus K. 246.
Kaiserchrouik , ungenauigkeiten in d. K.
42 ff'.
Kirchhof, Wendunmut, verh. Bon. z. 330.
Klopstock. jugeiidlyrik 364f. z. textgesch.
des Messias 371 f. — vgl. 101. 119. 123.
Knaust (Cnostinus) , Heinr., seine metrik
162 f.
komödie, röm., s. drama. englische, einfl.
auf d. deutsche 202. 207 ff. Vgl. drama,
Susanna, Heinrich Julius.
Konrad v. Würzburg, frgm. aus d. herz-
maere 432 f.
kreuzbrüderklost. Marienfrede 218. 225. —
aus breitung der kreuzbrüder am Nie-
derrhein 224 f.
kreuzträgerord. , ausbreitung 225.
La mp recht, x41exanderlied. grammati-
sches s. casus, handschriftenverh. 385 ff',
verh. V. BVS 385 ff. Strassb. text 396 ff.
Laurentius, leg. v. d. tode 12. 15 f. 58.
lautverschiebung , innerer grund derselb.
371.
leich V. d. Samariterin, verh. z. Otfr. 117.
legendär, fränk. aus d. auf. des XII. jh.
12 ff ort d. entstehung 13. 14. 31.
59 f. Zeitbestimmung 18 f. 20. art der
entstehung 30 f. 44. 54 ff. dichter 58 f.
dessen heimat 62. Inhalt und quellen
12 ff", zweck u. bedeutung 54 ff.
legenden, tod des h. Clemens 12. —
Martinus 13. — Walpurga 13. — tod
des Laurentius 12. 15 f. 58. — Zerstö-
rung Jerusalems 17 ff. — kreuzfindung
(Helena) 21 ff. — Judas Quiriacus 23 ff.
— Heraclius u. Cosdras 32 ff.
Leo. archipresbyter, bist, de preliis 402 ff.
Leopold Vn. V. Ost. hotfeste z. Wien 63 ff.
Lessing z. Boner 329. 336.
litanei, grammatisches, s. casus.
Luther, empfiehlt dramat. spiele 175.
Mannheim , kurfürstl. deutsche gesell-
schaft 365.
Maria, trausitus M. 58. — iTagm. eines
gebetes a. M. 434 f.
Marienfrede , s. d. flg.
Marien lied er, brud. Hansens 218 ff.
hs. aus d klost. Marienfrede 218 f.
spräche, versmass 219 f. heimat 22 i.
lesarteu 226 f.
Martinus, h., cultus a. Rhein 13. 58.
SACHREGISTER
505
Mattliaeuscv. , frgiii. eine« coiuiiietitars
■123 if.
111 0 trik. metr. wert d. accentc in den Ot-
fridhss. 99. vgl. acceut, drania, mhd.,
Knaust.
Merseburger Zaubersprüche , veih. z. Otfr.
117.
Min.singer, Heinr. . Lobriser hs. 480 ft".
entstehungszeit des Werkes 481.
mittel hoch deutlich, formelhafte satz-
u. reimbildung im mhd. 45. — decli-
nation s. casus. — über einige fälle des
conj. 380 ff.
Modwenna, h., anglo-nürmaiinische lebens-
beschreibung 61.
musica , cod. sang, de m. s. St. Galleu.
Muspilli, verh. z. Otfr. 117.
narr, d., i. engl. u. deutsch, drama des
XVI. jh. 207 ff.
Notkeri psalterium , cod. sang. 275 ff.
Nürnberger anonymus, Susanna 151 ff.
vgl. Sus.
Odo de Ceringtoue. Boners verh. z. 329 f.
330 f.
Osterfeuer in Tirol 484.
Otfrid. gesch. u. entstehuug des textes
80 ff- urschriit 85. verh. der hs. F zu
V u. P 85 f. verh. von D zu V 86 ff.
entstehg von V 88 ff. äussere einrich-
tung von V 106 ff. verh. von P zu V
90 ff. — acceutuatiou der hssl 99 ff.
entstehg. der einz. bücher 144 ff. titel
des Werkes lU6. Sigihard , schreibcr
von r 83. 84 f. — kürzung urspr. lan-
ger vocale 123 f. Zeitfolge der abhäng,
rede 376 ff. — Otfrids leb. IIU f. seine
eigne tätigkeit b. herstcUung der hss.
83 ff. — quellen 111 ff. verh. z. vul-
gata 112 ff', bes. z. ev. .Johann. 120.
benutzg v. lat. commentaren u. a. theol.
werken , v. hymnen u. sonst, christl.
dichtuugen 114 ff. v. deutsch, denk-
mälern 116 ff. vergl. mit Heliand 119 ff.
bibl. u. theol. gelehrsamkeit 11''5. dich-
terische u. schriftstell, bedeutung 119 f.
paradies. existenz v. 2 p i. d. mittelal"
terl. leg. 52.
Paulus, ap., quelle f. d. nfräuk. legendär 12.
Paulus diaconus , verh. Bon. z. 326.
Petrarca, Bon. verh. z. 326.
Petrus Alfonsi, Bon. verh. z. 325. 332.
342.
Pickelhäring i. d. engl. kom. 207 ff.
Pilatus , grammatisches , s. casus.
Pleier , d. , benuzt d. Tristan 228 f.
poema de Alexandro, span. 400 f.
predigten, altdeutsche, aus d. Bene-
diktinerstift St. Paul i. Kärnten 244 ff.
heimat u. alter der hs. 245 ff. sjtrachl.
eigentündichkeiten 246 ff. glosseii, bil-
derreichtuni 249. textkritik 249 ff. glos-
sar 250.
predigtsamlung, frgm. einer, aus d.
XIV. jh. 420 ff.
jirosaroman , altfrauz. , frgm. 429 ff.
Pseudokallisthen. s 402 ff.
rätsei V. tieren 344 ff.
Rebekka, Isaak u. , s. Tirolff.
reim s. metrik.
Rebhun, Susanna 156 ff. vgl. Sus. —
deutsche grammat. 168 f.
Roberti anonymus, Boners verh. z. 332.
Ruodperts v. St. Gallen 7. brief, cod. Sang.
285 f.
Samariterin, leich, verh. zu Otfrid 117.
Sapphische chöre im drama des XVI. jh.
150.
schachbuch, mitteldeutsch.. Boners verh.
zum 325.
Schoenaeus. Susanna lat. 185 ft'. — Te-
rentius christianus 186. vgl. Sus.
Sedulius, d. alt. u. d. jung., quelle für
d. nfränk. legendär 14 f.
Sedulii Carmen paschale, glossen zu 273.
Sigihard, Schreiber des Otfridtextes F 83.
84 f.
Stöckel , Susanna 175 ff.
Susanna, dramatisierungeu im XVI. jh.
129 ff. allgemeines 129 ff. 217. — 16
bearbeitungen 132 ff. — Wiener ano-
nymus 135 ff. dramatisches geschick
136 ff. abweichg v. d. bibl. erzählung
138. sjiraciie, metrik 139. komischer
schluss 140 f. — Sixt Birck 142 ff.
chorgesänge 142. fortschritt in d. be-
haudlung des einzelnen 143. metrik
145 f. 150 f. — Nüriib. anonym. 151 ff.
verh. des Nürnb. druckes z. Magdebur-
gischen 132 f. kom. Vorspiel 155. ab-
weichg vom bibl. bericht 154. moral.
declamationen 154 f. metrik 155. —
Rebhun 156 ff. benuzt Birk 156 ff. treft-
liche technik 158 ff. Charakteristik 160.
metrik 162 ff. Umarbeitung durch Seb.
Wagner 166 ff. — Sixt Birk, lat. bear-
beitung (Betulius) 169 ff". Verteidigung
der weltl. stoffe u. d. antik, konioed.
169 f. vergl. mit d. deutschen stück
172 f. - Stöckel 175 f. — Frischlin.
lat. bearbeitg 176 ff. benuzt Betul. u.
Rebh. 177. 179. technik 177. treffl.
charakt. 178 ff. — Schoenaeus, lat. 185 ff.
benuzt Frischlin 186 f. — Samuel Israel
188 f. — Heinr. Jul. v. Braunschweig
189 ff. benuzt Frischlin 189 ff. spräche
(prosa , dialect) 202 f. verh. z. engl.
506
VEBZEICHNIS DER BESPROCHENEN STELLEN
koiii. 207 tt". der narr verschiedeu von
dem engl. 211 ff. verschiedene beurtei-
lungen des stücks 203 ff.
syntax. Zeitfolge der abhäng, rede im
Deutsch. 376 ff. — über einige fälle des
conj. i. mhd. 380 ff.
Tanfana 370.
Tatian nicht quelle Otfr. 112. vgl. 117.
120.
Terentius christianus des Schoenaeus 186.
termini juristarum 317 f.
Thomas, leb. des h. 61 f.
Tirolffs Isaak u. Eebekka 160.
trochaeus, 5füss. i. drama des XVI. jh.
s. drama.
Urzeit, deutsche, 366 ff. äussere zu-
stände 366 ff. innere 368 ff.
Vagdabera Custia 370.
Vincentiiis Bellovaceusis , Bon. verh. z.
325. 328 f. 329. — vgl. 39 f.
vocabularien , altdeutsche s. glossen.
vocabularius , lat. - deutsch, s. glossen.
vocalismus, üb. germanisch. 235 ff.
Volksrätsel, d. tierweit i. v. 344 ff.
Vgluspä, eine nachahmung der sibyllin.
Orakeldichtung 496.
Vulgata, als quelle Otfr. 111 ff". 120 f.
Wagner, Seb., Umarbeitung der ßebhuu-
schen Susanna 166 ff.
St. Walpurga, statten ihres cultus 13.
Walther v. d. V., sein zweiter aufent-
halt i. Wien 62 ff.
Wall her v. Chätillon, Alexandreis 404 f.
Weigand, F. L. K., 233 ff.
Wiener anouymus , Susanna 135 ff. vgl.
Sus.
Wittig V. Jordan , frgm. des 435 ff. ver-
gleich der Gothaer hs. mit d. Harden-
bergischen frgm. 441 ff. schluss der
Gothaer hs. 444 ff
Wolfgers , bischof v. Passau, reiserechngg.
63 f.
Wolfram. Parzival, fragm. in d. Mi-
lichschen biblioth. in Görlitz 1 ff. —
verh. V. Titurel u. P. 126 ff. vgl. 486.
Wortspiele i. drama des XVI. jh. 154.
Wright, selections of latin stories, paral-
lelen z. Bon. 331 f.
11. VPJRZEICHNIS DER BESPROCHENEN STELLEN.
Otfrid.
I,
Llthoclideutsch.
1, 17 s. 110 f.
13 s. 113.
19, 7 s. 96 f.
31 s. 114.
15 s. 95.
m, 3, 13 s. 111.
1, 17 s. 239.
24 s. 94.
4, 47 s. 114.
18 s. 239.
20, 35 s. 124.
119 s. 114.
2, 1 s. 112 f.
21, 14 s. 95.
6, 35 — 36 s. 115
8, 2 s. 239.
22, 16 s. 124.
7, 45 s. 97.
4, 41 s. 114.
23, 10 s. 90.
8, 41 s. 114.
42 s. 239.
25, 12 s. 93 f.
9, 8 s. 95.
48 s. 239.
20 s. 94.
9 s. 125.
51 — 56 s. 111.
26, 14 s 96.
12, 39 s. 98.
5, 10 s. 97.
II, 3, 2-5 s. 124 f.
40 s. 93.
7, 28 s. 116 f.
4, 3-4 s. 94.
14, 5 s. 125.
10, 13 — 14 s. 113.
29 s. 125.
79 s. 94.
11, 13 s. 97 f.
6, 44 s. 95.
98 s. 125.
11, 55 s. 115.
53 s. 125.
22, 59 s. 96.
12, 31 s. 115.
8, 37 s. 93. 96.
IV, 11, 5 s. 113.
15, 18 s. 113.
41 s. 91.
15, 25'^ s. 125.
34 s. 87.
9, 94 s. 239.
30 s. 239.
45 s. 94.
13, 28 s. 113.
18, 28 s. 125.
16, 16 s. 96.
14 s. 117 f.
41 3. 125.
23^ s. 87.
14, 71 s. 113.
21, 3 s. 125.
17, 9 s. 95.
14, 89 s. 125.
22, 1" s. 114.
43 s. 90.
18, 9 s. 95.
24, 6 s. 98.
75 s. 98.
21, 38 s. 98.
27, 23 s. 113.
18, 9 s. 117.
22, 9 s. 113.
30, 2 s. 113.
VERZEICHNIS DER BESPROCHENEN STELLEN
507
IV, 31, 17 s. 239.
36, 17 s. 113.
V, 6, 22 s. 125.
12, 1 s. 115.
11 — 14, s. 115.
100 s. 239.
23, 137 — 44 s. 111.
201—204 s.92f.
25, 1 — 6 s.lll.
Mittelhochdeutsch.
Boner:
fab. 2 s
329.
4 s
335.
42 s
341 f.
43 s
332.
48 s
326.
49 s
330.
52 s
326.
53 s
335.
57 s
336 f.
58 s
324. 335.
70 s.
330 f. 335.
71 s
325. 334.
72 s.
326.
74 s.
325. 334.
76 s.
325.
82 s.
326. 339 f.
85 s.
331 f.
87 s.
332 f.
89 s.
335.
92 s
324. 335.
94 s.
327. 334 f.
95 s.
327 f.
96 s.
333 f.
97 s.
324.
98 s.
328.
99 s.
335.
100 s.
324. 334.
Kaiserchronik :
11281-
-92 s. 42f.
11309-
-23 s. 43.
Lamprecht, Alexander:
S Y
V. 306 = 190 = B s. 359.
190, 12 s. 392.
322 = 190, 25 = B s. 393.
335 = 191,5 =Bs.390.
345 s. 390.
385 s. 393.
416 = 193,1 =Bs.393.
457 s. 393.
488 = 194,22 = Bs.394.
199, 3 s. 403.
998 = 204,2 =Bs. 391.
1009 = 204,8 =Bs.395.
1058 = 204, 22 = B s. 391.
1093 = 205, 10 = Bs. 392.
1135 = 206,2 =Bs.392.
1149=206,9 =Bs.394.
1239 = 207, 36 = B s. 392.
1256-59=208,7ff.=Bs.389.
1347 s. 390.
1371 = 210, 22 ==Bs. 394.
1396ff.=21 l,16ff.=B s.386f.
1411 = 211. 21 =Bs. 394.
1438 = 212,8 =Bs.393.
1488 = 213, 14 = Bs. 393.
1494 =Bs.389.
1503ff.= 216,8ff. = Bs.387.
1557 = 215,7 =Bs.394.
1578 = 215, 24 = Bs. 393.
1581 = 215, 27 = Bs. 395.
1735 fF. s. 390.
218,2 S.395.
218, 8 = BS s. 395.
219,5 s.395.
1738ff. = 219.9 =Bs.388.
1759f. = 219, 13 = Bs.388.
1761 s.390f.
1796 = 219, 28 = B s.395.
220. 15 s. 395.
1857 = 221, 13 = B s.395.
2001 = 225,1 =B s.395.
2013 = 22.5,6 =B s.395.
2300 s.396. 399 if.
2457 = B s. 396.
S
3230 f.
3453
3547
3606
3665
5057
5125 f.
5599
5721
6567
s.396.
S.397.
S.397. 414 f.
s.397. 415 f.
s.397.
s. 398. 416.
= Bs.398.
= Bs.398.
= Bs.399.
= B s. 399.
Altdeutsclie i)redigten ed
Ad. Jeitteles:
4 s. 253.
4, 12 s. 251.
6, 10 s. 251.
19 s. 251.
13, 14 s. 250.
18 s. 253.
23, 23—24 s. 254.
25, 2 s. 250.
28 s. 254.
33. 5 s. 251.
12 s. 250. 251.
34, 29 s. 250.
40, 24 s. 251.
43, 19 s. 251.
44, 13 s. 252.
24 s. 252.
45, 24 s. 252.
49, 24 s. 252.
50, 26 s. 250.
51, 23 s. 251.
52, 15 s. 252.
53, 25 s. 251.
.54, 1 s. 252.
2 s. 250.
56, 26 s. 251.
57, 26 s. 251.
58, 20 s. 250.
60, 7 s. 250.
68, 9 s. 251.
Walther v. d. Vogelweide
25, 26 s. 63 ff.
25, 35 s. 65.
III. WORTEEGISTER.
Mittellateinisch.
araudare 324.
arra 323.
arrestare 323.
cardo 314.
carpenus 316.
cassidolus 315.
castanicus 314.
cornupis 315.
cornus 316.
doreiis 315.
encheiresis 6G f.
emgo 314.
exp agare 322.
foca 315.
gladius 315.
homagium .321.
508
WORTREGISTER
hortiganum 321.
ilex 316.
juniperus 317.
lucar 323.
mercipotus 322.
muUus 315.
ornus 316.
palmitare 323.
platanus 316.
psalmus, psalteriura 97.
precium 321.
prinus 317.
sompnifer 314.
sosorra.t 324.
taxus 317.
terebinthus 317.
tribvüus 316.
ulnus 316.
vimen 317.
Altnordisch.
fafnismäl 375.
gora 373 f.
padreimr 496.
pulkrokyrkja 496.
VQlva 496.'
Althochdeutsch.
brumio 118.
otigil 118.
lobduam 239.
puzzi 118.
salmo, salteri 97.
.sextäri 118.
zepar 371.
Mittelho ch deutsch .
dünken constr. 77. 78.
heizen constr. 77. 78.
irwern constr. 76.
läzen constr. 77.
müwen constr. 77. 78.
rüwen constr. 77. 78.
Neuhochdeutsch und
dialecte.
fiedler, fiedel, fiedeln, fie-
delbogen 70.
holapfounen 484 ff.
Niederdeutsch.
anvertigen 322.
arn 78.
bede .321.
bön 349.
butinge 321.
czerte 316.
degen 323.
cruppelk 3(J0.
düftertke, düwke 353.
erworgen 322.
fäske 358.
ffeneren 78.
fömmeln 356.
gheneren 78.
balbvisch 315.
hodere 232.
buwke 353.
inleger 321.
kösske 356.
kreken 317.
lezynbom 317.
nare, uarwe 78.
pipop 348,
plässere 351.
pungel 355.
quarrop 348.
raren 350.
reitar 355.
schär 349.
schnodderlang 359.
sei 315.
slie 315.
smarre 78.
snare 323.
suns, sunist 360.
toherdeu 322.
twierstrid 322.
uekelei 315.
ungelt .321.
utpanden 322.
utvodere 232
vlederbom 317.
vlomen 323.
warnen (wernen) 79.
warpap (wappup) 348.
wöppop (wippup) 348.
wrad 232.
weclon 321.
zech 349.
zichlein 355.
Berichtigung.
S. 412 z. 13 V. u. lies:
Hnde ga^y im funfzic pimnt
n/nde silber iinde cfolt:
des ivart ime der hininc holt.
Halle . Bl.plir
ei <l?s Wnipenliauses.
PF Zeitschrift für deutsche
3003 Philologie
Z35
Bd. 11
PLEASE DO NOT REMOVE
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