XV r
'|Vl
■
-Ww
* y
4j *
•V. •
#ßWV
: j»e '
ü#
•^
afr «*,,r"w.
.»; >. ■
ijJ
.•i-jS?"
* UX ..
;
- V ^ ..
^n?*»
r
", .•'>-^Sr
FÄH
$?£
*-=■
r ">?
>*MM£Wl
'im dF^*
ZEITSCHRIFT
Fl W
DEUTSCHE PHILOLOGIE
BEGRÜNDET von JULIUS ZACHER
HERAUSGEGEBEN"
VON
HUGO GERING um OSKAR ERDMANN
3/s%,
1
DREIUNDZWANZIGSTER BAND
HALLE a. S.
VERLAG PER BUCHHANDLUNG DES WAISENHAUSES.
1891.
I
JooS
/Sc/, £3
Inhalt.
Seite
Über die poetisch-' Verwertung der natur und ihrer erscheinungen iu den vagan-
tenliedern und im deutschen tninnesang. Von K. Marold 1
Die Jerusalemfahrt des herzogs Friedrich von Österreich. Von R. Röhricht . 26
Über eine conjectur in der neuen Luther- ausgäbe. Von 0. Erdmann ... 11
Gerstenbergs briete au Nicolai nebst einer antwort Nicolais. Von R. M. Werner 43
Die entstehung des zweiten teiles von Goethes -Faust-, insbesondere der klas-
sischen Walpurgisnacht, nach den neuesten mitteilungen. Von II. Düntzer <i7
Zur topographie der fastnachtspiele. Von H. Holstein 104
Zum einfluss Klopstocks auf Goethe. Von 0. Erdmann Ins
Ertha Hludana. Von H. Jaekel 129
Der einfluss des Nibelungenliedes auf die Gudrun. Von E. Kettner. . . . 145
Volkstümliches zum „Annen Heinrich". Von II. \. Wlislocki 217
Zu Minnesangs Frühling 30, 28. Von F. Ahlgrimm 225
Ältere deutsche dramen in Kopenhagener bibliothekeu. Von J. Paludan . . 226
Die menschenweit in volksrätseln aus den provinzen Ost- und Wpstpreussen.
Von IT. Frischbier 240
Wortspaltungen auf dem gebiete der nhd. schrift- und Verkehrssprache. Von
K. G. Andresen 265
Die braut der hülle. Von G. Ell in gor 286
Zu Goethes Faust. Von F. Bronner 290
Zum deutschen wörterbuche. Von G. Kawerau 292
Nochmals thiit in bedingungss.ätzen bei Luther. Von G. Kawerau . . ■ . 293
Die zehn altersstufen des menschen. Aus dem nachlasse von J. Zacher, heraus-
gegeben von E. Matthias 385
Sagenhaftes und mythisches aus der geschichte der kreuzzüge. Von R. Röh-
richt 412
Zu herzog Friedrichs Jerusalemfahrt. Von F.Vogt 422
Zur Alexandersage. Von H. B e c k e r 4_! 1
Das spiel vom jüngsten gerichte. Von H. Je 11 in gh aus 420
Zur litteratur des lateinischen Schauspiels des IG. Jahrhunderts. Von IT. Hol-
stein 430
Zu Goethes Faust. Von R. Sprenger 4f>l
Nekrolog.
August Theodor Mübius. Von K. Maurer und H. Gering 457
Miscellen.
Preisaufgaben der fürstlich Jablouowski'schen geselschaft 384
Zur Orendelfrage. Von L. Beer und F. Vogt 493
Zu Reinaert und Wisselau. Von E. Martin und H. Brandes 497
Litteratur.
Müllenhoff, Beovulf. Untersuchungen über das ags. epos und die älteste
geschichte der germanischen see Völker, angez. von E. Koppel 110
B. ten Brink, Beowulf. angez. von E. Koppel 113
IV INHALT
Seite
Kressner, geschichte der französischen national -litteratur, angez. von A. Stirn -
ming 122
- w^rkc. Weimarer ausgäbe, angez. von EL Düntzer 294
K. Martin, neue fragmente des gedichts van denvos Reinaerde und das bruch-
stück van bore Wisselauwe, angez. von H. Brandes 349
II. R tteken, d kunst Beinrichs von Veldeke und Hartmanns von
Au n 0. Erdmann 354
R, Eenning, die deutschen runendenkmäler, angez. von H. Gering. . . . 354
K. I i stanromanens gammelfranske prosahandskrifter, angez. jvonH. Su-
chier 3G0
J. Strnadt, der Kirnberg bei Linz und der Kürenberg -mythus, angez. von
F. 361
M. Eeyne, deutsches Wörterbuch 1. 1. angez. von 0. Erdmann 362
0. ] Eberhards synonymisches Wörterbuch der deutschen spräche, angez.
von 0. Erdmann 364
EL Paul, grundriss der germanischen philologie I. 2. II, 1, 1. IL 2, l,
angez. von E. Martin 365
.1. Bäbler, fluruameu aus dem Sehenkenberger amt. angez. von L. Tobler . 871
Abel, die deutschen personermamen, 2. aufl. besorgt von W. Robert -tornow,
angez. von K. '■. Andresen 372
Th. Si 5,2 ichte der englisch -friesischen spräche I, angez. von H. Je 1-
linghaus 375
EL Schachinger, die congruenz in der mhd. spräche, angez. von 0. Erdmann 378
Musen und grazien in der mark, herausgegeben von L. Geiger, angez. von
E. Wolff 379
.1. Kelle. Untersuchungen zur Überlieferung, Übersetzung, grammatik der psal-
men Notkers, ; von 0. Erdmann 380
J. Pfeiffer. Klingt re Paust, herausg. von B. Scuffert, angez. von 0. Erd-
mann 381
Lh. Schweitzer, de poemate latino Walthario, angez. von E. Voigt . . . 470
L eck, die homiliensamlung des Paulus Diaconus die unmittelbare vorläge
tfrids, angez. von 0. Erdmaun 474
M. Raunow. der satzbau des alid. Isidor im Verhältnis zur lat. vorläge, angez.
von S. v. Monsterberg 47.1
EL B )rf, über syntaktische mittel des ausdrucks im ahd. Isidor, angez. von
K. Tomanetz 477
K. Domanig, ler senaere Walthers von der Vogelweide, angez. von F.Vogt 479
- hillerlitteratur iE. Elster, H. Tischler, L. Bellermann, A. Ruhe, J. Gold-
". A. dess) besprochen von Gr. Kettner 481
F. Schultz, die Überlieferung von „Mai und Beaflör*, angez. von 0. Wächter 491
F. Ahlgrimm, Untersuchungen über die Gothaer handschrift des „Herzog Ernst*,
ang :. (>. 492
- heinungen 127. 382. 500
Nachrichten 128. 383. 502
L ri htigung z\ 292 499
von E. MatthL. 504
ÜBER DIE POETISCHE VEEWEETÜNG DEE NATUR UND
IHRER ERSCHEINUNGEN IN DEN VAGANTENLIEDEEN
UND IM DEUTSCHEN MINNESANG.
Der gottesdienst der heidnischen Germanen war im wesentlichen
ein naturdienst und die altgermanische religion reich an mythischen
Personifikationen von naturkräften. Dass die hymnische poesie der
alten Germanen vor allem diese mythische naturvereljrung zum aus-
druck brachte, hat Müllenhoff in der bekanten abhandlung „De anti-
quissima Germanorum poesi chorica" (Kiel 1847) dargetan. Durch
die einfuhrung des Christentums aber und den glaubenseifer der
bekehrer schwand im laufe der zeit selbst die erinnerung an die alte
religion und mit ihr auch die Verehrung der naturkräfte und natur-
erscheinungen aus dem bewustsein des volkes, denn hinter einer
begeisterung für die naturerscheinungen hätten die bekehrer nur zu
leicht einen rückfall in den heidnischen götzendienst vermutet. Dazu
waren die christlich -religiösen anschau ungen, welche häufig in erster
linie einer weltverneinung das wort redeten, einer unbefangenen natur-
freude hinderlich1. Nur in den unteren schichten des volks rettete sieh
einiges in gebrauchen, und wo! auch in liedern aus der heidnischen
vorzeit, was in der blütezeit mittelalterlicher dichtung als fruchtbarer
keim von der sonne einer freieren lebensanschauung gezeitigt empor-
wuchs.
Die ältere deutsche dichtung zeigt nun erstaunlich wenig aus-
druck von naturgefühl und — was in gewisser beziehung damit zusam-
menhängt — wenig neigung zu poetischen bildern3. Der grund dafür
ist in mehrerem zu suchen, was hier nicht der ort ist auszuführen.
Erst almählich gewannen die Deutschen auch hierin eine grössere frei-
heit des geistes, und das 12. Jahrhundert brachte einen Umschwung in
dieser richtung. In dieser zeit begann ein gesteigertes bedürfnis nach
1) Vgl. jezt darüber v. Eicken, Geschichte und System der mittelalterlich- 'ii
Weltanschauung (Stuttgart 1887) s. 316 fgg. Der abschnitt über das ästhetische
interesse an der natur s. 638 — 640 hätte jedoch noch sehr vertieft werden können.
2) Vgl. E. Heinzel, Über den stil der altgermanischen poesie (QF10) s. 25.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXHI.
MAROLD
poetischer ansschmückung des lebens sich geltend zu machen, und
damit mäste natuigemäss auch eine grössere aufmerksamkeit auf die
natur, deren erscheürangen vod jeher poetisch angelegte geister ange-
zogen haben, sich verbinden Dazu kam aber auch noch das beispiel
der westlichen nachbarn und der lateinischen poesie, die ja wie die
lateinische spräche im mittelalter internationale bedeutung hatte. Nun
besann man sich in Deutschland, durch das beispiel kühn gemacht,
dass auch in der eigenen heimat die herzen höher schlagen, wenn der
frühling mit seinen gaben gepriesen wird, dass wo! alte volksreime
noch umgehen, die den Wechsel der Jahreszeiten feiern; und auch in
Deutschland wurde die oaturempfindung mit anderen empfindungen des
herzens, vornehmlich der liebe, in beziehung gesezt.
Eine besondere aufgäbe fiel hierbei der lateinischen dichtung zu.
Die khvhe war trägerin jeder höheren bildung im mittelalter, und ihre
spräche die lateinisch»-. Das lateinische aber war eine für poetische
zwecke fest durchgebildete spräche. Eine summe von poetischen bil-
dern hatte mit der spräche sich fortgeerbt, und dieser kreis von bildern
war durch das Christentum und durch die volkstümlichen anschauungen
der Länder, in denen man in lateinischer spräche dichtete, zum teil
erweitert Vieles freilich gieng von altem gut auch im laufe der zeit
oren. Ein»' umfangreiche gelehrte dichtung in lateinischer spräche
- rgte aber für erhaltung und erweiterung jenes Schatzes, und ein wil-
der M'hüssling dieser gelehrten dichtung war die poesie der vaganten,
der fahrenden kleriker. Man hat ihre dichtung als „gelehrte volks-
poesiea bezeichnet, und mit recht. Sie waren die ungezogenen söhne
der kiivhe. die sich ihrer strengen zucht entzogen und vom 12. bis
ins 13. Jahrhundert Frankreich. Deutschland, England durchschweiften
und in der spräche der kirche lustige weisen von der liebe lust und
leid, vom wein, von spiel und tanz und von den Schönheiten der
natur ertönen Hessen1. Aber sie waren gelehrte und kleriker und
fühlten sieh als Bolche; mit den spielleuten gewöhnlichen Schlages wei-
te; rieh um keinen preis identificieren lassen. Das kirchenlied
und die gelehrte schulpoesie bilden den eigentlichen boden, aus dem
di( _antendichtung erwachsen ist2; aber infolge ihres Verkehrs mit
li Reuter. Geschichte der religiösen aufklärung im mittelalter I, s. 141 fgg.
ildert das treiben der va. als ein Symptom der beginnenden aufklärung.
_ Mau vergleiche die grundlegende arbeit von \Y. Giesebrecht, Die vagan-
u und ihre lieder. '. öine monatsschrift für Wissenschaft und
litteratui 8. 10 — 43 und 344 — 381; ferner: Hubatsch, Die lateinischen vagan-
tenlied< Görlitz
VERWERTUNG DER NATUR DURCH DIE VAGANTEN U. MINNESINGER 3
dem volke und den volkssängern in Frankreich sowol wie in Deutsch-
land sind auch genug volkstümliche demente in ihre lieder eingedrun-
gen, und mit dieser einschränkung haben Schindlers worte (Carmina
Burana s. VIII) ihre volle berechtigung: „mit gutem gründe sprechen
wir einen nicht unansehnlichen teil auch der Lateinischen poetischen
erzeugnisse do^ mittelalters als vätergut an."
Nun sprach schon Schmeller a.a.O. die Vermutung aus, der deut-
sche minnesang möge sich wo] nach einem lateinischen gebildet haben;
aber erst 1876 fand diese frage einen eifrigen Verteidiger in E. Mar-
tin, Ztschr. f. d. a. 20, 46 — (>9; und in demselben jähre berührte
Scherer in der recension der zweiten ausgäbe von MSF im A. f. d. a.
I, 197 fgg. diese frage hauptsächlich in hinsieht auf die natureingänge.
Eine ausschliessliche abhängigkeit (\v> minnesangs von der Vagantendich-
tung, in der weise dass jener erst durch diese geweckt und nach ihrem
muster entstanden sei, muss entschieden von der hand gewiesen wer-
den. Jedoch wird in einzelnen fallen im verlauf des minnesanges ein
einfluss der Vagantendichtung nicht von der hand zu weisen sein,
worauf ich mein besonderes augenmerk zu richten gedenke. Dass mit
den deutschen spielleuten sich Vaganten mischten und in Deutschland
umherzogen, hat schon Müllenhoff, Zur geschiente der Nibelunge not
(1855) s. 20 nachgewiesen; er weist s. 19 darauf hin, dass schon die
musikalische bildung, die seit dem 12. Jahrhundert bei den deutschen
sängern vorausgesezt werden muss, darauf schliessen lässt, dass sie die
schule der geistlichen nicht verschmähten. Dazu kam aber, dass noch
viele von den sängern der blütezeit gelehrte bildung genossen hatten
und mit der lateinischen spräche vertraut waren. So wäre es geradezu
wunderbar gewesen, wenn nicht die dichtung der geistlichen und zumal
die Vagantendichtung ihren einfluss gelegentlich geltend gemacht hätte.
Wie zahlreich aber die vaganten Deutschland durchschwärmten, darf
ich nicht widerholen; ich verweise auf Giesebrecht a. a. o. s. 33 — 3
1. Personifikation der schaffenden natur und der fruchtbaren
erde.
Meines wissens hat R. Galle in seiner disserfation : Die Personi-
fikation in der mittelhochdeutschen dichtung (Leipzig 1888) dieselbe
zuerst berührt, aber so flüchtig, dass es kaum erwähnenswert ist (s. 95.
106. 110). Den antiken dichtem — ich erwähne nur die auch für das
mittelalter bedeutungsvollen övid und Vergil — war die Personifikation
geläufig; und die lateinische schulpoesie des mittelalters erhob die natur
fast zu einer mythologischen figur, die sie gott als gleichberechtigt
1
MAROLD
lüberstelte. Sie galt als die Schöpferin aller dinge ihrer form
nach, als die stelvertreterin gottes. Wie verbreitet diese vorstel-
lung in der gelehrtenpoesie des mittelalters war, lehren besonders Ala-
uns ab Insnlis1 in seinem „Anticlaudianus" und im „Planctus Natu-
raea and Walther von Chatillon in seiner „Alexandreisa 2. Aber diese
persönliche Vorstellung von der schaffenden natur zeigt sich noch viel
früher bei ausschliesslich christlichen Schriftstellern und dichtem. So
igt sich Ambrosius gerade an den poetisch schönen stellen seines
exegetischen werkes „Hexaemeron" ganz vertraut mit jener Personifika-
tion, trotzdem er doch die almacht und Weisheit gottes an der schöpfnng
der weit erweisen will: IV, 1, 4 versteigt er sich zu einer ausführ-
lichen prosopopöie, sonst aber sind vis naturae, subsidium, gratia
natural . ratio naturae n. a. ihm geläufige Wendungen. Paulinus Pe-
trocordiae (am ende des 5. Jahrhunderts) sagt in der Vita Martini IY, 555
park m — campi omabat vario comens natura decore und im verlauf
derselben naturschilderung v. 581: quae munere Christi — naturae
gratia pinorit. Noch freier zeigen sich hierin die dichter der karolin-
schen renaissance; aber erst die gelehrtenpoesie des 12. und 13. jahr-
hunderts verstieg sich zu einem wahren natnrkultus in hinsieht der
pantheistischen Vergötterung der schaffenden und bildenden natnrkraft3.
Ein nachhall davon* aber tönt uns aus den vagantenliedern entgegen,
wie folgende beispiele zeigen:
CB (= Carmina Burana) 35, 14 quam sorte de infantin Natura
nustaverat; 40. 1 (= Wright, Early mysteries s. 111) E globo veteri
dum rerum fadem traxissent superi mniuVupic seriem -prüden s expli-
it et texuit Natura, jam preconeeperat quod fuerat factum, quae
causas macMne mundane sciscitans de nostra virgine iamdudum cogi-
tans plus hanc exeoluit. 2 in hoc pre erteris totius operis Natu.'
lucent opera. 3 Nature studio longe venustata — . 5 precastigat
hunc candorem — prudens Natura. 6 Natura dulcioris alvmenta
dans — 65, 14 quem beavit omnibus gratiis Natura.
•~_J totum fuit sonipes Studium Nature. 108, 1 iubente Natura
pJrilomena jueritur. — 132, 1 in cuius figura laboravit deitas et
maier Nu turn. — 142. 1 Quam Natura pre ceteris in im prfflorat
arte. — CLXXII. 18 und 19 Unieuique proprium dat Natura mu-
nus. — CXCH, 4 Natura vim non patitur. — W. Mapes ed. Th.
I) Herausgegeben von Th. Wright in seinen Anglo-latin satirical poets II.
- Herai von Müldener (Leipz. 1863).
V_l. K. Francke, Zur geschichte der lat. schulpoesie des XII. und XIII.
Jahrhunderts (München 187 2. :;(».
VERWERTUNG DER NATUR DURCH DIE VAGANTEN U. MINNESINGER 5
Wright s. 132 v. 233: occulta latent plurima Natur ae beneficia.
Early Myst. ed. Th. Wright s. 118, Carm. ex ms. Arundel. VIII, 1 ter-
rae faecundat gremium clementior Natura. — Du Meril, Poesies pop.
s. 45, Chant sur ia nativite du Christ (saec. XI) str. 9: lüde Natura
stupuit, ius amisisse (lohnt, miratur quis hoc potuit; s. 233 (saec.
XIII) z. 28 fgg. Phihmena Terea dum meminit non desinit, sie im-
perat Natura recenter conqueri de veteri iactura; s. 244 Hymnus
des Abälard v. 2!) fg. opus magis eximium est Naturae quam ho-
minum l.
Der gelehrte Charakter der naturbeseelung in der Vagantendich-
tung spricht sich ferner in der verliebe aus, mit der sie von der
Schwangerschaft der erde spricht. Auch hierin folgt sie nur der
gelehrtenpoesie, die dieses bild gern gebraucht und darin wider eine
reminiscenz aus antiker dichtung widergibt2; es ist die ausfuhrung der
metapher mater Natura. So heisst es CB 55, 1 veris ab instantia
tellus iam fit gravida in partum inde solvitur, dum florere cemitur.
103, 2 tettus parit flores. — 103, 3 tettus f<jta sui partus grande
deeus flores gignit odoriferos. — 108, 3 (terra) in partum solvitur
redolens odore. — Mone, Anzeiger f. künde des t. mittelalters 7, nr. 24
(= Du Meril, Poesies pop. s. 213 fg.) str. 1: tellus impraegnatur. —
Du Meril a. a. o. s. 232 De terrae gremio verum praegnatio progredi-
tur et in partum solvitur mirifico colore. — Ausführlich wird das
bild ausgemalt in den Versus de Guerra Regis Johannis bei Th. Wright,
Political Songs s. 22 fgg. v. 76 fgg.: Tempus erat, quo terra uoro
pubescere partu Cocperat et teneras in crines solverat herbas, VeUera
pratorum redolens infantia floruni usw.3 — Ebendahin gehört auch
1) Es würde zu weit führen, darauf einzugehn, dass natura in den vagant«'n-
liedern auch, in manchen anderen bedeutungen verwendet wird, so besonders häufig
den liebestrieb bezeichnet.
2) Selbst der das Christentum und christlichen glauben energisch vertretende
Ambrosius scheut sich nicht dieses bild zu verwenden. Er sagt Hexaemeron EU, 8, 34
parturiens terra novos se fwtit in partus und 35 itbcrtas foeeundae matris (ter-
rae) se in partus effundit.
3) Ich kann es mir nicht versagen als beispiel für den engen Zusammenhang
zwischen Vagantendichtung und gelehrter poesie eine parallele aus der Poetria des
Galfridus de Vinosalvo (a. 1216; herausgegeben von Leyser in der Historia poetarum
et poematum medii aevi; Halle 1721) anzuführen. V. 552 fgg. lauten: Verl cedit
hijcms; nebulam diffibulat aer; Et cochon blanditur kumo, laseivit m illa/m Hu-
midus et calidns. et quod sit masculus aer Femina sentit humus. flos, fulius
eins, in auras Exit et arridet matri. conia primuta condit Arboreos apices. Dass
das bild aber eine alte bis auf das altertum zurückreichende tradition war, zeigt Ver-
gil Georg. II, 325 fgg. und dann ein gedieht des codex Salmasianus (bei Riese, Anthol.
MAKOLD
die gelehrte identilicierung der erde mit der antiken Rhea, Cybele und
Pales in einigen vagantenliedern. Dabei bleibt aber die Personifikation
der erde in den vagantenliedern nicht stehn; terrae gremium ist ein
häufiges bild, daneben terrae sinus; häufig ist auch terrae facies, je
einmal heissl - terrai corpus und sogar terrae pori.
Von dieser gelehrten art, die schaffende kraft der natur und die
triebkraft der erde zu personificieren findet sich nun weder in des
minnesangs frühling noch bei den eigentlichen klassikern eine spur. Es
hörte eben eine art der abstraktion dazu, welche die deutschen sän-
noch nicht kanten und welche ihnen erst almählich vermittelt wurde.
Da ist es denn ganz natürlich, dass z. b. der nach antikem vorbilde
dichtende Eckehard im Waltharius v. 766 sagt: cui natura dedit reli-
quas ludendo praeire. Die ältesten beispiele für die Personifikation der
natur in deutscher dichtimg sind bei Heinrich von Melk, Erinnerung
692: der natüre reht, in Heinrichs litanei (Fundgruben II, s. 222, 30):
da\ der natüre icas ungewonelich, und in Wcmhers Maria (Fundgru-
ben IL 182, 23): des in diu natüre uleu icil verhengeu mit der stimme.
Aber der ausschliesslich geistliche Charakter dieser dichtungen gibt
auch die erklärung für den gebrauch dieser gelehrten Personifikation;
die angeführten beispiele sind ausserdem, soweit ich sehe, aus dem
12. Jahrhundert die einzigen1. Erst das 13. Jahrhundert zeigt die per-
nificierte natur auch in weltlichen dichtungen; unter den epen haben
wir mehrere beispiele bei Albrecht von Halberstadt, die aber nicht auf-
fallend sind, weil das gedieht ja eine Übersetzung des Oviol ist. Beson-
ders ausgedehnten gebrauch davon machen aber Konrad Fleck und Hein-
rich von dem Türlin in seiner Kröne (dieser sagt sogar einmal vrou
Natüre). Im folgenden will ich mich aber auf den minnesang
beschränken. Da ist es nun auffallend, dass um die mitte des 13. Jahr-
hunderts, in einzelnen fällen schon seit ca. 1220, also in einer zeit,
wo die vaganten erwiesenermassen nicht nur in Lothringen und am
Niederrhein, sondern auch am Oberrhein, in Schwaben, in den Donau-
gegenden und im Salzburgischen umherzogen2, in deutlich erkenbarer
weise bilder und Vorstellungen, wie sie dem vagantensange eigentüm-
lich sind, auch im deutschen minnesang sich zeigen.
lat. nr. 235: Pentadiu^. De adventu veris). — Vgl. Piper, Mythologie und Symbolik
der christlichen knnst IL 8. 87.
li Ni = beschaffenheit, angeborne art (ohne Personifikation) findet sich
häufiger, aber auch nur in den dichtungen geistlichen Ursprungs, noch nicht in den
.si'ielmannsepen.
2) Tgl. i recht a. a. o. s. 33 fgg.
VEKWEKTUMr DER NATUB DHBOH DIE VAGANTEN U. MINNESINGEB 7
Die beispiele für die Personifikation der natur und die trieb-
kraft der erde im sinne der Vagantendichtung (beziehungsweise der
gelehrten lateinischen dichtung) sind nun folgende (ich ordne der ein-
heitlichkeit wegen die citate nach Hagens Minnesingern).
MSH I, 68b E. v. Sax 3 du bist der natüre wunder (Maria).
I, 79b K. v. Kotenburk III, 22 beide, röt uude wi; also hat der na-
türe vU% gemachet ir wengel rar. II, 245b Manier XIV, 14 davon
daz natüre an in niht tilgende treit. II, 261b v. Buwenburk III, 1
ahtent, ob natüre iht ze schaffenne habe e da: aller dinge .stelle nach
der \it. II, 337b Vrouwenlop I, 2 (von einer schwangeren frau) na
merket icie si Ir liege, diu geviiege, der natüren \uo genüege. II, 350 a
Yrouwenlop IY, 1 natüren kraft ersehinet an dem vogel vellica.
III, 143a Vrouw. II, 8 tvem natiure gibet, der schepfet hiute also
ril als einer vert. III, 144a Yrouw. III, 1 wd wont natiur* in
hefte, sint sie aller dinge walte hat? mit got durch got in got sie lir-
met wa% er tirmen tat — vier (gott, seine ewigkeit, seine majestät
und Maria) mohteu nie, den natiure alterseine (die zweite strophe
sezt die Personifikation fort). III, 147a Yrouw. III, 17 ir sloz (die
strophe handelt von den vier elementen) natüren kraft gar schön/
begiuzet III, 377a. Vrouw. VII, 3 got mensche wart natüre brach.
4 Natüre möhf wol zürnen solch geschulte (es folgt eine vollständige
Spielerei mit natüre } die sich durch die ganze strophe hindurchzieht). —
II, 380b Boppe I, 14 an im (Christus) wart der natüre kraft in
wernder wirde erhoehet und erniuwet. III, 414 a Heinzelin v. Ko-
stenz 74 Von dir (Gott) ist der natüren kraft entsprungen mit ge-
liozzen.
MSH I, 47 b Gr. v. Nifen XIV, 1 diu heide ist worden swanger.
I, 206a B. v. Hohenvels XI, 1 da wart erde ir lip ervrisehet; dar
ein tougenlichez smiegen wart si vröuden vrilhte swanger; duz tet
Infi, ine wil niht triegen, schouwet selbe üf den anger. I, 350a
K. v. Landegge I, 1 ich klage auch heide und anger, die liiure wur-
den swanger vil bluomen glänz. II, 223 a/b d. j. Meissner IV, 1 sit
daz heüV und anger stvanger mit den bluomen sint. (II, 340b Vrou-
wenlop I, 12 ich bin'z (Maria), ein würzen richer anger; min bluo-
men, die sint alle swanger). III, 82b Wizlav X, 1 Diu erde ist ent-
slozzen, die bluomen sint entsprozzen. (Dass auch dieses eine der
Vagantendichtung eigentümliche Vorstellung war, zeigen mehrere bei-
spiele; z. b. Mone Anzeiger 7, 30 ver terrae gremium aperit, CB 103, 1
Terra iam pandit gremium, Wattenbach im Anzeiger f. künde d. d.
vorzeit 22, 150 aus einer Tegernseer hs.: Eosam et candens lilium
MAROLD
iam clausii fern gremium). III, 296 Nithart (anhang) I, 2 der meie
hat du heid berüert van würze und kriute swanger.
Folgerungen aus den beispielen zu ziehen, halte Ich nicht für
nötig, da dieselben zur genüge selbst über die art aufschluss geben,
wie man sich die almähliche einmischung der erwähnten poetischen
Personifikationen in den Ms zu denken hat. Der ersten hälfte des
L3. Jahrhundert- gehören von den in frage kommenden dichtem an:
Burkhart von Hohenfels und Gotfrid von Neifen, jener am Bodensee,
dieser in Schwaben zuhause. Die stelle aus Burkhart ist besonders
merkwürdig wegen der Übereinstimmung mit der oben citierten stelle
aus Galfrids Poetria, sie zeigt das interesse des dichters, der zum klo-
r Wettingen in näheren beziehungen gestanden zu haben scheint,
für gelehrte bildung. Diese Übereinstimmung ist um so auffallender,
als die lieder Burkharts im ganzen einen volksmassigen inhalt in der
weise Neidharts zeigen und auch das lied, dem das obige citat entnom-
men ist. im weiteren verlaufe einen wintertanz in der scheuer schil-
dert. Noch in höherem grade pflegt Gotfrid neben liedern in überaus
künstlicher form das volksmässige ; aber seine mannigfachen beziehun-
d zu klöstern, die urkundlich bezeugt sind, haben ihm sicher auch
kentnis lateinischer dichtung vermittelt und ihn mit fahrenden klerikern
Legentlich in berührung gebracht. Was die heimat der übrigen dich-
ter betrift, so sind sie mit ausnähme Frauenlobs und Witzlavs sämt-
lich Schwaben oder Schweizer und ihre Wirksamkeit fält in die zweite
hälfte des 13. Jahrhunderts, Frauenlob und Witzlav reichen noch in
den anfang des 14. Jahrhunderts hinein. Unter ihnen war Eberhard
- x selbst ein kleriker; Konrad von Landeck schenk des abtes von
St Gallen: Boppe >tand in persönlichen beziehungen zu bischof Kon-
rad III. von Strassburg, gehörte übrigens zu den fahrenden und zeigt
sich in seinen dichtungen durchaus als gelehrter: der Manier war eben-
fals ein fahrender, der sehr viel in der weit umherkam und viel
gelehrte anspielungen in seinen gedienten zeigt, wie er denn auch
a schickt lateinisch dichtete: ebenso wandert Frauenlob viel in der weit
herum und bei ihm zeigt sich der gelehrte dunkel besonders deutlich
in den spitzfindigen Spielereien mit worten. Von Rudolf von Roten-
burg wissen wir nur. dass er auch ein buntes Wanderleben führte; bei
dem von Buwenburg, Heinzelin von Konstanz und Witzlav, Fürst von
Rügen, sind lebensbeziehungen zu klerikern nicht festzustellen; aber
der einfluss der gelehrtendichtung auf den einheimischen minnesang
gewann in dieser zeit einen immer breiteren b<»den, so dass dadurch
auch da> citat aus Pseudo- Neidhart seine erklärung findet.
VERWERTUNG DER NATUR DURCH DIE VAGANTEN U. MINNESINGER 9
2. Die winterschilderungen in der vagantenpoesie und im
minnesang.
Direkte Wintereingänge haben unter den vagantenliedern nur
wenige: Mone a. a. <>. no. 18. 21 (die lieder sind im lezten drittel des
12. Jahrhunderts gedichtet); CB 42. 56 (= Wright, Early Myst. s. 1 1 1
no. V). 95. 180; Du Meril, Poesies pop. s. 235 (aus einer hs. saec.
XIII); Wattenbach im Anzeiger f. künde d. d. vorzeit 22 s. 150 (aus
einer Tegernseer hs. saec XIII oder XIV): ins. Sterzing (saec. XIY)
hg. von Zingerle (Sitzungsberichte der Wiener akademie, phil.-hist.
Klasse 54) s. 324 fg. Aber zusammen mit den frühlingseingängen, die
auf den winter bezug nehmen, geben sie uns doch ein ziemlieh klares
bild davon, wie die vaganten ihrer trauer und ihrem ärger über den
winter ausdruck verliehen.
Bei der Winterschilderung wiegt fast durchweg die persönliche
auffassung vor; nur an wenig stellen ist dieselbe nicht ersichtlich oder
wenigstens dunkel und kaum erkenbar. So heisst es bei Mone a. a. o.
18 nur: redit brumeie glades; 24 imber enim transiit. CB 55, 1 Fri-
gus hinc est horridum; 116, 1 Transit tempus gelidum; 102, 1 Tem-
pus transit horridum, frigus hie male; 164, 1 Transit nix et glacies;
180, 1 Hiemali frigore dam prata marcent frigorf et aque congela-
seunt. Sonst ist überall die Vorstellung von dem winter als einem
gewalttätigen unholde, einem grausamen Tyrannen, einem verwüster
und räuber, einem erbitterten kriegshelden , der aber doch schliesslich
eingekerkert wird oder in die flucht geschlagen und in die Verbannung
gehn muss, erkenbar. CB 51, 1 hiemis cedit asperitas; 95, 1 bruma-
lis sevitia iam venit in tristiHa, grando nix et pluvia sie corda red-
dunt segnia, ut desoleutar omnia (vgl. 53, 3 hiemali taedio qup vil-
uere languida); 106, 1 haue recedit hyemis sevitia; 107, 2 Jtien/s
seva cessit; 109, 1 sie hiemis sevitia finitur; 118, 1 hiems spva tran-
siit; 56, 1 (= Wright Early Myst. s. 114, V, 1) Sfvit aurß spiritus;
98, 1 Cedit hiems, tua durities, fr i Igor abit, rigor et ylaci<s, brumaUs
et feritas, reibics, torpor et improba segnities, paUor et ira, dolor,
maeics; 103. 1 Terra iam pandit gremium — quod geht friste clau-
serat brumali feritate — sevum spirans boreas iam cessat commovere;
114, 1 hiemata tersa rabie. — 32, 4 Aquilonis ira irr<<lnnis; 36, 3
Terminum vidit brumß desolatio; 42, 1 Estas in exilium iam peri-
grinatur — felicem statum nemoris eis frigoris sinistra denudavit et
ethera silentio turbavit, exilio dum aves relegavit; Metamorphosis Go-
liae 2 (Wright, Walther Mapes s. 21) fjaod (seil, nemus) nequivit hye-
mis algor deturpare nee a sui deeoris statu declinare; Wright, Early
10 MAROLD
Myst s. 109 I, 1 Praeclusi viam floris vis reserat caloris — eom-
pescuit algoris repagula (vgl. CB 32, 1 Brunia veris emula sua iam
repagula dolet demoUri)\ s. 113 IV, 1 olim gemens (seil. Rhea) car-
rari sui s ■•/* vincuUs (vgl. -Ms. Sterzing s. 324 //r/^ metu gemens
tremens teUus). 2 Aethera Favonius inducit a vineulis; Du Meril
a. a. o. s. 235 (Ms. saec XIII) iam nocet frigus teneris et avis bruma
laectitur; Wattenbach a. a. o. qui (seil, aquilo) turbinoso flamine pri-
vavit aves carmitu nimbo cooperante; ebenda 26 s. 165 Temps quam
statem) nuper horrido, fugarat in eorilium.
Das lezte citat leitet zu den stellen über, an denen der sänger
einen kämpf des winters mit dem frühling im sinne hat und bewnsst
oder unbewusst auf die uralte mythologische idee eines krieges zwi-
schen beideu Jahreszeiten anspielt. Die lateinische gelehrtenpoesie
hat sich dieser idee schon früh bemächtigt, zumal ähnliche vorstellun-
d das aitertum und die im mittelalter viel gelesenen antiken autoren
schon kanten, z. b. Ovid Met. X, 164 fg. quotiensque repeUit ver Me-
inem. S hon zur zeit der karolingischen renaissance hat nun Alcuin
oder nach Ad. Eberts Vermutung dessen schüler Dodo jenen Confh'ctus
veris et Memis gedichtet1. Im 11. Jahrhundert schildert alsdann ein
priester aus Flandern oder dem nördlichen Frankreich, namens Her-
bert, welcher seinen abt um aufbesserung seiner einkünfte bittet, aus-
führlich jenen kämpf zwischen winter und frühling2. Dort streiten
frühling und winter über das kukukslied, der winter spricht voce severa,
er wird atrox genant und tarda hiems; das sind züge, die später noch
in den vagantenliedern widerkehren. Herbert scheint auf das ältere
gedieht bezug zu nehmen, v. 37 lautet: tunc simul aeeipient conflictum
verque hiemsque. Die Schilderung ist aber eine ganz andere; sie
bewegt sich dort mehr in abstraktionen, dagegen gibt sie hier das
konkrete bild einer erbitterten schlacht zwischen zwei mächtigen heer-
führem. Kälte, schnee und eisige winde sind das gefolge und die
waffen des winters, frisches laub und veilchen der waffenschmuck des
frühlings, die Sonnenstrahlen sein mächtiger bundesgenosse, wozu spä-
ter der sommer komt, die hellen und langen tage sind neue waffen,
die sie anlegen und nun wird der kämpf mit fausten und waffen zu
ende geführt, dem winter die äugen ausgestochen und dann das haupt
1 1 Neuere ausgaben von Eiese in der Anthologia lat. nr. 687 und von Dümm-
ler in den Poetae aevi Karolini I s. 270 ss. — Vgl. A. Ebert, Algcmeine geschiente
der litteratur im abendlande II. s. 68 fgg. und Z. f. d. a. 22, 328 — 335.
2) Das gedieht hat Dümmler im Xeuen archiv für ältere deutsche geschichte
X, 351 fg. veröffentlicht.
VERWERTUNG DER NATUB DURCH DIE VAGANTEN U. MINNESINGER 11
abgeschlagen1. Wir sehen daraus deutlich, wie sehr die gelehrte latei-
nische diehtung des mittelalters von national deutschen dementen
durchdrungen war; aber andrerseits auch, wie die dichter sie in gelehr-
ter weise in antikes gewand kleideten-, also eine erscheinung ähnlich
der lateinischen klosterdichtung des 10. Jahrhunderts. Um so weniger
dürfen wir erstaunt sein, wenn in den liedern der fahrenden klcriker
da^ 12. und 13. Jahrhunderts solche nationalen mythologischen reminis-
cenzen sich rinden, aber in gelehrter weise zum ausdruek gebracht.
Die hierher gehörigen stellen aus den vagantenliedern sind nun
folgende. CB 32 (ein lied, das gerade mit pedantischer Selbstgefällig-
keit sich in bildera der schulgelehrsamkeit bewegt), 1 Bru/ma, veris
emtda, sua iam repagula doht demoliri. demandat Februario (nach
altrömischer einteilung der Jahreszeiten), ne sc a solis radio sinat deli-
niri. Str. 2 spricht von dem den elementen eingepflanzten liebestriebe,
der von Hymcnaeus geregelt und zur ehe geleitet werde. Str. 3 fährt
fort: Sed Aqmhnis ira predonis elementis officit ne pareant. 41, 4
(ebenfals ein lied von speziell gelehrter färbung) Dulcis (iura lephyri
spirans ab oeddente Joris faret sideri alacriori Diente, Aquilonem
carceri Eolo nolente deputans, sie eeteri glaciales spiritiis difugiunt
repente. 46, 1 ist eigentümlich wegen der gleichsten ung des winters
mit dem antiken Chronos, den Jupiter entthront und in den kerker
schleudert: Clausus Chronos et serato carcere ver exit, risu Jovis rese-
rato faeiem detexit, purpurato floret prato, rer tenet primatum. Ein
nachklang der kampfesvorstellung ist wol auch 47, 2 enthalten: llisu
Joris pellitur torpor liiemcdis, sowie 53, 1 Refl. hycnis eradicatur und
54, 2 fugieute penitus hyemis algore, auch 57, 1 liienie sepulta als
Zeitbestimmung gehört hierher. 98, 1 Cedit, hyems taa dnrities.
2 Veris adest elegans acies, dura ratet sine mibe dies. 101, 1 Veris
Ißta f acies mundo propinatur, Jiicmalis acics vieta iam fugatur. 10G, 2
brinna fugit. 113, 1 rcruali sol calore pulso briuuc statu claruit.
122 PJicbiisqite dominatiir depidso frigore. 165, 3 hiernps discedit
lemere. Mone nr. 31 Redit aestas praeoptata geht captivato, languet
1) Vgl. Grimm Mythol.4 638 fg.
2) Man vergleiche über die frage, wieweit in den vagantenliedern sieh remi-
niscenzen aus antiken lateinischen autoren finden, Heinrich, Quatenus carminum
Buranorum auetores veterum Romanorum poetas imitati sint. Programm des k. k.
gymnasiums zu CiUi (Steiermark) 1882. Die arbeit erschöpft den gegenständ jedoch
nicht. Speciell für reminiscenzen aus Ovid ist natürlich noch zu rate zu ziehen
K. Bartsch, Albrecht von Halberstadt und Ovid im mittelalter (Quedlinburg 1861; wo
auch die CB genügend berücksichtigt sind.
12 MAROLD
hieras aegrotata ven sospitato. Wright, Early Myst. s. 113. IV, 1
Plawlit kumus Borecu fugam ridens eooulis.
Im voraus muss nun darauf hingewiesen werden, dass die win-
terschilderungen im vagantensange einen ganz anderen Charakter
haben, als die des deutschen minnesanges, besonders des älteren, wäh-
rend spar»']- sieh mehrfach ein ausgleich zeigt. Die Vaganten schmücken
zumal in den älteren liedern, die von ihnen erhalten sind — ihre
poesieen gern mit gelehrten anspielungen und antiken reminiscenzen;
bewegen sich gern in abstraktionen und zeigen eine grosse Vorliebe
für die allegorie und betonen in den naturschilderungen mehr die Wir-
kungen des winters als dass sie das bewirkte, die Veränderungen, die
in der natur statgefunden haben, objektiv zur darstellung bringen. Der
rstand isr bei ihren Schilderungen mehr beteiligt als phantasie und
müt So hebt der Sänger der lieder in der Moneschen handschrift
beidemale die Veränderung der demente durch die winterkälte hervor,
das rauhe wetter ist ihm Joris intemperies; nur in dem zweiten
inr. 21) erwähnt er zweimal mit lästiger widerholung das welken der
lilien und merkwürdiger weise die veilchen neben den Schwertlilien
icdnium in der ganzen Vagantendichtung nur hier), die nun des
glitzernden taues entbehren müssen. Die späteren vagantenlieder ver-
suchen es zwar (und hier wäre eine ein Wirkung des höfischen minne-
sangs zu konstatieren!) sich in die sichtbaren Veränderungen der natur
mit dem herzen hineinzuleben; dass es aber eigentlich nicht ihre art
ist, beweist der umstand, dass sie daneben das allegorisieren , ihre tra-
ditionellen physikalischen beobachtungen und die abstraktionen nicht
unterlassen können. So richtet der sänger von CB 42 zwar seinen
blick in die ihn umgebende natur und beklagt deren Veränderung: der
hain ist des vogelsangs beraubt, das laub fahl geworden, die heide
ohne blumen: aber er verleugnet den gelehrten nicht, wenn er den
romer ins exil gehen lässt, wenn er statt des konkreten ausdrucks
„grünes laub" viror frondium sagt, und vor allem decouvriert er sich
dadurch, dass er dieselben gedauken in derselben strophe noch einmal
in anderer foim folgendermassen ausdrückt: exaruil quod floruit, quia
feücem statum nemoris vis frigoris sinistra denudavit et ethera süen-
tio turbavitj tri Ho dum aves relegavit. Man sieht deutlich das hin-
überspielen ins abstrakte und allegorische. Ähnliche mischung zeigt
CB 56, wo der ausdruck arborum comp fluunt penitus und das gleich
folgende in frigore silet cantus nemorum au— ch laggebend sind. Obwol
die übrigen, besonders CB 95 und das bei Du Meril abgedruckte lied,
ausführlicher und reiner in der Vertiefung der empfindung sind, so
VERWERTUNG DER NATUR DURCH DIE VAGANTEN U. MINNESINGER 13
bestätigen sie doch auch die ausgesprochene beobachtung, und ich gehe
deswegen nicht näher auf sie ein.
Ganz anders verhält sich nun der minnesang, und zwar besonders
in seiner älteren periode. R.M.Meyer in seinem aufsatze „Alte deut-
sche volksliedchen (Z. f. d. a. 29, 121— 23(>) und desgleichen A. Ber-
ger in dem aufsatze „Die volkstümlichen grundzüge des minnesangs"
(in dieser zeitschr. 19, 441 fgg.) gehen von der sicher nicht richtigen
Voraussetzung aus, dass aus den formelhaften Wendungen des minne-
sangs zu schliessen sei, er setze eine ausgebildete volkslyrik, in der
diese formein bereits enthalten gewesen seien, voraus. Überhaupt wird
meiner meinung nach mit dem immerhin noch vagen begriffe des volks-
tümlichen im minnesange viel zu viel operiert. Seihst Neid hart ist
immer doch ein ritterlicher sänger gewesen, wie sehr er sich auch
unter das volk mischte und gewiss diese und jene anregung daher
erhalten haben mag. Nun aber gar, wie R. M. Meyer es tut, Neidhart
mit den dichtem von minnesangs frühling zusammenzustellen, erscheint
mir unhistorisch. Bis jezt ist die ganze frage noch immer eine offene;
eine so ausgedehnte und ausgebildete volkslyrik würde aber auch eine
zu grosse poetische bildung des niederen volkes voraussetzen, die durch
nichts sicher bezeugt ist, und ausserdem hinsichtlich der vorausgesezten
mythologischen ideen eine lange Übung und ununterbrochene tradi-
tion, während das Christentum im lauf der Jahrhunderte doch sicher
soweit durchgedrungen war, dass nur schüchtern einige Überreste
alter gebrauche und sagen sich gelegentlich hervorwagten. Neuer-
dings hat E. Th. Walter in der Germania 34 (1889) s. 1 fgg. und 141 fgg.
die schwächen der erwähnten beiden arbeiten aufgedeckt, und ich
muss ihm in der hauptsache zustimmen. Er betont durchaus richtig,
dass wir es von anfang an mit einem höfischen minnesang zu tun
haben; natürlich haben Wechselbeziehungen zwischen ihm und einer
Volksdichtung, soweit sie vorhanden war, vor allem aber dem vagan-
tensang statgefunden. Im vagantensang fanden die minnesinger ein
ebenbürtiges kunstprodukt vor, und je mehr eine mischung und ein
verkehr der verschiedenen sängerklassen untereinander statfand, uniso-
niehr muste ein austausch unter ihnen erfolgen. Ferner möchte ich
noch meine bedenken dagegen äussern, dass man aus Personifikationen
des minnesangs und nun gar der spätem volkspoesie ohne auswahl
Überreste alter mythologischer Vorstellungen folgerte1. Einmal geht das
1) Vgl. über diesen gegenständ Krejci, Das charakteristische merkmal der
volkspoesie. Ztschr. für Völkerpsychologie 19 (1889) 140.
14 MAROLD
volk darin in jeder zeit selbstschöpferisch vor und dann können bil-
dungseleniente der gebildeteren kreise auch in die niederen Volksschicht
teil eindringen und demnach einen ganz anderen ursprang haben. Nun
r mit dem Volkslied des 15. und 16. Jahrhunderts solte man in die-
ser beziehung vorsichtiger sein.
Nach dieser abschweifung kehre ich zu meinem gegenstände wider
zurück. S hon K. Burdach hat in seinem buche Beinmar der alte
und Walther von der Vogelweide s. 162 durchaus richtig die bei aller
verwantschaft des inhalts doch charakteristische Verschiedenheit des min-
nesangs und der Vagantendichtung in der behandlung der naturempfin-
dang betont Das einzige jedoch, was er in dieser beziehung erwähnt,
ist die verschiedene empfindung beim gesang der nachtigall. M obreres
bringt R M. Meyer in dem erwähnten aufsatze bei, aber nur gelegent-
lich und natürlich von seiner vorgefassten meinung beeinflusst.
Zunächst sollen uns hier nun die abweichende art der winter-
schilderangen und im Zusammenhang damit die momente beschäftigen,
die auf eine gegenseitige beeinflussung hindeuten könten. Eine weitere
ausführimg dieser Verschiedenheiten und berührungen bleibt einem spä-
teren aufsatze vorbehalten.
Auch im älteren MS. bewegt sich die Schilderung bisweilen in
algemeinen Wendungen, die nur den Wechsel der zeit ausdrücken. So
singt Dietmar von Aist 37, 30 Sich hat verwandelöt diu %it; aber er
fügt charakteristisch hinzu: clax versten ich an den dingen (und zwar
an dem verklungenen nachtigallensang und dem fahlen walde). Dahin
gehört auch 39, 30 Urlop hat des sumers brehen; 140, 32 (Heinrich
von Körungen) Uns ist vergangen der liepliche sumer (vgl. 118, 7
Bligger von Steinach swie schiere uns diu sumerxU aber zerge). Die
Wirkung des winters auf die äussere natur und auf das gemüt des
dichters wird gelegentlich durch attribute gekenzeichnet. So heisst es
33, 18 (Dietmar von Aist) zergangen ist der Hinter lanc (dieselbe for-
mel 184, 1 in einer Reinmarschen bzw. Ruggeschen strophe); 216, 5
(Hartmann von Ouwe) winter lanc; 108, 16 (H. v. Rugge) der tvinter
hin lullt anders sin /ran swaere und, äne mdze lanc; 191, 28 (Rein-
mar. nach E.Schmidt H. v. Rugge) der swaere iv., desgleichen 203, 26
in einer Beinmarschen strophe (nach E. Schmidt ein adespoton); eigen-
tümlich fügt sich dazu Walther 118, 33 fg. der halte winter ivas mir
gar unmaere, ander liutt dükte er swaere (das sieht fast wie eine
direkte anspielung aus!); auch Hartmann sagt 216, 2 gegen der sivae-
ren zit. Am einfachsten sagen Ulrich von Gutenburg 71, 6 und H. v.
Rugge 99, 33 der winter halt, desgleichen Walther 114, 30. 118, 33.
VERWERTUNG DER NATUR DURCH DIE VAGANTEN U. MINNESINGER 15
Eine spur von persönlicher auffassung des winters zeigt sich bei
H. v. Veldeke 59, 16 fg. trau ea //•// //// winter sin, der nus sim
leraft erzeiget an den bluomen und dann erst bei Waltner 39, 8 sin
gewalt ist so breit und so iril (vgl. oben ( T> r_\ ] eis frif/oris)1.
Der „gelehrte" Hartmann hat in seinem ersten liede 205, •''> i\ru merk-
würdigen ausdruek min sanc ensüle des winters wäpen tragen, dem
ebenfals eine ausgesprochene persönliche auffassung des winters zu
gründe liegt2.
Das eigentliche charakteristische an den Winterschilderungen an
sich, d. h. soweit man nicht ihr Verhältnis zu der dargestelten liebes-
empfindung ins äuge fasst, ist die innige teilnähme an den Verände-
rungen, die in der natur vorgehn, der ausdruek des Schmerzes über
den verlust der naturschönheiten, wie sie der sommer bot. So wird
1) der verlust der blumen (zum teil mit poetischer Personifikation)
und das fahlwerden der beide beklagt3. MF19, 14 (Bietenburg);
35, 15 (D. v. Aist); 59, 17 (H. v. Veldeke); 82, 33 (R v. Fenis)4;
99, 32 (H. v. Kugge); 106, 24 (H. v. Rugge); 140, 33 und 36 (H. v.
Morungen) vgl. mit Walther 75, 36; 169, 11 und 14 (Reinmar): 191,30
(Reinmar oder H. v. Rugge); 216, 1 (Hartmann). 2) Heide und wald
werden zusammen beklagt: 99, 29 (H. v. Rugge); Walther 39, 2.
3) Blumen und wald: 83,26 (R. v. Fenis). 4) Der entlaubte wald:
37, 34 (D. v. Aist); 82, 26 (R. v. Fenis). 5) Die entlaubte linde:
4, 1 (namenlos); 37, 19 (namenlos); 64, 26 (H. v. Veldeke). 6) Das
verstummen des vogelsangs: 34, 15 und 37, 18 (D. v. Aist); 59,13
und 62, 35 (H. v. Veldeke) ; 83, 28 (R. v. Fenis); 106, 26 (H. v. Rugge);
1) Vgl. Wilmanns, Leben und dichten Walthers von der Vogelweide s. 410.
Wenn übrigens liier gesagt ist. dass "Walther unter den minnesängern der erste gewe-
sen sei, der in dem liede 39, 9 von einem streite des winters spreche {weixgot er
IM noch dem meien den strit), so muss ergänzend hinzugefügt werden, dass Kein-
mal' 188, 35 doch wol auch darauf anspielt und ebenso 191, 32 fg. (nach E. Schmidt
eine Ruggesche strophe): diu nahtegal uns schiere seit, dax sich gescheiden hat der
strif. Allerdings sind diese algemeinen andeutungen das einzige, und das ist sicher
gegenüber den lateinischen liedern auffallend.
2) Vgl. Wilmanns a. a. o., wo die charakteristische stelle aus des dichtere
erstem büchlein angeführt ist.
3) Diese citate schreibe ich nicht aus, weil das schon häufig geschehen ist und
weil dieselben einen zu breiten räum beanspruchen würden.
4) In dem adjektivischem partieipium betivungen liegt nicht eine Personifikation
des winters , wie Berger a. a. o. s. 450 meint ; dasselbe hatte im mhd. gewöhnlich die
bedeutung bekümmert . niedergeschlagen. Es liegt also, wo die minnesänger es als
attribut der blumen, der beide, der vögel usw. vrnvenden, eine poetische beseehing
dieser gegenstände vor. Vgl. MSF 233 (anmerkung zu 16, 14).
1 6 MAROLD
216, 5 (Harrmann): Walther 39, 3; 75, 38; 111. 23. 7) Das schwei-
gen der aachtigall: 18, 17 (Rietenburg); 37. 32 (D. v. Aist); 99, 34
(H. v. Rugge).
Andere anzeichen mehr physikalischer art, also in der weise der
vagantenlieder, erwähnt nur II. v. Veldeke 59, 11 fg. und 64, 26. Dort
heissl s: Sit diu sunne ir liehten schin gegen der kelte hat geneiget —
und hier: K\ habent die bitten nehte getan, dm diu löuber an den
linden winterliche valwiu stau. Er ist der einzige unter den alteren
höfischen dichtem, der in dieser hinsieht bekantschaft mit den liedern
und der ausdrucksweise der fahrenden kleriker zeigt1, wie er ja auch
ein gelehrter dichter ist, der nicht nur französisch, sondern auch gut
latein verstand. Man vergleiche nur beispielsweise das von Du Meril
a. a. o. s. 235 abgedruckte lied, worin es heisst: cahr liquit omnia
et abiit, nam signa caeli ultima sol petiit; iam nocet frigus teneris
et nris bruma laeditur — ; est inde dies niveus, nox frigida usw.
8 inst ist das hauptanzeichen des winters im älteren minnesang der
schnee (6, 9. 58, 29. 82, 29. 106, 25. 140, 33. Walther 75, 37),
der reif erscheint nur 203, 30 (Reinmar, nach E. Schmidt ein adespo-
ton) und Walther 75. 37. 114, 23. Die kalten winde sind ursprüng-
lich nicht dem minnesang, aber in ausgedehnter weise der lateinischen
dichtnng und daher auch dem vagantenlied eigentümlich (wie auch der
- i).
Charakteristisch für den minnesang sind ferner die klagen über
den entschwundenen sommer und die traner infolge des winters: 37, 18
(namenlos); 83, ^ (R v. Fenis); 140, 36 (EL v. Morungen); 169, 14
(Reinmar): 59, 15 und 67, 15 (H. v. Veldeke); 82, 31 (R. v. Fenis);
los. 16 ^g. ,H. v. Rugge); Walther 39, 1 fgg. 76, 4 fgg. 114, 30.
3o zeigt sich als«» aufs deutlichste der verschiedene ausdruck der
im innersten gründe gleichen Vorstellungen. In ähnlicher weise abstrakt
wie die Winterschilderungen der vaganten hinsichtlich der Veränderun-
gen in der natur ist nun aber auch die art, wie sie sie mit der lie-
lpfindung verbinden. Mone a. a. o. nr. 18 heisst der winter im-
portuna Veneria aber im innern fühlt der sänger liebesglut: amor est
in pecton nidlo frigens frigore. Noch energischer drückt den gedan-
ken nr. 21 aus: foris algens corpore fiammas intus sentio — und wei-
ter: totum cogat Spiritus Borects in glo/icm, tarnen hoc proposi&um
non uariem. Ähnlich aber noch mehr reflektierend singt der dichter
1 1 Oben 8. 15 war auch IT. v. Veldeke der einzige unter den älteren minne-
igpm. der die persönliche anffassnng des winters in der weise der vaganten zeigte.
VERWERTUNG DER NATUR DUBOH DIE VAGANTEN ü. MINNESINGER 17
von CB 42, 2: -s'"/ amorein, qui calorem nutrit, nulla vis frigoris
palet attenuare. Und wider ganz in demselben tone singt ein anderer
bei Du MeriJ a. a. o. s. 235 fg.: Modo frigescit quidquid est, sed solus
ego caleo — und nun folgt eine weitere ausmalung dieses feuers, das
schlimmer sei als das griechische feuer. CB 32 behandelt in ganz
lehrter weise die liebe der elemente zu einander, die vom aordwinde
gestört werde. Auf menschliche Verhältnisse übertragen hören wir von
dieser störenden Wirkung CB 95, 3: Ad obsequendum Veneri vis tota
languet animi, fervor abest pectori, iam cedit calor frigori1. Ein
anderer. CB f>(>, 1 hält die Übereinstimmung /wischen winter und
schlafendem liebestrieb für tierisch und fahrt fort: Nimquam amans
sequi volo vices temporum bestiali more. Ein später lateinischer Sän-
ger bei Wattenbach a. a. o. ruft schon ganz in der weise des minne-
sangs aus: Non in flore sei amore iocundor pueUari — und str. 1:
Decoris tut claritas, si/mul tua benignitas flos est mihi vemalis.
Im minnesang ist nun die Verknüpfung von Winterschilderung und
liebesempfindung im ganzen eine geistigere; aber auch hier lässt sie sich
auf die beiden formein zurückführen: 1) Winterklage und lieh'
schmerz im einklang und 2) Winterklage und Liebesschmerz
im kontrast. Das ursprüngliche und natürliche ist die einfache win-
terklage und die parallele dazu aus dem liebesieben.
Einfache winterklage ohne deutliche beziehung auf das Liebesver-
hältnis oder die liebesempfindung finden wir noch beim Rietenburger
19, 14 fgg. (vgl. jedoch W. Scherer, Deutsche Studien II, Wiener
Sitzungsberichte 77, s. 468), bei H. v. Yeldeke 59, 11 fgg. und (57, 15%.;
desgleichen bei Rugge 108, 14 fgg.; bei Pseudo-Reinmar 203, 24 fgg.
bildet die Schilderung schon den hintergrund für die Schilderung <\<-r
beneideten freude in den folgenden Strophen. Ferner gehören hieher
die beiden Walthersehen lieder 39, 1 fgg. und 7."». 25 fgg.. in denen
zwar die gewöhnlichen typen, aber in freier und selbständiger weise
verarbeitet werden, um die empfindung des dichters, klage über den
winter und Sehnsucht nach dem sommer zum ausdruck zu bringen.
1) Derselbe Sänger klagt str. 1 dass: grando nix et pluvia corda reddunt
segnia. Str. 2 erwähnt in der individualisierenden art des deutschen minnesangs den
verstumten vogelsang, die des grasschmuckes beraubte erde, dann aber wieder nach
vagantenart den trüben Sonnenschein und die schnell dahineilenden rage. Str. 3 ist
die oben citierte; str. 4 klagt wider: In omni loeo eongrtto sermonis oblectatio cum
sexu femineo evanuit omnimodo. Das lied ist somit ein sprechendes beispiel für die
art des vagantengesanges um 1200, wo der verkehr der Jährenden kleriker und der
fahrenden ritterlichen sanger unter einander lebhafter zu werden begann und --inen
anstansch der anschauungen zu wege brachte.
9
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIII.
18 MAROLD
Die einfachste art winterklage und liebesschmerz in parallele zu
setzen, zeigt HF 1. 1 fjjg.: Die linde ist entlaubt, mein geliebter mei-
det mich und geht andern trauen nach. Das ist einfach und ganz in
der weise «inti> Volksliedes: das bewustsein mit der umgebenden natur
- h in einklang zu fühlen ist nur dunkel angedeutet. Dem inhalte
nach auf gleicher stufe steht 37, 18 fgg., auch eine alte namenlose
Strophe (vgl Scherer, Deutsche Studien II, s. 437). Nur ist die win-
terschilderung mannigfaltiger und subjektiver und der zweite teil eine
aufforderung an den geliebten, andere frauen zu meiden. Dieser alten
und einfachen art steht noch Dietmar nahe in der frauenstrophe 34, 11 fgg.
Wie aus der erinnerung an den schönen sommer, den die frau in lie-
besglück verlebt hat, ruft sie aus: sit ich bluomen niht ensach noch
enhdrte der vögele sanc, sit /ras mir min fröide kurz und ouch der
jämer alze laue. Wie viel komplizierter ist dagegen EL v. Rugge, dessen
anschluss an die volkstümliche tradition des natureingangs so vielfach
betont ist! Es gehört hierher 99, 29 — 100, 11. Auf die ausführliche
winterklage (beide, wald, blumen, nachtigall) folgt zunächst eine beteue-
rung, da— >ein herz der geliebten trotzdem treu bleibe, alsdann in der
zweiten Strophe der wünsch freude durch sie zu erlangen und dann erst
die klage, dass ihm nur leid geschieht und die indirekte bitte, seine stä-
tigkeit zu belohnen. Das liebesverhältnis also überdauert den winter, die
parallele besteht nur zwischen der trauer über den winter und der trauer
darüber, dass die geliebte ihren ritter nicht erhört1. "Wie sehr H. v.
Rugge schon in der ausdrucksweise des höfischen minnedienstes befan-
gen ist. zeigt ein vergleich mit H. v. Morungen, der sich anerkanter-
massen von dem traditionellen ausdruck des naturgefühls fernhält.
140. 32 fgg. zeigt fast dieselbe ideenverbindung wie jenes Ruggesche
lied, nur in anderer reihenfolge. Die Winterschilderung ist ganz kurz:
Uns ist zergangen der liepliche sumer. da man brach bluomen, du
lit im der sne2. Darauf folgt die klage über den liebeskummer und
dann die Versicherung, dass die freude an der Schönheit seiner gelieb-
1) Vgl. "Wilmanns, Leben und dichten Walthers von der Vogelweide s. 172:
„Die strenge auffassung des ausgebildeten minnedienstes aber sträubt sich gegen diese
vorübergehende sommerliebe. In ihm wird die Jahreszeit nicht in beziehung zu dem
liebesverhältnis gesezt, sondern nur in beziehung zur empfindung, sei es dass solche
anerkant oder abgelehnt wird.- Die stelle ist wol klar genug, und wenn. Max Ort-
ner. Keinmal der alte, die Nibelungen s. 55 behauptet, sie nicht zu verstehn, so
erklärt sich das nur durch seine Voreingenommenheit oder dadurch, dass er dem
gegenstände nicbt die volle aufmerksamkoit zugewendet hat.
- Vgl. Walthei 75. 3G und R. M. AYerner in seiner recension über Michel,
Heinrich von Morungen (A. f. d. a. 7, 125 fg.).
VERWERTUNG DER XATUR DURCH DIE VAGANTEN' U. MINNESINGER 19
ten ihn gegen den verlust der sommerfreude gleichgiltig mach«1. Aber
auch schon R. v. Fenis zeigt die ganze ritterliche dialektik in der aus-
malnng jener parallele. Von ihm sind zwei winterklagen überliefert
82, 26 fgg. und 83, 25 fgg. Dort heisst es: Es ist winter (wald, vogel-
sang; schnee) — darum leide ich not; aber ich Leide noch anderen
kummer: fände ich gegenliebe, so Aväre all mein kummer geheilt, denn
die geliebte ist über die massen schön. An der zweiten stelle ist die
parallele versteckter und die gedankenverbindung spitzfindiger: Mein
schmerz über den entschwundenen sonimer wird nicht durch süs
erinnerungen gemildert, wie bei andern; solte der winter meinen
wünsch erfüllen, müste ich ihn loben; aber die geliebte Lässt mich
unausgesezt klagen. — Direkte Opposition gegen die konventionelle
art, über den winter zu klagen, macht dann Beinmar d. a.; er
hält es nicht der mühe wert gegenüber dem kummer. den er leidet
(169, 9 fgg.) \
Der ausdruck des kontrastes zwischen naturempfindung und lie-
besempflndung ist an sich betrachtet jünger als die parallele beider.
Jedoch findet er sich auch bereits im ältesten minnesang und auch in
ganz anderer weise als in der Vagantendichtung.
Der Rietenburger beklagt 18, 17 fgg. den verklungenen nachtigal-
lengesang und fährt fort: doch tuot mir sanfte guot gediiige, den ich
von einer frowen hän. In derselben einfachen form gibt D. v. Aisl
37, 30 — 38, 4 den kontrast wider: die zeit ist verwandelt, die nach-
tigall schweigt, der wald steht fahl — ienoch stet dm l/< r,< min in
ir geweilt, der ich den sumer gedienet hän diu ist min fr&ide und al
n/in Uep. Eine Steigerung dieses gefühls enthält die frauenstrophe
6, 5 fgg.: mich dünket winter nnde sne schoene bluomen unde hie,
swenn ich in umbevangen hän. So singt auch noch AValther 118, 35
mir was die icile als ich enmitten in dm/ meien ivaerc: doch ist das
gedieht Walthers nicht mehr so ganz naiver ausdruck eines über-
wältigenden gefühls. In einfacherer weise bietet die gegenüberstellung
wider der Veldeker in der strophe 64, 26, die oben schon wegen der
Winterschilderung nach art der Vagantendichtung erwähnt wurde Es
stimt damit die abstrakte art überein, wie er sein liebesglück dem
winter gegenüberstelt : der minne hän ich g/ioten wan%. Als ein uner-
1) Vgl. E. Schmidt, Reinmar von Hagenau und Heinrich von Rugge (QF IV).
S. 94.
2) Wenn übrigens E. Schmidt a. a. o. s. 91 behauptet, der Veldeker kenne
gar keine freude im winter, so widerstreitet dem die obige strophe. — Den abstrak-
2*
20 MAROLD
fülter wünsch wird die liebe als lieilmittol gegen die leiden des winters
von K. v. Penis in dem oben besprochenen liede 82, 26 fgg. bezeich-
net sowie von H. \. Rugge und H. v. Morungen in den eben daselbst
behandelten Strophen. Recht reflektierend und gesucht drückt der in
Eausens fussstapfen tretende Gutenburger diesen gedanken aus 69,4fgg.:
und gern es mir diu <//<(>/< so wirt an minie sänge schhi der icin-
noch kein swaere. Nicht mehr die Schilderung des geiühls an sich
i>r ihm die hauptsaehe. sondern der gewählte ausdruck desselben1. Der
in der oben erwähnten frauenstrophe 6, 9 fg. ausgedrückte gedanke
gewint hei Dietmar 39, 30 --40, 2 bestirntere gestalt. Diese strophe
von Burdach a. a. o. s. 77 fg. gewiss mit recht als frauenstrophe
bezeichnet and hier ist die frau ebenso mit dem winter zufrieden:
der winter und sin langiu naht di ergetxeni uns der besten %it, swä
man bi liebe lange tit. Derselbe ersatz für die sommerfreude ist von
D. v. Aist 35. 16 fgg. in form eines wTunsches ausgesprochen. Tat-
■hlieh hat er während des winters gram, da die geliebte den wünsch
nicht gewährt: wir haben also schon, wrie wir es in den Fenisschen,
Ri,_ _ sehen und Morungenschen Strophen oben fanden, Vereinigung
beider formein. Lob des winters wegen der langen nachte haben fer-
ner noch Hartmann 216-, 3 und Walther 118, 5. Während jedoch bei
Hartmann die trauer über den winter vorherseht und die liebe in win-
terlanger nacht nur den langen winter kürzt, wiegt bei Walther in
Reinmarscher und Morungenscher art (vgl. z. b. MF 140, 32 fgg.) die
liebesempfindung vor und erzeugt gleichgiltigkeit gegen den Wechsel
der Jahreszeiten (vgl. auch 99, 6 fgg.). In demselben sinne singt auch
der vielleicht von Fr. v. Hausen beeinflusste Bligger 118, 7 fgg.: swie
schien uns diu sumerxit aber terge, des würde rät, mües ich ir hulde
hän: du um im ich. für loup unde für Icle.
i zeigte sich also, wie auch in der Verknüpfung von natur-
empfindung und liebesempfindung der minnesang von anfang an ganz
eigentümlich vorgieng und im weiteren verlauf immer kompliciertere
ideenverbindungen schuf, beeinflusst durch das wesen des höfischen
diei Nur wenig und kaum nennenswertes konte ihm hier die
vagantenpoesie bieten.
. ausdruck, dass liebe den winterschmerz lindere, hat auch R. v. Fenis in dem
oben besprochenen liede 82. 30 fg.: ist da% diu mirme ir giiete icil xeigen, so ist
al min hm vräuden gestaU. Aber die zeilen vorher und nachher sind wider
durchaus individualisierend und an die eine bestirnte frouwe adressiert.
ll Vgl. Burdach. Beinmar der alte und AValther von der Vogelweide. S. 38.
VERWERTUNG DER NATCR DURCH DIE VAGANTEN' U. MINNESINGER "_' 1
Unter den dichtem nach Walther erfordert Neidhart eine beson-
dere betrachtung. Er hat wie keiner vor ihm in solcher ausdehnung
in seinen Liedern den ausgang von der Jahreszeit genommen, dass man
diesen umstand vornehmlich als beweis für die anlehnung des dichters
an das volkstümliche benuzt hat1. Im algemeinen hat es damit wo]
seine richtigkeit, nur dass es immer nur Vermutungen bleiben werden,
wieweit diese anlehnung geht Schon die parallele der volksmiissigm
epik der höfe zeigt uns deutlich, dass man auch in höfischen kreisen
für das volksmässige interesse zu fühlen antieng, aber es muste in
höfisches gewand gekleidet sein, um courfahig zu werden. So liegl
auch die sache bei Neidhart. Dass er in solchem umfang naturschil-
derungen dichtete und seinen liedern vorsezte, war sicher eine anleh-
nung an die volkstümliche art, an die natur- und tanzlieder, die er
aus seinem verkehr mit dem volke kennen lernte. Die ausdrucksweise
aber ist im grossen und ganzen nur die weiter ausgebildete höfische
ausdrucksweise, wie denn sämtliche typen der naturschilderungen, wie
sie sich bei den höfischen Sängern vor ihm finden, in seinen liedern
widerkehren; aber sie sind phantasievoller, stimmungsvoller und man-
nigfaltiger bei ihm verwendet, wie das ja natürlich ist, es zeigt das
eben einen grösseren fortschritt in der handhabung des poetischen aus-
drucks zur zeit Neidharts. Dazu gehört aber vor allem auch die
grössere mannigfaltigkeit im gebrauch poetischer bilder und die weiter-
gehende naturbeseelung, worin Walther schon einen grossen schritt
vorwärts getan. Und hier war der steigende verkehr mit den fahren-
den klerikern eine gute schule für den minnesang. Wir haben schon
oben gesehen, dass gerade beim Yeldeker und bei Hartmann, die beide
gelehrte bildung hatten und lateinisch verstanden, sowie bei AValther
in vielleicht einem lateinischen liede direkt nachgedichteten Strophen
spuren einer Übereinstimmung mit anschauungen, wie sie der vagan-
tenpoesie eigen sind, sich finden, darunter einige stellen, die eine per-
sönliche auffassung der Jahreszeiten voraussetzen, die im vagantensang
so verbreitet ist. Diese persönliche auffassung ist aber bei Neidhart
volständig in denselben formen erkenbar, in denen sie im vagantensang
erscheint. Dem sich steigernden bedürfnis nach grösserer mannigfaltig-
keit im ausdruck der naturempfindung boten die festen formen und
anschauungen der vaganten, mit denen Neidhart sicher in fröhlichen
stunden oft zusammengetroffen sein wird, bequemes material zu freier
Verwendung. Wir sahen oben im ersten abschnitt, dass um 1220 die
1) Besonders R. v. Lilien cron in der schönen abhandlung über Neidharts
höfische dorfpoesie in Haupts ztschr. 6, 69 fgg.
22 MAROLD
Personifikationen der schaffenden kraft der natur und der triebkraft der
erde - »entlich im minnesang eingang fanden; ungefähr zu derselben
zeit gewann auch die persönliche airffassung der Jahreszeiten, besonders
des winters in der weise der Vagantendichtung breiteren boden im min-
sang1. Di— schnelle Verbreitung der persönlichen Vorstellung der
Jahreszeiten und der idee eines kampfes zwischen sommer und winter
wurde sicher auch noch durch den geschmack der höfischen zuhörer
günstigt Man verlangte gern nach etwas nie dagewesenem und
wunderbare kämpf»1 hörte man am liebsten, daher aecommodierten Neid-
hart und mit ihm die spätem dichter sich diesem geschmack und würz-
ten die traditionellen natursehilderungen durch persönliche darstellung
der Jahreszeiten und die Schilderung ihres Wechsels als kämpf: als aven-
tiure. Als schliesslich die schöpferische kraft des minnesangs erlahmte,
wurde diese auffassung fast stereotyp, weil sie ein greifbares bild dar-
bot, daher stammen in der ausgangszeit des minnesangs bis in den
meistersam: hinein die beliebten Streitgedichte zwischen sommer und
winter -.
Was wir im älteren minnesange nur ganz vereinzelt antrafen und
auch da in Übereinstimmung mit der Vagantendichtung, das waren
gewisse erscheinungen des winters physikalischer art. Neidhart macht
einen ausgiebigen gebrauch davon. Da haben wir 1) die winde:
.">. 15 hin ist dir seherfe wird; 35, 4 dine winde die sint kalt; 51, 2
und der waÜ muoz von suren /rinden ungevüegen schaden dulden;
75. 30 stm winde kalt habent dinen grüenen walt harte jämerlteh
gestalt; 76, 21 heidi n vinger unde xshen sol ein ieslich man vor disen
winden wol bewarn. 2) das wetter: 73, 24 Sumer, diner silezen
weter müexen wir uns «neu (vgl. 58, 27)3. 3) die trüben tage:
. 24. 43, 21 fg. 54, 1. 58, 27. 101, 20 fg. 4) der trübe son-
nen-die in: 50, 37 fg. 7(5, 17 fgg. Im älteren minnesang war schnee
und reif als kenzeichen des winters genant; bei Neidhart komt in über-
eihstunmung mit den vagantenliedern noch hinzu 5) das eis: 6, 1
dir /raff stuont aller grise rar sne und oach rar im; 38, 9 kint,
r<il>t 'iuh dir sHten n f dir. in; 76, 8 fgg. is und anehanc hat der
1) Vgl. zu dieser ausführung noch Wilmanns a. a, o. s. 409 fg.
2 Gerade die darstellung des winters zeigt sehr viele Berührungspunkte mit der
Vagantendichtung, während die persönliche darstellung des sommers bezw. frühlings
im spateren minnesang selbständigere wege einschlug.
I nvähnung des wetters ist im minnesang überhaupt selten. Nur H. v.
Veldeke 25 sagt da er wider klare (vgl. 65, I'.'j) und vielleicht noch bruder
AVernher 3LSH JI. 229 der himel reiniget sieh; vgl. CB65, 1 celo ynriorc u. a.
VERWERTUNG DER NATTJB Dl RCB IHK VAGANTEN l . MINNESINGEB
vogeline saue gar gestillet in den weiden. Die erwähnung des mos
ist für Neidhart um so auffallender, als ausser ihm in der grossen
schaar der minnesinger nur noch K. v. Würzburg einmal MSHIII, 334b,
der um 1300 dichtende Kauzler einige male und einmal noch ein
Pseudo-Neidhartisches lied MSH III, 293b das eis als kenzeichen des
winters erwähnen.
Von attributen erhält der winter bei Neidhart folgende: er heisst
vorzugsweise wie im älteren minnesang der kalte, aber auch der küeh
7, 23 und 79, 37; der lange 9, 16; der scherpfi 7. 23 und 82, 5;
der leide 38, 10. 41, 33. 55, 21. 59, 37; er heisst diu swaere tit
78, 15; diu lange swaere \it 73, 27 und 86, 32 (winterlange sw. . .).
Erst in unechten liedern lesen wir dann; der arge winter, der unge-
riiege, ungetane, leidige w.} also mehr der Personifikation zuneigend.
Aber auch schon bei Neidhart erscheint nun der winter gern personi-
ficiert als ein gewaltiger held, der mit grossem gefolge auftritt, ungnä-
dig und grausam, der alles traurig macht; ferner als räuber; dem
sommer ist er ein geschworner feind, er verjagt ihn, vernichtet ihm
alle seine zierden, den grünen wald und die heide, und sezt sich auf
seinen stuhl; wird aber schliesslich vom sommer verdrängt und ver-
jagt und muss Urlaub nehmen. Die ausführung der allegorie im ein-
zelnen ist natürlich ganz im höfischen geschmack. Des winters geweilt
ist genant 35, 1. 75, 26. 85, 7. 95, 9. Damit steht im Zusammen-
hang die häufige Verwendung des sonst dem höfischen minnesange
eigentümlichen verbums twingen (subst. getwanc) zur bezeichnung der
vom winter ausgeübten gewalt: 11, 11 (= CB 130 a). 14, 16. 17, 6.
36, 20. 63, 7. 73, 29. 75, 25. 101, 21 und 23. Der winter ist
ungnädig und gewalttätig; 17, 16. 35, 22. 38, 14. 95, 12 fg. Er
macht alles traurig: 4, 35. 19, 18. 21, 38. 52, 28. 54, 2. 73, 25.
76, 6 fgg. 85, 12. 86, 32 fgg. 89, 6 fg. 92, 14 fgg. 99, 4 fg. Der
winter ist ein räuber: 22, 11 fg. 38, 11. 46, 36. 55, 20 fg. 75, 27 fg
76, 2 fgg. 89, 9 fgg. 95, 10 fg. 99, 6. Ei- i rscheint mit gefolge 75,
27 fgg. 95, 8. 99, 9. Die feindschaft zwischen* sommer und winter
wird 85, 8 und 95, 6 fg. erwähnt. Der hass des winters gegen den
sommer und der kämpf mit ihm um die herschaft wird besonders aus-
führlich 75, 15 — 76, 25 in drei Strophen ausgeführt. Es vereinigen
sich in dieser Schilderung mehrere motive des vagantengesanges: kalte
winde, trüber Sonnenschein, eis; daneben der winter als räuber und
seine gewalt. Dahin gehört alsdann noch 59, 37 ihr leide winder hat
den sumer hin verjagt. Der vom sommer vertriebene winter erscheint
dann 8, 13. 57, 24 und 17, 9.
24 MAHOLD
Auf die übrigen demente, aus denen sich die winterschilderungen
bei Neidhart zusammensetzen, gehe ich nicht Daher ein; sie entsprechen
s oau den typen des älteren minnesangs. Der höfische Bänger doku-
mentiert sich ferner in der widerholt ausgedrückten traner über den
winter und den verlust des sommers; das trüren aber machte einen
ritt' st int- — int Nur einen pnnkt hebe ich noch heraus. Neid-
hart klaut 16. 33 und 62. 36, dass die linde nun keinen schatten
mehr ?ebe. Noch einmal in einem sommerlied erwähnt er den schat-
ten der Linde, der kühlung gewährt: 6. 14. Die erwähnung des bau-
messchattens und der schattenkühle ist im miunesang sehr selten. Wir
haben ein beispiel bei Walther in dem schönen liede 94. llfgg. (-4 fg.)
</>r. diu linde maeri di n küelen schoten baere; ferner in ähnliche form
kleidet wie bei Neidhart bei U. v. Winterstetten III. 7 C\ISH I. 139a)
<h k binden M linden der schote ist im benomen; alsdann beiYrouwen-
lop III. 30 (MSH 111. 19b): Mich triiegen mim vüexi in einen schaten
wumieklich uni gienk mo einer linden, und bei K. v. Würzburg I, 3
iMSH III. 334b) dar obe stuond ein schatehuot gewünschet mal mich prise.
Andrerseits ist die schattenkühle und das ruhen in baumesschatten ein
in den vagantenliedern sehr häufig erwähnter zug und vielleicht ein
mutiv. das ihnen aus der antiken dichtung überkommen ist. Wilmanns
erinnert zu dem Waltherschen liede an den anfang der Apokalypsis
Groliae (Wright, Walther Mapes s. 238), wo der natureingang und die
Einkleidung des gedientes ähnlicher art sind (Leben und dichten Wal-
thers v. d. V. s. 402). Frauenlob haben wir oben schon als gelehrten
dichter kennen gelernt. U. v. Winterstetten und K. v. Würzburg sind
nicht minder und zeigen auch sonst mehrfah anklänge an die Vagan-
tendichtung (in der strophe Konrads wird auch das eis erwähnt, s. o.).
3 • kann der baumesschatten aus der gelehrten dichtung bzw. vagan-
sehrwo] entlehnt sein. Das Alexanderlied erwähnt ihn 5174%.
und auch sonst ist er dem epos nicht ganz fremd; da mag aber der
emfluss der vorlag« ach bemerkbar gemacht haben.
Hinsichtlich der Verknüpfung von Winterschilderung und liebes-
empfindung zeigt Neidhart im vergleich mit dem älteren minnesang
wenig besonder« s. Bekantlich gehört hierher nur ein kleiner teil der
winterlieder. während die anderen nach dem eingange eine Dörper-
zahlung enthalten. Er steht mit jenen ganz auf dem boden dc< höfi-
hen minnesangs, wenn er auch gelegentlich kräftigere töne ansehlägt.
Auch er beklagt nicht wie die vaganten das aufhören des Liebesverhält-
nisses im wint' indem die trübe Stimmung, in die ihn die geliebte
zt. die seine liebe nicht erwidert, die um -einen dienest und
VERWERTUNG DER NATUR DURCH DIE VA'.ANTKN V. MINNESINGER
seinen sanc sich nicht kümmert, deren liebe ihm durch nebenbuhler
entwendet wird, der er widersagt, wie der winter uns allen widersagt
Bisweilen wird die gegenüberstellung bei ihm blosser verstandesmäs-
siger vergleich, wie /. b. 79, 36 — 80. 2: mirst von herzen leide, da*
der küele winder verderbet schoener bluomen vil: 80 verderbet mich
du seneMchiu arebeit; oder 82, 3 Igg. in der etwas blasierten manier
Reinmars: si Idagent, dax der winder kaeme nie vor manger vii
seherpfer noch so stmnder, s6 Mag ich min vrouwen; oder 99, 6 fgg.
der winter hat uns blumen und gras geraubt: (11) also hat ein wip
mich beroubet gar der sinne u. m. a. Eine besondere Wendung ist
noch 73, 26 fgg.: meine geliebte lässt mich ungetröstet: wie soll ich
da den winterschmerz überwinden? Doch ist «las nur eine umkehr der
typischen wendung: die liebe der trau tröstet über den winterschmerz,
die natürlich bei Neidhart auch mehrfach sich findet, jedoch nur in
der form des wimsches.
Über den späteren minnesang ausser und nach Neidhart will ich
nur weniges hinzufügen. Er hat mehr als irgend ein anderer sänge r
einfluss auf die späteren ausgeübt: das zeigt sich schon in der über-
grossen anzahl unechter lieder, die unter seinem namen überliefert sind.
Ferner zeigt es sich darin, dass seine art der naturschilderungen sich
mehr und mehr einbürgert. Aber man geht in der Personifikation
noch weiter vor. Dem winter werden grimm, neid und zorn, wie im
vagantensang rabies, ira, saevitia beigelegt; eine reichere auswahl von
beiwörtern erhält er, so neben den oben genanten noch: ungehiure,
ungevüege, reige, grimme, ungeslaht, unbescheiden, wodurch immer
mehr der winter unter dem bilde eines riesen erschien, aber nicht
eines riesen des alten germanischen heidentums, sondern eines riesen,
wie ihn die höfischen epen schildern, mit dem der sommer oder mai
als glänzender ritter kämpft. Zu den dichtem, die die persönliche
darstellung des winters in dieser form besonders lieben und im einzel-
nen darin berührungspunkte mit den vagantenliedern aufweisen, gehö-
ren die beiden Schwaben G. v. Xeifen und U. v. Winterstetten , die
Schweizer Steinmar, K. v. Landeck. W. v. Honberk, 0. zem Turne und
der oberdeutsche Kanzler.
Schliesslich noch ein paar worte über die deutschen Strophen der
CB, welche wintersehilderungen enthalten. Es ist im algemeinen unhalt-
bar, selbst wenn die deutschen Strophen inhaltlich mit den vorausge-
henden lateinischen sich decken, daraus eine volständige abhängigkeit
des deutschen minnesangs von der Vagantendichtung zu folgern. Aber
es ist auch wider nicht zutreffend, wenn Burdach a. a. o. s. 162 sagt:
26 K. RÖHBICHT
..Die deutschen anonymen Strophen enthalten durchaus die alten de-
mente der volkstümlichen naturpoesie in ungetrübter reinheit." Von
der „volkstümlichen naturpoesie" wissen wir nichts gewisses und, um
bei den Winterschilderungen zu verweilen, gleich 98a der storche win-
der weicht von der terminologie des älteren minnesangs ab; der spä-
tere minnesang hat, wie wir sahen, ähnliches aber nicht dasselbe. Das
persönliche moment, das in dem attribut storch liegt, ist in der weise
des späteren minnesangs, der nach dem vorgange der Vagantendichtung
den winter personifizierte. Das lateinische lied 98 könte im algemei-
nen die veranlassung der deutschen strophe gegeben haben. Vollends
die wendung 100 a der winder der heiden tet senediu not zeigt so
■ht die art des späteren minnesangs: persönliche auffassung des win-
ters, aber dabei höfische terminologie, als mischung beider elemente
(vgl. Psendo- Neidhart bei Haupt XLVil, 15 fg. ir schouwet an die
linden, nie seneMch diu stdt, die der kalte winder also verderbet hat).
Auch unter den übrigen Winterschilderungen ist keine, die der älteren
art des minnesangs ganz entspräche; vielmehr tragen sie alle ohne aus-
nähme die spuren einer zeit, in welcher fahrende kleriker und fahrende
deutsche sanger sich mischten.
KÖNIGSBERG I. PR. K. MAROLD.
DIE JERUSALEMFAHRT DES HERZOGS FRIEDRICH
VON ÖSTERREICH
nachmaligen kaisers Friedrich III. von Deutschland (1436).
Ein mittelhochdeutsches gedieht.
In der litteratur des deutschen mittelalters nimt einen bedeuten-
den platz die sogenante Palästinensische ein, das heisst die grosse
gruppe der auf Palästina bezüglichen Schriften. Dieselben sind teils
eigen*- reisebeschreibungen, teils bearbeitungen bekanter und wichtiger
reisebücher, oder Instruktionen, in denen die pilger alles für die fahrt
notwendige erfahren, also Baedekers, oder auch ablassbücher, welche
die mit den heiligen statten verbundenen ablasse aufzählen, oder end-
lich beschreibungen des heiligen landes resp. einzelner teile desselben.
Wie gross die zahl dieser schritten auch ist — wir kennen bis jezt im
ganzen nur zwei, welche in versen abgefasst sind, zu denen unser text
als dritte und zugleich als älteste neu hinzutritt. Die pilgerreise des
JERUSALEMFAHKT DE8 HERZOGS FRIEDRICH 1436 27
lezten graten Philipp von Katzenellenbogen (143)5) ist nämlich nicht
bloss in prosa1, sondern auch in einem umfangreichen gedieht von
2550 verseil geschildert worden; aber dieses stamt aus dorn jähre 1477
und ist bisher nur in einem kleinen brachstück bekant gewor-
den2. Ausserdem besitzen wir noch über die 1480 von dem Ulmer
lesemeister Felix Fahri unternommene pilgerfahrt eine gereimte dar-
stellung.
Unser text nimt daher, auch abgesehen von dem Lnteresse der per-
son des reisenden eine bevorzugte Stellung in der mittelalterlichen pil-
gerlitteratur ein; aber wir müssen doch auch gestehen« dass seine
bedeutung für den behandelten stoff nicht gross ist. Die tradition in
bezug auf die besuchten heiligen statten, für die der autor einen fäh-
rer in einem ablassbüchlein besass und benuzte, erfährt keine bedeut-
same erweiterung, und über den verlauf der ganzen reise erfahren wir
wenig neues, nämlich nur den namen eines Peter Leschenbrand (v. 143;
zulezt von allen namentlich aufgeführten teilnehmen] erwähnt!), den
man als Verfasser anzunehmen geneigt sein möchte, und eine kleine
notiz über die gefahr, welcher der herzog bei seiner abfahrt von
Jaffa ausgesezt war, während die namen von drei mitpilgern fehlen
und die übrigen fast genau in derselben reihenfolge wie in der haupt-
quelle uns begegnen. Dazu komt, dass der text, welcher nur in einer
einzigen handschrift erhalten, also nicht durch vergleichung corrigier-
bar ist, viel lücken und offenbare Verderbnisse bietet, so dass wir die
hilfe des herrn dr. Arwed Fischer zu suchen genötigt waren. Trotz
alledem ist das litterarische und sprachliche interesse gross genug, um
einen abdruck des textes zu rechtfertigen, als dessen gleichzeitiger
Verfasser ein österreichischer reisebegleiter angenommen werden muss,
da er vom Semring spricht (v. 303).
Die hauptquelle für die geschiente unserer reise ist das vom
kaiser Friedrich III. selbst abgefasste diarium3, welches auch in meinen
1) Herausgegeben von Röhricht und Meisner, Z. f. d. a. 26, 348 — 71.
2) Bei K. AV. Justi, Vorzeit 1821, 43 — 74. Die grundlage bildet der Giesse-
ner codex nr. 161 (aus dem wider der Casseler codex 116, 64 — 79 einen prosaauszug
gibt). Ein zweiter codex ist von dr. Ewald Wer nicke in der gräflich Solmschen
bibliothek zu Klitschdorf in Schlesien entdeckt worden; proben davon im Herold
1887 nr. 1 und in der Z. f. d. a. 32, heft 1.
3) Jos. Chmel, Geschichte kaiser Friedrichs IV. und Maximilians I., Hamburg
1840 I, 581 fgg. (vgl. 277 — 80); aus dem original gaben schon die Histor. docum.
Styriae, Graeciae 1728, II, 77 — 78 und Hoheneck, Genealogie der ob-der-Ensi-
schen stände, Passau 1732, 118 — 19 auszüge.
R. RÖHRICHT
Deutschen pilgerreisen1 benuzt und von W. Xeumann2 durch kleine
beitrage ergänzt worden ist.
Unsere handschrift, welche der leztgenante zuerst3 und zwar auf
mitteilung des hofrates dr. von Birk in Wien als eine Londoner aber
ohne jede nähere Signatur nachwies, ist im dortigen Britischen museum
Addit. 16592 s. XVI schmal 4° erhalten (fol. 12 — 22). Eine sorgfältige
copie besorgte uns der conservator der handschriften dieser bibliothek
herr dr. J. H. Jeayes, und lierr Hugo Bartels, secretär des Vereins
deutscher lehrer in London, hatte die freundlichkeit, sie gründlich nach-
zucollationieren. Beiden herren sei hiermit der herzlichste dank aus-
prochen.
1) 474—75.
_ Die Jerusalemfahrten der älteren Habsburgischen fürsten in: Berichte und
mitteilungen des altertums - Vereins Wien 1881, XX, 138 — 48.
3) Ebd. 148.
Kayser Fridrichs moerfart In zeit, als Er Ertzhertzog
zu Österreich gewest ist. (fol. 12.)
Da man zalt vierzehenhundert jar
Vund in dem sechsundreissigstn jar, das ist war,
Nach Christi gepurt, hab ich eruaren,
Da hueb sich der Fürst hochgeborn,
5 hörtzog Fridriech genanndt,
von Österreich wol erkhannd,
Hochgeborn vnd freyes muett,
Der gab auf land, stet, lewt und guet,
pnieder. Schwester, junckfrawen und Frawen
10 Vund wolt dy Ritterschaft pawen,
Zogt In seines lanndes her
Zu seiner stat Triest, lewt bey dem mer,
Dye Iren ern thet geleich.
Sy warf auf dye panir Österreich.
15 Zu dem Furstn Riden vund giengen
Mit dem hayltumb sy In empfingen
10 Es ist die ritterschaß des heiligen grabes gemeint; vgl. Röhrichl .
Deutsch' jjilgerreisen (Gotha, Perthes) 8. 23 fg.
12 Triest war seit dem jähre 1382 österreichisch.
16 Reliquien wurden dem ankommenden fürsten in proecssion entgegen-
getragen.
JERUSALEMFAHRT DES HERZOGS FRIEDRICH 1436 29
vund belaytten In Ein und beginn! n in ern
als dann ain stat Irm Rechtn herrn.
Daselbs der Fürst des Rastn phlag
20 Vuntz auf den versprochen tag,
Das er weit wusen der von;
Man zaigt sein wappen slachen on,
Dve Ritterleichen sind erdacht
vund maisterlich sind volbracht
25 Griten, Rot, weis gemacht
mit golt Silber gesprengt . . .
Jedem nach dem seinen weis
wie er scholt haben des Schildes preis.
Da pey dem weisen wurt erkandt,
30 von wan yeder geadl wer von land.
der edl fürst het In erdacht,
wie dv Rais solt werden volbracht,
vund wolt auch nicht abelan,
Solt Im das leben darumbe zergan;
35 Er wolt gein heilling grab kern,
got zu lob dy Ritterschaft mera.
Umb sand larentzentag das geschach,
Das man den Furstn auf prochen sach (fol. 13.)
Zu dem vor genanden jar,
40 Als ich hab gezelt vor,
und emphalh sy dem patrian,
das er In aufs mer schift hin dan
22 Vgl. den ausdruck v. 150.
24 vobbracht hs.
25 Sonst werden rot und weiss als wappenfarben Österreichs genant. Auch
die heutige kriegsflagge ist rot -weiss -rot; aber in der Handelsflagge ist der untersU
streifen zur hälfte rot und \ur hülfte grün.
26 Nach diesem verse ist eine lücke.
30 geadel adjeetivbikhing vergleichbar mit gemäc, geslaht und ähnlichen
Grimm, Gramm. 2, 740; bisher in keinem wörterbuche belegt.
32 Die hs. in prosaischer Wortstellung volbracht werden.
34 darumbe n zergen hs.
37 Friedrich selbst sagt im diarium 584: .,in dem sex und dreissigsten jar
an Sand larenezen abent pin ich zu Tristi ouff das meer gesessen.- Es war der
9. august.
41 patrian = patron, schifsführer. sy = sie, d. h. die ganze marmsehaft?
oder fehler der hs. statt sich?
30 R. RÖHRICHT
vund In dann aufs Strasse solt kern.
wie In got mit geluckh tot Lern
45 auf dos wildes mors flut,
das mit Im selbs puetunt tlniet.
maniger thuet von pressen sagen,
das sey das guet vil gelt zeriagen.
Ich lass yodom soin Red wol pawn
50 dy heilling stet sind auch gets besehawn,
wan doch ainer zu aller Frist
Auf dem mer nimen sicher ist,
er wais nit, wann ain wind her waet
vnnd In an ain Insel siecht
55 Vunnd er demnach frue und spat
Gefanngen lewt, kain Rue nicht het
des ist gein preissen nicht hin ein;
drey wochen mag er zu hanncl sein,
das Im dve Strasse ist frey erkannd
60 Recht als war er da haim pey dem Land,
wiert dann ain streyt da gethan . . .
Oder das man zu fallen thuet
ledig macht vmb guet.
Wiert man auf dem mer griffen on,
(55 man mag nicht gewevhen an den pan
so hat es auch ain solhen lauf.
43 = auf dit richtige Strasse leiten?
44 Lernen ks, 45 das hs.
46 puetunt wol fehler der hs. statt wueten, wiieten.
47 — 74 Die teilweist entstell überlieferten verse sollen die gefahren der see-
reisen anschaulich machen. Als ein geringeres misgeschick erscheint es dem autor,
wenn man auf eine insel versehlagen (54 fg.) und selbst dort gefangen gehalten
aird (56), denn aus der gefangenschaß kann man in drei wochen (diese bestirnte
Uangabe ist auffällig!) durch Waffengewalt (62) oder lösegeld (64) befreit werden.
hlimmer aber ist es, wenn man auf dem murr angegriffen wird (64 fgg.: vom
stürme? oder von Seeräubern?). Hier kann man nicht auf die (rettende?) bahn
entweich i iL 313); d<i.< meer nimi keinen ins gefomgnis (07). empfängt auf],
kein lösegeld (68), sondern es tötet ohne pardon. — pressen 47, preissen 57 sind
eüeicht verdorben out n = drangsale, gefahren, besonders muh von sturm-
gefahr auf der Seereise, s. mhd. ab. III, 396
) gets hs. lies guet ze?
51 Frost hs. ~ 2 lies ninier?
54 an fehlt hs. 62 that hs.
gewevhen wol statt mhd. gewichen = entweichen.
JERUSALEMFAHRT DES HERZOGS FRIEDRICH 1436 31
Es nimbt enkhainen zu vancknus auf,
biet ainer all«' weit zu geben,
es Avil nur haben leib und leben.
70 allst > uerstet wer merckhen well,
ob yndert khumbt ain ongeuell
«loch ist paydenthalben guett,
wer Ritterschaft treiben wil oder thuet,
Oder das gelt zeriagen klar.
75 Gott half dem Furstn mit seiner schar
Durch Insel, stet vuud wellische land
dy pey dem mer sind wol erkannd,
durch Ziprizippern das konigreich
Für porttn vund Annder Reich
80 vund kham zu dem gesegentn Lannd, (fol. 11.)
das Jerusalem ist genanndt.
dy hayden das vernamen,
mit eseln sy dar khamen,
dy er da muest Reitten;
85 Also wandert er in ains piligreim weis,
des gib ich im den ernpreys,
vund all dy mit Im zogen dar
der heilligen stet nemen war
der will ich ow zu erkhennen geben
90 das Ir Furpas mugt merckhen pflegen:
Graf erberhart von Kragberg,
Graf pernhart von schaunberg,
nu merckhet dy herrn Recht:
Neyperger herr albrecht
95 vund her jörg von Puechaim,
her hans von neyperg ich auch niain".
Sigmund erberstarffor,
Lewpolt Stubenberg tor.
71 ongevell u-ol = mhd. ungevelle Unfall, misgesehick.
78 Die insel Cypern ist gemeint.
86 in denn hs.
89 ekhenen hs.; ow eine sonst nicht belegte Schreibung des dat. plur. iu
= euch. 91 lies Kirchberg. 93 nit hs.
95 Georg von Puchaim aar ehemaliger gesamter des Herzogs Er //st (Neu-
mann, Jerusalem fahrten s. 147).
97 Sigmund von Ebersdorf.
98 Ein loch im papier.
32 R. RÖHRICHT
Hanns von Kururing wo] erkhannd
100 Ott 70D Stubenberg genand
paul potendorfer, ein berr guett
hanns von puechaim vol gemuet.
prerthtold Lassenstainer,
her wilhalm pernckeer,
10f) hanns von starhemverg da pey,
von ekartsau lier lutweig,
Virich von polham Tugentleioh,
Wolfart von winden desselben geleidi.
Xu lass ich dy herrn stan
110 vund an Ritter vnd knechtn
Hanns vngenand ir mercket pas,
der des Furstn marschallich was,
Wolfart fuchs hubscher sit
pachart von elbach auch damit
115 Sani reich Silberweiger,
hainrich etzenstoffer
[Ulrich Schaur frisch] vund frey
Jörg Fuchs auch dapey,
Lutwig von Rodenstain, (fol. 15.)
120 Holnecker her antoin
Xiclas von pollentz ir mercket eben
Cristan Tenffenplich darneben.
Veit wolkenstainer,
lewpolt Tuemer,
125 vund der Jörg appholtrer,
103 Berthold von Losenstein. 104 wilhalbm hs.
10G ekart .sam hs,
111 Hans Ungnad von Weissenwolf.
113 Wolfart Fuchs von Fuchsberg nur von 1462 an ho fmar schall Friedrichs.
habscher sit (hs. seyt) = ein mann von höfischem anstände.
115 Gwmaret Süberberger.
11G = Ene uistorffer.
117 Du eingeklammerten worte am rande von jüngerer hand ergänzt für
i lücke im t<. ,/r. Gemeint ist Ulrich Satirer.
118 Fuchs von b '//'•//.• I» ry.
120 Sonst wird er Andreas von Holenecker genant; vgl. 138.
121 Nicolaus von Pollenex. merckert hs.
122 Tristan von Tbufenpechk {leufenbach, TiefenbacK).
124 Leopold Taumar.
125 Georg Apphalterer.
JERUSALBMFAHRT DIES HKBZOGS FRIEDRICH 1436 33
her Lienhart Harracher,
her Fridrich meiner,
Wernhart Jähenstainer,
Vlrich Flodintzer,
180 Hanns Wolkenstainer,
Jörg Schernem zu diser Frist
Hanns Sawrer auch da gewesen ist,
panngrätz Rintschat chamrer
lier Hainricli Zebinger,
135 wilhalbm von der altn erkhand,
Sigmund windischgretzer genand,
Wilhalbm Reisperger,
her anndre holneck er,
fridrich Lugäster nempt war
140 Jörg stamrietter der Bitterschar
Hanns lampoltinger,
lier liennhart vilsshekker
vnd der petter Leschenprand.
maniger ist mir wol erkandt,
145 wann der red wer va\ vi 11,
der Ich darumb nicht nennen will.
Ir lob Avil ich tachtn (sie/) sagen,
Chainer soll mirs ver übel haben
ob ainer pegind vor dem andern stau.
150 Ich slag ir nit mit wappen an,
Ich hab euchs nur mit nainen genant.
127 Friedrich Tiutncr.
128 Bernhard Tehenstainer (= von Daekenstein).
129 Ulrich Fleh iiiiicxer.
130 Sonst Hans Waldstainer genant.
131 Georg Seharnomel = Tschern&mbl
132 Hans Saurer.
133 Pankraz, Rinkschckad.
134 Haidenreick Cxebinger.
135 Wilhelm von der Alben.
138 Anton Holenecke r: vgl oben vu 120.
140 Georg Steinreuter.
141 Hans LampoUiner. 142 Lienhard VUsecker.
143 Dieser wird sonst nicht genant; dafür fehlt aber unter den reisebeglei-
fern Sign/and Kirberger, Hans Qreüeneeher und vor allem der bisehof von Triest
Martin (de Cerottis), welche von Friedrieh selbst noch erwähnt sind.
146 nenen hs.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXni. ^
34 R. RÖHRICHT
das Irs hin für erkennt.
Da sv kumeu zu der stat
vnd zu dem tempel, den mau hat
155 Grepawt in ern der heilling stat, (fol. 16.)
die mau in da zaigen tet:
vor dem tempel lewt aiu merbelstaim
gemerckhet mit der kreytz zwain.
do vuuser herr Ibesus krist
160 vuuder dem kreytz nider gesigen ist.
Im tempel, wers gemerckert hat.
vnnser Fraweu kappellu stat,
In der kappellu au der fart
das heillig kreitz ist bewart.
165 dapey im eck ist der stein,
da got gegaisselt ist allein.
vor der kappein ain stain stat,
da got Marien Madalenien erschinen hat.
So get man in am kappein hin,
170 do man got iu aineu stoeh slueg in
vund trues: in dv höh an dy vart.
bintz das das kreitz gemacht wart.
dabey am alter der stain sewl ist,
do vunser herr Ihesus krist
175 wart gepuuden An,
Do man hin drucket im dy kran.
Dabev nabent ain alter ist,
dy Ritter an diser frist
vmb das gewand gotts
180 spiltn triben Irn spot,
so get mau iu allen kapelleu
dye das chreytz tet vindt meltun (sie!)
vund an ain stiegen ab,
so das kreytz verporgen lag,
185 dapey ist dy stat.
• wird nur ein hrev/k erwähnt (Tobler, Golgatha 31 fg.).
erschin hat hs. Nahe läge es die beiden verse so zu rekonstruieren:
vor df.-r kappein stat ein stein,
da got Marien Magdalenen erschein.
171 vater hs. L73 Tobler, Golgatha 341 fg.
Zur sache sieht Tobler, Golgatha 302.
JERUSALKMFAHRT DES HERZOGS FRIKDRICII 1436 35
da man got gekreitzigft] hat,
und Maria under Irm kind
vuiul sannd Johannes gestannden sind
da ist ain kapein, das glawbt,
190 da man hat Funnden adams haubt
vund ain merbelstein,
da nicodemus ich Joseph niain
Got von dem Kraitz namen ab
vund Mariam auf Ir schos gab
195 Dabey nahend ist das hälig grab (fol. 17.)
verporgen in dy ert hin ab
darauf man den Forstn werd
zu Rider slueg mit dem swert
wind graffen, herren, Ritter Freyen
200 wer golt wolt tragen, muehet Ritter sein
da wart In das swertes segen
nach kristenleicher Ordnung geben,
damit man lewt vnd waisen
schol beschirmen in den Fraissen.
205 pey dem heilling grab ist dy stat,
da got seinen jungern gezaiget hat,
es sey mittn in der weit.
das ist alles im tempel zeit.
So begind man Auf dem Ollperg gen
210 durch dy stat Jerusalem
da das Pilata (sie) haws stat
und dy schorn, da man in hat
* 7
188 ist statt sind hs. 190 Tobler 294 fg. mein statt man hs.
194 Tobler 344 fg.
198 Albreckt r. Neiperg schlug ihn daxu (Chmel. 279).
204 ..welcher ritter wirt zu Jerusalem auf dem heil, grab, der mues ßberen
dreu stuk: das erst widib und waissen ze peschirmen, das ander recht gericht zu
fuern dem arm als dem reichen, das dritt, wan man das hailig grab mit gewalt aus
den henden der haiden vnd der vngleubigen gebinen vnd nemen wold, so sol ein
ieder, der da ritter wird, daselbs hin komen vnd darzu mit allem sinem vermögen
helfen vngefehrlichti (Diarium 584). Vgl. auch, meim Deutsch',, pilgerreisen 32 fg.,
wo alle nötigen materialien für die geschickte des heil, grobes - ordern nachgewie-
sen sind.
207 über diesen „Weltmittelpunkt" vgl. Tobler, Golgatha 326—29.
211 Tobler. Topographie Jerusalems I, 220 fgg.
212 schorn = geriehtsbank, gericht (mhd. sehranne: Mhd. üb. 14'. 203h;
SchmeUer, bayr. üb. U\ 604).
3*
36 R. RÖHRICHT
ereurtailt vunsern heim Jhesus Kiist,
dapey Simains haws ist
215 das aussinerki^en solt ir versten
darin sannd Mari magdalen
all ir sund wurden vergeben.
Joaehiu hausfraw annen darneben,
da vunser firaw ist geborn
220 vuns zu ainen niauttern ausserkhorn
da ist. der weyer probatica piscin
da der pettris mensch gesund wart in,
vunser Frawen schul pey diser stat,
vund da er got entgegent hat
225 da er das Kreitz trueg auf dem Rucke sein
vmb vunser schult vund pein.
den pach Zedron vber man get,
da Josephat das tal stet,
vunser Frawen Kappeln zu diser Frist
230 vund da sy begraben ist,
auf den Ölperg man sy fuern tet,
da zaigt man vil der heilling stet
do er pluedig schwais geswitzet hat
vund er seinen vatter pat,
235 ob er der martter übrig mocht sein
umb vunser schuld vund pein.
Dye heilligen stet lass ich stan, (fol. 18.)
der edl Fürst zog her dan
von dem perg vund stat Jerusalem
240 da got ist geborn gein Bethlehem
vunder wogenn ist das grab rachel,
Sannd Josep prun ir mercket snel
da dy heilling könig drey
Euehten Rastn slieffen pey;
217 all ir sind vergeben wurden hs.; vgl. 32. Über die sacke siehe Tobler,
Topographie Jerusalems I. 439.
218 fg. die heutige St. Afmakirche; vgl. Tobler 1, 429 fgg. armen hs.
221 pisan hs. : probatica piscina = schafteich. Erang. Joh. 5, 2 fgg.
222 pettris = ahd. bettiriso, /////'/. bettirise, paralyticus.
229 Frust hs.
239 Jemsalen hs. 240 wet lehen hs.
1 Das Grob Rakete, Genes. 35, 19; hs. voeliel.
243 drey konig hs.; vgl 32. 217. — Siehe Tobler, Topographie II. 530 fgg.
JERUSALEMFAHRT DES HERZOGS FRIEDRICH 1436 37
245 zu Betlehem, im tempin stat
dy kripen, da got in hat
gelegen in der khinthait frey,
da ist ain alter oben pey,
da selbst got beschniden was;
l'50 dy mainung Jeremias
vund dy Grab sein ....
vund dy wanung der kinder,
dy herodes getötet hat,
da selbst auch ain kirchen stat
255 da selbs ain hol ist,
da vunser Fraw zu diser Frist
Mit Irin kind verporgen
ist darin gewessen mit sorgen
von herodes wegen an diser stat,
2(30 der dv kinder totten tot.
Neben aus in ainem talle stat
ain kappein, da der engl hat
den hertern gechundet, das
got selber geborn was.
265 der edln Fürst in hochen ern
beschawt dy stet, begunnd khern
gein Jervsalen in dy stat,
darnach hueb er sich vil drat
zu Kaissen zu dem Jordan,
270 da ist getaufft von dem Johan,
und gein bethania auf der fart,
da lazarus erkuchet wart.
Der heilligen stat wil ich getagen,
es ist zu lannckh dauon zu sagen.
275 vierundfunfzig hab ich gelesen,
245 wetlehem hs. tepln hs.
247 Tobler, Bethlehem 159 fgg.
250 lies wanung, wie 252.
251 Tobler s. 92 — 95. Hier ist eine lücke.
253 Tobler, Bethleheyn ISO fgg. 254 krioheu hs.
260 Tobler, Bethlehem 230. 264 Ebenda 253.
268 drot hs.; = mhd. dräte, schnell, hurtig.
270 Nach da fehlt got oder er.
272 larzarus hs. erkuchet = mhd. erquicket, neubelebt.
273 getagen =: mhd. gedagen, schweigen.
38 B« KÖHKICHT
wers beschawt hat, da ist gewesen.
newnundzwaintzig hab ich gezelt
vund besunnder auf der weit
von yeder stat besonnder, wan
280 ist schuld vund pein hin gethan,
funfundzwaintzig mereket bas,
von yeder Sibben jar ablas
vund Sibben Korret. dy dar sind geben
von der pabst gewalt im segen.
285 So woU dye Riderschaft geborn (fol. 19.)
dy den antlas haben eruaren,
vund da got dy martter gelittn hat
umb vunser schuld vund rnissitat;
nu wo ist beser Rider schaft,
290 den got in der mensehait graft
Syeh vernewet hat nider taugen
vund vns hat pracht zu Rechtem glauben;
dy alte ee setz hin dan!
Der edl fürst wolt daruon
295 vund emphalh sich an der selben stat
In der pruederschaft der munich pet
mit seinem oppher, das er gab
Got zu lob dem heilligen grab.
vund wolt wider zu dem mer.
300 Dye hayden heften das vernomen:
zu den Fnrsten sv kamen
vund belaitten In nach Irm synn
Als man dy seurner über den seinering
280 Der autor m< int die oben .v. 20 erwähnten pilgerführer.
283 korref wol verdorben aus quarenen = quadragenae , d. h. die vierxig-
tägigen fasten mit dblai 295 den hs.
297 Für die beherbergung im Zionskloster machten die pilger nach ihrem
Franziskanern geldgeschenke.
300 fgg. Die j>H<j< r wurden bei ihrer landung in -Jaffa von muslimischen
emiren empfangen, gezählt und unter ,i<mli<-h starker eskorte gegen Zahlung einer
bestirnten geldsumme muh Jerusalem gebracht, ebenso x/urück nach Jaffa. Diese
gelegenheit ward r<,a ihm,/ regelmässig vu allerlei erpressungen und rohen spässen,
ja sogar zu gewolttätigkeiten bemixt, besonders wenn sie unter ihn pilgern einen
fürsten oder reichen herrn vermuteten oder durch verräterei der mitreisenden
erkanten.
303 saimner hs.; Mhd. wb. ff. 2. 474*. Za der folgende n Schilderung ver-
gleiche mau Grünbeck, Leb< Schreibung kaiser Friedrichs HI (Tübingen 1721)
JEBUSALEMFAHRT DE8 HERZOGS PHIEDBIGH M 39
Treiben thuet hie zu lannd.
305 Aventewr wart im erkhannd
vund kam zu des meres Baws
mit falschen haiden prauss,
dy da Letz woltn haben,
dy der Fürst muest begaben,
310 wan sy sprachen, sy erkanden mer,
das ainer von Österreich da wer.
Also schift er sv hin dan
auf dy dann des meres pan,
also zogt er offenbar und taugen
315 vunder haiden gelauben.
Das komen im engegen
zwen kokken verwegen.
auf schray der patrian,
Schalt beschaw ain vecler man
320 vund solt sy balt gerechtn,
als man da nu solt vechtn,
da warf man dy panier auf,
in des windes lufftes lauf
sach man zierlich sweben,
325 Trumettn auf nach Furstn leben.
Da pey begunnd der Fürst stan,
dass man sollt greiften vechten an.
des hat Sych der Fürst verbegen,
da kam im potschaft engegen
s. 24: ..alls er mit seinen gefertten etile heilige Stett heimbgesueht hett, ist er
(s. 25) mit ettliehen bekhandten Jueden undter die haidnisehen kaufleutte gangen,
Perlen wind Edelgestein von Ihnen kaufft, aber der schimpft wert bald :>< einem
ernst gerathen und hett könig Friedrichen einen traurigen heimbtwaeg vuegefüget,
denn sie waren kaum auf den Esel \ue den Schieffen khumben, das Oesehrey an
einon geiciessen Ursachen uns im gantxen Land erhalten, der Christen- Kaiser
Kare vorhanden, unnd als ein grosser Zuclauff wierdt von den haiden, mit waffen
\ue den Sehieffen ein grosser thail xuesicht. wie die Schieff wegfahren, heisst der
Khönig von Lanndt stossen, auftrummeten unnd den Adler fliege// lassen. Alss die
haiden das sehen, eilten sie inn grossen grimmen unnd mit mannicherley Sehies-
sungen nach. Allss aber der Khönig oberer ist, fahren si< mit Schanden wie-
der umb hinder sieh."
310 spachen hs.; mer hs. statt maere = künde.
313 vgl. 65.
314 offen war hs.; taugen = mhd. tougen heimlich.
317 = koggen, grosse schiffe.
40 K. RÖHRICHT
330 viind Frawntschaft verjahen
Vund begunnden Im doch Qach gahen (fol. 20.)
Da schickht got von hiniel, das
der Wint des Purstn tail was
vund schied sew paidentlialben gleich.
335 Also kam der Fürst zum König Reich
vund geiu Zippern nitalstzia in di stat,
darnan in grosse er erpatt,
vund hueb sych wider von dem Land
da schlief der konig alzu hannd,
340 wo er zu laitten wolt,
das man sein wol pflegen solt.
Als weiter Met zu pietten,
daselbs dv weisen Rietten.
Also zog er in Ritters wer
345 gein Yinedig, leit im mer,
der hertzog von Yinedig gen Im
mit den purgern, dy da Herrn sein,
auss der stat woll verpracht
zogen gen dem Fuerstn mit Rechter macht
350 vund belaittn In ein mit grossem praws
In dve stat zu dem haws,
dar inn lag der Fürst Rain.
Sy zaigatten im schätz und Edisgstain,
da> sy bey tag und auch bey nacht
355 vor manigen jarn zu samen haben pracht.
Schanckumb lob er vnd wiertigkeit,
dye wart dem Furstn da erzaigt,
dy zeit damit Frewnd volbringen
in lob der erngedingen,
360 dy da zum hochstn begunnd stan.
Dar hueb sich der Fürst der von
vund kam fuer sein land reich
330 />/. : sie bekanten freundliche gesinnung, und begannen ihm doch nach-
teäen.
330 Der name Nicosia ist arg verstümmelt. Hier auf Oypern <„tpfieitf/
Friedrieh wie die meisten dort Inmleiulen rUtrr auch die St. Oeorgsrüterschaß.
340 Es war Francesco Foscari, von dem er am- 16. juni 1436 auch einen
icherkeitsbrief erhalten hatte, Ghmel 277.
39 Friedrieh kaufte dort damals für 2799 gülden kostbar keiten, die im
diarium ÖT'.J — 580 aufgezählt sind.
JBBUSALEMFAHKt DES HERZOGS FRIEDRICH I- 11
mit grossen freyden yonnsamklich,
dye man im vber all
r56f> der zaigen tet mit Lobes schall.
Da offent er das golde klar
mit der seiner Ritter Bchar
hemel, perl, edlgstairj
zu trafen mit il^v Frawen Kain
.'!7i> vund den keuschen junckfrawen in ern,
das pracht vuns der Fürst Herrn
von Orient hab ich erfaren.
Das erst ist zu Ritter warn .... (fol. 21.)
das klare liecht der Stein erschain
375 vund auf dem grab des herra krist
der got aller götter ist
vund sein wunder da hat volbraeht,
alls er im dann het erdacht
hm disem wessen der ewigkhait.
368 hemel wol verderbt oder verlesen ans korel oder korall. Diese beiden
Schreibungen des Wortes finden sich bei Verdeutschung des lateinischen corallus in
einem wbrterbuche der fürstl. bibliotkek \u Donaueschingen vom jähre 1421, vgl.
Diefenbach, novum glossarium lat.-germ. s.113. Korallen gab es neben perlen und
edelsteinen schon damals namentlich in Venedig (vgl. v. 353. 359) vielfach x/u kaufen.
373 Xach diesem verse eine Jucke.
BERLIN. R. RÖHRICHT.
ÜBEE EINE CONJECTUB IN DEE NEUEN LUTHEK-
AUSGABE.
In Luthers deutscher auslegung des 67. (68.) psalmes, zuerst
erschienen Wittenberg 1521, steht der satz (bd. VI 11, s. 14, z. 11 fgg.
der neuen Weimarer ausgäbe von Luthers werken):
Die hebreisch sprach hat ein art} das sie eyn haußmutter oder
ehlich weyb nennet ein haußtxihr, dan wo weyb and Lind
thett, were viUeieht wider hauß , dorff noch stete auff erden.
Der gespert gedruckte satz steht so in den beiden ältesten aus-
gaben A B, ebenso — nur mit der Variante thet — in CDE; die Er-
langer ausgäbe hat, offenbar aus conjeetur, für thät eingesezt: nicht
thät. Der herausgeber dieses bandes, herr pro f. Kawerau in Kiel,
nahm anstoss an den für uns in der tat unverständlichen worten und
sezte nach einer nur wenige buchstaben ändernden conjeetur in den
text: ico weyb and länd feilet.
42 ERDMANN
Die»1 wort'' geben ohne frage den der stelle entsprechenden und
von Luther beabsichtigten sinn richtig wider; ich muss aber dennoch
bezweifeln, dass die änderung des von allen alten ausgaben übereinstim-
mend gebotenen textes aotwendig war. Herr prof. Kawerau ist, wie
er mir freundlichst mitteilte, wegen der in den texl gesezten conjeetur
selbst später bedenklich geworden, weil ihm in der gleichzeitigen litte-
ratur noch zwei sehr ähnliche anwendungen derselben verbalform thet in
einem bedingungssatze aufgestoßen ist. Es steht nämlich in Luthers
auslegung von L. Kor. 7 (1523) B 4b ganz ähnlich: ia wen die vnkeu-
scheyi thete; ferner bei Petrus Schultz,, Ein büchleyn auff frag vnd
itwort, gedruckt L5271, auf blatt A';: ich erlange hülffe .... durch
den glauben wenn der glaube thet rrmste ich vorlore/t werden.
Ich erlaube, dass dieser satz ebenso wie die Lutherschen in verbin-
düng zu bringen ist mit den im mhd. häufigen conjunetivischen bedin-
gungssätzen mit einfacher negation ne oder en- vor dem verbnm (s.
meine Grrundzüge der deutschen syntax § 188); und die reichhaltige,
noch nicht genügend bekante und ausgenutzte samlung von Dittmar
im ergänzungsbande dieser Zeitschrift (1874) s. 228 bietet gerade auch
zw. i Beispiele, in denen in solchen sätzen das verbum tuon im conj.
prät in einer jenen beiden stellen genau entsprechenden bedeutnng
ht, nämlich = hilfe tun, hilfreich wirksam oder vorhanden sein,
was mit hinzugefügter negation in die bedeutnng übergeht: überhaupt
nicht vorhanden oder nicht da sein. Die beiden schon von Dittmar
geführten -teilen sind: Gedicht vom priester Johann (Altd. bl. I, 320)
v. 470 fg. des er lichte wurde irre so, entete daz selbe gestirne dö
(= wenn das erwähntt gestirn nicht wirksam — d. h. leuchtend, sei-
ner natur entsprechend da wäre). Livländ. chronik (ed. L. Meyer,
Paderborn 1876) 7072 cnt,t< got mit siner craft (= wenn gott mit
er kraft nicht da wäre), si en mochten niht beltben. Die gleich-
artige! t beider -teilen mit den beiden oben angeführten ist einleuch-
ncL Nun bildete sich, wie algemein bekant und auch in meiner Syntax
151. 152 mit beispielen belegt ist, schon im mhd. die neigung aus,
in solchen sätzen das schwachbetonte en- vor dem verbnm zn unter-
drück- Meist wurden dii ätze dann durch das zugesezte danne,
nhd. denn charakterisiert; aber auch ohne dieses kommen sie schon mhd.
vor, oft mit schwanken der handschriften zwischen geseztem und feh-
lendem en-, wie z. b. Nil». 14. 4. 906,4. Freidank 4, 17. Man muss mm
wol annehmen, da— ein solches taete in der bedeutung von entaete,
1 1 Ein neudrack dieser kleinen katechetischen Schrift erscheint demnächst in
Braunes samlung.
EINE OONJECTÜB DBB NEUEN LUTHEBAUSGABE l.i
d. h. nicht täte, an welches sich das Sprachgefühl in conjunctionslosen
bedingungssätzen gewöhnt hatte, auch in bedingungssätze mit wenn
oder wo gelegentlich eindringen konte; und gerade die formelhaftem
gebrauch«' sich nähernden und isoliert dastehenden Verwendungen i\<>*
conj. prät. von tun in der oben angeführten bedeutung scheinen dazu
besonders geeignet gewesen zu sein. Die vorauszusetzenden stufen des
Überganges aus dem in jenen beiden mhd. stellen bezeugten sprach-
gebrauche zu dem in der Lutherstelle von L521 vorliegenden wären
also etwa:
1. mtaete wip unde lernt.
2. (ex) taete (danne) wip unt Mint.
'). wo (so, wenn) weyb und bind thät.
Vielleicht lassen sich sowol für diese bedeutung von tuon als auch
für diesen gebrauch des conj. prät. ohne hinzugesezte oegation in
bedingenden nebensätzen noch weitere beispiele aus der Übergangszeit
vom mhd. ins nhd. auffinden. Beide fragen seien den Kennern der lit-
teratur jener zeit zur beachtung empfohlen.
KIEL. OSKAK ERDMANN.
GEESTENBEEGS BEIEFE AN NICOLAI NEBST EINEK
ANTWOET NICOLAIS.
Im folgenden werden sechs briefe Gerstenbergs an Nicolai und
die einzige mir lugängliche antwort Nicolais tum ersten >>mh ver-
öffentlicht1. Sie werfen auf die Schlestoigschen litteraturbriefe um min
neue lichter.
Max Koch hat in seiner Monographie über Sturz s. 95 nicht
ohne Seitenblick auf die Herderforsch ung den satx hingestelt: „deshalb
tritt ich auch gerade an dieser stelh das Zeugnis ablegen } wie wenig
stilistische gründe als entscheidende beweise — für autorfragen näm-
lich — angesehen werden können" Er glaubte dürr// mehrere, nicht
gerade unbedingt zwingende parallelen des stiles auf einen anteil Stur-
xens an den Schleswigsehen litteraturbriefen schliessen tu dürfen,
honte dann aber dagegen das teugnis von Gerstenbergs nachlass an-
1) Die originale befinden sieh in Nicolais nachlass, welchen kürzlich du
königliche Bibliothek in Berlin erwarb. Ich nahm die abschrift, als sie noch im
besitze der fa/milie Parthey waren, und danke der frau Veronica Parthey für die
erlaubnis der benutzung. Nr. 6 wurde mir im jähre Js77 aus der autographen-
samlnng des herrn postdirektors a. d. von Scholl in Stuttgart durch die gute des
verstorbenen oberbibliothekars C. Hahn in München zugänglich gemacht; der imye-
nante adressat ist von mir wol richtig erraten.
44 WERNER
führen, wonach Stur% keinen unmittelbaren anteü an ihnen hatte.
Die philologische methode, so muss man nach seiner darstettung nun
überzeugt sein, kann auf falsche wege fähren, gibt trügliche beweise.
Unsere briefi zeigen aber, dass Kochs Untersuchungen die glänzendste
bestätigung der historisch -philologischen methode sind, denn es ergibt
sich, dass Gerstenberg in den briefen absichtlich den stil verschiedener
autoren nachgeahmt habe. Wenn Koch also Sturzens stil hat ent-
decken wollen, so ist dies allerdings richtig; nur haben wir Gersten-
bergs nachahmung von Sturzens stil vor uns. Schon um dieses
umstands willen verdienten di< folgenden briefe veröffentlicht zu wer-
den. Überdies enthalten sie so viel des interessanten und litterarisch
wichtigen, dass geradi j< \t ihre mittcilnng ratsam erschien.
Hauptsächlich Khpstock und die musik, ferner noch der stil wird
in den briefen hehandelt, welche ihrer eigenartigen halb humoristi-
schen, halb groben form wegen gawx und unverkürzt abgedruckt wer-
den1. Anmerkungen habe ich nur hinzugefügt, wo es unerlässlich
schien. Beim lezten /'riefe wurde nur das eine citat aus Ciceros brie-
fi. n an Atticus vollständig gegeben, bei den anderen genügte ivol die
andi utung.
LE3IBERO, AM 19. JAN. 1889. R. M. WERNER.
1 1 Nur in der kopie des Nicolaisehen b rief es liabe ich die unzweifelhaften
fehler des abschreibers verbessert.
Nr. 1. Crerstenberg au Nicolai.
Liebster und geehrtester Freund,
Wofern mein außerordentliches Stillschweigen mich noch der
Vorrechte Ihrer Freundschaft nicht beraubt hat, so laßen Sie mich Sie
itzt so nennen: wirklich kann ich mir diese Freundschaft kaum jemals
ehr als ein angenehmes Geschenk gewünscht haben, als ich sie nun
für einen unentbehrlichen Besitz ansehe, da ich Ihrer großmüthigsten
V; rieht bedarf. Wie weit ich diesen Begriff der Freundschaft und
Nachsicht ausdehne, werden Sie aus der Versicherung beurtheilen, daß
ich mir mein Versäumniß selbst nicht verzeihen kann.
Da ich durch tägliche Veränderungen, von denen sich unser
armes Land noch lange nicht erholn wird, und die auch, wie Sie,
mein liebster Freund, sich vorstellen könnten, wenn Sie meine Ver-
hältnis, mir dem General v. Gähler1 kennten, mittelbar, mich betrafen,
1) Gemeint ist Peter Elias von Gähler, welcher am 29. Januar 1766 zugleich
mit dem grafei 3t Germain aus dem generalkriegsdirektorium entlassen und zum
vicekommandanten in Glückstadt besteh wurde. Vgl. Jens Kragh Host, Struensee und
BRIEFE GERSTENBERGS AN NICOLAI 45
außer Stand gesetzt wind, mein Versprechen zu halten, fing ich zuletzt
au, da ich bemerkte, wie spät ich mich desselben erinnerte, mich zu
schämen, daß ich genöthigt seyn sollte, Entschuldigungen zu machen.
Ich entschloß mich daher, gleich so vielen andern Sündern, nicht eher
Abbitte zu thun, als bis ich mich durch irgend ein gutes Wert der
Verzeihung fähig machen könnte.
Diel'» Zaudern zoff mir ein zweytes tJbel zu. Ich ward zweifei-
hat't, ob ich an einem Journale Antheil nehmen dürfte, in dem eini|
meiner geliebtesten und rahmwürdigsten Freunde so sehr zu ihrem
Nachtheile zur Schau gestellt werden; ich fürchtete, die allgem. Bibl.
möchte mir vielleicht, in dieser Absicht ein wenig ausfallen, da ich
schon vorher einen Grund gehabt hatte, nicht völlig damit zufrieden
zu seyn, nämlich wreil der, dessen Bescheidenheit ich nicht beleidigen
will, nicht der einzige Verfasser davon war. Ich ward also auch oach-
läßisr und konnte nicht mehr durch meinen guten Willen noch durch
äußre Hindernisse gerechtfertigt werden.
Hiezu, denn selten pflegt Ein Unglück allein zu kommen, kam
der Umstand, daß ich mich unbehutsamer Weise in ein hiesiges Jour-
nal verwickelte, das Ihnen vielleicht unter dem Titel: Briefe über
Merkwürdigkeiten der Litteratur, zu Gesichte gekommen ist, und an
welchen ich nur einen entfernten Antheil zu nehmen dachte, da ich
itzt beynah verzweifeln muß etwas andres, als der Haupt-Yerfaßer des-
selben zu bleiben, wenn ich ihm nicht etwa ein geschwindes Ende
mache, oder die allg. Bibl. selbst diese Mühe über sich nimt.
Was soll ich hinzusetzen, mein Freund? Ich erröthe, daß ich
mein Versprechen zurück nehmen muß: nicht sowohl, weil ich glaubte
(eine Eitelkeit, die Sie mir nicht zutrauen werden,) daß der Bibl. irgend
ein Nachtheil daraus zu wachsen könnte, als vielmehr, weil es ein
unverzeihlicher Leichtsinn ist, sich einer Arbeit unterziehen zu wollen,
die man in der Folge nicht leisten kann. Ich erwarte Ihre Antwort
mit Schmerzen; und doch weis ich kaum, ob ich sie erwarten darf.
wenn sie das enthalten sollte, was ich verdient zu haben, nicht laug-
nen kann.
Auch für das Geschenk des ersten Bandes der A. B. bin ich
Ihnen meinen Dank noch schuldig, so auch für die Ino Ihres vortreff-
sein ministerram (Kopenhagen 1826) bd. I, s. 65 fg. Im jähre 1770 wurde er zum
mitglied der geheime - konferenzkommission ernant, deren Sekretär Gerstenberg wurde
(ebenda I, s. 308). Er starb 1773 (ebenda II. s. 408). Dem konferenzrat Gabler in
Altona hat Gerstenberg seine Vermischten Schriften (Altona 1815) gewidmet.
46 WERNES
liehen Freundes1. Aber ich darf mir nun nicht schmeicheln, daß Sie
meine Dankbarkeit noch einmal auf die Probe stellen werden.
Wenn es möglich ist, liebster Freund, so lieben Sie mich mit
meinen Fehlem; Sie können mich doch nie so sehr lieben, als ich Sie
ehre und hochschätze:
Ihr ganz eigner und verbundenster
Kopenhagen Aug. 2. 176(3. (Jorstenberg.
Dieser Brief ist par Couvert nach Schleswig gegangen. Der Ver-
leger des erwähnten Journals wird Ihnen ein Exemplar übersenden2.
Nr. 2. Grerstenberg an Nicolai.
Kopenhagen, 31. Jan. 1767.
In allem Ernste, mein liebster Nicolai, ich halte Ihr Schreiben
für ein sehr freundschaftliches, und dringe darauf, daß Sie fortfahren,
in dem Tone mit mir zu correspondiren. Wenn der Briefwechsel zwi-
schen zween Pia /'/idealers3, wie Sie und ich sind, sich lange erhalten
kann. >" wird er eine der intereßantesten Privat- Correspondenzen seyn.
die ich mir denken kann.
Die guten Köpfe, deren Urtheil von den Briefen über Merkwür-
digkeiten der Litteratur Sie gehört haben, erklären mit Ihnen meine
Sehreibart für allzugesucht und allzuköstlich
You all have sense enough to find it out.
Sie haben Alle Recht. Denn ob ich mir gleich nicht bewußt bin, viel
nach diesen Kostbarkeiten gesucht zu haben, so sieht es doch natür-
lich so aus. — Aber nun möchte ich Sie fragen, warum Sie diese
Schreibart mein nennen? Ich dachte, Ihnen konnte es nicht verbor-
gen bleiben, daß sie blos mimisch und in einem gewißen Verstände
charaktristisch seyn sollte. Wenn ich mir gleich keinen Stil zueigne,
den Sie dagegen halten könnten: — wirklich, was ich so barbouillire,
i-t immer nichts weiter, als ein Versuch auf Kosten des Publici, künf-
zu einem Stil zu gelangen; — so hätten Sie doch aus der Ver-
schiedenheit, die schon in der Schreibart der beiden ersten Sammlungen
-iehtbar genug ist, ohngefähr errathen können, daß so etwras von mir
intendirt sey, und daß und sich in dem folgenden vielleicht deutlicher
1) Ränder, d Ino in Berlin 170", erschien.
_ Nicolai Lemerkt nach seiner gepflogenheit auf dem briefe: 17GG 11. aug.
[d. h. erhalten] 17o7 8. jan. bwt [beantwortet]. — Der Verleger war Joachim Wilhelm
Hansen, vgl. nr. 3.
Sprich wörtliche 1 »-Zeichnung eines offenen, geraden menschen; zugleich titel
eines lust-pk-K von Wycherley. — Das gleich folgende citat ist l>.-i Shakespeare und
Pope nicht zu finden gewesen. (Freundliche mitteilung von prof. Sarrazin.)
BRIEFE GERSTENBERGS AN NICOLAI 47
entwickeln werde. Ob ich aber dazu befugt gewesen, mag Ihnen Ihr
Schaftesbury und Lncian sagen.
Ich fertige diesen unerheblichsten Punkt vorläufig ab, damit ich
desto umständlicher über den wichtigern Theil Ihres Briefes schwatzen
könne.
Sie beschuldigen Elopstock, daß er sieh allmählig mein- zum
Abenteuerlichen und zur Schwärmerei Lenke; daß das Publikum über
seine als Mspt gedruckten Sylbeninaiil-ie die Achseln zucke: Sie befürch-
ten, wenn gewisse Hymnen, die Sie gesehen haben, wirklich in den
letzten Gesang des Meßias kommen sollten1, daß die Kritik sich allent-
halben in Deutschland laut hören lassen werde. [ch hingegen
beschuldige Sie Herrn Berliner, (denn Sie sind doch vornahmlich das
achselzuckende Publicum), daß Sie Partey ergreifen, ehe Sie sich in
Stand gesetzt haben, ein vollständiges Urtheil zu fällen; daß Sic Klnp-
stocks Einsichten zu wenig, und Ihren eignen zu viel zutrauen; daß
Sie, wenn Sie Homer lesen, ganz etwas anderes darinnen zu finden
scheinen, als Klopstock, der ihn doch auch kent, darinn findet
Die Schriften meiner Freunde sind mir viel wichtiger, als meine
eignen; laßen Sie mich also immer noch ein bischen dabey stehen blei-
ben. Ich versichere Sie, daß Klopstock kein Schwärmer, sondern
ein sehr munterer und freygesinnter Mann ist, der gerade nur so viel
Enthusiasmus für seine Religion hat, als man haben muss, um ein
rechtschaffener Christ zu seyn, und als ein jeder haben sollte, der sich
wagt, über heilige Gegenstände zu singen. Daß Ihnen an seinen lyri-
schen Sylbenmaaßen und an seinem Zwecke, Hymnen nach diesem
Sylbenmaaße in den Meßias einzurücken, allerley sonderbar vorkom-
men müße, kann ich begreifen: daß Sie sich aber überreden, er habe
keinen einzigen vernünftigen Grund dazu, und wisse, mit Einem Wert«-.
nicht, was er thue, das befremdet mich sein. Doch so sind Sie Kunst-
richter! Ohne Gelegenheit gehabt zu haben, von dem Verfaßer Erläu-
terungen einzuziehen, wollen Sie Urtheile fällen: Urtheile über detachirte
stücke, deren Yerhältmß mit dem Ideal des Dichters, deren Verbind inf-
init dem Ganzen Sie nicht kenneu; Urtheile über Sylbenmaaße, die als
Mspt. für Freunde gedruckt sind2, — als ob die Zuversicht, die der
Dichter auf die Einsicht dieser Freunde setzt, offenbar zu eitel wäi
um Ihrer Stimme entbehren zu können. Glauben Sie denn wirklich,
1) Gemeint ist jedeufals „Fragmente aus dem zwanzigsten gesange des MJ
sias", vgl. Muncker, Klopstock s. 485.
2) „Lyrische silbenmasse a 1764 »als manuscript für freunde" geschrieben,
vgl. Muncker a. a. o. 485.
48 WERNER
Klopstocks Project sey nicht schon völlig so sehr auf beiden Seiten
debattirt worden, daß er, ganz sich selbst gelaßen, eine Wahl treffen
dürfe? Es kann freylieh kommen, wie Sie befürchten: die Kritici
(denn von der Kritik wollen wir abstrahiren) können sich allenthalben
in Deutschland laut genug hören laßen: allein das haben sie schon oft,
und hatten doch wohl zuweilen Unrecht. Verlaßeu Sie sich darauf;
s kommen in den folgenden Gesängen des Meßias ganz ungemeine
Stellen vor. das Ganze geht nach einem reiflich überdachten, obzwar
mit unendlichen Schwierigkeiten verbundenen, Plane fort, die deutsche
Inversion, die Energie der Sprache, die Musik der Versification wird
gewiß dabey gewinnen, und der Geist der Epopöe, nach allem dem,
was Sie von dem Genie des Dichters voraussetzen können, nichts
darunter leiden. Dieß ist meine Meynung. Warum sollte ich mich
scheuen, sie zu gestehen? Man wird nicht gleich ein Waffenträger,
wenn man einen Freund mit Überzeugung rechtfertigt: aber man
kann ein Champion werden, wenn man großen Leuten die Spitze bie-
thet. ohne Beruf dazu zu haben.
Daß Herr Moses der Verf. der Kritik über die C arschischen
'«--dichte sey, wäre mir nicht eingefallen. Nach dem, was Sie mir
von dieser Frau schreiben, kann es leicht geschehen, daß man unwillig
wird, ihren poetischen Talenten hinlängliche Gerechtigkeit wiederfahren
zu laßen. Persönliche Bekanntschaften haben viel Einfluß in unser
Unheil, daher pflegt man sich auf den Ausspruch der Nachwelt zu
beziehen. Ich. der ich weder durch ihre Eitelkeit, noch durch ihre
cynische Aufführung beleidigt worden, glaube, daß sie allerdings Genie
ohne Geschmack besitze; und mehr habe ich nicht behauptet.
Herr Moses ist ein Mann, den ich ganz besonders hochschätze.
Ich erwarte seinen Phädon mit Sehnsucht. Ich habe oft gewünscht,
daß Jemand unser Publicum mit Piatos, Xenophons, und Schaftesburys
AVerken (des letzteren Essay ou Virtue and Rhapsody) bekannter machen
möchte, um es, so viel nöthig ist, von unsrer Schulphilosophie zu zer-
streuen. "Wer kann dieß besser, als er?
Was ich Festigkeit des Stils nenne, fand ich nicht sowohl in
Abbts Buche vom Verdienst, als in verschiedenen hieher gehörigen
Litteraturbriefen. Ihre Nachrichten von Abbts Leben werden mir ein
recht angenehmes Geschenk seyn.
Ich pflichte Ihnen vollkommen bey, daß Leßing in seiner Prose
einzig ist: aber nicht in Absicht auf die Festigkeit des Stils, und so,
wie Sie es nehmen, nur im Laokoon. Seine Schreibart war ehemals
jugendlich, zu französisch, zu uncorrect. Der Mann Leßing, der Ver-
BRIEFE GERSTENBEBGS AN" NICOLAI 49
faßer des Laokoon, ist ein unvergleichlicher Scribent. Doch wird Win-
kelmann immer seine Vorzüge behalten, gesetzt auch, seine spätere]]
Schriften verlöhren etwas an innerer Stärke. Die besten Köpfe haben
ihre Epochen.
Xichts könnte mir erwünschter seyn, als die neue Ausgabe Ihrer
Briefe über den Zustand der seh. W., die gewiß große Verdienste um
den guten Geschmack haben. Ich nehme von ihnen den ersten Zeit-
punkt der freyredigen heutigen Critik an; und wenn es Ihnen, wie ich
nicht zweifle, gelingt, sich auch noch in der Schreibart mehr Genüge
zu thun, so haben Sie unstreitig das Werk vollendet, das auf die Nach-
welt kommen wird.
Darf ich fragen, wer der Verfasser des Orakels ist?
Wofern Ihnen mit kurzen Anzeigen von hiesigen Neuigkeiten für
Ihre Bibliothek gedient ist, so will ich Ihnen herzlich gern dergleichen
schicken. Sie laufen ohnedies mehr in Ihren Plan, als in den meini-
gen, ein, der nicht sowohl Neuigkeiten, als Betrachtungen über alte
oder bereits bekannte Werke enthalten sollte, wo ich ohngefähr
wünschte, daß sie dem Geschmack des deutschen Publici eine andre
Wendung geben möchten. Wir sind nichts weniger als Rivale.
Erfreuen Sie mich bald wieder mit einem so freundschaftlichen
Briefe als Ihr letzter ist.
Ich bin mit alle der wahren Hochachtung, die ich Ihrem Ver-
dienste schuldig bin, Ihr ergebenster Diener
Gerstenberg 1.
Nr. 3. Nicolai an Grerstenberg 2.
Berlin d. 21*|B Martii 1767.
Herrn Gerstenberg in Copenhagen.
Einen Correspondenten , der eine so dreiste Incantade so freund-
schaftlich aufnimmt, kann ich ohnmöglich Hochwohlgebohrner insonders
Hochzuehrender Herr anreden, und Freund solte ich Sie doch auch
nicht nennen, denn ob wir gleich wie Sie bemerken nicht Rivalen
sind, so können wir doch auch nicht Freunde seyn, weil unsere Cor-
respondenz das Ansehn gewinnt, als ob wir uns tapfer zanken würden,
Sie werden freilich in diesem Stücke bey weitem der stärkere Theil
seyn. Sie streiten auf Ihrem eigenen Grund und Boden wie der König
von Preußen bey Leuthen auf seinem gewöhnlichen Manoevre Platz. —
1) Nicolai bemerkt: 1767. 16. Febr. [erhalten] 21. Mart bwt [beantwortet].
NB soll mir Addresse angeben, wie ihm zwischen der Meße die Bibl. zu senden.
2) Nicolai: 1767. 21. Mart. Copia eines Briefes an HE. y. Gerstenberg.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIII. 4
50 WERNER
Ich hingegen bin seit einiger Zeit in der Gelehrsamkeit ein Fremdling
worden, und von vielen Beschäftigungen zerstreuet, lese ich wenig und
gerade das am wenigsten, was ich am liebsten lesen solte und wolle.
Ich habe niemals geglaubt, daß KL ohne alle Ursache sich entschlos-
sen Hymnen in den Messias zu setzen, es ist nur die Frage, ob diese
Ursachen überwiegend sind, doch dies ist das wenigste. Das schlimmste
ist. daß in den Hymnen selbst so viel Fanaticismus herrseht, daß ich
aufrichtig gestehen muß. daß ich zuweilen würklich Widerwillen beym
Lesen empfunden habe, ich weiß sehr wohl, daß HE. Kl. im gemei-
nen Leben der Sehwärmer nicht ist, der er in seinen Gedichten ist.
Aber was bringt ihn dazu solche innerliche Aufwallungen zu dichten?
Hat ihn Homer dazu gebracht, so muß er Ihn freylich mit gantz
andern Gedanken gelesen haben, als viele Leute von Geschmack, die
ich kenne, wären die innern Seufzer, die Aufwallung einer durch in-
nerliches Licht erhitzten Einbildungskraft, wären rafinierte Theorien
von Tugend und Religion der Menschlichen Natur am End angemes-
sener, als der Zorn des Achilles, und die Honig süße Worte Nestors,
so könnte Klopstock seiner dichterischen Talente wregen vielleicht in
einige Yergleichung kommen, aber so —
Ich rede eigentlich auch nicht vom Messias, sondern von den
Trauerspielen, und den Hymnen, Ich muß von den erstem gestehen,
daß es mir unmöglich ist, sie mehr als einmahl durchzulesen, dieses
Urtheil getraue ich mich auch öffentlich zu gestehen, und glaubte viel
Leute von Einsicht zu finden, die mir Beyfall gäben, aber mein übri-
ges Urtheil von dem für Freunde gedruckten MSt. ist auch nur für
Freunde, und ich will es gern zurücknehmen, wenn die neuen Ge-
länge des Messias herauskommen und ich aus dem Zusammenhange
sehe, daß ich die gantze Absicht des Dichters vorher nicht einge-
sehen habe.
Ich und meine Freunde ergreifen sicherlich nie Parthey, bis wir
von allen Umständen zu urtheilen im stände sind; die beyden Trauer-
spiele zeigen genung wohin Kl. Hang gehet; Es kann seyn, daß Kl.
weit mehr empfindet als seine Leser merken können, aber ich bleibe
immer dahey, daß solche raffinirte Empfindungen, kein bequemer Ge-
genstand der Poesie sind, doch genung von dieser Materie worüber wir
wohl nicht eins werden mögen. —
Das Achselzuckende Publikum dürfte schwerlich in Berlin seyn;
ja vielleicht in Berlin am wenigsten, (denn Lessing Moses und Ni-
colai machen nicht gantz Berlin aus und gantz Berlin denkt nicht so
wie sie) aber da ich wegen der deutschen Bibl. jetzt die weitläufigste
BRIEFE GERSTE.VBERGS AN NICOLAI 51
Correspondenz in allen Provinzen und mit Gelehrten von vielerley
Gattungen habe, so weiß ich ziemlich zuverläßig, was man auch in
andern Provinzen denkt, ich will gewiß wetten, daß unter allen leben-
den Dichtern mediocris notae vier fünftl meiner Meinung wegen der
Trauerspiele seyn werden. Ich rechne noch gewisse Politische Leute
ab, die auf beyden Achseln tragen, und allemahl der Meinung des-
jenigen sind an den sie schreiben, oder mit dem Sie reden. — Doch
nochmals genug hievon.
Ihr Versuch auf Kosten des Publica zu einem Styl zu gelangen
ist in der That sehr mißlich, wenn Sic natürlicher Weise noch auf
eine so gekünstelte Art denken so wird der Styl so gezwungen werden
als die Gedanken gezwungen sind. Aus der Verschiedenheit der Schreib-
art hat man geschlossen, daß verschiedene Leute an Ihrem Journale
arbeiteten; nicht daß Sie selbst so vielerley Gestalten annehmen wolten:
Ich halte es überhaupt für sehr mißlich und für den gantz unrechten
AVesr, wenn man sich mit ausdrücklicher Absicht hinsetzt, um sich
einen Styl zu bilden, mich dünkt ein jeder denkt so, wie es die
Mischung der Geisteskräfte eines jeden mit sich bringt, aber er denke
reiflich und bemühe sich immer vollkommener, reifer, edler, klärer zu
denken. Nur lasse er den Styl laufen, wie er will, er wird sicherlich
das natürliche Ebenbild seiner Gedanken seyn; das Gegentheil war
zuweilen Abbts Fehler. Ich wäre sehr begierig zu wissen, welche
Briefe der Litteratur Sie für Muster eines festen Styls halten. Ich habe
jetzt über Abbts Schreibart bey Gelegenheit seines Lebens in etwas
nachgedacht, und wenn die Zeit, die ich an dieses Leben wenden kann
nicht so kurtz wäre, so würde ich einige Gedanken darüber auskra-
men1— Sie werden mich sehr verbinden wenn Sie mir mit einer der
ersten Posten auch diesen Punkt beantworten wollen.
Die Persönliche Aufführung der Karschin kann in so fern einen
Einfluß gehabt haben, daß man das Urtheil etwas lauter gesagt hat.
aber das Urtheil ist meiner Bekümmerniß [sie] in aller Strenge richtig.
Ich merke wohl, auch über diesen Punkt werden wir auch nicht einig
weil wir in den Prindpiis allzu sehr differiren. Sie sagen die Kar-
schin hat Genie ohne Geschmack, das würde ich sagen wie beym
Shakespear ein ungemeines Feuer; die Art einen Plan original zu
imaginiren, und nach eigener Art auszuführen, große, starke, aber
rauhe Züge, und hingegen einen gäntzlichen Mangel der Kleinen Zärt-
lichkeiten der Poetischen Sprache, des Anständigen, des Neuen und
dergl. fände. Aber bloß diese kleine Zierlichkeiten sind das Haupt-
1) Tgl. Nicolais Ehreugedächtiiiß Herrn Thomas Abbt s. 20 fg.
4*
52 WERNER
verdienst der Frau Karscliiii, wohl klingende Sylbenmaaße, so neue
Beywörter, eine gewisse Art von Nuancen, und gewisse Art von
Wendungen, die noch zuweilen nicht ihr eigen, sondern Ramlern
und andern Dichtern abgeborgt sind. Kurte alles was die Poetische
Sprache betrifft ist gut. Aber wo ist die Originalwendung die ein
Genie ohne Geschmack allemahl haben wird ; wo ist ein einziger Plan
gut. geschweige original ausgeführt, wo sind große starke und zugleich
rauh«' Züge? 0 vide Sign.:
Moses, Abbt und ich hatten einmal den Vorsatz den Gantzen
Shafftesbury zu übersetzen, und einige Stücke mit Abhandlungen zu
erläutern, wir haben auch schon alle drey angefangen1. HE. Moses hat
deD Moralist meist fertig, aber es kann noch lange währen ehe etwas
gedruckt wird.
Der Verfasser des Orakels ist Herr Moses, der dies auch in der Vor-
rede zu seinem Phädon, der nun meist abgedruckt ist, öffentlich sagt.
Ich werde Ihnen ein Exemplar des Phadons zusenden und Ihr Urtheil
erwarten. Die Simplicität der Schreibart verdient glaube ich viel
Bevfall *.
m
Haben wir denn Hoffnung den Rest des Messias bald zu erhal-
ten: Ich warte darauf nebst meinen Freunden mit der äußersten Unge-
duld, dasjenige was ich wider Kl. gesagt habe, hindert nicht, daß ich
für Ihn und seine Schriften die äußerste Hochachtung [habe fehlt],
je freyer ich jetzt mit meinem Urtheil vor meinem Freunde gewesen,
desto behutsamer würde ich seyn , wenn das gantze Werk herausgekom-
men, und ich mein Urtheil sagen solte.
Lessing gibt seine Lustspiele auf Ostern heraus, es ist ein Neues
darinnen Minna von Barn heim, oder das Soldaten Glück betitelt,
Sie sehen, daß L. die Armee nicht umsonst gesehen hat.
Vor einiger Zeit starb allhier der Kammergerichtsrath Uhden
mein Freund und der zur Music ein gantz besonderes Genie hatte,
wenn dieser Mann der Music seine gantze Zeit hätte weihen können,
so würde er nach dem Urtheil aller hiesigen Musiker einer der größe-
ren Meister geworden seyn. Er hat ungemein viel Sachen componirt
worunter verschiedene sehr schön sind. Unter andern hat er schon
vor mehreren Jahren aus Ihren Tändeleyen die Cloe in Musik gesetzt.
Er hat dies Stück nachher immer verändern wollen, weil ihm verschie-
denes daran nicht gefiel, weil aber sein Amt sehr mühsam war, und
1) Ehrengedächtniß Herrn Thomas Abbt s. 16.
2i Am rande steht: „Zu den Zweifeln die kleine Vorrede ist von mir."
[Vgl. 19. teil der Litteraturbriefe , 287. briet]
BEIEFE GEBSTKNBERGS AN NICOLAI 53
er sehr wenig Muße hatte ist es unterblieben. Ich werde Ihnen dieß
Stück nächstens zusenden1.
Geben Sie mir doch auch eine Gelegenheit an die Hand, wie ich
Ihnen die Stücke der Bibliothek die zwischen der Messe herauskommen
zusenden kau. Des 4L Bds V- Stück ist schon lange fertig, aber die
Copenhagner Buchhändler lassen nichts zwischen der Messe kommen,
und an Hansen mag ich nichts senden, denn er ist so anordentlich
daß er meine in Geschäften geschriebenen Briefe gar nicht, oder nur
halb beantwortet, die Packete fürchte icli möchte er gar verlieren.
Die Nachrichten die Sie zur deutschen Bibliothek einschicken wol-
len, werden alle mahl sehr willkommen seyn, wenn in der dortigen
Gegend ein neues merkwürdiges Buch herauskömt, und ich kan »ine
kurtze Anzeige davon bald erhalten, so ist es mir sehr angenehm, da
die Bibliothek ohne dem von Neuigkeiten ziemlich arm ist und viele
Leute nicht begreifen können warum manche Recensionen so spät
erscheinen. Ich habe mich darüber in der Vorrede des 4tenBds 1*- Stück
erkläret und vieleicht werden nun einige Leser begreifen wie mühsam
die Zusammentragung dieses Werks ist. Ich bin etc.
0 Neben her muß ich sagen, daß Sie dem M. unrecht thun wegen
der Stelle so wichtig als Nützlich, sie ist ein offenbahrer Druckfehler
und auch als ein solcher am Ende angezeiget, am Ende des Werks ist
im Mst. etwas nicht genug herausgestrichen gewesen.
Nr. 4. Grerstenherg an Nicolai.
Kopenhagen d. 6. Apr. 1767.
Sie verlangen, mein kunstrichterlicher Correspondent, (Freund
wrollen Sie nicht genannt seyn; überdem muß ich gestehn, daß ich
wenig freundschaftliche Correspondenzen kenne, die mir nur halb so
viel Freude machten als Ihre kritische), mit einer der ersten Posten
zu wissen, welche Litteraturbriefe ich für Muster eines „festen Stils
halte": eine Aufgabe die eine sehr tiefsinnige Untersuchung, im Ge-
schmack der A. B. veranlassen könnte, wenn ich weitläuftig über Dinge
schwatzen möchte, die ich schon für bekannt annehme. Wir wissen
leider, was die alten Künstler unter Festigkeit des Stils, Festigkeit der
Hand, zuversichtlicher Leichtigkeit im Arbeiten u. s. w. verstanden. Ein
Scribent, dessen Ideen sich in den Ausdruck, wie in warmes Wachs,
mit ihrer völligen Deutlichkeit und Bestimmung, ohne den Schmutz
1) Nicolai forderte diese komposition noch am 8. märz 1773 durch Eschen-
burg von prof. Ebert zurück, dem er sie geliehen hatte. „Sie gehört eigentlich
meiner Frau, die sie nicht gern verlieren will."
54 WERNER
kleinlicher Zierrathen. glatt, erhaben, und wie in einander geschmolzen,
abprägen, scheint mir das Prädikat, von der Festigkeit des Stils zu
verdienen. Beyspiele davon glaube ich im 261, 321, 322 Briefe und
dem zwanzigsten Theile im Briefe über Betrams Fortsetzung des Fer-
rera1 zu finden, von welchem letztern ich jedoch die Übersetzung aus
dem Lucian ausnehme, die steif und schulmäßig, obgleich hin und
wieder körnigt genug, geschrieben ist-.
Erklären Sie sich mit gleicher Eile, was das für Hymnen sind,
die Sie so fanatisch finden. Als Klopstocks Freunde ist mir aller-
dings daran gelegen, daß Sie ein so nachtheiliges Urtheil nicht ohne
hinlängliche Prüfung fällen. Was Sie raffinierte Theorie von Tugend
und Religion nennen, kann Andern ein sehr angenehmes Ideal von den
Empfindungen der Glückseligkeit nach dem Tode seyn, so fern Men-
schen sich mit einiger Bestimmung [sie] darüber auszudrücken wißen.
Der Dichter behandelt dieß Sujet blos als Charakter; er legt seinen
Glückseligen Denkart und Begeisterung bey, wie er glaubt, daß sie
ihnen natürlich sind. Die Frage ist also nur, ob sie für orthodoxe
Folgen aus wahren Grundsätzen gelten können: räumen Sie das ein,
so fällt der Vorwurf des Fanatismus wTeg, der heterodoxe Folgen aus
falschen Grundsätzen oder unzulänglichen Inductionen zieht. Die
zweyte Frage ist, ob ein solches Ideal mit den Empfindungen der
menschlichen Natur misstimme. Der menschlichen Natur — ist ohne
Zweifel zu viel gesagt. Warum sollt es nicht von der guten Religion
gelten, was die Litteraturb riefe irgendwo mit Grund von der Moral
sagen? „Die große Bewegungsgründe von der Schönheit der Tugend
„sind es für einen Schaftesbury und die wie er empfinden können:
„aber wer sich zu diesen feinen Bewegungsgründen gar nicht zu
„gewöhnen Gelegenheit gehabt und sie also nicht fühlen kann, für den
..4nd es gar keine Bewegungsgründe." — Setzen Sie für Bewegungs-
gründe Empfindungen: meynen Sie, daß Kl. die seinigen für allgemeine
hält? Eine dritte Frage entsteht, ob der Dichter nicht seinen Vortheil
besser gekannt hätte, wenn er für die Fassungskraft Aller geschrieben
hätte. Doch nein, diese Frage erwarte ich nicht von Ihnen. Sie
wißen, daß die alten Artisten groß genug dachten, sich in gewißen
Fällen über das Urtheil der Menge hinwegzusetzen. Ein großes Genie
kann und muß seinem eignen Urtheile folgen. Wer sich nur um Bey-
fall bekümmert, beweist schon dadurch, daß er entweder kein großes
Genie sey, oder unter einer beschwerlichen Notwendigkeit seufzen
müsse. Beyfall muß von selbst kommen, muß nicht gesucht werden,
1) 226. briet 2) S. 7 fg.
BRIEFE GERSTENBERGS AN NICOLAI 55
muß in der Natur der Sache gegründet seyn. Wenn Kl. diese Maxi-
men, mit oder ohne Wißen, von Anfang der Meßiade gehabt hat, so
kann er ihr das Fundament seines itzigen Ruhmes ganz allein verdan-
ken, und sie muß ihm die Gewähr fürs Künftige leisten. Kxitici, oder
nach dem thörigten teutschen Ausdrucke, Kunstrichter entscheiden
hierinn gar nichts; sie sind bloße Lest r. War die Sphäre ihrer Ein-
sicht der Sphäre des Genius gleich? Das muß vorher geprüft werden.
War die Sphäre des letztern excentrisch? Das kann vielleicht zu einer
andern Zeit entschieden werden vielleicht auch nicht. Was schadet-?
Wir haben das Ideal des Dichters.
Ihr Recept zu einem Stil zu gelangen —
Ihre graven Betrachtungen über die Mißlichkeit meines Unterneh-
mens, meinen Stil auf Kosten des Publici zu bilden —
Laßen Sie mich Ihnen ein paar Worte ins Ohr sagen, mein wahr-
heitliebender Correspondent. Wenn Sie so etwas drucken ließen, so
würde Mancher in dem Verdachte bestärkt werden, daß es, wie die
Schweizer einmal aussprengten, (obgleich, ich weis es wohl, ganz ohne
Ihre Schuld) in Berlin wirklich eine nikolaisehe Schule gebe, die mit
einigen Verbesserungen, nur eine Erneuerung der weiland gottschedischen
sey. Ich kann Ihnen als Ihr Vertrauter, nicht bergen, daß man bey
Gel Offenheit der vermischten Nachrichten in der A. B. bereits so
etwas murmelt.
Bereden Sie Herrn Moses, uns bald mit seinem Moraliste zu
beschenken. Ich habe schon vor verschiedenen Jahren Übersetzungen
aus dem Arabischen, eine Logicam Probabilium und d. gl. von ihm
erwartet. Dem Phädon dieses vortrefflichen Scribenten (empfehlen Sie
mich ihm, Sie können ihm von meiner Hochachtung nicht zu viel
sagen), der Composition des Herrn Uhden, besonders Ihren Nachrich-
ten von Abbts Leben, der neuen Auflage Ihrer Briefe etc. sehe ich
mit Verlangen entgegen.
Hansen schreibt mir, daß in der Leipz. Gel. Zeit, einer neuen
Edition des Hypochondristen erwähnt worden. Da ich mit der gegen-
wärtigen Beschaffenheit dieser Wochenschrift äußerst unzufrieden bin
(ich ward wider meine Absicht darein verwickelt, und viele Blätter
hat man mir aus den Papiren meiner Kinder- Jahre entwandt, die ich
hernach, da ich in Mecklenburg war, zu meiner großen Verwunderung
gedruckt las); so habe ich Hansen zur Michaelis -Messe ein ganz um-
gearbeitetes Mspt. versprochen; Sie würden mir daher einen Gefallen
thun, wenn Sie das Publicum davon in Ihrer BibL, doch ohne meinen
5(j WERNER
Namen zu nennen, avertirten. Der vorgebene Verf. heißt Zacharias
Jerrstrup.
Wer mag der Verf. der Fragmente zu d. Litteraturbriefen seyn?
Kl. säumt mir zu sehr mit der Meßiade.
Ein Inesiger Freund wünschte zu erfahren, was eine holfeldische
Dreschmühle wovon die Abbildung in der zweyten Lieferung des Berl.
Spectacol. Nat et Art., mit Transport bis Lübeck, kosten könne, und
wie viel Kaum sie einnehmen. Darf ich Sie bitten, mich davon zu
benachrichtigen, und mir zugleich eine richtige Zeichnung mit den
gehörigen Maaßen zu schicken? — Adieu, m. 1. Nicolai. Ich liebe Sie
mit allen Ihren Fehlern. Ihr
Gerstenberg1.
Proft wird Ihre Briefe und Päckchen gern an mich befördern.
Nr. 5. (xerstenberg an Nicolai.
Kopenhagen den 5 Dec. 1767.
Sie werden auf Ihren sehr angenehmen Brief schon lange eine
Antwort erwartet haben, m. 1. Freund: ich habe ihn aber erst vor
ohngefähr 14 Tagen auf dem Lande erhalten, wo ich mich seit einiger
Zeit aufgehalten habe. Nicht als ob ich es selbst nöthig gefunden
haben würde, mit der Beantwortung von Herrn Moses zu eilen. Er
hat der kritischen Freunde so viele, daß er meine Anmerkungen gern
entbehren konnte; und wenn ich ja nach dem ersten Durchlesen einen
Einfall niedergeschrieben habe, der ihm undeutlich erscheint, so will
ich meinen Fehler nicht dadurch noch vergrößern, daß ich mich weit-
läuftig darüber erkläre. So viel kann ich mit Wahrheit hinzusetzen,
daß Phädon für mich eins der schönsten philosophischen Bücher ist,
die ich je gelesen habe: aber überzeugt hat mich das an sich sehr
sinnreiche System nicht; vermutlich deswegen nicht, weil ich noch
immer nicht begreifen kann, wie der menschliche Verstand, bey den
äußerst wenigen Beobachtungen, die er in dem allerkleinsten Theil der
Schöpfung anzustellen Gelegenheit hat, sich erkühnen könne, von der
Güte und Weisheit des Schöpfers bestimmte Folgerungen in Absicht
aufs Ganze zu machen. Doch Sie werden sagen, es sey meines Amtes
nicht, darüber mit Herrn Moses zu raisonniren, und ich breche daher
gleich von dieser Materie ab.
Ich werde mich recht freuen, Ihre nähern Gedanken über die
griechsche Musik in Yergleichung mit der neuen zu erfahren. Darum
1) Nicolai: 17G7. 4 May [erhalten] GM bwt [zur ostermesse beantwortet].
BRIEFE GEBSTENBEBGS A\ NICOLAI 57
stimmen Sic mit Klopstock überein, daß die Alten unter Thesis und
Arsis etwas ganz anderes verstanden haben, als onsre heutigen Musik-
gelehrten. Sie scheinen sich aber über die eigentliche Bedeutung die-
ser Wörter schon einig geworden zu seyn, und das ist Kl. Dicht Er
hat seiner „Abhandlung vom Sylbenmaaße" anderthalb Seiten von Kla-
gen über gewisse zweifelhaft«' Stellen in den Schriften der Alten bei-
gefügt, und ich verspreche mir von Ihnen viele schöne Erläuterungen.
Diese Abh. wird nächstens in Herrn Leßings periodischer Schrift zu
lesen sein1.
Wenn ich Ihre Anmerkungen über die alten Syllbenmaaße recht
verstanden habe, so gelm Sie darinn ganz von Elopst ab. Sie stel-
len Beobachtungen über das Schema eines einzelnen Verses an: Klop-
stock scheint mir aber durch seine Eintheilung in Wortfüße und Vers-
fragmente auf ein viel fruchtbareres Feld gerathen zu seyn. So wir <■-
nämlich der Sinn und die Declamation des hexametrischen Perioden
erfordert, entstehen aus der Abwechslung der Dactylen und Spondäen
(im Deutschen Trochäen) kleinere metrische Theile von Antispasten,
Choriamben, Dispondäen, ionischen Yersen, Epitriten etc. ja fünf und
sechssyllbigte Füße, und aus diesen weiter größere Abschnitte, die das
Schema eines einzelnen Hexameters so mannigfaltig machen, daß man
zu der Bildung desselben noch andre Grundsätze herüber nehmen muß,
um von dem Gange und dem Rhythmus eines ganzen Satzes richtig
zu urtheilen. Ich enthalte mich aber mehr davon zu sagen, weil ich
Ihnen doch nicht verständlich seyn würde. Was meynen Sie damit,
daß die Jambi senarii der komischen Poeten, wenn sie nach dem Tact
wären gesungen worden, unsren deutschen Jamben vollkommen ähn-
lich würden gewesen seyn? Ich weis wohl, daß Marpurg durch seine
Tacteinth eilung der Horazischen Syllbenmaaße hat herausbringen wollen,
unsre heutige Art, das Latein auszusprechen, sey die richtigere: ich
kann mir aber nicht vorstellen, daß auch Sie aus dieser willkührlichen
Disposition der Wörter unter accentuirten und unaccentuirten Noten
etwas sollten beweisen wollen: denn mich dünkt, die Stellung der
1) Es ist Lessings und Bodes geplante Zeitschrift „Deutsches museumu gemeint,
in welche von Klopstock noch ausserdem Oden und der Hermann, von Gerstenberg
der Vgolino und ein lustspiel von Zachariä kommen solten, wie Lessing an Nicolai
schreibt (2. febr. 1768). Buschmann aus Stralsund schreibt Nicolai den 9. märz 1768:
„Man hat mich versichert, dass Lessing an einem Werke arbeitete, wozu er Klop-
stock, Weißen, Gerstenberg und andere berühmte Schriftsteller als Mitarbeiter
erbeten hätte ..." Am 3. nov. 1768 fragt er, ob das ganze vorhaben aufgegeben sei,
weil „der graf Ugolino daraus besonders abgedruckt" sei.
58 WEBNEB
Noten müsse sich nach der Quantität der Syllben richten. Das para-
doxeste aber ist mir, daß sich alle kurze Syllben zu den langen wie
1 zu 2 verhalten: ich habe immer dafür gehalten, daß die Kürzt' und
Läng« . selbst in der Anwendung auf den musikalischen Rhythmus,
verschiedener Art wäre.
Verzeihn Sie mir liebster Freund, diese kleine Unart, mich in
Dinge einzulaßen. die Sie gewiß beßer verstehen, als ich. Ich bin
zwar ein Erzliebhaber der Musik, aber kundig bin ich ihrer sehr wenig.
Ich habe Bach einen guten Singcomponisten genannt; ich glaube
nämlich, daß er, wo er will, so cantabil setzen könne, als irgend ein
andrer Deutscher, und dieß zwar nicht nur in eigentlichen Singsachen,
ödem auch in Claviercompositionen: schwer, das gebe ich Ihnen zu,
aber doch melodisch und sangmäßig. Weil ich eben heute so viel von
der Musik mit Ihnen schwatze, so muß ich Ihnen doch erzählen, daß
ich einige musikalische Experimente mache, worüber ich Ihre Meynung
wißen möchte. Ich nehme erstlich an, daß die Musik ohne Worte nur
allgemeine Ideen vorträgt, die aber durch hinzugefügte Worte ihre völ-
lige Bestimmung erhalten; zweytens geht der Versuch nun bey solchen
Instrumentsolos an, wo der Ausdruck sehr deutlich und sprechend ist.
Nach diesen Grundsätzen habe ich unter einige Bachische Ciavier-
stücke, die also gar nicht für die Singstimme gemacht waren, eine Art
von Text gesetzt, und Klopstock und Jedermann sagt mir, daß dieß
die ausdrucksvollsten Singsachen wären, die man hören könnte. Unter
die Phantasie z. E. in der sechsten Sonate, die er zur Application sei-
nes Versuchs etc. componirt hat, lege ich Hamlets Monolog, wie der
über Leben und Tod phantasirt. alles in kurzen Sätzen, das Largo aus-
genommen, das eine Art von Mittelzustand seiner erschütterten Seele
ausmacht. Auf eben diese Art habe ich einen Schlachtgesang ge-
macht, wovon ich gewiß versichert bin, daß er bey weitem so gut
nicht gerathen wäre, wenn der Componist die Worte in Noten gesetzt
hätte, als itzt, da der Versificateur die Noten in Worte gesetzt hat;
wovon der Grund mir in den vorausgeschickten beiden Sätzen zu lie-
gen scheint. Doch gebe ich freylich zu, daß man diesen Versuch nicht
zu weit ausdehnen muß: denn einige, obgleich ausdrucksvolle Instrumen-
talstücke können auf keinerley AVeise für die Singstimme genutzt werden.
Wie sehr bin ich Ihnen nicht verbunden, mein Werthester, daß
Sie mir außer dem Concert in Edur, welches ich erhalten habe, auch
noch die Anweisung, und andre mir etwa fehlende Sachen schicken
wollen. Ich besitze von Bach folgendes: Sei Sonate cled. cd Bc dl
Frussia — VI Sonate L>. cd JJuea die Wirtemb. — Sonate mit verän-
BRIEFE BBBSTBNBEEGS AN" NICOLAI 59
derten Reprisen nebst deren erster und zweyter Fortsetzung — Sechs
leichte Ciaviersonaten — Ciavierstücke verschiedener Art — Ciavier-
stücke für Anfänger, erste Sammlung — Gellertsche Lieder (wobey ich
fast durchgehends statt des ßellertschen Textes «inen Psalm von Cramer
oder auch ein Lied von moralischen Inhalte untergelegt habe; ja eine
von diesen Melodien hat mir sogar ein Hagedornisches Lied zu erfor-
dern geschienen1) — Oden — Tonstücke fürs Ciavier von Bach and
einigen andern classischen Meistern (wie sie sieh nennen) — Fugen —
Concert aus D und E # — III Sonatine mit Stimmen Der Wirth
und die Gäste — Phvllis und Thvrsis (woraus ich einen Faun und
Dianens Nymphe gemacht habe). AVegen der Cantate will ich näch-
stens an Bach schreiben, und danke Ihnen imYoraus für Ihr Anerbiethen.
Ihre Abhandlung vom Trauerspiel hat der Etatsrath Fleischer,
der Hauptverfasser der Samlinger2 etc. ins Dänische übersetzt, and
ich gestehe Ihnen, daß ich selbst ihm diese Übersetzung angerathen
habe, weil ich mich nicht besinne, mehr gute Anmerkungen in einer
so kurzen Abh. beysammen gefunden zu haben, ob ich gleich nicht
mit allem einig bin. Eben dieser sehr verdiente und in ansehnlichen
Ämtern stehende alte Mann hat auch vor kurzem Herrn Weißens
Richard III in reimlose fünffüßige Jamben übersetzt, welches der erste
Versuch dieser Art in Dänemark ist3; und wenn er nicht, so wie er
ein Sammler von Vögeln, Insecten und Mineralien ist, die kleine Grille
hätte, auch altnordische Wörter zu sammeln, und bey jeder Gelegen-
heit an Mann zu bringen, so würde diese Übersetzung auch auf dem
Theater reüssiren können. Die Grazien nebst andern Kleinigkeiten von
mir hat er sehr vortrefflich übersetzt.
Ich denke, ich habe Sie lange genug aufgehalten. Leben Sie
wohl, mein liebster Nicolai, und lieben Sie mich. Ich bin gewiß mit
wahrer und lebhafter Hochachtung
der Ihrige
Gerstenberg.
Bald hätte ich vergessen, Ihnen für die vorteilhafte Kecension
des Skaldengedichts zu danken4. Ich kann Ihnen bei der Gelegenheit
1) Aus diesen untergelegten texten entstanden Gerstenbergs lieder nach berühm-
ten mustern, vgl. die amn. Gerstenbergs zu „Bacchus und Venus. Nach Gleim.u
Verm. Schriften Altona 1815. 2. bd. S. 218.
2) Samlinger af adskillige Skrifter til de skjönne Videnskabers og det danske
Sprogs Opkomst og Fremtarv. Sorö 1765. Tre Stykker.
3) Minor, Chr. Felix Weiße s. 210.
4) Algemeine deutsche bibliothek 5, 1, 210 fgg.
60 W$RNKB
sagen, daß die nordische Mythologie nicht allein Stoff für einen neuen
Ariost enthält, sondern daß auch Klopstock sie itzt in alle seine Oden
verwebt, woraus die griechische \on ihr völlig verdrängt worden. In
Hermanns Schlacht kommt sie auch vor. Was sie mit der Regel-
mäßigkeit zu thun habe, begreif ich nicht völlig.
Könnten Sie nicht Herrn Bach bereden, daß er einige Lieder mit
Variationen componirte, so daß die simple Melodie immer gesungen
würde, die Variationen sich aber nach dem Gehalt der Strophen rich-
teten. Auf diese Art singe ich mit einigen nöthigen Veränderungen
des Textes das Lied: 0 Chloe, höre du der neuen Laute zu etc. zu
einer von Bach vorlängst mit Variationen gesetzten textlosen Arie: und
Sie glauben nicht, wie schön sichs ausnimmt. Es versteht sich, daß
dieß nur bey Liedern von reizendem oder lustigen Inhalte statt finde:
der Charakter der AVürde, Simplicität etc. schließt dergleichen Verände-
rungen au-.
So eben erhalte ich Ihr Schreiben vom 28. Xov. nebst dem
Päekchen Musikalien und Ihrem Geschenk der Bibl. und des ersten
Theils von Abbt. Die Post läßt mir nicht mehr Zeit, als Ihnen den
Empfang zu melden, und mich zu bedanken. Das Geld assigniere ich
mit der nächsten fahrenden Post an Herrn Lessing1.
Nr. 6. Grerstenberg an Nicolai.
Kopenhagen d. 27. Apr. 1768.
Sie überhäufen mich mit Gefälligkeiten, mein werther Freund.
Ich hätte Ihnen schon längst für die Menge der schönen Sachen dan-
ken sollen, die Sie mir übersandt haben, besonders für die Composition
des Herrn Uhden. Hätte ich geglaubt, daß er die Grazien für volle
Musik ausgearbeitet hätte, so würde ich mich nicht unterfangen haben,
Sie darum zu bitten. Ich hielt es bloß für ein Ciavierstück. Aber
desto besser für mich. Ich habe schon ein paarmal Gelegenheit gehabt,
unter guten Freunden mit meiner Frau aufzuführen, und man findet
für das Werk eines Liebhabers viel schönes drinnen. Nur scheint die
Form einer Cantate nicht gar zu gut gewählt zu seyn, und daß die
musikalische Recitation der Prose Schwierigkeiten habe, empfindet man
hin und wieder. Überhaupt aber hat Herr Uhden den vortrefflichen
Graun gewiß nicht umsonst gehört. Auch für das neue Stück der Bibl.
bin ich Ihnen sehr verbunden: ich habe verschiedene Recensionen mit
1) Nicolai: 1708 22. Jan. 24. Febr. bwt.
BRIEFE GEHSTENBBBG9 AN NICOLAI Gl
dem größten Vergnügen gelesen, dünkt Ihnen aber nicht, daß Herr
Moses (denn Er wird es doch wohl seyn) den Agathon zn sehr als
Philosoph beurtheilt hat? Doch vielleicht war es nirgends nöthiger,
als hier. Die vorteilhafte und verdiente Reeensi.»n der Resewitxischen
Predigten hat mir deswegen keine geringe Frende gemacht, weil die-
ser würdige Mann hier bey weitem für sein Verdienst aoch nicht
bekannt genug ist. Ich habe ihn völlig so gefunden, wie Sie ihn mir
beschrieben haben. Ich liebe Hin sehr, und glaube, dar. er mich
auch liebt.
Was ich von Herrn Klotzen sage? Herr Klotz ist ein Ckd1. Wenn
Scoppios oder ein andrer bestaubter runzlichter Schulmeister von den
Todten aufstünde, und mit wohlfrisirtem Haare und einen) französischen
Petit-maitre-Pöckchen erschiene: so würde er so ein Mittelding seyn,
wie ich mir Herrn Klotz vorstelle. Herr Klotz ist ein großer Oul:
das ist alles, was ich von ihm zu sagen habe.
Ihrer Abhandlung von der Musik der Alten auf ihre Versarten
angewandt sehe ich mit dem größten Verlangen entgegen. Sic schei-
nen mir sehr tief in diese Materie eingedrungen zu seyn: so viel
bemerke ich schon aus dem wenigen, was Ihnen beliebt hat, mir davon
zu schreiben. Ich muß mich über Klopstocks ähnliche Arbeit undeut-
lich ausgedrückt haben, weil Sie vermuthen, daß er nicht bey den
ersten Bestandteilen des Verses angefangen habe. Man kann schwer-
lich alles, was dahin gehört, sorgfältiger sammeln, und mit mehr
Scharfsinn zergliedern, als er gethan hat. Man wird eher von ihm
urtheilen, daß er der Sache zu viel2, als zu wenig gethan habe. Sie
werden seine Schrift in einer der ersten Xummern des Museum lesen.
Sie verlangen, daß ich Ihnen meinen Text für Bachische Phan-
tasie schicken soll? Ich will es wagen. Aber ich sage Ihnen vorher,
daß ich diesen Text nur dem Freunde, der meine Amüsemens mit
Nachsicht beurtheilt, nicht dem strengen Kunstlichter, mittheile. Hier
ist er. Die römische Zahl bedeutet das Notensystem, die deutsche den
Takt. Sie werden von selbst errathen, daß einige Stellen die unisono
mit dem Baß gehen würden, eine etwas veränderte Modulation für die
Singstimme haben müßen. Doch eben besinne ich mich, daß die Phan-
tasie eine freye ohne genaue Taktabmessung in den beiden Allegros
ist. AVie soll ich Ihnen nun das Unterlegen meines Textes ohne Noten
verständlich machen? Am besten, ich überlasse das Ihrem eigenen
1) Natürlich, engl, gull = tropf.
2) Am fusse der seite steht: (Das Geld für die Musikalien von Bach werden
Sie durch Herrn Lessing erhalten haben.)
02
"WKKN'En
Geschmack, und sage Ihnen bloß, daß das erste Wort sich am Ende
des eisten Systems anhebt, so nämlich
T^
¥
t
i
— r
i
\^/
Seyn
Hamlet.
I. Seyn!
IL oder Nichtseyn!
IL Das ist die große Frage!
IL Das ist die große Frage!
III. Tod! Schlaf!
IV. Schlaf! und Traum!
IV. Schwarzer Traum!
V. Todestraum !
VI. Ihn träumen, ha! den Todes-
traum !
Largo.
Eine Stimme aus den Grä-
bern.
(Hier geht die Singstimme mit der
Ciavierstimme fort, außer wo der
Ins Licht zum Seyn erwachen!
Zur Wonn hinaufwärts schaun!
So Seele!
die Unschuld sehn,
die Dulderinn
Wie sie empor ins Leben blüht
Der Ewigkeit!
Die alle sehn die wir geliebt,
Nicht mehr von uns beweint!
Hoch tönte, hoch tönte im Arm
der Zärtlichkeit.
Das war Wiedersehn!
Dann stürzt (zwei Achttkeil Pau
ach! vom Entzücken heiß,
ach! vom Entzücken heiß,
die Himmelsthräne hin
(Die beiden letzten Takte Cemb. solo.)
oder Nichtseyn
VI. Ins Leben schaun!
VII. ins Thränenthal!
VII. wo Tücke lauscht!
All. Die Bosheit lacht!
VII. Die Unschuld weint!
VIII. 0 nein ! o nein !
IX. lins Nichtsevn — hinabzu-
schlummern !
allzubreite Umfang der letzteren
eine kleine Beschränkung nöthig
macht, welches auch bev den bei-
den Allegros zu merken ist.)
Allegro moderato.
Hamlet.
I. AVo ist ein Dolch?
IL ein Schwert?
n. ins Grab des Seyns
n. hinabzufliehn!
IL zu sterben, ach!
in. den edlen Tod
III. des hohen Seyns.
III. Wo ist ein Dolch?
III. ein Schwert?
IV. vom Thal des Fluchs
IV. des Fluchs!
IV. ins Grab des Sevns hinab
IV. zum Leben zu entschlafen.
BRIEFE GERSTENBERGS AN NICOLAI 63
Nebenher kann ich nicht umhin anzumerken, daß diese Bachische
Phantasie Herrn Lessings Meynung im 27ten St. der Dramaturgie, als
ob1 der Musikus in einem einzelnen Stück nicht aus einer Leiden-
schaft in die entgegengesetzte, nicht aus dem Ruhigen z. E. in das
Stürmische, aus dem Zärtlichen in das Grausame übergehn könne, ziem-
lich deutlich widerlegt. Herr Lessing scheint an die Übergänge nicht
gedacht zu haben, wovon wir in dieser Phantasie, und wie mich dünkt
in vielen andern Sonaten von Bach, merkwürdige Exempl haben9.
Noch ein paar Worte vom Text zu sagen, ließe sich aus dem
Anblicke desselben vermuthen, daß ich den musikalischen Rhythmus
nicht beobachtet habe. Aber ich glaube diesem Rhythmus so sorgfal-
tig als möglich nachgegangen zu seyn.
Vergeben Sie mir meine Schwatzhaftigkeit, und fahren Sie fort
mich zu lieben Ihr
ganzergeben st. ( - eist enl »erg.
Da Sie die Güte gehabt haben, mir Ihre Bibl. bisher zu schicken,
so möchte ich Sie noch um das nicht gesandte erste Stück <\r> dritten
Bandes ersuchen, welches ich hier nicht einzeln erhalten kann.
Nr. 7. (xersteiiberg an Nicolai.
Kopenhagen am 6. Aug. 1768.
Wenn es nicht zu spät ist, so möchte ich Sie wohl, mein lieb-
ster Freund, um eine Gefälligkeit bitten. Sie wißen, daß ich auf die
Briefe über Merkwürdigkeiten etc. keinen großen Werth setze. Da inzwi-
schen die Kritiken, die man wider sie gemacht hat, sich größtenteils
auf Misverstand oder Verdrehungen gründen, so kann es mir nicht
gleichgültig seyn, daß das Publicum erfahre, aus welchem Gesichts-
punkt sie hatten beurtheilt werden sollen. Ich habe vor geraumer
Zeit, da mir einige Freunde riethen, diese Briefe fortzusetzen, ei neu
kleinen Vorbericht aufgeschrieben, worinn jener Gesichtspunkt deut-
licher angegeben ward. Bald darauf aber beharrte ich in meinem
ersten Vorhaben, keinen zweyten Band drucken zu laßen: nun wünscht.'
ich, daß von den Anmerkungen in dem erwähnten Vorbericht einiger
Gebrauch zu meiner Rechtfertigung gemacht werden könnte. Ech kenne
1) Darnach: uns (gestrichen).
2) Lessings worte lauten: „In Einer Symphonie muß nur eine Leidenschaft
herrschen, und jeder besondere Satz muß eben dieselbe Leidenschaft, bloß mit ver-
schiedenen Abänderungen, es sei nun nach den Graden ihrer Stärke und Lebhaftig-
keit, oder nach den mancherlei Vermischungen mit andern verwandten Leidenschaften
ertönen lassen und in uns zu erwecken suchen."
64 WERNER
Sie für einen wahrheitliebenden und nnparteyischen Kunstlichter. Sie
werden vermuthlich die Briete über M. recensireu, und hätten es also
in Ihrer Gewalt. \on meinen Gründen soviel anzuführen, als Sie für
richtig erkennen. Uli glaube, daß dieß auf eine ungezwungene Art
geschehen kann, ohne daß man zu wißen brauchte, daß diese Anmer-
nungen von mir herkommen, und ohne daß sie das Ansehen einer
Verteidigung erhalten. Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen den Vor-
bericht, so wie er ist, abschreibe, und geben Sie den darinn enthal-
tenen Gründen eine Wendung nach Ihrem Gefallen. Ich bin mit der
größten Hochachtung Ihr
ganz ergebenster
Gerstenberg.
Wir sind einigen aehtunsfs würdigen Lesern schuldig, uns über
O O O (Dl
gewiße Dinge in der Einrichtung dieser Briefe zu erklären, die schon
des wegen leicht misgedeutet werden konnten, weil wir den Gesichts-
punkt nicht angaben, aus dem wir unsere Briefsammlungen beurtheilt
haben wollten. Der Schriftsteller, der von der Einsicht seiner Leser
voraussetzt, daß sie diesen Gesichtspunkt selbst finden werden, giebt
zwar einen Beweis seiner Bescheidenheit: aber er schadet sich, wenn
er zu bescheiden voraussetzt, daß ihn Alle, und daß sie ihn immer
finden werden. Er ist dann in dem Fall eines Schauspieldichters, der
die Vorbereitung seines Stücks vernachläßigt, in der Hoffnung, die wich-
tigen Yerhältniße, worin er seine Charaktere aufstellt, werden statt
einer jeden Erläuterung dienen, und das Vergnügen der Zuhörer um
so viel wirksamer befördern, jemehr ihre Selbstthäigkeit dadurch beschäf-
tigt wird.
Diese Vergleichung scheint zu weit hergeholt, aber sie ist es
nicht. Erdichtete Briefe haben manchen Grundsatz mit den Gesprächen
auf der Bühne gemein; und sind sie vollends sehr merklich bezeich-
nende charakteristische Briefe, so nähern sie sich einer der Haupt-
eigenschafteu des Drama. Ein Verfechter solcher Briefe hat die Ver-
bindlichkeit, seinen eignen Charakter, seine eigne Art sich auszudrücken,
sogar seine eignen Urtheile zu verläugnen; er giebt seinen Personen
Mängel, um sie, wenn man so reden darf, zu vereinzeln; er giebt
ihnen ihren besondern Ton der Denkungsart, oft auch des Ausdruckes*);
*) wie in den Briefen über Shakespear. Fäsi und an Herrn * Ba-
risien, einer der Verfasser des Nordischen Aufsehers, der vor kurzem
als K. danischer Consul zu Marncco gestorben ist.
BRIEFE GERSTENBEHGS \N NICOLA]
er weist einer jeden unter ihnen die eigentümliche Sphäre der Er-
kenntnisse an, die seinem Zweck am gemäßesten ist.
Wenn man einige sonderbare Sätze in iinserü Briefen, z. E, vom
Trauerspiel, von der Ode, vom Genie aus diesem Gesichtspunkte betrach-
tet, so wird man bald bemerken, daß die Saite hier mit Vorsatz über-
spannt ist, weil sie andere zu schlaff anzogen; man wird sich fragen,
was denn eigentlich erfordert wird, ein Lied, eine Ode, ein Drama,
eine Epopöe zu dichten; man wird vielleicht finden, daß der wunder-
liche Mann, der Bibliothekar, die Schranken des Genies zwar viel zu
weit fortrückt, aber man wird vermuthlich doch auch die Entdeckung
machen, daß das Genie eine schlechte Laufbahn habe, wenn mau sie,
wie seit einiger Zeit geschehen ist. mittelmäßigen Talenten zu Gefallen,
so gar nahe an einander schiebt. Ob hingegen die ürtheile des erdich-
teten Bibliothekars zugleich die wahren Ürtheile des Verfaßers sind,
darum wird man sich so wenig bekümmern, als man sich einfallen Läßt,
die gründlichen Maximen des Pedanten Brand in der Clariße dem
Briefschreiber Richardson anzurechnen.
Wir haben noch etwas Weniges von der Schreibart der Briefe
zu sagen. Es wäre ein Fehler gewesen, wenn Leute von verschiedenen
Begriffen, die, der Anlage nach, nicht für die Welt, sondern für ihre
Freunde schreiben, einerlev Ton annähmen. Man würde sehr Unrecht
haben, wenn man in solchen Briefen, welche überdem die eigentüm-
liche Laune des Schreibers andeuten sollen, eine classische Schreibart
erwartete, die doch immer, als Ideal, nur eine einzige seyn kann.
Man wird gleichwohl Rechenschaft erwarten, warum denn diese und
keine andre Schreibart gewählt, insbesondere aber, warum wir uns
vieler ausheimischer [sie] Wörter und einiger Carricaturausdrücke bedient
haben. Yon den letzteren haben wir oben geredet. Hier setzen wir
nun hinzu, daß schon Lucian die nitvoKaixnxac, und TpayeXacpug der
charaktristischen Composition unentbehrlich fand. (S. Prometheus es in
verbis1). Was zweytens die ausheimischen Wörter betrifft, so ist es in
Privatbriefen, auch der besten Schriftsteller, nichts Ungewöhnliches,
daß sie, wenn sie an Liebhaber einer gewißen Sprach« • schreiben Stel-
len aus den Poeten dieser Sprache oder einzelne Ausdrücke mit ein-
fließen laßen: nicht um ihre Muttersprache damit zu bereichern, son-
dern aus andern Ursachen. Wenn es aber schlechterdings nothwendig
sevn soll, aus Privatbriefen, sobald sie der Welt mitgetheilt werden,
dergleichen Stellen oder Ausdrücke auszustreichen, so sehen wir nicht.
1) Vgl. Lucian TTobg tov tlnöiTir /fooin,!tn\- e2 & loyoig cap. 7, 30.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXÜI. u
66 WERNER. BRIEFE GERSTENBERGS AN NICOLAI
wie man die unten angeführten* aus den Briefen eines Römers, der
sonst eben nicht schlecht schrieb, zu vertheidigen denkt. Und man
glaube ja nicht, daß wir diese mit vieler Mühe ausgesucht haben, weil
sie zu unsrer Absieht dienen: mau wird unter den Briefen an Attieus
wenige antreffen, die einem deutschen Kunstrichter nicht Stoff zu den
götzlichsten Einfallen darböthen! Ferner müßen wir gestehen, daß
wir die Schreibart der Briefe, wie sie nun da ist nicht gern von Jeman-
dem verurtheilt wißen wollen, der sich nicht mit den hier von uns
angenommenen Grundsätzen bekannt gemacht hat, die Lucian und
Shaftesbury** abhandeln. Denn gewiß, die Regeln des Stils, die viele
deutsche Kunstrichter aus ihren eignen Schriften, nicht ohne Scharfsinn,
herausgezogen haben, sind zu unvollständig, als daß sie auf jede Gat-
tung von Schritten angewandt werden könnten. Endlich würden wir
uns wundern, wenn nicht einsichtvolle Leser, außer der willkührlichen
Abwechslung des Tons, noch eine andere, wiewohl seltenere, bemerkt
hätten, die von der Verschiedenheit der Verfaßer herrührt.
Da ich diesen kleinen Aufsatz überlese, so finde ich, daß ich im
Abschreiben einen Satz ausgelaßen habe, der das Recht betrifft, auch
in der Kritik die charakterische Composition anzuwenden. Der Satz ist
zu lang, ihn liier einzurücken: ich will darum nur das Wesentliche
davon anfahren.
„Es giebt keine kritische Schrift, bey der man nicht die Kritik,
die Sammlung unstreitiger Wahrheiten des Geschmacks, von dem Kri-
tiker, dem Menschen, sorgfältig unterscheiden müste: bey dem letztern
geht ein Zusatz von Irrthümern, in die Wahrheit über, der bald aus
*) Fenestrarum angustias quod reprehendis , scito te KvosnatSeiccp reprehen-
dere. Nam dum ego idem istuc dicerem, Cyrus aiebat, viridariorum $ut<juc>iL> latis
luminibus doq tarn esse suaves. Etenim tonn oxpig utv r) c, io §t oowutvov ß, y
< /iivh; dt 6 y.tn t. Vides enim caetera. Nam, si *«r' tifao/.ojv epniraoiis videre-
raus. valde laborarent eiStoXa in angustiis: nunc fit lepide illa ex^votg radiorum. Cae-
ra si reprehenderis . non feres Tacituin. nisi quid erit eius modi, quod sine sumptu
coirigi possit Venio nunc ad mensem Januarium, et ad vnoOTaoiv noftram ac noh-
rtufv: in qua ZtoxQattxiog tu fearegov: sed tarnen ad extremum, vt illi solebant, ir\v
aoeaxaaav. Cic. ad Att. IL 3.
Ubi sunt, qui aiunt CwOtjs (poyvrjg? quanto inagis vidi ex tuis litteris, quam ex
lllius sermone, quid ageretor? de ruminatione quotidiana, de eogitatione Publii, de
iituis ßownirdog und so weiter bis xat Kix&q<ov O <fi/.ooo(fo; top nokvnxov Titov
aßjiaCtTat ibid. 12.
Nunc quoniara et laudis und so weiter bis ut ab omnibus et laudemur et
amemur ibid. 1 . 15.
«er am angeführten Orte, dieser im dritten BCiscellany.
DÜNTZER, ENTSTEHUNG 70» äl II •'>.
der Unvollkommenheil seiner Einsichten, bald aus seiner Systemsucht,
bald aus seiner Predilection für gewi&e Lieblingsschriftsteller, bald aus
andern Ursachen zu erklären ist. Eis i-t also weii gefährlicher, einen
Kunstrichter zu lesen, der seine Stimme für die stimme der Kritik
selbst ausgiebt, da es doch unmöglich ist, daß er sich Dicht sein- ofl
betrügen sollte, als einen Sammler kritischer Briefe, bey dem offenbar
die Frage vorausgesetzt wird, ob die darinn enthaltenen Grtheile ihren
Grund in der Natur der Sache, oder in dem kritischen Charakter <i
Briefschreibers haben. Der letzte schärf! die Aufmerksamkeit und den
Verstand dr± Lesers: der eiste führt ihn gemeiniglich oder doch sehr
oft irre. Jenes ist eine Folge der sokratischen Bescheidenheit, diesi
der sophistischen Zuversicht.
[In drin eben erschienenen „Katalog einer wertvollen autographen-
samlung aus (hin besitze der verstorbenen herren Wendelin nm Malt-
tahn, Hans Reimer und anderer .... Berlin, Albert <'<>/i/i 1890°
findet sich als nr. 85 ein weiterer brief Gerstenbergs au Nicolai vom
18. april 1772 angeführt. 3. 2. im. E. M. WJ
DIE ENTSTEHUNG DES ZWEITEN TEILES VON GOETHES
„FALTSTU, INSBESONDEEE DEE KLASSISCHEN WA LIT k'-
GISNACHT, NACH DEN NEUESTEN MITTEILUNG EN.
Das bei weitem bedeutendste, was das goethearchiv zur Geschichte
der dichtungen des meisteis geborgen, ist endlich im fünfzehnten bände
der Weimarischen ausgäbe zur volständigen mitteilung gelangt und die
hochgespante erwartung nicht getäuscht werden. Nicht allein hat der
text durch die volständige, wenn auch nicht fehlerfreie handschrift eine
festere grundlage erhalten: auch frühere abschriften sind aufgefunden, die
manches berichtigen, auch einen ausgelassenen 7ers bringen, und zahl-
reiche inhaltsangaben, skizzen und erste entwürfe gestatten uns einen
blick in die ursprüngliche anläge und ihre mannigfaltigen, tiefgreifen-
den Umgestaltungen und steigern die bewunderung des greisen dich-
ters, der mit unversieglicher gestaltungskraft die grundzüge seiner
erfindung immer voller, feiner und beziehungsreicher ausarbeitete, sie
mit reich zuströmendem geist und gehalt hob, so dass die dichtung
zu einem wahrhaften gotischen dorne ward, an welchem alles bis zu
den äussersten spitzen von frischem leben quillt und spriesst. und —
während dieser grosse märchenwald uns zu wundervollem staunen hin-
68 DÜNTZER
reisst — alles einzelne die besondersten, oft tief deutenden, oft humo-
ristischen, beziehungen auf manche Verhältnisse zeigt, deren Verständnis
meist nicht zur auffassung des ganzen erforderlich ist, diese aber an-
ziehend gleichsam krönt Der herausgeber, prof. Erich Schmidt, hat
auf die bewaitigung des ungeheuren Stoffes ausserordentliche mühe ver-
want, aber leider dem leser die Sache nicht leicht gemacht, der sich
oft wie durch wild ineinander gewachsenes gestrüpp durcharbeiten
mu Vor allem fehlt es an übersichtlicher Unterscheidung der vom
dichter oft auf ein briefconeept, ein couvert, einen theaterzettel, ein
verworfenes blatt, ein schon beschriebenes papier rasch hingeschrie-
benen ersten skizzen oder versentwürfen, der aufzeichnungen verschie-
dener, nicht zusammengehörenden stellen auf einem bogen oder einem
teile eines selchen, der aneinanderfügung einzelner zusammengehörigen
stellen zu einem ganzen und der reinschriften , das einen leichten ein-
blick in die verworrenen massen ergäbe. Und hat auch der herausgeber
sich näher mit dem zweiten teile bekant gemacht, so fehlt doch viel,
dass er ganz in ihm und den zahlreichen versuchen der erklärer lebte.
Auch urteilt er zuweilen gar zu vorschnell. Für die feststellung der
entsteliungszeit der einzelnen teile hätte sich manches leicht gewinnen
lassen.
Aus dem tagebuch wissen wir, dass Goethe ein „ausführlicheres
schema zum Faust" am 23. juni 1797 niederschrieb. Längst hatte
uns ein brief an Schiller belehrt, dass er bereits anfangs mai 1798 die
noch ungedruckten teile des „alten höchst konfusen manuscripts" in
abgesonderten lagen nach dem ausführlichen schema geordnet hatte.
Die neuern mitteilungen ergeben, dass die stücke des zweiten teiles
die nummern 20 bis 30 trugen, und dasjenige, was später zum „Faust"
hinzukam, den betreffenden lagen beigefügt wurde.
Zu den vorhandenen stücken gehörte auch „Helena im mittel-
alter. Satyrdrama. Episode zum Faust", wie es auf einem erhaltenen
titel heisst. Ihren wesentlichen inhalt können wir mit ziemlicher Sicher-
heit der Übersicht entnehmen, die Goethe im december 1816 für den
vierten band von „Dichtung und Wahrheit" entwarf. Als Mephisto-
pheles. nach dem unglücklichen ausgang der geisterbeschwörung am
hofe, wider mit Faust zusammen triff, bestürmt ihn dieser, ihm die
Helena zu verschaffen. „Es finden sich Schwierigkeiten. Helena gehört
dem Orkus an und kann durch Zauberkünste wol herausgelockt, aber
nicht festgehalten werden. Faust steht nicht ab, Mcphistopheles unter-
nimmts. Unendliche Sehnsucht Fausts nach der einmal erkanten
höchsten Schönheit. Ein altes schloss, dessen besitzer in Palästina
ENTSTEHUNG VON FAUST TT 69
krieg führt, dessen kastellan aber ein zauberer ist, soll der wohnsitz
des neuen Paris werden. Helena erscheint: durch einen magischen
ring ist ihr die körperlichkeit widergegeben. Sie glaubt so eben v<m
Troja zu kommen und in Sparta einzutreffen. Sie findet alles einsam,
sehnt sich nach geselschaft, besonders nach männlicher, die sie ihr
leben lang nicht entbehren können. Paust tritt auf und steht als deut-
scher ritter sehr wunderbar gegen die antike heldengestalt Sic finde!
ihn abscheulieh, allein da er zu schmeicheln weiss, so findet sie sich
nach und nach in ihn und er wird der nachfolger so mancher heroen
und halbgötter." Vgl. dazu jezt 9252 fgg. Aber auch ein älteres,
eine anspielung auf die französische erklärung der menschenrechte ent-
haltendes schema hat sieh auf einem gebrochenen foliobogen erhalten.
Als personen werden liier ausser Helena eine Ägypterin (als Ägypter
galten die zigeuner) und mägde genant, als scene ein „freundlicher ort
im Rheintal." Helena befiehlt als spartanische fürstin. Die Ägypterin,
unter der Mephistopheles steckt, macht als schafherin „albern»' spässe."
Am rande findet sich bemerkt: „Schweigende orakel, kartenschlagen
und händedeutung [Chiromantie]." Helena wird verdriesslich darüber.
Die weitern reden der Ägypterin rufen Helenas drohung hervor. Auf
jene bezieht sich wol die randbemerkung: „Schwäne, röhr [im Eurotas]
Tanz [die Spartaner waren als tanzliebend bekant]. Grad oder Ohgrad
[das bekante spiel]. Schöne weiber [die in Sparta auch durch freiere
kleidung sich auszeichneten]." Auf der Helena drohung erwiderte die
schamerin :
Und. das heilige menschenrecht
Gilt dem herren wie dem knecht.
Brauch' nicht mehr nach Euch zu fragen,
Darf der frau ein schnipchen schlagen.
Bin dir längst nicht mehr verkauft,
Ich bin christin, bin getauft.
Die beiden ersten verse finden sieh in algemeinerer fossung auch unter
ausserungen der Phorkyas (Paral. 171). Helena hatte geglaubt, Venus
gestatte ihr, nach Sparta zurückzukehren. Auf ihr erstaunen, dass sie
ihre heimat nicht wider erkent, erwidert die Ägypterin: „Zuerst aus
dem 0... freundl. ort Rheinthal", heisst es nach Schmidt im Schema,
Aber „0...", das Schmidt gibt mit der frage: Nicht etwa Orkus?"
scheint verlesen statt „EL", da bald darauf des El y sin ms gedacht wird.
Helena jammert, dass Yenus sie „wider belogen", und beklagt das
ungiück, welches die Schönheit ihr gebracht, wogegen die Ägyp-
terin das lob der Schönheit anstimt. Man vergleiche dazu Helenas
7(i DÜNTZEB
klage 8531 fg. und des Mephistopheles preis ihrer Schönheit 8909 —
8912. Die angst, dass sie nicht wisse, wem sie angehöre, tröstet die
schamerin, welche ihr bedürfhis kent, durch den hinweis auf den edlen
ritter. der dieses schloss behersche. Faust erscheint. Als sie auch ihm
gegenüber auf dem verlangen nach den ihrigen besteht, muss sie ver-
nehmen, dass die zeit derselben längst vorüber, Faust ins elysium
drangen ist. um sie der erde wider zuzuführen. Da spricht sie ihm
denn ihren auf der ..heidnischen lebensliebe" beruhenden dank aus.
Nachdem der ritter seinen leidenschaftlichen anteil an ihr zum schwär-
merischen ausdruek gebracht, ergibt sie sich ihm. Der auf demselben
blatte stehende trimeter ist offenbar später eingetragen, als der dich-
ter zur bearbeitung des Stoffes in diesem antiken vermass sich ent-
schlossen hatte. Xoch weniger war Schmidt berechtigt, die 11 trime-
ter. die auf demselben blatte mit versen der „Helena" stehen, zur
„ältesten phase" zu ziehen, da hier die schamerin schon Phorkyas
heisst. was bestirnt auf die zwanziger jähre deutet. Über die weitere
handlung klärt uns die fortsetzung des berichts von 1816 auf: „Ein
söhn entspringt aus dieser Verbindung, der, sobald er auf die weit
komt, tanzt, singt und mit fechterstreichen die luft teilt." Von einer
allegorischen beziehung desselben ist so wenig wie von seinem namen
die rede. Die weitere entwicklung beruhte auf der begrenz ung des
zauberkreises, in welchem Fausts gespenstiges schloss liegt. Helena
hatte ihrem knaben alles gestattet, nur das überschreiten eines gewis-
sen baches verboten. Als der junge eines festtags die musik drüben
hört, er die landleute und Soldaten tanzen sieht, kann er sich nicht
zurückhalten, er mischt sich unter sie, bekomt aber händel. Nachdem
er viele verwundet, tötet ihn ein geweihtes seh wert. Der zauberer-kastel-
lan kann nur die leiche retten. Als Helena in der Verzweiflung die
bände ringt, streift sie den ring ab, worauf ihr körperliches sich löst,
dass, als sie dem Faust in die arme stürzt, nur ihr leeres kleid in
diesen zurückbleibt. Der magische ring war freilich ein wolfeiles
märchenhaft'- auskunftsmittel. Mit Helena ist auch ihr söhn ver-
hwunden. Mephisto, der nun wider in seiner eigenen gestalt erscheint,
sucht Fau.-t zu trösten und ihm Inst zum besitz einzuflösen. Unzwei-
felhaft gehört hierher die äusserung, welche als zur 24. läge gehörig
bezeichnet ist:
Jeder trost ist niederträchtig,
Und Verzweiflung nur ist pflicht.
Dagegen durfte Schmidt nicht die verse hierher ziehen, die ..ad 22."
bezeichnet sind:
ENTSTEHUNG VON FAUST II 71
Das haben die propheten schon gewusst.
Es ist gar eine schlechte lust,
Wenn Ohim, sagt die schritt, und Zihim sich begegnen,
Denn „ dass grosse Kicken im fragmentarischen gedieht anzunehmen",
kann nicht im geringsten erklären, wie zwischen notwendig, wenn
sie zusammengehörten, nahe aufeinander folgenden versen eine ganze
läge sich befinde. Die stelle kann nur zu der Verzweiflung des Fausl
gehören, als die geistere rscheinung der Helena plötzlich verschwunden,
und ward wol von Mephisto in bezug aufFausts trübseligkeil geäussert
Der Jesaisstelle von den Ohims und Zihims gedenkt Goethes tagebueb
schon am 6. juli 1777. Die spräche Paralip. 86 — 90, die Schmidt auf
die ältere fassung der „Helena" bezieht (sie stehen mit den versen des
Homunculus 6883 fg. auf einem alten quartblatte), scheinen aus der
spätem, vor dem abschluss der „Helena" veränderten fassung erhalten
zu sein.
Nachdem der Verleger Cotta im april 1800 Goethe glänzende aner-
bietungen zur Vollendung des „Faust" gemacht hatte, beschäftigte er
sich wider mit der ausfiillung der Kicken des ersten teil« So löste er
denn noch am 31. juli „einen kleinen knoten im Faust." Aber als
er am 4. august nach Weimar zurückgekehrt war, scheint ihn plötz-
lich der gedanke ergriffen zu haben, seine „Helena im mittelalter",
von der wir nicht wissen, wie weit ihre ausarbeitung gediehen war,
in würdigerer weise auszuführen, sie in ihrem durch Zauberkunst her-
gestelten alten palast zu Sparta in begleitung der von Troja mitgebrach-
ten dienerinnen auftreten zu lassen, und zwar im glauben, Menelaus
(Goethe bediente sich schon hier der für den griechischen trimeter
bequemern, aus dem französischen ihm geläufigen form Menelas) habe
sie, nachdem er in Sparta gelandet, mit ihren dienerinnen zur Vorbe-
reitung eines opfers vorausgesant. Faust selbst, nicht sein teuflischer
genösse, hatte die Helena aus der unterweit geholt und Mephistopheles
trat nicht als Ägypterin auf, sondern in der hässlichsten gestalt der
griechischen sage, als eine Phorkyas. Diese namensform wählte Goethe
statt der gangbaren Phorkis, da sie deutlicher ein weibliches wesen
bezeichnete, die tochter des Phorkys, während Phorkis von der
nebenform Phorkos gebildet ist. Phorkyas solte die furcht vor der
räche des Menelas in Helena nähren und dadurch die Übersiedelung
in Fausts mittelalterliche bürg einleiten.
Seine absieht dieser neuen bearbeitung der „Helena" in alten
trimetern könte Goethe schon am abend des 2. September, unmittelbar
vor seiner rückkehr nach Jena, Schiller mitgeteilt haben; wenigstens
72 DÖ'TZER
dürfte die beziehung der beiden eintragungen des tagebuchs vom 4.
und 5. September 1800: „Einiges über Faust. — Einiges an Faust",
auf die „Helena" nicht ausgeschlossen sein. Jedenfals wüste der freund
von diesem neuen plane, als Goethe am morgen des 9. September Wei-
mar, wohin er vor drei tagen zurückgekehrt war. wider verliess. Die-
sem, mit dem er am 6. und 7. zusammengekommen sein wird, schrieb
er den 12. von Jena aus: „Glücklicherweise konte ich diese acht tage
[freilich war noch keine volle woche verflossen, seit er Schiller zulezt
-prochen] die Situationen festhalten, von denen Sie wissen, und meine
Helena ist wirklich aufgetreten. Nun zieht mich aber das schöne in
der [tragischen] läge meiner heldin so sehr an, dass es mich betrübt,
wenn ich es zunächst in eine fratze verwandeln soll [durch die von
der Phorkyas erzeugte furcht vor ihrem im orkus festgehaltenen gatten].
Wirklich fühle ich nicht geringe lust, eine ernsthafte tragödie auf das
angefangene [das gelungene erste auftreten Helenas] zu gründen." Nach
dem tagebuch verwante er die frühstunden des 12. bis 14. auf diese
dichtong. Xoch am 16. schrieb er Schiller: „Mich verlangt zu erfah-
ren . wie es in vierzehn tagen aussehen wird. Leider haben diese
erscheinungen eine so grosse breite als tiefe, und sie wüirden mich
glücklich machen, wenn ich ein ruhiges halbes jähr vor mir sehen
könte." Am 21. kam Schiller mit freund Mever zum besuche. Seine
hohe be wunderung der mit allem dichterischen feuer Schiller vorge-
tragenen trimeter der Helena ermutigte Goethe zur fortsetzung, mit
welcher wir ihn an den fünf nächsten tagen beschäftigt sehen. In den
Schmidtschen auszügen hinter seiner ausgäbe des ursprünglichen Faust
fehlt die eintragnng vom 26.: „Schönes mit dem abgeschmackten durchs
erhabene vermittelt. Nachmittag fortschritte an Helena." Leider zogen
die „Propyläen" und andere arbeiten ihn von der „Helena" ab und
es gelang ihm nicht den einmal abgerissenen faden wider aufzuneh-
men. Die im September 1800 gedichteten verse liegen in einer sorg-
fältigen abschrift seines damaligen Schreibers Geist vor, mit spätem
nachtragen teils von Goethes eigner hand, teils als diktat an John,
seinen Schreiber der zwanziger jähre. Sie bilden eine hauptzierde der
neuen Weimarischen ausgäbe. Dem September 1800 gehören die verse
an 8439 (8438 wurde erst in der allerlezten fassung vorgesezt) — 8586.
8591 — 8603. 8638 — 8778. Die rede der Helena wird hier zweimal
durch anapästische Systeme unterbrochen; es folgt eine rede der chor-
führerin. die den Unwillen und schrecken bemerkt, mit welchem Helena
zurückkehrt; auch in Helenas folgenden bericht redet die chorführerin
einmal ein. Als Phorkyas zwischen den tüipfosten erscheint, stimt der
ENTSTEHUNG VON FAUST II 73
chor ein lied an, dessen zweiter teil sieli mit absehen, fluch und dro-
hen gegen die Phorkyas wendet. Mit der erwiderung der lezteni
schliesst die dichtung. Goethe hatte bei den antiken trimetorn und
den scenen des chores bloss an Hermanns werken einen führer. Die
hauptmomente des plans seien in Ordnung, hatte er an Schiller ge-
sehrieben. Also muss auch die art der Überführung in das mittelalter-
liche leben und das ende des sohnes bestirnt gewesen sein. Für den
leztern hatte er wol schon den aus den „Mythologischen briefen" von
Voss ihm bekanten Damen des Euphorien, des geflügelten sohnes der
Helena und des Achilleus, gefunden.
Als er anfangs november zum „Faust" zurückkehrte, arbeitete er
nicht mehr an der „Helena", sondern an der brockenscene des ersten
teiles, die ihn vom 2. bis zum 8. beschäftigte. Am 14. begab er sieh
nach Jena, wo er die dem herzog versprochene Übersetzung von Vol-
taires „ Tankred" zu liefern gedachte, aber „die arme poesie wurde
von philosophen, naturforschern und konsorten in die enge getrieben",
doch fanden sich zur „Helena" einige gute motive, wie er am LS. Schil-
ler mitteilte. Vielleicht hatte ihn am 17. die betrachtung von Guille-
tieres altem und neuem Lacedämon an die seit zwei monaten ruhende
„Helena" erinnert, aber der blocksberg übte eine noch grössere an Zie-
hung. Vom 22. november bis zum 24. december nahm ihn „Tankred"
größtenteils in anspruch, daneben aber gieng die brockenscene nicht
leer aus, zu welcher er mehrere bücher über Zauberei durchgieng. Die
reinschrift dieser scene beschäftigte ihn gleich nach der genesung von
der ihn dem tode nahe bringenden krankheit des Januars 1801. Dann
aber nahmen die lücken des ersten teiles seine ganze dichterische erfln-
dung in anspruch, womit es indess sehr langsam gieng. Am 6. april
schrieb er von seinem landgute aus an Schiller: in der lezten zeit sei
auch etwas an „Faust" geschehen; hoffentlich werde bald in der gros-
sen lücke nur der disputationsaktus fehlen (worin Mephistopheles als
fahrender schüler auftreten soltc); dieser sei freilich als ein eigenes
werk anzusehen, das nicht aus dem Stegreife entstehe. Damals schrieb
er wol den entwurf der disputation in ein oktavheftchen und den
anfang der ausfuhrung in vierzehn versen auf den gebrochenen bogen
eines quartheftes. Aber gerade über diesem disputationsaktus wurde
ihm die Vollendung des ersten teiles verleidet. Zwölf tage nach Goe-
thes rückkunft, am 27. april, berichtete Schiller an Körner, „Faust"
liege noch immer als eine unerschöpfliche arbeit vor Goethe, da dem
plane nach das schon gedruckte (168 Seiten von 22 zeilen) höchstens
der vierte teil des ganzen sei und das neue noch nicht so viel als
l'l NTZER
jenes betrage, also noch mehr als die hälfte fehle. Gar manches nahm
den noch Leidenden dichter vor der hadereise nach Pvrmont in An-
sprach. Schillers hofhung, dass im februar und märz 1802, wo Goethe
zu Jena die in wüstem zustande hinterlassene bibliothek Büttners zu
ordnen hatte, der bücherstaub, mit dem poetischen geist geschwängert,
ihn zu dem alten gespenstigen doktor zurükföhren werde, gieng so
wenig in erfäüung, dass „die lustige und gesellige epoche", die er
in Jena traf, und die lyrische Stimmung des frühlings ihn trieben, sich
von dem düstern mittelalterlichen stoff in heiterer weise ganz loszu-
_ -n. Damals entstanden , wenn nicht alles trügt! die beiden neuent-
deckten epiloge, die den 17**7 gedichteten prologen, der „Zueignung"
und dem „Vorspiel auf dem theater", in umgekehrter folge entsprechen.
Diese merkwürdigen dichtungen, die unter den Überschriften „Abkün-
digung" und „Abschied" auf zwei besondern blättern der dreissigsten
Lage der gesamthandschrift des „Faust" beigelegt, aber als aufgegeben
später durchstrichen wurden, sind von Schmidt im Goethe - Jahrbuch
IX. 5 fg. und band 151, 344 fg. 2, 188 mitgeteilt. Kaum begreiflich
i>r es, wie Schmidt sich bereden konte, sie seien vielleicht schon ende
17'. '7 entstanden. Der einzige ausgesprochene grund ist, dass Goethe
am 25. december 1797 an Hirt schrieb, er sei beschäftigt, seinen
„Faust" zu endigen, wünsche aber zugleich sich von aller nordischen
barbarei loszusagen. Und in diesem augenblick, wo er daran dachte,
einen grossen teil des nächsten Jahres der Vollendung des „Faust" zu
widmen, soll er fähig gewesen, dem barbarischen Stoffe (über das
barbarische desselben hatte er sich auch schon früher gegen Schiller
an rochen) den laufpass zu geben. Das entschiedene aufgeben der
Faustsage, die ihn so lange aufgehalten, an der er sich also nicht wei-
ter abarbeiten will, ist die notwendige Voraussetzung dieser humoristi-
schen epiloge. Die an erster stelle eingeheftete abkündigung lautet:
Den besten köpfen sei das stück empfohlen,
Wir möchten s ^erne widerholen,
Allein der beifall gibt allein gewicht.
Vielleicht dass sich was bessres freilich fände. —
Des menschen leben ist ein episches gedieht: 5
Es hat wol einen anfang, hat ein ende,
Allein ein ganzes ist es nicht.
Ihr herren, seid so gut und klatscht nun in die hände.
ä hmidt gibt diese verse nicht in der ursprünglichen fassung, sondern
in der Umbildung, zu welcher Goethe, als er sie in den zwanziger
jahren widerfand und neu abschreiben liess, durch einen unglücklichen,
ENTSTEHUNG von FAUST II
ihren Schwerpunkt verrückenden einfall sich verleiten liess, and sie
so dem zweiten teile der grossen dichtung beilegte. Damals schob er
vor _ den vers ein: „Der Deutsche Bitzl verständig zu gericht", was
dann die änderung von Wir in Und zur folge hatte. I1 er zusatz ist
anpassend, da vorher von den besten köpfen die rede ist Die ein-
schiebung wurde dadurch veranlasst, dass Goethe «•inen reimvers auf
v. 3 vermisste, der aber nicht durchaus nötig ist, ja die reimform völlig
entstelt. Ähnlich folgt im „Divan" Viil, L2 nach einem reimpaare ein
system von sechs versen in der Ordnung abbaba. Schmidt aenl die
durch den unglücklich eingeschobenen reimvers entstandene anform „eine
stanze mit einem selbständigen schlussruf", die jedenfals viel schlimmer
ist als dass auf ein reimpaar statt eines, zweier oder auch mehrerer
vierversigen Systeme, wie es häufig sich findet, ein aus drei reimpaaren
bestehendes sechsversiges folgt, statt 3 hatte Goethe zuerst jhrie-
ben „Wenn nicht was neues widerspricht", dieses aber gleich als an
hörig gestrichen. In 5 hatte der Schreiber statt episches ezi
ähnliches. Diesen argen hörfehler des, wie häutig, das fremdworl
misverstehenden Schreibers hat Schmidt beibehalten, obgleich die v<
5 — 7 in Goethes eigner handschrift auf einem foliobogen stehn, der
spruchverse aus dem ersten, wo] auch aus dorn zweiten fcei] enthält, and
dort deutlich episches zu lesen ist, wie 6 einen und ein statt des vom
Schreiber gesezten seinen und sein. Als Goethe die abkündigui
später durchsah, überlas er das widersinnige ähnlich« fcelte richtig
ein her, liess aber aus versehen seinen weg statt einen zu schrei-
ben. AVer viel hat drucken lassen, weiss, dass man bei der korrektur
verdrucktes stehen lässt, weil man nicht den gesezten fehler liest,
sondern die vorschwebende richtige fassung der handschrift. woraus
sich auch manche entstellungen des Goetheschen b I erklären, die
leider auch die Weimarische ausgäbe treu fortpflanzen zu mü
glaubt. Ein ähnliches gedieht ist reiner ansinn, da ähnlich ganz
beziehungslos stände und keine veranlassung war. das menschenleben
ein gedieht zu nennen als in ih~v vergleichung mit dem epos, auf des-
sen von Wilhelm Schlegel aufgebrachte theorie (vgl. den brief an Schil-
ler vom 28. april 1797) launig angespielt wird bei der entschuldigung,
dass sein ,,Faust" (auch in der hier als schon geschehen angenommenen
Vollendung) ebensowenig ein ganzes sei wie das menschenleben.
So wenig wie Schmidts kritische behandlung können wir hier seine
auffassung und erklärung billigen. Wenn Goethe die „Abkündigui
und den „Abschied" noch spät abschreiben liess und einer Fernschrift
des abschnittes von Fausts tod beilegte, so schliesst er daraus, dass
76 DÜNTZER
dieser „noch bis in die lezte zeit diesen ausklang erwogen hat", wobei
ich mir eigentlich gar nichts denken kann. Die zur erklärung bei-
j fügte bemerkung, die „Abkündigung" umschreibe das plaudite der
alten komödie. berücksichtigt .-eltsamerwoise nur den lezten vers, und
zwar ungenau genug. Und bei der aufforderung zum klatschen wer-
den dem dichter nicht weniger als die römischen komikor Shakespeares
epiloge zum ..Sturm", „Sommernachtstraum" und „Heinrich VIII."
vorgeschwebt haben. Auch war zu bemerken, dass Goethe sich nicht
an die Zuschauer überhaupt wendet, sondern an die herren, wie umge-
kehrt in dem von einem tanzer gesprochenen epilog zum zweiten teil
n Shakespeares ..Heinrich IV. " der darin auftretende tänzer die Ver-
zeihung der damen wegen des neulich durchgefallenen Stückes schon
gewonnen zu haben behauptet und dasselbe dann auch von den herren
erwartet, da diese in solcher versamlung diesen folgen müssen. Die
..Abkündigung" ist. woran Schmidt wunderbar gar nicht ^gedacht, eben
eine abkündigung, im gegensatze zu der auf dem deutschen theater
lange zeit gangbaren ankündigung des am nächsten theaterabende zu
_ benden Stückes durch einen Schauspieler oder den Vorsteher (einzelne
_ - -«haften hatten ihren eigenen ankündiger, annonceur), wobei
zuweilen ein anderes stück, besonders die widerholung des eben ge-
spielten von den Zuschauern verlangt wurde, (was in Berlin bei Lessings
..Minna von Barnhelm" eine reihe abende hintereinander geschah), in
Hamburg einmal, als Schröder ein anderes stück ankündigte, die wider-
holung von Schillers eben aufgeführtem Trauerspiel „Kabale und liebe'c
gefordert wurde. Erst wenn man sich dieser sitte erinnert, versteht
man lies launige ..abkündigung." Der direktor (denn diesen dür-
fen wir uns auch hier denken) möchte das stück als ein bedeutendes
den herrn kunstkermern empfehlen, muss aber auf seinen wünsch, es
am nächsten abend widerzubringen, verzichten, da ihm der gewünschte
beifall nicht zu teil geworden, was freilich seinen guten grund haben
möge. Da kein rechtes ganzes sei, entschuldigt er mit der gleichen
beschaffenheit des menschenlebens, und so hoffc er. dass die als die
besten köpfe angesprochenen herren die gute haben werden, schliess-
lich doch in die bände zu klatschen. Die sehen <\<> redners spricht
sonders in v. 3 aus: das ganze j.r von bester launc eingegeben,
doch fehlt den versen die lezte band, welche die Ungleichheit mehrerer
hoben haben würde. Jm gründe stimt unsere „abkündigung" mit
dem durchaus humoristisch gehaltenen, vielversprechenden Vorspiel auf
dem theater. da es nicht zu bezweifeln steht, dass der dichter dort
sich keineswegs den forderungen des direktors fügt, er zulezt bloss still-
f.ntstkhünTt von paust ii 77
schweigt, da er nur ohne rücksicht an!* Wirkung seinem eigenen «Iran-.'
folgen kann.
Wenden wir uns von der „abkündigung" zum „abschied", von
dem die dreizehn ersten verse der Schreiber Geist, die folgenden Goethe
selbst geschrieben hat
Am ende bin ich nun des trauerspieli
Das ich zulezt mit bangigkeil rolfuhrt,
Nicht mehr vom dränge menschlichen gewühli .
Nicht von der macht der dunkelheit gerührt
Wer schildert gern den wirwar des gefiihL . 5
Wenn ihn der weg zur Klarheit aufgeführt!
und so geschlossen sei der barbareien
Beschränkter kreis mit seineu Zaubereien.
Und hinterwärts mit allen guten schatten
Sei auch hinfort der böse geist gebaut, LO
Mit dem so gern sich jugendträume gatten,
Den ich so früh als freund und feind gekaut.
Leb1 alles wol, was wir hiemit bestatten,
Nach Osten sei der sichre blick gewant
Begünstige die muse jedes streben, 1 5
Und lieb' und freundschaft würdige das leben1.
Denn immer halt ich mich an Eurer seit«'.
Ihr freunde, die das leben mir geselt;
Ihr fühlt mit mir. was einigkeit bedeute,
Sie schaft aus kleinen kreisen weit in weit: 20
Wir fragen nicht in eigensingem streit
Was dieser schilt, was jenem nur gefält,
Wir ehren froh mit immer gleichem mute
Das altertum und jedes neue gute.
0 glücklich, wen die holde kirnst in frieden
Mit jedem frühling lockt auf neue flur!
Vergnügt mit dem, was ihm ein gott beschieden,
Zeigt ihm die weit des eignen geistes spur.
Kein hindernis vermag ihn zu ermüden:
Er schreite fort, so will es die natur.
1) Ursprünglich hatte Goethe, als er sich zur fortsetzung getrieben fühlte,
v.14 geschrieben: _Auf neue scenen ist der geist gewant". und die stanze geschlos-
sen: rDem neuen triebe, diesem neuen streben Begegne neue kunst und neues
leben."
78 Dt;NTZER
Und wie des wilden Jägers braust von oben 30
Des zeitengeists gewaltig freches toben.
Nicht stanze für stanze, aber in allen Hauptpunkten bildet der
gleich viel*' enthaltende „abschied" den entschiedensten gegensatz zur
„Zueignung." Bogint jene mit dem innigen dränge, die gestalten der
alten, ihn an seine Jugendzeit ahnungsvoll erinnernden sage von neuem
zu beschwören, so ist er jezt herzlich froh den „Faust", der ihn mit
5< in« in gewaltigen ringen und den schauern des uns verschlossenen
jenseits früher so mächtig ergriffen hatte, jezt zu ende geführt zu
haben und von diesem den geist beschränkenden zauberkreis befreit zu
sein. Die wideraufhahme der Faustsage hatte freilich mit der erinne-
rung an die frühere Jugendzeit und das glück von erster liebe und
freund sehaft auch den bittern sehmerz um den frühen vertust so man-
cher guten seele und die klage in ihm erregt, dass er des gemütlichen
beifals der nächsten sich nicht mehr zu erfreuen habe, da nur eine
kalte menge die fortsetzung seiner dichtung vernehmen werde. Dieser
zu entschiedener Ungerechtigkeit gegen die gegenwart ihn hinreissen-
den leidenschaftlichen seimsucht der beiden mitlern Strophen der „Zu-
eignung" entspricht jezt der feste entschluss, sich von allem vergeb-
lichen schmachten nach den hingeschiedenen, besonders aber vom
düsteren versenken in die nachtseite der natur abzuwenden, das ihn
einst so wonnig ergriffen, aber auch seinen blick getrübt, seine tatkraft
gehemt hatte. Auf ewig entsagt er jenem dunklen sinnen und wendet
sich dem lichte zu (Ex Oriente lux), vom wünsche begeistert, dass
neben der sein leben beherschenden muse liebe und freundschaft ihn
stets begleiten mögen, die ihn mit manchen in treuer eintracht zu ihm
stehenden, alles schöne und gute froh verehrenden seelen verbinde.
hloss die „zueignung" mit dem ihn zu tränen hinreissenden und der
genwart entrückenden dränge nach den hingeschiedenen, so empfin-
det er jezt den vollen segen, frei dem triebe der ihn zu neuer, frischer
tätigkeit befeuernden dichternatur zu folgen, worin ihn die wilde jagd
des all*- umstürzenden Zeitgeistes nicht stören soll. So hofnungsfreu-
dig klingt die Seligkeit aus, dem düstern mittelalterlichen zaubertreiben
entrückt zu sein. Von seiner schweren krankheit jezt voll genesen,
fohlt er sieh zu feurigem dichterischen schaffen getrieben an der seite
des ihm verbündeten ebenbürtigen Schiller; statt des ihn so lange
drückenden gespenstigen doktors hatte ihn die in der neuesten zeit
spielende, die sichere beruhigung der aufgeregten staatlichen weit dar-
stellende grosse trilogie der „natürlichen tochter" ergriffen, von der
nur der erste anfang vorlag, deren Vollendung die gespannteste zusam-
PSTEBTI tfQ VON FAUST II 7!'
menfassung seiner kraft forderte, and er ahnt»1, dass der geist ihn aoch
zu manchen andern dichtungen treiben werde.
In den beiden nächsten jähren war an eine weiterfuhrung des
„Faust'* nicht zu denken, mochte auch einmal die rede auf diesen
kommen, wie nach »lein tagebuch am abende <\r* 31. Oktober L803 bei
Schiller nach dem „Teil" auch der ruhenden mittelalterlichen dichtung
gedacht wurde. Als er gegen ende des Jahres L804 an eine neue
gesanitausgabe seiner werke dachte, trat ihm auch die Vollendung <\v*
ersten teiles des „Faust M nahe, welche das bedeutendste neu,' in die-
ser bilden, ihr besondern glänz verleihen werde. Ersl nach Schillers
tode kam der vertrag mit Cotta zu stände, in den monaten märz und
april 1806 wurde der erste teil abgeschlossen. Cotta selbst nahm im
mai die handschrift zum drucke mit, aber die traurigen politischen
zeiten verzögerten das erscheinen der den „Faust" bringenden lieferung
bis ostern 1808. Selbst die jezt dem „Faust" in erhöhtem masse zu-
gewante algemeine aufmerksamkeit konte den dichter nicht bestimmen,
an die ungeheure aufgäbe des wie ein kaum zu bewältigender Schacht
vor ihm liegenden zweiten teiles zu gehen, wenn dieser auch keines-
wegs die ausdehnung erhalten solte, die ihm die spätere bearbeitung
gab. Freilich kam noch vor diesem erscheinen des vollendeten ersten
teiles in freundeskreisen , wo er denselben vortrug, die rede zuwei-
len auch auf die erwartete fortsetzung, wie er einmal in Jena am
13. märz 1808 sich im ak'emeinen über den inhalt des /weiten teil
o
aussprach, aber die ausführung desselben schien ihm anmöglich. AU
er am ende des Jahres 1816 mit dem vierten bände von „Dichtung
und Wahrheit" beschäftigt war, fasste er den entschluss, darin ein
Schema des zweiten teiles mitzuteilen, obgleich dieser nicht (Ut zeit
angehörte, bis zu welcher die leben sbeschreibimg führte: er wolte mit
dieser Veröffentlichung nur die fortsetzung ablehnen. Aber jener vierte
band selbst stockte. Mit dem jungen Schlesier Karl Ernst Schubarth,
der sich ganz an ihm herangebildet hatte, sprach er ende September
1820 über den aufgegebenen zweiten teil. Vier jähre späte)' legte er
Eckermann die handschrift des unvollendeten vierten bandes von ..Dich-
tung und Wahrheit" vor, in welcher sich das Schema des zweiten teile-
von 1816 fand. Dieser äusserte dem dichter sein bedenken, ob die-
selbe mitzuteilen sei, worüber man wol erst dann werde entscheiden
können, wenn man mit rücksicht auf die fertigen bruchstücke sich ent-
schieden habe, ob jede hofnung auf vulendung des zweiten teiles auf-
zugeben sei. Aber nicht dieses bedenken bestirnte den dichter, sich
der seit länger als zwanzig jähren aufgegebenen dichtung wider zuzu-
80 DÜNTZER
wenden, sondern die beabsichtigte gesamtausgabe Lezter band, welche
er durch die ausfuhrung der „Helena**, (leren anfang ihm so wunder-
bar gelungen war. einen besondern wert zu geben hefte; und zwar
- »lte diese ganz unerwartet gleich in der ersten lieferung die weit
überraschen Die schwierigkeil dieser aufgäbe entgieng ihm nicht;
aber da es ihn anzog, in der Verbindung der Helena mit Faust sin-
bildlich den streit zwischen den klassikem und den romantikern zu
- thlichten, so gieng er mit dem ihn oft in entscheidenden fällen begei-
sternden mute an die ausführumr. Diese »-elans: ihm im laufe der bei-
den nächsten jähre über alle erwartung, so dass seine „Helena" nach
dem ausspruche von Wilhelm von Humboldt ,,etwras eigentümlich neues"
wurde. ..\<m dem man noch keine idee hat, für das man keine regel
und kein gesetz kent, das aber sich im höchsten poetischen leben fort-
bewegt" Ohne hier auf die ungemein merkwürdige ausbildung desselben
einzugehen, gedenken wir nur der besondern Schwierigkeit, die das
ende des Euphorien machte. Das im ursprünglichen plan angenom-
mene, er sei gefallen, weil er den zauberkreis verlassen, konte Goethe bei
der würde, die er seiner dichtung gegeben, nicht mehr brauchen. Dass
ihn später der fall Missolonghis dazu brachte, hier der aufopferung des
dämonischen englischen dichters ein denkmal zu setzen, ist bekant.
Aus seinem eigenen munde wissen wir, dass er Euphorions tod früher
luf verschiedene weise, einmal auch recht gut, ausgebildet" gehabt.
In einem der erhaltenen entwürfe lesen wir bloss von Euphorions
„kunststücken und tod": ein anderer sezt dazwischen noch „freudige
eitelkeittt, wonach also unbedachte eitelkeit ihn zu gründe richten solte.
Das unmittelbar darauf folgende: „Aufgehobener zauber" bezieht sich
nicht etwa auf das verlassen <](.'> zauberkreises, sondern darauf, dass
durch den tod des sohnes auch das durch zauber vermittelte neue
Leben der Helena selbst zu ende ist. Zu einer früheren fassung des
endes - Euphorion scheinen mir die verse auf einem blatte zu gehö-
ren, welches die -teile des mummenschanzes beim anrücken des wil-
den hei ntliält, weshalb sie Schmidt auf die feuer quelle bezogen
hat (Paralip. 1 15):
ht ihr die quelle da,
Lustig sie sprudelt ja,
Wie ich noch keine sah,
Kostete gern,
die ganz dem tone des mit ungestüm vordringenden knaben entsprechen
würden. Man könte denken, dieser habe, immer weiter fortgetrieben,
im wasser den tod finden sollen, zu dem es ihn von der quelle hin-
STEHUNG V<>N FAUST II 81
gezogen, während er nach der spätem fassung die höchsten gipfe]
ersteigt. Möglich ist, dass, wie ich Hingst vermutet habe, Goethe für
Euphorion, ehe er ihn wie Byron der begeisterung für Griechenlands
Freiheit zum opfer fallen liess, sich auch den ausgang gedacht hat, dass
er in die weite weit fliegen sollt' — zur andeutung, dass die dichtung
eine weltgabe sei, die, wie sie allerwärts entsteht, so auch iiberalhin
sieh verbreitet. Dann wurde Eelena aus schmerz über die trennung von
ihm aus dem leben geschieden sein.
Da Goethe sieh vor dem erscheinen der „Helena" über ihre Stel-
lung im zweiten teile aussprechen wolte, so nahm er bereits am
8. november 1826 den vor zehn jähren geschriebenen plan des zweiten
teiles wider vor und diktierte mit benutzung desselben die einleitung
zur „Helena" die „ antecedentien a derselben, wie er sie auch nante,
worin der Inhalt des ersten aktes kurz berührt, der ^'> zweiten bis
zur gewährung der an Proserpina gerichteten bitte des Faust ausführ-
lich erzählt wurde. Am 21. deccmbcr schloss er sie ab, doch bald
entschied er sich, sie nicht drucken zu lassen; ohne zweifei, weil er
der hofnung nicht entsagen wolte, die beiden der Helena vorhergehen-
den akte noch zu stände zu bringen. Die wirklich in „Kunst und
altertum" gedruckte kurze ankündigung der „Helena" bemerkt nur,
vor der band solle es „unausgesprochen bleiben, wie es nach manm
faltigen hindernissen den bekanten magischen gesellen geglückt, die
eigentliche Helena persönlich aus dem orkus ins leben heraufzuführen."
Schon ehe er diese kürzere ankündigung am lO.juni 1826 abschlo
hatte er die ausführung des ersten aktes des zweiten teiles einstlich
erwogen. Es war ein gewaltiges werk, das er übernahm, aber die
volle freude über das gelingen der „Helena" begeisterte ihn dazu: galt
es ja die beiden ersten akte und wo möglich auch die beiden lezten
zu ebenbürtiger dichterischen ausbildung zu bringen, jeden derselben
zu einem grossen, selbständigen, gehaltreichen, von reichen allegorien
durchzogenen, in sich abgerundeten ganzen zu erheben. Das tagebuch
bezeichnet von jezt an die fortsetzung d< s ..Faust" als „hauptgeschäft",
als „hauptwerk." Schon am 18. mai 1827 hat er das hauptgeschäft
„auf den rechten fleck gebracht." Seit dem 12. hatte er wider ein-
mal seinen garten am parke bezogen, da er auf eine badereise ver-
zichtete. Aus dem briefe an Zelter vom 24. ergibt sich, dass ihn damals
der anfang des vierten aktes als einleitung zu der schon langst ausge-
führten darstellung von Fausts ende beschäftigte. Darauf beziehen sieh
demnach auch die ein tragungen vom 21. bis zum 30., die vom „sche-
matisieren", vom „regulieren der vorliegenden angeführten teile", vom
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIH. O
dDntzbb
„behandeln des Schemas, anschliessend an das schon vollendete" und
von „einigen poetischen bedenken" sprechen. Erst am 9. juni kehrte
er nach Weimar zurück, wo ihn bis zum 14. ein besuch des als natur-
forscher bedeutenden grafen Sl srnberg erfreute. Gleich darauf muss er
den entschluss gefasst haben, den anfang des ersten aktes auszuführen,
r jezt ein weitglänzendes portal erhalten solte, wovon die entwürfe
keine spur zeigten. Wenn Goethe am 21. „einiges" an dem für den
„Faustu bestirnten bände der ausgäbe lezter band machte, so muss es
-ich um dm anfang des zweiten teiles gehandelt haben; doch dauerte
einen vollen monat, ehe er sich diesem anhaltend widmete. Schon
am 1. Oktober las er Eckermann die zweite scene vor; am 1. Januar
1828 schloss er das karneval ab. über das er sich am 8. november
mit Eckermann unterhalten hatte: am 14. brach er den zunächst mit-
zuteilenden anfang des zweiten teiles mitten in der scene im lustgarten
ab. doch beschäftigte ihn die durchsieht noch länger als eine woche.
Schweigt auch das tagebuch zunächst vom „Faust**, so ergibt sich doch,
da— er weiter daran fortgearbeitet hat, aus der klage an Eckermann vom
11. märz, dass es mit der fortdichtung äusserst langsam gehe, er im
allerglücklichsten falle jeden morgen nur eine seite zu stände bringe.
Von Dornburg au> vertraute er Zelter am 26. juli, es komme nun
darauf an. den ersten akt zu schliessen, der bis auf das lezte detail
erfunden sei; nur der ihn tief erschütternde tod des grossherzogs habe
dessen Vollendung gehindert. Als er am 11. September von Dornburg
zurückgekehrt war. nahm ihn zunächst die neue bearbeitung der „wan-
rjahre" in ansprach. Doch bald kehrte er zum ,,Faust" zurück, des-
o zweiter akt ihm so sehr am herzen lag, dass er, obgleich das
gebuch vom 29. September bis zum 7. februar 1829 fortwährend des
„ hauptgeschäfts " gedenkt, selbst den nächsten freunden nichts davon
rriet Zelte]1 erfuhr auf seine anfrage nur, dass diese ihn bestimmen
werde, das zunächst an den anfang sich anschliessende baldmöglichst
anzufertigen. Erst am 1. december vertraute er Riemer unter anderem
neuen auch Faustische scenen. Damals scheint er sich zur durchsieht
des fertigen entschlossen zu haben. Eckermann hörte am 6. und
16. december die beiden eisten scenen des zweiten aktes, am ende des
monats aus dem eisten die vom papiergeld und von der erscheinung
des Paris und der Helena, wie am 10. Januar 1830 die unterdessen
fertig gewordene in der finstern gallerie, etwa zehn tage >päter endlich
auch den anfang der klassischen Walpurgisnacht. Im juni war der
selben erobert und die Kicken ausgefült; doch noch im
december beschäftigte ihn die nacharbeit Erst am 20. februar 1831
ENTSTEHUNG 70N PAUST II 83
wurden die drei ersten akte zusammengeheftet, was ihn zur Vollendung
des Schlusses reizen solte.
Unter den neuen erfindungen des mit allegorischen beziehungen
reich ausgeschmükten ersten aktes gedenken wir nur der mütter, welche
die heraufruhrung von Schattenbildern Längs! hingeschiedener personen
dramatisch veranschaulichen solten. Wir hörten bereits, dass die betref-
t'ende scene erst nach der geistererscheinung selbst fertig wurde. Ein
paar stellen aus frühem versuchen dieser seene haben sieh erhalten
(Paral. 118. 120 fg.). Bemerkenswert sind die verse:
Und wenn du rufst, sie folgen mann für mann,
Und fraun für traun, die grossen wie die schönen,
Und bringen her so Paris wie Helenen,
da hier angenommen wird, Faust müsse die beschworenen geister beim
namen rufen, ehe er den dreifuss an die oberweit bringe. Dies weicht
ab von 6297 fg., welcher stelle aber die wirkliche beschwörung 6427 fg
widerspricht, in welcher bloss die mütter angerufen werden. Ein ver-
sehen ist es, wenn E.Schmidt die worte (Paral. 119): „Nicht nacht, nicht
tag, in ewger dämmerung. — Es war und will ewig sein" zu 6214
zieht und dem Mephisto zuschreibt; vielmehr waren sie zur beschwö-
rung des Faust bestirnt (vgl. 6429) und solten nicht auf die mütter,
sondern auf die „bilder des lebens" gehen. Die stelle, auf welche
Scberer die behauptung eines ganz andern ursprünglichen plans der dich-
tung gründete, ergibt sich jezt als spätere einschiebung, wie E. Schmidt
zugibt.
Viel bedeutender war die Umgestaltung, welche die ursprünglich
von Mephistopheles übernommene herbeischaffung der wirklichen Helena
erleiden muste, da diese nach der weiten ausfuhrung des dritten akt
eine dieser ebenbürtige darstellung dringend forderte. Freilich lag ein
ausführlicher entwurf derselben im Schema vor, dessen erste fassung
vom november 1826 datiert, im december erweitert umgeschrieben
wurde; aber noch ehe er an die ausführung gieng, erkante er, dass
dieser wunderliche einfall jezt einer wesentlichen umdichtung bedürfe.
Faust solte jenem zufolge nach dem unglücklichen ausgange der gei-
stererscheinung an einer kirchhofmauer, in träume versunken, liegen
und, aus ihnen erwachend, einen ..grossen monolog zwischen der wahn-
erscheinung von Gretchen und [dem ihm vorschwebenden bilde der]
Helena" halten. Aber die leidenschaft zu dieser kann er nicht bezwin-
gen. Mephistopheles, dem er sein anliegen mitteilt, sucht ihn nach
gewohnter weise durch allerlei Zerstreuungen zu beschwichtigen. So
führt er ihn denn auch in das Laboratorium Wagners, der eben ein
6*
&4 DÜNTZRB
chemisch menschlein hervorzubringen sucht Zu der Verwandlung des
in pergamenten wühlenden Wagner in einen chemischen Laboranten
hatte ihn wahrscheinlich ein Würzburger philosoph dieses namens
bracht, der behauptet haben solte, es müsse gelingen, menschen
durch krystallisation zu bilden. Auch „verschiedene andere auswei-
chungen und ausfluchte" solte Äfephistopheles versuchen. Vergleichen
wir damit die einen monat spatere ankündigung. Aueli hier erwacht
Faust (ein ort ist nicht angegeben) aus träumen, die sich aber „vor
den äugen des Zuschauers sichtbar umständlich begeben", was um so
weniger jezt an der stelle war, als der erste akt mit einem so bedeu-
tenden g - rchore um den schlafenden begonnen hatte. Mephistophe-
redet ihn, gleichsam im vorbeigehen Wagners laboratorium zu
suchen, der sich rühmt, eben ein chemisches männchen hervorge-
bracht zu haben, das gleich seinen leuchtenden glaskolben zersprengt
und als bewegliches wolgegliedertes Zwerglein auftritt. Yon einer mit-
wirkung des Mephisto dabei ist keine rede. Nach Paracelsus sollen
aus solchen homuneuli mit der zeit leute von wunderbaren geheimen
kentnissen werden. Der Wagnersche ist ein algemeiner historischer
• ltkalender. und so behauptet er, eben sei die nacht, in welcher einst
die Schlacht von Pharsalus vorbereitet worden. Da Mephistopheles dies
mit bezug auf die Zeitbestimmung der gelehrten Benediktiner (in der
irt de verifier les dates") leugnet, zieht er sich nicht nur den
Vorwurf zu. dass der teufel sich auf mönche berufe, sondern er muss
h auch den weiteren beweis seiner hervorragenden kentnis gefallen
lassen, das- dort zugleich das fest der klassischen Walpurgisnacht gefeiert
werde, wie es seit anbeginn der mythischen zeit immerfort gewesen;
ja dies sei nach dem geheimen zusammenhange der dinge eigentlich
_rund jener blutigen, die freiheit der klassischen weit vernichtenden
Schlacht „Alle vier entschliessen sich, dorthin zu wandern." An
eine verständige begründung ist nicht gedacht; das ganze ist eine
phanl :he, dazu ins komische schlagende dichtung. Wagner ver-
si auch bei aller eile nicht, eine phiole mitzunehmen, um hier und
da. wenn - glücke, die zu einem ehemischen weiblein nötigen ele-
mente zusammenzufinden. Das glas steckt er in die linke, das che-
mi männlein in die rechte brusttasche. Unter solcher leitung ver-
trauen sieh die reisenden dem zaubermanteL Das lächerliche wird noch
dadurcl . . \ dass sie bei der aus Lucan bekanten hexe Erich tho,
welche von Sextus Pompejus über den ausgang der Schlacht bei Phar-
lus befragt wurde, den kleinen Eriehthonius finden, von dessen ent-
■hung durch die Zudringlichkeit des Vulean eine wüste sage bericli-
ENTSTEHUNG VON FAUST II 85
feet wird, aus der einst Raphael ein anziehendes bild schuf. Die weder
Bachlich noch etymologisch begründete Verbindung beider führt zu einer
seltsamen spotdichtung. Erichtho muss den kleinen, da er in folge sei-
ner entstehung übe] zu fiisse ist, auf den arm nehmen, und dieser,
der zu Honiunculus sich Leidenschaftlich hingezogen fühlt, ruht nicht,
bis jene seinen geistigen halbbruder auf den andern arm genommen,
was den Mephisto zu bösartigen glossen veranlasst. Diese wunderliche
erfindung, bei welcher der Übermut des dichters Bich die zügel hatte
schiessen lassen, ohne an die möglichkeil dramatischer ausführung zu
denken, muste nicht allein von allem possenhaften gereinigt werden,
sondern auch eine geistige beziehung erhalten. Wagner seihst durfte
an der bildung des Honiunculus nur scheinbaren anteil haben und der
pedantische laborant nicht mit auf der klassischen Walpurgisnacht
erscheinen. Mephisto muste das Zwerglein in die phiole gezaubert
haben, um Wagner zu necken. Die zweite noch bedeutendere ände-
rung besteht darin, dass Honiunculus noch nicht das glas verlassen
hat und zur körperlichkeit gelangt ist, sondern mit seinem unablässigen
tätigkeitsdrange nach dieser erst strebt, wodurch er zum sinbild des
strebens des Faust nach Helena wurde. Wie Fau^t sein zie] erreicht,
da es ihm gelingt, durch sein flehen bei Proserpina die wirkliche He-
lena aus der unterweit heraufzuführen, so fühlt Honiunculus sich zur
höchsten Schönheit hingetrieben, in deren erfassung er sich auflöst, er
zerschelt am wagen der göttin der Schönheit. Mephisto komt in der
zaubernacht dadurch zur ruhe, dass er die gestalt des urhässlichen
Bagengebildes annimt, in welchem er schon in der „Helena" auftrat
8 i schliesst sich die klassische Walpurgisnacht zu einer dramatischen
einheit zusammen, während früher Honiunculus keine innere beziehung
zu Faust hatte und spurlos verschwand, im lezten plane nach der
schnurre, dass er eine menge phosphorescierender atome aus dem humus
in die phiole gesammelt hat, durch dessen herumschütteln Wagner
einen wilden stürm erregt.
Nach dem entwürfe solte Mephisto zueist zur ruhe gelangen.
Als „antike ungeheuer und misgestalten", bei denen er sich zu haus
finde, waren in einem zusatze zum ersten schema genant „centauren,
sphinxe, chimären, greife. Sirenen, tritonen und nereiden, die gorgo-
nen, die graien" — eine gar bunte schaar, durch die Mephisto durchgehen
solte. Als hauptsache erscheint im schema: „Mephistopheles und Enyo
[eine der drei töchter des Phorkos oder Phorkys und der Keto, die
Goethe schon aus des Aeschylos „Prometheus" kante] ; schaudert vor
ihrer hässlichkeit; im begriff, sich mit ihr zu überwerfen, lenkt er
g(J DÜNTZER
ein. Wegen ihrer hohen ahnen und wichtigen einflusses macht er ein
bündnis mit ihr. Die offenbaren bedingungen wollen nichts heissen,
die geheimen artikel sind die wirksamsten." Das lezte solte wo] ein
spott auf die gewöhnlichen staatsbündnisse sein; sachlich wurde dem
tfephistopheies gestattet, wenn er wolle, die gestalt der Enyo (= Phor-
kyas) anzunehmen.
Von Faust hören wir, dass er auf einer Wanderung zur versani-
lung der Sibyllen gelange, die den christlichen ähnlich gedacht waren.
Als bedeutendste von ihnen erscheint th>± Tiresias tochter Manto, die
gentlich eine zu Delphi gehörende Wahrsagerin ist. aber von Goethe
frei ausgeführt wurde. Diese teilt ihm mit. der augenblick sei für sei-
nen wuns.-h günstig, da eben der hades sich öfhe. So steigt er denn
(wo! von Manto geleitet) zur Unterwelt. Zur begründung der bitte
werden die heispiele von Protesilaus. Alceste und Eurydice angeführt,
ja Helena selbst habe die erlaubnis erhalten, sich mit dem schatten
des Achill auf der insel Leuce zu verbinden. An die stelle von Leuce
ist später bei benutzung dieser sage (7435), vielleicht aus einfacher
Verwechslung, Pherä getreten. Proserpina gestattet, dass Helena auf
den boden von Sparta zurückkehre und dort im hause des Menelaus
empfangen werde; dem neuen freier soll überlassen sein, inwiefern er
auf ihren geist und ihre empfänglichen sinne einwirken könne. Die
Zeitdauer wird nicht bestirnt.
Die übersieht vom december 1826 hat die klassische Walpurgis-
nacht weiter im einzelnen ausgeführt, ohne aber zunächst des verlan-
ns des Faust nach Helena besonders zu gedenken und eine bestirnte
innere folge der auftretenden sagengestalten anzudeuten. Faust lässt
sich mit einer nach ihrer art auf den hinterfüssen ruhenden rätsellie-
benden sphinx in ein gespräch ein. wobei „die abstrusesten fragen
durch gleich rätselhafte antworten ins unendliche gespielt werden" sol-
ten. Hin neben der sphinx in gleicher Stellung aufpassender goldhüten-
der greif mischt sich ein, und eine herankommende kolossale gold-
ameise (man hatte diese längst mit den greifen in Verbindung gebracht)
macht die Unterhaltung (gleich den versuchten deutungen) noch verwirter.
„Nun aber, da der verstand im Zwiespalt verzweifelt", heisst es weiter,
„sollen auch die sinne sich nicht mehr trauen." Hier tritt denn die
Empuse auf. ethe kannte diese aus den „fröschen" des Aristcpha-
nes als ein den wanderer durch die gestalten, welche sie annimt.
s hreckendes _ spenst der Hekate. dessen einer fuss aus kot bestand,
nach anderen der eines sels war. Hier solte sie zu ehren des heu-
tigen f( s1 ä ein eselsköpfchen aufsetzen und „die übrigen verschiedenen
a ENT8TEHUNG VON FAUST II 87
gebilde" nicht zur Verwandlung-, „aber doch zu unsteter Ungeduld auf-
regen." Nicht allein entwickeln sich sphinxe, greife und ameisen aus
sich selbst zu unzählbaren schaaren, sondern es entsteht ein wilder
geisterspufc sämtlicher ungetüme des altertums in gröster anzahl. Be-
reits in einem zusatze zum ersten Schema war ein bunter schwärm
derselben erwähnt. Jezt selten chimären (nach der schon aus Homer
bekanten, von Bellerophon getöteten Chimära), tragelaphen (die mor-
uländischen bockshirsche stelte Plato mit den kentauren zusammen),
gryllen (lächerliche gestalten, die der maier Antiphilos aufgebracht
hatte), dazwischen unzählige vielköpfige schlangen umherschwärmen,
harpyien fledermausartig flattern und schwanken, der von Apoll erlegte
drache Python vervielfältigt sich zeigen und die stymphalischen raub-
vögel, die Hercules getötet, mit ihren scharfen schnäbeln und schwim-
füssen pfeilschnell hintereinander vorbeischnurren. Ahoi- auch in den
wölken und im flusse wird es lebendig. Ein „singender und klingen-
der" zug von Sirenen schwebt hoch über alle; sie stürzen in den IV-
neus, setzen sich, nachdem sie „rauschend und pfeifend" sich gebadet,
auf die bäume und laden in den lieblichsten liedern zum feste d
meeres ein. Die nereiden und tritonen entschuldigen sich, dass sie
durch ihre „ konformation " gehindert sind, daran teilzunehmen, eine
entschuldigung, die freilich wenig heissen will, da, wenn die meerwun-
der hier am Peneus sich einfinden können, ihre verbildune sie auch
nicht hindern darf, sich an das ihnen angehörende meer zu begeben.
Die sirenen laden widerholt alle auf das dringendste ein, „sich in den
mannigfaltigen meeren und golfen, auch inseln und küsten der nach-
barschaft insgesamt zu ergetzen." Ein teil der menge stürzt nun meer-
wärts. Dieses ganze kaum darstelbare geistergewühl bleibt ohne folg
wie es in sich ohne bedeiitung ist. Eines schöpferischen geistes bedurfte
es, um aus solchen keck hingeworfenen einfallen ein einheitlich!
bedeutsames bild zu gestalten.
Doch es wird noch toller. Es bebt die erde und bläht sich auf;
,,ein gebirgsreihen bildet sich aufwärts bis Scotusa, abwärts bis an den
Peneus, bedrohlich, sogar den fluss zu hemmen." Das pelasgische
Skotusa nennt Strabo als sitz eines uralten heiligtums, das von dort
nach Dodona verlegt worden sei; die meisten frauen von Skotusa seien
mit ausgewandert und ihre nachkommen Wahrsagerinnen geworden
Dies war für Goethe die veranlassung, hier Skotusa einzuführen: wahr-
scheinlich wolte er ursprünglich das heiligtum der Manto dorthin setzen.
Der unter dem Ätna liegende Enceladus solte. ..unter meer und land
heranschleichend, mit haupt und schultern sich hervorwühlen, die wich-
88 DÜ.VTZER ,
tige stunde zu verheriichen." Hierbei schwebte dem dichter die sage
r, dass der fluss Alpheus sieh unter dem meere durchgearbeitet habe,
_ trieben von liebe zur Arethusa, welche vor ihm nach Sicilien geflo-
hen war. ..Aus mehreren klüften lecken flüchtige flammen. u So war
- ii-'ii hier der später so glücklich benuzte spott über die vulkanisten
vorbereitet „Naturphilosophen, die bei dieser gelegenlieit auch nicht
ausbleiben konten („Denn wo gespenster platz genommen, ist auch der
philosoph wilkommen" 7843 fg.), Thaies und Anaxagoras geraten über
das phänomen heftig in streit, jener dem wasser und dem feuchten
alles zuschreibend [also, wie Goethe selbst, kein beschränkter nep-
tunist], dieser überall geschmolzene, schmelzende massen erblickend,
peroriren ihre solos zu dem übrigen ehorgesause. Beide führen den
Homer an und jeder ruft Vergangenheit und .gegenwart zu zeugen.
Thaies beruft sich vergebens auf spring- und sündfluten mit didaktisch
wogendem selbstbehagen. Anaxagoras, wild wie das elenient, das ihn
beherscht, führt eine leidenschaftlichere spräche. Er weissagt [nach
der Überlieferung] einen steinregen, der denn auch alsobald aus dem
monde heruntorfält. Die menge preist ihn als einen halbgott und sein
_ gner muss sich nach dem meeresufer zurückziehen." Aber Anaxago-
ras bleibt sieger. Auch der schon von Homer erwähnte kämpf zwi-
schen den pygmäen und kranichen war angedeutet, aber bloss als
k<>mis<-hes spiel, ohne alle weitere beziehung. „Noch aber haben sich
irgs-s hluchten und gipfel nicht befestigt und bestätigt, so bemäch-
tig sich -'hon aus weit umher klaffenden Schlünden hervorwimmelnde
pygmäen der oberarme und schultern des noch gebeugt aufgestemtni
riesen und bedienen sich deren als tanz- und tummelplatz [dabei wird
nn auf den Nil in der vatikanischen samlung erläuternd verwiesen,
bildwerk des liegenden flussgottes, an welchem die
niedenen grade der Überschwemmung als aufsteigende kinder dar-
_ ' .t sind], inzwischen unzählbare beere von kranichen gipfelhaupt
und haare, als wären es undurchdringliche wälder [hier bezieht sich
G Läuternd auf die ähnliehe phantasterei in Swrifts „Reisen Gul-
liver-"] kreischend umziehen und. vor s<hluss des algemeinen festes,
ein ergetzliches kampfspiel ankündigen."
Die Schilderung des tollen geisterspukes wird hiermit abgebrodn-n.
das darauffolgende bündnis des liephistopheles nicht weiter ausgeführt:
dagei erhalten wir zum erstenmal näheren bericht, wie Faust zur
Siant - srt Hatte Goethe die im Schema vor den sphinxen genan-
ten kentauren fallen lassen, so spricht Faust jezt den von Homer als
n derselben gerühmten Chiron an, der heute seine gewöhn-
ENTBTKHUNG VON PA.Ü8T II 80
liehe runde macht. Da> ist eine hübsche Gründung des dichters, der,
als er sich zur einführung Chirons entschloss, bereits dessen sinbildliche
bedeutung als eines stets tätigen fördi rers der menschheil im sinne
hatte, wozu der erzieher so vieler beiden, der sich freiwillig für Pro-
metheus opferte, vorzüglich geeignet war. Fauste ernstes pädagogisches
gespräch mit diesem „urhofmeister" wird durch einen kreis von Lamien
beunruhigt, die sich unablässig durch beide bewegen. „Reizendes aller
art, blond, braun, gross, klein, zierlich und stark von gliedern, jedi
spricht oder singt, schreitet oder tanzt, eilt oder gestikuliert, bo da
wenn Faust nicht das höchste gebild der Schönheit in sich selbst auf-
genommen hätte, er notwendig verführt werden müste. Chiron, „der
alte, unerschütterliche", fühlt sich zu dorn „neuen sinnigen bekanten"
so innig hingezogen, dass er ihm seine maximen mitteilen muss, wo
er denn der von ihm erzogenen helden, von den Argonauten an bis
zu Achilleus, gedenkt, wodurch Faust gehindert wird, nach Helena zu
fragen, ja der alte pädagoge ergeht sich in klagen über die erfolglosig-
keit seiner [in lezter zeit gemachten] bemühungen, da alle so handel-
ten als ob sie nicht erzogen wären. Hier fehlton also die erwähnung
der arzneikunst und Chirons glücklicher Übergang auf Helena. Als
Faust sich nicht abhalten lässt, sein verlangen nach heraufluhrung der
Helena dem alten mitzuteilen, freut dieser sich, doch endlich wider
einen mann zu treffen, der unmögliches verlange, was er an seinen
Zöglingen (den alten helden) immer gebilligt habe; und so bietet er
dem „modernen helden" förderung und leitung an. Auf seinem brei-
ten rücken" trägt er ihn „kreuzweis herüber hinüber durch alle fürten
und kiese des Peneus, lässt Larissa zur rechten", zeigt seinem „reiter"
die stellen, wo Perseus, der lezte griechische könig, ..auf der bäng-
lichsten flucht wenige minuten verschnaufte." So gelangen sie an den
fuss des götterbergs Olympus, wo sie einer langen prozession von Sibyl-
len begegnen, deren zahl die der christlichen bei weitem Übertrift
„Chiron schildert die ersten vorüberziehenden als alte bekante und
empfiehlt seinen Schützling der strengen, wohldenkenden tochter d<
Tiresias, Manto." Diese verspricht dem Faust, ihn in die unterweit
zu bringen, die sich eben öfhe, da es gerade die stunde sei, wo nach
der Pharsalisehen Schlacht der berg auseinandergeklaft war. um so viele
seelen aufzunehmen. Auf dem wege zur öfnung solte Manto wol dem
Faust bemerken, dass er zur Proserpina in trimetern sprechen müss
Wenigstens scheinen darauf die verse Paralip. 158 zu deuten; doch kön-
ten diese auch auf einem späteren einfalle beruhen, dann aber als zu
possenhaft verworfen worden sein.
90 th'-ntzf.k
In dem dunkeln gange bedockt Manto den Faust plötzlich mit
ihrem schleier und drückt ihn vom woge ab. Erst als sie ihn wider
enthült hat, vernimt er, das schreckliche Gorgohaupt, dessen die Odys-
■ in der unterweit gedenkt, sei an ihnen vorübergeeilt wider den
willen der Proserpina, die es gern zurückgehalten, weil es die fest-
frende stöi Sie selbst wage nicht es anzuschauen; wenn Faust es
sehen hätte, wäre er auf der stelle tot geblieben. Aus dieser stelle
haben sich zwei reden der Manto und ebenso viele des Faust erhalten
Paralip. 159 — 161): E. Schmidt hat nicht bemerkt, dass diese anmit-
telbar aufeinander folgten, obgleich sie auf drei verschiedenen papier-
streifen stehen. Die beiden ersten beziehen sich auf das betreten des
nges. ftfanto fordert den Faust auf:
Nur wandle den weg hier ungestört;
Ein jeder stuzt, der unbegreiflichs hört,
was auf mitteilungen sich bezieht, die Manto ihm gemacht hat. Statt
darauf zu antworten spricht er sein schaudern vor dem tiefen düstern
_ mge aus, in welchem gleich eine in der ferne erscheinende riesen-
_■ stalt sein entsetzen erregt:
Sieh hier die tiefe dieses ganges;
Es deckt sie uns ein düstrer flor.
Mich dünkt, was riesenhaftes langes
Tritt aus der finsternis hervor.
Die beiden weitern reden erklären sich aus den oben angeführten wer-
ten des entwürfe, womit sie freilich nicht ganz stimmen:
Faust. Was hülst du mich in deinen mantel ein?
Was drängst du mich gewaltsam an die seite?
Manto. Ich wahre dich vor grössrer pein.
Verehre weisliches geleite!
Als das wunderliche paar zu dem „unabsehbaren, von gestalt um gestalt
überdrängten hoflager der Proserpina" gelangt (vgl. Goethes elegie
Buphrosyne 127 — 137. Faust II. 9969 — 9973 und die darstellung in der
„Proserpina" vom jähre 1777), „gibt es zu grenzenlosen ineidentien [ein-
zelheiten der Schilderung] gelegenheit, bis der präsentierte Faust „als
zweiter Orpheus gut aufgenommen wird*', aber seine bitte findet man
doch „einigermasseii seltsam." Der inhalt der „bedeutenden" rede der
Manto entspricht der angäbe des früheren entwurfes. „'Von dem übri-
_ n gang und fluss der rede dürfen wir nichts verraten" — heisst es
klüglich weiter, da Goethe selb>t noch darüber im unklaren war — „am
wenigsten von der peroration. durch welche die bis zu thränen gerührte
künigin ihr Jawort erteilt." Die per oratio ist der besonders auf die
ENTSTEHUNG VON FAUST II 91
erregung des mitleiden* der richter berechnet»' schluss der rede. Faust
kam also nicht zu worte. Mit recht hat E. Schmidt bedenken gegen
Eckermanns berieht vom 15. Januar L827 erhoben, wonach Faust seiht
die Proserpina zu thränen gerührt habe, da eine änderung in dieser
beziehung höchst unwahrscheinlich ist nach dem erhaltenen entwurf
eines prologs zum dritten akte vom 18. juni L830, den der dichter
freilich später mit recht fallen liess. In diesem solte das niedersteigen
zur Unterwelt ausgeführt werden. Es heisst dort nach erwähnung des
n Medusenhauptes tt : „Fernerer fortschritt. Proserpina verhalt. Manto
trägt vor. Die königin an ihr erdenleben [auf Sicilien] erinnernd.
Unterhaltung [mit Manto] von der verholten seite, melodisch artikuliert
scheinend, aber unvernehmlich. [Das war freilich kaum darzustellen.]
Faust wünscht sie entschleiert zu sehen. Vorhergehende entzückung,
[Er stelt sich lebhaft vor, welch ein entzücken ihm der anblick gewäh-
ren werde, wirklich sieht er sie nicht enthült] Manto führt ihn schnell
zurück [damit er sich nicht weiter hinreissen lasse]. Erklärt das resul-
tat." Proserpinas erwiderung war also dem Faust unverständlich. Das
von Manto ihm mitgeteilte ergebnis ist das uns bekante, «las auch schon
im plane von 1826 entwickelt wurde. Eigentümlich war diesem plane
die Verweisung der bittenden an die drei richter der unterweit, „in
deren ehernes gedächtnis sich alles einsenkt, was in dem Lethestrom zu
ihren füssen vorüberrollend zu verschwinden scheint." Die etwas wun-
derliche Verweisung an die drei richter als untrügliche Verfechter der
Vergangenheit hat Goethe mit recht fallen lassen, auch die „einleitung"
der sache, die nach dem prolog der Manto überlassen war, nicht aus-
geführt, sondern unmittelbar auf das herabsteigen zur unterweit die
„Helena" folgen lassen.
Der alte plan zur klassischen Walpurgisnacht bot ausser dem
durch den centauren Chiron vermittelten gange zur Proserpina und dem
vertrage des Mephistopheles mit Enyo bloss einen gar bunten geister-
spuk, aus dem nur der streit der beiden alten philosophen über die
entstehung der weit bedeutsam hervortrat. Homunculu- und Wagner
verschwinden zulezt, ohne dass wir ahnen, was aus ihnen geworden.
Den lezten niuste Goethe aus der antiken geisternacht ganz ausschei-
den; dagegen war es ihm angelegen, die mystische gestalt des Homun-
culus weiter auszuführen und ihr wie der ganzen klassischen Wal-
purgisnacht eine bedeutung zu geben, durch welche sie neben der so
fein mit sinbildlichen beziehungen ausgeführten „Helena" als ebenbür-
tige dichtung bestehen konte, besonders nachdem er den ersten akt
durch den mummenschanz und die einleitung des zweiten durch ein-
02 DÜNTZER
fahrung des famulus Nicodemus und des weltschaffenden baecalaureus
so glücklich ausgeweitet hatte. Freilich mäste durch die bedeutung,
die er dem Homunculus gab, auch sein erstes auftreten wesentlich geän-
dert werden. Dieser solte am ende der klassischen Walpurgisnacht
entstehen, und zwar mit bezng auf die sinbildliche bedeutung, welche
er für die antike gespensteraacht erhalten hatte, in welcher der dichter
die entwickelung der griechischen kirnst von den rohen halbtierischen
anfangen bis zur vollendeten Schönheit darstellen wolte. So muste denn
der mittelalterliche, zwischen geist und mensch schwebende Homuncu-
lus im umfassen der schönheitsgöttin sich auflösen, an ihrem muschel-
wagen zerschellen. Damit war er als das unablässige streben nach dem
ideal der Schönheit gekennzeichnet So wurde er gewissermassen ein
abbild des Faust selbst, der von der als gespenst gesanten Helena so
unwiderstehlich hingerissen wird, dass er nicht ruhen kann, bis er sich
mit der wirklichen heroine, der höchsten Schönheit, verbunden hat.
Erscheint Homunculus so gleichsam als Spiegelbild von Fausts unab-
lässigem streben, so ist es ganz natürlich, dass er, wozu ihn sein gei-
stiges wesen befähigt, dessen träume erschaut und es unternimt, ihn
zu der statte zu bringen, wo dieser zu seinem zwecke gelangt und,
wie sieh später ergibt, auch er selbst allein entstehen kann. Eigen
ist es freilich, dass Homunculus eigentlich nur einem spasse seinen
Ursprung verdankt, den sich Mephisto mit dem pedantischen alchy-
misten Wagner macht; aber der teufel ist unwillkürlich in Fausts ideen-
kreis hinübergezogen worden. Wie er gezwungen war, diesem das
_ heimnis zu verraten, auf welche weise er das gespenst der antiken
Helena beschwören kann, so muss er ihm auch zur gewinnung der
wirklichen Helena verhelfen dadurch, dass er einen geist in die phiole
schlüpfen lasst, der durch Fausts Wirkung auf den teufel Faustischer
natur ist und so der rechte fuhrer zur klassischen Walpurgisnacht wird.
D; ja freilich keine streng folgerichtige, dramatische, sondern eine
phantastische, märchenhafte dichtung; aber schon in der „Helena" hatte
G ethe das märchenhafte volauf für sich in anspruch genommen, ohne
welches der zweite teil des „Faust" rein unmöglich war, ja auch im
sten hatte Goethe dieses nicht entbehren können. Doch wuste er es
zu fassbarer anschaulichkeit zu beleben. Beim Homunculus erreicht
er dies - hon durch die art, wie dieser, gleich als Mephisto ihn in die
phiole hat schlüpfen lassen, sich selbst einführt. Seinem „Väterchen"
Wagner, dessen hofnung, er werde auch sprechen, sofort von ihm
erfült wird, führt er zu gemüte, dass er bloss ein kunstliches dasein
habe, womit er den jubel, dass ihm seine absieht gelungen, spöttisch
ENTSTEHUNG VON PAUST II 03
dämpft. Seine bezeichnung des „vettere" Mephisto als „schalk" zeigt,
dass ihm dessen mitwirken nicht entgangen ist, und er nimt ihn auch
sofort für sich in ansprach; er soll ihm arbeit schaffen, da tätigkeil
seines lebens leben ist. Der mittelalterliche teufe] muss ihn an Paust
weisen, mit dem er sich verwani fühlt; und ohne sich um den Wider-
spruch des teufeis zu kümmern, befiehlt er die fahrt zur klassischen
Walpurgisnacht, zu weicher er vorleuchten wird. Dahin muss auch
Mephisto trotz seines abscheues mit; nur den pedantischen aloh\ misten
Wagner weist Homuneulus neckisch auf sein laboratorium an.
*&
Aus dem bunten gewirr des alten planes eine grosse Binbildliche
darstellung der almählichen entwicklung der griechischen kunst zu
machen, dazwischen aber auch die drei dramatischen personen zu ihrem
zwecke gelangen zu lassen, das war eine ganz ungeheure aufgäbe, welche
der dichter, nachdem er seinen plan sich im einzelnen entworfen, durch
unablässiges fortrücken von einem punkte zum andern — wobei er
manches umgestaltete, einzelnes, was ihm augenblicklich nicht gelingen
wolte, einstweilen übergieng, um es in besserer Stimmung auszuführen,
aber immer das ganze im sinne hielt und widerholt durcharbeitete —
auf wunderbare weise löste. Eine grosse Schwierigkeit lag für ihn
darin, dass er die Olympischen gottheiten nicht einführen durfte, wenn
er auch gelegentlich ihrer gedenken konte. Aus dem früheren plane
konte er nur die erste Unterredung mit den sphinxen, Fausts aufsuchen
des Chiron und was damit zusammenhieng, die lamien und anderes
ungetüm, das erdbeben mit der neuen gebirgsbildung und dem streite
des feuer- und des wasserphilosophen brauchen; aber dies alles muste
beziehungsvoll aus- und umgebildet und in innere Verbindung mit-
einander gebracht werden. Ganz neu zu erfinden und auszuführen war
der lezte teil, das grossartige meeresfest, das unterkommen des Mephisto
in der urhässlichen Phorkyas, wozu nur sein vertrag mit der Enyo
vorlag, und das rastlose, endlich am muschelwagen der Galatea zum
ziele gelangende streben des Homuneulus, körperlich zu entstehen. Man
vergleiche die spätere gestalt der dichtung nach der von mir entwickel-
ten bedeutung mit dem bunten, jeder verständigen auslegung widerstre-
benden durcheinander des alten entwurfs — und man wird die geschickt
stein zu stein fügende, alles ungehörige ausscheidende, das bleibende
beziehungsvoll ordnende band bei diesem fast amphionischen zauberbau
nicht genug bewundern können.
Yon der klassischen Walpurgisnacht haben sich zwei -Schemata
erhalten, von denen das zweite vom 6. februar 1830 datiert, das erste
wol das „neue schema" ist, das, nach dem berichte des tagebuchs
94 DÜNTZEB
schon drei wochen früher, am 16. Januar, diktiert worden war. Nach
dem früheren entwnrf solte sich Faust mit einer sphinx einlassen, ein
eif sich einmischen, auch eine goldscharrende ameise, dann Empusa
hinzutreten, erst nach allerlei Ungetümen der sirenonzug kommen. Dies
war schon im Januarschema dahin geändert, dass nicht Faust, sondern
Mephisto sich zuerst mit diesen seiner natur näher stehenden halbtie-
rischen gebilden unterhält, Faust erst später sie sieht, wo er denn
s< Ibst in diesen halbtierischen gestalten bedeutenden sinn entdeckt.
Da< Schema lautet: „Die luftwandler. Faust auf klassischem boden.
Sie trennen sich. Mephistopheles umherwandelnd. Komt zu den grei-
fen und sphinxen. Ameisen und arimaspen treten auf. Mephisto-
pheles, die sphinxe und greife. Fortsetzung [des gesprächs]. Die Sire-
nen." Im februarschema wird durch versehen die trennung erst
_ ä :t nach der „anfrage und Unterhaltung11, womit ganz kurz des
Mephistopheles gesprach mit den halbtierischen gebilden blos angedeutet
wird, weil Goethe diesen teil mitlerweile bereits ausgeführt hatte, den er
schon einige tage vor dem 24. Januar Eckermann vorlas. Zuerst sieht
er die allertierisehsten gestalten, die greife, die sich hier als höchst
beschränkte etymologen blosstellen; die arimaspen und die goldschar-
!)den ameisen gehören zu demselben kreise. Näher fühlt sich der
mittelalterliche teufel von den sinnigen sphinxen angezogen, so dass er
sich sogar zwischen ihnen niederlässt; aber diese beweisen ihm, dass
ihn kennen. Doch sind sie ihrer selbst so gewiss, dass sie seine
gegenwart nicht scheuen, überzeugt, dass er es nicht lange bei ihnen
aushalten wird, während die greife ihn unwillig weggewiesen hatten.
Als dritte halbtierische gestalten erscheinen auf den päppeln die Sire-
nen, die durch ihren gesang schon auf eine höhere stufe deuten, aber
die sphinxe können es nicht unterlassen, sie als verderbliche vögel zu
verraten. Mephisto, der davon nichts zu fürchten hat, verspottet ihren
gesang, doch zieht er sich dadurch eine bittere Verhöhnung der sphinxe
zu. Für diesen teil der Walpurgisnacht waren vielleicht die verse des
Mephistopheles in der ersten reinschrift bestirnt (Paralip. 150):
Das äuge fordert seinen zoll.
Was hat man an den nackten beiden?
Ich liebe mir was auszukleiden.
Wenn man doch einmal lieben soll.
Ich v - mir kaum zu deuten, wenn Schmidt dazu bemerkt: „Zwi-
ben 7083 und 7084 [kann doch nur heissen -ollen nach 7083!],
besser nach 7085. - Beides ist schon des abweichenden versmasses wegen
ENTSTEHUNG VON PAUST n 95
unmöglich. Goethe verwarf später diese für Mephistopbeles gedichteten
\iTse.
Jezt erst kommt Faust, der Vorgehens nach Helena gesucht hat,
zu der stelle, wo Äfephistopheles sieh mit den halbtierischen gestalten
unterhalten hat. Diese, die hier noch immer sieh befinden, machen
auf ihn einen ganz andern eindruck; auch im widerwärtigen erkent er
grosse, tüchtige züge. Ursprünglich sprach hier Faust die verse:
Solch ungeheuer hätt' ich verflucht;
Das unvernünftige seh» int unmöglich.
Da, wo man die geliebte sucht,
Selbst ungeheuer sind erträglich,
die später mit wesentlicher Umgestaltung dem Mephisto in den mund
gelegt wurden (7191 — 94). Sie scheinen sich aus einer früher abwei-
chenden fassung dieses auftreten s von Faust erhalten zu haben. Paust
erhält von den alweisen sphinxen die ihn fördernde Verweisung an den
in dieser geisternacht herumsprengenden Chiron. Dem versuche dry
>irenen, ihn zu verlocken, würde er entgehen, wenn ihn auch die
sphinxe, die jene hassen, nicht vor ihnen warnten. Schon im januar-
schema liiess es: „Faust in betrachtung der gestalten. Hinweisung auf
Chiron. Die stymphaliden." Die verse von Chiron 7200 fg.:
Der sprengt herum in dieser geisternacht;
Wenn er dir steht, so hast du's weit gebracht
waren erst nachträglich gedichtet; denn sie stehen mit Mephistos anbrii-
derung an die sphinxe (7112 — 7131) auf einem blatte, dessen rück-
seite auf den nächsten auftritt mit den werten deutet: „Siymphaliden,
Faust und Chiron." Auch die rede der sphinx (7210 — 7213) hat sich
mit andern auf einem blatte erhalten, nur steht dort im vorlezten verse
grossen statt hohen. E. Schmidt hat s. 223 das misgeschick gehabt,
sich der längst bekanten, sogar durch ihre absichtlich steife fassung
auffallenden verse nicht zu erinnern und sie deshalb als paralipomenon
(156) zu geben. Er teilt sie, ohne den geringsten zweifei zu äussern,
dem Xereus zu, indem er auf 8122 fg. verweist, wo dieser sagt, ver-
gebens habe er den Paris gewarnt. Noch schlimmer ist es, dass hier
das zutrauen auf die Zuverlässigkeit seiner lesungen bedeutenden abbruch
erleidet; denn er lässt als unzweifelhaft der Grossen chöre statt des
unzweifelhaft dort stehenden den grossen (allenfals Grossen) Chiron
drucken. Wie soll man dem vollen glauben schenken, der aus Chiron
herausliest chören? Im vorhergehenden verse liest er ein mahl, fügt
aber in klammer „oder unsern" hinzu, was das richtige trift. Das
unzweifelhafte dir des lezten verses versieht er mit einem fragezeichen,
96 DÜNTJEBR
von dem man nicht genau weiss, ob es auf Unsicherheit der Lesung
oder darauf deutet, dass - - zu der beziehung auf die4 rede des Nereus
nicht recht stimt Übrigens ist die ganze stelle 7202—7213 in der
eisten reinschrift der Walpurgisnacht erst später angeklebt, also nicht
ursprünglich.
Nach Fauste entfernung, den es treibt, dem Chiron zu begegnen,
Iten andere wüste tierbildungen , an denen es auch den Griechen
nicht ganz fehlte, den Mfephistopheles belästigen, er dann durch die
verführerischen landen von den sphinxen weggezogen werden, die er
später hier widerzufinden lieft. Im ersten schema hiess es: „Die stym-
phaliden. Köpfe der lernäa [lernaea hydra]. Mephistopheles und
lamien." Hiemach könte es seheinen, als ob Faust jene ungetüme
bemerke, aber durch sie nicht aus der fassung gesezt werde. In die-
m falle wäre die jetzige anordnung, dass sie erst nach dessen ent-
fernung vorübereilen, eine entschiedene Verbesserung. Nach der hand-
iriftliehen Überlieferung (Schmidt s. 47. 55) muss Goethe früher daran
gedacht haben, den Mephistopheles gleich darauf zu den sphinxen zu-
rückkehren zu lassen, was er später aufgab, da er vorzog die Ver-
lockung und abfertigung des teufeis von den lamien weiter auszuführen.
Hiermit ist die stufe der halbtierischen bildung der griechischen
kunst abgeschlossen, wenn auch noch gelegentlich solche gestalten vor-
kommen; wir treten in die zeit rein menschlicher gestaltung, der Helena
angehört, in die aber auch der weise centaur, der erzieher der beiden,
noch hereinreicht. Das sich zunächst anschliessende auftreten des Faust
am Peneus, dem hauptflusse Thessaliens, war im Januarschema übei-
_ ingen, nur nachträglich eingetragen mit der ausfuhr ung: „röhr und
weidengeflüster und pappelzweige ", wofür es im februarschema
heisst „rohr[-] und schilfgeflüsti r. Weidenbusch [-] und pappelzweig [-]
- In einer skizze lesen wir: „Faust (am Peneus). Nocli ist
ihm nicht geholfen. Alles [was er bisher hier gesehen,] hat nicht an sie
herang ht. Deutet auf eine wichtige vorweit. Sie aber tritt in ein
gebildetes Zeitalter. ttlichen Ursprungs. Lebhafte erinnerung. Leda
und die schwän Wie wundervoll ist dies jezt in Fausts selbst-
sprach ausgeführt! Der fluss Peneus (Peneios, wie Goethe nach Rie-
mers vorschL - ihrieb) und seine nymphen treten als mit menschlicher
räche belebte gottheiten ihm entgegen. Die begeisterte Sehnsucht
lässt ihn an einer zum baden einladenden stelle den träum, von dem
Homunculus berichtet hat, vor seinen wachen sinnen widerholen, ja er
glaubt die Verbindung der Leda mit dem götterkönige vor sich zu
schauen.
ENTSTEHUNG VON FAUST II 07
Das erste Schema fahrt fort: ..Faust und Chiron", wozu das zweite
„sich entfernend" hinzufügt Am 24. Januar, also vor dem februar-
schema, sagte Goethe zu Eckermann: „Faust ist jezt mit Chiron zu-
sammen, und ich hoffe, die scene soll mir gelingen." Und der so
bedeutsam in die heldenzeii einfahrende, aber auch schon den unter-
gang der griechischen freiheit berührende bericht Chirons und Fausts
Unterredung mit ihm sind dem alten dichter wunderbar gelungen, der
hier gerade noch alles zu tun fand. Hierher gehörte wo] auch das
bruchstück:
Hier von Skotusa bis zum Peneus dort,
Wo . . .,
das E.Schmidt (s. 222) dem Anaxagoras zuschreiben und auf dessen rede
7865 fgg. beziehen wolte, wozu es gar nicht passt, da dort eine nähere
Ortsangabe ganz ungehörig wäre; wogegen die beziehung auf die Schlacht
bei Pydna sehr nahe liegt, so dass der vers an der stelle stehen solte,
wo wir jezt lesen (7465 fg.):
Hier trozten Rom und Griechenland im streite,
Peneios rechts, links den Olymp zur seite.
Nicht weniger muste der dichter seine ganze kraft anstrengen,
um die erders chütt er ung darzustellen und zu einem lebendigen
gliede der bunten nacht auszugestalten. Im ersten Schema finden wir
bloss: ,, Sirenen sich badend. Erderschütterung. [Späterer znsatz ist
S eis mos.] Flucht nach dem meere eingeleitet. Beschreibung des berg-
wachsens. Sphinxe [bemerkungen der sphinxe] zum entstehen des bei-
ges. [Nachträglich eingeschoben: steinregen. Thaies. Anaxago-
ras.] Ameisen. Greife. Pygmäen. Kraniche. Wetstreit Daktyle.
sonst däumchen genant. Mephistopheles von landen zurückkehrend.
Motiv seiner weiteren forschung." Das zweite schenia hat sphinxe
incommodiert, worauf die worte ameisen . . . forschung fehlen,
dagegen findet sich: „Anaxagoras den steinregen veranlassend. Thaies
den Homunculus zum meere einladend. Mephistopheles und Dryas.
[Zusatz, später gestrichen: Derselbe die Phorkyaden. Abschluss
dieser Unterhaltung.] Begegnen schlangen. Findet die sphinxe wider.
Verwandelt sich in ihrer gegenwart [in eine phorkyade]. Abscheu und
abschluss [doch wol des auftretens Mephistos in dieser nacht. Vgl.
8032 fg.]. Heisser wind und sandwirbel. Der berg scheint zu ver-
sinken. Mephistopheles schlichtet." Dieser scheint hier nach dem
abschluss an ungehöriger stelle zu stehen.
So war während der drei wochen, die zwischen beiden entwürfen
liegen, der inhalt erweitert worden. Dasjenige aber, was im zweiten
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXLTI. «
DÜNTZER
entwürfe fehlt, hatte Goethe nicht etwa fallen lassen, sondern er
übergieng es, weil er es in der Zwischenzeit wirklich ausgeführt hatte.
Den schluss des zweiten Schemas gestaltete er später ganz um. Wenn
bereits im ersten der kämpf der pygmäen mit den kranichen geplant
war. so folgt daraus keineswegs, dass dieser als rachekrieg gedacht war
und schon sinbildlich auf den erbitterten streit zwisen den Yulkanisten
und Neptunisten deuten solte. Das aus dem ersten plane beibehaltene
erdbeben hat mit der almählichen ausbildung der kunst bis zur rein-
n idealität nichts zu tun; aber der dichter bonuzte die tolle geister-
naeht. um seinen spott über die parteikämpfe der geologen zu ergiessen.
Damit brachte er einesteils die entstehung des Homunculus in Verbin-
dung, andererseits die Verlegenheit des Mephistopheles, der sich in die-
3 r neuen erdbildung nicht zurechtfinden kann und endlich in der
höhle der wüsten phorkyaden die ihm gemässe gestalt findet, jedoch nicht
mehr zu den sphinxen zurück gelangt, deren wesen auf gesunder,
wenn auch noch roher grundlage beruht. Aber Mephistopheles, der
„alte sünder" muss vorher noch durch die lamien wirklich genart wer-
den, wobei der dichter sich glücklich der schon in dem frühesten plane
vorkommenden Empusa bediente, wie er bei der Verwandlung des teu-
feis in eine phorkyade den dortigen vertrag mit der Enyo in entspre-
chender weise umgestaltete.
Erfindung und ausführung sind in diesem teile der Walpurgis-
nacht ganz ausgezeichnet, wie man sie kaum dem achtzigjährigen zu-
trauen solte. Verhältnismässig wenige frühere, später verworfene
sangen einzelner stellen haben sich erhalten. Die meisten derselben
ziehen sich offenbar auf das erdbeben, und sie sind meist auch von
E. Schmidt nicht verkant worden; doch ist dabei wol zu unterscheiden.
Wir sahen, wie nach dem ersten plane der riese Enceladus die erde
aufwühlt: jezt wird ein besonderer gott Seismos, den man in einer
lle Piatos zu finden glaubte, mit dem erdbeben betraut. Aber der
dichte]- scheint ursprünglich das erdbeben dem gott der unterweit zu-
geschrieben zu haben, wie er es 1797 in dem chorgesange seines
befreiten Prometheus tat, wo Hades als erderschütterer erscheint
the -Jahrbuch IX. 4). Anders kann ich mir Paralip. 142 nicht
deuten:
Wenn er mit seinem werbe kost.
Dann sprüht der erdkreis von vulkanen,
Und alj teigen spitzig auf,
obgleich E. Schmidt unbedenklich diese verse dem Seismos gibt, als ob
auch ein weil, desselben mit ihm gegeben wäre. Mich erinnern die verse
ENTSTEHUNG VON PAUST II 99
an den schluss von Goethes „Götter, beiden und Wieland", wo Pluto
unwillig ausruft: „Kann man nicht einmal rahig liegen bei seinem
weibe", und glaube, dass nur Pluto gemein! Bein könne. Unter den
trochäischen verseil (Paralip. 133):
Ohne grässlichcs gepolt« t
Konte keine weit entstehn
stehen unmittelbar die jambischen:
Nur durch pintonisches gepolter
Kont' eine schöne weit entstehn,
von denen Schmidt nicht einmal sah, dass es eine jambische Fassung
derselben verse ist. Sie erinnern an Pluto. An diesen könte man
auch bei Paralip. 136 denken:
Diese schöne glatte flur,
Und es ist das gas sylvestre,
Das mir einst im schlaf entfuhr.
Schmidt versichert, dass seine lesung Gas sylvestre, wie die kohlen-
saure früher hiess, sicher stehe. Dabei hätte bemerkt werden können,
dass kohlensaure in vulkanischen gegenden zuweilen aus erdspalten her-
ausströmt. Auf die anwendung des griechischen namens Seismös
seheint auch Paralip. 138 launig zu deuten:
Eeden mag man noch so griechisch,
Horts ein Deutscher, der verstehts,
das Schmidt auf Wagner bezieht „nach dem altern plan-, wobei ich
seine bemerkung „zwischen 134 und 135u nicht verstehe, da er beide
mit recht auf den Seismos bezieht. Seismos solte sich wo] selbst mit
seinem griechischen namen einführen: „Ich bin der Seismo Auf
Pluto als frühern erderschütterer deutete Seismos selbst in den versen
(Paralip. 137):
So bin ich der gott der winde.
All das alte dumme zeug,
Nord- und süd- imd west-gesinde,
Höhen alle meer und reich (?)
Steigt durch losgelassne kräfte
Himmelan . . .
Pluto hat es mir vermacht.
Schmidt hat keinen versuch gewagt, das falsche reich zu verbessern.
7*
100 DthUTZBH
Es ist ohne Zweifel gleich zu lesen und komma nach meer zu setzen.
Auch Paralip. 135 gibt der herausgeber nicht richtig:
CTnd man sagt mir die Titanen
Hatten alles das gestürmt
Und zu onerstiegnen bahnen
Das gebirgswerk aufgetürmt.
Statt mir (1) muss es nun heissen, statt Hatten (2 Hatten). Wenn
S Lsmos jezt (7560 fg.) sagt, er habe ..in geselschaft von Titanen" gewirt-
schaftet, so hiess - früher, er habe die gebirgswelt gebildet, und nun
man. das hätten die Titanen getan. Ein andermal Hess Goethe
dein Seismos als eine art pustrich den witz machen (Paralip. 134):
Als ich einstmal stark gehustet,
Wusst' ich nicht wie mir geschah,
Haft" ich sie herausgepustet
Und sie stöhn als berge da.
Die verse hatte Goethe zweimal auf ein blatt geschrieben, und zwar
ind das erste mal 2 ich gar nicht was, 3 Hab', 4 Götter (statt
Berge). Für die rede der Oreas (7811) waren ohne zweifei die verse
(Paralip. 141) bestirnt:
An deinem gürtelkreis, natur,
Auf urberühmter felsen spur,
die Schmidt vermutungsweise dem Faust selbst zuschreibt. Dagegen
a hörte Paralip. 140, zu welchem er nichts bemerkt:
Du schärfe deiner äugen licht;
In diesen gauen scheints zu blöde.
Yon teufein ist die frage nicht,
Von göttern ist alliier die rede,
der Dryas an. welche damit den Mephistopheles zurechtweisen solte
_ . 7 159 ig.); wenn nicht auch dieses noch der Oreas angehörte, da es
fraglich bleibt, ob ursprünglich noch eine Dryas nach der Oreas auf-
treten solte. Dass Paralip. 152:
Zum edlen zweck es abzutreten frei,
•h auf das äuge der Phorkyaden bezog (vgl. 8015 fgg.), hat Schmidt
merkt Paralip. 143 — 146 gehören kaum zum Faust: 143, 4 ist wol
höhen "der höh'n statt höhlen zu lesen, 3 eigenes statt eignes
zu ä tzen, statt des nicht reimenden gerne etwa getön (musik). Auch
di- ziehung df- Spruches 139 auf Mephistopheles bleibt äusserst
zweifelhaft, da auf demselben blatte drittehalb lyrische (?) zeilen ste-
hen, die beginnen: „Wenn ich froh und guter dinge."
ENTSTEHUNG VON FAUST II 1 * > 1
Bis hierher, zur Verwandlung des Mephistopheles in eine phorkyade,
war die dichtung wol, mit ausnähme einzelner lücken, vollendet, als Goethe
am 22. märz 1830 Eckermann sagte, er hoffe vor dessen einen monat
später erfolgenden abreise nach Italien mit der Walpurgisnacht fertig
zu werden. Den 23. berichtet das tagebuch, die zweite reinschrift sei
schon vorgerückt und „das übrige zum ganzen durchgedacht" worden.
In den nächsten tagen wurde noch einzelnes ausgeführt, „anderes
durchgesehen und durchdacht" Den 28. märz hören wir, dass „die
nächstdurchzuführenden concepte geheftet" worden. Die dichtung scheint
nicht wesentlich fortgerückt gewesen zu sein, als Goethe am 14. april
Eckermann „den Faust übergab", d. h. die zweite reinschrift der Wal-
purgisnacht. Sir wurde vor dessen abreise noch mit ihm besprochen.
Diese war auch wol ,, der teil des Faust", den er, nach Eckermanns
abreise, am 24 april an Riemer sante, mit dem er drei tage später die
fortsetzung besprach. Nur noch ein paar mal gedenkt das tagebuch vor
dem december des Faust: am 12. juni, wo er „die betrachtung d
Faust wider vorgenommen"; zwei tage später wurden „ hauptmotive
des Faust abgeschlossen." Damals muss die Walpurgisnacht fertig
gewesen sein; in einem briefe nach Genua hatte Goethe verkündet, da
„die lücken und das ende der Walpurgisnacht glücklich erobert" seien,
wie wir aus Eckermanns brief an Goethe vom 14. September ersehen.
Dieses ende hatte dem dichter viele Schwierigkeiten gemacht, da
hier eben noch alles zu erfinden und auszuführen und zu einer leben-
digen handlung zu verbinden war. Im Januarschema findet sich darüber
nichts weiter als die angäbe: „Sirenen flötend und singend. Mond im
gewässer. Xajaden. Tritone. Drachen und meerpferde. Der muschel-
wagen der Venus. Teichinen von Rhodus. Kabiren von Samothra*
Kureten und Korybanten von Creta." Ursprünglich hatte die stelle Tei-
chinen . . . Kreta vor Xajaden gestanden, vor welchem noch vor-
her sich fand. Erst darauf folgte der auftritt mit Chiron und Manto.
Im februarschema kehrt dasselbe wider (doch ist Kreta geschrieben),
dagegen steht statt Sirenen .. gewässer schon: „Buchten des ägäischen
nieeres. Sirenen. Thaies und Homunculus. Nereus und Proteus."
Also war hier schon das auftreten des meergotte- Nereus und des got-
tes der Verwandlung vorgesehen, da Homunculus zur entstehung gelan-
gen solte. Aber es fehlte die ganze darstellung, wie die weiblichen
und männlichen begleiter der Yenus (die Najaden standen statt der
späteren Xereiden) aus fischgestalten verklärt werden solten, womit die
Verspottung der mythologen in bezug auf die Kabiren zusammenhing,
es fehlten die als zauberer überlieferten Psyllen und Marsen, welche
102 DÜNTZER
später an die stelle der Kureten und Korybanten traten, es fehlten die
Doriden als rettei des schifferknaben, wol ein sehr spater zusatz, und
Qoch hatte der dichter sich nicht entschieden, der durch Baphael ver-
ttliehten Nereustochter Galatea die stelle der Venus einzuräumen.
Obgleich das Schema das zerschellen des Komunculus am muschelwagen
und den abschliessenden preisgesang aller vier demente nicht erwähnt,
wann diese doch wo! schon in aussieht genommen. Die eigentliche
dichterisch»' gkederung dieses glänzenden abschlusses muste erst bis
ins einzelnst« mnen werden, ehe Goethe an die ausführung gieng,
die ihm verhältnismässig rasch gelungen zu sein scheint.
Von früheren, später aufgegebenen Fassungen hat sich wenig
erhalten. Der durch .. mond im gewässer" schon im ersten Schema
angedeutete einleitende gesang der sirenen findet sich einzeln skizziert
in den trochäischen reimpaaren:
Halte still am mittel himmel
Und beleuchte (zuerst dafür Scheine, mildre) das gewimmel
Diese wasserblitze leuchten
Diese wellen . . . feuchten
Denen, die daraus entstehen
s.-hwebend auf und niedergehen.
Darunter stehen die offenbar auf die fassung des Schemas zurückgehen-
den worte: Teichinen von Khodus. Kabiren von Samothrace. Coryban-
fcen von Cor." Unbegreiflich ist mir E. Schmidts allen kritischen grund-
tzen widerstrebendes verfahren. Er übersieht das allereinfachste, dass,
wenn andere Cor unzweifelhaft vorliegt, dieses verschrieben sein muss
für Cr d. h. Kreta. Er ergänzt Corybissa. Nun ist freilich Korybissa
eine der vielen korvbantischen Städte in Troas. Aber unter den dor-
tigen korybantischen orten findet sich auch ein Korybantion, das wenig-
denselben anspruch wie Korybissa erheben könte. Und es erscheint
llig unmöglich, dass Goethe die als Kreta angehörig bekanten Kory-
banten, die er auch wirklich sonst dieser grossen weltgeschichtlichen insel
zuschreibt, von einem solchen dunkeln neste hätte kommen lassen können.
In unserer Unterschrift sind die Kureten vielleicht durch zufall wegge-
blieben; bei der ausführung wurden sie samt den Korybanten gestrichen.
Noch ein anderer früherer versuch <]<■< sirenenliedes hat sich
erhalten. B. Schmidt führt als Paralipomenon 151 an:
Der wirds wer unserm ziele bringt [?]
Der sich sogar herniederzwingt
Jezt im mitten [himmel ausgestrichen] stille stehn
Zu unsre heiligen festen sehn.
ENTSTEHUNG VON FAUST II 103
Dabei bemerkt er: „Die beiden reimpaare haben vielleicht gar keinen
Zusammenhang'." Augenscheinlich sind es zwei vorsuche von stellen
des sirenenliedes SO.'M fgg., das der tliessalischen trauen gedenkt, deren
zauber dn\ hier angeflehten mond „bei nächtigem grauen frevelhaft
herabgezogen." V. 1 ist jedenfals Der dich, 2 dich statt sich zu
Lesen. Nach Der dich (1) könte man vermuten nach iinserm wil-
len dringt, wäre die vorläge nicht zu ungenügend. Facsimiles selten
in der Faustausgabe nicht gespart sein. 3 und 1 sind stelin und
sehn von einem vorhergehenden mögst du abhängig geacht, und im
mitten sezt ein vorangehendes himmel voraus. Im Lezten verse hatte
Goethe ursprünglich Zu geschrieben, darauf Und geändert, aber lez-
teres gestrichen, Zu aus versehen stehen lassen, auch den falschen
dativ Festen neben unsre. Der vers solte lauten: Unsre heiligen
feste sehn.
Richtig hat E. Schmidt bemerkt, dass die auf demselben blatte ste-
henden Paralip. 15-4 fg. dem Nereus und dem Proteus angehören selten.
Wenn auf einem andern (Paralip. 126) steht: Interloc Sirenen (Cho-
rus). Nereus Proteus Thaies. Homuneulus", so hat Schmidt irrig
ergänzt Interlocution statt Interlocutoren (sprechen.
In Paraüp. 149:
Wenn du entstehn wilst, thut du immer besser,
Du wirfst dich ins ursprüngliche gewässer.
Es ist zu klar
ist thut doch wol blosser druckfehler statt thust. Schmidt bezeichnet
die verse mit: „Thaies zu Homuneulus u, was aber seiner eigenen Ver-
weisung, man solle besonders 8260. 8315 vergleichen, widerspricht.
Proteus solte die worte sprechen, an deren stelle jezt die wol eim|
zeit später gedichteten verse 8260 fgg. getreten. Thaies, obgleich ent-
schiedener Vertreter des wassers, gibt dem Homuneulus keinen rat: er
rät ihm nur ab von der Verbindung mit kleinen, dann führt er ihn
zum meeresfest und bringt ihn zum Xereus, aber dieser verweigert
seinen rat und verweist ihn an Proteus: erst als dieser sich in einen
delphin verwandelt hat und den Homuneulus auffordert, ihn zu bestei-
gen, redet er ihm zu, dem gotte zu folgen.
Wie viele frühere skizzen und abgebrochene versuche der ausfah-
rung auch verloren gegangen sein mögen — aus den fast auf wunder-
bare weise geretteten ergibt sich, mit welcher unendlich liebevollen
Sorgfalt der dichter den anfangs rohen plan almählich ausgebildet, durch
sinbildliche und anspielende bezeichnungen gehoben und zu einem in
sich abgerundeten, freilich märchenhaften ganzen geschaffen hat; und wie
104 HOLSTEIN
er keine mühe scheute, die ihm vorschwebenden Vorstellungen und bilder
zum vollendetsten aiisdruck zu bringen. Und dies ist ihm auf stau-
nenswerte weise gelungen, wenn auch bei diesem für den achtzigjäh-
rigen ungeheuren werke manches hie und da noch hätte verbessert
und einzelnes nicht ganz gelungene umgegossen werden können. Das
gium corpus leidet wenn;- durch diese naevi inspersi, es ist
und bleibt ein caelatum novem Musis opus.
KÖLN. U. DÜNTZER.
ZUR TOPOGRAPHIE DEE FASTNACHTSPIELE.
Von den 132 fastnachtspielen aus dem 15. Jahrhundert, die wir
dmi grossen sammelÜeisse Adalbert von Kellers verdanken, sind
nr. 107. 110 und 119 als dem 16. Jahrhundert angehörig auszuscheiden.
Ausserdem entstammen sie der Schweiz, während die anderen deut-
en Ursprungs sind. Die meisten von ihnen sind in Nürnberg
entstanden, einige gehören nach Augsburg. Ein sorgfältiges Studium
der fastnaehtspiele würde manche aufschlüsse über häuser und platze
dieser beiden städte ergeben; auch beziehungen auf kirchen, bilder und
bauwerke finden sich, welche von ortskundigen forschem mit leichtig-
keit gesammelt werden könten, um ein belebtes bild der beiden wich-
n deutschen städte des mittelalters darzubieten. Schon Keller hatte
auf diese fundgrube deutscher kulturgeschichte aufmerksam gemacht.
Er sagt & 1076 hinsichtlich Nürnbergs: „Nürnberg als die durch reich-
tuni blühendste, durch gewerbfleiss und kunst gebildetste stadt des
damaligen Deutschland, recht in seinem mittelpunkt gelegen, war die
wiege des komischen dramas. Zahlreiche anspielungen und ortsbezie-
hungen in der mehrzahl der fastnachtspiele weisen auf örtlichkeiten
und verhälti: Nürnbergs und seiner nächsten Umgebung hin." Bei-
spielswi seien hier die fleischbrücke (s. 157, 22), der gostenhof
(37. 5), der obstmarkt (543, 21), die tuchscheerergasse (211, 6. 217, 5),
der Luginsland, d. i. ein wartturm in der Stadtmauer, in welchem das
der zum tode verurteilten Verbrecher war (633, 9), das Wirts-
haus zum guldin hirßen (111, 32), zum tauben etlein (96, 33), zum
ploben stern (113, 3) erwähnt.
Übrigens folgt aus der erwahnung einer örtlichkeit nicht immer,
dass das betreffende spiel an diesem orte entstanden sei. Dies ist z. b.
der fall mit Bamberg, dessen in drei spielen erwahnung geschieht.
277. 7 sagt der precursor:
TOPOGR. DER FASTNACHTSPIKLl! 105
Hier kumpt von Bamberg auß dem stift
ühsers herrn bischofs sigler her.
320, 7 sagt cbcnfals der precursor:
Unser herr der bischof von Babenberh1
Hat angefangen ain neues werk.
Und 851, 13 sagt der herold:
Der ander hat einer die ee geredt,
Dorumb man in gein Bamberg ledt.
Die erwähnung Bambergs und des bischofs von Bamberg rechtfer-
tigt keineswegs den schluss, dass diese spiele in Bamberg entstanden
seien; vielmehr wird auch hier Nürnberg als der entstehungsort anzu-
nehmen sein.
Aus der nächsten Umgebung Nürnbergs lernen wir das dorf
Poppenreut (127, 14) als den ort kennen, an welchen der wirt die
nach den Spielern des „Morischgentanzes" fragenden leute weisen soll;
denn dorthin wollen sie nach beendigung des Spieles gehen, um ein«'
hochzeit zu feiern. Feiner nent sich 109, 6 der precursor Heinz Mist
von Poppenreut. Ein an der Pegnitz belegenes dorf wird nicht näher
bezeichnet.
78, 9 Wir klimmen da herein auß eim dorf nit ferr,
Das Ugl m edler uechst draußen, elo die Pegnit\ her fleußt.
Die Pegnitz selbst wird 255, 23 und 634, 17 erwähnt. An der
ersten stelle wünscht der bauer seinem zanksüchtigen weibe, dass
„man dir ein sack an hals icurcl kaufen
Und mit dir durch die Pegnitz wurd laufen,"
An der zweiten stelle sagt der bauer von seinem buhlen:
Meins puln hutd ich lieber kür,
Denn das ich mit dem ars in eli Pegnitz gefrür.
In demselben spiele von der grossen liebhabervasnacht tritt uns auch
die Donau entgegen. 633, 7 fg. sagt der dritte bauer:
Mir liebet mein allerliebste frau
Für schleimen über die Thonau.
Und im „Morischgentanz" lässt der achte narr das schöne fräulein sagen:
. . Wut elu darauf schlahcn,
So must elu dich vor paden und iwahen
In der Tuneiu . . (125, 12 fg.)
1) [Die ähnlichkeit mit dem anfange von Ezzos gesang (MSD XXXI, 1) ist
doch wol nur zufällig?! Red.]
106 HOLSTEIN
In der nähe der primmelwiese (517, 4) befindet sich ein guter acker:
Kr ist einer solchen guten art,
Wr beugt sich selber aUe fort
Und ist an dem Lieh- fehl gelegen. (517, 14.)
Es möge nun <'in<i reihe bairischer Ortschaften folgen, die in den
fastnachtspielen erwähnt werden: Altenberg, Wetzendorf, Obernpnch,
Fürth im Walde (54, 35. 55, 1. 5. 7); Altheim (245, 31); Dingelfin-
d (194, 20); Erlenstegen (96, 32. 99, 33. 112, 34. 157, 9. 718,
25 : Hürnheim (620, 21); Kauenfeld (718, 13); Rotenbach (543, 1);
S hmrVenhausen. jezt Schrobenhausen (340, 36); Schnieglieg (567, 8).
Hin badischer ort ist Niclashausen (4S0, 23), ein württembergischcr
Tripstrüll, der in der Schreibung Trippotill (303, 9) nnd Treffentrüll
(759, 33) erscheint Mehrere Ortsnamen sind wol phantasiegebilde :
Plenenstein, Greineck und Knütelbert (632, 25), sowie Aukuckenlant
(.".tiT. 28) und M'lhst\vrst;'indlich Wisehmirsgesäss und Arslaffenrent (345,
12. 13).
Wie selbst eine einfache datierung im stände ist die heimat eines
Spieles nachzuweisen, beweist das spiel nr. 40, welches am Schlüsse die
notiz enthält: „Finis am Erichtag vor Viti 1486 jar" (313, 11). Nun
i-t der Erich- oder Erchtag eine in Baiern geläufige benennung des
diensl igs, folglich ist das spiel in Baiern entstanden. Keller s. 1499
merkt unter venveisung auf Hurter, kaiser Ferdinand II, 5, 396,
dass die erzherzogin Magdalene am ascherrnitwoch 1608 in einem briefe
• _ flu' dienstag schreibe.
Wir haben bisjezt den schon bekanten nachweis von der vor-
wiegend bäurischen heimat der mehrzahl der fastnaehtspiele geliefert;
dass aber auch fränkisch- thüringischer Ursprung geltend gemacht wer-
d kann, war bisher der beachtung entgangen. Wir meinen das spiel
nr. 128 vom Maister Aristotües (Xachlese s. 216 fgg.). Dass die spräche
(h-> Stückes fränkisch ist. sah Keller (s. 230); aber auf die darin vor-
kommenden Ortsnamen hat er nicht aufmerksam gemacht.
Nachdem zuerst ein gewapneter sich mit seinem banner vorgestelt,
erscheint der schütz mit einer armbrust und gebietet allen, die zum
anhören des Spieles erschienen sind, ruhe: alle gemein, beide gro
und klein, alt. jung, kegel und kind, alle die hier versammelt sind.
216. 15 Von darffer, stet, ir purger,
Seyt ir auch kommen her,
/rill ich (irr]/ .<(iij< // (Iris,
Das ir schweiget on allen haß!
TOI'OGR. DER FASTXA' IITM'IELE 107
Nun fährt er fürt mit der aufzählung der einzelnen Ortschaften:
Von Pintterslewbm, Metzkan und Fewt,
20 Schweyget an disem tag hewt,
217, Von Hilbersgehoffen ir tv/mben lewte
5 Und ir rochen von Ebenergerewte,
Von Gisjperflewben (1. Oisperslewben) ir stuben voll
Ami/ sweigen dy von Simntstet wol!
Von Hochhaym ir schottentrit,
Schweyget und redet ain fror/ nit!
10 Und ir küttendrescher von Rewtj
Schweiget an disem tag hewt
Und sehet mit züchten unser spilJ
Es werden hier folgende orte genant: Bindersleben, Metzkan, Fcut,
Hversgehofen, Ebenergereute, Gispersleben , Simntstedt, Hochheim und
Reut. Von diesen sind Metzkan, Feut, Ebenergereute und Simntstedt
nicht nachzuweisen ; die übrigen jedoch sind sämtlich als im gebiete
von Erfurt liegend nachweisbar. Nun könten die vier genanten dörfer
zu den Wüstungen gehören, aber sie fehlen sowol in Werenburgs Ver-
zeichnis1 als in des freiherrn v. Tettau „Geschichtlicher darstellung des
gebietes von Erfurt"2 und werden unter den zehn orten, welche die
stadt Erfurt im laufe der zeit aufgesogen hat, nicht genant; höchstens
könte man unter der nicht unberechtigten amiahme, dass Simntstet in
der hs. für Smitstet verlesen ist, der wüstnng Schmidtstedt, welche
sich in den Verzeichnissen findet, einen platz anweisen, während die
drei anderen wol zu den Wüstungen Frankens zu rechnen sind. Ich
wolte mit dieser auseinandersetzung nur darauf aufmerksam machen,
dass die fastnachtspiele auch eine quelle für historisch -geographische
Untersuchungen bilden.
Die übrigen orte: Bindersleben, Hversgehofen, Gispersleben, Hoch-
heim und Roda (Reut) scheinen mir unzweifelhaft festzustehen, wenn
auch die Schreibung der hs. eine andere ist. Die Schreibung Pintters-
lewben entspricht zwar nicht den verschiedenen urkundlichen formen:
Biltersleuin , Biltersleben , Bilterichesleybin , Biterichesleibin , Biltirsley-
ben, Bilterslaibin , aber ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass die heu-
tige form Bindersleben, die ja von dem echten Thüringer sicher stets
Pintersleben gesprochen wird, bereits zu ende des 15. Jahrhunderts die
1) "Werenburg, Die namen der Ortschaften und Wüstungen Thüringens in den
Jahrbüchern der akademie der Wissenschaften zu Erfurt, n. folge heft XII.
2) Ebendas. heft XIV (1886) mit einer Übersichtskarte.
108 ERDMANN
übliche war? Auch bei Hilbersgehoffen kann ein zweifei nicht auf-
kommen: der ort heisst in den Urkunden zuweilen Hilbrechtshofen.
Ebensowenig ist Qisperslewben — denn so ist statt Gisperflewben zu
lesen — anzufechten; die beiden nebeneinander Liegenden dörfer Gispers-
ieben Kiliani und Gispersleben Viti sind 6 km. nördlich von Erfurt entfernt.
Hochhaym = Hochheim, 4 km. von Erfurt gelegen, wird nach gütiger
mitteilung dos freiherrn v. Tettau zum unterschied von dem bei Die-
tendorf gelegenen Kornhochheim Veitshochheim genant. Den ort Rewt
endlich möchte ich für Boda bei Erfurt in anspruch nehmen, obwol
in Baiern zwei dörfer namens Reut und Reuth existieren. Es ist mir
nicht zweifelhaft, dass das spiel vom Maister Aristotiles in einem Thü-
ringer orte aufgeführt, aber von einem fränkischen oder bairischen
dichter verfasst und niedergeschrieben worden ist, dem die benennung
•da identisch mit Reut erschien. Denn die endsilbe -reut ist Thürin-
_ d durchaus fremd und erscheint erst in den zu Franken gehörigen
landesteilen wie im Voigtlande, während in Thüringen an seine stelle
die endung -rode oder -roda tritt. Aus demselben gründe ist auch das
hon besprochene Ebenergerewte, sofern man nicht Ebenergerode deu-
! will, nach Franken zu verweisen.
WILHELMSHAVEN. H. HOLSTEIN.
ZUM EIXFLUSS EXOPSTOCKS AUF GOETHE.
.. Trunknen vom letzten Strahl
Heiß' mich, ein Feuermeer
Mir im schäumenden Aucj ,
Mich geblendeten, taumelnden
In der Hölle nächtliches Thor.
Töne, Schwager, dein Hörn
Baßle den schallenden Trab,
Haß der Orcus vernehme: ein Fürst kommt,
Drunten von ihren Si: \en
Sich du Gewaltigen lüfften.'1
So lautote bekantlich der schluss des gedientes „An Schwager Kronos"
in der ältesten, zum ersten male von Suphan in dieser Zeitschrift VII,
209 fgg. veröffentlichten gestalt. Suphan vermutete bereits (s. 212),
dass die — in der spateren fassung des gedientes unterdrückte und
durch eine andere, mildere und gemütlichere ersezte — Vorstellung
von „gewaltig'ii" in der unterweit, welche den neuen ankömling als
EINFLUSS KLOPSTOCKS AI P GOETHE 100
einen noch höher stehenden ehrend begrüssen, aus Klopstocks Mes-
sias stamme. Aber seine hinweisung auf die worte des Kaiphas im
vierten gesange brachte keine deutliche and namentlich auch keine
inhaltlich passende parallele zu tage. Von den erklär» tu des Goethe-
schen gedichtes hat seitdem keiner, so viel ich sehe, Suphans anregung
verfolgt; auch bei 0. Lyon in seinem reichhaltigen, aber für solche
zwecke wenig- übersichtlich angelegten buche (Goethes Verhältnis zu
Klopstock. Leipzig 1882) kann ich nichts darüber finden. Und doch
ist, wie ich glaube, eine ganz bestirnte stelle im Messias vorhanden,
die dem jungen Goethe bei abfassung jenes gedichtes vorschwebte: Däm-
lich die verse Mess. XVI, 125 fgg:
Aber wo sind die Seelen der Sklaven,
wo sind sie,
Daß sie den todten Satrapen: ihr Herrscher komme! verkünden?
Diese worte spricht bei Klopstock die sele eines eben gestorbenen indi-
schen königs, der beim erwachen aus dem todesschlummer, „von sei-
ner grosse wahne noch nicht, von ihrem taumel noch immer ergrif-
fen" (124), auch in der totenweit ehrfurcht vor seiner herscherwürde
erwartet und heischt. Dieses eigenartige und in wenigen zügen scharf
genug ausgeführte Charakterbild aus dem gedanken- und gestaltenreich-
sten, nach Hamel (Klopstockausgabe I, CLXXII) zu allerlezt begonnenen
unter allen gesängen des Messias hatte der junge Goethe so in sich
aufgenommen, dass er im Oktober 1774 — kurz nach der persönlichen
begegnung mit Klopstock — zum ausdruck des gesteigerten hochgefüh-
les auf jener zum bilde der eigenen lebensbalm gestalteten bergfahrt
sehr ähnliche worte wählen konte, wie sie dieser ebenfals, wenn auch
in anderem sinne „taumelnde" fürst bei Klopstock gebraucht.
Für sich allein betrachtet ist diese, wie mir scheint, unzweifel-
hafte Übereinstimmung geringfügig. Aber es ist doch nicht ganz unin-
teressant, durch sie den beweis dafür zu erhalten, dass Goethe im jähre
1774 nicht nur Klopstocks „Gelehrtenrepublik" begeistert begrüsste,
sondern auch den zuerst 1773 erschienenen vierten band des ^Messias"
so genau gelesen hatte, dass bestirnte einzelheiten desselben auf seine
eigenen dichterischen Schöpfungen fortwirkenden einfluss üben konten.
Wir haben also nicht nötig, bei der frage nach dem Verhältnis der
Goethischen dichtung zu Klopstocks Messias immer nur an die Frank-
furter knabenlektüre aus den ersten zehn gesängen und an das schöne
barbierhistörchen aus „Dichtung und Wahrheit" zu denken.
BKESLATT, JTTXI 1889. OSKAR ERDOIAXX.
110
LITTEEATUK.
Karl Mttllenhoff, Beovulf. Untersuchungen über das angelsächsische
epos und die ältesl geschiente der germanischen seevölker. Berlin,
Weidmannsche buchhandlung . is$<t. X und 165 s. 5 m.
Die gemeinschaftliche Veröffentlichung der uns in diesem buche vorliegenden
aufsätze hatte Müllenhoff selbst geplant Kurz vor seinem tode war auf seinen
wünsch eine niederschrift und Überarbeitung der einleitung seines Beowulf- Collegs
angefertigt worden, die ihm aber noch nicht ganz druckreif erschien. Die zeit zu
einer revision und teilweisen um- und durcharbeitung war ihm nicht mehr gegönt.
Fünf jähre nach seinem tode. wahrend welcher das manuscript der einleitung aus
K. Schröders in H. Lübkes bände übergieng, wurde dieselbe, zusammen mit Müllen-
hoffs berühmtem aufsatz über die innere geschiente des Beowulf, von Lübke jüngst
publiciert. Die auf den Vorlesungen beruhenden aufsätze bieten uns somit, wie
r in dem Vorworte bemerkt, „durchweg das resultat einer nachprüfung, die
in Müllenhoffs lezte lebenszeit hinabreichte " (s. VI). Andererseits dürfen wir
aber auch niclit vergessen, dass Müllenhoff selbst in ihnen noch nicht die endgültige
~ung seiner Beowulf - Studien erkante.
Die -Einleitung zur Vorlesung über Beovulf" (s. 1 — 109) zerfält in zwei
abschnitte: I. Der mythus (s. 1 — 12). In diesem abschnitte finden wir, knapp zusam-
mengefasst. die resultate wider, zu welchen Müllenhoff betrefs des mythischen gehal-
tes des epos schon 1848 in den abhaudlungen „Sceaf und seine nachkommen" und
„Der mythus von Beovulf- (Haupts zeitschr. VII, 410 fgg., 419 fgg.) gelangt war und
welche er 1860 in seinem achten excurs zur deutschen heldensage (ebd. XII, 282 fgg.)
streift hatte. Im detail findet sich manche beachtenswerte neuerung: für den namen
I '>■•'<>• ist Müllenhoff zu der schon früher von ihm gebilligten deutung Kembles zu-
rückgekehrt (s. 7); das Verzeichnis der an den Beav- mythus erinnernden englischen
Ortsnamen ist um Beds bröc vermehrt (s. 8). Gegen die anfährung der von einem
Beova ausgestelten Urkunde (ebd.) ist auf ten Brinks berichtigung (Beowulf s. 217
anm. 2) zu verweisen, wonach der name des schenkers Beoba lauten soll. Betrefs
ng bleibt Müllenhoff bei der annähme einer Verschiebung des mythus von
vater auf söhn, und Sceaf steht in dieser neuen darstellung noch mehr im mittel-
jtunkte des ganzen mythus: Müllenhoff vermutet, dass auch die von Beowulf gemei-
nen heldentaten mythischer art ursprünglich alle von Sceaf erzählt wurden (s. 9).
Den haupteinwand gegen diese kombination, die Verschiedenheit der berichte über
die den helden erwiesenen lezten ehren, sucht Müllenhoff zu entkräften, indem er in
der Schilderung des epos nur einen reflex oder eine Variante der alten künde von
Ida beftattung sehen will. Mau wird ihm zugestehen müssen, dass sich dem
berichte von Beowulf, dessen gestalt ein strahl historischen lichtes trift, das geheim-
nisvolle verschwinden des toten auf der meeresflut weit weniger passlich anfügt, als
der sage von dem rein mythischen, ebenso geheimnisvoll erschienenen Scyld, wes-
halb die epische dichtung den Schicksalen ihres helden einen andern schlussakt
geben mu
Der zweite abschnitt der .Einleitung": „Die geschichtlichen demente" (s. 13 — 109)
gliedert .-ich in dreikapitel, die viel des neuen und lehrreichen bringen. Mit überzeugen-
der klarhi • in dem ersten kapitel: -Di» • Graten und Schweden" (s. 13— 23) ausgeführt,
dass das ganze historische interesse des epos aufllygelac ruht, dass die historischen
belichte der dichtnng den helden Beowulf sehr passiv erscheinen und dadurch erken-
K0EPPEL . tlBER MÜLLENHOFF, BEOVULF 111
non lassen, welch untergeordnete rolle der Beownlf der Wirklichkeit spielte, dem nur
das zusammenfallen seines namens mit dem namen des angelsächsischen heros die
Unsterblichkeit gewann. Die Geaten sucht Müllenhoff im Bildlichen Schweden — eine
annähme, welche seit Müllenhdffs tod von Bugge bekämpft, vmi ten Brink und Sar-
razin meines erachtens mit erfolg verteidigt worden ist. — Im zweiten kapitel: „Die
Dänen" (s. 23—53) bemerken wir eine Unebenheit dei darstellung, welche aber wol
nur auf ein verschreiben zurückzuführen ist. Wir lesen nämlich s. 26 von den Boh-
nen des Healfdene, Heorogar, Hrodgar und Halga, dass sie als altersgenossen des
Ilygelac angesehen werden müssen, während s. 14 gesagt ist, dass wir uns die söhne
des Hredel, Herebeald, HsBctcyn und Hygelac, als ziemlich gleichaltrig mit Beowulf
denken müssen. Im epos wird Hrodgar bekantlich als greis, Beowulf als in der
blute seiner jähre stehend geschildert und dieser sagt von Hygelac: peak- de In'
"icon^ sft , folecs hyrde v. 1831b fg. Wir haben daher s. 26 für Hygelac zweifelsohne
Hredel zu lesen. Sehr beachtenswert ist der schluss, zu welchem Müllenhoff betrefs
des algemeinen Verhältnisses der dänischen Überlieferung zu der angelsächsischen
komt: „jene steht dem altersverhältnis entsprechend auf einer vorgerückteren stufe
der entwickelnng, diese noch auf einer älteren, die der wirklichen geschiente näher
liegt, ihre angaben sind daher noch weit genauer" (s. 43 fg.). — Zu anfang des drit-
ten kapitels: „Die Angeln und Sachsen" (s. 53 — 109) tritt Müllenhoff für das eigen-
tumsrecht der Angeln und Sachsen auf das uns überlieferte Beowulf- epos ein. Es
ist ,, ihr werk und bei ihnen aus lebendiger mündlicher tradition entstanden" (s. 54),
wenn auch zuzugeben ist, dass der „geschichtliche stoff, soweit er von den Dänen
handelt, einmal von Dänemark oder dem norden aus zu den Angelsachsen gekommen
ist" (s. 55). „Soweit er von den Dänen handelt" — über den weg, auf welchem
die künde von Hygelacs fall und den vorausgehenden kämpfen der Gauten und Schwe-
den zu den Angelsachsen drang, hat sich Müllenhoff folgende merkwürdige ansieht
gebildet: „die nachrieht von dieser begebenheit — und von den Geaten und Schwe-
den überhaupt — ist den Angelsachsen zweifellos von den bei der sache am meisten
beteiligten deutschen, nicht von den nordischen auwohnern der Nordsee gekommen
(s. 56). Die Friesen und Franken hatten den stärksten und unmittelbarsten eindruck
von dem erscheinen des Hygelac an der Rheinmündung empfangen und sicher zuerst
von ihm gesungen und gesagt; von ihnen erst sind die lieder von Hygelacs fall nach
England gekommen .... Die Friesen und Franken hatten auch am ersten Ursache
sich weiter nach Hygelac, seinem lande und seinen taten zu erkundigen. Dies fühlte
sie auf die fehden mit den Schweden und andererseits auch auf den dänenkönig Ilalf-
dan und sein gesclüecht" (s. 107 fg.).
Gegen diese annähme Müllenhoffs lassen sich schwere bedenken erheben. Ver-
gegenwärtigen wir uns zuerst, welchen eindruck die Franken und Friesen von Hyge-
lac erhalten haben müssen, in welchem lichte er ihnen erschienen sein muss. Ver-
heerend und plündernd fiel er in ihre gauen ein, gefangene und beute schlepte er
mit sich fort, den eigenen söhn sante der Frankenkönig gegen den gefährlichen räuber.
Hygelac wurde besiegt und getötet, aber der von ihm verbreitete schrecken lebte
weiter in dem gedächtnis der geschädigten Völker, die gestalt des feindlichen königs
wird ihnen bald ins riesengrosse gewachsen sein in jener zeit, welche geschiente
rasch zur sage werden Hess. Dass diese Steigerung ins ungeheuere wirklich statfand,
dafür haben wir ein unwiderlegliches zeugnis: den bericht des „Liber Monstrorum",
in welchem Huiglaucus Getanem rex als monstrum mirae magnitudinis geschildert
wird, als ein riese, den von seinem zwölften jähre an kein pferd mehr tragen konte,
112 KOBPPEL
äs q auf einer Rheiuinsel ruhende gebeine den fremden als ein wunder gezeigt
werden (Haupts ztschr. XI 1 . 287 fg. und Müllenhoff s. 19), So muste sich Hygelacs
g stalt in der erinnerung der gegner, der von ihm bedrohten Friesen und Franken,
spiegeln, in diesem sinne werden sie von ihm gesagt und gesungen, ein solches bild
würden sie den Angelsachsen von ihm gegeben haben. Im Beowulf aber findet sich
keine spur einer solchen anschauung, kein sängerwort wirft einen schatten auf die
scheinung und das andenken des vor der zeit hingeraften heldenkönigs. Aus hel-
omut [for wlenco 1206, vgl. 338 iL wo f<>r wlenco parallel mit for hije-ßrym-
mum steht) erfuhr er leid, fehde bei den Friesen; im prächtigen herschersitz haust
r heldenkräftige konig, der gute kampfkönig mit der milden Hygd im Gautenlande
(1923 Fgg. . als retter der seinen erscheint er im kämpf mit den Schweden (2941 fgg.);
mit fürstlicher freigehigkeit lohnt er den AVouredingen Eofor und AVulf den tod des
Ongenfteow (2991 fgg.). Ja, Hygelac tritt uns sogar menschlich näher durch seine freund-
laft für Beownlf: sehr hold ist er dem neffen (2170), mit feierlicher rede begrüsst
i heimgekehrten (197S fgg.), gott dankend, dass er ihn gesund widersehen durfte
(1997 fg.). Beowulf selbst spricht oft mit herzlicher Zuneigung von seinem Hygelac
{By7elac min 2434). dem all seine liebe zugewant ist (2149 fg.), er rühmt sich der
t"tung des Dagghrefn , des kämpen der Hugen (2501 fgg.), in welchem man gewiss mit
•ht den mörder des Hygelac vermutet. In einem ganz anderen lichte sehen die
iger die feinde des Hygelac: die Franken sind ihnen die schlechteren kampfhelden
[wyrsan vivi-frecan 1212, vgl. 2496); durchaus nicht durften sich die Hetwaren des
fusskampfes rühmen, wenige entkamen zur heimat (2363 fgg.), mit Übermacht zogen
heran (2917); der feindliche Schwedenkönig Ongenpeow ist alt und grausenvoll,
furchtbare drohungen stösst er aus gegen die umzingelten Gauten (2928 fgg.). Hätte
der bericht über Hygelac und seine feinde so lauten können, wenn die Angelsachsen
aus fränkisch - friesischen quellen geschöpft hätten ? Unmöglich — und ebenso undenk-
bar ist. dass die angelsächsischen sänger den bericht der Franken und Friesen ten-
denziös zu gunsten Hygelacs und der Gauten umformten. Nein, die künde von den
geschicken der Gauten kam den Angeln und Sachsen von den Dänen, zu welchen
die deutschen stamme in freundschaftlichem Verhältnis gestanden sein müssen, wäh-
rend andererseits das gute einvernehmen zwischen Dänen und Gauten die grundlage
des - bildet. Ton den Dänen erhielten die Angeln und Sachsen die historischen
nachrichten über Hygelac und seinen gewaltigen dienstmann, den ihre sänger in der
neuen britannischen heimat mit dem nationalen Heros Beow7 oder Beowulf ver-
hmolzen.
Yen besonderem intoivsse sind in dem dritten kapitol noch die neuen beitrage
zur erklämng der Völkerverhältnisse des AVidsid (s. 81 fgg.), welche dichtung Müllen-
hoffs aufmerksamkeit wider und wider gefesselt hat.
Auf die -Einleitung- folgt ein abdruck des für die höhere Beowulf- kritik grund-
legenden au! Müllenhoffs: „Die innere geschiente des Beovulfsu, geschrieben 1868,
erschienen im 14. band von Haupts ztschr. s. 193 fgg. Der abdruck ist ein sehr
gfältiger; man könte nur noch wünschen, dass die wenigen dem texte «inverleib-
ten späteren notizen Müllenhoffs durch den druck oder durch eckige klammern kent-
lich gemacht worden wären. Diese zusätze sind nicht bedeutend, sie dringen an kei-
ner stelle in den kern des aufsatzes; aber bei einem so feinen kritischen geiste ist
jedes schwanken, jede meinungsänderung und -bekräftigung beachtenswert. Ich stelle
deshalb für die leser des Atüllenhoffschen buches, welchen, wie mir, die älteren
bände von Haupts Zeitschrift nicht immer zur Verfügung sind, die neuen bestandteile
ÜBER TEN' BRINK, BEOWÜLF 113
der abhandlung zusammen: s. 112 z. 12 v. o. in bis 11; s. 12 z. 20 fgg. v. o. fö bis
ungeschickt; s. 113 z. 5 v. o. unbedingt bis nicht; >. 113 z. 9 v. o. weitere; s. 115
z. 5 fg. flw/" bis pyder; s. 115 B. 16 v. o. als bis (uis\iisj,ri <h, n : s. 115 s. 25 v. o.
lesen wir für 419 jezt 418, indem Bf. gewiss mit recht auch v. 418 noch iu seine athe-
tese gezogen hat; s. 115 z. 28 v. o. Beonilf bis wird; 8. 116 z. 11 v. o. das bis
1474 fgg.; s. 117 z. 1 v. o. r//<? bis 607 fgg.; s. 118 z. 6 v. u. aweA bis formet;
s. 120 z. 12 v. o. (sceale bis teilen); s. 121 z. 1 v. o. Erotfgar bis beachtet: s. 130
z. 2 v. u. das bis vereinigt1.
Die von einer randnotiz Hüllenhoffs als unecht angezweifelten v. 1314/15 hat
inzwischen auch ten Brink (1. c. s. 76) als wahrscheinlich spät<'ivn zusatz bezeichnet.
Dem herausgeber schulden wir besten dank für di>i g«.'\vi>s<'iihafto erledigung
Beiner aufgäbe. MülleiüiorTs abhandlungen sind uns ein kostbares Vermächtnis: durch
sie und tenBrinks Beowulf ist ein fester, wissenschaftlicher dämm aufgeworfen," wel-
chen die versuche, die ausschliesslich scandinavische herkunft der Beownlf-sagen und
die einheit des uns überlieferten Beowulf-textes darzutun, schwerlich je überfluten
werden.
MÜNCHEN, JUNI 1889. JANUAR 1890. EMIL KOEPI'EL.
I • e o w u 1 f. Untersuchungen von Bernhard ten Brink. Strassburg , Karl J. Trüb-
ner 1888. (QueUen und forschungen 62. heft.) 8. 247 s. 6 m.
In dieser dem andenken "Wilhelm Scherers gewidmeten schritt stelt ten Brink
für die entstehung des uns überlieferten Beowulf-textes folgende theorie auf:
Dieser text ist das resultat einer vermutlich noch im laufe des achten Jahr-
hunderts erfolgten redaktion. Der ordner, in welchem ten Brink „einen nüchternen
und in seiner art besonnenen mann" erkent (s. 20), hatte zwei aufzeichnungen der
Beowulfs-lieder vor sich liegen: eine ältere, welche nach ten Brink um das jähr 690,
eine jüngere, die um das jähr 710 entstanden ist (s. 235). Die ältere bot ihm —
um mich ten Brinks ausdrucksweise zu bedienen — die einleitung und das erste
abenteuer, den kämpf mit Grendel (A), das zweite abenteuer, den kämpf mit Gren-
dels mutter (C), und das vierte abenteuer, den kämpf mit dem drachen (F); die jün-
gere: die einleitung imd das erste abenteuer (B), das zweite abenteuer (D), das dritte
abenteuer, Beowulfs rückkehr ins land der Gauten (E), und das vierte abenteuer (G).
Diese Versionen verschmolz der gesamtordner, so gut er konte, zu einem ganzen,
indem er „sehr wenig, ja so gut wie nichts von dem seinigen hinzutat" (s. 17). Auf
diesen gesamtordner folgte noch ein interpolator — als generalinterpolator bezeich-
net — , der sich aber ebenfals „ziemlich massvoll erwiesen hat. Seiner zusätze sind
nur wenige, und diese haben einen bestirnten Charakter, der seine tendenz überall
durchschimmern lässt" (s. 17). Sie sind nämlich „teils erbaulichen, teils dämonogenea-
logischen inhalts" (s. 246).
Die einleitung und das erste abenteuer (v. 1 — 193 und 194 — 836 der Über-
lieferung) hat der ordner somit aus den Versionen A und B komponiert, wobei er
durchgehends der version A, der älteren und ursprünglicheren, den Vorzug gab.
Ten Brink hat eine sorgfältige Zergliederung seiner Verschmelzung vorgenommen, und
1) Von druckfehlern sind mir aufgefallen: s. 112 z. 22 v. o. für hi lies hie. S. 129 z. 12 v. u.
für peorlum and cere lies evrlum and feere. S. 140 z. 1 v. o. für 2749 lies 2794. S. 145 ist die Seitenzahl
229 vier zeilen tiefer zu setzen. S. 150 z. 15 v. o. für 2583 lies 2582.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIII. O
114 KOF.rTF.L
das mischungsverhältnis von A und B, sowie die znsätze dos interpolators1 fest-
_ stelt. Mit der beleuchtung des Verfahrens des gesamtordners hat er sich jedoch
keineswegs zufrieden gegeben, sondern er hat auch noch die beiden Versionen A und
B auf ihre älteren und jüngeren bestandteile hin nntersncht. Er hat aus dem A-
elemente der einleitnng den kern von A herausgeschalt, er hat an mehreren stellen
von A und B die verschiedenen, ineinander vorwobenenen Varianten gesondert — mit
meisterlicher hand. Wenn man sieh den für die ednleitung herausgehobenen kern
von v 3. 164 zusammenstelt, mit berückachtigung einer von ton Brink vorgenom-
menen ändernng (v. 135 Ewmt für ae) und der seinen zwecken entsprechenden aus-
füllung der lücke in v. 159 (dat se), so erhält man eine trefliche dichtung, in wel-
■r kein wert zu viel und ein jedes wort an seiner richtigen stelle ist. Der kritiker
ist hier selbst zum dichter geworden. Ein anderes kabinetsstück dieser art liefert
ten Brink für den B-bestandteil der einleitnng, indem er dem B-diaskenasten die
aufnähme zweier epischen Varianten (B1 147 — 158, 164—167 und B2 189 — 193)
in seine version nachweist, und die Variante B1 des weiteren noch in ihre bestand-
teile (c und ß zerlegt (s. 22 fgg.)- Und die Wirkung dieser jede wendung, jedes wort
erwägenden, in jede versteige spähenden kritik — von welcher sich noch viele, nicht
minder glänzende beispiele anführen Hessen — auf den leser ist nicht etwa eine
beklemmende, sondern eine befreiende. Ein Schleier nach dem andern hebt sich vor
unseren äugen: an den gestalten der ordner und samler vorbei dringt unser von dem
kritiker geschärfter blick zu jener „Vielheit von dichtem1' (s. 106), jener schaar von
gern, welche im volke der Angelsachsen von den taten des helden Beowulf sau-
und in ihren hedern bald diesen, bald jenen ton kräftiger erklingen liessen.
Selbstverständlich wird man nicht immer bereit sein, sich die resultate der
von ten Brink geübten kritik widerspruchslos zu eigen zu machen. Der erste stein
des a: - 38 s ist mir, dass ten Brink den halbvers 90 a noch zum kern von A rech-
net, obschon sich ihm in A keine passende ergänzung desselben bietet, und dass er
das folgende christliche sehöpfungslied nicht dem general - interpolator zuschreiben,
sondern als eine noch im lebendigen epischen Vortrag erfolgte erweiterung betrachten
will (s. 12 und 233). Simdol sang scopes 90a klingt ihm mehr wie „eine natür-
liche fortsetzung, denn wie ein künstlicher zusatz" (s. 12), und das eweeä 92, wel-
ches das sregde 90 nach so kurzem Zwischenraum wider anmimt, lässt ihn vermuten,
dass auch hier wider eine Verschmelzung zweier Untervarianten vorliegt (s. 13). Ich
glaube nicht, dass ten Brink wohl daran getan hat, die alte, schon von Ettmüller
und Alüllenhoff bestirnte grenze des echten teiles zu verrücken. Der Zusammenhang.
Icher zwischen 89 b und 90 a besteht, ist jedenfals ein ganz lockerer, während sich
la und 90b fest aneinander schliessen: es kann meines erachtens kaum zweifelhaft
in, dass 90a sumtol san^ scopes von dem A- interpolator angefügt wurde, um in
bei ein lied einflechten zu können. Ich nehme deshalb mit Ettmüller und
Alüllenhoff an, dass die erweiterung mit 90 a begint, bin jedoch nicht geneigt, die
ganze stelle 90 — 98 mit Ettmüller als christlichen zusatz zu beurteilen. Wenn wir
nämlich berücksichtigen, dass die verse 90b — 91: Scegde, se de cüäe frumsceaft
fira feorrem reccem, durchaus kein christliches gepräge haben, dass es im gegen-
I il, fals von vornherein ein christliches sehöpfungslied beabsichtigt war, auffallen
d den christlich angehauchten , von Ettmüller und Müllenhoff längst als unecht erkanten
versen 179—188 sagt auch ten Brink, dass sie „höchst wahrscheinlich erst nach der redaktion interpo-
liert wurden-' (s. 20) ; s. 104 z. 0 v. o. hingegen führt er sie als zu dem bestand von A gehörig auf.
Hier liegt wol nur ein druckfehler vor: für 168 — 188 lies 108 — 178.
ÜBBR TEN* BRINK, BEOWULF 115
muss, dass zuerst von dem Ursprünge des menschen die rede ist, gegen die reihen-
folge der biblischen schöpfungslehre, welche in den folgenden versen mir einzig
omstellnng des dritten und vierten tages beobachtet ist, — so lieg! der gedanke nah''.
dass die verse 90 — 91 von den folgenden zu trennen sind, und dass uns in ihnen
die alte Überleitung zu der inhaltsangabe des liedes.des Sängers erhalten ist. Ein der-
artiges betonen der dem sanger eigenen kentnis der grauen vorzeit, zu eingang seines
liedes, ßteht nicht vereinzelt da, man vergleiche 869fg.: (eyniw^es degn) -v': ,lr "/f-
/}■/<( cald-^csi Jena worn gemunde. Wie der sänger nach diesen vorbereitenden Wor-
ten von Sigemund und Fitela kündet, so wird er auch an unserer stelle von den
neiden der vorzeit gesungen halten. Dem frommen interpolator aber, der gerade in
der einleitung seine anschauungsweise stark zur geltung bringt, dünkte es schick-
licher, dass die halle Heorot von dem lohe gottes ertönte, und er fand in der erwäh-
nung des Ursprunges der menschen die Inspiration zu dem schöpfungsliede. welches
er für den alten heldensang einfügte. "Wie wenig seine werte zu dem fröhlichen
Zechgelage der krieger passen, ist schon öfters bemerkt worden. Der fromme mann
hat seine sache überdies keineswegs geschickt gemacht, er lässt uns seine text-
änderung auf das deutlichste erkennen, indem er plump aufs neue mit ewad 92
eingesezt hat.
Zur stütze der annähme ten Brinks, dass wir in den versen 99 fgg. eine
epische Variante zu 86 fgg. zu sehen haben, welche Grendel in B einfahrt, möchte
ich noch auf die volkommen parallel gebaute stelle 2210 b fg. hinweisen:
od äcet an on^un
deorcum niktum draea riesan.
Auch hier führt der sänger eine der hauptgestalten des epos und zwar wider den
Vertreter des bösen prineipes, den drachen, welcher seinen hörern aus der sage
zweifelsohne wol bekant, in seinem Hede jedoch noch nicht erwähnt war, durch an
(= Hie vgl. Braune, Beitr. XIT, 393 fgg.) in die erzählung ein.
Zu ten Brinks analyse des ersten abenteuers ergaben sich mir folgende bemer-
kungen :
205 — 209 (s. 32). Die ersten 4 Zeilen dieser B zugeschriebenen stelle scheinen
mir für A unentbehrlich: die erwähuung des geiziges ergibt sich wie von selbst und
die bemerkung, dass sich der held die kühnsten männer erwählte, findet ihren
nachklang in den A angehörenden rühmenden worten Wulfgärs 368 fg.: ILj on wt^-
tytavmm ivyrfie dincead eorla ^eShtlan. Auch dem zahlenargument ten Brinks könte
ich schon im hinblick auf äntig 123 in A keine überzeugende kraft zugestehen,
wird aber noch abgeschwächt dadurch, dass in der C-version des zweiten abenteuers,
welche stark unter dem einflusse von A, oder vielmehr (vgl. s. 93 fgg.) A' steht, die
zahl der geführten Beowulfs in genauer Übereinstimmung mit unserer stelle angege-
ben ist (vgl. v. 1641). ten Brink hat diesen einwand wol vorausgesehen und sucht
ihm s. 111 anm. zuvorzukommen: er bringt aber weder hier noch auch im dreizehn-
ten kapitel zwingende beweise für den zwischen B und C bestehenden Zusammen-
hang, während die anlehnung von C au A' von ihm selbst über alle zweifei geho-
ben worden ist.
473 — 479 (s. 51). Solte Hrodgars rede ursprünglich wirklich keinen hin weis
auf die Grendelplage enthalten, solte er der angelegenheit, welche im mittelpunkte
des ganzen liedes steht, die den Gautenhelden zu ihm führte und von welcher die-
ser in seiner rede gesprochen hatte, wirklich mit keinem worte gedacht haben? Ich
kann in diesen versen keine spätere erweiterung sehen, sie scheinen mir fest ein-
8*
116 KORPPF.L
Fügt in den symmetrischen anfban des ersten gespräches zwischen dem könig und
dem heldeu. In den schluss - n: 5<>d eääe mcB% (tone dol-seaChm dceda jcfnre-
fan! kernt die durch Beowulfs erscheinen hervorgerufene, hiofnnngsvollere Stimmung
sen königs würdig und massvoll zum ausdruck.
15 — 600 (s. 52). In diesem passns hält ten Brink die verse 596, 597b —
600* für eine spätere erweiterung in A. Meines erachtens kann auch der kern von
A 596 nicht entbehren, da ää fahäe 595 einer näheren hestimmung bedarf und
ohne den folgenden vers in der luft schwebt. Eine gewisse herbe des ausdrucks
darf uns in dem munde des gereizten heldeu nicht befremden: der gegen Unferct
hieb streift begreiflicher weise auch dessen volk. Dem einwände, dass aiole
-- 596 zu schnell auf atol ce^laca 592 folgt, wird ten Brink wol selbst nicht
zu viel gewicht beilegen, da er sich andern orts durch das zusammennicken dersel-
ben Wörter in seinen athetesen nicht beirren lässt (vgl. s. 84 orendles hedfod). In
der tat waren auch die angelsächsischen dichter nicht so ängstlich auf den Wechsel
des ausdruckes bedacht, wie es unser verwöhntes modernes ohr und äuge fordern. —
Die ansscheidnng von 597 b — 600 a scheint mir durchaus berechtigt.
433 — 441. 669 — 690. An diesen beiden stellen erscheint das schwertmotiv,
die rahmrede Beowulfs, dass auch er dem waffenlosen unhold gegenüber auf den
gebrauch des Schwertes verzichten wolle, ten Brink hält es nicht für wahrscheinlich,
lie beiden stellen gleichberechtigt nebeneinander bestehen konten, aber er hilft
!i in diesem falle nicht damit, dess er die eine stelle als spätere erweiterung von
A ansieht, sondern er benüzt diese parallelstellen zur erläuterung seiner grundan-
iauung von der entwicklung des altenglischen epos. Innerhalb dieser entwicklung
erkent er ein aufsteigen, einen hohepunkt und ein sinken: die weniger wirkungsvolle
der beiden ruhmreden nun , die verse 433 — 441 , welche sich seines erachtens gleich-
wol freilich an das vorhergehende anfügen und der rede Beowulfs einen befriedigen-
deren abschluss geben, rechnet er zu den partien, „deren entstehimg vor den kul-
minationspunkt der epischen entwicklung, wenn auch demselben ganz nahe, f alt a
3. K B). Die einwände, welche sich allenfals hinsichtlich der betreffenden stelle gegen
t--n Blinke ansieht erheben Hessen, liegen auf der Oberfläche; sie würden mir aber
auch gegenüber des kritikers tiefdringender erkentnis so seicht erscheinen, dass ich
darauf verzichte sie vorzubringen. Denn wie man sich auch für die betreffende stelle
zu ten Biinks ausführung stellen mag — niemand wird verkennen, wie anregend
solche Wahrnehmungen des kritikers wirken , wie durch sie die theorie an färbe gewint
und uns gleichsam sinfällig vor äugen gebracht wird.
0 — 765 (s. 54). Alit der von ten Brink vorgenommenen herstellung des
kernes dieser stelle kann ich mich nicht befreunden. Drei punkte sprechen meines
erachtens gegen dieselbe:
1 1 ist mir der plötzlich" Wechsel des subjeetes in der reconstruiorten Langzeile
: ond htm feestt widfeng. Wüte he fm^ra geweald bedenklich;
_ stosse ich mich daran, dass die allerdings nötige betonung dieses wechseis
eine textänderung bedingt: he für das überlieferte his. Die annähme, dass das
irtümliche //'' der handschrift in 765b ursprünglich in 764b gestanden habe, sezt ein
kompliziertes schreiberversehen voraus: der Schreiber müste das wort zuerst
übersehen und dann auf dasselbe zurückgeblickt und es auf gut glück in sein'1
abschritt eingefügt haben;
3j erscheint mir die halbzeile wiste he fmya geueald als ein überaus matter
anfang der kampfsehilderung. Bei. dem ersten zusammenprallen der gewaltigen erwar-
ÜBER TEN BRINK. BEOWUU 117
tet man einen kräftigen ton dos Sängers, und das überlieferte, etwas hyperbolische,
vokalreiche fmgras burston Behalt uns viel stimmungsvoller zu ohren, als das klang-
lose wiste he ßngra %eweald.
ten Brink betrachtet gewiss mit recht die verse 761 — 7G4a als spätere erwei-
teruug, ich rechne 764b noch hinzu und linde gerade diesem halbvers den Stempel
der Interpolation aufgedrückt: das sehliessliche widereinlehken in die bahn des Origi-
nals, man vergleiche fingras 760b und fingra 764b. Mir gestaltet sich demnach der
kern von A für diese stelle wie folgt:
758 <5emunde da sc mod^a mä^ Higelaces
mfensprace, üp-lang astod
760 oiid htm fatste widfen%: föngras burston
705 o)i grames %rupum. ])<ct uxbs geöcor stä . . .
Die in vorstehendem entwickelte verschiedene auffassuug einiger stellen beein-
thisst übrigens mein gesamturteil über den von dem kritiker ermittelten kern der
Version A, welchen er s. 55 übersichtlich zusammcngestelt hat, keineswegs. Wie für
die einleitung, so hat er uns auch für das erste abeuteuer aus der Überlieferung eine
abgerundete dichtung herausgehoben. Ob das lied von Beowulfs kämpf mit Grendel
in einer seiner Versionen ursprünglich so gelautet hat, vermögen wir freilich nicht
mit Sicherheit zu sagen, aber wir fühlen, dass es so hätte lauten sollen, dass es der
begabteste scop nicht wirkungsvoller hätte zum Vortrag bringen können.
Für das zweite abenteuer, den kämpf mit Grendels mutter, benüzte der gesamt-
ordner nach ten Brink gleichfals zwei verschiedene Versionen C und D, von welchen
C als die ältere, D als die jüngere fassung der dichtung zu betrachten ist. In C
findet ten Brink in seinem fünften kapitel, das von den quellen des zweiten aben-
teuers handelt, die spuren zweier älteren darstellungen. Indem er auf H. Möllers
(Das altenglische volksepos in der ursprünglichen strophischen form, Kiel 1883) ähn-
liche erkentnis hinweist, sezt er erstens voraus, dass der dichter von A sein lied
nicht nach der besiegung des unholdes abgebrochen, sondern auch noch von der
ehrung und dem abschiede des helden gekündet habe, und es gelingt ihm, mit
grossem Scharfsinn den bestand dieser älteren version in C abzugrenzen. Gegen seine
bestimm ung der möglicherweise aus A, oder vielmehr aus A' — wie ten Brink die
gesamtdarstellung des ersten abenteuers bezeichnet (s. 93) — stammenden stellen
(s. 94 fg.) wüste ich kein bedenken zu erheben, ich würde nur in der dankred'
Hrödgärs die verse 930 fg. nicht ausscheiden, weil dieser auf blick zum höchsten
dem greisen könig freilich, ansteht imd in volkommener harmonie sowol mit seinem
in dem ersten gespräch mit Beowulf ausgedrückten gottvertrauen , als auch mit der
algemeinen „diskret christlichen" (s. 35, vgl. s. 223) Stimmung von A' ist.
Ferner erkent ten Blink, von dem vielbesprochenen hwceäer 1331 ausgehend,
in 0 die spuren einer älteren selbständigen dichtung (X), welche von der heim-
suchung des königssitzes der Dänen durch einen von den menschen nicht erkanten
unhold handelt, das äschere - motiv enthält, und den helden auf dem meeresgrundc
den kämpf mit beiden geistern, mit mann und weib bestehen lässt. In diesen aus-
führungen berührt sich ten Brink mehrfach mit der von ihm s. 6 und 93 citierten,
sehr beachtenswerten studie von Friedrich Schneider (Der kämpf mit Brendels mut-
ter, Berlin 1887), auf deren lezter seite auch die niöglichkeit einer dichtung, in der
Beowulf beide unholde in ihrem meersaale bekämpfte, angedeutet ist. Es ist ein
hoher ästhetisch - kritischer genuss der Untersuchung ten Brinks zu folgen, sich zu
überzeugen, mit welchem geschick er aus dem gespräche des königs mit Beowulf
118 KOKPPÄL
(1321 — 1396) den bestand von X heraushebt, zu sehen, wie er die disjecta membra
zu einem organischen, Lebensfähigen ganzen verwachsen lässt (s. 90 fg.). Alle bezio-
hnngen auf das erste abentener, auf den kämpf mit Grendel, der in X noch nicht
statgefunden hatte, sind ausgemerzt, ohne dass wir die Lücke empfinden. Ich habe
dieser rekoiistruktion von X gegenüber nur ein bedenken: konte der könig zu Beo-
wulf. der noch nicht als retter der Dänen aufgetreten war — denn an eine ausser-
halb der Grendelsag si hende heldentat des recken darf doch gewiss nicht gedacht
;,jon — konte der könig in X mit starker betonuug zu Beowulf sagen: Nu w sc
rmd yhm-s eft mt Se änum! (1376* fg.) = „Nun steht die hülfe wider bei dir
allein'.-- Hier sl - d wir meines erachtens auf eine spur der Überarbeitung, welche
die ältere dichtung von dem C-Diaskeuasten erfahren hat; ich glaube nicht, dass
diese verse aus der ursprünglichen fassung von X stammen können. Dass eft, wie
neider s. 17 anm. frauweise audeutet, mit „darnach, nachdem ich dir dies aus-
einand zt habe", zu interpretieren sei, scheint mir bei der nachdrucksvollen
, _ s wertes — in der alliteration und zu anfang des verses — und bei dem
emphatischen tone der ganzen stelle ausgeschlossen.
ten Brink prüft sodann .auch noch die anderen abschnitte des von ihm in
11 abschnitte geteilten zweiten abenteuers auf ihren X-bestand, und zwar nicht nur
die ältere version C, sondern auch die jüngere version D. Es ist das ein sehr
schwieriges unternehmen, bei welchem ten Brink denn auch mit der entsprechenden
behutsamkeit vorgeht und viel mit möglichkeiten operiert. Infolge dessen bleibt
einem das X- dement der übrigen abschnitte etwas schattenhaft; ich vermisse in der
-prechung der X- teile von D eine erwähnung der verse 1341 fgg. und 1405 fgg.,
in welchen das JEschere - motiv erscheint, und des plurals hiises hyrdas 1666. Mit
um so grösserem interesse sieht man der wiederherstellimg dieser dichtung und der
A.'- version des ersten abenteuers entgegen, welche ten Brink zu veröffentlichen
gedenkt is. 101). Einstweilen hat er sich mit der frage beschäftigt, welche von den
beiden diehtungen die ältere sei, X oder A'. Er komt dabei zu dem überraschen-
den schluss, dass X. obwol es dem mythus, welcher nach Müllenhoff der Beowulf -
sage zu gründe liegt, näher steht (s. 101), gleichwol jünger sei als die A'- dichtung,
und unter deren einfluss entstanden sei (s. 103). Ich neige mich der ansieht zu,
dass. wenn es eine dichtung gab. welche den helden auf dem seegrundc den kämpf
mit beiden unholden, mit mann und weib, bestehen Hess, ein anderes Med, das uns
Beowulf im kämpfe mit einem der meeresgeister , mit dem gefährlicheren, dem
manne, vor äugen bringt, sich die motivfülle jener dichtung zu nutzen gemacht hat,
in der blütezeit der epischen dichtung aus jener herausgewachsen ist.
Wenden wir uns nun zur betrachtung der weder von A' noch von X beein-
flussten teile von CundD, so fält uns vor allem die kräftige beleuchtung des anfan-
gen abschnittes auf, welche uns hinter C eine ältere, einfachere form C,
und hi.iT- I • noch die ursprüngliche fassung < '" deutlich erkennnen lässt (s. 62 fg.).
Weniger gelungen scheint mir die lösung des C-kernes aus den versen 1279 — 1295.
■ranlasst den kritiker nämlich zu zwei text-änderungen (1282 Xms, 1295 on flette),
von welchen die eine {on flette) noch obendrein so einschneidender art ist, dass sie ent-
weder dem r die Ungeschicklichkeit zuschiebt, er habe ein faktum, welches seine
hörer erfahren musten, die flucht des Scheusals, schlechtweg verschwiegen, oder
zur annähme einer lücke zwingt. Mir scheint der passus von 1279 — 1295 in bestem
inneren zusammenhange zu stehen; er mag einige spätere erweiterungen enthalten,
aber der sinn der ganzen stelle ist klar und ich würde es nicht wagen, ihm durch
DBEB TKN BRINK. BROWULI 110
textänderungen eine verschiedene wendung zu geben. Mit 1296 ändert sieh die Sach-
lage. Mit diesem verse begint der C-ordner — wie wir von ton Brink selbst gelernt
haben — zu mischen, er flicht aus X das beschere -motiv ein, und wie er denn
überhaupt der aufgäbe dieser Verschmelzung nicht gewachsen war. bringt er si.-h
-«•hon mit 1298b (ponc äe keö <m raste dbredt) in widersprach zu dem vorher-
gehenden.
1455 — 1464 und 1518 — 1528. [ch kann nicht finden, dass sich zwischen
diesen beiden stellen eine inkongruenz ergibt, welche uns nötigen könte dieselben
verschiedenen dichtem zuzuschreiben (s. 70). Dass der dichter das schwert Hrunting
voltönig pries, war — zumal einem publikum gegenüber, welches sich so gern von
Schwertern singen und sagen liess — ein sehr einfaches kunstmittel, um das ver-
sagen der guten kling*1 der meerwölfin gegenüber um so überraschender erscheinen
zu lassen, das zauberhafte wesen der unholdin um so wirkungsvoller hervorzuheben.
Die zweite stelle erinnert ims in ihrem aufbau durchaus an die eiste; mancher in
dieser angeschlagene ton findet in jener sein echo:
1460 nc&fre Itit cet hilde ne swäc
manna cen^um . . .
1524 ac seö ecg geswäc
dcödne cet dcarfe . . .
1463 ncBS (tat forma sld
dcet hit ellen-weorc ozfnan scohh
1527 da was forma siä
deörum mddme, etat his dorn >>/<?£
Ein nochmaliger hinweis auf das eigentumsrecht des Unfertt würde meines erachtens
das tempo der kampfesschilderung nutzlos gehemt haben.
1677 — 1687. Müllenhoff (Haupts ztschr. XIV s. 213) beanstandet die auffäl-
ligen widerholungen dieser stelle, ten Brink erklärt sie, indem er dieselben verschie-
denen fassungen zuschreibt: er rechnet 1677 — 1680 zu C, 1681 — 1687 zu D (s.S."
Ausserdem ist er geneigt 1684 — 1687 mit hoher Wahrscheinlichkeit als bestandtei]
von X zu bezeichnen, als Subjekt von on geweald gehwearf ursprünglich ^renales
hedfod und für hylt 1687 ursprünglich heäfod zu vermuten, da der könig in der
sich nach ten Brink unmittelbar anschliessenden aus D stammenden rede 176'.) 1.
nur des schwertblutigen hauptes, nicht aber des schwertgriffes gedenkt (s. 99 fg.).
Dieser etwas komplicierten annähme gegenüber möchte ich die ganze stelle für C
beanspruchen und den kern derselben wie folgt bestimmen:
1677 pd v:ces gylden hilt gamchun r/'/ice,
hdrum hi/d-fnnnan on kand gyfen,
1681/1684 uundor-smida geweorc, worold- cynin^a
deem seiest an be scent tweönum,
ddra de on Sccde?i-i^e sceattas dSlde.
1687 Hrdd^i'ir modelnde, hylt scedwode:
1700 „peet lä mcB% seegan usw.
Auf diese weise sind nicht nur alle wörtlichen widerholungen , sondern auch — worauf
es mir besonders ankörnt — die höchst überflüssige, störende nochmalige erwähnung
von Grendels und seiner mutter tod beseitigt. Wundor-smida geweore steht in
beliebter weise parallel zu %ylden hilf, worold -cynin^a dSm selestan zu hdrum
hild-fruman und gamelum rince. Derartige triaden sind in unserm epos nichts
1 21 » KOEPPEL
ungewöhnliches: 1S47 fgg. finden wir, ebenfals inC, für Hy^eldc die dreifache bezeieh-
uuug IL edles eaferan, eaidor dtnne, folces hyrde (vgl, ausserdem 267 fgg. 344 fgg.,
350 fgg., 2356 feg. 2381 fgg., -J7". • 1 fgg.). Dass Hrodgär nicht gleich zu anfang sei-
ner rede auf den Bchwertgriff zu sprechen komt, sondern zuerst den helden rühmt,
ist nur natürlich, im weiteren verlauf der rede wird C durch die lange, religiöse
Interpolation und 1) verdeckt — "Will man hingegen der annähme ten Brinks, wel-
cher 1687 mit hedfod für hylt zu I) rechnet, entgegenkommen, so lässt sich für C
folgende ursprüngliche form vermuten, welche alle die an die erwühnung der hilze
impften, verwirten, ungeschickt ineinander geschachtelten einzelheiten — man
vergleiche die bedenklichen anschlüsse mit ond 1681, Swa 1694, das subjektlose
on yircahl kwearf 1684 — als spätere zutaten erscheinen lässt:
1677 pd was gylden hilf ^amelum rince,
harum hild-fruman on hand "zyfcn,
1681 1698 wundor-smiäa ^eweore. pä se ivtsa sprcec
sunu Healfdenes (swi^edon ealle):
„pcet lä ///"°3 secgan usw.
In dem siebenten kapitel handelt ten Brink von der rückkehr Beowulfs ins
land der Ganten, dem dritten abenteuer (E), welches dem gesamtordner nur in einer
vorlag. Seine einleitenden bemerkungen über dieses gleichsam im keim
stickte epos sind ebenso scharfsinnig, wie lichtvoll; bei der ausscheidung der spä-
teren enveit« nungen geht er von Müllenhoff aus, steckt jedoch meistens — meines
erachtens mit richtigster erkentnis — die grenzen etwas verschieden ab. Betrefs der
lezten Interpolation 2177—2189 bringt er, auf Bugges enthüllung der Heremod-allu-
ätüzt, überzeugend zur geltung, dass sie aus C herübergenommen ist, und
ui-sprünglich den schlnss dieser version bildete, für welchen der ordner erst nahe
dem ende des dritten abenteuers einen, seiner meinung nach, passenden platz fand
119 fgg.).
Bei der besprechung des vierten abenteuers im achten kapitel führt ten Brink
zuerst den beweis, dass der gesamtordner für den kämpf mit dem drachen aus zwei
Versionen (F und G) schöpfte; G soll der redaktor nur gelegentlich benüzt, F seinem
texte zu gründe gelegt haben (s. 129).
2287—2290 schreibt ten Brink G zu. Durch diese athetese geht für F, für
die von dem ordner in erster linie berücksichtigte version, ein umstand verloren,
welcher meines erachtens in einer klaren, verständlichen erzählung betont werden
moste, das erwachen des drachens. Wenn wir femer erwägen, dass die beiden verse
2287 88, welche das erwachen des drachens melden, zwei Wörter enthalten, welche
im ganzen Beowulf nur in F erscheinen (2287 wrdht vgl. 2473, 2913; 2288 stearc-
heori _ 2552), so werden wir uns doppelt schwer entschliessen, die beiden verse
von F abzutrennen. Teilen wir sie deshalb dieser fassung zu und suchen dann, von
2288 aus, die fortsetzung vonF, so wird uns die nat der erweiterung verraten durch
die den Interpolationen eigene wiederaufnähme des Wortlauts des Originals : das v. 2288
schliessende verbnm onfand kehrt am Schlüsse von 2300 wider, und 2301 schliesst
sich treflich, ohne lücke, ohne gedankensprung, an 2288 an:
2287 pd se wyrm onwoe, wrohi wcbs geniwad
2288 8t<mc da cefter stdne, stearc-heort onfand,
2301 deet heefde ^uiin na stum goldes gefandod
hedk-^i ■".
ÜBER TEN BRINK, BB0WT7LF 121
Hiemit scheint mir der keni dieser stelle getroffen zu sein. Jedenfals hat die-"
reconstruienuig der ursprünglichen gestalt von F einen höheren grad von Wahrschein-
lichkeit für sich, als die von teil Blink für möglich erachtete bestimmung derselben.
Er verfährt dabei doch wol alzu wilkürlieh, indem er von 2280 zu 2295, von 2295
zu 2300 springt, und in 2295 das done der Überlieferung streicht. Die widerspruchs-
vollen verse 2280 — 2300. welche der kritik schon soviel zu schaffen gemacht ha Ihm.
da sie, von lästigen wortwiderholungen abgesehen, eine textkorruptel, eine lücke,
und eine, wenn auch, nicht geradozu fehlerhafte, so doch im Beowulf immerhin sehr
auffällige alliteration * (2298) aufweisen, betrachte ich als späte erweiterung in F.
Nach der kritischen analyse des vierten abentcuers hebt ten Brink die ergrei-
fenden Schönheiten der dichtung von Beowulfs kämpf mit dem drachen hervor, indem
er deren stil mit dem von Beowulfs stä vergleicht. Was das zeitliche Verhältnis
der lieder von Grendel und von dem drachen anlangt, so hält er das drachenlied,
trotz seines schwermütigen tones, der neigung zu reflexionen und der Vorliebe für
den reim, für etwas älter als die Grendeldichtuug. Seine begründung dieser ansieht
ist sehr feinsinnig und enthält für mich viel überzeugendes; zu einer Sicherheit wird
man ja, wie ten Brink selbst sagt (s. 150). in dieser frage schwerlich je gelangen.
Der entwickhing seiner theorie von der entstehung des Beowulfs-epos La
ten Blink noch fünf inhalts- und gedankenreiche kapitel folgen, in welchen er
sich mit der Strophentheorie Möllers beschäftigt, für die englische herkunft der
sage und des epos von Beowulf in die schranken tritt, die trauten des epos von
den Juten, den bewohnern Jütlands, sondert, die heimat und entstehungszeit
des Beowulf beleuchtet und die handschrift auf ihre Vorstufen prüft. In dem
fünfzehnten und leztei* kapitel fasst er die ergebnisso seiner Untersuchungen kurz
und übersichtlich zusammen, ten Brinks methode zeichnet sich auch in diesen
abschnitten durch ein kühnes, frisches anfassen der probleme aus; namentlich in sei-
nen erörterungen der heimat und entstehungszeit des Beowulf tritt uns sein streben
nach so zu sagen greifbaren resultaten öfters in überraschender weise entgegen. Bei
der besprechung der sprachlich - metrischen kriterien für die bestimmung der heimat
hätte noch darauf hingewiesen werden können, dass Sievers (Beitr. X, s. 498) in
vers 1828b für das überlieferte dydon von dem metrum dekdon gefordert erachtet
1) Auch vou Bugge (Beitr. XII, 103) als „bedenklich" bezeichnet, und durch die konjektur
U'ces de für Inccedre beseitigt, ten Brink beanstandet Bugges änderung aus metrischen gründen und
sezt für luctedre ein: tver, indem er zugleich ne 2297 in nö verwandelt is.132). Solto uns diese aui-
falleude behandlung des Stabreimes nicht die schlussfuge einer sehr späten einschiebung verraten? Solte
die stelle anfänglich nicht gelautet haben :
2293 Hord-weard söhte,
georne cefter gründe, wolde guman findan,
done de Jmn on sieeofote sdre geteode,
2296/2298 hat ond hreöh-mod: hicodre hilde fjefeh
beadu-ueorces. Hicllum on beorh c&thwea/rf
sinc-fat sohte usw.
Auf diese weise schwindet die bedenkliche alliteration , der in Inccedre liegende gegensatz, der in der
Überlieferung durchaus nicht am platze ist. erscheint volkommen berechtigt, und der gleichlautende vers-
schluss, 2296 ymbe-hicearf, 2299 eetlucearf, ist entfernt. Logische bedenken lassen sich gegen den
Zusammenhang der stelle nicht erheben: ..Der hortwart suchte eifrig den grund entlang, wolte den
menschen finden, der ihm, da er schlief, kränkung zugefügt hatte, heiss und zornigen mutes: gleichwol
freute er sich auf den kämpf, das kampfwerk. Dann wante er sich wider zum berge usw.'' Dass der
dieb glücklich entkommen ist , wissen wir bereits aus den versen 2281 fgg.
122 KOBFFEL, ÖBKB TEN BRINK. BKOWULF
und geneigt ist, in dieser tonn ein Zeugnis der northumbrischen herkunft des epos
zu sehen.
"Wenn ich nun zum Schlüsse nochmals auf den hauptbestandteil des ten Brink-
schen buches zurückblicke, auf seine theorie von der entstehungsweise des uns über-
lieferten Beowulf-text.s, so scheint mir dieselbe einen wesentlichen fortschritt zu
bekunden _■ genüber der von Müllenhoff geübten kritik, von welcher ten Brink
is a 3g iit und deren Verdienste er widerholt mit warmen Worten betont. Die
theorie des Strassburj lehrten ist einfacher, sie gewährt uns noch tiefere ein-
blicke in die entstehung des epos, bringt uns die variantenfüllc der Überlieferung
li überzeugender zum bewustsein, und befreit uns von jenen widerspruchsvollen
und Widerspruch erregenden weseu. den Müllenhoffschen interpolatoron. Man darf
wol mit Sicherheit annehmen, dass die reihen derjenigen Beowulfsfreunde , welche
trotz Müllenhoff noch an der einheitlichen entstehuDg des epos festhielten, durch
ten Brinks werk bedeutend gelichtet werden.
- ■ hat der geistvolle mann, dessen eigenart in einer seltenen, glücklichen
mischung philologischer akribie, kritischen Scharfsinns und wahrhaft dichterischen
empfindens besteht, auch mit dieser seiner neuesten leistung unsere erkentnis des
wahren gefördert.
Im interesse der zweiten aufläge verzeichne ich noch die von mir bemerkten
druckfehler: s. 14 z. 8 v. u. für feehäe lies feehde; s. 18 z. 8 v. o. für S^lceca lies
l a; s. 18 z. 13 v. u. für Was lies Was; s. 22 z. 12 v.o. ist a zwischen bann»
und folmum zu streichen; s. 22 z. 17 v. o. für äce lies M; s. 22 z. 20 v. o. für da
lies Sä; s. 31 z. -4 v. u. für s. 11 lies s. 15; s. 54 z. 18 v. o. für 814 lies 813; s. 114
z. 17 v. o. ist rGautenlandea zu ändern; s. 119 z. 2 v. o. für -1529 lies 2029; s. 141
z. 19 v. o. für u-cerp lies uearp: s. 147 z. 17 v. u. für 2420 lies 2421; s. 214 anm.
z. 2 v. u. für 467 lies 468. Geringfügige druckfehler im deutschen text finden sich
ausserdem s. 15 anm. z. 5 v. u. lies Ettmüller; s. 33 z. 7 v.u. bruchstücke; s. 67 z. 8
v. o. geschenke; s. 141 z. 7 v. u. ursprünglich; s. 186 z. 7 v. o. unmittelbaren; s. 188
z. 13 v. o. partien; s. 228 z. 15 v. o. verlauf.
MÜNCHEN, OKTOBER 1888. JANUAR 1890. EMIL K0EPPEL.
hichte der französischen nationallitteratur von den ältesten zei-
d bis zum sechzehnten Jahrhundert. Bearbeitet von Adolf Kressner
in Kassel. Berlin 1889, Mcolaische Verlagsbuchhandlung, R. Stricker. VI und
__'4 s. 6 m.
Während es noch vor kurzem an einem buche fehlte, das in gedrängter form
eine den mrderungen der Wissenschaft entsprechende Übersicht über die erzeugnisse
der älteren französischen litteratur zu geben versuchte, besitzen wir deren jezt drei,
nämlich ausser dem oben angeführten das vortrefliche von Gaston Paris „La littera-
ture francaise au moyen Ige" Paris 1888; imd den „Grundriss der geschichte der
frar. hen litteratur" von dr. Heiniich Junker (Münster 1889).
Das nunmehr zu besprechende werk bildet den ersten band der sechsten, völ-
lig umgearbeiteten aufläge der bekanten Kreyssigsehen liiteraturgeschichte , deren zwei-
ten, die neuere zeit behandelnden teil prof. Joseph Sarrazin übernommen hat. Es
fält von vornherein auf, dass bei der Verteilung des gesamten Stoffes das sechzehnte
Jahrhundert dem bearbeiter der älteren periode zuerteilt worden ist. während es doch
STIMMIXG, ÜBER KRESSNER, 0E8CH. DEB FRANZ. LITT. L23
natürlicher gewesen wäre, den ersten band ausschliesslich der mittelalterlichen litte-
ratur bis zu ihren lezten entwickelungsstufen zu widmen, den zweiten jedoch mit
der renaissance d. h. dem völligen brach mit der alten Überlieferung zu beginn»!!.
Was die einteilung des vorliegenden ersten bandes betritt, so umfassi das
erste kapitel einige bemerkungen aber die geschiente der Bprache und eine kurze
besprechnng ihrer ältesten denkmaler, das zweite bespricht recht eingehend (in mehr
als 50 seiten) die geschiente der provenzalischen litteratur, und zwar bis in die aeueste
zeit, worauf das dritte wieder zu dem eigentlichen gegenstände zurückkehrt. Es
liegt auf der band, dass dies zerreissen des Stoffes der Übersichtlichkeit des ganzen
nicht gerade förderlich ist
Um das buch für studierende nutzbar zu machen, hat der Verfasser in den
anmerkungen zahlreiche bibliographische angaben hinzugefügt, welche über spezial-
arbeiten sowie über ausgaben der einzelnen denkmäler unterrichten sollen. Dieser
teil der arbeit lässt aber viel zu wünschen übrig. Einerseits werden mehrfach werke
angeführt, die durchaus nichts mit der litteraturgeschichto zu tun haben, wie Har-
seim, Vocalismus und konsonantismus im Oxforder psalter; Meister, Die ilexion im
Oxforder psalter; Dreyer, Der lautstand im Cambridger psalter; Fichte, Die flexion
im Cambridger psalter; Merwart, Die verbalflexion in den Quatre livres des rois;
sogar einzelne textkritische bemerkungen werden angeführt, wie W. Förster, Zu
Quatre livres des rois (sämtlich, auf s. 16) usw. Andrerseits vermisst man zahlreiche
andre, die nicht hätten fehlen sollen. Ich greife einige wichtige heraus, z. 1». aus
der provenzalischen litteraturgeschichto die Sonderausgaben der trobadors Cercamon
(ed. Mahn, Jahrbuch I, 83 fg.), Renaud und Geoffroy de Pons (p. p. Cabaille lssii;
Faulet de Marseille (p.p. Levy, Rev. des langues rom. 1882); Zorzi (ed. Levy 188.'!);
Feire de la Caravana (von Cauello, Giorn. di fil. rom. 7, 1 fg.); endlich Rambertino
ßuvaleili (von Casini, Bologna 1880); von anderen ausgaben: La chanson de la croi-
sade contre les Albigeois p. p. P. Meyer. 2 b. 1875 — 79; La chanson d'Antioche
p. p. G. Paris. Rom. 17, 513 fg.; Vie de Sainte Marguerite p. p. Noulet 1875; Das
evangelium Nicodemi, herausg. von Suchier, Denkmäler I, 1 — 84 usw.; aus der fran-
zösischen: das Altfranzösische Übungsbuch von Förster und Koschwitz 18S-1, welches
* die ältesten denkmäler sämtlich enthält; Parise la duchesse p. p. Martonue 1836;
Lais inedits des XHe et XTIIe siecle p. p. Fr. Michel 1836; Raoul de Cambrai p. p.
P. Meyer et Longnon 1882; Couronnement de Loms p. p. Langlois 1888 usw. Das
Verzeichnis der monographien zeigt ebenfals erhebliche lücken.
Wenn wir jedoch von diesen beigaben absehen, die ja obenein keinen wesent-
lichen bestandteil des Werkes bilden sollen, so darf man behaupten, dass dasselbe
viele Vorzüge besizt. Der Verfasser hat die wichtigsten erzeugnisse der beiden litte-
raturen herangezogen und im ganzen übersichtlich und verständig gruppiert. Er h.it
gewöhnlich den wesentlichen inhalt derselben mitgeteilt und nicht selten auch über
ihren ästhetischen wert bemerkungen hinzugefügt, welche meist zutreffend genant
werden müssen. Die darstellung gewint sehr an lebendigkeit durch hier und da ein-
gestreute proben aus den texten sowie durch Übersetzungen, die zum teil in metri-
scher gestalt geboten, von Verständnis und gutem geschmacke zeugen. Zuweilen
finden wir auch angaben über den historischen kern sowie über etwaige bearbeitun-
gen des betreffenden Stoffes in anderen litteraturen , besonders der germanischen; doch
können und wollen diese notizen selbstverständlich keinen anspruch auf volständigkeit
erheben.
1 24 STIMMING
Auf die aussen1 form, auf den ausdruck hat der Verfasser offenbar besondere
auimerksamkeü verwant, da ei ja sein buch auch für das grössere publikum bestirnt
hat Der stü ist flott und frisch, fast durchweg anschaulich und hier und da selbst
drastisch. Manchmal ist die spräche allerdings etwas zu feuilletonistiseh , selbst phra-
haft. mid an andern stellen lässi sich der Verfasser durch sein streben, in scharf
sugespizten gegensätzen zu sprechen, zu Übertreibungen mid schiefen beliauptungen,
ja selbst zu Unrichtigkeiten verleiten.
Als beispiele für beide arten von fehlem greife ich folgende stellen heraus:
„Schon lange hatten die germanischen Völker lüstern über den Rhein geschaut
und mit heimlichem triumph den niedergang der römischen macht in Gallien
beobachtet Die Völkerwanderung trieb sie endlich zu schnellem ont-
SS, und alle dämme niederreissend ergoss sich usw." (s. 9); „das gefühl der
persönlichen Unabhängigkeit, die leidenschaftliche liebe zur freiheit, das beispiel natio-
ual.'ii stolzes und nationaler begeisterung . . schliesslich eine reiche und gewaltige
poesie. das sind die schätze, welche anzunehmen sie (näml. die Germanen) die
Hallo-Romanen gewaltsam zwangen" (ebd.); „der Verräter (näml. in den volks-
epen) hat keine gute regung; er predigt seinen kindern das laster: „kinder, passt
auf. dass ihr immer lügt; stehlt das gut der Waisen, zerstört die ernten, mordet die
biedermänner" - 75); „die phantasie verliert sich in ihnen (d. h. den volksepen) oft
ins grenzenlose (s. 76); „die jugendliche energie des ritterlichen, die krieger aller
christlichen Völker einenden lebens gibt sich besonders in der Unbefangenheit zu
erkennen, mit welcher die ritterlichen dichter des mittelalters die zustände ihrer zeit
und ihres landes zum gemeinsamen mass aller Völker und aller Zeiten machen"
s. SO); ist diese naivetät jener dichter wirklich ein beweis von energie? — „Noch
am anfang des elften Jahrhunderts sehen wir den kindlich -naiven sinn der geselschaft
au der platten, kirchlich angehauchten, lamfrommen reime r ei über das leben
- heiligen Alexis sich erfreuen; am ende desselben Zeitraumes aber tritt uns mit
inen wuchtigen versen das majestätische, kampfesfrohe Rolandslied entgegen, in
welchem mannesmut und waffenklang das süsslich-widrige geschreib-
sel der pfaffen ein für alle mal zurückdrängt" (s. 70). Abgesehen von der
unrichtigen datierung und der unzutreffenden Charakteristik des Alexius muss dieser #
-atz die ganz falsche ansieht erwecken, dass es einerseits zu anfang des elften Jahr-
hunderts noch keine nationalepen gegeben habe und dass andererseits von dem auf-
kommen dieser volksepen an die abfassung von heiligengeschichten unterblieben wäre.
"Wenn es gleich darauf von der epik heisst, sie sei „von den banden der kirche
befreit- gewesen, so ist dem gegenüber darauf hinzuweisen, dass viele epen und
darunter auch das Rolandslied gerade starke spuren kirchlich - theologischen einflusses,
d. h. einer Überarbeitung durch geistliche aufweisen.
Aber auch die anordnung des Stoffes lässt mancherlei zu wünschen übrig. Das
Alexiuslied des Alberic von Besancon wäre richtiger in der provenzalischen littera-
turgeschichte behandelt worden; das epos von Hom hat der verf. abenteuerroma-
nen eingereiht; das tierepos und die tierfabel werden nicht von einander unterschie-
den, vielmehr wird von beiden in einer weise gesprochen, als seien sie fast identisch,
or den Ursprung des tierepos erfahren wir nichts, die wichtige abhandlung Müllen-
hoffs über diesen gegenständ in der Ztschr. f. d. a. XVIII, 1 fg. scheint dem verfas-
unbekant geblieben zu sein; wenigstens wird sie nicht erwähnt. Auffällig ist
auch, dass der verfasse! den altfranzösischen tierepen die satirische tendenz abspricht
und sie als im wesentlichen epische erzählungen, die an und für sich inter-
ÜBER KRESSNER, GESCH. DER FRANZ. LITT. 125
essieren, auffasst. Daher behandelt er sie auch nicht unter dem kapitel ..Satire",
sondern zugleich mit den fabeln unter den „kleineren epischen diehtungen." Nicht
weniger muss es überraschen, dass der Roman von den sieben meistern und der
Dolopathos (der Verfasser scheint übrigens hierin nur zwei verschiedene namen ein
und desselben Werkes zu sehen) anter den „Fableaux" besprochen werden, obwol
jene dichtuugen einen ganz anderen Charakter aufweisen. Endlich hätten auch die
didaktischen erzengnisse zweckmässiger geordnet werden können.
Noch in einem anderen punkte scheint mir der Verfasser nicht das richtige
getroffen zu haben, nämlich in dem inass von ausführlichkeit, das er den verschie-
denen litteraturgattungen und -erzeugnissen widmet. Zwar ist es durchaus zu bil-
ligen, dass er der volksepik den grösten räum zugestanden hat, wobei es allerdings
unerklärlich bleibt, dass er bei den Provenzalen denkmäler wie „Aigar und Maurintt,
„Daurel und Beton'', „Tersin", bei den Franzosen das von G. Paris (Rom. 4, 305 fg.)
veröffentlichte bruchstück eines die Jugendschicksale Karls berichtenden epos Meinet.
sodann den „Roman d'Aquin", „Simon de Ponille" u. a. ganz mit stilschweigen über-
geht, während er „Gormont et Isenbart" nicht unter den nationalepen bespricht, son-
dern auf s. 16 in ganz anderem Zusammenhang nur flüchtig erwähnt. Aber im übri-
gen ist die ungleichartigkeit auffallend gross. So sind auf den Roman de la rose
nicht weniger als 6 Seiten verwant, auf die nouvelle „Aucassin und Nicolette " deren
5, fast ebensoviel auf jeden der vier historiker Yillehardouin , Joinville, Froissart
und Commines, während andere kaum minder wichtige werke wenig berücksich-
tigimg gefunden haben oder ganz fehlen. Ein dichter wie Chardry z. b. , von dessen
werken wir sogar eine vortrefliche ausgäbe besitzen (von J. Koch 1879), wird nicht
einmal mit namen genant, ja ganze diehtungsarten, wie die für die französische lit-
teratnr charakteristischen Debats oder Disputes, sowie die sogenanten Enseignemeuts
und die Chastoiements u. a. sind völlig übergangen. Besonders stiefmütterlich ist die
geistliche poesie behandelt worden, und dies hat, wie es scheint, seinen grund in
der antiklerikalen gesinnung des Verfassers, die ja schon aus dem oben angefühlten
ungerechten urteil über den Alexius hervorleuchtete. Die französischen religiösen
dichtungen werden in etwa einer seite abgetan und es kommen dort ckarakteristiken
vor wie die folgende: „Zu einer wahren flut aber schwilt die litteratur der heiligen-
legenden an, und man muss staunen ob der naivetät des publikums, das an den
abgeschmacktesten fabeln sich erbauen konte, und der benommenheit der dichter,
die ihre mehr oder weniger guten verse an dergleichen Stoffe verschwendeten."
Zum schluss hebe ich noch einige einzelheiten hervor, die mir beim durch-
lesen des buches als unrichtig oder ungenau aufgefallen sind.
S. 13. Die verspaare der Passion Christi sind nur durch die assonanz, nicht
durch den reim verbunden. — S. 16. Die paraphrase des Hohen liedes gehört wol
erst dem zwölften Jahrhundert an. — S. 17. Die angaben in betreff der dialekte ent-
halten manches schiefe und unzutreffende. — S. 23 fg. Bei der besprechung des epos
von Girart de Rossilon ist die neueste litteratur, z. b. das buch des referenten über
diesen gegenständ, nicht verwertet. Aber es finden sich auch solche Unrichtigkeiten,
die mit hülfe der benuzten werke hätten beseitigt werden können. Dahin gehören
einzelne falsche behauptungen über das historische prototyp des helden (dieser soll
anfänglich auf schloss Roussillon residiert, auch nach seiner besiegung sich ebendort-
hin, nach Burgund, zurückgezogen haben und daselbst gestorben sein u. ä.), dahin
gehört auch die notiz, dass die anfangsverse des epos verloren gegangen seien. —
S. 72 und 78. Der unterschied zwischen volkstümlicher und kunstmässiger epik
126 STIMMTNG. ÜBER KKKSSXKK. GESCH. UKK FRAXZ. LITT.
ist durchaus nicht scharf und deutlich hervorgehoben. — S. 73. Das deutsche Lud-
wigslied wird zu unrecht mit den „ cantilenen *, in welchen wir die älteste gestalt der
nationalepen zu sehen haben, auf gleiche stufe gestelt. Die im anschluss daran vor-
»ene ansieht von der entstehnng der uns überlieferten form der chansons de
_ si wird kaum noch anhänger finden. Auch der auf s. 157 ausgesprochene satz,
dass die Artusromane aus bretonischen lais in der weise her vorgegangen seien, dasa
man mehrere der in lezteren erzählte abentener vereinigt, sie einem lielden zuge-
blieben und mit Artns in losen Zusammenhang gesezt habe, ist in dieser algemein-
heit schwerlich zutreffend.
Ar,; s. 78 heisst es von den altfranzösischen spielleuten: „Sie waren in einer
zeit, wo es keine presse gab, die träger des ruhms und der öffentlichen meinung."
Di' s — t jedoch in Wirklichkeit eher auf die provenznlischen trobadors, speciell die
ve von sirventesen. — S. 89. Die angäbe, dass der Roman d'Aspremont von
Guessard und Gautier im jähre 1855 herausgegeben sei, ist unzutreffend. Jene bei-
den gelehrten haben vielmehr in einem einzelnen hefte nur die ersten 1800 verse des
s nach einer einzigen handschrift abgedruckt; ebenso hat Imm. Bekker 1839
(nicht 1849) in den Verhandlungen der Berliner akademie nur ein brachstück von
133S zeilen der italianisierten version des gedientes nach dem Yenediger ms. ver-
öffentlicht. Eine ausgäbe fehlt also noch. — Unrichtig ist die ansieht (s. 164), dass
die sage vom h. graal sich auf keltische anschauungen gründe; jene sage ist bekant-
lieh ursprünglich der keltischen tradition völlig fremd, ist vielmehr erst später mit
derselben vereinigt worden. — S. 186. Den unterschied von fableaux und dits defi-
niert der Verfasser dahin, dass erstere rein erzählender natur seien, während die
dits noch moralisch - satirische gedanken in die erzählung mischten. Aus den wei-
ausführungen geht jedoch hervor, dass gerade die fableaux ein stark ausge-
prägt 3 -atirisches element aufweisen, dass sie namentlich die priester und den adel
verspotten und necken. Daher ist auch Rustebuef als hauptvertreter der fableaux,
nicht der dits zu bezeichnen. — Wenn es auf s. 202 heisst: „Wir sahen, dass der
Rosenroman eine encyklopädie des wissens der damaligen zeit versteif; eine eben
Iche, aber in prosa, liegt vor in des Italicners Brünette Latini „Schatzkästchen",
n diese werte eine ganz falsche Vorstellung wach rufen, da die beiden
genanten werke doch völlig von einander verschieden sind. — Nach dem auf s. 211
gesagten müste man vermuten, dass die darstellung der religiösen dramen von anfang
an in den bänden der laien gewesen sei. Auch sonst fehlt es der entwickelungs-
geschichte des drama sehr an klarheit; wir erfahren z. b. nichts von der almählichen
emaneipation des dramas aus der kirche und den bänden der geistlichkeit usw.
j tritt auf s. 258 fg. der unterschied zwischen „softes", „farces" und „mora-
- nichts weniger als deutlich hervor.
'.ich erwähne ich noch, dass der Verfasser auf s. 232 einen gramma-
;hen fehler gemacht hat, indem die direkten werte Aucassins (G, 25) vr//a tres-
douee amie que faim tant" in indirekter rede durch „sa tres<l<>nc< <i,,,;<> qn' il <t i vi
- widergibt.
KIKL. i. AUG. 1- A. STIMM!'
NEUE ERSCHEINUNGEN L27
NEUE ERSCHEINUNGEN.
Acta Germanica. Organ für deutsche philologic herausgegeben von Rudolf Henning
und Julius Hoffory. 1.— 3. lieft. Berlin, Mayer & Müller. 1889 — 90. Inhalt:
1. 31. Hirsenfeld, Untersuchungen zur Lokasenna. 2. Andr. Heusler, der lj6J>a-
hättr. 3. J. Bolte, der bauer im deutschen liede.
Durch das erste lieft, eine unreife anfängerarbeit, war das neue unterneh-
men in wenig vertrauenerweckender weise inauguriert worden. Um so erfreulicher
ist es, dass die beiden folgenden hefte ganz andern Schlages sind. Die anregende
Studie von Heusler, in der freilich das lezto wort über den Ijöpahdttr noch nicht
gesprochen sein dürfte, wird sicherlich das Verständnis des schwierigsten altnor-
dischen metrums beträchtlich fördern, und die sorgfältige auswahl Boltes aus h
und fliegenden blättern des 15. — 19. Jahrhunderts ist ein sehr interessanter beitrag
zur geschiente des deutschen Volksliedes.
Ahlgrimm, Franz, Untersuchungen über die Gothaer handschrift des „Herzog Ernst"
(Kieler dissertation 1890). 98 s. 8. Leipzig, G-. Fock. 2 m.
1. Einleitung (mit volständiger berichtigung des v. d. Hagenschen textes
nach der hs.). 2. Verhältnis der Version D zu den übrigen bearbeitungen. 3. Dia-
lekt; heimat des dichters; abfassungszeit. 4. Metrische beobachtungen. 5. Stil.
Eckhardt, Eduard, Das präflx ge- in verbalen Zusammensetzungen bei Berthold
von Eegensburg. Beitrag zur mhd. Syntax. (Freiburger dissertation 1889). 107 s.
8. Leipzig, G. Fock. 3 m.
1. Eigentliche ge - composita. 2. Das wandelbare ge-: I. zum ausdruck der
zeitlichen Vollendung; IL veralgemoinernd; hierher wird auch das ge- vor infini-
tiven gezogen; III. ge- beeinflusst durch vorhergegangenes wandelbares ge- beim
gleichen verbum.
Hodermaim, Richard, Bilder aus dem deutschen leben des 17. Jahrhunderts. I. Eine
vornehme geselschaft. 80 s. Paderborn, Schöningh. 1890.
Der Verfasser ist in Harsdörffers „Frauenzimmer- gcsprcchspielen" (Nürnberg
1644) so heimisch, dass er es verstanden hat, in gleicher Sprech- und denkweise
ein bild einer ihren geist und witz übenden geselschaft jener zeit zu entwerfen.
Dieser erste teil des büchleins ist also eigene compositum des Verfassers, wenn
auch mit vielen aus den Vorbildern entlehnten zügen geschmückt; der zweite i'il
s. 49 — 76 dagegen bietet einen neudruck der von Harsdörffer seinen gesprä<h-
spielen angefügten „Schutzschrift für die teutsche spracharbeit. a
Hoppe, Otto, tysk-svensk ordbok. Stockhohn, P. A. Norstedt & Söner. 1889. 800 s.
8. 9 kr. — Dasselbe (Skolupplaga) 536 s. 8. 6,50 kr.
Eine sehr tüchtige arbeit, die dem in Deutschland am meisten verbreiteten
schwedischen wörterbuche von Helms unbedingt vorzuziehen ist.
Idiotikon, Schweizerisches. Gesammelt auf Veranstaltung der antiquarischen gesel-
schaft in Zürich unter beihülfe aus allen kreisen des Schweizervolkes. Heraus-
gegeben mit Unterstützung des blindes und der kantone. XVH. heft (des zweiten
bandes VIII. heft). Bearbeitet von Fr. Staub, L. Tobler, R. Schoeh und
H. Bruppacher. Frauenfeld, J. Huber. 1890. (Sp. 1169 — 1328). 4. 2 francs.
Wir begrüssen mit freuden das rüstige fortschreiten des verdienstlichen Wer-
kes, das für das alemannische gebiet eine ähnliche Stellung beanspruchen wird,
12S NWCTTRICHTF.N
wie sie für das bäurische das berühmte buch von Schindler einuimt, das ihm
auch in der anordnung und einrichtnng zum Vorbild gedient hat. Der erste, 1885
Ileudete band behandelt die mit vokalen und dem konsonanten f anlautenden
stamme, in den folgenden Lieferungen ist das g erledigt und das h begonnen.
Rosenhairen. Gustav. Untersuchungen über Daniel vom blähenden Tal vom Stricker.
Kieler dissertation 1890). 1-4 s. 8. Leipzig, G. Fock. 2 m.
1. Die Überlieferung des gedientes. 2. Metrik und spräche. 3. Litterarische
Stellung des gedichts (keine französische quelle — komposition — stil und dar-
llung — ansehauungsweise und Persönlichkeit des dichters). 4. Chronologie
- ; »dichtes. 5. Zeugnisse für das fortleben des Daniel.
Die sehr erwünschte erste ausgäbe des textes bereitet der Verfasser vor.
Boss, Hans. Norsk ordbog. Forste hefte (abaakt — brühe). Christiania, Alb. Cam-
mermeyer 1S90.
Ein sehr dankenswertes Supplement zu dem bekanten^treflichen buche von
Ivar Aasen. Es ist auf 15 — 17 hefte veranschlagt, die zu dem Subskriptions-
preise von 70 öre abgegeben werden.
Schultz, Ferdinand. Die Überlieferung der mittelhochdeutschen dichtung Mai und
Beaflor. (Kieler dissertation 1890). 61 s. 8. Leipzig, G. Fock. 1,50 m.
1. Die einzelnen handschiiften. 2. Das Verhältnis der handschriften. 3. Der
archetypus. Textkritische grundsätze für eine neue ausgäbe des gedichtes.
Wöber. F. X., Die Skiren und die deutsche heldensage. Eine genealogische studie
über den Ursprung des hauses Traun. Mit einer tafel und vier abbildungen im
• ste. Wien, Carl Konegen. 1890. 281 s. 8.
Der haupttitel dieses buches ist irreführend, da von den „ Skiren u und der
-deutschen heldensage u so gut wie gar nicht darin die rede ist.
NACHRICHTEN.
Die von dem .Samfund til udgivelse af gammel nordisk litteratur" vorbereitete
phototypierte ausgäbe des Codex regius der poetischen Edda, die sich den von
der _ Early English Text Society" herausgegebenen Beowulf zum muster genommen
hat. wird noch im laufe dieses Jahres erscheinen. Der ladenpreis ist auf 25 krönen
28, : mark) festgesezt; mitgliedern des Samfund wird das werk, fals sie vor der
ausgäbe bei dem vorstände darauf subscribieren, für 10 krönen (11,25 mark) geliefert.
Der ordentl. professor dr. Ignaz Tincenz Zingerle in Innsbruck ist gele-
gentlich seines rücktrittes vom lehramte in den adelstand erhoben worden.
Der ordentl. professor dr. Michael Bemays in München scheidet zu ostern
aus seiner akademischen tätigkeit. um nach Karlsruhe überzusiedeln.
Der privatdocent dr. Max freiherr von AValdberg in Heidelberg winde zum
ausserordentL professor befördert
Halle a. S.. B'irli.lnir-lcoroi des Waisenhai
EETHA HLUDANA.
Am 15. august 1888 ist im alten stanilande der Friesen, der
jetzigen niderländischen provinz Friesland, die erste römische lapidar-
inschrift gefunden worden. Als man bei dem dorfe Beetgnm, das
etwa 8 kirn, nordwestlich von Leeuwarden und eben so weit nordöst-
lich von Franeker liegt, einen „terptt, d. i. einen vor der bedeichung
des landes von menschenhand aufgehäuften erdhügel1, also einen
„warf4, wie Ost- und Nordfriesen sagen, abgrub, stiess man in 2 m.
tiefe auf den unteren rest einer kalkstein-aedicula aus der Römerzeit.
Auf dem oberen teile des fragmentes waren die füsse und das herab-
hängende gewand einer sitzenden weiblichen figur zu erkennen, die,
wie man aus ähnlichen darstellungen schliessen konte, wahrscheinlich
in einer irische dargestelt war. Darunter las man in den schönen
buchstaben, wie sie auf römischen denkmälern aus der zweiten hälfte
des 1. Jahrhunderts nach Chr. gefunden werden, die worte:
Deae Hhuhniae conduclores piscatus mancipc Q(uinto) Valerio
Secundo v(otum) s(olrcrunt) l(ibentes) m(erito).
Es ist dieses denkmal zwar nicht der erste rest aus der römischen
zeit, der in Friesland zu tage gekommen ist; denn römische münzen
sind von je her in grosser zahl im friesischen boden gefunden worden;
man hat ferner im jähre 1777 in einem erdhügel auf Texel zwei
römische Stempel und 1844 zu Stavoren an der Zuiderzee ein dolium
mit einem graffito entdeckt. Aber die Beetgumer inschrift ist die eiste
auf friesischem boden gefundene römische steininschrift, und deshalb
hat der fund bei altertumsforschern und historikern grosses aufsehen
erregt. Ging es ihnen doch mit dieser römischen aedicula, wie dem
naturforscher, der unter nördlichen breiten auf den Vertreter einer süd-
lichen flora stösst. Daher sind die drei gelehrten, welche bis jezt den
fund veröffentlicht und besprochen haben, von holländischer seite
1) Über die natur der terpen wird neuerdings viel geschrieben. Zur Orientie-
rung vgl. Pigorini im Bulletino di paletnologia Italiana TU (1881). stück 7 und 8,
Pleyte, Nederlandsche Oudheden van de vroegste tijden tot op Karel den Groote
s. 17fgg., Schoor in der Zeitschr. de Vrije Fries XVII s. 115 fgg.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXHI. 9
130 .TAEKEI.
Pleyte1 und Boissevain2, deutscherseits Zangemeister3, hauptsäch-
lich darauf ausgegangen, aus der Beetgumer inschrift Schlüsse auf die
beziehungen Frieslands zum römischen reiche zu ziehen. Dagegen
halten sie sonderbarer weise aus dem denkmal kein neues resultat hin-
sichtlich des wesens und der Stellung der göttin Hludana, der die Ära
errichtet worden ist. zu gewinnen vermocht, sondern sich bei den
deutungen dieser göttin, welche von den mythologen bisher gegeben
worden sind, beruhigt. Und doch sind wir erst durch diesen fund,
den zweiten binnen fünf jähren, der vom götterglauben der heidnischen
Priesen urkundliches zeugnis ablegt, in die läge versezt, den streit der
mythologen über wesen, namen und nationalität dieser gottheit an der
band eines ausreichenden sicheren inschriftenmaterials endgiltig zu ent-
scheiden und ihre Stellung im urgermanischen göttersysteme festzulegen.
Wenn ich hier die Beetgumer inschrift nach dieser seite hin verwerte,
- werde ich die fragen nach den beziehungen Frieslands zum römi-
schen reiche und nach den damit in Verbindung stehenden verhältnis-
sen nicht weiter berühren. Damit möchte ich aber nicht eingeräumt
haben, dass ich die annahmen und Schlüsse jener gelehrten und nament-
lich Zangemeisters, der sich auf briefliche mitteilungen Mommsens
beruft, für zutreffend halte. Indes scheint mir eine berichtigung dieser
ansichten nicht dringlich. Dieselben werden sich ganz wron selbst
berichtigen, wenn die Überzeugung durchgedrungen sein wird, dass
zur beurteilung römisch -friesischer beziehungen die genaueste bekant-
schaft mit den römischen Verhältnissen nicht ausreicht, sondern dazu
auch einige kentnis des friesischen altertums erforderlich ist. Dagegen
halte ich es für sehr dringlich, die göttin Hludana nach allen seiten
ihres wesens genau zu erklären. Denn hat man Hludanas bedeu-
tung klar erkant und sich dadurch die möglichkeit geschaffen, ihr die
rechte stelle im germanischen göttersysteme anzuweisen, so verschie-
ben sich eine reihe von götterverhältnissen, und das ganze System,
das wir nur in jüngerer gestalt aus den edden kennen, gewint seine
alt«', urgermanische gestalt wider.
Die göttin Hludana ist schon längere zeit bekant. Bereits im
17. Jahrhundert fand man bei dem dorfe Birten unweit Xanten einen
jezt im museum vaterländischer altertümer zu Bonn aufbewahrten altar
li Tu den Verslagen der kgl. akad. der Wetensch., letterkunde III, G s. 58.
Tn der Zeitschr. de Vrye Fries XVIT (1888) s. 327 fgg. (mit ein. 'in licht-
druck) sowie in der Mnemosyne 1888 s. 439 fgg.
In der VV.'std. zeitschr. für gesch. and kunst 8, korrespondenzbl. nr. 1
spalte 2 !_
ERTTIA HLUDANA 131
mit der inschrift: Decu Hludanae sacrum C(aiiis) Tibervus Verus1.
Schon der isländische gelehrte Skule Thorlacius (r 1815) sezte in sei-
ner abhandlang de dea Hlndana (Antiquität boreal. spec. 3, Hafh. 1782)
diese „Hlndana" der nordischen Hlödyn gleich, die Vojuspa 56 (Bugge)
und Snorra edda 1, 474 und 585 genant wird, hielt sie also für eine
germanische göttin ; und J. Grimm, der ihm beistimte, sah (Mytho-
logie4 s. 213) „in dieser inschrift ein schlagendes zeugnis für das zu-
sammentreffen nordischer und deutscher götterlehre."
Seitdem ist bei Nim wegen ein jezt zu Utrecht aufbewahrter
stein gefunden worden mit einer inschrift, die, wie Zangemeister in
don Etudes ded. a Leemans 1885 s. 239 und in der Westd. zeitschr.
a. a. o. spalte 5 angibt, ebenfals den namen der göttin Hludana ent-
hält Die sehr verstümmelte inschrift hat von dem namen nur die
buehstaben YD, vor denen L oder HL ausgefallen sein muss. Sonst
geht aus der inschrift nur hervor, dass der göttin ein legionssoldat
den altar gesezt hat-. Diese Nimwegener inschrift hat, da sie zu
lückenhaft ist, für die frage nach dem wesen und der bedeutung der
Hludana keinen wert und gibt ebenso wie die Birtener lediglich Zeug-
nis, dass sich auch in den römischen legionen Niedergerm aniens Hlu-
dana-Verehrer befunden haben.
Dagegen ist für die erkentnis des wesens der Hludana eine stein-
inschrift unschätzbar, die vor 20 jähren zu Iversheim in der nähe
von Münstereifel gefunden wurde, und die wider die meinung erweckte,
dass Hludana eine keltische göttin gewesen sei. Die nach der rechten
seite wie auch unten abgebrochene inschrift lautet in der ergänzung
durch J. Freudenreich, der sie in den Bonner Jahrbüchern 50, s. 184
publicierte, folgendermassen : [In Honorem] ä(omus) d(ivinae) [deae]
Ilhidanie (sacrum) pro salute imfperatoris) [M. Aurel] (SJeveH
Alexa(ndri) [PH] Fcl(icis) invicti [Aug(usti) et Jül.] Mamaee ma-
(tris) [Aug(usti)] vexillatfio) legfionis) [I Mßnerviae) P(iae) F(ide-
Hs)] (cu)r(am) (ajgente Infyenuo). Freudenreich meinte nun, „es
möchte die eigentümliche keltische form des schriftzeichens & in unse-
rer inschrift, welche dem griechischen 0 entspricht, und wofür gewöhn-
lich ein gestrichenes iB (meist verdoppelt) mit der lautlichen geltung
eines 8 oder Th vorkomme, dafür sprechen, dass wir die Hludena
1) Brambach, Corpus Inscript. Rhenan nr. 150.
2) Brambach nr. 106 mit den Verbesserungen Zangemeisters a. a. o. Brambach
nr. 188, ein am Monterberg bei Calcar gefundenes fragment, gehört, da nach Zange-
meister ("Westd. zeitschr. 8, korresponclenzbl. 1 spalte 5) in der inschrift nicht „Hlu-
denae", sondern „H. Lucenae" zu lesen ist, nicht hierher.
9*
132 3AXKSL
(oder Efluthena) für eine, wenn auch nicht topische, keltische schutz-
_ '-ttin anzusehen haben, welche sich immerhin mit einer verwanten
germanischen gottheit berühren möge."
Diesei und überhaupt jeder zweifei an dem reinen Germanen-
tume EQudanas muss angesichts des Bcetgumer rundes verstummen.
Denn bei einer von den Friesen verehrten gottheit ist jeder gedanke
an keltische herkunft von vorn herein ausgeschlossen. Hludana ist
eine echt germanische göttin, und daher darf ihre deutung nur aus
der spräche und dem glauben der Germanen versucht werden. Fragt
man aber weiter, bei welchen deutschen stammen Hludana verehrt
worden ist, so wird man einräumen müssen, dass bis jezt die Ver-
ehrung dieser göttin nur bei den Friesen wirklich nachgewiesen ist,
und zwar durch die Beetgumer Inschrift. Denn die Birtener, Nim-
wegener und Iversheimer altäre rühren von legionssoldaten her. Wel-
cher germanischen Völkerschaft aber diese Soldaten angehört haben,
st sich nicht mehr ermitteln. Es wäre sehr wohl denkbar, dass es
durchweg Friesen gewesen sind. Jedesfalls hat bei einer deutung des
namens der göttin unter allen germanischen dialekten der friesische
den ersten ansprach auf berücksichtigung.
J. Grimm, der in seiner mythologie (s. 213) der von Thorlacius
behaupteten identität der deutschen Hludana mit der nordischen Hlödyn
beipflichtete, konte bei seinem versuche, wesen und namen der göttin
zu deuten, da er von den inschriften allein die Birtener kante, diese
aber keinen sachlichen anhält zu einer erklärang gewährt, nur von der
nordischen Hlödyn ausgehen. Diese wird einmal (Vsp. 55) als Thors
m utt er bezeichnet, als welche sonst (Lokas. 58, J)rk. 1; Sn.E. I, 54. 120.
320) Jord, d. i. die göttin erde, genant wird; und da nun in den
Skäldskaparmäl (Sn.E. I, 474. 476) die erdgöttin sowol Fiorgyn als
auch Hlödyn heisst. so leitete Grimm den namen „Hlödvn" vom alt-
nord. hlöä ..strues, ara, herd" ab, das wider von hlapan, ItJöJ) ,,struere"
mim. 2, 10 nr. 83) gebildet sei. „Hlödyn" bedeute also „schir-
merin der feuerstätte." „Der herd sei uns grund und boden der
wohnung , gleichsam ein väterlicher lar, wie die erde mutter." Grimm
will daher Hludana (s. 735) geradezu den feuergöttern Loki und Logi
zur seite stellen.
Diese sprachlich unanfechtbare deutung der nordischen „Hlödyn"
ruht in sachlicher beziehung auf sehr schwachen füssen. Denn es ist
zunächst, wie sich von selbst versteht, kein uralter mythischer zug,
dass drei besondere göttinnen, Jord, Fiorgyn, Hlödyn, um die Stel-
lung als Thors mutter stielten. Ursprünglich kann nur eine von ihnen
EBXHA HLUDANA 133
als Thors matter bezeichnet worden sein; mit anderen Worten: die drei
Damen Jqrct, Morgyn, Hlödyn sind im lirgermanischen göttersysteme
drei namen einer und derselben göttin. Der eine war der hauptnanie
dieser göttin, wahrend die beiden anderen als alte beinamen derselben
zu gelten haben. Die namenformen zeigen nun auf den ersten blick,
dass die ganz gleich gebauten namen Elorgyn und Hlödyn die beiden
beinamen gewesen sein müssen, während Jqrd ..die erde" der die
physikalische natur der göttin ausdrückende hauptname war. Die
beinamen der gottheiten aber bedeuten stets etwas ganz anderes als
ihr hauptname. Da dieser nun „die erde" bedeutet, so kann Hlödyn
nicht von einem worte gebildet sein, dessen grundbedeutung „erdhau-
fena ist. Die Grimmsche deutung des namens Hlödyn ist daher auf-
zugeben.
Man wird überhaupt bei einem streng methodischen versuche,
die deutsche Hludana des 1. Jahrhunderts zu erklären, von jenen nor-
dischen angaben des 12. und 13. Jahrhunderts nicht ausgehen dürfen;
vielmehr müssen wir, da wir über mehr inschriftliche Zeugnisse als
Grimm verfügen, bei der eigentlichen deutung die altnordische Hlödyn
zunächst ganz bei seite lassen. Dies taten bereits, obwol ihnen nur
dasselbe material wie Grimm zu geböte stand, Lersch (Central -museum
II 27) und Simrock (Mythol. 5. auf 1 . s. 382), welche Hludana bzw.
Hlödyn als „hochberühmte göttin", also aus klüd „sonus" erklärten.
Diese deutung ist sicher falsch. Denn selbst zugegeben, dass hlüd hier
einmal „rühm" bedeute, so würde doch eine hlüd-ana immer nur eine
„über dem rühme waltende", also allenfals eine „rühm verleihende",
niemals aber eine „berühmte" bedeuten können.
Auch Müllenhoff hat (Schmidts zeitschr. für deutsche gesch. S,
264 fg.) eine erklärung des namens Hlödyn -Hludana gegeben. Er
meint, schon nach dem deutschen Hludana sei Hlodvn und nicht Hlö-
dyn zu schreiben1. Das wort, woraus der name abgeleitet, finde sich
in Chlodoveus oder genauer Hluthovius, got. Hludviu und ähnlichen
namen; es sei dem griech. mXvrog ganz gleich. Hlödyn, Hludana sei
Lit'jTijQ 7coXvtbvv(.wg oder Klv(.uvyj und bedeute die vielgenante, viel-
namige. Diese deutung halte ich für keine glückliche. Ein „Hlu-
dana" auf römischen inschriften des 1. und 2. Jahrhunderts nach Chr.
entscheidet über die quantität des u gar nicht; dasselbe kann lang oder
kurz sein. Aus dem deutschen „Hludana" ist also kein zwingender
grund zu entnehmen, das eddische Hlödyn in Hlödyn zu ändern.
[1) Dies wird schon durch die gesetze der altnord. metrik widerlegt ; vgl. z. b.
Sn. E. I, 474: gein Hlopynjar beina. H. Gr.]
134 JAEKEL
Diese änderung könte man sich nur dann allent'als gefallen lassen,
wenn sich durch dieselbe eine passende bcdcutung für den namen
"hon würde. Als solche vermag ich aber „die vielgenante, viel-
namige" nicht anzuerkennen. So können weder die Germanen noch
ein anderes vulk eine uralte göttin bezeichnet haben. Daher ist die
Schreibung Hloitvn beizubehalten und um ihrer willen das u in Hin-
ilana als lang zu betrachten, Müllenhoffs deutung aber abzulehnen.
Indem wir den einfall Grimms (Myth.4 s. 221 anm.), auf dem Bir-
tener altare könne „Hludanae" für „Huldanae" verschrieben sein, ange-
sichts der neueren funde auf sich beruhen lassen und die deutung des
namens „Hludana" aus einem Ortsnamen „Lüddingen", wie sie Schrei-
her (Die feen in Europa s. 63) gibt, nur der volständigkeit wiegen
erwähnen, da sie keiner Widerlegung bedarf, wenden wTir uns zu der
erklärung des namens Hlödyn, mit welcher Sophus Bugge in seinen
„Studier over de nordiske gude- og heltesagns oprindelse" (deutsch
von 0. Brenner, München 1889) vor kurzem hervorgetreten ist. Da
er gerade seine erklärung des namens Hlödyn als beweis einiger neuen
behauptungen seiner „Studien" benuzt hat und da seine besprechung
der Hlödyn und der Hludana für Bugges methode charakteristisch ist,
gehe ich näher auf sie ein. Er sagt s. 19 (der Übersetzung): „Bei den
nordischen sagen von göttern oder heroen, die auf antiker, griechisch-
römischer grundlage ruhen, niuss durchgehend volständiger mangel an
Verständnis des klassischen altertumes vorausgesezt werden, und zwar
nicht bloss bei den nordleuten, welche die erzählungen aus diesem
altertum mündlich widergeben hörten, sondern meist schon bei den
englischen oder irischen mönchen, welche sie in lateinischen büchern
lasen oder daraus vorlesen hörten. Wir müssen oft bei diesen gewährs-
männern der nordleute die wunderlichste Unwissenheit in bezug auf
den ursprünglichen mythischen Zusammenhang voraussetzen. So findet
Hlödyn als name von Thors mutter seine erklärung in der in einer
. handschrift bewahrten glosse: Latona Jovis mater Jmnres mödur";
und s. 24: ^Dagegen können bei den Engländern des öfteren anpassun-
gen. umdeutungen und Übersetzungen antiker mythischer namen oder
entstellungen griechisch-römischer mythenzüge nachgewiesen werden,
die für die namensformen und mvthenformen, wie wir sie bei den
nordleuten finden, das mittelglied gebildet haben müssen. So ist oben
erwähnt, dass wir in einer altenglischen aufzeichnung Latona Joris
mater punres mödur das mittelglied besitzen, das Hlödyn Thors
mutter mit der antiken mvthenwelt verbindet." Also weil in einer
■r
ae. handschrift die werte Jovis mater durch punres möduv glossiert
ERTHA HLUDANA 135
sind, muss „Hltfdyn" eine Verdrehung aus „Latona" sein! In einer
anmerkung zu den angefahrten worten gibt Bugge — nicht etwa einen
beweis, dass jene Verdrehung wirklich statgefunden hat, sondern eine
crklärung, wie er sich die Verdrehung vorstelt: Ji ist hier vor / ein-
geschoben wie in an. Hlymrek = ir. Luimneh Limerick; ä wurde
zu 6 in Hlöilyn = Latona wie früher im ags. brdc, an. brök = kelt.
braca usw. usw. Gesezt, aher nicht zugegeben, dass jene Übergänge
in der weise, wie Bugge sie hier annehmen muss, alle zugleich an
einem und demselben werte möglich wären, so ist damit doch noch
nicht nachgewiesen, dass sie auch wirklich erfolgt sind. Aber auch jene
möglichkeit könte man erst dann in betracht ziehen, wenn Bugge nach-
gewiesen hätte, dass die identität der nordischen Hlödyn und der deut-
schen Hludana seit Thorlacius mit unrecht behauptet worden sei. Denn sonst
ist jene stelle einer altenglischen handschrift von gar keiner bedeutung.
Diesen nachweis zu führen hat Bugge in seinem buche sorgfältig ver-
mieden; erst in einem nachtrage (s. 574 fg.) findet sich das schlecht
verhülte eingeständnis , dass in jener von ihm benuzten stelle einer
altenglischen handschrift die Latona nur durch ein versehen mit den
worten „Jovis mater" zusammengeraten sei, und daran schliesst sich
ein versuch, aus sprachlichen und sachlichen gründen darzutun, dass
Hludana und Hlodyn nichts mit einander zu tun hätten. „Man hat
Hlödyir', so führt Bugge aus, „mit einer niederrheinischen göttin zu-
sammengestelt, deren name in lateinischer form im dativ Hludanae
oder Hiudenae geschrieben wird, und Munch (Saml. afh. IV, 138)
meint, dass Hludana denselben stamm lilud enthalte wie der altdeut-
sche name Hludwig. Aber das lange ö in Hlödyn kann nicht dem
kurzen u in Hlud- entsprechen. Ausserdem ist keine tatsächliche Über-
einstimmung zwischen Hlödyn und Hludana nachgewiesen, während
das einzige, was von Hlödvn erzählt wird, dass sie Thors mutter sei,
mit dem über eins timt, was man in England von Latona geschrieben
findet.1' Mit diesen worten glaubt Bugge nachgewiesen zu haben, dass
Hlöclyn und Hludana weder sprachlich noch sachlich zusammengehören.
Von allen erklärungsversuchen kent er also nur die nicht erst erwäh-
nenswerte meinung Munchs. Dass die namhaftesten mythologen das u
in Hludana als lang betrachtet haben, dass Grimm, dessen mythologie
Bugge kent, Hludana -Hlödyn von hlöd „herd" herleitet, also jenes u
ebenfals als lang annimt, weiss Bugge nicht oder findet es nicht erwäh-
nenswert! Es scheint ihm nicht einmal der gedanke gekommen zu
sein, dass ein in einer lateinischen inschrift erhaltenes Hludana langes
oder kurzes u haben kann, dass man also beide möglichkeiten erwägen
136 JABKBL
muss. Zu dem sprachlichen nachweis der nichtZusammengehörigkeit
der Hludana und Hlöctyn bildet der sachliche ein charakteristisches
seitenstück. Er besteht in der nackten behauptung, dass keine tat-
sächliche Übereinstimmung zwischen Hlöctyn und Hludana nachgewie-
sen sei Darauf ist nun zunächst zu erwidern, dass ebenso keine
tatsächliche Verschiedenheit zwischen Hlöctyn und Hludana nachgewie-
sen ist. was von Bugge hätte geschehen müssen. Es ist aber sehr
Leicht, die volständigste „tatsächliche Übereinstimmung- zwisehen Hlöctyn
und Hludana^ nachzuweisen, und es hätte einem gelehrten wie Bugge
nicht zu schwer werden sollen, dies Verhältnis klar zu durchschauen.
Es ist nämlich, wie sich unten zeigen wird, die deutsche Hludana
nachweisbar die gattin des deutschen Tius und die nordische Hlöctyn
nachweisbar die gattin des nordischen Tyr, und damit dürfte doch
wol, da ja auch Bugge (Studien s. 2) Tius und Tyr für einen und den-
selben gott hält, eine ..tatsächliche Übereinstimmung" zwischen Hlöctyn
und Hludana nachgewiesen sein. Soweit also Bugges Voraussetzungen
und Schlüsse auf der angeblichen Verdrehung des namens Latona zu
Hlöctyn beruhen, mag er dieselben getrost aufgeben, oder er möge
consequent weiter folgern, dass auch „Hludana" lediglich durch eine
Verdrehung aus „Latona" entstanden sei, eine behauptung, die neben
dem reiz der neuheit noch den vorzug haben würde, erst keiner wider-
gung zu bedürfen. Wenn übrigens Bugge Hludana eine „nieder-
rheinische" göttin nent, so ist er durch diese unbestirnte bezeichnung
einer erklärung, ob er Hludana für eine germanische oder für eine
keltische gottheit hält, glücklich aus dem wege gegangen, zugleich aber
hat er damit gezeigt, dass er auch bei dem im jähre 1889 erfolgten
drucke jenes naehtrags zu seinen „Studien" noch nicht von dem am
15. august 1888 im friesischen Beetgum gefundenen Hludana- denkmal
notiz genommen hatte. Denn seit jenem funde darf man Hludana
nicht mehr ein*' bloss „niederrheinische" göttin nennen.
Dies sind die bisher versuchten deutungen. Wenn wir es nun-
mehr selbst unternehmen, wesen und namen der deutschen Hludana
zu erklären, so haben wir
1) die form des namens schärfer, als bisher geschehen ist, ins
äuge zu fassen,
2) auf die Iyersheimer und die Beetgumer inschrift gestüzt das
wesen der göttin festzustellen,
3) den namen „Hludana" aus dem deutschen zu deuten und
4) dieser göttin den ihr gebührenden platz im urgermanischen göt-
tersysteme anzuweisen.
ERTHA HLUDANA 137
1. Der name der göttin lautet im lateinischen dativ auf der um
100 nach Chr. errichteten Beetgumer und auf der Birtener Ära Hlu-
danae, auf dem Nimwegener altare Hlud., auf dem [versheimer, der
aus kaiser Alexanders (222— 235) zeit s tarnt, Hlu#enae, während die
Edden die gottin „HlöCtyn" nennen. Demnach hiess die göttin bei den
Westgermanen um das jähr 100 „Hludamr oder „Hluthana", um das
jähr 200 „Hhutenc" oder „Hlüthene", wogegen wegen des altn. „Hlö-
(tyn" gotisch *Hlo{»unja anzusetzen ist.
Welche von den beiden formen ist nun die ältere, die ostger-
manische oder die westgermanische?
Grimm (Myth.4 s. 212) bemerkt richtig, dass Hlmtyn dieselbe
ableitung wie Fiorgyn haben nmss. Als gotische entsprechung der
nordischen Fiorgyn sezte er daher mit recht *Fairgunja an. Wie
nun aber der ostgerm. Hlödyn-^Hlofunja eine westgerm. Hin da na
gegenübersteht, so muss neben der ostgerm. Fiqrgyn^Fairgun ja als
westgerm. entsprechung *Fergana angesezt werden. Der nominal-
stamm, welcher dem namen Fiorgyn -*Fairgunja-*Fergana zu
gründe liegt, ist urgerm. *ferg-ä. Fiorgyn ist nun bekantlich die weibliche
entsprechung des gottes Fiorgynn. Dieser gott, der sich zu dem litt.,
lett., altpreuss. donnergotte Perkünas, Pehrkons, Perkunos stelt (Grimm
Myth.4 s. 142) und dem ein got. *Pairguns oder *Fairguneis, ein
westgerm. *Fergan entspricht, ist, wie Zimmer in der Zeitschr. f. deut-
sches altertum 19, 164 fgg. nachgewiesen hat1, mit dem altindischen
regen- und gewittergott Parjänya identisch. Zimmer (s. 166) leitet
mit Grassmann (Wörterbuch zu Eig-Yeda s. 790) diesen altindischen
namen von der wurzel parc- „füllen, segnend, befruchtend anfüllen"
ab und stelt ein indogerm. parkana- und ein mit taddhita ya gebil-
detes Parkänya auf, welches die regen wrolke und personificiert (kin
regen- und gewittergott bezeichne. Dies scheint mir, wenn ich die
germanischen namenformen in betracht ziehe, noch nicht ganz richtig.
Ich glaube vielmehr, dass dem namen Parjänya- Fiorgynn ein indogerm.
appellativum parka- „regenwolke" zu gründe liegt, von dem Parkana
gebildet wurde und an das dann im skr. suffix -anya, im lit. -una,
im ostgerm. -uni, im westgerm. -ana trat. Die westgerm. form mit
suffix -ana- steht der indogerm. form Parkana- am nächsten. Wir
müssen daher auch in bezug auf die weiblichen namen die form Hlü-
etana für älter als die ostgerm. Hlödyn-Hlöpunja halten und annehmen,
dass sich an die stelle des urgermanischen Hl ü]) ana später im ost-
1) Auf die von mir anfänglich übersehene abhandlung Zimmers machte mich
herr professor Gering freundlichst aufmerksam.
138 JAEKEL
[■manischen — wahrscheinlich unter lett. - litt. - altpreussischem ein-
flösse — die form Hlojmnja gesezt hat.
Der name „Hin da na" ist ebenso wie die weiblichen götterbei-
beinamen Tanf-ana, *Kah-ana (Kan), Verk-ana (griech. 'EQydvy;
vgl. Zeits.hr. f. d. a. 31, 358), *Ferg-ana, wie die männlichen göt-
terbeinamen W6d-an, Sax-an, Requalivah-an1, Makus-an2, wie
die appellativa got thiud-ans, ags. theod-erij ags. dryht-en u. a., aus
einem nomen durch das suffix -ana- gebildet, das alte nomina agentis
bildet, welche vorgesezte bezeichnen, wobei das zu gründe liegende
Domen den bezirk, das gebiet der tätigkeit angibt (Kluge, Stambil-
dungslehre § 20). ..Hlüd-ana" zerlegt sich demnach zunächst (in
hlüd-, das in dem friesisch des 13. bis 15. Jahrhunderts, wie es in
den friesischen rechtsquellen erhalten ist, hl tat oder hhht lauten muss,
ans dem eben genanten suffix -ana- und dem persönlichen feminin-
suffix -on (Kluge a. a. o. §§ 34 — 36).
Es ist diese bildungsart auf -ana-. wie bisher noch nicht bemerkt
worden ist, für eine reihe von götterbeinamen, zu denen auch Wo-
dan gehört, charakteristisch. Der hauptname einer gottheit ist niemals
mit diesem suffix -ana-, -Ina-, -una- gebildet. So zeigte sich denn
-•hon oben aus anderen gründen, dass Hlödyn- Hlüdana der beiname,
nicht der hauptname einer göttin ist, und zAvar, dass es Jqrd, also die
i manische erdgöttin *Airtha (terra mater), die höchste göttin der
Germanen, ist. welcher dieser beiname gebührt. Durch „Hlüdana"
muss also ursprünglich eine abgeschlossene, bestirnte seite im wesen
der germanischen erdgöttin, eine besondere, positive seite ihrer tätig-
keit bezeichnet worden sein. AVie aber unser inschriftenbestand zeigt,
war schon im 1. Jahrhundert nach Chr. aus dem beinamen Hlüdana
eine besondere dea Hludana geworden, die wir demnach als eine
hypostase der alten, vielseitigen erdgöttin zu betrachten haben.
2. Die wahre bedeutung des wortes hlüä oder Idöä müssen wir
mit bilfe der Beetgumer und der Iversheimer inschrift zu rinden suchen.
AVas das Beetgumer denkmal anlangt, so bleibt die einfachste
und natürlichste annähme immer die, dass die conduetores piscatus
durch die errichtung des altares der göttin Hlüdana ein gelübde für
gesegneten fischfang gelöst haben; alle anderen annahmen würden
keinen festen boden unter den füssen haben. Dass indes Hlüdana
nicht etwa eine besondere göttin der fischer oder des fischfanges war,
1) Vgl. Jahrbücher des Vereins von altertumsfreunden im Rhcinlande 81, s. 71.
2) ÜbeT diesen ältesten beinamen des germanischen feuer- und sonnengottr-s
werde ich binnen kurzem ausführlicher handeln.
ERTHA HLÜDANA 139
mit der fischerei unmittelbar überhaupt gar nichts zu tun hatte, beweist
schon ihr Dame, der keinerlei hinweis auf die tischerei enthält, soejann
aber die Iversheimer votivara, welche das in dieser gegend garnisonie-
rende detacliement der I. Minervischen Legion für errettung des kai-
sers und seiner mutter der Hlüdana gesezt hat.
Man könte nun umgekehrt bei einer deutung der Hlüdana von
dem Iversheimer denkmal ausgehen und auch bei dem Bectgumor altar
an eine „errettung" der conduetorcs piscatuß aus gefahr — vielleicht
ans gefahren zur see — denken, nach deren glücklicher Überstehimg
sie der Hlüdana ein gelübde gelöst hätten. Allein dann Hesse sich
der name Hlüdana ebenso wenig deuten, denn er enthält keinerlei hin-
weis auf „hilfett, „rettung." Mit der bedeutung „helferin, schützerin"
wäre aber auch nicht eine abgeschlossene seite im wesen der erdgöttin
bezeichnet, was doch nach dem oben gesagten durch Hlüdana aus-
gedrückt sein muss.
Da also das wort hlüd-hlöä weder auf „fischfang" noch auf „ret-
tnngki unmittelbar weist, dennoch aber der göttin Hlüdana dort für
gesegneten „fischfang a, hier für „errettung" gedankt wird, so muss
das wort klüä etwas bedeuten, das sowohl die errettung Alexanders
und seiner mutter als auch einen gesegneten fischfang mittelbar
bewirkt hat.
Als Alexander und Mammaea am Rheine unter den unzufrie-
denen legionen weilten, sahen sie sich durch die bald hier bald dort
hervorbrechende flamme der Zwietracht und empörung wiederholt aufe
ernstlichste bedroht. Längere zeit gelang es ihnen, die eintracht immer
wider herzustellen und dadurch sich selbst zu sichern; aber schliesslich
fielen sie den empörten legionen zum opfer. Nach einer solchen erret-
tung durch herstell ung der eintracht muss die Iversheimer votivara von
dem daselbst stehenden römischen detachement gesezt worden sein.
Hätte diese abteilung aus römischen bürgern bestanden, so würde sie
bei dieser gelegenheit nach römischem brauche der Concor dia einen
altar errichtet haben. Wenn nun das detachement, das offenbar zu
einem überwiegenden teile oder ganz aus Germanen bestand, nach
errettung des kaisers durch herstellung der eintracht der Hlüdana ein
gelübde löste, so wird die Vermutung nime gelegt, dass Hlüdana die
germanische göttin der eintracht gewesen sei.
Was gab denn nun bei der fischerei, wenn sie von geselschaften
betrieben wurde, nach dem glauben der Germanen einen guten fang?
Xichts anderes als die eintracht. Die Laxdcelasaga cap. 14 [34 u Kai]
sagt es ausdrücklich, dass Zwietracht die fange verderbe, wie es ja
140 JAEKEL
überhaupt schifferglaube der Germanen war, dass Uneinigkeit unter den
genossen eines fahrzeugs verderblich sei1. Wenn also die Beetgumer
mduetores piscatus der Hlüdana für gesegneten fang dankten, so dank-
ten sie ihr dabei mittelbar für gewährung der eintracht, sowie ent-
sprechend das [versheimer detachement, indem es für die errettung des
kaisers und seiner mutter dankte, mittelbar für die gewährung der
eintracht dankte. Hier wie dort wird also für dasjenige gedankt,
was überhaupt eine geselsehaft zusammenhalten kann, für die ein-
tracht. Hiernach muss also Hhulana als die gewährerin der ein-
tracht und damit als die göttin der verbände und geselschaften , als
die schirmerin der genossenschaft. des bundes gedacht wor-
den sein.
3. Es fragt sich nun, ob diese sachliche deutung Hhulanas mit
der sprachlichen in einklang gebracht werden kann. Wir sahen
oben, dass das wort klüä oder hlöth, welches dem namen Hhulana
zu gründe liegt, im Friesischen des 13. und 14. Jahrhunderts klüä
(hlüth) oder hlöd (hlöth) lauten müste. Von hlucl „sonus" kann, Hlü-
dana nicht kommen: es wäre dies in sprachlicher und sachlicher hin-
sieht ganz unmöglich. Wir haben vielmehr an hlod (hlöth) zu den-
ken, ein wort, welches im Altfriesischen und im Angelsäch-
-ehen begegnet, also offenbar sehr alt ist; es bedeutet „geselsehaft,
seh aar. bände." So bezeichnet in den gesetzen des angelsächsischen
königs Ine (688 — 725) § 13 hlod eine zum gemeinsamen stehlen ver-
einte geselsehaft oder bände von 7 bis 35 dieben2; und im friesischen
Brokmerbrief § 68 wird hlöth als bezeichnung einer zum einbrechen
vereinigten schaar oder bände verwendet3. Auch jene Beetgumer
societas conduetorum piscatus muss von den Friesen als hlüd
bezeichnet worden sein. Der name Hlüdana bedeutet demnach die über
einer geselsehaft waltende, d. i. die bundesgöttin, die göttin
der eintracht. Hlüdana ist demnach die germanische entsprechung
der römischen Fortuna-Concordia, die ebenfals eine hypostase der
erdgöttin war. So erklärt es sich vielleicht auch, dass die göttin
Hlüdana auf der Beetgumer ara sitzend dargestelt ist; denn der
römische Steinmetz dürfte sie als Concordia dargestelt haben, diese
aber wird regelmässig sitzend abgebildet. Es ist sehr zu bedauern,
dass -ich der fehlende obere teil der Aedicula trotz eifrigem suchen
nicht gefunden hat. Er würde uns vielleicht gezeigt haben, dass hier
Hlüdana auch die attribute der römischen Concordia führte.
I) Vgl. dazu Weinhold, Altnord, leben s. 71 fg. 2) Schmid, Gesetze der
Angelsachsen s. 17. '6) v. Richthol'en, Fries, rechtequ. 161, 25.
ERTITA HLUDANA 141
In Friesland, wo das ringen mit dem meere eine unzahl stän-
diger communalverbände ins loben gerufen hatte, wo fischfang und
überseeischer liandel den raschen zusammenschluss zu geselschaften und
banden beförderte, muss die bundes- und eintrachtsgöttin HIMana
grosse Verehrung genossen haben, und so ist es nicht zufallig, dass
gerade ihr bild dem friesischen boden entstieg.
Wie bezeichnend ist es aber für den rechtlich -friedfertigen sinn
der Friesen, dass sie, die in dem wesen ihrer männlichen hauptgott-
heit, des Tius, gerade den rechtsschutz durch einen besonderen bei-
namen, „Things", hervorhoben, ihre weibliche hauptgottheit, wofür
auch bei ihnen die erdgöttin galt, gerade unter demjenigen beinamen
verehrten, der an ihr die gewähr von frieden und eintracht, also
ebenfals eine ethische seite, betonte! Dass es gerade die mutter erde
(Terra mater) war, von der den sterblichen nach dem glauben der Ger-
manen „ pax et quies" gebracht wurden, ist aus Tacitus' (Germ. 40)
angaben über Xerthus zur genüge bekant. „Nerthus" ist, wie HIMana,
ursprünglich nur ein beiname der germanischen erdgöttin Ertha.
Wie sich Hlüdana von Fiorgyn und wie sich diese beiden ^'6t-
tinnen wider von Ertha unterschieden, kann erst in einem anderen
zusammenhange gezeigt werden.
4. Ertha Hlüdana war die weibliche hauptgottheit der Friesen,
wie „Tius Things" l die männliche. Daraus, dass den Friesen nicht der
düstere sturmgott Wodan, sondern der lichtgott Tius Things als haupt-
gott galt, ersieht man, dass sie in ihren religiösen Vorstellungen auf
istvaeischem Standpunkte stehen. Natürlich müssen Tius und Airtha
„himmel und erde" ursprünglich von allen Germanen als höchste gott-
heiten verehrt worden sein.
Wenn man nach dem Verhältnis fragt, in welchem Tius und Airtha
nach germanischer Vorstellung zu einander gestanden haben, so kann
die antwort nur lauten, dass sie als gern ah 1 und gemahlin gedacht
wurden. Denn es ist zunächst ein echt germanischer zug, stets eine
männliche und eine wreibliche gottheit zum ehepaar zusammen zu stel-
len, sodass man, wenn die männliche und die weibliche hauptgottheit
eines Stammes gefunden sind, dieselben ohne weiteres als ein ehepaar
auffassen kann. So müssen natürlich auch die männliche und die
weibliche hauptgottheit der Friesen ein paar gebildet haben.
Es lässt sich aber auch wol aus den Edden ersehen, dass Airtha
Hlüdana die gemahlin des Tius gewesen ist. Die nordischen mytho-
1) Vgl. Ztschr. XXT, 1 fgg.; XXII. 257 fgg.
]42 .TAKKEL
logen sahen sieh, weil sie den germanischen stürm- und todesgott
Wodan -Odin zum höchsten gotte und vater aller götter und menschen
macht, also an die stelle, die einst Tius iune gehabt, gesezt hatten,
Qötigt, die allgermanische theogonie umzubilden. Zum glück ist aus
ihrer band kein gebilde, das frei von Widersprüchen wäre, hervor-
gegangen; vielmehr blickt hier und da die ältere gestalt dieser theo-
gonie noch durch. Bei Tius-Tyr, von dem die Edden nur wenig
erzählen, kann man die umbildende Tätigkeit der nordischen mytho-
Losen besonders deutlich erkennen. Während noch die ältere Edda
diesen gott von riesen abstammen lässt (Hym. 5. 8), macht ihn die
jüngere (I, 266) zu einem söhne Odins, also des gottes, der ihn
aus seiner Stellung als vater der götter und menschen verdrängt hat.
Von einer gern ah 1 in Tyrs spricht die jüngere Edda überhaupt nicht
mehr, die ältere weiss wenigstens noch, dass einst Loki mit Tyrs
gemahlin buhlte, wenn sie auch auffallender weise den namen dersel-
ben verschweigt. Die gemahlin Tyrs war offenbar zu angesehen und
in ihrer Stellung zn befestigt, um sich mit ihrem gemahl ohne weite-
- in den hintergrund drängen zu lassen. Den umbildnern der alten
theogonie blieb daher nichts übrig, als diese höchste göttin von Tyr zu
hei den und an ihrer alten stelle zu belassen. Sie muste nun auch
dem neuen obergotte zur gattin gegeben werden, aber, da dieser schon
rmählt war, mit der stelle einer zweiten gemahlin vorlieb nehmen.
So erscheint denn Odin in den Edden unerhörter weise dauernd
mit zwei gemahlinnen, von denen die erste, Frigg, seine alte, echte
mahlin1, die zweite aber, Jord Hlödyn Fiorgyn, ursprünglich die
gattin seines Vorgängers, des Tius, ist.
Dass Jord in der tat eine ältere obergöttin als Frigg ist, geht ferner
aus der angäbe der Edden hervor, dass Frigg eine Tochter des Fiorgynn
sei Zu Fiorgynn hatten die Germanen, wie wir oben sahen, früh eine
weibliche entsprechung, die „Fiorgyn", geschaffen. Dieser name „Fior-
gyn - erwies sich als ein beiname der Jorit. Schon deswegen kann
Fiorgynn ursprünglich nur ein beiname des gemahls der Fiorgyn, also
des Tius. gewesen sein. Dieses Verhältnis lässt sich aber auch mit
hilfo der altindischen mythologie nachweisen. Fiorgynn ist, wie Zim-
mer gezeigt hat. mit dem altindischen regengotte Parjänya, „dessen
same der erde schoss erquickt", identisch. Parjänya als befruchtender
\) Freilich soll Frigg nicht von anfang an Wodans gemahlin gewesen sein,
worin ich Müllonhoff (Zeitschr. f. d. a. 30, 217. 219) beistimme. Wissen gemahlin
sie aber ursprünglich gewesen, hat er nicht angegeben. Ich werde demnächst Friggs
mahl in anderem zusammenhange besprechen.
ERTHA HLUDAN'A 143
regenspender hat daher Prithivl, *1 io mutter erde, zur gattin. „Viel
häufiger aber", sagt Zimmer (s. 169), ist im Rig-Yeda die jedesläls
bedeutend ältere anschauung verbreitet, dass Dväus. der leuchtende
himmelsgott, und Prithivi die janitrf, erzeuger, eitern der menschen,
(In- weit seien, ja sogar der götter, denn sie heissen devaputre*, göt-
ber zu kindern habend. Parjänya wird daher auch geradezu söhn des
Dyäus genant." Zimmer meint nun. dass „je nach der verschiedenen
aufTassung und dem jedesmal eigentümlichen mythenkreise Parjänya
als söhn des Dyäus und neben ihm als gatte der Prithivl erscheint.
die aber auch zugleich als seine mutter gefasst werden kann, da sie
ja und Dyäus devaputre sind." Diese erklärung scheint mir noch
nicht ganz den nage! auf den köpf zu treffen. Wir haben es bei jenen
altindischen angaben nicht eigentlich mit verschiedenen mythenkreisen,
sondern mit einem einzigen zu tun, aber 'in zwei verschiedenen phasen
seiner entwickelung. Der Inder fasste Prithivi, die mutter erde,
ursprünglich als gemahlin des himmelsgottes Dyäus. In dem glühend-
heissen lande muste früh die Vorstellung entstehen, dass sich im regen
der befruchtende same des lümmelsgottes in den schoss der mutter
erde senke. Deswegen erhielt Dyäus gerade als gemahl der Prithivi
den beinamen Parjänya. Dyäus Parjänya „der regenspendende him-
melsgott " war der gatte der Prithivi. Aus diesem beinamen entstand
nun durch hypostase ein besonderer gott Parjänya „der regenspender",
der als hypostase des Dyäus zum söhne desselben werden muste. Dass
er aber dabei zugleich gatte der Prithivi, der gemahlin des Dyäus
genant wird, ist nur dadurch zu erklären, das der name Parjänya
ursprünglich dem Dyäus als beiname zukam. Etwas ganz analoges
bietet die römische mythologie. Hier hat der himmelsgott Juppiter
Juno zur gemahlin und den Genius zum söhne, der jedoch zugleich
als gemahl der Juno bezeichnet wrird. Auch dies ist einzig daraus
zu erklären, dass Genius „der zeugende" ursprünglich ein beiname
Juppiters, Juppiter als Genius, d. i. zeugend, Junos gemahl ist, Als
dann durch Hypostase • Genius zu einem besonderen gotte erhoben
wurde, ward er Juppiters söhn, blieb aber zugleich gemahl der Juno.
Diese Stellung des italischen Genius ist somit genau dieselbe, wie die
des altindischen Parjänya. Als sich die Germanen in Ländern nieder-
gelassen hatten, welche an regen und feuchtigkeit überreich waren,
vermochte sich der „regenspender" in seiner Stellung als befruchter der
erde nicht zu behaupten. Der Germane konte die eigentlich zeugende
kraft des himmels nicht in das im regen niederträufelnde nass, son-
' dem nur in den wärmenden strahl der sonne verlegen; daher muste
144 JAKKKL, BBTHA HLUDANA
ein anderer nachkomme des himmelsgottes, der ebenfals durch hypostase
entstandene fener- und Sonnengott im glauben der Germanen zum
zeugenden lebensprincip werden, während der regenspender Fiorgynn
mehr und mehr in den Hintergrund trat. "Wenn also Parjanya- Fiorgynn
ursprünglich nur ein beiname des Dyaus-Tyr war, so ist Frigg, die
tochter des Fiorgynn, eine tochter des Tyr und der Jord, des himmeis
und der erdi Inwiefern ihr name dazu genau passt, werde ich an
anderer stelle zu zeigen haben. Wäre Frigg die älteste obergöttin, so
müste sie nicht von Äsen, sondern von riesen abstammen, wie dies mit
Jord, der tochter der Nött und Schwester der Dagr (Sn. 11, 123) der
fall ist. Gibt man Jord Fiorgyn HlddVn ihrem rechtmässigen gemahle
zurück, so stellen sich sofort auch einige andere der in den Edden
angegebenen götterverhältnisse in ihrer ursprünglichen gestalt wider her.
Da Jord in der Edda die zweite gemahlin Odins ist, erscheint
ihr sonn, der gewittergott Thor, als ein söhn des sturmgottes Odin,
während in der altgermanischen theogonie Thunar noch als söhn des
Tius und der Airtha, des himmels und der erde, galt.
Der sturmgott Odin selbst war ebenfals ursprünglich ein söhn
des Tyr. Nach den Edden bestand zwischen diesen beiden göttern
«las Verhältnis von vater und söhn. Die Edden machen nun Odin,
den gemahl der Frigg, der tochter des Tyr Fiorgynn, zu Tyrs vater.
Odin müste also seine eigene enkelin geheiratet haben. Diese unmög-
liche kombination entsprang der notwendig!' eit, Odin zum alvater zu
machen. Im urgermanischen göttersystem standen Tius und Wodan
gerade umgekehrt zu einander: Tius war der vater und Wodan der
söhn. Dieses Verhältnis kann vernünftiger weise allein zwischen dem
himmels- und dem sturmgotte gedacht werden. So fassen denn auch
die anderen indogermanischen religionssysteme den sturmgott als nach-
kommen des himmelsgottes. Natürlich hatte sich der germanische sturm-
gott dereinst ebenso wie Parjänya-Fiorgynn vom himmelsgotte durch
hypostase gelöst. Denn „Wodan- Odin M ist, wie schon die form dieses
namens zeigt, ursprünglich ein blosser beiname.
Auch Thors gemahlin Sif ist, wie die angäbe der jüngeren Edda
iL 585), dass sif ein synonymum von jojd sei, verrät, lediglich eine
hypostase der Jord; sie muss also in der älteren germanischen theogo-
nie als tochter der Jord gegolten haben.
Es ist ui. mit gelungen, dem urgermanischen obergotte Tius
nicht nur die rechtmässige gemahlin, Airtha Hlojninja Fairgunja, son-
dern auch vier kinder, und zwar den urgermanischen sturmgott, den
gewittergott und die gemahlinnen dieser beiden götter, die in den Edden
E. KETTNEB, EINFLU88 DES NIB.- LIEDES All' DIE GUDRUN* 145
Prigg und Sif genant werden, zurückzugeben. Diese vier kinder, welche
durchweg erdgeboivn (terra editi) sind, zeigen die züge der eitern. Dens
sie sind sämtlich ursprünglich teils tellurische gottheiten, teils solche
der himmelserscheinungen.
BRESLAU, DES 8. OKTOBER L889. BUGO JAEKEL.
DER EINFLUSS DES NIBELUNGENLIEDES AUF DIE
GUDEUN.
Wie die Eneide Heinrichs von Veldeke den ihm nachfolgenden
höfischen epikern als muster galt und auf ihre dichtungen einen wesent-
lichen einfluss ausübte1, so hat auf die deutsche volksepik des XIII.
Jahrhunderts, besonders auf ihre vornehmere gattung, das Nibelungen-
lied als muster eingewirkt. Dieser einfluss zeigt sieh zunächst in der
beobachtung gewisser regeln für den epischen stil, in der auffassung,
Umgestaltung und ausschmückung des überlieferten Stoffes; er erstreckt
sich aher auch auf einzelheiten des Inhalts und der spräche, indem
eigentümliche ausdrücke, versteile und verse des musterepos widerholt
und ganze motive aus demselben entlehnt werden. Die beherschende
Stellung nun, welche das Nibelungenlied innerhalb der volksmässigen
epik einnimt, erkennen wir namentlich, wenn wir dichtungen wie die
Klage, den Biterolf, die Gudrun mit ihm vergleichen und die in ihnen
sich findenden zahlreichen spuren der abhängigkeit von jenem ihren
muster verfolgen. Dass die Klage sich vielfach mit dem Nibelungen-
lied berührt, ist bei der engen sachlichen Zusammengehörigkeit beider
epen natürlich. In welchem umfange dies geschieht, lässt sich am
besten ersehen aus der sorgfältigen abhandlung von Sommer Ztsrlir. f.
d. a. III, s. 193 — 218, zu der ergänzend hinzutritt Bartsch, Unters.
üb. d. Nib. s. 337 fgg.; vgl. auch meinen aufsatz zur kritik des Nib. V.
in dieser Zeitschrift XVII, 390 fg. Über die sachlichen und sprach-
lichen Übereinstimmungen des Biterolf mit dem Nibelungenliede habe
ich gehandelt in dieser Zeitschrift XVI, 346 fgg. Bei der Gudrun ist
das vorkommen von 99 Strophen in Nibelungenform schon längst auf
einfluss des Nibelungenliedes zurückgeführt worden. "Weit grössere
beachtung aber als diese erschein ung verdient das Vorhandensein von
zahlreichen sachlichen und wörtlichen ähnlichkeiten und übereinstim-
1) Vgl. die ausgäbe der Eneide von Behaghel s. CLXXXVI fg
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHn.OLOGIE. BD. XXTII
10
146 E. KETTNEE
mungen, welche sich in diesen beiden epen zeigen. Die früheren nach-
weise von parallelstellen der Gudrun zum Nibelungenliede verdanken
wir zu ihrem weitaus grössten teile dem fleisse v. d. Hagens, der sie
unter den lesarten zur Gudrun im zweiten teile des zweiten bandes der
Deutschen gediente des mittelalters 1825 (herausgegeben von v. d. Ha-
u und Primisser) mitgeteilt hat: übersichtlich zusammengestelt sind
sie im anhange zu Ziemanns ausgäbe 1835. Diese parallelen sind in
er oder kleinerer auswahl in die späteren ausgaben übergegangen
und haben bis jezt nur unbedeutende Vermehrung erfahren. Allerdings
dachte v. d. Hagen bei seiner samlung nicht daran, die abhängigkeit
der Gudrun vom Nibelungenliede nachzuweisen, sondern er wolte vor-
zugsweise der feststellung und berichtigung des textes sowie der erläu-
terang dienen: er hat daher auch viele rein grammatischen und stili-
stischen oder nur sehr algemeinen sachlichen analogieen herangezogen.
Dieser umstand imd die für uns höchst unbequeme art des citierens
bei ihm und auch bei Ziemann1 ist wol der grund gewesen, weshalb
seine samlung bisher wenig berücksichtigt ist. In den einleitungen der
meisten ausgaben wird zwar eine mehr oder weniger genaue kentnis
des Nibelungenliedes bei dem Verfasser oder bearbeiter der Gudrun
vurausgesezt, derselben aber nur geringe bedeutung beigelegt. So ist
es denn erklärlich, dass immer noch die ansieht vorherseht, als ob das
der Gudrun mit dem Nibelungenliede gemeinsame im wesentlichen aus
algemein epischen anschaiumgen und stilmitteln bestehe.
Um nun die richtige anschauung von dem Verhältnis zu gewinnen,
in welchem die beiden bedeutendsten erzeugnisse unserer echt nationalen
epik zu einander stehen, genügt es nicht das bisher gesammelte niate-
rial zu bearbeiten, sondern es bedarf einer lediglich zu einem solchen
zweck angestelten neuen vergleichung der beiden epen, welche
wol durch Vermehrung der Übereinstimmungen als auch durch Sich-
tung und prüfung derselben lieht über diesen gegenständ zu verbreiten
mag. Ich habe mich daher bemüht, eine möglichst volständige sam-
lung aller im gedanken oder ausdruck stärker sich berührenden stellen
1) v. d. Hagen hat sich in der rcgel mit den blossen Zahlenangaben begnügt,
und zwar nach der vers Zählung seiner Nibelungen- und Gudrunausgabe. Ziemann hat
leider die v. d. Hagensche Zählung für das Nibelungenlied beibehalten; die Gudrun-
' Qen hat er zwar nach Strophen angegeben, hierbei aber offenbar nicht immer die
Gudrun nachgeschlagen, so dass in den zittern manches die benntzung störende ver-
n eingeschlichen hat. Der Nibelungenausgabe v. -1. Sagens hegt bekantlich
im wesentlichen der text li zu gründe, doch hat er auch eine anzahl von meh atro-
phen aus C aufgenommen.
EINFLUSS DES NIB.- LIEDES AUF DIE GUDRUN 147
beider dichtungen zu stände zu bringen, also eine samlung aller Über-
einstimmungen, die sich nicht aus einem algemein episches stil erklären
lassen, sondern bei denen an unbewußte entlehnung oder bewuste
nach a Innung- zu denken ist. Und zwar stelle ich diese in der reihen-
folge, wie sie dem leser der Gudrun nach und nach entgegentreten,
zusammen.
Ich glaube keinen Widerspruch befürchten zu müssen, wenn ich
die entlehnungen aus dem Nibelungenliede einem Verfasser und zwar
einem bearbeiter der Gudrun gleich von vornherein zuweise. Die
weiteren ausführuugen werden dieses als gerechtfertigt erscheinen Lassen.
Den text der Gudrun habe ich im algemeinen nach der ausgäbe
von Sijmons gegeben, die mir als die konservativste der neueren aus-
gaben für meinen zweck den Vorzug zu verdienen schien1. Das Nibe-
lungenlied citiere ich, wo nichts anderes bemerkt ist, nach dem tex ti-
der handschrift B, weil dieser, wie sich zeigen wird, demjenigen Nil )•-
lungentexte am nächsten steht, den der bearbeiter der Gudrun benuzte.
Stellen, zu denen nur A parallelismus bietet, kommen nicht vor; wol
aber solche, mit denen allein C über ein stimt. Diese habe ich in den
text aufgenommen. Diejenigen Varianten in A und C, deren Wortlaut
mit dem texte der Gudrun entweder mehr oder weniger übereinstimt
als die lesart von B, sind in den anmerkungen angegeben.
Gudrun str. 1 — 7. Sigebands herkunft und Jugend ist darge-
stelt mit benutzung von Nib. avent. I. II und des anfauges von III , wo von
Kriemhilds und Sigfrids herkunft und Jugend gehandelt wird.
N. 20, 1 Du wuohs in Niderlanden
eins ril edelen2 küneges
ldnt.
7 , 1 Ein rieh iu hü 1 1 eg ii i n e,
fruit Uote ir muoter hiex.
Gr. 1, 1 Ex wuohs in Irlande
ein riehcr Jcünic her.
3 sin muoter diu hiex Uote
und was ein küneginne.
Nachdem der bearbeiter eine kurze Schilderung von Geres macht
G. 2 gegeben hat, die sich vergleichen lässt mit dem N. 8 über die macht
der drei könige gesagten, geht er zu Nib. Avent. II über und berich-
tet G. 3. 4 im hinblick auf N. 23. 24 kurz die erziehung Sigebands,
nicht ohne aus den folgenden Strophen entlehnungen zu machen.
1) Einzelne abweichungen von ihr, die meist in einem engeren anschluss an
den überlieferten text bestehen, sind als solche gekenzeichnet. Die gewöhnliche Zäh-
lung der Strophen habe ich selbstverständlich beibehalten und die häufige* Umstel-
lungen in dieser ausgäbe, denen ich überhaupt nicht zuzustimmen vermag, unberück-
sichtigt gelassen. 2) A rtehen.
10*
148 E. KETTNER
( i. 1. 1 Kr wuohs uk \ an die stunde.
ihr. er wäfen Iruoc.
in In Ides ahte er künde
alles des genuoc.
N. 25, 1 Er was nn so gewahsen,
da* er u hovi reit1,
-!. 1 Nu was er in der sterke,
ihr. er wol wäfen iruoc,
swes er dar vuo bedorfte,
des lag an im genuoc.
Str. 5 spricht der bearbeite! über den tod Geres mit einigen trivialen
bemerkungen; dann berichtet er, dem Nibelungenliede (str. 27) weiter
folgend, v.>n der Jugendliebe Sigebands. Dieser unterlässt es mit rück-
■ht auf seine noch lebende mutter zu heiraten: minnen u rehter
. den2 edelen hiineginnen was nach Sigebanden wr, ähnlich
X. 25, 2 — 4 manec frouwe und manic meit im wünschten, duz sin
wiüe in im nur triiege dcu\ holt wurden im genuoge. Das besonders
betonte u rehter siner e lässt als das bisherige Verhältnis dasselbe
voraussetzen, was NIb. 27, 3. 4 gesagt wird: er begunde mit sin-
nen werben schoeniu wip, dir traten wol mit eren des küenen Sirri-
des lip. Auch der zng der rücksichtnahme auf noch lebende eitern
begegnet X. 43 fg., wo Sigfrid sich ablehend verhält gegen den wünsch
der riehen harren ihn zum könig zu haben, sit der. muh bt i<h> lebeten
Sigmund und SigeUnt. Auf diese angäbe folgt nun im Nib. ebenso
wie auf die entsprechende angäbe über Sigeband in der Gudr. die
»i Zählung vun dem entschluss zur lieirat. Hier rät die mutter, dort
raten die mannen zur Vermählung:
N. 49, 1 //// rieten sine möge
und genuoge sine man,
3 ihr. er dan < ine würbe3,
diu im möhtt lernen.
G. 7, 1 Sin muoter riet dem riehen,
du. er im nur nie ein Wip,
davon getiuret würde
sin laut und ouch sin Zip.
Gleich diese sieben eingangsstrophen zeigen uns also, wie der
irbeiter das Nibelungenlied als seine vorläge gebraucht hat. Er
suchte für die behandlung seines gegenständes einen entsprechenden
stoff aus dem Nibelungenliede auf, dessen darstellung er dann fast schritt
für schritt folgte, wobei er unbedenklich ausdrücke widerholte und ähn-
liche verse bildet*'.
Gudr. 3 H> erzählt im ersten teil den empfang der braut,
die schwertleite des jungen fiirsten die Vermahlung wird kaum
1 1 Str. 25 fehlt in i .
2 II-. der. Sijmons: der künegmne. Vorzuziehen i-t den kwnegvnnen; denn
>-i«Jiuen — wi-- X. 25, 3 — die worte ein Verhältnis der liehe, "-l'enso wie
aueL G. 7 5-. •_'.
doch S. Z. Cr. 169.
EÜKFLUSS DES NIB.-LIEDKS All DIB GUDBUN IT.»
angedeutet -, seine regierung, die geburt und erziehung eines
sohnes. Im zweiten teil dieses abschnittes bestirnt die königin den
könig ein grosses fest mit ninzuziehung vieler gaste zu veranstalten.
Das fest verläuft in den üblichen Vergnügungen. Für diese darsteüun-
gen entnimt der bearbeiter reichlichen stoff aus einem zusammenhän-
genden abschnitt des Nibelungenliedes, der vom schluss der
avent. VI11 aber die avent IX. X, XI bis zum anfang von avent Xu
(bis str. 676) sich ausdehnt; doch auch dvn übrigen teil der avent XII
berücksichtigt er, wie auch avent. XIII. Ausserdem greift er, von
anderen kleineren entlehnungen abgesehen, widerum zurück auf avent II.
Betrachten wir dies nun im einzelnen. G. 8, 2 I nel im
eine aus dem Nib. bekante wendung der begunde er volgen, als man
vriunden sol, vgl X. 1527, 2 man sol vriunden volgen1, 691, 2b also
nni ii vriunden sol; auch 1002, -1- si dienden im nach töde, als man
Vit hin vriunden sol. In str. 9 werden wir auf den schluss von Nil',
avent. VIII hingewiesen. Die braut führt als hofgesinde mit sich
700 recken und viele schöne mägde, ähnlich wie Brunhild bei ihrer
abreise 86 trauen und 100 mägde Xib. 492. Deutlich tritt die bezii
hung auf diese stelle hervor in der folgenden strophe: in magetlichen
eren (10, l!l) brachten sie ihre begleiter zu dem Lande, wie es von
Brunhild heisst: in tugentlichen x/ühten (493, la) verliess sie ihr land.
Hierzu ist noch zu vergleichen X. 569, la in magtlichen lichten, also
eine stelle aus der vornehmlich ausgebeuteten avent. X.
In der wenig eingehend behandelten darstellung des empfang»
der braut Gr. 10 — 17 könte man hie und da sachliche annäherung an
die Schilderung X. 529 — 542 finden; dass sie dem bearbeiter tatsäch-
lich vorlag, machen folgende parallelen zur gewissheit:
Gr. 14, 2 der (buhurt) /n/s im .</•-
gangt n
in il grau /' arbi it.
16,3.4 da hörte man erdiexen
manegen buckel riehen
von ir schilde stoexen;
si künden einander niht
entwichen.
X.555, 1 Do2 der buhurt was ver-
gangen
über cd dax velt.
542, 3 man hört da hurteclichen
von Schilden manegen stöx.
Ix i wa \ richer buckeln
vor gedrange lüte erdöxl
Übereinstimmung zwischen stellen dieses abschnittes und stellen von
avent. XIII liegt vor in
N. 744, 3 edles des si gerterij
des was man in bereit.
G. 15, 1 swax si ir künden dienen,
des was man ir bereit.
1) O ohne parallelismus. 2) Do fehlt in A; die ganze strophe fehlt in C.
150
t. KETINER
Übereinstimmung mit einer entfernten stelle:
N. 1083, 1 Dax was in einen \it<u\ GL 11,3 > \ was in einen täten, sd ..
da . .
Die sitte, die ankunft durch boten vorher anmelden zu lassen (G. 17),
wird mehrfach im Nib. erwähnt: 221. 496 fg. 1277. 1652.
(i. 1 i» berichtet die schwertleite: 500 recken empfangen das
schwert mit dem könig zusammen; sie erhalten alles, was sie wün-
schen, besonders rosse und kleider, so dass des jungen königs ehre
I gewahrt wird. Diese züge linden sich sämtlich N. 28 — 32, nur in
[lauerer ausfuhrung: das schenken der rosse und kleider, 400 schwert-
degen; die ehre« die Sigmund und Siglind einlegen. Im ausdruck vgl.:
N. 596, 1 Vü junger ('legen) swert
da nämen
G. 19, 1 Vünf hundert recken
ni'imen bl im swert.
sehs hundert oder bax
vgl. 29, 4).
G lo. 2 alles des si wolten, wurden si gewert vgl. N. 744, 32.
In Übereinstimmung mit X. 658 wird G. 20 hervorgehoben, dass
der junge könig ein gerechter richter und hochgeehrt war; nur
die bemerkung über der königin freigebigkeit wird hinzugefügt. Wie
X. 659 fg. wird dann G. 21 — 23 erzählt, dass nach 3 jähren (dort
nach 10 jähren) ein söhn geboren wurde; es wird weiter berichtet
von der taufe, dem namen, der erziehung und auch die bemerkung
über die vortreflichkeit des geschlechtes widerholt. Auch fast alle wört-
lichen Übereinstimmungen in diesen Strophen beziehen sich auf densel-
ben abschnitt des Nibelungenliedes:
N. 633, 1 Diu höchxit dö werte
na \ an '■'■ den vii rxehenden
tae,
da: in al der nile
der schal nie J gehe.
658.3 und dar er rihten solde.
G. 20, 1 Er sax in Irlande
sit vü manegen tac,
da\ sin hohiu ere
ringe nie gelac.
3 er rihie swem er solle.
An X. »'»64. 1 Dax lant u Nibelungt Sifride diente hie klingt an
Gr. 21, 1 Im dienten sine huobe da% In ff ige guot.
X. 521, 1 Ob ich an eine hett G. 21,3 der si gewaltic taete
sprach er, ärtxec lant, drixic künege laut,
1) C daa geschah in den gexMen.
2) C allen dax si wolden.
3) unx an fehlt in A.
4) A nie der schal gelac.
EINFLUSS DES NIB.- LIEDES AUF Dil. GUDRUN
lol
so ' mphii ng ich doch gt mt
gäbe i'<; iwer hau f.
N. 662, 1 Xu heie auch dort bi Ttint .
so wir hoi rt n sagen,
bi ( in ii Hu r dt in riehen
< im ii sn ii getragt n.
660,1 Den Ute man dö taufen
iiinl gap im <im n mum //.
Günther nach sinem
oeheim.
4 dö töh man in mit flixt .
(24,1 Man loch in mi hl i in r/i\t .)
660, 3 geriet er nach <l< n mögen,
tlir, wat r im irol ergän l.
1852, 1 Gefüllter luh-li dem kaum .
er wirt ein küene mau.
Schon G. 23, 1 erinnert fast noch mehr an N". 24, 1 als an 660, 1.
Dass der bearbeiter hier abermals in avent. IF zurückgeblickl hat,
beweisen die folgenden bemerknngen über die erzieh ung:
ob si <tin Im tu ii soUe>
diu u rgat be gar ir haut
G.22, 1 /// den naehsten drienjä-
ii ii (hs
so wir tiui ii ii sagt n}
si begundi bi dt m hü/uegt
< in edel feint tragen.
itir, wart getauft t
unde sit gern nm t
bi si m in im im ii Ilnij, m .
23, 1 Man hit . < i lieht n schönt
u ml rif rli'.ii tii/n ii phlegt ii .
t/i i ii ii i i nach il< m Hin m .
so würde < \ wol < in degt n.
N. 26, 3 sin pflogen auch die wisen,
den ere uns behaut.
25, 1 Er uns nu so gewahsen2.
G. 23, 3 sin phlägen wist vrouwen
und rif schoene im ide.
21, 1 dö uns i \ gewahsen.
Nach diesem rüekblick wendet sich der bearbeiter zu avent XII.
um mit Verwertung des ihm N. 667 — 676 gebotenen zu erzählen (G. 26
— 35), wie sich Sigeband, ohne sonderliche neignng, durch seine gattin
bewegen lässt, jenes fest zu veranstalten, das einen so traurigen aus-
gang haben solte; gerade wie Günther halb widerstrebend sich ent-
schliesst dem rat Brunhilds zu folgen und jene verhängnisvolle ein-
ladung an Sigfrid ergehen zu lassen. Das gespräch erömet beidemal
die königin: in der Gudrun bedauert sie, dass sie den könig so selten
bei seinen helden sieht; im Nibelungenliede, dass sie Kriemhild noch
nicht wider gesehen hat. Beidemal fragt der könig darauf, wie das
sich machen liesse. Hierauf erwidert Ute, ein so reicher könig müs
mehr feste geben; Brunhild, ein noch sn reicher vasaU müsse dem
gebot seines herren folgen. Dort erfült zulezt der könig den wünsch
der gattin mit den worten: ich wü iu gerne volgen (35, 2), hier mit
1) C er wurde ein k Heuer man.
2) 25 fehlt in C.
152
E. KETTNhK
den worten: nu wizzet, du; ich gestt so gemt nie gesach (674, 2);
die gatten verständigen sich über die botensendungen. Auch die frei-
gebigkeit der königin wird beidemal am schluss erwähnt: vgl. X. 67b, I
und G. 3b. •_*.
da- eine mal mit beziehung
auf die boten, das
andere mal mit beziehung auf das weibliche hofgesinde. Hierzu sind
Doch die parallelstellen zu beachten
N.668, 2 ihr. si ir vremde wären,
da i was ir hartt h it,
<hi\ man ir so s< lf< n du nie
von Sifrides laut1.
1 343, 2 dar muht ist mir so leit,
ihr, mich die so s< Ut n,
ruocheni hi< gesehen.
670, 1 Wie möhti n wirsi bringen ?
sprach der künic rieh.
i9,l ob (hr. mähte geschehen,
da i si Kriemhildi
solde noch gesehen.
671.1 Sir/, höht riehc waere
deht ines küneges man.
673.3 /'•/> wir ensament sdzen,
dö ich ersti wart din wip -'.
520.2 dö sprach diu minnecliche:
mir waere niht \< leit,
ob ich %e boten miete
iu geben solt min golt.
Gr. 27, 2 des verdriuzet s&re
min hi rxe und minen lip,
<lir, ich dich sihe so selten,
dar taub so ist mir leide.
28, 1 Dö sprach der künic edele:
wie solte da* geschehen,
ihr, du mich woltest gerne
vor ///inen recken sehen?
29, 1 Si sprach: so eiche niemen
ist lebendic erkant.
30, 1 Dö ich mögt / Ziehen
in Friih srhotfen sa%.
36, 1 Dö sprach diu küneginne:
daz ist mir niht leit,
so gibe ich besunder
vünf hundert vrouwenkleit.
In diesem abschnitt GL 26 —35, der sich sowol inhaltlich wie sprach-
lich so eng an N. 667 — 676 anschliesst und von dem unter ganz glei-
chen nmständen wie dort gefassten entschluss zu einer hochxit erzählt,
ist nun als ein umstand von besonderer Wichtigkeit hervorzuheben,
dass der bearbeiter der Gudrun auf sein muster hinweist, indem er
zu den worten ich wil iu gerne volgen 35, 1 hinzufügt als c\ nur
geschach, du. man nach vrouwen rate lobeten höchziten. Denn in
diesem Zusammenhang kann in der stelle nichts anders gesehen werden
als eine bezugnahme auf das Nibelungenlied, wenn sie auch,
für sich betrachtet, nur ein algemein episches motiv enthalten könte,
wie Kaiserchr. L). .507. 15 Rother (Massm.) 1530 fg., die Martin u. a.
hierzu anführt.
1) A so seil diende si/iiu lernt.
2) C ohne parallelismus.
C 668, 3 ohne parallelismus.
EINFLUSS DES NIB.- LIEDES All DIE GUDB
L53
Die folgende festschilderung Gr. 37- 1!» besteht aus den bei sol-
chen darstellungen ziemlich regelmässig widerkehrenden angaben über
die hervorragendsten Vorgänge und umstände des festes. Dass bei die-
ser Schilderung der bearbeiter immer uoch die eben besprochenen
abschnitte des Nibelungenliedes vor sich hatte, zeigen folgende Über-
einstimmungen.
Den geladenen wird entboten, dm si nach dem sumen von des
winters stunden solten biten (i. .'17, 1; ebenso wie X. 694, 2 bei der
einladung gesagt wird: swenm der winder ein < n<h hohe genomen.
Von dem herankommen der gaste wird in der Gudrun mit ähnlichen
werten geredet, wie im Nibelungenliede von den ins land reitenden
verwanten des königs, die den kommenden entgegengeschickt werden.
X.528, 1 Dd rili)/ aUenthalben
die wege durch dm lant.
G. 31), 1 Riten si begunden
u f vil manegen wegt n.
Bemerkt wird G. -i-2, 3 wie N. 537, 4, dass man Schilde und sp
für die ritterspiele herbeibringt. Über die ausstattung der geladenen,
an der einen stelle in der heimat, an der anderen am hofe d<:> wirtes,
heisst es:
G. 40, 2 allen, du ir gerten^
den gap man ir genuoc.
X.705, ± etile die es dd gerten1,
den (jap man ros und ouch
gewant.
Wie N. 753 sitzen G. 42 fg. die trauen während der ritterspiele in *\ca
fensterbrüstungen. Wie N. 753, 4 nimt G. 44, 2 auch der wirt am
spiele teil. Ähnlich wie X. 751 wird G. 49 die mitwirkung der musik
erwähnt: posaunen, trompeten und flöten werden liier wie dort genant
Auch in den angaben über den schluss des festes zeigt sich der ein-
flüss des Xlbelungenliedes (s. unten zu G. 6ö). Die hierhergehörigen
parallelstellen ans dem Nibelungenliede gehören nicht bloss diesem teile,
sondern noch einigen andern festschilderungen an.
^.1827 AExel unde Kriemhilt
ez bescheidenlicken sach.
X. 41, 2 Diu köchgeztt werte
unz au den sibendt n tae.
Siglint diu riche
nach cdten siten pflac.
<>. 13,4 dm si > t bescheidenlichen
Slll/i II.
48,1 Diu hdckgezit werte
in/; im d< ii ii in mit )i tdC.
swes man mit ritters vuort
In d< in künige phlac,
1) C die si dd fücrc/i wolden.
154
E. KETTNEH
N. 39, 1 Swie vü si kurxwile
des mohte die varnde diet
(hs.)
liitxel da vevdriezen;
die heten arbeite:
wan si sin auch wolten
geniexen.
In der dazwischen stehenden erzählung von dem greifen finden sieh
fi »lgend e einzelparallelen:
N. 90, 2h nu hoeret wunder sagen = G. 50, lb.
pflogt n al den tac,
vü der varenden diele
ruowe sich In wac.
NT. 215, 4 in hat der übel tittfel
her ten Sahnen gesant
2171, 3 alsam (et ouck sin wip.
si Wägeten ungefuoge
den <juot< ii Büedegeres lip.
1168,3 ir wät was vor dm brüsten
von heizen trehen na;.
G. 54, 3 ex het der übele Havel
genau f in dax riche
sinen boten verre.
60, 3 der hünwund ouch sin wip,
si klageten al gemeine
des lindes iverden lip (hs.)
62, 1 Der wirt weinte sere,
sin brüst diu wart im nax.
Stellen ans der festcsschilderung in avent. V und aus der sie einleiten-
den erzählung am ende von avent. IV verwendet dann wider der bear-
beite! für die darstellnng vom schluss des festes.
N. 300 Kr sprach: ir guoten rechen, e da% ir scheidet hin,
so nemet minc gäbe; edsö stet min sin.
da-, ich\ immer diene, versmaehet niht min gnot,
da: a il ich mit iu teilen; des kdn ich willigen muot.
Gr. 63 Die gestc wolten riten, cid sprach, diu hünegin:
ja siilt ir, edele hehle, noch hie xe hove sin,
und Int in niht versmähen silber undc galt,
di s haben wir ;c gebene: wir sin iu groexMchen holt.
N.253, 1 Derkünec1 phlac siner geste
vü groexMche2 ivol
3 er bat3 der s&re wund' n
vü güetlichen phlegen
vgl. auch 743, 3. 4.
Ausserdem greift er noch einmal auf die oben besprochenen Schilde-
rungen des Nibelungenliedes zurück:
G. 65, 4 Der wirt hie; sin er geste
schone and güetlichen phle-
gen.
I) C der ic irt
3) C man hicx
2) A güetlichen
EINFLUSS DES MB. - LIEDKh All- DIL GUDRUN
155
N.753, 1 In diu venster säxen
diu herlichen wip
und vilderschoenen meia\ :
gezieret was ir Up.
636,4 so endete siel/ diu höchxit:
ihr, wolde Günther der
degen1.
646, 4. si rümten vroelichen
des hinter Quntheres lant%.
G. 66, 1 Dd Hr diu küneginm
scheiden manic wip
nutl eil dir < d< l< n nn id, .
also da i ir lip
ir gäbe Hits getiuret.
I diu höchxit sieh endet:
si rümten Sigebandes lant.
Eine so starke nachahinung des Nibelungenliedes, wie sie die-
ser ganze abschnitt aufweist, findet sich später in der Gudrun nicht
wider. Und diese erscheinung lässt sich Leicht erklären, wenn wir diese
erste aventiuro als einen zusatz des bearbeiters ansehen. Olm«' durch
einen vorliegenden text unterstuzt oder gebunden zu sein konte der-
selbe hier ganz nach seinem eigenen ermessen verfahren und nicht
bloss aus mangel an erfindungsgabe und an darstellunusfähigkeit, son-
dern auch in der absieht etwas dem Nibelungenlied entsprechendes zu
bieten — demselben unbedenklich entnehmen, was ihm geeignet schien.
Der nun folgende abschnitt G. 67 — 162 enthält die erzählung
von Hagens entruhrung durch den greifen und seiner rück kehr. Ge-
mäss der eigenartigkeit des inhalts treten hier parallelen mit dem
Nibelungenliede spärlicher hervor; doch kann man auch an den bei-
gebrachten sehen, Avie der bearbeiter bei seinen entlehnungen sich an
bestirnte teile des Nibelungenliedes hielt. Es sind besonders benuzt
avent. VI. XXY — XXVII; daneben auch XVI und XIV.
N. 1446, 1 Nu laxen dax belibeu, G. 67, 1 Nu laxen wir beliben,
wie si gebaren hie. wie da gescheiden wart.
1474, la Ilagene wart ir innen = G. 76, P: beidemal schleicht
ein Hagen zu fremden trauen heran; sonst sind die persönlichkeiten
und die Situationen sehr verschieden!
N. 917, 3 sam vwei wildiu pantel
si liefen durch den kle.
878,4 dar nach er vils schiere
ein ungefiiegen lewen van t.
Alle vier stellen beziehen sich auf jagd.
(r. 98, 3 als (in pantel wilde
lief ' r i'i f dir steine.
102, 2 bi im er harte näht n
einen lewen rauf.
1) A ex, seiet von dannen manic deyen.
2) C dd der Burgondcn laut.
3) C harte.
158
E. KLTTNER
N.336, 1— 3 . . d( r starb Sifrit . . .
het er .. krefte genuoc}
itvelf manne sterke.
358,4 ,i, n edelen juncfrouwen
was von arebeiten we1.
370, I ir starb \ arbeitt n
l, tsitdi n höhgemuoten we2.
1492. 1 Dö ruoftt er (Hagen) mit
der hrefti .
ihrx dl der wag erdöz.
(Hier Übereinstimmung des namens
zu Gk 76, 1.)
\ 7^7. 2 des dvhie Prünhilde
diu wilt gar \< lanc
353,2* unt von Zaxamanc der
guoten 3
388,1 Sehs unt ahzec turne
si sähen drinne stdn}
dri palas icite.
. 4 dar inne selbe Prünhilt
m ii ir Ingesinde was.
1481, 1 ir trieget äne not.
1551, J in wart stritenkunt getan.
55, 1 wol Ii' dm schinen Kriem-
hilt,
da i si in holden /rillen truoc
(vgl. 1609,4. 1674,4)
GL] 06, 1 Omh In h ih r wilde Hagene
krefte x/welf man.
108, 4: den eilenden vrouwen
den tet ir arebeit vil we.
109 1 Hagene rnof'tc Inte,
ihr,, in des nihf rer<lrö\.
Hagene und der Situation; vgl. oben
G. 112, 2e er <lin maere ervilere,
diu wile dühte in lanc.
118, 3* von India der guoteu
138.3 einen palas hohen
Lös er hi der vluote.
drki hundert turne
sach er da vil veste unde
guote.
139, 1 Dar inne was her Sigebant.
146, 1 ir trieget n/ich an not (hs.)
1 51, 3 wt r im grüezen Jcunt taete.
155. 4 dem Linde er holden, willen
von schulden vriuntlichen
truoc.
1) C den schoenen juncfrouwen tet ir arebeiten we.
- \ tet 8tt sehoenen frouwen we, doch s. zu G. 1119, 4.
A der guoten fehlt. C dem lande. Wir haben an dieser stelle den sel-
len fall, dass alle drei handschriften von einander abweichen und nur auf der les-
art von B der parallelismus beruht. Dass die an sich schon höchst auffallende
bezeichnung von India der guoten nicht ein unmotivierter einfall des bearbeiteis ist,
ädern durch das Nibelungenlied veranlasst sein muss, beweist die auch sonst hier
hervortretende Berücksichtigung der avent VI (N. 336. 358. 356. 365). Doch scheint
der bearbeiter hier nur flüchtig im Nib. geblättert zu haben, da er offenbar 353, 2
misverstanden hat. indem er der guoten auf Zaxamamc bezog und übersah, dass es
zu siden gehört, der guoten grüen aharn ist vom redaktor 13 gesezt worden für
der grüenen so (Aj.
EINTLUSS DES NIB. - LIEDES AUF DIE GUDKIW
157
N.356,2. 3 hermine vederen ... pfelle G. 156, 3 phelle ob Uehten ruh,-» n.
darobe lägi n
8(35, lb man truoc in üfdensant. L60, lb tragen üf den sant.
2b alte-, ir gewant 2b ir sptse und ir gewant
Die darstellung von Hagens jugendgeschiehte von da, wo
diese einen normalen verlauf hat (163 fg.), folgt widerum »Ion schon
mehrfach benuzten abschnitten, avent. II und anfang III (Sigfrids
jugend) sowie X. XI (das erste grosse fest in Worms).
N. C 22, 5 E da \ der degen küene G.163,1 Wahsen er begundi
vol wüehse ze man.
bevoUen teinem man.
[Jber die ritterlichen Übungen Sigfrids (av. III) und Habens
N. 129, 2 du was er ie der besti .
swes man da began.
Über die Verabschiedung der gaste
N. 41, 3 durch ir sunes lieh
teilen 1 rufe. golt.
si künde ex wol gedienen,
da\ im diu Hute waren
holt.
< i. 163, 2 (h) pflac er mit den In Iden,
swes man ie began.
G. 164, 3 du i/t/jt in sine gäbe
di r irirl von liehtem goldi .
durch sines s/u/cs liebe
xe Stinten vriunden er si
haben wolde.
Über die taten des jungen Siegfried und Hagen:
N. C22, 7 da von mau im nur mere
mar singen unde sagen.
< i. 1G6, 4 des horte man in dem laude
von dem helde sagen und
singen.
Dass hier etwa der redaktor C die stellen 22, 5 und 7 der Gudrun
nachgebildet habe, wird wol niemand behaupten wollen. Denn der
Zusammenhang von N. C 22 mit den anderen hier benüzten stellen <l
Nibelungenliedes stelt es ausser zweifei, dass der bearbeiter die wnrte
von C in seinem Nibelungentexte las.
Wie Sigfriden raten auch Hagen die mäge zur hei rat:
N. 49, 1 Im rieten, sine mäge, G. 169,1 Im rieten sine mäge,
und genuoge sine man,
3 dm er dan eine würbe2. er würbe umbe ein wip.
. Eine ankündigung des festes in andere lander ergeht (i. 172 wie
N. 28; der zahlreiche besuch wird G. 174, 4 wie N. 30, 4, die beschen-
kung der schwertdegen mit kleidern (i. 175 wie N. 31. 32 erwähnt.
Zu dem sachlichen parallelismus tritt parallelismus des ausdrucks:
1) C geben
2) C naeme, vgl. zu G. < . 2.
158
E. KETTNER
N. 28, 1 Dö hiex sin vaier Sigemunt
künden sinen man.
30,4 dessach tnanvüdervremden
vuo in riien in dm laut
G. 172,1 Dö liit; er ex künden
in diu vürsten laut.
174, 1 man saeh an edlen enden
sine geste i uo dem lande
riten.
Doch hat an der lezten stellt4 der bearbeiter sicli bereits beeinflussen
lassen durch eine Strophe der avent. X. N. 559, 5 — 8 wird gesprochen
von hergesidele; G. 174, 3 heisst es da sidelte n/au vil wtten. Und
nun vergleiche man dvn zweiten teil von N. 559, 5 — 8 mit G. 174:
X. 559, 7 des si da haben sohlen,
tri wenec des gebrast,
dösach mau In dent h/iuege
eil manegen herlichen gast.
G. 174, 21' irir teenie er des- Uez,
3* des si au in gerten.
4 man sack an allen enden
sine tjeste züo dem laude
riten.
In den zwei Strophen, die sich auf Hagens Vermählung beziehen,
enthalten die worte G. 176, 3a ob ich von herzen n/inne eine deutliche
beziehung auf X. 135, 3a die ich von herze minne, eine steile des
bereite in diesem Zusammenhang benuzten Schlusses von avent. III
(vgL X. 129, 2. G. 163, 2). In G. 178 zeigt der anfang eine berück-
sichtkrung von avent. IV:
X. 244, 1 Bö enpfie er wol die sine,
G. 178, 1 Wol behagete ez siner mun-
ter,
sime vater tet ex, sam.
die v rem den tet er sam.
Mit dem schluss seiner festesschiiderung wendet sich der bear-
beiter jener darstellung in avent. X zu, auf welche bereits die
Qutzung von 559, 5 — 8 hinwies. Wie die erzählung der schwert-
leite, der krönung und Vermählung im Nibelungenliede hier vorbildlich
gewesen ist, veranschaulicht folgende Zusammenstellung:
X. 596, 1 Vil junger1 su< 1 1 th) na/men
sehs hundert2 oder ha..
LI Xihh siten, der si pflügen
and man durch n hl begie,
Günther muh- Prünhili
niht langer du-, enlie4.
G. 178, 4 wol sehs hundert degene
//amen bi im wäpen oder
mere.
179, 1 Nach siten kristenlichen3
wihen man dö hiez
beide %uo der Leone;
niht lenger man daz Uez.
1) A de gen. B junger »wert, dann von erster hand übergeschrieben daegen.
kund* 3) Es. sittlichen. 4) A cerlie.
EINFLUSS DES MB. -LIEDES AUF DIE GUDRUN 159
N. 541, 1 17/ manegen bühurt rieht n
sack man dun getribi n
von helden lobelichen,
n/hl wol waer ex belibi n.
(J.179,-1 manegen bukurt rieht//
sack man da von des kü-
neges mannen.
184, 3 um //'/<■ rirhin tjöSti
wart von in getriben.
dax sähen sehoenevrouwi n.
ji) waer da* übele beliben.
Nach siten Jcristenlichen würde, wenn es richtig ist, aus N. 1788, -1
entnommen sein. Diese im Mb. wo] motivierte angäbe würde zwar in
der Gudr. durch das versteckte hristen unde Heiden 186, 3 nicht genü-
gend motiviert, aber bei dem Charakter der bearbeitung begreiflich sein.
Vereinzelt steht G. 187, 2b ludern unde dd% = N. 883, 1".
Die angaben über die Verzichtleistung des alten königs zu
gunsten seines sohnes, über die strenge und gerechte herschaft
desselben, über seine ritterliche tüchtigkeit, sowie über die geburt
einer tochter G. 188 — 197 erinnern Lebhaft an N. 657 —666. Beson-
ders tritt die ähnliehkeit hervor in den Strophen:
N. 657 Do sprach vor stnen friunden der h&rre Sigmunt:
den Sifrides mögen tuon ich allen bunt,
er sol vor disen recken mine kröne tragen,
diu meiere horten gerne die von Niederlanden sagen.
G. 188 Vor den stnen gnöxen sprach her Sigebant:
minem sune Hagenen gibe ich ntiniu lant,
diu Hute mit den bürgen nahen unde verren.
alle mine recken sulen in haben \e einem herren.
Der bearbeiter greift im folgenden noch einigemale zu schon ben uz-
ten teilen zurück. G. 189, 2 dö begunde Hagene Ulm/ bürge unde
laut ist zu vergleichen mit N. 40, 1. 2 Der h&rre hie: Hin// Sivrit
den jungen man laut unde bürge. Und ganz in der nähe:
G. 191, 1 diu was von Tserlanck
luul was •.' wünsche wol
getan.
199,2 wart unnützen schoene.—
N. 45, 3 teuere in Burgonden 1
%e wünsche wol getan.
325,3 si wa% unnützen schoene
eine Übereinstimmung, die deshalb keine zufallige ist, weil jene worte
beidemal auf eine schöne, vielbegehrte, allen Werbern gefahrliche königs-
tochter sich beziehen.
Überblicken wir nach dieser vergleichung mit dem Nibelungen-
liede noch einmal diese vier ersten aventiuren der Gudrun, so wer-
den wir ohne bedenken die s. 155 über die Strophen 1 — 66 ausgesprochene
1) C in Burgonden waere.
160 F.. KETTNEB
auflassung über dieses ganze stück ausdehnen können. Denn für etwas
anderes als einen zusatz des bearbeiters brauchen wir auch den von
dem -leiten und Hagens Leben in der wildnis liandelnden teil nicht zu
halten. Diese erzählung, für sieh allein genommen, wird man sich
nicht gut als den eingang der Gudrun vorstellen können; auch passt
ihr fabelhafter Charakter nicht zu dem inhalt der Gudrun im algemei-
nen. Wir werden aber in ihr nicht sowol eine eigene erfindung des
bearbeiters, als vielmehr eine nacherzahlung von sachen zu sehen haben,
die ihm in mehr als einer sage schon dargeboten waren. Es sind also
die vier ersten aventiuren ein späterer zusatz zur Grudrun, dem der
Verfasser durch bedeutende anleinen beim Nibelungenliede gehalt und
wert zu geben suchte. "Wenn nun der bearbeiter in diesem teile, wo
er ganz frei verfuhr, das Nibelungenlied so stark nachahmte, so ist es
nicht anders zu erwarten, als dass er auch in den weiteren teilen des
epos, das ja nach algemeiner anschauung überhaupt nur in einer tief-
greifenden bearbeitung auf uns gekommen ist, überall, wo er änderte
und erweiterte, in bezug auf inhalt und form nach dem vorbild des
Nibelungenliedes sich umgeschaut haben wird. So erklärt es sich, dass
dieselben Erscheinungen, wenngleich nicht mehr iu solcher häufigkeit
und solchem umfange, auch dort widerkehren.
Die fünfte aventiure der Gudrun begint mit einigen bemerk un-
n über Hetels Jugend; auch sie enthalten wider entlelmungen aus
dem anfang des Nibelungenliedes.
G. 204, 1 Ein kelt der was erwahsen
in Tritt hl u t
%e Stürmen in einer marke,
der. ist wol erkant
209, 3 vcifer und ouch muoter,
die im diu lernt M lif.cn
N. 20, 1 Do wuchs in Niderlanden
i ins edelen küneges Tdnt
3 in t im r riehen bürge
witen wol bekamt.
7,2 ir vater hie: Danerätj
ih /• in diu erbe lit ,.
Wir haben bei den einleitungsaventiuren widerholt gesehen, wie
der bearbeiter, wenn er es mit einem motiv zu tun hat, das ihm auch
aus dem Nibelungenliede bekant ist, zur ausführung dieses motivs das
musterepos heranzieht Hetels entschluss die gefährliche Werbung
um Hilde zu wagen findet sein analogen in Günthers Werbung um
Brunhild. Also suchte der bearbeiter aus der VI. aventiure des Nibe-
lungenliedes sich anregungen für seine Schilderung dieses gegenständes.
Die besten (die vornehmsten) raten Hotel G. 210, 1 wie die hdhsten
mögt Günther N. C324, 2 zur ehe1. Hetel weiss keine, diu ten Hege-
1» AB bloss iiiati 8eüe, dm da waere manec scoene (B) magedtn. Günther
entschliessl sich seh--
EINFLUSS DES MB. -LIEDES All DIR GUDRUN
161
lirigen mit @ren waert vrouwe, muh du man mir :<■ hhs< moktt
bringen 210, 3. 4. Günther sagt zu. nach einer suchen zu wollen:
diu mir mil mime riche -.<■ frouwen möge fernen X. C 324, 6. Es
wird von einer gerühmt, ihr, deheiniu lebet sä schoeniu nindert üf
der < nie G. 211, 3, entsprechend X. 325, 2 ir geliehe enheine mau
wesse minder nie1. Hetel ist bedenklich: swer werbe nach ir minne,
i \ si ir vater leit 213, 2. Ähnlich rät Sigfrid ab: swer umb2 ir
min im wirbet, dm ex im hohe sft'if X. .'521», 3. Dem weiteren über-
legen macht zunächst Morung ein ende durch den rat, -ich der hilf''
Horands zu bedienen, dem alle sitten Hagens bekant seien Gk 211.
Ebenso gibt dort Hagen den rat, man solle Sigfrid um seine Unter-
stützung bitten, da ihm kund sei. wie es um BrunhiM stehe X. 330.
Zu bemerken ist noch, dass G. 212, 4 Jcumt si her :<■ lande, so hast
du immer vreude unde wünne anklingt an X". 333, 2. 4 und Jcumt
diu scoene PrünhiU her in ditze hnit'\ so mahtu mil ihr sn>< ,,< ,, im-
mer vroeliche leben.
Hiernach greift der bearbeiter zunächst in einige andere teile di
Nibelungenliedes hinein, so dass folgende einzelparallelen entstehen:
N. 72, 1 An dem sibenden^ morgen
xe Wormex üf den sant
riten die vil Mienen;
allex ir geweint
84, 1 Wetz sin der Minie wolde}
des fragte Hagene.
811, 4b nnd let vil wiUeclichen da \ .
ähnlich 666, 4b. 1042, 4b. 1076,4".
497, 2 unswaere -.(derselben verte
nieman so bereit
als ir, f rinnt Hagene5.
Gr. 219, 1 An dem sibenden morgen
leom er in <hc. Im/1.
er und sine gesellen
truogen guot gewant.
232, ±Walin bete imndcr,
inr, sin der hünec von
Hegelingen wolte.
237, 4b und tet vil güetlichen daz.
239,3 ?m en/rii; ich niemen,
der mir dar bt i u r waeri
da mir ii\ Wate, lieber
vriunt.
Sowol Hagen als Wate soll eine botschaft des königs ausrichten.
2306, la Ick bringe ex, ein ein ende = G. 240, 3b.
1769, 4b mich enwendes der tot
240, 4bc. ensi da: michs der
läl enwende,
1) A . . ir geliche was deheiniu me.
2) wnb fehlt A.
3) A Prünhüt in daz laut. 4) C sehsten
5) C 2—4 nu bereitet iueh «er verte, ritter vil gemeit, wand wir in dixen
rften ander niemen hau. der dar müge gertten.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIH. H
162
E. KKTTNKK
N. 732, 3 D6 der wirt des landes
Sifriden sack
und ouch Sigt mundt n}
wie minneclich er Spruch.
G. 245, 1 Wate der vil küene,
dö er Höranden sach
mulc ouch Fruote/f,
wie schiere er dö sprach.
In dem folgenden tritt bis str. 302 abermals eine widerholte
benutzung von Nib. avent VI — VIII hervor. Bei der beratung über
die gefährliche fahrt und Werbung redet Wate von Horand wider
ebenso wie in gleicher läge Hagen von Sigfrid.
N. 330,4 sit im da: ist so kündic,
wieex um Prünhilde1 stät.
G. 254, 2 er weix in guoter maxe,
wie ex umb Ilagenen stät.
An N". 375, 2 klingt an G. 359, 1. Deutlicher ist die beziehung, wenn
über die ausstattung der ausfahrenden gesagt wird
G. 262, 4 daz iucln irol mit eren
mac gesehen ein ieslichiu
vrouue.
Zwischen den stellen aus avent. VI. ArII steht aus avent. XXII noch:
N". 341,8 diu wir tragen mit eren
für die herlichen meit
G. 271, 1 Mdrunc der snelle
da her von Friesen reit
er brähte zwei hundert de-
gene.
272, 1 Da reit von Tenemarke
Hörant der küene man2.
X. 1284, 1 Hornboge der sneUt
wöl mit tüsent man
Irrte von dem Jcünege.
1285, lDö kom von Tenemarke
der küene Häwart.
Auf die angäbe der 1000 boten Hetels und die motivierung waere er
niht so rtche er enkünde ex nimmer verenden 272 muss der bearbei-
ter gekommen sein beim lesen von den 1000 begleitern Sigfrids
N. 474. 2 und der auf sie sich beziehenden worte sine kundenz niht
verenden . . . Sifrit /ras so rtche C 475, 8. 9. Denn im folgenden
nehmen die bei G. 271, 1. 272, 1 unterbrochenen beziehungen zu die-
sem abschnitt entsprechend dem inhalt — abschied und fahrt —
ihren f ortgang.
N. 363, 1 8i sprach: herre Sifrit,
lät zu bevolhen sin ...
405.3V/- sohh an angest sin3.
366,2 ir schif mit dem segele
da i ruorte ein höher aint.
369, 4a ir schif da i gie vil ebene4'.
G. 278, 1 Der künec sprach trürende:
lät iu bevolhen sin . . .
283, lb ir sult an angest sin.
. ein nortwint
2hir segele ruorte sint.
3a ir schif gierigen ebene.
285, 1
1) A umb die froutaen. 2) Diese nachahmung zeigt, dass die von
Sijmons vorgeschlagene Umstellung der str. 271. 272 unzulässig ist.
•arallelismus. 4) Desgl.
EINFLUSS DES NHL - LIEDES AUF ME GUDRUN
163
N. 371, 1 An dem vwelften morgen,
so wir koeren sagen,
heten si die wind
verre dein getragen.
G.288, 1 <sv hri, wol tüsent mil
<l<i\ /nr. -,< r ihm </< tragen
hin .r Hagenen bürge,
so wir hoeren sagen.
Dazwischen steht aus einem entlegeneren teil»1 des Nibelungenliedes:
X. 1567,1 Wirhunnen nihtbeschei-
i/i n,
wä si sich leiten nider
G.286,1 Wir hiinm u. nikt beschei-
den
mir}) wvx :< ii i nikt :i sagt ii,
wä si ir nahtst Ide . . . nä-
ii/i ii.
Ähnliche Übergangsformeln kommen in Nib. und Gudr., sowie im Bi-
terolf öfter vor (s. Martin zu 286), doch anter ihnen keine, die so wie
diese sich gleichen. Eine andere parallel»1 aus einem entlegeneren teile
des Nib. kündigt bereits eine im fulgenden sich widerholende berück-
siehtigung der erzählung von Küdegers ankunft und empfang in
Worms an. Beidemal sind ja auch die Verhältnisse die gleichen: hier
die um Eriemhild werbenden boten Etzels, dort die um Hilde werben-
den boten Hetels!
N. 1117 Do die vil unkunden
wären in bekomeu l,
dö wart derselben herren2
vaste war genomen.
si wundert, wannen fiteren
die recken an den Hin.
G. 289 Bö die roii Hegelingen
wären hin bekamen
■.im ihr Hagenen bürge,
da wart ir war genomen.
die Hute wundert alle,
von welker hünege lande . . .
Durch eine dem bearbeiter hier ins gedäehtnis kommende stelle ist wol
veranlasst:
X". 1465, 2dö mohfe man si kiesen
an herliehen siten.
G. 295, 2 man mohte da wol kiesen
au sinnt In ri ii siti ii.
Und hierauf treten abermals die beziehungen zu avenr. VI hervor:
N. 365, lb man truog in üf den sauf '■.
356, 2hdiihten si unwert4'.
369, 2 den besten den man künde5
vinden umben Bin.
G. 301, 2b truoc man üf den saut.
Shhet um n da unwert win-
den.
1 die besten du si bt in vin-
den kundi ii.
vgl. zu lb X. 708, 3.
1) G Do die geste waren %en herebergen kamen. 2) C dö wart ir gevertes
3) C die truog man üf den samt. 4) A eil wert
5) C den besten uin 2 den man Inder künde
11*
104
1. KETTNER
Einzelparallelen:
N. 2284, 3 ea enst dm mir xebreste
>ln\ Nibelunges sivert.
151,1 Du boten Herbergen
h&ex man in die stat.
1309,2 mantel tief unde wtt1.
2135,1 Swie grimme Hagene
waere
unt surfe herte gemuot . . .
G. 315, 3 ex enst der. mir gebreste
also gar des minen.
319. 1 Fr lii<\ si herber gen
balde in die stat.
333. 2 tiefe' mentel irit.
334, 1 Swie richherHagenewaere
und swie hoch gemuot . . .
Sowie der bearbeite! auf die empfangsformalitäten zu spre-
chen komt, benuzt er vorzugsweise die erzählung von Rüdeger (vgl.
n zu G. 289); daneben noch zwei verwante Schilderungen:
G. 334, 2 diu hüneginne guot
stuont üfvon dein gesidele.
335,1 Si sprach gexogenliche :
X. 11 2.">. 4 der herre stuont von se-
deleK
1379,1 Der künec gezogenltche
grüexen si began:
sit wiUekomen beide,
ir Hinnen spileman!
141, 1 Der gruoxte si vil scöne,
> r sprach: sit wiUekomen3/
wer i ml/ her habe gesen-
det,
desn hän ich niht verno-
men.
1380.1 Si nigen deine künege.
1140,lb wol gezogen was sin muot.
1127.2 den gasten hiex man*
schenken
3 . . . den besten wtn,
<h ,i man künde vina\ n
in dem lande cd um den
Bin.
/in sit uns tiriUekomen!
o
ich und der künec min
hrrre
haben dax wol vernomen.
336, 1 Si nigen ir dl gemeine,
zühtic was ir muot.
3 dö truoc man in ze trin-
ken
den aller besten ivin,
der in allen landen
in vürsten hüse maegesin.
Im folgenden ist die benutzung eine zerstreute, und nur sehr
wenige parallelen lassen sich zu kleineren gruppen vereinigen.
1) C Urne tief n. w.
2 • ' der wiri dö von dem sei de gie 'jeejen Rüedegere dem.
3) C Dö sprach der kante Günther: nu sit wiUehymen.
\ er.
EINFLUSS DES KIB. -LIEDES AUF DIE GUDRUN
165
N.2061,3b sehs hundert küener man,
daz nie Jcünec dekeiner
bexxer degene gi wan.
1691, 3 s?n'c bilde er hie gebäre,
er ist ein grimmer man.
484,3swer einer marke gerti \
dem wart so vil gegeben.
411,1JEV Ute hin widere,
do rant2 er rechen vil,
da diu hüneginne
teilte ir höhen spil.
1913,3 ein foertex swert i/nofte3
au siner hende erklanc.
129, 4 so si den stein würfen
oder schnxxen den schaft.
526, 2 gctorste si in küssen,
diu vrouwe taete daz
1667, 1 Do gierigen sundersprä-
chen
die dri künege rieh.
1870, 1 Disiu starken meiere
wurden dan geseit.
1 114, 1 An dem sibenden morgen
ro)i Bechlären reit.
1119, 3 xe hove si do riten,
si fuorten guotiu kleider
vil harte*- spaehe gesniten.
G. 433 Hagen bietet den
schenke rosse, kleider, gold und
ihre grossen gaben.
< i. 348, 1 '' von dem küenen man,
da* hünic deheiner
nie noch gewan
sd rehte küenen recken.
4 surie sanfte so er gebän .
i r ist ein maen r hell
s'/inii Im inli it.
35 1 . 3 da i sie von nieman gi rtt n
,n im ii \< i inet marke.
:;.").",. I Yilr den Jcünec si gu ngt n.
da wären ritter vil.
da vunden si besuna\ r
maneger hande spil.
361,2böfl Waten hende erklanc
vil dicke du: schoene wä-
fcn.
371,4 dö würfen si du sti ine
and begunden mit den
scheften schu u n.
418,2 getorst (hs.) ich vor miner
vrouwen,
ich knstes an ir munt.
420, 1 IM giengen sundersprä-
eln 1/
die xwene ritter guot.
428,1 Ditxe starke maen
gar verholen wart.
430, 1 An dem vit rdt n morgen
xe hove si dö riten.
iteniuwiu kleider
xe wünsche wol gesniU n
truogi ii 'in die geste.
scheidenden Hegelingen als ge-
gesteine an zur widervergeltung für
1) C ohne parallelismus.
3) C dicke
4) C iv ol mit
2) A sach
166
E. KF.TTXEK
Gr. }.". 1 Dö sprach Wati der alte: u rtche ich dazuo bin,
dm ich iuwers goldes mit mir Chi vüere hin.
an dem uns unser möge erworben habent hulde,
IL der rtche, der vergaebe uns nimmer unser schulde.
y. 1 128. Deo gesanten Etzels wird so reiche gäbe von den Bur-
gunden angeboten, dass sie wegen ihres herren sie sich nicht anzuneh-
men getrauen.
X. 1429 Dö sprach vuo dem künegi der böte WärbeUn:
her künic, lät iuwer gäbe hie te lande sin.
wir mugen ir docli niht fiieren: min herre ez uns verbot,
dax wir iht gäbe naemm, ouch ist es hurte lütxel not.
Der ausdrack in G-. 434, 1. 2 zeigt, dass der bearbeiter noch
eine andere stelle im sinne hatte:
\. 258, 1 Dar zuo was er %e riche, dax er iJ/t naeme solt.
G. 434, 2 zeigt auch ähnliehkeit mit N. 487, 4 C.
Einzelparallelen:
N". 449, lb ich wü hinnen varn.
got müi u in wer ere
die \>t wol bewarn.
2123, 1 Und weit ir niht erwinden
1002. 1 An dem dritten morgen
\< rekter messezU.
VI'/'/ vierten sich engegene
die scoenen frouwen wider
strit1.
1 508, 1 ' da ich da \ sehif da - vant.
Zu beachten ist die nähe der folgenden Nib. -parallele:
GL 436, lhstt wir von hinnen ran/,
got niiteze iuwer ere
und iueh selben hiebewam.
438,2 nu ir niht weit erwinden
440,1 An dem naehsten morgen
nach vruomesse zit
2 dö Metten sich meide
und wtp /eider strit.
442, lh da er diu schef vant.
X. 1 176, 1 Si swi bten sam die vögele
vor im üf der vluot.
435, 4 so spranc si nach dem
"<irfe,
ja ' rklang ir aXU \ ir ge-
iea,dz.
; 1. 3 huop er < in ! stärkt \ wä-
fen,
dm was scharpf genuoc.
Gr. 446, 3 si swebten sam die vögele
in dem wazzer bi dem
sande.
450 1 T Va te . . . . spranc
2 in eine gälte,
da i im diu //ranne erTdanc,
151, 2 mide ein swert vil schar-
pfez,
ex was steuere giinoc.
muDg.
1) A alle prowen. C vil manie junefrouwe sit. 2) da fehlt in A.
A <ln\ h'if, erklang ir gewant, doch B ir = im. C ohne überinstim-
EINFLUSS DES NEB.-LIKDBS All Dil GUDRUN 167
( i . 155, 1 An dem sibenden morgen ist widerholt stroptienanfang
in Gudr. und Nib., vgl. z. I». X. 72. G. 219. Ähnlich (i. i:;o. 552.
G. 456 — 460, 1. Die Dünen haben boten zu Hetel gesaut, um
ihm ihren glücklichen erfolg, dass sie Hagens tochter bringen, zu
melden.
457 Hetele der kern vil vroeltche sprach,
dass er nun der sorge um seine holden ledig sei.
458 Ob du mich niht triegest, vil lieber böte in in,
und mir ihr, niht liegest
so wil ich dir Ionen dirre maere hark lobelichen.
Nach der ansrichtung der bo tschaft:
460, 1 Dem höhn hit \ er (/(hin icol hundert marki wert
N.221 — 242, 1. Gernot sendet boten nach Worms und lässt den
freunden den glückliehen ausgang des Sachsenkrieges melden. Dir vor-
her leid trugen, freuen sich der botschaft. Einen der beten hri>^t man
zu Kriemhild gelten.
224, 2 KriemhiU diu schoene vil güetlichen sprach:
nu sag an liebiu murre, ja gib ich dir min golt,
tuostux äne liegen, ich wil dir immer wesen halt.
Xach dem bericht des boten:
241, 3 und xehen marc von golde, dir h<i\ ich dir tragen.
Weitere einzelparallelen:
X. 1106, 4 w/7 lachendem mnote1 G. 474, 1* Mit lachendem muoU
diu cdele junevrouwe 2a sprach dir künic Heteh
sprach
(beidemal beim empfang nahestehender).
G. 481. Irold und Morung gehen Hilde zur seite, um sie dem
könig als braut zuzuführen; ebenso gehen X. 1290 zwei reiche for-
sten, prächtig gekleidet, neben Kriemhild Etzel entgegen.
G. 482, 3 die aller besten siden,
dir man nndih rindin.
X. 355, 2 die aller besten siden,
die ie mar gcican
deheines hüneges Minne.
Dass der bearbeiter bei den kampfschilderungen besonders
avent. IY und XXXII vor sich gehabt hat, beweisen mehrere der fol-
genden parallelen, vgl. auch oben zu G. 456 fg.
X. 1867, 1 T772 Inte riefdö Bancwart
clax gesinde allex au:
3 nu teert iueh eilenden.
<r. 496, 1 Hetelen hörtt man rüefen
Vasti an S17U mim:
nu wert iueh, sneüi dt g> <nc.
1) C munde. 2) Vil fehlt in A.
16S
E. KETTNER
X. 194, 3 sö1 seht ir keime houwen
/■<>,/ guoter kelede haut.
X. 1492, 1 Bö ruofte er (Hagen) mit
der krefte,
dm al der wäg erddz,
ivan des heldes sterke
was2 michel unde gröx.
221, 1 i '. fn ten die vil küenen
wol nach eren getan.
vgl. 220, 3.
Cls77.1 DerheUingröxem x,omez
tue dem hüse spranc.
207, 1 Dö wart ein 1 micheldrin-
gen
und grözer swerte klane.
L85,2<fö stoup m dem helme,
m von brenden arm
die viwerröten vanken.
E inzelparallelen:
N. 519,4 si het in manigen5 ziten
i lieber meiere niht ver-
nomen.
67,2^0 wil ich immer sin}
swie ir mir gebietet.
I r. 498, 2 da wurden sper geschoxxen
von guoter beide Jicutt.
501,1 Hagcnc ruofte tute,
dm im der icdc crdö\,
an die sine trute,
sin sterke diu /ras gru\.
502, 4 er het ex tobet/ehe
mit Strien eilen da getan.
503, 1 Heigene in grozem xorne
spranc ii \ in die vluot.
504, 1 Du wart auch von eleu
swerteu
ein eil michel kleine.
514, 3 del seich manic degen
eleu viur ü% hebnen stieben.
G. 526 4 dö horten die vrouwen
in maniger zite in nie so
liebez macre.
531, 2 swie du mir gebiiäest,
so teil ich immer sin.
vgl. 1287, 4. 1311,2.
546, 2 daz mein die Hute d rinne
vil vroeliche vani.
1038,4 wie lütxel man der mäge
dar inne vroeliche reint.
(340. 4 dir Mute drinne6
wol X. 1038 wie G. 546 handelt es sich um eine heinikehr.)
N. 730,1 Mit wie getanen vröuden1 G. 549, 1 Mit wie getaner erc
Von gastgeschenken :
X. 707.2 dm t \ niht mohten tragen
ir moere heim ze lande. von sinem hüse mere.
Trotz der formelhaftigkeit von G. 531, 2. 549, 1. 551, 2 seheint doch
nachahmung bei ihnen vorzuliegen wegen der nachbarschaft von N. 519
und 567 einerseits sowie von N. 730 und 707 anderseits.
G. 551, 3 elaz sis niht mohten vileren
1) C da 2) A von des heldes sterke, diu was.
3) AB Also der strttemüede >' . 4) ein fehlt in A.
6) A anders. C eren
5) C langen.
EIXFLUSS DES NIB. -LIEDES AUF DIE GUDRUN 169
G. 559. Hagen küsst Hilden beim abschied; er und sin gesindt
gesähen nimmer mer da* lant w Hegelingen. Dieses moment des
abschieds, verbunden mit gleicher reilexion, begegnet auch N. 493. Die
scheidende Brunhild küsst ihre nächsten freunde, vuo w vater lande
kom diu frouiuc nimmer ///>'. Ebenso wird beim abschied Rüdegers das
küssen wie das nimmerwidersehen hervorgehoben N. 1648, 1. 1650, 2;
vgl. auch 723, 4.
G. 560, 3 heisst es von der verheirateten tochtcr: er künde u
nieman sine töhter box bewendeny ganz ähnlich sagt N. 2098, 2 Rüdc-
ger von seiner tochter sine künde in dirre werlde niht box verwen-
det sin.
Auf er muote Hilden tohter 580, 4 kann der bearbeiter gebracht
sein durch N. 3, 2D ir muotten Icüene rechen\ zumal da er sich im
folgenden wider mit den anfangsteilen des Nib. beschäftigt.
G. 587 — 596 handelt von dem entschluss Hartmuts um Gu-
drun zu werben. Der bearbeiter hat hierbei als vorbild gehabt
N. 45 — 67, wo Sigfrid in der gleichen läge wie Hartmut sich befin-
det. Eine Zerlegung dieser beiden erzählungen in ihre hauptmomente
zeigt die Übereinstimmung beider. Gudrun: 1) Man hört in dem lande
(Ormanie), dass niemand schöner sei als Gudrun. Hartmut entschliesst
sich, besonders auf zureden seiner mutter, Gudrun zu heiraten 587.
588. 2) Der vater, dem dies mitgeteilt wird, macht einwendungen
589. 590. 3) Hartmut weist diese zurück, will, dass boten gesendet
werden. Gerlind unterstüzt dieses, will den boten geld und kleider
geben 591. 592. 4) Ludwig weist auf den Übermut des volkes hin,
befürchtet, dass sie für zu gering angesehen werden 593. 5) Hartmut
will ein ganzes heer hinführen, wenn es nötig ist; er will nicht ruhen,
bis er Gudrun gewint 594. 6) Nun will Ludwig die Sendung der
boten in geziemender weise besorgen. Hartmut wählt 60 seiner man-
nen aus 595. 596. — Nibelungenlied: 1) Sigfrid hört von Kriemhilds
Schönheit sagen, er entschliesst sich, da seine mage und mannen ihm
zum heiraten zureden, Kriemhild zu nehmen 45 — 50. 2) Seine eitern
hören dies, beide suchen ihn davon abzubringen 51. 52. 3) Sigfrid
besteht darauf: er will auf jede minne verzichten, wenn er nicht Kriem-
hild gewint 53. 4) Sigmund ist bereit, ihm, wenn er durchaus wolle,
in jeder weise zu helfen. Aber er warnt vor dem Übermut der man-
nen Günthers 54. 55. 5) Sigfrid will im Weigerungsfälle leute und
land mit gewalt ihnen entreissen. Als ihn hierauf Sigmund warnt
1) X. 3 fehlt BC.
170
E. KETTNER
und ihm ein beer anbietet, erklärt er, dass er nur selbzwölfter ziehen
werde 56 — 60, 3. Man stattet seine beiden aus. Auch Siglind ist
mit ihren trauen dabei behilflich (vgl. G. 592) 61 —67. — Dazu kom-
men noch ähnlichkeiten im ausdruck:
G. 587. 1 D6 gevriesch man diu
maere.
594,4 ich erwinde nimmer.
595,1 Ich hilfe ex gerne vüegen.
N. 52,1 Ex gefriesch oueh SigUnt.
54, 1 Und wil du nikt erwinden.
3 und wil dir\ helfen enden1
Gr. >;, l — 3 in Ormanie lant, dm nieman schoener waere, danne
was erkant diu Ileteleu tohter ist wol entstanden durch eine erinnerung
an X. 172, 1 — 3 in Burgonden laut, ich wil selbe tiwerr wesen9,
danne ienien habe behaut deheine küneginne. Ebenso, wenn es von
den boten heisst G. 599, 4a diu ros wurden traege Avie N. 682, 4 diu
ros den boten wären3 miiede von den Jangen wegen.
Bei der behandlung der braut Werbung wird wider die darstel-
lung von Rüdegers sendung herangezogen (vgl. zu G. 289. 334 fg.):
X. 1101.4*// vuoren in der mäxe4*,
1116, 3 üa\ si eil rtche wären,
dax wart da icol behaut
G. 603, 2 si vuoren in der mäxe,
da: iegeltcher sprach,
dax, si tvacren rtche.
Man berichtet dem könige von den boten und besorgt ihnen sogleich
herbeige Gh 603, 4 — 604, 2. N. 1115, 3. 4. 1116, 4.
Wie N. 292 die beiden sich liebenden Sigfrid und Kriemhild
n ougenbUcken einander eil tougenlich5 ansehen, so wirft Hart-
mut bei seinem ersten Zusammensein mit Gudrun dieser verstohlene
blicke zu. Im ausdruck passen noch besser zu einander
N.348, 1 Friuntliche bliche
und giietlichex sehen,
G. 624, 2 tougen ougenbUcke
was da vil geschehen.
des mohte da6 in beiden
harte ril geschehen.
Einzelparallelen:
Gr. 636, 1 Bchliesst die frage mit (nijwan aUex guot wie N. 2108, 3.
N. 471.1 er sprach: wol üf, irhelde,
ir suli .' Sifridt gän.
472. 1 Si sprungen von den betten
uni wären vil bereit.
G. 639, 3a wol üf in der selde
4a und wäfent iueh, irhelde/
640, 1 Si Sprüngen von den betten
and Ingen dö niht mer.
1) C f Hegen. 2) A wesen tiicerre
3) A ros und liuk wären 4j C ohne parallele.
')) A tougen 6) A von
EINFLUSS HKS NIB.- LIEDES AUF DIE GUDRUN 171
Die erwähnung der anter den schwertschlägen sprühenden tunken
G-. 644, 1, womit sich etwa N. 1999, 1. 2 am besten vergleichen Hesse,
ist als ein zu algemeiner zug in den epischen Bchlachtschilderungen
hier ohne bedentung.
Bei der darstellung der zwischen Herwig und Gudrun ent-
stehenden liebesneigung lag dem bearbeitei Nil). avent"V vor, die
mit ihrem ausgeprägt höfischen charakter ihm besonders zusagen
mnste; ausserdem aber hat er zur darstellung der Verlobung einen
blick in avent XXYI1 geworfen, wo das verlöbnis des jungen Giselher
mit Rüdigers tochter berichtet wird. Schon wenn 654, 2 Gudrun
gezweiet mit ir muote genant wird, d. h. ..in ihrem Binne zwischen
den eitern und dem geliebten schwankend"1, bo hat der bearbeiter
offenbar im sinne gehabt die werte aus X. C 1621, 3 in gexweietetn
muote*, welche die Stimmung der halb neidisch halb freudig der
Verlobung Giselhers beiwohnenden Jünglinge bezeichnen. VgL auch
G. 1308, 2 gcxiceict was ir nmot. Der auf den nicht ganz gleichste-
henden bräutigam sich beziehende ausdruck dir. ich in versmähe durch
min lihtez künne 656, 3 (der versmähet da\ 657, 1. daz <\ mir niht
versmähet 657, 3) ist jedenfals veranlasst durch Rüdegers worte Som
lat in niht versmähen min eilendes solt C1620, l3.
Nun zu den parallelen ans Nib. avent. Y. <e 658, .'5 mit liep-
liehcn blicken er sach ir nuder d'ougen erinnert an N. 21)2. 3 mit
lieben ougen blicken einander sahen an; zu G. 658, 4 si trüege in vrm
herzen vgl. N. 280, 3 der si da truog in herzen. — Der bräutigam ist
in beiden fällen bildschön; bescheidener gedacht in Nib., grossartiger
in Gudr.
N. 285, 1 Do stuont so minnecltche
daz Sigmundes kint,
sam er entworfen waere
an ein per mint
von guoten mei-sters* listen.
G. 660, 2 vor der juncvrouwt n
stuont der hell guot,
sam er ü i meisti rs hende
wol entworfen waere
an einer tri-.cu wende.
(vgl. 1601.)
1) So richtig erklärt von Bartsch, der in ir mimt, liest und auch die ai
führte stelle aus Nib. C citiert. gexweiet mit ir muoter d. h. sie und ihre in
zusammen, wie nach dem Vorschlag von C. Hofinann Martin und Srjmone Lesen wol-
len, würde doch sehr schlecht passen zu dem gleich folgenden Küdrün enphieng
in mit anderen rrouircn. Hilde macht sich in dieser scene gar nicht bemerklich,
und 655, 4, wo sie erwähnt wird, hat zusammen mit v. 2 und 3 nur vorausdeuten-
den sinn. 2) AB in proeltehem muote.
3) Ganz abweichend von AB: So sol ich in. mit trittwen immer wesen holt.
4) C guoter meider.
172
E. KETTXER
Aus anderen teilen des Nibelungenliedes stammen die beiden fei-
nden parallelen, vielleicht reminiscenzen:
G. 661,1 Geruochet ir mich min-
nen . . .
N. 1175, 1 Und geruochet1 ir te man-
nen
n edelen herren mtn ...
S i leitet Rüdeger, so Herwig die verheissung der ehre und macht ein,
die durch die Vermählung dort Kriemhild, liier Gudrun zu teil werden soll.
N. 567,2b<;d iril ich immer stn,
swie ir mir gebietet.
GL 661, 2 so wil ich immer sin.
swie ir mir gebietet, (vgl.
531.)
Diese ergebenheitsversicherung Herwigs lässt sich vergleichen mit der
Sigfrids N. 303. — Bei der erzahlung der eigentlichen Verlobung
zeigt sich wieder der einfluss von avent. XXVII:
X. 1622. 1 Du man begnnde vrägen
die minnecltchen meit,
ob si den recken icoldc.
G. 664, 1 Vrägen si begunde
2 Hetele dö xe stunde,
ob si xe einem man
/rotte Herwigen.
Die erzahlung von dem kriege zwischen Sigfrid von Moiiand
und Herwig enthält ausdrücke, die, einzeln genommen, algemein und
bedeutungslos wären, in ihrer gesamtheit aber eine berücksichtigung
von Nib. avent. IV (Sachsenkrieg) beweisen:
N. 169, 1 Dö besant ouch sich von
Sahsen
der küene Lindger.
4 dö 1" U auch sich hieheime
der kiinec Günther besant
170.1 mit den sinen mägen.
143. 1 Ir habet irxorn2 verdienet.
146. 4 disiu starken maere
sol ich minen vriunden
Idagen,
175,3 mit raube und ouch mit
brande
wuosten si dm lant.
191, 1 Den von Tenemarke
uns vil grimrru leit.
210. 2*' des lag ir vil da tot.
G. 688, 1 Do besante sich Sivrit,
der kiinec von Mörlant.
670, 1 Mit ahtxic tüsent helden
hete er sich besant.
671,3?ffm er nie verdiente
der riehen künege hax.
672, 1 Er klagete ex sinen vriun-
den.
2 dax man im brennen wolte
und tvüesten sin lant.
675, 1 Dem recken vx Selant
was sin schade leit.
676, 1 des lac da maneger tot.
1) C ruochet
2) C ha,
KIM Li BS I>ES NIB.-LlKl>i:K A.U1 DIE GUDRUN
173
N. 162,1 Und lad die boten rtten
heim in ir herren laut.
202,4 sus würben nach den eren.
161, 3 onch sol da mit rtten
Volker der küene man:
der sol den vanen füeren.
G. 677. 1 Die boten hiex er rtten
in dm Hetelen lant.
<>79, 4 s/ werbent vaste umb ere.
681). 2 troU der degen
sol cd ihr. gesindi
)t<i<li dem vanen wisen.
Einzelparallelen:
Gk 705, 4 gäben herberge, ein kämpf esausdruck, findet sich mich
N. 1955, 2 gab er herberge.
N.C 17 07, 2 diu hüneginne her
was des vil genoete,
dax si geraeche ir leit '.
N. 1391, 1 Dö sprach aber War-
belin - :
und mühte* dax- gesche-
hen,
<hr. wir mine vrouwen
konden ei gesehen
(vgl. 669, 1. 2.)
dax er da für niht naeme
276,
o
o
G. 737, 1 Des uns du vil genoetec
diu nllr OerUnty
wie si <hr. recht n möhte
740, 1 Dö sprach der junge Hart-
muot:
und möhte dw. geschehen,
du-, ich du Hilden tohter
solh hie gesehen.
740, 3 da rür ich niht naenu
ein wttex vürsten rieh
eins riehen hünegeslant5.
Von Gerlind (vgl. oben z. 737) heisst es G. 742, 2: si hete in ir6
übte mit folgendem finalsatz, von Kriemhild N. C 2023, 6: si hei t i
in ir übte vil gerne dar xuo bräht, dax.
G. 750. Wol inner xwelf mileu komt das Normannenheer zu dem
lande der Hegelingen in die nähe der bürg Hildes (es legt in einer
zwölf meilen grossen entfernung von der bürg an?), so dass sie pt'al-
zen und türme derselben sehen. Hier scheint dem bearbeitet die
ankunft der Burgunden vor JBrunhilds bürg vorgeschwebt zu haben
N. 371. 372. 388, deren darstellung auch begint C 371, 1 Iure tagen
% welven 7.
In der beschreibung der aufnähme, welche die fremden . n-
ten finden, sucht der bearbeiter nach dem muster zweier stellen des
Nibelungenliedes die höfische etikette hervorzukehren :
1) AB dax si in taete leit. 2) C Do sprach der böte Wärbel
3) C künde statt und mühte 4) A $ landen
5) C naeme niht eines hüniges lant. 6) in ir Vollmer, hs. mit.
7) AB An dem i weiften morgen.
174
E. KETTNEB
N. 151, 2 swu vient man in waere,
vil s<<hte ir pflegen bat
Günther der riche.
1131, 1 Do stuni er von dem S( dt le
mit allen sinen man*
165,1 Ihn hotin riche gäbi
man dö für truoe.
G. 7 1)7. 1 State erböigen si in waert n,
schenken man in hü i
den boten vor den maeren.
768. 1 Vit gexogenliche
von dem sedele sttiont
aüex dax gesinde.
772.2 rron Hilde hiex si ivern,
State vremede si ir wären.
ir gäbe riche.
Zu G. 772, 4 der si doch niht nämen vgl. N. 1429, wo Wärbelin die
be Günthers stolz zurückweist.
Einzelparallelen:
X. 406, 4 \nht des jungen beides
diu l tet Albrtche we.
1403,4 die2 Sifrides wunden
toten Kriemhilde we.
2159, lhex ist uns übel körnen.
1039, lTT7ß si nu gefüeren}
des enkan ich niht gesogen.
494, 1 1)6 hört mau üf der verte
maniger hande spil.
1372, lühs kommt niwe meiere.
1379.1 Der künec gexogenliche
grüexen si hegan:
sit wiUekomen beide.
1381.2 wie gehabet sieh Etxel?
G. 800, 4 gewalt der Ludewiges
tele Kudrüueu we.
807, 2* ex ist mir honten iibele
(s. z. 816.)
809. 1 Wie si nu ge fiteren,
wer mühte iu dax gesogen?
813.2 ouch mohte man dohoeren
maneger hande spil.
814, 3 uns kument niuwiu meiere.
815, 1 Der künec gierig in enge-
gene,
2 gexogenliche er sprach:
sit wiUekomen, ir herren.
4 wie gehabet sich min vrou
Hilde?
Hier, bei einem botenernpfang, also einem konventionellen Vorgang-,
zeigt sich wider ein etwas längeres verweilen an einer stelle des Nibe-
lungenliede-.
N. 21 ."39. 2 ' so grö i en sehn den . . .,
den nimmer überwin-
dent 3
ir Hut und ouch ir lant.
G. 816, 4 schaden also gröxen
ich waene diu laut niht
überwinde.
1) diu fehlt A. 2) die fehlt A. Die str. fehlt C.
a den wir nimmer überwinden
EINFLUSS DES NIB.- LIEDES AUF DIE GUDRUN
175
Über eine standesgemässe ehe: G. 819, 1 Küdrun waere hin te
im nach eren nihi gewant, X. 2098, 2. 3 sine künde nihi box ver-
wendet sin üf zieht und auch üf > >
N. 1138, 3 tca\ iu min lieber hörn
her enboien hat,
sit int sin (Um- nach
Heichen
sörehte1kumberlfchenstät.
910. 2 ich weix hie eil nähen
367.3 die rehten wax lersträxen,
die sint mir wol bekant
328, 2hswie ex mir ergi.
Qt. 822 wax /ms min vrou Hilde
her ( nboten hat,
dax ex te HegeUngi n
ad rehü unvroelichen stät.
836,3 ich weix Me bt vil nähen
(vgl. 838, ::.)
ir rehte wax lersirä u .
V;il. 'S'snii \ uns ihr nach '/</'■
G. 844, 1 Hetele der enruochte (843, 2 er ahti < . nihi ein bröf),
oh si immer usw. scheint hervorgerufen zu sein durch N. 1902, 1
Ilagene aide ringe, gevidelte er nimmer im'. Denn hier, wo der bear-
beiter zu dem kämpf auf dem Wülpensande komt, wendel er sich
den den kämpf der Nibelungen enthaltenden teilen des Nibelungen-
liedes zu; diese lieferten ihm von 1858 ein reiches material von moti-
ven, Wendungen, ausdrücken und sätzen. Zwischen diesen entlehnun-
gen finden sich noch einige wenige anderweitige.
N. 1867, 1 Vil2 Inte rief du Dancwart
dax gesinde atle\ an.
2011, 3* £ si die für gewunnen
1980,1 and lief Gernöten ans
1975, 1 Do sehn: ten si die gere,
3 dax die gerstangen
r/74 höhe draeten dan.
2214, 1 Er slnoc den videlaere
üf den heim gnot,
dax des swertes ecke
itnx üf die spange wuot.
1978, 3ber was ein übel man.
1907, 1 Der junge sunvrounUotcu
\uo dem strite spranc:
sin trafen herlichen
durch die helme erklanc.
G. 858, 1 Lüte ruofte dö Ludewic
an alle situ man.
862, 2& e sie dax lani gewunnen.
863,1 der lief Waten an.
2 mit einem sper. . sehn \ er..,
3 dax diu stücke höhe
Sprüngen in die windt .
864,1 Wate hudewigen
durch den heim slnoc,
dax des swertes ecke
üf dax houbet truoc.
865, 2he\ was 'in übel gast.
866,1 Hartmuot und IroÜ
uo i inander spranc.
ir ietwederes wäfen
üf dem helme erklanc.
1) C sin dinc so 2) Vil fehlt A.
3) C Gernöten lief er an
4) vil fehlt A.
176
K. KETTNEB
N. 1917. 2 '"ihr maere heÜ guot.1
1992, lhvü maere heÜ guot.
GL 867, lb ein maerer hilf guot.
875, 3V/y/ maerer hell ril guot.
G. 870 wird von den im kampfgewühl im meere ertrinkenden
gesagt:
2 ea Mwd raie feeß o& maneger gedrücket an den grünt.
ein lant si mähten erben, die dar wunden stürben.
N. C 2159, 5 fg. heisst es von den in dem kampfgewühl inner-
halb des saales niedergeworfenen und im blute ertrinkenden:
6 ril maneger äne wunden dar niäer wart geslagen,
der wol genesen waere. ob im wart solch gedranc,
gesuni er anders freiere, der in dem bluote doch ertranc.
Dass dieser törichte einfall des redaktors C die Veranlassung zu jenem
ganz natürlichen zuge in der Gudrun gewesen ist, erscheint kaum
glaublich. Dennoch — mag nun in der vorläge des bearbeiters schon
etwas derartiges gestanden haben oder nicht — darf man die strophe in
C nicht aus der Gudrun ableiten. Die fassung in dieser ist jedenfals
durch C beeinflusst: und man hat um so weniger grund an die priori tat
der Gudrun hier zu denken, als das vil maneger in starken Übertreibun-
gen widergegeben ist und der ausdruck auch an Unklarheit leidet (v. 4).
G. 875, lh wie mähte der küener sin?
4 wie kundens ivesen küener
der alte Wate und ouch
(von Tenen) Fruote?
877,1 Der herte strit der werte
des selben tages lanc.
879, 1 Diz werte in gröxensorgen,
vir. in% diu naht benenn.
880, 1 die truogen hoch enhant
2 ir vil scharphiu tväfen.
ir ietweder vant
mit kreften an dem an-
dern 5
rehte wer er waere.
885, 3 der tac weis verendet,
nahten e% begunde.
X. 1883, 4b iciemoht erküenergesin ?
2223, 4 Hildebrant der küene
wie künde er grimmer
gewesen?2
2022, 1 Der herte strit der3 werte,
unx inx diu nahtbenam.
2234, 2 höher an der haut
3 huob er ein starke:, wäfen.
185,4 ir ietweder den sinen
an dem anderen vant*.
1548,4 si versuohten, wer si wä-
ren G.
1756, 1 Der tac der ~ hete nu ende
und nahet in diu naht.
1) C der küene degen guot
2) C torn der Hildebrandes künde gri/m/mer nihi gewesen.
3) der fehlt A: C do. 4) C ohne parallelismus.
- Vollmer, hs. an einander. 6) C ohne parall. 7) der fehlt A.
F.IN'FLVSS DES N'IB. - LIKDKS AUF DIK GUDRUN
177
G 886, 1 Wim r von T( nemarh
te Höranden spranc,
sin swert im hartt lüte
an der kende erhlanc.
903, 2 Fruote bi dem lufti
kiesen do began.
914,1 Vil unmüexic si wären
im i an den sehsten tac,
91 5, 2b nindert anderswo.
3h in deheim m lande.
N. 1903, lVotl-rr der ril sneUe
von <hn/ fische spranc}
sin videlboge im lüte
an siner hende erhlanc.
1913, 3 ein herti", swert im ofti
an siner hende erhlanc.
1787, 3 ich hiusex von dem lüfte.
1210, 1 Si wären vil unmüexec
wol fünftehalben tac.
322, 2 in den landen
ninder anderswä.
In der erzahlung von der bestattung der Eegelingen und von
der Stiftung des klosters merkt man an einigen ausdrücken, dasa
der bearbeiter die darstellung von dem begräbnisse Sigfrids in avent
XVII durchgesehen hat. Zu G. 915, 1 Lesen muh singen man horU
so vil da vgl. N. 1005, 3 man sanc undt h/s; zu Gr. 915, 3 gott so
schone diente vgl. N. C 996, 1 Do man <hi gote gedientt oder X. 1004, 1
Du gote da wart gedienet; zu G. 915, 4 vil ehr phajfen vgl. N. 1005, I
heg iea\ guoter pfaffen usw.; zu G. 917, 3 durch tri Ihn der sih. vgl.
N. 993, 3 durch willen siner sele, beidemal in Zusammenhang mit den
reichen spenden.
Die klagende Hilde hatte ihr vorbild in der klagenden
Kriemhild: daher übte avent. XVII noch weiter ihren einfluss aus.
Gr. 926, 1 Owe miner leide, womit Hilde die klage anhebt, ist zwar
an sich ganz formelhaft, doch wird ebenso die klage Kriemhilds N. 953,2
(am genauesten C) eingeleitet. Vgl. auch N. 1685, 1. Ritter und Jung-
frauen werden G. 927 von leid ergriffen, als die königin klagt; eben
klagt N. 954 alles gesinde mit der herrin. Dem ausruf Hildes: In i
solte ich dax geleben G. 929, 1 entspricht der Kriemhilds: Hey* soldt
ich den bekennen N. 965, 1. Hilde nent sich gotes armiu 929, 1 wie
Kriemhild 1020, 4 (XVIII)2 bezeichnet wird. Dö sprach diu jämer-
hafte G. 932, 1 = N. 955, 1.
In dieser darstellung weisen 3 stellen auf entferntere teile des \'il>.
N. 2017,2 meide unde vrouwen G. 927, 1 Ritter
die3 quelten da [ den lip.
2024,3 dan lange da te quelne
üf ungefüegiu leit.
1) Hey fehlt A. 2) C diu Jcüniginhe.
quelten dö den /</>
von ungefüegem leide.
4) C ouch
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE.
BD. XXIII.
3) die fehlt A.
12
178
E. KETTXER
N. 1703, 2 alles des er gerie
des waer ich im bereit
Cr. 929,2 al/e\ dm ich htte
wolte ich dar umbe geben.
G. 930, 2 wir suln uns besenden
in disen iwelf tagen.
Di. 's«> wortr kri.mhilds und Hildes beziehen sich auf den der-
einstigen racher.
N. 1 öd, 3 wir mugen uns niht besen-
den
in so kurzen tagen.
Wahrend von diesen drei stellen G. 927 und 930 durch blosse erinne-
rung entstanden sein mögen, scheint N. 1703 angesucht zu sein, wie
man auch nach massgahe der folgenden parallele annehmen kann. Auch
hier ist es der rächer (Blödel, Herwig), der der königin antwortet:
( i. 936, 2 c\ nuio: < rarnenHarhnnot,
da v er mir ie min wtp . . .
4 ich rite im noch so nahen
usw. usw.
also auch ein ziemlich gleichartiger abschluss der Versicherung.
Vielleicht remini szenzen sind:
X. L846, 3 - \ in uir. eramen ' Hagne}
da\ - t r in hat getan.
1/ antwurt in gebunden
X. 14-10. 1 Nu laxen dm beliben,
wie si gebären hie.
18,4 den (lip) WÜich Verliesen,
sine werde min wtp.
Gr. 951, 1 Nu Id'.en wir bell heu,
wie ez umbe si gestä
(vgl. 67. 1071).
959, 4 den lip iril ich Verliesen,
e ich in ie vriunde welk
gewinnen.
Im begriff die seefahr t der Normannen zu erzählen denkt der
bearbeiter an die fahrt der Burgunden über die Donau. Dass er
diese erzählung aufsucht, verrät sich schon Gr. 953, 1 Mit vil grdzen
sorgen kömens über vluot, vgl. N. 1467, 2 da%> ergie den Nibelungen
■ ii sorgen, wie si koemen übere, 1511, lb koemen über fluot.
Besonders auffallend ist folgende entlehnung. N. 1517, 3 sagt Gernot
zu Hagen, der den Kaplan ins wasser geworfen hat:
taet&x ander iemen, <\ solt in wesen leit.
Gr. 964, 3 sagt Hartmut zu Ludwig, der das gleiche Ghidrun angetan hat:
taete <■: ander iemen, so zürnte ich also sere.
Diev.. parallele zeigt, wie der bearbeiter in dem bestreben den ton
des Nibelungenliedes zu treffen, solche züge und werte, die deut-
lieh das kenzeichen ihrer herkunft tragen, nicht nur nicht vermie-
den, sondern zuweilen 3ogar gesucht hat. Vgl. GK 334, 1.
1 1 < ' arm n 2) C swa i
r>i C oder ich wil darunibt mtnen li]> nrloren hau
EINFLUSS DF.S XIB. -LIEDES AUF DIE &UDB 17!»
G. 966 fgg. Hartmut hat Gudrun gewonnen und einen gefahr-
lichen kämpf dabei bestanden. Er entsendet boten an Gerlind, um das
gelingen der kühnen tat voraus zu verkünden. Dieselbe läge der dinge
haben wir N. 49b (rückkehr Günthers mit Brunhild). Daher schlag!
der bearbeiter diesen teil de- Nibelungenliedes, den er sehen mehrfach
benuzt hat, wider auf, um mit dessen hüte (von 518 an) eine ausführ-
lichere beschreibung von der ausrichtung der botschaff und dem
sich daran schliessenden empfang zu geben. Doch hat er dabei auch
die von Rüdegers und der spielleute Sendung handelnden abschnitte
berücksichtigt, wie folgende parallelen zeigen:
N. 1350,2 ich enbiute mtnen vriun- <'. 966,2 do enbötfman] vroun Ger-
den -
liih und alle: guot.
1133,1 Dö sprach der höh bi-
derbe1:
li inh
li< l> irnde i///o/.
968, 1 Do sprach ihr hole bidt rbe
Zerlegen wir nun zunächst G. 966 — !»70 in die einzelnen momente.
1) Der böte hat Gerlinde das nahen der kommenden gemeldet: dö ihr.
gehörte Gerlinty ja waene ich ir lieber nie geschaehi 967. 2) Der böte
berichtet die aufforderung, class sie von der bürg herabkommen soll
um die Jungfrauen zu empfangen: ir und iuwer tokter sult riten tuo
dem siade beide (mägde, trauen und ritter soll sie mit sieh führen,
auch das gesinde freundlich empfangen) 968. 969. 3) Ihr. tuan ich
willeclicken, sprach vrou Gerlint usw. 970. — Hierzu vgl. N. 519-
520. 1) Sigfrid hat als böte Ute und Eriemhild das nahen der kom-
menden gemeldet: si hete in manegen -.ihn so lieber maere nikt ver-
nomen 519. (Str. 520 — 523 erzählen von dem liebenswürdigen beneh-
men der beiden frauen gegen Sigfrid). 2) Sigfrid berichtet die auffor-
derung, die gaste gut zu empfangen: am ir gen im rttet für Wornn \
üf den sauf 524. S) Dö sprach diu minnecltche: des hin ich vil bereit
usw. 525.
Man vergleiche ferner mit einander: G. 971- -975. 1) Man
heisst die rosse und satelkleit beschaffen 971, die besten gewänder
aus den kisten für Hartmuts beiden 972. 2) An dem dritten morgen
reiten Gerlind und Ortrun mit ihrem gesinde, weil, und mau, aus der
bürg 973. 3) Die gaste sind in dem hafen augekommen, alles wird
aus den schiffen geladen 974.
974, 1 — 2 Do wären ouch die geste komen in dir hxibe.
alle, dir, si brähterij dir. wart gevüeret abe.
975, 1 Hartmuot der sneUe si (Gudrun) vuvrte bi dir haut.
1) C here, doch s. G. 1176. 1.
12*
ISO
E. KETTXER
N. 529 — 543. 1) Ausführliche beschreibung der ausstattung der
pferde, trauen und reiter 529, 5 — 537. Fast wörtlich stimmen über-
ein (vgL auch X. 1593, 2. 3. 275, 1):
N. 529« 7 diu suochen ü% den lasten GK 972, 1 T)d snohtens1 d: den Listen
die aller besten wät,
di si da inne tristen.
diu aller besten kleit,
I ' 8 diu si mügen rinden.
2) Ute reitet mit ritten] und mägden von der bürg zum ufer 540.
(541. 542. buhurt). 3) Die Jungfrauen (Utes) stehen am hafen, die
kommenden verlassen die schiffe 543.
543, 1 — 3 Die vil minnecUchen die st winden an der habe.
Günther mit sinen gesten gie von den schiffet/ abe.
> r fuorte Prünhilde selbe an siner hant.
Die königin oder köiiigstochter wird beim empfang auch von
zwei fürsten geführt, wie hier 977 Ortrun um Gudrun zu begrüssen
[vgl oben zu 4SI). Ebenso geht X. 1290, 1. 2 Kriemhild, geleitet von
zwei fürsten, Etzel entgegen. Vgl. auch G. 537, 1. 2. Im ausdruck
sehliosst sieh G. 977 enger an eine der str. 1290 benachbarte stelle
des Nibelungenliedes an:
X. 1259. 1 Diu Rüedegeres tohter
mit ir gesinde gie,
da si die küneginm
ril min n< dielie enphie.
G. 977, 1 Diu Hartmuotes swester
bi zwein vürsten gie,
da si die Hilden tohter
vlizecliche enphie.
Es folgt nun wider ein längeres stück der Gudrun, in welchem
unter sich zusammenhängende Nibelungen -parallelen selten, weit über-
wiegend einzelparallelen vorkommen.
X. 1660, 1 Döstuonden von den ras- G. 984, 1 VrÖ sis da Iteime runden,
sen,
da; was michel reht,
neben Dietriche
manic ritter unde hneht.
(vgl. 76, 1.2. 646,1.2.)
1046,1 SUS SOX si nach ir leide,
da: ist alwär}
nach ir man ms tnd<
WÖl riffdt halbe: - jdr.
auch G. 1070. X. 137, 1. 2.
daz was michel reht,
den si erzeigen landen,
ritter oder hneht.
1011, lwerc diu vil smaehen,
da; ist alten r,
der phlägen die vrouwen
eii rd (halbe; jdr.
1082, 1. 2.
1) So schon v. d. Hagen, unzweifelhaft richtig statt hs. schütten*,
in da vi* rdt
EINFLUSS DES Ml;. -1.11 IM- All DIE GUDRUN
181
N.2029, 12)0 sprach von Burgondeti Gk L029, 1 Dö sprach von Ormanie
Giselher <l<r, leint Hartmuot du: leint.
G. 1033, 3" ob ich ein ritter waere; dieselbe hypothetische erklär
rung eines weibes N. 135G, 1", ähnlich (r. 577, 2' ob si ein ritter
waere.
N.2256, 3 so hat ni'ni got vergeh ten. (i. 1 036, 3 sti min hat got Vi rgi ■: u n.
1613.1 Dö sprach offenlichen
<h r eck I spilman.
1 22 1. 3 wir sin vil ungescheiden,
i ; ml im danne ' der tot.
1800. 2 hat lernen in beswaeret
du: herze und auch den
muot.
3hdaz ez mir ist vil leit.
1803,1 Swie grimme und swie
starke
si in darf waere.
2311,4 swie vient'1 ich im waere.
2135,1 Swie grimme Hagen wae-
re,
2 ja erbarmet im diu gäbe.
2090, 3 triiren linde ; ühte(eren2),
der got an mir gebot.
1671.3 sterkest aUer riehen.
1746, 3 erspranc von stme sedcle,
als er in komm sach.
> in gruoz so rehte schoene
von läinege nie mer gc-
schach.
221,3 heim zuo sime fände
den friunden er enböt.
1358, 1 So saget (boten) ouch
(iisrlhrri\
da% er wol gedenke dran.4
1419, 3 si (die boten) gerten tege-
liche
urloubes von dein.
L038, 1 Dö spruch offenlichen
<hr degt ii Hartmuot.
1 0 I 1. 2 uns enscheidet niemen,
ex entuo du um' der tot.
lo 1:9,2* mir ist leit urmiä \< ny
3 da mit' ' r iu beswaeret
du: herze und ouch du
sinnt .
swie ein/ ir mir um e> I.
1062,1 Si erbarmet mir so s<
swie ich selbe Ude /<>'>/,
durch ir höhen en .
die got au mir gebot.
1063, 3 riebest aller hünege.
1077,3 dö gieng er hin engegene
da si si Linnen sähen.
dö gruo i te ers vli \ ieMcht u.
dö si im Hilden hotsrl/ufl
verjähen.
1083, 2 hin \c Tem mürbe
/ir eriiiinb nj '• si i \ enböt.
1084, 1 Si hie: (die boten) t \ sa-
gen Hörandi .
du: er gedaehte dran.
1087, 1 Die boten urloubes
1) danne fehlt C. 2) A vient ab ich.
3) Ergänzt von W. Glimm, vgl. 1089, 2.
gt rtt ii von im dan.
\) C er denke wol dar an
182
KETTNER
682,3 -.' Norwaege in der markt
dd fundt u si dt n degen ].
1730,2 swax im dd von geschäht,
'/>/; ist mir vil unmaere.
241,1 Do sprach diu minnecli-
cht .
du (böte) hast mir tcol
geseit.
528, 1 Dö riten allenthalben
die wege durch da\ laut.
dt r drier künegt mäge,
die hete man besant.
1 7 4 H . 1 Dö der voget von Rine
in den palas gie,
Etxel der rieht
da\ langer nihi et die,
• r spranc von stme sedele.
977, 1 iu < nkunde niemen
der, wunder volsagen2.
146, 1 Dö man diesneUen recken
sach zen rossen gdn,
dö kos man vil der vrou-
wen
trurielichen stm
w WcUeis in die marke,
da si mit sinen man
Mörungen runden.
Gr. 10D4, 4 sira: ir dd von geschaeht .
der, was Küdrunen un-
maere.
1 100, 1 Dö sprach der degen Ort-
irin :
du (böte) hast mir war
gest it.
1101.1 Man seuii in aUen enden
riten in der laut,
nach eleu vrou Hilde
ttrtc gesaut.
1105, 1 Sieelhe bekomm wären
oelcr swer %e hove gie,
die vreudenlöse vrouwe
seitot ei(A\ rerlie,
si engienge in engegene.
1115. 2 da\ iu da \ wunderniemen
künde tcol (hs.) gesogen.
1118,1 Dö nu gescheiten waren
hie dir Mute dan,
dö sete/t mau vildervrou-
wen
in di ii vi nstren stau.
Auch X. -WO, 1. 1049. 1 sehen die frauen, in den fenstern stehend,
den scheidenden nach.
Zusammengehörige Nibelungenparallelen:
N.494,3 Ouch kom in tue ir reist GL 1919, lh in kenn ein rehter wint.
< rehti r wa i u rwint.
370,1 Ir vil starken segelseil vil segele sich erstrahten.
wurden in gesträht.
\ ir stärkt i ort I" itt n
U t sit dt ii hochgemuott n -
I dar nach si muosten ar-
beiten si re.
wt .
Ii da fehlt A. — ».' da fanden si mit freuden den vil hüenen liegen.
- C Nune kundiu niemen dm wunder wol gesogen
3; "/'. vil manige frouwen stau. 4) A sehoenen frouioen: Ver-
schiedenheit der personen, B nnd G gleichheit der personen.
EINFLUfc N'IB.-LIEDES Wi- !»11. GUDRUN
X. 121. 6 inil Int ich tüsent < idi u einem vridt geswam, ehe
dieses geschähe, müste jenes eintreten, <;. L132 ehe dieses geschähe,
ich stauen tüsent eia\ . dass ich jenes unterlieg ;';ill> ich — ).
Einzolparallelen.
X. 2040, 1 Genuegi ruoften drinru :
owe dirn not.
wir möhti n mwhelgt rm e
sin int stumm tot.
L965, 1 D6 rief von Tenemarke
der marcgräve Trine.
N. 85,2 sin ouge er dnl wenken
mo den gesti n I'
388,2 <lri palas wite
und i im n sal wol gt tan.
7'.>. 2 in j( in in sah wtten
383,6 Sifrit der hin i
ein ros zöch üfdt n sant2.
1257,] Die naht si heten ruow{
unx an den morgi n vruo.
1667. 1 Do gingen sundi rspräclu n
1728, 3 den3 hett ze stnen handen
(vgl. 1524, 2.)
1496,.'] von roter und von muoter
ans er der bruoder min.
1739.2 swä so (rinnt bi friunde
friuntlichen stät.
1020, 4 ddsprächdiugotes nenn l...
I -. 1 1 38: 1 D6 ruofU t in marnoA n :
ach ach dirn not,
dn\ wir . - Givi rs lägt n
niht vor dem I» rgt tot.
11.')!». 1 DdruofU von Tenemarhe
<h r l,ii> m Unmut.
( i. 1 I in. 2 wenken er do I"
sinin ougen wtten.
1145,3 wol siben palas richi
und ' im n sal vil wtten.
1 1 L8, 1 Diu ms weh man schien
vuo in üf den sant.
1151. 1 Die naht si heten ruowi
nn \ an d< ii naehsti n tac.
3 die git ruji n sundt rsprä-
r/n II.
1154. 2 ' in h< It " // handi n.
3 Kndrnn ist min swester
von vater und von muoU r.
1157, 2 Sit da* r rinnt rrinmh
oinji ' stliiln n du in ii sol.
1171. I. 1 184,2 ebenso.
Wenn es G. 1174, 4 heisst: Ortwin und Herwig vagen vil gelictu
an einem rnoder, so ist der anklang au N. C369, '■>. 1. wo von Dank-
wart gesagt wird der säz muh ideh an eirm starken nieder zu
schwach, um in jenem eine nachbildung zu sehen, und eine paralli
welche bewiese, dass der bearbeiter hier Nib. aventVl vor sich gehabt,
ist in der nähe nicht vorhanden. Denn X. 383. 388 können wegen der
dazwischenstehenden, ganz verschiedenen abschnitten des Nibelungen-
liedes angehörigen stellen hier nicht herangezogen werden; G. 1166, 2
kam gevloxxen, 4 gevliuzest üf disemt rinnt» (gevloxxen üf der vhwt
1) A sin ougem er da 2) C an der hont.
3) C einen. 4i C küniginne
184
E. KETTNER
N. 392, 7) ist zu einfach, (i. 1171, 3 du solf mich laxen hoeren
(N. 393, 1). G. 1175. 1 ist dir <ln\ behaut (N. 372, 3) sind zu algemein
formelhaft, um hier etwas zu bedeuten. Gr. 1176, 1. 2 stimt besser zu
\. 87, 1. 2 als zu N. 394, 1. 2 (s. u.). Zweitens werden in gleicher
Situation, aber mit anderem ausdmek 1183 Wate und Frute vorgeführt.
Drittens ist dieselbe stell»', aber in der lesart von AB sehen benuzt
(i. 285, 3. Es müste also, «'ine nachbildung angenommen, der bear-
beiter mit zwei Nibelungentexten zugleich gearbeitet haben — oder
r die Übereinstimmungen mit C müsten aus der Gudrun hervorge-
gangen sein. Der redaktor C ist auf jenen ausdruck unzweifelhaft
selbständig verfallen: 1513. 8 braucht er auch an riemen ziehen. Zu-
fallig entstanden ist weiter die parallele G. 1176, 1 Do sprach der höh
here - X.C1133. 1; vgl. G. 1169. 1. 1174.1. 1177, 1 und X. 1138, 1,
au>serdem zu G. 968, 1.
X. 87, 1 Also sprach dö Hagene:
ich wü des wol verjekt n.
sune ich Sivriden
nimer habe gesehen1
1204, 1 ich eil- arm in künegin.
1020. 1 dö sprach diu gotes arme3..
C3.~s.i'/'// schoenen junefrou-
Wi n
tei ir areheiten we*
972,1 Dö5 sprach" diu jämers
rieltc:
01784,1 1)6 sprach der videlaere
den Hiunen vaste nach:
_' war ist in so gäch? '
1925,3 Dietriches stimmt
ist in min öre harnen.
2106, 1 sienwessennihtdermaerei
dm in so nähete der tot.
(r. 1176, 1 Do sprach der böte here:
des wü ich dir verjehen.
Irolden and Mörungen,
die hän ich gesehen.
1178,4 mich vilarmenküniginne.
1184,2 ebenso.
1204, 4 rfe// eilenden meiden
tete ir < Ut nde we (hs.)
1208, 1 ebenso.
1212.1 Si Sprüngen ü% der bar-
ken
and ruoften in hin nach:
2hiuar ist in so gäch?
1213.2 doch was in diu stimme
wol vwo den Qren kamen.
4 er triste niltt der nm< r<\
dax, er so nahen stiiende
sinem trute.
G. 1224. 1225 bietet Ortwin der Gudrun 4 bouge an, um sie
- neigt zu machen. Dass man einen fremden durch ein solches
1) C als ich mich kan verstau, noch nie gesehen ha/n.
il fohlt l 3) C diu künigmne 4) AB edelen. was von
5) A 6) C rief
1 AB Zehani dö rief in Volker hin engegene ... ir s/icltc» degene
EINFLUSS DES NIB.- LIEDES All IHK GUDRUN
L85
geschenk sich gewinnen will, ist an sich ein algemein episches motiv,
das bekantlich schon im Hildebrandsliede sich findet. Ebenso begeg-
net es N. 1493. 1574 %. An der lezten stelle werden die ii bougt ,
die Hagen dem markgrafen Eckewarl anbietet, wie in Gudrun mit
dank abgelehnt, und zwar — ein beweis der nachahmung -
ähnlichen Worten.
mit ganz
N. 1575, 1 Got löne iu iuwer bonge1. Gr. 1225, ] Got läxt iu iuwer bougt
//( ith ii saelic sin.
Der bearbeiter dachte hierbei mich an eine andere stelle:
X. 640, 3 got Ufa iu iuwer erbe immer saelic sin.
Einzelparallelen.
X. 372, 1 wes sint dise2 bürge
und ouch dm herliche
laut'?
C1367,4ar/rr. ist mir ungewiß ienB
1 -1 24, 1 Do sprach der künic Gün-
ther:
LH ii in • l ir ii iis gesagen l.
1 225, 2 da wart vil michel weint n
von vriunden getan.
801, 2 e da%'° ich entrinde,
ex, sol ir werden leih
772, 2 ich urilselbetiwerr wesen6,
dcuuic ieman habe behau I.
2053,4 leb ich deheine mih .
ich sol . .
2312,1 Bö sprach der alte llil-
debrant:
ja geniuxet si es uiht.
518, 1 Do sprach der riter hin ne-
nn gebet mir botenbrdt.
G.1226, 1 Wes sint disiu erbe
und ditxe riche laut
und OUCh dir guott n Inir-
!l>
8
L229,4a ebenso.
1230. 1 Dö sprach dt r künic 1I< r-
wic:
müget ir uns gesogen.
1265.2 d<) wart ein herter schei-
di n
von vriunden getan.
127s, j r da; ich < rnind< ,
sö gemüet < \ dint n rückt
sere.
1279,3yd bin ich verre tiurer,
du ii in- ir mit i/innii nn'i-
<j< n.
L280, 1 und leb ich deheine wile}
ich wil . .
L282,l Dd sprach diu tiuve-
tinne:
jd ;/< ii in lest du sin niht.
1 289, 1 Der sagt te in' offt ni licht n :
(jcbet mir dn\ botenbrdt.
1) C gäbe. 2) A die 3) AB niht gern .< ,*
4) A ane gesagen. C ir sult uns ivixxcn län 5) A end
6) A ich wil ic es en tiwerre. C wesen cdclcr.
186
E. Kl n \i i;
N. 1824, 2 abwehrend: < •. wixent
m/s die linh .
1 127, Shunt den besten win}
L 369, 1.2) den man kundt rin-
den
in dein laude <d muhen
Hin.
1 1 27, 3" rm U dt n ril guott n.
L291 beim küssen:
2 ir varwe wol getan
din lühte ir ü i dem golde.
7 r_\ 1 ir varwegegt n demgoldt '
'/'// i/h/n; ril In'rlirlnn
truoc.
649 So wol2 mich) sprach du
Sigmunt,
da-, ich gelebt I hdn,
dm din schoene Kri< ni-
hil f
sol hie gekrönet gän.
des min ten wolgt tiuwert
i din i rix min.
ni in sun, ihr edel Sifrit,
sol hie selbe künec .sin.
Gr. 1294,2 ebenso: ja wtxent iuzdie
lialc
L305,lbdö brähte man in irin,
da; in Ormaiiic
ruht be% \er mohte sin;
mett <hu ril (jnolen ...
1308, 1 Si husten beide ein ander
unter rotem (johle guot,
dar \no schein ir varwe.
1310 Wol mich) sprach vrou
Orfmn.
da; ich gelebet In/n,
da; da bi llarlmuote
nilt hie bestän.
des dim n (jnolen willen
ijihe ich dir \e h)m\
die ich tragen solle,
miner in noter Gerliinh
kröne.
Wir befinden uns liier im Vorabend des grossen entschei-
dungskampfi kein wunder, dass der bearbeiter seine blicke auf
<li«' abschnitte richtet, welche die eigentliche Nibelungennot enthalten.
NT. 1992, 1 Nu hm' dir got) Trine,
eil mm ri In II guot,
dn hast mir wol <j< I roe-
s/( /
da i herxi und auch dt n
muot.
1 769, 1 ich sol ' i wol 1 1 rdii nen}
mich enwendes ihr tot.
\) C glan
fehlt .\. C Nu wol
<i. 1311, 1 Nu löne dir got) Orlrnn,
sprach da; meid in.
3 da hast beweinet dicke
mines In ran leide.
iji Irinlicher dicnsle
nil ich (mich) nimimr
Im- ron dir scheiden.
EINFLUSS DBS NIB. -LIEDES All DIE G-UDBUS 187
Die ähnlich wie X. L992 beginnenden dankesworte X. L769 wei-
sen speziell auf einen abschnitt des Nibelungenliedes hin (aventXXX),
in welchem dir nachtrnhe vor den) entscheidungstage mit einer
anschaulichkeit geschildert ist. die wo] zu nachahmungen und entleh-
mingen anregen konte.
GK 1325, 3 man vant da gerihtet
//■o/ drixic <><l<r mere
vil süberlicher betü ,
w. 1762, 2 den funden si berihtet
den recken über tu
mit vil rich< n betten l.
X. 1763 Vil manegen kolter spaeht von Arm: man da sack
der vil liehten pfeUel* und manic bettedack
von Arabischen siden, die beste mohten sin.
dar t/fr lägen listen, dit gäben herlichen sein it.
1764 Diu3 declachen härmin vil manegiu man da sack
und von stvarxem wbele.
<t 1326 Dar üfe lägen golter da her von Amin-
en maneger hande varwe, und grüene als der hl»
von listen harte tiure diu deckelachen rieht,
rat von (?) dem viure sei/ein <jolt m den siden stiberlicht
1327 Au den Uehten pfeifen.
Einige ausdrücke sind den verwanten Schilderungen in Nib. aventVl
entnommen: vgl. zu G. 1326, 2 N. 353, 2 der guoten, grüen alsam der
/.Yr1; ferner
N. 354, Won fremder vische Muten G. 1327, 1 von maneger visch. hui
bezoc wol getan. 2 bexoye wären drunder.
G.1327, 4 erinnert an X. 2106, 4 (s. zu (r. 1213, 4). Dann tritt wider
die Übereinstimmung mit Nib. aventXXX hervor. Gudrun redet beim
Schlafengehen in ganz ähnlichen abweisenden Worten zu ihrer
männlichen Umgebung wie Hagen in der gleichen läge zu den Hunnen:
X. 1760,4 ir Krimhilde hehle'0,
ir sult \e herberge gän.
1(61.3 und lat uns eilenden
hiut haben gemach.
GK L328, 1 ja sult ir släfen gäny
ir Hartmuotes helde.
wir (et Ihn ruowi hän,
ich und mint vrouwen,
doch dise naht al t ine.
Die motivierung dieser abweichung ist in Grudr. ebenso unklar, wie
sie in Nib. klar ist.
1) C da funden si gerihtet cd manegiu betten breit.
2) A p feile 3) Diu fehlt A.
4) A der grüenen so der Tele. 5) C deyene
18S
E. KETTNEB
N. 612; 3 '/' /■ rieht küm >■ s< Ibe
G.1330, 1 Do sprach diu Hilden
lohler:
besUi u I mir die tür.
starker rigeh ri< n
schöx man dar mir.
L333,2yd gib ich ir te miete
guote bürge wtt.
dö bestih du tür1,
eil- starker rigeU iwent
warf < r sru ll< dt rfür.
1 8 !•'•. 2 ja gib ich dir te mit U
sitter unde goÜ {bürgen
1844,1)
Gr. L336. 1337 weist der zurückkehrende Ortwin die neugie-
rigen ab, die vor der algemeinen bekantmachung des erfolges seiner
adung von ihm etwas erfahren wollen, genau so wie dies X. 711
iv tut: vgl. auch G. 1336, 1 Die boten si wol enphiengen und
\. 710. 3 ' /• wart eil wol enphangen. Aueli die Übereinstimmung
Gr. L354, 2 vor Ludewiges sal und X. 716, -1 für den Quntheres sal
ist in diesem Zusammenhang nicht zufällig.
Von hier an treten die beziehungen zu den lezten teilen
Nibelungenliedes immer häufiger hervor.
N.2302, 1 Si jach, si tet ex gerne.
2090.1 Owe mir gotes armen,
dn\ ich dil-, gelebet han 5.
2065.2 des körnen heidi in not
1847.1 Nu wdfent iueh, sprach
Bioedel,
aUt in. nie man.
__ 1.3 und heizet mir gewinnen
min Uehti \ wiegewant.
198, 1 dö wolden si den gesten
weren bürgt undt laut.
(avent. IV, s. unten)
1712, I HV. j 1 ir. erii/iil Hagne,
ob6 si in sin geha i ?
wil ich in du. ruh //.
//• hin ht destt bax.
G.1352, 1 Si jähen, der,1 si; gerne
taeten.
1359, 3 owe ich gotes armiu,
dm ich den lipiegewan.
1371, 2b des kument helde in not
1375. 1 Nu wol üf, sprach Ilart-
muot,
edle niine man.
1376. 2 s« ruoften, dax, man
braehte
ir liehtex wiegewant.
3 si wollen denn' künege
ht Ift n wem da \ riche.
1382,1 Dn weist vil wol, Hart-
muot,
dn; si dir sin geha ■. .
den du ir mäge slilege.
im hin Ir dich dt s/r hu ..
2) vil fohlt AC
1 1 i mit vi Ibe dö die tür
3) C dar wnbe mvn silber unt mtn goli.
)ijmons streicht da% ; vielleicht nach N. zu korrigieren: si taetenx gerne
sprach der getrimoe man 6) C da .
EINFLUSS DES N'IB. -LIEDES AUF DIE GUDRUN'
189
N.1598,8daa iu \< schaden bringt G. 1391,2^ heten nihi gebresten
gegen einigem ' sporn.
i 192 1 Dö ruoft er mit der krefte,
gegen einigem sporn.
1394,1 Er blies te dritten stun-
den
mit einer krefte grd%>}
ihr. im der wert erwagi /<
und im der wäc erdöz.
dir nl der wäc erdöx,
wan des heldes sterh
was michel unde gröx.
Die kampfschilderung <;. 1396- -1515 lasst in ihren zahlrei-
chen berührungen mit NIb. avent I\' und avent. XXXII fg. erkennen,
dass sie nach der darstellung dos Sachsenkrieges und des kampfes der
Nibelungen entworfen ist.
NT.2270 &gewäfent wol te vlixe*
176,1 si körnen üf die marke,
die knehte wgten (hm.
Stfrit ihr vil starke
wägen des3 began.
<*> 10. 4 unt ouch dir Hute drinne !
(im lande)
C210,4 vonden vil manic frouwe
G.1396, 2a %e vlixe wol gewäpent.
1399. 1 Die von Tenemarke
\<r bürge riten ihm.
Troff dir vil starke
wisen dö began.
1400, 3 und ouchdenliutendrinm
(im Lande)
1401. 2 des vil manic vrouwt
(jrö'.ii/ schaden gewan.
grö \ en schaden dägevxm 5.
Dass C, nicht Gudr., original ist, beweist hier nicht bloss der Zusam-
menhang mit den anderen stellen von avent. IV, sondern auch der
umstand, dass C 210, 4 eine nachbildung von N. 1501, 3. 1935, 4 ist.
N. 197,1 Dö wären ouch die Sahsen G. 1402, 1 Nu was ouch Wate der
alte
mit ir schäm körnen,
mit swerten wolgewahsen,
du-, hän ich s?t vernomen.
637, Safa/7 was r; Sifride.
183, 1 Nu hi f ouch in her Lind-
gast
vientliche erkorn.
diu ros si nämen beidiu
ten stten mit dun sporn.
mit stnen recken körnen.
der hell was grimmes
muotes,
dir. heten si vernomen.
1 102. P /r/7 was e% Gerlinde.
1407, 1 Dö hete Ortwtnen
Hartmuot erkorn.
sirir er [sin] niht erkandt ,
doch haute er mit den
sporn
1) C einet)? halben 2) C \ e rlr.c wol gewdfent
3) C du 4) A gauz abweichend.
5) AB ganz abweichend, ausserordentlich steif.
190
K. KF.TTNTJ?
>■/ in igU ii üf du sehilde
du schefU mit ir kraft.
N. 184,1 Diu ros nach Stichen ..
181,4 iehaeder dö des andern
mit nide hiu U n began.
1 85, 1 Ir ü tweder* und ähnlich
202, 1 sus würben nach den eri n
du riter2 küene undeguot.
8, 2 wu mohtt ich des getrou-
inn 3?
1888, 4: ein vil starke* wäfen
dax truog er blox an siner
haut
207, 1 Dö /rar/ / in ' micheldrin-
gen.
190r>, 1 Dö sach der voit von Rine
unbescheiden den strit:
dö sluoc der vürste selbe
vil5 manegt wunden wtt.
2013, 2 vil manegem wart das
houbet
<i< nt iget so \< tat.
21 63, 1 Der tut uns sere rauhet.
2226. 1 Dö sach van Tronge Ea-
gene
Volk&ren tot —
beschließt dies zu rächen.
2233.2 ihr. im von der wunden
nah , ■•• r/n . : da t bluot.
sin ras, ihr, spranc vil
/rite.
er reit Üf Ortwinen.
ir sper si neigten bede.
Gr. 1408, 1 Ir ietweder des andern
mit suche niht vergax.
1 HO.iVv/Zr guotcn ritirr sere.
V'iimtr würben vaste umbe
irr.
1413, 1 irii möhte er des getrau-
wen?
1 114,2''. 3 der truoc an siner hant
ein vil stärket wäpen.
1419 Dö wart ein michel drin-
gen,
gemischet wart der strit.
si sluogen durch die ringe
vil manege wunden wtt.
i]i> sach man mit den
swerten
geneiget manegex houbet
der tut tet drin geUche,
dir. er diu Mute guoter
vriunde beraubet.
1420, 1 Da sach ran Tonen HÖ-
rant
Ortwimii mint —
beschliesst dies zu rächen.
1422,3 um n sach dir. bluot rtli-
chen
vliezen hin %e tal
vil manegen ü i den wun-
den
anz abweichend. \ helde
?j\ AB des getraute ich vü übelt 4) ein fehlt A.
öi fehlt A. 6) C vil -<re 7) A sehöz
EINTLUSS DES STB. -LIEDES AUF DIE GUDRUN
191
N. 2297, 1 sam l Hagt nen egeschach.
dm bktot man durch dii
ringe
— den bluotigen bach
hin ü i In rhu ringen
dem helde vliexen sach
von einem scarpfen swerte.
(i. 1427, 1 da würben wol nach &i
<i. 1 1:68, 4.
N. 2270,3b////7 einer2 schar so breit.
1727,2 dm irdw. habet verdienet,
ihr, ich iu bin gehax.
01655,7 der mir hat benomen
8 vil der minen wunne.
5 Ich soh also schaffen,
der. mtn räche erge
212,2 nider von den rossen,
einander liefen 3 rot
Sifrif der küene
und ouch Liudger.
1887,2 den sluog er etesltchem
so swaeren swertes swanc.
18(54, 1 Dö sluog er Bloedeline
einenswinden swertesslac,
du: Int der. houbet schiere4
vor diu füe'.eu Inc.
2062. 1 Der eilenden hu nie
hete WOl ersehen.
2220, 4 er enkunde in dem stürme
nimmer bexxers niht ge-
tuon.
2230.2 owe dax ich so grimmen
irtent ie gewan.
nider xuo den vüexen.
G-.142 1,1 als du eh e geschach
dem küenen Ortwinen,
da i im ein röter l><uh
rh)\ u i sinen ringen
von Hartmuotes banden.
e die geste b. zu (>. MIO, 1 : vgl.
GK 1430, 2b mit einer schür Iwrit.
1433, V* du hast verdienet du..
'2U ihr. ich dir bin gehax.
1436,2 den ich ijennmen lu'iu
ir gUOt und ir unii/e.
ich SOl e\ alsÖ schliffen,
dir. du nimmer küssest
diiie vrouwen.
1437,1 Nach dem seihen worti
liefe/is einander im
die \ lerne ricltc hüuei/e.
1446, 1 Ersluoc im ander stunde
einen resfeu siruue.
du: des Icüneges houbet
von der ahsel spranc.
1448. 1 Di) such der bürge huote.
1453.2 si enkunden hän getan
niht be% ters in dem stritt .
1457,1 Ihr ich der starken rinde
ie so eil gewan,
dir. mihi mich nii rilsere.
1) A als 2) C ir
4) C houbt mit Jtelme
3) A liefens
192
E. KF.TTKF.R
Gr. 1457, 4 sagt Hartmut ironisch von dem am burgtor kämpfen-
den War-': sol er stn portenaere, so möchte ich ihm nichts gutes zu-
trauen. X. 1895, 1 sagt ebenfals ironisch Dankwart, als ihn Hagen
beauftragt die tür zu hüten: sol ich sin kameraer e, so werde ich mei-
nen dienst wol erfüllen: weshalb er auch 1910, 4 in C portenaere
genant wird.
\. 1831, :) Pin ms \, rucke stiexen
du Burgond* n man.
881,4 dax stoin vüi tornecli-
chen
lief <iu ih n küenen heli
sä. (vgl. 2008, 1)
Ins. l Ich bin ouch ein reche
2295,4 mini sagti \ noch u wun-
der,
da \ dö hör Dietrich genas.
1007, 1 K: was ein michel wun-
der,
ihr. si ii genas.
\. 55, 1 du vant er innerthalben
stau -
456, 1 ei m ii ungefüegen.
01833,1 Oh ir im disen spileman
Inf darumbe erslagen3,
ich hii ■-. iueh alle halten,
ihr. wü ich iu sagen.
1937,3 ilH: ! ist < in ijriniiiiiii not.
1075,2 und hetes eil getan.
2074,3 '"/ nn'jht i: U iuhrstä n?
da emoil der künic Etxel
rdi rru n scheidi n län.
17"»:;. 1 Des (iiiliiiirii Ttüedeger,
G. 1404, -1 diu ros si hinder (sich \< )
rit <kv stiexen.
1468,1 Wate vil wrnielichen
lief Hartmuoten an.
1470,1 Er was oi/ch ein rede.
3e\ was ein michel wun-
der,
der. du Ilartmnot
ron Weiten niht muoste
sterben
— wie N. 2295 Zweikampf—
1475, 3 do sach der hell guot
4 einen ungezogenen
mit dem swerte stän.
1476,3 und st Heget ir ir eine,
inirrr leben waer vergan-
gen.
aUez iuwer Minne
müese sicherUchen da -
rumhe hangen.
1480, 1V/7-. ist ein groziu not.
1482,1'Vr.s hast du vil getan.
ich enweiz niht, wie ich
müge
den strtt understän.
4 so schiede ich ez gerne.
1484, 1 Des antwurte Herwtc,
li rlt feilt A. 2) C dran
3) Ali Ob ir hie bi mir slüeget disen spilmem,
sprach der künde Etxel, dax waert missetan.
4) C "
EINFLTJSS DES NIB. -LIEDES AUF DIK GUDRUN
193
ein riter hoch gemuot.
X. 1703, 1 Dan wolde ich immer
dienen,
swer raeche miniu leit.
1864, 1 Do sluoc er Bloedeltne
einen swinden swertes
slac,
dan im dan houbetschii r<
vor dt H füexen lue.
(vgl. 1899, 1. 3.)
2007,1 Irnvrit unde Eäwart
Sprüngen für dan gadem
wol mit tüsent helden.
vil ungefüegen hradem
hört man allenthalben.
(vgl. 558, 3. 4.)
93,1 Kr sach so vil gesteines,
so ivir hoeren sagen,
hundert kann wagent
e% mähten1 niht getragen
(vgl. 1062, 1. 2.)
2153,1 GernÖt der starke2
den hell den rief er an.
<in edel ritter guot.
G. 1485,3 dm wolte ick im nur die-
nen,
swer u/ich des gt tröste.
1493,1 Dö sluog er Herwigen
einen tiuren slac,
2b da \ er vor im Joe.
vgl. 144(3, 1. 2.
1499,12)5 wart üf gehouwen
vil manic riehen gadem.
di} hörte iiiiin dar inne
vil ungevüegen hradem.
1500,1 Si vuorten ün der bürge,
so wir hoeren sagen,
dax ex zwene Meli
künden niht getragen.
1502,1 Irolt der starke
ruofte Waten an.
Der zug, dass das blut aus dem hause fliesst Gr. 1504, 1, komt
auch N. 2015 vor.
Gr.1511,1 Mit bluote was er benen-
nen,
na\ /ras slu ndl.
1512,3 wiUekomen Wate!
N. 1888, 3 mit bluote was heran nen '■
alle; sin gewant.
1 07 7, 1 Si sprach: nu sit wiUe-
komen,
swer iueh gerne siJ/t. wie gerne ich dich saehe.
Mit G. 1515 ist der eigentliche kämpf zu ende und mit ihm auch
im algemeinen die äusserst zahlreichen sachlichen und sprachlichen für
die darstellung desselben verwendeten entlehnungen aus den schluss-
teilen des Nibelungenliedes. — Es folgen zunächst einzelparallelen.
G. 1517, 3 und ahte en iueh ringe,
nu ist ouch mir unmaere.
N. 942, 4: ex ahtet mich eil ringe.
2 mir ist vil unmaere.
1709,4.90 ist ouch mir unmaere.
1) A heten 2) C E\ was der starke Gerridt
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXni.
3) C berunnen was.
13
194
F. KF.TTNT.R
N.C2016,2 ir schlich unde tvdfen
si h iU ii von der haut.
G.1532, 2 ir schilde aad oucli ir
wäpen
legtt hs i) \ der kant.
Der rat Frutes G. 1535, 3 nu heizet mir die töten tragen ü%
den seiden scheint nachgebildet zu sein dem rate Giselhers X. 1947. .">
ir sti/t die toten Hute n\ dem hüse tragen.
N. 388, 1 Sehs und ahxee turne — G.1542tl ihr vierzic turne guot
ilri palas tri/i
und einen sal wol getan.
B7, 3 si liezt // äne huoti
ir schiffet bi der vluot
- ! . 1 Dö Schilden si du rt ist
mit den hnehten dan.
(vgl. 14G4, 1.)
255,1 Die wider heim w hüst
heten reise3 rnuot.
und sehs2 sale witer
3 und dri palas riche.
1543, 1 Dö hir\ man schaffen
huote
den schiffen bi der vluot.
1545, 1 Dö schiktens ir reise
in il drtzic tascul natu.
1553, 1 Do si ze Hegelingen
der verte heten muot.
Diese parallele fuhrt uns auf avent. IV, die für das folgende noch mehr
material geliefert hat.
Es senden nämlich die zurückkehrenden Hegeliugen bot-
3 haft von ihrem siege an Hilde voraus G. 1561 fg. wie N. 221 fg.
die siegreichen Burgundern. Schon 1561, 3 der muoste da beliben töter
oder um/ihr usw. weist hin auf X. 229. 1 Ouch muoste da beliben
eil maneger frouwen irut, ferner G. 1563, 3 r\ gehörte vrou Hilde
nit sö liebiu maere auf X. 237, 4 ir künden disiu maere nimmer lie-
ber gesin. Dazwischen die wol als reminiszenz anzusehende stelle 1562, 1
//■ scMf gierigen ebene (vgl. G. 285, 3. X. 369, 4). Die frage der her-
rin na«h den ihrigen und der darauf folgende bericht des boten ist in
Gudr. weit kürzer behandelt als in Xib. Doch erinnert das in der
■h daran schliessenden antwort Hildes stehende ich gibe iu [goÜ]
da. mint 1566, 3 an das in X. voraufgehende 224, 2 ja gib ich dir
ii goli. Mit ähnlichen werten wird dann wider in Gudr. von den
reitungen für den empfang der sieger, in Xib. von denen
für den empfang der zum siegesfest geladenen gesprochen.
X. 201.1 /// denselben täten,
G. 1568. 1 Vrou Hilde hie; hereilen,
dö si nn sohlen lernen,
dö hei diu schoene4 Kriem-
hilt
1) AB diu wdfen mit den Schilden 2) Hs. seehtxig
3) C der reist heten. 4) C vr outet
EINFLURS DES NIB. -LIEDES AUF DIE GUDRUN"
195
diu maere wol vemomt n
N. 2G2, 3 von den stolzen recken,
die da sohlen komen.
SO si\ hili nrmnmn,
()i'n ir vil lieben gesten,
die ir da sollen komen.
Doch berücksichtigt daneben der bearbeite! noch eine zweite darstel-
lung, wenn er weiter saut, dass Hilde trinken und speise, stuhle und
bänke bereiten lässt und dass zimmerleute auf dem plan und am gestade
arbeiten. 1568. 1569. Auch N. 526, 5-8. 527 lassen gleich nach
der Verkündigung von dem glücklichen ausgang der Werbung Günthers
die hofbeamten das gesidele am ufer aufschlagen, die schaffaere sind
tätig, der palas wird geschmückt und der saaJ von fremden beximbert
In diesen Strophen entsprechen sieh im ausdruck:
N. 526, 8 des küneges schaffaere
man mit arbeiten rauf.
7 rorWornif \ üfden sauf .
' r. 1 569, 1 Du :< Mateläne
unmüexic man du vant.
ninlr ouch äf dem sant.
Die berührungen setzen sich in der besprechung des eigentlichen
empfanges fort. Wie Ute mit ihren mägden von der bürg zu den
schiffen reitet N. 540, so reitet auch Hilde und ihr gesinde den kom-
menden entgegen aus der bürg zum gestade G. 1573. <i. 1573, 4 dö
sar/i man [manege] vrouwen wol getane ist dem bearbeiter wohl zu-
nächst eingegeben durch N. 540, 12 wart nie so eil der vrowen In'
einander gesellen, ausserdem durch N. 541, 4 d<) Iiaajj man von den
inneren manege vrowen wol getan. Auf diese leztere handlung wird
sogleich hingewiesen G. 1574, 1. 2 Si wären von den rossen gestanden
df den sanl vrou Hilde and ir gesinde. Wenn es dann weiter heisst
1574, 2. 3 do vuorte an siner haut die schoenen Küdrünen troli der
maere, so erinnert dies wider an N. 543, 3, wo von Günther gesagt
würd er fuorte Prünhilde selbe an siner hant. — Teils in diesen zn>am-
menhang, teils zu der verwanten Schilderung in avent. XIII gehören
noch folgende Nibelungenstellen:
N. 725, 2a do reit ouch in engegene.
525,1 des bin ich eil1 bereit.
swa% ich im Lau gedienen2,
daz ist im unverseit.
731,1 Nu was mich komen St frit
mit den slncn man.
G. 1573, 2a dö reit in mgegene.
Iö78, 1 swa \ ich. in gedU m n mm\
des bin ich in eil nillir.
I dÖ Was nach l.o/in n Jler-
ir/c
mit den stolzen werden
rechen stnen.
1) vil fehlt A.
2) A dienen.
13
196
E. KFTTNF.R
Einzelpara Helen:
N.ll s~>. I1' \ wiu reu U stu mir da \ ?
2 dir immer xaerne bax.
1174.1 Wia* mac ergetzen leides,
2 wan friuntlichi liebt ?
G.1581, lb xvmi /(/< l< sl du mir da* P
2b dir, \<n ine mir ril bax.
1585, 2h möhte iht bexxers sin,
dun rriiiullichiti triuwe?
Für die erzäklung von den zum feste gehörenden umstän-
den besonderer art, ist, entsprechend der Situation, vorzugsweise die
darstellung des Wormser siegesfestes und der ihm vorangehenden
umstände vorbildlich gewesen.
X. _ 1 i. 1 Dd t nphii < r wol die sine,
du fn mä\ ii tet er sam.
292,1 Er neig ir ßxecUche.
291, 3 sit willekom&i, her Sifrit,
G. 1587,1 Dö si die maget huste,
die andern lele si sfini.
1588,1 Si nigen ir vlixielichen.
1589,3 sit willekomen, her Sivrit,
ein hinter i) '. Mnrlnt/de.
> in ea\ I riter guot.
Dies i-t eine ebenso auffallende und wol auch ebenso beabsichtigte
Übereinstimmung wie G. 334, 1. 964, 3.
G. 1589, 4 ich sol ex, immer dienen.
1591, 1 Do entluoden si die kochen
und truogen üf den sant
ril dingeSj des si brähten.
1592, 1 Vrou Hilde mit ir gesten
reit üf dax velt.
man sach %e Mateläne
hallen und onch gexelt.
4 dar inne phlac man ir
rli.ie liehe.
X. 303,1 Ich sol in immer dienen
1521.1 Dö si dax seht f entluoden
und gar getruogt n dan,
stnt; si dar i'f/e in'lrii.
1244. 1 Dö si iiher die Trume kd-
nti n}
bi Fnse üf da l reit,
du sach man üfgespannen
hüitt n im! gexelt.
1 diu koste Was den gestt n
da von Rüedigere getan.
Nach dieser Unterbrechung in G. 1591. 1592 dauert im folgenden
der einfluss jener oben bezeichneten Schilderung fort und macht sich
h stärker geltend als vorher. — Dass man gefangene feinde mit
edelmut behandeln soll, dafür tritt auch der bearbeiter nach dem
Vorgang des Nibelungenliedes ein. Es wird G. 1595 — 1599 für den
in banden liegenden Hartmut dringendste fürbitte eingelegt. Anfan
raubt sich Hilde und erwidert u. a. : ich hän von sine/, schulden
gröxen schaden erliten 1596, 2. Günther redet den gefangenen Iiudger
an: ich hän von iwern schulden schaden ril genomen 248, 2. Als die-
]• darauf für ehrenvolle behandlung grosses gut bietet, antwortet
Günther:
EINFLUSS DES NIB. - LIEDES AUF DIE GUDRUN
197
N. 250 Ich wil iuch beide laxen, sprach er, ledec gen.
dm mine viande hie bi mir besten,
des wil ich haben püi'gen, dax si miniu lant
iht rümen dne hulde. des bot dö Liudeger die hont.
(i;iiiz ähnlich antwortet Hilde, als sie schliesslich nachgibt:
G. 1599, 2 ich wil si ungebunden te hove laxen gän.
si müexen mir erstaeten, da* si uns niht entrinnen,
und müexen sweren eide, dax si dne min gebot iht rit<n
hinnen.
Der N. 285, 1 — 3 gebrauchte, die schöne erscheinung Sigfrids cha-
rakterisierende vergleich, den der bearbeiter schon 660 verwendete,
hat ihm s<> gut gefallen, dass er ihn noch einmal bringt:
Gr.1601,3 in allen sinen sorgen stuont er in der gebaere,
als er mit einem pensei . . . wol entworfen waere.
Zu 1601, 3,J vgl. N. 102, 11 er stet in der gebaere. — Wie Sigfrid,
als er sich verabschieden will, von Giselher gebeten wird noch
zu bleiben und sieh auch hierzu bestimmen lässt (319 — 322), so tut
Herwig das gleiche auf bitten Hildes (1603 — 1607). G. 1606,2 so
wart mir sanfter nie berührt sieh mit N. 322, 2. 3 ja waer er in den
landen ninder anderswä gewesen also sanfte. N. 309, 3a sagt Günther,
als er CW\\ recken beim abschied seinen dank abstattet: da; i<h: im-
mer diene; genau ebenso G. 1604, 3a Hilde zu Herwig.
Einzelparallelen:
NT. 1306, 4 nu ist hie mit ir gäbe
ril manic wunder getan l.
G. 1610, \ ex tet diu eil sekoene
Hilde mit ir gäbe michel
icnnih r (hs.).
Die Verteilung der hofamter {hameraere} truhsaexe 1611; schenke
1612) an Irold, Wate, Frute scheint veranlasst zu sein durch N. 10. 11.
X. 1209, 4 si sluxxen üf die leisten,
die e stuonden wolbespart.
1210,2bdes ril dar inne lac.
1113,1 Heg wax man rielicr
pfellel
von ir kamere truocl
der wart den edclcn recken
xe teile dö genuoc.
Gr. 1614,2 vroallildi hi<; lervüeren,
ihr. lange was gelegen
in kisten und in kameren
manegen phclle riehen,
die truogen kameraerc:
die teilte man [den ge-
sten] willeclichen.
1) C nu ist hie inichet wunder von ir gäbe getan
E. KETTNEK
N.1126, 1 Wie rehü zühteclichen
tuo den boten gi> .'
Günther und< G&rndt
vil vlixecUch enpkie.
lli'."). 1 der kern stuont von Se-
lb l< .
1126, 1 den guoten Rüedegen
G. 1018,1 Der heli von OrMeh
\ir kemenäten gie.
Ortwinen vlizicliche
manegiu maget enphie.
sin swester stuont von
sedele
und nam in bi der kende.
bi der hendt genam l.
Dass für dir Verlobungen G. 1648 fg. sowol die Verlobung von
Rüd( tochter als die von Kriemhild zum muster gedient hat, be-
q:
G. 1648, 1 Dö hiex mein Ortrünen
\uo dem ringe gdn.
N.1621, 1 Dö kiex man si beide
sti'n ein einen rinc2.
568,3 man hu \ >/' x/uo einander
an dem ringe stdn.
1»' <h r si umbeslöz,
GiseUi&r eler junge.
C 565. 5 Sine ivcsse niht elermaere,
im , n/(i n da wolde tuon.
3, 1 ni'in vrägte si} ob si wolde
den vil waetlichen man.
L622, 2 t in t< il was < i ir b it.
4 si sc] in mir sich der erdge,
so manic mögt hat getan.
570, 1 D6 i r si gelobeti
und OUCh in diu na it.
Einen eigentümlichen ausdruck für die dürftigkeit der gattin
hat die Gudrun mit der handschrift D gemeinsam. Sigfrid von Moh-
oland erklärt Cr. 1654. 1. dass er Herwigs Schwester zur gattin wau
1650, 1 Dö umbeslöx auch Hart-
muot
die meit ü% Irlant
1662, 4 wes mein da pldegen wolte,
des neun Hertviges swe-
ster wunder.
1663, 2 si sprachen tuo eler vron-
wen:
/reit ir disen man?
1665, 1 Dejelt iolicte si in trage,
als dicke < in maget tuot.
1666, 1 Dö hbeten si ein ander
der ritirr and da: J.inl.
I) C 112". 1 '/' /• irirt dÖ i'ni 'lein 8t dßli
'.)" '.)".!' " Rüedegen dan.
112'; \\';r rehte friuntlichi er den gast enphie
und alle sint >h<iin>: Qernot $6 niht enlie,
■' enpßengi in mich ,,,it eren, unt alk sine man.
der künic Rüedegere fuortt bi der hende dan.
man hiex an 'nun rinc 2' sten du minneclichen
3) A l
EINFLUSS DES NIB. - LIEDES AUF DIE GUDRUN 199
in einem hemede betete. X. L066, .'> D wird gesagt: bei Sigfrid waere
Kriemhilt hemdebloz bestän1.
In einem längeren abschnitt wird die einholung von Herwigs
Schwester und die sich daran schliessende höchxti erzählt. Hierzu sind
wider die beiden grossen empfangs- und festesschilderungec
Nil», avent. X und XIII, besonders die erste, benuzt worden, wie
dieses folgende Zusammenstellung veranschaulichen wird.
Gudrun: 1) Der empfang 1658 L662. a. die trauen und rit-
ter reiten den kommenden entgegen, wobei kampfspiele statfinden 1658
— 16G0. b. Die hehlen streiten sich über die Schönheit der trauen
1661. e. Diese geben sieh den empfangskuss 1662, 1. d. Sie gehen
in seidne Mitten 1662. — Die Verlobung 1663 — 1666. 2) Die
eigentliche feier 1667 — 1671,2. a. Die königspaare werden geweiht
b. Über 500 werden schwertdegen 1667. (Hilde gibt allen ihren rüsten
kleider 1668, 1). c. Kampfspiel am gestade vor Matelane, vor einem
gesidele: a. sclieftebrechen , ß. frauenkleider werden bestäubt 1668.
1669. (Das zuschauen der trauen, die fahrenden 1670. 1671, 1. 2).
3) Fortsetzung des festes, a. Am andern morgen nach der früh-
messe reiten wider die schwertdegen 1671, 3. 4. b. Freude und
schall, da von der palas erhalt, c, bis an den vierten tag 1672.
Nibelungenlied: 1) der empfang 538 — 557. a. Die frauen und
ritter reiten den kommenden entgegen 538 — 540, wobei kampfspiel« •
statfinden 541. 542. b. Man geht sich entgegen, begrüsst und küsst
sich 543 — 548, 2. c. Die hehlen vergleichen die Schönheit der frauen
548, 3 — 550. (1. Die frauen gehen in seidne hütten und in zelte 551.
e. Tjoste und buhurt vor denselben. Die frauen werden fast überstäubt
552 — 554 (vgl. G. 1668. 1669). (Beendigung des buhurts, ritter und
frauen unterhalten sich, ritt in die bürg. Mahl 558 — 560). — Die Ver-
lobung 561 — 570. 2) Die eigentliche feier 595 — 597. a. Die
königspaare werden geweiht 595. b. Über 600 (legen empfangen das
schwert. c. Kampfspiel, a. Die schwertdegen lassen schatte krachen
596. ß. Die frauen sehen zu 597, 1. 2. '■>) Fortsetzung d
1) Die übrigen handschriften haben hendeblöx, was den gegensatz zu dem
reichtum an schätz und gewandt1 viel weniger klar und natürlich ausdrückt; denn
nicht die völlige nacktheit, sondern die dürftigste art der bekleidung charakterisiert
die armut. Überhaupt scheint hemede in diesem sinne in volksmässigcr redensart
gebraucht zu sein, vgl. J. Grimm, Germania 2, 300. Allerdings ist hemdeblöz sonst
nicht belegt, während hcndcbb'r, . blb% sam ein hant u. ä. auch anderweitig vorkom-
men (MSF. 171, 20 und zu Iwein 3236). Aber gerade das mag der grund gewesen
sein, weshalb in fast allen handsehriften des Nibelungenliedes das ungewöhnliche wort
verdrängt wurde.
E. KETTNER
a. Am morgen des zweiten tages vor der frühmesse
festes 750
reiten junge helden. b. Musik: grössere teilnähme am waffenspiel.
Dazu c. Das fest wahrt bis zum vierzehnten tag, ohne dass je der fireu-
denlärm verstumte 633.
Sprachliche Übereinstimmungen sind folgende:
N.738, \?villmanegenpiineizrichen. Gr.1660, 3 manegen puneix riehen.
542,3 man hört da hiirteclicken
m Schilden manegen stöz.
»8, 1 Er ( rbi iU '-' kürru .
ihr. iidiii i u naht G) von
tische git .
607, 7 <h r eine tac in dukU
wol drizic tage lanc.
595,3 dö wurden si gewihet
6,1 Vil junger3 swert (daegen)
da na im n
sehs hm nlert oder ba ..
4 man hörte schifte hellen^
an der swertdegen hant.
3,1 Diu hoch tit dö wertt
im s an " den viercehenden
tac,
ihi\ in fil der ir/h
,in der schal gelac.
1 man hörte Schilde stöxi n
helde sere.
1666,2 si erbiten alle kümt
der naht des tages sint.
1667, 1 Dö waren ouch die künege
i/i irihi l nach ir i.
da wurden swertdegene
riinf hundert oder im'.
1668,4 man hörte vil schefie bre-
chen,
die da die helde neigten
in ir handen.
1672,3 dax werte vollicliche
im; an den vierden tac.
da i edi le Ingesinde
sdin, miiexie da gelac.
Die erzählung von dem grossen schenken, die verschiedenen
Hon des Nibelungenliedes nachgebildet ist, erinnert zunächst an
X. 485. Gr. 1674, 4 des Strien röten goldes </"j> da her Herwic wol xe
tüsent phunden, ähnlich N. 485. 1 Wol bi hundert phunden gab er
am uü Gr. 1675, 2 — 4 mancher erhielt rosse mit guten satteln, der
vor diesen zeiten geritten hatte; dm sack dö Ortwin: si
begunden mit der mitte striten. Dem entspricht X. Isö. 2 — 4: genug
_ n in reicher kleidung, die nie zuvor so herliche kleider trugen;
da < diu hünegin — und nun im gegensatz zu Gudr. — <■: was
ir waerlichi 1<H'. Hinsichtlich des algemeinen Charakters lässt sich
1) vil fehlt A. -1) A Der künic bette.
3) A degen. C knappen. \> daegen nach swert von erster hand übergeschiie-
bre8ten 5) un% m, fehlt A.
>j) C ohne parallelismD.s.
EINFLUSS DES NEB.-LIEDE8 All DIE GUDRUN
201
dieser Schilderung zur seite stellen X. 634 <>•*!•>< vgl. auch im ein-
zelnen :
N. 635, 4a unt ouch diu ros mit
st h U ii.
G. 1675,2 ros mit guoten satelen.
Ferner in <1<t sache und im ausdruck folgende größtenteils zusam-
mengehörigen Nibelungenstellen :
N. 1310, 4^ gestuonV dö vil der
degem
von mute blfix äne Jcleit.
1 Ir vriunde2 und ouch die
geste . .
3 swes ieman an si gerte,
der. gäben si bereit.
1187,2 dax si ie gebene heie
golt silber finde loät.
1790.1 Dö naeten sich die recken
in also ijuot geweint,
dax nie helde mere
in deheincs küneyes laut
ie bexxer kleider brühten.
1262. 2 dö gap diu küneginne . . .
3 unt also yuot gewant,
dax si niht bex icrs brähte
in dax. Etxelen /an/.
231,2 man muox der wärheite
den"' u\ erweiten jehen.
1310,1 Ir vriunde and ouch du
geste
die heten einen muot,
dax si da niht ensparten
deheiner slahte yuot.
1268, 1 Ein ander si vil selten
gesähen1 noch den tagen.
( '. 1676, j er und sine degene
gestuonden kleider /dö \ in
kurxen stunden.
167!», 1 Er und sine vriunde ...
3 sich; si haben mohten
und ieman an si gerte
1681, -1 i/o; i r \< gebene hete
mit ii ml, golt du: sinn rc.
1682,1 Man such j<li< von] den
Sliirmcu
n/u dein srdcle stän
in so guoter waete,
dax künic noch küneges
man
bex \<r nie getruogen
in dein im u \ilcn.
1683,1 Wate der gap ei im
also yuot gewant,
der, um u an küneges libi
Ix • ier nie bevant.
1685, 1 Si in uosfc n u/ gelicht
2 Waten dem d< gt u<
der wärheite jeht n
1686,1 Irolt der hie* schouwen
willic sinen muot,
ihr. im niht erbarmte
d, In in r sluhli guot.
1690, 3 däx si du muh si/l<n
gesähen einander mere.
1) C stuont
4) A sähen
2) C Die künden
o) A dem
202 K. KETTNER
Ein solches mass von berührung mit und abhängigkeit vom Nibe-
lungenliede im ausdruck und stil, wie es aus dieser übersieht sieh für
das Gudrunepos ergibt, besteht bei keiner anderen der venvanten dieh-
tungen. S sehr der Inhalt der klage mit dem des Nibelungenliedes
sich berührt, so massig ist doch die äusserliche Übereinstimmung
mir ihm. So häufig im Biterolf beziehungen zum Nibelungenlied
durch den Inhalt gegeben sind, so beschränkt sich doch auch hier die
Übereinstimmung auf ganz vereinzelte umfangreiche und nicht gerade
zahlreiche kleinere entlehnungen. Auch eine durchsieht des Alphart
hat mich kaum auf ein dutzend verse geführt, deren ähnlichkeit mit
llen des Nibelungenliedes man als über blosse formclhaftigkeit hinaus-
bend ansehen könte.
Ich habe die parallelen im algemeinen in der reihenfolge auf-
s Fuhrt, wie sie das überlieferte gedieht darbietet, da dieses verfahren
am besten es ermöglichte, die rechte belcuchtung für die erkentnis
ihrer entstehung und ihrer bedeutung zu gewinnen. Nach ihrer ver-
hiedenen b e s c h a ff e n h e i t würden sie sich auch in folgende arten
einteilen lassen:
1) Wörtliche Übereinstimmungen mit unwesentlicher sachlicher
beziehung, die aber vor der algemeinen phraseologischen wendung sich
auszeichnen durch fülle und eigentümlichkeit des ausdrucks, wozu oft
noch die gleiche oder analoge Stellung im verse und auch die Verbin-
dung mit gleichen reimen komt. Beispiele Gr. 15, 1, 20, 1, 2. 67, 1.
108, 4. 112, 2. 353, 1. 2.
Angabe von einzelnen charakteristischen gleichen handlungen
mit mehr oder weniger starker wörtlicher Übereinstimmung. Beispiele
sind zahlreich.
3) Gleichheit des namens, der handlung, relative gleichheit des
ausdrucks. Beispiele G. 76, 1. 109, 1. 501, 1. 2. 1139, 1. Ygl.
auch 334, 1.
li Gleichheit der motive mit entsprechender, teilweise über-
einstimmender darstellung. Dabei handelt es sich: a) um einzelne
umstände und Vorgänge. Beispiele: G. 433. 021. 061. 864; auch sehr
häufig in einem abschnitte, wie G. 1396 — 1515; b) um mehrfache unter
sich zusammengehörende umstände und Vorgänge, so dass ganze paral-
lele Schilderungen entstehen. Beispiele: G. 8 — 49. 587 — 596. 1658 —
1672.
Mit sachlichen und sprachlichen entlehnungen aus dem Nibelun-
_ oliede sind am stärksten durchsezt diejenigen teile der Gudrun,
welche typische Vorgänge beschreiben, also bericht geben über prinzen-
EINFLUSS DES NIB.-UEDES AUF DIK GUDRUN 203
erziehung, feste, empfang, abschied, botschaft, Werbung, schenken,
%kampf. Man kann beinah behaupten: es komt fast nie eine solche Schil-
derung vor, in der nicht wenigstens aus einer entsprechenden darstcl-
Lung des Nibelungenliedes, oft aus mehreren, zuweilen fast aus allen sol-
chen nietive und ausdrücke entlehnt wären. Dies zeigt sich nirgends
deutlicher als in den vier ersten aventiuren, die von Hagens eitern
und Jugend handeln. Als abschnitte von ähnlichem Charakter würden
sich an diese zunächst die Schlussteile reihen: die kampfschilderung
1396 — 1515, die beschreibung der rückkehl und der feste L561
1G18. 1018 — 1686. Nach diesen teilen würde folgen der kämpf auf
dem Wülpensande 858—903. Zwischen solchen umfangreichen nach-
ahmungen stehen nun in grosser fülle alle arten kleinerer, von der
über 10 und 20 Strophen sich ausdehnenden Schilderung bis zum ein-
zelnen halbverse hinab, so sehr mit einander vermischt, dass man grössere
abschnitte, in denen diese parallelen fehlen, nicht nachzuweisen verma
Die über 20 strophen langen abschnitte, die einen mangel an
parallelen zeigen, sind folgende: 1) 372 — 417 wie suoxe Hörant
saue, bis dahin, wo der kämmerer die beiden erkent und ihnen seinen
schütz zusagt. 2) 706 — 736 der kämpf zwischen Hetels beer und Sig-
frid, benachrichtigung Hartmuts hiervon, entschluss Ludwigs und Hart-
muts Gudrun zu entführen. 3) 773 — 799 rückkehr der boten Hart-
muts, einnähme der bürg, gefangennähme Gudruns. 4) 985 — 1010
Gudruns aufenthalt bei Gerlind und ihre niedrige arbeit. 5) 1231 —
1264 der hauptteil des gespräches Gudruns und Hildburgs mit Ortwin
und Herwig am strande. 6) 1619 — 1647 die anstiftung der drei Ver-
lobungen durch Gudrun.
Versuchen wir nun eine erklärung dieser ganzen in unserer
klassischen epik einzig dastehenden erscheinung zu gewinnen.
Zunächst wird man nach der Zusammenstellung der parallelen
wol nichts einwenden gegen die im eingang gemachte Voraussetzung,
dass im wesentlichen nur ein bearbeiter diese fülle von sprachlichem
und sachlichem material aus dem Nibelungenliede in die Gudrun über-
tragen hat. Die eigentiimlichkeiten, die dieser gehabt hätte, winden
sich folgendermassen bestimmen lassen. Er sieht in dem Nibelungen-
liede ein muster der volkommenheit, er besizt eine vorzügliche kentnis
desselben, er fühlt sehr stark das bedürfhis änderungen an der Gudrun
zu machen, er benuzt für diese mit Vorliebe die spräche und den inhalt
des Nibelungenliedes, er hat die Gudrun von anfang bis zu ende ohne
wesentliche Unterbrechungen mit solchen entlehnungen durchsezt, abwech-
selnd zwischen längeren nachdichtungen und kürzeren Übertragungen.
204 E. KETTNEB
Ein zusammentreffen aller dieser erscheinungen ist aber nur denkbar
bei einem bearbeiter.
Dem kann auch die tatsache nicht widersprechen, dass die paral-
lelen nicht alle genau zu demselben Nibelungentexte passen. Nim
stimmen die parallelstellen ihrer weit überwiegenden mehrzahl nach am
besten zum text der handschrift B. Stellen des Nibelungenliedes, wo
alle drei haupttexte von einander abweichen, sind 353, 2. 383, 6.
L598, 8. Weder Ä noch C passl 353, 2 zu G. 118, 3; 383, 6 fehlt
in A und lässt sich in der lesart von C kaum noch mit G. 1148, 1
[gleichen; 1598, 8 fehlt in A und entspricht G. 1391, 2 in der les-
art von C viel weniger als in der von 13. Die abweichungen in A,
welche grössere ähnlichkeit mit den parallelstellen der Gudrun zeigen,
sind unbedeutend und es kann hier überall die grössere ähnlichkeit
der Gudrun mit dorn alteren, ihrem bearbeiter unbekanten text dem
zufall ihre entstehung verdanken. Anders ist das Verhältnis der Gudrun
zu C. Einerseits berührt sich die Gudrun mit mehreren zusatzstrophen
von C. Anderseits zeigt in dem B und C gemeinsamen textbestand
sehr oft C weit geringeren parallelismus oder gänzliches fehlen dessel-
ben, wo 13 (wie auch A) parallelismus mit Gudrun hat. Viel seltener
haben die parallelstellen in C grössere ähnlichkeit mit dem text der
Gudrun. Von unwesentlichem absehend rinden wir dies bei 660, 3
1.23, 2). 358, 4 (G. 117, 4). 324, 2 (G.210, 1). 1877, 1 (G. 503, 1).
: ". 1 (G. ."»U». 1). 54, 3 (G. 595, 1). 1621, 3 (G. 654, 2). 1620, 1
. 3). 1707, 3 (G. 737, 2). 371, 1 (G. 750, 1). 1784, 1. 2
. 1212. 1. 2). 210, 4 (G. 1401, 2). 2038, 2 (G. 1413, 4). 1833, 1. 2
(G. 1476, '■'>. 4) — also bei 14 stillen. Dass nun ein bearbeiter zwei
Nibelungentexte nebeneinander benuzt haben soll, ist nicht recht glaub-
lieh. Als«» meine ich: er las einen Nibelungentext, der zwar sonst
r handschrift B am nächsten stand, an diesen stellen aber die fas-
sui d C bot (vgl. die bemerkung zu G. 166, 4). So erklärt es sich
z. b., wie in der nämlichen Schilderung G.870 sieh berührt mit C2159,
5 9 und (r. 875, 4 iibereinstimt mit 2223, 4 B, nicht aber mit C.
Der bearbeiter gebrauchte also eine handschrift des Nibelungenliedes,
in welcher sich entweder der anfang der entwicklung des textes
l! zum text I larstelte, oder in welche einzelne lesarten und zu-
chon fertig gestelten textes C aufgenommen waren.
Wie hat man sich nun das verfahren des bearbeiters vorzu-
llen? Er hatte eine Gudrundichtung vor sich, die weit kürzer,
vielleicht halb so lang als die uns überlieferte war. Diese genügte den
ansprüchen nicht, die sein an höfischen mustern gebildeter geschmack
EINFLUSS DES (CIB. - LIEDE8 AUF DIE GUDRUN 205
stelte. Er sezte sich daher den zweck, die Gudrun nach den anschau-
ungen seiner zeit umzugestalten und auszubauen. Wie man aber einen
nationalen bisher nur volksmässig behandelten stoff nach den moder-
nen ansprüchen umzuarbeiten hatte, das lehrte ihn das Nibelungenlied
in seiner ja auch schon überarbeiteten oder modernisierten gestalt. Also
nicht bloss mangel an eigner erfindung und sprachlicher traft, senden)
auch der wünsch dem Nibelungenliede etwas ganz entsprechen-
des an die seite zu stellen veranlasste ihn die Grudrun umzuarbei-
ten, indem er einerseits nach den algemeinen Vorschriften, die er aus
dem Nibelungenlied herauslas, seine erzählung ausspann, und ander-
seits ungescheut, ja mit einer gewissen absichtlichkeit ganze Bcenen,
Situationen und einzelzüge, sachliches wie sprachliches, aus diesem in
seine dichtung übertrug.
Er arbeitete, indem das Nibelungenlied aufgeschlagen vor ihm
lag. Gut orientiert in demselben, fand er mit leichtigkeit die darstel-
lungen aller solcher gegenstände und Vorgänge auf, wie sie ihm die
Gudrun selbst schon bot oder auf die sie ihn führte, oft benuzte er
mehrere verschiedene partien zugleich, um aus ihnen das ihm zusagende
und wesentliche für seinen zweck auszuwählen. Grössere Schilderun-
gen algemeineren inhalts erzählte er in freier weise nach; aus Schil-
derungen von mehr individueller art entnahm er einzelne züge und
sprachliche Wendungen, oft in sehr grossem umfange, vereinzelte anga-
ben mit ihrer ausdrucksweise verwendete er in anderen beziehungen.
Vielfach regte ihn auch das Nibelungenlied zur Übertragung von all
solchem material an. Daher folgen so oft parallelen aufeinander, die
keinen inneren Zusammenhang, sondern nur den äusserlichen haben,
dass sie in der quelle räumlich sich nahe stehn. Bei seiner tätigkeit
mochten dem bearbeiter der Gudrun aus den verschiedensten teilen des
Nibelungenliedes einzelne stellen ins gedächtnis kommen, die er auf-
nahm ohne sich jedesmal ihrer herkunft bewusst zu sein. - ilche remi-
niscenzen haben wir in vielen derjenigen kleineren parallelen zu sehen,
die mitten zwischen zusammengehörigen parallelen auftauchen.
Selbstverständlich erstreckt sich der einfluss des Nibelungenliedes
nicht bloss auf diejenigen Strophen, bei denen sich die nachahmung
nachweisen lässt. Selbstverständlich dehnt sich auch die bearbeitung
noch weit über diejenigen Strophen aus, die unter dieser beeinflussung
gebildet sind. Es muss demnach die Gudrun einer sehr gründlichen
Umgestaltung unterworfen sein: es sind vom bearbeiter die meisten
alten Strophen umgebaut, massenhaft neue dazugesezt, und der inhalt
wilkürlich verändert und stark erweitert. Dieser bearbeiter war ein
20G E. KETTXF.R
dichter niederen ranges, und er hat vielen partien des epos, wie wir
es jezt haben, den Stempel seines dürftigen geistes aufgedrückt Trocken-
heit, breite und unbestimtheit, mangel an kraft und prägnanz des
poetischen ausdrucks zeigen sich häufig genug. Nur hie und da stehen
ni»»-h strophen von echter Schönheit, und es zeichnen sich einzelne
abschnitte durch frischeren ton vot dem übrigen aus. Solche stellen
und abschnitte werden wir als reste des Originals bezeichnen dürfen.
[ch hal>e oben 6 abschnitte angegeben, die, über 20 strophen lang,
ohne parallelen mit dem Nibelungenliede sind. Diese mögen verhält-
nismässig ursprünglich sein. Ihre handlung zeigt eine gewisse abge-
nheit, wie denn auch die abschnitte 985 — 1010 und 1231 —
1264 eine art von anfang und schluss erkennen lassen1; bei der mehr-
zahl derselben kommen viele gute und schöne strophen vor, strophen,
die zu Müllenhofis „echten" gehören2, d. h. zu denen, die sieh inhalt-
lich und stilistisch vor den meisten anderen auszeichnen. Auch in den
rophen 1019 — 1047. unter denen keine von Müllenhoff für „echt"
a haltenen sind, ist die darstellung klar und tliessend, frei von leeren
\ <■]•>- und Strophenfüllungen; es begegnen einzelne recht ansprechende
züge, und die frieden, freundschaft und verwantschaft stiftende Gudrun
i-t ein für den schlussteil gut passendes bild.
Weiter auf solche und ähnliche erscheinungen einzugehen unterlasse
ich, da dies immer tiefer in das gebiet der Vermutungen hineinführen
würde. Aber das glaube ich als sicheres resultat meiner Untersuchung
betrachten zu dürfen: der parallelismus, der die abhängigkeit der Gu-
drun vom Nibelungenliede beweist, ist eine erschein ung, die bei jeder
kritik des überlieferten Gudruntextes hervorragende beachtung
erfordern wird. Aus ihm kann man ersehen, wie Müllenhoff und
Martin nicht überall das richtige getroffen haben. Denn von ihren
chten" strophen sind viele ebenso gut mit Nibelungenstoff durchsezt
1) 986, 1 Do fuor oueh von dem lande 'Irr degen Hartmuot. 1011 Werc
diu vü 8tnaehen, da% ist al war, der phlägen die vrouwen vierdehalbex, jär, unxe
dm her Hartmuot /<\ rfr'rn herreisen was komen heim xe lande. 1234, 1. 2 Ofte
erblikU 'Beruhte die junefrouwen an: worauf die widererkennung folgt. 1205. 1 Si
i künden beldiste dan.
Auf 372-417 kommen 11 „echte" strophen, auf 773—700 kommen 10,
au; -' -1010 kommen 11, auf 1231 — 1204 kommen 10. Aus den 1705 atrophen
der Gudrun hat Müllenhoff 414 „ echte" herausgelesen; das Verhältnis der „echten"
zu den „unechten" ist also in jenen 4 abschnitten ungefähr 1 :2 und 1:3, in der
Gudrun überhaupt ungefähr 1:4. Ohne mit dieser bemerkung der kritik Müllenhoffs
pflichten zu Tvolh-n. hebe ich dies»- hervor, weil die strophen, die er ausgesondert
hat. tatsächlich zu den besten in der Gudrun gehören.
EINFLUSS DES MB. -LIEDES AUF DU r;rr»RUX
l'i»:
wie die „unechten11, also auch durch die bearbeitung hindurch- oder
gar aus ihr hervorgegangen. Das gleiche gilt von den echten und
interpolierten Strophen, wie sie Sijmons unterschieden hat. Audi eine
kritik nach einer methode, wie sie Wilmanns anwendet, muss stets
unsicher tasten, wo an dem ganzen ein bearbeiter und zwar ein sol-
cher wie dieser tätig gewesen ist, dessen wilkür und Unklarheit gar oft
diejenigen Ungereimtheiten verschuldet haben mag, aus welchen man
auf kontaminatioiien und dergleichen zu schliessen versuchte.
Anhang.
Ich habe in meiner abhandlung nur diejenigen parallelen berück-
sichtigt, die nach meiner auffassung aus einer wirklichen nachahmung
des Nibelungenliedes herzuleiten sind; ausgeschlossen geblieben sind
solche, die auch unabhängig vom Nibelungenliede teils durch zutall,
teils unter der einwirkung eines algemeinen epischen Sprachgebrauches
entstanden sein können. Eine hineinziehung auch solcher parallelen
würde den überblick erschwert und das urteil beeinträchtigt haben.
Dennoch würde es die kontrolle der vorliegenden Untersuchung wesent-
lich fördern und zugleich einem algemeineren interesse dienen, auch
die für unseren zweck unwesentlichen parallelen wenigstens nach ihren
stellen zu bezeichnen, zumal da unter solchen parallelen noch manche
sein mögen, die trotz ihrer geringfügigkeit und ungenauigkeit doch aus
nachahmung hervorgegangen sind. Daher gebe ich in dem hier folgen-
den an hang eine Zusammenstellung aller mir bekanten sachlichen und
sprachlichen berührungen des überlieferten Gudruntextes mit dem Nibe-
lungenliede, die der erwähnung wert zu sein scheinen. Die in der
abhandlung schon angeführten und besprochenen sind durch an-
gezeichnet.
Gudrun
1.
1
*1, 3
3, 1
*4, 1
6, 2
*7, 1
*7, 2
*8, 2
♦10, 1
*11, 3
Nibel.
20, 1.
2, 1.
20, 2.
7, 1.
25, 1.
27, 1.
1992, 1.
49, 1.
49, 3.
1527, 2. 691, 2
1002, 4.
493, 1. 569, 1.
1083, 1.
Gudrun
N
ibeL
*14, 2
555,
1.
*15, 1
74 1.
3.
1310,
1755,
3.
16, 3
54i'.
3.
*19, 1
596,
1.
29, 4
*19, 2 wie
*15, 1
*20, 1
18,
2.
633,
*20, 2
633,
2.
*20, 3
658,
3.
*21, 1
664,
1.
*21, 3
521,
1.
208
K. KKTTXF.R
Gudrun
Nibel.
< rudrun
Nibel.
*•)•) ] 2
662,
1. 2.
*108, 4
358, 4. 370, 4 C
22. 3
660,
1. 1328, 3.
*109, 1
1492, 1.
23, 1
660,
1. 24, 1.
110, 4
215, 2.
23, 2
660,
3. L852, 1.
111, 4
L58, 2.
»23, 3
26,
3.
*112, 2
787, 2.
24, 1
25,
1.
115, 2. 3
7(5, 1 — 3.
_ t , —
1850,
— >
117, I
358, 4 C.
_'7. 2. 3
668,
2.3. 1343,2.3.
*118, 3
353, 2.
28, 1. 2
(i7().
1. 669, 1. 2.
121, 1
391, 1.
29, 1
671,
1.
126, 1
340, 4 A.
30, 1
H73.
3.
126, 2
1197, 1.
30, 1
449.
4.
134, 2
339, 2.
34, 4
1380,
2.
137, 3
718, 3.
35, 2
674,
2.
*138, 3. 4
388, 1. 2.
*36, 1. 2
520,
2 3
*139, 1
388, 4.
*37, 4
694,
2.
*146, 1
1481, 1.
38, 4
719.
3.
148, 2
222, 2. 3.
*39, 1
528,
1.
*151, 3
1551, 4.
*40, 2
705.
4.
154, 1
8Ö2, 1.
*42, 3
537.
4.
154, 4
2251, 4.
12. 4
753
1.
155, 2
572, 4.
43. 2
200.
2.
*155, 4
355, 4. 748, 3.
*43, 4
1827.
4.
1609,4. 1671.1
44, 2
753,
4.
156, 2
60, 4.
45, 2
243,
2.
*156, 3
356, 2. 3.
48
41.
1. 2. 39, 1. 2.
157, 1
734, 1.
*49, 1. 2
751,
1. 2.
*160, 1. 2
365, 1. 2.
49. 2
129,
2.
*163, 1
22, 5 C.
*50, 1
90,
2.
*163, 2
129, 2.
*54, 3. 1
215.
4.
*164, 3. 4
41, 3. 4.
58, 2. 3
739.
9
_ .
166, 1
336, 3 C.
. 1
4.
*166, 4
22, 7 C.
*60, 3. 1
2171,
3. 4.
*169, 1
49, 1. 3.
»iL 4
-'17.
1.
171, 4
811, 4. 1042, 4.
62, 1
1 168,
3.
1076,4. 1142,4C
63
309.
*172, 1
28, 1.
65, 1
253.
1. 3.
*174, 2 — 4
559, 5 — 8. 30, 4
66, 1. 2
753.
1. 2.
*176, 3
135, 3.
66, J
636,
4. 646, 4.
*178, 1
244, 1.
;. l
1446,
1.
•178, 4
596, 1. 44, 5 C.
*70, 1
1171.
1.
*179, 1. 2
(1788, 4.) 594, 1. 2
97, 2
127.
4 A.
566, 2.
. 2
21.
2.
*179, 4
541, 1.
*98, 3
917,
3.
180, 1
163, 4.
*102, 2
878,
4.
181, 2
1004, 1.
*106, 1
33D.
1 — 3.
*184, 3. 4
541, 1. 2.
107^ 1
952,
1.
185, 2
520, 2.
EINFLUSS DES NIB. -LIEDES A.UF DIE GUDRUN
200
< rudrun
L85, 4
*187, 2
*188
*189, 2
*191, 4
192, 3
194
197.
199,
*204,
*209,
*210,
*210,
*211, 3
* 212, 1
213, 2
211, 2. 3
3.
2
1.
3
1
3.
219,
1.
3
4
4
222,
uüui
: 237,
*239, 3
*240, 3
*240, 4
242,
*245,
246,
251,
— • ) — , Li
^254, 2
1
1.
*259,
200,
260,
*262,
266,
267,
267,
268,
*271,
:|:272,
*272,
274,
274,
274,
276,
280,
*283,
3
4
1
1
3
2.
1.
1
3.
1
2.
4
4
1
1
4
3
2
4
3
L728
383
657
1()
45
108
658
660
325
20
7
32 1
324
325
333
329
330
72
2115
84
811
197
2306
1769
520
*732
1707
161
MOS
330
375
1091
649
341
5:55
446
533
130
1284
1285
474
734
1126
67
369
1338
405
Nibel.
3. 1521, 2.
1. 5 12. ::. 1.
1. 2.
3.
1.
1. 2.
3.
1. 3.
2.
2C.
49, 1--3.
6 C.
2.
2. 4.
3.
1,
1. 2.
4.
1.
h\d.<;.i7i,4).
2.
1.
4.
2.
1. 2.
3.
4.
s C.
4.
2.
1. 2.
2.
8.
9
r ).
l.
l.
4.
1.
1.
2.
1.
4.
2.
9
o
o.
475
8. 9C.
21, 1.
1127, 1.
Gudrun
284,
1
646,
♦285,
1 - 2
366,
285,
3
369,
286,
1- 3
1567,
288,
1. 2
371,
289,
1—3
1117,
291.
1
365,
LM.».\
2
l i»;:».
29s
303.
301,
1
5:;:;.
301,
2
365,
301,
3
356,
*301,
1
369,
302,
2
354,
311,
1
17:».
*315,
3
22s 1.
*319,
1
151,
326,
4
202,
327,
2. 3
1 109,
329,
1
79,
330,
1
973,
*333,
2
1 309,
333,
4
182,
*334.
1
21:;:».
*334.
2
1125,
*335,
1. 2
1379,
-336.
1
1 380,
*336,
3. 4
1127.
339,
3
102,
*348,
1--3
2061.
348,
1
1691,
349,
4
1022,
350,
2
1222,
35J,
2
IM.
353
1. 2
411,
355,
2
384,
*361,
2. 3
191:;.
367,
2
L976,
*371,
4
129,
374,
2
1925,
379,
1
980,
384,
1. 2
787,
414,
2. 3
2061,
*418.
2
526.
419,
1
1544,
120.
1
1667.
*428
1
1870,
Nibel.
::.
2.
4.
1.
1 2
1 — :;.
1.
9.
708, 3
1.
1.
2.
2.
1.
1. 1792. 1.
2 17. 1
1927, 1.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIII.
.;.
1.
4.
2
1.
2.
2.
4.
1.
4.
1. 2,
1. 1140, 1.
2. 3. 369, 1. 2.
11.
3.
3.
2.
1.
3.
1. 2.
1.
3.
2. 3.
4.
3.
1.
1. 2.
1.
2.
1.
1.
1.
14
-no
F. KF.TTXF.rc
Gudrun
NibeL
Gudrun
Xibel.
429, 4
2()2. 4.
51 1. 3. 1
1S5. 2. 3.
*430, 1 — 3
1119, 3. 1.
518, 2. 3
214S. 4. 922, 2.
3
432, 3, 4
L337, 1. 315, 4.
."»21. 1. 2
1920, 1.
*434
1 12!».
525, 1
21 H. 1.
134, 1. 2
285, 1. 187, 4 C.
*526, 1
:>1(.'. 4.
* 136, 1. 2
449, 1. 2.
*531, 2
567, 2.
1:37, 2, 3
171s. 4.
538, 1. 2
1716. 2. 3.
3, 2
2123, 1. 54,1, 64,1.
546, 2
1038, 4. tiio. 4.
*440, 1
1002. 1.
546, 4
71. 1. 1530, 1
im. 2
265. 4.
864, 4. 961,
1
*442, 1
1508, 1.
*549, 1
730. 1.
442, 2
541, 4. 1289, 1.
*551, 3
707, 2.
tö, 3
1476, 1.
*559, 1 — 3
493. 2 — 4.
148, 1
404. 2.
*560, 3
2()!)s. 2. 114, 4.
50, 1. 2
435, 4.
561. 3
381, 3.
*451, 2
2234, 3.
567, 1
609, 1. 2.
451, 4
1*)74. 1.
569. 1
144, 3.
1
72. 1 u. ö.
569, 3
1629. 2.
57, 1
22 1. 2.
573, 1
• 159. 3.
*458, 1. 2
224. 3. 4.
577, 2
1356, 4.
*460, 1
241, 3.
*5,s0. 4
3, 2 D.
463, 1
31, 2.
583, 1
1884, 2.
472. 2
1992. 1.
5*3. 2
355, 4. 1001. 4
-474. 1. 2
1100. 4. 1586, 1.
*587, 1
52, 1.
477.
1729, 1.
*587, 1-3
772. 1 — 3.
31, 2. 3
1290. 1 — 3.
*594, 4
•VI. 1.
482, 2
1308, 2.
595, 1
54, 3.
*482, 3
355, 2.
*599. 4
682. 4.
*496, 1. 2
1867, 1. 3. 1862, 3.
*603. 2
1104, 4.
*498, 2
194, 3.
*603. 2. 3
1116. 3.
499, 2. 3
L999, 1. 2. 2212. 4.
605. 2
633, 4.
499, 3
276, 2. 381, 3.
605. 3
1279. 3.
•1. 1. 2
1492, 1. 2.
606. 1
141, 1.
502, 2
2212, 2.
614. 2
135, 2.
12, 4
221, 4. 220. 3.
2072, 1.
617. 2
324, 1. 137. 1.
1046, 1.
1
1-77. 1 1 .
619, 2
2003, 3. 2035, 3
: »1. 1
207, 1.
619, 1
1001, 4.
E 15, 1
". 1.
622, 3
102, 11.
1
266. 1 u.
*624. 2
292, 3. 348, 1.
2
510, 2
197, 3.
'
1608, 1.
511, 2
1549, 2.
630. 1
1 146, 1.
511, 3
2209, 4.
631, 3
1004, 4 A.
512. 1
291. 3.
630, 1
10-19. 1.
1009. 3.
36, 1
2108, 3.
513, 2
2-. L 38, 4.
639, 3. 4
171. 1.
513, 3
207, 2.
*640. 1
172, 1. 962. 1.
EINFLUSS DES NIB. -LIEDES AUF DIE GUDRUN
211
< rudrun
*644, 1
IM I.
6-1 5,
650,
*654,
*656,
♦658,
li.-.s.
659,
*660,
*66L
*661
664,
665,
666,
*668,
*670,
*671
*672,
672^
674,
*675,
*676,
*677.
*679,
*689,
692,
694,
* 705,
710,
718,
* 7 : J 7
*740,
*740,
* 742,
744,
748,
749,
*750,
754,
756,
758,
-767:
I
4
1
■>
• >
• 5
:;
1
i
2 -4
1
2. 3
1 — 3
3
1
1
Q
1
2
4
1
1
1
4
2.
1
1
767, 2
3
1
1
1. 2
1. 2
3
2
1
3
3
1
3
2
4
1. 2
*768,
769,
1. 2
1
L999,
283,
1827,
2112,
1621,
1620,
QUO
__•' — .
280,
52
285
1175
567
1622
1080
138
169
16!)
I i:;
1 lli
175
2012
191
210
162
2(12
161
1 209,
69,
1955.
230,
1002
1707
1391
276
202:5
1473
1001
371
371
303
1310
1541
151
688
1131
592
Nibel.
1. 2. 2212, 4.
1.
4.
1.
3 C.
1 C.
3. L802, 2.
::. 348, 3.
1.
1- 3.
1.
2. 303.
1. 2.
•>
— . •
:;.
1.
1. 170, 1.
1.
1.
3.
4.
1.
2.
1.
4.
3. 4.
4.
4.
2.
1.
1.
2. 3 C.
1. 2. 669,1.2.
o
<).
6 C.
1.
4. 2150, 3.
2.
1 C.
1.3. 2053, 4 C.
2.
1.
2. 3. 1127, 2.
:22, 1.
4.
1.
4.
« rudrun
769, 3
770, 1
Nibel.
2. 3
o
772. i
77::. ::
775, 4
780, 2.
7S2, 1
782, 1
786, I
791, 2
794, 2
797. 1
*800, 1
803, 2
♦807, 2
*809, 1
810, 2
:i:813, 2
*814, 3
815, 1
*815, 4
*816, 4
817, 1
818, 4
*819, 4
820, 2
820, 4
821, 2
822, 2
822. 3. 1
824,
826,
829,
830,
832,
832,
835,
836,
836, 4
837, 2
3
*
4
1
o
0
D
o
3
o
• >
3
838,
838,
1
9
595
569
165
1 12!»
L897
1918
L93
973
77
2242
253
1 803
2032
166
1005
2159
1039
540
494
1372
1379
1381
2159
71
974
2098
154
2120
22 7
000
1138
1005
284
1S20
2069
1010
1 15
159
910
307
817
4.
1.
1.
3:
2053
1.
1.
1.
1.
1.
3.
2.
3.
1.
2313,
2.
1.
1.
3.
1.
1.
1.
2.
2.
4.
4.
2.
3.
1.
938
2.
3.
3.
2.
1.
4.
1.
3
1.
4.
2.
3.
. 1.
759,
1201, 4 C
L918, I.
3.
DQQ
L831,
1
2. 3.
L463, 1.
1.
1060, 1.
2.
3.
72 1. 4.
4.
817, 1.
C.
284, 1,
1.
1689. 2.
130, 4.
14*
212
F.. KBTTNRR
1
1
1
1
4
1.
2
1
1*
lb
1
1
1
Gu'lrun
*839, 2
840,
842,
843,
844,
-17.
855,
855,
8J
856,
856,
857,
— .
862.
-'iL». 2
863, 1
863, 2.
864, 1.
865, 2
866, 1.
*867, 1
*S7<>. 2. 3
871, 3
874,
*875,
*875,
875,
*877.
878,
»879,
-80,
Nibel.
4
1
3
4
1
1.
1
1
*880, 2
880, 3
3
*885:
889. 2
1
2
2
1
1
1
1. 2
890,
>2,
*903,
904,
*914,
*915,
*915, 2. 3
*915, 3
4
*915,
911
*917. 3
3
328
1474
365
2175
1902
1623
177:.
529
193
539
2242
1631
1867
1767
2011
1980
1977.
2214
1978
1907
1917
2159
28
2148
1883
1992
2223
2022
1935
2022
2234
2234
185
1756
1903
1101
1562
1667
1787
1509
1210
1005
322
996,
1005
1003
993
2
2
1.
3.
1.
1.
2
2.
2. 3.
3.
1.
3. LMM), 3.
1.
2.
3.
1.
1. 3.
1. 2.
3.
1. 2. 186, 2
2.
2 — 4 C.
4. 1330, 1.
4.
4.
1.
4.
1.
4.
1.
2.
3.
4.
1.
1. 2. 1913, 3.
2.
1.
1.
3.
3.
1. 266, 1.
3.
2.
1 C. 1004. 1.
}.
2. 3.
3.
1888, 4.
1548, 4.
(iu
924
*926
♦927
929
*929
*929
929
*929
*930
*932
932
*936
941
943
947
948
950
*951
952
*953
957
957
*959
960
960
962
963
964
*964
♦966
*967
*968
*968
*970
971
97]
*972
*974
*975
*977
977
97S
980
982
982
Iran
1
1
1.
1'
r
2
3
4
o
1
2
2.
4
1
2
1
3
1
4
1
1
2
4
1
2
4
2
2
3
2
4
1
4
1
2
2.
1. 2
1. 2
1
1. 2
3
2
1
2
3
3
1540
953
2017
1222
965
1703
5 1 1
1020
150
955
77
1846
1573
2059
1643
348
553
1446
1460
1467
953
2040
328
1857
1516
466
1005
348
1517
1350
519
1133
524
525
1102
669
529
543
543
1259
2075
814
777
597
1189
861, 1.
Nibel.
4.
9
1004, 2.
1.
1.
9
1.
4.
3.
1.
4.
3. 4.
3.
3.
9
1.
2.
1.
4.
2.
1.
1.
4.
1.
1.
4.
2.
3.
3.
2.
4.
1.
3.
1.
2.
1.
1511, 1.
376, 7
235, 3.
1586, 4.
7.8C. 1210,2.
275, 1.
1. 2.
3.
1.2.
2.
4.
1.
4.
3.
1210,1.2.
FINFLUSS DES NIH. -LIKHK> ÄFF DIE GUDRIW
213
Gudrun
*984,
1.
^ 1
_
996.
3
1006
3
1010
1
*10111
1.
•>
1019.
1
1021
102-'1.
o
1025.
1
1028.
o
*1029,
1
1033,
3
1035.
•>
—
♦1036,
3
*1038,
1
1039.
1041,
1
*1044,
2
1044,
3
1046,
')
1049,
1
H049,
•>
31
*1049,
i
1059,
2
*1063,
1
*1063,
2
*1063,
3
1065,
1
1066,
*1077,
')
O.
1
1078,
1
1080,
1
1082,
9
_
*1083,
2
—
*1084,
1
1085,
4
1086,
9
H087,
1
*1087,
2.
3
*1094,
4
1095,
1
1099,
1
nioo.
1
1101.
1.
9
*1105,
1-
-3
2168
31
L873
442
631
8
49
990
202!»
1356
942
2256
1613
2045
1619
1221
1487
281
2031
1800
1803
227
2135
2090
1671
608
797
1746
87
1133
2072
221
13f»s
19
SM
1419
682
1730
1454
1366
241
528
1746
NibeL
1. 2. 76. 1. 2.
646, 1. 2.
3.
4.
1.
1. 2. L37, 1. 2.
L082, I. 2.
3.
1.
2.
1.
3.
1.
4.
9
— .
3.
1.
3.
109, 2.
2043, 2.
3.
3.
2
9
3.
2
1.
3.
1.
3.
3.
1.
3.
3.
3.
1.
1.
3.
1.
4.
1.
3. 69, 4.
3.
2. 1709, 4.
3.
1. 2274, 4.
1964, 5 C.
330, 4.
503. 2.
1.
1. 2
o
O.
Gudi
im
1115,
2
977,
1115,
3
6!»,
*
1118,
1. 2
1461,
*
1119.
1
494,
*
um.
•>
370,
i-
111!».
1
370,
-;
1132,
1-3
121,
1134,
3
1512.
113."»,
3
1827,
1137,
1
107:;,
*
1 1 38,
1. 2
2049,
#
1139,
1
L965,
*
1140,
2. 3
85,
*
1145,
3
388,
*
1148,
1
383,
*
1151,
1
1257,
*
1151,
3
1667,
*
1154,
9
1728,
*
1154,
3
1496,
■:■■
1157,
2
1739,
1158,
9
•—
147,
1159,
1
561,
1163,
4
963,
1165,
1
1230,
1166,
4
392.
*
1171,
1
1020,
1171,
3
393,
1171,
4
997,
1174,
4
369,
1175,
1
1727.
1176,
la
1133,
*
L176,
1 ->
87,
1176,
4
111.
*
1178,
4
1204,
1180,
3
78,
1180,
4
1163,
1183,
2. 3
369,
*
L184,
2
1020,
1188,
1
1756,
1192,
4
13,
* -
L204,
4
358,
* •
L208,
1
972,
1209,
1
1020,
* -
L212,
1. 2
1784,
* '
L213,
2
1925,
Nibel
1 C.
4.
1. 2.
1049,
366, 1.
1.
• >
o.
1.
4.
6- 8.
2
4
4
1
79, 2.
6
1
1
3. 1524, 2.
1553, 3.
3. 2041, 3.
9.
3.
3.
2.
1.
7.
4.
1.
4.
4C. 1513, 8 C.
1. 372, 3.
r c.
1 2. 394, 1. 2.
4.
1.
3.
3.
4 C.
4.
1.
4.
4 C.
1.
4.
1. 2 C.
3.
214
E. KETTNER
Gudrun
NibeL
Gudr
Uli
NibeL
*1213, 4
2106. 1.
*1333,
2
1843, 2.
241, 2.
1217. 1
1088, 1.
*1336,
1
710, 3.
1218,
1594, 3. 1.
H337
711.
»1225, 1
1575. 1. 6 10. 3.
1338,
1
537, 3.
2068, 1.
1226. 1. 2
,2. 1.
L342,
3
1952, 3.
2284 2
122!». 1
1367, l C.
L352,
1
23,02, 1.
1230, 1
1421. 1.
1352.
2
1456, 3.
1.
L233, 1
640, 3.
*1354,
—
716, 4.
1211. 3
2150, 3. 102. 11.
1355,
2
3S3, 3.
L250, 1
1311. 4.
12,57,
1
1 12. 3.
1251. 1
585, 1. 610, 1.
1357,
2
958, 1.
68, 1.
1358,
1
062! 1.
1261, 4
102, 3. 1663, 3.
-1359,
3
2090, 1.
♦1265, 2
1225, 2.
1362,
1
921, 3.
1273. 1
1540, 1. 1756, 1.
1362.
2
958. 1.
127s. i
801. 2.
1363,
2
1669, 4,
1279, 1
329. 1. 1966, 1.
*1371,
2
2065, 2.
127!'.
772, 2.
137 1.
1
87, 1.
1280, 1
2053, 4. 1852, 3.
;i:1375,
1
1847, 1.
-1282, 1
2312, 1.
1376,
1
472, 1.
962, 1.
1286,
601. 1.
*1376,
2
2254, 3.
1287, 3
147. 3.
H376,
3
197, 4.
1287, 4
567. 2. 3.
1379,
4
31, 4.
*1289, 1
518. 1. 1156, 3.
H382,
1. 2
1712, 1.
— .
L289, 4
2s 1. 3.
1388,
1
1.847, 1.
L290, 1
1481, 1.
1388,
2
2215, 1.
2212, 4.
*1294, 2
1824, 2.
1389,
1
1760, 3.
L302, 4
708, 3. 4.
1390,
1
2106, 1.
*1305,1— 3
369,1 2. 1127,3.4.
*1391,
o
1598, 8.
H308, 1. 2
1201. 2. 712. 1.
1391,
4
2108, 2.
2110, 2.
413. 4. 536, 3.
1303.
1
1707. 2.
1308, 2''
1621. 3 C.
*1394,
1. 2
1492, 1.
2
*1310
640.
1306.
2
2270, 3.
181, 2.
*i3ii, l
1002. 1.
1397,
3
196, 4.
1311, 2
567, 2. 3.
1397,
4
98, 2.
2210, 3.
L311, 3
1992, 2.
*1399,
1. 2
176, 1.
2
L311, 4
1760. 1.
*1400,
3
640, 4.
1322, 1
37, 3 C.
1401,
2
210. i C. 1501, 3
1322, 4
101.
1935, 4.
L325, 1
581, 2. 603, 1.
1402,
1. 2
107, 1.
9
— •
*1325, 3. 4
17<i2. 2. •;.
*1402,
4
637. 8.
*135
176.;. 17«. 1. 1. 2.
1103,
1
105. 3.
1326, 2
. 2.
140 1.
3
1600. 2.
*1327. 1. 2
354, 1.
Mo:..
4
8, 1.
1327. 1
2106. 1.
*1 107
183.
*1328, 1— 3
1761». 1. 1761, 3.
*140s.
1
184, 1.
181, 4.
-1330. 1. 2
612. :;. 1.
185, 4.
KIM LT» HKS Nir». -LIKDES AUF DIK GUDKIN
215
Gu.lr
im
Nibel.
(iu-li
IUI
Nibel.
1409,
1
207,
1.
1457,
2.
1346,
1.
1409,
2
750,
1. 719, 1.
♦1457,
1
1895,
1. 1910, 4C
879, 1.
1 160,
4
144,
4.
*1410,
3. 4
202,
4.
1461,
1
380,
1.
1411,
3
1881,
1.
1 161.
1
2051.
1.
1 1 1 3,
2
L943,
9
1 161.
2
1467,
4.
L413,
3
UM.
1.
1 161.
1
1831.
■ >
6.
*1413,
1
2038,
2 C.
1465,
1
1686,
1.
*1414,
2. 3
1888,
1.
lif»:..
1. 2
2015.
1. 2.
1415,
2
2152,
2.
1466.
1
1866,
3. 973, 1 V
1 J 16,
2
2215,
1 9991 9
-l . UalUll — .
1 166,
4
2212.
2
ins,
1
2152,
9
1 168,
1
ssl.
4. 2008, 1.
♦1419,
1
207.
1.
L469,
1
336,
o
o.
*1419,
•)
1905,
1. 2. 202, 2.
*1470.
7
ins.
1.
*1419,
3
2013,
2.
*1470,
3. 4
2295,
1. 1007, 1.
*1419,
4
2163.
1.
1473,
2
2181,
3.
*1420,
1
2226,
1.
1474,
2
2313.
3. 4.
*1422,
2. 3
2233,
>
— •
1474,
1
377.
•>
1 423,
3
1552.
3.
14 75.
2
598
2.
*1424,
1
2297,
1.
1475.
3. 4
455.
•1. 156, 1.
*1424,
2. 3
2221.
2.3. 2297,2.3.
1176.
1
L785,
2. 2080, 1.
H427,
4
202.
4.
H476,
3. 4
1833,
1. 2 C.
1428,
1
977,
1.
1477,
1
21 15.
3.
*1 130,
2
2270,
3.
1479,
1
1839.
1.
14:; l.
1
372,
3.
*1480,
1
1937.
o
*1443,
1
1727.
9
1481,
1
938,
1.
14:;:».
■>
2304,
3.
*1482,
1
2075.
2.
*1436.
2-4
1655.
5 — 8 C.
*1482,
2
2073.
2. 2074, 3.
*1437,
1. 2
ulu<
2 3
*1482,
4
2074.
4.
1441,
1
1709,
1.
1483,
4
1654.
o
1442,
2
1687,
1.
*1484,
1
1753.
1.
1443,
3
1911,
2 C.
*Us5,
3
1703,
1. 2045, 3.
1414,
1
2155,
3.
1486,
1
1037.
1.
1444,
3
1316.
14S7,
9
—i
505.
4.
1445,
1
798,
4.
14S7.
4
1691.
4.
1445,
3
2011.
3.
14S9.
1
848.
1.
*1446,
1. 2
1887,
2. 1864, 1. 2.
*1493,
1. 2
1864.
1.2. 1899,1.3
1446,
3
1559.
— .
1498,
9
_
1398,
:;. 2003, 3.
*1448,
1
2062.
1.
2035, 3.
1449,
1
2106.
4.
*1499,
1. 2
2007.
1. 2. 558,3. 4
1452,
1
444.
2.
H500,
1. 2
93,
1.2. 1062,1.2
1452,
4
251.
3.
*1502,
1
215:;.
1.
1453^
2. 3
4.
1502,
2
1930,
4.
1454,
3
94.
4.
*1504,
1
2015,
9
— •
1455,
3
158,
1. 942, 4.
1504.
4
2244.
2.
1902, 1.
1506,
1
1923,
1.
*1457,
1. 2
2230.
9
-•
1506,
2
1132.
4.
216
E. KETTNER
Gudrun
1507. 2
1 508
♦1511
1511
L512
1515
1517
1517
1523,
l.V'l.
1524,
L528,
1 532,
1532,
15.11.
15.;:».
1535,
15 :
15::7
L542,
•1543,
1 545,
1546,
1551,
r
1561,
ü
i:
L£
1566,
15<
L568,
15
L570,
1571.
1572,
K
I 5
157:;.
H574,
1574.
*1578,
1578,
*1581,
*15
2
1
2
3
4
1
3.
1
o
0
1
1
3
1
3
1—3
1
1
2
1. 2
1
3
1
3
3
• >
• >
4
1. 2
1.
1
3
2.
■>
3
• »
4
1.
2.
1.
4
1.
2
2
3
2
3
NibeL
645, 3.
2089. 2.
L888, 3. 2245. 2.
L86, 1.
L677, 1.
1 154, :;.
L887, 3.
'•12. 4. 1709, 4.
942, 2.
2310, 3 AC.
1771. 3.
20i;;. 2.
L895, 1.
2016, 2 C.
1995, 2.
940, 3.
149s. 1.
1947, 3.
112. 1.
2071, 1.
388,1.2.1755,7.80.
387, 3.
831. 1. 1464, 1.
217, 3.
490. 1. 2.
255, 1.
229. 1.
369. 4.
221. 1. 725. 1. 2.
237, 4.
22-1. :;. 520. :;.
74, 3.
261, 1. 2. 262, 3.
528, 3. 1445. 3.
526,
1 5<i7.
2.
751,
725,
1044. 1.
540, 12.
5 11. 4.
543, 3.
525, 1
731, 1
1185, 1
1174. 1
7. 8.
1. 2316. 1.
4.
1. 2.
•>
2.
2
1 1 adr
UM
NibeL
*1587,
1
244, 1.
*1588,
1
292, 1.
1589,
2
L859, 2.
*1589,
;;
291, 3. 517, 1.
*1589,
4
303, 1.
♦1591,
1.
2
1521, 1. 2.
*1592,
1.
2
1244,1.2. 1296,1.2
1569, 3. 4.
♦1592,
4
1211. 1.
1595.
2
836, 1.
*1596,
2
248, 2.
1597,
1
2292, 1.
1597,
2
512, 4.
15!»-.
2
1311, 2.
*1599,
2—
-4
250.
1599,
4
100, 1.
*1601,
3.
4
285, 1. 3. 102,11
1604,
1604,
1
3
*1606, 2
1607,
1608,
1
1
1610. 2. 3
K>10, 4
1611
1613, 1
* 1614, 2— 4
1615, 3
•1618, 1.
* 1618, 3
1622, 2
1624, 2
1631, 2.
1634, 2
1
1
1
361, 1.
309, 3. 499, 6.
2045, 3.
322, 2.
973, 2.
609,
3.
C.
1
235.' 4.
1306, 4.
10. 11.
1627, 1.
1209, 4.
1113, 1
1367, 4 C.
1210, 2.
2 1126,
1125,
1.
3.
1126, 4.
3
16 10.
1641,
1612.
1644, 1
1616.
1648,
1650,
165 1.
1651.
o
<J
1
1
2.
4
3
343,
113, :;.
840, :;.
1746, 2. 3. 556, 2.
594, 2.
L667, 1.
848, 8 C.
1843, 1. 1844, 1. 2.
L840, 2.
1055, 1.
i:u
1621.
1623.
175,
139, 2.
1.
3.
3.
568,
■ >
■ >.
1066, 3
D.
EINFL1 SS DES NIB.-L1EDES AI 1 MI. GUDRUN
217
Gudrun
1656, 1
1059, 1
*1660, 3
*1660, 1
*1661,2— 4
'1662, 2. 3
4
9
*1662,
*1663, 2
1665,
L666,
1
1
i: 1(560, 2
♦1667, 1
1667, 2
*1668, 4
*1669,1-
*1670, 3
1671,
1671,
*1672,
1672,
1674,
1674,
1. 2
4
2
4
o.
1.
3.
1
4
NibeL
1746, 4.
738, 1. 1293,
542, 3. 1818,
550.
551, 3.
565, 5 C.
56S, 4.
1622, 2. 4.
570, 1.
608, 1.
595,
596,
• >
o.
1.
596j 4.
552, 3.
597, 1. 2.
39, 1. 2.
750, 3. 4.
751, 2. 3.
1. 2.
36, 2.
*~ ET 4
o54,
3.
6.
633,
636, 1.
485, 1.
Gu'lrim
L675,2--4
*1676, 4
*1678, 2
1678, 1
»1679, 1. 3
*1681, 1
* 1682,1
L683,
L685,
♦1686,
1.
1.
, 1-
1690, 3
1695, 1
3
2
2
9.
1697,
1700,
1701,
1701,
o
o
4
1.
3
1702, 1
1703, 1
1703, 1
1704, 2
Nibel.
635,
1310,
2150,
1709,
1310.
1187,
1790,
4.
1.
3.
3.
1.
2
1-
L85, 2 1.
3.
1262, 2—4.
231,
1310,
L268,
L230,
L365,
934,
1631,
75,
1
1
1
2
—
1.
1
84, 4.
9
385, 1
532,
1991,
1992, 1
1139
531, 7.
7.
4.
3.
1177, 2.
MIIILUAUSEN IX Tll EHINGEN.
EMIL KETTNEH.
VOLKSTÜMLICHES ZUM „AHMEN HEINEICH ".
ii
Hartmanns sinnige dichtung „Der arme Heinrich" bezeugt ans
sehr deutlieh, wie eng Volksglaube und ärztliches vnssea im mittelalter
zusammenhinegen. Zahlreiche Variationen von blutheilungen sind in den
alten Traditionen niedergelegt, die alle — ob christlichem oder heid-
nischem boden entsprossen — auf den uralten glauben an die Versöh-
nung der götter durch dargebrachte blutopfer zurückgeführt werden
können. Die elastische natur des Volkslebens hat diese uralte heid-
nische anschauung in die Volksmedizin hinübergeleitet und bis auf
unsere tage treu bewahrt; ist doch der alverbreitete zauber mit dem
blute hingerichteter nichts anderes als ein schössling dieser anschauung,
die auch eine reiche zahl bedeutsamer sagen und märchen gezeitigt
hat. Zu ihnen gehört auch die armenische und rumänische erzählung,
die ich hier als kleinen beitrag zu dem kreise volkstümlicher Überlie-
ferung mitteilen will, zu dem eben auch unser „Armer Heinrich" gehört.
218 n' wusLoen
Die erzählung der Armenier in der Bukowina, die mir herr
G Munzath s«> freundlich war aus seiner handschriftlichen samlung
armenischer Volksüberlieferungen im original mitzuteilen, folgt hier in
Dauer Verdeutschung.
Von der rechten Hoho.
Eis war einmal ein junger, reicher und schöner herzog, der in
glück und freuden sein Leben zubrachte. Alles, was er unternahm,
war von glück gekrönt Trotzdem er verschwenderisch lebte, so nahm
- in wolstand doch von tag zu tag immer mehr zu, so dass er bald
ine besitzungen nicht kante, ooeh schnell, ohne viel nachdenken her-
zusagen im stände war. Wo immer er sieh zeigte, überall flogen ihm
die herzen entgegen und manner und trauen buhlten um seine gunst.
!• Schönheit, grossmut und freigebigkeit machten ihn im königs-
palast und in der beÜerhütte gleich beliebt, und stolz konte er von
sich rühmen, dass er die liebe der weiber bis auf den lezten tropfen
ossen, dass kein weib ihm je habe widerstand leisten können. „Ich,
und nur ich allein, kenne die rechte liebe!*' rühmte er sich seinen
freunden gegenüber, lud so kam es, dass er hochmütig und stelz
ward: er wante sein herz von gott ab und hing es an weiber. Gott
i-t aber Langmütig und straft nicht gleich die vergehen des menschen;
er liisst ihm zeit zur umkehr und reue. So kam es auch, dass der
hone herzog noch einige jähre sein lasterhaftes leben fortsezte. Da
kam aber eine ekelhafte krankheit über ihn; sein leib war mit eitern-
den wunden bedeckt, die einen unausstehlichen gestank von sich gaben.
Jedermann fleh den kranken herzog; seine freunde verliessen ihn, seine
diener entsprangen und weiten ihren kranken herrn nicht mehr pfle-
n. Die berühmtesten ärzte Hess der herzog an sein Lager rufen,
aber keiner konte ihm helfen, keiner ihn heilen. Da stieg die demut
wider ins herz des herzogs, und tagelang flehte er inbrünstig zu gott
um Vergebung seiner Sünden. Alle seine guter verschenkte er an die
armen und an die mönche, damit sie für sein Seelenheil beten solton.
Doch niemand konte bei ihm lange aushalten; nur eine einzige maid
war e>. die r<>ehter eines blinden betlers, den der herzog bei der Ver-
teilung - iner guter zu beschenken verg< ssi u hatte, die war es also,
di( s " ihm zur tröstung _■ sant hatte und die ihn mit unaussprech-
licher liebe and rgebung tau- und nacht pflegte. Der herzog wunderte
sich gar oft darüber, wie das doch käme, dass ihn gerade diese maid,
die er nie beschenkt hatte, so aufopfernd, so herzinnig pflege und
behandle: und oft und oft fragte er si< : „Sag5 mir, liebes kind, warum
ZUM AKMKN HKl.NKiai 219
pflegst du mich? Warum verlässt du mich nicht auch, so wie es alle
getan haben, die ich doch reichlich beschenkt habe? Sieh, ich kann
dir nichts geben, und nach meinem tode erhältst du so wenig, dass es
nicht der mühe wert ist, dafür bei mir nur einen tag zuzubringen!"
Aber von der maid bekam er immer nur eine antwort: „Lasst gut
sein, lierr herzog! Mein schönster lohn ist der, wenn ich sehe, dass
ich euerem herzen und euerem körper linderung verschaffe!" Bei einer
solchen gelegenheit zog er einmal von seinem finger einen kostbaren
ring und schenkte ihn der maid, indem er sagte: ..Nimm diesen ring
und schenke ihn dem, den du auf erden am liebsten hast!0
So vergieng die zeit, so vergieng ein jähr nach dem anderen,
und der herzog konte im dritten jähre seiner krankheit schon kein
glied mehr rühren. Manchmal kam der eine oder der andere möneb
zu ihm und betete mit ihm zu gott. Bei einer solchen gelegenheil
erzählte er einem mönche einen wunderbaren träum, den er jüngst
gehabt habe. Die heilige mutter gottes hätte im träume zu ihm gesagt,
er solle sieh im blute einer Jungfrau baden, die ihn von ganzem her-
zen liebe. Lachend schloss der herzog seine rede: „AVer wird mich
faulendes aas lieben'.-" Unbemerkt hatte die maid diese erzählung mit-
angehört und rief jezt: „Ich! ich liebe euch, o herr! und ich will jezt
gleich mein leben lassen, damit ihr euch in meinem blute baden könt
und gesundet! Heute in der nacht, als ich an euerem bette gewacht,
tat eine stimme vom himmel mir kund, dass euch mein blut heilen
würde!" Der herzog beschwor weinend die maid, von ihrem vorhaben
abzustehen; diese aber holte statt aller antwort eine badewanne in die
stubc. Ihren oberleib enthlössend, neigte sie sich über die wanne,
und indem sie dem mönche ein scharfgeschliffenes messer überreichte,
sprach sie also: „Frommer mann, durch deine band muss ich sterben,
denn nur ein mann, der nie ein weib berührt hat, darf dies segens-
volle weik an mir volziehen!" Der mönch ergriff da- messer und
weite es ins herz der maid bohren: da sprang aber diese auf und rief,
indem sie den ring, den ihr der herzog geschenkt hatte, küsste: „Bevor
ich sterbe, gebe ich den ring demjenigen, den ich auf erden am lieb-
sten nahe!" Und sie warf den ring dem herzog zu, der ihn an seine
lippen drückte und rief: „Das ist die rechte liebe, die selbst den tod
nicht scheut! Nicht solst du für mich sterben: ich will mein leben
lassen, damit du frei und glücklich werdest!" lud als er sich vom
tager erhob, um sich das leben zu nehmen, da bemerkte er und auch
der möneh und die maid, dass sein körper wunden los sei und sein
gesiebt so schön, wie in seinen besten tagen. Ein wunder gottes war
220 VON WLISLOCB3
gesehehn! Die rechte liebt1 hatte gottes Vergebung für einen armen
sünder erwirkt. Der herzog und die maid wurden selbstverständlich
ein paar und Lebten in glück und frieden, aber auch in dcniut vor
gott bis an ihr lebensende
Dies das armenische miirchen, dessen engste verwantschaft mit
dem „Armen Heinrich" keinem zweifel unterliegt, obwol der schluss
das volkstümlich heidnische element ganz in den Hintergrund schiebt
und einen christlichen gedanken hineindrängt, um der moral, welche
das volk eben darin erkennen solte, eine bessere färbung zu geben.
Der hauptgedanke ist in beiden stücken derselbe. „Es ist eine aske-
tische erinnerung an die in Jugend und kraft blühenden ritter, voll
reichtum und behaglichkeit, kühn an taten und durch erfolge, dass sie
vor den armen und dürftigen bei gott keinen Vorzug haben. Er demü-
tigt den kraftvollen Übermut, der bei allem ritterlichen wesen die her-
zen der Jugend ergreift U1 Gleich dem armen Heinrich geschieht
- auch dem armenischen herzog, dass „sin hoher muot wart verkehret
in ein leben gar geneigetu (v. 82 fg.). Beide werden von ekelhafter
krankheit befallen; vom „armen Heinrich" heisst es nur: vnü scheut,
wu genaemt er e der werlie waere, mul wart nü alse unmaere, dax,
in memen gerne an sachu (v. 124 fg.); ähnlich — wenn auch ärger —
_>lit es dem herzog, „dessen leib eiternde wunden bedecken, die
• inen unausstehlichen gestank von sich gaben. Jedermann floh ihn,
seine freunde verliessen ihn, seine diener entsprangen und wolten ihn
nicht mehr pflegen." Aber er dachte, gleich dem „armen Heinrich"
noch immer nicht daran, dass es eine gottesprüfung sei; er suchte
auch der menschen hilfe für sein übel. Und da sie diese hilfe nicht
finden, so verschenken sie hab und gut an arme und manche, „damit
sie für das Seelenheil beten sollen"; „dax sich goi erbarmen gemachte
über der seh. heilu (v. 254 \'<j;.). Nun aber weichen beide stücke wesent-
lich von einander ab: der „arme Heinrieh" zieht zu einem bauern,
dessen tochter ihn pflegt; den armenischen herzog dagegen pflegt die
maid eines blinden betlers, „den er bei der Verteilung seiner guter zu
schenken vi sen hatte." Also ist in der armenischen erzählung
die opferfreudigkeit der maid und somit auch ihre unbewuste liebe
mehr hervorgehoben, die erst am schluss, wo der ring eine rolle spielt,
zu vollem bewostsein erwacht. Und noch in einem wesentlichen
punkte weichen beide Btücke von einander ab. Dem „armen Heinrich"
1; Cassel im Weimar. Jahrbuch 1. -152.
ZUM AHMEN HFINl;l< ll 221
gibt der arzt selbst den rat: „ir müesent haben ei/m maget, diu vol-
len erbaere und oiicl/ des willen waere, dm si den tot durch iuch
Ute. nu enist <\ niht der Hute site, dir. e/k iemen gerne tuo. so
hoert ouch anders niht dar tuo niwan der megede herxen bluot: ihr.
innre für iuwer suhl guot (v. 224 fg.). Dem armenischen herzog aber
wird nach langem gebete durch die matter gottes im träume kund-
getan, dass er durch das blut einer Jungfrau, die ihn liebe, hei] wer-
den würde. Dasselbe wird durch eine stimme vom himmel auch der
maid offenbart Und hierin nähert sich die armenische erzählung der
Schlusserzählung der sieben weisen meister. Es tritt also auch hier
das umgekehrte Verhältnis ein. „Die ärzte wissen das mittel nicht zu
raten, aber gott rät es an; während sonst es der ärzte lezte kur war,
die gott verwarf, stelt hier gott es als das untrügliche rezept dar"1.
Und somit ist auch hier, gerade so wie in der erwähnten sehlussorzäh-
lung der sieben weisen meister und in der last ganz zur legende gewor-
denen historie von den beiden freunden Amicus und Amolius-, die
blutheilung vom christlichen geiste selbst legitimiert. Dies findet auch
darin ausdruck, dass der mönch die maid töten soll, „denn nur ein
mann, der nie ein weib berührt hat, darf dies segensvolle werk vol-
ziehen." Was nun die eigentliche heilung des herzogs durch den ring
anbelangt, die sich in keinem der verwanten stücke bislang nachweisen
liess, so ist dies eben ein gemisch von echter weltlichkeit und selt-
samer wundertäterei, die eigentlich gar wenig zu einander passen; aber
immerhin scheint der glaube an die unbedingte heilkraft des alten heid-
nischen medicamentes auch durch die christliche lebonssitte und lehre
hindurch.
Simrock sagt : „der arme Heinrich" nent die Jungfrau scher-
zend sein gemahl und vermählt sich ihr gleichsam durch die geschenk-
ten ringe. Hieraus scheint Grimm zu schliessen, dass in der altern
opfersage, welche di'v spätem, von Hartmann benuzten Überlieferung
zu gründe lag, eine frau sich für ihren gemahl hingegeben habe und
dieser zug in unserm gedieht nur eine anders begründete erinnern ng
des ursprünglichen Zusammenhangs sei. Die vergleichung der sage mit
der von Admet und Alceste, die sich auch für ihren siechen gemahl
hingibt, mit der von könig Robert" (bei Simrock s. 85) „bestätigt diese
Vermutung." Aber diese ansieht Simrocks triff wol nicht das richtige;
in der ursprünglichen sage ist der freiwillige tod einer Jungfrau das
1) Cassel im "Weimar, jahfb. 1, 445.
2) Vincenz von Beauvais. Speculum historiale lib. 24. 262.
222 VON WLISLOCÜ
hauptmonient gewesen, und erst in späterer zeit mögen die verwanten
sagen an stelle der Jungfrau die gattin gesezt haben. Und zu diesen
historien gehört auch «las folgende bisher noch nicht bekant gemachte
märchen der Siebenbürger Rumänen, das ich aus der handschrift-
lichen samlung des herrn N. Savu in genauer Verdeutschung mitteile.
Die treue gattin.
E9 war einmal — was einmal war, wäre es nicht gewesen, würde
- nicht erzählt. In einem dorfe lebte einmal ein junger ehemann mit
inem schönen weihe anfangs in glück und frieden. Als aber nach
jähr und tag die trau kein kind zur weit brachte -da zog Unwille und
verdruss in das herz und das haus des jungen mann es; besonders da
einige alte frauen, die gerne ihre töchter dem manne zur ehefrau ire«-e-
ben hätten, ihm heimlich zuflüsterten, dass sein weib deshalb keinen
kindersegen habe, weil es in die zunft der hexen sich habe aufnehmen
lassen. Anfangs schenkte der mann diesen üblen nachreden gar kei-
nen glauben, später weiten sie ihm nicht aus dem sinn, und zum
schluss jagte er sein schönes weib aus dem hause und heiratete eine
ander.'. Seine erste frau lebte nun einsame, gar traurige tage in einer
kleinen hütte am ende des dorfes, die sie von ihren eitern ererbt hatte;
während die zweite trau, die ebenfals kinderlos blieb, ein gar tolles
leben fühlte. Sprach ihr mann nur ein wort über ihre Verschwendung,
da antwortete sie ihm sogleich: „Ja, du bist der geiz selbst! deshalb
bleibt auch der kindersegen aus!" Der mann bereute gar bald, dass
er seine <• frau vertrieben; er ward trübsinnig und Hess sein weib
in haus und hof nach gefallen -ehalten und walten. Aber nicht genug,
dass die frau verschwenderisch war, so hielt sie sich auch buhlen, die
mit dem weibe in saus und braus lebten. Unzähligemal machte der
mann ihr bittere vorwürfe, aber seine reden halfen nichts; im gegen-
teil sie verbitterten das herz der frau so sehr, dass sie auf den ruch-
losen gedanken verfiel, ihren gatten zu vergiften. Sie mischte ihm also
3chlai _ift in den brantwein; und als er davon trank, schwoll sein
leib b tark an. dass er nicht mehr im stände war sich von der stelle
zu rühren. Todkrank lag er im bette und konte nicht sterben. Kein
heilmitte] konte ihn von seiner bösen krankheit befreien: die „alten
frauen" des dorfes und die ärzte der stadt sagten, dass er gift getrun-
ken habe und sterben müsse, wenn nicht jemand das gift aus seinem
körper saug Als dies -eine vernichte gattin hörte, erschrak sie sehr
und floh aus dem dorfe; sie ward nie mehr gesehen. Von gott und
menschen verlassen lag nun der arme mann ohne pflege und hilfe in
ZUM ABMBN BBINEICH 223
seiner stube. Da geschah es einmal in der nacht, als er vor sehmer-
zen eingeschlafen war, dass seine erste gattin von niemand gesehen
in die stube trat Sie blieb vor dem bette stellen, nahm ein scharfes
messer in die hand and schnitt ihm in den linken arm eine kleine
wunde; drauf begann sie ihm das blnt auszusaugen. Im schmerze
erwachte der mann und als er seine frau an seinem arme saugen sah,
bat er sie unter tränen, von ihrem vorhaben abzustehen, denn sie
müsse vom eingesogenen gifte sterben. Aber die frau sprach: „Dich
allein hab ich geliebt und will min für dich auch Bterben!" Der mann
keilte sie nicht abwehren, denn er war nicht im stände, auch nur ein
glied zu rühren. Und so sog denn die treue gattin das blnt ihres
gatten bis dass sie ganz erschöpft in Ohnmacht fiel. — Am nächsten
tage kamen die beute, um nach dem kranken manne zu sehen. Aber
wie erstaunten sie, als sie ihn gesund und wolauf fanden, während
seine treue gattin noch immer in tiefer ohnmacht auf dem boden lau!
Da trat eine besprechcrin (= zauberfrau, descantelere) an das weih
heran und sprach: „Holt mir schnell zwei wachteln!" Als sie die
vögel erhielt, schlachtete sie den einen und vermischte das blnt dessel-
ben mit einigen tropfen blnt vom manne und dessen ohnmächtiger
frau; dann flöste sie der gattin einige tropfen von diesem blute ein,
besprengte die lebendige wachtel und Hess sie dann fliegen. Wie gross
war nun die freude, als die treue gattin zu sich kam! Auf der hoch-
zeit, die die geschiedenen eheleute wider vereinigte, sagte die bespre-
cherin: „Nim werdet ihr auch kinder haben!" Und so geschah es
denn auch; die eheleute lebten nun in frieden mit einander und hatten
die freude mehrere kinder zu haben und gross zu ziehen
Dies das rumänische märchen, das in Siebenbürgen und im Banat
in mehreren Varianten verbreitet ist, unter denen eine statt <\Qr wach-
tein schwalben sezt. Der eingang und die Situation dieses märchens
ist ganz abweichend von den mit der erzählung Hartmanns von Aue
verwanten stücken. Einen ähnlichen zng, nämlich die Vergiftung des
mannes durch die gattin, der aber dadurch nicht stirbt, sondern nur
mit unheilbarer krankheit behaftet wird, finden wir in der sage von
„Amicus und Amelius" (Simrock a. a. o. s. 131); einem andern zng,
dass nämlich die gattin das gift aus dem leibe des mannes saugt,
begegnen wir im gedieht „Konig Robert" (Simrock s. 85 fgg.). Interes-
sant ist der zauber mit der wachtel, den auch Cassel (Weimar, jahrb.
1, 410 und 428) besprochen hat. Aber nicht nur bei den Rumänen,
sondern auch bei den siebenbiirgischen zeltzigeunern finden wir diesen
224
VON WLISI.Oi'KI
zauber mit «lern blute der wachte! vor. Ein heil verfahren der zigeuner,
welci g de bei kranken tieren beobachten, deren krankheit sie nicht
gründen können, besteht nämlich in folgendem. Es werden zwei vögel,
womöglich wachtein [berecto, foryo) genommen, von denen man den
einen schlachtet, den andern aber, mit dem blute des ersten besprengt,
frei fliegen lässt Mit dem reete des blutes wird das futter für das
kranke tier angemacht, wobei eine besprechungsformel hergesagt wird.
Die wachte] wird von den zigeunern auch „ teufelsvogel a {ci/rüäo ben-
g nant und ihr dämonische eigenschafben zugesehrieben; beson-
d< len sich die Nivaschi-töchter (wasserjungfrauen) gerne in wach-
tein verwandeln und als solche den tag auf dem felde zubringen, in
der nacht aber das getreide wegstehlen. Um sie vom getreide fern zu
halten, ist es gut, bei der aussaat in die vier ecken des feldes teile
von einer wachte] zu vergraben — ein aberglaube, den man auch
unter der rumänischen Landbevölkerung Siebenbürgens antritt1.
Für das hohe alter und die Verbreitung des blutzaubers unter
den siebenbürgischen zigeunern spricht auch folgendes verfahren. Um
tiere vor dieben zu schützen, lässt man aus dem finger eines kleinen
kindes drei tropfen blut auf ein Stückchen brot fliessen, das man dem
tiere unter hersagen einer formel zu fressen gibt. Jedes neue zeit
wird von den ziireunern mit einigen tropfen kinderblut befeuchtet, um
vor bezauberung und andern Unfällen zu sichern2. Ähnliches gilt
von Jungfrauen, deren menstruationsblut zu heilsalben verwendet wird3.
Mit dem glauben an die heilkraft des Jungfrauenblutes hängt wo!
auch ein brauch der Juden in Rumänien und auf der Balkanhalbinsel
zusammen. Wenn nämlich jemand unerwartet im sterben liegt, so sam-
melt man für ihn ..jähre", indem der rabbi oder der synagogendiener
mit einem papier von einer Jungfrau zur andern geht und sie auf-
schreiben lä-st: wie viel tage, wochen usw. sie für den sterbenden von
ihrem • . en leben hergeben will. Dies wird für ein grosses ver-
dienst angerechnet und von gott belohnt. Leopold Kompert hat
diesen, wie es scheint weitverbreiteten jüdischen brauch in einem
Ausführliches darüber in meinen: „Zauber- und besprechungsformell] der
tran^silvanischen und sudungarischen zigeuner" (Budapest. Hornyänsky, 1888) s. 27 l\
['•! Rio (Disquis. Ma_i<-. s. 1008) „Banairolus scribit (Enned. muliebri
ca] _ . : tnio oruore domus alicujus postes inungantur, daemoniacis magorum
artibus et insidiis aditum omnem praecludi." Schon Grimm erzählte von der Unga-
rin, die. um schöner zu i. das blut junger mädchen braucht.
8. darüber meinen aufsatz: „Über den zauber mit menschlichen körpertei-
len bei den transsflvanischen zigeunern" (in den „Ethnologischen mitteilungen aus
Ungarn'4, hera1 von prof. A. Hermann. Budapest, bd. I).
ZUM AHMEN HEINEII II 225
Ghetto -märcheD sehr sinnig erzählt (Aus dem Ghetto Lbd.„Nicht ster-
ben können" s. 295).
Aus den mitgeteilten märchen ond Volksgebräuchen ist wol ersicht-
lich, dass der stoff des „armen Eeinrich" in seinen grundelementen
weit verbreitet ist und im volksbewustsein auch uoch heute fortlebt
Hartmann mag eben eine volkstümliche Überlieferung bekanl geworden
sein, deren älteste tonn im Orient zu suchen ist; an einen historischen
Vorfall ist dabei gar nicht zu denken.
MÜHLBACH IX SIEBENBÜRGEN. BEINRICH VON WLISLOCKI.
ZU MINNESANGS FELTHLING 30, 28.
Der anlang des schönen Spruches, in welchem gottes alwissenheit
und almacht gepriesen wird, ist von Lachmann so abgedruckt:
MSR 30, 27 Würze des waldes
in t<l i r\e des goldes
und eil in apgründc
diu sint dir, herre, hünde.
Das erze des zweiten verses bietet die hs. C; caber A hat nicht eriz}
wie in den lesarten zu MSF angegeben ist, sondern — was schon
Pfeiffer in seinem abdruck der handschrift (Lit. verein Publ. IX) angab
und dr. H. Wunderlich jezt nach freundlicher einsieht der hs. mir aus-
drücklich bestätigt — criz. Dies fasse ich als grie%; c ist oberdeut-
sclie Schreibung für //, und i für ie komt durch die ganze mhd. periode
sowol obd. als md. vor.
Diese fassung der textstelle in C halte ich für die echte und
ursprüngliche. In jedem falle gibt sie einen in den Zusammenhang
völlig passenden sinn. Die alwissenheit gottes wird in geeigneter weise
veranschaulicht an der kentnis auch der verborgensten und geringfügig-
sten dinge. Für diesen gedanken passt das körne hen gold im fluss-
sande, weil geringfügiger, sicherlich besser als die grössere goldmenge
im erze. Dazu komt, dass das erste gold bei den Germanen aus
Aussen gewonnen wurde, wie z. b. aus dem Rhein und der Donau. Das
rheingolcl ist schon Otfr. I, 1, 72 erwähnt, und auf dieses flussgold
geht auch die sage von dem in den Rhein versenkten schätz der Nibe-
lungen zurück. Also lag dem dichter der gedanke an goldsand nahe
genug.
ZF.ITSCiraiFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. Ttt). XXIII. lo
F. AHLGRIMM, ZU MINN1 FRÜHLING
Wi< _ läufig die bezeichnung noch in viel späterer zeit war,
zeigt Konrad \\ Megenberg ed. Pfeiffer 185, 11: diu (waxxer) tiehent
guideinen griex und etleichi edel gestain.
Bestärkt werde ich in meiner ansieht noch dadurch, dass ja auch
in v. 1 und 3 der strophe eine offenbar beabsichtigte oder wenigstens
noch in ihrer Wirkung gefühlte alliteration der bedeutunesvolsten
w.q-t.' vorliegt: wurxi des waldes — und eüm upgründe. Das spricht
doch dafür, dass auch der zweite vers diesen schmuck gehabt hat. Ich
halte also für die echte fassung desselben: und gnea des goldes.
KIEL. FRANZ AHLGEIMM.
ÄLTERE DEUTSCHE DEAMEX IX KOPEXHAGEXEE
BIBLIOTHEKEN.
Das drama des 17. Jahrhunderts, an sich freilich kein ästhetisch
sehr anziehender stoff, ist erst neuerdings gegenständ der eingehenden
aufhierksamkeit deutscher gelehrten geworden. Selbst ganz vergessene
dichter, z. b. Chr. Reuter, sind ans licht gezogen, und die bibliothe-
ken sind rastlos durchstöbert worden. Volständige bibliographische
Übersichten fehlen aber noch: man ist immer auf den „Nötigen Vorrat"
»ttscheds mit Freieslebens nachlese angewiesen, wozu Maltzahns
bücherschatz und selbst Goedekes schätzbarer grundriss kaum ausrei-
chende Supplemente darbieten. Unter diesen umständen wird wol jeder
bst unscheinbare beitrag zu bibliographischer vervolständigung das
int sse der fachmänner beanspruchen dürfen, und auch auswärtige
bibliotheken können hie und da das ihrige beisteuern.
In Dänemark wurde die deutsche litteratur der genanten periode
algemein gelesen und galt als anerkantes muster der einheimischen.
3 it dem absterben der alten schulkomödie um 1635 existierte gar kein
bauspiel in der muttersprache; es wurde nur deutsch und von
deutschen trappen gespielt, bis nach einfuhrung der souverainetät fran-
zösische Schauspieler und Opernsänger wenigstens am hofe mit den
deul n zu weteifern begannen. In unseren bibliotheken ist die lit-
ratur dieser zeit ziemlich volständig erhalten, und ich glaube die auf-
merksamkeit deutscher Leser auf einige gruppen derselben hinlenken zu
d i'ufen.
3o findet sich in der Kopenhagener Universitätsbibliothek ein alter
sammelband deutscher Schauspiele aus den jähren zwischen 1625 — 80,
ohne gesamttitel oder andere erläuterungen. Die dramen sind gewiss
•T. PALUDAN, DEUTSCHE DRAMEN IN KOPENH. BIBL. 227
nur ganz zufällig zusammen gebunden und nicht etwa (als bühnen-
repertoire oder dergleichen) in bestirnter absieht vereinigt. Auch deu-
tet nichts darauf, dass sie in Dänemark aufgeführt worden seien.
Der band begint mit 1) Opitz. Trojanerinnen, Wittenb. 1625,
und 2) desselben Judith in der bearbeitung von Andr. Tscherning,
Rostock 1646, diese mit musik. Dann folgt 3) Der Schwermende
Schäfer Lysis, Auf desz Durchlauchten Hochgebornen Fürsten und
Herren, Herren Georg Wilhelm. Hertzogens in Schlesien zur Lignitz,
Brieg und Wohlan. Hnchsterfreulichen Geburtstag (welcher ist der
29 September Anno 1660) vorgestellet in einem Lust-Spiele auf der
Fürstlichen Residentz in Olau, Den 29 September Anno 1661. in der
Fürstlichen Residentz -Stadt Brieg, Druckts Christoff Tschorn." Herr
di'. eJoh. Bolte hat neuerdings in Herrigs archiv LXXXII, 120 nach-
gewiesen, dass wir hier den bisher nicht aufgefundenen, vielleicht ein-
zigen, ersten druck haben von des Andreas Gryphius freier bearbeitung
der Pastorale burlesque von Th. Corneille „Le Berger extravagant."
Das Hirtenspiel ist unter dem titel „Der schwermende Schäffer, Saty-
risches Lustspiel" zum zweiten male zu Breslau 1663 gedruckt, mei-
stens zusammen mit Gryphius, freuden- und trauerspiele, öden und
sonette; es findet sich widerum in der gesammelten ausgäbe der „Tent-
schen Gedichte" 1698, I. Eine auf der rückseite des titeis abgedruckte
erkiärung weist hier auf den ersten druck zurück: „Der groszgünstige
leser wisse, dasz der abdruck dises schwerinenden schäfers, so zu Brig
durch Christoff Tscheren heraus gegeben, nur ein auszug aus dem gan-
zen wereke, welches dir hirmit überreicht wird"1. Christoff Tschorn
(nicht: Tscher) bezeichnet sich indes auf dem titel des ersten druckes
nur als der buchdrucker, welcher doch avoI auch das festspiel auf seine
kosten herausgegeben haben kann; der auszug aber ist solcher art,
dass er wol eher vom Verfasser selbst als von Tschorn besorgt sein
muss. Der erste druck folgt nämlich akt für akt und scene für scene
der späteren volständigen ausgäbe, nur dass die hälfte der repliken
um grosse stücke verkürzt, bisweilen auch etwas umgearbeitet ist,
wahrscheinlich um die Vorstellung nicht über die gebühr auszudehnen.
Sonst unterscheidet sich dieser erste druck von den späteren durch einen
versificierten „eingang", vom erzengel Michael vorgetragen, weil das
geburtsfest des jungen prinzen eben auf den Michaelistag fiel. Dieser ein-
gang ist in unserem exemplar defekt, und die lücke begreift vermut-
1) Vgl. H. Palm in der einleitung zur ausgäbe von Gryphius' lustspielen
1878, 346.
15*
.7. PALUDAN
lieb ein paar Matter (unpaginiert) mit dem personenverzeichnis und der
ersten scene des ersten akts, so dass die zweite scene den anfang
macht. Am schluss des stücks folgen zwei festgedichte zum geburts-
tag, von denen das lezte, welches mit dem hirtenspiel in keiner Ver-
bindung steht. W". S. v. S. nnterzeielmet ist. Alle diese spuren von
dem Ursprung des Stücks als festspiel sind in den späteren drucken
weggelassen.
Gryphius sagt im vorwort zur bearbeitung, dass sie ihm „von
einer durchlauchtigsten person unserm Vaterland mit zutheilen gnädigst
anbefohlen", welches Palm I. c. vom grafen Schafgotsch versteht, dem
die späteren auflagen dediciert sind. Er muss aber zugeben, dass ein
_ af als sdleher nicht „Durchlaucht" war, und dass es zweifelhaft ist,
ob dieser titel dem grafen Schafgotsch zukam. Wahrscheinlicher hat-
ten die eitern des einjährigen prinzen, dessen geburtsfest das stück
feiert und in dessen erblande (Wohlau) es localisiert ist, das festspiel
bei dem benachbarten dichter bestelt und wünschten es demnächst ver-
öffentlicht zu sehen. Besonders die mutter, berzogin Luise von Lieg-
nitz. scheint sich für Gryphius interessiert zu haben, und ihr ist die
ausgäbe seiner werke. Breslau 1663 geweiht.
Auf Joh. Chr. Hallmanns bekantes trauerspiel 4) Sophia,
Liegnitz 1671, folgt sodann in unserem sanimelbande 5) Hieronymus
Thomae von Augstburg „Titus und Tomyris oder Trauer-spiel,
Beygenabmt die Rachbegierige Eyfersucht. Gedruckt zu Giessen bey
Joseph Dieterich Hampeln, der Löblichen Universität bestellten Buch-
drukern. 1662." Unlängst hat Creizenach1 auf den wenig bekanten
Augsburger dichter und sein drama aufmerksam gemacht. Dieses dürfte
ziemlich selten sein: Creizenach hat ein exemplar aus der Gottsched-
schen samlung in der grossherzogl. bibl. zu Weimar benuzt, welches
2 nz mit dem Kopenhagener exemplar zu stimmen scheint, nur dass
di< - - das druckjahr 1662, nicht 1661, trägt. Die aufläge von 1662
ist bei Gtoedeke, nicht aber bei Gottsched noch bei Maltzahn ver-
zeicln. •
Mit recht hebt Creizenach hervor, dass „Titus und Tomyris"
besonders in stoflicher rücksicht kulturgeschichtlich interessant ist und
wie kaum ein anderes stück anknüpfungen darbietet für die geschiente
der Wechselwirkungen zwischen dem hauptsächlich nach der späteren
antike, den Franzosen und Niederländern ausgebildeten kunstdrama und
1) Stadien ztu h. d. dramat. ) im 17. jahrh. I, in den Berichten
der sächs. g '.. der \vi ... phil.-hist klasse, XXXVIII, 1886, 8. ^3.
DEUTSCHE DRAMEN IX KOPENH. BIBL. 229
dem von den herumziehenden banden „englischer komedianten" beein-
flussten Yolksschauspiel im 17. Jahrhundert Gewöhnlich standen dii
zwei gattungen des recitierenden dramas sieh ziemlich fremd gegenüber;
das kunstdrama als gelehrte Btudie war nur zur Lektüre für die gebil-
deten stände bestirnt, während die romantisch verwilderte „haupt- und
staatsaction tf fast ausschliesslich die bühne beherschte und auf das
eigentliche volk wirkte. A.usnahmeweise bemächtigten sich die berufs-
schauspieler eines oder dos anderen der gelehrten dramen und brachten
es in reher form auf die bühne, wie dies /.. b. mit Grryph's Papinian der
fall war. Bei Hier. Thomae finden wir aber das entgegengesezte Verhältnis,
ein hineinspielen des volksschauspiels und (k^ englischen einflusses im
kunstdrama. Der stoff ist bekantlich von Shakespeare in seiner Jugend
1G00 unter dem titel Titus Andronikus in versen bearbeitet. In einer
älteren, roheren prosaförm gieng das stück mit den ersten englischen
sehauspielertruppen nach Deutschland, vielleicht auch nach Holland iib< r,
und licet schon 1620 in deren repertoire, den „Englischen comedien
und tragedien" deutsch gedruckt vor1. Denselben stoff wenigstens,
jedoch in näherem anschluss an die Shakespcarsche fassung, benuzte
der Niederländer Jan Vos, welcher bestrebt war, höheren kunststil mit
rohem romantischem effekt, englischer freiheit und natiirlichkeit zu ver-
schmelzen. Seine tragödie „Aran en Titus, ofWraak en Weerwraak"
1641, die Gr. Grefflinger schon 1650 ins deutsche zu übersetzen beab-
sichtigte-, hält Creizenach für die vorläge von Hier. Thomae's Titus
und Tomyris 1662, und er hat auch in der handlung gewisse Überein-
stimmungen nachgewiesen, die wol kaum zufällig sein können. A'iel-
fach weicht jedoch Thomae von Yos ab und nähert sich den älteren
„englischen komedianten." Shakespeare dagegen scheint er gar nicht
zu kennen, und in mehreren einzelheiten ist seine fassung von allen
drei älteren ganz verschieden, so schon in den harnen der personenliste.
Auch ist bei ihm Aran kein mohr, und Titus sezt in der gast-
mahlsscene des lezten akts nicht Tomyris das fleisch ihrer ermordeten
söhne vor.
Auf Überschätzung des einflusses von Yos scheint mir die annahm-'
Creizenachs zu beruhen, dass Hier. Thomae auch form und kunststil
seinem niederländischen vorbilde entlehnt habe. AVie Creizenach selbst
(s. 100) in demselben atemzuge bemerkt, war ja der neue poetische
kunststil damals schon von Gryphius vor 15 jähren im deutschen drama
1) Alb. Colin, Shakespeare in Gennany 1865, L'XII und 157, vgl. auch Heck,
Deutsches theater I, 1817.
2) Bolte im Aiiz. f. deutsches altertum und deutsche litt. XIII. 112.
'230 J- PALUDAN
behnzt, und Thomae schliesst sich hier doch wol ganz einfach den
Schlesiem an, denen eben das leibhaftige vorführen der Mut- und
greueltaten trotz der klassicistischen äusseren form besonders eigen Avar.
In den chören, die bei Yos mehr realistisch von römischen priestern,
kriegern und Jungfrauen vorgetragen werden, lässt Thomae, wie auch
eizenach bemerkt, ganz nach Gryphius aUegorien auftreten; und
während bei Vos der dialog frischer und derber vorschreitet, versteigt
er sich bei Thomae häufig zu unnatürlich verschrobenem pathos, wozu
Gryphius und der mit Thomae gleichzeitig auftretende Lohenstein auf-
fallende parallelen darbieten. So die klage Arans auf dem Scheiter-
haufen :
Erschrecklicher himmel, blitz, donner und prasset
In einem beschwefelt erhitztem gerassei,
Ruft grausame geistcr, erfüllet die lüfte,
Euch, elie ich geschicket in dunkele grüfte.
Hier schmachtet, hier stirbet eler euch hat erstochen,
Wie halt ihr euch, schreckliche geistcr, gerochen?
Höret, wie krachen elie '^raschelnde flammen,
Sehet, wie schrumpfet mein' haut schon zusammen, . . .
oder eine frühere replik des Laetus:
saust, grause winde, sauset,
Hast scharffe donnerkeil, ihr Wirbelwinde brauset,
Betrauret diesen tag, der immer mehr erschreckt,
Der stürm auf wind und not auf vorig angst erweckt.
Ähnlich donnert Gryphius in „Leo Armenius" 1646:
Du schwefel -lichte brunst der donner -harten flammen,
Schlag los, schlag über sie, schlag über uns zusammen,
Brich abgrund, brich entxwey , und schlucke, kann es seyn,
Du Mufft der ewigkeit, uns und die m'örder ein!
und Lohenstein in „Cleopatra" 1661 :
Die erde bricht, der abgrund reisst entxwey,
Die räche tagt mir ans den finstem höhlen,
Wo die mit mord und blut besprutzte seelen
Sich laben durch ihr angst -geschrey.
Haben also kunstdichter wie Shakespeare, Vos und Hier. Thomae
der Volksdichtung den damals so beliebten stoff des Titus Andronikus
entlehnt, so zeigt sich andererseits die Weiterbehandlung desselben stof-
im volksschauspiel wider vom kunstdrama beeinflusst. Was das
stück nach allen Seiten hin so anziehend machte , war eben seine blu-
tige rohheit, die einem dränge der zeit nach massiv äusserlicher reizung
DEUTSCHE DRAMEN IN KOPENH. BIBL. 231
entgegenkam. In dieser hinsieht waren kunstdichter wie volksdichter
echte kinder ihrer zeit; erstere scheiden sich von den lezteren nicht
sowol durch feineren ästhetischen geschmack, als vielmehr durch aus-
gebildeteren formsinn, indem sie auf dramatische motivierung etwas
mein- gewicht legen und den dialog in den höheren ton des ven
emporheben. Das volksschauspie] hii n zieht mit rohem effekl die
greuelscenen in dm Vordergrund und behandelt dieselben in entspre-
chend rohem stil. So die erste deutsche Fassung des Titus Andronikus
in ilcn „Englischen comedien und tragedien" 1620, und ebenfals die
späteren bearbeitungen des Stücks in haupt- und staatsactionsstil, die
wie es scheint volle hundert jähre von der Volksbühne herab die gui
des publikums behaupteten. Diese bearbeitungen gehen aber keim
wegs ausschliesslich von der ursprünglichen, mehr volkstümlichen form
bei den „englischen comedianten" hervor; wo genauere aachrichten
vorliegen, weisen diese vielmehr U\v den gang der handlung auf die
-purere kunstdichtung als quelle zurück. Das von Alb. Colin veröffent-
lichte programm einer hauptaction zu Breslau 16991 wenigstens gibt
sich schon durch personenliste und titel: „Rache i Rache, oder der
streitbare Kömer Titus Andronikus" deutlieh genug als ableger der tra-
gedie «les JanYos kund, welcher das inhaltsreferat auch ziemlich genau
folgt. Yon einer späteren aufführung, vielleicht zu Nürnberg um 171'
kennen wir nur den titel „Der mörderische gotthische mohr sampl
<\<><i:n fall und end>c, wonach wol fraglich bleibt ob es Bich von der
alten redaction 1620 oder von einet' neueren bearbeitung in haupt- und
staatsactionsstil handelt. Ähnlich ist der fall mit der lezten bekanten
und etwas ausführlicher besprochenen Vorstellung *\f> Titus Andronikus
als deutsches Puppenspiel zu Kopenhagen 1719, die Bolte a. a. <>. nach
dem dänisehen dramaturgen Overskou8, und Creizenach nach Rahbek'
anführt. Beide dänische autoren schöpften ihre leidet- ziemlich unb<
stimte nachricht aus der Geschichte Friedrichs I\'. von Riegels L799,
II 427, die wider aus einer wahrscheinlich verschollenen handschrift di
bekanten dänischen gelehrten Friedrich Rostgaard den anschlagzettel
eines marionettenspiete entlehnt, welchem Rostgaard L719 nebst den
vornehmsten adelspersonen Kopenhagens beiwohnte:
1) Jahrb. der deutschen Shakespeare^ h. XX III. 277.
2) Meissner im Jahrb. d. Shakespearegeselsch. XIX. L43. 150 or. 94, \J.
auch Bolte im Anz. für deutsches altertum u. deutsche litt. XIII. 112, uote 2.
3) Den danske Skueplads, Kopenh. 1854, I, I
4) Holbergs udvalgte Skrifter, Eopenh. 1806, VI " -
d. wissensch., phil.-hist. klasse XXX VIII, 106 uote 1.
J. PALÜDAN
„Mit gnädigsten consens hoher obrigkeit Allen herren cavalliers,
damen und der curiositäten Liebhabern, wird hiemit angedeutet, das
allhier angekommen ein vortreflicher maitre, der da vorstellet mit
grossen figuren die schönsten comoedien, tragödien, historien und aller-
hand schönen begebenheiten, auf einen kostbaren, zierlich und oft ver-
änderlichen theatro, worauf auch soll prasentirt werden, schöne opern,
maschinen, balletten, Jägereien mit vielen thieren, worunter auch ein
chinesischer elephant in lebensgrösse, und alle diese thiere präsentiren
sich als Lebendig, und andre dergleichen Sachen mehr, und wird ange-
fangen mit Tito Androniko und der hoffartigen kaiserinn und dem
Mohr Aran."
.Ann dieser zwei bogen langen marionettenkomedie" — fährt Rie-
Ls fort — ..geben wir zur probe einige zeilen des Schlusses: Titus
richtet eine pastete zu, darinnen das fleisch von der kaiserinn ihren
söhnrs haupte(!) eingebakken. Titus machet friede, bittet den kaiser und
kaiserinn zur mahlzeit. Die kaiserinn isst mit grossem appetit von
der pastefc Die kaiserinn will wissen, was dieses sey, das ihr so
wol schmeckt."
„Gleich nach dieser farce trat ein acteur hinein und sagte: Ein
Lustiges nachspiel soll schliessen. Wenceslaus, könig von Pohlen, tra-
die von mons. Rostran (IRotrou), welche die mit kgl. crlaubniss spie-
Lende comödianten heute freytag d. 17. oder den 19. [november] prii-
atiren werden."
Aus diesem text bei Riegels lässt sich aber gar nicht ersehen, wie
weit er die handschrift Rostgaards wörtlich citiert, und wo er nur mit
len Worten referiert; ob also die paar zeilen, welche die gastmahls-
ans Titus Andronikus zusammenfassen, von Rostgaard als augen-
zeuge herrühren, oder nur von Riegels als erläuterung des theater-
zetl s fügt sind. Dennoch schliesst Rahbek, dass es sich hier
um die „englische tragedie" Titus Andronikus handele, „zweifelsohne
nach der in ßottscheds Verz. d. schausp. genanten samlung englischer
komedien und tragedien mit dem Pickelhering 1730 aufgeführt." Eine
samlung von diesem jähre existiert aber gar nicht, und wäre auch
11 Jahre später als das in Kopenhagen gegebene stück. Die „eng-
lischen comoedien und tragoedien ... sampt dem Pickelhering" rühren,
wie schon öfter gesagt, von 1020 her, sind aber in Gottscheds Nöth.
>rrat mir in <\<'V zweiten aufläge 1629 aufgeführt; 1630 erschien
..1. skampf oder Ander teil der engl, comoedien und tragoedien";
1670 eine dritte samlung, „Schaubühne engl, und französischer comö-
dianten. 1727 neu aufgelegt; aber Titas Andronikus ist nur in die
DEUTSCHE DBAMKN IN KOPKNH. BIDL. 233
erste samlung aufgenommen. Rahbek wird sich also jedenfals in der
Jahreszahl arg geirt haben. Der kurze auszug ans der gastmahlsscene
stimt zwar nicht übel mit dem gange der handlung in der alten „eng-
lischen tragcdie", welche auch recht wo\ als ein ,, zwei bogen langes"
stück bezeichnet sein kann. Aber gesezt auch, dass wir hier Rost-
gaards eigene worte und nicht ein«1 blosse Vermutung Riegels1 haben,
so konte sich dies gedrängte referat von einer einzigen stelle des Stücks
eben sowol auf eine spätere textredaction beziehen. Noch weiter
spint der in der älteren theatergeschichte immer unzuverlässige Over-
skou die hypothese aus, indem er1 die ganze handlung der „englischen
tragcdie" in solcher weise referiert, dass man darin eine fortsetzung
von Rostgaards bericht sehen könte. So lange das originalmanuscript
Rostgaards sich nicht auffinden lässt, wissen wir demnach nur, dass in
Kopenhagen 1719 die beliebte geschichte Titus Andronikus' aufgeführt
worden ist, nicht aber, ob dies die alte „englische tragedie" oder eine
modernere Umbildung des Stoffes war.
Die folgenden stücke des sammelbandes sind des sogenanten Fi-
lidors festspiele zu fürstlichen geburts- und hochzeitfesten am hofe
zu Rudolstadt 1665 — 67. Gewöhnlich werden sie dem Altonaer lyriker
Jacob Schwieger zugeschrieben, über dessen leben und wirken aber
noch immer ein dunkel schwebt. 1660 veröffentlichte er unter dem
namen „Filidors des Dorfferers" eine recht frische samlung lyrisch -
erotischer gedichte: „Die geharnschte Yenus", und auch in Joli. Rists
Eibschwan enorden soll er, jedoch nach unsicheren nachrichten, den
dichternamen Filidor geführt haben. Diese wie andere dergleichen hir-
tennamen waren aber mehreren dichtem der zeit gemein, und sonst
weiss man von erner Übersiedelung Schwiegers nach Rudolstadt gar
nichts. Der erste gewährsmann für seine identität mit dem Rudol-
stadter dramatiker ist Moller, Cimbria litt. I, 614, der jedoch keine
beweise beibringt; nach ihm Eschenburg in Bragur 1792, II, 420 und
die meisten neueren: Gervinus, Koberstcin, Raehse im vorwort seiner
ausgäbe der „Geharnschten Venus" 2 u. a. Goedeke dagegen bezweifelt
die identität, und Kurz3 stelt eine ganz neue hypothese auf, wonach
der Altonaer Schwieger vielmehr seine lezten lebensjahre in Dänemark
1) Wortgetreu nach Bärensprung im Jahrbuche des Vereins f. Mecklenburgs
Gesch. 1836, I 89, oder dessen quelle, J. B. Eousseaus kunststudien , München 183-1.
selbst aber ohne irgend eine Quellenangabe.
2) Neudrucke deutscher litteraturwerke des XYI. und XVII. jahrhundertsi
heft 74 — 75, 1888.
3) Gesch. der deutschen litt. II 300, vgl. 396.
J. PALT7DAN
verbracht haben dürfte. Er soll nämlich schon 1657 mit einem däni-
lieii heere gegen Karl Gustav von Schweden nach Polen gezogen sein,
und nach Moller a. a. o. gab er noch KUh in Kopenhagen eine kleine
lyrische samlung „Filidors Erst entflamte Jugend" heraus. Somit kann
kaum in den jähren zwischen 1665 — 1667 zu Rudolstadt gewirkt
haben, noch weniger nach den gewöhnlichen berichten daselbst 1G65
oder 1666 _ sl irben sein.
Diese nachrichten über Schwieger sind aber ganz und gar unzu-
lässig In dem 1657 datirten vorwort zur „ Geharnschten Venus"
. das- die samlung ..mitten unter denen rüstungen im
offenem feld-läger" gedichtet sei. und in den gedienten selbst nent er
die polnischen flüsse Bug undMasau als zeugen seiner leiden im kriege1.
Moller in Cimbr. litt, weiss aber von Schwiegers dänischen kriegsdien-
n nichts; erst Karl Förster2 sagt, dass er sieh an dem kriege zwi-
schen Friedrich III. und Karl Gustav in Polen beteiligte, was wider
Pabst in einem aufsatz über Schwieger als dramatiker3 so verstellt,
als ob er „soldat in danischen diensten" gewesen. So auch bei den
späteren litteraturhistorikern; aber im jähre 1657 ging kein dänisches
heer nach Polen, sondern nur über die Elbe nach Bremen. Wahr-
- heinlicher ist, dass sich Schwieger als abenteurer eine kurze zeit von
len oder Brandenburg zum polnischen kriege hat werben las-
n; -'hon im august desselben Jahres war er, den zuschritten mehrerer
„Zehen" der „Geh. Venus" zufolge, wider in Hamburg zurück.
I), Schwieger ..Filidors Erst entflamte Jugend" geschrieben habe,
ist nur eine übereilte folgerung Mollers aus dem gemeinschaftlichen
Pseudonym und dem mit Schwiegers lyrik etwas verwanten Charakter
r kleinen samlung. In der tat geht aber aus dem inhalt wie aus
den vorauf - nickten ehrenversen hervor, dass der pseudonyme Ver-
la- in junger Düne von adel war, der sich hier zum ersten male in
der poesie versuchte, und zwar nach deutschen Vorbildern, zu denen
wir freilich auch .Sehwieger rechnen müssen4. Überhaupt gibt es nach
meiner sorgfaltigen Untersuchung von einer früheren oder späteren Ver-
bindung Schwiegers mit Dänemark nicht die geringste spur, und somit
wä ein aufenthalt in Rudolstadt wenigstens negativ sicherer fest-
_ ■ it. Aus verbürgten nachrichten kennen wir ihn aber nur als
1) Raehses au>g. X und 58.
_ W. Müll BibL deutscher dichter des XVII. jahrh., 1828, XI, s. xvi.
B tter f. litt. Unterhaltung L847, nr. 269.
-1) Paludan. Renaissance!.»«,'- n i Danmarks litt.. Kopenh. 1887, 284.
DEUTSCHE DEAMEN IN KOPENH. MBL. 235
Lyriker und in den herzogtümern angesiedelt; auch scheinen die dra-
men des Rudolstadter Filidors an Schwiegers Lyrische dichtung kaum
eine ankntipfting darzubieten. Selbst den verfassernamen Filidor tra-
gen diese dramen nicht einzeln, sondern nur auf einem recht schönen
knpfertitel: „Filidors trauer-, Inst- und mischspiele, erster teil, Jena bey
J. L. Neuenhahn. 1665", welcher vor dem „Vermeinten prinzen" ein-
geheftet ist. Es ist aber nicht klar, wie viel und welche stücke diese,
schon in dem ersten Jahre, wo Filidor als dramatiker auftrat, geplante
ausgäbe begreifen solte. In dem Kopenhagener sammelbande folgt
unmittelbar nach dem gesamttitel nur „Der vermeinte prinz" und ..Die
\Vittekindenu ; in anderen exemplaren aber, wie ans Maltzahn .'5 11
und Güdeke 1887, III, 106 hervorgeht, auch „Ernelinde", „Der be-
trogene betrug" und „Basilene." Indessen sind die dramen unter
einander stark verwant, in einer periode, an demselben orte und bei
einerlei gclegenheiten gedichtet, was auf einen einzigen Verfasser schlies-
sen lässt. Ob aber dieser Schwieger ist, bleibt immer fraglich; nach
den gewöhnlichen angaben seines todesjahres, 1665 oder 66 x, wären
ihm jedenfals wol die späteren stücke abzusprechen.
Die in unseren sammelband aufgenommenen dramen Filidors
sind: 6) Die erfreuete Unschuld, mischspiel, am 3. märz 1666 ((jö-
deke hat 1664) aufgeführt; 7) Ernelincle oder Die viermal braut,
mischspiel, Rudolstadt 1665 (nach Gödeke solte das titelblatt kein
druckjahr, sondern nur das jähr der auffuhrung tragen, was jedoch in
unserem exemplar nicht der fall ist); 8) Der vermeinte prinz, Inst-
spiel, Rudolstadt 1665 (mit dem oben genanten gesamttitel); 9) Die
AVittekinden, singe- und freudenspiel, Jena 1666, und dann, von
den übrigen gesondert als nr. 13 der samlung: Der betrogene be-
trug, lustspiel, Rudolstadt 1667. Übrigens sind die exemplare genau
mit den Verzeichnissen Gödekes und Kobersteins übereinstimmend. Mit
ausnähme der „Wittekinden" sind alle stücke in prosa; die speciellen
festallusionen sind meist in versificierte allegorische Zwischenspiele ver-
legt; dem hauptinhalte nach nähein sich aber die dramen dem moder-
nen intrigenlustspiel und bilden somit eine besondere gruppe im kunst-
drama der damaligen zeit, von den Franzosen und besonders den
Italienern beeinflusst. Komische scenen wechseln wie im volksschau-
spiel mit den ernsteren; als lustigmacher vertreten aber die italienischen
figuren Pantalon und Scaramuz die stelle des deutschen Hanswur>t>.
Der ton ist im ganzen etwas feiner als gewöhnlich, und als quellen
1) Kaekse a. a. o. XI.
236 J. PALUDAN
weist der Verfasser selbst für den „Vermeinten prinzen" auf einen
italienischen roman von Pallavicino („II principe Hermafrodito" ? Kober-
in), für den „Betrogenen betrug" auf Scarrons Roman comique hin.
Für „Ernelinde" hat dr. Bolte auf Cicogninis „Moglie di quattro mariti"
(16{ des n. und nach dem ausführlichen auszuge des lezteren
Stückes bei Klein Gesch. des dramas V, 707 scheint die Ernelinde
igentlich kaum mehr als eine Übersetzung zu sein. Von Filidors fest-
spielen ist dies das einzige, welches auf die Volksbühne übergiehg; in
Meissners Verzeichnis der um 1710, vielleicht in Nürnberg, aufgeführt
ten stücke linden wir nämlich auch „Die 4 mal braut Blinde*1. Fili-
dor und sein in damaliger zeit ziemlich einzig dastehendes Verhältnis
zu romanischer litteratur wäre gewiss einer mehr eingehenden mono-
aphischen behandlung wert, als ihm bisher zu teil geworden. Meines
wissens ist Pabsts oben citierter aufsatz in den Blättern für litterarische
Unterhaltung 1847 bis zum heutigen tage der einzige und ganz unzu-
längliche derartige versuch.
Li nahem Verhältnis zu den festspielen Filidors steht nr. 17 in
unserem sammelbande, „Die steigende und fallende Athenais
oder Eudoxia, Uf gnädigem Befehl Des Hochgebohrnen Grafen und
Herrn. Herrn Albert Anthons, Der vier Grafen des Reichs, Grafen zu
S hwarzburg und Höllenstein, Herrn zu Arnstadt ... Dero Hoch Gräf-
lichen Gemahlin, Der auch Hochgebohrnen Gräfin und Frauen, Fr. Emi-
lien Julianen, Gräfin und Frauen zu Barby und Mühlingen ... Zu
Ehren, An Ihrem GOtt Lob! am 19 Augusti frölich erschienenen
buhrts Feste, Uf dem Theatro des Hochgräflichen Residenz Schlosses
zu Rudolstadt in einer Tragoedia fürgcstellet von M. Mich. Hörnlein,
Gräfl. Inf. — In Rudolphstadt druckts Christoph Fleischer, 1680."
Dieser lange, feierlich formelle titel entspricht genau, oft wörtlich denen
zu Filidors festspielen, und das stück ist also an demselben hofe, vor
denselben fürstlichen personen und bei einerlei gelegenheit, nur 13 jähre
Lter aufgeführt Ist der unter dem namen Filidor bekante festdich-
ter d räflichen hauses (den fürstentitel nahm die linie Schwarzburg-
Rudolstadt erst im anfang des 18. Jahrhunderts an) wie gewöhnlich
angenommen 1665 oder 66 gestorben , so fält es ganz natülich, dass
nach ihm ein informator im grafenhause die ledige stelle als hofdichter
eingenommen und das bei dem grafenpaare offenbar sehr beliebte
höfische festspiel in einem etwas verschiedenen, mehr geschichtlichen,
aber auch mehr pedantisch langweiligen ton fortgesezt habe. Seine
1) Jahrb. d. Shakesp eisen. XIX 150, nr. 95.
DEUTSCHE DRAMEN IN KOPENH. BIBL. 2Ü«
prosatragedie, aus der geschiente des byzantinischen kaiserreichs ent-
lehnt, finde ich in keinem deutschen litteraturverzeichnis erwähnt
Vielleicht war es doch derselbe stoff, welcher nach Malt/ahn 531
unter dem titel „Die unglückseelige Eudoxia" noch 1732 zu Altdorf
in der musik aufgeführt wurde. Hörnleins behandlung bietet nur
wenig bemerkenswertes, und von der relativen Originalität seines Vor-
gängers hat er schlechterdings nichts geerbt.
Nr. 10 des sammelbandes, das alttestamentliche singespiel Der
Hoffmann Daniel, Wolfenb.1663, rindet sich schon bei Gottsched 216
und Freiesleben 36 verzeichnet.
Unbekant scheint dagegen 11) „Poetisches fr enden- spiel von
des Ulysses Wiederkunft in Ithaken. Der durch! fürstin So-
phia Elisabeth, verwittibten hertzogin zu Braunschweig ... zu ehren
und wilkominen zu halten verordnet worden von L(hro) F. (ürstL)
D. (urchl.) zu Mecklenburg. Güstrow, Chr. Scheippel. 1668." Der text
des anonymen festspiels liegt nicht vor; nur ein programm oder argu-
ment der handlung, welche nach vorbild der an den höfen sehr belieb-
ten opera-ballette in „eintritte" eingeteilt ist, die oft mit gesang und
tanzaufzügen schliessen, von nymphen, von hirten, zulezt von einem
eher tilgenden, die „ein daetylisches danck- und freuden-licd auff das
hochfürstl. haus Mecklenburg applicieret" absingen. Der dialog war
doch offenbar prosaisch, und solche schauspielprogramme mit ausführ-
licher inhaltsangabe kommen nicht selten vor, häufiger doch bei bal-
letten oder haupt- und staatsactionen als bei eigentlichen höfischen
kunstdramen. Ich finde ein solches, zu dem anonymen festspiele „Ari-
adne" 1641 zur geburtsfeier der kaiserin Maria, bei Gödeke III, 214,
andere bei Freiesleben 34, 1662; 37, 1665; 38, 1665; 60, 1692.
Das stück selbst spint sich nach einem kurzen Inhaltsverzeichnis
und einem prolog, wo „die Liebe" den fürstlichen herschaften poetische
annehmlichkeiten sagt, in einer reihe ziemlich lockerer mythologischer
und allegorischer scenen ab, auf der insel Calypsos, im lande der
Phaeaker und nach der heimkehr in Ithaka mit Eumaeos, den hirten,
Telemachos und Penelope, die ,, ihr elend in einem dreifachen sonnet
beklaget." Yon den freiem und des Ulysses kämpf mit ihnen komt
nichts vor. Der stoff war beliebt und ist von den dramatikern der nach-
zeit oft wider benuzt. Hauptactionen „Ulysses und Penelope" betitelt
wurden 1690 zu Torgau von der Veltenschen truppe, und um 1710
vielleicht in Nürnberg aufgeführt; Chr. Ludwigs „Ulysses von Ithaka"
gieng im anfang des 18. Jahrhunderts in Berlin und vielleicht 1735
23E .1. PALUDAN
in Wien1; noch 1748, nachdem Holbergs parodie „Ulysses von Itha-
cia° in Dänemark den haupt- und staatsactionen einen tötlichen streich
versezt hatte, stand „Ulysses und Penelope »»der Die treue bestän-
digkeit" auf dem repertoire. v. Qnotens in Kopenhagen2. Eine oper
„Ulyss s" schrieb Bressand zu 1». Keisers nmsik L696 und 1702;
eine andere, nach dem italienischen von Fr. Lersner bearbeitet und
von Vogler componiert, wurde von mitgliedern der Hamburger oper
1722 in Kopenhagen gegeben.
12) Wieder errungene Freiheit oder Gabile und Salibert,
Heldenspiel von Alexandro Romano 1679, ein romantisch -politisches
stuck mit versteckten zeitall usionen zum kriege Ludwigs XIV. gegen
Holland 1672 — 7-4, s. Gottsched 234.
Nach 13) dem „Betrogenen betrüge" folgt 14) „Das Friede-
jauchzende oder vom Krieg gedrückte und vom Frieden wider
erquickte Europa. In einem kurz anmuthigen Freuden -Spiel höchst
erbaulich präsentirt und vorgestellet. Gedruckt in Europa 1679."
Mythologisch-allegorische stücke mit volkstümlichen zwischenscenen zur
Feier besonders des westfälischen friedens und als ausdruck der alge-
meinen freude über das ende des langen, verheerenden krieges kommen
als nachahmungen von Johann Rists „Friedewünschendem" und „Frie-
dejauchzendem Deutschland" ziemlich häufig vor, und sind schon öfter
behandelt3. Dass solche auch viel später, bis an den schluss des Jahr-
hunderts gedichtet wurden, sehen wir z. b. aus conrector Joh. Ernst
Müllers ..Das durch den Frieden erfreute Europa", Rudolstadt 1698.
Das hier vorliegende, bei gelegenheit des friedens zu Nimwegen ent-
indene stück finde ich in den litteraturverzeichnissen nicht. Es ist
doch nichts weiter als eine ziemlich wertlose pastiche nach Rist:
bürger-, bauern- und soldatenscenen , auftritte zwischen Mars, Fama
und Irene usw.: prosa mit eingemischten liedern, durch sehr schlechte
holzschnitte illustriert: zum schluss 22 „free, den -gedrehte." Der ver-
fasser ist ungenant; es scheint aber, dass man eine ganze samlung sol-
' . Heine, Joh. Veiten 1887. s. 38. Gottsched 253 (vgl. FreieslebeD 59),
_i und I hluss der vorrede. Jahrb. der Shakespearegeselsch. XIX, 151
nr. 104. Plümicke, Theatergesch. v. Berlin 1781, s. 169.
_■ Overskou, Don danske SkuepladsEC, 04. Werlauff Antegnelser til Holbergs
Lystspfl 1858. 0. Paludan, Holbergs Forhold til det aeldre tyske Drama, in
(dansk) Hist. Edsskrift 6. R II 55, vgl. 46.
3) srz, Rist als niederdeutscher dramatikor 1884. Bolte im Jahrb. f. nie-
derd. Sprachforschung XI. 1885: Rists Irenaromachia und Pfeiffers Fseudostratiotac,
L XII. 1886: Hans unter den Soldaten.
DEUTSl llh: DRAMEN IN KOPKNH. r.IHL. 239
eher stücke hat anlegen wollen, denn dem titelblatl gegenüber findet
sieli ein kupfertite] mir inschrift „ Friedens -Oomödien" und ein paar
reimen. Der tod mit seiner sense fahrt auf einem mit hirsehen bespan-
ten Streitwagen über krönen, Schwertern u. dgl. einher, zwischen käm-
pfenden flotten und brennenden städten, während von oben ein enge]
mit der posaune den frieden verkündet
15) Monarchia optima reipublicae forma, Rudolstadt 1<>7!».
ein politisch -didactisches drama im geist de- absolutismua (von Chr.
Zeidler v. Runnenburg), findet sich bei Gottsched 242.
17) Wochen-Comedie, ohne titelblatt, sicher aber die bei Gott-
sched 114 und Gödekelll, 222 verzeichnete „Apocalypsis mysteriorum
Cybeles, d. i. Eine schnackischc worhen-comedie oder verplauderte
stroli-hochzeit . . . Autore Wigando Sexwochio, Bojemo", 1662, wider
1679 und 1737 zu Leipzig aufgelegt, vielleicht diese leztere ausgäbe.
Es ist dies kein Schauspiel, sondern nur eine reihe dialogisierter
^ittensdiilderungen, ganz interessant als parallelen zu dem fran-
zösischen ,, Recueil general des caquets de l'accouchee" 1623 1 und
zu Holbergs „Wochenstube" 1723. Wir haben hier aus drei ver-
schiedenen hindern und drei unterschiedlichen Zeitpunkten innerhall)
hundert jähren darstellungen der kindbettgebräuche mit dazu gehörigem,
in vielem auffallend übereinstimmenden ceremoniell, aberglauben und
geklätsch. Nähere erörterungen habe ich in dem artikel „Holberg und
das ältere deutsche drama" neuerdings gegeben2.
Nach 17) „Die steigende und fallende Athenais" schliesst der
band mit 18) Gryphius, Papinian — ohne titel, namen und jähr, offen-
bar aber die ausgäbe, welche nach einer aufführung von der städ-
tischen jugend zu St. Gallen 1680 besorgt wurde3. Das original ist
hier ungeändert; nur ein versificierter eingang und beschluss ist bei-
gefügt, und hie und da sind am rande abweichungen angedeutet, welche
man sich bei der Vorstellung erlaubt hatte. Die meisten veranlasste
die ganz curiose freiheit, mit welcher der vorrede zufolge rollen und
repliken zerschnitten und auf mehrere personen verteilt wurden, um
einem ehrsamen rat und allen spitzen der löblichen bürgerschaft das
vergnügen zu gönnen, ihre sprösslinge auf den brettern zu sehen:
„weil ... in einer geselschaft junger leuthen, mehrenteils gleiches Stands
1) Neue ausgaben von E. Fournier, mit einleitung von Le Rons de Lincy,
Bibl. Elzevirienne, chez Jannet, Paris 1855, — und von D. Jouaust, av. pref. de
L. ülbach, Paris 1888.
2) Hist. Tidsskr. 6. R. n, 62.
3) Gödeke III, 218. Sckerer St. Gallische handscliriften. 1859, s. 70.
240 H. FRISCHBTKR
und alters ... man alle befriedigen muss, ein jeder seine geschick-
lichkeit zu zeigen begierig und keiner dem andern viel nachgeben,
viel weniger ''in»' stumme oder verächtliche persohn vertretten wil ..."
3 >lche dilettantenvorstellungen hatten als«» mit denselben Schwierigkei-
ten zu kämpfen wie die irleiehzeitiiro widerant'nahme der alten schul-
komödie im geiste Chr. Weises. In der einladung zu des oben genan-
ten conrectors J. E. Müller „Von dem Frieden erfreutes Europa" 1G98
heissl es ganz entsprechend1: ..siehe, der köpfe sind viel, welche alle
Lnem löblichen jugend-triebe mit wollen zu einem solchen
spiele gezogen werden und ihre geschicklichkeit sehen lassen; will nun
der Lehrmeister aller ihre gunst behalten, so muss er auf ein solches
argument oder sache bedacht sein, welehes viele redende personen
erfordert, da es wol nachmalen schwer fället, die fürgeschriebenen
setze einer komödie zu beobaehten.u
KOPENHAGEN. J. PAT/UDAX.
1) Pabst in den Blättern f. litt. Unterhaltung 1847, s. 1084.
DIE MENSCHENWELT TN VOLKSEÄTSELN AUS DEN
PEOVETZEN OST- UND AVESTPEEUSSEN.*
V Zeitschrift für deutsche philologie IX. 65 — 77: Die pflanzenweit usw.
und XI. 344 — 359: Die tierweit usw.
I. Gestalt und Persönlichkeit des menschen.
Der körper.
1. Op twei Stange steit e speker1,
Op em speker stän twei reker2,
Liehen worden: Curtze, Volksüberlieferungen ans dem fürstentnm Wal-
k usw. Arolsen 1860. Dorr. Twöschen Wiessel on Noacht, plattdietsche gedickte.
Elhing 1SG2. Fiedler, Volksreime und Volkslieder in Anhalt -Dessau usw. Dessau
17. Firmenich, Germaniens Völkerstimmen. Lepner, Der i>r"iische Littauer
oder • tellung ler nahmens- herleitung, kind-taufen. hochzeit usw. Danzig 174 1.
Meier, Deutsche kinder -reime und kinder- spiele. Tübingen 1851. Monc, Anzei-
r für kund" hon vorzeit Müllenhoff, -n, märchen und heder der
herzogtumei - l Kiel 1845. N". pr. pr.-bL = Neue preuss. provinzial-
blätter. Bochholz, Alemannisches kinderlied und kinderspiel. Leipzig 1857. Schlei-
cher, Iitaui märchen, gprichworte, rätseL Weimar 1857. Simrock, Bätseibuch
I und II. 1. aufl. Violet, Neringia oder gesch. der Danziger Nehrung. Danzig
4. Z. f. d. m. u. s. = Zeitschrift für deutsche mythol. und sittenkunde von
A und Mannhardt *iöttiii<ron 1853—59.
PREUSSISCIIE VOLKSRÄTSEL 241
Op de rekersch Bteit e schmecker,
Op cm schmecker steit e lecker.
Op em lecker steit e rik«T ;.
Op em rtker stän twei kick er4,
Op de fadekersch steit e wöld,
Wo söVk ophült jung on Ölt.
1) Speker, spiker = Speicher (der rümpf). 2) Reicher, die arme.
3) Riecher, die aase. 4) Kicker, die äugen. Vgl. X. pr. prov.-hL VIII. 372.
Variationen: 1. Op twei stolze — Ständer usw. — 2. 0]) em
spiker steit en dreller. — 7. Op em kicker steit en barg, Op en barg
steit en wöld usw. — 8. Darön spazert — vermehrt sock plöschärt
(plaisiert) — versammelt söck — verbargt söck jung on ölt In Pom-
merellen: Auf zwei pfählen steht 'ne tonne, Auf der tonne steht ein
trichter, Auf dem trichter steht 'ne kugel, Auf der kugel steht ein
wald, Drin spazieret jung und alt. — Eine heugabel unten, Auf der
heugabel ein feleisen, Auf dem feieisen ein kreuz, Auf dem kreuz ein
knöpf, Auf dem knöpf ein busch, Im busch tiere. Auf Heia: Oem
wöld stän' twei pöst1 (pfosten), Op de twe pöst steit e borm (brunnen),
Op de borm stän' twe gripersch, Op de griperseh steit de schmecker,
Op de schmecker steit de ricker usw. In Littauen: Eine zweikrallige
gabel, auf der gabel ein bienenstock, auf dem bienenstock ein knäuel,
auf dem knäuel ein wald und in dem walde viele vögel (hasen). Schlei-
cher, 203. In Masuren: Es stehen zwei säulen, Und auf diesen säu-
len ein spreustall, Und an dem spreustall die greifer, Und über den
greifern der Schnapper, Und über dem Schnapper der puster (atmer),
Und über dem puster die seher, Und über den sehern das Wäldchen
und die ziegen. Stoja, dwa slupy, a na tych slupach plewnia, a na
plewni grabaj, a nad grabajem chapaj, a nad chapajem sapaj, a nad
sapajem patrzaj, a nad patrzajem gaj i kozy. — Vgl. Müllenhoff 508,
24. Firmenich m, 74: Strelitz; 160: Osnabrück. Ähnliche rätsei noch
bei Meier 328. Rochholz 249, 434 — 440. Simrock I, 434. Mone,
Anz. VII, 262, 190.
Das äuge.
2. In einem weissen see
Schwimmen zwei granaten.
Wer dies rätsei tut raten,
Dem schenke ich zehn dukaten
Und eine tasse thee.
3. Rund röm rüch, ön e mödd wäterke.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE FHILOLOGTE. BD. XXIII.
16
242 H. FRISCHBIKR
•1. Rund röm hlr, Gott bewahr,
Dat kein böset ding rön fähr'.
In Masaren: Ich hab' solch ein handwerkzeug, das rund herum
bewachs» 'ii ist. und wenn die not es drückt, dann strömt wasser her-
aus. Ja mani takie rzeinioslo, co mi w koio obroslo, a jak bieda
przytloczy, To i woda wyskoczy. — VgL Rochholz 2ö2, 444. Sim-
rock 1. 27.
Der mund.
5. In einem schönen garten
Sind hunderterlei trak taten.
Es regnet nicht, es schneiet nicht.
Und ist doch immer nass.
Var. : 1. In einem rosenroten garten Stehn nichts als weisse tip-
pitaten usw. — In meinem rosenroten garten Stehn 32 pallisaden (poli-
zaten) usw. (Pommerellen.) In meiner mutter garten, Da wachsen
weisse pallisaden usw. — In meines vaters garten Stehn weisse
karaten usw. (Angerburg). — Stehn weisse tippeltaten usw. (Dönhoff-
städt). — Vgl. Meier 280. Zeitschr. f. d. myth. III, 13. Rochholz
252, 441. Mone, Anz. VII, 262, 191.
Der mund.
G. E stalke voll witte gäns', on (inwendig e roder ganter dämank.
Im Werder: Wat üss dat? En stall voll witter hener on mödden e
roder hin darmank. R. Dorr, Twöschen wiessei on noacht 77.
Die zahne.
7. Twei stange witte hener.
In .Littauen: Ein stänglein voll weisser hühnchen. Schleicher 211.
Die zunge.
8. Rode koh liggt ön e natte stall.
Der furz.
9. Öss euer ver de pört,
Heft nich gesündigt, nich gemord't —
Kann hei passere?
10. Twösche twei barg' bullert 't.
11. Twösche twei barg' da bromt e bar.
12. Wat rent längs de fär1,
Heft kein hüt, kein hlr
On bromt wi e bar?
1) Fär, fahr, f. furche, ackerfurche.
PREUSSISCHE VOLKSRÄTSEL 243
Der nasenschleim.
13. De rike (eddelmann) stockt et ön e flipp1, de Ifcrme (bür)
schmött et weg. Vgl. Meier 350. Rochholz 274, 591.
1) Flippe = fcasche.
Der Säugling.
14. Auf dem rücken lieg' ich,
Nach dem liimmel seh' ich.
Aufgedeckt, 'reingesteckt,
Ach, wie süss hat «las geschmeckt!
Var. : 2. In die höhe seh' ich. 4. Hat mir jung sehr gut ge-
schmeckt Vgl. N. pr. prov.-bl. X, 294. Simrock II, 56.
Ich selbst.
15. Min't väders sahn, min'r mutter sühn on doch nich min
bruder.
Die tochter.
16. Es sass ein kind am wege und weinte. Da kam ein mann
daher und fragte: mein kind, was weinest du? — „Ich weine, dass
du mein vater bist und ich nicht dein söhn bin."
Grossvater, söhn und enkel.
17. Es gingen zwei vater und zwei söhne auf die jagd und schös-
sen drei aasen. Jeder nahm einen. Wie haben sie das gemacht?
Seines gleichen.
18. Der bauer sieht es täglich, der könig selten, gott niemals.
Vgl. Mono. Anz. VII, 264, 225. 267, 269.
Beim begräbnis.
19. Als die träger sangen, sank der tote mit,
Und die ihn getragen, sangen alle mit.
Vgl. Simrock I, 40.
Der sarg.
20. De et makt, de weil et nich; de et draggt, behölt et nich;
De et kefft, de brukt et nich; de et brükt, de weet et nich.
Vgl. Curtze 300. Simrock I, 39.
Wenn alle die Seligkeit hätten.
21. Ich hab' gut und geld, die ganze weit;
Die Seligkeit gewiss, doch weiss ich, was noch besser ist.
Vgl. Meier 326. Simrock I, 210.
16*
244 II. FRISCHBIER
II. Stand und beruf.
Der barbier.
22. Schnfd af, schnitt weg!
23. Wer Dornt dem kaiser on könig alles ver e niis weg?
Der holzhacker, die wiege, die tonne und die steine.
24. Op e lucht1 piff paff, on e staw riff raff,
öm hus rund, ver e dar bunt.
1) Lucht, f. boden; iu Westpr. bön.
Der müller.
25. Wenn öck wäter hebb, kann öck win drinke; wenn öck
awer kein wäter hebb, mott öck wäter drinke.
VgL Sünrock I, 166.
26. Der müller steht in der mühle; in jeder ecke liegt ein mehl-
sack, auf jedem sacke sizt eine grosse katze, jede katze hat vier junge
und jede junge katze hat wider vier junge. Wie viel füsse sind in der
mühle?
Antwort: Zwei, die des müllers; die katzen haben ja pfoten.
. Simrock I, 356.
Die musikanten.
27. Acht mönsche speie de ganze nacht dorch, on wenn se op-
stäne, lieft jeder gewönne. Ygl. Simrock I, 281.
Der priester.
28. Der schwarze rabe hat geschrieen und die ganze Versandung
hat sich gewiegt
29. Littauisch: Jodas Warnas krankterejo, wissa pota linkterejo.
Lepner 118.
30. Der pastor und seine frau, der küster und seine Schwester,
die gingen am weiher, und fanden ein nest mit vier eier(n). Jeder
nahm eins — und es blieb doch noch eins.
Die frau des pfarrers war des küsters Schwester. Vgl. Ztschr. f.
d. myth. III. 187. Müllenhoff 508, 21. Simrock I, 66.
Der schuster
fauf dem schemel sitzend, von einem hunde angefallen.)
31. De tweebeen sat op em dreebeon.
Da kein de vcabeen on wull den tweebeen bite;
Da nein tweebeen den dioebeen
On wull dem veabeen schnitte. (Pr. Eylau.)
PBEUSSISCHE VOLKSRÄTSEL 245
32. Quadloch nahm Nadloch,
Kam Rudloch un wull Quadloch biten;
Nahm Quadloch Nadloch
Un wull Kudloch schnitten. (Pommerellen.)
Der siebmac'her.
33. De bür fart möt twei, de eddelmann möt ver, de könig möt
sess — Aver fart möt sewe?
Yar. : De buer fart met zwo perd, de -rat' met ver usw. N. pr.
prov.-bl. X, 292. Gewöhnlich hört man das rätsel hochdeutsch.
Die tonnenwäscherin.
34. Buk op buk, flesch ön 't loch.
III. Kleidung und schmuck.
Der strumpf.
35. Ruch bawen, rüch in;
Hew op un steck in —
Wat mag dat wrol sin? (Jerrentowitz.)
Die schlorren (pantoffeln).
3G. Am diig geit et klipp klapp, ön e nacht steit et am bedd on
jappt. Vgl. nr. 43. 95. Simrock I, 37.
Der stiefel.
37. 0 himmel, o himmel, mein loch ist voll Schimmel!
Binnen sechs wochen hat kein mannsfleisch drin gestochen.
38. Bi dag drägt et flesch on knake,
Oen e nacht steit et ape.
Vgl. Simrock II, 21.
Der Stiefelknecht.
39. Et ös e knecht, de ward möt fete getrampelt, em ward dat
ledder äwre öre gctäge — on hei seggt doch kein wort.
Hierher gehören auch die riitselfragen :
40. Wer ös de geduldigste knecht?
41. Wat fer e knecht hefft noch möt keiner magd gespräke?
42. Wat fer e knecht ett nich on drinkt nich?
Das Schnürsenkel (der Schnürriemen).
43. Ön e nacht wi e weseböm, bi däg' wi e ledder1.
Vgl. Rochholz 261, 988. Simrock I, 267.
1) Ledder, leiter.
240 H. FRISCHBIEB
Der ring.
44. Et ring e mäke ön 't kellerloch
Od zeigd' dem herro dat blanke loch.
Da docht de herr ön sinem sonn:
Ach hadd öck doch den finger bönnM
15. Von bönnen blank, von baten blank
( m e mödd e fieescherner petei damank.
(Einlage bei Elbing.)
Var. in form und lösnng: Innen blank, üten blank, is doch
fleesch on blot damank (= ring, auch fingerhut). Jerrentowitz. —
2. ön e mödd e hölterner peter damank = fenster. — Ön e mödd en
äken sand damank = sanduhr. ( Pommerellen.) — Ön e mödd e
betke iönne damank = milehsieb. (Samland.)
IV. In haus und stuhe.
Das fenster.
40. Von de rechte sid blank, von de linke sid blank,
< »n e mödd' e stöcksken blie damank. (Pommerellen.)
Vgl. 45.
Schlüssel und schlos^.
47. Foss krop ön 't loch on leet de pot' bute.
18. Ich armer und ich blinder mann,
Der ich das loch nicht finden kann!
Da nimt mich die Jungfer und führt mich hinein,
"Wol in das kleinste loch hinein. (Jerrentowitz.)
Die tür. der ofen und der balken.
49. Wenn man erseht de nacht kern, dat öck mi raue kunn
(ruhen könte)!
Wenn man erseht de dag kern, dat öck mi warme kunn!
Was soll ich sagen? Ich muss tag und nachj; tragen.
Der Schornstein.
I. Et huckt e mannke op em dack on rökt c pipke tobak.
VgL Simrock II. i8.
Die leiter (treppe).
51. Et kickt op de lucht on heft keine öge nich.
Die dachleiter.
52. Et kickt (e mannke) äwert dack on heft keine öge nich.
PRKUS8JSCW5 VOLKSKÄTSEL 247
Der (»t'en.
53. Holl os schwet (schwitzt) dorch c robbe.
54. Ons dicket feile1 spit gele krolle2.
Gm söma manchmal, om winta örama. (Natangen.)
1) Felle, n. füllen. 2) Ereile, f. koralle. — Diu gewöhnlichen leuto
benutzen den ofen auch zum brotbacken.
55. In der stube steht ein mann,
Der hat tausend flicker an.
Ofen und sieh.
5(5. Min söhn Klüt geit gar nich üt,
Mine dochter Hissebisse rent dat ganze derp ut.
Neue pr. prov.-bl. X, 293. Vgl. Simrock II, 28.
Der Spiegel.
57. Op jenner weit, da wo öck wass',
Da ös kein lew, kein böm, kein gras,
Do ös kein liw, kein iewe,
On doch si öck darön gewese.
N. pr. prov.-bl. VIII, 377.
Der kämm.
58. Opgeschaart mannke jagt de sclnvin üt dem körn.
(Samland.)
Die uhr.
59. Ach ich armer schmiedeknecht,
Hab' keine händ', mach's (zeig') immer recht,
Hab' keine füss, muss immer gehn
Und tag und nacht gar schildwach stehn;
Und wenn ich mich zur ruhe lege,
So sghandet jedermann von mir.
Var. : 5. Und leg' ich mich einmal zur ruh, dann brummet jedermann dazu.
N. pr. pro v. -bl, X, 291. — Klopf mit dem liammer tag und nacht und halte wacht.
Jer rentowitz. — Tgl. Simrock II, 8.
60. Op schildwach mot öck stane,
Heww kein fet on mot gane,
Heww kein mül on mot säge,
Stahl on ise mot öck dräge.
Ebenso hochdeutsch:
Ich armes weib muss schildwach' stehn,
Hab' keine füsse und muss gehn,
II. FRISCHBIEB
Hab3 keinen arm und muss schlagen,
Hab5 keinen mund und muss sagen.
61. Es klippert (klingert) und klappert auf eisernen draten.
Wer das kann raten, kriegt fünfzig dukaten;
Und wer das kann wissen, kriegt Jungfern zu küssen.
Vgl, Rochholz 261, 492. Ein ähnliches rätsei, mit der lösung:
Strickzeug, bei Meier 276; mit der lösung: Ölmühle, 293.
62. Es ticket, es tacket an meiner schlafkammer
Eine wippe, eine wappe, eine goldene kappe.
Ön uns staw hangt e wipp on e wapp under goldner kapp.
Aar.: hängt e schul on e schall.
L In meiner schlafkammer
Sind vier goldne puppen und ein goldhammer.
Et ett nich, et drinkt nieh, et lieft keine fet on geit doch.
Öti. Et geit one fet on schleit one händ\
67. Es hängt ein mann an der wand und baumelt mit dem fusse.
Wiszy chlop na scianie a noga rueha. (Glasuren.)
Die uhr, die wriege, die katze und der hund.
68. An der wand kling klang, am bett buff baff,
Am haus nau nau, vor der tür hau hau. (Pommerellen.)
Das Vogelbauer.
69. Ich bin ein armer bauer,
Hab keine sünd begangen, wrerd' doch gefangen.
Das Weberschiffchen.
70. Blanket henke leppt verbi dem stakeltün.
Das wockenrad.
71. A<ht jungfre schlafe tosamme ön enem bedd on liggt keine
keine binde. (Gerdauen.)
Auch mit der lösung: die Speichen des Wagenrades. Vgl. Curtze301.
Die schnüre auf dem wockenrade.
72. Es laufen (drehen sich) lange würmer um die stube. Lataia
zdy okolo izby. (Masuren.)
Die finger der spinnenden hand.
Fif zege frete von enem hü] In Gerdanen: Füf schäpke
trete üt enem iserae repke1.
1) Dem. von rope f. raufe.
PBETJ88ISCHE V0LKSRÄT8EL 249
Der spiiinor und die spule
74. De grossväder geit Dich eh'r von de grossmutter1, bet sc
dick ös.
1) Auch: Grossväder lett Dich nä.
Die spinnerin mit dem wocken.
75. Öek ging ön e gebröknis1,
Da begegend' öck enem gespöknis2,
Dat hadd fit' fet on kein' zagel —
Nu rad mal, wat ös dat fer e 7&gel?
1) Brach. 2) Gespenst
76. Öck ging iiwer en gebröknis
On seg o gratet gespöknis:
Twe kepp, en' zagel on nege fet!
Rät't, mine lierre, wat ös det?
Die spinnerin sass mit ihrem wocken zu pferde.
Das knäuel.
77. Hundert percV tene et op e barg on könne et doch nich
tertene.
Auch als frage: Was ziehn vier (zehn usw.) pferde nicht den
berg hinauf? — In Littauen: Ein kleines dingchen, und doch brin-
gen es selbst tausend pferde nicht über den berg. Schleicher 202. Vgl.
Rochholz 261, 487. Simrock I, 430.
Nähnadel und faden.
78. Isernet mül on flassner zagel.
Ygl. Firmenich III, 123: "Wische in der Eibniederung bei See-
hausen. Simrock I, 414; II, 54. Mone, Anz.VII, 263, 198.
79. Welk blanker vagel lieft e flasserne zagel?
80. Sölwst stomm, sölwst domm, aller weit utflöcker.
Litt.: Ein kleines mütterchen bedecket (bekleidet) alle menschen.
Maza Moterele wissa Swieta apdeng. Lepner 118.
Der fingerhut.
81. Kiener als e müs, gröter als e lüs,
On lieft doch mehr fönster als dem könig sin hüs.
Ygl. Rochholz 261. 489. Simrock I, 79. Mone, Anz. VII, 371,
291: Antwerpen. Ygl. Pflanzenwelt, nr. 45.
82. Yon bönne blank, von büte lächerkes. Ygl. Simrock II, 1.
II. FB1SCHBIER
Die niangel (glättrolle).
83. Treck hon. treck her. tw§ stau' daver,
Twe ligge darunger — wat ös dat fer 'n wunger?
Das licht
84. Kirn kanelke satt op 't stelke,
Je länger dat et satt, je kärter dat et wa(r)d.
Ahnlieh in Antwerpen. Mono, An/. VII, 372, 296.
85. E kirnet wiw, e lönne llw,
E fieseherne rock, e goldnc kopp.
X. preuss. prov.-bL X. 290.
86. Das hemde unten, das fleisch oben. (Pommercllcn.)
87. Michelke set op 't stölke
On wnrd' doch ömmer körter. (Pommerellen.)
Ähnlich bei Simrock I, 4-48; II, 19.
88. Fer e grosche de ganze staw voll. Vgl. Simrock II, 147.
Die lichtschere.
89. Bei tage hab' ich nichts zu tun,
Da lässt man mich im winkel ruhn;
Kaum bricht die nacht herein,
Da schluck' ich f'euer und flammen ein.
In den N. preuss. pr.-bl. VIII, 375: Bei tag' muss ich im win-
kel ruhn; doch kommt der abend an, so speis' ich feuer und flamm.
Vgl. Simrock I, 100.
90. Öck sta op drei feet, bi dag öck ruh geneet,
Det awends nem öck mi tosamme on fret für on flamme.
(Königsberg.)
Der bettbezug.
91. Die kuh geht saufen und lässt den bauch zu hause.
(Angerburg.)
92. Wat geit to 'r dränk on lett den buk to hüs? (Dönhoffstädt.)
93. Et galt in't water on lässt den buk to hüs. (Ermland.)
In Littauen: Es geht ein ochse in den fluss um zu trinken, und
den bauch lässt er zu hau Schleicher 194. Vgl. Kochholz 272, 564.
Simrock I. 346.
Das kissen.
94. E gans möt ver näse — wat ös dat?
Die pantoffeln.
. Im tag - ■ ht's klippklapp, nachts steht's am bett und jappt.
PnEU8B18CHE VOLKSRÄTSKL Hol
Die biertonne.
96. Kromholt holt g 'rädholt, g'rädholt holt pischewippholt,
Pischewippholt holt llw od seel5 tosamme.
Bei Mone, Anz. II, 237: Kram holt halt rieht holt, rieht holt
hält pisewipüp, pisewipüp hält lif und b§] tösumen. (Aus dem Pader-
bomschen.) Vgl X. preuss. prov.-bl. X. 293.
V. In küche und stall.
Der rauch.
1)7. Langemann, stangemann langt bet an em bimmel 'ran.
In Pommerellen : In unserm hause ist ein mann, langt bis an
den himmel 'ran.
98. Es ist was in unserm haus,
Das ziehn hundert pferde nicht heraus.
99. Ein brett schwebt und schwankt und falt doch nicht hernnter.
In Pommerellen: Es bewegt und schaukelt sich und falt usw.
100. Dat perd öm stall, de zagel op'm straudack (Strohdach).
101. Blauer os lockt dat himmelte.
Das feuer und der rauch.
102. Ek'r de väder jung ward, sott de sahn op em soller1.
1) bodenraum.
103. Eh' der vater geboren war, sass der söhn schon auf dem
dach — hatt' der söhn schon die weit begangen.
In Littauen: Der vater ist noch nicht geboren, der söhn steint
sieh an den himmel. Schleicher 198.
Das feuer.
101. Yogel Wips, hat kein' feder, kein' mutz'.
Ist doch ein vogel Wips. (Königsberg.)
Der hanklotz.
105. Ön onsem hüs da steit e mann,
De heft mehr wunde, wi det ganze derp hunde.
Ygl. X. preuss. prov.-bl. X, 292. Simrock II, 59.
106. Wat het mehr wunde
Als ön sewe derper hunde?
Das holz (als klotz, wand und wiege).
107. Ter e dar rund, öm hüs bunt, ön e stäw e wippop.
252 H. FHISCHBIEB
Der blasebalg.
ION Voll und leer, was gleich schwer?
Der dreifuss.
109. Drei jungfre dräu«' ene kränz.
In Littauen: Schwestern, auch fräulein — und für kränz auch
kränzlein. Schleicher 195. Vgl. Simrock II, 210.
110. Oben schwarz und unten schwarz, aussen schwarz und innen
schwarz — und steht immer auf halb sechs.
Der grapen.
111. Eene holle mdder, dree grade dächter, twee kromme sähns.
Vgl. Ztschr. f. d. myth. IIL 130. Curtze 301. Rochholz 258, 469.
112. Eene holle moder, twee kromme vader, dree gräde sähns.
VgL lione, Anz. VII. 267, 278: Antwerpen; es tritt hier noch
„hontei Machiel" (hölzerner Michel, d. i. löffel) hinzu.
113. Et heft öhr n on hört nich,
Et heft 'neu buk on ett nich,
On göft doch jedem wat to eten. R. Dorr 75.
114. Heft öre on hört nich, heft fet on geit nich.
115. Dre geselle dräge ene höt.
116. Hat drei füsse und kann nicht gehen, hat zwei obren und
kann nicht hören, hat einen mund und kann nicht sprechen. Äta trzy
oogi a nie nioze chodzic, ma dwa uszy a nie moze slyszec, ma iedne.
gebq a nie nmze gadac. (Masuren.)
Der grapen und die mohrrübe.
117. Sehwarze ribbe, rote zibbe,
Schwarzes innerloch kocht man immer doch.
(Jerrentowitz.)
Der kessel.
118. Rund 'röm beschworke1, ön e mödd a wendrot.
In den X. prenss. prov.-bL VIII, 375: Rund herom schwärt, on
ön e mödd wie awendrot Ebenso bei Simrock II, 144.
1) Bewölkt.
119. Von bönne blank, von bute schwärt, on rund wi e wägerad.
120. Sehwarte kluck huckt op rode eier. Der kessel auf dem
fener. Vgl. Simrock H, 98.
Der topf.
121. Bnte witt, bönne schwart.
PREUßISCHE V0LK8BÄT8EL 253
Die bratpfanne.
122. Yen bönne schwärt, von büte schwärt, lieft e lange Peter dran.
Die kaffeekann e.
123. Bei (zu) mir komt alle morgen eine Jungfer mit einer schwar-
zen schürz'.
Der zuckerhnt.
124. Blauet Med, wittet liw.
125. Weiss am leib, blau am kleid, süsse liebe, meine freud".
Wer dies rätsei kann erraten, der soll kriegen einen dukaten;
AVer es kann wissen, soll die schönste Jungfer küssen.
126. Bowen spetz on ungen bret, derch on derch voll sötigket;
Witt am liw on blau am kled, klene kinger grote fred.
Yiolet, Neringia 200, 13. Vgl. Meier 287. Rochholz 2G0, 481.
482. Simrock I, 25.
Der backtrog.
127. Holl os möt ver hörn er, wat ös dat?
128. Mank (twösche) twe barg' liggt e afgestrept kau.
Der brotteig im backtrog. Vgl. Simrock I, 408.
Der brotteig und die kneterin.
129. Wat unde liggt, dat gicht gicht gicht,
Wat bawe liggt, dat kicht kicht kicht;
Wat unde liggt, dat wöll noch mehr,
Wat bawe liggt, dat kann nich mehr.
Var. : Von bawe geit et kicht kicht kicht, von unde geit et gicht
gicht gicht; dat underschte wöll noch mehr, dat bawerschte kann
nicht mehr.
Das Schwarzbrot.
130. Schwärt wri de diwel on schmeckt wi doli.
Das butterfass.
131. Et rompelt on strompelt ön e holle kapelT.
Der besen.
132. Brün lniDclke geit alle dag ön e stäw on schnüffelt alle win-
kelkes üt. Vgl. Simrock II, 146.
133. Alle morgen komt 'ne dam' 'rein und macht alle winkel rein.
134. Ist ein mädchen, tut schirscharr und macht doch alle jähr
seinen dienst zurecht
254 H. FR1SCHBIKR
Der abgennzte besen.
135. E> steht eine Jungfer im winkel im zerrissnen Jäckchen.
Stoi Panna w kaeiku w odrapanym kabaeiku. (Masuren.)
Die laterne.
L36. Kin tonn hat ein löchrig dach.
Vier fenster sind darein gemacht.
Nicht dass herein scheinen mag der tag,
Nur dass der mann sich umsehen mag.
137. Öck ging e mal op korke1,
De hinimel wör besehworke,
De erd' wör äwendrot.
Der redende trug eine laterne. l) Korkon, pantoffeln.
Die häcksellade.
138. Von hinde frett et, von vere schett et.
Der sattel.
139. Et lieft gegrint on grint nich mehr,
Et heft gelewt on lewt nich mehr
On kann doch noch liw on seel terdräge.
Var. 3: Et ös flesch on dräggt flesch.
140. Wat dräggt blot, wat drückt biet
On heft doch kein blot?
Vgl. Rochholz 264, 145. Simrock II, G0.
141. Höher als ein pferd, niedriger als ein seh wein, schwärzer
als ein bar. (Pommerellen.)
142. Oben beseelt, unten beseelt, mitten nnbeseelt.
(Reiter, pferd und sattel.)
Die deichsei.
143. Um wöld gewasse, von mönsche gebäge, von perd' getäge.
Die Wagenräder.
144. Ver jungfre gripe söck on krige söck mindäg nich1.
1) mindäg nich. mein tago nicht = niemals.
Variante: Yeä brödakes renne vom barg on könne söck nich
tahäle. (Gerdanen.) — Es laufen vier briider um die wett', bekomt
einer den andern nicht. — Vier jungferchen gehn weinend über fehl.
(Pommerellen.) — R. Dorr 74 (mit der lösung: mühlräder): Ver
oole jdngfern griepen sik on krien sik nich. ßoehholz 261, 48G hat
ein ähnliches rätsel mit i\<'\- lösung: Stäbe des garnwendels. Bei Sim-
rock I, 404: Windmühlenflügel. Vgl. 321.
PRRT7SSISCHE VOLKSRÄTSEL 255
145. Nage juogfre gripe Bock <>n krige söck nernich.
Der schütten.
140. Gewiggelgewaggel äwer de Brügg'
Hadd twei sid' on keim.' rügg\
Var. 1: Pitschpatsch ging äwer de brügg' usw. Vgl. Simrock II, L5.
VI. In hof und feld.
Die pumpe.
147. Et steit e mannke op cm hoff —
Packt man em an 't gewösse,
Dann fangt hei an to püsse.
148. Es ist gebunden und gebogen
Und wird am zagel gezogen.
Der bienenstock.
149. Ver onsem hüs steit e 61 klüs.
Se schite 'rön, se seiche Tön
On se weke doch det lewe brotke 'rön.
Vgl. Simrock I, 116.
150. Längs dem buk geit e stig,
Ver 't loch ös krieg,
Öni loch ös krieg on järmarkt
Der nachtstuhl.
151. Hölterne topp on e flescherne deckel.
Die ochsen, der pflüg und der pflüger.
152. Vere lewt et, ön e mödd es et döt
On binde ett et dwargebrot1. ( Königsberg.)
1) Dwarg, m., hochd. zwerg, ein kleiner quarkkäse.
Die pflugmesser.
153. Twei blanke diiwkes krupe (gäne) andre erd.
Vgl. Simrock II, 208.
Die pflugschleife.
154. Es liegt eine Jungfer am wege, breitet arme und beine aus.
Masurisch: Lezy panna kole drogi, rozlozyla rece i nogi. (Die
schleife, worauf man den pflüg aufs feld bringt, wird gewöhnlich an
den weg gelegt.)
256 H. FR18CHBI1H
Die QggQ.
155. Hackerdacker rent äwer 't acker
Od hadd solke feet wi de diwel sölwst.
156. öckerdemöcker de ginge öckerc,
Hadde feet wi de diwel. (Angerburg.)
l.~>7. Hanterlatanter geht über das Land,
Hat keiner mehr füss' als Hanterlatanter. (Jerrentowitz.)
158. Hölterne sü möt iserne tötte.
Das Viergespann.
159. Ver rüge fälle, ver runde rälle,
Een klitschklatsch, klingbide] on schnappsack.
In den X. preuss. prov.-bl. VIII, 376: Veer rüge nonne, veer
rtonne, een schwickschwack on ok e dudelsack. — Vgl. Müllenhoff
508, 23. Ztschr. f. d. myth. III, 186. Firmenich III, 503: Soldin in
der Neumark. Rochholz 263, 503. 504. Simrock I, 103.
160.' Ver rilleralle, ver schickeschalle, en pitscheknalle.
(Jerrentowitz.)
Pferd und wagen.
161. Klippermann und Klappermann rennen einen berg hinan;
Klippermann rent noch so sehr, Klappermann komt doch noch eh'r.
(Liebstadt.)
Reiter und pferd.
162. Zwei köpfe, zwei arme, sechs füsse, vierzehn zehen —
AVie kann man drauf gehen?
163. Zwei köpf und nur zwei arme,
Sechs füsse und nur zehn zehen,
Vier füsse nur im ganzen —
Wie ist das zu verstehen? (Dönhoffstädt.)
Vgl. Müllenhoff 508, 22. Meier 343. Rochholz 207 u. 203, 503.
Simrock I, 101.
161. Dat öck ver (an) di sta, dat sitst du,
Dat öck op di wöll, dat wetst du;
Öck op di, du under mt —
Öck hebb e ding, dl stek öck di.
Yar.: öck sta ver di, dat sitst du; öck mot op di, dat wetst du;
öck op di. du under mi. öck hebb e par dingcr de kedle (kitzeln) di.
X. pr. prov.-bl. X, 292. — 4: ... dat steckt di. Vgl. Ztschr. f. d. myth.
III. 187. Simrock II, 61.
PREUSSISCHE VOLKSRÄTSEL 257
Der bach und die wiese.
165. Krommöm, Krommöm, wo wölst du hen?
Kaigeschöre, Kälgeschöre, wat fragst danä?
So auch in der grafschaft Mark. Vgl. Ztschr. f. d. myth. III, 179.
Var. : Krommonscheef, wo göist du hen? Kälafgeschoarne, wat fragst
du danä?
1G6. Krommrom , wo geist du hon?
Beschörnet schäp, wat fragst du mi?
Öck si nich so kal geschfire,
Wie diu narsch ös togvfnuv.
Die Unterhaltung geschah im winter. — Ähnlich bei Meier 282.
Firmenich III, 195: Solingen. Rochholz 248, 431. Simrock II, 13. 14.
Die stoppeln.
167. Mehr lächer op e erd als stein' am himmel.
Die mühlenflügel.
168. Vor Jungfern gripen sick dagdäglich
On krigen sick sindäg nich.
Danziger Nehrung. Violet 199, 4.
Die mühlsteine.
169. Twei Düwkes plöcke sock, on körnt wittet blot rat
Var.: Et wäre twei häse, de plöckde söck, on rend wittet blöt.
Vgl. Simrock II, 209.
YIL Der weltlauf.
Das jähr.
170. Et steit e böm op hogem fest,
Därop sönd tweeonföftig nest',
Ön jedem nest sönd sewe junge —
On wer dat rat't, dat ös kein domin er.
N. pr. prov.-bl. X, 291. Var.: Es steht ein bäum in hoher fest,
der bäum hat zweiundfunfzig äst', und jeder ast usw. (Plimballen.)
— Ebenso, nur: ,,auf erden fest." (Dönhoffstädt.) — Geschichtliches
über dies rätsei gibt Rochholz 242, 419. In prosa bei Simrock I, 376.
171. Hinder onsem hüs steit e bom on heft tweionföftig äst' on
op jedem ast sewe bläder. N. pr. prov.-bl. VIII, 372.
172. Mein vater hat ein gleiches feld, auf dem felde steht eine
eiche, die eiche hat zwölf äste, auf jedem ast sind vier kleine äste.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. DD. XXIII. 1 *
258 H. FRISCHB1EB
Littauisch: Mano Tiewas tur ligus laukius, tarne lauke auzolas,
tarne auzole dwilika szaku. inzikien szaka keturios szakeles. LepnerllS.
Die vier demente.
17;"!. Vier brüder sandte gott in die weit.
Der erst«' läuft und wird nicht matt,
Der zweite frisst und wird nicht satt,
Der dritte frisst und wird nicht voll,
Der vierte pfeift und rast wie toll.
X. pr. prov.-bl. X, 291. — In der Schweiz begint das rätsei: Es
seit de gross Alexander, es laufet viere mit enander — und schliesst:
de viert blos't und s'tönt nit wol. Rochholz 243, 420. Vgl. Sim-
rock I. 2.
Sonne und mond.
174. Zwei dinge gehn, zwei dinge stehn.
Zwei dinge kommen immer wider.
Vgl. Rochholz 244, 422; lösung auch: himmel und erde — holz
und wasser — tag und nacht — abend und morgen. Mone, Anz. VII,
261, 1S4. Simrock II, 38.
175. Es kröpt dorch e tun on ruschelt nich, et fölt ön 't water
on plompst nich.
Lösung auch: der schatten. Bei Rochholz 244, 421: 's geht
durch 's wasser gmach und ruschet nit im bach.
Sonne, mond und sterne.
176. Schön ist das wiesental, schön sind die schafe dran,
Schön ist der hirt, der die schafchens hüt't,
Xoch schöner der dieb, der die schafe stiehlt. (Gerdauen.)
Der himmel mit den Sternen und dem monde.
177. Schwärt lake gespreet1, witt arfte geseet2,
Ön e mödd ös e schiw.
1) Gespreitet 2) gesäet.
Die erde.
17S. Meine mutter hat viele kinder, sind sie gross, verschlingt
sie sie.
Der wind.
179. Hinter meinem hause geht es immer husch husch husch.
ISO. Zackerbacker geit längs det acker,
Brölt wie e bär, lieft kein hüt on kein här. (Szillen.)
181. Hier und da allerwegen,
Wo man nicht kann das pfund auswägen.
pbeussische volksrätsel 259
Der regenbogen.
182. Hochgehäwe, kromgebäge, wunderlich erschaut*.
Vgl. Ztschr. f. d. myth. III, 181. Simrock I, 405.
183. Rot, gelb, grün —
Rätst du mich, so nehm' ich dich;
Rätst du V in vier woehen,
So sind wir beid' versprochen;
Rätst du's um ein halbes jähr,
So sind wir beid' ein ganzes paar.
N. pr. prov.-bl. X, 294. Vgl. Curtze 297. Simrock II, 64.
Der regen.
184. Et lieft noch nie twei dag' nau enander geregent.
Weil eine nacht zwischen zwei tagen liegt.
185. Auf dem lehme läuft er, in dem sande geht er ohne Spek-
takel. Po glinie tylko plynie,
Na piasku, bez trzasku. (Ilasuren.)
Das eis.
186. Es ös e brügg, de heft kein mönsch gemakt; se ös nich
von steen, ok nich von holt, on könne doch mönsche on peerd drä-
wer gäne.
187. E öler korw, e nüer deckel. (Ein zugefrorener teich).
Der eiszapfen.
188. Hinger onseni hüs hängt de Kruckelkrus,
Wenn nu fangt de sonn' to schine,
Fangt de Kruckelkrus to grlne.
189. Rond om onse hüs Kriggelkraggelkrüs.
Wenn de sonne schint, desto doller grint
Kriggelkraggelkrüs rond om onse hüs.
Yar. 2: Statt Kruckelkrus und Kriggelkraggelkrüs: Kuckernüs.
Anger bürg. — Kringkrangkrüs. Wehlack. — Kunkelfüs — Komkel-
füs — Peter Krüs (Kraus). — In der grafschaft Mark: Kuckeldiuse.
(Ztschr. f. d. myth. III, ISO), im fürstentum Waldeck: Gringeldegruse
(Curtze 297). — 3: Je mehr (je doller) de lewe sonke schint, je mehr
usw. grint. — Fiedler 43. Rochholz 254, 453. 454.
190. Sonke schint, Bommelke grint. (S/illen.)
Der schnee.
191. Ich bin glänzend, weiss und rein, aber schmutzig hinter-
drein. Vgl. Simrock I, 72.
17*
260 11. FRISCHBIER
192. Et war e mal e mann von Hacketecke,
De hadd e wittet llke ob wull de ganze weit bedecke,
On kern nieli äwert wäter.
Var. : Kern e mannke von Höckepöcke, had e grötet läke, knnn
de ganze weit bespanne, kunn nich äwert water. (Gerdauen.) Vgl.
Müllenhoff 505, 2. Fiedler 47. Firmenich III, 146: Hameln. Sim-
rock 1. L18.
193. Komt ein (der) vogel Federlos,
Setzt sich auf den bäum Blattlos,
Komt die Jungfer Mundlos
Und frisst den vogel Federlos
Vom bäume Blattlos.
Der sclinee und die sonne. — In Littauen: Kam geflogen ein
vogel von osten und sezte sich auf einen bäum ohne äste; kam eine
Jungfrau ohne füsse und verzehrte ohne lippen den vogel. Schleicher
208. — Vgl. Hüllenhoff 504, 1. Meier 306. Fiedler 42. Simrock
I. 62. — Schon im „Reterbüchlein" vom j. 1562. (Mone, Anz. II, 311.)
194. Was hat keinen hintern und sizt; was hat keine zahne und
beisst? Der schnee und frost. Masurisch: Co dupy nie ma, a siedzi,
co zebow nie ma a kasav
VIII. Vermischtes.
Das ABC.
195. Es sind fünfundzwanzig Soldaten,
Die weder kochen noch braten,
Und über den Rhein marschieren,
Um die menschen zur klugheit zu fähren.
In der mundart der Danziger Nehrung bei Violet 199, 2. Roch-
holz 265, 517.
Der buchstabe D.
196. Öck sach fäss, fif ok sess,
Ver ok dre — Wi vel fet hadd' de?
D hat keine füsse. N. pr. prov.-bl. X, 290.
Der buchstabe L.
197. De könig lieft et nich, de kaiser ock nich,
On sine Soldaten hewen et altumminliclien mal.
Violet 199, 3. Ähnlieh bei Rochlmlz 266, 519.
Der buchstabe M.
198. Man findet es im schäum, doch nicht in dem bier;
Man findet 's in jedem bäum, doch nicht in der linde;
PREU88I8CHE VOLKSRÄTSKL 261
Der mann trägt's vorne an. die dame in der mitte;
Bei mädchen tritt man's an, bei Jungfern ist's nicht sitte.
Der buchstabe R
199. Es ist ein ding in Kurland,
Das man nicht find'! in Holland;
Die Schweden und diu Schwaben,
Die können das diu-' nicht haben;
Bei Jungfrauen ist's zu finden,
Die weiber haben es hinten.
Aus Dönhoflstädt mitgeteilt. In Schwaben heisst es: Meissen
Preussen — Holland — Brabant. Meier 318.
200. Katen, raten, können's raten —
Dieses ding steckt in dem braten,
Nicht in der haut,
Sondern in der braut.
Nicht in Wien,
Sondern in Berlin.
Berlin ist eine grosse stadt,
Die dieses ding nur einmal hat;
Soll mich der kukuk holen,
Dies ding steckt nicht in Polen!
Der buchstabe T.
201. Die tochter hat's vorne,
Die mutter hat's doppelt,
Der vater in der mitte. (Gerdauen.)
Hundenamen.
202. Es kam die frau von Thielen
Den rechten weg nach Mühlen,
Sie hatte bei sich einen huncl
Und gab ihm den nanien aus eignem mund:
Also. Wie hiess der hund?
203. Kaiser Karl hatt' einen hund,
Dem gab er einen namen aus seinem mund,
Also hiess kaiser Karl seinen hund.
Wie hiess der hund?
Ebenso bei Meier 286. SimrockI, 42. Ygl.Mone, Anz.VII, 265,
245. 267, 279. 371, 287: Antwerpen. — In den N. pr. prov.-bl.
YIII, 378 in folgender fassung:
_ _ H. FRISCHBIER
Kaiser Karolus harre einen lmncl,
Kr gab ihm den namen mit (selbst ans) seinem mund:*
Wie hiess kaisei Karolus sein lunul?
Die Lösung ist hier Wie, auch Selbst. Das nitsel tritt auch
ganz kurz auf: Kaiser Karolus hatt' einen hund. Wie hiess der hund?
20 i. Ich war einmal da,
Bei meinem papa,
Da war ein klein hündchen,
Das spielt' mit mir,
Sein name war dreimal genant
Wie hiess der hund?
Der hund hiess War.
205. Paulus sass am feuer und Pfiff.
Aber Paulus pfiff nicht.
Sondern Paulus sass am feuer und Pfiff.
Der hund hiess Pfiff. (Gerdauen.) Vgl. Simrock II, 68.
Und.
'Jim;. Niemand (.) Und (.) Keiner wohnten in einem haus.
Niemand gieng aus, Keiner ritt aus —
Wer blieb zu haus?
Var.: Keiner. Und. Niemand bewohnten ein haus. Keiner gieng
aus. Niemand fuhr aus. Wer blieb zu haus? — Vgl. Simrock I, 44.
Beim schreiben.
207. Drei blinde führen einen lahmen,
Der lahme bestreut bei jedem tritt und schritt
Das \\ei>se land mit schwarzem sand. (Jerrentowitz.)
Das papier und die schrift.
208. Witt acker opgeplegt, schwärt sät 'rop gcsegt;
Wenn e narr vabigeit, wet he nich, wat drop steit.
Vgl Rochholz 266, 523. Simrock I, 133.
209. Der acker ist ehrenwert, die saat ist wundernswert.
[ittauisch: Paczestna dirwa, dywna sekla. Lepner 118.
Der brief.
210. Auf einer weissen bürg steht eine rote rose.
Willst du die schwarzen männer sprechen,
liusst du die rote rose brechen.
Vgl. Curtze 300.
PHEUSSISCIIE V0LKSRÄT8KL 203
211. Es schwimt eine rote rose
Auf einem weissen see.
Willst du die schwarzen fischlein sprechen,
Musst du die rote rose brechen.
Vgl. Simrock II, 23.
212. In einem weissen see schwimt ein rotes schiff lein , in dem
see sind viele schwarze fischlein.
Das bild (portrait.)
l'13. Si öck jung, so bliw öck jung; si öck 61t, s<> bliw öck 61t
Öck hebb öre on kann nich höre, öck hebb <• näs on kann oich rike,
öck hebb oge on kann oich sene, hebb e mül on kann nich rede.
Öck si e mönsch on bliw e mönsch on si doch kein mönsch.
Vgl. Simrock II, 40.
Das kartenspiel.
214. Es ist ein reich von vier provinzen,
Ein jedes reich hat seine prinzen,
Es geht alles auf hauen und stechen,
Kein fremder hat darin zu sprechen.
Da pflegt die frau den mann zu schlagen,
Es gelit alles auf glück und wagen;
Das glück hat wen'ge reich gemacht,
Doch aber viele in's verderben gebracht.
N. pr. prov.-bl. X, 293. Vgl. Simrock II, 63.
Die glocke.
215. Es haut tag und nacht und bekomt doch niemals späne.
(Pommer eilen.)
216. Öck red Ine tung, öck rop äne hing;
On Ine senn un verstand mäaek eck doch freid un leid
Violet 200, 12. ' bekant.
Die geige.
217. Öck si öm wöl gebore ok opgewasse on kam to hus tom
grine.
218. Üt em wöl gehalt, öm perdstall gefalt;
Öm schäpstall gelämmat, körnt ön e staw gedämmat.
Var. : Ut em wöl gehält (geholt), öm stall gefohlt, öm stall ge-
lamt, huckt am dösch (öm winkel) on granst. (Dönhoffstädt.) — Ut
em wöl gehält, öm kobbelstall gefalt, huckt am dösch on grint; alle
mönsche, dei es höre, renne davon. (Schippenbeil.)
264 H. FRISCHBIER, FREUSSISCILE VOLKSRÄTSEL
Die gewehrkugel.
219. Flog en vagel wiet von hier, hadd en zage] von papier,
Eadd en tsernet bucksken, gott bewahr min klucksken,
Violet 198, 1.
Der weg.
220. Länger als ein bäum, länger als Länder, niedriger als gras.
(Pommerellen.)
221. Wat ös weg, wat blöft weg.
( >s dag on nacht weg,
On jedermann sitt et doch?
X. pr. prov.-bl. X, 29-1. Vgl. Simrock II, 65.
Das loch.
222. Je mehr man zulegt, desto kleiner wird's; je mehr man
abnimt. desto grösser wird's. Vgl. Rochholz 265, 511.
Das schiff auf see.
223. E vagel flog stark äwer e lange mark,
Hadd ön sin kropp fif tonne hopp',
Fif tonne win, ok e fett schwin —
Wer dit rätsei rade wöll, (dem) gew öck fif tonne hoppe, fif
tonne win ok e fettet schwin.
X. pr. prov.-bl. VIII, 376. Bei Müllenhoff 507, 14: Da flügt en
vagel stark twischen hier un Dänemark usw. — Vgl. Rochholz 229.
Simrock I. -158.
22-1. Flog e vagel stark äwern langen markt.
Wat hadd hei ön sinem kropp? tien (fif) tonnen hopp',
Tien (fif) tonnen ber, schnider möt de scher,
Müerer möt de kell — wer dat rat, ös junggesell.
(Westpreussen.)
Var. 4: Öss e braver murer -junggesell. — R. Dorr 77. — Ein
ähnliches rätsei mit der lösung: hahn, wetterhahn bei Rochholz 229,
379 und 230, 380.
Der alf (drache).
225. Es fliegt ein vogel von hier, hat 'nen zagel von papier.
Die kanzel und der prediger.
226. Oben spitz und unten spitz.
In der mitt' ein schwarzes männlein sizt.
K<'>M<rSBERG I. PR. H. FRISCHBIER.
265
WOETSPALTDNGEN AUF DKM GEBIETE DEK NEUHOCH-
DEUTSCHEN SCHEUT- UND VEEKEHESSPEACHE.
In dem gegenwärtigen bereiche der deutschen spräche koml es
nicht selten vor, dass ein wort mit einem andern, von dem es nach
form und bedeutung mehr oder weniger sich entfernt, in solcher ver-
wantschaft steht, dass beide als ein und dasselbe ursprüngliche wort
zu betrachten sind. Bei einem gewissen teile dieser Wörter, besonders
da, wo vermöge eines unberechtigten onterscheidungstriebes «las orga-
nische Verhältnis der Schreibung verlezt worden ist, hat sich die dop-
pelte gestalt zu einigem schaden festgesezt, und es mögen einzelne
unter ihnen auf historischem wege noch wider zur einheit zurück-
gebracht werden können; andere dagegen, die bei weitem grössere zald,
haben durch die Spaltung in zwei und drei, ja selbst vier bestirnt
geschiedene formen der spräche einen nicht unwesentlichen nutzen
gebracht. Die formelle abweichung geht bisweilen sehr bemerkbar dem
abstände der begriffe voraus; es ist, als ob eine form nicht zum über-
fluss in der spräche verweilen soll, wenn ein platz offen ist, den sie
mit Selbständigkeit behaupten kann. Durch einen solchen Vorgang wird
zugleich dem nächst benachbarten worte eine schärfere und in man-
cher hinsieht vorteilhafte begrenzung zu teil. Ein anderer fall zeigt
sich, wenn auf irgend eine weise im laufe der spätem zeit eine form
Veränderung erlitten hat und nun das gleichsam neu entwickelte wort
neben dem altern in abweichender bedeutung fortgilt. Eine besondere
art bilden diejenigen doppel Wörter, von denen das eine dem hochdeut-
schen angehört, das andere entweder aus der niederdeutschen mundart
oder anderswoher, sei es mit fug oder unfug, eingang in die spräche
gefunden hat. Selbständiger stehn die niederdeutschen Wörter da, und
ihrer geltung liegt in der regel ein unabweisliches bedürmis zu gründe;
aber auch die andern, welche namentlich aus der französischen spräche,
wohin sie früh gewandert waren, in die deutsche heimgekehrt sind,
dürfen die anfmerksamkeit eines jeden, der mit ihnen zu verkehren
gewohnt oder genötigt ist, in ansprach nehmen. Endlich komt eine
ansehnliche reihe eigentlicher fremd Wörter in betracht, die einesteils
ein gemeingut aller geworden sind, andernteils entweder vorzugsweise
als terminologische benennungen der wissenschaftlichen spräche des
gelehrten angehören, oder als unentbehrliche begleiter des conventionel-
len unterhaltungstones zu gelten pflegen. Ausgeschlossen bleiben die-
jenigen Wörter, welche, obwol einander aufs allernächste verwant, doch
keine einheit in sich selbst bilden, Avie trank und trurik, wache und
26(5 ANDBBSKN
wacht, gewinn und gewinst; ferner solche, die keinen merkbaren
unterschied der bedeutung aufzuweisen vermögen, wie erle und euer,
fohlen und fallen, gatter und gitter.
In der altern grammatik hat man es als einen besondern vorteil
betrachtet, wenn der gebrauch einem werte, das sich in zwei bedeu-
tungeu spaltet, zu bequemerer Unterscheidung eine doppelte gestalt ver-
lieh. Dass dadurch vielleicht ungleich wichtigere rücksichten verlezt
wurden, blieb meistens unbeachtet. Zwar gilt nicht alles mehr, was
in dieser richtung beliebt worden ist; es komt sehr darauf an, wann
dergleichen unorganische Unterscheidungen in der spräche platz gegrif-
d und wie lange schon sie so gut wie unbestritten in derselben ver-
weilt haben. Falt die änderung in eine jüngere zeit, so hat sie auch
gelmässig wider weichen müssen, nachdem eine gesundere sprach-
anschauung zur anerkennung gelangt war, z. b. die trennung des adj.
gahr vom adv. gar; auch irol und wohl, deren Scheidung von der
philosophischen grammatik empfohlen worden ist. sind neben einander
nicht mehr geläufig oder scheinen es vielmehr nie recht gewesen zu
in. Dagegen gilt heute überall, von der bewusten gewohnheit ein-
zelner sprachgelehrten abgesehen, zwischen der präp. wider und dem
adv. wieder, welche eigentlich dasselbe wort sind, ein zwar früher,
jedoch erst im 17. Jahrhundert durchgedrungener unterschied der Schrei-
bung. Älter, praktisch nützlich und bequem ist der abstand von dass
und das, deren ursprüngliche identität sich im niederdeutschen auch
äusserlich erkenbar erhalten hat: während es verwerflich erscheinen
muss. dem adv. von bloss, welches erst in der nhd. sprachperiode auf-
_ kommen ist. einfache> s zu verleihen, oder anstatt bisschen} wenn es,
wie gewöhnlich, ..ein wenig" bedeutet, bischen (vgl. die vielen Nord-
deutschen geläufige ausspräche ..bi- sehen") zu schreiben. Wie sich im
französischen on auf komme oder richtiger auf dessen acc. hominem
stüzt. so sind im deutschen das abstrakte pron. n/au und das konkrete
subst aiaan im Ursprung eins: die algemein herschende Scheidung folgt
aus der für das neuhochd. geltenden lehre von der Verdoppelung der
auslautenden konsonanz nebst den ausnahmen.
Wenn der unterschied zwischen dass und das bloss graphisch
zum ausdrucke gelangt ist, so haben die genetive des, der und der
dativ plur. d, ,,. für den substantivischen gebrauch, d. h. für die fälle,
dass das pron. allein, ohne subst. steht, eine Verlängerung erfahren,
welche, almählich fortgeschritten, heute als regel gilt: die gen. sing.
des und da der und deren, die dat. plur. den und denen sind
daher Zwillingswörter; aus dem gen. plur. der haben sich sogar zwei
W0BT8PALTU5GKN IN DBB NHD. SPRACHE 267
erweiterte formen mit verschiedener bedeutung entwickelt, deren und
derer, welche mit der zusammen als drillinge betrachtet weiden kön-
nen. Wie des zu dessen, verhält sich wes zu wessen, jedoch bloss
formell; ein unterschied der bedeutung findet Dicht statt, da wer nur
substantivisch gebraucht wird, und überdies ist wes heute beinahe ver-
altet, aber in weshalb, weswegen erkenbar geblieben.
Zwischen dar und da besteht kein etymologischer unterschied,
das r ist ursprünglich (got thar, ahd. dar, engl, there) und erst später
abgefallen; ebenso verhalten sich hier und hie (vgl. ahd. hiar, engl. here).
Während in dem heutigen mustergiltigen gebrauche dann und denn,
wann und wenn verschiedene funktionell haben und mischungen selten
statfinden, kam diesen beiden Wortpaaren in der alten spräche kein
unterschied der bedeutung zu: für den begriff des temporalen dann
(lat. tum) wurde bald dorne, bald danne gesagt, denn im sinne des
lat. neun hat sich erst im neuhochd. festgesezt; ebenso hiess es für
tetnni (lat. queindö) teils /ranne, teils wenne, das konditionale wenn
(lat. st) war nicht vorhanden, sondern wurde durch obe (ob, engl, if)
ausgedrückt. Bekantlich ist mit der einzigen ausnähme warum der
vokal des alten wä in o übergegangen, doch findet sich daneben auch
warum } wenn nicht sowol nach dem gründe als nach dem gegenstände
gefragt wird (z. b. worum handelt es sich?); insbesondere gilt worum
als relativ, wie bei Goethe: „ein himlisches gut, worum sie einander
bringen können." Die konj. weil ist eigentlich der acc. des subst,
weile, was sich deutlicher in dem etwas veralteten dieweil, mhd. die
/eile, kund gibt. Ebenso gründet sich das adv. weg auf den acc. des
subst. weg, der jedoch die präp. „in" neben sich hatte (mhd. enwec
f. in wec; vgl. engl, away), wrährend wegen dem mit der präp. „von"
verbundenen dat. plur. desselben subst. entspricht. Die präp. nach steht
im Ursprünge dem adv. nahe gleich. Das adv. Hingst und die uneigent-
liche präp. längs gründen sich beide auf den mhd. gen. langes. Aus
mhd. sunder sind die präp. sonder und die konj. sondern hervorgegan-
gen. Wörtliche erkiärung des zusammengesezten adv. im mir (ahd.
iomer) würde den ganz verschiedenen begriff je mehr ergeben, während
nimmer sich von nie mehr dem sinne nach weit weniger entfernt.
Die vieldeutige partikel als ist schon in früher zeit aus also gekürzt
worden; ferne steht ihr an sich das der süddeutschen Volkssprache so
geläufige temporale adv. als (z. b. ich geh als sontags hin), welches
aus dem mhd. acc. allez, entsprungen ist. Der unterschied zwischen jetzt
\\ndjet\o, die beide aus mhd. ie\uo stammen, betrift nicht die bedeu-
tung, sondern allein den gebrauch; jetxo, im vorigen Jahrhundert vor-
ANI'KKM.N
zugsweise beliebt, klingt heute altertümlich. Wahrend gegen im alge-
meinen und für alle beziehungen gebraucht wird, ist das daraus gekürzte
gen ( mini, gein, gen) nur für gewisse richtungsverhältnisse üblich
blieben. Bei entzwei wird kaum noch an die zweizahl gedacht, es
bedeutet so viel wie zerbrochen, zerrissen; dem mhd. enzwei liegt das
and. in zuei, d. i. und. in zwei (teile oder stücke), zu gründe. Von
dem ahd. in zuisken (in der mitte von zweien) stamt das adv. inzwi-
. aber auch mit sehen mhd. kürzung die präp. zwischen. Ein-
mal gilt bekantlich als adv. der zahl und als adv. der zeit, hat jedoch,
entsprechend dem Verhältnis des Zahlworts ein zu dem unbestimten
artikel. für diese bedeutungen eine verschiedene betonung erhalten; in
r Volkssprache wird das temporale einmal gern in mal gekürzt.
Anstatt nun wurde in alter zeit überall nu gesagt, eine form, die im
tagliehen leben noch heute oft gehört wird und ausserdem als snbst.
in der Schriftsprache algemein üblich ist. Die adv. von fest und schön
hiessen im mhd. vaste und schöne, im nhd. lauten sie wie die adj.;
aber die mhd. formen haben sich mit wesentlich veränderten abstrak-
ten begriffen in fast und schon fortgesezt. Vermöge des kurzen vokals,
der freilich dem wort ursprünglich gebührt, scheidet sich das adv.
flugs (vgl. falls, rings) von fluges, dem gen. des subst. flug, welcher
a dehnt gesprochen wird: die frühere Schreibung „flux" beweist, dass
man sieh der herkunft des Wortes nicht bewust war. Anders beruht
auf dem gen. des adj. ander, der heute anderes (z. b. anderes sinnes)
zu lauten pfleg!
Mehrere subst. sind aus entsprechenden adj., meist ohne auffal-
lende Veränderung der form, aber unter bestirnter entwickelung einer
neuen bedeutung, hervorgegangen. Auf die positive greis: jung, spiU
gründen sich die subst greis, junge, spitz. Dem komparativ falt ins-
besondere zu: kerr, wörtlich der hehrere, ahd. kerro aus heriro (von
her, erhaben, ehrwürdig), woraus sich auch durch die mhd. kürzung
' /• (f. her, Inf) der pastorenhafte, an „ehre" angelehnte titel ehren im
altern nhd. entwickelt hat; ferner jünger, eitern, verglichen mit jiin-
attern. Der Superlativ ist subst. geworden in oberst, früher auch
altertumlich obrist geschrieben, an sich gleich oberste; in liebster,
liebste, womit sieh vor zeiten auch die jezt veralteten ausdrücke ehe-
Uebster, eheliebste zusammengesezt haben. Im mhd. hat sich von dem
ahd. adj. mennisc (got mannisks), welches als männisch von Schiller
d paarmal gebraucht worden ist. aber im heutigen deutsch (neben
..männlich") kaum fortlebt, die subst form mensch gelöst und heraus-
gebildet. Das adj. golden hiess früher gülden, mhd. guldin; hieran.^
WORTSPALTUNGEN IX DKB NIID. SPRACHE 269
ist später das subst. gülden entstanden: golden, gülden (altertümlich
und dichterisch), gülden bilden ein drillingsverhältnis. Unter den wenir
gen zu subst. gewordenen part präs. befinden sich zwei, deren rein
verbale form daneben gilt, freund und heiland, denn von dem got.
part. frijönds (von frijdn, freien, lieben) stamt mhd. vriunt, nhd.
freund, und heiland ist das and. part. von heilem; freund und freiend,
heiland und heilend sind daher doppelwörter.
Aus dem im mhd. geläufigen attributiven gebrauche des unflek-
tierten adj. erklären sich eine menge aneigentlicher Zusammensetzungen
im nhd.; einigen derselben ist im spätem verlauf eine bedeutung zu
teil geworden, welche von der ursprünglichen mehr oder minder ab-
weicht. So sind gleichungen entstanden wie junggeseü und junger
gesell (mhd. june geselle)] junker und junger herr; Jungfrau, Jungfer
und junge frau, die zu einander im drillingsverhältnis stehn; edelmaun
und edler mann; hochmut und hoher mut (vgl. hoffart und mhd. hiVh-
vart, vornehme lebensweise, glänz, edler stolz: hochzeit und hohe, d. h.
festliche zeit); drittel (dritteil) und drifter teil; kurz/weil und kürzt
weile; hochschule (Universität) und hohe schule (gymnasium).
Unsere jetzige spräche besizt viele männliche subst., in deren
nominativ das n der obliquen kasus gedrungen ist; bei einem teile
derselben hat sich daneben die organische form erhalten, und die spräche
hat dies für einen unterschied der bedeutung benuzt. Algemein gilt
heute schaden, selten findet sich noch schade; allein gerade diese lezte
form herscht ausschliesslich in der Verbindung „es ist schade" mit
abhängigem nebensatz. Aus mhd. lumpe, tropfe sind lumpen, tropfen,
aber auch die persönlichen Wörter lump, tropf mit abweichender deklin.
entsprungen; neben Frauke für den volksnamen wird für eine aus
Frankreich stammende münze gewöhnlich franken, nicht mehr franke
gesagt. Unter rappe verstehen wir ein schwarzes pferd, unter rappen
eine in der Schweiz gangbare, ursprünglich mit einem schwarzen vogel-
kopf geprägte kupfermünze; da aber rappe eine ältere nebenform von
reibe ist, so stelt sich wider ein drillingsverhältnis dar. Fleck und
flecken, deren bedeutungen insgemein auseinandergehalten werden,
stammen von mhd. vice, vle'cke, ohne dass in jedem falle bestirnt fest-
steht, ob fleck zu jenem oder diesem worte gehöre, während flecken
jedesfals auf vle'cke zurückgeht. Unzweifelhaft sind bache und hacken
ursprünglich eins: die mhd. form des leztern wortes, mit welchem das
fem. betcke nichts zu tun hat, lautet bache und bedeutet schinken,
Speckseite; von dem geschlachteten schwein wurde der name im altern
270 ANPKKSFX
nhd., wo er zuweilen auch als masc. erscheint, auf das lobendige über*
tragen und blieb für die wilde sau haften.
Mehrere doppelwörter beruhen auf einer mischung verschiedener
flexionsformen. Aus mhd. verte, dem plur. von vart, ist nhd. fährte
entstanden, welches sich von fahrt unterscheidet Genau so verhalten
h formell schlaft und schlaf; doch findet kein unterschied der
bedeutung, sondern allein des gebrauches statt, insofern schlafe der
wohnliche ausdruck ist. schlaf der mehr gesuchten rede angehört.
Vielleicht darf das fem. posse aus dem plur. des masc. possen, welches
zuerst im 16. Jahrhundert als bosse, posse auftritt, erklärt werden;
possi als theaterstück besteht gewissermassen aus einer mehrheit ein-
lner possen. Deutlich nach dem mhd. (stat, stete) gründet sich statte
auf den plur. von statt; aber mhd. stat ist auch die quelle von stadt,
welches daher mit statt eigentlich übereinstimt, so dass wider drei und,
wenn wir die aus dem subst. erwachsene präp. statt (anstatt) hinzu-
fügen, vier Wörter mit verschiedener bedeutung vorliegen, welche
ursprünglich identisch sind.
Hier schliessen sich die fälle an, dass an einem worte zweierlei
plurale mit verschiedener bedeutung entwickelt sind. Dahin gehören
zur bezeichnung des gewichts, der zahl und des masses zunächst einige
der mhd. regel entsprechende plurale neutra, wie pfund, buch, fass,
rnass, verglichen mit pfunde, hü eher, fässer, masse; sodann, entgegen
der mhd. weise, mehrere der analogie folgende masc, wie fuss, schritt,
verglichen mit fasse, schritte. Hohes alter hat der plur. mann nach
einer zahl, woneben später zwei flektierte bildungen eingang in die
spräche gefunden haben, männer und mannen, die sich von einander
und von der unflektierten form dem begriffe nach unterscheiden.
Anderer art ist die entwickelung zweier plurale in bände und
bänder, dinge und dinger, laude und länder, orte und örter, schilde
und schilder, worte und Wörter. Diese doppelformen beruhen grösten-
teils auf analogie, zum teil hat auch das zwiefache geschlecht einge-
wirkt: bei ..band" ist noch der plur. bände vom sing, des masc. zu
berücksichtigen.
Differenzierung der bedeutung durch Verschiedenheit des geschlechts
zeigt sich, obwol nicht mit aller strenge durchgeführt und der altern
spräche unbekant, bei flur, volkommen dagegen und ursprünglich
gleichfals nicht vorhanden, bei see, während das doppelte geschlecht
n hdft auf zwei an sich verschiedenen Wörtern zu fussen scheint.
Das ma schwulst und die demselben gebührende figürliche bedeu-
tung gehören der jungem zeit an; im mhd. war das wort nur als fem.
WOBTSPALTUNGKN IN' DKB NHD. SPRACHE L'7 1
ühlich. Audi das neutr. gift ist nicht ursprünglich , in der alten spräche
einigte sich die besondere bedeutung mit der algemeinen „gäbe" (vgl.
vergeben = vergiften); heute ist das fem. so gut wie verklungen, aber
in ..mitgift. brautgift" erhalten. Mensch als neutr. komt schon im mhd.
vor, jedoch ohne den verächtlichen nebenbegriff, welcher heute diesem
wort anklebt. In folgenden Wörtern offenbart sich ebenfals eine auf
• las zwiefache geschlecht bezügliche, algemeine '»der nur /um teil
gebräuchliche differenz der bedeutung: chor, erkentnis, ersparnis, ge-
halt, teüj verdienst.
Wie reibe zu rappe (s. 269), ebenso verhält sich knabe zu knappe;
im mlid. haben beide formen mehrfach noch die gleiche bedeutung.
Merkwürdig ist die Identität von köder und querder, wie in vielen
gegenden Norddeutschlands nach der mhd. form jenes weites (ahd. quer-
dar) der bortenartige säum an einem kleidunirsstück heisst; da man
unter köder anderswo auch einen schmalen gebogenen lederstreifen am
schuh versteht, so wird füglich angenommen, dass dieselbe bezeichnung
für den regenwurm — denn das bedeutet köder zunächst — wegen
einer ähnlichkeit der form eingetreten sei. Ilain ist aus hegen, einer
ableitung von hag, zusammengezogen, daher an sich dasselbe wort,
hat aber durch die dichter des vorigen Jahrhunderts eine eingeschränkte
bedeutung erhalten, deren hagen nicht fähig ist. Kine gleiche zusam-
menziehung zeigt sich bei maid und magd, mhd. meit aus maget;
der ursprüngliche begriff ..Jungfrau" ist in magd herabgedrückt, in
maid dichterisch gefärbt worden. Dem mhd. swanc entsprechen
schwang und schwank (streich): aus wäre, werch ist ausser werk durch
mitteld. einfluss auch werg (das ausgewirkte, herausgeschafte) entstan-
den. Wahrscheinlich sind hobalt und kobold, die sich, wenn sie aus
höbe (hütte) und der von „walten" stammenden silbe -ald, -old beste-
hen, nach den formen, welche früher auch oft mit einander wechselten.
mit namen wie Haynald und Heinold vergleichen lassen, ein und das-
selbe wort; der bergmann mag dem erz den namen des gespenstischen
und neckischen geistes, in dessen gewalt es ist, gegeben haben. Mond
und monat bilden insofern ein paar, als das erstere seine form wesentlich
dem von mhd. mäne abgeleiteten mänet, mänöt (nhd. monaf) verdankt:
mond für monat war früher sehr gebräuchlich, klingt aber heute alter-
tümlich und erscheint bloss bei dichtem. Wie fohlen und füllen
(s. 266), ebenso fallen sehne und senne zusammen, unterscheiden sich
aber so, dass sehne algemein und in jeder beziehung üblich ist, senne}
überhaupt in sparsamem gebrauche, nur oder doch überwiegend die
bogensehne begreift. Obenhin betrachtet, gehn der bedeutung nach
272 ANDRES KN
beti und beet weit auseinander, genau erwogen, einigen sie sich bequem;
im altd., engl., plattd. lauten beide gleich. Die form am/mann (land-
ammann in der Schweiz) entspringt durch erweichung aus ai/ilmaim.
Zwischen I&um und leu, die beide auf mhd. hwe} lew fussen, besteht
kein weiterei unterschied, als dass jene form die algemeine bezeichnung
ist, diese bloss der gehobenen spräche angehört. Engere bedeutung als
schauer (mhd. schür) hat schander, mit später eingetretenem d: man
spricht weder von einem „regenschauder" noch einem „schauderbad",
sondern sagt beidemal „schauer"; Schauder gilt mehr von geistiger
empfindung Wie auch das Verhältnis des mlid. ritter zu riter beur-
teilt werde, doppel wörter darf man nhd. reifer und ritter jedenfals nen-
nen; die neben reiter in den anfangen des nhd. aufgekommene, bald
vorhersehend gewordene, seit langer zeit aber wider verlassene form
renter ist nur misverständlich auf „reiten" bezogen worden, gehört
vielmehr dem hell, ruiter an, welches von mlat. ruptarius (wegelage-
rer zu pferde, räuber; vgl. rotte und frz. route) stamt. Mahl (essen;
'.. mahlzeit) ist vermutlich eins mit mal (zeit); will man aber, was
sich gleichfals hören lässt, lieber davon ausgehn, dass auf jede grössere
vTsamlung ein gemeinschaftliches essen zu folgen pflegte, so wird mahl
in mahlschatz, mahlstatt, gemahl, denen ahd. mahal (versamlung, Ver-
handlung, vertrag) zu gründe liegt, als Zwillings wrort aufzustellen sein.
Das abstrakte scheu und das konkrete scheuche entsprechen dem mhd.
schiuhe, dessen h in jenem wort abgefallen, in diesem ch geworden
ist. Die identität von tölpel und dorfer (dorfbewohner) wird durch die
dem niederd. zugewanten altern formen dorper, dörpel, törpel, dölpel
nnittelt; zur begrifsentwickelung vgl. lat. rusticus und frz. vilain
(villanus). Mäkler und ///aller werden zwar kaufmännisch ohne unter-
schied gebraucht, in der bedeutung „kleinlicher tadler, bekritler", für
welche man mit unrecht den Ursprung aus dem fremdwort „makel"
behauptet hat, gilt aber nur die umgelautete form. Der kürzung von
dritteil in drittel is. 269) gleicht die von urteil in urtel; während
jedoch urteil algemeinen Charakter hat, pflegt das überhaupt seltene
urtel auf den begriff „richterliche entscheidung" eingeschränkt zu wer-
den. Au- herr Jrs/t* ist der ausruf herrje verstümmelt und zugleich
euphemistisch hervorgegangen. Den nhd. Wörtern gischt und gest lie-
fen die mhd. formen gist, gest, jest (von jesen, gären) zu gründe; gest
ist in einem grossen teile von Norddeutschland der algemein üblich»'
ausdruck für „hefe" al> gärungsmitteL Das zwar in der Schriftsprache
kaum mehr lebendige, aber mundartlich erhaltene subst. letze, welches
ende, abschied und das, was zum abschied gereicht wird, bedeutet,
WOBTSPALTUNGEN IN DBB NHD. BPBACHE 273
hat die volksetymologisch umgewandelte form letzt in der redensart
v'/ai guter lezt" neben sich.
Die adj. fahl und falb entspringen beide aus mhd. val gen. val-
wes, werden indessen einer trennung unterworfen, wenn auch biswei-
len eins fürs andere gesezt werden mag; es heissl z. b. das fahle
gesicht, aber die falben blätter. Buchstäblich ebenso verhalten sieh zu
mhd. gel gen. gelwes die schriftdeutsche form gelb und die mundart-
liehe gehl. Obgleich im mhd. twerch und twer aeben einander beste-
hen, dürfen nhd. twerch und quer (platd. dwer) als wesentlich eins
betrachtet werden; zu dem Wechsel des konsonantischen anlauts vgl.
nhd. quehle, zwehle und mhd. twehele (handtuch). Während im mhd.
quec (lebendig, frisch; vgl. erquicken) als haupt-, kec als nebenform
galt, kehrt sich im nhd. das Verhältnis um: aber keck hat heute weit
überwiegend moralische bedeutung, und queck (auch quick, wie im
engl.; vgl. Quiekborn) komt fast nur noch in Zusammensetzungen vor,
namentlich in quecksilber (engl, quicksilver). Dem mhd. sieht ent-
spricht der form nach nhd. schlecht, dem begriffe nach nhd. schlicht
(vgl. engl, slight, gering); schlecht im sinne von schlicht hat im nhd.
lange gegolten und wird heute noch in „schlechthin, schlechtweg,
schlechterdings" sowie in der Verbindung „schlecht und recht" ge-
braucht. Von dem stark entstellen bieder unterscheidet sich das ihm
zu gründe liegende biderbe nur, insofern es altertümlich und etwas
gesucht klingt; die bedeutung ist dieselbe geblieben. Nackt und
nackend bestehen seit langer zeit nebeneinander; allein nackt wird doch
als der algemeinere und bessere ausdruck betrachtet, während nackend
mehr der mündlichen rede angehört. Da dem alts. wel hochd. wol ent-
spricht, so lassen sich die freilich höchst seltenen, aber in die spräche
zweier berühmten dichter geratenen adj. wählig st. welig (Voss) und
wolig (Goethe) als zwillingswörter ansehen. Die beiden von hof al ►ge-
leiteten adj. hövesch und hübesch (b aus v) waren ursprünglich der
bedeutung nach nicht geschieden; nhd. höfisch und hübsch bezeichnen
gesonderte begriffe und dürfen nie mit einander tauschen Wahrschein-
lich sind ekUch, heiklich und hählich, deren begriffe sich im algemei-
nen nahe berühren, in mundarten zum teil decken, auf denselben
grund zurückzuführen. Sachlich und sächlich, in der alten Sprache
nicht vorhanden, aber in sich eins, unterscheidet der gebrauch hin-
reichend; doch pflegte J. Grimm sächlich für sachlich und vom ge-
schlecht regelmässig „neutral" zu setzen.
Die jetzigen adj. bescheiden, erhaben, gediegen, getrost beruhen
auf alten part, welche im nhd. beschieden, erhoben, gediehen, (jetröstet
18
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIII.
2 .4 ANDERSEN
lauten. Verwegen ist das mhd. pari des reflex. sich verwegen; für
die nhd. konjug. eignet sich nur die nach „gewogen" (mhd. gewogen)
bildete form verwogen. Von durchleuchtet } erleuchtet (mhd. durch-
Uuhtei, erliuhtet und gekürzt durchlüht, erlüht) unterscheiden sich die
adj. durchlaucht, erlaucht, welche auch substantivisch gebraucht wei-
den. U, das mit dem sogenanten rückumlaut versehene pari von
llen, ist teils für sieh allein, teils und besonders in den zusammen-
bringen misgestalt, ungestalt, wolgestalt als adj. verblieben; die kon-
jug. kent nur gestelt Anstatt „bestalt" heisst es lieute gewöhnlich
staut, weil der int", bestallen sieh geltend macht; als pari zu bestel-
len ist natürlich nur besielt brauchbar. Das alte pari von decken hat.
sich als technischer ausdruck erhalten: die mit einem deekel verschlös-
se Orgelpfeife wird gedockt genant; gedeckt und gedockt sind dalier
zwilling Das dem part. von lehren entsprechende adj. gelehrt hat
neben sich die aus dem mitteld. stammende form gelahrt, welche heute
nur hie und da noch altertümlich und meist in spöttischem sinne
_ '»raucht wird. Yon verwirren ist das starke part. verworren als sol-
ches nicht mehr üblich, es gilt nur verwirt: da jedoch verwirt auch
adjektivische funktion bekommen hat, so hat die spräche den unter-
aied der form dazu benuzt einen unterschied der bedeutung festzu-
setzen; vgL ein uerwirter schüler, verworrenes geräusch. Geweint und
gewendet, verwant und verwendet, gesant und gesendet dürfen in der
konjug. zwar im algemeinen mit einander wechseln; aber die der je
zuerst genanten form entsprechenden adj. gewant und verwant dulden
die andere nicht neben sich, und anstatt des subst. gesante kann „ge-
sendete" nicht gebraucht werden. Yon bereden stammen beredet und
redt, jenes mit pass., dieses mit akt. bedeutung. Denselben unter-
schied der begriffe zeigen getrunken und trunken, wie das part., das
jezt nur adjektivisch verwendbar ist, in der alten spräche gelautet hat.
Grleichfals ohne partizipiale vorsilbe bestellt durchtrieben als adj. neben
dem eigentlichen part. durchgetrieben. Wenn von fallen, sahen, spal-
ten, welche im nhd.. ausser im part. prät, durchweg der schwachen
konjug. zugefallen sind, vermöge der sehr nahe liegenden analogie auch
i wache formen dieses part. auftreten, zum teil überwiegen, so lässt
sich als regel aufstellen, dass sie nur dann etwa berechtigt sind, wenn
nicht die adjektivische, sondern die rein verbale bedeutung vorliegt;
daher hi teils ziemlich algemein, teils kann es heissen z. b. er
hatte die bände gefaltet, aber: sass da mit gefaltenen bänden; sie hatte
die suppe nicht gesaht, aber: gesalzene beringe; der knecht hat holz
WORTSPALTUNGEH IX DER NHD. SPRACHE 275
gespaltet, aber: häufe gespaltenes holzes (vgl. eine gespaltene und eine
durch den Säbelhieb gespaUeti Lippe).
Auf rein verbalem gebiete Bind drucken and drücken, tucken und
zücken als Zwillinge zu betrachten; je beide nach form und begriff
jezt getrente Wörter konten früher ohne unterschied gebraucht wer-
den. Dom mhd. wegen entsprechen wägen und wiegen. Von dem
subst. „knöpf" ist im altd. knüpfen, erst im 15. Jahrhundert knöpfen
gebildet worden. Anstatt hengen, wie es im mhd. hiess, wird heute
hängen geschrieben: die schon vom ahd. überkommene nebenform hen-
ken gilt insgemein nur in eingeschränktem sinne (vgl. henker). Wie
Schauder zu schauer (s. 272), jodeln zu jolen, verhält sich häudern
(wovon hauderer, lohnkutscher) zu heuern (mieten); zu gründe liegl
mhd. huren, niederd. hüren (engl. hire). Die ursprüngliche identität
vod scheuen und scheuchen gleicht der von scheu und scheuche (s. 272);
das mhd. schiuhen vereinigte beide bedeutungen, aber schon zu Luthers
zeit war die trennung erfolgt. Neben ausreuten wird ausrotten fast
nur in geistiger und ausroden nur in sinlicher bezieh ung gebraucht;
alle drei gründen sich auf mhd. Hüten, doch ist bloss das erste rein
hochdeutsch. Ton dem präfix abgesehen, sind betätigen und vertei-
digen offenbare zwillingswörter; das mhd. teuUngen (teidinc aus tage-
diue, gerichtstag, gerichtsverhandlung) bedeutet vor gericht verhandeln,
aber betätigen hat sich volksetymologisch zu „tätig" hingewant. In der
konjug. von „werden" begegnen wir den in der heutigen anwendung
strenge geschiedenen doppelformen worden und geworden, von denen
in der altern spräche nur die erste üblich gewesen ist; ferner lautet
das prät. teils organisch ward (mhd. wart), teils unorganisch wn rde
(mit angehängtem e statt wurd und dies aus dem plur. eingedrungen),
ohne dass der algemeine prosaische gebrauch eine trennung durchge-
führt hat (in der poesie hat wurde keinen guten klang).
Im verlaufe der entwickelung des nhd. sind eine menge werter mit
niederdeutschem gepräge der Schriftsprache zugeführt worden; unter
ihnen befinden sich manche, deren hochdeutsche form daneben gleich-
fals gebraucht wird. Schon im vorhergehenden ist einzelner werter
erwähnuDg geschehen, welche zwar im mhd. vorkommen, aber eigent-
lich in der vom niederd. durchdrungenen mitteld. mundart zu hause
sind, wie r/est, gelahrt, ausrotten. Da, wo eine niederd. form ohne
bestirnt wahrnehmbare abweichung in der bedeutung neben der hochd.
aufzutreten nicht ohne erfolg versucht hat, ist mindestens die Schrift-
sprache befugt der seitenform aus dem wege zu gehen, z. b. bei küper,
linneh, schlapp, weiden für küfer, leinen, schlaff, weiten. Bisweilen
18*
ANDBE8KN
lässt sich über die berechtigung streiten. In einigen grammatischen
hriften norddeutscher Verfasser hat reep (seil, strick; engl, rope) auf-
nähme gefunden; zwar hochd. reif durfte nicht dafür gesezt werden.
da die bedeutung nicht oder nicht mehr stimt: weil jedoch neben den
beiden genanten bezeichnungen desselben begrifs das wort völlig über-
flüssig ist, so hat dir Schriftsprache das recht sich ihm zu entziehen.
Anders steht es um Wörter, durch welche ein anderer begriff aus-
drückt wird, als der entsprechenden hochd. form zukomt. Darnach
beurteile man folgende gleichungen, die sich nach verschiedenen Laut-
verhältnissen in einzelne gruppen zerlegen lassen.
Dem hochd. neutr. waffen, das jezt nur altertümlich und dich-
terisch für das später daraus entwickelte fem. waffe gebraucht wird,
entspricht die ursprüngliche aiederd. form wappen mit zwar verwanter
aber doch strenge geschiedener bedeutung; den subst. folgen die verba
wafhen und wapnen. Ebenso gleichen sich Staffel und stapel; der
n<-insame hauptbegriff ist grundlage, erhöhung, gerüst. Das in die
spräche norddeutscher schriftsteiler gedrungene niederd. j"i>i><'n und das
hochd. gaffen sind etymologisch dasselbe wort; beide bedeuten eigent-
lich ..den mund aufsperren" (vgl. engl. gape). Aus dem grundbegriffe
des Schalles und tones haben sich die bedeutungen des hochd. Idaffen
und des niederd. klappen, welche im jetzigen deutsch nicht mit einan-
der tauschen können, entwickelt. Mit kürzung des vokals und darauf
erfolgter doppelung des kons, ist schleppen aus niederd. sUpen, hochd.
schleifen, entlehnt worden. Dass auch stopfen und stoppen in sich
eins sind, lässt -ich denken; als gemeinsamen begriff hat man „aufhal-
ten" anzunehmen (vgl. engl. stop). Kneifen ist kein altes wort, son-
v\\ erst im nhd. aus dem niederd. kneipen, ursprünglich knipen
(nicht zu verwechseln mit kneipen von kneipe), ohne dass sich ein
deutlich erkenbarer unterschied der bedeutung festgesezt hätte, ins
hochd. umgesezt; während frühe)' kneipen häufiger als kneifen gebraucht
wurde, kehrt -ich heute das Verhältnis um. Schnuppe vom glühenden
docht und in „Sternschnuppe" ist mit schnupfen eigentlich identisch;
die trennung der formen und die Verschiedenheit des geschlechts fan-
den in der altem spräche nicht immer statt.
Obgleich das schriftd. elf mit dem plur. elfen nicht aus dem nie-
derd.. sondern aus dem engl, entlehnt ist, steht es doch auf niederd.
lautstufe, hochd. wäre elb; von elf scheidet sich nach form und begriff
da- im Ursprung identische hochd.. sogar strengalt hochd. alp, von dem
das aipdrücken herrührt. Schnauben ist hochd., mhd. snüben, dem
WOETSPALTUNGEN IN DER NHD. BPBACHE J77
niederd. snüven entspricht, woher schnaufen stanit; der gebrauch unter-
scheidet beide Wörter (vgl. anschnauben und sich verschnaufen).
Auf den Wechsel zwischen hochd. /'/ und niederd. cht, dem die
Schriftsprache verschiedene Wörter verdankt, welche heute insgemein
nur in der niederd. form geltung haben, wie gerückt, nickte, schluckt,
beschwichtigen, sichten, gründen sich einige doppelwörter unserer jetzi-
gen spräche, die beiden mundarten angehören. So gleichen einander
sackt, sachte und sanft; echt und ehehaft (mhd. ikaft, oiederd. ehackt,
gesetzmässig, rechtsgiltig), das zwar als adj. verschollen, aber als subst.
im plur. (ehehaften , rechtmässige hindernisse) in der gerichtssprache
erhalten ist; schockt und schaff (die speerstange diente als mass; vgl.
Bchechten, wie im niederd. die stiefelschäfte heissen), ferner die damit
zusammengesezten pflanzennamen Schachtelhalm (sckachthalm), schach-
telheu und schafthalm, schaftkeu. Da^s aber lichten in der beziehung
auf „anker", wie sehr oft behauptet wird, hochdeutschem lüften, wel-
ches im niederd. freilich lückten (engl, Lift) lautet, entspreche, beruht
wol auf irtum; die Verbindungen „ein schiff lichten" und „die anker
lichten" scheinen vielmehr dasselbe niederd. wert (mhd. Übten, leicht
machen) zu enthalten.
Den hochd. wertern gäk, jäh (arlv. jach) entspricht die niederd.
form gau (schnell, behende), deren gebrauch sich in der hochd. rede
zwar heute wol nur auf einen teil von Norddeutschland beschränkt,
früher aber und noch im 18. Jahrhundert sich weiter erstreckt hat;
mit diesem „gau" ist „gaudieb" (niederd. gaudef) zusammengesezt. Ein
in der hauptsache gleiches Verhältnis zeigen nah und genau (mncL
nouwe, hell, naauw, enge); in mundarten findet sich häufig die ein-
fache form „nair, woher „benaut" (beklommen, beengt) stamt. Das
dem jetzigen heischen zu gründe liegende ..cischen" (engl, ask) lautet
niederd. regelrichtig eschen, in manchen gegenden Norddeutschlands
noch heute auch in der Schriftsprache der stehende ausdruck bei gericht-
lichen ladumren.
o
Auf der dem niedere!, eigenen Versetzung des r beruht born,
welches jezt fast nur dichterisch neben brunnen gebraucht wird; vgl.
bernstein, von bernen (engl, burn) = brennen. Ebenso verhält sich
bersten (engl, burst) zu mhd. „bresten", wroher gebresten und bresthaft
stammen.
Den anlaut wr kent das nhd. nicht; gleich wol hat es einzelne mit
irr anlautende Wörter aus dem niederd. aufgenommen. Algemein be-
kant ist wrack, welcher form die weniger bekante aber schriftgemässe
nebenform brach, ausschuss (vgl. bracker, brackvieh, brackwasser, aus-
ANDBESBN
bracken) zur seite steht. Was man in Niederdeutschland wringen, aus-
wringen (z. b. nasse wusch«') nent, pflegt in der Schriftsprache durch
ringen, ausringen bezeichnet zu werden; doch gestattet sie sich auch
wo! den niederd. anlaut, namentlich in dem zusammengesezten wring-
- ' (engl, wringing- machine). <>l> bei rasen und wasen, rocken
linrocken) und wocken, die sich nicht sowol der bedeutung als dem
Landschaftlichen gebrauche nach unterscheiden, dieselbe Spaltung des
ursprünglichen wr, wie insgemein gelehrt wird, anzunehmen sei, ist
i
neuerdings zweifelhaft geworden; insbesondere kann es auffallen, dass
da. wo wocken als hauptform gilt, wasen so gut wie nie gehört wird.
Nachdem Luther anstatt des hochd. atem das auf niederd. laut-
stufe stehende ödem (f. adem) eingeführt hatte, ist diese form in die
höhere dichtersprache, wo sie nicht selten auch „öden" gelautet hat,
eingegangen. Das niederd dik bedeutet sowol deich als auch teich
gi engl, dike und ditch), begriffe, die gar nicht vereinbar, in gewis-
c hinsieht entgegengesezt zu sein seheinen und sich doch leicht
einigen: der /r/V// muss zunächst, wie der deich immer, als künstlicher
'.standen werden, und wie das lat. altus bald ,,hocha bald „tief"
übersezt wird, so entscheidet die richtung, welche man im äuge hat,
für erhöhung {deich) oder Vertiefung (teich). Dem algemein schriftd.,
an >ich niederd. moder steht mudder (engl, mud) gleich; dafür kennen
oberd. mundarten die form motte/-, zu welcher die widerwärtige Zusam-
mensetzung essickmutter (faex aceti, engl, mother) zu gehören scheint.
Neben tute oder tüte, wofür in der Schriftsprache gewöhnlich die mit
ungehörig erweichtem anlaut versehene form düte als die gebildetere
gilt, wird in manchen gegenden Niederdeutschlands die etymologisch
identische form teute für einen andern, aber verwanten begriff gebraucht,
den einer grossen kanne, deren sich nicht bloss die weinküfer, sondern
auch die mägde in der küche bedienen.
Was wir kran nennen und gewöhnlich krahn schreiben, ist nichts
als die niederd. form von kranich (vgl. engl, crane für beide), mit
beziehung auf ahnlichkeit dieser maschin e mit dem kranichhals (vgl.
hahn an der flinte und am fass). Obgleich schon im mhd. rige vor-
kamt, scheint doch das in die tumsprache eingeführte nhd. riege aus
dem niederd., wo reih so lautet, herzurühren. Otter, das schädliche
tier. verschieden von otter in fischotter, hat seinen namen aus dem
niederd adder (holL und engL ebenso) durch wegfalJ des anlautenden
kons. \"\\ natter erhalten; otter und natter sind daher zwillingswörter.
Die niederd. benennungen <lr<»i< . drost (landdrost) und inste,
welche aus drotseU und insett zusammengezogen sind (vgl. Holste aus
WOBTSPALTÜNGKN IN DER NHD. SPBA< IIK 279
Holtsete; Wursten, landschafi der Wurtseten, der auf dem wurt, wert
angesessenen), entsprechen mit abweichender bedeutung den hochd. Wör-
tern truchsess und Insasse. Ir<n und feist bestehen in der Schrift-
sprache mit wahrnehmbarem unterschiede neben einander; jenes ist
oiederd. (engL tat), dieses hochd. (mhd. vei^et).
Zwillinge sind auch kerl (niederd.) und Karl (hochd.), mit der
ursprünglichen bedeutung „mann": der herabgesunkene begriff, den wir
unter kerl verstehen, gül sehen seit Jahrhunderten, und noch älter i.>t
der Übergang des appellativen karl in den blossen eigennamen. Eine
andere gleichung, an der ein heutiger vorname teilnimt, bilden minne
und Minna, insofern dieser uame, welcher nicht selten mit Mina ver-
wechselt und mißbräuchlich aus Wilhelmine geleitet wird, der ahd. und
alts. form minna (liebevolle erinnerung, liehe) entspricht
Die französische spräche besizt Wörter deutschen Ursprungs,
welche dort sieh mit den übrigen dergestalt vermischt haben, dass nur
wissenschaftliche Untersuchung sie herauszukönnen vermag. Manche
derselben haben sich wider der deutschen rede und schritt mitzuteilen
versucht, was jederzeit und algemein gelungen ist, wenn sie sich Unter-
ordnung unter deutsche lautgesetze haben gefallen lassen wollen, z. 1».
breschi (frz. breche, von brechen), marschieren (frz. marcher, von mark,
ursprünglich über die mark, landesgrenze, gehen). Unter der menge
rumänischer, namentlich franz. Wörter, welche, zum teil ungeachtet
ihrer fremden gestalt und des fremden klanges, bei uns zu verweilen
fortfahren, befinden sich nicht wenige, denen diejenigen deutschen wor-
ter im gebrauche gegenüberstehen, aus denen sie in alter zeit hervor-
gegangen sind. Bisweilen hat sich das fremde wort so volständig ein-
gebürgert, dass man es für ein deutsches zu halten geneigt sein kann.
Rang klingt und sieht ebenso deutsch aus wie ring, ahd. hring (kreis,
V( rsamlung), woher es nebst haranguer (anreden; vgl. ital. aringo,
rednerplatz) im franz. entlehnt worden ist. Dem ahd. Itsta entspricht
nhd. leiste (streifen, borte), aber das ital. lista, frz. liste, woher wir
liste bekommen haben, hat denselben Ursprung. Stuck ist aus dem
ital. staeco (vgl. stuccatur) hervorgegangen, welches sich auf has ahd.
stucchi mit der bedeutung „rinde'1, formell nhd. stück, gründet. Yon
dem ahd. Kartet im sinne von wache stamt frz. garde; nhd. warte und
garde unterscheiden sich in jeder beziehung. Loge (frz., ital. loggia)
ist aus dem mlat. löbia, ahd. leuiba, nhd. hui he, entsprungen. Das
ahd. chrapfo, mhd. nhd. krapfe (haken), hat das frz. agrafe (spange)
ergeben, nhd. agraffe, eine unsern damen so unentbehrliche benennung
wie rohe, dem das mlat. raubet (spolium, vestis; vgl. exuviae), nhd.
2S0 AHDRKSKN
rauh. zu gründe liegt Trupp, f nippe gehen durch das franz. auf dorf
zurück (zur metathese vgl. -trup für -dorf in vielen niederd. Orts-
namen), altnord. thorp, welches auch häufe, bände bedeutet, wie denn
Doch in süddeutschen mundarten eine versamlung auf freiem felde,
auch ein besuch ..dort" genant wird („einen dorf halten, dorf bekom-
men, dorfena). Dem deutschen schmelz, ahd. smehi, tnlat smaltum,
entsprechen email (frz.), welches oft in „emaille" verkehrt wird, und
otialtt (waschbläue). Aus balke, balken ist durch das roman. haihon
Ihm _ _ ogen. Für bonlevard braucht unsere Umgangssprache nicht
das deutsche boltoerk, aus dem es entlehnt ist; aber der begriff „wall"
einigt beide Wörter. Anstatt „Wirtshaus, gasthof" wird in deutscher
rede bisweilen auberge gesagt und findet sich in deutschen zeitungen
und andern Schriften hie und da gedruckt; das frz. wort ist mit ital.
albergo aus heriberga, nhd. Herberge, entsprungen. Grösserer geläufig-
keit erfreut sich der ausdruck (jage (frz.), herscht sogar in gewissen
kreisen ganz allein; er stimt formell zu hochd. wette, womit lat. vas
und vadimonium verwant sind. Die aus dem ital. stammenden Wörter
lotto und freseo, welche in die nhd. spräche eingang gefunden haben,
gründen sich auf hos (loss) und frisch. Das dem frz. marche entlehnte
marsch hat sich aus mark entwickelt; vgl. s. 279 marschieren. Den
deutschen Wörtern graben, picken, warnen (im ahd. = schützen) stehn
die zunächst dem frz. angehörenden, in unserer heutigen schrift- und
Umgangssprache bekanten Wörter gravieren (in der sculptur), pikieren,
garnieren als Zwillinge zur seite. Den eisenbalmwagen pflegen wir
wagon zu nennen, eine ungeschickt und überflüssig eingeführte form,
welche durch das französische aus dem englischen waggon, das dem
deutsehen wagen gleich steht, herübergekommen ist.
Wenn die bisher angeführten zwillingswörter entweder nach je
beiden selten oder zur einen liälfte aus dem deutschen stammen, und
wenn in den fällen, dass die andere hälfte zunächst fremdher entlehnt
i^t. gleichwol deutscher Ursprung hat nachgewiesen werden können; so
bleibt noch eine weit grössere anzahl von gleichungen zu berücksich-
tigen, welche ausschliesslich dem bereich der fremd werter angehören.
Bei ihrer Vorführung kann die Unterscheidung zwischen eigentlichen
fremdwörtern und sogenanten lehnwörtern um so weniger in betracht
kommen, als diese trennung in einer nicht geringen zah] von beispie-
ien zweifelhaft und daher tmdurchfuhrbar ist. Auch die oft recht
hwierige fi _ ob ein in de]- neuern zeit ans der fremde in die
•räche gedrungenes wort eingebürgert sei oder nicht, verdient keine
bespreehiu:_ . da es hier Lediglich darauf abgesehen ist, dasjenige zu
WORTSPALTUNGEN IN DBB NHD. SPRACHE 281
beurteilen und festzusetzen, was gebraucht wird, sei es mit recht oder
mit unrecht, algemein oder vereinzelt Di*' weit überwiegende mehr-
zahl leitet sich entweder unmittelbar oder durch das romanische mit-
telbar aus dem latein; einige male sind das griech. und das oriental.
vertreten, selten eine andere spräche.
Das lat. tegula spaltet sich in tiegel und viegel; palatiu/m in
pfafo und petiast, von welchem worte die neuere zeit noch iU\> zu-
nächst franz. palais zu unterscheiden weiss; praepositus oder formell
genauer mlat. propositus in probst und profoss, wonebeo auch präpo-
situs selber in einigen gegenden Deutschlands zur bezeichnung eines
höhern geistlichen gebraucht wird. Vierfache gleichung bieten pabst,
pfaffe, papa und pope (russ. priester), welche sich aus papa, 7t&7tag
entwickelt haben. Die identität von barsche, bursch und börse (in bei-
den bedeutungen) wird durch das dem griech. fivooa (feil, leder) ent-
lehnte mlat bursa (beutel, gemeinschaftliche kasse, genossenschaft) ver-
mittelt. Auf das griech. lat. hominis (dumpfer ton, geräusch) gründen
sich bombe und pumpe nebst pump; vgl. die interj. bums und pumps.
a rotte und hrypte sind formell identisch; ob als drilling auch gruft
hinzutreten dürfe, bleibt nach wie vor zweifelhaft. Aus d7Colg, &7toig
ist durch vermittelung der mlat. form absida das mhd. absite ent-
stelt hervorgegangen und diesem im nhd. abseite gefolgt (platd. dfstt,
ein seitwärts unterm schrägen dache befindlicher räum, in der regel
zur aufbewahrung alten hausrats verwendet); daneben gilt als tech-
nischer ausdruck apsis fort. Während pakt dem lat. pactum unmit-
telbar entnommen ist, beruht packt auf der niedere!. form des aus
dem lat. worte stammenden mhd. p fallt. Mlat. tineta ergibt tinte (un-
ten, färben, frz. teintes, engl, tints) und dinte, wie man für atramen-
tum zu schreiben völlig berechtigt ist; mlat. oblata oblate und oblei
(opfergabe, geldzins); mlat. posta (posita) post und posten (geldbetrag).
Aus den lat. adj. minutus, nitidus, par, rotundus, tortus sind minute
und menu (küchenzettel), nett und netto, paar und pair, rotunde und
runde nebst ronde, torte und tort (unrecht, verdruss) entsprungen. Von
feria stammen ferieii und fei er, von carcer: Jcerker und Jcarzer, von
stilus: stil und stiel, von radix: rettich und radies, von emplastrum:
Pflaster und piaster, von conventus: convent und hofent (klosterbier,
dünbier), von caput : cap und chef Das dem mlat. mina entlehnte frz.
mine vereinigt die beiden in den nhd. gebrauch daraus übergegan-
genen begriüich verschiedenen Wörter mine und miene. Pfeife und
pipe (weinmass) gründen sich auf mlat. pipa; aus pipare sind pfeifen
und piepen (zunächst niedere!.), welche sich in der gebildeten spräche
2S"2 ANDBESBN
nicht unwesentlich unterscheiden, hervorgegangen. Dem lat serritium
hat die frz. spräche ihr servict entnommen; die heutige nhd. Umgangs -
und Verkehrssprache bedient sich dieses Wortes in der bedeutung ,,tafel-
:;if und pflegt davon wider servis im sinn«? xon „bedienung" zu
trennen. Zwischen karte und charte, nativität und naivetät, min und
ruim . schüler und scholar, welche auf charia, nativitas, ruina, scho-
laris fassen, besteht ein unterschied. Etwas anderes bedeuten arxt,
brief, dattel und dachtet, kompott, koppel, küster, letter, marter, mei-
ster, mode, nummer, papier, pate, physiker, priester, sjirit, tisch,
tünche, uhr, Uns als die ihnen zu gründe liegenden Wörter, welche
entweder algemein (»der je nach wissenschaftlichem oder konventionel-
lem bedürmis in der Schriftsprache gebraucht werden: archiater, breve,
daktyhis, compositum, copula, custos, littera, martyrium, magist er,
nullius, numerus, papyrus, paler, physicus, presbyter, Spiritus, dis-
cus, tunica, hora, census. Aus dictare und tractare haben wir nicht
allein diktieren und traktiere?/, sondern auch dichten und trachten ent-
lehnt: von dichten scheidet sich wider tichten in „tichten und trach-
ten." Von faüere stammen durch das ital. unser fallieren und ver-
möge des frz. faillir das ganz deutsch klingende fehlen, mhd. failieren.
vaelen. Ein mehr oder minder erheblicher unterschied findet statt zwi-
schen passen und passieren, pressen und pressieren, hoppeln nebst
kuppeln und copuUeren, regeln und regulieren, opfern und offerieren,
ordnen und ordinieren, fabeln und fabulieren, predigen und prädide-
ren, blamieren und blasphemieren, spedieren und expedieren, laxieren
und laschieren, xirkeln und drcuUeren, formen und formieren, doc-
tern und doctorieren, hausen und hausieren, rotten und rottieren, lau-
ten und lautieren, schatten und schattieren. Aus frz. toucher entsprin-
gen tuschen (mit tusch malen) und tuschieren (in der Studentensprache);
auf lat. probare beruhen nicht bloss proben und probieren, sondern
auch prüfen, auf expendere spenden und spendieren] und auf dem
mlat. subst des-elben wertes, expensa, sowol speise als auch das plu-
rale Spesen (zunächst ital.). Becken und bassin stammen beide von
mlat. baccinum, paladin und palatin von dem adj. palatinus, vither
und guitarre von cithara Ki-9-dga, mörser und mörtel von mortarium,
pfarre und j>aroehi( von Tzaoowia. Zwischen formal, ideal, legal, real
und formell, ideell, loyal, reeü wird unterschieden; neben generell, nrate-
rieU, offidell, originell sind general, material, official, original als subst.
üblich. Auch in mobil und möbel, indisch und indigo, persisch und
pfirsich bilden adj. und subst. ein Zwillingspaar; kommode ist teils adj.,
teils subst. Obgleich für das den doppelwörtern banner und panier
WOBTSPALTUNGBN IN DEK NHD. >1'RACHE 283
zu gründe liegende mlat bandum germanischer Ursprung anzunehmen
ist, pflegen beide doch als fremdwörter (frz. banniere) zu gelten. Das
lat. tapetum hat die drillinge teppich, tapete und fape/ (aufs tapet brin-
gen, frz. mettre sur Le tapis) ergehen. Meier, major und maire (engl.
mayor, daher lordmayor) gehen auf den lat. komparat major zurück.
Yon decanus, ursprünglich aufseher über zehn, stamt aussei- dekan
auch dechant; als dritter -»seit sich zu ihnen in eingeschränkter bezie-
hung der doyen. Neben marmor, der eigentlichen und algenieiu
üblichen form, gelten marmel (im mhd. lautete «las altklass. fremdworl
gewöhnlich so) und hieraus entsteh märbel (vgl. engl, marble) und
murmel für die spiel kügelchen der kinder, welche anfangs aus marmor
bestanden, jezt aus stein oder glas verfertigt werden. Aus granatus
ist das masc. grauat, ferner durch das roman. das fem. granate, end-
lich der erste teil der Zusammensetzung granatapfel hervorgegangen,
wahrend granit, dem natürlich gleiehfals lat. granum zu gründe liegt,
vom ital. inf. granire stamt. Beryttus ergibt nicht bloss den namen
des grünen edelsteins berytt, sondern auch das ganz deutsch lautende
wort brille („beryl groez,et die schritt"); von carbunculus sind karbun-
foi (ein hautgeschwür) und mit volksetymologischer anlehnung an „fun-
keln" harfunkel (roter edelstem) entlehnt. Musculus ist durch muskel
und muschel vertreten, ordo durch orden und order, Organum durch
organ und orgel, pulvis durch pulver und puder, triumphus durch
triwmph und trumpf. Neben staat aus status wird auch etat, die frz.
form desselben lat. Wortes, im sinne von budget in deutscher rede und
schrift gebraucht. Ebenso verhalten sich körper und rorps (corpus),
lirkel und ccrcle (circulus), punkt und point (punctum), komtur und
commandeur (commendator) , l>il<nr, und balance (biianx), katheder und
(halse (-/.ad-eöga), pferch und park (mlat. parcus), kumpan und com-
jxignon (zu mlat. companium, brotgemeinschaft), peudcl und pendula
(mlat. penduluni); das je zweite dieser Wörter, welches sich der bedeu-
tung nach von dem ersten mehr oder weniger unterscheidet, gehört
zunächst der frz. spräche an. Aus dem frz. hat auch eadre (rahmen)
in die militärsprache und carre in die höhere geselschaftsprache ein-
gang gefunden; die übergeordneten lat. Wörter quadrum (viereck) und
quadratum gelten als quader (quaderstein) und quadrat daneben. Ur-
sprünglich eins sind nicht bloss alarm und lärm, kavalier und Cheva-
lier, mantel und mantiUe, partei und partie, pigment (färbemittel) und
piment (gewürz), rabatt und rabatte, sondern auch apotheke und bou-
tique (butike, budike), delphin und dauphin, cholera und kotier, rotte
und route (vgl. s. 272), theke und xieche, thyrsus und torso. Die
284 ANDRESF.N
identität von schafoti and Lata fall- wird durch altfrz. eseadafaut ver-
mittelt und veranschaulicht Wahrscheinlich hat rfmer mit dejeuner
denselben Ursprung (disjejunare). Den zunächst dem frz. angehörenden
Wörtern bosketi und bouquet, die wir das eine in deutschem, das andere
in fremdem gewande auftreten Lassen, liegt das deutsche „busch" zu
-rund«-. Zwillinge sind ferner parabel und paröle, plan und piano,
pein und pöw (vgl verpönen), macaroni und makrone, gardine und
//•////> (festungswerk), Sakrament und der euphemistische ausruf sop-
perment, decket (10 stück feile) und deeurie, fond und fbads, arniee
und armada (kriegsflotte) , faktion und facon, bitt (aus dem engl.) und
//////>. honstabel oder konstatier und connetable (Ist comes stabuli), mi/rri-
sterium und metier, bestie (niederd. freestf) und &efe (im kartenspiel,
frz. bete). Eine vierfache gleichung zeigt sicli bei domina, donna}
duenna und dame, von denen das lezte algemein üblich ist, die andern
hie und da in besondem Verhältnissen und für besondere begriffe
gebraucht werden. Zwischen dem im frz. aus mea donuuieella ent-
standenen mademoiseUe und dem daraus gekürzten volksmässigen mam-
.«II findet ein unterschied statt. Aus mlat. superanus oder superaneus
immen souverain (frz.) und sopran (ital.). Pfründe vereinigt sich
mit probende, mlat. provenda, woher zugleich in Hamburg eine art
weissbrot algemein den namen pröven führt (woltat aus geistlicher Stif-
tung, besonders an brot). In dem ausdruck preisgeben ist dasselbe
wort enthalten, von dem prise herrührt, sei es ein erbeutetes schiff
oder Schnupftabak. Schanze in der redensart „in die schanze schla-
gen" (aufs spiel setzen) stamt von frz. chance} das auch wir zuweilen
s brauchen (plur. Chancen, fälle, aussiebten) und steckt ebenfals in
mummemchanx,; chance aber trift zusammen mit cadence (mlat. caden-
tia). das in der deutschen kunstsprache als eadenz nicht unbekant ist.
Da< lat floecus, woher wir flocke haben, wird vom mlat. als froecus
übernommen: hieraus ist frack und vielleicht rock (vgl. frz. froc, kutte;
igL frock, kitte!) entsprungen. Von dem adj. hospitaMs stamt nicht
allein hospital (spital, spittel): sondern auch hotel. Aus ital. tartufo,
tartufolo, wodurch die trüffel bezeichnet wird, hat durch dissimilation
(noch im vorigen Jahrhundert komt ..tartüffel" vor) auch kartoffel den
namen erhalten.
Durch die verschiedene betonung trennen sich die etymologisch
übereinstimmenden paare August und augüst, perfekt und perfM,
tenor und ten&r.
< orientalischen Ursprung haben die gleichlingen a%ur und lasur,
düvan und douam . gern (woher genieren) und gehenna, Icabale und
WORTSPALTTTNGEH IX DGB NHD. SPRACHE 285
kabbala (geheimlehre), sabbat und volksmässig schabbes, tulpe (aus tuli-
pan gekürzt) und turban (ähnlichkeil der form), Ziffer and chiffre
nebst xero (null).
Die aus der fremde stammenden doppelwörter, weicht1 aus einem
eigennamen und einem gattungsnamen bestehen, sind sehr zahl-
reich; die priorität ruht gewöhnlich auf dem eigennamen, /. I». bei Krönte
und kravatte, Slave und sklave, Maure und mohr, Tatar und tater
(zigeuner), Caesar und haiser nebst tar, Damaskus und damast, Gaza
und gaxe, Calicut und calicot 15<'i Kaschmir, woher kasimir stand,
trift es sich, dass der eigenname (land in Asien) schon vorher in den
gattungsbegriff (tuch) übergegangen ist; vgl. engl, cashmere und cassi-
mere. Aus dem lat. adj. christianus sind ehrist (mhd. kristen) und der
name Christian entsprungen (vgl. frz. Chretien für beide). I >• -m Gat-
tungsnamen komt die priorität zu bei hasteil und Cassel, materie und
Madera.
Grleichungen innerhalb der eigennamen allein gibt es in unüber-
sehbarer menge, namentlich auf dem gebiete der personennamen. Bei-
spiele der Identität zweier und mehrerer geographischen namen sind:
Mailand und Meilen, Nimwegen und Neumagen (kelt Noviomagus),
Altona und Altnau, Holstein und Höhten (holtseten, holzsassen), Ra-
stecle und Badsted t (ausgerodete statte), Bedburg und Bettberg liebst
Badeborn (aus betabür, kapeile), Neuendorf und Niendorf, Altenreif
und Altripp (alta ripa), Uhr in Lach und Regenbach (früher beide Re-
ginbach). Aus der masse etymologisch identischer persönlicher uamen
mögen herausgehoben werden: Adalbert, Abert und Albrecht; Robert
und Ruprecht; Ulrich und Oelreich; Lübbert und Liebrecht; Rudolf
und Rolf; Oskar und Ansgar; Siebold, Schal// und Sybel; Henna im,
Haarmann und Hörmann; Tiede, Diede, Bede, Heile, Tode, Thode,
Todt, Heute, Bauth, Dude, Tutt und andere dem reinen stamme von
Biot, Biet entsprossene koseformen; Arnold, Ahrenhold und Amwdldt;
Walter, WaMherr, Welter, Wolter und Wähler; Gering, Jhering, Gö-
ring, Gehrung und Görung; Sieg, Sich und Sy; Andreas, Anders und
Drews; Christian und Kirschstein; Hans und Johannes; Anton und
Böiuiiges; Nikolaus, Clages und Laus; C/jriaz und Oillis; Veiten und
Valentin; Schröder, Schwer, Schreuer, Schröder, Schrieder und Schre-
der; Hölscher und Holxschuher ; Amende und Amen; Zru/mbaeh und
Thorbeck; Ansorge und Ohnesorge; Averbeck und Overbeck; Schaff -
ganz und Schafgans; Busenbaum und Buxbaum; Bachus und Back-
haus; Her\feld, Hatxfcld und Hirsch fehl; Klee fisch und Clewisch.
BONN. K. G. ANDEESE.V.
286
DIE BEAUT DER HÖLLE.
Der zuerst von frau von Gleichen veröffentlichte und jezt in
Goedekes und Boxbergers ausgaben wider abgedruckte plan Schillers:
Rosamund oder: die braut der hölle ist durch den bericht Tiecks
über ein altes Puppenspiel veranlasst worden. Goethe selbst hatte Schil-
ler auf diesen stoff hingewiesen und bei dieser gelegenheit bemerkt,
dass er das alte marionettenstück, dessen inhalt Tieck angegeben, in
seiner Jugend selbst gesehen habe. Er bezeichnet es in dem brief an
Schiller vom 1. august 1800 als eine art von gegenstück zum Faust
oder vielmehr zum Don Juan. Ein schönes, aber herzloses mädchen
verschmäht alle, die sich um sie bewerben, da sie ihr nicht, schön,
reich und vornehm genug sind; und sie will von dieser grausamkeit
trotz der Warnungen einer alten freundin nicht ablassen. Einen ihrer
treusten liebhaber verwickelt sie in einen Zweikampf, in welchem er
von einem andern liebhaber erstochen wird. Da zeigt sich ein neuer
bewerber, der sich für einen grossen fürsten ausgibt, aber bald als
satan zu erkennen ist. Sie nimt seine bewerbung gern an; er ver-
spricht sie zur nacht abzuholen. Trotzdem sie nun durch böse ahnun-
gen und durch den geist ihres treuen Liebhabers gewarnt wird, erklärt
sie, als ihr bräutigam wider erscheint, ihm angehören zu wollen, worauf
er sich als teufel zu erkennen gibt und sie von den höllischen geistern
hinweggeführt wird.
Der text dieses Puppenspieles ist bis jezt nicht wider bekant
geworden. Eine sehr nah verwante fassung fand ich in der Weima-
rischen bibliothek; das stück trägt den titel: Faustina, das kind
der hölle. Posse in einem akt, aus den zeiten der kreuz-
züge. Die handschrift umfasst 9 bogen in 4°, die seiten sind unbe-
ziffert. Eine scenenabteilung ist zuerst durchgeführt, dann aber nach
der dritten scene unterlassen.
Das stück wird mit einer längeren scene zwischen Faustina und
ihrem diener Casper eröfnet. Wir erfahren, dass Faustina, die als
sehr verbulte dame erscheint, einen geliebten, den prinzen Domitius
hat, den sie auf der redoute am vorigen abend vergebens gesucht hat
und jezt bei sich erwartet. Dann erklärt sie Casper, der in dieser
scene seine üblichen possen macht, sie wolle eine stunde schlafen,
worauf sich Casper ebenfals schlafen legt. Nachdem Faustina einge-
schlafen, tritt Silvander, „eine furie aus der hölle" auf und berichtet,
dass er beauftragt sei, Faustina wegen ihren vielen Schandtaten nach
der hölle zu holen (3. scene):
ELLINGER, DIE BRAUT DER HÖLLE 287
Sie war schon längstens reif, ein Kind der Hüll zn werden,1
Denn Sie — Sie stift viel Unheil, für Menschen auf der Erden.
Durch ihre Untreu hat Sie manchen hingerichtet,
Durch ihre Freveltat manch junges Blut vernichtet;
Die lezte Stund ist da, Sie muss mit mir nun fort,
Ich führe sie sogleich, frisch an die Höllenpfort,
Doch muss Sie noch zuvor, ehe Sie von hier wird gehen,
Durch Stolz und Übermut drei Meuchelmord begehen.
Er weckt die schlafende Fäustina und wirbt, indem er sich für
den reichsten „Nabab" aus Ostindien ausgibt, um ihre liebe. Faustina
fühlt sich durch die Werbung geschmeichelt, erklärt aber, sie nicht
annehmen zu können, da sie schon mit dem prinzen Domitius verspro-
chen sei. Silvander weist auf des prinzen armut und das traurige loos
hin, welches sie infolge dessen erwarte; überdies habe Domitius Fau-
stina an ihn verkauft. Auf Faustinas erstaunte frage: „Verkauft?"
erwidert er: „Ja! diese Nacht sah ich euch auf dem Ball, ich sah euch
im Tanz herumfliegen. — Ihr gefielt mir ganz entsetzlich — Ach , seufzte
ich ganz laut — Ach wäre dieses Mädchen meine Gemahlin! eine Mil-
lion wolte ich darum geben. — Eine Masque im grünen Domino stand
hinter mir, und sagte: ist das euer Ernst? — wollt ihr das zahlen für
das Mädchen? — ich sagte ja von ganzem Herzen — Topp sagte er —
Sie ist meine Braut — aber ich mag Sie nicht mehr leiden und ich
trete Sie um eine Million für euch ab — der Handel ward geschlossen,
und er wird noch heute herkommen, euch seine Liebe aufzusagen.
Faustina (aufgebracht). Ha! der Ungetreue! Das soll er mir
mit seinem Leben büssen!
Furie. Recht so; ich verlasse euch jezt auf eine kurze Zeit —
schafft alles, was euch lästig ist, aus dem Wege.
Nachdem beide die scene verlassen, tritt Domitius auf. Zunächst
hat Casper ein burleskes gespräch mit ihm; dann erscheint Faustina
und nach einigen kurzen Wechsel reden ersticht sie ihn. Er stirbt
unter der Versicherung, dass er Faustina unaussprechlich liebe und
dass ihm unrecht geschehe; Faustina aber ruft aus: „Du hast nun
deinen Lohn, du falscher und ungetreuer Verräther — nun will ich gehn,
und meine beiden Aeltern aus dem Wege räumen — es geht jezt in
einem Blutvergiessen hin." Sie geht ab; hierauf der im Puppenspiel
1) Ich habe bei wörtlichen anführungen die Orthographie im wesentlichen bei-
behalten, die interpunktion dagegen dem sinne gemäss geändert.
388 KLLINGKB
oft widerholte effekt1, dass Caspei singend und trällernd hereinstürzt
und über den leichnam ialt. Er müss denselben auf geheiss der wider
zurückkehrenden Faustina fortschleppen. Sobald er wider auf der scene
erschienen, spricht
Paustina. Nun rufe den Namen Silvanter auf der Strasse und
mein schwarzer Liebhaber wird sogleich bey dir sevn; führe ihn hier-
her, und veriahe uns —
1 asper (ruft). Aner und der Ander.
Paustina. Er heißt ja Silvanter.
per. Xu ja Aner und der Ander. (Er will schnell ablau-
fen. Silvanter, der eben so schnell hereineilt, fahrt gegen Casper, so
dass beide rückwärts zu boden fallen.)
Silvanter. Nu nu! geht denn der Weg durch die Leut?
Casper. Ey so geh auf d' Seit, wenn a Kerl meines Gleichen
kommt (er geht ab).
Silvanter. Nun meine theure! seyd ihr bereit mir zu folgen?
habt ihr euch aller überlästigen Personen entledigt?
Paustina Ja mein Prinz, nun kann ich mit Euch reißen, nun
bindet mich hier nichts mehr — ich bin ganz reißefertig.
Furie. Wollt ihr nun die Meinige sein — mit Seel und Leib?2
Paustina Ganz die deine auf ewig mit Seel und Leib.
Furie (rauh). Nun mit deiner Seele ist mir geholfen —
Faustina (erschrickt). AVie? welche Stimme, w elcher Ton? —
was ist das?
Für; AVer glaubst du, daß ich sey?
Paustina. Nun ein reicher Nabab aus Ostindien, ein Fürst.
Furie. Ja ich bin ein Fürst, aber nicht von dieser Erde, ich
bin ein Fürst der Finsterniß. Asmotheus ist mein Käme, ich bin der
Hochmuthsteufel, gesandt von unserem Höllenfürsten Pluto, dich in
allen Lastern reif zu machen, und der Hölle zuzuführen — du hast
durch deine buhlen-, heu Teufelskünste viele junge Leute unglücklich
gemacht, dann deiner armen Aeltern dich geschämt und sie ermordet,
deinen treuen Domitius aus blinder Eifersucht getödtet — mache dich
li VgL /.. b. Kralik und Winter, Deutsche Puppenspiele s. 04.
2 Man vgl. Tiock in den briefen über Shakespeare (Poetisches Journal, I,
ßl : _ X »eh einmal fragt er Bie um ihre liebe; sie sagt sie ihm freiwillig zu, ver-
liert, ihn mehr als alle menschen, mehr als sich und gott liebe, und
reicht ihm mit diesen Worten die hand. Er fasst sie und erklärt ihr, wer er sei; sie
reit auf, doch kann sie sich nicht retten: von höllischen geistern und ihrem bräu-
tigam wird sie unter frohlocken und ihrem Zetergeschrei hinweggefühlt.-
DIE BRAUT DER HÖLLE 289
bereit — mache dich bereit — deine lezten Worte heißen: Verdamin-
niß in alle Ewigkeit (ab. Donner and Blitz. Es umgeben sie mehrere
höllische Furien.)
Faustina (in Verzweiflung).
0 war ich nimmermehr auf dieser Welt geboren;
So war Paustina nicht so schändlich jezt verloren
Der Himmel blizt, die Erde kracht. <l<>r Abgrund Bpeuel Feuer,
Bringt Fackeln her; zünd Lampen an, hier steht das Ungeheuer.
Ins Höllenhaus, wo Pinto sizt, mit den Gespenstern wüthet,
•Wo jede Seel, die unrecht that. bey Gift und Schwefel brüdet,
Da soll ich hin, o arges weh, da soll ich bitter leiden:
So muss ich nun für all mein thun von dieser Erde scheiden!
Und du o weit und breite Welt,
Sie zn, wie klüglich eine Metze fallt — o weh! o weh!
(Die Furien schlendern Sie fort.)
Casper, der auftretend der davongeschlepten Faustina noch:
„Glückliche Reiße! a Bon Moujage! Glückliche Reiße!" nachruft, lässt1
sich dann von einer furie mit auf kurze zeit in die hülle nehmen, um
sich dieselbe anzusehen. Er komt zurück und erzählt in langer rede den
Zuschauern von den sündern, die er gesehen, und von den strafen, die
sie erlitten. Den schluss des monologs bildet eine anspielung auf einen
teil des publikums. Casper berichtet, er sei in eine kammer gekom-
men, in der die sünder immer hin und hergesprungen seien. „So fragt
ich meinen Führer, sage mal Bruder Krumm sehn abel, was waren denn
das für Leute, die da so entsetzlich hüpfen und springen müßen, sind
denn das Seiltänzer oder Komödianten gewesen, die auf den Brettern
solche Sprünge gemacht haben? Nein, sagte mir mein andrer Führer,
der sich Bruder Dickfuß nannte, nein lieber Casper, das waren weder
Komödianten noch Seiltänzer, sondern es waren solche junge Leute, die
immer in die Komödie gegangen sind und nicht mehr als einen Gro-
schen auf den letzten Platz bezahlt, und sind hernach herübergesprun-
gen auf den zweiten oder ersten Platz, drum müßens in der Hölle noch
immer so springen — ha ha — sagt ich: denen geschiehts auch ganz
recht — warum bleibts nicht auf euren Plätzen — aber ich muß mich
auf die Seit packen, damit ich nach meinem Tode [nicht] auch noch
springen muß. Gute Nacht!"
Betrachten wir nun das vorliegende stück im einzelnen und ver-
gleichen es mit dem Puppenspiel, von welchem Tieck uns den inhalt
1) Auch dies eine stehende Situation des Puppenspiels; vgl. Kralik undYVmter
a. a. o. s. 118 und 192.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHH.OLOaiE. BD. XXIH. 19
200 ELLIXGF.R, PIK BRA.ÜI DEB HÖLLE
angibt, so kann meines erachtens ein zweifei darüber nicht bestehen,
dass beide verschiedene recensionen ein und desselben Spieles sind.
A.ber wahrend die Höllenbraut, so weit der berieht Tiecks darüber ein
urteil gestattet, verhältnismässig sorgfaltig ausgeführt war, ist das vor-
liegende spiel überaus dürftig ausgestattet Der hochmut, die lieblosigkeit
der Höllenbraut waren in dem von Tioek analysierten stück doch durch
charakteristische züge dargestelt, und der auch im deutschen volksliede
und in der sage mehrfach widerkehrende gedanke, dass ein mädchen,
welches alle freier hochmütig abweist und manche von ihnen ins Unglück
stürzt, sich schliesslich einem nnbekanten freier ergibt, der sich dann als
teufe] ausweist, war consequent durchgeführt worden. Von diesen beiden
_ Lten eigenschaften ist in dem vorliegenden Puppenspiel nicht die rede.
Höchst unbeholfen wird von Faustinas untreue, hochmut und verbuhlt-
heit erzählt Das lang ausgedehnte gespräch zwischen Casper und Fau-
stina am anfange des Stückes trägt zur Charakterisierung gar nichts
bei; die zum teil gar nicht motivierten episoden von den drei mord-
taten der Faustina machen vollends einen lächerliehen eindruck. Das
stück is1 so ungeschickt ausgeführt, dass man etwa anzunehmen
hat. dass die niederschrift von einem puppenspieler herrührt, der das
stück längere zeit vor seiner schriftlichen fixierung im manuskript gele-
D oder von einem anderen Spieler hat aufführen sehen und dem nun
beim aufschreiben wol die haupthandlung, aber nicht mehr die einzel-
heiten gegenwärtig waren, so dass er vieles aus dem eignen hinzutat
und eine Verknüpfung herzustellen suchte, so gut oder so schlecht sie
. ihm eben gelingen wolte.
Immerhin aber müssen wir uns vorläufig aus dieser ungeschick-
ten fassung ein bild von dem ehemaligen bestand zu gewinnen ver-
suchen. Auf die frage nach der quelle dieses Puppenspieles denke ich
zurückzukommen.
BERLIN. GEORG ELLIXOER.
ZU GOETHES FAUST.
In Goethes brief an Grustgen — Auguste gräfin zu Stolberg vom
17. September 177Ö (Weimarer ausgäbe IV, 2, 292 fg.) ist bekantlich
zu lesen: da ich aufstund, war mirs gut, ich machte eine Scene
fin meinem Faust. Weil dann bald darauf der junge dichter seinen
eigenen zustand mit dem einer ratte vergleicht, die gift gefressen fg.,
hat man längst unter <\('V erwähnten „scene" die in Auerbachs keller
F. BRONNER, ZU GOETHES FAUST 291
verstanden. Da aber die abfassung dieser ganzen Langen und inhalt-
reichen scene an jenem tage oicht wo] denkbar ist (Erich Schmidt,
Einleitung- zum Faust in ursprünglicher gestalt XXIII), und da auch
schon im tagebuch vom 1"). juni 1775 eine anspielung auf sie zu
stelm scheint (Erich Schmidt, ebda), so zqg man aus dem briete bisher
gewöhnlich den sehluss (auch Pniower, \'i<-if<d jahrsschrit't für littera-
tur-geschichte 2, 147), dass Goethe am 17. september 1775 in die
scene: Auerbachs keller die „Episode mit dem rattenüed" neu ein-
gefügt habe. Aber dieser auffassung stehen gewichtige bedenken gegen-
über. Erich Schmidt hat (mündlich) mit recht hervorgehoben, dass
Goethe doch nicht, wie sich nach der ausscheidung ih>> rattenliedes
ergäbe, den Faust ursprünglich an einer stelle in die geselschaft i\t>v
Studenten einführen lassen kontc, wo die Saufbrüder in hellem streite
begriffen sind, sondern erst mitten im jubel über das „neu Lied."
AVie solte er denn sonst für dieses treiben gewonnen werden V Auch
darf man sich über die bezeiehnung „scene" nicht so leicht hinweg-
setzen.
Aber bedingt denn überhaupt die (ungenaue) paraphrasierung
des rattenliedes in dem briefe durchaus die gleichzeitige entstehung
desselben? Etwas anderes ist es ja bei wörtlichem citat. So wäre
man z. b. geneigt, nach der stelle im briefe an Gustgen vom Januar
1775: „Muste er menschen machen nach seinem bilde, ein geschlccht,
das ihm ähnlich sei ... ." die lyrische Zusammenfassung des Prome-
theusdramas in diese zeit zu verlegen. (D. Jacoby, Goethejb. 1, 201.)
Aber gerade die ungenaue Umschreibung an unsrer stelle spricht
dafür, dass das lied früher entstanden und nur aus dunkler erinnern ng
in den brief eingeflossen sei. Also nichts mit Auerbachs keller!
Wenn man jedoch bedenkt, dass die lyrischen monologe Gret-
chens, wie algemein feststeht, die am spätesten gedichteten scenen
der Gretchentragödie, ja vielleicht des Urfaust überhaupt sind; fer-
ner, dass an dem genanten tage — wir müssen daran festhalten —
eine scene entstanden ist, aber eine ganz kurze scene; wenn man
schliesslich und hauptsächlich die damalige Stimmung Goethes erwägt,
wie er, von unruhvoller seimsucht nach Lili geepuält, im zimmer auf-
uncl abschreitet und in einsamen monologen sich zu befreien sucht1;
wie schon die Schlussworte der paraphrase „und ihr innerstes glüht
von unauslöschlich verderblichem Feuer" gar nicht mehr dem ratten-
1) Am IG. sept., also tags vorher, schreibt er: bat mein Her; so freund-
lich freundlich, und mir ward leicht . . ."
19*
292 F. BBONNEB, ZU GOETHES FAi
liede entsprechen; wie sich unmittelbar daran die erwahnung Luis
schliesst: .Ahnt vor acht Tagen war TAU hier. Und in dieser Stunde
war ich in der grausamst feyerUchst süsesten Lage meines ganzen
ens Wu ich durch die glühendsten Trähnen der Liebe , Mond
und Weil schaute und mich (dies seelenvoll umgab . ... Gustgen,
auch seit dem Wetter bin ich — nicht ruhig aber still — was
bey mir still heisst and fürchte aar wieder ein Geteilter — u —
ich glaube, all dies bedacht, wird man vielleicht meine Vermutung
nicht unbegründet finden: die am 17. September 1775 entstandene seene
ist Gretchens monologscene ..Meine ruh ist hin, Mein herz ist schwer."
Da» nun Goethe im verlaufe des briefes seinen zustand mit
anklängen an das rattenlied schildert, das erklärt sich einfach ans der
1» -kanten tatsache, dass man in briefen sehr leicht dazu verleitet wird,
eigene ernste Stimmungen, wenn man sich auf die eine oder andere
weise von ihnen befreit hat, in scherzhaft -absprechendem tune darzu-
llcii. Und dazu bot sich ja wie von selbst das motiv des rattenlie-
des dar, welches die unruhige Stimmung des sehnenden liebhabers so
Lustig verspottet
Nun könte man all diesen erwägungen entgegenhalten, was Sche-
rer 1 7 7 ~> (A. f. d. a. 2, 284) über die angebliche einwirkung dieses Oret-
chenmonologs auf Fritz Stolbergs „Lied in der abwesenbeit" vom jähre
gesagt hat, daraus schliessend, dass derselbe schon vor der Schweizer-
reise, also vor sommer 1775 fertig gewesen sein müsse. Aber erstens
aen mir die anklänge nicht derart, dass sie nicht fast in jedem
..Lied in der abwesenheit" begegnen künten; zweitens aber, wenn man
schon durchaus eine beziehung annehmen will, so steht doch der
annahm»' nichts entgegen, da>s das Stolbergsche lied auf Goethe ein-
gewirkt habt-, wie es ja auch Scherer selbst (A. f. d. a. 2, 283) von
einem andern liede Stolbergs vermutet hat.
BERLIN, 20. FEBRUAR 1890. FERDINAND BRONNER.
ZUM DEUTSCHEN WORT KEBUCHE.
In Grimms Wörterbuch VII, 1446 erklärt v. Lexer den bei Luther
vorkommenden ausdruck „pappenblume" als „papierblume." Schon der
Zusammenhang, in dem Luther das wert gebraucht, muss diese deutung
zweifelhaft erscheinen lassen, denn er schreibt (Weimarer ausgäbe bd. I
s. 383 z. 16 fgg.): „Und zuvormeyden vi 11 wort, lass ich fahren und
befelh dem lieben wind (der auch mussiger ist) die übrigen vorgeben
wert, wie die pappen blumen und dorren bletter." Denn abge-
G. KAWBBAU, ZUM DEUTSCHEN WB. — thäi IM BKniNGUNGSSATZK 293
sehen von der frage, ob es L518 bereits eine fabrikation von papier-
blumen gab, müssen doch blumen gemeint sein, mit denen der wind
ebenso wie mit dürren blättern, regelmässig sein spiel treibt, und die
seine gewalt besonders zu spüren bekommen. Nun beschreibt Luther
(Werke bd. III s. 038) „candidum illnin orbiculum seu Lanuginem sphe-
rice figure cuiusdam floris in agris satis ooti, quod papum etiam
Dominant, quo pueri solent ludere sufflando", also die pappus- blumen,
wie earduus arvensis oder taraxacum officinale. Pappenblumen wer-
den also „blumer mit federkronen" sein. Eeissf «loch im holländ. noch
jc/.t der Löwenzahn „papenbloem.a Danach corrigiere man auch in
Joh. Schlaginhaufens Tischreden Luthers, herausg. von W. Preger, Leip-
zig Lsss nr. 2: „ISTos sumus papiri, die die kinder hinweck plasen"
in ,, Xos sumus pappi." Solte nicht aber auch von hier aus auf das
wort „pappenstiel" licht fallen, das man bisher von dem stiel (\<>* Löf-
fels erklärte, mit welchem die kleinen kinder ihren brei „pappen";
dass pappenstiel vielmehr ihn blumenstengcl bezeichnet, dem der wind
oder die kinder den schmuck der federkrone hinweggeblasen haben?
Ist nicht auch in gleicher weise der provinziell übliche nanie „Pfaffen-
röhrleiu" für „Löwenzahn" zu erklären?
KIEL. •!. KAWEKAU.
NOCHMALS thiil IN BEDINGUNGSSÄTZEN BEI LUTHER
Im lezfen hefte dieser. Zeitschrift hat herr prof. 0. Erdmann
(bd. XXIII, 41) auf drei von mir gesammelte beispiele für den gebrauch
von thet im sinne von mhd. erdete = nicht täte, nicht wirksam oder
vorhanden wäre aufmerksam gemacht und die erwartung ausgespro-
chen, dass sich für diesen gebrauch des conj. prät. ohne hinzugesezte
negation in bedingenden nebensatzen noch weitere beispiele aus der
Übergangszeit vom mhd. ins nhd. auffinden lassen würden. Ich bin in
der läge, den dort aufgeführten beispielen, von denen schon zwei aus
Luther entnommen waren, noch zwei weitere völlig gleichartige aus
seinen Schriften hinzuzufügen.
1) Auslegung von 1. Cor. 7 (1523), Erlanger ausg. bd. 51 s. 81 =
Weim. ausg. XII s. 1 14 [im druck befindlich]: Wenn diße u<>tt thett,
sottim freylich die andern Sachen alle gar ryn schlechte ehe machen =
traut diese not nicht vorhanden wäre.
2) Brief vom 6. febr. 1546, de Wette bd. Y s. 786: [wir] hätten
gute tage, wenn der verdrießliche handel Unit wenn er nicht vor-
handen wäre.
KIEL. G. KAWERAU.
294
LITTEEATUR
Goethes werke. Herausgegeben im auftrage der grossherzogin Sophie
von Sachsen. I. abteilung: bd. 1. 2. 6. 7. 14. 15, 1. und 2. III. abteilung.
Tagebücher bd. 1 und 2. IV. abteilung. Briefe. Bd. 1 — 3. Weimar, Böblau
1887 a. 88.
Während jener langen jähre, in welchen Goethes enkel das von ihrem gross-
vater sorgsam geordnete arehiv verschlossen hielten, bis sie endlich durch freundes-
hand weniges nach gntdünken der Öffentlichkeit übergaben, hatten sich die erwartun-
gen der forscher und Verehrer des dichters so fest bestirnt, dass kein zweifei über
die pflicht desjenigen bestehen konte, dem die freie Verfügung über dasselbe einst
zufallen würde. Man erwartete zunächst die möglichst rasche und volständige mit-
teilung der tagebücher und der noch ungedruckten briefe; die Veröffentlichung der lezt-
genanten hatte Goethe selbst bestirnt und Eckermann zugesagt, ihn in seinem lezten
willen damit betrauen zu wollen. Aber auch noch manchen ungedruckten gedienten
und aufsätzen durfte man entgegensehen; nicht weniger früheren fassungen anderer
und urkundlichen angaben von fortgepflanzten druckfehlern, wie man z. b. wüste,
dass Goethe die druckfehler der ersten ausgäbe des „Tasso" angemerkt hatte, deren
berichtigung später zum teil unterblieben war, so dass noch ein kopfloser vers die
mit peinlicher Sorgfalt ausgeführte dichtung entstelt. Auch viele ungedruckte briefe
bedeutender oder mit seinem leben nahe verbundener personen standen in aussieht.
Am wenigsten durfte man an die herstellung einer äusserst schwierigen, auch zunächst
keineswegs so dringenden neuen gesamtausgabe seiner werke denken, welche nur die
endliche krönung der volständigen mitteilung und Verarbeitung der handschriftlichen
Überlieferung bilden zu können schien. Aber das Schicksal wolte, dass fast gerade
der umgekehrte weg eingeschlagen wurde.
Im herbste 1884 hatte Scherer mit der ihm eigenen glühenden begeisterung
den plan einer grossen Goetheausgabe gefasst. Das folgende frühjahr liess Goethes
lezten enkel kurz vor seinem hinscheiden die schönste tat seines lebens ausführen:
er ernante die frau grossherzogin Sophie von Sachsen zur erbin des familienarchivs.
Auf veranlassung dieser glücklichen wendung bildete sich rasch unter Scherers mit-
wirkung die Weimarische Goethegeselschaft. Der zum ersten vieepräsidenten erwählte
rliner professor und akademiker hielt natürlich vor allem seinen lieblingsplan einer
neuen Goetheausgabe im äuge. Vorerst hiess es freilich nur, der schriftliche nach-
lass solle „erforscht, gesichtet, in wertvollen teilen veröffentlicht und so verarbeitet
.den. dass daraus eine neue volständige lebensbeschreibung Goethes und eine
neue volständige ausgäbe seiner werke in einer form hervorgehen, welche den
wissenschaftlichen forderungen der gegenwart entspreche." So war ganz sachgemäss
m dem aufrufe -An alle Verehrer Goethes" vom 1. juli zn lesen. Aber noch in dem-
selben sommer wurden vom vorstände nach Scherers Vorschlag die „grundsätze für
die Weimarische ausgäbe von Goethes werken" aufgestelt, die früher zunächst nur
die nach persönlichen rücksichten gewählten mitarbeiter zum meinungsaustausch
anregen solten. Nach dem ersten Jahresbericht würden „die nerren v. Loeper, Sclie-
Schmidt den plan einer grossen Goetheausgabe einer vorberatung unterwerfen."
Von gründlicher Untersuchung der Bachlage, von einer ins einzelne gehenden nach-
weisung der mängel der zu gründe liegenden ausgäbe lezter hand, von eindringlicher
DÜ.NTZER, ÜBER GOETHES WERKE (WEIM. AUSGABE) 295
durchforsclmng des handschriftlichen nachlasses, auf dessen bereicherong man in
nächster zeit hoffen durfte, war keine rede; noch weniger von einer über den partoi-
hader erhabenen aufforde rung an alle forscher und kenner Goethes, sich freimütig
über die für die wissenschaftliche ehre Deutschlands so wichtige angelegenhcit zu
äussern; am wenigsten von einer erörterong vor der generalversamlung, die doch
kaum über eine wichtigere frage vernommen werden konte. Schon im folgenden
frühling erschien die ankündigung, im laufe des Jahres stünden die sechs ersten
bände der auch Goethes tagebücher und briefe in besondern abteilungen umfassenden
ausgäbe zu erwarten. Die grundsätze derselben hatte Scherer aufgestelt, desseo Sorg-
falt sich auf alles, selbst auf die musterung der druckschrift und der papiersorten
erstreckte. Vergessen war das alte wort: „Gut ding will weile." Erich Schmidt war
beauftragt, die „im plane nötigen Verschiebungen und einschiebungen anzudeuten".
da man nun doch entdeckt hatte, die Ordnung der werke in der ausgäbe lezter band
sei nicht ganz die vom dichter selbst beabsichtigte, weil äussere gründe dem Verleger
zu Goethes nicht geringem ärger eine abänderung aufgedrungen hatten. Jozt, wo
bereits eine statliche reihe von bänden dieser neuen mit so grossen ansprächen ange-
kündigten ausgäbe vorliegt, kann sich diese Zeitschrift der wissenschaftlichen prü-
fung derselben nicht entziehen.
Über die im jähre 1887 erschienenen bände habe ich mich für weitere kreise
schon in den „Grenzboten" (188S, I) ausgesprochen. Das dort gefalte urteil wurde
durch die nächsten fortsetzungen nur bestätigt. Trotz aller aufgewanten mühe ist die
ausgab.' anfangs eine übereilte gewesen; es fehlte zum teil noch an den notwendigen
Vorstudien, an kritischer Schulung, an reife des urteils und jener Sauberkeit, die ans
beherschung des Stoffes und einfach klaren, stetig festgehaltenen grundsätzen fliesst.
Weder bei aufstellung dieser grundsätze, noch bei ihrer anwendung lag ein deutliches
bild von dem zustande unserer Überlieferung vor, wie es nur aus genauester Verfol-
gung ihrer geschiente durch alle vom dichter selbst veranstalteten drucke zu gewin-
nen ist. Freilich wird jeder dem grundsatz der redaktion beistimmen, man dürfe
nicht ohne not von der ausgäbe lezter band abgehen; aber die entscheidung, wo eiue
solche not eintrete, hängt wesentlich von der einsieht in die entstehung unserer Über-
lieferung ab. Der vorbericht erklärte: „Ist nicht mit voller gewissheit eine Verderbnis
anzunehmen, besteht irgend ein zweifei an der not wendigkeit der änderung, so darf
sie (man erwartete „nicht geschehen"; nein — ) nur im einverständnis mit den redak-
toren eingeführt werden." Da möchte man denn doch wissen, nach welchen grund-
sätzen diese ultima ratio, die leidige mehrheit, entscheide, die dem in der Sache
stellenden bearbeiter oft sehr unbequem werden kann, wie sich tatsächlich aus
den äusserungen des herausgebers des „Divan" zu 19. 9 fgg. 36, 12. SO. 5 ergibt.
Es kam auf einfach klare grundsätze an, die freilich nur aus volständiger kent-
nis der Sachlage zu schöpfen war.
Die redaktoren hatten von der Zuverlässigkeit der ausgäbe lezter band eine
viel zu günstige Vorstellung. Keiner von den gehülfen des dichters war im falle,
sich ununterbrochen der sechs jähre dauernden sorge für diese ausgäbe zuzuwenden,
darin gleichsam zu leben, so dass ihm von anfang bis zu ende die zu befolgenden grund-
sätze vor äugen gestanden hätten. Riemer, durch seine kritischen bestrebungen, dich-
terische begabung und sprachgewantheit vor allen dazu befähigt, war von geschaffen
und eigenen arbeiten in ansprach genommen; er wurde auch nur gelegentlich befragt,
eine stetige Überwachung fiel ihm gar nicht zu. Eckermanns stärke bestand nicht in
der wortkritik, auch war er so wenig wie Kienier mit der leitung der neuen ausgäbe
296 DÜNTZBB
beauftragt Goethes besonderes zutrauen hatte sich Oöttling erworben, ein tüchtiger,
klassischer philologe, ein klarer und heller köpf, ein markiger mensch, dessen man
sich wahrhaft freuen konte (ich spreche aus persönlicher kcutnis). Aber seine sache
war freilieh weniger deutsche spräche und dichtung. In allem, was er tat, ein ehren-
mann. teilte er stets onverholen seine ansieht mit, wie sie ihm der dringende augen-
blick und eigene gewöhnung eingaben. Und Goethe entschied über seine vor-
oach augenblicklichem ermessen, oft sehr rasch, besonders wenn es galt,
seine Anordnungen der harrenden druckerei mitzuteilen. Manchmal stimte er Göttling
nicht zu; doch Hess er sich zuweilen zu änderungen verleiten, die er Bpäter misbil-
Weimarische redaktion hat sicli grundsätzlich nur da freie band
gestattet, wo Göttling sich abweichungen „unbemerkt oder ohne Goethes bezeugte
einwilligung gestattet tt, was doch ein so gewissenhafter mann ohne zweifei nie getan
hat. wo er nicht von Goethes Zustimmung überzeugt war. Der nein' herausgeber der
lichte hat wenig einmal Göttlings von Goethe gebilligte Schreibung (Alder-
man statt Aid ermann I, 207) mit recht rückgängig gemacht. Aber eine ein-
sende kritik muss über Goethes hilligung Göttlingischer vorschlage überall frei
entscheiden und. fals die änderungen sich als entstellungen ergeben, das ursprüngliche
wider einführen. Ein paar fälle dieser art habe ich Grenzboten s. 35 angeführt. Einige
andere fügen wir jezt hinzu. In dem liede „Gewohnt getan", das in zwei abschrif-
ten vorliegt, steht noch in der ausgäbe lezter band: „So altern dagegen die Jungen."
I>ie beim ersten anblick zutreffende änderung jungen bestach Goethe. Bisher steht
keineswegs : 3t, von wem die änderung ausgegangen; dass sie für die oktavausgabe
von Goethe angeordnet worden, beweist der entwurf einer druckfehlerlistc für die
he buchhandlung, den die "Weimarische ausgäbe sonderbar nur zu dieser stelle
il. 398), und zwar ohne alle nähere bestimmung, erwähnt, Genauere betrachtung
:l>t. dass der dichter nicht sagen woltc: „Es gibt noch wein genug, wenn auch
dieses fass _• . vi isttt, sondern dass er in eigentümlicher weise das post multa sae-
cula pocula nulla durch die hindeutung auf das rasche hinschwinden der zeit
andeuten wolte, woran eben das heranwachsen der kinder zu leuten, wie das Sprich-
wort sagt, die beobachtung, dass „die gewachse uns über den köpf wachsen", wie
er zehn jähre früher in den „glücklichen gatten" geäussert, uns lebhaft mahnt.
_I»ie jun_ - stelt der fidele sich den alten entgegen, wie v. 16 die Jugend. Nur
dieses gegensatzes wegen spricht er vom ältesten weine, der mit der zeit aufgehe,
ohne andeutung. dass er heute das fass leeren werde. Wir stellen mit Jungen den
wahren sinn des dichters wider her. — Ein anderes beispiel. Wenn Goethe auf Gött-
lings verschlag in der ersten "Walpurgisnacht v. 43 den druckfehler der an solchen
hon dritten ausgäbe sorge aufnahm statt des frühern sorgen, so Hess er sich
wahrscheinlich durch die nüchterne betrachtung verleiten, dass hier nur von der
einen sorge vor den .harten überwindern a die rede sei; aber abgesehen davon,
da— - -ich liier von der sorge aller handelt, ist die mehrheit sorgen selbst im
gewöhnlichen Sprachgebrauch gangbar zur bezeichnung des wogens der sorge in der
le, der curarum fluetus, wie Lucrez sagt. Man kann wegen einer sache in
sorgen sein. Einen misklang in sorgen willen hat Goethe kaum gefunden;
schliessen ja häufig verse mit zwei auf en endenden Wörtern, wie mit starken
armen, meinen willen; ja in „Luis park" stand ursprünglich alle sieben sin-
nen jucken, wo erst in III das veraltete sinnen weggescliaft wurde. Sorge war
ein bl eben der dritten ausgäbe, die in demselben gediente v. 38 schichten
schlichten hat. welchen druckfehler die Weimarische ausgäbe fortpflanzt, weil
ÖBEB GOETHES WERKE (WKI.M. A.U8GABE) 29*3
er bei der lezten unbemerkt geblieben sei, zu welcher eben die beiden ersten aus-
gaben nicht verglichen wurden! — Verfolgen wir Göttlings von Goethe gebilligte
vorschlage weiter. \n den Elegien 11. 204 hilft der süssen statt süsser freilich
dem verse auf; aber der artikel ist ungehörig, und hexameter, in denen der erste
fuss. wie hier, ein reiner trochäus ist, kommen in den elegien häufig ganz in der-
selben weise vor. (Jm die viersilbige Lesung des namens Jasion herzustellen, lässt
Göttling daselbsl L2, _'.'>1 den artikel weg, wodurch der arge übelklang als Bie
Jasion entsteht, der schlimmer ist als die imgriechische ausspräche, die man dem
dichter ebenso zugute hält, wie die längung der dritten silbe in Penia, der zweiten
in Antigone, der dritten in Euphrosyne. Auch im „Divan" fehlt es oicW an
ungehörigen einfallen, die Goethe gebilligt Der herausgeber hat einmal ein von
Göttling durchgeseztes komma statt punkt als auf misverstand beruhend mit recht
verworfen (s. 159, 13), ein andermal (s. 267, 20) ein von Goethe auf dessen rat
gestrichenes komma wider hergestelt. Damit ist wenigstens jener unhaltbare grund-
satz der redaktion durchbrochen.
Ganz eigner art sind die falle, wo ein bedenken Göttlings den (lichter zu schlim-
besserungen veranlasst hat. Jn dem schelmischen gespräche Batems mit den tnädchen
(VI, L65) heilst es: „Leichtgedrückt die augenlieder | Eines, die den stern beschä-
men, Deutet auf den schelm der schelmen, Doch das andre schaul so bieder."
Hier nahm Göttling daran anstoss, dass eines ohne Verbindung steht. <i<>cthe selbst,
dem das licd, wie fast alle des „Divantt längst fremd geworden, wüste sich nicht zu
helfen, da er übersah, dass er mit grosser kühnheit den relativsatz von augen-
lieder getrent hatte und eines eigentlich nach „besohclmen" stehen solte. Ebenso
hatte er s. 159, 4 „die aumasslichen Matter" durch „belächeltest du" von den enge
damit verbundenen beiden ersten versen getrent (der neue herausgeber durfte nicht über-
gehen, dass die erste ausgäbe v. 2, nicht v. 3 komma hat!) und s. 43, 9 „wie du
weissta vor statt in den von „verzeih" abhängigen satz gestelt. Die not verleitete
den dichter „der augenlieder" zu schreiben, was durchaus sinwidrig ist, da eines und
das folgende das andre nicht auf die augenlieder. sondern auf die doppelten
äugen gehen. Hier muss man den dichter gegen seine falsche änderung in schütz
nehmen! — Schwieriger scheint ein anderer fall. ]\Iit der gegen den wanderjahrepastor
Pustkuchen gerichteten betrachtung „Haben sie von deinen fehlen" (s. 74) konte Gött-
ling nicht fertig werden. Der Übergang aus der zweiten person durch die dritte in
die erste wolte ihm nicht eingehen, auch schien ihm die Verbindung 13 fgg. unge-
hörig; zur herstellung der construetion schlug er 14 Hat man statt Endlich oder 15
Lehret mich statt Und mich lehrt vor. Goethe, dem auch diese verse ganz
fremd geworden, genehmigte das zweite und Bezte 10 mir statt ihm, so dass „der
durch den tadel gleichsam entzweite in persönlicher einheit eine rechtfertigung aus-
spräche." Aber von einer rechtfertigung ist überhaupt nicht die rede. Ihm geht
auf den belehrten, und es ist ein hübscher zug, dass dieser unerwartet (ähnlich
wie in „Luis park") verrät, es handle sich um ihn, da er doch bisher im alge-
meiuen gesprochen hat, in welcher weise Goethe sich auch sonst der zweiten
person bedient. Der schluss würde nur dann ganz singemäss sein, wenn es Lehret
man liiesse; denn nicht das frommen der busse lehrt, sondern man lehrt ihn,
dass die busse fromme, wenn der mensch gefehlt habe. Der neue herausgeber
gesteht, dass der schluss ihm auch in der beibehaltenen Göttling -tjoetheschen fas-
simg unverständlich sei, wagt aber keine Vermutung, gedenkt auch der von mir
gegebenen lösung nicht. Freilich bleibt die stelle immer hart, weil der satz: „da sie
DÜNTZKK
mich endlich auserkoren haben, bei ihnen in die schule zu gehen", verkürzt ist; die
reimnot hatte den dichter bedrängt. Leider fehlt uns von diesen versen der erste
entwarf.
Aach in der rechtschreibung soll die ausgäbe lezter hand massgebend sein,
freilich das zufällige und wilkürliche nicht fortgepflanzt, vielmehr fehlerhaftes berich-
tigt, schwankendes und onebenmäss - s I — itigt, die Schreibung, wie man sich aus-
drückt, normiert werden. Billigen könte man es, wenn hierbei der Statistik die eut-
- teidung anheimgegeben wird (1. s. xxn: aber wie wenig dieser gefolgt wird, habe
ich schon Grenzboten s. 36 gezeigt. Und in den spätem bänden geht es so fort. Noch
im zweiten bände der gediente liest man euern (s. 31. 173. 176) neben dem ein-
führten euren (86. Ol. 141 fg.) und dem häufig stehenden heitern; aber heit-
rem (24 163) neben munterm (24), düsterm (59), dunkelm (60), verzweiflen
neben wandeln, betrügende (264) ;neben dem eingeführten betriegen (236.
Wo bleibt hier die Statistik! Im Divan steht unsres (16) neben dem einge-
führten uns. rs, bittrem (251) neben unserm (257); betrüge, freilich im reim
auf lüg B5 . aber 2, 291 reimen betriegen und belügen; thörig (57), wie die
ausgäbe lezter hand auch im dritten bände neben dem Goethe aufgedrungenen
thöricht las; gescheut freilich im reime neben dem eingeführten gescheit, und
im nachlass findet sich änglend (294), ja in demselben gedachte lächlend neben
schöppelnd (302). Im ersten teile des „Faust" lesen wir v. 328 dunklen neben
dreimaligem dunkeln. 1139 wird betrügen statt des eingeführten betriegen
_ sezt, weil diese form im reim auf lügen unerträglich sei. aber doch nicht uner-
träglicher als 669 bügel im reim auf riegel, obgleich die von Goethe sonst
_ brauchte form bieget (vgl. I, 304, 156) zu geböte stand. Unsres tritt an die
sonst eingeführten unsers, neben sauerm 380 lesen wir höhrem 1063.
Bedeutender sind die abweichungen im zweiten regelloseste wilkür zeigenden teile,
in welchem wir uns auch unsrer phalanx 10595 unbemerkt gefallen lassen müs-
»bgleich an vier andern stellen phalanx männlich gebraucht wird. Hier finden
h abweichend von dem regelmässig befolgten gebrauch euern (11908), unsres
(10817), andrem (9591), muntren (8793), heitrem (9878), düstrem (11219),
traurend (882 ungeheuren (6003), zweiflen (6534), verzweiflend (11480),
wandlen, verwandlen (8153. 8159). ähnlet (5078), tändlend (9993), wim-
lens (6014), eitlen (5984), frevlem (7895), frevlend (7921), thöricht (9127),
aber thöriger (9601), wo vielmehr thör'ger stehen solte. So venig ist hierin eben-
m. 'dt. die bei einiger Sorgfalt Leicht zu erreichen stand.
Auf das entschiedenste müssen wir uns dagegen erklären, dass die zufällige
hreibung der zwanziger jähre zu gründe gelegt worden ist. Goethe wolte
in der rechtschreibung, da er an ihr keinen besondern anteil nahm, gar nicht seine
ii grundsätze durchführen, sondern verlangte nur möglichst strenge befolgimg
der zur z-it gangbaren, auf dass die Wirkung seiner werke nicht durch das unge-
hnte der äussern erscheinung beeinträchtigt werde. So würde er denn auch in
b'-folgiuig di sich dagegen verwahrt haben, dass man bei einer zu
hren veranstalteten neuen ausgäbe in den achtziger Jahren, welche eine rich-
tig hreibung in unsern schulen, kanzleien und druckereien eingeführt haben, die
vielfach vei Ler zwanziger jähre befolge, vielmehr die den legem geläufige
: zeit _ inet haben, damit diese nicht an eigenheiten anstoss nehme, die in
u zwa: jahren keine waren. Hier Stelen noch die leidigen ungehörigen h in
voller blute; wir werden durch vmologische c daran erinnert, dass takt und
ÜBEB G0ETHE8 WERKE (WKIM. A.U6GABE) 299
punkt aus dem lateinischen stammen, obgleich diese längst nicht mehr als fremdwör-
ter gefühlt werden, auch die Lateinische endung abgelegt haben und nicht allein deutsch
abgebogen werden, sondern auch deutsche ableitungen, wie pünktlich, und Zusam-
mensetzungen, wie taktvoll, erzeugt haben. Ein punctum kann man sich gefal-
len lassen, aber punkt ist deutsoh geworden. Übrigens findet sieh auch in der aus-
gäbe lezter band schon takt il. i':>. sii), kredenzen (1, 105), kapello (1, 210.
225), kanono (1, 149), kanal (1, :;i!i). nur nie beiden Lezten in der Weimarschen.
Nach dem vorbericht Bolten sieh die abweichungen lediglich auf das lautzeichen
beziehen, aber nur bei Schwankungen, wogegen keine gestattet wird, wo die ausgäbe
lezter band sich gleich bleibt. A.ber dann hätte auch almählig beibehalten und das
bei weitem überwiegende acht mit rücksicht auf die Statistik statt des einzig rich-
tigen echt zu unverdienter ehre kommen müssen. Einen starken riss macht der
vorbericht in der anordnung der ausgäbe lezter band, wenn er Göttlings von Goethe
gebilligten kanon über den gebrauch des v verwirft, der freilieh gar wunderlich ist,
alier durch Goethes sonst trotz allem verehrte anordnung geschüzt wird. Die anordnung
der redaktoren ist um Verletzung der folgerichtigkeit nicht bekümmert Sic volo.
Nur bei den wenigen Fremdwörtern soll es zugelassen werden, in denen es sich auch
noch heute erhalten hat. Als ob nicht unsere Schulkinder heute von den Schreibun-
gen styl und sylbe erlöst wären, welche der neue Goethe flotweg braucht. Das y
ist heute nur da berechtigt, wo es in einem fremdwort wie ü ausgesprochen wird.
Dass die satzzeichnung in der ausgäbe lezter hand höchst ungleich und
zum teil liederlich sei, haben alle bedauert, welche darauf geachtet hatten und mit
den berechtigten anforderungen an eine solche vertraut waren. Dennoch wurde diese
satzzeichnung für die Weimarische ausgäbe massgebend. Man beruft sich auf Göttlings
behauptung, er habe die interpunktion verändert, wie er sie nach bester Überzeugung
bei einem Griechen oder Römer dargestelt haben würde. Aber diese äusserung bezieht
sich bloss auf die ersten bände, von denen der vorbericht selbst zugibt, dass sie
weniger genau durchgegangen seien; mitunter freilich scheine GötÜing, besonders in
den ersten teilen, ohne prineip zu verfahren, so dass die ausgäbe „ersichtlich öfters"
den früheren folge. Nach schulmässigem Schematismus, heisst es weiter, lasse sich
Goethes lebendig tönende spräche überhaupt nicht abteilen; sie leide zwang, so oft
man zu gunsten einer eingebildeten regelmässigkeit einen derartigen versuch unter-
nehme, und jeder versuch der uniformierung bringe die ganze interpunktion der aus-
gäbe lezter hand ins schwankon. Aber diese hätte immer fallen mögen, wäre eine
grundsätzlich richtige, gleichmässig durchgeführte eingetreten, welche die dichterische
freiheit nicht im geringsten anzutasten brauchte. Dass sich Goethes „lebendig
tönende spräche" (was hat dies mit der satzteilung zu tun?) nicht pedantisch abteilen
lasse, hat keinen sinn. Gilt es ja hauptsächlich, nur die Sätze nach ihrem logi-
schen Verhältnis durch entsprechende zeichen abzuteilen, welche zugleich die kür-
zern und längern pausen des Vortrags andeuten. Das ideal der satzzeichnung wäre,
hierin Goethes art des lesens widerzugeben, was uns wesentlich gelingen dürfte,
wenn wir den spuren nachgehen, die sich in der freilich mangelhaften, aber oft
abweichenden handschriftlichen satzzeichnung finden. Wenn Goethe schon durch das
führen der feder beim schreiben gestört wurde, konte er noch weniger beim dichten
immer die logische trennung der sätze in betracht ziehen. Er Überhess die sorge für
die satzzeichnung den ahschreibern , den freunden und schliesslich- der di uckerei,
deren sache es sei, diese zu ordnen. Wenn er selbst sich mit der durchsieht der
druckbogen befasste, so sah er mehr auf den Wortlaut als auf die richtige wort-
300 DÜNTZEB
Schreibung und anwendung der Satzzeichen. Eine grosse anzah] seiner gedichte gieng
in der abschiift des Schreibers ohne jode geordnete satzzeichnung in den druck, und
die druckerei und die heransgeber der Zeitschriften waren weit entfernt auf diese
zu achten. Man sehe nur. wie nachlässig sie meist in Schillers „Musen-Alma-
n;i'h- behandelt ist, wovon freilieh die lesarten der Weirnarischen ausgäbe kein aus-
reichendes l>ild geben. Wurde auch manches in den spätem ausgaben verbessert,
sehr vieles blieb zurück, so dass nur eine gründliche Umgestaltung nach festen gründ-
en abhülfe bringen kann. In dieser beziehung hat die neue ausgäbe die berech-
tigten erwartuneen nicht erfült. Vor allem solte nach den Sätzen, bei denen eine
pause eintritt, vor einem beginnenden satze des grundes, der folge oder des gegen-
nicht ein blosses komma stehen, das nie an der stelle ist, wo der redende
länger inne hält. So muss im ersten bandeein punkt stehen s. 22. \'A. 110. S4. r_">. '.',2.
5, 27. 162, 16. L63, 25. 165, 18. 177, 28. 202, 18. 221, 74; ein Semikolon
. 11. 27. .:. 31, 20. 36, 23. 68, 10. 75, 5. 78, 14. 113, 36. 135, 20. 39.
144. 11. 147. .'!". 149, <). was der Zusammenhang, zum teil auch die verse der
entsprechenden Strophen ergeben, wie in der ballade „Ritter Curts brautfahrt" (176 fg.),
wo in der mitte der strophe immer ein starkes Satzzeichen sich findet, Einmal (68, 1)
hat der heransgeber, wie früher schon in seiner besonderen ausgäbe, durch einführung
- kommas statt des überlieferten Semikolons den ausdruck entstelt; denn „geschwind
zu pfi Mar die mahnung des schlagenden herzens. Ausruflingszeichen statt
des kommas wird gefordert s. 41, 7. 146, 6. 211, 25. 215, 20. Statt Semikolon
te kolon geseztsein 51. 7. 51. 4. 01, 15. 115, 60. 140, 10; punkt 00, 32. 138, 28.
180, 52, wie umgekehrt statt punkt Semikolon 20, 10. 58, 10. 109, 10, sowie 132 fg.
nach jedem ersten verse der strophe, da das zwischentretende „ Juchhe" keinen ein-
tluss auf die Satzverbindung hat, und 148, 50. Das kolon 141, 41 ist zu stark
vor dem kurzen satze: „Denn ich habe niehts getan." Ein komma ist s. 164, 5 zu
streichen, wie es in der dritten strophe (19) fehlt, wogegen in der zweiten irrig aus-
rafungszeichen steht, das hinter den nächsten vers gehört. Verkehrt ist es auch,
nn im „ Zigeunerliede " (s. 156) nach 4 statt des puuktes, wie in den übrigen
»phen, ein ausrumngszeichen den refrain als geschrei der eulen bezeichnet.
Dem dichter war bei der durchsieht der ausgäbe lezter band die in früherer
zeit, schon bei der ersten ausgäbe, gewöhnlich „alzuhäuhge interpunktion und kom-
matisierung1- unangenehm aufgefallen, und er wünschte deshalb die tilgung unnötiger
kommas, wodurch -ein reinerer fluss des Vortrags" bewirkt werde, was darauf deutet,
dasfl er durch die satzzeichnung de den vertrag unterstützen wolte. Der vorbericht
• . XXIII. dass auch die ausgäbe lezter hand, oacb dem heutigen massstabe
(wir müssen hinzusetzen, auch nach Goethes gefühl) die zeichen etwas zu reichlieh
anwende, besonders bei adverbialen bestimmungen von grösserem umfang und bei
partidpialkonstraktionen; dagegen sei reichlichere interpunetion, besonders in den
gedichten. oft durchaus angebracht, indem sie dem leser zum bewustsein bringe, wie
in wenig weiten der sinn c sätze beschlossen sei. Aber dazu sind die Satz-
zeichen doch nicht da; sie sollen nur die pausen des Vortrags bezeichen und das nicht
eng zusammengehörende trennen, was für das Verständnis von gröstem werte ist.
D: he ausgäbe hat manche störende kommas gestrichen, aber bei weitem
nicht all : sind z. b. in den gedichten ungehörig die kommas, welche die weite
durch tal und hügel (f. 26), nach dem stürme (55), so warm (113), ver-
traut und fromm (126), im leuchtenden grabe (130), die quer' und läng'
(166), im freien (192), zum zwecke (215), zu seinem zwecke (218), mit
ÖBEB GOETHES WERKE (WEI.M. AUSGABE) 301
gewichtigen zetteln (240) abtrennen. Ähnlich verhält i li in den übrigen
bänden. Darin, dass zwischen zwei gleichzeitig nebeneinanderstehenden beiwörtern
kein koniina steht, folgt die neue ausgäbe Goet.li'-> gebrauch; doch möchte in dem falle,
wo das zweite den begriff des ersten erklär! oder Bteigert, ein solches wol an der
Btelle sein", wie denn auch die Weimarische ausgäbe Lieblichen, ladenden glänz
(I, s. 59), ernst'-, stille betraehtung (283), beibehält, wonach man auch in ähn-
lichen fallen ein komma wünschte, wie in Btilles bescheidenes kraut (347),
besonders da vorangeht farblos, ohne gestalt. Bei der verstärkenden widerholung
desselben wortes, wie leise leise, alles alles, hätte man erwarten sollen, di
die ausgäbe kein komma setze, da diese eng verbunden sind und Goethe in der aus-
spräche nicht trennte. Freilich stehen leise, lei ar mit vorangehendem und
folgendem komma (I, 140), sachte, sachte (II, 102) schon in den ersten drucken.
ebenso im „Di van44 (VI,223), stille, stille; aber im „Faust" hatte noch die ausgäbe
lezter band immer immer mehr (129), alles alles (3212), und auch das von
Schmidt beibehaltene nun nun (3257), wogegen das handschriftliche Alles alles
(3908) schon im ersten drucke zu Alles, alles geworden, 3686 Lass, lass. 378S
zur langen, langen pein gedruckt war. In den „Neugriechischen Liebe - Skolien"
hat die ausgäbe lezter band als kleine, kleine (3, 237), im liede „Um mitter-
nacht" kloin, kleiner knabe (3, 52), wo wol klein-kleiner stehen soll, wie
golden-goldne im Faust (5012). In den invektiven findet sich schlecht
schlechten (statt schlecht-schlechten). Die erste ausgäbe des Götz hatte
viel vieles, wo später viel gestrichen wurde. Der widerholung der beiwörter zur
Verstärkung des begrii's bediente sich Goethe auch in der gewöhnlichen rede, wo er
dieselben nicht durch eine pause getrent, sondern ebenso eng verbunden gesprochen
haben muss, wie er sonst bei gleichstufig verbundenen beiwörtern kein komma
brauchte. Anderer art ist die widerholung glocke glocke, wo auch unsere ausgäbe
(I, 204, 13) kein komma hat.
Zu den aller/verschiedensten Verrichtungen braucht die ausgäbe lezter
band, und demnach auch die Weimarische, den gedahkenstrich, gerade nicht, zum
leichten Verständnisse, das doch die satzzeichnung zu vermitteln hat. Der gedanken-
strich soll eigentlich eine pause bezeichnen, wird aber aeuerdings besonders da ver-
waut, wo man auf das nachfolgende als etwas unerwartetes oder bedeutendes vor-
bereiten will oder die rede abgebrochen wird. So findet er sich denn doch auch in
unserer ausgäbe einigemal. I, 188, 20: „Nicht wahr im grünen vertraulichen haus—'4,
wo der schluss der frage nach einer zwischenrede folgt. 135: „Man retiriert, man
avanciert — Und immer ohne kreuz*, wo statt des punktes ausrufungszeichen an der
stelle wäre. II, 8: „Unentbehrlichs bring' ich mit — die liebe.44 87: „Mit einem
blick — Götter zu entzücken*1, wo komma genügte. 90: „Und so — zu ihren fassen
Hegt das tier.44 91: „Und ich! — götter, ists in euren bänden.- 259: „Ich könte
viel glücklicher sein — Gäbs nur keinen wein.44 Ferner steht ein gedankenstrich,
zuweilen zwei, zur andeutung einer pause, wobei zum teil vorausgesezt wird, dass
zwischen den beiden reden etwas geschieht. I, 218 komt nach den Worten: „Herr
und meister! hör' mich rufen! — u der meister wirklich. Faust 132: -Sic zu befrie-
digen ist schwer Was fält euch ein?44 genügte nach schwer ein blosser punkt,
etwa mit gedankenstrich; jedesfals muss ein punkt stehen, da der satz zu ende ist.
2871: „Vielleicht ist er gar tot! — 0 pein! — — ." Die gedankenstriche deuten
hier eine kürzere und eine längere pause an. 2208 wird Frosch in seinem liede beim
verse „ Der hatt' einen grossen floh — * unterbrochen. Solche pausen hätten auch
302 PVNTZER
an andern stellen bezeichnet worden sollen, wo unsere ausgäbe diese so wenig andeu-
tet, dass sie zuweilen mit einem ganz schwacheu Satzzeichen sieh begnügt Das
dünste beispiel dieser art bildet das -''dicht. „Der wanderer", wo die personen wäh-
rend i - e spräches in die höhe steigen, die frau sieli entfernt und widerkomt, was
mehrfach durch gedankenstrich anzudeuten war. Ja wir lesen hier sogar noch: „Gleich
zur linken Durchs gebüsch hinan: Biertt, wo freilieh die ausgäbe lezter hand nach
«hinan- nur komma hatte, während wenigstens punkt, wenn nicht ausrufungszeichen
mit gedankenstrich stehen muste. Aueli im „Faust" solte 1022 Dach dem verse „Nur
wenig schritte noch hinauf zu jenem steina statt eines kommas punkt nebst gedanken-
ich stehen, da der redende zwischen diesem und dem folgenden verse zu dem
breitet Abel auf das, was der gedanke fordert, hat eben unsere aus-
• 11 acht. Häufig genug hat sich nach dem in früherer zeit ausserordentlich
verbreiteten falschen gebrauch ein gedankenstrich statt eines blossen punktes erhalten,
wie 1. 62, 11. 70, 7. 110, 28. II. 7."». 46. 90, 105. VI, 36, G. 73, 4. Faust 369.
879. 1395. ls".".. Zuweilen genügte statt des gedankenstriches ein blosses komma,
wie I, 77, 4L 337. . 4. Faust 363. 47)8. Dass gedankenstriche gesezt werden, wo
die rede von einem zum andern sich wendet, wie I, 203, 44, oder eine anrede ein-
tritt, wie I, 248, 2 18 (hier müste noch punkt vor dem gedankenstrich stehen), mag
h entschuldigen lassen« aber nicht beim Übergang zu einem vergleich, wie I, 26G,
•i einer erklärung, wie I, 287, 11. am anfang einer erzählung, wie Faust 2814,
i einer aus dem vorigen sich ergebenden lehre, wie I, 290, 8, wo ein absatz an
der stelle wäre, wie unsere ausgäbe solche oft genug hat, leider ziemlich grundsatz-
Auch für diese solte nicht die zufällige' anwendung in früheren ausgaben mass-
end sein, nur innere gründe. Statt des gedankenstrichs bei einzelnen abgebroche-
nen Worten, wie II. 33. Faust 3183, und bei Unterdrückung oder blosser andeutung
von uianständigen ausdrücken, wie II, 261. Faust 1821 („H " wogegen hintern
II. 263. VI, 233 ausgeschrieben ist). 4138. 4142 fg. könten einzelne punkte stehen,
wie ähnlich in unserer ausgäbe II, 164 zur bezeichnung eines unaussprechlichen,
wofür in den Yenediger epigrammen 66, 4 ein kreuz steht. Auf das entschiedenste,
müssen wir uns gegen den freilich von Goethe selbst eingeführten gebrauch zweier
östliche statt der jezt gangbaren klammern erklären I, 7. 22. 152. 185, 27
[wogegen in gleichem falle 184, 6 jedes zeichen eines zwischengeschobenen satzes
fehlt}. 209,45. 259% v. 430— 439. II, 3. 26 fg. 74.157. Faust 2744 fg. 3068 fg.
Wirklich stehen klammern in den gedienten II, 149, im „Divan" 269, auch in „Her-
mann und Dorothea" neben dem gleichen gebrauch von gedankenstrichen. In den
dramen waren schon in frühester zeit die seenarischen bemerkungen in klammern
n. auch zuweilen kleine Zwischensätze, wovon freilich die erste ausgäbe der
rke abwich, die gar keine klammern hat, auch nicht in den gedienten. Aber der
ausschlu- klammern von dieser und in folge desselben mit wenigen ausnahmen
von den gedienten noch in der ausgäbe lezter hand kann uns nicht hindern, durch
einfuhrung der neuerdings so vielfach in anwendung gebrachten zeichen die in zu
verschiedener v gebrauchten gedankenstriche zu beschranken und so misverständ-
nisse zu verhüten, die in der ausgäbe Lezter hand um so leichter waren, als sie
lankenstriche auch zur Unterscheidung angefühlter reden brauchte.
hon in den „Akademischen blättern" von Sievers (I, 308 fgg.) habe ich die
durchaus verschiedene weise hervorgehoben, in welcher die ausgäbe lezter hand bei
dei ichnung eingeführter reden verfährt, und ein gleichmässiges verfahren als
dem Verständnisse forderlich und einer verständig angelegten ausgäbe Goethes allein
ÖBEB GOETHES WEEKE (WEIM. AUSGABE) 303
würdig dargestelt. Iu'e Weimarische ausgäbe hat leider jene bunte mannigfaltigkeit,
die auf reinem zufall beruht und jeder sachlichen begründung entbehrt, als ein unan-
tastbares gut beibehalten zu müssen geglaubt. Gehen wir näher auf den ersten
band der gediente ein, so fehlen zunächst alle anführungszeichen, selbst bei län-
gern reden, ja »'ine solche wird sogar s. 5 nach doppelpunkt mit kleinem anfangs-
buchstahen begonnen. Wenn s. 7 mitten in der rede der göttiu zwischen zwei gedan-
kenstrichen eingeschoben wird: „So saufe Bie, ich hör' sie ewig sprechen" (im)
komma), so soll das auf die freude deuten, welche ihre in den vorhergehenden ver-
sen ausgesprochene anerkennung im dichter erregt bat. Anführungszeichen fehlen
auch bei den worten Amors: „Hier ist das kerzchen la (15), im Eeidenröslein (16)
und bei dem ven der Schäferin gesungenen „Lala! reralla" (20%.). Erst s. 22 finden
wir solche, nämlich bei Käthchens „Nimm dich in acht! der lluss ist tief und bei
der angäbe ihres namens. Das lied fand sich aoeh nicht in der eisten ausgäbe; in
der „IrisL fehlen diese zeichen. Selche finden sich auch nicht s. 25 beim widerstände
des pflänzchens: „Soll ich zum welken geboren sein? und s. 77 beim ausrufe: .,<> sie
ist wert zu sein geliebt!"; dagegen stehen sie in Schadenfreude (s. 51) am
anfang und ende der weite des mädchens. Trost in tränen (s. 86 fg.) schlii
die strophen der erwiderung der schmachtenden in anführungszeichen, und solche
finden sich auch in dem Hede „Sehnsucht"; das „Taschenbuch auf das jähr 1804",
worin sie zuerst erschienen, hatte sie nur beim zweiten. In dem eben daher genom-
menen „Bergschloss* hat auch die ausgäbe lezter band das „Ja!u (94,40) ebne anfüh-
rungszeichen. Auffallend beginnen schon in der ersten ausgäbe der gediente alle acht
verse die rede in Geistesgruss mit anführungszeichen. Weniger Veranlassung zu
anführungszeichen boten die geselligen lieder. Rechenschaft gibt die klage
der waise (s. 140) in solchen. Auffält es, dass im Frühlingsorakel (s. 112) nur der
vorlezte vers durch das zeichen : | : als zu widerholen bezeichnet wird. Eine reich-
lichere anwendung der anführungszeichen forderten die bailaden; doch fehlen sie
ganz im Sänger (162 fg.), wo der könig 1 — 4 und 7, der sänger den grösten teil
<h-< gedichtes spricht. Im Erlkönig (1G7 fg.) werden die reden des vaters, des
knaben und des Erlkönigs unterschieden; die beiden ersten sind bloss durch einen
schliessenden gedankenstrich, die des Erlkönigs durch anführungszeichen und zwar wider
vor allen einzelnen versen und am Schlüsse bezeichnet. Dagegen wird im Fischer
(1G9) der sang der nixe nur durch den vorangehenden doppelpunkt eingeleitet, sogar
fehlt ein gedankenstrich am Schlüsse (v. 24). Beide balladen standen so schon in der
ersten ausgäbe. Die spätem balladen Das blümlein wunderschön, Ritter Gurts
brautfahrt, Hochzeitlied der Schatzgräber entbehren alle der nötigen andeu-
tuugen der eintretenden reden. Dagegen ist in Der müllerin verrat Dicht blo
die klage des gcprelten am anfange und ende und beim beginn der Strophen (nicht
vor jedem verse) mit anführungszeichen versehen, sondern auch die in derselben
berichtete anrede an die ihn überfallenden durch gedankenstriche abgesondert. Ebenso
finden wir in Der müllerin reue die von der zigeunerin im namen der geliebten
gesprochenen Strophen mit anführungszeichen versehen. Von den erst in der dritten
ausgäbe hinzugekommenen balladen "Wirkung in der ferne aus dem Januar 1808
und den fünf jähre später entstandenen Die wandelnde glocke und Der getreue
Eckart hat die erste die nötigen anführungszeichen, die dritte nur den schluss der
rede durch gedankenstrich v. 21 u. 22 (aber nicht 30) bezeichnet, in der zweiten feh-
len sie ganz. Die drei lezten balladen Der Zauberlehrling, Die braut von
Korinth und Der gott und die Bajadere waren zuerst in Schillers Musen-
304 DÜNTZEB
Almanach auf das jähr L798 erschienen, welchem die „Neuen Schriften" und die
zweite ausgäbe in bezug auf die Unterscheidung der reden ganz folgen. Im Zauber-
lehrling sind mit recht nur die lezten verse als spruch des meisters von der rede
des lehrlings durch anführungszeichen geschieden. Dagegen ist in der braut von
Corinth trotz der Schwierigkeit des Verständnisses die Unterscheidung der reden
völlig ungenügend. Nur die des mädehens v. 138 und der mutter 143 fg. sind vorher
und am ende, die des Jünglings 139 fg. am Schlüsse durch einen gedankenstrich
hnet. Bei dieser völlig ungenügenden Unterscheidung hat sich leider die Wei-
marische ausgäbe begnügt, während eine anzahl von reden und gegenreden zu be-
zeichnen, unter andern auch dem Jüngling v. 115 — 110 zuzuteilen waren; denn dass
117 :_. 8 Wechselhauch und kuss! | Iiebesüberfluss!*, wie das vorhergehende und das
folgende, diesem gehören, sie kein blosser bericht sind, zeigen schon die ausrufungs-
zeichen. Ebenso lückenhaft ist die Unterscheidung in der lezten ballade. Überliefert
sind gedankenstriche nach Jungfrau! (227, 16), hinaus (17, wo der nötige punkt
fehlt), und die? (18), aber auch nach 19 müste ein solches stehen. Der "Weimarische
herausgeber achtet auf so etwas nicht, noch viel weniger bezeichnet er die andern
reden der Bajadere (25 — 30. 69 — 74) und der priester (75 — 88). In den zuerst in
den Hören gedruckten römischen Elegien werden längere reden (v. 113 — 138. 242 —
_ . 19—422) mit anführungszeichen versehen, v. 293 — 296 geht voran der am
durch einen gedankenstrich abgesonderte befehl und es folgt die erwiderung.
In der sechzehnten elegie hat die frage der geliebten, warum er nicht zur Vigne
:ommen (351 fg.), anführungszeichen, die antwort ist durch gedankenstriche abge-
irrt; das schliessende Scherzwort 355 — 360 steht wider richtig in anführungs-
zeichen. Zum unglück für den Weimarischen herausgeber Avar in der ausgäbe lezter
band am Schlüsse das ausrufungszeichen ausgefallen, und ihm entgieng (so ungenau
verglich er die Lesarten!), dass die früheren ausgaben dasselbe haben; denn dies ver-
leitete ihn. flugs nach 358 gegen alle Überlieferung und den offenbaren sinn ein sol-
ches nebst gedankenstrich einzuflicken. So wrar das hübsche gedichtchen jämmer-
lich entstell Sonst haben die elegien 169 „Dichter! wohin versteigest du dich?"
und 218 den ruf: „Komt zur heiligen nacht!" mit anführungszeichen eingeschlossen,
das erste am Schlüsse mit gedankenstrich. Demnach war in diesen elegien die bezeich-
nung richtig durchgeführt. Anders finden wir es in Alexis und Dora, wo bloss
ein gedankenstrich nach 154 das vorangegangene als rede des Alexis bezeichnet, die
zwi-li.iji.-len 57 Jgg. 62. 05 — 70. 76 fgg. 100 fg. 103. 109 durch nichts als solche
gedeutet sind; ja jener gedankenstrich fehlte noch 1800 in den Neuen Schriften,
er in der handschrift stand, aber freilich nach dem vier verse vorangehenden,
der eine kurze pause andeutet, ohne besondere bedeutung war, so dass hier anfuh-
rongszeichen am anfange und nach 154 durchaus nötig erscheinen. Im neuen
Pausias wären nur ein paar reden (62 — 66. 69 fg. 99 fg.) als solche zu bezeichnen
gewesen, die aber durch die einleitenden werte und den doppelpunkt sich als solche
ergeben. Die rede der Euphrosyne hat am anfang und ende anführungszeichen
;. 140), die in dieser berichtete erwiderung des dichtere erst seit den Neuen
iften einen gedankenstrich am Schlüsse v. 96. Dagegen ist in der elegie Amyntas
: anfang noch ende der lispelnden klage angedeutet 21 fg.; ja noch in den Neuen
tft< n stand vor derselben punkt, nicht doppelpunkt. Ebenso wird die erzählung
- rhapsoden in der ersten epistel v. 60 fg. mir durch einführende und abschlies-
sendeworte hervorgehoben, auch die darin berichteten wechselreden. In den Epigram-
men i-t v. 293 die mahnung: „Seid doch nicht so frech, Epigramme!" als solche her-
OBRE OOETHBS WKKKK (WI'.I.M. A.USGABE) 305
vorgehoben, dagegen nicht der gesang der Venediger dirne .';:!7 fg. Rede und gegen-
rede werden 345 fg. 349 fg. so geschieden, dass die erste in anfiihrungszeiehen
steht. Durch später nicht berichtigtes versehen fehlt nach 430 gedankenstrich. So
etwas kümmert den Weimarisohen herausgeber nicht, obgleich Goethe anzweifelhaft
su die antwort des A.eolus von dem gebete Beneiden wolte, wie 146 die beruhigung
der geliebten von der klage. In den Weissagungen des Bakis werden 53 1
and 69 fgg. alle reden durch gedankenstriche von einander geschieden, die des gegen-
redners dazu in anfiihrungszeiehen geschlossen; 89 fgg. und 97 fgg. linden sich bo
nur drei reden. 81 fgg. und L05 fgg. sind die erwiderungen in anfiihrungszeiehen
■ -1 ■• -n . 101 fgg. zugleich mit vorhergehendem gedankenstrich. Su wenig folgerecht
war man dabei verfahren. In den distichen der vier Jahreszeiten wurden 31 — 34.
69 fg. die reden als solche oicht besonders bezeichnet. Ganz eigentümlich treten
127 fg. durch anführungszeichen als äusserung der parteimänner hervor. Freilich
könte man meinen, das zweite anführungszeichen sei nach dem ersten verse zu setzen
und der zweite als ironische antwort dos gegenredners im sinne der parteimänner zu
lassen.
Im zweiten zum teil mit geringerer Sorgfalt zusammengestelten bände der
gedichte waren häufig genug die angeführten redeu bloss durch doppelpunkt oder
ein die rede bezeichnendes wort angedeutet, wie s. L5, 1 !•'>. 72 fg. 75. 96. L32
182 fgg. 187 1g. 193 fg. (erwiderung auf eine indirekte rede). 206. 231. 8. 1 14. 92
gebt gar keine andeutung der anrede vorher, die längere anrede ist in zwei anführungs-
zeichen geschlossen. Mit solchen wird auch vielfach ein satz oder eine rede bezeich-
net, wies. 7. 36 fg. (meist mit folgendem gedankenstrich). 49 — 52. 87 fg. (einmal mit
schliessendem gedankenstrich). 90. 202 fgg. 205, wo die entgegnung in zwei gedan-
kenstriche geschlossen ist (ein solcher fehlt v. 14, wie v. 21 punkt nach nackt).
207. 217. 237. 242 fg. 247 fg. 260. 273 (wo die frage ohne anführungszeichen;
steht). Diese beispiele bestätigen, dass Goethe die hervorhebung der reden beab-
sichtigte, was nur zuweilen aus nachlässigkeit unterblieb.
Aueb im Divan sind reden anderer sehr häufig mit anführungszeichen
gegeben, aber zuweilen wird nur der name des redend eingeführten mit spricht
genant; anderswo fehlt die andeutung, der sprach gehöre einem andern, wie z. b.
die sieben ersten verse des gedientes Anklage (s.35), mit wegläll des absatzes zwi-
schen 5 und 6, als spruch des korans in anführungszeichen stehen solten. Im
„ Faust u werden selten andere reden so angeführt, dass diese durch besondere zei-
chen angedeutet werden müsten. Die neue ausgäbe hält sich hier an die Überliefe-
rung. Richtig sind v. 442 fgg. in anführungszeichen gesezt, aber in der veralteten weise,
dass ein solches vor jedem einzelnen verse stellt. 122-1 ist das biblische „Im anfang
war das wort!u als anfahrung bezeichnet (doch solte Im statt im stehen), aber bei
der beabsichtigten Veränderung der Übersetzung L239. 1247 fehlen sie. Solche solten
auch stehen bei der angeblichen äusserung Schwertleins 2955 fgg., deren ende nicht
ursprünglich, aber schon in der zweiten ausgäbe durch einen gedankenstrich an.
deutet wurde, bei den reden des p fallen 2834 — 2810, Valentins und seiner kameraden
3630 — 3633. 3635 fg., bei dem liedchen „Wenn ich ein vöglein war'!" (3318), bei
dem von Mephistopheles höhnisch nachgesprochenen befehle Fausts s. 227, bei dem
rufe „Gretchen!" v. 4465. Im „ Walpurgisnachtstraum " sind die anführungszeichen
4322 beibehalten, aber solche solten auch 4333 fg. stehen. An den grundsatz der
gleichmässigkeit wird gar nicht gedacht: mau beruhigt sich einfach bei der jeder
gleich mässigkeit entbehrenden, zufällig zu stände gekommenen vorläge.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIII. 20
306 m'xTZER
Ein nur in wenigen fallen nötiges zeichen ist der apostroph, der am ende and
am anfange der wörter einen sinn hat. wie bei s am anfange (nicht in der zusam-
menziehung, wie ists. niirs), frend' war', und einei' der gewöhnlichen rede Erem-
d ansstossnng eines als, wie lebend'gen, woll'n. Der vorbericht zählt ihn
zu den Laatzeichen, *.li< * thunlich beseitigt werden sollen. Leider ist dies nicht gesche-
hen. Man liest noch die rein etymologischen Schreibungen saus't, wächs't, hälfst
(freilich oeben wächst, hältst), muss sich an's gefallen Lassen, sogar bei'm,
das auch zu im. a'm führen würde. Ja auch mann's hat sich dank der auf-
merksanikeit auf gleichmässigkeit einmal erhalten d. 234) und das völlig unberech-
willkomm1 (Faust 2031), als ob der apostroph auch ein en ersetzen kirnte,
nicht wilkomm volberechtigt neben wilkommen stünde. Goethe selbst ist an die-
stroph anschuldig, d^n nur die druckerei, wie so manche andere, in die erste
ausg hereingebracht hat Auch im „Paust" ist eine gleichmässigkeit in der
tzong der apostrophe nicht erreicht. So solte näh' 306 stehen, da hier der apo-
stroph eben so gefordert wird wie in lieb' und näh keines^ ingbare form neben
nähe ist, wie allerdings ruh neben ruhe.
Aber viel schlimmer ist es, dass die vom verse geforderten ausstossungen eines
e und i vernachlässigt sind. Ich habe in dieser Zeitschrift XIV, 3-45 — 376. XV, 436 —
471 an der hand der tatsachen gezeigt, welchen grundsatz Goethe hier befolgen wolte
und nur in feige der geringen ausdauer, die er für solche, mechanische aufmerksamkeit
fordernde dinge hatte, nicht zur vollen ausfuhrung gebracht hat. Die Weimarischen
en und herausgeber hätten daraus manches lernen und benutzen sollen. Nur
ein paar punkte seien hier hervorgehoben. Massgebend für Goethes bestimmung ist
der erste „sorgfältig ausgearbeitete", die gediente enthaltende band der zweiten aus-
werke, den er im februar 1806 zum drucke absante. Aon gröster Wichtig-
keit war für uns die beobachtung, dass hier ohne ausnähme in den ableitongen mit
ig das i au-_ -' -sen ist. wenn es nicht metrisch mitzählt; selbst liturg'scher,
prophet' scher, begünst'gen finden sich, nie aber ein dem verse zuwiderlau fen-
e. Zwei menate später wurde die durchsieht des nun vollendeten ersten teiles
- „Faust" abgeschlossen, deren grundsätze gleichfals von hoher bedeutung sind,
- in den hier zum erstenmal gedruckten stellen. Regelmässig wird auch
hier i. wo es metrisch nicht zählt, ausgestossen , wobei freilich beachtet werden muss,
dass da. wo der dichter zu leichterem flösse des verses oder zu grösserer Wirkung
auch sonst den anapäst sich gestattet (es sind im ganzen sechs verse) auch hei-
ligen, feurigen, thierischen im anapäst stehen. Im Vorspiel lesen wir heft-
gen, bedächtgen. unharmon' sehe, melanchol'sche, was uns schon über die
absieht des dichtere* belehren müste, träte auch nicht sonst die ausstossung regel-
mässig ein. Blosse druekfehler sind 2994 herziger. '.\~-\ alm ächtiger, welche die
Weimarische ausgäbe trotz besserer Überlieferung beibehält; nach aller Wahrschein-
lichkeit auch 1559 e igen sinnigem (vgl. 4278 italiän' sehen) und ewigen (1076).
Auch wird es wol .".( C, ew'ges, 511 geschäft' ger, 3099 verständ'ger heissen
seilen. Für die a sang des e zeugen dicht'rischen (159), dämmrung (666.
1146), erinnrung (781. 2'. >Ö7 1 . lästrung (3765), vergangne (4518). Hiernach
unzweifelhaft, das the überall die ausstossung beabsichtigte, wo e und i
metrisch nicht zählten. Freilich klingt es seltsam, dass man erst beweisen soll,
wa- . den nicht blindes Vorurteil beschränkt, sich selbst sagt. Ober die aus-
ngen in der Helena und im anfang des zweiten teiles, die vor de]- ausgäbe
- ganzen zweiten teiles gedruckt wurden, habe ich a. a. o. gehandelt. In der
ÜRER G0ET1IKS WERKE (WEOf. Ä.USGABE) 307
Weimarischen ausgäbe liegt jezl der ganze handschriftliche bestand vor. Daraus ergibt
sich, dass der abschreiber sich von seiner angewöhnung, die worte ohne ausstossnng
der vokale zu schreiben, oft verleiten I; seiner vorläge nicht zu folgen, und da
Goethe seihst iu seinen handschriftlichen entwürfen die notwendige ausstossnng häu-
figer vernachlässigte als volzog, wie wir dies auch in manchen handschriften lyrisoher
gedichte linden. Deshalb komt bei genauer befolgung der handschriftlichen Lesarten,
seihst wenn man den abschreiber nach Goethes freilich nur zum geringem teil erhal-
tenen entwürfen und niederschriften berichtigt, eine grosse mehrheit für die vollen
formen in den füllen heraus, wo sie dem verse widersprechen: aber die mehr-
heit will hier eben wenig bedeuten; sieben stellen, wo das ungewöhnliche heil'ger
steht, sprechen starker für die vom dichter beabsichtigte form als zwanzig, wo die
gangbare eingedrungen ist; ein einmaliges merkwürdger, versündgen wiegt
mehrfache ehrwürdiger, vereinigen auf. Und das zaUenverhältnis ist nicht
durchgeh ends so ungünstig. Glühnder, glühnde, glühnden lesen wir 5989.
0283. 0439. L0744, dagegen glühende 8651. 10446. Wer kann es für möglich hal-
ten, dass der dichter eine solche abweichung unter ganz gleichen umständen beab-
sichtigt habe? Wem wird mau glauben, dass Goethe neben muntrer, muntre,
muntres (8996. 9746. 10507. L0869) und muntren (8793), wofür nach sonstigem,
auch hier vorhersehendem gehrauch muntern zu setzen ist, ohne not munterer
(9011), ermuntere (11553) geschrieben? wer ihm zutrauen, dass er neben wack-
rer, wackern, wackres (5237. 8334. 8421. 10438. 11052) das schwache wackere
helden (10370) gehraucht habe? Hier entscheidet nicht die unzuverlässige abschliff
eines dem prosaischen gehrauch folgenden Schreibers, ja nicht einmal Goethes eigene
entwürfe, sondern auch der erste teil des Faust komt in betracht, da der dichter sich
unmöglich die abweichung von diesem in solchen Kleinigkeiten vorgesezt haben konte;
ja die gesamte behandlung des verses in seinen dichtungen, die ich a. a. o. verfolgt
halte. Und wie solte er darauf gekommen sein, eine von allen dichtem und von
ihm selbst von kind an gehrauchte freiheit aufzugeben, die nicht allein dem verse
oft grössere kraft verlieh, sondern ihm auch äusserst bequem war, da er z. b.
heiige als trochäus von heilige als kretikus, ja auch in der messung ^ - ^ unter-
scheiden konte. Die neue AVoimarische ausgäbe hat dadurch, dass sie rückhaltlos
der schwankenden Überlieferung folgte, den zweiten teil des „Faust" arg entsteh,
indem sie ihn in einer bunten, jeder gleichmässigkeit spottenden jacke erscheinen
liess. Die kritik soll den schriftsteiler von den Hecken der Überlieferung reinigen,
selbst da. wo die eigene unbeabsichtigte nachlässigkeit desselben sie verschuldet hat.
Und welcher urteilsfähige kritiker möchte sich nicht gern einer solchen ehrenpflicht
unterziehen statt einer unverständigen Überlieferung sich leibeigen zu machen?
AVas mich einigermassen über diese metrische, mishandlung in einer so reichet
mittel sich erfreuenden angeblichen Standard -ausgäbe tröstet, ist die eigentümliche
fugung, dass ein mitarbeiter, Konrad Burdach, der herausgeber des nI)ivana,
sich von dieser schuld frei gehalten hat. AVir stimmen ihm von heizen bei, wenn
er s. 359 schreibt: .,Es lag demnach in der intention der ausgäbe lezter band, solche
unrhythmische [metrisch überflüssige] silben zu tilgen, und diese intention ist nur,
wie so manches, unvolkommen ausgeführt. Pflicht des herausgebers war es, hier die
konsequenzen zu ziehen. Demgemäss habe ich überall, wo der rhythmus eines
gedichts unwidersprechlich auf regelmässigen Wechsel von hebung und Senkung ange-
legt ist, die überschüssigen vokale entfernt, wo dagegen auch in anderen versen dop-
pelte Senkungen vorkommen, sie belassen.1* Je entschiedener diese äusserung über
20*
308 DÜNTZEB
die rhythmische behandlung der bisherigen Weimarischen herausgeber den stab bricht,
um so ehrenvoller ist es, dass die redaktoren sie nicht unterdrückt haben; freilich
ist das ges hehene aicht ungeschehen zn machen. Burdach ist auch dem ausgespro-
ehenenen grundsatz meist gefolgt, und so schreibt er s. 98 richtig mit der handschrift
pein'gen, rein'gen und sezt 125 versteht statt verstehet nach Goethes Verbesse-
rung. Ja s. 11. 2 ändert er ohne not einziehen; denn so wenig ist es nötig, dass
dieser vers dem vorhergehenden „rhythmisch und metrisch korrespondiere", dass der
krke einschnitt nach dem zweiten fasse, wie v. 3 und 5. dem inlialt entspricht.
wobei der weibliche ausgang des verses kaum in betracht komt, und im ersten verse
i>t der anapäst nicht beabsichtigt, sondern nach der vorläge des Olearius, von der
nur e rinnende darum und das unnötige des menschen wegfiel, als unver-
meidlich beibehalten. Bloss ein paarmal haben nicht zutreffende gründe Burdach
stimt, von der nötigen änderung abzusehen. 37. 1 und 16 behält er heiliger
bei, obgleich 2 heil'ge steht, weil ..der anfang und das ende des gedichtes das
thema angeben und aus dem sonstigen rhythmus mit absieht hinausgehoben schei-
nen." Von solchem scheine zeigt sich mir keine spur. Der am ende widerholtc
anfangsvers besagt einfach, mit beziehung auf den schluss des vorigen gedichtes,
Ebusuud habe die Wahrheit gesagt, wobei der dichter dessen demütige selbstbezeich-
nung dadurch ehrt, dass er ihn als einen wahrhaften heiligen anerkent. 255, 18
nimt der herausgeber an dem jambischen verse: „Ändere mit geistes flug und lauf
keinen anstoss, aber wie andere hier „mit dreisilbiger Senkung im auftakt erträg-
lich" heissen könne, sehe ich nicht; es müste anapästisch -«messen werden. Von
hebung und Senkung zu sprechen scheint mir übrigens bei den von Goethe in her-
rachter weise nach verslüssen gemessenen versen des „Divan" unbefugt. Wie
tioethe noch in spätester zeit verse abteilte, zeigt das gespräch mit Eckermann vom
april 1829. < >hne allen zweifei muss es andre heissen, das mit bekanter freiheit
jambisch betont wird, wie unmittelbar vorher viele, gleich darauf steigen, draus-
d den vers beginnen. Ebenso wenig durfte Burdach den vers 258, 43: „Unsere
^enliebe gieng verloren", durchgehen lassen, über den er sonderbar genug kein wort
äjt; - -r unsre zu lesen, der anfang anapästisch, wie daselbst 1. 23 und im
vorhergehenden gediente 4. 9. 11. 10 usw. Burdach hat eben auf die eigentliche
messung der verse zu wenig geachtet. Wenn er meint, 259, 63 hätte er vielleicht
besser die ursprüngliche lesart gnug statt genug zurückgerufen, so übersieht er,
dass der zweite fuss ein hier glücklich eintretender anapäst ist wie v. 56. 58. In
den Sprüchen scheut er sich 132, 4, 3 vor poet'sche, weil die vier verse, aus
denen da icht besteht, zur beurteilung des rhythmus nicht genügenden anhält
böten; aber dass 2 unbezwungne, nicht unbezwungene, und auch sonst kein
anapäst Bich findet, reicht hin, wozu komt, dass ein solches i in den Sprüchen
immer a orfen wird, um den Jambus rein zu erhalten.
Leider hat der vorbericht in band 1 versäumt, ein bild des Verhältnisses aller
vom dich- ranstalteten gesamtausgaben zu einander zu entwerfen. Ein solches
gehörte ganz eigentlich hierher, so dass die herausgeber der einzelnen Schriften Bich
darauf beziehen könten und nur die besondere angaben über die von ihnen bearbei-
• • werke hinzuzufügen brauchten, die aus genauer vergleichung sich ergebende
•llung der einzelnen gesamtausgaben in der Überlieferung aber schon hier fest-
sezt würde. Jezt müssen sich die einzelnen herausgeber auf den der gediente
ziehen, der schon in der für die ganze ausgäbe massgebenden bezeichnung der
ÜBEB GOETHES WERKE (wk.IM. AUSGABE) 309
handschriften seineB mangel an kritischer Schulung verrät, aoch mehr darin, dass er
über den wert der einzelnen gar nichts bemerkt Was winde man von einem her-
ausgeber der alten Uassiker sagen, der so wenig den anforderungen der heutigen
kritik entspräche, dass er sie gar nicht zu kennen schiene!
Um die übersieht möglichst zu erleichtern, müsten die bezeichnungen jeder ein-
zelnen ausgäbe (die redaktoren and herausgeber bedienen Bich des sehr entbehrlichen,
aus sigillum neben siege] anglücklich gebildeten rremdwort68 siglen) so deutlich
sein, dass sie sich selbst aussprechen. Nun sind von Goethes werken unier der Lei-
tung des dichters selbst vier gesamtausgaben erschienen, die sieh ganz einfach als
1. U. 111. IV bezeichnen; da zu äer eisten eine Fortsetzung als „Neue Schriften"
erschien, so ergibt sich für sie von seihst la. wie für die neu durchgesehei ktav-
ausgabe der taschenausgabe lezter hand IVa. Als I. 1 muss die hinter dem rücken
des dichtere gedruckte fehlerhafte ausgäbe in vier bänden bezeichnet weiden, die des-
halb von trauriger bedeutung ist. weil sie später bei den romanen und dramen zu gründe
gelegt wurde. Wenn diese von mir vorgeschlagenen bezeichnungen so klar sind, da
sie sieh selbst aussprechen, so erscheinen die in der Weimarischen ausgäbe I. 368
beliebten wie ein spott auf deutlichkeit und folgerichtigkeit. Weil die erste au
betitelt ist „Goethe's schritten11, so erhält sie die bezeichnung S und ihre Fortsetzung
..<o, othe's neue schritten" heisst N : der ausgäbe in vier bänden wird gar nicht
gedacht, was freilich bei den gedienten ohne schaden geschehen konte, da sie bei
diesen nicht zu gründe gelegt wurde, wie ihre kleinen abweichuogen in rechtschrei-
bung und satzzeichnung beweisen, die nicht in II übergegangen sind (z. b. im
gedieht „Der wanderertt und in dem „An Lottchcn", wol, 1 umspielen statt umspü-
len hat). Der herausgeber des „Faust" hat ihrer gedacht; alter bei den gedienten
durfte die erwähnung nicht fehlen, dass sie ohne eiufluss geblieben. Gehen wir zu
den weitem ausgaben über: wer kann sich denken, dass A die zweite gesamtaus-
gabe bezeichnen solle, welche, nach der bezeichnung der ersten durch S, weil sie
zuerst den titel „Goethe's werke" führt, als „WA" oder „W l" aufgeführt werden
muste! Aber folgerichtigkeit erwartet man hier vergebens. Entsprechend heisst die
dritte ausgäbe B. Die taschenausgabe lezter hand muss sieh gefallen lassen, als Cl
zu erscheinen, das heisst als erster druck der dritten ausgäbe der werke bezeichnet
zu werden, während sie doch die weitverbreitetste vierte gesamtausgabe ist. von wel-
cher die oktavausgabe nur ein neu durchgesehener besserer abdruck ist, der als sol-
cher bezeichnet werden muste, nicht umgekehrt diese als vorläuferin der vornehmeren
ausgäbe, deren bezeichnung als 0 den Tatbestand verschleiert. Diese ungehörigkeiten
betreffen freilich nur Kleinigkeiten; aber bei der grossen mühe, welche die ver-
gleichung der lesarten an sich schon dem leser macht, solte gerade hier die klarste
einfachheit herschon.
Der herausgeber hat unterlassen, das Verhältnis dieser ausgaben zu einander
und ihre beschaff enheit zu bezeichnen, trotz der Wichtigkeit desselben für eine grund-
sätzliche behandlung der kritik. Bei der ersten gesamtausgabe muste ein genaues
Verzeichnis aller einzelnen gediente gegeben werden, wodurch die lästige spätere
anfuhrung bei den einzelnen gedienten in Wegfall kam. Hierbei durfte -nicht über-
sehen werden, aus welchen quellen die früher gedruckten gediente gegeben seien.
Da waren denn zunächst die ^ Neuen lieder" (1770) zu erwähnen, für welche die
einfache bezeichnung als liederbuch durch L sich von selbst darbot. Dass alle
ersten drucke hier durch J bezeichnet werden, dessen bedeutung man kaum erraten
kann und erst mit mühe sich einprägen muss. halten wir für ungeschickt, da es von
310 l'ÜNTZF.K
c Wichtigkeit ist zu wissen, wo der erste druck erschien, was die veralgemeine-
rung durch ein mystisches .1 verdeckt Man könte dieses ganz entbehren und die
einsieht wesentlich fördern, wenn man für jode druckschrift, in welcher ein gedieht
zuerst erschien, ein leicht verständliches zeichen wählte. Nach dem Liederbuch kam
zunächst Jacobis „Iris- in betracht, für welche der anfangsbuchstabe die bezeich-
dui ab. unser herausgeber muss vergessen haben, dass Goethe sieh des aach-
drueks der _ Iris ~ bedient hat. wie hingst bemerkt worden; denn aus diesem hat
the unbewust zwei Veränderungen in den gedichten „Der neue Amadis" und „Neue
liebe neues leben" aufgenommen, was für beurteilung der späteren lesart von bedeu-
te Andere gedieht.' nahm die erste ausgäbe aus dem Göttinger musen-alma-
naeh (G. M.) und dem Tossischen (Y. M.), aus Wielands „Merkur" (W.M.) und andern
Zeitschriften auf. deren Schreibung und Satzzeichnung zum teil massgebend war. Vor
die zwei' untausgabe fallen Ia, welche meist gedichte der neunziger jähre ent-
liält. gröstenteils in Schillers Hören (11) und Musenalmanach (Seh. M.J nach abschrit-
ten von Goethes Schreiber, in der satz/.eielmung und rechtschreibung ohne besondere
• 2 'druckt, und das taschenbuch auf das jähr 1SU4. Der inhalt dieser beiden
war zu verzeichnen, auch der einlluss von W". Schlegel, Voss und Schiller auf sie
hervorzuheben. Über II muste volständiger berieht erstattet und die art der Zusam-
menstellung aus den bisherigen samlungen angegeben werden, auch die wenigen klei-
nen Veränderungen und die druckfehlcr. Cotta muste gleich einen neuen abdruck
von II machen, wofür er Goethe eine nachzahlung leistete. Dies wüste man längst.
ät beim zweiten bände hat unser herausgeber entdeckt, dass es einen andern etwas
abweichenden abdruck von II gebe, den er (s. 298) A1 bezeichnet, obgleich i dabei eine
iranz andere bedeutung hat als bei seinem C l. Er ist ohne allen einüuss geblieben.
Wie sehr DI durch druckfehlcr entsteht sei, muste hervorgehoben, auch auf die Zusam-
menstellung des hinzugekommenen bandes der gedichte und die Vermehrung des
ersten, der manches an den zweiten hatte abtreten müssen, eingegangen werden.
Bei den hier zuerst mitgeteilten oder aus den alten „Neuen liedern" aufgenommenen
lichten darf es nicht auffallen, dass sie nicht so sorgfältig durchgesehen sind wie
die von II; ebenso dürfte sich, eine derartige Verschiedenheit zwischen den aus dem
ten hierher versezten und den neuen ergeben. Von alle diesem hat der heraus-
geber keine ahnung. Schmidt hatte beim „Faust" zwei von einander abweichende
drucke von in nachgewiesen; "ist jezt hat unser herausgeber einen solchen auch
von den Gedichten aufgefunden; er nent ihn, trotz A1, mit Schmidt B 2. Der wioh-
■ grundsatz, dass die abweichende lesart von III nur da massgebend ist, wo sie
als II liefert, dass die meisten eigenhoiten derselben auf druckfehlern
uhen, ist von so grosser bedeutung, dass er vor allem hätte betont werden sol-
len. In IV trat zu den beiden ersten ein neu durchgesehener dritter band der
lichte, von denen ein teil schon in „Kunst und altertum" (K A) mit manchen
druckfehlern abgedruckt worden, die auch hier nur zum geringsten teil verbessert
sind. ^Vonn in dieser ausgäbe manches hier zum ersten mal gedruckte nicht fehler-
los erschien, so ist dies weniger zu verwundern, als dass einzelnes, wie das berüch-
tigte: -Es sang und starb und freut sich noch" im „Veilchen", sich erhalten hat,
-leich auch Göttiing sich der durchsieht unterzogen hatte. Dieser solte auch für
IV a die stehen gebliebenen oder eingeschlichenen druckfehlcr verzeichnen, wonach
einzelnes, aber nicht alles JSerl wurde, und neue druckfehlcr wurden nicht ver-
mieden. Auch dieses hätte der herausgeber nicht verschweigen dürfen, da es für die
beurteilung der lesarten weitreichende bedeutung hat.
ÜBER GOETHES WERKE (WETM. AUSGABE) 311
Vun gröster wichtigkeü isl eine der frühesten Woimarischen zeit angehörende,
von Goethe geschriebene samlung der gediente, welche der herausgeber I, 366 mit
recht als quelle der meisten bisher bekanten abschriften Herders und der frau von Stein
erkent. Da hätte man doch wol verlangen dürfen, über diese abschriften genaueres
zu hören; alter nichts liegl dem herausgeber femer als den aufmerksame]] diener der
freunde des diehters zu machen, ihnen alles und jedes zu bieten, was sie zu leich-
ter und voller einsichl bedürfen. Erst zwei seiten später führt er Serders abschrift
der „Zueignung" an, welche dichtung mehrere jähre später ist als jenes Goethische
lieft von 23 quartblättern, von dem ein geschulter herausgeber nicht versäumt hahen
würde, eine ausreichende beschreibung zu geben. Was man von ihm fordern durfte.
muss man sieh erst aus seineu angaben zu den andern gedienten mühsam zusam-
mensuchen. Da ergib.t sieh denn, dass die samlung folgende gedichte enthält: 1. Ma-
homets gesang. 2. Wanderers sturmlied. 3. Künstlers morgenlied. 1. An schwager
Kronos. 5. Prometheus. 0. Ganymed. 7. Menschengefühl. S. Eislebenslied. lt. Kö-
nigliches gebet. 10. Seefahrt. 11. Der wanderer. 12. Eiu gleichnis (dilettant und
künstler). 13. Legende. 14. Eiu Lutheriselier geistlicher spricht 15. Katochisation.
IG. Freuden des jungen Werthers. 17. Kenner und künstler. 18. Ein gleichnis (auto-
ren). 19. Ein reicher dem gemeiuen wesen zur nachricht. 20. Vor gerieht. 21. An
Kenner und Liebhaber (monolog des liebhabers). 22. Der neue Amadis. 23. Hypo-
chonder. 24. Taumel (Christel). 25. Anekdote unserer tage (kennor und enthusiast).
26. Bundeslied. 27. Jägers nachtlied (abendlied). Von diesen gedachten waren zur
zeit zwölf noch ungedruckt. Die Varianten der von Herder, frau von Stein und frl.
von Göchhausen von diesen gedickten gemachten abschriften haben für uns eigentlich
keinen wert mehr, da sie auf Schreibfehlern beruhen müssen; doch wäre es pflicht des
herausgehers gewesen, auch über sie das tatsächliche zu berichten und nicht nur gele-
gentlich den leser aufstellen zu verweisen, wo audere darüber gehandelt haben. Man
verlaugt hier das nötige kurz und bündig zu finden. Die schon gedruckten Lieder
linden sich hier zum teil in veränderter fassung. "Wenn die abschriften der frau
vun Stein sich fast ganz auf die samlung der 27 stücke beschränken und nicht über
das jähr 1778 hinausreichen, so gehören Herders abschriften verschiedenen Zeiten an,
vom September 1781 bis 1788, wie ich in den „Akademischen blättern" I, 102 fgg.
gezeigt habe. Bedeutend sind sie für diejenigen gedichte, von denen des diehters
eigene handschrift nicht vorliegt, da Herders abschriften meist ganz fehlerlos sind.
Auch über die abschriften des fräulein von Göchhausen hätte der herausgeber bericht
erstatten müssen. Die meisten scheinen nach der Herderschcn gemacht, audere nach
gelegentlicher mitteiluug von anderer Seite; mehrere, wie das Epiphaniaslied, erhielt
sie wol durch die herzogin-mutter. Es waren aber nicht bloss einzelne abschriften,
sondern mehrere gedichte gehören einer samlung an.
Auf so viele wertvolle eigene abschriften Goethes (wir gedenken nur der älte-
sten, des Friderike Oeser gewidmeten liederheftes und der handschrift der römischen
elegien) können wir hier nicht eingehen; einige zeigen in kleinigkeiten flüchtige nach-
lässigkeit, auch bei der ausstossuug der metrisch überzähligen silben. Von umfang-
reicheren samlungen gedenken wir nur der glücklich jezt im (ioethearchiv geretteten
handschriften der ersten und zweiten ausgäbe der gedichte, die freilich nur insofern
von bedeutung für die richtige lesart sind, als sie offenbare druckfehler nachweisen,
da bei der durchsieht des druckes einzelnes vom dichter geändert sein kann. Dass
die druckhandschrift von I unter zwei verschiedenen bezeichnungen (H3 und H4)
angeführt wird, ist wider ungeschickt; sie solten III bezeichnet sein zur andeutung,
312 DÜMTZBB
ss sie sich mit 1 decken, weshalb sie nur da berücksichtigung verdienen, wo der
druck von ihnen abweicht Dasselbe gili von der handschrift zu II. die entsprechend
H II heissen solte.
Wie wenig unser»' ausgäbe der pflicht genügt, überall die billig geforderte aus-
kunfr zu geben, zeig! I, 364 fgg. die rnitteilung des von Barbara Schulthess „vot
s dichters italiänischer reise angelegten Verzeichnisses" der Lyrischen gedichte. Jeder
_ schulte herausgeber würde hier über die handschrift nähere auskunft gegeben, die
zeit derselben näher bestimt und die art der anläge verfolgt haben, woraus sieh erst
die bedeutung des Verzeichnisses ergibt; der unsere gibt nichts als einen abdruck,
h hat er die einzelnen stucke nummeriert. Keines der gedichte fält nach dem
imer 17s2. was auf die zeit des abschlusses hinweist. Dass drei derselben dem
dichter J. X. Götz angehören, mit dessen ohiffre »!. sie in Schmidts „Almanach der
deutschen musen auf das jähr 1777 u stehen, ist schon in Seufferts „Vierteljahrs-
rift" bemerkt, aus welcher der zweite band andere berichtigungen bietet, aber
nicht diese, obgleich sie von grosser bedeutung ist. So viel ich weiss, ist noch nicht
merkt wurden, dass auch das zweite gedieht, „Adler und wurm", nicht von Goethe,
dem von Herder ist. ohne dessen namen es im „Wandsbecker boten u (vom
28. december 1774) steht, woraus die Schulthess keine der dort mitgeteilten kleinig-
keiten, die wirklieh von Goethe' stammen, aufgenommen hat. Auch dürfte das aller-
lezti _ licht (64) ^Palast des frühlings" kaum verschieden sein von der freien über-
g »raschen liedes: Esperando esten las rosas. die Herder unter
dieser Überschrift im zweiten 1770 erschienenen bände der „Volkslieder" gab. Ver-
folgen wir das Verzeichnis genauer, so stammen 1. 4 — 6 aus dem „anhang* zu"\Vag-
ners Übersetzung Merciers (1776), 7 und 9 aus dem „Almanach der deutsehen musen
auf das jähr 1770". 10 — 12 aus der Wochenschrift „Die museu (juni und juli 1776,
wo auch «las von der Schulthess nicht aufgenommene „Amors grab" stellt). 2."5. 24.
31 aus dem _ Almanach der deutschen musen auf das jähr 1777", 25. 26. 44. 50 —
52 ms YVielands -Merkur- 1776 Januar bis april, wo sie in anderer folge stehen,
36—40. 42. 43 ausJacobis „Iris" in bunter reihe (.11 1. 3. IV. 2. II, 1.3.
VIJ. ii. 45 — 40 aus dem „Göttinger Musen -almanach A. MDCCLXXIV", 54. 55. 57
und 62 aus dem handschriftlichen „Journal von Tiefart. a Wir sehen, dass die folge
' aus den Zeitschriften entnommenen lieder zuweilen durchbrochen ist. Von den
nicht au< buchern geschöpften gedächten kante die Schulthess manche unzweifelhaft
durch Lavater. Hierher gehört eine anzahl von gedienten aus der ersten hälfte des
Verzeichnisses, die bia 1770 reichen: 3. „Am staubbach", 15. „Am 11. September 76*,
d an fang abweicht von der fassung im „Deutschen museumtt (September 1777),
18. -Auf der Lahne im vorbeyfahren" (das Ued hatte Goethe in Lavaters tagebuch
schrieben), 19. -Dem schicksaal", 20. „An Schwager Kronostt, 29. die der zweiten
au-_ - „Werther" v sten verse „Jeder Jüngling sehnt sich so zu liebet
. „Grabschrift 74" (von der wir nicht mit dem herausgeber II. 359 bezweifeln
mc • . dass sie dieselbe ist, mit der unter Epigrammatisch mitgeteilten, wofür
die Jahreszahl spricht, da die uns bekante „grabschrift" von 1778 ist), endlieh 34.
haale der erinnerung einem milden fürstenpaar geweiht 1771.- Das lezte gedieht,
das nach der jahrszahl wol dem Emser aufenthalt angehört, glaubt der herausgeber
neuerding -the -Jahrbuch IX. 29i wunderlich _in Königlich gebet oder in
lienscheng,efühl, oder in beiden gedienten widerzufinden" und bei dem fürstenpaar
an Karl August und dessen bruder denken zu dürfen. Wie in den angeführten
g dichten irgend eine beziehung auf ein «mildes fürstenpaar" sich finde und dabei
ÜBER GOETHES WERKE (WKIM. AUSGABE) 313
von einer „schale der erinnemng" die rede sei, bleibt mir ein rätsei. Am-h kann
nur an ein regierendes fürstenpaar gedacht werden, während selbst Kar] August im
jähre 1771 noch nicht zur regierung gelangt war. Nichts liegt Daher als bei der
„schale der erinnerung" an einen trinksprach auf den Landesherrn von E3ms, den
rarsten von Nassau, und dessen gattin zu denken; wir wissen, dass Goethe diese
und ihre matter persönlich kaute. So erklärte sieh auch, wie die Schalthess durch
Lavater den spruch erhalten habe. Bei andern gedrehten ist schwer zu entscheiden,
uh Goethe sie der Schulthess, mit der er vertraute briefe wechselte, anmittelbar mit-
geteilt oder ob diese sie durch Lavater kennen gelernt hatte. Das Lied an den mond
(8) sante er wo! mit Seckendorffs melodie der freundin, ebenso „Epiphanias", hier
(27) „Lied zu einem dreykönigsaufzug* ; weiter das „Lied vom Schneider" (28), worun-
ter der herausgeber jezt mit grosser Wahrscheinlichkeit „Schneider -courago" versteht,
(13) „Verantwortung eines schwangern mädchens" („Vorgericht"), ilh „So wälz' ich
denn "im unteiiass" („Genialisch treiben"), (17) „Ich wort', ich war' ein fisch", auch
wol das singspiel „Die fischerin", worin sieh die bailaden „Der fischer" und „Erl-
könig" (11 und 53) fanden. Zweifelhaft bleibt es, ob er anmittelbar an die freundin
oder an Lavater gesaut hatte 2 1 „Wandrers aachtlied" (aus dem februar L776),
24 „Auf eine alte Jungfer" (..Mamsell N. N."), 58 „Wenn der uralte ewige vater"
(ohne andeutung, dass dies zwei verse sind, wird so die ode „Grenzen der aiensch-
heit" bezeiehnet) und die drei mit dem ersten verse bezeichneten epigramme des
frühjahrs 1782 „Einsamkeit", „Ländliches glück" und „Erwählter fels", von denen
das erste im juli 1783 auch in der kaum in Zürich bekant gewordenen Berliner
.. Litteratur- und theaterzeitung " erschien. Da die sicher durch Lavater erhaltenen
gediente mit 34 schliessen, so dürfte die Schulthess die leztgenanten von 58 an
unmittelbar von Goethe erhalten haben. Nur zwei stücke vermag ich nicht näher
zu bestimmen. Vielleicht sind andere glücklicher. Nr. 35 lautet: „Aus dem Grie-
chischen des Orpheus und im Schoose der urweit — .u Die Übersetzung begann hier
mitten im verse, wie auch hei dem im briefe an frau von Stein vom 7. September
1780 mitgeteilten „Griechischen." Line entsprechende stelle finde ich weder in den
sogenanten Orphischen versen noch in der später untergeschobenen darstellung des
Argonautenzuges. Wie es mit 56: -Die fahr der liebe" sich verhält, weiss ich nicht.
Der herausgeber hat nichts getan, um das wirklich neue des Verzeichnisses ins licht
zu stellen; erst im Goethe -Jahrbuch IX. 290 fg. heb er nachträglich hervor, dass sich
daraus zuerst die entstehung vor L786 (wie wir sahen, spätestens L782) von „Genia-
lisch treiben" und „Liebhaber in allen gestalten" sicher, von „Schneidercourage" wahr-
scheinlich ergebe. Dort finden wir aber auch noch eine wunderliche Vermutung.
Unter nr. 40 ist angeführt: „den XXX abend. Mir schlug das herz - Hierüber
liess sieh unser herausgeber a. a. o. also vernehmen: „Wie ist das aufzulösen? Nicht
etwa: den drei königs abend 1771? Das wäre dann eine für die geschiente
Sesenheimer Verhältnisses wichtige Zeitangabe." Es ist wirklich lustig dass ein X
einen heiligen könig, folglich drei die drei weisen könige des morgenlandes, bezeich-
nen sollen, obgleich zwischen zeichen und wort gar keine beziehung zu entdecken
ist, wir auch unter nr. 27 ausgeschrieben lesen „zu einem drey königsaufzug." Ganz
einfach ergibt sich die lesung „den Christabend", wobei freilich die Verdreifachung
des X etwas eigentümlich bleibt. Ich erinnere mich, dass man. um Christ nacht
zu bezeichnen, ein von einem viereck eingefasstes X dem nacht vorangehen lässt.
X, das älteste monogramm des hochheiligen namens, wäre hier verdreifacht, wie man
sich sonst wol dreier aufrecht stehenden kreuze bedient für „heilig, heilig, heilig".
314 DÜNTZEB
Und, Fragen wir, konte denn die Schulthess irgend eine künde haben, wann das
langst bekante, später „Wilkommen und abschied" iiberschriebene lied gedichtet sei?
hat dieses mit sechs andern, unmittelbar aufeinander Folgenden, nur durch die
tere bailade „Der Fischer" unterbrochenen gedichten der „Iris" entnommen,
wo es ohne Überschrift erschien. 1»;hs Goethe Lavater oder der Schulthess meh-
rere jähr-' später den jahresl , an welchem er «las gedieht geschrieben, nicht das
jähr und die persönliche beziehung, wenn anders eine solche statfand, angegeben
hal . s< an sieh unwahrscheinlich, wird vollends dadurch widerlegt, dass die verse
keine andeutung dieses in der ganzen Christenheit gefeierten heiligen abends darbie-
ten, vielmehr nur den abend des widersehens der geliebten und den morgen des
abschieds bezeichnen. Hiernach dürfte, wenn nicht eine seltsame Verwechslung zu
inde liegt, das Ued „den XXX abend" von dem Goetheschen „3Iir sehlug das herz"
- ieden, ein wirkliches lied auf den Christabend, das die Schulthess Goethe zu-
. g sen und nur zufällig in dem Verzeichnis mit ihm verbunden worden sein.
Den vierten band von Himburgs nachdruck von 1770, der srchszelin der hier ange-
führten gediente nebst einigen anderen enthielt, hatte sie bei ihrer samlung nicht
benuzt Üb] - gehörte die mitteilung dieses Verzeichnisses streng genommen nicht
in den kreis des hier erwarteten, ebenso wenig wie die briefstellen au Goethes gat-
tin und söhn, wie erwünscht auch die darin gegebene aufklärung über die entstehung
von ein paar gedichten ist; denn die darauf bezüglichen angaben sind eben grund-
tzlich au -. —blossen. Eine der ersten pflichten der Verwaltung des Goethe-
hivs wäre es gewesen, die familienbriefe nicht länger der weit vorzuenthalten und
wa zuwarten, bis diese endlich einmal in der langsam vorschreitenden, zerstückelnden
samlung aller erhaltenen briefe Goethes erscheinen. Wie bedeutend die briefe an die
vielgeschmähte Christiane sind, sehen wir aus den wenigen auszügen in den lesarten
- .. Divan.8 Goethe teilte, wie wir daraus ersehen, seiner gattin auf eine uns
überraschende weise seine glücklichen fortschritte in den Divansliedern während sei-
ner beiden Rheinreisen mit. Wären die familienbriefe gedruckt, so brauchten wir
diese freilich wertvollen Schnitzel nicht als eine freigebig gespendete gäbe aus den
-arten auszulesen, in die sie gar nicht gehören.
Die folge der ge dichte wird aus der ausgäbe lezter hand beibehalten, wie
dies Scherer „Goethe -Jahrbuch" V. 284 fgg. dringend verlangt hatte. Dabei ist ganz
übersehen, dass iussere gründe waren, die Goethe bestirnten, die samlung
.••diehte. die in der dritten ausgäbe um einen zweiten band vermehrt worden
war. noch mit zwei neuen zu bereichern, denen sich der vermehrte „Divan" als
fünfter anschliessen solte. Der erste dieser neuen bände enthielt ausser nachtragen
zu den bish< abteilungen drei neue. -Loge", „Gott und weit" und „Aus frem-
den sprachen." Wenn er demselben bände die schon gedruckten der ersten samlung
der „Xenien" hinzufügte, was grundsätzlich schon dadurch ausgeschlossen schien,
dass mit den Übersetzungen die gedächte eigentlich abgeschlossen waren, so bestirnte
ihn dazu nur die rücksicht auf die sonst zu geringe bogenzahl des bandes; über die
sei- Verteilung der beiden hälften der „Xenien" auf zwei bände beruhigte ihn
die erwägung, dass die zweite noch ungedruckt sei und beide als beigaben betrachtet
jrden könten. Ja wie wenig er um eine genaue Scheidung bemüht war, zeigt sich
dann, dass er, einmal auf dem abschüssigen wege, in die vierte samlung der gediente
auch „dramatisches" aufzunehmen sich entschloss, und zwar nicht allein die fest-
b li .- zum 18. december 1818, den Berliner prolog von 1821, theatralische klei-
mgkeiten von 1S14 bis 1810 und eine zwischenscene zu „Faust", sondern auch die
ÜBKB GOETHES WXBKE (WETM. AUSGABE) 315
brachstücke Beiner alten „Nansikaa"; ja er wolte Bich den Bpass machen, iu diesei
abteüung, welche die buchhändlerische ankündigung nur als „Dramatisches" bezeich-
net hatte, die weit durch ein neues grosses „Zwischenspiel zu Faust-, durch „Helena
klassisch -romantische phantasmagorie ", zu überraschen. Es galt ihm, in der ersten,
aus fünf bänden bestehenden lieferung, die mir dem vermehrten „Divan" die Lyrischen
Bpenden schliessen solte, möglichst viel neues zu bringen. Es ist komisch, wie Sche-
rer mit seiner seltenen gewantheit, selbstgemachte Schwierigkeiten kühn zu über-
brücken, dieses durcheinander von Lyrischem and dramatischem sich zurechl !■
Wenn dramatisches nachkomme, so könne mau vergleichen, wie in der zweiten
samlung der ersten aufläge „die kunstgedichte persönlich werden*, wofür „Hans
Sachs" und „Mieding" angeführt werden („Mieding" ein persönlich gewordenes kunst-
gedieht!) und dann „in künsüerdramen übergehen." Scheror übersah dabei, d.
„Hans Sachs" und „Mieding" ursprünglich, was Goethe bekanÜicb entschieden aus-
gesprochen hat, die ganze samlung der Schriften abschliessen und. wenn er vor
der zeit stürbe, „statt personalien und parentation" gelten solten; erst später ent-
schloss sich der dichter, die beiden künsüerdramen und die „Geheimnisse" nicht als teile
der „Vermischten gediente", sondern als selbständige dichtungen der samlung seiner
Schriften hinzuzufügen, wobei die dichtart unberücksichtigt blieb. Dramatische scenen
unter die Lyrischen gediente zu mischen war Goethe nicht eingefallen, und wenn
er der ausgäbe lezter hand „dramatisches" in einen Lyrischen band schob, so schlug
er damit eben in seiner weise der weit ein Schnippchen. Nichts weniger fiel ihm
ein als mit dieser augenblicklichen lustigen auskunft die nachkommen zu binden und
sie zu hindern, die gedichte „Epigrammatisch" und „Parabolisch" und die „Xenien"
aus der unberechtigten Verteilung auf zwei verschiedene bände zu befreien, die wun-
derliche neue abteüung „Lyrisches", die gar verschiedenes enthält, aufzulösen, sie,
wie er selbst sich in der ankündigung seiner lezten ausgäbe ausdrückt, „in die gehö-
rigen Verhältnisse zu stellen", und dieselbe woltat seinen spätem oder noch unge-
druckten ebenbürtigen gedienten zu erzeigen. Was man dawider angeführt hat, ist
ganz unerheblich. Dass die abteilungen durch ihre stärke „erdrückend" würden, ist
nicht zu fürchten. Wenn nach Goethes eigener anordnung die erste abteüung aus
80 liedera besteht, so würden unter Epigrammatisch bei Verschmelzung der
gedichte des zweiten und dritten bandes diese zahl nur um wenige überstiegen, in
den andern abteilungen nicht einmal erreicht werden. Dass die Ballade, welche
die abteüung Lyrisches unter diesem einfachen namen begint, bei der einordnung
einen andern titel bekommen hat. hält Scherer für eine Versündigung am dichter. Ent-
rüstet fragt er, wer so etwas wagen dürfe. Aber Goethe war in diesei- beziehung
nicht so ehrsüchtig; er hatte manche Überschriften von Riemer angenommen, der in
solchen dingen sehr gewant war; und solte die von Riemer dieser ballade gegebene
wirklich so unglücklich für- eine ballade sein, wie Scherers spott es uns weis machen
will, so hat Goethe selbst sie gelegentlich „Der Sänger und die kindi uant. so
dass man bei wähl desselben sem gewissen volkommen beruhigen könte. Ar- pedan-
tisch wäre es, die beiden hälften der „Xenien" in zwei verschiedenen bänden zu
belassen. Scherer sah nur eine Schwierigkeit, über die et- sich Leicht hinwegsezte,
che volständige mitteilung der „Helena": „man wird sie vermutlich weglassen, aber
ihren ehemaligen [sehr zufälligen!] platz ersichtlich machen." Damit ist der grundsatz
durchbrochen, und die gar nicht in einen lyrischen band gehörenden kleinen drama-
tischen stücke machen, weim man diese wegnähme, eine gar traurige figur. „Die
pflicht der treue tt, die Scherer einschärft, darf nicht zum unrecht gegen den dicht
316 DÜNTZBR
werden; es gilt, zwischen dem wesentlichen zwecke und dem äussern auskunftsmittel
zu unterscheiden, das wir, nachdem ihre Veranlassung weggefallen, unbedenklich auf-
en dürfen. Da Scherer die widerholung einzelner gedichte beibehalten wolte, so
hätte er sich auch die doppelte „Helena" gefallen lassen sollen. Von jenen wider-
holungen kann man freilich die des gedichtes an die Szymanowska als nr. 38 der
„Inschriften, denk- und sendeblätter" nicht entfernen, da ihre aufnähme unier den
persönlichen ansprachen eine galanterie gegen die schöne virtuosin war und bewust
schab, obgleich bei der einordnung offenbar der irtum zu gnmde liegt, diese sei
nicht in Marienbad, sondern später in Weimar gedichtet Anders verhalt es sieh
mit dem zum Inhaltsverzeichnisse jenes bandes bei Gelegenheit der „aufklärenden
aerkungen" gemachten versuche, „mehrere widerholungen einzelner gedichte wo
nicht zu rechtfertigen, doch zu entschuldigen*. Sie stünden, heisst es hier, das
>te mal im algemeinen unter ihres gleichen, denen sie nur überhaupt durch einen
wissen anklang verwant seien, das zweitemal in reih und glied, da man sie denn
-• ihrem gehalt und bezng nach erkennen und beurteilen werde; ja er glaube wei-
sinnenden und mit seinen arbeiten sich ernstlicher beschäftigenden freunden durch
diese anordnung etwas gefalliges erwiesen zu haben. Es war dies eine entschuldigung
der not, mit weh her er dem Vorwurf der nachlässigkeit zuvorzukommen suchte,
dem er bei der drohenden mäkelei an der neuen ausgäbe, so gut es gieng, die spitze
abbrechen wolte. Er hatte alter eben in der ausgäbe lezter band zwei gedichte, die
in der vorherg s eigenen aus versehen zweimal standen, einmal -"strichen, so dass
die entschuldigung sich eigentlich nur auf das lied „Die glücklichen gattentt beziehen
konte, das im dritten bände noch einmal unter der veränderten Überschrift „Fürs
leben" erschien. Dieses reine versehen gründete sich auf ^Kirnst und altertum" II, S
(1820), wo dicht mit andern in einer „Poesie, ethik, litteratur" überschriebe-
nen abteilung sich findet. Im folgenden hefte (1821) hiess es. man werde es wo!
verzeihen, dass dieses schon anderwärts abgedruckte gedieht hier abermals ein-
ückt sei, indem es in den kreis der vorgelegten kleinen bürgerlichen romanc not-
._ gehöre, eine notwendigkeit, von der man sich ebensowenig als von der rich-
• gkeit der bezeichnung jener gedichte als eines kleinen bürgerlichen romans über-
zeugen wird: auch sei es dem komponisten zu liebe eigentlich eingefügt, welcher
vielleicht aus dem ganzen eine musikalische gesamtdichtung zu bilden geneigt wäre.
Dieser entschuldigung und der ungehörigen widerholung des gedichtes scheint Goethe
h nicht mehr bewust gewesen zu sein, als er in die neue abteilung Lyrisches
elf -.-dichte hintereinander aus -Kunst und altertum" fast mit allen druckfehlern auf-
nm, ohne die früher in den „Glücklichen gatten" vorgenommenen Veränderungen
als solche zu erkennen; erst später muss er darauf gekommen sein, dass die
• -hon im zweiten bände stehe. Kino andere widerholung fand im vierten
nde erst bei. den „Xenien" statt; denn die verse „Spricht man mit jedermann"
- ." • hen schon im dritten als „Vielrath", wo nur v. 6 und 8 abweichen. Man
wird kaum zu behaupten wagen, dass der ausfall an einer von beiden stellen eine
lücke mache, und trotz der neuen Überschrift sie lieber unter „Epigrammatisch8
hen. Beabsichtigt war die widerholung nicht, und man tut dem dichter eben
keinen dienst, wenn man seine versehen verewigt.
Wenden wir uns zum abdruck der gedichte, so machen die zum teil beibehal-
veraltei ntschreibung, die. wenn auch teilweis verbesserte, doch keineswegs
nrchgeführl tzzeichnung, die bunte anwendung und weglassung von anfüh-
rungszeichen und die unterlassene ausstossung der den vers störenden i und e kei-
ÜBER GOETHES WKKKK (WEIM. AUSGABE) .'517
neu angenehmen eindruck. Das festhalten an der anmetrischen Überlieferung der
ausgäbe lezter hand geht bo weit, dass in dem herlichen gedieht „Ilmenau", das kei-
nen anapäsl statt des Jambus zulässt, 51 fg. verdächtigen und flüchtigen statl
der längst von mir geforderten formen ohne i die vollen, den vers störenden beibehal-
tenwerden, obgleich diejezt aufgefundene, vom herausgeber selbst verglichene arhand-
schrift das i in beiden fällen ausstöst. <'ui bono? muss man da erstaunt fragen.
II. 45 lesen wir noch das verswidrige heiligem statl he.il'gem, 225 in einem rein
jambischen gediente künftige statt künft'ge, ebenso 270 Eeiligen statt Heil' gen.
Der herausgeber hat gar nicht bedacht, dass Goethe bei den zuerst im zweiten bände
aufgenommenen gedichten kernest i sorgfältig wie bei denen des ersten verfuhr,
und so hat er diese nicht beabsichtigte Ungleichheit mit leidiger treue auf die
aeue musterausgabe verpflanzt. So finden wir denn im zweiten bände, von welchem
man doch schon sichere gewöhnung an die angenommenen grundsätze erwarten solte,
kurz hintereinander (227. 236) nach dem richtigen Bessers Bess'res, aeben dun-
kelm (60) dunklen (237) 5 euern, euerm (31. 80. 17.'!. 176) zum teil sogar gegen
die handschrift und den ersten druck statt der „normierten" formen einen, eurem;
einmal auch unsrem (149), wobei es nicht zur entschuldigung dienen kann. da8S
es in einem aus Leipzig stammenden gediente steht, da gerade in diesem andere ältere
formen verbessert sind, ja hier bot sehen der erste druck das richtige unserm.
Auch lesen wir heitrem (24) nach heitem. munterm; verzweiflen (236),
Äuglen (271), obgleich bei diesen Infinitiven die form auf ein angenommen ist.
So steht es mit der im vorbericht versprochenen beachtung der Statistik. Apostro-
phe sind mehrfach richtig zugesezt, aber keineswegs überall, wo sie oötig sind. So
fehlen sie II, 1S8 hei stochert und registrirt, 212 bei begünstig! Wie wenig
sich der herausgeber um das metrum kümmert, ist bekant; und doch müssen gedachte,
selbst knittelverse metrisch gelesen werden. Wennll, 192 auch unsere ausgäbe ihn'n
behält, im intermezzo des ..Faust", wir meinen mit unrecht, soll'n, glaub'n gedruckt
wurde, so glauben wir, dass auch im lustigen liede „Epiphanias" I, 149 die beim
lesen ausgestossenen e als solche durch den apostroph zu bezeichnen waren. Wie das
lied nach Zelters komposition gesungen wird, kümmert den loser gar nicht; er muss
es metrisch lesen können, wie der dichter es gewolt. Was aber seil der leser
mit versen machen wie: „Sie essen, trinken und bezahlen nicht gern", „Ich erster
bin der weiss' und auch der schön'", „Der ochs und esel liegen auf der streu", „8o
trinken wir drei SO gut als ihrer sechs", »Und ziehen unseres weges weiter fort"?
Wie seil er sich mit diesen, wenn er sie vierfussig lesen seil, zurecht linden?
Muss ihm nicht die ausgäbe die ausstossung der verswidrigen e hier ebensogut wie
sonst an die hand geben? Wie lange ist es her, dass Herder darüber klagte, das
wir im deutschen keine elisionen haben oder uns machen wollen! Goethe seh]
sie bekantlich im Volkstöne nicht aus. Hatte er ja sogar in „"Wandrer" du in d'.
der in 'r elidiert. Huste nicht der herausgeber in einer den echten Goethe bieten-
den monumentalausgabc durch apostrophe andeuten, dass hier in der Vorsilbe be, in
der mitlern von überall, in der lezteu von ihrer und in der das e auszustossen
ist'? Im lezteu verse ist ziehn unsers handschriftlich überliefert, trotzdem gibt die
Weimarische ausgäbe den vers in der unlesbaren gestalt: „Und ziehen unseres
weiter fort", die nur als fünffüssler notdürftig zu lesen ist Im „Schweizerliede" hat
sie I, 153 die metrisch unzulässigen, auch mundartlich ungehörigen formen gesässe,
gestände unbedenklich beibehalten, obgleich im entsprechenden verse der trochäus
gange steht und in den auf gesunge, gesprunge und ähnlich auslautenden nicht
318 DÜNTZER
zwei silben (bin i). sondern nur .'in-' (hänt) vorangeht Auch die metrisch und
mundartlich falschen verse lfm bergli, Uf d' wieso sind beibehalten; es muss
uf ein. uf de heissen. Durch zähe fortpflanzung solcher blossen verseilen erzeigt
man dem dichter einen schlechten dienst 1. 30, 2 muss es aufm statt auf dem
heissen. wenn man den vors Lesen soll. Aber der Weimarische lierausgeber hat nicht
allein unmetrisches stehen Lassen, sondern auch einmal (II, 157) solches herein-
bracht, indem er llemolink wilkürlich statt Hemmung sozt, wie Goethe den
namen sehrieb, der richtiger Hemling oder Memling lautet. AVenn der heraus-
die holländische form Hemelink war. so berechtigte ihn dies durch-
aus nicht. form dem verse zum trotz einzuschmuggeln. In den l'4 versen des
betreffenden gedientes beiludet sich kein einziger anapäst, den hier nur des heraus-
gebers laune verschuldet
Ä.ber auch druckfehler sind unbesehen herübergenommen. Wir bemerken im
-Ten band' Vi s unsinnige An's statt Aus. was sogar unter den lesarten über-
eil. j( • auf mahnung berichtigt wurde; 138, 43. wo Goethe das den vers
störende ein gestrichen hatte; L56, 3 fg. hörte statt höre (aus versehen hatte Goethe
hörte in hör' verändert); 17.!. 46 (wo man freilich nach den lesarten glauben
soll dort das richtige Sorge gedruckt); 181, 9 das Goethes Sprachgebrauch
widersprechende Kreis' statt Kreis; -84, 78 dem statt den; 33S, 64 an statt als,
jezt II. 366 auf mahnung als übersehen anerkant Im zweiten bände steht es kaum
3. 3. 6 ist der sinnentstellende dructfehler folgten statt folgen trotz der hand-
schriften beibehalten. 26, 82 lesen wir noch immer das ganz beziehungslose Morgen -
haine statt des ursprünglichen, die beziehung auf die hebe andeutenden Myrtenhaine,
84, 4 1 steht im ersten druck Dem (statt des in II eingeführten druckfehlers Den),
<iut''ii lohnen, das einzig richtig, da lohnen mit dem aecusativ einen hier unpassen-
den sinn gibt S. 102 war ursprünglich 48 schleich' gedruckt statt schlich. Goethe
erkan* js zum präsens Leg' (46) Bchlich nicht stimme. Man kann zweifeln, ob
schlich in I vom dichter wider eingeführt worden oder dem drucker gehöre; im ersten
falle hätte er nur vergessen, auch leg' in legt' zu verändern. Jedenfals ist das von
der neuen ausgäbe beibehaltene leg' neben schlich unerträglich, wenn man sich nicht
zum glauben bequemt, dem dichter sei es gestattet, vom präsens zum imperfekt
überzuspringen und gleich darauf den umgekehrten Sprung bei aufeinanderfolgenden
handlungen zu tun. Dazu kann ich mich eben nicht bekennen. Wenn z. b. im
gedieht .Adler und taube1- (II, 74 fg.) zwischen dem bericht von der Verwundung des
adlers und dem drei tage langen überstehen des Schmerzes das herabstürzen als
s . v artig geschildert und gleich darauf neben dem vergangenen tagleiden die quäl
der nacht und die heilung in der gegenwart erscheinen soll, so ist dies mir zu toll,
und ich denke die anschauung des dichters zu treffen, wenn ieh stürzt, zuckt und
heilt durch den apostroph als imperfekt bezeichne, wie man schon im ersten drucke
s r wol verstehe ich, dass bei beschreibung des traurigen zustandes des
nach der genesung zum fliegen unfähigen adlers das präsens und erst bei der ant-
wort wider das imperfekt eintritt, dagegen der seelenzustand, in welchen die
darauf versank, als ein dauernder durch das präsens bezeichnet wird. Hiernach
du: • -in. nach dem vorlezten vers punkt zu setzen, zur bezeich-
nung, dass der adler die wort": „0 Weisheit! Du redst, wie eine taube!" erst nach
einer pause spricht, was gerade den schluss besonders hervortreten lässt Hat man
h einmal entschieden, wie es im sinn> thes lag, durch den apostroph das
imperfekt vom gleichlautenden präsens zu unterscheiden, so muss man dies auch
ÖBEH GOETHES WERKE (WKIM. LUSGABE) 319
durchführen, da der Leser hiernach jede nicht so bezeichnete betreffende form als
präsens fassen wird. Ähnlich verhall es sich IL 266 fg. [ch weiss, dass i-in bedeu-
tender mann sich einmal gegen die apostrophe erkläri hat; aber 'las bedürfnis der
leser, das Goethe durch seine wenn anch nicht streng durchgeführte apostrophierung
anerkant hat, fordert gleichmässige befolgung.
Gehen wir weiter, so isl 11. L85, 12 Nur sinstörender druckfehler fürNun,wie
die erste ausgäbe hatte; ursprünglich stand Jetzt Nun bildet den gegensatz zu
der lVüliern zeit, wo ihm noch nicht der wahre kunstsinn aufgegangen war. hie
Weimarische ausgäbe hielt es für unnötig, das richtige auch nur unter den Lesarten
anzuführen. Das gedichl „Künstlers fug und recht" (192 fgg.) erschien erst in der
an druckfehlern reichen dritten ausgäbe; den dortigen druckfehler leicht (13) statt
licht hat die Weimarische ausgäbe beibehalten, obgleich der sinn licht verlangt,
da es hier auf die Leichtigkeit gar nicht ankörnt, wie zum überfluss v. 14 zeigt
230, 155 verrät sich „Will einer in die (statt der) wüste pred'gon" offenbar als druck-
fehler, da die einzig mögliche auslegung „in die wüste gehn zu predigen" doch gar
zu gezwungen ist; dazu komt, dass es auch sonst in diesen sprächen nicht an ver-
sehen fehlt, wie gerade drei verse später nach sinn und metrum am anfange ein
Dem ausgefallen sein muss. Die neue ausgäbe verbessert beides ebensowenig wie
v. 132 eine (statt ein), v. 529 'las verswidrige Geselle (statt Gesell), wogegen
die druckfehler v. 16 und 483 wirklich beseitigt sind.
Auch sonst ist manches verbessert, was längst von andern hergestelt war.
Eigentümlich ist dem Weimarischen herausgeber in „Epiphanias" (I, 149) die uube-
denklich aufgenommene Vermutung „"Werd' ich sein tag kein mädchen mir erfrein",
die er Goethe -Jahrbuch IX, 294 besonders hervorhebt. In einer abschritt der Göch-
hausen (Goethe -Jahrbuch „von fraueuzimmerhandu), deren benutzung zur dritten aus-
gäbe sich daraus ergeben soll, dass sie mit bleistift durchstrichen ist, steht erfreyn,
was auf der leichten Verwechslung von ü und y beruhen kann. Um es zu halten,
wird angenommen, statt mehr habe ursprünglich mir gestanden, das, nachdem
man erfreyn als erfreun verlesen habe, -demnächst in mehr umgebildet" wor-
den. Die vergebliche Verbesserung bricht die schalkhafte spitze ab, die nicht im
erfreieu, sondern im erfreuen der mädchen liegt. Und die „Umbildung" kann unmö
lieh folge der Verwechslung von erfreyn mit erfreun gewesen sein, da die hand-
schrift ja mehr erfreyn hat, wenn ich die ungenaue angäbe richtig verstehe; denn
als abweichung der handschrift wird nicht mir erfreyn, sondern bloss erfreyn
angeführt. Das auch im verse überzählige mehr muss ein aus misverständnis herein-
gekommener zusatz sein. Eichtig scheint der herausgeber 11, »i.'5 das handschriftliche
Unbills hergestelt zu haben, was schon von andern vermutet war. Unbilds ist jedeu-
fals eiue erst beim drucke gemachte änderung, mag diese nun dem setzer angehören,
der an einen reim auf Wilds dachte, obgleich das gedieht reimlos ist. oder Goethe
selbst augenblicklich verleitet worden sein, das Unbild nach die In bilde anzu-
nehmen. Die änderung II, 110: „Weise, zarte, dichterfreundin u ist am ende des
bandes zurückgenommen, aber das dort vorgeschlagene .Weise zarte dichterfreundin"
ergibt sich nach vergleichung mit dem übersezten griechischen gediente als verfehlt;
denn dort steht in einem verse „Weise, erdgeborene , liedliebende-, wovon das mit-
lere mit dem nächsten „leidlose " zum zweitfolgenden verse vereinigt ist; zarte ist
zusatz des Übersetzers, der die im griechischen der eikade gegebenen beiwörter von
einander gesondert hält. Eben als weise und zart ist diese auch dichterfreundin, wie
sie leidenlos, weil ihr fleisch blutlos ist; was freilieh Goethe nicht richtig widergegeben
320 DtTNTZSB
hat, wenn er ihr auch fleisch abspricht Nach dem Volksglauben hatte sie kein Mut,
sich, wie »las chamäleon, blos vom taue nähre.
d eng und klein gedruckte bogen nehmen im 1. bände die kritischen bemer-
kungen ein, die auch durch ein besonderes titelblatt als lesarten von den gedienten
ad. Dem eigentlichen, noch besonders Lesarten äberschriebenen inhalte
hen voran eine erklärung wegen der ausgeschlossenen gedichte, wobei die
redaktion dem verfahren und dem erklärten willen des dichters gefolgt zu sein behaup-
tet, obgleich über diesen gar kein beglaubigtes zeugnis vorliegt, dann die mitteilung
- Schulthessischen verzeichniss 3, endlich die dürftige, dem zwecke durchaus nicht
äugende aufzählung der handschriften der gedichte und der gesamtausgaben der
' . lenen die Himburgschen nachdrücke und Belbst Bürzels samlung „Der Junge
■ a aderbar hinzugefügt werden, während Schillers -Musenalmanach" und
„Hören*, Goethes „Propyläen*, „Taschenbuch" und „Kunst und altertum" fehlen.
die doch bei den gedienten zum teil gar sehr in betracht kommen. Vorteilhaft
-heu von dieser höchst ungenügenden einfuhrung die Vorbemerkungen zum „Divan"
ond -Faust- ab, die über die handschriften und drucke unter besondern übersehrif-
. (nur zum _Faust". wie zu den gedienten in umgekehrter feige) eingehend berichten.
- Ibst in solchen kleinigkeiten hätte man gleichmässigkeit erwarten sollen. Der satz
(I s. xxv). dass „Ungleichheiten in der ausführung trotz aller aufgebotenen Sorgfalt am
Ersten bei den zuerst in angriff genommenen bänden" ganz seien zu umgehen
:.. scheint uns eine völlig ungenügende ausrede der redaktion: sie hätte sich
eben nicht zur eile drängen lassen dürfen, und bei aller eile musten „verbindliche
normen" die „eigenart zahlreicher, ihre leistungen vertretender mitarbeiter" angemessen
schranken und durften nicht einer verschiedenen, von dem Charakter der ein-
zelnen werke unabhängigen weise der bearbeitung freie bahn lassen. Hätte man erst
einige bände in der handschrift fertig gestelt, ehe man zum keineswegs drängenden
drucke eilte, besonders da manche andere leichter zu liefernde mitteilungen die Ver-
öffentlichung forderten, so hätte man sich nicht damit zu vertrösten brauchen, dass
„Ungleichheiten sich von selbst mindern und verlieren würden, wenn das geschäft im
••; auf das. was dem fast achtzigjährigen dichter, der wenigstens den anfang
:' ausgäbe lezter band noch erleben weite1, zur entschuldigung gereichte, durfte
i die redaktion, die volle zeit vor sich hatte, durchaus nicht berufen.
Der vorbericht verheisst s. xxiv: „Auf einfachheit und Übersichtlichkeit wird
bei gestaltung der in chronologischer folge auftretenden lesarten vornehmlich bedacht
genommen"; ja es soll „tunlichst rücksicht auf den weiteren kreis gebildeter leser
genommen- werden. Dazu gehörten aber vor allem genaue auskunft über die bedeu-
tuug der einzelnen ausgaben und handschriften und möglichste Verständlichkeit und
einfachheit der eingeführten bezeichnungen; beides ist leider versäumt Mit dem
satze: _; Varianten bleiben als unnützer ballast ausgeschlossen" wird jeder
einvei . wenn man auch einzelne bezeichnende druckfehler der beiden
ten ausgaben, Erstens bei der vorläufigen bestimmung ihres wertes, angeführt
wünschte. Aber die entscheidung, was belanglos sei. hängt eben von festen grund-
•zen und besonnener, das richtige Verständnis voraussetzender erwägung ab, und
ade diese vermissen wir. Sehen Kögel hat (Seufferts Vierteljahrschrift I, 60 fjgg.)
auf manches übersehene hingewiesen, was jezt im zweiten bände nachgetragen ist.
Wir führen einige andere beispiele dieser art an. I, 18, 17 ist übergangen, dass
dann ursprünglich statt denn stand. Zu v. 7 fgg. bemerken wir, dass der dichter
die einmal versuchte Umstellung nicht aufnahm, weil er sich derselben nicht mehr
ÜBEB GOETHES WERKE l'wi-.IM. A.U8GABE) 321
erinnerte, nicht weil er seine gediente „mehr historisch ansah und sie deshalb in ihrer
ursprünglichkeit belassen wolte", wie wir b. 372 belehrt werden; ei hätte ja bei einer
solehon wunderlichen absichl jede, auch die allergeringste Veränderung unterlassen
müssen. 71, 11 liest die Quartausgabe „Hatte ganz dein liebes bild empfunden tt, wi
wol mit Goethes bewilligung geschah. Im ersten bände uimt der herausgeber auf
diese nach Goethes tode erschienene ausgäbe gar keine rücksicht, aber wo! im zwei-
ten. SO, 11 hat Zelter schon statt Bchön. 90, 31 ist die ursprüngliche Lesart
finstrer statt finster übergangen, wie 33 der druckfebler erschien1 in III; ja
dio vergleichung Mar hier so nachlässig, dass sie die erst Beit III verdorbene ursprüng-
liche lesart Aus übersah. 111, 20 stand zuersl l'a. pa, pa, pa paps; die zweite
ausgäbe schrieb irrig papas statt paps. die dritte erst stelte das richtige her. Die
lesarton wissen davon nichts. Daselbst 13 stand das den vers Btörende, auch nicht
wollautende denn schon im ersten druck, und auch die Weimarische ausgäbe hatte
nicht den mut, es über bord zu werfen, obgleich dadurch ein anapäst in das sonsi
von solchen freie gedieht komi Freilieh fing der folgende vers im ersten drucke gar
mit zwei daktylen an, aber hier hat die dritte ausgäbe glücklich Sag wie Lang
hergesteli Leider kehrte die ausgäbe lezter band wol nur durch druckfehler zu dem
misklang lange es zurück, das denn auch den neuen druck entstell Die lesarten
haben hier eben EU gar nicht verglichen. 138, 50 Mtte wol der starke druckfehler
kommen statt rennen im reime zur kenzeichnung der ausgäbe lezter band erwäh-
nung verdient. 143, 71 stand ursprünglich Lumpen statt Lumpe. Eöchst an
nügend sind die lesarten in der ballade „Der Sänger", wo niemand dem verwor-
renen und ungenügenden berieht entnehmen kann, dass die unglücklichen änderungen
in der ausgäbe lezter hand aus den Lehrjahren stammen. 179,40 fehlt der druck-
fehler possierlich statt possierlicher in III; 181, 9 das richtige ursprüngliche
Kreis, wofür wir leider wider Kreis' lesen; 182, 38 Abendgäste des ersten
druckes. An dieser stelle ist die ganz irrige Satzzeichnung „Tages arbeit! Abends
gaste! Saure wochen! Frohe feste!" beibehalten, die leider Ia einführte, da «loch
der sprichwörtliche gegensatz nach arbeit und wochen das ursprüngliche komma
verlaugt. Die lesarten gedenken auch dieser Verschiedenheit mit keinem worte. Ganz
entgangen ist dem herausgeber. dass s. 188 der vers 30 späterer zusatz in Ia ist und
dass 199, 19 im ersten drucke vieler sonnen steht; um nicht des ursprünglichen
in 190, 39, des erstaunt, erzürnten 197, 49, des läuft und kömmt 204, 19 zu
gedenken, wofür später lauft und kommt eintrat, eine sonderbare Verbindung einer
mundartlichen und einer hochdeutschen form. Neben der bedauerlichen unvolstän-
digkeit, die bei anhaltender achtsamkeit auch ohne widerholte durchsieht zu vermei-
den war, müssen wir die Unübersichtlichkeit an den stellen rügen, wo die abwei-
chungen ausserordentlich zahlreich sind. Wer kann sich aus der langen liste zum
„"Wandrer" (II, 338 fg.) ein bild von Goethes vorgenommenen Veränderungen machen!
Hier genügt es nicht von vers zu vers die lesarten hinzuschreiben; man muss die
mancherlei abweichungen nach der zeit ordnen, um eine klare einsieht zu geben.
Auch sind die lesarten mit unnötigem belastet. Die verschiedene rechtschreibung
gehört keineswegs hierher. Dass Weg Wceg geschrieben ist, der Wechsel zwischen
Schooss, Schoos, Schoss, zwischen eurem und euerm, muntrem und mun-
term, die Schreibung Distlen, würklich, Gebürg sind abweichungen. die bei der
algemeinen beschreibung der handschriften und drucke angegeben werden musten,
wo auch zu erwähnen war, dass Goethe sich in der ausgäbe lezter hand bestimmen
liess, seine gewohnte Schreibung thörig, ergötzen, ereignen zu verlassen. Dort
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIII. ^1
322 DÜNTZEK
solto gleichfals aber Goethes gebrauch des apostrophs, grosser anfangsbuchstaben und
der Satzzeichen berichtet sein. Da der apostroph äusserst aachlässig verwant ist, so
komt es nur in sehr wenigen fallen in betracht, ob Goethe ihn gesezt bat oder nicht.
Walte man alle abweichungen der Satzzeichnung anmerken, so würde man kein ende
finden: beispielsweise wären dann zu dem gedieht „Deutscher Parnass" mehr als dreis-
abweichungen nachzutragen. W"ilkürliches herausgreifen, wie es die Weimarische
ausgäbe der gediente sich erlaubt, hilft nichts, das verhalten der sämtlichen drucke
und der haupthandschriften muss im algemeinen bezeichnet werden. Dasselbe gilt
n der abweichenden Schreibung. Wenn I, 130, 4 die abweichende Schreibung
Lächeln aus einer handschrift angeführt wird, so hätte viel eher 107, 14 erwähnt
werden sollen, dass der erste druck Sammeln hat, nicht das durch nachlässigkeit
später eingeführte Sammlen, das die neueste ausgäbe schon verwerfen muste, wenn
ihrer sogenanten normierung treu bleiben wolte.
Dass sie nach festen grundsätzen und eindringender prüfung unter den lesarten
immer die richtige wähle, d. h. überall, wo es dem einsichtigen geboten scheint, von
der so viele versehen darbietenden ausgäbe lezter band abweiche, besonders da, wo
diese nur ihre durch so viele druckfehler entstelte Vorgängerin widergibt, daran i>t
nicht zu denken. In dem so leicht und lustig sich ergehenden Hede „Frühzeitiger
frühliug- I. Sl heisst es nach dem ausdrucke der freude, dass die tage der wonne
bald widergekommen: „Schenkt mir die sonne (so bald) | Hügel und wald?" Die
au-_ Lezter band hat durch ihr unsinniges komma nach sonne die stelle zu gründe
gerichtet; denn danach muss sonne gleich hü gel und wald objekt sein und zu
schenkt ein ihr gedacht werden, „die tage der wonne", die als die sonne nebst wähl
und hügel schenken; während offenbar die sonne als lebensspenderin in der neuerstan-
denen natur erscheint, von welcher an erster stelle wald und hügel genant werden,
deren man sich von neuem erfreuen kann. Im gediente „Ilmenau'4 liest II, 145, 118 fgg.
die handschrift von 1783: „Xun sitz' ich hier zugleich erhoben und gedrückt, |
-■•huldig und gestraft, und schuldig und beglückt." Der erste druck (III) hat
unschuldig auch statt und schuldig. Dem herausgeber scheint die „den gegen-
tz abschwächende" änderung „aus innern gründen, sowie nach dem äussern der
handschrift auf versehen zu beruhen." Die handschrift ergibt nur, dass Goethe wirk-
lich und schuldig geschrieben, aber nicht ob dies ein Schreibfehler sein könne;
noch weniger ob die fassung im drucke nicht absichtlich und auch vorzuziehen sei, wie
ja unser herausgeber seihst 179 die änderung freie statt freyre aufgenommen hat.
Eine abschwächung des gegensatzes finde ich nicht. Dem erholten und gedrückt
bs] ^rechen im folgenden verse gestraft und beglückt in umgekehrter folge; dabei
wird hervorgehoben, dass er weder die strafe noch das glück verdient habe, da er
mit - m willen die von ihm bedauerte Verwirrung angerichtet und seine dichtung.
die ihm _ a rühm gebracht, nur ein ausfluss seiner natürlichen begabung, nicht
•i verdienst sei. Dass er sich wirklich schuldig bei seinem rühme fühle, ist so
absonderlich, dass eine erklärung dieser schuld dem Verteidiger des Schreibfehlers
wol angestanden hätte. Den schluss des zweiten bandes bilden die ein bekantes
italieni Sprichwort widergebenden vers< : „Hier hilft nun weiter kein bemühn!
Sind rosen und sie werden blühn." Die ausgäbe lezter hand gab Sinds, was durch-
aus vorzuziehn ist. Freilich kann vor sind ein es ausgelassen werden, aber nur im
behauptung8satze (die angeführten beispiele sind alle der art); im verkürzten bedin-
gungssatze — und einen solchen haben wir ja offenbar, da die behauptung, es seien
n. hier nach dem ersten verse widersinnig wäre (im Italienischen geht sc voraus) —
ÖBEH Q0ETHE8 WERKE (WE1M. A.USOABE) 323
muss dieses aach dem zeitworte folgen. Dass aber 'las bedingte nicht mit und
angeschlossen werden kann, ist ol.cn so gewiss; und so werden wir Riemers verto
sernng nun als glücklich anerkennen und bedauern müssen, (las richtigere als Ver-
schlechterung abgelehnt zu sehen. Aber der herausgeber macht es sieh leicht,
wenn es gilt, einen druckfehler festzuhalten. So behauptet er Goethe -Jahrbuch IX.
294, „das gedieht „JuniB (im dritten bände) sei in den Cottaschen ausgaben nicW
verunstaltet-; denn Goethe habe in einem briefe anGöttling die Lesart „bis mir" (12)
ausdrücklich als richtig bestätigt. A.ber ein unsinn bleibt imsinn, wenn auch Goethe
im augenblicE das bedenkliche übersah; ich finde nur einen, aber verfehlten aus-
weg^ es zu halten, die behauptung, mir stehe hier in bekanter mundartlicher Ver-
wechslung statt wir. was der sinn entschieden fordert. Ä.ber der Weimarische her-
ausgeber schreitet auf seinem wege mutig weiter und erklärt: „Auch die bedenken
gegen die lesart ,ränder( [vielmehr ,rändernt] wird man fallen ia<s<'ii dürfen." Also
niühlen und ränder sollen die schönsten zeiehen sein, dass nach dem thale bald
eine fläche kernt! Freilich, wenn das alberne für Goethe gut genug sein soll. I^
die Cottaschen ausgaben das gedieht verunstaltet haben, wird nicht behauptet; sie.
oder vielmehr die druckhandschrift, nahm die meisten groben fehler, welche es im
ersten drucke in „Kunst und altertum" II, 3. 1!) entstellen, unbesehen auf. Wer
sich genauer mit der kritik Goethes beschäftigt, weiss, da>s die in jenem hefte (bis
s. 34) zuerst stehenden gediente fast alle, in folge ungenauer durchsieht, sehr nach-
lässig gedruckt sind, so dass man sich wol vorsehen muss. auf treu und glauben
dieses druckes das seltsamste einem dichter wie Goethe in die schuhe zu schieben.
Bei den einzelnen gedienten wird überall ausser den einzelnen handschriften
auch die stelle derselben in den drucken angegeben. Dies lezte ist für die 1 es arten
ohne bedeutung, und es wäre besser, wenn vorab bei beschreibung der gesamtaus-
gaben der inhalt genau verzeichnet würde. Überflüssig scheint es, dass die Lesarten
der dem drucke der ersten und zweiten ausgäbe zu gründe liegenden handschriften
angegeben werden; diese waren nur da anzumerken, wo der druck von ihnen abweicht,
so dass in diesem entweder ein druckfehler oder eine Verbesserung Goethes bei der
durchsieht vorliegt. Noch weniger gehört unter die lesarten die aus brieten, dem
tagebuch oder anderen quellen sich ergebende bisher unbekantc entstehungszeit, da
die angäbe derselben grundsätzlich von dieser ausgäbe ausgeschlossen ist; anderswo
wäre die mitteilung wilkommen. Nur die wenigen neuen datierungen, welche die
handschriften der gediente bieten, waren anzuführen. Nachträglich hat der her-
ausgeber n, 363 fg. und Goethe -Jahrbuch IX, 292 fg. aus der handschrift der Schwei-
zerreise von 1797 gegen mich die entstehungszeit der bailaden von der müllerin fest-
stellen zu können geglaubt. Da fält denn zunächst eine grosse Unachtsamkeit auf. Die
angebliche datierung der bailade „Reue* 7/7 stimt gar nicht dazu, dass sie zu Tübin-
gen am G. September vom Schreiber in die reisehandschrift eingetragen worden. Nicht
einmal, wenn man das zweite 7. „September" lesen wolte (es müste nach Goefl
gebrauch Yü heissen), trift dieses zusammen. Und wer, der den damaligen brief-
wechsel zwischen Goethe und Schiller einsichtig verfolgt, wird es für möglich hal-
ten, dass Goethe schon am G. oder 7. September dieses gedieht ganz bo, wie es im
folgenden „ Musen - almauach u steht, seinem Schreiber Geist diktiert, aber erst am
10. uovember Schiller übersant habe, was sein brief von diesem tage beweist! Der
glaube kann berge versetzen, aber die kritik wird eine solche Zumutung als unge-
heuerlich abweisen. Erst am 14. September teilte er Schiller die ballade „Der cdel-
knabe und die müllerin" als „ introduktion " von vier liedern mit, die nach ton und
21*
3:24 DÜNTZKB
inhalt feststanden, anch zum teil entworfen waren: aber noch keines derselben war
vollendet, - 38 ir den freund damit hätte erfreuen können. Nach nnserm ent-
decker wären damals schon zwei andere dazu gehörende volständig fertig vom Schrei-
ber in dii Schandschrift eingetragen gewesen, aber Goethe hätte die inarotte gehabt.
damit Schiller zurückzuhalten, erst am 11. Oktober das zweite lied von der
müllerin ihm gesant, nach weitern vier wochen das vierte, da ihm das dritte noch
nicht gelungen war. Per herausgeber hat sich gar nicht bemüht, den von mir her-
bobenen Widerspruch zu losen; er hält sieh steif, ohne sich durch die innern
lersprücto rselben stören zu lassen, an die reisehandschrift. Hätte er sich
nur näher angesehen! Die rückseiten waren liier zuweilen unbeschrieben,
wo die • richte das blatt nicht ganz fülten; andere blätter wurden zwischen
die berichte eingefügt, erst später alle einzelnen nummeriert. Goethe Hess die
• . nachdem er sie vollendet hatte, in die handschrift eintragen, und zwar
meist im berichte des tages, an welchem er sie begonnen hatte. So kam „Der
fremde uud die müllerin" auf ein eingeschobenes blatt bei Stuttgart. „Der müllerin
reue* auf zwei unter Tübingen. Das datum 7/7 ist jedenfalls irrig, sei es verschrie-
ben oder verlesen; es solte heissen 7/11. Mit dem nächsten briefe, den er nach
Vollendung des gedichtes an Schiller sante, teilte er dieses dem freunde mit. Dem-
nach schrieb er es in Nürnberg am ersten morgen nach seiner ankunft, nachdem er
- wahrscheinlich auf dem wege von Schwabach an sich im geiste ausgebildet hatte.
Der berieht vom 6. schliesst im tagebuch nach Erich Schmidts angäbe mit der
ankunft zu Nürnberg im roten hahn. Der herausgeber der gedichte führt unter die-
* _ als vom Schreiber aufgezeichnet die titol an: „Der gefangne und die blu-
men" und -Der traurige und die quelle" nebst drei versen des lezten gedichtes.
• dem ersten ist Goethes randbemerkung stehen geblieben: „Bitte ihrer bei einer
ähnlichen zu gedenken", die „anscheinend" (weshalb, ist mir unklar) auf das heraus-
geschnittene gedieht bezüglich sein soll. Also auch „Das blümlein wunderschön"
11 damals schon fertig gewesen und, weil es nicht in abschrift beigefügt ist, aus-
kitten worden sein! Die titel deuten vielmehr auf gedichte, die ihm neben den
Müllerballaden im sinne lagen und im reisewagen überdacht worden waren. Dass er
am 5. auf dem wege von Grossenriedt bis Schwalbach sich an der bailade „Der
müllerin verrat- versuchte, zeigen die in Eckermanns bearbeitung der Schweizerreise
erhaltenen verse, welche freilich die Weimarische ausgäbe der gedichte ganz übersieht.
Auch die abschrift der elegie „Amyntas" findet sich in den reisepapieren nach IT, 364
beim 19. September (wir vermissen hier die sonst nicht fehlende angäbe des blattes
i handschrift). wol auf einer besondern einlage; dass sie in der Schweiz vollendet
worden, folgt daraus nicht. Erst nach der rückkehr scheint Goethe sie ganz aus-
fahrt zu haben, wenn er sie auch bereits in Stäfa entworfen hatte. An Schiller
ran Weimar aus den 25. november, fünf tage nach der rückkehr.
„Hierbei meine elegie*, sehreibt er. was darauf deutet, dass davon in Jena die rede
gev : und Sehilb-rs antwort spricht wenigstens nicht gegen die annähme, du
die lezte hand erst in Weimar angelegt sei. Das tagebuch schweigt von dieser zeit.
Bei dem zweiten buche der elegien und den übrigen den ersten band schlies-
aden distichischen gedienten sind die lesarte n mit den ändorungsvorschlägen von
W. Schlegel 1 tet. Wir sind weit entfernt, die bedeutung der jezt aus dem
i.:.Y zum erstenmal bekant gemachten bemerkungen des kunstsinnigen und
oen kritikors und dichter« zu verkennen; aber unter den lesarten waren nur die
s nommenen mit der angäbe, dass sie durch Schlegel vorgeschlagen
ÜBER GOETHES WERKE (WEIM. AUSGABE) 325
worden, zu verzeichnen. Die ausführliche begründung dieser vorschlage war ander-
wärts zu geben, die ausgäbe der gediente dazn keineswegs die rechte stelle. Ebenso
wenig gehörten unter die Lesarten die von Goethe unterdrückten gediente und stel-
len, die als nachlass den elegien und epigrammen folgen musten. Leider wurde
bei mitteilnng derselben zu peinlich und dazu nicht folgerichtig verfahren, da
manches von Goethe nicht beanstandet worden, an dorn man sich hier ängstlich
herumgedrückt hat, auch unter dein neuaufgenommenen sich genug bedenkliches
findet, wenn mau sich an die sehr wechselnden anstandsrücksichten hält. Weshalb
die als ein bruchstück einer dritten epistel hingst bekanten verse nichl iben sind,
muste wenigstens unter den Lesarten angedeutet werden. Dass es zwei verschie-
dene fassungen einer wol für den ersten brief bestirnten ausführung waren, habe ich
längst bemerkt. Im zweiten bände sind nur vier unbedeutende verse an die herzo-
gin-mutter hinzugekommen, ein geburtstags wünsch, mit welchem er dieser die
'"■kanten verse auf Gcllerts deukmal von Oeser zusante. Wenn der herausgeber im
„Goethe -jahrbueh" ineint, dies beispiel zeige deutlich, wie gefahrlich i, an der
anordnung des dichters zu rütteln, der die verse auf Gellerts Standbild unter die
abteilung an personen gesezt, so konte freilieh niemand ahnen, dass dabei der
persönliche glückwunsch ausgelassen sei, der allein die aufnähme in die.-" abteilung
rechfertigte; absonderlich bleibt die sacke immer, am allerwenigsten berechtigt sie zu
einer solchen mahnung.
Nach allem können wir in der neuen Weimarischen ausgäbe der gediente kei-
neswegs einen fortschritt der Wissenschaft erkennen; nur die benutzung mancher
neuen hülfsmittel, die vor allem das reiche Goethearehiv bot, gibt ihr wert. Auch
manche andere haudschriften wurden, freilich wenige zum erstenmal, benuzt. I>.
dem herausgeber einzelnes entgangen, hat schon Kögel gezeigt. Wenn es beim
gediente Vanitas vanitatum sehr imbestimt heisst, die abschrift des liedes in
einem briefe der Schopenhauer sei „im Privatbesitz zu Köln", so wüste der heraus-
geber aus unserem frühern briefwechsel, dass eine solche sich unter den mir über-
gebenen briefen derselben an ihren söhn befand. Einzelne derselben verschenkte ich
an befreundete samler, und so legte ich auch jenen brief in eine band, in welcher ich
sie für gut geborgen hielt. Zu meiner Verwunderung wurde dieser brief in einer
autographensamlung im vorigen december zu Berlin versteigert. Wirklich befind
sich noch in Köln Goethes eigenhändig geschriebenes gedieht „Den drillingsfreunden
von Köln", was der herausgeber übergeht, aber, wenn nicht sousther, aus meiner
ausgäbe in der Kürschnerschen nationallitteratur wissen konte. Boissoree> witwe hat
diese nebst dem betreffenden bilde dem museum seiner Vaterstadt vermacht
In eine frischere luft versezt uns der „Divanu, welchen Konrad Burdaedi.
dem wir eine Untersuchung über die spräche des jungen Goethe verdanken, mit
grosser Sorgfalt, gründlicher kentnis und guter Schulung herausgegeben hat. Schon
dass er die ausstossung der den vors störenden e und i durchgefühlt hat, unterscheidet
ihn vorteilhaft vom herausgeber der gedichte, dem der überlieferte buchstabe höhei
stand als die forderung des verses, die selbst der alte (ioethe unmöglich eigensinnig
verletzen konte. Auch in der rechtschreibung und satzzeichnung geht er zum teil
seinen eigenen weg, auf dem wir ihm freilich nicht überall folgen möchten; auch ist
er sich darin nicht ganz gleich geblieben. Über die Schreibung haben wir früher
gesprochen, hier gedenken wir nur der eigenheiten der satzzeichnung. Da ein satz
mit denn überall selbständig auftritt, so möchten wir ein komma vor demselben,
obgleich dieser gebrauch neuerdings vielfach eingedrungen ist. kaum billigen; am
326 DÜNTZBH
wenigsten da, wo von einer darauf folgenden Handlung die rede ist, wie s. 16, 7, wo
wir sogar nach 0 bei einer durch nun angeknüpften folge mit der ausgäbe lezter liand
ss ein komraa erhalten. Di sheint Burdach auch sonst mehr als billig gefolgt
zu sein, wie s.37, wo die ausgäbe mit recht nach 2 und 9 gleichmässig kolon
hat. Ein Wechsel ist dort im Verhältnis der sätze nicht begründet Burdach geht
aber nicht so weit. r komma vor denn überall für genügend hält, vielmehr
sl stärkere zeichen, ja am meisten punkt an. nur Dicht immer richtig.
-• jj, b. s. 1»'.*. tatt des punktes der ausgäbe lezter hand (die erste hatte
ein kolon) Semikolon stehen. Sehr ungenügend ist die satzzeichnung des erst in der
ausgäbe lezter hand aufgenommenen gedientes „Das lohen ist ein schlechter spass"
Bl). Burdach mustc hier die überlieferte satzzeichnung verlassen, nach 1 kolon
s. 82, 1). nach 4 Semikolon, nach G komma setzen. Auch vor dem sclbstiin-
•n. unverbundenen folgesatze genügt kein komma. wie wir es z. b. 24, 1 linden
(„Dichten i>t ein Übermut, i Niemand schelte mich!"); ebenso wenig bei der begrün-
dung wie 17. 10. 211. 54, wo nach getrost ausrufungszeichen gehört. Ein grosser
misbrauch wird im „Divan" mit den gedankenstrichen getrieben, die sich völlig über-
flüssig finden : 51, 11. 106, 9. HS. 1. 195, 2. 201, ß. 11. 236, 6. 258, 35.
6, 289, 33. 292, 6 (nach dem Schlusspunkte). Ein komma vertritt er 104, 1.
164. 7. ein kolon 147. 7. ein ausrufungszeichen 212, 6. Dem anfange der rede geht
ai - ,6, den schluss derselben bezeichnet er 57, 12. 267, 19. 268, 43.
Im lezten falle hätte die neue ausgäbe ausrufungszeichen setzen sollen, die ja sonst
im „Divan* nicht fehlen. Vor der widerholung des anfangsverses steht ein godan-
kenstrich SO. 6. Als zeichen einer parenthese finden wir solche 267, 13, wogegen
etliche klammern in demselben gedichte 57 stehen.
Wenden wir uns zu den auf einem besondern titel als lesarten eingeführten
anmerkungen, die von s. 313 bis 493 reichen, so wird zuerst aus dem archiv das rar
:.tstehung des .Divan- ausserordentlich wichtige Wiesbadener Verzeichnis von 100
liedero, datiert vom 30. mai 1815, mitgeteilt. Wie der herausgeber s. 337 bemerkt, zeigen
rhaltenen blätter der ältesten haudschrift des „Divan" rechts eine nummer mit
warzer dinte von Goethes hand, die auf „eine noch frühere samlung in chronolo-
r reihenfolge" deutet; doch unterlässt er das nicht unwichtige ergebnis aus dieser
warzen nummerierung zu ziehen. Aus ihrer vergleichung ersieht man, dass die frii-
1K he samlung nicht über 53 lieder hinausgieng; auch das sich als abschluss
darstellende lezte lied des Wiesbadener Verzeichnisses trägt diese zahl. Sodann ergibt
h, wenn wir die fehlenden nummern durch wahrscheinliche, in klammern geschh -
:.e Vermutung ozen, dass jene erste Zusammenstellung folgende stücke der
• m enthielt: 1=3. 2 = 9. [3. 4=10. 11.] 5 = 14. [6 = 15.] 7 = 16. [8. 9 =
17. 18.] 10. 11. 12=19. 20. 21. — 13 „Solt einmal durch Erfurt reiten." [14 =
17. 22 = 25.] IS. 18a=26. 27. 19=40. 20 = 42. [21. 22=41. 43.] 23=25.
41 = 46. [26 = 65?] 27 = 47. 28 = 67. 29=52. [30 = 53? 54?]. 31. 32=68. 6:».
[33 = 70.] 34 = 72. 35=75. 56=77. 37=76. 38 = 78. [39. 40=79. 74.] 41 = 80.
=81. 4 1. 15=83.84. [46 = 85.] 47=86. 48 bis 51 = 88 bis 91. [52=7?]
, = 100. Hiernach war bei der ersten Zusammenstellung keineswegs -die Zeitfolge
| • , s beoba Freilich erschienen die meisten zuerst gedichteten lie-
r ihrem inhalte nach im anfange, aber gleich da te fält s<'ehs monate später
als die ihm folgenden. Im Wiesbadener Verzeichnis war nummer 18 nicht ausgefült.
und ein erhaltenes blatt der handschrift. das die- rote nummer 18 trägt, ist leer;
wahrscheinlich 11 darauf das an den grossher2 richtete „An Schach Sedschaa
ÜBER GOETHES WERKE (WEIM. AUSGABE) 327
und seines gleichen" zu stehen kommen, das im Verzeichnisse fehlt Es wäre dem-
nach unmittelbar auf die den Hans feiernden liedei gefolgt Die verse werden, wie die
auf die lierzogin, zu Frankfurt auf der reis.' nach Wiesbaden gedichtet sein. Burdach
sezt sie s. 393 mit unrecht in den januar 1815; denn sie brauchen nicht wegen einer
beziehung auf „das buch Kabus" in die zeit zu fallen, wo Goethe dieses gerade ken-
nen lernte, und Burdach übersah, dass Goethe dieses buch schon am 19. november
1814 benuzt!'. Auch or. 96 ist im Wiesbadener Verzeichnisse nicht angegeben. Aller
Wahrscheinlichkeit nach solte hier vor „Vier frauen" das gedieht „Berechtigte männeru
stehen. Dass ein solches schon in das jähr 1815, eicht erst in den Beptember 1818
fält, wie Burdach s. 443 vermutet, beweist eben die ursprüngliche gestalt des liedes
„Auserwählte frauen" vom lO.märz 1815, dessen anfang an die feier der „berechti
tcn männer" anknüpft, welche wahrscheinlich dem dichter aoeh nicht nach wünsch
gelungen war. Wenn das Verzeichnis als or. 95 vorhergehen Lässl „Alles golden", so
konte dieses gedieht sich nur auf das paradies beziehen, wo alles wie von gold glänze.
„Äpfel goldner zierd'" erwähnt Goethe XII. 2, ll auf s. 248. Berichtet fand er, die
paläste des paradieses seien von rubinen, perlen, smaragden und gold. Er dachte
sich wol, dass alles hier von gold sei, wie im Homerischen olymp." Diese einleitung
des paradieses verwarf Goethe später und ersezte sie in der ausgäbe lezter hand
durch das lied „Vorschmack." Wie dieses lied, so scheint auch nr. 85 „Dichtung
arten" ausgefallen zu sein. Über die vier verschiedenen stoffe des liedes hatte sich
Goethe schon im lied „Elemente" (16 des Verzeichnisses) ausgesprochen; „Lied und
gebilde" glaube ich jezt, da es in der ersten ausgäbe fehlt, später setzen zu müssen.
Bezog sieh das lied „ Dichtungsarten u etwa darauf, dass den Persern von den drei
„Dichtarten" das drama fehlt, worüber sich Goethe später in den „Noten und abhand-
lungen" ausgesprochen hat? Erst nach diesen beobachtungen tritt das Wiesbadener
Verzeichnis in sein volles licht.
Demselben folgen bei Burdach ein manches tatsächliche berührender brief
Goethes an Cotta und bezügliche auszüge aus den tagebüchern, denen mitteilungen
aus briefen an seine gattin eingefügt sind, die sehr dankenswert sind, da einmal die
volständige mitteiluug dieser briefe zur zeit unverantwortlich versäumt worden. Bil-
ligen können wir es nicht, dass damit andere längst bekante angaben verbunden sind,
was selbst dann für diese ausgäbe sich nicht eignete, wenn sie volständig wären.
Dies aber ist so wenig der fall, dass gar vieles für die entstehung dieser gedichte
bedeutende fehlt. Auch ist manches zu ungenau angegeben. Häufig werden erläu-
ternde angaben vermisst, da unsere ausgäbe auch dem mit der Goetheforschung nicht
innig vertrauten leser dienen soll, aber einzelnes hier selbst dem genauen kennei
schwer verständlieh ist. Wenn es z. b. am 10. november 1815 im tagebuch heisst:
„ Sendung von Jacobs. Catalog orientalischer manuscripte ", so ist dies ganz bedeu-
tungslos, wenn man nicht weiss, darunter sei das von Friedrich Jacobs Goethe
gesante Seetzensche Verzeichnis orientalischer handsehrifteu in Gotha zu verstehen,
für dessen mitteilung von Goethes seite der prälat von Diez diesem am 28. novem-
ber dankte. Wichtig ist die erst durch Goethes briefe an Frommann im Goethe -
Jahrbuch YIII gewonnene tatsache, dass der „Divan" noch nicht ausgedruckt war. als
Goethe nach Karlsbad reiste, und dass er erst nach der rückkehr die zum fünfzehnten,
das „Buch des paradieses" enthaltendem bogen noch nötige handschrift versprach.
Sehr genau ist der abschnitt über die handsehriften gearbeitet, nur wären
nr. 46 bis 67 näher zu bezeichnen gewesen. Hier lernen wir, dass die der ausgäbe
lezter hand zu gründe gelegte abschritt an manchen, zum teil in den druck über-
DÜNTZER
_ gangenen fehlem leidet. Die naeh Goethes tode gemachten abschriften hätten
unerwähnt bleiben sollen. "Wider die nach Goethes hinscheiden hinter dessen namens-
eiotrag in das fremdenbuch der Massenmühle bei Elgersburg auf einem besondern
blatte ei te berüchtigte strophe habe ich mich so bestirnt in meiner ausgäbe
dass davon weiter keine rede sein solte. In dieser strophe lässt der
jezt gleichfals heimgegangene mühlenbesitzei Arnoldi (denn von diesem rührt der
einschab her) den gestorbenen dichter sagen, er halte auch endlieh dran gemust,
aber er sei im jenseits neu erwacht, was eine Müsse verflachung des kernhaften
thescl ..Stirl» und werde" in der beigefügten strophe des „Divan" ist. Was
Burdach s. 353 als Möglichkeit bestehen liisst, Goethe seihst habe die strophe als
rs ausgeteilt, ist tatsächlich falsch; sie ist erst nach Goethes hinscheiden
Lichtet und aus jenem fremdenbuche in die weit gewandert, wo leichtgläubige
mit ihr gehart wurden. Ihr abdruck unter den lesarten ist eine cutstellung der
Weimarischen ausgab .
Nach den abschriften wird auch über die drucke eingehend rechenschaft abgo-
r. Hier sind die im ersten druck begangenen, später fortgepflanzten druckfehler
nach \ ichung der reinsehrift angefühlt, wobei nur übersehen ist, dass eine ände-
rung vom dichter beim drucke bestirnt worden sein kann. 105, 13 entspricht das
Iruckte euch besser dem Zusammenhang als das handschriftliche auch, da es dem
dichter fern liegt, sich den andern entgegen zu stellen, denen er nur zuruft: „Fühlt
ihr kraft in euch, etwas tüchtiges zu leisten, so bewährt es!" Freilich scheint
101, 32 Auch einfacher und natürlicher als Aus, aber immer bleibt es möglich,
da— G ßthe bei durchsieht des druckes Aus, das natürlich zu raufen gehören
müste, als kräftiger vorzog; denn welche freiheit er sieh später in der Wortstellung
erlaubte, zeigt das bekante Türken du getretener. Auch kann man wol zwei-
sich nicht ebenso 41, 8 mit in deinen (statt deinem) verhält, so dass
in im sinne von auf genommen. Wenn Lurdach s. 35G meint, Goethe habe bei
dem im einvernehmen mit der Cottaschen buchhandlung in Wien erschienenen buche
in: irkt (es ist nur im titel verschieden vom einundzwanzigsten bände der
Wiener ausgäbe des Werkes), so können wir dies nicht gelten lassen. Freilich hatte
er nach dem briefe an Frommann die absieht, in dem nach. Wien zu schickenden
druck' fehler zu verbessern, so dass man dort eine „völlig reinliche ausgäbe"
könne; aber dass er wirklich dazu gekommen, ist nicht erwiesen, viel-
mehr ganz unglaublich, da die zahlreichen druckfehler, darunter die schlimmsten,
wie ihre an. r zeigt, ihm längst aufgefallen waren (Feindet
Findet. Schwächen statt Schwänchen), unverbessert blieben. Wenn an
zw • üen der AYiener druck mit der reinsehrift übereinstimt, so kann dies bei
•i zahlreichen abweich ungen desselben von dem zu gründe liegenden Jenaer nur
auf zufall beruhen. Und dass wirkliel the 41, 8 deinen, 101, 32 Auch als
druckfehler betrachtet habe, steht nichts weniger als fest, wenn auch die tatsache,
:u die ausgäbe lezter band unbeanstandet übergiengen, bei Goethes häu-
•n früher gemachter Verbesserungen nicht als gegenbeweis gelten kann.
Aus den bemerkungen über die leitenden grundsätze führen wir an, dass die
quellen nur da i ben sind, wo ihre kentnis „textgestaltung oder datierung
-timmen hilft". Auf die | ante ist dureh^ rücksicht genommen, was
b dadurch rechtfertigt, dass die handschrift die zeit von sehr vielen gedienten
ani:: *. Noch in einem andern punkte weicht Burdacb von den grundsätzen der
d wort- und sacherklärungen, auch da. wo diese nicht
ÜBER GOETHES WERKE (WEIM. A.UBGABE) 329
durch die abweichende Lesart veranlasst werden, wie es wirklich 236, 1 der fall ist,
wo die zweite ausgäbe Siondeschein bietet, was mit recht als eine absichtliche
altertümliche (wol richtiger volkstümliche) form bezeichnet wird. Aber Goethe hatte
sich hier zur ändernng verleiten lassen; denn die einzige altertümliche form des
gedichtes, Paradeis, is1 durch den reim veranlasst. Goethe brauchte nur Mond-
ihein oder Mondenschein. Bei den Zusammensetzungen mit erde schwankte er
zwischen den formen mit und ohne n (seltener Hess er die endung e weg), ebenso
bei den mit leben und bei ellenbogen. Das von Bui'dach angeführte ungewöhn-
liche Scherbeleson ist wo! dem wolklang zu verdanken. S. 126, 2 wird milde
nicht genau durch freigebigkeil erklärt; es 8teh1 vielmehr für mildtätigkeit.
J)ie Sprachbemerkung zu 178, 1-4 hätte, wenn sie überhaupt zu machen war, schon
zu 161, 1 gehört; jedesfals muste die dortige abweichung bemerkt werden. Irrig
heisst es zu ISO, 15, der mantel gesäter Storno sei das gestirnte firmament; da
wert, das noch aus dem buche tönt, vergleicht der dichter einem mit Sternen
schmückten mantel. indem er seine darin ausgesprochenen gefühle, welche zur
geliebten durchdringen werden, mit unauslöschlichen Sternen vergleicht
Zu der von kentnis und dichterischem gefühl zeugenden behandlung der ein-
zelnen gedichte mögen uns bemerkungen über eine anzahl der stellen gestattet sein.
über welche wir anderer ansieht sind. 8, 32 scheint hier druckfehler des eilig
sezten kartons statt des einzig sachgemässen mir; es ist nicht der einzige fall,
dass ein karten fehlerhaft gedruckt worden. Hier aneignen kann unmöglich heissen
„dem engen räum anpassen4-; es geht auf den so sprechenden Binbildlichen ausdruck
eines gedankens, welchen man darin schaut, nicht erst zu denken braucht. Gegra-
ben steht dem denken entgegen; dass das wort eingegraben sei, ehe man es
erwarte, scheint mir fremdartig. — 43, 20 hat Burdach Sodann drucken lassen.
aber in den anmerkungen zieht er das überlieferte So dann vor, wonach so rcla-
tivisch zu fassen wäre und nicht sodann, wie gewöhnlich (z. b. 202, 9), stünde.
Aber ist es schon an sich unwahrscheinlich, so dann sei hier abweichend von der
gewohnten Verbindung gebraucht, so widerspricht dieser deutung der zusammenhai
und die frühere fassung (kräuselnd und säuselnd) erweist, dass au eine auf-
einanderfolge zu denken ist. — Auffallend hat Burdach übersehen, dass (i!. I
„"Wisst ihr, wie Sehehab- eddin u am anfange eine silbe zuwenig hat. und was ich in
den text aufgenommen, "Wisset zu schreiben ist. Die sache litt gar keinen zweifei;
die quelle des Versehens lernen wir erst jezt kennen. Ursprünglich stand AVüsstet;
Goethe zog später das unbedingte Wisst vor, und schrieb es darüber, ohne zu
beachten, dass der vers den trochäus "Wisset fordert. — An 82, 7 nahm GötÜing
anstoss und vermutete um statt 'mm, das («oethe beibehielt. Und doch kann man
kaum sich herumsehen sagen, wenn man es nicht etwa erklärt sich herum-
drehend sehen. Einfacher wäre es jedenfals und auch bezeichnender, wenn man
dreht statt sieht läse. — Billigen können wir es nicht, da- -7 'las offenbar von
Goethe verlesene Sedschan statt Sedschaa beibehalten worden. Wenn daselbst das
An in der Überschrift in der ausgäbe lezter band aufgefallen ist, so können wir dies
nur für ein versehen halten, da eine bestirnte persOn angeredet ist; freilich ist der
zusatz „und seines gleichen " in der Überschrift etwas sonderbar, wenn auch die
beziehung auf alle am kriege gegen Napoleon persönlich teilnehmenden forsten nicht
zu verkennen ist. Auch die beibehaltnng von Tulbend statt des richtigen Bul-
ben d (s. 155) scheint mir nicht gerechtfertigt. Wäre Goethe darauf hingewiesen wor-
den, er würde kaum die Verbesserung abgelehnt haben. Der name Ferdusi (s. 80)
330 IU'NTZEK
solte Firdusi lauten, wie ihn Goethe in den noton und abhandlungen schrieb.
Im register war nach den gedienten Ferdusi geschrieben, aber auch Firdusi ange-
führt mit Verweisung auf Ferdusi. Verfehlt scheint es mir. dass die Weimarische
ausgäbe auch in den noten ohne weiteres die form Ferdusi eingeführt hat, statt
die umgekehrte änderung vorzunehmen. — 95, 17 ist ruhig' statt ruhig, geschrie-
ben, aber s. ach das adverbium ruhig, das uns einzig richtig scheint, für mög-
lich erklärt — 113, 1 schi fche erst beim drucke kräftgen ein, ohne zu beden-
ken, dass es den vers zu lang macht: vielleicht solte man das durch den sinn nicht
lerte beiwort den lesarten vorbehalten. — s. 132 werden von Burdach die bei-
den ersten les Spruches ..Die Hut der leidenschaft" in anführungszeichen
. mit der bemerkung, diese selten nur deutlicher bezeichnen, was der nach-
folgende gedankenstrich ausdrücke. Aber der gedankenstrich wird, wie wir sahen,
im „Divan" gar verschieden verwendet. Und hier fehlt der gedankenstrich beim
. drucke (im „Morgenblatte"); beim zweiten steht der sprach unter mehreren
anderen, von denen keiner einen gedankenstrich hat, obgleich in einem (in den versen
„Du hasi gar vielen nicht gedankt11) rede und gegenrede sich finden und die erste
auch von Burdach mit anführungszeichen versehen ist, die sich im „Buch der
spräche", dem unsei rse angehören, schon in der ersten ausgäbe dreimal linden,
wegegen kein gedankenstrich vorkomt. Ist demnach die äussere berechtigung, den
_ dankenstrich in anführungszeichen umzusetzen, sehr bedenklich, so kann hier auch
dem inhalt nach nicht an rede und gegenrede gedacht werden. Burdach meint, der in
den beiden ersten versen behaupteten vergeblichkeit der leidenschaft hielten die bei-
den lezten die poesie als einen gewinn entgegen. Wirklich besagt der Spruch, die
leidenschaft der liebe bestürme das herz, richte es aber nicht zu gründe, vielmehr
trag - m dichterische perlen ein. Er ist eine weitere ausführung des fünften:
„Das meer Hütet immer, | Das land behält es nimmer/" Auch können wir es nicht
billigen, dass vorher (s. 126) der sprach ..Dunkel ist die nacht" als ein citat auf-
gefaßt wird, wie er schon in der haudschrift und dem ersten drucke durch anfüh-
ru' hen am anfang und ende bezeichnet wird. Die taschenausgabe sezte das
zweite anführungszeichen nach dem ersten verse. Freilich billigte Goethe auf Gött-
lings Vorschlag die Herstellung der ursprünglichen lesart für die oktavausgabe; aber,
wii glauben, gegen den eigentlichen sinn des Spruches, da die frage nicht auf eine
: . äondern auf eine fremde äusserung sich beziehen muss. Die änderung in der
thenausgabe i-t doch kaum ohne Goethes Zustimmung erfolgt; entschied er sich
iter augenblicklich anders, so haben wir hier eben nur zwei sich widersprechende
entscheidungen, von denen man kaum die zweite ohne weiteres wird vorziehen dür-
fen, m „Buch der spräche" haben wir bloss eine abschritt Kräuters, die, wie
Burdach _ - b.t, „auf sicherlich nicht oder ganz nachlässig interpungierten con-
i Goethes beruht", so dass sie für die satzzeichnung weniger massgebend ist,
auch bei der druckhandschrift zu gründe gelegt wurde. — Mehrfach legt
Burdach auf den rhythmus ein gewicht, das wir ihm nicht zuschreiben können. So
-. 139, 11, wo überliefert ist: „Ahndeten schon Bulbuls Lieben, | Seele-
regenden s • - . .n haupttonigea substantivum verlangen, also das hier vermutete
..lieben. | 6eeleregenden . la g" -n. Aber warum solte nicht ein vers-
schnitt zwischen li und seel - öden jesang gestattet sein, wie II, 28,
140 zwischen unsern milden und himmelreinen lustgefilden? Das über-
liefert den gesang klingt ungemein hart. Die liebe Bul-
buls brauchte nicht hervorgehoben zu werden, da ihr gesang als liebeserklärung
ÜBER GOETHES WERKE (WEIM. ACSGABK) 331
gedacht wird, wogegen der holde reiz ihrer stimme Geben ihrer Wirkung des gesanges
auf die seele glücklich hervortritt 18G, 2 soll Der sonne bald, dem kaiser
richtiger sein als Der sonne, bald dem kaiser, hier „der dipodische rhythmus
eäsur (?) nach bald fordern", obgleich der abschnitt nach sonne viel kräftigerwirkt;
ja wenn bald mit sonn-' verbunden wird, so vermisst man ein Bolches bei kaiser,
wogegen im andern falle das einmalige bald volkommen genügt. Sonderbar linde
ich es auch., dass im verse: „Ists möglich, dass ich Liebchen dich kosel" (s. 1 18), die
worte di^h liebchen, weil die kommata fehlen, nicht als anrede, sondern als
„apposition mit invertierter weil Mg. ■ •• gefasst werden seilen. V"on einer verantre-
tenden apposition habe ich keine vorstellui
So würde ich noch manchen Widerspruch erheben können, käme es auf alle
einzelheiten an. Aber im ganzen ist die ausgäbe mit frischem, freiem geiste, gründ-
licher kentnis und kritischer Schulung, bo wie mit Lebendigem eifei gearbeitet, kann
sie auch nicht als eine durchaus reife frucht gelten, wie man sie von der Weima-
rischen ausgäbe fordern muste. Hätte der herausgeber sie nach Vollendung der hand-
schrift noch ein jähr liegen lassen und sie dann von neuem durchsehen können,
würde er manches geändert haben. Aber der reiche kritische stoff ist so übersicht-
lich verwertet, dass man daraus eine lebendige einsieht gewint. Der nachlass hie-
tet nur zwei bisher ungedruckte kleine gediente und gibt die bereits von Rie-
mer mitgeteilten genauer. Neu sind auch anderthalb im liedc „ Widerfinden "
unterdrückte Strophen; dass hier eine strophe weggelassen sei. wüsten wir längst aus
Boisserees bericht. Die „Päralipomena" beginnen mit vier ^Übersetzungen und nach-
dichtungenu, unter denen die der ersten Moallakat von 1783 ist, die übrigen gehören
dem jähre 1814 an; nur von einem ist die quelle bisher nicht entdeckt. An zweiter
stelle folgen „Entwürfe zu Divangedichten." Unglücklich ist bei 5 die Ver-
mutung, Mobed sei für Moses verschrieben; die herstellung Mob e de ergibt sich
ganz unzweifelhaft, wie gleich darauf Grau Nord, wo Burdach das falsche < 'ran
mit einem fragezeichen begleitet. In 7, 6 ist IE.... als Heiland, Seh... als
Schein zu ergänzen, 9d bedeuten statt bedarfe zu lesen. Die verse am ende
von 9 gehören Riemer.
Eine meisterhafte leistung bietet der siebente band, der von dem längst bewähr-
ten Bernhard Scuffert die noten und abhandlungen in der von Göttling
angebahnten, aber erst jezt fest durchgeführten Schreibung und satzzeichnung, darauf
den aufsatz Moses von 1707 (vgl. meinen aufsatz in Eerrigs „Archiv" VI) nel
den Vorstudien und dem entwürfe dazu bringt, von Karl Wilhelm «las Verzeichnis
der „vorarbeiten und materialien zum Divan." Die bestimmung der redaktoren, da
die noten als besonderer band vom Divan getrent sind, widerspricht freilich der
absieht des dichters, den es schwer ärgerte, als Cotta sich veranlasst fand, aus dem
von ihm angekündigten fünften bände zwei zu machen. Seuffert behalt sogar Goeth
offenbare versehen bei. obgleich dieser, darauf hingewiesen, deren Verbesserung
angeordnet haben würde. Dass das richtige Firdusi, um die abweichung vom Di-
van zu vermeiden, zu Ferdusi geworden, obgleich die umgekehrte Veränderung
sich empfahl, ist bereits bemerkt; darnach fiel im register der artikel Firdusi aus.
Die schwierigste und bedeutendste arbeit, die herausgäbe des ganzen Faust,
hat Scherers geistreicher schüler Erich Schmidt ausgeführt. Es ist ein werk
grossen fleisses und ungeheurer mühe, das eine neue grundlage der forschung bildet;
aber keineswegs nach fest durchgeführten grundsätzen sauber gearbeitet, sondern mit
rascher entschiedenheit vorschnell bewältigt, was nicht zu verwundern ist bei einem
332 DÜNTZER
so lebhaften und von verschiedenen Seiten in ansprach genommenen gelehrten,
der freilich mit Faust sich viel beschäftigt hat, aber ohne sich völlig in die dich-
tung selbst und deren erklärung eingelebt zu haben. Für den ersten teil hatte er
eine neue, besonders für die entstehungsgeschichte höchst wichtige quelle in der
abschritt der hofdame von Göchhausen entdeckt. Dass seine ausgäbe dieser „ursprüng-
lichen gestalt" übereilt gewesen, hat er seihst in der „zweiten aufläge" eingestan-
den, aus welcher dann am Schlüsse von band XV- einige lesarten nachgetragen oder
berichtigt werden. Aber nicht zurückgenommen ist die behauptung, die abschrift
enthalte ..den ursprünglichen fragmentarischen Faust, wie ihn Goethe nach Weimar
mitbrachte." In der „Gegenwart" XXX 111. 1(3(3 fgg. habe ich erwiesen, dass der
hhausen die abschritt des bruchstückes in 'der handschriftlichen samlung von
angedruckten werken vorlag, welche der dichter im Oktober 1782 der her-
ein-mutter verehrt hatte, zu welcher diejenige benuzt worden, nach welcher
„Faust" in die von Weihnachten 1781 bis mitte Januar 1782 der trau von Stein
-•henkte samlung aufgenommen worden war. Der von Goethe verwante abschrei-
ber wird nur zum teil die urhaudschrift in bänden gehabt, manches in des dichters
•iier abschrift ihm vorgelegen haben. Den unzweifelhaften beweis, dass die
abschrift der Göchhausen nicht die ganz unveränderte gestalt der urhaudschrift
be, liefert das lied vom könig iu Thule. Schon von anderer seite ist auf die
abweichung der Göchhausenschen fassung von dem abdrucke der bailade bei Secken-
dorff und die Übereinstimmung mit dem „fragment" bemerkt worden. Wenn Secken-
dorff im jähre 1782 zu der in musik gesezten ballade bemerkte, „Aus Goethens
1'. Faust", so kann Goethe ihm diese nur nach der Fausthandschrift gegeben haben.
Wir müßten demnach in der Göchhausenschen handschrift dieselbe fassung widerfin-
finden, gäbe diese den ursprünglichen „Faust" wörtlich wider. Die ausflucht, Goethe
habe au der ballade geändert, ehe er sie Seckendorff mitteilte, wird dadurch abge-
ritten. dass die- lassung in der Göchhausenschen abschrift offenbar eine verbes-
serun_ ballade gegen die Seekendorffische ist, nicht umgekehrt. Ehe Goethe den
„Faust" für die Stein abschreiben licss, änderte er den schluss, wie er gewöhnlich
bei der abschrift seiner idtern gedichte Veränderungen vornahm. Diese Veränderung
aber kann er nicht schon im jähre 177(3 vorgenommen haben, in welches Schmidt
hrift der Göolmauscn setzen möchte, da er Seckendorff die ballade erst
ende I77sj oder anfangs 177!). wo er mit diesem vertrauter wurde, gegeben haben
dürfte. Das erste lieft von Seckendorffs „Volks- und andere lieder", welches seine
ballade „Der Fischer1" brachte, erschien im frühjahr 1779; zugleich mit diesem hatte
ethe ihm höchst wahrscheinlich den „König in Thule " gegeben, der aber erst im
dritten, 1782 erschienenen hefte erschien (die Überschrift Seckendorffs „Der könig
von Thule" gehört wol diesem an), wogegen Seckendorffs melodie des liedes „An
den mond" gar nicht gedruckt wurde. Ist die Göchhausensche abschrift nicht
unmittelbar aus der Urschrift, sondern aus der 1781 von Goethe veranstalteten gcilos-
konte der dichter nicht bloss kleinigkeiten geändert, sondern auch einzelnes
re aufgenommen halten. [Auf Schmidts neuerdings erhobenen Widerspruch komme
ich nie - bei anderer gelcgenheit eingehend zu sprechen. Späterer zusatz.]
Die lesarten beginnen mit den drucken, von denen wir ausreichende künde
erhalten. Die im „Morgenblatt- gedruckten scenen konten übergangen, am wenigsten
durften sie der ausgäbe selbst vorangesteU werden, deren druck dabei zu gründe lag.
Den vom herausgeber des -Morgenblattes-, wie bei jeder nummer, vorgesezten mottos
wird eine irreführende ehre zu teil, wenn sie, als ob der dichter dabei irgend betei-
ÜBEB GOETHES WERKE (WKIM. AUSGABE) 333
ligt wäre, mitgeteilt werden. „Das motto ist bedeutsam gewählt", heissl es s. 257 und
258 und ähnlich s. 281. Ja freilich, aber nicht von Goethe, sondern von Hang!
Die beiden einzelansgaben des „Faust" waren zn übergehen, wie es mit recht bei
den späteren geschehen, da Bie nur abdrücke aus den werken sind. Schmidts bebaup-
tung s. 251, in Ea habe der dichter die Fassung revidiert und diese sei in der aus-
gäbe der werke widerholt, verdreht den tatbestand; denn wenn auch die bände von
dem den „ Faust " enthaltenden nennten an erst ostern 1 S 1 7 au "'ii wurden.
gedruckt war „Faust" darin schon 1816 und nach diesem drucke wurde die einzel-
ausgabe gemacht I>as.^ es von III auch einen durch viele eigentumliche druckfehler
entstelten abdruck gebe, hat erst Schmidt festgestelt; doch muste er hervorheben,
dass auch die ursprüngliche ausgäbe von III nicht bloss in der satzzeichnung, son-
dern auch in den worten (wie 2921. 3457. 3890) starke druckfehler zeigt, so dass
ihre lesart. nur da ins gewicht fält, wo sie eine offenbare Verbesserung ist. Bei
der oktavausgabe lezter hand hätte wol bemerkt werden sollen, dass die Verbesse-
rungen gegen die taschenausgabe unbedeutend sind. Der einzeldruck von 1S30 ver-
diente keine erwähnung. Über die wenigen handschriftlichen roste von Goethes eigner
hand oder mit dessen Verbesserungen wird auf die betreffenden stellen verwiesen; eine
vorläufige Übersicht und nähere bestimmung wäre wol an der stelle gewesen.
Wenden wir uns zur gestaltung des textes, so ist die Schreibung meist folge-
richtig durchgeführt, aber in der satzzeichnung noch manches ungehörige beibehal-
ten zum nachteil des leichten Verständnisses; auch keine volle gleichmässigkeit ist
erreicht. Einzelnes dieser art ist schon oben augegeben; anderes möge hier hervor-
gehoben werden. Bei der anrede fehlt vielfach das diese vom satze trennende komma.
Freilich ist dieses nicht an der stelle, wo du oder ihr Subjekt ist, an welches sich
unmittelbar eine weitere anrede ohne besondere betonung anschliesst. Aber bei „Nein,
horr!" (296), -Agathe, fort!" (876) darf das scheidende komma nicht fehlen. Rich-
tig ist 842 geschrieben „Herr bruder, nein!", wozu „Herr bruder komm!" (829)
nicht stiint. Mindestens ein komma ist erforderlich, wo sätze in selbständiger bezie-
hung neben einander treten. Wenn es 161 fg. heisst: „Zufällig naht man sich, man
fühlt, man bleibt, | Und nach und nach wird man verflochten", so ist das freilich
in den ausgaben fehlende komma durchaus nötig, da die folge angeknüpft wird, wes-
halb man denn auch beim vortrage eine längere pause macht als vor dem zweiten
und dritten mau. Viel weniger nötig wäre das komma 140 nach „der aus dem
busen dringt", da das sich unmittelbar anschliessende „Und in sein herz die weit
zurücke schlingt" notwendige ergänzung bildet. Dass Goethe selbst an den vom
ersten druck hereingebrachten unnötigen, nähere bestimmungen absondernden, den
satz zerhackenden kommas so starken anstoss nahm, da^s er vor allem die entfer-
nung derselben wünschte, wurde schon bemerkt; aber leider haben in der Weima-
rischen ausgäbe des „ Faust" noch viele ihr leben gefristet. Wenn man zweifeln
kann, ob diese 32S bei „in seinem dunklen dränge" mit recht weggelassen sind,
jedenfals stören sie, um nur wenige stellen anzuführen, 560 („bei meinem kritischen
bestreben"), .735 („mit ganzer seele"), 747 („um grabes nacht"), 798 („Aus der Ver-
wesung schooss"), 878 („in Sanct Andreas nacht"), 1105 (..Von buch zu buch").
343 sind die kommas bei dem so bedeutsam hervorgehobenen ..als teufel" weggelas-
sen, 620 bei „schaffend" geblieben, während sie wieder 147 bei „Belebend" gestri-
chen wurden. Es würde zu grossen räum in ansprach nehmen, weiten wir auf das
sonstige so grundsatzlose schwanken eingehen. Beispielsweise erwähnen wir, dass
nach Verzeih 275, Verzeiht 2001 komma, 522. 570 uach Verzeiht ausrufungs-
334 IUNTZF.R
zeichen steht Nach dem einleitenden „Jezt ohne schimpf und ohne spass" (2653)
findet sich noch, als ob es ein voller satz wäre, pnnkt, ohne erwähnung des in der
äten ansgabe stehenden doppelpunktes, wie denn die angäbe der abweichnngen
nichts weniger als volständig oder nach festen grundsätzen ausgewählt ist. Der dop-
pelpunkt solte hier das folgende einführen; doch hat man dafür später wol richtiger
ausrorongszeichen oder komma gesezt, ähnlich wie „mit verlaub von cw. gnaden"
-7 von kommas eingeschlossen ist. Wen mnss es nicht befremden, dass gleich nach
Raphaels: „Ihr anblick gibt den engein starke, | Wenn keiner sie ergründen mag"
(247 g im chorgesange der drei erzengel heisst: „Der anblick gibt den engein
starke | Da keiner dich ergründen magu, also hier, obgleich da begründend steht,
it dem ersten drucke aus blossem versehen fehlende komma nach stärke ver-
misst wird. Wir unterlassen es auf die vielen fälle einzugehen, wo komma statt
punkt oder ausrufnngszeichen steht, wie 463 (hier werden wir belehrt, der rasche
lauf der rede erlaube das auf blossem versehen von II beruhende, den ausdruck
abschwächende komma!) oder statt Semikolon oder kolon; wo punkt oder ausrufungs-
ichen vor einem gedankenstriche fehlt, wie 132; wo der doppelte gedankenstrich
et, wie 472 (nach haupt), oder andere fehler gegen eine verständige Batzzeich-
nung sich finden. < >ft kommt die rede vor lauter die Sätze trennenden kommas nicht
zur ruhe und die beziehuhg derselben zu einander geht ganz verloren. In dem bau-
emliede muss nach ^~(j komma gesezt werden, wie es sich 069 findet; denn die
frainvers si hon ausserhalb der rede. Muster falscher satzzeichnung sind „0 tod!
ich kenn's — das ist mein famulus — " (518), „Trauben trägt der weinstock! (,),
Eörner der Ziegenbock; (.)" (2284 Ig.), die freilich Schmidt nicht erfunden, aber beibe-
halten. Hätte er sich überzeugt, wie jämmerlich es mit der entstehung der satzzeichnung
in der an lezter hand sich verhält, und den grundsatz befolgt, dass diese den
Vortrag erleichtern soll, auch hier als gesetz gelten muss: „Schreibe, wie dusprichst",
würde seine ausgäbe nicht in dieser beziehnng weit hinter andern zurückstehen.
Auch in der wortkritik bietet sie manche mängel. Der schlimste flecken ist
die beibehaltung des unsinnigen Leid statt Lied (21), in dessen Verteidigung er
leider Vorgänger gehabt Achtel man streng auf den Zusammenhang, was freilich
weit - ' c bei kritikern und erklärern der fall ist, als man glauben solte, so kann in
se nur von der dichtung des „Faust" die rede sein, aber diese hier mein
leid zu nennen wäre eine albcrnheit. Was Schmidt äusserlich gegen diese verbes-
irbringt, will nichts sagen. Dass Riemer mit ihr „bei lebzeiten des dichters
nicht durchgedrungen", ist nicht richtig. Wie Goethe so manche selbstgemachte
vei ei den neuen ausgaben vergessen hatte, so auch hier die ISO!) von
Riemer gemachte. Hat ja Schmidt selbst 2348 Riemers Dich statt Doch aufgenom-
men, obgleich sich das versehen grade ebenso lange in den ausgaben fortgepflanzt hat,
ebenso lange als das lächerliche sang statt sank in der ballade „Das veilchen."
Eine anzahl anderer versehen habe ich in den „Grenzboten" s. 90 besprochen. Wir
fügen hier einige hinzu. 279 ist Sonn- statt Sonn' eine schlimbesserung, da im
prolog nur von einer sonne die rede ist; wogegen 238 „An tier und. vögeln" wol
ti< - jotte. öll lesen wir jezl h'raus, wie ursprünglich stand; alter Goethe
li. ;hen formen das li weg. wie wir im Divan 'mm lesen, und so
ha*- Schmidt kein recht das überliel raus zu verdrängen. 2174 ist Lasst
wol nur druckfehler der zweiten ausgäbe statt des passenden Lass. 2385 fordert der
. lange igt aus; dem vorigen hereingekommen, wo das e metrisch
zählt. - 226, 29 n. nach den grundsätzen der ausgäbe Ein statt ein heissen;
ÜBER r.OF.TIIF.S WKKKN (WF.IM. AUSGABE) 335
Von tiefer liegenden schaden, deren herstellung die Weiinarische ausgäbe ausschliesst,
wollen wir gar nicht reden, selbst Glutstrora statt Flutstrom 008 nur anzudeu-
ten wäre für sie zu viel. Unter den Lesarten werden nur wenige, und dazn Behr
schwache, abgewiesen; man sieht gar nicht, woher diese zu der «'luv kommen.
43:}(.» wird Fideler einer aus blossem übersehen der überlieferten Lesart entstandenen
Vermutung zu liebe Qottweg als Fiedler erklärt, obgleich Goethe das worl nicht
dreisilbig sprach und er Fiedel, nie Fidel Bchrieb, auch Fideler mit betonung
der zweiten silbe dem Zusammenhang entspricht.
Der wert dieser Weimarischen ausgäbe liegt fast einzig in den Paralipo-
mena, die volständiger und genauer als bisher mitgeteilt wei'den, unter ihnen auch
„excerpte" zur Walpurgisnacht, von denen freilich hätte bemerkt werden sollen.
dass sie ende L799 fallen. Die ausgeführten stellen gehören zum Vorspiel auf dem
theater, zur vertragsscene, zum grossen disputationsaktus, zur abfahrt und zur rei
das meiste zum blocksberg und dem Intermezzo. Der zeit nach reichen sie \<>u 177."» bis
zum jähre L809, in welches die „Blocksbergskandidaten" überschriebenen xenien fallen.
Manches wäre hier näher zu bestimmen und zu deuten. So geht die xenie „"Wegen
papierner Hügel bekant" s. 303 auf den „genius der zeit" von Friedrich von Hen-
nings, wie auch das unmittelbar folgende, das dessen ßlusageten tritt; die gräfin
s. 304 auf die Krüdener. Nr. 35 kann unmöglich auf den irwisch sich beziehen; wie
in den „zahmen xenien" tritt Goethe hier die kritiker, die ohne seihst etwas schaffen
zu können die dichter angreifen (kiken), wie das auch die beigefügten werte
„jetzigen unfug in Deutschland"" andeuten. Nr. 36. 37 sind irrig auf den blocksbi
bezogen; sie waren wol ursprünglich zum proleg im himmel bestimmt, zur stelle, wo
jezt 280 fgg. stehen.
Wir gehen zum zweiten teile des „Faust" über. T)ie volständige handschrift
desselben findet sich, wie wir zu unserm tröste lesen, im Goethearchiv; denn nach
dem ven uns in dieser Zeitschrift XV. 450fg. mitgeteilten merkwürdigen briefeEcker-
manns muste man glauben, diese sei zum drucke verwant werden und nicht wider
zurückgekehrt, und so verlautete auch anfangs, eine handschrift des ganzen zweiten
teiles habe sich im Goethearchiv nicht gefunden. Per dritte akt ist von Schuchardl
geschrieben und dieselbe handsehrift, nach welcher die „Helena" gedruckt wurde,
wogegen beim ersten drucke des anfangs des ersten aktes eine abschritt zu gründe
lag; akt 1. 2. 4. 5 hat der Schreiber John mit seine]- bekanten nachlässigkeit geliefert.
Freilich hat Goethe die handschrift mehrfach durchgesehen und manche fehler, auch
satzzeichnung und rechtschreibung, zuweilen verbessert, aber anderes fehlerhafte
übersehen, wie es bei raschem lesen und der vorschwebenden richtigen Fassung nicht
anders möglich war. Einzelnes seheint auch seine Schwiegertochter Ottilie, die allein
die ganze handschrift las, berichtigt zu haben. Wenn in den Schriften, deren druck-
bogen er selbst, zum teil mit hülfe anderer, meist mehrmal, bei gelegenheit der nach
längerem Zeitraum aufeinanderfolgenden ausgaben, durchsah, manches geändert wurde,
ja die handschrift, schon ehe sie in den druck gieng, von Riemer genau durchgenom-
men und über auffallendes verhandelt wurde, so ist diese woltat nur dem als fort-
setzuug des ersten teiles erschienenen anfang und der. „Helena" zu teil geworden, so
dass der bei seinem tode noch ungedruckte umfangreichere teil der dichtung in dieser
beziehung viel ungünstiger gestelt ist. Dennoch hält der herausgeber (s. 8) auch die-
sem gegenüber „ein streng konservatives verfahren geboten, das lediglich erkante [das
soll heissen in die augen springende] fehler ausbessert, der interpunktion nur nach-
hilft, wo dem Verständnis Schwierigkeiten drohen oder der algemeine brauch Goethes
336 Pi'XTZER
widerspricht, allein das normiert, was unbedingt normiert worden muss, und in die
auch für C 12 und C 4 [die ersten drucke dos anfangs und der „Helena"] einiger-
massen geltende regellosigkeit der verkürzten und unverkürzten formen" (verwor-
renen — verworrnen, Beiigen — sei "gen) bloss da eingreift, wo eine eigon-
händige handschrift, besonders eine zweifellose vorläge (auch von John selbst) zeigt,
dass wir den Schreiber, nicht den dichter korrigieren." Wir sollen also dem blin-
den zufall anheimgegeben sein; die kritik soll sich der ihr obliegenden pflicht entziehen.
nach der absieht des dichtere bei Störungen des verses zu fragen und, wo keine
■he möglich scheint, helfend einzugreifen; sie soll sieh dem köhlerglauben hingeben,
die n gkeit sei grondsatz! Also die heim ersten teile des „Faust" und auch sonst,
wie ich bewiesen habe, deutlich vorliegende ausstossung der metrisch
nden i und e soll hier absichtlich verlezt sein; der dichter soll gar kein
uhl für den vers gehabt haben, obwol die mehrfach vorkommend m ausstossungen
zeigen, dass er, was freilich an sich niemand bezweifeln wird, diese so höchst wich-
tige freiheit der dichterischen spräche auch noch in seinem höchsten alter grundsätz-
lich anerkant hat! Eine ihres Zweckes sich bewuste kritik muss der nachlässigkeit
schreibenden, sowol des dichtors selbst wie eines das diktierte oder eine vorläge
wi . nden dritten, abhelfen. Vergleichen wir die jezt aus der handschriffc mit-
teilten ersten 265verse der „Helena" vom jähre 1800 mit der späteren handschrift,
so finden wir dort regelmässig die ausstossung angewant, während in unserer jetzigen
Überlieferung die des i überall, nur zuweilen die des e verlezt ist (8491. 3. 8511.
46. 50. 72. 74. 80. 8641. 71. 92. 8777), wobei schöpferisch neben krieg-
rischen, gebietrisch,, gebiet'rin steht. In der altern handschrift fanden sich
nur glühende wölken (8651) und heftiger (8760), wo die anapäste absichtlich
eintreten, wogegen beistehen (8662) ein später verbesserter Schreibfehler ist. Die
ehre des dichtere, dessen metrisches gefühl keineswegs so abgestumpft war, dass er
die algemein erlaubten ausstossungen sich nicht des verses wegen gestattet hätte,
fordert entschieden, dass wir nicht die nachlässigkeit des schreibenden fortpflanzen,
nicht bloss da abstellen, wo eine handschrift zufällig davon frei ist. Leider hat
die Weimarische ausgäbe durch dieses bequeme, aber unkritische verfahren, statt die
Überlieferung zu reinigen, die bunteste entstellung, ein erzeugnis unwilkürlicher nach-
lässigkeit, fortgepflanzt. Li der ,, Helena'1 werden die Schreibfehler vom herausgeber
dadurch gedeckt, dass der dichter später mehr anapäste habe hereinbringen wollen,
was. wie es als algemeiner grundsatz unwahrscheinlich ist, durch die unterlassenen
ausstossungen des an die volständigen formen gewöhnten Schreibers nichts weniger
erwiesen werden kann. Die sogenanten gleitenden Alexandriner sollen gar als
..metrische eigentümlichkeiten des Goethischen alters" gelten, und doch finden sie
b nur in drei reimen auf — igen (10905 l'^. 73 fg. 11017 fg.), und diese abscheu-
lichen Schlüsse des Alexandriners auf einen daktylus (denn an einen siebenfüssigen
männlich auslautenden vers zu denken hindert der streng eingehaltene Wechsel von
männlichen und weiblichen Alexandrinern) beseitigen sich alle durch ausstossung des
i. die um so weniger auffallen kann, als sich selbst in der Iphigenie entschuld'-
gung, im maskenzug von 1818 enfschuld'gend, huld'gend, anzukünd'gen,
finden, in der handschrift des „Divan" rein'gen, pein'gen. Ja, wären die Ver-
teidiger dos unmetrischen i zur einsieht zu bringen, so müste gerade jene Alexan-
drinerecene sie heilen, in der sich nirgends ein anapäst findet als da, wo er durch
ausstossung des i (10861. 80. 10926. 32. 55. 71, 80. 11010. 25. 28. 34) und e
(10 l mtfernt wird, zum sichern beweise, dass Goethe von diesen absichlich cere-
ÜBER GOETHES WERKE (WEIM. AUSGABE) 337
moniös steif gehaltenen versen den anapäst ausgeschlossen hat. Doch was sagen wir?
Selbst abweichende „formen wie wandlet, dauren, die in C [der ausgäbe Lezter
band] überhaupt wol sehr zusammengestrichen, aber doch [aus nachlässigkeit] nichi
ganz ausgetrieben sind", werden unter diesem Schilde verteidigt; die „normen der
gesamten ausgäbe" gestatten dafür ausnahmen! So weit führt das „streng konserva-
tive verfahren" irre.
Ausser der haupthandschrift, die mit ausnähme der „Helena" in die jähre
1830 und 1831 fallen wird, finden sich frühere reinschriften grösserer teile, aus
deren vergleichung sich fehler der haupthandschrift ergeben; aber diese teilhand-
S'-hriften erstrecken sich nicht über das ganze gedieht, und auch >ie leiden durch
naehlässigkeit des Schreibers. Von Goethes ursprünglichen entwürfen kürzerer stel-
len (denn an einem tage dichtete er selten mehr als eine druckseite) haben sich
manche erhalten, viele sind in alle weit geflogen oder untergegangen. Pflicht des
herausgebers wäre es gewesen, gleich am anfange eine volständige Übersicht dieser
ursprünglichen entwürfe zu geben und in gleicher weise die einzelnen abschriften
so zu ordnen, dass leicht zu überschauen wäre, in welchen handschriften die ein-
zelnen stücke sich vorfinden. Die von ihm gewählte art, bei jedem akte die hand-
schriften nummeriert aufzuzählen, empfiehlt sich scheinbar; aber sie hat den nach-
tcil, dass die handschriften früherer akte, welche teile der spätem enthalten, nicht
genant sind, wie z. b. beim zweiten von denen des ersten die dort mit 13, 56 und i
bezeichneten fehlen. Überhaupt ist die aufführung der handschriften nicht über-
sichtlich, was erreicht worden wäre, wenn gleich am anfang nach den entwür-
fen die handschriften einzelner stücke, dami mehrerer vereinigter, darauf rein-
schriften grösserer teile und zulezt die haupthandschrift mit einfacher bezeichnung auf-
geführt wären; während jezt bei den einzelnen akten die handschriften so geordnet
sind, dass der vers, mit dem sie beginnen, die folge bestirnt. So gleichen denn die
umfangreichen lesarten einem undurchdringlichen urwalde, da man durch das mas-
senhafte — abgesehen von dem durch seine knappe kürze oft hinderlichen ausdruck
und zahlreichen druckfehlern in zahlen — beim mangel entsprechender absätze uud
dem geschwirre zahlreicher handschriften, deren bezeichnung sich schwer einprägt,
fast erdrückt wird.
Sehen wir zunächst, was, dank der handschriftlichen grandlage, der Wortlaut
gewonnen hat, so gibt Schmidt nach 10523 aus einer altern, 10475 bis 1054G ent-
haltenden handschrift Goethes den zufällig bisher fehlenden vers: „Er ist behend,
reisst alles mit sich fort'*, wodurch der vorhergehende den fehlenden reim gewiut,
auch Fausts rede glücklich erweitert wird, so dass sie der folgenden 10541 fg. äusser-
lich entspricht. Schmidt sieht mit recht in dem ausfall ein blosses versehen. An
manchen stellen hat er die von Eckermann vorgenommenen, in allen ausgaben seit
1832 sich findenden änderungen rückgängig gemacht. 5592 hat die handschrift:
„Kleinode schnipt er wie in träum", wo Eckermann mit recht im einsezte. Schmidt
betrachtet in als veschrieben für das in altern handschriften undeutlich geschriebene
ein, worin er einen „schönen sinn" findet. Ein vergleich des kleinode schnippen-
den knaben mit einem träume scheint mir abgeschmackt; „wie im träum" deutet
auf die der Wirklichkeit spottenden traumgebilde , nach der bekanten redeweise „wie
im träume sein." 6384 lesen wir jezt bequem lichstens, 6488 reichlichstens,
nach dem Goethe wol durch den aufenthalt in Böhmen und den verkehr mit Öster-
reichern zugekommenen mundartlichen gebrauche. Eckermann hatte diesen an der
erstem stelle glücklich durch bequem lieh sich, an der andern durch vollen
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXTII. 22
338 PÜNTZER
Stroms beseitigt. Goethe würde wol diese ändorungen kaum beanstandet haben,
aber freilieh müssen wir jezt der Überlieferung folgen. Ähnlieh ist 6847 jezt die
handschriftliche Lesart „Doch künftig höhern. höhern Ursprung haben" hergestelt.
wofür man seit 1832 reinem, höhern las. Schmidt verweist dagegeu mit recht
auf 6856: ..Die Überzeugung wahrer, wahrer41, wo mau die widerholung nicht ange-
tastet hat. c in einer handschrift das undeuthch geschriebene Strand
rkennen, in einer andern, die erster entwarf seheint, findet sieh ein abgekürztes
Stnd. Deshalb betrachtet er Stand der hanpthandschrift als Schreibfehler und sezt
Strand, wie ich schon längst vor den von ihm angeführten gelehrten einmal ver-
mal Aber der feste Stand seheint mir jezt bezeichnender, und wahrscheinlich
erklärte sieh auch Goethe schliesslich dafür, wenn er auch ursprünglich, in dem
bilde bleibend. Strand geschrieben hatte. 7109 hat Eckermann richtig in freier
statt zur freien) jubelnaeht geschrieben, was Schmidt ablehnt. 7152 heisst es:
„Wer sind die vögel in den ästen | Des pappelstromes hingewiegt?" Andere
haudschriften hatten Der Peneus päppeln oder Peneuspappeln, woraus Ecker-
mann trotz Goethes eigener Verbesserung Der ström es-pappeln machte, da die
äste des pappelstromes nicht ohne anstoss sind und seine änderung der
ursprünglichen fassung näher kam. Goethe würde ihm ohne zweifei zugestimt haben.
Entschieden berechtigt war auch 7545 Eckermanns Kolossal-Karyatide, wogegen
S hmidt das nicht blos metrisch anstössige Kolossale Karyatide herzustellen
wagte. — SS03 stand seit 1832: ..Da du, nun anerkante, nun den alten platz." Ich
habe das ungehörige des doppelten nun längst erkant und neu anerkante geschrie-
ben. Jezt bereu wir, dass früher die anerkante nun stand, Goethe später nun
an er kaut«'! neu verbesserte, aber der abschreibet- aus neu ein zweites nun machte.
imidt meint, gegen meine Vermutung „spreche schon die antikisierende rede-
figur (?) nen den alten." Als ob der gegensatz nicht noch schärfer hervorträte,
wenn das adverbium neu zur anrede gefügt wird! Ja das nun anerkante ist nicht
allein schwach, sondern auch schief, da Helena nicht jezt zuerst, sondern wider
als herrin des hauses durch die Sendung ihres gatten anerkant ist. Ich glaube wirk-
lich, dass Goethe bei der Verbesserung sich irte und von den beiden nun durch
bl< sehen statt des ersten das zweite änderte. — 8945 fg. fand sich: „Und
eingewickelt, zwar getrenten haupts, sogleich | Anständig würdig aber doch bestattet
- hmidt findet die satzzeichnung „mühsam und unklar", auch „störe sie die
gräcisierende konstruktion " : deshalb versezt er das komma nach sogleich, wie es
in einer abschrift sich findet, die er für ein diktat halten möchte. Die rede ist
absichtlich künstlich gestelt. was der Schadenfreude der Phorkyas entspricht. „Einge-
wickelt sogleich anständig würdig" gehört zusammen; die nähern bestimmungen zu
„bestattet sei" sind ineinander geschoben; sogleich hat mit „zwar getrenbn
haupts- nicht das geringste zu tun. Auch die „entwicklung der textesworte" spricht
nicht für Schmidt; denn ursprünglich hatte der dichter nach eingewickelt eine
lue. ..ssen, da aber das zur ergänzung gewählte sogleich dort nicht in den vers
passte, sezte er es an den schluss. — Die schöne stelle 9307 fgg. hat Schmidt völ-
lig misverstanden , wenn er das in der oktavausgabe für nun richtig eingeführte nur
wirft. Wunderbar erklärt er: „Jezt ist allein der Smaragd vor allen steinen wür-
dig dich zu zieren, während die rubinen verscheucht werden", da vielmehr der Sma-
ragd zum schmucke der brüst, perlen für das Ohrgehänge bestirnt werden; von
einem gegensatz zwischen jezt und bisher kann keine rede sein. Aber Schmidt
findet sogar in nur allein einen anstössigen pleonasmus, als ob dieses nicht eine
ÜBER GOETTTF.S WERKE (WF.IM. A.USGABE) 339
durchaus unanstössige Verstärkung wäre, die in unserer dichtung allein zweimal, im
Divan einmal, auch sonst bei Goethe Bich findet. — 10001 führt Schmidt Vogel-
säugen mit recht aus der handschrift ein statt des vielleicht nur auf druckfehler beru-
henden Vogelsingen; früherstand Vogelstimmen. — 100G1 hat Eckermann richtig
Schwungs statt des hier beibehaltenen ungehörigen Schwung. Eben-;.! !<>0S2 au
zupusten statt aus zu pusten; jenes isl recht bezeichnend, wogegen aus. mit
dem vorausgehenden von unten verbunden, sehr überflüssig wäre. — Wenn man
zweifeln kann, ob 1010!» Eckermanns pischts statt des freilich neben zischts auf-
fallenden pissts berechtigt ist, so ist dagegen 10280 „lasst uns wühlen | Den neuen
kaiser, neu das reich beseelen" entschieden vorzuziehen der arg gezwungenen, von
Schmidt angenommenen satzzeichnung, komma bloss nach wählen. Gleichfals empfiehlt
sich 104G9 das von Eckermann eingeführte komma nach erstanden vor dem schlot-
ternden „das gegen uns erstanden | Sich kaiser nent und herr von unsern landen." — Zu
10943 erfahren wir, dass die handschrift mit Eckcrmann hat: „Dann sei bestirnt ver-
gönt zu üben ungestört.- Die skizze lautete: „Sodann sei euch auszuüben ungestört"
Die von Goethe gewühlte fassung scheint uns ein notbehelf, und nicht unmöglich, dass
der dichter sich entschloss, die beiden früher zur auswahl ins äuge gofassten an-
drücke bestirnt und vergönt zusammen aufzunehmen. Wenn Schmidt meint,
bestirnt könne ..ganz wol im sinne von [in] Form rechtens gebraucht sein", so
wäre dies doch sonderbar, wenigstens dem gangbaren Sprachgebrauch nicht gemäss.
Hätte Goethe einen freund über die schwierige fassung zu rate gezogen, so würde
diese wol anders lauten. — 10979 hat der herausgeber die Veränderung des von Ecker-
mann beibehaltenen bangt der handschrift in bangts gewagt, weil in Goethes
eigener handschrift bangs stehe, auch die Wortstellung jezt bedenklich sei, obgleich
in diesen steifen Alexandrinern noch härteres sich findet. Auch 10998 genügt ihm
steter weide nicht; er stelt aus einer altern handschrift fetter her, obgleich kein
grund vorhanden, die möglichkeit zu leugnen, dass der dichter selbst später das auf
dauernde fruchtbarkeit deutende steter vorgezogen: wir glauben, im munde des auf
die zukunft bedachten herschsüchtigen geistlichen mit vollem recht. — 11160 soll
fremden gegen den „guten sinnu sein, obgleich Goethe diesen gebrauch der mehr-
heit von Schatten liebt. Dass in der früheren handschrift gewöhnlich frem-
dem steht, beweist nichts. Derselben handschrift folgt Schmidt auch 11283, ohne
sich durch 11215 bekehren zu lassen. — 11241 behält er die wenig bäume gegen
Eckermanns wenigen bei, obgleich, ein gleicher ausfall der endung der mehrzahl
nach dem bestirnten artikel sich kaum bei Goethe findet; freilich wäre wen'gen
vorzuziehen. — 11255 gibt unsere ausgäbe das handschriftliche „Des algewaltigen
willens kür" aber Eckermanns „Der algewaltigen (richtiger algewalt'gen) willens-
kür (willenskür)-1 scheint mir eine durchaus geforderte Verbesserung, die bezeich-
nung seiner selbst als des algewaltigen (vgl. 11252 „im reichtum fühlend, was uns
fehlt") recht bezeichnend. — 11578 hat Schmidt selbst Eckermanns Hier statt Von
angenommen. Dagegen behält er 11597 das ungehörige „Vorbei und reines Nicht"
(statt „Nichts") bei, 11703 das sinentstellende zwTeiglein beflügelte (statt
zweigleinbe flu gelte, dass so schön bezeichnet, wie die zweiglein der rosen sie
wie flügel frei fliegen lassen !) und 11945 „Uns (statt Und) das hohe werk vollenden",
wo das widerholte uns störend, die anknüpfung durch und ganz an der stelle ist. —
11760 ist freilich in geschwornem (statt im gcscliworuen) streite vorzuziehen;
ob auch 10431 in stetem (statt im steten) sondern, das ist bei ungenügen-
der angäbe der lesarten der altern handschriften nicht zu entscheiden. In dem ähn-
22*
340 DÜNTEER
liehen falle 9076 rieht Schmidt das früher geschriebene im tiefen busen der lesart
der hanpthandschrift in tiefem bnsen vor; aber der zwischen beiden liegende
- hreibfehler in tiefen deutet eher auf in tiefem als auf im tiefen. Aueh hätte
hier wo] d< gebrauch Goethes, der bald in ohne artikel, bald im, bald
in dem hat. berücksichtigung verdient
An mehreren stellen hat Schmidt die selion von andern hergestelto lesart gegen
Eckermann an, wie 7421 'S. S338. 8352. 9061. 9855. Richtig sehreibt er
zuerst in der personenangabe vor TOS 2 Phorkyas, da das von mir gewählte Phor-
kyade eine falsche form ist Dagegen kann man nicht zugeben, dass vor 7240
Sphinxe statt Sphinx stellen moste. Seltsam ist der beweis: „denn es ist von
ihor.* Daraus würde ja folgen, dass erst vor diesem verse Sphinxe zu setzen
wäre. Von 7114 an lässt sich nur eine der Sphinxe, zwischen die Mephisto sich
- * hat, mit ihm in ein gespräch ein; der chor der Sphinxe verspottet freilich
die Sirenen, und Faust redet diese im algemeinen an, die dann auch erwidern; aber
darauf warnt nur die Hauptsphinx ihn (7209 fgg. , wo Schmidt die einheit Sphinx
ruhig - hen lässt). und nur diese eine sezt die Unterredung mit Mephistopheles
. 3pricht demnach auch im namen aller die Schlussworte.
Leider hat die neue ausgäbe mehrfach die Überlieferung nicht verbessert, son-
ra entstelt 8386 war die behauptuug, zu klarem Verständnis sei komma nach
Galateen unentbehrlich, nur bei entschiedenstem misverständnis möglich, da Gala-
teen nicht aecosativ, sondern dativ ist; die Doriden sehen ihrer mutter Doris ganz
gleich. Freilich steigt dieser irturn schon bis zu Riemer herauf. — 8498 macht das
komma nach aufgebaut keineswegs „die Konstruktion undurchsichtig". Schmidt
konl - wider willen nicht besser rechtfertigen , als durch seine bezeichnung pho-
netisch; denn die satzzeichnung soll gerade die pausen des Vortrags bezeichen, soll
phi b sein. — "Wenn 8566 freuet als eine absichtliche „Verwischung" der
genauen verserr hung statt als ein aus nichtbeachtung des entsprechenden versi
der Strophe hervorgegangenes versehen bezeichnet wird, so sezt das eine merkwür-
dige Vorstellung von Goethes ansieht der strophischen entsprechung voraus. Nicht
weniger wilkürlich wird 8692 die beibehaltung des aus der nachlässigkeit des
abschreibers hervorgegangenen schöpferisch statt schöpfrisch aus des dichters
/ • -ndenz. .reichere anapäste herauszuarbeiten", erklärt und beibehalten.
Wie stimmt es dazu, dass Schmidt selbst an mehreren stellen ähnlich eingedrungene e
nach gebühr gestrichen hat? Freilich hält er 8960 das später eingedrungene, den
ersten fuss des trochäischen tetrameters widerwältig störende Unsere als charak-
jtisch für die angst der dienerinnen bei; und 9031 wird selbst im zweiten
fusse des trimeters geschlungene beibehalten, obgleich Goethe selbst dieses berich-
tigt hat, und die vergleichung anderer handschriften es als nachlässigkeitssünde ken-
zeichnet! — 9027 steht -Aller art und zweckw; E. Schmidt gibt die geradezu ver-
kehrte mehrheit zweck1 als v rung Dass hier all, wie bei Goethe zuweilen,
mit der einheit verbunden ist, beweist art deutlich genug. Selbst in „Hermann und
Dorothea" lesen wir aller zustand, im -Divan" sogar aller vogel. — 9109
hätte wenige die vei lene lesart Schmidt darauf hinweisen müssen, dass
Weh uns. weh. weh! schon des entsprechenden verses wregen nicht richtig sein
kann, aber freilich glaubt er an absichtliche „Verwischung der responsion"! "Wenn
Riemers verschlag Weh uns weh ach wTeh nicht aufnahm, so konte er
doch dessen bemerkung. der vers müsse dem in der Strophe Seh' ich, ach, nicht
mehr rechen, unmöglich in den wind schlagen, und bei seiner wirklichen, eilig
ÜBER GOETHES WERKE (WEIM. AUSGABE) 341
gemachten Änderung ist nur zufallig 0 Weh statt 0 "Wehe geschrieben. Goethe
wolte AVeh! OT\rehe! Weh. — Irrig ist das 9828 eingeführte Fragezeichen. „Magst
nicht in borg uud wald | Friedlich verweilen" ist freilich kein bedingungssatz;
bezeichnet den tatsächlich vorliegenden -rund, der den chor zu seinem vorschlage
veranlasste. Der Zusammenhang schliesst eine eigentliche frage aus. — Seltsam bemerkt
Schmidt 9847, erwäge, vonZarncke bestärkt, Dem statt Den zu schreiben, ohne zu
erwähnen, was er doch wissen muste, dass ich dies schon im jähre 1868 eingeführt
und in der Kürschnerschen ausgäbe fortgepflanzt habe, freilieh nicht, wie bei Schmidt,
durch ein Semikolon Dach 9846 entstelt, welches 9843 — 40 in derluft schweben lässt. —
10580 wird des reimes wegen das überlieferte beschäftigt als hörfehler des Schrei-
bers beseitigt und dafür mit A. Rudolf geschäftig eingeführt, obgleich bekarrtlich
viel schlimmere reime als kräftig und beschäftigt gerade im zweiten Faust, al
auch schon früher, sich bei Goethe finden und beschäftigt dem sinne viel bess
entspricht als das beiwort geschäftig. — Goethes eigene niederschrift sehn, v er-
geh n 10610 fg. fält doch, da sonstige handschriften fehlen, bedeutender in die wag-
schale als seines nachlässigen Schreibers sehen, vergehen. Bei seiner vorliebe
zu den starken formen dürfte er, da er vorher hohen und drohen gereimt (wider-
holt 10624 fg.), hier den männlichen ausgang vorgezogen haben. Etwas anders liegt
die sache 11931. 33, wo in einer handschrift die züge undeutlich sein sollen, jedi -
fals der Eckermannische druck, der die formen v er traun, schaun bietet, von
der vorläge abweicht, aber, was Schmidt nicht übersehen durfte, durch die von
11800 ab hersehende reimform empfohlen wird (wenn auch freilich die unmit-
telbar vorhergehende strophe davon abweicht, da keine männlichen reime sich dar-
boten) und die starken formen kräftiger abschliessen. Eckermanns änderung schein!
uns berechtigter als 11772 Schmidts Vermutung, Goethes handschriftliche Verbes-
serung kamt für komt müsse kämt heissen, was er ohne weiteres aufnahm. Auch
Paralipomena 205 („Du kamst uns eben recht") ändert er kämst.
Mancher stellen, an welchen noch eine Verbesserung nötig gewesen wäre, wol-
len wir nicht gedenken, nur einen fall hervorheben, wo eine solche auch hand-
schriftliche gewähr hat. 5085 fg. ist das handschriftliche: „Die kiste haben sie vom
wagen | Mit gold und geiz herangetragen", noch von niemand erträglich erklärt wor-
den. Ich habe heben geschrieben und nach wagen komma gesezt, wodurch ein
passender sinn gewonnen wird. Schmidt gedenkt der handschriftlichen skizze unserer
stelle: .,Nun lieben (tragen) sie den schätz (die eisenkiste) Und setzen sie am boden
nieder", meint aber daraus „erwachse natürlich kein beweis" für meine änderung.
Verschwiegen hat er, dass es in den entwürfen zu dieser stelle einmal heisst: „Ava-
ritia Geiz Weigerung [Schmidts fragezeichen erledigt sich durch die sich einfach
ergebende ergänzung, „die kiste herabzulassen"] Drachen holen herab", ein ander-
mal: „Kiste mit dem geiz hebt sich los. Sezt sich nieder." Eine so entschiedene
bestätigung meiner sich selbst jedem vorurteilslosen empfehlenden herstellung, wie
sie nicht schlagender verlangt werden kann!
Die umfangreichen mitteilungen aus den handschriften bieten der forschung
eine neue höchst erwünschte grundlage, in noch höherm masse die den schluss bil-
denden „Paralipomena und Schemata", die richtiger „Entwürfe und paralipomena"
überschrieben wären. Wir gehen hier nicht näher darauf ein, bemerken nur, dass
nr. 156 kein paralipomenon ist, sondern, was wunderbar genug Schmidt entgangen,
die bekanten verse der Sirenen 7209 fgg. ; er hat es irrig dem Xereus zugeteilt und
342 lU'NTZER
v. 3 ohne bedenken „der g d ohöre" statt „den grossen Chiron" gelesen, was
gerade nicht für die Zuverlässigkeit seiner als sieher gegebenen lcsungen zeugt.
Neben der ersten, eigentlich „Goethes werkea genanten abteilung, die wir
äher besprochen haben, soll eine zweite seine naturwissenschaftlichen Schriften
bringen. Wir können diese absonderang nur höchlich misbilligen, da sie Goethes
absieht widerspricht, der seine auf dienatur bezüglichen arbeiten für ebenso bedeu-
tend wie seine andern Schriften hielt, und die nur aus rücksieht auf den absatz
-rimt worden sein kann, da schon die zahl der bände der „"Werke" auf fünfzig
b beläuft. a.ber die käufer der Weimarischen ausgäbe solten schon zu ehren der
lentung von Goethes naturforschung verpflichtet worden sein, auch diese bände
mit den schönwissenschaftlichen zu beziehen, und diese solten an passender stelle den
„Werken" einverleibt, nicht etwa, wie es in den „Nachgelassenen Schriften" aus
rück sieht auf den Verleger geschehen muste, als anhang gegeben werden.
S ist auch hier Goethes absieht nicht massgebend gewesen.
Die dritte abteilung der Goetheausgabe bilden die tagebücher, die vierte
die b riefe. Mit diesen hätte der anfang gemacht und sie so rasch und zweckmässig
wie möglich geliefert werden sollen, während ihr abdruck sich jezt neben den „Wer-
ken" laugsam hinschlept. Die tagebücher und die ungedruckten briefe könten, was
sehr wünschenswert gewesen, schon jezt volständig vorliegen, hätte man nicht mit
den werken ganz unnötiger, ja schädlicher weise geeilt. Beide stehen jezt erst im
anfange und sind nicht in der für ihre möglichst weite Verbreitung förderlichen
art veröffentlicht. Der erste band der tagebücher enthält die von 1775 bis 1787,
die von der ersten reise in die Schweiz und der schon in Heidelberg aufgegebenen,
aus Verzweiflung unternommenen nach Italien, dann die Weimarischen tagebücher
von 1770 bis 1781, das reisetagebuch von Karlsbad bis Korn, nebst bruchstücken über
den Vesuv und Sicilien. Von den Weimarischen tagebüchern erhalten wir nur einen
rohdruck, der die benutzung ausserordentlich wenigen gestattet. In der einleitung
zu meiner auf diese urkundliche mitteilung sich gründenden, für den weiteren kreis
der Goetheverehrer bestirnten ausgäbe habe ich mich darüber näher ausgesprochen.
Da n zugänglichere tagebuch von Karlsbad nach Eom war bereits in den
Goethe- Schriften gegeben; der neue abdruck hat manche fehler, aber nicht alle
verbessert. Der zweite bis 1800 reichende band enthält einzelne bruchstücke ver-
schiedener reisen, kurze tagebücher von 1796, ausführlichere von 1797 bis 1800,
unter diesen die dritte Schweizerreise. Auch hier fehlen alle erklärenden anmerkun-
gen; das am Schlüsse gegebene Verzeichnis der „abgekürzten oder unrichtig geschrie-
ben namen und anderer nicht sogleich verständlichen wortbilder" (eine von der
ausgäbe angenommene etwas seltsame bezeichnung) hilft selten aus; es muste ein
von allen namen, mit wenigen, die person kenzeichnenden andeutungen
gegeben werden. Dass die in allen tagebüchern genanten namen dem lezten bände
in alphabetischer folge beigefügt werden sollen, hilft der augenblicklichen not nicht
ab und wird immer sehr unbequem bleiben.
Auch mit der herausgäbe der vierten abteilung, der briefe, können wir uns
nicht einvorstanden erklären. Was alle, welche die lücken unserer bisherigen kent-
nis empfunden haben, vor allem wünschen musten, war rasche Veröffentlichung aller
bisher ungedruckten briefe von bedeutung und eines Verzeichnisses aller übrigen,
dieses, wo es nötig schien, mit knapper angäbe des Inhaltes. Statt dessen hat man
ÜBER GOKTHES "WERKE (\YEJM. AUSGABE) 343
den unglücklichen, durch Hirzels „Jungen Goetheu veranlassten einfall gehabt, Goe-
thes sämtliche briefe nach der zeitordnung mit neuer vergleichung der
handschriften abdrucken zu lassen, damit man sehen könne, wie vielseitig der brief-
wechsel gewesen und welche briefe Goethe jederzeit geschrieben. Dazu war doch
der abdruck der anzähligen längst bekanten briefe, die nur in verhältnismässig
wenigen fällen berichtigt werden können, keineswegs nötig; ein Verzeichnis nach der
Zeitfolge, wie wir es eben bezeichneten, härte in dieser beziehung volkommen genügt.
Der neudruck der zahlreichen briefe an die Stein, an Schiller, an den herzog, an
Lavater, an Zelter u. a., die als ganzes und zum teil durch die gegenseitigkeit ihren
hanptwert erhalten, ist um bo weniger zu rechtfertigen , als man die käufer nötigt, briefe,
die sie längst in auch jezt noch unentbehrlichen einzelausgaben besitzen, von neuem
zu bezahlen, abgesehen davon, dass man diesen räum zu neuen mitteilungen besser
verwenden konte. Und den beabsichtigten zweck erreicht man durchaus nicht. Ein
grosser teil der briefe ist nicht zugänglich oder verloren, so dass man doch kein
volständiges bild von Goethes reichem briefverkehr erhält. Und, was noch schlim-
mer ist, von vielen briefen lässt sich der tag, zum teil der monat, ja das jähr gar
nicht bestimmen. "Wenn man diese auf den tag versezt, den sie in den bisherigen
samlungen auf ganz unsichere, zum teil auf gar keine gründe hin einnehmen, so lässt
sich dies mit der bestimmung dieser ausgäbe, ja mit der achtung für die Wissen-
schaft nicht reimen. "Was man nicht durchführen kann, soll man nicht unternehmen.
Es ist ein höhn auf die erstrebte urkundlichkeit, wenn briefe in eine zeit versezt
werden, in welche sie nicht gehören. Dazu muss man bedauern, dass bei der
datierung nicht mit genügender Sorgfalt zu werke gegangen ist, wie sich schon
daraus ergibt, dass die redaktion im dritten bände von den bis zum jähre 1778 mit-
geteilten 7G9 briefen selbst 12 hat umdatieren und einen extra ordinem in einer
anmerkung zu 498 hat einschieben müssen. Aber auch die Versetzung dieses lezten
in den august 1776 beruht auf dem morschen gründe, dass Goethe hier, wie im
briefe an Kayser vom 15. august, des bibelwortes gedenkt: „So ihr still wäi
würde euch geholfen*, als ob Goethe solche ihm geläufige beziehungen auf bibel-
sprüche nicht zu den allerverschiedensten Zeiten gebraucht hätte. "Warum soll der
brief nicht mit mir ende april 1776 gesezt werden können? Damals halte Goethe
schon die bogen des druckexemplars des ersten bandes von Lavaters „Fragmenten",
mit ausnähme des Schlusses, des inhalts und des titeis, erhalten, die er gleich der frau
von Stein mitteilte. Auch manche andere nachweisliche Verschiebung hat man sich
zu schulden kommen lassen. "Wie es möglich war, den brief an Steinalter, worin
es heisst: „Die wagen rasseln schon, die pferde klappen, es geht nach Eefurt*, auf
den 1. oder 13. mai 1776 zu verlegen, in eine zeit, wo Tiefurt vom prinzlichen hofe
noch gar nicht bezogen worden war, macht nur die grosse Unachtsamkeit des ordners
begreiflich. Statt des nicht einmal für den forscher wünschenswerten druckes aller
briefe in der Zeitfolge, der sich so lange hinzieht, hätte man auch die familienbriefe,
den volständigen briefwechsel mit Herder, Lavater u. a., eine so dringende neue
ausgäbe der sämtlichen mit dem herzog gewechselten briefe und so manches andere
bringen sollen, was auf Goethes leben mit freunden und bekanten licht wirft. Ein
grosser übelstand ist es auch, dass wir nur Goethes briefe, ohne die zu ihrem Ver-
ständnisse nötigen briefe der betreffenden freunde, erhalten. Dass auch die genauig-
keit des abdrucks manches zu wünschen lässt, zeigt das dem dritten bände bei-
gefügte Verzeichnis von versehen, die sich aus der vergleichung der Urschrift der
briefe an Kestner, Lavater und Reich ergaben. Es sind dies nicht bloss kleinigkeiten
344 DÜNTZER
der Schreibung; einzelne werte, ja einmal eine ganze reihe derselben sind ausgefal-
len, andere zu streichen, und zwar in briefen, von welchen die betreffenden stellen
längst richtig abgedruckt waren. [Manche anderen versehen habe ich jezt in den
„Grenzboten" gerügt.] Die redaktion hat für die briefe eine neue bedeutende kraft
in dr. Eduard von der Hellen gewonnen. Was bisher verschuldet worden, kann
er freilich nicht ungeschehen machen und den falschen plan nicht ändern.
:ie sehr bedeutende hülfe zur datierung der briefe bildet Philipp Seidels
aufzeichnung der aaslagen für porto, die sich größtenteils mit den adressangaben in
den aosgabebüchern erhalten hat Ausgezogen sind diese notizen von archivrat
Burkhardt. der sie für 1. april bis IS. Oktober 1775 bereits im neunten Goethe -
Jahrbuch gegeben hatte. Sie sollen von jezt au den bänden der briefe regelmässig
beigefügt werden, und so finden wir am Schlüsse des dritten die der jähre 1775 bis
177> «auf grund einer nochmaligen, von Eduard von der Hellen vorgenommenen
_inzenden durch arbeit ung des auf dem Goethe - archiv befindlichen rechnungsmate-
rials'*. Von den angaben des Goethe -Jahrbuchs sind ein paar hier berichtigt; dagegen
kanu man zweifeln, ob manche abweichongen in den namen nicht druckfehler sind.
Anderes scheint durch versehen ausgefallen. Früher stand am 27. april uach „Jakobi"
noch ..jun.-. am 3. Oktober nach „ Schrotsberg " noch „fr. Heilbronn. u Die adres-
saien waren an einzelnen stellen nicht lesbar, hätten sich aber doch vielleicht mit
natzong unserer sonstigen kentnis ergeben. Spasshaft ist es, wie am 26. februar
1770 als ein solcher Kpa .. odios angegeben wird, das sehr undeutlich geschrieben
sei. so dass auch das Kp nicht sicher sei. Was ist denn überhaupt daran sicher?
Seidel entnahm den namen jedenfals der Postadresse, auf der doch unmöglich der
name in griechischen huehstaben geschrieben sein konte, und kaum darf man ihm
den hauswitz zutrauen, den namen für sich griechisch zu schreiben. Auffallend ist
auch eine damalige geldsendung Goethes nach Leipzig, wenn sie nicht im namen des
herzr.gs erfolgte, dessen persönlicher geschäftsführer damals Steinalter war. Am
november 1777 ist der „durch korrektur undeutliche ort (H...)u ohne zweifei
Hildburghausen. Am bedauerlichsten finden wir es, dass unsere sonstige kentnis von
Goethes leben nicht benuzt ist. Am 29. november 1777 trat Goethe ohne Seidel die
reise in den Harz an, von der er erst am 16. december nach. Weimar zurückkehrte.
Wenn also während dieser zeit Postsendungen erwähnt werden, so kann diese Seidel
nur in Goethes auftrag zu Weimar besorgt haben. Am 1. december wird brief und
packet an Weber in Goslar erwähnt; es ist dies eine Sendung Seidels an seinen
herrn, der auf der reise, wie wir wissen, den namen Weber angenommen hatte;
auch der Weber vom 14. ist Goethe, den aber dieser brief nicht mehr traf. Am
äeptember 1770 kann Goethe unmöglich, die hier angegebenen briefe geschrieben
haben, da er an diesem tage in aller frühe verreiste; sie müssen am 1. geschrieben
sein. Das hätte Burkhardt wissen sollen. Über manche der adressaten wären kurze
hindeutungen sehr erwünscht gewesen, besonders da, wo von den briefen an sie
nichts mehr vorhanden ist. Solche wären gerade für den umfang des Goethischen
briefwechsels von grosser bedeutung. Dass Ackermann in Hamburg, wie Seidel am
6. September 1775 angibt, frau Ackermann sein muss, Schröder (8. märz 1776) deren
söhn ist und es sich beidemal um das theater handelt, durfte nicht unbemerkt blei-
ben. Beide hatten am 25. februar 1775 die bekante aufforderung zur einsendung von
Theaterstücken erlassen, die auch Klinger veranlasste, seine „Zwillinge" einzuschicken.
Ein von Goethe am 6. September 1775 an die Ackermann gesantes packet muss uns
besonders anziehen.
ÜBER GOETHES WBBKE (WEIM. AUSGABE) 345
Doch wir wollen auf solche bedeutende fingerzeige für die forschung, durch
die das briefverzeichnis erst seiue volle bedeutung erhalten würde, nicht näher ein-
gehen, sondern unsere schon lang gewordenen bericht, bei dem wir manches über-
gehen musten oder nur streifen konten, mit der bemerkung abschliessen , dass sich
leider die an die Weimarische ausgäbe geknüpften erwartungen nur zum teil erfült
haben. Sie ist im an fang übereilt, und die grundsätze, von denen sie ausgieng, waren
weder zutreffend, noch wurden sie mit strenger folgerichtigkeit durchgeführt; dabei
fehlte es zum teil an umfassender kentnis, besonnenheit, Sauberkeit der arbeit und
kritischer schärfe. Noch manche bedeutenden neuen mitteilungen haben wir von ihr
zu erwarten, besonders im vierten, neue gediente aus dem oachlass bringenden bände,
der freilich periculosae plenum opus aleae sein dürfte.
Nachschrift.
Seit abfassung unserer anzeige sind, abgesehen von der naturwissenschaft-
lichen abteiluug, noch sieben neue bände erschienen: band 8, 10, 26 und 27 der
werke und band 3, 4 und 5 der tagebücher, über die wir wenigstens kurz berich-
ten wollen. Von den dichtungen erhielten wir die beiden grossen geschichtlichen
stücke und die drei kunstvollendetsten dramatischen Schöpfungen; zwischen diesen
an der durch die zeit der abfassung bestirnten stelle den anfang der „Nausikaa",
wogegen in der zu gründe gelegten ausgäbe lezter band dieses bruchstück in einer
besonderen, durch zufällige rücksichten bedingten, jezt notwendig aufzulösenden dra-
matischen abteilung eines den dramen vorangehenden bandes seine Stellung gefunden
hatte. Scheint uns schon diese abweich ung ungehörig, so noch mehr, dass „Elpenor,
der nach der absieht des dichters in demselben bände mit der Natürlichen tochter"
stehen solte, jezt erst den folgenden band eröfnen soll, weil — Cotta aus buchhänd-
lerischer rücksicht zu Goethes grossem ärger diese Unordnung eingeführt hatte.
„Elpenor", dessen abteilung in verse Goethe selbst nicht ohne grossen anteil durch
Kiemer hatte vornehmen lassen, muste die jambischen dramen schliessen; „Nausikaa"
gehörte in den band, der auch sonstige dramatische entwürfe und ausführungen bringt,
unter andern die in der ersten christlichen zeit spielende tragödie, von der auch
einige reden ausgeführt sind. Freilich ist es dem forscher erwünscht, dass wir die
neuen mitteilungen aus der „Nausikaa" schon jezt erhalten, während er bei dem
notwendig langsamen fortschreiten der ausgäbe darauf noch lange hätte warten müs-
sen. Diesem wäre es am liebsten gewesen, hätte man, was dringend gefordert war,
alles bedeutende neue des Goethearchivs gleich in ein paar bände zusammengestelt.
Jedes der dramen hat einen besondern herausgeber erhalten, der, da er nur
ein massiges arbeitsfeld hatte, mit ruhiger besonnenheit und gefasstem fleisse seines
geschäftes warten konte. Aber uns scheint dies keine teilung, sondern eine Zersplit-
terung der arbeit, die notwendig eine grosse Ungleichheit der leistung zur folge hat,
auch den gesichtskreis beschränkt. Wer ein einzelnes Goethisches drama herausgibt,
der solte eine volständige Übersicht der entwicklung seiner dramatischen dichtung
sich verschaft haben und ganz in ihr leben. Auch müste er das Verhältnis der einzel-
nen gesamtausgaben der werke zu einander und, wo die einzelne dichtung zuerst
allein erschienen ist, auch zu diesem ersten drucke genau erforscht haben, da hier-
von grossenteils die beurteilung der abweichenden lesarten abhängt. Freilich hätte
diese grundlegende Untersuchung im vorbericht gegeben werden sollen; aber dieser
hat sie, obgleich sie nur bei der ausdehnung auf alle werke recht erfolgreich sein
346 DÜNTZER
kann, den herausgeben! der einzelnen überlassen, und diese haben meist, besonders
bei der „Iphigenie" und d< r „Natürlichen tochter", sich gar nicht dämm gekümmert.
ihen wir zu den einzelnen dramen über. Bei „Götz" wird angenommen,
die abweichungen der zwoten echten ausgäbe seien nicht vom dichter ausgegangen,
dem der Verleger der ersten rechtmässigen ausgäbe sei einem naehdruck (Eh)
'Igt, von dem sieh ein abdruek auf der Winterthurer bibliothek findet. Freilich
[de ausgaben miteinander überein. und der naehdruck trägt die Jahreszahl
1773 auf dem titel. wogegen die zwote ausgäbe 1774 gedruckt wurde. Aber man
äs, wie die nachdrucker mit den datierungen umgiengen. So konte denn auch ein
naehdruck der zwoten ausgäbe die jahrszahl des ersten erscheinens auf den titel
:en und verschweigen, dass er die zwote ausgäbe zu gründe gelegt hatte. Wenn
der Verleger der zwoten nur eines nachdruckes gedenkt, der mit flüchtigkcit
nacht sei. und sich darauf beruft, dass die jezt von ihm gegebene „ganz korrekt"
- völlig unglaublich, derselbe habe sich eines durch wilkürliche änderun-
. entstelten zweiten nachdruckes bedient, obgleich er den dichter selbst in näch-
r nähe hatte und auch wol einen abdruek seiner früheren ausgäbe selbst besass
ht bekommen konte. Goethe selbst kante die zwote ausgäbe; und er hätte
m ihm bekanten Verleger sehr übel nehmen müssen, hätte er einen beliebigen
naehdruck zu gründe gelegt. Wenn er selbst gegen freund Langer äussert, die
zweite ausgäbe sei ganz unverändert, so sind gelinge änderangen des ausdrucks und
vei ong von druckfehlem dadurch keineswegs ausgeschlossen. Die vom neuesten
herausgeber als „dreiste ändemngen des setzers oder korrektors" von Eb bezeich-
neten, der rede werten ändemngen rühren ganz unzweifelhaft vom dichter selbst her,
wie sich jeder überzeugen wird, der die im anhange meiner schrift über „Götz und
Lont" (1854) s. 390 fg. gegebenen nachweisungen vergleicht. Die dortige ver-
ichung der in betracht kommenden angaben der beiden dramen haben die "Wei-
marischen bearbeiter unerwähnt gelassen. "Wer sich ein anschauliches bild von den
ahweiehungen machen will, kann sie auch nach der Weimarischen ausgäbe nicht
entbehren. In bezug auf die anwendung des apostrophs ist der herausgeber des
„Götz" grundsätzlich verfahren, nach dorn in der ausgäbe von 1787 „mit ziemlicher
-igkeit" durchgeführten gesetze; doch darf man mit recht zweifeln, ob dies
m dichter oder von der druckerei in anwendung gebracht wurde. Zur sicherstel-
lung bedürfte es einer gründlichen Untersuchung über die in jener ausgäbe, beson-
3 auch im „"Weither", befolgte weise.
Von „Egmont" lag dem neuen herausgeber ausser der längst verglichenen
handschrift eine mittelbare abschliff; derselben vor, die Vogel gemacht, Herder durch-
sehen und Seidel dem Verleger zum druck gesant hatte. "Wenn der herausgeber
den ältesten einzeldruck des Stückes für älter hält als den in den „Schriften", so ist
da.s höchst seltsam. Der druck wurde für die ausgäbe der Schriften unternommen,
aber mehr abdrücke gemacht, als dazu erforderlich waren, und die mehrgedruckten
mit besonderer bezeichnnng für den einzeldruck bestirnt. Eben so unglaublich ist eine
zweite annähme: von einem andern einzeldruck, der die Jahreszahl 1788 trägt (E1),
11 der dritte band der wolfeilen vierbändigen ausgäbe mit seinen druckfehlern
abhängig sein. Das müste freilich der fall sein, wenn die jahrzahl richtig wäre;
ab' >n Hirzel hat bemerkt, dass B1 und E2 -von sehr neuem datum" sind. "Wie
rücksichtslos die , Ltere abdrücke mit dem jähre des ersten druckes aus-
. hätte der herau-, o sollen. Dass der dritte band der wohlfeilen
ausgäbe nach ostern 170" gedruckt sei, ergibt Groschens anzeige aus der ostermesse
t'BER GOETHES WERKE (WETM. AUSGABE) 347
dieses Jahres. Von den abweiohungen der aufeinanderfolgenden ausgaben der werke
vermissen wir auch bei „Egmontu ein anschauliches bild, wie ich es längst gege-
ben habe.
Für „Iphigenie" sind von weitreichender bedeutung die mitteilungen, welche
wir aber die im Goethearchiv vorhandene erste handschrift erhalten, die Goethe in
Italien vom IG. Beptember bis ende deet-mber 17 sc» selbst geschrieben. Entweder
diese selbst oder die von einem Schweizer zu Rom gemachte absohrift erhieli Eerder,
der eine von Vogel gemachte absohrift derselben zum drucke durchsah. Leider feh-
len die beiden andern handschriften, so dass wir nioht immer feststellen können,
welche abweiohungen des ersten druckes von der handschrifl Eerder, und welche der
druckerei angehören. Ausser der handschrift haben sich nur entwürfe zu reden •
Arkas I, 2 und II, 2 vorgefunden; die beiden verse in I. - sind Verbesserung einer
früheren fassung, die entwürfe zu IV. 2 erst gemacht, als Goethe in Rom den auf-
tritt umschrieb. Über das Verhältnis der gesamtausgaben zu einander hören wir
ebensowenig etwas wie über das vom neuesten herausgebt u b. -folgte verfahren. Die
erste handschrift des Stückes hat III, 3 in Übereinstimmung mit der prosafassung
Kommt mit! Kommt mit! Hiernach könte das Komm statt Kommt des ersten
druckes eine änderung Herders oder ein versehen des drucks sein; von Goethe Belbsl
kann sie kaum stammen. Dennoch hat der herausgeber bei den redaktoren die auf-
nähme von Kommt nicht durchsetzen können. Eine solche beschränkung des Urteils
des herausgebers , der die sache reiflich erwogen hat. halten wir für unbillig.
Über die von Suphan liebevoll der „Nausikaa" gewidmete mühe habe ich
anderwärts mich ausgesprochen und die forschung weiter zu führen gesucht. Von
„Tasso" hat sich keine eigenhändige handschrift Goethes erhalten; dagegen sind die
beiden vorhandenen abschriften, über die wir jezt genaue nachricht erhalten, äusserst
wertvoll, da sie uns einen blick in die entstehungsgeschichte der einzigen dichtung
statten. In einem notizheftchen aus dem frühjahr 1788 finden sich die sechs
ersten verse von V, 1 in etwas anderer fassung; bei den ihnen vorangehenden vier
versen (der zweite ist bloss angefangen) muss man stutzen, wenn man bemerkt, da
der herausgeber s. 429 übersehen konnte, dass sie ein entwurf der berühmten worte der
Prinzessin vom goldnen Zeitalter (997 fgg.) sind. Leider liefern sie auch einen weitem
beweis, dass die als unzweifelhaft richtig gelesen in der neuen Goetheausgabe mit.
teilten stellen nicht immer zuverlässig sind: in den vier versen finden sich, wie
die vergleich ung mit der angeführten stelle zeigt, nicht weniger als drei lesefehler, da
es gestehen statt gestehn, Die gold statt Du Gold und niem[als] statt mein
heissen muss. — Der herausgeber hat auch den versen seine aufmerksamkeit geschenkt.
Auffallend ist es, dass er glauben konte, Goethe habe auch zuweilen einen tro-
chäischen vers einfliessen lassen. Der einzige kopflose vers 1189 erledigt sieh dadurch,
dass Goethe bei der durchsieht der handschrift die auslassung eines im „Tasso" E
auffallend häufigen „0!u vor dem ersten gedankenstriche übersah. Der vers L59
der trochäisch sein soll, ist einfach jambisch zu lesen, wie trochäen z. b. bei Schil-
ler häufig am anfange des dramatischen verses jambisch betont werden. Einen ana-
päst hat sich Goethe nur einmal bezeichnend erlaubt. Vers 1315 muss zufäll'gen
statt zufälligen gelesen werden, wie in demselben auftritt besehäft'gung und
band 'gen überliefert sind.
Von der „Natürlichen tochter- fehlt jede handschrift, was den heraus-
geber um so mehr hätte veranlassen sollen, vorläufig über das Verhältnis der wenigen
in betracht kommenden drucke zu einander zu berichten. Dies ist leider nicht
34S DÜNTZER
geschehen. Bei der ängstlichen sorge der redaktoren, dass keine nicht durchaus
notwendige abweichung von der ausgäbe leztei hand einschleiche, fält es um so
unangenehmer auf, dass v. 2831 die anglaublich verfehlte , ausserordentlich schwach
begründete antstellung des herausgebeis des (statt der) ahnherrn eingedrungen ist,
die dem Zusammenhang der rede, der auffassung des königtums durch Eugenic und
der absieht des dichters, jede beziehung auf geschichtliche personen auszuschlies-
.. widerspricht. Höchst bedeutend ist die s. 343 zuerst gemachte mitteilung, dass
der dichter ursprünglich nicht eine trilogie, sondern nur ein fünfaktiges drama beab-
ltigt und im Schema entworfen hatte, dessen zwei erste akte der spätem „Natür-
lichen tochter8 entsprechen; die drei lezten soltcn zum zweiten und dritten teile
verwant werden und zusammen das zweite fünfaktige stück bilden, dessen beide
ste akte auf dem landgute, die übrigen in der hauptstadt spielten. Der heraus-
r ist sieh darüber nicht ganz klar geworden.
Eine handschrift der drei ersten teile von „Dichtung und Wahrheit" ist
nicht vorhanden. Es finden sich im Goethearchiv nur einige urkundliche belege und
familiennachrichten, von der tante Melber und Friedrich Schlosser aufgesezt; zum
vierten buche ein paar kurze bemerkungen; zum fünften ein ausführlicher auszug
aus Prevots zweibändiger „Histoire du Chevalier des Grieux et de Manon
Lese auf (1743), die "Wolfgang nach seinem unglück mit Gretchen gelesen und
h dadurch in seinen „hypochondrischen torheiten" bestärkt haben solte; vom
sechsten buche an ältere Schemata und Übersichten, einzelne steilen und später
verworfene ausführungen , die für die entstehung dieses teiles und durch einige
änsserungen wertvoll sind, aber nichts zur festsetzung des Wortlautes des Werkes
[tragen. Aü die spitze tritt das bekante biographische Schema von 1809, von des-
sen ungenügenden abdrücken, die Goedeke gegeben, ausführlich genug die rede ist.
Dagegen wird die tatsache, dass ich zuerst das Schema, so weit es der rede wert
ist, bis zum Schlüsse von „Dichtung und Wahrheit" in einem diplomatisch genauen
abdrnck gegeben, von den jähren nach 1773 Goedekes versehen angezeigt habe,
unter der nachweisung versteckt: „Vgl. auch D. 1, 5fgg.u; dazu die bemerkung, „der
Zeitunterschied" (d. h. die nachträglichen bemerkungen) lasse sich nicht aus der
anwendung verschiedener Schreibmaterialien und dem Wechsel deutscher und latei-
nischer schrift .sicher feststellen, wie dies Düntzer tun will." Ich habe ausdrück-
lich bemerkt, dass eine „genaue abschliff von "W. Vollmer mir vorgelegen hat, und
wer Vollmer kante, weiss, dass derselbe in pünktlicher treue und scharfem blicke
bei handschriftvergleichungen seines gleichen suchte. Meine bemerkungen beruhen
auf seinen, an manchen stellen eine spätere eintragung feststellenden beobachtungen
und nehmen deshalb wenigstens gleiche Zuverlässigkeit, wie der, ich weiss nicht
auf wessen vergleichung beruhende, abdruck in der Weimarischen ausgäbe in
ansprach, der so wenig, was der herausgeber behauptet, „diplomatisch genau" ist,
dass er nicht einmal die grössern Zwischenräume und den Wechsel lateinischer und
deutscher schrift bezeichnet, so dass, wer sich ein anschauliches bild der hand-
hrifÜichen Überlieferung machen will, noch immer auf die Vollmersche ausser-
tentlich sorgfältige vergleichung, die ich widergegeben habe, angewiesen ist. Sach-
lich sind die Verschiedenheiten kaum nennenswert. Statt mehrerer punkte habe ich
eine neue zeile durch einen senkrechten strich angedeutet , was hier — weniger in die
äugen fallend und zuweilen kaum zu unterscheiden, auch wol im drucke ein paar-
mal übersehen — durch einen kleinen Zwischenraum bezeichnet wird. Einmal steht
fBER GOETHES WERKE (WEIM. AUSGABE) 349
meiner lesung „algemeine Communication | Aufhebung der deutschen DialeH
die lesung „Communicale " entgegen, die ich nicht für richtig halten kann. Ein
andermal wird das von Vollmer für unlesbar erklärt»' wort als erheben ohne andeu-
tung eines zweifeis gegeben. Ich hatte irritiren vermutet, was mir Baohlich ent-
sprechender Bchien. Leider ist die handschrift noch immer Privateigentum. Moste
ich hier mein und des verstorbenen freundes recht wahren, so gestehe ich dagegen
gern, dass der kundige herausgeber mit fleiss und Sorgfalt seine aufgäbe durch-
geführt hat.
An dem die jähre 1801 bis 1808 enthaltenden bände der Tagebücher liaben
sich zwei mitarbeiter beteiligt. Möchte herr Julius AValile, der die lezte hälfte bear-
beitet, auch die auf titel- und deckelseiten und sonst zerstreuten Losen angaben, wenn
sie nicht zu belanglos waren, mitgeteilt und die „1< eben bat. die folgen-
den bände allein bearbeiten, da seine kentnis, Beine umsieht und sein eifer ihnen zu
gute kommen würden! Mehrere lese- und druckfehler der ersten hälfte hat i i
berichtigt So steht am 16. September 1801 gedruckt „Mr. Thibaul" Die hand-
schrift hat Mr. Du Vau. Wähle schreibt richtig du Yo au. AVenn er aber diesen
du Yeau für von Kalb hält, so trage ich daran halb die schuld, obgleich es an
Bich unglaublich ist, dass das tagebuch nicht den wahren namen gäbe. Lang
habe ich erkant, dass es eine unglückliche Vermutung von mir war, in dem du Yeau
der Henriette von Knebel eine scherzhafte bezeichnung von Kalbs zu sehen, da
du Veau ein nach Deutschland verschlagener Franzose war, dem sein fortkommen
dort nicht gelingen wolle. Diese berichtigung ist auch persönlich wichtig. [Tnter
den lesarten finden sich zuweilen erläuterungen, was zweckmässig in zukunft auch
sonst geschehen könte, wo es erwünscht und möglich wäre. Dagegen können wir
es nicht billigen, wenn hier leicht verständliche abkürzungen von titeln und gar
jedesmal, ja zu guter lezt noch einmal in einem alphabetischen Verzeichnis gegeben
werden. Auch die meisten druckfehler sind zweimal angegeben.
Mit wahrer befriedigung vernehmen wir, dass die bisher so traurig verzettel-
ten briefe heim Eduard von der Hellen zugefallen sind, der in den zwei neuen
bänden die Jahrgänge 1779 bis zum Schlüsse des ersten halbjahres 1782 geliefert hat.
Kann derselbe auch den verkehrten plan der briefsamlung, an dem er unschuldig ist,
nicht abstellen, so wird er doch für die richtige Stellung in der Zeitfolge das mög-
liche tun und den Wortlaut in zuverlässigster weise widergeben, wie es in diesen
1 'änden geschehen ist, wenn man auch über einzelne datierungen wird mit ihm rech-
ten können.
KÖLN'. H. DÜNTZER.
Xeue fragmente des gedichts Yan den vos Reinaerde und das bruch-
stück Yan bere Wisselauwe herausgegeben von Ernst Martin. Stras-
burg, Trübner. 1889. 73 s. 8. (Quellen und forschungen herausgegeben
von B. ten Brink, E. Martin, E. Schmidt. 65. lieft.)
Die Darmstädter fragmente des gedientes Yan den vos Reinaerde, die Martin
im diplomatisch getreuen wie im kritisch gereinigten texte im 05. hefte der QF. an
erster stelle veröffentlicht, begreifen die v. 2590 — 2728 und 3024 — 3165 seiner aus-
gäbe des Rein. I. Als beitrag zur näheren kentnis der bezeichneten fassung des
denkmals sind sie von hervorragender bedeutung, und wir müssen Martin dankbar
sein, dass er sie uns kurze zeit, nachdem er die mitteilung von ihrem Vorhandensein
erhalten, zugänglich gemacht hat. Mit je grösserer teilnähme man aber die bekant-
350 BRANDES
machung des fundes an und für sich begrüsst, desto mehr wird man die zahlreichen,
der publikation anhaftenden Unebenheiten bedauern, dio das verdienst des heraus*
gebers nicht unerheblich schmälern. Über die nachlässigkeit, mit der die druokkor-
rektur behandelt ist. könte man noch hinwegsehen, obgleich es mislich erscheint,
wenn der benutzer infolge von irtümern in der anwendung der sigel (vgl. 2612 so a
statt e 74 tibundus caiulus e statt 1) vor die notwendigkeit gestelt wird, im
oinzelfalle die in betracht kommenden fassungen von neuem vergleichen zu müssen;
nicht rechtfertigen lässt sich jedoch, wenn wichtige Varianten übergangen oder gar
lassen werden.
Don von Martin aufgestelten kritischen grundsatz, dass b oder 1 den ausschlag
ien, wenn sich i\ und e mit lesarten von gleichem werte gegenüberstehen, halte
ich für durchaus richtig. Die befolgung dieser regel ergibt einen verhältnismässig
einfachen Variantenapparat. Die übersieht über denselben hat der herausgeber aber
dadurch erschwert, dass er am fusse jeder scite unter den lesarten den zuge-
hörigen volstäudigen text der fassung b in fortlaufendem druck mitteilt, dergestalt,
dass die sich für die herstellung des textes des Rein. I nützlich erweisenden lesarten
laktion durch gesperten druck kentüch gemacht werden. Die version b,
auf der im wesentlichen der Rein. II beruht, tritt demnach in dem apparat zwei-
mal auf, zunächst in einer auswahl und dann unverkürzt. Den nutzen dieser
einrichtung vermag ich nicht einzusehen; einer ihrer hervorstechendsten mängel,
der darin besteht, dass man dieselbe redaktion an zwei verschiedenen stellen zu
ä :hen hat. scheint mir dagegen auf der hand zu liegen. Ein nicht minder bedenk-
licher übelstand zeigt sich in der auffallenden erscheinung, dass einerseits eine
auzahl von lesarten von b nicht zu dem volstäudigen texte von b stimmen und dass
andrei lie hier gegebenen fassungen von b in mehreren fällen von Martins aus-
Rein. II und den zu dieser mitgeteilten Varianten der Brüsseler handschrift
oder von den gelegentlich unter dem texte der ausgäbe des Rein. I stehenden varian-
■ i der genanten handschrift abweichen. Es treten sich gegenüber: 2596 her und
Heer, 306J stillen wi nu und seilen wi nu, 3115 sehe (= Rein. II) und seiner,
ferner 2600 /■ ru weet ivar. und text) und Rein. II: ic enweet (ebenso in den les-
arten zu Rein. I). 2620 die und Rein. II: dicke, 2624 geeff und Rein. II: gkeve,
j)lt und Rein. II: Kriekenpit, 2637 — 2638 naem : onbequaem und
in, II: name : onbequame, 2641 tot und Rein. II: tote, 2642 ic u die und
K''-iu. II: ie du . 2643 ten fluide iordaen und Rein. II: ter fluni c Jordane, 2645
cond und Rein. II: oreonde, 2664 ich und Rein. II: ict, 2666 in und Rein. II: int,
17 warand und Rein. II: wara/nde, 2683 waert und Rein. II: wäret, 2687 xaeck
und Rein. II: sähe, 2689 recht und Rein. II: rechte, 2705 enseg v und var. zu
■In. II: m segu, 2710 wat und Rein. II: ward (ebenso in den var.), 2715 die und
in. II: de, 3042 dueht und Rein. II: duckte, 3058 droevelye und Rein. II: droerc-
lir- ohne bemerkung, 3060 karmde und Rein. II: kermede, 3064 ne maect und var.
zu Rein. II: ewmaket, niet und Rein. II: nie, 3091 troost und Rein. II: trooste, 3092
tael und Rein. II: tale, 3115 gelidet und var. zu Rein. II: ghelidet, 3126 greep und
Rein. II: ghegreep (ist das leztere richtig, so ist im text, gestüzt durch ab, ghegre-
pene zu lesen), 3127 kelen und Rein. II: hele, (Rein. II 3149) bi und Rein. II: hi,
3164 patrysen und Rein. II: paertrisen. Zu diesen Widersprüchen geselt sich der
ausfall von v. 2617: Edel steen ende gülden were. Man vermisst auch die blatzahl 51.
druckfehler für 3055. Für den Bein. II ergibt sieh aus den den fragmen-
. e entsprechenden abschnitten von b. dass die mit dem texte übereinstimmende
fBF.R L'KIXAERT-I 'RAGM. KD. MARTIN 351
Variante zu 301G pelgrym heissen mn^s. dass 3051 orUfermde zu losen ist und dass
in den lesarten 3053 kuwert b fehlt.
Der aus dem ersten fragment und a mit Zuhilfenahme von b und 1 hcrgestelte
text gibt im einzelnen zu folgenden bemerkungen anlass. Die aufnähme von elwaer
2594 unterliegt keinem bedenken; das wort i^t mehrfach belegt, im 15 • van der
wraken I, 390: Dät hi skeysers memorie doer Niet < n vemt ahe elwaer., ferner
.laus Teesteye 2329: En narrt verre elwaer, Daer mens nid vinden en mochte
und ebd. 3223: Sine mähen hem säen elwaer. In <jh<'hi<irt 2590 fehlt das // vm
ebenso in ghenoech -GIG. Dass sich Martin hinsichtlich der Stellung in v. 2598 an c
anschliesst, ist zu billigen. Allerdings steint, der folge dit icel e in a wel ditte and
in b wel du gegenüber, doch wird die anordnung in b durch den reim bedingt.
r bietet ausserdem: Vbrstath dyt /ml. Statt endi 2628 is< ende zu lesen. V. 2640
lese ich: ghi sijter} eoninc, also na. Jn der Daohstellung von coninc stimt b zu <>.
Wie Martin sich auf ab berufen kann, um coninc im texte an die spitze zu stellen,
verstehe ich nicht. Statt von 2G41 ist van zu losen, statt Reynart 2704 Reynaert
und in demselben verse statt secht segt. Von bemerkenswerten Varianten sind über-
gangen: 2597 Kriekeputte a (ebenso 263G, 2663), 261 3 rielic e, 20 4 7 comel a —
ewwaert a, 2652 cohari e (ebenso 2G58), 2672 n< mach a, 2674 <l< a, 2G79 makede
a, 26S7 saken a, 2691 haestelijc a, 2714 mon/.e a (ebenso 2710). 2717 hongree —
earmde e, 2718 ontfarmde e, 2720 asse c (ebenso 2723). Zu „2597. 98 umgestelt aB
vermisse ich den zusatz: „b stimt zu eu, der in ähnlichen fällen (vgl. 2620. 21) sich
findet. Zu tote dier 2608 ist als Variante die inklinierte form totir e aufgeführt.
Der gruud ist nicht ersichtlich, da zu 2591 enfie a fehlt. Solte das i dir ie die
aufnähme veranlasst haben? Dann wäre totir zu dilven 2610 und luttcl 2611 zu
stellen, die der herausgeber in die lesarten gebracht hat, obwol er auf der vorher-
gehenden seite ausdrücklich erklärt: Varianten der fragmente e, die rein orthographi-
scher natur sind, sollen unberücksichtigt bleiben. Als dialektform hat z. b. luttel
keine grössere bedeutung als etwa das ausgelassene scowut 2591 oder das ebenfals
ausgelassene uenden 2612 u. a.; vgl. Franck Uni. gr. § 79. Zu 2614 wird ooe eb
notiert, obgleich beide hss. oec lesen. 2630 ist in wat mde eb] wanen a zu ändern.
2637 fehlt: geuei (rest weggeschnitten) e. Die angäbe zu 2643: d (rest weg) e zwing!
uns, zwischen dem d in die, um das es sich handelt, und dem in dem folgenden
Jordanc selbst die auswahl zu treffen. Die zu 2647 mitgeteilte Variante wert a (=
Grimm) ist in den lesarten des Kein. I als voort aufgeführt. 2655 fehlt: trouwen
ist bis auf das t weggeschnitten. Aus der bemerkung zu 2660 ist nicht zu erken-
nen, dass auch das ghe von ghemanet in e weggerissen ist. Die notiz zu 2664 im,
heissen: -t of ie w. e. die zu 2665: e fehlt bis -t iccscn so. 2666 hulstt t>r lue a
stimt nicht zu der zu Rein. I angegebenen variaute hülst ter loe (= Grimm). Gegen
die Zusammenstellung alle be] fehlt a 2677 ist einzuwenden, dass in e, wie auch
von Martin richtig bemerkt wird, nur das reimwort sine und die beiden lezten buch-
staben des vorhergehenden wortes gliescllcn erhalten sind.
In dem dem zweiten fragmente entsprechenden texte ist v. 3033 hie in In zu
ändern, 3056 Reinaert in Reynaert , 3066 von in van, 3090 Belyn in Belijn, 3161
gagelc in gaghele. Unter den lesarten vermisse ich 3029 wonderlije a, 3030 heme e
(desgl. 3037), 3043 mordenare e, 3044 onfaren e, 3052 weldanen e, 3058 drouve-
lie a, 3061 Guwaert a, 3062 wil b, ivülc e, 3001 noü e, 3070 assce (desgl. 3089,
3103), 3078 hen e, 3079 dat ab] fehlt e, 3080 de a, 3081 vore e, 3086 her e,
3097 Alse e, 3106 wonderlike e, 3110 Her brun eü her e, 3111 gisel e, 3114
352~ BRANDES
iiiUc a. 3115 gelidei b, 3150 ombe e. 3155 daghen a. Zu v. 3089 merkt Martin
an: o. an hem a. relicturus hos 1] o. an haer eh. Auf die Stellung von orlof ist
mithin keine rücksicht genommen, obgleich dieses in eb dem an hart folgt. 3100
findet man welpehinen a, bei Grimm wie im Bein. I (ohne var.) dagegen loelpkinen.
.als fehlt a- gehurt nicht zu 3002, sondern zum folgenden verse. Ungenau ist 3119
"iaddß ... e. der rest des verses fehlt keineswegs in der hs. 3143 sor e bleibt mir
nn verständlich, da im buchstabengetreuen abdruek der hs. dor steht. Oder ist aar
druekfehler? In scnc 3090 scheint mir wenigstens ein solcher vorzuliegen.
Auf s. 10 — 1*2 gibt der herausgeher eine Übersicht über die orthographischen
-••ntümliehkeiten der Darmstädter brachstücke. Es fehlt darin: für o in a steht
c — auenturen 239.3 und für o steht u — sunne 2723. Ausserdem hat best
eine falsche verszahl bekommen; es findet sich 2624. Die zahl 3151 gehört zu
dem vorhergehenden gehtc. — An den hergestelten text schliesst Martin anmer-
kuugen zu demselben, und auf diese lässt er nachtrage zu seiner ausgäbe des
Rein, folgen. Unter den belegen zu v. 91 hätten auch Freid. (ed. Sandvoss) s. 78
und Hoffmann von Fallersieben , Findlinge 1, 443 nr. 77 aufgezählt werden können. —
Für lesen -sagen- v. 147 bietet Jans Teesteye zwei beispielc: v. 952 Wouter, sal ic
die waerheyt lesen? Heren sonden seemel icesen und v. 1292 Nu tcillic u van allen
-■n Fraeyc exemple lesen Die hier vocnnaels ghescieden Den goeden ouden roem-
seken lieden. Vgl. auch Mnd. wb. 2, 671b. — Zu v. 257 vgl. ferner Agricola nr. 126
(ausgäbe von 1541): De?' Wallt sagt: Male qnesit male perdit, und zu II, 1676
Kir Deus bei Willem van Hildegaersberch 34, 170. — V. 4255: Boltes auf-
satz. Nd. korrespondenzblatt 10, 19 — 20, hätte nicht unerwähnt bleiben dürfen.
Bolt^ führt aus. dass das plaeebo singen das ursprüngliche ist, nicht das sagen,
und dass die redensart in der lateinischen predigtlitteratur des mittclalters ihren
Ursprung hat.
In der zweiten hälfte des heftes behandelt Martin das gedieht vom baren Wis-
selau. Das uns erhaltene bruchstück desselben ist ehemals im besitze C. P. Semvres
gewesen, der es im 2. bände seines Vaderlandsch Museum 1858, nicht 1856, wie
Martin angibt, mitgeteilt hat. Das manuscript ist später in das British Museum
gekommen, hat aber seit der zeit seiner ersten bekantmachung erheblich gelitten, so
dass Martin an zahlreichen stellen über die berechtigung der lesung Serrures keine
auskunft mehr zu geben vermag. In einigen fällen ist es ihm dagegen trotz der
mangelhaften erhaltung der handschrift gelungen, mehr zu entziffern als sein Vorgän-
ger, und diese resultate seiner beschäftigung mit dem manuscript zusammen mit dem
umstände, dass die 1886 erschienene ausgäbe Kalffs1 lediglich auf Serrures text
beruht, rechtfertigen die neue ausgäbe des fragments.
Der abdruek der handschrift bedarf in einigen punkten der berichtigung. Es
zu lesen Aal slfenj, Ab 6 wisse ... [ive] , 16 sal . . . . [t] , 26 [ontbindie u te],
Afl6 [dor ..//], 36 stae[nj , Ag 41 [ecj , Ah 40 dorpferj, Ba 14 geernoude, 15 [die
.... dtcajne, 19 geernouts, 33 .... [n] dese talc, 4A iv'dc (vgl. Serrures anm. zu
der stelle), Bc 13 [eisscede crauicejl, 14 [Sijn poten stae] hi, Bh 5 lelec[ke] , 43
antvfcU ö . . . Als druekfehler sind wol anzuseilen Bb 2 kinlije für linlijc, Bd 15
'/ für 8eieten, 19 spae für *j>ra<-, Be 23 femsoise für fransoise, Bf 34 berc für
bere, Bg 29 qram für gram,. Die striche Ae v. 0 — 8 und v. 18 gehören nicht hinter
sondern vor die klammem. Unklar bleibt, von welchem Worte des v. Ah 38 an das
1 Eini.-«? snte Cönjecturen Kalffs werden jezt durch Martin bestätigt.
ÜBER REINAERT-FRAOM. ED. MARTIN 353
entziffern der handschrift auf Schwierigkeiten Btösst. In der anm. zu Aa 38 ist .o
vor der notiz fehlt 8. ausgefallen. Die anmerkuiigcn Bollen nach Martins absichl
„wesentliche* abweichnngen Serrures von Beiner Lesung angeben. Eine bestirnte regel,
nadi der die aufnähme dei differenzeu erfolgt ist, hahe ich nicht herauszufinden ver-
mocht; es sind aber nicht nur bemerkenswerte orthographische, sondern auch mate-
rielle unterschiede unberücksichtigt geblieben. Ab -1 vermisse ich das die vor r<
(vgl Ab 35), 17 kempe S., 31 gotä 8., 36 t...hten &, 44 De &, Ac 13 war S.,
Af23 das weselike vor gevaen, kg 29 si S., 39 soutu S., Ahn efen -s'. . 18 seien S.}
34 wee S., 37 soe «tore 8., Ba 20 profe« &, 28 proefew &, Ba 35 // dt &, IM. 7
betont S., 18 gevlowen 8., 26 dijs S., 27 parasS., Bcl5 feaer &, 33 Dorf/ LaetS.,
38 oHifurcn S., Bd20 wisselaue 8., Bo 39 eW/s &, Bf 24 heefluut 8., Bg5 «*ä &,
11 da* /// tri Ä, 39 »o7 mv &, Bh 6 m . 11 /| s &, 13 Awj& &, :;i fe»7
feren Ä Ferner ist zu bemerken, dass Ztese Af 34 anm. conjeetur Berrures ist, and
dass dieser Ah 31 das d von dare und Ah 33 wee gelesen hat.
Der handschriftlichen fassung zur seite stellt der von Martin auf grund der-
selben hergestelte text. Die anmerkungen zu demselben beziehen sich auf Serrures
und Kalffs ausgaben der dichtung und auf besserungsvorschläge, die von Franck
herrühren. Ich gebe einige zusätze. V. 74 gewinnen S. ist überflüssig, da das reim-
wort in der handschrift erhalten ist. V. Sl liest Serrure: ende toechten. Zu V. 85
fehlt dare S. und zum folgenden verse gevwren 8. V. 288 hat die handschrift
geuaen. Martin nimt Kalos gevwren auf; es wäre dabei aber zu erwähnen gewesen,
dass schon Serrure in der anmerkung zu der stelle «äussert: ^gevaen, misschien
roor gevaren* Ebenso geht kemenade v. 329 statt des handschriftlichen kemenelde
auf einen in Serrures anmerkungen ausgesprochenen Vorschlag zurück. Zu v. 358
fehlt niet S.} zu v. 393 sprac EspriaenS. V. 512 hat Serrure schockten und v. 579
dien kempe dijs verican; die von Martin in dem leztgvnanten verse vorgenommene
ergänzung deckt sich also nicht volständig mit der des ersten herausgebers.
Im texte ist zu schreiben v. 23 mijn für myn, v. 208 gereet für gereed, v. 238
de mi geboet, v. 274 die für de, v. 383 irildot, v. 121 drosmfen, v. 439 fjod, v. 517
niemm, v. 533 eoenc. Die inhaltsangabe, die sich an den text anschliesst, ist
weniger ausführlich als die bei Serrure, gibt die hauptsächlichsten züge der dichtung
al'er treffend au. In der Untersuchung der sage und ihrer beziehungen geht Martin
dagegen weit über seinen Vorgänger hinaus. Für die entstehung des mnl. Werkes ist
der terminus ad quem durch die erwahnung desselben in Maerlants Spieghel historiael
gegeben. Es muss vor 1290 verfasst sein, ist aller Wahrscheinlichkeit nach aber
"viel früher anzusetzen. Mit Sorgfalt hat Martin die momente zusammengetragen,
die dem stil der spielmannspoesie eignen. Bemerkungen über den versbau schliessen
seine ausfährungen ab.
Es bleiben nocli einige bisher übergangene druck versehen zu berichtigen. S. 4
steht 3GG5 statt 2G65, s. 25 var. zu 3113 rechte statt rehie, s. 25 in den var. (31)17
statt (31)15, s. 28 ich statt ic, s. 30 Mul. statt Mnl., b. 33 v. 2539 statl 2519, s. 51
Überschrift BXRE statt BEBE, s. 52 anm. Ba 118 statt 18, s. 53 anm. Aa statt Ba,
s. 54 anm. Bb 27 statt Bb 37, s. 57 anm. 533. 534 statt 532. 533, s. 59 anm. 582
statt 583, s. 62 anm. Bh. 2 statt 10, s. 72 gelooft statt geloeft, ai statt ay, sieh
statt xiele, s. 73: 617. 61S statt 616. 617. Die darstellungen der abkürzung des
wortes partrisen v. 3164 auf s. 10 und s. 28 weichen von einander ab.
BERLIN. HERMAN BRANDES.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIII.
23
354 F.KPMANX. fRF.K KOF.TTEKF.N. F.riSCHF. KUNST
Die epische kunst Heinrichs von Veldeke und Hartmanns von Aue.
Beitrag zur mhd. litteraturgeschichte. Von Hubert Roettcken. Halle,
Niemeyer. 1887. VI und 207 s 5 m.
Der Verfasser, dessen dissertation über den satzbau bei Berthold von Regens*
burg QF ich in dieser Zeitschrift XVII. 12S besprochen habe, stelt sich in die-
- hrift die aufgäbe, aus beobachtung des Sprachgebrauches, des stiles und der
hen teehuik aüge zur Charakteristik der beiden epiker zu gewinnen. Die
nntersnchung ist mit fleiss und liebe geführt, auch zeigt der Verfasser feines gefühl
für dichteris igentümlichkeit, ebenso vorsieht und richtigen takt bei der ver-
wertong der zahlreichen gesammelten einzelheiten; doch liegt es an der algemeinen
fassnng der an 3S er nicht überall zu greifbaren und abgerundeten ergehnis-
mmen ist. Aus dem ersten, syntaktischen abschnitt sind die nachweise über
mit abstraktem Subjektswort (so ergic ein jaemerUchex scheiden u. a.). über
• :i. über ansruf ohne verbum (ellipse) hervorzuheben; aus dem zweiten über
-Zusammenhang und Ordnung der erzahlung" die hesprechung der vor- und rück-
weisungen; aus dem dritten („schmuck und nachdruck der rede") die Personifikationen,
die alliterierenden formein. die klang- und Wortspiele.
Der vierte abschnitt bespricht „die einzelnen Stoffelemente u, wobei u. a. das
Verhältnis der beiden dichter zu naturgegenständen und naturvorgängon, sowie die
veranschaulichung körperlicher Schönheit zur spräche komt. Die Schilderung der liäss-
liehkeit — zu welcher bei Veldeke (En. 2689 fg. 3049 fg. 3197 fg.) die Sibylle,
Oharon und Cerberus, bei Hartmann der waMtore Iw. 425 fgg. (auch Iwein im wahn-
sinn 3251 fgg. stoff geboten hätten — ist nur kurz berührt s. 149.
Verhältnism kurz gehalten ist auch der fünfte abschnitt: Hervortreten der
Persönlichkeit des dichtere; hier ist wenigstens der aus Hartmann zu gewinnende
h nicht erschöpft.
Hat der Verfasser es für eine alzu mechanische arbeit gehalten, seinem buche
ein alphabetisches register mitzugeben? Ein solches würde die benutzung und
al-eitige Verwertung seiner samlungen sehr erleichtert haben.
KIEL. 0. EEDMANN.
Die deutschen runendenkmäler herausgegeben von Rudolf Henning. Mit
4 tafeln und 20 holzschnitten. Mit Unterstützung der k. preuss. akademie der
wir- aften. Strassburg, Karl J. Trübner. 1889. VIII, 156 s. 4. 25 m.
An rnnendenkmalern ist das eigentliche Deutschland ebenso arm wie an resten
altheidnischer \ sie, während der skandinavische norden von dieser zwar nicht beson-
ders umfangreiche, aber äusserst wertvolle Zeugnisse, von jenen eine fast unüber-
. noch immer durch neue funde wachsende, beneidenswerte fülle erhalten
hat. Die nrsache unserer armut ist in beiden fällen die gleiche: die frühzeitige cin-
führung des Christentums bei den Germanen des continents, welche die frisch sich
entwickelnden keime einer nationalen kultur durchschnitt und bereits vorhandene
bluten erbarmungslos zerstörte1. Die runenschrift entstand frühestens zu ende des
iahrhunderts und bereits im 4. begann die erfolgreiche tätigkeit der christlichen
1) Dass die Völkerwanderung ,.die alten Traditionen unterbrochen habe", wie Henning s. 152
meint, ist nicht glaublich. Wenn seine annähme richtig sein solte, dass die runenschrift eine erfindong
der nordöstlichen Völkerschaften ist (es wäre das ein neues zeugnis für die hervorragende boanlagung des
vandilischen Stammes !) , so könte man geradezu annehmen , dass die kentnis der schriftzeichen durch die
■Wanderung den Germanen des we=tens zugeführt wurde. Nach einem „neuen anstosso'-, der das spätere
erscheinen der runenschrift auf den südwestlichen denkmälern erklärt, brauchten wir dann nicht mehr
zu suchen.
BING, ÜBRB HENNING, KTNKNDKNKMÄLRR
bekehrer, welchen die heidnischen, zu zauber und Weissagung verwendeten zeichen,
deren Zusammenhang mit dem Lateinischen alphabel ihnen zweifelsohne verborgen
blieb, ein greuel waren, die ßie daher nach kraften auszurotten sich befleissigten. Zu
einer Verbreitung in tiefere schichten der bevölkerung, zu ausgedehnterer anwendung
und fortentwickelung konte es daher die runensckrift im lande ihrer entstehung uichl
bringen; sie gieng unter, ehe sie noch recht Lebensfähig geworden war. In England
ist zwar nicht der euer, wahrscheinlich aber der Fanatismus der missionare geringer
gewesen: daher hier die auf den ersten blick überraschende erscheinung, dass die
runenschrift sich nicht nur fortbilden und mit der Umgestaltung der spräche (beson-
ders auf dem gebiete des vocalismus) sehritt halten konte, sondern auch Längere zerl
hindurch noch auf christlichen denkmälern Verwendung fand.
Monumentale denkmäler mit raneninschriften Bind infolge dessen bei uns nicht
vorhanden; sie beginnen erst auf dem bodon, der Jahrhunderte lang gegenständ des
Streites zwischen Deutschen und Dänen gewesen ist, redende zeugen des waffen-
glücks, das die lezteren bis an die Schlei hinab zu herren der eimbrischen halbinsel
machte, der nrsprünglichen heimal jener südgermanischen stamme, die die begrün-
der der angelsächsischen reiche in England wurden. Was wir als unser eigentum
beanspruchen dürfen, ist eine kleine anzahl Loser gegenstände: zwei Speerspitzen, zwei
goldene ringe, sieben spangen1, ebensoviele einseitig geprägte schmuckmünzen (brac-
teaten) und ein köpfchen aus ton, dessen bestimmung wir nicht kennen. Die inschrif-
ten auf drei weiteren stücken (dem speerblatt vou Torcello und den Bpangen von
Engers und Kehrlich) sind mindestens verdächtig. Alle diese denkmäler (von denen
die zweifellos echten uns im ganzen 25 Wörter überliefern!) sind in der dankenswer-
ten, durch die munificenz der k. preussischen akademie der Wissenschaften würdig
ausgestatteten publication von Henning vereinigt und fortgesezten bemühungen der
forscher bequem zugänglich, gemacht.
Denn das lezte wort ist über die auf diesen gegenständen eingeiizten inschrif-
ten noch nicht gesprochen. Unbedingt muss dem herausgeber das zeugnis ausgestelt
werden, dass er wol vorbereitet, mit den notwendigen sprachlichen und archäolo-
gischen kentnissen reichlich ausgerüstet, an seine aufgäbe herangetreten ist, und da
er es an redlicher bemühung, an fleiss und Sorgfalt nicht hat fehlen lassen. Wenn
trotzdem die resiütate nicht durchweg befriedigen, so ist dies erklärlich und ent-
schuldbar. Gerade die geringe zahl unserer denkmäler macht ihre deutung überaus
schwierig, da wir nicht, wie unsere glücklicheren nachbam im norden, die über ein
reiches material verfügen, vergleichen, combinieren, eine inschrift durch die andere
aufhellen können. So kann trotz des bedeutendsten aufwandes methodisch geschulter
gelehrsamkeit arbeit und mühe vergeblich sein, wenn nicht ein günstiger zufall oder
ein glücklicher einfall, der blitzstrahl einer genialen divination zu hilfe komt.
Da es den lesern der Zeitschrift erwünscht sein dürfte, einen schnellen über-
blick über den gegenwärtigen bestand zu gewinnen, so lasse ich eine Bchematischo
Zusammenstellung der denkmäler nebst den wichtigsten mitteilungen über dieselben
und den Henningschen deutungen folgen.
1) Xach dem erscheinen von Hennings buche ist noch eine runenspange (aus Balingen im wür-
tenibergischen Schwarzwaldkreis) bekant geworden, deren inschrift Sven Söderberg in den Prähisto-
rischen blättern II (München 1890) s. 33 — 41 veröffentlichte. Die kentnis dieses aufsatzes verdanke ich
J. Mestorf. Ich muss übrigens gestehen, dass mir dio lesung Süderbergs (Halfdanilo Amilunge) wenig
wahrscheinlich dünkt. Ein alemannischer „Halfdcm" erregt begreiflicher wei.-e mistraaen; nur prof.
Stephens wird ihn mit freuden begrüssen und die spange natürlich sofort für einen dänischen „Wande-
rer" erklären.
23*
GERING
•i.
Jahr der
Auf-
findung.
Fundort.
Wortlaut und dentong <lor inschrift.
1
S
ans
Sm ao, kreis
■ 1 Volhynien)
Tilarids (eigenname)
„der geschickte reiter*
—
m
Müncheberg,
kreis Lebus
1 Brandenburg)
Ranfijnga (eigenname)
„dem Raning" d. h. dem angehöri
einer „svinfvlking"
do.
1SM1
Torcello
Rrmnga
18
Pietroassa
(Rumänien)
Qutanio tri hailag
„das gotische unverletzliche tempelgut"
4
Spange aus
sill
187.7
(?)
Charnay
(Saone et Loire)
Rune 1 — 20; ttpffijttpai Iddan Mann eia
„volständig erfasse dos Idda weib sie"
"
Spange aus
messing
1854
Osthofen
bei Worms
Godr furad lodaro flieg
„deo iter vanitatum commendau
aus
Bill
1873
Froilaubersheim
bei Kreuznach
Boso icrat runa pfijk Dapena gofl da
(gofdjda) „Boso rizte die rune, dich Da-
pena grüsste (beschenkte) ertt
7
do.
1843
Nordendorf
bei Augsburg
Loga Pore Wodan ^ wigi Potiar. Aica
Lcabicinie „die heirat ersiege "Wodan,
weihe Donar. Awa dem Leubwini*
-
Spang
1844
do.
Birl[i]nio Ell; „der schenkin Elk"
Spange
1878
Ems an der Lahn
Ubada Madan „\Vada dem Madou
10
- nnge mit
inen
188G
Friedberg
( AVetterau)
puruphild (weibL eigenname)
11
Fingerring
aus gold
Körlin (Pommern)?
*
Altt El<i
(verstümmelt aus lat. salus?) (eigenname
12
Bracteai
1850
(?)
\Vapno (Posen)
Sabar (eigenname) „der verständige*
13
Bracteat
Hinterpommern?
Waiga (eigenname) „der bewegliche1
14
a-d
B: • n
1859
Nebenstedt bei Dan-
nenberg (Hannover)
d: Olearg ix reurg\
„Gleargdor schwache u
15
Bra • ■
Heide
iLitlimarschen)
Alu (s. nr. 11)
IG
Tonkopfchen
Bünterpommern ?
Falgja „ schutzgeist "
17
•ange
Engers (Rheinprov.)
Leub . . . (anfang eines eigennamen)
18
ange
Kehrlich
bei Andernach
Wodana hailag
„dem Wodan heilig"
ÜBER HENNING, RÜNENDENKMÄLER
Rich-
_ der
-rhrift.
Sprache.
Zeitalter.
Aufbewahrungsort.
Bemerkungen.
<
ostgermanisch
logisch- vandilisch ?)
3. jh.
Warschau
(Privatbesitz)
<
jtgermanisch
(bnigondisch?j
3.-4. jh.
Münchebe
(samlung de ins
für heimatkunde)
<
Torcello (mnsenm)
Fälschung (oo]
gotisch
4. jh.
Bukarest
(mnsenm)
burgundisch ?
6. jh.
Dijon
(Privatbesitz)
-
fränkisch
G. — 7. jh.
Mainz
(centralmnsenm)
>
do.
6.-7.jh.
do.
>
alemannisch
6. — 7. jh.
Augsburg
(Maximiliansmuseum)
die zwei lezten n on
anderer band.
>
do.
8. jh.
do.
>
fränkisch
8. jh.
Ems (Privatbesitz)
>
do.?
6. — 7. jh.
0
<
rugisch?
Berlin
(museum)
<
burgundisch?
4. — 5. jh.
do.
>
rugisch ?
4.-5. jh.
do.
weeh-
longobardisch -
sächsisch ?
6.-7. jh.
Hannover
(provincialmuseum)
Die Inschriften von a— c geben
keinen buhl
>
<
>
do.
6.-7. jh.
Hamburg (museum für
tun st und ge werbe)
rugisch ?
4.— 5.jh.?
Berlin (museum)
"Worms (museum)
>
Mainz
(centralmuseumj
ilschung.
35S GERING
Richtig oder mindestens wahrscheinlich sind von diesen deutungen die von
or. 1— 3, 6, 8 '": einzelne derselben waren übrigens bereits früher ganz oder teil-
weise durch die bemühungen anderer gelehrten sicher gestelt Schwere bedenken
erregt aber Hennings versuch, der inschrift auf der spange von Charnay (or. 4) einen
vernünftigen sinn abzuringen; ich zweifle, dass auch nur ein leser des buches durch
ue ausfuhrungen sich hat überzeugen lassen. Auf der genanten spange stehen
bekantlich die ersten zwanzig seichen des gemeingermanischen runenfu|)arks und
ausserdem ein paar worte, die eine befriedigende auslegung bis jezt nicht gefunden
haben. Henning liest: ußffijnßai1 Iddan kiano eia „es möge die gattin des Idda
sie (die rune) herausfinden (volständig erfassen)-. Um diese sonderbare legende
flieh zu machen, stelt Henning die Vermutung auf, dass der runenkundige Idda
eine minder gelehrte gemahlin I sessen habe, die er zu der höhe der eigenen bilduug
habe emporheben wollen: da es nun im 6. Jahrhundert noch keine Übeln gab, so ver-
ehrt-• er ihr die mit dem aiphabet versehene fibula, indem er zugleich schriftlich den
wünsch aussprach, dass die Studien von gutem erfolge begleitet sein möchten. Leider
- mir unmöglich, an die Wirklichkeit dieser altburgundischen ehestandsidylle zu
aben. Dass die inschrift an eine des lesens noch unkundige person sich richtet,
wofür ein analogon sich schwerlich findet, mag unter den eigentümlichen von Hen-
ning - uommenen Voraussetzungen als möglich gelten, da Idda doch wol, um das
angestrebte ziel zu erreichen, seiner frau nicht bloss die spange geschenkt, sondern
auch mit hilfe derselben sie unterrichtet haben wird — nur fragt man sich, ob das
holzscheit nicht ein geeigneteres lehrmittel gewesen wäre, da auf diesem
runenzeichen sich doch grösser und deutlicher hätten einritzen lassen. Und über-
dies enthält die spange nicht das ganze aiphabet, sie war also für den von Hen-
ning angenommenen zweck durchaus unbrauchbar. AVarum ferner hat Idda uns den
namen seiner geliebten Schülerin vorenthalten? Dieser name, in den geheimnisvol-
len zeichen geschrieben, hätte für die frau doch sicher ein besonderes interesse
gehabt. Warum endlich hat der Schreiber, statt die sache, die er meinte, einfach
bei ihrem namen zu nennen, den unverständlichen hinweis durch ein pronomen
- zogen? — Gewichtiger noch sind die sprachlichen einwendungen gegen Hennings
deutuDg. Di -r nur möglich, wenn man seine hypothese annimt, dass romanische
lair_ tze die germanische spräche des runenritzers beeinflusst haben, eine hypo-
these. die aber unbedingt abzulehnen ist. Die Goten schrieben mes und Kustantei-
ien nasal in diesen fremdwörtern nicht mehr hörten, aber der schwimd
des lautes in echt gotischen Wörtern wurde natürlich nicht dadurch herbeigeführt
.'.. sitm, Hansa, gaminpi usw.). Dass in lateinisch geschriebenen werken und
Urkunden germanische eigennamen gelegentlich einmal in romanisierter form erschei-
nen, beweist keineswegs, dass die spräche des deutsch redenden volkes der einwir-
kung eines fremden lautgesetzes unterlegen ist, gibt ja doch Henning selber zu, dass
auch in den diplomen «die reguläre deutsche lautgebung noch während der frän-
kischen zeit mit steigender macht sich geltung zu verschaffen wüste". Ferner kann
Ina hwerlich mit dem gotischen qinö identificiert werden; die auf s. 65 aus-
gesprochene behauptung. dass q, weil für diesen laut in dem alphabete kein zeichen
vorhanden war, nur duren k widergegeben werden konte, wird durch nordische und
Ist für ufnjp wirklich nur eine einzige erklärung möglich? Man könte auch an germ. Wfcpir
eile-" denken.
- Im Calend. got. (Vulfila ed. Bernhardt s. 605). Dieser heleg wäre bei Henning auf s. 67
noch hinzuzufügen.
ÜBER HENNING, RUNENDENKMALER 359
angelsächsische inschriften widerlegt, die für q einfach hu oder kw setzen: Tcuask
auf dem steino von Aars in Jütland (Thorsen II, 2, 102; Bugge, Tidskr. f. phil. VII,
250); kuikuan auf den upländischen Bteinen von Vallentuna und Taby (Stephens II.
641); Icwömu auf dem kreuze von Ruthwell (Zupitza, alt- und mittelengl. leseb.4,
s. 5) usw. — Übrigens glaube ich, das- die eigentliche iuschrift der Charnayspange
mit dem worte kiano zu «'iide ist: der runenritzer ist ersichtlich bei den lezten bei-
den zeichcu mit dem räume sein- verschwenderisch umgegangen — ein wort wie eia '
hätte sonst noch bequem platz gehabt. — Auch was Eenning auf der Bpange von
Osthofcn (nr. 5) und auf der grösseren spange von Nordendorf (nr. 7) herausli
{gode furad lodaro filcy „deo iter vanitatum commenda"; loga Pore Wodan, wigi
ponar „die heirat ersiege Wodan, weihe Donar u) kann kaum als eine endgiltige
lösung betrachtet werden; für mich sind diese inschriften wie die der Charnayspange
noch ungeratene rätsei. — Zu nr. IG, dem Berliner tonköpf chen, möchte ich bemer-
ken, dass es schwer begreiflich ist, wie der runenritzer dazu gekommen sein solte,
eins aus der reihe der zeichen auf dem scheitel des kopfes anzubringen, während
doch auf den glatten flächen des piedestals reichlich räum vorhanden war.
Zweifel und bedenken sind mir auch sonst noch mehrfach aufgestiegen. Erwäh-
nen will ich nur noch, dass die polemik gegen Bugge (s. 83 anm. 2 und 13C) mir
durchaus unberechtigt erscheint. Dass der grammatische Wechsel auch im anlaut
gewirkt hat, gilt mir durch die Zusammenstellungen Bugges für bewiesen; vgl. jezt
noch Xoreen, Utkast tili föreläsningar i urgermansk judlära (Upsala 1890) s. 81 fg.
83. 85. 87, wo die samlungen Bugges noch durch weitere beispiele vermehrt sind,
die meines erachtens das „vermeintliche lautgesetz", von dessen richtigkeit, wie es
scheint, auch andere noch nicht völlig überzeugt sind2, gegen jeden einwand sicher
stellen. Besonders instruetiv, weil durch ihn sowol Verners wie auch Bugges gesetz
exemplifiziert wird, ist ein neuer von Noreen gefundener beleg, auf den ich selber
auch schon aufmerksam geworden war: ahd. farah, ags. fearh neben ahd. barug,
ags. bear%, bearh, altn. bqrgr. Beide Wörter, die genau dasselbe bedeuten, sind
natürlich auch der form nach identisch: sie sind nichts anderes als durch den accent-
wechsel bedingte Varianten.
Die ergebnisse seiner forschungen hat Henning hinter dem ausführlichen com-
mentar noch einmal kurz und übersichtlich zusammengefasst (s. 135 — 141) und bei
dieser gelegenheit noch mehrfache nachtrage und berichtigungen hinzugefügt; daran
schliesst sich (s. 142 — 147) eine Zusammenstellung dessen, was sich aus den weni-
gen Wörtern für die laut- und formlehre der behandelten denkmäler gewinnen Las
Den schluss s. 147 — 155) bilden beachtenswerte hypothesen über heimat, entstehung
und alter der runenschrift.
Die correctur ist sorgfältig gehandhabt. Ausser den auf s. VHI verzeichneten
druckfehlern sind mir nur noch die folgenden aufgestossen : s. V, z. 4 lies Prcßste-
gaardsmose st. Prtestegords-; s. 17 25 Vcjbjerg st. Dijberg; s. 18 4 Dejbjerger st Dij-
berger; s. 3226 den st. dem; s. 64 30 mov/UUe st. moidlee; s. 88 3S Baiser st. Heiser;
s. 94 3 weihaida st. icihaida; s. 9527 paüran st. ßoran; s. 116M prupmojjigr st.
1) Die rune \, mit der dieses wort begint, fasst H. nicht, wie dies bisher meistens geschah,
als eu, sondern als Vertreter des altgerman. geschlossenen e (e) , das im got. in i übergieng. Die gründe,
die er gegen die frühere annähme geltend macht, sind für mich überzeugend.
1) Wie Kluge noch in der 4. aufläge seines Wörterbuches s. v. russ behaupten kann, dass ahd.
ruox und ags. sot „kaum verwant1' sind, während er doch an anderen orten (vgl. z. b. die artikel base
und blach) den ergebnissen Bugges zuzustimmen scheint, verstehe ich nicht.
360 SÜCHIKR. ÜBER LOSETH. TKISTAX1IAANDSKRIFTER
-modigr; s. 152" eimbri selten st. dänischen. Keine druckfehler, sondern orthogra-
phische Sonderbarkeiten des Verfassers sind die Schreibungen ^gothisch* und „bischoff".
KIEL. 30. JULI 1890. II. GERING.
Eilcrt Lflseth, Tristanromanens gammelfranske prosahaandskrifter i Pa-
risei nationalbibliotheket. Kristiania 1888, Cammermeyer. IV, SO s. 8.
Welche res ardua es ist, die handschriften des Frosatristan zu beschreiben,
davon hat nur der eine Vorstellung, der die handschriften in der hand gehalten
und selbst den versuch gemacht hat sich in diesem labyrinth zurecht zu finden. Es
darum ein höchst verdienstliches unternehmen, wenn herr Loseth uns einen lei-
tenden faden in die hand gibt, an dem wir uns wenigstens durch die Tristauhand-
. ritten der Pariser nationalbibliothek hindurch finden können. Die zahl dieser hand-
riften bet t, indem zu den ztschr. XVIII, S5 genanten noch zwei hinzukommen,
welche die kompilation des Rusticien de Pise enthalten. Drei handschriften sind zwei-
bändig, daher Loseth — ohne recht, wie mich dünkt — von 27 handschriften redet.
Die zahl der handschriften von Eusticiens Tristan beträgt nunmein' drei. Von den
übrigen 21 enthalten nur sieben einen zwar nicht lückenlosen, aber doch im wesent-
lichen vollständigen text; alle übrigen nur mehr oder weniger umfangreiche bruch-
stücke. Der text einer handschrift (12599) ist nur aus einer reihe von bruchstücken
zusammengewürfelt.
Die schrift enthält: s. 1 — 3 eine aufzählung von handschriften und ausgaben,
s. 3 — 5 die angäbe, wie viel von dem roman in jeder handschrift enthalten ist,
3.5 — 67 eine rapide aualyse mit berücksichtigung der verschiedenen Versionen des
r omans, s. 07 — 69 einzelheiten über die handschriften und ausgaben, s. 70 einen
Ölbaum der handschriften, s. 71 — 74 litterarische bemerkungen, s. 75 — 78 eine
Charakteristik der kompilation des Eusticien de Pise. Alles ist mit dankenswerter
kürze geschrieben; doch hat der Verfasser die kürze darin zu weit getrieben, dass
er bei anführung handschriftlicher stellen die blatzahlen weglässt. Von besonderem
interesse sind seine bemerkungen auf s. 73, wo er die von Gaston Paris geäusserte
ansieht weiter begründet, der zufolge der Prosatristan den inhalt des verlorenen Chri-
^tianisehen gedichtes in sich aufgenommen hätte. Dass der abdruck von Brakclmanns
aufsatz i ztschr. XVIII, 81) nicht ohne nutzen gewesen ist, zeigt sich in dem beifall,
den Loseth bei einer wichtigen frage Brakelmann spendet (s. 6). Loseth erwähnt im
Vorwort, dass sein wünsch, die Brakelmannschen kollectaneen in Paris einzusehen,
nicht erfült werden konte. Ebensowenig gelang es mir, die erlaubnis hierzu zu
erwirken, und auch mein Vorschlag, Brakelmann spapiere auf der Hallischen univer-
ibliothek zu deponieren und so dem publikum zugänglich zu machen, wurde
rworfen. Indessen glaube ich dass Loseth hierbei nicht alzuviel verliert, da schon
diese ersten mitteilungen über seine Tristanforschungen erkennen lassen, dass er
die — ja auch nur zum vorläufigen abschluss gelangten — forschungen Brakelmanns
überholt hat.
Ich habe mich kürzlich auf einer reise nach Italien in Genf aufgehalten und,
da ich gerade Loseths büchlein gelesen hatte, mir dort die handschrift francais
erlegen lassen, die einen im 15. Jahrhundert geschriebenen Prosatristan enthält.
Mit hülfe von I. - ths angaben war es leicht festzustellen, dass diese handschrift in
der e] mit dem Schilde (Loseth s. 11 oben) abbricht und an den s. 10 angefahr-
ten stellen, die sieh auf blatt 6 und Matt 5 vom ende der handschrift finden, mit
VOGT, ÜBER STRNADT, KÜBENBERGMYTHTT8 361
334 zusammengeht, wonach es scJion möglich ist, die Genfer handschrift einer gruppe
des stambanmes zuzuweisen.
Der Verfasser selbst erklärt die vorliegende Schrift nur für einen coup d'es-
sai: er avüI demselben gegenstände noch eine ausführlichere darstellung widmen.
Was vorliegt, zeigt bereits, dass er sich vortreflich in die sache eingearbeitet und
es zu einer beherschung des schwer zu bewältigenden materiales gebracht hat. Wir
wünschen ihm glück zu Beinern nnternehmen und sehen der abschliessenden schritt
mit Bpannung entgegen.
HALLE. HERMANN BUCHTEB.
Der Kirnberg bei Linz und der Kürenberg-mythus. Ein kritischer bei-
trag zu „Minnesangs-frühling. tt Ton Julius Strnadt. Linz a. D. 1S89.
Ebenhöchsche buchhandlnng. GO s. 8. 1 m.
Der verlasser hat sieh durch den augenschein davon überzeugt, dass die auf
dem gipfel des waldigen Kürn- oder Kirnberges bei Linz erkenbaren befestigungsspu-
ren nicht von einer ritterburg, sondern von einem prähistorischen verteidigungswall
herrühren, dass eine bürg Kürnberg vielmehr südlich davon auf einem hügel zwi-
schen Dornbach und Rufling gelegen habe und dass die trümmer derselben noch eine
art der anläge erkennen lassen, wie sie vor dem beginne des 13. Jahrhunderts nicht
üblich gewesen sei. Nach dieser können daher die verschiedenen im 12. Jahrhundert
urkundlich nachgewiesenen „de Churnperch" ihren nanien nicht getragen haben.
Die in den jähren um 1130 bis um 1137 auftretenden Purchart, Magenes und
-Marcwardus de Chur(i)nperch werden einem bairischen, in Kirnberg am linken
Innufer, nahe Altötting, ansässigen geschlechte von ministerialen der grafen von
Burghausen zugewiesen. Chönrat de Chörin perge, urk. um 1140, und Gerol-
dus de Curenberch, urk. um 1155, sind nicht ritter, sondern gemeinfreie, jener
nach einem Kürnberg bei Rudling oberhalb Efferding (Österr. o/E.), dieser nach dem
Linzer Kürnberg genant. Von dem zweiten orte trägt seinen namen allerdings auch
ein ministerial Gualtherus de Cürnberg, der im jähre 1161 eine Urkunde des am
Linzer Kirnberge gelegenen klosters \Vilhering bezeugt. Aber er gehörte nach des
Verfassers meinung einem dort ansässigen ministerialgeschlechte von Mülenbach an,
vermutlich als jüngerer bruder des in genanter Urkunde mit unterzeichneten Conra-
dus de Mulenbach, und er führte als solcher nach einem am Kürnberg befindlichen
besiztum der familie seinen namen.
Otto und Purchardus de Churnperch erscheinen in einer Urkunde Ulrichs
von Sichtenberg vom jähre 1166 unter den dienstmannen der grafen von Schala in
Xiederösterreich ; sie nennen sich nach dem Kirnberg an der Mank, südlich von Melk,
und vertreten nach Stmadts Vermutung einen zweig der erwähnten bairischen Kürn-
berger, der nach Niederösterreich verpflanzt wurde, als dort die grafen von Burghau-
sen durch die heirat Sigharts IL mit der tochter des markgrafen Leopold von Öster-
reich besitz erwarben.
Gibt man nun alles dies zu — obwol ich meinerseits gestehe, dass mich die
betreffenden ausführungen nicht durchweg überzeugt haben — , gibt man ferner zu,
was der Verfasser daraus folgert, dass nämlich in Oberösterreich ein geschlecht
von Kürenberg nie existiert habe, so ist doch der weiter daraus abgeleitete schluss,
„dass der liederdichter von Kürenberg fürderhin nicht in Oberösterreich gesucht wer-
den darf" keineswegs berechtigt. Denn es komt doch nicht auf die benennung des
362 1RDMANN
ganzen geschlechtes an, dem der fragliche dichter angehört, sodem nur auf den
namen des dichters selbst; und da jener im jähre 1161 urkundende oberösterreichischc
ministerial Walther nachweislich von Kürnberg hiess, so genügt das volständig um
ihn mit in betrachi zu ziehen. Mindestens gleiche ansprüohc aber haben natürlich
die Niederösterreicher Otto und Purchard und ihr wirklieh von Kürenberg genantes
Lechi Stmadt freilich meint, dass auch in diesem und auch unter den bai-
•heu Kürenbergern der dichter nicht zu suchen sei, vielmehr werde er zu dem
reichsfreien 'echte von Kürnberg im Breisgau gehört halten, aus welchem um
10S8 ein Burchardus ingenuus de Curenberc bezeugt ist, über welches jedoch aus
Jahrhundert gar keine nachricht vorliegt und dessen sitz Kürnberg bereits im
anfan_ - 13. Jahrhunderts nachweislich cigentum der herren von Üsenberg war.
Die gründe, weihe Btrnadt für diese annähme beibringt, sind völlig haltlos. „Die
:eichnung des dichters in substantivischer form in Kürenberges wise statt in der
adjeetivisehen form Kürenbergers (?) wise. welche lezterc auf bajuvarische provenienz
lassen würde" sieht er als eine eigentümlichkcit des alemannischen dialek-
an. W< der das eine noch das andere ist richtig. Wolfram sagt z. b. herVogel-
weid. Gotfried v. Strassburg dagegen der Ouwasre, Rudolf v. Ems ebenso und
der Stoufa?re, der Türheima?re usw. Wenn ferner Strnadt meint, dass in der
fraglichen zeit die österreichische ritterschaft viel zu roh und unhöfisch gewesen sei,
um das minneUed zu pflegen, und sich dafür auf Heinrich von Melk beruft, so hat
er dabei die bekante stelle Erinnerung 597 fgg. übersehen, an welcher nicht nur der
höfische verkehr der ritter mit den damen, sondern auch der ritterliche minnesang
ganz ausdrücklich bezeugt wird. Man hat daher auch nach dieser neuesten Unter-
suchung keine Veranlassung, von der durch die beziehung der Kürenberges wise zu
den Nibelungen gestüzten annähme abzugehen, dass der von Kürenberc ein Öster-
reicher war.
KIEL. FR. VOGT.
Deut g Wörterbuch von Moriz Heyne, prof. an der univ. Göttingen.
r halbband: A bis Ehe. Leipzig, S. Hirzel. 1889. 656 spalten hochquart.
5 m.
Es liegt nahe, dieses von einem der mitarbeiter des Grimmschen Wörterbuches
und in gleichem vorläge wie dieses erscheinende neue Wörterbuch neben
jenes ° - werk zu halten, um einen festen anhält der beurteilung zu gewinnen.
Die vergleichung einer grösseren reihe von artikeln in beiden werken ergibt, dass
Heynes Wörterbuch bei viel geringerem umfange doch nach sehr ähnlichen grund-
tzen wie das Grimmsche gearbeitet ist; aber es ist ganz und gar nicht etwa ein
auszug aus demselben, sondern ebensowol eine sehr wilkommene ergäuzung, die
neben Grimm ihren wert hat und mit sorgfältiger benutzung der seit dem erscheinen
lieferungen gemachten lexicographischen erfahrungen und Studien aus-
fahrt ist, als auch für alle, denen jenes gewaltige werk nicht in jedem augen-
blicke zur hand ist, ein hochachtbarer stel Vertreter oder ersatzmann desselben. Die
quellen sind nach analogen grundsätzen abgegrenzt, wie dort; es soll der wertschätz
ieutender hochdeutscher Schriftsteller seit dem ende des 15. Jahrhunderts bis auf
un it veranschaulicht und unserem spraohbewustsein erhalten werden. Den anfangs-
punkt der dargcstelten entwicklung bezeichnen wie bei Grimm Aventin, Ayrer, Lu-
ther, Hans Sachs; die enden aber laufen bei diesem 40 jähre nach Grimm begoa-
ÜBER HEYNE, DEUTSCHES WÖRTERBUCH 363
nenen werke viel weiter in unsere gegenwart hinein, indem unter den dichtem z. b.
Goibel, unter den novellisten Paul Heyse, Gottfried Koller, C. F. Meyer,
Rosegger, unter den historikern and rednern v. Treitschke und fürst Bismarck
häufig als gewährsmänner erscheinen. Die zahl der belege ist gegenüber Grimm
erheblich eingeschränkt, aber planmassig so ausgewählt, dass für jeden in unserer
spräche noch heischenden gebrauch jedes Wortes mindestens oin möglichst altes und
ein oder mehrere beispiele aus neuerer und neuester zeit gegeben werden, jedes mit
genauem citat. Mit Sorgfalt und umsieht hat sieh der Verfasser dabei einerseits
bemüht, die reichen schätze des Grimmschen Wörterbuches nicht etwa einfach aus-
zuziehu, sondern aus reichen eignen samlungen zu ergänzen; fast immer gibt er
andere beispiele als Grimm, und zwar jedesmal bezeichnende und mit umsieht aus-
gewählte.
Auch die anordnung der bedeutungen ist klar und übersichtlich; oft ist auf
knapperem räume das für den gebildeten leser wichtige ebenso gründlich gegeben,
wie bei Grimm. Nicht selten sind auch berichtigungen und erweiterungen, namentlich
genauere angaben über das auftreten eines wortes, einer floxion, einer gebrauchs-
weise hinzugefügt; vgl. z. b. Aar, Abfindung, Abfuhr, Ablass, Beinkleid, Bern mc;
Bischof (als getränk); Dienstag u. v. a.
Die composita sind unter dem ersten bestandteil angeführt, aber zu grup-
pen für das äuge des lesers übersichtlich zusammengerückt. Volständigkeit hat Heyne
bei den compositis ebenso wenig erstrebt wie J. Grimm. Kaum wird heute noch ein
einsichtiger daran anstoss nehmen; die zeiten sind hoffentlich vorüber, in denen mau
den wert eines neuhochdeutschen Wörterbuches nach der menge der in ihm auf-
geführten Wörter abzuschätzen versuchte. Campe renommierte einst am Schlüsse
jedes bandes mit jedem tausend von Wörtern, das er mehr biete als Adelung; und
Daniel Sanders suchte einen recht wolfeilen rühm darin, dass er aus Daniel, Seid-
litz und anderen quellen 100 composita mit Alp- oder Alpen- zusammenschreiben
konte, die im Grimmschen wörterbuche nicht standen. AVenn es ihn gelüstet, kann
er den tadel gegenüber Heyne widerholen. Aber viel wertvoller und förderlicher,
als ein kleinliches streben nach massenhaftigkeit des inhaltes ist es doch, an einer
umsichtig getroffenen aus wähl der composita wie der belege die hauptzüge der
Wortbildung und der bedeutungsentwicklung klar zu legen, an welche der leser seihst
die fälle des ihm täglich und stündlich entgegentretenden anknüpfen oder anreihen
kann; und deshalb ist diese im besten sinne anregende tätigkeit des lexicographeu viel
höher zu stellen als das mühsame trachten des sanilers nach einer doch nur schein-
baren volständigkeit.
Als dankenswerte erweiterung gegenüber Grimm betrachte ich es, dass auch
untrenbare vorsilben (wie be-) kurz und scharf nach ihrer bedeutung und Wirkung
charakterisiert sind; ich würde solche erläuterungen der Wortbestandteile ebenso wie
die phonetischen bemerkungen (vgl. E) gern im folgenden noch etwas ausführlicher
gegeben sehen. „Zusammengerückte" worte — z. b. dabei, dermaleinst — und
zu sammenge sezte sind stets scharf unterschieden; bei den erstgenanten ist die
zeit des ersten auftretens beachtet.
In der etymologie zeigt sich Heyne, obwol er derselben keinen grossen
räum gestattet, vorsichtig und scharfsinnig, auch nach Kluge und dessen Vorgängern
noch vieles neue und wertvolle bietend. Mit Sorgfalt werden die absichten des
redenden berücksichtigt , welche im einzelnen falle die ausbildung neuer Wortbedeu-
tungen herbeiführen oder erleichtern. „Verhüllende1*, d. h. euphemistische ausdrücke
364 0. ERDMANN". ÜBSB LYON - EBERHARD . SYNONYMISCHES HANDWÖRTERBUCH
sind reichlich äuge führt: die abweichende Schattierung der Wortbedeutungen innerhalb
verschiedener geselschaftskreisc ist stets beachtet, vgl. z. b. Dame, Dirne; ebenso
auch die Umgestaltungen volkstümlich werdender fremdwörter, vgl. z. b. Doetor mit
'ien flexionsformen und ableitungen. Überall merkt man, dass Heyne nicht nur
aus buchern, sondern auch aus lebendiger beobachtnng des Verkehres zwischen Deut-
en aller Bildungsstufen für sein Wörterbuch gesammelt hat, obwol mundartliche
formen und Wendungen nur sparsam herbeigezogen werden.
Nur ganz vereinzelte bedenken oder fragen habe ich mir bei genauer durch-
ht einer grossen reihe von artikeln notiert. Der Mensch, der einen Rang beglei-
tet statt: bekleidet) s. 318 hätte doch wol nicht Lessing, sondern seinem setzer zu-
sen werden sollen. Das verbum bemächtigen ist doch wol im nhd. von anfang
au reflexiv gewesen (d. h. nach reflexivem typus gebildet); wenn Hittmair, Par-
tikel l ■■ - 3. 211 ein beispiel von transitivem gebrauch (statt ermächtigen) anführt,
so würde ich dies als eiue davon unabhängige , nicht durchgedrungene neubildung
rächten. Das erläuternde als hätte ich Heber nach, als vor dem vergleichenden
augeführt, weil historisch jener gebrauch sich offenbar aus diesem entwickelt hat.
Im algemeinen bietet das Heynische Wörterbuch bei immerhin noch handlichem
umfange eine fülle von belehrung und zugleich eine höchst interessante leetüre. Es
wäre sehr zu wünschen, dass es mehr in schulen und familien eingang fände, als
dies dem umfangreichen Grimmschen werke möglich sein wird. Und wie vielfach
auch Heyne jenem grossen vorbilde mit erfolg nachgeeifert hat — möchte er ihm
nicht nachfolgen in bezug auf die Langsamkeit der Veröffentlichung! Hoffentlich
wird die verlagshandlung das im mai 1889 gegebene versprechen einhalten können,
dass das ganze auf 6 halbbände (zu 5 mark) berechnete werk in 2 — 3 jähren fertig
vorliegen werde. [Zu meiner freude kann ich bei der correctur die notiz hinzufügen,
dass der zweite halbband, bis zum Schlüsse von G reichend, bereits ausgegeben ist.]
KIEL. 0. ERDMANN.
Joh. Aug. Eberhards synonymisches Handwörterbuch der deutschen
Bprache. 14. aufläge, umgearbeitet von dr. Otto Lyon. Leipzig, Th. Grie-
ben. 1889. XLHI und 943 s.
Ein buch, welches 1802 in erster aufläge (als auszug aus Eberhards sechs-
bändigem werke f Versuch einer algemeinen deutschen Synonymik", Halle 1795 —
lv _ -chien, noch immer neu aufgelegt zu sehen, ist in der tat merkwürdig. Um
so merkwürdiger, als namentlich der neueste bearbeiter 0. Lyon mehr und mehr die
historische Sprachbetrachtung hineingezogen hat, ohne doch die ursprüngliche anläge
des Werkes aufzuheben, nach welcher die bestimmung der gegenwärtigen bedeu-
tung jedes wertes und ihre abgrenzung gegenüber den sinvenvanten der hauptzweck
war; wobei also di landigen erweiterungen, beschränkungen und Über-
tragungen, die im laufe der zeit in den gebrauchsweisen der werter eintreten und
jene grenzen beständig verrücken, zunächst nicht berücksichtigt wurden. Es ist auf
diese weise ein Zwiespalt in die behandlung und darstellung gekommen; doch ist
anzuerkennen, dass das werk jezt nach jeder der beiden in ihm sich kreuzenden
richtungen hin viele interessante und belehrende nachweise und anregungen gibt und
wol geeignet erscheint, seinen lesern neben dem bewustsein von der heute üblichen
Unterscheidung änverwanter Wörter auch eine Vorstellung von dem almählichen wer-
den derselben zu gewahren. Manches freilich ist bedenklich und wilkürlich, wozu
ich z. b. die sonderung der conjunetionen d« . wenn, weil (nr. 333) nach den katego-
MARTIN. t'RKR PAUL, GRrN'DRISS DER GERM. THIL. I. II 365
ricn dos realen, möglichen and logischen grandes rechne, die einst in K. F. Beckers
satzlehre ein«' rolle spielte. Die beigefügte Übersetzung jedes erläuterten Wortes in
das englische, französische, italienische und rassische wird manchem leser gute
ebenste leisten. Die „vergleichende darstellnng der deutschen vor- und nachsilben"
hütte schärfer durchgesehen und gebessert werden sollen.
KIEL. O. BRDMANN.
Grundriss der germanischen philologie, herausgegeben von H. Paul.
I 2 (s. 257 — 512). n i 1 (s. 1 — 128). n 1 (s. 1—128). Strassburg, K.J. Trüb-
ner. 1S89. 8 m.
Dieses Sammelwerk, dessen erste lieferung der referent in dieser Zeitschrift
(XXII, 462 fgg.) angezeigt hat. schreitet rüstig vorwärts: bereits im herbst 1889
lagen drei weitere hefte vor, das zweite des I. bandes, das erste der ersten und das
erste der zweiten abteilung des IL bandes.
In der fortsetzung des ersten bandes wird zunächst die kurze palaeograpbie
von Arndt zu ende geführt. Sodann folgt ein abriss der phonetik von Sievers,
die sich dem bekanteu buche des Verfassers in allem ansehlicsst und wie da-
durch eine weite auffassung des gegenständes und durch eine scharfe Systematik sich
auszeichnet. Zu bedauern bleibt nur, dass die tenninologie von Sievors nicht blo
neue bezeichnimgen eingeführt hat (unterscheidet sie sich doch hierin noch immer vor-
teilhaft von ähnlichen arbeiten jüngerer forscher, welche in solchen erfindungen wahr-
haft schwelgen), sondern auch alte bezeichnimgen anders vorsteht als bis dahin ab
mein geschehen war. „Lbruidae" heissen bei Sievers nur noch l und r, wogegen ///
und n nichts als nasale sein sollen. Zugegeben, dass hier sehr verschiedene bil-
dungsweisen vorliegen, so wäre es doch einfacher gewesen, den nasalen die /- und
r- laute zur seite zu stellen, um so mehr als diese selbst wider unter einander in
bildung und in eiuwirkung auf andre laute sieh unterscheiden. Ist wirklich zu erwar-
ten, dass die grammatiker sich durchweg der neuen tenninologie anschliessen wer-
den? Das gegenteil ist doch wol wahrscheinlicher, wenn man die Zähigkeit bedenkt,
mit welcher besonders die schule auf einheitlichkeit ihrer kunstausdriieke hält und
verständiger weise halten muss. Das gleiche gilt von dem terminus „consonant",
der nun nicht mehr die von den vocalen verschiedenen laute zummenfasst, sondern
alle laute, welche neben dem eigentlichen träger der silbe erscheinen, also auch i in ai
usw., während andrerseits eine liqnida, die als silbentragend gilt, kein consonant mehr
sein soll, z. b. / in dem got. fugls. Für die schule ist auch das zu fein, und so
wird jeder Student umlernen müssen um zu wissen, was consonant heisst. Warum
nicht für den neuen begriff ein neues wort, etwa „assonaut?* Derselbe grund spricht
auch gegen gewisse buchstaben des Systems von Sievers: x soll einerseits der Über-
lieferung entsprechend — ks sein, andrerseits stimloscs gutturales ch bezeichnen.
S. 294 steht in zwei zeilen das eine zeichen in nordisch raxa, dass andere in ober-
deutsch waxse, ohne jeden hinweis auf diesen Wechsel: wer nicht beide sprachen
kent, wird leicht in irtum verfallen. Ni memna güttip wem juggata in bah/ins
fairnjans.
Dazu kommen kleine verselm, wie eben auf s. 294: „der Übergang von ft >
pt scheint auf das nordische beschränkt zu sein." Dagegen ist auf Dietrich, Aus-
sprache des gotischen s. 75 zu verweisen, eine freilich jezt vielfach bei seite gescho-
bene schrift.
3GG MARTIN
Ausführlicher als dieser abschnitt ist der folgende von Klage herrührende:
t Vorgeschichte der altgermanischen dialektett. Seit Scherers kurzen, aber treflichen
grimdzügen in seinem buche Zur geschiente der deutschen Sprache ist hier zum
-reu mal wider ein gesamtbild der gemeinsam germanischen Sprachverhältnisse (mit
ausnähme der syntaktischen) geboten; und die reiche ausfuhrung dieses bildes zeigt
in der tat. wie viel seit Scherer geronnen worden ist.
Im einzelnen fehlt es Dicht an anlass zu zweifeln und ausstellungen. Zunächst
i-T dieser abschnitt kein<'>wrgs so sorgfältig wie der vorhergehende in anordnuug und
ausfuhrung. In dem an sich dankenswerten Verzeichnis der lateinischen lehnwörter
im deutschen s. 3"'.' fgg, steht das elsässische örcklin zweimal: zu orea und zu
urceokis. Oanz fehlt canfhus eiserner reif um das Wagenrad, erhalten im ahd. ehanx-
wagen; warum dies s. 323 als dunkles lehnwort bezeichnet wird, ist nicht ersicht-
lich. Es widerholen sich ferner auf s. 399 die bemerkungen über naust und eurist
Auch die citierte litteratur über die einzelnen punkte ist ungleich behandelt, ungleich
auch, besonders zu anfang. in bezug auf das lob, welches Kluge zu spenden liebt.
- wird s. 331 ein aufsatz von Collitz in dieser Zeitschrift XV, 1 fgg. angeführt, in
welchem Amelungs Verdienste um die erkentnis des germanischen vocalismus mit
volstem recht geltend gemacht sind: hat doch Amelung zuerst die entstehung einer
art de^ germ. u aus silbenbildender liquida erkant und ebenso zuerst die entstehung
des germ. a aus älterem a und aus älterem o. Bei Kluge s. 352 wird nun die erst-
ellte entdeckung zwar als fundamental bezeichnet, aber einem andern zugeeignet,
der doch wahrlich Verdienste genug auch ohne diese entdeckung hat, die er zwar
i^s selbständig, aber doch erst mehrere jähre nach Amelungs Veröffentlichung
gemacht hat. auch nicht auf dem germanischen gebiet, welches doch für einen grund-
riss der germanischen philologie zunächst in betracht kommen solte. AYahrhaftig, es
ist ein starkes beispiel für die nichtigkeit litterarischen ruhmes, dass dem jungver-
irbenen Amelung sein wol verdienter kränz nicht verbleiben soll.
Von sachlichen bedenken führe ich an: s. 323, wo die hünengräber als
norddeutsch bezeichnet werden; ich erinnere dagegen nur an den von Aug. Stöber
g ttheten hünerhubel bei Mülhausen i. E. S. 315 heisst es: „eher nahmen die
Römer an den tönenden Spiranten y ä h des germanischen anstoss" ; aber eben diese
haben ja auch die Griechen. S. 318 fgg. : „die endung gotisch ü (in dem vorausgesez-
lcyriako anstatt y.inic./.öv) deckt sich mit dem auf griech. ov beruhenden o in
s(i),hat>> aiwaggdjo (sigljo)'t. Aber kami sabbato etwas anderes sein als ein gen. pl.
und zwar abhängig von dem daneben stehenden oder dazu zu ergänzenden dags,
daher es auch als masc. behandelt wird? sabbate, sdbbatvm sprechen wie sabbataus
nur für ein sabbatus, welches wie» aggilus flectiert. aiwaggeljo aber ist eüayyeMa
wie aikUesjo Ixxlrjafa; tvayyifoov wird durch aivaggeli widergegeben wie notofiv-
rigtov durch praixbytavri (vgl. analogi slawisch für avaX&yirOv lesepult). Die endung
ov ist lautlich erhalten in byssaün, praUoria/un.
Eingehender niuss referent die auf s. 344 abgeschlossene behandlung des neben-
oder tieftons besprechen. Kluge wendet sich gegen Lachmanns rogel, wenn er auch
zugibt, dass es mit den grösten Schwierigkeiten verbunden sei, etwas zusammenfas-
sendes über den tiefton zu sagen. Er meint zulezt, dass der tiefton häufig zwischen
siter und dritter wortsfl.be schwank'-. -Paul erinnert an nhd. mutiges pferd :
mutig< rteidigung und gütlicher wusgleich : gütlicher vergleich. Ahnlich könto
der altgermanische nebenton gewechselt haben.-
ÖBEE PAUL, GRUNDKlss DEB 0] KM. PHIL. I. II 3G7
Die beiden hier angegebenen betonungsweisen muss uefereni selbsi Für das
nlid. bestreiten, d. h. für die spräche der prosa, des Lebens; dass die dichter sich
derartiges als notbehelf erlaubt haben, um gewisse versmasse zu füllen, und beson-
ders um vorhandenen melodieo neue texte unterzulegen, kann für jene nichts beweisen.
Offenbar isi die behauptung, man Bpreche: mutiges pferd auf Sievers zurück-
zuführen, welcher in PBB. 4. 526 sagt: „Mein ohr empfindet z. b. nicht die min-
deste härte bei einer betonung wie ... mutige in versen mit Byncope der Senkungen
(selbst mit starkem ictus auf dem i: er reitlt so freudig sein mutiges pferd "der
dgl.).u Sievers fügt allerdings bei: „obwol ich in prosa nur die betonung mutig!-
kenne."
Diesen aussprueb hat bereits (ausser Heinzel in Scherers ZQdS9, dessen ein-
wände von Sievers u. a. volkommen unbeachtet geblieben zu sein scheinen) eine
schritt richtig gestelt, welche Sievers selbst ( I'BIJ. 10, VI'.)) lobend erwähnt:
E. Stolte, Metrische Untersuchungen über das deutsche Volkslied, Crefeld, Jahrb. d.
realgymn. 1883. „Ein betonen unbetonter enduugen ist für uns etwas so ungewohn-
tes, ja widersinniges, dass man nicht begreift, wie Arndt (im Blücherlied) zu sol-
cher form gegriffen hat ... Es drängt Bich uns die Überzeugung auf, dass das Lied
hinsichtlich seiner form nach der melodio und für dieselbe geschaffen wurde. Als
die zeit der entstehung oder bekantwerdens der melodie gibt Erk das jähr 1809 an;
das lied ist 1813 gedichtete In der tat, wer aus dem Blücherliede schliessen wolte,
dass die gewöhnliehe spräche des lebens betone mutiges, der müste auch folgern,
dass sie betone reitet so, freudig sein. Ein sprachliches zeugnis, welches ganz
direkt gegen die betonung mutiges spricht, gibt die syncope mut'ges, welche sieb
ungesucht einstelt. Die algemeine ausspräche, wol selbst in den mundarteu, ist
heü'ge nacht; das Elsässische gebraucht Helfe für bilderbogen , eigentlich heiligcn-
bilder.
Doch auch die andere betonungsweise: mutige Verteidigung, gütlicher ver-
gleich kann ich nicht als die in prosa übliche zugeben. Hier stehen freilich die bei-
spiele aus der dichtung, auch der nicht gesungenen, reichlicher zu geböte: Schiller
sagt: Der rohen stärke blutiges erkühnen (M. St.), Goethe: Den flüchtigen verfolgt
ihr sclincllcr fuss (Iph.). Aber Schiller sagt auch: An diesen grösseren hin ich
gesendet (Jgfr. v. Orl.), Hier gilt es einen köstlicheren j)reis (Teil); sogar: Das
furchtbare geschlecht der nacht (Kr. d. Ib.) und In Schlachtordnung gestelt (Br. v.
Mess.). Will hier noch jemand sagen, dass die gewöhnliche spräche ebenso betone V
Dann müste man ja auch folgern, dass langsam betont werde, weil Goethe in der
Iphigenie den vers baut: Sic nach der see langsam \urückgcdrängt (Iph. V, 5).
Man kann sich der erkentnis nicht verschliessen , dass der vers die nebensilben im
wortschluss zu heben gestattet, wenn nichts mehr oder wenn ein wort mit unbeton-
tem praefix, wozu auch fremdwörter gerechnet werden, oder ein unbetontes einsil-
biges formwort folgt. Von diesen bediugungen wissen freilich die handbücher der
prosodie nichts, weil sie jedes wort für sich der tonmessung unterziehen; auch Bel-
ling, die metrik Schillers, Breslau 1883, sagt nichts davon. Aber wie notwendig
diese erleichterung ist, zeigt der Schiller fälschlich zugeschriebene vers: Dem glück-
lichen schlägt keine stunde, welcher entschieden härter ist als jene früheren, und
nur durch die pause, welche man hinter glücklichen eintreten lassen kann, erträglich
wird. In allen angeführten fällen aber unterscheidet ein richtiger Vortrag in einem
versfusse hebung imd Senkung überhaupt nicht durch den ton, sondern gleitet mit
„schwebender betonung'1 darüber hin, indem man sich darauf verlässt, dass der
368 MARTIN
rhythnras aus dorn vorhergehenden versfasse dem ohr deutlich genug bleibt und in
m weiterfolgenden auch wider kräftig aufgenommen wird. Höchstens wird mau die
bends hebung, welche nicht nur für ihre Senkung, sondern auch für den
nächsten fass ausreichen muss, durch stärke oder daner auszeichnen.
Für die prosa gilt, was Brücke sagt, Die physiologischen grundlagen der nhd.
vei-skun>r. Wi< a ls7! . 3. 7: nEs ist in vielen füllen, in denen die anscheinend accen-
tnii dlbe eine ableitnngssilbe oder eine anhangssilbe von geringem lautgehalte ist
(wie e. h. -te in breitete und -lieh in wunderlieh) der unterschied [von den unbeton-
■ ring, dass sich nicht mehr nachweisen lässt, es erhalte die ausatmungsluft
auch in der deutlichsten und gewähltesten ausspräche einen neuen impuls. Solche
silben gelten deshalb im algemeinen als tonlose." Referent hat die probe gemacht
und eine reihe von beispiclsätzen von personen lesen lassen, die von der verfolgten
absieht nichts wüsten: nie war ein unterschied zu merken zwischen der betonung
der zweiten silbe in blutig sehlagen, blutig geschlagen, blutiger kämpf, blutige
rietxung. Gern hätte er dies ergebnis auch durch physikalische apparatc feststelle m
lassen, muste aber hören, dass die bis jezt in anwendung gekommenen für solche
frag« iu nicht empfindlich genug sein würden.
Indem nun aber Brücke bemerkt, dass man solche silben durch den versaccent
auch zu arsen erheben könne, fügt er treffend hinzu, das gehe jedoch nicht, wenn
die vorhergehende silbe keine ableitnngssilbe sei. Man könne nicht sagen: Die An-
griffe des feincles sind vorüber. In der tat ist eine solche stamsilbe als zweiter
teil eines compositums zu stark betont, als dass sie vor einer nebensilbc gesenkt
werden könte; vor einer stamsilbe darf sie dagegen als Senkung dienen, etwa: Der
angriff unsres feindes ist vorüber.
Doch selbst was der heutigen poesie aus dem sprachlichen material zu bauen
erlaubt ist. gieng der früheren nicht ohne weiteres hin. Im 17. Jahrhundert, als die
kunstpoesie die Übereinstimmung von wort- und versaccent zum gesetz erhob, machte
die behandlung daetylischer worte, d. h. solcher, in denen auf eine tonsilbe zwei
unbetonte folgten, grosse Schwierigkeiten. Ludwig von Anhalt rügte, dass Opitz
worte wie heilige in der caesur der Alexandriner gebrauchte, wo sie doch, wie am
ade unserer reimlosen fünffüssigen Jamben am wenigsten auffallen: Borinski,
Poetik der renaissance s. 131. Lieber will Ludwig hcil'ge dulden, was wider Buch-
ner nicht zugibt: s. 132, der dafür vielmehr die Verwendung zu daetylischen versen
empfiehlt: s. 147. Tgl. auch AYackernagel - Martin LG. II s. 120.
Um so sorgfältiger wird man sich hüten weiter zunickliegende zeiten, ins-
sondere die der ahd. und mhd. poesie, nach unserer heutigen gewohnheit zu beur-
• len. Dass in jener wirklich nach langer silbe die endung -igen auf der ersten
sübe betont war, hat bekantlich Lachmann aus den ivirnon Hartmanns erwiesen; für
die spräche des gewöhnlichen lebens dürften die syncopen in der almehtiggot, der
heiligeisi sprechen, worüber Weinhold, Alem. gramm. s. 255 anm. und MSDenkm.2
010 zu vergleichen sind, deren beispiele sich noch vermehren Hessen (vgl. Boz Güe-
tigott, Steinhofers Neue wirtemb. ehr. 2, 871). Dagegen solte es wol schwer fallen,
in der alten zeit eine betonung wie in heiliger nachzuweisen.
Das gleiche gilt für Otfrid. Und gerade mit bezug auf diesen hat Sievers
zwar versucht die Lachmannsche auffassung zu widerlegen und wahrscheinlich zu
machen, dass er nur dem versbedürmisse zu liebe ivizzannc u. ä. betont habe, nicht
aber damit der sprachlichen betonung treu geblieben sei: PBB. 4, 522 fgg. Allein
Sievers übersah, dass das eine der beiden von ihm s. 535 als sicher angeführten
ÜRER PAUL, QBUNDBISS DER GF.RM. TIIIL. I. II 369
beispiele (dasselbe, auf welches sich auch Kluge, Grundris 342 stiizt ) , durch die
notwendig eintretende synaloephe völlig beseitigt wird: V, 17, 8 \i uufcxarme i\
firbari, wo P sogar unter das e einen puntt sozt. Das andere hat schon Lachmann
als ausnähme und als halte bezeichnet Die übrigen, von Sievera „höchst wahr-
scheinlich" genanten falle erklären sich durch schwebende betonung gerade so wie
die oben beigehraehten aus den ohd. dichtem und wie andere, die sich bei den mhd.
finden.
Es bleibt also nur die Bprachentwicklung übrig, um die behauptung zu stützen,
dass Lachmanns tieftongesetz hinfallig sei. Das von Sievers aufgestelte syncopie-
rungsgesetz der zweisilbiger] endungen nach langer stamsilbe ist ja durch viele ein-
zelheiten empfohlen; aber es gibt doch andere, die dagegen sprechen, z. 1». ahd.
käUnr(u) gegenüber ags. oealfru (Kluge 366). Und wenn mhd. jegere die mittelsilbe
gekürzt hat, die in visehare sich lang erhielt, so stimt das genau zur Lachmann'
schen regel.
Ja noch mehr: das syncopieningsgesetz selbst, welches Wörter von der form
_w^ traf, aber solche von der form ww^ verschonte, lässt sich aus dem Umsich-
greifen des Lachmannschen tieftongesetzes erklären. Die unbetonten endsilben kon-
ten, da sie die beziehungen des wortes trugen, gar nicht oder doch nur ausnahms-
weise fallen: so wurden die vorhergehenden Silben ausgestossen. Eine andere erklärung
des syncopierungsgesetzes gibt allerdings Sievers Grundriss s. 288.
Nach diesen eingehenden erörterungen darf und muss sich die besprechung
der noch übrigen vorliegenden teile des grundrisses kürzer fassen. Auf Kluge f.,
Sievers mit einer gedrängten gotischen grammatik, dann Noreen mit der aus-
führlicheren altnordischen. Dies stelt die dialectdifferenzen und ihre geschichtliche
eutwickeluug genau dar, urteilt aber wol nicht ganz billig über die normalisierte
Schreibung der gedruckten texte, welche das Studium der altnordischen litteratur
unzweifelhaft erleichtert und verbreitet hat.
Die I. abteilung des IL bandes geht zur literarhistorischen seite der germa-
nischen philologie über. Zunächst stelt Sijmons die heldensage dar, knapp und
meist im anschluss an Müllenlioff. Mit unrecht ist auf s. 21 dessen auffassung
des Beowulfmythus verlassen worden; ebenso ist s. 24 die abkunft Siegfrieds von
Wodan irrig erst der späteren sage zugeschrieben worden, so dass Walis der stam-
vater wäre; aber dessen name deutet ja weiter zurück, der „echte" ist doch der
echte abkömling, und man fragt natürlich, wessen? Ferner befremde! s. 25 die auf-
fassung des Siegfriedsmythus als tagesmythus: was ist denn der Nibelunge hört?
S. 33 heisst es ungenau: Hagen sei von der sage in der AVormser gegend localisiert
worden und daher von Tronege genant; aber Tronege, die merovingischo pfalz bei
Kirehheim, westlich von Strassburg, liegt weit von "Worms ab und bezeugt speciell
elsässische beschäftigung mit der sage, wie auch andere Ortsnamen, in denen die
Personennamen Dancrat, Snidolt und wol noch mehrere widerkehren. S. 51 fgg. wun-
dert man sich doch, dass der Verfasser nur seine eigene Kudrunausgabe citiert.
Yon der hierauf folgenden litteraturgeschichte ist der I. abschnitt, die gotische
litteratur, von Sievers bearbeitet. Er schliesst sich s. 68 in bezug auf das todes-
jahr des "Wulfila an den theologen W. Krarft an, welcher 383 ansezt. Allein 381
(oder 380) ist sicher, wenn Auxentius recht hat, dass Wulfila 40 jähre lang bischof
war, als welcher er nach anderen Zeugnissen 341 geweiht wurde. Sievers verdäch-
tigt die angäbe des Auxentius, weil dieser sich bestrebt habe, die leben sabschnitte
seines beiden mit bekanten epochen der biblischen geschichte zu parallelisieren. Dem
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIH. 24
370 MARTIX . ÜBER PAUL, CRUNPRISS DER GERM. PHIL. I. II
ht doch entgegen, dass Auxentius seine 40 jähre ausdrücklich aus zwei perioden
summiert, einer von 7 und einer von 33 jähren: soll er auch diese seinem zwecke
ang st haben? Auch sachlich scheint Besseüs entscheidung zwischen den jähren
381 und 383 noch immer am besten begründet. Per satz ne arguerenttt/r bei Auxen-
tius kann sich wo! auf eine secte, aber nicht auf die siegreiche katholische kirche
siehen. Dass wir von einer abtrennnng der Psathyropolisten (oder welchen namen
.1 man in der bekauten lüeke einsetzen r) vor 384 nichts wissen, erklärt sich leicht
aus der dürfügkeit unserer quellen.
Auf die gotische folgen die nordischen litteraturen , zunächst die norwegisch -
isländische, bearbeitet von Mogk. Bei der behandlnng der sogenanten eddischen
ler zeigt sieh, wie unsicher noch immer deren Chronologie ist. S. 84 werden die
Hyndluljed mit ihren alten bestandtcilen in den anfang des 8. Jahrhunderts versezt,
die weit altertümlichere Völuspä aber erst um 900 (s. 78). Wie weit überdies hier-
von die ausätze anderer gelehrten abweichen, ist bekant.
Der unterschied zwischen dieser alten poesie, als deren dichter die finlir gel-
ten, von dei alten skaldendichtung wird nicht klar und vielleicht sogar irreführend
dargestelt. Jene werden als die demokratischen fahrenden, die skalden als die
aristokratischen hofleute bezeichnet: s. 74 und 77 (hier allerdings ist zunächst von
der form ihrer poesie die rede, aber doch insofern sie durch die lebensstellung der
dichter bedingt ist). Wir wissen, dass der englische pyle „orator" gelegentlieh
radezu ein hofamt bekleidete, und der nordische pularstöll ist gewiss auch ein
ehrensitz. Andrerseits werden unter den skalden einige von Mogk selbst fahrende
genant, s. 108 Einar Skülason sogar ein „fahrender von hof zu hof . Den rich-
tigen Standpunkt zur vergleichuug beider dichtergattungen bringt schon die deut-
sche litteraturge>chichte nahe: die pzdir gleichen den alten volkssängern , wovon bis
in die Karolingerzeit beispiele bekant sind, die skalden den späteren Spielleuten, den
- hofjournalisten ~ des 10. Jahrhunderts. Aber freilich die deutschen spielleute stehn
nicht entfernt so ^'ll,vtbewust und so hochgeehrt da wie die skalden. Der grund
ein politischer: die skalden waren meist Isländer, freie, und an den höfen Nor-
wegens und Dänemarks traten sie dem gefolge der fürsten gegenüber mehr als gaste
auf. Ee i-t auch kein zufall, wenn die skalden mit der Unterwerfung Islands unter
rwegen verschwinden: s. 113. Am treffendsten dürfte jedoch das Verhältnis von
//'////• und skalden durch venvante ersclieinungen aus der griechischen litteratur-
geschichte erläutert werden. Die Pulir entsprechen den aoden, den homeriden, den
rhapsoden, sie verkünden alte Volksüberlieferung; die skalden dagegen den grie-
chischen Lyrikern, wenn sie auch die alte dichtform nur zu verkünsteln, nicht eine
neue zu schaffen vermögen. Aber sie treten, wie diese, mit ihren persönlichen
"Ahlen, anliegen, gedanken hervor: ihre liebesgeschichten (auch frauen betreiben
die skaldenkunst. und zwar dichten sie in demselben sinne wie Sappho), ihre privat -
oder parteifeindschaften tragen sie vor und finden vor allem in dem lob der f Ur-
ania- h rühm und lohn zu erwerben. Wie die sänger der griechischen
freistaaten bei den tyranuen ßiciliens, so weilen die isländischen skalden an diu
höfen des nordischen festland* Und wie das Zeitalter der lyriker zugleich das
Zeitalter der griechischen novelle ist, so haftet auch an den taten berühmter skal-
den eine sagalitteratur, welche die verse der skalden gewissermassen zu commen-
.n sucht.
Nur kurz noch seien die von der II. abteilung des II. bandes erschienenen
teilarbeiten genant: Wirtschaft von K. Th. v. Inama-Sternegg, Recht von K. v.
TOBLER, ÜBER BABLER, FLURXAMKN 371
Amira; jener abschnitt kurz und durchaus übersichtlich, dieser eingehend und auch
auf die deutschen ausdrücke der einzelnen reohtsverhältnisse gerichtet.
STRASSliURG, 10. DEI . 1889. E. MARTIN.
Flurnamen aus dem Schenkenberger-amt Von dr. J.Bttbler. Aar.iu. Sauer-
lander. 1889. 55 s.
Die flurnamen bilden eine wesentliche ergänzung der Ortsnamen, 1) weil sie
natürlicher weise zahlreicher sind; 2) weil, ebenfals aus natürlichen Ursachen, die
gründe der benennungen mannigfacher sind, mehr ins einzelne, concrete gehen. Diese
Vorzüge sind aber mit dem nachteil verbunden, dass die flurnamen, weil sie com-
pliziertere besitz- und kulturverhältnisse und mannigfache Wandlungen derselben vor-
aussetzen, im ganzen erst einer spätem zeit angehören und auch wo sie altern
Ursprung haben, selten in ihrer ursprünglichen form schriftlich überliefert sind, son-
dern meistens mit noch stärkerer lautlicher entstelluug und umdeutung behaftet, als
schon die Ortsnamen. Dennoch darf man au ihrer erklärung nicht verzweifeln, und
jeder versuch, etwas dazu beizutragen, nmss dankbar aufgenommen werden, wenn
der Verfasser mit einiger umsieht und gründlichkeit zu werke gegangen ist. Dies
gilt denn auch von der vorliegenden Schrift, die wir im ganzen als eine tleissige und
verständige arbeit bezeichnen dürfen, obwol wir im einzelnen vieles einzuwenden hät-
ten; denn nicht nur bleiben viele erklärungen der natur der sache nach ansicher,
sondern manche sind unwahrscheinlich oder ohne zweifei unrichtig. Wir müssen
aber auf erörterung solcher einzelheiten verzichten, weil sie verhältnismässig zu viel
räum einnehmen müsten.
Das Schenkenberger-amt ist der ältere name eines teiles (zweier „ bezirke")
des heutigen kantons Aargau und umfasst gegen 30 kleinere und grössere Ortschaf-
ten, welche acht kirchgemeinden angehören. Der Verfasser gibt nach den nötigen
historischen aufklärungen zunächst (s. 7 — 11) ein Verzeichnis von ableitungs- oder
bildungssilben , welche bei seinen flurnamen häufig vorkommen und teils persönliche,
teils sächliche bedeutung haben, übrigens nicht immer deutlich von den stammen
geschieden oder zu scheiden sind. Dann ordnet er (s. 11 — 50) die namen nach fol-
genden realkategorien , welche den benennungen zu gründe zu liegen scheinen (bei
Zusammensetzungen meist als grundwörter, bei ableitungen als stamme): höhe und
tiefe, trockene und feuchte beschaffenheit des bodens, pflanzenwuchs, form und La
von grundstücken , bestimmung und ertrag derselben, weganlagen, recht und besitz;
tiere. Diese kategorien werden im ganzen richtig aufgestelt sein, sind aber nicht
immer auseinandergehalten. Ein grösserer mangel ist, dass bei den zusammen -
gesezten namen (die weit überwiegen) der erste teil, bei ableitungen der stamm,
zwar irgendwie erklärt, aber die dabei vorkommenden kategorien, auch die einiger-
massen sicher erkenbaren, nicht zusammengestelt werden. Das ist freilich der schwie-
rigere, aber auch der wichtigere teil der Untersuchung, da gerade in den bestim-
mungswörtern das sprachliche und sachliche hauptinteresse liegen muss. Diese
zweite reihe von kategorien hätte gesichtspunkte zu Unterabteilungen des ganzen
Verzeichnisses ergeben sollen, und die Fruchtbarkeit der namengebung und deutung
wäre dann erst recht zu tage getreten. Dass der Verfasser diese aufgäbe nicht
erkant oder an ihrer lösung verzweifelt hat, ist zu bedauern; aber die dabei zu über-
windenden Schwierigkeiten sind freilich gross. Yon „gesetzen" (s. 4) der namenbil-
24*
372 ANDRF.SEN
düng kann hier noch lange nicht gesprochen werden, weder von begriflichen noch
von lautlichen und formellen; die methode der forschung mnss erst durch viele wei-
ter 3] ialversnche gefunden und bewährt werden. Die „ Schlusssätze u, welche der
rfasser s. 52 55) aufstelt, betreffen nicht das sprachliche, sondern das sachliche,
indem er eine geschiente der einwanderung der Alemannen in die betreffende gegen d
and der fortschreitenden ansiedlnug in derselben entwirft. Diese darstellung mag
zwar auf den von ihm angenommenen bedeutungen der namen beruhen, aber sie kann
schon wegen der vielfachen Unsicherheit jener annahmen keinen ansprach auf Zuver-
lässigkeit machen. Das ziel, zu welchem alle erkläruug von orts- und flurnamen
fahren soll, hat der Verfasser richtig ins äuge gefasst; aber er hat fruchte der arbeit
pflücken wollen, die noch nicht reif waren.
ZÜRICH, AUGUST 1889. L. TOBLER.
II. F. Otto Abel, Die deutschen personennamen. 2. aufl., besorgt von
Walter Robert -tornow. Berlin, W. Hertz. 1889. 102 s. 8. 1,60 m.
Wenn mau erwägt, dass zu der zeit, da dieses büchlein zum ersten male ver-
öffentlicht wurde, die Wissenschaft der deutscheu namenforschung im algemeinen noch
sehr daniederlag und insbesondere dem grossem publikum nicht zugänglich gemacht
war. so wird man von wahrer bewuuderung darüber erfült, dass ein junger gelehrter,
dessen eigentliches fach nicht die deutsche philologie, sondern die geschichte war,
es verstanden hat, über unsere alten namen ein solches licht zu verbreiten, wie es
nach ihm vielen andern, denen er mit recht von vorn herein als fuhrer galt, geleuch-
tet und zu weitem Untersuchungen anlass gegeben hat. Abels schrift lässt sich ohne
frage als diejenige bezeichnen, welche zuerst nicht bloss der deutschen namenfor-
:ung den rechten weg gewiesen, sondern auch in der deutung der namen höchst
anerkennenswertes geleistet hat. Was von ihm noch nicht erkant zu sein scheint,
das sind die sogenanten koseformen, vornehmlich die zweistämmigen. Aber wie
lange hat es dauern müssen, bis die auf diesem gebiete herschenden grundsätze,
welche zuerst von Strackerjan und darnach in überraschender erweiterung von Stark
aufgestelt. als die wesentlichsten faktoren einer wissenschaftlichen erkläruug der deut-
schen personennamen gelten dürfen, ein gemeingut aller gebildeten, die sich für die
leutung der namen interessieren , geworden sind ! Gleichwol muss schon Abel,
welcher einstämmige koseformen in grösserer anzahl vorführt, wie Adela, Amiin,
Arno. Benno, Bodo, Bruno, Bucco, Ebba, Gero, Gisela, Hatte, Hilda, Lanzo, Ee-
gina. AVido, auch zweistämmige gekaut, wenn auch nicht ihre bildung gewürdigt
haben, da er sonst wol weit mehr beispiele gerade dieser vorzugsweise wichtigen
namen verzeichnet hätte. Denn zweimal, aber auch nur zweimal findet sich in sei-
ner schrift eine zweistämmige koseform, nämlich schon in der ersten aufläge Tammo
und in der zweiten (aus des Verfassers handexemplar) Wippo. Ohne zweifei hat er
aus Urkunden, z. b. aus Pertz monum., an deren herausgäbe er selbst beteiligt gewe-
sen ist, geschöpft, dass Tammo gleich Tancmar sei; über Wippo, welches er ganz
richtig auf Witperaht zurückführt, belehren Urkunden, dass auch andere volnamen
und selbst andere stamme dieser koseform zu gründe liegen können (vgl. Stark, kos<>-
namen s. 118). Schade ist es nun, dass nach demselben gesetze gebildete kurzfor-
men wie Thiemo, Simo, Lubbo, Sibo, Rappo, Ruppo und viele andere keine berück-
sichtigung gefunden haben.
ÜBER ABEL, PERSONENNAMEN" 373
Mit der griindlichkeit und gewissenhaftigkeit der forschung, die in dem büch-
loin hervortreten, verbindet sich des verfassen anmutige lebhaftigkeit der darstellung,
und ein hohes, überaus woltuendes nationales bewustsein, welches ihn am schluss
auch zu spöttischen bemerkungou aber die herschende gleichgiltigkeit gegen unsere
so sinreichen wie wolMingenden heimischen namen und über die Vorliebe für fremde
oamen hinreisst, durchdringt die ganze Schrift, deren weitest«' Verbreitung ein jeder,
dem deutsche art und Bitte am herzen liegen, wünschen muss. Treffend ist der ver-
gleich in der einleitung zwischen den alten namen und den Versteinerungen urwelt-
lieher tiere; wie aus diesen denkmälern auf das älteste physische leben geschlossen
wird, so zeugen die namen von dem geistigen Leben unserer vorfahren mit ihren
charakteristischen anschauungeu und gewohnheiten. Die liebevolle teilnähme, welche
der Verfasser an der pflege unserer deutsehen namen empfindet, aussei t sich bis-
weilen in überaus sympathischer weise, besonders bei dem stamme Wolf, wo er des
ältesten germanischen Schriftstellers, des Goten Wulfila, und des tiefsinnigsten mittel-
hochdeutschen dichters Wolfram von Eschenbach gedenkt und schliesslich bei dem
namen Wolfgang, welcher einen beiden bezeichnet, dem der wolf des sieges voran-
geht, an "Wolfgang Goethe und Wolfgang Mozart erinnert.
Dass es im einzelnen mehrerlei gibt, worin der Verfasser geirt hat, wird jeder
begreiflich finden, welcher bedenkt, dass das buch vor 36 jähren geschrieben ist.
Mit recht wird s. 38 Grimms deutung des namens Ferdinand aus dem spanischen
Hernando, Fernando bezweifelt und deutscher Ursprung vermutet; der stamm aber,
den der Verfasser heranzieht, ist nicht der richtige, sondern Ferdinand steht meta-
thetisch für Fridenand, und das spanische Fernando hat mit dem altd. Herinand
nichts zu tun, verhält sich, vielmehr zu Ferdinando, wie der neuhochd. geschlechts-
name Fernand zu Ferdinand. Wenn auch das got. agis (schrecken), wozu das mhd.
eislich (fürchterlich, greulich) gehört, mit dem hochd. ecke, wie der Verfasser glaubt,
verwant sein solte, so muss es doch befremden, dass die stamformen Ag nebst den
liquiden erweiterungen Agil und Agin mit Agis vermischt auftreten (s. 36). Die
annähme, dem niederd. Detlef entspreche hochd. Dietlieb (s. 41), d. h. Dietleip,
gründet sich zwar darauf, dass allerdings niederd. -lef dem hochd. -leip gleich stehu
kann; aber -lef gebt häufiger durch metathesis und darauf folgende vokalschwächung
aus -olf hervor, avovou viele beispiele namentlich ans dem friesischen zeugnis geben,
wie Alef = Adolf, Bertleff = Berahtolf, Garleff = Gerolf, Riclef =
Ricolf. Ob Guntachar gleich Günther zu gelten habe, wie s. 40 dem vorher-
sehenden urteil gemäss behauptet wird, dürfte fraglich sein: die form kann ebenso,
wie unbestritten der in der geschichte berühmte name Odoacer (vgl. Grimm, Gesch.
d. d. spr. 2. a. 327), das adj. wacar (wacker, wachsam) enthalten; man vgl. den
heutigen geschlechtsnamen Gonnacker, ferner mit bewahrtem w H an e wacker,
Hannewacker, welche nebst Heinacker auf altd. Haginachar zurückgehn. Dass
im vergleich zu den zahlreichen mit Burg zusammengesezten femininen das masc.
Burghard ziemlich vereinzelt stehe, ist zu viel gesagt; anzuführen waren noch
Burgold, Burgolf und besonders Bureward. Den mannsnamen auf -tmmd fügt
der Verfasser hinzu: „weiblich nur Rosimunda"; dies bedarf der berichtigung, da
auch Fromundis, Osmundis, Raimundia, Theudemunda überliefert sind.
Der bekanten gewaltsamen erklärung von Poppo aus Tolkmar (s. 68) vermag ich
nicht beizutreten; mir gilt dieser name, wie ich schon mehrmals dargelegt habe, als
zweistämmige koseform des zwar nicht ausdrücklich bezeugten, allein durch die
geschlechtsnamen Bobardt, Popert, Popper, Bubbert, Bubort, Bobertz, wie
374 ANDRESEN
mich dünkt, hinreichend gesicherten alten personennamens Bodehert. Bei Wig-
nand steht s. 33 eingeklammert: Weigand; dem Verfasser scheint es unhekant gewe-
sen zu sein, dass Wigand ein participia] gebildeter altdeutscher name ist, woher
natürlich Weigand stamt Nicht Raganwalt, wie in beiden ausgaben gedruckt
it. ist die quelle des modernen namens Reinhold, sondern Raginwalt, dessen i
den umlaut wirkt. Die behauptung, der stamm Sin, Sint gehe in namen sehr häu-
fig in Swind über (s. 37). lautet befremdend; richtig ist nur, dass die auf stoind
auslautenden namen von denen auf sind nicht immer genau geschieden werden kön-
nen (vgl. Förstemann, altd. namenb. 1, 1103. 1136). Als dem fem. Hedwig zu
gründe liegende form nent die erste ausgäbe s. 13 Hathuwi, die zweite s. 17 Ha-
thuwie; besser als Hathuwi (Förstemann 1, 64S) wäre wol Hathuwih hin-
_ stelt worden, wogegen Ilathuwie druckfehler zu sein scheint, vermutlich für
Hat hu wie.
Ausser den dankenswerten, in hohem grade belehrenden erklärungen der ein-
zelnen namenstämme finden sich in Abels schritt auch deutimgen anderer Wörter
der spräche; einige derselben scheinen mir gewagt oder zweifelhaft, andere unrichtig
zu sein. So ansprechend die herleitung von ktcss aus kiesen, hären „als zeichen
der erwählung" (s. 27) klingen mag, so wenig lässt sie sich durch die Wissenschaft
stützen. Das subst. pracht (mhd. alts. brahf) kami mit dem ahd. adj. pe?'aht (engl.
bricht), wie s. 50 gesagt wird, nichts zu schaffen haben, gehört vielmehr zu brechen
und bedeutet eigentlich lärm, gesclrrei; über die entwickelung des jetzigen begrifs
- deutsche wörterblich auskunft. Ferner: wenn auch brechen mit dem mhd.
ken (glänzen, leuchten) verwant sein solte (vgl. Grimm, myth. 751 a. 3), so
haben doch die von dem Verfasser herangezogenen ausdrücke „das feuer bricht aus,
der tag blicht anu dafür keine beweiskraft; denn dass hier brechen allein und nicht
zugleich brehen rücksicht verlangt, darf kaum bezweifelt werden. Das erst im nhd.
aufgekommene wort Haudegen ist nicht mit dem persönlichen degen (s. 42) zusam-
mengesetzt, sondern mit dem aus der fremde entlehnten degen als waffe; zu zeiten
wurde in demselben sinne auch degenknopf gesagt. Der Zusammenstellung von hun-
r mit dem alten hugu, „das den denkenden geist bezeichnet, dann in die bedeu-
tung des hoffens, begehrens übergeht" (s. 47), wird, wer sich in den "betreffenden
alten formen umsieht, beizustimmen grosses bedenken tragen. Auf gleicher unwahr-
scheinlichkeit beruht der von dem Verfasser angeführte Zusammenhang des Wortes
ron, welches wir jedesfals zunächst aus dem franz. bekommen haben, mit dem
altd. farrr. geschlecht. — Des Verfassers bewustsein von der würde und Schönheit
unserer alten namen entrüstet sich bei dem gedanken, dass der edle name Dietrich
zur bezeichnung eines diebeswerkzeugs diene (s. 59. 60), wie mir scheint, ohne
grund: dass namen appellativ verwendet werden, komt bekantlich in unzähligen
beispielen vor. und bei Dietrich tritt die wortspielende beziehung auf das diebes-
handwerk (gleichsam . dieberich w ) hinzu, während in mundarten mit einer andern
anspielung derselbe >chlüssel peterhen heisst, was auf den apostel mit der Schlüssel-
gewalt hinweist (vgl. meine d. Volksetymologie 5. aufl. s. 279). In der behauptung,
dass man in Norddeutschland nur- das ., widerliche" cousin gelten zu lassen scheine
. 84), irt der Verfasser; in Holstein wenigstens wird, abgesehen vielleicht von
gewissen kreisen der höhern geselschaft, algemein vetter gesagt, daneben freilich
ae. — Dass in Abels büchlein gotische, altdeutsche, angelsächsische werter und
namen in der sogenant deutschen schritt auftreten, wird wol den meisten lesern
nicht zusagen: der einfluss Simroeks. welcher für jene Schrift, wie wenige, zu
ÜBER ABEL. PERSONENNAMEN 375
schwärmen pflegte, scheint hier von gewicht gewesen zu sein. Mitunter aber wird
auch abgewichen, wahrscheinlich unwilkürlich, z. b. s. 32. 36. 40. 42. 49. —
Der herausgeber der zweiten aufläge, welcher in einem anziehend geschrie-
benen vorwoile, dem er den titi-1 „gedenkblatt" gegeben hat. von dem Leben und
den arbeiten des früh verstorbenen gelehrten die hauptsachen mitteilt, fügt dem texte
der ersten ausgäbe nur wenige znsätze aus Abels handexemplar hinzu, lässt aber am
schluss ein volständiges register der namen (nicht der ihnen zu gründe liegenden
stamme) folgen, welche in dem buche vorkommen. Obgleich ich glauben möchte,
dass es den meisten lesern mein- gefallen hätte, wenn an einzelnen stellen nach
sichern ergebnissen der spätem forschnng geändert und gebessert, das register da
gen, welches doch nur beispiele enthält, die zum teil auch anders hätten lauten
können, unterblieben wäre; so liegt es mir doch fern, dem herausgeber deshalb einen
Vorwurf machen zu wollen, da für ihn und sein verfahren auch gründe vorhanden
sind, welche ich nicht anfechten mag. Angesichts der pietät des heransgebers gegen
den ursprünglichen Verfasser und dessen preiswürdige arbeit, sowie der riieksicht
sogar auf die von diesem vorgezogene, heute jedoch kaum mehr zulässige deutsche
schrift in alten germanischen wörtem imd namen, nimt es wunder zwischen der
ersten und zweiten ausgäbe unterschiede in der Orthographie wahrzunehmen, /.. b.
yiebt, anfingen, gedächiniss anstatt gibt, anfiengen, gedächtnis, wie Abel geschrie-
ben hatte. Auffallender ist die änderung von todtscMag in todschlag (s. 24j, weil
sie einen etymologischen irtum enthält, welcher durch richtige formen wie todkrank,
todsünde veranlasst sein mag; hätte der herausgeber totschlag statt todtsehlag hin-
gesezt, so wäre er der preussischen schulorthographie gefolgt und algemeine> beifals
gewiss. — Ein störender druckfehler findet sich s. 42, wo es heisst: „Den nach den
Eorls (edelfreien) kommenden stand in der angelsächs. Verfassung — bildeten die
Eeorls"; in der ersten ausgäbe steht richtig „Ceorls". Anstatt „das" ist zweimal
(s. 42 und 44) „dass" abgedruckt worden.
BONN. K. G. ANDEESEN.
Theodor Siebs, Zur geschichte der englisch-friesischen spräche. I. Halle,
Max Niemeyer. 1889. gr. 8. VIII, 414 s. 10 m.
Endlich einmal ein buch, woraus sich ein jeder sowol über das altfriesische
als über die merkwürdigen heutigen friesischen dialekte ausreichend, sicher und
bequem unterrichten kann!
„Die abhandlung soll einen überblick über das friesische Sprachgebiet gewäh-
ren, die wichtigsten litterarischen hülfsmittel zum Studium der friesischen sprachen
„angeben und das Verhältnis des friesischen zum angelsächsischen, sowie den gewinn.
„der sich aus der betrachtung der neufriesischen mundarten für das studium der
„älteren spräche ergibt, klarlegen" „Es soll aufgrund von einzelforschungen
„die entwicklung des englisch -friesischen spraehzweiges gezeichnet werden*. Denn
„das friesische kann darüber richten, ob hinsichtlich einer Spracherscheinung dieser
„oder jener angelsächsische dialekt das ursprünglichere bietet".
Nachdem „auf sicheren bahnen reicher sprachstoff aus den überlebenden mund-
„arten des friesischen herbeigeschaft ist, lässt sich durch die vergleichung des an-
gelsächsischen mit dem friesischen eine gewisse summe von formen rekonstruieren,
„wie sie vielleicht einst der spräche der meisten jener Völkerschaften eigen gewesen
„sein mögen, welche Tacitus unter dem namen der Ingaevones zusammenfasst".
376 JELLINGHAUS
Unter englisch- friesisch vorsteht Verfasser „eine spräche, wie sie durch
„die summe gemeinsamer lanterscheinungen der ags. und fries. mundarten repräsen-
„tiert wird, und wie sie geraume zeit vor der colonisation Britanniens — vielleicht
«im 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr. — bestanden haben dürfte*.
Vi raus geht (s. 5—36) eine einleitung über das alte englisch -friesische und
das heutige friesische Sprachgebiet.
Neu und höchst einleuchtend ist die ausfuhrung, warum die friesische spräche
und der friesische stamm sieh in dem schmalen striche au der nordseeküste wäh-
rend des frühen mittelalters so schroff gegen das niederdeutsche (sächsische) behaup-
. konte: ganz Friesland war durch moorgegenden von den südlicheren stammen
D.
Bei der hesprechung des Verhältnisses der römischen „Frisii" zu den „Chauci"
vermisst mau. wie in den meisten nbhandlungen über den gegenständ, ein eingehen
auf die Schlussworte des Tacitus (Germania 35) über das gebiet der Chauker: Chau-
corum gens omnium rruas exposui gentium lateribus optenditur, donec in CHattos
usque sinne tur. Tacitus muss doch haben sagen wollen, dass das gebiet der
Chauker sieh von der Unterelbe längs den Angrivariern, Chamavorn und Brukterern
bis zu den Chatten erstrecke, mag man nun unter diesen die Batavi und Chattuarii
verstehen oder, wie einige wollen, die ursprünglichen Chatten bis zur untern
Kuhr hinabreichen lassen. Diesen seinen worten scheint er dann in cap. 34 zu wider-
sprechen, wo er sagt: Angrivarios et Chamavos a fronte Frisii excipiunt. Die Schwie-
rigkeit löst sich, wenn man die Friesen als die meeresrandbewohner (von frese =
. kante Doornkaat, Ostfriesisches Wörterbuch I, 558) fasst und den
namen der Chauker von «das Haff* ableitet: Haveker, leute an den haven. Ihr gebiet
würde sich dann vom lande Hadeln an der Unterelbe über Bremen südlich von Ost-
friesland vorbei, durch Xorddrenthe längs der Zuiderzee bis in die nähe der chat-
hen Bataver erstrecken. Dazu würde stimmen, dass die heutige niederdeutsche
mundart zwischen Unterelbe und Ems unter allen niederdeutschen den dialekten in
Drenthe, Westoverijssel und Westgelderland am nächsten steht.
Viel zu geringes gewicht wird (s. 11) auf die angäbe Procops gelegt, dass die
Brittia von drei Völkern bewohnt sei: 'AyyO.ot re xal ^oi'aaoveg -/.tu oi r;7 vt'jao)
öfitovvfiot B(>(Tr(ov€g. Es ist doch klar, dass die angelsächsischen christlichen schrift-
Iler gar nichts mehr von der herkunft ihrer vorfahren wissen. Wir müsserualso
Procop glauben. Die Sachsen nent er deswegen nicht, weil er oder seine gewährs-
männer wussten, dass das ein gesamtname für eine art von Germanen war, zu
denen auch die Angeln und Friesen gerechnet wurden. Wenn daher „das altfrie-
■he und das northumbrische den andern angelsächsischen mundarten gegenüber
gev neuerungen zeigen" (s. 7) und Xennius ein meer zwischen Schottland und
Irland rmare Fresicum> nent, so dürfen wir annehmen, dass die Northumbrier jene
Frissones Procops sind.
hr bedenklich sind die Schlüsse von Ortsnamen, deren erster teil ein völ-
kemame scheint, auf völkersitze (s. 15). Wer bürgt uns dafür, dass Orriber in Om-
berswett, Sasse in Sassenberg, Franl;< in Frankenhausen nicht einfache personen-
namen sind? Anders steht es freilich mit Ammerland und Ammergau (s. 17).
Warum sollen ('s. 20) Ortsnamen auf -heim auf friesische be wohner hinweisen?
Sie sind doch in den meisten teilen Altsachsens häufig — abgesehen von einigen
unwirtlichen strichen, die erst spät besiedelt sein können. Wenn freilich in Nord-
ÜBER SIEB?. ENGLISCH -FRIESISCHE SPRACHE 377
albingien nur an der küsto die vereinzelten namen auf -um wie Büsum, Husum,
Bordelum, Riesum vorkommen, so zeigt das an, dass hier die ältesten germanischen
ansiedelungen von Schleswig -Holstein liegen, wahrend die Sachsen, wie wir sie /All-
zeit Karls des Grossen vorfinden, später eingewandert zu Bein scheinen.
Das heutige Sprachgebiet des friesischen (s. 27—32) wird eingeteilt
in das ostfriesische (Wangeroog, Baterland, Earlinger und Wurster friesisch des
17. Jahrhunderts), das nordfriesische (fesÜandsdialekte und inseldialekte, zu denen
auch das Eelgoländische gehört) und das westfriesische in Niederländisch Fries-
land nebst den nmndarten der iuselu Sehiernuninikoog und Terschelling. Nicht zu
hilligen ist, dass (s. 31) die in den städteu Leeuwarden, Bolsward, Dokkum u. s. f.
gesprochene spräche als „sächsisch- friesisch ei mischdialekt*' bezeichnet wird. Es ist
altes hollandisch des 16. — 17. Jahrhunderts in friesischer ausspräche und voD von
friesischen idiotismen. Das alt holländische aber ist die durch fränkisch -geldrische,
brabantische und flämische einflösse modiiieierte Ursprache der be wuhner von Wcst-
ütrecht und Südholland.
Von s. 37 bis 205 geht dann die ausführliche ge schiebte der vokale, Bei
jedem eine Zusammenstellung von 20 — 50 beispielen, wobei jedes wort durch sämt-
liche friesische mundarten und untermundarten verfolgt wird. Auf eine vergleichung
des neufriesischen mit dem neuenglischen ist Siebs nicht eingegangen. Sie würde
ergeben haben, dass beide sprachen im Verhältnis zum angelsächsischen und alt-
friesischen eine anzahl gleicher lautwandlungen aufweisen, dass das Friesische beson-
ders mit dem nordenglischen in parallele steht, während einige wichtige züge
der südenglischen mundarten in Brabant und Ostflandern widerkehren: gerinan.
l:ai, german. ü : au (brabantisches ui sezt au voraus), das verstummen des anlau-
tenden Ä, die venvandelung von sk in s (in Limburg und Ostbrabant). Ist es wahr-
scheinlich, dass diese lautwandelungen durch eine art von ansteckung sich am ende
des mittelalters über die see nach England verbreitet haben?
Die auffassung, dass das moderne westfriesische ea, e und ags. ca (= germ.
au) sich aus ä entwickelt habe, dürfte zu bezweifeln sein. Das alte friesische d
(= germ. au) ist doch wol nur ein zeichen für den laut a-u, dessen ä sich zu ä,
e senkte. Ganz so hat die altniederdeutsche Freckenhorster heberolle a; die jetzigen
westfälischen mundarten dagegen haben au, die ostwestfälischen bergmundarten ä-u.
Ob che anspreehende erklärung der einstigen mit Borkum zusammenhangen-
den insel Bant, de Banthe (s. 275) als die Fabaria, d. h. „die bohnen förmige a
des Plinius (Natur. Hist. IY, 97) vor dem Wortlaute bei Flinius bestehen kann ist
doch zweifelhaft.
Als resultat folgt dann von s. 306 — 341 eine Übersicht über die verwant-
schafts Verhältnisse der friesischen mundarten. „Aus den altfriesischen texten und
„dem zustande der lebenden mundarten ergibt sich, dass die nordfriesischen
„insel- und festlandmundarten eine zeit gemeinsamer Weiterentwicklung mit dem
„ostfriesischen erfahren haben, nachdem sich das westfriesische zu geson-
dertem fortleben abgezweigt hatte und dass wir demnach als hauptuntcrabteilunpn
„des urfriesischen einerseits eine (gemein) ostnordfriesische, andrerseits eine
„(gemein) westfriesisehe spräche anzunehmen berechtigt sinda.
S. 318 fgg. werden die wichtigsten merkmale der einzelnen ost friesischen
dialekte verzeichnet, also des AYangeroogschen , des Harlingschen, wie es durch
„Cadovius' Memoriale linguae frisicae", der Wurstener mundart. wie sie
durch Westings Vokabular (jezt veröffentlicht von Bremer bei Paul und Braune,
378 JELLINGHAUS. ÜBKR SIEBS, ENGLISCH- FRIESISCHE SPRACHE
Beiträge XIII) betont ist. und des Saterläudischen. Für die benntzung der Vokabu-
lare von Cadovius und "Westing wäre eigentlich eine Voruntersuchung über das Ver-
hältnis ihrer aufzeiohnungen zum eindringenden platdeutschcn nötig.
Die Schwierigkeit einer solchen liegt darin, dass das friesische beider, nament-
lich das des Cadovius aus dem platdeutschen auch solche laute aufgenommen zu
haben scheint, welche in den jetzigen mundarten der landschaften , die an das Harlin-
rland und an das Land Wursten grenzen, nicht existieren. Ganz dieselbe erschei-
nung finden wir in den über die spräche der Drevjaner und Gliujaner Elbslavrn
erhaltenen auf Zeichnungen, wo das wendische aus dem niederdeutschen diphthonge.
hat. die jezt im umkivise des AVcndlaudes nicht zu existieren seheinen. Vgl. Bis-
kupski. Die diphthonge in der spräche der Lüneburger Slaven. Progr.
8. 3*27 fgg. finden sich die merkmale des festländischen nordfriesisch und der
inseldialekte , dann s. 336 fg. die der neuwestfriesischen mundarten angegeben. Den
luss bildet (s. 348 — 393) ein Verzeichnis der für das Studium der friesischen
spräche und litteratur in betracht kommenden druckwerke. Die westfriesische litte-
ratur ist hier wol zum ersten male gesammelt. Die inschriften am Hadrians walle
(«Mars Thingsusu) solte man nicht friesisch nennen, denn die in einer von ihnen
vorkommden Twenther (Tuihanti) sind reine Sachsen und die Niederdeutschen ein-
schliesslich der Brabanter, Gelderlander und Rheinfranken (bis Köln) sind es, die den
dem Mars geweihten Wochentag dingesdach nennen, die Friesen dagegen sprechen
tyesdei. tiesdi. Von "Wassenberghs abhandlung über die eigennamen der Friesen
hätte die zweite verbesserte aufläge vom jähre 1808 in seinen Taalk. Bijdragen 2,
61 — 100 angeführt werden sollen.
Der aufsatz von W in kl er „Friesland over de grenzen" ist mitlerweile in
-.1 erfreuliches buch „Oud Nederland" 's Gravenhage 1887 aufgenommen wor-
den. Daselbst stehen noch die lehrreichen aufsätze „Friesen, Saksen, Franken —
onze vorouders" — (s. 43 — 72). „Haarringen, Hoofdbeugels en Ooryzers" (s. 263 —
311) -Bier en bierdrinkers in Friesland " (s. 311 — 31) und „Laus Frisiae" (s. 333 — 67).
Bei Gijsbert Japicx fehlt Wassenberghs kommentar zu „De Nys- gierige Jolle"
Tk. Bijdr. 2, 1 — 58. Von Waatze Gribberts bruyloft konte noch die ausgäbe
von 1712 (17) erwähnt werden.
Hoffentlich erhalten wird bald in einem zweiten teile ebenso genaue auskunft
über die konsonanten und die flexionen des friesischen. Die friesische assibilierung
der palatalen hat Siebs bereits in einer eigenen Schrift (Tübingen bei Fues. 8. 44 s.)
ausführlich erläutert. Vgl auch seine abhandlung über den altfriesischen vokalismus
bei Paul u. Braune Beitr. XI, 205 — 261.
H. JELLINGHAUS.
Die congruenz in der mhd. spräche. Von R. Schachinger. Wien, Alfred
Holder. 1889. 114 s. gr. 8. 3,60 m.
In den beiden ersten abschnitten gibt der Verfasser aus einer reihe wichtiger
mhd. quellen (dichtung und prosa) eine reiche samlung von belegen zu den in
Grimm- gTammatik IV, 196 — 200. 266 — 284 besprochenen abweichungen von der eon-
icnz des genus und des numerus. Eigene beurteilung und psychologische begrün-
dung der erscheinungen versucht er nur selten. Für die auffälligste der von Grimm
ERDMANN, ÜBER SCHACIIINGER , CONGRUEN'Z IM MHD. 379
behandelten abweiohungen, nämlich für die Verletzung der congruenz zwischen Sub-
stantiv und attributivem adjectiv und pronomen (Grimm IV, 267: du altyrtsn- hart?.
269: ein totp volliu rieher sinne; nhd. z. b. beim jungen (ioetho 3, 212 meine
fräulein) führt er aus seinen quellen keine belege an, entweder weil er sie nicht
gefunden, oder Weü er sie nicht gesucht hat.
Schärferer durchsieht und Unterscheidung bedürfen namentlich die s. 82 fgg«
gesammelten bespiele von Verbindung des verbums im Singular mit substantivischen
subjeetsworte im plural, vgl. Grimm IV, 197. Von den zwei stellen aus dem Nibe-
lungenepos wird die erste 185, 2. 3 durch die von Schachinger nicht bezeichnete
weite entfernung des subjeetswortes vom vorangehenden verbum gemildert; bei der
zweiten Nib. 2149, 3 bietet nur die handschrii't A , in welcher der text dieses ven
offenbar verderbt ist, den plural schiltstcinc (BC: schiltgesteine). Die stelle Iwein
3096 gehört nur nach der verdorbenen lesart von D hierher. Die passivischen con-
struetionen wie Iwein 7113 da wart vil gestochen und gar diu sper verbrochen
erkläre ich in meinen Grundzügen der deutschen syntax § 135 unpersönlich. Nach
der notwendigen aussonderung dieser und gleichartiger fälle bleibt eine wirklich erheb-
liche menge von beispielen dieser Verbindung nur für AVolfram übrig, bei dem Bie in
der tat individuell ausgebildete stilmanier zu sein scheint.
Der dritte abschnitt (Congruenz des casus) beschäftigt sich fast ausschliesslich
mit belegen des üectierten prädicativen adjeetivs (vgl. AVeinhold, Alhd. gramm. §515;
meine syntax § 52. 65). Die bemerkung (s. 113), dass im volksepos flectiertei accu-
sativ des neutrums in diesem falle nie vorkomme, wäre, fals sie sich als unbedingt
zutreffend erweisen solte, beachtenswert. Zum Schlüsse sind noch belege für unilee-
tiertes künec vor dem genetiv von eigennamen gesammelt.
KIEL. 0. ERDMANN.
Musen und grazien in der Mark (Gedichte von F. W. A. Schmidt). Ber-
liner neudrucke, I. serie, band 4. Herausgegeben von Ludwig Geiger. Berlin
1889, verlag von Gebr. Paetel. 8. 3 m.
Der titel dieses bandes rührt von Goethe her. Die also überschriebene paro-
die richtet sich gegen den 1795 erschienenen „Kalender der musen und grazien",
welcher als beigäbe 60 gediente von Friedrich August Wilhelm Schmidt brachte.
Was uns nun Geiger im neudruck bietet, ist nicht dieser gegenständ von Goethes
spott, sondern eine auswahl von Schmidts gedienten überhaupt: neben 15 gedienten
aus dem berüchtigten kalender sind 33 beitrage aus 5 andern samlungen aufgenom-
men. Auch wären sie als blosse Zielscheibe der satire eines litterarischen heros noch
nicht für einen neudruck qualificiert. Indessen ist dem herausgeber darin zuzustim-
men, dass sie als beweis, wie „vor beinahe 100 jähren ein märkischer poet mit sin-
nigem äuge die märkische landschaft betrachtete", in den Berliner neudrucken nicht
fehlen durften. Tom ästhetischen Standpunkt sind gewiss die meisten beitrage mit-
telmässig, doch erfreuen sie durch naturwahre widergabe gesunden Stillebens. Bei
alledem begreift man, dass dieses selbstzufriedene, schwunglose pfablbürgertum den
gewaltigen von Weimar zum spott reizen muste.
So anziehend der titel des neudrucks für weitere kreise sein mag — wissen-
schaftlich scheint er nur nicht gerechtfertigt, weil er über inhalt und tendenz der
neuen ausgäbe irreführt: man glaubt die ganze von Goethe parodierte samlung und
3S0 WOLFF. ÜBER SCHMIDT. MUSEN' U. GRAZIEN ED. GEIGER
nur diese, man glaubt sie als unterläge zur erläuterung und beurteilung des Goethi-
schen gediehtes vor sich zu haben. Ob die widerholung desselben an der spitze der
einleitong notwendig war. möchte ich bezweifeln: die loser des neudrucks werden ja
wol im besitz von Goethes gedienten sein!
Leider verzichtet der heransgeber „absichtlich8 darauf, Schmidts dichterische
.onart zu charakterisieren; indessen ermöglicht die getroffene auswahl ein umfas-
IbstSndiges urteil des lesers. Geiger citiert unparteiisch die tadelnden wie
die lobenden benrteünngen der Schmidtschen Schriften und gibt nachrichten über das
leben des autors.
Aus den proben der parodierten samlung gewint man den aufschluss, dass
schwnnglose cüchternheit dos lebens bis ins einzelne getreu den origina-
len nachgebildet hat. dass dagegen die geisselung der märkischen poesie (7. strophe)
b ine Charakteristik der Schmidtschen gediente, die geisselung der märkischen
Wissenschaft (2. hälfte der 4. strophe) als fremd hereingezogenes element anzusehen
Danach gibt sich Goethes gedieht vorwiegend, doch nicht ausschliesslich als
parodie, in der lezten (7.) strophe vielmehr als satire, in der 2. hälfte der 4. strophe
als invective.
Es fragt sich schliesslich, ob Goethe ein recht hatte, die Schmidtschen elabo-
rate als typns der märkischen dichtung hinzustellen. Er hatte es, insofern er darin
den verstandesmässigen und vorwiegend realistischen grundzug des märkischen Cha-
rakters fand; er hatte es nicht, insofern bereits achtung gebietende proben speeifisch
märkisch - preussischer dichtung aus den zeiten Lessings, E. Chr. v. Kleists und Gleims
vorlagen.
Noch zwei stilistische bemerkungen über die einleitung. S. ITT: Seitdem galt
F. W. A. Schmidt . ., der weit häufiger als sein genösse als dichter aufgetreten
war, als hauptvertreter des platten". S. IX: „Die neueren litteraturgeschichten neh-
men von Schmidt überhaupt selten notiz", eine Seite weiter nochmals: „Die neueren
litteraturgeschichten nehmen, soweit ich sehen kann, selten oder ohne charakteristische
icrkungen von unserm poeten notiz".
Von einigen druckfehlern abgesehen (namentlich muss es s. XXI, z. 3 v. u.
14 statt 12 heissen), ist die ausstattung vorzüglich , dennoch aber der preis von 3 m.
für XXII und 71 s. erstaunlich hoch.
Wir dürfen dem herausgeber für seine interessante gäbe dankbar s€in.
KIEL. EUGEN WOLFF.
l'ntersuchungen zur Überlieferung, Übersetzung, grammatik der psal-
men Xotkers. Von Johann Kelle. (Schriften zur germanischen philologie, her-
ausgegeben von M. Roediger, III). Berlin, Wcidmannsche buchhandlung. 1889.
MI und 154 s. 7 m.
Mit dieser Schrift schliesst Kelle die reihe von monographien ab, welche er
teils in den Schriften der "Wiener und Münchener akademic (AViener Sitzungsberichte
bd. 10 ''fg.; abhandlungen der k. bayerischen akad. I. GL XVIII. bd. labt),
Is in der Zeitschrift für deutsches altertum (XXX. 295 fg.), teils in unserer zeit-
irift (XVm. 324 fg. XX, 129 fg.) über textgeschichte und sprachformen der
werke Xotkers veröffentlicht hat; eine besondere schrift über die lautlehre der Not-
kerschen spräche stelt er noch in aussieht.
0. ERDMANN, ÜBER KELLE, ZU NOTKEKS PSALMEN 381
Mit bekanter gründlichkeit and sorgfalt hat der Verfasser hier die nachweise
über alle verbal- und nominalformen in Notkers psalmen gegeben. Es ist dabei zum
ersten male die in der bibliothek des königs von Dänemark befindliche abschrifl
benuzt, welche Rostgaard 1G97 in Paris von der jezi verschollenen handschrift des
Simon de la Loubere anfertigen liess. S. 5 fjgg. gib! Celle eine ausführliche beschrei-
bnng und geschichte dieser abschrift. Sehr wichtig ist ferner, dass Celle bei der
übersieht durchweg die sprachformen der echt Notkerischen Psalmenübersetzung
von denen der erst später zu den lateinischen Worten hinzugefügten interlinear-
glossen unterscheidet. Der übelstand, dass die Übersicht über die sprachformen
der einzelnen werke Xotkers an so verschiedene stellen verteill ist, wird dadurch
gemildert, dass eben nach Keiles nachweisen das. was als rege! der Notkerschen
psalmenübersetzung gelten muss, sich in den anderen werken durchaus übereinstim-
mend vorfindet; die abweichungen der Schreiber von dieser regelmässigkeii sind für
alle Notkerischen werke hier bei jeder gruppe von wortformen angegeben. Die vor-
liegende schrift kann also zugleich als darstollung der Notkerschen verbal- und
nominalbildung überhaupt gelten.
Von einer Notkerischen Übersetzer schule kann, nachdem Bohon Baechtold
Ztschr. f. d. a. XXXI, 185 fg. 195 fg. dieser annähme den boden entzogen hatte, nicht
mehr die rede sein. Keiles monographien — namentlich auch die abhandlung über
die philosophischen kunstausdrücke in Notkers werken — zeigen die übersetzertätig-
keit des bedeutenden mannes als eine individuelle und in sich zusammenhängende.
Damit aber diese tätigkeit so alseitig und in solchem umfange gewürdigt weiden
könne, wie sie es verdient, ist eine den berechtigten ansprächen an die textkritü
genügende, übersichtliche (auch mit sprachlichen und sachlichen registern versehene!)
und — was bei den hohen preisen der beiden volstlindigen Notkerausgaben ' sehr zu
betonen ist — nicht unerschwinglich teuere ausgäbe des ganzen Notker im höch-
sten grade zu wünschen. Hoffentlich dürfen wir Keiles mitteilung (vorwert s. Vi.
dass er für die nächste zeit eine ausgäbe nicht beabsichtige, eben nur auf die
nächste zeit beziehn.
KIEL. 0. ERDMANN.
Klingers Faust. Eine literarhistorische Untersuchung von G. J.Pfeiffer.
Nach dem tode des Verfassers herausgegeben von Bernhard SeulIVit.
Würzburg, G. Hertz. 1890. IV und 167 s. 4,50 in.
Die doctordissertation des Verfassers unter gleichem titel ("Wurzbur- 1-SS7)
besprach ich ün A. f. d. a. XIII, 93. Das jezt von B. Seuffert herausgegebene buch
bietet auf s. 1 — 136 eine in einzelheiten mehrfach verbesserte und übersichtlicher
gegliederte bearbeitung jener dissertation , welche aufgrund eingehender und verständ-
nisvoller Studien das Klingersche werk charakterisierte und seine beziehungen zur
zeitgenössischen litteratur nachwies; es folgt s. 136 — 148 die größtenteils neue und
sehr gut durchgearbeitete Untersuchung über die entstehungszeit der verschiedenen
teile des Klingerschen Faust. Gänzlich neu und sehr dankenswert ist endlieh die
kritische Übersicht der verschiedenen ausgaben und ihres wertes s. 140 — 165. Solte
noch einmal eine historisch - kritische ausgäbe des Klingerschen „Faust" veranstaltet
1) Auch bei der vorliegenden schrift erschwert der von der Verlagshandlung sehr hoch angesezte
preis die Verbreitung des buches so, wie man es in der germanistischen litteratur eben fast nur noch bei
werken von und über Notker gewöhnt ist.
NXDB ERSCHEINUNGEN
I ■:.. 90 würde Gr. J. Pfeiffer mit diesem buche dem herausgeber die wege gewie-
sen und s aet haben. Eine darstellung der Wirkungen des Klingerschen Faust auf
die zeit- ssen, so wie seines naehlebens in kunst- und volkspoesie hatte Pfeiffer
für den lezten teil des werkes beabsichtigt Ich weiss aus eigenen versuchen in die-
ser riehtung. da- -ehr reizvolle aufgaben sind, welche Pfeiffer teils gelöst, teils
nnen hat; um so mehr ist es zu beklagen, dass der tod den arbeiten des gewis-
iiaften und eifrig .strebenden forschers ein so frühes ziel gesezt hat.
KI: 0. ERDMANN.
NEUE EKSCHEINUNGEN.
Berger, Arnold E., Friedrich der Grosse und die deutsche litteratur. Akademische
antritsrcde (29. april 1S90). Bonn, E. Strauss. 38 s.
Dissel, Karl. Philipp von Zesen und die deutschgesinte genossenschaft. Programm
des "Wilhelms - gymnasiums in Hamburg 1890. 66 s. 4.
Sorgfältige monographie mit Verwertung der früher bekanten und angäbe
neu erüfneter quellen. Anhang II enthält ein genaues mitgliederverzeichnis der
genossenschaft mit den bei Goedeke IH, 16 fehlenden Jahreszahlen der aufnähme.
Freerieks. H. , Der kehrreim in der mhd. dichtung. I. (Gymn. - progr. Paderborn
1S90). 34 s. 4. Leipzig, G. Fock. Preis 1 m.
Freybe. Albert. Comedia von dem frommen, Gottfrüchtigen und gehorsamen Isaac.
Aller frommer Kinder imd Schöler Spegel, durch Jochim Schlue, Bürger und
Bargerfahr in Eostock. 1606. Festschrift des gymnasiums in Parchim 1890. VIII,
88 und 39 s. 4.
S hon ausgestatteter neudruck der grösstenteils niederdeutsch geschriebenen
komödie, welche Joachim Sehlu den herren des hansischen kontors in Bergen
widmete. Zu gründe gelegt ist das exemplai' der Rostocker Universitätsbibliothek.
rgüchen ein zweites ex»-mplar der Stiftsbibliothek zu Linköping.' In der ange-
fügten abhandlung hat der verdiente herausgeber die sprachliche, litterarische und
kulturhistorische bedeutung der komödie dargelegt; auch das Verhältnis von J. Schlu
zu Georg und Gabriel Rollenhagen (vgl. diese ztschr. XIV, 124 fgg.) wird von
neuem erwogen.
Handelmaun, H., kgl. museumsdirektor, Der Krinkberg bei Schenefeld und die hol-
inischen silberfunde. Mit abbildungen. 27 s. Kiel, Universitätsbuchhandlung.
1890.
Heuen, W., Über die träume in der altnordischen sagalitteratur. Leipzig, G. Fock,
1890. 89 s.
Einleitung: Etymologie des Wortes draumr und konstruktionswechsel des
verbums dtreyma. Teil I: Schicksalsidee und Unsterblichkeitsglaube im träume.
Teil II: Der deutbare träum. Teil III: Die Wirklichkeit des geträumten. Teil IV:
Kritik der träume.
Hillebrandt. A., Die sonwendfeste in Alt-Indien. In der Konrad Hofmann zum
_ -burtstage gewidmeten : rift; wider abgedruckt in den Romanischen
forschungen V. 1. Erlangen. A. Deichen: nachf. 46 s.
Der Verfasser bespricht auch germanische und slawische festgebräuche und
volkssitten.
NACHRICHTEN 383
Keller, H. A. v., Verzeichnis altdeutscher handschriften. Herausgegeben von
E. Sievers. Tübingen, H. Laupp. 1890. V, 178 s.
116 handschriften aus 25 bibliotheken, nieist der zeit vom 14. — IG. Jahrhun-
dert angehörig, sind teils genau mit aufzählung aller in ihnen enthaltenen stücke
beschrieben, teils — wo dies durch inzwischen erfolgte Publikationen unnötig
geworden war — kurz notiert. Sievers hat ein register der versanfänge und der
genanten Verfasser hinzugefügt.
Loeek, (*., Die homiliensamlnng des Paulus Diaconus die unmittelbare vorläge des
< >tfridischenvevangelienbuches. (Kieler diss. 1890.) Leipzig, G. Fock. 47 s. 1,50 m.
Marold, Karl, Stichometrie und leseabschnitte in den gotischen episteltexten. Kö-
nigsberg, programm des kgl. Friedrichskollegiums 1890. 18 s. 4.
Der erste teil der lehrreichen Untersuchung führt zu Vermutungen über dio
vorlagen der gotischen epistelfragmente , der zweite berührt die frage nach dem
Zusammenhang der in Italien wohnenden Goten mit dem ritual und den bibeltex-
ten der oströmischen kirche.
Rode, Albert, Über die Margaretenlegende des Hartwig von dem Hage. (Kieler
diss. 1890.) Leipzig, G. Fock. 56 s.
1. Die Überlieferung. 2. Vers- und reimkuust. Dialekt. 3. Die quelle.
4. Verhältnis der legende zu den tagzeiten. 5. Litterarische Stellung.
Sehröder, IL, Zurwaffen- und schiffskunde des deutschen mittelalters bis um 1200.
(Kieler diss. 1890.) Kiel, Lipsius & Fischer. 46 s.
NACHRICHTEN.
Am 25. april d. j. verschied in seiner Vaterstadt Leipzig der geheime regie-
rungsrat professor dr. Theodor Möbius, bis 1889 ord. professor der nordischen Phi-
lologie in Kiel (geb. 22. juni 1821); anfang august d. j. zu St. Hubert dr. Felix-
Lieb recht, rühmlichst bekant als forscher auf dem gebiet der sagen- und sitten-
kunde, von 1849 — 1869 professor in Lüttich (geb. 11. märz 1812 zu Namslau).
Ende märz dieses Jahres starb in Stadt -Suiza (Thüringen) dr. Robert Box-
berger, verdient als forscher und Herausgeber namentlich auf dem gebiete der Les-
sing- und Schülerlitteratur. Er hatte noch im februar mit freundlicher bereitwillig-
keit für unsere Zeitschrift die besprechung von Minors Schillerbiographie übernom-
men; einer eigenhändigen postkarte, in welcher er wegen erkrankung ein etwas ver-
spätetes eintreffen des manuscriptes in aussieht stelte, folgte schon nach wenigen
tagen die erschütternde nachricht von seinem tode.
Dr. Arnold E. Berger hat sich in Bonn, dr. Theodor Siebs, bisher privat-
docent in Breslau, in Greifswald für deutsche spräche und litteratur habilitiert. Dem
leztgenanten ist die Vertretung des prof. dr. Pietsch übertragen, welcher als philo-
logischer leiter der neuen ausgäbe von Luthers werken nach Berlin berufen wurde.
Der privatdocent dr. F. Muncker in München wurde zum ausserordentlichen
professor ernant.
Professor dr. E. Steinmeyer legt, wie die DLZ. mitteilt, die redaction der
Zeitschrift für deutsches altertum nieder, die von prof. dr. E. Schröder in Maiburg
und prof. dr. G. Röthe in Göttingen fortgeführt werden wird.
3S4 NACHRICÄTBN
Prof. dr. B. Litzmann in Jena wird die herausgäbe einer neuen publication
leiten, welche unter dem titel „ Theatergeschichtliche forschungen" in zwanglosen
heften bei I. | ld V bs in Bamburg erscheinen soll. Er beabsichtigt eine sammel-
steile für wissenschaftliche arbeiten aus dem gebiete der deutschen theatergeschichte
zu schaffen, hauptsächlich für die zeit vom auftreten der englischen komödianten
in das drittel dieses Jahrhunderts.
alleinige vertrieb des Arkiv für nordisk filologi für die niehtskaudi-
naviseh-'ii Lander ist von dem eben begonnenen 7. bände ab hrn. < >. Harrassowitz
in Leipzig übertragen. Der band wird, wie bisher aus 4 heften bestehen und 8 mark
■•■11. Um neu eintretenden abonnenten die anschaffung der früheren bände zu
erleichtern, ist bis auf weiteres der preis für band I — IV auf 10 mark ennässigt.
Im verlaue von J. Trübner in Strassburg wird unter der Leitung von E. Mar-
tin ein El lies idiotikon erscheinen.
Preisaufgaben der fürstlich Jablono wski'schen geselschaft.
Für das jähr 1892 wünscht die geselschaft eine geschichte der koloni-
sation und germanisierung der "Wettinischen lande. Preis 1000 mark.
Für das jähr 1893 wünscht die geselschaft eine kritische Übersicht über die
almähliehe einführung der deutschen spräche in öffentlichen und pri-
vaten Urkunden bis um die mitte des 14. Jahrhunderts. Auf stadtrechte,
weistümer oder das weite feld der verschiedenen akten mag gelegentlich hingewiesen
werden, aber den festen faden der Untersuchung soll die eigentliche Urkunde abgeben.
T»a> auftreten der deutschen spräche in den königsurkunden und in der reichsgesetz-
gebuug wird durch das 13. Jahrhundert und mindestens bis zum tode Karls IV. und
der ausbildung der festern kanzleischrei bung zu verfolgen sein. Dialektische oder
sonst sprachliche Untersuchungen würden zwar wilkommen sein, künten aber auch
spezialforschern überlassen bleiben. Bei den Urkunden der fürsten, herren, städte
usw. wird eine volständigkeit der Übersicht an sich nicht zu erreichen sein, da nicht
Iten brauchbare und bis auf die zeit der deutschen Urkunden fortgesezte urkunden-
bücher noch fehlen. "Wo aber solche vorliegen, sollen sie auch ausgenuzt werden.
Das interesse an der sache hört natürlich mit dem Zeitpunkte auf. in welchem die
deutsche spräche in den Urkunden algemein, überwiegend oder doch schon ganz
öhnlich geworden ist. — Preis 1000 mark.
Die anonym einzureichenden be Werbungsschriften sind in deutscher, latei-
nischer oder französischer spräche zu verfassen, müssen deutlich geschrieben
und paginiert, mit einem motto versehen und von einem versiegelten Umschlag
n, welcher aussen das motto der arbeit trägt, inwendig namen und Wohn-
ort des Verfassers angibt. Jede bewerbungsschrift muss auf dem titelblatte eine
adresse enthalten, an welche die arbeit für den fall, dass sie nicht preiswürdig
befunden würde, zurückzusenden ist. Die einsendung ist bis zum 30. november
des angegebenen jahres an den Sekretär der geselschaft zu richten. Die resul-
tate der prüfung der eingegangenen Schriften werden durch die Leipziger zeitung im
märz oder april des folgenden jahres bekant gemacht. Die gekrönten bewerbungs-
■ werden eigentum der geselschaft.
Halle a. S., Buchdruckerei des Waisenhauses.
DIE ZEHN ALTEKSSTITEN DES MENSCHEN.
AUS DEM NACHLASSE VON JULIUS ZACHER.
Der gegenständ, der folgen (hu abhandlung, welche sich unvollen'
det in/ Nachlasse des verstorboten Verfassers vorfand, hat denselben,
nie so manche andere unausgeführt gebliebene oder in der ausführung
nur begonnene litterarische idee, Jahrzehnte hindurch immer wider
beschäftigt Unter den „Mitteilungen aas Handschriften von II. Pei-
per (Breslau)", deren ankündigung aaf den heftumschlägen der teit-
schrift fast von den ersten bänden an regelmässig zu lesen war, befand
sich nach der sprach aber die zehn lebensalter aus dem ll< Inligerscht n
codex (nr. 2). Von derselben seite erhielt der verfasse?' bald darauf
(juni 187 2) den von herrn bibliothekar Keinz abgeschriebem n spruch
De etate aus der Münchener handschrift (s.404); beides legte er zurück,
weil ihn der gegenständ zu einer ausführlicheren behandlang lockte.
Dieselbe erfolgte, wie aus einer correspondenz hervorgeht, im jähre 1878,
kenn jedoch ebensowenig zum abschlusse , wie die aus ähnliche,/
anlassen entstandenen aufsätze über Marbod und Altfil legi, itschr.
XX, 419). Von dem so?ist bei behandlang f renaler arbeiten üblichen
gebrauche, ursprüngliches und neuhinzugekammenes durch den druck
sorgfältig \a scheiden, hat der herausgeber in diesem falle abweichen
\a dürfen geglaubt, weil er die arbeit nicht als fremde befrachtete
and die hofnung hatte, dieselbe wenn auch nicht mit der geUhrsam-
keit, so doch im sinne des verstorbenen vollenden zu können, um so
mehr, als der fast drachfertig vorhandene erste teil derselben and der
anfang des zweiten für die gestaUung des noch fehlenden geringen
restes eine bestirnte direcUon gab.
E. MATTHIAS.
In seinem ebenso gelehrten als anmutigen buche: „Die lebens-
alter. Ein beitrag zur vergleichenden sitten- und rechtsgesehichte.
Basel 1862", behandelt W. "Wackernagel auch die einteiluug des mensch-
lichen lebens nach zehn Jahrzehnten. Er sagt, dass diese einteilung
nach Jahrzehnten in griechischer und römischer litteratnr gar nicht
ZEITSCHRIFT F. DEUTRrHE PHILOLOGIE. BD. XXIII.
25
ZACHER
vorkomme1 denn SoIod sezte zwar zehn, aber nicht zehn-, sondern
siebenjährige Lebensalter, worin der Jude Thilo and andere ihm folgten,
bis herab auf den verdeutschenden Abraham a S. Clara — , und dass
in Deutschland auch erst seit dem 15. Jahrhundert begegne. Als
ältesten beleg nent er einen holzschnitbogen ans der Weigelschen sam-
lung, dessen deutsche verse pastor Otte zuerst bekant gemacht hat in
inem handbuche der kirchl. kunst-archäologie des deutsehen mit-
telalters2. Als zweiten beleg, den er für etwas jünger hält, bezeichne!
Wackernagel die verse, welche Hoffmann von Fallersleben im jähre 1832
ans einer Breslauer handschrift der Rehdigerschen bibliothek mitgeteilt
ha: Diese von einer und derselben band des 15. Jahrhunderts ge-
schriebene pergamenthandschrift, deren Signatur Hoffmann nicht ange-
ben hat, befindet sich jezt in der Breslauer Stadtbibliothek unter den
Rehd lim band Schriften und trägt die Signatur S IV 3 a 16. Am
ende derselben nent sich der schreiben Explicit libcr per manus Thome
de linnik. worunter wol Leipnik in Mahren, östlich von Olmütz, zu
verstehen ist. Sie befasst verschiedene lateinische stücke theologischen
inhalts4. Auf der inneren seite des hinteren einbanddeckels stehen
1) Dass dem nicht so ist. geht aus einem Spruche der lateinischen antkologie
. lat. minor, ed. Aem. Baehrens, IV, s. 257 fg.) hervor, auf welchen herr ober-
bibliothekar dr. R. Köhler den herausgeber aufmerksam gemacht hat: Vitam uiuere si
<ui itam — Et uotis Lachesis dabit seneetam, — Aunos ludere te decem doce-
bit, — Vigiuti studiis dabis severis, — Triginta pete litium tribunal, — Quadra-
ginta stilo polita dicas, — Quinquaginta velim diserta scribas, — Sexaginta tuo satis
fruaris, — Septuaginta aelis uenire mortem, — Octoginta senps caueto morbos, —
N oaginta time labante sensu. — Centum nee puer unus adloquetur. — Hinweisen
möchte ich wenigstens an dieser stelle auf eine Stufenfolge, die sich in dem werke
• •1 Criticon des Jesuiten Gracian findet (III, 10), deren kentnis ich abermals herrn
dr. Kuhler verdanke: 10. Mercur, 20. Venus, 30. Sol, 40. Mars, 50. Jupiter, 60. Sa-
turn. 70. Luna. — Dieselbe idee, nur mit anderer reihenfolge der gestirne, in einer
maierei des Cristofano Gherardi, gen. Doceno, vom jähre 15ö4, die sich einst auf
einem Florentiuischen hause befand: 10. Luna, 20. Mercur, 30. Apollo, 40. Venus,
. 60. Jupiter, 70. Saturn; jede lebensstufe in einem oval, gehalten von zwei
tilgenden, die tufe besonders ziemen (Piper, Mythologie der christl. kun t,
II. 24
". aufl. Jn Verbindung mit dem Verfasser bearbeitet von Ernst AVcrnicke.
1. band. 496, anm. 1.
Auf . Anzeiger f. künde des deutschen mittelalt. I, 300.
4) Inhal" be von anderer band auf dem vorderen schutzblatte: D<' vita
"i über. Oratio de pa~ dominica. Psalterium de passione b. b'n (?). <>ra-
tiones bonae. über de infancia Salvatoris. Excerpta rabi Samuel de aduentii .\b
siae. über probans Christum dominum fuisse deum <-r hominem. über continens
rpta de erroribus Judaeorum in Talmud.
/FUN" ALTERSSTUFEN' öS?
neben mehreren lateinischen aufzeichnunger) jene eben erwähnten verse
von einer band, die unzweifelhaft noch dem 15. Jahrhundert angehört
Herr Peiper hat mir eine neue abschrift derselben mitgeteilt und herr
Pietsch ist so gütig gewesen, zur erledigung eines zweifeis die hand-
schrift nochmals einzusehen, sowie die unten stehende inhaltsangabe
mitzuteilen.
Diese einteilung nach Jahrzehnten hat grossen beifall und weite
Verbreitung gefunden und erscheint im 15. Jahrhundert mehrmals in
handschriften und seit erfindung der buchdruckerkunst widerholt auf
einzelblättern und in biiehern bis nach dem ablauf *h'> 17. Jahrhun-
derts, ja im munde des Volkes ist sie noch heute lebendig. Auch die
zeichnende und bildende kirnst hat diese einteilun^ der Lebensalter als-
bald ergriffen und sie von holzschnitten des 15. Jahrhunderts ah bis
auf bilderbogen neuerer zeit zu veranschaulichen sich bestrebt
Ich gebe ein Verzeichnis des mir bis jezt bekanten Vorkommens
der verse und der bilder und knüpfe daran einige bemerkungen.
I. Die verse.
Fünfzehntes Jahrhundert. A. Cod. gerat; 379 in der hof-
und Staatsbibliothek zu München enthält unseren sprach in doppelter
fassung, bl. 212 a, veröffentlicht von Bartsch, Germanist. Studien, sup-
lem. zur Germania I, 6, anm. 12 (= A 1); sodann bl. 111 b (= A 2),
nach freundlicher mitteilung des herrn bibliothekar dr. Keinz, der auch
gütigst eine abschrift besorgt, sowie über den Zusammenhang, in wel-
chem sich beide Sprüche finden, nähere auskunft erteilt hat; Bartsch
bezeichnet a. a. o. die fassung A 1 als im jähre 1422 entstanden. Diese
annähme rührt daher, dass sich jene nach chronistischen angaben
aus den jähren 1422 und 23 findet (bl. 211a und b), unmittelbar nach
der bekanten priamel: Ain ritter an müt usw.1 und vor dem sprach:
3 iaur ein xan alt usw.2 Die spräche stehen aber, wie herr dr. Keinz
bemerkt, in keiner beziehung zur chronik, sondern werden, ebenso
wie A2, auf dem aus irgend einem gründe freigebliebenen räume wil-
kürlich eingetragen sein. Jedenfals lässt sich aus ihrer Stellung kein
sicherer schluss auf die zeit ihrer eintragung machen. 1. Der oben
erwähnte holzschnittbogen der Weigelschen samlung. 2. Die oben
erwähnte Rehdigersche pergamenthandschrift der Breslauer stadtbiblio-
1) Etwas abweichend von Keller. Alte gute schwanke, Leipz. 1847, n. 8, s. 17
und Wackernagel, Leseb.aI, s. 1028, VIII.
2) Wackernagel, emu nTsqoema s. 10.
25*
ÖH EAGHEB
thek s IV 3 a 16. 3. Die papierhandschrift dos XV. Jahrhunderts
n. * der köniffl. und univ.-bibliothek zu Königsberg, besehrieben
B 6l>. 30 wo,
in: Catalogus codd. mss. bibl. reg. et univ. Regiment, fasc. 1. descripsit
A.inü. Steffenhagen. Regina. 1861. n. LVII. Sie enthält verschiedene
lateinische juristische stücke, darunter Statuta synodi Pragensis pro-
vincialis a. 1355, was auf herkunft aus Böhmen (»der dessen naehbar-
schafl deutet Di'' verse stehen neben anderen deutsehen Sprüchen auf
der rückseite des lezten blattes und sind abgedruekt in Haupts ztschr.
f. d. alt. a. 1867, 13, 567; Wackernagel konte sie noch nicht kennen.
Sechzehntes Jahrhundert -4. Um 1515 hat der Basler buch-
drucker Pamphilus Gengenbach „die X alter dyser weit" zu einem
istlichen Schauspiele gestaltet, indem er einen einsidel sich in reli-
giös-moralisierender weise unterreden lässt mit den nacheinander auf-
tretenden Vertretern der zehn alter. Vor dem dialoge jedes alters steht
als Überschrift die betreffende verszeile des Spruches. Dieses spiel ist
an verschiedenen orten oft aufgeführt, oft gedruckt und nachgedruckt1
und dabei auch durch Überarbeitungen teilweise verändert worden. Der
text der ältesten ausgäbe ist wider abgedruckt bei A. v. Keller, Fast-
nachtspiele aus dem XV. Jahrhundert, 2. band, Stuttgart 1833, n. 119,
5. 1026 fg. und in Pamphilus Gengenbach, herausgegeben von K. Goe-
deke, Hanover 1S56, n. VI s. 54 fg. Goedeke hat auch reichliche
bibliographische nachweisungen beigefügt, s. 442 — 459, und 559 — 605
<-in<' gelehrte, litterargeschichtliche erörterung über „weltalter, lebens-
dauer, altersstufen , Standesstufen und Gengenbachs spiel", die bereits
von Wackernagel benuzt worden ist.
5. 1521. Wye Eyn weiser n/an seynem Sun eyn lere gehet/ soll
von gutten Bitten md wereken. Leyptzck 1521. Eine art von cento
aus Boner und Cato. Darin finden sich die verse in derselben fessung
wie bei Gengenbach. Xachgewiesen von Goedeke, Gengb. s. 575 2.
6. 1528. Agricolas sprich wörtersamlung. Xachgewiesen von Mass-
mann, in v. Aufsess Anzeiger 2, 14; gedruckt niederdeutsch bei Goe-
deke, Gengb. s. 576, hochdeutsch bei AVackernagel s. 32.
1 1 Kat. 05 (1800) von L. Eosenthai in München enthält unter nr. 29 den ohne
obachs oamen erschienenen Augsburger nachdruck von 1518. Herr Roseutlial
hat mir ck-n^lben. den ich anfangs für das nicht aufzufindende buch des Martin Schrot,
Die zehn alter der weit (Goedeke, Gengenbach 578; Grundriss II2, 284, 71) hielt,
nicht nur freundlichst zur ansieht geschickt, sondern auch abschriften der Sprüche
au- und Guarinonius (12j geliefert, beide ebenfals in jenein an Seltenheiten
hen katalog enthalten; vgl. unten s. 389, anm. 2, 405, anm. 1, 406, anm. 1.
Nach dem exemplar der königl. bibliothek zu Berlin, deren titel: Von dem
d man. wie er seynem sun kurtze Lere giebt Ntirnb., Wolfjg. Eluber (1504—14).
ZEHN ALTERSSTUFEN 389
7. 1528. Egenolfsche sprichwörtersamlung, ausAgricola geschöpft;
nachgewiesen von Goedeke, Gengb. s. 577 1.
8. Um 1570. Holzschnittfolge von Tobias Stimmer, ,,Die zehen
Alter des Mannes". ..Di«' zehen Aln-r der Weiber". Die verse daraus
mitgeteilt von EL Goedeke, Elf bücher deutscher dichtung, Leipz. L849.
1, 173a; vgl. Goedeke, Gengb. s. 578.
9. Jobst und Hercules de Necker, Ein new vnnd künstlich schö-
nes Stamm oder Gesettn Büchlain. Wien 1579; nachgewiesen von
Massmann in v. Aufsess anzeiger 2, 14-\
Siebzehntes Jahrhundert. 10. 1H02. Joh. Buchler. Gnomo-
logia. Colon. 1602 und öfter; nachgewiesen von Massmai) n, Anz. 2, 14 3.
11. 1004. Fr. Peters, der Tentschen Weisheit, das ander teil.
Hamburg 1604; nachgewiesen von Goedeke, Gengb. s. 577.
12. 1610. Hippolytus Guarinonius, die grewel der Verwüstung
menschlichen geschlechts. Ingolstadt 1610; nachgewiesen von Mass-
mann, Anz. 2, 80. Guarinonius gibt ein ausdrückliches zeugnis von
der algemeinen Verbreitung dieser verse und bilder. Er sagt s. 18:
Die gemein Einfalt iheilt die gantxe wehrung Menschlichen Lebens in
,'hen gleiche theyl, biss auff hundert ab, mit gemeinen Mahlbrie-
fen nnd Reijmen, wie mans allenthalben im Teutschland an
den Stubenwänden herumb find*
13. 1655. L. Weidners apophthegmata, angeführt von Goedeke,
Gengb. s. 578. Gemeint ist darunter doch wol L. Weidners zu Amster-
dam erschienene fortsetz ung der Zincgrefschen apophthegmata. Folgt
nach Goedeke dem Agricola. "'
14. 1675. Konrad Meyer von Zürich „Nützliche Zeitbetrachtung" ;
nachgewiesen zugleich mit Widerabdruck der verse von Wackernagel
s. 34. Die verse hat Meyer formal etwas zugestuzt, damit sie in mass
und reim gleichmässiger und regelrechter würden.
1) Berliner bibL: Sprichwörter, schöne weise klugreden.
2) Das kostbare mit papier durchschossene exemplar Rosenthals in München
stanit aus der bibliothek des Leonh. Dilherr von Thumenberg und enthalt ausser den
(J8 prächtigen holzschnitten eine grosse anzalil von schön in färben ausgeführten
handzeichnungen.
3) Berliner bibL, ebenso das folgende.
4) Abschrift des citates und des Spruches freundlichst besorgt von herrn Rosen-
thal, München (katal. 65, nr. 512); hauptwerk für die hygiene der damaligen zeit
vgl. Gödeke grundr. II2, 579. 585, 21.
5) Wie die vergleichung des Berliner exemplares beweist, ist dem so: Apo-
phthegmata IV. teil: Joh. Leonhardi "Weidneri Ottersheimii Palatini — Allerley Rey-
men der Alten.
390
ZACHER
15. 1702. Abbildung Derer VIII. ersten Hertzogen zu Sachsen;
nachgewiesen von Wackemagel s. 37. 1
Auch auf das weibliche geschlecht sind diese verse widerholt ange-
wendet worden; aber die dabei gemachten änderungen sind gekünstelt,
if und fn»stin\ so dass sie ein wirkliches, frisches leben nicht gewin-
nen und zu einer fortdauer in sprichwörtlicher Überlieferung nicht
deihen konten.
Der bequemeren Übersicht halber lassen wir eine Zusammenstel-
lung sämtlicher uns bekant gewordenen fassungen des Spruches folgen.
I. Das männliche alter.
A 1 . Münch. cod.
A 2. Münch. cod.
1. Weigel.
2. cod. Rehdig.
10.
Zechen jaur ein kind
ain Kind3
ein kint
cvn kvnt
Zwainczig j. ein gingling
ain iüngling
ein Jügling
eyn iungeling
Treysig jaur ein mau
am man
ein ma
eyn mann
40.
rtzig jaur wolgethän
wol getan
wolgetan
wolgcthann
Fünftzig jaur still stän
stil stan
stillstand
stillestann
60.
Sechczig jaur . . . 2
abgan
abgan
abelonn
7".
. . . nvm der sei war
«
So nym dein selbs war
die sele bewar
eyn greyse
A« ihezig jaur der weit nar
der weit narr
der weit tor
auf der weyse
Neuntzigj. der kind spot
der Kind spot
der kinder spot
der lewthe spott
100.
Hundert jaur pfleg dein
got.
Nun gesogen dich got.
gnad dir got.
irbarme dich vn-
ser barmherezi-
ger ahn echtige r
gott.
3. cod. BegiflL
4. Gengenbach.
5. Cento.
6 a. Agricola.
1".
ein kint
ein kind
ein kind
ein kindt
_
evn iungelink
ein jüngling
ein iüngling
ein iüngelingk
evn man
»-in mann
ein man
ein man
wol getan
stilstan
stil stan
wolgedan
stille stan
wolgethon
wol gethan
stille stan
abe gan
abgon
abgan
geit dy dat older an
dy zele bewar
din Beel bewor
dein sei bewar
ein griss
der werdist nam
der weit narr
der weit nar
nicht mer wiss
der kinder spoth
der kinder spot
der kinder spot
der kinder spot
100.
nu helfe vns got.
nun gnod dir _ 1
nun gnad Dir got.
gnade dy Godt.
1) Das seltene buch hat mir die Verwaltung der Weimarer bibliothek (herr
oberbibliothekar dr. E. Köhler) gütigst zur Verfügung gestelt: Abbildung, Derer VJLLL
ZEHN ALTERSSTUFEN
391
6 b. Airricola.
7. Egenolf.
8. Stimmer.
9. de Necker.
10.
ein Kindt
ein kindt
Kindisch
..■in Kindt
20.
ein Jüngling
ein jüngling
1» indisch
ein Jüngling
30.
ein Man
ein man
.•in Man
ein Alan
40.
wolgethan4
wol gethan
hausshaltea kau
Wolgethan
50.
still stau
still stau
BÜU stahn
stillstahn
00.
geht dichs alter an
geht das alt. Tan
gehts alter ahn
gehets allter an
70.
ein greis
ein gr<
ain Greis
ein Gn
SO.
nimmer weis
nimmer wei
nimmer v.
nimmer weis
90.
der Kinder spott
der kindtcr spott
der Kinder spot
der Kinder spotl
100.
gnad dir gott.
gnad dir Gott.
ii ad dir Got!
genad dir Gott.
10. Buchler.
11. Peters.
L2. Guarinon.
13. Weidner.
10.
ein Kind
ein Kind
ein Kind
ein kindt
20.
ein Jimgling
ein jüngling
ein Jüngling
ein jüngling
30.
ein Man
ein Mann
ein Alan n
ein Mann
40.
wol gethan
wol gethan
wolgethan
wol gethan
50.
still stahn
stille stahn
stille stahn
still stahn
60.
gehet das alter an
gehets alter an
fahet das Alter an
gehts alter an
70.
ein greiss
ein greiss
ein Greyss
ein greiss
80.
nimmer weiss
nimmer weiss
wunderweiss
nimmer wei
90.
der Kinder spot
der Kinder spot
der Kinder spott
der kinder spott
100.
gnad dir Gott.
gnad dir Gott.
gnad dir (iott.
genad dir Gott.
ersten Durchlauchtigsten, Grossmächtigsten Hertzogen zu Sachsen usw. . . . Sammt
kurtzer Beschreibung ihres allerseits Christi. -Löbl. Lebens, und Regiments, auch
Glorwürdigsten Höchst-. 1 igen Absterbens, Auch der beygefügten Zehen-Alter
Des Menschen, Männlichen und "Weiblichen Geschlechts, Mit ihren Stu-
diis, Verrichtungen und Zuneigungen Ordentlich beschrieben. Gedruckt im Jahr 1702.
Titelbl. und 31 bl.
2) In der handschrift: Sechczig jaur nym der sei war (in einer zeile).
3) Davor steht in der handschrift: Ain Mensch ietzo bey X jaren ist usw.
4) In der volständigen samlung (Siebenhundert vnd Fünffzig Teütscher Sprich-
wörter. Hagenau 1534) nach Gengenbach: virtzig jar stillstan, funftzig jar wolgetan
(6 c) ; sonst wie 6 b.
-
ZACHKR
14. Meyer.
L5. Abbildung.
16 a.1
1
Kindischer Art
ein Kind
Zeghen jär an kint
20.
ein Jüngling Zart
ein Jüngling
zboanek das bille dink
ein starker Mann
ein Mann
draick an man
wol gethan
wolgethan
viorek an stamm
stille stehen
stille stahn
vick man stan
ins Alter gehen
gehts Alter an
sechck abe ghen
ein alter Greis
ein Greiss
sibeck alter graisz
-
nicht mehr w.
nimmer weiss
ack allar baiz
r Kinder spott
der Kinder Spott
nennck an spoat
l(
.ad dir Gott
genade dir Gott.
ondort da genadcinc got.
16 b.
17.
18.
10.
ein Kind
ein Kind
ein muntrer Knabe
_
das wilde Ding
ein Jüngling
ein loser Vogel
30.
ein Mann
ein Mann
ein Schwärmer
40.
ein Stamm
wohlgethan
Stille stehn
mag (noch) stehen
stille stahn2
gehts Murren an
60.
abwärts gehen
gehts Alter an
zählst was Du hast
:
alter Greis
greis, ein Greis
Dir selbst zur Last
vor allen we
weiss, schneeweiss
lebendig tod
ein Spott
der Kinder Spott
helf Dir Gott
100.
da gnade ihm Gott.
Gnade von Gott.
r
1) 16, 17. 18 moderne fassungen. 16 aus Joh. Andreas Schindlers sogenantem
cimbrischen wörterbnche, (das ist deutsches idiotikon der sette und tredeci communi
in den Venetianischen alpeu, dieser kleinen deutschen Sprachinseln mitten auf ita-
lienischem g( . mit einleitungen und Zusätzen herausgegeben von Jos. Bergmann,
Wien nach freundlicher mitteilung des herm oberbibliothekar dr. R. Köhler.
Weimar \ 17. die auf den modernen bilderbogen gebräuchliche form: Nürnberg, bei
Fr. Campe, E. G. May Söhne. Frankfurt a. Main, Oehmigke u. Riemschneider , Neu-
Rnppin; vgl. Goedeke, Gengenbach 579 fg.; 18, widerum nach gütiger mitteilung
ht'rra dr. R. Köhlers, in einem briefe Albertines v. Grün, freundin von Merck, an
Jul. und Marianne Höpfner, bei Wagner, briefe aus dem freundeskreise von Goethe,
Herder, Höpfner und Merck, nr. 47. s. 295 und bei Schwartz, Alb. v. Grün und ihre
freunde, nr. 72, 3. 144; alle drei fassungen nur der volständigkeit halber mitgeteilt,
ohne dass sie natürlich in der abhandlung selbst berücksichtigung gefunden hätten;
- • Ifenbar durch ein versehen der briefschreiberin die zeile für das 40. jähr
( wohlgethan) ausgefallen.
2) In mündhcher Überlieferung auch: geht auch noch an.
ZEHN ALTERSSTUFEN
393
II. Das weibliche alter.
1. Tobias Stimmer.
2. de Necker.
3. Peter-.
10.
Kindischer art
Kindisch vnd klein.
kindisch und kl» 'in.
20.
ein Jungfrau zart
ein Jungfrewlein.
ein Jungfrewlein,
30.
im hauss die frau
ein Fraw du an.
ein Frau Simon
40.
ein Matron genau
Regieret schon.
ein herrin Matron.
50.
eine Grossmuter
voller Relligion.
voller Religion,
60.
dess Alters sehuder
jhr wol Ausswarten kau.
wol ausswarten kann.
70.
alt Yngestalt
allt Yngestalt.
alt Ynd vngestalt,
80.
wüst vn d erkalt
hesslicher dannvor.
Viel hesslicher den vor.
90.
ein Marterbildt
der Welt schabab.
der Welt schabab.
100.
das Grab aussfült
füllt das Grab.
füllet das Gral-.
4. Abbildung usw.
5. Ratbüchlein. i
10.
ein Mägdlein
ein Kind
20.
ein Jungfrau
eine Meretrix
30.
eine Frau
eine Näderin
40.
ein Hertzen Mütterchen
eine Schenkin
50.
stille stahn
eine Schmeckenbinderin -
60.
gehts Alter an
eine Krapfenbäckcriu
70.
ein Alt Mütterchen
eine Kupplerin
80.
nimmerweiss
eine Zauberin
90.
der Kinder Spott
taugt nimmer gar
100.
genade dir Gott.
holt sie jener mit Haut und Haar.
Aus dem vorstehenden ergeben sich also folgende Varianten :
10 jähr: ein kincl bieten alle; lediglich formal ändern 8 kindisch und
14 kindischer art.
20 jähr: ein Jüngling, alle, bis auf 14, der des reimes wegen
schreibt: ein jüngling zart, und 8 rindisch, was sich aus den hernach
zu besprechenden bildern erklärt.
30 jähr: ein mann, alle; 14 ein starker mann.
40 jähr: wolgetan, alle; nur 8 ändert wilkürlich: hausshalten kam
und 4, 5, 6C vertauschen die Sprüche der 40 und 50 jähre, setzen zu
4U stille stan, zu 50 wol gethan.
1) Neu vermehrtes rath - büchlein. Mit allerhand weit- und geistlichen fragen
samt deren beantwortungen (rocken -büchlein); nach freundlicher mitteilung herrn
dr. R. Köhlers; der kuriosität halber mitgeteilt; bl. Alb: welches sind die 10 alter
der bösen weiber? Antwort:
2) Vgl. Frisch H, 204 eine schmecke: ein blumenstrauss; der spaten p. 1871
Schmeller II2, 543.
394 ZACHER
50 jähr: stille st&n, alle; lediglich formal weichen ab 14: stille
stehen, und 1, aus verbalem in substantivischen ausdruck sich ver-
irrend: stilstand; die von 4, 5, 6C vorgenommene vertauschung war eben
erwähnt
60 jähr: abegan. AI fehlt; 3 abegan; A2, 1, 5 abgan; 4 abgon;
2 abe lonn; (i:l geit dy dat older an; 6bc geht dichs alter an; 7, 8, 9,
in. 11. 13, 15 gehts (geht das) alter an: 12 t'ahct das alter an; 14
ins alter gehen.
70 Jahr: ein greis. AI nym der sei war; A.2 so nym dein selbs
war: 1 die sele bewar; 3 dy zele bewar; 4 diu seel bewor; 5 dein
sei bewar; 2, 6b eyn greyse (6:l ein griss), ebenso 7, 8, 9, 10, 11.
L2, 13, 15; 14 ein alter greis.
80 jähr: ?. AI, A 2, 4, 5 der weit narr; 1 der weit tor; 3 der
werdist nam; 2 aus der weyse; 6ob, 7, 8, 9, 10, 11, 13, 14, 15 nicht
mer wiss (nicht mer weis, nimmer weis): 12 wunder weiss.
90 jähr: der kinder spot, alle (AI, A2 der kind spot), nur 2
der lewthe spott.
100 jähr: nu gnäd dir got. AI pfleg dein got, A2 Nun gesegen
dich got; 1, 6, 7 — 15 gnad dir got; 4, 5 nun gnad dir got; 3 nu
helfe vns got; 3 irbarme dich vnser barmhereziger, almechtiger gott.
Jacob (nimm erwähnt diese verse in seiner rede über das alter,
kleinere Schriften, Berlin 1864, 1, 191 fg. und zwar in drei fassungen,
in einer jungen, noch jezt lebenden Volksüberlieferung, in der des
ogenbach, und in der der Breslauer Rehdigerschpn handschrift, aber
i r streift sie eben nur, ohne sich näher auf sie einzulassen.
Aus der summe der oben angeführten Varianten geht deutlich
hervor, dass allen verschiedenen fassungen nur ein einziger text zu
ande liegt, und dass über dessen ursprünglichen Wortlaut kaum ein
zweifei obwalten kann, etwa mit alleiniger ausnähme der formel für
- 80. jähr.
Die grundanschauung, über der die ganze spruchreihe sich auf-
haut, ist die, dass bis zu 40 jähren die kraft des menschen aufsteigt,
mit 50 jähren den höhepunkt erreicht hat und von da ab wiederum
al zu dem selten erreichten 100. jähre. Aus derselben grund-
anschauung sind auch diejenigen bildlichen darstellungen hervorgegan-
n. welche das menschliche leben in einer stufenweisen auf- und wie-
der a den bilderreihe veranschaulichen.
Daraus folgt zunächst, das- Gengenbachs vertauschung der verse
des 40. und 50. Jahres eine irtümliche und fehlerhafte ist, seine mora-
lisierende erörterung zum 40. jähre' bezieht sich lediglich auf unkeusch-
ZEHN ALTERSSTUFEN 395
heit und ]ässt das darübergesezte motto: stilstan völlig unbeachtet.
Seine erklärung zum 50. jähre:
Im alter heiss ich wol gethan
AI n erber wäsen soU ich hon
An vemunfft weisshait soll ich v& nämen
passt zwar zu seineu moralisierenden zwecken, kann aber aus dein
Spruche selbst nur durch eine wilkürliche und gewaltsame deutung
erzwungen werden, welche den Zusammenhang der ganzen spruchreihe
misachtet und verkent. Und wenn Jacob Grimm s. 19l} Bagt: Die
unbestimte, bald auf 40, bald auf 50 und (50 erstreckte bezeichnung
„ist wohlgethan", scheint ein schon genügendes, genügsames Lebensziel
auszudrücken, so ist das nichts anderes, als eine flüchtig hingeworfene
äusserung, die er zurückgehalten haben würde, wenn er die ganze
spruchreihe und die summe ihrer Wandlungen eingehender untersucht
und erwogen hätte. Denn genau erwogen kann die bezeichnung „wo!
getan" nur zum 40. jähre gehören und wie sie bei dieser steht, kann
sie nur gebraucht sein in demselben sinne, in welchem sie in spräche
und litteratur des 13. Jahrhunderts algemein üblich war, nämlich in
der bedeutung: treflich beschaffen, schön, statlich, volkommen1. Der
vierzigjährige hat also nicht wolgetan, sondern ist wolgetan, er steht.
nachdem er mit 30 jähren zum manne herangereift war, jezt in der
ganzen fülle seiner körperlichen und geistigen kraft.
Ein noch weiteres anwachsen der körperlichen kräfte und der-
jenigen geistigen, die gerade in der ersten lebenshälfte am regsten und
leistungsfähigsten sind, der einbildungskraft und des gedächtnisses, ist
nach den algemeinen naturgesetzen bei dem menschen zwar unmöglich,
aber sie halten doch in der regel noch eine gute weile wirksam und
tüchtig vor: Daher heisst es bei dem 50. jähre in allen Überlieferungen
des Spruches: „stille stän".
Aber nach diesem Jahrzehnt begint das abnehmen der körper-
lichen und der ebengenanten geistigen kräfte, welches, entsprechend
der anschauung, die der ganzen spruchreihe zu gründe liegt, in den
ältesten aufzeichnungen durch: „abegän" völlig und genau zutreffend
ausgedrückt wird, und die Variante „abelän" der Breslauer Rehdiger-
schen handschrift ist nur eine Verunstaltung dieses treffenden und pas-
senden ausdruckes. Wenn nun zuerst Agricola statt dessen sagt: „geit
di dat older an", so fält er damit zwar aus dem Charakter der spruch-
1) "Wie z. b. in "Wolframs Parzival 29, 2 die königin Bolakane inne wird, dass
der angekommene, fremde ritter Grahnraret „wol getan", dass er ein schöner, statlicher
mann sei.
ZACHER
reihe, indem er etwas _ ichsam von aussen hinzugekommenes einführt:
aber dieser ausdruck hat doch auch noch etwas anschauliches und sin-
lich lebendiges, - fern er das alter als einen feind auffasst. der den
menschen schädigend antalt. Die späteren dagegen, welche das per-
oalpronomen di oder dich w< 2 ssen (gehts alter au. fahet das alter
an), _ _■ n sich mit einer matten, zum Charakter der spruchreihe
len abstraktion.
Zu 70 jahren bietet die mehrzahl der ältesten aufzeichnungen die
formel: die sele bewar. Diese steht zwar an sich nicht in wider-
sprach mit der gewöhnlichen anschauung des mittel- und noch d<
reformationszeitalters, welche gerade dem gealterten menschen die
sein Seelenheil besonders dringend empfahl. Aber sie fält
2 dz und gar aus dem gesamten arakter der spruchreihe, welche nichts
anderes bietet und bieten will, als jedesmal einen ganz kurzen und
ffenden ausdruck für die erscheinung. welche der mensch auf einer
stimten altersstufe darbietet. Formal aber wird sie überdies kritisch
verurteilt durch den sprach, der, lediglich um einen reim auf bewar
zu gewinnen, in denselben aufzeichnungen den 80 jahren gegeben wor-
den ist und dessen albernheit alsbald erwiesen werden soll.
Dagegen ist die formel der übrigen aufzeichnungen: ein greis
unzweifelhaft die allein richtige und ursprüngliche. Denn die spräche
zeichnet die vier grossen, deutlich ins äuge fallenden alters-
3t ifen des menschen durch: kind, Jüngling, mann, greis. Wenn nun
aber bereits die drei ersten derselben ausdrücklich genant waren, so
koute in einem aus der volksanschauung stammenden und in der
überlieferunG: lebenden spruche auch die vierte durchaus nicht fehlen.
Darum muste es hier im XY. Jahrhunderte heissen: ein greis, und
fals der Ursprung des Spruches, was bei seiner schon im XY. Jahrhun-
dert ganz algemeinen Verbreitung wol möglich ist, bis in die erste
hälfte des XIII. zu rücken ist. damals heissen: ein grise.
Beim 80. jähre gehen die formein der verschiedenen aufzeich-
nungen und der noch jezt lebendigen Überlieferung am weitesten aus-
einander. Die formel des Weigelschen holzsehnittblattes: der weit tor,
t ihrem inhalte nach gedankenlos und albern, ihrer form nach ein
erzengnis erst des 15. Jahrhunderts. Denn albern ist es zu sagen, der
achtzigjährige werde bereits von aller weit für einen toren, d. h. für
-einer verstandeskräfte verlustigen gehalten, aber erst der neun-
ährigi falle dem spotte der kinder. Unverkenbar aber verdankt
diese formel ihren Ursprung lediglich dem bedürfnisse, auf die ebenso
ungehörige formel des 70. Jahres: die sele bewar, einen reim zu
ZF.HN" ALTERSSTFFRN
finden. Dem L5. Jahrhundert aber war ein reim: bewaritor,
wie Gengenbach mir gi ss rer annäherung an den vokal ssert: be-
war : narr, unanst — 2 D«'in L3. Jahrhundert, bis in welches die
spruchreihe sehr wohl hinaufreichen kann, wäre dag g 1 im
bewar : töre, oder auch bewai : narre, durchaus ni hl g tri g sen.
Ob dem Schreiber der Königs! _ handschrift 1 - rmel \ . _ gen
habe, lässt sieh nicht mir Sicherheit entscheiden. billigt könte er
■ keineswegs haben, denn sein 2 der werdist nam. - gl ja
ziemlich das gegenteil. Echr und ursprünglich kann diese Königsber-
2 r forme] freilich niehr sein, weil sie den reim ganzlich zersr<">rr und
misaehrer. 3 ir Agricola herscht in der gedruckten Überlieferung die
formel: nichr mer wiss. oder: nimmer weiss: aber sie verdient bezü_-
lich ihrer echtheit und ursprünglichkeit wol noch v ein gün-
stiges urreil als die ebenfals s»-ir Agricola herschende formel - I
jahres: gehr dich das airer an. Denn ihrem Inhalte nach widerspricht
sie der algemein gangbaren und auch im wesen der Sache begründeten
auffassung, welche auf der einen seite jagend und torheit, auf der
anderen airer und Weisheit synonymisierend zusammenfassr. wieWacki -
nagel bereirs s. 13 hervorgehoben und mir beispielen belegt hat
heissr es z. b. in der lezren zeile des gedichts ,. der vrouwen turnei"
iv. d. Hagen Gesamtabenteuer 1. 382) zur bezeichnung des alrei-_ gen-
satzes in der Heidelberger handschrift: der man si junk oder gris,
dagegen in der Ooloczaer: junc oder wis. Und dass mir dem 80. jähre
die wisheit, die gesammelte kentnis und Lebenserfahrung des grlsen,
des ergrauten, bereits erloschen sein solre. srimr weder zu der aufl 3-
sung des mittelalters noch der gegenwart Aber auch formal wird
Ajrricolas fassung verdächtig g< genüber einer älteren, in der Breslauer
Rehdigerschen handschrift des lö. Jahrhunderts erhaltenen gestaltunf
aus der weys Wackernagel meiur /.war. s. 32, dies „aus der weys
bedeute „aus der Weisheit, der Weisheit verlustig*1. Aber di< - rklär
rang, zu der er wol nur durch Agricola und dessen nachfolger ver-
leitet worden isr. dürfte sich doch kaum sprachlich rechtfertigen
lassen: denn ein absrrakres feminin -subsranriv: diu weise in d<
bedeutung: die weisheir möchte wol schwerlich aus älterem oder jün-
gerem sprachgebrauche nachgewiesen und belegt werden können. Wo
der ausdruck ..aus der weis" sonst vorkomt, bedeutet er: ausserhalb
der gewöhnlichen weise oder an. über übliche- und gewöhnliches mass
oder beschafienheit hinaus, ausserordentlich, ähnelt mithin in bildung
und bedeutung der in älterer spräche sehr üblichen formel „ u/, der
ma/te. u/, der ma/.en" und dem nur wenig weiter abliegenden „n/, der
398 ZACHER
ante" (vgl. &r. TIL 181). S • sagt Konrad von Megenberg in seinem
Buch der natur (ed. Pfeiffer, s. 212): „Porphirio ... ist ain vogel auz
der gewonhait und au/ der weis anderr vogel .... wan er hat ainen
praiten fdoz ze swimmen, und hat ainen andern gespaltenen fuoz ze
gen auf dem lande ..." Und ebenso, besonders im schlimmen sinne,
wird dies«: forme! noch jezt gebraucht im bairischen dialekte, nach dem
ugnis von Schmeller (2U, 1024), und im Tirolischen nach Schöpf
(in Fn»mmann. Die deutschen mundarten 4, 66, und in seinem Tiro-
lischen idiotiton, Insbr. 1866, s. 23). Mithin wird man wol schliessen
dürfen, die meinung der formel aus der weise solle sein, mit dem
80. jähre habe der mensch ein bereits seltenes und ungewöhnliches
ziel des greisenalters erreicht; wie schon der psalmist sagt, 90, 10:
„Unser leben währet siebenzig jähre, und wenn es hoch konit, so sind
3 achtzig jähre".
Die Vermutung, dass in der formel der Kehdigerschen handschrift
..aus der weise" die ursprüngliche und echte fassung erhalten sein
könne, wird unterstüzt durch mehrere gründe. Es sprechen dafür der
reine reim grise : Avise und die Schwierigkeit, einen anderen reinen
reim auf wise zu finden, der einen besseren oder auch nur gleich
guten sinn gäbe. Und wie bei der formel des 60. Jahres die mehr-
d-utigkeit des ausdruckes abegan (aufhören, ablassen, unterlassen, ver-
.). und die verhältnismässige Seltenheit der dort gemeinten bedeu-
tnng (abwärts gehen, nachlassen) zu änderungen verleitet hat, so mag
auch hier der umstand, dass die redensart: üz, der wise nicht algemein
ogbar war und dass ihre hier gemeinte bedeutung nicht für jeder-
mann sofort zweifellos klar und sicher zu tage lag, veranlassung zu
änderungen gegeben haben. Die seit Agricola in der schriftlichen
Überlieferung herschende fassung: nicht mehr weis, behält zwar den
reinen reim grise : wise bei, verwechselt aber das Substantiv wise
(modus) mit dem ihm nach Ursprung und sinn ganz fernstehenden
adjeetiv wtsi sapiens), und gibt damit dem Spruche einen ganz ande-
ren, und wie oben gezeigt wurde, ganz ungehörigen sinn. Daher ist
in dei' von roiarinonius dargebotenen fassung die formel nicht mehr
weis mit vollem rechte verworfen; was jedoch unter dem von ihm
dafür gebrauchten Kmnderweiss gemeint sei, lässt sich nicht sicher
entscheiden, da zweifelhaft bleibt, ob sein -weiss einem mhd. -votse
s) oder wi$ (albus) entsprechen solle.
Die noch jezt mündlich umlaufende und algemein gangbare for-
mel lautet: x-hneeweiss, im schlesischen volksdialekte: schlöweiss. Die-
chloweiss erklärt v. Holtei im glossare zur ersten ausgäbe seiner
ZEHN ALTERSSTUFEN 399
schlesischen gediente (Berlin, L830, s. 157) folgendermassen: „schlö-
weiss, schl6weiss, für schneeweiss. Vielleicht komt es auch gleichnis-
weise von der blute der schienen -pflaume, Prunus spinosa, die im
frühling die hecken wie «'in weisses tuen überzieht". Auch Joh. Chp.
v. Schmid in seinem schwäbischen wörterbuche (2. ausg. Stuttgart
ls-44. S. 468) sagt: schlohweiss, sehr weiss, wie z. b. dornschlehblüte,
woher das wert entstanden sein mag". Und an sieh wäre ja auch
diese deutung nicht unmöglich und unzulässig, denn im barischen dia-
lekte findet sich ein völlig ausgeprägtes: Bchle-blüe-weiss, schle-blüel-
weiss = sehr weiss (Schmeller, bair. wb. 2 II. 520). Gleichwol ist sie
schwerlich richtig. Denn selbst in Schlesien begegnet daneben die
form schlossweiss. Vilmar, Idiotiken von Kurhessen (Marburg u. Leip-
zig 1868, s. 357) belegt die form schlossweiss für Hessen und bemerkt
dazu: Die formen schlohweiss, schlotteweiss u. dergl., welche ander-
wärts vorkommen, sind hier gänzlich unbekant, um so mehr, als man
die vergleichung mit schlössen, welche das wort enthält, durchgängig
noch sehr wol versteht". Aus dem nordwestlichen töittelfranken
bezeugt die form schlossweiss Fr. W. Pfeiffer in Frommanns deutschen
mundarten G, 468, und aus dem Elsass v. Schmid in seinem schwä-
bischen wörterbuche s. 468. Demnach entscheidet die algemeine Ver-
breitung für die form schlossweiss, aus welcher die andere form schlö-
weiss durch Verderbnis entstanden ist, ebenso die dritte schlotteweiss,
oder in Nürnbergischer, noch weiter gehender Verstärkung: schnei -
schlottS-weis, schnei -blei- Schlotte -weis (Schmeller2 II, 539). Bestä-
tigend treten andere, mit synonymen von „schlösse" gebildete aus-
drücke hinzu, wie hagelweiss, schneehagelweiss (Grimm IV, 2, 149),
und riselweiss, blüe-risel- weiss, sehne -blüe-risel- weiss, weiss wie
schlössen, schneeweiss (bairisch, Schmeller2 II, 147; tirolisch: Schöpf,
s. 558; vgl. L. Tobler, Über die verstärkenden Zusammensetzungen im
deutschen, in Frommann, die deutschen mundarten, b. 5).
Die jezt gangbare fassung der mundartlichen Überlieferung besagt
also, dass das haar, welches mit dem 70. jähre ergraut war, mit dem
80. ganz weiss geworden ist. Sie passt mithin sehr wol zu dem
gesamteharakter der spruchreihe, sofern sie ein augenfälliges und cha-
rakteristisches äusseres merkmal des altersfortschrittes kurz und tref-
fend bezeichnet. Aus ihrer sprachform jedoch ist zu schliessen, dass
sie erst jüngeren Ursprunges ist. Denn ein reim grlse : wiz, wäre der
ersten hälfte des 13. Jahrhunderts nicht gerecht gewesen, und wenn
gegen ablauf des 13. Jahrhunderts bei dem minnesinger Kuonrät von
Altstetten (v. d. Hagen, Minnesinger 2, 651') die reime wiz, : pris : gris
400 ZACHER
begegnen, so ist hier zu einer zeit, wo der frühere, lautliche unter-
schied zwischen auslautendem s und z, bereits schwand, das adjectiv
gris gebraucht, nicht aber eine kürzung des substantives der grise.
Beim 90. jähre stimmen alle quellen überein, die handschrift-
lichen, die gedruckten und die noch lebende mündliche Überlieferung.
Wenn aber Wackernagel s. 31 die ansieht aufstelt, die formel: der
kinder sp.it habe ..ursprünglich gemeint: die üble behandlung von Sei-
ten der eignen kinder, weil der vater ihnen gar zu lange lebe", so
trägt er etwas hinein, was Dicht darin zu liegen braucht, und was
ursprünglich ganz unzweifelhaft auch gar nicht darin liegen solte. Hans
Sachsens von AVackernagel dafür angeführte verse:
Du, alter, hast mir bracht solch schätz,
Dass ich bin meiner kinder spott,
Die nur hoffen auf meinen tod,
Auf dass sie erwerben mein gut
können für die ursprüngliche bedeutung dieser Sprüche doch unmög-
lieh ein massgebendes und entscheidendes zeugnis ablegen; dies ist
vielmehr zu schöpfen aus dem gesamteharakter der ganzen spruchreihe.
Und wie bei allen übrigen altersstufen nur die äussere erscheinungs-
form kurz und treffend bezeichnet werden soll, so anch hier: Der neun-
zigjährige erscheint nach seiner körperlichen beschaffenheit so hinfallig
und gebrechlich, dass er gerade die infolge ihrer beweglichkeit so über-
mütigen kinder durch den gegensatz veranlasst, über den langsamen,
ungeschickten und unbehilflichen alten zu spotten, der ihrer behendig-
keit nicht folgen kann. Dass dies auch die meinung der volksüber-
lieferung schon im 15. Jahrhundert, also vor Hans Sachs gewesen ist,
wird überdies auch tatsächlich bewiesen durch die Variante der Eeli-
digerschen handschrift: der lewthe spot, welche ja unleugbar bezeugt,
dass nicht die eigenen kinder des neunzigjährigen gemeint sein sollen.
Ob zum 100. jähre gesagt wird: genäde dir got, oder: pfleg dein
got, oder: helfe uns got, oder endlich: erbarme dich unser, got — das
läuft in der sache auf dasselbe hinaus; aber in der fassung gehen gerade
die ältesten quellen am meisten aus einander. Das pronomen mag sich
eingestelt haben, weil man gewöhnt war, das verbum genäden mit
dem dativ der person zu verbinden. Der ursprünglichen fassung jedoch
kann das pronomen ganz gefehlt haben, so dass die ergänzende hinzu-
fugung der gemeinten person dem leser oder hörer überlassen blieb.
Nach diesen erörterungen erseheint die Vermutung zulässig, dass
die ursprüngliche fa>sung etwa folgendermassen gelautet hübe:
ZEHN ALTERSSTUFEN 401
zehen jär : ein kint.
/weinzec jär : ein jungelinc.
drtz^ec jar : ein man.
vierzec jar : wo! getan,
vümfzec jär : stille stän.
sehzee jär : abe gän.
sibenzec jar : ein grise.
ahtzec jär : ü/, der wts
niunzec jär : der kinder spot
hundert jär : genäde got!
II. Die bilder.
Den gereimten Sprüchen geselten sich alsbald bei ihrem ersten
auftreten auch bildliehe veransehaulichungen der 10 altersstufen und
begleiteten dieselben bis auf den heutigen tag. Diese darstellungen
zerfallen in zwei grundverschiedene reihen, die allerdings meist ver-
einigt auftreten: in wirkliche bilder und in symbole. Die wirklichen
bilder stellen einen mann oder eine frau auf der betreffenden alter—
stufe in entsprechender gestaltung, haltung, hantierung und Umgebung
dar und sind wilkürliche Schöpfungen freier kunstübung verschieden-
artigen wertes. Die symbolischen darstellungen dagegen sind aus der
volksanschauung entsprungen und haben in der Volksüberlieferung fort-
gelebt, können deshalb auch allein hier in betracht kommen. Für den
symbolischen ausdruck bot sich hier, wie in der äsopischen fabel, fast
von selber als geeignetes mittel die tiergestalt dar, weil jedes tier einen
ausgeprägten gattungscharakter zeigt durch bestirnte, hervorstechende
eigenschaften und neigungen, die in jedem einzelnen tiere derselben
gattung widerkehren. In der versinbildlichung der altersstufen durch
tiere war bereits das hebräische, das griechische und auch das ein-
heimische deutsche altertum vorangegangen, und zwar unter anknüpfung
an die tierfabel oder genauer an das tiermärchen. Nach einer fabel
des Babrius (N. 74. Furia 278. Coray 194) kommen pferd, stier und
hund vor frost zitternd zum menschen, der sie an seinem feuer sieh
wärmen lässt und aus seinen Vorräten ihnen nahrung gibt. Das ver-
gelten die tiere, indem sie als gastgeschenk dem menschen einen teil
ihrer lebenswahre überlassen; das pferd sogleich, deshalb ist der mensch
in der Jugend übermütig; darauf der stier, darum müht sich der
mensch in der mitte des lebens mit arbeit und sammelt reichtümer;
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIII. -l)
-1» rj RÄCHER
zulezt der lumd. darum sind die alten immer mürrisch, schmeicheln
nur dem, der ihnen nahrung gibt und achton dir gastfreundschaft
ing (vgl. W. Grimm , tierfabeln bei den meistersängern. Berlin 1855,
s. 21 fg. = Kl. sehr. [V, 369 fg.). Ein bauer aus Zwehrn bei Cassel
erzählte im jähre L838 auf dem felde ein tiermärchen, aufgenommen in die
samlung der brüder Grimm unter nr. 176; dasselbe märchen, in etwas
abweichender motivierung, kent auch die jüdische litteratur in einer
versificierten fassung des Jehuda Levy Krakau Ben Set', in der zeit-
brift Hamassef, Königsberg 1788, II, 388 fgg. (nachgewiesen von
. Gengenbach, s. 588). '">tt hatte dem esel, hunde, äffen und
menschen je 30 jähre als Lebensdauer ausgesezt; aber den tieren
erschien dies mass zu lang, dem menschen dagegen zu gering. Da
erbarmt sich gott, nimt dem esel 18, dem hunde 12. dem äffen 10 jähre
ab und legt diese sämtlich dem menschen zu. Infolgedessen Lebt der
mensch nun zwar durch seine ersten 30 jähre ein menschenleben; dann
aber kommen ihm nacheinander die lastjahre des esels, die knurrigen
des hundes und die närrischen des äffen, der der kinder spott ist (vgl.
Kinder- und hausm. der brüder Grimm III 3, 248; Gödeke, Gengenbacli
588; Wackernagel, Lebensalter 21). Nach der in Aurbachers volksbüch-
lein (I, nr. 12) enthaltenen fassung nimt der liebe gott dem esel, dem
hunde und dem äffen von den je 30 ihnen bestirnten jähren auf ihre
bitten 20 ab und legt diese dreimal 20 dem menschen zu, der mit
inen 30 nicht zufrieden ist, so dass nun die abschnitte von 30 --50,
von 50 — 70. von 70 — 90 herauskommen.
Wahrend di'> gesamten mittelalters war bibelerklärung, predigt,
ttesdienst und kirchliche kunst von Symbolik so durchtränkt, dass
mbolische auffassung algemein verständlich und geläufig wurde. Um
Leichter erweiterten und vervolständigten sich jene altüberlieferten
drei symbolischen tiergestalten zu einer, den 10 altersstufen entspre-
chenden zehngliedrigen reihe, wobei allerdings pferd und äffe ganz
fortgelassen sind und stier, hund, esel eine wesentlich andere bedeu-
tung bekommen haben.
Wir zählen im folgenden, entsprechend der oben gegebenen Über-
sicht, die uns bekant gewordenen darstellungen auf, wobei wir, wie
-'hon bei den Sprüchen, nur auf die allein volkstümlich gewordenen
und allein ursprünglichen zehn alter der männer näher eingehen.
ZEHN ALTERSSTUFEN
403
I. Dio zehn alter der männer
1.
2.
3.
l.
r».
7.
s.
9.
10.
• LI latz-
leim
Wei-
gel.
Mlilirll.
hdschr.
ngen-
bach.
Aima- \at.-
berg. ums.
Stim-
mer.
de
Necker
Abbil-
dung.
Wart-
burg.
10.
kitz
kyz
kitz
Rehkalb
Kall)
Bock
,
Bock
Bock
Kalb
20.
30.
kalt»
stier
kalb
styr
kalp
stier
springend.
Bock
Löwe
Bock
Stier
Byäne
(?)
Ochs
Kall.
Stier
Kalb
Stier
Bock
Stier
40.
leo
Lew
leon
Stier
Lö\v
Löwe
—
LÖW6
Löwe
Löwe
50.
fuchs
fachs
fulis
Hu.nl
Fuchs
Fuchs
—
Fuchs
Fuchs
Fuchs
60.
wolf
wolf
wolf
Fuchs
Wolf
Wolf
—
AVolf
Bund
Wulf
70.
katz
liunt
kat/v
Wolf
II und
Bund
Bund
Bund
Wolf
Bund
80.
hund
kaz
hund
Katze
Katze
Katze
—
Katze
Katze
Kater
90.
i sei
esel
sei
Esel
Esel
Esel
—
Esel
Esel
Esel
100.
-ans
gans
gans
Gans
Tod
Tod
—
Gans
Gans
Tod.
IL Die zehn alter der weiber.
1.
2.
3.
4.
Amiaborg.
de Necker.
Abbildung.
Wartburf
10.
AWachtel
"Wachtel
Wachtel
Küchlein
20.
Taube
Taube
Taube
Täubchen
30.
Elster
Pfau
Pfau
Elster
40.
Pfau
• ilucke
Glucke
Pfau
50.
Henne
Kranich
Kranich
Henne
GO.
Gans
Gans
('.ans
Gans
70.
Geier
Geier
Geier
Geier
80.
Eule
Eide
Eule
Eule
00.
Fledermaus
Fledermaus
Fledermaus
Fledermaus
100.
Tod.
Tod.
Tod.
Tod.
1. Liederbuch der Clara Hätzlerin (ed. Haltaus, s. LXIX). Seit
die pflege der litteratur von den hüten und dem adel in die städte und
an den bürgerstand übergegangen war, begegnen in wachsender zahl
aut'zeichnungen von Volksliedern und von anderen erzeugnissen der
Volksüberlieferung oder bürgerlichen kunstübung. Die von der Clara
Hätzlerin im jähre 1471 zu Augsburg geschriebene gedichtsamlung ist
reich an dergleichen stücken.
2. Der holztafeldruck der Weigelschen samlung.
3. Ein von Wackernagel noch nicht gekanter sprach in der Mün-
chener papierhandschrift <\e> XV. Jahrhunderts clm. 4394, dessen Mit-
teilung- in einer von hrn. bibliothekar dr. Keinz genommenen abschrift
26*
404 ZACHER
ich der gute des hm. dr. Peiper verdanke. Die handschrift ist beschrie-
ben im Catal. cod. latin. bibl. reg. monac. compos. C. Halm et Ge.
Laubmann, Monachis L868 1. 2, lös. Sie stamt, wie die alte Signa-
tur Aug. S. Ulr. 94 zeigt, aus Augsburg und enthält auf 195 quart-
blättern einen sehr bunt gemischten inhalt medizinischer, naturgeschicht-
licher, theologischer, geistlicher und weltlicher verse, meist lateinisch,
doch hie und da deutsches unterlaufend. Auf bl. 183 b folgt unter der
Überschrift de etate die erwähnte spruchreihe in einer ziemlich unge-
bickten, nachlässigen und fehlerhaften aufzeichnung; ich habe ver-
sucht, unter Währung der spätbairischen sprachformen, die Schreibung
zu regeln und die fehler durch Vermutungen zu beseitigen. Dem also
wonnenen texte füge ich, damit er kontroliert werden könne, die
fassung der handschrift bei:
I. Münchner handschrift.
X iar ain kiez, das da nit hatt wiez,
XX iar ain kalb, er uon kainer wiez halt,
XXX iar ain stier genennt, erst ain weig er sich erkennt,
XL iar ain leon müt, sein sterck vmm jn ain besten tütt,
L iar ain fuchss genennt, vil schalkait er in im erkent,
LX iar ain wolff er haisst, jn geiezikait ist demm er nerpaisst,
LXX iar der kaezen art, mit schleichen ist sein hinfart,
LXXX iar ain hund, zornig er zu aller stund,
LXXXX iar ain esel gut, yederman sein spotten tut,
iar ain ganss er Lt. vnd waisst doch nit, wass jm enprist.
II.
X jar ain kiz, daz, da nit hat wiz.
XX jar ain kalp, waen klainer wize halp.
XXX jar ain stier genennt, erst in weige er sich erkennt.
XL jar ains leon muot, sein sterke nü da/, beste tuet.
L jar ain fuhs genennt, vil schalkhait man in im erkent.
LX jar ain wolf er haiz,t, in geit^ikait ist er erbest.
LXX jar der katzen art, mit sleichen ist sein hinefart.
LXXX jar ain . . . hund, zornic ist er zaller stund.
LXXXX jar ain esel guot, ieder man sein spotten tuot.
C jar ain gans er ist, und waiz, doch nit, waz, im enbrist.
4. Dem im jähre 1518 zu Augsburg erschienenen nachdruck des
1 - i.jenbachschen Spieles von den X altern (Gödeke, Gengenb. öl:;)
sind holzschnitte beigegeben: dem zehnjährigen, reifschlagenden knabeti
ZEHN ALTERSSTUFEN 105
ein springendes rehkalb, dem 20jährigen Jünglinge ein springender
bock, dem 30jährigen manne ein löwe, dem 40jährigen, spiesstragen-
den ein stier, dem 50jährigen ein hnnd, dem 60jährigen, seckeltragen-
den ein fuchs, dem 70jährigen ein wolf, dem 80jährigen, am krück-
stock gehenden eine katze, dem 90jährigen auf zwei kracken gestüzten
ein esel, dem 100jährigen. den rosenkranz betenden eine gans1.
5. Im jähre 1525 Hess herzog Georg von Sachsen die alters-
stufen <h^ mannes und des weibes an der bauptkirche zu Annaberg in
stein gehauen darstellen. Bei dem männlichen geschlecht wird jede
stufe von einem vierfiissigen tiere, bei dem weiblichen von einem vogel
begleitet.
6. Das germanische national -museum in Nürnberg besizt einen
grossen, schönen holzschnitt eines unbekanten meisters aus dem jähre
1540, die altersstufen des menschen darstellend, jedoch ohne \rerse. Da
der bogen wol kaum noch ein zweites mal existiert und auch noch
nicht nachgebildet worden ist. la>se ich eine etwas ausführlichere
beschreibung desselben folgen, die ich dem überaus freundlichen ent-
gegenkommen der Verwaltung jener nationalen anstalt verdanke. Unten
in der mitte des blattes steht ein viereckiger, hoher stein mit der
inschrift MDXXXX; darüber Christus, mit seinen füssen auf der Welt-
kugel, etwas tiefer knien in den wölken, betend, Adam und Eva, auf
gleicher höhe mit dem erwähnten stein (heraldisch) rechts die seligen,
links die verdamten. Diese darstellung des Weltgerichtes wird auf
beiden seifen begrenzt von mauerwerk, welches gewölbe enthält. Der
keller auf der (heraldisch) rechten seite ist leer, der auf der linken
birgt eine bahre. Auf dieses mauerwerk aufsetzend wölbt sich ein
bogen, die darstellung des Weltgerichtes nach oben abschliessend. Von
rechts nach links gehend finden sich nun auf mächtigen steinstufen
folgende figuren. 1. stufe: wiege; 2. stufe: nackter knabe mit Stecken-
pferd, unter beiden in einer nische springender bock mit breipfanchen;
3. stufe: sitzender landsknecht, darunter hyänenartiges tier; 4. stufe:
fahnenträger, darunter ochs; 5. stufe: sitzender mann, die linke band
ausgestreckt, mit klagendem gesichtsausdruck, darunter löwe; 6. stufe:
in der mitte des blattes sitzender mann mit vollem barte und reichem
gelock, in beiden händen eine rolle, hinter ihm der tod, darunter der
fuchs; von hier an senken sich die bis dahin ansteigenden stufen;
7. stufe: sitzender mann, darunter wolf; 8. stufe: sitzender mann im
1) Den druck hat mir. wie sehen erwähnt, das freundliche entgegenkommen
des herrn antinuar Rosenthal in München zugänglich gemacht, — Hier endet das
manusciipt des Verfassers.
406 ZACHER
pelz, rosenkranz in der hand, darunter hund: 9. stufe: sitzender mann
mit brücke im arm. darunter katze; 10. stufe: sitzender mann mit
gugel auf dorn köpfe, ein nackter knabe lehnt an seinen knien, darun-
ter 3 . in dem oben beschriebenem mauerweri die bahre (= tod).
Es liegt auf der hand. dass die 2. stufe den 10jährigen, die dritte den
20jähr., die 4. den 30jähr., die 5. den 40jahr., die 6. den 50jähr., die
7 den tiOjahr. . die 8. den TOjähr., die 9. den 80jähr., die 10. den
90jähr. bezeichnen soll; die bahre (an stelle de* lOOjähr.) und die wiege
sollen den eintritt in das leben und den tod bedeuten.
7. Tobias Stimmer, der freund und gehilfe Fisch arts, gab um
17.70 eine reihe von 10 holzschnitten heraus, darstellend die 10 stu-
fen des weibes (1 — 5, je 2 auf einem blatte) und des mannes (6 — 10)
nachgebildet in dem prächtigen werke von Hirth und Muther, Kultur-
historisches bilderbuch, III, 1369 — 78; am fusse eines jeden doppel-
bildes je 2 der oben mitgeteilten verse; den sehr schön ausgeführten
holzschnitten fehlen, ausser beim 70jährigen manne, der vom hund
begleitet ist. die bezeichnenden tierfiguren; dass Stimmer aber diesel-
ben gekant, geht auch aus der noch zu erörternden bezeichnung des
ahrigen als rindisch hervor.
8. Jobst und Hercules de Necker, Stamm- oder gesellen -büchlein
Da das buch eine Seltenheit ersten ranges ist und in den meisten
deutschen bibliotheken fehlt1, lasse ich eine kurze beschreibung des
von der hof- und Staatsbibliothek in München mir freundlichst zur
Verfügung gestelten exemplares folgen.
Der titel lautet: Ein new vnd künstlich schönes Stamm oder Ge-
len Büchlein mit dreyzehen Historien, darinnen hundert guter wol-
s 3< Iter figuren, sampt jhren darzugehörigen guten Reymen erklert,
allen kun>tliebenden dienstlich vnd nützlich, wie in der Yorrcd vnd
Eli . ' nr zuuernemmen ist. Gedruckt zu Wienn in Osterreich, durch
Hercules de Necker, in Verlegung Hansen Herman. Die „figuren oder
bilder" rühren nach der vorrede her von Dionysius Manhallart, „riss
und scharpffierung von Nicklas Solis aus Nürnberg"; unterschrieben
ist die vorrede mit: Dauid de Necker, Formschneider; dasselbe am
hluss des buches mit der jahrzahl 1571)-. Nach der widmüng An
1) Auch in Berlin: auch Godeke hat es nicht selbst gesehen, vgl. Gengenbach
senfhals, allerdings mit sehr schönen handzeichnnngen geschmücktes exem-
plar ist mit 600 m. ang»'sezt.
_ Massmann (Aul- \nz. II, 14) nent die herausgeber Jobst und Hercules
de Necker. aber dasselbe jähr; vielleicht ist ihm mit den namen ein irtum unter-
gelau;
ZEHN ALTERSSTUFEN 407
den kunstliebenden Leser (in versen) und dem register folgen, jedi
mal durch eine männliche «»der weibliche figur dargestelt, die vier
elemente, die fünf sinne, die sieben planeten, die vier eigensehaften
des geblütes, die sieben haupttugenden (glaube, hofhung, liebe, vor-
sieht, gerechtigkeit, stärke, mässigkeit), die sieben freien künste, die
neun musen, die vier Jahreszeiten, die sieben gaben des h. geistes, die
sieben laster (hoffart, geiz, neid, zorn, nnkeuschheit, trunkenheit, müs-
siggang), der herr, die theologie, die geduld, <1<t tod, die zehn alter
"manns- und Weibspersonen, endlich die 12 apostel1. Das erste bild,
das feuer, steht auf der rückseite des lezten registerblattes, darauf folgt
ein ganz leeres, sodann ein mit einem leeren Wappenschild versehenes;
auf der Vorderseite des nächsten unter der Überschrift: „Ignis. Das
Feuer" 22 deutsehe verse; auf der rückseite: „Aer. Die Luft"; darnach
dieselbe reihenfolge der blätter; so bei jedem der folgenden figuren,
entsprechend dem zwecke, dem das buch dienen solte, wie unsere heu-
tigen stambüeher, eintragungen oder Zeichnungen sowie wappen von
guten freunden oder gönnern des besitzers aufzunehmen. Über jeder
figur steht, lateinisch, entweder nur die bezeichnung dessen, was sie
darstellen soll, oder ausserdem eine bemerkung in prosa oder hexa-
metern (einem oder zwei), die zu dem wesen oder der bedeutung des
dargestelten in beziehung steht; so z. b. über den 12 apostelbildem je
eine zeile des apostolischen symbolum.
Die bilder zu den 10 altersstufen sind folgende: 1. knabe auf
dem Steckenpferd, hinter ihm springendes böckchen. 2. 20jähriger mit
falken auf der faust — kalb. 3. Krieger mit schwort und lanze —
stier. 4. Krieger mit schwert und kommandostab — löwe. 5 Bürger
mit geldtasche — fuchs. 6. Bürger im pelz mit geldbeutel in der lin-
ken — wolf. 7. Bürger im pelz mit schriftrolle — hund. 8. Gebückt
einherschreitender mit rosenkranz in der rechten — katze. 9. Auf
zwei knicken schleichender von einem knaben verspottet — eseL 10.
Auf einer bahre neben einer sanduhr sitzender — gans. Darnach die
bilder für die weiblichen altersstufen.
9. Abbildung derer VIII Hertzoge usw. enthält 20 bilder, 10 für
die männlichen, 10 für die weiblichen altersstufen, in der reihenfolg
dass erst der 10jährige knabe. »'dann das 10jährige mädchen; hierauf der
20jährige jüngling, die 20jährige Jungfrau abgebildet sind usw. 1. Knabe
auf einem Steckenpferd springendes böckchen. 2. Reichgekleideter
jüngling, auf der faust einen falken — kalb. 3. Reichgekleideter mann —
1) Zusammen 07 figuren (nicht 100, wie der titel verheisst) und 2 wappen.
ZACHER
stier. 4. Geharnischter — low.-. 5. Bürger im pelz mit geldbeutel —
fuchs. 6. Bürger im pelz mit schriftrolle — hund. 7. Bürger mit
wallendem bart und pelzmantel — fuchs. 8. Alter auf einen stock
_■ stüzt — ■ kat 9. Alter auf kracken, von einem knaben verhöhnt —
•1. 10. Alter vom tode geholt, der ihm das Stundenglas vorhält —
ff ans.
1<>. Die modernen im Innern der wartburg befindlichen, bekan-
^n medaillonbüder, darstellend die 10 alter der männer und der trauen
durch vierfussige tiere und vögel.
Auf den noch jezt üblichen bilderbogen fehlen die tiergestalten l.
10 jähr: kiz 1. 2. 3. 6. 8. 9; rehkalb 4: kalb 5. 10.
20 .jähr: kalb 1. 2. 3. 8. 9. bock 4. 5. 10. hyäne (?) 6.
Tnter kitz ist das junge zunächst der ziege zu verstehen, das Zick-
lein (böcklein oder geisslein), dann auch des rehes, daher rehkalb (4)
nicht als ab weichung anzusehen ist. Es liegt auf der hand, dass das
mit dem 10. jähre zum abschluss kommende, mehr dem spiel, als ern-
ster beschäftigung gewidmete, harmlose und unbewusst dahinlebende,
endlich in seiner erscheinung und bewegung zierliche kindesalter nicht
durch das kalb (5), sondern durch das böckchen bezeichnet werden
muss. während der 2. stufe nicht dieses (4. 5. 10), sondern durchaus
das kalb angemessen ist (1. 2. 3. 8. 9), dessen ausgelassenes und doch
unbehilfliches, täppisches wesen recht wol passt für das alter, in wel-
chem kindischer Übermut, oft in plumper weise, noch stark hervortritt;
daher auch von dieser altersstufe mit Vorliebe gesagt wird, sie käl-
re, treibe mutwillen. Auch das rindisch Stimmers (oben nr. 8) soll
wol nichts anderes bedeuten als kälbern, vitulinus, und ist statt dieses
nur des reimes wegen gewählt. Mit dem „hyänenartigen" tier (6)
weiss ich nichts anzufangen; es passte wol allenfals zu dem Lands-
knecht desselben bogens, aber ganz und gar nicht zu dem 20jährigen.
30 jähr: stier, 40 jähr: löwe, ausser 4, welcher die umgekehrte
ihenfolge hat. alle; und mit recht; denn der stier, als sinbild der
rohen, ungestümen, unbesonnenen, aber auch unerschöflichen kraft,
auch in sexualer beziehung, entspricht durchaus dem wesen der drit-
ten altersstufe.
Wie der löwe in der tierfabel, infolge seiner hervorragenden kör-
perlichen, wie geistigen eigenschaften der könig der tiere ist, so steht
1) Erwähnt sei wenigstens eine von heim dr. Köhler freundliehst mitgeteilte
lle aus Gracian. Oraeulo manual, 1702. 202: Mit 20 jähren wird der mensch ein
I»fau. mit 30 ein löwe. mit 40 ein kamel, mit 50 eine schlänge. mit 60 ein hund.
mit 70 ein äffe, mit 80 nichts.
ZEHN ALTERSSTUFEN 400
der mann im 40. lebensjahre, wo auch die geistige reife die stufe der
volkommenheit erreicht hat, auf welcher der körper schon früher ange-
langt war, auf dem höhepunkt der menschlichen entwicklung.
50 jähr: fuchs, alle, ausser 4 hund.
60 jähr: wolf, alle, ausser 4 fuchs, 9 hund.
70 jähr: katze 1. 3; hund 2. 5. 6. 7. 8. 10; wolf 1. 9.
80 jähr: katze 2. 1 5. 6. 8. 9. 10; hund 1. 3.
90 jähr: esel, alle.
100 jähr: gans, alle, ausser 5. 6. 10, tod.
Im algemeinen ist über die wähl der tiere für diese «> stufen zu
bemerken, dass sie bei weitem nicht so einleuchtend erscheint, als bei
den ersten vier, indem sieh die eigenschaften der gewählten tiere mit
dem wesen und Charakter der von ihnen vertretenen altersstufen nicht
unbedingt decken.
Nach den oben angeführten tiermärchen sind die hündischen jähre
des menschen die, in denen er mürrisch oder knurrig ist; es sind dies
nach dem Grimmschen märchen die jähre von 48 — 60, nach dem
Aurbacherschen offenbar richtiger und zutreffender von 50 — 70. Jene
bezeichnung beruht auf der richtigen anschauung, dass der alternde
mensch (über 50), der seine geistigen und körperlichen kräfte immer
mehr schwinden sieht, den allerlei gebresten und schwächen anfalle)),
gegenüber den früheren lebensstufen kein lebenswertes dasein mehr
führt; ein solches leben aber wird im volksmund treffend als hunde-
leben bezeichnet, wie es der hund führt, dessen lohn für alle treue
und Wachsamkeit von seiten des menschen schlechte behandlung und
geringes futter ist. Es ist der hund also nicht einer hervorstechenden
eigenschaft, sondern seiner lebensweise wegen gewählt worden. Für
jenes Stadium des hundelebens aber, wenn ich den ausdruck gebrau-
chen darf, ist der höhepunkt das 70. jähr. Der 70jährige, der greis,
wie ihn der sprach nent, ist gewissermassen der Vertreter des alters;
daher der hund nur dieser und keiner anderen altersstufe angemessen
erscheint.
Der fuchs, nach fast einmütiger Überlieferung der begleiter der
5. lebensstufe, ist nach dem Sprache der Münchner handschrift seiner
schalkheit halber gewählt. Dieser wähl liegt die anschauung zu gründe,
dass der 50jährige, dem keine weitere zunähme seiner geistigen und
körperlichen eigenschaften, wol aber ein absteigen von der höhe der
volkommenheit des 40jährigen bevorsteht, den sich almählich fühlbar
machenden defekt an stärke, nmt, tatkraft und entschlossenheit zu
410 ZACHER
ersetzen sucht durch einen höheren grad von Schlauheit, durch welche
er oft mehr erreicht, als der 40jährige, der den geraden weg geht,
ide so wie in der tierfabel der fuchs den Löwen überlistet. Das
Sprichwort sagt: was der Löwe nicht kann, das kann der fuchs.
Eine stufe tiefer als der fuchs steht in der tierfabel der ihm sonst
Dane verwante wolf, der dieselben üblen eigenschaften hat, wie
jener, aber dabei nicht die gewantheit und geschmeidigkeit, vielmehr
auch noch als wütig, neidisch und karg erscheint (Reinh. Fuchs ed.
1. Grimm, s. XXXIV). Namentlich die beiden lezten eigenschaften
haben wo! seine wähl für die 6. lebens^tufe veranlasst, wo der mensch
im g Li : -ich immer mehr fühlbar machenden abnähme seiner kraft«'.
.vi.- der Überlegenheit und der grösseren erfolge jüngerer von zorn
und neid erfiilt, oft auch von dem laster des geizes in besitz genom-
men wird.
Die katze ist für den 80jährigen rein äusserl icher eigenschaften
wegen gewält Wie sie hält sich auch der 80jährige meist in der
stube auf. wie sie hat er eine grosse Vorliebe für die wärme der sonne
• •der des ofens. wie sie endlich bewegt er sich langsam und schleichend
vorwärts.
Dem gedanken des Spruches entspricht die bezeichnung des 90jäh-
rigen durch den esel; wie dieser seiner dumheit und nnempfindlichkeit,
seiner ganzen lächerlichen erscheinung halber, so ist der 90jäh-
_ n seiner gebrechlichkeit und hinfälligkeit, seiner Langsamkeit
und Ungeschicklichkeit, oft auch deshalb, weil er geistig selbst wider
zum binde geworden ist. ..der kinder spott".
100 jähr: die gans, alle, bis auf 5. 6, der tod. Dass die gans
nicht ; ahlt ist. weil etwa der 100jährige seinem wesen nach mit ihr
irgend etwas gemeinsam hätte, geht schon daraus hervor, dass für die
mänlichen ah rsstufen sonst lauter vierfüssige tiere als symbole dienen.
Auch wü<ste ich nicht, welche eigenschaften beiden gemeinsam sein
selten. Am ehesten denkt man an das Sprichwort: mit der wilden
os um die wette leben, was sowol die bedeutung hat: in den tag
hineinleben, als auch: sehr lange leben, und an die Verwendung der
wilden oder schneegans in den bekanten Sprüchen: Ain zäun wert
drey jar. ain hund weit drey zeun. ain pferd drey hund, ain mensch
wert drey pfard, ain esel drey menschen, ain schneegans drey esel
!ara Hätzlerin ed. Haltau^ s. LXIX. 14; vgl. oben s. 387. 2 und
•■. Gengenbach 563). Man begriffe dann aber nicht recht, warum
_ rade die gans gewählt sei, warum man nicht den esel genommen,
ZEHN* ALTERSSTUFEN 411
der drei menschen währt, oder die krähe, von der im weiteren verlauf
jenes Spruches gesagt ist, sie währe drei gänse, den hirsch, der drei
krähen währt usw. Die Langlebige gans als symbol für die äusserste
und nur selten erreichte grenze <\i>< dem menschen beschiedenen alters
würde meiner meinung Dach der volkstümlichen anschauung, die in
unserer sprach- und bilderreihe zum ausdrueb kernt, geradezu wider-
sprechen. Ihr erscheint der 100jährige als ein dem tode eigentlich
und den naturgesetzen gemäss längst verfallener , gewissermassen ein
lebendes bild des todes; daher auch die bahre oder der sarg oder «las
offene grab, oder auch der tod selbst mit sense und Stundenglas auf
den bildlichen darstellungen neben jenem zu sehen sind. Ks mn
also auch die gans in irgend welcher beziehung zum tode stehen. Nach
dem allerdings an abenteuerlichen Vermutungen und gewagten hypo-
thesen überaus reichen etymologisch -symbolisch -mythologischem real-
wörterbuch von F. Xork (I, 77 fg.) wäre die gans ein symbol der auf-
erstehung, daher sie auch auf grabmonumenten so häufig zum vorsehein
komme. Welchem umstände sie diese rolle verdankt, bleibt freilich
völlig unklar. Dann hätte sie ja auch neben dem 100jährigen, auf der
stufe des Überganges vom leben zum tode eine berechtigung und gäbe
der doch immer nahe an das komische und burlesque streifenden tier-
symbolik einen würdigen und ernsten abschluss.
Jedenfals hat man die gans als begleiterin des hundertjährigen
nicht wegen einer hervorragenden eigenschaft gewählt, die sie mit
diesem gemeinsam hätte, Avie die übrigen tiere. Sie ist das symbol
der Wachsamkeit (vgl. Keller, Tiere des klassischen altert. Innsbruck
1887, s. 290): soll sie für den im todesschlaf ruhenden menschen
wachen, damit er den tag der auferstehung nicht versäume? Ferner
ist sie, ihrer grossen fruchtbarkeit halber, ein erotisches symbol (vgl.
Friedrich, Symbolik u. mythol. der natur, Würzb. 1859, s. 585): „An
die erotische svmbolik . . schliesst sich eine andere an. Da nämlich
zeugung und tod die beiden pole des seins sind, oder auch, weil aus
dem tode sich neue zeugung (neues leben) entwickelt, so wurde das
zeugungssymbol auch todessymbol. Der göttin der unterweit wurden
gänse geopfert, und auf grabmonumenten findet man nicht selten gänse
dargesteltu (ebenda s. 586); Böttiger, Ideen zur kunst-mythologie, her-
ausg. v. Sillig, II, 442, auf welchen Friedrich dabei verweist, führt
freilich nur antike grabmonumente an. Überhaupt darf nicht verschwie-
gen werden, dass gegen alle diese Vermutungen über die wähl gerade
der gans als begleiterin des hundertjährigen ein schweres bedenken erho-
ben werden muss. Die gründe für die wähl der übrigen tiere sind
4 1 2 RÖHRICHT
durchaus einfache, sofort in die äugen springende, der phantasie dos
volkes entsprechende: solte für die wähl der gans eine so "künstliche,
dem schlichten verstände gänzlich fernliegende Überlegung massgebend
wesen sein*.-
SAGENHAFTES UND ETHISCHES AUS DEE
GESCHICHTE DEE KEEUZZÜGE.
Die geschichte der kreuzzüge, jener gewaltigen nach osten rück-
läufigen Völkerwanderung, ruht auf einer solchen fülle echter quel-
len des abend- und morgen lau dos, dass eine bewältigung derselben
die kräfte eines einzelnen übersteigt; ebenso gross ist die zahl der
direkt und indirekt durch die kreuzzüge veranlassten und von ihnen
beeinflussten sagen, der daran sich knüpfenden mythischen reste. Wenn
daher im folgenden eine kleine Übersicht derselben gegeben werden
- 11. so ist volständigkeit ausgeschlossen, und nur ihr nachweis inner-
halb der echten historischen quellen das ziel. Vielleicht wird
dieser bisher noch nicht gemachte versuch dem kenner der grossen
und kleinen sagen- und romankreise der kreuzzüge wie dem mytho-
logen, trotz aller noch vorhandenen lücken. nützlich sein können.
Schon der Ursprung des ersten kreuzzuges führt in die sage und
mythe hinein: von ihr sind die gestalten des einsiedlers Peter1 wie
des h'Tzogs Gottfried2 umsponnen. Aber auch wenn wir die anfange
jedes neuen kreuzzuges weiter verfolgen, so werden zwar die einzel-
nen personen. die herolde wie die beiden des heiligen krieges, ge-
richtlich klarer und greifbarer, jedoch die sage bleibt, während die
mythe immer mehr zurücktritt, immer noch geschäftig genug. So wer-
den uns vor jedem kreuzzüge wunderbare naturereignisse 3, zeichen am
himmel4 und auf erden von den Chronisten gemeldet, und ebenso zahl-
1 1 Über ihn gründlich Heinrich Hagenmeyer, Peter der cremit, Leipzig 1879.
kreuzfahrer- und pilgei sagen vgl. Röhricht, Beitr. II, 392 — 400 und Deutsche
l»iL -en nach dem heil, lande 1889, 83. S. sonst auch Prutz, Kulturgesch. der
kreuzzüge 568 — 69.
- Vgl. über ihn als „ritter mit dem seh\vanu v. d. Hagen in den Abhandl. der
Berliner academie der wissenseh. 184<> . 557; s. die auf Mottfried bezüglichen visionen
i. (ed. Paris.) 481—82. 486 — 87; Raim. d'Aguilers 308.
Vgl. Beiträge II, 15 — 16, 154; Hagenmeyer. Ekkehardus 55 — 56. 111 — 13.
4i Auf grund von astrologischen berechnungen sagte man den Untergang des
l>lam für die jähre 117 g. de Wendower.IV, 194—95; Robert de Monte 1179;,
11^ Eafel, Comnenen und Normannen 07 note 109), 1185 (Röhricht in von Sybels
SAGEN l'ND MYTHEN AUS DEN KBEUZZÜGEN 413
reich sind die wunder, welche die kreuzprediger begleiten, durch welche
sie sich als heerrufer gottes ausweisen. Sie erzählen ans brieten, die
gott ihnen vom himmel gesaut1, heilen besessene und kranke-, bannen
die trotzigsten durch die macht ihrer rede in den aufopferndsten
gehorsam, aus den wölken hernieder Leuchten strahlenkreuze auf die
lauseliende menge3, reisige geschwader durchbrausen die lüfte auf
ihrem ritt nach dem fernen osten '. CTnd wenn dann die christen-
schaaren ihren .weg antreten, so folgen ihnen oeue wunder5; wenn Bie
in die Schlacht ziehen, erfahren sie im voraus durch erscheinungen in
den lüften den ausgang des kämpfest oder himlisehe heerschaaren, von
zeitschr. 1875 XXXIV. 1 — 2, 19; Forsch, zur deutsch, gesch. L876, 486; Barter,
Innocenz in., bd. 1Y, 449 — 51), 1222 (Beitrüge II, 2(32 nute 55), 1229 ((ebd. i. 79),
1305 (ebd. H, 256), 1322 (Fontes rerum Austr. VIII, 465 — 66) an. tfber die alte
Prophezeiung von einem mächtigen Frankeukönige, der Jerusalem und Constantinopel
erobern werde vgl. Rubruik (ed. Paris.) 386; Bened. v. Peterborough II, 52 und beson-
ders die reichen nachweise Riants in: Archives de L'Orient latin I. 13 — 14; dorl
aueh (15 fgg.) sehr ausführliche quellenangaben über die sage vom kreuzzuge Karls
des grossen.
1) Vgl. Hagenmeyer, Ekkehardus 83, 313 — 14, Peter der eremit 70, 117;
Les archives de POrient latin I, 110 — 11. Otto v. Freisingen 351 erwähnt eine
„epistola divinitus missa*, welche dem könige von Frankreich die eroberung Cairos
verhiess; vgl. Annal. Leodiens. in Mon. Germ. SS. XVI, 641. Auch der führer der
Pastorellen zeigte einen brief der Jungfrau Ataria zur beglaubigung (Röhricht in Brie-
gers Zeitschrift 1883, 291); über einen falschen „brief Christi" handelt derselbe ebd.
1890 XI, 436 — 42, 619; vgl. Schmitz im N. archiv XV (1890), 602 — 605. Den
misbrauch und unfug einzelner kreuzprediger schildeil Unkel in den Annaleu d. hi
Vereins für d. Niederrhein 1879, 64 fgg.
2) Etienne de Bourbon, Anecdotes 53 — 54, 140; Caesar. Heisterbac. (Röhricht,
Testimonia 173, 177; ebd. 163 — 61 über teufelserscheinungen) ; Beiträge II, 47. Über
die wunder des zweiten kreuzzugs und deren beurteilung siehe Beiträge II, 102.
3) Epist. Oliv. Schol. in Martene, Collect. I, 1115 — 16, Mon. Germ. SS. XXIII.
473 — 74, Oliver. Scholast, Hist. Damiat. 1401; Thomas Cantimprat. in Testimon.
minora 122; Chronica regia Colon, ebd. 146. Etienne von Bourbon 90 erwähnt auch
eine erscheinung der mutter gottes mit dem Jesusknaben während der kreuzpredigt.
4) Gesta Frisiorum in Test. 13, 16.
5) Über die Visionen während des ersten kreuzzuges vgl. Ekkehardus ed. Hagen-
meyer 62 — 68, 80. 218, 265, 304, 314, 319 — 30. Ein merkwürdiger bericht, dass
kreuzfahrer eine gans zum führer gewählt, ist bei Albert. Aquens. erhalten, wozu
vgl. Beirr. II, 48.
6) Als ungünstig werden genant: nebel (Beitr. II, 102), ein adler, der mit
einer armbrust in den klauen vor beginn der schlacht (1187) dem christenheere vor-
aus flog (ebd. I, 122), als günstig phantastisches wolkengebilde (ebd. II, 82). Im
jähre 1187 vor der schlacht bei Hattiu soll eine zauberin das beer der Christen
414 RÖHRICHT
einzelnen oder allen im heere erkant, helfen ihnen unter führung- des
heiligen Demetrius1, Mercurius2, Bartholomaeus 3 oder Georg4 zum
siege und selbst nach der Schlacht dauern die göttlichen wunderbeweise
fort5. Begreiflich ist es daher, wenn viele nachrichten über erfochtene
sieg 3S rordentlich überschwänglich lauten, wenn sie proleptiseli,
umkreist haben, um es (wie einst Bileam) durch den iluch dem untergange zu weihen
■ -irr. I. 121 — 22). Rubruik (Recueil de voyages) 386 erwähnt eine armenische
Prophezeiung, wonach die Frauken einst Constantinopel (vgl. Beitf. II, 192) erobern,
i i - in T rsien mir Armeniern und Mongolen die Muslimen schlagen und aus-
rotten würden. Eine Unglücksprophezeiung betreffend den ersten kreuzzug Louis IX.
len die Joachiten lange vorher gegeben haben (Chron. Salimbene 102 fg.).
li Baldericus 77, 96; Guibert 206.
80 erscheint 1098 auch St. Ambrosius (Alb. Aquensis 426), ja sogar gott
ßuibert 251), doch wird auch schon eine „visio smiulata" erwähnt (ebd. 183).
Gesta obsidionis Damiatae (Röhricht, Quinti belli sacri scriptores mino-
a 77.
Ober ihn vgl. Röhricht, Pilgerreisen vor den kreuzzügen in Raumers Histor,
schenbuch 1875, 378 — 79; Zarncke, Sitzungsber. d. königl. sächs. geselsch. d. wis-
lv7". 1. 256; Hagenmeyer, Ekkehardus 67 — 68 note 8; Clermont-Ganneau
in d. Revue archeol. 1876; Veselowsky, Der heil. Georg in der legende und im liede
(russ - . Petersburg 1880 (vgl. Ztschr. für deutsch, altert. 1883, anz. 259 — 62);
irres in Hilgenfelds Zrschr. für wissensch. theologie 1887, 54 — 71. St. Georg, der
patron der kreuzfahrcr. die daher auf dem zweiten und dritten kreuzzuge an seinem
abfuhren, erscheint zuerst in Sicilien und zwar in den kämpfen der Normannen
gen die Saracenen, auch in Spanien den Christen (Cronica di Affonso Galvao, Lis-
L726, 93; Cronica de laPena, Zaragoza 1876. 156), dann auf dem ersten kreuz-
zug.- (Baldericus 77. 96; Guibert 206; Rob. Monachus 796; Gesta Francorum 496),
auf dem dritten kreuzzuge 1190 (Ansbert 64; Epist. de morte Frid. 495; Annal.
1 luii. max. 800), im treffen von Arsuf 1191 ("Weber, Metrical Romances II, 192),
1217 vor Damiette (Gesta obsidionis 85; Jon. de Tulbia 125; Lib. duellii 150) und
zwar mit einer „turba candidatorum u (Mon. Germ. Ep. I, 28; Rein. Leodiens. 676;
Annal. Colon, max. 830; Caesar. Heisterbac. Homil. I, 119; Dialogi mirac. VIII , c. 66)
vor Alcazar und 1219 vor Damiette (Gesta obsid. 103, 76) wie zur Maccabäer-zeit
Maccab. 11, 8) ein weisser ritter und die himlischen heerschaaren, die 1177
vor Harem den Christen halfen (Rog. de Hovedene II, 132) und die 7000 weissen
ritter vor Iconium (Ansbert »j 1 : Hist. peregrin. 522) sowie der „grüne ritter" den
Muslimen zu hilfe komt (Röhricht, Forsch, zur deutsch. Gesch. 1876, 518 note; R» i-
naud, Extr. 41. 419). Sonst erscheint auch die mutter gottes im kämpfe (Beitr. II,
243 — 44 1. Von >T. Georg leiten die graten von Mansfeld ihre abstammung her (Grässe,
sagen I, 311—312
Die Leichen der erschlagenen Christen zeigen lächelnde mienen (Etienne91),
leuchten nachts in überirdischem glänze (Irin. Ric. 16 — 17; Les archives de l'Orient
latin HA ; vor Iconium (1190) fliegen weisse vögel dreimal des nachts um das
he'-]-. Bchweben über einem sterbenden Christen einige zeit und verschwinden dann in
r höhe (Beitr.II, 162). Den Friesen erscheint nach der eroberung einer spanischen
• ir die mutter gottes in den lüften (Beitr. II. 243 14).
SAOEX UND MYTHEN LÜS DEN KREUZZÜGEN 415
noch die sie erfochten waren, bereits als sicher gemeldet wurden1,
wenn fabelhafte erfolge der bekehrung von muselmännem zum christen-
tume glauben fanden- und schliesslich falsche briefe von Sultanen und
mongolenchanen in Umlauf kamen8. Aber ebenso erklärlich ist es auch,
wie jeder miserfolg nur auf offenkundigen verrat1, jedes hauptver-
brechen, das im abendlande begangen ward, nur auf gottlose saracenen
zurückgeführt wurde6, zumal die in Syrien zurückbleibenden kreuz-
1) Die besten beispiele geben die briefe in Martene, Ampi. Coli. I, 1129 —
und Matth. Paris, Additam.VI, 167—69 aber fabelhafte eroberungen 1219 und L249;
sonst vgl. auch Röhricht in Les archives I. 649; II. 260.
2) Saladin (Rog. de Ilovedene IV, 28), sein brudei Malik al-Adil (Ryrardus
de San Germano 336; Beiträge I, 5G — 57) und dessen söhn Malik al-Kamü (vgl.
unten s. 429, noteG und das gespräch des heil. Franeiscus mit ihm in Testimonia minora
250 — 51), endlich der Bultan Bioezz Eübei (der '-in gespräch mit Louis IX. gehabt
haben soll) wären zum übertritt zum Christentum geneigt (Matth. Paris V. :;ii!t —
310); dasselbe erzählte man von Mongolenchanen (Les archives 1. 649) und vomBey
von Tunis 1270 (Guil. de Nangiaco bei Bouquet XX, 446 und 448), in dessen beere
sogar Ghibelliuen gegen die kreuzfahrer kämpften (Annal. Flac. Ghibell. in Bion. Germ.
SS. Will. 547; Amari, I diplomi arabi, prefazione XXII).
3) Falsche briefe von sultanen und Mongolenchanen sind aufgezählt von Röh-
richt in Les archives 1 , 651, Forschungen XXVI, 98, Beitr. I, 74 — 75, 83, bei Mu-
ratoriXIII, 1102. Der in vielen handschriften erhaltene brief des sultans „Balthasar"
au Clemens Y. findet sich ausser in der Chronica regia Coloniensis ed. AVaitz 364 —
3G7 auch in Les archives II B, 299 — 300; Steinschneider, Polemische litte ratur
(Abhandl. für die künde d. morgenl. 1877, YI, 237); auch in englischen handschriften;
vgl. Yogels, Die ungedruckten lat. Versionen J. v. Maundevilles, Crefelder programm
188G, 15. Den sehr merkwürdigen brief eines „Mongolenchans u an Friedrich II. siehe
in Schannat, Yindemiae I, 20G nr. 55 (c. 1249!). Echte briefe besonders der MoDgo-
lenehane siehe in Les archives I, 650 — 51 und im Journal asiatique 1831, VUL, 117
— 434, wo über die correspondenz derselben mit den päpsten in Avignon ausführlich
gehandelt wird.
4) Ygl. Forschungen zur deutsch, gesch. XVI, 502, 522; Beitr. II, 179, 201
— 202. Besonders ist die sage häufig, dass christliche heerfuhrer wie 1149 (Beitr. II,
101, 122, 127; vgl. Reinaud 94; Gerhoh 145; Willi, v. Tyrus XVII, 7: Gervasius
Cantuarensis I, 137) und 1198 (Gesta episcop. Halberstad. in Mon. Germ. SS. XXIII.
112) durch vergoldete kupfermünzen bestochen d. h. betrogen worden seien.
5) Vincent. Bellovac. Specul. histor. XXX, § 137; Chron. Guil. de Nang. 517
(1237); Beiträge II, 187, 284 — 285; Forsch, zur deutsch, gesch. 1886, 98 — 99; 1
archives de l'Orient latiu I, G2G; Archivio storico italiano 1878 I, 487. Ein apoery-
phes schreiben des Alten vom Berge siehe im Itinerar. Ricardi 444; Stau. Guyard,
Un grand maitre d. assassins, Paris 1877, 87 — 91; Beiträgen, 221; Ilgen. Markgraf
Conrad von Montferrat 127 — 135; könig Richard soll 4 Assassinen nach Frankreich
gesaut haben (Job. Longus in Mon. Germ. SS. XXV, 820 — 21), Friedrich II. nach
Deutschland (Chron. minor. Erphord. in Mon. Germ. SS. XXI V, 201; Chron. regia
Colon. 2G3); der Assassint'iisrheieh soll sogar den kinderkreuzzug veranlasst haben
(Chron. de Lanercost 14).
416 RÖHRICHT
lahrer unter den muselmännern, freilich aber auch einheimischen Chri-
sten, eine wahre schule des Lasters und Verbrechens fanden, aus der
sie leider selbst lernten1. Endlich aber wird aus dem gesteigerten
Selbstbewußtsein der kreuzfahrer begreiflich, wie sie über die person
Mohammeds allerlei verächtliche sagen glaubten und verbreiteten2, bis
manche von ihnen in folge der vielen niederlagen an ihrem christlichen
glauben unsicher wurden3, durch eine lebhaftere missionstätigkeit der
bettelmönche die alten märehen verschwanden und eine gerechtere
urteilung des Islams platz griff4.
Am liebsten knüpfte die sage sich an hervorragende christliche
heerrohrer und helden, so an den herzog Gottfried5, könig Konrad 111°,
kaiser Friedrich T" und II8, könig Johann9; sie weiss von ritterlichen
1 1 Über die sittenlosigkeit Accons vgl. besonders den ersten brief des Jacobus
de Yitriaco in Xouv. mem. de l'acad. de Bruxelles XXIII, 40; aus Freidank dun
schnitt von Äkers in W. Grimm's ausgäbe 154. 18 fg.
2) Über die Muhammedfabeln handelt sehr ausführlich Prutz, Culturgesch. der
kreuzzüge 513 — 15. Die nackricht, dass der Islam purer götzendienst sei, ist schon
früh zu finden, bei den rabbinen (Steinschneider, Polem. literat. 310 — 13) wie bei
den Christen (Beitr. II. 54 — 55, 190 — 91), es ist daher auch nicht zu verwundern,
wenn mau den teinplern, die ja doch durch den Islam verdorben seiu solten, die
Verehrung eine- „ götzenbüdes a nachsagte. Sogar arabische quellen scheinen davon
zu sprechen «Röhricht in Les archives II A, 398 note99); Clermont-Gauneau, Eecueil
d'archeologie Orientale I. 267 möchte in dem fraglichen arabischen worte St. Georg
widerrinden.
3) Viele traten zum Islam über aus eigennutz (Beiträge I, 71; II, 50) oder
aus not. um das leben zu retten (Matth. Paris V, 107; ebd. 108: „Nuniquid melior
st lex Mahometi lege Christi"?». Eine reihe von aussprächen, aus denen die Ver-
zweiflung, ja der gotteslästerliche höhn von Christen sich zu erkennen gibt, siehe in
Beitrage IL 79, 286 note 48; Briegers zeitschr. für kirchengesch. 1883 VI, 292:
wie ein frommes gemüt dagegen sich zu trösten suchte, ist aus den durch Röhricht
veröffentlichten Lettres de Ricoldo de Monte Croce (Les archives de l'Orient latin
IIB. 260 f gg.) zu erkennen.
;iders durch Odoricus de Foro Julii, Ricoldus de Monte Crucis u. a.,
in deren Schriften sogar die ethik der muselmänner richtig gewürdigt wird.
Über ihn vgl. Beiträge II, 299 und ß. v. Kuglers schöne Studie in Rau-
mers Histor. taschenbuch 1887. Ein beispiel seiner riesigen körperkraft berichtet Wil-
helm v. Tvrus IX. 22. und daraus Etienne 442.
Er soll vor Damascns sich durch einen gewaltigen krafthieb ausgezeichnet
haben (Beitr. II, 7"
7 Von ihm melden die Annal. Piacent. Ghibellini in Mon. Germ. SS. XVIII,
467. dass er 1 148 einen türken mit seinem schwelle an das Stadttor von Iconium
angeheftet habe und der sultan habe diese stelle mit gold auskleiden lassen, über
den in der Friedrichssage uns begegnenden „dürren bäum", welcher nichts anderes
als die Abrahamseiche bei Hebron ist. vgl. Beiträge I, 111 — 12; Louis de Backer,
L, extreme Orient 364 — 67; Sepp, Jerusalem und das heil, land 1863, 1. 502 1-
SAGEN UND MYTHEN ATS DEN KREUZZÜGEN 417
Zweikämpfen1 und gewaltigen hieben zu erzählen2, aber auch von hel-
dentaten christlicher frauen8. Besonders zahlreich sind die sagen über
den Ursprung christlicher ritterwappen4, und es wäre auffallend, wenn
im Zeitalter der minne die Chroniken nicht auch liebende be^e^nun^en
von Christen und muselmännem zu berichten wüsten. So soll die
markgräfin [da von Österreich, welche 1100 in die gefangenschaft der
muslimen fiel, die mutter des berühmten und gefürchteten Lmäd ed-
din Zenki geworden"', die mutter dos suitans von Econium eine Schwe-
ster des graten von St. Gilles gewesen sein6, Saladin mit der „heissen"
Rocholz, Schweizersagen I, 60 — 61; Zunicke, Der presbyter Johannes 1004 fgg. und
Gerhard v. Zezschwitz, Der kaisertrairm des mittelalters L63 — 65.
8) Er soll durch die Templer an den sultan verraten worden sein (Beitr. I, 74),
was in Deutschland den Johannitern nacherzählt ward (Wochenbl. d. Johanniter-
ordensballey I Brandenburg 1879 nr. 30). In einem meisterliede wird von einem
verräterischen hriefe des pabstes an den sultan berichtei (Germania XX I\' [1879]
13 fgg.). Sonst ist viel fabelhaftes über einen kreuzzug erzählt in dem seltenen
buehe: De gestis Suevorum, Napoli 1665, I, 227 — 35.
9) Er soll vor Damiette einen Saraccnen bis auf den nabel gespalten haben
(Tulosanus Favent. in Test, minora 241).
1) Vgl. Beiträge II, 50; Forsch, zur deutsch, gesch. 1876, 492.
2) 1130 stand sein sarg noch in der Golgathakirche (Tobler, Golgatha 130);
sonst vgl. über ihn auch Joh. von Würzburg in Descript. Terrae sanetae 154 — 55.
Wigger, der einen löwen zerriss, soll einen Saracenen von oben bis unten gespalten
haben (Beiträge II, 53, 307), was Nicetas II, 265 (daraus Crusius, Annal. Sueviao
II, 501 und daraus Unland: Schwäbische künde) von einem „Schwabenstreich"
erzählt; dazu vgl. auch Beiträge II, 395 — 96; Götzinger, Deutsche dichter II (1877)
444 — 45.
3) Die nonnen des St. Annaklosters in Jerusalem sollen 1187, um vor schände
bewahrt zu bleiben, als Saladin in Jerusalem eindrang, sich die nasen abgeschnitten
haben (Tobler, Topogr. von Jerusalem I, 431); dasselbe wird zu der einnähme von
Tripolis und Accon 1289 und 1291 berichtet (Les archives IIA, 392), freilich mit
einer kleinen abweichung.
4) Nachrichten darüber finden sich in den meisten geschienten adlicher geschlech-
ter. Interessant aber ist zu erfahren, dass auch muslimische herren und forsten Wap-
pen besassen (Karabacek, Eepertor. für kunstwissensch. , Stuttgart 1876, I, 277; Les
archives de l'Orient latin IIA, 391; Clericus, Vierteljahrsschrift für heraldik XI,
407 — 31). Über das rittertum des Orients vgl. v. Hammer, Journal asiat. 1849
Janv. 1 — 15.
5) Passio Thiemonis in Mon. Germ. SS. XI, 29; v. Hormayer, Taschenb. 1842,
280 — 84; Beiträge II, 303 — 4; Hagenmeyer, Ekkehardus 251. Dasselbe wird sonst
auch von der bairischen prinzessin Agnes erzählt.
6) Beiträge I, 69 note 161; Chron. Triveti ed. d'Achery 111, 164 (auch solte
der sultan von Iconium von einer deutschen prinzessin abstammen; vgl. Beitr. U, 115,
225). Nach Eob. de Monte in Mon. Germ. SS. VI, 524 stamte Nur ed-din Ali von
der Schwester des grafen v. St. Gilles ab. König Andreas von Ungarn meldet sogar
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIII. - «
41S RÖHRICHT
Eleouor . ^emahlio Ludwig VIII, von Frankreich, ein rendez-vous
babt haben1, der graf Raymund von Tripolis der Schwiegersohn Sala-
dins _ sen sein2, der graf von Gleichen die Meleksalah, „eine ägyp-
tische k»"»! gs chter" als zweite ehefrau in die heimat mitgebracht
habei Ja selbst mongolenchane sollen als werber um christliche
Prinzessinnen aufgetreten sein und erfolg gehabt haben1. Aber all«1
di.-.- berichte sind immer nur verein/dt und unzusammenhängend,
während wir wir für den holden des abendlandes, herzog Gottfried.
s auch für den des morgenlai les, Saladin. einen ausgedehnten Sagen-
kreis aufweisen können.
Saladin stamte der sage Dach von einer französischen mutter6 und
hielt es als sultan nicht für unter seiner würde, von einem christlichen
ritt- t als welcher bald Honfred von Turon6, bald Hugo von Tiberias7.
bald ein herr von Anglure8 genant wird — den ritterschlag zu erbitten,
wie ihn 1228 der ägyptische Emir Fachr ed-din durch kaiser Frie-
dem papst, dass er seine tochter dem sultari von Iconium zur frau geben wolle
(Theiner, Mon. Hung. I, 20 — 21 nr. 32); wie wir aus guter quelle wissen soll der-
selbe sultan. für den in anderen berichten der ägyptische genant wird, 1179 von
kais'-r Friedrich I. eine tochter als gemahlin erbeten haben (Beitr. II, 186 — 87; vgl.
Ifonte in den Mon. Germ. SS. VI. 580 (zu 1181); Weil in v. Sybels Hist. zeit-
irift 1870, XII. 372 Später wu>te man zu berichten, dass (1243) der sultan von
nium eine enkelin der königin Bianca von Frankreich heiraten wolte (Dnchesne,
Franc. V. 424 1g.: Wanters, Table chronol. d. gestes V, 65).
1) Beiträge II, ICK); vgl. Hist. litt, de la France XXI, 784 — 85; Massmann.
Eraclius 436 — I
hron. Tolosan. in Documenti di storia ital. VI. 672; er soll auch heimlich
mnslim gewesen sein (Beitr. I. 177 |.
Beitr. I, 04: II. 379; AVitzschel, Sagen aus Thüringen 94; Vulpius, Curio-
1 1 1 .•;:__.: 1 i , fi i penm 1864, 1 1 3 — 26. 1 29 — 35 ; Trautmann , Das denk -
mal der Gleichen im dorne zu Erfurt. 1866: Erfurter mitteil. 1871 und 1881.
4) Les archives de l'Onent latin I, 649; nach Annal. Plac. GhibelL in Mon.
38. XVIII. 536 habe konig Jacob I. von Aragonien 1269 seine tochter dem
ngolenchan zur gemahlin gegeben. Die bündnisse mit den Mongolenchanen wer-
Thomas < 'antiprat»,*nsis. Bonum univers. II c. 54 § 14 und im Chronic. Sicul.
(Breh olles, Hißtor. diplom. I, 901 — 3 mit bezug auf Jesaias 40, 1 — 6) empfohlen.
<7hron. S. Bertini (Mon. Genn. SS. XXV, 818): de matre Gallica Pontiva.
Itin. Bic. 0.
7 ICeon, Fabliaux I, 59 — 82; Godefroy de Courlon ed. Julliot 480 — 94 (auch
in - de Ghillebert de Lannoy ed. Potvin 417 — 28j: Hist. litt, de la France
XVII : 7" —60; XXI. 13; XX1IJ. 161—63. Einen bisher unbenuzten codex zu
dem roman siehe bei Lambert, Bibl. de Carpentras II. 128 nr. XXV.
•b'-h. Longus in den Mon. Germ. BS. XXV. S21 ; Revue nobiliare 1866,
410 — 411. 419.
SAGEN UND MYTHEN ADS DEN* KBEUZZUGEN 419
drich II.1 und 1250 sogar deT sultan von Ägypten durch den gross-
meister der Johanniter empfangen haben soll2. Seiner neigung zum
Christentum entsprechend habe er, wenn auch vergeblich, um die
hand einer tochter des kaisers Friedrich L Barbarossa geworben8 und
seinen söhn nach Paris geschickt, der im kloster St. Genofeva seine
erziehung gemessen4 und später an der Universität studieren solte5;
seine enkelin habe er dem templerrenegaten Roberl von St Alban
zur ehe gegeben6. Über eine begegnun^ Saladins mit dem gross-
meister der Johanniter erzählt eine französische < ^ 1 1 < ■ 1 1 < ■ 7 folgendes. Um
die viel gerühmte barmherzigkeit der brüder jenes Ordens auf die probe
zu stellen, verkleidet er sich als pilger und findet in ihrem >|>ital auf-
nähme, weigert sich aber drei tage lang speise zu nehmen, bis <■)■ end-
lich am vierten tage verlangt, man solle ihm den rechten rorderfuss
des schlachtrosses des grossmeisters kochen und zubereiten. Schon tritt
ein bruder mit dem beile heran, um den vorderfuss des pferdes abzu-
hauen, da ruft dieser: „Halt ein, mein wünsch ist erfült; ich möchte
lieber hammelfleisch essen!" Als er nun das spital verläset, stelt er
zum dank für die freundliche aufnähme eine Urkunde aus, wodurch
seine privatkasse alle jähre und zwar am St. Johannisfeste 1000 gold-
^tücke dem orden zu zahlen verpflichtet wird, und, wie der ehren ist
versichert, sei diese summe in friedlichen und kriegerischen zeiten bis
zum tode des sultans immer gezahlt worden. Dieselbe quelle s berich-
tet auch, wie einst die habsucht des christlichen Marquis von Caesarea
durch ihn gestraft worden sei. Dieser habe nämlich, um recht viel
geld zu sparen, die garnison geschwächt und dadurch die eroberunu
der festung durch Saladin ermöglicht, worauf dieser dem geldgierigen
geschmolzenes gold und silber in den hals giessen liess, während er
seiner gemahlin mit 10 christlichen frauen und dem zehnten teile der
u'tfangenen besatzung freien abzug nach Accon gewährte. Als beson-
deres beispiel von grausamkeit wird dem sultan nacherzählt, er habe
den Verteidiger von Tyrus, den markgrafen Conrad von Montferrat,
1) Beiträge I. 73 2) Annal. AVinton. 92.
3) Otton. Contin. Sanblas. 317; vgl. Beiträge II, 186 — 87.
4) Les archives de 1" Orient latin IIA, 378 note.
5) Alberieus in Mon. Germ. SS. XXIII, 872. Nach dem Wochenblatt der
Johanniter - Ordensballey Brandenburg 1878, 39, 151 — 52 befand sich ein nachkomme
Saladins 1877 in der pflege des ordenshauses zu Beirut.
6) Bened. von Peterbor. I, 341 — 42; Rog. de Hovedene II, 307.
7) Recits d'un menestrel de Reims ed. Natalis de Wailly 187G § 199 — 208.
Als quelle nent der berichterstatter den gefangenen onkel Saladins. der dem könig
Johann von Jerusalem obige erzahlnng mitgeteilt habe. 8) § 210 — 12.
27*
420 RÖHRICHT
dadurch zur Übergabe der festung zwingen wollen, dass er dessen vater
Wilhelm als Zielscheibe den christlichen wurfmaschinen aussezte1. In
einem Sagenbuch8 lesen wir, dass der sultan einst von der riesenstärke
des königs Johannes von Jerusalem gehört, und ihn um Übersendung
des schwerto n habe, mit dem er einst einen Saracenen in sei-
ner ganzen Hin. spalten. Da ihm jedoch dieser krafthieb an einem
Verbrecher nicht gelingt, so bittet er den könig, ihm das richtig
awert zu leihen, da das beifolgende wol ein falsches sei, aber dieser
antwortet, es sei das richtige, aber seinen arm könne er ihm nicht
mitschicken. Einen gefangenen Christen3 lässt er los, weil dieser seine
2 . b er in seiner heimat wälder und flüsse habe, verneint, indem
er bemerkt: ..Ich will dir die Freiheit geben, weil ich dich in keinen
n kerker schicken kann!"
Den aberglauben der Christen verspottet er, ja er soll sogar „die
heilige taube", durch welche am Osterfeste das „heilige feuer" vom
himmel gebracht wurde, welches die lampen in der grabeskirche ent-
zündete, durch pfeilschüsse verfolgt haben, freilich ohne zu treffen; in
der decke der kirche habe man später noch lange die pfeile haften
sehen4.
Die Christen galten ihm als schwelger. Als er einst von ihren
reichen mahlzeiten gehört, soll er gesagt haben, sie seien des heiligen
landes unwürdig5, und als ihm gefangene Benedictinermönche vorgefühlt
werden, stelt er ihre tilgend auf die probe0. Da ihnen der verkehr
mit trauen verboten, der genuss des weines aber gestattet ist, lässt er
durch zwei schöne mädchen bedienen und erst keinen wein geben,
am folgenden tage aber wein vorsetzen. Sie betrinken sich und ent-
brennen in iust, empfinden aber im zustande der nüchternheit schäm
und reue. ..Da seht ihr", sagt nun der sultan, „dass euer St. Benedict
unrecht getan hat. euch die weiber aber nicht den wein zu verbieten!"
Dm die wahre religion zu erkennen, lässt er einen Christen, Juden und
muslirnen zusammenkommen und disputiren; er gewint aus ihrer anter-
1/ Beiträge I, 178.
_ Etienne de Bourbon 64 note. 3) Ebd. 65.
4i Albericus in den Mon. Germ. SS. XXIII, 929. Zur legende vom osterfeuer
vgl. Röhricht in Raumers Histor. taschenb. 1875, 379; Les archives de ['Orient latin I,
Guil. de Xowburgh ed. Hamilton 1856, II. 158.
Ebd. 159—60; Etienne de Bourbon 414. Daher auch das wort des Gil!
de Corbeü, Baladin wäre sicher Christ geworden, wenn er nicht die unsitlichkeit der
istiiehkeit gekaut hätt [Hist litt, de la France XXI. 350 -51; vgl. Koger de "Wen-
dower IV. !:•'
SAGEN UND MYTHEN AUS DBN KREÜZZÜGBN 42]
redung die Überzeugung, dasa «li»1 christliche die allein wahre sei1.
In folge dessen soll er sich sterbend halten wasser geben lassen, um
sich zu taufen; nachdem er mit der rechten band dasselbe bekreuzt,
giesst er es über seinen köpf, wobei er drei französische, der Umge-
bung unverständliche worte murmelte2. Seinem diener befiehlt er, wäh-
rend seines todeskampfes in den Strassen von Damascus auszurufen3:
„Saladin nimt von der erde nichts weiter mit als drei eilen zu einem
schweisstuch!" Auf dem St. Nicolauskirchhofe bei Accon neben seiner
mutter soll er begraben sein: auf seinem grabe habe eine von den
Johannitern gestiftete lampe tag und nacht gebraut4.
Aus diesen wenigen zügen, denen viele echt historische bewei
algemein menschlicher und königlicher tilgenden zur seite stehen, kann
man ermessen, welchen gewaltigen eindruck diese „zuchtrute gottes"
auf seine feinde, die Christen, gemacht haben muss, und wie sie bestrebt
waren, ihn als den ihrigen in ansprach zu nehmen und so für den
himmel zu retten. Xur noch seinem netten, dem sultan Malik al-Kämil
von Ägypten, haben sie das gleich gerechte lob und die gleich gerechte
bewunderung in sage und geschichte gezolt6.
1) Etienne 64; ebd. 281 — 82 findet sich die parabel vod den drei ringen in
einfachster gestalt (vgl. Oesterley, Gesta Romänorum 89; llist. litt, de ia France
XX! IL. 75; Wrigkt, Latin stories 21; A. Tobler, Die parabel vom ächten ringe, Leip-
zig 1871).
2) Eecits § 212.
3) Ebd. § 198; Hist. litt, de la France XXIIi, 160 — 63; XXVI. 121: Etienne
64; Job. Longus in den Mon. Genn. XXV. 821; Bernardus Thesaurarius bei Muratori
SS. VII, 815; Marino Sanudo III, 10, 8.
4, Recits §213: Über ein Schauspiel „Pas Salhadin" vgl. Ilist. litt. XXIII.
162. 485 und La novella Boccaccesca del Saladino e di messer Torello in derRomania
VI, 358 — 68.
5) Itin. Rio. 6; Rog. de AVend. IV, 195 i..virga furoris"). Über seine echte
diplomatische correspondenz vgl. Röhricht im Neuen archiv XI. 572 7!».
6) Nach d. Eulogium III, 78 soll seine mutter die Schwester des graten von
St. Gilles gewesen sein (vgl. dagegen oben s. 415note2) und sterbend ihn gebeten haben
(1182; dies jähr passt nur auf den sultan von Iconium) alle Christen zu schonen, und
er soll über ihrem grabe eine hohe pyramide mit einem kreuze haben erbauen las-
sen, welches allen zertrümmerungsvi'isuchen widerstand leistete. Im jähre 1227 mel-
dete herzog Heinrich von Lothringen dem könig Heinrich H. von England sogar, kai-
ser Friedrich IL habe des sultans tochter (nach den Annales Dunstapi. 112 ;■ äsen
Schwester) geheiratet (Shirley I, 343; Beiträge I. 73). Diese sagen sind nur der
poetische Widerschein des geschichtlich verbürgten edelmutes und der freundschatt
des sultans mit Friedrich IL Sonst vgl. die genauen nachweise in Beirr. I, 68 — 69.
BERLIN. R. RÖHRICHT.
422
ZU HERZOG FEIEDEICHS JEEUSALEMEAHET.
Der bext des in dieser Zeitschrift XXIII. 28 fg. herausgegebenen,
im ausdrucke unbeholfenen und fehlerhaft überlieferten gediehtes bedarf
Doch mancher erklärung und berichtigung.
Vers 21 ist wusen so viel wie umsehen: bis auf den verabrede-
ten tag, wo er sich davon machen, abreisen wolte.
Schon v. 22 fg. ist wo! von den ritterlichen wappen die rede.
V. 25 wird statt gemacht zu lesen sein gemengt ('.gesprengt), und jedem
/.. 27 ist zu erdacht und zu volbrarlit z. 23/24 zu ziehen, so dass
also eine lücke nach 26 nicht angenommen zu werden braucht.
V. 47 — 74 sind, wie ich glaube, nicht richtig gedeutet. Mit pres-
' v. 47 und prcis.sc// 57 ist nicht weisen, sondern Preussen gemeint,
und die ganze stelle dreht sich um die frage, ob eine ritterfahrt nach
IV. 3s n oder eine solche nach Jerusalem besser und verdienstlicher
Einzelnes ist auch hier verderbt und auf verschiedene weise zu
-sern oder auszulegen, aber der Zusammenhang des ganzen ist klar.
„Mancher sagt von Preussen, das sei1 gut viel lohn zu erjagen. Ich
lasse jeden seine rede wol zurichten2, (aber soviel behaupte ich:) die
heiligen statten sind auch gut zu beschauen. Nur dass einer (1. das
st doch? oder dechainer?) auf dem meere zu keiner zeit sicher ist: er
weiss nicht, wann ein wind her wehen und ihn (etwa) an eine insel
schlagen wird, und demnach liegt er früh und spät gefangen3, ohne
ruhe zu haben. Davon gibt es nichts (bei der fahrt) nach Preussen
hinein: drei wochen kann einer so ziehen4, dass die Strasse sich ihm
frei zeigt, ganz als wäre er daheim bei seinem lande; wird dann ein
kämpf da gefochten . . . (lücke) oder was man gefangen nimt ledig
-••macht um lösegeld. Wird man (dagegen) auf dem nieer angegriffen,
kann man nicht auf die bahn entweichen. Ferner hat es (das meer)
am-h diese art (beobachtet folgendes verfahren): es nimt keinen zu
(blosser) gefangenschaft auf: und hätte einer die ganze weit hinzugeben,
will nichts anderes als leib und loben haben. Das nehmet war,
1) Das zweite das ist zu streichen.
. Über lassen mit dat. s. DWB. 6, 232. 237. oder ist paurn intransitiv and
als bestehen zu fassen'.-' Der sinn bleibt derselbe.
3) Es ist hier nicht an wirkliche gefangenschaft. sondern an das eingeschlos-
isein im schiffe zu denken.
4j Lies ziehend statt zu hon ml.
VOGT. ZU HERZOG FBIEDBICHS JEBÜSALEMFAHBI 123
wer etwa darauf sein augenmerk richten will, ob irgendwo ein Unfall
vorkomt. Jedoch ist es auf beiden Seiten gut (d. h.: sowol die Preus-
sen- wie die Jerusalemfahrt ist gut) für den, welcher ritterschafl trei-
ben will oder sie ausübt, oder um den schönen lohn zu erjagen."
110 ist wol vach hinter vund und an hinter knechtn aus-
gefallen.
147 lies tichtn st. tachtn?
169 lies ain st. am.
178 lies da dy. Von dieser „kapelle der kleiderverteilung" komt
man auf dem beschriebenen wege (nach dem grundriss der gra-
beskirche in Toblers Golgatha) in die kapelle der Helena (v. L81 fg.),
und von dieser führt eine stiege hinab zur statte der kreuzfindung
(v. 183 fg.). Dem entsprechend ist v. 181 allen in Elenen zu ändern;
182 mag statt vindt meltun zu lesen sein vinden, melden (finden und
bekant machen); das asyndeton so wie z. b. 244 und 117. Der reim
von melden, dessen ausspräche Schindler als ,,melnkC bezeichnet, auf
kapetten (kapein) ist unbedenklich.
184 lies do st. so. Hinter 184 und 188 punkt.
192 lies da Nicodenius nid Josepli mit ein? Hinter 194. 196.
200 punkt.
200 lies mocht st. muehet.
224 er natürlich = ir. — ■ Hinter 240 punkt.
241 runder wogenn = under wegen (vgl. oic st, ew 89).
252 st. kinder ist wol Mndelein zu lesen und eine lücke nicht
anzunehmen.
265 lies der edl fürst.
277 — 84 werden die 54 heiligen statten in zwei gruppen geson-
dert: 29 besonders heilige, durch die jede schuld und strafe von dem
besucher genommen wird, 25 andere, von denen er 7 jähr ablass und
7 korret davon trägt. Es wird also v. 278 --80 zu lesen sein; (die)
sind besunnder auserwelt (oder ausderwelt, vgl. 365 derxaigen): von
yeder stat, sonndcr man, ist schuld und pein hin gethan.
290 ist da hinter den (de int) ausgefallen: nwo gott im begräbnis
der menschheit (d. i. indem seine menschliche natur dort begraben
wurde) sich drunten im verborgenen erneuertet
293 lies setzt; vorher komma hinter glauben.
312 lies sich statt sy?
313 lies danvart statt dann?
316 lies dar statt elas.
4"J4 H. BECKER
320 lies sich statt sy? Der patron schrie scheltend „sehe ein
jeder zu-, and da— er sich bald in bereitschaft setzen solte (für „sehe
jeder zu. dass er sich" usw.).
337 lies da (oder dar) man statt darnan. Hinter 338 punkt.
340 lies vulenden, hinter 341 komma statt des punktes; 342 lies
. // er, 343 <hiss,lh; ..der köniu von Zypern ordnete an, dass man
überall, wo er (Friedrich) landen weite, seiner wo] pflegen solte, so
weit er (der könig von Cypern) zu gebieten hätte; dasselbe hatten die
weisen -«raten." — Hinter 345 punkt statt des kommas.
356 lies Schanchtng. 357 das komma hinter eeit 358 zu setzen?
Kur das nächstfolgende weiss ich keine befriedigende erklärung.
70 vund ist wo! zu streichen: mit der herzogin selten auch ihre
Jungfrauen die Juwelen tragen.
373 lies dar er statt das erst? warn = geworden.
Bei dieser gelegenheit mag auch die in dieser Zeitschrift bd. XIX
s. tl anm. 3 und 4 gegebene erklärung einer stelle des „niederrhei-
nischen beriehtes über den Orient" berichtigt werden. Der betreffende
satz heisst: (bei der hochzeit des sultans wurde ein so grosses hoffest
abgehalten) „dass man lange zeit im ganzen lande kein wachs finden
kont» . 3 war es bei dem hoffeste alles verbrant."
BRESLAU. F. VOGT.
ZUR ALEXANDEKSAGE.
Der briefwechsel Alexanders mit dem Brahmanen Dindi-
mus ist von dem verfasse]- einer deutschen Alexandergeschichte <h->
]'>. Jahrhunderts abweichend von der Bistoria de yreliis, die im iibri-
_ d seine quelle ist. dargestelt worden. Der doctor Johann Hartlieb,
welcher seit 1440 als leibarzt und diplomat in den diensten des her-
gs Albrecht III. von Baiern stand und für dessen gemahlin den
ien Alexanderroman übersezte (s. Goedeke, Grundrisx I-,
_ bt eine darstellung dieses briefwechsels, welche gewisser-
massen eine Verbindung des inhalts der moralisierenden abschnitte des
shischen Palladius mit dem der lateinischen CoUatio ist. Die vier
* n b riefe stimmen. ehen von sehr ausfuhrlichen Übergängen, mit
der Hlstori'i de preUis nberein, der fünfte jedoch (blatt 55° — 64b der
sgabe von 1503) weicht wesentlich davon ab. Alexan-
der h gar nicht riarauf ein die darlegungen des Dindimus zu
kritisieren, sondern er schickt ihm den befehl bei strafe der enthaup-
tung zu ihm zu kommen. Darauf erhält er ein (drittes) schreiben
7.VU ALKXANDERSAGK 425
des Brahmanen, iii welchem derselbe sieh weigert seiner aufforderung
zu gehorchen. Alexander könne wol Beinen Leib, doch nicht seine
seele töten; wenn er glaube, dass die Brahmanen ihm nützen könten,
so solle er selbst sich auf den weg zu ihnen machen. Nunmehr gehl
der könig allein zu Dindimus und Lässt sich persönlich von ihm beleh-
ren. Di«' rede, in welcher dii schient, erinnert an die darstellung
der griechischen stücke. Wenn der könig seinen worten nicht glauben
schenke, so lautet der schluss, werde er einst klagen: 0 we, ach und
we, dass ich der guten lere Dindimi nit gevolget hob . ./ Alexander
gibt ihm nun in allem recht, erklärt aber, dass er ihm nicht nach-
eifern könne, und beschenkt ihn. Der ganze abschnitt schliesst mit
der bemerkung, dass Alexander, so oft er später an Dindimus dachte,
traurig wurde und es bedauerte, dass er die gute lehre des Brahmanen
nicht befolgt hätte.
Diese interessante darstellung des brieflichen Verkehrs Alexandeis
mit dem Brahmanenkönige ist aber nicht nur in dem roman Hartliebs.
sondern auch in einer diesen gegenständ selbständig behandelnden
deutschen schritt erhalten, die bisher nicht gedruckt ist. Die Heidel-
berger papierhandschrift Germ. 172 (verzeichnet von Wilken, Ge-
schichte der bildung, beraubung und verniehtung der alten Heidelber-
ger büchersamlung s. 380, nr. CLXXII und von Bartsch, Altdeutsche
handschriften in Heidelberg s. 45, nr. 109), welche dem 15. Jahrhun-
dert angehört und im jähre 1557 ihren jetzigen mit dem bilde und
wappen Otto Heinrichs versehenen einband erhalten hat, enthält eine
Fürstenregel und darnach König Dindimus buech. Dieser hand-
schriftlich überlieferte briefwechsel , auf den mich Ad. Ausfeld gele-
gentlich freundlichst aufmerksam machte, ist keineswegs, wie derselbe
gelehrte annahm, eine Übersetzung der (ollatio Alexandri et Dindimi
(herausgegeben zulezt von Bernhard Kubier hinter seinem Julius Vale-
rius Leipzig 1888 und in einer anderen, späteren fassung in Vollmöl-
lers Romanischen forschungen VI, 21(5 — 224); vielmehr entspricht er
genau jener ausführung Hartliebs. Auch in dem König Dintfimus
buech der Heidelberger handschrift wird der Inhalt von sechs brieten
angegeben; auch in ihm findet nach dem schriftlichen verkehr noch
eine persönliche Unterredung zwischen Alexander und Dindimus statt,
auch in ihm heisst es zum schluss, dass Alexander später oft der weite
des Brahmanenkönigs gedachte und es beklagte, den lehren desselben
nicht gefolgt zu sein.
KÖNIGSBERG I. FR. H. BECKER.
DAS SPIEL VOM JÜNGSTEN GEEICHTE.
Das von Slone in den ^Schauspielen «los Mittelalters" herausgege-
bene iünesl ericht existiert aoch in zwei andern handschriftcn. Die
eine, auf der bibliothek zu Donaueschingen, ist bei Barack, Die hand-
schriften der Fürstenbergschen hofbibliothek zu Donaueschingen (Tübin-
L86S s. 135 kurz beschrieben. Der text. aus dem 14. Jahrhun-
dert, ist etwas kürzer als der bei Mone. Die andere befindet sich auf
der königlichen bibliothek in Kopenhagen: Thottsche manuscripte in 4°
- 112), papierhandschrift des 15. Jahrhunderts, 24 blätter. Sie ist mit
einer anzahl sehr roher, aber eigentümlicher farbiger bilder versehen.
Wie zwei leere blätter im texte zeigen, solten noch andere eingefügt
worden.
Bl. 1 — 2 die figuren der propheten Joel und Zephanja, des h.
riu-. des Hiob. Bl. 4 — 6 die 4 engel mit posaunen. Unter dem
vierten tote, die sich aus sargen erheben. Bl. 6 Christus mit den zei-
chen seines leidens, die nägelmale zeigend. Darunter 9 figuren. Bl. 7
Christus und engel. Bl. 10 Christus und die 12 apostel. Bl. 10 b teu-
fel, einen verdamten mit einem haken fassend. Bl. 11 teufel, die eines
verdamten beine mit den zahnen fassen. Bl. 13b 11 figuren, von einem
le umschlossen. Ein strich führt von demselben zu einem tiger
unten, aus dessen halse ein roter strahl komt. Bl. 14 ein teufel, der
»inen verdamten im rächen hat. Bl. 16 ein verdamter mit einem seil
im zopf, an welchem ein teufel zieht. Bl. 17 11 figuren von einem
ile umschlungen, an dem zwei teufel ziehen. Bl. 18 figur, der ein
ifel in gestalt eines hundes im nacken sizt. Bl. 20 — 22 die einzel-
nen apostel. Bl. 23 -24 Christus im himmelstor, dem die schaar der
von Maria geführten gerechten naht.
Blatt 1 Johelem wiffag bin ich genant,
den got in die lant / hat gesaut
sprichet der jungst / tag fol schier kumen
von got hon ich es vernomen
doch sind es me den / tufent iar
das ich iueh fag das ift war
der tag befchicht / das weis ich wol
Finnen zorn wil er lofen Ion
vor im so mag nieman befton
der funn vor im vorluret / den fchin
die mone wirt blut uar / von groffer pin.
H. JELLINGHAUS, DAS BFDSL VOM JÜNGSTEN GERICHTE 427
den wirt der grülicheft tag
der ie kam oder iemer kämmen mag
vor gottes antlit ein rar loffet
man vnd wip lieh feloer roffet
der hümel ergliget nun fumd [lies stunt)
grölich schriget der erd gr&nd
der hümel wirt von zorn rot
dar mag wol fin ein grolle not
fur rafft waffer vnd ertrich
ob dem füncler uaft claget sich
vnd schriget mit luter ftim
Her rieht ab dem rander grim
den mns der fünder haben leit
die guten stond der gar gemeit
wan fie hon gedienot vi]
des er inen daneken wil.
Am rande figur mit rotem barett.
Blatt 1, b ich hon iuch gefeit das ich kan
nun bereiten üch frobbe vnd man
foph.
Darauf folgt v. 1 des textes bei Mone.
Mone v. 3 als mir got felber hat gefeit. V. 6 m entlich mus ze-
l'amme kummcn. Y. 7 fehlt „bitterlichen", tage. V. 8 jeeklich, „denn"
statt „wol", mage. Y. 10 „Vnsa für „und". V. 11 wie es dir fol.
V. 12 enphahen Ion. Y. 13 befchelten. Y. 14 und wil in hertenglich
gelten. Y. 16 „denn" fehlt. Y. 17 Wu (man könte auch „wir" lesen)
fond erliden vnfer ören. Y. 18 den iemerlichen gottes zorn. Y. 19
iu fürchtet alles. Y. 20 kumpt. Y. 21 vnd wil. Y. 23 ieclicher.
Y. 25 „gewalt" fehlt. Y. 26 front er stereke do nit gilt. Y. 27 fchick
das v. 28 daz nützet dich für alles golt. Y. 29 den guten zelen. [Blatt 2.
Mone v. 31] der fünder müs von im fliehen. V. 32 vn in die helle
ziehen. Y. 33 fehlt „allen". Y. 34 Got geb vns ein feiig iar. Y. 35
Gregorius ein lerrer. Y. 36 merrer. Y. 37 wiffag. Y. 38 und 39
fehlt. Y. 40 ich sol üch künden den jüngsten tag. Y. 43 „fij" für
„fig". Y. 44 des vil befchehen. Y. 46 vor zitten vnd vor tagen.
Y. 47 „gar- fehlt. Y. 48 die uerfellen. der täte. Y. 49 uns nahet
schier. Y. 50 es stat uff urlaug. Y. 51 „riehen" statt „lüten". Y. 52
„arbeit" statt „erdbidem". V. 53 Ein bruder git den andern. Y. 54
befchehen die ding die gros fint. Y. 55 Der uater wirt rechten an.
Y. 57 das ist ein iomer vnd ift nit gut. Y. 58 an den mone. Y. 59
428 II. JELLINGHAXJS
fond ergone. V. 60 i 1 1 alles viL V. 61 fehlt V. 63 nahe by vns.
V. 65 zorni&rlieh sich erot V. 67 gezelen. V. 68 antlit flutet. V. 69
weit Aber fchfifet V. 71 und die funder noch vil mere. 7. 72 Got-
zorn. V. 73 „jemerlich" für „nötlicher". Vor v. 74 „Job fpri-
chetu. V. 7.") nie fan. V". 77 bis das für. V". 7s gestilt V*. 7!) und
er anderwerb wirt milt Vor v. 80 „Salomon: / Es spricht och her
Salomon. V. 80 als ir dik hon vernomen. V. 81 der gerecht. V. 84
leid und Per müs er gewinnen. V". 86 „unde" fehlt V". 87 Zu der
htm siten sunder über all. V. 88 zu der lincken tuffel one zal.
V. 88 „in" statt ..fr. Y. 90 Gtot kumpt er ab in kurtzer frist V. 91
dar uff sond ir alle sorgen. Y. 92 den obent und den morgen. Y. 94
fehlt „üch". Hinter v. 94 folgt: Jeronimus / Jeronimus ein lerer/ und
des globen ein merer / bin ich von der gottes wisheit / hin er schulet
durch die laut. Darauf Mone v. 95 ..hur fehlt V. 98 „erden" statt
rtrich". V. 99 „mir" statt „meiner". V. 100 nie nier us minen sünt-
lich orn. V. 103 „nun" fehlt Y. 104 Für gericht Y. 105 und e.
V. 107 es kummen. Y. 108 „das" statt „was". V. 109 — 10 Der tage
licher besunder / geschehen zeichen und wunder. Y. 111 .,In" statt
..an", „das" statt „es". Y. 112 „das" statt „als", gefagen.
Hinter v. 112 folgt: Der erste tag./ Y. 113 Mit dem ersten wil
ich an nahen. Hinter v. 115: vnd gar iemerlich erklingen / fie rinnent
nieme me üfer lant / fie ftellen lieh uff als ein want. / Der ander tag/
Y. 117 ..liehen- statt ..lieben". Y. 118 „fo" fehlt. Y. 119 „tioff" statt
..tief". V. 121 wo wie ein jemerlicher tag. Hinter v. 121: Der trit
_-./ Y. 124 ..ir" statt ..die". Y. 125 „müfen" statt „muftent". Blatt
b v. 128 fehlt „jämer". Y. 131 man ficht die waffer brinnen.
Hinter v. 133 Der funff'te tag/ Y. 135 fehlt „alle". V. 137 gros leid
_ winnt V". 138 wirt von plüte rot. Hinter v. 139 der sechte tag.
Y. 140 — 141 Dar nach an dem fechten tage/ bringet der weit ein
lieh fchlag V. 142 dar nider uallet Y. 143 es wart geftellet.
V. 144 Es uallet nider uff den hert. Y. 145 golt vnd Giber. Hinter
v. 145 Der fibende tag. Y. 147 ein stein an den anderen fchlaclit.
V*. 148 gefchrei von in got. Hintor v. 151 Der achten tag. Y. 152 —
53 Der achten tag verniement wol / gar grülicli wint bringen fol.
V. 154 der ert bidem kumpt. Y. 155 ift fo gevaft. Y. 156 „uff" statt
..zu". V. 157 owe der tod kumpt. Blatt 4 v. 158 nimde, gefton.
Y. 159 „berg" statt „buchel", ..nider- statt „under". Y. 161 „müsent"
itt ..valhnt". Y. 162 fo wirt die weit alle eben. Y. 163 We wie
bitter wirt das leben. Hinter v. 163 Der zehende tag. Y. 164 Der
zehende tag wirt bitterlich. V. 165 die zittern jemerlich. Y. 166 het-
DAS BPIBL Yo.M JÜNGSTEN GERICHTE 129
ten tieff. Y. 167 gont den. V. 168 ir keines, gefprechen kan noch
mag. Hinter v. 169 folgt Mone v. 17b" —181 Der eilffte tag. V. 176
Der eilfflfce. V. 178 „uff" statt „durch". V. 179 „türm" für „zorn ist".
Y. 180 Noch den leben. Y. 181 wartent all des endes. Darauf: der
zwölfte tag. V. 170 Der zwölfte tag ist gr&lich. V. 171 gebein erzö-
get Y. 172 „Ob" für „vor", „es" statt .,si". V. 174 Cehen daz. 7.175
An gantzen fröden werden fie las. Hinter v. 175: Der drizehende tag.
V. 182 Ane dem drizehendem tage. Y. 186 erftond. Y. 187 Vn«l alle
Gammen für gericht gon. Hinter v. 187: Der vierzehend tag. Y. 188
der vierzehent Y. 190 waffer und ertrich den brinnet Y. 191 fehlt
„denn". Y. 192 -93 vnd was do zwischen wirbot /von dorn für es bald
verdürbet. Hinter v. 193 Der funfizehende tag. Y. 194 Der funfzehende
tag das ist war. Y. 194 fehlt „och". Y. 196 ftond V. 199 rufet her mit
dem horn. Hinter v. 199: Der erste engel. Y. 201 „für" statt „ze".
Y. 202 fehlt. Y. 203 Wol uff gemeinlich man vnd wip. Y. 204 „niernan"
statt „nement". Y. 206 alle got gelat. Y. 207 „alle" statt „ein".
Y. 209 „fond" statt „müfent". Y. 210 „won" fehlt. Y. 211 „gefch..."
für „offen". V. 212 hüt alles an uch gerochen. Y. 214 vertöfen.
Y. 216 „grülichen" statt „grimen". Y. 217 domit er hüt. Y. 218 hart
ob allen böfen wichten. Y. 220 wil fie feien. Y. 221 „fi" fehlt.
V. 222 „von" fehlt, „sei" statt „mensch". Y. 223 Aber die guten
und die füfen. Y. 224 gütlichen. Y. 226 und ergetzen alle ir pin.
V. 227 „erden" statt „ertrich". Y. 228 die fint hüt gewert. Y. 229
hören liiinneMichen. Hinter 230: Der ander engel. Y. 231 Ich wil.
Y. 235 „hert" statt „hertenklich". Y. 236 fin fünd wil er im
zelen. Y. 237 vor aller der weit. Y. 239 wen im got fin fond ver-
wiffet. Y. 240 „alle" statt „menig". Y. 241 „da" fehlt. Y. 242 er
wol do mit. Y. 243 Wan was der sünder. Y. 246 nit gar vertriben.
V. 247 Was in der vinstri wirt verbracht. Y. 249 der don wol hat
gelept. Y. 252 wen got wil nieman borgen. Y. 254 „üch" für „uns".
Y. 256 „da" fehlt. Y. 257 fehlt. Y. 259 liden groffe not. Hinter
v. 259: Nun kumpt der trit engel: v. 261 wip, kind one zal. Y. 262
ein engel. Y. 263 „das" statt „des". Y. 265 wan Jefus Christus.
Y. 266 und wül an fehen fin wunden gros. Y. 266 und fin plüt das
van im flos. Y. 271 „denn" fehlt. Y. 272 Noch hüt wil ich ze ge-
richt sitzen. V. 273 müs von nöten fwitzen. Y. 275 Der fünder wirt
den gar unwert. Y. 278 — 79 Aber die muten und die guten / die
sich gern vor fanden hüten. Y. 280 zu im. Y. 286 wil sin nit. Y. 287
vindet, kein weren. Y. 289 fond gon. Hinter 289: Der vierd engel:
Y. 290 erfturben. V. 291 „ie" statt „nie". V. 292 die an dirre ftund.
430 H. JKLLTNGHATJS
V. 293 und och kint! 7.298 nun wol uff. ze gerichte balde. 7. 299
oder alt. V. 301 zeigen fin marter pin. Y. 302 cr&tz fo breit. V. 303
den hertten dot an loit V. 305 „wola fehlt V. 307 man alles sam-
mln plos. V. 308 Rinder hüt clagen. V. 309 fehlt „denn11, V. 310
frünt. pfennig verfahet do nit. Y. 311 Der Rinder wirt nach recht
rieht 7.312 zogen. V. 316 hin bald gen. V. 317 der uart. V. 318
Y. 319 vinde. Hinter v. 319 fehlt „Darnach spricht unser
Ihm Y. 321 vnd nach werck enpfahen Ion. V. 323 biten. V. 324
fehlt „fondtt. V. 325 fehlt „fond". V. 329 und das plut. V. 331 urteil
fiber iu-h. V. 333 „neha statt „fi". Y. 334 der tieffen helle. Hinter v. 335
fehlt: ..Nun spricht der vierd engel". V. 341 unrecht tun wil ich Qe
wellen. V. 342 — 43 fie fond hüt bede Ion enphan/dar nachfie gewereket
hon. Hinter v. 343 folgt: Got spricht zu den ufferwelten: Darauf
v. 344 Grond zu mir. Y. 346 — 47 ir fond hüt Ion enphan / und mit
mir frolich gon. V. 348 und bringet üch. Y. 352 fehlt „wol". Y. 355
trunkenheit hon ir verwafen. Y. 356 trachheit was uch gar fchwer.
7. 357 freffeiye was uch gar onmer. Y. 358 unküfehe. Y. 359 ume
flöhet üch der. Y. 360 uch gar lieb. V. 361 min gnad fich nie von
uch gefchied. V. 362 — 65 Frides netten ir gar dultenglich / ir übtens
üch gar trülich almufen gaben ir ze manger ftund / vaften minnet
fiwer mund. Y. 366 küfeh. Y. 367 das hon ich wal an üch erlefen.
V. 368 gros arbeit. Y. 369 hitz, froft, fchom, vil fchmoheit. V. 371
- arbeit und nie guten tag. Y. 374 — 75 des wil ich iueh ergetzen/
an minen tifch wil ich uch fetzen. Y. 376 trachten vil fond ir niefen.
V. 378 Uwer versmecht und eilend. Y. 379 „niemaii" statt „nemen".
7. 380 ..nieman" statt ..haben". Y. 381 das hümelrich gar fchone.
Y. 383 das ift gar lang in der ewiteit Hinter v. 383 fehlen die worte
von „denn" bis „spricht". Y. 386 ich gar wol. Y. 387 mich wol.
7.389 ir tranckten gern. Y. 392 Do was ich bloß one gewant. Y. 393
bedackt mich gern uwer. 7. 394 fehlt „dar zu". Y. 397 do gefahen
ir. Hinter v. 397: der gut menfeh fpricht: Y. 399 fpiften fo wol.
V. 400 dürften. 7.401 „fo" vor „ze". Y. 402 Her wa fahen. V. 403
do onfer. Y. 404 wort du plos one. Y. 405 „dacktent" statt „klei-
tent". 7.406 Oder wen wer du fiech in. Y.408 fehlt „oder". Y.409
komen zu dir. Dahinter: Got fprichet zu den guten: Y. 410 Ir follen
woL Y. 411 fehlt ..der" vor „was". Y. 415 fehlt. Y. 417 des will
ich. Y. 423 „fich" statt „üch". 7.424 zu üch unde die liebe. Y. 425
Heuar (?) by der fond ir fin. V. 428 defto. Y. 429 — 30 die find mit
uch an den hümel tantz / da fol werden uwer fröd gantz. Y. 432 im
der do hin. Y. 433 fehlt ..got". 7.435 „in" statt „uf". Y. 440 iemer
PAS SPIEL VOM JÜNGSTEN GERICHTE 431
one zil. V. 442 gros er hond ir erkoren. V.443 «las. fchfifet V. 111
„ßch" fehlt, tlüfet. X. 1 lö (l.s uirt fiwer hertz vol. V. 4-17 \\;m lip
und sei wil ich behalten. V*. 1 18 [einer jnng on alles alten. Dahin-
ter: Got fprichet zu iinfer firöwen: V. 15] fehlt „ichtf. V. 452 und
hilf anteil geben mir. Y. 453 allzit bereit. V. 454 Wan im fin ITmd.
X. 455 — 56 fehlt. V. 459 dich noch mich wolten sij nie geeren. Hin-
ter v. 460 felilen die worte von „denn" bis „spricht". V. 462 fehlt
„hüt". V. 463 — ^ ir fond billich by mir fitzen / an üch lit grolle
witze/ ir fond hut billich richtere fin / als ach gehies der mund min/
und helffen hüt ob difen richten recht als ob bÖfen wichten. V. 469
höhet V. 470 ..haben" statt „nemena. Y. 471 hon lieh. V. 472 fond
l'ie ondenan. Y. 473 ir fond alwend. V. 474 erhöhet fin ir zu der
fiten min.
Hinter v. 474 fehlen die worte „Unser — verdampnoten". Y. 177
helle für. Hinter v. 480 fehlen die worte von ..So — sprechent".
Y. 481 hastu uns. Y. 482 uns armen fünder leiden. Hinter v. 484:
Got fpricht zu den verdammten: V. 486 ir wolten nie geminnen mich.
V". 488 von mir fond ir kein gnod hon. Dahinter: Der verdamm »t Ant-
wort unferem herren: Y. 489 Sit du uns von dir haft verftofen. Y. 491
fo gib doch uns. Hinter v. 492: Unser her antwort ine: V. 493 min
plüt min fweis hon ir verfworn. Y. 494 do von ift hüt gros min zorn.
Hinter v. 496: Der verdampnot antwort: V. 498 in dinen, geleit.
Y. 499 du uns, lieber her, miltenklich / lig uns an ein ftat rüwenlich. /
Got antwort den fünder: Hinter v. 503: der unrecht fprichet: Y. 5<>ö
alle fröd hastu. Y. 506 mute zu uns. Y. 507 etwe. Hinter v. 507:
Unser her verfluchet die fünder: Y. 509 gros hüt Y. 510 fei und lip,
vertroft. Y 511 sol es werden. Hinter v. 511: Noch bit in der fün-
der. Y. 513 „liden" statt „haben". Y. 515 uns doch geb. V. 517
überfüret. Y. 519 So fond. Hinter v. 519 fehlen die worte von „da —
unmiltcheit". Y. 520 gewefen karg. Y. 521 kergi üch befchilt. V. 522
der barmhertzikeit. Y. 523 fehlt „uff ertrich". Y. 525 ir wolten mir
nie geben brot. Y. 527 tranckten. Y. 531 mich bedackt. Y. 532 —
33 fehlt. Y. 534 ich gar hart. Y. 537 üch min hümelrich. Hinter
v. 537: Der unrecht manet got aber: Y. 538 dich hungers vol. Y. 539
do wir dich nit fpiftent wol. Y. 540 fehlt „vaff. V. 541 wir nit.
Y. 542 — 43 folgt hinter v. 544 — 45. In v. 543 nit gern wüsten diu.
Y. 545 nie bedackt. Y. 546 — 47 fehlt. Hinter v. 547 fehlen die worte:
So — spricht. Y. 549 menfeh was ich. Y. 550 — 51 fehlt Y. 554
wolten hartenglich. V. 555 und nit almüfen gaben. Y. 556 das ir.
Y. 557 ir nieman den mir. Hinter v. 557: Got claget hert und uaft
432 H. JKLLTNGHAl>
ab den [ander. V. 560 Ich wiJ zelen. V. 561 uwer fei wirt niemer
rat V. 564 unl'ittikeit und frel'fikeit. V. 565 Icheiden. V. 567 uwer
kargi &ch befchilt V. 570 lüder. V. 573 geuangen vnd. V". 577 ver-
fchmahet vil und me. V. 579 zwifchen üoh was nit den (chelten.
V. 580 fehlt ..dik". V. 581 „kerge" statt „lfigtt. V. 582 vallche eide.
Y. 583 den armen daten. V. 5S5 YITener hin was ftwer gang. V. 586
ir Qwer fuben zit V. 587 Ywcr Ipot gieng allweg wit V. 588 lügen
vnd. V. 591 fehlt „und". V. 594 vcrlafen. V. 595 und v. 596 fehlt
\ . 597 verraiten. Y. 599 wie das, nieman. V. 60 i fehent. V. 602
fehlt „iett, „oder" statt „und". V. 603 vor mir. Y. 604 — 5 Uwer
. .>nwil der mus brechen / ich wil mich hüt min rechen. Y. 607 ich
rieh ab im vil ftrang. V. 610 Do fond. Y. 611 und niemerme fröd
_ v innen. Y. 612 Darzn fond ir haben leid. Y. 614 fieden. Y. 615
in heißen keffelen wallen. Y. 618 fehlt „uch". Y. 619 vch nieman
donnen gehelffen kan. Y. 621 ich wil uwer hüt verlognan. Hinter
v. 621: Nun büt got dem tuffel. Y. 625 do fond ir tüfel mit in fin.
V". 626 verdamneten alle. Y. 630 und für. Y. 631 dannen niemer
kein fei kiimpt. Dahinter: Do antwort der tuffel. V. 633 ich hon fin
och vil kum gebeit. V. 635 ervellen. Dahinter: vnd och den wilkum-
men geben / hertenglich fond fie mit mir leben. Y. 636 Trancken gal-
ten fol fin ir win. V. 637 fchlangen gifft ir fpis fin. Y. 640 bis 666
fehlt. Vor v. 667: Do fchriget der fünder. Y. 667 We acli vnde iemer
we das ich ie wart geborn. V. 669 fehlt „hüt". Y. 670 „gantzes"
statt ..wenges". Y. 673 fehlt „hüt". Y 674 in die. Y. 678 fehlt „fie-
den und-." V. 679 fehlt „ach". Y. 680 gefich ich. Y. 684 der tüfel
wil mich zu im ziehen. Y. 685 ach owe. Y. 686 hüt mus ich in.
V. 691 barmhertzikeit. Y. 692 was an. Y. 693 des. Y. 694 die fün-
der. Y. 697 muter worden din Y. 618 fünder nit gefin. Y. 700 vnd
nueli den were. Y. 702 „kein" statt „ein". Y. 704 ich mus im ver-
zihen. V". 706 Und in zu diner gnoden gewinnen. Y. 707 Ich man
dich. X. 708 genedig welleft. Y. 709 haft mir geben dinen gewalt.
Y. 710 über al fünder jung vnd alt. Y. 711 zu dir. V. 712 das ret
zu mir. V. 713 alfo. Y. 715 do din hend wurden durch ftochen.
V. 716 durch brochen. Y. 717 als ich das felber ane fach. Y. 720
det gar we. Y. 721 fehlt „gar". Y. 723 das dich. Y. 725 erkein.
V. 726 dich hüt bitten. Y. 727 „die" statt „der". Y. 728 welleft
genedig. V. 729 ir bet. V. 730 vnd fie lafeft frölich gon. Y. 731
alle bitten / mit gar demütigen fitten. Y. 732 lieber her ere Maria.
V. 733 du bift doch ir lieber fun. V. 734 fehlt. Hinter v. 733: Ynfer
her fpricht zu der müter. V. 735 „müter" statt „Maria". Y. 736 „ein"
DAS SPIEL VOM JÜNGSTEN GERICHTE 433
statt „min". V. 738 mannig Gel haftu erloft V. 739 dir gegeben min
gewalt. Y. 741 — 42 wan ei mit rüwen zu dir kumpt / das red zu dir
min munt / och det ich dir kirnt / das du in cnphahel't uff der ftund.
Y. 743 angeborn. V. 744 „fei" statt „funder", „werden" statt „fin".
Y. 745 „kumpt" statt „flucht", er ftirpt. V. 746 „von dir" statt „umb
dich". Y. 747 fehlt „aber nit". Y. 748 vnd dich noch mich nit wil
eren. Y. 749 den bis in aiuiilTt der dot. Y. 750 „iemer" statt „bil-
lich". Y. 751 fol. Y. 752 wan felber. Y. 753 dich noch die. Y. 754
„verloren" statt ..des tüfels". Y. 755 fus hon gedon dile lüt. Y. 751»
„felber irt" hinter „ich". Y. 758 noch von runden vor den dot Ion.
Y. 759 ich bi mit. Y. 700 bet. Y. 7(31 wer das alle neigen und och
du. Y. 762 bluten zeher. Y. 763 mochte üch nit. Y. 765 fehlt „wi-
der". Y. 766 erbarmt. Hinter v. 766: do gebut got den tüfteln. V. 770
fehlt „won". Y. 771 miner brediger lere. Y. 772 vnd an, vofer.
Y. 773 — 74 fehlt. Hinter v. 772: der tiiffel antwort ime. Y. 776 och
vi! kum erbeit. Y. 777 wan in forchten find wir gefin. Y. 779 uns
det als dich me. Y. 780 fü hat vns gar dick don vil wo. Y. 782 fo
kam fü bald vnd nam. Y. 784 das gewert du fie uff der uart. Y. 785
„fo" hinter „von". Y. 786 fehlt „och". Y. 788 vncl fü in die helle
zwingen. Y. 789 nun wol uff es ift ze fpot / wer ie gelept jung
oder alt. Dahinter Mone v. 642 und 644 — 48. Y. 642 ze fpot /
wer ie gelept jung oder alt. Dahinter Mone v. 642 und 644 — 49.
Y. 642 lautet: fü fond hüt Ion enphan. Y. 644 fie gefehen nimer fun
noch mon. Y. 645 Do ich leg die diener min. Y. 646 do mufen (ie
iemer haben pin. Y. 647 fehlt „billich". Hinter v, 649 folgt: vnd wo]
verdienent dinen zorn / wan ich in ried vnküfeheit / fo waren fie gar
wol bereit / hochfart tracheit vncl zorn. Dahinter Mone v. 650 — 64.
Y. 650 fie fönt billich. Y. 651 vnde freffam alle. Y. 652 „fie leiden" statt
„das sagen". Y. 654 „by mir, beliben" statt „ligen". Y. 656 „werden"
statt „wefen". Y. 657 „erklingen" statt „erglijen". Y. 658 „Ynd »ich, fin-
gen" statt „fchrijen". Y. 660 fehlt „hüt". Y. 661 Yon den hümel verftol'on
vnd gefcheiden. Y. 662 fehlt „ir", Juden criften. Y. 664 fehlt „won".
Darauf Mone v. 791. Es fehlt „gar". Y. 792 das hond wir alle vnfer tag
gefuchet. Y. 793 vns alles gut verfeit. Y. 794 Ymb vnfer vil grofe.
Y. 795 vmb vnfer vil grofe missetag. Y. 797 „mir" statt „uns". Y. 798
fin nlut fin fweis hon ich verfworn. Y. 800 fehlt. Y. 801 — 2 Mit
JL
iümer vil böfeni munde / verfworen hon ich gottes wunden. Y. 804
das es mich Merze. Y. 806 hüt hat. Y. 809 fchlüg in den mund.
Y. 810 do ich jung was vnd flucht ze manger ftund. Y. 811 nit recht
tun lerte. Y. 812 fehlt. Y. 813 knechte. Y. 814 got dut mir nach
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXTII. -^8
4r,4 II. .TELLINGTIAFv
minem recht Y. s1.~. ze vii vertrüg. V. 816 vnd fü mich nit gnüg
fchlüg. V. 817 „gar" hinter „ich". V. 818 Dar vmb bin ich hüt uaft
verfert V. 819 fehlt „hüta. V. 820 der tüffel mich in die hell fucht
Hinter 820 fehlt die Überschrift. V*. 821 Ewig wo] hin in der helle
und. V. 823 ist nun ze fpoto V. 824 nun diener hon dich ver-
raten. Dahinter: do fchriget der verdamnote. Y. 825 Ach owe vnd
iemer * V.828 mich elenden armen. Y. 829 „üppikeit" statt „hein-
gartentt. V. 831 die vil holen. V. 833 hüt min wip min kind. Ar. 835
Gent verfchlolten. V. 837 ach vnd owe. Y. 841 fluch fij och der ftund
feit. 7.842 ..den dota statt ..die marter". V. 844 des tufels. Folgt
v. 846. Darauf v. 845 ach vnd we miner funs finden. Y. 847 Zu der
hell müs ich hüt a-on. V. 848 mir nieman dennen gehelfen kan.
V. 850 dem tüfel. fliehen. Hinter v. 850 fehlt die Überschrift. V. 853
ilt hut befchehen. V". 854 an fach. Y. 857 nie geboren wart. Y. 858
was e. V. 859 nit geziehen. V. 861 alweg got fin gelich. Y. 862
dem vil schonen. Y. 863 als man faget die ding. Y. 864 der zevil
wil der wirf ze wening. Y. 865 Ym min hoffart grofen. Y. 866 ver-
ftofen. Y. 867 do war ich alfo gefchaffen. Y. 869 — 70 got hat fich
gegen üch gemutet l vnd hat üch nach im gebildet. Y. 871 — 72 Er
leid och den bittern dot / vnd vmb üch gar groffe not. Y. 874 vnd
do by gute lere. Y. 876 hat er zu üch gericht. Y. 877 fehlt „uns".
V. 878 das ich uch uelle in der helle grund. Y. 879 — 80 da fol uch
werden heis vnd kalde / gefeile min füren hin fie bald. Y. 881 — 82
fehlt, sowie die Überschrift von „denn" — „also". Y. 883 geftelen.
V. 885 fehlt. V. 886 niemer uff. Y. 887 „heiigen" statt „dieneren".
Die Überschrift hinter v. 887 fehlt. V. 889 fehlt „noch". Y. 890 den.
V. 891 keiner. Hinter v. 891: fie find in der helle grund / des trowet
in dick min götlicher mund. Y. 893 „wir" statt „ir". Y. 894 — 97
ir fond mit mir frölich fin / ich wil nun Ion den zorn min / ich wil
mit üch frolich leben / min hümelrich wil ich uch geben.
Nun folgt (hinter v. 897):
S. Peter fprichet
Her ich lob dich in groffer not
das ich leid an dem crütz den dot
ich hon gelitten gros liden
die hell fol ich dar vmb miden
S. Paulus fprichet
din lob fol ich billich halten vnd sagen
mir wart min hopt abgefchlagen
ich hon erlitten gros leid
n.\S SPIEL VOM JÜNGSTEN GERICHTE 435
dar vmb il't mir die bell vorfeit.
S. Johann der Ewengelift
Din lob her fol ich halten
küfch \ nd rein hal'tu mich gehalten
dar vmb il't mir liüt züch erbotten
in 61 ij wart ich gefotten.
S. Andreas fprichet
Her dich lobent hüt min hende
das ein krütz was min ende
ich was vor f. . . cht zu menger (rund
dar vmb mid ich hüt der helle grund.
S. Johannes baptift
Her du bift lobes von mir gewert
min hopt fchlüg ab ein ich wert
ich het alweg gottes armut
das ift hüt min er fei gut
S. Bartholomeus J.
Her in lobe du mich vind
ich ward gefchunden als ein rind
dar zu ward ich dick wiflos
des ift hüt min gewin alfo gros
S. Thomas fprichet
Von mir ift din lob gefprochen
min lip wart mit f werten durch ftochen
dar zu was ich fiechtages vol
her das kumpt mir alfo wol.
St. Jacob fprichet
Her min lop fij dir gefeit
min hirn ward gar wit zorfpreit
hungers vnd dürft leid ich gar vi]
das hümelrich ich dar vmb wil.
S. Philipus fprichet
Her ich wil dir hüt lop geben
ein krütz nam mir min leben
ich was gar j einerlich bewat
dar vmb min weg ze hümel gat.
S. Matheus
Her ich lobe dich hüt hie
ein grülich fper durch mich gieng
wachen vnd betten ich vil treib
28*
430 H. JELL1NGHATJS, DAS SPIEL VOM JÜNGSTEN GERICHTE
dar vmb ich vor der hell beleih
S. Simon
Her ich lobe dich an dirre ftund
das min Hb ward von fwerter wund
ich gelebt och uüe guten tag
dos ich mich hüt fröwen mag
Sant Mathis
Her du folt von mir gelobet fin
von wunden ftarb och der lip min
ich gieng ahveg bitten brod
dar vmb flucht mich der helle not.
Dahinter v. 898 liebe. Hinter v. 898: An miner fitten foltu fin/
zu miner Uten fetz dich feiner / vnd var frölich mit mir. Y. 899 Nim
zu dir die megde diu. Hinter v. 899 die sint edel vnd vin. V. 901
er \nd zucht V. 903 hon geeret uaft min blüt Y. 906 „uch" statt
„fitt. Dahinter: in das ewig hümelrich. Y. 906 „nun" hinter „ira.
V". 910 vnd wil uch alles leid ergetzen. Hinter v. 910:
Ich wil üch meng er hant tracht bringen
der heilig geist fol uch fingen
die engel fürent feiten fpil
uwer fröd wirt alfo vil
V. 911 — 12 nie den ie kein menfeh rnöcht erdencken / das mag üch
nieman erwencken. V. 913 „ fammet" hinter „alles". Y. 914 die vil
heiigen rrvnaltikeit. Y. 815 — 20 fehlt. Hinter v. 822:
Wol uff bald vnd gant mir nach
in kurtzer zit fo fint war da.
Explicit ultimum Judicium per nie
Johannem fchudin de gruningen.
SEGEBKRG. H. JELLIXGHATJS.
ZUE LTTTEKATUK DES LATEINISCHEN SCHAUSPIELS
DES 10. .1 AHRHUNDEBTS.
In dieser Zeitschrift XX, 97 fgg. habe ich über die dramensam-
lung berichtet, die 1547 aus der officin des gelehrten buchdruckers
Johannes Oporinns in Basel hervorgieng. Sämtliche dramen, deren
r meist Augsburg angehörten, waren dem Alten testamente ent-
nommen; ja ihre reihenfolge war sogar durch die chronologische anord-
nung der biblischen Stoffe bestirnt. Der im jähre 1541 zu Basel erschie-
HOLSTEIN. LAX. SCHAUSPIEL DES 1<3. JAHfiHUNDEBTS 437
ncnen Brylingerschen dramensamlung, welche 10 komödicn und tra-
gödien enthält, scheint ein anderer gesichtspunkt zugrunde zu liegen.
Die stoffe sind nämlich auch dem Neuen testament entnommen; ausser-
dem aber bietet die samlung dramen der bedeutendsten dramatiker des
ganzen Jahrhunderts, nämlich des Gnapheus Acolastus \ (U^ Macropedius
Hecastus, Andrisca und Bassarus, Bircks Susanna, dr± Crocus Joseph,
des Naogeorg Pammachius. Die genanten dramen erschienen sämtlich
in der zeit von 1529 — 1540 im druck und wurden überall, wo huma-
nistische ideen eingang gefunden hatten, mit begeisterung gelesen und
aufgeführt, nachdem man ihren dramatischen wert erkant hatte. Die
Vereinigung derselben zu einer samlung seheint daher durch das bedürf-
nis der gelehrten bildungsanstalten, in denen die genanten dramen den
Zöglingen zur lektüre vorgelegt wurden und nach beendetem Studium zur
auftührung gelangten, veranlasst zu sein. Diese dramen traten sogar an
stelle der antiken dramen; ja selbst Plautus und Terenz wurden von
dem lehrplane entfernt. Man weite einen neuen litteraturzweig schaf-
fen; der aus Italien herübergekommene ström der begeisterung erfasste
die gelehrten kreise und machte hervorragende talente zu freunden
des humanismus. So nur lässt sich die am ausgang des 15. und in
den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts zu tage tretende ausseror-
dentlich starke Produktivität auf dem gebiete des lateinischen dramas
erklären, und ich finde, dass dieser gesichtspunkt bei der beurteilung
des schuldramas bis jezt noch nicht die gebührende beachtung gefun-
den hat. Das neue schuldrama des 16. Jahrhunderts war bestirnt, das
drania der alten geradezu zu ersetzen; daher erklären sich auch die
vielen kommentare, mit denen einzelne dramen versehen wurden.
Reuchlins hochgeschäzte komödien wurden teilweise von ihm selbst,
sowie von Georg Siniler und Jakob Spiegel kommentiert; ebenso erschien
des Gnapheus Acolastus mit einem ausführlichen kommentar des Gabriel
Patreolus (Dupreau); ein beweis, dass man die neueren dramen ebenso
zu behandeln wünschte wie einen klassischen schriftsteiler. In der
ersten hälfte des 16. Jahrhunderts bis in die fünfziger jähre scheint
auch die forderung der lektüre und des eingehenden Studiums der
neuen dramen an Universitäten und schulen massgebend gewesen zu
sein, während die aufführungen derselben erst in der zweiten hälfte
des 16. Jahrhunderts besonders durch Sturms Vorgang in Strassburg
stehend wurden und einen bestandteil der akademischen erziehung bil-
deten.
1) Soeben von Bolte in der Samlung von neudrucken lateinischer litteratur-
denkmäler des XV. und XVI. Jahrhunderts herausgegeben.
438 HOLSTEIN
Wie früh der wert der hervorragendsten dramen jener zeit erkant
wurde und wie man bestrebt war. sie zu einem ganzen für den
brauch an den gelehrten bildungsanstalten zu vereinigen, beweist
eine dritte samlung von Lateinischen dramen. die zwar nicht wie die
Brylingersche und Oporinsche aus einer und derselben oflicin hervor-
u ist. aber doch den schein erweckt, als ob sie als eingeführtes
Schulbuch gedient habe. Dafür spricht das gleiche format sämtlicher
dramen (klein oetav). der einband in pergamenthülle mit schliesshaken;
endlich bürgen dafür die namen der Verfasser und das jähr der her-
ausgäbe ihrer dramen. Jedenfals vermag ich das mir vorliegende, der
stadtbibliothek zu Bremen gehörige exemplar nicht als einen der sonst
häutig vorkommenden mischbände anzusehen, wie sie für die biblin-
theken von bücherfreunden des 16. Jahrhunderts in masse hergestelt wur-
den. Vertreten sind nämlich folgende dramatiker mit ihren dramen:
1. Guilelmus Gnapheus: Acolastus, Antverpiae apud Michae-
lem Hillenium in Rapo, 1533.
2. Georgius Macropedius: 1) Asotus evangelicus, Gerardus
Hatardus excudebat anno 1537 mense Aprili. 2) Petriscus,
Busciducis apud Gerardum Hatardum. Anno 1536 mense Octo-
bri. 3) Rebelies et Aluta, Busciducis apud Gerardum Hatar-
dum. Anno 1535 Mense Xovembri.
3. Joannes Reuchlin: Comoediae duae, Scenica progymnas-
mata hoc est ludicra praeexercitamenta, et Sergius uel Capitis
caput Coloniae excudebat Joannes Gymnicus 1534.
4. Cornelius Crocus: Comoedia sacra, cui titulus Joseph. Ant-
uerpiae in aedibus Joan. Stelsii 1537. (Typis Joan. Graphei
anno 1537.)
5. Placentius Evangelista: 1) Susanna. Antverpiae apud
Michaelem Hillenium. 1534 Mense Maio. 2) Clericus eques
et Lucianus aulicus. Apud inclytam Brabantiae Antverpiam
excudebat in sua officina literaria Simon Cocus Antverpianus
anno 1535 Calendis Xovembribus.
Von diesen fünf dramatikern gehören vier unbedingt zu den
deutendsten der ganzen litteratur: voran Reuchlin, dann Gnapheus
und Macropedius, zulezt Crocus, von denen die drei lezten schon früh-
itig als mustergültig angesehen wurden, während Reuchlin an der
spitze der humanistischen dramatik steht. Von dem fünften, den die
litteraturgeschichte noch nicht kent, wird weiterhin die rede sein.
Die drucke entstanden in den jähren 1533 — 1537 und zwar in
drei Städten, nämlich Antwerpen, wo Michael Hillenius, Johann Stel-
LAT. SCHAUSPIEL DES 16. JAHRHUNDERTS 439
sius, Johann Grapheus und Simon Cocns als drncker bezw. Verleger
genant werden, sodann Köln, wo Johann Gymnich, und Herzogenbusch,
wo Gerard Hatardu* als drucker genant wird1.
Das von mir beschriebene ezemplai zeigt auf dem innendeckeJ
des pergam entband es die werte: hoc utitur libro ;i L541, vor diesen
werten jedoch eine rasur, die sieh jedenfals auf den namen des besitzers
bezieht. Die äussere titelschrift von der hand Goldasts lautet: IX Co-
moediae rariores Yariorum.
In Placentius Evangelista, d. i. Johannes Placentius, gewin-
nen wir einen neuen, bisher noch unbekanten Vertreter des lateinischen
dramas im 16. Jahrhundert, zugleich den ersten, der den Susannastoff
lateinisch dramatisierte; denn Bircks lateinische Susanna, die bisher
für die erste dramatisierung galt, erschien erst 1537. Von ihm wer-
den folgende dramen bekant gemacht:
1) SVSAN | ISTA PER PLA- | CENTIYM EYA.N | gellsten lusa. |
EYSEBII CANDIDI | Elegia, in uanam breuemque humanae
uitae gioriolam. ITEM Ode Sapphica eiufdem | Eufebij in mor-
tis re- cordationem. ITEM plausus luctificae Mortis, ad
modum Dialogi, extemporaliter | ab eodem Eusebio lufus. Anno.
1534. (Titeleinfassung). Am ende: ANTVERPIAE j Apud Mi-
chaelem Hillenium | M. D. XXXIIII. | Menfe Maio. 20 bl.
(Auf die Susanna kommen hiervon 14 bl.)2
2) CLERI | CYS EQVES, AY | THORE EYANGE | LISTA PLA-
UEN | TIO TRYDO- | NENSE DO | MINICA- | NO. (Titelein-
fassung.) 7 bl.
3) LYCIANYSiAYLICYS, CARMINE PHALEY | CIO CONSCRIP-
TYS. | Fabula oninium feftiuiffima in conuiuijs ex- | hibenda.
Authore Euangelifta Placentio Trudonense Poeta ingeniofiffimo.
Am ende: APYD INCLYTAM BRA | BANTLE AXTVER-
PIAM, EXCY- | DEBAT IN SYA OFFICINA | LITERARIA
SIMON CO- | CYS ANTYERPIANYS, | ANNO AB ORBE |
RFDEMPTO | M. D. XXXV. | CALENDIS NOYEMBRIBYS. j
1535. 9 bl. (Bl. 2 und 5 fehlen in dem Bremer exemplar.)
1) Die drucke der Macropediusschen dramen sind original drucke, ebenso der
des Joseph des Crocus, welche ausgäbe von GoedekelP, 134 nr. 7 nicht genant wird.
Der dort genante Kölner druck des Johann Gymnich ist sicherlich ein nachdruck.
Desgleichen sind die stücke des Placentius originaldrucke. Alle andern sind nach-
drucke.
2) Johannes Bolte hat noch in London und Oxford exemplare gefunden.
440 HOLSTEIN
Johannes Placentius (latinisiert aus Plaisant), geboren zu St.
Trend oder St Truyen in Belgien (daher Trudonensis oder Trudono-
politanus)1 am ende des L 5. Jahrhunderts, genoss den Unterricht der
Hieronymianer in Lüttich, studierte theologie in Löwen und trat in
den orden der predigermönche des klosters zu Mastrieht (ordinis s.
Dominica coenobii Traiectensis ad Mosam). Er starb um das jähr 1548-'.
Er entwickelte eine reiche Litterarische tätigkeit. Er verfasste Yitae
episcoporum Leodiensium (eine bischofegeschichte von Lattich) 3, einen
Catalogus omnium antistitum Tungurorum Traiectensium ac Leodiorum,
Chronicon a scriptoribus apostolorum ad annum 1408 (in reimen); auch
s »reibt man ihm zu: Antiquitates Tungrenses et Mosae Traiectenses,
Amplitude civitatis Leodiensis, De reliquiis Traiecti asservatis. Eine
quelle nent auch noch Pugna Porcorum per Placentium Porcium Poe-
tam. Lovan. 1546. und die oben angeführten Dialogi duo, prior Cleri-
cus Eques inscribitur, alter Lucianus Aulicus, Antv. 1535 4. Die
Susanna ist jedoch nirgends erwähnt.
Mit recht nent ihn de Jonghe „in prosa et carmine versatissi-
mustt, denn sowol das in prosa geschriebene lustspiel Clericus eques
als die beiden anderen in versen geschriebenen komödien zeigen den
Verfasser als einen gewanten und überaus geschickten lustspieldichter,
der den oben genanten dramatikern Reuchlin, Gnapheus, Macropedius
and Crocus angereiht zu werden verdient. Seine arbeiten ruhen auf
einem sorgfaltigen Studium der antiken Vorbilder; er versteht es welt-
liche stoffe wie ein echter lustspieldichter so zu dramatisieren , dass eine
lustige scene nach der andern die heiterkeit des pubiikums erregt. Ja
3t die Susanna, der doch ein biblischer stoff zu gründe liegt, ent-
behrt nicht gesunder kornik.
Den Clericus Eques widmete Placentius seinem Studienfreunde
Michael von Horion, schenk des bischofs Eberhard von Lüttich, grafen
von der Mark-Sedan. Er möge nicht glauben, sagt der Verfasser, dass er
mit dem orte auch seine gesinnung geändert habe, nam, ut tantillum
tibi eloquar. concinnitas iocorum et sales gemini non temperant sese quo
minus quos deamo nonnunquam aut verbis aut epigrammatis ludam.
1) Hier befand sich ein kloster, in welchem die Gesta ahbatum Tradonensium
arm. BS. X. 213—248) entstanden. Wattenbach, Deutschlands geschichts-
quellen II3. 106.
_ Swertras, Athenae Belgicae, Antv. 1628 s. 460; Valerius Andreae, Biblio-
theca Belgica, Lovan. 1643 -.540; Foppens, Bibliotheca Belgica, Brox. 1739, II, 711.
3) de Jonghe. Belgium Dominicanum. Brux. 171!». 3. 275.
■i) v. d. Aa, Wordenboek d N lerlanden 15, 344.
LAT. SCHAUSPIEL DES 16. JAHRHUNDERTS 441
Daher widme er, einst ein delictis, jezt ein eqnes, ihm den Clericus
eques, damit auch unter den ernsten beschäftigungen, die er habe, ihm
der heitere scherz lachen errege. Für den bischof habe er sacra argu-
menta vorbereitet und er bitte ihn, dafür zu sorgen, dass sich der
bischof ferner seiner erinnert Die widmung ist datiert aus Antwer-
pen, 13. Oktober 1534.
Die handlung ist in 3 aktc zerlegt Zuerst tritt der kleriker auf.
Er klagt darüber, dass die Studenten oft Unglück im Würfelspiel hätten.
dass die nemesis (Khamnusia) sie stiefmütterlich behandele. Die gelehr-
samkeit ist eine verächterin des reich tums; durch gottes fugung geschieht
es, dass die kleriker im winter frieren, im sommer not leiden; das
lehre der Vorgang der dichter sowol als der gelehrten. So rate auch
ihm die armut seine unglückliche läge zu offenbaren. Da sieht er ein«-
frau auf sich zukommen und beschliesst sie um ein almosen zu bitten.
Er komme eben aus Paris; dort habe er viele jähre studienhalber zu-
gebracht und das Studium habe viel gekostet (multis sumptibus et quod
ahmt oleo ac opera tempus illic redemi). Columbana die frau wundert
sich, dass ein so vornehmer herr sie um eine gäbe anspricht, und
erhält auf ihre frage, woher er käme, die antwort: ex Parrhisiis, aber
sie versteht: ex pratis Elyseis, d. i. aus dem paradiese, wohin die See-
len der abgeschiedenen wandern, und wünscht zu erfahren, ob ihr
erster mann Corococca, der vor etwa zwei jähren gestorben sei, dort in
demselben zustande umhergehe, in welchem er beerdigt sei. Erst nach
längerein kämpfe entschliesst sich der kleriker eine Täuschung zu bege-
hen; er gesteht, er habe ihren mann nackt einhergehen sehen und
zwar allein unter so vielen myriaden von menschen, nackt wie der
cyniker Diogenes. Darüber ist sie sehr unglücklich und bittet den
kleriker, nach dem paradiese zurückzukehren und ihrem manne ein
ziemlich kostbares, mit fuchspelz verbrämtes gewand nebst einer summe
geldes zu bringen. Auch möge er ihm sagen, dass sie gegenwärtig
an einen mann verheiratet sei, der sich oft betrinke und sie in
berauschtem zustande prügele, so dass sie recht zu beklagen sei, da
mit ihrem geliebten Corococca aller häuslicher friede gewichen wäre.
Der kleriker verspricht gegen eine geldentschädigung nach drei monaten
mit einer handschrift und einem briefe ihres verstorbenen mannes zu-
rückkehren zu wollen und entfernt sich. Columbella aber bedauert,
dass sie es zugelassen habe, dass ihr mann schon zwei jähre lang
unbekleidet im paradiese einhergehe und begibt sich zur beichte (Eo
recta ad Exomologesim), um mit hilfe des priesters von diesem gewis-
sensscrupel befreit zu werden.
442 HOLSTEIN
Der 2. akt spielt im hause der Columbana, Oenophilus, ihr ehe-
mann. kehrt stark bezecht von einem gelage in der nacht zurück und
weckt mir gepolter seine ehefrau (Quin audis meretrix? taste tuum
grandibo caput). Nun entwickelt sich eine überaus heitere scene. Das
weib ist zwar an seine trunkenheit gewöhnt, aber sie erinnert ihn
doch mit tapferer wehr an seine Völlerei. Schämst du dich nicht? Ich
bitte gott, dass dich der brantwein (vivnm vinum) der eingeweide
beraube und dein herz, die ädern und dein inneres entmanne, damit
du alle tage deines lebens wie ein lahmer schuster nolens volens zu
hause bleibst. Genug der worte, giftmischerin, sagt der ehemann,
wenn du nicht lieber prügel wilst. Bringe mir von meinen rücken
einen der bessern: denjenigen, den ich im vorigen monat aus eng-
lischem tueh mit fuchsfeilen und ganz seidener paspel anfertigen lie>-.
denn ich will zu einer hochzeit Ach ich unglückliche, so sagt die
trau für sich, inter saxum et sacrum haereo et quod vulgo ahmt,
lupum auribus teneo. Oenophilus: Quid murmuratrix lingua sibi vult?
Quid obgannit anicula? agedum expedi. adfer mihi vestem. Nun
_ st t sie alles ein. die pietas erga manes demortui coniugis habe sie
vermocht, den rock an einen kleriker zu geben. Was hast du mit
einem kleriker zu schaffen? Ich halte diese sorte von menschen für
rdächtig, quippe qui tanto ad vafritiem et dolum accliviores sunt,
quanto ingenii dexteritate praestantiores; polypi sunt: quicquid attige-
rint haud difficile tenent Er schilt den aberglauben und die dumheit
der frau. commentum futile narras, hisce in locis (in pratis elyseis)
qui semel fuerit, numquam regreditur. Insulsissima mulierum quas
sol videt, quid istuc aggressa es? Oenophilus beschliesst endlich auf
einem seiner behendesten pferde dem diebischen kleriker nachzusetzen
und ihm die beute wider zu entreissen.
akt. Oenophilus ist auf dem königswege (regia platea) so schnell
möglich vorwärts geeilt und ruft aus der ferne: Hat niemand (nae-
mon) »inen diebischen kleriker mit einem reisesack gesehen? Der kle-
riker hört den ruf: das werde ich ausbaden müssen (in nie haec faba
cudetur)1, sagt er. Da> ist der ehemann des weibes, dem ich das geld
und den rock listigerweise abgenommen habe. Was nun tun? Fliehe
ich, so werde ich bald eingeholt, denn der reifer ist schneller zuwege
als ich: wenn ich aber bleibe, so werde ich durchgeprügelt und kaum
halblebend davonkommen. Adesto mihi fraudum architecte, magne
Ifercuri, et ingenioso huic furto meo alipes succurr<\ Da bemerkt er
1) Terent. Euij. 2, 3, 89.
LAT. SCHAUSPIEL DES 16. JAHRHUNDERTS 443
einen landmann, der sich zum mittagessen im grase gelagert hat; er
zieht schnell dessen rock an. ergreift dessen hacke und ist wie ein
ackersmann geschäftig bei der arbeit Da komt Oenophilus heran-
gesprengt und stelt die obige frage an ihn. Ja, sagt der kleriker. ich
sah einen jungen mann, der. sobald er dich und das pferdegetrappel
hörte, sofort in den nahen wald floh. Aber der wald ist dicht, das
dickicht lässt dich mit dem pferde nicht durch, darum Lass mir das
pferd zur hut und gehe zu fuss. Ich weiss, wie diebe geartet sind;
er wird dir alles zurückgeben; nur behandele ihn nicht zu hart, denn
du kaust alles ohne blutvergiessen wider gut machen. Das ist ein
guter rat, sagt Oenophilus; ich werde ihn befolgen. Aber du seist mir
büssen, Clerice fureifer. Du wirst es erfahren, wie unbillig es ist die
torheit eines weibes zu misbrauchen. Während Oenophilus sich in den
nahen wald begibt, macht sich jener zum berittenen kleriker und ver-
schwindet mit dem gestohlenen gepäck und dem pferde. Abeo reeta
Parrhisium versus et artem hanc conatumque clericalem commilitoni-
bus narrabo factoque hoc immortalis paene evadam. Jezt erscheint der
Dauer Coridon. Nachdem er sich leiblich gestärkt hat, will er sieh
wider an die arbeit machen. Er sucht sich seine harte arbeit mit
einem liede zu versüssen: Cantabat vaeuus coram latrone viator1 und
0 Coridon, Coridon, quae te dementia cepit?2 Da komt Oenophilus,
der den dieb vergeblich gesucht hat, zurück und droht den bauer zu
ermorden, der ihn listigerweise in den wald gelockt hat, in dem er
keine spur des diebes gefunden hat. Perdat te fulmine magnus Jup-
piter, vocem atque ora trisulcum tonitru obtundat. Der gesang des
nichts ahnenden landmannes reizt ihn zu erhöhter wut: Pergin bilem
mihi movere, scelus? Jam te perimam. Die Schmähungen, die beschul-
digung des diebstahls veranlasst den bauer, der den Oenophilus noch
nie gesehen hat und seine Unschuld widerholt beteuert, diesen beim
ortsschulzen zu verklagen. Sie begeben sich zum prätor Hannibal.
Xach anhörung des klagenden Oenophilus fragt dieser nach der färbe
des in verlust geratenen pferdes und als dies jener beschrieben, sagt
er, dass er soeben dem auf jenem pferde sitzenden kleriker begegnet
sei, der nach Gallien zu seinen weg genommen habe. Nun erkent
Oenophilus, dass er überlistet ist; er bittet den ortsschulzen und den
bauer, über die Sache zu schweigen, zahlt einen geldbetrag, fordert sie
auf mit ihm in die nächste schenke zu gehen und schliesst mit folgen-
der mahnung: Spectatores, hoc argumento imposturas clericorum discite,
1) Nach Juvenal. 10, 22. 2) Verg. Ecl. 2, 69.
444 HOLSTEIN
quorum nulluni aequo diligens institutum est, quam ut quo iure qua-
que iniuria aostro incommodo nobis imponant. Venit ille ut aiebat e
pratis elys 3, at recta ad patibulum eminens. Vos valete et plaudite.
Wie der Clericus cques, so zeugt auch das zweite lustspiel des
Placentius, Lucianus aulicus, von einem glänzenden humor des ver-
fass Nach dem titel soll es bei gastmälern aufgeführt werden. Es
erinnert dies an die sitte der geistliehkeit, ihre gastmäler durch auf-
fuhrung von komödien zu beleben. Man denke an die gastmäler der
bischöfe, die auf dem concile zu Kostnitz versammelt waren. Nun
lebte Placentius im Dominikanerkloster zu Mastricht, dessen mönche
dem heiteren lebensgenusse gewiss nicht alzusehr entsagten. Placen-
tius widmet* • sein drama dem domkustos zu Carlsburg in Ungarn.
Nicolaus Olaus, der zugleich geheimschreiber der königin Marie war
(Nicoiao Olao, Albensis ecclesiae regni Hungariae Custodi)1. Jakob
Arrhusius, ein begeisterter freund des humanismus, mit dem Placentius
schon seit fünf jähren befreundet war, hatte ihm bei einem besuche
im sommer 1534 mitgeteilt, dass sein patron ein argumentum littera-
rium e musaeo Placentiano wünsche. Da nun Nicol. Olaus, wie er
wisse, am ungarischen hofe als beschiitzer der schönen Wissenschaften
allein stehe (regiae aulae unicum columen ac ramm quoddam monile —
nam illic studia ac mores philosophicos solus tueris — ), so wolle er
ihm die vorliegende komödie als ein zeichen seiner aufrichtigen hoch-
achtung und ergebenheit widmen in der hofnung, dass er noch andere
arbeiten, die er noch in grosser zahl vorrätig habe (lucubrationes alias,
quas plurimas apud nie retineo). ihm widmen dürfe. Yale Antouerpiae,
quarto Idus Octobres Anno salutis 1534.
Das drama ist im phaleucischen metrum geschrieben. Der ver-
sus phaleucius besteht aus einer logaödischen pentapodie mit dem dak-
tylus an zweiter stelle (_:_ j jl^^ I ^w | _ü^ j j.^). Auch das Carmen
temporarium Balduini Reuelii, Pensionarii Hyperii, das sich auf dem
tit'-lblatt findet, ist in diesem versmass verfasst. Es spricht von den
beiden komödien des Placentius.
Aulam Rusticus iste Lucianus
Xon multo tibi meliore sanno
Aspergit vetus ut solebat aethra,
Porro Clericus haud partim diserte
Imposturam agit. Advolate docti,
1) Alba Carolina = Carlstrarg, ehemals "Weissen bürg, am Maros, einst haunt-
stadt Siebenbürgen
LAT. SCHAUSPIEL DES 13. JAHRHUNDERTS 445
Et docti ingenium undevis poetac
Adniiremini, amate diligenter.
Den inhalt gibt der Verfasser selbst an:
Chremes Rusticus anlice docetur,
Sed se ut Stimphalionis arte sensit
Lusnm, praeparat affabre instrumentum,
Hunc et quo capit huins et maritain,
Sic cum coniuge Rustice docetur.
Es handelt sich in diesem stücke um einen scherz, der mit einem
stelmacher (carpentarius) vom lande gemacht wird; aber der gefopte
rächt sich an dem, der ihn gefopt hat, indem er ihn mit seiner trau,
die unschuldig mit ihrem manne leiden muss, in einem von ihm selbst
verfertigten fangeisen festhält. Chremes, so heisst der stelmacher vom
lande, begibt sich in die stadt und wird hier mit einem koch Stim-
phalion bekant, der ihn mit den sitten des hofes und des hoflebens
vertraut machen will. Er heisse Chremes Lucianus, welchen namen
er colendo lucos verdient habe. Lucianus apte, sagt Stimphalion,
certum ludibrium omnium cocorum,
ut doctus fuit ille Lucianus
risor maximus omnium deorum.
Nun solle aus ihm ein Lucianus aulicus werden. Dazu müsse er aber
alle seine lehren genau befolgen und alles gutheissen, was er tun
und sagen werde. Denn die höflinge pflegen jedem beizustimmen, und
aus einem Lucianus werde ein Gnato Terentianus. Aulicum est hodie
videri et esse. Als nun Chremes die empfangenen lehren praktisch
anwenden soll, muss er es erleben, class Stimphalions frau Mannella
gar übel behandelt wird und dass er selbst bei tische bedeckten baup-
tes sitzen und für alle ihm gereichten speisen danken muss, ohne selbst
zulangen zu dürfen.
Im nächsten akte volzieht Chremes die räche an Stimphalion und
seinem weibe. Er spricht zunächst von seiner erfindung; da komt das
verschmizte ehepaar; sie wollen einer einladung des bürgermeisters Mi-
das zum mittagsmahl folgen. Chremes bittet sie, ihm zu gestatten,
dass er prüft, ob die löcher seines halseisens für ihren hals passen.
Sie lassen es zu und werden nun gefangen. Chremes lehrt sie dann,
wie man auf dem lande lebt. Die so gefangenen schreien und heulen,
die frau beschuldigt den mami des Unrechts, das er an Chremes began-
gen usw. Endlich komt auch der bürgermeister, auf dessen bitten sie
von der quäl befreit werden. Darauf begeben sich alle zur tafel des
bürgermeisters.
446 HOLSTEIN'
Die Susan na des Placentius endlich bildet ein sehr wertvolles
glied in der reihe der Susannadranien. Ein an den leser gerichtetes epi-
srramm belehr uns über die tendenz : wie Crocus eitert der dichter gegen
-
die aufführung der römischen komödien und sucht sie durch neuere,
selbsteeschaffene zu ersetzen. Er weicht aber darin von Crocus' ansieht
ab, das- er selbst auch weltliche Stoffe dramatisch bearbeitet und sich
nicht auf biblische beschränkt hat. In dieser beziehung stelt er sich
neben Gnapheus und Maeropedius, während Sixt Birck sich ausschliess-
lich mir biblischen Stoffen beschäftigt und sogar gegen die Vertreter der
entgegengesezten richtung polemisiert1. Das erwähnte epigramma ad
lectorem lautet:
Quid iuuat heus iuuenes ueteris monumenta Terenti
Aut Plauti aut Neui uoluere saepe manu.
Et speetatori uanas diuendere nugas,
In quibus instruitur desidiosus amor?
Quin potius placeant diuina poemata nostri
Euangelistae , qui canit ore cato.
Hie bene Susannam festiuo carmine lusit
Quamque senes turpis commaculavit amor.
Annis sub teneris diuinas dicere praestat
Historias, ueterum quam recitare leues,
Nam quod pereipiunt iuuenes aetate recenti,
Firmius inhaeret nee cito deficiet.
Das in fünf akte zerlegte drama kenzeichnet den Verfasser nicht
nur als einen klassisch gebildeten dichter, sondern auch als einen sehr
geschickten dramatiker. Der scenische aufbau des dramas ist im gan-
zen korrekt. Der erste akt bietet eine scharfe Charakteristik der beiden
alten (Crito advocatus, dem Phormio des Terenz entlehnt, und Chri-
sales iudex); der zweite bereitet den Überfall im bade (3. akt) vor, der
vierte behandelt die Verurteilung der Susanna, der fünfte die der bei-
den alten und die befreiung der Susanna. Die darstellung ist knapp
und abgerundet. Das drama selbst ein kleines kabinetstück, das Bircks,
Frischlins und Schonäus' leistung in den tiefsten schatten stelt.
Der rechtsgelehrte Crito begint mit einer Verwünschung der mäd-
chen, die sich der greise ebensowenig erbarmen, als wenn diese zu
leben aufgehört hätten oder als wenn sie überhaupt nicht mehr fähig
wären zu lieben. Sein diener Petulius nennt die mädchen, die so
1) Vgl. Pilger, Die dramati sierangen der Susanna im 16. Jahrhundert, bd. XI,
169. 170 dieser Zeitschrift.
LAT. SCHAUFTIEL DER IG. JAHRHUNDERTS 447
bandeln, klug, denn sie belasten sich nicht gern mit bejahrten pferden
und kleiden sich an testtagen nicht mit abgenüzten gewändern. Auch
sind die greise veränderlichen sinnes, momento euanidi sapientia, inge-
nio irritabiles. Dieses urteil versezt den Crito in solche wut, dass er
zwei lorarii herbeiruft und beauftragt, den frechen diener ins gefängnis
zu werfen. Diesem aber gelingt es den zorn des herrn dadurch abzu-
wenden, dass er ihm den besuch einer begehrenswerten dirne, die sich
nur durch ihn werde überreden lassen, in aussieht stelt. Homo fru-
gi es, sagt Crito, pulchreque de me meritus, quo non optarem conduci-
biliorem. — Die zweite scene zeigt den buhlerischen Crito als Wider-
sacher des richters Chrisalus. Als ihm dessen diener Hislio erzählt,
dass er ein rechtsbeistand suchendes jüdisches mädchen von Avunder-
barer Schönheit an seinen herrn gewiesen habe, erwacht in Crito lei-
denschaftliche eifersucht; er zürnt dem Hislio, dass er jenes mädchen
nicht ihm selbst zugewiesen habe. Das sei die pflicht des Petulus,
erwidert Hislio. Indem er beide diener verwünscht, beschliesst er sich
zu Chrisalus zu begeben, um zu sehen, wie weit er mit der scitula
virgo gekommen ist. In der 3. scene offenbart Hislio dem ihm befreun-
deten Petulus, dass sein herr von derselben beschaffenheit (eiusdem
farinae)1 sei. INarn lippit, titubat, Marcet totus: at at metuo, quorsum
euadat virguneula. — Erzürnt, dass ihm die Jüdin entgangen ist, sint
Crito auf räche.
Non irascar isthic Chrisalo? solus potitus est
Cupitis amplexibus, uirginem sine teste uitiauit.
Ybi obiurgaui hominem, ait multa quidem
Multis argumentis me idem fere domi nuper
Patrasse, idque manifestius quam quod inficier.
Als ihm aber Petulus meldet, dass die bewusste dirne ihn erwarte,
vergisst er alles ihm zugefügte unrecht. In der lezten scene des ersten
aktes treffen nun die beiden alten zusammen. Beide weifen sich ihr
unzüchtiges treiben vor, durch das sie das ansehen ihres hohen Stan-
des schädigen. Besonders heftig zeigt sich Crito: jener sei avarus,
luxu perditus, inaestuosus, sacrilegus. Chrisalus rät zur Versöhnung,
aber Crito spielt hartnäckig den beleidigten. Während sie noch spre-
chen, komt Joachim mit seiner gattin Susanna. Nach herzlicher gegen-
seitiger begrüssung scheut sich Crito nicht, den beiden vorzulügen, er
und Chrisalus hätten eben in eifrigem gespräche mit einander beraten,
wie die processe zum besten des Staates geführt werden könten. Darauf
1) Pers. 5, 115 Cum fueris nostrae paulo ante farinae.
44^ HOLSTEIN
werden beide auf den wünsch der Susanna zum frühstück eingeladen.
Kaum ist die einladung des Joachim erfolgt, so äussert Crito für sich:
Poemina est. ira me Dii bene ament, digna
Oui nunquam aliquid negetur.
Act. II. Die beiden alten sind der einladung gefolgt und geste-
hen sich gegenseitig, dass sie beide in Susanna verliebt sind. 0 Su-
ona, quam magnifice experior oculos tnos uere esse magnetes, ruft
Chrisalus,
Kadern mihi iamque uertiginem attulit, adeo
Me indomitus decoquit ignis, abdita
Penetralia furor (heu nimium insolens) obtinet.
Aber doch ist er zaghaft, er ist eben noch nicht so verbuhlt als Crito;
er furchtet von der ehrenhaften frau mit seinen antragen zurückgewie-
zu werden. Sei nicht töricht, so ermutigt ihn Crito,
An tu nihil iam potes, qui saepe sphingem
Kuicisti dolis?
Crito ist auch derjenige, der den Vorschlag macht, Susanna am folgen-
den tage im garten beim baden zu überfallen. Auch er ergeht sich in
lobpreisungen der Schönheit der Susanna. Es folgt dann noch ein
gespräch zwischen Susanna und ihren beiden dienerinnen Maura und
Li via. Beide werden von der herein ermahnt, hochmut zu meiden und
nicht immer an heiraten zu denken.
0 si noueritis, quam longe alia res est atque existimatis
Connubi, certe studio uehementiori contenderetis
In innocentiam illam sempiternam.
Act III. Susanna erscheint im garten, um zu baden. Sie lässt
sich baisam und seife bringen und befiehlt die türen sorgfältig zu
schliessen. Crito redet sie an:
Ades Citheraea Venus, faue furtiuae
Vuluptatis pater, magne Juppiter.
Sus. Me miseram, quid turbae?
Cr. Ingere te quantum potes. Sus. Ah perii —
Chr. Euge bellissima foemina:
Nihil te pudeat, nos seorsum cupiditate omni
Excipere. Sus. 0 scelera. Cr. Haud admodum
Pensa inntile oostrum senium. Nam delicatiusculis
Amplexibus hucusque uegeti sumus: strenue
Litauimus hactenus in palaestra Veneris.
Vergeblich sucht Susanna die frechen alten auf ihr schamloses begin-
nen hinzuweisen. Sie erinnert sie an die wol taten, mit denen sie die-
LAT. SCHAUSPIEL DES IG. JAHRHUNDERTS 449
selben überhäuft, und erklärt standhaft, dass sie niemals ihrer Unver-
schämtheit Vorschub lci>t<-n werde So werden wir dich des ekebruchs
anklagen, sagt Crito. Er ruft die nachbarn herbei. Er bemitleidet
nicht die sittenreine Susanna, sondern ihren gemahl und ihren vater
Helchias. deren geachteten aamen jene besudelt habe. Sehr wirkungs-
voll ist das gebet der Susanna, mit dem der 3. act schliesst.
Nbsti me quam procul abesse ab bis mnocentiae deus
Sceleribus, quae mihi pertinaciter presbyteri impingunt,
Quandoquidem et mecum periculum exhorruerim
Et una eademque constantia obstiterim uiolentiis,
Neque ob id tarnen aliquid modestiore- -mit,
Excogitant noua, inusitata prouulgant,
Adeo ut rumoribus adulterii mei domus
Cognatio iugiter intabescat tota. In te
Mihi spes est omnis, excute potenter
Bolum hunc e faueibus beluaium.
Der gerichtsscene des 4. actes geht eine Unterredung zwischen
Joachim und Helchias voraus, die beide ihrem schmerze über das plötz-
lich eingebrochene schwere Verhängnis beredten ausdruck verleihen.
Die gerichtsscene selbst hat nichts bemerkenswertes, als dass die von
den beiden richtern herzugerufenen henker den gehorsam verweigern,
da sie mit dieser edlen frau nichts zu schaffen hätten: Nihil nobis
commune est cum tarn ingenua. Cr. Cessatis ire funesti? Abite iam
nunc, dictum satis. Ehe die richter ihre anklage beginnen, bittet Su-
sanna die umstehenden, sich der trähnen zu enthalten, denn gott werde
ihr loos zum guten wenden. Noch einmal fleht sie gott um beistand an :
Nunc nunc ades deploratae feminae,
Secl speranti in te, deus optimus maximus, rugentium
Horum leonum saeuitiam male uerte.
Nach der Verurteilung spricht sie wider ein gebet:
Deus aeterne abstrusorum perscrutator,
Yide precor, quae est audacia. Iamdudum morior
Omnium expers, quae isti maliciose congesserunt in me.
Von grosser Sicherheit zeugt das auftreten des propheten Daniel,
der übrigens in abweichung von der biblischen erzählung nicht als
knabe gedacht wird. Auffallen muss nur, dass der dichter dem verhör
der beiden richter, die der verläumdung und des betrugs angeklagt
werden, einen besonderen act zuweist. Auf die frage, unter welchem
bäume der ehebruch volzogen sei, antwortet Crito zuerst nichts; nur
für sich spricht er die worte: Peru miser: utinam eadem mecum
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIII. 29
HOLSTEIN, I.AT. SCHAUSPIEL DES L6, JAHRHUNDERTS
defmiat comples ! Chrisalus sucht sich ebenfals aus der schlinge zu
ziehen:
Quasi iiero Ld nesciam? sub ea oimirum
Quam designauit Crito.
Der erste gibt dann auf erneute frage diese auskunft: sub cino, der
zweite: sub pino1.
DanieJ schliesst die Verhandlung: Comperta est coniuratio; perdite,
ut aequura est, utrumque, carnifices! Mit einem kurzen dankgebet der
Susanna zu gott und mit glückwünschen des Helchias endet die komö-
die selbst. Die henker fügen nur noch hinzu, dass die beiden alten
extra castella suis locis bestraft werden sollen und nehmen abschied
von den Zuschauern:
Spectatores boni. nihil est quod expectetis.
Bene uobis sit cum Susanna: congratulemini
Inuocentiae. Valete et plaudite.
\Ton di^n der komödie nach dem titelblatt angefügten dichterischen
Leistungen des Eusebius Candidus ist nur die dritte bemerkenswert. Es
ist eine art versifizierten totensanges unter dem titel: Plausus luctificae
mortis. Es treten die Vertreter aller stände auf: der kaiser, der römi-
sche könig, der papst, der cardinal, der bischof usw. Sehr beissend
irden pastor und abbas charakterisiert.
En parochus quoque pastor ego, mihi dulce Falernum
Notius aede sacra: scortum mihi charius ipsa
Est animae cura populi. — Mors te nianet ergo, sezt der
philosophus hinzu.
Abbas. En abbas uenio, Yeneris quoque uentris amicus.
enobii rara est mihi cura, frequentier aula
Magnorum heroum. — Chorea saltabis eadem.
Der Scabinus sagt wahrheitsgetreu:
K äcabinus ego, scabo bursas, prorogo causas,
natorque vocor, uulgus me poplite curuo
Muneribusque datis ueneratur fronte reteeta.
Nil mortem meditor, loculos quando impleo nummis
Et dito haeredes nummis, vi, fraude reeeptis.
iu-titiam nummis pro sanguine, munere uendo.
1) Vgl. Pilger in dieser Zeitschrift XI. s. 154 anm. 1, wo bemerkt wird, da
die ii - isannadichter auf eine nachahmung des biblischen textes o%Zvoq —
nvog verzichtet haben. I'lacentius hat das Wortspiel des Urtextes sehr sinnig nach-
iunt. Ähnlich Birck: schinns — pinus.
R. BFBENGER, ZU GOETHES PAUST 451
Quod rectum est curuo, quod curuum est munere rectum
Efficio, per me prorsus staut oinnia iura.
— Nou poteris dura«' mortis transire sagittis.
Endlich fähren wir noch den satz <U'> Schulmeisters (Ludimagister)
an, der auch noch heute seine volle geltung hat:
En ego peruigili cura externoqüe labore
Excolui iuuenum ingenia et praecepta Rlineruae
Tradens consenui cathedraeque pigel sine fructu.
Quid dabitur fruetus, tanti quae dona Laboris?
Oinnia mors aequans, uitae ultima meta laboris.
WILHELMSHAVEN. II. HOLSTEIN.
ZU GOETHES FAUST.
Erläuternde bemerknngen im anschmss an Schröers erklärende ausgäbe, 2. «auf Li
Prolog v. 48. gleich kann hier nur die bedeutung „immer in
gleicher weise" haben. Obwol die cicade versucht sich in die Luft zu
schwingen, f'ält sie doch immer wider zurück und singt wider wie
vorher ihr liedchen — im grase liegend.
Prolog 68.
Weiss doch der Gärtner, wenn das Bäumehen grünt,
Boss Bliith' und Frucht die käu ff gen Jahn vieren.
Auch in der 2. aufläge hält Schröer an der bedeutung von grü-
nen als „wachsen" fest, die sich bei Goethe nicht belegen lässt. Denn
auch hier hindert nichts es als das jährliche grünen im frühjahre zu
erklären, vgl. 1334 Bäume die sich täglich neu begrü/nen. Wahrschein-
lich schwebte Goethe die stelle Ev. Luc. 21, 29 vor: „Sehet an den
Feigenbaum und alle bäume. Wenn sie jezt ausschlagen, so
sehet ihr es an ihnen und merket, dass jezt der sommer
nahe ist.u
Erster teil.
130. Bu hast mich mächtig angezogen.
An meine)' Sphäre lang gesogen . .
Auch in der zweiten aufläge widerholt Schröer die erklärung:
„An der Sphäre des erdgeistes, der erde hat Faust ge<<>'j;<'n, eifrig nah-
rung des geistes, der erkentnis gesucht." Schon in den akademischen
blättern von 0. Sievers bemerkte ich, dass nicht die erde, sondern das
geisterreich die Sphäre dos erdgeistes sei Eigentümlich ist freilich der
29
452 sr RENGER
gebrauch vod „saugen an etwas.- II, 4627 gebraucht Goethe sog
ich an = nahm ich in mich auf:
Awf und Brust ihr zugewendet
Sog ich an den milden Glanz.
700. Ich habi selbst den Oift an Tausende gegeben.
Es ist nicht richtig, dass der Gift hier für dosis, gäbe eines
heilmitti - steh Es bedeutet vielmehr stets ein tütlich wirken-
- mittel. So steht es auch bei Schiller. Kabale und Liebe 5, 7
s V igand 1. 693). In der bedeutung „gäbe" ist gift auch bei Goethe
fem., vgl. II. 6314.
lo.~>7. Wu ich bekam . bin ich kriecht.
I -h habe über die stelle schon in den Akad. bl. s. 717 gehandelt
und kann Schröers erklärung auch jezt noch nicht billigen. Wie steht
hier temporal für so wie oder in dem äugen blicke wo. Ich ver-
weise nochmals auf Weigands Wörterbuch der deutschen synonymen
nr. 429 und für Goethe auf Faust II, 6918. Beharren heisst „in
demselben zustand verbleiben."
2310. Damit ihr seht, dass ich rarer Pein
Will forderlich und dienstlich sein.
Dienstlich in der bedeutung „dienstbereit" war dem 18. Jahrhundert
nicht mehr geläufig. Es gilt also auch für unsere stelle die bemer-
kung im Deutschen würterbuehe II, 1129: „Frisch und Steinbach führen
dienstlich in dieser bedeutung nicht mehr an; bei Hippel 12, 23 der
weit förderlich und dienstlich sein ist aus Luthers katechismus
genommen."
_'Ö14. Geht da stracks in die Welt hinein
Cid lässt midi auf dem Stroh allein.
..Auf dem stroh" d. h. als Wöchnerin, denen man früher srroh unter-
Daher engl, a lady in the straw „eine Wöchnerin", to by
in the straw ..in wochen sein"; vgl. Lieb recht, Zur Volkskunde s. 492.
-7. 0 heiVger Mann! Da wärt ihr's nun!
- iiröer erklärt: In diesem falle (da) wärt ir's nun, nämlich ein
heiPger mann. Ich erinnere an den gebrauch von: Er ist es! d. h.
bildet sich ein etwas zu sein." Ähnlich II. 6000 Ich war nun
uns d. h. ..ich war nun ein grosser henv
2821. handeln = verhandeln, vgl. Iph. 480:
Wusst 'ah nicht,
da>.< ich mit < i,, im Weibe handeln ging?
3098. Kr fall davon dem II',:. so gross es ist,
Und ni, in du ganx m dem Gefühle selig bist,
ZU GOETHES FAUST 453
Nenn' es dann wie du willst,
Nenn's Glück! Eerxl Liebe! Gott!
Zu v. 3101 muss man Franz Kern, Drei Charakterbilder aus
Goethes Faust s. 81 beistimmen, wenn er bemerkt: „Es ist gewiss selt-
sam, dass man das herz erfüllen soll mit etwas, was wider als herz
bezeichnet wird. Der subjektive Charakter dieses pantheismus ist ja
schon deutlich genug durch glück und liebe ausgeprägt!" Ech war
früher geneigt „herz" hier als schmeichelnde bezeichnung der gelieb-
ten zu fassen, glaube aber jezt, dass es sich nur aus v. 3098 hierher
verirt hat und zu tilgen ist.
3194. Die hat sich endlich auch bethört.
„endlich" wo wir jezt „schliesslich" sagen; ebenso II, 6072. Anders
II, 5455, s. unten.
S. 280, 56. entgegnen „begegnen, entgegen treten", ebenso II.
3666. 4138. Vgl. in Schillers Bürgschaft: Was wolltest du mit dem
Dolche, sprich! Entgegm t ihn/ finster der Wütherich.
Zweiter teil.
221. ausbleiben wie Röhrenwasser ist eine noch jezt gebräuch-
liche sprichwörtliche redensart.
401. kümmerlich steht hier in der bedeutung von ..ärmlich".
Eine kühnheit in der Wortumstellung wie sie Schröer anninit, ist auch
bei dem alten Goethe unerhört.
2312. Zu Grimms wtb. 4'2, 2373 bemerke ich noch die land-
läufige redensart: So etwas wird nicht wieder jung!
2705. Schröer erklärt: „Die nymphen singen: sie hören den
schall von pferdehuf und fragen: wer hat wol dieser nacht schnelle
botschaft zu bringen?11 Das ist nicht richtig, denn es heisst:
Wüsst ich nur, wer dieser Nacht
Schnelle Botschaft zugebracht.
Aber auch Düntzers erklärung (2. ausg. 1857) s. 551, dass unter „dieser
nacht" irgend eine person dieser zaubernaeht verstanden sei, ist nicht
möglich. Es ist einfach adverbialer genetiv = in dieser nacht. Solche
genetive sind besonders im IL teile des Faust häufig, und Düntzers
behauptung, zugebracht könne nicht ohne angäbe eines empfangen-
den im dativ stehn, halte ich nicht für richtig.
2823. Wenn Goethe auf Pherä sagt, so ist an keine Verwechs-
lung des inselnamens Leuke mit dem stadtnamen Pherä seinerseits
zu denken, sondern er denkt sich Pherä als hochgelegene befestigte
Stadt. Es hatte in der tat eine akropolis.
454 SPRENGER
31M». Wo bin ich denn? Wo will's hinaus?
Das nur ein Pfad, nun isfs ein draus.
Ich kam daher auf glatten Wegen,
und jetzt stellt mir Geröll entgegen.
bemerkt: „Graus bedeutet hier Steinhaufen, geröll" und ver-
weist dazu auf 5525. Eier citiert er aus Schm eller -Fronunann 1, 1101» :
„Die prachtvolle Stadt Salzburg war ein steingrauss wur-
den." Ferner verweist er auf Adelung: „Graus — zerbrochene stücke
in. kalk. Lehm usw. — sofern sie von eingefallenen oder verwüste-*
gebäuden herrühren." Schon die lezte beschränkung hätte Schröer
warnen müssen, dieses wort hier zur erklärung zu verwenden. Mhd.
grüz, worauf unser graus (grauss) zurückgeht, bezeichnet ursprüng-
lich ein sand- oder getreidekorn, also etwas ganz winziges, daher
auch die mhd. verstärkte negation niht ein grü$; sodann auch eine
grossere menge von solchen körnern. So spricht man von steinkohlen-
grauss (oder nd. -grüs>). Unter grauss von steinen versteht man immer
nur kleine zerbröckelte Stückchen von steinen, besonders mauersteinen;
für felsgeröll wird es niemand anwenden. Es ist aber auch kein grund
hier von der gewöhnlichen bedeutung des wortes abzugehn. Graus
ist etwas schreck, abscheu erregendes. So 3511 der ('irre Listen, des
■Inj,/,, Qraus; 6166 der allerletzte Graus. Zu unserer stelle ver-
weise ich noch besonders auf 5457:
Steigst ah in solcher Grünet Mitten,
Im grässlich gähnenden Gesteint
AVie aber ists mit dem Bürger ualtrungsgreius v. 5525? Das Deutsche
wb. gibt das wort ohne erklärung, Schröer erklärt es auch in dieser
aufläge als ..ein Steinhaufen, in dem sich der bürger nährt, in dem er
lebt und webt." Die stelle lautet:
Ich suchte mir so eine Hauptstadt aus,
Im Kerne Bürgernahrungsgraus,
Krummenge Gässcheu. spitze Giebeln,
Beschränkten Markt, Kohl. Rüben, Zwiebeln;
Fleischbänke, wo die Schmeissen hausen,
I)ir fetten Braten anzuschmausen;
Da findest du vu jeder Zeit
Gewiss Gestank und Thätigkeit.
Man sieht, dass hier die hauptstadt nicht selbst ein bürgern ah-
rungsgraus genant wird, wie oben die zerstörte stadt Salzburg ein
-teingrauss (d. h. nichts anderes als ein trümmerhaufe). Es wird
ZU S0ETHE8 FAUST 455
vielmehr gesagt, dass im kerne, im innern derselben „bürgernah-
rungsgraus" zu finden sei, und dieser ausdruck kann sich nur bezie-
hen auf die folgenden zur bürgerlichen nahrang (d. h. im sinnt' der
Luthersehen bibel: hantierung, handel and wandel) gehörigen gegen-
stände, die dein Mephisto wie alles, worin sich fruchtbare menschliche
tätigkeit offenbart, ein graus >i nd. Übrigens glaube ich nicht, dass
jenes andere graus = mini. grü$ bei Goethe nachzuweisen sein wird.
er scheint vielmehr dafür nur die in Norddeutschland algemein ge-
brauchte form grüs verwant zu haben, s. Weigand I. 734.
4448. um jenes willen kann nur auf Deiphobus bezogen wer-
den, nicht wie Schröer meint = „aus demselben gründe, deinet-
wegen" erklärt werden.
5344. Die Flamme freilich ist verschwunden,
Doch ist mir um die Welt nicht leid.
Die verse sind nur wörlich zu fassen: Obgleich die flamm«' (der dich-
terische geist) nicht bei den Exuvien ist. so beklagt Mephisto = Phor-
kyas d<>ch deshalb die weit nicht. Wenn um die Welt nicht für gar
nicht, nicht im geringsten genommen werden solte, so müste es heis-
sen: Doch ist es mir um die weit nicht leid.
5393 fgg. singen die Najaden:
Schwestern.1 Wir bewegtem Sin nes, eilen mit den Bächen weiter;
Denn es reixen jener Feme reichgeschmückte Hügelxüge.
Immer abwärts, immer tiefer, wässern wir, mäandrisch wallend,
Jetzt die Wiese, dann die Matten, gleich den Garten um das Hans.
Dort bezeichnen' s der Cypresse?i schlanke Wipfel, über Landschaft,
Uferxug und Wellenspiegel nach dem Aether steigende.
Schwierigkeit machen die beiden lezten verse. Schröer erklärt sie nach
einer mitteilung v. Loepers folgendermassen : „Dort bezeichnen cypres-
sen die stelle wo das haus steht; die cypressen, deren wipfel über der
landschaft, uferzug und wellenspiegel — nach dem äther steigen."
Diese erklärung scheint mir in soweit nicht richtig, als v. Loeper das
es in bezeichnen 's auf das haus bezieht. E± bezieht sich vielmehr
algemein auf den ganzen vorhergehenden satz. Nicht die stelle, wo
das haus steht, sondern der ganze lauf des gewassers wird von cypr< 3-
sen eingefasst und dadurch schon aus der ferne kentlich. Goethe ver-
wendet sogar das auf einen ganzen satz bezüglich v. 6255.
5455. Mephisto tritt mit siebenmeilenstiefeln auf und spricht:
Das heiss ich endlich vorgeschritten!
Endlich kann hier in keiner der jezt gebräuchlichen bedeutungen
gefasst werden, sondern es ist auf die noch in Luthers bibeliibersetzung
456 SPRENGER
belegte bedeutung zurückzugreifen. Hier findet sicli Luc. 1, 39: Maria
ging auf das Gebirge endelich, wo in der Vulgata cum festinatione
ht. andere Übersetzer mit eile, eilends, mit fleiss, munter haben.
Noch 1735 sagt Günther ironisch:
Du Falschheit hielt es nicht mit dem geschwinden Volke
Und wg so endelich als eine trübe Wolke.
Zu 5536 bemerkt Schröer: „Unter rollekutschen kann man sicli
hier kutschen denken, von denen die pferde mit klingenden schellen =
rollen behangen sind." Ich muss gestehen, dass mir eine solche
bedeutung von „rolle" nicht bekant ist; auch sehe ich nicht ein, wes-
halb wir nicht einfach an „rollen" denken sollen. Auch bei der bil-
dung di - compositums zeigte sich Goethes intuitives genie (s. G. v.
Loeper, Zu Goethes gebuchten, Berlin 1866 s. 5): er hört innerlich
das rollen der räder. An den rolwagen früherer zeit, welches mit
rollen in der im 16. Jahrhundert üblichen bedeutung: mit einem
fuhrwerk da und dorthin fahren zusammengesezt ist, braucht man
deshalb nicht zu denken.
5558. Dann aber Hess' ich aller schönsten Frauen,
Vertraut -bequeme Häuslein bauen;
Verbrächte da grenze?ilose Zeit
In allerliebst- gesell' ger Einsamkeit.
Die einsetzung des artikels die vor grenzenlose verlangt der vers, da
der dichter in diesen versen die Senkung nie ausfallen lässt. Sie ist
aber auch deshalb nötig, weil das adjeetivum hier als epitheton ornans
r'asst werden muss; die grenzenlose zeit ist wol dem aretgawog
yoöroj: des Plato nachgebildet. Zu „das grenzenlose meer" v. 6463
i>t zu vergleichen Eurip. Medea 212.
5699. Hier durfte mit Düntzer bemerkt werden, dass sich Goethe
des sprichwörtlichen „Das ist die rechte Höhe!" auch im ersten
• ntwurf des Goez (bd. 34, 73) und im Clavigo (bd. 9, 172) bedient.
6099. die Undinen fasst Schröer, wol im gedanken an Fouque's
ündine, als acc. sing.; es ist aber, wie der Zusammenhang ergibt,
plural.
6132. das OexwergvöUc. Goethe hat auch das Gexicerge, was er
ebenso wie kebsen 4445 wol aus den Nibelungen sich angeeignet hat
(vgl. str. 98, 1. 796, 3).
6281 spricht der erzkämmerer:
Wenn Du \nr Tafel gehst, reich' ich das goklne Becken,
Die Ringe halt ich dir. damit zur Wonnexeit,
'eh deine Hand erfrischt, nie mich dein Blick erfreut.
ZU GOETHES FAUST 457
Das halten der ringe wird falschlich auf die eigenschaft des kämmerers
als hüter der Schatzkammer gedeutet; es ist einfach daran zu denken,
dass derselbe dem kaiser die fingt nii ige, die er beim waschen abgelegt
hat, hält
6353. Schrift ist was 6360 reinschrift genant wird; Zag der
namenszug des kaisers, die Signatur.
6444. Es ist kein grund, wenn anders als in der gewöhnliche!]
bedeutung zu nehmen; denn der Wanderer weiss ja nicht, ob das ehe-
paar noch lebt. Erst nachher erscheint Baucis.
6588. Schröer scheint die. sprichwörtliche redensart „Das ist für
die lange weile!" d. h. „Das ist umsonst, hat keine bedeutung"
nicht zu kennen.
7126. Gesegn' euch das verdiente heisse Bad!
Man kann erinnern an die worte Baumgartens im Teil 1,1:
Da lief ich frisch hinzu, so wie ich tear.
Und mit der Axt hob' ich ihm's Bad gesegnet !
NORTHEIM. R. SPRENGER
AUGUST THEODOR MÖBIUS.
Wider hat der unerbitliche tod einen der hervorragendsten arbeiter auf dem
gebiete der altnordischen spräche und litteratur hinweggeraft, und widerum wage ich
es, obwol nicht fachmann, als einem meiner ältesten freunde dem geschiedenen einen
nachruf zu weihen — freilich nur gegen die Zusicherung sachkundiger Unterstützung
einer wissenschaftlich berufeneren feder.
August Theodor Möbius war am 22. juni 1821 zu Leipzig geboren. Rein
vater war der bekante mathematiker, physiker und astronom August Ferdinand Möbius
(r 26. September 1868), seine mutter Dorothea, geb. Rothe (f 9. September 1851m.
Theodor war von ihren drei kindern das älteste. Ein jüngerer bruder, Paul Heinrich
August Möbius, der bekante schidmann, war zulezt oberschulrat in Gotha; ein«;
Schwester, Emilie Auguste, aber war die frau des namhaften astronomen Heinrich
Ludwig d' Arrest, welcher seit 184S als observator und seit 1852 als ausserordent-
licher professor in Leipzig mit seinem Schwiegervater in den engsten beziehungen
gestanden war, bis er im herbste 1857 einem rufe als Ordinarius nach Kopenhagen
folge leistete, in welcher Stellung er am 14. juni 1875 starb. Die kindheit und die
frühere Jugend der drei geschwister war eine sehr glückliche. Der alte schlosshof
der Pleissenburg , in welcher sich die alte Leipziger Sternwarte befand, sowie der
nahegelegene garten bot ihnen die reichste gelegenheit für ihre spiele; die mutter
aber wüste, obwol schon frühzeitig erblindet, durch ihre ungewöhnliche geistige
begabung und ihre grosse heiterkeit dennoch ihrem manne und ihren kindern eine
glückliche häusliehkeit und anregende geselligkeit zu bereiten. Gar manche männer,
welchen die Wissenschaft später viel zu verdanken hatte, gingen in dem hause aus
und ein, von denen Ernst Heinrich und Wilhelm Weber, Fechner und Drobisch
458 MAUKER
ant werden mögen. Seinem elterlichen hause hat denn auch der verstorbene stets
die innigste anhänglichkeit bewahrt, wie mir selbst manche liebevolle äusserungen
sselben zeigten.
- inen vorbereitenden unterrieht erhielt Theodor Möbius auf der bürgerschule,
dann auf dem gymnasium zu St. Nicolai in Leipzig. Eine Zeitlang hatte ihn ein
g • 3s für maierei und bildende kunst bestirnt, sich dem künstlerberuf zu
widmen; indessen fügte er sich doch dem dringenden wünsche seines vaters und
sti ra 1840 die Leipziger Universität, und zwar ergriff er nach längerem zögern
das Studium der altklassischen, später der germanischen sprachen, unter welchen ihn
zumal die oordischen dauernd fesselten. Von ostem 1840 — 42 in Leipzig, dann von
-12 — 43 in Berlin studierend, betrieb er unter Gottfr. Hermann und Haupt,
dann unter Böckh und Lachmann zunächst die klassische philologie. und promovierte
im jähre 1S44 in Leipzig, ohne dass, so viel mir bekant, eine inauguralabhandlung
von ihm erschienen wäre. Noch in demselben jähre bestand er auch das Staatsexa-
men für die candidatur des höheren schulamtes, und eileilte sodann ein jähr lang
Unterricht an dem gymnasium zu St. Nicolai. Im jähre 1845 an der Leipziger Uni-
versitätsbibliothek als assistent angestelt, und später zum I. custos befördert, blieb
in diesem dienst bis ostern 1861 ; daneben aber habilitierte er sich zu ostern 1852
an der Universität und eröfnete am 17. november desselben Jahres, am geburtstage
3 vai s, seine Vorlesungen. Zwei jähre später (1854) verheiratete er sich mit
H'lene "Wiesand und im jähre 1859 wurde er zum ausserordentlichen professor an
der philosophischen facultät in Leipzig ernant. In dieser glücklichen zeit frischen,
fröhlichen aufstreben s knüpften sich meine persönlichen beziehungen zu dem geschie-
denen freunde an.
Obwol wir gleichzeitig in Berlin studiert hatten, waren wir doch dort nicht
mit einander bekant geworden, da die richtung unserer Studien damals hiezu keine
veranlassung geboten hatte. Möbius war in Berlin noch ganz der klassischen philo-
logie nachgegangen, ich aber hatte dort nur ganz nebenbei einige Vorlesungen über
manische philologie gehört, im übrigen aber lediglich juristische zwecke verfolgt.
Eist um ein Jahrzehnt später brachte die convergierende richtung, welche unsere
tigen Studien inzwischen eingeschlagen hatten, uns in persönliche Verbindung
mit einander. Nach einer gütigen mitteilung, welche ich seinen töchtern verdanke,
war Möbius zunächst durch die werke des schwedischen dichters Atterbom (f 1855)
auf das Studium der nordischen litteratur geführt worden; er selbst erzählte mir vor
jahren. dass sein dienst an der bibliothek ihn zu eingehenderer beschäftigung mit der
altnordischen litteratur veranlasst habe, um der Ordnung und Instandhaltung des
faches gerecht werden zu können. Beide angaben sind sehr wol vereinbar; jedenfals
aber war di^se richtung seiner Studien bereits eingetreten, als er sich habilitierte,
.'in seine abhandlung pro venia legendi handelte «Über die ältere isländische saga"
>2 . und den gegenständ seiner Probevorlesung bildete „die Edda". Wenn er
ferner zwar den gegenständ seiner Vorlesungen noch ebensowol der klassischen philo-
.ie1 entnahm als der germani>ehrn und zumal der altnordischen2, so überwogen
doch weitaus die Vorlesungen dieser lezten art; überdies suchte und fand er schon
1) Germania nnd Agricola des Tacitus; Satiren des Persius.
_ Altnordische gTaramatik . die ältere Edda , Island und altnordische grammatik , altnordische
altertumskunde , nordische mytholoirk' : ferner '.'otische gTammatik . angelsächsische grammatik , altsäch-
und angelsächsische grammatik . einleitende Übersicht der crormanisehon sprachen und ihrer älteren
litteratur.
AUGUST THKODOR MÖBIUS 459
jezt durch widerholte längere besuche in Kopenhagen (1849 und 1854) und Christiania
(1854), durch die benütz ung der dortigen bibliothekeu und durch den verkehr mit
den dortigen fachgenossen eine mächtige förderung dieser seiner Studien. Nach län-
gerem schwanken entschied er Bich für die ooncentrierung auf das nordische gebiet,
als auf ein eng begrenztes und damals in Deutschland noch sehr wenig bebautes
arbeitsfeld. Ich hatte inzwischen vom Studium der alten deutschen volksrechte aus
den weg zur bearbeitung der angelsächsischen und altnordischen rechtsgeschichte
betreten, and ziemlich gleichzeitig mit Möbius' abhandlung über die isländische Baga
war auch meine schritt über die i'iitsivhung des isländischen Staats und seiner Ver-
fassung erschienen (München, 1S.V2). Es begreift sich, dass wir sofort in brieflichen
verkehr traten. Seine im jähre 1855 erschienene ausgäbe der Blömstrvallasa
schickte mir Möbius bereits zu, und erhielt dafür meine Geschichte der bekehrung
des norwegischen Stammes zum christentume (1855 und 56); seitdem tauschten wir
alle unsere schritten getreulich aus, und unterstüzten uns auch gegenseitig nach knif-
fen in unseren arbeiten. Als Möbius seinen „Catalogus librorum Islandicorum et Nor-
vegicorum aetatis mediae" bearbeitete (1856), zog er mich bereits bezüglich einzelner
punkte zu rate, und als ich im herbst 1857 zu einem längeren aufenthalte na<h
Kopenhagen, und im folgenden jähre zu einem noch längeren nach Island gieng,
besuchte ich ihn in Leipzig, um mich mit ihm über die bevorstehenden reisen zu
beraten. Damals lernte ich auch auf der durchreise in Leipzig seine liebenswürdi
frau und seine eitern, sowie in Kopenhagen seine Schwester und seinen Schwager
kennen.
In wenig späterer zeit trat eine tief eingreifende Wendung im leben des freun-
des ein, und zwar in zwiefacher richtung. Nach zehnjähriger glücklicher ehe verlor
derselbe seine frau, und kurz darauf starb ihm auch sein einziger söhn; andererseits
erhielt er einen ehrenden ruf als ordentlicher professor nach Kiel, wohin er zu ostern
1865 abgieng, nicht ohne durch ein feierliches dankschreiben von 16 seiner Leip-
ziger zuhörer (8. rnärz 1864) geeint zu werden. Schlug ihm jener vertust eine nie
vernarbte wunde, so versprach die neugewonnene Stellung sehr erhebliche vorteile,
welche den schwer getroffenen allenfals wider aufrichten konten. Möbius konte sich
fortan ganz auf die germanische, und insbesondere auf die nordische philologie zurück-
ziehen, deren betneb ihm sogar teilweise zur ganz besonderen pflicht gemacht war;
seine Vorlesungen und seminaristischen Übungen bewegten sich denn auch lediglich
auf nordischem1 oder doch germanischem gebiete2, und nur etwa eine Vorlesung
über die Germania des Tacitus erinnerte allenfals noch an den früheren klassischen
Philologen. Dazu ist die läge der Kieler Universität eine für den betrieb der nor-
dischen Studien ungemein günstige. Die langjährige Verbindung der herzogtümer mit
Dänemark führte ihrer Universitätsbibliothek mancherlei nordische litteratur zu, welche
anderwärts nicht so leicht zu finden war, und die bequemen Verbindungen mit Kopen-
hagen erleichtern gar sehr den besuch der dortigen bibliotheken, einen vorteil, wel-
chen Möbius auch nicht versäumte auszunützen. Dennoch vermochte dieser an sei-
nem neuen Wohnorte nicht recht heimisch zu werden. Anfangs mochten dabei wol
zum teil vorübergehende Verhältnisse mitwirken, wie sie eben zur zeit seiner Über-
siedelung bestanden. Die besetzung des landes und dessen annexion an Preussen war
1) Übersicht der nordischen sprachen , altnordische grammatik und litteratnr . dänische spräche
und litteratnr , dänische Übungen.
2) Angelsächsische grammatik und litteraturgeschichte . erklärung des ags. gedientes Elene . goti-
sche Übungen.
460 MAURER
soeben erst erfolgt oder auch noch im werden begriffen; die dänischredenden Xord-
schleswiger nicht nur. sondern auch eine reihe entschieden deutsch gesinter, aber am
alten rechte des landes und seiner angestamten dynastie festhaltender männer stand
in folg Bsen der preussischen regierung und damit auch dem von ihr ernanten
pr 3S mehr oder minder ablehnend gegenüber. Auch die beziehungen zu Kopen-
hagen wurden durch diese zustünde zunächst erschwert, indem man dort dem deut-
- len pi ssen Vorgänger auf dem lelirstuhle geradezu die aufgäbe gehabt
hatte, für die erstarkung uud ausbreitung des Dänentums in Schleswig zu wirken,
zwar mit gemessener höfliehkeit. aber doch auch mit einer leicht erklärlichen abnei-
gung und kälte entgegenkam. Neben diesen mit der zeit sich abschwächenden Stim-
mungen machte sieh aber auch der weitere umstand geltend, dass Möbius als ein
eil ^ hter Leipziger das leben ausserhalb seiner Vaterstadt an und für sich schon
als ein schwer ertragliches empfand und auch in seinen gelehrten arbeiten die
[uemlichkeiten schwer vermisste, welche ihm der centralsitz des deutschen buch-
handels bisher geboten hatte. Endlich aber, und dies ist wol die hauptsache, hatte
Möbius durch den frühen tod seiner frau die rechte lebensfreudigkeit verloren. Eine
stille, beschauliche, arbeitsame natur, war er wie wenige auf ein ruhiges familien-
leben angewiesen: sein tiefes gemüt bedurfte desselben, und sein heiter angelegter
sinn, sein warmes wolwollen gegen jedermann wäre in hohem grade dazu angetan
vesen, ihm selbst und den seinigen ein behagliches heim zu schaffen. Wol gelang
es ihm. in der erzieherin seiner frau eine verlässige leiterin seines haushaltes und
eine vortrefliche erzieherin seiner drei töchter zu gewinnen. Wol bemühte er sich
überdies selbst, durch innigstes zusammenleben mit seinen töchtern und freundlichste
teilnähme an deren interessen ihnen den verlust der mutter weniger fühlbar zu
machen. Aber weder ihm selbst noch den töchtern liess sich die verlorene haus-
mutter ihrer vollen persönlichkeit nach ersetzen.
Trotz allem mangel an innerer befriedigung arbeitete Möbius dennoch in Kiel treu
und unverdrossen weiter, wie er es früher unter glücklicheren umständen in Leipzig
getan hatte, und neben seiner segensreichen lehrtätigkeit wirkte er auch auf littera-
schem gebiete in erfolgreichster weise. Seine Schriften greifen in die verschieden-
d gebiete der altnordischen philologie ein. Zum teil bringen sie quellenausgaben,
wie die bereits erwähnte Blomstrvallasaga (Leipzig 1855), die gemeinsam mit Guct-
brandur Vigfüsson besorgten Fornsögur (Leipzig, 1860), die Edda Sremundar (Leip-
- 1860), die Islendingabok (Leipzig 1869), die Islendingadräpa (Kiel 1874), das
Ifattatal Snorris (Halle 1879 und 81), die Kormaks saga (Halle 1886), an welche
sich noch das AlälshättakvsecTi (1873), welches der ergänzungsband zur zeitschr. für
deutsche phil. (Halle 1874) bringt, sowie eine, manche zuvor noch nicht heraus-
gegebene stücke bringende samlung von textproben anreiht, welche unter dem titel
„Analecta norroena" in zwei ausgaben erschien (Leipzig 1859 und 1877). Zum teil
behandeln sie einzelne teile der nordischen litteraturgeschichte ; so schon die oben
erwähnte abhandlung über die ältere isländische saga (Leipzig 1852), so aber auch
ein Vortrag über die altnordische philologie im skandinavischen norden (Leipzig
1864) und sein nordischer litteraturbericht in der ztschr. f. d. phil. bd. I (1869).
Grammatischer art ist seine Schrift über die dänische formenlehre (Kiel 1871), lexi-
kai ein altnordisch- ssar (Leipzig 1866), welches zunächst im anschluss an
ine Analecta norroena erschien: auf die metrik beziehen sich eine abhandlung über
das stef im 18. bände der Gern ania. und eine solche über den mansöngr, welche
iner ausgäbe des MalsbattakYsedi beigegeben ist, sowie zahlreiche bemerkungen in
AUGUST THEODOR MÖBIUS 461
der ausgäbe des Hättatal. Vielleicht die verdienstlichste unter allen seinen leistun-
gen ist aber sein „Catalogus libromm [slandicorum et Norvegicorum aetatia mediae
editorum, versorum illustratorum" (Leipzig 185(3), samt dem ihn fortführenden „Ver-
zeichnis der auf dem gebiete der altnordischen spräche und litteratur von 1855 bis
1879 erschienenen Schriften" (Leipzig 1880). In knapster form bietet der Verfasser
in diesen beiden bänden nicht nur die gesamten bibliographischen angaben über die
einschlägigen quellenausgaben, wie sie eben nur ein in längerem praktischem dienst
geschulter bibliothekar mit solcher pünktlichkeil geben konte, sondern auch eine mit
seltenem geschick gemachte Zusammenstellung der zu ihrem sprachlichen und Bach-
lichen Verständnisse diensamen hülfswerke, von den umfangreichsten grammatiken,
Wörterbüchern u.dgl. herab bis zu den anscheinbarsten aufsätzen in Zeitschriften und
tageblättern. Niemand, der überhaupt auf altnordischem gebiete arbeitet, kann die-
ses vortrefliche hilfsmittel entbehren, — niemand, der es gebraucht, kann es ohne
das gefühl wärmsten dankes aus der band legen. Erst vor wenigen tagen sagte mir
einer der ersten kenner der nordischen bibliographie, W. Fiske, dass er imCatalogus
nur einen einzigen fehler zu entdecken vermocht habe, nämlich die doppelte angäbe
der Jahreszahl bei der ausgäbe der Islendingabok des A. Bussäus, und auch diese
erklärt sich aus der tatsache, dass das im jähre 1733 erschienene buch hinterher
wirklich ein neues titelblatt mit der jahrzahl 1744 vorgesezt erhielt! Dieselbe abso-
lute verlässigkeit und Sauberkeit der arbeit zeichnet aber auch alle übrigen werke
aus, die aus seiner feder kamen, und zumal seine quellenausgaben. In ihnen allen
findet man nicht nur einen auf grund der besten verfügbaren handschriften mit [
ter umsieht und Pünktlichkeit festgestelten text, sondern es gibt auch stets ein Vor-
wort über die benüzten handschriften, deren spräche und Schreibweise, die art ihrer
benützung, die etwaigen früheren ausgaben, und wo möglich auch über alter und
entstelmngsgeschichte der quelle selbst allen wünschenswerten aufschluss, während
andererseits auch durch die beigäbe genauer indices, allenfals auch einer Übersetzung,
kurzer glossarien und erklärender anmerkungen u. dgl. m. für das leichtere Verständ-
nis und die bequemere benützbarkeit des textes gesorgt zu sein pflegt. Mit den
angeführten werken ist übrigens die litterarische Wirksamkeit des mannes selbstver-
ständlich keineswegs erschöpft; vielmehr komt noch eine lange reihe kürzerer auf-
sätze und zumal eingehender besprechungen fremder arbeiten hinzu, welche Möbius
zumal in der Zeitschrift für deutsche philologie, aber auch in der Germania, in
Gersdorfs repertorium , im Arkiv for nordisk filologi und anderwärts veröffentlichte;
überdies darf nicht verschwiegen werden, dass er mit derselben bereitwilligkeit für
die arbeiten anderer rat und tätige beihilfe spendete, wie er selbst fremden rat ein-
zuholen keinen anstand nahm, soweit er, wie dieses zumal bezüglich der realien
hin und wider der fall war, in einzelnen fragen dessen zu bedürfen glaubte. Gebend
wie nehmend war er jederzeit der gleiche selbstlose, bescheidene, das eigene können
und wissen nur zu sehr unterschätzende freund, dem es nur um die Sache, nie um
den eigenen rühm zu tun war. Äussere ehren fehlten ihm nicht, obwol er sie nicht
suchte. Ich erwähne, ohne für volständigkeit einstehen zu wollen, dass er ehren-
mitglied des Islenzka bokmentafelag war (gewählt am 16. mai 1860, von der Kopen-
hagener abteilung), ferner mitglied des Videnskabs Selskab in ('hristiania (17. februar
1882), des Kongel. danske Yidenskabernes Selskab (10. april 1885) und des Kongel.
nordiske Oldskriftselskab (29. Januar 1889); durch ihn selbst erfuhreu sogar die
nächststehenden freunde nichts von solchen ihm gewordenen auszeichnungen.
462 MAURER UND BERING
Zum Lebenslaufe dos geschiedenen freundes zurückkehrend, habe ich nur uocb
•i einer zeit schweren leiden- zu berichten. Nicht alzulange nach seiner Übersie-
delung nach Kiel wurde er von einem lästigen magenleiden befallen, welches dem
zu anregender geselügkeit sehr veranlagten manne diese immer weniger möglich
machte. Sein an sich heite müt wurde durch die peinlichen schmerzen, welche
- leiden ihm brachte, uud durch die vielfachen entbehrungen, welche es ihm auf-
erl almählich getrübt, zumal da zu den [Magenbeschwerden noch eine erkrankung
der hinge hinzutrat, welche die lästigsten atmungsbeschwerden mit sich führte. Schon
im jähre als ich den lieben freund gelegentlich einer reise nach Norwegen in
l besuchte, fand ich ihn sehr verändert; seitdem steigerten sich seine leiden fort-
während, und im jähre lsss hatten die asthmatischen besohwerden bereits so sehr
überhandgenommen, dass er sich genötigt sah um einen längeren Urlaub zum behufe
einer ernsthaften kur nachzusuchen. Den ganzen winter 1888 — 89 brachte er in
Heran zu. wo er zwar einige linderung, aber keine heilung seiner leiden fand.
- aweren herzens ergab er sich darein, um seinen abschied einzukommen, wel-
cher ihm auch unter Verleihung des titeis eines geheimen regierungsrates verwilligt
wurde. Die lezten Vorlesungen, welche er für das Wintersemester 1888/89 angekündigt,
ir nicht mehr gehalten hat, solten über dänische spräche und litteratur handeln,
imd er wolte ausserdem noch eine erklärung ausgewählter altnordischer prosatexte
. . sowie gotische Übungen abhalten. — Im herbste des vorigen Jahres siedelte
Iföbius nach seiner Vaterstadt Leipzig über; aber so innig er zeitlebens an dieser
gehangen und so schwer er seinerzeit den wegzug von derselben empfunden hatte,
wenig befriedigte ihn doch jezt die rückkehr dahin. Sein bruder, welcher gleich-
fals in den ruhestand getreten war. und mit welchem er in Leipzig zusammenzuleben
acht hatte, war kurz vor seinem umzuge dahin plötzlich gestorben. Seine alten
bekamen waren während der langen dauer seiner abwesenheit grossenteils auch gestor-
ben <»der verzogen. Die stadt selbst endlich kam ihm zufolge des ge waltigen Jauf-
-'•hwunges, den sie genommen, und der namhaften ausdelmung, die sie gewonnen
hatte, fremd und unheimlich vor. Neben diesen ihn gemütlich verstimmenden din-
i nahm auch sein körperlicher verfall zu und nötigte ihn, zumal in der strenge-
d jahre.-z-it. immer mehr zur beschränkung auf sein haus; nur die zärtliche liebe
zu seinen töchtern und sein unerschütterliches gottvertrauen hielt ihn in dieser schwe-
• noch aufrecht. An allem, was seine Wissenschaft betraf, nahm er noch
immer regen anteil. und E. Mogk, mit dem er noch viel und gern über einschlägige
fragen verkehrte, schreibt mir, dass er sich dabei noch volständig als herr seines
alten wissens erwies und höchstens einige abnähme seines gedächtnisses zu zeigen
dien. Ein blutsturz. der ihn im laufe des winters befiel, zeigte ihm, dass sein
leben sich zum ende neige. Grosse freude bereitete ihm noch ein besuch, den
H. Gering ihm um ostern abstattete. Nicht lange darauf sah ihn E. Mogk und fand
ihn rege wie lange nicht. AV.-nige tage später aber glitt er in der akademischen
•halle aus. indem er einige stufen übersah, und erlitt durch diesen fall innere
Verletzungen im gehirn. Seitdem war sein geist uindüstert. Eine vorübergehend
. - iofnung auf genesu ich trügerisch, obwol das bewustsein zeitweise
widerkehrte. Am 25. april entschlief er, nachdem er tags zuvor noch die lezto
(IT.) lieferung von Joh. Fritzners Wörterbuch erhalten, aufgeschnitten und eifrig durch-
blättert hatte. Es war das lezte werk aus seiner Wissenschaft, welches ihn beschäf-
- .ntag den 27. april, nachmittags 4 uhr, wurde er ins grab gelegt. Möge ei
sanft und friedlich, wie er gelebt, in ihm ruhen!
MÜNCHEN, 22. JUXI 1890. K. MAURER.
At'GUST THEODOR MÖBIUS 463
Der ausdrückliche wünsch des Verfassers der vorstehenden Zeilen, nicht min-
der aber auch der drang des aen herzena veranlassen mich, auch meinerseits dem
dahingeschiedenen freunde ein paar worte treuen gedenkens In die ewigkeit nach-
zurufen.
Was Theodor Möbius als gelehrten auszeichnete, war die in der strengen schule
der klassischen philologie erworbene methode und die peinlichste gewissenhaftigkeit;
diese beiden Vorzüge befähigten ihn, obwol er an genialer begabung hinter ande-
ren koryphäen seiner Wissenschaft zurückstand, hervorragendes in dieser zu Leisten.
Er war ein philologe alten Bchlages; daher beschränken sich seine arbeiten — von
den beiden von K. Maurer nach verdienst gewürdigten bibliographischen handbüchern
abgesehen — auf textkritik, grammatik, metrik und Lexikographie. Was er auf die-
sen gebieten gesehaffen hat, darf in seiner art als mustergiltig bezeichnet werden:
so z. b. seine ausgaben des Hattatal und der Cormakss sein altnordisches glossar
und die kleinen abhandlungen vom stef und vom mansQngr; die lezten beiden >'u»\
wahrhaft»' kabinetsstücke besonnenster Überlegung und sauberster ausführung. Lin-
guistik und phouetik lagen ihm ferner; er sah auf die staunenswerten Fortschritte, die
diese beiden Wissenschaften in den lezten Jahrzehnten gemacht haben, mit einem
gefühle scheuer ehrfurcht.
Denn der schranken seines Vermögens war er in seiner rührenden bescheiden-
heit sich sehr wol bewust. Diese bescheidenheit, die so weit gieng, dass er viel
leichter durch lob als durch tadel verlezt werden konte, war in isser bezieh«
ein fehler, da sie ihn einerseits zur Überschätzung fremden Verdienstes, andererseits
zur unterSchätzung seiner eigenen begabung veranlasste. Öfter hätten seine fei sehun-
gen zu bedeutenderen ergebnissen geführt und an selbständigem werte gewonnen,
wenn er sein eigenes klares urteil nicht unter die autorität von männern gebei. I
hätte, zu denen er bewundernd emporschaute.
Innerhalb der angegebenen grenzen war die beherschung seines faches »'ine
volkommene. Sein ausserordentliches gedächtnis und seine ausgebreitete belesenheit
hat sicherlich jeden in staunen versezt, der das glück hatte, ihm näher zu treten.
Und diese gelehrsamkeit erstreckte sich nicht bloss auf das altnordische gebiet, auf
dem er mit Vorliebe arbeitete, sondern auch auf die modernen nordischen sprachen,
wovon — was das dänische betrift — seine «Dänische formenlehre" das rühmlich--
zeugnis ablegt, das einzige wirklich wissenschaftliche lehrbuch dieser Bprache, welches
auf dem deutschen markte erschienen ist, das nur den einzigen fehler hat, dass
seine regeln zu ausschliesslich aus büchern abstrahiert, zu wenig durch beobachtung
der lebenden spräche controliert und berichtigt sind. Diese in allen feinheiten und
besonderheiten der ausspräche zu erfassen und widerzugeben — was volkommen
kaum einem Deutschen und annähernd gewöhnlich nur dem Norddeutschen gelingt —
hinderte ihn schon sein heimatlicher dialekt, den er nie verleugnete: er selbst erzählte
mit gutem humor, welche heiterkeit sein Leipziger dänisch anfangs bei den nord-
schleswigschen Studenten erregte — später hat dann natürlich das spöttische lächeln
aufrichtiger hochachtung vor dem gründlichen und vielseitigen wissen des lehr,
platz gemacht. Ein ähnliches handbuch der schwedischen grammatik zu schreiben,
ist, wie mancher andere plan, leider unausgeführt geblieben. Am meisten wird man
bedauern, dass die samlung der skaldischen dichtungen, die er gemeinsam mit Gudbr.
Vigfusson herausgeben wolte — einen handschriftlichen entwurf und eine druckprobe
hat E. Mogk unter den nachgelassenen papieren vorgefunden — nicht zu stände
gekommen ist: die glänzende divinations- und combinationsgabe des gelehrton Islän-
464 GF.KIX'.
rs hätte, durch die besonnene methode von biöbii ügelt, ein wahrhaftes Stan-
dard work schaffen können, während dem „Corpus poeticum", das Vigfusson nach
rhangnisvoUen Übersiedelung nach England bearbeitete, dieser ruhmestitel
käuflich \ werden mus
Die lehrtätigkeit. die Möbius in Kiel auf dem felde seiner Specialwissenschaft
entfaltete, kam nur einem kleineren kreise zu gute, und dass seine Vorlesungen nicht
oselben Zuspruch fanden, wie an der grossen Universität seiner heimatsstadt, hat
.ich viel dazu beigetragen, dass er nur schwer in dem neuen Wohnorte sich
Die Ursachen des geringen erfolges waren nicht persönlicher, sondern sach-
licher natur. Die nordische philologie wird, da sie nicht zu den eigentlichen brot-
gehört, trotz ihrer unermesslichen Wichtigkeit für die germanische sprach -
und kulturw haft überall in Deutschland nur von wenigen Studenten betrieben,
uud auf einer so kleinen hochschule wie Kiel kann die zahl derselben natur-
3S nur eine minimale sein. Dazu kommt, dass Kiel zur zeit der fremdher-
>cbaft ein brenpunkt der deutsch -patriotischen, mithin anti- dänischen bestrehmigen
war, und dass seine Studentenschaft ihrer grossen mehrzahl nach stets der-
zeit hatte: kein wunder daher, dass infolge dieser antipathien, die
auch nach der widergewinnung der herzogtümer noch fortwirkten, der skandina-
n altertmnskunde in der deutschen nordmark nur wenige jünger erstanden. Der
eiuzige bedeutendere schüler. den Möbius gehabt hat, der zu früh verstorbene Anton
:ardi. war kein Schleswig -Holsteiner, und der einzige, der auf eine nordische
tation bei ihm promovierte (Fr. Sueti), kam aus Österreich. Li seinem berufe
wirken zu können, war jedoch für Möbius lebensbediugung, und daher dehnte er den
kreis seiner Verlesungen auch auf nachbargebiete aus, wo er grössere beteiligung zu
finden hoffen durfte, auf das gotische und das angelsächsische.
Meine persönliche bekantschaft mit Möbius datiert seit dem frühjahr 1877, wo
ich. im begriff meine erste nordlandsfahrt anzutreten, zum ersten male sein freundliches
haus auf der Dammstrasse betrat, das vorher und nachher so manchen andern fach-
genossen. Deutsche wie Skandinavier, gastlich aufgenommen hat. Damals war,
wol das magenleiden bereits zum ausbrach gekommen war. sein körperliches befin-
den noch ein erträgliches : er konte ab und zu noch an anregender geselligkeit teil-
nehmen und weitere Spaziergänge sich gestatten. Bald aber begannen in seinen brie-
fen die klagen küber die Verschlimmerung seines zustandes. Das gehör des rechten
obres — auf dem linken war er schon seit seiner knabenzeit völlig taub — drohte
auch zu schwinden, und ein brustübel entwickelte sich in immer bedrohlicherer
Gleichwol vermochte er noch aljährlich — meist in begleitung seiner töch-
— grössere oder kleinere reisen zu unternehmen. 1884 war er zum lezten male
in Kopenhagen, wo er trotz schwerer leiden, die das ungünstige werter noch stei-
gerte, mehrere wochen hindurch täglich stundenlang auf der universitäts-bibliothek
arbeitete, um die abschrift der Kormakssaga, die er bald darauf edierte, zu stände
zu bringen. Inzwischen drängte sich die Überzeugung, dass das ende nicht mehr
fern sei. ihm immer mehr auf. Um seinen töchtern bei Beinern abieben keine sorge
zu hinterlassen, verkaufte er im frühjahr 1886 sein haus und bezog eine mietswoh-
nung. Früher als er und seine freunde geahnt, solte er auch diese verlassen. Als
im april 1889 von Meran zurückkehrte, war die Übersiedelung nach Leipzig
-en. und nur noch für wenige monate Latte ich die freude, einen regel-
mässigen verkehr mit ihm zu pflegen. Man fand algemein. dass der anfenthalt im
Süden einen sehr vorteilhaften einfluss auf seinen zustand ausgeübt habe, und gab
AUGUST THEODOR MÖBIUS 465
h daher clor hofhung hin, dass er in dem milderen mitteldeutschen klima noch
längere zeit uns erhalten bleiben würde. Leider schlug diese hofnung fehl. Als icb
im april d. j. ihn besuchte, konte ich mir nicht verhehlen, dass der verfall der
kräfte in erschreckender weise fortgeschritten war. Das gespräch, das er mit mir
und Mogk führte, strengte ihn sichtlich an; wir hielten es daher Cur geboten, uns
bald zu entfernen. Wir besprachen dann noch den plan, ihn zu seinem im jähre
1801 bevorstehenden 70. geburtstage mit einer litterarischen gäbe zu erfreuen; aber
die berurchtung, dass er diesen t. sht mehr erleben würde, kam dabei zum aus-
druck. Sie war nur alzu begründet: kaum nach Kiel zun, ihrt, empfieng ich
die schmerzliche nachricht von seinem heim
lüöbius war ein Charakter ohne falsch und fehl, eine anima Candida. Die
höfliche freundlichkeit und gefälligkeit, die man an den Sachsen als traditionelle und
anerzogene Vorzüge rühmt, beruhte bei ihm auf wahrer herzensgute, und so erklärt
es sich, dass er geneigt war einen mangel an Urbanität geradezu als einen mora-
lischen fehler zu betrachten. Er selbst bi ii< issigte sich auch in seiner polemik, die
stets streng sachlich blieb, der grösstmöglichen milde, und nur in vertraulichen
brieten äusserte er sich zuweilen in rückhaltloser weise, wenn eine leichtfertige und
gewissenlose arbeit, ein Verstoss gegen den wissenschaftlichen anstand oder ein hä
lieber auswuchs des coteriewesens, das ihm in tiefster seele zuwider war. seinen
Unwillen erregt hatte. In seinen Schriften entsinne ich mich nur einmal ein schar! .
aber gerechtes urteil gelesen zu haben, und dieses hatte die sitliehe entrüstung über
einen hochmütigen dilettanten diktiert, der es gewagt hatte, Jacob Grimms andenken
öffentlich zu beschimpfen. — Wo man seines rates oder seiner hilfe bedurfte, wurde
beides bereitwilligst gewährt; fremde arbeit wird selten in so selbstloser und auf-
opfernder weise gefördert sein, wie durch ihn. Ich selbst habe während der drei-
zehn jähre unserer bekantschaft bei meinen wissenschaftliehen bestrebungen seine
wolwollcnde teilnähme und seinen treuen beistand in reichstem masse genossen, und
war gewohnt, meine plane brieflich, oder mündlich mit ihm zu erörtern. Der Ver-
lust, den ich durch sein abscheiden erlitt, ist somit unersetzlich, und unauslöschlich
das gefuhl inniger dankbarkeit, das ich ihm in meinem herzen bewahre.
KIEL, 4. JULI 1890. II. GEliLNG.
CHRONOLOGISCHES VERZEICHNIS DER VON TH. MÖBIUS PUBI.I' IKKTK.V
SCHRIFTEN UND ABHANDLUNGEN.1
(Mit gütiger Unterstützung von E. Mogk und A. Wetzel.)
1846.
Zur kentnis einiger handschriften des Sueton. Philologus I, 631 — 039.
1) Vgl. Ed. Alberti, lexicon der Schleswig - Holstein - Lauenburgischen and Eutinischen Schrift-
steller II (186S) s. 68 — 69 und die fartsetztmg desselbon workes II (1886) s. 48.
Fortgelassen sind die artikel , die Mübius für die 10. aufläge des Brockhausschen conversations-
lexieons beisteuerte, sowio einige anonyme recensionen in Gersdorfs reportorium aus den jähren 1850 —
1S60, die meiner meinung nach ebenfals von ihm herrühren, ohne dass ein zwingender beweis sich fuh-
ren Hesse. Die in den fraglichen anzeigen besprochenen bücher sind die folgenden :
VIII (1850) 1, 193 — 197: E. G. Geijer, samlade skrifter.
IX (1851) 1, 210 — 212 und 3, 86—88: A. Oehlenschläger , lebenserinnorungen.
XI (1853) 4 , 32 — 35 : Diplomatari um norvegiemn.
XV (1857) 4, 220 — 221: R. Prutz, Ludw. Holberg.
XVI (1858) 2, 162 — 164: Gullpörissaga ed. Maurer.
XVI (1858) 2, 27S — 280: Saxo grammaticus edd. P. E. Müller et M. Velschow.
XVIII (1860) 1, 6S — 71: K. Maurer, isllind. volkssagen der gegenwart.
XVIII (1860) 3, 121 — 123: G. v. Leinburg, hausschatz der schwedischen pr.
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIII. 30
406 GERING
$50.
An ■ Sturzenbecher, die neuere schwedische litteratoi (Leipz. 1850).
Leipziger repertorium der deutschen und ausländischen litteratur VIII, 3,
\\. • \ .: Annaler for nordisk oldkyndighed 1849.
Leipz pertorium TUE, 4, 197 — 202.
1851.
Ida, die ältere und jüngere nebst den mythischen erzählungen
Skalda übersezt und mit erläuterungen begleitet von Karl Simrock (Stuttgart
und Tübingen 1851).
Lit. centr.-bl. 1850/51, sp. 180 — 1S1.
An von: Ivar Aasen, det norske folkesprogs grammatik (Krist. 1848) und von:
Ivar Aasen, ordbog over det norske folkesprog (Krist. 1S50).
Leipziger repertorium IX, 1, 133 — 136.
An von: Joh. Erik Rydqvist, svenska spräkets lagar. l8** bandet (Stockh. 1S50).
la. IX. 3, 12S— 130.
Ar: von: Barlaams ok Josaphats saga, udg. af I». Keyser og C. R. TJngcr
# 1).
[it centr.-bl. 1850/51, sp. 470 — 471.
1852.
er die ältere isländische saga. Eine zur habilitation in der philosophischen facultät
r Universität Leipzig am 12. augnst vormittags 10 uhr im collegium juridicum
öffentlich zu verteidigende abhandlung von Theodor Möbius, dr. phil. Leipzig,
druck von Giesecke & Devrient. 1852. (2), 92 s. 8.
1853.
Anzeige von: Annaler for nordisk oldkyndighed 3851 und von: Antiquarisk tidskrift
—51. Leipziger repertorium XI, 2, 292 — 294.
1854
Anzeige von: Saga Dittriks konungs af Bern, udg. af C. E. Unger (Christ. 1853).
Lit. centr.-bl. 1854, sp. 97.
1855.
mstrvallasaga. Theodorus Möbius edidit. Breitkopfius et Haertelius sumptibus
iflielmi Engelmanni presserunt. Lipsiae a. MDCCCLV. XXYITI (II), 80 pp. 8.
1856.
Catalogus librorum islandicorum et norvegiconim aetatis mediae editorum versorum
illustratorum . Skaldatal sive poetarum recensus Eddae Upsaliensis Theodorus
Möbius concinnavit et edidit. Lipsiae, apud "W". EDgelmann. MDCCCLYI. XII
(II . 206 (1) pp. 8.
.. ' taloguß8 mit berichtigungen und nachträg
ipziger r< ium XIV. '.',. 193 — 19
r. ■ r- 1858.
uinnregin. (jinnungagap.
Algem. encyklop. Beet. I, band 67. ;14.
von: L. Ettmüller, versuch ein"]- strengeren kritischen behandlung altnor-
•her gediel Zürich
hr.-bl. 24 — 526.
AUGUST THEODOR MÖBT1 407
Anzeige von: Inscription runique duPiree, interpretee parC. Chr. Rain (Copenh. L856).
Leipziger repertorium XVI, I, 35 — '.)'.
1859.
Analecla Norrcona, Auswahl aus der isländischen und norwegischen litteratur des
mittelalters hrg. von Theodor Möbius. Leipzig, verlag der J. C. Einrichscheii
buchhandlung 1850. XIV dl). 319 (1) ss. 8.
Aegidius Girs.
Algem. encyklop., Beet. I, band 68, s. 221— 225.
Gjallarbru. Gjallarhoru. Ebda. s. 356.
Karl Christopherson Gjörwell. Ebda, s. 356 — 357.
Gleipnir. Ebda, sect. I, band 69, s. 39 7.
Anzeige von: Annaler for nordisk oldkyndighed 1855 — 57.
Leipziger lvpertorium XVII, 1, 339 — 341.
1860.
Edda Ssmundar hins fruda, mit einem anhang zum teil bisher ungedruckter gedichte
hrg. von Theodor Möbius. Leipzig, J. C. Hinrichssche bnchhandlnng. 1860.
XVIII, 302 ss. 8.
Fornsögor. Vatnsdaelasaga, Hallfredarsaga, Fluamannasaga hrg. von Gu&brandr
Vigfüsson und Theodor Möbius. Leipzig, J. C. Hinrichssche buchhandlang.
1860. XXXI (I), 237 (1) ss. 8.
Gnu. Algem. encyklop., sect. I, band 70, s. 398.
Gotfred. Ebda, sect. I. band 71, s. 428.
Anzeige von: Fr. Pfeiffer, altnord. lesebuch (Leipzig 1860).
Litt, centr.-bl. 1860, sp. 410.
1861.
Johann Göransson. Algem. encyklop., sect. I, band 72, s. 113.
Anzeige von: Fire og fyrretyve for en stör del forhen utrykte prover af oldnordisk
sprog og literatur, udg. af Konr. Gislason (Kbh. 1860).
Litt, centr.-bl. 1861, sp. 11.
Anzeige von: Ancient danish ballads, translated .. by E. C. Alex. Prior (London 1S60).
Litt, centr.-bl. 1S61, sp. 13.
Anzeige von: Die Edda, herausg. von H. Lüning (Zürich 1859).
Litt, centr.-bl. 1861, sp. 762.
1862.
Gor. Algem. encyklop., sect. I, band 74, s. 289 — 290.
Anzeige von: Islenzkar pjödsögur og aeventyri, safnad heflr Jon Arnason. 1. bindi
(Lpz. 1862). Litt, centr.-bl. 1862, sp. 296 fg.
1863.
Anzeige von: ErikJonsson, oldnordisk ordbog (Kbh. 1863). Litt, centr.-bl. 1863, sp. 830.
1864.
Über die altnordische philologie im skandinavischen norden. Ein vor der germa-
nischen section der philologenversamlung zu Meissen (29. sept. — 2. okt. 1863)
gehaltener Vortrag von dr. Theod. Möbius, piofessor an der Universität zu Leip-
zig. Leipzig, verlag der Serigschen buchhandlung. 1864. 40 ss. 8.
Übergang von l in d.
Zs. f. vgl. Sprachforschung XIV, 277 — 278.
Jacob Gräborg di Hemsö.
Algem. encyklop., sect. I, band 77, s. 217.
30*
GERING
Haus Gram. Algem. encyklop., sect 1. band 78, 8. 320 — 321.
Anzeige von: Dietrich, Altnordisches lesebuch, 2. auil (Lpz. 1SG4i.
lermania IX. 337 — 352.
ichtigung. Germania IX. 495.
1865.
Anzeige von: Eyrbyggja saga, heransg. von «'. Vigfusson (Lpz. 1S64).
Litt, centr.-bl. L865, sp. 244.
1866.
Altnordis ssar. Wörterbuch zu einer answahl alt -isländischer und alt-nor-
wegischer prosatexte von dr. Theodor Möbius, professor an der Universität in
. druck und vorlag von B. G. Teubner. 1866. XII, 532 ss. 8.
1869.
Ares Isländerbuch im isländischen text mit deutscher Übersetzung, namen- und Wör-
terverzeichnis und einer karte zur begrüssung der Germanisten bei der XXVII.
deutschen philologenversamlung in Kiel, 27 30. September 1869, hrg. von dr. Theo-
dor Möbius, professor au der Universität in Kiel. Leipzig, druck und vorlag
von B. G. Teubner. 1869. XXII (II), 88 ss. 8.
scher litteraturbericht. Zs. f. deutsche phil. I, 389 — 437.
Zur kentnis der ältesten runen.
Zs. f. vgl. Sprachforschung XYIII, 153 — 157.
Zur geschiente de> buchdruckes auf Island. (Anzeige von: Jon Jönsson, söguagrip
um prentsmidjur og prentara ä Islandi, Reykjavik 1867.)
Serapeum XXX. 105 — 106.
1870.
Zur kentnis der ältesten runen. IL
Zs. f. vgl. Sprachforschung XIX, 208 — 215 und 230.
1871.
Dänische formculehre von Th. Möbius. Kiel, vorlag der Schwersschen buchhand-
lung. 1871. VIII. 136 ss. 8.
Anzeige von: Die Skidanma von K. Maurer (München 1869).
Z^. f. deutsche philol. III. 227 — 233.
Anzeige von: K. F. Söderwall, hufvudepokerna af svenska spräkets utbildning
Lund. 1870 1.
X~. f. deutsche phil. III, 233 — 236.
Anzeige von: Lilja ed. by Eirikr Magnüsson (Lond. 1870). Academy 1871, nr. 2:».
1872.
die altnordische spräche von dr. Th. Möbius, professor an der Universität in
KieL Halle, verlag der buchhandlung des Warenhauses. 1872. (IY), 59 (1) ss. 8.
_I)en in Leipzig am 22. — 25. mai 1872 zur XXYIII. deutschen philologenver-
samlung vereinten germanisten gewidmet von Th. M. aus Leipzig."
1873.
Vom sief. Germ. XYIII. 129—147.
Anzeige von: Riddarasögur hrg. von E. Kölbing (Strassb. 1872). Zs. f. deutsche phil.
Y. 217—225.
1S74.
Islendinga dräpa Hauks Yaldisarsonar, ein isländisches gedieht des XIII. jahrhun-
- von Th. Möbius. ä paratabdruck aus der einladungsschrift der Kieler
uni ■ it zur fei ri I . sr. majestät des kaisers von Deutschland
AUGUST THEODOR MÖBIUS 469
und königs vod Preussen Wilhelm I. am -'2. märz 1874. Kid. druck von C. F.
Mohr. 1S74. (II), 65 88. 4.
Malshättakvaeäi.
Zs. f. deutsche phü., ergänzungsband , b. 3—73 und 615 -616.
l'lier die Heimskringla.
Zs. f. deutsche phil. V, 141 — 1 IG.
1876.
Die Lieder der älteren Edda (Ssemundar Edda) hrg. von K. Eildebrand. Paderb.
1876. XIV, 323 ss. 8.
Von Th. M<")l>ius die bearbeitung der Hamdismäl und der Fragmente eddischer
lieder in Sn. Edda und Volsungasaga (s. 296— 306), sowie die iibersichl über die
strophenfolge derVoluspä (s. 307 — 308), das n amen Verzeichnis (s. 309 321), die
Dachträge und berichtigungen (s. 322 — 323) und die vorrede (s. EU— VI) aebsl
dem inhalt und der erklärung der im kritischen commentar gebrauchten abkür-
zungen (s. VII — XIV).
Anzeige von: Edda Snorra Sturlusonar fori. Jonsson gaf üt (Kaupm. 1875).
Zs. f. deutsche phü. VII, 246 — 249.
Anzeige von: Jomsvikinga saga utg. af G. Cederschiöld (Luud 1875).
Germania XXI, 103 — 109.
1877.
Analecta Norroana. Auswahl aus der isländischen und norwogischen litteratur des
mittelalters hrg. von Th. Möbius. Zweite ausgäbe. Leipzig, J. < '. Qinrichssche
buchhandlung. 1877. XXXI (I), 338 ss. 8.
Berichtigung [zu Anal. Norr.2]. Germania XXII, 508.
t' hersetzung des altisländischen Physiologus in: Die aethiop. Übersetzung des Physio-
logus, hrg. von Fr. Hommel (Lpz. 1877) s. 99 — 104.
1878.
Anzeige von: S. Bugge, tolkning af runeindskriften pa Rökstenen i Östergöland (Stockh.
1878) und S. Bugge, runeindskriften paa ringen i Forsa kirke (Christ. 1877).
Zs. f. d. phil. IX, 478 — 484.
Anzeige von: Leifar forma kristinna freeeta islenzkra, prenta ljet Porv. Bjarnarson
(Kaupm. 1878).
Zs. f. deutsche phil. IX,. 484 — 488.
1879.
Hattatal Snorra Sturlusonar hrg. von Th. Möbius. I. (gedieht). Halle, vorlag der
buchhandlung des Waisenhauses. 1879. (IV), 121 (1) ss. 8.
1880.
Verzeichnis der auf dem gebiete der altnordischen (altisländischen und altnorwegischen)
spräche und litteratur von 1855 bis 1879 erschienenen Schriften. Von Th. Möbius.
Leipzig, vorlag von Wilhelm Engelmaun. 1880. IV, 129 (3) ss. 8.
1881.
Hattatal Snorra Sturlusonar hrg. von Th. Möbius. IL (gedieht und commentar).
Halle, verlag der buchhandlung des Waisenhauses. 1881. (IV), 138 (2) ss. 8.
Anzeige von: Nikolasdrapa Halls prests ed. by Will. H. Carpenter (Halle 1881).
Zs. f. deutsche phil. XIH, 496 — 500.
470 Vi 'IGT
$83.
Über die ausdrücke fornyräislag, kviduhdttr, Ijöäahdttr.
viv for nord. fil. I. 288—294.
18S4.
teilen in der altnord. litteratur.
Zs. f. deutsche phiL XVJI. 222—223.
1886.
von Th. Mob i us. Halle, vorlag der buclihandluug des Waisen-
hauses. H . - 2) BS. 8.
1887.
Anzeige von: K. Hj. Kempff, bild- och runstenen i Ockelbo (Gelle ISST).
Zs. f. deutsche phiL XX, 2.11 — 252.
An.: a: Edda Snorra Sturlusonar, ed. Arna Magn. 111, 2 (Havn. 1887).
Litt, centr.- bl. 1SST, sp. 1507.
LITTEEATUR
De i mate latino Walthario. Thesim proponebat facultati litterarum
Parisiensi ad gradum doctoris promouendus Charles Schweitzer. Lute-
tiae Parisiorum typis Berger - Levrault et sodalium 1889.
Der Verfasser beabsichtigt in diesem buche 1. die in Frankreich zu wenig
ergebnisse der deutschen Walthariusforschung seinen landsleuten in kürze
mitzuteilen; '_'. stil und versbau des gedientes einer selbständigen Untersuchung zu
unterziehn, um so neue aufschlüsse über text, handschriftenverhältnis und Verfasser
zu gewinnen.
Was zunächst 1. betrift, so wissen wir nicht, ob trotz der ausgäbe Du Monis
in seinen doch gewiss auch in Frankreich fleissig gelesenen Poesies populaires latines
der "Waltharius dort so unbekant geblieben ist, wie hier behauptet wird, zwei-
feln aber, ob gerade eine doctordissertation der geeignete ort ist, um weiteren kreisen
• adnis und Würdigung eines seit Jahrzehnten unverdient bei seite geschobenen
werkes zu erschliessen.
Verfasser bietet nun in A 1 (s. XI — XX) nach Scheffel - Holder und Peiper
eine aufzählung und kurze beschreibung der handschriften ; in A 2 ( — XXVIII) nach
•ndenselben. auch nach San-Marte und Goedeke ein Verzeichnis der druoksehrif-
ütteratur; in B 1 (1 — 6) eine ersichtlich nach J. Grimm s. 78 — 97 gearbeitete
analyse, in der aber ganze strecken (123 — 220, 358 — 418, 515 — 571, 615 — 645,
1287 — 1359) einfach übergangen oder wie der ganze kämpf am "Wasgenstein (676 —
1061 in kaum 9 zeilen!) flüchtig angedeutet, alte fehler (wie 428 quater denis =
quatuordeeim , vgl. 1450) widerholt sind und somit weder dem kenner noch dem
nichtkenner etwas wirklich geniessbares und aufklärendes dargereicht wird; in B2
— 33) nach J. Grimm, San-Marte u. a. eine Zusammenstellung der sagengeschicht-
lichen Zeugnisse; in B3 ( — 38) den nachweis der von Unland aufgefundenen, von
effel und Becker genauer beschriebenen örtlichkeit des kampfes, deren richtigkeit
er aus eigner anschauung bestätigt. Wissenschaftlichen wert beanspruchen diese
abschnitte nicht und haben sie nicht; sie begnügen sich mit einer im ganzen beson-
nenen widergabe älterer ermitlungen.
ÜBKH BCHWEITZEB DB WALTHARIO 471
Erst von dem dritten teile, in den wir jezt eintreten, haben wir eigene For-
schung und neue gesichtspunkte zu erwarten. Cl (De poematis ßermone, 39— 13)
zählt nach Grimm, Geyder und Peiper einige Btileigentümlichkeiten auf, nämlich
germanismen (auch mehrere selbstgefundene, von denen z. 1». anterior dies, tut
facies vielmehr zum späÜatein gehören), spätlateinische, griechische, altlateinische
worte, den abweichenden gebrauoh der tempore, quod statt <\r> a. c. i., distribu-
tiva statt cardinalia. Wenn wir auoh dem Verfasser zugeben wollen, dass er ein
paar in die äugen Bpringende abweiohungen von der 1. ' hen dichtersprache mehr
hat, als seine Vorgänger — was will d. Leuten? Eeutzutage muss man. wenn
jemand eine selbständige erörterung der latinität des W. ankündigt, eh chöpfende
Zusammenstellung der vulgär- und spätlateinischen bestandteile in Wortschatz und
grammatik unter benutzung von Kaulen, Rönsch, Paucker, Wölfflin u. a., wie den
reichhaltigen indices der neueren editionen, und mit vergleichender heranziehung der
seit E heil LG. 111 so bequem benuzbaren litteratur des X. Jahrhunderts verlangen,
von welcher der Verfasser nicht ein haar mehr weiss, als ihm Grimms und Schmel-
lers Lateinische gedachte bieten. Zugleich gehörte in diesen abschnitt der nachwi
der formalen abhäugigkeit Eckehards von der altrömischen poesie, zumal von Vergil.
Wenn sich der Verfasser einmal die mühe nähme, das IV. und V. kapitel meu
einleitung zum Yscngrimus durchzulesen, dann würde ihm klar werden, wie etwa
C 1 anzulegen gewesen wäre.
C2 (De re metrica, 44 — 71) trägt zuerst nach Peiper ein kurzes Verzeichnis
der formalen quellen des Waltharius nach, gibt dann nach Grimm und Peiper das
wichtigste über prosodie und versbau (1431 si qua ädeö ist ndat. unmöglich, lies
si quando; her/' 372 „ gestern u ist mlat. nicht unmöglich und causa differentiae
erklärbar, zum unterschiede von keri = doniini) und führt nun die neue hypoth
vor: poetam nostrum in inchoandis versibus concentum quemdam singularum vocum
et repetitionem eorumdem sononim diligentissime conseetari, ita ut nullus in toto
carmine versiculus reporiri possit, qui non, praeter metrieam legem, tinnitu quodam
consonantiaque syllabarum exoniatus sit. Der arme Eckehard! Bei dem bau jed
einzelnen verses hatte er nach des Verfassers ausiührungen also zu beobachten: das
Vergilische vorbild, die antike prosodie und metrik, den leoninischen reim, buchsta-
ben-reim bez. assonanz, inneren silbeu-reim bez. assonanz (wie 548 innoeuus >/>>
t'mxen't inquit, 1020 liquerat atque)\ Man weiss, dass der Waltharius d | ci-
men eruditionis war, mit dem der dichter, wie AValat'rid von Beichenau mit den
visionen "Wettins und "Walther von Speier mit dem leben des h. Christophorus, seine
lchrjahre abschloss — nun, wir zweifeln, wenn so vielseitige anforderungen wie an
Eckehards versbaukunst an die vorliegende dissertatiou gestylt worden wären, ob man
ihr dann das imprimatur erteilt hätte. Man weiss, welche grossen Schwierigkeiten
zehn jähre später dem mönche von S. Evre die blosse durchführung des Leoninischen
reims verursachte — indessen diese aufgäbe war noch kinderleicht gegen die he
hier dem zögling von S. Gallen zugemutet wird. Aber derartige litterarhistori»
Seitenblicke beirren den Verfasser nicht: er sieht in den versen de> Waltharius nur
ein gemisch aus allen möglichen und einigen anderen reimformen; aus allen zeilen
tönt ihm ein melodisches gebimmel und geklingel, gebrumme und gesumme, gebrause
und gesause entgegen.
Wäre es dem dichter wirklich darauf angekommen, möglichst viele an- und
einklänge zu häufen, so würde er doch sicherlich zunächst die am ende des 0. Jahr-
hunderts mode gewordenen, schon bei Salomo von Konstanz (W.Grimm Zur geschiente
472 VOIGT
59) durchgeführten Leonine durchweg angewant haben. Nun gilt aber
h heute uneingeschränkt, was Grimm s. XXV darüber sagt: die casus S. Galli
fiberlieferten wol einzelne Leonine m V... indessen sei er ihnen in die* rös-
- en dichtung ziemlich ausgewichen, doch schlichen sich manche ein. Wir wäh-
len zur sti □ und die lezten 100 verse des Sch.-H. -textes. In
dei äind (nach Schema 3 — 6) 19 und (nach Schema 4 — 6) 14,
zusammen 33, in der lezten 30 und 4 Leoninc; in 23 bez. 25 von diesen ist aber
Lchte 1 r (vgl. W. Wackernagels vorrede zu seiner Gesch.
hex. und pent.) der symmetrischen anordnung der Satzglieder, die
i den alten so häufig zum ungi in gleichklang führte. Da somit in bei-
aller a reimlos, in dem übrig bleibenden einen drittel wider
nur ii. ataktischen parallelismus der vershälften fast unwilkürlich
reimt sind, so könte man bloss in dem i mden neuntel den reim als beabsich-
t und gesucht betrachten. Gewinnen wir so deu eindruck, dass der dichter, weit
lernt von einer plann q durehreimung des ganzen, eben nur, sei es im zuge
der symr hen versanlage, sei es der gewöhnung an die klösterlichen reimspie-
lereien nachgebend, den reim habe einfliessen lassen — wie sollen wir da in den
etwa vorkommenden inneren an- und einklängen absieht und methode suchen?
Un e gilt von den vermeintlichen allitterationen und buchstabenkunststücken.
Mit demselben rechte, wie der Verfasser bei Eckehard, könte man bei Vergil anneh-
men, dass derselbe in der zeile Musa , mihi causas memora, quo numine laeso
habe allitterieren und in dem verse Axma uirumaue cano, Tvoiae qui pvimus ab
. in Classibus hie locus, hie aale certare solebant das c habe hervor-
heben wollen.
Aber es ja: -Au ihren fruchten solt ihr sie erkennen". Sehen wir also,
der Verfasser in C3 (' — 78) seine reimhypothese für die texteonstitution fruchtbar
zu machen sucht. Er liest 924 inertia (martia ist durch Cßy und Verg. Ecl. IX,
12 bezeugt), 264 Affer (wodurch Diripc 265 beziehungslos werden würde; Peipers
interpunktion macht alles klar). 700 quiequam (nur in ß und von diesem offenbar
hineincor . da ihm der auch sonst, z. b. Fee. Eatis I, 249, bezeugte mlat.
rauch von quisque für quisquam anstoss erregte), 1036 uacuauerat nuluam (deu
dadurch hineingebrachten prosodischen fehler beseitigt er durch die annähme, das
anlautende u müsse wie das englische w vocalisch ausgesprochen werden und mache
dann keine position!), 109 illos (während das von CD BT überlieferte ambos durch
hslung — versschluss illos 101, 10G, ambos 100, 109 — bestä-
* wird), usf. Ein wirklicher gewinn für den Wortlaut des gedichts ergibt sich auch
aus den weiterhin besprochenen stellen nicht: es wird entweder die ohnehin festste-
hende Lesart tx I oder gar die eine oder die andere korrektur von ß dem original
zul n.
Nachdem Verfasser dann in C4 ( — 90) die handschriften nach Peiper auf die
4 familien a. -;. y. 6' zurückgeführt und darauf hingewiesen hat, dass bald in die-
1 in jener familie seine vermeintliche allitterierend-assonierend-leoninische
urlesart erhalten ist, muss er natürheh, um ein recht zu deren einsetzung zu gewin-
nen, in C5 ( — 103) den stambaum etwas verändern. So nirat er denn auf dem
uns d gründe von stellen wie 264, 1386 (leuis statt laeua ist nicht anzutasten,
ht wie oft plural - ngular. L386b = „obwol kein geübter linksschläger^),
1173 (wo er In. mint vermutet). 500 (er Bchreibt Ldcrius, aber infra statt intra ist
gemein-niLr / nenus sei absurd!; zwischen dem ori-
ÜBER SCHWEITZER DE WALIHABIO 473
ginal X uud i mit interlinearen and marginaleii besserungsvorschlägen
ausgestattete ableitnngsstufe X1 an, aus der die handschriften in der zeitlicheü fol{
,;, (T, c. y entstanden s«i«-ii ond wilfciirlich bald die klangvolle genuina, bald die
klanglose uariatio übernommen hätten. Dies Bucht er durch den hinweis auf die
weJ-zusätze der handschriften zu begründen. Derartige Zusätze fehlen mm aber ganz
in ;■; und tf, Bind nicht für c. erweislich (in A i-t 523 mouerent eine irtümlich zum
rang einer variatio erhobene in C sind 503 tante uud 'iT'_' agamus bloe
berichtignngen von Bchreibfehlern, durch dir nicht eine Variation, Bondern die von
allen übrigen handschriften überlieferte Vulgata eingesezt wird), folglich nur für y
anzunehmen, d. h. für die zweifellos variierte Geraldgrnppi Somit i>t dem Ver-
fasser der nachweis eines variierten codex X ' nicht gelungen; wenn sich dieselbe
falsche lesart in den Vertretern verschiedener handschriftenfamilien, /.. 1>. in A und 1)
findet, so ist das nicht dadurch zu erklären. genuina ond uariata in beider
vorläge stand, sundern daraus, dass sieh die abschreiber unabhängig von einander
und von der quelle sei es in die epische formel überhaupt (358), in ähnliche
versstellen desselben gedichts, die in ihrem ohre noch fortklangen, bineinverirten
(109; 534, vgl. 477; 747), vgl. 742; 1160, vgl. für sie 1097, 880, für cum 990;
344 steht nach Holder wicum in aß\ dunkel bleibt 545; beide fehlerarten auoh in A.
wie 1354; 773, vgl. 604, 653; 1443, vgl. 1367;.
In C6 ( — 113) berichtet Verfasser dann noch über urheber und nachbesserer
des gedichts, zu welchen lezteren er auch den magister Victor von s. Gallen rech-
net; in C7 ( — 117) über die lateinische dichtung im 9. und 10. Jahrhundert
Zeigt die vorliegende dissertation daher auch, dass sich ihr Verfasser mit der
Walthariuslitteratur wolvertraut gemacht hat und über den vorgefundenen stand der
erkentnis hinaus ernstlich nach neueu Wahrheiten strebt, so ist ihm doch der ver-
such, auf diesem gebiete treffende und fruchtbringende gedanken zu entwickeln, völ-
lig mislungen. Wir können junge aufstrebende talente nur widerholt vor dem wahne
warnen, als sei das latein des mittelalters ein Kampfplatz, auf dem man sieh ohne
schwere kriegsausrüstung und erheblichen kraftaufwand durch ein paar einfalle die
rittersporen verdienen könne. Die lateinischen gediente von Grimm und Schm eller
sind gewi>s ein recht verdienstliches buch, aber doch kein mittellateinischer katechis-
nius. Wir haben seit 1838 recht bedeutend zi t, ebenso für den Waltharius
wie für die mlat. spräche und litteratur nacli allen richtungen hin. AVer hier mit-
reden will, von dem müssen wir daher nicht bloss eine gründliche fachbildung ver-
langen, sondern auch den rechten takt in der wähl des themas. Die Waltharistrasse
ist eine der schönsten unseres gebietes: fahrdamm und bürgersteige sind fest und
dauerhaft gepflastert, herrliche gebeäude erheben sich an beiden Seiten, und sie all,,
überragt der von meister Scheffel erbaute Eckehardtempel. Wer auf ihr wandelt.
der bewundere und geniessc. Aber nicht alzuweit davon i>t noch dichter urwald.
Und wer ein ritter werden will, der schmiede sich ein schwelt und haue sieh durch
wildes gestrüpp eine bahn in das dickicht — da kann er neues, wunderbares erleben
und anderen davon berichten.
BERRLIX, JULI 18S9. EBHST VOIGT.
474 0. ERDMANN
Die homiliensamlung dos Paulus Diakonus die unmittelbare vorläge
d^s Otfridischen evangelienbuch« s. A'on Georg1 Loeek. (Kieler disser-
tation L890.) Lei] . Ö. Fook. 47 s. 1,50 m.
Per vor: weist als das schon 1S33 von Lachmann in seinem aufsatz über
Otfrid (Kl. sehr. 1 . 451) vermutete „umfassendere und kürzere werk", welches Otfrids
erläuterungen und deutungen zu gründe liege, die homiliensamlung nach, welche
Paulus Diaconus im auftrage Karls des Grossen zusammengestelt hatte. Diese aus-
wahl war durch ein besonderes kaiserliches schreiben an die biBchöfe des reiches
nach fassung und textgestaltung vor anderen weniger sorgfältigen als massgebend für
lesung bei kirchlichem gebrauche bezeichnet worden: „quarum [lectionum] om-
nütm texhtm nostra sagacitair perpendentes , nostra eadem volumina auetoritate
nstabilimus vestraeque religioni in Christi eeclesiis tradimus <id legendum
. Patrologiae cursus, series latina 95, 1101); sie hat der geistliehkcit des
Karolingischen reiches lange als mustersamlung von predigten gegolten. Es war
- • ein glücklicher gedanke des herrn Loeck, diese in band 95 der grossen ausgäbe
voi .e übersichtlich zusammengestelten homilien fortlaufend mit dein Otfridtexte
zu vergleichen. In der tat hat sich bei sorgfältiger durchsieht ergeben, dass der
T'il der bisher als quellen Otfrids nachgewiesenen kommentarstellen in dieser
Homiliensamlung des Paulus Diaconus sich ebenfals findet, und zwar viele in einer
zu Otfrids worten viel genauer passenden fassung. Die stellen sind von Loeck,
soweit sie nicht wörtlich mit den von Kelle, Piper und mir bereits nachgewiesenen
kommentarstellen übereinstimmen, volständig neben dein Otfridtexte abgedruckt.
Viele nach Weisungen Loecks aus der Homiliensamlung betreffen aber auch
solche kapitel Otfrids, für welche man bisher noch gar keine quelle kante; dies gilt
namentlich für Otfrid V. 2. Y, 4. Y, 19. 20. 21, sowie auch für das umfangreichste
stück Y. 23. in dem freilich lange stellen wie v. 145 — 222 ohne entsprechenden
nachweis bleiben. In v. 126 dieses kapitels lassen Otfrids worte und auch das hin-
zugefügte Marginale auf pax et just Uta einer lateinischen quelle schliessen, nicht
: der angefühlten homilienstelle zu lesen istj pax et laetitia.
Im ganzen ist die zahl der von Loeck nachgewiesenen Übereinstimmungen so
gross, dass man in der tat annehmen muss, Otfrid habe bei abfassung seiner erläu-
terungen und allegorischen deutungen fortlaufend entsprechende homilien aus der
samlung des Paulus Diakonus zu rate gezogen.
ie neu oder genauer als früher nachgewiesenen quellen geben manchen neuen
beitrag zur erläutcrung. Für Y, 6, 11 wird klar, äassjungero für junior, nicht für
iciptdus steht, wie ich in meinem kominontar vermutet hatte. Y, 4, 40 ist iu
gibura = vestri eoneives, vgl. IV, 5, 37. Y, 20, 20 forahtliclio = in
gstlich vegen ihrer schutxbefohlenen).
Man' llen freilich versucht herr Loeck mit unrecht aus jener homi-
liensamlung abzuleiten, da die bisher nachgewiesenen kommentarstellen eine genauere
üb aung mit Otfrids worten zeigen. Dies gilt nach meiner meinung für
Er. I. 4. 85. 86. I, 17, 71 (wo twarto zu dem bei Ecda erwähnten sacerdotiuw,
nicht aber zu den worten der Gregorianischen homilie passt). II, 8, 23 fg. II, 11,
41 fg. \\\ 3. 13—10. IY. 5, 5. Für die stellen II, 4, 45 fg. 01—05. II, 8, 24,
IY. 0. 45. die sicher auf die von mir angeführten hommentarstellen zurückgehn, hat
herr Loeck im Homiliarius nichts entsprechendes gefunden. Dass der Matthaeuskom-
mentar des Hrabanus sogar für die bucheinteilung Otfrids massgebend gewesen ist,
glaube ich zu II. 7. 1. HE, 1, 1 gezeigt zu haben.
ÖBEB LOECK, VORLAGE OTFRIDS 475
Wenn also auch die homfliensamlnng des Paulus Diaconus die hauptsächlichste
unmittelbare quelle Otfrids aamentlich für die längeren allegorischen und moralischen
erläuterungen gewesen ist, so ist doch daneben auch eine einwirkung anderer kom-
mentare nicht abzuleugnen. Dass Loeci eine Bolche einwirkung nur in der erin-
sung Otfrids aus früheren Studien, ohne erneute einsieht in diese quellen bei abfa -
rung der erzählenden kapitel, zulassen will (s. 45fgg.), halte ich nicht füi berechl
Bei der berufung auf seine „parva memoria" ad Liutb. 37 spricht ütfrid nicht von
der erläuterung, sondern von der auswahl und anordnung der biblischen geschienten.
Den text der evangelien muss er doch jedes!.; tz für ßatz bei der abfassung
jedes erzählenden abschnittes verfolgt haben, volständiger und genauer, als er in den
homilien eitiert war.
Ich gehe bei dieser gelegenhoit — wie es schon Celle in der ausgäbe Otfrids
I, 66 fg. beim abschluss seiner grundlegenden quellenuntersuchunj etan hat —
eine übersieht derjenigen längeren stücke aus Otfrid, für welche auch jezi ooeh
(abgesehen von reminiscenzen an einzelne bibelstellen) keine quellen nachgewiesen
sind. Es sind dies: 1) Die Widmungen an Ludwig, Salomo und die St. Galler mönche.
2) Eingangs- und Schlusskapitel mehrerer bücher: I, 1. 2. II, 1. 24. ilf, 1. 26,
25 — 70. IV, 1. 37. V, 24. 25. 3) Eecapitulationen : II, 3, 1 — 58. III, 14. IV.
vgl. auch I, 3. 4) In die erzänlung eingelegte ausführungen: I, 5, 47 — 58 (hoheii
und macht Christi). I, 11, 7 — 18 (rede des kaisers an die Sendboten). :i7 — 54
(Marienhymnus). I, 15, 32 — 44 (ganz im predigertone gehalten!). I? 20, 0 — 21.
31 — 36 (kindermord in Bethlehem). II, 4, 5 — 38 (eindringen des teufeis in die
weit; der anfang wol zurückgehend auf die stelle im buche Hiob 1, 7 cireuivi b
ram et perambulavi eam). II, 6 (sündenfall). IV, 9, 21 — 24. 27 — 34. 12, 57— 64
(würde der apostel, hoheit und gewalt Christi). IV, 26, 11 — 26 (klage der trauen).
IV, 29 (deutung der tunica Christi auf die kirche; in der Wiener handschrift von
v. 13 an vom corrector eigenhändig nachgetragen!). IV, 35, 11 — 16. 41 — 44 (bedeu-
tung des erlösungstodes). V, 3 (gebet). V, 17, 14 — 36. 18, 7 — 16 (himmelfahrt
Christi). Es ist nicht unmöglich, dass für die eine oder die andere dieser stellen aoeh
eine anregung oder ein Vorbild in der theologischen litteratur nachgewiesen wird;
doch selbst wenn cUes geschehen solte, scheinen sie am meisten geeignet, die eigene
fähigkeit Otfrids in dichterischer darstellung, gefühlsäusserung und betraehtung erken-
nen zu lassen.
KIEL, IM AUGUST 1890. 0. ERDMANN.
Schriften zur germanischen philologie, herausgegeben von dr. Max Roe-
dig-er. II: Der satzhau des althochdeutschen Isidor im Verhältnis
zur lateinischen vorläge. Ein beitrag zur deutschen syntax von dr. Max
Rannow. Berlin, Weidmann 1888. X und 128 s. 8.
Zu den notwendigen vorarbeiten für eine althochdeutsche Satzlehre gehört eine
Untersuchung wie der ähnlichen von einer lateinischen vorläge abhängigen denkmäler
des 8. und 9. Jahrhunderts überhaupt, so namentlich die des redemächtigen und
glaubenseifrigen Isidorübersetzers. Bei der eigenartig freien Stellung desselben gegen-
über seiner vorläge wird bei diesem mehr als bei allen andern zur Vorbedingung
hierfür die beantwortung der frage, wie weit auf den ahd. ausdruck das latein von
einfluss war.
Einen wichtigen teil derselben übernimt dr. Rannow mit der oben genanten
arbeit. Es ist zunächst festzustellen, wie weit die abweichungen vom lateinischen
476 VON MONSTERBERG
durch den damaligen zustand der deutschen spräche bedingt und wie weit sie wil-
kürlieh sind. Rannow will die lalle der zweiten art sehr eingeschränkt wissen und
übt dem Übersetzer zutrauen zu dürfen (s. V), „dass er für gewöhnlich weder, wo
er dem lateinischen sich scheinbar anschliesst, dazu durch die fremde spräche auf
kosten d< r deutschen verleitet worden sein, noch, wo er von der vorläge abweicht,
dies ohne grund getan haben wird*, weshalb er ihn denn auch als ahd. sprachquellc
dem Otfrid mindestens gleich und über den Tatian <^y.\.
Die planmässigkeit der zahlreichen abweichungen daher darzutun und den
er! d Vorwurf alzugrosser wilkür zurückzuweisen (vgl. IL Gering, Die causal-
und ihre Partikeln bei den ahd. Übersetzern des 8. und 9. jahrh. , Halle 1S7G
A. Dennecke, Per gebrauch des infmitivs bei den ahd. Übersetzern des 8.
und 9. jahrh., Leipzig 1880 s. 8. 50) bleibt daher dem Verfasser beständig gegenständ
o dahingestelt bleiben, ob nicht überhaupt für den Sprachforscher
durch den nachw- freiheit das denkmal an wert nur gewinnen könte, da
ser ja doch nicht sowol die übersetzungskunst, als vielmehr die ureigne ausdrucks-
fahigkeit der damaligen spräche selbst kennen lernen will. Vielleicht war dann weni-
r eine Verteidigung der abweichungen geboten, als vielmehr die frage so zu stel-
len, in wie weit trotz jener freiheit der deutsche ausdruck durch das latein seiner
derzeitigen art entfremdet worden sei. Der verbleibende rest war als zuverlässige
quelle für die spräche eines gelehrten, scharfe und ausdrucksvolle rede liebenden
mannes jener zeit ohne weiteres zu betrachten.
Efe ergeben sich nun einige sechzig sätze, welche Veränderung ihrer art erfah-
n. L'nter den hauptsätzen (I. teil) sind von mehr als 109 lateinischen aus-
etwa 17 (§ G und 7), von etwa 28 heischesätzen (B) 3 (§ 11), von
fragesätzen (C) 5 (§ 12) im bau verändert. Bei den nebensätzen (IL teil) stelt
Verhältnis so: von 10 indirekten fragesätzen (A) keiner, von 68 relativsätzen
unter etwa 131 conjunktionalsätzen (C) 22 (§20 — 27). Im III. teile
folgt die Besprechung der lateinischen inf. . part. , gerundien und gerundive, soweit
s itze veranlassen. Mit wol geschultem philologischen blicke und fei-
nem Sprachgefühle findet nun Rannow für die änderungen bald grammatische gründe
zu 19, . 55 zu 33, 6), bald logische (anm. 15; s. 36; s. 68 zu 5, 23), bald
wohllai 3. 51; 102), bald des deutschen Sprachgebrauchs (s. 42; §9;
§18, 2a£; anm. 20; § 15 d), bald der deutlichkeit (s. 53 zu 29, 1; s. 69 zu 33, 23;
_^ - i) oder des nachdrucks (§ 40) und der tendenz (anm. 12; s. 46). Genauig-
keit andrerseits auch in kleinigkeiten , wenn derartige gründe nicht vorliegen, wird
gezeigt s. 18 und anm. 1.
In allen diesen fällen hat mich dr. Rannow fast durchweg überzeugt. Sofern
jedoch keineswegs immer nur bessere widergabe des auch im lateinischen implicite
enthaltenen, sondern meist eine weitere ausarbeitung des gedankens vorliegt, wrird
von freiheit und wilkür immerhin noch gesprochen werden dürfen, z. b. schon 5, 10
52; '.'. 10 s. 9!»: 2«.). 10; 17, 33; 15, 17 s. 80 u. a. Lediglich wil-
kür glaube ich sehen zu müssen im modus des bedingungssatzes 9, 28 s. 67 (vgl.
zu 47. 7 s. 29 und 30), 7. IS s. 68, zu 5, 11 s. 69, der folgesätze § 25, in dem
tempi II; 5. 14: 15. 19 s. 70 und 71, in dem genus verbi 15, 5 s. 71 und
72, in dem partic. 5. 10 s. 110. Arn wenigsten lassen sich alle, bisweilen recht
weitgreifende Satzumwandlungen für geboten erachten, z. b. nicht die in § 19 anter
c. I, ,. ;. :. 7, ,?. § 33;' berührten, nicht 5, 15 s. 72; 39, 24 s. 77 und 81; 5, 10
s. 71 12 s. _" Dass der Übersetzer seine vorläge, was durch das damalige
ÜBEB RANNOW, SATZBAU DES I8IDOB 1,7
deutsch gewiss oicht veranlasst war. an hypotaktischer gliederung sogar üborbiete,
wie Gering schon früher behauptete, gibt Rannow selbst zu (s. 43; 73), wenngleich
auch freilich zuweilen umgekehrt eine längere periode in mehrere zerleg! wird (s. 16).
Mehrfach ist daher auch Rannow genötigt den persuch einer rechtfertigung aufzu-
geben (s. 116; 41; 72), wie er auch widerholt die grund- and regellosigkerl (s. 21;
22; 50; 51; 72) der abweichungen wie auch vorhandene fehler einräumt (anm. 16; 34;
s. 31; (iL* zu 21, 29; 21, 1; :;. 8), Ganz recht aent er daher „die weise des man-
aes eine mehr umschreibende und erklärende als genau nach der vorläge über-
sende" (s. 18).
Lateinischer einfluss auf kosten des deutschen Sprachgebrauchs ist in den
wenigen ausnahmen s. 29; .".7; 116 angemerkt; ebenso mit recht die sorgfältige
berücksichtigung des deutschen s. IS; 47; 95; 96; V hervorgehoben.
Der Verfasser hat also, wie der titol verspricht, ein bild jener freiheit bezti
lieh der satzverhältnis iboten, mit gewissenhafter volständigkeit und Sachlichkeit
der polemik. Gelingt es nicht freiheit und selbst wilkür gänzlich in abrede zu Btellen,
so tritt doch durch Rannows mit vielem psychologischen Verständnis erbrachte nach-
weise über die art, wie der Übersetzer umschreibt und erklärt, der Charakter und
selbständige wert des Sprachdenkmals klar hervor.
Allenthalben wird gelegenheit zu wertvollen syntaktischen beobachtungen aller
art genommen, so über die ausbildung der hypotaxe, namentlich der relativsätze
(§ 4), über die attraktion derselben s. 48 und 100, über die stelluim der Sätze (wol
erschöpfend) §38 und s. 71, über die Stellung der worte im satze (§39), wozu
eine statistische berechnung über die Stellung des verbum finitum in zusammengesez-
ten formen im nebensatze gegeben ist anm. 5. Über den Chiasmus bei [sidor ist
anm. 8, über den gebrauch des modus § 13; § 26,-); s. 50, über ibu und nibu 8. G8,
über den passiven gebrauch des infmitivs § 32 (f gehandelt; ferner über die Verwen-
dung gewisser conjunktionen s. 59. 71. 82, über den dativ der vergleich um
über den absoluten dativ s. 107, über die undeutsche natur des acc. mit dem infin.
s. 92 fg. Ausserdem ist grosse aufmerksamkeit dem handschriftenverhültnis gewid-
met, und auch hier sind mehrfach beobachtungen gesammelt, die für die kritik nicht
zu unterschätzende handhaben werden können. Es sei hingewiesen auf anm. 9; 2; 12;
s. 9, womit zu vergleichen § 185. Ebenso ist sorgfältig auf alles geachtet, was auf
die persönlichkeit des Übersetzers ein licht zuwerfen geeignet ist (vgl. namentlich §40).
Die brauchbarkeit des buches ist dadurch erhöht, dass der stoff nach der herköm-
lichen satzeinteilung in eine bequeme Übersicht gebracht ist. Stets war hierbei der
lateinische text massgebend. Am ende jedes abschnittes ist das einzelergebnis, am
schluss der Untersuchung der gesamtbefund zusammengestelt; auch an einem alpha-
betischen Sachverzeichnis wie einer Übersicht der kritisch und exegetisch besproche-
nen stellen (es sind ihrer nicht weniger als 85) fehlt es nicht.
BRESLAU, SEPTEMBER 1889. VON MONSTERBERG.
Über syntaktische mittel des ausdruckes im althochdeutschen Isidor
und den verwanten stücken. Von dr. Henry Scedorf. (Göttinger beiträ
zur deutsehen philologie, hcrausgeg. von M.Heyne und W. Müller, III.) Pader-
born, Schöningh. 18S8. 88 s. 1,40 m.
Schon in der deutschen litteraturzeitung vom 3. nov. 1888, sp. 1001 hat ref.
die sorgfältige und gewissenhafte führung der Untersuchung in dieser Schrift lobend
T0MANETZ
hervoi _ n. ebendori auch den vorteil betont, den syntaktische Untersuchungen
der Ktteraturgeschichte namentlich in bezug auf die trage nach der Zugehörigkeit
zweier oder mehrerer denkmäler zu einem autor zu bieten im stände sind. So ist
auch 6 o nachzuweisen, dass zwischen dem sogenanten Isidor und
der ü' Matthäusevangeliums differenzen in dem syntaktischen verhalten
nmg zur vorlag« -hcn. welche die annähme verbieten, beide stücke
inem autor in einem g rtigt worden. Freilich bleibt noch die
offen, von einem autor, aber zu verschiedeneu zeiten verfasst
n beherschung der spräche inzwischen vervolkomt haben kann.
Ir. . die art der darstellung bei Seedorf mit der bei Rannow,
äg ebenfals über das Verhältnis des Isidor zur lateinischen vorläge
.rieb, zu liehen. AI g< sehen von der Verschiedenheit der nebeninteressen,
indem - irf den Isidor und andere ahd. stücke auf ihre verwantschaft prüft, Ran-
lfmerksamkeit der textkritik zuwendet, ist schon in der anordnung des
Res ein tiefgreifender unterschied zu finden. Rannow ordnet das material in her-
kömmlicher weise und stelt dar, wie 1) Lateinische hauptsätze, 2) nebensätze und 3)
inf. part. gerundium und genmdiv im deutschen widergegeben werden. Ganz and'
S dorf. Er versteht unti : „syntaktischen mittein des ausdruckes" jene sprachlichen
mittel, welche der bezeichnung der beziehungen 1) der worte im satze und 2) der
• iuander dienen. Hierher zählt er bezüglich des 1. punktes die casus-
ondungen und die bezeichnung von numerus und person am verbum. Indirekt wird
auch »Zeichnung von genus und numerus am nomen zu einem syntaktischen
mittel des ausdruckes. obwol diese modifikationen des wertes an sich vom satze und
der beziehung zu andern Wörtern unabhängig sind. Schliesslich sind erstarte casus-
formen, partikeln, adverbien und präpositionen . sowie die Wortstellung hilfsmittel zur
- ieutlichung der syntaktischen Verhältnisse. Die Steigerung des adjektivs, sowie genus,
• opus und modus beim verbum drücken keine beziehungen der worte im satz aus;
aber die modalität des verbs. mitunter in Verbindung mit der tempusbezeichnung drückt
undar das Verhältnis der sätze zu einander aus. Dasselbe wird auch durch wort-
und satzstellung erzielt, hilfsmittel sind schliesslich pronomina und erstarte casusformen
njunctiouen). Bloss auf den 1. teil, also die darstellung der sprachlichen bezeichnung
der Verhältnisse der worte im satze, beschränkt sich unsere abhandlung; die syntak-
tischen mittel zum ausdruck der beziehungen der sätze zu einander sollen später
wandelt werden. Diese disposition des materials ist gewiss geistreich und neu;
sie scheint auf Herzogs Vorlesungen über „theorie der griechischen und lateinischen
tax- zurückzugehen. Ich finde jedoch eine inconsequenz darin, dass die wort-
ilung im ersten falle bloss hilfsmittel ist. im zweiten falle aber als hauptmittel hin-
gestelt wird, ,,da sie bei ihrer Wichtigkeit in diesen Verhältnissen nicht als blosses
hilfsmittel betrachtet werden kannu. Dadurch wird ein neuer gesichtspunkt in die
einteilung hineingetragen, der ihre einheitlichkeit stört. Die Stellung der Wörter ist
doch keine modifikation an ihnen, sie fält also entschieden in beiden fällen ausser-
ha~ principe der einteilung: dasselbe gilt noch mehr von der satzstellung. Es
auch unpral die behandlung der Wortstellung in zwei teile zu trennen, wie
mir auch bedenklich erscheint, die partikeln zweimal gesondert von einander zu
-prechen. Charakteristisch ist es, dass sich Seedorf veranlasst sieht, von allen den
der ersten gruppe zugeteilten partikeln bloss die präpositionen zu behandeln, da -die
übrigen i im Zusammenhang mit abschnitt II zu besprechen sindu. Das scheint
wol darauf hinzudeuten, dass sich Seedorfs gruppierung des Stoffes in der theorie
BBEB >t;KDORF. SYNTAX DES I-M'ÖR 479
besser macht als in der praxis. E tso auffällig ist es, dass die vom satzban unab-
hängigen modifikationen der worte, besonders die am verb, also genus, tempus ond
teilweise modus, die nach Seedorfs ganz ausser acht gelassen werden könten
und selten, doch berücksichtigt werden, „weil die Übersetzer durch die armut ihrer
spräche an formalen bezeichnungen für diese modifikationen di 9 verbs — deren
behandlung gewöhnlich einen hauptteil der Byntax des einfachen satzes büdet —
;wungen sind, das fehlende mit hilfe syntaktischer mittel zu ersetzen". Bier zeigl
ii denn die Individualität des übe] ra am ehesten, darum ist liier die ver-
gleichung der lateinischen vorläge mit der Übersetzung von besonderem inten
Mit vollem recht wird diesen modifikationen des verbs ein eigenes kapitel gewidmet,
aber nur anhangsweise, denn dieselben lallen aus dem bereich de 3chaffenen
Systems heraus. Dass aber ein so wichtiges kapitel nur nebenbei in die darstellut
eingeschwärzt worden kann, spricht nicht für die disposition, die es principiell ai
schliesst.
Aber selbst wenn man Seedorfs anordnung des Stoffes völlig gutheissen könte,
wäre es fraglich, ob es sieh empfiehlt, eine derartige neuerung in einer solchen Bpe-
cialuntersuchung wie die vorliegende zur anwendung zu bringen. Immerhin ist die
loktüre der abhandlung und die aneignung ihrer resultate einigermassen erschwert.
Rannow hat mit seiner diesbezüglichen bemerkung (s. V. VI) nicht unrecht. Was
ferner das vergnügen an dem buche wesentlich beeinträchtigt, ist der übelstand, dass
die belege oft nur nach ihrem platze im text, nicht nach dem Wortlaute ciüert wer-
den, sodass man beständig bald den Isidor, bald das Math.-evangelium, bald
die denkmaler zur band nehmen und naehschlagen muss; bezeichnend ist dafür
der aublick der seiten 18 — 22. Rauuows ausführliches eitleren kann diesem verfah-
ren gegenüber nicht genug geschäzt werden. Dass Seedorf, wie er s. 78 mitteilt.
nicht sein ganzes gesammeltes material mitgeteilt hat, kann ich nur bedauern. Auch
der mangel einer inhaltsangabe und eines Verzeichnisses der stellen, die kritisch oder
exegetisch besprochen werden, macht sich unangenehm fühlbar.
"Was man aber auch gegen den rahmen, in dem Seedorf seine Untersuchung
vorführt, sagen kann — der inhalt derselben behält seinen vollen wert. Das material
-eheint (bis auf den anhang) volständig verzeichnet zu sein, und bei dessen bespre-
chung und Sichtung ergeben sich manche korrekturen zu den betreffenden kapiteln
des IV. bandes der grammatik, was ja bei so eindringender behandlung einiger klei-
ner denkmäler nicht anders möglich war; und bei dem bestreben Seedorfs, den grossen
Zusammenhang nicht aus den äugen zu verlieren, eröfnen sich auch interessante aus-
blicke in das gebiet der historischen syntax.
WIEN - WÄHRING , WEIHNACHTEN 1889. K. TOMANETZ.
Der ^Kloseimere" \Yalthers von der Yogelweide. Seine bedeutuug für
die heimatfrage des dichters. Von Karl Doinanitr. Paderborn, Schöningh.
1S89. 45 s. 1,20 m.
Der viel gesuchte klösenare ist gefunden: es ist niemand als Walther von der
Yogelweide selbst, der sich nach dem unweit der Yogelweide im Layener Ried bele-
genen Städtchen Klausen jenes pseudonym beigelegt hat. Damit ist denn auch die
„heimatfrage des dichter-" nunmehr endgültig entschiede!] !
4S0 F. VOGT, ÜBER DOMANIG, KLOSEN-ERB
Das is1 - wunderliche ergebnis einer wunderlichen auslegekunst, die mucken
s iht und kam« rschluckt; die Schwierigkeiten Schaft wo keine vorhanden sind,
dagegen über alles, was dem von vornherein gewünschten ergebnis klar und deutlich
widerspricht, völlig hinwegsieht, und dinge in die texte hinein interpretiert, die nie-
mand darin finden kann, wenn er unbefangen liest, was dasteht. Charakteristisch für
erfahren hon die deutung der an erster stelle von ihm bespro-
Lachm. 62, 10 ein klosencere ob < r\ vertrüege? ich wmne, er nein.
v als ich sie hän, bestüende in danne ein zörnelin, ea wurde
k,,. rdin. Walther Btelt hier scherzend seine Sanftmut über die eines
klausners, Dass der vergleich nichts auffälliges hat, zeigen Strickers verse war ich
. ich w - werden ungemuot. Domanig aber weiss soviel bedenken
- nächstliegende ausfindig zu machen, bis ihm die stelle nur dann „motiviert
und logisch, zugleich angemessen im tone" erscheint, wenn sie widergegeben wird:
.Die Sanftmut einmal wie ich hätt kein klausner (ein eremit meint ihr'?); jawol ein
Klausner (— so ein derber Landsmann von mir!) der zahlt euch jede unbill doppelt
heim!" Zuuä«h>r i-t da der comparativ unsanfter, der besonders gegen die übliche
auffassun_ - - rechen soll, irrig gedeutet; er vergleicht das mutmassliche
halten des klausners nicht, wie Domanig meint, mit dem grade einer unbill, die
■ klausner erlitten hat, sondern mit dem grade von Sanftmut, welchen der dichter
. wie die folgenden wolle zeigen: sicie sanfte iehx> also laxe sin. Von einem
heimzahlen u ist also gar nicht die rede. Sodann aber sind alle die worte,
'che in Domanigs Übersetzung eine beziehung auf den aus Klausen gebürtigen ent-
halten und die ganz unentbehrlich wären, wenn eine solche beziehung für irgend
.and verständlich sein solte, lediglich Domanigs zutat. — Noch schlimmer steht
mit d-:-r hehandlung der drei Sprüche, in denen der klosencere erwähnt wird. Hier
muss die Untersuchung natürlich von Lachm. 9, 16 fg. ausgehen, da auf die dort
ausführlichere einfuhrung des klausners in den beiden späteren Sprüchen
.3. 34. 33) ausdrücklich bezug genommen wird. Welche bedeutung hat also
dort jene rolle V Wie von hoher warte überschaut der dichter die ganze weit; alles
tun und alles reden nimt sein äuge und ohr wahr. Er hört in Eom betrügerische
anschlage gegen die beiden könige machen, er sieht über das reich hin den kämpf zwi-
ien weltlicher und geistlicher gewalt toben, er „hört fern in einer klause grosses
jammern: da weinte ein klausner, er klagte gott sein leid: „ „o weh! der papst ist zu
jung: hilf, herr, deiner Christenheit!" Dass der abseits von dem wütenden kämpfe der
;ffen und laien in stiller einsamkeit einem christlichen leben hingegebene klausner
hier als der typus eines über den parteien stehenden echten Christen gemeint ist,
iieint mir so klar, dass der Spruch keines weiteren kommentars bedarf. Aber mag
man in die fragliche rolle hineingeheimnissen was man will — so viel, solte man mei-
nen, müste doch feststehen, dass 1. der verre in einer klüs weilende klosenare
ein einsiedler ist; und dass 2. dieser einsiedler, dessen klage der dichter aus der
ferne hört, unter allen umständen nicht der dichter selbst sein kann. Domanig ist
an ansieht. Die behauptung. dass Walther sich hier selbst unter jenem von
iner heimat herzuleitenden doppelsinnigen pseudonym vorführe, weiss er durch
fo!_ Interpretation der oben wörtlich übersezten verse zu begründen: „ich kenne
einen, der dem parteigetriebe ferne steht und laut jammert über diese zustände (ihr
nt ihn auch!), den klausner; nach seiner meinung fehlte am papst". So werden
unter völliger nichtachtung des Zusammenhanges die klarsten und bestirntesten worte
des dicht und algemeine gezogen, bis man herausdeuten kann, v
G. KETTNEB, s< HII.LERI.iTTERATUR
mau wünscht; da ist es denn natürlich auch nicht schwer, die beiden anderen
Sprüche damit in einklang zu bringen and herauszubekommen, in den auf jenen
ersten sprach zurückdeutenden vrersen wcem aber min guoter klösenare klage und
re weil u and iu'm alter klösencere, von dem ich so sane meine Walther mit die-
sem seinem Klausner wideram sich Belbst. Noch andere gar seltsame „unter-
legungen" Hessen sich anführen. Das beigebrachte wird zur Charakteristik des schrift-
chens ausreichen.
BRESLAU. 1. VOGT.
li Ernst Elster. Zur ontstehungsgeschichte des Don Carlos. Halle, RI.Nie-
meyer. ls^'. >. 74 s. gr. s.
2) Hermann Tischler, Die doppelbearbeitungen der Räuber, des Fiesko
und des Don Carlos von Schiller. Eine Litterarhistorische studio. Inau-. -
diss. Leipzig lssv in commission bei <!. Fock. (il s. 1 m.
3) Ludwig Bellermann, Schillers dramen. Beiträge zu ihrem Verständnis.
Erster teil. VI und 328 s. 8. Berlin, Weidmannsche buchhandlung. L888.
G m.
4) Alfred Buhe, Schillers einfluss auf die entwickelung des deutschen
nationalgefühls. Zweiter teil. Programm des gymnasiums zu Meppen, 1889,
30 s 4.
5) J. Goldsehmidt, Schillers Weltanschauung und die bibel. Erläuterungen
über „ Kassandra tt und »Das ideal und das leben". Berlin, Rosenbaum & Hart.
1888. 0,80 m.
6) Alfred Cless, Die künstler von F. Schiller, an der band des textes
gemeinverständlich erklärt Stuttgart, Adolf Bonz. 1889. 89 s. 16. 2 m.
1) Dr. Elster hatte seine ansichten über die entstehuug des Don Carlos schon
im Oktober 1S84 auf der Dessauer philologenvei'samlung entwickelt1; in der vorlie-
genden — zur babilitation an der Universität Leipzig gedruckten — abhandlung hat
er dieselben eingehender ausgeführt.
In der einleitung sucht Elster die gemüts- und phantasieanlagen Schillers zu
bestimmen, denn „bei der wissenschaftlichen betrachtung der einzelnen werke eines
dichters scheint es ihm von grosser bedeutung zu sein, dass man dieselben stets vor
äugen behalte*. Ich halte diesen ausgangspunkt für methodisch falsch. Zwar ver-
hehlt sich auch der Verfasser nicht die bedenken, die demselben entgegenstehen; aber
die gründe, welche er dagegen anführt, dienen mehr dazu, sie zu verstärken, als
zu widerlegen. „Gewiss", saut er, „ist ein volständiges bild von des dicht.!- anla-
gen nur auf grund der erforschung aller einzelnen werke zu gewinnen, aber es La
sen sich doch häufig, insbesondere bei bekantcn (!) Verfassern, gewisse grosse zu
vorwegnehmen, die uns angeben, was dem dichter gemäss i>tu. Bei bekanten Ver-
fassern!— was heisst das anders, als: wir schliessen uns bewussi oder unbewussf den
anschauungen an, welche über dieselben im schwänge sind! Und so sehen wir denn
auch im folgenden, wie Elster ziemlich kritiklos die üblichen algemeinen urteile über
Schillers poetischen Charakter aeeeptiert Auf diese w< wir gewiss nicht
dazu, denselben tiefer und schärfer zu erfassen; die alten schlagworte erben ^ich
1) Vgl. Jen berieht in dieser Zeitschrift bd. XVII, s. 119
ZEITSCHUIFT F. DEUTSCHE PHH.OLOGIK. HF». XXIII. 31
482 G. KETTNER
wie eine ewige krankheit fort Und doch wäre es gerade 1>ei Schiller einmal drin-
nd nötig, eine gründliche revision dieses alten Inventars von algemeinen urteilen
zu onternehmen. Und schliesslich: meint der Verfasser wirklich, dass die paar for-
mcln. in denen er auf den folgenden Seiten Schillers dichterische Individualität erfasst
zu haben glaubt, eine sichere handhabe bieten, um zu bestimmen „was dem dichter
- st*?
Nach einer genauen inhaltsangabe und treffenden Charakteristik der novello
ds untersucht der Verfasser zunächst den Bauerbacher entwurf des Don
Carlos, Er bemerkt s. 27 von diesem entwurf im algemeinen: „Das erste, was uns
auffält. ist der umstand, dass eine einteilung der auftritte nicht geschehen ist. Dies
ist für Schillers art zu schaffen bezeichnend. Dichter, die durch gegenständliches
äffen hervorragen, werden immer zunächst einzelne grosse scenen vor ihrem inneren
äuge erblicken, sie werden die konkrete Handlung sich überall ausmalen. Nicht so
S hiller. Seiner abstrakteren natur scheinen lediglich die bedeutungsvollen regungen in
der seele des menschen bemerkenswert, er entwirft sich kein bühnenbild und hebt
nur die punkte hervor, die irgendwo im verlaufe eines aufzuges durch handlung oder
-•1 Zählung deutlich gemacht werden müssen*. Im gegensatz hierzu weist er auf Goe-
thes art zu componieren. wie sie das Schema der Nausikaa zeige, hin — meines
achtens durchaus mit unrecht! Wir wissen doch zunächst gar nicht, welchem
stadinm der dichterischen arbeit der eine und der andere entwurf angehört! Wenn
man die schematisierung z. b. des AVarbeck zum vergleich heranzieht, so erscheint
das Verhältnis zwischen Goethes und Schillers producieren wesentlich anders: hier
sieht man, dass auch Schiller der iuhalt der einzelnen scenen klar vor äugen stellt,
hin und wider werden in die inhaltsskizze derselben bereits einzelne dialogfragmente
geworfen, charakteristische worte — man sieht, der dichter hört einzelne personen
bereits sprechen — auch scenarisches ist kurz skizziert. Allerdings rinden sich in
fast allen Fragmenten scheinbar ganz abstrakte dispositionen der einzelneu momente
der handlung: sie waren aber, wie sich zum teil noch nachweisen lässt, nicht das
zuerst gegebene, sondern Schiller suchte dadurch später das aufquellende detail zu
organisieren, die mannigfachen fäden der handlung straff zusammenzufassen; ich
möchte behaupten, dass die strenge dramatische geschlossenheit seiner dramen gerade
auf dieser nachprüfenden und sichtenden Tätigkeit des künstlerischen Verstandes beruht.
Freilich finden sich auch stellen, wo er direkt sich die frage stelt, wie der oder
jener zug noch zu erfinden sei; indessen dies ist kein beweis für die abstrakte art
haffens. Es liegt im wesen der phautasietätigkeit, dass ihr zunächst einzelne
hflder erscheinen, einzelne teile des Stoffes sich lebendig aufdrängen; um die binde-
; zwischen denselben zu finden, bedarf es der hilfe des erfindenden Verstandes.
Ein moderner dichter hat dies einmal sehr bezeichnend ausgedrückt: die höhen lägen
vor dem äuge des dichters zunäch-t in klarem lichte, während die dazwischen He-
iden täler noch dunkel decke.
Ich hebe gerade diese punkte mit besonderem naehdruck hervor, weil durch
he. aus einem meist sehr ungenügenden induktionsmaterial gewonnene algemeim'
urteile immer die Charakteristik Schillers gefälscht wird1.
1) Leider leistet gerade die publikation der dramatischen fragmente Schillers, welche die
historisch - kritische ausgäbe in bd. XV gebracht hat. derartigen irrigen auf'fassungen nur zu sehr vor-
ib. Goedeke ist eingestandenorrnassen (vgl. XV, 2, VIIj bei der Ordnung ,. bestrebt gewesen, vom
algemeinen in das specielle zu führen, um dem wege zu folgen, den der dichter
ist:t (! !i; infolge dessen hat er sich <>ft nicht gescheut — in handgreiflichem Widerspruch
BCHTTiT.TOT.TTTBBATTJB 483
Elster versuch! sodann die erste gestali des Dod Carlos nach dem Bauerbacher
entwurf mit Zuhilfenahme der aovelle St. Reale und der später angeführten Thalia-
fragmente zu reconstruieren. Sein.' arbeil gibl naturgemäß lade hier zu den mei-
sten bedenken anläse, ich werde deshalb im folgenden gerade diesen abschnitt ein-
gehender besprechen.
Im „I. Bchritt" des entwurfs wird unter B. 5 als hindernis der liebe des prin-
zi'ii angeführt: „auflauschung des müssigen hofes". Elster bemerkt dazu b.29: hier-
von sri weder in der Thalia uoch in dem vollendeten stück etwas zu
finden. „Wol aber tritt dort eine person bedeutungsvoll hervor, die Schiller aus
seinen quellen nicht entnommen, sondern selbsl erfunden hat: der beichtvater Dorain j
Offenbar solte ursprünglch nur ein massiger höfling sich in das geheimnis
des prinzen einschleichen, und erst später gieng dem dichter der gedanke auf,
einen solchen später gleichzeitig zum Vertreter des religiösen Fanatismus, zum hel-
fershelfer der Inquisition, zum beichtvater Philipps zu machen*1. - Hält man
daran fest, dass die einzelnen momente de- Schemas, wie ein bliok lehrt, nicht
scenen bedeuten, so findet man zunächst die „auflauschung des müssigen hof<
uoch an mehreren stellen der Thaliafragmente erwähnt, die meist auch in das Bpäti
drama übergegangen sind; ich mache besonders darauf aufmerksam, dass Dominj
v. 162 (Goed. V, 1. 12) selbst nur erzählt, was die damen der königin auf dem tur-
mer beobachtet haben („auf ihre rechnung flüstert sich schon Längst von ehr zu ohr
die lustigste geschiente" usw.); dass ferner Karlos v. 286 wei>s. _da>s tausend äugen
besoldet sind ihn zu bewachen* ; das> namentlich die prinzessin Eboli genau auf alle
seine schritte geachtet hat (vgl. s. 114 — 117), dass endlieh die ironische frage der-
selben (v. 2415) „wer solte wol .... so müssig sein, den Karlos zu belauschen,
wenn Karlos unbelauscht sieh glaubtu wörtlich an jene stelle des Schemas anklin-
gen« von deren inkalt Elster in dem Thaliafragment und dem drama1 nichts hatte
finden können! — Wenn man ferner berücksichtigt, dass Schiller, sogleich als er
den entschluss zu dem drama gefasst hatte, die figur „eines grausamen heuchlerischen
Inquisitors" vor äugen stand (briefwechsel mit seiner Schwester Christophine b. 33), und
dass er es sich (ebda s. 44) gleich beim beginn der ausarbeitung „zur pflicht macht.'.
in darstellung der inquisition die prostituierte monschheit zu rächen und einer men-
schenart. welche der dolch der tragödie bis jezt nur gestreift hat. auf die seele Btos-
sen wolte", dann erscheint doch das Verhältnis, welche- Elster zwischen den beulen
motiven annimt, mindestens schief.
Die königin, meint Elster s. 30, habe nach dem entwurf erst im 11. akt auf-
treten sollen, „da aller inhalt eines solchen auftrits für den II. schritt vorbehalten
blieb"; und er sieht darin eine besondere feinkeit der komposition, dass der dicW
so die erwartung auf ihr ersekeinen aufs köckste spannen weite. Aber wenn Schil-
ler wirklich bei dem entwurf des ersten aktes von dieser künstlerischen rücksicht
mit dem eben von ihm selbst aufnestelten ziele — das von Schiller auf einem Matt zusammengeschrie-
bene auseinander zu reissen und nach seinem gutdünken zu 'Imponieren! Und leider ist es sehr oft nicht
mehr möglich, nach seinen angaben sich die betreffende Seite zu reconstruieren!
Man lernt diesem verfahren gegenüber so recht die — von unbefugten bespöttelte — kritische
Sorgfalt schätzen, mit der die neue Weimarer Goethe - ausgäbe den bestand der tra_rmente aktenmäs
genau aufgenommen und namentlich auch durch scharfe hervorhebung der äusseren merkmale (Wasser-
zeichen , art des papiers usw.) handhaben für die bestimmung der Zusammengehörigkeit und das alter der
fragmente geboten hat.
1) Sie ist in dasselbe unverändert aufjjrenammen v. 1696 TA. II. sc. 8).
31*
4^4 G. KETTXF.R
leitet wurde, so erscheint es doch seltsam, dass er dieselbe nachher für sein Tha-
lia-fragment ohne weiteres Fallen liess Ich Bnde ferner durchaus nicht, dass die
angaben im II. schritte: -Der knoten verwickelter. Carlos liebe nimt zu — Ursachen:
... 2 oliebe der königin; diese äussert sieh .... c) aus ihren äusserungen in
genwart des prinzen, inneres leiden. Furchtsamkeit, anteil. Verwirrung" einem auf-
trete! - Iben in act 1 allen Inhalt vorwegnehmen. Hier heisst es: „Schürzung des
knotens. Der prinz liebt die königin. Das wird gezeigt: li ans seiner aufmerksam-
keit auf solche, seiner läge in ihrer gegenwart*. Der dichter weite hier, meines
unächst nur den prinzen seine liehe zur königin verraten lassen, während
- Lbst hier noch in ruhiger sitlichei hoheit sich beherschen uud ihn zurückhalten
sl - rang, welche dann akt II brachte, solte dann die ihr trotz aller
selbstbeherschung entschlüpfende äusserung der gegenliehe sein. Weite man fer-
r annehmen, das unter I. 1 angefühlte („seine läge in ihrer gegen wart") solte
nicht direkt, durch eine scene, sondern nur durch berichte anderer dargestelt werden,
würde der inhalt desselben völlig identisch sein mit B 5.
Da^ Verhältnis der königin zu Carlos habe Schiller, meint Elster, ursprünglich
ähnlich darstellen wollen wie St. Real: die königin erwidere nach dem entwarf die
liel - prinzen uud fordere ihn nicht ohne weiteres zur entsagung auf. „Wäre es
anders, wüste sie schon jezt, wie später bereits im I. aufzug, die gefühle des Den
Carlos auf Spanien abzulenken, so hätte sie keinen grund funken ran eifersticht über
wlos rertraueu tu ihr pri/nxcssvn Eboli vu zeigen, der heldensinn des prinzen
würde nicht erst im III. schritt erwachen und anfangen über seine liebe zu
siegen, und endlich, es könte nicht als Überschrift des II. schritte^- angegeben wer-
den Carlos liebi nimt -.//-. Gehen wir die einzelnen punkte der reihe nach durch!
li Auch in der späteren bearbeitung erwidert die königin die liebe des prinzen.
VgL im Thaliafragment neben der schon oben erwähnten stelle s. 12 v. 172 fg. (Goed.)
S. 14 z. 6. wo _die königin, von dem lebhaftesten anteil hingerissen, die empfindun-
gen ihres herzens verrät", s. 36, v. 751 („in dieser wilden wallung" usw.); s. 37, 776;
s. 4'». v, 855 — 865, wo ihr Carlos fast das geständnis entreisst. Ander-
ts sucht sie auch bei St Real ihre liebe, die sie beunruhigt, zurückzuhalten und
i prinzen von seiner Leidenschaft zu heilen durch den hinweis auf Flandern. —
sucht (bei Schiller heisst es übrigens nur „einige funkenL) darauf, dass der
prinz seine neigung und sein vertrauen einer unwürdigen zuwendet, kann sie auch
zeigen, wenn ihr eigene- Verhältnis zu ihm rein und entsagend ist. — 3) Die angäbe
- über den III. schritt gibt Elster falsch wider. Es heisst hier unter B. 1.
„sein hei n erwacht wider"!! Mit diesem zusatze aber spricht das citat nicht
mehr für. sondern gegen seine annähme. — 4) Auch in der späteren bearbeitung
beruht die entwicklung des dramatischen conflicts darauf, dass die liebe des prinzen
auch nach dem entschluss heldenmütiger entsaguDg wider auflodert.
Vor allem aber muss es bei der rolle, die Elster der königin uud Posa nach
m entwarf zuweist, ganz unverständlich bleiben, wodurch eigentlich der Umschwung
in I - herbeigeführt werden soll. Wenn wirklich, wie Elster meint, die poli-
tischen beziehungen bei beiden so völlig zurücktreten, dann begreift man nicht, wie
plötzlich in Carlos der heldensinn wider erwacht. Vollends mit dem Verfasser
anzunehmen, die Verschwörung des prinzen habe in der weise „eine neben-
handlung sein sollen-, wie dies Lessing „durch die Zwischenhandlung des Riccaut (! !),
der Orsina, des Patriarchen" getan habe, scheint mir eine Ungeheuerlichkeit zu sein.
Wie kann man nur ein»"- Bolche tat des haupthelden, wie die Verschwörung gegen
gl HIliT.RRTiITIKBATUB 485
den eignen vater ist, mit dem auftreten rein episodenhafter nebenfiguren in
parallele stellen! Und wenn der Verfasser aus dieser Lezteren annähme die folgerung
zieht, dem dichter würde der Don Carlos in technischer hinsieht damals viel besser
gelungen sein als später, so fürchte ich im gegen teil, dass 'las technische kunst-
stück, welches er ihm für den hau des IV. aktes onterschiebt, die ganze einheitliche
composition des dramas gesprengt hätte. Nur dann war die ausfuhrung eines drama-
tischen niotivs vun solcher bedentong wie die rebellion dramatisch zulässig, wenn
dieselbe organisch mit den grundlagen der handlung verbunden, also auch von
anfang an vorbereitet war.
Dass der marquis Posa in dem entwarf noch nicht als der freiheitsapostel
gedacht war, als der er später erscheint, ist möglich, unbegreiflich aber ist mir,
wie Kl>ter ihm auch in dem Thalia -fragment diese rolle absprechen kann, [ch mn
durchaus Vollmer zustimmen, welcher in diesen fragnienten bereits alle die keime
findet, welche später in den lezten drei akten diese figur so gigantisch aus dem gan-
zen herauswachsen liessen. Elster bemerkt dagegen: „ Vollmer verkem - lullers
absieht, die freundschaft als solche in einem idealen gemälde zu verherrlichen fc
(s. 45). "Was heisst denn n freundschaft als solche*? Sie ist doch nicht ebne einen
bestirnten sitlichen inhalt zu denken! Und was brauchen wir überhaupt aus solchen
algemeinen sätzen Schlüsse zu ziehen, wo wir die beiden akte des fragments, welche
Elster s. 30 für sich betrachtel wissen will, ausgeführt vor uns haben? Hier al
nent ersieh schon v. 361 einen „abgeordneten der ganzen menschheit"; hier wird
v. 381 fg. alles das. was Elster s. 42 an Carlos hervorhebt, ihm erst von Posa mah-
nend entgegengehalten; hier ist 468. 474, fast uoeh schärfer als in der lezten bear-
beitung v. 225, der starre republikanische trotz schon des knaben Rodrigo betont;
hier entwirft er v. 1250 fg. widerum als ernste mahnung vor Carlos ein furchtbares
bild der absoluten monarchie und schliesst mit deutlichera anklang an die berühmten
worte. die er in der späteren bearbeitung in der audienzscene spricht: „den stolz des
bürgers könten sie nicht dulden, ich nicht den trotz des Kirsten"; ja hier findet
sich der bedeutungsvolle hinweis auf die spätere entwicklung v. 142: -wenn eine
trähne. die mir lindrung gibt Dir teurer ist, als meines vater- gnade — —
o gern will ich sie weinen", im Zusammenhang mit 521: „ich will bezahlen, wenn
du könig bist" usw. Doch man mag auf dies lezte argument weniger gewicht Legen;
so viel steht fest, dass Posa in den ersten beiden akten durchaus nicht bloss ein
braver, liebevoller freund (!!)" ist. wozu ihn Elster s. 4G machen will; und dass Car-
los durchaus nicht der «eigentliche Vertreter" der freiheitsideen ist. Darauf, da
Schiller in seinem briefe an Dalberg vom august 1784 seinen oainen nicht nent. ist
kein gewicht zu legen; abgesehen davon, dass dieser brief aus den anfangsstadien
der arbeit stamt, lag es für den dichter nahe, einem fremden gegenüber nur die
historisch bekanten und schon durch ihren namen bedeutenden rollen zu nennen —
was hätte Dalberg sich bei einem Posa denken sollen? — und dem fürstlichen Inten-
danten gegenüber die politische tendenz seines dramas eher zu verhehlen als hervor-
zuheben.
Damit fält nun auch die kühne annähme eines tiefen einschnittes zwischen den
zwei ersten und dem dritten akt der Thalia -ausgäbe völlig in sich zusammen (s. 39.
54). Trotzdem will ich noch auf die begründung eingehen, welch': Elster seiner
hypothese, dass sich hier der alte und der neue plan der arbeit scharf und plötzlich
scheiden, s. 56 zu geben versucht.
486 <■• KI'ITNKK
„Die veränderte haltung Posas gegenüboi dem prinzen in der scene im Kar-
thäuserkloster macht dies zur gewissheit (1) Während Carlos vorher noch keines-
wegs aller Selbständigkeit entbehrte und der marquis nur Bein befreundeter helfer
war. sehen wir ihn jezt volständig am gängelbande seines freundes. (2) Während
dieser früher aufs liebevolste bereit war. dem prinzen eine Zusammenkunft mit der
königin zu verschaffen, schneidet er ihm jezt in beinahe barscher weis.- jede gewagte
hofhung ab, und dies zu einer zeit, als er hört, dass Carlos nicht nach Flandern
ben kann-. — Ich kann von einer wesentlichen änderung der Stellung des mar-
quis in akt 111 sc. 2 schlechterdings nichts entdecken! Im einzelnen bemerke ich,
ad 1) dass, wie schon erwähnt, weder im 1. akt der marquis nur der befreundete
heller, sondern ein ernster mahner und leiter ist, noch hier in akt III der prinz nur
als ein Werkzeug jenes erscheint; wenn er hier mehr als dort von der leitung seines
freundes abhängig ist, so ergibt sieh dies ganz naturgemäss daraus, dass gerade hier
die in akt II erfolgte entdeckung des Verhältnisses zwischen dem könige und der
Eboli ihn für den angenblick alles sitliohen kaltes beraubt hat. Und wie schonend,
wie ruhig sucht ihu Posa zum bewusstsein seines besseren selbst zurückzuführen!
Und vollends in dem zweiten punkte eine änderung des plans der diehtung finden
zu wellen, heisst die durch akt II veränderte Situation völlig verkennen! Der
marquis verweigert hier dem prinzen anfänglich seine hilfe und sucht ihn von einer
Zusammenkunft mit der königin zurückzuhalten nur aus dem gründe, weil er unter
den jetzigen umständen dieselbe als verhängnisvoll fürchten muss; widerholt fragt er,
als der prinz in ihn dringt, ob derselbe den brief, welcher das Zeugnis der untreue
nes vaters gegen die gattin enthält, als handhabe gegen die königin benutzen
wolle (3-420 fg.). Dagegen in akt I ist er dazu behilflich, ihm die Zusammenkunft
mit der königin zu verschaffen, weil er hoffen kann, dass dieselbe ihn von seiner
krankhaften leidenschaft zurückhalten und ihn zu seiner höheren aufgäbe zurückrufen
rde: aus ihrer band empfängt daher Carlos am schluss der scene die briefe aus
Flandern, welche der marquis überbracht hat (vgl. s. 31, z. 7) mit den worten,
welche ihm fortan sein handeln vorzeichnen sollen (1025), „die freundschaft ihrer
mutier! ... und diese trähnen aus den Niederlanden!"
-eben akt I und III der Thalia- bearbeitung durchaus im einklang mitein-
ander, und der versuch Elsters. innerhalb derselben eine änderung des grundplans
der diehtung nachzuweisen, ist als gescheitert anzusehen.
Überhaupt hat sich Elster durch das streben. Wandlungen in der entwicklung
r diehtung zu entdecken, zu weit führen lassen. In dem nachweis, dass dieselben
zum teil künstlich hineingetragen sind, habe ich die hauptaufgabe meiner besprechung
fliegenden buches gesucht. Wenn dieselbe etwas ausführlicher ausgefallen ist,
als der geringe umfang der Schrift zu erfordern scheint, so mag der Verfasser darin
einen beweis dafür sehen, welche bedeutung ich seinen scharfsinnigen und gründ-
lichen ausführungen bein
2 'Venn man die methodische Sorgfalt der arbeit Elsters recht ermessen will,
so braucht man sie nur mit der gleichzeitigen Leipziger universitätsschrift von Herrn.
Tischler zu vergleichen.
In ganz dilettantischer weise wird hier von dem Verfasser, einem redakteur
der Gartenlaube, der inhalt der einzelnen bearbeitungen , scene für scene, referiert
(den Bauerbacher entwurf des Don Carlos erwähnt er gar nicht) und daran ein kur-
ä urteil geknüpft, ob der dichter gut getan habe oder nicht, zu ändern. Es hat
kaum einen zweck, über derartige g es chmacksur teile mit dem Verfasser zu rech-
S( BILLKBLITTERATUB 487
ten; ich will sein verfahren mir an einem falle illustrieren. In der druckausgabe der
Räuber zerfall akt 1 in drei scenen: 1. Franz and der alte Moor. 2. Karl mit Bei-
nen genossen in der schenke. .'!. Franz and amalis. In der bühnenbearbeitung
ist 1. und 3. zusammengezogen. Der Verfasser recensieri « l i« -^ folgendermassen s. 6:
„Wir finden die erstere anordnung besser, denn man isi jezt mehr gespant, die-
8en Karl wirklich kennen zu lernen, als zeuge einer Bcene zu werden, für die uns
vorläufig noch da- reohte Verständnis fehlt". Das Lezte ist eine ganz anbewiesene
behauptung; unbegreiflich aber i-t. dass dem Verfasser oicht eingefallen ist. da
Schiller bei einer bearbeitung seines dramas für die aufführung aus rein praktischen
gründen sc. 1 und '_' verbinden muste, um den dreimaligen Wechsel des Schauplatz
innerhalb eines aktes zu vermeiden.
3) Jn einer Behr langen einleitung (s. 1 -51) bespricht Bellermann den
unterschied zwischen epos, Lyrik und drama, das Verhältnis von oharakter und band-
hing, die forderung der einheii der Lezteren, das wesen des tragischen osw.; kurz,
er gibt eine theorie des dramas, die zwar weder durch neuheit noch durch tiefe der
gedanken sieh auszeichnet, aber wegen der klaren, nur mitunter gar zu breiten
und nüchternen darstellung gewiss für viele leser eine brauchbare Orientierung bie-
ten wird.
Dann behandelt er die Räuber, Fiesko, Cabale und liebe, Don Carl«
und zwar jedes drama nach folgenden gesichtspunkten : 1) gang der handlung; _') ein-
heit; 3) Verknüpfung derselben; 4) Charakterzeichnung, 5) bühnenbearbeitung; 6)erklä-
rung schwieriger stellen. Durch die strenge Scheidung der vier ersten abschnitto
wird die behandlung etwas umständlich und schwerfallig, widerholt wird zusammen-
gehöriges auseinander gerissen. So erörtert der Verfasser in 3 den Zusammenhang
der einzelnen scenen mit der haupthandlung und die motivierung der handlungswe
der haupteharaktere, in 4 aber wird die entwicklung derselben widerum wesentlich
mit rücksicht auf die innere Wahrheit verfolgt.
Ernsthaft bemüht sieh der Verfasser in den einzelnen dramen den zeitlichen
verlauf der handlung zu berechnen. Meines erachtens kann dies-' frage nur in
betracht kommen, wenn der dichter selbst für die dramatische entwicklung auf den
strengen zeitlichen Zusammenhang der handlung weit legt. Dies ist aber hier nur
im Fiesko der fall; in diesem drama werden wir mit beispielloser genauigkeit stets
über tag und stunde der einzelnen scenen orientiert. Und gerade hier erweist -i<h
die berechnung Bellermanns als durchaus unzureichend; ahnungslos geht er über alle
Schwierigkeiten und Widersprüche hinweg. Bei eindringenderer betrachtung hätte er
finden müssen, dass die scenen, in denen der mohr auftritt, in keinem einklang mit
der sonstigen Chronologie des dramas stehen, so dass man deutlich erkennen kann,
dass sie in ihrer jetzigen gestalt erst später in dasselbe eingefügt sind.
In den Räubern leidet seine berechnung infolge seiner flüchtigkeit an einem
erheblichen fehler. Er rechnet s. 65 fg. folgendermassen: Die zeit von I, 1 — II, 2
ist vom dichter genau fixiert, denn in II, 2 berichtet Hermann, der „geraden weg«
aus Böhmen komt", von Karls tod in der Schlacht bei Prag (6. mai 1757), in der
zeitlich unmittelbar vorhergehenden scene 1 ist Karl „seit elf monaten so gut als
verbaut"; dementsprechend ist der brief, durch welchen Franz seine enterbung her-
beiführt I, 1 auf den 1. mai (1756) datiert. Dies ist richtig; unglaublich aber die
weitere rechnung des Verfassers, zwischen II. 2 und II, 3 sei eine pause von drei
monaten anzunehmen, weil von da an die handlung ohne unterbrechung'Jortgehe und
IV, 5 der alte Moor sage, schon drei monate schmachte er in dem türm. Der ver-
488 G. KKTTNER
fas£ rhehlt sich das bedenkliche einer solchen zeitpause mitten im akte
nicht, er fühlt auch, wie störend nun die ereignisse von Kollers berreiung an sich
dringen. Eine - _ " . lektüre würde ihm gezeigt haben, das^ jene pause viel-
mehr nach dem zweiten akte eintritt Seine annahm''. 111. •_' (die scene an der
Donau) . lie Räuber nnmittelbar nach dem grossen kämpf, der auf Bollers
befrei ". ist falsch. Zunächst wäre dann schon die Unterbrechung der conti-
nuität der handlung durch die scene in Franken (III. 1) störend; solche freiheiten,
anderen dramen der stürm- und drangperiode Dicht selten sind, gestattet
b Schiller nicht Entscheidend aber ist Folgendes: 1) Die wunden aus jener Bchlacht
sind inzwischen langst vernarbt iR. Moor zu Schweizer: -Sonst sieht man ja die
oarben nicht, die die böhmischen reiter in deine stirn gekritzelt haben ... diese
narben stehen dir schön"; vgL V. 2 „Schau1 her. kennst du diese narben^).
2 M ' - lost senkt sich in die erinnerung an seinen kämpf („Ja kinder es
war ein heisser nachmittag" usw.); er muss sich erst besinnen („wie viele waren's
chtt?— ), welche Verluste die feinde erlitten haben. Dazu passt es dann durchaus,
nn 3) III. 3 Karl als „der grosse graf von Moor" wegen seiner „moitlbrennereiena
t über Deutschlands grenzen hinaus berühmt geworden ist: wenn 4) er IV, 5 zu
s -" _l>u weisst noch, wie du einsmals jenem höhmischen reiter den
ko] - Ltetest"; wenn 5) kurz vorher Schweizer Spiegelberg anredet „Eben recht
rst du mich an die böhmischen wälder . . . ich habe damals- usw.; wenn
dlich 6) IV. ' - hufterle, der zu beginn des kampfes 11. 3 fortgejagt wurde.
zt in S ihweiz hängt". Bellermann ignoriert alle diese angaben ausser der
lezten. die er mit dem witz abfertigt „Schufterle mü h ausserordentlich beeilt
und womöglich vor seinem fcode einen expressen mit der nachricht an Schweizer
Der so sich ergebende zeit liehe Zusammenhang zwischen II, 2 und II. 3
von bedeutung für den künstlerischen: in derselben zeit, so will es der durch
larfe kontraste wirkende dichter, wo daheim Karls heldentod in der sehlacht bei
s - glaubt wird, wo er von Amalia als Hektor gepriesen wird, sehen wir ihn in
wfl Grausamkeit die räche gegen eine wehrlose Stadt üben und mit verzweifelter
tapferkeit um sein leben kämpfen. A.ber freilich für die kunst der komposition
hat der Verfasser überhaupt keinen sinn. Er bemerkt z. b. nicht den ähnlichen
rillen kontrast zw:- IV, 4 und IV. 5, wo unmittelbar an die klänge des Bek-
johlen des räuberliedes anschliesst. Von der feinsinnigen gruppie-
re _ ./.einer scenen, von dem oft fast an musikali komposition erinnernden
aufbau derselben sagt er nichts; so fertigt er das von Klein und Dingelstedt an bis
auf Brahm mit recht gerühmte -finale- des zweiten aktes in Oabale und liebe mit
den dürren werten ai . .. — komt zu einem höchst erregten auftritt" (s. 159). Ihm
komt es vor allem darauf an. den pragmatischen Zusammenhang zu untersuchen,
Wahrscheinlichkeit der handlung, die Wahrheit der Charaktere, die Zweckmässig-
keit 'luDg. Sein Verhältnis zur dichtung ist oft ein unglaublich nüchtern
und schulmeisterliches; vgl. z. b. 9. L85: »Der dichter weite Ferdinand nicht als tat-
kräftig und männlich reif zeichnen, aber BO weit durfte er trotzdem nicht gehen,
verzeihen wir keinem mannt.-, am wenigsten einem hochgesinten Schwärmer.
Ein junger mann, noch dazu edelmann und officier, der in solchem augenblick das
he. . • ines herzens geradezu verleugnet . . . bringt sich um unsere achtung
und damit um un~ I ilnahme .... Ich halte di> ene für die schwächste des
Stückes und für wirklich mislungen^.
Bi HILLERLITTERATUB 189
In seinem streben, der äusseren Zusammenhang der scenen herzustellen, geht
der Verfasser b. 100 entschieden zu weit. Seine polemih gegen die von Düntzer vor-
gebrachten bedenken ist durchaus verfehlt; Spiegelberg triff hier in der tat zum
ersten male nach elfmonatlicher trennung mit den freunden zusammen: Razmann
heisst ihn in den böhmischen Wäldern wilkommen, er erzählt ihm M ntüm-
liches auftreten als räuber, was Spiegelberg s<> überrascht, dass er ihn bittet, von
seinen eigenen taten liooi gegenüber zu Bchweigen. Die widerspräche, welche sich
gegen diese auffassung aus der scene ergeben, Bind al> Bolche anzuerkennen and
oicht zu verkleistern.
Den hauptmangel des buches sehe ich darin, dae den litterarhisto-
risch-biographischen gesichtspunkl geflissentlich ignoriert. Wir dürfen
diesen mangel dem Verfasser nicht deshalb zu gute halten, weil er ihn selbst ein-
steht. Die zeiten sind vorüber, wo man halb vornehm halb bescheiden von diesem
Sichtspunkt absehen und das dichterwerl als ein in sich fertiges, abgeschlossenes
ohne rücksicht auf die art seiner entstehung betrachten zu können meinte. Am aller-
wenigsten ist ein solcher Standpunkt zulässig dramen gegenüber, welche so Behi das
gepräge der zeit tragen, so sehr in den litterarischen, politischen, socialen traditionen
derselben und in den eigentümlichen lebensverhältnissen des dichters wurzeln, wie
die hier besprochenen vier jugenddramen, von denen auch nicht eines als ein völlig
ausgereiftes kunstwerk gelten kann.
Wenn ich mein urteil über das vorliegende buch zusammenfassen soll, bo diu
ich ihm wissenschaftliche bedeutung zwar im wesentlichen absprechen, aber gleich-
zeitig anerkennen, dass der Verfasser für die bedürfnisse der schule eine brauch-
bare anleitung zur behandlung der vier dramen geliefert hat. Wenigstens wird die
klare und genaue erfassung des inhalts und das richtige Verständnis dadurch mehr
verbürgt, als durch die schematischen dispositionen, in welche Klaucke die sceneo
zwingt, oder durch die weitschweifigen Umschreibungen und nacherzahlungen, welehe
Düntzer gibt, oder durch die schablonenhafte anwendung der Freytagschen technik,
welche jüngst durch Onbescheid fast bis zur karikatur getrieben ist
4) In dem ersten, bd. XXI, 87 dieser Zeitschrift besprochenen teile seiner
abhandlung hatte herr dr. A. Kühe dargestelt, worin Schiller die aufgäbe und die
bedeutung der dramatischen kunst sezte; jezt sucht er zu schildern, wie der dichter
dieser auffassung geltung zu verschaffen und dadurch ..''inen regenerierenden einfluss
auf geist und leben unseres volkes zu erringen" wusste.
Zu diesem zwecke gibt er in kap. 1 einen kurzen überblick über die theatra-
lischen Verhältnisse seit der mitte des 18. Jahrhunderts: in kap. 2 einen ausführliche-
ren über die entwicklung des deutsehen dramas. Als charakteristisch für diese hebt
er den mangel an nationalem gehalt, die betonung der humanitätsideen und revolu-
tionären tendenzen, endlich das überwuchern der bürgerlichen rührstücke hervor. In
kap. 3 und 4 will er dann nachweisen, wie der hierdurch einreissenden Vorbildung des
ästhetischen geschmacks und der gefährdung der sitte ein halt geboten sei durch
Schillers zusammenwirken mit Goethe, durch die pflege eine)- musterbühne in Wei-
mar und vor allem durch die tiefgreifende Wirkung des Wallenstein, der Jungfrau
von Orleans und des Teil.
Der Verfasser hat diese gesichtspunkte sehr eingehend verfolgt und mit fleiss
und Verständnis eine fülle litterarhistorischon materials für -einen zweck zusammen-
gestelt. ludessen schweift er in der grösseren hälfte seiner arbeit doch viel zu weil
vom thema ab; eine kurze algemeine Orientierung über die damaligen zustände wäre
490 «-■• KETTNER, SCHILLERLITTERA.TUH
hier um so passender gewesen, da der Verfasser doch nichts neues und selbständiges
zu bieten vorm.. Er schöpft ans den bekanten quellen, namentlich Koberstein,
Hettner und Devrient; mit den von ihnen überkommenen urteilen charakterisiert er
die einzelnen erscheinungen und entwicklangen. Eine selbständig erarbeitete kentnis
der betreffenden epoche wird öfter vermisst, auch Specialforschungen über einzelne
zweige derselben sind ihm fremd geblieben. Daher fehlt es nicht an nngenauigkeiten
und schiefen auffassungen. So führt z. b. der veifasser s. 9 aus, welche teilnähme
und Minna von Barnhelm wegen ihres nationalen znges gefunden, wie aber
- richtung von den folgenden dichtem leider wider verlassen sei, uud zieht zum
bevi s stelle aus Wielands T. M. von 178-4 heran, die, wenn er sie wirk-
lieh >-'ll>st im Zusammenhang gelesen hatte [er mag sie sich bei Hempel 38, 121 \'<j:.
nachschlagen] ihn belehrt hätte, dass Wieland gerade die einseitige Vorliebe der
späteren dichter für vaterländische geschiente und nationale sitten verspottet uud
- I klagt, dass diese stücke selbst in Lessings Hamburg grossen beifaU fän-
■i! Damit hängt es zusammen, dass der Verfasser den volkstümlichen Charakter
der ritterdramen, wie er sowol in der wähl der Stoffe und dem historischen kolorit
wie auch in den dort ausgesprochenen patriotischen gesinnungen sich bekundet, ganz
ignoriert uud nur den Zusammenhang derselben mit den idecn der revolutionszeit
nach Hettner u. a. betont, auch das aufkommen dieser dranien s. 15 viel zu spät
ansezt. Seine Charakteristik der dramen von Lenz, Klinger und Wagner wirft das
verschiedenartigste zusammen und lä.->t es mir fast zweifelhaft erscheinen, ob der
Verfasser dieselben gelesen hat. Ja selbst das bekante wort Platens über Kotzebue
(aus der prarabase des 2. aktes der Verhängnisvollen gabel) wird s. 17 unrichtig
eitler!
tragik des dichterischen berufes als prophet (sie!) der ungläubigen, als
prediger in der wüste und der endliche sieg im geiste, wenn nach aussen auch der
erfolg hinter dem streben zurückbleibt14, bezeichnet herr J. Goldschmidt in einer
»terten, aber auch oft recht phrasenseligen einleitung als die themata beider
lichte. Er gibt dann eine sehr genaue disposition der Kassandra, eine flüchtigere
zwei! gedieht; in beiden will er reminiscenzen an Genesis c. 3 erkennen, zum
sten führt er noch eine reihe von parallelen aus dem Jeremias an. Ich will nicht
leugnen, dass der vers „ esset nicht von ihres gartens f nicht" an jene bibelstelle
mit anklingt, wie Schiller auch sonst derartige doppelte anspielungen liebt; zunächst
aber schwebt ihm natürlich die beziehung auf den granatapfel der Persephone vor,
auf den am schluss der Strophe direkt hingewiesen wird. Will man ferner in jenen
klagen des alttestamentlichen propheten den charakteristischen ausdruck ähnlicher
empfindungen in ähnhehen Situationen sehen, so mag die anführung derselben zur
illustri''rung der Kassandrastimmung zweckmässig dienen; dagegen ist die annähme
einer ein Wirkung derselben auf Schiller durch nichts gestüzt.
6) Die schrift von A. Cless ist ein rechtes beispiel elender buchmacherei!
Bis s. 25 gibt der verfass'-r einen abdruck des textes und zwar ohne Varianten, ein-
fach nach der vulgata von 1803; dann werden völlig zwecklos die einzelnen Strophen,
unterbrochen von breiten aber inhaltlich sehr dürftigen und meist unselbständigen
erläuterungen. zum zweiten male abgedruckt! Benuzt sind vom Verfasser nament-
lich Yiehoff und Götzinger, namentlich der erste wird oft wörtlich abgeschrieben. Wo
der verfa>ser einmal eine eigene erklärung wagt, komt er entweder zu triviali-
täten oder zu solchem unsinn wie zu v. 40' Ihr holdes bild hiess uns die folgend
liehen: -die tugend hiess uns ihr (der tugend) holde- bild lieben — was allerdings
WÄCHTER, ÜBEB I". SCHULTZ, MAI UND BEAFLOR l'.M
selbstverständlich, nur opp. einer anderweit gegebenen erklärung*. Die worte holdes
bild als subjokt zu fassen = die Bchöne erscheinung, was allein dem gedankengange
entspricht, hinderte ihn wahrscheinlich die eigentümliche beziehung des poss. pron.
auf das folgende Objekt.
SCHULPFORTE, JUNI US GUSTAV KETTNER.
Ferdinand Schult/. Die Überlieferung der mittelhochdeutschen dichtui
..Mai and Beaflortt. Leipzig, Gustav Fock. L890. 6] s. 1,50 m.
Die abhandlung stelt sich dar als Vorarbeit zu einer neuen ausgäbe an-
ten gedichtes, welche der Verfasser beabsichtigt, l'ie alte ausgäbe von Pfeiffer geht
auf die handschriftenfrage fast gaT nicht ''in: dazu kommen Ungleichheiten in der
Orthographie des textes and manche mängel im kritischen apparai F. 8chultz hat die
beiden handschriften von neuem verglichen und untersucht eingehend ihren wert und
ihr Verhältnis zu einander. Kr gelangt zu dem ergebnis, da-- beide handschriften
auf eine schon verderbte gemeinsame vorläge zurückgehen, dass aber die Münchener
handschrift A trotz mancher lücken, Interpolationen und andrer fehler einen bessern
ti'\t darbietet als die Fuldaer handschrift 15. Nach diesem ergebnis stelt der Verfasser
seine textkritischen grundsätze auf.
Die sorgfältige und besonnene Untersuchung der einzelheiten i-t wertvoll.
Schultz bespricht die lücken und interpolationen jeder handschrift und veranschaulicht
an einer auswahl von stellen ihre mängel, indem er gleichzeitig bemüht ist, die
gründe für die entstehung der fehler aufzuzeigen. Hierbei scheidet er zwischen inhalt-
lichen, sprachlichen und metrischen mangeln, geht aber auf die leztgenanten nicht
näher ein unter hinweis auf das kapitel über metrik in meiner dissertation (Unter-
suchungen über SSL und B.u 1S89). Trotzdem durfte in einer derartigen Unter-
suchung eine eingehende kritik der Überlieferung nach der metrischen seite hin nach
meiner ansieht nicht fehlen. Die sprachlichen mängel der haupthandschrift A sind
etwas zu kurz behandelt. AViderholt spricht hier Schultz von fehlem, welche ehr
und äuge verschuldet hätten, ohne anzugeben, wie er sieh überhaupt die handschrift
entstanden denkt. Die sache liegt meines erachtens so. dass wahrscheinlich die vi -
läge von A nach diktat geschrieben wurde, während A selbst abgesehrieben worden
ist. In welcher weise der Schreiber dabei verfahren ist, zeigen zahlreiche stellen wie
•44, 30 bringt dir für bringt ir; 45, 3 werdet dir für werdet ir; 54, '■'> da si für
dn\ si USW.
Der behandlung der einzelnen stellen kann man fast durchweg beistimmen,
nur der versuch, die drei citate aus der bibel: <i*>. •'!! — 67, 10; 02, 7 — 16;
130, 3 — 10 als interpolationen zu erweisen, scheint mir nicht geglückt. Ist es schon
an und für sich wenig wahrscheinlich, dass ein interpolator das gedieht mir bibel-
stellen ausgeschmückt haben solte, die in ihrem tone merkwürdig gut zu dem de-
ganzen gedichtes stimmen, so können auch die gründe, welche Schultz gegen v. <;').
34 — 67, 10 und 130, 3 — 10 vorbringt — gegen v. 92. 7 — 16 ist überhaupt nichts
einzuwenden — nicht als stichhaltig bezeichnet werden.
S. 49 — 55 stelt Schultz seine grundsätze für die orthographische behandlung
der diehtung auf und weist nach , dass mit nur geringen ausnahmen die übliche mhd.
Orthographie beizubehalten ist. Als anhang folgen ergänzungen und berichtigungen
zu Pfeiffers ausgäbe, die jedoch — obwol über 4 Seiten umfassend — noch nicht
volstäudig sind; z. b. sind die lesarten von B bei Pfeiffer falsch angegeben: v. 17, 12.
492 v<
wo richtig /r äugen steht; 36, 11 fehlt diu siiexe; 53, s liest B \i<<> dem wasser,
und so fohlen noch mindesten- 30 stellen.
Zulezt bringt Schultz einige textkritische vorschlage, von denen ich hervor-
hebe: 2. 14 saeliclichen. 43, 11 DocA >/t//n\. 106, 7 und A'>7 rf*c&. 123, 18 gre-
///'////. 128, 10. 20 widerherstellung der überliefefUDg. 170. 7 und ninder ab. 105,
11 AU - ; den übrigen vermag ich nicht ganz beizustimmen.
Trotz der ;. _ benen ausstellungen im einzelnen ist der gesamteindruck der
abhandlnng, welche sich auch durch korrekten und ansprechenden druck und durch
übersichtliche anordnung auszeichnet, ein günstiger: sie zeigt, dass der Verfasser mit
tkritischen fragen umzugehen versteht.
KEILHAU BEI RUDOLSTADT. 0. WÄCHTER.
Untersuchungen über die Gothaer handschrift des „herzog Ernst".
□ Franz Alilirriinni. Leipzig. Gr. Fock. 1890. 08 s. 2 m.
Die arbeit gibt zunächst eine beschreibung der Gothaischen handschrift D
eine dankenswerte neue vergleichung derselben, welche an 22 stellen kleinere
irtümi - v. d. Hagenschen textes berichtigt. Sodann geht der Verfasser über auf die
(rag a h dem Verhältnis dieser handschrift zu den übrigen bearbeitungen; er unter-
h( die sprachlichen eigentümlichkeiten der niederrheinischen bruchstücke und komt
zu dem schon früher ausgesprochenen ergebnis, dass diese bruchstücke nicht dersel-
q handschrift noch derselben bearbeitung angehören, dass sie aber nahe verwant
sind. Eine erneute vergleichung derselben mit a, b, I) bestätigt uneingeschränkt die
v.-.n mir 1 1 s amm des gymn. Buchsweiler 1886) gegen Bartsch aufgestörte behaup-
tung, dass eine gemeinsame hochdeutsche quelle für die Wiener, Nürnberger und
Gothaer bearbeitung hinter dem niederrheinischen urtext, bezw. hinter dessen ver-
ledentlichcn bearbeitungen anzusetzen sei. Wenngleich der Verfasser einen ande-
.. und wie er meint, korrekteren weg einschlägt, so gelangt er doch genau zu
de; erg bnissen wie ich. Ein eingehen in die strittigen einzelheiten kann also
hier unterbleiben.
AI -dann sucht <lie abhandlnng durch sorgfältige Zusammenstellung der sprach-
ücl a heiten von I> den dialekt und che abfassungszeit der dichtung zu bestim-
men und zieht dabei die Sonderheiten der reime und der versbildung ergänzend hinzu.
Das - ois ist nach Ahlgrimm, dass die heimat des dichters auf der grenze des
fränkischen und bairischen Sprachgebietes zu suchen sei: ein bestirntes gebiet werde
h nicht ermitteln lassen. Die abfassungszeit sei mit Jaenicke, wenngleich aus
anderen gründen, zwischen 1270 und 1287 anzusetzen. Durch diese ausführlichen
und eingehenden Zusammenstellungen über Konsonantismus und vokalismus und über
den versbau der bearbeitung wird noch einmal klar gelegt, was eine algemeine
trachtu] s bon ergibt, dass nämlich bei einer sage, von welcher jede einzelne bear-
beitung durch die bände wahrscheinlich mehrerer, vielleicht vieler ändernder, ein-
fügender, kürzender verbesserer und verwässerer des textes gegangen ist, von einer
einheitlichen gestaltung des dialektea und der metrik nicht mehr viel die rede
sein kann.
Das lezte kapitel der abhandlung betrachtet eingehend den > t i 1 der hand-
irift von Gotha. Hier gibt es mancherlei geplänkel gegen einzelheiten meiner
Untersuchung. Das wichtigste darunter ist die annähme, auch die "Wiener hdsebr. b
ÜBER AHLGRIMM, GOTHAEB HS. DES HERZOG KI; 193
stehe unter dem einfluss höfischer dichtkunst, wogegen ich diesen einflusa noch eicht
als na<'hp'\viosi'n l>erra«-lit<'te. [ndessen erkent Üügrimm selbst an b. 68, dass „von
einer strengen Scheidung and von einer absoluten Sicherheit in betreff dessen, was
als Bpecifisch der höfischen i sie eigen, and dessen, was als der volksmässigen and
höfischen dichtang gemeinsam anzusehen ist, noch nicht die rede Bein kann*, Und
die von ihm angeführten beweisstollen Bind vielfach bo onbedeatend und algemeia
halten, dass aus ihnen überhaupt k«-iii Bchlosfi auf den Ursprung gezogen werden
kann. /.. b. 721 als mir din munt hat geseit oder 3977 nu lobet in algemeiru mit
herzen und mit tungen. Dabei ist es dem Verfasser einmal begegnet, dass er in
die lesarten der anderen handschrift hineingerät und den texl der Nürnberger hand-
Bchrift gibt Die Wiener handschrift, am deren beeinflussan sich hier handelt,
hat so schul wir all Loben mit herzen vnd cxungen; diese Lesart beweist zur erken-
nung der quelle nichts und ist offenbar algemeiner, kirchlicher natur. Schon der
Gß. psalm sagt in v. 17 18: Zn ihm rief ich mit meinem munde und pries ihn
mit meiner zunge; Wo ich unrechtes vorhätte in meinem herzen, bo wind»'
der herr nicht hören. Vgl. ähnliche Zusammenstellungen in der Litanu (Massmann,
Deutsche gediente d. 12. jh. s. 45) v. 132 — 138. Im ganzen ist die abhandln]
wegen der eingehenden Sorgfalt, mir der sie hrieben ist, und wegen der
abschliessenden lösung vieler einzelheiten höchst anerkennend zn beurteilen.
ESSEN. ORG VO
ZUR ORENDELFRAGE.
In band XXII dieser Zeitschrift hat Vogt Bergers Orendelausgabe einer bespre-
ebung unterzogen und bei der erörterung des inhalts (s. 469 fg.) auch auf meine
sagengeschichtliche untersuehung (Paul- Braune 13, 1 fg.) bezug genommen. Wenn
ich, gegenüber seiner erschöpfenden und eindringlichen darstellung einer entgegen-
zten ansieht, das bedürfhis habe, meine auffassung der Orendelfrage mit kurzen
worten aufrecht zu erhalten, so liegt mir selbstverständlich jeder rechthaberische
Widerspruch fern; ich ergreife lediglich die gelegenlmit, die punkte klar zu machen,
in denen wir meines wissens übereinstimmen, um desto sichtlicher hervortreten zu
! 3sen, wo die ansichten einander gegenüberstehen. Ich denke nicht zu überzeug
sondern eine mehrseitige beleuchtung des kritischen gegenständes anzuregen.
1) Vogt ist wie ich der ansieht, dass das vorliegende Orendelgedicht (ich nenne
es kurz die legende, L) die stnmperei eines späten Bpielmans enthält, der aus dem
vorrat gefundener motive und Situationen mit plumper band eine möglichst 1
wundergeschichte zusammenschweif 2) Er ist der ansieht, dass der spielmann
einen nachweislich sehr alt überlieferten stoff behandelt, dessen mythischer gehalt
einen jahreszeitlichen Charakter zu haben scheint. 3) Er stelt die Wahrscheinlichkeit
nicht in abrede, dass der alte stoff dem spielmann als lied oder in liedern bekant
war; mir persönlich ist die Überlieferung in liedesgestalt b«*i den Verhältnissen der
mündlichen spielmanstradition wahrscheinlicher, als eine lediglich inhaltliche Überlie-
ferung der sage. 4) Vogt stelt nicht in abrede, dass eine eventuelle vorläge der
legende (ich will sie X nennen), fals sie nicht in poetischen Wendungen nachzuwei-
sen ist, doch inhaltlich durchschimmern kann; er ist der ansieht, dass der kern von
X. sei X nun gedieht oder tradition, in jener scene durchschimmere, in der Orendel
in knechtesgestalt mit riesen um den besitz der Bride kämpft und. als er sich nach
seinem sieg zu erkennen gibt, als ihr gemahl und könig auerkaut wird. Ich persön-
494 BEEB
lieh bin überzeugt, dass es Berger völlig gelungen ist, in dieser scene einen schätz
origineller dichterischer erfindung nachzuweisen, wie er ähnlich nur noch einmal in
einem spater zu erwähnenden kurzen moment aus dem endlosen poesielosen gewäsch
odenromanes aufblizt; dass also aus der kernsituation eine poetische vorläge
erkenbar wird. In dieser kernsituation komt in L Orendel zu Bride als braut-
werber, und die riesen, mit denen er kämpft, sind freier der Bride. Vogt wird
zugeben, dass von einer bestirnten zeit ab das motiv der brautfahrt zu einer belieb-
ten und beherschenden spielniansschablone geworden ist. dass also von der braut-
i'ahrt in L unmittelbar kein rückschluss auf die gestalt von X gestattet ist. G) In
der kernsituation ist in L Bride kÖnigin von Jerusalem, Jerusalem heidnisch bedrängt
und Orendel der erwartete befreier, der im rocke Christi das: heilige grab erlöst.
V _• gibt zu. dass alles legendenhafte zutat von L ist. Orendel kam ersichtlich in
X in knecht -alt. und es scheint, dass L dea typischen namen der graurock von
X übernahm, an den grauen rock den rock Christi knüpfte und also Orendel zu
einem Trierer königsohn machte. 7) Aus diesen dementen haut sich die kernsituation
in L sehr einfach auf. Der siegreiche graurock in kuechtestracht soll die hand der
königin Bride erhalten: als ihre mannen sich dagegen empören, sagt er: ich hin gar
kein knecht, ich bin der könig Orendel von Trier. Gegen den könig von Trier haben
die mannen nichts einzuwenden. Solte diese fassung, wie Vogt meint, die ursprüng-
liche von X sein'/ Auf den könig von Trier wird Vogt verzichten, der fält mit dein
k Christi; nicht viel besser bestelt ist es um das königtum Jerusalem und die
befreiung des heil -. abstrahieren wir einmal, um mit allem zweifelhaften
aufzuräumen, auch von der brautfahrt, so ist der kern der Situation: Orendel kämpft
mit riesen um Bride und wird, als er sich zu erkennen gibt, trotz seiner knech-
tischen erscheinung ihr gemahl und anerkanter könig. In dieser formel ist ein rät-
selhafter punkt, dem Vogt nur wenig aufmerksamkeit schenkte: die knechtische
•heiuung Orendels. Wie komt Orendel in so entstelter gestalt zu Bride? Antwort:
komt aus der knechtschaft des riesen Ise. Damit verändert sich mit einem schlage
die Situation. Nicht der könig Orendel komt auf der brautfahrt zu Bride, sondern
der knecht des riesen Ise komt aus der gefangenschaft in kläglicher gestalt und
wird von niemandem, ausser (so scheint es) von Bride, für einen könig gehalten.
Die legende findet sich sehr einfach damit ab: Orendel bestand auf seiner brautfahrt
die üblichen abenteuer (z. b. das Klebermeer), zu diesen gehörte auch, dass er schei-
ternd in Ises bände fiel, als sein knecht den rock Christi in einem fischbauch fand,
von dem braven Ise ä la Sankt Martin mit dem mantel ausgestattet und an sein
heiliges ziel gesant wurde. Dieses Sammelsurium wird auch vor Vogts kritik nicht
: wir können uns immer nur an die kernsituation halten: der aus der knecht-
: icsen entronnene Orendel komt in ärmlicher tracht zu Bride, kämpft
mit riesen um ihren besitz, gibt sich nach seinem sieg den widerstrebenden mannen
zu erkennen und wird als ihr könig und Brides gemahl anerkant. Diese formel aber
ht der von mir a. a. o. zusammengestelten heimkehrgruppe näher als der von
V"_t herangezogenen brautfahrtsgruppe; nicht in dem winterlande kämpft in dem zu
gründe liegenden mythus (so scheint es) Orendel um Bride, vielmehr kehrt er wie
in der eddischen Überlieferung aus seiner winterlichen gefangenschaft zu ihr zurück.
- In L geht Orendel von Trier aus und kehrt (mit Bride) nach Trier zurück. Damit
-pielmann nicht zu ende; er stümpert weiter; Jerusalem ist wider in den
bänden der beiden. Bride eilt voraus und komt in die gewalt eines heidenkönins,
der sie zur mimte zwingen will; der nacheilende Orendel befreit sie. Vogt führt
ZUB ORENDELFRAGE |'.i;>
aus, dass dieser befreiungszug Orendels in L mit dein Morolf und der Rortherfort-
dichtung eine bis in das einzelne sich erstreckende ahnlichkoit hat. [ch weiss nicht.
welchen nachdruck Vogt nach meinen ausführungen Zur heldensage (Paul -Braune 14,
lies. s. 548 fg.) auf diesen nachwois legt, [ch habe dargotan: einmal, dass derMorolf,
Rother IT und der zweite und dritte teil der Kudrun unabhängig von einander aus
dem nämlichen griechischen roman (dem Balomonroman) geschöpft haben; sodann,
dass diese drei gedachte unter dem sichtbaren einfluss des deutschen (hie und da von
der orientalischen gruppe I influssten) heimkehrrom.mcs stehen: diesen deutschen
heimkehrroman meine ich in ergänzung meiner Orendelforschung nunmehr festgestelt
zu haben. So lege ich geringes gewicht darauf, dass L II sich ganz ähnlich wie
Rother D und Kudrun III anlässt: Orendel zieht aus, die boi einem buhler gefan-
gene Bride zu befreien, verbirgt sein beer, geht als waller in die Btadt usw. Die
Situation, die der legendenmann mit tollen Sprüngen eilfertig heiaufzuführen strebt,
ist doch nicht ganz die nämliche: in jenen gedichten eine entführte frau in der
fremde, in diesem die in ihrer heiinat buhlerisch gefangene gattin. l)as wäre an Bich
nun nicht ausschlaggebend, wenn nicht ein umstand hinzukäme, welchen Vogts k ii —
tik gar nicht berührt hat: der legendenmann, in seiner eilfertigen weise interesselos
und ohne klare Vorstellung über die ereignisse der befrei ung hinweghüpfend, bleibt
plötzlich an einer Situation hängen, die wie ein erratischer block aus verwittertem
geröll hervorragt: eine scene von athemlos dramatischer Spannung, welch..- sich mit
worteu von so schlichter heldengrösse bist, wie sie dem plumpen stümper der Legende
nie eingefallen wären. Diese auch in ihrer entwürdigten gestalt mit ihrer Umgebung
dichterisch unvereinbare scene aber hat zum inhalt, dass Oreudel in entstelter trachl
zu seiner von einem buhler gefangenen gattin komt, von ihr erkant wird und sie
unter ihrem heldenhaften beistand befreit. Diese scene ist um so mehr hervorzu-
heben, als ihr der zug des heldenhaften weibes mit jener ersten bedeutsamen kern-
situation im unterschied von allen Salonionsituationen gemein ist. Es hat ganz bestirnt
eine dichterisch bedeutsame scene (Y) gegeben, in welcher Orendel in entstelter
gestalt zu seiner unibuhlten gattin heimkehrte; womit Y ausgeschmückt war oder in
L ausgeschmückt wurde, welchen einfluss andere gediente in nebenumständen -.•wan-
nen, ist gegenüber jenem hauptergebnis eine nebeufrage. So ausgerüstet wage ich
von Y auf X zu schliessen und als dessen inhalt anzugeben, dass der aus eisriesen-
haft erlöste Orendel zu seiner unibuhlten gattin heimkehrt, sie von riesischen bedrän-
gern befreit und wider in seine herscherrechte tritt. Über die riesischen bedränger
habe ich in meiner Orendelforschung gehandelt. 0) Vogt legt auf Brides heldenhaf-
tigkeit einen ähnlichen wert wie Müllenhoff; er hebt ihre Briinhildenhafte tapferkeit
und ihre riesenwaffe , die stange hervor, und indem er entsprechende eigenschaften
bei den Jungfrauen des brantfahrtromans ßndet, fühlt er sich bestärkt, den Orendel-
mythus dieser niythengruppe zuzuweisen. Diesmal hindern mich principielle beden-
ken, ihm zu folgen. Ich bin durch meine mythologischen studien zu der Überzeu-
gung gekommen, dass walkyrische stärke und riesische attribute auch im norden
frühzeitig zu wanderrequisiten geworden sind, zu beliebten motiven, die von einer
Persönlichkeit für andere übernommen wurden. Ich halte die eddischen Überlieferun-
gen ausnahmslos für gedichte auf mythen, eine fort wirtschaftung mit einem material,
das sich aus den verschiedensten zeiten unter den verschiedensten einflüssen zusam-
mengestapelt hat und seiner inneren bedeutung meist bereit entrückt war. Ich wage
weder aus der tapferkeit noch aus der waffe der Bride irgendwelchen rücksehluss
auf den inhalt des urmythus zu ziehen; mit ihrer unberührbarkeit gehe ich noch
496 F. VOGT. ERWIDERUNG
mistrauischer um: dieser zug scheint mir nur angewant zu sein, um dem Orendel
eine spiritualistiscbe heiligung, und dem engel eine öftere ausübung seinei himlischen
ntschaft zu verschaffen; für den eigentlichen verlauf, für das Verhältnis zu Bri-
- bedrängern ist sie nirgends nutzbar gemacht.
BONN. LUDWIG BEER.
K r w i (1 e r u n ir.
Auf obige ausführungen glaube ich zur kenzeichnung meines Standpunktes
t'..l. q zu müssen. Zu 1 — 4: Das vorliegende Orendelgedicht halte ich
nicht -für die Stümperei eines späten spielmannesu, sondern für ein werk, in wel-
chem sehr verschiedene, teilweise noch zu sondernde, teilweise unauflöslich verwach-
schichten der Überlieferung bei einander Liegen (s.487 meiner abhandlung). Das
nicht über den ausgang des 12. Jahrhunderts zurückgehende originalgedicht beruht
nach meinen ausführungen stoflich auf einer teils frei, teils durch überlieferte moti\<'
erweiterten alten sage, die ursprünglich aus einem Jahreszeitenmythus erwachsen sein
wird. Über die form, in der diese dem dichter zugieng, können wir nichts wis-
.. — Zu .">: Das brautwerbungsmotiv hat von altersher in mythus und sag 3 Qme
nz hervorragende rolle gespielt; erst von da aus ist es auch typisches thema der
spielmannsgedichte geworden. Sollen wir es daher in einem der lezteren für spätere
erfindung oder für ummodelung eines andern motives halten, so muss mau uns ganz
Mimte, zwingende gründe dafür beibringen. Solche aber — und damit komme ich
zu 6 und 7 — vermag ich auch jezt noch nicht für den Orendel zu erkennen. Dass
Orendel vor Bride in knechtsgestalt erscheint, erklärt sich volständig aus der Verbin-
dung der beiden motive: knechtschaft bei dem riesen und gewinnung der Jungfrau
im riesenlande (s. 475 meiner abhandlung). Alles — ich widerhole es — deutet ent-
tieden darauf, dass Bride sich von anfang an hier, nicht in Orendels heimat auf-
hält. Diese leztere mag -'hon nach alter sage Trier gewesen sein; ohne diese
annähme ergibt sich kaum ein genügender anlass für die anknüpfung des heiligen
kes an I Brendels grauen rock. Bndlich kent die brautwerbungssage sogut wie die
heimkehrsage das motiv des unkentlichen ankömlings. — Zu 8: Meine bezüglichen
ausführungen bezwecken zu zeigen, dass Orendel II ebenso wie Rother II und Mo-
rolf II beurteilt werden muss: als die in der spielmansdichtung herkömliche Varia-
tion des hauptmotives. Ein selbständiges parallelgedicht als grundlage dieses zweiten
anzunehmen, hat mau im einen falle keine bessere veranlassung als im andern;
in- ■ aus dem 2. teile die heimkehrsage als ursprüngliches thema der ganzen
dichtung zu folgern, bietet der Orendel so wenig grund wie der Rother. Dass Bride
im Orendel II die -in ihrer heimat buhlerisch gefangene gattin" sei, ist nicht richtig;
I vielmehr „eine entführte frau in der fremde", während gerade Rothers geraubte
frau in der alten heimat i>t. In ästhetischer hinsieht s<-h<' ich im Orendel nicht eine
solche kluft zwischen wundern an alter poesie und erbärmlicher Stümperei des unse-
Lmanns wie Beer und Berger. Dass aber die hier in betracht kommende
;le nach meiner anschauung .-'hon aus der alten quelle stammen könne, geht aus
17»; meiner abhandlung hervor. — Zu 9: Dass BrH<'< heldenhafte und riesische
natur I zuist des -pielmannes sei. wird Beer gewiss nicht behaupten, da sieb
weder irgendwi sjt, dass dies inschaften etwa dem sonstigen, besser verbürgten
der Bride widersprechen, noch dass sie bei den frauengestalten der spielmansr
herkömlich sind. Sie gehören also der alten sage an. Die überweibliche hei-
E. MARTIN, ZU REINAEBT UND WTSSELA.U 497
denstärke aber haftet, wie die Brünhildensage zur genüge zeigt, an der Jungfräulich-
keit; mit deren verlust hört sie auf, und es ist daher zweifellos widerum ein alter zug,
dass unsere dichtung Drilles jungfräulichkeri überall so energisch festhält. Diese
streitbare Jungfrau nun gegen die Überlieferung zu einem verlassenen eheweibe zu
machen, sie. welche, von riesen umlagert, selbsl die typische riesenwaffe schwingt,
aus der riesischen amgebung verweisen zu wollen, ist ein verfahren, durch welches
man meines erachten s dem ursprünglichen gehall unserer dichtung nicW näher komt,
BRESLAU. l . VOGT.
XU REIXAERT UNI) WISSKLAU.
Meine ausgäbe der Darmstädter fragmente de Reinaert und des Londoner
brucbstücks des Wisselau ist in dieser Zeitschrift 23, 349 -353 auf druckfehler und
ähnliche versehen hin einer gründlichen aber nicht völlig gerechten prüfung unter-
zogen worden. Die beurteilungen meiner arbeit durch andere hat der recensenl oichi
beachte^;, er ist femer auch, seinerseits dem tadel verfallen, der im Anzeiger für deut-
sches altertum XV, 375 wegen niclitbenutzung des im erscheinen begriffenen Mnl. wb.
von Verdam über mich ausgesprochen wird. Seinen ausstellungen habe ich folgen-
des entgegenzuhalten.
Absolute Sicherheit bis auf den lezten buchstaben ist gewiss zu fordern, sobald
es sich um einen diplomatischen abdruck handelt. Der recenseut bezweifelt Reinaerj
3096 senc für sine; eine nachvergleichuug des Darmstädter lis. hat ergeben, dass
atsächlich sene geschrieben steht.
Für den Wisselau habe ich leider im buchstäblichen abdruck sechs druckfeh-
ler übersehen, in denen e und c verwechselt, r ausgelassen war o. ä. Doch hoffe
ich, dass der leser, wenn nicht von selbst, so doch durch den daneben stehenden
kritischen text geleitet, das richtige sofort eingesezt hat. Ausserdem habe ich ein
paar mal die von Semire, aber nicht mehr von mir gelesenen weite nicht ganz
genau widergegeben, z. b. Ab 26 [onibindic v te] waren, wo Serrure u sezt: wel-
chen kritischen wert hat wol dies u für v? Noch weniger als das aufführen solcher
differenzen verstehe ich, wie der recensent sagen kann, unter den abweichungen Ser-
rures von meiner lesung seien „uioht nur bemerkenswerte orthographische, sondern
auch materielle unterschiede unberücksichtigt geblieben: Ab 4 vermisse ich das die
vor rese (vgl. Ab 35), 17 kempe, 31 gout usw." Die handsehrift hat völlig lesbar
de, kimpe, soid. Icli bin dem bruchstück nachgereist, nach Gent, nach London und
hierher mehrmals; ich habe in mancher stunde die verloschenen züge angeschaut.
bis mir die äugen übergiengen; aber dass ich solche völlig gleichgiltige versehen
Serrures nicht einfach übergehen dürfte, habe ich mir nie träumen lassen. Auch
wenn recensent sagt: „v. 512 hat Serrure schachten*, so ist meine normalisierende
angäbe scaehten schwerlich eine sünde. Der recensent hat aber in allen diesen fallen
meine lesung gar nicht mitgeteilt und so den wahren Sachverhalt nicht erkennen
lassen. Wie viele leser werden wol nachgeschlagen haben?
"Wesentlich der gleichen art sind auch die an meinen hergestelten texten
bemerkten fehler: ein paar mal hat der drucker y ohne die zwei punkte gesezt, von
anstatt van u. ä. Ganz misverständlich heisst es s. 352: „Ungenau ist 3119 seulde
..e, der rest des verses fehlt keineswegs in der handsehrift " : die zwei punkte
ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXIII. öJ
49S MARTIN. ED RF.INAF.RT UND WISSELAU
I
- gen hier, dass die zwei lezten buchstaben von seuldech unlösbar geworden sind.
Dass die abweichungen meines textes der Brüsseler handschrift von den Varianten
im Beinaert auf aoohmaliger benutzung meiner collationen beruhen, versteht sich
doch wol von seil -
Nur einen beitrag zur Verbesserung meines Reinaerttextes liefert der recensent
151: »v. 2640 lese ich: ghi syter, eonine, also naa: ich hatte eonine an die
spii - s 3 j ätelt, indem ich trtümlich annahm, dass b mit a darin überein-
mme.
[ch ergreife die gelcgenheit zu meinen erläuteitmgen »Irr beiden gedichte einige
zu machen.
- 33 habe ich das mnl. kir besprochen: es ist auch mittelhochdeutsch (Titurel
/.-///• fis) und entstamt der picardischen form eier für das frz. elier (Strassburger diss.
von Kassewitz, Französische worter im mhd. Str. 1800 s. 40).
S. ö8 hatte ich das gedieht vom schratel und dem wasserbären nach der sehr
ansprechenden Vermutung Bechsteins (s. zulezt die festschrift für Konrad Hofmann
s. 172 Fgg. als ein werk Heinrichs von Freiberg anfuhren können. Ebenda ist zuMül-
lenhofls bemerkuugen über die koboldsage jezt auch auf seinen Beovulf s. 2 unten
zu verweisen.
3. 70: Auf die truchsessen stichelt auch Heinrich von dem Türlin in der Krone
28 Fgg.: Dax man von truhsazen sagt Dan si da dicke rätes Jehen Da si
mieheln mangel fehen: her rede hi< niht gesehach. Zu vergleichen ist auch der
höhn über Hialli hvergtetir in Atlamal 58 und die Verachtung des im steikarahus
verweilenden jungen Thetleifr: Thidrekssaga cap. 111.
Ganz besonders aber möchte ich auf die in De Gids, Januari 1889 s. 45 — 73
von J. .1. A. A. Frentzen veröffentlichte Untersuchung über Wisselau hinweisen, um
mehr, als diese holländische Zeitschrift in Deutschland nur wenig bekaut sein
dürfte. Hier ist sehr gut das Verhältnis dargestelt worden, in welchem ^vVisselau zu
den deutschen gedienten der spielmanspoesie, besonders zu Rother und Oswald steht,
m ich auch eine unmittelbare benutzung, wie sie Frantzen wenigstens für Rother
annimt. noch nicht als erwiesen ansehn möchte. Vbrtreflich ist die bemerkung über
die heimat des sagenstoftV-s. die sich aus dem namen Wisselauwe ergiebt: als „"Weiss-
löv. • tspricht 'lies der niederrheinischen mundart. Dass bar und löwe ver-
we werden, find-r sich auch in Rother 1290, wo ein zahmer löwe herweif
ant wird. Vom Niederrhein gieng die namensform über in die westfälischen lieder,
nach denen die Thiureks Saga cap. 142 den baren Vixleo nent. Die niederrheinische
heimat des Wisselau pa>st vortre flieh zu der von Müllenhoff und Henning erwiesenen
blute der heldensage am Xiederrhein im 11. und 12. Jahrhundert, welche dann auf
-üdosten einwirk- Sehr ansprechend ist daher auch die annähme Frantzens,
m Übelen weib 705 — 771 auf die sage von AVisselau angespielt werde: als die
mit einander kämpfenden s itl m schon gefront worden sind, zeigt das böse weib noch
immer ihre wut: als ein her der an einer lannen strebt, dem gelieh st da/nnoch
lebt. s% phnurreU jenen unde disen, si gebarte als si mit einem risen dennoch
heb )hten. Durch die einflechtung Karls des Grossen, vielleicht an stelle Die-
triche wird für die quelle des mnl. gedientes die entstehung in der gegend von
aen nur noch wahrscheinlicher.
.RAS-BURO. 14. NOV. 1890. E. MARTIN.
BRANDES, KKWII'I-.KI \'j\)
Antwort des reeensenten.
Die von mir besprochene publikatioD besteht nahezu zu einem drittel aus dem
buchstabengetreuen abdruck von texten. Eerr prof. Martin gibt in seiner entgegnung
ausdrücklich zu, dass ein Bolcher „absolute Sicherheit bis auf den lezteo buchstaben"
bieten müsse. Weshalb wirft er mir denn aber vor, dass ich versucht habe, die
von ihm gelieferten textabdrücke bis auf den lezten buchstaben richtig zu ßtellen?
Eine Ungerechtigkeit kann ich in meinem verfahren nicht erblicken, zumal ich auf
den wort un<l die bedeutung der Veröffentlichung Martins mehrfach mit nachdruck
hingewiesen habe.
Aus der bemerkung im dritten absatz: „Ausserdem habe ich .... wert'' nicht
mz genau widergegeben, /.. b. AK 26 [ontbindic v tej waren, wo Serrure u sezt:
welchen kritischen weit hat wol dies " dir p?u tritt der Sachverhalt nicht völlig klar
hervor. Einmal komt es an der angezogenen stelle auf den kritischen wert des
ii für /• gar nicht an. da es sich um dm diplomatischen abdruck handelt; sodann
steht in Martins ausgäbe nicht ontbindic v te, sondern ontbindic ie 0 >>. Die ver-
anlassung zu meiner ausstellung Heut also keineswegs da. wo herr prof. Martin
gefunden zu haben glaubt.
Für nicht ganz gerechtfertigt halte ich es ferner, wenn herr prof. Martin in
erster linie von druckfehlern und ähnlichen versehen spricht, meiner bemängelung
des Variantenapparats zu den bruchstücken des Reinaert aber (absatz li allein mit
der behauptung entgegentritt: „Dass die abweichungen .... versteht sich doch wol
von selbst". In Martins ausgäbe der neuen Fragmente Bteht kein wort davon, dass
er auf seine kollationen zurückgegriffen hat; ich glaube zudem nicht, da--- irgend
jemand bisher daran gezweifelt hat, dass der Variantenapparat zu Martins Reinaert
durchaus verlässlich sei. "Wenn herr prof. Martin jezt selbst zugesteht, dass er
nicht ist. so frage ich: Weshalb hat er das resultat seiner nachkollationen nicht
längst veröffentlicht oder doch wenigstens in seiner jüngsten Schrift darauf aufmerk-
sam gemacht, dass sich in den lesarten verseben finden? Hat der herausgeber eil
buches, das wie Martins Reinaert in aller bänden ist und das sprachlichen Unter-
suchungen zur grundlage dient, nicht die pflicht, die ergebnisse seiner nachprüfun-
gen volständig vorzulegen?
Zu absatz 1 muss ich bemerken, da^s mir das buch sofort Dach dem erschei-
nen durch die redaktdon «lieser Zeitschrift zugesant worden i>t . und dass ich wenij
wochen darauf meine recensiun eingeschickt habe, ich also keine Veranlassung linden
konte, an meinem druckfertigen manuscripte zu ändern, als ich Bpäter die :,i-
liche bemerkung Francks in seiner anzeige der ersten beiden bände des Mnl. wb. las.
BERLIN, 20. NOV. 1890. 1IKRMAN BRANDE
IJericIitiffuiür.
Auf s. 292 dieses bände s im lezten absatze der abhandlung von F. Bronner
steht durch ein hoffentlich unschädliches versehen hinter dem namen von Seherer die
Jahreszahl 1775 statt 1876.
32
500 NEUE ERSCHEINUNG EX
NEUE EESCHEINUNGEN.
BraiuNtetter. ßenwmrd, Prolegomena zu einer urkundlichen geschiente der Luzer-
ner mundart. Einsiedeln, Benziger & Co. 1890. 88 s.
Brutaler, J. >V.. Kritische Stadien zu Wernhers Marienliedern. Greifswalder diss.
18
Deutsche litteratordcnkmale des ls. und 19. Jahrhunderts in aeudmeken heraus-
g gel ■ B. Seuffert. 33 — 3S: ITz. sämtliche poetische Werke, herausgeg.
. Sauer. Stuttgart, G. J. Göschen. 1890. 8,40 m.
FUlsehlen, CÜsar, Graphische litteratur-tafel. Stuttgart, G.J.Göschen. 1890. 2 m.
Ein vorsuch, den verlauf der deutschen litteratur und die auswärtigen „ein-
flüsse" in denselben durch Zeichnung und färbe zu veranschaulichen. "Wer den
ter langen streifen aufmerksam verfolgt, wird finden, dass eine menge
von litteraturkentnis in denselben hineingearbeitet ist; freilich auch, dass die
_ stelte aufgäbe doch nur andeutungsweise gelöst werden kont»-. Für repetition
mag die darstellung manchem einen brauchbaren anhält bieten und dadurch ihr
interesse über dasjenige einer blossen kuriosität hinausgehn.
— — Otto Heinrieh von Gemmingen. Mit einer Vorstudie über Diderot als drama-
tiker. Stuttgart, G. J. Göschen. 1890. 163 s. 4 m.
Der Verfasser charakterisiert auf s. 1 — 50 die Wirksamkeit Diderots mit
besonderer rücksieht auf den vpere de famillc* und seine einwirkung auf das
bürgerliche Schauspiel in Deutschland. Sodann schildert er in grossen zügen
3.51 — 67 leben und Wirksamkeit v. Gemmingens, bespricht s. 68 — 78 dessen
.Mannheimer dramaturgie auf das jähr 1779" und sodann in dem übrigen teile
des buches das drama „der deutsche hausvater", seine aufnähme bei den Zeit-
genossen, seine beziehungen zu werken von Lessing, Wagner, Goethe und end-
lich seine fortwirkung in der deutschen litteratur. Zusammenfassendes urteil auf
B. vr': -Gemmingen steht ganz auf der peripherie der stürm- und drangperiode :
er hat ihre motive und reflexionen; seine fassung derselben aber ist eine ruhigere
und abgeschwächtere, in der mitte zwischen gährung und klärung".
Gneisse, K. , Untersuchungen zu Schillers aufsätzen: «Über den grund des Vergnügens
an tragischen gegenständen". -Über die tragische kunst" und „Vom erhabenen".
Gymn.-progr. AVeissenburg im Elsass. 1889. 37 s. 4.
Hedler, Adolf, Geschichte der Heliandforschung von den anfangen bis zu Schindlers
ausgäbe. Rostocker diss. 1890.
Klar und übersichtlich dargestelt; in dem von Klopstock handelnden abschnitt
3. 29 fg.) hätte auch dessen brief an Lessing vom 27. august 1768 berücksich-
■ gt werden können.
Jeep, Ernst, Hans Friedrich von Schönberg, der Verfasser des Schildbürgerbuches
und des Grillenvertreibers. Wolfenbüttel, Jul. Zwissler. 1890. XIV u. 148 s. 3 m.
Untersuchung über die textgeschichte des Schildbürgerbuches und seiner fort-
. .. Enthält einig" berichtigungen zu Goedeke, grundriss2 II, 560.
Kahle. Beruh., Die altnordische spräche im dienste des Christentums. I. teil: Die
prosa. (Acta Germanica I, 4.J Berlin. Mayer & Müller. 1890. 137 s. 8.
Kamp. IL. Gudrun in metrischer Übersetzung. Y1II, 48 s. Berlin, Mayer & Mül-
ler. 1890. Preis 65 pf.
Auswahl aus den überlieferten Strophen dea Gudrunepos, die sich meist an
den von Müllenhoff al t ausgeschiedenen kern hält: in beziig auf die von 1530
NEUE ERSCHEINUNGEN 501
an folgenden strophen iibl der Verfasser eine von Müllenhoff abweichende kritik
mit rücksieht auf Martins bemerkungen zu Kudrun (Halle 1867; vgl. auch dii
Zeitschrift XV, 194 fg.). Die einleitung enthüll beachtenswerte kritische bemer-
kungen. Überall zeigt sich gründliches Btudium des Originaltextes. Kamp über-
trägt den inhalt der mhd. dichtung singetreu, aber mit voller freiheil des aus-
drucke im einzelnen, in einfache aber würdige neuhochdeutsche fassung; kleine
besserungen einzelner verse werden leichl nachzutragen Bein. Nur die Freiheit,
dir er sich mit Umwandlung der strophenform genommen hat. kann ich nichl
billigen. I>ass er den lezten halbvers um ein.' hebung verkürzt il statt 5), mag
noch hingehn; wenn er aber den in der mhd. dichtung streng festgehaltenen
unterschied zwischen den stumpfen reimen der beiden ersten und den klingenden
diu- beiden Lezten zeilen aufgibt, so nimt er der ßtrophenform einen charak-
teristischen zug, der in unserer verskunst uoeb ebenso wirksam empfunden wer-
den könte, wie in der mittelhochdeutschen. o. b.
KaulTinann, F., Deutsclie Mythologie. Stuttgart, G. .1. < sehen. 1890. IV. 107 s.
kl. 8. geb. So pf.
Küster. A., Schiller als dramaturg. Berlin, W. Hertz. 343 -. •; m.
Auf einen kurzen einleitenden überblick über die reform des Weimarer thea-
ters durch Goethe und Schiller >- ir 1701 folgt eine genaue besprechung von Schil-
lers bühnenbearbeitung der drainen: Macbeth, Nathan der weise, Turandot, Phä-
dra, wobei auch die vorhergehende geschiente dieser stücke behandelt wird. I
buch orientiert sehr gut über die hierher gehörenden Litterar- und theatergeschicht-
lichen Vorgänge, und die eigenen urteile des Verfassers sind wolüberlegt und
sachlich begründet; auch die anmerkungen s. 289 .'Jü'j sind reichhall
Lentzner, K. , Das kreuz bei den Angelsachsen. Gemeinverständliche aufzeichnun-
gen. Leipzig. Reisland. 1890. All, 28 s.
Martin, E., Mittelhochdeutsche grammatik nebst Wörterbuch zu der Nibelunge oöt,
zu den gedichten Walthers und zu Laurin. Für den schulgebrauch ausgearbeitel
11. verbesserte aufläge. Berlin, Weidmann. 1889. 104 s. 1 m.
Mensing', 0., Untersuchungen über die syntax der ahd. und mhd. concessivsätze,
mit besonderer rücksicht auf Wolframs Parzival. Kieler diss. 1891. 8l'
Leipzig, G. Fock. 2 m.
Müllenhoff, Karl, Deutsche altertumskunde. Erster band. Neuer vermehrter abdruck
besorgt durch Max Roediger. Alit einer karte von Eeinrich Kiepert. Ber-
lin, AVeidmannsehe buchhandluug. 1890. XXXV, .".II s. gr. 8. 11 m.
Der text der ersten aufläge, die im IV. bände dieser ztschr. s. 94—103 ein-
gehend besprochen wurde, ist unverändert abgedruckt Doch hat der herausgeber
ein sehr dankenswertes register und interessante beitrage zur geschiente des Wer-
kes hinzugefügt, u. a. in Müllenhoffs nachlasse vorgefundene fragmenl ir ein-
leitung, in welcher die in der vorrede ausgesprochenen oder angedeuteten gedanken
weiter ausgeführt und begründet werden. Ausserdem sind änderungen des texi
und randbemerkungen aus Alüllenhoffs handexemplar eingefugt "der. falfl d
nicht angieng, im nachtrage mitgeteilt weiden.
Olilert, Arnold, Oberlehrer, die deutsche schule und das klassische altertum. Unter-
suchung der gnmdlagen des gymnasialen Unterrichts. Bannover, C. lieyer. 1891.
188 s. 2,40 m.
Prellwitz, Walther, Die deutschen bestandteile in den lettischen sprachen. Ein bei-
trag zur kentnis der deutscheu Volkssprache. Erstes heft: Die deutschen lehn-
502 NEUE ERSCHEINUNGEN
Wörter im preusaischen und lautlehre der deutschen Lehnwörter im litauischen.
• _ :i. vorlag von Vandenhoeck & Ruprecht 1891. XII, 64 s. 8. 2,40 m.
Prinzinger, A.. Zur Damen- und Volkskunde der Alpen. München. Th. Ackermann.
189a 71 S. 1,80 m.
Untersuchungen über die etymologie Itairischor und österreichischer orts- und
unen, sowie über die Urbevölkerung des Alpengebietes.
ßentsch, Johannes, Johann Elias Schlegel als trauerspieldichter. Leipzig, PaulBeyer.
L19 s.
1. Schlegels persönliches Verhältnis zu Gottsched. 2. Die trauerspiele. 3. Sprache
Wortschatz und stil). Metrische form und ernfluss derselben auf die spräche.
Iiöhrirlit. Kcinli.. Bibliotheca geographica Palaestinae. Berlin, Renther. 1890. 744s. 8.
[Aueli für den germanisten interessant, da eine menge unedierter deutscher texte
aus handschriften nachgewiesen worden.]
Seherer, W., Deutsche Studien I und II. 2. aufläge. F. Tempsky, 1891. 129 s.
Unveränderter abdruck der abhandlungen über Spervogel und über die anfange
- minni - aus den Berichten der Wiener akademie 1870 und 1874.
Schlösser, Rudolf, Zur geschiente und kritik von Friedr. Willi. Gotters Merope.
1. ipzig, G. Fock. 1890. 142 s. 2 m.
1 von seiten der versichre (fünffüssiger iambus!), als in bezug auf die
. -taltun g des Stoffes und die Ktterarhistorische bedeutung wird Gotters drama —
mit sorgfältiger Unterscheidung der beiden ausgaben von 1774 und 1788 — ein-
_ hend besprochen.
Schnitz, Alwin. Altagsleben einer deutschen frau zu anfang des 18. Jahrhunderts.
Mit 33 abbildungen. Leipzig, S. Hirzel. 1890. 278 s. 6 m.
Hauptsächlich nach dem _Frauenzimmerlexiconu von Amaranthes [— G. "SV. Cor-
vinus], Leipzig 1715, aber auch mit vielfacher benutzung anderer zeitgenössischer
- I riftsteller, wie des Jesuiten Franz Callenbach, des berühmten predigers Abra-
ham a 5 lara, des Satirikers Christian Weise u. a., entwirft der Verfasser ein
bild von dem häuslichen und geselligen leben deutscher frauen gegen ende dos
17. und zu anfang 18. Jahrhunderts. Quollcnmässige dotailschilderungen und
zahlreiche abbildungen machen das buch nach vielen Seiten hin interessant.
Sehnster, A. , Lehrbuch der poetik für höhere lehranstalten. Dritte vermehrte aufl.
Halle a .'S. R Mühlmann. 86 s. 2 m.
Die neue aufläge des für den Unterricht sehr brauchbaren buches ist durch
eine anzahl von neu aufgenommenen beispielen und litterarischen Verweisungen
erweitert worden.
Sdderwall, K. F.. ordbok öfver svenska medeltids spraket. Tolfte haftet. Macedon —
nyr. Lund 1891. 120 s. 1. (Samlinger utgifna af svenska fornskrift - sällskapet,
hält. 100).
Mit diesem hefte begint der 2. (und lezte) band des ausgezeichneten Werkes,
das zum ersten male den Wortschatz des altschwedischen volständig verzeichnet.
Steinhftnser, P., Wernhers Marienleben in seinem Verhältnis zum Liber infantiae
Marias. Rostocker diss. 1890. Berlin. Mayer & Müller. 07 s. 1.20 m.
Tainm. Freder., etymologisk svensk ordbok. Firsta haftet. A — bärga. Stockholm,
Hugo Gebers förlag. L890. 80 s. 8. 1.25 kr.
Der umfang des verdienstlichen, von der schwedischen akademie unterstüzten
welkes, dem Kluges Etymologisches Wörterbuch der deutschen spräche zum muster
gedient hat. ist auf 10 hefte zu 5 bogen berechnet.
NACHRICHTEN 503
Teseli, L., Zur entstehungsgeschichte des evangelienbuches vron Otfrid. 1. Greifs-
walder diss. L890. 62
Ullsperger, Franz, Der schwarze ritter in Schillere „Jungfrau von Orleans". (Pro-
gramm des k. k. ober-gymnasiums in Prag-Neustadt 1890). 31 s.
Der Verfasser unterzieht die Bchon ofl behandelte scene einer scharfsinnigen
besprechung, welche manche neuen und überzeugenden rosultate gewint. o. e.
Wossidlo, 1?., Imperativische Wortbildungen im Niederdeutschen. I. (Gymn.-progr.
Waren 1800). 18 b. 1. Leipzig, G. Fock. L,20 m.
NACHRIHITKN.
Am 1. okt. verschied zu Waging bei Traunstein der ordentl. professor an der
Universität München, dr. Conrad Hofmann.
Am 4. januar 1891 starb zu Kopenhagen dr. Konrad Gislason, bis 18
ord. professor der nordischen philologie daselbst, einer der genausten kenner der
poetischen litteratur Islands, rühmlich bekanf durch eine reihe vorzüglicher ausgaben
und abhandlungen (geb. 3. juli 1S08 zu Langamyri auf Island).
Der ausserordentl. professor dr. Jos. Wackernell in [nnsbruci wurde zum
ordentl. professor ernant; an derselben Universität isl prof. dr. J. Seemüller aus
Wien als extraordinarius angestelt worden.
Die ausserordentl. professoren dr. 11. Baumgart in Königsborg unddr.G. Röthe
in Göttingen wurden zu Ordinarien befördert.
Es habilitierten sich für germanische philologie: an der Universität Leipzig
dr. Georg Holz, an der Universität Berlin dr. Andreas ECeusler, an der Univer-
sität Marburg dr. Ferdinand "Wrede und an der Universität Graz dr. -I. W. Xu
Zu Berlin ist im november 1S90 ein verein für Volkskunde gegründet win-
den, in dessen auftrage herr geh. rat professor dr. K. Weinhold eine Zeitschrift
(als neue folge der ztschr. für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft) herausgehen
wird. Dieselbe wird den mitgliedern des Vereins unentgeltlich geliefert werden; im
buchhaudel kostet der jahresband von ca. 30 bogen, der in 1 beften erscheinen wird.
15 — 16 m.
Herr Artur Kollmann in Leipzig hat eine samlung bandschriftlich auf-
gezeichneter texte von Puppenspielen zusammengebracht (vgl. Grenzboten 1887 nr. 29
und 30. 1890 nr. 50), welche er nach langer Vorbereitung jezt zu veröffentlichen
begint. Das erste lieft (im Verlage von F. W. Grunow in Leipzig) soll „Judith und
Holofernesu und „fürst Torello von Pavia" enthalten.
Die XLI. versamlung deutscher philologen und Schulmänner wird vom 20.
23. mai 1891 in München statfinden. Die vorbereitenden geschäfte für die germa-
nistische section hat herr professor dr. Oskar Brenner (Georgenstr. 13b) übernom-
men. Anmeldungen von vortragen werden bis zum 1. mai erbeten.
504
I. SArllKKCisTKK.
der gebrauch der tierc für die
aberglauben: Verwendung von Mut zu hei-
lungen usw. 218 -225. vgL Armeni-
s he, Rumänische erzählungen, Hart-
mann v. Ali".
Alexanders - briefwechsel Alexanders
mit dem Brahmanen Dindimus bei Job.
Hartlieb und in einer Heidelberger hand-
■irift 424 Fg.
alt' rsstufen, zehn, des menschen, die
verse für das männliche und weibliche
alter 3S7 - 393. die Varianten 393 fg.
die den versen zu gründe liegende an-
s hauung 394- -401. die bilder 401-
412
einzelneu stufen 408 — 412
altfriesische götternamen s. mythologie.
altnordisch, [»uhr und skalden unterschie-
den 370. vgl. runen.
ang sisch s. Beowulf.
Armenische erzählung: Die rechte liebe,
- itenstück zu Hartmanns Armen Hein-
rich 218 — 220. v.rgleichung beider
fgg ;1. Hartmann und Rumä-
nische erzählung.
B owulf. Ursprung des berichtes über
Hygelac und die Gauten 111 fg. — über
die entstchung des gedieh tes 113 — 122.
hlutzauber 218 — 225. vgl. Armenische,
Rumänische erzählung. Hartmann, aber-
dube.
ttia von drei Völkern bewohnt 376.
carmina Burana. naturschilderungen darin
4 h. 9 fgg. 25 fg.
Chauker. wohnsitze 376.
Dindimus. des Brahmanen. briefwechsel
mit Alexander b. diesen.
dramen, deutsche, des 17. jahrh. in
einer Kopenhagener handschr. : 1. An-
dreas • rryphius, Der ßchwermende Schä-
fer Lysis 227 fg. 2. ffieronymus Th<>-
mae von Augsburg. Titus und Tomyris
228 _ Verhältnis zu der englischen
komödie und zu Jan Vos, Aran en Ti-
tuf _- • fg. ym dem Puppenspiel Titus
Andronioo- 231 f. 3. festspiele des
. Fihdor: Die erfreute Unschuld.
Ernelinde oder die viermal braut. Der
vermeinte prinz. DieWittekinden, Der
betrogene betrug 233—36. deren an-
geblicher Verfasser Jacob Schwieger von
Altena 234 fgg. derselbe nicht verfas-
ser von Filidors Erst entflamter Jugend
234. den Filidorscheu stücken verwani
i. Die steigende und fallende Athenais
oder Eudoxia 236 fg. 5. Poetisches
freudenspiel von des Ulysses wider-
kuuft in Ithaken 237 fg. 6. Das friede-
jauchzende . . Europa 238 fg. 7. Wo-
chen-komedie 238. 8. Grryphius, Pa-
pinian 239 fg. — Faustiua, die braut
der hölle s. Schiller. — vgl. fastu acht-
spiele, Goethe.
dramen, lateinische, des 10. jahrh.
als srhullektüre 437. dramcnsamlung
der Bremer stadtbibliothek 438. dra-
men des Placentius Evangelista (Joh.
Plac.) 439 — 450. Clericus Eques 440 —
444. Ducianus aulicus 444 fg. Susanna
446 — 450.
englische komödie s. drama.
Eusebius Candidus gedieht: Plausus lucti-
ficae mortis 450 fg.
Fabri, Felix, von Ulm, gedieht über seine.
Pilgerreise 26.
fastnachtspiele, topographie der : aus Nürn-
berg stammende 104 fg. scheinbar aus
Bamberg stammende 105. Poppenreut.
die Pegnitz, die Donau 105. Lechfeld
106. bairische spiele 106. fränkisch -
thüringische , aus der nähe von Erfurt
106 fgg.
Filidor, festspiele des sogen.. 233 — 236.
angeblicher Verfasser Jac. Schwieger von
Altona 234 fgg. Filidors Erstentflamte
jugend 234. das damit verwante stück:
Die steigende und fallende Athenais oder
Eudoxia 236 fg. vgl. drama.
Friedrichs von Oesterreich Jerusalemfahrt
26—41. 422 — 425.
Friesen, friesische gottin Eüudana s. my-
thologie. — heul - prachgebiet der
Friesen 377. Ursprung des modernen
westfriesischen ea, e 377.
der, general v., 44 anm. 1.
[mausen, hofdame fräul. v., abschrift
des Goetheschen Faust s. Goethe.
I. RAHIREGISTKR
505
Goethe, Faust, zur entstehungs
schichte des 2. teiles: Helena im mit-
telalterlichen Satyrdrama GS — 7:;. hrok-
kenscene des 1. teiles 73. abschluss
des 1. teiles 79. die 2 aeuentdeckten
epiloge Abkündigung und Abschied 71
— 79. Ende des Euphorion 7(.t fgg.
Vollendung der .'! ersten akte 81 t.
die mütter 83. Wagners homunculus
83 fgg. 91 fgg. klassische Walpurg
nacht 84—88. 91 — 103. ( Jhiron 88 fg.
Manto 89. gang zur Proserpina 89 t
Umgestaltung des planes der Walpurgis-
nacht 93. zwei erhaltene Schemata der-
selben 93 — 98. Beismos 98 fgg. ver-
schiedene fassuDgen aus dem ende der
Walpurgisnacht 101 fgg. — Zeit der
abfassung des rattenliedes und des mo-
nologes: Meine ruhe ist hin 290 fgg.
Goetheausgabe, neue Weimarer: zur
rechtschreibnng derselben 29S fg. zur
Interpunktion 299 fgg. Bezeichnung ein-
geführter reden 302—305. apostroph
306. ausstossung eines e oder i aus
metrischen rücksichten 306 fgg. bezeich-
nung und Verhältnis der gesamtausgaben
308 — 314. folge der
gedichte
314 fgg.
zur rechtschreibung der gedichte 316 fgg.
druckfehler 318 fgg. die lesarten 320
— 323. datierung der bailaden von der
müllerin 323 fg. unterdrückte gedichte
und stellen 325. vanitas vanitatura 325.
Divan 325 — 331. das Wiesbadener Ver-
zeichnis von 1 00 liedern 326 fg. Faust I,
abschrift der hofdame von Göchhausen
332. lesarten 332 fg. textgestaltung
333 fg. wortkritik 334 fg. Paralipo-
mena 335. Faust II, haupthandschrift
335 — 337. teilhandschrift 337. zur
textkritik 337 — 341. naturwissenschaft-
liehe Schriften 342. tagebücher 342.
briefe 342 fgg. Götz 340. Egmont 346 fg.
Iphigenie 347. Xausikaa, Tasso 347.
Natürliche tochter 347 fg. Dichtung
und Wahrheit 348 fg. tagebücher 349.
Gryphius, Andreas, Der Schwermende
schäfer Lysis 227 fg. Papinian 239 fg.
vgl. drama.
Gudrun, die 4 ersten gesänge werk des
redaktors mit starker benutzung der
Nibelungen 147 — 160. Zusammenstel-
lung der sicher auf nachahmung der
Nibelungen zurückzuführenden stellen
des übrigen teiles der Gudrun 160 —
201. einteil ung der parallelen nach
ihrer beschaffenheit 202. stärkste be-
nutzung der Nibelungen bei beschrei-
bung typischer Vorgänge 202 fg. sel-
ten gänzlicher rnangel an parallelen 203.
erklärung der nachahmung 203 fg. be-
stinimung des benuzten Nibelungentex-
tes 204. verfahren des bearbeiters 204
fgg. ursprüngliche Strophen 206. Zu-
sammenstellung aller sprachlichen und
sachlichen berührungen beider gedichte
207 217.
Bartlieb, Johann, sein Alexanderroman
I-Ji ;
Hartmann von Aue, volkstümliches zum
Armen Heinrich: Armenische und Ru-
mänische erzählungen als Beitenstück
zum Armen Heinrich 218 225. aber-
gläubische Verwendung von l»lut zu hei-
Lungen usw. 223 fgg.
Hludana, altfriesisohe göttin siehe mytho-
logie.
Jerusalemfahrt Friedrichs von Österreich
•_'(;._41. 422 — 425. vgl. Philipp \"ii
Katzenellenbogen.
Kreuzzüge: berichte von wunderbaren
scheinungen aus den kreuzzügen 112 —
4K>. sagen, die sich an berühmte per-
sönlichkeiten anknüpfen U6fgg. Bala-
din 418 — 421.
Kürnbergm-. < österreichisches geschlecht
361 fg.
lateinisches drama des 16. Jahrhunderts
s. drama.
Leschenbrand, Peter, mutmasslicher Ver-
fasser des gedientes über Friedrichs III.
Jerusalemfahrt 26.
metrik. schwebende betouuug 367 fgg.
minnesinger. naturschilderungen im min-
uesang s. erstercs.
Möbius, Theodor, nekrolog 457 — 165.
Verzeichnis seiner Schriften 465 — 470.
mythologie. Hludaua, altfriesische
tin, auf ein« in bei Beetgum gefundenen
steine 129 fg. von Thorlacius identifi-
ciert mit Hlodyn 131. ihr angehli« h
ccltischcr Ursprung 131 fg. friesischer
Ursprung 132. hauptname Jord, bei-
namen Hlodyn, Fiorgyn 132 fg. Hlu-
dana nicht aus hlüd, nicht als Hlodyn.
nicht als entstellung aus Latona zu
erklären 133 — 136. form des namens
137 fg. Hlödvn- Hludana beiname der
erdgöttin (* Airtha) 138. bedeutung des
namens auf der Inschrift -■ eintracht
1 38 fgg. deutung des namens , aus frie-
sischem hlüd oder hlüth - - gesclschaft,
als Concordia 140 fg. nachweis, <!.
Uxtha Hlojranja Fairgunja ursprünglich
gemahlin des Tius 141 fg. beide eitern
von Odin, Thor, Frigg, Sif 142 — 145.
naturschilderungen bei vaganten und
minnesingern : personification der schaf-
fenden natur und der fruchtbaren erde
3 — 8. Zu erklären durch nachahmung
I. SACHREGISTKIi
Lehrter, lateinischer dichtang 2 fg.
wmterschflderungen 0— bei Neid-
hard 21 — 25. vgl. Carmina burana.
Lhard, naturschilderungen bei N. 21 —
vgl. jei
neuhochdeutsch, wortspaltungen auf
der neuhochd. schritt- und
rkehrssprache: Unterscheidungen in
.militätischem inten — 266 fgg. ent-
■ _ neuer Substantive aus adjcc-
tiven 268 fg. aus attributivem gebrauche
- unflectierten adj. 269. subst., in
. reo nom das n der obliquen kasus
innigen 200 fg. mischung verschie-
dener flexionsformen 270. doppelter
plund mit verschiedener bedeutung 270.
differenzierung der bedeutung durch
- hiedenheit des _ schlechts 270 fg.
durch beibehaltung älterer formen neben
neuereu 271—275. durch gebrauch
niederdeutscher neben den hochdeut-
en 275 — 27'.'. durch wiederauf-
nähme französierter deutscher werte
279 fg. durch verschiedenartige Umbil-
dung sselben fremdwortes, meist latei-
nischen Ursprungs 2S1 — 2S4. durch
- hiedenheit der betonung 284. glei-
chungen orientalischen Ursprungs 284 fg.
aus der fremde stammende doppelwör-
ter. die aus einem eigennamen und
einem gattungsnamen bestehen 285. glei-
chungen innerhalb der eigennamen 285.
N i b elun ge nlie d. erklärun g der starken
nutzung sselben in den 4 ersten
Gudrun 147 — 160. paral-
lelstellen des übrigen teiles derselben
160 — 201. einteüung der parallelen
nach ihrer beschaffenheit 202. stärkste
nutzung bei beschreibung typischer
ge202fg. selten gänzlicher man-
. ! an parallelen 203. erklärung der
nachahmung 203 fg. Stimmung des
• d Nibelungentext« s 204. ver-
fahren des bearbeit I fg. ursprüng-
liche Strophen der Gudrun 206. zu-
mmenstellung aller sprachlichen und
•blichen berührungen beider gebuchte
_ 7 — 217.
Orendelgedicht. zur frage nach seiner ent-
•hung 403—107.
Otfrid. angäbe der stellen, für welche
noch keine quellen nachgewiesen sind
47'
Philipp von Katzenellenbogen, gedieht über
ne pügen 26. rfasser Felix
Fabii von Ulm ebda.
Placentius. Job,. (Evaugelista) drei latei-
nische dramen s. drama.
rätsei: die raenschenwelt in preussischen
völksratseln: gestalt und persönlichkeit
des menschen 240 — 243. stand und
beruf 244 fg.
kleidung und schmuck
245 fg. in haus und stube 246 — 251.
in küche und stall 251 — 255. in hof
und feld 255 fgg. der weit lauf 257 —
260. vermischtes 260 2« 14.
Rumänische erzählung: Die treue gattin.
als seitenstück zu Hartmanns Armem
Heinrieb 222 — 25. abergläubische Ver-
wendung von blut zu bedungen bei den
Rumänen 223 fgg.
runen, erhaltene denkmäler 356 fg. deu-
tuug der inschrift auf der spange von
Charnay 358 fg.
Saladin als hold der sage s. kreuzzüge.
Schillers plan von: Rosamund oder die
braut der hölle, auf einem alten Pup-
penspiel beruhend 28* i. verwante fas-
sungin der Weimar. bibliothek: Fanstina,
das kind der hölle 286 — 89. vorglei-
chung desselben mit dem Puppenspiel
289 fg. — der Bauerbacher entwurf des
Don Carlos 482 — 486. zeitlicher ver-
lauf der haudlung in den Räubern 487 fg.
Schwieger .Jacob, von Altoua. angeblicher
Verfasser der Filidorschen festspiele 233
— 236. nricht Verfasser von Filidors
Erst entflamter Jugend 234.
Skalden und nulir unterschieden 370.
Thomae, Hieronymus, von Augsburg, Ti-
tus und Tomyris 228 fg. Verhältnis zur
Englischen komödie und zu Jan Vos,
Aran en Titus 229 fg. zu dem Puppen-
spiel Titus Andronicus 231 fgg.
pulir und skalden s. diese.
tiere gebraucht zur bezeichnung der 10
altersstufen des menschen 408 — 412.
Vagantendichtung, naturschilderung in der
v. siehe jenes.
Yos, Jan. Aran en Titus s. drama.
Walthers von der Vogelweide klosenaere
479 fgg.
^ isselau. heimat und Verhältnis des gc-
dichtes zu anderen gedichten der spiel-
mannspoesie 504.
wortspaltungen in der neuhochdeutschen
schritt- und Verkehrssprache s. neu-
hochdeutsch.
II. VERZKICHNIS DER BESPROCHENEN STELLEN
507
IL VKHZKli'IIMS DKK BESPROCHEN KX STELLEN.
AngelsSehsiseh.
Beowulf Sit1'. 90" 8. Hl.
90- -98 -.111
205—209 s. 115.
173 — 79 s. 115 fg.
595—600 s. Hü.
669—690
(433 II i s. 110.
760—65 s. L16fg.
L279— 95 s. 118 fg.
1376" fg. s. 118.
1455—64,
1518—28 s.119.
1677—87 s. 119 fg.
1828b s. 121 fg.
2210 s.li:..
2287—90 s. 120 fg.
Mittelhochdeutsch.
Gudrun 054. 2 s. 171.
'.»72. 1 s. ISO.
L352, 1 s. 189.
Walther 9, 10. 02. 10
s. -ISO fg.
Reinaert (ed. Martini 2640
s. 504.
Keinaert und "Wisselau (ed.
Martin) s. 33 s. 504.
3. 68 s. 504.
s. 70 s. 504.
Kaiser Friedrichs Jerusalem-
fahrt (diese ztsdir. XX1IT.
28 fgg.)
21 s.422.
22 fgg. s.422.
47 — 74 s.422 fg.
110 s. 423.
147 „
109 „
178 „
184 „
192 _
200 „
224 „
241 „
252 „
205 „
277 — 84 ..
290
293 „
312 „
313 „
316 „
320 s. 424.
337 „
340 ,
350 „
370 s. 424.
373 „
oiederrheinischer berichl üb.
den Orient (diese ztschr.
XIX. 1 fgg.) s. II. anm.
3 und I s. 424.
Neuhochdeutsch.
Luther i Weim. ausgäbe).
VIII. 8. 1 1. /.. 11 fgg. 8. II
fgg-
Klopstock, Messias
XVI. 125 s. 108 fg.
Goethe Ali Schwager Kronos
(schluss) s. 108 fg.
Goethe (Weim. ausgäbet)
Gewohnt, getan
4, 0 s. 297.
I. Walpurgisnacht
38
43
Elegien
s. 297 Ig.
320 fg.
11. 2ol s.298.
12. 231 „
I. band
18, v. 7 fgg.
18, 17 s. 320.
71, 11 s. 321.
80, 11 „
81 s. 322.
90, 31 s. 321.
102, 48 s. 318.
111, 13 s. 321.
111, 20 ,
138, 50 „
143, 71 „
149 s. 319.
179, 40 s. 321.
181, 9
182, 38 „
188, 30
199, 19
TT. band
63 s. 319.
74 fg. s. 318 fg.
110 s. 319 fg.
145, 118 fgg. s.322.
185, 12 s. 319.
192 fgg. s. 319.
200 s. 319.
338 fg. s. 321 fg.
schluss s. 322 fg.
III. band „Juni" s. 323.
Divan 8, 32 s. 329
43, 20
03,
82, 7
•n
•n
13
-7 b.329.
b.89 8. 329 fg.
95, 17 b. 330:
113, l
s. 120 b.330.
3.132
139, i l b. 330.
1 18 b. 331.
L55 8.329.
180. 2 s. 331.
Entwürfe zu Divangedich
te||. .") s. 330.
7. 6 b. 330.
!):' ende
9d b.330.
Faust [.teil
21 b.334.
1 lo b. :::::;.
117 .
101 fg. 3.33
238 3. 334.
217 fgg. b.334.
27!i b. 334.
287 „
328 s :;:;::.
46 14.
541 „
50o s. 333.
020 _
735 „
717 .
798 ..
829
842 „
87.; „
878 ..
1105
2174 s. 334.
2385 „
205:; ,
4339 s. 335.
226, 29 s. 331.
Faust IT. teil
5592 s. 337.
5685 fg. s. 341.
0384 s. 337.
6488 s. 337 fg.
0847 b. 338.
6552 -
7109 „
7152 „
7240 s. 340.
77,15 s. 338.
7982 s. 340.
8386 „
8498 .
8560 „
508
III. WORTREGISTER
-
-
Faust II. teil
B( _ - 140.
8945 fg.
40.
9027
;i
76 -
911 -
J
41.
B47 -
10001 b. 339.
10061
10082 _
101
L026
10431
1044
1058 341.
106:
13 s.
109
10998
11K
1128
11241
- 341.
339.
112:-:- s. 339.
U578 „
11597
11703 .
11760 -
11772 s. 341.
11931 fgg. s. 341.
ihm:. -. :::;i».
Iphigenie
111, 3 s.347.
Ta>so 11S9 s. 317.
1315 „
Natürliche tochter
2831 s. 348.
Faust, erklär, ausgäbe von
Schroer,
prol. 48 s. 451.
68 ,
I. t. il
130 s. 451.
700 s. 452.
1357 „
2310 „
2514 „
2087 „
2821 „
Alt indisch.
P&rjänya s. 137.
Gotisch.
aiwanggeljo (f.) s. 3i
Fairgunja s. 137.
Hl.jfmnja s. 137.
sabatto i gen. pL i s. 366.
Altnordisch.
RQTgyn s. 137.
Bloayn s. 132.
Attfrieriseh.
hlud. blöd, hliith B.138. 140.
Hlufana s. 138.
AfeUtdufeelu
Beav. Beova. Beoba s. 110.
Althochdeutsch,
chanz wagen s. 34
Mittelhochdeutsch.
drot 1 ?68.
erknchet s.37. 2,2.
III. WORTREGISTER.
geadel s. 29, 30. ^
getagen s. 37, 273.
geweyhen s. 30, 65.
hemdeblöz s. 199, 1.
bemel s. 41, 368.
kokkeu s. 39, 317.
korret (?) s. 38, 283.
ongevell s. 31, 71.
patrian s. 29, 41.
pettris s. 36, 222.
schorn s. 35, 212.
tougen s. 39, 314.
tuon (-= wirksam vorhan-
den sein) s. 42 fg.
Niederdeutsch.
•liworke s. 252.
dwarg B. 255.
elwaer s. 351.
lär. fahr B. 242.
feile s. 247.
foppe b. 243.
gebröcknis s. 249.
geseet s. 258.
gespreet s» 258.
gespocknis -. 249.
krelle s. 247.
3098 s
452 fg.
3101 s.
453.
3194 s
453.
s. 280,
56 s. 453
11. teil
221 s
•153.
401
T)
2312
7)
2705
T)
2823
7)
3189 s
. 154.
1 1 is s. .155.
5344 „
5393 fgg. s.455.
5455 s. 455.
s. 454.
B. 150.
5525
5536
555s
5699
6099
6132
6281
6353
6444
6588
7126
75
7>
456 fg.
457.
7)
TJ
n
lucht s. 244.
mindäg nich s. 254.
reker s. 241.
repke s. 248.
söller s. 251.
speker s. 241.
Neuhochdeutsch.
baron s. 374.
Dietlieb (Detlef) s. 373.
Dietrich s. 374.
Ferdinand s. 373.
Günther s. 373.
Hedwig s. 374.
hunger s. 374.
kuss s. 374.
Poppo s. 373.
pracht s. 374.
Reinhold s. 374.
Bchloweiss b. 398 fg.
thäte = mhd. entete s. 42.
293. *
weise, aus der s. 397 fg.
Wigand s. 374.
1) Vgl. Birlingei . diese ztschr.
XVI. 374.
Halle a. S. , Buchdrockerei de- Waisenhauses.
V
PF Zeitschrift für deutsche
3003 Philologie
Z35
Bd.2j>
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
~Ä^
^^
• -vft. -\
Jb
Ü ? ip
.«\*;
<*S
■P
■ . j
* «/ *
IV
4? P
»v •;#
l 41
*L \
* <-*