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Full text of "Zeitschrift für deutsche Philologie"

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ZEITSCHRIFT 


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DEUTSCHE  PHILOLOGIE 


BEGRÜNDET  von  JULIUS   ZACHER 


HERAUSGEGEBEN" 


VON 


HUGO    GERING  um  OSKAR    ERDMANN 


3/s%, 


1 


DREIUNDZWANZIGSTER   BAND 


HALLE  a.  S. 

VERLAG    PER    BUCHHANDLUNG    DES    WAISENHAUSES. 

1891. 


I 

JooS 

/Sc/,  £3 


Inhalt. 

Seite 

Über  die  poetisch-'  Verwertung  der  natur  und  ihrer  erscheinungen  iu  den  vagan- 

tenliedern  und  im  deutschen  tninnesang.     Von  K.  Marold 1 

Die  Jerusalemfahrt  des  herzogs  Friedrich  von  Österreich.     Von  R.  Röhricht  .  26 
Über  eine  conjectur  in  der  neuen  Luther- ausgäbe.    Von  0.  Erdmann    ...  11 
Gerstenbergs  briete  au  Nicolai  nebst  einer  antwort Nicolais.    Von   R.  M.  Werner  43 
Die  entstehung  des  zweiten  teiles  von  Goethes  -Faust-,  insbesondere  der  klas- 
sischen Walpurgisnacht,  nach  den  neuesten  mitteilungen.     Von  II.  Düntzer  <i7 

Zur  topographie  der  fastnachtspiele.     Von  H.  Holstein 104 

Zum  einfluss  Klopstocks  auf  Goethe.     Von  0.  Erdmann Ins 

Ertha  Hludana.     Von  H.  Jaekel 129 

Der  einfluss  des  Nibelungenliedes  auf  die  Gudrun.     Von  E.  Kettner.     .     .     .  145 

Volkstümliches  zum  „Annen  Heinrich".     Von  II.  \.   Wlislocki 217 

Zu  Minnesangs  Frühling  30,  28.     Von  F.  Ahlgrimm 225 

Ältere  deutsche  dramen  in  Kopenhagener  bibliothekeu.     Von  J.   Paludan     .     .  226 
Die   menschenweit  in   volksrätseln   aus   den   provinzen  Ost-  und   Wpstpreussen. 

Von  IT.  Frischbier 240 

Wortspaltungen  auf  dem  gebiete  der  nhd.  schrift-  und  Verkehrssprache.     Von 

K.  G.  Andresen 265 

Die  braut  der  hülle.     Von  G.  Ell  in  gor 286 

Zu  Goethes  Faust.     Von  F.  Bronner 290 

Zum  deutschen  wörterbuche.     Von  G.  Kawerau 292 

Nochmals  thiit  in  bedingungss.ätzen  bei  Luther.     Von  G.  Kawerau      .     .     ■     .  293 
Die  zehn  altersstufen  des  menschen.    Aus  dem  nachlasse  von  J.  Zacher,  heraus- 
gegeben von  E.  Matthias 385 

Sagenhaftes  und  mythisches  aus  der  geschichte  der  kreuzzüge.     Von  R.  Röh- 
richt       412 

Zu  herzog  Friedrichs  Jerusalemfahrt.     Von  F.Vogt 422 

Zur  Alexandersage.     Von  H.  B  e  c  k  e  r 4_!  1 

Das  spiel  vom  jüngsten  gerichte.     Von  H.  Je  11  in gh aus 420 

Zur  litteratur  des  lateinischen  Schauspiels  des  IG.  Jahrhunderts.     Von  IT.  Hol- 
stein       430 

Zu  Goethes  Faust.     Von  R.  Sprenger 4f>l 

Nekrolog. 

August  Theodor  Mübius.     Von  K.  Maurer  und  H.  Gering 457 

Miscellen. 

Preisaufgaben  der  fürstlich  Jablouowski'schen  geselschaft 384 

Zur  Orendelfrage.     Von  L.  Beer  und  F.  Vogt 493 

Zu  Reinaert  und  Wisselau.     Von  E.  Martin  und  H.  Brandes 497 

Litteratur. 
Müllenhoff,    Beovulf.     Untersuchungen    über    das    ags.   epos   und  die  älteste 

geschichte  der  germanischen  see Völker,  angez.  von  E.  Koppel 110 

B.  ten  Brink,  Beowulf.  angez.  von  E.  Koppel 113 


IV  INHALT 

Seite 

Kressner,  geschichte  der  französischen  national  -litteratur,  angez.  von  A.  Stirn  - 

ming 122 

-  w^rkc.  Weimarer  ausgäbe,  angez.  von  EL  Düntzer 294 

K.  Martin,  neue  fragmente  des  gedichts  van  denvos  Reinaerde  und  das  bruch- 

stück  van  bore  Wisselauwe,  angez.  von  H.  Brandes 349 

II.  R      tteken,  d  kunst  Beinrichs  von  Veldeke  und  Hartmanns  von 

Au  n  0.  Erdmann 354 

R,  Eenning,  die  deutschen  runendenkmäler,  angez.  von  H.  Gering.     .     .     .     354 
K.  I  i    stanromanens  gammelfranske  prosahandskrifter,  angez. jvonH.  Su- 

chier 3G0 

J.  Strnadt,    der  Kirnberg    bei  Linz   und   der  Kürenberg -mythus,    angez.   von 

F.  361 

M.  Eeyne,  deutsches  Wörterbuch  1.   1.  angez.  von  0.  Erdmann 362 

0.  ]  Eberhards  synonymisches  Wörterbuch  der  deutschen  spräche,  angez. 

von  0.  Erdmann 364 

EL  Paul,    grundriss    der    germanischen    philologie    I.   2.     II,   1,   1.     IL   2,  l, 

angez.  von  E.   Martin 365 

.1.  Bäbler,  fluruameu  aus  dem  Sehenkenberger  amt.   angez.  von  L.  Tobler     .     871 
Abel,    die  deutschen   personermamen,    2.  aufl.  besorgt  von  W.  Robert -tornow, 

angez.  von  K.  '■.  Andresen 372 

Th.  Si      5,2  ichte  der  englisch -friesischen  spräche  I,  angez.  von  H.  Je  1- 

linghaus 375 

EL  Schachinger,  die  congruenz  in  der  mhd.  spräche,  angez.  von  0.  Erdmann    378 
Musen  und  grazien   in  der  mark,    herausgegeben  von  L.  Geiger,    angez.  von 

E.  Wolff 379 

.1.  Kelle.  Untersuchungen  zur  Überlieferung,  Übersetzung,  grammatik  der  psal- 

men  Notkers,  ;  von  0.  Erdmann 380 

J.  Pfeiffer.  Klingt  re  Paust,  herausg.  von  B.  Scuffert,  angez.  von  0.  Erd- 
mann     381 

Lh.  Schweitzer,  de  poemate  latino  Walthario,   angez.  von  E.  Voigt      .     .     .     470 
L    eck,   die  homiliensamlung  des  Paulus  Diaconus  die  unmittelbare  vorläge 

tfrids,  angez.  von  0.  Erdmaun 474 

M.  Raunow.  der  satzbau  des  alid.  Isidor  im  Verhältnis  zur  lat.  vorläge,  angez. 

von  S.  v.  Monsterberg 47.1 

EL  B        )rf,  über  syntaktische  mittel  des  ausdrucks  im  ahd.  Isidor,  angez.  von 

K.  Tomanetz 477 

K.  Domanig,    ler       senaere  Walthers  von  der  Vogelweide,  angez.  von  F.Vogt    479 
-    hillerlitteratur  iE.  Elster,  H.  Tischler,  L.  Bellermann,  A.  Ruhe,  J.  Gold- 

".  A.  dess)  besprochen  von  Gr.  Kettner 481 

F.  Schultz,  die  Überlieferung  von  „Mai  und  Beaflör*,  angez.  von  0.  Wächter    491 
F.  Ahlgrimm,  Untersuchungen  über  die  Gothaer  handschrift  des  „Herzog  Ernst*, 

ang  :.  (>.  492 

-    heinungen 127.  382.  500 

Nachrichten 128.  383.  502 

L  ri  htigung  z\       292 499 

von  E.  MatthL.         504 


ÜBER  DIE  POETISCHE  VEEWEETÜNG  DEE  NATUR  UND 

IHRER   ERSCHEINUNGEN   IN    DEN   VAGANTENLIEDEEN 

UND  IM  DEUTSCHEN  MINNESANG. 

Der  gottesdienst  der  heidnischen  Germanen  war  im  wesentlichen 
ein  naturdienst  und  die  altgermanische  religion  reich  an  mythischen 
Personifikationen  von  naturkräften.  Dass  die  hymnische  poesie  der 
alten  Germanen  vor  allem  diese  mythische  naturvereljrung  zum  aus- 
druck  brachte,  hat  Müllenhoff  in  der  bekanten  abhandlung  „De  anti- 
quissima  Germanorum  poesi  chorica"  (Kiel  1847)  dargetan.  Durch 
die  einfuhrung  des  Christentums  aber  und  den  glaubenseifer  der 
bekehrer  schwand  im  laufe  der  zeit  selbst  die  erinnerung  an  die  alte 
religion  und  mit  ihr  auch  die  Verehrung  der  naturkräfte  und  natur- 
erscheinungen  aus  dem  bewustsein  des  volkes,  denn  hinter  einer 
begeisterung  für  die  naturerscheinungen  hätten  die  bekehrer  nur  zu 
leicht  einen  rückfall  in  den  heidnischen  götzendienst  vermutet.  Dazu 
waren  die  christlich -religiösen  anschau  ungen,  welche  häufig  in  erster 
linie  einer  weltverneinung  das  wort  redeten,  einer  unbefangenen  natur- 
freude  hinderlich1.  Nur  in  den  unteren  schichten  des  volks  rettete  sieh 
einiges  in  gebrauchen,  und  wo!  auch  in  liedern  aus  der  heidnischen 
vorzeit,  was  in  der  blütezeit  mittelalterlicher  dichtung  als  fruchtbarer 
keim  von  der  sonne  einer  freieren  lebensanschauung  gezeitigt  empor- 
wuchs. 

Die  ältere  deutsche  dichtung  zeigt  nun  erstaunlich  wenig  aus- 
druck  von  naturgefühl  und  —  was  in  gewisser  beziehung  damit  zusam- 
menhängt —  wenig  neigung  zu  poetischen  bildern3.  Der  grund  dafür 
ist  in  mehrerem  zu  suchen,  was  hier  nicht  der  ort  ist  auszuführen. 
Erst  almählich  gewannen  die  Deutschen  auch  hierin  eine  grössere  frei- 
heit  des  geistes,  und  das  12.  Jahrhundert  brachte  einen  Umschwung  in 
dieser  richtung.     In  dieser  zeit  begann  ein  gesteigertes  bedürfnis   nach 

1)  Vgl.  jezt  darüber  v.  Eicken,  Geschichte  und  System  der  mittelalterlich- 'ii 
Weltanschauung  (Stuttgart  1887)  s.  316  fgg.  Der  abschnitt  über  das  ästhetische 
interesse  an  der  natur  s.  638  —  640  hätte  jedoch  noch  sehr  vertieft  werden  können. 

2)  Vgl.  E.  Heinzel,  Über  den  stil  der  altgermanischen  poesie  (QF10)  s.  25. 

ZEITSCHRIFT   F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.     BD.  XXHI. 


MAROLD 


poetischer  ansschmückung  des  lebens  sich  geltend  zu  machen,  und 
damit   mäste   natuigemäss  auch   eine  grössere  aufmerksamkeit  auf  die 

natur,  deren  erscheürangen  vod  jeher  poetisch  angelegte  geister  ange- 
zogen haben,  sich  verbinden  Dazu  kam  aber  auch  noch  das  beispiel 
der  westlichen  nachbarn  und  der  lateinischen  poesie,  die  ja  wie  die 
lateinische  spräche  im  mittelalter  internationale  bedeutung  hatte.  Nun 
besann  man  sich  in  Deutschland,  durch  das  beispiel  kühn  gemacht, 
dass  auch  in  der  eigenen  heimat  die  herzen  höher  schlagen,  wenn  der 
frühling  mit  seinen  gaben  gepriesen  wird,  dass  wo!  alte  volksreime 
noch  umgehen,  die  den  Wechsel  der  Jahreszeiten  feiern;  und  auch  in 
Deutschland  wurde  die  oaturempfindung  mit  anderen  empfindungen  des 
herzens,  vornehmlich  der  liebe,  in  beziehung  gesezt. 

Eine  besondere  aufgäbe  fiel  hierbei  der  lateinischen  dichtung  zu. 
Die  khvhe  war  trägerin  jeder  höheren  bildung  im  mittelalter,  und  ihre 
spräche  die  lateinisch»-.  Das  lateinische  aber  war  eine  für  poetische 
zwecke  fest  durchgebildete  spräche.  Eine  summe  von  poetischen  bil- 
dern  hatte  mit  der  spräche  sich  fortgeerbt,  und  dieser  kreis  von  bildern 
war  durch  das  Christentum  und  durch  die  volkstümlichen  anschauungen 
der  Länder,  in  denen  man  in  lateinischer  spräche  dichtete,  zum  teil 
erweitert  Vieles  freilich  gieng  von  altem  gut  auch  im  laufe  der  zeit 
oren.  Ein»'  umfangreiche  gelehrte  dichtung  in  lateinischer  spräche 
-  rgte  aber  für  erhaltung  und  erweiterung  jenes  Schatzes,  und  ein  wil- 
der M'hüssling  dieser  gelehrten  dichtung  war  die  poesie  der  vaganten, 
der  fahrenden  kleriker.  Man  hat  ihre  dichtung  als  „gelehrte  volks- 
poesiea  bezeichnet,  und  mit  recht.  Sie  waren  die  ungezogenen  söhne 
der  kiivhe.  die  sich  ihrer  strengen  zucht  entzogen  und  vom  12.  bis 
ins  13.  Jahrhundert  Frankreich.  Deutschland,  England  durchschweiften 
und  in  der  spräche  der  kirche  lustige  weisen  von  der  liebe  lust  und 
leid,  vom  wein,  von  spiel  und  tanz  und  von  den  Schönheiten  der 
natur  ertönen  Hessen1.  Aber  sie  waren  gelehrte  und  kleriker  und 
fühlten  sieh  als  Bolche;  mit  den  spielleuten  gewöhnlichen  Schlages  wei- 
te; rieh  um  keinen  preis  identificieren  lassen.  Das  kirchenlied 
und  die  gelehrte  schulpoesie  bilden  den  eigentlichen  boden,  aus  dem 
di(        _antendichtung  erwachsen   ist2;    aber  infolge  ihres  Verkehrs  mit 

li  Reuter.   Geschichte  der  religiösen  aufklärung  im  mittelalter  I,  s.  141  fgg. 

ildert  das  treiben  der  va.  als  ein  Symptom  der  beginnenden  aufklärung. 

_    Mau  vergleiche  die  grundlegende  arbeit  von  \Y.  Giesebrecht,  Die  vagan- 

u  und  ihre   lieder.      '.         öine  monatsschrift   für  Wissenschaft  und 

litteratui  8. 10 — 43  und  344 — 381;  ferner:  Hubatsch,  Die  lateinischen  vagan- 

tenlied<  Görlitz 


VERWERTUNG    DER    NATUR    DURCH    DIE   VAGANTEN    U.    MINNESINGER  3 

dem  volke  und  den  volkssängern  in  Frankreich  sowol  wie  in  Deutsch- 
land sind  auch  genug  volkstümliche  demente  in  ihre  lieder  eingedrun- 
gen, und  mit  dieser  einschränkung  haben  Schindlers  worte  (Carmina 
Burana  s.  VIII)  ihre  volle  berechtigung:  „mit  gutem  gründe  sprechen 
wir  einen  nicht  unansehnlichen  teil  auch  der  Lateinischen  poetischen 
erzeugnisse  do^  mittelalters  als  vätergut  an." 

Nun  sprach  schon  Schmeller  a.a.O.  die  Vermutung  aus,  der  deut- 
sche minnesang  möge  sich  wo]  nach  einem  lateinischen  gebildet  haben; 
aber  erst  1876  fand  diese  frage  einen  eifrigen  Verteidiger  in  E.  Mar- 
tin, Ztschr.  f.  d.  a.  20,  46  —  (>9;  und  in  demselben  jähre  berührte 
Scherer  in  der  recension  der  zweiten  ausgäbe  von  MSF  im  A.  f.  d.  a. 
I,  197  fgg.  diese  frage  hauptsächlich  in  hinsieht  auf  die  natureingänge. 
Eine  ausschliessliche  abhängigkeit  (\v>  minnesangs  von  der  Vagantendich- 
tung, in  der  weise  dass  jener  erst  durch  diese  geweckt  und  nach  ihrem 
muster  entstanden  sei,  muss  entschieden  von  der  hand  gewiesen  wer- 
den. Jedoch  wird  in  einzelnen  fallen  im  verlauf  des  minnesanges  ein 
einfluss  der  Vagantendichtung  nicht  von  der  hand  zu  weisen  sein, 
worauf  ich  mein  besonderes  augenmerk  zu  richten  gedenke.  Dass  mit 
den  deutschen  spielleuten  sich  Vaganten  mischten  und  in  Deutschland 
umherzogen,  hat  schon  Müllenhoff,  Zur  geschiente  der  Nibelunge  not 
(1855)  s.  20  nachgewiesen;  er  weist  s.  19  darauf  hin,  dass  schon  die 
musikalische  bildung,  die  seit  dem  12.  Jahrhundert  bei  den  deutschen 
sängern  vorausgesezt  werden  muss,  darauf  schliessen  lässt,  dass  sie  die 
schule  der  geistlichen  nicht  verschmähten.  Dazu  kam  aber,  dass  noch 
viele  von  den  sängern  der  blütezeit  gelehrte  bildung  genossen  hatten 
und  mit  der  lateinischen  spräche  vertraut  waren.  So  wäre  es  geradezu 
wunderbar  gewesen,  wenn  nicht  die  dichtung  der  geistlichen  und  zumal 
die  Vagantendichtung  ihren  einfluss  gelegentlich  geltend  gemacht  hätte. 
Wie  zahlreich  aber  die  vaganten  Deutschland  durchschwärmten,  darf 
ich  nicht  widerholen;  ich  verweise  auf  Giesebrecht  a.  a.  o.  s.  33  —  3 

1.    Personifikation  der  schaffenden  natur  und  der  fruchtbaren 

erde. 

Meines  wissens  hat  R.  Galle  in  seiner  disserfation :  Die  Personi- 
fikation in  der  mittelhochdeutschen  dichtung  (Leipzig  1888)  dieselbe 
zuerst  berührt,  aber  so  flüchtig,  dass  es  kaum  erwähnenswert  ist  (s.  95. 
106.  110).  Den  antiken  dichtem  —  ich  erwähne  nur  die  auch  für  das 
mittelalter  bedeutungsvollen  övid  und  Vergil  —  war  die  Personifikation 
geläufig;  und  die  lateinische  schulpoesie  des  mittelalters  erhob  die  natur 
fast    zu  einer  mythologischen   figur,    die    sie    gott    als   gleichberechtigt 

1 


MAROLD 


lüberstelte.  Sie  galt  als  die  Schöpferin  aller  dinge  ihrer  form 
nach,  als  die  stelvertreterin  gottes.  Wie  verbreitet  diese  vorstel- 
lung  in  der  gelehrtenpoesie  des  mittelalters  war,  lehren  besonders  Ala- 
uns ab  Insnlis1  in  seinem  „Anticlaudianus"  und  im  „Planctus  Natu- 
raea  and  Walther  von  Chatillon  in  seiner  „Alexandreisa  2.  Aber  diese 
persönliche  Vorstellung  von  der  schaffenden  natur  zeigt  sich  noch  viel 
früher  bei    ausschliesslich   christlichen   Schriftstellern   und  dichtem.     So 

igt  sich  Ambrosius  gerade  an  den  poetisch  schönen  stellen  seines 
exegetischen  werkes  „Hexaemeron"  ganz  vertraut  mit  jener  Personifika- 
tion, trotzdem  er  doch  die  almacht  und  Weisheit  gottes  an  der  schöpfnng 
der  weit  erweisen  will:  IV,  1,  4  versteigt  er  sich  zu  einer  ausführ- 
lichen prosopopöie,  sonst  aber  sind  vis  naturae,  subsidium,  gratia 
natural  .  ratio  naturae  n.  a.  ihm  geläufige  Wendungen.  Paulinus  Pe- 
trocordiae  (am  ende  des  5.  Jahrhunderts)  sagt  in  der  Vita  Martini  IY,  555 
park  m  —  campi  omabat  vario  comens  natura  decore  und  im  verlauf 
derselben  naturschilderung  v.  581:  quae  munere  Christi  —  naturae 
gratia  pinorit.     Noch  freier  zeigen  sich   hierin   die  dichter  der  karolin- 

schen  renaissance;  aber  erst  die  gelehrtenpoesie  des  12.  und  13.  jahr- 
hunderts  verstieg  sich  zu  einem  wahren  natnrkultus  in  hinsieht  der 
pantheistischen  Vergötterung  der  schaffenden  und  bildenden  natnrkraft3. 
Ein  nachhall  davon*  aber  tönt  uns  aus  den  vagantenliedern  entgegen, 
wie  folgende  beispiele  zeigen: 

CB  (=   Carmina  Burana)  35,  14  quam  sorte  de  infantin  Natura 

nustaverat;  40.  1  (=  Wright,  Early  mysteries  s.  111)  E  globo  veteri 
dum  rerum  fadem  traxissent  superi  mniuVupic  seriem  -prüden s  expli- 

it  et  texuit  Natura,  jam  preconeeperat  quod  fuerat  factum,  quae 
causas  macMne  mundane  sciscitans  de  nostra  virgine  iamdudum  cogi- 
tans  plus  hanc  exeoluit.  2  in  hoc  pre  erteris  totius  operis  Natu.' 
lucent  opera.  3  Nature  studio  longe  venustata  — .  5  precastigat 
hunc  candorem  —  prudens  Natura.  6  Natura  dulcioris  alvmenta 
dans  —       65,   14    quem    beavit    omnibus    gratiis    Natura. 

•~_J  totum  fuit  sonipes  Studium  Nature.  108,  1   iubente  Natura 

pJrilomena  jueritur.  —  132,  1  in  cuius  figura  laboravit  deitas  et 
maier  Nu  turn.  —  142.  1  Quam  Natura  pre  ceteris  in  im  prfflorat 
arte.  —  CLXXII.  18  und  19  Unieuique  proprium  dat  Natura  mu- 
nus.  —    CXCH,  4   Natura   vim   non  patitur.  —    W.  Mapes  ed.  Th. 

I)  Herausgegeben  von  Th.  Wright  in  seinen  Anglo-latin  satirical  poets  II. 
-    Herai  von  Müldener  (Leipz.  1863). 

V_l.  K.  Francke,  Zur  geschichte  der  lat.   schulpoesie  des  XII.  und  XIII. 
Jahrhunderts  (München   187  2.  :;(». 


VERWERTUNG   DER    NATUR   DURCH    DIE   VAGANTEN    U.    MINNESINGER  5 

Wright  s.  132  v.  233:  occulta  latent  plurima  Natur ae  beneficia. 
Early  Myst.  ed.  Th.  Wright  s.  118,  Carm.  ex  ms.  Arundel.  VIII,  1  ter- 
rae faecundat  gremium  clementior  Natura.  —  Du  Meril,  Poesies  pop. 
s.  45,  Chant  sur  ia  nativite  du  Christ  (saec.  XI)  str.  9:  lüde  Natura 
stupuit,  ius  amisisse  (lohnt,  miratur  quis  hoc  potuit;  s.  233  (saec. 
XIII)  z.  28  fgg.  Phihmena  Terea  dum  meminit  non  desinit,  sie  im- 
perat  Natura  recenter  conqueri  de  veteri  iactura;  s.  244  Hymnus 
des  Abälard   v.  2!)  fg.    opus  magis  eximium  est  Naturae  quam   ho- 


minum  l. 


Der  gelehrte  Charakter  der  naturbeseelung  in  der  Vagantendich- 
tung spricht  sich  ferner  in  der  verliebe  aus,  mit  der  sie  von  der 
Schwangerschaft  der  erde  spricht.  Auch  hierin  folgt  sie  nur  der 
gelehrtenpoesie,  die  dieses  bild  gern  gebraucht  und  darin  wider  eine 
reminiscenz  aus  antiker  dichtung  widergibt2;  es  ist  die  ausfuhrung  der 
metapher  mater  Natura.  So  heisst  es  CB  55,  1  veris  ab  instantia 
tellus  iam  fit  gravida  in  partum  inde  solvitur,  dum  florere  cemitur. 
103,  2  tettus  parit  flores.  —  103,  3  tettus  f<jta  sui  partus  grande 
deeus  flores  gignit  odoriferos.  —  108,  3  (terra)  in  partum  solvitur 
redolens  odore.  —  Mone,  Anzeiger  f.  künde  des  t.  mittelalters  7,  nr.  24 
(=  Du  Meril,  Poesies  pop.  s.  213  fg.)  str.  1:  tellus  impraegnatur.  — 
Du  Meril  a.  a.  o.  s.  232  De  terrae  gremio  verum  praegnatio  progredi- 
tur  et  in  partum  solvitur  mirifico  colore.  —  Ausführlich  wird  das 
bild  ausgemalt  in  den  Versus  de  Guerra  Regis  Johannis  bei  Th.  Wright, 
Political  Songs  s.  22  fgg.  v.  76  fgg.:  Tempus  erat,  quo  terra  uoro 
pubescere  partu  Cocperat  et  teneras  in  crines  solverat  herbas,  VeUera 
pratorum   redolens   infantia  floruni   usw.3  —     Ebendahin  gehört  auch 

1)  Es  würde  zu  weit  führen,  darauf  einzugehn,  dass  natura  in  den  vagant«'n- 
liedern  auch,  in  manchen  anderen  bedeutungen  verwendet  wird,  so  besonders  häufig 
den  liebestrieb  bezeichnet. 

2)  Selbst  der  das  Christentum  und  christlichen  glauben  energisch  vertretende 
Ambrosius  scheut  sich  nicht  dieses  bild  zu  verwenden.  Er  sagt  Hexaemeron  EU,  8,  34 
parturiens  terra  novos  se  fwtit  in  partus  und  35  itbcrtas  foeeundae  matris  (ter- 
rae) se  in  partus  effundit. 

3)  Ich  kann  es  mir  nicht  versagen  als  beispiel  für  den  engen  Zusammenhang 
zwischen  Vagantendichtung  und  gelehrter  poesie  eine  parallele  aus  der  Poetria  des 
Galfridus  de  Vinosalvo  (a.  1216;  herausgegeben  von  Leyser  in  der  Historia  poetarum 
et  poematum  medii  aevi;  Halle  1721)  anzuführen.  V.  552  fgg.  lauten:  Verl  cedit 
hijcms;  nebulam  diffibulat  aer;  Et  cochon  blanditur  kumo,  laseivit  m  illa/m  Hu- 
midus  et  calidns.  et  quod  sit  masculus  aer  Femina  sentit  humus.  flos,  fulius 
eins,  in  auras  Exit  et  arridet  matri.  conia  primuta  condit  Arboreos  apices.  Dass 
das  bild  aber  eine  alte  bis  auf  das  altertum  zurückreichende  tradition  war,  zeigt  Ver- 
gil  Georg.  II,  325  fgg.  und  dann  ein  gedieht  des  codex  Salmasianus  (bei  Riese,  Anthol. 


MAKOLD 


die  gelehrte  identilicierung  der  erde  mit  der  antiken  Rhea,  Cybele  und 
Pales  in  einigen  vagantenliedern.  Dabei  bleibt  aber  die  Personifikation 
der  erde  in  den  vagantenliedern  nicht  stehn;  terrae  gremium  ist  ein 
häufiges  bild,  daneben  terrae  sinus;  häufig  ist  auch  terrae  facies,  je 
einmal  heissl     -  terrai   corpus  und  sogar  terrae  pori. 

Von  dieser  gelehrten  art,  die  schaffende  kraft  der  natur  und  die 
triebkraft  der  erde  zu  personificieren  findet  sich  nun  weder  in  des 
minnesangs  frühling  noch  bei  den  eigentlichen  klassikern  eine  spur.    Es 

hörte  eben  eine  art  der  abstraktion  dazu,  welche  die  deutschen  sän- 
noch  nicht  kanten  und  welche  ihnen  erst  almählich  vermittelt  wurde. 
Da  ist  es  denn  ganz  natürlich,  dass  z.  b.  der  nach  antikem  vorbilde 
dichtende  Eckehard  im  Waltharius  v.  766  sagt:  cui  natura  dedit  reli- 
quas  ludendo  praeire.  Die  ältesten  beispiele  für  die  Personifikation  der 
natur  in  deutscher  dichtimg  sind  bei  Heinrich  von  Melk,  Erinnerung 
692:  der  natüre  reht,  in  Heinrichs  litanei  (Fundgruben  II,  s.  222,  30): 
da\  der  natüre  icas  ungewonelich,  und  in  Wcmhers  Maria  (Fundgru- 
ben IL  182,  23):  des  in  diu  natüre  uleu  icil  verhengeu  mit  der  stimme. 
Aber  der  ausschliesslich  geistliche  Charakter  dieser  dichtungen  gibt 
auch  die  erklärung  für  den  gebrauch  dieser  gelehrten  Personifikation; 
die  angeführten  beispiele  sind  ausserdem,  soweit  ich  sehe,  aus  dem 
12.  Jahrhundert  die  einzigen1.     Erst  das  13.  Jahrhundert  zeigt  die  per- 

nificierte  natur  auch  in  weltlichen  dichtungen;  unter  den  epen  haben 
wir  mehrere  beispiele  bei  Albrecht  von  Halberstadt,  die  aber  nicht  auf- 
fallend sind,  weil  das  gedieht  ja  eine  Übersetzung  des  Oviol  ist.  Beson- 
ders ausgedehnten  gebrauch  davon  machen  aber  Konrad  Fleck  und  Hein- 
rich von  dem  Türlin  in  seiner  Kröne  (dieser  sagt  sogar  einmal  vrou 
Natüre).  Im  folgenden  will  ich  mich  aber  auf  den  minnesang 
beschränken.  Da  ist  es  nun  auffallend,  dass  um  die  mitte  des  13.  Jahr- 
hunderts, in  einzelnen  fällen  schon  seit  ca.  1220,  also  in  einer  zeit, 
wo  die  vaganten  erwiesenermassen  nicht  nur  in  Lothringen  und  am 
Niederrhein,  sondern  auch  am  Oberrhein,  in  Schwaben,  in  den  Donau- 
gegenden und  im  Salzburgischen  umherzogen2,  in  deutlich  erkenbarer 
weise  bilder  und  Vorstellungen,  wie  sie  dem  vagantensange  eigentüm- 
lich sind,  auch  im  deutschen  minnesang  sich  zeigen. 

lat.  nr.  235:  Pentadiu^.  De  adventu  veris).  —  Vgl.  Piper,  Mythologie  und  Symbolik 
der  christlichen  knnst  IL  8.  87. 

li  Ni  =  beschaffenheit,    angeborne  art  (ohne  Personifikation)  findet  sich 

häufiger,  aber  auch  nur  in  den  dichtungen  geistlichen  Ursprungs,  noch  nicht  in  den 
.si'ielmannsepen. 

2)  Tgl.  i  recht  a.  a.  o.  s.  33  fgg. 


VEKWEKTUMr    DER    NATUB    DHBOH    DIE    VAGANTEN    U.    MINNESINGEB  7 

Die  beispiele  für  die  Personifikation  der  natur  und  die  trieb- 
kraft  der  erde  im  sinne  der  Vagantendichtung  (beziehungsweise  der 
gelehrten  lateinischen  dichtung)  sind  nun  folgende  (ich  ordne  der  ein- 
heitlichkeit  wegen  die  citate  nach  Hagens  Minnesingern). 

MSH  I,  68b   E.  v.  Sax  3  du  bist  der  natüre  wunder    (Maria). 

I,  79b  K.  v.  Kotenburk  III,  22  beide,  röt  uude  wi;  also  hat  der  na- 
türe vU%  gemachet  ir  wengel  rar.  II,  245b  Manier  XIV,  14  davon 
daz  natüre  an  in  niht  tilgende  treit.  II,  261b  v.  Buwenburk  III,  1 
ahtent,  ob  natüre  iht  ze  schaffenne  habe  e  da:  aller  dinge  .stelle  nach 
der  \it.  II,  337b  Vrouwenlop  I,  2  (von  einer  schwangeren  frau)  na 
merket  icie  si  Ir  liege,  diu  geviiege,  der  natüren  \uo  genüege.  II,  350  a 
Yrouwenlop  IY,  1  natüren  kraft  ersehinet  an  dem  vogel  vellica. 
III,  143a  Vrouw.  II,  8  tvem  natiure  gibet,  der  schepfet  hiute  also 
ril  als  einer  vert.  III,  144a  Yrouw.  III,  1  wd  wont  natiur*  in 
hefte,  sint  sie  aller  dinge  walte  hat?  mit  got  durch  got  in  got  sie  lir- 
met  wa%  er  tirmen  tat  —  vier  (gott,  seine  ewigkeit,  seine  majestät 
und  Maria)  mohteu  nie,  den  natiure  alterseine  (die  zweite  strophe 
sezt  die  Personifikation  fort).  III,  147a  Yrouw.  III,  17  ir  sloz  (die 
strophe  handelt  von  den  vier  elementen)  natüren  kraft  gar  schön/ 
begiuzet  III,  377a.  Vrouw.  VII,  3  got  mensche  wart  natüre  brach. 
4  Natüre  möhf  wol  zürnen  solch  geschulte  (es  folgt  eine  vollständige 
Spielerei  mit  natüre }  die  sich  durch  die  ganze  strophe  hindurchzieht). — 

II,  380b  Boppe  I,  14  an  im  (Christus)  wart  der  natüre  kraft  in 
wernder  wirde  erhoehet  und  erniuwet.  III,  414  a  Heinzelin  v.  Ko- 
stenz  74  Von  dir  (Gott)  ist  der  natüren  kraft  entsprungen  mit  ge- 
liozzen. 

MSH  I,  47  b  Gr.  v.  Nifen  XIV,  1  diu  heide  ist  worden  swanger. 
I,  206a  B.  v.  Hohenvels  XI,  1  da  wart  erde  ir  lip  ervrisehet;  dar 
ein  tougenlichez  smiegen  wart  si  vröuden  vrilhte  swanger;  duz  tet 
Infi,  ine  wil  niht  triegen,  schouwet  selbe  üf  den  anger.  I,  350a 
K.  v.  Landegge  I,  1  ich  klage  auch  heide  und  anger,  die  liiure  wur- 
den swanger  vil  bluomen  glänz.  II,  223 a/b  d.  j.  Meissner  IV,  1  sit 
daz  heüV  und  anger  stvanger  mit  den  bluomen  sint.  (II,  340b  Vrou- 
wenlop I,  12  ich  bin'z  (Maria),  ein  würzen  richer  anger;  min  bluo- 
men, die  sint  alle  swanger).  III,  82b  Wizlav  X,  1  Diu  erde  ist  ent- 
slozzen,  die  bluomen  sint  entsprozzen.  (Dass  auch  dieses  eine  der 
Vagantendichtung  eigentümliche  Vorstellung  war,  zeigen  mehrere  bei- 
spiele; z.  b.  Mone  Anzeiger  7,  30  ver  terrae  gremium  aperit,  CB  103,  1 
Terra  iam  pandit  gremium,  Wattenbach  im  Anzeiger  f.  künde  d.  d. 
vorzeit  22,  150   aus  einer  Tegernseer  hs.:    Eosam   et   candens   lilium 


MAROLD 


iam  clausii  fern  gremium).     III,  296  Nithart   (anhang)  I,  2  der  meie 
hat  du   heid  berüert  van  würze  und  kriute  swanger. 

Folgerungen   aus  den   beispielen  zu   ziehen,    halte   Ich   nicht   für 
nötig,    da   dieselben  zur  genüge  selbst  über  die  art  aufschluss  geben, 
wie    man    sich    die    almähliche  einmischung  der  erwähnten  poetischen 
Personifikationen    in    den  Ms    zu    denken    hat.     Der   ersten    hälfte    des 
L3.  Jahrhundert-  gehören   von   den    in  frage  kommenden    dichtem   an: 
Burkhart   von  Hohenfels   und   Gotfrid  von  Neifen,   jener  am  Bodensee, 
dieser    in   Schwaben   zuhause.     Die  stelle    aus  Burkhart    ist    besonders 
merkwürdig  wegen   der   Übereinstimmung  mit   der  oben  citierten  stelle 
aus  Galfrids  Poetria,  sie  zeigt  das  interesse  des  dichters,  der  zum  klo- 
r   Wettingen   in  näheren   beziehungen   gestanden    zu   haben    scheint, 
für  gelehrte  bildung.     Diese  Übereinstimmung  ist  um   so   auffallender, 
als  die  lieder  Burkharts  im   ganzen  einen  volksmassigen  inhalt  in  der 
weise  Neidharts  zeigen  und  auch  das  lied,  dem  das  obige  citat  entnom- 
men  ist.    im  weiteren  verlaufe   einen  wintertanz   in   der  scheuer  schil- 
dert.    Noch  in  höherem  grade   pflegt  Gotfrid  neben  liedern  in  überaus 
künstlicher  form  das  volksmässige ;    aber  seine  mannigfachen  beziehun- 
d  zu  klöstern,    die  urkundlich  bezeugt  sind,   haben  ihm  sicher  auch 
kentnis  lateinischer  dichtung  vermittelt  und  ihn  mit  fahrenden  klerikern 
Legentlich  in  berührung  gebracht.     Was  die  heimat  der  übrigen  dich- 
ter betrift,    so  sind  sie  mit  ausnähme  Frauenlobs  und  Witzlavs  sämt- 
lich Schwaben  oder  Schweizer  und  ihre  Wirksamkeit  fält  in  die  zweite 
hälfte   des   13.  Jahrhunderts,    Frauenlob    und  Witzlav    reichen    noch    in 
den    anfang   des    14.  Jahrhunderts  hinein.     Unter  ihnen    war  Eberhard 
-   x  selbst  ein  kleriker;  Konrad  von  Landeck  schenk  des  abtes  von 
St  Gallen:    Boppe   >tand   in  persönlichen  beziehungen  zu  bischof  Kon- 
rad III.  von  Strassburg,    gehörte   übrigens  zu  den  fahrenden  und  zeigt 
sich  in  seinen  dichtungen  durchaus  als  gelehrter:  der  Manier  war  eben- 
fals    ein    fahrender,    der    sehr    viel    in    der    weit    umherkam    und    viel 
gelehrte    anspielungen   in    seinen   gedienten   zeigt,    wie    er   denn  auch 
a  schickt  lateinisch  dichtete:  ebenso  wandert  Frauenlob  viel  in  der  weit 
herum  und  bei  ihm  zeigt  sich   der  gelehrte   dunkel  besonders  deutlich 
in   den   spitzfindigen    Spielereien   mit  worten.      Von  Rudolf  von  Roten- 
burg wissen  wir  nur.  dass  er  auch  ein  buntes  Wanderleben  führte;  bei 
dem  von  Buwenburg,  Heinzelin  von  Konstanz  und  Witzlav,  Fürst  von 
Rügen,    sind   lebensbeziehungen   zu   klerikern    nicht  festzustellen;    aber 
der  einfluss    der  gelehrtendichtung   auf  den    einheimischen    minnesang 
gewann   in   dieser   zeit   einen    immer  breiteren   b<»den,    so  dass  dadurch 
auch  da>  citat  aus   Pseudo- Neidhart  seine  erklärung  findet. 


VERWERTUNG    DER    NATUR    DURCH    DIE    VAGANTEN    U.    MINNESINGER  9 

2.   Die  winterschilderungen  in  der  vagantenpoesie  und  im 

minnesang. 

Direkte    Wintereingänge    haben    unter    den    vagantenliedern    nur 

wenige:  Mone  a.  a.  <>.  no.  18.  21  (die  lieder  sind  im  lezten  drittel  des 
12.  Jahrhunderts  gedichtet);  CB  42.  56  (=  Wright,  Early  Myst.  s.  1 1  1 
no.  V).  95.  180;  Du  Meril,  Poesies  pop.  s.  235  (aus  einer  hs.  saec. 
XIII);  Wattenbach  im  Anzeiger  f.  künde  d.  d.  vorzeit  22  s.  150  (aus 
einer  Tegernseer  hs.  saec  XIII  oder  XIV):  ins.  Sterzing  (saec.  XIY) 
hg.  von  Zingerle  (Sitzungsberichte  der  Wiener  akademie,  phil.-hist. 
Klasse  54)  s.  324  fg.  Aber  zusammen  mit  den  frühlingseingängen,  die 
auf  den  winter  bezug  nehmen,  geben  sie  uns  doch  ein  ziemlieh  klares 
bild  davon,  wie  die  vaganten  ihrer  trauer  und  ihrem  ärger  über  den 
winter  ausdruck  verliehen. 

Bei  der  Winterschilderung  wiegt  fast  durchweg  die  persönliche 
auffassung  vor;  nur  an  wenig  stellen  ist  dieselbe  nicht  ersichtlich  oder 
wenigstens  dunkel  und  kaum  erkenbar.  So  heisst  es  bei  Mone  a.  a.  o. 
18  nur:  redit  brumeie  glades;  24  imber  enim  transiit.  CB  55,  1  Fri- 
gus  hinc  est  horridum;  116,  1  Transit  tempus  gelidum;  102,  1  Tem- 
pus transit  horridum,  frigus  hie  male;  164,  1  Transit  nix  et  glacies; 
180,  1  Hiemali  frigore  dam  prata  marcent  frigorf  et  aque  congela- 
seunt.  Sonst  ist  überall  die  Vorstellung  von  dem  winter  als  einem 
gewalttätigen  unholde,  einem  grausamen  Tyrannen,  einem  verwüster 
und  räuber,  einem  erbitterten  kriegshelden ,  der  aber  doch  schliesslich 
eingekerkert  wird  oder  in  die  flucht  geschlagen  und  in  die  Verbannung 
gehn  muss,  erkenbar.  CB  51,  1  hiemis  cedit  asperitas;  95,  1  bruma- 
lis  sevitia  iam  venit  in  tristiHa,  grando  nix  et  pluvia  sie  corda  red- 
dunt  segnia,  ut  desoleutar  omnia  (vgl.  53,  3  hiemali  taedio  qup  vil- 
uere  languida);  106,  1  haue  recedit  hyemis  sevitia;  107,  2  Jtien/s 
seva  cessit;  109,  1  sie  hiemis  sevitia  finitur;  118,  1  hiems  spva  tran- 
siit; 56,  1  (=  Wright  Early  Myst.  s.  114,  V,  1)  Sfvit  aurß  spiritus; 
98,  1  Cedit  hiems,  tua  durities,  fr i Igor  abit,  rigor  et  ylaci<s,  brumaUs 
et  feritas,  reibics,  torpor  et  improba  segnities,  paUor  et  ira,  dolor, 
maeics;  103.  1  Terra  iam  pandit  gremium  —  quod  geht  friste  clau- 
serat  brumali  feritate  —  sevum  spirans  boreas  iam  cessat  commovere; 
114,  1  hiemata  tersa  rabie.  —  32,  4  Aquilonis  ira  irr<<lnnis;  36,  3 
Terminum  vidit  brumß  desolatio;  42,  1  Estas  in  exilium  iam  peri- 
grinatur  —  felicem  statum  nemoris  eis  frigoris  sinistra  denudavit  et 
ethera  silentio  turbavit,  exilio  dum  aves  relegavit;  Metamorphosis  Go- 
liae  2  (Wright,  Walther  Mapes  s.  21)  fjaod  (seil,  nemus)  nequivit  hye- 
mis algor  deturpare  nee  a  sui  deeoris  statu   declinare;    Wright,  Early 


10  MAROLD 

Myst  s.  109  I,  1  Praeclusi  viam  floris  vis  reserat  caloris  —  eom- 
pescuit  algoris  repagula  (vgl.  CB  32,  1  Brunia  veris  emula  sua  iam 
repagula  dolet  demoUri)\    s.  113  IV,  1   olim  gemens  (seil.  Rhea)   car- 

rari  sui  s  ■•/*  vincuUs  (vgl.  -Ms.  Sterzing  s.  324  //r/^  metu  gemens 
tremens  teUus).  2  Aethera  Favonius  inducit  a  vineulis;  Du  Meril 
a.  a.  o.  s.  235  (Ms.  saec  XIII)  iam  nocet  frigus  teneris  et  avis  bruma 
laectitur;  Wattenbach  a.  a.  o.  qui  (seil,  aquilo)  turbinoso  flamine  pri- 
vavit  aves  carmitu  nimbo  cooperante;  ebenda  26  s.  165  Temps  quam 
statem)  nuper  horrido,  fugarat  in  eorilium. 
Das  lezte  citat  leitet  zu  den  stellen  über,  an  denen  der  sänger 
einen  kämpf  des  winters  mit  dem  frühling  im  sinne  hat  und  bewnsst 
oder  unbewusst  auf  die  uralte  mythologische  idee  eines  krieges  zwi- 
schen beideu  Jahreszeiten  anspielt.  Die  lateinische  gelehrtenpoesie 
hat  sich  dieser  idee  schon  früh  bemächtigt,   zumal   ähnliche  vorstellun- 

d  das  aitertum  und  die  im  mittelalter  viel  gelesenen  antiken  autoren 
schon  kanten,  z.  b.  Ovid  Met.  X,  164  fg.  quotiensque  repeUit  ver  Me- 
inem. S  hon  zur  zeit  der  karolingischen  renaissance  hat  nun  Alcuin 
oder  nach  Ad.  Eberts  Vermutung  dessen  schüler  Dodo  jenen  Confh'ctus 
veris  et  Memis  gedichtet1.  Im  11.  Jahrhundert  schildert  alsdann  ein 
priester  aus  Flandern  oder  dem  nördlichen  Frankreich,  namens  Her- 
bert, welcher  seinen  abt  um  aufbesserung  seiner  einkünfte  bittet,  aus- 
führlich jenen  kämpf  zwischen  winter  und  frühling2.  Dort  streiten 
frühling  und  winter  über  das  kukukslied,  der  winter  spricht  voce  severa, 
er  wird  atrox  genant  und  tarda  hiems;  das  sind  züge,  die  später  noch 
in  den  vagantenliedern  widerkehren.  Herbert  scheint  auf  das  ältere 
gedieht  bezug  zu  nehmen,  v.  37  lautet:  tunc  simul  aeeipient  conflictum 
verque  hiemsque.  Die  Schilderung  ist  aber  eine  ganz  andere;  sie 
bewegt  sich  dort  mehr  in  abstraktionen,  dagegen  gibt  sie  hier  das 
konkrete  bild  einer  erbitterten  schlacht  zwischen  zwei  mächtigen  heer- 
führem.  Kälte,  schnee  und  eisige  winde  sind  das  gefolge  und  die 
waffen  des  winters,  frisches  laub  und  veilchen  der  waffenschmuck  des 
frühlings,  die  Sonnenstrahlen  sein  mächtiger  bundesgenosse,  wozu  spä- 
ter der  sommer  komt,  die  hellen  und  langen  tage  sind  neue  waffen, 
die  sie  anlegen  und  nun  wird  der  kämpf  mit  fausten  und  waffen  zu 
ende  geführt,  dem  winter  die  äugen  ausgestochen  und  dann  das  haupt 

1 1  Neuere  ausgaben  von  Eiese  in  der  Anthologia  lat.  nr.  687  und  von  Dümm- 
ler  in  den  Poetae  aevi  Karolini  I  s.  270  ss.  —  Vgl.  A.  Ebert,  Algcmeine  geschiente 
der  litteratur  im  abendlande  II.  s.  68  fgg.  und  Z.  f.  d.  a.  22,  328  —  335. 

2)  Das  gedieht  hat  Dümmler  im  Xeuen  archiv  für  ältere  deutsche  geschichte 
X,  351  fg.  veröffentlicht. 


VERWERTUNG    DER   NATUB    DURCH   DIE    VAGANTEN    U.    MINNESINGER  11 

abgeschlagen1.  Wir  sehen  daraus  deutlich,  wie  sehr  die  gelehrte  latei- 
nische diehtung  des  mittelalters  von  national  deutschen  dementen 
durchdrungen  war;  aber  andrerseits  auch,  wie  die  dichter  sie  in  gelehr- 
ter weise  in  antikes  gewand  kleideten-,  also  eine  erscheinung  ähnlich 
der  lateinischen  klosterdichtung  des  10.  Jahrhunderts.  Um  so  weniger 
dürfen  wir  erstaunt  sein,  wenn  in  den  liedern  der  fahrenden  klcriker 
da^  12.  und  13.  Jahrhunderts  solche  nationalen  mythologischen  reminis- 
cenzen  sich  rinden,  aber  in  gelehrter  weise  zum  ausdruek  gebracht. 

Die  hierher  gehörigen  stellen  aus  den  vagantenliedern  sind  nun 
folgende.  CB  32  (ein  lied,  das  gerade  mit  pedantischer  Selbstgefällig- 
keit sich  in  bildera  der  schulgelehrsamkeit  bewegt),  1  Bru/ma,  veris 
emtda,  sua  iam  repagula  doht  demoliri.  demandat  Februario  (nach 
altrömischer  einteilung  der  Jahreszeiten),  ne  sc  a  solis  radio  sinat  deli- 
niri.  Str.  2  spricht  von  dem  den  elementen  eingepflanzten  liebestriebe, 
der  von  Hymcnaeus  geregelt  und  zur  ehe  geleitet  werde.  Str.  3  fährt 
fort:  Sed  Aqmhnis  ira  predonis  elementis  officit  ne  pareant.  41,  4 
(ebenfals  ein  lied  von  speziell  gelehrter  färbung)  Dulcis  (iura  lephyri 
spirans  ab  oeddente  Joris  faret  sideri  alacriori  Diente,  Aquilonem 
carceri  Eolo  nolente  deputans,  sie  eeteri  glaciales  spiritiis  difugiunt 
repente.  46,  1  ist  eigentümlich  wegen  der  gleichsten ung  des  winters 
mit  dem  antiken  Chronos,  den  Jupiter  entthront  und  in  den  kerker 
schleudert:  Clausus  Chronos  et  serato  carcere  ver  exit,  risu  Jovis  rese- 
rato  faeiem  detexit,  purpurato  floret  prato,  rer  tenet  primatum.  Ein 
nachklang  der  kampfesvorstellung  ist  wol  auch  47,  2  enthalten:  llisu 
Joris  pellitur  torpor  liiemcdis,  sowie  53,  1  Refl.  hycnis  eradicatur  und 
54,  2  fugieute  penitus  hyemis  algore,  auch  57,  1  liienie  sepulta  als 
Zeitbestimmung  gehört  hierher.  98,  1  Cedit,  hyems  taa  dnrities. 
2  Veris  adest  elegans  acies,  dura  ratet  sine  mibe  dies.  101,  1  Veris 
Ißta  f acies  mundo  propinatur,  Jiicmalis  acics  vieta  iam  fugatur.  10G,  2 
brinna  fugit.  113,  1  rcruali  sol  calore  pulso  briuuc  statu  claruit. 
122  PJicbiisqite  dominatiir  depidso  frigore.  165,  3  hiernps  discedit 
lemere.     Mone  nr.  31  Redit  aestas  praeoptata  geht  captivato,    languet 

1)  Vgl.  Grimm  Mythol.4  638  fg. 

2)  Man  vergleiche  über  die  frage,  wieweit  in  den  vagantenliedern  sieh  remi- 
niscenzen  aus  antiken  lateinischen  autoren  finden,  Heinrich,  Quatenus  carminum 
Buranorum  auetores  veterum  Romanorum  poetas  imitati  sint.  Programm  des  k.  k. 
gymnasiums  zu  CiUi  (Steiermark)  1882.  Die  arbeit  erschöpft  den  gegenständ  jedoch 
nicht.  Speciell  für  reminiscenzen  aus  Ovid  ist  natürlich  noch  zu  rate  zu  ziehen 
K.  Bartsch,  Albrecht  von  Halberstadt  und  Ovid  im  mittelalter  (Quedlinburg  1861;  wo 
auch  die  CB  genügend  berücksichtigt  sind. 


12  MAROLD 

hieras    aegrotata    ven     sospitato.      Wright,    Early    Myst.  s.  113.  IV,  1 
Plawlit  kumus  Borecu   fugam  ridens  eooulis. 

Im  voraus  muss  nun  darauf  hingewiesen  werden,  dass  die  win- 
terschilderungen  im  vagantensange  einen  ganz  anderen  Charakter 
haben,  als  die  des  deutschen  minnesanges,  besonders  des  älteren,  wäh- 
rend spar»']-  sieh  mehrfach  ein  ausgleich  zeigt.  Die  Vaganten  schmücken 
zumal  in  den  älteren  liedern,  die  von  ihnen  erhalten  sind  —  ihre 
poesieen  gern  mit  gelehrten  anspielungen  und  antiken  reminiscenzen; 
bewegen  sich  gern  in  abstraktionen  und  zeigen  eine  grosse  Vorliebe 
für  die  allegorie  und  betonen  in  den  naturschilderungen  mehr  die  Wir- 
kungen des  winters  als  dass  sie  das  bewirkte,  die  Veränderungen,  die 
in  der  natur  statgefunden  haben,  objektiv  zur  darstellung  bringen.    Der 

rstand    isr   bei  ihren   Schilderungen  mehr  beteiligt  als  phantasie   und 

müt  So  hebt  der  Sänger  der  lieder  in  der  Moneschen  handschrift 
beidemale  die  Veränderung  der  demente  durch  die  winterkälte  hervor, 
das  rauhe  wetter  ist  ihm  Joris  intemperies;  nur  in  dem  zweiten 
inr.  21)  erwähnt  er  zweimal  mit  lästiger  widerholung  das  welken  der 
lilien   und   merkwürdiger  weise    die   veilchen    neben    den  Schwertlilien 

icdnium  in  der  ganzen  Vagantendichtung  nur  hier),  die  nun  des 
glitzernden  taues  entbehren  müssen.  Die  späteren  vagantenlieder  ver- 
suchen es  zwar  (und  hier  wäre  eine  ein  Wirkung  des  höfischen  minne- 
sangs  zu  konstatieren!)  sich  in  die  sichtbaren  Veränderungen  der  natur 
mit  dem  herzen  hineinzuleben;  dass  es  aber  eigentlich  nicht  ihre  art 
ist,  beweist  der  umstand,  dass  sie  daneben  das  allegorisieren ,  ihre  tra- 
ditionellen physikalischen  beobachtungen  und  die  abstraktionen  nicht 
unterlassen  können.  So  richtet  der  sänger  von  CB  42  zwar  seinen 
blick  in  die  ihn  umgebende  natur  und  beklagt  deren  Veränderung:  der 
hain  ist  des  vogelsangs  beraubt,  das  laub  fahl  geworden,  die  heide 
ohne  blumen:    aber   er  verleugnet   den  gelehrten    nicht,    wenn    er   den 

romer  ins  exil  gehen  lässt,  wenn  er  statt  des  konkreten  ausdrucks 
„grünes  laub"  viror  frondium  sagt,  und  vor  allem  decouvriert  er  sich 
dadurch,  dass  er  dieselben  gedauken  in  derselben  strophe  noch  einmal 
in  anderer  foim folgendermassen  ausdrückt:  exaruil  quod  floruit,  quia 
feücem  statum  nemoris  vis  frigoris  sinistra  denudavit  et  ethera  süen- 
tio  turbavitj  tri  Ho  dum  aves  relegavit.  Man  sieht  deutlich  das  hin- 
überspielen ins  abstrakte  und  allegorische.  Ähnliche  mischung  zeigt 
CB  56,  wo  der  ausdruck  arborum  comp  fluunt  penitus  und  das  gleich 
folgende  in  frigore  silet  cantus  nemorum  au—  ch laggebend  sind.  Obwol 
die  übrigen,  besonders  CB  95  und  das  bei  Du  Meril  abgedruckte  lied, 
ausführlicher   und    reiner    in    der   Vertiefung   der    empfindung    sind,    so 


VERWERTUNG    DER    NATUR    DURCH    DIE    VAGANTEN    U.    MINNESINGER  13 

bestätigen  sie  doch  auch  die  ausgesprochene  beobachtung,  und  ich  gehe 
deswegen  nicht  näher  auf  sie  ein. 

Ganz  anders  verhält  sich  nun  der  minnesang,  und  zwar  besonders 
in  seiner  älteren  periode.  R.M.Meyer  in  seinem  aufsatze  „Alte  deut- 
sche volksliedchen  (Z.  f.  d.  a.  29,  121— 23(>)  und  desgleichen  A.  Ber- 
ger in  dem  aufsatze  „Die  volkstümlichen  grundzüge  des  minnesangs" 
(in  dieser  zeitschr.  19,  441  fgg.)  gehen  von  der  sicher  nicht  richtigen 
Voraussetzung  aus,  dass  aus  den  formelhaften  Wendungen  des  minne- 
sangs zu  schliessen  sei,  er  setze  eine  ausgebildete  volkslyrik,  in  der 
diese  formein  bereits  enthalten  gewesen  seien,  voraus.  Überhaupt  wird 
meiner  meinung  nach  mit  dem  immerhin  noch  vagen  begriffe  des  volks- 
tümlichen im  minnesange  viel  zu  viel  operiert.  Seihst  Neid  hart  ist 
immer  doch  ein  ritterlicher  sänger  gewesen,  wie  sehr  er  sich  auch 
unter  das  volk  mischte  und  gewiss  diese  und  jene  anregung  daher 
erhalten  haben  mag.  Nun  aber  gar,  wie  R.  M.  Meyer  es  tut,  Neidhart 
mit  den  dichtem  von  minnesangs  frühling  zusammenzustellen,  erscheint 
mir  unhistorisch.  Bis  jezt  ist  die  ganze  frage  noch  immer  eine  offene; 
eine  so  ausgedehnte  und  ausgebildete  volkslyrik  würde  aber  auch  eine 
zu  grosse  poetische  bildung  des  niederen  volkes  voraussetzen,  die  durch 
nichts  sicher  bezeugt  ist,  und  ausserdem  hinsichtlich  der  vorausgesezten 
mythologischen  ideen  eine  lange  Übung  und  ununterbrochene  tradi- 
tion,  während  das  Christentum  im  lauf  der  Jahrhunderte  doch  sicher 
soweit  durchgedrungen  war,  dass  nur  schüchtern  einige  Überreste 
alter  gebrauche  und  sagen  sich  gelegentlich  hervorwagten.  Neuer- 
dings hat  E.  Th.  Walter  in  der  Germania  34  (1889)  s.  1  fgg.  und  141  fgg. 
die  schwächen  der  erwähnten  beiden  arbeiten  aufgedeckt,  und  ich 
muss  ihm  in  der  hauptsache  zustimmen.  Er  betont  durchaus  richtig, 
dass  wir  es  von  anfang  an  mit  einem  höfischen  minnesang  zu  tun 
haben;  natürlich  haben  Wechselbeziehungen  zwischen  ihm  und  einer 
Volksdichtung,  soweit  sie  vorhanden  war,  vor  allem  aber  dem  vagan- 
tensang  statgefunden.  Im  vagantensang  fanden  die  minnesinger  ein 
ebenbürtiges  kunstprodukt  vor,  und  je  mehr  eine  mischung  und  ein 
verkehr  der  verschiedenen  sängerklassen  untereinander  statfand,  uniso- 
niehr  muste  ein  austausch  unter  ihnen  erfolgen.  Ferner  möchte  ich 
noch  meine  bedenken  dagegen  äussern,  dass  man  aus  Personifikationen 
des  minnesangs  und  nun  gar  der  spätem  volkspoesie  ohne  auswahl 
Überreste  alter  mythologischer  Vorstellungen  folgerte1.     Einmal  geht  das 

1)  Vgl.    über   diesen  gegenständ  Krejci,    Das   charakteristische   merkmal    der 
volkspoesie.     Ztschr.  für  Völkerpsychologie  19  (1889)  140. 


14  MAROLD 

volk  darin  in  jeder  zeit  selbstschöpferisch  vor  und  dann  können  bil- 
dungseleniente  der  gebildeteren  kreise  auch  in  die  niederen  Volksschicht 
teil  eindringen  und  demnach  einen  ganz  anderen  ursprang  haben.    Nun 

r  mit  dem  Volkslied  des  15.  und  16.  Jahrhunderts  solte  man  in  die- 
ser beziehung  vorsichtiger  sein. 

Nach  dieser  abschweifung  kehre  ich  zu  meinem  gegenstände  wider 
zurück.  S  hon  K.  Burdach  hat  in  seinem  buche  Beinmar  der  alte 
und  Walther  von  der  Vogelweide  s.  162  durchaus  richtig  die  bei  aller 
verwantschaft  des  inhalts  doch  charakteristische  Verschiedenheit  des  min- 
nesangs  und  der  Vagantendichtung  in  der  behandlung  der  naturempfin- 
dang  betont  Das  einzige  jedoch,  was  er  in  dieser  beziehung  erwähnt, 
ist  die  verschiedene  empfindung  beim  gesang  der  nachtigall.  M obreres 
bringt  R  M.  Meyer  in  dem  erwähnten  aufsatze  bei,  aber  nur  gelegent- 
lich und  natürlich  von  seiner  vorgefassten  meinung  beeinflusst. 

Zunächst  sollen  uns  hier  nun  die  abweichende  art  der  winter- 
schilderangen  und  im  Zusammenhang  damit  die  momente  beschäftigen, 
die  auf  eine  gegenseitige  beeinflussung  hindeuten  könten.  Eine  weitere 
ausführimg  dieser  Verschiedenheiten  und  berührungen  bleibt  einem  spä- 
teren aufsatze  vorbehalten. 

Auch  im  älteren  MS.  bewegt  sich  die  Schilderung  bisweilen  in 
algemeinen  Wendungen,  die  nur  den  Wechsel  der  zeit  ausdrücken.  So 
singt  Dietmar  von  Aist  37,  30  Sich  hat  verwandelöt  diu  %it;  aber  er 
fügt  charakteristisch  hinzu:  clax  versten  ich  an  den  dingen  (und  zwar 
an  dem  verklungenen  nachtigallensang  und  dem  fahlen  walde).  Dahin 
gehört  auch  39,  30  Urlop  hat  des  sumers  brehen;  140,  32  (Heinrich 
von  Körungen)  Uns  ist  vergangen  der  liepliche  sumer  (vgl.  118,  7 
Bligger  von  Steinach  swie  schiere  uns  diu  sumerxU  aber  zerge).  Die 
Wirkung  des  winters  auf  die  äussere  natur  und  auf  das  gemüt  des 
dichters  wird  gelegentlich  durch  attribute  gekenzeichnet.  So  heisst  es 
33,  18  (Dietmar  von  Aist)  zergangen  ist  der  Hinter  lanc  (dieselbe  for- 
mel  184,  1  in  einer  Reinmarschen  bzw.  Ruggeschen  strophe);  216,  5 
(Hartmann  von  Ouwe)  winter  lanc;  108,  16  (H.  v.  Rugge)  der  tvinter 
hin  lullt  anders  sin  /ran  swaere  und,  äne  mdze  lanc;  191,  28  (Rein- 
mar.  nach  E.Schmidt  H.  v.  Rugge)  der  swaere  iv.,  desgleichen  203,  26 
in  einer  Beinmarschen  strophe  (nach  E.  Schmidt  ein  adespoton);  eigen- 
tümlich fügt  sich  dazu  Walther  118,  33  fg.  der  halte  winter  ivas  mir 
gar  unmaere,  ander  liutt  dükte  er  swaere  (das  sieht  fast  wie  eine 
direkte  anspielung  aus!);  auch  Hartmann  sagt  216,  2  gegen  der  sivae- 
ren  zit.  Am  einfachsten  sagen  Ulrich  von  Gutenburg  71,  6  und  H.  v. 
Rugge  99,  33  der  winter  halt,  desgleichen  Walther  114,  30.    118,  33. 


VERWERTUNG    DER    NATUR    DURCH    DIE    VAGANTEN    U.    MINNESINGER  15 

Eine  spur  von  persönlicher  auffassung  des  winters  zeigt  sich  bei 
H.  v.  Veldeke  59,  16  fg.  trau  ea  //•//  ////  winter  sin,  der  nus  sim 
leraft  erzeiget  an  den  bluomen  und  dann  erst  bei  Waltner  39,  8  sin 
gewalt  ist  so  breit  und  so  iril  (vgl.  oben  ( T>  r_\  ]  eis  frif/oris)1. 
Der  „gelehrte"  Hartmann  hat  in  seinem  ersten  liede  205,  •''>  i\ru  merk- 
würdigen ausdruek  min  sanc  ensüle  des  winters  wäpen  tragen,  dem 
ebenfals  eine  ausgesprochene  persönliche  auffassung  des  winters  zu 
gründe  liegt2. 

Das  eigentliche  charakteristische  an  den  Winterschilderungen  an 
sich,  d.  h.  soweit  man  nicht  ihr  Verhältnis  zu  der  dargestelten  liebes- 
empfindung  ins  äuge  fasst,  ist  die  innige  teilnähme  an  den  Verände- 
rungen, die  in  der  natur  vorgehn,  der  ausdruek  des  Schmerzes  über 
den  verlust  der  naturschönheiten,  wie  sie  der  sommer  bot.  So  wird 
1)  der  verlust  der  blumen  (zum  teil  mit  poetischer  Personifikation) 
und  das  fahlwerden  der  beide  beklagt3.  MF19,  14  (Bietenburg); 
35,  15  (D.  v.  Aist);  59,  17  (H.  v.  Veldeke);  82,  33  (R  v.  Fenis)4; 
99,  32  (H.  v.  Kugge);  106,  24  (H.  v.  Rugge);  140,  33  und  36  (H.  v. 
Morungen)  vgl.  mit  Walther  75,  36;  169,  11  und  14  (Reinmar):  191,30 
(Reinmar  oder  H.  v.  Rugge);  216,  1  (Hartmann).  2)  Heide  und  wald 
werden  zusammen  beklagt:  99,  29  (H.  v.  Rugge);  Walther  39,  2. 
3)  Blumen  und  wald:  83,26  (R.  v.  Fenis).  4)  Der  entlaubte  wald: 
37,  34  (D.  v.  Aist);  82,  26  (R.  v.  Fenis).  5)  Die  entlaubte  linde: 
4,  1  (namenlos);  37,  19  (namenlos);  64,  26  (H.  v.  Veldeke).  6)  Das 
verstummen  des  vogelsangs:  34,  15  und  37,  18  (D.  v.  Aist);  59,13 
und  62,  35  (H.  v.  Veldeke) ;  83,  28  (R.  v. Fenis);  106,  26  (H.  v.  Rugge); 

1)  Vgl.  Wilmanns,  Leben  und  dichten  Walthers  von  der  Vogelweide  s.  410. 
Wenn  übrigens  liier  gesagt  ist.  dass "Walther  unter  den  minnesängern  der  erste  gewe- 
sen sei,  der  in  dem  liede  39,  9  von  einem  streite  des  winters  spreche  {weixgot  er 
IM  noch  dem  meien  den  strit),  so  muss  ergänzend  hinzugefügt  werden,  dass  Kein- 
mal' 188,  35  doch  wol  auch  darauf  anspielt  und  ebenso  191,  32  fg.  (nach  E.  Schmidt 
eine  Ruggesche  strophe):  diu  nahtegal  uns  schiere  seit,  dax  sich  gescheiden  hat  der 
strif.  Allerdings  sind  diese  algemeinen  andeutungen  das  einzige,  und  das  ist  sicher 
gegenüber  den  lateinischen  liedern  auffallend. 

2)  Vgl.  Wilmanns  a.  a.  o.,  wo  die  charakteristische  stelle  aus  des  dichtere 
erstem  büchlein  angeführt  ist. 

3)  Diese  citate  schreibe  ich  nicht  aus,  weil  das  schon  häufig  geschehen  ist  und 
weil  dieselben  einen  zu  breiten  räum  beanspruchen  würden. 

4)  In  dem  adjektivischem  partieipium  betivungen  liegt  nicht  eine  Personifikation 
des  winters ,  wie  Berger  a.  a.  o.  s.  450  meint ;  dasselbe  hatte  im  mhd.  gewöhnlich  die 
bedeutung  bekümmert .  niedergeschlagen.  Es  liegt  also,  wo  die  minnesänger  es  als 
attribut  der  blumen,  der  beide,  der  vögel  usw.  vrnvenden,  eine  poetische  beseehing 
dieser  gegenstände  vor.     Vgl.  MSF  233  (anmerkung  zu  16,  14). 


1 6  MAROLD 

216,  5  (Harrmann):  Walther  39,  3;  75,  38;  111.  23.  7)  Das  schwei- 
gen der  aachtigall:  18,  17  (Rietenburg);  37.  32  (D.  v.  Aist);  99,  34 
(H.  v.  Rugge). 

Andere  anzeichen  mehr  physikalischer  art,  also  in  der  weise  der 
vagantenlieder,  erwähnt  nur  II.  v.  Veldeke  59,  11  fg.  und  64,  26.  Dort 
heissl  s:  Sit  diu  sunne  ir  liehten  schin  gegen  der  kelte  hat  geneiget  — 
und  hier:  K\  habent  die  bitten  nehte  getan,  dm  diu  löuber  an  den 
linden  winterliche  valwiu  stau.  Er  ist  der  einzige  unter  den  alteren 
höfischen  dichtem,  der  in  dieser  hinsieht  bekantschaft  mit  den  liedern 
und  der  ausdrucksweise  der  fahrenden  kleriker  zeigt1,  wie  er  ja  auch 
ein  gelehrter  dichter  ist,  der  nicht  nur  französisch,  sondern  auch  gut 
latein  verstand.  Man  vergleiche  nur  beispielsweise  das  von  Du  Meril 
a.  a.  o.  s.  235  abgedruckte  lied,  worin  es  heisst:  cahr  liquit  omnia 
et  abiit,  nam  signa  caeli  ultima  sol  petiit;  iam  nocet  frigus  teneris 
et  nris  bruma  laeditur  — ;  est  inde  dies  niveus,  nox  frigida  usw. 
8  inst  ist  das  hauptanzeichen  des  winters  im  älteren  minnesang  der 
schnee  (6,  9.  58,  29.  82,  29.  106,  25.  140,  33.  Walther  75,  37), 
der  reif  erscheint  nur  203,  30  (Reinmar,  nach  E.  Schmidt  ein  adespo- 
ton)  und  Walther  75.  37.  114,  23.  Die  kalten  winde  sind  ursprüng- 
lich nicht  dem  minnesang,  aber  in  ausgedehnter  weise  der  lateinischen 
dichtnng  und  daher  auch  dem  vagantenlied  eigentümlich  (wie  auch  der 
-    i). 

Charakteristisch  für  den  minnesang  sind  ferner  die  klagen  über 
den  entschwundenen  sommer  und  die  traner  infolge  des  winters:  37,  18 
(namenlos);  83,  ^  (R  v.  Fenis);  140,  36  (EL  v.  Morungen);  169,  14 
(Reinmar):  59,  15  und  67,  15  (H.  v.  Veldeke);  82,  31  (R.  v.  Fenis); 
los.  16  ^g.  ,H.  v.  Rugge);  Walther  39,  1  fgg.     76,  4  fgg.     114,  30. 

3o  zeigt  sich  als«»  aufs  deutlichste  der  verschiedene  ausdruck  der 
im  innersten  gründe  gleichen  Vorstellungen.  In  ähnlicher  weise  abstrakt 
wie  die  Winterschilderungen  der  vaganten  hinsichtlich  der  Veränderun- 
gen in  der  natur  ist  nun  aber  auch   die  art,    wie  sie  sie  mit  der  lie- 

lpfindung  verbinden.  Mone  a.  a.  o.  nr.  18  heisst  der  winter  im- 
portuna  Veneria  aber  im  innern  fühlt  der  sänger  liebesglut:  amor  est 
in  pecton  nidlo  frigens  frigore.  Noch  energischer  drückt  den  gedan- 
ken  nr.  21  aus:  foris  algens  corpore  fiammas  intus  sentio  —  und  wei- 
ter: totum  cogat  Spiritus  Borects  in  glo/icm,  tarnen  hoc  proposi&um 
non    uariem.     Ähnlich   aber  noch  mehr  reflektierend  singt  der  dichter 

1 1  Oben  8.  15  war  auch  IT.  v.  Veldeke  der  einzige  unter  den   älteren   minne- 
igpm.  der  die  persönliche  anffassnng  des  winters  in  der  weise  der  vaganten  zeigte. 


VERWERTUNG    DER    NATUR    DUBOH    DIE    VAGANTEN    ü.    MINNESINGER  17 

von  CB  42,  2:  -s'"/  amorein,  qui  calorem  nutrit,  nulla  vis  frigoris 
palet  attenuare.  Und  wider  ganz  in  demselben  tone  singt  ein  anderer 
bei  Du  MeriJ  a.  a.  o.  s.  235  fg.:  Modo  frigescit  quidquid  est,  sed  solus 
ego  caleo  —  und  nun  folgt  eine  weitere  ausmalung  dieses  feuers,  das 
schlimmer  sei  als  das  griechische  feuer.  CB  32  behandelt  in  ganz 
lehrter  weise  die  liebe  der  elemente  zu  einander,  die  vom  aordwinde 
gestört  werde.  Auf  menschliche  Verhältnisse  übertragen  hören  wir  von 
dieser  störenden  Wirkung  CB  95,  3:  Ad  obsequendum  Veneri  vis  tota 
languet  animi,  fervor  abest  pectori,  iam  cedit  calor  frigori1.  Ein 
anderer.  CB  f>(>,  1  hält  die  Übereinstimmung  /wischen  winter  und 
schlafendem  liebestrieb  für  tierisch  und  fahrt  fort:  Nimquam  amans 
sequi  volo  vices  temporum  bestiali  more.  Ein  später  lateinischer  Sän- 
ger bei  Wattenbach  a.  a.  o.  ruft  schon  ganz  in  der  weise  des  minne- 
sangs  aus:  Non  in  flore  sei  amore  iocundor  pueUari  —  und  str.  1: 
Decoris  tut  claritas,  si/mul  tua  benignitas  flos  est  mihi  vemalis. 

Im  minnesang  ist  nun  die  Verknüpfung  von  Winterschilderung  und 
liebesempfindung  im  ganzen  eine  geistigere;  aber  auch  hier  lässt  sie  sich 
auf  die  beiden  formein  zurückführen:  1)  Winterklage  und  lieh' 
schmerz  im  einklang  und  2)  Winterklage  und  Liebesschmerz 
im  kontrast.  Das  ursprüngliche  und  natürliche  ist  die  einfache  win- 
terklage und  die  parallele  dazu  aus  dem  liebesieben. 

Einfache  winterklage  ohne  deutliche  beziehung  auf  das  Liebesver- 
hältnis oder  die  liebesempfindung  finden  wir  noch  beim  Rietenburger 
19,  14  fgg.  (vgl.  jedoch  W.  Scherer,  Deutsche  Studien  II,  Wiener 
Sitzungsberichte  77,  s.  468),  bei  H.  v.  Yeldeke  59,  11  fgg.  und  (57,  15%.; 
desgleichen  bei  Rugge  108,  14  fgg.;  bei  Pseudo-Reinmar  203,  24  fgg. 
bildet  die  Schilderung  schon  den  hintergrund  für  die  Schilderung  <\<-r 
beneideten  freude  in  den  folgenden  Strophen.  Ferner  gehören  hieher 
die  beiden  Walthersehen  lieder  39,  1  fgg.  und  7."».  25  fgg..  in  denen 
zwar  die  gewöhnlichen  typen,  aber  in  freier  und  selbständiger  weise 
verarbeitet  werden,  um  die  empfindung  des  dichters,  klage  über  den 
winter  und  Sehnsucht  nach  dem  sommer  zum  ausdruck  zu  bringen. 

1)  Derselbe  Sänger  klagt  str.  1  dass:  grando  nix  et  pluvia  corda  reddunt 
segnia.     Str.  2  erwähnt  in  der  individualisierenden  art  des  deutschen  minnesangs  den 

verstumten  vogelsang,  die  des  grasschmuckes  beraubte  erde,  dann  aber  wieder  nach 
vagantenart  den  trüben  Sonnenschein  und  die  schnell  dahineilenden  rage.  Str.  3  ist 
die  oben  citierte;  str.  4  klagt  wider:  In  omni  loeo  eongrtto  sermonis  oblectatio  cum 
sexu  femineo  evanuit  omnimodo.  Das  lied  ist  somit  ein  sprechendes  beispiel  für  die 
art  des  vagantengesanges  um  1200,  wo  der  verkehr  der  Jährenden  kleriker  und  der 
fahrenden  ritterlichen   sanger  unter   einander  lebhafter  zu  werden   begann   und   --inen 

anstansch  der  anschauungen  zu  wege  brachte. 

9 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.  XXIII. 


18  MAROLD 

Die  einfachste  art  winterklage  und  liebesschmerz  in  parallele  zu 
setzen,  zeigt  HF  1.  1  fjjg.:  Die  linde  ist  entlaubt,  mein  geliebter  mei- 
det mich  und  geht  andern  trauen  nach.  Das  ist  einfach  und  ganz  in 
der  weise  «inti>  Volksliedes:  das  bewustsein  mit  der  umgebenden  natur 
-  h  in  einklang  zu  fühlen  ist  nur  dunkel  angedeutet.  Dem  inhalte 
nach  auf  gleicher  stufe  steht  37,  18  fgg.,  auch  eine  alte  namenlose 
Strophe  (vgl  Scherer,  Deutsche  Studien  II,  s.  437).  Nur  ist  die  win- 
terschilderung  mannigfaltiger  und  subjektiver  und  der  zweite  teil  eine 
aufforderung  an  den  geliebten,  andere  frauen  zu  meiden.  Dieser  alten 
und  einfachen  art  steht  noch  Dietmar  nahe  in  der  frauenstrophe  34, 11  fgg. 
Wie  aus  der  erinnerung  an  den  schönen  sommer,  den  die  frau  in  lie- 
besglück  verlebt  hat,  ruft  sie  aus:  sit  ich  bluomen  niht  ensach  noch 
enhdrte  der  vögele  sanc,  sit  /ras  mir  min  fröide  kurz  und  ouch  der 
jämer  alze  laue.  Wie  viel  komplizierter  ist  dagegen  EL  v.  Rugge,  dessen 
anschluss  an  die  volkstümliche  tradition  des  natureingangs  so  vielfach 
betont  ist!  Es  gehört  hierher  99,  29  —  100,  11.  Auf  die  ausführliche 
winterklage  (beide,  wald,  blumen,  nachtigall)  folgt  zunächst  eine  beteue- 
rung,  da—  >ein  herz  der  geliebten  trotzdem  treu  bleibe,  alsdann  in  der 
zweiten  Strophe  der  wünsch  freude  durch  sie  zu  erlangen  und  dann  erst 
die  klage,  dass  ihm  nur  leid  geschieht  und  die  indirekte  bitte,  seine  stä- 
tigkeit  zu  belohnen.  Das  liebesverhältnis  also  überdauert  den  winter,  die 
parallele  besteht  nur  zwischen  der  trauer  über  den  winter  und  der  trauer 
darüber,  dass  die  geliebte  ihren  ritter  nicht  erhört1.  "Wie  sehr  H.  v. 
Rugge  schon  in  der  ausdrucksweise  des  höfischen  minnedienstes  befan- 
gen ist.  zeigt  ein  vergleich  mit  H.  v.  Morungen,  der  sich  anerkanter- 
massen  von  dem  traditionellen  ausdruck  des  naturgefühls  fernhält. 
140.  32  fgg.  zeigt  fast  dieselbe  ideenverbindung  wie  jenes  Ruggesche 
lied,  nur  in  anderer  reihenfolge.  Die  Winterschilderung  ist  ganz  kurz: 
Uns  ist  zergangen  der  liepliche  sumer.  da  man  brach  bluomen,  du 
lit  im  der  sne2.  Darauf  folgt  die  klage  über  den  liebeskummer  und 
dann  die  Versicherung,   dass  die  freude  an  der  Schönheit  seiner  gelieb- 

1)  Vgl.  "Wilmanns,  Leben  und  dichten  Walthers  von  der  Vogelweide  s.  172: 
„Die  strenge  auffassung  des  ausgebildeten  minnedienstes  aber  sträubt  sich  gegen  diese 
vorübergehende  sommerliebe.  In  ihm  wird  die  Jahreszeit  nicht  in  beziehung  zu  dem 
liebesverhältnis  gesezt,  sondern  nur  in  beziehung  zur  empfindung,  sei  es  dass  solche 
anerkant  oder  abgelehnt  wird.-  Die  stelle  ist  wol  klar  genug,  und  wenn. Max  Ort- 
ner. Keinmal  der  alte,  die  Nibelungen  s.  55  behauptet,  sie  nicht  zu  verstehn,  so 
erklärt  sich  das  nur  durch  seine  Voreingenommenheit  oder  dadurch,  dass  er  dem 
gegenstände  nicbt  die  volle  aufmerksamkoit  zugewendet  hat. 

-  Vgl.  Walthei  75.  3G  und  R.  M.  AYerner  in  seiner  recension  über  Michel, 
Heinrich  von  Morungen  (A.  f.  d.  a.  7,  125  fg.). 


VERWERTUNG    DER    XATUR    DURCH    DIE    VAGANTEN'    U.    MINNESINGER  19 

ten  ihn  gegen  den  verlust  der  sommerfreude  gleichgiltig  mach«1.  Aber 
auch  schon  R.  v.  Fenis  zeigt  die  ganze  ritterliche  dialektik  in  der  aus- 
malnng  jener  parallele.  Von  ihm  sind  zwei  winterklagen  überliefert 
82,  26  fgg.  und  83,  25  fgg.  Dort  heisst  es:  Es  ist  winter  (wald,  vogel- 
sang; schnee)  —  darum  leide  ich  not;  aber  ich  Leide  noch  anderen 
kummer:  fände  ich  gegenliebe,  so  Aväre  all  mein  kummer  geheilt,  denn 
die  geliebte  ist  über  die  massen  schön.  An  der  zweiten  stelle  ist  die 
parallele  versteckter  und  die  gedankenverbindung  spitzfindiger:  Mein 
schmerz  über  den  entschwundenen  sonimer  wird  nicht  durch  süs 
erinnerungen  gemildert,  wie  bei  andern;  solte  der  winter  meinen 
wünsch  erfüllen,  müste  ich  ihn  loben;  aber  die  geliebte  Lässt  mich 
unausgesezt  klagen.  —  Direkte  Opposition  gegen  die  konventionelle 
art,  über  den  winter  zu  klagen,  macht  dann  Beinmar  d.  a.;  er 
hält  es  nicht  der  mühe  wert  gegenüber  dem  kummer.  den  er  leidet 
(169,  9  fgg.) \ 

Der  ausdruck  des  kontrastes  zwischen  naturempfindung  und  lie- 
besempflndung  ist  an  sich  betrachtet  jünger  als  die  parallele  beider. 
Jedoch  findet  er  sich  auch  bereits  im  ältesten  minnesang  und  auch  in 
ganz  anderer  weise  als  in  der  Vagantendichtung. 

Der  Rietenburger  beklagt  18,  17  fgg.  den  verklungenen  nachtigal- 
lengesang  und  fährt  fort:  doch  tuot  mir  sanfte  guot  gediiige,  den  ich 
von  einer  frowen  hän.  In  derselben  einfachen  form  gibt  D.  v.  Aisl 
37,  30  —  38,  4  den  kontrast  wider:  die  zeit  ist  verwandelt,  die  nach- 
tigall  schweigt,  der  wald  steht  fahl  —  ienoch  stet  dm  l/<  r,<  min  in 
ir  geweilt,  der  ich  den  sumer  gedienet  hän  diu  ist  min  fr&ide  und  al 
n/in  Uep.  Eine  Steigerung  dieses  gefühls  enthält  die  frauenstrophe 
6,  5  fgg.:  mich  dünket  winter  nnde  sne  schoene  bluomen  unde  hie, 
swenn  ich  in  umbevangen  hän.  So  singt  auch  noch  AValther  118,  35 
mir  was  die  icile  als  ich  enmitten  in  dm/  meien  ivaerc:  doch  ist  das 
gedieht  Walthers  nicht  mehr  so  ganz  naiver  ausdruck  eines  über- 
wältigenden gefühls.  In  einfacherer  weise  bietet  die  gegenüberstellung 
wider  der  Veldeker  in  der  strophe  64,  26,  die  oben  schon  wegen  der 
Winterschilderung  nach  art  der  Vagantendichtung  erwähnt  wurde  Es 
stimt  damit  die  abstrakte  art  überein,  wie  er  sein  liebesglück  dem 
winter  gegenüberstelt :  der  minne  hän  ich  g/ioten  wan%.    Als  ein  uner- 

1)  Vgl.  E.  Schmidt,  Reinmar  von  Hagenau  und  Heinrich  von  Rugge  (QF  IV). 
S.  94. 

2)  Wenn  übrigens  E.  Schmidt  a.  a.  o.  s.  91  behauptet,  der  Veldeker  kenne 
gar  keine  freude  im  winter,  so  widerstreitet  dem  die  obige  strophe.  —   Den  abstrak- 

2* 


20  MAROLD 

fülter  wünsch  wird  die  liebe  als  lieilmittol  gegen  die  leiden  des  winters 
von  K.  v.  Penis  in  dem  oben  besprochenen  liede  82,  26  fgg.  bezeich- 
net sowie  von  H.  \.  Rugge  und  H.  v.  Morungen  in  den  eben  daselbst 
behandelten  Strophen.  Recht  reflektierend  und  gesucht  drückt  der  in 
Eausens  fussstapfen  tretende Gutenburger  diesen  gedanken  aus  69,4fgg.: 
und  gern  es  mir  diu  <//<(>/<  so  wirt  an  minie  sänge  schhi  der  icin- 
noch  kein  swaere.  Nicht  mehr  die  Schilderung  des  geiühls  an  sich 
i>r  ihm  die  hauptsaehe.  sondern  der  gewählte  ausdruck  desselben1.  Der 
in  der  oben  erwähnten  frauenstrophe  6,  9  fg.  ausgedrückte  gedanke 
gewint  hei  Dietmar  39,  30  --40,  2  bestirntere  gestalt.  Diese  strophe 
von  Burdach  a.  a.  o.  s.  77  fg.  gewiss  mit  recht  als  frauenstrophe 
bezeichnet  and  hier  ist  die  frau  ebenso  mit  dem  winter  zufrieden: 
der  winter  und  sin  langiu  naht  di  ergetxeni  uns  der  besten  %it,  swä 
man  bi  liebe  lange  tit.  Derselbe  ersatz  für  die  sommerfreude  ist  von 
D.  v.  Aist  35.  16  fgg.  in  form  eines  wTunsches  ausgesprochen.  Tat- 
■hlieh  hat  er  während  des  winters  gram,  da  die  geliebte  den  wünsch 
nicht  gewährt:  wir  haben  also  schon,  wrie  wir  es  in  den  Fenisschen, 
Ri,_ _  sehen  und  Morungenschen  Strophen  oben  fanden,  Vereinigung 
beider  formein.  Lob  des  winters  wegen  der  langen  nachte  haben  fer- 
ner noch  Hartmann  216-,  3  und  Walther  118,  5.  Während  jedoch  bei 
Hartmann  die  trauer  über  den  winter  vorherseht  und  die  liebe  in  win- 
terlanger nacht  nur  den  langen  winter  kürzt,  wiegt  bei  Walther  in 
Reinmarscher  und  Morungenscher  art  (vgl.  z.  b.  MF  140,  32  fgg.)  die 
liebesempfindung  vor  und  erzeugt  gleichgiltigkeit  gegen  den  Wechsel 
der  Jahreszeiten  (vgl.  auch  99,  6  fgg.).  In  demselben  sinne  singt  auch 
der  vielleicht  von  Fr.  v.  Hausen  beeinflusste  Bligger  118,  7  fgg.:  swie 
schien  uns  diu  sumerxit  aber  terge,  des  würde  rät,  mües  ich  ir  hulde 
hän:  du    um  im   ich.  für  loup  unde  für  Icle. 

i  zeigte  sich  also,  wie  auch  in  der  Verknüpfung  von  natur- 
empfindung  und  liebesempfindung  der  minnesang  von  anfang  an  ganz 
eigentümlich  vorgieng  und  im  weiteren  verlauf  immer  kompliciertere 
ideenverbindungen  schuf,  beeinflusst  durch  das  wesen  des  höfischen 
diei  Nur   wenig    und    kaum    nennenswertes    konte    ihm    hier    die 

vagantenpoesie  bieten. 

.  ausdruck,  dass  liebe  den  winterschmerz  lindere,  hat  auch  R.  v.  Fenis  in  dem 
oben  besprochenen  liede  82.  30  fg.:  ist  da%  diu  mirme  ir  giiete  icil  xeigen,  so  ist 
al  min  hm  vräuden  gestaU.     Aber  die   zeilen  vorher  und  nachher  sind  wider 

durchaus  individualisierend  und  an  die  eine  bestirnte  frouwe  adressiert. 

ll   Vgl.  Burdach.  Beinmar  der  alte  und  AValther  von  der  Vogelweide.    S.  38. 


VERWERTUNG    DER    NATCR    DURCH    DIE    VAGANTEN'    U.    MINNESINGER  "_' 1 

Unter  den  dichtem  nach  Walther  erfordert  Neidhart  eine  beson- 
dere betrachtung.  Er  hat  wie  keiner  vor  ihm  in  solcher  ausdehnung 
in  seinen  Liedern  den  ausgang  von  der  Jahreszeit  genommen,  dass  man 
diesen  umstand  vornehmlich  als  beweis  für  die  anlehnung  des  dichters 
an  das  volkstümliche  benuzt  hat1.  Im  algemeinen  hat  es  damit  wo] 
seine  richtigkeit,  nur  dass  es  immer  nur  Vermutungen  bleiben  werden, 
wieweit  diese  anlehnung  geht  Schon  die  parallele  der  volksmiissigm 
epik  der  höfe  zeigt  uns  deutlich,  dass  man  auch  in  höfischen  kreisen 
für  das  volksmässige  interesse  zu  fühlen  antieng,  aber  es  muste  in 
höfisches  gewand  gekleidet  sein,  um  courfahig  zu  werden.  So  liegl 
auch  die  sache  bei  Neidhart.  Dass  er  in  solchem  umfang  naturschil- 
derungen  dichtete  und  seinen  liedern  vorsezte,  war  sicher  eine  anleh- 
nung an  die  volkstümliche  art,  an  die  natur-  und  tanzlieder,  die  er 
aus  seinem  verkehr  mit  dem  volke  kennen  lernte.  Die  ausdrucksweise 
aber  ist  im  grossen  und  ganzen  nur  die  weiter  ausgebildete  höfische 
ausdrucksweise,  wie  denn  sämtliche  typen  der  naturschilderungen,  wie 
sie  sich  bei  den  höfischen  Sängern  vor  ihm  finden,  in  seinen  liedern 
widerkehren;  aber  sie  sind  phantasievoller,  stimmungsvoller  und  man- 
nigfaltiger bei  ihm  verwendet,  wie  das  ja  natürlich  ist,  es  zeigt  das 
eben  einen  grösseren  fortschritt  in  der  handhabung  des  poetischen  aus- 
drucks  zur  zeit  Neidharts.  Dazu  gehört  aber  vor  allem  auch  die 
grössere  mannigfaltigkeit  im  gebrauch  poetischer  bilder  und  die  weiter- 
gehende naturbeseelung,  worin  Walther  schon  einen  grossen  schritt 
vorwärts  getan.  Und  hier  war  der  steigende  verkehr  mit  den  fahren- 
den klerikern  eine  gute  schule  für  den  minnesang.  Wir  haben  schon 
oben  gesehen,  dass  gerade  beim  Yeldeker  und  bei  Hartmann,  die  beide 
gelehrte  bildung  hatten  und  lateinisch  verstanden,  sowie  bei  AValther 
in  vielleicht  einem  lateinischen  liede  direkt  nachgedichteten  Strophen 
spuren  einer  Übereinstimmung  mit  anschauungen,  wie  sie  der  vagan- 
tenpoesie  eigen  sind,  sich  finden,  darunter  einige  stellen,  die  eine  per- 
sönliche auffassung  der  Jahreszeiten  voraussetzen,  die  im  vagantensang 
so  verbreitet  ist.  Diese  persönliche  auffassung  ist  aber  bei  Neidhart 
volständig  in  denselben  formen  erkenbar,  in  denen  sie  im  vagantensang 
erscheint.  Dem  sich  steigernden  bedürfnis  nach  grösserer  mannigfaltig- 
keit im  ausdruck  der  naturempfindung  boten  die  festen  formen  und 
anschauungen  der  vaganten,  mit  denen  Neidhart  sicher  in  fröhlichen 
stunden  oft  zusammengetroffen  sein  wird,  bequemes  material  zu  freier 
Verwendung.     Wir  sahen  oben  im  ersten  abschnitt,    dass  um  1220  die 

1)  Besonders  R.  v.  Lilien cron  in  der  schönen  abhandlung  über  Neidharts 
höfische  dorfpoesie  in  Haupts  ztschr.  6,  69  fgg. 


22  MAROLD 

Personifikationen  der  schaffenden  kraft  der  natur  und  der  triebkraft  der 
erde  -  »entlich  im  minnesang  eingang  fanden;  ungefähr  zu  derselben 
zeit  gewann  auch  die  persönliche  airffassung  der  Jahreszeiten,  besonders 
des  winters  in  der  weise  der  Vagantendichtung  breiteren  boden  im  min- 

sang1.  Di—  schnelle  Verbreitung  der  persönlichen  Vorstellung  der 
Jahreszeiten  und  der  idee  eines  kampfes  zwischen  sommer  und  winter 
wurde   sicher  auch   noch   durch   den  geschmack  der  höfischen  zuhörer 

günstigt  Man  verlangte  gern  nach  etwas  nie  dagewesenem  und 
wunderbare  kämpf»1  hörte  man  am  liebsten,  daher  aecommodierten  Neid- 
hart und  mit  ihm  die  spätem  dichter  sich  diesem  geschmack  und  würz- 
ten die  traditionellen  natursehilderungen  durch  persönliche  darstellung 
der  Jahreszeiten  und  die  Schilderung  ihres  Wechsels  als  kämpf:  als  aven- 
tiure.  Als  schliesslich  die  schöpferische  kraft  des  minnesangs  erlahmte, 
wurde  diese  auffassung  fast  stereotyp,  weil  sie  ein  greifbares  bild  dar- 
bot, daher  stammen  in  der  ausgangszeit  des  minnesangs  bis  in  den 
meistersam:  hinein  die  beliebten  Streitgedichte  zwischen  sommer  und 
winter  -. 

Was  wir  im  älteren  minnesange  nur  ganz  vereinzelt  antrafen  und 
auch  da  in  Übereinstimmung  mit  der  Vagantendichtung,  das  waren 
gewisse  erscheinungen  des  winters  physikalischer  art.  Neidhart  macht 
einen  ausgiebigen  gebrauch  davon.  Da  haben  wir  1)  die  winde: 
.">.  15  hin  ist  dir  seherfe  wird;  35,  4  dine  winde  die  sint  kalt;  51,  2 
und  der  waÜ  muoz  von  suren  /rinden  ungevüegen  schaden  dulden; 
75.  30  stm  winde  kalt  habent  dinen  grüenen  walt  harte  jämerlteh 
gestalt;  76,  21  heidi  n  vinger  unde  xshen  sol  ein  ieslich  man  vor  disen 
winden  wol  bewarn.  2)  das  wetter:  73,  24  Sumer,  diner  silezen 
weter   müexen    wir   uns  «neu   (vgl.  58,  27)3.      3)    die    trüben    tage: 

.  24.  43,  21  fg.  54,  1.  58,  27.  101,  20  fg.  4)  der  trübe  son- 
nen-die  in:  50,  37  fg.  7(5,  17  fgg.  Im  älteren  minnesang  war  schnee 
und  reif  als  kenzeichen  des  winters  genant;  bei  Neidhart  komt  in  über- 
eihstunmung  mit  den  vagantenliedern  noch  hinzu  5)  das  eis:  6,  1 
dir   /raff  stuont  aller  grise   rar   sne    und   oach    rar   im;    38,  9  kint, 

r<il>t  'iuh  dir  sHten   n f  dir.    in;    76,  8  fgg.  is  und  anehanc  hat  der 

1)  Vgl.  zu  dieser  ausführung  noch  Wilmanns  a.  a,  o.  s.  409  fg. 

2  Gerade  die  darstellung  des  winters  zeigt  sehr  viele  Berührungspunkte  mit  der 
Vagantendichtung,  während  die  persönliche  darstellung  des  sommers  bezw.  frühlings 
im  spateren  minnesang  selbständigere  wege  einschlug. 

I         nvähnung  des  wetters  ist  im  minnesang  überhaupt  selten.     Nur  H.  v. 
Veldeke  25  sagt  da  er  wider  klare  (vgl.  65,  I'.'j)  und  vielleicht  noch  bruder 

AVernher  3LSH  JI.  229  der  himel  reiniget  sieh;  vgl.  CB65,  1  celo  ynriorc  u.  a. 


VERWERTUNG    DER   NATTJB    Dl  RCB    IHK    VAGANTEN    l  .    MINNESINGEB 

vogeline  saue  gar  gestillet  in   den    weiden.     Die   erwähnung  des  mos 

ist  für  Neidhart  um  so  auffallender,  als  ausser  ihm  in  der  grossen 
schaar  der  minnesinger  nur  noch  K.  v.  Würzburg  einmal  MSHIII,  334b, 
der  um  1300  dichtende  Kauzler  einige  male  und  einmal  noch  ein 
Pseudo-Neidhartisches  lied  MSH  III,  293b  das  eis  als  kenzeichen  des 
winters  erwähnen. 

Von  attributen  erhält  der  winter  bei  Neidhart  folgende:  er  heisst 
vorzugsweise  wie  im  älteren  minnesang  der  kalte,  aber  auch  der  küeh 
7,  23  und  79,  37;  der  lange  9,  16;  der  scherpfi  7.  23  und  82,  5; 
der  leide  38,  10.  41,  33.  55,  21.  59,  37;  er  heisst  diu  swaere  tit 
78,  15;  diu  lange  swaere  \it  73,  27  und  86,  32  (winterlange  sw.  . .). 
Erst  in  unechten  liedern  lesen  wir  dann;  der  arge  winter,  der  unge- 
riiege,  ungetane,  leidige  w.}  also  mehr  der  Personifikation  zuneigend. 
Aber  auch  schon  bei  Neidhart  erscheint  nun  der  winter  gern  personi- 
ficiert  als  ein  gewaltiger  held,  der  mit  grossem  gefolge  auftritt,  ungnä- 
dig und  grausam,  der  alles  traurig  macht;  ferner  als  räuber;  dem 
sommer  ist  er  ein  geschworner  feind,  er  verjagt  ihn,  vernichtet  ihm 
alle  seine  zierden,  den  grünen  wald  und  die  heide,  und  sezt  sich  auf 
seinen  stuhl;  wird  aber  schliesslich  vom  sommer  verdrängt  und  ver- 
jagt und  muss  Urlaub  nehmen.  Die  ausführung  der  allegorie  im  ein- 
zelnen ist  natürlich  ganz  im  höfischen  geschmack.  Des  winters  geweilt 
ist  genant  35,  1.  75,  26.  85,  7.  95,  9.  Damit  steht  im  Zusammen- 
hang die  häufige  Verwendung  des  sonst  dem  höfischen  minnesange 
eigentümlichen  verbums  twingen  (subst.  getwanc)  zur  bezeichnung  der 
vom  winter  ausgeübten  gewalt:  11,  11  (=  CB  130  a).  14,  16.  17,  6. 
36,  20.  63,  7.  73,  29.  75,  25.  101,  21  und  23.  Der  winter  ist 
ungnädig  und  gewalttätig;  17,  16.  35,  22.  38,  14.  95,  12  fg.  Er 
macht  alles  traurig:  4,  35.  19,  18.  21,  38.  52,  28.  54,  2.  73,  25. 
76,  6  fgg.  85,  12.  86,  32  fgg.  89,  6  fg.  92,  14  fgg.  99,  4  fg.  Der 
winter  ist  ein  räuber:  22,  11  fg.  38,  11.  46,  36.  55,  20  fg.  75,  27 fg 
76,  2  fgg.  89,  9  fgg.  95,  10  fg.  99,  6.  Ei-  i  rscheint  mit  gefolge  75, 
27  fgg.  95,  8.  99,  9.  Die  feindschaft  zwischen*  sommer  und  winter 
wird  85,  8  und  95,  6  fg.  erwähnt.  Der  hass  des  winters  gegen  den 
sommer  und  der  kämpf  mit  ihm  um  die  herschaft  wird  besonders  aus- 
führlich 75,  15 —  76,  25  in  drei  Strophen  ausgeführt.  Es  vereinigen 
sich  in  dieser  Schilderung  mehrere  motive  des  vagantengesanges:  kalte 
winde,  trüber  Sonnenschein,  eis;  daneben  der  winter  als  räuber  und 
seine  gewalt.  Dahin  gehört  alsdann  noch  59,  37  ihr  leide  winder  hat 
den  sumer  hin  verjagt.  Der  vom  sommer  vertriebene  winter  erscheint 
dann  8,  13.     57,  24  und  17,  9. 


24  MAHOLD 

Auf  die  übrigen  demente,  aus  denen  sich  die  winterschilderungen 
bei  Neidhart  zusammensetzen,  gehe  ich  nicht  Daher  ein;  sie  entsprechen 
s  oau  den  typen  des  älteren  minnesangs.  Der  höfische  Bänger  doku- 
mentiert sich  ferner  in  der  widerholt  ausgedrückten  traner  über  den 
winter  und  den  verlust  des  sommers;  das  trüren  aber  machte  einen 
ritt'  st  int-  —  int  Nur  einen  pnnkt  hebe  ich  noch  heraus.  Neid- 
hart  klaut  16.  33  und  62.  36,  dass  die  linde  nun  keinen  schatten 
mehr  ?ebe.  Noch  einmal  in  einem  sommerlied  erwähnt  er  den  schat- 
ten  der  Linde,  der  kühlung  gewährt:  6.  14.  Die  erwähnung  des  bau- 
messchattens  und  der  schattenkühle  ist  im  miunesang  sehr  selten.  Wir 
haben  ein  beispiel  bei  Walther  in  dem  schönen  liede  94.  llfgg.  (-4  fg.) 
</>r.   diu  linde  maeri   di  n  küelen  schoten  baere;  ferner  in  ähnliche  form 

kleidet  wie  bei  Neidhart  bei  U.  v.  Winterstetten  III.  7  C\ISH  I.  139a) 
<h  k  binden  M  linden  der  schote  ist  im  benomen;  alsdann  beiYrouwen- 
lop  III.  30  (MSH  111.  19b):  Mich  triiegen  mim  vüexi  in  einen  schaten 
wumieklich  uni  gienk  mo  einer  linden,  und  bei  K.  v.  Würzburg  I,  3 
iMSH  III.  334b)  dar  obe  stuond  ein  schatehuot  gewünschet  mal  mich  prise. 
Andrerseits  ist  die  schattenkühle  und  das  ruhen  in  baumesschatten  ein 
in  den  vagantenliedern  sehr  häufig  erwähnter  zug  und  vielleicht  ein 
mutiv.  das  ihnen  aus  der  antiken  dichtung  überkommen  ist.  Wilmanns 
erinnert  zu  dem  Waltherschen  liede  an  den  anfang  der  Apokalypsis 
Groliae  (Wright,  Walther  Mapes  s.  238),  wo  der  natureingang  und  die 
Einkleidung  des  gedientes  ähnlicher  art  sind  (Leben  und  dichten  Wal- 
thers v.  d.  V.  s.  402).  Frauenlob  haben  wir  oben  schon  als  gelehrten 
dichter  kennen  gelernt.    U.  v.  Winterstetten  und  K.  v.  Würzburg  sind 

nicht  minder  und  zeigen  auch  sonst  mehrfah  anklänge  an  die  Vagan- 
tendichtung (in  der  strophe  Konrads  wird  auch  das  eis  erwähnt,  s.  o.). 
3  •  kann  der  baumesschatten  aus  der  gelehrten  dichtung  bzw.  vagan- 
sehrwo]  entlehnt  sein.  Das  Alexanderlied  erwähnt  ihn  5174%. 
und  auch  sonst  ist  er  dem  epos  nicht  ganz  fremd;  da  mag  aber  der 
emfluss  der  vorlag«      ach  bemerkbar  gemacht  haben. 

Hinsichtlich  der  Verknüpfung  von  Winterschilderung  und  liebes- 
empfindung  zeigt  Neidhart  im  vergleich  mit  dem  älteren  minnesang 
wenig  besonder«  s.  Bekantlich  gehört  hierher  nur  ein  kleiner  teil  der 
winterlieder.    während    die   anderen   nach    dem    eingange    eine  Dörper- 

zahlung  enthalten.     Er  steht  mit  jenen  ganz  auf  dem  boden  dc<  höfi- 

hen  minnesangs,  wenn  er  auch  gelegentlich  kräftigere  töne  ansehlägt. 
Auch  er  beklagt  nicht  wie  die  vaganten  das  aufhören  des  Liebesverhält- 
nisses im  wint'         indem  die  trübe  Stimmung,   in  die  ihn  die  geliebte 
zt.    die    seine    liebe    nicht    erwidert,    die    um    -einen    dienest    und 


VERWERTUNG    DER    NATUR    DURCH    DIE    VA'.ANTKN    V.    MINNESINGER 

seinen  sanc  sich  nicht  kümmert,  deren  liebe  ihm  durch  nebenbuhler 
entwendet  wird,  der  er  widersagt,  wie  der  winter  uns  allen  widersagt 
Bisweilen  wird  die  gegenüberstellung  bei  ihm  blosser  verstandesmäs- 
siger  vergleich,  wie  /.  b.  79,  36  —  80.  2:  mirst  von  herzen  leide,  da* 
der  küele  winder  verderbet  schoener  bluomen  vil:  80  verderbet  mich 
du  seneMchiu  arebeit;  oder  82,  3  Igg.  in  der  etwas  blasierten  manier 
Reinmars:  si  Idagent,  dax  der  winder  kaeme  nie  vor  manger  vii 
seherpfer  noch  so  stmnder,  s6  Mag  ich  min  vrouwen;  oder  99,  6  fgg. 
der  winter  hat  uns  blumen  und  gras  geraubt:  (11)  also  hat  ein  wip 
mich  beroubet  gar  der  sinne  u.  m.  a.  Eine  besondere  Wendung  ist 
noch  73,  26  fgg.:  meine  geliebte  lässt  mich  ungetröstet:  wie  soll  ich 
da  den  winterschmerz  überwinden?  Doch  ist  «las  nur  eine  umkehr  der 
typischen  wendung:  die  liebe  der  trau  tröstet  über  den  winterschmerz, 
die  natürlich  bei  Neidhart  auch  mehrfach  sich  findet,  jedoch  nur  in 
der  form  des  wimsches. 

Über  den  späteren  minnesang  ausser  und  nach  Neidhart  will  ich 
nur  weniges  hinzufügen.  Er  hat  mehr  als  irgend  ein  anderer  sänge r 
einfluss  auf  die  späteren  ausgeübt:  das  zeigt  sich  schon  in  der  über- 
grossen anzahl  unechter  lieder,  die  unter  seinem  namen  überliefert  sind. 
Ferner  zeigt  es  sich  darin,  dass  seine  art  der  naturschilderungen  sich 
mehr  und  mehr  einbürgert.  Aber  man  geht  in  der  Personifikation 
noch  weiter  vor.  Dem  winter  werden  grimm,  neid  und  zorn,  wie  im 
vagantensang  rabies,  ira,  saevitia  beigelegt;  eine  reichere  auswahl  von 
beiwörtern  erhält  er,  so  neben  den  oben  genanten  noch:  ungehiure, 
ungevüege,  reige,  grimme,  ungeslaht,  unbescheiden,  wodurch  immer 
mehr  der  winter  unter  dem  bilde  eines  riesen  erschien,  aber  nicht 
eines  riesen  des  alten  germanischen  heidentums,  sondern  eines  riesen, 
wie  ihn  die  höfischen  epen  schildern,  mit  dem  der  sommer  oder  mai 
als  glänzender  ritter  kämpft.  Zu  den  dichtem,  die  die  persönliche 
darstellung  des  winters  in  dieser  form  besonders  lieben  und  im  einzel- 
nen darin  berührungspunkte  mit  den  vagantenliedern  aufweisen,  gehö- 
ren die  beiden  Schwaben  G.  v.  Xeifen  und  U.  v.  Winterstetten ,  die 
Schweizer  Steinmar,  K.  v.  Landeck.  W.  v.  Honberk,  0.  zem  Turne  und 
der  oberdeutsche  Kanzler. 

Schliesslich  noch  ein  paar  worte  über  die  deutschen  Strophen  der 
CB,  welche  wintersehilderungen  enthalten.  Es  ist  im  algemeinen  unhalt- 
bar, selbst  wenn  die  deutschen  Strophen  inhaltlich  mit  den  vorausge- 
henden lateinischen  sich  decken,  daraus  eine  volständige  abhängigkeit 
des  deutschen  minnesangs  von  der  Vagantendichtung  zu  folgern.  Aber 
es  ist  auch  wider  nicht  zutreffend,   wenn  Burdach  a.  a.  o.  s.  162  sagt: 


26  K.    RÖHBICHT 

..Die  deutschen  anonymen  Strophen  enthalten  durchaus  die  alten  de- 
mente der  volkstümlichen  naturpoesie  in  ungetrübter  reinheit."  Von 
der  „volkstümlichen  naturpoesie"  wissen  wir  nichts  gewisses  und,  um 
bei  den  Winterschilderungen  zu  verweilen,  gleich  98a  der  storche  win- 
der weicht  von  der  terminologie  des  älteren  minnesangs  ab;  der  spä- 
tere minnesang  hat,  wie  wir  sahen,  ähnliches  aber  nicht  dasselbe.  Das 
persönliche  moment,  das  in  dem  attribut  storch  liegt,  ist  in  der  weise 
des  späteren  minnesangs,  der  nach  dem  vorgange  der  Vagantendichtung 
den  winter  personifizierte.  Das  lateinische  lied  98  könte  im  algemei- 
nen die  veranlassung  der  deutschen  strophe  gegeben  haben.  Vollends 
die  wendung  100  a  der  winder  der  heiden  tet  senediu  not  zeigt  so 
■ht  die  art  des  späteren  minnesangs:  persönliche  auffassung  des  win- 
ters, aber  dabei  höfische  terminologie,  als  mischung  beider  elemente 
(vgl.  Psendo- Neidhart  bei  Haupt  XLVil,  15  fg.  ir  schouwet  an  die 
linden,  nie  seneMch  diu  stdt,  die  der  kalte  winder  also  verderbet  hat). 
Auch  unter  den  übrigen  Winterschilderungen  ist  keine,  die  der  älteren 
art  des  minnesangs  ganz  entspräche;  vielmehr  tragen  sie  alle  ohne  aus- 
nähme die  spuren  einer  zeit,  in  welcher  fahrende  kleriker  und  fahrende 
deutsche  sanger  sich  mischten. 

KÖNIGSBERG    I.    PR.  K.    MAROLD. 


DIE   JERUSALEMFAHRT   DES   HERZOGS  FRIEDRICH 

VON  ÖSTERREICH 
nachmaligen    kaisers  Friedrich  III.   von  Deutschland  (1436). 

Ein  mittelhochdeutsches  gedieht. 

In  der  litteratur  des  deutschen  mittelalters  nimt  einen  bedeuten- 
den platz  die  sogenante  Palästinensische  ein,  das  heisst  die  grosse 
gruppe  der  auf  Palästina  bezüglichen  Schriften.  Dieselben  sind  teils 
eigen*-  reisebeschreibungen,  teils  bearbeitungen  bekanter  und  wichtiger 
reisebücher,  oder  Instruktionen,  in  denen  die  pilger  alles  für  die  fahrt 
notwendige  erfahren,  also  Baedekers,  oder  auch  ablassbücher,  welche 
die  mit  den  heiligen  statten  verbundenen  ablasse  aufzählen,  oder  end- 
lich beschreibungen  des  heiligen  landes  resp.  einzelner  teile  desselben. 
Wie  gross  die  zahl  dieser  schritten  auch  ist  —  wir  kennen  bis  jezt  im 
ganzen  nur  zwei,  welche  in  versen  abgefasst  sind,  zu  denen  unser  text 
als  dritte   und   zugleich   als   älteste  neu   hinzutritt.     Die  pilgerreise  des 


JERUSALEMFAHKT    DE8    HERZOGS    FRIEDRICH    1436  27 

lezten  graten  Philipp  von  Katzenellenbogen  (143)5)  ist  nämlich  nicht 
bloss  in  prosa1,  sondern  auch  in  einem  umfangreichen  gedieht  von 
2550  verseil  geschildert  worden;  aber  dieses  stamt  aus  dorn  jähre  1477 
und  ist  bisher  nur  in  einem  kleinen  brachstück  bekant  gewor- 
den2. Ausserdem  besitzen  wir  noch  über  die  1480  von  dem  Ulmer 
lesemeister  Felix  Fahri  unternommene  pilgerfahrt  eine  gereimte  dar- 
stellung. 

Unser  text  nimt  daher,  auch  abgesehen  von  dem  Lnteresse  der  per- 
son  des  reisenden  eine  bevorzugte  Stellung  in  der  mittelalterlichen  pil- 
gerlitteratur  ein;  aber  wir  müssen  doch  auch  gestehen«  dass  seine 
bedeutung  für  den  behandelten  stoff  nicht  gross  ist.  Die  tradition  in 
bezug  auf  die  besuchten  heiligen  statten,  für  die  der  autor  einen  fäh- 
rer  in  einem  ablassbüchlein  besass  und  benuzte,  erfährt  keine  bedeut- 
same erweiterung,  und  über  den  verlauf  der  ganzen  reise  erfahren  wir 
wenig  neues,  nämlich  nur  den  namen  eines  Peter  Leschenbrand  (v.  143; 
zulezt  von  allen  namentlich  aufgeführten  teilnehmen]  erwähnt!),  den 
man  als  Verfasser  anzunehmen  geneigt  sein  möchte,  und  eine  kleine 
notiz  über  die  gefahr,  welcher  der  herzog  bei  seiner  abfahrt  von 
Jaffa  ausgesezt  war,  während  die  namen  von  drei  mitpilgern  fehlen 
und  die  übrigen  fast  genau  in  derselben  reihenfolge  wie  in  der  haupt- 
quelle uns  begegnen.  Dazu  komt,  dass  der  text,  welcher  nur  in  einer 
einzigen  handschrift  erhalten,  also  nicht  durch  vergleichung  corrigier- 
bar  ist,  viel  lücken  und  offenbare  Verderbnisse  bietet,  so  dass  wir  die 
hilfe  des  herrn  dr.  Arwed  Fischer  zu  suchen  genötigt  waren.  Trotz 
alledem  ist  das  litterarische  und  sprachliche  interesse  gross  genug,  um 
einen  abdruck  des  textes  zu  rechtfertigen,  als  dessen  gleichzeitiger 
Verfasser  ein  österreichischer  reisebegleiter  angenommen  werden  muss, 
da  er  vom  Semring  spricht  (v.  303). 

Die  hauptquelle  für  die  geschiente  unserer  reise  ist  das  vom 
kaiser  Friedrich  III.  selbst  abgefasste  diarium3,  welches  auch  in  meinen 

1)  Herausgegeben  von  Röhricht  und  Meisner,  Z.  f.  d.  a.  26,  348  —  71. 

2)  Bei  K.  AV.  Justi,  Vorzeit  1821,  43  —  74.  Die  grundlage  bildet  der  Giesse- 
ner  codex  nr.  161  (aus  dem  wider  der  Casseler  codex  116,  64  —  79  einen  prosaauszug 
gibt).  Ein  zweiter  codex  ist  von  dr.  Ewald  Wer  nicke  in  der  gräflich  Solmschen 
bibliothek  zu  Klitschdorf  in  Schlesien  entdeckt  worden;  proben  davon  im  Herold 
1887  nr.  1  und  in  der  Z.  f.  d.  a.  32,  heft  1. 

3)  Jos.  Chmel,  Geschichte  kaiser  Friedrichs  IV.  und  Maximilians  I.,  Hamburg 
1840  I,  581  fgg.  (vgl.  277  —  80);  aus  dem  original  gaben  schon  die  Histor.  docum. 
Styriae,  Graeciae  1728,  II,  77  —  78  und  Hoheneck,  Genealogie  der  ob-der-Ensi- 
schen  stände,  Passau  1732,  118  — 19  auszüge. 


R.    RÖHRICHT 

Deutschen   pilgerreisen1    benuzt    und   von  W.  Xeumann2    durch    kleine 
beitrage  ergänzt  worden  ist. 

Unsere  handschrift,  welche  der  leztgenante  zuerst3  und  zwar  auf 
mitteilung  des  hofrates  dr.  von  Birk  in  Wien  als  eine  Londoner  aber 
ohne  jede  nähere  Signatur  nachwies,  ist  im  dortigen  Britischen  museum 
Addit.  16592  s.  XVI  schmal  4°  erhalten  (fol.  12  —  22).  Eine  sorgfältige 
copie  besorgte  uns  der  conservator  der  handschriften  dieser  bibliothek 
herr  dr.  J.  H.  Jeayes,  und  lierr  Hugo  Bartels,  secretär  des  Vereins 
deutscher  lehrer  in  London,  hatte  die  freundlichkeit,  sie  gründlich  nach- 
zucollationieren.  Beiden  herren  sei  hiermit  der  herzlichste  dank  aus- 
prochen. 

1)  474—75. 

_    Die  Jerusalemfahrten   der   älteren  Habsburgischen  fürsten   in:    Berichte  und 
mitteilungen  des  altertums  -  Vereins  Wien  1881,  XX,  138  —  48. 
3)  Ebd.  148. 

Kayser  Fridrichs  moerfart  In  zeit,  als  Er  Ertzhertzog 

zu  Österreich  gewest  ist.  (fol.  12.) 

Da  man  zalt  vierzehenhundert  jar 

Vund  in  dem  sechsundreissigstn  jar,  das  ist  war, 

Nach  Christi  gepurt,  hab  ich  eruaren, 

Da  hueb  sich  der  Fürst  hochgeborn, 
5  hörtzog  Fridriech   genanndt, 

von  Österreich  wol  erkhannd, 

Hochgeborn  vnd  freyes  muett, 

Der  gab  auf  land,  stet,  lewt  und  guet, 

pnieder.  Schwester,  junckfrawen  und  Frawen 
10  Vund  wolt  dy  Ritterschaft  pawen, 

Zogt  In  seines  lanndes  her 

Zu  seiner  stat  Triest,  lewt  bey  dem  mer, 

Dye  Iren  ern  thet  geleich. 

Sy  warf  auf  dye  panir  Österreich. 
15  Zu  dem  Furstn  Riden  vund  giengen 

Mit  dem  hayltumb  sy  In  empfingen 

10  Es  ist  die  ritterschaß  des  heiligen  grabes  gemeint;  vgl.  Röhrichl . 
Deutsch'  jjilgerreisen  (Gotha,  Perthes)  8.  23  fg. 

12  Triest  war  seit  dem  jähre  1382  österreichisch. 

16  Reliquien  wurden  dem  ankommenden  fürsten  in  proecssion  entgegen- 
getragen. 


JERUSALEMFAHRT    DES    HERZOGS    FRIEDRICH    1436  29 

vund  belaytten  In  Ein  und  beginn!  n  in  ern 

als  dann  ain  stat  Irm  Rechtn  herrn. 

Daselbs  der  Fürst  des  Rastn  phlag 
20  Vuntz  auf  den  versprochen  tag, 

Das  er  weit  wusen  der  von; 

Man  zaigt  sein  wappen  slachen  on, 

Dve  Ritterleichen  sind  erdacht 

vund  maisterlich  sind  volbracht 
25  Griten,  Rot,  weis  gemacht 

mit  golt  Silber  gesprengt  .  .  . 

Jedem  nach  dem  seinen  weis 

wie  er  scholt  haben  des  Schildes  preis. 

Da  pey  dem  weisen  wurt  erkandt, 
30  von  wan  yeder  geadl  wer  von  land. 

der  edl  fürst  het  In  erdacht, 

wie  dv  Rais  solt  werden  volbracht, 

vund  wolt  auch  nicht  abelan, 

Solt  Im  das  leben  darumbe  zergan; 
35  Er  wolt  gein  heilling  grab  kern, 

got  zu  lob  dy  Ritterschaft  mera. 

Umb  sand  larentzentag  das  geschach, 

Das  man  den  Furstn  auf  prochen  sach  (fol.  13.) 

Zu  dem  vor  genanden  jar, 
40  Als  ich  hab  gezelt  vor, 

und  emphalh  sy  dem  patrian, 

das  er  In  aufs  mer  schift  hin  dan 

22   Vgl.  den  ausdruck  v.  150. 

24  vobbracht  hs. 

25  Sonst  werden  rot  und  weiss  als  wappenfarben  Österreichs  genant.  Auch 
die  heutige  kriegsflagge  ist  rot -weiss -rot;  aber  in  der  Handelsflagge  ist  der  untersU 

streifen  zur  hälfte  rot  und   \ur  hülfte  grün. 

26  Nach  diesem  verse  ist  eine  lücke. 

30  geadel  adjeetivbikhing  vergleichbar  mit  gemäc,  geslaht  und  ähnlichen 
Grimm,   Gramm.  2,    740;  bisher  in  keinem  wörterbuche  belegt. 

32  Die  hs.  in  prosaischer  Wortstellung  volbracht  werden. 

34  darumbe n  zergen  hs. 

37  Friedrich  selbst  sagt  im  diarium  584:  .,in  dem  sex  und  dreissigsten  jar 
an  Sand  larenezen  abent  pin  ich  zu  Tristi  ouff  das  meer  gesessen.-  Es  war  der 
9.  august. 

41  patrian  =  patron,  schifsführer.  sy  =  sie,  d.  h.  die  ganze  marmsehaft? 
oder  fehler  der  hs.  statt  sich? 


30  R.    RÖHRICHT 

vund  In  dann  aufs  Strasse  solt  kern. 

wie  In  got  mit  geluckh  tot  Lern 
45  auf  dos  wildes  mors  flut, 

das  mit  Im  selbs  puetunt  tlniet. 

maniger  thuet  von  pressen  sagen, 

das  sey  das  guet  vil  gelt  zeriagen. 

Ich  lass  yodom  soin  Red  wol  pawn 
50  dy  heilling  stet  sind  auch  gets  besehawn, 

wan  doch  ainer  zu  aller  Frist 

Auf  dem  mer  nimen  sicher  ist, 

er  wais  nit,  wann  ain  wind  her  waet 

vnnd  In  an  ain  Insel  siecht 
55   Vunnd  er  demnach  frue  und  spat 

Gefanngen  lewt,  kain  Rue  nicht  het 

des  ist  gein  preissen  nicht  hin  ein; 

drey  wochen  mag  er  zu  hanncl  sein, 

das  Im  dve  Strasse  ist  frey  erkannd 
60  Recht  als  war  er  da  haim  pey  dem  Land, 

wiert  dann  ain  streyt  da  gethan  .  .  . 

Oder  das  man  zu  fallen  thuet 

ledig  macht  vmb  guet. 

Wiert  man  auf  dem  mer  griffen  on, 
(55  man  mag  nicht  gewevhen  an  den  pan 

so  hat  es  auch  ain  solhen  lauf. 

43  =  auf  dit   richtige  Strasse  leiten? 

44  Lernen  ks,  45  das  hs. 

46  puetunt  wol  fehler  der  hs.  statt  wueten,  wiieten. 

47  —  74  Die  teilweist  entstell  überlieferten  verse  sollen  die  gefahren  der  see- 
reisen  anschaulich  machen.  Als  ein  geringeres  misgeschick  erscheint  es  dem  autor, 
wenn  man  auf  eine  insel  versehlagen  (54  fg.)  und  selbst  dort  gefangen  gehalten 
aird  (56),    denn  aus  der  gefangenschaß  kann   man  in  drei  wochen  (diese  bestirnte 

Uangabe  ist  auffällig!)  durch  Waffengewalt  (62)  oder  lösegeld  (64)  befreit  werden. 
hlimmer  aber  ist  es,    wenn  man  auf  dem  murr  angegriffen  wird  (64  fgg.:    vom 
stürme?    oder  von  Seeräubern?).     Hier  kann   man    nicht  auf  die  (rettende?)  bahn 
entweich         i       iL  313);  d<i.<  meer  nimi  keinen  ins  gefomgnis  (07).  empfängt  auf], 
kein  lösegeld  (68),    sondern   es  tötet  ohne  pardon.  —    pressen  47,    preissen  57  sind 
eüeicht  verdorben  out  n  =  drangsale,  gefahren,  besonders  muh  von  sturm- 

gefahr  auf  der  Seereise,  s.  mhd.  ab.  III,  396 
)  gets  hs.  lies  guet  ze? 
51  Frost  hs.  ~  2  lies  ninier? 

54  an  fehlt  hs.         62  that  hs. 

gewevhen  wol  statt  mhd.  gewichen  =  entweichen. 


JERUSALEMFAHRT    DES    HERZOGS    FRIEDRICH    1436  31 

Es  nimbt  enkhainen  zu  vancknus  auf, 

biet  ainer  all«'  weit  zu  geben, 

es  Avil  nur  haben  leib  und  leben. 
70  allst  >  uerstet  wer  merckhen  well, 

ob  yndert  khumbt  ain  ongeuell 

«loch  ist  paydenthalben  guett, 

wer  Ritterschaft  treiben  wil  oder  thuet, 

Oder  das  gelt  zeriagen  klar. 
75  Gott  half  dem  Furstn  mit  seiner  schar 

Durch  Insel,  stet  vuud  wellische  land 

dy  pey  dem  mer  sind  wol  erkannd, 

durch  Ziprizippern  das  konigreich 

Für  porttn  vund  Annder  Reich 
80  vund  kham  zu  dem  gesegentn  Lannd,  (fol.  11.) 

das  Jerusalem  ist  genanndt. 

dy  hayden  das  vernamen, 

mit  eseln  sy  dar  khamen, 

dy  er  da  muest  Reitten; 
85  Also  wandert  er  in  ains  piligreim  weis, 

des  gib  ich  im  den  ernpreys, 

vund  all  dy  mit  Im  zogen  dar 

der  heilligen  stet  nemen  war 

der  will  ich  ow  zu  erkhennen  geben 
90  das  Ir  Furpas  mugt  merckhen  pflegen: 

Graf  erberhart  von  Kragberg, 

Graf  pernhart  von  schaunberg, 

nu  merckhet  dy  herrn  Recht: 

Neyperger  herr  albrecht 
95  vund  her  jörg  von  Puechaim, 

her  hans  von  neyperg  ich  auch  niain". 

Sigmund  erberstarffor, 

Lewpolt  Stubenberg tor. 

71  ongevell  u-ol  =  mhd.  ungevelle  Unfall,  misgesehick. 

78  Die  insel  Cypern  ist  gemeint. 

86  in  denn  hs. 

89  ekhenen  hs.;  ow  eine  sonst  nicht  belegte  Schreibung  des  dat.  plur.  iu 
=  euch.  91  lies  Kirchberg.  93  nit  hs. 

95  Georg  von  Puchaim  aar  ehemaliger  gesamter  des  Herzogs  Er  //st  (Neu- 
mann, Jerusalem  fahrten  s.  147). 

97  Sigmund  von  Ebersdorf. 

98  Ein  loch   im  papier. 


32  R.    RÖHRICHT 

Hanns  von  Kururing  wo]  erkhannd 
100  Ott  70D  Stubenberg  genand 

paul  potendorfer,  ein  berr  guett 

hanns  von  puechaim  vol  gemuet. 

prerthtold  Lassenstainer, 

her  wilhalm  pernckeer, 
10f)  hanns  von  starhemverg  da  pey, 

von  ekartsau  lier  lutweig, 

Virich  von  polham  Tugentleioh, 

Wolfart  von  winden  desselben  geleidi. 

Xu  lass  ich  dy  herrn  stan 
110  vund  an  Ritter  vnd  knechtn 

Hanns  vngenand  ir  mercket  pas, 

der  des  Furstn  marschallich  was, 

Wolfart  fuchs  hubscher  sit 

pachart  von  elbach  auch  damit 
115  Sani  reich  Silberweiger, 

hainrich  etzenstoffer 

[Ulrich  Schaur  frisch]  vund  frey 

Jörg  Fuchs  auch  dapey, 

Lutwig  von  Rodenstain,  (fol.  15.) 

120  Holnecker  her  antoin 

Xiclas  von  pollentz  ir  mercket  eben 

Cristan  Tenffenplich  darneben. 

Veit  wolkenstainer, 

lewpolt  Tuemer, 
125  vund  der  Jörg  appholtrer, 

103  Berthold  von  Losenstein.  104  wilhalbm  hs. 

10G  ekart  .sam  hs, 

111  Hans   Ungnad  von   Weissenwolf. 

113  Wolfart  Fuchs  von  Fuchsberg  nur  von  1462  an  ho fmar schall  Friedrichs. 
habscher  sit  (hs.  seyt)  =  ein  mann  von  höfischem  anstände. 
115  Gwmaret  Süberberger. 
11G  =  Ene  uistorffer. 

117  Du   eingeklammerten   worte  am   rande   von  jüngerer  hand  ergänzt  für 
i   lücke  im  t<. ,/r.     Gemeint  ist   Ulrich  Satirer. 

118  Fuchs   von   b '//'•//.• I»  ry. 

120  Sonst  wird  er  Andreas  von  Holenecker  genant;  vgl.  138. 

121  Nicolaus  von  Pollenex.     merckert  hs. 

122  Tristan  von  Tbufenpechk  {leufenbach,   TiefenbacK). 

124  Leopold  Taumar. 

125  Georg  Apphalterer. 


JERUSALBMFAHRT    DIES   HKBZOGS   FRIEDRICH   1436  33 

her  Lienhart  Harracher, 

her  Fridrich  meiner, 

Wernhart  Jähenstainer, 

Vlrich  Flodintzer, 
180  Hanns  Wolkenstainer, 

Jörg  Schernem  zu  diser  Frist 

Hanns  Sawrer  auch  da  gewesen  ist, 

panngrätz  Rintschat  chamrer 

lier  Hainricli  Zebinger, 
135  wilhalbm  von  der  altn  erkhand, 

Sigmund  windischgretzer  genand, 

Wilhalbm  Reisperger, 

her  anndre  holneck  er, 

fridrich  Lugäster  nempt  war 
140  Jörg  stamrietter  der  Bitterschar 

Hanns  lampoltinger, 

lier  liennhart  vilsshekker 

vnd  der  petter  Leschenprand. 

maniger  ist  mir  wol  erkandt, 
145  wann  der  red  wer  va\  vi  11, 

der  Ich  darumb  nicht  nennen  will. 

Ir  lob  Avil  ich  tachtn  (sie/)  sagen, 

Chainer  soll  mirs  ver  übel  haben 

ob  ainer  pegind  vor  dem  andern  stau. 
150  Ich  slag  ir  nit  mit  wappen  an, 

Ich  hab  euchs  nur  mit  nainen  genant. 

127  Friedrich  Tiutncr. 

128  Bernhard  Tehenstainer  (=  von  Daekenstein). 

129  Ulrich  Fleh  iiiiicxer. 

130  Sonst  Hans  Waldstainer  genant. 

131  Georg  Seharnomel  =  Tschern&mbl 

132  Hans  Saurer. 

133  Pankraz,  Rinkschckad. 

134  Haidenreick   Cxebinger. 

135  Wilhelm  von  der  Alben. 

138  Anton  Holenecke r:  vgl  oben    vu  120. 

140  Georg  Steinreuter. 

141  Hans  LampoUiner.  142  Lienhard  VUsecker. 

143  Dieser  wird  sonst  nicht  genant;  dafür  fehlt  aber  unter  den  reisebeglei- 
fern  Sign/and  Kirberger,  Hans  Qreüeneeher  und  vor  allem  der  bisehof  von  Triest 
Martin  (de  Cerottis),  welche  von  Friedrieh  selbst  noch  erwähnt  sind. 

146  nenen  hs. 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.     BD.    XXni.  ^ 


34  R.    RÖHRICHT 

das  Irs  hin  für  erkennt. 

Da  sv  kumeu  zu  der  stat 
vnd  zu  dem  tempel,  den  mau  hat 
155  Grepawt  in  ern  der  heilling  stat,  (fol.  16.) 

die  mau  in  da  zaigen  tet: 

vor  dem  tempel  lewt  aiu  merbelstaim 

gemerckhet  mit  der  kreytz  zwain. 

do  vuuser  herr  Ibesus  krist 
160  vuuder  dem  kreytz  nider  gesigen  ist. 

Im  tempel,  wers  gemerckert  hat. 

vnnser  Fraweu  kappellu  stat, 

In  der  kappellu  au  der  fart 

das  heillig  kreitz  ist  bewart. 
165  dapey  im  eck  ist  der  stein, 

da  got  gegaisselt  ist  allein. 


vor  der  kappein  ain  stain  stat, 

da  got  Marien  Madalenien  erschinen  hat. 

So  get  man  in  am  kappein  hin, 
170  do  man  got  iu  aineu  stoeh  slueg  in 

vund  trues:  in  dv  höh  an  dy  vart. 

bintz  das  das  kreitz  gemacht  wart. 

dabey  am  alter  der  stain  sewl  ist, 

do  vunser  herr  Ihesus  krist 
175  wart  gepuuden  An, 

Do  man  hin  drucket  im  dy  kran. 

Dabev  nabent  ain  alter  ist, 

dy  Ritter  an  diser  frist 

vmb  das  gewand  gotts 
180  spiltn  triben  Irn  spot, 

so  get  mau  iu  allen  kapelleu 

dye  das  chreytz  tet  vindt  meltun  (sie!) 

vund  an  ain  stiegen  ab, 

so  das  kreytz  verporgen  lag, 
185  dapey  ist  dy  stat. 

•  wird  nur  ein  hrev/k   erwähnt  (Tobler,  Golgatha  31  fg.). 
erschin  hat  hs.    Nahe  läge  es  die  beiden  verse  so  zu  rekonstruieren: 

vor  df.-r  kappein  stat  ein  stein, 
da  got  Marien  Magdalenen  erschein. 
171  vater  hs.  L73   Tobler,    Golgatha  341  fg. 

Zur  sache  sieht    Tobler,   Golgatha  302. 


JERUSALKMFAHRT    DES    HERZOGS    FRIKDRICII    1436  35 

da  man  got  gekreitzigft]  hat, 

und  Maria  under  Irm  kind 

vuiul  sannd  Johannes  gestannden  sind 

da  ist  ain  kapein,  das  glawbt, 
190  da  man  hat  Funnden  adams  haubt 

vund  ain  merbelstein, 

da  nicodemus  ich  Joseph  niain 

Got  von  dem   Kraitz  namen  ab 

vund  Mariam  auf  Ir  schos  gab 
195  Dabey  nahend  ist  das  hälig  grab  (fol.  17.) 

verporgen  in  dy  ert  hin  ab 

darauf  man  den  Forstn  werd 

zu  Rider  slueg  mit  dem  swert 

wind  graffen,  herren,  Ritter  Freyen 
200  wer  golt  wolt  tragen,  muehet  Ritter  sein 

da  wart  In  das  swertes  segen 

nach  kristenleicher  Ordnung  geben, 

damit  man  lewt  vnd  waisen 

schol  beschirmen  in  den  Fraissen. 
205  pey  dem  heilling  grab  ist  dy  stat, 

da  got  seinen  jungern  gezaiget  hat, 

es  sey  mittn  in  der  weit. 

das  ist  alles  im  tempel  zeit. 

So  begind  man  Auf  dem  Ollperg  gen 
210  durch  dy  stat  Jerusalem 

da  das  Pilata  (sie)  haws  stat 

und  dy  schorn,  da  man  in  hat 

*  7 

188  ist  statt  sind  hs.  190  Tobler  294  fg.     mein  statt  man  hs. 

194  Tobler  344  fg. 

198  Albreckt  r.  Neiperg  schlug  ihn  daxu  (Chmel.  279). 

204  ..welcher  ritter  wirt  zu  Jerusalem  auf  dem  heil,  grab,  der  mues  ßberen 
dreu  stuk:  das  erst  widib  und  waissen  ze  peschirmen,  das  ander  recht  gericht  zu 
fuern  dem  arm  als  dem  reichen,  das  dritt,  wan  man  das  hailig  grab  mit  gewalt  aus 
den  henden  der  haiden  vnd  der  vngleubigen  gebinen  vnd  nemen  wold,  so  sol  ein 
ieder,  der  da  ritter  wird,  daselbs  hin  komen  vnd  darzu  mit  allem  sinem  vermögen 
helfen  vngefehrlichti  (Diarium  584).  Vgl.  auch,  meim  Deutsch',,  pilgerreisen  32 fg., 
wo  alle  nötigen  materialien  für  die  geschickte  des  heil,  grobes  -  ordern  nachgewie- 
sen sind. 

207    über  diesen  „Weltmittelpunkt"  vgl.  Tobler,   Golgatha  326—29. 

211  Tobler.   Topographie  Jerusalems  I,  220  fgg. 

212  schorn  =  geriehtsbank,  gericht  (mhd.  sehranne:  Mhd.  üb.  14'.  203h; 
SchmeUer,  bayr.  üb.  U\  604). 

3* 


36  R.    RÖHRICHT 

ereurtailt  vunsern  heim  Jhesus  Kiist, 
dapey  Simains  haws  ist 

215  das  aussinerki^en  solt  ir  versten 

darin  sannd  Mari  magdalen 

all  ir  sund  wurden  vergeben. 

Joaehiu  hausfraw   annen  darneben, 

da  vunser  firaw  ist  geborn 
220  vuns  zu  ainen  niauttern  ausserkhorn 

da  ist.  der  weyer  probatica  piscin 

da  der  pettris  mensch  gesund  wart  in, 

vunser  Frawen  schul  pey  diser  stat, 

vund  da  er  got  entgegent  hat 
225  da  er  das  Kreitz  trueg  auf  dem  Rucke  sein 

vmb  vunser  schult  vund  pein. 

den  pach  Zedron  vber  man  get, 

da  Josephat  das  tal  stet, 

vunser  Frawen  Kappeln  zu  diser  Frist 
230  vund  da  sy  begraben  ist, 

auf  den  Ölperg  man  sy  fuern  tet, 

da  zaigt  man  vil  der  heilling  stet 

do  er  pluedig  schwais  geswitzet  hat 

vund  er  seinen  vatter  pat, 
235  ob  er  der  martter  übrig  mocht  sein 

umb  vunser  schuld  vund  pein. 

Dye  heilligen  stet  lass  ich  stan,  (fol.  18.) 

der  edl  Fürst  zog  her  dan 

von  dem  perg  vund  stat  Jerusalem 
240  da  got  ist  geborn  gein  Bethlehem 

vunder  wogenn  ist  das  grab  rachel, 

Sannd  Josep  prun  ir  mercket  snel 

da  dy  heilling  könig  drey 

Euehten  Rastn  slieffen  pey; 

217  all  ir  sind  vergeben  wurden  hs.;  vgl.  32.      Über  die  sacke  siehe  Tobler, 
Topographie  Jerusalems  I.  439. 

218  fg.  die  heutige  St.  Afmakirche;  vgl.   Tobler  1,  429  fgg.     armen  hs. 

221  pisan  hs. :  probatica  piscina  =  schafteich.     Erang.  Joh.  5,  2  fgg. 

222  pettris  =  ahd.  bettiriso,  /////'/.  bettirise,  paralyticus. 
229  Frust  hs. 

239  Jemsalen  hs.  240  wet  lehen  hs. 

1   Das  Grob  Rakete,  Genes.  35,  19;  hs.  voeliel. 
243  drey  konig  hs.;  vgl  32.  217.  —  Siehe  Tobler,   Topographie  II.  530  fgg. 


JERUSALEMFAHRT    DES    HERZOGS    FRIEDRICH    1436  37 

245  zu  Betlehem,  im  tempin  stat 

dy  kripen,  da  got  in  hat 

gelegen  in  der  khinthait  frey, 

da  ist  ain  alter  oben  pey, 

da  selbst  got  beschniden  was; 
l'50  dy  mainung  Jeremias 

vund  dy  Grab  sein  .... 

vund  dy  wanung  der  kinder, 

dy  herodes  getötet  hat, 

da  selbst  auch  ain  kirchen  stat 
255  da  selbs  ain  hol  ist, 

da  vunser  Fraw  zu  diser  Frist 

Mit  Irin  kind  verporgen 

ist  darin  gewessen  mit  sorgen 

von  herodes  wegen  an  diser  stat, 
2(30  der  dv  kinder  totten  tot. 

Neben  aus  in  ainem  talle  stat 

ain  kappein,  da  der  engl  hat 

den  hertern  gechundet,  das 

got  selber  geborn  was. 
265  der  edln  Fürst  in  hochen  ern 

beschawt  dy  stet,  begunnd  khern 

gein  Jervsalen  in  dy  stat, 

darnach  hueb  er  sich  vil  drat 

zu  Kaissen  zu  dem  Jordan, 
270  da  ist  getaufft  von  dem  Johan, 

und  gein  bethania  auf  der  fart, 

da  lazarus  erkuchet  wart. 

Der  heilligen  stat  wil  ich  getagen, 

es  ist  zu  lannckh  dauon  zu  sagen. 
275  vierundfunfzig  hab  ich  gelesen, 

245  wetlehem  hs.     tepln  hs. 

247  Tobler,  Bethlehem  159  fgg. 

250  lies  wanung,  wie  252. 

251  Tobler  s.  92 — 95.     Hier  ist  eine  lücke. 

253  Tobler,  Bethleheyn  ISO  fgg.  254  krioheu  hs. 

260  Tobler,  Bethlehem  230.  264  Ebenda  253. 

268  drot  hs.;  =  mhd.  dräte,  schnell,  hurtig. 

270  Nach  da  fehlt  got  oder  er. 

272  larzarus  hs.     erkuchet  =  mhd.  erquicket,  neubelebt. 

273  getagen  =:  mhd.  gedagen,  schweigen. 


38  B«    KÖHKICHT 

wers  beschawt  hat,  da  ist  gewesen. 

newnundzwaintzig  hab  ich  gezelt 

vund  besunnder  auf  der  weit 

von  yeder  stat  besonnder,  wan 
280  ist  schuld  vund  pein  hin  gethan, 

funfundzwaintzig  mereket  bas, 

von  yeder  Sibben  jar  ablas 

vund  Sibben  Korret.  dy  dar  sind  geben 

von  der  pabst  gewalt  im  segen. 
285  So  woU  dye  Riderschaft  geborn  (fol.  19.) 

dy  den  antlas  haben  eruaren, 

vund  da  got  dy  martter  gelittn  hat 

umb  vunser  schuld  vund  rnissitat; 

nu  wo  ist  beser  Rider  schaft, 
290  den  got  in  der  mensehait  graft 

Syeh  vernewet  hat  nider  taugen 

vund  vns  hat  pracht  zu  Rechtem  glauben; 

dy  alte  ee  setz  hin  dan! 

Der  edl  fürst  wolt  daruon 
295  vund  emphalh  sich  an  der  selben  stat 

In  der  pruederschaft  der  munich  pet 

mit  seinem  oppher,  das  er  gab 

Got  zu  lob  dem  heilligen  grab. 

vund  wolt  wider  zu  dem  mer. 
300  Dye  hayden  heften  das  vernomen: 

zu  den  Fnrsten  sv  kamen 

vund  belaitten  In  nach  Irm  synn 

Als  man  dy  seurner  über  den  seinering 

280  Der  autor  m<  int  die  oben  .v.  20  erwähnten  pilgerführer. 

283  korref  wol  verdorben  aus  quarenen  =  quadragenae ,  d.  h.  die  vierxig- 
tägigen  fasten  mit  dblai  295  den  hs. 

297  Für  die  beherbergung  im  Zionskloster  machten  die  pilger  nach  ihrem 
Franziskanern  geldgeschenke. 

300  fgg.  Die  j>H<j< r  wurden  bei  ihrer  landung  in  -Jaffa  von  muslimischen 
emiren  empfangen,  gezählt  und  unter  ,i<mli<-h  starker  eskorte  gegen  Zahlung  einer 
bestirnten  geldsumme  muh  Jerusalem  gebracht,  ebenso  x/urück  nach  Jaffa.  Diese 
gelegenheit  ward  r<,a  ihm,/  regelmässig  vu  allerlei  erpressungen  und  rohen  spässen, 
ja  sogar  zu  gewolttätigkeiten  bemixt,  besonders  wenn  sie  unter  ihn  pilgern  einen 
fürsten  oder  reichen  herrn  vermuteten  oder  durch  verräterei  der  mitreisenden 
erkanten. 

303  saimner  hs.;  Mhd.  wb.  ff.  2.  474*.  Za  der  folgende n  Schilderung  ver- 
gleiche mau  Grünbeck,  Leb<         Schreibung  kaiser  Friedrichs  HI  (Tübingen  1721) 


JEBUSALEMFAHRT    DE8    HERZOGS    PHIEDBIGH    M  39 

Treiben  thuet  hie  zu  lannd. 
305  Aventewr  wart  im  erkhannd 

vund  kam  zu  des  meres  Baws 

mit  falschen  haiden  prauss, 

dy  da  Letz  woltn  haben, 

dy  der  Fürst  muest  begaben, 
310  wan  sy  sprachen,  sy  erkanden  mer, 

das  ainer  von  Österreich  da  wer. 

Also  schift  er  sv  hin  dan 

auf  dy  dann  des  meres  pan, 

also  zogt  er  offenbar  und  taugen 
315  vunder  haiden  gelauben. 

Das  komen  im  engegen 

zwen  kokken  verwegen. 

auf  schray  der  patrian, 

Schalt  beschaw  ain  vecler  man 
320  vund  solt  sy  balt  gerechtn, 

als  man  da  nu  solt  vechtn, 

da  warf  man  dy  panier  auf, 

in  des  windes  lufftes  lauf 

sach  man  zierlich  sweben, 
325  Trumettn  auf  nach  Furstn  leben. 

Da  pey  begunnd  der  Fürst  stan, 

dass  man  sollt  greiften  vechten  an. 

des  hat  Sych  der  Fürst  verbegen, 

da  kam  im  potschaft  engegen 

s.  24:  ..alls  er  mit  seinen  gefertten  etile  heilige  Stett  heimbgesueht  hett,  ist  er 
(s.  25)  mit  ettliehen  bekhandten  Jueden  undter  die  haidnisehen  kaufleutte  gangen, 
Perlen  wind  Edelgestein  von  Ihnen  kaufft,  aber  der  schimpft  wert  bald  :><  einem 
ernst  gerathen  und  hett  könig  Friedrichen  einen  traurigen  heimbtwaeg  vuegefüget, 
denn  sie  waren  kaum  auf  den  Esel  \ue  den  Schieffen  khumben,  das  Oesehrey  an 
einon  geiciessen  Ursachen  uns  im  gantxen  Land  erhalten,  der  Christen-  Kaiser 
Kare  vorhanden,  unnd  als  ein  grosser  Zuclauff  wierdt  von  den  haiden,  mit  waffen 
\ue  den  Sehieffen  ein  grosser  thail  xuesicht.  wie  die  Schieff  wegfahren,  heisst  der 
Khönig  von  Lanndt  stossen,  auftrummeten  unnd  den  Adler  fliege//  lassen.  Alss  die 
haiden  das  sehen,  eilten  sie  inn  grossen  grimmen  unnd  mit  mannicherley  Sehies- 
sungen  nach.  Allss  aber  der  Khönig  oberer  ist,  fahren  si<  mit  Schanden  wie- 
der umb  hinder  sieh." 

310  spachen  hs.;  mer  hs.  statt  maere  =  künde. 

313  vgl.  65. 

314  offen  war  hs.;  taugen  =  mhd.  tougen  heimlich. 
317  =  koggen,  grosse  schiffe. 


40  K.    RÖHRICHT 

330  viind  Frawntschaft  verjahen 

Vund  begunnden  Im  doch  Qach  gahen  (fol.  20.) 

Da  schickht  got  von  hiniel,  das 

der  Wint  des  Purstn  tail  was 

vund  schied  sew  paidentlialben  gleich. 
335  Also  kam  der  Fürst  zum  König  Reich 

vund  geiu  Zippern  nitalstzia  in  di  stat, 

darnan  in  grosse  er  erpatt, 

vund  hueb  sych  wider  von  dem  Land 

da  schlief  der  konig  alzu  hannd, 
340  wo  er  zu  laitten  wolt, 

das  man  sein  wol  pflegen  solt. 

Als  weiter  Met  zu  pietten, 

daselbs  dv  weisen  Rietten. 

Also  zog  er  in  Ritters  wer 
345  gein  Yinedig,  leit  im  mer, 

der  hertzog  von  Yinedig  gen  Im 

mit  den  purgern,  dy  da  Herrn  sein, 

auss  der  stat  woll  verpracht 

zogen  gen  dem  Fuerstn  mit  Rechter  macht 
350  vund  belaittn  In  ein  mit  grossem  praws 

In  dve  stat  zu  dem  haws, 

dar  inn  lag  der  Fürst  Rain. 

Sy  zaigatten  im  schätz  und  Edisgstain, 

da>  sy  bey  tag  und  auch  bey  nacht 
355  vor  manigen  jarn  zu  samen  haben  pracht. 

Schanckumb  lob  er  vnd  wiertigkeit, 

dye  wart  dem  Furstn  da  erzaigt, 

dy  zeit  damit  Frewnd  volbringen 

in  lob  der  erngedingen, 
360  dy  da  zum  hochstn  begunnd  stan. 

Dar  hueb  sich  der  Fürst  der  von 

vund  kam  fuer  sein  land  reich 

330 />/. :   sie  bekanten  freundliche  gesinnung,   und  begannen  ihm  doch  nach- 
teäen. 

330   Der  name  Nicosia    ist    arg    verstümmelt.      Hier   auf  Oypern    <„tpfieitf/ 
Friedrieh  wie  die  meisten  dort  Inmleiulen  rUtrr  auch  die  St.  Oeorgsrüterschaß. 

340  Es  war  Francesco  Foscari,    von  dem  er  am- 16.  juni  1436  auch  einen 
icherkeitsbrief  erhalten  hatte,   Ghmel  277. 

39   Friedrieh   kaufte  dort  damals  für  2799  gülden   kostbar keiten,   die  im 
diarium  ÖT'.J  —  580  aufgezählt  sind. 


JBBUSALEMFAHKt    DES    HERZOGS    FRIEDRICH    I-  11 

mit  grossen  freyden  yonnsamklich, 

dye  man  im  vber  all 
r56f>  der  zaigen  tet  mit  Lobes  schall. 

Da  offent  er  das  golde  klar 

mit  der  seiner  Ritter  Bchar 

hemel,  perl,  edlgstairj 

zu  trafen  mit  il^v  Frawen   Kain 
.'!7i>  vund  den  keuschen  junckfrawen  in  ern, 

das  pracht  vuns  der  Fürst  Herrn 

von  Orient  hab  ich  erfaren. 

Das  erst  ist  zu  Ritter  warn  ....  (fol.  21.) 

das  klare  liecht  der  Stein  erschain 
375  vund  auf  dem  grab  des  herra   krist 

der  got  aller  götter  ist 

vund  sein  wunder  da  hat  volbraeht, 

alls  er  im  dann  het  erdacht 

hm  disem  wessen  der  ewigkhait. 

368  hemel  wol  verderbt  oder  verlesen  ans  korel  oder  korall.  Diese  beiden 
Schreibungen  des  Wortes  finden  sich  bei  Verdeutschung  des  lateinischen  corallus  in 
einem  wbrterbuche  der  fürstl.  bibliotkek  \u  Donaueschingen  vom  jähre  1421,  vgl. 
Diefenbach,  novum  glossarium  lat.-germ.  s.113.  Korallen  gab  es  neben  perlen  und 
edelsteinen  schon  damals  namentlich  in  Venedig  (vgl.  v.  353.  359)  vielfach  x/u  kaufen. 

373  Xach  diesem  verse  eine  Jucke. 

BERLIN.  R.    RÖHRICHT. 


ÜBEE  EINE  CONJECTUB  IN  DEE  NEUEN  LUTHEK- 

AUSGABE. 

In  Luthers  deutscher  auslegung  des  67.  (68.)  psalmes,  zuerst 
erschienen  Wittenberg  1521,  steht  der  satz  (bd.  VI  11,  s.  14,  z.  11  fgg. 
der  neuen  Weimarer  ausgäbe  von  Luthers  werken): 

Die  hebreisch  sprach  hat  ein   art}    das   sie   eyn    haußmutter  oder 
ehlich   weyb    nennet   ein    haußtxihr,    dan    wo    weyb    and   Lind 
thett,  were  viUeieht  wider  hauß ,  dorff  noch  stete  auff  erden. 
Der  gespert  gedruckte  satz   steht  so   in  den  beiden  ältesten  aus- 
gaben A  B,  ebenso  —  nur  mit  der  Variante  thet  —  in  CDE;   die  Er- 
langer ausgäbe   hat,    offenbar  aus  conjeetur,   für    thät  eingesezt:    nicht 
thät.      Der  herausgeber  dieses   bandes,    herr  pro  f.  Kawerau    in   Kiel, 
nahm  anstoss  an  den  für  uns  in  der  tat  unverständlichen  worten  und 
sezte  nach   einer  nur  wenige  buchstaben    ändernden   conjeetur  in  den 
text:   ico  weyb  and  länd  feilet. 


42  ERDMANN 

Die»1  wort''  geben  ohne  frage  den  der  stelle  entsprechenden  und 
von  Luther  beabsichtigten  sinn  richtig  wider;  ich  muss  aber  dennoch 
bezweifeln,  dass  die  änderung  des  von  allen  alten  ausgaben  übereinstim- 
mend gebotenen  textes  aotwendig  war.  Herr  prof.  Kawerau  ist,  wie 
er  mir  freundlichst  mitteilte,  wegen  der  in  den  texl  gesezten  conjeetur 
selbst  später  bedenklich  geworden,  weil  ihm  in  der  gleichzeitigen  litte- 
ratur  noch  zwei  sehr  ähnliche  anwendungen  derselben  verbalform  thet  in 
einem  bedingungssatze  aufgestoßen  ist.  Es  steht  nämlich  in  Luthers 
auslegung  von  L.  Kor.  7  (1523)  B  4b  ganz  ähnlich:  ia  wen  die  vnkeu- 
scheyi  thete;  ferner  bei   Petrus  Schultz,,   Ein  büchleyn  auff  frag  vnd 

itwort,   gedruckt   L5271,  auf  blatt  A';:  ich  erlange  hülffe  ....  durch 
den  glauben      wenn  der  glaube  thet  rrmste  ich  vorlore/t  werden. 

Ich  erlaube,  dass  dieser  satz  ebenso  wie  die  Lutherschen  in  verbin- 
düng  zu  bringen  ist  mit  den  im  mhd.  häufigen  conjunetivischen  bedin- 
gungssätzen  mit  einfacher  negation  ne  oder  en-  vor  dem  verbnm  (s. 
meine  Grrundzüge  der  deutschen  syntax  §  188);  und  die  reichhaltige, 
noch  nicht  genügend  bekante  und  ausgenutzte  samlung  von  Dittmar 
im  ergänzungsbande  dieser  Zeitschrift  (1874)  s.  228  bietet  gerade  auch 
zw.  i  Beispiele,  in  denen  in  solchen  sätzen  das  verbum  tuon  im  conj. 
prät    in    einer  jenen    beiden    stellen   genau   entsprechenden  bedeutnng 

ht,  nämlich  =  hilfe  tun,  hilfreich  wirksam  oder  vorhanden  sein, 
was  mit  hinzugefügter  negation  in  die  bedeutnng  übergeht:  überhaupt 
nicht   vorhanden   oder  nicht  da  sein.     Die  beiden  schon  von  Dittmar 

geführten  -teilen  sind:  Gedicht  vom  priester  Johann  (Altd.  bl.  I,  320) 
v.  470  fg.  des  er  lichte  wurde  irre  so,  entete  daz  selbe  gestirne  dö 
(=  wenn  das  erwähntt  gestirn  nicht  wirksam  —  d.  h.  leuchtend,  sei- 
ner natur  entsprechend  da  wäre).  Livländ.  chronik  (ed.  L.  Meyer, 
Paderborn  1876)  7072  cnt,t<  got  mit  siner  craft  (=  wenn  gott  mit 
er  kraft  nicht  da  wäre),  si  en  mochten  niht  beltben.  Die  gleich- 
artige! t   beider   -teilen  mit   den  beiden  oben  angeführten   ist  einleuch- 

ncL    Nun  bildete  sich,  wie  algemein  bekant  und  auch  in  meiner  Syntax 

151.  152  mit  beispielen  belegt  ist,  schon  im  mhd.  die  neigung  aus, 
in  solchen  sätzen  das  schwachbetonte  en-  vor  dem  verbnm  zn  unter- 
drück- Meist  wurden  dii  ätze  dann  durch  das  zugesezte  danne, 
nhd.  denn  charakterisiert;  aber  auch  ohne  dieses  kommen  sie  schon  mhd. 
vor,  oft  mit  schwanken  der  handschriften  zwischen  geseztem  und  feh- 
lendem en-,  wie  z.  b.  Nil».  14.  4.  906,4.  Freidank 4,  17.  Man  muss  mm 
wol  annehmen,    da—   ein    solches   taete  in   der  bedeutung  von  entaete, 

1 1  Ein  neudrack  dieser  kleinen  katechetischen  Schrift  erscheint  demnächst  in 
Braunes  samlung. 


EINE   OONJECTÜB    DBB    NEUEN    LUTHEBAUSGABE  l.i 

d.  h.  nicht  täte,  an  welches  sich  das  Sprachgefühl  in  conjunctionslosen 
bedingungssätzen  gewöhnt  hatte,  auch  in  bedingungssätze  mit  wenn 
oder  wo  gelegentlich  eindringen  konte;  und  gerade  die  formelhaftem 
gebrauch«'  sich  nähernden  und  isoliert  dastehenden  Verwendungen  i\<>* 
conj.  prät.  von  tun  in  der  oben  angeführten  bedeutung  scheinen  dazu 
besonders  geeignet  gewesen  zu  sein.  Die  vorauszusetzenden  stufen  des 
Überganges  aus  dem  in  jenen  beiden  mhd.  stellen  bezeugten  sprach- 
gebrauche zu  dem  in  der  Lutherstelle  von  L521  vorliegenden  wären 
also  etwa: 

1.  mtaete  wip  unde  lernt. 

2.  (ex)   taete  (danne)   wip  unt  Mint. 

').  wo  (so,  wenn)  weyb  und  bind  thät. 
Vielleicht  lassen  sich  sowol  für  diese  bedeutung  von  tuon  als  auch 
für  diesen  gebrauch  des  conj.  prät.  ohne  hinzugesezte  oegation  in 
bedingenden  nebensätzen  noch  weitere  beispiele  aus  der  Übergangszeit 
vom  mhd.  ins  nhd.  auffinden.  Beide  fragen  seien  den  Kennern  der  lit- 
teratur  jener  zeit  zur  beachtung  empfohlen. 

KIEL.  OSKAK    ERDMANN. 


GEESTENBEEGS  BEIEFE  AN  NICOLAI  NEBST  EINEK 

ANTWOET  NICOLAIS. 

Im  folgenden  werden  sechs  briefe  Gerstenbergs  an  Nicolai  und 
die  einzige  mir  lugängliche  antwort  Nicolais  tum  ersten  >>mh  ver- 
öffentlicht1. Sie  werfen  auf  die  Schlestoigschen  litteraturbriefe  um  min 
neue  lichter. 

Max  Koch  hat  in  seiner  Monographie  über  Sturz  s.  95  nicht 
ohne  Seitenblick  auf  die  Herderforsch ung  den  satx  hingestelt:  „deshalb 
tritt  ich  auch  gerade  an  dieser  stelh  das  Zeugnis  ablegen }  wie  wenig 
stilistische  gründe  als  entscheidende  beweise  —  für  autorfragen  näm- 
lich —  angesehen  werden  können"  Er  glaubte  dürr//  mehrere,  nicht 
gerade  unbedingt  zwingende  parallelen  des  stiles  auf  einen  anteil  Stur- 
xens  an  den  Schleswigsehen  litteraturbriefen  schliessen  tu  dürfen, 
honte  dann   aber  dagegen   das    teugnis   von   Gerstenbergs  nachlass  an- 

1)  Die  originale  befinden  sieh  in  Nicolais  nachlass,  welchen  kürzlich  du 
königliche  Bibliothek  in  Berlin  erwarb.  Ich  nahm  die  abschrift,  als  sie  noch  im 
besitze  der  fa/milie  Parthey  waren,  und  danke  der  frau  Veronica  Parthey  für  die 
erlaubnis  der  benutzung.  Nr.  6  wurde  mir  im  jähre  Js77  aus  der  autographen- 
samlnng  des  herrn  postdirektors  a.  d.  von  Scholl  in  Stuttgart  durch  die  gute  des 
verstorbenen  oberbibliothekars  C.  Hahn  in  München  zugänglich  gemacht;  der  imye- 
nante  adressat  ist  von  mir  wol  richtig  erraten. 


44  WERNER 

führen,  wonach  Stur%  keinen  unmittelbaren  anteü  an  ihnen  hatte. 
Die  philologische  methode,  so  muss  man  nach  seiner  darstettung  nun 
überzeugt  sein,  kann  auf  falsche  wege  fähren,  gibt  trügliche  beweise. 
Unsere  briefi  zeigen  aber,  dass  Kochs  Untersuchungen  die  glänzendste 
bestätigung  der  historisch -philologischen  methode  sind,  denn  es  ergibt 
sich,  dass  Gerstenberg  in  den  briefen  absichtlich  den  stil  verschiedener 
autoren  nachgeahmt  habe.  Wenn  Koch  also  Sturzens  stil  hat  ent- 
decken wollen,  so  ist  dies  allerdings  richtig;  nur  haben  wir  Gersten- 
bergs nachahmung  von  Sturzens  stil  vor  uns.  Schon  um  dieses 
umstands  willen  verdienten  di<  folgenden  briefe  veröffentlicht  zu  wer- 
den.  Überdies  enthalten  sie  so  viel  des  interessanten  und  litterarisch 
wichtigen,  dass  geradi  j<  \t  ihre  mittcilnng  ratsam  erschien. 

Hauptsächlich  Khpstock  und  die  musik,  ferner  noch  der  stil  wird 
in  den  briefen  hehandelt,  welche  ihrer  eigenartigen  halb  humoristi- 
schen, halb  groben  form  wegen  gawx  und  unverkürzt  abgedruckt  wer- 
den1. Anmerkungen  habe  ich  nur  hinzugefügt,  wo  es  unerlässlich 
schien.  Beim  lezten  /'riefe  wurde  nur  das  eine  citat  aus  Ciceros  brie- 
fi. n  an  Atticus  vollständig  gegeben,  bei  den  anderen  genügte  ivol  die 
andi  utung. 

LE3IBERO,    AM    19.  JAN.    1889.  R.    M.    WERNER. 

1 1  Nur  in  der  kopie  des  Nicolaisehen  b  rief  es  liabe  ich  die  unzweifelhaften 
fehler  des  abschreibers  verbessert. 


Nr.  1.     Crerstenberg  au  Nicolai. 

Liebster  und  geehrtester  Freund, 

Wofern  mein  außerordentliches  Stillschweigen  mich  noch  der 
Vorrechte  Ihrer  Freundschaft  nicht  beraubt  hat,  so  laßen  Sie  mich  Sie 
itzt  so  nennen:  wirklich  kann  ich  mir  diese  Freundschaft  kaum  jemals 
ehr  als  ein  angenehmes  Geschenk  gewünscht  haben,  als  ich  sie  nun 
für  einen  unentbehrlichen  Besitz  ansehe,  da  ich  Ihrer  großmüthigsten 
V;  rieht  bedarf.  Wie  weit  ich  diesen  Begriff  der  Freundschaft  und 
Nachsicht  ausdehne,  werden  Sie  aus  der  Versicherung  beurtheilen,  daß 
ich  mir  mein  Versäumniß  selbst  nicht  verzeihen  kann. 

Da  ich  durch  tägliche  Veränderungen,  von  denen  sich  unser 
armes  Land  noch  lange  nicht  erholn  wird,  und  die  auch,  wie  Sie, 
mein  liebster  Freund,  sich  vorstellen  könnten,  wenn  Sie  meine  Ver- 
hältnis, mir  dem  General  v.  Gähler1  kennten,  mittelbar,  mich  betrafen, 

1)  Gemeint  ist  Peter  Elias  von  Gähler,  welcher  am  29.  Januar  1766  zugleich 
mit  dem  grafei    3t  Germain  aus   dem  generalkriegsdirektorium  entlassen    und    zum 

vicekommandanten  in  Glückstadt  besteh  wurde.    Vgl.  Jens  Kragh  Host,  Struensee  und 


BRIEFE    GERSTENBERGS    AN    NICOLAI  45 

außer  Stand  gesetzt  wind,  mein  Versprechen  zu  halten,  fing  ich  zuletzt 
au,  da  ich  bemerkte,  wie  spät  ich  mich  desselben  erinnerte,  mich  zu 
schämen,  daß  ich  genöthigt  seyn  sollte,  Entschuldigungen  zu  machen. 
Ich  entschloß  mich  daher,  gleich  so  vielen  andern  Sündern,  nicht  eher 
Abbitte  zu  thun,  als  bis  ich  mich  durch  irgend  ein  gutes  Wert  der 
Verzeihung  fähig  machen  könnte. 

Diel'»  Zaudern  zoff  mir  ein  zweytes  tJbel  zu.  Ich  ward  zweifei- 
hat't,  ob  ich  an  einem  Journale  Antheil  nehmen  dürfte,  in  dem  eini| 
meiner  geliebtesten  und  rahmwürdigsten  Freunde  so  sehr  zu  ihrem 
Nachtheile  zur  Schau  gestellt  werden;  ich  fürchtete,  die  allgem.  Bibl. 
möchte  mir  vielleicht,  in  dieser  Absicht  ein  wenig  ausfallen,  da  ich 
schon  vorher  einen  Grund  gehabt  hatte,  nicht  völlig  damit  zufrieden 
zu  seyn,  nämlich  wreil  der,  dessen  Bescheidenheit  ich  nicht  beleidigen 
will,  nicht  der  einzige  Verfasser  davon  war.  Ich  ward  also  auch  oach- 
läßisr  und  konnte  nicht  mehr  durch  meinen  guten  Willen  noch  durch 
äußre  Hindernisse  gerechtfertigt  werden. 

Hiezu,  denn  selten  pflegt  Ein  Unglück  allein  zu  kommen,  kam 
der  Umstand,  daß  ich  mich  unbehutsamer  Weise  in  ein  hiesiges  Jour- 
nal verwickelte,  das  Ihnen  vielleicht  unter  dem  Titel:  Briefe  über 
Merkwürdigkeiten  der  Litteratur,  zu  Gesichte  gekommen  ist,  und  an 
welchen  ich  nur  einen  entfernten  Antheil  zu  nehmen  dachte,  da  ich 
itzt  beynah  verzweifeln  muß  etwas  andres,  als  der  Haupt-Yerfaßer  des- 
selben zu  bleiben,  wenn  ich  ihm  nicht  etwa  ein  geschwindes  Ende 
mache,  oder  die  allg.  Bibl.  selbst  diese  Mühe  über  sich  nimt. 

Was  soll  ich  hinzusetzen,  mein  Freund?  Ich  erröthe,  daß  ich 
mein  Versprechen  zurück  nehmen  muß:  nicht  sowohl,  weil  ich  glaubte 
(eine  Eitelkeit,  die  Sie  mir  nicht  zutrauen  werden,)  daß  der  Bibl.  irgend 
ein  Nachtheil  daraus  zu  wachsen  könnte,  als  vielmehr,  weil  es  ein 
unverzeihlicher  Leichtsinn  ist,  sich  einer  Arbeit  unterziehen  zu  wollen, 
die  man  in  der  Folge  nicht  leisten  kann.  Ich  erwarte  Ihre  Antwort 
mit  Schmerzen;  und  doch  weis  ich  kaum,  ob  ich  sie  erwarten  darf. 
wenn  sie  das  enthalten  sollte,  was  ich  verdient  zu  haben,  nicht  laug- 
nen  kann. 

Auch  für  das  Geschenk  des  ersten  Bandes  der  A.  B.  bin  ich 
Ihnen  meinen  Dank  noch  schuldig,  so  auch  für  die  Ino  Ihres  vortreff- 

sein  ministerram  (Kopenhagen  1826)  bd.  I,  s.  65  fg.  Im  jähre  1770  wurde  er  zum 
mitglied  der  geheime  -  konferenzkommission  ernant,  deren  Sekretär  Gerstenberg  wurde 
(ebenda  I,  s.  308).  Er  starb  1773  (ebenda  II.  s.  408).  Dem  konferenzrat  Gabler  in 
Altona  hat  Gerstenberg  seine  Vermischten  Schriften  (Altona  1815)  gewidmet. 


46  WERNES 

liehen  Freundes1.     Aber  ich  darf  mir  nun   nicht  schmeicheln,    daß  Sie 

meine  Dankbarkeit  noch   einmal  auf  die  Probe  stellen  werden. 

Wenn   es   möglich    ist,    liebster  Freund,    so   lieben   Sie   mich   mit 

meinen   Fehlem;  Sie  können  mich  doch  nie  so  sehr  lieben,  als  ich  Sie 

ehre  und  hochschätze: 

Ihr  ganz  eigner  und  verbundenster 

Kopenhagen  Aug.  2.  176(3.  (Jorstenberg. 

Dieser  Brief  ist  par  Couvert  nach  Schleswig  gegangen.  Der  Ver- 
leger des  erwähnten  Journals  wird  Ihnen  ein  Exemplar  übersenden2. 

Nr.  2.     Grerstenberg  an  Nicolai. 

Kopenhagen,  31.  Jan.  1767. 
In  allem  Ernste,  mein  liebster  Nicolai,  ich  halte  Ihr  Schreiben 
für  ein  sehr  freundschaftliches,  und  dringe  darauf,  daß  Sie  fortfahren, 
in  dem  Tone  mit  mir  zu  correspondiren.  Wenn  der  Briefwechsel  zwi- 
schen zween  Pia  /'/idealers3,  wie  Sie  und  ich  sind,  sich  lange  erhalten 
kann.  >"  wird  er  eine  der  intereßantesten  Privat- Correspondenzen  seyn. 
die  ich  mir  denken  kann. 

Die  guten  Köpfe,  deren  Urtheil  von  den  Briefen  über  Merkwür- 
digkeiten der  Litteratur  Sie  gehört  haben,  erklären  mit  Ihnen  meine 
Sehreibart  für  allzugesucht  und  allzuköstlich 

You  all  have  sense  enough  to  find  it  out. 
Sie  haben  Alle  Recht.  Denn  ob  ich  mir  gleich  nicht  bewußt  bin,  viel 
nach  diesen  Kostbarkeiten  gesucht  zu  haben,  so  sieht  es  doch  natür- 
lich so  aus.  —  Aber  nun  möchte  ich  Sie  fragen,  warum  Sie  diese 
Schreibart  mein  nennen?  Ich  dachte,  Ihnen  konnte  es  nicht  verbor- 
gen bleiben,  daß  sie  blos  mimisch  und  in  einem  gewißen  Verstände 
charaktristisch  seyn  sollte.  Wenn  ich  mir  gleich  keinen  Stil  zueigne, 
den  Sie  dagegen  halten  könnten:  —  wirklich,  was  ich  so  barbouillire, 
i-t  immer  nichts  weiter,  als  ein  Versuch  auf  Kosten  des  Publici,  künf- 
zu  einem  Stil  zu  gelangen;  —  so  hätten  Sie  doch  aus  der  Ver- 
schiedenheit, die  schon  in  der  Schreibart  der  beiden  ersten  Sammlungen 
-iehtbar  genug  ist,  ohngefähr  errathen  können,  daß  so  etwras  von  mir 
intendirt  sey,  und   daß  und  sich  in  dem  folgenden  vielleicht  deutlicher 

1)  Ränder,  d  Ino  in  Berlin  170",  erschien. 

_  Nicolai  Lemerkt  nach  seiner  gepflogenheit  auf  dem  briefe:  17GG  11.  aug. 
[d.  h.  erhalten]  17o7  8.  jan.  bwt  [beantwortet].  —  Der  Verleger  war  Joachim  Wilhelm 
Hansen,  vgl.  nr.  3. 

Sprich  wörtliche  1  »-Zeichnung  eines  offenen,  geraden  menschen;  zugleich  titel 
eines  lust-pk-K  von  Wycherley.  —  Das  gleich  folgende  citat  ist  l>.-i  Shakespeare  und 
Pope  nicht  zu  finden  gewesen.     (Freundliche  mitteilung  von  prof.  Sarrazin.) 


BRIEFE    GERSTENBERGS    AN    NICOLAI  47 

entwickeln  werde.  Ob  ich  aber  dazu  befugt  gewesen,  mag  Ihnen  Ihr 
Schaftesbury  und  Lncian  sagen. 

Ich  fertige  diesen  unerheblichsten  Punkt  vorläufig  ab,    damit   ich 
desto  umständlicher  über  den  wichtigern  Theil   Ihres  Briefes  schwatzen 

könne. 

Sie   beschuldigen    Elopstock,   daß   er   sieh    allmählig   mein-   zum 
Abenteuerlichen  und  zur  Schwärmerei  Lenke;  daß  das  Publikum  über 

seine  als  Mspt  gedruckten  Sylbeninaiil-ie  die  Achseln  zucke:  Sie  befürch- 
ten, wenn  gewisse  Hymnen,  die  Sie  gesehen  haben,  wirklich  in  den 
letzten  Gesang  des  Meßias  kommen  sollten1,  daß  die  Kritik  sich  allent- 
halben in  Deutschland  laut  hören  lassen  werde.  [ch  hingegen 
beschuldige  Sie  Herrn  Berliner,  (denn  Sie  sind  doch  vornahmlich  das 
achselzuckende  Publicum),  daß  Sie  Partey  ergreifen,  ehe  Sie  sich  in 
Stand  gesetzt  haben,  ein  vollständiges  Urtheil  zu  fällen;  daß  Sic  Klnp- 
stocks  Einsichten  zu  wenig,  und  Ihren  eignen  zu  viel  zutrauen;  daß 
Sie,  wenn  Sie  Homer  lesen,  ganz  etwas  anderes  darinnen  zu  finden 
scheinen,  als  Klopstock,  der  ihn  doch  auch  kent,  darinn  findet 

Die  Schriften  meiner  Freunde  sind  mir  viel  wichtiger,  als  meine 
eignen;  laßen  Sie  mich  also  immer  noch  ein  bischen  dabey  stehen  blei- 
ben. Ich  versichere  Sie,  daß  Klopstock  kein  Schwärmer,  sondern 
ein  sehr  munterer  und  freygesinnter  Mann  ist,  der  gerade  nur  so  viel 
Enthusiasmus  für  seine  Religion  hat,  als  man  haben  muss,  um  ein 
rechtschaffener  Christ  zu  seyn,  und  als  ein  jeder  haben  sollte,  der  sich 
wagt,  über  heilige  Gegenstände  zu  singen.  Daß  Ihnen  an  seinen  lyri- 
schen Sylbenmaaßen  und  an  seinem  Zwecke,  Hymnen  nach  diesem 
Sylbenmaaße  in  den  Meßias  einzurücken,  allerley  sonderbar  vorkom- 
men müße,  kann  ich  begreifen:  daß  Sie  sich  aber  überreden,  er  habe 
keinen  einzigen  vernünftigen  Grund  dazu,  und  wisse,  mit  Einem  Wert«-. 
nicht,  was  er  thue,  das  befremdet  mich  sein.  Doch  so  sind  Sie  Kunst- 
richter! Ohne  Gelegenheit  gehabt  zu  haben,  von  dem  Verfaßer  Erläu- 
terungen einzuziehen,  wollen  Sie Urtheile  fällen:  Urtheile  über  detachirte 
stücke,  deren  Yerhältmß  mit  dem  Ideal  des  Dichters,  deren  Verbind  inf- 
init dem  Ganzen  Sie  nicht  kenneu;  Urtheile  über  Sylbenmaaße,  die  als 
Mspt.  für  Freunde  gedruckt  sind2,  —  als  ob  die  Zuversicht,  die  der 
Dichter  auf  die  Einsicht  dieser  Freunde  setzt,  offenbar  zu  eitel  wäi 
um  Ihrer  Stimme  entbehren   zu  können.     Glauben  Sie  denn   wirklich, 

1)  Gemeint  ist  jedeufals  „Fragmente  aus   dem   zwanzigsten  gesange   des  MJ 
sias",  vgl.  Muncker,  Klopstock  s.  485. 

2)  „Lyrische  silbenmasse  a    1764    »als  manuscript    für  freunde"    geschrieben, 

vgl.  Muncker  a.  a.  o.  485. 


48  WERNER 

Klopstocks  Project  sey  nicht  schon  völlig  so  sehr  auf  beiden  Seiten 
debattirt  worden,  daß  er,  ganz  sich  selbst  gelaßen,  eine  Wahl  treffen 
dürfe?  Es  kann  freylieh  kommen,  wie  Sie  befürchten:  die  Kritici 
(denn  von  der  Kritik  wollen  wir  abstrahiren)  können  sich  allenthalben 
in  Deutschland  laut  genug  hören  laßen:  allein  das  haben  sie  schon  oft, 
und  hatten  doch  wohl  zuweilen  Unrecht.  Verlaßeu  Sie  sich  darauf; 
s  kommen  in  den  folgenden  Gesängen  des  Meßias  ganz  ungemeine 
Stellen  vor.  das  Ganze  geht  nach  einem  reiflich  überdachten,  obzwar 
mit  unendlichen  Schwierigkeiten  verbundenen,  Plane  fort,  die  deutsche 
Inversion,  die  Energie  der  Sprache,  die  Musik  der  Versification  wird 
gewiß  dabey  gewinnen,  und  der  Geist  der  Epopöe,  nach  allem  dem, 
was  Sie  von  dem  Genie  des  Dichters  voraussetzen  können,  nichts 
darunter  leiden.  Dieß  ist  meine  Meynung.  Warum  sollte  ich  mich 
scheuen,  sie  zu  gestehen?  Man  wird  nicht  gleich  ein  Waffenträger, 
wenn  man  einen  Freund  mit  Überzeugung  rechtfertigt:  aber  man 
kann  ein  Champion  werden,  wenn  man  großen  Leuten  die  Spitze  bie- 
thet.  ohne  Beruf  dazu  zu  haben. 

Daß  Herr  Moses  der  Verf.  der  Kritik  über  die  C arschischen 
'«--dichte  sey,  wäre  mir  nicht  eingefallen.  Nach  dem,  was  Sie  mir 
von  dieser  Frau  schreiben,  kann  es  leicht  geschehen,  daß  man  unwillig 
wird,  ihren  poetischen  Talenten  hinlängliche  Gerechtigkeit  wiederfahren 
zu  laßen.  Persönliche  Bekanntschaften  haben  viel  Einfluß  in  unser 
Unheil,  daher  pflegt  man  sich  auf  den  Ausspruch  der  Nachwelt  zu 
beziehen.  Ich.  der  ich  weder  durch  ihre  Eitelkeit,  noch  durch  ihre 
cynische  Aufführung  beleidigt  worden,  glaube,  daß  sie  allerdings  Genie 
ohne  Geschmack  besitze;  und  mehr  habe  ich  nicht  behauptet. 

Herr  Moses  ist  ein  Mann,  den  ich  ganz  besonders  hochschätze. 
Ich  erwarte  seinen  Phädon  mit  Sehnsucht.  Ich  habe  oft  gewünscht, 
daß  Jemand  unser  Publicum  mit  Piatos,  Xenophons,  und  Schaftesburys 
AVerken  (des  letzteren  Essay  ou  Virtue  and  Rhapsody)  bekannter  machen 
möchte,  um  es,  so  viel  nöthig  ist,  von  unsrer  Schulphilosophie  zu  zer- 
streuen.    "Wer  kann  dieß  besser,  als  er? 

Was  ich  Festigkeit  des  Stils  nenne,  fand  ich  nicht  sowohl  in 
Abbts  Buche  vom  Verdienst,  als  in  verschiedenen  hieher  gehörigen 
Litteraturbriefen.  Ihre  Nachrichten  von  Abbts  Leben  werden  mir  ein 
recht  angenehmes  Geschenk  seyn. 

Ich  pflichte  Ihnen  vollkommen  bey,  daß  Leßing  in  seiner  Prose 
einzig  ist:  aber  nicht  in  Absicht  auf  die  Festigkeit  des  Stils,  und  so, 
wie  Sie  es  nehmen,  nur  im  Laokoon.  Seine  Schreibart  war  ehemals 
jugendlich,  zu  französisch,  zu  uncorrect.     Der  Mann  Leßing,  der  Ver- 


BRIEFE    GERSTENBEBGS    AN"   NICOLAI  49 

faßer  des  Laokoon,  ist  ein  unvergleichlicher  Scribent.  Doch  wird  Win- 
kelmann  immer  seine  Vorzüge  behalten,  gesetzt  auch,  seine  spätere]] 
Schriften  verlöhren  etwas  an  innerer  Stärke.  Die  besten  Köpfe  haben 
ihre  Epochen. 

Xichts  könnte  mir  erwünschter  seyn,  als  die  neue  Ausgabe  Ihrer 
Briefe  über  den  Zustand  der  seh.  W.,  die  gewiß  große  Verdienste  um 
den  guten  Geschmack  haben.  Ich  nehme  von  ihnen  den  ersten  Zeit- 
punkt der  freyredigen  heutigen  Critik  an;  und  wenn  es  Ihnen,  wie  ich 
nicht  zweifle,  gelingt,  sich  auch  noch  in  der  Schreibart  mehr  Genüge 
zu  thun,  so  haben  Sie  unstreitig  das  Werk  vollendet,  das  auf  die  Nach- 
welt kommen  wird. 

Darf  ich  fragen,  wer  der  Verfasser  des  Orakels  ist? 

Wofern  Ihnen  mit  kurzen  Anzeigen  von  hiesigen  Neuigkeiten  für 
Ihre  Bibliothek  gedient  ist,  so  will  ich  Ihnen  herzlich  gern  dergleichen 
schicken.  Sie  laufen  ohnedies  mehr  in  Ihren  Plan,  als  in  den  meini- 
gen, ein,  der  nicht  sowohl  Neuigkeiten,  als  Betrachtungen  über  alte 
oder  bereits  bekannte  Werke  enthalten  sollte,  wo  ich  ohngefähr 
wünschte,  daß  sie  dem  Geschmack  des  deutschen  Publici  eine  andre 
Wendung  geben  möchten.     Wir  sind  nichts  weniger  als  Rivale. 

Erfreuen  Sie  mich  bald  wieder  mit  einem  so  freundschaftlichen 
Briefe  als  Ihr  letzter  ist. 

Ich  bin  mit  alle  der  wahren  Hochachtung,  die  ich  Ihrem  Ver- 
dienste schuldig  bin,  Ihr  ergebenster  Diener 

Gerstenberg 1. 

Nr.  3.     Nicolai  an  Grerstenberg 2. 

Berlin  d.  21*|B  Martii  1767. 
Herrn  Gerstenberg  in  Copenhagen. 
Einen  Correspondenten ,  der  eine  so  dreiste  Incantade  so  freund- 
schaftlich aufnimmt,  kann  ich  ohnmöglich  Hochwohlgebohrner  insonders 
Hochzuehrender  Herr  anreden,  und  Freund  solte  ich  Sie  doch  auch 
nicht  nennen,  denn  ob  wir  gleich  wie  Sie  bemerken  nicht  Rivalen 
sind,  so  können  wir  doch  auch  nicht  Freunde  seyn,  weil  unsere  Cor- 
respondenz  das  Ansehn  gewinnt,  als  ob  wir  uns  tapfer  zanken  würden, 
Sie  werden  freilich  in  diesem  Stücke  bey  weitem  der  stärkere  Theil 
seyn.  Sie  streiten  auf  Ihrem  eigenen  Grund  und  Boden  wie  der  König 
von  Preußen  bey  Leuthen  auf  seinem  gewöhnlichen  Manoevre  Platz.  — 

1)  Nicolai  bemerkt:  1767.  16.  Febr.  [erhalten]  21.  Mart  bwt  [beantwortet]. 
NB  soll  mir  Addresse  angeben,  wie  ihm  zwischen  der  Meße  die  Bibl.  zu  senden. 

2)  Nicolai:  1767.  21.  Mart.  Copia  eines  Briefes  an  HE.  y.  Gerstenberg. 

ZEITSCHRIFT   F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.     BD.  XXIII.  4 


50  WERNER 

Ich  hingegen  bin  seit  einiger  Zeit  in  der  Gelehrsamkeit  ein  Fremdling 
worden,  und  von  vielen  Beschäftigungen  zerstreuet,  lese  ich  wenig  und 
gerade  das  am  wenigsten,  was  ich  am  liebsten  lesen  solte  und  wolle. 
Ich  habe  niemals  geglaubt,  daß  KL  ohne  alle  Ursache  sich  entschlos- 
sen Hymnen  in  den  Messias  zu  setzen,  es  ist  nur  die  Frage,  ob  diese 
Ursachen  überwiegend  sind,  doch  dies  ist  das  wenigste.  Das  schlimmste 
ist.  daß  in  den  Hymnen  selbst  so  viel  Fanaticismus  herrseht,  daß  ich 
aufrichtig  gestehen  muß.  daß  ich  zuweilen  würklich  Widerwillen  beym 
Lesen  empfunden  habe,  ich  weiß  sehr  wohl,  daß  HE.  Kl.  im  gemei- 
nen Leben  der  Sehwärmer  nicht  ist,  der  er  in  seinen  Gedichten  ist. 
Aber  was  bringt  ihn  dazu  solche  innerliche  Aufwallungen  zu  dichten? 
Hat  ihn  Homer  dazu  gebracht,  so  muß  er  Ihn  freylich  mit  gantz 
andern  Gedanken  gelesen  haben,  als  viele  Leute  von  Geschmack,  die 
ich  kenne,  wären  die  innern  Seufzer,  die  Aufwallung  einer  durch  in- 
nerliches Licht  erhitzten  Einbildungskraft,  wären  rafinierte  Theorien 
von  Tugend  und  Religion  der  Menschlichen  Natur  am  End  angemes- 
sener, als  der  Zorn  des  Achilles,  und  die  Honig  süße  Worte  Nestors, 
so  könnte  Klopstock  seiner  dichterischen  Talente  wregen  vielleicht  in 
einige  Yergleichung  kommen,  aber  so  — 

Ich  rede  eigentlich  auch  nicht  vom  Messias,  sondern  von  den 
Trauerspielen,  und  den  Hymnen,  Ich  muß  von  den  erstem  gestehen, 
daß  es  mir  unmöglich  ist,  sie  mehr  als  einmahl  durchzulesen,  dieses 
Urtheil  getraue  ich  mich  auch  öffentlich  zu  gestehen,  und  glaubte  viel 
Leute  von  Einsicht  zu  finden,  die  mir  Beyfall  gäben,  aber  mein  übri- 
ges Urtheil  von  dem  für  Freunde  gedruckten  MSt.  ist  auch  nur  für 
Freunde,  und  ich  will  es  gern  zurücknehmen,  wenn  die  neuen  Ge- 
länge des  Messias  herauskommen  und  ich  aus  dem  Zusammenhange 
sehe,  daß  ich  die  gantze  Absicht  des  Dichters  vorher  nicht  einge- 
sehen habe. 

Ich  und  meine  Freunde  ergreifen  sicherlich  nie  Parthey,  bis  wir 
von  allen  Umständen  zu  urtheilen  im  stände  sind;  die  beyden  Trauer- 
spiele zeigen  genung  wohin  Kl.  Hang  gehet;  Es  kann  seyn,  daß  Kl. 
weit  mehr  empfindet  als  seine  Leser  merken  können,  aber  ich  bleibe 
immer  dahey,  daß  solche  raffinirte  Empfindungen,  kein  bequemer  Ge- 
genstand der  Poesie  sind,  doch  genung  von  dieser  Materie  worüber  wir 
wohl  nicht  eins  werden  mögen.  — 

Das  Achselzuckende  Publikum  dürfte  schwerlich  in  Berlin  seyn; 
ja  vielleicht  in  Berlin  am  wenigsten,  (denn  Lessing  Moses  und  Ni- 
colai machen  nicht  gantz  Berlin  aus  und  gantz  Berlin  denkt  nicht  so 
wie  sie)  aber  da  ich  wegen  der  deutschen  Bibl.  jetzt  die  weitläufigste 


BRIEFE    GERSTE.VBERGS    AN    NICOLAI  51 

Correspondenz  in  allen  Provinzen  und  mit  Gelehrten  von  vielerley 
Gattungen  habe,  so  weiß  ich  ziemlich  zuverläßig,  was  man  auch  in 
andern  Provinzen  denkt,  ich  will  gewiß  wetten,  daß  unter  allen  leben- 
den Dichtern  mediocris  notae  vier  fünftl    meiner   Meinung   wegen   der 

Trauerspiele  seyn  werden.  Ich  rechne  noch  gewisse  Politische  Leute 
ab,  die  auf  beyden  Achseln  tragen,  und  allemahl  der  Meinung  des- 
jenigen sind  an  den  sie  schreiben,  oder  mit  dem  Sie  reden.  —  Doch 
nochmals  genug  hievon. 

Ihr  Versuch  auf  Kosten  des  Publica  zu  einem  Styl  zu  gelangen 
ist  in  der  That  sehr  mißlich,  wenn  Sic  natürlicher  Weise  noch  auf 
eine  so  gekünstelte  Art  denken  so  wird  der  Styl  so  gezwungen  werden 
als  die  Gedanken  gezwungen  sind.  Aus  der  Verschiedenheit  der  Schreib- 
art hat  man  geschlossen,  daß  verschiedene  Leute  an  Ihrem  Journale 
arbeiteten;  nicht  daß  Sie  selbst  so  vielerley  Gestalten  annehmen  wolten: 
Ich  halte  es  überhaupt  für  sehr  mißlich  und  für  den  gantz  unrechten 
AVesr,  wenn  man  sich  mit  ausdrücklicher  Absicht  hinsetzt,  um  sich 
einen  Styl  zu  bilden,  mich  dünkt  ein  jeder  denkt  so,  wie  es  die 
Mischung  der  Geisteskräfte  eines  jeden  mit  sich  bringt,  aber  er  denke 
reiflich  und  bemühe  sich  immer  vollkommener,  reifer,  edler,  klärer  zu 
denken.  Nur  lasse  er  den  Styl  laufen,  wie  er  will,  er  wird  sicherlich 
das  natürliche  Ebenbild  seiner  Gedanken  seyn;  das  Gegentheil  war 
zuweilen  Abbts  Fehler.  Ich  wäre  sehr  begierig  zu  wissen,  welche 
Briefe  der  Litteratur  Sie  für  Muster  eines  festen  Styls  halten.  Ich  habe 
jetzt  über  Abbts  Schreibart  bey  Gelegenheit  seines  Lebens  in  etwas 
nachgedacht,  und  wenn  die  Zeit,  die  ich  an  dieses  Leben  wenden  kann 
nicht  so  kurtz  wäre,  so  würde  ich  einige  Gedanken  darüber  auskra- 
men1—  Sie  werden  mich  sehr  verbinden  wenn  Sie  mir  mit  einer  der 
ersten  Posten  auch  diesen  Punkt  beantworten  wollen. 

Die  Persönliche  Aufführung  der  Karschin  kann  in  so  fern  einen 
Einfluß  gehabt  haben,  daß  man  das  Urtheil  etwas  lauter  gesagt  hat. 
aber  das  Urtheil  ist  meiner  Bekümmerniß  [sie]  in  aller  Strenge  richtig. 
Ich  merke  wohl,  auch  über  diesen  Punkt  werden  wir  auch  nicht  einig 
weil  wir  in  den  Prindpiis  allzu  sehr  differiren.  Sie  sagen  die  Kar- 
schin hat  Genie  ohne  Geschmack,  das  würde  ich  sagen  wie  beym 
Shakespear  ein  ungemeines  Feuer;  die  Art  einen  Plan  original  zu 
imaginiren,  und  nach  eigener  Art  auszuführen,  große,  starke,  aber 
rauhe  Züge,  und  hingegen  einen  gäntzlichen  Mangel  der  Kleinen  Zärt- 
lichkeiten der  Poetischen  Sprache,  des  Anständigen,  des  Neuen  und 
dergl.    fände.      Aber  bloß   diese  kleine  Zierlichkeiten  sind  das  Haupt- 

1)  Tgl.  Nicolais  Ehreugedächtiiiß  Herrn  Thomas  Abbt  s.  20  fg. 

4* 


52  WERNER 

verdienst  der  Frau  Karscliiii,  wohl  klingende  Sylbenmaaße,  so  neue 
Beywörter,  eine  gewisse  Art  von  Nuancen,  und  gewisse  Art  von 
Wendungen,  die  noch  zuweilen  nicht  ihr  eigen,  sondern  Ramlern 
und  andern  Dichtern  abgeborgt  sind.  Kurte  alles  was  die  Poetische 
Sprache  betrifft  ist  gut.  Aber  wo  ist  die  Originalwendung  die  ein 
Genie  ohne  Geschmack  allemahl  haben  wird  ;  wo  ist  ein  einziger  Plan 
gut.  geschweige  original  ausgeführt,  wo  sind  große  starke  und  zugleich 
rauh«'  Züge?     0  vide  Sign.: 

Moses,  Abbt  und  ich  hatten  einmal  den  Vorsatz  den  Gantzen 
Shafftesbury  zu  übersetzen,  und  einige  Stücke  mit  Abhandlungen  zu 
erläutern,  wir  haben  auch  schon  alle  drey  angefangen1.  HE.  Moses  hat 
deD  Moralist  meist  fertig,  aber  es  kann  noch  lange  währen  ehe  etwas 
gedruckt  wird. 

Der  Verfasser  des  Orakels  ist  Herr  Moses,  der  dies  auch  in  der  Vor- 
rede zu  seinem  Phädon,  der  nun  meist  abgedruckt  ist,  öffentlich  sagt. 
Ich  werde  Ihnen  ein  Exemplar  des  Phadons  zusenden  und  Ihr  Urtheil 
erwarten.  Die  Simplicität  der  Schreibart  verdient  glaube  ich  viel 
Bevfall  *. 

m 

Haben  wir  denn  Hoffnung  den  Rest  des  Messias  bald  zu  erhal- 
ten: Ich  warte  darauf  nebst  meinen  Freunden  mit  der  äußersten  Unge- 
duld, dasjenige  was  ich  wider  Kl.  gesagt  habe,  hindert  nicht,  daß  ich 
für  Ihn  und  seine  Schriften  die  äußerste  Hochachtung  [habe  fehlt], 
je  freyer  ich  jetzt  mit  meinem  Urtheil  vor  meinem  Freunde  gewesen, 
desto  behutsamer  würde  ich  seyn ,  wenn  das  gantze  Werk  herausgekom- 
men, und  ich  mein  Urtheil  sagen  solte. 

Lessing  gibt  seine  Lustspiele  auf  Ostern  heraus,  es  ist  ein  Neues 
darinnen  Minna  von  Barn  heim,  oder  das  Soldaten  Glück  betitelt, 
Sie  sehen,  daß  L.  die  Armee  nicht  umsonst  gesehen  hat. 

Vor  einiger  Zeit  starb  allhier  der  Kammergerichtsrath  Uhden 
mein  Freund  und  der  zur  Music  ein  gantz  besonderes  Genie  hatte, 
wenn  dieser  Mann  der  Music  seine  gantze  Zeit  hätte  weihen  können, 
so  würde  er  nach  dem  Urtheil  aller  hiesigen  Musiker  einer  der  größe- 
ren Meister  geworden  seyn.  Er  hat  ungemein  viel  Sachen  componirt 
worunter  verschiedene  sehr  schön  sind.  Unter  andern  hat  er  schon 
vor  mehreren  Jahren  aus  Ihren  Tändeleyen  die  Cloe  in  Musik  gesetzt. 
Er  hat  dies  Stück  nachher  immer  verändern  wollen,  weil  ihm  verschie- 
denes daran  nicht  gefiel,    weil  aber  sein  Amt  sehr  mühsam  war,    und 

1)  Ehrengedächtniß  Herrn  Thomas  Abbt  s.  16. 

2i  Am  rande  steht:  „Zu  den  Zweifeln  die  kleine  Vorrede  ist  von  mir." 
[Vgl.  19.  teil  der  Litteraturbriefe ,  287.  briet] 


BEIEFE   GEBSTKNBERGS    AN    NICOLAI  53 

er  sehr  wenig  Muße  hatte  ist  es  unterblieben.  Ich  werde  Ihnen  dieß 
Stück  nächstens  zusenden1. 

Geben  Sie  mir  doch  auch  eine  Gelegenheit  an  die  Hand,  wie  ich 
Ihnen  die  Stücke  der  Bibliothek  die  zwischen  der  Messe  herauskommen 
zusenden  kau.  Des  4L  Bds  V-  Stück  ist  schon  lange  fertig,  aber  die 
Copenhagner  Buchhändler  lassen  nichts  zwischen  der  Messe  kommen, 
und  an  Hansen  mag  ich  nichts  senden,  denn  er  ist  so  anordentlich 
daß  er  meine  in  Geschäften  geschriebenen  Briefe  gar  nicht,  oder  nur 
halb  beantwortet,  die  Packete  fürchte  icli  möchte  er  gar  verlieren. 

Die  Nachrichten  die  Sie  zur  deutschen  Bibliothek  einschicken  wol- 
len, werden  alle  mahl  sehr  willkommen  seyn,  wenn  in  der  dortigen 
Gegend  ein  neues  merkwürdiges  Buch  herauskömt,  und  ich  kan  »ine 
kurtze  Anzeige  davon  bald  erhalten,  so  ist  es  mir  sehr  angenehm,  da 
die  Bibliothek  ohne  dem  von  Neuigkeiten  ziemlich  arm  ist  und  viele 
Leute  nicht  begreifen  können  warum  manche  Recensionen  so  spät 
erscheinen.  Ich  habe  mich  darüber  in  der  Vorrede  des  4tenBds  1*-  Stück 
erkläret  und  vieleicht  werden  nun  einige  Leser  begreifen  wie  mühsam 
die  Zusammentragung  dieses  Werks  ist.     Ich  bin  etc. 

0  Neben  her  muß  ich  sagen,  daß  Sie  dem  M.  unrecht  thun  wegen 
der  Stelle  so  wichtig  als  Nützlich,  sie  ist  ein  offenbahrer  Druckfehler 
und  auch  als  ein  solcher  am  Ende  angezeiget,  am  Ende  des  Werks  ist 
im  Mst.  etwas  nicht  genug  herausgestrichen  gewesen. 

Nr.  4.    Grerstenherg  an  Nicolai. 

Kopenhagen  d.  6.  Apr.  1767. 
Sie  verlangen,  mein  kunstrichterlicher  Correspondent,  (Freund 
wrollen  Sie  nicht  genannt  seyn;  überdem  muß  ich  gestehn,  daß  ich 
wenig  freundschaftliche  Correspondenzen  kenne,  die  mir  nur  halb  so 
viel  Freude  machten  als  Ihre  kritische),  mit  einer  der  ersten  Posten 
zu  wissen,  welche  Litteraturbriefe  ich  für  Muster  eines  „festen  Stils 
halte":  eine  Aufgabe  die  eine  sehr  tiefsinnige  Untersuchung,  im  Ge- 
schmack der  A.  B.  veranlassen  könnte,  wenn  ich  weitläuftig  über  Dinge 
schwatzen  möchte,  die  ich  schon  für  bekannt  annehme.  Wir  wissen 
leider,  was  die  alten  Künstler  unter  Festigkeit  des  Stils,  Festigkeit  der 
Hand,  zuversichtlicher  Leichtigkeit  im  Arbeiten  u.  s.  w.  verstanden.  Ein 
Scribent,  dessen  Ideen  sich  in  den  Ausdruck,  wie  in  warmes  Wachs, 
mit  ihrer  völligen  Deutlichkeit  und  Bestimmung,    ohne    den    Schmutz 

1)  Nicolai  forderte  diese  komposition  noch  am  8.  märz  1773  durch  Eschen- 
burg von  prof.  Ebert  zurück,  dem  er  sie  geliehen  hatte.  „Sie  gehört  eigentlich 
meiner  Frau,  die  sie  nicht  gern  verlieren  will." 


54  WERNER 

kleinlicher  Zierrathen.  glatt,  erhaben,  und  wie  in  einander  geschmolzen, 
abprägen,  scheint  mir  das  Prädikat,  von  der  Festigkeit  des  Stils  zu 
verdienen.  Beyspiele  davon  glaube  ich  im  261,  321,  322  Briefe  und 
dem  zwanzigsten  Theile  im  Briefe  über  Betrams  Fortsetzung  des  Fer- 
rera1  zu  finden,  von  welchem  letztern  ich  jedoch  die  Übersetzung  aus 
dem  Lucian  ausnehme,  die  steif  und  schulmäßig,  obgleich  hin  und 
wieder  körnigt  genug,  geschrieben  ist-. 

Erklären  Sie  sich  mit  gleicher  Eile,   was   das  für  Hymnen  sind, 
die  Sie   so   fanatisch  finden.     Als  Klopstocks  Freunde  ist  mir  aller- 
dings  daran  gelegen,   daß  Sie  ein  so   nachtheiliges  Urtheil  nicht  ohne 
hinlängliche  Prüfung  fällen.     Was   Sie  raffinierte  Theorie  von  Tugend 
und  Religion  nennen,  kann  Andern  ein  sehr  angenehmes  Ideal  von  den 
Empfindungen  der  Glückseligkeit  nach  dem  Tode  seyn,   so  fern  Men- 
schen sich  mit  einiger  Bestimmung   [sie]    darüber  auszudrücken  wißen. 
Der  Dichter  behandelt    dieß   Sujet   blos   als  Charakter;    er   legt   seinen 
Glückseligen  Denkart   und  Begeisterung  bey,   wie    er   glaubt,    daß  sie 
ihnen  natürlich  sind.     Die  Frage  ist  also  nur,   ob   sie  für  orthodoxe 
Folgen  aus  wahren   Grundsätzen   gelten  können:    räumen  Sie  das  ein, 
so  fällt  der  Vorwurf  des  Fanatismus  wTeg,    der  heterodoxe  Folgen  aus 
falschen    Grundsätzen    oder    unzulänglichen    Inductionen    zieht.      Die 
zweyte  Frage  ist,    ob  ein  solches  Ideal  mit  den  Empfindungen   der 
menschlichen  Natur  misstimme.     Der  menschlichen  Natur  —  ist  ohne 
Zweifel  zu  viel  gesagt.     Warum   sollt  es  nicht  von  der  guten  Religion 
gelten,   was    die  Litteraturb riefe   irgendwo  mit    Grund   von    der  Moral 
sagen?     „Die  große  Bewegungsgründe  von  der  Schönheit  der  Tugend 
„sind  es  für  einen  Schaftesbury   und    die   wie  er   empfinden  können: 
„aber   wer    sich    zu    diesen    feinen   Bewegungsgründen    gar   nicht   zu 
„gewöhnen  Gelegenheit  gehabt  und  sie  also  nicht  fühlen  kann,  für  den 
..4nd  es  gar  keine  Bewegungsgründe."  —    Setzen  Sie  für  Bewegungs- 
gründe Empfindungen:  meynen  Sie,  daß  Kl.  die  seinigen  für  allgemeine 
hält?     Eine  dritte  Frage  entsteht,  ob  der  Dichter  nicht  seinen  Vortheil 
besser  gekannt  hätte,   wenn  er  für  die  Fassungskraft  Aller  geschrieben 
hätte.      Doch   nein,    diese   Frage    erwarte   ich   nicht   von   Ihnen.     Sie 
wißen,    daß   die  alten   Artisten  groß  genug  dachten,    sich   in   gewißen 
Fällen  über  das  Urtheil  der  Menge  hinwegzusetzen.     Ein  großes  Genie 
kann  und  muß  seinem  eignen  Urtheile  folgen.     Wer  sich  nur  um  Bey- 
fall  bekümmert,   beweist  schon  dadurch,    daß   er  entweder  kein  großes 
Genie    sey,    oder   unter   einer   beschwerlichen   Notwendigkeit   seufzen 
müsse.     Beyfall  muß  von   selbst  kommen,    muß  nicht  gesucht  werden, 
1)  226.  briet  2)  S.  7  fg. 


BRIEFE   GERSTENBERGS    AN    NICOLAI  55 

muß  in  der  Natur  der  Sache  gegründet  seyn.  Wenn  Kl.  diese  Maxi- 
men, mit  oder  ohne  Wißen,  von  Anfang  der  Meßiade  gehabt  hat,  so 
kann  er  ihr  das  Fundament  seines  itzigen  Ruhmes  ganz  allein  verdan- 
ken, und  sie  muß  ihm  die  Gewähr  fürs  Künftige  leisten.  Kxitici,  oder 
nach  dem  thörigten  teutschen  Ausdrucke,  Kunstrichter  entscheiden 
hierinn  gar  nichts;  sie  sind  bloße  Lest  r.  War  die  Sphäre  ihrer  Ein- 
sicht der  Sphäre  des  Genius  gleich?  Das  muß  vorher  geprüft  werden. 
War  die  Sphäre  des  letztern  excentrisch?  Das  kann  vielleicht  zu  einer 
andern  Zeit  entschieden  werden  vielleicht  auch  nicht.  Was  schadet-? 
Wir  haben  das  Ideal  des  Dichters. 

Ihr  Recept  zu  einem  Stil  zu  gelangen  — 

Ihre  graven  Betrachtungen  über  die  Mißlichkeit  meines  Unterneh- 
mens, meinen  Stil  auf  Kosten  des  Publici  zu  bilden  — 

Laßen  Sie  mich  Ihnen  ein  paar  Worte  ins  Ohr  sagen,  mein  wahr- 
heitliebender Correspondent.  Wenn  Sie  so  etwas  drucken  ließen,  so 
würde  Mancher  in  dem  Verdachte  bestärkt  werden,  daß  es,  wie  die 
Schweizer  einmal  aussprengten,  (obgleich,  ich  weis  es  wohl,  ganz  ohne 
Ihre  Schuld)  in  Berlin  wirklich  eine  nikolaisehe  Schule  gebe,  die  mit 
einigen  Verbesserungen,  nur  eine  Erneuerung  der  weiland  gottschedischen 
sey.  Ich  kann  Ihnen  als  Ihr  Vertrauter,  nicht  bergen,  daß  man  bey 
Gel  Offenheit  der  vermischten  Nachrichten  in  der  A.  B.  bereits  so 
etwas  murmelt. 

Bereden  Sie  Herrn  Moses,  uns  bald  mit  seinem  Moraliste  zu 
beschenken.  Ich  habe  schon  vor  verschiedenen  Jahren  Übersetzungen 
aus  dem  Arabischen,  eine  Logicam  Probabilium  und  d.  gl.  von  ihm 
erwartet.  Dem  Phädon  dieses  vortrefflichen  Scribenten  (empfehlen  Sie 
mich  ihm,  Sie  können  ihm  von  meiner  Hochachtung  nicht  zu  viel 
sagen),  der  Composition  des  Herrn  Uhden,  besonders  Ihren  Nachrich- 
ten von  Abbts  Leben,  der  neuen  Auflage  Ihrer  Briefe  etc.  sehe  ich 
mit  Verlangen  entgegen. 

Hansen  schreibt  mir,  daß  in  der  Leipz.  Gel.  Zeit,  einer  neuen 
Edition  des  Hypochondristen  erwähnt  worden.  Da  ich  mit  der  gegen- 
wärtigen Beschaffenheit  dieser  Wochenschrift  äußerst  unzufrieden  bin 
(ich  ward  wider  meine  Absicht  darein  verwickelt,  und  viele  Blätter 
hat  man  mir  aus  den  Papiren  meiner  Kinder- Jahre  entwandt,  die  ich 
hernach,  da  ich  in  Mecklenburg  war,  zu  meiner  großen  Verwunderung 
gedruckt  las);  so  habe  ich  Hansen  zur  Michaelis -Messe  ein  ganz  um- 
gearbeitetes Mspt.  versprochen;  Sie  würden  mir  daher  einen  Gefallen 
thun,  wenn  Sie  das  Publicum  davon  in  Ihrer  BibL,  doch  ohne  meinen 


5(j  WERNER 

Namen  zu  nennen,  avertirten.  Der  vorgebene  Verf.  heißt  Zacharias 
Jerrstrup. 

Wer  mag  der  Verf.  der  Fragmente  zu  d.  Litteraturbriefen  seyn? 

Kl.  säumt  mir  zu  sehr  mit  der  Meßiade. 

Ein  Inesiger  Freund  wünschte  zu  erfahren,   was  eine  holfeldische 

Dreschmühle  wovon  die  Abbildung  in  der  zweyten  Lieferung  des  Berl. 

Spectacol.  Nat  et  Art.,  mit  Transport  bis  Lübeck,   kosten  könne,   und 

wie  viel  Kaum  sie   einnehmen.     Darf  ich  Sie  bitten,   mich  davon  zu 

benachrichtigen,    und    mir    zugleich    eine    richtige  Zeichnung  mit    den 

gehörigen  Maaßen  zu  schicken?  —  Adieu,  m.  1.  Nicolai.     Ich  liebe  Sie 

mit  allen  Ihren  Fehlern.     Ihr 

Gerstenberg1. 

Proft  wird  Ihre  Briefe  und  Päckchen  gern  an  mich  befördern. 

Nr.  5.    (xerstenberg  an  Nicolai. 

Kopenhagen  den  5  Dec.  1767. 

Sie  werden  auf  Ihren  sehr  angenehmen  Brief  schon  lange  eine 
Antwort  erwartet  haben,  m.  1.  Freund:  ich  habe  ihn  aber  erst  vor 
ohngefähr  14  Tagen  auf  dem  Lande  erhalten,  wo  ich  mich  seit  einiger 
Zeit  aufgehalten  habe.  Nicht  als  ob  ich  es  selbst  nöthig  gefunden 
haben  würde,  mit  der  Beantwortung  von  Herrn  Moses  zu  eilen.  Er 
hat  der  kritischen  Freunde  so  viele,  daß  er  meine  Anmerkungen  gern 
entbehren  konnte;  und  wenn  ich  ja  nach  dem  ersten  Durchlesen  einen 
Einfall  niedergeschrieben  habe,  der  ihm  undeutlich  erscheint,  so  will 
ich  meinen  Fehler  nicht  dadurch  noch  vergrößern,  daß  ich  mich  weit- 
läuftig  darüber  erkläre.  So  viel  kann  ich  mit  Wahrheit  hinzusetzen, 
daß  Phädon  für  mich  eins  der  schönsten  philosophischen  Bücher  ist, 
die  ich  je  gelesen  habe:  aber  überzeugt  hat  mich  das  an  sich  sehr 
sinnreiche  System  nicht;  vermutlich  deswegen  nicht,  weil  ich  noch 
immer  nicht  begreifen  kann,  wie  der  menschliche  Verstand,  bey  den 
äußerst  wenigen  Beobachtungen,  die  er  in  dem  allerkleinsten  Theil  der 
Schöpfung  anzustellen  Gelegenheit  hat,  sich  erkühnen  könne,  von  der 
Güte  und  Weisheit  des  Schöpfers  bestimmte  Folgerungen  in  Absicht 
aufs  Ganze  zu  machen.  Doch  Sie  werden  sagen,  es  sey  meines  Amtes 
nicht,  darüber  mit  Herrn  Moses  zu  raisonniren,  und  ich  breche  daher 
gleich  von  dieser  Materie  ab. 

Ich  werde  mich  recht  freuen,  Ihre  nähern  Gedanken  über  die 
griechsche  Musik  in  Yergleichung  mit  der  neuen  zu  erfahren.     Darum 

1)  Nicolai:  17G7.  4  May  [erhalten]  GM  bwt  [zur  ostermesse  beantwortet]. 


BRIEFE    GEBSTENBEBGS    A\    NICOLAI  57 

stimmen  Sic  mit  Klopstock  überein,  daß  die  Alten  unter  Thesis  und 
Arsis  etwas  ganz  anderes  verstanden  haben,  als  onsre  heutigen  Musik- 
gelehrten. Sie  scheinen  sich  aber  über  die  eigentliche  Bedeutung  die- 
ser Wörter  schon  einig  geworden  zu  seyn,  und  das  ist  Kl.  Dicht  Er 
hat  seiner  „Abhandlung  vom  Sylbenmaaße"  anderthalb  Seiten  von  Kla- 
gen über  gewisse  zweifelhaft«'  Stellen  in  den  Schriften  der  Alten  bei- 
gefügt, und  ich  verspreche  mir  von  Ihnen  viele  schöne  Erläuterungen. 
Diese  Abh.  wird  nächstens  in  Herrn  Leßings  periodischer  Schrift  zu 
lesen  sein1. 

Wenn  ich  Ihre  Anmerkungen  über  die  alten  Syllbenmaaße  recht 
verstanden  habe,  so  gelm  Sie  darinn  ganz  von  Elopst  ab.  Sie  stel- 
len Beobachtungen  über  das  Schema  eines  einzelnen  Verses  an:  Klop- 
stock  scheint  mir  aber  durch  seine  Eintheilung  in  Wortfüße  und  Vers- 
fragmente auf  ein  viel  fruchtbareres  Feld  gerathen  zu  seyn.  So  wir  <■- 
nämlich  der  Sinn  und  die  Declamation  des  hexametrischen  Perioden 
erfordert,  entstehen  aus  der  Abwechslung  der  Dactylen  und  Spondäen 
(im  Deutschen  Trochäen)  kleinere  metrische  Theile  von  Antispasten, 
Choriamben,  Dispondäen,  ionischen  Yersen,  Epitriten  etc.  ja  fünf  und 
sechssyllbigte  Füße,  und  aus  diesen  weiter  größere  Abschnitte,  die  das 
Schema  eines  einzelnen  Hexameters  so  mannigfaltig  machen,  daß  man 
zu  der  Bildung  desselben  noch  andre  Grundsätze  herüber  nehmen  muß, 
um  von  dem  Gange  und  dem  Rhythmus  eines  ganzen  Satzes  richtig 
zu  urtheilen.  Ich  enthalte  mich  aber  mehr  davon  zu  sagen,  weil  ich 
Ihnen  doch  nicht  verständlich  seyn  würde.  Was  meynen  Sie  damit, 
daß  die  Jambi  senarii  der  komischen  Poeten,  wenn  sie  nach  dem  Tact 
wären  gesungen  worden,  unsren  deutschen  Jamben  vollkommen  ähn- 
lich würden  gewesen  seyn?  Ich  weis  wohl,  daß  Marpurg  durch  seine 
Tacteinth eilung  der  Horazischen  Syllbenmaaße  hat  herausbringen  wollen, 
unsre  heutige  Art,  das  Latein  auszusprechen,  sey  die  richtigere:  ich 
kann  mir  aber  nicht  vorstellen,  daß  auch  Sie  aus  dieser  willkührlichen 
Disposition  der  Wörter  unter  accentuirten  und  unaccentuirten  Noten 
etwas   sollten    beweisen   wollen:    denn    mich    dünkt,    die    Stellung   der 

1)  Es  ist  Lessings  und  Bodes  geplante  Zeitschrift  „Deutsches  museumu  gemeint, 
in  welche  von  Klopstock  noch  ausserdem  Oden  und  der  Hermann,  von  Gerstenberg 
der  Vgolino  und  ein  lustspiel  von  Zachariä  kommen  solten,  wie  Lessing  an  Nicolai 
schreibt  (2.  febr.  1768).  Buschmann  aus  Stralsund  schreibt  Nicolai  den  9.  märz  1768: 
„Man  hat  mich  versichert,  dass  Lessing  an  einem  Werke  arbeitete,  wozu  er  Klop- 
stock, Weißen,  Gerstenberg  und  andere  berühmte  Schriftsteller  als  Mitarbeiter 
erbeten  hätte  ..."  Am  3.  nov.  1768  fragt  er,  ob  das  ganze  vorhaben  aufgegeben  sei, 
weil  „der  graf  Ugolino  daraus  besonders  abgedruckt"  sei. 


58  WEBNEB 

Noten  müsse  sich  nach  der  Quantität  der  Syllben  richten.  Das  para- 
doxeste aber  ist  mir,  daß  sich  alle  kurze  Syllben  zu  den  langen  wie 
1  zu  2  verhalten:  ich  habe  immer  dafür  gehalten,  daß  die  Kürzt'  und 
Läng«  .  selbst  in  der  Anwendung  auf  den  musikalischen  Rhythmus, 
verschiedener  Art  wäre. 

Verzeihn  Sie  mir  liebster  Freund,  diese  kleine  Unart,  mich  in 
Dinge  einzulaßen.  die  Sie  gewiß  beßer  verstehen,  als  ich.  Ich  bin 
zwar  ein  Erzliebhaber  der  Musik,  aber  kundig  bin  ich  ihrer  sehr  wenig. 

Ich  habe  Bach  einen  guten  Singcomponisten  genannt;  ich  glaube 
nämlich,  daß  er,  wo  er  will,  so  cantabil  setzen  könne,  als  irgend  ein 
andrer  Deutscher,  und  dieß  zwar  nicht  nur  in  eigentlichen  Singsachen, 
ödem  auch  in  Claviercompositionen:  schwer,  das  gebe  ich  Ihnen  zu, 
aber  doch  melodisch  und  sangmäßig.  Weil  ich  eben  heute  so  viel  von 
der  Musik  mit  Ihnen  schwatze,  so  muß  ich  Ihnen  doch  erzählen,  daß 
ich  einige  musikalische  Experimente  mache,  worüber  ich  Ihre  Meynung 
wißen  möchte.  Ich  nehme  erstlich  an,  daß  die  Musik  ohne  Worte  nur 
allgemeine  Ideen  vorträgt,  die  aber  durch  hinzugefügte  Worte  ihre  völ- 
lige Bestimmung  erhalten;  zweytens  geht  der  Versuch  nun  bey  solchen 
Instrumentsolos  an,  wo  der  Ausdruck  sehr  deutlich  und  sprechend  ist. 
Nach  diesen  Grundsätzen  habe  ich  unter  einige  Bachische  Ciavier- 
stücke, die  also  gar  nicht  für  die  Singstimme  gemacht  waren,  eine  Art 
von  Text  gesetzt,  und  Klopstock  und  Jedermann  sagt  mir,  daß  dieß 
die  ausdrucksvollsten  Singsachen  wären,  die  man  hören  könnte.  Unter 
die  Phantasie  z.  E.  in  der  sechsten  Sonate,  die  er  zur  Application  sei- 
nes Versuchs  etc.  componirt  hat,  lege  ich  Hamlets  Monolog,  wie  der 
über  Leben  und  Tod  phantasirt.  alles  in  kurzen  Sätzen,  das  Largo  aus- 
genommen, das  eine  Art  von  Mittelzustand  seiner  erschütterten  Seele 
ausmacht.  Auf  eben  diese  Art  habe  ich  einen  Schlachtgesang  ge- 
macht, wovon  ich  gewiß  versichert  bin,  daß  er  bey  weitem  so  gut 
nicht  gerathen  wäre,  wenn  der  Componist  die  Worte  in  Noten  gesetzt 
hätte,  als  itzt,  da  der  Versificateur  die  Noten  in  Worte  gesetzt  hat; 
wovon  der  Grund  mir  in  den  vorausgeschickten  beiden  Sätzen  zu  lie- 
gen scheint.  Doch  gebe  ich  freylich  zu,  daß  man  diesen  Versuch  nicht 
zu  weit  ausdehnen  muß:  denn  einige,  obgleich  ausdrucksvolle  Instrumen- 
talstücke können  auf  keinerley  AVeise  für  die  Singstimme  genutzt  werden. 

Wie  sehr  bin  ich  Ihnen  nicht  verbunden,  mein  Werthester,  daß 
Sie  mir  außer  dem  Concert  in  Edur,  welches  ich  erhalten  habe,  auch 
noch  die  Anweisung,  und  andre  mir  etwa  fehlende  Sachen  schicken 
wollen.  Ich  besitze  von  Bach  folgendes:  Sei  Sonate  cled.  cd  Bc  dl 
Frussia  —    VI  Sonate  L>.  cd  JJuea  die  Wirtemb.  —    Sonate  mit  verän- 


BRIEFE   BBBSTBNBEEGS    AN"    NICOLAI  59 

derten  Reprisen  nebst  deren  erster  und  zweyter  Fortsetzung  —  Sechs 
leichte  Ciaviersonaten  —  Ciavierstücke  verschiedener  Art  —  Ciavier- 
stücke für  Anfänger,  erste  Sammlung  —  Gellertsche  Lieder  (wobey  ich 
fast  durchgehends  statt  des  ßellertschen  Textes  «inen  Psalm  von  Cramer 
oder  auch  ein  Lied  von  moralischen  Inhalte  untergelegt  habe;  ja  eine 
von  diesen  Melodien  hat  mir  sogar  ein  Hagedornisches  Lied  zu  erfor- 
dern geschienen1)  —  Oden  —  Tonstücke  fürs  Ciavier  von  Bach  and 
einigen  andern  classischen  Meistern  (wie  sie  sieh  nennen)  —  Fugen  — 
Concert  aus  D  und  E  #  —  III  Sonatine  mit  Stimmen  Der  Wirth 

und  die  Gäste  —  Phvllis  und  Thvrsis  (woraus  ich  einen  Faun  und 
Dianens  Nymphe  gemacht  habe).  AVegen  der  Cantate  will  ich  näch- 
stens an  Bach  schreiben,  und  danke  Ihnen  imYoraus  für  Ihr  Anerbiethen. 

Ihre  Abhandlung  vom  Trauerspiel  hat  der  Etatsrath  Fleischer, 
der  Hauptverfasser  der  Samlinger2  etc.  ins  Dänische  übersetzt,  and 
ich  gestehe  Ihnen,  daß  ich  selbst  ihm  diese  Übersetzung  angerathen 
habe,  weil  ich  mich  nicht  besinne,  mehr  gute  Anmerkungen  in  einer 
so  kurzen  Abh.  beysammen  gefunden  zu  haben,  ob  ich  gleich  nicht 
mit  allem  einig  bin.  Eben  dieser  sehr  verdiente  und  in  ansehnlichen 
Ämtern  stehende  alte  Mann  hat  auch  vor  kurzem  Herrn  Weißens 
Richard  III  in  reimlose  fünffüßige  Jamben  übersetzt,  welches  der  erste 
Versuch  dieser  Art  in  Dänemark  ist3;  und  wenn  er  nicht,  so  wie  er 
ein  Sammler  von  Vögeln,  Insecten  und  Mineralien  ist,  die  kleine  Grille 
hätte,  auch  altnordische  Wörter  zu  sammeln,  und  bey  jeder  Gelegen- 
heit an  Mann  zu  bringen,  so  würde  diese  Übersetzung  auch  auf  dem 
Theater  reüssiren  können.  Die  Grazien  nebst  andern  Kleinigkeiten  von 
mir  hat  er  sehr  vortrefflich  übersetzt. 

Ich   denke,   ich   habe  Sie   lange   genug   aufgehalten.      Leben   Sie 

wohl,  mein  liebster  Nicolai,   und  lieben  Sie  mich.     Ich  bin  gewiß  mit 

wahrer  und  lebhafter  Hochachtung 

der  Ihrige 

Gerstenberg. 

Bald  hätte  ich  vergessen,  Ihnen  für  die  vorteilhafte  Kecension 
des  Skaldengedichts  zu  danken4.     Ich  kann  Ihnen  bei  der  Gelegenheit 

1)  Aus  diesen  untergelegten  texten  entstanden  Gerstenbergs  lieder  nach  berühm- 
ten mustern,  vgl.  die  amn.  Gerstenbergs  zu  „Bacchus  und  Venus.  Nach  Gleim.u 
Verm.  Schriften  Altona  1815.     2.  bd.     S.  218. 

2)  Samlinger  af  adskillige  Skrifter  til  de  skjönne  Videnskabers  og  det  danske 
Sprogs  Opkomst  og  Fremtarv.     Sorö  1765.     Tre  Stykker. 

3)  Minor,  Chr.  Felix  Weiße  s.  210. 

4)  Algemeine  deutsche  bibliothek  5,  1,  210  fgg. 


60  W$RNKB 

sagen,  daß  die  nordische  Mythologie  nicht  allein  Stoff  für  einen  neuen 
Ariost  enthält,  sondern  daß  auch  Klopstock  sie  itzt  in  alle  seine  Oden 
verwebt,  woraus  die  griechische  \on  ihr  völlig  verdrängt  worden.  In 
Hermanns  Schlacht  kommt  sie  auch  vor.  Was  sie  mit  der  Regel- 
mäßigkeit zu  thun  habe,  begreif  ich  nicht  völlig. 

Könnten  Sie  nicht  Herrn  Bach  bereden,  daß  er  einige  Lieder  mit 
Variationen  componirte,  so  daß  die  simple  Melodie  immer  gesungen 
würde,  die  Variationen  sich  aber  nach  dem  Gehalt  der  Strophen  rich- 
teten. Auf  diese  Art  singe  ich  mit  einigen  nöthigen  Veränderungen 
des  Textes  das  Lied:  0  Chloe,  höre  du  der  neuen  Laute  zu  etc.  zu 
einer  von  Bach  vorlängst  mit  Variationen  gesetzten  textlosen  Arie:  und 
Sie  glauben  nicht,  wie  schön  sichs  ausnimmt.  Es  versteht  sich,  daß 
dieß  nur  bey  Liedern  von  reizendem  oder  lustigen  Inhalte  statt  finde: 
der  Charakter  der  AVürde,  Simplicität  etc.  schließt  dergleichen  Verände- 
rungen au-. 

So  eben  erhalte  ich  Ihr  Schreiben  vom  28.  Xov.  nebst  dem 
Päekchen  Musikalien  und  Ihrem  Geschenk  der  Bibl.  und  des  ersten 
Theils  von  Abbt.  Die  Post  läßt  mir  nicht  mehr  Zeit,  als  Ihnen  den 
Empfang  zu  melden,  und  mich  zu  bedanken.  Das  Geld  assigniere  ich 
mit  der  nächsten  fahrenden  Post  an  Herrn  Lessing1. 

Nr.  6.    Grerstenberg  an  Nicolai. 

Kopenhagen  d.  27.  Apr.  1768. 

Sie  überhäufen  mich  mit  Gefälligkeiten,  mein  werther  Freund. 
Ich  hätte  Ihnen  schon  längst  für  die  Menge  der  schönen  Sachen  dan- 
ken sollen,  die  Sie  mir  übersandt  haben,  besonders  für  die  Composition 
des  Herrn  Uhden.  Hätte  ich  geglaubt,  daß  er  die  Grazien  für  volle 
Musik  ausgearbeitet  hätte,  so  würde  ich  mich  nicht  unterfangen  haben, 
Sie  darum  zu  bitten.  Ich  hielt  es  bloß  für  ein  Ciavierstück.  Aber 
desto  besser  für  mich.  Ich  habe  schon  ein  paarmal  Gelegenheit  gehabt, 
unter  guten  Freunden  mit  meiner  Frau  aufzuführen,  und  man  findet 
für  das  Werk  eines  Liebhabers  viel  schönes  drinnen.  Nur  scheint  die 
Form  einer  Cantate  nicht  gar  zu  gut  gewählt  zu  seyn,  und  daß  die 
musikalische  Recitation  der  Prose  Schwierigkeiten  habe,  empfindet  man 
hin  und  wieder.  Überhaupt  aber  hat  Herr  Uhden  den  vortrefflichen 
Graun  gewiß  nicht  umsonst  gehört.  Auch  für  das  neue  Stück  der  Bibl. 
bin  ich  Ihnen  sehr  verbunden:   ich  habe  verschiedene  Recensionen  mit 

1)  Nicolai:  1708  22.  Jan.     24.  Febr.  bwt. 


BRIEFE   GEHSTENBBBG9    AN   NICOLAI  Gl 

dem  größten  Vergnügen   gelesen,   dünkt  Ihnen    aber   nicht,   daß  Herr 

Moses  (denn  Er  wird  es  doch  wohl  seyn)  den  Agathon  zn  sehr  als 
Philosoph  beurtheilt  hat?  Doch  vielleicht  war  es  nirgends  nöthiger, 
als  hier.  Die  vorteilhafte  und  verdiente  Reeensi.»n  der  Resewitxischen 
Predigten  hat  mir  deswegen  keine  geringe  Frende  gemacht,  weil  die- 
ser würdige  Mann  hier  bey  weitem  für  sein  Verdienst  aoch  nicht 
bekannt  genug  ist.  Ich  habe  ihn  völlig  so  gefunden,  wie  Sie  ihn  mir 
beschrieben  haben.  Ich  liebe  Hin  sehr,  und  glaube,  dar.  er  mich 
auch  liebt. 

Was  ich  von  Herrn  Klotzen  sage?  Herr  Klotz  ist  ein  Ckd1.  Wenn 
Scoppios  oder  ein  andrer  bestaubter  runzlichter  Schulmeister  von  den 
Todten  aufstünde,  und  mit  wohlfrisirtem  Haare  und  einen)  französischen 
Petit-maitre-Pöckchen  erschiene:  so  würde  er  so  ein  Mittelding  seyn, 
wie  ich  mir  Herrn  Klotz  vorstelle.  Herr  Klotz  ist  ein  großer  Oul: 
das  ist  alles,  was  ich  von  ihm  zu  sagen  habe. 

Ihrer  Abhandlung  von  der  Musik  der  Alten  auf  ihre  Versarten 
angewandt  sehe  ich  mit  dem  größten  Verlangen  entgegen.  Sic  schei- 
nen mir  sehr  tief  in  diese  Materie  eingedrungen  zu  seyn:  so  viel 
bemerke  ich  schon  aus  dem  wenigen,  was  Ihnen  beliebt  hat,  mir  davon 
zu  schreiben.  Ich  muß  mich  über  Klopstocks  ähnliche  Arbeit  undeut- 
lich ausgedrückt  haben,  weil  Sie  vermuthen,  daß  er  nicht  bey  den 
ersten  Bestandteilen  des  Verses  angefangen  habe.  Man  kann  schwer- 
lich alles,  was  dahin  gehört,  sorgfältiger  sammeln,  und  mit  mehr 
Scharfsinn  zergliedern,  als  er  gethan  hat.  Man  wird  eher  von  ihm 
urtheilen,  daß  er  der  Sache  zu  viel2,  als  zu  wenig  gethan  habe.  Sie 
werden  seine  Schrift  in  einer  der  ersten  Xummern  des  Museum  lesen. 

Sie  verlangen,  daß  ich  Ihnen  meinen  Text  für  Bachische  Phan- 
tasie schicken  soll?  Ich  will  es  wagen.  Aber  ich  sage  Ihnen  vorher, 
daß  ich  diesen  Text  nur  dem  Freunde,  der  meine  Amüsemens  mit 
Nachsicht  beurtheilt,  nicht  dem  strengen  Kunstlichter,  mittheile.  Hier 
ist  er.  Die  römische  Zahl  bedeutet  das  Notensystem,  die  deutsche  den 
Takt.  Sie  werden  von  selbst  errathen,  daß  einige  Stellen  die  unisono 
mit  dem  Baß  gehen  würden,  eine  etwas  veränderte  Modulation  für  die 
Singstimme  haben  müßen.  Doch  eben  besinne  ich  mich,  daß  die  Phan- 
tasie eine  freye  ohne  genaue  Taktabmessung  in  den  beiden  Allegros 
ist.  AVie  soll  ich  Ihnen  nun  das  Unterlegen  meines  Textes  ohne  Noten 
verständlich   machen?     Am    besten,    ich    überlasse    das    Ihrem    eigenen 

1)  Natürlich,  engl,  gull  =  tropf. 

2)  Am  fusse  der  seite  steht:  (Das  Geld  für  die  Musikalien  von  Bach  werden 
Sie  durch  Herrn  Lessing  erhalten  haben.) 


02 


"WKKN'En 


Geschmack,    und   sage  Ihnen   bloß,    daß  das  erste  Wort  sich  am  Ende 
des  eisten  Systems  anhebt,  so  nämlich 


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Seyn 

Hamlet. 
I.     Seyn! 

IL  oder  Nichtseyn! 
IL  Das  ist  die  große  Frage! 
IL   Das  ist  die  große  Frage! 

III.  Tod!   Schlaf! 

IV.  Schlaf!  und  Traum! 

IV.  Schwarzer  Traum! 

V.  Todestraum ! 

VI.  Ihn  träumen,  ha!    den  Todes- 

traum ! 
Largo. 
Eine  Stimme  aus  den   Grä- 
bern. 
(Hier  geht  die  Singstimme  mit  der 
Ciavierstimme  fort,    außer  wo   der 

Ins  Licht  zum  Seyn  erwachen! 

Zur  Wonn  hinaufwärts  schaun! 

So  Seele! 

die  Unschuld  sehn, 

die  Dulderinn 

Wie  sie  empor  ins  Leben  blüht 

Der  Ewigkeit! 

Die  alle  sehn  die  wir  geliebt, 

Nicht  mehr  von  uns  beweint! 

Hoch   tönte,    hoch  tönte  im   Arm 

der  Zärtlichkeit. 
Das  war  Wiedersehn! 
Dann  stürzt  (zwei  Achttkeil  Pau 
ach!  vom  Entzücken  heiß, 
ach!  vom  Entzücken  heiß, 
die  Himmelsthräne  hin 
(Die  beiden  letzten  Takte  Cemb.  solo.) 


oder       Nichtseyn 

VI.  Ins  Leben  schaun! 

VII.  ins  Thränenthal! 
VII.  wo  Tücke  lauscht! 
All.  Die  Bosheit  lacht! 

VII.  Die  Unschuld  weint! 

VIII.  0  nein !  o  nein ! 

IX. lins  Nichtsevn    —   hinabzu- 

schlummern ! 


allzubreite  Umfang  der  letzteren 
eine  kleine  Beschränkung  nöthig 
macht,  welches  auch  bev  den  bei- 
den  Allegros  zu  merken  ist.) 

Allegro  moderato. 
Hamlet. 
I.     AVo  ist  ein  Dolch? 
IL    ein  Schwert? 
n.   ins  Grab  des  Seyns 
n.    hinabzufliehn! 
IL    zu  sterben,  ach! 
in.  den  edlen  Tod 
III.  des  hohen  Seyns. 
III.  Wo  ist  ein  Dolch? 

III.  ein  Schwert? 

IV.  vom  Thal  des  Fluchs 
IV.  des  Fluchs! 

IV.  ins  Grab  des  Sevns  hinab 
IV.  zum  Leben  zu  entschlafen. 


BRIEFE    GERSTENBERGS    AN    NICOLAI  63 

Nebenher  kann  ich  nicht  umhin  anzumerken,  daß  diese  Bachische 
Phantasie  Herrn  Lessings  Meynung  im  27ten  St.  der  Dramaturgie,  als 

ob1  der  Musikus  in  einem  einzelnen  Stück  nicht  aus  einer  Leiden- 
schaft in  die  entgegengesetzte,  nicht  aus  dem  Ruhigen  z.  E.  in  das 
Stürmische,  aus  dem  Zärtlichen  in  das  Grausame  übergehn  könne,  ziem- 
lich deutlich  widerlegt.  Herr  Lessing  scheint  an  die  Übergänge  nicht 
gedacht  zu  haben,  wovon  wir  in  dieser  Phantasie,  und  wie  mich  dünkt 
in  vielen  andern  Sonaten  von  Bach,  merkwürdige  Exempl  haben9. 

Noch  ein  paar  Worte  vom  Text  zu  sagen,  ließe  sich  aus  dem 
Anblicke  desselben  vermuthen,  daß  ich  den  musikalischen  Rhythmus 
nicht  beobachtet  habe.  Aber  ich  glaube  diesem  Rhythmus  so  sorgfal- 
tig als  möglich  nachgegangen  zu  seyn. 

Vergeben  Sie  mir  meine  Schwatzhaftigkeit,  und  fahren  Sie  fort 
mich  zu  lieben  Ihr 

ganzergeben  st.  ( -  eist  enl  »erg. 

Da  Sie  die  Güte  gehabt  haben,  mir  Ihre  Bibl.  bisher  zu  schicken, 
so  möchte  ich  Sie  noch  um  das  nicht  gesandte  erste  Stück  <\r>  dritten 
Bandes  ersuchen,  welches  ich  hier  nicht  einzeln  erhalten  kann. 

Nr.  7.    (xersteiiberg  an  Nicolai. 

Kopenhagen  am  6.  Aug.  1768. 
Wenn  es  nicht  zu  spät  ist,  so  möchte  ich  Sie  wohl,  mein  lieb- 
ster Freund,  um  eine  Gefälligkeit  bitten.  Sie  wißen,  daß  ich  auf  die 
Briefe  über  Merkwürdigkeiten  etc.  keinen  großen  Werth  setze.  Da  inzwi- 
schen die  Kritiken,  die  man  wider  sie  gemacht  hat,  sich  größtenteils 
auf  Misverstand  oder  Verdrehungen  gründen,  so  kann  es  mir  nicht 
gleichgültig  seyn,  daß  das  Publicum  erfahre,  aus  welchem  Gesichts- 
punkt sie  hatten  beurtheilt  werden  sollen.  Ich  habe  vor  geraumer 
Zeit,  da  mir  einige  Freunde  riethen,  diese  Briefe  fortzusetzen,  ei  neu 
kleinen  Vorbericht  aufgeschrieben,  worinn  jener  Gesichtspunkt  deut- 
licher angegeben  ward.  Bald  darauf  aber  beharrte  ich  in  meinem 
ersten  Vorhaben,  keinen  zweyten  Band  drucken  zu  laßen:  nun  wünscht.' 
ich,  daß  von  den  Anmerkungen  in  dem  erwähnten  Vorbericht  einiger 
Gebrauch  zu  meiner  Rechtfertigung  gemacht  werden  könnte.    Ech  kenne 

1)  Darnach:  uns  (gestrichen). 

2)  Lessings  worte  lauten:  „In  Einer  Symphonie  muß  nur  eine  Leidenschaft 
herrschen,  und  jeder  besondere  Satz  muß  eben  dieselbe  Leidenschaft,  bloß  mit  ver- 
schiedenen Abänderungen,  es  sei  nun  nach  den  Graden  ihrer  Stärke  und  Lebhaftig- 
keit, oder  nach  den  mancherlei  Vermischungen  mit  andern  verwandten  Leidenschaften 
ertönen  lassen  und  in  uns  zu  erwecken  suchen." 


64  WERNER 

Sie  für  einen  wahrheitliebenden  und  nnparteyischen  Kunstlichter.  Sie 
werden  vermuthlich  die  Briete  über  M.  recensireu,  und  hätten  es  also 
in  Ihrer  Gewalt.  \on  meinen  Gründen  soviel  anzuführen,  als  Sie  für 
richtig  erkennen.  Uli  glaube,  daß  dieß  auf  eine  ungezwungene  Art 
geschehen  kann,  ohne  daß  man  zu  wißen  brauchte,  daß  diese  Anmer- 
nungen  von  mir  herkommen,  und  ohne  daß  sie  das  Ansehen  einer 
Verteidigung  erhalten.  Erlauben  Sie  mir,  daß  ich  Ihnen  den  Vor- 
bericht, so  wie  er  ist,  abschreibe,  und  geben  Sie  den  darinn  enthal- 
tenen Gründen  eine  Wendung  nach  Ihrem  Gefallen.     Ich  bin  mit  der 

größten  Hochachtung  Ihr 

ganz  ergebenster 

Gerstenberg. 
Wir    sind    einigen   aehtunsfs würdigen   Lesern    schuldig,    uns    über 

O  O  O  (Dl 

gewiße  Dinge  in  der  Einrichtung  dieser  Briefe  zu  erklären,  die  schon 
des  wegen  leicht  misgedeutet  werden  konnten,  weil  wir  den  Gesichts- 
punkt nicht  angaben,  aus  dem  wir  unsere  Briefsammlungen  beurtheilt 
haben  wollten.  Der  Schriftsteller,  der  von  der  Einsicht  seiner  Leser 
voraussetzt,  daß  sie  diesen  Gesichtspunkt  selbst  finden  werden,  giebt 
zwar  einen  Beweis  seiner  Bescheidenheit:  aber  er  schadet  sich,  wenn 
er  zu  bescheiden  voraussetzt,  daß  ihn  Alle,  und  daß  sie  ihn  immer 
finden  werden.  Er  ist  dann  in  dem  Fall  eines  Schauspieldichters,  der 
die  Vorbereitung  seines  Stücks  vernachläßigt,  in  der  Hoffnung,  die  wich- 
tigen Yerhältniße,  worin  er  seine  Charaktere  aufstellt,  werden  statt 
einer  jeden  Erläuterung  dienen,  und  das  Vergnügen  der  Zuhörer  um 
so  viel  wirksamer  befördern,  jemehr  ihre  Selbstthäigkeit  dadurch  beschäf- 
tigt wird. 

Diese  Vergleichung  scheint  zu  weit  hergeholt,  aber  sie  ist  es 
nicht.  Erdichtete  Briefe  haben  manchen  Grundsatz  mit  den  Gesprächen 
auf  der  Bühne  gemein;  und  sind  sie  vollends  sehr  merklich  bezeich- 
nende charakteristische  Briefe,  so  nähern  sie  sich  einer  der  Haupt- 
eigenschafteu  des  Drama.  Ein  Verfechter  solcher  Briefe  hat  die  Ver- 
bindlichkeit, seinen  eignen  Charakter,  seine  eigne  Art  sich  auszudrücken, 
sogar  seine  eignen  Urtheile  zu  verläugnen;  er  giebt  seinen  Personen 
Mängel,  um  sie,  wenn  man  so  reden  darf,  zu  vereinzeln;  er  giebt 
ihnen  ihren  besondern  Ton  der  Denkungsart,  oft  auch  des  Ausdruckes*); 

*)  wie  in  den  Briefen  über  Shakespear.  Fäsi  und  an  Herrn  *  Ba- 
risien, einer  der  Verfasser  des  Nordischen  Aufsehers,  der  vor  kurzem 
als  K.  danischer  Consul  zu  Marncco  gestorben  ist. 


BRIEFE   GERSTENBEHGS     \N    NICOLA] 

er  weist  einer  jeden  unter   ihnen   die   eigentümliche  Sphäre  der   Er- 
kenntnisse an,  die  seinem  Zweck  am  gemäßesten  ist. 

Wenn  man  einige  sonderbare  Sätze  in  iinserü  Briefen,  z.  E,  vom 
Trauerspiel,  von  der  Ode,  vom  Genie  aus  diesem  Gesichtspunkte  betrach- 
tet, so  wird  man  bald  bemerken,  daß  die  Saite  hier  mit  Vorsatz  über- 
spannt ist,  weil  sie  andere  zu  schlaff  anzogen;  man  wird  sich  fragen, 
was  denn  eigentlich  erfordert  wird,  ein  Lied,  eine  Ode,  ein  Drama, 
eine  Epopöe  zu  dichten;  man  wird  vielleicht  finden,  daß  der  wunder- 
liche Mann,  der  Bibliothekar,  die  Schranken  des  Genies  zwar  viel  zu 
weit  fortrückt,  aber  man  wird  vermuthlich  doch  auch  die  Entdeckung 
machen,  daß  das  Genie  eine  schlechte  Laufbahn  habe,  wenn  mau  sie, 
wie  seit  einiger  Zeit  geschehen  ist.  mittelmäßigen  Talenten  zu  Gefallen, 
so  gar  nahe  an  einander  schiebt.  Ob  hingegen  die  ürtheile  des  erdich- 
teten Bibliothekars  zugleich  die  wahren  Ürtheile  des  Verfaßers  sind, 
darum  wird  man  sich  so  wenig  bekümmern,  als  man  sich  einfallen  Läßt, 
die  gründlichen  Maximen  des  Pedanten  Brand  in  der  Clariße  dem 
Briefschreiber  Richardson  anzurechnen. 

Wir  haben  noch  etwas  Weniges  von  der  Schreibart  der  Briefe 
zu  sagen.  Es  wäre  ein  Fehler  gewesen,  wenn  Leute  von  verschiedenen 
Begriffen,  die,  der  Anlage  nach,  nicht  für  die  Welt,  sondern  für  ihre 
Freunde  schreiben,  einerlev  Ton  annähmen.  Man  würde  sehr  Unrecht 
haben,  wenn  man  in  solchen  Briefen,  welche  überdem  die  eigentüm- 
liche Laune  des  Schreibers  andeuten  sollen,  eine  classische  Schreibart 
erwartete,  die  doch  immer,  als  Ideal,  nur  eine  einzige  seyn  kann. 
Man  wird  gleichwohl  Rechenschaft  erwarten,  warum  denn  diese  und 
keine  andre  Schreibart  gewählt,  insbesondere  aber,  warum  wir  uns 
vieler  ausheimischer  [sie]  Wörter  und  einiger  Carricaturausdrücke  bedient 
haben.  Yon  den  letzteren  haben  wir  oben  geredet.  Hier  setzen  wir 
nun  hinzu,  daß  schon  Lucian  die  nitvoKaixnxac,  und  TpayeXacpug  der 
charaktristischen  Composition  unentbehrlich  fand.  (S.  Prometheus  es  in 
verbis1).  Was  zweytens  die  ausheimischen  Wörter  betrifft,  so  ist  es  in 
Privatbriefen,  auch  der  besten  Schriftsteller,  nichts  Ungewöhnliches, 
daß  sie,  wenn  sie  an  Liebhaber  einer  gewißen  Sprach« •  schreiben  Stel- 
len aus  den  Poeten  dieser  Sprache  oder  einzelne  Ausdrücke  mit  ein- 
fließen laßen:  nicht  um  ihre  Muttersprache  damit  zu  bereichern,  son- 
dern aus  andern  Ursachen.  Wenn  es  aber  schlechterdings  nothwendig 
sevn  soll,  aus  Privatbriefen,  sobald  sie  der  Welt  mitgetheilt  werden, 
dergleichen  Stellen  oder  Ausdrücke  auszustreichen,  so  sehen  wir  nicht. 

1)  Vgl.  Lucian    TTobg  tov  tlnöiTir    /fooin,!tn\-  e2  &  loyoig  cap.  7,  30. 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.     BD.  XXÜI.  u 


66  WERNER.    BRIEFE    GERSTENBERGS    AN    NICOLAI 


wie  man  die  unten  angeführten*  aus  den  Briefen  eines  Römers,  der 
sonst  eben  nicht  schlecht  schrieb,  zu  vertheidigen  denkt.  Und  man 
glaube  ja  nicht,  daß  wir  diese  mit  vieler  Mühe  ausgesucht  haben,  weil 
sie  zu  unsrer  Absieht  dienen:  mau  wird  unter  den  Briefen  an  Attieus 
wenige  antreffen,  die  einem  deutschen  Kunstrichter  nicht  Stoff  zu  den 
götzlichsten  Einfallen  darböthen!  Ferner  müßen  wir  gestehen,  daß 
wir  die  Schreibart  der  Briefe,  wie  sie  nun  da  ist  nicht  gern  von  Jeman- 
dem verurtheilt  wißen  wollen,  der  sich  nicht  mit  den  hier  von  uns 
angenommenen  Grundsätzen  bekannt  gemacht  hat,  die  Lucian  und 
Shaftesbury**  abhandeln.  Denn  gewiß,  die  Regeln  des  Stils,  die  viele 
deutsche  Kunstrichter  aus  ihren  eignen  Schriften,  nicht  ohne  Scharfsinn, 
herausgezogen  haben,  sind  zu  unvollständig,  als  daß  sie  auf  jede  Gat- 
tung von  Schritten  angewandt  werden  könnten.  Endlich  würden  wir 
uns  wundern,  wenn  nicht  einsichtvolle  Leser,  außer  der  willkührlichen 
Abwechslung  des  Tons,  noch  eine  andere,  wiewohl  seltenere,  bemerkt 
hätten,  die  von  der  Verschiedenheit  der  Verfaßer  herrührt. 


Da  ich  diesen  kleinen  Aufsatz  überlese,  so  finde  ich,  daß  ich  im 
Abschreiben  einen  Satz  ausgelaßen  habe,  der  das  Recht  betrifft,  auch 
in  der  Kritik  die  charakterische  Composition  anzuwenden.  Der  Satz  ist 
zu  lang,  ihn  liier  einzurücken:  ich  will  darum  nur  das  Wesentliche 
davon  anfahren. 

„Es  giebt  keine  kritische  Schrift,  bey  der  man  nicht  die  Kritik, 
die  Sammlung  unstreitiger  Wahrheiten  des  Geschmacks,  von  dem  Kri- 
tiker, dem  Menschen,  sorgfältig  unterscheiden  müste:  bey  dem  letztern 
geht  ein  Zusatz  von  Irrthümern,    in   die  Wahrheit  über,    der  bald  aus 

*)  Fenestrarum  angustias  quod  reprehendis ,  scito  te  KvosnatSeiccp  reprehen- 
dere.  Nam  dum  ego  idem  istuc  dicerem,  Cyrus  aiebat,  viridariorum  $ut<juc>iL>  latis 
luminibus  doq  tarn  esse  suaves.  Etenim  tonn  oxpig  utv  r)  c,  io  §t  oowutvov  ß,  y 
<  /iivh;  dt  6  y.tn  t.  Vides  enim  caetera.  Nam,  si  *«r'  tifao/.ojv  epniraoiis  videre- 
raus.  valde  laborarent  eiStoXa  in  angustiis:  nunc  fit  lepide  illa  ex^votg  radiorum.  Cae- 
ra  si  reprehenderis .  non  feres  Tacituin.  nisi  quid  erit  eius  modi,  quod  sine  sumptu 
coirigi  possit  Venio  nunc  ad  mensem  Januarium,  et  ad  vnoOTaoiv  noftram  ac  noh- 
rtufv:  in  qua  ZtoxQattxiog  tu  fearegov:  sed  tarnen  ad  extremum,  vt  illi  solebant,  ir\v 
aoeaxaaav.     Cic.  ad  Att.  IL  3. 

Ubi  sunt,  qui  aiunt  CwOtjs  (poyvrjg?  quanto  inagis  vidi  ex  tuis  litteris,  quam  ex 
lllius  sermone,  quid  ageretor?  de  ruminatione  quotidiana,  de  eogitatione  Publii,  de 
iituis  ßownirdog  und  so  weiter  bis  xat  Kix&q<ov  O  <fi/.ooo(fo;  top  nokvnxov  Titov 
aßjiaCtTat  ibid.  12. 

Nunc  quoniara  et  laudis  und  so  weiter  bis  ut  ab  omnibus  et  laudemur  et 
amemur  ibid.  1 .   15. 

«er  am  angeführten  Orte,  dieser  im  dritten  BCiscellany. 


DÜNTZER,     ENTSTEHUNG    70»  äl    II  •'>. 

der  Unvollkommenheil  seiner  Einsichten,  bald  aus  seiner  Systemsucht, 
bald  aus  seiner  Predilection  für  gewi&e  Lieblingsschriftsteller,  bald  aus 
andern  Ursachen  zu  erklären  ist.  Eis  i-t  also  weii  gefährlicher,  einen 
Kunstrichter  zu  lesen,  der  seine  Stimme  für  die  stimme  der  Kritik 
selbst  ausgiebt,  da  es  doch  unmöglich  ist,  daß  er  sich  Dicht  sein-  ofl 
betrügen  sollte,  als  einen  Sammler  kritischer  Briefe,  bey  dem  offenbar 
die  Frage  vorausgesetzt  wird,  ob  die  darinn  enthaltenen  Grtheile  ihren 
Grund  in  der  Natur  der  Sache,  oder  in  dem  kritischen  Charakter  <i 
Briefschreibers  haben.  Der  letzte  schärf!  die  Aufmerksamkeit  und  den 
Verstand  dr±  Lesers:  der  eiste  führt  ihn  gemeiniglich  oder  doch  sehr 
oft  irre.  Jenes  ist  eine  Folge  der  sokratischen  Bescheidenheit,  diesi 
der  sophistischen  Zuversicht. 

[In  drin  eben  erschienenen  „Katalog  einer  wertvollen  autographen- 
samlung  aus  (hin  besitze  der  verstorbenen  herren  Wendelin  nm  Malt- 
tahn,  Hans  Reimer  und  anderer  ....  Berlin,  Albert  <'<>/i/i  1890° 
findet  sich  als  nr.  85  ein  weiterer  brief  Gerstenbergs  au  Nicolai  vom 
18.  april  1772  angeführt.     3.  2.  im.   E.  M.   WJ 


DIE  ENTSTEHUNG  DES  ZWEITEN  TEILES  VON  GOETHES 

„FALTSTU,  INSBESONDEEE  DEE  KLASSISCHEN   WA  LIT  k'- 

GISNACHT,  NACH  DEN  NEUESTEN   MITTEILUNG EN. 

Das  bei  weitem  bedeutendste,  was  das  goethearchiv  zur  Geschichte 
der  dichtungen  des  meisteis  geborgen,  ist  endlich  im  fünfzehnten  bände 
der  Weimarischen  ausgäbe  zur  volständigen  mitteilung  gelangt  und  die 
hochgespante  erwartung  nicht  getäuscht  werden.  Nicht  allein  hat  der 
text  durch  die  volständige,  wenn  auch  nicht  fehlerfreie  handschrift  eine 
festere  grundlage  erhalten:  auch  frühere  abschriften  sind  aufgefunden,  die 
manches  berichtigen,  auch  einen  ausgelassenen  7ers  bringen,  und  zahl- 
reiche inhaltsangaben,  skizzen  und  erste  entwürfe  gestatten  uns  einen 
blick  in  die  ursprüngliche  anläge  und  ihre  mannigfaltigen,  tiefgreifen- 
den Umgestaltungen  und  steigern  die  bewunderung  des  greisen  dich- 
ters,  der  mit  unversieglicher  gestaltungskraft  die  grundzüge  seiner 
erfindung  immer  voller,  feiner  und  beziehungsreicher  ausarbeitete,  sie 
mit  reich  zuströmendem  geist  und  gehalt  hob,  so  dass  die  dichtung 
zu  einem  wahrhaften  gotischen  dorne  ward,  an  welchem  alles  bis  zu 
den  äussersten  spitzen  von  frischem  leben  quillt  und  spriesst.  und  — 
während  dieser  grosse  märchenwald  uns  zu  wundervollem  staunen  hin- 


68  DÜNTZER 

reisst  —  alles  einzelne  die  besondersten,  oft  tief  deutenden,  oft  humo- 
ristischen, beziehungen  auf  manche  Verhältnisse  zeigt,  deren  Verständnis 
meist  nicht  zur  auffassung  des  ganzen  erforderlich  ist,  diese  aber  an- 
ziehend gleichsam  krönt  Der  herausgeber,  prof.  Erich  Schmidt,  hat 
auf  die  bewaitigung  des  ungeheuren  Stoffes  ausserordentliche  mühe  ver- 
want,  aber  leider  dem  leser  die  Sache  nicht  leicht  gemacht,  der  sich 
oft  wie  durch  wild  ineinander  gewachsenes  gestrüpp  durcharbeiten 
mu  Vor  allem  fehlt  es  an  übersichtlicher  Unterscheidung  der  vom 
dichter  oft  auf  ein  briefconeept,  ein  couvert,  einen  theaterzettel,  ein 
verworfenes  blatt,  ein  schon  beschriebenes  papier  rasch  hingeschrie- 
benen ersten  skizzen  oder  versentwürfen,  der  aufzeichnungen  verschie- 
dener, nicht  zusammengehörenden  stellen  auf  einem  bogen  oder  einem 
teile  eines  selchen,  der  aneinanderfügung  einzelner  zusammengehörigen 
stellen  zu  einem  ganzen  und  der  reinschriften ,  das  einen  leichten  ein- 
blick  in  die  verworrenen  massen  ergäbe.  Und  hat  auch  der  herausgeber 
sich  näher  mit  dem  zweiten  teile  bekant  gemacht,  so  fehlt  doch  viel, 
dass  er  ganz  in  ihm  und  den  zahlreichen  versuchen  der  erklärer  lebte. 
Auch  urteilt  er  zuweilen  gar  zu  vorschnell.  Für  die  feststellung  der 
entsteliungszeit  der  einzelnen  teile  hätte  sich  manches  leicht  gewinnen 
lassen. 

Aus  dem  tagebuch  wissen  wir,  dass  Goethe  ein  „ausführlicheres 
schema  zum  Faust"  am  23.  juni  1797  niederschrieb.  Längst  hatte 
uns  ein  brief  an  Schiller  belehrt,  dass  er  bereits  anfangs  mai  1798  die 
noch  ungedruckten  teile  des  „alten  höchst  konfusen  manuscripts"  in 
abgesonderten  lagen  nach  dem  ausführlichen  schema  geordnet  hatte. 
Die  neuern  mitteilungen  ergeben,  dass  die  stücke  des  zweiten  teiles 
die  nummern  20  bis  30  trugen,  und  dasjenige,  was  später  zum  „Faust" 
hinzukam,  den  betreffenden  lagen  beigefügt  wurde. 

Zu  den  vorhandenen  stücken  gehörte  auch  „Helena  im  mittel- 
alter.  Satyrdrama.  Episode  zum  Faust",  wie  es  auf  einem  erhaltenen 
titel  heisst.  Ihren  wesentlichen  inhalt  können  wir  mit  ziemlicher  Sicher- 
heit der  Übersicht  entnehmen,  die  Goethe  im  december  1816  für  den 
vierten  band  von  „Dichtung  und  Wahrheit"  entwarf.  Als  Mephisto- 
pheles.  nach  dem  unglücklichen  ausgang  der  geisterbeschwörung  am 
hofe,  wider  mit  Faust  zusammen  triff,  bestürmt  ihn  dieser,  ihm  die 
Helena  zu  verschaffen.  „Es  finden  sich  Schwierigkeiten.  Helena  gehört 
dem  Orkus  an  und  kann  durch  Zauberkünste  wol  herausgelockt,  aber 
nicht  festgehalten  werden.  Faust  steht  nicht  ab,  Mcphistopheles  unter- 
nimmts.  Unendliche  Sehnsucht  Fausts  nach  der  einmal  erkanten 
höchsten   Schönheit.     Ein  altes  schloss,   dessen  besitzer  in  Palästina 


ENTSTEHUNG   VON   FAUST   TT  69 

krieg  führt,  dessen  kastellan  aber  ein  zauberer  ist,  soll  der  wohnsitz 
des  neuen  Paris   werden.     Helena    erscheint:    durch    einen    magischen 

ring  ist  ihr  die  körperlichkeit  widergegeben.  Sie  glaubt  so  eben  v<m 
Troja  zu  kommen  und  in  Sparta  einzutreffen.  Sie  findet  alles  einsam, 
sehnt  sich  nach  geselschaft,  besonders  nach  männlicher,  die  sie  ihr 
leben  lang  nicht  entbehren  können.  Paust  tritt  auf  und  steht  als  deut- 
scher ritter  sehr  wunderbar  gegen  die  antike  heldengestalt  Sic  finde! 
ihn  abscheulieh,  allein  da  er  zu  schmeicheln  weiss,  so  findet  sie  sich 
nach  und  nach  in  ihn  und  er  wird  der  nachfolger  so  mancher  heroen 
und  halbgötter."  Vgl.  dazu  jezt  9252  fgg.  Aber  auch  ein  älteres, 
eine  anspielung  auf  die  französische  erklärung  der  menschenrechte  ent- 
haltendes schema  hat  sieh  auf  einem  gebrochenen  foliobogen  erhalten. 
Als  personen  werden  liier  ausser  Helena  eine  Ägypterin  (als  Ägypter 
galten  die  zigeuner)  und  mägde  genant,  als  scene  ein  „freundlicher  ort 
im  Rheintal."  Helena  befiehlt  als  spartanische  fürstin.  Die  Ägypterin, 
unter  der  Mephistopheles  steckt,  macht  als  schafherin  „albern»'  spässe." 
Am  rande  findet  sich  bemerkt:  „Schweigende  orakel,  kartenschlagen 
und  händedeutung  [Chiromantie]."  Helena  wird  verdriesslich  darüber. 
Die  weitern  reden  der  Ägypterin  rufen  Helenas  drohung  hervor.  Auf 
jene  bezieht  sich  wol  die  randbemerkung:  „Schwäne,  röhr  [im  Eurotas] 
Tanz  [die  Spartaner  waren  als  tanzliebend  bekant].  Grad  oder  Ohgrad 
[das  bekante  spiel].  Schöne  weiber  [die  in  Sparta  auch  durch  freiere 
kleidung  sich  auszeichneten]."     Auf  der  Helena  drohung  erwiderte  die 

schamerin : 

Und.  das  heilige  menschenrecht 

Gilt  dem  herren  wie  dem  knecht. 

Brauch'  nicht  mehr  nach  Euch  zu  fragen, 

Darf  der  frau  ein  schnipchen  schlagen. 

Bin  dir  längst  nicht  mehr  verkauft, 

Ich  bin  christin,  bin  getauft. 

Die  beiden  ersten  verse  finden  sieh  in  algemeinerer  fossung  auch  unter 

ausserungen  der  Phorkyas  (Paral.  171).  Helena  hatte  geglaubt,  Venus 
gestatte  ihr,  nach  Sparta  zurückzukehren.  Auf  ihr  erstaunen,  dass  sie 
ihre  heimat  nicht  wider  erkent,  erwidert  die  Ägypterin:  „Zuerst  aus 
dem  0...  freundl.  ort  Rheinthal",  heisst  es  nach  Schmidt  im  Schema, 
Aber  „0...",  das  Schmidt  gibt  mit  der  frage:  Nicht  etwa  Orkus?" 
scheint  verlesen  statt  „EL",  da  bald  darauf  des  El  y  sin  ms  gedacht  wird. 
Helena  jammert,  dass  Yenus  sie  „wider  belogen",  und  beklagt  das 
ungiück,  welches  die  Schönheit  ihr  gebracht,  wogegen  die  Ägyp- 
terin   das    lob    der    Schönheit    anstimt.     Man    vergleiche    dazu  Helenas 


7(i  DÜNTZEB 

klage  8531  fg.  und  des  Mephistopheles  preis  ihrer  Schönheit  8909  — 
8912.  Die  angst,  dass  sie  nicht  wisse,  wem  sie  angehöre,  tröstet  die 
schamerin,  welche  ihr  bedürfhis  kent,  durch  den  hinweis  auf  den  edlen 
ritter.  der  dieses  schloss  behersche.  Faust  erscheint.  Als  sie  auch  ihm 
gegenüber  auf  dem  verlangen  nach  den  ihrigen  besteht,  muss  sie  ver- 
nehmen,   dass    die    zeit    derselben    längst    vorüber,    Faust   ins   elysium 

drangen  ist.  um  sie  der  erde  wider  zuzuführen.  Da  spricht  sie  ihm 
denn  ihren  auf  der  ..heidnischen  lebensliebe"  beruhenden  dank  aus. 
Nachdem  der  ritter  seinen  leidenschaftlichen  anteil  an  ihr  zum  schwär- 
merischen ausdruek  gebracht,  ergibt  sie  sich  ihm.  Der  auf  demselben 
blatte  stehende  trimeter  ist  offenbar  später  eingetragen,  als  der  dich- 
ter zur  bearbeitung  des  Stoffes  in  diesem  antiken  vermass  sich  ent- 
schlossen hatte.  Xoch  weniger  war  Schmidt  berechtigt,  die  11  trime- 
ter. die  auf  demselben  blatte  mit  versen  der  „Helena"  stehen,  zur 
„ältesten  phase"  zu  ziehen,  da  hier  die  schamerin  schon  Phorkyas 
heisst.  was  bestirnt  auf  die  zwanziger  jähre  deutet.  Über  die  weitere 
handlung  klärt  uns  die  fortsetzung  des  berichts  von  1816  auf:  „Ein 
söhn  entspringt  aus  dieser  Verbindung,  der,  sobald  er  auf  die  weit 
komt,  tanzt,  singt  und  mit  fechterstreichen  die  luft  teilt."  Von  einer 
allegorischen  beziehung  desselben  ist  so  wenig  wie  von  seinem  namen 
die  rede.  Die  weitere  entwicklung  beruhte  auf  der  begrenz ung  des 
zauberkreises,  in  welchem  Fausts  gespenstiges  schloss  liegt.  Helena 
hatte  ihrem  knaben  alles  gestattet,  nur  das  überschreiten  eines  gewis- 
sen baches  verboten.  Als  der  junge  eines  festtags  die  musik  drüben 
hört,  er  die  landleute  und  Soldaten  tanzen  sieht,  kann  er  sich  nicht 
zurückhalten,  er  mischt  sich  unter  sie,  bekomt  aber  händel.  Nachdem 
er  viele  verwundet,  tötet  ihn  ein  geweihtes  seh  wert.  Der  zauberer-kastel- 
lan  kann  nur  die  leiche  retten.  Als  Helena  in  der  Verzweiflung  die 
bände  ringt,  streift  sie  den  ring  ab,  worauf  ihr  körperliches  sich  löst, 
dass,  als  sie  dem  Faust  in  die  arme  stürzt,  nur  ihr  leeres  kleid  in 
diesen  zurückbleibt.  Der  magische  ring  war  freilich  ein  wolfeiles 
märchenhaft'-    auskunftsmittel.      Mit    Helena    ist    auch    ihr    söhn    ver- 

hwunden.  Mephisto,  der  nun  wider  in  seiner  eigenen  gestalt  erscheint, 
sucht  Fau.-t  zu  trösten  und  ihm  Inst  zum  besitz  einzuflösen.  Unzwei- 
felhaft gehört  hierher  die   äusserung,    welche   als  zur  24.  läge  gehörig 

bezeichnet  ist: 

Jeder  trost  ist  niederträchtig, 

Und  Verzweiflung  nur  ist  pflicht. 

Dagegen  durfte  Schmidt  nicht  die  verse  hierher  ziehen,  die  ..ad  22." 
bezeichnet  sind: 


ENTSTEHUNG    VON    FAUST    II  71 

Das  haben  die  propheten  schon  gewusst. 

Es  ist  gar  eine  schlechte  lust, 

Wenn  Ohim,  sagt  die  schritt,  und  Zihim  sich  begegnen, 
Denn  „  dass  grosse  Kicken  im  fragmentarischen  gedieht  anzunehmen", 
kann  nicht  im  geringsten  erklären,  wie  zwischen  notwendig,  wenn 
sie  zusammengehörten,  nahe  aufeinander  folgenden  versen  eine  ganze 
läge  sich  befinde.  Die  stelle  kann  nur  zu  der  Verzweiflung  des  Fausl 
gehören,  als  die  geistere  rscheinung  der  Helena  plötzlich  verschwunden, 
und  ward  wol  von  Mephisto  in  bezug  aufFausts  trübseligkeil  geäussert 
Der  Jesaisstelle  von  den  Ohims  und  Zihims  gedenkt  Goethes  tagebueb 
schon  am  6.  juli  1777.  Die  spräche  Paralip.  86 — 90,  die  Schmidt  auf 
die  ältere  fassung  der  „Helena"  bezieht  (sie  stehen  mit  den  versen  des 
Homunculus  6883  fg.  auf  einem  alten  quartblatte),  scheinen  aus  der 
spätem,  vor  dem  abschluss  der  „Helena"  veränderten  fassung  erhalten 
zu  sein. 

Nachdem  der  Verleger  Cotta  im  april  1800  Goethe  glänzende  aner- 
bietungen zur  Vollendung  des  „Faust"  gemacht  hatte,  beschäftigte  er 
sich  wider  mit  der  ausfiillung  der  Kicken  des  ersten  teil«  So  löste  er 
denn  noch  am  31.  juli  „einen  kleinen  knoten  im  Faust."  Aber  als 
er  am  4.  august  nach  Weimar  zurückgekehrt  war,  scheint  ihn  plötz- 
lich der  gedanke  ergriffen  zu  haben,  seine  „Helena  im  mittelalter", 
von  der  wir  nicht  wissen,  wie  weit  ihre  ausarbeitung  gediehen  war, 
in  würdigerer  weise  auszuführen,  sie  in  ihrem  durch  Zauberkunst  her- 
gestelten  alten  palast  zu  Sparta  in  begleitung  der  von  Troja  mitgebrach- 
ten dienerinnen  auftreten  zu  lassen,  und  zwar  im  glauben,  Menelaus 
(Goethe  bediente  sich  schon  hier  der  für  den  griechischen  trimeter 
bequemern,  aus  dem  französischen  ihm  geläufigen  form  Menelas)  habe 
sie,  nachdem  er  in  Sparta  gelandet,  mit  ihren  dienerinnen  zur  Vorbe- 
reitung eines  opfers  vorausgesant.  Faust  selbst,  nicht  sein  teuflischer 
genösse,  hatte  die  Helena  aus  der  unterweit  geholt  und  Mephistopheles 
trat  nicht  als  Ägypterin  auf,  sondern  in  der  hässlichsten  gestalt  der 
griechischen  sage,  als  eine  Phorkyas.  Diese  namensform  wählte  Goethe 
statt  der  gangbaren  Phorkis,  da  sie  deutlicher  ein  weibliches  wesen 
bezeichnete,  die  tochter  des  Phorkys,  während  Phorkis  von  der 
nebenform  Phorkos  gebildet  ist.  Phorkyas  solte  die  furcht  vor  der 
räche  des  Menelas  in  Helena  nähren  und  dadurch  die  Übersiedelung 
in  Fausts  mittelalterliche  bürg  einleiten. 

Seine  absieht  dieser  neuen  bearbeitung  der  „Helena"  in  alten 
trimetern  könte  Goethe  schon  am  abend  des  2.  September,  unmittelbar 
vor  seiner  rückkehr  nach  Jena,    Schiller  mitgeteilt  haben;    wenigstens 


72  DÖ'TZER 

dürfte  die  beziehung  der  beiden  eintragungen  des  tagebuchs  vom  4. 
und  5.  September  1800:  „Einiges  über  Faust.  —  Einiges  an  Faust", 
auf  die  „Helena"  nicht  ausgeschlossen  sein.  Jedenfals  wüste  der  freund 
von  diesem  neuen  plane,  als  Goethe  am  morgen  des  9.  September  Wei- 
mar, wohin  er  vor  drei  tagen  zurückgekehrt  war.  wider  verliess.  Die- 
sem, mit  dem  er  am  6.  und  7.  zusammengekommen  sein  wird,  schrieb 
er  den  12.  von  Jena  aus:  „Glücklicherweise  konte  ich  diese  acht  tage 
[freilich  war  noch  keine  volle  woche  verflossen,  seit  er  Schiller  zulezt 
-prochen]  die  Situationen  festhalten,  von  denen  Sie  wissen,  und  meine 
Helena  ist  wirklich  aufgetreten.  Nun  zieht  mich  aber  das  schöne  in 
der  [tragischen]  läge  meiner  heldin  so  sehr  an,  dass  es  mich  betrübt, 
wenn  ich  es  zunächst  in  eine  fratze  verwandeln  soll  [durch  die  von 
der  Phorkyas  erzeugte  furcht  vor  ihrem  im  orkus  festgehaltenen  gatten]. 
Wirklich  fühle  ich  nicht  geringe  lust,  eine  ernsthafte  tragödie  auf  das 
angefangene  [das  gelungene  erste  auftreten  Helenas]  zu  gründen."  Nach 
dem  tagebuch  verwante  er  die  frühstunden  des  12.  bis  14.  auf  diese 
dichtong.  Xoch  am  16.  schrieb  er  Schiller:  „Mich  verlangt  zu  erfah- 
ren .  wie  es  in  vierzehn  tagen  aussehen  wird.  Leider  haben  diese 
erscheinungen  eine  so  grosse  breite  als  tiefe,  und  sie  wüirden  mich 
glücklich  machen,  wenn  ich  ein  ruhiges  halbes  jähr  vor  mir  sehen 
könte."  Am  21.  kam  Schiller  mit  freund  Mever  zum  besuche.  Seine 
hohe  be wunderung  der  mit  allem  dichterischen  feuer  Schiller  vorge- 
tragenen trimeter  der  Helena  ermutigte  Goethe  zur  fortsetzung,  mit 
welcher  wir  ihn  an  den  fünf  nächsten  tagen  beschäftigt  sehen.  In  den 
Schmidtschen  auszügen  hinter  seiner  ausgäbe  des  ursprünglichen  Faust 
fehlt  die  eintragnng  vom  26.:  „Schönes  mit  dem  abgeschmackten  durchs 
erhabene  vermittelt.  Nachmittag  fortschritte  an  Helena."  Leider  zogen 
die  „Propyläen"  und  andere  arbeiten  ihn  von  der  „Helena"  ab  und 
es  gelang  ihm  nicht  den  einmal  abgerissenen  faden  wider  aufzuneh- 
men. Die  im  September  1800  gedichteten  verse  liegen  in  einer  sorg- 
fältigen abschrift  seines  damaligen  Schreibers  Geist  vor,  mit  spätem 
nachtragen  teils  von  Goethes  eigner  hand,  teils  als  diktat  an  John, 
seinen  Schreiber  der  zwanziger  jähre.  Sie  bilden  eine  hauptzierde  der 
neuen  Weimarischen  ausgäbe.  Dem  September  1800  gehören  die  verse 
an  8439  (8438  wurde  erst  in  der  allerlezten  fassung  vorgesezt)  —  8586. 
8591  —  8603.  8638  —  8778.  Die  rede  der  Helena  wird  hier  zweimal 
durch  anapästische  Systeme  unterbrochen;  es  folgt  eine  rede  der  chor- 
führerin. die  den  Unwillen  und  schrecken  bemerkt,  mit  welchem  Helena 
zurückkehrt;  auch  in  Helenas  folgenden  bericht  redet  die  chorführerin 
einmal  ein.     Als  Phorkyas  zwischen  den  tüipfosten  erscheint,  stimt  der 


ENTSTEHUNG   VON    FAUST    II  73 

chor  ein  lied  an,  dessen  zweiter  teil  sieli  mit  absehen,  fluch  und  dro- 
hen gegen  die  Phorkyas  wendet.  Mit  der  erwiderung  der  lezteni 
schliesst  die  dichtung.  Goethe  hatte  bei  den  antiken  trimetorn  und 
den  scenen  des  chores  bloss  an  Hermanns  werken  einen  führer.  Die 
hauptmomente  des  plans  seien  in  Ordnung,  hatte  er  an  Schiller  ge- 
sehrieben. Also  muss  auch  die  art  der  Überführung  in  das  mittelalter- 
liche leben  und  das  ende  des  sohnes  bestirnt  gewesen  sein.  Für  den 
leztern  hatte  er  wol  schon  den  aus  den  „Mythologischen  briefen"  von 
Voss  ihm  bekanten  Damen  des  Euphorien,  des  geflügelten  sohnes  der 
Helena  und  des  Achilleus,  gefunden. 

Als  er  anfangs  november  zum  „Faust"  zurückkehrte,  arbeitete  er 
nicht  mehr  an  der  „Helena",  sondern  an  der  brockenscene  des  ersten 
teiles,  die  ihn  vom  2.  bis  zum  8.  beschäftigte.  Am  14.  begab  er  sieh 
nach  Jena,  wo  er  die  dem  herzog  versprochene  Übersetzung  von  Vol- 
taires „ Tankred"  zu  liefern  gedachte,  aber  „die  arme  poesie  wurde 
von  philosophen,  naturforschern  und  konsorten  in  die  enge  getrieben", 
doch  fanden  sich  zur  „Helena"  einige  gute  motive,  wie  er  am  LS.  Schil- 
ler mitteilte.  Vielleicht  hatte  ihn  am  17.  die  betrachtung  von  Guille- 
tieres  altem  und  neuem  Lacedämon  an  die  seit  zwei  monaten  ruhende 
„Helena"  erinnert,  aber  der  blocksberg  übte  eine  noch  grössere  an  Zie- 
hung. Vom  22.  november  bis  zum  24.  december  nahm  ihn  „Tankred" 
größtenteils  in  anspruch,  daneben  aber  gieng  die  brockenscene  nicht 
leer  aus,  zu  welcher  er  mehrere  bücher  über  Zauberei  durchgieng.  Die 
reinschrift  dieser  scene  beschäftigte  ihn  gleich  nach  der  genesung  von 
der  ihn  dem  tode  nahe  bringenden  krankheit  des  Januars  1801.  Dann 
aber  nahmen  die  lücken  des  ersten  teiles  seine  ganze  dichterische  erfln- 
dung  in  anspruch,  womit  es  indess  sehr  langsam  gieng.  Am  6.  april 
schrieb  er  von  seinem  landgute  aus  an  Schiller:  in  der  lezten  zeit  sei 
auch  etwas  an  „Faust"  geschehen;  hoffentlich  werde  bald  in  der  gros- 
sen lücke  nur  der  disputationsaktus  fehlen  (worin  Mephistopheles  als 
fahrender  schüler  auftreten  soltc);  dieser  sei  freilich  als  ein  eigenes 
werk  anzusehen,  das  nicht  aus  dem  Stegreife  entstehe.  Damals  schrieb 
er  wol  den  entwurf  der  disputation  in  ein  oktavheftchen  und  den 
anfang  der  ausfuhrung  in  vierzehn  versen  auf  den  gebrochenen  bogen 
eines  quartheftes.  Aber  gerade  über  diesem  disputationsaktus  wurde 
ihm  die  Vollendung  des  ersten  teiles  verleidet.  Zwölf  tage  nach  Goe- 
thes rückkunft,  am  27.  april,  berichtete  Schiller  an  Körner,  „Faust" 
liege  noch  immer  als  eine  unerschöpfliche  arbeit  vor  Goethe,  da  dem 
plane  nach  das  schon  gedruckte  (168  Seiten  von  22  zeilen)  höchstens 
der  vierte  teil   des  ganzen  sei   und  das    neue    noch  nicht    so  viel   als 


l'l  NTZER 


jenes  betrage,  also  noch  mehr  als  die  hälfte  fehle.  Gar  manches  nahm 
den  noch  Leidenden  dichter  vor  der  hadereise  nach  Pvrmont  in  An- 
sprach.     Schillers  hofhung,  dass  im  februar  und  märz  1802,  wo  Goethe 

zu  Jena  die  in  wüstem  zustande  hinterlassene  bibliothek  Büttners  zu 
ordnen  hatte,  der  bücherstaub,  mit  dem  poetischen  geist  geschwängert, 
ihn  zu  dem  alten  gespenstigen  doktor  zurükföhren  werde,  gieng  so 
wenig  in  erfäüung,  dass  „die  lustige  und  gesellige  epoche",  die  er 
in  Jena  traf,  und  die  lyrische  Stimmung  des  frühlings  ihn  trieben,  sich 
von  dem  düstern  mittelalterlichen  stoff  in  heiterer  weise  ganz  loszu- 
_ -n.  Damals  entstanden ,  wenn  nicht  alles  trügt!  die  beiden  neuent- 
deckten epiloge,  die  den  17**7  gedichteten  prologen,  der  „Zueignung" 
und  dem  „Vorspiel  auf  dem  theater",  in  umgekehrter  folge  entsprechen. 
Diese  merkwürdigen  dichtungen,  die  unter  den  Überschriften  „Abkün- 
digung" und  „Abschied"  auf  zwei  besondern  blättern  der  dreissigsten 
Lage  der  gesamthandschrift  des  „Faust"  beigelegt,  aber  als  aufgegeben 
später  durchstrichen  wurden,  sind  von  Schmidt  im  Goethe  -  Jahrbuch 
IX.  5  fg.  und  band  151,  344  fg.  2,  188  mitgeteilt.  Kaum  begreiflich 
i>r  es,  wie  Schmidt  sich  bereden  konte,  sie  seien  vielleicht  schon  ende 
17'. '7  entstanden.  Der  einzige  ausgesprochene  grund  ist,  dass  Goethe 
am  25.  december  1797  an  Hirt  schrieb,  er  sei  beschäftigt,  seinen 
„Faust"  zu  endigen,  wünsche  aber  zugleich  sich  von  aller  nordischen 
barbarei  loszusagen.  Und  in  diesem  augenblick,  wo  er  daran  dachte, 
einen  grossen  teil  des  nächsten  Jahres  der  Vollendung  des  „Faust"  zu 
widmen,  soll  er  fähig  gewesen,  dem  barbarischen  Stoffe  (über  das 
barbarische  desselben  hatte  er  sich  auch  schon  früher  gegen  Schiller 
an  rochen)   den  laufpass  zu  geben.     Das  entschiedene  aufgeben  der 

Faustsage,  die  ihn  so  lange  aufgehalten,  an  der  er  sich  also  nicht  wei- 
ter abarbeiten  will,  ist  die  notwendige  Voraussetzung  dieser  humoristi- 
schen  epiloge.     Die  an  erster  stelle  eingeheftete  abkündigung  lautet: 

Den  besten  köpfen  sei  das  stück  empfohlen, 

Wir  möchten s  ^erne  widerholen, 

Allein  der  beifall  gibt  allein  gewicht. 

Vielleicht  dass  sich  was  bessres  freilich  fände.  — 

Des  menschen  leben  ist  ein  episches  gedieht:  5 

Es  hat  wol  einen  anfang,  hat  ein  ende, 

Allein  ein  ganzes  ist  es  nicht. 

Ihr  herren,  seid  so  gut  und  klatscht  nun  in  die  hände. 
ä  hmidt  gibt  diese  verse  nicht  in  der  ursprünglichen  fassung,   sondern 
in   der   Umbildung,    zu  welcher  Goethe,    als   er   sie   in  den   zwanziger 
jahren  widerfand  und  neu  abschreiben  liess,  durch  einen  unglücklichen, 


ENTSTEHUNG    von    FAUST    II 

ihren  Schwerpunkt  verrückenden  einfall  sich  verleiten  liess,  and  sie 
so  dem  zweiten  teile  der  grossen  dichtung  beilegte.  Damals  schob  er 
vor  _  den  vers  ein:  „Der  Deutsche  Bitzl  verständig  zu  gericht",  was 
dann  die  änderung  von  Wir  in  Und  zur  folge  hatte.  I1  er  zusatz  ist 
anpassend,  da  vorher  von  den  besten  köpfen  die  rede  ist  Die  ein- 
schiebung  wurde  dadurch  veranlasst,  dass  Goethe  «•inen  reimvers  auf 
v.  3  vermisste,  der  aber  nicht  durchaus  nötig  ist,  ja  die  reimform  völlig 
entstelt.  Ähnlich  folgt  im  „Divan"  Viil,  L2  nach  einem  reimpaare  ein 
system  von  sechs  versen  in  der  Ordnung  abbaba.  Schmidt  aenl  die 
durch  den  unglücklich  eingeschobenen  reimvers  entstandene  anform  „eine 
stanze  mit  einem  selbständigen  schlussruf",  die  jedenfals  viel  schlimmer 
ist  als  dass  auf  ein  reimpaar  statt  eines,  zweier  oder  auch  mehrerer 
vierversigen  Systeme,  wie  es  häufig  sich  findet,  ein  aus  drei  reimpaaren 
bestehendes  sechsversiges  folgt,  statt  3  hatte  Goethe  zuerst  jhrie- 
ben  „Wenn  nicht  was  neues  widerspricht",  dieses  aber  gleich  als  an 
hörig  gestrichen.  In  5  hatte  der  Schreiber  statt  episches  ezi 
ähnliches.  Diesen  argen  hörfehler  des,  wie  häutig,  das  fremdworl 
misverstehenden  Schreibers  hat  Schmidt  beibehalten,  obgleich  die  v< 
5  —  7  in  Goethes  eigner  handschrift  auf  einem  foliobogen  stehn,  der 
spruchverse  aus  dem  ersten,  wo]  auch  aus  dorn  zweiten  fcei]  enthält,  and 
dort  deutlich  episches  zu  lesen  ist,  wie  6  einen  und  ein  statt  des  vom 
Schreiber  gesezten  seinen  und  sein.  Als  Goethe  die  abkündigui 
später  durchsah,  überlas  er  das  widersinnige  ähnlich«  fcelte  richtig 

ein  her,  liess  aber  aus  versehen  seinen  weg  statt  einen  zu  schrei- 
ben. AVer  viel  hat  drucken  lassen,  weiss,  dass  man  bei  der  korrektur 
verdrucktes  stehen  lässt,  weil  man  nicht  den  gesezten  fehler  liest, 
sondern  die  vorschwebende  richtige  fassung  der  handschrift.  woraus 
sich  auch  manche  entstellungen  des  Goetheschen  b  I  erklären,  die 
leider  auch  die  Weimarische  ausgäbe  treu  fortpflanzen  zu  mü 
glaubt.  Ein  ähnliches  gedieht  ist  reiner  ansinn,  da  ähnlich  ganz 
beziehungslos  stände  und  keine  veranlassung  war.  das  menschenleben 
ein  gedieht  zu  nennen  als  in  ih~v  vergleichung  mit  dem  epos,  auf  des- 
sen von  Wilhelm  Schlegel  aufgebrachte  theorie  (vgl.  den  brief  an  Schil- 
ler vom  28.  april  1797)  launig  angespielt  wird  bei  der  entschuldigung, 
dass  sein  ,,Faust"  (auch  in  der  hier  als  schon  geschehen  angenommenen 
Vollendung)  ebensowenig  ein  ganzes  sei   wie  das  menschenleben. 

So  wenig  wie  Schmidts  kritische  behandlung  können  wir  hier  seine 
auffassung  und  erklärung  billigen.     Wenn  Goethe  die  „Abkündigui 
und  den  „Abschied"   noch  spät  abschreiben  liess  und  einer   Fernschrift 
des  abschnittes  von   Fausts   tod    beilegte,    so   schliesst   er   daraus,    dass 


76  DÜNTZER 

dieser  „noch  bis  in  die  lezte  zeit  diesen  ausklang  erwogen  hat",  wobei 
ich  mir  eigentlich  gar  nichts  denken  kann.  Die  zur  erklärung  bei- 
j  fügte  bemerkung,  die  „Abkündigung"  umschreibe  das  plaudite  der 
alten  komödie.  berücksichtigt  .-eltsamerwoise  nur  den  lezten  vers,  und 
zwar  ungenau  genug.  Und  bei  der  aufforderung  zum  klatschen  wer- 
den dem  dichter  nicht  weniger  als  die  römischen  komikor  Shakespeares 
epiloge  zum  ..Sturm",  „Sommernachtstraum"  und  „Heinrich  VIII." 
vorgeschwebt  haben.  Auch  war  zu  bemerken,  dass  Goethe  sich  nicht 
an  die  Zuschauer  überhaupt  wendet,  sondern  an  die  herren,  wie  umge- 
kehrt in   dem  von    einem    tanzer  gesprochenen  epilog  zum  zweiten  teil 

n  Shakespeares  ..Heinrich  IV. "  der  darin  auftretende  tänzer  die  Ver- 
zeihung der  damen  wegen  des  neulich  durchgefallenen  Stückes  schon 
gewonnen  zu  haben  behauptet  und  dasselbe  dann  auch  von  den  herren 
erwartet,  da  diese  in  solcher  versamlung  diesen  folgen  müssen.  Die 
..Abkündigung"  ist.  woran  Schmidt  wunderbar  gar  nicht  ^gedacht,  eben 
eine  abkündigung,  im  gegensatze  zu  der  auf  dem  deutschen  theater 
lange  zeit  gangbaren  ankündigung  des  am  nächsten  theaterabende  zu 
_  benden  Stückes  durch  einen  Schauspieler  oder  den  Vorsteher  (einzelne 
_  -  -«haften  hatten  ihren  eigenen  ankündiger,  annonceur),  wobei 
zuweilen  ein  anderes  stück,  besonders  die  widerholung  des  eben  ge- 
spielten  von  den  Zuschauern  verlangt  wurde,  (was  in  Berlin  bei  Lessings 
..Minna  von  Barnhelm"  eine  reihe  abende  hintereinander  geschah),  in 
Hamburg  einmal,  als  Schröder  ein  anderes  stück  ankündigte,  die  wider- 
holung  von  Schillers  eben  aufgeführtem  Trauerspiel  „Kabale  und  liebe'c 
gefordert  wurde.  Erst  wenn  man  sich  dieser  sitte  erinnert,  versteht 
man  lies  launige  ..abkündigung."     Der  direktor   (denn  diesen  dür- 

fen wir  uns  auch  hier  denken)  möchte  das  stück  als  ein  bedeutendes 
den  herrn  kunstkermern  empfehlen,  muss  aber  auf  seinen  wünsch,  es 
am  nächsten  abend  widerzubringen,  verzichten,  da  ihm  der  gewünschte 
beifall  nicht  zu  teil  geworden,  was  freilich  seinen  guten  grund  haben 
möge.    Da  kein  rechtes  ganzes  sei,  entschuldigt  er  mit  der  gleichen 

beschaffenheit  des  menschenlebens,  und  so  hoffc  er.  dass  die  als  die 
besten  köpfe  angesprochenen  herren  die  gute  haben  werden,  schliess- 
lich doch  in  die  bände  zu  klatschen.  Die  sehen  <\<>  redners  spricht 
sonders  in  v.  3  aus:  das  ganze  j.r  von  bester  launc  eingegeben, 
doch  fehlt  den  versen  die  lezte  band,  welche  die  Ungleichheit  mehrerer 

hoben  haben  würde.  Jm  gründe  stimt  unsere  „abkündigung"  mit 
dem  durchaus  humoristisch  gehaltenen,  vielversprechenden  Vorspiel  auf 
dem  theater.  da  es  nicht  zu  bezweifeln  steht,  dass  der  dichter  dort 
sich  keineswegs  den  forderungen  des  direktors  fügt,  er  zulezt  bloss  still- 


f.ntstkhünTt  von  paust  ii  77 

schweigt,  da  er  nur  ohne  rücksicht  an!*  Wirkung  seinem  eigenen  «Iran-.' 
folgen  kann. 

Wenden  wir  uns  von   der  „abkündigung"   zum    „abschied",    von 
dem  die  dreizehn  ersten  verse  der  Schreiber  Geist,  die  folgenden  Goethe 

selbst  geschrieben  hat 

Am  ende  bin  ich  nun  des  trauerspieli 
Das  ich  zulezt  mit  bangigkeil  rolfuhrt, 
Nicht  mehr  vom  dränge  menschlichen  gewühli   . 
Nicht  von  der  macht  der  dunkelheit  gerührt 

Wer  schildert  gern  den   wirwar  des  gefiihL    .  5 

Wenn  ihn  der  weg  zur  Klarheit  aufgeführt! 
und  so  geschlossen  sei  der  barbareien 
Beschränkter  kreis  mit  seineu  Zaubereien. 

Und  hinterwärts  mit  allen  guten  schatten 
Sei  auch  hinfort  der  böse  geist  gebaut,  LO 

Mit  dem  so  gern  sich  jugendträume  gatten, 
Den  ich  so  früh  als  freund  und  feind  gekaut. 
Leb1  alles  wol,  was  wir  hiemit  bestatten, 
Nach  Osten  sei  der  sichre  blick  gewant 
Begünstige  die  muse  jedes  streben,  1  5 

Und  lieb'  und  freundschaft  würdige  das  leben1. 

Denn  immer  halt  ich  mich  an  Eurer  seit«'. 
Ihr  freunde,  die  das  leben  mir  geselt; 
Ihr  fühlt  mit  mir.  was  einigkeit  bedeute, 
Sie  schaft  aus  kleinen  kreisen  weit  in   weit:  20 

Wir  fragen  nicht  in  eigensingem  streit 
Was  dieser  schilt,  was  jenem  nur  gefält, 
Wir  ehren  froh  mit  immer  gleichem   mute 
Das  altertum  und  jedes  neue  gute. 

0  glücklich,  wen  die  holde  kirnst   in  frieden 
Mit  jedem  frühling  lockt  auf  neue  flur! 
Vergnügt  mit  dem,  was  ihm  ein  gott  beschieden, 
Zeigt  ihm  die  weit  des  eignen  geistes  spur. 
Kein  hindernis  vermag  ihn  zu  ermüden: 
Er  schreite  fort,  so  will  es  die  natur. 

1)  Ursprünglich  hatte  Goethe,    als  er  sich   zur  fortsetzung  getrieben  fühlte, 

v.14  geschrieben:  _Auf  neue  scenen  ist  der  geist  gewant".  und  die  stanze  geschlos- 
sen: rDem  neuen  triebe,  diesem  neuen  streben  Begegne  neue  kunst  und  neues 
leben." 


78  Dt;NTZER 

Und  wie  des  wilden  Jägers  braust  von  oben  30 

Des  zeitengeists  gewaltig  freches  toben. 
Nicht  stanze  für  stanze,  aber  in  allen  Hauptpunkten  bildet  der 
gleich  viel*'  enthaltende  „abschied"  den  entschiedensten  gegensatz  zur 
„Zueignung."  Bogint  jene  mit  dem  innigen  dränge,  die  gestalten  der 
alten,  ihn  an  seine  Jugendzeit  ahnungsvoll  erinnernden  sage  von  neuem 
zu  beschwören,  so  ist  er  jezt  herzlich  froh  den  „Faust",  der  ihn  mit 
5<  in«  in  gewaltigen  ringen  und  den  schauern  des  uns  verschlossenen 
jenseits  früher  so  mächtig  ergriffen  hatte,  jezt  zu  ende  geführt  zu 
haben  und  von  diesem  den  geist  beschränkenden  zauberkreis  befreit  zu 
sein.  Die  wideraufhahme  der  Faustsage  hatte  freilich  mit  der  erinne- 
rung  an  die  frühere  Jugendzeit  und  das  glück  von  erster  liebe  und 
freund sehaft  auch  den  bittern  sehmerz  um  den  frühen  vertust  so  man- 
cher guten  seele  und  die  klage  in  ihm  erregt,  dass  er  des  gemütlichen 
beifals  der  nächsten  sich  nicht  mehr  zu  erfreuen  habe,  da  nur  eine 
kalte  menge  die  fortsetzung  seiner  dichtung  vernehmen  werde.  Dieser 
zu  entschiedener  Ungerechtigkeit  gegen  die  gegenwart  ihn  hinreissen- 
den leidenschaftlichen  seimsucht  der  beiden  mitlern  Strophen  der  „Zu- 
eignung" entspricht  jezt  der  feste  entschluss,  sich  von  allem  vergeb- 
lichen schmachten  nach  den  hingeschiedenen,  besonders  aber  vom 
düsteren  versenken  in  die  nachtseite  der  natur  abzuwenden,  das  ihn 
einst  so  wonnig  ergriffen,  aber  auch  seinen  blick  getrübt,  seine  tatkraft 
gehemt  hatte.  Auf  ewig  entsagt  er  jenem  dunklen  sinnen  und  wendet 
sich  dem  lichte  zu  (Ex  Oriente  lux),  vom  wünsche  begeistert,  dass 
neben  der  sein  leben  beherschenden  muse  liebe  und  freundschaft  ihn 
stets  begleiten  mögen,  die  ihn  mit  manchen  in  treuer  eintracht  zu  ihm 
stehenden,  alles  schöne  und  gute  froh  verehrenden  seelen  verbinde. 
hloss  die  „zueignung"  mit  dem  ihn  zu  tränen  hinreissenden  und  der 
genwart  entrückenden  dränge  nach  den  hingeschiedenen,  so  empfin- 
det er  jezt  den  vollen  segen,  frei  dem  triebe  der  ihn  zu  neuer,  frischer 
tätigkeit  befeuernden  dichternatur  zu  folgen,  worin  ihn  die  wilde  jagd 
des  all*-  umstürzenden  Zeitgeistes  nicht  stören  soll.  So  hofnungsfreu- 
dig  klingt  die  Seligkeit  aus,  dem  düstern  mittelalterlichen  zaubertreiben 
entrückt  zu  sein.  Von  seiner  schweren  krankheit  jezt  voll  genesen, 
fohlt  er  sieh  zu  feurigem  dichterischen  schaffen  getrieben  an  der  seite 
des  ihm  verbündeten  ebenbürtigen  Schiller;  statt  des  ihn  so  lange 
drückenden  gespenstigen  doktors  hatte  ihn  die  in  der  neuesten  zeit 
spielende,  die  sichere  beruhigung  der  aufgeregten  staatlichen  weit  dar- 
stellende grosse  trilogie  der  „natürlichen  tochter"  ergriffen,  von  der 
nur  der  erste  anfang  vorlag,  deren  Vollendung  die  gespannteste  zusam- 


PSTEBTI  tfQ    VON    FAUST    II  7!' 

menfassung  seiner  kraft  forderte,  and  er  ahnt»1,  dass  der  geist  ihn  aoch 

zu  manchen  andern  dichtungen  treiben   werde. 

In  den  beiden  nächsten  jähren  war  an  eine  weiterfuhrung  des 
„Faust'*  nicht  zu  denken,  mochte  auch  einmal  die  rede  auf  diesen 
kommen,  wie  nach  »lein  tagebuch  am  abende  <\r*  31.  Oktober  L803  bei 
Schiller  nach  dem  „Teil"  auch  der  ruhenden  mittelalterlichen  dichtung 
gedacht  wurde.  Als  er  gegen  ende  des  Jahres  L804  an  eine  neue 
gesanitausgabe  seiner  werke  dachte,  trat  ihm  auch  die  Vollendung  <\v* 
ersten  teiles  des  „Faust M  nahe,  welche  das  bedeutendste  neu,'  in  die- 
ser bilden,  ihr  besondern  glänz  verleihen  werde.  Ersl  nach  Schillers 
tode  kam  der  vertrag  mit  Cotta  zu  stände,  in  den  monaten  märz  und 
april  1806  wurde  der  erste  teil  abgeschlossen.  Cotta  selbst  nahm  im 
mai  die  handschrift  zum  drucke  mit,  aber  die  traurigen  politischen 
zeiten  verzögerten  das  erscheinen  der  den  „Faust"  bringenden  lieferung 
bis  ostern  1808.  Selbst  die  jezt  dem  „Faust"  in  erhöhtem  masse  zu- 
gewante  algemeine  aufmerksamkeit  konte  den  dichter  nicht  bestimmen, 
an  die  ungeheure  aufgäbe  des  wie  ein  kaum  zu  bewältigender  Schacht 
vor  ihm  liegenden  zweiten  teiles  zu  gehen,  wenn  dieser  auch  keines- 
wegs die  ausdehnung  erhalten  solte,  die  ihm  die  spätere  bearbeitung 
gab.  Freilich  kam  noch  vor  diesem  erscheinen  des  vollendeten  ersten 
teiles  in  freundeskreisen ,  wo  er  denselben  vortrug,  die  rede  zuwei- 
len auch  auf  die  erwartete  fortsetzung,  wie  er  einmal  in  Jena  am 
13.  märz  1808  sich  im  ak'emeinen   über  den   inhalt  des  /weiten  teil 

o 

aussprach,  aber  die  ausführung  desselben  schien  ihm  anmöglich.  AU 
er  am  ende  des  Jahres  1816  mit  dem  vierten  bände  von  „Dichtung 
und  Wahrheit"  beschäftigt  war,  fasste  er  den  entschluss,  darin  ein 
Schema  des  zweiten  teiles  mitzuteilen,  obgleich  dieser  nicht  (Ut  zeit 
angehörte,  bis  zu  welcher  die  leben sbeschreibimg  führte:  er  wolte  mit 
dieser  Veröffentlichung  nur  die  fortsetzung  ablehnen.  Aber  jener  vierte 
band  selbst  stockte.  Mit  dem  jungen  Schlesier  Karl  Ernst  Schubarth, 
der  sich  ganz  an  ihm  herangebildet  hatte,  sprach  er  ende  September 
1820  über  den  aufgegebenen  zweiten  teil.  Vier  jähre  späte)'  legte  er 
Eckermann  die  handschrift  des  unvollendeten  vierten  bandes  von  ..Dich- 
tung und  Wahrheit"  vor,  in  welcher  sich  das  Schema  des  zweiten  teile- 
von  1816  fand.  Dieser  äusserte  dem  dichter  sein  bedenken,  ob  die- 
selbe mitzuteilen  sei,  worüber  man  wol  erst  dann  werde  entscheiden 
können,  wenn  man  mit  rücksicht  auf  die  fertigen  bruchstücke  sich  ent- 
schieden habe,  ob  jede  hofnung  auf  vulendung  des  zweiten  teiles  auf- 
zugeben sei.  Aber  nicht  dieses  bedenken  bestirnte  den  dichter,  sich 
der  seit  länger  als  zwanzig  jähren   aufgegebenen   dichtung  wider  zuzu- 


80  DÜNTZER 

wenden,  sondern  die  beabsichtigte  gesamtausgabe  Lezter  band,  welche 
er  durch  die  ausfuhrung  der  „Helena**,  (leren  anfang  ihm  so  wunder- 
bar gelungen   war.    einen   besondern   wert   zu  geben   hefte;    und   zwar 

-  »lte  diese  ganz  unerwartet  gleich  in  der  ersten  lieferung  die  weit 
überraschen  Die  schwierigkeil  dieser  aufgäbe  entgieng  ihm  nicht; 
aber  da  es  ihn  anzog,  in  der  Verbindung  der  Helena  mit  Faust  sin- 
bildlich    den    streit    zwischen    den    klassikem   und   den  romantikern   zu 

-  thlichten,  so  gieng  er  mit  dem  ihn  oft  in  entscheidenden  fällen  begei- 
sternden  mute  an  die  ausführumr.  Diese  »-elans:  ihm  im  laufe  der  bei- 
den  nächsten  jähre  über  alle  erwartung,  so  dass  seine  „Helena"  nach 
dem  ausspruche  von  Wilhelm  von  Humboldt  ,,etwras  eigentümlich  neues" 
wurde.  ..\<m  dem  man  noch  keine  idee  hat,  für  das  man  keine  regel 
und  kein  gesetz  kent,  das  aber  sich  im  höchsten  poetischen  leben  fort- 
bewegt" Ohne  hier  auf  die  ungemein  merkwürdige  ausbildung  desselben 
einzugehen,  gedenken  wir  nur  der  besondern  Schwierigkeit,  die  das 
ende  des  Euphorien  machte.  Das  im  ursprünglichen  plan  angenom- 
mene, er  sei  gefallen,  weil  er  den  zauberkreis  verlassen,  konte  Goethe  bei 
der  würde,  die  er  seiner  dichtung  gegeben,  nicht  mehr  brauchen.  Dass 
ihn  später  der  fall  Missolonghis  dazu  brachte,  hier  der  aufopferung  des 
dämonischen  englischen  dichters  ein  denkmal  zu  setzen,  ist  bekant. 
Aus  seinem  eigenen  munde  wissen  wir,  dass  er  Euphorions  tod  früher 

luf  verschiedene  weise,  einmal  auch  recht  gut,  ausgebildet"  gehabt. 
In  einem  der  erhaltenen  entwürfe  lesen  wir  bloss  von  Euphorions 
„kunststücken  und  tod":  ein  anderer  sezt  dazwischen  noch  „freudige 
eitelkeittt,  wonach  also  unbedachte  eitelkeit  ihn  zu  gründe  richten  solte. 
Das  unmittelbar  darauf  folgende:  „Aufgehobener  zauber"  bezieht  sich 
nicht  etwa  auf  das  verlassen  <](.'>  zauberkreises,  sondern  darauf,  dass 
durch  den  tod  des  sohnes  auch  das  durch  zauber  vermittelte  neue 
Leben  der  Helena  selbst  zu  ende  ist.  Zu  einer  früheren  fassung  des 
endes  -  Euphorion  scheinen  mir  die  verse  auf  einem  blatte  zu  gehö- 
ren, welches  die  -teile  des  mummenschanzes  beim  anrücken  des  wil- 
den hei  ntliält,  weshalb  sie  Schmidt  auf  die  feuer quelle  bezogen 
hat  (Paralip.  1 15): 

ht  ihr  die  quelle  da, 

Lustig  sie  sprudelt  ja, 

Wie  ich  noch  keine  sah, 

Kostete  gern, 

die  ganz  dem  tone  des  mit  ungestüm  vordringenden  knaben  entsprechen 
würden.  Man  könte  denken,  dieser  habe,  immer  weiter  fortgetrieben, 
im  wasser  den  tod  finden  sollen,    zu   dem   es  ihn   von   der  quelle  hin- 


STEHUNG    V<>N    FAUST   II  81 

gezogen,  während  er  nach  der  spätem  fassung  die  höchsten  gipfe] 
ersteigt.  Möglich  ist,  dass,  wie  ich  Hingst  vermutet  habe,  Goethe  für 
Euphorion,  ehe  er  ihn  wie  Byron  der  begeisterung  für  Griechenlands 
Freiheit  zum  opfer  fallen  liess,  sich  auch  den  ausgang  gedacht  hat,  dass 
er  in  die  weite  weit  fliegen  sollt'  —  zur  andeutung,  dass  die  dichtung 
eine  weltgabe  sei,  die,  wie  sie  allerwärts  entsteht,  so  auch  iiberalhin 
sieh  verbreitet.  Dann  wurde  Eelena  aus  schmerz  über  die  trennung  von 
ihm  aus  dem  leben  geschieden  sein. 

Da  Goethe  sieh  vor  dem  erscheinen  der  „Helena"  über  ihre  Stel- 
lung im  zweiten  teile  aussprechen  wolte,  so  nahm  er  bereits  am 
8.  november  1826  den  vor  zehn  jähren  geschriebenen  plan  des  zweiten 
teiles  wider  vor  und  diktierte  mit  benutzung  desselben  die  einleitung 
zur  „Helena"  die  „ antecedentien a  derselben,  wie  er  sie  auch  nante, 
worin  der  Inhalt  des  ersten  aktes  kurz  berührt,  der  ^'>  zweiten  bis 
zur  gewährung  der  an  Proserpina  gerichteten  bitte  des  Faust  ausführ- 
lich erzählt  wurde.  Am  21.  deccmbcr  schloss  er  sie  ab,  doch  bald 
entschied  er  sich,  sie  nicht  drucken  zu  lassen;  ohne  zweifei,  weil  er 
der  hofnung  nicht  entsagen  wolte,  die  beiden  der  Helena  vorhergehen- 
den akte  noch  zu  stände  zu  bringen.  Die  wirklich  in  „Kunst  und 
altertum"  gedruckte  kurze  ankündigung  der  „Helena"  bemerkt  nur, 
vor  der  band  solle  es  „unausgesprochen  bleiben,  wie  es  nach  manm 
faltigen  hindernissen  den  bekanten  magischen  gesellen  geglückt,  die 
eigentliche  Helena  persönlich  aus  dem  orkus  ins  leben  heraufzuführen." 

Schon  ehe  er  diese  kürzere  ankündigung  am  lO.juni  1826  abschlo 
hatte  er  die  ausführung  des  ersten  aktes  des  zweiten  teiles  einstlich 
erwogen.  Es  war  ein  gewaltiges  werk,  das  er  übernahm,  aber  die 
volle  freude  über  das  gelingen  der  „Helena"  begeisterte  ihn  dazu:  galt 
es  ja  die  beiden  ersten  akte  und  wo  möglich  auch  die  beiden  lezten 
zu  ebenbürtiger  dichterischen  ausbildung  zu  bringen,  jeden  derselben 
zu  einem  grossen,  selbständigen,  gehaltreichen,  von  reichen  allegorien 
durchzogenen,  in  sich  abgerundeten  ganzen  zu  erheben.  Das  tagebuch 
bezeichnet  von  jezt  an  die  fortsetzung  d<  s  ..Faust"  als  „hauptgeschäft", 
als  „hauptwerk."  Schon  am  18.  mai  1827  hat  er  das  hauptgeschäft 
„auf  den  rechten  fleck  gebracht."  Seit  dem  12.  hatte  er  wider  ein- 
mal seinen  garten  am  parke  bezogen,  da  er  auf  eine  badereise  ver- 
zichtete. Aus  dem  briefe  an  Zelter  vom  24.  ergibt  sich,  dass  ihn  damals 
der  anfang  des  vierten  aktes  als  einleitung  zu  der  schon  langst  ausge- 
führten darstellung  von  Fausts  ende  beschäftigte.  Darauf  beziehen  sieh 
demnach  auch  die  ein  tragungen  vom  21.  bis  zum  30.,  die  vom  „sche- 
matisieren", vom  „regulieren  der  vorliegenden  angeführten  teile",  vom 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.   XXIH.  O 


dDntzbb 

„behandeln  des  Schemas,  anschliessend  an  das  schon  vollendete"  und 
von  „einigen  poetischen  bedenken"  sprechen.  Erst  am  9.  juni  kehrte 
er  nach  Weimar  zurück,  wo  ihn  bis  zum  14.  ein  besuch  des  als  natur- 
forscher  bedeutenden  grafen  Sl  srnberg  erfreute.  Gleich  darauf  muss  er 
den  entschluss  gefasst  haben,  den  anfang  des  ersten  aktes  auszuführen, 
r  jezt  ein  weitglänzendes  portal  erhalten  solte,  wovon  die  entwürfe 
keine  spur  zeigten.  Wenn  Goethe  am  21.  „einiges"  an  dem  für  den 
„Faustu  bestirnten  bände  der  ausgäbe  lezter  band  machte,  so  muss  es 
-ich  um  dm  anfang  des  zweiten  teiles  gehandelt  haben;  doch  dauerte 
einen  vollen  monat,  ehe  er  sich  diesem  anhaltend  widmete.  Schon 
am  1.  Oktober  las  er  Eckermann  die  zweite  scene  vor;  am  1.  Januar 
1828  schloss  er  das  karneval  ab.  über  das  er  sich  am  8.  november 
mit  Eckermann  unterhalten  hatte:  am  14.  brach  er  den  zunächst  mit- 
zuteilenden anfang  des  zweiten  teiles  mitten  in  der  scene  im  lustgarten 
ab.  doch  beschäftigte  ihn  die  durchsieht  noch  länger  als  eine  woche. 
Schweigt  auch  das  tagebuch  zunächst  vom  „Faust**,  so  ergibt  sich  doch, 
da—  er  weiter  daran  fortgearbeitet  hat,  aus  der  klage  an  Eckermann  vom 
11.  märz,  dass  es  mit  der  fortdichtung  äusserst  langsam  gehe,  er  im 
allerglücklichsten  falle  jeden  morgen  nur  eine  seite  zu  stände  bringe. 
Von  Dornburg  au>  vertraute  er  Zelter  am  26.  juli,  es  komme  nun 
darauf  an.  den  ersten  akt  zu  schliessen,  der  bis  auf  das  lezte  detail 
erfunden  sei;  nur  der  ihn  tief  erschütternde  tod  des  grossherzogs  habe 
dessen  Vollendung  gehindert.  Als  er  am  11.  September  von  Dornburg 
zurückgekehrt  war.  nahm  ihn  zunächst  die  neue  bearbeitung  der  „wan- 
rjahre"  in  ansprach.  Doch  bald  kehrte  er  zum  ,,Faust"  zurück,  des- 
o  zweiter  akt  ihm  so  sehr  am  herzen  lag,  dass  er,  obgleich  das 
gebuch  vom  29.  September  bis  zum  7.  februar  1829  fortwährend  des 
„ hauptgeschäfts "  gedenkt,  selbst  den  nächsten  freunden  nichts  davon 
rriet  Zelte]1  erfuhr  auf  seine  anfrage  nur,  dass  diese  ihn  bestimmen 
werde,  das  zunächst  an  den  anfang  sich  anschliessende  baldmöglichst 
anzufertigen.  Erst  am  1.  december  vertraute  er  Riemer  unter  anderem 
neuen  auch  Faustische  scenen.  Damals  scheint  er  sich  zur  durchsieht 
des  fertigen  entschlossen  zu  haben.  Eckermann  hörte  am  6.  und 
16.  december  die  beiden  eisten  scenen  des  zweiten  aktes,  am  ende  des 
monats  aus  dem  eisten  die  vom  papiergeld  und  von  der  erscheinung 
des  Paris  und  der  Helena,  wie  am  10.  Januar  1830  die  unterdessen 
fertig  gewordene  in  der  finstern  gallerie,  etwa  zehn  tage  >päter  endlich 
auch  den  anfang  der  klassischen  Walpurgisnacht.  Im  juni  war  der 
selben  erobert  und  die  Kicken  ausgefült;  doch  noch  im 
december   beschäftigte  ihn   die  nacharbeit     Erst   am   20.  februar   1831 


ENTSTEHUNG    70N    PAUST   II  83 

wurden  die  drei  ersten  akte  zusammengeheftet,  was  ihn  zur  Vollendung 

des  Schlusses  reizen  solte. 

Unter  den  neuen  erfindungen  des  mit  allegorischen  beziehungen 
reich  ausgeschmükten  ersten  aktes  gedenken  wir  nur  der  mütter,  welche 
die  heraufruhrung  von  Schattenbildern  Längs!  hingeschiedener  personen 
dramatisch  veranschaulichen  solten.  Wir  hörten  bereits,  dass  die  betref- 
t'ende  scene  erst  nach  der  geistererscheinung  selbst  fertig  wurde.  Ein 
paar  stellen  aus  frühem  versuchen  dieser  seene  haben  sieh  erhalten 
(Paral.  118.  120  fg.).     Bemerkenswert  sind  die  verse: 

Und  wenn  du  rufst,  sie  folgen  mann  für  mann, 
Und  fraun  für  traun,  die  grossen  wie  die  schönen, 
Und  bringen  her  so  Paris  wie  Helenen, 
da  hier  angenommen  wird,  Faust  müsse  die  beschworenen  geister  beim 
namen  rufen,  ehe  er  den  dreifuss  an  die  oberweit  bringe.    Dies  weicht 
ab  von  6297  fg.,  welcher  stelle  aber  die  wirkliche  beschwörung  6427  fg 
widerspricht,  in  welcher  bloss  die  mütter  angerufen  werden.     Ein  ver- 
sehen ist  es,  wenn  E.Schmidt  die  worte  (Paral.  119):   „Nicht  nacht,  nicht 
tag,   in   ewger  dämmerung.  —    Es  war  und  will  ewig  sein"    zu  6214 
zieht  und  dem  Mephisto  zuschreibt;    vielmehr  waren  sie  zur  beschwö- 
rung des  Faust  bestirnt   (vgl.  6429)    und  solten   nicht   auf  die   mütter, 
sondern   auf   die    „bilder  des  lebens"    gehen.     Die    stelle,    auf  welche 
Scberer  die  behauptung  eines  ganz  andern  ursprünglichen  plans  der  dich- 
tung  gründete,  ergibt  sich  jezt  als  spätere  einschiebung,  wie  E.  Schmidt 
zugibt. 

Viel  bedeutender  war  die  Umgestaltung,  welche  die  ursprünglich 
von  Mephistopheles  übernommene  herbeischaffung  der  wirklichen  Helena 
erleiden  muste,  da  diese  nach  der  weiten  ausfuhrung  des  dritten  akt 
eine  dieser  ebenbürtige  darstellung  dringend  forderte.  Freilich  lag  ein 
ausführlicher  entwurf  derselben  im  Schema  vor,  dessen  erste  fassung 
vom  november  1826  datiert,  im  december  erweitert  umgeschrieben 
wurde;  aber  noch  ehe  er  an  die  ausführung  gieng,  erkante  er,  dass 
dieser  wunderliche  einfall  jezt  einer  wesentlichen  umdichtung  bedürfe. 
Faust  solte  jenem  zufolge  nach  dem  unglücklichen  ausgange  der  gei- 
stererscheinung an  einer  kirchhofmauer,  in  träume  versunken,  liegen 
und,  aus  ihnen  erwachend,  einen  ..grossen  monolog  zwischen  der  wahn- 
erscheinung  von  Gretchen  und  [dem  ihm  vorschwebenden  bilde  der] 
Helena"  halten.  Aber  die  leidenschaft  zu  dieser  kann  er  nicht  bezwin- 
gen. Mephistopheles,  dem  er  sein  anliegen  mitteilt,  sucht  ihn  nach 
gewohnter  weise  durch  allerlei  Zerstreuungen  zu  beschwichtigen.  So 
führt   er  ihn   denn  auch  in   das  Laboratorium  Wagners,    der  eben  ein 

6* 


&4  DÜNTZRB 

chemisch  menschlein  hervorzubringen  sucht  Zu  der  Verwandlung  des 
in  pergamenten  wühlenden  Wagner  in  einen  chemischen  Laboranten 
hatte    ihn    wahrscheinlich    ein    Würzburger    philosoph    dieses    namens 

bracht,  der  behauptet  haben  solte,  es  müsse  gelingen,  menschen 
durch  krystallisation  zu  bilden.  Auch  „verschiedene  andere  auswei- 
chungen  und  ausfluchte"  solte  Äfephistopheles  versuchen.  Vergleichen 
wir  damit  die  einen  monat  spatere  ankündigung.  Aueli  hier  erwacht 
Faust  (ein  ort  ist  nicht  angegeben)  aus  träumen,  die  sich  aber  „vor 
den  äugen  des  Zuschauers  sichtbar  umständlich  begeben",  was  um  so 
weniger  jezt  an  der  stelle  war,  als  der  erste  akt  mit  einem  so  bedeu- 
tenden g  -  rchore  um  den  schlafenden  begonnen  hatte.  Mephistophe- 
redet   ihn,   gleichsam    im  vorbeigehen  Wagners  laboratorium  zu 

suchen,  der  sich  rühmt,  eben  ein  chemisches  männchen  hervorge- 
bracht zu  haben,  das  gleich  seinen  leuchtenden  glaskolben  zersprengt 
und  als  bewegliches  wolgegliedertes  Zwerglein  auftritt.  Yon  einer  mit- 
wirkung  des  Mephisto  dabei  ist  keine  rede.  Nach  Paracelsus  sollen 
aus  solchen  homuneuli  mit  der  zeit  leute  von  wunderbaren  geheimen 
kentnissen    werden.     Der  Wagnersche   ist   ein    algemeiner   historischer 

•  ltkalender.  und  so  behauptet  er,  eben  sei  die  nacht,  in  welcher  einst 
die  Schlacht  von  Pharsalus  vorbereitet  worden.  Da  Mephistopheles  dies 
mit  bezug  auf  die  Zeitbestimmung  der  gelehrten  Benediktiner   (in   der 

irt  de  verifier  les  dates")  leugnet,  zieht  er  sich  nicht  nur  den 
Vorwurf  zu.   dass  der  teufel  sich  auf  mönche  berufe,    sondern  er  muss 

h  auch  den  weiteren  beweis  seiner  hervorragenden  kentnis  gefallen 
lassen,  das-  dort  zugleich  das  fest  der  klassischen  Walpurgisnacht  gefeiert 
werde,  wie  es  seit  anbeginn  der  mythischen  zeit  immerfort  gewesen; 
ja  dies  sei  nach  dem  geheimen  zusammenhange  der  dinge  eigentlich 
_rund  jener  blutigen,  die  freiheit  der  klassischen  weit  vernichtenden 
Schlacht  „Alle  vier  entschliessen  sich,  dorthin  zu  wandern."  An 
eine  verständige  begründung  ist  nicht  gedacht;  das  ganze  ist  eine 
phanl         :he,    dazu  ins  komische    schlagende  dichtung.     Wagner  ver- 

si  auch  bei  aller  eile  nicht,  eine  phiole  mitzunehmen,  um  hier  und 
da.  wenn  -  glücke,  die  zu  einem  ehemischen  weiblein  nötigen  ele- 
mente  zusammenzufinden.  Das  glas  steckt  er  in  die  linke,  das  che- 
mi  männlein  in  die  rechte  brusttasche.     Unter  solcher  leitung  ver- 

trauen sieh  die  reisenden  dem  zaubermanteL  Das  lächerliche  wird  noch 
dadurcl  .  .  \  dass  sie  bei  der  aus  Lucan  bekanten  hexe  Erich tho, 
welche  von  Sextus   Pompejus  über  den  ausgang  der  Schlacht  bei  Phar- 

lus  befragt  wurde,   den  kleinen   Eriehthonius  finden,   von  dessen  ent- 

■hung  durch  die  Zudringlichkeit  des  Vulean   eine  wüste  sage  bericli- 


ENTSTEHUNG    VON    FAUST   II  85 

feet  wird,  aus  der  einst  Raphael  ein  anziehendes  bild  schuf.  Die  weder 
Bachlich  noch  etymologisch  begründete  Verbindung  beider  führt  zu  einer 
seltsamen  spotdichtung.  Erichtho  muss  den  kleinen,  da  er  in  folge  sei- 
ner entstehung  übe]  zu  fiisse  ist,  auf  den  arm  nehmen,  und  dieser, 
der  zu  Honiunculus  sich  Leidenschaftlich  hingezogen  fühlt,  ruht  nicht, 
bis  jene  seinen  geistigen  halbbruder  auf  den  andern  arm  genommen, 
was  den  Mephisto  zu  bösartigen  glossen  veranlasst.  Diese  wunderliche 
erfindung,  bei  welcher  der  Übermut  des  dichters  Bich  die  zügel  hatte 
schiessen  lassen,  ohne  an  die  möglichkeil  dramatischer  ausführung  zu 
denken,  muste  nicht  allein  von  allem  possenhaften  gereinigt  werden, 
sondern  auch  eine  geistige  beziehung  erhalten.  Wagner  seihst  durfte 
an  der  bildung  des  Honiunculus  nur  scheinbaren  anteil  haben  und  der 
pedantische  laborant  nicht  mit  auf  der  klassischen  Walpurgisnacht 
erscheinen.  Mephisto  muste  das  Zwerglein  in  die  phiole  gezaubert 
haben,  um  Wagner  zu  necken.  Die  zweite  noch  bedeutendere  ände- 
rung  besteht  darin,  dass  Honiunculus  noch  nicht  das  glas  verlassen 
hat  und  zur  körperlichkeit  gelangt  ist,  sondern  mit  seinem  unablässigen 
tätigkeitsdrange  nach  dieser  erst  strebt,  wodurch  er  zum  sinbild  des 
strebens  des  Faust  nach  Helena  wurde.  Wie  Fau^t  sein  zie]  erreicht, 
da  es  ihm  gelingt,  durch  sein  flehen  bei  Proserpina  die  wirkliche  He- 
lena aus  der  unterweit  heraufzuführen,  so  fühlt  Honiunculus  sich  zur 
höchsten  Schönheit  hingetrieben,  in  deren  erfassung  er  sich  auflöst,  er 
zerschelt  am  wagen  der  göttin  der  Schönheit.  Mephisto  komt  in  der 
zaubernacht  dadurch  zur  ruhe,  dass  er  die  gestalt  des  urhässlichen 
Bagengebildes  annimt,  in  welchem  er  schon  in  der  „Helena"  auftrat 
8  i  schliesst  sich  die  klassische  Walpurgisnacht  zu  einer  dramatischen 
einheit  zusammen,  während  früher  Honiunculus  keine  innere  beziehung 
zu  Faust  hatte  und  spurlos  verschwand,  im  lezten  plane  nach  der 
schnurre,  dass  er  eine  menge  phosphorescierender  atome  aus  dem  humus 
in  die  phiole  gesammelt  hat,  durch  dessen  herumschütteln  Wagner 
einen  wilden  stürm  erregt. 

Nach  dem  entwürfe  solte  Mephisto  zueist  zur  ruhe  gelangen. 
Als  „antike  ungeheuer  und  misgestalten",  bei  denen  er  sich  zu  haus 
finde,  waren  in  einem  zusatze  zum  ersten  schema  genant  „centauren, 
sphinxe,  chimären,  greife.  Sirenen,  tritonen  und  nereiden,  die  gorgo- 
nen,  die  graien" —  eine  gar  bunte  schaar,  durch  die  Mephisto  durchgehen 
solte.  Als  hauptsache  erscheint  im  schema:  „Mephistopheles  und  Enyo 
[eine  der  drei  töchter  des  Phorkos  oder  Phorkys  und  der  Keto,  die 
Goethe  schon  aus  des  Aeschylos  „Prometheus"  kante] ;  schaudert  vor 
ihrer  hässlichkeit;    im  begriff,    sich  mit   ihr    zu    überwerfen,    lenkt  er 


g(J  DÜNTZER 

ein.  Wegen  ihrer  hohen  ahnen  und  wichtigen  einflusses  macht  er  ein 
bündnis  mit  ihr.  Die  offenbaren  bedingungen  wollen  nichts  heissen, 
die  geheimen  artikel  sind  die  wirksamsten."  Das  lezte  solte  wo]  ein 
spott  auf  die  gewöhnlichen  staatsbündnisse  sein;  sachlich  wurde  dem 
tfephistopheies  gestattet,  wenn  er  wolle,  die  gestalt  der  Enyo  (=  Phor- 
kyas)  anzunehmen. 

Von  Faust  hören  wir,  dass  er  auf  einer  Wanderung  zur  versani- 
lung  der  Sibyllen  gelange,  die  den  christlichen  ähnlich  gedacht  waren. 
Als  bedeutendste  von  ihnen  erscheint  th>±  Tiresias  tochter  Manto,  die 
gentlich  eine  zu  Delphi  gehörende  Wahrsagerin  ist.  aber  von  Goethe 
frei  ausgeführt  wurde.  Diese  teilt  ihm  mit.  der  augenblick  sei  für  sei- 
nen wuns.-h  günstig,  da  eben  der  hades  sich  öfhe.  So  steigt  er  denn 
(wo!  von  Manto  geleitet)  zur  Unterwelt.  Zur  begründung  der  bitte 
werden  die  heispiele  von  Protesilaus.  Alceste  und  Eurydice  angeführt, 
ja  Helena  selbst  habe  die  erlaubnis  erhalten,  sich  mit  dem  schatten 
des  Achill  auf  der  insel  Leuce  zu  verbinden.  An  die  stelle  von  Leuce 
ist  später  bei  benutzung  dieser  sage  (7435),  vielleicht  aus  einfacher 
Verwechslung,  Pherä  getreten.  Proserpina  gestattet,  dass  Helena  auf 
den  boden  von  Sparta  zurückkehre  und  dort  im  hause  des  Menelaus 
empfangen  werde;  dem  neuen  freier  soll  überlassen  sein,  inwiefern  er 
auf  ihren  geist  und  ihre  empfänglichen  sinne  einwirken  könne.  Die 
Zeitdauer  wird  nicht  bestirnt. 

Die  übersieht  vom  december  1826  hat  die  klassische  Walpurgis- 
nacht weiter  im  einzelnen  ausgeführt,  ohne  aber  zunächst  des  verlan- 
ns  des  Faust  nach  Helena  besonders  zu  gedenken  und  eine  bestirnte 
innere  folge  der  auftretenden  sagengestalten  anzudeuten.  Faust  lässt 
sich  mit  einer  nach  ihrer  art  auf  den  hinterfüssen  ruhenden  rätsellie- 
benden sphinx  in  ein  gespräch  ein.  wobei  „die  abstrusesten  fragen 
durch  gleich  rätselhafte  antworten  ins  unendliche  gespielt  werden"  sol- 
ten.  Hin  neben  der  sphinx  in  gleicher  Stellung  aufpassender  goldhüten- 
der greif  mischt  sich  ein,  und  eine  herankommende  kolossale  gold- 
ameise  (man  hatte  diese  längst  mit  den  greifen  in  Verbindung  gebracht) 
macht  die  Unterhaltung  (gleich  den  versuchten  deutungen)  noch  verwirter. 
„Nun  aber,  da  der  verstand  im  Zwiespalt  verzweifelt",  heisst  es  weiter, 
„sollen  auch  die  sinne  sich  nicht  mehr  trauen."  Hier  tritt  denn  die 
Empuse  auf.  ethe  kannte   diese   aus   den   „fröschen"   des  Aristcpha- 

nes  als  ein  den  wanderer  durch  die  gestalten,  welche  sie  annimt. 
s  hreckendes  _  spenst  der  Hekate.  dessen  einer  fuss  aus  kot  bestand, 
nach  anderen  der  eines  sels  war.  Hier  solte  sie  zu  ehren  des  heu- 
tigen f(  s1  ä  ein  eselsköpfchen  aufsetzen  und  „die  übrigen  verschiedenen 


a  ENT8TEHUNG    VON   FAUST   II  87 

gebilde"  nicht  zur  Verwandlung-,  „aber  doch  zu  unsteter  Ungeduld  auf- 
regen." Nicht  allein  entwickeln  sich  sphinxe,  greife  und  ameisen  aus 
sich  selbst  zu  unzählbaren  schaaren,  sondern  es  entsteht  ein  wilder 
geisterspufc  sämtlicher  ungetüme  des  altertums  in  gröster  anzahl.  Be- 
reits in  einem  zusatze  zum  ersten  Schema  war  ein  bunter  schwärm 
derselben  erwähnt.  Jezt  selten  chimären  (nach  der  schon  aus  Homer 
bekanten,  von  Bellerophon  getöteten  Chimära),  tragelaphen  (die  mor- 
uländischen  bockshirsche  stelte  Plato  mit  den  kentauren  zusammen), 
gryllen  (lächerliche  gestalten,  die  der  maier  Antiphilos  aufgebracht 
hatte),  dazwischen  unzählige  vielköpfige  schlangen  umherschwärmen, 
harpyien  fledermausartig  flattern  und  schwanken,  der  von  Apoll  erlegte 
drache  Python  vervielfältigt  sich  zeigen  und  die  stymphalischen  raub- 
vögel,  die  Hercules  getötet,  mit  ihren  scharfen  schnäbeln  und  schwim- 
füssen  pfeilschnell  hintereinander  vorbeischnurren.  Ahoi-  auch  in  den 
wölken  und  im  flusse  wird  es  lebendig.  Ein  „singender  und  klingen- 
der" zug  von  Sirenen  schwebt  hoch  über  alle;  sie  stürzen  in  den  IV- 
neus,  setzen  sich,  nachdem  sie  „rauschend  und  pfeifend"  sich  gebadet, 
auf  die  bäume  und  laden  in  den  lieblichsten  liedern  zum  feste  d 
meeres  ein.  Die  nereiden  und  tritonen  entschuldigen  sich,  dass  sie 
durch  ihre  „ konformation "  gehindert  sind,  daran  teilzunehmen,  eine 
entschuldigung,  die  freilich  wenig  heissen  will,  da,  wenn  die  meerwun- 
der hier  am  Peneus  sich  einfinden  können,  ihre  verbildune  sie  auch 
nicht  hindern  darf,  sich  an  das  ihnen  angehörende  meer  zu  begeben. 
Die  sirenen  laden  widerholt  alle  auf  das  dringendste  ein,  „sich  in  den 
mannigfaltigen  meeren  und  golfen,  auch  inseln  und  küsten  der  nach- 
barschaft  insgesamt  zu  ergetzen."  Ein  teil  der  menge  stürzt  nun  meer- 
wärts.  Dieses  ganze  kaum  darstelbare  geistergewühl  bleibt  ohne  folg 
wie  es  in  sich  ohne  bedeiitung  ist.  Eines  schöpferischen  geistes  bedurfte 
es,  um  aus  solchen  keck  hingeworfenen  einfallen  ein  einheitlich! 
bedeutsames  bild  zu  gestalten. 

Doch  es  wird  noch  toller.  Es  bebt  die  erde  und  bläht  sich  auf; 
,,ein  gebirgsreihen  bildet  sich  aufwärts  bis  Scotusa,  abwärts  bis  an  den 
Peneus,  bedrohlich,  sogar  den  fluss  zu  hemmen."  Das  pelasgische 
Skotusa  nennt  Strabo  als  sitz  eines  uralten  heiligtums,  das  von  dort 
nach  Dodona  verlegt  worden  sei;  die  meisten  frauen  von  Skotusa  seien 
mit  ausgewandert  und  ihre  nachkommen  Wahrsagerinnen  geworden 
Dies  war  für  Goethe  die  veranlassung,  hier  Skotusa  einzuführen:  wahr- 
scheinlich wolte  er  ursprünglich  das  heiligtum  der  Manto  dorthin  setzen. 
Der  unter  dem  Ätna  liegende  Enceladus  solte.  ..unter  meer  und  land 
heranschleichend,  mit  haupt  und  schultern  sich  hervorwühlen,  die  wich- 


88  DÜ.VTZER  , 

tige  stunde  zu  verheriichen."  Hierbei  schwebte  dem  dichter  die  sage 
r,  dass  der  fluss  Alpheus  sieh  unter  dem  meere  durchgearbeitet  habe, 
_  trieben  von  liebe  zur  Arethusa,  welche  vor  ihm  nach  Sicilien  geflo- 
hen war.  ..Aus  mehreren  klüften  lecken  flüchtige  flammen. u  So  war 
-  ii-'ii  hier  der  später  so  glücklich  benuzte  spott  über  die  vulkanisten 
vorbereitet  „Naturphilosophen,  die  bei  dieser  gelegenlieit  auch  nicht 
ausbleiben  konten  („Denn  wo  gespenster  platz  genommen,  ist  auch  der 
philosoph  wilkommen"  7843  fg.),  Thaies  und  Anaxagoras  geraten  über 
das  phänomen  heftig  in  streit,  jener  dem  wasser  und  dem  feuchten 
alles  zuschreibend  [also,  wie  Goethe  selbst,  kein  beschränkter  nep- 
tunist], dieser  überall  geschmolzene,  schmelzende  massen  erblickend, 
peroriren  ihre  solos  zu  dem  übrigen  ehorgesause.  Beide  führen  den 
Homer  an  und  jeder  ruft  Vergangenheit  und  .gegenwart  zu  zeugen. 
Thaies  beruft  sich  vergebens  auf  spring-  und  sündfluten  mit  didaktisch 
wogendem  selbstbehagen.  Anaxagoras,  wild  wie  das  elenient,  das  ihn 
beherscht,  führt  eine  leidenschaftlichere  spräche.  Er  weissagt  [nach 
der  Überlieferung]  einen  steinregen,  der  denn  auch  alsobald  aus  dem 
monde  heruntorfält.  Die  menge  preist  ihn  als  einen  halbgott  und  sein 
_  gner  muss  sich  nach  dem  meeresufer  zurückziehen."  Aber  Anaxago- 
ras bleibt  sieger.  Auch  der  schon  von  Homer  erwähnte  kämpf  zwi- 
schen  den  pygmäen  und  kranichen  war  angedeutet,  aber  bloss  als 
k<>mis<-hes  spiel,  ohne  alle  weitere  beziehung.  „Noch  aber  haben  sich 
irgs-s  hluchten  und  gipfel  nicht  befestigt  und  bestätigt,  so  bemäch- 
tig sich  -'hon  aus  weit  umher  klaffenden  Schlünden  hervorwimmelnde 
pygmäen  der  oberarme  und  schultern  des  noch  gebeugt  aufgestemtni 
riesen  und  bedienen  sich  deren  als  tanz-  und  tummelplatz  [dabei  wird 
nn  auf  den  Nil  in   der  vatikanischen  samlung  erläuternd  verwiesen, 

bildwerk    des    liegenden  flussgottes,    an  welchem  die 
niedenen  grade  der  Überschwemmung  als  aufsteigende  kinder  dar- 
_     '  .t  sind],    inzwischen    unzählbare    beere  von  kranichen    gipfelhaupt 
und  haare,    als  wären    es    undurchdringliche  wälder    [hier  bezieht  sich 
G  Läuternd  auf  die  ähnliehe  phantasterei  in  Swrifts  „Reisen  Gul- 

liver-"]   kreischend  umziehen  und.    vor  s<hluss   des  algemeinen  festes, 
ein  ergetzliches  kampfspiel  ankündigen." 

Die  Schilderung  des  tollen  geisterspukes  wird  hiermit  abgebrodn-n. 
das  darauffolgende  bündnis  des  liephistopheles  nicht  weiter  ausgeführt: 
dagei  erhalten  wir  zum  erstenmal  näheren  bericht,  wie  Faust  zur 
Siant  -  srt  Hatte  Goethe  die  im  Schema  vor  den  sphinxen  genan- 
ten kentauren  fallen  lassen,  so  spricht  Faust  jezt  den  von  Homer  als 
n   derselben  gerühmten  Chiron  an,   der  heute  seine  gewöhn- 


ENTBTKHUNG   VON   PA.Ü8T   II  80 

liehe  runde  macht.  Da>  ist  eine  hübsche  Gründung  des  dichters,  der, 
als  er  sich  zur  einführung  Chirons  entschloss,  bereits  dessen  sinbildliche 
bedeutung  als  eines  stets  tätigen  fördi  rers  der  menschheil  im  sinne 
hatte,  wozu  der  erzieher  so  vieler  beiden,  der  sich  freiwillig  für  Pro- 
metheus opferte,  vorzüglich  geeignet  war.  Fauste  ernstes  pädagogisches 
gespräch  mit  diesem  „urhofmeister"  wird  durch  einen  kreis  von  Lamien 
beunruhigt,  die  sich  unablässig  durch  beide  bewegen.  „Reizendes  aller 
art,  blond,  braun,  gross,  klein,  zierlich  und  stark  von  gliedern,  jedi 
spricht  oder  singt,  schreitet  oder  tanzt,  eilt  oder  gestikuliert,  bo  da 
wenn  Faust  nicht  das  höchste  gebild  der  Schönheit  in  sich  selbst  auf- 
genommen hätte,  er  notwendig  verführt  werden  müste.  Chiron,  „der 
alte,  unerschütterliche",  fühlt  sich  zu  dorn  „neuen  sinnigen  bekanten" 
so  innig  hingezogen,  dass  er  ihm  seine  maximen  mitteilen  muss,  wo 
er  denn  der  von  ihm  erzogenen  helden,  von  den  Argonauten  an  bis 
zu  Achilleus,  gedenkt,  wodurch  Faust  gehindert  wird,  nach  Helena  zu 
fragen,  ja  der  alte  pädagoge  ergeht  sich  in  klagen  über  die  erfolglosig- 
keit  seiner  [in  lezter  zeit  gemachten]  bemühungen,  da  alle  so  handel- 
ten als  ob  sie  nicht  erzogen  wären.  Hier  fehlton  also  die  erwähnung 
der  arzneikunst  und  Chirons  glücklicher  Übergang  auf  Helena.  Als 
Faust  sich  nicht  abhalten  lässt,  sein  verlangen  nach  heraufluhrung  der 
Helena  dem  alten  mitzuteilen,  freut  dieser  sich,  doch  endlich  wider 
einen  mann  zu  treffen,  der  unmögliches  verlange,  was  er  an  seinen 
Zöglingen  (den  alten  helden)  immer  gebilligt  habe;  und  so  bietet  er 
dem  „modernen  helden"  förderung  und  leitung  an.  Auf  seinem  brei- 
ten rücken"  trägt  er  ihn  „kreuzweis  herüber  hinüber  durch  alle  fürten 
und  kiese  des  Peneus,  lässt  Larissa  zur  rechten",  zeigt  seinem  „reiter" 
die  stellen,  wo  Perseus,  der  lezte  griechische  könig,  ..auf  der  bäng- 
lichsten flucht  wenige  minuten  verschnaufte."  So  gelangen  sie  an  den 
fuss  des  götterbergs  Olympus,  wo  sie  einer  langen  prozession  von  Sibyl- 
len begegnen,  deren  zahl  die  der  christlichen  bei  weitem  Übertrift 
„Chiron  schildert  die  ersten  vorüberziehenden  als  alte  bekante  und 
empfiehlt  seinen  Schützling  der  strengen,  wohldenkenden  tochter  d< 
Tiresias,  Manto."  Diese  verspricht  dem  Faust,  ihn  in  die  unterweit 
zu  bringen,  die  sich  eben  öfhe,  da  es  gerade  die  stunde  sei,  wo  nach 
der  Pharsalisehen  Schlacht  der  berg  auseinandergeklaft  war.  um  so  viele 
seelen  aufzunehmen.  Auf  dem  wege  zur  öfnung  solte  Manto  wol  dem 
Faust  bemerken,  dass  er  zur  Proserpina  in  trimetern  sprechen  müss 
Wenigstens  scheinen  darauf  die  verse  Paralip.  158  zu  deuten;  doch  kön- 
ten  diese  auch  auf  einem  späteren  einfalle  beruhen,  dann  aber  als  zu 
possenhaft  verworfen  worden  sein. 


90  th'-ntzf.k 

In   dem   dunkeln  gange   bedockt   Manto   den   Faust   plötzlich   mit 
ihrem  schleier  und   drückt  ihn  vom  woge  ab.     Erst  als  sie   ihn  wider 
enthült  hat,  vernimt  er,  das  schreckliche  Gorgohaupt,  dessen  die  Odys- 
■    in    der   unterweit  gedenkt,   sei    an    ihnen  vorübergeeilt  wider  den 
willen  der   Proserpina,   die  es  gern    zurückgehalten,    weil  es  die  fest- 
frende   stöi        Sie  selbst   wage    nicht   es  anzuschauen;    wenn  Faust  es 
sehen  hätte,   wäre  er  auf  der  stelle   tot  geblieben.     Aus  dieser  stelle 
haben  sich  zwei   reden  der  Manto  und  ebenso  viele  des  Faust  erhalten 
Paralip.  159  — 161):    E.  Schmidt  hat  nicht  bemerkt,  dass  diese  anmit- 
telbar aufeinander  folgten,  obgleich  sie  auf  drei  verschiedenen   papier- 
streifen stehen.     Die  beiden  ersten  beziehen  sich   auf  das  betreten  des 
nges.     ftfanto  fordert  den  Faust  auf: 

Nur  wandle  den  weg  hier  ungestört; 
Ein  jeder  stuzt,  der  unbegreiflichs  hört, 
was  auf  mitteilungen  sich  bezieht,    die  Manto   ihm  gemacht  hat.     Statt 
darauf  zu   antworten  spricht  er  sein  schaudern  vor  dem  tiefen  düstern 
_  mge  aus,    in  welchem  gleich   eine  in   der  ferne   erscheinende  riesen- 
_■  stalt  sein  entsetzen  erregt: 

Sieh  hier  die  tiefe  dieses  ganges; 
Es  deckt  sie  uns  ein  düstrer  flor. 
Mich  dünkt,  was  riesenhaftes  langes 
Tritt  aus  der  finsternis  hervor. 
Die  beiden  weitern  reden  erklären  sich  aus  den  oben  angeführten  wer- 
ten des  entwürfe,  womit  sie  freilich  nicht  ganz  stimmen: 
Faust.  Was  hülst  du  mich  in  deinen  mantel  ein? 

Was  drängst  du  mich  gewaltsam  an  die  seite? 
Manto.  Ich  wahre  dich  vor  grössrer  pein. 
Verehre  weisliches  geleite! 
Als  das  wunderliche  paar  zu  dem  „unabsehbaren,  von  gestalt  um  gestalt 
überdrängten    hoflager    der   Proserpina"    gelangt    (vgl.   Goethes    elegie 
Buphrosyne  127  —  137.  Faust  II.  9969  —  9973  und  die  darstellung  in  der 
„Proserpina"  vom  jähre  1777),  „gibt  es  zu  grenzenlosen  ineidentien  [ein- 
zelheiten    der  Schilderung]    gelegenheit,    bis  der  präsentierte  Faust  „als 
zweiter  Orpheus  gut  aufgenommen  wird*',    aber  seine  bitte  findet  man 
doch  „einigermasseii  seltsam."     Der  inhalt  der  „bedeutenden"  rede  der 
Manto  entspricht  der  angäbe  des  früheren  entwurfes.     „'Von  dem  übri- 
_  n   gang  und  fluss  der  rede   dürfen  wir  nichts  verraten"  —  heisst  es 
klüglich  weiter,  da  Goethe  selb>t  noch  darüber  im  unklaren  war —   „am 
wenigsten  von  der  peroration.  durch  welche  die  bis  zu  thränen  gerührte 
künigin  ihr  Jawort  erteilt."     Die  per  oratio  ist   der  besonders  auf  die 


ENTSTEHUNG    VON    FAUST    II  91 

erregung  des  mitleiden*  der  richter  berechnet»'  schluss  der  rede.  Faust 
kam  also  nicht  zu  worte.  Mit  recht  hat  E.  Schmidt  bedenken  gegen 
Eckermanns  berieht  vom  15.  Januar  L827  erhoben,  wonach  Faust  seiht 
die  Proserpina  zu  thränen  gerührt  habe,  da  eine  änderung  in  dieser 
beziehung  höchst  unwahrscheinlich  ist  nach  dem  erhaltenen  entwurf 
eines  prologs  zum  dritten  akte  vom  18.  juni  L830,  den  der  dichter 
freilich  später  mit  recht  fallen  liess.  In  diesem  solte  das  niedersteigen 
zur  Unterwelt  ausgeführt  werden.  Es  heisst  dort  nach  erwähnung  des 
n Medusenhauptes tt :  „Fernerer  fortschritt.  Proserpina  verhalt.  Manto 
trägt  vor.  Die  königin  an  ihr  erdenleben  [auf  Sicilien]  erinnernd. 
Unterhaltung  [mit  Manto]  von  der  verholten  seite,  melodisch  artikuliert 
scheinend,  aber  unvernehmlich.  [Das  war  freilich  kaum  darzustellen.] 
Faust  wünscht  sie  entschleiert  zu  sehen.  Vorhergehende  entzückung, 
[Er  stelt  sich  lebhaft  vor,  welch  ein  entzücken  ihm  der  anblick  gewäh- 
ren werde,  wirklich  sieht  er  sie  nicht  enthült]  Manto  führt  ihn  schnell 
zurück  [damit  er  sich  nicht  weiter  hinreissen  lasse].  Erklärt  das  resul- 
tat."  Proserpinas  erwiderung  war  also  dem  Faust  unverständlich.  Das 
von  Manto  ihm  mitgeteilte  ergebnis  ist  das  uns  bekante,  «las  auch  schon 
im  plane  von  1826  entwickelt  wurde.  Eigentümlich  war  diesem  plane 
die  Verweisung  der  bittenden  an  die  drei  richter  der  unterweit,  „in 
deren  ehernes  gedächtnis  sich  alles  einsenkt,  was  in  dem  Lethestrom  zu 
ihren  füssen  vorüberrollend  zu  verschwinden  scheint."  Die  etwas  wun- 
derliche Verweisung  an  die  drei  richter  als  untrügliche  Verfechter  der 
Vergangenheit  hat  Goethe  mit  recht  fallen  lassen,  auch  die  „einleitung" 
der  sache,  die  nach  dem  prolog  der  Manto  überlassen  war,  nicht  aus- 
geführt, sondern  unmittelbar  auf  das  herabsteigen  zur  unterweit  die 
„Helena"  folgen  lassen. 

Der  alte  plan  zur  klassischen  Walpurgisnacht  bot  ausser  dem 
durch  den  centauren  Chiron  vermittelten  gange  zur  Proserpina  und  dem 
vertrage  des  Mephistopheles  mit  Enyo  bloss  einen  gar  bunten  geister- 
spuk, aus  dem  nur  der  streit  der  beiden  alten  philosophen  über  die 
entstehung  der  weit  bedeutsam  hervortrat.  Homunculu-  und  Wagner 
verschwinden  zulezt,  ohne  dass  wir  ahnen,  was  aus  ihnen  geworden. 
Den  lezten  niuste  Goethe  aus  der  antiken  geisternacht  ganz  ausschei- 
den; dagegen  war  es  ihm  angelegen,  die  mystische  gestalt  des  Homun- 
culus  weiter  auszuführen  und  ihr  wie  der  ganzen  klassischen  Wal- 
purgisnacht eine  bedeutung  zu  geben,  durch  welche  sie  neben  der  so 
fein  mit  sinbildlichen  beziehungen  ausgeführten  „Helena"  als  ebenbür- 
tige dichtung  bestehen  konte,  besonders  nachdem  er  den  ersten  akt 
durch  den  mummenschanz   und  die  einleitung  des  zweiten  durch  ein- 


02  DÜNTZER 

fahrung  des  famulus  Nicodemus  und  des  weltschaffenden  baecalaureus 
so  glücklich  ausgeweitet  hatte.  Freilich  mäste  durch  die  bedeutung, 
die  er  dem  Homunculus  gab,  auch  sein  erstes  auftreten  wesentlich  geän- 
dert werden.  Dieser  solte  am  ende  der  klassischen  Walpurgisnacht 
entstehen,  und  zwar  mit  bezng  auf  die  sinbildliche  bedeutung,  welche 
er  für  die  antike  gespensteraacht  erhalten  hatte,  in  welcher  der  dichter 
die  entwickelung  der  griechischen  kirnst  von  den  rohen  halbtierischen 
anfangen  bis  zur  vollendeten  Schönheit  darstellen  wolte.  So  muste  denn 
der  mittelalterliche,  zwischen  geist  und  mensch  schwebende  Homuncu- 
lus im  umfassen  der  schönheitsgöttin  sich  auflösen,  an  ihrem  muschel- 
wagen zerschellen.  Damit  war  er  als  das  unablässige  streben  nach  dem 
ideal  der  Schönheit  gekennzeichnet  So  wurde  er  gewissermassen  ein 
abbild  des  Faust  selbst,  der  von  der  als  gespenst  gesanten  Helena  so 
unwiderstehlich  hingerissen  wird,  dass  er  nicht  ruhen  kann,  bis  er  sich 
mit  der  wirklichen  heroine,  der  höchsten  Schönheit,  verbunden  hat. 
Erscheint  Homunculus  so  gleichsam  als  Spiegelbild  von  Fausts  unab- 
lässigem  streben,  so  ist  es  ganz  natürlich,  dass  er,  wozu  ihn  sein  gei- 
stiges wesen  befähigt,  dessen  träume  erschaut  und  es  unternimt,  ihn 
zu  der  statte  zu  bringen,  wo  dieser  zu  seinem  zwecke  gelangt  und, 
wie  sieh  später  ergibt,  auch  er  selbst  allein  entstehen  kann.  Eigen 
ist  es  freilich,  dass  Homunculus  eigentlich  nur  einem  spasse  seinen 
Ursprung  verdankt,  den  sich  Mephisto  mit  dem  pedantischen  alchy- 
misten  Wagner  macht;  aber  der  teufel  ist  unwillkürlich  in  Fausts  ideen- 
kreis  hinübergezogen  worden.  Wie  er  gezwungen  war,  diesem  das 
_  heimnis  zu  verraten,  auf  welche  weise  er  das  gespenst  der  antiken 
Helena  beschwören  kann,  so  muss  er  ihm  auch  zur  gewinnung  der 
wirklichen  Helena  verhelfen  dadurch,  dass  er  einen  geist  in  die  phiole 
schlüpfen  lasst,  der  durch  Fausts  Wirkung  auf  den  teufel  Faustischer 
natur  ist  und  so  der  rechte  fuhrer  zur  klassischen  Walpurgisnacht  wird. 
D;  ja  freilich  keine  streng  folgerichtige,  dramatische,  sondern  eine 

phantastische,  märchenhafte  dichtung;  aber  schon  in  der  „Helena"  hatte 
G  ethe  das  märchenhafte  volauf  für  sich  in  anspruch  genommen,  ohne 
welches  der  zweite  teil  des  „Faust"  rein  unmöglich  war,  ja  auch  im 
sten  hatte  Goethe  dieses  nicht  entbehren  können.  Doch  wuste  er  es 
zu  fassbarer  anschaulichkeit  zu  beleben.  Beim  Homunculus  erreicht 
er  dies  -  hon  durch  die  art,  wie  dieser,  gleich  als  Mephisto  ihn  in  die 
phiole  hat  schlüpfen  lassen,  sich  selbst  einführt.  Seinem  „Väterchen" 
Wagner,  dessen  hofnung,  er  werde  auch  sprechen,  sofort  von  ihm 
erfült  wird,  führt  er  zu  gemüte,  dass  er  bloss  ein  kunstliches  dasein 
habe,    womit  er  den  jubel,    dass  ihm  seine  absieht  gelungen,    spöttisch 


ENTSTEHUNG    VON    PAUST   II  03 

dämpft.  Seine  bezeichnung  des  „vettere"  Mephisto  als  „schalk"  zeigt, 
dass  ihm  dessen  mitwirken  nicht  entgangen  ist,  und  er  nimt  ihn  auch 
sofort  für  sich  in  ansprach;  er  soll  ihm  arbeit  schaffen,  da  tätigkeil 
seines  lebens  leben  ist.  Der  mittelalterliche  teufe]  muss  ihn  an  Paust 
weisen,  mit  dem  er  sich  verwani  fühlt;  und  ohne  sich  um  den  Wider- 
spruch des  teufeis  zu  kümmern,  befiehlt  er  die  fahrt  zur  klassischen 
Walpurgisnacht,  zu  weicher  er  vorleuchten  wird.  Dahin  muss  auch 
Mephisto  trotz  seines  abscheues  mit;  nur  den  pedantischen  aloh\  misten 
Wagner  weist  Homuneulus  neckisch  auf  sein  laboratorium  an. 


*& 


Aus  dem  bunten  gewirr  des  alten  planes  eine  grosse  Binbildliche 
darstellung  der  almählichen  entwicklung  der  griechischen  kunst  zu 
machen,  dazwischen  aber  auch  die  drei  dramatischen  personen  zu  ihrem 
zwecke  gelangen  zu  lassen,  das  war  eine  ganz  ungeheure  aufgäbe,  welche 
der  dichter,  nachdem  er  seinen  plan  sich  im  einzelnen  entworfen,  durch 
unablässiges  fortrücken  von  einem  punkte  zum  andern  —  wobei  er 
manches  umgestaltete,  einzelnes,  was  ihm  augenblicklich  nicht  gelingen 
wolte,  einstweilen  übergieng,  um  es  in  besserer  Stimmung  auszuführen, 
aber  immer  das  ganze  im  sinne  hielt  und  widerholt  durcharbeitete  — 
auf  wunderbare  weise  löste.  Eine  grosse  Schwierigkeit  lag  für  ihn 
darin,  dass  er  die  Olympischen  gottheiten  nicht  einführen  durfte,  wenn 
er  auch  gelegentlich  ihrer  gedenken  konte.  Aus  dem  früheren  plane 
konte  er  nur  die  erste  Unterredung  mit  den  sphinxen,  Fausts  aufsuchen 
des  Chiron  und  was  damit  zusammenhieng,  die  lamien  und  anderes 
ungetüm,  das  erdbeben  mit  der  neuen  gebirgsbildung  und  dem  streite 
des  feuer-  und  des  wasserphilosophen  brauchen;  aber  dies  alles  muste 
beziehungsvoll  aus-  und  umgebildet  und  in  innere  Verbindung  mit- 
einander gebracht  werden.  Ganz  neu  zu  erfinden  und  auszuführen  war 
der  lezte  teil,  das  grossartige  meeresfest,  das  unterkommen  des  Mephisto 
in  der  urhässlichen  Phorkyas,  wozu  nur  sein  vertrag  mit  der  Enyo 
vorlag,  und  das  rastlose,  endlich  am  muschelwagen  der  Galatea  zum 
ziele  gelangende  streben  des  Homuneulus,  körperlich  zu  entstehen.  Man 
vergleiche  die  spätere  gestalt  der  dichtung  nach  der  von  mir  entwickel- 
ten bedeutung  mit  dem  bunten,  jeder  verständigen  auslegung  widerstre- 
benden durcheinander  des  alten  entwurfs  —  und  man  wird  die  geschickt 
stein  zu  stein  fügende,  alles  ungehörige  ausscheidende,  das  bleibende 
beziehungsvoll  ordnende  band  bei  diesem  fast  amphionischen  zauberbau 
nicht  genug  bewundern  können. 

Yon  der  klassischen  Walpurgisnacht  haben  sich  zwei  -Schemata 
erhalten,  von  denen  das  zweite  vom  6.  februar  1830  datiert,  das  erste 
wol   das   „neue   schema"   ist,    das,    nach    dem   berichte    des   tagebuchs 


94  DÜNTZEB 

schon  drei  wochen  früher,  am   16.  Januar,   diktiert  worden  war.     Nach 

dem  früheren  entwnrf  solte  sich   Faust  mit  einer  sphinx  einlassen,   ein 

eif  sich  einmischen,   auch  eine  goldscharrende  ameise,    dann  Empusa 

hinzutreten,  erst  nach  allerlei  Ungetümen  der  sirenonzug  kommen.  Dies 
war  schon  im  Januarschema  dahin  geändert,  dass  nicht  Faust,  sondern 
Mephisto  sich  zuerst  mit  diesen  seiner  natur  näher  stehenden  halbtie- 
rischen gebilden  unterhält,  Faust  erst  später  sie  sieht,  wo  er  denn 
s<  Ibst  in  diesen  halbtierischen  gestalten  bedeutenden  sinn  entdeckt. 
Da<  Schema  lautet:  „Die  luftwandler.  Faust  auf  klassischem  boden. 
Sie  trennen  sich.  Mephistopheles  umherwandelnd.  Komt  zu  den  grei- 
fen und  sphinxen.  Ameisen  und  arimaspen  treten  auf.  Mephisto- 
pheles,  die  sphinxe  und  greife.  Fortsetzung  [des  gesprächs].  Die  Sire- 
nen." Im  februarschema  wird  durch  versehen  die  trennung  erst 
_  ä  :t  nach  der  „anfrage  und  Unterhaltung11,  womit  ganz  kurz  des 
Mephistopheles  gesprach  mit  den  halbtierischen  gebilden  blos  angedeutet 
wird,  weil  Goethe  diesen  teil  mitlerweile  bereits  ausgeführt  hatte,  den  er 
schon  einige  tage  vor  dem  24.  Januar  Eckermann  vorlas.  Zuerst  sieht 
er  die  allertierisehsten  gestalten,  die  greife,  die  sich  hier  als  höchst 
beschränkte  etymologen  blosstellen;  die  arimaspen  und  die  goldschar- 
!)den  ameisen  gehören  zu  demselben  kreise.  Näher  fühlt  sich  der 
mittelalterliche  teufel  von  den  sinnigen  sphinxen  angezogen,  so  dass  er 
sich  sogar  zwischen  ihnen  niederlässt;  aber  diese  beweisen  ihm,  dass 
ihn  kennen.  Doch  sind  sie  ihrer  selbst  so  gewiss,  dass  sie  seine 
gegenwart  nicht  scheuen,  überzeugt,  dass  er  es  nicht  lange  bei  ihnen 
aushalten  wird,  während  die  greife  ihn  unwillig  weggewiesen  hatten. 
Als  dritte  halbtierische  gestalten  erscheinen  auf  den  päppeln  die  Sire- 
nen, die  durch  ihren  gesang  schon  auf  eine  höhere  stufe  deuten,  aber 
die  sphinxe  können  es  nicht  unterlassen,  sie  als  verderbliche  vögel  zu 
verraten.  Mephisto,  der  davon  nichts  zu  fürchten  hat,  verspottet  ihren 
gesang,  doch  zieht  er  sich  dadurch  eine  bittere  Verhöhnung  der  sphinxe 
zu.  Für  diesen  teil  der  Walpurgisnacht  waren  vielleicht  die  verse  des 
Mephistopheles  in  der  ersten  reinschrift  bestirnt  (Paralip.  150): 

Das  äuge  fordert  seinen  zoll. 
Was  hat  man  an  den  nackten  beiden? 
Ich  liebe  mir  was  auszukleiden. 
Wenn  man  doch  einmal  lieben  soll. 

Ich  v  -  mir  kaum  zu  deuten,  wenn  Schmidt  dazu  bemerkt:   „Zwi- 

ben    7083   und   7084    [kann    doch  nur  heissen    -ollen    nach   7083!], 

besser  nach  7085. -   Beides  ist  schon  des  abweichenden  versmasses  wegen 


ENTSTEHUNG   VON    PAUST   n  95 

unmöglich.     Goethe  verwarf  später  diese  für  Mephistopbeles  gedichteten 

\iTse. 

Jezt  erst  kommt  Faust,  der  Vorgehens  nach  Helena  gesucht  hat, 
zu  der  stelle,  wo  Äfephistopheles  sieh  mit  den  halbtierischen  gestalten 
unterhalten  hat.  Diese,  die  hier  noch  immer  sieh  befinden,  machen 
auf  ihn  einen  ganz  andern  eindruck;  auch  im  widerwärtigen  erkent  er 
grosse,  tüchtige  züge.     Ursprünglich  sprach  hier  Faust  die  verse: 

Solch  ungeheuer  hätt'  ich  verflucht; 

Das  unvernünftige  seh»  int  unmöglich. 

Da,  wo  man  die  geliebte  sucht, 

Selbst  ungeheuer  sind  erträglich, 
die  später  mit  wesentlicher  Umgestaltung  dem  Mephisto  in  den  mund 
gelegt  wurden  (7191  —  94).  Sie  scheinen  sich  aus  einer  früher  abwei- 
chenden fassung  dieses  auftreten s  von  Faust  erhalten  zu  haben.  Paust 
erhält  von  den  alweisen  sphinxen  die  ihn  fördernde  Verweisung  an  den 
in  dieser  geisternacht  herumsprengenden  Chiron.  Dem  versuche  dry 
>irenen,  ihn  zu  verlocken,  würde  er  entgehen,  wenn  ihn  auch  die 
sphinxe,  die  jene  hassen,  nicht  vor  ihnen  warnten.  Schon  im  januar- 
schema  liiess  es:  „Faust  in  betrachtung  der  gestalten.  Hinweisung  auf 
Chiron.  Die  stymphaliden."  Die  verse  von  Chiron  7200  fg.: 
Der  sprengt  herum  in  dieser  geisternacht; 
Wenn  er  dir  steht,  so  hast  du's  weit  gebracht 
waren  erst  nachträglich  gedichtet;  denn  sie  stehen  mit  Mephistos  anbrii- 
derung  an  die  sphinxe  (7112  —  7131)  auf  einem  blatte,  dessen  rück- 
seite  auf  den  nächsten  auftritt  mit  den  werten  deutet:  „Siymphaliden, 
Faust  und  Chiron."  Auch  die  rede  der  sphinx  (7210  —  7213)  hat  sich 
mit  andern  auf  einem  blatte  erhalten,  nur  steht  dort  im  vorlezten  verse 
grossen  statt  hohen.  E.  Schmidt  hat  s.  223  das  misgeschick  gehabt, 
sich  der  längst  bekanten,  sogar  durch  ihre  absichtlich  steife  fassung 
auffallenden  verse  nicht  zu  erinnern  und  sie  deshalb  als  paralipomenon 
(156)  zu  geben.  Er  teilt  sie,  ohne  den  geringsten  zweifei  zu  äussern, 
dem  Xereus  zu,  indem  er  auf  8122  fg.  verweist,  wo  dieser  sagt,  ver- 
gebens habe  er  den  Paris  gewarnt.  Noch  schlimmer  ist  es,  dass  hier 
das  zutrauen  auf  die  Zuverlässigkeit  seiner  lesungen  bedeutenden  abbruch 
erleidet;  denn  er  lässt  als  unzweifelhaft  der  Grossen  chöre  statt  des 
unzweifelhaft  dort  stehenden  den  grossen  (allenfals  Grossen)  Chiron 
drucken.  Wie  soll  man  dem  vollen  glauben  schenken,  der  aus  Chiron 
herausliest  chören?  Im  vorhergehenden  verse  liest  er  ein  mahl,  fügt 
aber  in  klammer  „oder  unsern"  hinzu,  was  das  richtige  trift.  Das 
unzweifelhafte  dir  des  lezten  verses  versieht  er  mit  einem  fragezeichen, 


96  DÜNTJEBR 

von  dem  man  nicht  genau  weiss,  ob  es  auf  Unsicherheit  der  Lesung 
oder  darauf  deutet,  dass  -  -  zu  der  beziehung  auf  die4  rede  des  Nereus 
nicht  recht  stimt  Übrigens  ist  die  ganze  stelle  7202—7213  in  der 
eisten  reinschrift  der  Walpurgisnacht  erst  später  angeklebt,  also  nicht 
ursprünglich. 

Nach  Fauste  entfernung,  den  es  treibt,  dem  Chiron  zu  begegnen, 
Iten    andere  wüste   tierbildungen ,   an    denen    es   auch    den   Griechen 
nicht  ganz  fehlte,   den    Mfephistopheles   belästigen,    er  dann    durch   die 
verführerischen   landen   von   den   sphinxen    weggezogen  werden,    die  er 
später  hier  widerzufinden  lieft.     Im  ersten  schema  hiess  es:  „Die  stym- 
phaliden.     Köpfe    der   lernäa    [lernaea    hydra].     Mephistopheles   und 
lamien."      Hiemach  könte   es  seheinen,    als   ob  Faust  jene   ungetüme 
bemerke,    aber  durch   sie  nicht  aus  der  fassung  gesezt  werde.     In  die- 
m  falle  wäre  die  jetzige  anordnung,    dass  sie  erst  nach  dessen   ent- 
fernung vorübereilen,  eine  entschiedene  Verbesserung.     Nach  der  hand- 
iriftliehen  Überlieferung  (Schmidt  s.  47.  55)  muss  Goethe  früher  daran 
gedacht  haben,    den  Mephistopheles  gleich  darauf  zu  den  sphinxen  zu- 
rückkehren   zu  lassen,    was   er  später  aufgab,    da   er  vorzog   die  Ver- 
lockung und  abfertigung  des  teufeis  von  den  lamien  weiter  auszuführen. 
Hiermit  ist  die  stufe  der  halbtierischen  bildung  der  griechischen 
kunst  abgeschlossen,  wenn  auch  noch  gelegentlich  solche  gestalten  vor- 
kommen; wir  treten  in  die  zeit  rein  menschlicher  gestaltung,  der  Helena 
angehört,  in  die  aber  auch  der  weise  centaur,  der  erzieher  der  beiden, 
noch  hereinreicht.     Das  sich  zunächst  anschliessende  auftreten  des  Faust 
am   Peneus,    dem  hauptflusse  Thessaliens,   war  im  Januarschema  übei- 
_  ingen,    nur  nachträglich   eingetragen   mit  der  ausfuhr ung:    „röhr  und 
weidengeflüster  und  pappelzweige ",    wofür  es  im  februarschema 
heisst  „rohr[-]  und  schilfgeflüsti  r.     Weidenbusch  [-]  und  pappelzweig [-] 
-     In    einer  skizze   lesen  wir:    „Faust   (am  Peneus).     Nocli  ist 
ihm  nicht  geholfen.    Alles  [was  er  bisher  hier  gesehen,]  hat  nicht  an  sie 
herang         ht.     Deutet  auf  eine  wichtige  vorweit.     Sie  aber  tritt  in  ein 
gebildetes  Zeitalter.         ttlichen  Ursprungs.     Lebhafte  erinnerung.     Leda 
und    die  schwän  Wie    wundervoll    ist    dies   jezt    in    Fausts    selbst- 

sprach ausgeführt!  Der  fluss  Peneus  (Peneios,  wie  Goethe  nach  Rie- 
mers vorschL  -  ihrieb)  und  seine  nymphen  treten  als  mit  menschlicher 
räche  belebte  gottheiten  ihm  entgegen.  Die  begeisterte  Sehnsucht 
lässt  ihn  an  einer  zum  baden  einladenden  stelle  den  träum,  von  dem 
Homunculus  berichtet  hat,  vor  seinen  wachen  sinnen  widerholen,  ja  er 
glaubt  die  Verbindung  der  Leda  mit  dem  götterkönige  vor  sich  zu 
schauen. 


ENTSTEHUNG    VON   FAUST   II  07 

Das  erste  Schema  fahrt  fort:  ..Faust  und  Chiron",  wozu  das  zweite 
„sich  entfernend"  hinzufügt  Am  24.  Januar,  also  vor  dem  februar- 
schema,  sagte  Goethe  zu  Eckermann:  „Faust  ist  jezt  mit  Chiron  zu- 
sammen, und  ich  hoffe,  die  scene  soll  mir  gelingen."  Und  der  so 
bedeutsam  in  die  heldenzeii  einfahrende,  aber  auch  schon  den  unter- 
gang  der  griechischen  freiheit  berührende  bericht  Chirons  und  Fausts 
Unterredung  mit  ihm  sind  dem  alten  dichter  wunderbar  gelungen,  der 
hier  gerade  noch  alles   zu   tun   fand.     Hierher  gehörte   wo]   auch    das 

bruchstück: 

Hier  von  Skotusa  bis  zum   Peneus  dort, 

Wo  .  .  ., 

das  E.Schmidt  (s.  222)  dem  Anaxagoras  zuschreiben  und  auf  dessen  rede 
7865  fgg.  beziehen  wolte,  wozu  es  gar  nicht  passt,  da  dort  eine  nähere 
Ortsangabe  ganz  ungehörig  wäre;  wogegen  die  beziehung  auf  die  Schlacht 
bei  Pydna  sehr  nahe  liegt,  so  dass  der  vers  an  der  stelle  stehen  solte, 
wo  wir  jezt  lesen  (7465  fg.): 

Hier  trozten  Rom  und  Griechenland  im  streite, 
Peneios  rechts,  links  den  Olymp  zur  seite. 

Nicht  weniger  muste  der  dichter  seine  ganze  kraft  anstrengen, 
um  die  erders chütt er ung  darzustellen  und  zu  einem  lebendigen 
gliede  der  bunten  nacht  auszugestalten.  Im  ersten  Schema  finden  wir 
bloss:  ,, Sirenen  sich  badend.  Erderschütterung.  [Späterer  znsatz  ist 
S  eis  mos.]  Flucht  nach  dem  meere  eingeleitet.  Beschreibung  des  berg- 
wachsens.  Sphinxe  [bemerkungen  der  sphinxe]  zum  entstehen  des  bei- 
ges. [Nachträglich  eingeschoben:  steinregen.  Thaies.  Anaxago- 
ras.] Ameisen.  Greife.  Pygmäen.  Kraniche.  Wetstreit  Daktyle. 
sonst  däumchen  genant.  Mephistopheles  von  landen  zurückkehrend. 
Motiv  seiner  weiteren  forschung."  Das  zweite  schenia  hat  sphinxe 
incommodiert,  worauf  die  worte  ameisen  .  .  .  forschung  fehlen, 
dagegen  findet  sich:  „Anaxagoras  den  steinregen  veranlassend.  Thaies 
den  Homunculus  zum  meere  einladend.  Mephistopheles  und  Dryas. 
[Zusatz,  später  gestrichen:  Derselbe  die  Phorkyaden.  Abschluss 
dieser  Unterhaltung.]  Begegnen  schlangen.  Findet  die  sphinxe  wider. 
Verwandelt  sich  in  ihrer  gegenwart  [in  eine  phorkyade].  Abscheu  und 
abschluss  [doch  wol  des  auftretens  Mephistos  in  dieser  nacht.  Vgl. 
8032  fg.].  Heisser  wind  und  sandwirbel.  Der  berg  scheint  zu  ver- 
sinken. Mephistopheles  schlichtet."  Dieser  scheint  hier  nach  dem 
abschluss  an  ungehöriger  stelle  zu  stehen. 

So  war  während  der  drei  wochen,  die  zwischen  beiden  entwürfen 
liegen,   der  inhalt  erweitert  worden.     Dasjenige  aber,  was  im   zweiten 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.     BD.    XXLTI.  « 


DÜNTZER 

entwürfe  fehlt,  hatte  Goethe  nicht  etwa  fallen  lassen,  sondern  er 
übergieng  es,  weil  er  es  in  der  Zwischenzeit  wirklich  ausgeführt  hatte. 
Den  schluss  des  zweiten  Schemas  gestaltete  er  später  ganz  um.  Wenn 
bereits  im  ersten  der  kämpf  der  pygmäen  mit  den  kranichen  geplant 
war.  so  folgt  daraus  keineswegs,  dass  dieser  als  rachekrieg  gedacht  war 
und  schon  sinbildlich  auf  den  erbitterten  streit  zwisen  den  Yulkanisten 
und  Neptunisten  deuten  solte.  Das  aus  dem  ersten  plane  beibehaltene 
erdbeben   hat  mit  der  almählichen   ausbildung  der  kunst  bis  zur  rein- 

n  idealität  nichts  zu  tun;  aber  der  dichter  bonuzte  die  tolle  geister- 
naeht.  um  seinen  spott  über  die  parteikämpfe  der  geologen  zu  ergiessen. 
Damit  brachte  er  einesteils  die  entstehung  des  Homunculus  in  Verbin- 
dung, andererseits  die  Verlegenheit  des  Mephistopheles,  der  sich  in  die- 
3  r  neuen  erdbildung  nicht  zurechtfinden  kann  und  endlich  in  der 
höhle  der  wüsten  phorkyaden  die  ihm  gemässe  gestalt  findet,  jedoch  nicht 
mehr  zu  den  sphinxen  zurück  gelangt,  deren  wesen  auf  gesunder, 
wenn  auch  noch  roher  grundlage  beruht.  Aber  Mephistopheles,  der 
„alte  sünder"  muss  vorher  noch  durch  die  lamien  wirklich  genart  wer- 
den, wobei  der  dichter  sich  glücklich  der  schon  in  dem  frühesten  plane 
vorkommenden  Empusa  bediente,  wie  er  bei  der  Verwandlung  des  teu- 
feis in  eine  phorkyade  den  dortigen  vertrag  mit  der  Enyo  in  entspre- 
chender weise  umgestaltete. 

Erfindung  und  ausführung  sind  in  diesem  teile  der  Walpurgis- 
nacht ganz  ausgezeichnet,  wie  man  sie  kaum  dem  achtzigjährigen  zu- 
trauen    solte.      Verhältnismässig    wenige    frühere,    später    verworfene 

sangen  einzelner  stellen  haben  sich  erhalten.     Die  meisten  derselben 

ziehen  sich  offenbar  auf  das  erdbeben,  und  sie  sind  meist  auch  von 
E.  Schmidt  nicht  verkant  worden;  doch  ist  dabei  wol  zu  unterscheiden. 
Wir  sahen,  wie  nach  dem  ersten  plane  der  riese  Enceladus  die  erde 
aufwühlt:   jezt   wird    ein    besonderer   gott  Seismos,    den    man    in   einer 

lle  Piatos   zu  finden  glaubte,    mit   dem  erdbeben  betraut.     Aber  der 
dichte]-   scheint  ursprünglich   das   erdbeben  dem  gott  der  unterweit  zu- 
geschrieben   zu    haben,    wie   er    es    1797    in    dem    chorgesange    seines 
befreiten    Prometheus   tat,    wo   Hades    als    erderschütterer  erscheint 
the -Jahrbuch  IX.  4).      Anders    kann    ich    mir   Paralip.  142    nicht 

deuten: 

Wenn  er  mit  seinem  werbe  kost. 

Dann  sprüht  der  erdkreis  von  vulkanen, 

Und  alj         teigen  spitzig  auf, 

obgleich  E.  Schmidt  unbedenklich  diese  verse  dem  Seismos  gibt,  als  ob 
auch  ein  weil,  desselben  mit  ihm  gegeben  wäre.    Mich  erinnern  die  verse 


ENTSTEHUNG    VON    PAUST   II  99 

an  den  schluss  von  Goethes  „Götter,  beiden  und  Wieland",  wo  Pluto 
unwillig  ausruft:  „Kann  man  nicht  einmal  rahig  liegen  bei  seinem 
weibe",  und  glaube,  dass  nur  Pluto  gemein!  Bein  könne.  Unter  den 
trochäischen  verseil  (Paralip.  133): 

Ohne  grässlichcs  gepolt« t 
Konte  keine  weit  entstehn 

stehen  unmittelbar  die  jambischen: 

Nur  durch  pintonisches  gepolter 
Kont'  eine  schöne  weit  entstehn, 

von  denen  Schmidt  nicht  einmal  sah,  dass  es  eine  jambische  Fassung 
derselben  verse  ist.  Sie  erinnern  an  Pluto.  An  diesen  könte  man 
auch  bei  Paralip.  136  denken: 

Diese  schöne  glatte  flur, 
Und  es  ist  das  gas  sylvestre, 
Das  mir  einst  im  schlaf  entfuhr. 

Schmidt  versichert,  dass  seine  lesung  Gas  sylvestre,  wie  die  kohlen- 
saure früher  hiess,  sicher  stehe.  Dabei  hätte  bemerkt  werden  können, 
dass  kohlensaure  in  vulkanischen  gegenden  zuweilen  aus  erdspalten  her- 
ausströmt. Auf  die  anwendung  des  griechischen  namens  Seismös 
seheint  auch  Paralip.  138  launig  zu  deuten: 

Eeden  mag  man  noch  so  griechisch, 
Horts  ein  Deutscher,  der  verstehts, 

das   Schmidt   auf  Wagner  bezieht   „nach  dem   altern  plan-,    wobei   ich 

seine  bemerkung  „zwischen  134  und  135u   nicht  verstehe,  da  er  beide 

mit  recht  auf  den  Seismos  bezieht.     Seismos  solte  sich  wo]   selbst   mit 

seinem   griechischen   namen    einführen:    „Ich    bin    der  Seismo         Auf 

Pluto  als  frühern  erderschütterer  deutete  Seismos  selbst  in   den  versen 

(Paralip.  137): 

So  bin  ich  der  gott  der  winde. 

All  das  alte  dumme  zeug, 

Nord-  und  süd-  imd  west-gesinde, 

Höhen  alle  meer  und  reich  (?) 

Steigt  durch  losgelassne  kräfte 

Himmelan  .  .  . 


Pluto  hat  es  mir  vermacht. 


Schmidt  hat  keinen  versuch  gewagt,    das  falsche  reich   zu  verbessern. 

7* 


100  DthUTZBH 

Es  ist  ohne  Zweifel  gleich  zu  lesen  und  komma  nach  meer  zu  setzen. 
Auch  Paralip.  135  gibt  der  herausgeber  nicht  richtig: 

CTnd  man  sagt  mir  die  Titanen 
Hatten  alles  das  gestürmt 
Und  zu  onerstiegnen  bahnen 
Das  gebirgswerk  aufgetürmt. 

Statt  mir  (1)  muss  es  nun  heissen,  statt  Hatten  (2  Hatten).  Wenn 
S  Lsmos  jezt  (7560  fg.)  sagt,  er  habe  ..in  geselschaft  von  Titanen"  gewirt- 
schaftet, so  hiess  -  früher,  er  habe  die  gebirgswelt  gebildet,  und  nun 
man.  das  hätten  die  Titanen  getan.  Ein  andermal  Hess  Goethe 
dein  Seismos  als  eine  art  pustrich  den  witz  machen  (Paralip.  134): 

Als  ich  einstmal  stark  gehustet, 

Wusst'  ich  nicht  wie  mir  geschah, 

Haft"  ich  sie  herausgepustet 

Und  sie  stöhn  als  berge  da. 

Die  verse  hatte  Goethe  zweimal  auf  ein  blatt  geschrieben,  und  zwar 
ind  das  erste  mal  2  ich  gar  nicht  was,  3  Hab',  4  Götter  (statt 
Berge).  Für  die  rede  der  Oreas  (7811)  waren  ohne  zweifei  die  verse 
(Paralip.  141)  bestirnt: 

An  deinem  gürtelkreis,  natur, 

Auf  urberühmter  felsen  spur, 

die   Schmidt  vermutungsweise    dem  Faust   selbst   zuschreibt.     Dagegen 
a  hörte  Paralip.  140,  zu  welchem  er  nichts  bemerkt: 

Du  schärfe  deiner  äugen  licht; 

In  diesen  gauen  scheints  zu  blöde. 

Yon  teufein  ist  die  frage  nicht, 

Von  göttern  ist  alliier  die  rede, 

der  Dryas   an.    welche   damit    den   Mephistopheles    zurechtweisen    solte 
_  .  7  159  ig.);  wenn  nicht  auch  dieses  noch  der  Oreas  angehörte,  da  es 
fraglich   bleibt,    ob   ursprünglich   noch  eine  Dryas  nach  der  Oreas  auf- 
treten solte.     Dass  Paralip.  152: 

Zum  edlen  zweck  es  abzutreten  frei, 
•h  auf  das  äuge  der  Phorkyaden  bezog  (vgl.  8015  fgg.),  hat  Schmidt 
merkt  Paralip.  143  — 146  gehören  kaum  zum  Faust:  143,  4  ist  wol 
höhen  "der  höh'n  statt  höhlen  zu  lesen,  3  eigenes  statt  eignes 
zu  ä  tzen,  statt  des  nicht  reimenden  gerne  etwa  getön  (musik).  Auch 
di-  ziehung  df-  Spruches  139  auf  Mephistopheles  bleibt  äusserst 
zweifelhaft,  da  auf  demselben  blatte  drittehalb  lyrische  (?)  zeilen  ste- 
hen, die  beginnen:   „Wenn  ich  froh  und  guter  dinge." 


ENTSTEHUNG    VON    FAUST    II  1  *  >  1 

Bis  hierher,  zur  Verwandlung  des  Mephistopheles  in  eine  phorkyade, 

war  die  dichtung  wol,  mit  ausnähme  einzelner  lücken,  vollendet,  als  Goethe 
am  22.  märz  1830  Eckermann  sagte,  er  hoffe  vor  dessen  einen  monat 
später  erfolgenden  abreise   nach   Italien   mit   der  Walpurgisnacht   fertig 

zu  werden.  Den  23.  berichtet  das  tagebuch,  die  zweite  reinschrift  sei 
schon  vorgerückt  und  „das  übrige  zum  ganzen  durchgedacht"  worden. 
In  den  nächsten  tagen  wurde  noch  einzelnes  ausgeführt,  „anderes 
durchgesehen  und  durchdacht"  Den  28.  märz  hören  wir,  dass  „die 
nächstdurchzuführenden  concepte  geheftet"  worden.  Die  dichtung  scheint 
nicht  wesentlich  fortgerückt  gewesen  zu  sein,  als  Goethe  am  14.  april 
Eckermann  „den  Faust  übergab",  d.  h.  die  zweite  reinschrift  der  Wal- 
purgisnacht. Sir  wurde  vor  dessen  abreise  noch  mit  ihm  besprochen. 
Diese  war  auch  wol  ,, der  teil  des  Faust",  den  er,  nach  Eckermanns 
abreise,  am  24  april  an  Riemer  sante,  mit  dem  er  drei  tage  später  die 
fortsetzung  besprach.  Nur  noch  ein  paar  mal  gedenkt  das  tagebuch  vor 
dem  december  des  Faust:  am  12.  juni,  wo  er  „die  betrachtung  d 
Faust  wider  vorgenommen";  zwei  tage  später  wurden  „ hauptmotive 
des  Faust  abgeschlossen."  Damals  muss  die  Walpurgisnacht  fertig 
gewesen  sein;  in  einem  briefe  nach  Genua  hatte  Goethe  verkündet,  da 
„die  lücken  und  das  ende  der  Walpurgisnacht  glücklich  erobert"  seien, 
wie  wir  aus  Eckermanns  brief  an  Goethe  vom  14.  September  ersehen. 

Dieses  ende  hatte  dem  dichter  viele  Schwierigkeiten  gemacht,  da 
hier  eben  noch  alles  zu  erfinden  und  auszuführen  und  zu  einer  leben- 
digen handlung  zu  verbinden  war.  Im  Januarschema  findet  sich  darüber 
nichts  weiter  als  die  angäbe:  „Sirenen  flötend  und  singend.  Mond  im 
gewässer.  Xajaden.  Tritone.  Drachen  und  meerpferde.  Der  muschel- 
wagen der  Venus.  Teichinen  von  Rhodus.  Kabiren  von  Samothra* 
Kureten  und  Korybanten  von  Creta."  Ursprünglich  hatte  die  stelle  Tei- 
chinen .  .  .  Kreta  vor  Xajaden  gestanden,  vor  welchem  noch  vor- 
her sich  fand.  Erst  darauf  folgte  der  auftritt  mit  Chiron  und  Manto. 
Im  februarschema  kehrt  dasselbe  wider  (doch  ist  Kreta  geschrieben), 
dagegen  steht  statt  Sirenen  ..  gewässer  schon:  „Buchten  des  ägäischen 
nieeres.  Sirenen.  Thaies  und  Homunculus.  Nereus  und  Proteus." 
Also  war  hier  schon  das  auftreten  des  meergotte-  Nereus  und  des  got- 
tes  der  Verwandlung  vorgesehen,  da  Homunculus  zur  entstehung  gelan- 
gen solte.  Aber  es  fehlte  die  ganze  darstellung,  wie  die  weiblichen 
und  männlichen  begleiter  der  Yenus  (die  Najaden  standen  statt  der 
späteren  Xereiden)  aus  fischgestalten  verklärt  werden  solten,  womit  die 
Verspottung  der  mythologen  in  bezug  auf  die  Kabiren  zusammenhing, 
es  fehlten   die   als  zauberer  überlieferten  Psyllen  und  Marsen,    welche 


102  DÜNTZER 

später  an  die  stelle  der  Kureten  und  Korybanten  traten,  es  fehlten  die 
Doriden  als  rettei  des  schifferknaben,  wol  ein  sehr  spater  zusatz,  und 
Qoch  hatte  der  dichter  sich  nicht  entschieden,  der  durch  Baphael  ver- 
ttliehten  Nereustochter  Galatea  die  stelle  der  Venus  einzuräumen. 
Obgleich  das  Schema  das  zerschellen  des  Komunculus  am  muschelwagen 
und  den  abschliessenden  preisgesang  aller  vier  demente  nicht  erwähnt, 
wann  diese  doch  wo!  schon  in  aussieht  genommen.  Die  eigentliche 
dichterisch»'  gkederung  dieses  glänzenden  abschlusses  muste  erst  bis 
ins  einzelnst«  mnen  werden,  ehe  Goethe  an  die  ausführung  gieng, 
die  ihm  verhältnismässig  rasch  gelungen  zu  sein  scheint. 

Von  früheren,  später  aufgegebenen  Fassungen  hat  sich  wenig 
erhalten.  Der  durch  ..  mond  im  gewässer"  schon  im  ersten  Schema 
angedeutete  einleitende  gesang  der  sirenen  findet  sich  einzeln  skizziert 
in  den  trochäischen  reimpaaren: 

Halte  still  am  mittel himmel 

Und  beleuchte  (zuerst  dafür  Scheine,  mildre)  das  gewimmel 
Diese  wasserblitze  leuchten 
Diese  wellen  .  .  .  feuchten 
Denen,  die  daraus  entstehen 
s.-hwebend  auf  und  niedergehen. 
Darunter  stehen  die  offenbar  auf  die  fassung  des  Schemas  zurückgehen- 
den worte:  Teichinen  von  Khodus.     Kabiren  von  Samothrace.    Coryban- 
fcen  von  Cor."    Unbegreiflich  ist  mir  E.  Schmidts   allen  kritischen  grund- 
tzen  widerstrebendes  verfahren.     Er  übersieht  das  allereinfachste,  dass, 
wenn  andere  Cor  unzweifelhaft  vorliegt,  dieses  verschrieben  sein  muss 
für  Cr  d.  h.  Kreta.    Er  ergänzt  Corybissa.    Nun  ist  freilich  Korybissa 
eine   der  vielen  korvbantischen  Städte  in  Troas.     Aber  unter  den  dor- 
tigen  korybantischen  orten  findet  sich  auch  ein  Korybantion,  das  wenig- 
denselben  anspruch  wie  Korybissa  erheben  könte.    Und  es  erscheint 
llig  unmöglich,   dass  Goethe  die  als  Kreta  angehörig  bekanten  Kory- 
banten, die  er  auch  wirklich  sonst  dieser  grossen  weltgeschichtlichen  insel 
zuschreibt,  von  einem  solchen  dunkeln  neste  hätte  kommen  lassen  können. 
In   unserer  Unterschrift  sind  die  Kureten  vielleicht  durch  zufall  wegge- 
blieben; bei  der  ausführung  wurden  sie  samt  den  Korybanten  gestrichen. 
Noch    ein    anderer    früherer    versuch    <]<■<    sirenenliedes    hat    sich 
erhalten.     B.  Schmidt  führt  als  Paralipomenon  151  an: 
Der  wirds  wer  unserm  ziele  bringt  [?] 
Der  sich  sogar  herniederzwingt 
Jezt  im  mitten  [himmel  ausgestrichen]  stille  stehn 
Zu  unsre  heiligen  festen  sehn. 


ENTSTEHUNG    VON    FAUST    II  103 

Dabei  bemerkt  er:  „Die  beiden  reimpaare  haben  vielleicht  gar  keinen 
Zusammenhang'."  Augenscheinlich  sind  es  zwei  vorsuche  von  stellen 
des  sirenenliedes  SO.'M  fgg.,  das  der  tliessalischen  trauen  gedenkt,  deren 
zauber  dn\  hier  angeflehten  mond  „bei  nächtigem  grauen  frevelhaft 
herabgezogen."  V.  1  ist  jedenfals  Der  dich,  2  dich  statt  sich  zu 
Lesen.  Nach  Der  dich  (1)  könte  man  vermuten  nach  iinserm  wil- 
len dringt,  wäre  die  vorläge  nicht  zu  ungenügend.  Facsimiles  selten 
in  der  Faustausgabe  nicht  gespart  sein.  3  und  1  sind  stelin  und 
sehn  von  einem  vorhergehenden  mögst  du  abhängig  geacht,  und  im 
mitten  sezt  ein  vorangehendes  himmel  voraus.  Im  Lezten  verse  hatte 
Goethe  ursprünglich  Zu  geschrieben,  darauf  Und  geändert,  aber  lez- 
teres  gestrichen,  Zu  aus  versehen  stehen  lassen,  auch  den  falschen 
dativ  Festen  neben  unsre.  Der  vers  solte  lauten:  Unsre  heiligen 
feste  sehn. 

Richtig  hat  E.  Schmidt  bemerkt,  dass  die  auf  demselben  blatte  ste- 
henden Paralip.  15-4  fg.  dem  Nereus  und  dem  Proteus  angehören  selten. 
Wenn  auf  einem  andern  (Paralip.  126)  steht:  Interloc  Sirenen  (Cho- 
rus). Nereus  Proteus  Thaies.  Homuneulus",  so  hat  Schmidt  irrig 
ergänzt   Interlocution    statt   Interlocutoren    (sprechen. 

In  Paraüp.  149: 

Wenn  du  entstehn  wilst,  thut  du  immer  besser, 
Du  wirfst  dich  ins  ursprüngliche  gewässer. 
Es  ist  zu  klar 
ist  thut  doch  wol  blosser  druckfehler  statt  thust.     Schmidt  bezeichnet 
die  verse  mit:   „Thaies  zu  Homuneulus u,  was  aber  seiner  eigenen   Ver- 
weisung,  man   solle   besonders    8260.    8315   vergleichen,    widerspricht. 
Proteus  solte  die  worte  sprechen,    an   deren  stelle  jezt   die  wol   eim| 
zeit  später  gedichteten  verse  8260  fgg.  getreten.     Thaies,   obgleich    ent- 
schiedener Vertreter  des  wassers,  gibt  dem  Homuneulus  keinen   rat:   er 
rät  ihm  nur  ab  von   der  Verbindung  mit  kleinen,    dann  führt  er  ihn 
zum  meeresfest   und  bringt    ihn    zum  Xereus,   aber    dieser   verweigert 
seinen  rat  und  verweist  ihn  an  Proteus:    erst  als   dieser  sich   in  einen 
delphin  verwandelt  hat  und  den  Homuneulus  auffordert,  ihn  zu  bestei- 
gen, redet  er  ihm  zu,  dem  gotte  zu  folgen. 

Wie  viele  frühere  skizzen  und  abgebrochene  versuche  der  ausfah- 
rung auch  verloren  gegangen  sein  mögen  —  aus  den  fast  auf  wunder- 
bare weise  geretteten  ergibt  sich,  mit  welcher  unendlich  liebevollen 
Sorgfalt  der  dichter  den  anfangs  rohen  plan  almählich  ausgebildet,  durch 
sinbildliche  und  anspielende  bezeichnungen  gehoben  und  zu  einem  in 
sich  abgerundeten,  freilich  märchenhaften  ganzen  geschaffen  hat;  und  wie 


104  HOLSTEIN 

er  keine  mühe  scheute,  die  ihm  vorschwebenden  Vorstellungen  und  bilder 
zum  vollendetsten  aiisdruck  zu  bringen.  Und  dies  ist  ihm  auf  stau- 
nenswerte  weise  gelungen,  wenn  auch  bei  diesem  für  den  achtzigjäh- 
rigen ungeheuren  werke  manches  hie  und  da  noch  hätte  verbessert 
und  einzelnes  nicht  ganz  gelungene  umgegossen  werden  können.  Das 
gium  corpus  leidet  wenn;-  durch  diese  naevi  inspersi,  es  ist 
und  bleibt  ein  caelatum  novem  Musis  opus. 

KÖLN.  U.    DÜNTZER. 


ZUR  TOPOGRAPHIE  DEE  FASTNACHTSPIELE. 

Von  den  132  fastnachtspielen  aus  dem  15.  Jahrhundert,  die  wir 
dmi  grossen  sammelÜeisse  Adalbert  von  Kellers  verdanken,  sind 
nr.  107.  110  und  119  als  dem  16.  Jahrhundert  angehörig  auszuscheiden. 
Ausserdem  entstammen  sie  der  Schweiz,  während  die  anderen  deut- 
en Ursprungs  sind.  Die  meisten  von  ihnen  sind  in  Nürnberg 
entstanden,  einige  gehören  nach  Augsburg.  Ein  sorgfältiges  Studium 
der  fastnaehtspiele  würde  manche  aufschlüsse  über  häuser  und  platze 
dieser  beiden  städte  ergeben;  auch  beziehungen  auf  kirchen,  bilder  und 
bauwerke  finden  sich,  welche  von  ortskundigen  forschem  mit  leichtig- 
keit  gesammelt  werden  könten,  um  ein  belebtes  bild  der  beiden  wich- 

n  deutschen  städte  des  mittelalters  darzubieten.  Schon  Keller  hatte 
auf  diese  fundgrube  deutscher  kulturgeschichte  aufmerksam  gemacht. 
Er  sagt  &  1076  hinsichtlich  Nürnbergs:  „Nürnberg  als  die  durch  reich- 
tuni  blühendste,  durch  gewerbfleiss  und  kunst  gebildetste  stadt  des 
damaligen  Deutschland,  recht  in  seinem  mittelpunkt  gelegen,  war  die 
wiege  des  komischen  dramas.  Zahlreiche  anspielungen  und  ortsbezie- 
hungen  in  der  mehrzahl  der  fastnachtspiele  weisen  auf  örtlichkeiten 
und  verhälti:  Nürnbergs  und  seiner  nächsten  Umgebung  hin."  Bei- 
spielswi  seien    hier    die    fleischbrücke   (s.  157,  22),    der   gostenhof 

(37.  5),  der  obstmarkt  (543,  21),  die  tuchscheerergasse  (211,  6.  217,  5), 
der  Luginsland,  d.  i.  ein  wartturm  in  der  Stadtmauer,  in  welchem  das 
der  zum  tode  verurteilten  Verbrecher  war  (633,  9),  das  Wirts- 
haus zum  guldin  hirßen  (111,  32),  zum  tauben  etlein  (96,  33),  zum 
ploben  stern  (113,  3)  erwähnt. 

Übrigens  folgt  aus  der  erwahnung  einer  örtlichkeit  nicht  immer, 
dass  das  betreffende  spiel  an  diesem  orte  entstanden  sei.  Dies  ist  z.  b. 
der  fall  mit  Bamberg,  dessen  in  drei  spielen  erwahnung  geschieht. 
277.  7  sagt  der  precursor: 


TOPOGR.    DER    FASTNACHTSPIKLl!  105 

Hier  kumpt  von  Bamberg  auß  dem  stift 
ühsers  herrn  bischofs  sigler  her. 

320,  7  sagt  cbcnfals  der  precursor: 

Unser  herr  der  bischof  von   Babenberh1 
Hat  angefangen  ain  neues  werk. 

Und  851,  13  sagt  der  herold: 

Der  ander  hat  einer  die  ee  geredt, 
Dorumb  man  in  gein   Bamberg  ledt. 

Die  erwähnung  Bambergs  und  des  bischofs  von  Bamberg  rechtfer- 
tigt keineswegs  den  schluss,  dass  diese  spiele  in  Bamberg  entstanden 
seien;  vielmehr  wird  auch  hier  Nürnberg  als  der  entstehungsort  anzu- 
nehmen sein. 

Aus  der  nächsten  Umgebung  Nürnbergs  lernen  wir  das  dorf 
Poppenreut  (127,  14)  als  den  ort  kennen,  an  welchen  der  wirt  die 
nach  den  Spielern  des  „Morischgentanzes"  fragenden  leute  weisen  soll; 
denn  dorthin  wollen  sie  nach  beendigung  des  Spieles  gehen,  um  ein«' 
hochzeit  zu  feiern.  Feiner  nent  sich  109,  6  der  precursor  Heinz  Mist 
von  Poppenreut.  Ein  an  der  Pegnitz  belegenes  dorf  wird  nicht  näher 
bezeichnet. 

78,  9   Wir  klimmen  da  herein  auß  eim  dorf  nit  ferr, 

Das  Ugl   m  edler  uechst  draußen,  elo  die  Pegnit\   her  fleußt. 

Die  Pegnitz    selbst    wird    255,  23    und    634,  17    erwähnt.      An    der 
ersten  stelle  wünscht  der  bauer  seinem  zanksüchtigen  weibe,  dass 
„man  dir  ein  sack  an  hals  icurcl  kaufen 
Und  mit  dir  durch  die  Pegnitz  wurd  laufen," 

An  der  zweiten  stelle  sagt  der  bauer  von  seinem  buhlen: 
Meins  puln  hutd  ich  lieber  kür, 
Denn  das  ich  mit  dem  ars  in  eli  Pegnitz  gefrür. 

In  demselben  spiele  von  der  grossen  liebhabervasnacht  tritt  uns  auch 
die  Donau  entgegen.     633,  7  fg.  sagt  der  dritte  bauer: 

Mir  liebet  mein  allerliebste  frau 

Für  schleimen  über  die  Thonau. 

Und  im  „Morischgentanz"  lässt  der  achte  narr  das  schöne  fräulein  sagen: 

.  .   Wut  elu  darauf  schlahcn, 
So  must  elu  dich  vor  paden  und  iwahen 
In  der  Tuneiu  .  .         (125,  12  fg.) 

1)  [Die  ähnlichkeit  mit  dem  anfange  von  Ezzos  gesang  (MSD  XXXI,  1)  ist 
doch  wol  nur  zufällig?!     Red.] 


106  HOLSTEIN 

In  der  nähe  der  primmelwiese  (517,  4)  befindet  sich  ein  guter  acker: 

Kr  ist  einer  solchen  guten  art, 

Wr  beugt  sich  selber  aUe  fort 

Und  ist  an  dem  Lieh- fehl  gelegen.     (517,  14.) 

Es  möge  nun  <'in<i  reihe  bairischer  Ortschaften  folgen,  die  in  den 
fastnachtspielen  erwähnt  werden:  Altenberg,  Wetzendorf,  Obernpnch, 
Fürth  im  Walde  (54,  35.  55,  1.  5.  7);  Altheim  (245,  31);  Dingelfin- 
d  (194,  20);  Erlenstegen  (96,  32.  99,  33.  112,  34.  157,  9.  718, 
25  :  Hürnheim  (620,  21);  Kauenfeld  (718,  13);  Rotenbach  (543,  1); 
S  hmrVenhausen.  jezt  Schrobenhausen  (340,  36);  Schnieglieg  (567,  8). 
Hin  badischer  ort  ist  Niclashausen  (4S0,  23),  ein  württembergischcr 
Tripstrüll,  der  in  der  Schreibung  Trippotill  (303,  9)  nnd  Treffentrüll 
(759,  33)  erscheint  Mehrere  Ortsnamen  sind  wol  phantasiegebilde : 
Plenenstein,  Greineck  und  Knütelbert  (632,  25),  sowie  Aukuckenlant 
(.".tiT.  28)  und  M'lhst\vrst;'indlich  Wisehmirsgesäss  und  Arslaffenrent  (345, 
12.   13). 

Wie  selbst  eine  einfache  datierung  im  stände  ist  die  heimat  eines 
Spieles  nachzuweisen,  beweist  das  spiel  nr.  40,  welches  am  Schlüsse  die 
notiz  enthält:  „Finis  am  Erichtag  vor  Viti  1486  jar"  (313,  11).  Nun 
i-t  der  Erich-  oder  Erchtag  eine  in  Baiern  geläufige  benennung  des 
diensl  igs,  folglich  ist  das  spiel  in  Baiern  entstanden.  Keller  s.  1499 
merkt  unter  venveisung  auf  Hurter,  kaiser  Ferdinand  II,  5,  396, 
dass  die  erzherzogin  Magdalene  am  ascherrnitwoch  1608  in  einem  briefe 
•  _  flu'  dienstag  schreibe. 

Wir  haben  bisjezt  den  schon  bekanten  nachweis  von  der  vor- 
wiegend bäurischen  heimat  der  mehrzahl  der  fastnaehtspiele  geliefert; 
dass  aber  auch  fränkisch- thüringischer  Ursprung  geltend  gemacht  wer- 
d  kann,  war  bisher  der  beachtung  entgangen.  Wir  meinen  das  spiel 
nr.  128  vom  Maister  Aristotües  (Xachlese  s.  216  fgg.).  Dass  die  spräche 
(h->  Stückes  fränkisch  ist.  sah  Keller  (s.  230);  aber  auf  die  darin  vor- 
kommenden  Ortsnamen  hat  er  nicht  aufmerksam  gemacht. 

Nachdem  zuerst  ein  gewapneter  sich  mit  seinem  banner  vorgestelt, 
erscheint  der   schütz    mit   einer  armbrust  und  gebietet  allen,    die  zum 
anhören  des    Spieles  erschienen  sind,   ruhe:    alle  gemein,    beide  gro 
und  klein,  alt.  jung,  kegel  und  kind,  alle  die  hier  versammelt  sind. 

216.  15   Von  darffer,  stet,  ir  purger, 
Seyt  ir  auch  kommen  her, 

/rill    ich    (irr]/    .<(iij<  //    (Iris, 

Das  ir  schweiget  on  allen  haß! 


TOI'OGR.    DER    FASTXA'  IITM'IELE  107 

Nun  fährt  er  fürt  mit  der  aufzählung  der  einzelnen  Ortschaften: 

Von  Pintterslewbm,  Metzkan  und  Fewt, 
20  Schweyget  an  disem  tag  hewt, 


217,        Von  Hilbersgehoffen  ir  tv/mben  lewte 
5   Und  ir  rochen  von   Ebenergerewte, 

Von   Gisjperflewben  (1.  Oisperslewben)  ir  stuben  voll 

Ami/  sweigen  dy  von  Simntstet  wol! 

Von  Hochhaym  ir  schottentrit, 

Schweyget  und  redet  ain  fror/  nit! 
10    Und  ir  küttendrescher  von  Rewtj 

Schweiget  an  disem  tag  hewt 

Und  sehet  mit  züchten  unser  spilJ 
Es  werden  hier  folgende  orte  genant:  Bindersleben,  Metzkan,  Fcut, 
Hversgehofen,  Ebenergereute,  Gispersleben ,  Simntstedt,  Hochheim  und 
Reut.  Von  diesen  sind  Metzkan,  Feut,  Ebenergereute  und  Simntstedt 
nicht  nachzuweisen ;  die  übrigen  jedoch  sind  sämtlich  als  im  gebiete 
von  Erfurt  liegend  nachweisbar.  Nun  könten  die  vier  genanten  dörfer 
zu  den  Wüstungen  gehören,  aber  sie  fehlen  sowol  in  Werenburgs  Ver- 
zeichnis1 als  in  des  freiherrn  v.  Tettau  „Geschichtlicher  darstellung  des 
gebietes  von  Erfurt"2  und  werden  unter  den  zehn  orten,  welche  die 
stadt  Erfurt  im  laufe  der  zeit  aufgesogen  hat,  nicht  genant;  höchstens 
könte  man  unter  der  nicht  unberechtigten  amiahme,  dass  Simntstet  in 
der  hs.  für  Smitstet  verlesen  ist,  der  wüstnng  Schmidtstedt,  welche 
sich  in  den  Verzeichnissen  findet,  einen  platz  anweisen,  während  die 
drei  anderen  wol  zu  den  Wüstungen  Frankens  zu  rechnen  sind.  Ich 
wolte  mit  dieser  auseinandersetzung  nur  darauf  aufmerksam  machen, 
dass  die  fastnachtspiele  auch  eine  quelle  für  historisch -geographische 
Untersuchungen  bilden. 

Die  übrigen  orte:  Bindersleben,  Hversgehofen,  Gispersleben,  Hoch- 
heim und  Roda  (Reut)  scheinen  mir  unzweifelhaft  festzustehen,  wenn 
auch  die  Schreibung  der  hs.  eine  andere  ist.  Die  Schreibung  Pintters- 
lewben  entspricht  zwar  nicht  den  verschiedenen  urkundlichen  formen: 
Biltersleuin ,  Biltersleben ,  Bilterichesleybin ,  Biterichesleibin ,  Biltirsley- 
ben,  Bilterslaibin ,  aber  ist  es  nicht  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  heu- 
tige form  Bindersleben,  die  ja  von  dem  echten  Thüringer  sicher  stets 
Pintersleben  gesprochen  wird,  bereits  zu  ende  des  15.  Jahrhunderts  die 

1)  "Werenburg,  Die  namen  der  Ortschaften  und  Wüstungen  Thüringens  in  den 
Jahrbüchern  der  akademie  der  Wissenschaften  zu  Erfurt,  n.  folge  heft  XII. 

2)  Ebendas.  heft  XIV  (1886)  mit  einer  Übersichtskarte. 


108  ERDMANN 

übliche  war?  Auch  bei  Hilbersgehoffen  kann  ein  zweifei  nicht  auf- 
kommen: der  ort  heisst  in  den  Urkunden  zuweilen  Hilbrechtshofen. 
Ebensowenig  ist  Qisperslewben  —  denn  so  ist  statt  Gisperflewben  zu 
lesen  —  anzufechten;  die  beiden  nebeneinander  Liegenden  dörfer  Gispers- 
ieben  Kiliani  und  Gispersleben Viti  sind  6  km.  nördlich  von  Erfurt  entfernt. 
Hochhaym  =  Hochheim,  4  km.  von  Erfurt  gelegen,  wird  nach  gütiger 
mitteilung  dos  freiherrn  v.  Tettau  zum  unterschied  von  dem  bei  Die- 
tendorf  gelegenen  Kornhochheim  Veitshochheim  genant.  Den  ort  Rewt 
endlich  möchte  ich  für  Boda  bei  Erfurt  in  anspruch  nehmen,  obwol 
in  Baiern  zwei  dörfer  namens  Reut  und  Reuth  existieren.  Es  ist  mir 
nicht  zweifelhaft,  dass  das  spiel  vom  Maister  Aristotiles  in  einem  Thü- 
ringer orte  aufgeführt,  aber  von  einem  fränkischen  oder  bairischen 
dichter  verfasst  und  niedergeschrieben  worden  ist,  dem  die  benennung 

•da  identisch  mit  Reut  erschien.  Denn  die  endsilbe  -reut  ist  Thürin- 
_  d  durchaus  fremd  und  erscheint  erst  in  den  zu  Franken  gehörigen 
landesteilen  wie  im  Voigtlande,  während  in  Thüringen  an  seine  stelle 
die  endung  -rode  oder  -roda  tritt.     Aus  demselben  gründe  ist  auch  das 

hon  besprochene  Ebenergerewte,  sofern  man  nicht  Ebenergerode  deu- 

!  will,  nach  Franken  zu  verweisen. 

WILHELMSHAVEN.  H.    HOLSTEIN. 


ZUM    EIXFLUSS   EXOPSTOCKS   AUF   GOETHE. 

..  Trunknen  vom  letzten  Strahl 
Heiß'  mich,  ein  Feuermeer 
Mir  im  schäumenden  Aucj , 
Mich  geblendeten,  taumelnden 
In  der  Hölle  nächtliches  Thor. 

Töne,  Schwager,  dein  Hörn 

Baßle  den  schallenden  Trab, 

Haß  der  Orcus  vernehme:  ein  Fürst  kommt, 

Drunten  von  ihren   Si:  \en 

Sich  du    Gewaltigen  lüfften.'1 

So  lautote  bekantlich  der  schluss  des  gedientes  „An  Schwager  Kronos" 
in  der  ältesten,  zum  ersten  male  von  Suphan  in  dieser  Zeitschrift  VII, 
209  fgg.  veröffentlichten  gestalt.  Suphan  vermutete  bereits  (s.  212), 
dass  die  —  in  der  spateren  fassung  des  gedientes  unterdrückte  und 
durch  eine  andere,  mildere  und  gemütlichere  ersezte  —  Vorstellung 
von  „gewaltig'ii"   in  der  unterweit,    welche   den  neuen  ankömling  als 


EINFLUSS    KLOPSTOCKS    AI  P    GOETHE  100 

einen  noch  höher  stehenden  ehrend  begrüssen,  aus  Klopstocks  Mes- 
sias  stamme.  Aber  seine  hinweisung  auf  die  worte  des  Kaiphas  im 
vierten  gesange  brachte  keine  deutliche  and  namentlich  auch  keine 
inhaltlich  passende  parallele  zu  tage.  Von  den  erklär» tu  des  Goethe- 
schen  gedichtes  hat  seitdem  keiner,  so  viel  ich  sehe,  Suphans  anregung 
verfolgt;  auch  bei  0.  Lyon  in  seinem  reichhaltigen,  aber  für  solche 
zwecke  wenig-  übersichtlich  angelegten  buche  (Goethes  Verhältnis  zu 
Klopstock.  Leipzig  1882)  kann  ich  nichts  darüber  finden.  Und  doch 
ist,  wie  ich  glaube,  eine  ganz  bestirnte  stelle  im  Messias  vorhanden, 
die  dem  jungen  Goethe  bei  abfassung  jenes  gedichtes  vorschwebte:  Däm- 
lich die  verse  Mess.  XVI,  125  fgg: 

Aber  wo  sind  die  Seelen  der  Sklaven, 

wo  sind  sie, 

Daß  sie  den  todten  Satrapen:  ihr  Herrscher  komme!  verkünden? 
Diese  worte  spricht  bei  Klopstock  die  sele  eines  eben  gestorbenen  indi- 
schen königs,  der  beim  erwachen  aus  dem  todesschlummer,  „von  sei- 
ner grosse  wahne  noch  nicht,  von  ihrem  taumel  noch  immer  ergrif- 
fen" (124),  auch  in  der  totenweit  ehrfurcht  vor  seiner  herscherwürde 
erwartet  und  heischt.  Dieses  eigenartige  und  in  wenigen  zügen  scharf 
genug  ausgeführte  Charakterbild  aus  dem  gedanken-  und  gestaltenreich- 
sten, nach  Hamel  (Klopstockausgabe  I,  CLXXII)  zu  allerlezt  begonnenen 
unter  allen  gesängen  des  Messias  hatte  der  junge  Goethe  so  in  sich 
aufgenommen,  dass  er  im  Oktober  1774  —  kurz  nach  der  persönlichen 
begegnung  mit  Klopstock  —  zum  ausdruck  des  gesteigerten  hochgefüh- 
les  auf  jener  zum  bilde  der  eigenen  lebensbalm  gestalteten  bergfahrt 
sehr  ähnliche  worte  wählen  konte,  wie  sie  dieser  ebenfals,  wenn  auch 
in  anderem  sinne  „taumelnde"  fürst  bei  Klopstock  gebraucht. 

Für  sich  allein  betrachtet  ist  diese,  wie  mir  scheint,  unzweifel- 
hafte Übereinstimmung  geringfügig.  Aber  es  ist  doch  nicht  ganz  unin- 
teressant, durch  sie  den  beweis  dafür  zu  erhalten,  dass  Goethe  im  jähre 
1774  nicht  nur  Klopstocks  „Gelehrtenrepublik"  begeistert  begrüsste, 
sondern  auch  den  zuerst  1773  erschienenen  vierten  band  des  ^Messias" 
so  genau  gelesen  hatte,  dass  bestirnte  einzelheiten  desselben  auf  seine 
eigenen  dichterischen  Schöpfungen  fortwirkenden  einfluss  üben  konten. 
Wir  haben  also  nicht  nötig,  bei  der  frage  nach  dem  Verhältnis  der 
Goethischen  dichtung  zu  Klopstocks  Messias  immer  nur  an  die  Frank- 
furter knabenlektüre  aus  den  ersten  zehn  gesängen  und  an  das  schöne 
barbierhistörchen  aus  „Dichtung  und  Wahrheit"  zu  denken. 

BKESLATT,   JTTXI    1889.  OSKAR   ERDOIAXX. 


110 

LITTEEATUK. 

Karl  Mttllenhoff,  Beovulf.  Untersuchungen  über  das  angelsächsische 
epos  und  die  ältesl  geschiente  der  germanischen  seevölker.  Berlin, 
Weidmannsche  buchhandlung .  is$<t.    X  und  165  s.    5  m. 

Die  gemeinschaftliche  Veröffentlichung  der  uns  in  diesem  buche  vorliegenden 

aufsätze   hatte  Müllenhoff   selbst    geplant     Kurz  vor   seinem   tode  war    auf   seinen 

wünsch  eine  niederschrift  und  Überarbeitung  der   einleitung   seines  Beowulf- Collegs 

angefertigt  worden,    die   ihm  aber  noch  nicht  ganz  druckreif  erschien.     Die  zeit  zu 

einer  revision  und  teilweisen   um-  und  durcharbeitung  war  ihm  nicht  mehr  gegönt. 

Fünf  jähre   nach   seinem   tode.    wahrend  welcher  das   manuscript   der   einleitung  aus 

K.  Schröders  in  H.  Lübkes  bände  übergieng,  wurde  dieselbe,  zusammen  mit  Müllen- 

hoffs  berühmtem  aufsatz   über  die  innere  geschiente  des  Beowulf,    von  Lübke  jüngst 

publiciert.     Die    auf   den    Vorlesungen    beruhenden    aufsätze    bieten   uns    somit,    wie 

r  in  dem  Vorworte  bemerkt,    „durchweg  das   resultat  einer  nachprüfung,    die 

in   Müllenhoffs  lezte   lebenszeit    hinabreichte "   (s.  VI).     Andererseits    dürfen    wir 

aber  auch  niclit  vergessen,  dass  Müllenhoff  selbst  in  ihnen  noch  nicht  die  endgültige 

~ung  seiner  Beowulf  -  Studien  erkante. 

Die  -Einleitung  zur  Vorlesung  über  Beovulf"  (s.  1  — 109)  zerfält  in  zwei 
abschnitte:  I.  Der  mythus  (s.  1  — 12).  In  diesem  abschnitte  finden  wir,  knapp  zusam- 
mengefasst.  die  resultate  wider,  zu  welchen  Müllenhoff  betrefs  des  mythischen  gehal- 
tes  des  epos  schon  1848  in  den  abhaudlungen  „Sceaf  und  seine  nachkommen"  und 
„Der  mythus  von  Beovulf-  (Haupts  zeitschr.  VII,  410  fgg.,  419  fgg.)  gelangt  war  und 
welche  er  1860  in  seinem  achten  excurs  zur  deutschen  heldensage  (ebd.  XII,  282  fgg.) 
streift  hatte.  Im  detail  findet  sich  manche  beachtenswerte  neuerung:  für  den  namen 
I '>■•'<>•  ist  Müllenhoff  zu  der  schon  früher  von  ihm  gebilligten  deutung  Kembles  zu- 
rückgekehrt (s.  7);  das  Verzeichnis  der  an  den  Beav- mythus  erinnernden  englischen 
Ortsnamen  ist  um  Beds  bröc  vermehrt  (s.  8).  Gegen  die  anfährung  der  von  einem 
Beova  ausgestelten  Urkunde  (ebd.)  ist  auf  ten  Brinks  berichtigung  (Beowulf  s.  217 
anm.  2)  zu  verweisen,  wonach  der  name  des  schenkers  Beoba  lauten  soll.  Betrefs 
ng  bleibt  Müllenhoff  bei  der  annähme  einer  Verschiebung  des  mythus  von 
vater  auf  söhn,  und  Sceaf  steht  in  dieser  neuen  darstellung  noch  mehr  im  mittel- 
jtunkte  des  ganzen  mythus:  Müllenhoff  vermutet,  dass  auch  die  von  Beowulf  gemei- 
nen heldentaten  mythischer  art  ursprünglich  alle  von  Sceaf  erzählt  wurden  (s.  9). 
Den  haupteinwand  gegen  diese  kombination,  die  Verschiedenheit  der  berichte  über 
die  den  helden  erwiesenen  lezten  ehren,  sucht  Müllenhoff  zu  entkräften,  indem  er  in 
der  Schilderung  des  epos  nur  einen  reflex  oder  eine  Variante  der  alten  künde  von 
Ida  beftattung  sehen  will.  Mau  wird  ihm  zugestehen  müssen,  dass  sich  dem 
berichte  von  Beowulf,  dessen  gestalt  ein  strahl  historischen  lichtes  trift,  das  geheim- 
nisvolle verschwinden  des  toten  auf  der  meeresflut  weit  weniger  passlich  anfügt,  als 
der  sage  von  dem  rein  mythischen,  ebenso  geheimnisvoll  erschienenen  Scyld,  wes- 
halb die  epische  dichtung  den  Schicksalen  ihres  helden  einen  andern  schlussakt 
geben  mu 

Der  zweite  abschnitt  der  .Einleitung":  „Die  geschichtlichen  demente"  (s.  13  —  109) 
gliedert  .-ich  in  dreikapitel,  die  viel  des  neuen  und  lehrreichen  bringen.  Mit  überzeugen- 
der klarhi  •  in  dem  ersten  kapitel:  -Di» •  Graten  und  Schweden"  (s.  13— 23)  ausgeführt, 
dass  das  ganze  historische  interesse  des  epos  aufllygelac  ruht,  dass  die  historischen 
belichte  der  dichtnng  den  helden  Beowulf  sehr  passiv  erscheinen  und  dadurch  erken- 


K0EPPEL  .    tlBER    MÜLLENHOFF,    BEOVULF  111 

non  lassen,  welch  untergeordnete  rolle  der  Beownlf  der  Wirklichkeit  spielte,  dem  nur 
das  zusammenfallen  seines  namens  mit  dem  namen  des  angelsächsischen  heros  die 

Unsterblichkeit  gewann.  Die  Geaten  sucht  Müllenhoff  im  Bildlichen  Schweden  —  eine 
annähme,  welche  seit  Müllenhdffs  tod  von  Bugge  bekämpft,  vmi  ten  Brink  und  Sar- 
razin meines  erachtens  mit  erfolg  verteidigt  worden  ist.  —  Im  zweiten  kapitel:  „Die 
Dänen"  (s.  23—53)  bemerken  wir  eine  Unebenheit  dei  darstellung,  welche  aber  wol 
nur  auf  ein  verschreiben  zurückzuführen  ist.  Wir  lesen  nämlich  s.  26  von  den  Boh- 
nen des  Healfdene,  Heorogar,  Hrodgar  und  Halga,  dass  sie  als  altersgenossen  des 
Ilygelac  angesehen  werden  müssen,  während  s.  14  gesagt  ist,  dass  wir  uns  die  söhne 
des  Hredel,  Herebeald,  HsBctcyn  und  Hygelac,  als  ziemlich  gleichaltrig  mit  Beowulf 
denken  müssen.  Im  epos  wird  Hrodgar  bekantlich  als  greis,  Beowulf  als  in  der 
blute  seiner  jähre  stehend  geschildert  und  dieser  sagt  von  Hygelac:  peak- de  In' 
"icon^  sft ,  folecs  hyrde  v.  1831b  fg.  Wir  haben  daher  s.  26  für  Hygelac  zweifelsohne 
Hredel  zu  lesen.  Sehr  beachtenswert  ist  der  schluss,  zu  welchem  Müllenhoff  betrefs 
des  algemeinen  Verhältnisses  der  dänischen  Überlieferung  zu  der  angelsächsischen 
komt:  „jene  steht  dem  altersverhältnis  entsprechend  auf  einer  vorgerückteren  stufe 
der  entwickelnng,  diese  noch  auf  einer  älteren,  die  der  wirklichen  geschiente  näher 
liegt,  ihre  angaben  sind  daher  noch  weit  genauer"  (s.  43  fg.).  —  Zu  anfang  des  drit- 
ten kapitels:  „Die  Angeln  und  Sachsen"  (s.  53  — 109)  tritt  Müllenhoff  für  das  eigen- 
tumsrecht  der  Angeln  und  Sachsen  auf  das  uns  überlieferte  Beowulf- epos  ein.  Es 
ist  ,, ihr  werk  und  bei  ihnen  aus  lebendiger  mündlicher  tradition  entstanden"  (s.  54), 
wenn  auch  zuzugeben  ist,  dass  der  „geschichtliche  stoff,  soweit  er  von  den  Dänen 
handelt,  einmal  von  Dänemark  oder  dem  norden  aus  zu  den  Angelsachsen  gekommen 
ist"  (s.  55).  „Soweit  er  von  den  Dänen  handelt"  —  über  den  weg,  auf  welchem 
die  künde  von  Hygelacs  fall  und  den  vorausgehenden  kämpfen  der  Gauten  und  Schwe- 
den zu  den  Angelsachsen  drang,  hat  sich  Müllenhoff  folgende  merkwürdige  ansieht 
gebildet:  „die  nachrieht  von  dieser  begebenheit  —  und  von  den  Geaten  und  Schwe- 
den überhaupt  —  ist  den  Angelsachsen  zweifellos  von  den  bei  der  sache  am  meisten 
beteiligten  deutschen,  nicht  von  den  nordischen  auwohnern  der  Nordsee  gekommen 
(s.  56).  Die  Friesen  und  Franken  hatten  den  stärksten  und  unmittelbarsten  eindruck 
von  dem  erscheinen  des  Hygelac  an  der  Rheinmündung  empfangen  und  sicher  zuerst 
von  ihm  gesungen  und  gesagt;  von  ihnen  erst  sind  die  lieder  von  Hygelacs  fall  nach 
England  gekommen  ....  Die  Friesen  und  Franken  hatten  auch  am  ersten  Ursache 
sich  weiter  nach  Hygelac,  seinem  lande  und  seinen  taten  zu  erkundigen.  Dies  fühlte 
sie  auf  die  fehden  mit  den  Schweden  und  andererseits  auch  auf  den  dänenkönig  Ilalf- 
dan  und  sein  gesclüecht"  (s.  107  fg.). 

Gegen  diese  annähme  Müllenhoffs  lassen  sich  schwere  bedenken  erheben.  Ver- 
gegenwärtigen wir  uns  zuerst,  welchen  eindruck  die  Franken  und  Friesen  von  Hyge- 
lac erhalten  haben  müssen,  in  welchem  lichte  er  ihnen  erschienen  sein  muss.  Ver- 
heerend und  plündernd  fiel  er  in  ihre  gauen  ein,  gefangene  und  beute  schlepte  er 
mit  sich  fort,  den  eigenen  söhn  sante  der  Frankenkönig  gegen  den  gefährlichen  räuber. 
Hygelac  wurde  besiegt  und  getötet,  aber  der  von  ihm  verbreitete  schrecken  lebte 
weiter  in  dem  gedächtnis  der  geschädigten  Völker,  die  gestalt  des  feindlichen  königs 
wird  ihnen  bald  ins  riesengrosse  gewachsen  sein  in  jener  zeit,  welche  geschiente 
rasch  zur  sage  werden  Hess.  Dass  diese  Steigerung  ins  ungeheuere  wirklich  statfand, 
dafür  haben  wir  ein  unwiderlegliches  zeugnis:  den  bericht  des  „Liber  Monstrorum", 
in  welchem  Huiglaucus  Getanem  rex  als  monstrum  mirae  magnitudinis  geschildert 
wird,  als  ein  riese,   den  von  seinem  zwölften  jähre  an  kein  pferd  mehr  tragen  konte, 


112  KOBPPEL 

äs  q  auf  einer  Rheiuinsel  ruhende  gebeine  den  fremden  als  ein  wunder  gezeigt 
werden  (Haupts  ztschr.  XI 1 .  287  fg.  und  Müllenhoff  s.  19),  So  muste  sich  Hygelacs 
g  stalt  in  der  erinnerung  der  gegner,  der  von  ihm  bedrohten  Friesen  und  Franken, 
spiegeln,  in  diesem  sinne  werden  sie  von  ihm  gesagt  und  gesungen,  ein  solches  bild 
würden  sie  den  Angelsachsen  von  ihm  gegeben  haben.  Im  Beowulf  aber  findet  sich 
keine  spur  einer  solchen  anschauung,    kein  sängerwort  wirft  einen  schatten   auf  die 

scheinung  und   das  andenken  des  vor  der  zeit  hingeraften  heldenkönigs.     Aus  hel- 

omut  [for  wlenco  1206,  vgl.  338  iL  wo  f<>r  wlenco  parallel  mit  for  hije-ßrym- 
mum  steht)  erfuhr  er  leid,    fehde  bei  den  Friesen;    im  prächtigen  herschersitz  haust 

r  heldenkräftige  konig,  der  gute  kampfkönig  mit  der  milden  Hygd  im  Gautenlande 
(1923  Fgg.  .  als  retter  der  seinen  erscheint  er  im  kämpf  mit  den  Schweden  (2941  fgg.); 
mit  fürstlicher  freigehigkeit  lohnt  er  den  AVouredingen  Eofor  und  AVulf  den  tod  des 
Ongenfteow  (2991  fgg.).  Ja,  Hygelac  tritt  uns  sogar  menschlich  näher  durch  seine  freund- 

laft  für  Beownlf:  sehr  hold  ist  er  dem  neffen  (2170),  mit  feierlicher  rede  begrüsst 

i  heimgekehrten  (197S  fgg.),  gott  dankend,  dass  er  ihn  gesund  widersehen  durfte 

(1997  fg.).     Beowulf   selbst  spricht  oft  mit  herzlicher  Zuneigung  von   seinem  Hygelac 

{By7elac  min  2434).  dem  all  seine  liebe  zugewant  ist  (2149  fg.),   er  rühmt  sich  der 

t"tung  des  Dagghrefn ,  des  kämpen  der  Hugen  (2501  fgg.),  in  welchem  man  gewiss  mit 

•ht   den   mörder   des  Hygelac   vermutet.     In   einem  ganz   anderen  lichte  sehen  die 

iger  die  feinde  des  Hygelac:  die  Franken  sind  ihnen  die  schlechteren  kampfhelden 
[wyrsan  vivi-frecan  1212,  vgl.  2496);  durchaus  nicht  durften  sich  die  Hetwaren  des 
fusskampfes  rühmen,  wenige  entkamen  zur  heimat  (2363  fgg.),  mit  Übermacht  zogen 
heran  (2917);  der  feindliche  Schwedenkönig  Ongenpeow  ist  alt  und  grausenvoll, 
furchtbare  drohungen  stösst  er  aus  gegen  die  umzingelten  Gauten  (2928  fgg.).  Hätte 
der  bericht  über  Hygelac  und  seine  feinde  so  lauten  können,  wenn  die  Angelsachsen 
aus  fränkisch  -  friesischen  quellen  geschöpft  hätten  ?  Unmöglich  —  und  ebenso  undenk- 
bar ist.  dass  die  angelsächsischen  sänger  den  bericht  der  Franken  und  Friesen  ten- 
denziös zu  gunsten  Hygelacs  und  der  Gauten  umformten.  Nein,  die  künde  von  den 
geschicken  der  Gauten  kam  den  Angeln  und  Sachsen  von  den  Dänen,  zu  welchen 
die  deutschen  stamme  in  freundschaftlichem  Verhältnis  gestanden  sein  müssen,  wäh- 
rend andererseits  das  gute  einvernehmen  zwischen  Dänen  und  Gauten  die  grundlage 
des  -  bildet.  Ton  den  Dänen  erhielten  die  Angeln  und  Sachsen  die  historischen 
nachrichten  über  Hygelac  und  seinen  gewaltigen  dienstmann,  den  ihre  sänger  in  der 
neuen   britannischen   heimat    mit   dem   nationalen   Heros    Beow7    oder   Beowulf  ver- 

hmolzen. 

Yen  besonderem  intoivsse  sind  in  dem  dritten  kapitol  noch  die  neuen  beitrage 
zur  erklämng  der  Völkerverhältnisse  des  AVidsid  (s.  81  fgg.),  welche  dichtung  Müllen- 
hoffs  aufmerksamkeit  wider  und  wider  gefesselt  hat. 

Auf  die  -Einleitung-  folgt  ein  abdruck  des  für  die  höhere  Beowulf- kritik  grund- 
legenden au!  Müllenhoffs:  „Die  innere  geschiente  des  Beovulfsu,  geschrieben  1868, 
erschienen  im   14.   band    von    Haupts   ztschr.   s.  193  fgg.     Der  abdruck  ist  ein  sehr 

gfältiger;  man  könte  nur  noch  wünschen,  dass  die  wenigen  dem  texte  «inverleib- 
ten  späteren  notizen  Müllenhoffs  durch  den  druck  oder  durch  eckige  klammern  kent- 
lich  gemacht  worden  wären.  Diese  zusätze  sind  nicht  bedeutend,  sie  dringen  an  kei- 
ner stelle  in  den  kern  des  aufsatzes;  aber  bei  einem  so  feinen  kritischen  geiste  ist 
jedes  schwanken,  jede  meinungsänderung  und  -bekräftigung  beachtenswert.  Ich  stelle 
deshalb  für  die  leser  des  Atüllenhoffschen  buches,  welchen,  wie  mir,  die  älteren 
bände  von  Haupts  Zeitschrift  nicht  immer  zur  Verfügung  sind,  die  neuen  bestandteile 


ÜBER    TEN'    BRINK,    BEOWÜLF  113 

der  abhandlung  zusammen:  s.  112  z.  12  v.  o.  in  bis  11;  s.  12  z.  20  fgg.  v.  o.  fö  bis 
ungeschickt;  s.  113  z.  5  v.  o.  unbedingt  bis  nicht;  >.  113  z.  9  v.  o.  weitere;  s.  115 
z.  5  fg.  flw/"  bis  pyder;  s.  115  B.  16  v.  o.  als  bis  (uis\iisj,ri <h,  n :  s.  115  s.  25  v.  o. 
lesen  wir  für  419  jezt  418,  indem  Bf.  gewiss  mit  recht  auch  v.  418  noch  iu  seine  athe- 
tese  gezogen  hat;  s.  115  z.  28  v.  o.  Beonilf  bis  wird;  8.  116  z.  11  v.  o.  das  bis 
1474  fgg.;  s.  117  z.  1  v.  o.  r//<?  bis  607  fgg.;  s.  118  z.  6  v.  u.  aweA  bis  formet; 
s.  120  z.  12  v.  o.  (sceale  bis  teilen);  s.  121  z.  1  v.  o.  Erotfgar  bis  beachtet:  s.  130 
z.  2  v.  u.  das  bis  vereinigt1. 

Die  von  einer  randnotiz  Hüllenhoffs  als  unecht  angezweifelten  v.  1314/15  hat 
inzwischen  auch  ten  Brink  (1.  c.  s.  76)  als  wahrscheinlich  spät<'ivn  zusatz  bezeichnet. 

Dem  herausgeber  schulden  wir  besten  dank  für  di>i  g«.'\vi>s<'iihafto  erledigung 
Beiner  aufgäbe.  MülleiüiorTs  abhandlungen  sind  uns  ein  kostbares  Vermächtnis:  durch 
sie  und  tenBrinks  Beowulf  ist  ein  fester,  wissenschaftlicher  dämm  aufgeworfen,"  wel- 
chen die  versuche,  die  ausschliesslich  scandinavische  herkunft  der  Beownlf-sagen  und 
die  einheit  des  uns  überlieferten  Beowulf-textes  darzutun,  schwerlich  je  überfluten 
werden. 

MÜNCHEN,    JUNI   1889.      JANUAR   1890.  EMIL   KOEPI'EL. 


I  •  e  o  w  u  1  f.     Untersuchungen  von  Bernhard  ten  Brink.    Strassburg ,  Karl  J.  Trüb- 
ner 1888.     (QueUen  und  forschungen  62.  heft.)    8.     247  s.     6  m. 

In  dieser  dem  andenken  "Wilhelm  Scherers  gewidmeten  schritt  stelt  ten  Brink 
für  die  entstehung  des  uns  überlieferten  Beowulf-textes  folgende  theorie  auf: 

Dieser  text  ist  das  resultat  einer  vermutlich  noch  im  laufe  des  achten  Jahr- 
hunderts erfolgten  redaktion.  Der  ordner,  in  welchem  ten  Brink  „einen  nüchternen 
und  in  seiner  art  besonnenen  mann"  erkent  (s.  20),  hatte  zwei  aufzeichnungen  der 
Beowulfs-lieder  vor  sich  liegen:  eine  ältere,  welche  nach  ten  Brink  um  das  jähr  690, 
eine  jüngere,  die  um  das  jähr  710  entstanden  ist  (s.  235).  Die  ältere  bot  ihm  — 
um  mich  ten  Brinks  ausdrucksweise  zu  bedienen  —  die  einleitung  und  das  erste 
abenteuer,  den  kämpf  mit  Grendel  (A),  das  zweite  abenteuer,  den  kämpf  mit  Gren- 
dels mutter  (C),  und  das  vierte  abenteuer,  den  kämpf  mit  dem  drachen  (F);  die  jün- 
gere: die  einleitung  imd  das  erste  abenteuer  (B),  das  zweite  abenteuer  (D),  das  dritte 
abenteuer,  Beowulfs  rückkehr  ins  land  der  Gauten  (E),  und  das  vierte  abenteuer  (G). 
Diese  Versionen  verschmolz  der  gesamtordner,  so  gut  er  konte,  zu  einem  ganzen, 
indem  er  „sehr  wenig,  ja  so  gut  wie  nichts  von  dem  seinigen  hinzutat"  (s.  17).  Auf 
diesen  gesamtordner  folgte  noch  ein  interpolator  —  als  generalinterpolator  bezeich- 
net — ,  der  sich  aber  ebenfals  „ziemlich  massvoll  erwiesen  hat.  Seiner  zusätze  sind 
nur  wenige,  und  diese  haben  einen  bestirnten  Charakter,  der  seine  tendenz  überall 
durchschimmern  lässt"  (s.  17).  Sie  sind  nämlich  „teils  erbaulichen,  teils  dämonogenea- 
logischen  inhalts"  (s.  246). 

Die  einleitung  und  das  erste  abenteuer  (v.  1  —  193  und  194  —  836  der  Über- 
lieferung) hat  der  ordner  somit  aus  den  Versionen  A  und  B  komponiert,  wobei  er 
durchgehends  der  version  A,  der  älteren  und  ursprünglicheren,  den  Vorzug  gab. 
Ten  Brink  hat  eine  sorgfältige  Zergliederung  seiner  Verschmelzung  vorgenommen,  und 

1)  Von  druckfehlern  sind  mir  aufgefallen:  s.  112  z.  22  v.  o.  für  hi  lies  hie.  S.  129  z.  12  v.  u. 
für  peorlum  and  cere  lies  evrlum  and  feere.  S.  140  z.  1  v.  o.  für  2749  lies  2794.  S.  145  ist  die  Seitenzahl 
229  vier  zeilen  tiefer  zu  setzen.     S.  150  z.  15  v.  o.  für  2583  lies  2582. 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.     BD.  XXIII.  O 


114  KOF.rTF.L 

das  mischungsverhältnis  von  A  und  B,  sowie  die  znsätze  dos  interpolators1  fest- 
_  stelt.  Mit  der  beleuchtung  des  Verfahrens  des  gesamtordners  hat  er  sich  jedoch 
keineswegs  zufrieden  gegeben,   sondern  er  hat  auch  noch  die  beiden  Versionen  A  und 

B  auf  ihre  älteren  und  jüngeren  bestandteile  hin  nntersncht.  Er  hat  aus  dem  A- 
elemente  der  einleitnng  den  kern  von  A  herausgeschalt,  er  hat  an  mehreren  stellen 
von  A  und  B  die  verschiedenen,  ineinander  vorwobenenen  Varianten  gesondert  —  mit 
meisterlicher  hand.  Wenn  man  sieh  den  für  die  ednleitung  herausgehobenen  kern 
von  v  3.  164  zusammenstelt,  mit  berückachtigung  einer  von  ton  Brink  vorgenom- 
menen ändernng  (v.  135  Ewmt  für  ae)  und  der  seinen  zwecken  entsprechenden  aus- 
füllung  der  lücke  in  v.  159  (dat  se),  so  erhält  man  eine  trefliche  dichtung,  in  wel- 
■r  kein  wert  zu  viel  und  ein  jedes  wort  an  seiner  richtigen  stelle  ist.  Der  kritiker 
ist  hier  selbst  zum  dichter  geworden.  Ein  anderes  kabinetsstück  dieser  art  liefert 
ten  Brink  für  den  B-bestandteil  der  einleitnng,  indem  er  dem  B-diaskenasten  die 
aufnähme  zweier  epischen  Varianten  (B1  147  —  158,  164—167  und  B2  189  —  193) 
in  seine  version  nachweist,  und  die  Variante  B1  des  weiteren  noch  in  ihre  bestand- 
teile (c  und  ß  zerlegt  (s.  22  fgg.)-  Und  die  Wirkung  dieser  jede  wendung,  jedes  wort 
erwägenden,  in  jede  versteige  spähenden  kritik  —  von  welcher  sich  noch  viele,  nicht 
minder  glänzende  beispiele  anführen  Hessen  —  auf  den  leser  ist  nicht  etwa  eine 
beklemmende,  sondern  eine  befreiende.  Ein  Schleier  nach  dem  andern  hebt  sich  vor 
unseren  äugen:  an  den  gestalten  der  ordner  und  samler  vorbei  dringt  unser  von  dem 
kritiker  geschärfter  blick  zu  jener  „Vielheit  von  dichtem1'  (s.  106),  jener  schaar  von 
gern,  welche  im  volke  der  Angelsachsen  von  den  taten  des  helden  Beowulf  sau- 
und  in  ihren  hedern  bald  diesen,  bald  jenen  ton  kräftiger  erklingen  liessen. 
Selbstverständlich  wird  man  nicht  immer  bereit  sein,  sich  die  resultate  der 
von  ten  Brink  geübten  kritik  widerspruchslos  zu  eigen  zu  machen.  Der  erste  stein 
des  a:  -  38  s  ist  mir,  dass  ten  Brink  den  halbvers  90 a  noch  zum  kern  von  A  rech- 
net, obschon  sich  ihm  in  A  keine  passende  ergänzung  desselben  bietet,  und  dass  er 
das  folgende  christliche  sehöpfungslied  nicht  dem  general -  interpolator  zuschreiben, 
sondern  als  eine  noch  im  lebendigen  epischen  Vortrag  erfolgte  erweiterung  betrachten 
will  (s.  12  und  233).  Simdol  sang  scopes  90a  klingt  ihm  mehr  wie  „eine  natür- 
liche fortsetzung,  denn  wie  ein  künstlicher  zusatz"  (s.  12),  und  das  eweeä  92,  wel- 
ches das  sregde  90  nach  so  kurzem  Zwischenraum  wider  anmimt,  lässt  ihn  vermuten, 
dass  auch  hier  wider  eine  Verschmelzung  zweier  Untervarianten  vorliegt  (s.  13).  Ich 
glaube  nicht,  dass  ten  Brink  wohl  daran  getan  hat,  die  alte,  schon  von  Ettmüller 
und  Alüllenhoff  bestirnte  grenze  des  echten  teiles  zu  verrücken.  Der  Zusammenhang. 
Icher  zwischen  89 b  und  90 a  besteht,  ist  jedenfals  ein  ganz  lockerer,  während  sich 
la  und  90b  fest  aneinander  schliessen:  es  kann  meines  erachtens  kaum  zweifelhaft 
in,  dass  90a  sumtol  san^  scopes  von  dem  A- interpolator  angefügt  wurde,  um  in 
bei  ein  lied  einflechten  zu  können.    Ich  nehme  deshalb  mit  Ettmüller  und 

Alüllenhoff  an,  dass  die  erweiterung  mit  90  a  begint,  bin  jedoch  nicht  geneigt,  die 
ganze  stelle  90 —  98  mit  Ettmüller  als  christlichen  zusatz  zu  beurteilen.  Wenn  wir 
nämlich  berücksichtigen,  dass  die  verse  90b  —  91:  Scegde,  se  de  cüäe  frumsceaft 
fira  feorrem  reccem,  durchaus  kein  christliches  gepräge  haben,  dass  es  im  gegen- 
I   il,    fals  von  vornherein    ein   christliches   sehöpfungslied  beabsichtigt  war,    auffallen 

d  den  christlich  angehauchten ,  von  Ettmüller  und  Müllenhoff  längst  als  unecht  erkanten 
versen  179—188  sagt  auch  ten  Brink,  dass  sie  „höchst  wahrscheinlich  erst  nach  der  redaktion  interpo- 
liert wurden-'  (s.  20) ;  s.  104  z.  0  v.  o.  hingegen  führt  er  sie  als  zu  dem  bestand  von  A  gehörig  auf. 
Hier  liegt  wol  nur  ein  druckfehler  vor:  für  168  —  188  lies  108  —  178. 


ÜBBR    TEN*    BRINK,    BEOWULF  115 

muss,  dass  zuerst  von  dem  Ursprünge  des  menschen  die  rede  ist,  gegen  die  reihen- 
folge  der  biblischen  schöpfungslehre,  welche  in  den  folgenden  versen  mir  einzig 
omstellnng  des  dritten  und  vierten  tages  beobachtet  ist, —  so  lieg!  der  gedanke  nah''. 
dass  die  verse  90  —  91  von  den  folgenden  zu  trennen  sind,  und  dass  uns  in  ihnen 
die  alte  Überleitung  zu  der  inhaltsangabe  des  liedes.des  Sängers  erhalten  ist.  Ein  der- 
artiges betonen  der  dem  sanger  eigenen  kentnis  der  grauen  vorzeit,  zu  eingang  seines 
liedes,  ßteht  nicht  vereinzelt  da,  man  vergleiche  869fg.:  (eyniw^es  degn)  -v':  ,lr  "/f- 
/}■/<(  cald-^csi  Jena  worn  gemunde.  Wie  der  sänger  nach  diesen  vorbereitenden  Wor- 
ten von  Sigemund  und  Fitela  kündet,  so  wird  er  auch  an  unserer  stelle  von  den 
neiden  der  vorzeit  gesungen  halten.  Dem  frommen  interpolator  aber,  der  gerade  in 
der  einleitung  seine  anschauungsweise  stark  zur  geltung  bringt,  dünkte  es  schick- 
licher, dass  die  halle  Heorot  von  dem  lohe  gottes  ertönte,  und  er  fand  in  der  erwäh- 
nung  des  Ursprunges  der  menschen  die  Inspiration  zu  dem  schöpfungsliede.  welches 
er  für  den  alten  heldensang  einfügte.  "Wie  wenig  seine  werte  zu  dem  fröhlichen 
Zechgelage  der  krieger  passen,  ist  schon  öfters  bemerkt  worden.  Der  fromme  mann 
hat  seine  sache  überdies  keineswegs  geschickt  gemacht,  er  lässt  uns  seine  text- 
änderung  auf  das  deutlichste  erkennen,  indem  er  plump  aufs  neue  mit  ewad  92 
eingesezt  hat. 

Zur  stütze  der  annähme  ten  Brinks,  dass  wir  in  den  versen  99  fgg.  eine 
epische  Variante  zu  86  fgg.  zu  sehen  haben,  welche  Grendel  in  B  einfahrt,  möchte 
ich  noch  auf  die  volkommen  parallel  gebaute  stelle  2210 b  fg.  hinweisen: 

od  äcet  an  on^un 
deorcum  niktum  draea  riesan. 
Auch  hier  führt   der  sänger  eine   der  hauptgestalten  des  epos   und  zwar  wider  den 
Vertreter  des  bösen  prineipes,    den  drachen,    welcher   seinen  hörern    aus    der   sage 
zweifelsohne  wol  bekant,    in  seinem  Hede  jedoch  noch  nicht  erwähnt  war,   durch  an 
(=  Hie  vgl.  Braune,  Beitr.  XIT,  393  fgg.)  in  die  erzählung  ein. 

Zu  ten  Brinks  analyse  des  ersten  abenteuers  ergaben  sich  mir  folgende  bemer- 
kungen : 

205  —  209  (s.  32).  Die  ersten  4  Zeilen  dieser  B  zugeschriebenen  stelle  scheinen 
mir  für  A  unentbehrlich:  die  erwähuung  des  geiziges  ergibt  sich  wie  von  selbst  und 
die  bemerkung,  dass  sich  der  held  die  kühnsten  männer  erwählte,  findet  ihren 
nachklang  in  den  A  angehörenden  rühmenden  worten  Wulfgärs  368  fg.:  ILj  on  wt^- 
tytavmm  ivyrfie  dincead  eorla  ^eShtlan.  Auch  dem  zahlenargument  ten  Brinks  könte 
ich  schon  im  hinblick  auf  äntig  123  in  A  keine  überzeugende  kraft  zugestehen, 
wird  aber  noch  abgeschwächt  dadurch,  dass  in  der  C-version  des  zweiten  abenteuers, 
welche  stark  unter  dem  einflusse  von  A,  oder  vielmehr  (vgl.  s.  93  fgg.)  A'  steht,  die 
zahl  der  geführten  Beowulfs  in  genauer  Übereinstimmung  mit  unserer  stelle  angege- 
ben ist  (vgl.  v.  1641).  ten  Brink  hat  diesen  einwand  wol  vorausgesehen  und  sucht 
ihm  s.  111  anm.  zuvorzukommen:  er  bringt  aber  weder  hier  noch  auch  im  dreizehn- 
ten kapitel  zwingende  beweise  für  den  zwischen  B  und  C  bestehenden  Zusammen- 
hang, während  die  anlehnung  von  C  au  A'  von  ihm  selbst  über  alle  zweifei  geho- 
ben worden  ist. 

473  —  479  (s.  51).  Solte  Hrodgars  rede  ursprünglich  wirklich  keinen  hin  weis 
auf  die  Grendelplage  enthalten,  solte  er  der  angelegenheit,  welche  im  mittelpunkte 
des  ganzen  liedes  steht,  die  den  Gautenhelden  zu  ihm  führte  und  von  welcher  die- 
ser in  seiner  rede  gesprochen  hatte,  wirklich  mit  keinem  worte  gedacht  haben?  Ich 
kann  in   diesen   versen  keine   spätere   erweiterung  sehen,    sie  scheinen  mir  fest  ein- 

8* 


116  KORPPF.L 

Fügt  in  den  symmetrischen  anfban   des  ersten  gespräches  zwischen  dem  könig  und 
dem  heldeu.     In  den  schluss       -  n:    5<>d  eääe  mcB%  (tone  dol-seaChm   dceda   jcfnre- 
fan!  kernt  die  durch  Beowulfs  erscheinen  hervorgerufene,   hiofnnngsvollere  Stimmung 
sen  königs  würdig  und  massvoll  zum  ausdruck. 

15  —  600  (s.  52).  In  diesem  passns  hält  ten  Brink  die  verse  596,  597b  — 
600*  für  eine  spätere  erweiterung  in  A.  Meines  erachtens  kann  auch  der  kern  von 
A  596  nicht  entbehren,  da  ää  fahäe  595  einer  näheren  hestimmung  bedarf  und 
ohne  den  folgenden  vers  in  der  luft  schwebt.  Eine  gewisse  herbe  des  ausdrucks 
darf  uns  in  dem  munde  des  gereizten  heldeu  nicht  befremden:  der  gegen  Unferct 
hieb  streift  begreiflicher  weise  auch  dessen  volk.  Dem  einwände,  dass  aiole 
--  596  zu  schnell  auf  atol  ce^laca  592  folgt,  wird  ten  Brink  wol  selbst  nicht 

zu  viel  gewicht  beilegen,  da  er  sich  andern  orts  durch  das  zusammennicken  dersel- 
ben Wörter  in  seinen  athetesen  nicht  beirren  lässt  (vgl.  s.  84  orendles  hedfod).  In 
der  tat  waren  auch  die  angelsächsischen  dichter  nicht  so  ängstlich  auf  den  Wechsel 
des  ausdruckes  bedacht,  wie  es  unser  verwöhntes  modernes  ohr  und  äuge  fordern.  — 
Die  ansscheidnng  von  597  b  —  600 a  scheint  mir  durchaus  berechtigt. 

433  —  441.     669  —  690.     An  diesen   beiden  stellen  erscheint  das  schwertmotiv, 
die   rahmrede  Beowulfs,    dass  auch  er  dem  waffenlosen  unhold  gegenüber  auf  den 
gebrauch  des  Schwertes  verzichten  wolle,     ten  Brink  hält  es  nicht  für  wahrscheinlich, 
lie  beiden  stellen  gleichberechtigt  nebeneinander  bestehen  konten,    aber  er   hilft 
!i  in  diesem  falle  nicht  damit,    dess   er  die  eine  stelle  als  spätere  erweiterung  von 
A  ansieht,    sondern   er  benüzt  diese  parallelstellen    zur  erläuterung  seiner  grundan- 
iauung  von   der  entwicklung  des  altenglischen  epos.     Innerhalb  dieser  entwicklung 
erkent  er  ein  aufsteigen,  einen  hohepunkt  und  ein  sinken:  die  weniger  wirkungsvolle 
der  beiden  ruhmreden  nun ,  die  verse  433  —  441 ,  welche  sich  seines  erachtens  gleich- 
wol  freilich  an  das  vorhergehende  anfügen  und   der  rede  Beowulfs  einen  befriedigen- 
deren abschluss  geben,    rechnet   er  zu  den  partien,    „deren  entstehimg  vor  den  kul- 
minationspunkt  der  epischen  entwicklung,    wenn    auch  demselben  ganz  nahe,    f alt a 
3.  K  B).     Die  einwände,  welche  sich  allenfals  hinsichtlich  der  betreffenden  stelle  gegen 
t--n  Blinke  ansieht  erheben  Hessen,    liegen  auf  der  Oberfläche;    sie  würden   mir  aber 
auch  gegenüber  des  kritikers  tiefdringender  erkentnis  so  seicht  erscheinen,    dass  ich 
darauf  verzichte  sie  vorzubringen.     Denn  wie  man  sich  auch  für  die  betreffende  stelle 
zu  ten  Biinks   ausführung    stellen    mag  —   niemand  wird  verkennen,    wie   anregend 
solche  Wahrnehmungen  des  kritikers  wirken ,  wie  durch  sie  die  theorie  an  färbe  gewint 
und  uns  gleichsam  sinfällig  vor  äugen  gebracht  wird. 

0 —  765  (s.  54).  Alit  der  von  ten  Brink  vorgenommenen  herstellung  des 
kernes  dieser  stelle  kann  ich  mich  nicht  befreunden.  Drei  punkte  sprechen  meines 
erachtens  gegen  dieselbe: 

1 1  ist  mir  der  plötzlich"  Wechsel  des  subjeetes  in  der  reconstruiorten  Langzeile 

:  ond  htm  feestt  widfeng.  Wüte  he  fm^ra  geweald  bedenklich; 
_  stosse  ich  mich  daran,  dass  die  allerdings  nötige  betonung  dieses  wechseis 
eine  textänderung  bedingt:  he  für  das  überlieferte  his.  Die  annähme,  dass  das 
irtümliche  //''  der  handschrift  in  765b  ursprünglich  in  764b  gestanden  habe,  sezt  ein 
kompliziertes  schreiberversehen  voraus:  der  Schreiber  müste  das  wort  zuerst 
übersehen  und  dann  auf  dasselbe  zurückgeblickt  und  es  auf  gut  glück  in  sein'1 
abschritt  eingefügt  haben; 

3j  erscheint  mir  die  halbzeile  wiste  he  fmya  geueald  als  ein  überaus  matter 
anfang  der  kampfsehilderung.    Bei.  dem  ersten  zusammenprallen  der  gewaltigen  erwar- 


ÜBER    TEN    BRINK.    BEOWUU  117 

tet  man  einen  kräftigen  ton  dos  Sängers,  und  das  überlieferte,  etwas  hyperbolische, 
vokalreiche  fmgras  burston  Behalt  uns  viel  stimmungsvoller  zu  ohren,  als  das  klang- 
lose wiste  he  ßngra  %eweald. 

ten  Brink  betrachtet  gewiss  mit  recht  die  verse  761  —  7G4a  als  spätere  erwei- 
teruug,  ich  rechne  764b  noch  hinzu  und  linde  gerade  diesem  halbvers  den  Stempel 
der  Interpolation  aufgedrückt:  das  sehliessliche  widereinlehken  in  die  bahn  des  Origi- 
nals, man  vergleiche  fingras  760b  und  fingra  764b.  Mir  gestaltet  sich  demnach  der 
kern  von  A  für  diese  stelle  wie  folgt: 

758  <5emunde  da  sc  mod^a  mä^  Higelaces 

mfensprace,  üp-lang  astod 
760  oiid  htm  fatste  widfen%:  föngras  burston 
705  o)i  grames  %rupum.    ])<ct  uxbs  geöcor  stä  .  . . 

Die  in  vorstehendem  entwickelte  verschiedene  auffassuug  einiger  stellen  beein- 
thisst  übrigens  mein  gesamturteil  über  den  von  dem  kritiker  ermittelten  kern  der 
Version  A,  welchen  er  s.  55  übersichtlich  zusammcngestelt  hat,  keineswegs.  Wie  für 
die  einleitung,  so  hat  er  uns  auch  für  das  erste  abeuteuer  aus  der  Überlieferung  eine 
abgerundete  dichtung  herausgehoben.  Ob  das  lied  von  Beowulfs  kämpf  mit  Grendel 
in  einer  seiner  Versionen  ursprünglich  so  gelautet  hat,  vermögen  wir  freilich  nicht 
mit  Sicherheit  zu  sagen,  aber  wir  fühlen,  dass  es  so  hätte  lauten  sollen,  dass  es  der 
begabteste  scop  nicht  wirkungsvoller  hätte  zum  Vortrag  bringen  können. 

Für  das  zweite  abenteuer,  den  kämpf  mit  Grendels  mutter,  benüzte  der  gesamt- 
ordner  nach  ten  Brink  gleichfals  zwei  verschiedene  Versionen  C  und  D,  von  welchen 
C  als  die  ältere,  D  als  die  jüngere  fassung  der  dichtung  zu  betrachten  ist.  In  C 
findet  ten  Brink  in  seinem  fünften  kapitel,  das  von  den  quellen  des  zweiten  aben- 
teuers  handelt,  die  spuren  zweier  älteren  darstellungen.  Indem  er  auf  H.  Möllers 
(Das  altenglische  volksepos  in  der  ursprünglichen  strophischen  form,  Kiel  1883)  ähn- 
liche erkentnis  hinweist,  sezt  er  erstens  voraus,  dass  der  dichter  von  A  sein  lied 
nicht  nach  der  besiegung  des  unholdes  abgebrochen,  sondern  auch  noch  von  der 
ehrung  und  dem  abschiede  des  helden  gekündet  habe,  und  es  gelingt  ihm,  mit 
grossem  Scharfsinn  den  bestand  dieser  älteren  version  in  C  abzugrenzen.  Gegen  seine 
bestimm ung  der  möglicherweise  aus  A,  oder  vielmehr  aus  A'  —  wie  ten  Brink  die 
gesamtdarstellung  des  ersten  abenteuers  bezeichnet  (s.  93)  —  stammenden  stellen 
(s.  94  fg.)  wüste  ich  kein  bedenken  zu  erheben,  ich  würde  nur  in  der  dankred' 
Hrödgärs  die  verse  930  fg.  nicht  ausscheiden,  weil  dieser  auf  blick  zum  höchsten 
dem  greisen  könig  freilich,  ansteht  imd  in  volkommener  harmonie  sowol  mit  seinem 
in  dem  ersten  gespräch  mit  Beowulf  ausgedrückten  gottvertrauen ,  als  auch  mit  der 
algemeinen  „diskret  christlichen"  (s.  35,  vgl.  s.  223)  Stimmung  von  A'  ist. 

Ferner  erkent  ten  Blink,  von  dem  vielbesprochenen  hwceäer  1331  ausgehend, 
in  0  die  spuren  einer  älteren  selbständigen  dichtung  (X),  welche  von  der  heim- 
suchung  des  königssitzes  der  Dänen  durch  einen  von  den  menschen  nicht  erkanten 
unhold  handelt,  das  äschere  -  motiv  enthält,  und  den  helden  auf  dem  meeresgrundc 
den  kämpf  mit  beiden  geistern,  mit  mann  und  weib  bestehen  lässt.  In  diesen  aus- 
führungen  berührt  sich  ten  Brink  mehrfach  mit  der  von  ihm  s.  6  und  93  citierten, 
sehr  beachtenswerten  studie  von  Friedrich  Schneider  (Der  kämpf  mit  Brendels  mut- 
ter, Berlin  1887),  auf  deren  lezter  seite  auch  die  niöglichkeit  einer  dichtung,  in  der 
Beowulf  beide  unholde  in  ihrem  meersaale  bekämpfte,  angedeutet  ist.  Es  ist  ein 
hoher  ästhetisch  -  kritischer  genuss  der  Untersuchung  ten  Brinks  zu  folgen,  sich  zu 
überzeugen,    mit  welchem  geschick  er   aus  dem  gespräche  des  königs  mit  Beowulf 


118  KOKPPÄL 

(1321  —  1396)  den  bestand  von X  heraushebt,  zu  sehen,  wie  er  die  disjecta  membra 
zu  einem  organischen,  Lebensfähigen  ganzen  verwachsen  lässt  (s.  90  fg.).  Alle  bezio- 
hnngen  auf  das  erste  abentener,  auf  den  kämpf  mit  Grendel,  der  in  X  noch  nicht 
statgefunden  hatte,  sind  ausgemerzt,  ohne  dass  wir  die  Lücke  empfinden.  Ich  habe 
dieser  rekoiistruktion  von  X  gegenüber  nur  ein  bedenken:  konte  der  könig  zu  Beo- 
wulf.  der  noch  nicht  als  retter  der  Dänen  aufgetreten  war  —  denn  an  eine  ausser- 
halb der  Grendelsag  si  hende  heldentat  des  recken  darf  doch  gewiss  nicht  gedacht 
;,jon  —  konte  der  könig  in  X  mit  starker  betonuug  zu  Beowulf  sagen:  Nu  w  sc 
rmd  yhm-s  eft  mt  Se  änum!  (1376*  fg.)  =  „Nun  steht  die  hülfe  wider  bei  dir 
allein'.--  Hier  sl  -  d  wir  meines  erachtens  auf  eine  spur  der  Überarbeitung,  welche 
die  ältere  dichtung  von  dem  C-Diaskeuasten  erfahren  hat;  ich  glaube  nicht,  dass 
diese  verse  aus  der  ursprünglichen  fassung  von  X  stammen  können.  Dass  eft,  wie 
neider  s.  17  anm.  frauweise  audeutet,  mit  „darnach,  nachdem  ich  dir  dies  aus- 
einand  zt    habe",    zu    interpretieren  sei,    scheint  mir  bei  der  nachdrucksvollen 

,   _       s  wertes  —  in  der  alliteration  und  zu  anfang  des  verses  —  und  bei  dem 
emphatischen  tone  der  ganzen  stelle  ausgeschlossen. 

ten  Brink  prüft  sodann  .auch  noch  die  anderen  abschnitte  des  von  ihm  in 
11  abschnitte  geteilten  zweiten  abenteuers  auf  ihren  X-bestand,  und  zwar  nicht  nur 
die  ältere  version  C,  sondern  auch  die  jüngere  version  D.  Es  ist  das  ein  sehr 
schwieriges  unternehmen,  bei  welchem  ten  Brink  denn  auch  mit  der  entsprechenden 
behutsamkeit  vorgeht  und  viel  mit  möglichkeiten  operiert.  Infolge  dessen  bleibt 
einem  das  X- dement  der  übrigen  abschnitte  etwas  schattenhaft;  ich  vermisse  in  der 
-prechung  der  X- teile  von  D  eine  erwähnung  der  verse  1341  fgg.  und  1405  fgg., 
in  welchen  das  JEschere - motiv  erscheint,  und  des  plurals  hiises  hyrdas  1666.  Mit 
um  so  grösserem  interesse  sieht  man  der  wiederherstellimg  dieser  dichtung  und  der 
A.'- version  des  ersten  abenteuers  entgegen,  welche  ten  Brink  zu  veröffentlichen 
gedenkt  is.  101).  Einstweilen  hat  er  sich  mit  der  frage  beschäftigt,  welche  von  den 
beiden  diehtungen  die  ältere  sei,  X  oder  A'.  Er  komt  dabei  zu  dem  überraschen- 
den schluss,  dass  X.  obwol  es  dem  mythus,  welcher  nach  Müllenhoff  der  Beowulf  - 
sage  zu  gründe  liegt,  näher  steht  (s.  101),  gleichwol  jünger  sei  als  die  A'- dichtung, 
und  unter  deren  einfluss  entstanden  sei  (s.  103).  Ich  neige  mich  der  ansieht  zu, 
dass.  wenn  es  eine  dichtung  gab.  welche  den  helden  auf  dem  seegrundc  den  kämpf 
mit  beiden  unholden,  mit  mann  und  weib,  bestehen  Hess,  ein  anderes  Med,  das  uns 
Beowulf  im  kämpfe  mit  einem  der  meeresgeister ,  mit  dem  gefährlicheren,  dem 
manne,  vor  äugen  bringt,  sich  die  motivfülle  jener  dichtung  zu  nutzen  gemacht  hat, 
in  der  blütezeit  der  epischen  dichtung  aus  jener  herausgewachsen  ist. 

Wenden  wir  uns  nun  zur  betrachtung  der  weder  von  A'  noch  von  X  beein- 
flussten  teile  von  CundD,  so  fält  uns  vor  allem  die  kräftige  beleuchtung  des  anfan- 
gen abschnittes  auf,  welche  uns  hinter  C  eine  ältere,  einfachere  form  C, 
und  hi.iT-  I  •  noch  die  ursprüngliche  fassung  < '"  deutlich  erkennnen  lässt  (s.  62  fg.). 
Weniger  gelungen  scheint  mir  die  lösung  des  C-kernes  aus  den  versen  1279  — 1295. 
■ranlasst  den  kritiker  nämlich  zu  zwei  text-änderungen  (1282  Xms,  1295  on  flette), 
von  welchen  die  eine  {on  flette)  noch  obendrein  so  einschneidender  art  ist,  dass  sie  ent- 
weder dem  r  die  Ungeschicklichkeit  zuschiebt,  er  habe  ein  faktum,  welches  seine 
hörer  erfahren  musten,  die  flucht  des  Scheusals,  schlechtweg  verschwiegen,  oder 
zur  annähme  einer  lücke  zwingt.  Mir  scheint  der  passus  von  1279  — 1295  in  bestem 
inneren  zusammenhange  zu  stehen;  er  mag  einige  spätere  erweiterungen  enthalten, 
aber  der  sinn  der  ganzen  stelle  ist  klar  und  ich  würde  es  nicht  wagen,    ihm  durch 


DBEB    TKN    BRINK.    BROWULI  110 

textänderungen  eine  verschiedene  wendung  zu  geben.  Mit  1296  ändert  sieh  die  Sach- 
lage. Mit  diesem  verse  begint  der  C-ordner  —  wie  wir  von  ton  Brink  selbst  gelernt 
haben  —  zu  mischen,  er  flicht  aus  X  das  beschere -motiv  ein,  und  wie  er  denn 
überhaupt  der  aufgäbe  dieser  Verschmelzung  nicht  gewachsen  war.  bringt  er  si.-h 
-«•hon  mit  1298b  (ponc  äe  keö  <m  raste  dbredt)  in  widersprach  zu  dem  vorher- 
gehenden. 

1455  — 1464  und  1518  — 1528.  [ch  kann  nicht  finden,  dass  sich  zwischen 
diesen  beiden  stellen  eine  inkongruenz  ergibt,  welche  uns  nötigen  könte  dieselben 
verschiedenen  dichtem  zuzuschreiben  (s.  70).  Dass  der  dichter  das  schwert  Hrunting 
voltönig  pries,  war  —  zumal  einem  publikum  gegenüber,  welches  sich  so  gern  von 
Schwertern  singen  und  sagen  liess  —  ein  sehr  einfaches  kunstmittel,  um  das  ver- 
sagen der  guten  kling*1  der  meerwölfin  gegenüber  um  so  überraschender  erscheinen 
zu  lassen,  das  zauberhafte  wesen  der  unholdin  um  so  wirkungsvoller  hervorzuheben. 
Die  zweite  stelle  erinnert  ims  in  ihrem  aufbau  durchaus  an  die  eiste;  mancher  in 
dieser   angeschlagene  ton  findet  in  jener  sein  echo: 

1460  nc&fre  Itit  cet  hilde  ne  swäc 

manna  cen^um  .  .  . 

1524  ac  seö  ecg  geswäc 

dcödne  cet  dcarfe  .  .  . 

1463  ncBS  (tat  forma  sld 

dcet  hit  ellen-weorc  ozfnan  scohh 
1527  da  was  forma  siä 

deörum  mddme,  etat  his  dorn  >>/<?£ 

Ein  nochmaliger  hinweis  auf  das  eigentumsrecht  des  Unfertt  würde  meines  erachtens 
das  tempo  der  kampfesschilderung  nutzlos  gehemt  haben. 

1677  — 1687.  Müllenhoff  (Haupts  ztschr.  XIV  s.  213)  beanstandet  die  auffäl- 
ligen widerholungen  dieser  stelle,  ten  Brink  erklärt  sie,  indem  er  dieselben  verschie- 
denen fassungen  zuschreibt:  er  rechnet  1677 — 1680  zu  C,  1681  —  1687  zu  D  (s.S." 
Ausserdem  ist  er  geneigt  1684 — 1687  mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  als  bestandtei] 
von  X  zu  bezeichnen,  als  Subjekt  von  on  geweald  gehwearf  ursprünglich  ^renales 
hedfod  und  für  hylt  1687  ursprünglich  heäfod  zu  vermuten,  da  der  könig  in  der 
sich  nach  ten  Brink  unmittelbar  anschliessenden  aus  D  stammenden  rede  176'.)  1. 
nur  des  schwertblutigen  hauptes,  nicht  aber  des  schwertgriffes  gedenkt  (s.  99  fg.). 
Dieser  etwas  komplicierten  annähme  gegenüber  möchte  ich  die  ganze  stelle  für  C 
beanspruchen  und  den  kern  derselben  wie  folgt  bestimmen: 

1677  pd  v:ces  gylden  hilt  gamchun  r/'/ice, 
hdrum  hi/d-fnnnan  on  kand  gyfen, 
1681/1684  uundor-smida  geweorc,  worold- cynin^a 
deem  seiest an  be  scent  tweönum, 
ddra  de  on  Sccde?i-i^e  sceattas  dSlde. 

1687  Hrdd^i'ir  modelnde,  hylt  scedwode: 

1700  „peet  lä  mcB%  seegan  usw. 

Auf  diese  weise  sind  nicht  nur  alle  wörtlichen  widerholungen ,  sondern  auch  —  worauf 
es  mir  besonders  ankörnt  —  die  höchst  überflüssige,  störende  nochmalige  erwähnung 
von  Grendels  und  seiner  mutter  tod  beseitigt.  Wundor-smida  geweore  steht  in 
beliebter  weise  parallel  zu  %ylden  hilf,  worold -cynin^a  dSm  selestan  zu  hdrum 
hild-fruman  und   gamelum    rince.      Derartige   triaden   sind   in  unserm    epos    nichts 


1  21  »  KOEPPEL 

ungewöhnliches:  1S47  fgg.  finden  wir,  ebenfals  inC,  für  Hy^eldc  die  dreifache  bezeieh- 
uuug  IL edles  eaferan,  eaidor  dtnne,  folces  hyrde  (vgl,  ausserdem  267  fgg.  344  fgg., 
350  fgg.,  2356  feg.  2381  fgg.,  -J7". •  1  fgg.).  Dass  Hrodgär  nicht  gleich  zu  anfang  sei- 
ner rede  auf  den  Bchwertgriff  zu  sprechen  komt,  sondern  zuerst  den  helden  rühmt, 
ist  nur  natürlich,  im  weiteren  verlauf  der  rede  wird  C  durch  die  lange,  religiöse 
Interpolation  und  1)  verdeckt  —  "Will  man  hingegen  der  annähme  ten  Brinks,  wel- 
cher 1687  mit  hedfod  für  hylt  zu  I)  rechnet,  entgegenkommen,  so  lässt  sich  für  C 
folgende  ursprüngliche  form  vermuten,  welche  alle  die  an  die  erwühnung  der  hilze 
impften,  verwirten,  ungeschickt  ineinander  geschachtelten  einzelheiten  —  man 
vergleiche  die  bedenklichen  anschlüsse  mit  ond  1681,  Swa  1694,  das  subjektlose 
on  yircahl  kwearf  1684  —  als  spätere  zutaten  erscheinen  lässt: 

1677  pd  was  gylden  hilf  ^amelum  rince, 
harum  hild-fruman  on  hand  "zyfcn, 
1681  1698  wundor-smiäa  ^eweore.    pä  se  ivtsa  sprcec 
sunu  Healfdenes  (swi^edon  ealle): 
„pcet  lä  ///"°3  secgan  usw. 

In   dem   siebenten   kapitel  handelt  ten   Brink   von   der  rückkehr  Beowulfs   ins 
land  der  Ganten,  dem  dritten  abenteuer  (E),  welches  dem  gesamtordner  nur  in  einer 
vorlag.      Seine    einleitenden    bemerkungen    über    dieses    gleichsam    im    keim 
stickte  epos  sind  ebenso  scharfsinnig,   wie  lichtvoll;    bei   der  ausscheidung  der  spä- 
teren enveit« nungen   geht  er  von  Müllenhoff  aus,    steckt  jedoch  meistens  —   meines 
erachtens  mit  richtigster  erkentnis  —  die  grenzen  etwas  verschieden  ab.     Betrefs  der 
lezten  Interpolation  2177—2189  bringt  er,  auf  Bugges  enthüllung  der  Heremod-allu- 
ätüzt,    überzeugend  zur   geltung,    dass   sie  aus  C  herübergenommen  ist,   und 
ui-sprünglich   den   schlnss   dieser  version  bildete,    für  welchen  der  ordner  erst  nahe 
dem  ende  des  dritten  abenteuers  einen,    seiner  meinung  nach,    passenden  platz  fand 

119  fgg.). 

Bei  der  besprechung  des  vierten  abenteuers  im  achten  kapitel  führt  ten  Brink 
zuerst  den  beweis,  dass  der  gesamtordner  für  den  kämpf  mit  dem  drachen  aus  zwei 
Versionen  (F  und  G)  schöpfte;  G  soll  der  redaktor  nur  gelegentlich  benüzt,  F  seinem 
texte  zu  gründe  gelegt  haben  (s.  129). 

2287—2290  schreibt  ten  Brink  G  zu.  Durch  diese  athetese  geht  für  F,  für 
die  von  dem  ordner  in  erster  linie  berücksichtigte  version,  ein  umstand  verloren, 
welcher  meines  erachtens  in  einer  klaren,  verständlichen  erzählung  betont  werden 
moste,  das  erwachen  des  drachens.     Wenn  wir  femer  erwägen,  dass  die  beiden  verse 

2287  88,  welche  das  erwachen  des  drachens  melden,  zwei  Wörter  enthalten,  welche 
im  ganzen  Beowulf  nur  in  F  erscheinen  (2287  wrdht  vgl.  2473,  2913;  2288  stearc- 
heori  _  2552),  so  werden  wir  uns  doppelt  schwer  entschliessen,  die  beiden  verse 
von  F  abzutrennen.     Teilen  wir  sie  deshalb  dieser  fassung  zu  und  suchen  dann,  von 

2288  aus,  die  fortsetzung  vonF,  so  wird  uns  die  nat  der  erweiterung  verraten  durch 
die  den  Interpolationen  eigene  wiederaufnähme  des  Wortlauts  des  Originals :  das  v.  2288 

schliessende  verbnm  onfand  kehrt  am  Schlüsse  von  2300  wider,  und  2301  schliesst 
sich  treflich,  ohne  lücke,  ohne  gedankensprung,  an  2288  an: 

2287  pd  se  wyrm  onwoe,  wrohi  wcbs  geniwad 

2288  8t<mc  da  cefter  stdne,  stearc-heort  onfand, 
2301  deet  heefde  ^uiin  na  stum  goldes  gefandod 

hedk-^i  ■". 


ÜBER    TEN    BRINK,    BB0WT7LF  121 

Hiemit    scheint   mir   der   keni    dieser  stelle  getroffen  zu  sein.    Jedenfals  hat  die-" 

reconstruienuig  der  ursprünglichen  gestalt  von  F  einen  höheren  grad  von  Wahrschein- 
lichkeit für  sich,  als  die  von  teil  Blink  für  möglich  erachtete  bestimmung  derselben. 
Er  verfährt  dabei  doch  wol  alzu  wilkürlieh,  indem  er  von  2280  zu  2295,  von  2295 
zu  2300  springt,  und  in  2295  das  done  der  Überlieferung  streicht.  Die  widerspruchs- 
vollen verse  2280  —  2300.  welche  der  kritik  schon  soviel  zu  schaffen  gemacht  ha  Ihm. 
da  sie,  von  lästigen  wortwiderholungen  abgesehen,  eine  textkorruptel,  eine  lücke, 
und  eine,  wenn  auch,  nicht  geradozu  fehlerhafte,  so  doch  im  Beowulf  immerhin  sehr 
auffällige  alliteration  *  (2298)  aufweisen,  betrachte  ich  als  späte  erweiterung  in  F. 

Nach  der  kritischen  analyse  des  vierten  abentcuers  hebt  ten  Brink  die  ergrei- 
fenden Schönheiten  der  dichtung  von  Beowulfs  kämpf  mit  dem  drachen  hervor,  indem 
er  deren  stil  mit  dem  von  Beowulfs  stä  vergleicht.  Was  das  zeitliche  Verhältnis 
der  lieder  von  Grendel  und  von  dem  drachen  anlangt,  so  hält  er  das  drachenlied, 
trotz  seines  schwermütigen  tones,  der  neigung  zu  reflexionen  und  der  Vorliebe  für 
den  reim,  für  etwas  älter  als  die  Grendeldichtuug.  Seine  begründung  dieser  ansieht 
ist  sehr  feinsinnig  und  enthält  für  mich  viel  überzeugendes;  zu  einer  Sicherheit  wird 
man  ja,  wie  ten  Brink  selbst  sagt  (s.  150).  in  dieser  frage  schwerlich  je  gelangen. 

Der  entwickhing  seiner  theorie  von  der  entstehung  des  Beowulfs-epos  La 
ten  Blink  noch  fünf  inhalts-  und  gedankenreiche  kapitel  folgen,  in  welchen  er 
sich  mit  der  Strophentheorie  Möllers  beschäftigt,  für  die  englische  herkunft  der 
sage  und  des  epos  von  Beowulf  in  die  schranken  tritt,  die  trauten  des  epos  von 
den  Juten,  den  bewohnern  Jütlands,  sondert,  die  heimat  und  entstehungszeit 
des  Beowulf  beleuchtet  und  die  handschrift  auf  ihre  Vorstufen  prüft.  In  dem 
fünfzehnten  und  leztei*  kapitel  fasst  er  die  ergebnisso  seiner  Untersuchungen  kurz 
und  übersichtlich  zusammen,  ten  Brinks  methode  zeichnet  sich  auch  in  diesen 
abschnitten  durch  ein  kühnes,  frisches  anfassen  der  probleme  aus;  namentlich  in  sei- 
nen erörterungen  der  heimat  und  entstehungszeit  des  Beowulf  tritt  uns  sein  streben 
nach  so  zu  sagen  greifbaren  resultaten  öfters  in  überraschender  weise  entgegen.  Bei 
der  besprechung  der  sprachlich  -  metrischen  kriterien  für  die  bestimmung  der  heimat 
hätte  noch  darauf  hingewiesen  werden  können,  dass  Sievers  (Beitr.  X,  s.  498)  in 
vers  1828b  für  das  überlieferte  dydon  von    dem  metrum  dekdon  gefordert  erachtet 

1)  Auch  vou  Bugge  (Beitr.  XII,  103)  als  „bedenklich"  bezeichnet,  und  durch  die  konjektur 
U'ces  de  für  Inccedre  beseitigt,  ten  Brink  beanstandet  Bugges  änderung  aus  metrischen  gründen  und 
sezt  für  luctedre  ein:  tver,  indem  er  zugleich  ne  2297  in  nö  verwandelt  is.132).  Solto  uns  diese  aui- 
falleude  behandlung  des  Stabreimes  nicht  die  schlussfuge  einer  sehr  späten  einschiebung  verraten?  Solte 
die  stelle  anfänglich  nicht  gelautet  haben : 

2293  Hord-weard  söhte, 

georne  cefter  gründe,  wolde  guman  findan, 

done  de  Jmn  on  sieeofote  sdre  geteode, 
2296/2298  hat  ond  hreöh-mod:  hicodre  hilde  fjefeh 

beadu-ueorces.     Hicllum  on  beorh  c&thwea/rf 

sinc-fat  sohte  usw. 
Auf  diese  weise  schwindet  die  bedenkliche  alliteration ,  der  in  Inccedre  liegende  gegensatz,  der  in  der 
Überlieferung  durchaus  nicht  am  platze  ist.  erscheint  volkommen  berechtigt,  und  der  gleichlautende  vers- 
schluss,  2296  ymbe-hicearf,  2299  eetlucearf,  ist  entfernt.  Logische  bedenken  lassen  sich  gegen  den 
Zusammenhang  der  stelle  nicht  erheben:  ..Der  hortwart  suchte  eifrig  den  grund  entlang,  wolte  den 
menschen  finden,  der  ihm,  da  er  schlief,  kränkung  zugefügt  hatte,  heiss  und  zornigen  mutes:  gleichwol 
freute  er  sich  auf  den  kämpf,  das  kampfwerk.  Dann  wante  er  sich  wider  zum  berge  usw.''  Dass  der 
dieb  glücklich  entkommen  ist ,  wissen  wir  bereits  aus  den  versen  2281  fgg. 


122  KOBFFEL,    ÖBKB    TEN    BRINK.    BKOWULF 

und  geneigt  ist,    in  dieser  tonn   ein   Zeugnis  der  northumbrischen  herkunft  des  epos 
zu  sehen. 

"Wenn  ich  nun  zum  Schlüsse  nochmals  auf  den  hauptbestandteil  des  ten  Brink- 
schen  buches  zurückblicke,  auf  seine  theorie  von  der  entstehungsweise  des  uns  über- 
lieferten Beowulf-text.s,  so  scheint  mir  dieselbe  einen  wesentlichen  fortschritt  zu 
bekunden  _■  genüber  der  von  Müllenhoff  geübten  kritik,  von  welcher  ten  Brink 
is  a  3g  iit  und  deren  Verdienste  er  widerholt  mit  warmen  Worten  betont.  Die 
theorie  des   Strassburj  lehrten  ist  einfacher,    sie  gewährt  uns  noch  tiefere  ein- 

blicke  in  die  entstehung  des  epos,  bringt  uns  die  variantenfüllc  der  Überlieferung 
li  überzeugender  zum  bewustsein,  und  befreit  uns  von  jenen  widerspruchsvollen 
und  Widerspruch  erregenden  weseu.  den  Müllenhoffschen  interpolatoron.  Man  darf 
wol  mit  Sicherheit  annehmen,  dass  die  reihen  derjenigen  Beowulfsfreunde ,  welche 
trotz  Müllenhoff  noch  an  der  einheitlichen  entstehuDg  des  epos  festhielten,  durch 
ten  Brinks  werk  bedeutend  gelichtet  werden. 

-  ■  hat  der  geistvolle  mann,  dessen  eigenart  in  einer  seltenen,  glücklichen 
mischung  philologischer  akribie,  kritischen  Scharfsinns  und  wahrhaft  dichterischen 
empfindens  besteht,  auch  mit  dieser  seiner  neuesten  leistung  unsere  erkentnis  des 
wahren  gefördert. 

Im  interesse  der  zweiten  aufläge  verzeichne  ich  noch  die  von  mir  bemerkten 
druckfehler:  s.  14  z.  8  v.  u.  für  feehäe  lies  feehde;  s.  18  z.  8  v.  o.  für  S^lceca  lies 
l  a;  s.  18  z.  13  v.  u.  für  Was  lies  Was;  s.  22  z.  12  v.o.  ist  a  zwischen  bann» 
und  folmum  zu  streichen;  s.  22  z.  17  v.  o.  für  äce  lies  M;  s.  22  z.  20  v.  o.  für  da 
lies  Sä;  s.  31  z.  -4  v.  u.  für  s.  11  lies  s.  15;  s.  54  z.  18  v.  o.  für  814  lies  813;  s.  114 
z.  17  v.  o.  ist  rGautenlandea  zu  ändern;  s.  119  z.  2  v.  o.  für  -1529  lies  2029;  s.  141 
z.  19  v.  o.  für  u-cerp  lies  uearp:  s.  147  z.  17  v.  u.  für  2420  lies  2421;  s.  214  anm. 
z.  2  v.  u.  für  467  lies  468.  Geringfügige  druckfehler  im  deutschen  text  finden  sich 
ausserdem  s.  15  anm.  z.  5  v.  u.  lies  Ettmüller;  s.  33  z.  7  v.u.  bruchstücke;  s.  67  z.  8 
v.  o.  geschenke;  s.  141  z.  7  v.  u.  ursprünglich;  s.  186  z.  7  v.  o.  unmittelbaren;  s.  188 
z.  13  v.  o.  partien;  s.  228  z.  15  v.  o.  verlauf. 

MÜNCHEN,    OKTOBER    1888.     JANUAR    1890.  EMIL    K0EPPEL. 


hichte   der  französischen  nationallitteratur  von   den  ältesten   zei- 
d  bis  zum  sechzehnten  Jahrhundert.     Bearbeitet  von  Adolf  Kressner 
in  Kassel.     Berlin  1889,  Mcolaische  Verlagsbuchhandlung,  R.  Stricker.     VI  und 
__'4  s.     6  m. 

Während  es  noch  vor  kurzem  an  einem  buche  fehlte,  das  in  gedrängter  form 
eine  den  mrderungen  der  Wissenschaft  entsprechende  Übersicht  über  die  erzeugnisse 
der  älteren  französischen  litteratur  zu  geben  versuchte,  besitzen  wir  deren  jezt  drei, 
nämlich  ausser  dem  oben  angeführten  das  vortrefliche  von  Gaston  Paris  „La  littera- 
ture  francaise  au  moyen  Ige"  Paris  1888;  imd  den  „Grundriss  der  geschichte  der 
frar.  hen  litteratur"  von  dr.  Heiniich  Junker  (Münster  1889). 

Das  nunmehr  zu  besprechende  werk  bildet  den  ersten  band  der  sechsten,  völ- 
lig umgearbeiteten  aufläge  der  bekanten  Kreyssigsehen  liiteraturgeschichte ,  deren  zwei- 
ten, die  neuere  zeit  behandelnden  teil  prof.  Joseph  Sarrazin  übernommen  hat.  Es 
fält  von  vornherein  auf,  dass  bei  der  Verteilung  des  gesamten  Stoffes  das  sechzehnte 
Jahrhundert  dem  bearbeiter  der  älteren  periode  zuerteilt  worden  ist.  während  es  doch 


STIMMIXG,    ÜBER    KRESSNER,    0E8CH.    DEB    FRANZ.    LITT.  L23 

natürlicher  gewesen  wäre,  den  ersten  band  ausschliesslich  der  mittelalterlichen  litte- 
ratur  bis  zu  ihren  lezten  entwickelungsstufen  zu  widmen,  den  zweiten  jedoch  mit 
der  renaissance  d.  h.  dem  völligen  brach  mit  der  alten  Überlieferung  zu  beginn»!!. 

Was  die  einteilung  des  vorliegenden  ersten  bandes  betritt,  so  umfassi  das 
erste  kapitel  einige  bemerkungen  aber  die  geschiente  der  Bprache  und  eine  kurze 
besprechnng  ihrer  ältesten  denkmaler,  das  zweite  bespricht  recht  eingehend  (in  mehr 
als  50  seiten)  die  geschiente  der  provenzalischen  litteratur,  und  zwar  bis  in  die  aeueste 
zeit,  worauf  das  dritte  wieder  zu  dem  eigentlichen  gegenstände  zurückkehrt.  Es 
liegt  auf  der  band,  dass  dies  zerreissen  des  Stoffes  der  Übersichtlichkeit  des  ganzen 
nicht  gerade  förderlich  ist 

Um  das  buch  für  studierende  nutzbar  zu  machen,  hat  der  Verfasser  in  den 
anmerkungen  zahlreiche  bibliographische  angaben  hinzugefügt,  welche  über  spezial- 
arbeiten  sowie  über  ausgaben  der  einzelnen  denkmäler  unterrichten  sollen.  Dieser 
teil  der  arbeit  lässt  aber  viel  zu  wünschen  übrig.  Einerseits  werden  mehrfach  werke 
angeführt,  die  durchaus  nichts  mit  der  litteraturgeschichto  zu  tun  haben,  wie  Har- 
seim,  Vocalismus  und  konsonantismus  im  Oxforder  psalter;  Meister,  Die  ilexion  im 
Oxforder  psalter;  Dreyer,  Der  lautstand  im  Cambridger  psalter;  Fichte,  Die  flexion 
im  Cambridger  psalter;  Merwart,  Die  verbalflexion  in  den  Quatre  livres  des  rois; 
sogar  einzelne  textkritische  bemerkungen  werden  angeführt,  wie  W.  Förster,  Zu 
Quatre  livres  des  rois  (sämtlich,  auf  s.  16)  usw.  Andrerseits  vermisst  man  zahlreiche 
andre,  die  nicht  hätten  fehlen  sollen.  Ich  greife  einige  wichtige  heraus,  z.  1».  aus 
der  provenzalischen  litteraturgeschichto  die  Sonderausgaben  der  trobadors  Cercamon 
(ed.  Mahn,  Jahrbuch  I,  83  fg.),  Renaud  und  Geoffroy  de  Pons  (p.  p.  Cabaille  lssii; 
Faulet  de  Marseille  (p.p.  Levy,  Rev.  des  langues  rom.  1882);  Zorzi  (ed.  Levy  188.'!); 
Feire  de  la  Caravana  (von  Cauello,  Giorn.  di  fil.  rom.  7,  1  fg.);  endlich  Rambertino 
ßuvaleili  (von  Casini,  Bologna  1880);  von  anderen  ausgaben:  La  chanson  de  la  croi- 
sade  contre  les  Albigeois  p.  p.  P.  Meyer.  2  b.  1875  —  79;  La  chanson  d'Antioche 
p.  p.  G.  Paris.  Rom.  17,  513  fg.;  Vie  de  Sainte  Marguerite  p.  p.  Noulet  1875;  Das 
evangelium  Nicodemi,  herausg.  von  Suchier,  Denkmäler  I,  1 — 84  usw.;  aus  der  fran- 
zösischen: das  Altfranzösische  Übungsbuch  von  Förster  und  Koschwitz  18S-1,  welches 
*  die  ältesten  denkmäler  sämtlich  enthält;  Parise  la  duchesse  p.  p.  Martonue  1836; 
Lais  inedits  des  XHe  et  XTIIe  siecle  p.  p.  Fr.  Michel  1836;  Raoul  de  Cambrai  p.  p. 
P.  Meyer  et  Longnon  1882;  Couronnement  de  Loms  p.  p.  Langlois  1888  usw.  Das 
Verzeichnis  der  monographien  zeigt  ebenfals  erhebliche  lücken. 

Wenn  wir  jedoch  von  diesen  beigaben  absehen,  die  ja  obenein  keinen  wesent- 
lichen bestandteil  des  Werkes  bilden  sollen,  so  darf  man  behaupten,  dass  dasselbe 
viele  Vorzüge  besizt.  Der  Verfasser  hat  die  wichtigsten  erzeugnisse  der  beiden  litte- 
raturen  herangezogen  und  im  ganzen  übersichtlich  und  verständig  gruppiert.  Er  h.it 
gewöhnlich  den  wesentlichen  inhalt  derselben  mitgeteilt  und  nicht  selten  auch  über 
ihren  ästhetischen  wert  bemerkungen  hinzugefügt,  welche  meist  zutreffend  genant 
werden  müssen.  Die  darstellung  gewint  sehr  an  lebendigkeit  durch  hier  und  da  ein- 
gestreute proben  aus  den  texten  sowie  durch  Übersetzungen,  die  zum  teil  in  metri- 
scher gestalt  geboten,  von  Verständnis  und  gutem  geschmacke  zeugen.  Zuweilen 
finden  wir  auch  angaben  über  den  historischen  kern  sowie  über  etwaige  bearbeitun- 
gen  des  betreffenden  Stoffes  in  anderen  litteraturen ,  besonders  der  germanischen;  doch 
können  und  wollen  diese  notizen  selbstverständlich  keinen  anspruch  auf  volständigkeit 
erheben. 


1 24  STIMMING 

Auf  die  aussen1  form,  auf  den  ausdruck  hat  der  Verfasser  offenbar  besondere 
auimerksamkeü  verwant,  da  ei  ja  sein  buch  auch  für  das  grössere  publikum  bestirnt 
hat  Der  stü  ist  flott  und  frisch,  fast  durchweg  anschaulich  und  hier  und  da  selbst 
drastisch.  Manchmal  ist  die  spräche  allerdings  etwas  zu  feuilletonistiseh ,  selbst  phra- 
haft.  mid  an  andern  stellen  lässi  sich  der  Verfasser  durch  sein  streben,  in  scharf 
sugespizten  gegensätzen  zu  sprechen,  zu  Übertreibungen  mid  schiefen  beliauptungen, 
ja  selbst  zu  Unrichtigkeiten  verleiten. 

Als  beispiele  für  beide  arten  von  fehlem  greife  ich  folgende  stellen  heraus: 
„Schon  lange  hatten  die  germanischen  Völker  lüstern  über  den  Rhein  geschaut 
und  mit  heimlichem  triumph  den  niedergang  der  römischen  macht  in  Gallien 
beobachtet      Die  Völkerwanderung   trieb   sie    endlich    zu    schnellem    ont- 

SS,  und  alle  dämme  niederreissend  ergoss  sich  usw."  (s.  9);  „das  gefühl  der 
persönlichen  Unabhängigkeit,  die  leidenschaftliche  liebe  zur  freiheit,  das  beispiel  natio- 
ual.'ii  stolzes  und  nationaler  begeisterung  .  .  schliesslich  eine  reiche  und  gewaltige 
poesie.  das  sind  die  schätze,  welche  anzunehmen  sie  (näml.  die  Germanen)  die 
Hallo-Romanen  gewaltsam  zwangen"  (ebd.);  „der  Verräter  (näml.  in  den  volks- 
epen)  hat  keine  gute  regung;  er  predigt  seinen  kindern  das  laster:  „kinder,  passt 
auf.  dass  ihr  immer  lügt;  stehlt  das  gut  der  Waisen,  zerstört  die  ernten,  mordet  die 
biedermänner"  -  75);  „die  phantasie  verliert  sich  in  ihnen  (d.  h.  den  volksepen)  oft 
ins  grenzenlose  (s.  76);  „die  jugendliche  energie  des  ritterlichen,  die  krieger  aller 
christlichen  Völker  einenden  lebens  gibt  sich  besonders  in  der  Unbefangenheit  zu 
erkennen,  mit  welcher  die  ritterlichen  dichter  des  mittelalters  die  zustände  ihrer  zeit 
und  ihres  landes  zum  gemeinsamen  mass  aller  Völker  und  aller  Zeiten  machen" 
s.  SO);  ist  diese  naivetät  jener  dichter  wirklich  ein  beweis  von  energie?  —  „Noch 
am  anfang  des  elften  Jahrhunderts  sehen  wir  den  kindlich -naiven  sinn  der  geselschaft 
au  der  platten,  kirchlich  angehauchten,  lamfrommen  reime r ei  über  das  leben 
-  heiligen  Alexis  sich  erfreuen;  am  ende  desselben  Zeitraumes  aber  tritt  uns  mit 
inen  wuchtigen  versen  das  majestätische,  kampfesfrohe  Rolandslied  entgegen,  in 
welchem  mannesmut  und  waffenklang  das  süsslich-widrige  geschreib- 
sel  der  pfaffen  ein  für  alle  mal  zurückdrängt"  (s.  70).  Abgesehen  von  der 
unrichtigen  datierung  und  der  unzutreffenden  Charakteristik  des  Alexius  muss  dieser  # 
-atz  die  ganz  falsche  ansieht  erwecken,  dass  es  einerseits  zu  anfang  des  elften  Jahr- 
hunderts noch  keine  nationalepen  gegeben  habe  und  dass  andererseits  von  dem  auf- 
kommen dieser  volksepen  an  die  abfassung  von  heiligengeschichten  unterblieben  wäre. 
"Wenn  es  gleich  darauf  von  der  epik  heisst,  sie  sei  „von  den  banden  der  kirche 
befreit-  gewesen,  so  ist  dem  gegenüber  darauf  hinzuweisen,  dass  viele  epen  und 
darunter  auch  das  Rolandslied  gerade  starke  spuren  kirchlich  -  theologischen  einflusses, 
d.  h.  einer  Überarbeitung  durch  geistliche  aufweisen. 

Aber  auch  die  anordnung  des  Stoffes  lässt  mancherlei  zu  wünschen  übrig.  Das 
Alexiuslied  des  Alberic  von  Besancon  wäre  richtiger  in  der  provenzalischen  littera- 
turgeschichte  behandelt  worden;  das  epos  von  Hom  hat  der  verf.  abenteuerroma- 
nen  eingereiht;  das  tierepos  und  die  tierfabel  werden  nicht  von  einander  unterschie- 
den, vielmehr  wird  von  beiden  in  einer  weise  gesprochen,  als  seien  sie  fast  identisch, 
or  den  Ursprung  des  tierepos  erfahren  wir  nichts,  die  wichtige  abhandlung Müllen- 
hoffs  über  diesen  gegenständ  in  der  Ztschr.  f.  d.  a.  XVIII,  1  fg.  scheint  dem  verfas- 
unbekant  geblieben  zu  sein;  wenigstens  wird  sie  nicht  erwähnt.  Auffällig  ist 
auch,  dass  der  verfasse!  den  altfranzösischen  tierepen  die  satirische  tendenz  abspricht 
und  sie  als  im  wesentlichen  epische  erzählungen,  die  an  und  für  sich  inter- 


ÜBER   KRESSNER,    GESCH.    DER   FRANZ.    LITT.  125 

essieren,  auffasst.  Daher  behandelt  er  sie  auch  nicht  unter  dem  kapitel  ..Satire", 
sondern  zugleich  mit  den  fabeln  unter  den  „kleineren  epischen  diehtungen."  Nicht 
weniger  muss  es  überraschen,  dass  der  Roman  von  den  sieben  meistern  und  der 
Dolopathos  (der  Verfasser  scheint  übrigens  hierin  nur  zwei  verschiedene  namen  ein 
und  desselben  Werkes  zu  sehen)  anter  den  „Fableaux"  besprochen  werden,  obwol 
jene  dichtuugen  einen  ganz  anderen  Charakter  aufweisen.  Endlich  hätten  auch  die 
didaktischen  erzengnisse  zweckmässiger  geordnet  werden  können. 

Noch  in  einem  anderen  punkte  scheint  mir  der  Verfasser  nicht  das  richtige 
getroffen  zu  haben,  nämlich  in  dem  inass  von  ausführlichkeit,  das  er  den  verschie- 
denen litteraturgattungen  und  -erzeugnissen  widmet.  Zwar  ist  es  durchaus  zu  bil- 
ligen, dass  er  der  volksepik  den  grösten  räum  zugestanden  hat,  wobei  es  allerdings 
unerklärlich  bleibt,  dass  er  bei  den  Provenzalen  denkmäler  wie  „Aigar  und  Maurintt, 
„Daurel  und  Beton'',  „Tersin",  bei  den  Franzosen  das  von  G.  Paris  (Rom.  4,  305  fg.) 
veröffentlichte  bruchstück  eines  die  Jugendschicksale  Karls  berichtenden  epos  Meinet. 
sodann  den  „Roman  d'Aquin",  „Simon  de  Ponille"  u.  a.  ganz  mit  stilschweigen  über- 
geht, während  er  „Gormont  et  Isenbart"  nicht  unter  den  nationalepen  bespricht,  son- 
dern auf  s.  16  in  ganz  anderem  Zusammenhang  nur  flüchtig  erwähnt.  Aber  im  übri- 
gen ist  die  ungleichartigkeit  auffallend  gross.  So  sind  auf  den  Roman  de  la  rose 
nicht  weniger  als  6  Seiten  verwant,  auf  die  nouvelle  „Aucassin  und  Nicolette  "  deren 
5,  fast  ebensoviel  auf  jeden  der  vier  historiker  Yillehardouin ,  Joinville,  Froissart 
und  Commines,  während  andere  kaum  minder  wichtige  werke  wenig  berücksich- 
tigimg  gefunden  haben  oder  ganz  fehlen.  Ein  dichter  wie  Chardry  z.  b. ,  von  dessen 
werken  wir  sogar  eine  vortrefliche  ausgäbe  besitzen  (von  J.  Koch  1879),  wird  nicht 
einmal  mit  namen  genant,  ja  ganze  diehtungsarten,  wie  die  für  die  französische  lit- 
teratnr  charakteristischen  Debats  oder  Disputes,  sowie  die  sogenanten  Enseignemeuts 
und  die  Chastoiements  u.  a.  sind  völlig  übergangen.  Besonders  stiefmütterlich  ist  die 
geistliche  poesie  behandelt  worden,  und  dies  hat,  wie  es  scheint,  seinen  grund  in 
der  antiklerikalen  gesinnung  des  Verfassers,  die  ja  schon  aus  dem  oben  angefühlten 
ungerechten  urteil  über  den  Alexius  hervorleuchtete.  Die  französischen  religiösen 
dichtungen  werden  in  etwa  einer  seite  abgetan  und  es  kommen  dort  ckarakteristiken 
vor  wie  die  folgende:  „Zu  einer  wahren  flut  aber  schwilt  die  litteratur  der  heiligen- 
legenden an,  und  man  muss  staunen  ob  der  naivetät  des  publikums,  das  an  den 
abgeschmacktesten  fabeln  sich  erbauen  konte,  und  der  benommenheit  der  dichter, 
die  ihre  mehr  oder  weniger  guten  verse  an  dergleichen  Stoffe  verschwendeten." 

Zum  schluss  hebe  ich  noch  einige  einzelheiten  hervor,  die  mir  beim  durch- 
lesen des  buches  als  unrichtig  oder  ungenau  aufgefallen  sind. 

S.  13.  Die  verspaare  der  Passion  Christi  sind  nur  durch  die  assonanz,  nicht 
durch  den  reim  verbunden.  —  S.  16.  Die  paraphrase  des  Hohen  liedes  gehört  wol 
erst  dem  zwölften  Jahrhundert  an.  —  S.  17.  Die  angaben  in  betreff  der  dialekte  ent- 
halten manches  schiefe  und  unzutreffende.  —  S.  23  fg.  Bei  der  besprechung  des  epos 
von  Girart  de  Rossilon  ist  die  neueste  litteratur,  z.  b.  das  buch  des  referenten  über 
diesen  gegenständ,  nicht  verwertet.  Aber  es  finden  sich  auch  solche  Unrichtigkeiten, 
die  mit  hülfe  der  benuzten  werke  hätten  beseitigt  werden  können.  Dahin  gehören 
einzelne  falsche  behauptungen  über  das  historische  prototyp  des  helden  (dieser  soll 
anfänglich  auf  schloss  Roussillon  residiert,  auch  nach  seiner  besiegung  sich  ebendort- 
hin,  nach  Burgund,  zurückgezogen  haben  und  daselbst  gestorben  sein  u.  ä.),  dahin 
gehört  auch  die  notiz,  dass  die  anfangsverse  des  epos  verloren  gegangen  seien.  — 
S.  72  und  78.     Der   unterschied    zwischen    volkstümlicher   und    kunstmässiger   epik 


126  STIMMTNG.     ÜBER    KKKSSXKK.    GESCH.    UKK    FRAXZ.    LITT. 

ist  durchaus  nicht  scharf  und  deutlich  hervorgehoben.  —  S.  73.  Das  deutsche  Lud- 
wigslied  wird  zu  unrecht  mit  den  „ cantilenen *,  in  welchen  wir  die  älteste  gestalt  der 
nationalepen  zu  sehen  haben,  auf  gleiche  stufe  gestelt.  Die  im  anschluss  daran  vor- 
»ene  ansieht  von  der  entstehnng  der  uns  überlieferten  form  der  chansons  de 
_  si  wird  kaum  noch  anhänger  finden.  Auch  der  auf  s.  157  ausgesprochene  satz, 
dass  die  Artusromane  aus  bretonischen  lais  in  der  weise  her  vorgegangen  seien,  dasa 
man  mehrere  der  in  lezteren  erzählte  abentener  vereinigt,  sie  einem  lielden  zuge- 
blieben und  mit  Artns  in  losen  Zusammenhang  gesezt  habe,  ist  in  dieser  algemein- 
heit  schwerlich  zutreffend. 

Ar,;  s.  78  heisst  es  von  den  altfranzösischen  spielleuten:  „Sie  waren  in  einer 
zeit,  wo  es  keine  presse  gab,  die  träger  des  ruhms  und  der  öffentlichen  meinung." 
Di'  s  — t  jedoch  in  Wirklichkeit  eher  auf  die  provenznlischen  trobadors,  speciell  die 
ve  von  sirventesen.  —     S.  89.    Die  angäbe,    dass  der  Roman  d'Aspremont  von 

Guessard  und  Gautier  im  jähre  1855  herausgegeben  sei,    ist  unzutreffend.     Jene  bei- 
den gelehrten  haben  vielmehr  in  einem  einzelnen  hefte  nur  die  ersten  1800  verse  des 
s    nach    einer    einzigen    handschrift    abgedruckt;    ebenso    hat    Imm.  Bekker    1839 
(nicht  1849)  in   den  Verhandlungen   der  Berliner  akademie  nur  ein   brachstück  von 
133S   zeilen   der  italianisierten  version  des   gedientes  nach   dem  Yenediger  ms.   ver- 
öffentlicht.    Eine  ausgäbe  fehlt  also  noch.  —    Unrichtig  ist  die  ansieht  (s.  164),  dass 
die  sage  vom  h.  graal  sich  auf  keltische  anschauungen  gründe;  jene  sage  ist  bekant- 
lieh  ursprünglich  der  keltischen  tradition  völlig  fremd,    ist  vielmehr  erst   später  mit 
derselben  vereinigt  worden.  —   S.  186.   Den  unterschied  von  fableaux  und   dits  defi- 
niert  der  Verfasser  dahin,    dass   erstere  rein   erzählender  natur  seien,    während    die 
dits   noch   moralisch  -  satirische  gedanken  in   die   erzählung  mischten.     Aus   den  wei- 
ausführungen  geht  jedoch  hervor,    dass  gerade  die  fableaux  ein  stark  ausge- 
prägt  3   -atirisches  element  aufweisen,   dass  sie  namentlich  die  priester  und  den  adel 
verspotten  und  necken.     Daher  ist  auch  Rustebuef  als  hauptvertreter  der  fableaux, 
nicht  der  dits  zu  bezeichnen.  —    Wenn  es  auf  s.  202  heisst:    „Wir  sahen,   dass  der 
Rosenroman  eine  encyklopädie  des  wissens  der  damaligen  zeit  versteif;    eine   eben 
Iche,   aber  in  prosa,  liegt  vor  in  des  Italicners  Brünette  Latini  „Schatzkästchen", 
n    diese   werte    eine    ganz    falsche    Vorstellung  wach   rufen,    da   die    beiden 
genanten  werke  doch  völlig  von  einander  verschieden  sind.   —    Nach  dem  auf  s.  211 
gesagten  müste  man  vermuten,  dass  die  darstellung  der  religiösen  dramen  von  anfang 
an   in   den  bänden   der  laien   gewesen   sei.     Auch   sonst  fehlt  es  der  entwickelungs- 
geschichte  des  drama  sehr  an  klarheit;  wir  erfahren  z.  b.  nichts  von  der  almählichen 
emaneipation    des    dramas    aus    der  kirche    und    den    bänden    der    geistlichkeit    usw. 
j   tritt  auf  s.  258  fg.  der  unterschied  zwischen  „softes",    „farces"  und  „mora- 

-  nichts  weniger  als  deutlich  hervor. 

'.ich   erwähne   ich  noch,    dass  der  Verfasser  auf  s.  232  einen   gramma- 

;hen  fehler  gemacht  hat,    indem  die  direkten  werte  Aucassins   (G,  25)    vr//a   tres- 

douee  amie  que  faim  tant"  in  indirekter  rede  durch   „sa  tres<l<>nc<   <i,,,;<>  qn' il  <t  i  vi 

-  widergibt. 

KIKL.     i.   AUG.    1-  A.    STIMM!' 


NEUE   ERSCHEINUNGEN  L27 

NEUE  ERSCHEINUNGEN. 

Acta  Germanica.  Organ  für  deutsche  philologic  herausgegeben  von  Rudolf  Henning 
und  Julius  Hoffory.  1.— 3.  lieft.  Berlin,  Mayer  &  Müller.  1889  —  90.  Inhalt: 
1.  31.  Hirsenfeld,  Untersuchungen  zur  Lokasenna.  2.  Andr.  Heusler,  der  lj6J>a- 
hättr.    3.  J.  Bolte,  der  bauer  im  deutschen  liede. 

Durch  das  erste  lieft,  eine  unreife  anfängerarbeit,  war  das  neue  unterneh- 
men in  wenig  vertrauenerweckender  weise  inauguriert  worden.  Um  so  erfreulicher 
ist  es,  dass  die  beiden  folgenden  hefte  ganz  andern  Schlages  sind.  Die  anregende 
Studie  von  Heusler,  in  der  freilich  das  lezto  wort  über  den  Ijöpahdttr  noch  nicht 
gesprochen  sein  dürfte,  wird  sicherlich  das  Verständnis  des  schwierigsten  altnor- 
dischen metrums  beträchtlich  fördern,  und  die  sorgfältige  auswahl  Boltes  aus  h 
und  fliegenden  blättern  des  15.  — 19.  Jahrhunderts  ist  ein  sehr  interessanter  beitrag 
zur  geschiente  des  deutschen  Volksliedes. 

Ahlgrimm,  Franz,  Untersuchungen  über  die  Gothaer  handschrift  des  „Herzog Ernst" 

(Kieler  dissertation  1890).     98  s.     8.     Leipzig,  G-.  Fock.     2  m. 

1.  Einleitung  (mit  volständiger  berichtigung  des  v.  d.  Hagenschen  textes 
nach  der  hs.).  2.  Verhältnis  der  Version  D  zu  den  übrigen  bearbeitungen.  3.  Dia- 
lekt; heimat  des  dichters;  abfassungszeit.     4.  Metrische  beobachtungen.     5.  Stil. 

Eckhardt,  Eduard,  Das  präflx  ge-  in  verbalen  Zusammensetzungen  bei  Berthold 
von  Eegensburg.  Beitrag  zur  mhd.  Syntax.  (Freiburger  dissertation  1889).  107  s. 
8.     Leipzig,  G.  Fock.     3  m. 

1.  Eigentliche  ge  -  composita.  2.  Das  wandelbare  ge-:  I.  zum  ausdruck  der 
zeitlichen  Vollendung;  IL  veralgemoinernd;  hierher  wird  auch  das  ge-  vor  infini- 
tiven  gezogen;  III.  ge-  beeinflusst  durch  vorhergegangenes  wandelbares  ge-  beim 
gleichen  verbum. 

Hodermaim,  Richard,  Bilder  aus  dem  deutschen  leben  des  17.  Jahrhunderts.  I.  Eine 
vornehme  geselschaft.     80  s.     Paderborn,  Schöningh.    1890. 

Der  Verfasser  ist  in  Harsdörffers  „Frauenzimmer- gcsprcchspielen"  (Nürnberg 
1644)  so  heimisch,  dass  er  es  verstanden  hat,  in  gleicher  Sprech-  und  denkweise 
ein  bild  einer  ihren  geist  und  witz  übenden  geselschaft  jener  zeit  zu  entwerfen. 
Dieser  erste  teil  des  büchleins  ist  also  eigene  compositum  des  Verfassers,  wenn 
auch  mit  vielen  aus  den  Vorbildern  entlehnten  zügen  geschmückt;  der  zweite  i'il 
s.  49  —  76  dagegen  bietet  einen  neudruck  der  von  Harsdörffer  seinen  gesprä<h- 
spielen  angefügten  „Schutzschrift  für  die  teutsche  spracharbeit. a 

Hoppe,  Otto,  tysk-svensk  ordbok.  Stockhohn,  P.  A.  Norstedt  &  Söner.  1889.  800  s. 
8.     9  kr.  —    Dasselbe  (Skolupplaga)  536  s.     8.     6,50  kr. 

Eine  sehr  tüchtige  arbeit,  die  dem  in  Deutschland  am  meisten  verbreiteten 
schwedischen  wörterbuche  von  Helms  unbedingt  vorzuziehen  ist. 

Idiotikon,  Schweizerisches.  Gesammelt  auf  Veranstaltung  der  antiquarischen  gesel- 
schaft in  Zürich  unter  beihülfe  aus  allen  kreisen  des  Schweizervolkes.  Heraus- 
gegeben mit  Unterstützung  des  blindes  und  der  kantone.  XVH.  heft  (des  zweiten 
bandes  VIII.  heft).  Bearbeitet  von  Fr.  Staub,  L.  Tobler,  R.  Schoeh  und 
H.  Bruppacher.     Frauenfeld,  J.  Huber.  1890.     (Sp.  1169  — 1328).    4.    2  francs. 

Wir  begrüssen  mit  freuden  das  rüstige  fortschreiten  des  verdienstlichen  Wer- 
kes,   das  für  das  alemannische   gebiet  eine  ähnliche  Stellung  beanspruchen  wird, 


12S  NWCTTRICHTF.N 

wie  sie   für  das   bäurische   das    berühmte   buch   von   Schindler  einuimt,    das  ihm 

auch  in  der  anordnung  und  einrichtnng  zum  Vorbild  gedient  hat.    Der  erste,  1885 

Ileudete  band  behandelt  die   mit  vokalen  und  dem  konsonanten  f  anlautenden 

stamme,  in  den  folgenden  Lieferungen  ist  das  g  erledigt  und  das  h  begonnen. 

Rosenhairen.  Gustav.  Untersuchungen  über  Daniel  vom  blähenden  Tal  vom  Stricker. 

Kieler  dissertation  1890).     1-4  s.    8.    Leipzig,  G.  Fock.    2  m. 

1.  Die  Überlieferung  des  gedientes.     2.  Metrik  und  spräche.     3.  Litterarische 
Stellung   des  gedichts   (keine  französische  quelle   —   komposition   —   stil  und  dar- 
llung   —  ansehauungsweise  und  Persönlichkeit  des  dichters).      4.    Chronologie 
-    ;  »dichtes.     5.  Zeugnisse  für  das  fortleben  des  Daniel. 

Die  sehr  erwünschte  erste  ausgäbe  des  textes  bereitet  der  Verfasser  vor. 

Boss,  Hans.  Norsk  ordbog.  Forste  hefte  (abaakt  —  brühe).  Christiania,  Alb.  Cam- 
mermeyer  1S90. 

Ein   sehr   dankenswertes  Supplement   zu  dem  bekanten^treflichen  buche  von 
Ivar  Aasen.     Es  ist  auf  15  —  17  hefte  veranschlagt,    die   zu  dem   Subskriptions- 
preise von  70  öre  abgegeben  werden. 
Schultz,   Ferdinand.    Die  Überlieferung  der  mittelhochdeutschen  dichtung  Mai  und 
Beaflor.     (Kieler  dissertation  1890).     61  s.     8.     Leipzig,  G.  Fock.     1,50  m. 

1.  Die  einzelnen  handschiiften.     2.  Das  Verhältnis  der  handschriften.     3.  Der 
archetypus.     Textkritische  grundsätze  für  eine  neue  ausgäbe  des  gedichtes. 

Wöber.  F.  X.,  Die  Skiren  und  die  deutsche  heldensage.  Eine  genealogische  studie 
über  den  Ursprung  des  hauses  Traun.  Mit  einer  tafel  und  vier  abbildungen  im 
•  ste.     Wien,  Carl  Konegen.    1890.     281  s.     8. 

Der  haupttitel  dieses  buches  ist  irreführend,    da  von  den  „ Skiren u  und  der 
-deutschen  heldensage u  so  gut  wie  gar  nicht  darin  die  rede  ist. 


NACHRICHTEN. 


Die  von  dem  .Samfund  til  udgivelse  af  gammel  nordisk  litteratur"  vorbereitete 
phototypierte  ausgäbe  des  Codex  regius  der  poetischen  Edda,  die  sich  den  von 
der  _  Early  English  Text  Society"  herausgegebenen  Beowulf  zum  muster  genommen 
hat.  wird  noch  im  laufe  dieses  Jahres  erscheinen.  Der  ladenpreis  ist  auf  25  krönen 
28,  :  mark)  festgesezt;  mitgliedern  des  Samfund  wird  das  werk,  fals  sie  vor  der 
ausgäbe  bei  dem  vorstände  darauf  subscribieren,  für  10  krönen  (11,25  mark)  geliefert. 


Der  ordentl.  professor  dr.  Ignaz  Tincenz  Zingerle  in  Innsbruck  ist  gele- 
gentlich seines  rücktrittes  vom  lehramte  in  den  adelstand  erhoben  worden. 

Der  ordentl.  professor  dr.  Michael  Bemays  in  München  scheidet  zu  ostern 
aus  seiner  akademischen  tätigkeit.  um  nach  Karlsruhe  überzusiedeln. 

Der  privatdocent  dr.  Max  freiherr  von  AValdberg  in  Heidelberg  winde  zum 
ausserordentL  professor  befördert 


Halle  a.  S..  B'irli.lnir-lcoroi  des  Waisenhai 


EETHA  HLUDANA. 

Am  15.  august  1888  ist  im  alten  stanilande  der  Friesen,  der 
jetzigen  niderländischen  provinz  Friesland,    die  erste  römische   lapidar- 

inschrift  gefunden  worden.  Als  man  bei  dem  dorfe  Beetgnm,  das 
etwa  8  kirn,  nordwestlich  von  Leeuwarden  und  eben  so  weit  nordöst- 
lich von  Franeker  liegt,  einen  „terptt,  d.  i.  einen  vor  der  bedeichung 
des  landes  von  menschenhand  aufgehäuften  erdhügel1,  also  einen 
„warf4,  wie  Ost-  und  Nordfriesen  sagen,  abgrub,  stiess  man  in  2  m. 
tiefe  auf  den  unteren  rest  einer  kalkstein-aedicula  aus  der  Römerzeit. 
Auf  dem  oberen  teile  des  fragmentes  waren  die  füsse  und  das  herab- 
hängende gewand  einer  sitzenden  weiblichen  figur  zu  erkennen,  die, 
wie  man  aus  ähnlichen  darstellungen  schliessen  konte,  wahrscheinlich 
in  einer  irische  dargestelt  war.  Darunter  las  man  in  den  schönen 
buchstaben,  wie  sie  auf  römischen  denkmälern  aus  der  zweiten  hälfte 
des  1.  Jahrhunderts  nach  Chr.  gefunden  werden,  die  worte: 

Deae  Hhuhniae  conduclores  piscatus  mancipc  Q(uinto)    Valerio 
Secundo  v(otum)  s(olrcrunt)   l(ibentes)  m(erito). 

Es  ist  dieses  denkmal  zwar  nicht  der  erste  rest  aus  der  römischen 
zeit,  der  in  Friesland  zu  tage  gekommen  ist;  denn  römische  münzen 
sind  von  je  her  in  grosser  zahl  im  friesischen  boden  gefunden  worden; 
man  hat  ferner  im  jähre  1777  in  einem  erdhügel  auf  Texel  zwei 
römische  Stempel  und  1844  zu  Stavoren  an  der  Zuiderzee  ein  dolium 
mit  einem  graffito  entdeckt.  Aber  die  Beetgumer  inschrift  ist  die  eiste 
auf  friesischem  boden  gefundene  römische  steininschrift,  und  deshalb 
hat  der  fund  bei  altertumsforschern  und  historikern  grosses  aufsehen 
erregt.  Ging  es  ihnen  doch  mit  dieser  römischen  aedicula,  wie  dem 
naturforscher,  der  unter  nördlichen  breiten  auf  den  Vertreter  einer  süd- 
lichen flora  stösst.  Daher  sind  die  drei  gelehrten,  welche  bis  jezt  den 
fund    veröffentlicht    und    besprochen    haben,    von    holländischer    seite 

1)  Über  die  natur  der  terpen  wird  neuerdings  viel  geschrieben.  Zur  Orientie- 
rung vgl.  Pigorini  im  Bulletino  di  paletnologia  Italiana  TU  (1881).  stück  7  und  8, 
Pleyte,  Nederlandsche  Oudheden  van  de  vroegste  tijden  tot  op  Karel  den  Groote 
s.  17fgg.,  Schoor  in  der  Zeitschr.  de  Vrije  Fries  XVII  s.  115  fgg. 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.     BD.    XXHI.  9 


130  .TAEKEI. 

Pleyte1  und  Boissevain2,  deutscherseits  Zangemeister3,  hauptsäch- 
lich darauf  ausgegangen,  aus  der  Beetgumer  inschrift  Schlüsse  auf  die 
beziehungen  Frieslands  zum  römischen  reiche  zu  ziehen.  Dagegen 
halten  sie  sonderbarer  weise  aus  dem  denkmal  kein  neues  resultat  hin- 
sichtlich des  wesens  und  der  Stellung  der  göttin  Hludana,  der  die  Ära 
errichtet  worden  ist.  zu  gewinnen  vermocht,  sondern  sich  bei  den 
deutungen  dieser  göttin,  welche  von  den  mythologen  bisher  gegeben 
worden  sind,  beruhigt.  Und  doch  sind  wir  erst  durch  diesen  fund, 
den  zweiten  binnen  fünf  jähren,  der  vom  götterglauben  der  heidnischen 
Priesen  urkundliches  zeugnis  ablegt,  in  die  läge  versezt,  den  streit  der 
mythologen  über  wesen,  namen  und  nationalität  dieser  gottheit  an  der 
band  eines  ausreichenden  sicheren  inschriftenmaterials  endgiltig  zu  ent- 
scheiden  und  ihre  Stellung  im  urgermanischen  göttersysteme  festzulegen. 
Wenn  ich  hier  die  Beetgumer  inschrift  nach  dieser  seite  hin  verwerte, 
-  werde  ich  die  fragen  nach  den  beziehungen  Frieslands  zum  römi- 
schen reiche  und  nach  den  damit  in  Verbindung  stehenden  verhältnis- 
sen  nicht  weiter  berühren.  Damit  möchte  ich  aber  nicht  eingeräumt 
haben,  dass  ich  die  annahmen  und  Schlüsse  jener  gelehrten  und  nament- 
lich Zangemeisters,  der  sich  auf  briefliche  mitteilungen  Mommsens 
beruft,  für  zutreffend  halte.  Indes  scheint  mir  eine  berichtigung  dieser 
ansichten  nicht  dringlich.  Dieselben  werden  sich  ganz  wron  selbst 
berichtigen,  wenn  die  Überzeugung  durchgedrungen  sein  wird,  dass 
zur  beurteilung  römisch -friesischer  beziehungen  die  genaueste  bekant- 
schaft  mit  den  römischen  Verhältnissen  nicht  ausreicht,  sondern  dazu 
auch  einige  kentnis  des  friesischen  altertums  erforderlich  ist.  Dagegen 
halte  ich  es  für  sehr  dringlich,  die  göttin  Hludana  nach  allen  seiten 
ihres  wesens  genau  zu  erklären.  Denn  hat  man  Hludanas  bedeu- 
tung  klar  erkant  und  sich  dadurch  die  möglichkeit  geschaffen,  ihr  die 
rechte  stelle  im  germanischen  göttersysteme  anzuweisen,  so  verschie- 
ben  sich  eine  reihe  von  götterverhältnissen,  und  das  ganze  System, 
das  wir  nur  in  jüngerer  gestalt  aus  den  edden  kennen,  gewint  seine 
alt«',  urgermanische  gestalt  wider. 

Die  göttin  Hludana  ist  schon  längere  zeit  bekant.  Bereits  im 
17.  Jahrhundert  fand  man  bei  dem  dorfe  Birten  unweit  Xanten  einen 
jezt  im  museum  vaterländischer  altertümer  zu  Bonn  aufbewahrten  altar 

li  Tu  den  Verslagen  der  kgl.  akad.  der  Wetensch.,  letterkunde  III,  G  s.  58. 
Tn  der  Zeitschr.  de  Vrye  Fries  XVIT    (1888)    s.  327  fgg.    (mit  ein. 'in  licht- 
druck)  sowie  in  der  Mnemosyne  1888  s.  439  fgg. 

In    der   VV.'std.   zeitschr.    für  gesch.  and  kunst  8,    korrespondenzbl.   nr.  1 
spalte  2  !_ 


ERTTIA    HLUDANA  131 

mit  der  inschrift:  Decu  Hludanae  sacrum  C(aiiis)  Tibervus  Verus1. 
Schon  der  isländische  gelehrte  Skule  Thorlacius  (r  1815)  sezte  in  sei- 
ner abhandlang  de  dea  Hlndana  (Antiquität  boreal.  spec.  3,  Hafh.  1782) 

diese  „Hlndana"  der  nordischen  Hlödyn  gleich,  die  Vojuspa  56  (Bugge) 
und  Snorra  edda  1,  474  und  585  genant  wird,  hielt  sie  also  für  eine 
germanische  göttin ;  und  J.  Grimm,  der  ihm  beistimte,  sah  (Mytho- 
logie4 s.  213)  „in  dieser  inschrift  ein  schlagendes  zeugnis  für  das  zu- 
sammentreffen nordischer  und   deutscher  götterlehre." 

Seitdem  ist  bei  Nim  wegen  ein  jezt  zu  Utrecht  aufbewahrter 
stein  gefunden  worden  mit  einer  inschrift,  die,  wie  Zangemeister  in 
don  Etudes  ded.  a  Leemans  1885  s.  239  und  in  der  Westd.  zeitschr. 
a.  a.  o.  spalte  5  angibt,  ebenfals  den  namen  der  göttin  Hludana  ent- 
hält Die  sehr  verstümmelte  inschrift  hat  von  dem  namen  nur  die 
buehstaben  YD,  vor  denen  L  oder  HL  ausgefallen  sein  muss.  Sonst 
geht  aus  der  inschrift  nur  hervor,  dass  der  göttin  ein  legionssoldat 
den  altar  gesezt  hat-.  Diese  Nimwegener  inschrift  hat,  da  sie  zu 
lückenhaft  ist,  für  die  frage  nach  dem  wesen  und  der  bedeutung  der 
Hludana  keinen  wert  und  gibt  ebenso  wie  die  Birtener  lediglich  Zeug- 
nis, dass  sich  auch  in  den  römischen  legionen  Niedergerm aniens  Hlu- 
dana-Verehrer  befunden  haben. 

Dagegen  ist  für  die  erkentnis  des  wesens  der  Hludana  eine  stein- 
inschrift  unschätzbar,  die  vor  20  jähren  zu  Iversheim  in  der  nähe 
von  Münstereifel  gefunden  wurde,  und  die  wider  die  meinung  erweckte, 
dass  Hludana  eine  keltische  göttin  gewesen  sei.  Die  nach  der  rechten 
seite  wie  auch  unten  abgebrochene  inschrift  lautet  in  der  ergänzung 
durch  J.  Freudenreich,  der  sie  in  den  Bonner  Jahrbüchern  50,  s.  184 
publicierte,  folgendermassen :  [In  Honorem]  ä(omus)  d(ivinae)  [deae] 
Ilhidanie  (sacrum)  pro  salute  imfperatoris)  [M.  Aurel]  (SJeveH 
Alexa(ndri)  [PH]  Fcl(icis)  invicti  [Aug(usti)  et  Jül.]  Mamaee  ma- 
(tris)  [Aug(usti)]  vexillatfio)  legfionis)  [I  Mßnerviae)  P(iae)  F(ide- 
Hs)]  (cu)r(am)  (ajgente  Infyenuo).  Freudenreich  meinte  nun,  „es 
möchte  die  eigentümliche  keltische  form  des  schriftzeichens  &  in  unse- 
rer inschrift,  welche  dem  griechischen  0  entspricht,  und  wofür  gewöhn- 
lich ein  gestrichenes  iB  (meist  verdoppelt)  mit  der  lautlichen  geltung 
eines   8  oder  Th   vorkomme,    dafür  sprechen,    dass   wir   die   Hludena 

1)  Brambach,  Corpus  Inscript.  Rhenan  nr.  150. 

2)  Brambach  nr.  106  mit  den  Verbesserungen  Zangemeisters  a.  a.  o.  Brambach 
nr.  188,  ein  am  Monterberg  bei  Calcar  gefundenes  fragment,  gehört,  da  nach  Zange- 
meister ("Westd.  zeitschr.  8,  korresponclenzbl.  1  spalte  5)  in  der  inschrift  nicht  „Hlu- 
denae",  sondern  „H.  Lucenae"  zu  lesen  ist,  nicht  hierher. 

9* 


132  3AXKSL 

(oder  Efluthena)  für  eine,  wenn  auch  nicht  topische,  keltische  schutz- 
_  '-ttin  anzusehen  haben,  welche  sich  immerhin  mit  einer  verwanten 
germanischen  gottheit  berühren  möge." 

Diesei  und  überhaupt  jeder  zweifei  an  dem  reinen  Germanen- 
tume  EQudanas  muss  angesichts  des  Bcetgumer  rundes  verstummen. 
Denn  bei  einer  von  den  Friesen  verehrten  gottheit  ist  jeder  gedanke 
an  keltische  herkunft  von  vorn  herein  ausgeschlossen.  Hludana  ist 
eine  echt  germanische  göttin,  und  daher  darf  ihre  deutung  nur  aus 
der  spräche  und  dem  glauben  der  Germanen  versucht  werden.  Fragt 
man  aber  weiter,  bei  welchen  deutschen  stammen  Hludana  verehrt 
worden  ist,  so  wird  man  einräumen  müssen,  dass  bis  jezt  die  Ver- 
ehrung dieser  göttin  nur  bei  den  Friesen  wirklich  nachgewiesen  ist, 
und  zwar  durch  die  Beetgumer  Inschrift.  Denn  die  Birtener,  Nim- 
wegener  und  Iversheimer  altäre  rühren  von  legionssoldaten  her.  Wel- 
cher germanischen  Völkerschaft  aber  diese  Soldaten  angehört  haben, 
st  sich  nicht  mehr  ermitteln.  Es  wäre  sehr  wohl  denkbar,  dass  es 
durchweg  Friesen  gewesen  sind.  Jedesfalls  hat  bei  einer  deutung  des 
namens  der  göttin  unter  allen  germanischen  dialekten  der  friesische 
den  ersten  ansprach  auf  berücksichtigung. 

J.  Grimm,  der  in  seiner  mythologie  (s.  213)  der  von  Thorlacius 
behaupteten  identität  der  deutschen  Hludana  mit  der  nordischen  Hlödyn 
beipflichtete,  konte  bei  seinem  versuche,  wesen  und  namen  der  göttin 
zu  deuten,  da  er  von  den  inschriften  allein  die  Birtener  kante,  diese 
aber  keinen  sachlichen  anhält  zu  einer  erklärang  gewährt,  nur  von  der 
nordischen  Hlödyn  ausgehen.  Diese  wird  einmal  (Vsp.  55)  als  Thors 
m utt er  bezeichnet,  als  welche  sonst  (Lokas.  58,  J)rk.  1;  Sn.E.  I,  54.  120. 
320)  Jord,  d.  i.  die  göttin  erde,  genant  wird;  und  da  nun  in  den 
Skäldskaparmäl  (Sn.E.  I,  474.  476)  die  erdgöttin  sowol  Fiorgyn  als 
auch  Hlödyn  heisst.  so  leitete  Grimm  den  namen  „Hlödvn"  vom  alt- 
nord.  hlöä  ..strues,  ara,  herd"  ab,  das  wider  von  hlapan,  ItJöJ)  ,,struere" 
mim.  2,  10  nr.  83)  gebildet  sei.  „Hlödyn"  bedeute  also  „schir- 
merin  der  feuerstätte."  „Der  herd  sei  uns  grund  und  boden  der 
wohnung ,  gleichsam  ein  väterlicher  lar,  wie  die  erde  mutter."  Grimm 
will  daher  Hludana  (s.  735)  geradezu  den  feuergöttern  Loki  und  Logi 
zur  seite  stellen. 

Diese  sprachlich  unanfechtbare  deutung  der  nordischen  „Hlödyn" 
ruht  in  sachlicher  beziehung  auf  sehr  schwachen  füssen.  Denn  es  ist 
zunächst,  wie  sich  von  selbst  versteht,  kein  uralter  mythischer  zug, 
dass  drei  besondere  göttinnen,  Jord,  Fiorgyn,  Hlödyn,  um  die  Stel- 
lung als  Thors  mutter  stielten.     Ursprünglich  kann  nur  eine  von  ihnen 


EBXHA   HLUDANA  133 

als  Thors  matter  bezeichnet  worden  sein;  mit  anderen  Worten:  die  drei 
Damen  Jqrct,   Morgyn,   Hlödyn  sind   im   lirgermanischen   göttersysteme 

drei  namen  einer  und  derselben  göttin.  Der  eine  war  der  hauptnanie 
dieser  göttin,  wahrend  die  beiden  anderen  als  alte  beinamen  derselben 
zu  gelten  haben.  Die  namenformen  zeigen  nun  auf  den  ersten  blick, 
dass  die  ganz  gleich  gebauten  namen  Elorgyn  und  Hlödyn  die  beiden 
beinamen  gewesen  sein  müssen,  während  Jqrd  ..die  erde"  der  die 
physikalische  natur  der  göttin  ausdrückende  hauptname  war.  Die 
beinamen  der  gottheiten  aber  bedeuten  stets  etwas  ganz  anderes  als 
ihr  hauptname.  Da  dieser  nun  „die  erde"  bedeutet,  so  kann  Hlödyn 
nicht  von  einem  worte  gebildet  sein,  dessen  grundbedeutung  „erdhau- 
fena  ist.  Die  Grimmsche  deutung  des  namens  Hlödyn  ist  daher  auf- 
zugeben. 

Man  wird  überhaupt  bei  einem  streng  methodischen  versuche, 
die  deutsche  Hludana  des  1.  Jahrhunderts  zu  erklären,  von  jenen  nor- 
dischen angaben  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  nicht  ausgehen  dürfen; 
vielmehr  müssen  wir,  da  wir  über  mehr  inschriftliche  Zeugnisse  als 
Grimm  verfügen,  bei  der  eigentlichen  deutung  die  altnordische  Hlödyn 
zunächst  ganz  bei  seite  lassen.  Dies  taten  bereits,  obwol  ihnen  nur 
dasselbe  material  wie  Grimm  zu  geböte  stand,  Lersch  (Central -museum 
II  27)  und  Simrock  (Mythol.  5.  auf  1 .  s.  382),  welche  Hludana  bzw. 
Hlödyn  als  „hochberühmte  göttin",  also  aus  klüd  „sonus"  erklärten. 
Diese  deutung  ist  sicher  falsch.  Denn  selbst  zugegeben,  dass  hlüd  hier 
einmal  „rühm"  bedeute,  so  würde  doch  eine  hlüd-ana  immer  nur  eine 
„über  dem  rühme  waltende",  also  allenfals  eine  „rühm  verleihende", 
niemals  aber  eine  „berühmte"  bedeuten  können. 

Auch  Müllenhoff  hat  (Schmidts  zeitschr.  für  deutsche  gesch.  S, 
264  fg.)  eine  erklärung  des  namens  Hlödyn -Hludana  gegeben.  Er 
meint,  schon  nach  dem  deutschen  Hludana  sei  Hlodvn  und  nicht  Hlö- 
dyn  zu  schreiben1.  Das  wort,  woraus  der  name  abgeleitet,  finde  sich 
in  Chlodoveus  oder  genauer  Hluthovius,  got.  Hludviu  und  ähnlichen 
namen;  es  sei  dem  griech.  mXvrog  ganz  gleich.  Hlödyn,  Hludana  sei 
Lit'jTijQ  7coXvtbvv(.wg  oder  Klv(.uvyj  und  bedeute  die  vielgenante,  viel- 
namige.  Diese  deutung  halte  ich  für  keine  glückliche.  Ein  „Hlu- 
dana" auf  römischen  inschriften  des  1.  und  2.  Jahrhunderts  nach  Chr. 
entscheidet  über  die  quantität  des  u  gar  nicht;  dasselbe  kann  lang  oder 
kurz  sein.  Aus  dem  deutschen  „Hludana"  ist  also  kein  zwingender 
grund    zu    entnehmen,    das   eddische  Hlödyn   in  Hlödyn  zu  ändern. 

[1)  Dies  wird  schon  durch  die  gesetze  der  altnord.  metrik  widerlegt ;  vgl.  z.  b. 
Sn.  E.  I,  474:  gein  Hlopynjar  beina.  H.  Gr.] 


134  JAEKEL 

Diese    änderung    könte    man    sich    nur    dann    allent'als    gefallen    lassen, 
wenn    sich    durch    dieselbe    eine    passende    bcdcutung    für    den    namen 

"hon  würde.  Als  solche  vermag  ich  aber  „die  vielgenante,  viel- 
namige"  nicht  anzuerkennen.  So  können  weder  die  Germanen  noch 
ein  anderes  vulk  eine  uralte  göttin  bezeichnet  haben.  Daher  ist  die 
Schreibung  Hloitvn  beizubehalten  und  um  ihrer  willen  das  u  in  Hin- 
ilana  als  lang  zu  betrachten,  Müllenhoffs  deutung  aber  abzulehnen. 

Indem  wir  den  einfall  Grimms  (Myth.4  s.  221  anm.),  auf  dem  Bir- 
tener  altare  könne  „Hludanae"  für  „Huldanae"  verschrieben  sein,  ange- 
sichts  der  neueren  funde  auf  sich  beruhen  lassen  und  die  deutung  des 
namens  „Hludana"  aus  einem  Ortsnamen  „Lüddingen",  wie  sie  Schrei- 
her (Die  feen  in  Europa  s.  63)  gibt,  nur  der  volständigkeit  wiegen 
erwähnen,  da  sie  keiner  Widerlegung  bedarf,  wenden  wTir  uns  zu  der 
erklärung  des  namens  Hlödyn,  mit  welcher  Sophus  Bugge  in  seinen 
„Studier  over  de  nordiske  gude-  og  heltesagns  oprindelse"  (deutsch 
von  0.  Brenner,  München  1889)  vor  kurzem  hervorgetreten  ist.  Da 
er  gerade  seine  erklärung  des  namens  Hlödyn  als  beweis  einiger  neuen 
behauptungen  seiner  „Studien"  benuzt  hat  und  da  seine  besprechung 
der  Hlödyn  und  der  Hludana  für  Bugges  methode  charakteristisch  ist, 
gehe  ich  näher  auf  sie  ein.  Er  sagt  s.  19  (der  Übersetzung):  „Bei  den 
nordischen  sagen  von  göttern  oder  heroen,  die  auf  antiker,  griechisch- 
römischer  grundlage  ruhen,  niuss  durchgehend  volständiger  mangel  an 
Verständnis  des  klassischen  altertumes  vorausgesezt  werden,  und  zwar 
nicht  bloss  bei  den  nordleuten,  welche  die  erzählungen  aus  diesem 
altertum  mündlich  widergeben  hörten,  sondern  meist  schon  bei  den 
englischen  oder  irischen  mönchen,  welche  sie  in  lateinischen  büchern 
lasen  oder  daraus  vorlesen  hörten.  Wir  müssen  oft  bei  diesen  gewährs- 
männern  der  nordleute  die  wunderlichste  Unwissenheit  in  bezug  auf 
den  ursprünglichen  mythischen  Zusammenhang  voraussetzen.  So  findet 
Hlödyn    als    name  von  Thors  mutter  seine  erklärung  in    der  in  einer 

.  handschrift  bewahrten  glosse:  Latona  Jovis  mater  Jmnres  mödur"; 
und  s.  24:  ^Dagegen  können  bei  den  Engländern  des  öfteren  anpassun- 
gen.  umdeutungen  und  Übersetzungen  antiker  mythischer  namen  oder 
entstellungen  griechisch-römischer  mythenzüge  nachgewiesen  werden, 
die  für  die  namensformen  und  mvthenformen,  wie  wir  sie  bei  den 
nordleuten  finden,  das  mittelglied  gebildet  haben  müssen.  So  ist  oben 
erwähnt,  dass  wir  in  einer  altenglischen  aufzeichnung  Latona  Joris 
mater  punres  mödur  das  mittelglied  besitzen,  das  Hlödyn  Thors 
mutter    mit    der   antiken   mvthenwelt  verbindet."     Also  weil  in   einer 

■r 

ae.  handschrift    die    werte  Jovis   mater   durch  punres   möduv  glossiert 


ERTHA    HLUDANA  135 

sind,  muss  „Hltfdyn"  eine  Verdrehung  aus  „Latona"  sein!  In  einer 
anmerkung  zu  den  angefahrten  worten  gibt  Bugge  —  nicht  etwa  einen 
beweis,  dass  jene  Verdrehung  wirklich  statgefunden  hat,  sondern  eine 
crklärung,  wie  er  sich  die  Verdrehung  vorstelt:  Ji  ist  hier  vor  /  ein- 
geschoben wie  in  an.  Hlymrek  =  ir.  Luimneh  Limerick;  ä  wurde 
zu  6  in  Hlöilyn  =  Latona  wie  früher  im  ags.  brdc,  an.  brök  =  kelt. 
braca  usw.  usw.  Gesezt,  aher  nicht  zugegeben,  dass  jene  Übergänge 
in  der  weise,  wie  Bugge  sie  hier  annehmen  muss,  alle  zugleich  an 
einem  und  demselben  werte  möglich  wären,  so  ist  damit  doch  noch 
nicht  nachgewiesen,  dass  sie  auch  wirklich  erfolgt  sind.  Aber  auch  jene 
möglichkeit  könte  man  erst  dann  in  betracht  ziehen,  wenn  Bugge  nach- 
gewiesen hätte,  dass  die  identität  der  nordischen  Hlödyn  und  der  deut- 
schen Hludana  seit  Thorlacius  mit  unrecht  behauptet  worden  sei.  Denn  sonst 
ist  jene  stelle  einer  altenglischen  handschrift  von  gar  keiner  bedeutung. 
Diesen  nachweis  zu  führen  hat  Bugge  in  seinem  buche  sorgfältig  ver- 
mieden; erst  in  einem  nachtrage  (s.  574  fg.)  findet  sich  das  schlecht 
verhülte  eingeständnis ,  dass  in  jener  von  ihm  benuzten  stelle  einer 
altenglischen  handschrift  die  Latona  nur  durch  ein  versehen  mit  den 
worten  „Jovis  mater"  zusammengeraten  sei,  und  daran  schliesst  sich 
ein  versuch,  aus  sprachlichen  und  sachlichen  gründen  darzutun,  dass 
Hludana  und  Hlodyn  nichts  mit  einander  zu  tun  hätten.  „Man  hat 
Hlödyir',  so  führt  Bugge  aus,  „mit  einer  niederrheinischen  göttin  zu- 
sammengestelt,  deren  name  in  lateinischer  form  im  dativ  Hludanae 
oder  Hiudenae  geschrieben  wird,  und  Munch  (Saml.  afh.  IV,  138) 
meint,  dass  Hludana  denselben  stamm  lilud  enthalte  wie  der  altdeut- 
sche name  Hludwig.  Aber  das  lange  ö  in  Hlödyn  kann  nicht  dem 
kurzen  u  in  Hlud-  entsprechen.  Ausserdem  ist  keine  tatsächliche  Über- 
einstimmung zwischen  Hlödyn  und  Hludana  nachgewiesen,  während 
das  einzige,  was  von  Hlödvn  erzählt  wird,  dass  sie  Thors  mutter  sei, 
mit  dem  über  eins  timt,  was  man  in  England  von  Latona  geschrieben 
findet.1'  Mit  diesen  worten  glaubt  Bugge  nachgewiesen  zu  haben,  dass 
Hlöclyn  und  Hludana  weder  sprachlich  noch  sachlich  zusammengehören. 
Von  allen  erklärungsversuchen  kent  er  also  nur  die  nicht  erst  erwäh- 
nenswerte meinung  Munchs.  Dass  die  namhaftesten  mythologen  das  u 
in  Hludana  als  lang  betrachtet  haben,  dass  Grimm,  dessen  mythologie 
Bugge  kent,  Hludana -Hlödyn  von  hlöd  „herd"  herleitet,  also  jenes  u 
ebenfals  als  lang  annimt,  weiss  Bugge  nicht  oder  findet  es  nicht  erwäh- 
nenswert! Es  scheint  ihm  nicht  einmal  der  gedanke  gekommen  zu 
sein,  dass  ein  in  einer  lateinischen  inschrift  erhaltenes  Hludana  langes 
oder  kurzes  u  haben  kann,  dass  man  also  beide  möglichkeiten  erwägen 


136  JABKBL 

muss.  Zu  dem  sprachlichen  nachweis  der  nichtZusammengehörigkeit 
der  Hludana  und  Hlöctyn  bildet  der  sachliche  ein  charakteristisches 
seitenstück.  Er  besteht  in  der  nackten  behauptung,  dass  keine  tat- 
sächliche Übereinstimmung  zwischen  Hlöctyn  und  Hludana  nachgewie- 
sen sei  Darauf  ist  nun  zunächst  zu  erwidern,  dass  ebenso  keine 
tatsächliche  Verschiedenheit  zwischen  Hlöctyn  und  Hludana  nachgewie- 
sen  ist.  was  von  Bugge  hätte  geschehen  müssen.  Es  ist  aber  sehr 
Leicht,  die  volständigste  „tatsächliche  Übereinstimmung-  zwisehen  Hlöctyn 
und  Hludana^  nachzuweisen,  und  es  hätte  einem  gelehrten  wie  Bugge 
nicht  zu  schwer  werden  sollen,  dies  Verhältnis  klar  zu  durchschauen. 
Es  ist  nämlich,  wie  sich  unten  zeigen  wird,  die  deutsche  Hludana 
nachweisbar  die  gattin  des  deutschen  Tius  und  die  nordische  Hlöctyn 
nachweisbar  die  gattin  des  nordischen  Tyr,  und  damit  dürfte  doch 
wol,  da  ja  auch  Bugge  (Studien  s.  2)  Tius  und  Tyr  für  einen  und  den- 
selben  gott  hält,  eine  ..tatsächliche  Übereinstimmung"  zwischen  Hlöctyn 
und  Hludana  nachgewiesen  sein.  Soweit  also  Bugges  Voraussetzungen 
und  Schlüsse  auf  der  angeblichen  Verdrehung  des  namens  Latona  zu 
Hlöctyn  beruhen,  mag  er  dieselben  getrost  aufgeben,  oder  er  möge 
consequent  weiter  folgern,  dass  auch  „Hludana"  lediglich  durch  eine 
Verdrehung  aus  „Latona"  entstanden  sei,  eine  behauptung,  die  neben 
dem  reiz  der  neuheit  noch  den  vorzug  haben  würde,  erst  keiner  wider- 
gung  zu  bedürfen.  Wenn  übrigens  Bugge  Hludana  eine  „nieder- 
rheinische"  göttin  nent,  so  ist  er  durch  diese  unbestirnte  bezeichnung 
einer  erklärung,  ob  er  Hludana  für  eine  germanische  oder  für  eine 
keltische  gottheit  hält,  glücklich  aus  dem  wege  gegangen,  zugleich  aber 
hat  er  damit  gezeigt,  dass  er  auch  bei  dem  im  jähre  1889  erfolgten 
drucke  jenes  naehtrags  zu  seinen  „Studien"  noch  nicht  von  dem  am 
15.  august  1888  im  friesischen  Beetgum  gefundenen  Hludana- denkmal 
notiz  genommen  hatte.  Denn  seit  jenem  funde  darf  man  Hludana 
nicht  mehr  ein*'  bloss  „niederrheinische"  göttin  nennen. 

Dies  sind  die  bisher  versuchten  deutungen.  Wenn  wir  es  nun- 
mehr selbst  unternehmen,  wesen  und  namen  der  deutschen  Hludana 
zu  erklären,  so  haben  wir 

1)  die  form   des  namens  schärfer,  als  bisher  geschehen  ist,   ins 
äuge  zu  fassen, 

2)  auf  die  Iyersheimer   und    die   Beetgumer   inschrift  gestüzt   das 
wesen  der  göttin  festzustellen, 

3)  den  namen  „Hludana"  aus  dem  deutschen  zu  deuten  und 

4)  dieser  göttin  den  ihr  gebührenden  platz  im  urgermanischen  göt- 

tersysteme  anzuweisen. 


ERTHA    HLUDANA  137 

1.  Der  name  der  göttin  lautet  im  lateinischen  dativ  auf  der  um 
100  nach  Chr.  errichteten  Beetgumer  und  auf  der  Birtener  Ära  Hlu- 
danae,  auf  dem  Nimwegener  altare  Hlud.,  auf  dem  [versheimer,  der 
aus  kaiser  Alexanders  (222—  235)  zeit  s tarnt,  Hlu#enae,  während  die 

Edden  die  gottin  „HlöCtyn"  nennen.  Demnach  hiess  die  göttin  bei  den 
Westgermanen  um  das  jähr  100  „Hludamr  oder  „Hluthana",  um  das 
jähr  200  „Hhutenc"  oder  „Hlüthene",  wogegen  wegen  des  altn.  „Hlö- 
(tyn"  gotisch  *Hlo{»unja  anzusetzen  ist. 

Welche  von  den  beiden  formen  ist  nun  die  ältere,  die  ostger- 
manische oder  die  westgermanische? 

Grimm  (Myth.4  s.  212)  bemerkt  richtig,  dass  Hlmtyn  dieselbe 
ableitung  wie  Fiorgyn  haben  nmss.  Als  gotische  entsprechung  der 
nordischen  Fiorgyn  sezte  er  daher  mit  recht  *Fairgunja  an.  Wie 
nun  aber  der  ostgerm.  Hlödyn-^Hlofunja  eine  westgerm.  Hin  da  na 
gegenübersteht,  so  muss  neben  der  ostgerm.  Fiqrgyn^Fairgun  ja  als 
westgerm.  entsprechung  *Fergana  angesezt  werden.  Der  nominal- 
stamm, welcher  dem  namen  Fiorgyn -*Fairgunja-*Fergana  zu 
gründe  liegt,  ist  urgerm. *ferg-ä.  Fiorgyn  ist  nun  bekantlich  die  weibliche 
entsprechung  des  gottes  Fiorgynn.  Dieser  gott,  der  sich  zu  dem  litt., 
lett.,  altpreuss.  donnergotte  Perkünas,  Pehrkons,  Perkunos  stelt  (Grimm 
Myth.4  s.  142)  und  dem  ein  got.  *Pairguns  oder  *Fairguneis,  ein 
westgerm.  *Fergan  entspricht,  ist,  wie  Zimmer  in  der  Zeitschr.  f.  deut- 
sches altertum  19,  164  fgg.  nachgewiesen  hat1,  mit  dem  altindischen 
regen-  und  gewittergott  Parjänya  identisch.  Zimmer  (s.  166)  leitet 
mit  Grassmann  (Wörterbuch  zu  Eig-Yeda  s.  790)  diesen  altindischen 
namen  von  der  wurzel  parc-  „füllen,  segnend,  befruchtend  anfüllen" 
ab  und  stelt  ein  indogerm.  parkana-  und  ein  mit  taddhita  ya  gebil- 
detes Parkänya  auf,  welches  die  regen wrolke  und  personificiert  (kin 
regen-  und  gewittergott  bezeichne.  Dies  scheint  mir,  wenn  ich  die 
germanischen  namenformen  in  betracht  ziehe,  noch  nicht  ganz  richtig. 
Ich  glaube  vielmehr,  dass  dem  namen  Parjänya- Fiorgynn  ein  indogerm. 
appellativum  parka-  „regenwolke"  zu  gründe  liegt,  von  dem  Parkana 
gebildet  wurde  und  an  das  dann  im  skr.  suffix  -anya,  im  lit.  -una, 
im  ostgerm.  -uni,  im  westgerm.  -ana  trat.  Die  westgerm.  form  mit 
suffix  -ana-  steht  der  indogerm.  form  Parkana-  am  nächsten.  Wir 
müssen  daher  auch  in  bezug  auf  die  weiblichen  namen  die  form  Hlü- 
etana  für  älter  als  die  ostgerm.  Hlödyn-Hlöpunja  halten  und  annehmen, 
dass  sich  an   die  stelle   des  urgermanischen   Hl ü]) ana   später   im   ost- 

1)  Auf  die  von  mir  anfänglich  übersehene  abhandlung  Zimmers  machte  mich 
herr  professor  Gering  freundlichst  aufmerksam. 


138  JAEKEL 

[■manischen    —    wahrscheinlich    unter   lett.  -  litt.  -  altpreussischem    ein- 
flösse —  die  form  Hlojmnja  gesezt  hat. 

Der  name  „Hin  da  na"  ist  ebenso  wie  die  weiblichen  götterbei- 
beinamen   Tanf-ana,    *Kah-ana    (Kan),    Verk-ana    (griech.  'EQydvy; 

vgl.  Zeits.hr.  f.  d.  a.  31,  358),  *Ferg-ana,  wie  die  männlichen  göt- 
terbeinamen  W6d-an,  Sax-an,  Requalivah-an1,  Makus-an2,  wie 
die  appellativa  got  thiud-ans,  ags.  theod-erij  ags.  dryht-en  u.  a.,  aus 

einem  nomen  durch  das  suffix  -ana-  gebildet,  das  alte  nomina  agentis 
bildet,  welche  vorgesezte  bezeichnen,  wobei  das  zu  gründe  liegende 
Domen  den  bezirk,  das  gebiet  der  tätigkeit  angibt  (Kluge,  Stambil- 
dungslehre  §  20).  ..Hlüd-ana"  zerlegt  sich  demnach  zunächst  (in 
hlüd-,  das  in  dem  friesisch  des  13.  bis  15.  Jahrhunderts,  wie  es  in 
den  friesischen  rechtsquellen  erhalten  ist,  hl  tat  oder  hhht  lauten  muss, 
ans  dem  eben  genanten  suffix  -ana-  und  dem  persönlichen  feminin- 
suffix  -on  (Kluge  a.  a.  o.  §§  34  —  36). 

Es  ist  diese  bildungsart  auf  -ana-.  wie  bisher  noch  nicht  bemerkt 
worden  ist,  für  eine  reihe  von  götterbeinamen,  zu  denen  auch  Wo- 
dan gehört,  charakteristisch.  Der  hauptname  einer  gottheit  ist  niemals 
mit  diesem  suffix  -ana-,  -Ina-,  -una-  gebildet.  So  zeigte  sich  denn 
-•hon  oben  aus  anderen  gründen,  dass  Hlödyn- Hlüdana  der  beiname, 
nicht  der  hauptname  einer  göttin  ist,  und  zAvar,  dass  es  Jqrd,  also  die 
i  manische  erdgöttin  *Airtha  (terra  mater),  die  höchste  göttin  der 
Germanen,  ist.  welcher  dieser  beiname  gebührt.  Durch  „Hlüdana" 
muss  also  ursprünglich  eine  abgeschlossene,  bestirnte  seite  im  wesen 
der  germanischen  erdgöttin,  eine  besondere,  positive  seite  ihrer  tätig- 
keit bezeichnet  worden  sein.  AVie  aber  unser  inschriftenbestand  zeigt, 
war  schon  im  1.  Jahrhundert  nach  Chr.  aus  dem  beinamen  Hlüdana 
eine  besondere  dea  Hludana  geworden,  die  wir  demnach  als  eine 
hypostase  der  alten,  vielseitigen  erdgöttin  zu  betrachten  haben. 

2.  Die  wahre  bedeutung  des  wortes  hlüä  oder  Idöä  müssen  wir 
mit  bilfe  der  Beetgumer  und  der  Iversheimer  inschrift  zu  rinden  suchen. 

AVas  das  Beetgumer  denkmal  anlangt,  so  bleibt  die  einfachste 
und  natürlichste  annähme  immer  die,  dass  die  conduetores  piscatus 
durch  die  errichtung  des  altares  der  göttin  Hlüdana  ein  gelübde  für 
gesegneten  fischfang  gelöst  haben;  alle  anderen  annahmen  würden 
keinen  festen  boden  unter  den  füssen  haben.  Dass  indes  Hlüdana 
nicht  etwa  eine  besondere  göttin   der  fischer  oder  des  fischfanges  war, 

1)  Vgl.  Jahrbücher  des  Vereins  von  altertumsfreunden  im  Rhcinlande  81,  s.  71. 

2)  ÜbeT  diesen  ältesten  beinamen  des  germanischen  feuer-  und  sonnengottr-s 
werde  ich  binnen  kurzem  ausführlicher  handeln. 


ERTHA    HLÜDANA  139 

mit  der  fischerei  unmittelbar  überhaupt  gar  nichts  zu  tun  hatte,  beweist 
schon  ihr  Dame,  der  keinerlei  hinweis  auf  die  tischerei  enthält,  soejann 
aber  die  Iversheimer  votivara,  welche  das  in  dieser  gegend  garnisonie- 
rende  detacliement  der  I.  Minervischen  Legion  für  errettung  des  kai- 
sers  und  seiner  mutter  der  Hlüdana  gesezt  hat. 

Man  könte  nun  umgekehrt  bei  einer  deutung  der  Hlüdana  von 
dem  Iversheimer  denkmal  ausgehen  und  auch  bei  dem  Bectgumor  altar 
an  eine  „errettung"  der  conduetorcs  piscatuß  aus  gefahr  —  vielleicht 
ans  gefahren  zur  see  —  denken,  nach  deren  glücklicher  Überstehimg 
sie  der  Hlüdana  ein  gelübde  gelöst  hätten.  Allein  dann  Hesse  sich 
der  name  Hlüdana  ebenso  wenig  deuten,  denn  er  enthält  keinerlei  hin- 
weis auf  „hilfett,  „rettung."  Mit  der  bedeutung  „helferin,  schützerin" 
wäre  aber  auch  nicht  eine  abgeschlossene  seite  im  wesen  der  erdgöttin 
bezeichnet,  was  doch  nach  dem  oben  gesagten  durch  Hlüdana  aus- 
gedrückt sein  muss. 

Da  also  das  wort  hlüd-hlöä  weder  auf  „fischfang"  noch  auf  „ret- 
tnngki  unmittelbar  weist,  dennoch  aber  der  göttin  Hlüdana  dort  für 
gesegneten  „fischfang  a,  hier  für  „errettung"  gedankt  wird,  so  muss 
das  wort  klüä  etwas  bedeuten,  das  sowohl  die  errettung  Alexanders 
und  seiner  mutter  als  auch  einen  gesegneten  fischfang  mittelbar 
bewirkt  hat. 

Als  Alexander  und  Mammaea  am  Rheine  unter  den  unzufrie- 
denen legionen  weilten,  sahen  sie  sich  durch  die  bald  hier  bald  dort 
hervorbrechende  flamme  der  Zwietracht  und  empörung  wiederholt  aufe 
ernstlichste  bedroht.  Längere  zeit  gelang  es  ihnen,  die  eintracht  immer 
wider  herzustellen  und  dadurch  sich  selbst  zu  sichern;  aber  schliesslich 
fielen  sie  den  empörten  legionen  zum  opfer.  Nach  einer  solchen  erret- 
tung durch  herstell ung  der  eintracht  muss  die  Iversheimer  votivara  von 
dem  daselbst  stehenden  römischen  detachement  gesezt  worden  sein. 
Hätte  diese  abteilung  aus  römischen  bürgern  bestanden,  so  würde  sie 
bei  dieser  gelegenheit  nach  römischem  brauche  der  Concor dia  einen 
altar  errichtet  haben.  Wenn  nun  das  detachement,  das  offenbar  zu 
einem  überwiegenden  teile  oder  ganz  aus  Germanen  bestand,  nach 
errettung  des  kaisers  durch  herstellung  der  eintracht  der  Hlüdana  ein 
gelübde  löste,  so  wird  die  Vermutung  nime  gelegt,  dass  Hlüdana  die 
germanische  göttin  der  eintracht  gewesen  sei. 

Was  gab  denn  nun  bei  der  fischerei,  wenn  sie  von  geselschaften 
betrieben  wurde,  nach  dem  glauben  der  Germanen  einen  guten  fang? 
Xichts  anderes  als  die  eintracht.  Die  Laxdcelasaga  cap.  14  [34 u  Kai] 
sagt  es  ausdrücklich,  dass  Zwietracht  die  fange  verderbe,  wie  es  ja 


140  JAEKEL 

überhaupt  schifferglaube  der  Germanen  war,  dass  Uneinigkeit  unter  den 
genossen   eines  fahrzeugs   verderblich  sei1.     Wenn  also   die  Beetgumer 

mduetores  piscatus  der  Hlüdana  für  gesegneten  fang  dankten,  so  dank- 
ten  sie  ihr  dabei  mittelbar  für  gewährung  der  eintracht,  sowie  ent- 
sprechend das  [versheimer  detachement,  indem  es  für  die  errettung  des 
kaisers  und  seiner  mutter  dankte,  mittelbar  für  die  gewährung  der 
eintracht  dankte.  Hier  wie  dort  wird  also  für  dasjenige  gedankt, 
was  überhaupt  eine  geselsehaft  zusammenhalten  kann,  für  die  ein- 
tracht. Hiernach  muss  also  Hhulana  als  die  gewährerin  der  ein- 
tracht und  damit  als  die  göttin  der  verbände  und  geselschaften ,  als 
die  schirmerin  der  genossenschaft.  des  bundes  gedacht  wor- 
den sein. 

3.  Es  fragt  sich  nun,  ob  diese  sachliche  deutung  Hhulanas  mit 
der  sprachlichen  in  einklang  gebracht  werden  kann.  Wir  sahen 
oben,  dass  das  wort  klüä  oder  hlöth,  welches  dem  namen  Hhulana 
zu  gründe  liegt,  im  Friesischen  des  13.  und  14.  Jahrhunderts  klüä 
(hlüth)  oder  hlöd  (hlöth)  lauten  müste.  Von  hlucl  „sonus"  kann,  Hlü- 
dana nicht  kommen:  es  wäre  dies  in  sprachlicher  und  sachlicher  hin- 
sieht ganz  unmöglich.  Wir  haben  vielmehr  an  hlod  (hlöth)  zu  den- 
ken,   ein    wort,    welches    im    Altfriesischen    und    im    Angelsäch- 

-ehen  begegnet,  also  offenbar  sehr  alt  ist;  es  bedeutet  „geselsehaft, 
seh  aar.  bände."  So  bezeichnet  in  den  gesetzen  des  angelsächsischen 
königs  Ine  (688  —  725)  §  13  hlod  eine  zum  gemeinsamen  stehlen  ver- 
einte geselsehaft  oder  bände  von  7  bis  35  dieben2;  und  im  friesischen 
Brokmerbrief  §  68  wird  hlöth  als  bezeichnung  einer  zum  einbrechen 
vereinigten  schaar  oder  bände  verwendet3.  Auch  jene  Beetgumer 
societas  conduetorum  piscatus  muss  von  den  Friesen  als  hlüd 
bezeichnet  worden  sein.  Der  name  Hlüdana  bedeutet  demnach  die  über 
einer  geselsehaft  waltende,  d.  i.  die  bundesgöttin,  die  göttin 
der  eintracht.  Hlüdana  ist  demnach  die  germanische  entsprechung 
der  römischen  Fortuna-Concordia,  die  ebenfals  eine  hypostase  der 
erdgöttin  war.  So  erklärt  es  sich  vielleicht  auch,  dass  die  göttin 
Hlüdana  auf  der  Beetgumer  ara  sitzend  dargestelt  ist;  denn  der 
römische  Steinmetz  dürfte  sie  als  Concordia  dargestelt  haben,  diese 
aber  wird  regelmässig  sitzend  abgebildet.  Es  ist  sehr  zu  bedauern, 
dass  -ich  der  fehlende  obere  teil  der  Aedicula  trotz  eifrigem  suchen 
nicht  gefunden  hat.  Er  würde  uns  vielleicht  gezeigt  haben,  dass  hier 
Hlüdana  auch  die  attribute  der  römischen  Concordia  führte. 

I)  Vgl.  dazu  Weinhold,  Altnord,  leben  s.  71  fg.  2)  Schmid,  Gesetze  der 

Angelsachsen  s.  17.  '6)  v.  Richthol'en,  Fries,  rechtequ.  161,  25. 


ERTITA   HLUDANA  141 

In  Friesland,  wo  das  ringen  mit  dem  meere  eine  unzahl  stän- 
diger communalverbände  ins  loben  gerufen  hatte,  wo  fischfang  und 
überseeischer  liandel  den  raschen  zusammenschluss  zu  geselschaften  und 
banden  beförderte,  muss  die  bundes-  und  eintrachtsgöttin  HIMana 
grosse  Verehrung  genossen  haben,  und  so  ist  es  nicht  zufallig,  dass 
gerade  ihr  bild  dem  friesischen  boden  entstieg. 

Wie  bezeichnend  ist  es  aber  für  den  rechtlich -friedfertigen  sinn 
der  Friesen,  dass  sie,  die  in  dem  wesen  ihrer  männlichen  hauptgott- 
heit,  des  Tius,  gerade  den  rechtsschutz  durch  einen  besonderen  bei- 
namen,  „Things",  hervorhoben,  ihre  weibliche  hauptgottheit,  wofür 
auch  bei  ihnen  die  erdgöttin  galt,  gerade  unter  demjenigen  beinamen 
verehrten,  der  an  ihr  die  gewähr  von  frieden  und  eintracht,  also 
ebenfals  eine  ethische  seite,  betonte!  Dass  es  gerade  die  mutter  erde 
(Terra  mater)  war,  von  der  den  sterblichen  nach  dem  glauben  der  Ger- 
manen „  pax  et  quies"  gebracht  wurden,  ist  aus  Tacitus'  (Germ.  40) 
angaben  über  Xerthus  zur  genüge  bekant.  „Nerthus"  ist,  wie  HIMana, 
ursprünglich  nur  ein  beiname  der  germanischen  erdgöttin  Ertha. 

Wie  sich  Hlüdana  von  Fiorgyn  und  wie  sich  diese  beiden  ^'6t- 
tinnen  wider  von  Ertha  unterschieden,  kann  erst  in  einem  anderen 
zusammenhange  gezeigt  werden. 

4.  Ertha  Hlüdana  war  die  weibliche  hauptgottheit  der  Friesen, 
wie  „Tius  Things"  l  die  männliche.  Daraus,  dass  den  Friesen  nicht  der 
düstere  sturmgott  Wodan,  sondern  der  lichtgott  Tius  Things  als  haupt- 
gott  galt,  ersieht  man,  dass  sie  in  ihren  religiösen  Vorstellungen  auf 
istvaeischem  Standpunkte  stehen.  Natürlich  müssen  Tius  und  Airtha 
„himmel  und  erde"  ursprünglich  von  allen  Germanen  als  höchste  gott- 
heiten  verehrt  worden  sein. 

Wenn  man  nach  dem  Verhältnis  fragt,  in  welchem  Tius  und  Airtha 
nach  germanischer  Vorstellung  zu  einander  gestanden  haben,  so  kann 
die  antwort  nur  lauten,  dass  sie  als  gern  ah  1  und  gemahlin  gedacht 
wurden.  Denn  es  ist  zunächst  ein  echt  germanischer  zug,  stets  eine 
männliche  und  eine  wreibliche  gottheit  zum  ehepaar  zusammen  zu  stel- 
len, sodass  man,  wenn  die  männliche  und  die  weibliche  hauptgottheit 
eines  Stammes  gefunden  sind,  dieselben  ohne  weiteres  als  ein  ehepaar 
auffassen  kann.  So  müssen  natürlich  auch  die  männliche  und  die 
weibliche  hauptgottheit  der  Friesen  ein  paar  gebildet  haben. 

Es  lässt  sich  aber  auch  wol  aus  den  Edden  ersehen,  dass  Airtha 
Hlüdana  die  gemahlin  des  Tius  gewesen  ist.     Die  nordischen  mytho- 

1)  Vgl.  Ztschr.  XXT,  1  fgg.;  XXII.  257  fgg. 


]42  .TAKKEL 

logen  sahen  sieh,    weil    sie    den    germanischen    stürm-   und  todesgott 
Wodan -Odin  zum  höchsten  gotte  und  vater  aller  götter  und  menschen 

macht,   also  an  die  stelle,  die  einst  Tius  iune  gehabt,  gesezt  hatten, 

Qötigt,  die  allgermanische  theogonie  umzubilden.  Zum  glück  ist  aus 
ihrer  band  kein  gebilde,  das  frei  von  Widersprüchen  wäre,  hervor- 
gegangen;  vielmehr  blickt  hier  und  da  die  ältere  gestalt  dieser  theo- 
gonie  noch  durch.  Bei  Tius-Tyr,  von  dem  die  Edden  nur  wenig 
erzählen,  kann  man  die  umbildende  Tätigkeit  der  nordischen  mytho- 
Losen  besonders  deutlich  erkennen.  Während  noch  die  ältere  Edda 
diesen  gott  von  riesen  abstammen  lässt  (Hym.  5.  8),  macht  ihn  die 
jüngere  (I,  266)  zu  einem  söhne  Odins,  also  des  gottes,  der  ihn 
aus  seiner  Stellung  als  vater  der  götter  und  menschen  verdrängt  hat. 
Von  einer  gern  ah  1  in  Tyrs  spricht  die  jüngere  Edda  überhaupt  nicht 
mehr,  die  ältere  weiss  wenigstens  noch,  dass  einst  Loki  mit  Tyrs 
gemahlin  buhlte,  wenn  sie  auch  auffallender  weise  den  namen  dersel- 
ben  verschweigt.  Die  gemahlin  Tyrs  war  offenbar  zu  angesehen  und 
in  ihrer  Stellung  zn  befestigt,    um  sich  mit   ihrem  gemahl  ohne  weite- 

-  in  den  hintergrund  drängen  zu  lassen.  Den  umbildnern  der  alten 
theogonie  blieb  daher  nichts  übrig,  als  diese  höchste  göttin  von  Tyr  zu 

hei  den  und  an  ihrer  alten  stelle  zu  belassen.  Sie  muste  nun  auch 
dem  neuen  obergotte  zur  gattin  gegeben  werden,  aber,  da  dieser  schon 

rmählt  war,  mit  der  stelle  einer  zweiten  gemahlin  vorlieb  nehmen. 
So  erscheint  denn  Odin  in  den  Edden  unerhörter  weise  dauernd 
mit  zwei  gemahlinnen,    von  denen  die  erste,  Frigg,   seine  alte,    echte 

mahlin1,  die  zweite  aber,  Jord  Hlödyn  Fiorgyn,  ursprünglich  die 
gattin  seines  Vorgängers,  des  Tius,  ist. 

Dass  Jord  in  der  tat  eine  ältere  obergöttin  als  Frigg  ist,  geht  ferner 
aus  der  angäbe  der  Edden  hervor,  dass  Frigg  eine  Tochter  des  Fiorgynn 
sei  Zu  Fiorgynn  hatten  die  Germanen,  wie  wir  oben  sahen,  früh  eine 
weibliche  entsprechung,  die  „Fiorgyn",  geschaffen.  Dieser  name  „Fior- 
gyn -  erwies  sich  als  ein  beiname  der  Jorit.  Schon  deswegen  kann 
Fiorgynn  ursprünglich  nur  ein  beiname  des  gemahls  der  Fiorgyn,  also 
des  Tius.  gewesen  sein.  Dieses  Verhältnis  lässt  sich  aber  auch  mit 
hilfo  der  altindischen  mythologie  nachweisen.  Fiorgynn  ist,  wie  Zim- 
mer gezeigt  hat.  mit  dem  altindischen  regengotte  Parjänya,  „dessen 
same  der  erde  schoss  erquickt",    identisch.     Parjänya  als  befruchtender 

\)  Freilich   soll  Frigg  nicht   von   anfang  an   Wodans  gemahlin   gewesen  sein, 
worin  ich  Müllonhoff  (Zeitschr.  f.  d.  a.  30,   217.  219)   beistimme.     Wissen  gemahlin 
sie  aber  ursprünglich  gewesen,  hat  er  nicht  angegeben.     Ich  werde  demnächst  Friggs 
mahl  in  anderem  zusammenhange  besprechen. 


ERTHA    HLUDAN'A  143 

regenspender  hat  daher  Prithivl,  *1  io  mutter  erde,  zur  gattin.  „Viel 
häufiger  aber",  sagt  Zimmer  (s.  169),  ist  im  Rig-Yeda  die  jedesläls 
bedeutend  ältere  anschauung  verbreitet,  dass  Dväus.  der  leuchtende 
himmelsgott,  und  Prithivi  die  janitrf,  erzeuger,  eitern  der  menschen, 
(In-  weit  seien,  ja  sogar  der  götter,  denn  sie  heissen  devaputre*,  göt- 
ber  zu  kindern  habend.  Parjänya  wird  daher  auch  geradezu  söhn  des 
Dyäus  genant."  Zimmer  meint  nun.  dass  „je  nach  der  verschiedenen 
aufTassung  und  dem  jedesmal  eigentümlichen  mythenkreise  Parjänya 
als  söhn  des  Dyäus  und  neben  ihm  als  gatte  der  Prithivl  erscheint. 
die  aber  auch  zugleich  als  seine  mutter  gefasst  werden  kann,  da  sie 
ja  und  Dyäus  devaputre  sind."  Diese  erklärung  scheint  mir  noch 
nicht  ganz  den  nage!  auf  den  köpf  zu  treffen.  Wir  haben  es  bei  jenen 
altindischen  angaben  nicht  eigentlich  mit  verschiedenen  mythenkreisen, 
sondern  mit  einem  einzigen  zu  tun,  aber  'in  zwei  verschiedenen  phasen 
seiner  entwickelung.  Der  Inder  fasste  Prithivi,  die  mutter  erde, 
ursprünglich  als  gemahlin  des  himmelsgottes  Dyäus.  In  dem  glühend- 
heissen  lande  muste  früh  die  Vorstellung  entstehen,  dass  sich  im  regen 
der  befruchtende  same  des  lümmelsgottes  in  den  schoss  der  mutter 
erde  senke.  Deswegen  erhielt  Dyäus  gerade  als  gemahl  der  Prithivi 
den  beinamen  Parjänya.  Dyäus  Parjänya  „der  regenspendende  him- 
melsgott "  war  der  gatte  der  Prithivi.  Aus  diesem  beinamen  entstand 
nun  durch  hypostase  ein  besonderer  gott  Parjänya  „der  regenspender", 
der  als  hypostase  des  Dyäus  zum  söhne  desselben  werden  muste.  Dass 
er  aber  dabei  zugleich  gatte  der  Prithivi,  der  gemahlin  des  Dyäus 
genant  wird,  ist  nur  dadurch  zu  erklären,  das  der  name  Parjänya 
ursprünglich  dem  Dyäus  als  beiname  zukam.  Etwas  ganz  analoges 
bietet  die  römische  mythologie.  Hier  hat  der  himmelsgott  Juppiter 
Juno  zur  gemahlin  und  den  Genius  zum  söhne,  der  jedoch  zugleich 
als  gemahl  der  Juno  bezeichnet  wrird.  Auch  dies  ist  einzig  daraus 
zu  erklären,  dass  Genius  „der  zeugende"  ursprünglich  ein  beiname 
Juppiters,  Juppiter  als  Genius,  d.  i.  zeugend,  Junos  gemahl  ist,  Als 
dann  durch  Hypostase  •  Genius  zu  einem  besonderen  gotte  erhoben 
wurde,  ward  er  Juppiters  söhn,  blieb  aber  zugleich  gemahl  der  Juno. 
Diese  Stellung  des  italischen  Genius  ist  somit  genau  dieselbe,  wie  die 
des  altindischen  Parjänya.  Als  sich  die  Germanen  in  Ländern  nieder- 
gelassen hatten,  welche  an  regen  und  feuchtigkeit  überreich  waren, 
vermochte  sich  der  „regenspender"  in  seiner  Stellung  als  befruchter  der 
erde  nicht  zu  behaupten.  Der  Germane  konte  die  eigentlich  zeugende 
kraft  des  himmels  nicht  in  das  im  regen  niederträufelnde  nass,  son- 
'  dem    nur  in   den  wärmenden    strahl  der  sonne  verlegen;    daher  muste 


144  JAKKKL,    BBTHA    HLUDANA 

ein  anderer  nachkomme  des  himmelsgottes,  der  ebenfals  durch  hypostase 

entstandene  fener-  und  Sonnengott  im  glauben  der  Germanen  zum 
zeugenden  lebensprincip  werden,  während  der  regenspender  Fiorgynn 
mehr  und  mehr  in  den  Hintergrund  trat.  "Wenn  also  Parjanya- Fiorgynn 
ursprünglich  nur  ein  beiname  des  Dyaus-Tyr  war,  so  ist  Frigg,  die 
tochter  des  Fiorgynn,  eine  tochter  des  Tyr  und  der  Jord,  des  himmeis 
und  der  erdi  Inwiefern  ihr  name  dazu  genau  passt,  werde  ich  an 
anderer  stelle  zu  zeigen  haben.  Wäre  Frigg  die  älteste  obergöttin,  so 
müste  sie  nicht  von  Äsen,  sondern  von  riesen  abstammen,  wie  dies  mit 
Jord,  der  tochter  der  Nött  und  Schwester  der  Dagr  (Sn.  11,  123)  der 
fall  ist.  Gibt  man  Jord  Fiorgyn  HlddVn  ihrem  rechtmässigen  gemahle 
zurück,  so  stellen  sich  sofort  auch  einige  andere  der  in  den  Edden 
angegebenen  götterverhältnisse  in  ihrer  ursprünglichen  gestalt  wider  her. 

Da  Jord  in  der  Edda  die  zweite  gemahlin  Odins  ist,  erscheint 
ihr  sonn,  der  gewittergott  Thor,  als  ein  söhn  des  sturmgottes  Odin, 
während  in  der  altgermanischen  theogonie  Thunar  noch  als  söhn  des 
Tius  und  der  Airtha,  des  himmels  und  der  erde,  galt. 

Der  sturmgott  Odin  selbst  war  ebenfals  ursprünglich  ein  söhn 
des  Tyr.  Nach  den  Edden  bestand  zwischen  diesen  beiden  göttern 
«las  Verhältnis  von  vater  und  söhn.  Die  Edden  machen  nun  Odin, 
den  gemahl  der  Frigg,  der  tochter  des  Tyr  Fiorgynn,  zu  Tyrs  vater. 
Odin  müste  also  seine  eigene  enkelin  geheiratet  haben.  Diese  unmög- 
liche kombination  entsprang  der  notwendig!' eit,  Odin  zum  alvater  zu 
machen.  Im  urgermanischen  göttersystem  standen  Tius  und  Wodan 
gerade  umgekehrt  zu  einander:  Tius  war  der  vater  und  Wodan  der 
söhn.  Dieses  Verhältnis  kann  vernünftiger  weise  allein  zwischen  dem 
himmels-  und  dem  sturmgotte  gedacht  werden.  So  fassen  denn  auch 
die  anderen  indogermanischen  religionssysteme  den  sturmgott  als  nach- 
kommen des  himmelsgottes.  Natürlich  hatte  sich  der  germanische  sturm- 
gott dereinst  ebenso  wie  Parjänya-Fiorgynn  vom  himmelsgotte  durch 
hypostase  gelöst.  Denn  „Wodan- Odin M  ist,  wie  schon  die  form  dieses 
namens  zeigt,  ursprünglich  ein  blosser  beiname. 

Auch  Thors  gemahlin  Sif  ist,  wie  die  angäbe  der  jüngeren  Edda 
iL  585),  dass  sif  ein  synonymum  von  jojd  sei,  verrät,  lediglich  eine 
hypostase  der  Jord;  sie  muss  also  in  der  älteren  germanischen  theogo- 
nie als  tochter  der  Jord  gegolten  haben. 

Es  ist  ui.  mit  gelungen,  dem  urgermanischen  obergotte  Tius 
nicht  nur  die  rechtmässige  gemahlin,  Airtha  Hlojninja  Fairgunja,  son- 
dern auch  vier  kinder,  und  zwar  den  urgermanischen  sturmgott,  den 
gewittergott  und  die  gemahlinnen  dieser  beiden  götter,  die  in  den  Edden 


E.    KETTNEB,    EINFLU88    DES    NIB.- LIEDES    All'    DIE    GUDRUN*  145 

Prigg  und  Sif  genant  werden,  zurückzugeben.  Diese  vier  kinder,  welche 
durchweg  erdgeboivn  (terra  editi)  sind,  zeigen  die  züge  der  eitern.  Dens 
sie  sind  sämtlich  ursprünglich  teils  tellurische  gottheiten,  teils  solche 
der  himmelserscheinungen. 

BRESLAU,    DES    8.   OKTOBER    L889.  BUGO    JAEKEL. 


DER  EINFLUSS  DES  NIBELUNGENLIEDES  AUF  DIE 

GUDEUN. 

Wie  die  Eneide  Heinrichs  von  Veldeke  den  ihm  nachfolgenden 
höfischen  epikern  als  muster  galt  und  auf  ihre  dichtungen  einen  wesent- 
lichen einfluss  ausübte1,  so  hat  auf  die  deutsche  volksepik  des  XIII. 
Jahrhunderts,  besonders  auf  ihre  vornehmere  gattung,  das  Nibelungen- 
lied als  muster  eingewirkt.  Dieser  einfluss  zeigt  sieh  zunächst  in  der 
beobachtung  gewisser  regeln  für  den  epischen  stil,  in  der  auffassung, 
Umgestaltung  und  ausschmückung  des  überlieferten  Stoffes;  er  erstreckt 
sich  aher  auch  auf  einzelheiten  des  Inhalts  und  der  spräche,  indem 
eigentümliche  ausdrücke,  versteile  und  verse  des  musterepos  widerholt 
und  ganze  motive  aus  demselben  entlehnt  werden.  Die  beherschende 
Stellung  nun,  welche  das  Nibelungenlied  innerhalb  der  volksmässigen 
epik  einnimt,  erkennen  wir  namentlich,  wenn  wir  dichtungen  wie  die 
Klage,  den  Biterolf,  die  Gudrun  mit  ihm  vergleichen  und  die  in  ihnen 
sich  findenden  zahlreichen  spuren  der  abhängigkeit  von  jenem  ihren 
muster  verfolgen.  Dass  die  Klage  sich  vielfach  mit  dem  Nibelungen- 
lied berührt,  ist  bei  der  engen  sachlichen  Zusammengehörigkeit  beider 
epen  natürlich.  In  welchem  umfange  dies  geschieht,  lässt  sich  am 
besten  ersehen  aus  der  sorgfältigen  abhandlung  von  Sommer  Ztsrlir.  f. 
d.  a.  III,  s.  193  —  218,  zu  der  ergänzend  hinzutritt  Bartsch,  Unters. 
üb.  d.  Nib.  s.  337  fgg.;  vgl.  auch  meinen  aufsatz  zur  kritik  des  Nib.  V. 
in  dieser  Zeitschrift  XVII,  390  fg.  Über  die  sachlichen  und  sprach- 
lichen Übereinstimmungen  des  Biterolf  mit  dem  Nibelungenliede  habe 
ich  gehandelt  in  dieser  Zeitschrift  XVI,  346  fgg.  Bei  der  Gudrun  ist 
das  vorkommen  von  99  Strophen  in  Nibelungenform  schon  längst  auf 
einfluss  des  Nibelungenliedes  zurückgeführt  worden.  "Weit  grössere 
beachtung  aber  als  diese  erschein ung  verdient  das  Vorhandensein  von 
zahlreichen  sachlichen  und  wörtlichen   ähnlichkeiten    und    übereinstim- 


1)  Vgl.  die  ausgäbe  der  Eneide  von  Behaghel  s.  CLXXXVI  fg 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHn.OLOGIE.      BD.  XXTII 


10 


146  E.    KETTNEE 

mungen,  welche  sich  in  diesen  beiden  epen  zeigen.  Die  früheren  nach- 
weise von  parallelstellen  der  Gudrun  zum  Nibelungenliede  verdanken 
wir  zu  ihrem  weitaus  grössten  teile  dem  fleisse  v.  d.  Hagens,  der  sie 
unter  den  lesarten  zur  Gudrun  im  zweiten  teile  des  zweiten  bandes  der 
Deutschen  gediente  des  mittelalters  1825  (herausgegeben  von  v.  d.  Ha- 
u  und  Primisser)  mitgeteilt  hat:  übersichtlich  zusammengestelt  sind 
sie  im  anhange  zu  Ziemanns  ausgäbe  1835.  Diese  parallelen  sind  in 
er  oder  kleinerer  auswahl  in  die  späteren  ausgaben  übergegangen 
und  haben  bis  jezt  nur  unbedeutende  Vermehrung  erfahren.  Allerdings 
dachte  v.  d.  Hagen  bei  seiner  samlung  nicht  daran,  die  abhängigkeit 
der  Gudrun  vom  Nibelungenliede  nachzuweisen,  sondern  er  wolte  vor- 
zugsweise der  feststellung  und  berichtigung  des  textes  sowie  der  erläu- 
terang  dienen:  er  hat  daher  auch  viele  rein  grammatischen  und  stili- 
stischen  oder  nur  sehr  algemeinen  sachlichen  analogieen  herangezogen. 
Dieser  umstand  imd  die  für  uns  höchst  unbequeme  art  des  citierens 
bei  ihm  und  auch  bei  Ziemann1  ist  wol  der  grund  gewesen,  weshalb 
seine  samlung  bisher  wenig  berücksichtigt  ist.  In  den  einleitungen  der 
meisten  ausgaben  wird  zwar  eine  mehr  oder  weniger  genaue  kentnis 
des  Nibelungenliedes  bei  dem  Verfasser  oder  bearbeiter  der  Gudrun 
vurausgesezt,  derselben  aber  nur  geringe  bedeutung  beigelegt.  So  ist 
es  denn  erklärlich,  dass  immer  noch  die  ansieht  vorherseht,  als  ob  das 
der  Gudrun  mit  dem  Nibelungenliede  gemeinsame  im  wesentlichen  aus 
algemein  epischen  anschaiumgen  und  stilmitteln  bestehe. 

Um  nun  die  richtige  anschauung  von  dem  Verhältnis  zu  gewinnen, 
in  welchem  die  beiden  bedeutendsten  erzeugnisse  unserer  echt  nationalen 
epik  zu  einander  stehen,  genügt  es  nicht  das  bisher  gesammelte  niate- 
rial  zu  bearbeiten,  sondern  es  bedarf  einer  lediglich  zu  einem  solchen 
zweck  angestelten  neuen  vergleichung  der  beiden  epen,  welche 
wol  durch  Vermehrung  der  Übereinstimmungen  als  auch  durch  Sich- 
tung und  prüfung  derselben  lieht  über  diesen  gegenständ  zu  verbreiten 
mag.  Ich  habe  mich  daher  bemüht,  eine  möglichst  volständige  sam- 
lung aller  im  gedanken  oder  ausdruck  stärker  sich  berührenden  stellen 

1)  v.  d.  Hagen  hat  sich  in  der  rcgel  mit  den  blossen  Zahlenangaben  begnügt, 
und  zwar  nach  der  vers  Zählung  seiner  Nibelungen-  und  Gudrunausgabe.  Ziemann  hat 
leider  die  v.  d.  Hagensche  Zählung  für  das  Nibelungenlied  beibehalten;  die  Gudrun- 
'  Qen  hat  er  zwar  nach  Strophen  angegeben,  hierbei  aber  offenbar  nicht  immer  die 
Gudrun  nachgeschlagen,  so  dass  in  den  zittern  manches  die  benntzung  störende  ver- 
n  eingeschlichen  hat.  Der  Nibelungenausgabe  v.  -1.  Sagens  hegt  bekantlich 
im  wesentlichen  der  text  li  zu  gründe,  doch  hat  er  auch  eine  anzahl  von  meh atro- 
phen aus  C  aufgenommen. 


EINFLUSS    DES    NIB.-  LIEDES   AUF    DIE    GUDRUN  147 

beider  dichtungen  zu  stände  zu  bringen,  also  eine  samlung  aller  Über- 
einstimmungen, die  sich  nicht  aus  einem  algemein  episches  stil  erklären 
lassen,  sondern  bei  denen  an  unbewußte  entlehnung  oder  bewuste 

nach a Innung-  zu  denken  ist.  Und  zwar  stelle  ich  diese  in  der  reihen- 
folge,    wie  sie  dem  leser  der  Gudrun   nach   und  nach  entgegentreten, 

zusammen. 

Ich  glaube  keinen  Widerspruch  befürchten  zu  müssen,  wenn  ich 
die  entlehnungen  aus  dem  Nibelungenliede  einem  Verfasser  und  zwar 
einem  bearbeiter  der  Gudrun  gleich  von  vornherein  zuweise.  Die 
weiteren  ausführuugen  werden  dieses  als  gerechtfertigt  erscheinen  Lassen. 

Den  text  der  Gudrun  habe  ich  im  algemeinen  nach  der  ausgäbe 
von  Sijmons  gegeben,  die  mir  als  die  konservativste  der  neueren  aus- 
gaben für  meinen  zweck  den  Vorzug  zu  verdienen  schien1.  Das  Nibe- 
lungenlied citiere  ich,  wo  nichts  anderes  bemerkt  ist,  nach  dem  tex ti- 
der handschrift  B,  weil  dieser,  wie  sich  zeigen  wird,  demjenigen  Nil )•- 
lungentexte  am  nächsten  steht,  den  der  bearbeiter  der  Gudrun  benuzte. 
Stellen,  zu  denen  nur  A  parallelismus  bietet,  kommen  nicht  vor;  wol 
aber  solche,  mit  denen  allein  C  über  ein  stimt.  Diese  habe  ich  in  den 
text  aufgenommen.  Diejenigen  Varianten  in  A  und  C,  deren  Wortlaut 
mit  dem  texte  der  Gudrun  entweder  mehr  oder  weniger  übereinstimt 
als  die  lesart  von  B,  sind  in  den  anmerkungen  angegeben. 

Gudrun  str.  1  —  7.  Sigebands  herkunft  und  Jugend  ist  darge- 
stelt  mit  benutzung  von  Nib.  avent.  I.  II  und  des  anfauges  von  III ,  wo  von 
Kriemhilds  und  Sigfrids  herkunft  und  Jugend  gehandelt  wird. 


N.  20,  1  Du  wuohs  in  Niderlanden 
eins    ril    edelen2    küneges 

ldnt. 

7 , 1  Ein  rieh  iu  hü  1 1  eg ii i  n e, 

fruit  Uote  ir  muoter  hiex. 


Gr.  1, 1  Ex  wuohs  in  Irlande 
ein  riehcr  Jcünic  her. 

3  sin  muoter  diu  hiex    Uote 
und  was  ein  küneginne. 


Nachdem  der  bearbeiter  eine  kurze  Schilderung  von  Geres  macht 
G.  2  gegeben  hat,  die  sich  vergleichen  lässt  mit  dem  N.  8  über  die  macht 
der  drei  könige  gesagten,  geht  er  zu  Nib.  Avent.  II  über  und  berich- 
tet G.  3.  4  im  hinblick  auf  N.  23.  24  kurz  die  erziehung  Sigebands, 
nicht  ohne  aus  den  folgenden   Strophen  entlehnungen  zu  machen. 

1)  Einzelne  abweichungen  von  ihr,  die  meist  in  einem  engeren  anschluss  an 
den  überlieferten  text  bestehen,  sind  als  solche  gekenzeichnet.  Die  gewöhnliche  Zäh- 
lung der  Strophen  habe  ich  selbstverständlich  beibehalten  und  die  häufige*  Umstel- 
lungen in  dieser  ausgäbe,  denen  ich  überhaupt  nicht  zuzustimmen  vermag,  unberück- 
sichtigt gelassen.  2)  A  rtehen. 

10* 


148  E.    KETTNER 


( i.  1. 1  Kr  wuohs  uk  \  an  die  stunde. 


ihr.   er  wäfen  Iruoc. 
in  In  Ides  ahte  er  künde 
alles  des  genuoc. 


N.  25,  1  Er  was  nn  so  gewahsen, 
da*  er  u   hovi   reit1, 

-!.  1  Nu  was  er  in  der  sterke, 

ihr.  er  wol  wäfen  iruoc, 

swes  er  dar   vuo  bedorfte, 

des  lag  an  im  genuoc. 
Str.  5  spricht  der  bearbeite!  über  den  tod  Geres  mit  einigen  trivialen 
bemerkungen;  dann  berichtet  er,  dem  Nibelungenliede  (str.  27)  weiter 
folgend,  v.>n  der  Jugendliebe  Sigebands.  Dieser  unterlässt  es  mit  rück- 
■ht  auf  seine  noch  lebende  mutter  zu  heiraten:  minnen  u  rehter 
.  den2  edelen  hiineginnen  was  nach  Sigebanden  wr,  ähnlich 
X.  25,  2  —  4  manec  frouwe  und  manic  meit  im  wünschten,  duz  sin 
wiüe  in  im  nur  triiege  dcu\  holt  wurden  im  genuoge.  Das  besonders 
betonte  u  rehter  siner  e  lässt  als  das  bisherige  Verhältnis  dasselbe 
voraussetzen,  was  NIb.  27,  3.  4  gesagt  wird:  er  begunde  mit  sin- 
nen  werben  schoeniu  wip,  dir  traten  wol  mit  eren  des  küenen  Sirri- 
des  lip.  Auch  der  zng  der  rücksichtnahme  auf  noch  lebende  eitern 
begegnet  X.  43  fg.,  wo  Sigfrid  sich  ablehend  verhält  gegen  den  wünsch 
der  riehen  harren  ihn  zum  könig  zu  haben,  sit  der.  muh  bt i<h>  lebeten 
Sigmund  und  SigeUnt.  Auf  diese  angäbe  folgt  nun  im  Nib.  ebenso 
wie  auf  die  entsprechende  angäbe  über  Sigeband  in  der  Gudr.  die 
»i  Zählung  vun  dem  entschluss  zur  lieirat.  Hier  rät  die  mutter,  dort 
raten  die  mannen  zur  Vermählung: 


N.  49, 1  ////  rieten  sine  möge 

und  genuoge  sine  man, 
3  ihr.  er  dan  <  ine  würbe3, 
diu  im  möhtt    lernen. 


G.  7, 1  Sin  muoter  riet  dem  riehen, 

du.    er   im   nur  nie    ein    Wip, 

davon  getiuret  würde 

sin   laut  und  ouch  sin  Zip. 


Gleich  diese  sieben  eingangsstrophen  zeigen  uns  also,  wie  der 
irbeiter  das  Nibelungenlied  als  seine  vorläge  gebraucht  hat.  Er 
suchte  für  die  behandlung  seines  gegenständes  einen  entsprechenden 
stoff  aus  dem  Nibelungenliede  auf,  dessen  darstellung  er  dann  fast  schritt 
für  schritt  folgte,  wobei  er  unbedenklich  ausdrücke  widerholte  und  ähn- 
liche verse  bildet*'. 

Gudr.  3  H>  erzählt  im  ersten  teil  den  empfang  der  braut, 
die  schwertleite  des  jungen   fiirsten  die  Vermahlung  wird  kaum 

1 1  Str.  25  fehlt  in  i  . 

2    II-.  der.     Sijmons:  der  künegmne.     Vorzuziehen  i-t  den  kwnegvnnen;  denn 
>-i«Jiuen  —   wi--  X.  25,  3   —    die  worte   ein   Verhältnis   der  liehe,    "-l'enso   wie 
aueL  G.  7  5-.  •_'. 

doch  S.   Z.   Cr.  169. 


EÜKFLUSS   DES    NIB.-LIEDKS    All     DIB   GUDBUN  IT.» 

angedeutet  -,  seine  regierung,  die  geburt  und  erziehung  eines 
sohnes.  Im  zweiten  teil  dieses  abschnittes  bestirnt  die  königin  den 
könig  ein  grosses  fest  mit  ninzuziehung  vieler  gaste  zu  veranstalten. 
Das  fest  verläuft  in  den  üblichen  Vergnügungen.  Für  diese  darsteüun- 
gen  entnimt  der  bearbeiter  reichlichen  stoff  aus  einem  zusammenhän- 
genden abschnitt  des  Nibelungenliedes,  der  vom  schluss  der 
avent.  VI11  aber  die  avent  IX.  X,  XI  bis  zum  anfang  von  avent  Xu 
(bis  str.  676)  sich  ausdehnt;  doch  auch  dvn  übrigen  teil  der  avent  XII 
berücksichtigt  er,  wie  auch  avent.  XIII.  Ausserdem  greift  er,  von 
anderen  kleineren  entlehnungen  abgesehen,  widerum  zurück  auf  avent  II. 
Betrachten  wir  dies  nun  im  einzelnen.  G.  8,  2  I  nel  im 
eine  aus  dem  Nib.  bekante  wendung  der  begunde  er  volgen,  als  man 
vriunden  sol,  vgl  X.  1527,  2  man  sol  vriunden  volgen1,  691,  2b  also 
nni ii  vriunden  sol;  auch  1002,  -1-  si  dienden  im  nach  töde,  als  man 
Vit  hin  vriunden  sol.  In  str.  9  werden  wir  auf  den  schluss  von  Nil', 
avent.  VIII  hingewiesen.  Die  braut  führt  als  hofgesinde  mit  sich 
700  recken  und  viele  schöne  mägde,  ähnlich  wie  Brunhild  bei  ihrer 
abreise  86  trauen  und  100  mägde  Xib.  492.  Deutlich  tritt  die  bezii 
hung  auf  diese  stelle  hervor  in  der  folgenden  strophe:  in  magetlichen 
eren  (10,  l!l)  brachten  sie  ihre  begleiter  zu  dem  Lande,  wie  es  von 
Brunhild  heisst:  in  tugentlichen  x/ühten  (493,  la)  verliess  sie  ihr  land. 
Hierzu  ist  noch  zu  vergleichen  X.  569,  la  in  magtlichen  lichten,  also 
eine  stelle  aus  der  vornehmlich  ausgebeuteten  avent.  X. 

In  der  wenig  eingehend  behandelten  darstellung   des  empfang» 
der  braut  Gr.  10  — 17   könte  man  hie   und  da  sachliche  annäherung  an 
die  Schilderung  X.  529  —  542  finden;    dass  sie  dem  bearbeiter  tatsäch- 
lich vorlag,  machen  folgende  parallelen  zur  gewissheit: 

Gr.  14,  2  der  (buhurt)   /n/s  im    .</•- 

gangt  n 
in  il  grau  /'  arbi  it. 
16,3.4  da  hörte  man  erdiexen 
manegen  buckel  riehen 
von  ir  schilde  stoexen; 

si   künden    einander   niht 
entwichen. 


X.555, 1  Do2  der  buhurt  was  ver- 
gangen 
über  cd  dax   velt. 
542,  3  man  hört  da   hurteclichen 
von  Schilden  manegen  stöx. 
Ix  i  wa  \  richer  buckeln 
vor  gedrange  lüte  erdöxl 


Übereinstimmung  zwischen  stellen   dieses   abschnittes    und   stellen   von 
avent.  XIII  liegt  vor  in 


N.  744,  3  edles  des  si  gerterij 

des  was  man  in  bereit. 


G.  15, 1  swax  si  ir  künden  dienen, 
des  was  man  ir  bereit. 


1)  O  ohne  parallelismus.  2)  Do  fehlt  in  A;  die  ganze  strophe  fehlt  in  C. 


150 


t.    KETINER 


Übereinstimmung  mit  einer  entfernten  stelle: 

N.  1083,  1  Dax  was  in  einen  \it<u\     GL  11,3  >  \  was  in  einen  täten,  sd  .. 

da    .  . 

Die  sitte,    die  ankunft  durch  boten  vorher  anmelden  zu  lassen   (G.  17), 
wird  mehrfach  im  Nib.  erwähnt:  221.  496  fg.  1277.  1652. 

(i.  1  i»    berichtet    die   schwertleite:    500  recken   empfangen   das 
schwert    mit    dem   könig  zusammen;    sie  erhalten  alles,    was  sie  wün- 
schen, besonders   rosse    und    kleider,   so   dass  des  jungen  königs  ehre 
I  gewahrt  wird.     Diese  züge  linden  sich  sämtlich  N.  28  —  32,  nur  in 
[lauerer  ausfuhrung:  das  schenken  der  rosse  und  kleider,  400  schwert- 
degen;  die  ehre«  die  Sigmund  und  Siglind  einlegen.     Im  ausdruck  vgl.: 

N.  596, 1   Vü  junger  ('legen)  swert 

da  nämen 


G.  19,  1    Vünf  hundert  recken 
ni'imen  bl  im  swert. 


sehs  hundert  oder  bax 
vgl.  29,  4). 
G    lo.  2  alles  des  si  wolten,  wurden  si  gewert  vgl.  N.  744,  32. 

In  Übereinstimmung  mit  X.  658  wird  G.  20  hervorgehoben,  dass 
der  junge  könig  ein  gerechter  richter  und  hochgeehrt  war;  nur 
die  bemerkung  über  der  königin  freigebigkeit  wird  hinzugefügt.  Wie 
X.  659  fg.  wird  dann  G.  21  —  23  erzählt,  dass  nach  3  jähren  (dort 
nach  10  jähren)  ein  söhn  geboren  wurde;  es  wird  weiter  berichtet 
von  der  taufe,  dem  namen,  der  erziehung  und  auch  die  bemerkung 
über  die  vortreflichkeit  des  geschlechtes  widerholt.  Auch  fast  alle  wört- 
lichen Übereinstimmungen  in  diesen  Strophen  beziehen  sich  auf  densel- 
ben abschnitt  des  Nibelungenliedes: 

N.  633, 1  Diu  höchxit  dö  werte 

na  \  an  '■'■  den  vii  rxehenden 

tae, 
da:   in  al  der  nile 
der  schal  nie J  gehe. 
658.3  und  dar  er  rihten  solde. 


G.  20,  1  Er  sax  in  Irlande 
sit  vü  manegen  tac, 

da\  sin  hohiu  ere 
ringe  nie  gelac. 
3  er  rihie  swem  er  solle. 


An  X.  »'»64.  1    Dax    lant    u    Nibelungt      Sifride   diente    hie   klingt  an 
Gr.  21,  1  Im  dienten  sine  huobe  da%  In  ff  ige  guot. 
X.  521,  1   Ob  ich  an  eine  hett  G.  21,3  der  si  gewaltic  taete 

sprach  er,  ärtxec  lant,  drixic  künege  laut, 


1)  C  daa  geschah  in  den  gexMen. 

2)  C  allen  dax  si  wolden. 

3)  unx  an  fehlt  in  A. 

4)  A  nie  der  schal  gelac. 


EINFLUSS    DES    NIB.- LIEDES    AUF    Dil.    GUDRUN 


lol 


so '  mphii  ng  ich  doch  gt  mt 
gäbe  i'<;   iwer  hau  f. 
N.  662, 1  Xu  heie  auch  dort  bi  Ttint  . 

so  wir  hoi  rt  n  sagen, 

bi  ( in ii Hu  r  dt  in  riehen 
<  im  ii  sn ii  getragt  n. 
660,1   Den  Ute  man  dö  taufen 

iiinl  gap  im  <im  n  mum  //. 

Günther     nach     sinem 
oeheim. 

4  dö    töh  man   in  mit  flixt . 
(24,1    Man  loch  in  mi hl i  in  r/i\t .) 

660, 3  geriet  er  nach  <l<  n  mögen, 

tlir,    wat  r  im  irol  ergän  l. 
1852, 1    Gefüllter luh-li  dem  kaum  . 
er  wirt  ein  küene  mau. 

Schon  G.  23,  1  erinnert  fast  noch  mehr  an  N".  24,  1  als  an  660,  1. 
Dass  der  bearbeiter  hier  abermals  in  avent.  IF  zurückgeblickl  hat, 
beweisen  die  folgenden  bemerknngen  über  die  erzieh  ung: 


ob  si  <tin  Im  tu  ii  soUe> 
diu   u  rgat  be  gar  ir  haut 
G.22,  1    ///  den  naehsten  drienjä- 

ii  ii  (hs 
so  wir  tiui  ii  ii  sagt  n} 
si  begundi   bi  dt  m  hü/uegt 
<  in  edel  feint  tragen. 
itir,   wart  getauft  t 
unde  sit  gern  nm  t 

bi   si  m  in    im  im  ii    Ilnij,  m  . 

23,  1    Man  hit  .  <  i  lieht  n  schönt 

u ml  rif  rli'.ii  tii/n  ii  phlegt  ii . 
t/i  i  ii  ii  i  i  nach  il<  m  Hin m . 
so  würde  <  \  wol  <  in  degt  n. 


N.  26,  3  sin  pflogen  auch  die  wisen, 

den  ere  uns  behaut. 
25,  1   Er  uns  nu  so  gewahsen2. 


G.  23,  3  sin  phlägen  wist  vrouwen 
und  rif  schoene  im  ide. 
21,  1   dö  uns  i  \  gewahsen. 


Nach  diesem  rüekblick  wendet  sich  der  bearbeiter  zu  avent  XII. 
um  mit  Verwertung  des  ihm  N.  667  —  676  gebotenen  zu  erzählen  (G.  26 
—  35),  wie  sich  Sigeband,  ohne  sonderliche  neignng,  durch  seine  gattin 
bewegen  lässt,  jenes  fest  zu  veranstalten,  das  einen  so  traurigen  aus- 
gang  haben  solte;  gerade  wie  Günther  halb  widerstrebend  sich  ent- 
schliesst  dem  rat  Brunhilds  zu  folgen  und  jene  verhängnisvolle  ein- 
ladung  an  Sigfrid  ergehen  zu  lassen.  Das  gespräch  erömet  beidemal 
die  königin:  in  der  Gudrun  bedauert  sie,  dass  sie  den  könig  so  selten 
bei  seinen  helden  sieht;  im  Nibelungenliede,  dass  sie  Kriemhild  noch 
nicht  wider  gesehen  hat.  Beidemal  fragt  der  könig  darauf,  wie  das 
sich  machen  liesse.  Hierauf  erwidert  Ute,  ein  so  reicher  könig  müs 
mehr  feste  geben;  Brunhild,  ein  noch  sn  reicher  vasaU  müsse  dem 
gebot  seines  herren  folgen.  Dort  erfült  zulezt  der  könig  den  wünsch 
der  gattin  mit  den  worten:    ich  wü  iu  gerne  volgen  (35,  2),   hier  mit 


1)  C  er  wurde  ein  k Heuer  man. 

2)  25  fehlt  in  C. 


152 


E.    KETTNhK 


den  worten:  nu  wizzet,  du;  ich  gestt  so  gemt  nie  gesach  (674,  2); 
die  gatten  verständigen  sich  über  die  botensendungen.  Auch  die  frei- 
gebigkeit  der  königin  wird  beidemal  am  schluss  erwähnt:  vgl.  X.  67b,   I 


und   G.  3b.    •_*. 


da-   eine   mal    mit   beziehung 


auf   die    boten,    das 


andere  mal   mit  beziehung  auf  das  weibliche  hofgesinde.     Hierzu  sind 


Doch  die  parallelstellen  zu  beachten 
N.668,  2  ihr.  si  ir  vremde  wären, 
da  i    was  ir  hartt    h  it, 
<hi\  man  ir  so  s<  lf<  n  du  nie 
von   Sifrides  laut1. 
1 343, 2  dar  muht  ist  mir  so  leit, 
ihr,   mich  die  so  s<  Ut  n, 
ruocheni  hi<  gesehen. 
670, 1  Wie  möhti  n  wirsi  bringen  ? 
sprach  der  künic  rieh. 
i9,l  ob  (hr.   mähte  geschehen, 
da  i  si  Kriemhildi 
solde  noch  gesehen. 

671.1  Sir/,   höht   riehc  waere 
deht  ines  küneges  man. 

673.3 /'•/>    wir  ensament  sdzen, 
dö  ich  ersti  wart  din  wip  -'. 

520.2  dö  sprach  diu  minnecliche: 
mir  waere  niht   \<    leit, 
ob  ich  %e  boten  miete 
iu  geben  solt  min  golt. 


Gr.  27,  2  des  verdriuzet  s&re 

min  hi  rxe  und  minen  lip, 
<lir,  ich  dich  sihe  so  selten, 

dar  taub  so  ist  mir  leide. 


28,  1    Dö  sprach  der  künic  edele: 
wie  solte  da*  geschehen, 

ihr,  du  mich  woltest  gerne 

vor  ///inen  recken  sehen? 

29,  1   Si  sprach:  so  eiche  niemen 
ist  lebendic  erkant. 

30,  1  Dö  ich  mögt  / Ziehen 
in  Friih  srhotfen  sa%. 

36,  1  Dö  sprach  diu  küneginne: 
daz  ist  mir  niht  leit, 
so  gibe  ich  besunder 
vünf  hundert  vrouwenkleit. 
In  diesem  abschnitt  GL  26  —35,  der  sich  sowol  inhaltlich  wie  sprach- 
lich so  eng  an  N.  667  —  676  anschliesst  und  von  dem  unter  ganz  glei- 
chen nmständen  wie  dort  gefassten  entschluss  zu  einer  hochxit  erzählt, 
ist  nun  als  ein  umstand  von  besonderer  Wichtigkeit  hervorzuheben, 
dass  der  bearbeiter  der  Gudrun  auf  sein  muster  hinweist,  indem  er 
zu  den  worten  ich  wil  iu  gerne  volgen  35,  1  hinzufügt  als  c\  nur 
geschach,  du.  man  nach  vrouwen  rate  lobeten  höchziten.  Denn  in 
diesem  Zusammenhang  kann  in  der  stelle  nichts  anders  gesehen  werden 
als  eine  bezugnahme  auf  das  Nibelungenlied,  wenn  sie  auch, 
für  sich  betrachtet,  nur  ein  algemein  episches  motiv  enthalten  könte, 
wie  Kaiserchr.  L).  .507.  15  Rother  (Massm.)  1530  fg.,  die  Martin  u.  a. 
hierzu  anführt. 


1)  A  so  seil  diende  si/iiu  lernt. 

2)  C  ohne  parallelismus. 


C  668,  3  ohne  parallelismus. 


EINFLUSS    DES    NIB.- LIEDES    All     DIE   GUDB 


L53 


Die  folgende  festschilderung  Gr.  37-  1!»  besteht  aus  den  bei  sol- 
chen darstellungen  ziemlich  regelmässig  widerkehrenden  angaben  über 
die  hervorragendsten  Vorgänge  und  umstände  des  festes.  Dass  bei  die- 
ser Schilderung  der  bearbeiter  immer  uoch  die  eben  besprochenen 
abschnitte  des  Nibelungenliedes  vor  sich  hatte,  zeigen  folgende  Über- 
einstimmungen. 

Den  geladenen  wird  entboten,  dm  si  nach  dem  sumen  von  des 
winters  stunden  solten  biten  (i.  .'17,  1;  ebenso  wie  X.  694,  2  bei  der 
einladung  gesagt  wird:  swenm  der  winder  ein  < n<h  hohe  genomen. 
Von  dem  herankommen  der  gaste  wird  in  der  Gudrun  mit  ähnlichen 
werten  geredet,  wie  im  Nibelungenliede  von  den  ins  land  reitenden 
verwanten  des  königs,  die  den  kommenden  entgegengeschickt  werden. 


X.528, 1  Dd  rili)/  aUenthalben 

die  wege  durch  dm   lant. 


G.  31),  1   Riten  si  begunden 

u  f  vil  manegen  wegt  n. 


Bemerkt   wird   G.  -i-2,  3   wie   N.  537,  4,    dass   man    Schilde    und  sp 
für  die  ritterspiele  herbeibringt.     Über  die  ausstattung   der  geladenen, 
an  der  einen  stelle  in  der  heimat,  an  der  anderen  am  hofe  d<:>  wirtes, 
heisst  es: 


G.  40,  2  allen,  du   ir  gerten^ 

den  gap  man  ir  genuoc. 


X.705,  ±  etile  die  es  dd  gerten1, 

den  (jap  man  ros  und  ouch 
gewant. 

Wie  N.  753  sitzen  G.  42  fg.  die  trauen  während  der  ritterspiele  in  *\ca 
fensterbrüstungen.  Wie  N.  753,  4  nimt  G.  44,  2  auch  der  wirt  am 
spiele  teil.  Ähnlich  wie  X.  751  wird  G.  49  die  mitwirkung  der  musik 
erwähnt:  posaunen,  trompeten  und  flöten  werden  liier  wie  dort  genant 
Auch  in  den  angaben  über  den  schluss  des  festes  zeigt  sich  der  ein- 
flüss  des  Xlbelungenliedes  (s.  unten  zu  G.  6ö).  Die  hierhergehörigen 
parallelstellen  ans  dem  Nibelungenliede  gehören  nicht  bloss  diesem  teile, 
sondern  noch  einigen  andern  festschilderungen  an. 

^.1827 AExel  unde  Kriemhilt 


ez  bescheidenlicken  sach. 

X.  41,  2     Diu  köchgeztt  werte 

unz  au  den  sibendt  n  tae. 
Siglint  diu  riche 
nach  cdten  siten  pflac. 


<>.  13,4  dm   si  >  t  bescheidenlichen 

Slll/i  II. 

48,1  Diu  hdckgezit  werte 

in/;    im    d<  ii    ii  in  mit  )i    tdC. 

swes  man  mit  ritters  vuort 
In  d<  in  künige  phlac, 


1)  C  die  si  dd  fücrc/i  wolden. 


154 


E.    KETTNEH 


N.  39, 1   Swie  vü  si  kurxwile 


des  mohte  die  varnde  diet 

(hs.) 
liitxel  da  vevdriezen; 
die  heten  arbeite: 
wan   si  sin  auch   wolten 
geniexen. 

In   der  dazwischen   stehenden   erzählung   von    dem    greifen   finden   sieh 
fi  »lgend e  einzelparallelen: 

N.  90,  2h  nu  hoeret  wunder  sagen   =  G.  50,  lb. 


pflogt  n  al  den  tac, 
vü  der  varenden  diele 
ruowe  sich  In  wac. 


NT.  215, 4  in  hat  der  übel  tittfel 
her  ten  Sahnen  gesant 

2171, 3  alsam  (et  ouck  sin  wip. 
si  Wägeten  ungefuoge 

den  <juot<  ii  Büedegeres  lip. 
1168,3  ir  wät  was  vor  dm  brüsten 
von  heizen  trehen  na;. 


G.  54,  3  ex  het  der  übele  Havel 
genau f  in  dax  riche 
sinen  boten  verre. 
60,  3  der  hünwund ouch  sin  wip, 
si  klageten  al  gemeine 
des  lindes  iverden  lip  (hs.) 
62,  1  Der  wirt  weinte  sere, 

sin  brüst  diu  wart  im  nax. 


Stellen  ans  der  festcsschilderung  in  avent.  V  und  aus  der  sie  einleiten- 
den erzählung  am  ende  von  avent.  IV  verwendet  dann  wider  der  bear- 
beite! für  die  darstellnng  vom  schluss  des  festes. 

N.  300   Kr  sprach:  ir  guoten  rechen,  e  da%  ir  scheidet  hin, 
so  nemet  minc  gäbe;  edsö  stet  min  sin. 
da-,   ich\   immer  diene,  versmaehet  niht  min  gnot, 
da:   a il  ich  mit  iu  teilen;  des  kdn  ich  willigen  muot. 

Gr.  63     Die  gestc  wolten  riten,  cid  sprach,  diu  hünegin: 
ja  siilt  ir,  edele  hehle,  noch  hie  xe  hove  sin, 
und  Int  in  niht  versmähen  silber  undc  galt, 
di  s  haben  wir  ;c  gebene:  wir  sin  iu  groexMchen  holt. 


N.253,  1  Derkünec1  phlac  siner  geste 
vü  groexMche2  ivol 
3  er  bat3  der  s&re  wund'  n 
vü  güetlichen  phlegen 

vgl.  auch  743,  3.  4. 

Ausserdem  greift  er  noch  einmal  auf  die  oben  besprochenen   Schilde- 
rungen des  Nibelungenliedes  zurück: 


G.  65,  4  Der  wirt  hie;    sin  er  geste 
schone  and  güetlichen  phle- 
gen. 


I)  C  der  ic  irt 
3)  C  man  hicx 


2)  A  güetlichen 


EINFLUSS    DES    MB.  -  LIEDKh    All-    DIL    GUDRUN 


155 


N.753,  1  In  diu  venster  säxen 
diu  herlichen  wip 
und  vilderschoenen  meia\  : 
gezieret  was  ir  Up. 
636,4  so  endete  siel/  diu  höchxit: 
ihr,    wolde    Günther    der 
degen1. 
646, 4. si  rümten  vroelichen 

des  hinter  Quntheres  lant%. 


G.  66,  1    Dd  Hr  diu  küneginm 
scheiden  manic  wip 

nutl    eil   dir   <  d<  l<  n    nn  id,  . 

also  da  i   ir  lip 
ir  gäbe  Hits  getiuret. 
I  diu  höchxit  sieh  endet: 

si  rümten  Sigebandes  lant. 


Eine  so  starke  nachahinung  des  Nibelungenliedes,  wie  sie  die- 
ser ganze  abschnitt  aufweist,  findet  sich  später  in  der  Gudrun  nicht 
wider.  Und  diese  erscheinung  lässt  sich  Leicht  erklären,  wenn  wir  diese 
erste  aventiuro  als  einen  zusatz  des  bearbeiters  ansehen.  Olm«'  durch 
einen  vorliegenden  text  unterstuzt  oder  gebunden  zu  sein  konte  der- 
selbe hier  ganz  nach  seinem  eigenen  ermessen  verfahren  und  nicht 
bloss  aus  mangel  an  erfindungsgabe  und  an  darstellunusfähigkeit,  son- 
dern auch  in  der  absieht  etwas  dem  Nibelungenlied  entsprechendes  zu 
bieten  —  demselben  unbedenklich  entnehmen,  was  ihm  geeignet  schien. 

Der  nun  folgende  abschnitt  G.  67  — 162  enthält  die  erzählung 
von  Hagens  entruhrung  durch  den  greifen  und  seiner  rück  kehr.  Ge- 
mäss der  eigenartigkeit  des  inhalts  treten  hier  parallelen  mit  dem 
Nibelungenliede  spärlicher  hervor;  doch  kann  man  auch  an  den  bei- 
gebrachten sehen,  Avie  der  bearbeiter  bei  seinen  entlehnungen  sich  an 
bestirnte  teile  des  Nibelungenliedes  hielt.  Es  sind  besonders  benuzt 
avent.  VI.  XXY  — XXVII;  daneben  auch  XVI  und  XIV. 

N.  1446, 1  Nu  laxen  dax  belibeu,       G.  67, 1  Nu  laxen  wir  beliben, 
wie  si  gebaren  hie.  wie  da  gescheiden  wart. 

1474,  la  Ilagene  wart  ir  innen  =  G.  76,  P:  beidemal  schleicht 

ein  Hagen  zu  fremden  trauen  heran;  sonst  sind  die  persönlichkeiten 
und  die  Situationen  sehr  verschieden! 


N.  917, 3  sam   vwei  wildiu  pantel 

si  liefen  durch  den  kle. 
878,4  dar  nach  er  vils  schiere 
ein  ungefiiegen  lewen  van  t. 

Alle  vier  stellen  beziehen  sich  auf  jagd. 


(r.  98,  3  als  (in  pantel  wilde 
lief  '  r  i'i f  dir  steine. 


102, 2  bi  im  er  harte  näht  n 
einen  lewen  rauf. 


1)  A  ex,  seiet  von  dannen  manic  deyen. 

2)  C  dd  der  Burgondcn  laut. 

3)  C  harte. 


158 


E.    KLTTNER 


N.336, 1— 3  . .  d(  r  starb   Sifrit  . . . 
het  er  ..  krefte  genuoc} 
itvelf  manne  sterke. 
358,4  ,i,  n  edelen  juncfrouwen 
was  von  arebeiten  we1. 
370,  I   ir  starb  \  arbeitt  n 

l,  tsitdi  n  höhgemuoten  we2. 
1492. 1  Dö  ruoftt   er  (Hagen)  mit 

der  hrefti . 
ihrx  dl  der  wag  erdöz. 

(Hier  Übereinstimmung  des  namens 
zu  Gk  76,   1.) 

\  7^7.  2  des  dvhie  Prünhilde 
diu  wilt  gar  \<   lanc 
353,2*  unt    von    Zaxamanc   der 

guoten 3 
388,1  Sehs  unt  ahzec  turne 
si  sähen  drinne  stdn} 
dri  palas  icite. 

.  4  dar  inne  selbe  Prünhilt 
m  ii  ir  Ingesinde  was. 
1481, 1  ir  trieget  äne  not. 
1551,  J  in  wart  stritenkunt  getan. 
55,  1  wol  Ii'  dm  schinen  Kriem- 

hilt, 
da  i  si  in  holden  /rillen  truoc 
(vgl.  1609,4.  1674,4) 


GL]  06, 1  Omh  In  h  ih  r  wilde  Hagene 
krefte   x/welf  man. 

108, 4:  den  eilenden  vrouwen 

den   tet  ir  arebeit  vil  we. 


109  1  Hagene  rnof'tc  Inte, 

ihr,,  in   des  nihf  rer<lrö\. 
Hagene  und  der  Situation;  vgl.  oben 

G.  112, 2e  er  <lin  maere  ervilere, 
diu  wile  dühte  in  lanc. 
118, 3*  von  India  der  guoteu 

138.3  einen  palas  hohen 
Lös  er  hi  der  vluote. 
drki  hundert  turne 

sach  er  da  vil  veste  unde 

guote. 

139, 1  Dar  inne  was  her Sigebant. 

146, 1  ir  trieget  n/ich  an  not  (hs.) 

1 51,  3  wt  r  im  grüezen  Jcunt  taete. 

155. 4  dem  Linde  er  holden,  willen 

von  schulden  vriuntlichen 

truoc. 


1)  C  den  schoenen  juncfrouwen  tet  ir  arebeiten  we. 

-    \  tet  8tt  sehoenen  frouwen  we,  doch  s.  zu  G.  1119,  4. 

A  der  guoten  fehlt.  C  dem  lande.  Wir  haben  an  dieser  stelle  den  sel- 
len  fall,  dass  alle  drei  handschriften  von  einander  abweichen  und  nur  auf  der  les- 
art  von  B  der  parallelismus  beruht.  Dass  die  an  sich  schon  höchst  auffallende 
bezeichnung  von  India  der  guoten  nicht  ein  unmotivierter  einfall  des  bearbeiteis  ist, 
ädern  durch  das  Nibelungenlied  veranlasst  sein  muss,  beweist  die  auch  sonst  hier 
hervortretende  Berücksichtigung  der  avent  VI  (N.  336.  358.  356.  365).  Doch  scheint 
der  bearbeiter  hier  nur  flüchtig  im  Nib.  geblättert  zu  haben,  da  er  offenbar  353,  2 
misverstanden  hat.  indem  er  der  guoten  auf  Zaxamamc  bezog  und  übersah,  dass  es 
zu  siden  gehört,  der  guoten  grüen  aharn  ist  vom  redaktor  13  gesezt  worden  für 
der  grüenen  so  (Aj. 


EINTLUSS    DES    NIB.  -  LIEDES    AUF    DIE    GUDKIW 


157 


N.356,2.  3  hermine  vederen  ...  pfelle  G. 156,  3  phelle  ob  Uehten  ruh,-»  n. 

darobe  lägi  n 

8(35,  lb  man  truoc  in  üfdensant.  L60,  lb  tragen  üf  den  sant. 

2b  alte-,   ir  gewant  2b  ir  sptse  und  ir  gewant 

Die  darstellung  von  Hagens  jugendgeschiehte  von  da,  wo 
diese  einen  normalen  verlauf  hat  (163  fg.),  folgt  widerum  »Ion  schon 
mehrfach  benuzten  abschnitten,  avent.  II  und  anfang  III  (Sigfrids 
jugend)  sowie  X.  XI  (das  erste  grosse  fest   in  Worms). 

N.  C  22, 5  E  da  \  der  degen  küene      G.163,1   Wahsen  er  begundi 


vol  wüehse  ze  man. 


bevoUen   teinem  man. 


[Jber  die  ritterlichen  Übungen  Sigfrids  (av.  III)  und   Habens 


N.  129,  2  du  was  er  ie  der  besti . 
swes  man  da  began. 

Über  die  Verabschiedung  der  gaste 

N.  41,  3  durch  ir  sunes  lieh 
teilen  1  rufe.  golt. 
si  künde  ex  wol  gedienen, 
da\    im    diu   Hute    waren 

holt. 


<  i.  163, 2  (h)  pflac  er  mit  den  In  Iden, 
swes  man  ie  began. 

G.  164,  3  du  i/t/jt  in  sine  gäbe 

di  r  irirl  von  liehtem  goldi . 
durch  sines  s/u/cs  liebe 
xe  Stinten  vriunden  er  si 
haben  wolde. 


Über  die  taten  des  jungen  Siegfried  und  Hagen: 


N.  C22, 7  da  von  mau  im  nur  mere 
mar  singen  unde  sagen. 


<  i.  1G6, 4  des  horte  man  in  dem  laude 
von  dem  helde  sagen  und 

singen. 

Dass  hier    etwa    der   redaktor  C  die  stellen  22,  5  und  7   der  Gudrun 
nachgebildet    habe,    wird   wol    niemand    behaupten    wollen.      Denn    der 
Zusammenhang  von  N.  C  22  mit  den  anderen  hier  benüzten  stellen  <l 
Nibelungenliedes  stelt  es  ausser  zweifei,   dass  der  bearbeiter  die  wnrte 
von  C  in  seinem  Nibelungentexte  las. 

Wie  Sigfriden  raten  auch  Hagen  die  mäge  zur  hei  rat: 

N.  49, 1  Im  rieten,  sine  mäge,  G.  169,1  Im  rieten  sine  mäge, 

und  genuoge  sine  man, 
3  dm  er  dan  eine  würbe2.  er  würbe  umbe  ein  wip. 

.  Eine  ankündigung  des  festes  in  andere  lander  ergeht  (i.  172  wie 
N.  28;  der  zahlreiche  besuch  wird  G.  174,  4  wie  N.  30,  4,  die  beschen- 
kung  der  schwertdegen  mit  kleidern  (i.  175  wie  N.  31.  32  erwähnt. 
Zu  dem  sachlichen  parallelismus  tritt  parallelismus  des  ausdrucks: 


1)  C  geben 


2)  C  naeme,  vgl.  zu  G.  < .  2. 


158 


E.    KETTNER 


N.  28, 1  Dö  hiex  sin  vaier  Sigemunt 
künden  sinen  man. 
30,4  dessach  tnanvüdervremden 
vuo  in  riien  in  dm   laut 


G.  172,1  Dö  liit;  er  ex  künden 
in  diu  vürsten  laut. 
174,  1  man  saeh  an  edlen  enden 
sine  geste  i  uo  dem  lande 


riten. 

Doch  hat  an  der  lezten  stellt4  der  bearbeiter  sicli  bereits  beeinflussen 
lassen  durch  eine  Strophe  der  avent.  X.  N.  559,  5  —  8  wird  gesprochen 
von  hergesidele;  G.  174,  3  heisst  es  da  sidelte  n/au  vil  wtten.  Und 
nun  vergleiche  man  dvn  zweiten  teil  von  N.  559,  5  —  8  mit  G.  174: 


X.  559,  7  des  si  da  haben  sohlen, 
tri  wenec  des  gebrast, 
dösach  mau  In  dent  h/iuege 
eil  manegen  herlichen  gast. 


G.  174,  21'  irir  teenie  er  des-  Uez, 
3*  des  si  au  in  gerten. 
4  man  sack  an  allen  enden 

sine  tjeste  züo  dem  laude 
riten. 


In  den  zwei  Strophen,  die  sich  auf  Hagens  Vermählung  beziehen, 
enthalten  die  worte  G.  176,  3a  ob  ich  von  herzen  n/inne  eine  deutliche 
beziehung  auf  X.  135,  3a  die  ich  von  herze  minne,  eine  steile  des 
bereite  in  diesem  Zusammenhang  benuzten  Schlusses  von  avent.  III 
(vgL  X.  129,  2.  G.  163,  2).  In  G.  178  zeigt  der  anfang  eine  berück- 
sichtkrung  von  avent.  IV: 


X.  244, 1  Bö  enpfie  er  wol  die  sine, 


G.  178, 1  Wol  behagete  ez  siner  mun- 
ter, 
sime  vater  tet  ex,  sam. 


die  v rem  den  tet  er  sam. 

Mit  dem  schluss  seiner  festesschiiderung  wendet  sich    der   bear- 
beiter    jener    darstellung    in    avent.  X    zu,     auf    welche    bereits    die 
Qutzung  von   559,  5  —  8   hinwies.     Wie   die  erzählung  der  schwert- 
leite, der  krönung  und  Vermählung  im  Nibelungenliede  hier  vorbildlich 
gewesen  ist,  veranschaulicht  folgende  Zusammenstellung: 


X.  596, 1  Vil  junger1  su<  1 1  th)  na/men 
sehs  hundert2  oder  ha.. 

LI  Xihh  siten,  der  si  pflügen 
and  man  durch  n  hl  begie, 

Günther  muh-  Prünhili 
niht  langer  du-,   enlie4. 


G.  178, 4  wol  sehs  hundert  degene 
//amen  bi  im  wäpen  oder 
mere. 
179, 1  Nach  siten  kristenlichen3 
wihen  man  dö  hiez 
beide  %uo  der  Leone; 
niht  lenger  man  daz  Uez. 


1)  A  de  gen.     B  junger  »wert,  dann  von  erster  hand  übergeschrieben  daegen. 
kund*  3)  Es.  sittlichen.  4)  A  cerlie. 


EINFLUSS    DES    MB. -LIEDES    AUF    DIE    GUDRUN  159 


N.  541, 1  17/  manegen  bühurt  rieht  n 
sack  man  dun  getribi  n 


von  helden  lobelichen, 
n/hl  wol  waer  ex  belibi  n. 


(J.179,-1  manegen  bukurt  rieht// 
sack  man  da  von  des  kü- 
neges  mannen. 

184,  3  um //'/<■   rirhin    tjöSti 

wart  von  in  getriben. 
dax  sähen sehoenevrouwi n. 
ji)  waer  da*  übele  beliben. 


Nach  siten  Jcristenlichen  würde,  wenn  es  richtig  ist,  aus  N.  1788,  -1 
entnommen  sein.  Diese  im  Mb.  wo]  motivierte  angäbe  würde  zwar  in 
der  Gudr.  durch  das  versteckte  hristen  unde  Heiden  186,  3  nicht  genü- 
gend motiviert,  aber  bei  dem  Charakter  der  bearbeitung  begreiflich  sein. 

Vereinzelt  steht  G.  187,  2b  ludern  unde  dd%  =  N.  883,  1". 
Die  angaben  über  die  Verzichtleistung  des  alten  königs  zu 
gunsten  seines  sohnes,  über  die  strenge  und  gerechte  herschaft 
desselben,  über  seine  ritterliche  tüchtigkeit,  sowie  über  die  geburt 
einer  tochter  G.  188  — 197  erinnern  Lebhaft  an  N.  657  —666.  Beson- 
ders tritt  die  ähnliehkeit  hervor  in  den  Strophen: 

N.  657  Do  sprach  vor  stnen  friunden  der  h&rre  Sigmunt: 
den  Sifrides  mögen  tuon  ich  allen  bunt, 
er  sol  vor  disen  recken  mine  kröne  tragen, 
diu  meiere  horten  gerne  die  von  Niederlanden  sagen. 
G.  188  Vor  den  stnen  gnöxen  sprach  her  Sigebant: 
minem  sune  Hagenen  gibe  ich  ntiniu  lant, 
diu  Hute  mit  den  bürgen  nahen  unde  verren. 
alle  mine  recken  sulen  in  haben    \e  einem  herren. 
Der  bearbeiter  greift  im  folgenden  noch  einigemale  zu  schon  ben uz- 
ten teilen  zurück.     G.  189,  2  dö  begunde  Hagene  Ulm/  bürge  unde 
laut  ist    zu  vergleichen    mit  N.  40,  1.  2   Der  h&rre  hie:    Hin//    Sivrit 
den  jungen  man  laut  unde  bürge.     Und  ganz  in  der  nähe: 


G.  191,  1  diu  was  von   Tserlanck 

luul  was  •.'    wünsche  wol 

getan. 

199,2  wart  unnützen  schoene.— 


N.  45, 3    teuere  in  Burgonden  1 

%e  wünsche  wol  getan. 

325,3  si  wa%  unnützen  schoene 
eine  Übereinstimmung,  die  deshalb  keine  zufallige  ist,  weil  jene  worte 
beidemal  auf  eine  schöne,  vielbegehrte,  allen  Werbern  gefahrliche  königs- 
tochter  sich  beziehen. 

Überblicken  wir  nach  dieser  vergleichung  mit  dem  Nibelungen- 
liede noch  einmal  diese  vier  ersten  aventiuren  der  Gudrun,  so  wer- 
den wir  ohne  bedenken  die  s.  155  über  die  Strophen  1  —  66  ausgesprochene 

1)  C  in  Burgonden  waere. 


160  F..    KETTNEB 

auflassung  über  dieses  ganze  stück  ausdehnen  können.  Denn  für  etwas 
anderes  als  einen  zusatz   des   bearbeiters  brauchen   wir  auch  den  von 

dem  -leiten  und  Hagens  Leben  in  der  wildnis  liandelnden  teil  nicht  zu 
halten.  Diese  erzählung,  für  sieh  allein  genommen,  wird  man  sich 
nicht  gut  als  den  eingang  der  Gudrun  vorstellen  können;  auch  passt 
ihr  fabelhafter  Charakter  nicht  zu  dem  inhalt  der  Gudrun  im  algemei- 
nen. Wir  werden  aber  in  ihr  nicht  sowol  eine  eigene  erfindung  des 
bearbeiters,  als  vielmehr  eine  nacherzahlung  von  sachen  zu  sehen  haben, 
die  ihm  in  mehr  als  einer  sage  schon  dargeboten  waren.  Es  sind  also 
die  vier  ersten  aventiuren  ein  späterer  zusatz  zur  Grudrun,  dem  der 
Verfasser  durch  bedeutende  anleinen  beim  Nibelungenliede  gehalt  und 
wert  zu  geben  suchte.  "Wenn  nun  der  bearbeiter  in  diesem  teile,  wo 
er  ganz  frei  verfuhr,  das  Nibelungenlied  so  stark  nachahmte,  so  ist  es 
nicht  anders  zu  erwarten,  als  dass  er  auch  in  den  weiteren  teilen  des 
epos,  das  ja  nach  algemeiner  anschauung  überhaupt  nur  in  einer  tief- 
greifenden bearbeitung  auf  uns  gekommen  ist,  überall,  wo  er  änderte 
und  erweiterte,  in  bezug  auf  inhalt  und  form  nach  dem  vorbild  des 
Nibelungenliedes  sich  umgeschaut  haben  wird.  So  erklärt  es  sich,  dass 
dieselben  Erscheinungen,  wenngleich  nicht  mehr  iu  solcher  häufigkeit 
und  solchem  umfange,  auch  dort  widerkehren. 

Die  fünfte   aventiure  der  Gudrun  begint  mit  einigen  bemerk un- 
n    über  Hetels  Jugend;    auch  sie   enthalten  wider  entlelmungen   aus 
dem  anfang  des  Nibelungenliedes. 

G.  204, 1  Ein  kelt  der  was  erwahsen 

in     Tritt hl  u  t 

%e  Stürmen  in  einer  marke, 
der.   ist  wol  erkant 
209,  3  vcifer  und  ouch  muoter, 
die  im  diu  lernt  M  lif.cn 


N.  20, 1  Do  wuchs  in  Niderlanden 
i  ins  edelen  küneges  Tdnt 
3  in  t  im  r  riehen   bürge 
witen  wol  bekamt. 
7,2  ir  vater  hie:    Danerätj 

ih  /•    in    diu    erbe   lit  ,. 

Wir  haben  bei  den  einleitungsaventiuren  widerholt  gesehen,  wie 
der  bearbeiter,  wenn  er  es  mit  einem  motiv  zu  tun  hat,  das  ihm  auch 
aus  dem  Nibelungenliede  bekant  ist,  zur  ausführung  dieses  motivs  das 
musterepos  heranzieht  Hetels  entschluss  die  gefährliche  Werbung 
um  Hilde  zu  wagen  findet  sein  analogen  in  Günthers  Werbung  um 
Brunhild.  Also  suchte  der  bearbeiter  aus  der  VI.  aventiure  des  Nibe- 
lungenliedes sich  anregungen  für  seine  Schilderung  dieses  gegenständes. 
Die  besten  (die  vornehmsten)  raten  Hotel  G.  210,  1  wie  die  hdhsten 
mögt  Günther  N. C324,  2  zur  ehe1.     Hetel  weiss  keine,  diu  ten  Hege- 

1»  AB  bloss  iiiati  8eüe,  dm  da  waere  manec  scoene  (B)  magedtn.  Günther 
entschliessl  sich  seh-- 


EINFLUSS    DES    MB.  -LIEDES    All     DIR    GUDRUN 


161 


lirigen  mit  @ren  waert  vrouwe,  muh  du  man  mir  :<■  hhs<  moktt 
bringen  210,  3.  4.  Günther  sagt  zu.  nach  einer  suchen  zu  wollen: 
diu  mir  mil  mime  riche  -.<■  frouwen  möge  fernen  X.  C  324,  6.  Es 
wird  von  einer  gerühmt,  ihr,  deheiniu  lebet  sä  schoeniu  nindert  üf 
der  <  nie  G.  211,  3,  entsprechend  X.  325,  2  ir  geliehe  enheine  mau 
wesse  minder  nie1.  Hetel  ist  bedenklich:  swer  werbe  nach  ir  minne, 
i  \  si  ir  vater  leit  213,  2.  Ähnlich  rät  Sigfrid  ab:  swer  umb2  ir 
min  im  wirbet,  dm  ex  im  hohe  sft'if  X.  .'521»,  3.  Dem  weiteren  über- 
legen macht  zunächst  Morung  ein  ende  durch  den  rat,  -ich  der  hilf'' 
Horands  zu  bedienen,  dem  alle  sitten  Hagens  bekant  seien  Gk  211. 
Ebenso  gibt  dort  Hagen  den  rat,  man  solle  Sigfrid  um  seine  Unter- 
stützung bitten,  da  ihm  kund  sei.  wie  es  um  BrunhiM  stehe  X.  330. 
Zu  bemerken  ist  noch,  dass  G.  212,  4  Jcumt  si  her  :<■  lande,  so  hast 
du  immer  vreude  unde  wünne  anklingt  an  X".  333,  2.  4  und  Jcumt 
diu  scoene  PrünhiU  her  in  ditze  hnit'\  so  mahtu  mil  ihr  sn>< ,,< ,,  im- 
mer vroeliche  leben. 

Hiernach  greift  der  bearbeiter  zunächst  in  einige  andere  teile  di 
Nibelungenliedes  hinein,  so  dass  folgende  einzelparallelen  entstehen: 


N.  72,  1   An  dem  sibenden^  morgen 
xe  Wormex  üf  den  sant 
riten  die  vil  Mienen; 

allex  ir  geweint 

84,  1  Wetz  sin  der  Minie  wolde} 
des  fragte  Hagene. 

811, 4b  nnd  let  vil  wiUeclichen  da  \ . 

ähnlich  666,  4b.  1042,  4b.  1076,4". 

497, 2  unswaere  -.(derselben  verte 
nieman  so  bereit 
als  ir,  f rinnt  Hagene5. 


Gr.  219, 1  An  dem  sibenden  morgen 

leom  er  in  <hc.   Im/1. 

er  und  sine  gesellen 

truogen  guot  gewant. 
232,  ±Walin  bete  imndcr, 

inr,    sin    der   hünec    von 
Hegelingen  wolte. 
237, 4b  und  tet  vil  güetlichen  daz. 

239,3  ?m  en/rii;   ich  niemen, 
der  mir  dar  bt  i  u  r  waeri 
da  mir    ii\     Wate,    lieber 


vriunt. 

Sowol  Hagen  als  Wate  soll  eine  botschaft  des  königs  ausrichten. 

2306,  la  Ick  bringe  ex,  ein  ein  ende  =   G.  240,  3b. 


1769, 4b  mich  enwendes  der  tot 


240, 4bc.    ensi   da:    michs   der 

läl  enwende, 


1)  A  . .  ir  geliche  was  deheiniu  me. 

2)  wnb  fehlt  A. 

3)  A  Prünhüt  in  daz  laut.  4)  C  sehsten 

5)  C  2—4  nu  bereitet  iueh  «er  verte,    ritter  vil  gemeit,    wand  wir  in  dixen 
rften  ander  niemen  hau.  der  dar  müge  gertten. 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.     BD.  XXIH.  H 


162 


E.    KKTTNKK 


N.  732, 3  D6  der  wirt  des  landes 
Sifriden  sack 
und  ouch  Sigt  mundt  n} 
wie  minneclich  er  Spruch. 


G.  245, 1  Wate  der  vil  küene, 
dö  er  Höranden  sach 
mulc  ouch  Fruote/f, 
wie  schiere   er  dö  sprach. 


In  dem  folgenden  tritt  bis  str.  302  abermals  eine  widerholte 
benutzung  von  Nib.  avent  VI — VIII  hervor.  Bei  der  beratung  über 
die  gefährliche  fahrt  und  Werbung  redet  Wate  von  Horand  wider 
ebenso  wie  in  gleicher  läge  Hagen  von  Sigfrid. 


N.  330,4  sit  im  da:   ist  so  kündic, 
wieex  um  Prünhilde1  stät. 


G.  254, 2  er  weix  in  guoter  maxe, 
wie  ex  umb  Ilagenen  stät. 


An  N".  375,  2  klingt  an  G.  359,  1.     Deutlicher  ist  die  beziehung,  wenn 
über  die  ausstattung  der  ausfahrenden  gesagt  wird 


G.  262, 4  daz  iucln  irol  mit  eren 

mac  gesehen  ein  ieslichiu 

vrouue. 
Zwischen  den  stellen  aus  avent.  VI.  ArII  steht  aus  avent.  XXII  noch: 


N".  341,8  diu  wir  tragen  mit  eren 
für  die  herlichen  meit 


G.  271, 1  Mdrunc  der  snelle 

da  her  von  Friesen  reit 
er  brähte  zwei  hundert  de- 
gene. 
272, 1  Da  reit  von  Tenemarke 
Hörant  der  küene  man2. 


X.  1284, 1  Hornboge  der  sneUt 
wöl  mit  tüsent  man 

Irrte  von  dem  Jcünege. 

1285,  lDö  kom  von  Tenemarke 
der  küene  Häwart. 
Auf  die  angäbe  der  1000  boten  Hetels  und  die  motivierung  waere  er 
niht  so  rtche  er  enkünde  ex  nimmer  verenden  272  muss  der  bearbei- 
ter  gekommen  sein  beim  lesen  von  den  1000  begleitern  Sigfrids 
N.  474.  2  und  der  auf  sie  sich  beziehenden  worte  sine  kundenz  niht 
verenden  .  .  .  Sifrit  /ras  so  rtche  C  475,  8.  9.  Denn  im  folgenden 
nehmen  die  bei  G.  271,  1.  272,  1  unterbrochenen  beziehungen  zu  die- 
sem abschnitt  entsprechend  dem  inhalt  —  abschied  und  fahrt  — 
ihren  f ortgang. 


N.  363, 1  8i  sprach:  herre  Sifrit, 
lät  zu  bevolhen  sin  ... 

405.3V/-  sohh  an  angest  sin3. 

366,2  ir  schif  mit  dem  segele 
da i  ruorte  ein  höher  aint. 

369, 4a  ir  schif  da  i  gie  vil  ebene4'. 


G.  278, 1  Der  künec  sprach  trürende: 
lät  iu  bevolhen  sin  . . . 
283,  lb  ir  sult  an  angest  sin. 
.  ein  nortwint 
2hir  segele  ruorte  sint. 
3a  ir  schif  gierigen  ebene. 


285, 1 


1)  A  umb  die  froutaen.  2)  Diese  nachahmung  zeigt,    dass  die  von 

Sijmons  vorgeschlagene  Umstellung  der  str.  271.  272  unzulässig  ist. 

•arallelismus.  4)  Desgl. 


EINFLUSS    DES    NHL  -  LIEDES    AUF    ME    GUDRUN 


163 


N.  371, 1  An  dem  vwelften  morgen, 
so  wir  koeren  sagen, 
heten  si  die  wind 
verre  dein  getragen. 


G.288,  1  <sv  hri,    wol  tüsent  mil 
<l<i\   /nr.  -,< r  ihm  </< tragen 
hin    .r  Hagenen  bürge, 
so  wir  hoeren  sagen. 


Dazwischen  steht  aus  einem  entlegeneren  teil»1  des  Nibelungenliedes: 
X.  1567,1  Wirhunnen  nihtbeschei- 


i/i  n, 
wä  si  sich  leiten  nider 


G.286,1  Wir  hiinm  u.  nikt  beschei- 
den 

mir})  wvx  :<  ii  i  nikt  :i  sagt  ii, 
wä  si  ir  nahtst  Ide  . . .  nä- 
ii/i ii. 

Ähnliche  Übergangsformeln  kommen  in  Nib.  und  Gudr.,  sowie  im  Bi- 
terolf  öfter  vor  (s.  Martin  zu  286),  doch  anter  ihnen  keine,  die  so  wie 
diese  sich  gleichen.  Eine  andere  parallel»1  aus  einem  entlegeneren  teile 
des  Nib.  kündigt  bereits  eine  im  fulgenden  sich  widerholende  berück- 
siehtigung  der  erzählung  von  Küdegers  ankunft  und  empfang  in 
Worms  an.  Beidemal  sind  ja  auch  die  Verhältnisse  die  gleichen:  hier 
die  um  Eriemhild  werbenden  boten  Etzels,  dort  die  um  Hilde  werben- 
den boten  Hetels! 

N.  1117  Do  die  vil  unkunden 
wären  in  bekomeu l, 
dö  wart  derselben  herren2 
vaste  war  genomen. 
si  wundert,  wannen  fiteren 
die  recken  an  den  Hin. 


G.  289  Bö  die  roii  Hegelingen 
wären  hin  bekamen 
■.im  ihr  Hagenen  bürge, 
da  wart  ir  war  genomen. 
die  Hute  wundert  alle, 
von  welker  hünege  lande  . . . 

Durch  eine  dem  bearbeiter  hier  ins  gedäehtnis  kommende  stelle  ist  wol 
veranlasst: 


X".  1465,  2dö  mohfe  man  si  kiesen 
an  herliehen  siten. 


G.  295, 2  man  mohte  da  wol  kiesen 

au   sinnt    In  ri  ii    siti  ii. 


Und  hierauf  treten  abermals  die  beziehungen  zu  avenr.  VI  hervor: 


N.  365,  lb  man  truog  in  üf  den  sauf  '■. 
356, 2hdiihten  si  unwert4'. 

369,  2  den  besten  den  man  künde5 
vinden  umben  Bin. 


G.  301, 2b  truoc  man  üf  den  saut. 
Shhet  um n  da  unwert  win- 
den. 

1  die  besten  du  si  bt  in  vin- 
den kundi  ii. 

vgl.  zu  lb  X.  708,  3. 


1)  G  Do  die  geste  waren  %en  herebergen  kamen.        2)  C  dö  wart  ir  gevertes 
3)  C  die  truog  man  üf  den  samt.  4)  A  eil  wert 

5)  C  den  besten  uin  2  den  man  Inder  künde 

11* 


104 


1.    KETTNER 


Einzelparallelen: 

N.  2284, 3  ea  enst  dm   mir  xebreste 
>ln\   Nibelunges  sivert. 
151,1  Du   boten  Herbergen 
h&ex   man  in  die  stat. 
1309,2  mantel  tief  unde  wtt1. 
2135,1  Swie  grimme    Hagene 

waere 
unt  surfe  herte  gemuot . . . 


G.  315, 3  ex  enst  der.   mir  gebreste 
also  gar  des  minen. 

319. 1  Fr  lii<\  si  herber  gen 
balde  in  die  stat. 

333. 2  tiefe'  mentel  irit. 

334, 1  Swie  richherHagenewaere 

und  swie  hoch  gemuot  . . . 


Sowie   der  bearbeite!  auf  die   empfangsformalitäten  zu  spre- 
chen  komt,    benuzt    er  vorzugsweise   die  erzählung  von  Rüdeger   (vgl. 
n  zu  G.  289);  daneben  noch  zwei  verwante  Schilderungen: 

G.  334, 2  diu  hüneginne  guot 

stuont  üfvon  dein  gesidele. 
335,1  Si  sprach  gexogenliche  : 


X.  11 2.">.  4  der  herre  stuont  von  se- 

deleK 
1379,1  Der  künec  gezogenltche 
grüexen  si  began: 
sit  wiUekomen  beide, 
ir  Hinnen  spileman! 
141, 1  Der  gruoxte  si  vil  scöne, 
>  r sprach:  sit  wiUekomen3/ 
wer  i ml/  her  habe  gesen- 
det, 
desn  hän  ich  niht  verno- 
men. 

1380.1  Si  nigen  deine  künege. 
1140,lb  wol gezogen  was  sin  muot. 

1127.2  den    gasten    hiex    man* 

schenken 
3  . . .  den  besten  wtn, 
<h  ,i  man  künde  vina\  n 
in  dem  lande  cd  um  den 

Bin. 


/in  sit  uns  tiriUekomen! 


o 


ich   und   der  künec   min 

hrrre 
haben  dax  wol  vernomen. 

336, 1  Si  nigen  ir  dl  gemeine, 
zühtic  was  ir  muot. 
3  dö  truoc  man  in  ze  trin- 
ken 
den  aller  besten  ivin, 
der  in  allen  landen 
in  vürsten  hüse  maegesin. 


Im  folgenden  ist  die  benutzung  eine  zerstreute,  und  nur  sehr 
wenige  parallelen  lassen  sich  zu  kleineren  gruppen  vereinigen. 


1)  C  Urne  tief  n.  w. 

2    • '  der  wiri  dö  von  dem  sei  de  gie  'jeejen  Rüedegere  dem. 

3)  C  Dö  sprach  der  kante  Günther:  nu  sit  wiUehymen. 
\  er. 


EINFLUSS   DES   KIB. -LIEDES    AUF    DIE   GUDRUN 


165 


N.2061,3b sehs  hundert  küener  man, 
daz  nie  Jcünec  dekeiner 
bexxer  degene  gi  wan. 

1691, 3  s?n'c  bilde  er  hie  gebäre, 
er  ist  ein  grimmer  man. 

484,3swer  einer  marke  gerti  \ 
dem   wart  so  vil  gegeben. 

411,1JEV  Ute  hin  widere, 

do  rant2  er  rechen   vil, 
da  diu  hüneginne 
teilte  ir  höhen  spil. 
1913,3 ein  foertex  swert  i/nofte3 
au  siner  hende  erklanc. 

129, 4  so  si  den  stein  würfen 
oder  schnxxen  den  schaft. 

526,  2  gctorste  si  in  küssen, 

diu  vrouwe  taete  daz 
1667, 1  Do  gierigen  sundersprä- 

chen 

die  dri  künege  rieh. 
1870, 1  Disiu  starken  meiere 

wurden  dan  geseit. 
1 114, 1  An  dem  sibenden  morgen 

ro)i  Bechlären  reit. 
1119, 3  xe  hove  si  do  riten, 

si  fuorten  guotiu  kleider 

vil  harte*-  spaehe gesniten. 

G.  433  Hagen  bietet  den 
schenke  rosse,  kleider,  gold  und 
ihre  grossen  gaben. 


<  i.  348, 1 ''  von  dem  küenen  man, 
da*  hünic  deheiner 
nie  noch  gewan 
sd  rehte  küenen  recken. 
4  surie  sanfte  so  er  gebän . 
i  r  ist  ein  maen  r  hell 

s'/inii    Im inli  it. 

35 1 .  3  da  i  sie  von  nieman  gi  rtt  n 
,n im ii   \<  i inet  marke. 

:;.").",.  I   Yilr  den  Jcünec  si  gu  ngt  n. 
da  wären  ritter  vil. 
da  vunden  si  besuna\  r 
maneger  hande  spil. 

361,2böfl  Waten  hende  erklanc 

vil  dicke  du:   schoene  wä- 

fcn. 

371,4  dö  würfen  si  du   sti ine 

and    begunden    mit   den 

scheften  schu  u  n. 

418,2  getorst  (hs.)  ich  vor  miner 

vrouwen, 
ich  knstes  an  ir  munt. 
420, 1  IM   giengen  sundersprä- 

eln  1/ 

die  xwene  ritter  guot. 
428,1  Ditxe  starke  maen 

gar  verholen  wart. 
430, 1  An  dem  vit  rdt  n  morgen 

xe  hove  si  dö  riten. 
iteniuwiu  kleider 
xe  wünsche  wol  gesniU  n 
truogi  ii  'in  die  geste. 

scheidenden   Hegelingen    als   ge- 
gesteine  an  zur  widervergeltung  für 


1)  C  ohne  parallelismus. 

3)  C  dicke 

4)  C  iv ol  mit 


2)  A  sach 


166 


E.    KF.TTXEK 


Gr.   }.".  1    Dö  sprach  Wati   der  alte:   u    rtche  ich  dazuo  bin, 
dm   ich  iuwers  goldes  mit  mir  Chi  vüere  hin. 

an  dem  uns  unser  möge  erworben  habent  hulde, 
IL        der  rtche,  der  vergaebe  uns  nimmer  unser  schulde. 
y.  1  128.   Deo  gesanten  Etzels  wird  so  reiche  gäbe  von  den  Bur- 
gunden  angeboten,  dass  sie  wegen  ihres  herren  sie  sich  nicht  anzuneh- 
men getrauen. 
X.  1429  Dö  sprach   vuo  dem  künegi  der  böte   WärbeUn: 
her  künic,  lät  iuwer  gäbe  hie   te  lande  sin. 
wir  mugen  ir  docli  niht  fiieren:  min  herre  ez  uns  verbot, 
dax   wir  iht  gäbe  naemm,  ouch  ist  es  hurte  lütxel  not. 
Der  ausdrack    in   G-.  434,  1.   2   zeigt,   dass    der   bearbeiter   noch 
eine  andere  stelle  im  sinne  hatte: 

\.  258,  1  Dar  zuo  was  er  %e  riche,  dax  er  iJ/t  naeme  solt. 
G.  434,  2  zeigt  auch  ähnliehkeit  mit  N.  487,  4  C. 

Einzelparallelen: 
N".  449,  lb  ich  wü  hinnen  varn. 
got  müi  u    in  wer  ere 
die   \>t  wol  bewarn. 


2123, 1  Und  weit  ir  niht  erwinden 

1002.  1  An  dem  dritten  morgen 
\<   rekter  messezU. 
VI'/'/   vierten  sich  engegene 
die  scoenen  frouwen  wider 

strit1. 
1  508, 1  '  da  ich  da  \  sehif  da  -  vant. 
Zu  beachten  ist  die  nähe  der  folgenden  Nib. -parallele: 


GL  436,  lhstt  wir  von  hinnen  ran/, 
got  niiteze  iuwer  ere 
und  iueh  selben  hiebewam. 
438,2  nu  ir  niht  weit  erwinden 
440,1  An  dem  naehsten  morgen 
nach  vruomesse  zit 
2  dö  Metten  sich  meide 
und  wtp  /eider  strit. 

442,  lh  da  er  diu  schef  vant. 


X.  1 176, 1  Si  swi  bten  sam  die  vögele 
vor  im  üf  der  vluot. 

435, 4  so  spranc   si    nach  dem 

"<irfe, 

ja  '  rklang  ir  aXU  \  ir  ge- 

iea,dz. 

;  1.  3  huop  er  <  in  !  stärkt  \  wä- 

fen, 
dm  was  scharpf  genuoc. 


Gr.  446,  3  si  swebten  sam  die  vögele 
in    dem   wazzer   bi    dem 

sande. 
450  1  T Va te  .  .  .  .  spranc 
2  in  eine  gälte, 
da  i  im  diu  //ranne  erTdanc, 

151,  2  mide  ein  swert  vil  schar- 

pfez, 

ex    was   steuere  giinoc. 


muDg. 


1)  A  alle  prowen.     C  vil  manie  junefrouwe  sit.  2)  da  fehlt  in  A. 

A  <ln\    h'if,   erklang  ir  gewant,    doch  B  ir  =  im.     C  ohne  überinstim- 


EINFLUSS   DES   NEB.-LIKDBS    All     Dil   GUDRUN  167 

( i .  155,  1  An  dem  sibenden  morgen  ist  widerholt  stroptienanfang 

in  Gudr.  und  Nib.,  vgl.  z.  I».  X.  72.    G.  219.     Ähnlich  (i.  i:;o.  552. 

G.  456 —  460,  1.  Die  Dünen  haben  boten  zu  Hetel  gesaut,  um 
ihm  ihren  glücklichen  erfolg,  dass  sie  Hagens  tochter  bringen,  zu 
melden. 

457  Hetele  der  kern    vil  vroeltche  sprach, 
dass  er  nun  der  sorge  um  seine  holden  ledig  sei. 

458  Ob  du  mich  niht  triegest,  vil  lieber  böte  in  in, 
und  mir  ihr,   niht  liegest 

so  wil  ich  dir  Ionen  dirre  maere  hark   lobelichen. 
Nach  der  ansrichtung  der  bo tschaft: 

460,  1  Dem  höhn  hit  \  er  (/(hin  icol  hundert  marki    wert 
N.221  —  242,  1.    Gernot  sendet  boten  nach  Worms  und  lässt  den 
freunden  den  glückliehen  ausgang  des  Sachsenkrieges  melden.    Dir  vor- 
her leid  trugen,  freuen  sich  der  botschaft.     Einen  der  beten  hri>^t  man 
zu  Kriemhild  gelten. 

224,  2  KriemhiU  diu  schoene  vil  güetlichen  sprach: 

nu  sag  an  liebiu  murre,  ja  gib  ich  dir  min  golt, 
tuostux  äne  liegen,  ich  wil  dir  immer  wesen  halt. 
Xach  dem  bericht  des  boten: 

241,  3  und  xehen  marc  von  golde,  dir  h<i\   ich  dir  tragen. 

Weitere  einzelparallelen: 

X.  1106, 4  w/7  lachendem  mnote1       G.  474,  1*  Mit  lachendem  muoU 

diu    cdele    junevrouwe  2a  sprach  dir  künic  Heteh 

sprach 
(beidemal  beim  empfang  nahestehender). 
G.  481.    Irold  und  Morung  gehen  Hilde    zur   seite,    um   sie  dem 
könig  als  braut  zuzuführen;    ebenso    gehen  X.  1290   zwei    reiche    for- 
sten, prächtig  gekleidet,  neben  Kriemhild  Etzel  entgegen. 


G.  482,  3  die  aller  besten  siden, 

dir    man    nndih    rindin. 


X.  355,  2  die  aller  besten  siden, 

die  ie  mar  gcican 

deheines  hüneges  Minne. 
Dass    der   bearbeiter   bei   den    kampfschilderungen    besonders 
avent.  IY  und  XXXII  vor  sich  gehabt  hat,    beweisen  mehrere  der  fol- 
genden parallelen,  vgl.  auch  oben  zu  G.  456  fg. 


X.  1867, 1 T772  Inte  riefdö  Bancwart 
clax  gesinde  allex   au: 
3  nu  teert  iueh  eilenden. 


<r.  496, 1  Hetelen  hörtt  man  rüefen 

Vasti    an    S17U    mim: 

nu  wert  iueh,  sneüi  dt  g> <nc. 


1)  C  munde.  2)   Vil  fehlt  in  A. 


16S 


E.    KETTNER 


X.  194, 3  sö1  seht  ir  keime  houwen 

/■<>,/  guoter  kelede  haut. 
X.  1492, 1  Bö  ruofte  er  (Hagen)  mit 

der  krefte, 
dm   al  der  wäg  erddz, 
ivan  des  heldes  sterke 
was2  michel  unde  gröx. 
221,  1  i  '.  fn  ten  die  vil  küenen 
wol  nach  eren  getan. 
vgl.  220,  3. 
Cls77.1  DerheUingröxem  x,omez 
tue  dem  hüse  spranc. 
207,  1  Dö  wart  ein  1  micheldrin- 

gen 
und  grözer  swerte  klane. 
L85,2<fö  stoup   m   dem  helme, 
m  von  brenden  arm 
die  viwerröten  vanken. 

E  inzelparallelen: 

N.  519,4  si  het  in  manigen5  ziten 
i  lieber  meiere  niht  ver- 
nomen. 
67,2^0  wil  ich  immer  sin} 
swie  ir  mir  gebietet. 


I  r.  498,  2  da  wurden  sper  geschoxxen 
von  guoter  beide  Jicutt. 
501,1  Hagcnc  ruofte  tute, 

dm   im  der  icdc  crdö\, 
an  die  sine  trute, 
sin  sterke  diu  /ras  gru\. 
502,  4  er  het  ex  tobet/ehe 

mit  Strien  eilen  da  getan. 

503, 1  Heigene  in  grozem  xorne 
spranc  ii  \    in  die  vluot. 

504, 1  Du    wart   auch   von    eleu 

swerteu 
ein  eil  michel  kleine. 

514,  3  del  seich  manic  degen 

eleu  viur  ü%  hebnen  stieben. 


G.  526  4  dö  horten  die  vrouwen 

in  maniger  zite  in  nie  so 
liebez  macre. 
531, 2 swie  du  mir  gebiiäest, 
so  teil  ich  immer  sin. 
vgl.  1287,  4.    1311,2. 
546,  2  daz  mein  die  Hute  d rinne 
vil  vroeliche  vani. 


1038,4  wie  lütxel  man  der  mäge 
dar  inne  vroeliche  reint. 
(340.  4  dir  Mute  drinne6 

wol  X.  1038  wie  G.  546  handelt  es  sich  um  eine  heinikehr.) 

N.  730,1  Mit  wie  getanen  vröuden1     G.  549, 1  Mit  wie  getaner  erc 

Von  gastgeschenken : 
X.  707.2  dm  t  \  niht  mohten  tragen 

ir  moere  heim  ze  lande.  von  sinem  hüse  mere. 

Trotz  der  formelhaftigkeit  von  G.  531,  2.  549,  1.  551,  2  seheint  doch 
nachahmung  bei  ihnen  vorzuliegen  wegen  der  nachbarschaft  von  N.  519 
und  567  einerseits  sowie  von  N.  730  und  707  anderseits. 


G.  551,  3  elaz  sis  niht  mohten  vileren 


1)  C  da  2)  A   von  des  heldes  sterke,  diu  was. 

3)  AB  Also  der  strttemüede  >' .  4)  ein  fehlt  in  A. 

6)  A  anders.  C  eren 


5)  C  langen. 


EIXFLUSS    DES    NIB. -LIEDES    AUF    DIE    GUDRUN  169 

G.  559.  Hagen  küsst  Hilden  beim  abschied;  er  und  sin  gesindt 
gesähen  nimmer  mer  da*  lant  w  Hegelingen.  Dieses  moment  des 
abschieds,  verbunden  mit  gleicher  reilexion,  begegnet  auch  N.  493.  Die 
scheidende  Brunhild  küsst  ihre  nächsten  freunde,  vuo  w  vater  lande 
kom  diu  frouiuc  nimmer  ///>'.  Ebenso  wird  beim  abschied  Rüdegers  das 
küssen  wie  das  nimmerwidersehen  hervorgehoben  N.  1648,  1.  1650,  2; 
vgl.  auch  723,  4. 

G.  560,  3  heisst  es  von  der  verheirateten  tochtcr:  er  künde  u 
nieman  sine  töhter  box  bewendeny  ganz  ähnlich  sagt  N.  2098,  2  Rüdc- 
ger  von  seiner  tochter  sine  künde  in  dirre  werlde  niht  box  verwen- 
det sin. 

Auf  er  muote  Hilden  tohter  580,  4  kann  der  bearbeiter  gebracht 
sein  durch  N.  3,  2D  ir  muotten  Icüene  rechen\  zumal  da  er  sich  im 
folgenden  wider  mit  den  anfangsteilen  des  Nib.  beschäftigt. 

G.  587  —  596  handelt  von  dem  entschluss  Hartmuts  um  Gu- 
drun zu  werben.  Der  bearbeiter  hat  hierbei  als  vorbild  gehabt 
N.  45  —  67,  wo  Sigfrid  in  der  gleichen  läge  wie  Hartmut  sich  befin- 
det. Eine  Zerlegung  dieser  beiden  erzählungen  in  ihre  hauptmomente 
zeigt  die  Übereinstimmung  beider.  Gudrun:  1)  Man  hört  in  dem  lande 
(Ormanie),  dass  niemand  schöner  sei  als  Gudrun.  Hartmut  entschliesst 
sich,   besonders  auf  zureden  seiner  mutter,    Gudrun  zu  heiraten   587. 

588.  2)    Der  vater,    dem   dies  mitgeteilt  wird,   macht   einwendungen 

589.  590.  3)  Hartmut  weist  diese  zurück,  will,  dass  boten  gesendet 
werden.  Gerlind  unterstüzt  dieses,  will  den  boten  geld  und  kleider 
geben  591.  592.  4)  Ludwig  weist  auf  den  Übermut  des  volkes  hin, 
befürchtet,  dass  sie  für  zu  gering  angesehen  werden  593.  5)  Hartmut 
will  ein  ganzes  heer  hinführen,  wenn  es  nötig  ist;  er  will  nicht  ruhen, 
bis  er  Gudrun  gewint  594.  6)  Nun  will  Ludwig  die  Sendung  der 
boten  in  geziemender  weise  besorgen.  Hartmut  wählt  60  seiner  man- 
nen aus  595.  596.  —  Nibelungenlied:  1)  Sigfrid  hört  von  Kriemhilds 
Schönheit  sagen,  er  entschliesst  sich,  da  seine  mage  und  mannen  ihm 
zum  heiraten  zureden,  Kriemhild  zu  nehmen  45  —  50.  2)  Seine  eitern 
hören  dies,  beide  suchen  ihn  davon  abzubringen  51.  52.  3)  Sigfrid 
besteht  darauf:  er  will  auf  jede  minne  verzichten,  wenn  er  nicht  Kriem- 
hild gewint  53.  4)  Sigmund  ist  bereit,  ihm,  wenn  er  durchaus  wolle, 
in  jeder  weise  zu  helfen.  Aber  er  warnt  vor  dem  Übermut  der  man- 
nen Günthers  54.  55.  5)  Sigfrid  will  im  Weigerungsfälle  leute  und 
land    mit   gewalt    ihnen    entreissen.     Als    ihn    hierauf   Sigmund  warnt 

1)  X.  3  fehlt  BC. 


170 


E.    KETTNER 


und  ihm  ein  beer  anbietet,  erklärt  er,  dass  er  nur  selbzwölfter  ziehen 

werde  56  —  60,  3.  Man  stattet  seine  beiden  aus.  Auch  Siglind  ist 
mit  ihren  trauen  dabei  behilflich  (vgl.  G.  592)  61  —67.  —  Dazu  kom- 
men noch  ähnlichkeiten  im  ausdruck: 


G.  587. 1    D6  gevriesch    man   diu 

maere. 
594,4  ich  erwinde  nimmer. 
595,1  Ich  hilfe  ex  gerne  vüegen. 


N.  52,1  Ex  gefriesch  oueh  SigUnt. 

54,  1  Und  wil  du  nikt  erwinden. 
3  und  wil  dir\  helfen  enden1 

Gr.  >;,  l  —  3   in   Ormanie  lant,   dm    nieman  schoener  waere,   danne 

was  erkant  diu  Ileteleu  tohter  ist  wol  entstanden  durch  eine  erinnerung 
an  X.  172,  1  —  3  in  Burgonden  laut,  ich  wil  selbe  tiwerr  wesen9, 
danne  ienien  habe  behaut  deheine  küneginne.  Ebenso,  wenn  es  von 
den  boten  heisst  G.  599,  4a  diu  ros  wurden  traege  Avie  N.  682,  4  diu 
ros  den  boten  wären3  miiede  von  den  Jangen  wegen. 

Bei  der  behandlung  der  braut  Werbung  wird  wider   die  darstel- 
lung  von  Rüdegers  sendung  herangezogen  (vgl.  zu  G.  289.  334  fg.): 


X.  1101.4*//  vuoren  in  der  mäxe4*, 
1116, 3  üa\  si  eil  rtche  wären, 
dax   wart  da  icol  behaut 


G.  603, 2  si  vuoren  in  der  mäxe, 
da:   iegeltcher  sprach, 
dax,  si  tvacren  rtche. 


Man   berichtet  dem  könige  von  den  boten  und  besorgt  ihnen  sogleich 
herbeige  Gh  603,  4  —  604,  2.     N.  1115,  3.  4.     1116,  4. 

Wie  N.  292   die  beiden  sich   liebenden   Sigfrid  und  Kriemhild 
n  ougenbUcken  einander  eil  tougenlich5  ansehen,  so  wirft  Hart- 
mut   bei   seinem   ersten    Zusammensein    mit   Gudrun   dieser  verstohlene 
blicke  zu.     Im  ausdruck  passen  noch  besser  zu  einander 

N.348, 1  Friuntliche  bliche 

und  giietlichex  sehen, 


G.  624, 2  tougen  ougenbUcke 

was  da  vil  geschehen. 


des  mohte  da6  in  beiden 

harte  ril  geschehen. 

Einzelparallelen: 
Gr.  636,  1  Bchliesst  die  frage  mit  (nijwan  aUex  guot  wie  N.  2108, 3. 


N.  471.1  er  sprach:  wol  üf,  irhelde, 
ir  suli   .'    Sifridt  gän. 
472. 1  Si sprungen  von  den  betten 
uni  wären  vil  bereit. 


G.  639,  3a  wol  üf  in  der  selde 

4a  und  wäfent  iueh,  irhelde/ 
640,  1  Si  Sprüngen  von  den  betten 
and  Ingen  dö  niht  mer. 


1)  C  f Hegen.  2)  A  wesen  tiicerre 

3)  A  ros  und  liuk  wären  4j  C  ohne  parallele. 

'))  A  tougen  6)  A  von 


EINFLUSS   HKS    NIB.- LIEDES    AUF   DIE    GUDRUN  171 

Die  erwähnung  der  anter  den  schwertschlägen  sprühenden  tunken 
G-.  644,  1,  womit  sich  etwa  N.  1999,  1.  2  am  besten  vergleichen  Hesse, 
ist  als   ein   zu  algemeiner  zug   in   den   epischen  Bchlachtschilderungen 

hier  ohne  bedentung. 

Bei  der  darstellung  der  zwischen  Herwig  und  Gudrun  ent- 
stehenden liebesneigung  lag  dem  bearbeitei  Nil).  avent"V  vor,  die 
mit  ihrem  ausgeprägt  höfischen  charakter  ihm  besonders  zusagen 
mnste;  ausserdem  aber  hat  er  zur  darstellung  der  Verlobung  einen 
blick  in  avent  XXYI1  geworfen,  wo  das  verlöbnis  des  jungen  Giselher 
mit  Rüdigers  tochter  berichtet  wird.  Schon  wenn  654,  2  Gudrun 
gezweiet  mit  ir  muote  genant  wird,  d.  h.  ..in  ihrem  Binne  zwischen 
den  eitern  und  dem  geliebten  schwankend"1,  bo  hat  der  bearbeiter 
offenbar  im  sinne  gehabt  die  werte  aus  X.  C  1621,  3  in  gexweietetn 
muote*,  welche  die  Stimmung  der  halb  neidisch  halb  freudig  der 
Verlobung  Giselhers  beiwohnenden  Jünglinge  bezeichnen.  VgL  auch 
G.  1308,  2  gcxiceict  was  ir  nmot.  Der  auf  den  nicht  ganz  gleichste- 
henden bräutigam  sich  beziehende  ausdruck  dir.  ich  in  versmähe  durch 
min  lihtez  künne  656,  3  (der  versmähet  da\  657,  1.  daz  <\  mir  niht 
versmähet  657,  3)  ist  jedenfals  veranlasst  durch  Rüdegers  worte  Som 
lat  in  niht  versmähen  min  eilendes  solt  C1620,  l3. 

Nun  zu  den  parallelen  ans  Nib.  avent.  Y.  <e  658,  .'5  mit  liep- 
liehcn  blicken  er  sach  ir  nuder  d'ougen  erinnert  an  N.  21)2.  3  mit 
lieben  ougen  blicken  einander  sahen  an;  zu  G.  658,  4  si  trüege  in  vrm 
herzen  vgl.  N.  280,  3  der  si  da  truog  in  herzen.  —  Der  bräutigam  ist 
in  beiden  fällen  bildschön;  bescheidener  gedacht  in  Nib.,  grossartiger 
in  Gudr. 


N.  285, 1  Do  stuont  so  minnecltche 
daz  Sigmundes  kint, 
sam  er  entworfen  waere 

an  ein  per  mint 

von  guoten  mei-sters*  listen. 


G.  660, 2  vor  der  juncvrouwt  n 
stuont  der  hell  guot, 
sam  er  ü  i  meisti  rs  hende 
wol  entworfen  waere 

an  einer  tri-.cu   wende. 
(vgl.  1601.) 

1)  So  richtig  erklärt  von  Bartsch,  der  in  ir  mimt,  liest  und  auch  die  ai 
führte  stelle  aus  Nib.  C  citiert.  gexweiet  mit  ir  muoter  d.  h.  sie  und  ihre  in 
zusammen,  wie  nach  dem  Vorschlag  von  C.  Hofinann  Martin  und  Srjmone  Lesen  wol- 
len, würde  doch  sehr  schlecht  passen  zu  dem  gleich  folgenden  Küdrün  enphieng 
in  mit  anderen  rrouircn.  Hilde  macht  sich  in  dieser  scene  gar  nicht  bemerklich, 
und  655,  4,  wo  sie  erwähnt  wird,  hat  zusammen  mit  v.  2  und  3  nur  vorausdeuten- 
den sinn.  2)  AB  in  proeltehem  muote. 

3)  Ganz  abweichend  von  AB:  So  sol  ich  in.  mit  trittwen  immer  wesen  holt. 

4)  C  guoter  meider. 


172 


E.    KETTXER 


Aus  anderen  teilen  des  Nibelungenliedes  stammen  die  beiden  fei- 
nden parallelen,  vielleicht  reminiscenzen: 


G.  661,1  Geruochet  ir  mich  min- 

nen  . . . 


N.  1175, 1  Und  geruochet1  ir  te  man- 
nen 
n  edelen  herren  mtn  ... 

S  i  leitet  Rüdeger,  so  Herwig  die  verheissung  der  ehre  und  macht  ein, 
die  durch  die  Vermählung  dort  Kriemhild,  liier  Gudrun  zu  teil  werden  soll. 


N.  567,2b<;d  iril  ich  immer  stn, 
swie  ir  mir  gebietet. 


GL  661, 2  so  wil  ich  immer  sin. 

swie  ir  mir  gebietet,  (vgl. 
531.) 

Diese  ergebenheitsversicherung  Herwigs  lässt  sich  vergleichen  mit  der 
Sigfrids  N.  303.  —  Bei  der  erzahlung  der  eigentlichen  Verlobung 
zeigt  sich  wieder  der  einfluss  von  avent.  XXVII: 


X.  1622. 1  Du  man  begnnde  vrägen 

die  minnecltchen  meit, 
ob  si  den  recken  icoldc. 


G.  664, 1  Vrägen  si  begunde 
2  Hetele  dö  xe  stunde, 
ob  si  xe  einem  man 
/rotte  Herwigen. 


Die  erzahlung  von  dem  kriege  zwischen  Sigfrid  von  Moiiand 
und  Herwig  enthält  ausdrücke,  die,  einzeln  genommen,  algemein  und 
bedeutungslos  wären,  in  ihrer  gesamtheit  aber  eine  berücksichtigung 
von  Nib.  avent.  IV  (Sachsenkrieg)  beweisen: 


N.  169, 1  Dö  besant  ouch  sich  von 

Sahsen 
der  küene  Lindger. 
4  dö  1"  U  auch  sich  hieheime 
der  kiinec  Günther  besant 
170.1  mit  den  sinen  mägen. 
143.  1  Ir  habet  irxorn2  verdienet. 
146.  4  disiu  starken  maere 

sol  ich    minen   vriunden 

Idagen, 
175,3  mit  raube  und  ouch  mit 

brande 
wuosten  si  dm   lant. 
191, 1  Den  von   Tenemarke 
uns  vil  grimrru  leit. 
210.  2*' des  lag  ir  vil  da  tot. 


G.  688, 1  Do  besante  sich  Sivrit, 

der  kiinec  von  Mörlant. 
670, 1  Mit  ahtxic  tüsent  helden 
hete  er  sich  besant. 

671,3?ffm  er  nie  verdiente 

der  riehen  künege  hax. 
672, 1  Er  klagete  ex  sinen  vriun- 
den. 
2  dax  man  im  brennen  wolte 

und  tvüesten  sin  lant. 
675, 1  Dem  recken  vx  Selant 

was  sin  schade  leit. 
676, 1  des  lac  da  maneger  tot. 


1)  C  ruochet 


2)  C  ha, 


KIM  Li  BS    I>ES    NIB.-LlKl>i:K    A.U1     DIE    GUDRUN 


173 


N.  162,1  Und  lad  die  boten  rtten 
heim  in  ir  herren  laut. 

202,4  sus  würben  nach  den  eren. 

161, 3  onch  sol  da  mit  rtten 
Volker  der  küene  man: 
der  sol  den  vanen  füeren. 


G.  677.  1  Die  boten  hiex  er  rtten 
in  dm   Hetelen  lant. 

<>79, 4  s/  werbent  vaste  umb  ere. 

681).  2  troU  der  degen 
sol  cd  ihr.  gesindi 
)t<i<li  dem  vanen  wisen. 


Einzelparallelen: 

Gk  705,  4  gäben  herberge,  ein  kämpf esausdruck,  findet  sich  mich 
N.  1955,  2  gab  er  herberge. 


N.C  17 07, 2  diu  hüneginne  her 
was  des  vil  genoete, 
dax  si  geraeche  ir  leit '. 
N.  1391,  1  Dö  sprach    aber  War- 

belin  - : 
und  mühte*  dax-  gesche- 
hen, 
<hr.   wir  mine  vrouwen 
konden  ei  gesehen 

(vgl.  669,  1.  2.) 
dax  er  da  für  niht  naeme 


276, 


o 
o 


G.  737, 1  Des  uns  du  vil  genoetec 
diu  nllr  OerUnty 
wie  si  <hr.   recht  n  möhte 
740, 1  Dö  sprach  der  junge  Hart- 

muot: 
und  möhte  dw.  geschehen, 

du-,   ich  du  Hilden  tohter 
solh   hie  gesehen. 

740, 3  da  rür  ich  niht  naenu 
ein  wttex   vürsten  rieh 


eins  riehen  hünegeslant5. 

Von  Gerlind  (vgl.  oben  z.  737)  heisst  es  G.  742,  2:  si  hete  in  ir6 
übte  mit  folgendem  finalsatz,  von  Kriemhild  N.  C  2023,  6:  si  hei  t  i 
in  ir  übte  vil  gerne  dar  xuo  bräht,  dax. 

G.  750.  Wol  inner  xwelf  mileu  komt  das  Normannenheer  zu  dem 
lande  der  Hegelingen  in  die  nähe  der  bürg  Hildes  (es  legt  in  einer 
zwölf  meilen  grossen  entfernung  von  der  bürg  an?),  so  dass  sie  pt'al- 
zen  und  türme  derselben  sehen.  Hier  scheint  dem  bearbeitet  die 
ankunft  der  Burgunden  vor  JBrunhilds  bürg  vorgeschwebt  zu  haben 
N.  371.  372.  388,  deren  darstellung  auch  begint  C  371,  1  Iure  tagen 
%  welven  7. 

In  der  beschreibung  der  aufnähme,  welche  die  fremden  .  n- 
ten  finden,   sucht  der  bearbeiter  nach  dem  muster  zweier  stellen  des 

Nibelungenliedes  die  höfische  etikette  hervorzukehren : 


1)  AB  dax  si  in  taete  leit.  2)  C  Do  sprach  der  böte   Wärbel 

3)  C  künde  statt  und  mühte  4)  A  $  landen 

5)  C  naeme  niht  eines  hüniges  lant.  6)  in   ir  Vollmer,  hs.  mit. 

7)  AB  An  dem  i  weiften  morgen. 


174 


E.    KETTNEB 


N.  151, 2  swu   vient  man  in  waere, 

vil  s<<hte  ir  pflegen  bat 
Günther  der  riche. 
1131, 1  Do  stuni  er  von  dem  S(  dt  le 
mit  allen  sinen  man* 

165,1  Ihn  hotin  riche  gäbi 
man  dö  für  truoe. 


G.  7 1)7. 1  State  erböigen  si  in  waert  n, 
schenken  man  in  hü  i 
den  boten  vor  den  maeren. 

768. 1  Vit  gexogenliche 

von  dem  sedele  sttiont 
aüex  dax  gesinde. 

772.2  rron  Hilde  hiex  si  ivern, 
State  vremede  si  ir  wären. 


ir  gäbe  riche. 

Zu  G.  772,  4  der  si  doch  niht  nämen  vgl.  N.  1429,   wo  Wärbelin  die 
be  Günthers  stolz  zurückweist. 
Einzelparallelen: 
X.  406,  4  \nht  des  jungen  beides 
diu l  tet  Albrtche  we. 
1403,4  die2  Sifrides  wunden 
toten  Kriemhilde  we. 
2159,  lhex  ist  uns  übel  körnen. 


1039,  lTT7ß  si  nu  gefüeren} 

des  enkan  ich  niht  gesogen. 

494, 1  1)6  hört  mau  üf  der  verte 

maniger  hande  spil. 
1372, lühs  kommt  niwe  meiere. 

1379.1  Der  künec  gexogenliche 

grüexen  si  hegan: 
sit  wiUekomen  beide. 

1381.2  wie  gehabet  sieh  Etxel? 


G.  800, 4  gewalt  der  Ludewiges 
tele  Kudrüueu   we. 


807, 2*  ex  ist  mir  honten  iibele 

(s.  z.  816.) 

809. 1  Wie  si  nu  ge fiteren, 
wer  mühte  iu  dax  gesogen? 

813.2  ouch  mohte  man  dohoeren 
maneger  hande  spil. 

814,  3  uns  kument  niuwiu  meiere. 
815, 1  Der  künec  gierig  in  enge- 

gene, 
2  gexogenliche  er  sprach: 

sit  wiUekomen,  ir  herren. 
4  wie  gehabet  sich  min  vrou 

Hilde? 


Hier,  bei  einem  botenernpfang,  also  einem  konventionellen  Vorgang-, 
zeigt  sich  wider  ein  etwas  längeres  verweilen  an  einer  stelle  des  Nibe- 
lungenliede-. 


N.  21  ."39.  2 '  so  grö  i  en  sehn  den  . . ., 
den    nimmer    überwin- 

dent 3 
ir  Hut  und  ouch  ir  lant. 


G.  816, 4  schaden  also  gröxen 

ich   waene  diu  laut  niht 
überwinde. 


1)  diu  fehlt  A.  2)  die  fehlt  A.     Die  str.  fehlt  C. 

a  den  wir  nimmer  überwinden 


EINFLUSS    DES   NIB.- LIEDES    AUF    DIE    GUDRUN 


175 


Über  eine  standesgemässe  ehe:  G.  819,  1  Küdrun  waere  hin  te 
im  nach  eren  nihi  gewant,  X.  2098,  2.  3  sine  künde  nihi  box  ver- 
wendet sin  üf  zieht  und  auch  üf  >  > 


N.  1138, 3  tca\  iu  min  lieber  hörn 
her  enboien  hat, 
sit    int    sin    (Um-    nach 

Heichen 
sörehte1kumberlfchenstät. 

910. 2  ich  weix  hie  eil  nähen 

367.3  die  rehten  wax  lersträxen, 
die  sint  mir  wol  bekant 

328, 2hswie  ex  mir  ergi. 


Qt.  822  wax   /ms  min  vrou  Hilde 
her  ( nboten  hat, 
dax  ex    te  HegeUngi  n 

ad  rehü  unvroelichen  stät. 
836,3  ich  weix  Me  bt  vil  nähen 

(vgl.  838,  ::.) 
ir  rehte  wax  lersirä  u . 

V;il.  'S'snii  \    uns   ihr    nach    '/</'■ 


G.  844,  1  Hetele  der  enruochte  (843,  2  er  ahti   <  .   nihi  ein  bröf), 

oh  si  immer  usw.  scheint  hervorgerufen  zu  sein  durch  N.  1902,  1 
Ilagene  aide  ringe,  gevidelte  er  nimmer  im'.  Denn  hier,  wo  der  bear- 
beiter  zu  dem  kämpf  auf  dem  Wülpensande  komt,  wendel  er  sich 

den  den  kämpf  der  Nibelungen  enthaltenden  teilen  des  Nibelungen- 
liedes zu;  diese  lieferten  ihm  von  1858  ein  reiches  material  von  moti- 
ven,  Wendungen,  ausdrücken  und  sätzen.  Zwischen  diesen  entlehnun- 
gen  finden  sich  noch  einige  wenige  anderweitige. 


N.  1867, 1  Vil2  Inte  rief  du  Dancwart 
dax  gesinde  atle\  an. 
2011, 3*  £  si  die  für  gewunnen 

1980,1  and  lief  Gernöten  ans 

1975, 1  Do  sehn:  ten  si  die  gere, 
3  dax  die  gerstangen 
r/74  höhe  draeten  dan. 

2214, 1  Er  slnoc  den  videlaere 
üf  den  heim  gnot, 
dax  des  swertes  ecke 
itnx  üf  die  spange  wuot. 

1978, 3ber  was  ein  übel  man. 

1907, 1  Der  junge  sunvrounUotcu 
\uo  dem  strite  spranc: 
sin  trafen  herlichen 
durch  die  helme  erklanc. 


G.  858, 1  Lüte  ruofte  dö  Ludewic 
an  alle  situ    man. 
862, 2&  e  sie  dax  lani  gewunnen. 
863,1  der  lief  Waten  an. 

2  mit  einem  sper. .  sehn  \  er.., 

3  dax  diu  stücke  höhe 
Sprüngen  in  die  windt . 

864,1  Wate  hudewigen 

durch  den  heim  slnoc, 
dax  des  swertes  ecke 
üf  dax  houbet  truoc. 

865, 2he\   was  'in  übel  gast. 

866,1  Hartmuot  und  IroÜ 
uo  i  inander  spranc. 
ir  ietwederes  wäfen 
üf  dem  helme  erklanc. 


1)  C  sin  dinc  so  2)  Vil  fehlt  A. 

3)  C  Gernöten  lief  er  an 

4)  vil  fehlt  A. 


176 


K.    KETTNEB 


N.  1917.  2 '"ihr  maere  heÜ  guot.1 
1992,  lhvü  maere  heÜ  guot. 


GL 867, lb ein  maerer  hilf  guot. 

875,  3V/y/  maerer  hell  ril  guot. 


G.  870    wird  von    den    im   kampfgewühl   im   meere    ertrinkenden 
gesagt: 

2  ea   Mwd  raie  feeß  o&  maneger  gedrücket  an  den  grünt. 
ein  lant  si  mähten  erben,  die  dar  wunden  stürben. 

N.  C  2159,  5  fg.  heisst  es  von   den  in  dem  kampfgewühl  inner- 
halb des  saales  niedergeworfenen  und  im  blute  ertrinkenden: 

6  ril  maneger  äne  wunden  dar  niäer  wart  geslagen, 
der  wol  genesen  waere.     ob  im  wart  solch  gedranc, 

gesuni  er  anders  freiere,  der  in  dem  bluote  doch  ertranc. 
Dass  dieser  törichte  einfall  des  redaktors  C  die  Veranlassung  zu  jenem 
ganz  natürlichen  zuge  in  der  Gudrun  gewesen  ist,  erscheint  kaum 
glaublich.  Dennoch  —  mag  nun  in  der  vorläge  des  bearbeiters  schon 
etwas  derartiges  gestanden  haben  oder  nicht  —  darf  man  die  strophe  in 
C  nicht  aus  der  Gudrun  ableiten.  Die  fassung  in  dieser  ist  jedenfals 
durch  C  beeinflusst:  und  man  hat  um  so  weniger  grund  an  die  priori  tat 
der  Gudrun  hier  zu  denken,  als  das  vil  maneger  in  starken  Übertreibun- 
gen widergegeben  ist  und  der  ausdruck  auch  an  Unklarheit  leidet  (v.  4). 

G.  875,  lh  wie  mähte  der  küener  sin? 

4  wie  kundens  ivesen  küener 

der   alte  Wate  und  ouch 

(von  Tenen)  Fruote? 

877,1  Der  herte  strit  der  werte 

des  selben  tages  lanc. 
879, 1  Diz  werte  in  gröxensorgen, 
vir.    in%  diu  naht  benenn. 
880, 1  die  truogen  hoch  enhant 
2  ir  vil  scharphiu  tväfen. 
ir  ietweder  vant 
mit  kreften  an  dem  an- 
dern 5 
rehte  wer  er  waere. 

885, 3  der  tac  weis  verendet, 
nahten  e%  begunde. 


X.  1883, 4b  iciemoht  erküenergesin ? 
2223,  4  Hildebrant  der  küene 

wie  künde    er  grimmer 
gewesen?2 
2022,  1  Der  herte  strit  der3  werte, 
unx  inx  diu  nahtbenam. 


2234,  2  höher  an  der  haut 

3  huob  er  ein  starke:,  wäfen. 
185,4  ir  ietweder  den  sinen 
an  dem  anderen  vant*. 


1548,4  si  versuohten,  wer  si  wä- 
ren G. 
1756, 1  Der  tac  der  ~  hete  nu  ende 
und  nahet  in  diu  naht. 


1)  C  der  küene  degen  guot 

2)  C  torn  der  Hildebrandes  künde  gri/m/mer  nihi  gewesen. 

3)  der  fehlt  A:  C  do.  4)  C  ohne  parallelismus. 

-     Vollmer,  hs.  an  einander.        6)  C  ohne  parall.         7)  der  fehlt  A. 


F.IN'FLVSS    DES    N'IB.  -  LIKDKS    AUF    DIK    GUDRUN 


177 


G  886, 1  Wim  r  von   T(  nemarh 
te  Höranden  spranc, 
sin  swert  im  hartt   lüte 
an  der  kende  erhlanc. 


903, 2  Fruote  bi  dem  lufti 

kiesen  do  began. 
914,1  Vil  unmüexic  si  wären 
im  i  an  den  sehsten  tac, 
91  5,  2b  nindert  anderswo. 
3h  in  deheim  m  lande. 


N.  1903,  lVotl-rr  der  ril  sneUe 

von  <hn/  fische  spranc} 

sin  videlboge  im  lüte 

an  siner  hende  erhlanc. 
1913, 3  ein  herti",  swert  im  ofti 

an  siner  hende  erhlanc. 
1787, 3  ich  hiusex  von  dem  lüfte. 

1210, 1  Si  wären  vil  unmüexec 

wol  fünftehalben  tac. 

322, 2  in  den  landen 

ninder  anderswä. 

In  der  erzahlung  von  der  bestattung  der  Eegelingen    und  von 

der  Stiftung  des  klosters   merkt   man   an  einigen  ausdrücken,    dasa 

der  bearbeiter  die  darstellung  von   dem   begräbnisse  Sigfrids   in   avent 

XVII  durchgesehen  hat.     Zu  G.  915,   1    Lesen  muh    singen  man  horU 

so   vil  da  vgl.  N.  1005,  3  man  sanc  undt   h/s;    zu  Gr.  915,  3  gott   so 

schone  diente  vgl.  N.  C  996,  1  Do  man  <hi  gote  gedientt   oder  X.  1004, 1 

Du  gote  da  wart  gedienet;  zu  G.  915,  4  vil  ehr  phajfen  vgl.  N.  1005,  I 

heg  iea\  guoter  pfaffen  usw.;    zu  G.  917,  3  durch  tri  Ihn  der  sih.    vgl. 

N.  993,  3  durch  willen  siner  sele,  beidemal  in  Zusammenhang  mit  den 

reichen  spenden. 

Die  klagende  Hilde  hatte  ihr  vorbild  in  der  klagenden 
Kriemhild:  daher  übte  avent.  XVII  noch  weiter  ihren  einfluss  aus. 
Gr.  926,  1  Owe  miner  leide,  womit  Hilde  die  klage  anhebt,  ist  zwar 
an  sich  ganz  formelhaft,  doch  wird  ebenso  die  klage  Kriemhilds  N.  953,2 
(am  genauesten  C)  eingeleitet.  Vgl.  auch  N.  1685,  1.  Ritter  und  Jung- 
frauen werden  G.  927  von  leid  ergriffen,  als  die  königin  klagt;  eben 
klagt  N.  954  alles  gesinde  mit  der  herrin.  Dem  ausruf  Hildes:  In i 
solte  ich  dax  geleben  G.  929,  1  entspricht  der  Kriemhilds:  Hey*  soldt 
ich  den  bekennen  N.  965,  1.  Hilde  nent  sich  gotes  armiu  929,  1  wie 
Kriemhild  1020,  4  (XVIII)2  bezeichnet  wird.  Dö  sprach  diu  jämer- 
hafte  G.  932,  1   =  N.  955,  1. 

In  dieser  darstellung  weisen  3  stellen  auf  entferntere  teile  des  \'il>. 
N.  2017,2  meide  unde  vrouwen  G.  927, 1  Ritter 

die3  quelten  da  [  den  lip. 
2024,3  dan  lange  da   te  quelne 


üf  ungefüegiu  leit. 

1)  Hey  fehlt  A.  2)  C  diu  Jcüniginhe. 


quelten  dö  den  /</> 
von  ungefüegem  leide. 


4)  C  ouch 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE. 


BD.    XXIII. 


3)  die  fehlt  A. 
12 


178 


E.    KETTXER 


N.  1703, 2  alles  des  er  gerie 

des  waer  ich  im  bereit 


Cr.  929,2  al/e\  dm   ich  htte 

wolte  ich  dar  umbe  geben. 


G.  930, 2  wir  suln  uns  besenden 
in  disen   iwelf  tagen. 


Di. 's«>    wortr   kri.mhilds    und   Hildes   beziehen    sich    auf  den    der- 
einstigen  racher. 

N.  1  öd,  3  wir  mugen  uns  niht  besen- 
den 
in  so  kurzen  tagen. 
Wahrend  von  diesen  drei  stellen  G.  927  und  930  durch  blosse  erinne- 
rung  entstanden  sein  mögen,  scheint  N.  1703  angesucht  zu  sein,  wie 
man  auch  nach  massgahe  der  folgenden  parallele  annehmen  kann.  Auch 
hier  ist   es  der  rächer  (Blödel,  Herwig),  der  der  königin  antwortet: 

( i.  936,  2  c\  nuio:  <  rarnenHarhnnot, 
da  v  er  mir  ie  min  wtp  . . . 
4  ich  rite  im  noch  so  nahen 
usw.  usw. 

also  auch  ein  ziemlich  gleichartiger  abschluss  der  Versicherung. 
Vielleicht  remini szenzen  sind: 


X.  L846, 3  -  \  in  uir.  eramen  '  Hagne} 
da\  -  t  r  in  hat  getan. 
1/  antwurt  in  gebunden 


X.  14-10. 1  Nu  laxen  dm   beliben, 
wie  si  gebären  hie. 

18,4  den  (lip)   WÜich  Verliesen, 

sine  werde  min  wtp. 


Gr.  951, 1  Nu   Id'.en  wir  bell  heu, 
wie  ez  umbe  si  gestä 
(vgl.  67.  1071). 
959,  4  den  lip   iril  ich  Verliesen, 
e  ich  in    ie  vriunde  welk 
gewinnen. 

Im  begriff  die  seefahr t  der  Normannen  zu  erzählen  denkt  der 
bearbeiter  an  die  fahrt  der  Burgunden  über  die  Donau.  Dass  er 
diese  erzählung  aufsucht,  verrät  sich  schon  Gr.  953,  1  Mit  vil  grdzen 
sorgen  kömens  über  vluot,  vgl.  N.  1467,  2  da%>  ergie  den  Nibelungen 
■  ii  sorgen,  wie  si  koemen  übere,  1511,  lb  koemen  über  fluot. 
Besonders  auffallend  ist  folgende  entlehnung.  N.  1517,  3  sagt  Gernot 
zu  Hagen,  der  den   Kaplan  ins  wasser  geworfen  hat: 

taet&x  ander  iemen,  <\  solt  in  wesen  leit. 
Gr. 964,  3  sagt  Hartmut  zu  Ludwig,  der  das  gleiche  Ghidrun  angetan  hat: 

taete  <■:   ander  iemen,  so  zürnte  ich  also  sere. 
Diev..  parallele  zeigt,    wie   der  bearbeiter  in  dem  bestreben   den  ton 
des  Nibelungenliedes  zu  treffen,  solche  züge  und  werte,  die  deut- 
lieh   das   kenzeichen    ihrer    herkunft  tragen,    nicht    nur   nicht  vermie- 
den, sondern  zuweilen  3ogar  gesucht  hat.     Vgl.  GK  334,  1. 


1 1  < '  arm  n  2)  C  swa  i 

r>i  C  oder  ich  wil  darunibt    mtnen  li]>  nrloren  hau 


EINFLUSS    DF.S    XIB. -LIEDES    AUF    DIE    &UDB  17!» 

G.  966  fgg.  Hartmut  hat  Gudrun  gewonnen  und  einen  gefahr- 
lichen kämpf  dabei  bestanden.  Er  entsendet  boten  an  Gerlind,  um  das 
gelingen  der  kühnen  tat  voraus  zu  verkünden.  Dieselbe  läge  der  dinge 
haben  wir  N.  49b  (rückkehr  Günthers  mit  Brunhild).  Daher  schlag! 
der  bearbeiter  diesen  teil  de-  Nibelungenliedes,  den  er  sehen  mehrfach 
benuzt  hat,  wider  auf,  um  mit  dessen  hüte  (von  518  an)  eine  ausführ- 
lichere beschreibung  von  der  ausrichtung  der  botschaff  und  dem 
sich  daran  schliessenden  empfang  zu  geben.  Doch  hat  er  dabei  auch 
die  von  Rüdegers  und  der  spielleute  Sendung  handelnden  abschnitte 
berücksichtigt,  wie  folgende  parallelen  zeigen: 
N.  1350,2  ich  enbiute  mtnen  vriun-     <'.  966,2  do  enbötfman]  vroun  Ger- 


den - 
liih  und  alle:   guot. 
1133,1  Dö  sprach    der  höh    bi- 
derbe1: 


li  inh 

li<  l>  irnde  i///o/. 
968, 1  Do  sprach  ihr  hole  bidt  rbe 


Zerlegen  wir  nun  zunächst G. 966  —  !»70  in  die  einzelnen  momente. 
1)  Der  böte  hat  Gerlinde  das  nahen  der  kommenden  gemeldet:  dö  ihr. 
gehörte  Gerlinty  ja  waene  ich  ir  lieber  nie  geschaehi  967.  2)  Der  böte 
berichtet  die  aufforderung,  class  sie  von  der  bürg  herabkommen  soll 
um  die  Jungfrauen  zu  empfangen:  ir  und  iuwer  tokter  sult  riten  tuo 
dem  siade  beide  (mägde,  trauen  und  ritter  soll  sie  mit  sieh  führen, 
auch  das  gesinde  freundlich  empfangen)  968.  969.  3)  Ihr.  tuan  ich 
willeclicken,  sprach  vrou  Gerlint  usw.  970.  —  Hierzu  vgl.  N.  519- 
520.  1)  Sigfrid  hat  als  böte  Ute  und  Eriemhild  das  nahen  der  kom- 
menden gemeldet:  si  hete  in  manegen  -.ihn  so  lieber  maere  nikt  ver- 
nomen  519.  (Str.  520  —  523  erzählen  von  dem  liebenswürdigen  beneh- 
men der  beiden  frauen  gegen  Sigfrid).  2)  Sigfrid  berichtet  die  auffor- 
derung, die  gaste  gut  zu  empfangen:  am  ir  gen  im  rttet  für  Wornn  \ 
üf  den  sauf  524.  S)  Dö  sprach  diu  minnecltche:  des  hin  ich  vil  bereit 
usw.  525. 

Man  vergleiche  ferner  mit  einander:  G.  971- -975.  1)  Man 
heisst  die  rosse  und  satelkleit  beschaffen  971,  die  besten  gewänder 
aus  den  kisten  für  Hartmuts  beiden  972.  2)  An  dem  dritten  morgen 
reiten  Gerlind  und  Ortrun  mit  ihrem  gesinde,  weil,  und  mau,  aus  der 
bürg  973.  3)  Die  gaste  sind  in  dem  hafen  augekommen,  alles  wird 
aus  den  schiffen  geladen  974. 

974,  1  —  2  Do  wären  ouch  die  geste  komen  in  dir  hxibe. 

alle,  dir,  si  brähterij  dir.    wart  gevüeret  abe. 

975,  1  Hartmuot  der  sneUe  si  (Gudrun)  vuvrte  bi  dir  haut. 

1)  C  here,  doch  s.  G.  1176.  1. 

12* 


ISO 


E.    KETTXER 


N.  529  —  543.     1)  Ausführliche  beschreibung  der  ausstattung  der 
pferde,    trauen   und   reiter  529,  5  —  537.     Fast  wörtlich   stimmen   über- 
ein (vgL  auch  X.  1593,  2.  3.     275,  1): 
N.  529«  7  diu  suochen  ü%  den  lasten     GK  972, 1  T)d snohtens1  d:  den  Listen 


die  aller  besten  wät, 

di  si  da   inne  tristen. 


diu  aller  besten  kleit, 
I '  8  diu  si  mügen  rinden. 
2)  Ute   reitet  mit   ritten]    und  mägden  von    der   bürg    zum  ufer  540. 
(541.   542.    buhurt).      3)   Die  Jungfrauen    (Utes)    stehen   am   hafen,    die 
kommenden  verlassen  die  schiffe  543. 

543,  1  —  3  Die  vil  minnecUchen  die  st  winden  an  der  habe. 

Günther  mit  sinen  gesten  gie  von  den  schiffet/  abe. 
>  r  fuorte  Prünhilde  selbe  an  siner  hant. 

Die  königin  oder  köiiigstochter  wird  beim  empfang  auch  von 
zwei  fürsten  geführt,  wie  hier  977  Ortrun  um  Gudrun  zu  begrüssen 
[vgl  oben  zu  4SI).  Ebenso  geht  X.  1290,  1.  2  Kriemhild,  geleitet  von 
zwei  fürsten,  Etzel  entgegen.  Vgl.  auch  G.  537,  1.  2.  Im  ausdruck 
sehliosst  sieh  G.  977  enger  an  eine  der  str.  1290  benachbarte  stelle 
des  Nibelungenliedes  an: 
X.  1259. 1  Diu  Rüedegeres  tohter 

mit  ir  gesinde  gie, 

da  si  die  küneginm 

ril  min n< dielie  enphie. 


G.  977, 1  Diu  Hartmuotes  swester 
bi  zwein  vürsten  gie, 
da  si  die  Hilden  tohter 
vlizecliche  enphie. 


Es  folgt  nun  wider  ein  längeres  stück  der  Gudrun,  in  welchem 
unter  sich  zusammenhängende  Nibelungen -parallelen  selten,  weit  über- 
wiegend einzelparallelen  vorkommen. 

X.  1660, 1  Döstuonden  von  den  ras-     G.  984, 1  VrÖ  sis  da  Iteime  runden, 


sen, 
da;    was  michel  reht, 
neben   Dietriche 
manic  ritter  unde  hneht. 

(vgl.  76, 1.2.  646,1.2.) 

1046,1  SUS  SOX    si  nach    ir  leide, 

da:   ist  alwär} 

nach    ir   man  ms    tnd< 
WÖl   riffdt halbe:  -  jdr. 

auch  G.  1070.     X.  137,  1.  2. 


daz  was  michel  reht, 
den  si  erzeigen  landen, 
ritter  oder  hneht. 

1011,  lwerc  diu  vil  smaehen, 

da;    ist  alten r, 

der  phlägen  die  vrouwen 

eii rd (halbe;  jdr. 

1082,  1.  2. 


1)  So  schon  v.  d.  Hagen,  unzweifelhaft  richtig  statt  hs.  schütten*, 
in  da     vi*  rdt 


EINFLUSS    DES    Ml;. -1.11  IM-    All     DIE    GUDRUN 


181 


N.2029, 12)0  sprach  von  Burgondeti     Gk  L029, 1  Dö  sprach  von  Ormanie 
Giselher  <l<r,  leint  Hartmuot  du:  leint. 

G.  1033,  3"  ob  ich  ein  ritter  waere;  dieselbe  hypothetische  erklär 
rung   eines    weibes   N.  135G,  1",    ähnlich   (r.  577,  2'  ob   si    ein   ritter 
waere. 
N.2256, 3  so  hat  ni'ni  got  vergeh  ten.     (i.  1 036,  3  sti  min  hat  got  Vi rgi ■:  u n. 


1613.1  Dö  sprach  offenlichen 
<h  r  eck  I  spilman. 

1 22  1.  3  wir  sin  vil  ungescheiden, 
i  ;  ml  im  danne '  der  tot. 

1800. 2  hat  lernen  in  beswaeret 
du:  herze  und  auch  den 

muot. 
3hdaz  ez  mir  ist  vil  leit. 

1803,1  Swie  grimme  und  swie 

starke 
si  in  darf  waere. 
2311,4  swie  vient'1  ich  im  waere. 
2135,1  Swie  grimme  Hagen  wae- 
re, 
2  ja  erbarmet  im  diu  gäbe. 
2090,  3  triiren  linde  ;  ühte(eren2), 
der  got  an   mir  gebot. 

1671.3  sterkest  aUer  riehen. 
1746, 3  erspranc  von  stme  sedcle, 

als  er  in  komm  sach. 
>  in  gruoz  so  rehte  schoene 
von  läinege  nie  mer  gc- 
schach. 
221,3  heim  zuo  sime  fände 
den  friunden  er  enböt. 
1358, 1  So   saget    (boten)    ouch 

(iisrlhrri\ 
da%  er  wol  gedenke  dran.4 
1419, 3  si  (die  boten)  gerten  tege- 

liche 
urloubes  von  dein. 


L038, 1  Dö  spruch  offenlichen 
<hr  degt  ii   Hartmuot. 

1 0  I  1.  2  uns  enscheidet  niemen, 
ex  entuo  du  um'  der  tot. 

lo  1:9,2* mir  ist  leit  urmiä  \<  ny 
3  da  mit'   '  r  iu  beswaeret 

du:  herze  und  ouch  du 
sinnt . 

swie   ein/   ir  mir  um  e>  I. 


1062,1  Si  erbarmet  mir  so  s< 

swie  ich  selbe  Ude  /<>'>/, 

durch  ir  höhen  en . 

die  got  au  mir  gebot. 
1063, 3  riebest  aller  hünege. 
1077,3  dö  gieng  er  hin  engegene 

da  si  si  Linnen  sähen. 

dö  gruo  i  te  ers  vli  \  ieMcht  u. 

dö  si  im  Hilden  hotsrl/ufl 
verjähen. 

1083,  2  hin    \c    Tem  mürbe 

/ir  eriiiinb  nj  '•  si  i  \  enböt. 

1084, 1  Si  hie:  (die  boten)  t  \  sa- 
gen Hörandi . 
du:  er  gedaehte  dran. 

1087, 1  Die  boten  urloubes 


1)  danne  fehlt  C.  2)  A  vient  ab  ich. 

3)  Ergänzt  von  W.  Glimm,  vgl.  1089,  2. 


gt  rtt  ii   von  im  dan. 
\)  C  er  denke  wol  dar  an 


182 


KETTNER 


682,3  -.'  Norwaege  in  der  markt 
dd  fundt  u  si  dt  n  degen  ]. 

1730,2  swax  im  dd  von  geschäht, 
'/>/;  ist  mir  vil  unmaere. 

241,1  Do  sprach  diu  minnecli- 

cht . 
du   (böte)    hast  mir  tcol 
geseit. 
528,  1  Dö  riten  allenthalben 

die  wege  durch  da\  laut. 
dt  r  drier  künegt    mäge, 
die  hete  man  besant. 
1 7  4  H .  1  Dö  der  voget  von  Rine 
in  den  palas  gie, 
Etxel  der  rieht 
da\   langer  nihi  et  die, 
•  r  spranc  von  stme  sedele. 
977,  1  iu  <  nkunde  niemen 

der,   wunder  volsagen2. 
146, 1  Dö  man  diesneUen  recken 
sach   zen  rossen  gdn, 
dö  kos  man  vil  der  vrou- 

wen 
trurielichen  stm 


w  WcUeis  in  die  marke, 
da  si  mit  sinen  man 
Mörungen   runden. 
Gr.  10D4, 4  sira:  ir  dd  von  geschaeht . 
der,   was  Küdrunen  un- 
maere. 
1 100, 1  Dö  sprach  der  degen  Ort- 

irin  : 
du    (böte)  hast  mir  war 
gest  it. 

1101.1  Man  seuii  in  aUen  enden 
riten   in  der   laut, 
nach  eleu   vrou  Hilde 
ttrtc  gesaut. 

1105,  1  Sieelhe  bekomm  wären 
oelcr  swer  %e  hove  gie, 
die  vreudenlöse  vrouwe 
seitot  ei(A\    rerlie, 
si  engienge  in  engegene. 

1115. 2  da\  iu  da  \  wunderniemen 
künde  tcol  (hs.)  gesogen. 

1118,1  Dö  nu  gescheiten  waren 
hie  dir  Mute  dan, 
dö  sete/t  mau  vildervrou- 

wen 
in  di  ii  vi  nstren  stau. 


Auch   X.  -WO,  1.     1049.  1  sehen  die  frauen,   in  den  fenstern   stehend, 
den  scheidenden   nach. 

Zusammengehörige  Nibelungenparallelen: 

N.494,3  Ouch  kom  in  tue  ir  reist     GL  1919,  lh  in  kenn  ein  rehter  wint. 
<  rehti  r  wa  i  u  rwint. 
370,1  Ir  vil  starken  segelseil  vil  segele  sich  erstrahten. 

wurden  in  gesträht. 


\  ir  stärkt  i   ort  I"  itt  n 
U  t  sit  dt  ii  hochgemuott  n  - 


I  dar  nach  si  muosten  ar- 
beiten si  re. 


wt . 


Ii  da  fehlt  A.  —  ».'  da  fanden  si  mit  freuden  den  vil  hüenen  liegen. 
-    C  Nune  kundiu  niemen  dm   wunder  wol  gesogen 

3;  "/'.  vil  manige  frouwen  stau.  4)  A  sehoenen  frouioen:  Ver- 

schiedenheit der  personen,  B  nnd  G  gleichheit  der  personen. 


EINFLUfc  N'IB.-LIEDES    Wi-    !»11.    GUDRUN 


X.  121.  6  inil  Int  ich  tüsent  <  idi  u  einem  vridt  geswam,  ehe 
dieses  geschähe,  müste  jenes  eintreten,  <;.  L132  ehe  dieses  geschähe, 
ich  stauen   tüsent  eia\  .  dass  ich  jenes  unterlieg       ;';ill>  ich  — ). 


Einzolparallelen. 
X.  2040, 1  Genuegi  ruoften  drinru  : 
owe  dirn    not. 
wir  möhti  n  mwhelgt  rm  e 
sin  int  stumm    tot. 
L965,  1  D6  rief  von  Tenemarke 
der  marcgräve  Trine. 
N.  85,2  sin  ouge  er  dnl  wenken 
mo  den  gesti  n  I' 
388,2  <lri  palas  wite 

und  i  im  n  sal  wol  gt  tan. 
7'.>.  2  in  j(  in  in  sah  wtten 
383,6  Sifrit  der  hin  i 

ein  ros  zöch  üfdt  n  sant2. 

1257,]  Die  naht  si  heten   ruow{ 

unx   an  den  morgi  n  vruo. 

1667. 1  Do  gingen  sundi  rspräclu  n 

1728,  3  den3  hett  ze  stnen  handen 

(vgl.  1524,  2.) 
1496,.']  von  roter  und  von  muoter 
ans  er  der  bruoder  min. 

1739.2  swä  so  (rinnt  bi  friunde 
friuntlichen  stät. 

1020, 4  ddsprächdiugotes  nenn  l... 


I  -.  1  1  38:  1  D6  ruofU  t  in  marnoA  n  : 
ach  ach  dirn   not, 
dn\   wir   .  -   Givi  rs  lägt  n 
niht  vor  dem  I»  rgt    tot. 
11.')!».  1  DdruofU  von  Tenemarhe 

<h  r   l,ii>  m     Unmut. 

( i.  1  I  in.  2  wenken  er  do  I" 

sinin  ougen  wtten. 
1145,3  wol  siben  palas  richi 

und  '  im  n  sal  vil  wtten. 

1 1  L8, 1  Diu  ms  weh  man  schien 
vuo  in  üf  den  sant. 

1151. 1  Die  naht  si  heten  ruowi 
nn  \  an  d<  ii  naehsti  n  tac. 

3  die  git  ruji  n  sundt  rsprä- 

r/n  II. 

1154. 2  '  in  h<  It  "  //  handi  n. 

3  Kndrnn  ist  min  swester 
von  vater  und  von  muoU  r. 

1157,  2  Sit  da*    r rinnt    rrinmh 
oinji ' stliiln  n   du  in  ii    sol. 

1171.  I.    1 184,2  ebenso. 


Wenn  es  G.  1174,  4  heisst:  Ortwin  und  Herwig  vagen  vil gelictu 
an  einem  rnoder,  so  ist  der  anklang  au  N.  C369,  '■>.  1.  wo  von  Dank- 
wart gesagt  wird  der  säz  muh  ideh  an  eirm  starken  nieder  zu 
schwach,  um  in  jenem  eine  nachbildung  zu  sehen,  und  eine  paralli 
welche  bewiese,  dass  der  bearbeiter  hier  Nib.  aventVl  vor  sich  gehabt, 
ist  in  der  nähe  nicht  vorhanden.  Denn  X.  383.  388  können  wegen  der 
dazwischenstehenden,  ganz  verschiedenen  abschnitten  des  Nibelungen- 
liedes angehörigen  stellen  hier  nicht  herangezogen  werden;  G.  1166,  2 
kam  gevloxxen,    4  gevliuzest  üf  disemt    rinnt»    (gevloxxen  üf  der  vhwt 

1)  A  sin  ougem  er  da  2)  C  an  der  hont. 

3)  C  einen.  4i  C  küniginne 


184 


E.    KETTNER 


N.  392,  7)  ist  zu  einfach,  (i.  1171,  3  du  solf  mich  laxen  hoeren 
(N. 393,  1).  G.  1175.  1  ist  dir  <ln\  behaut  (N. 372,  3)  sind  zu  algemein 
formelhaft,  um  hier  etwas  zu  bedeuten.  Gr.  1176,  1.  2  stimt  besser  zu 
\.  87,   1.  2   als  zu  N.  394,   1.    2    (s.  u.).      Zweitens  werden   in   gleicher 

Situation,  aber  mit  anderem  ausdmek  1183  Wate  und  Frute  vorgeführt. 
Drittens  ist  dieselbe  stell»',  aber  in  der  lesart  von  AB  sehen  benuzt 
(i.  285,  3.  Es  müste  also,  «'ine  nachbildung  angenommen,  der  bear- 
beiter  mit  zwei  Nibelungentexten  zugleich  gearbeitet  haben  —  oder 
r  die  Übereinstimmungen  mit  C  müsten  aus  der  Gudrun  hervorge- 
gangen sein.  Der  redaktor  C  ist  auf  jenen  ausdruck  unzweifelhaft 
selbständig  verfallen:  1513.  8  braucht  er  auch  an  riemen  ziehen.  Zu- 
fallig entstanden  ist  weiter  die  parallele  G.  1176,  1  Do  sprach  der  höh 
here  -  X.C1133.  1;  vgl.  G.  1169.  1.  1174.1.  1177,  1  und  X.  1138,  1, 
au>serdem  zu  G.  968,  1. 


X.  87, 1  Also  sprach  dö  Hagene: 
ich  wü  des  wol  verjekt  n. 
sune  ich  Sivriden 

nimer  habe  gesehen1 
1204, 1  ich  eil-  arm  in  künegin. 
1020.  1  dö  sprach  diu gotes  arme3.. 
C3.~s.i'/'//     schoenen     junefrou- 

Wi  n 

tei  ir  areheiten  we* 
972,1  Dö5  sprach"   diu  jämers 

rieltc: 
01784,1  1)6  sprach  der  videlaere 

den  Hiunen  vaste  nach: 
_'  war  ist  in  so  gäch?  ' 
1925,3  Dietriches  stimmt 

ist  in  min  öre  harnen. 
2106,  1  sienwessennihtdermaerei 

dm  in  so  nähete  der  tot. 


(r.  1176, 1  Do  sprach  der  böte  here: 
des  wü  ich  dir  verjehen. 
Irolden  and  Mörungen, 

die  hän  ich  gesehen. 
1178,4  mich  vilarmenküniginne. 

1184,2  ebenso. 

1204, 4  rfe//  eilenden  meiden 

tete  ir  <  Ut  nde  we  (hs.) 
1208, 1  ebenso. 

1212.1  Si  Sprüngen  ü%  der  bar- 

ken 
and  ruoften  in  hin  nach: 
2hiuar  ist  in  so  gäch? 

1213.2  doch  was  in  diu  stimme 
wol  vwo  den  Qren  kamen. 

4  er  triste   niltt  der  nm<  r<\ 
dax,  er  so  nahen  stiiende 


sinem  trute. 
G.  1224.  1225  bietet  Ortwin  der  Gudrun  4  bouge  an,    um  sie 

-   neigt   zu   machen.     Dass   man    einen  fremden  durch  ein  solches 

1)  C  als  ich  mich  kan  verstau,  noch  nie  gesehen  ha/n. 

il  fohlt  l  3)  C  diu  künigmne  4)  AB  edelen.  was  von 

5)  A  6)  C  rief 

1    AB  Zehani  dö  rief  in    Volker  hin  engegene  ...  ir  s/icltc»  degene 


EINFLUSS    DES    NIB.- LIEDES    All     IHK    GUDRUN 


L85 


geschenk  sich  gewinnen  will,  ist  an  sich  ein  algemein  episches  motiv, 
das  bekantlich  schon  im  Hildebrandsliede  sich  findet.  Ebenso  begeg- 
net es  N.  1493.  1574  %.  An  der  lezten  stelle  werden  die  ii  bougt , 
die  Hagen  dem  markgrafen  Eckewarl  anbietet,  wie  in  Gudrun  mit 
dank  abgelehnt,  und  zwar  —  ein  beweis  der  nachahmung  - 
ähnlichen  Worten. 


mit  ganz 


N.  1575, 1  Got  löne  iu iuwer bonge1.     Gr.  1225,  ]  Got  läxt  iu  iuwer  bougt 

//( ith  ii  saelic  sin. 

Der  bearbeiter  dachte  hierbei  mich  an  eine  andere  stelle: 

X.  640,  3  got  Ufa   iu  iuwer  erbe  immer  saelic  sin. 

Einzelparallelen. 


X.  372,  1  wes  sint  dise2  bürge 

und    ouch    dm    herliche 

laut'? 

C1367,4ar/rr.  ist  mir  ungewiß  ienB 
1  -1 24, 1  Do  sprach  der  künic  Gün- 
ther: 
LH  ii  in •  l  ir  ii  iis  gesagen  l. 
1  225, 2  da  wart  vil  michel  weint  n 
von  vriunden  getan. 

801, 2  e  da%'°  ich  entrinde, 
ex,  sol  ir  werden  leih 

772, 2  ich  urilselbetiwerr  wesen6, 

dcuuic  ieman  habe  behau  I. 

2053,4  leb  ich    deheine    mih  . 

ich  sol  .  . 
2312,1  Bö  sprach  der  alte  llil- 

debrant: 
ja  geniuxet  si  es  uiht. 
518, 1  Do  sprach  der  riter  hin  ne- 
nn gebet  mir  botenbrdt. 


G.1226, 1  Wes  sint  disiu  erbe 
und  ditxe  riche  laut 

und  OUCh  dir  guott n  Inir- 


!l> 


8 


L229,4a  ebenso. 

1230. 1  Dö  sprach  dt  r  künic  1I<  r- 

wic: 
müget  ir  uns  gesogen. 

1265.2  d<)  wart  ein  herter  schei- 

di  n 

von  vriunden  getan. 

127s,  j  r  da;    ich  <  rnind< , 

sö  gemüet  <  \  dint  n  rückt 
sere. 
1279,3yd  bin  ich  verre  tiurer, 

du  ii  in-  ir  mit  i/innii  nn'i- 
<j<  n. 

L280,  1  und  leb  ich  deheine  wile} 

ich  wil  . . 
L282,l  Dd    sprach    diu    tiuve- 

tinne: 
jd  ;/<  ii  in  lest  du  sin    niht. 

1 289, 1  Der  sagt  te  in'  offt  ni licht  n : 
(jcbet  mir  dn\  botenbrdt. 


1)  C  gäbe.  2)  A  die  3)  AB  niht  gern   .<  ,* 

4)  A  ane  gesagen.     C  ir  sult  uns  ivixxcn  län  5)  A  end 

6)  A  ich  wil  ic es en  tiwerre.     C  wesen  cdclcr. 


186 


E.    Kl  n  \i  i; 


N.  1824, 2  abwehrend:    <  •.     wixent 

m/s  die  linh . 
1  127,  Shunt  den  besten  win} 
L 369, 1.2) den  man  kundt    rin- 
den 
in  dein  laude  <d  muhen 
Hin. 
1 1 27,  3"  rm  U   dt  n  ril  guott  n. 
L291   beim  küssen: 

2  ir  varwe  wol  getan 
din  lühte  ir  ü  i  dem  golde. 
7  r_\  1  ir  varwegegt  n  demgoldt  ' 

'/'//    i/h/n;     ril    In'rlirlnn 

truoc. 
649    So  wol2  mich)  sprach  du 

Sigmunt, 

da-,   ich  gelebt  I  hdn, 

dm   din  schoene  Kri<  ni- 
hil f 

sol  hie  gekrönet  gän. 

des  min  ten  wolgt  tiuwert 

i    din    i  rix     min. 

ni in  sun,  ihr  edel Sifrit, 
sol  hie  selbe  künec  .sin. 


Gr.  1294,2  ebenso:  ja  wtxent  iuzdie 

lialc 
L305,lbdö  brähte  man   in   irin, 
da;    in    Ormaiiic 

ruht  be%  \er  mohte  sin; 

mett    <hu    ril  (jnolen  ... 
1308,  1   Si  husten  beide  ein  ander 
unter  rotem  (johle  guot, 
dar  \no  schein  ir  varwe. 


1310  Wol  mich)   sprach   vrou 

Orfmn. 
da;    ich  gelebet  In/n, 
da;   da  bi  llarlmuote 

nilt  hie  bestän. 

des  dim  n   (jnolen    willen 
ijihe   ich   dir    \e   h)m\ 

die  ich  tragen  solle, 

miner  in  noter   Gerliinh 
kröne. 

Wir   befinden    uns   liier  im   Vorabend    des  grossen   entschei- 
dungskampfi  kein  wunder,    dass  der  bearbeiter  seine  blicke  auf 

<li«'  abschnitte  richtet,  welche  die  eigentliche  Nibelungennot  enthalten. 

NT.  1992, 1  Nu  hm'  dir  got)   Trine, 

eil   mm  ri    In  II  guot, 

dn  hast  mir  wol  <j<  I  roe- 

s/(  / 


da  i   herxi    und  auch  dt  n 
muot. 
1  769,  1  ich  sol  '  i   wol  1 1  rdii  nen} 
mich  enwendes  ihr  tot. 


\)  C  glan 

fehlt  .\.     C  Nu  wol 


<i.  1311, 1  Nu  löne  dir  got)  Orlrnn, 
sprach   da;    meid  in. 

3  da  hast  beweinet  dicke 


mines   In  ran    leide. 

iji  Irinlicher   dicnsle 
nil    ich    (mich)     nimimr 
Im-  ron  dir  scheiden. 


EINFLUSS    DBS    NIB. -LIEDES    All     DIE   G-UDBUS  187 

Die  ähnlich  wie  X.  L992  beginnenden  dankesworte  X.  L769  wei- 
sen speziell  auf  einen  abschnitt  des  Nibelungenliedes  hin  (aventXXX), 
in  welchem  dir  nachtrnhe  vor  den)  entscheidungstage  mit  einer 
anschaulichkeit  geschildert  ist.  die  wo]  zu  nachahmungen  und  entleh- 
mingen  anregen  konte. 


GK  1325, 3  man  vant  da  gerihtet 
//■o/  drixic  <><l<r  mere 
vil  süberlicher  betü , 


w.  1762, 2  den  funden  si  berihtet 
den  recken  über  tu 
mit  vil  rich<  n  betten  l. 

X.  1763  Vil  manegen  kolter  spaeht    von  Arm:   man  da  sack 
der  vil  liehten  pfeUel*  und  manic  bettedack 
von  Arabischen  siden,  die  beste  mohten  sin. 
dar  t/fr  lägen  listen,  dit  gäben  herlichen  sein  it. 

1764  Diu3  declachen  härmin  vil  manegiu  man  da  sack 
und  von  stvarxem    wbele. 
<t   1326   Dar  üfe  lägen  golter  da  her  von  Amin- 
en maneger  hande  varwe,  und  grüene  als  der  hl» 
von  listen  harte  tiure  diu  deckelachen  rieht, 
rat  von  (?)  dem  viure  sei/ein  <jolt  m  den  siden  stiberlicht 

1327  Au  den  Uehten  pfeifen. 

Einige  ausdrücke  sind  den  verwanten  Schilderungen  in  Nib.  aventVl 
entnommen:  vgl.  zu  G.  1326,  2   N.  353,  2  der  guoten,  grüen  alsam  der 

/.Yr1;  ferner 

N. 354,  Won  fremder vische Muten     G.  1327, 1  von  maneger  visch.   hui 
bezoc  wol  getan.  2  bexoye  wären  drunder. 

G.1327,  4  erinnert  an  X.  2106,  4  (s.  zu  (r.  1213,  4).  Dann  tritt  wider 
die  Übereinstimmung  mit  Nib.  aventXXX  hervor.  Gudrun  redet  beim 
Schlafengehen  in  ganz  ähnlichen  abweisenden  Worten  zu  ihrer 
männlichen  Umgebung  wie  Hagen  in  der  gleichen  läge  zu  den  Hunnen: 

X.  1760,4  ir  Krimhilde  hehle'0, 

ir  sult   \e  herberge  gän. 


1(61.3  und  lat  uns  eilenden 
hiut  haben  gemach. 


GK  L328,  1  ja  sult  ir  släfen  gäny 
ir  Hartmuotes  helde. 
wir  (et Ihn  ruowi   hän, 
ich  und  mint   vrouwen, 
doch  dise  naht  al  t  ine. 

Die  motivierung  dieser  abweichung   ist    in   Grudr.   ebenso   unklar,    wie 
sie  in  Nib.  klar  ist. 

1)  C  da  funden  si  gerihtet  cd  manegiu  betten  breit. 

2)  A  p  feile  3)  Diu  fehlt  A. 

4)  A  der  grüenen  so  der  Tele.  5)  C  deyene 


18S 


E.    KETTNEB 


N.  612;  3  '/'  /■  rieht   küm  >■  s<  Ibe 


G.1330, 1  Do  sprach  diu  Hilden 

lohler: 
besUi  u  I  mir  die  tür. 
starker  rigeh    ri<  n 
schöx   man  dar  mir. 
L333,2yd  gib  ich  ir  te  miete 
guote  bürge  wtt. 


dö  bestih  du    tür1, 
eil-  starker  rigeU    iwent 
warf  <  r  sru  ll<   dt  rfür. 
1  8  !•'•.  2  ja  gib  ich  dir  te  mit  U 
sitter  unde  goÜ  {bürgen 

1844,1) 
Gr.  L336.   1337  weist  der  zurückkehrende  Ortwin  die  neugie- 
rigen  ab,    die  vor  der  algemeinen  bekantmachung  des  erfolges  seiner 
adung  von   ihm    etwas    erfahren   wollen,    genau    so   wie  dies   X.  711 
iv    tut:    vgl.    auch    G.  1336,  1    Die   boten    si    wol   enphiengen    und 
\.  710.  3    ' /•    wart    eil   wol  enphangen.     Aueli    die    Übereinstimmung 
Gr.  L354,  2  vor  Ludewiges  sal  und  X.  716,  -1  für  den   Quntheres  sal 
ist  in  diesem  Zusammenhang  nicht  zufällig. 

Von  hier  an   treten   die   beziehungen    zu    den  lezten   teilen 
Nibelungenliedes  immer  häufiger  hervor. 


N.2302, 1  Si  jach,  si  tet  ex  gerne. 

2090.1  Owe  mir  gotes  armen, 
dn\  ich  dil-,  gelebet  han  5. 

2065.2  des  körnen  heidi   in  not 
1847.1  Nu  wdfent  iueh,  sprach 

Bioedel, 
aUt    in.  nie  man. 
__    1.3  und  heizet  mir  gewinnen 
min  Uehti  \   wiegewant. 

198,  1  dö  wolden  si  den  gesten 
weren  bürgt   undt   laut. 

(avent.  IV,  s.  unten) 
1712,  I  HV.  j  1  ir.  erii/iil  Hagne, 

ob6  si  in  sin  geha  i  ? 

wil   ich    in  du.    ruh  //. 

//•  hin  ht  destt   bax. 


G.1352, 1  Si  jähen,  der,1  si;  gerne 

taeten. 
1359, 3  owe  ich  gotes  armiu, 

dm  ich  den  lipiegewan. 
1371, 2b des  kument  helde  in  not 

1375. 1  Nu  wol  üf,  sprach  Ilart- 

muot, 

edle   niine   man. 

1376. 2  s«   ruoften,    dax,    man 

braehte 
ir  liehtex  wiegewant. 
3  si  wollen  denn'  künege 
ht  Ift  n  wem  da  \  riche. 

1382,1  Dn  weist  vil  wol,  Hart- 

muot, 
dn;  si  dir  sin  geha ■. . 
den  du  ir  mäge  slilege. 

im    hin Ir    dich    dt  s/r    hu  .. 
2)  vil  fohlt  AC 


1 1  i  mit  vi  Ibe  dö  die  tür 

3)  C  dar  wnbe  mvn  silber  unt  mtn  goli. 

)ijmons  streicht  da% ;  vielleicht  nach  N.  zu  korrigieren:  si  taetenx  gerne 
sprach  der  getrimoe  man  6)  C  da   . 


EINFLUSS    DES    N'IB. -LIEDES    AUF    DIE    GUDRUN' 


189 


N.1598,8daa  iu  \<  schaden  bringt     G.  1391,2^  heten  nihi  gebresten 


gegen  einigem  '  sporn. 
i  192  1  Dö  ruoft  er  mit  der  krefte, 


gegen  einigem  sporn. 
1394,1  Er  blies  te  dritten  stun- 
den 
mit  einer  krefte  grd%>} 
ihr.  im  der  wert  erwagi  /< 
und  im  der  wäc  erdöz. 


dir   nl  der  wäc  erdöx, 
wan  des  heldes  sterh 
was  michel  unde  gröx. 

Die  kampfschilderung  <;.  1396- -1515  lasst  in  ihren  zahlrei- 
chen berührungen  mit  NIb.  avent  I\'  und  avent.  XXXII  fg.  erkennen, 
dass  sie  nach  der  darstellung  dos  Sachsenkrieges  und  des  kampfes  der 

Nibelungen  entworfen  ist. 


NT.2270  &gewäfent  wol  te  vlixe* 
176,1  si  körnen  üf  die  marke, 
die  knehte   wgten  (hm. 
Stfrit  ihr  vil  starke 
wägen  des3  began. 
<*>  10. 4  unt  ouch  dir  Hute  drinne  ! 

(im  lande) 
C210,4  vonden  vil manic frouwe 


G.1396, 2a  %e  vlixe  wol  gewäpent. 

1399. 1  Die  von   Tenemarke 
\<r  bürge  riten  ihm. 
Troff  dir  vil  starke 
wisen  dö  began. 

1400,  3  und ouchdenliutendrinm 

(im  Lande) 

1401. 2  des  vil  manic  vrouwt 
(jrö'.ii/  schaden  gewan. 


grö  \  en  schaden  dägevxm 5. 

Dass  C,  nicht  Gudr.,  original  ist,  beweist  hier  nicht  bloss  der  Zusam- 
menhang mit  den  anderen  stellen  von  avent.  IV,  sondern  auch  der 
umstand,  dass  C  210,  4  eine  nachbildung  von  N.  1501,  3.    1935,  4  ist. 

N.  197,1  Dö  wären  ouch  die  Sahsen     G.  1402, 1  Nu   was  ouch  Wate  der 

alte 
mit  ir  schäm  körnen, 
mit  swerten  wolgewahsen, 


du-,  hän  ich  s?t  vernomen. 
637,  Safa/7  was  r;   Sifride. 
183, 1  Nu  hi  f  ouch  in  her  Lind- 

gast 

vientliche  erkorn. 

diu  ros  si  nämen  beidiu 

ten  stten  mit  dun  sporn. 


mit  stnen  recken  körnen. 

der    hell    was    grimmes 
muotes, 

dir.  heten  si  vernomen. 
1  102.  P /r/7  was  e%    Gerlinde. 
1407, 1  Dö  hete  Ortwtnen 

Hartmuot  erkorn. 
sirir  er  [sin]  niht  erkandt , 
doch    haute   er    mit   den 
sporn 


1)  C  einet)?  halben  2)  C   \  e  rlr.c  wol  gewdfent 

3)  C  du  4)  A  gauz  abweichend. 

5)  AB  ganz  abweichend,  ausserordentlich  steif. 


190 


K.    KF.TTNTJ? 


>■/  in  igU  ii   üf  du   sehilde 

du   schefU    mit  ir  kraft. 
N.  184,1  Diu  ros  nach  Stichen  .. 
181,4  iehaeder  dö  des  andern 

mit  nide  hiu  U  n  began. 
1  85,  1  Ir  ü  tweder*  und  ähnlich 
202,  1  sus  würben  nach  den  eri  n 

du  riter2  küene  undeguot. 

8,  2  wu  mohtt  ich  des  getrou- 

inn  3? 

1888, 4:  ein  vil  starke*   wäfen 

dax  truog  er  blox  an  siner 
haut 
207, 1  Dö  /rar/  /  in  '  micheldrin- 
gen. 
190r>,  1  Dö  sach  der  voit  von  Rine 
unbescheiden  den  strit: 
dö  sluoc  der  vürste  selbe 
vil5  manegt  wunden  wtt. 
2013, 2  vil  manegem    wart   das 

houbet 
<i<  nt  iget  so  \<  tat. 
21  63,  1  Der  tut  uns  sere  rauhet. 


2226. 1  Dö  sach  van  Tronge  Ea- 

gene 
Volk&ren  tot  — 
beschließt  dies  zu  rächen. 

2233.2  ihr.   im  von  der  wunden 

nah , ■••  r/n .  :  da  t  bluot. 


sin  ras,   ihr,    spranc  vil 

/rite. 
er  reit  Üf  Ortwinen. 
ir  sper  si  neigten  bede. 
Gr.  1408, 1  Ir  ietweder  des  andern 
mit  suche  niht  vergax. 


1  HO.iVv/Zr  guotcn  ritirr  sere. 
V'iimtr  würben  vaste  umbe 

irr. 
1413,  1  irii  möhte  er  des  getrau- 

wen? 
1 114,2''.  3  der  truoc  an  siner  hant 
ein  vil  stärket  wäpen. 

1419      Dö  wart  ein  michel  drin- 
gen, 

gemischet  wart  der  strit. 
si  sluogen  durch  die  ringe 
vil  manege  wunden  wtt. 
i]i>    sach    man    mit   den 

swerten 
geneiget  manegex  houbet 
der  tut  tet  drin  geUche, 
dir.    er  diu  Mute  guoter 
vriunde  beraubet. 
1420,  1  Da  sach   ran   Tonen  HÖ- 

rant 
Ortwimii   mint  — 
beschliesst  dies  zu  rächen. 
1422,3  um n  sach  dir.  bluot  rtli- 

chen 
vliezen  hin  %e  tal 
vil  manegen  ü  i  den  wun- 
den 


anz  abweichend.  \   helde 

?j\  AB  des  getraute  ich  vü  übelt  4)  ein  fehlt  A. 

öi  fehlt  A.  6)  C  vil  -<re  7)  A  sehöz 


EINTLUSS    DES    STB.  -LIEDES    AUF    DIE    GUDRUN 


191 


N.  2297, 1  sam l  Hagt  nen  egeschach. 
dm  bktot  man  durch  dii 

ringe 
—  den  bluotigen  bach 

hin  ü  i  In  rhu  ringen 

dem  helde  vliexen  sach 
von  einem  scarpfen  swerte. 

(i.  1427,  1   da  würben    wol  nach   &i 

<i.  1  1:68,   4. 

N. 2270,3b////7  einer2  schar  so  breit. 
1727,2  dm  irdw.  habet  verdienet, 
ihr,   ich  iu  bin  gehax. 
01655,7  der  mir  hat  benomen 
8  vil  der  minen  wunne. 
5  Ich  soh  also  schaffen, 
der.   mtn  räche  erge 

212,2  nider  von  den  rossen, 
einander  liefen 3  rot 
Sifrif  der  küene 
und  ouch  Liudger. 

1887,2  den  sluog  er  etesltchem 
so  swaeren  swertes  swanc. 

18(54, 1  Dö  sluog  er  Bloedeline 
einenswinden  swertesslac, 
du:  Int  der.  houbet schiere4 

vor  diu   füe'.eu    Inc. 

2062. 1  Der  eilenden  hu  nie 
hete    WOl  ersehen. 

2220, 4  er  enkunde  in  dem  stürme 
nimmer  bexxers  niht  ge- 

tuon. 

2230.2  owe  dax  ich  so  grimmen 
irtent  ie  gewan. 


nider  xuo  den  vüexen. 
G-.142  1,1  als  du  eh  e  geschach 

dem  küenen   Ortwinen, 

da i  im  ein  röter  l><uh 


rh)\   u  i   sinen  ringen 
von  Hartmuotes  banden. 
e  die  geste   b.  zu  (>.  MIO,    1 :    vgl. 


GK  1430, 2b mit  einer   schür  Iwrit. 

1433, V* du  hast  verdienet  du.. 

'2U  ihr.    ich   dir  bin    gehax. 
1436,2  den    ich    ijennmen    lu'iu 
ir  gUOt    und   ir    unii/e. 
ich    SOl   e\    alsÖ  schliffen, 
dir.    du    nimmer    küssest 

diiie  vrouwen. 
1437,1  Nach  dem  seihen  worti 
liefe/is  einander  im 

die    \  lerne   ricltc  hüuei/e. 

1446,  1   Ersluoc  im  ander  stunde 
einen    resfeu   siruue. 


du:   des  Icüneges  houbet 
von  der  ahsel  spranc. 

1448. 1  Di)  such  der  bürge  huote. 

1453.2  si  enkunden  hän  getan 
niht  be%  ters  in  dem  stritt . 

1457,1  Ihr  ich  der  starken  rinde 
ie  so  eil  gewan, 

dir.  mihi  mich  nii  rilsere. 


1)  A  als  2)  C  ir 

4)  C  houbt  mit  Jtelme 


3)  A  liefens 


192 


E.    KF.TTKF.R 


Gr.  1457,  4  sagt  Hartmut  ironisch  von  dem  am  burgtor  kämpfen- 
den War-':  sol  er  stn  portenaere,  so  möchte  ich  ihm  nichts  gutes  zu- 
trauen. X.  1895,  1  sagt  ebenfals  ironisch  Dankwart,  als  ihn  Hagen 
beauftragt  die  tür  zu  hüten:  sol  ich  sin  kameraer e,  so  werde  ich  mei- 
nen dienst  wol  erfüllen:  weshalb  er  auch  1910,  4  in  C  portenaere 
genant  wird. 


\.  1831, :)  Pin  ms  \,   rucke  stiexen 
du    Burgond*  n  man. 
881,4  dax   stoin   vüi    tornecli- 

chen 
lief  <iu  ih  n   küenen  heli 
sä.  (vgl.  2008, 1) 
Ins.  l  Ich  bin  ouch  ein  reche 
2295,4  mini  sagti  \  noch  u  wun- 
der, 
da  \  dö  hör  Dietrich  genas. 
1007,  1  K:  was  ein  michel  wun- 
der, 
ihr.  si  ii  genas. 
\. 55,  1  du  vant  er  innerthalben 

stau  - 

456, 1  ei m  ii  ungefüegen. 

01833,1  Oh  ir  im  disen  spileman 
Inf  darumbe  erslagen3, 

ich  hii ■-.  iueh  alle  halten, 

ihr.   wü  ich  iu  sagen. 

1937,3   ilH:  !  ist  <  in  ijriniiiiiii  not. 

1075,2  und  hetes  eil  getan. 

2074,3    '"/     nn'jht    i:    U iuhrstä n? 

da  emoil  der  künic  Etxel 
rdi  rru  n  scheidi  n  län. 

17"»:;.  1  Des  (iiiliiiirii   Ttüedeger, 


G.  1404, -1  diu  ros  si  hinder  (sich  \< ) 

rit <kv  stiexen. 
1468,1  Wate  vil  wrnielichen 

lief  Hartmuoten  an. 

1470,1  Er  was  oi/ch  ein  rede. 
3e\   was  ein  michel  wun- 
der, 
der.   du  Ilartmnot 
ron   Weiten  niht   muoste 
sterben 
—  wie  N.  2295  Zweikampf— 
1475,  3  do  sach  der  hell  guot 

4  einen  ungezogenen 
mit  dem  swerte  stän. 
1476,3  und  st  Heget  ir  ir  eine, 
inirrr  leben  waer  vergan- 
gen. 
aUez  iuwer  Minne 
müese    sicherUchen    da  - 
rumhe  hangen. 
1480, 1V/7-.   ist  ein  groziu  not. 
1482,1'Vr.s  hast  du   vil  getan. 

ich  enweiz  niht,  wie  ich 

müge 
den  strtt  understän. 
4  so  schiede  ich  ez  gerne. 
1484, 1  Des  antwurte  Herwtc, 


li  rlt  feilt  A.  2)  C  dran 

3)  Ali  Ob  ir  hie  bi  mir  slüeget  disen  spilmem, 

sprach  der  künde  Etxel,  dax   waert  missetan. 

4)  C  " 


EINFLTJSS   DES    NIB. -LIEDES    AUF    DIK    GUDRUN 


193 


ein  riter  hoch  gemuot. 
X.  1703, 1  Dan    wolde    ich    immer 

dienen, 
swer  raeche  miniu  leit. 
1864, 1  Do  sluoc  er  Bloedeltne 
einen    swinden    swertes 

slac, 
dan  im  dan  houbetschii  r< 
vor  dt  H  füexen  lue. 

(vgl.  1899,  1.  3.) 
2007,1  Irnvrit  unde  Eäwart 

Sprüngen  für  dan  gadem 
wol  mit  tüsent  helden. 
vil  ungefüegen  hradem 
hört  man  allenthalben. 
(vgl.  558,  3.  4.) 
93,1  Kr  sach  so  vil  gesteines, 
so  ivir  hoeren  sagen, 
hundert  kann  wagent 
e%  mähten1  niht  getragen 
(vgl.  1062,  1.  2.) 
2153,1  GernÖt  der  starke2 

den  hell  den  rief  er  an. 


<in  edel  ritter  guot. 
G.  1485,3  dm  wolte  ick  im  nur  die- 
nen, 
swer  u/ich  des  gt  tröste. 
1493,1  Dö  sluog  er  Herwigen 
einen  tiuren  slac, 

2b  da  \  er  vor  im  Joe. 
vgl.   144(3,  1.  2. 

1499,12)5  wart  üf  gehouwen 
vil  manic  riehen  gadem. 
di}  hörte  iiiiin  dar  inne 
vil  ungevüegen  hradem. 


1500,1  Si  vuorten  ün  der  bürge, 
so  wir  hoeren  sagen, 
dax  ex  zwene  Meli 
künden  niht  getragen. 

1502,1  Irolt  der  starke 


ruofte  Waten  an. 


Der  zug,    dass  das  blut  aus  dem  hause  fliesst   Gr.  1504,  1,   komt 
auch  N.  2015  vor. 


Gr.1511,1  Mit  bluote  was  er  benen- 
nen, 

na\    /ras  slu    ndl. 

1512,3  wiUekomen  Wate! 


N.  1888,  3  mit  bluote  was  heran nen  '■ 

alle;  sin  gewant. 
1 07 7, 1  Si  sprach:  nu  sit  wiUe- 
komen, 

swer  iueh  gerne  siJ/t.  wie  gerne  ich  dich  saehe. 

Mit  G.  1515  ist  der  eigentliche  kämpf  zu  ende  und  mit  ihm  auch 

im  algemeinen  die  äusserst  zahlreichen  sachlichen  und  sprachlichen  für 

die   darstellung   desselben  verwendeten   entlehnungen    aus   den   schluss- 

teilen  des  Nibelungenliedes.  —  Es  folgen  zunächst  einzelparallelen. 

G.  1517,  3  und  ahte  en   iueh  ringe, 
nu  ist  ouch  mir  unmaere. 


N.  942, 4:  ex  ahtet  mich  eil  ringe. 
2  mir  ist  vil  unmaere. 

1709,4.90  ist  ouch  mir  unmaere. 


1)  A  heten  2)  C  E\   was  der  starke  Gerridt 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.  XXni. 


3)  C  berunnen  was. 
13 


194 


F.    KF.TTNT.R 


N.C2016,2  ir  schlich   unde  tvdfen 


si  h  iU  ii  von  der  haut. 


G.1532, 2  ir   schilde    aad   oucli    ir 

wäpen 
legtt  hs  i)  \  der  kant. 
Der  rat    Frutes  G.  1535,  3   nu  heizet    mir  die    töten    tragen    ü% 
den   seiden  scheint  nachgebildet  zu  sein  dem  rate  Giselhers  X.  1947.  ."> 
ir  sti/t  die  toten  Hute  n\  dem  hüse  tragen. 

N.  388, 1  Sehs  und  ahxee  turne —     G.1542tl  ihr  vierzic  turne  guot 


ilri  palas  tri/i 
und  einen  sal  wol  getan. 
B7, 3  si  liezt  //  äne  huoti 

ir  schiffet  bi  der  vluot 
-    ! .  1   Dö  Schilden  si  du   rt  ist 

mit  den  hnehten  dan. 
(vgl.  14G4, 1.) 
255,1  Die  wider  heim   w  hüst 

heten  reise3  rnuot. 


und  sehs2  sale  witer 
3  und  dri  palas  riche. 
1543, 1  Dö  hir\    man  schaffen 

huote 
den  schiffen  bi  der  vluot. 
1545, 1  Dö  schiktens  ir  reise 

in il  drtzic  tascul   natu. 

1553, 1  Do  si  ze  Hegelingen 
der  verte  heten  muot. 

Diese  parallele  fuhrt  uns  auf  avent.  IV,  die  für  das  folgende  noch  mehr 
material  geliefert  hat. 

Es  senden  nämlich  die  zurückkehrenden  Hegeliugen  bot- 
3  haft  von  ihrem  siege  an  Hilde  voraus  G.  1561  fg.  wie  N.  221  fg. 
die  siegreichen  Burgundern.  Schon  1561,  3  der  muoste  da  beliben  töter 
oder  um/ihr  usw.  weist  hin  auf  X.  229.  1  Ouch  muoste  da  beliben 
eil  maneger  frouwen  irut,  ferner  G.  1563,  3  r\  gehörte  vrou  Hilde 
nit  sö  liebiu  maere  auf  X.  237,  4  ir  künden  disiu  maere  nimmer  lie- 
ber gesin.  Dazwischen  die  wol  als  reminiszenz  anzusehende  stelle  1562,  1 
//■  scMf  gierigen  ebene  (vgl.  G.  285,  3.  X.  369,  4).  Die  frage  der  her- 
rin  na«h  den  ihrigen  und  der  darauf  folgende  bericht  des  boten  ist  in 
Gudr.   weit  kürzer    behandelt    als  in  Xib.     Doch    erinnert    das    in    der 

■h  daran    schliessenden    antwort  Hildes   stehende    ich   gibe    iu    [goÜ] 
da.    mint    1566,  3  an  das  in  X.  voraufgehende  224,  2  ja  gib   ich   dir 

ii  goli.     Mit   ähnlichen   werten   wird   dann   wider  in  Gudr.  von   den 
reitungen    für    den    empfang  der  sieger,    in  Xib.  von  denen 
für  den  empfang  der  zum  siegesfest  geladenen  gesprochen. 
X.  201.1  ///  denselben   täten, 


G.  1568. 1  Vrou  Hilde  hie;   hereilen, 


dö   si   nn   sohlen   lernen, 

dö  hei  diu  schoene4  Kriem- 

hilt 

1)  AB  diu  wdfen  mit  den  Schilden  2)  Hs.  seehtxig 

3)  C  der  reist  heten.  4)  C  vr outet 


EINFLURS    DES    NIB.  -LIEDES    AUF    DIE    GUDRUN" 


195 


diu  maere  wol  vemomt  n 

N.  2G2, 3  von  den  stolzen  recken, 
die  da  sohlen  komen. 


SO   si\    hili    nrmnmn, 

()i'n  ir  vil  lieben  gesten, 
die  ir  da  sollen  komen. 


Doch  berücksichtigt  daneben  der  bearbeite!  noch  eine  zweite  darstel- 
lung,  wenn  er  weiter  saut,  dass  Hilde  trinken  und  speise,  stuhle  und 
bänke  bereiten  lässt  und  dass  zimmerleute  auf  dem  plan  und  am  gestade 
arbeiten.  1568.  1569.  Auch  N.  526,  5-8.  527  lassen  gleich  nach 
der  Verkündigung  von  dem  glücklichen  ausgang  der  Werbung  Günthers 
die  hofbeamten  das  gesidele  am  ufer  aufschlagen,  die  schaffaere  sind 
tätig,  der  palas  wird  geschmückt  und  der  saaJ  von  fremden  beximbert 
In  diesen  Strophen  entsprechen  sieh  im  ausdruck: 


N.  526,  8  des  küneges  schaffaere 
man   mit  arbeiten   rauf. 
7  rorWornif  \  üfden  sauf . 


' r.  1 569, 1  Du    :<    Mateläne 

unmüexic  man  du  vant. 
ninlr  ouch  äf  dem  sant. 


Die  berührungen  setzen  sich  in  der  besprechung  des  eigentlichen 
empfanges  fort.  Wie  Ute  mit  ihren  mägden  von  der  bürg  zu  den 
schiffen  reitet  N.  540,  so  reitet  auch  Hilde  und  ihr  gesinde  den  kom- 
menden entgegen  aus  der  bürg  zum  gestade  G.  1573.  <i.  1573,  4  dö 
sar/i  man  [manege]  vrouwen  wol  getane  ist  dem  bearbeiter  wohl  zu- 
nächst eingegeben  durch  N.  540,  12  wart  nie  so  eil  der  vrowen  In' 
einander  gesellen,  ausserdem  durch  N.  541,  4  d<)  Iiaajj  man  von  den 
inneren  manege  vrowen  wol  getan.  Auf  diese  leztere  handlung  wird 
sogleich  hingewiesen  G.  1574,  1.  2  Si  wären  von  den  rossen  gestanden 
df  den  sanl  vrou  Hilde  and  ir  gesinde.  Wenn  es  dann  weiter  heisst 
1574,  2.  3  do  vuorte  an  siner  haut  die  schoenen  Küdrünen  troli  der 
maere,  so  erinnert  dies  wider  an  N.  543,  3,  wo  von  Günther  gesagt 
würd  er  fuorte  Prünhilde  selbe  an  siner  hant.  —  Teils  in  diesen  zn>am- 
menhang,  teils  zu  der  verwanten  Schilderung  in  avent.  XIII  gehören 
noch  folgende  Nibelungenstellen: 

N.  725,  2a  do  reit  ouch  in  engegene. 
525,1  des  bin  ich   eil1  bereit. 
swa%  ich  im  Lau  gedienen2, 
daz  ist  im  unverseit. 
731,1  Nu  was  mich  komen  St frit 

mit  den  slncn  man. 


G.  1573, 2a  dö  reit  in  mgegene. 
Iö78, 1  swa  \  ich.  in  gedU  m  n  mm\ 

des  bin    ich   in   eil  nillir. 

I    dÖ  Was  nach  l.o/in  n  Jler- 

ir/c 

mit  den  stolzen    werden 
rechen  stnen. 


1)  vil  fehlt  A. 


2)  A  dienen. 


13 


196 


E.    KFTTNF.R 


Einzelpara  Helen: 

N.ll s~>.  I1'  \  wiu  reu  U  stu  mir  da  \  ? 
2   dir  immer  xaerne  bax. 
1174.1   Wia*  mac  ergetzen  leides, 
2  wan  friuntlichi   liebt  ? 


G.1581,  lb  xvmi  /(/< l<  sl  du  mir  da*  P 
2b  dir,    \<n ine   mir   ril  bax. 
1585, 2h  möhte  iht  bexxers  sin, 

dun  rriiiullichiti  triuwe? 


Für  die  erzäklung  von  den  zum  feste  gehörenden  umstän- 
den besonderer  art,  ist,  entsprechend  der  Situation,  vorzugsweise  die 
darstellung  des  Wormser  siegesfestes  und  der  ihm  vorangehenden 
umstände  vorbildlich  gewesen. 


X.  _  1  i.  1  Dd  t  nphii  <  r  wol  die  sine, 
du   fn  mä\  ii  tet  er  sam. 
292,1  Er  neig  ir  ßxecUche. 
291,  3  sit  willekom&i,  her  Sifrit, 


G.  1587,1  Dö  si  die  maget  huste, 

die   andern    lele   si  sfini. 

1588,1  Si  nigen  ir  vlixielichen. 
1589,3  sit  willekomen,  her  Sivrit, 

ein    hinter   i)  '.    Mnrlnt/de. 


>  in  ea\  I  riter  guot. 

Dies    i-t   eine    ebenso    auffallende    und   wol    auch   ebenso  beabsichtigte 
Übereinstimmung  wie  G.  334,  1.     964,  3. 


G.  1589, 4  ich  sol  ex,  immer  dienen. 

1591, 1  Do  entluoden  si  die  kochen 
und  truogen  üf  den  sant 
ril  dingeSj  des  si  brähten. 

1592, 1  Vrou  Hilde  mit  ir  gesten 

reit  üf  dax  velt. 
man  sach  %e  Mateläne 
hallen  und  onch  gexelt. 
4  dar  inne  phlac  man  ir 

rli.ie  liehe. 


X.  303,1  Ich  sol  in  immer  dienen 
1521.1  Dö  si  dax  seht f  entluoden 
und  gar  getruogt  n  dan, 

stnt;     si    dar    i'f/e    in'lrii. 

1244. 1  Dö  si  iiher  die  Trume  kd- 

nti  n} 
bi  Fnse   üf  da  l    reit, 
du  sach  man  üfgespannen 
hüitt  n  im!  gexelt. 

1  diu    koste    Was  den   gestt  n 

da  von  Rüedigere  getan. 

Nach  dieser  Unterbrechung  in  G.  1591.  1592  dauert  im  folgenden 
der  einfluss  jener  oben  bezeichneten  Schilderung  fort  und  macht  sich 
h  stärker  geltend  als  vorher.  —  Dass  man  gefangene  feinde  mit 
edelmut  behandeln  soll,  dafür  tritt  auch  der  bearbeiter  nach  dem 
Vorgang  des  Nibelungenliedes  ein.  Es  wird  G.  1595  — 1599  für  den 
in   banden   liegenden  Hartmut   dringendste  fürbitte  eingelegt.     Anfan 

raubt  sich  Hilde  und  erwidert  u.  a. :  ich  hän  von  sine/,  schulden 
gröxen  schaden  erliten  1596,  2.  Günther  redet  den  gefangenen  Iiudger 
an:  ich  hän  von  iwern  schulden  schaden  ril  genomen  248,  2.     Als  die- 

]•  darauf  für  ehrenvolle  behandlung  grosses  gut  bietet,  antwortet 
Günther: 


EINFLUSS    DES    NIB.  -  LIEDES    AUF    DIE    GUDRUN 


197 


N.  250  Ich  wil  iuch  beide  laxen,  sprach  er,  ledec  gen. 
dm   mine  viande  hie  bi  mir  besten, 
des  wil  ich  haben  püi'gen,  dax  si  miniu  lant 
iht  rümen  dne  hulde.  des  bot  dö  Liudeger  die  hont. 

(i;iiiz  ähnlich  antwortet  Hilde,  als  sie  schliesslich  nachgibt: 

G.  1599, 2  ich  wil  si  ungebunden    te  hove  laxen  gän. 

si  müexen  mir  erstaeten,  da*  si  uns  niht  entrinnen, 
und  müexen  sweren  eide,  dax    si  dne  min  gebot  iht  rit<n 

hinnen. 

Der  N.  285,  1  —  3  gebrauchte,  die  schöne  erscheinung  Sigfrids  cha- 
rakterisierende vergleich,  den  der  bearbeiter  schon  660  verwendete, 
hat  ihm  s<>  gut  gefallen,  dass  er  ihn  noch  einmal   bringt: 

Gr.1601,3  in  allen  sinen  sorgen  stuont  er  in  der  gebaere, 
als  er  mit  einem  pensei  . . .  wol  entworfen  waere. 

Zu  1601,  3,J  vgl.  N.  102,  11  er  stet  in  der  gebaere.  —  Wie  Sigfrid, 
als  er  sich  verabschieden  will,  von  Giselher  gebeten  wird  noch 
zu  bleiben  und  sieh  auch  hierzu  bestimmen  lässt  (319  —  322),  so  tut 
Herwig  das  gleiche  auf  bitten  Hildes  (1603  —  1607).  G.  1606,2  so 
wart  mir  sanfter  nie  berührt  sieh  mit  N.  322,  2.  3  ja  waer  er  in  den 
landen  ninder  anderswä  gewesen  also  sanfte.  N.  309,  3a  sagt  Günther, 
als  er  CW\\  recken  beim  abschied  seinen  dank  abstattet:  da;  i<h:  im- 
mer diene;  genau  ebenso  G.  1604,  3a  Hilde  zu  Herwig. 

Einzelparallelen: 

NT.  1306,  4  nu  ist  hie  mit  ir  gäbe 
ril  manic  wunder  getan l. 


G.  1610,  \  ex  tet  diu  eil  sekoene 

Hilde  mit  ir  gäbe  michel 

icnnih  r   (hs.). 


Die  Verteilung  der  hofamter  {hameraere}  truhsaexe  1611;  schenke 
1612)  an  Irold,  Wate,  Frute  scheint  veranlasst  zu  sein  durch  N.  10.  11. 


X.  1209, 4  si  sluxxen  üf  die  leisten, 
die  e  stuonden  wolbespart. 
1210,2bdes  ril  dar  inne  lac. 

1113,1  Heg    wax    man    rielicr 

pfellel 
von  ir  kamere  truocl 

der  wart  den  edclcn  recken 
xe  teile  dö  genuoc. 


Gr.  1614,2  vroallildi  hi<;  lervüeren, 
ihr.   lange  was  gelegen 
in  kisten  und  in  kameren 
manegen  phclle  riehen, 
die  truogen  kameraerc: 

die  teilte   man   [den  ge- 
sten]  willeclichen. 


1)  C  nu  ist  hie  inichet  wunder  von  ir  gäbe  getan 


E.    KETTNEK 


N.1126, 1  Wie  rehü    zühteclichen 

tuo  den  boten  gi>  .' 
Günther  und<   G&rndt 
vil  vlixecUch  enpkie. 
lli'.").  1  der  kern    stuont  von  Se- 
lb l< . 

1126,  1  den  guoten  Rüedegen 


G.  1018,1  Der  heli  von  OrMeh 
\ir  kemenäten  gie. 
Ortwinen  vlizicliche 
manegiu  maget  enphie. 
sin  swester  stuont  von 

sedele 
und  nam  in  bi  der  kende. 


bi  der  hendt  genam l. 

Dass  für  dir  Verlobungen  G.  1648  fg.  sowol  die  Verlobung  von 
Rüd(  tochter  als   die   von  Kriemhild   zum  muster  gedient  hat,    be- 

q: 


G.  1648, 1  Dö  hiex  mein  Ortrünen 
\uo  dem  ringe  gdn. 


N.1621, 1  Dö  kiex   man  si  beide 
sti'n  ein  einen  rinc2. 
568,3  man  hu  \   >/'  x/uo  einander 
an  dem  ringe  stdn. 
1»'  <h  r  si  umbeslöz, 

GiseUi&r  eler  junge. 
C  565.  5  Sine  ivcsse  niht  elermaere, 
im ,  n/(i n  da  wolde  tuon. 

3,  1  ni'in  vrägte  si}  ob  si  wolde 

den   vil  waetlichen  man. 
L622,  2  t  in  t<  il  was  <  i   ir  b  it. 
4  si  sc] in  mir  sich  der  erdge, 
so  manic  mögt  hat  getan. 
570, 1  D6  i  r  si  gelobeti 

und   OUCh    in    diu    na  it. 

Einen  eigentümlichen  ausdruck  für  die  dürftigkeit  der  gattin 
hat  die  Gudrun   mit   der  handschrift  D  gemeinsam.     Sigfrid  von  Moh- 

oland  erklärt  Cr.  1654.    1.  dass  er  Herwigs  Schwester  zur  gattin  wau 


1650, 1  Dö  umbeslöx  auch  Hart- 

muot 
die  meit  ü%  Irlant 
1662, 4  wes  mein  da pldegen  wolte, 
des  neun  Hertviges  swe- 
ster wunder. 
1663,  2  si  sprachen  tuo  eler  vron- 

wen: 
/reit  ir  disen  man? 
1665, 1  Dejelt  iolicte  si  in   trage, 

als  dicke  <  in  maget  tuot. 
1666, 1  Dö  hbeten  si  ein  ander 

der   ritirr    and  da:    J.inl. 


I)    C    112".     1    '/'  /•    irirt    dÖ    i'ni    'lein    8t  dßli 

'.)"  '.)".!' "  Rüedegen  dan. 
112';     \\';r  rehte  friuntlichi  er  den  gast  enphie 

und  alle  sint  >h<iin>:   Qernot  $6  niht  enlie, 

■'  enpßengi   in  mich  ,,,it  eren,  unt  alk  sine  man. 
der  künic  Rüedegere  fuortt   bi  der  hende  dan. 
man  hiex  an  'nun  rinc    2'  sten  du   minneclichen 
3)  A  l 


EINFLUSS    DES    NIB.  -  LIEDES    AUF    DIE    GUDRUN  199 

in  einem  hemede  betete.     X.  L066,  .'>  D  wird  gesagt:   bei  Sigfrid   waere 
Kriemhilt  hemdebloz   bestän1. 

In  einem  längeren  abschnitt  wird  die  einholung  von  Herwigs 
Schwester  und  die  sich  daran  schliessende  höchxti  erzählt.  Hierzu  sind 
wider  die  beiden  grossen  empfangs-  und  festesschilderungec 
Nil»,  avent.  X  und  XIII,  besonders  die  erste,  benuzt  worden,  wie 
dieses  folgende  Zusammenstellung  veranschaulichen  wird. 

Gudrun:  1)  Der  empfang  1658  L662.  a.  die  trauen  und  rit- 
ter  reiten  den  kommenden  entgegen,  wobei  kampfspiele  statfinden  1658 
—  16G0.  b.  Die  hehlen  streiten  sich  über  die  Schönheit  der  trauen 
1661.  e.  Diese  geben  sieh  den  empfangskuss  1662,  1.  d.  Sie  gehen 
in  seidne  Mitten  1662.  —  Die  Verlobung  1663  — 1666.  2)  Die 
eigentliche  feier  1667 — 1671,2.  a.  Die  königspaare  werden  geweiht 
b.  Über  500  werden  schwertdegen  1667.  (Hilde  gibt  allen  ihren  rüsten 
kleider  1668,  1).  c.  Kampfspiel  am  gestade  vor  Matelane,  vor  einem 
gesidele:  a.  sclieftebrechen ,  ß.  frauenkleider  werden  bestäubt  1668. 
1669.  (Das  zuschauen  der  trauen,  die  fahrenden  1670.  1671,  1.  2). 
3)  Fortsetzung  des  festes,  a.  Am  andern  morgen  nach  der  früh- 
messe  reiten  wider  die  schwertdegen  1671,  3.  4.  b.  Freude  und 
schall,    da  von   der  palas  erhalt,  c,  bis  an  den  vierten  tag  1672. 

Nibelungenlied:  1)  der  empfang  538  —  557.  a.  Die  frauen  und 
ritter  reiten  den  kommenden  entgegen  538  —  540,  wobei  kampfspiel« • 
statfinden  541.  542.  b.  Man  geht  sich  entgegen,  begrüsst  und  küsst 
sich  543  —  548,  2.  c.  Die  hehlen  vergleichen  die  Schönheit  der  frauen 
548,  3  —  550.  (1.  Die  frauen  gehen  in  seidne  hütten  und  in  zelte  551. 
e.  Tjoste  und  buhurt  vor  denselben.  Die  frauen  werden  fast  überstäubt 
552  —  554  (vgl.  G.  1668.  1669).  (Beendigung  des  buhurts,  ritter  und 
frauen  unterhalten  sich,  ritt  in  die  bürg.  Mahl  558  —  560).  —  Die  Ver- 
lobung 561  —  570.  2)  Die  eigentliche  feier  595  —  597.  a.  Die 
königspaare  werden  geweiht  595.  b.  Über  600  (legen  empfangen  das 
schwert.  c.  Kampfspiel,  a.  Die  schwertdegen  lassen  schatte  krachen 
596.      ß.    Die    frauen    sehen    zu    597,    1.    2.        '■>)    Fortsetzung    d 

1)  Die  übrigen  handschriften  haben  hendeblöx,  was  den  gegensatz  zu  dem 
reichtum  an  schätz  und  gewandt1  viel  weniger  klar  und  natürlich  ausdrückt;  denn 
nicht  die  völlige  nacktheit,  sondern  die  dürftigste  art  der  bekleidung  charakterisiert 
die  armut.  Überhaupt  scheint  hemede  in  diesem  sinne  in  volksmässigcr  redensart 
gebraucht  zu  sein,  vgl.  J.  Grimm,  Germania  2,  300.  Allerdings  ist  hemdeblöz  sonst 
nicht  belegt,  während  hcndcbb'r,  .  blb%  sam  ein  hant  u.  ä.  auch  anderweitig  vorkom- 
men (MSF.  171,  20  und  zu  Iwein  3236).  Aber  gerade  das  mag  der  grund  gewesen 
sein,  weshalb  in  fast  allen  handsehriften  des  Nibelungenliedes  das  ungewöhnliche  wort 
verdrängt  wurde. 


E.    KETTNER 


a.   Am  morgen  des  zweiten  tages  vor  der  frühmesse 


festes  750 

reiten  junge  helden.     b.   Musik:    grössere  teilnähme  am  waffenspiel. 
Dazu  c.  Das  fest  wahrt  bis  zum  vierzehnten  tag,  ohne  dass  je  der  fireu- 
denlärm  verstumte  633. 

Sprachliche  Übereinstimmungen  sind  folgende: 

N.738,  \?villmanegenpiineizrichen.     Gr.1660, 3  manegen  puneix   riehen. 


542,3  man  hört  da  hiirteclicken 
m  Schilden  manegen  stöz. 
»8,  1   Er  (  rbi  iU  '-'  kürru  . 

ihr.   iidiii  i  u  naht  G)  von 
tische  git . 
607,  7  <h  r  eine  tac  in  dukU 
wol  drizic  tage  lanc. 
595,3  dö  wurden  si  gewihet 
6,1  Vil junger3  swert  (daegen) 

da   na  im  n 
sehs  hm nlert  oder  ba  .. 
4  man  hörte  schifte  hellen^ 

an  der  swertdegen  hant. 

3,1   Diu  hoch  tit  dö  wertt 
im  s  an  "  den  viercehenden 
tac, 

ihi\     in    fil   der    ir/h 

,in   der  schal  gelac. 


1  man  hörte  Schilde  stöxi  n 
helde  sere. 
1666,2  si  erbiten  alle  kümt 

der  naht  des  tages  sint. 


1667, 1  Dö  waren  ouch  die  künege 
i/i  irihi  l  nach  ir  i. 
da  wurden  swertdegene 

riinf  hundert  oder  im'. 
1668,4  man  hörte  vil  schefie  bre- 
chen, 
die  da   die  helde  neigten 
in  ir  handen. 
1672,3  dax  werte  vollicliche 

im;  an  den  vierden  tac. 

da  i   edi  le  Ingesinde 

sdin,  miiexie  da  gelac. 

Die    erzählung   von    dem   grossen    schenken,    die   verschiedenen 

Hon    des    Nibelungenliedes    nachgebildet    ist,    erinnert    zunächst   an 

X.  485.     Gr.  1674,  4  des  Strien  röten  goldes  </"j>  da  her  Herwic  wol  xe 

tüsent  phunden,    ähnlich  N.  485.  1    Wol  bi  hundert   phunden  gab  er 

am    uü       Gr.  1675,  2  —  4  mancher  erhielt  rosse  mit  guten  satteln,  der 

vor  diesen  zeiten  geritten   hatte;    dm    sack    dö    Ortwin:   si 

begunden  mit  der  mitte  striten.     Dem  entspricht  X.  Isö.  2  —  4:   genug 

_  n  in  reicher  kleidung,    die  nie  zuvor  so  herliche  kleider  trugen; 

da  <        diu  hünegin  —  und  nun  im  gegensatz  zu  Gudr.  —  <■:  was 

ir    waerlichi    1<H'.     Hinsichtlich    des   algemeinen    Charakters    lässt    sich 

1)  vil  fehlt  A.  -1)  A   Der  künic  bette. 

3)  A  degen.    C  knappen.    \>  daegen  nach  swert  von  erster  hand  übergeschiie- 
bre8ten  5)  un%  m,  fehlt  A. 

>j)  C  ohne  parallelismD.s. 


EINFLUSS    DES    NEB.-LIEDE8    All     DIE   GUDRUN 


201 


dieser  Schilderung  zur  seite  stellen   X.  634      <>•*!•><    vgl.  auch    im  ein- 
zelnen : 

N.  635,  4a  unt  ouch  diu   ros  mit 

st h  U  ii. 


G.  1675,2  ros  mit  guoten  satelen. 


Ferner  in  <1<t  sache  und  im  ausdruck  folgende  größtenteils  zusam- 


mengehörigen Nibelungenstellen : 

N.  1310, 4^  gestuonV  dö   vil  der 

degem 
von  mute  blfix  äne  Jcleit. 
1  Ir  vriunde2  und  ouch  die 

geste  .  . 
3  swes  ieman  an  si  gerte, 
der.  gäben  si  bereit. 
1187,2  dax  si  ie  gebene  heie 
golt  silber  finde  loät. 

1790.1  Dö  naeten  sich  die  recken 

in  also  ijuot  geweint, 

dax  nie  helde  mere 

in  deheincs  küneyes  laut 

ie  bexxer  kleider  brühten. 

1262. 2  dö  gap  diu  küneginne  . . . 
3  unt  also  yuot  gewant, 

dax  si  niht  bex  icrs  brähte 
in  dax.  Etxelen  /an/. 
231,2  man  muox  der  wärheite 
den"'  u\   erweiten  jehen. 

1310,1  Ir  vriunde  and  ouch  du 

geste 
die  heten  einen  muot, 
dax  si  da  niht  ensparten 
deheiner  slahte  yuot. 

1268, 1  Ein  ander  si  vil  selten 
gesähen1  noch  den  tagen. 


( '.  1676,  j  er  und  sine  degene 

gestuonden  kleider  /dö  \  in 

kurxen  stunden. 

167!»,  1  Er  und  sine  vriunde  ... 

3  sich;  si  haben  mohten 
und  ieman  an  si  gerte 

1681, -1  i/o;  i r  \<  gebene  hete 

mit  ii  ml,  golt  du:  sinn  rc. 

1682,1  Man  such  j<li<    von]  den 

Sliirmcu 
n/u   dein   srdcle  stän 
in  so  guoter  waete, 
dax  künic  noch  küneges 

man 
bex  \<r  nie  getruogen 

in    dein  im  u    \ilcn. 

1683,1  Wate  der  gap  ei  im 
also  yuot  gewant, 
der,  um u  an  küneges  libi 
Ix  •  ier  nie  bevant. 

1685,  1  Si  in uosfc n  u/  gelicht 
2  Waten  dem  d<  gt  u< 
der  wärheite  jeht  n 

1686,1  Irolt  der  hie*  schouwen 

willic  sinen  muot, 
ihr.   im  niht  erbarmte 

d,  In  in   r   sluhli    guot. 
1690, 3  däx    si   du    muh    si/l<n 

gesähen  einander  mere. 


1)  C  stuont 
4)  A  sähen 


2)  C  Die  künden 


o)  A  dem 


202  K.    KETTNER 

Ein  solches  mass  von  berührung  mit  und  abhängigkeit  vom  Nibe- 
lungenliede  im  ausdruck  und  stil,  wie  es  aus  dieser  übersieht  sieh  für 
das  Gudrunepos  ergibt,  besteht  bei  keiner  anderen  der  venvanten  dieh- 
tungen.  S  sehr  der  Inhalt  der  klage  mit  dem  des  Nibelungenliedes 
sich  berührt,  so  massig  ist  doch  die  äusserliche  Übereinstimmung 
mir  ihm.  So  häufig  im  Biterolf  beziehungen  zum  Nibelungenlied 
durch  den  Inhalt  gegeben  sind,  so  beschränkt  sich  doch  auch  hier  die 
Übereinstimmung  auf  ganz  vereinzelte  umfangreiche  und  nicht  gerade 
zahlreiche  kleinere  entlehnungen.  Auch  eine  durchsieht  des  Alphart 
hat  mich  kaum  auf  ein  dutzend  verse  geführt,  deren  ähnlichkeit  mit 
llen  des  Nibelungenliedes  man  als  über  blosse  formclhaftigkeit  hinaus- 
bend  ansehen  könte. 

Ich  habe  die  parallelen  im  algemeinen  in  der  reihenfolge  auf- 
s  Fuhrt,  wie  sie  das  überlieferte  gedieht  darbietet,  da  dieses  verfahren 
am  besten  es  ermöglichte,  die  rechte  belcuchtung  für  die  erkentnis 
ihrer  entstehung  und  ihrer  bedeutung  zu  gewinnen.  Nach  ihrer  ver- 
hiedenen  b  e s c h  a ff e n h  e i  t  würden  sie  sich  auch  in  folgende  arten 
einteilen  lassen: 

1)  Wörtliche  Übereinstimmungen  mit  unwesentlicher  sachlicher 
beziehung,  die  aber  vor  der  algemeinen  phraseologischen  wendung  sich 
auszeichnen  durch  fülle  und  eigentümlichkeit  des  ausdrucks,  wozu  oft 
noch  die  gleiche  oder  analoge  Stellung  im  verse  und  auch  die  Verbin- 
dung mit  gleichen  reimen  komt.  Beispiele  Gr.  15,  1,  20,  1,  2.  67,  1. 
108,  4.     112,  2.     353,  1.  2. 

Angabe  von  einzelnen  charakteristischen  gleichen  handlungen 
mit  mehr  oder  weniger  starker  wörtlicher  Übereinstimmung.  Beispiele 
sind  zahlreich. 

3)  Gleichheit  des  namens,  der  handlung,  relative  gleichheit  des 
ausdrucks.  Beispiele  G.  76,  1.  109,  1.  501,  1.  2.  1139,  1.  Ygl. 
auch  334,  1. 

li  Gleichheit  der  motive  mit  entsprechender,  teilweise  über- 
einstimmender  darstellung.  Dabei  handelt  es  sich:  a)  um  einzelne 
umstände  und  Vorgänge.  Beispiele:  G.  433.  021.  061.  864;  auch  sehr 
häufig  in  einem  abschnitte,  wie  G.  1396  — 1515;  b)  um  mehrfache  unter 
sich  zusammengehörende  umstände  und  Vorgänge,  so  dass  ganze  paral- 
lele Schilderungen  entstehen.  Beispiele:  G.  8  —  49.  587 —  596.  1658  — 
1672. 

Mit  sachlichen  und  sprachlichen  entlehnungen  aus  dem  Nibelun- 
_  oliede  sind  am  stärksten  durchsezt  diejenigen  teile  der  Gudrun, 
welche  typische  Vorgänge  beschreiben,  also  bericht  geben  über  prinzen- 


EINFLUSS   DES    NIB.-UEDES   AUF   DIK   GUDRUN  203 

erziehung,  feste,  empfang,  abschied,  botschaft,  Werbung,  schenken, 
%kampf.  Man  kann  beinah  behaupten:  es  komt  fast  nie  eine  solche  Schil- 
derung vor,  in  der  nicht  wenigstens  aus  einer  entsprechenden  darstcl- 
Lung  des  Nibelungenliedes,  oft  aus  mehreren,  zuweilen  fast  aus  allen  sol- 
chen nietive  und  ausdrücke  entlehnt  wären.  Dies  zeigt  sich  nirgends 
deutlicher  als  in  den  vier  ersten  aventiuren,  die  von  Hagens  eitern 
und  Jugend  handeln.  Als  abschnitte  von  ähnlichem  Charakter  würden 
sich  an  diese  zunächst  die  Schlussteile  reihen:  die  kampfschilderung 
1396  — 1515,  die  beschreibung  der  rückkehl  und  der  feste  L561 
1G18.  1018  — 1686.  Nach  diesen  teilen  würde  folgen  der  kämpf  auf 
dem  Wülpensande  858—903.  Zwischen  solchen  umfangreichen  nach- 
ahmungen  stehen  nun  in  grosser  fülle  alle  arten  kleinerer,  von  der 
über  10  und  20  Strophen  sich  ausdehnenden  Schilderung  bis  zum  ein- 
zelnen halbverse  hinab,  so  sehr  mit  einander  vermischt,  dass  man  grössere 
abschnitte,  in  denen  diese  parallelen  fehlen,  nicht  nachzuweisen  verma 

Die  über  20  strophen  langen  abschnitte,  die  einen  mangel  an 
parallelen  zeigen,  sind  folgende:  1)  372 — 417  wie  suoxe  Hörant 
saue,  bis  dahin,  wo  der  kämmerer  die  beiden  erkent  und  ihnen  seinen 
schütz  zusagt.  2)  706  —  736  der  kämpf  zwischen  Hetels  beer  und  Sig- 
frid,  benachrichtigung  Hartmuts  hiervon,  entschluss  Ludwigs  und  Hart- 
muts Gudrun  zu  entführen.  3)  773  —  799  rückkehr  der  boten  Hart- 
muts,  einnähme  der  bürg,  gefangennähme  Gudruns.  4)  985  — 1010 
Gudruns  aufenthalt  bei  Gerlind  und  ihre  niedrige  arbeit.  5)  1231  — 
1264  der  hauptteil  des  gespräches  Gudruns  und  Hildburgs  mit  Ortwin 
und  Herwig  am  strande.  6)  1619  — 1647  die  anstiftung  der  drei  Ver- 
lobungen durch  Gudrun. 

Versuchen  wir  nun  eine  erklärung  dieser  ganzen  in  unserer 
klassischen  epik  einzig  dastehenden  erscheinung  zu  gewinnen. 

Zunächst  wird  man  nach  der  Zusammenstellung  der  parallelen 
wol  nichts  einwenden  gegen  die  im  eingang  gemachte  Voraussetzung, 
dass  im  wesentlichen  nur  ein  bearbeiter  diese  fülle  von  sprachlichem 
und  sachlichem  material  aus  dem  Nibelungenliede  in  die  Gudrun  über- 
tragen hat.  Die  eigentiimlichkeiten,  die  dieser  gehabt  hätte,  winden 
sich  folgendermassen  bestimmen  lassen.  Er  sieht  in  dem  Nibelungen- 
liede ein  muster  der  volkommenheit,  er  besizt  eine  vorzügliche  kentnis 
desselben,  er  fühlt  sehr  stark  das  bedürfhis  änderungen  an  der  Gudrun 
zu  machen,  er  benuzt  für  diese  mit  Vorliebe  die  spräche  und  den  inhalt 
des  Nibelungenliedes,  er  hat  die  Gudrun  von  anfang  bis  zu  ende  ohne 
wesentliche  Unterbrechungen  mit  solchen  entlehnungen  durchsezt,  abwech- 
selnd zwischen  längeren  nachdichtungen  und  kürzeren   Übertragungen. 


204  E.    KETTNEB 

Ein  zusammentreffen   aller   dieser   erscheinungen   ist  aber  nur  denkbar 
bei  einem  bearbeiter. 

Dem  kann  auch  die  tatsache  nicht  widersprechen,  dass  die  paral- 
lelen nicht  alle  genau  zu  demselben  Nibelungentexte  passen.  Nim 
stimmen  die  parallelstellen  ihrer  weit  überwiegenden  mehrzahl  nach  am 
besten  zum  text  der  handschrift  B.  Stellen  des  Nibelungenliedes,  wo 
alle  drei  haupttexte  von  einander  abweichen,  sind  353,  2.  383,  6. 
L598,  8.  Weder  Ä  noch  C  passl  353,  2  zu  G.  118,  3;  383,  6  fehlt 
in  A   und    lässt   sich   in   der   lesart   von  C   kaum    noch   mit  G.  1148,  1 

[gleichen;  1598,  8  fehlt  in  A  und  entspricht  G.  1391,  2  in  der  les- 
art von  C  viel  weniger  als  in  der  von  13.  Die  abweichungen  in  A, 
welche  grössere  ähnlichkeit  mit  den  parallelstellen  der  Gudrun  zeigen, 
sind  unbedeutend  und  es  kann  hier  überall  die  grössere  ähnlichkeit 
der  Gudrun  mit  dorn  alteren,  ihrem  bearbeiter  unbekanten  text  dem 
zufall  ihre  entstehung  verdanken.  Anders  ist  das  Verhältnis  der  Gudrun 
zu  C.  Einerseits  berührt  sich  die  Gudrun  mit  mehreren  zusatzstrophen 
von  C.  Anderseits  zeigt  in  dem  B  und  C  gemeinsamen  textbestand 
sehr  oft  C  weit  geringeren  parallelismus  oder  gänzliches  fehlen  dessel- 
ben, wo  13  (wie  auch  A)  parallelismus  mit  Gudrun  hat.  Viel  seltener 
haben  die  parallelstellen  in  C  grössere  ähnlichkeit  mit  dem  text  der 
Gudrun.     Von   unwesentlichem    absehend   rinden    wir    dies    bei   660,  3 

1.23,  2).     358,  4  (G.  117,  4).     324,  2  (G.210,  1).     1877,  1  (G.  503,  1). 

:   ".   1    (G.  ."»U».  1).     54,  3  (G.  595,  1).     1621,  3  (G.  654,  2).     1620,  1 

.   3).      1707,  3    (G.  737,    2).     371,  1    (G.  750,  1).      1784,   1.   2 

.  1212.  1.  2).  210,  4  (G.  1401,  2).  2038,  2  (G.  1413,  4).  1833,  1.  2 
(G.  1476,  '■'>.  4)  —  also  bei  14  stillen.  Dass  nun  ein  bearbeiter  zwei 
Nibelungentexte  nebeneinander  benuzt  haben  soll,  ist  nicht  recht  glaub- 
lieh.     Als«»  meine   ich:    er  las  einen  Nibelungentext,    der   zwar   sonst 

r  handschrift  B  am  nächsten  stand,  an  diesen  stellen  aber  die  fas- 
sui  d  C  bot  (vgl.  die  bemerkung  zu  G.  166,  4).     So  erklärt  es  sich 

z.  b.,  wie  in  der  nämlichen  Schilderung  G.870  sieh  berührt  mit  C2159, 
5  9  und  (r.  875,  4  iibereinstimt  mit  2223,  4  B,  nicht  aber  mit  C. 
Der  bearbeiter  gebrauchte  also  eine  handschrift  des  Nibelungenliedes, 
in  welcher  sich  entweder  der  anfang  der  entwicklung  des  textes 
l!  zum  text  I  larstelte,  oder  in  welche  einzelne  lesarten  und  zu- 
chon  fertig  gestelten  textes  C  aufgenommen  waren. 
Wie  hat  man  sich  nun  das  verfahren  des  bearbeiters  vorzu- 

llen?  Er  hatte  eine  Gudrundichtung  vor  sich,  die  weit  kürzer, 
vielleicht  halb  so  lang  als  die  uns  überlieferte  war.  Diese  genügte  den 
ansprüchen  nicht,    die   sein   an  höfischen  mustern  gebildeter  geschmack 


EINFLUSS    DES    (CIB.  -  LIEDE8    AUF    DIE    GUDRUN  205 

stelte.  Er  sezte  sich  daher  den  zweck,  die  Gudrun  nach  den  anschau- 
ungen  seiner  zeit  umzugestalten  und  auszubauen.  Wie  man  aber  einen 
nationalen  bisher  nur  volksmässig  behandelten  stoff  nach  den  moder- 
nen ansprüchen  umzuarbeiten  hatte,  das  lehrte  ihn  das  Nibelungenlied 
in  seiner  ja  auch  schon  überarbeiteten  oder  modernisierten  gestalt.  Also 
nicht  bloss  mangel  an  eigner  erfindung  und  sprachlicher  traft,  senden) 
auch  der  wünsch  dem  Nibelungenliede  etwas  ganz  entsprechen- 
des an  die  seite  zu  stellen  veranlasste  ihn  die  Grudrun  umzuarbei- 
ten, indem  er  einerseits  nach  den  algemeinen  Vorschriften,  die  er  aus 
dem  Nibelungenlied  herauslas,  seine  erzählung  ausspann,  und  ander- 
seits ungescheut,  ja  mit  einer  gewissen  absichtlichkeit  ganze  Bcenen, 
Situationen  und  einzelzüge,  sachliches  wie  sprachliches,  aus  diesem  in 
seine  dichtung  übertrug. 

Er  arbeitete,  indem  das  Nibelungenlied  aufgeschlagen  vor  ihm 
lag.  Gut  orientiert  in  demselben,  fand  er  mit  leichtigkeit  die  darstel- 
lungen  aller  solcher  gegenstände  und  Vorgänge  auf,  wie  sie  ihm  die 
Gudrun  selbst  schon  bot  oder  auf  die  sie  ihn  führte,  oft  benuzte  er 
mehrere  verschiedene  partien  zugleich,  um  aus  ihnen  das  ihm  zusagende 
und  wesentliche  für  seinen  zweck  auszuwählen.  Grössere  Schilderun- 
gen algemeineren  inhalts  erzählte  er  in  freier  weise  nach;  aus  Schil- 
derungen von  mehr  individueller  art  entnahm  er  einzelne  züge  und 
sprachliche  Wendungen,  oft  in  sehr  grossem  umfange,  vereinzelte  anga- 
ben mit  ihrer  ausdrucksweise  verwendete  er  in  anderen  beziehungen. 
Vielfach  regte  ihn  auch  das  Nibelungenlied  zur  Übertragung  von  all 
solchem  material  an.  Daher  folgen  so  oft  parallelen  aufeinander,  die 
keinen  inneren  Zusammenhang,  sondern  nur  den  äusserlichen  haben, 
dass  sie  in  der  quelle  räumlich  sich  nahe  stehn.  Bei  seiner  tätigkeit 
mochten  dem  bearbeiter  der  Gudrun  aus  den  verschiedensten  teilen  des 
Nibelungenliedes  einzelne  stellen  ins  gedächtnis  kommen,  die  er  auf- 
nahm ohne  sich  jedesmal  ihrer  herkunft  bewusst  zu  sein.  -  ilche  remi- 
niscenzen  haben  wir  in  vielen  derjenigen  kleineren  parallelen  zu  sehen, 
die  mitten  zwischen  zusammengehörigen  parallelen  auftauchen. 

Selbstverständlich  erstreckt  sich  der  einfluss  des  Nibelungenliedes 
nicht  bloss  auf  diejenigen  Strophen,  bei  denen  sich  die  nachahmung 
nachweisen  lässt.  Selbstverständlich  dehnt  sich  auch  die  bearbeitung 
noch  weit  über  diejenigen  Strophen  aus,  die  unter  dieser  beeinflussung 
gebildet  sind.  Es  muss  demnach  die  Gudrun  einer  sehr  gründlichen 
Umgestaltung  unterworfen  sein:  es  sind  vom  bearbeiter  die  meisten 
alten  Strophen  umgebaut,  massenhaft  neue  dazugesezt,  und  der  inhalt 
wilkürlich  verändert    und   stark   erweitert.     Dieser   bearbeiter  war    ein 


20G  E.    KETTXF.R 

dichter  niederen  ranges,  und  er  hat  vielen  partien  des  epos,  wie  wir 
es  jezt  haben,  den  Stempel  seines  dürftigen  geistes  aufgedrückt  Trocken- 
heit, breite  und  unbestimtheit,  mangel  an  kraft  und  prägnanz  des 
poetischen  ausdrucks  zeigen  sich  häufig  genug.  Nur  hie  und  da  stehen 
ni»»-h  strophen  von  echter  Schönheit,  und  es  zeichnen  sich  einzelne 
abschnitte  durch  frischeren  ton  vot  dem  übrigen  aus.  Solche  stellen 
und  abschnitte  werden  wir  als  reste  des  Originals  bezeichnen  dürfen. 
[ch  hal>e  oben  6  abschnitte  angegeben,  die,  über  20  strophen  lang, 
ohne  parallelen  mit  dem  Nibelungenliede  sind.  Diese  mögen  verhält- 
nismässig ursprünglich  sein.  Ihre  handlung  zeigt  eine  gewisse  abge- 
nheit,  wie  denn  auch  die  abschnitte  985  — 1010  und  1231  — 
1264  eine  art  von  anfang  und  schluss  erkennen  lassen1;  bei  der  mehr- 
zahl  derselben  kommen  viele  gute  und  schöne  strophen  vor,  strophen, 
die  zu  Müllenhofis  „echten"  gehören2,  d.  h.  zu  denen,  die  sieh  inhalt- 
lich und  stilistisch  vor  den  meisten  anderen  auszeichnen.     Auch  in  den 

rophen  1019  — 1047.  unter  denen  keine  von  Müllenhoff  für  „echt" 
a  haltenen  sind,  ist  die  darstellung  klar  und  tliessend,  frei  von  leeren 
\  <■]•>-  und  Strophenfüllungen;  es  begegnen  einzelne  recht  ansprechende 
züge,  und  die  frieden,  freundschaft  und  verwantschaft  stiftende  Gudrun 
i-t   ein   für   den   schlussteil  gut  passendes  bild. 

Weiter  auf  solche  und  ähnliche  erscheinungen  einzugehen  unterlasse 
ich,  da  dies  immer  tiefer  in  das  gebiet  der  Vermutungen  hineinführen 
würde.  Aber  das  glaube  ich  als  sicheres  resultat  meiner  Untersuchung 
betrachten  zu  dürfen:  der  parallelismus,  der  die  abhängigkeit  der  Gu- 
drun vom  Nibelungenliede  beweist,  ist  eine  erschein ung,  die  bei  jeder 
kritik  des  überlieferten  Gudruntextes  hervorragende  beachtung 
erfordern  wird.  Aus  ihm  kann  man  ersehen,  wie  Müllenhoff  und 
Martin    nicht    überall    das    richtige    getroffen    haben.     Denn   von   ihren 

chten"  strophen  sind  viele  ebenso  gut  mit  Nibelungenstoff  durchsezt 

1)  986,  1    Do  fuor  oueh   von   dem   lande  'Irr  degen    Hartmuot.     1011   Werc 

diu  vü  8tnaehen,    da%   ist  al  war,  der  phlägen  die  vrouwen  vierdehalbex,  jär,  unxe 

dm  her  Hartmuot   /<\    rfr'rn   herreisen  was  komen  heim  xe  lande.     1234,  1.  2  Ofte 

erblikU    'Beruhte  die  junefrouwen  an:  worauf  die  widererkennung  folgt.     1205.  1  Si 

i  künden  beldiste  dan. 

Auf  372-417  kommen   11  „echte"  strophen,   auf  773—700  kommen  10, 

au;     -'   -1010  kommen  11,    auf  1231  —  1204  kommen  10.    Aus  den  1705  atrophen 

der  Gudrun  hat  Müllenhoff  414  „ echte"  herausgelesen;    das  Verhältnis  der  „echten" 

zu  den    „unechten"    ist   also  in  jenen  4  abschnitten  ungefähr  1  :2  und  1:3,    in  der 

Gudrun  überhaupt  ungefähr  1:4.     Ohne  mit  dieser  bemerkung  der  kritik  Müllenhoffs 

pflichten  zu  Tvolh-n.  hebe  ich  dies»-  hervor,  weil  die  strophen,  die  er  ausgesondert 

hat.  tatsächlich  zu  den  besten  in  der  Gudrun  gehören. 


EINFLUSS    DES    MB. -LIEDES    AUF   DU     r;rr»RUX 


l'i»: 


wie  die  „unechten11,  also  auch  durch  die  bearbeitung  hindurch-  oder 
gar  aus  ihr  hervorgegangen.  Das  gleiche  gilt  von  den  echten  und 
interpolierten  Strophen,  wie  sie  Sijmons  unterschieden  hat.  Audi  eine 
kritik  nach  einer  methode,  wie  sie  Wilmanns  anwendet,  muss  stets 
unsicher  tasten,  wo  an  dem  ganzen  ein  bearbeiter  und  zwar  ein  sol- 
cher wie  dieser  tätig  gewesen  ist,  dessen  wilkür  und  Unklarheit  gar  oft 
diejenigen  Ungereimtheiten  verschuldet  haben  mag,  aus  welchen  man 
auf  kontaminatioiien  und  dergleichen  zu  schliessen  versuchte. 


Anhang. 

Ich  habe  in  meiner  abhandlung  nur  diejenigen  parallelen  berück- 
sichtigt, die  nach  meiner  auffassung  aus  einer  wirklichen  nachahmung 
des  Nibelungenliedes  herzuleiten  sind;  ausgeschlossen  geblieben  sind 
solche,  die  auch  unabhängig  vom  Nibelungenliede  teils  durch  zutall, 
teils  unter  der  einwirkung  eines  algemeinen  epischen  Sprachgebrauches 
entstanden  sein  können.  Eine  hineinziehung  auch  solcher  parallelen 
würde  den  überblick  erschwert  und  das  urteil  beeinträchtigt  haben. 
Dennoch  würde  es  die  kontrolle  der  vorliegenden  Untersuchung  wesent- 
lich fördern  und  zugleich  einem  algemeineren  interesse  dienen,  auch 
die  für  unseren  zweck  unwesentlichen  parallelen  wenigstens  nach  ihren 
stellen  zu  bezeichnen,  zumal  da  unter  solchen  parallelen  noch  manche 
sein  mögen,  die  trotz  ihrer  geringfügigkeit  und  ungenauigkeit  doch  aus 
nachahmung  hervorgegangen  sind.  Daher  gebe  ich  in  dem  hier  folgen- 
den an  hang  eine  Zusammenstellung  aller  mir  bekanten  sachlichen  und 
sprachlichen  berührungen  des  überlieferten  Gudruntextes  mit  dem  Nibe- 
lungenliede, die  der  erwähnung  wert  zu  sein  scheinen.  Die  in  der 
abhandlung  schon  angeführten  und  besprochenen  sind  durch  an- 
gezeichnet. 


Gudrun 


1. 


1 

*1,  3 

3,  1 

*4,  1 

6,  2 

*7,  1 

*7,  2 

*8,  2 


♦10,  1 
*11,  3 


Nibel. 
20,  1. 


2,  1. 
20,  2. 

7,  1. 
25,  1. 
27,  1. 
1992,  1. 
49,  1. 
49,  3. 
1527,  2.     691,  2 

1002,  4. 
493,  1.     569,  1. 
1083,  1. 


Gudrun 

N 

ibeL 

*14,  2 

555, 

1. 

*15,  1 

74  1. 

3. 

1310, 

1755, 

3. 

16,  3 

54i'. 

3. 

*19,  1 

596, 

1. 

29,  4 

*19,  2  wie 

*15,  1 

*20,  1 

18, 

2. 

633, 

*20,  2 

633, 

2. 

*20,  3 

658, 

3. 

*21,  1 

664, 

1. 

*21,  3 

521, 

1. 

208 

K.    KKTTXF.R 

Gudrun 

Nibel. 

<  rudrun 

Nibel. 

*•)•)    ]    2 

662, 

1.   2. 

*108,  4 

358,  4.     370,  4  C 

22.    3 

660, 

1.     1328,  3. 

*109,  1 

1492,  1. 

23,  1 

660, 

1.     24,   1. 

110,  4 

215,  2. 

23,  2 

660, 

3.      L852,  1. 

111,  4 

L58,  2. 

»23,  3 

26, 

3. 

*112,  2 

787,  2. 

24,  1 

25, 

1. 

115,  2.  3 

7(5,  1  —  3. 

_   t  ,     — 

1850, 

—  > 

117,    I 

358,  4  C. 

_'7.  2.  3 

668, 

2.3.  1343,2.3. 

*118,  3 

353,  2. 

28,   1.  2 

(i7(). 

1.     669,  1.  2. 

121,   1 

391,  1. 

29,  1 

671, 

1. 

126,  1 

340,  4  A. 

30,  1 

H73. 

3. 

126,   2 

1197,  1. 

30,    1 

449. 

4. 

134,  2 

339,  2. 

34,  4 

1380, 

2. 

137,  3 

718,  3. 

35,  2 

674, 

2. 

*138,  3.  4 

388,  1.  2. 

*36,  1.  2 

520, 

2    3 

*139,  1 

388,  4. 

*37,  4 

694, 

2. 

*146,  1 

1481,  1. 

38,  4 

719. 

3. 

148,  2 

222,  2.  3. 

*39,  1 

528, 

1. 

*151,  3 

1551,  4. 

*40,  2 

705. 

4. 

154,  1 

8Ö2,  1. 

*42,  3 

537. 

4. 

154,  4 

2251,  4. 

12.  4 

753 

1. 

155,  2 

572,  4. 

43.  2 

200. 

2. 

*155,  4 

355,  4.     748,  3. 

*43,  4 

1827. 

4. 

1609,4.    1671.1 

44,  2 

753, 

4. 

156,  2 

60,  4. 

45,   2 

243, 

2. 

*156,  3 

356,  2.  3. 

48 

41. 

1.  2.   39,  1.  2. 

157,  1 

734,  1. 

*49,   1.   2 

751, 

1.  2. 

*160,  1.  2 

365,  1.  2. 

49.   2 

129, 

2. 

*163,  1 

22,  5  C. 

*50,  1 

90, 

2. 

*163,  2 

129,  2. 

*54,  3.    1 

215. 

4. 

*164,  3.  4 

41,  3.  4. 

58,  2.  3 

739. 

9 

_ . 

166,  1 

336,  3  C. 

.    1 

4. 

*166,  4 

22,  7  C. 

*60,  3.    1 

2171, 

3.  4. 

*169,  1 

49,  1.  3. 

»iL  4 

-'17. 

1. 

171,  4 

811,  4.     1042,  4. 

62,   1 

1 168, 

3. 

1076,4.  1142,4C 

63 

309. 

*172,  1 

28,  1. 

65,    1 

253. 

1.  3. 

*174,  2  —  4 

559,  5  —  8.     30,  4 

66,  1.  2 

753. 

1.   2. 

*176,  3 

135,  3. 

66,    J 

636, 

4.     646,  4. 

*178,  1 

244,  1. 

;.  l 

1446, 

1. 

•178,  4 

596,  1.     44,  5  C. 

*70,  1 

1171. 

1. 

*179,  1.  2 

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EINFLUSS    DES   NIB. -LIEDES    A.UF   DIE   GUDRUN 


200 


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2. 
2. 
1. 
1.   1792.  1. 


2  17.  1 


1927,  1. 


ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.     BD.    XXIII. 


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*587,  1-3 

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*599.  4 

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*496,  1.  2 

1867,  1.  3.  1862,  3. 

*603.  2 

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*603.  2.  3 

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499,  2.  3 

L999,  1.  2.  2212.  4. 

605.  2 

633,  4. 

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605.  3 

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614.  2 

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617.  2 

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2003,  3.  2035,  3 

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619,  1 

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511,  2 

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630.  1 

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512.  1 

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513,  2 

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639,  3.  4 

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513,  3 

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*640.  1 

172,  1.  962.  1. 

EINFLUSS    DES    NIB. -LIEDES    AUF    DIE    GUDRUN 


211 


<  rudrun 
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1. 

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1. 

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Nibel. 


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1379 
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2098 

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4. 
1. 
1. 


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1. 

1. 

1. 

1. 

1. 

3. 

2. 

3. 

1. 
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2. 

1. 

1. 

3. 

1. 

1. 

1. 

2. 

2. 

4. 

4. 

2. 

3. 

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213 


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214 

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2 

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1358, 

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2 

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1 

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601.  1. 

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3 

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1287,  4 

567.  2.  3. 

1379, 

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*1289,  1 

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1.  2 

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1481,  1. 

1388, 

2 

2215,  1. 

2212,  4. 

*1294,  2 

1824,  2. 

1389, 

1 

1760,  3. 

L302,  4 

708,  3.  4. 

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1 

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1201.  2.   712.  1. 

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2108,  2. 

2110,  2. 

413.  4.  536,  3. 

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1 

1707.  2. 

1308,  2'' 

1621.  3  C. 

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1.  2 

1492,  1. 

2 

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1306. 

2 

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181,  2. 

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3 

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1311,  2 

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1397, 

4 

98,  2. 

2210,  3. 

L311,  3 

1992,  2. 

*1399, 

1.  2 

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2 

L311,  4 

1760.  1. 

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3 

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1322,  1 

37,  3  C. 

1401, 

2 

210.  i  C.  1501,  3 

1322,  4 

101. 

1935,  4. 

L325,  1 

581,  2.  603,  1. 

1402, 

1.  2 

107,  1. 

9 

—  • 

*1325,  3.  4 

17<i2.  2.  •;. 

*1402, 

4 

637.  8. 

*135 

176.;.   17«. 1.  1.  2. 

1103, 

1 

105.  3. 

1326,  2 

.  2. 

140  1. 

3 

1600.  2. 

*1327.  1.  2 

354,  1. 

Mo:.. 

4 

8,  1. 

1327.  1 

2106.  1. 

*1  107 

183. 

*1328,  1—  3 

1761».  1.   1761,  3. 

*140s. 

1 

184,  1. 

181,  4. 

-1330.  1.  2 

612.  :;.  1. 

185,  4. 

KIM  LT»    HKS    Nir». -LIKDES    AUF    DIK    GUDKIN 


215 


Gu.lr 

im 

Nibel. 

(iu-li 

IUI 

Nibel. 

1409, 

1 

207, 

1. 

1457, 

2. 

1346, 

1. 

1409, 

2 

750, 

1.   719,  1. 

♦1457, 

1 

1895, 

1.  1910,  4C 

879,  1. 

1  160, 

4 

144, 

4. 

*1410, 

3.  4 

202, 

4. 

1461, 

1 

380, 

1. 

1411, 

3 

1881, 

1. 

1  161. 

1 

2051. 

1. 

1  1 1 3, 

2 

L943, 

9 

1  161. 

2 

1467, 

4. 

L413, 

3 

UM. 

1. 

1  161. 

1 

1831. 

■  > 

6. 

*1413, 

1 

2038, 

2  C. 

1465, 

1 

1686, 

1. 

*1414, 

2.  3 

1888, 

1. 

lif»:.. 

1.  2 

2015. 

1.  2. 

1415, 

2 

2152, 

2. 

1466. 

1 

1866, 

3.  973,  1  V 

1  J 16, 

2 

2215, 

1    9991   9 

-l  .      UalUll    —  . 

1  166, 

4 

2212. 

2 

ins, 

1 

2152, 

9 

1  168, 

1 

ssl. 

4.  2008,  1. 

♦1419, 

1 

207. 

1. 

L469, 

1 

336, 

o 
o. 

*1419, 

•) 

1905, 

1.  2.  202,  2. 

*1470. 

7 

ins. 

1. 

*1419, 

3 

2013, 

2. 

*1470, 

3.  4 

2295, 

1.   1007,  1. 

*1419, 

4 

2163. 

1. 

1473, 

2 

2181, 

3. 

*1420, 

1 

2226, 

1. 

1474, 

2 

2313. 

3.  4. 

*1422, 

2.  3 

2233, 

> 

—  • 

1474, 

1 

377. 

•> 

1 423, 

3 

1552. 

3. 

14  75. 

2 

598 

2. 

*1424, 

1 

2297, 

1. 

1475. 

3.  4 

455. 

•1.   156,  1. 

*1424, 

2.  3 

2221. 

2.3.  2297,2.3. 

1176. 

1 

L785, 

2.  2080,  1. 

H427, 

4 

202. 

4. 

H476, 

3.  4 

1833, 

1.  2  C. 

1428, 

1 

977, 

1. 

1477, 

1 

21  15. 

3. 

*1  130, 

2 

2270, 

3. 

1479, 

1 

1839. 

1. 

14:;  l. 

1 

372, 

3. 

*1480, 

1 

1937. 

o 

*1443, 

1 

1727. 

9 

1481, 

1 

938, 

1. 

14:;:». 

■> 

2304, 

3. 

*1482, 

1 

2075. 

2. 

*1436. 

2-4 

1655. 

5  —  8  C. 

*1482, 

2 

2073. 

2.  2074,  3. 

*1437, 

1.  2 

ulu< 

2  3 

*1482, 

4 

2074. 

4. 

1441, 

1 

1709, 

1. 

1483, 

4 

1654. 

o 

1442, 

2 

1687, 

1. 

*1484, 

1 

1753. 

1. 

1443, 

3 

1911, 

2  C. 

*Us5, 

3 

1703, 

1.  2045,  3. 

1414, 

1 

2155, 

3. 

1486, 

1 

1037. 

1. 

1444, 

3 

1316. 

14S7, 

9 

—i 

505. 

4. 

1445, 

1 

798, 

4. 

14S7. 

4 

1691. 

4. 

1445, 

3 

2011. 

3. 

14S9. 

1 

848. 

1. 

*1446, 

1.  2 

1887, 

2.  1864,  1.  2. 

*1493, 

1.  2 

1864. 

1.2.  1899,1.3 

1446, 

3 

1559. 

— . 

1498, 

9 

_ 

1398, 

:;.    2003,  3. 

*1448, 

1 

2062. 

1. 

2035,  3. 

1449, 

1 

2106. 

4. 

*1499, 

1.  2 

2007. 

1.  2.  558,3.  4 

1452, 

1 

444. 

2. 

H500, 

1.  2 

93, 

1.2.  1062,1.2 

1452, 

4 

251. 

3. 

*1502, 

1 

215:;. 

1. 

1453^ 

2.  3 

4. 

1502, 

2 

1930, 

4. 

1454, 

3 

94. 

4. 

*1504, 

1 

2015, 

9 

—  • 

1455, 

3 

158, 

1.  942,  4. 

1504. 

4 

2244. 

2. 

1902,  1. 

1506, 

1 

1923, 

1. 

*1457, 

1.  2 

2230. 

9 

-• 

1506, 

2 

1132. 

4. 

216 


E.    KETTNER 


Gudrun 

1507.  2 
1 508 
♦1511 
1511 
L512 
1515 
1517 
1517 


1523, 

l.V'l. 
1524, 
L528, 

1  532, 
1532, 

15.11. 

15.;:». 

1535, 
15  : 

15::7 
L542, 
•1543, 
1  545, 
1546, 
1551, 

r 

1561, 

ü 

i: 

L£ 

1566, 

15< 

L568, 

15 
L570, 

1571. 

1572, 

K 

I  5 

157:;. 
H574, 

1574. 
*1578, 

1578, 
*1581, 
*15 


2 

1 
2 

3 

4 
1 
3. 


1 


o 
0 

1 

1 

3 
1 
3 

1—3 

1 

1 
2 

1.  2 

1 

3 

1 

3 

3 

•  > 

•  > 

4 
1.   2 


1. 

1 

3 

2. 

■> 


3 


• » 

4 

1. 

2. 

1. 
4 
1. 
2 


2 

3 

2 


3 


NibeL 

645,  3. 
2089.  2. 
L888,  3.      2245.  2. 

L86,  1. 
L677,  1. 
1  154,  :;. 
L887,  3. 

'•12.  4.      1709,  4. 
942,  2. 
2310,  3  AC. 
1771.  3. 

20i;;.  2. 

L895,  1. 
2016,  2  C. 
1995,  2. 
940,  3. 

149s.  1. 

1947,  3. 

112.  1. 
2071,  1. 

388,1.2.1755,7.80. 

387,  3. 

831.  1.  1464,  1. 

217,  3. 

490.  1.  2. 

255,  1. 

229.  1. 

369.  4. 

221.  1.  725.  1.  2. 

237,  4. 

22-1.  :;.  520.  :;. 
74,  3. 

261,  1.  2.  262,  3. 
528,  3.  1445.  3. 


526, 

1  5<i7. 

2. 

751, 

725, 
1044.  1. 

540,  12. 

5  11.  4. 

543,  3. 

525,  1 

731,  1 
1185,  1 
1174.  1 


7.  8. 

1.  2316.  1. 
4. 

1.  2. 

•> 


2. 
2 


1 1  adr 

UM 

NibeL 

*1587, 

1 

244,   1. 

*1588, 

1 

292,  1. 

1589, 

2 

L859,  2. 

*1589, 

;; 

291,  3.     517,   1. 

*1589, 

4 

303,  1. 

♦1591, 

1. 

2 

1521,    1.   2. 

*1592, 

1. 

2 

1244,1.2.    1296,1.2 
1569,  3.  4. 

♦1592, 

4 

1211.    1. 

1595. 

2 

836,   1. 

*1596, 

2 

248,  2. 

1597, 

1 

2292,  1. 

1597, 

2 

512,  4. 

15!»-. 

2 

1311,  2. 

*1599, 

2— 

-4 

250. 

1599, 

4 

100,   1. 

*1601, 

3. 

4 

285,  1.  3.    102,11 

1604, 
1604, 


1 
3 


*1606,  2 


1607, 
1608, 


1 
1 


1610.  2.  3 
K>10,  4 
1611 
1613,  1 
*  1614,  2— 4 


1615,  3 
•1618,  1. 
*  1618,  3 


1622,  2 
1624,  2 
1631,  2. 

1634,  2 

1 
1 

1 


361,  1. 

309,  3.  499,  6. 
2045,  3. 


322,  2. 
973,  2. 
609, 


3. 
C. 


1 
235.'  4. 
1306,  4. 
10.  11. 
1627,  1. 
1209,  4. 

1113,  1 
1367,  4  C. 


1210,  2. 


2  1126, 
1125, 


1. 
3. 


1126,  4. 


3 


16  10. 
1641, 
1612. 
1644,  1 
1616. 
1648, 
1650, 
165  1. 


1651. 


o 
<J 

1 

1 

2. 
4 


3 


343, 

113,  :;. 
840,  :;. 

1746,  2.  3.  556,  2. 

594,  2. 
L667,  1. 

848,  8  C. 

1843,  1.  1844,  1.  2. 
L840,  2. 
1055,  1. 

i:u 

1621. 

1623. 

175, 


139,  2. 

1. 
3. 

3. 


568, 


■  > 

■  >. 


1066,  3 


D. 


EINFL1  SS    DES    NIB.-L1EDES    AI  1     MI.    GUDRUN 


217 


Gudrun 
1656,  1 
1059,  1 

*1660,  3 

*1660,  1 

*1661,2— 4 

'1662,  2.  3 

4 
9 


*1662, 

*1663,  2 


1665, 
L666, 


1 
1 


i:  1(560,  2 
♦1667,  1 
1667,  2 

*1668,  4 
*1669,1- 
*1670,  3 

1671, 

1671, 
*1672, 


1672, 
1674, 
1674, 


1.  2 
4 
2 
4 


o. 
1. 
3. 

1 
4 


NibeL 

1746,  4. 

738,  1.     1293, 

542,  3.     1818, 

550. 

551,  3. 

565,  5  C. 

56S,  4. 

1622,  2.  4. 

570,  1. 

608,  1. 

595, 

596, 


•  > 
o. 


1. 
596j  4. 

552,  3. 

597,  1.  2. 

39,  1.  2. 

750,  3.  4. 

751,  2.  3. 
1.  2. 


36,  2. 

*~   ET     4 

o54, 


3. 
6. 


633, 


636,  1. 
485,  1. 


Gu'lrim 

L675,2--4 

*1676,  4 
*1678,  2 
1678,  1 
»1679,  1.  3 
*1681,  1 
*  1682,1 


L683, 

L685, 

♦1686, 


1. 
1. 

,  1- 
1690,  3 

1695,   1 


3 

2 
2 
9. 


1697, 

1700, 
1701, 
1701, 


o 

o 

4 
1. 
3 


1702,  1 

1703,  1 

1703,  1 

1704,  2 


Nibel. 


635, 
1310, 
2150, 

1709, 
1310. 
1187, 
1790, 


4. 

1. 

3. 

3. 

1. 
2 

1- 


L85,  2   1. 


3. 


1262,  2—4. 


231, 
1310, 
L268, 
L230, 
L365, 

934, 

1631, 

75, 


1 
1 

1 
2 

— 

1. 
1 


84,  4. 


9 


385,  1 


532, 

1991, 
1992,  1 
1139 


531,  7. 

7. 
4. 


3. 


1177,  2. 


MIIILUAUSEN    IX    Tll  EHINGEN. 


EMIL    KETTNEH. 


VOLKSTÜMLICHES   ZUM    „AHMEN   HEINEICH ". 


ii 


Hartmanns  sinnige  dichtung  „Der  arme  Heinrich"  bezeugt  ans 
sehr  deutlieh,  wie  eng  Volksglaube  und  ärztliches  vnssea  im  mittelalter 
zusammenhinegen.  Zahlreiche  Variationen  von  blutheilungen  sind  in  den 
alten  Traditionen  niedergelegt,  die  alle  —  ob  christlichem  oder  heid- 
nischem boden  entsprossen  —  auf  den  uralten  glauben  an  die  Versöh- 
nung der  götter  durch  dargebrachte  blutopfer  zurückgeführt  werden 
können.  Die  elastische  natur  des  Volkslebens  hat  diese  uralte  heid- 
nische anschauung  in  die  Volksmedizin  hinübergeleitet  und  bis  auf 
unsere  tage  treu  bewahrt;  ist  doch  der  alverbreitete  zauber  mit  dem 
blute  hingerichteter  nichts  anderes  als  ein  schössling  dieser  anschauung, 
die  auch  eine  reiche  zahl  bedeutsamer  sagen  und  märchen  gezeitigt 
hat.  Zu  ihnen  gehört  auch  die  armenische  und  rumänische  erzählung, 
die  ich  hier  als  kleinen  beitrag  zu  dem  kreise  volkstümlicher  Überlie- 
ferung mitteilen  will,  zu  dem  eben  auch  unser  „Armer Heinrich"  gehört. 


218  n'  wusLoen 

Die  erzählung  der  Armenier   in    der  Bukowina,    die   mir   herr 
G    Munzath    s«>    freundlich  war  aus  seiner  handschriftlichen  samlung 
armenischer  Volksüberlieferungen  im  original  mitzuteilen,    folgt  hier  in 
Dauer  Verdeutschung. 

Von  der  rechten  Hoho. 

Eis  war  einmal  ein  junger,  reicher  und  schöner  herzog,  der  in 
glück  und  freuden  sein  Leben  zubrachte.  Alles,  was  er  unternahm, 
war  von  glück  gekrönt  Trotzdem  er  verschwenderisch  lebte,  so  nahm 
-  in  wolstand   doch    von   tag   zu    tag  immer   mehr  zu,    so  dass  er  bald 

ine  besitzungen  nicht  kante,  ooeh  schnell,  ohne  viel  nachdenken  her- 
zusagen im  stände  war.  Wo  immer  er  sieh  zeigte,  überall  flogen  ihm 
die  herzen  entgegen  und  manner  und  trauen  buhlten  um  seine  gunst. 
!•  Schönheit,  grossmut  und  freigebigkeit  machten  ihn  im  königs- 
palast  und  in  der  beÜerhütte  gleich  beliebt,  und  stolz  konte  er  von 
sich  rühmen,  dass  er  die  liebe  der  weiber  bis  auf  den  lezten  tropfen 
ossen,  dass  kein  weib  ihm  je  habe  widerstand  leisten  können.  „Ich, 
und  nur  ich  allein,  kenne  die  rechte  liebe!*'  rühmte  er  sich  seinen 
freunden  gegenüber,  lud  so  kam  es,  dass  er  hochmütig  und  stelz 
ward:  er  wante  sein  herz  von  gott  ab  und  hing  es  an  weiber.  Gott 
i-t  aber  Langmütig  und  straft  nicht  gleich  die  vergehen  des  menschen; 
er   liisst   ihm   zeit   zur   umkehr   und   reue.     So  kam   es  auch,    dass  der 

hone  herzog  noch  einige  jähre  sein  lasterhaftes  leben  fortsezte.  Da 
kam  aber  eine  ekelhafte  krankheit  über  ihn;  sein  leib  war  mit  eitern- 
den wunden  bedeckt,  die  einen  unausstehlichen  gestank  von  sich  gaben. 
Jedermann  fleh  den  kranken  herzog;  seine  freunde  verliessen  ihn,  seine 
diener   entsprangen    und  weiten   ihren   kranken   herrn  nicht   mehr  pfle- 

n.  Die  berühmtesten  ärzte  Hess  der  herzog  an  sein  Lager  rufen, 
aber  keiner  konte  ihm  helfen,  keiner  ihn  heilen.  Da  stieg  die  demut 
wider  ins  herz  des  herzogs,  und  tagelang  flehte  er  inbrünstig  zu  gott 
um  Vergebung  seiner  Sünden.  Alle  seine  guter  verschenkte  er  an  die 
armen  und  an  die  mönche,  damit  sie  für  sein  Seelenheil  beten  solton. 
Doch  niemand  konte  bei  ihm  lange  aushalten;  nur  eine  einzige  maid 
war  e>.  die  r<>ehter  eines  blinden  betlers,  den  der  herzog  bei  der  Ver- 
teilung -  iner  guter  zu  beschenken  verg<  ssi  u  hatte,  die  war  es  also, 
di(  s  "  ihm  zur  tröstung  _■  sant  hatte  und  die  ihn  mit  unaussprech- 
licher liebe  and  rgebung  tau-  und  nacht  pflegte.  Der  herzog  wunderte 
sich  gar  oft  darüber,  wie  das  doch  käme,  dass  ihn  gerade  diese  maid, 
die  er  nie  beschenkt  hatte,  so  aufopfernd,  so  herzinnig  pflege  und 
behandle:  und  oft  und  oft  fragte  er  si<  :    „Sag5  mir,  liebes  kind,  warum 


ZUM    AKMKN    HKl.NKiai  219 

pflegst  du  mich?  Warum  verlässt  du  mich  nicht  auch,  so  wie  es  alle 
getan  haben,  die  ich  doch  reichlich  beschenkt  habe?  Sieh,  ich  kann 
dir  nichts  geben,  und  nach  meinem  tode  erhältst  du  so  wenig,  dass  es 
nicht  der  mühe  wert  ist,  dafür  bei  mir  nur  einen  tag  zuzubringen!" 
Aber  von  der  maid  bekam  er  immer  nur  eine  antwort:  „Lasst  gut 
sein,  lierr  herzog!  Mein  schönster  lohn  ist  der,  wenn  ich  sehe,  dass 
ich  euerem  herzen  und  euerem  körper  linderung  verschaffe!"  Bei  einer 
solchen  gelegenheit  zog  er  einmal  von  seinem  finger  einen  kostbaren 
ring  und  schenkte  ihn  der  maid,  indem  er  sagte:  ..Nimm  diesen  ring 
und  schenke  ihn  dem,  den  du  auf  erden  am  liebsten  hast!0 

So  vergieng  die  zeit,  so  vergieng  ein  jähr  nach  dem  anderen, 
und  der  herzog  konte  im  dritten  jähre  seiner  krankheit  schon  kein 
glied  mehr  rühren.  Manchmal  kam  der  eine  oder  der  andere  möneb 
zu  ihm  und  betete  mit  ihm  zu  gott.  Bei  einer  solchen  gelegenheil 
erzählte  er  einem  mönche  einen  wunderbaren  träum,  den  er  jüngst 
gehabt  habe.  Die  heilige  mutter  gottes  hätte  im  träume  zu  ihm  gesagt, 
er  solle  sieh  im  blute  einer  Jungfrau  baden,  die  ihn  von  ganzem  her- 
zen liebe.  Lachend  schloss  der  herzog  seine  rede:  „AVer  wird  mich 
faulendes  aas  lieben'.-"  Unbemerkt  hatte  die  maid  diese  erzählung  mit- 
angehört und  rief  jezt:  „Ich!  ich  liebe  euch,  o  herr!  und  ich  will  jezt 
gleich  mein  leben  lassen,  damit  ihr  euch  in  meinem  blute  baden  könt 
und  gesundet!  Heute  in  der  nacht,  als  ich  an  euerem  bette  gewacht, 
tat  eine  stimme  vom  himmel  mir  kund,  dass  euch  mein  blut  heilen 
würde!"  Der  herzog  beschwor  weinend  die  maid,  von  ihrem  vorhaben 
abzustehen;  diese  aber  holte  statt  aller  antwort  eine  badewanne  in  die 
stubc.  Ihren  oberleib  enthlössend,  neigte  sie  sich  über  die  wanne, 
und  indem  sie  dem  mönche  ein  scharfgeschliffenes  messer  überreichte, 
sprach  sie  also:  „Frommer  mann,  durch  deine  band  muss  ich  sterben, 
denn  nur  ein  mann,  der  nie  ein  weib  berührt  hat,  darf  dies  segens- 
volle  weik  an  mir  volziehen!"  Der  mönch  ergriff  da-  messer  und 
weite  es  ins  herz  der  maid  bohren:  da  sprang  aber  diese  auf  und  rief, 
indem  sie  den  ring,  den  ihr  der  herzog  geschenkt  hatte,  küsste:  „Bevor 
ich  sterbe,  gebe  ich  den  ring  demjenigen,  den  ich  auf  erden  am  lieb- 
sten nahe!"  Und  sie  warf  den  ring  dem  herzog  zu,  der  ihn  an  seine 
lippen  drückte  und  rief:  „Das  ist  die  rechte  liebe,  die  selbst  den  tod 
nicht  scheut!  Nicht  solst  du  für  mich  sterben:  ich  will  mein  leben 
lassen,  damit  du  frei  und  glücklich  werdest!"  lud  als  er  sich  vom 
tager  erhob,  um  sich  das  leben  zu  nehmen,  da  bemerkte  er  und  auch 
der  möneh  und  die  maid,  dass  sein  körper  wunden  los  sei  und  sein 
gesiebt  so  schön,  wie  in  seinen  besten  tagen.     Ein  wunder  gottes  war 


220  VON   WLISLOCB3 


gesehehn!  Die  rechte  liebt1  hatte  gottes  Vergebung  für  einen  armen 
sünder  erwirkt.  Der  herzog  und  die  maid  wurden  selbstverständlich 
ein   paar   und    Lebten   in   glück    und   frieden,    aber  auch    in   dcniut  vor 


gott  bis  an  ihr  lebensende 


Dies  das  armenische  miirchen,  dessen  engste  verwantschaft  mit 
dem  „Armen  Heinrich"  keinem  zweifel  unterliegt,  obwol  der  schluss 
das  volkstümlich  heidnische  element  ganz  in  den  Hintergrund  schiebt 
und  einen  christlichen  gedanken  hineindrängt,  um  der  moral,  welche 
das  volk  eben  darin  erkennen  solte,  eine  bessere  färbung  zu  geben. 
Der  hauptgedanke  ist  in  beiden  stücken  derselbe.  „Es  ist  eine  aske- 
tische erinnerung  an  die  in  Jugend  und  kraft  blühenden  ritter,  voll 
reichtum  und  behaglichkeit,  kühn  an  taten  und  durch  erfolge,  dass  sie 
vor  den  armen  und  dürftigen  bei  gott  keinen  Vorzug  haben.  Er  demü- 
tigt den  kraftvollen  Übermut,  der  bei  allem  ritterlichen  wesen  die  her- 
zen der  Jugend  ergreift  U1     Gleich   dem  armen  Heinrich  geschieht 

-  auch  dem  armenischen  herzog,  dass  „sin  hoher  muot  wart  verkehret 
in  ein  leben  gar  geneigetu  (v.  82  fg.).  Beide  werden  von  ekelhafter 
krankheit  befallen;  vom  „armen  Heinrich"  heisst  es  nur:  vnü  scheut, 
wu  genaemt  er  e  der  werlie  waere,  mul  wart  nü  alse  unmaere,  dax, 
in  memen  gerne  an  sachu  (v.  124  fg.);  ähnlich  —  wenn  auch  ärger  — 
_>lit  es  dem  herzog,  „dessen  leib  eiternde  wunden  bedecken,  die 
•  inen  unausstehlichen  gestank  von  sich  gaben.  Jedermann  floh  ihn, 
seine  freunde  verliessen  ihn,  seine  diener  entsprangen  und  wolten  ihn 
nicht  mehr  pflegen."  Aber  er  dachte,  gleich  dem  „armen  Heinrich" 
noch  immer  nicht  daran,  dass  es  eine  gottesprüfung  sei;  er  suchte 
auch  der  menschen  hilfe  für  sein  übel.  Und  da  sie  diese  hilfe  nicht 
finden,  so  verschenken  sie  hab  und  gut  an  arme  und  manche,  „damit 
sie  für  das  Seelenheil  beten  sollen";  „dax  sich  goi  erbarmen  gemachte 
über  der  seh.  heilu  (v.  254  \'<j;.).  Nun  aber  weichen  beide  stücke  wesent- 
lich von  einander  ab:  der  „arme  Heinrieh"  zieht  zu  einem  bauern, 
dessen  tochter  ihn  pflegt;  den  armenischen  herzog  dagegen  pflegt  die 
maid  eines  blinden  betlers,  „den  er  bei  der  Verteilung  seiner  guter  zu 
schenken  vi  sen  hatte."  Also  ist  in  der  armenischen  erzählung 
die  opferfreudigkeit  der  maid  und  somit  auch  ihre  unbewuste  liebe 
mehr  hervorgehoben,  die  erst  am  schluss,  wo  der  ring  eine  rolle  spielt, 
zu  vollem  bewostsein  erwacht.  Und  noch  in  einem  wesentlichen 
punkte  weichen   beide  Btücke  von  einander  ab.     Dem   „armen  Heinrich" 

1;  Cassel  im  Weimar.  Jahrbuch  1.  -152. 


ZUM    AHMEN   HFINl;l<  ll  221 

gibt  der  arzt  selbst  den  rat:  „ir  müesent  haben  ei/m  maget,  diu  vol- 
len erbaere  und  oiicl/  des  willen  waere,  dm  si  den  tot  durch  iuch 
Ute.  nu  enist  <\  niht  der  Hute  site,  dir.  e/k  iemen  gerne  tuo.  so 
hoert  ouch  anders  niht  dar  tuo  niwan  der  megede  herxen  bluot:  ihr. 
innre  für  iuwer  suhl  guot  (v.  224  fg.).  Dem  armenischen  herzog  aber 
wird  nach  langem  gebete  durch  die  matter  gottes  im  träume  kund- 
getan, dass  er  durch  das  blut  einer  Jungfrau,  die  ihn  liebe,  hei]  wer- 
den würde.  Dasselbe  wird  durch  eine  stimme  vom  himmel  auch  der 
maid  offenbart  Und  hierin  nähert  sich  die  armenische  erzählung  der 
Schlusserzählung  der  sieben  weisen  meister.  Es  tritt  also  auch  hier 
das  umgekehrte  Verhältnis  ein.  „Die  ärzte  wissen  das  mittel  nicht  zu 
raten,  aber  gott  rät  es  an;  während  sonst  es  der  ärzte  lezte  kur  war, 
die  gott  verwarf,  stelt  hier  gott  es  als  das  untrügliche  rezept  dar"1. 
Und  somit  ist  auch  hier,  gerade  so  wie  in  der  erwähnten  sehlussorzäh- 
lung  der  sieben  weisen  meister  und  in  der  last  ganz  zur  legende  gewor- 
denen historie  von  den  beiden  freunden  Amicus  und  Amolius-,  die 
blutheilung  vom  christlichen  geiste  selbst  legitimiert.  Dies  findet  auch 
darin  ausdruck,  dass  der  mönch  die  maid  töten  soll,  „denn  nur  ein 
mann,  der  nie  ein  weib  berührt  hat,  darf  dies  segensvolle  werk  vol- 
ziehen."  Was  nun  die  eigentliche  heilung  des  herzogs  durch  den  ring 
anbelangt,  die  sich  in  keinem  der  verwanten  stücke  bislang  nachweisen 
liess,  so  ist  dies  eben  ein  gemisch  von  echter  weltlichkeit  und  selt- 
samer wundertäterei,  die  eigentlich  gar  wenig  zu  einander  passen;  aber 
immerhin  scheint  der  glaube  an  die  unbedingte  heilkraft  des  alten  heid- 
nischen medicamentes  auch  durch  die  christliche  lebonssitte  und  lehre 
hindurch. 

Simrock  sagt :  „der  arme  Heinrich"  nent  die  Jungfrau  scher- 
zend sein  gemahl  und  vermählt  sich  ihr  gleichsam  durch  die  geschenk- 
ten ringe.  Hieraus  scheint  Grimm  zu  schliessen,  dass  in  der  altern 
opfersage,  welche  di'v  spätem,  von  Hartmann  benuzten  Überlieferung 
zu  gründe  lag,  eine  frau  sich  für  ihren  gemahl  hingegeben  habe  und 
dieser  zug  in  unserm  gedieht  nur  eine  anders  begründete  erinnern ng 
des  ursprünglichen  Zusammenhangs  sei.  Die  vergleichung  der  sage  mit 
der  von  Admet  und  Alceste,  die  sich  auch  für  ihren  siechen  gemahl 
hingibt,  mit  der  von  könig  Robert"  (bei  Simrock  s.  85)  „bestätigt  diese 
Vermutung."  Aber  diese  ansieht  Simrocks  triff  wol  nicht  das  richtige; 
in  der  ursprünglichen  sage  ist  der  freiwillige  tod  einer  Jungfrau  das 

1)  Cassel  im  "Weimar,  jahfb.  1,  445. 

2)  Vincenz  von  Beauvais.  Speculum  historiale  lib.  24.  262. 


222  VON   WLISLOCÜ 

hauptmonient  gewesen,  und  erst  in  späterer  zeit  mögen  die  verwanten 
sagen  an  stelle  der  Jungfrau  die  gattin  gesezt  haben.  Und  zu  diesen 
historien  gehört  auch  «las  folgende  bisher  noch  nicht  bekant  gemachte 
märchen  der  Siebenbürger  Rumänen,  das  ich  aus  der  handschrift- 
lichen samlung  des  herrn  N.  Savu  in  genauer  Verdeutschung  mitteile. 


Die  treue  gattin. 

E9  war  einmal  —  was  einmal  war,  wäre  es  nicht  gewesen,  würde 
-  nicht  erzählt.  In  einem  dorfe  lebte  einmal  ein  junger  ehemann  mit 
inem  schönen  weihe  anfangs  in  glück  und  frieden.  Als  aber  nach 
jähr  und  tag  die  trau  kein  kind  zur  weit  brachte -da  zog  Unwille  und 
verdruss  in  das  herz  und  das  haus  des  jungen  mann  es;  besonders  da 
einige  alte  frauen,  die  gerne  ihre  töchter  dem  manne  zur  ehefrau  ire«-e- 
ben  hätten,  ihm  heimlich  zuflüsterten,  dass  sein  weib  deshalb  keinen 
kindersegen  habe,  weil  es  in  die  zunft  der  hexen  sich  habe  aufnehmen 
lassen.  Anfangs  schenkte  der  mann  diesen  üblen  nachreden  gar  kei- 
nen glauben,  später  weiten  sie  ihm  nicht  aus  dem  sinn,  und  zum 
schluss  jagte  er  sein  schönes  weib  aus  dem  hause  und  heiratete  eine 
ander.'.  Seine  erste  frau  lebte  nun  einsame,  gar  traurige  tage  in  einer 
kleinen  hütte  am  ende  des  dorfes,  die  sie  von  ihren  eitern  ererbt  hatte; 
während  die  zweite  trau,  die  ebenfals  kinderlos  blieb,  ein  gar  tolles 
leben  fühlte.  Sprach  ihr  mann  nur  ein  wort  über  ihre  Verschwendung, 
da  antwortete  sie  ihm  sogleich:  „Ja,  du  bist  der  geiz  selbst!  deshalb 
bleibt  auch  der  kindersegen  aus!"  Der  mann  bereute  gar  bald,  dass 
er  seine  <•  frau  vertrieben;  er  ward  trübsinnig  und  Hess  sein  weib 
in  haus  und  hof  nach  gefallen  -ehalten  und  walten.  Aber  nicht  genug, 
dass  die  frau  verschwenderisch  war,  so  hielt  sie  sich  auch  buhlen,  die 
mit  dem  weibe  in  saus  und  braus  lebten.  Unzähligemal  machte  der 
mann  ihr  bittere  vorwürfe,  aber  seine  reden  halfen  nichts;  im  gegen- 
teil  sie  verbitterten  das  herz  der  frau  so  sehr,  dass  sie  auf  den  ruch- 
losen gedanken  verfiel,  ihren  gatten  zu  vergiften.  Sie  mischte  ihm  also 
3chlai  _ift  in  den  brantwein;  und  als  er  davon  trank,  schwoll  sein 
leib  b  tark  an.  dass  er  nicht  mehr  im  stände  war  sich  von  der  stelle 
zu  rühren.  Todkrank  lag  er  im  bette  und  konte  nicht  sterben.  Kein 
heilmitte]  konte  ihn  von  seiner  bösen  krankheit  befreien:  die  „alten 
frauen"  des  dorfes  und  die  ärzte  der  stadt  sagten,  dass  er  gift  getrun- 
ken habe  und  sterben  müsse,  wenn  nicht  jemand  das  gift  aus  seinem 
körper  saug  Als  dies  -eine  vernichte  gattin  hörte,  erschrak  sie  sehr 
und  floh  aus  dem  dorfe;  sie  ward  nie  mehr  gesehen.  Von  gott  und 
menschen   verlassen   lag   nun    der   arme   mann  ohne  pflege  und   hilfe  in 


ZUM    ABMBN    BBINEICH  223 

seiner  stube.  Da  geschah  es  einmal  in  der  nacht,  als  er  vor  sehmer- 
zen eingeschlafen  war,  dass  seine  erste  gattin  von  niemand  gesehen 
in  die  stube  trat  Sie  blieb  vor  dem  bette  stellen,  nahm  ein  scharfes 
messer  in  die  hand  and  schnitt  ihm  in  den  linken  arm  eine  kleine 
wunde;  drauf  begann  sie  ihm  das  blnt  auszusaugen.  Im  schmerze 
erwachte  der  mann  und  als  er  seine  frau  an  seinem  arme  saugen  sah, 
bat  er  sie  unter  tränen,  von  ihrem  vorhaben  abzustehen,  denn  sie 
müsse  vom  eingesogenen  gifte  sterben.  Aber  die  frau  sprach:  „Dich 
allein  hab  ich  geliebt  und  will  min  für  dich  auch  Bterben!"  Der  mann 
keilte  sie  nicht  abwehren,  denn  er  war  nicht  im  stände,  auch  nur  ein 
glied  zu  rühren.  Und  so  sog  denn  die  treue  gattin  das  blnt  ihres 
gatten  bis  dass  sie  ganz  erschöpft  in  Ohnmacht  fiel.  —  Am  nächsten 
tage  kamen  die  beute,  um  nach  dem  kranken  manne  zu  sehen.  Aber 
wie  erstaunten  sie,  als  sie  ihn  gesund  und  wolauf  fanden,  während 
seine  treue  gattin  noch  immer  in  tiefer  ohnmacht  auf  dem  boden  lau! 
Da  trat  eine  besprechcrin  (=  zauberfrau,  descantelere)  an  das  weih 
heran  und  sprach:  „Holt  mir  schnell  zwei  wachteln!"  Als  sie  die 
vögel  erhielt,  schlachtete  sie  den  einen  und  vermischte  das  blnt  dessel- 
ben mit  einigen  tropfen  blnt  vom  manne  und  dessen  ohnmächtiger 
frau;  dann  flöste  sie  der  gattin  einige  tropfen  von  diesem  blute  ein, 
besprengte  die  lebendige  wachtel  und  Hess  sie  dann  fliegen.  Wie  gross 
war  nun  die  freude,  als  die  treue  gattin  zu  sich  kam!  Auf  der  hoch- 
zeit,  die  die  geschiedenen  eheleute  wider  vereinigte,  sagte  die  bespre- 
cherin:  „Nim  werdet  ihr  auch  kinder  haben!"  Und  so  geschah  es 
denn  auch;  die  eheleute  lebten  nun  in  frieden  mit  einander  und  hatten 
die  freude  mehrere  kinder  zu  haben  und  gross  zu  ziehen  

Dies  das  rumänische  märchen,  das  in  Siebenbürgen  und  im  Banat 
in  mehreren  Varianten  verbreitet  ist,  unter  denen  eine  statt  <\Qr  wach- 
tein schwalben  sezt.  Der  eingang  und  die  Situation  dieses  märchens 
ist  ganz  abweichend  von  den  mit  der  erzählung  Hartmanns  von  Aue 
verwanten  stücken.  Einen  ähnlichen  zng,  nämlich  die  Vergiftung  des 
mannes  durch  die  gattin,  der  aber  dadurch  nicht  stirbt,  sondern  nur 
mit  unheilbarer  krankheit  behaftet  wird,  finden  wir  in  der  sage  von 
„Amicus  und  Amelius"  (Simrock  a.  a.  o.  s.  131);  einem  andern  zng, 
dass  nämlich  die  gattin  das  gift  aus  dem  leibe  des  mannes  saugt, 
begegnen  wir  im  gedieht  „Konig  Robert"  (Simrock  s.  85  fgg.).  Interes- 
sant ist  der  zauber  mit  der  wachtel,  den  auch  Cassel  (Weimar,  jahrb. 
1,  410  und  428)  besprochen  hat.  Aber  nicht  nur  bei  den  Rumänen, 
sondern  auch  bei  den  siebenbiirgischen  zeltzigeunern  finden  wir  diesen 


224 


VON    WLISI.Oi'KI 


zauber  mit  «lern  blute  der  wachte!  vor.  Ein  heil  verfahren  der  zigeuner, 
welci  g  de  bei  kranken  tieren  beobachten,  deren  krankheit  sie  nicht 
gründen  können,  besteht  nämlich  in  folgendem.  Es  werden  zwei  vögel, 
womöglich  wachtein  [berecto,  foryo)  genommen,  von  denen  man  den 
einen  schlachtet,  den  andern  aber,  mit  dem  blute  des  ersten  besprengt, 
frei  fliegen  lässt  Mit  dem  reete  des  blutes  wird  das  futter  für  das 
kranke  tier  angemacht,  wobei  eine  besprechungsformel  hergesagt  wird. 
Die  wachte]  wird  von  den  zigeunern  auch  „ teufelsvogel a  {ci/rüäo  ben- 
g  nant  und  ihr  dämonische  eigenschafben  zugesehrieben;  beson- 
d<  len  sich  die  Nivaschi-töchter  (wasserjungfrauen)  gerne  in  wach- 

tein verwandeln  und  als  solche  den  tag  auf  dem  felde  zubringen,  in 
der  nacht  aber  das  getreide  wegstehlen.  Um  sie  vom  getreide  fern  zu 
halten,  ist  es  gut,  bei  der  aussaat  in  die  vier  ecken  des  feldes  teile 
von  einer  wachte]  zu  vergraben  —  ein  aberglaube,  den  man  auch 
unter  der  rumänischen  Landbevölkerung  Siebenbürgens  antritt1. 

Für  das  hohe  alter  und  die  Verbreitung  des  blutzaubers  unter 
den  siebenbürgischen  zigeunern  spricht  auch  folgendes  verfahren.  Um 
tiere  vor  dieben  zu  schützen,  lässt  man  aus  dem  finger  eines  kleinen 
kindes  drei  tropfen  blut  auf  ein  Stückchen  brot  fliessen,  das  man  dem 
tiere  unter  hersagen  einer  formel  zu  fressen  gibt.  Jedes  neue  zeit 
wird  von  den  ziireunern  mit  einigen  tropfen  kinderblut  befeuchtet,  um 
vor  bezauberung  und  andern  Unfällen  zu  sichern2.  Ähnliches  gilt 
von  Jungfrauen,  deren  menstruationsblut  zu  heilsalben  verwendet  wird3. 

Mit  dem  glauben  an  die  heilkraft  des  Jungfrauenblutes  hängt  wo! 
auch  ein  brauch  der  Juden  in  Rumänien  und  auf  der  Balkanhalbinsel 
zusammen.  Wenn  nämlich  jemand  unerwartet  im  sterben  liegt,  so  sam- 
melt man  für  ihn  ..jähre",  indem  der  rabbi  oder  der  synagogendiener 
mit  einem  papier  von  einer  Jungfrau  zur  andern  geht  und  sie  auf- 
schreiben lä-st:  wie  viel  tage,  wochen  usw.  sie  für  den  sterbenden  von 
ihrem  •  .  en  leben  hergeben  will.  Dies  wird  für  ein  grosses  ver- 
dienst angerechnet  und  von  gott  belohnt.  Leopold  Kompert  hat 
diesen,    wie    es    scheint    weitverbreiteten    jüdischen    brauch    in    einem 

Ausführliches  darüber  in  meinen:  „Zauber-  und  besprechungsformell]  der 
tran^silvanischen  und  sudungarischen  zigeuner"  (Budapest.  Hornyänsky,  1888)  s.  27  l\ 

['•!  Rio  (Disquis.  Ma_i<-.  s.  1008)  „Banairolus  scribit  (Enned.  muliebri 
ca]  _  .  :  tnio  oruore  domus  alicujus  postes  inungantur,  daemoniacis  magorum 
artibus  et  insidiis  aditum  omnem  praecludi."  Schon  Grimm  erzählte  von  der  Unga- 
rin, die.  um  schöner  zu  i.  das  blut  junger  mädchen  braucht. 

8.  darüber  meinen  aufsatz:  „Über  den  zauber  mit  menschlichen  körpertei- 
len  bei  den  transsflvanischen  zigeunern"  (in  den  „Ethnologischen  mitteilungen  aus 
Ungarn'4,  hera1  von  prof.   A.   Hermann.  Budapest,  bd.  I). 


ZUM    AHMEN    HEINEII  II  225 

Ghetto -märcheD  sehr  sinnig  erzählt  (Aus  dem  Ghetto  Lbd.„Nicht  ster- 
ben können"  s.  295). 

Aus  den  mitgeteilten  märchen  ond  Volksgebräuchen  ist  wol  ersicht- 
lich, dass  der  stoff  des  „armen  Eeinrich"  in  seinen  grundelementen 
weit  verbreitet  ist  und  im  volksbewustsein  auch  uoch  heute  fortlebt 
Hartmann  mag  eben  eine  volkstümliche  Überlieferung  bekanl  geworden 
sein,  deren  älteste  tonn  im  Orient  zu  suchen  ist;  an  einen  historischen 
Vorfall  ist  dabei  gar  nicht  zu  denken. 

MÜHLBACH    IX    SIEBENBÜRGEN.  BEINRICH    VON    WLISLOCKI. 


ZU  MINNESANGS  FELTHLING  30,  28. 

Der  anlang  des  schönen  Spruches,  in  welchem  gottes  alwissenheit 
und  almacht  gepriesen  wird,  ist  von  Lachmann  so  abgedruckt: 

MSR  30,  27    Würze  des  waldes 

in t<l  i r\e  des  goldes 
und  eil  in  apgründc 
diu  sint  dir,  herre,  hünde. 

Das  erze  des  zweiten  verses  bietet  die  hs.  C;  caber  A  hat  nicht  eriz} 
wie  in  den  lesarten  zu  MSF  angegeben  ist,  sondern  —  was  schon 
Pfeiffer  in  seinem  abdruck  der  handschrift  (Lit.  verein  Publ.  IX)  angab 
und  dr.  H.  Wunderlich  jezt  nach  freundlicher  einsieht  der  hs.  mir  aus- 
drücklich bestätigt  —  criz.  Dies  fasse  ich  als  grie%;  c  ist  oberdeut- 
sclie  Schreibung  für  //,  und  i  für  ie  komt  durch  die  ganze  mhd.  periode 
sowol  obd.  als  md.  vor. 

Diese  fassung  der  textstelle  in  C  halte  ich  für  die  echte  und 
ursprüngliche.  In  jedem  falle  gibt  sie  einen  in  den  Zusammenhang 
völlig  passenden  sinn.  Die  alwissenheit  gottes  wird  in  geeigneter  weise 
veranschaulicht  an  der  kentnis  auch  der  verborgensten  und  geringfügig- 
sten dinge.  Für  diesen  gedanken  passt  das  körne hen  gold  im  fluss- 
sande,  weil  geringfügiger,  sicherlich  besser  als  die  grössere  goldmenge 
im  erze.  Dazu  komt,  dass  das  erste  gold  bei  den  Germanen  aus 
Aussen  gewonnen  wurde,  wie  z.  b.  aus  dem  Rhein  und  der  Donau.  Das 
rheingolcl  ist  schon  Otfr.  I,  1,  72  erwähnt,  und  auf  dieses  flussgold 
geht  auch  die  sage  von  dem  in  den  Rhein  versenkten  schätz  der  Nibe- 
lungen zurück.  Also  lag  dem  dichter  der  gedanke  an  goldsand  nahe 
genug. 

ZF.ITSCiraiFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      Ttt).  XXIII.  lo 


F.    AHLGRIMM,     ZU    MINN1  FRÜHLING 

Wi<  _  läufig  die  bezeichnung  noch  in  viel  späterer  zeit  war, 
zeigt  Konrad  \\  Megenberg  ed.  Pfeiffer  185,  11:  diu  (waxxer)  tiehent 
guideinen  griex   und  etleichi   edel  gestain. 

Bestärkt  werde  ich  in  meiner  ansieht  noch  dadurch,  dass  ja  auch 
in  v.  1  und  3  der  strophe  eine  offenbar  beabsichtigte  oder  wenigstens 
noch  in  ihrer  Wirkung  gefühlte  alliteration  der  bedeutunesvolsten 
w.q-t.'  vorliegt:  wurxi  des  waldes  —  und  eüm  upgründe.  Das  spricht 
doch  dafür,  dass  auch  der  zweite  vers  diesen  schmuck  gehabt  hat.  Ich 
halte  also  für  die  echte  fassung  desselben:  und  gnea   des  goldes. 

KIEL.  FRANZ    AHLGEIMM. 


ÄLTERE   DEUTSCHE   DEAMEX   IX   KOPEXHAGEXEE 

BIBLIOTHEKEN. 

Das  drama  des  17.  Jahrhunderts,  an  sich  freilich  kein  ästhetisch 
sehr  anziehender  stoff,  ist  erst  neuerdings  gegenständ  der  eingehenden 
aufhierksamkeit  deutscher  gelehrten  geworden.  Selbst  ganz  vergessene 
dichter,  z.  b.  Chr.  Reuter,  sind  ans  licht  gezogen,  und  die  bibliothe- 
ken  sind  rastlos  durchstöbert  worden.  Volständige  bibliographische 
Übersichten  fehlen  aber  noch:  man  ist  immer  auf  den   „Nötigen  Vorrat" 

»ttscheds  mit  Freieslebens  nachlese  angewiesen,  wozu  Maltzahns 
bücherschatz  und  selbst  Goedekes  schätzbarer  grundriss  kaum  ausrei- 
chende Supplemente  darbieten.     Unter  diesen  umständen  wird  wol  jeder 

bst  unscheinbare  beitrag  zu  bibliographischer  vervolständigung  das 
int  sse  der  fachmänner  beanspruchen  dürfen,  und  auch  auswärtige 
bibliotheken  können  hie  und  da  das  ihrige  beisteuern. 

In  Dänemark  wurde  die  deutsche  litteratur  der  genanten  periode 
algemein  gelesen  und  galt  als  anerkantes  muster  der  einheimischen. 
3  it  dem  absterben  der  alten  schulkomödie  um  1635  existierte  gar  kein 

bauspiel  in  der  muttersprache;  es  wurde  nur  deutsch  und  von 
deutschen  trappen  gespielt,  bis  nach  einfuhrung  der  souverainetät  fran- 
zösische Schauspieler  und  Opernsänger  wenigstens  am  hofe  mit  den 
deul        n  zu  weteifern  begannen.     In  unseren  bibliotheken  ist  die  lit- 

ratur  dieser  zeit  ziemlich  volständig  erhalten,  und  ich  glaube  die  auf- 
merksamkeit deutscher  Leser  auf  einige  gruppen  derselben  hinlenken  zu 
d  i'ufen. 

3o  findet  sich  in  der  Kopenhagener  Universitätsbibliothek  ein  alter 
sammelband  deutscher  Schauspiele  aus  den  jähren  zwischen  1625  —  80, 
ohne  gesamttitel  oder  andere   erläuterungen.     Die  dramen   sind  gewiss 


•T.    PALUDAN,     DEUTSCHE    DRAMEN    IN    KOPENH.    BIBL.  227 

nur  ganz  zufällig  zusammen  gebunden  und  nicht  etwa  (als  bühnen- 
repertoire  oder  dergleichen)  in  bestirnter  absieht  vereinigt.  Auch  deu- 
tet nichts  darauf,  dass  sie  in  Dänemark  aufgeführt  worden  seien. 

Der  band  begint  mit  1)  Opitz.  Trojanerinnen,  Wittenb.  1625, 
und  2)  desselben  Judith  in  der  bearbeitung  von  Andr.  Tscherning, 
Rostock  1646,  diese  mit  musik.  Dann  folgt  3)  Der  Schwermende 
Schäfer  Lysis,   Auf  desz   Durchlauchten  Hochgebornen    Fürsten    und 

Herren,   Herren  Georg  Wilhelm.    Hertzogens  in   Schlesien   zur  Lignitz, 

Brieg  und  Wohlan.  Hnchsterfreulichen  Geburtstag  (welcher  ist  der 
29  September  Anno  1660)  vorgestellet  in  einem  Lust-Spiele  auf  der 
Fürstlichen  Residentz  in  Olau,  Den  29  September  Anno  1661.  in  der 
Fürstlichen  Residentz -Stadt  Brieg,  Druckts  Christoff  Tschorn."  Herr 
di'.  eJoh.  Bolte  hat  neuerdings  in  Herrigs  archiv  LXXXII,  120  nach- 
gewiesen, dass  wir  hier  den  bisher  nicht  aufgefundenen,  vielleicht  ein- 
zigen, ersten  druck  haben  von  des  Andreas  Gryphius  freier  bearbeitung 
der  Pastorale  burlesque  von  Th.  Corneille  „Le  Berger  extravagant." 
Das  Hirtenspiel  ist  unter  dem  titel  „Der  schwermende  Schäffer,  Saty- 
risches Lustspiel"  zum  zweiten  male  zu  Breslau  1663  gedruckt,  mei- 
stens zusammen  mit  Gryphius,  freuden-  und  trauerspiele,  öden  und 
sonette;  es  findet  sich  widerum  in  der  gesammelten  ausgäbe  der  „Tent- 
schen  Gedichte"  1698,  I.  Eine  auf  der  rückseite  des  titeis  abgedruckte 
erkiärung  weist  hier  auf  den  ersten  druck  zurück:  „Der  groszgünstige 
leser  wisse,  dasz  der  abdruck  dises  schwerinenden  schäfers,  so  zu  Brig 
durch  Christoff  Tscheren  heraus  gegeben,  nur  ein  auszug  aus  dem  gan- 
zen wereke,  welches  dir  hirmit  überreicht  wird"1.  Christoff  Tschorn 
(nicht:  Tscher)  bezeichnet  sich  indes  auf  dem  titel  des  ersten  druckes 
nur  als  der  buchdrucker,  welcher  doch  avoI  auch  das  festspiel  auf  seine 
kosten  herausgegeben  haben  kann;  der  auszug  aber  ist  solcher  art, 
dass  er  wol  eher  vom  Verfasser  selbst  als  von  Tschorn  besorgt  sein 
muss.  Der  erste  druck  folgt  nämlich  akt  für  akt  und  scene  für  scene 
der  späteren  volständigen  ausgäbe,  nur  dass  die  hälfte  der  repliken 
um  grosse  stücke  verkürzt,  bisweilen  auch  etwas  umgearbeitet  ist, 
wahrscheinlich  um  die  Vorstellung  nicht  über  die  gebühr  auszudehnen. 
Sonst  unterscheidet  sich  dieser  erste  druck  von  den  späteren  durch  einen 
versificierten  „eingang",  vom  erzengel  Michael  vorgetragen,  weil  das 
geburtsfest  des  jungen  prinzen  eben  auf  den  Michaelistag  fiel.  Dieser  ein- 
gang ist  in  unserem  exemplar  defekt,   und   die  lücke   begreift  vermut- 

1)  Vgl.  H.  Palm  in  der  einleitung  zur  ausgäbe  von  Gryphius'  lustspielen 
1878,  346. 

15* 


.7.    PALUDAN 

lieb  ein  paar  Matter  (unpaginiert)  mit  dem  personenverzeichnis  und  der 
ersten  scene  des  ersten  akts,  so  dass  die  zweite  scene  den  anfang 
macht.  Am  schluss  des  stücks  folgen  zwei  festgedichte  zum  geburts- 
tag,  von  denen  das  lezte,  welches  mit  dem  hirtenspiel  in  keiner  Ver- 
bindung steht.  W".  S.  v.  S.  nnterzeielmet  ist.  Alle  diese  spuren  von 
dem  Ursprung  des  Stücks  als  festspiel  sind  in  den  späteren  drucken 
weggelassen. 

Gryphius  sagt  im  vorwort  zur  bearbeitung,  dass  sie  ihm  „von 
einer  durchlauchtigsten  person  unserm  Vaterland  mit  zutheilen  gnädigst 
anbefohlen",  welches  Palm  I.  c.  vom  grafen  Schafgotsch  versteht,  dem 
die  späteren  auflagen  dediciert  sind.  Er  muss  aber  zugeben,  dass  ein 
_  af  als  sdleher  nicht  „Durchlaucht"  war,  und  dass  es  zweifelhaft  ist, 
ob  dieser  titel  dem  grafen  Schafgotsch  zukam.  Wahrscheinlicher  hat- 
ten die  eitern  des  einjährigen  prinzen,  dessen  geburtsfest  das  stück 
feiert  und  in  dessen  erblande  (Wohlau)  es  localisiert  ist,  das  festspiel 
bei  dem  benachbarten  dichter  bestelt  und  wünschten  es  demnächst  ver- 
öffentlicht zu  sehen.  Besonders  die  mutter,  berzogin  Luise  von  Lieg- 
nitz.  scheint  sich  für  Gryphius  interessiert  zu  haben,  und  ihr  ist  die 
ausgäbe  seiner  werke.  Breslau  1663  geweiht. 

Auf  Joh.  Chr.  Hallmanns  bekantes  trauerspiel  4)  Sophia, 
Liegnitz  1671,  folgt  sodann  in  unserem  sanimelbande  5)  Hieronymus 
Thomae  von  Augstburg  „Titus  und  Tomyris  oder  Trauer-spiel, 
Beygenabmt  die  Rachbegierige  Eyfersucht.  Gedruckt  zu  Giessen  bey 
Joseph  Dieterich  Hampeln,  der  Löblichen  Universität  bestellten  Buch- 
drukern.  1662."  Unlängst  hat  Creizenach1  auf  den  wenig  bekanten 
Augsburger  dichter  und  sein  drama  aufmerksam  gemacht.  Dieses  dürfte 
ziemlich  selten  sein:  Creizenach  hat  ein  exemplar  aus  der  Gottsched- 
schen  samlung  in  der  grossherzogl.  bibl.  zu  Weimar  benuzt,  welches 
2  nz  mit  dem  Kopenhagener  exemplar  zu  stimmen  scheint,  nur  dass 
di<  -  -  das  druckjahr  1662,  nicht  1661,  trägt.  Die  aufläge  von  1662 
ist  bei  Gtoedeke,  nicht  aber  bei  Gottsched  noch  bei  Maltzahn  ver- 
zeicln.  • 

Mit  recht  hebt  Creizenach  hervor,  dass  „Titus  und  Tomyris" 
besonders  in  stoflicher  rücksicht  kulturgeschichtlich  interessant  ist  und 
wie  kaum  ein  anderes  stück  anknüpfungen  darbietet  für  die  geschiente 
der  Wechselwirkungen  zwischen  dem  hauptsächlich  nach  der  späteren 
antike,  den  Franzosen  und  Niederländern  ausgebildeten  kunstdrama  und 

1)  Stadien    ztu  h.   d.  dramat.   )  im   17.  jahrh.  I,    in   den   Berichten 

der  sächs.  g  '..  der  \vi  ...  phil.-hist  klasse,  XXXVIII,   1886,  8.  ^3. 


DEUTSCHE    DRAMEN    IX    KOPENH.    BIBL.  229 

dem  von  den  herumziehenden  banden  „englischer  komedianten"  beein- 
flussten  Yolksschauspiel  im  17.  Jahrhundert  Gewöhnlich  standen  dii 
zwei  gattungen  des  recitierenden  dramas  sieh  ziemlich  fremd  gegenüber; 
das  kunstdrama  als  gelehrte  Btudie  war  nur  zur  Lektüre  für  die  gebil- 
deten stände  bestirnt,  während  die  romantisch  verwilderte  „haupt-  und 
staatsaction tf  fast  ausschliesslich  die  bühne  beherschte  und  auf  das 
eigentliche  volk  wirkte.  A.usnahmeweise  bemächtigten  sich  die  berufs- 
schauspieler  eines  oder  dos  anderen  der  gelehrten  dramen  und  brachten 
es  in  reher  form  auf  die  bühne,  wie  dies  /..  b.  mit  Grryph's  Papinian  der 
fall  war.  Bei  Hier.  Thomae  finden  wir  aber  das  entgegengesezte  Verhältnis, 
ein  hineinspielen  des  volksschauspiels  und  (k^  englischen  einflusses  im 
kunstdrama.  Der  stoff  ist  bekantlich  von  Shakespeare  in  seiner  Jugend 
1G00  unter  dem  titel  Titus  Andronikus  in  versen  bearbeitet.  In  einer 
älteren,  roheren  prosaförm  gieng  das  stück  mit  den  ersten  englischen 
sehauspielertruppen  nach  Deutschland,  vielleicht  auch  nach  Holland  iib<  r, 
und  licet  schon  1620  in  deren  repertoire,  den  „Englischen  comedien 
und  tragedien"  deutsch  gedruckt  vor1.  Denselben  stoff  wenigstens, 
jedoch  in  näherem  anschluss  an  die  Shakespcarsche  fassung,  benuzte 
der  Niederländer  Jan  Vos,  welcher  bestrebt  war,  höheren  kunststil  mit 
rohem  romantischem  effekt,  englischer  freiheit  und  natiirlichkeit  zu  ver- 
schmelzen. Seine  tragödie  „Aran  en  Titus,  ofWraak  en  Weerwraak" 
1641,  die  Gr.  Grefflinger  schon  1650  ins  deutsche  zu  übersetzen  beab- 
sichtigte-, hält  Creizenach  für  die  vorläge  von  Hier.  Thomae's  Titus 
und  Tomyris  1662,  und  er  hat  auch  in  der  handlung  gewisse  Überein- 
stimmungen nachgewiesen,  die  wol  kaum  zufällig  sein  können.  A'iel- 
fach  weicht  jedoch  Thomae  von  Yos  ab  und  nähert  sich  den  älteren 
„englischen  komedianten."  Shakespeare  dagegen  scheint  er  gar  nicht 
zu  kennen,  und  in  mehreren  einzelheiten  ist  seine  fassung  von  allen 
drei  älteren  ganz  verschieden,  so  schon  in  den  harnen  der  personenliste. 
Auch  ist  bei  ihm  Aran  kein  mohr,  und  Titus  sezt  in  der  gast- 
mahlsscene  des  lezten  akts  nicht  Tomyris  das  fleisch  ihrer  ermordeten 
söhne  vor. 

Auf  Überschätzung  des  einflusses  von  Yos  scheint  mir  die  annahm-' 
Creizenachs  zu  beruhen,  dass  Hier.  Thomae  auch  form  und  kunststil 
seinem  niederländischen  vorbilde  entlehnt  habe.  AVie  Creizenach  selbst 
(s.  100)  in  demselben  atemzuge  bemerkt,  war  ja  der  neue  poetische 
kunststil  damals  schon  von  Gryphius  vor  15  jähren  im  deutschen  drama 

1)  Alb.  Colin,  Shakespeare  in  Gennany  1865,  L'XII  und  157,  vgl.  auch  Heck, 
Deutsches  theater  I,  1817. 

2)  Bolte  im  Aiiz.  f.  deutsches  altertum  und  deutsche  litt.  XIII.  112. 


'230  J-    PALUDAN 

behnzt,  und  Thomae  schliesst  sich  hier  doch  wol  ganz  einfach  den 
Schlesiem  an,  denen  eben  das  leibhaftige  vorführen  der  Mut-  und 
greueltaten  trotz  der  klassicistischen  äusseren  form  besonders  eigen  Avar. 
In  den  chören,  die  bei  Yos  mehr  realistisch  von  römischen  priestern, 
kriegern  und  Jungfrauen  vorgetragen  werden,  lässt  Thomae,  wie  auch 
eizenach  bemerkt,  ganz  nach  Gryphius  aUegorien  auftreten;  und 
während  bei  Vos  der  dialog  frischer  und  derber  vorschreitet,  versteigt 
er  sich  bei  Thomae  häufig  zu  unnatürlich  verschrobenem  pathos,  wozu 
Gryphius  und  der  mit  Thomae  gleichzeitig  auftretende  Lohenstein  auf- 
fallende parallelen  darbieten.  So  die  klage  Arans  auf  dem  Scheiter- 
haufen : 

Erschrecklicher  himmel,  blitz,  donner  und  prasset 

In  einem  beschwefelt  erhitztem  gerassei, 
Ruft  grausame  geistcr,  erfüllet  die  lüfte, 
Euch,  elie  ich  geschicket  in  dunkele  grüfte. 
Hier  schmachtet,  hier  stirbet  eler  euch  hat  erstochen, 
Wie  halt  ihr  euch,  schreckliche  geistcr,  gerochen? 
Höret,  wie  krachen  elie  '^raschelnde  flammen, 
Sehet,  wie  schrumpfet  mein'  haut  schon  zusammen,  .  .  . 
oder  eine  frühere  replik  des  Laetus: 

saust,  grause  winde,  sauset, 

Hast  scharffe  donnerkeil,  ihr  Wirbelwinde  brauset, 
Betrauret  diesen  tag,  der  immer  mehr  erschreckt, 
Der  stürm  auf  wind  und  not  auf  vorig  angst  erweckt. 
Ähnlich  donnert  Gryphius  in  „Leo  Armenius"   1646: 

Du  schwefel -lichte  brunst  der  donner -harten  flammen, 
Schlag  los,  schlag  über  sie,  schlag  über  uns  zusammen, 
Brich  abgrund,  brich  entxwey ,  und  schlucke,  kann  es  seyn, 
Du  Mufft  der  ewigkeit,  uns  und  die  m'örder  ein! 
und  Lohenstein  in  „Cleopatra"   1661 : 

Die  erde  bricht,  der  abgrund  reisst  entxwey, 
Die  räche  tagt  mir  ans  den  finstem  höhlen, 
Wo  die  mit  mord  und  blut  besprutzte  seelen 
Sich  laben  durch  ihr  angst -geschrey. 

Haben  also  kunstdichter  wie  Shakespeare,  Vos  und  Hier.  Thomae 
der  Volksdichtung  den  damals  so  beliebten  stoff  des  Titus  Andronikus 
entlehnt,  so  zeigt  sich  andererseits  die  Weiterbehandlung  desselben  stof- 
im  volksschauspiel  wider  vom  kunstdrama  beeinflusst.  Was  das 
stück  nach  allen  Seiten  hin  so  anziehend  machte ,  war  eben  seine  blu- 
tige  rohheit,  die  einem  dränge  der  zeit  nach  massiv  äusserlicher  reizung 


DEUTSCHE    DRAMEN    IN    KOPENH.    BIBL.  231 

entgegenkam.  In  dieser  hinsieht  waren  kunstdichter  wie  volksdichter 
echte  kinder  ihrer  zeit;  erstere  scheiden  sich  von  den  lezteren  nicht 
sowol  durch  feineren  ästhetischen  geschmack,  als  vielmehr  durch  aus- 
gebildeteren formsinn,  indem  sie  auf  dramatische  motivierung  etwas 
mein-  gewicht  legen  und  den  dialog  in  den  höheren  ton  des  ven 
emporheben.  Das  volksschauspie]  hii  n  zieht  mit  rohem  effekl  die 
greuelscenen  in  dm  Vordergrund  und  behandelt  dieselben  in  entspre- 
chend rohem  stil.  So  die  erste  deutsche  Fassung  des  Titus  Andronikus 
in  ilcn  „Englischen  comedien  und  tragedien"  1620,  und  ebenfals  die 
späteren  bearbeitungen  des  Stücks  in  haupt-  und  staatsactionsstil,  die 
wie  es  scheint  volle  hundert  jähre  von  der  Volksbühne  herab  die  gui 
des  publikums  behaupteten.  Diese  bearbeitungen  gehen  aber  keim 
wegs  ausschliesslich  von  der  ursprünglichen,  mehr  volkstümlichen  form 
bei  den  „englischen  comedianten"  hervor;  wo  genauere  aachrichten 
vorliegen,  weisen  diese  vielmehr  U\v  den  gang  der  handlung  auf  die 
-purere  kunstdichtung  als  quelle  zurück.  Das  von  Alb.  Colin  veröffent- 
lichte programm  einer  hauptaction  zu  Breslau  16991  wenigstens  gibt 
sich  schon  durch  personenliste  und  titel:  „Rache  i  Rache,  oder  der 

streitbare  Kömer  Titus  Andronikus"  deutlieh  genug  als  ableger  der  tra- 
gedie  «les  JanYos  kund,  welcher  das  inhaltsreferat  auch  ziemlich  genau 
folgt.  Yon  einer  späteren  aufführung,  vielleicht  zu  Nürnberg  um  171' 
kennen  wir  nur  den  titel  „Der  mörderische  gotthische  mohr  sampl 
<\<><i:n  fall  und  end>c,  wonach  wol  fraglich  bleibt  ob  es  Bich  von  der 
alten  redaction  1620  oder  von  einet'  neueren  bearbeitung  in  haupt-  und 
staatsactionsstil  handelt.  Ähnlich  ist  der  fall  mit  der  lezten  bekanten 
und  etwas  ausführlicher  besprochenen  Vorstellung  *\f>  Titus  Andronikus 
als  deutsches  Puppenspiel  zu  Kopenhagen  1719,  die  Bolte  a.  a.  <>.  nach 
dem  dänisehen  dramaturgen  Overskou8,  und  Creizenach  nach  Rahbek' 
anführt.  Beide  dänische  autoren  schöpften  ihre  leidet-  ziemlich  unb< 
stimte  nachricht  aus  der  Geschichte  Friedrichs  I\'.  von  Riegels  L799, 
II  427,  die  wider  aus  einer  wahrscheinlich  verschollenen  handschrift  di 
bekanten  dänischen  gelehrten  Friedrich  Rostgaard  den  anschlagzettel 
eines  marionettenspiete  entlehnt,  welchem  Rostgaard  L719  nebst  den 
vornehmsten  adelspersonen  Kopenhagens  beiwohnte: 

1)  Jahrb.  der  deutschen  Shakespeare^  h.  XX III.  277. 

2)  Meissner   im  Jahrb.    d.   Shakespearegeselsch.   XIX.    L43.    150   or.  94,    \J. 
auch  Bolte  im  Anz.  für  deutsches  altertum  u.  deutsche  litt.  XIII.  112,  uote  2. 

3)  Den  danske  Skueplads,  Kopenh.  1854,  I,   I 

4)  Holbergs  udvalgte  Skrifter,    Eopenh.  1806,   VI    "    - 
d.  wissensch.,  phil.-hist.  klasse  XXX VIII,   106   uote  1. 


J.    PALÜDAN 

„Mit  gnädigsten  consens  hoher  obrigkeit  Allen  herren  cavalliers, 
damen  und  der  curiositäten  Liebhabern,  wird  hiemit  angedeutet,  das 
allhier  angekommen  ein  vortreflicher  maitre,  der  da  vorstellet  mit 
grossen  figuren  die  schönsten  comoedien,  tragödien,  historien  und  aller- 
hand schönen  begebenheiten,  auf  einen  kostbaren,  zierlich  und  oft  ver- 
änderlichen theatro,  worauf  auch  soll  prasentirt  werden,  schöne  opern, 
maschinen,  balletten,  Jägereien  mit  vielen  thieren,  worunter  auch  ein 
chinesischer  elephant  in  lebensgrösse,  und  alle  diese  thiere  präsentiren 
sich  als  Lebendig,  und  andre  dergleichen  Sachen  mehr,  und  wird  ange- 
fangen  mit  Tito  Androniko  und  der  hoffartigen  kaiserinn  und  dem 
Mohr  Aran." 

.Ann  dieser  zwei  bogen  langen  marionettenkomedie"  —  fährt  Rie- 

Ls  fort  —  ..geben  wir  zur  probe  einige  zeilen  des  Schlusses:  Titus 
richtet  eine  pastete  zu,  darinnen  das  fleisch  von  der  kaiserinn  ihren 
söhnrs  haupte(!)  eingebakken.  Titus  machet  friede,  bittet  den  kaiser  und 
kaiserinn  zur  mahlzeit.  Die  kaiserinn  isst  mit  grossem  appetit  von 
der  pastefc  Die  kaiserinn  will  wissen,  was  dieses  sey,  das  ihr  so 
wol   schmeckt." 

„Gleich  nach  dieser  farce  trat  ein  acteur  hinein  und  sagte:  Ein 
Lustiges  nachspiel  soll  schliessen.     Wenceslaus,  könig  von  Pohlen,  tra- 

die  von  mons.  Rostran  (IRotrou),  welche  die  mit  kgl.  crlaubniss  spie- 
Lende  comödianten   heute  freytag  d.  17.   oder   den  19.  [november]  prii- 

atiren  werden." 

Aus  diesem  text  bei  Riegels  lässt  sich  aber  gar  nicht  ersehen,  wie 
weit  er  die  handschrift  Rostgaards  wörtlich  citiert,  und  wo  er  nur  mit 
len  Worten  referiert;  ob  also  die  paar  zeilen,  welche  die  gastmahls- 
ans  Titus  Andronikus  zusammenfassen,  von  Rostgaard  als  augen- 
zeuge   herrühren,    oder  nur  von  Riegels    als    erläuterung   des    theater- 
zetl  s   fügt    sind.      Dennoch    schliesst   Rahbek,    dass    es  sich  hier 

um  die  „englische  tragedie"  Titus  Andronikus  handele,  „zweifelsohne 
nach  der  in  ßottscheds  Verz.  d.  schausp.  genanten  samlung  englischer 
komedien  und  tragedien  mit  dem  Pickelhering  1730  aufgeführt."  Eine 
samlung  von  diesem  jähre  existiert  aber  gar  nicht,  und  wäre  auch 
11  Jahre  später  als  das  in  Kopenhagen  gegebene  stück.  Die  „eng- 
lischen comoedien  und  tragoedien  ...  sampt  dem  Pickelhering"  rühren, 
wie  schon  öfter  gesagt,   von  1020  her,   sind   aber   in  Gottscheds  Nöth. 

>rrat  mir  in  <\<'V  zweiten  aufläge  1629  aufgeführt;  1630  erschien 
..1.  skampf  oder  Ander  teil  der  engl,  comoedien  und  tragoedien"; 
1670  eine  dritte  samlung,  „Schaubühne  engl,  und  französischer  comö- 
dianten.   1727    neu   aufgelegt;    aber  Titas   Andronikus    ist    nur    in    die 


DEUTSCHE    DBAMKN   IN    KOPKNH.    BIDL.  233 

erste  samlung  aufgenommen.  Rahbek  wird  sich  also  jedenfals  in  der 
Jahreszahl  arg  geirt  haben.  Der  kurze  auszug  ans  der  gastmahlsscene 
stimt  zwar  nicht  übel  mit  dem  gange  der  handlung  in  der  alten  „eng- 
lischen tragcdie",  welche  auch  recht  wo\  als  ein  ,, zwei  bogen  langes" 
stück  bezeichnet  sein  kann.  Aber  gesezt  auch,  dass  wir  hier  Rost- 
gaards  eigene  worte  und  nicht  ein«1  blosse  Vermutung  Riegels1  haben, 
so  konte  sich  dies  gedrängte  referat  von  einer  einzigen  stelle  des  Stücks 
eben  sowol  auf  eine  spätere  textredaction  beziehen.  Noch  weiter 
spint  der  in  der  älteren  theatergeschichte  immer  unzuverlässige  Over- 
skou  die  hypothese  aus,  indem  er1  die  ganze  handlung  der  „englischen 
tragcdie"  in  solcher  weise  referiert,  dass  man  darin  eine  fortsetzung 
von  Rostgaards  bericht  sehen  könte.  So  lange  das  originalmanuscript 
Rostgaards  sich  nicht  auffinden  lässt,  wissen  wir  demnach  nur,  dass  in 
Kopenhagen  1719  die  beliebte  geschichte  Titus  Andronikus'  aufgeführt 
worden  ist,  nicht  aber,  ob  dies  die  alte  „englische  tragedie"  oder  eine 
modernere  Umbildung  des  Stoffes  war. 

Die  folgenden  stücke  des  sammelbandes  sind  des  sogenanten  Fi- 
lidors  festspiele  zu  fürstlichen  geburts-  und  hochzeitfesten  am  hofe 
zu  Rudolstadt  1665  —  67.  Gewöhnlich  werden  sie  dem  Altonaer  lyriker 
Jacob  Schwieger  zugeschrieben,  über  dessen  leben  und  wirken  aber 
noch  immer  ein  dunkel  schwebt.  1660  veröffentlichte  er  unter  dem 
namen  „Filidors  des  Dorfferers"  eine  recht  frische  samlung  lyrisch - 
erotischer  gedichte:  „Die  geharnschte  Yenus",  und  auch  in  Joli.  Rists 
Eibschwan enorden  soll  er,  jedoch  nach  unsicheren  nachrichten,  den 
dichternamen  Filidor  geführt  haben.  Diese  wie  andere  dergleichen  hir- 
tennamen  waren  aber  mehreren  dichtem  der  zeit  gemein,  und  sonst 
weiss  man  von  erner  Übersiedelung  Schwiegers  nach  Rudolstadt  gar 
nichts.  Der  erste  gewährsmann  für  seine  identität  mit  dem  Rudol- 
stadter  dramatiker  ist  Moller,  Cimbria  litt.  I,  614,  der  jedoch  keine 
beweise  beibringt;  nach  ihm  Eschenburg  in  Bragur  1792,  II,  420  und 
die  meisten  neueren:  Gervinus,  Koberstcin,  Raehse  im  vorwort  seiner 
ausgäbe  der  „Geharnschten  Venus"  2  u.  a.  Goedeke  dagegen  bezweifelt 
die  identität,  und  Kurz3  stelt  eine  ganz  neue  hypothese  auf,  wonach 
der  Altonaer  Schwieger  vielmehr  seine  lezten  lebensjahre  in  Dänemark 

1)  Wortgetreu  nach  Bärensprung  im  Jahrbuche  des  Vereins  f.  Mecklenburgs 
Gesch.  1836,  I  89,  oder  dessen  quelle,  J.  B.  Eousseaus  kunststudien ,  München  183-1. 
selbst  aber  ohne  irgend  eine  Quellenangabe. 

2)  Neudrucke  deutscher  litteraturwerke  des  XYI.  und  XVII.  jahrhundertsi 
heft  74  —  75,  1888. 

3)  Gesch.  der  deutschen  litt.  II   300,  vgl.  396. 


J.    PALT7DAN 

verbracht  haben  dürfte.  Er  soll  nämlich  schon  1657  mit  einem  däni- 
lieii  heere  gegen  Karl  Gustav  von  Schweden  nach  Polen  gezogen  sein, 
und  nach  Moller  a.  a.  o.  gab  er  noch  KUh  in  Kopenhagen  eine  kleine 
lyrische  samlung  „Filidors  Erst  entflamte  Jugend"  heraus.  Somit  kann 
kaum  in  den  jähren  zwischen  1665  —  1667  zu  Rudolstadt  gewirkt 
haben,  noch  weniger  nach  den  gewöhnlichen  berichten  daselbst  1G65 
oder  1666  _  sl  irben  sein. 

Diese  nachrichten  über  Schwieger  sind  aber  ganz  und  gar  unzu- 
lässig     In  dem  1657   datirten   vorwort  zur   „ Geharnschten  Venus" 
.    das-   die   samlung  ..mitten    unter  denen  rüstungen  im 
offenem  feld-läger"  gedichtet  sei.    und  in  den  gedienten  selbst  nent  er 
die  polnischen  flüsse  Bug  undMasau  als  zeugen  seiner  leiden  im  kriege1. 
Moller  in  Cimbr.  litt,  weiss  aber  von  Schwiegers  dänischen  kriegsdien- 
n  nichts;    erst  Karl  Förster2  sagt,    dass  er  sieh  an  dem  kriege  zwi- 
schen  Friedrich  III.    und  Karl  Gustav   in  Polen  beteiligte,   was  wider 
Pabst    in    einem  aufsatz   über  Schwieger   als    dramatiker3   so    verstellt, 
als   ob   er  „soldat  in  danischen  diensten"  gewesen.     So    auch   bei  den 
späteren  litteraturhistorikern;    aber  im  jähre  1657   ging  kein  dänisches 
heer   nach  Polen,    sondern    nur   über    die  Elbe    nach  Bremen.     Wahr- 
-  heinlicher  ist,  dass  sich  Schwieger  als  abenteurer  eine  kurze  zeit  von 
len   oder  Brandenburg   zum   polnischen    kriege    hat  werben   las- 
n;  -'hon  im  august  desselben  Jahres  war  er,  den  zuschritten  mehrerer 
„Zehen"   der  „Geh.  Venus"  zufolge,  wider  in  Hamburg  zurück. 

I),  Schwieger  ..Filidors  Erst  entflamte  Jugend"  geschrieben  habe, 
ist  nur  eine  übereilte  folgerung  Mollers  aus  dem  gemeinschaftlichen 
Pseudonym  und  dem  mit  Schwiegers  lyrik  etwas  verwanten  Charakter 
r  kleinen  samlung.  In  der  tat  geht  aber  aus  dem  inhalt  wie  aus 
den  vorauf  -  nickten  ehrenversen  hervor,  dass  der  pseudonyme  Ver- 
la- in  junger  Düne  von  adel  war,  der  sich  hier  zum  ersten  male  in 
der  poesie  versuchte,  und  zwar  nach  deutschen  Vorbildern,  zu  denen 
wir  freilich  auch  .Sehwieger  rechnen  müssen4.  Überhaupt  gibt  es  nach 
meiner  sorgfaltigen  Untersuchung  von  einer  früheren  oder  späteren  Ver- 
bindung Schwiegers  mit  Dänemark  nicht  die  geringste  spur,  und  somit 
wä  ein  aufenthalt  in  Rudolstadt  wenigstens  negativ  sicherer  fest- 
_    ■  it.     Aus   verbürgten   nachrichten   kennen   wir   ihn    aber    nur    als 

1)  Raehses  au>g.  X  und  58. 

_     W.  Müll        BibL  deutscher  dichter  des  XVII.  jahrh.,  1828,  XI,  s.  xvi. 
B    tter  f.  litt.  Unterhaltung  L847,  nr.  269. 

-1)  Paludan.  Renaissance!.»«,'-  n  i  Danmarks  litt..  Kopenh.  1887,  284. 


DEUTSCHE    DEAMEN    IN    KOPENH.    MBL.  235 

Lyriker  und  in  den  herzogtümern  angesiedelt;  auch  scheinen  die  dra- 
men  des  Rudolstadter  Filidors  an  Schwiegers  Lyrische  dichtung  kaum 
eine  ankntipfting  darzubieten.  Selbst  den  verfassernamen  Filidor  tra- 
gen diese  dramen  nicht  einzeln,  sondern  nur  auf  einem  recht  schönen 
knpfertitel:  „Filidors  trauer-,  Inst-  und  mischspiele,  erster  teil,  Jena  bey 
J.  L.  Neuenhahn.  1665",  welcher  vor  dem  „Vermeinten  prinzen"  ein- 
geheftet ist.  Es  ist  aber  nicht  klar,  wie  viel  und  welche  stücke  diese, 
schon  in  dem  ersten  Jahre,  wo  Filidor  als  dramatiker  auftrat,  geplante 
ausgäbe  begreifen  solte.  In  dem  Kopenhagener  sammelbande  folgt 
unmittelbar  nach  dem  gesamttitel  nur  „Der  vermeinte  prinz"  und  ..Die 
\Vittekindenu ;  in  anderen  exemplaren  aber,  wie  ans  Maltzahn  .'5  11 
und  Güdeke  1887,  III,  106  hervorgeht,  auch  „Ernelinde",  „Der  be- 
trogene betrug"  und  „Basilene."  Indessen  sind  die  dramen  unter 
einander  stark  verwant,  in  einer  periode,  an  demselben  orte  und  bei 
einerlei  gclegenheiten  gedichtet,  was  auf  einen  einzigen  Verfasser  schlies- 
sen  lässt.  Ob  aber  dieser  Schwieger  ist,  bleibt  immer  fraglich;  nach 
den  gewöhnlichen  angaben  seines  todesjahres,  1665  oder  66 x,  wären 
ihm  jedenfals  wol  die  späteren  stücke  abzusprechen. 

Die  in  unseren  sammelband  aufgenommenen  dramen  Filidors 
sind:  6)  Die  erfreuete  Unschuld,  mischspiel,  am  3.  märz  1666  ((jö- 
deke  hat  1664)  aufgeführt;  7)  Ernelincle  oder  Die  viermal  braut, 
mischspiel,  Rudolstadt  1665  (nach  Gödeke  solte  das  titelblatt  kein 
druckjahr,  sondern  nur  das  jähr  der  auffuhrung  tragen,  was  jedoch  in 
unserem  exemplar  nicht  der  fall  ist);  8)  Der  vermeinte  prinz,  Inst- 
spiel,  Rudolstadt  1665  (mit  dem  oben  genanten  gesamttitel);  9)  Die 
AVittekinden,  singe-  und  freudenspiel,  Jena  1666,  und  dann,  von 
den  übrigen  gesondert  als  nr.  13  der  samlung:  Der  betrogene  be- 
trug, lustspiel,  Rudolstadt  1667.  Übrigens  sind  die  exemplare  genau 
mit  den  Verzeichnissen  Gödekes  und  Kobersteins  übereinstimmend.  Mit 
ausnähme  der  „Wittekinden"  sind  alle  stücke  in  prosa;  die  speciellen 
festallusionen  sind  meist  in  versificierte  allegorische  Zwischenspiele  ver- 
legt; dem  hauptinhalte  nach  nähein  sich  aber  die  dramen  dem  moder- 
nen intrigenlustspiel  und  bilden  somit  eine  besondere  gruppe  im  kunst- 
drama  der  damaligen  zeit,  von  den  Franzosen  und  besonders  den 
Italienern  beeinflusst.  Komische  scenen  wechseln  wie  im  volksschau- 
spiel  mit  den  ernsteren;  als  lustigmacher  vertreten  aber  die  italienischen 
figuren  Pantalon  und  Scaramuz  die  stelle  des  deutschen  Hanswur>t>. 
Der  ton   ist  im  ganzen   etwas  feiner  als  gewöhnlich,    und  als  quellen 

1)  Kaekse  a.  a.  o.  XI. 


236  J.    PALUDAN 

weist    der   Verfasser   selbst   für    den    „Vermeinten  prinzen"    auf   einen 

italienischen  roman  von  Pallavicino  („II  principe  Hermafrodito" ?  Kober- 

in),  für  den   „Betrogenen  betrug"  auf  Scarrons  Roman  comique  hin. 

Für  „Ernelinde"  hat  dr.  Bolte  auf  Cicogninis  „Moglie  di  quattro  mariti" 

(16{  des  n.    und   nach  dem  ausführlichen  auszuge  des  lezteren 

Stückes  bei  Klein  Gesch.  des  dramas  V,  707  scheint  die  Ernelinde 
igentlich  kaum  mehr  als  eine  Übersetzung  zu  sein.  Von  Filidors  fest- 
spielen  ist  dies  das  einzige,  welches  auf  die  Volksbühne  übergiehg;  in 
Meissners  Verzeichnis  der  um  1710,  vielleicht  in  Nürnberg,  aufgeführt 
ten  stücke  linden  wir  nämlich  auch  „Die  4 mal  braut  Blinde*1.  Fili- 
dor  und  sein  in  damaliger  zeit  ziemlich  einzig  dastehendes  Verhältnis 
zu   romanischer  litteratur  wäre  gewiss   einer  mehr  eingehenden  mono- 

aphischen  behandlung  wert,  als  ihm  bisher  zu  teil  geworden.  Meines 
wissens  ist  Pabsts  oben  citierter  aufsatz  in  den  Blättern  für  litterarische 
Unterhaltung  1847  bis  zum  heutigen  tage  der  einzige  und  ganz  unzu- 
längliche derartige  versuch. 

Li  nahem  Verhältnis  zu  den  festspielen  Filidors  steht  nr.  17  in 
unserem  sammelbande,  „Die  steigende  und  fallende  Athenais 
oder  Eudoxia,  Uf  gnädigem  Befehl  Des  Hochgebohrnen  Grafen  und 
Herrn.  Herrn  Albert  Anthons,  Der  vier  Grafen  des  Reichs,  Grafen  zu 
S  hwarzburg  und  Höllenstein,  Herrn  zu  Arnstadt  ...  Dero  Hoch  Gräf- 
lichen Gemahlin,  Der  auch  Hochgebohrnen  Gräfin  und  Frauen,  Fr.  Emi- 
lien  Julianen,  Gräfin  und  Frauen  zu  Barby  und  Mühlingen  ...  Zu 
Ehren,    An    Ihrem    GOtt   Lob!    am    19   Augusti    frölich    erschienenen 

buhrts  Feste,  Uf  dem  Theatro  des  Hochgräflichen  Residenz  Schlosses 
zu  Rudolstadt  in  einer  Tragoedia  fürgcstellet  von  M.  Mich.  Hörnlein, 
Gräfl.  Inf.  —  In  Rudolphstadt  druckts  Christoph  Fleischer,  1680." 
Dieser  lange,  feierlich  formelle  titel  entspricht  genau,  oft  wörtlich  denen 
zu  Filidors  festspielen,  und  das  stück  ist  also  an  demselben  hofe,  vor 
denselben  fürstlichen  personen  und  bei  einerlei  gelegenheit,  nur  13  jähre 

Lter  aufgeführt  Ist  der  unter  dem  namen  Filidor  bekante festdich- 
ter d  räflichen  hauses  (den  fürstentitel  nahm  die  linie  Schwarzburg- 
Rudolstadt  erst  im  anfang  des  18.  Jahrhunderts  an)  wie  gewöhnlich 
angenommen  1665  oder  66  gestorben ,  so  fält  es  ganz  natülich,  dass 
nach  ihm  ein  informator  im  grafenhause  die  ledige  stelle  als  hofdichter 
eingenommen  und  das  bei  dem  grafenpaare  offenbar  sehr  beliebte 
höfische  festspiel  in  einem  etwas  verschiedenen,  mehr  geschichtlichen, 
aber   auch    mehr   pedantisch    langweiligen   ton   fortgesezt   habe.     Seine 

1)  Jahrb.  d.  Shakesp  eisen.  XIX   150,  nr.  95. 


DEUTSCHE  DRAMEN  IN  KOPENH.  BIBL.  2Ü« 

prosatragedie,  aus  der  geschiente  des  byzantinischen  kaiserreichs  ent- 
lehnt, finde  ich  in  keinem  deutschen  litteraturverzeichnis  erwähnt 
Vielleicht  war  es  doch  derselbe  stoff,  welcher  nach  Malt/ahn  531 
unter  dem  titel  „Die  unglückseelige  Eudoxia"  noch  1732  zu  Altdorf 
in  der  musik  aufgeführt  wurde.  Hörnleins  behandlung  bietet  nur 
wenig  bemerkenswertes,  und  von  der  relativen  Originalität  seines  Vor- 
gängers hat  er  schlechterdings  nichts  geerbt. 

Nr.  10  des  sammelbandes,  das  alttestamentliche  singespiel  Der 
Hoffmann  Daniel,  Wolfenb.1663,  rindet  sich  schon  bei  Gottsched  216 

und  Freiesleben  36  verzeichnet. 

Unbekant  scheint  dagegen  11)  „Poetisches  fr  enden- spiel  von 
des  Ulysses  Wiederkunft  in  Ithaken.  Der  durch! fürstin  So- 
phia Elisabeth,  verwittibten  hertzogin  zu  Braunschweig  ...  zu  ehren 
und  wilkominen  zu  halten  verordnet  worden  von  L(hro)  F.  (ürstL) 
D.  (urchl.)  zu  Mecklenburg.  Güstrow,  Chr.  Scheippel.  1668."  Der  text 
des  anonymen  festspiels  liegt  nicht  vor;  nur  ein  programm  oder  argu- 
ment  der  handlung,  welche  nach  vorbild  der  an  den  höfen  sehr  belieb- 
ten opera-ballette  in  „eintritte"  eingeteilt  ist,  die  oft  mit  gesang  und 
tanzaufzügen  schliessen,  von  nymphen,  von  hirten,  zulezt  von  einem 
eher  tilgenden,  die  „ein  daetylisches  danck-  und  freuden-licd  auff  das 
hochfürstl.  haus  Mecklenburg  applicieret"  absingen.  Der  dialog  war 
doch  offenbar  prosaisch,  und  solche  schauspielprogramme  mit  ausführ- 
licher inhaltsangabe  kommen  nicht  selten  vor,  häufiger  doch  bei  bal- 
letten  oder  haupt-  und  staatsactionen  als  bei  eigentlichen  höfischen 
kunstdramen.  Ich  finde  ein  solches,  zu  dem  anonymen  festspiele  „Ari- 
adne"  1641  zur  geburtsfeier  der  kaiserin  Maria,  bei  Gödeke  III,  214, 
andere  bei  Freiesleben  34,  1662;  37,  1665;  38,  1665;  60,  1692. 

Das  stück  selbst  spint  sich  nach  einem  kurzen  Inhaltsverzeichnis 
und  einem  prolog,  wo  „die  Liebe"  den  fürstlichen  herschaften  poetische 
annehmlichkeiten  sagt,  in  einer  reihe  ziemlich  lockerer  mythologischer 
und  allegorischer  scenen  ab,  auf  der  insel  Calypsos,  im  lande  der 
Phaeaker  und  nach  der  heimkehr  in  Ithaka  mit  Eumaeos,  den  hirten, 
Telemachos  und  Penelope,  die  ,,  ihr  elend  in  einem  dreifachen  sonnet 
beklaget."  Yon  den  freiem  und  des  Ulysses  kämpf  mit  ihnen  komt 
nichts  vor.  Der  stoff  war  beliebt  und  ist  von  den  dramatikern  der  nach- 
zeit  oft  wider  benuzt.  Hauptactionen  „Ulysses  und  Penelope"  betitelt 
wurden  1690  zu  Torgau  von  der  Veltenschen  truppe,  und  um  1710 
vielleicht  in  Nürnberg  aufgeführt;  Chr.  Ludwigs  „Ulysses  von  Ithaka" 
gieng   im   anfang   des   18.  Jahrhunderts   in   Berlin    und   vielleicht    1735 


23E  .1.    PALUDAN 

in  Wien1;  noch  1748,  nachdem  Holbergs  parodie  „Ulysses  von  Itha- 
cia°  in  Dänemark  den  haupt-  und  staatsactionen  einen  tötlichen  streich 
versezt  hatte,  stand  „Ulysses  und  Penelope  »»der  Die  treue  bestän- 
digkeit"  auf  dem  repertoire.  v.  Qnotens  in  Kopenhagen2.  Eine  oper 
„Ulyss  s"  schrieb  Bressand  zu  1».  Keisers  nmsik  L696  und  1702; 
eine  andere,  nach  dem  italienischen  von  Fr.  Lersner  bearbeitet  und 
von  Vogler  componiert,  wurde  von  mitgliedern  der  Hamburger  oper 
1722  in  Kopenhagen  gegeben. 

12)  Wieder  errungene  Freiheit  oder  Gabile  und  Salibert, 
Heldenspiel    von  Alexandro  Romano  1679,    ein   romantisch -politisches 

stuck  mit  versteckten  zeitall usionen  zum  kriege  Ludwigs  XIV.  gegen 
Holland  1672  —  7-4,  s.  Gottsched  234. 

Nach  13)  dem  „Betrogenen  betrüge"  folgt  14)  „Das  Friede- 
jauchzende oder  vom  Krieg  gedrückte  und  vom  Frieden  wider 
erquickte  Europa.  In  einem  kurz  anmuthigen  Freuden -Spiel  höchst 
erbaulich  präsentirt  und  vorgestellet.  Gedruckt  in  Europa  1679." 
Mythologisch-allegorische  stücke  mit  volkstümlichen  zwischenscenen  zur 
Feier  besonders  des  westfälischen  friedens  und  als  ausdruck  der  alge- 
meinen freude  über  das  ende  des  langen,  verheerenden  krieges  kommen 
als  nachahmungen  von  Johann  Rists  „Friedewünschendem"  und  „Frie- 
dejauchzendem Deutschland"  ziemlich  häufig  vor,  und  sind  schon  öfter 
behandelt3.  Dass  solche  auch  viel  später,  bis  an  den  schluss  des  Jahr- 
hunderts gedichtet  wurden,  sehen  wir  z.  b.  aus  conrector  Joh.  Ernst 
Müllers  ..Das  durch  den  Frieden  erfreute  Europa",  Rudolstadt  1698. 
Das  hier  vorliegende,  bei  gelegenheit  des  friedens  zu  Nimwegen  ent- 
indene  stück  finde  ich  in  den  litteraturverzeichnissen  nicht.  Es  ist 
doch  nichts  weiter  als  eine  ziemlich  wertlose  pastiche  nach  Rist: 
bürger-,  bauern-  und  soldatenscenen ,  auftritte  zwischen  Mars,  Fama 
und  Irene  usw.:  prosa  mit  eingemischten  liedern,  durch  sehr  schlechte 
holzschnitte  illustriert:  zum  schluss  22  „free, den -gedrehte."  Der  ver- 
fasser  ist  ungenant;  es  scheint  aber,  dass  man  eine  ganze  samlung  sol- 

'       .  Heine,  Joh.  Veiten  1887.   s.  38.     Gottsched  253   (vgl.  FreieslebeD  59), 
_i    und       I  hluss  der  vorrede.     Jahrb.   der  Shakespearegeselsch.  XIX,   151 

nr.  104.    Plümicke,  Theatergesch.  v.  Berlin  1781,  s.  169. 

_■    Overskou,  Don  danske  SkuepladsEC,  04.    Werlauff  Antegnelser  til  Holbergs 
Lystspfl  1858.  0.     Paludan,   Holbergs  Forhold    til   det  aeldre   tyske  Drama,    in 

(dansk)  Hist.  Edsskrift  6.    R  II  55,  vgl.  46. 

3)  srz,  Rist  als  niederdeutscher  dramatikor  1884.     Bolte  im  Jahrb.  f.  nie- 

derd.  Sprachforschung  XI.  1885:    Rists  Irenaromachia  und  Pfeiffers  Fseudostratiotac, 
L  XII.  1886:  Hans  unter  den  Soldaten. 


DEUTSl  llh:    DRAMEN    IN    KOPKNH.    r.IHL.  239 

eher  stücke  hat  anlegen  wollen,  denn  dem  titelblatl  gegenüber  findet 
sieli  ein  kupfertite]  mir  inschrift  „ Friedens -Oomödien"  und  ein  paar 
reimen.  Der  tod  mit  seiner  sense  fahrt  auf  einem  mit  hirsehen  bespan- 
ten  Streitwagen  über  krönen,  Schwertern  u.  dgl.  einher,  zwischen  käm- 
pfenden flotten  und  brennenden  städten,  während  von  oben  ein  enge] 
mit  der  posaune  den  frieden  verkündet 

15)  Monarchia  optima  reipublicae  forma,  Rudolstadt  1<>7!». 
ein  politisch -didactisches  drama  im  geist  de-  absolutismua  (von  Chr. 
Zeidler  v.  Runnenburg),  findet  sich  bei  Gottsched  242. 

17)  Wochen-Comedie,  ohne  titelblatt,  sicher  aber  die  bei  Gott- 
sched 114  und  Gödekelll,  222  verzeichnete  „Apocalypsis  mysteriorum 
Cybeles,  d.  i.  Eine  schnackischc  worhen-comedie  oder  verplauderte 
stroli-hochzeit . . .  Autore  Wigando  Sexwochio,  Bojemo",  1662,  wider 
1679  und  1737  zu  Leipzig  aufgelegt,  vielleicht  diese  leztere  ausgäbe. 
Es  ist  dies  kein  Schauspiel,  sondern  nur  eine  reihe  dialogisierter 
^ittensdiilderungen,  ganz  interessant  als  parallelen  zu  dem  fran- 
zösischen ,,  Recueil  general  des  caquets  de  l'accouchee"  1623 1  und 
zu  Holbergs  „Wochenstube"  1723.  Wir  haben  hier  aus  drei  ver- 
schiedenen hindern  und  drei  unterschiedlichen  Zeitpunkten  innerhall) 
hundert  jähren  darstellungen  der  kindbettgebräuche  mit  dazu  gehörigem, 
in  vielem  auffallend  übereinstimmenden  ceremoniell,  aberglauben  und 
geklätsch.  Nähere  erörterungen  habe  ich  in  dem  artikel  „Holberg  und 
das  ältere  deutsche  drama"  neuerdings  gegeben2. 

Nach  17)  „Die  steigende  und  fallende  Athenais"  schliesst  der 
band  mit  18)  Gryphius,  Papinian  —  ohne  titel,  namen  und  jähr,  offen- 
bar aber  die  ausgäbe,  welche  nach  einer  aufführung  von  der  städ- 
tischen jugend  zu  St.  Gallen  1680  besorgt  wurde3.  Das  original  ist 
hier  ungeändert;  nur  ein  versificierter  eingang  und  beschluss  ist  bei- 
gefügt, und  hie  und  da  sind  am  rande  abweichungen  angedeutet,  welche 
man  sich  bei  der  Vorstellung  erlaubt  hatte.  Die  meisten  veranlasste 
die  ganz  curiose  freiheit,  mit  welcher  der  vorrede  zufolge  rollen  und 
repliken  zerschnitten  und  auf  mehrere  personen  verteilt  wurden,  um 
einem  ehrsamen  rat  und  allen  spitzen  der  löblichen  bürgerschaft  das 
vergnügen  zu  gönnen,  ihre  sprösslinge  auf  den  brettern  zu  sehen: 
„weil  ...  in  einer  geselschaft  junger  leuthen,  mehrenteils  gleiches  Stands 

1)  Neue  ausgaben  von  E.  Fournier,  mit  einleitung  von  Le  Rons  de  Lincy, 
Bibl.  Elzevirienne,  chez  Jannet,  Paris  1855,  —  und  von  D.  Jouaust,  av.  pref.  de 
L.  ülbach,  Paris  1888. 

2)  Hist.  Tidsskr.  6.  R.  n,  62. 

3)  Gödeke  III,  218.     Sckerer  St.  Gallische  handscliriften.  1859,  s.  70. 


240  H.    FRISCHBTKR 

und  alters  ...  man  alle  befriedigen  muss,  ein  jeder  seine  geschick- 
lichkeit  zu  zeigen  begierig  und  keiner  dem  andern  viel  nachgeben, 
viel  weniger  ''in»'  stumme  oder  verächtliche  persohn  vertretten  wil  ..." 
3  >lche  dilettantenvorstellungen  hatten  als«»  mit  denselben  Schwierigkei- 
ten zu  kämpfen  wie  die  irleiehzeitiiro  widerant'nahme  der  alten  schul- 
komödie  im  geiste  Chr.  Weises.  In  der  einladung  zu  des  oben  genan- 
ten conrectors  J.  E.  Müller  „Von  dem  Frieden  erfreutes  Europa"  1G98 
heissl  es  ganz  entsprechend1:  ..siehe,  der  köpfe  sind  viel,  welche  alle 
Lnem  löblichen  jugend-triebe  mit  wollen  zu  einem  solchen 
spiele  gezogen  werden  und  ihre  geschicklichkeit  sehen  lassen;  will  nun 
der  Lehrmeister  aller  ihre  gunst  behalten,  so  muss  er  auf  ein  solches 
argument  oder  sache  bedacht  sein,  welehes  viele  redende  personen 
erfordert,  da  es  wol  nachmalen  schwer  fället,  die  fürgeschriebenen 
setze  einer  komödie  zu  beobaehten.u 

KOPENHAGEN.  J.    PAT/UDAX. 

1)  Pabst  in  den  Blättern  f.  litt.  Unterhaltung  1847,  s.  1084. 


DIE   MENSCHENWELT   TN  VOLKSEÄTSELN    AUS   DEN 
PEOVETZEN   OST-   UND  AVESTPEEUSSEN.* 

V  Zeitschrift   für   deutsche   philologie  IX.   65  —  77:    Die   pflanzenweit   usw. 

und  XI.  344  —  359:  Die  tierweit  usw. 

I.     Gestalt  und  Persönlichkeit  des  menschen. 

Der  körper. 

1.    Op  twei  Stange  steit  e  speker1, 
Op  em  speker  stän  twei  reker2, 

Liehen  worden:   Curtze,  Volksüberlieferungen  ans  dem  fürstentnm  Wal- 
k  usw.  Arolsen  1860.    Dorr.  Twöschen  Wiessel  on  Noacht,  plattdietsche  gedickte. 
Elhing  1SG2.     Fiedler,  Volksreime  und  Volkslieder  in  Anhalt -Dessau  usw.     Dessau 
17.      Firmenich,    Germaniens  Völkerstimmen.     Lepner,    Der  i>r"iische  Littauer 
oder  •       tellung    ler  nahmens- herleitung,    kind-taufen.    hochzeit  usw.     Danzig  174  1. 
Meier,   Deutsche  kinder -reime  und  kinder- spiele.    Tübingen  1851.     Monc,  Anzei- 
r  für  kund"  hon  vorzeit    Müllenhoff,  -n,    märchen  und  heder  der 

herzogtumei  -  l  Kiel  1845.    N".  pr.  pr.-bL  =  Neue  preuss.  provinzial- 

blätter.    Bochholz,  Alemannisches  kinderlied  und  kinderspiel.    Leipzig  1857.    Schlei- 
cher, Iitaui         märchen,  gprichworte,  rätseL   Weimar  1857.     Simrock,  Bätseibuch 
I  und  II.     1.  aufl.     Violet,   Neringia   oder   gesch.   der  Danziger  Nehrung.     Danzig 
4.      Z.  f.  d.  m.  u.  s.  =  Zeitschrift    für   deutsche    mythol.    und  sittenkunde    von 
A  und  Mannhardt     *iöttiii<ron  1853—59. 


PREUSSISCIIE    VOLKSRÄTSEL  241 

Op  de  rekersch  Bteit  e  schmecker, 

Op  cm  schmecker  steit  e  lecker. 
Op   em   lecker  steit  e   rik«T  ;. 

Op  em  rtker  stän  twei  kick  er4, 

Op  de  fadekersch  steit  e  wöld, 

Wo  söVk  ophült  jung  on  Ölt. 

1)  Speker,  spiker  =  Speicher  (der  rümpf).  2)  Reicher,  die  arme. 
3)  Riecher,  die  aase.    4)  Kicker,  die  äugen.     Vgl.  X.  pr.  prov.-hL  VIII.  372. 

Variationen:  1.  Op  twei  stolze  —  Ständer  usw.  —  2.  0])  em 
spiker  steit  en  dreller.  —  7.  Op  em  kicker  steit  en  barg,  Op  en  barg 
steit  en  wöld  usw.  —  8.  Darön  spazert  —  vermehrt  sock  plöschärt 
(plaisiert)  —  versammelt  söck  —  verbargt  söck  jung  on  ölt  In  Pom- 
merellen:  Auf  zwei  pfählen  steht  'ne  tonne,  Auf  der  tonne  steht  ein 
trichter,  Auf  dem  trichter  steht  'ne  kugel,  Auf  der  kugel  steht  ein 
wald,  Drin  spazieret  jung  und  alt.  —  Eine  heugabel  unten,  Auf  der 
heugabel  ein  feleisen,  Auf  dem  feieisen  ein  kreuz,  Auf  dem  kreuz  ein 
knöpf,  Auf  dem  knöpf  ein  busch,  Im  busch  tiere.  Auf  Heia:  Oem 
wöld  stän'  twei  pöst1  (pfosten),  Op  de  twe  pöst  steit  e  borm  (brunnen), 
Op  de  borm  stän'  twe  gripersch,  Op  de  griperseh  steit  de  schmecker, 
Op  de  schmecker  steit  de  ricker  usw.  In  Littauen:  Eine  zweikrallige 
gabel,  auf  der  gabel  ein  bienenstock,  auf  dem  bienenstock  ein  knäuel, 
auf  dem  knäuel  ein  wald  und  in  dem  walde  viele  vögel  (hasen).  Schlei- 
cher, 203.  In  Masuren:  Es  stehen  zwei  säulen,  Und  auf  diesen  säu- 
len  ein  spreustall,  Und  an  dem  spreustall  die  greifer,  Und  über  den 
greifern  der  Schnapper,  Und  über  dem  Schnapper  der  puster  (atmer), 
Und  über  dem  puster  die  seher,  Und  über  den  sehern  das  Wäldchen 
und  die  ziegen.  Stoja,  dwa  slupy,  a  na  tych  slupach  plewnia,  a  na 
plewni  grabaj,  a  nad  grabajem  chapaj,  a  nad  chapajem  sapaj,  a  nad 
sapajem  patrzaj,  a  nad  patrzajem  gaj  i  kozy.  —  Vgl.  Müllenhoff  508, 
24.  Firmenich  m,  74:  Strelitz;  160:  Osnabrück.  Ähnliche  rätsei  noch 
bei  Meier  328.  Rochholz  249,  434  —  440.  Simrock  I,  434.  Mone, 
Anz.  VII,  262,  190. 

Das  äuge. 

2.    In  einem  weissen  see 

Schwimmen  zwei  granaten. 
Wer  dies  rätsei  tut  raten, 
Dem  schenke  ich  zehn  dukaten 
Und  eine  tasse  thee. 


3.    Rund  röm  rüch,  ön  e  mödd  wäterke. 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    FHILOLOGTE.     BD.    XXIII. 


16 


242  H.    FRISCHBIKR 

•1.    Rund  röm  hlr,  Gott  bewahr, 
Dat  kein  böset  ding  rön  fähr'. 
In  Masaren:  Ich  hab'  solch  ein  handwerkzeug,  das  rund  herum 
bewachs» 'ii  ist.    und  wenn  die  not  es  drückt,    dann   strömt  wasser  her- 
aus.    Ja   mani    takie    rzeinioslo,    co   mi   w    koio  obroslo,    a  jak  bieda 
przytloczy,   To  i   woda    wyskoczy.    —    VgL  Rochholz  2ö2,  444.     Sim- 

rock  1.  27. 

Der   mund. 

5.    In  einem  schönen  garten 

Sind  hunderterlei  trak taten. 

Es  regnet  nicht,  es  schneiet  nicht. 

Und  ist  doch  immer  nass. 
Var. :    1.  In  einem  rosenroten  garten    Stehn  nichts  als  weisse  tip- 
pitaten  usw.    —  In  meinem  rosenroten  garten  Stehn  32  pallisaden  (poli- 
zaten)  usw.     (Pommerellen.)  In  meiner  mutter  garten,   Da  wachsen 

weisse  pallisaden  usw.  —  In  meines  vaters  garten  Stehn  weisse 
karaten  usw.  (Angerburg).  —  Stehn  weisse  tippeltaten  usw.  (Dönhoff- 
städt).  —  Vgl.  Meier  280.  Zeitschr.  f.  d.  myth.  III,  13.  Rochholz 
252,  441.     Mone,  Anz.  VII,  262,  191. 

Der  mund. 
G.    E  stalke  voll  witte  gäns',  on  (inwendig  e  roder  ganter  dämank. 
Im  Werder:    Wat  üss   dat?     En  stall  voll  witter  hener  on   mödden  e 
roder  hin  darmank.     R.  Dorr,  Twöschen  wiessei  on  noacht  77. 

Die  zahne. 
7.    Twei  stange  witte  hener. 
In  .Littauen:  Ein  stänglein  voll  weisser  hühnchen.  Schleicher 211. 

Die  zunge. 
8.    Rode  koh  liggt  ön  e  natte  stall. 

Der  furz. 
9.    Öss  euer  ver  de  pört, 

Heft  nich  gesündigt,  nich  gemord't  — 
Kann  hei  passere? 

10.   Twösche  twei  barg'  bullert  't. 

11.    Twösche  twei  barg'  da  bromt  e  bar. 

12.    Wat  rent  längs  de  fär1, 
Heft  kein  hüt,  kein  hlr 
On  bromt  wi  e  bar? 
1)  Fär,  fahr,  f.  furche,  ackerfurche. 


PREUSSISCHE    VOLKSRÄTSEL  243 

Der  nasenschleim. 

13.   De  rike  (eddelmann)  stockt  et  ön  e  flipp1,    de  Ifcrme    (bür) 
schmött  et  weg.     Vgl.  Meier  350.     Rochholz  274,  591. 
1)  Flippe  =  fcasche. 

Der  Säugling. 

14.   Auf  dem  rücken  lieg'  ich, 
Nach  dem  liimmel  seh'  ich. 
Aufgedeckt,  'reingesteckt, 
Ach,  wie  süss  hat  «las  geschmeckt! 
Var. :    2.   In  die  höhe  seh'  ich.      4.  Hat  mir  jung  sehr  gut  ge- 
schmeckt    Vgl.  N.  pr.  prov.-bl.  X,  294.     Simrock  II,  56. 

Ich  selbst. 

15.  Min't  väders    sahn,    min'r   mutter   sühn    on   doch   nich  min 

bruder. 

Die  tochter. 

16.  Es  sass  ein  kind  am  wege  und  weinte.  Da  kam  ein  mann 
daher  und  fragte:  mein  kind,  was  weinest  du?  —  „Ich  weine,  dass 
du  mein  vater  bist  und  ich  nicht  dein  söhn  bin." 

Grossvater,  söhn  und  enkel. 

17.  Es  gingen  zwei  vater  und  zwei  söhne  auf  die  jagd  und  schös- 
sen drei  aasen.     Jeder  nahm  einen.     Wie  haben  sie  das  gemacht? 

Seines  gleichen. 

18.  Der  bauer  sieht  es  täglich,  der  könig  selten,  gott  niemals. 
Vgl.  Mono.  Anz.  VII,  264,  225.     267,  269. 

Beim  begräbnis. 

19.    Als  die  träger  sangen,  sank  der  tote  mit, 
Und  die  ihn  getragen,  sangen  alle  mit. 
Vgl.  Simrock  I,  40. 

Der  sarg. 

20.  De  et  makt,  de  weil  et  nich;  de  et  draggt,  behölt  et  nich; 
De  et  kefft,  de  brukt  et  nich;  de  et  brükt,  de  weet  et  nich. 

Vgl.  Curtze  300.     Simrock  I,  39. 

Wenn  alle  die  Seligkeit  hätten. 

21.  Ich  hab'  gut  und  geld,  die  ganze  weit; 

Die  Seligkeit  gewiss,  doch  weiss  ich,  was  noch  besser  ist. 
Vgl.  Meier  326.     Simrock  I,  210. 

16* 


244  II.    FRISCHBIER 

II.     Stand  und  beruf. 

Der  barbier. 

22.    Schnfd  af,  schnitt  weg! 

23.    Wer  Dornt  dem  kaiser  on  könig  alles  ver  e  niis  weg? 

Der  holzhacker,  die  wiege,  die  tonne  und  die  steine. 

24.    Op  e  lucht1  piff  paff,  on  e  staw  riff  raff, 
öm  hus  rund,  ver  e  dar  bunt. 
1)  Lucht,  f.  boden;  iu  Westpr.  bön. 

Der  müller. 

25.  Wenn  öck  wäter  hebb,  kann  öck  win  drinke;  wenn  öck 
awer  kein  wäter  hebb,  mott  öck  wäter  drinke. 

VgL  Sünrock  I,  166. 

26.  Der  müller  steht  in  der  mühle;  in  jeder  ecke  liegt  ein  mehl- 
sack, auf  jedem  sacke  sizt  eine  grosse  katze,  jede  katze  hat  vier  junge 
und  jede  junge  katze  hat  wider  vier  junge.  Wie  viel  füsse  sind  in  der 
mühle? 

Antwort:    Zwei,    die   des   müllers;    die   katzen   haben   ja   pfoten. 

.  Simrock  I,  356. 

Die  musikanten. 

27.  Acht  mönsche  speie  de  ganze  nacht  dorch,  on  wenn  se  op- 
stäne,  lieft  jeder  gewönne.     Ygl.  Simrock  I,  281. 

Der  priester. 

28.  Der  schwarze  rabe  hat  geschrieen  und  die  ganze  Versandung 
hat  sich  gewiegt 

29.  Littauisch:  Jodas  Warnas  krankterejo,  wissa  pota  linkterejo. 
Lepner  118. 

30.  Der  pastor  und  seine  frau,  der  küster  und  seine  Schwester, 
die  gingen  am  weiher,  und  fanden  ein  nest  mit  vier  eier(n).  Jeder 
nahm  eins  —  und  es  blieb  doch  noch  eins. 

Die  frau  des  pfarrers  war  des  küsters  Schwester.  Vgl.  Ztschr.  f. 
d.  myth.  III.  187.     Müllenhoff  508,  21.     Simrock  I,  66. 

Der  schuster 
fauf  dem  schemel  sitzend,  von  einem  hunde  angefallen.) 
31.    De  tweebeen  sat  op  em  dreebeon. 

Da  kein  de  vcabeen  on  wull  den  tweebeen  bite; 

Da  nein  tweebeen  den  dioebeen 

On  wull  dem  veabeen  schnitte.  (Pr.  Eylau.) 


PBEUSSISCHE   VOLKSRÄTSEL  245 

32.    Quadloch  nahm  Nadloch, 

Kam  Rudloch  un  wull  Quadloch  biten; 

Nahm  Quadloch  Nadloch 

Un  wull  Kudloch  schnitten.  (Pommerellen.) 

Der  siebmac'her. 

33.  De  bür  fart  möt  twei,  de  eddelmann  möt  ver,  de  könig  möt 
sess  —  Aver  fart  möt  sewe? 

Yar. :   De  buer  fart  met  zwo  perd,  de  -rat'  met  ver  usw.     N.  pr. 
prov.-bl.  X,  292.     Gewöhnlich  hört  man  das  rätsel   hochdeutsch. 

Die  tonnenwäscherin. 

34.  Buk  op  buk,  flesch  ön  't  loch. 

III.     Kleidung  und  schmuck. 

Der  strumpf. 
35.    Ruch  bawen,  rüch  in; 
Hew  op  un  steck  in  — 
Wat  mag  dat  wrol  sin?  (Jerrentowitz.) 

Die  schlorren  (pantoffeln). 
3G.    Am  diig  geit  et  klipp  klapp,  ön  e  nacht  steit  et  am  bedd  on 
jappt.     Vgl.  nr.  43.  95.     Simrock  I,  37. 

Der  stiefel. 
37.    0  himmel,  o  himmel,  mein  loch  ist  voll  Schimmel! 

Binnen  sechs  wochen  hat  kein  mannsfleisch  drin  gestochen. 

38.    Bi  dag  drägt  et  flesch  on  knake, 
Oen  e  nacht  steit  et  ape. 
Vgl.  Simrock  II,  21. 

Der  Stiefelknecht. 

39.  Et  ös  e  knecht,    de  ward  möt  fete  getrampelt,    em  ward  dat 
ledder  äwre  öre  gctäge  —  on  hei  seggt  doch  kein  wort. 

Hierher  gehören  auch  die  riitselfragen : 

40.  Wer  ös  de  geduldigste  knecht? 

41.  Wat  fer  e  knecht  hefft  noch  möt  keiner  magd  gespräke? 

42.  Wat  fer  e  knecht  ett  nich  on  drinkt  nich? 

Das   Schnürsenkel  (der  Schnürriemen). 

43.  Ön  e  nacht  wi  e  weseböm,  bi  däg'  wi  e  ledder1. 
Vgl.  Rochholz  261,  988.     Simrock  I,  267. 

1)  Ledder,  leiter. 


240  H.    FRISCHBIEB 

Der   ring. 

44.    Et  ring  e  mäke  ön  't  kellerloch 

Od  zeigd'  dem  herro  dat  blanke  loch. 
Da  docht  de  herr  ön  sinem  sonn: 
Ach  hadd  öck  doch  den  finger  bönnM 

15.    Von  bönnen  blank,  von  baten  blank 
( m  e  mödd  e  fieescherner  petei  damank. 

(Einlage  bei  Elbing.) 

Var.    in    form    und    lösnng:    Innen    blank,   üten   blank,   is    doch 

fleesch    on    blot    damank    (=  ring,    auch   fingerhut).     Jerrentowitz.   — 

2.  ön  e  mödd  e  hölterner  peter  damank  =  fenster.  —  Ön  e  mödd  en 

äken   sand   damank  =  sanduhr.     ( Pommerellen.)    —     Ön    e  mödd  e 

betke  iönne  damank  =  milehsieb.     (Samland.) 

IV.     In  haus  und  stuhe. 

Das  fenster. 
40.   Von  de  rechte  sid  blank,  von  de  linke  sid  blank, 

<  »n  e  mödd'  e  stöcksken  blie  damank.  (Pommerellen.) 

Vgl.  45. 

Schlüssel  und  schlos^. 

47.    Foss  krop  ön  't  loch  on  leet  de  pot'  bute. 

18.    Ich  armer  und  ich  blinder  mann, 
Der  ich  das  loch  nicht  finden  kann! 
Da  nimt  mich  die  Jungfer  und  führt  mich  hinein, 
"Wol  in  das  kleinste  loch  hinein.  (Jerrentowitz.) 

Die  tür.    der  ofen   und  der  balken. 

49.    Wenn   man   erseht    de  nacht  kern,    dat    öck    mi   raue    kunn 
(ruhen  könte)! 

Wenn  man  erseht  de  dag  kern,  dat  öck  mi  warme  kunn! 
Was  soll  ich  sagen?     Ich  muss  tag  und  nachj;  tragen. 

Der  Schornstein. 

I.    Et  huckt  e  mannke  op  em  dack  on  rökt  c  pipke  tobak. 
VgL  Simrock  II.  i8. 

Die  leiter  (treppe). 

51.  Et  kickt  op  de  lucht  on  heft  keine  öge  nich. 

Die  dachleiter. 

52.  Et  kickt  (e  mannke)  äwert  dack  on  heft  keine  öge  nich. 


PRKUS8JSCW5   VOLKSKÄTSEL  247 

Der  (»t'en. 

53.  Holl  os  schwet  (schwitzt)  dorch  c  robbe. 

54.  Ons  dicket  feile1  spit  gele  krolle2. 

Gm  söma  manchmal,  om  winta  örama.  (Natangen.) 

1)  Felle,    n.  füllen.        2)   Ereile,    f.   koralle.   —     Diu    gewöhnlichen    leuto 
benutzen  den  ofen  auch  zum  brotbacken. 

55.    In  der  stube  steht  ein  mann, 
Der  hat  tausend  flicker  an. 

Ofen    und  sieh. 

5(5.   Min  söhn  Klüt  geit  gar  nich  üt, 

Mine  dochter  Hissebisse  rent  dat  ganze  derp  ut. 
Neue  pr.  prov.-bl.  X,  293.     Vgl.  Simrock  II,  28. 

Der  Spiegel. 

57.    Op  jenner  weit,  da  wo  öck  wass', 
Da  ös  kein  lew,  kein  böm,  kein  gras, 
Do  ös  kein  liw,  kein  iewe, 
On  doch  si  öck  darön  gewese. 
N.  pr.  prov.-bl.  VIII,  377. 

Der  kämm. 

58.    Opgeschaart  mannke  jagt  de  sclnvin  üt  dem  körn. 

(Samland.) 
Die  uhr. 

59.    Ach  ich  armer  schmiedeknecht, 

Hab'  keine  händ',  mach's  (zeig')  immer  recht, 
Hab'  keine  füss,  muss  immer  gehn 
Und  tag  und  nacht  gar  schildwach  stehn; 
Und  wenn  ich  mich  zur  ruhe  lege, 
So  sghandet  jedermann  von  mir. 
Var. :    5.   Und  leg'  ich  mich  einmal  zur  ruh,   dann  brummet  jedermann  dazu. 
N.  pr.  pro v. -bl,  X,  291.  —  Klopf  mit  dem  liammer  tag  und  nacht  und  halte  wacht. 
Jer rentowitz.  —  Tgl.  Simrock  II,  8. 

60.    Op  schildwach  mot  öck  stane, 

Heww  kein  fet  on  mot  gane, 

Heww  kein  mül  on  mot  säge, 

Stahl  on  ise  mot  öck  dräge. 
Ebenso  hochdeutsch: 

Ich  armes  weib  muss  schildwach'  stehn, 
Hab'  keine  füsse  und  muss  gehn, 


II.    FRISCHBIEB 

Hab3  keinen  arm  und  muss  schlagen, 
Hab5  keinen  mund  und  muss  sagen. 

61.    Es  klippert  (klingert)  und  klappert  auf  eisernen  draten. 
Wer  das  kann  raten,  kriegt  fünfzig  dukaten; 
Und  wer  das  kann  wissen,  kriegt  Jungfern  zu  küssen. 
Vgl,  Rochholz  261,  492.     Ein  ähnliches  rätsei,   mit  der  lösung: 
Strickzeug,  bei  Meier  276;  mit  der  lösung:  Ölmühle,  293. 

62.    Es  ticket,  es  tacket  an  meiner  schlafkammer 

Eine  wippe,  eine  wappe,  eine  goldene  kappe. 

Ön  uns  staw  hangt  e  wipp  on  e  wapp  under  goldner  kapp. 
Aar.:  hängt  e  schul  on  e  schall. 

L    In  meiner  schlafkammer 

Sind  vier  goldne  puppen  und  ein  goldhammer. 

Et  ett  nich,  et  drinkt  nieh,  et  lieft  keine  fet  on  geit  doch. 

Öti.    Et  geit  one  fet  on  schleit  one  händ\ 

67.    Es  hängt  ein  mann  an  der  wand  und  baumelt  mit  dem  fusse. 
Wiszy  chlop  na  scianie  a  noga  rueha.     (Glasuren.) 

Die  uhr,    die  wriege,    die  katze  und   der  hund. 
68.    An  der  wand  kling  klang,  am  bett  buff  baff, 

Am  haus  nau  nau,  vor  der  tür  hau  hau.       (Pommerellen.) 

Das  Vogelbauer. 
69.    Ich  bin  ein  armer  bauer, 

Hab  keine  sünd  begangen,  wrerd'  doch  gefangen. 

Das  Weberschiffchen. 
70.    Blanket  henke  leppt  verbi  dem  stakeltün. 

Das   wockenrad. 

71.  A<ht  jungfre   schlafe  tosamme  ön  enem  bedd  on  liggt  keine 
keine  binde.  (Gerdauen.) 
Auch  mit  der  lösung:  die  Speichen  des  Wagenrades.  Vgl.  Curtze301. 

Die  schnüre  auf  dem  wockenrade. 

72.  Es  laufen  (drehen  sich)  lange  würmer  um  die  stube.     Lataia 
zdy  okolo  izby.     (Masuren.) 

Die  finger   der   spinnenden   hand. 
Fif  zege  frete  von  enem   hü]         In  Gerdanen:    Füf  schäpke 
trete  üt  enem  iserae  repke1. 
1)  Dem.  von  rope  f.  raufe. 


PBETJ88ISCHE    V0LKSRÄT8EL  249 

Der   spiiinor    und    die   spule 

74.   De  grossväder   geit   Dich    eh'r  von   de   grossmutter1,   bet  sc 

dick  ös. 

1)  Auch:  Grossväder  lett  Dich  nä. 

Die   spinnerin   mit   dem  wocken. 

75.  Öek  ging  ön  e  gebröknis1, 

Da  begegend'  öck  enem  gespöknis2, 

Dat  hadd  fit'  fet  on  kein'  zagel  — 
Nu  rad  mal,  wat  ös  dat  fer  e  7&gel? 
1)  Brach.    2)  Gespenst 

76.  Öck  ging  iiwer  en  gebröknis 
On  seg  o  gratet  gespöknis: 

Twe  kepp,  en'  zagel  on  nege  fet! 
Rät't,  mine  lierre,  wat  ös  det? 
Die  spinnerin  sass  mit  ihrem  wocken  zu  pferde. 

Das  knäuel. 

77.  Hundert  percV  tene  et  op  e  barg  on  könne  et  doch  nich 
tertene. 

Auch  als  frage:  Was  ziehn  vier  (zehn  usw.)  pferde  nicht  den 
berg  hinauf?  —  In  Littauen:  Ein  kleines  dingchen,  und  doch  brin- 
gen es  selbst  tausend  pferde  nicht  über  den  berg.  Schleicher  202.  Vgl. 
Rochholz  261,  487.     Simrock  I,  430. 

Nähnadel  und  faden. 

78.    Isernet  mül  on  flassner  zagel. 
Ygl.  Firmenich  III,   123:    "Wische  in   der  Eibniederung  bei  See- 
hausen.    Simrock  I,  414;  II,  54.     Mone,  Anz.VII,  263,  198. 

79.   Welk  blanker  vagel  lieft  e  flasserne  zagel? 

80.    Sölwst  stomm,  sölwst  domm,  aller  weit  utflöcker. 

Litt.:  Ein  kleines  mütterchen  bedecket  (bekleidet)  alle  menschen. 
Maza  Moterele  wissa  Swieta  apdeng.     Lepner  118. 

Der  fingerhut. 

81.    Kiener  als  e  müs,  gröter  als  e  lüs, 

On  lieft  doch  mehr  fönster  als  dem  könig  sin  hüs. 
Ygl.  Rochholz  261.  489.     Simrock  I,  79.     Mone,  Anz.  VII,  371, 
291:  Antwerpen.     Ygl.  Pflanzenwelt,  nr.  45. 

82.    Yon  bönne  blank,  von  büte  lächerkes.     Ygl.  Simrock  II,  1. 


II.    FB1SCHBIER 

Die  niangel   (glättrolle). 
83.   Treck  hon.  treck  her.  tw§  stau'  daver, 

Twe  ligge  darunger  —  wat  ös  dat  fer  'n  wunger? 

Das  licht 

84.  Kirn  kanelke  satt  op  't  stelke, 

Je  länger  dat  et  satt,  je  kärter  dat  et  wa(r)d. 

Ahnlieh   in  Antwerpen.     Mono,  An/.  VII,  372,  296. 

85.  E  kirnet  wiw,  e  lönne  llw, 

E  fieseherne  rock,  e  goldnc  kopp. 
X.  preuss.  prov.-bL  X.  290. 
86.    Das  hemde  unten,  das  fleisch  oben.     (Pommercllcn.) 

87.    Michelke  set  op  't  stölke 

On  wnrd'  doch  ömmer  körter.     (Pommerellen.) 
Ähnlich  bei  Simrock  I,  4-48;  II,  19. 

88.    Fer  e  grosche  de  ganze  staw  voll.     Vgl.  Simrock  II,  147. 

Die   lichtschere. 
89.    Bei  tage  hab'  ich  nichts  zu  tun, 

Da  lässt  man  mich  im  winkel  ruhn; 
Kaum  bricht  die  nacht  herein, 
Da  schluck'  ich  f'euer  und  flammen  ein. 
In  den  N.  preuss.  pr.-bl.  VIII,  375:    Bei  tag'  muss  ich  im  win- 
kel ruhn;    doch  kommt  der  abend  an,   so   speis'  ich  feuer  und  flamm. 
Vgl.  Simrock  I,  100. 

90.    Öck  sta  op  drei  feet,  bi  dag  öck  ruh  geneet, 

Det  awends  nem  öck  mi  tosamme  on  fret  für  on  flamme. 

(Königsberg.) 
Der  bettbezug. 

91.  Die  kuh  geht  saufen  und  lässt  den  bauch  zu  hause. 

(Angerburg.) 

92.  Wat  geit  to  'r  dränk  on  lett  den  buk  to  hüs?   (Dönhoffstädt.) 

93.  Et  galt  in't  water  on  lässt  den  buk  to  hüs.     (Ermland.) 

In  Littauen:  Es  geht  ein  ochse  in  den  fluss  um  zu  trinken,  und 

den  bauch  lässt  er  zu  hau         Schleicher  194.     Vgl.  Kochholz  272,  564. 

Simrock  I.  346. 

Das  kissen. 

94.    E  gans  möt  ver  näse  —  wat  ös  dat? 

Die  pantoffeln. 
.    Im  tag     -  ■  ht's  klippklapp,  nachts  steht's  am  bett  und  jappt. 


PnEU8B18CHE   VOLKSRÄTSKL  Hol 

Die  biertonne. 

96.   Kromholt  holt  g 'rädholt,  g'rädholt  holt  pischewippholt, 
Pischewippholt  holt  llw  od  seel5  tosamme. 

Bei  Mone,  Anz.  II,  237:  Kram  holt  halt  rieht  holt,  rieht  holt 
hält  pisewipüp,  pisewipüp  hält  lif  und  b§]  tösumen.  (Aus  dem  Pader- 
bomschen.)    Vgl  X.  preuss.  prov.-bl.  X.  293. 

V.    In  küche  und  stall. 

Der  rauch. 

1)7.    Langemann,  stangemann  langt  bet  an  em  bimmel  'ran. 
In  Pommerellen :    In   unserm   hause   ist   ein   mann,    langt  bis   an 
den  himmel  'ran. 

98.    Es  ist  was  in  unserm  haus, 

Das  ziehn  hundert  pferde  nicht  heraus. 

99.  Ein  brett  schwebt  und  schwankt  und  falt  doch  nicht  hernnter. 
In  Pommerellen:  Es  bewegt  und  schaukelt  sich  und  falt  usw. 

100.  Dat  perd  öm  stall,  de  zagel  op'm  straudack  (Strohdach). 

101.  Blauer  os  lockt  dat  himmelte. 

Das  feuer  und   der  rauch. 

102.  Ek'r  de  väder  jung  ward,  sott  de  sahn  op  em  soller1. 
1)  bodenraum. 

103.  Eh'  der  vater  geboren  war,  sass  der  söhn  schon  auf  dem 
dach  —  hatt'  der  söhn  schon  die  weit  begangen. 

In  Littauen:  Der  vater  ist  noch  nicht  geboren,  der  söhn  steint 
sieh  an  den  himmel.     Schleicher  198. 

Das  feuer. 

101.    Yogel  Wips,  hat  kein'  feder,  kein'  mutz'. 

Ist  doch  ein  vogel  Wips.  (Königsberg.) 

Der  hanklotz. 

105.    Ön  onsem  hüs  da  steit  e  mann, 

De  heft  mehr  wunde,  wi  det  ganze  derp  hunde. 
Ygl.  X.  preuss.  prov.-bl.  X,  292.     Simrock  II,  59. 

106.    Wat  het  mehr  wunde 

Als  ön  sewe  derper  hunde? 

Das  holz   (als  klotz,   wand  und   wiege). 
107.    Ter  e  dar  rund,  öm  hüs  bunt,  ön  e  stäw  e  wippop. 


252  H.    FHISCHBIEB 

Der  blasebalg. 

ION    Voll  und  leer,  was  gleich  schwer? 

Der  dreifuss. 

109.    Drei  jungfre  dräu«'  ene  kränz. 
In  Littauen:    Schwestern,  auch  fräulein  —  und  für  kränz  auch 
kränzlein.     Schleicher  195.     Vgl.  Simrock  II,  210. 

110.  Oben  schwarz  und  unten  schwarz,  aussen  schwarz  und  innen 

schwarz  —  und  steht  immer  auf  halb  sechs. 

Der  grapen. 

111.  Eene  holle  mdder,  dree  grade  dächter,  twee  kromme  sähns. 
Vgl.  Ztschr.  f.  d.  myth.  IIL  130.    Curtze  301.    Rochholz  258,  469. 

112.  Eene  holle  moder,  twee  kromme  vader,  dree  gräde  sähns. 
VgL  lione,  Anz.  VII.   267,   278:    Antwerpen;    es   tritt  hier  noch 

„hontei  Machiel"  (hölzerner  Michel,  d.  i.  löffel)  hinzu. 

113.    Et  heft  öhr  n  on  hört  nich, 
Et  heft  'neu  buk  on  ett  nich, 
On  göft  doch  jedem  wat  to  eten.  R.  Dorr  75. 

114.    Heft  öre  on  hört  nich,  heft  fet  on  geit  nich. 

115.    Dre  geselle  dräge  ene  höt. 

116.    Hat  drei  füsse  und  kann  nicht  gehen,    hat  zwei  obren  und 

kann  nicht  hören,  hat  einen  mund  und  kann  nicht  sprechen.     Äta  trzy 

oogi  a  nie  nioze  chodzic,  ma  dwa  uszy  a  nie  moze  slyszec,  ma  iedne. 

gebq  a  nie  nmze  gadac.     (Masuren.) 

Der  grapen   und   die  mohrrübe. 

117.  Sehwarze  ribbe,  rote  zibbe, 

Schwarzes  innerloch  kocht  man  immer  doch. 

(Jerrentowitz.) 
Der  kessel. 

118.  Rund  'röm  beschworke1,  ön  e  mödd  a wendrot. 

In  den  X.  prenss.  prov.-bL  VIII,  375:    Rund  herom  schwärt,  on 
ön  e  mödd  wie  awendrot     Ebenso  bei  Simrock  II,  144. 
1)  Bewölkt. 

119.  Von  bönne  blank,  von  bute  schwärt,  on  rund  wi  e  wägerad. 

120.  Sehwarte   kluck   huckt    op    rode   eier.     Der  kessel  auf  dem 

fener.     Vgl.  Simrock  H,  98. 

Der  topf. 

121.    Bnte  witt,  bönne  schwart. 


PREUßISCHE    V0LK8BÄT8EL  253 

Die  bratpfanne. 

122.  Yen  bönne  schwärt,  von  büte  schwärt,  lieft  e  lange  Peter  dran. 

Die  kaffeekann e. 

123.  Bei  (zu)  mir  komt  alle  morgen  eine  Jungfer  mit  einer  schwar- 
zen schürz'. 

Der  zuckerhnt. 

124.    Blauet  Med,  wittet  liw. 

125.  Weiss  am  leib,  blau  am  kleid,  süsse  liebe,  meine  freud". 
Wer  dies  rätsei  kann  erraten,  der  soll  kriegen  einen  dukaten; 
AVer  es  kann  wissen,  soll  die  schönste  Jungfer  küssen. 

126.  Bowen  spetz  on  ungen  bret,  derch  on  derch  voll  sötigket; 
Witt  am  liw  on  blau  am  kled,  klene  kinger  grote  fred. 

Yiolet,  Neringia  200,  13.     Vgl.  Meier  287.     Rochholz  2G0,  481. 

482.     Simrock  I,  25. 

Der  backtrog. 

127.  Holl  os  möt  ver  hörn  er,  wat  ös  dat? 

128.  Mank  (twösche)  twe  barg'  liggt  e  afgestrept  kau. 
Der  brotteig  im  backtrog.     Vgl.  Simrock  I,  408. 

Der  brotteig  und   die  kneterin. 

129.    Wat  unde  liggt,  dat  gicht  gicht  gicht, 

Wat  bawe  liggt,  dat  kicht  kicht  kicht; 

Wat  unde  liggt,  dat  wöll  noch  mehr, 

Wat  bawe  liggt,  dat  kann  nich  mehr. 

Var. :  Von  bawe  geit  et  kicht  kicht  kicht,  von  unde  geit  et  gicht 

gicht   gicht;     dat    underschte    wöll    noch    mehr,     dat    bawerschte    kann 

nicht  mehr. 

Das  Schwarzbrot. 

130.  Schwärt  wri  de  diwel  on  schmeckt  wi  doli. 

Das  butterfass. 

131.  Et  rompelt  on  strompelt  ön  e  holle  kapelT. 

Der  besen. 

132.  Brün  lniDclke  geit  alle  dag  ön  e  stäw  on  schnüffelt  alle  win- 
kelkes  üt.     Vgl.  Simrock  II,  146. 

133.  Alle  morgen  komt  'ne  dam'  'rein  und  macht  alle  winkel  rein. 

134.  Ist  ein  mädchen,    tut  schirscharr  und   macht  doch  alle  jähr 
seinen  dienst  zurecht 


254  H.    FR1SCHBIKR 

Der  abgennzte  besen. 
135.   E>  steht    eine  Jungfer   im  winkel    im   zerrissnen   Jäckchen. 
Stoi  Panna  w  kaeiku  w  odrapanym  kabaeiku.  (Masuren.) 

Die  laterne. 
L36.    Kin  tonn  hat  ein  löchrig  dach. 
Vier  fenster  sind  darein  gemacht. 
Nicht  dass  herein  scheinen  mag  der  tag, 
Nur  dass  der  mann  sich  umsehen  mag. 

137.    Öck  ging  e  mal  op  korke1, 
De  hinimel  wör  besehworke, 
De  erd'  wör  äwendrot. 
Der  redende  trug  eine  laterne.  l)  Korkon,  pantoffeln. 

Die  häcksellade. 
138.    Von  hinde  frett  et,  von  vere  schett  et. 

Der  sattel. 

139.  Et  lieft  gegrint  on  grint  nich  mehr, 
Et  heft  gelewt  on  lewt  nich  mehr 

On  kann  doch  noch  liw  on  seel  terdräge. 
Var.  3:  Et  ös  flesch  on  dräggt  flesch. 

140.  Wat  dräggt  blot,  wat  drückt  biet 
On  heft  doch  kein  blot? 

Vgl.  Rochholz  264,  145.     Simrock  II,  G0. 

141.  Höher  als  ein  pferd,  niedriger  als  ein  seh  wein,  schwärzer 
als  ein  bar.     (Pommerellen.) 

142.  Oben  beseelt,  unten  beseelt,  mitten  nnbeseelt. 
(Reiter,  pferd  und  sattel.) 

Die  deichsei. 
143.    Um  wöld  gewasse,  von  mönsche  gebäge,  von  perd'  getäge. 

Die  Wagenräder. 
144.    Ver  jungfre  gripe  söck  on  krige  söck  mindäg  nich1. 
1)  mindäg  nich.  mein  tago  nicht  =  niemals. 

Variante:  Yeä  brödakes  renne  vom  barg  on  könne  söck  nich 
tahäle.  (Gerdanen.)  —  Es  laufen  vier  briider  um  die  wett',  bekomt 
einer  den  andern  nicht.  —  Vier  jungferchen  gehn  weinend  über  fehl. 
(Pommerellen.)  —  R.  Dorr  74  (mit  der  lösung:  mühlräder):  Ver 
oole  jdngfern  griepen  sik  on  krien  sik  nich.  ßoehholz  261,  48G  hat 
ein  ähnliches  rätsel  mit  i\<'\-  lösung:  Stäbe  des  garnwendels.  Bei  Sim- 
rock I,  404:  Windmühlenflügel.     Vgl.  321. 


PRRT7SSISCHE   VOLKSRÄTSEL  255 

145.   Nage  juogfre  gripe  Bock  <>n  krige  söck  nernich. 

Der  schütten. 


140.   Gewiggelgewaggel  äwer  de  Brügg' 
Hadd  twei  sid'  on  keim.'  rügg\ 
Var.  1:  Pitschpatsch  ging  äwer  de  brügg'  usw.  Vgl.  Simrock  II,  L5. 


VI.    In  hof  und  feld. 

Die  pumpe. 

147.  Et  steit  e  mannke  op  cm  hoff  — 
Packt  man  em  an  't  gewösse, 
Dann  fangt  hei  an  to  püsse. 

148.  Es  ist  gebunden  und  gebogen 
Und  wird  am  zagel  gezogen. 

Der  bienenstock. 

149.  Ver  onsem  hüs  steit  e  61  klüs. 
Se  schite  'rön,  se  seiche  Tön 

On  se  weke  doch  det  lewe  brotke  'rön. 
Vgl.  Simrock  I,  116. 

150.  Längs  dem  buk  geit  e  stig, 
Ver  't  loch  ös  krieg, 

Öni  loch  ös  krieg  on  järmarkt 

Der  nachtstuhl. 
151.    Hölterne  topp  on  e  flescherne  deckel. 

Die   ochsen,   der  pflüg  und   der  pflüger. 

152.   Vere  lewt  et,  ön  e  mödd  es  et  döt 

On  binde  ett  et  dwargebrot1.  ( Königsberg.) 

1)  Dwarg,  m.,  hochd.  zwerg,  ein  kleiner  quarkkäse. 

Die  pflugmesser. 

153.  Twei  blanke  diiwkes  krupe  (gäne)  andre  erd. 
Vgl.  Simrock  II,  208. 

Die  pflugschleife. 

154.  Es  liegt  eine  Jungfer  am  wege,  breitet  arme  und  beine  aus. 
Masurisch:    Lezy  panna  kole  drogi,    rozlozyla  rece   i  nogi.     (Die 

schleife,    worauf  man   den  pflüg  aufs  feld  bringt,    wird  gewöhnlich  an 

den  weg  gelegt.) 


256  H.    FR18CHBI1H 


Die   QggQ. 


155.   Hackerdacker  rent  äwer  't  acker 
Od  hadd  solke  feet  wi  de  diwel  sölwst. 

156.    öckerdemöcker  de  ginge  öckerc, 

Hadde  feet  wi  de  diwel.  (Angerburg.) 

l.~>7.    Hanterlatanter  geht  über  das  Land, 

Hat  keiner  mehr  füss'  als  Hanterlatanter.   (Jerrentowitz.) 

158.  Hölterne  sü  möt  iserne  tötte. 

Das  Viergespann. 

159.  Ver  rüge  fälle,  ver  runde  rälle, 

Een  klitschklatsch,  klingbide]  on  schnappsack. 
In   den   X.  preuss.  prov.-bl.  VIII,  376:    Veer  rüge    nonne,    veer 
rtonne,    een  schwickschwack   on  ok  e  dudelsack.  —   Vgl.  Müllenhoff 
508,  23.     Ztschr.  f.  d.  myth.  III,  186.     Firmenich  III,  503:  Soldin  in 
der  Neumark.     Rochholz  263,  503.  504.     Simrock  I,  103. 

160.' Ver  rilleralle,  ver  schickeschalle,  en  pitscheknalle. 

(Jerrentowitz.) 
Pferd  und  wagen. 

161.    Klippermann  und  Klappermann  rennen  einen  berg  hinan; 

Klippermann  rent  noch  so  sehr,  Klappermann  komt  doch  noch  eh'r. 

(Liebstadt.) 
Reiter  und  pferd. 

162.    Zwei  köpfe,  zwei  arme,  sechs  füsse,  vierzehn  zehen  — 
AVie  kann  man  drauf  gehen? 

163.    Zwei  köpf  und  nur  zwei  arme, 
Sechs  füsse  und  nur  zehn  zehen, 
Vier  füsse  nur  im  ganzen  — 
Wie  ist  das  zu  verstehen?  (Dönhoffstädt.) 

Vgl.  Müllenhoff  508,  22.     Meier  343.     Rochholz  207  u.  203,  503. 
Simrock  I,  101. 

161.    Dat  öck  ver  (an)  di  sta,  dat  sitst  du, 
Dat  öck  op  di  wöll,  dat  wetst  du; 
Öck  op  di,  du  under  mt  — 
Öck  hebb  e  ding,  dl  stek  öck  di. 
Yar.:  öck  sta  ver  di,  dat  sitst  du;  öck  mot  op  di,  dat  wetst  du; 
öck  op  di.    du  under  mi.   öck  hebb  e  par  dingcr  de  kedle  (kitzeln)  di. 
X.  pr.  prov.-bl.  X,  292.  —   4:  ...  dat  steckt  di.     Vgl.  Ztschr.  f.  d.  myth. 
III.  187.     Simrock  II,  61. 


PREUSSISCHE   VOLKSRÄTSEL  257 

Der  bach   und   die  wiese. 

165.   Krommöm,  Krommöm,  wo  wölst  du  hen? 

Kaigeschöre,  Kälgeschöre,  wat  fragst  danä? 
So  auch  in  der  grafschaft  Mark.     Vgl.  Ztschr.  f.  d.  myth.  III,  179. 
Var. :   Krommonscheef,  wo  göist  du  hen?     Kälafgeschoarne,  wat  fragst 
du  danä? 

1G6.    Krommrom ,  wo  geist  du  hon? 

Beschörnet  schäp,  wat  fragst  du  mi? 

Öck  si  nich  so  kal  geschfire, 
Wie  diu  narsch  ös  togvfnuv. 
Die  Unterhaltung  geschah  im  winter.  —    Ähnlich  bei   Meier  282. 
Firmenich  III,  195:  Solingen.    Rochholz  248,  431.    Simrock  II,  13.  14. 

Die  stoppeln. 
167.    Mehr  lächer  op  e  erd  als  stein'  am  himmel. 

Die  mühlenflügel. 

168.    Vor  Jungfern  gripen  sick  dagdäglich 
On  krigen  sick  sindäg  nich. 
Danziger  Nehrung.     Violet  199,  4. 

Die  mühlsteine. 

169.    Twei  Düwkes  plöcke  sock,  on  körnt  wittet  blot  rat 
Var.:    Et  wäre  twei  häse,    de  plöckde  söck,    on  rend  wittet  blöt. 
Vgl.  Simrock  II,  209. 

YIL     Der  weltlauf. 

Das  jähr. 

170.    Et  steit  e  böm  op  hogem  fest, 
Därop  sönd  tweeonföftig  nest', 
Ön  jedem  nest  sönd  sewe  junge  — 
On  wer  dat  rat't,  dat  ös  kein  domin  er. 
N.  pr.  prov.-bl.  X,  291.     Var.:  Es  steht  ein  bäum  in  hoher  fest, 
der  bäum  hat  zweiundfunfzig  äst',    und  jeder  ast  usw.    (Plimballen.) 
—  Ebenso,  nur:   ,,auf  erden  fest."  (Dönhoffstädt.)  —  Geschichtliches 
über  dies  rätsei  gibt  Rochholz  242,  419.     In  prosa  bei  Simrock  I,  376. 

171.  Hinder  onsem  hüs  steit  e  bom  on  heft  tweionföftig  äst'  on 
op  jedem  ast  sewe  bläder.     N.  pr.  prov.-bl.  VIII,  372. 

172.  Mein  vater  hat  ein  gleiches  feld,    auf  dem  felde  steht  eine 
eiche,  die  eiche  hat  zwölf  äste,  auf  jedem  ast  sind  vier  kleine  äste. 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.     DD.  XXIII.  1  * 


258  H.    FRISCHB1EB 

Littauisch:    Mano   Tiewas   tur   ligus   laukius,    tarne  lauke  auzolas, 
tarne  auzole  dwilika  szaku.  inzikien  szaka  keturios  szakeles.  LepnerllS. 

Die  vier   demente. 

17;"!.    Vier  brüder  sandte  gott  in  die  weit. 

Der  erst«'  läuft  und  wird  nicht  matt, 

Der  zweite  frisst  und  wird  nicht  satt, 

Der  dritte  frisst  und  wird  nicht  voll, 

Der  vierte  pfeift  und  rast  wie  toll. 

X.  pr.  prov.-bl.  X,  291.  —  In  der  Schweiz  begint  das  rätsei:  Es 

seit  de  gross  Alexander,   es  laufet  viere  mit  enander  —  und  schliesst: 

de    viert    blos't    und    s'tönt    nit    wol.      Rochholz  243,  420.     Vgl.  Sim- 

rock  I.  2. 

Sonne  und  mond. 

174.    Zwei  dinge  gehn,  zwei  dinge  stehn. 

Zwei  dinge  kommen  immer  wider. 

Vgl.  Rochholz  244,  422;  lösung  auch:  himmel  und  erde  —  holz 

und  wasser  —  tag  und  nacht  —  abend  und  morgen.    Mone,  Anz.  VII, 

261,  1S4.     Simrock  II,  38. 

175.  Es  kröpt  dorch  e  tun  on  ruschelt  nich,    et  fölt  ön  't  water 
on  plompst  nich. 

Lösung    auch:     der    schatten.      Bei  Rochholz   244,    421:    's  geht 
durch 's  wasser  gmach  und  ruschet  nit  im  bach. 

Sonne,    mond  und  sterne. 

176.  Schön  ist  das  wiesental,  schön  sind  die  schafe  dran, 
Schön  ist  der  hirt,  der  die  schafchens  hüt't, 

Xoch  schöner  der  dieb,  der  die  schafe  stiehlt.    (Gerdauen.) 

Der  himmel  mit  den  Sternen  und  dem  monde. 

177.  Schwärt  lake  gespreet1,    witt  arfte  geseet2, 
Ön  e  mödd  ös  e  schiw. 

1)  Gespreitet     2)  gesäet. 

Die   erde. 

17S.    Meine  mutter  hat  viele  kinder,    sind   sie  gross,   verschlingt 

sie  sie. 

Der  wind. 

179.    Hinter  meinem  hause  geht  es  immer  husch  husch  husch. 

ISO.    Zackerbacker  geit  längs  det  acker, 

Brölt  wie  e  bär,  lieft  kein  hüt  on  kein  här.  (Szillen.) 
181.    Hier  und  da  allerwegen, 

Wo  man  nicht  kann  das  pfund  auswägen. 


pbeussische  volksrätsel  259 


Der  regenbogen. 


182.     Hochgehäwe,  kromgebäge,  wunderlich  erschaut*. 
Vgl.  Ztschr.  f.  d.  myth.  III,  181.     Simrock  I,  405. 

183.   Rot,  gelb,  grün  — 

Rätst  du  mich,  so  nehm'  ich  dich; 
Rätst  du  V  in  vier  woehen, 
So  sind  wir  beid'  versprochen; 
Rätst  du's  um  ein  halbes  jähr, 
So  sind  wir  beid'  ein  ganzes  paar. 
N.  pr.  prov.-bl.  X,  294.     Vgl.  Curtze  297.     Simrock  II,  64. 

Der  regen. 

184.  Et  lieft  noch  nie  twei  dag'  nau  enander  geregent. 
Weil  eine  nacht  zwischen  zwei  tagen  liegt. 

185.  Auf  dem  lehme  läuft  er,  in  dem  sande  geht  er  ohne  Spek- 
takel. Po  glinie  tylko  plynie, 

Na  piasku,  bez  trzasku.  (Ilasuren.) 

Das  eis. 

186.  Es  ös  e  brügg,  de  heft  kein  mönsch  gemakt;  se  ös  nich 
von  steen,  ok  nich  von  holt,  on  könne  doch  mönsche  on  peerd  drä- 
wer  gäne. 

187.  E  öler  korw,  e  nüer  deckel.     (Ein  zugefrorener  teich). 

Der  eiszapfen. 

188.  Hinger  onseni  hüs  hängt  de  Kruckelkrus, 
Wenn  nu  fangt  de  sonn'  to  schine, 
Fangt  de  Kruckelkrus  to  grlne. 

189.  Rond  om  onse  hüs  Kriggelkraggelkrüs. 
Wenn  de  sonne  schint,  desto  doller  grint 
Kriggelkraggelkrüs  rond  om  onse  hüs. 

Yar.  2:  Statt  Kruckelkrus  und  Kriggelkraggelkrüs:  Kuckernüs. 
Anger  bürg.  —  Kringkrangkrüs.  Wehlack.  —  Kunkelfüs  —  Komkel- 
füs  —  Peter  Krüs  (Kraus).  —  In  der  grafschaft  Mark:  Kuckeldiuse. 
(Ztschr.  f.  d.  myth.  III,  ISO),  im  fürstentum  Waldeck:  Gringeldegruse 
(Curtze  297).  —  3:  Je  mehr  (je  doller)  de  lewe  sonke  schint,  je  mehr 
usw.  grint.  —  Fiedler  43.     Rochholz  254,  453.  454. 

190.  Sonke  schint,  Bommelke  grint.     (S/illen.) 

Der  schnee. 

191.  Ich  bin  glänzend,  weiss  und  rein,  aber  schmutzig  hinter- 
drein.    Vgl.  Simrock  I,  72. 

17* 


260  11.    FRISCHBIER 

192.    Et  war  e  mal  e  mann  von  Hacketecke, 

De  hadd  e  wittet  llke  ob  wull  de  ganze  weit  bedecke, 
On  kern  nieli  äwert  wäter. 
Var. :   Kern  e  mannke  von  Höckepöcke,   had  e  grötet  läke,  knnn 
de  ganze  weit   bespanne,    kunn   nich   äwert   water.    (Gerdauen.)     Vgl. 
Müllenhoff  505,  2.      Fiedler  47.      Firmenich  III,   146:    Hameln.     Sim- 
rock  1.  L18. 

193.    Komt  ein  (der)  vogel  Federlos, 
Setzt  sich  auf  den  bäum  Blattlos, 
Komt  die  Jungfer  Mundlos 
Und  frisst  den  vogel  Federlos 
Vom  bäume  Blattlos. 
Der  sclinee  und  die  sonne.  —    In  Littauen:    Kam  geflogen  ein 
vogel  von   osten   und  sezte  sich  auf  einen  bäum  ohne  äste;    kam   eine 
Jungfrau   ohne  füsse   und  verzehrte   ohne  lippen  den  vogel.     Schleicher 
208.   —     Vgl.  Hüllenhoff  504,   1.     Meier  306.     Fiedler  42.      Simrock 
I.  62.  —  Schon  im  „Reterbüchlein"  vom  j.  1562.    (Mone,  Anz.  II,  311.) 

194.  Was  hat  keinen  hintern  und  sizt;  was  hat  keine  zahne  und 
beisst?  Der  schnee  und  frost.  Masurisch:  Co  dupy  nie  ma,  a  siedzi, 
co  zebow  nie  ma  a  kasav 

VIII.     Vermischtes. 

Das  ABC. 

195.  Es  sind  fünfundzwanzig  Soldaten, 
Die  weder  kochen  noch  braten, 
Und  über  den  Rhein  marschieren, 

Um  die  menschen  zur  klugheit  zu  fähren. 

In  der  mundart  der  Danziger  Nehrung  bei  Violet  199,  2.    Roch- 

holz  265,  517. 

Der  buchstabe  D. 

196.  Öck  sach  fäss,  fif  ok  sess, 

Ver  ok  dre  —  Wi  vel  fet  hadd'  de? 
D  hat  keine  füsse.     N.  pr.  prov.-bl.  X,  290. 

Der  buchstabe  L. 

197.  De  könig  lieft  et  nich,  de  kaiser  ock  nich, 

On  sine  Soldaten  hewen  et  altumminliclien  mal. 
Violet  199,  3.     Ähnlieh  bei  Rochlmlz  266,  519. 

Der  buchstabe  M. 

198.  Man  findet  es  im  schäum,  doch  nicht  in  dem  bier; 
Man  findet  's  in  jedem  bäum,  doch  nicht  in  der  linde; 


PREU88I8CHE   VOLKSRÄTSKL  261 

Der  mann  trägt's  vorne  an.  die  dame  in  der  mitte; 

Bei  mädchen  tritt  man's  an,  bei  Jungfern  ist's  nicht  sitte. 

Der  buchstabe  R 

199.    Es  ist  ein  ding  in  Kurland, 

Das  man   nicht  find'!   in  Holland; 
Die  Schweden  und  diu  Schwaben, 
Die  können  das  diu-'  nicht  haben; 
Bei  Jungfrauen  ist's  zu  finden, 
Die  weiber  haben  es  hinten. 
Aus  Dönhoflstädt  mitgeteilt.     In  Schwaben  heisst  es:    Meissen 
Preussen  —  Holland  —  Brabant.     Meier  318. 

200.  Katen,  raten,  können's  raten  — 
Dieses  ding  steckt  in  dem  braten, 
Nicht  in  der  haut, 

Sondern  in  der  braut. 

Nicht  in  Wien, 

Sondern  in  Berlin. 

Berlin  ist  eine  grosse  stadt, 

Die  dieses  ding  nur  einmal  hat; 

Soll  mich  der  kukuk  holen, 

Dies  ding  steckt  nicht  in  Polen! 

Der  buchstabe  T. 

201.  Die  tochter  hat's  vorne, 
Die  mutter  hat's  doppelt, 

Der  vater  in  der  mitte.  (Gerdauen.) 

Hundenamen. 

202.  Es  kam  die  frau  von  Thielen 
Den  rechten  weg  nach  Mühlen, 
Sie  hatte  bei  sich  einen  huncl 

Und  gab  ihm  den  nanien  aus  eignem  mund: 
Also.     Wie  hiess  der  hund? 

203.  Kaiser  Karl  hatt'  einen  hund, 

Dem  gab  er  einen  namen  aus  seinem  mund, 

Also  hiess  kaiser  Karl  seinen  hund. 

Wie  hiess  der  hund? 
Ebenso  bei  Meier  286.     SimrockI,  42.   Ygl.Mone,  Anz.VII,  265, 
245.     267,   279.      371,   287:    Antwerpen.   —     In    den  N.  pr.  prov.-bl. 
YIII,  378  in  folgender  fassung: 


_     _  H.    FRISCHBIER 

Kaiser  Karolus  harre  einen  lmncl, 

Kr  gab  ihm  den  namen  mit  (selbst  ans)  seinem  mund:* 
Wie  hiess  kaisei  Karolus  sein  lunul? 
Die   Lösung  ist  hier  Wie,    auch   Selbst.     Das   nitsel   tritt   auch 
ganz  kurz  auf:  Kaiser  Karolus  hatt'  einen  hund.    Wie  hiess  der  hund? 

20  i.    Ich  war  einmal  da, 
Bei  meinem  papa, 
Da  war  ein  klein  hündchen, 
Das  spielt'  mit  mir, 
Sein  name  war  dreimal  genant 
Wie  hiess  der  hund? 
Der  hund  hiess  War. 

205.    Paulus  sass  am  feuer  und  Pfiff. 
Aber  Paulus  pfiff  nicht. 
Sondern  Paulus  sass  am  feuer  und  Pfiff. 
Der  hund  hiess   Pfiff.     (Gerdauen.)     Vgl.  Simrock  II,  68. 

Und. 
'Jim;.    Niemand  (.)  Und  (.)  Keiner  wohnten  in  einem  haus. 
Niemand  gieng  aus,  Keiner  ritt  aus  — 
Wer  blieb  zu  haus? 
Var.:  Keiner.  Und.  Niemand  bewohnten  ein  haus.     Keiner  gieng 
aus.   Niemand  fuhr  aus.     Wer  blieb  zu  haus?  —  Vgl.  Simrock  I,  44. 

Beim   schreiben. 

207.    Drei  blinde  führen  einen  lahmen, 

Der  lahme  bestreut  bei  jedem  tritt  und  schritt 

Das  \\ei>se  land  mit  schwarzem  sand.       (Jerrentowitz.) 

Das   papier  und   die   schrift. 

208.  Witt  acker  opgeplegt,  schwärt  sät  'rop  gcsegt; 
Wenn  e  narr  vabigeit,  wet  he  nich,  wat  drop  steit. 

Vgl  Rochholz  266,  523.     Simrock  I,  133. 

209.  Der  acker  ist  ehrenwert,  die  saat  ist  wundernswert. 
[ittauisch:   Paczestna  dirwa,  dywna  sekla.     Lepner  118. 

Der  brief. 
210.    Auf  einer  weissen   bürg  steht  eine  rote  rose. 
Willst  du  die  schwarzen  männer  sprechen, 
liusst  du  die  rote  rose  brechen. 
Vgl.  Curtze  300. 


PHEUSSISCIIE   V0LKSRÄT8KL  203 

211.    Es  schwimt  eine  rote  rose 
Auf  einem  weissen  see. 
Willst  du  die  schwarzen  fischlein  sprechen, 
Musst  du  die  rote  rose  brechen. 
Vgl.  Simrock  II,  23. 

212.  In  einem  weissen  see  schwimt  ein  rotes  schiff  lein ,  in  dem 
see  sind  viele  schwarze  fischlein. 

Das  bild    (portrait.) 

l'13.  Si  öck  jung,  so  bliw  öck  jung;  si  öck  61t,  s<>  bliw  öck  61t 
Öck  hebb  öre  on  kann  nich  höre,  öck  hebb  <•  näs  on  kann  oich  rike, 
öck  hebb  oge  on  kann  oich  sene,  hebb  e  mül  on  kann  nich  rede. 
Öck  si  e  mönsch  on  bliw  e  mönsch  on  si  doch  kein  mönsch. 

Vgl.  Simrock  II,  40. 

Das  kartenspiel. 

214.    Es  ist  ein  reich  von  vier  provinzen, 
Ein  jedes  reich  hat  seine  prinzen, 
Es  geht  alles  auf  hauen  und  stechen, 
Kein  fremder  hat  darin  zu  sprechen. 
Da  pflegt  die  frau  den  mann  zu  schlagen, 
Es  gelit  alles  auf  glück  und  wagen; 
Das  glück  hat  wen'ge  reich  gemacht, 
Doch  aber  viele  in's  verderben  gebracht. 
N.  pr.  prov.-bl.  X,  293.     Vgl.  Simrock  II,  63. 

Die  glocke. 

215.  Es  haut  tag  und  nacht  und  bekomt  doch  niemals  späne. 

(Pommer  eilen.) 

216.  Öck  red  Ine  tung,  öck  rop  äne  hing; 

On  Ine  senn  un  verstand  mäaek  eck  doch  freid  un  leid 

Violet  200,  12.  '  bekant. 

Die  geige. 

217.  Öck  si  öm  wöl  gebore  ok  opgewasse  on  kam  to  hus  tom 
grine. 

218.  Üt  em  wöl  gehalt,  öm  perdstall  gefalt; 

Öm  schäpstall  gelämmat,  körnt  ön  e  staw  gedämmat. 
Var. :    Ut  em  wöl  gehält  (geholt),    öm   stall  gefohlt,    öm  stall  ge- 
lamt,  huckt  am  dösch  (öm  winkel)  on  granst.     (Dönhoffstädt.)  —  Ut 
em  wöl  gehält,    öm  kobbelstall  gefalt,    huckt  am  dösch   on  grint;    alle 
mönsche,  dei  es  höre,  renne  davon.     (Schippenbeil.) 


264  H.    FRISCHBIER,    FREUSSISCILE   VOLKSRÄTSEL 

Die  gewehrkugel. 

219.  Flog  en  vagel  wiet  von  hier,  hadd  en  zage]  von  papier, 
Eadd  en  tsernet  bucksken,  gott  bewahr  min  klucksken, 

Violet  198,  1. 

Der  weg. 

220.  Länger  als  ein  bäum,  länger  als  Länder,  niedriger  als  gras. 

(Pommerellen.) 

221.    Wat  ös  weg,  wat  blöft  weg. 
( >s  dag  on  nacht  weg, 
On  jedermann  sitt  et  doch? 
X.  pr.  prov.-bl.  X,  29-1.     Vgl.  Simrock  II,  65. 

Das   loch. 
222.    Je   mehr   man   zulegt,    desto   kleiner  wird's;    je  mehr  man 
abnimt.  desto  grösser  wird's.     Vgl.  Rochholz  265,  511. 

Das  schiff  auf  see. 

223.    E  vagel  flog  stark  äwer  e  lange  mark, 

Hadd  ön  sin  kropp  fif  tonne  hopp', 

Fif  tonne  win,  ok  e  fett  schwin  — 

Wer  dit  rätsei  rade  wöll,    (dem)  gew  öck    fif  tonne  hoppe,   fif 

tonne  win  ok  e  fettet  schwin. 

X.  pr.  prov.-bl.  VIII,  376.     Bei  Müllenhoff  507,  14:  Da  flügt  en 

vagel   stark   twischen  hier    un  Dänemark   usw.    —    Vgl.  Rochholz  229. 

Simrock  I.  -158. 

22-1.    Flog  e  vagel  stark  äwern  langen  markt. 

Wat  hadd  hei  ön  sinem  kropp?  tien  (fif)  tonnen  hopp', 

Tien  (fif)  tonnen  ber,  schnider  möt  de  scher, 

Müerer  möt  de  kell  —  wer  dat  rat,  ös  junggesell. 

(Westpreussen.) 

Var.  4:  Öss  e  braver  murer -junggesell.  —    R.  Dorr  77.    —    Ein 

ähnliches   rätsei  mit   der  lösung:    hahn,  wetterhahn    bei  Rochholz  229, 

379  und  230,  380. 

Der  alf  (drache). 

225.    Es  fliegt  ein  vogel  von  hier,  hat  'nen  zagel  von  papier. 

Die   kanzel   und   der  prediger. 
226.    Oben  spitz  und  unten  spitz. 

In  der  mitt'  ein  schwarzes  männlein  sizt. 

K<'>M<rSBERG    I.    PR.  H.    FRISCHBIER. 


265 

WOETSPALTDNGEN  AUF  DKM  GEBIETE  DEK  NEUHOCH- 
DEUTSCHEN SCHEUT-  UND  VEEKEHESSPEACHE. 

In  dem  gegenwärtigen  bereiche  der  deutschen  spräche  koml  es 
nicht  selten  vor,  dass  ein  wort  mit  einem  andern,  von  dem  es  nach 
form  und  bedeutung  mehr  oder  weniger  sich  entfernt,  in  solcher  ver- 
wantschaft  steht,  dass  beide  als  ein  und  dasselbe  ursprüngliche  wort 
zu  betrachten  sind.  Bei  einem  gewissen  teile  dieser  Wörter,  besonders 
da,  wo  vermöge  eines  unberechtigten  onterscheidungstriebes  «las  orga- 
nische Verhältnis  der  Schreibung  verlezt  worden  ist,  hat  sich  die  dop- 
pelte gestalt  zu  einigem  schaden  festgesezt,  und  es  mögen  einzelne 
unter  ihnen  auf  historischem  wege  noch  wider  zur  einheit  zurück- 
gebracht werden  können;  andere  dagegen,  die  bei  weitem  grössere  zald, 
haben  durch  die  Spaltung  in  zwei  und  drei,  ja  selbst  vier  bestirnt 
geschiedene  formen  der  spräche  einen  nicht  unwesentlichen  nutzen 
gebracht.  Die  formelle  abweichung  geht  bisweilen  sehr  bemerkbar  dem 
abstände  der  begriffe  voraus;  es  ist,  als  ob  eine  form  nicht  zum  über- 
fluss  in  der  spräche  verweilen  soll,  wenn  ein  platz  offen  ist,  den  sie 
mit  Selbständigkeit  behaupten  kann.  Durch  einen  solchen  Vorgang  wird 
zugleich  dem  nächst  benachbarten  worte  eine  schärfere  und  in  man- 
cher hinsieht  vorteilhafte  begrenzung  zu  teil.  Ein  anderer  fall  zeigt 
sich,  wenn  auf  irgend  eine  weise  im  laufe  der  spätem  zeit  eine  form 
Veränderung  erlitten  hat  und  nun  das  gleichsam  neu  entwickelte  wort 
neben  dem  altern  in  abweichender  bedeutung  fortgilt.  Eine  besondere 
art  bilden  diejenigen  doppel Wörter,  von  denen  das  eine  dem  hochdeut- 
schen angehört,  das  andere  entweder  aus  der  niederdeutschen  mundart 
oder  anderswoher,  sei  es  mit  fug  oder  unfug,  eingang  in  die  spräche 
gefunden  hat.  Selbständiger  stehn  die  niederdeutschen  Wörter  da,  und 
ihrer  geltung  liegt  in  der  regel  ein  unabweisliches  bedürmis  zu  gründe; 
aber  auch  die  andern,  welche  namentlich  aus  der  französischen  spräche, 
wohin  sie  früh  gewandert  waren,  in  die  deutsche  heimgekehrt  sind, 
dürfen  die  anfmerksamkeit  eines  jeden,  der  mit  ihnen  zu  verkehren 
gewohnt  oder  genötigt  ist,  in  ansprach  nehmen.  Endlich  komt  eine 
ansehnliche  reihe  eigentlicher  fremd  Wörter  in  betracht,  die  einesteils 
ein  gemeingut  aller  geworden  sind,  andernteils  entweder  vorzugsweise 
als  terminologische  benennungen  der  wissenschaftlichen  spräche  des 
gelehrten  angehören,  oder  als  unentbehrliche  begleiter  des  conventionel- 
len  unterhaltungstones  zu  gelten  pflegen.  Ausgeschlossen  bleiben  die- 
jenigen Wörter,  welche,  obwol  einander  aufs  allernächste  verwant,  doch 
keine  einheit  in  sich  selbst  bilden,   Avie   trank  und  trurik,    wache  und 


26(5  ANDBBSKN 

wacht,  gewinn  und  gewinst;  ferner  solche,  die  keinen  merkbaren 
unterschied  der  bedeutung  aufzuweisen  vermögen,  wie  erle  und  euer, 
fohlen  und  fallen,  gatter  und  gitter. 

In  der  altern  grammatik  hat  man  es  als  einen  besondern  vorteil 
betrachtet,  wenn  der  gebrauch  einem  werte,  das  sich  in  zwei  bedeu- 
tungeu  spaltet,  zu  bequemerer  Unterscheidung  eine  doppelte  gestalt  ver- 
lieh. Dass  dadurch  vielleicht  ungleich  wichtigere  rücksichten  verlezt 
wurden,  blieb  meistens  unbeachtet.  Zwar  gilt  nicht  alles  mehr,  was 
in  dieser  richtung  beliebt  worden  ist;  es  komt  sehr  darauf  an,  wann 
dergleichen  unorganische  Unterscheidungen  in  der  spräche  platz  gegrif- 

d  und  wie  lange  schon  sie  so  gut  wie  unbestritten  in  derselben  ver- 
weilt haben.     Falt  die  änderung  in  eine  jüngere  zeit,    so   hat  sie  auch 

gelmässig  wider  weichen  müssen,  nachdem  eine  gesundere  sprach- 
anschauung  zur  anerkennung  gelangt  war,  z.  b.  die  trennung  des  adj. 
gahr  vom  adv.  gar;  auch  irol  und  wohl,  deren  Scheidung  von  der 
philosophischen  grammatik  empfohlen  worden  ist.  sind  neben  einander 
nicht   mehr  geläufig  oder  scheinen  es  vielmehr  nie  recht  gewesen  zu 

in.  Dagegen  gilt  heute  überall,  von  der  bewusten  gewohnheit  ein- 
zelner sprachgelehrten  abgesehen,  zwischen  der  präp.  wider  und  dem 
adv.  wieder,  welche  eigentlich  dasselbe  wort  sind,  ein  zwar  früher, 
jedoch  erst  im  17.  Jahrhundert  durchgedrungener  unterschied  der  Schrei- 
bung. Älter,  praktisch  nützlich  und  bequem  ist  der  abstand  von  dass 
und  das,  deren  ursprüngliche  identität  sich  im  niederdeutschen  auch 
äusserlich  erkenbar  erhalten  hat:  während  es  verwerflich  erscheinen 
muss.  dem  adv.  von  bloss,  welches  erst  in  der  nhd.  sprachperiode  auf- 
_  kommen  ist.  einfache>  s  zu  verleihen,  oder  anstatt  bisschen}  wenn  es, 
wie  gewöhnlich,  ..ein  wenig"  bedeutet,  bischen  (vgl.  die  vielen  Nord- 
deutschen geläufige  ausspräche  ..bi- sehen")  zu  schreiben.  Wie  sich  im 
französischen  on  auf  komme  oder  richtiger  auf  dessen  acc.  hominem 
stüzt.  so  sind  im  deutschen  das  abstrakte  pron.  n/au  und  das  konkrete 
subst  aiaan  im  Ursprung  eins:  die  algemein  herschende  Scheidung  folgt 
aus  der  für  das  neuhochd.  geltenden  lehre  von  der  Verdoppelung  der 
auslautenden  konsonanz  nebst  den  ausnahmen. 

Wenn  der  unterschied  zwischen  dass  und  das  bloss  graphisch 
zum  ausdrucke  gelangt  ist,  so  haben  die  genetive  des,  der  und  der 
dativ  plur.  d, ,,.  für  den  substantivischen  gebrauch,  d.  h.  für  die  fälle, 
dass  das  pron.  allein,  ohne  subst.  steht,  eine  Verlängerung  erfahren, 
welche,  almählich  fortgeschritten,  heute  als  regel  gilt:  die  gen.  sing. 
des    und    da  der  und  deren,    die  dat.   plur.  den    und  denen   sind 

daher  Zwillingswörter;    aus   dem  gen.  plur.  der  haben   sich   sogar  zwei 


W0BT8PALTU5GKN   IN    DBB    NHD.    SPRACHE  267 

erweiterte  formen  mit  verschiedener  bedeutung  entwickelt,   deren   und 

derer,  welche  mit  der  zusammen  als  drillinge  betrachtet  weiden  kön- 
nen. Wie  des  zu  dessen,  verhält  sich  wes  zu  wessen,  jedoch  bloss 
formell;  ein  unterschied  der  bedeutung  findet  Dicht  statt,  da  wer  nur 
substantivisch  gebraucht  wird,  und  überdies  ist  wes  heute  beinahe  ver- 
altet, aber  in  weshalb,  weswegen  erkenbar  geblieben. 

Zwischen  dar  und  da  besteht  kein  etymologischer  unterschied, 
das  r  ist  ursprünglich  (got  thar,  ahd.  dar,  engl,  there)  und  erst  später 
abgefallen;  ebenso  verhalten  sich  hier  und  hie  (vgl.  ahd.  hiar,  engl.  here). 
Während  in  dem  heutigen  mustergiltigen  gebrauche  dann  und  denn, 
wann  und  wenn  verschiedene  funktionell  haben  und  mischungen  selten 
statfinden,  kam  diesen  beiden  Wortpaaren  in  der  alten  spräche  kein 
unterschied  der  bedeutung  zu:  für  den  begriff  des  temporalen  dann 
(lat.  tum)  wurde  bald  dorne,  bald  danne  gesagt,  denn  im  sinne  des 
lat.  neun  hat  sich  erst  im  neuhochd.  festgesezt;  ebenso  hiess  es  für 
tetnni  (lat.  queindö)  teils  /ranne,  teils  wenne,  das  konditionale  wenn 
(lat.  st)  war  nicht  vorhanden,  sondern  wurde  durch  obe  (ob,  engl,  if) 
ausgedrückt.  Bekantlich  ist  mit  der  einzigen  ausnähme  warum  der 
vokal  des  alten  wä  in  o  übergegangen,  doch  findet  sich  daneben  auch 
warum }  wenn  nicht  sowol  nach  dem  gründe  als  nach  dem  gegenstände 
gefragt  wird  (z.  b.  worum  handelt  es  sich?);  insbesondere  gilt  worum 
als  relativ,  wie  bei  Goethe:  „ein  himlisches  gut,  worum  sie  einander 
bringen  können."  Die  konj.  weil  ist  eigentlich  der  acc.  des  subst, 
weile,  was  sich  deutlicher  in  dem  etwas  veralteten  dieweil,  mhd.  die 
/eile,  kund  gibt.  Ebenso  gründet  sich  das  adv.  weg  auf  den  acc.  des 
subst.  weg,  der  jedoch  die  präp.  „in"  neben  sich  hatte  (mhd.  enwec 
f.  in  wec;  vgl.  engl,  away),  wrährend  wegen  dem  mit  der  präp.  „von" 
verbundenen  dat.  plur.  desselben  subst.  entspricht.  Die  präp.  nach  steht 
im  Ursprünge  dem  adv.  nahe  gleich.  Das  adv.  Hingst  und  die  uneigent- 
liche präp.  längs  gründen  sich  beide  auf  den  mhd.  gen.  langes.  Aus 
mhd.  sunder  sind  die  präp.  sonder  und  die  konj.  sondern  hervorgegan- 
gen. Wörtliche  erkiärung  des  zusammengesezten  adv.  im  mir  (ahd. 
iomer)  würde  den  ganz  verschiedenen  begriff  je  mehr  ergeben,  während 
nimmer  sich  von  nie  mehr  dem  sinne  nach  weit  weniger  entfernt. 
Die  vieldeutige  partikel  als  ist  schon  in  früher  zeit  aus  also  gekürzt 
worden;  ferne  steht  ihr  an  sich  das  der  süddeutschen  Volkssprache  so 
geläufige  temporale  adv.  als  (z.  b.  ich  geh  als  sontags  hin),  welches 
aus  dem  mhd.  acc.  allez,  entsprungen  ist.  Der  unterschied  zwischen  jetzt 
\\ndjet\o,  die  beide  aus  mhd.  ie\uo  stammen,  betrift  nicht  die  bedeu- 
tung, sondern  allein  den  gebrauch;  jetxo,  im  vorigen  Jahrhundert  vor- 


ANI'KKM.N 

zugsweise  beliebt,  klingt  heute  altertümlich.  Wahrend  gegen  im  alge- 
meinen und  für  alle  beziehungen  gebraucht  wird,  ist  das  daraus  gekürzte 
gen  ( mini,  gein,  gen)  nur  für  gewisse  richtungsverhältnisse  üblich 
blieben.  Bei  entzwei  wird  kaum  noch  an  die  zweizahl  gedacht,  es 
bedeutet  so  viel  wie  zerbrochen,  zerrissen;  dem  mhd.  enzwei  liegt  das 
and.  in  zuei,  d.  i.  und.  in  zwei  (teile  oder  stücke),  zu  gründe.  Von 
dem  ahd.  in  zuisken    (in  der  mitte  von  zweien)   stamt  das  adv.  inzwi- 

.  aber  auch  mit  sehen  mhd.  kürzung  die  präp.  zwischen.  Ein- 
mal gilt  bekantlich  als  adv.  der  zahl  und  als  adv.  der  zeit,  hat  jedoch, 
entsprechend  dem  Verhältnis  des  Zahlworts  ein  zu  dem  unbestimten 
artikel.  für  diese  bedeutungen  eine  verschiedene  betonung  erhalten;  in 
r  Volkssprache  wird  das  temporale  einmal  gern  in  mal  gekürzt. 
Anstatt  nun  wurde  in  alter  zeit  überall  nu  gesagt,  eine  form,  die  im 
tagliehen  leben  noch  heute  oft  gehört  wird  und  ausserdem  als  snbst. 
in  der  Schriftsprache  algemein  üblich  ist.  Die  adv.  von  fest  und  schön 
hiessen  im  mhd.  vaste  und  schöne,  im  nhd.  lauten  sie  wie  die  adj.; 
aber  die  mhd.  formen  haben  sich  mit  wesentlich  veränderten  abstrak- 
ten begriffen  in  fast  und  schon  fortgesezt.  Vermöge  des  kurzen  vokals, 
der  freilich  dem  wort  ursprünglich  gebührt,  scheidet  sich  das  adv. 
flugs  (vgl.  falls,  rings)  von  fluges,  dem  gen.  des  subst.  flug,  welcher 
a  dehnt  gesprochen  wird:  die  frühere  Schreibung  „flux"  beweist,  dass 
man  sieh  der  herkunft  des  Wortes  nicht  bewust  war.  Anders  beruht 
auf  dem  gen.  des  adj.  ander,  der  heute  anderes  (z.  b.  anderes  sinnes) 
zu  lauten  pfleg! 

Mehrere  subst.  sind  aus  entsprechenden  adj.,  meist  ohne  auffal- 
lende Veränderung  der  form,  aber  unter  bestirnter  entwickelung  einer 
neuen  bedeutung,  hervorgegangen.  Auf  die  positive  greis:  jung,  spiU 
gründen  sich  die  subst  greis,  junge,  spitz.  Dem  komparativ  falt  ins- 
besondere zu:  kerr,  wörtlich  der  hehrere,  ahd.  kerro  aus  heriro  (von 
her,  erhaben,  ehrwürdig),  woraus  sich  auch  durch  die  mhd.  kürzung 
' /•  (f.  her,  Inf)  der  pastorenhafte,  an  „ehre"  angelehnte  titel  ehren  im 
altern   nhd.  entwickelt   hat;    ferner  jünger,   eitern,    verglichen  mit  jiin- 

attern.  Der  Superlativ  ist  subst.  geworden  in  oberst,  früher  auch 
altertumlich  obrist  geschrieben,  an  sich  gleich  oberste;  in  liebster, 
liebste,  womit  sieh  vor  zeiten  auch  die  jezt  veralteten  ausdrücke  ehe- 
Uebster,  eheliebste  zusammengesezt  haben.  Im  mhd.  hat  sich  von  dem 
ahd.  adj.  mennisc  (got  mannisks),  welches  als  männisch  von  Schiller 
d  paarmal  gebraucht  worden  ist.  aber  im  heutigen  deutsch  (neben 
..männlich")  kaum  fortlebt,  die  subst  form  mensch  gelöst  und  heraus- 
gebildet.    Das   adj.  golden    hiess  früher  gülden,    mhd.  guldin;    hieran.^ 


WORTSPALTUNGEN    IX   DKB    NIID.    SPRACHE  269 

ist  später  das  subst.  gülden  entstanden:  golden,  gülden  (altertümlich 
und  dichterisch),  gülden  bilden  ein  drillingsverhältnis.  Unter  den  wenir 
gen  zu  subst.  gewordenen  part  präs.  befinden  sich  zwei,  deren  rein 
verbale  form  daneben  gilt,  freund  und  heiland,  denn  von  dem  got. 
part.  frijönds  (von  frijdn,  freien,  lieben)  stamt  mhd.  vriunt,  nhd. 
freund,  und  heiland  ist  das  and.  part.  von  heilem;  freund  und  freiend, 
heiland  und  heilend  sind  daher  doppelwörter. 

Aus  dem  im  mhd.  geläufigen  attributiven  gebrauche  des  unflek- 
tierten adj.  erklären  sich  eine  menge  aneigentlicher  Zusammensetzungen 
im  nhd.;  einigen  derselben  ist  im  spätem  verlauf  eine  bedeutung  zu 
teil  geworden,  welche  von  der  ursprünglichen  mehr  oder  minder  ab- 
weicht. So  sind  gleichungen  entstanden  wie  junggeseü  und  junger 
gesell  (mhd.  june  geselle)]  junker  und  junger  herr;  Jungfrau,  Jungfer 
und  junge  frau,  die  zu  einander  im  drillingsverhältnis  stehn;  edelmaun 
und  edler  mann;  hochmut  und  hoher  mut  (vgl.  hoffart  und  mhd.  hiVh- 
vart,  vornehme  lebensweise,  glänz,  edler  stolz:  hochzeit  und  hohe,  d.  h. 
festliche  zeit);  drittel  (dritteil)  und  drifter  teil;  kurz/weil  und  kürzt 
weile;  hochschule  (Universität)  und  hohe  schule  (gymnasium). 

Unsere  jetzige  spräche  besizt  viele  männliche  subst.,  in  deren 
nominativ  das  n  der  obliquen  kasus  gedrungen  ist;  bei  einem  teile 
derselben  hat  sich  daneben  die  organische  form  erhalten,  und  die  spräche 
hat  dies  für  einen  unterschied  der  bedeutung  benuzt.  Algemein  gilt 
heute  schaden,  selten  findet  sich  noch  schade;  allein  gerade  diese  lezte 
form  herscht  ausschliesslich  in  der  Verbindung  „es  ist  schade"  mit 
abhängigem  nebensatz.  Aus  mhd.  lumpe,  tropfe  sind  lumpen,  tropfen, 
aber  auch  die  persönlichen  Wörter  lump,  tropf  mit  abweichender  deklin. 
entsprungen;  neben  Frauke  für  den  volksnamen  wird  für  eine  aus 
Frankreich  stammende  münze  gewöhnlich  franken,  nicht  mehr  franke 
gesagt.  Unter  rappe  verstehen  wir  ein  schwarzes  pferd,  unter  rappen 
eine  in  der  Schweiz  gangbare,  ursprünglich  mit  einem  schwarzen  vogel- 
kopf  geprägte  kupfermünze;  da  aber  rappe  eine  ältere  nebenform  von 
reibe  ist,  so  stelt  sich  wider  ein  drillingsverhältnis  dar.  Fleck  und 
flecken,  deren  bedeutungen  insgemein  auseinandergehalten  werden, 
stammen  von  mhd.  vice,  vle'cke,  ohne  dass  in  jedem  falle  bestirnt  fest- 
steht, ob  fleck  zu  jenem  oder  diesem  worte  gehöre,  während  flecken 
jedesfals  auf  vle'cke  zurückgeht.  Unzweifelhaft  sind  bache  und  hacken 
ursprünglich  eins:  die  mhd.  form  des  leztern  wortes,  mit  welchem  das 
fem.  betcke  nichts  zu  tun  hat,  lautet  bache  und  bedeutet  schinken, 
Speckseite;  von  dem  geschlachteten  schwein  wurde  der  name  im  altern 


270  ANPKKSFX 

nhd.,  wo  er  zuweilen  auch  als  masc.  erscheint,  auf  das  lobendige  über* 
tragen  und    blieb  für  die  wilde  sau  haften. 

Mehrere  doppelwörter  beruhen  auf  einer  mischung  verschiedener 
flexionsformen.  Aus  mhd.  verte,  dem  plur.  von  vart,  ist  nhd.  fährte 
entstanden,  welches  sich  von  fahrt  unterscheidet  Genau  so  verhalten 
h  formell  schlaft  und  schlaf;  doch  findet  kein  unterschied  der 
bedeutung,  sondern  allein  des  gebrauches  statt,  insofern  schlafe  der 
wohnliche  ausdruck  ist.  schlaf  der  mehr  gesuchten  rede  angehört. 
Vielleicht  darf  das  fem.  posse  aus  dem  plur.  des  masc.  possen,  welches 
zuerst  im  16.  Jahrhundert  als  bosse,  posse  auftritt,  erklärt  werden; 
possi  als  theaterstück  besteht  gewissermassen  aus  einer  mehrheit  ein- 
lner  possen.  Deutlich  nach  dem  mhd.  (stat,  stete)  gründet  sich  statte 
auf  den  plur.  von  statt;  aber  mhd.  stat  ist  auch  die  quelle  von  stadt, 
welches  daher  mit  statt  eigentlich  übereinstimt,  so  dass  wider  drei  und, 
wenn  wir  die  aus  dem  subst.  erwachsene  präp.  statt  (anstatt)  hinzu- 
fügen, vier  Wörter  mit  verschiedener  bedeutung  vorliegen,  welche 
ursprünglich  identisch  sind. 

Hier  schliessen  sich  die  fälle  an,  dass  an  einem  worte  zweierlei 
plurale  mit  verschiedener  bedeutung  entwickelt  sind.  Dahin  gehören 
zur  bezeichnung  des  gewichts,  der  zahl  und  des  masses  zunächst  einige 
der  mhd.  regel  entsprechende  plurale  neutra,  wie  pfund,  buch,  fass, 
rnass,  verglichen  mit  pfunde,  hü  eher,  fässer,  masse;  sodann,  entgegen 
der  mhd.  weise,  mehrere  der  analogie  folgende  masc,  wie  fuss,  schritt, 
verglichen  mit  fasse,  schritte.  Hohes  alter  hat  der  plur.  mann  nach 
einer  zahl,  woneben  später  zwei  flektierte  bildungen  eingang  in  die 
spräche  gefunden  haben,  männer  und  mannen,  die  sich  von  einander 
und  von  der  unflektierten  form  dem  begriffe  nach  unterscheiden. 

Anderer  art  ist  die  entwickelung  zweier  plurale  in  bände  und 
bänder,  dinge  und  dinger,  laude  und  länder,  orte  und  örter,  schilde 
und  schilder,  worte  und  Wörter.  Diese  doppelformen  beruhen  grösten- 
teils  auf  analogie,  zum  teil  hat  auch  das  zwiefache  geschlecht  einge- 
wirkt: bei  ..band"  ist  noch  der  plur.  bände  vom  sing,  des  masc.  zu 
berücksichtigen. 

Differenzierung  der  bedeutung  durch  Verschiedenheit  des  geschlechts 
zeigt  sich,  obwol  nicht  mit  aller  strenge  durchgeführt  und  der  altern 
spräche  unbekant,  bei  flur,  volkommen  dagegen  und  ursprünglich 
gleichfals  nicht  vorhanden,  bei  see,  während  das  doppelte  geschlecht 
n  hdft  auf  zwei  an  sich  verschiedenen  Wörtern  zu  fussen  scheint. 
Das  ma  schwulst  und  die  demselben  gebührende  figürliche  bedeu- 
tung gehören  der  jungem  zeit  an;  im  mhd.  war  das  wort  nur  als  fem. 


WOBTSPALTUNGKN    IN'    DKB    NHD.    SPRACHE  L'7  1 

ühlich.  Audi  das  neutr.  gift  ist  nicht  ursprünglich ,  in  der  alten  spräche 
einigte  sich  die  besondere  bedeutung  mit  der  algemeinen  „gäbe"  (vgl. 
vergeben  =  vergiften);  heute  ist  das  fem.  so  gut  wie  verklungen,  aber 
in  ..mitgift.  brautgift"  erhalten.  Mensch  als  neutr.  komt  schon  im  mhd. 
vor,  jedoch  ohne  den  verächtlichen  nebenbegriff,  welcher  heute  diesem 
wort  anklebt.  In  folgenden  Wörtern  offenbart  sich  ebenfals  eine  auf 
•  las  zwiefache  geschlecht  bezügliche,  algemeine  '»der  nur  /um  teil 
gebräuchliche  differenz  der  bedeutung:  chor,  erkentnis,  ersparnis,  ge- 
halt,  teüj  verdienst. 

Wie  reibe  zu  rappe  (s.  269),  ebenso  verhält  sich  knabe  zu  knappe; 
im  mlid.  haben  beide  formen  mehrfach  noch  die  gleiche  bedeutung. 
Merkwürdig  ist  die  Identität  von  köder  und  querder,  wie  in  vielen 
gegenden  Norddeutschlands  nach  der  mhd.  form  jenes  weites  (ahd.  quer- 
dar)  der  bortenartige  säum  an  einem  kleidunirsstück  heisst;  da  man 
unter  köder  anderswo  auch  einen  schmalen  gebogenen  lederstreifen  am 
schuh  versteht,  so  wird  füglich  angenommen,  dass  dieselbe  bezeichnung 
für  den  regenwurm  —  denn  das  bedeutet  köder  zunächst  —  wegen 
einer  ähnlichkeit  der  form  eingetreten  sei.  Ilain  ist  aus  hegen,  einer 
ableitung  von  hag,  zusammengezogen,  daher  an  sich  dasselbe  wort, 
hat  aber  durch  die  dichter  des  vorigen  Jahrhunderts  eine  eingeschränkte 
bedeutung  erhalten,  deren  hagen  nicht  fähig  ist.  Kine  gleiche  zusam- 
menziehung zeigt  sich  bei  maid  und  magd,  mhd.  meit  aus  maget; 
der  ursprüngliche  begriff  ..Jungfrau"  ist  in  magd  herabgedrückt,  in 
maid  dichterisch  gefärbt  worden.  Dem  mhd.  swanc  entsprechen 
schwang  und  schwank  (streich):  aus  wäre,  werch  ist  ausser  werk  durch 
mitteld.  einfluss  auch  werg  (das  ausgewirkte,  herausgeschafte)  entstan- 
den. Wahrscheinlich  sind  hobalt  und  kobold,  die  sich,  wenn  sie  aus 
höbe  (hütte)  und  der  von  „walten"  stammenden  silbe  -ald,  -old  beste- 
hen, nach  den  formen,  welche  früher  auch  oft  mit  einander  wechselten. 
mit  namen  wie  Haynald  und  Heinold  vergleichen  lassen,  ein  und  das- 
selbe wort;  der  bergmann  mag  dem  erz  den  namen  des  gespenstischen 
und  neckischen  geistes,  in  dessen  gewalt  es  ist,  gegeben  haben.  Mond 
und  monat  bilden  insofern  ein  paar,  als  das  erstere  seine  form  wesentlich 
dem  von  mhd.  mäne  abgeleiteten  mänet,  mänöt  (nhd.  monaf)  verdankt: 
mond  für  monat  war  früher  sehr  gebräuchlich,  klingt  aber  heute  alter- 
tümlich und  erscheint  bloss  bei  dichtem.  Wie  fohlen  und  füllen 
(s.  266),  ebenso  fallen  sehne  und  senne  zusammen,  unterscheiden  sich 
aber  so,  dass  sehne  algemein  und  in  jeder  beziehung  üblich  ist,  senne} 
überhaupt  in  sparsamem  gebrauche,  nur  oder  doch  überwiegend  die 
bogensehne    begreift.      Obenhin    betrachtet,    gehn    der    bedeutung    nach 


272  ANDRES KN 


beti  und  beet  weit  auseinander,  genau  erwogen,  einigen  sie  sich  bequem; 
im  altd.,  engl.,  plattd.  lauten  beide  gleich.  Die  form  am/mann  (land- 
ammann  in  der  Schweiz)  entspringt  durch  erweichung  aus  ai/ilmaim. 
Zwischen  I&um  und  leu,  die  beide  auf  mhd.  hwe}  lew  fussen,  besteht 
kein  weiterei  unterschied,  als  dass  jene  form  die  algemeine  bezeichnung 
ist,  diese  bloss  der  gehobenen  spräche  angehört.  Engere  bedeutung  als 
schauer  (mhd.  schür)  hat  schander,  mit  später  eingetretenem  d:  man 
spricht  weder  von  einem  „regenschauder"  noch  einem  „schauderbad", 
sondern  sagt  beidemal  „schauer";  Schauder  gilt  mehr  von  geistiger 
empfindung  Wie  auch  das  Verhältnis  des  mlid.  ritter  zu  riter  beur- 
teilt werde,  doppel wörter  darf  man  nhd.  reifer  und  ritter  jedenfals  nen- 
nen; die  neben  reiter  in  den  anfangen  des  nhd.  aufgekommene,  bald 
vorhersehend  gewordene,  seit  langer  zeit  aber  wider  verlassene  form 
renter  ist  nur  misverständlich  auf  „reiten"  bezogen  worden,  gehört 
vielmehr  dem  hell,  ruiter  an,  welches  von  mlat.  ruptarius  (wegelage- 
rer  zu  pferde,    räuber;    vgl.  rotte  und  frz.  route)    stamt.     Mahl  (essen; 

'..  mahlzeit)  ist  vermutlich  eins  mit  mal  (zeit);  will  man  aber,  was 
sich  gleichfals  hören  lässt,  lieber  davon  ausgehn,  dass  auf  jede  grössere 
vTsamlung  ein  gemeinschaftliches  essen  zu  folgen  pflegte,  so  wird  mahl 
in  mahlschatz,  mahlstatt,  gemahl,  denen  ahd.  mahal  (versamlung,  Ver- 
handlung, vertrag)  zu  gründe  liegt,  als  Zwillings  wrort  aufzustellen  sein. 
Das  abstrakte  scheu  und  das  konkrete  scheuche  entsprechen  dem  mhd. 
schiuhe,  dessen  h  in  jenem  wort  abgefallen,  in  diesem  ch  geworden 
ist.  Die  identität  von  tölpel  und  dorfer  (dorfbewohner)  wird  durch  die 
dem  niederd.  zugewanten   altern  formen  dorper,    dörpel,    törpel,    dölpel 

nnittelt;  zur  begrifsentwickelung  vgl.  lat.  rusticus  und  frz.  vilain 
(villanus).  Mäkler  und  ///aller  werden  zwar  kaufmännisch  ohne  unter- 
schied gebraucht,  in  der  bedeutung  „kleinlicher  tadler,  bekritler",  für 
welche  man  mit  unrecht  den  Ursprung  aus  dem  fremdwort  „makel" 
behauptet  hat,  gilt  aber  nur  die  umgelautete  form.  Der  kürzung  von 
dritteil  in  drittel  is.  269)  gleicht  die  von  urteil  in  urtel;  während 
jedoch  urteil  algemeinen  Charakter  hat,  pflegt  das  überhaupt  seltene 
urtel  auf  den  begriff  „richterliche  entscheidung"  eingeschränkt  zu  wer- 
den. Au-  herr  Jrs/t*  ist  der  ausruf  herrje  verstümmelt  und  zugleich 
euphemistisch  hervorgegangen.  Den  nhd.  Wörtern  gischt  und  gest  lie- 
fen die  mhd.  formen  gist,  gest,  jest  (von  jesen,  gären)  zu  gründe;  gest 
ist  in  einem  grossen  teile  von  Norddeutschland  der  algemein  üblich»' 
ausdruck  für  „hefe"  al>  gärungsmitteL  Das  zwar  in  der  Schriftsprache 
kaum  mehr  lebendige,  aber  mundartlich  erhaltene  subst.  letze,  welches 
ende,    abschied   und   das,    was    zum   abschied  gereicht   wird,    bedeutet, 


WOBTSPALTUNGEN   IN   DBB   NHD.    BPBACHE  273 

hat  die  volksetymologisch    umgewandelte   form    letzt   in    der   redensart 
v'/ai  guter  lezt"  neben  sich. 

Die  adj.  fahl  und  falb  entspringen  beide  aus  mhd.  val  gen.  val- 
wes,  werden  indessen  einer  trennung  unterworfen,  wenn  auch  biswei- 
len eins  fürs  andere  gesezt  werden  mag;  es  heissl  z.  b.  das  fahle 
gesicht,  aber  die  falben  blätter.  Buchstäblich  ebenso  verhalten  sieh  zu 
mhd.  gel  gen.  gelwes  die  schriftdeutsche  form  gelb  und  die  mundart- 
liehe  gehl.  Obgleich  im  mhd.  twerch  und  twer  aeben  einander  beste- 
hen, dürfen  nhd.  twerch  und  quer  (platd.  dwer)  als  wesentlich  eins 
betrachtet  werden;  zu  dem  Wechsel  des  konsonantischen  anlauts  vgl. 
nhd.  quehle,  zwehle  und  mhd.  twehele  (handtuch).  Während  im  mhd. 
quec  (lebendig,  frisch;  vgl.  erquicken)  als  haupt-,  kec  als  nebenform 
galt,  kehrt  sich  im  nhd.  das  Verhältnis  um:  aber  keck  hat  heute  weit 
überwiegend  moralische  bedeutung,  und  queck  (auch  quick,  wie  im 
engl.;  vgl.  Quiekborn)  komt  fast  nur  noch  in  Zusammensetzungen  vor, 
namentlich  in  quecksilber  (engl,  quicksilver).  Dem  mhd.  sieht  ent- 
spricht der  form  nach  nhd.  schlecht,  dem  begriffe  nach  nhd.  schlicht 
(vgl.  engl,  slight,  gering);  schlecht  im  sinne  von  schlicht  hat  im  nhd. 
lange  gegolten  und  wird  heute  noch  in  „schlechthin,  schlechtweg, 
schlechterdings"  sowie  in  der  Verbindung  „schlecht  und  recht"  ge- 
braucht. Von  dem  stark  entstellen  bieder  unterscheidet  sich  das  ihm 
zu  gründe  liegende  biderbe  nur,  insofern  es  altertümlich  und  etwas 
gesucht  klingt;  die  bedeutung  ist  dieselbe  geblieben.  Nackt  und 
nackend  bestehen  seit  langer  zeit  nebeneinander;  allein  nackt  wird  doch 
als  der  algemeinere  und  bessere  ausdruck  betrachtet,  während  nackend 
mehr  der  mündlichen  rede  angehört.  Da  dem  alts.  wel  hochd.  wol  ent- 
spricht, so  lassen  sich  die  freilich  höchst  seltenen,  aber  in  die  spräche 
zweier  berühmten  dichter  geratenen  adj.  wählig  st.  welig  (Voss)  und 
wolig  (Goethe)  als  zwillingswörter  ansehen.  Die  beiden  von  hof  al ►ge- 
leiteten adj.  hövesch  und  hübesch  (b  aus  v)  waren  ursprünglich  der 
bedeutung  nach  nicht  geschieden;  nhd.  höfisch  und  hübsch  bezeichnen 
gesonderte  begriffe  und  dürfen  nie  mit  einander  tauschen  Wahrschein- 
lich sind  ekUch,  heiklich  und  hählich,  deren  begriffe  sich  im  algemei- 
nen nahe  berühren,  in  mundarten  zum  teil  decken,  auf  denselben 
grund  zurückzuführen.  Sachlich  und  sächlich,  in  der  alten  Sprache 
nicht  vorhanden,  aber  in  sich  eins,  unterscheidet  der  gebrauch  hin- 
reichend; doch  pflegte  J.  Grimm  sächlich  für  sachlich  und  vom  ge- 
schlecht regelmässig  „neutral"  zu  setzen. 

Die  jetzigen   adj.  bescheiden,    erhaben,   gediegen,   getrost  beruhen 
auf  alten  part,  welche  im  nhd.  beschieden,  erhoben,  gediehen,  (jetröstet 

18 


ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.     BD.   XXIII. 


2 .4  ANDERSEN 

lauten.     Verwegen    ist    das   mhd.  pari    des  reflex.    sich   verwegen;   für 
die  nhd.  konjug.  eignet  sich  nur  die  nach  „gewogen"   (mhd.  gewogen) 
bildete  form    verwogen.     Von   durchleuchtet }    erleuchtet   (mhd.  durch- 
Uuhtei,  erliuhtet  und  gekürzt  durchlüht,  erlüht)  unterscheiden  sich  die 
adj.  durchlaucht,    erlaucht,    welche   auch  substantivisch  gebraucht  wei- 
den. U,  das  mit  dem  sogenanten  rückumlaut  versehene  pari  von 
llen,   ist  teils  für  sieh  allein,   teils  und  besonders  in  den  zusammen- 
bringen misgestalt,  ungestalt,  wolgestalt  als  adj.  verblieben;  die  kon- 
jug.   kent   nur  gestelt     Anstatt    „bestalt"    heisst   es    lieute   gewöhnlich 
staut,  weil  der  int",  bestallen  sieh  geltend  macht;    als  pari  zu  bestel- 
len ist  natürlich  nur  besielt  brauchbar.     Das  alte  pari  von   decken  hat. 
sich  als  technischer  ausdruck  erhalten:  die  mit  einem  deekel  verschlös- 
se  Orgelpfeife  wird  gedockt  genant;   gedeckt  und  gedockt  sind  dalier 
zwilling        Das    dem   part.   von    lehren   entsprechende    adj.  gelehrt   hat 
neben  sich  die  aus  dem  mitteld.  stammende  form  gelahrt,  welche  heute 
nur    hie    und    da    noch    altertümlich    und    meist    in    spöttischem    sinne 
_   '»raucht  wird.     Yon  verwirren  ist  das  starke  part.  verworren  als  sol- 
ches nicht  mehr  üblich,    es  gilt  nur  verwirt:    da  jedoch  verwirt  auch 
adjektivische   funktion  bekommen   hat,    so   hat    die  spräche   den   unter- 
aied  der  form   dazu  benuzt  einen  unterschied   der  bedeutung  festzu- 
setzen;  vgL  ein  uerwirter  schüler,  verworrenes  geräusch.     Geweint  und 
gewendet,    verwant  und  verwendet,   gesant  und  gesendet  dürfen  in  der 
konjug.   zwar  im   algemeinen   mit   einander  wechseln;    aber   die  der  je 
zuerst  genanten  form   entsprechenden  adj.  gewant  und  verwant  dulden 
die  andere  nicht  neben  sich,    und   anstatt  des  subst.  gesante  kann  „ge- 
sendete"   nicht  gebraucht  werden.     Yon  bereden   stammen  beredet  und 
redt,   jenes  mit  pass.,    dieses  mit  akt.  bedeutung.     Denselben  unter- 
schied  der  begriffe  zeigen  getrunken  und  trunken,    wie  das  part.,    das 
jezt  nur  adjektivisch  verwendbar  ist,   in  der  alten  spräche  gelautet  hat. 
Grleichfals  ohne  partizipiale  vorsilbe  bestellt  durchtrieben    als  adj.  neben 
dem  eigentlichen  part.  durchgetrieben.    Wenn  von  fallen,  sahen,  spal- 
ten,   welche  im  nhd..    ausser   im  part.  prät,    durchweg  der  schwachen 
konjug.  zugefallen  sind,  vermöge  der  sehr  nahe  liegenden  analogie  auch 
i wache  formen  dieses  part.  auftreten,    zum   teil   überwiegen,    so   lässt 
sich  als  regel  aufstellen,  dass  sie  nur  dann  etwa  berechtigt  sind,  wenn 
nicht    die  adjektivische,    sondern   die   rein  verbale   bedeutung   vorliegt; 
daher  hi  teils   ziemlich  algemein,    teils  kann  es  heissen  z.  b.  er 
hatte  die  bände  gefaltet,  aber:  sass  da  mit  gefaltenen  bänden;  sie  hatte 
die  suppe  nicht  gesaht,    aber:    gesalzene  beringe;    der  knecht  hat  holz 


WORTSPALTUNGEH   IX   DER    NHD.    SPRACHE  275 

gespaltet,  aber:  häufe  gespaltenes  holzes  (vgl.  eine  gespaltene  und  eine 
durch  den  Säbelhieb  gespaUeti   Lippe). 

Auf  rein  verbalem  gebiete  Bind  drucken  and  drücken,  tucken  und 
zücken  als  Zwillinge  zu  betrachten;  je  beide  nach  form  und  begriff 
jezt  getrente  Wörter  konten  früher  ohne  unterschied  gebraucht  wer- 
den. Dom  mhd.  wegen  entsprechen  wägen  und  wiegen.  Von  dem 
subst.  „knöpf"  ist  im  altd.  knüpfen,  erst  im  15.  Jahrhundert  knöpfen 
gebildet  worden.  Anstatt  hengen,  wie  es  im  mhd.  hiess,  wird  heute 
hängen  geschrieben:  die  schon  vom  ahd.  überkommene  nebenform  hen- 
ken gilt  insgemein  nur  in  eingeschränktem  sinne  (vgl.  henker).  Wie 
Schauder  zu  schauer  (s.  272),  jodeln  zu  jolen,  verhält  sich  häudern 
(wovon  hauderer,  lohnkutscher)  zu  heuern  (mieten);  zu  gründe  liegl 
mhd.  huren,  niederd.  hüren  (engl.  hire).  Die  ursprüngliche  identität 
vod  scheuen  und  scheuchen  gleicht  der  von  scheu  und  scheuche  (s.  272); 
das  mhd.  schiuhen  vereinigte  beide  bedeutungen,  aber  schon  zu  Luthers 
zeit  war  die  trennung  erfolgt.  Neben  ausreuten  wird  ausrotten  fast 
nur  in  geistiger  und  ausroden  nur  in  sinlicher  bezieh ung  gebraucht; 
alle  drei  gründen  sich  auf  mhd.  Hüten,  doch  ist  bloss  das  erste  rein 
hochdeutsch.  Ton  dem  präfix  abgesehen,  sind  betätigen  und  vertei- 
digen offenbare  zwillingswörter;  das  mhd.  teuUngen  (teidinc  aus  tage- 
diue,  gerichtstag,  gerichtsverhandlung)  bedeutet  vor  gericht  verhandeln, 
aber  betätigen  hat  sich  volksetymologisch  zu  „tätig"  hingewant.  In  der 
konjug.  von  „werden"  begegnen  wir  den  in  der  heutigen  anwendung 
strenge  geschiedenen  doppelformen  worden  und  geworden,  von  denen 
in  der  altern  spräche  nur  die  erste  üblich  gewesen  ist;  ferner  lautet 
das  prät.  teils  organisch  ward  (mhd.  wart),  teils  unorganisch  wn rde 
(mit  angehängtem  e  statt  wurd  und  dies  aus  dem  plur.  eingedrungen), 
ohne  dass  der  algemeine  prosaische  gebrauch  eine  trennung  durchge- 
führt hat  (in  der  poesie  hat  wurde  keinen  guten  klang). 

Im  verlaufe  der  entwickelung  des  nhd.  sind  eine  menge  werter  mit 
niederdeutschem  gepräge  der  Schriftsprache  zugeführt  worden;  unter 
ihnen  befinden  sich  manche,  deren  hochdeutsche  form  daneben  gleich- 
fals  gebraucht  wird.  Schon  im  vorhergehenden  ist  einzelner  werter 
erwähnuDg  geschehen,  welche  zwar  im  mhd.  vorkommen,  aber  eigent- 
lich in  der  vom  niederd.  durchdrungenen  mitteld.  mundart  zu  hause 
sind,  wie  r/est,  gelahrt,  ausrotten.  Da,  wo  eine  niederd.  form  ohne 
bestirnt  wahrnehmbare  abweichung  in  der  bedeutung  neben  der  hochd. 
aufzutreten  nicht  ohne  erfolg  versucht  hat,  ist  mindestens  die  Schrift- 
sprache befugt  der  seitenform  aus  dem  wege  zu  gehen,  z.  b.  bei  küper, 
linneh,   schlapp,    weiden  für  küfer,    leinen,   schlaff,   weiten.     Bisweilen 

18* 


ANDBE8KN 

lässt  sich  über  die  berechtigung  streiten.  In  einigen  grammatischen 
hriften  norddeutscher  Verfasser  hat  reep  (seil,  strick;  engl,  rope)  auf- 
nähme gefunden;  zwar  hochd.  reif  durfte  nicht  dafür  gesezt  werden. 
da  die  bedeutung  nicht  oder  nicht  mehr  stimt:  weil  jedoch  neben  den 
beiden  genanten  bezeichnungen  desselben  begrifs  das  wort  völlig  über- 
flüssig ist,  so  hat  dir  Schriftsprache  das  recht  sich  ihm  zu  entziehen. 
Anders  steht  es  um  Wörter,  durch  welche  ein  anderer  begriff  aus- 
drückt wird,  als  der  entsprechenden  hochd.  form  zukomt.  Darnach 
beurteile  man  folgende  gleichungen,  die  sich  nach  verschiedenen  Laut- 
verhältnissen in  einzelne  gruppen  zerlegen  lassen. 

Dem  hochd.  neutr.  waffen,  das  jezt  nur  altertümlich  und  dich- 
terisch für  das  später  daraus  entwickelte  fem.  waffe  gebraucht  wird, 
entspricht  die  ursprüngliche  aiederd.  form  wappen  mit  zwar  verwanter 
aber  doch  strenge  geschiedener  bedeutung;  den  subst.  folgen  die  verba 
wafhen  und  wapnen.  Ebenso  gleichen  sich  Staffel  und  stapel;  der 
n<-insame  hauptbegriff  ist  grundlage,  erhöhung,  gerüst.  Das  in  die 
spräche  norddeutscher  schriftsteiler  gedrungene  niederd.  j"i>i><'n  und  das 
hochd.  gaffen  sind  etymologisch  dasselbe  wort;  beide  bedeuten  eigent- 
lich ..den  mund  aufsperren"  (vgl.  engl.  gape).  Aus  dem  grundbegriffe 
des  Schalles  und  tones  haben  sich  die  bedeutungen  des  hochd.  Idaffen 
und  des  niederd.  klappen,  welche  im  jetzigen  deutsch  nicht  mit  einan- 
der tauschen  können,  entwickelt.  Mit  kürzung  des  vokals  und  darauf 
erfolgter  doppelung  des  kons,  ist  schleppen  aus  niederd.  sUpen,  hochd. 
schleifen,  entlehnt  worden.  Dass  auch  stopfen  und  stoppen  in  sich 
eins  sind,  lässt  -ich  denken;  als  gemeinsamen  begriff  hat  man  „aufhal- 
ten" anzunehmen  (vgl.  engl.  stop).  Kneifen  ist  kein  altes  wort,  son- 
v\\  erst  im  nhd.  aus  dem  niederd.  kneipen,  ursprünglich  knipen 
(nicht  zu  verwechseln  mit  kneipen  von  kneipe),  ohne  dass  sich  ein 
deutlich  erkenbarer  unterschied  der  bedeutung  festgesezt  hätte,  ins 
hochd.  umgesezt;  während  frühe)'  kneipen  häufiger  als  kneifen  gebraucht 
wurde,  kehrt  -ich  heute  das  Verhältnis  um.  Schnuppe  vom  glühenden 
docht  und  in  „Sternschnuppe"  ist  mit  schnupfen  eigentlich  identisch; 
die  trennung  der  formen  und  die  Verschiedenheit  des  geschlechts  fan- 
den in  der  altem  spräche  nicht  immer  statt. 

Obgleich  das  schriftd.  elf  mit  dem  plur.  elfen  nicht  aus  dem  nie- 
derd.. sondern  aus  dem  engl,  entlehnt  ist,  steht  es  doch  auf  niederd. 
lautstufe,  hochd.  wäre  elb;  von  elf  scheidet  sich  nach  form  und  begriff 
da-  im  Ursprung  identische  hochd..  sogar  strengalt  hochd.  alp,  von  dem 
das   aipdrücken   herrührt.      Schnauben   ist   hochd.,    mhd.  snüben,    dem 


WOETSPALTUNGEN   IN  DER    NHD.    BPBACHE  J77 

niederd.  snüven  entspricht,  woher  schnaufen  stanit;  der  gebrauch  unter- 
scheidet beide  Wörter  (vgl.  anschnauben  und  sich  verschnaufen). 

Auf  den  Wechsel  zwischen  hochd.  /'/  und  niederd.  cht,  dem  die 
Schriftsprache  verschiedene  Wörter  verdankt,  welche  heute  insgemein 
nur  in  der  niederd.  form  geltung  haben,  wie  gerückt,  nickte,  schluckt, 
beschwichtigen,  sichten,  gründen  sich  einige  doppelwörter  unserer  jetzi- 
gen spräche,  die  beiden  mundarten  angehören.  So  gleichen  einander 
sackt,  sachte  und  sanft;  echt  und  ehehaft  (mhd.  ikaft,  oiederd.  ehackt, 
gesetzmässig,  rechtsgiltig),  das  zwar  als  adj.  verschollen,  aber  als  subst. 
im  plur.  (ehehaften ,  rechtmässige  hindernisse)  in  der  gerichtssprache 
erhalten  ist;  schockt  und  schaff  (die  speerstange  diente  als  mass;  vgl. 
Bchechten,  wie  im  niederd.  die  stiefelschäfte  heissen),  ferner  die  damit 
zusammengesezten  pflanzennamen  Schachtelhalm  (sckachthalm),  schach- 
telheu und  schafthalm,  schaftkeu.  Da^s  aber  lichten  in  der  beziehung 
auf  „anker",  wie  sehr  oft  behauptet  wird,  hochdeutschem  lüften,  wel- 
ches im  niederd.  freilich  lückten  (engl,  Lift)  lautet,  entspreche,  beruht 
wol  auf  irtum;  die  Verbindungen  „ein  schiff  lichten"  und  „die  anker 
lichten"  scheinen  vielmehr  dasselbe  niederd.  wert  (mhd.  Übten,  leicht 
machen)  zu  enthalten. 

Den  hochd.  wertern  gäk,  jäh  (arlv.  jach)  entspricht  die  niederd. 
form  gau  (schnell,  behende),  deren  gebrauch  sich  in  der  hochd.  rede 
zwar  heute  wol  nur  auf  einen  teil  von  Norddeutschland  beschränkt, 
früher  aber  und  noch  im  18.  Jahrhundert  sich  weiter  erstreckt  hat; 
mit  diesem  „gau"  ist  „gaudieb"  (niederd.  gaudef)  zusammengesezt.  Ein 
in  der  hauptsache  gleiches  Verhältnis  zeigen  nah  und  genau  (mncL 
nouwe,  hell,  naauw,  enge);  in  mundarten  findet  sich  häufig  die  ein- 
fache form  „nair,  woher  „benaut"  (beklommen,  beengt)  stamt.  Das 
dem  jetzigen  heischen  zu  gründe  liegende  ..cischen"  (engl,  ask)  lautet 
niederd.  regelrichtig  eschen,  in  manchen  gegenden  Norddeutschlands 
noch  heute  auch  in  der  Schriftsprache  der  stehende  ausdruck  bei  gericht- 
lichen ladumren. 

o 

Auf  der  dem  niedere!,  eigenen  Versetzung  des  r  beruht  born, 
welches  jezt  fast  nur  dichterisch  neben  brunnen  gebraucht  wird;  vgl. 
bernstein,  von  bernen  (engl,  burn)  =  brennen.  Ebenso  verhält  sich 
bersten  (engl,  burst)  zu  mhd.  „bresten",  wroher  gebresten  und  bresthaft 
stammen. 

Den  anlaut  wr  kent  das  nhd.  nicht;  gleich  wol  hat  es  einzelne  mit 
irr  anlautende  Wörter  aus  dem  niederd.  aufgenommen.  Algemein  be- 
kant  ist  wrack,  welcher  form  die  weniger  bekante  aber  schriftgemässe 
nebenform  brach,  ausschuss  (vgl.  bracker,  brackvieh,  brackwasser,  aus- 


ANDBESBN 

bracken)  zur  seite  steht.  Was  man  in  Niederdeutschland  wringen,  aus- 
wringen (z.  b.  nasse  wusch«')  nent,  pflegt  in  der  Schriftsprache  durch 
ringen,  ausringen  bezeichnet  zu  werden;  doch  gestattet  sie  sich  auch 
wo!  den  niederd.  anlaut,  namentlich  in  dem  zusammengesezten  wring- 
-  '  (engl,  wringing- machine).  <>l>  bei  rasen  und  wasen,  rocken 
linrocken)  und  wocken,  die  sich  nicht  sowol  der  bedeutung  als  dem 
Landschaftlichen  gebrauche  nach  unterscheiden,  dieselbe  Spaltung  des 
ursprünglichen  wr,    wie   insgemein   gelehrt   wird,    anzunehmen   sei,   ist 

i 

neuerdings  zweifelhaft  geworden;    insbesondere  kann  es  auffallen,    dass 
da.  wo  wocken  als  hauptform  gilt,  wasen  so  gut  wie  nie  gehört  wird. 

Nachdem  Luther  anstatt  des  hochd.  atem  das  auf  niederd.  laut- 
stufe stehende  ödem  (f.  adem)  eingeführt  hatte,  ist  diese  form  in  die 
höhere  dichtersprache,  wo  sie  nicht  selten  auch  „öden"  gelautet  hat, 
eingegangen.  Das  niederd  dik  bedeutet  sowol  deich  als  auch  teich 
gi  engl,  dike  und  ditch),  begriffe,  die  gar  nicht  vereinbar,  in  gewis- 
c  hinsieht  entgegengesezt  zu  sein  seheinen  und  sich  doch  leicht 
einigen:  der  /r/V//  muss  zunächst,  wie  der  deich  immer,  als  künstlicher 
'.standen  werden,  und  wie  das  lat.  altus  bald  ,,hocha  bald  „tief" 
übersezt  wird,  so  entscheidet  die  richtung,  welche  man  im  äuge  hat, 
für  erhöhung  {deich)  oder  Vertiefung  (teich).  Dem  algemein  schriftd., 
an  >ich  niederd.  moder  steht  mudder  (engl,  mud)  gleich;  dafür  kennen 
oberd.  mundarten  die  form  motte/-,  zu  welcher  die  widerwärtige  Zusam- 
mensetzung essickmutter  (faex  aceti,  engl,  mother)  zu  gehören  scheint. 
Neben  tute  oder  tüte,  wofür  in  der  Schriftsprache  gewöhnlich  die  mit 
ungehörig  erweichtem  anlaut  versehene  form  düte  als  die  gebildetere 
gilt,  wird  in  manchen  gegenden  Niederdeutschlands  die  etymologisch 
identische  form  teute  für  einen  andern,  aber  verwanten  begriff  gebraucht, 
den  einer  grossen  kanne,  deren  sich  nicht  bloss  die  weinküfer,  sondern 
auch  die  mägde  in  der  küche  bedienen. 

Was  wir  kran  nennen  und  gewöhnlich  krahn  schreiben,  ist  nichts 
als  die  niederd.  form  von  kranich  (vgl.  engl,  crane  für  beide),  mit 
beziehung  auf  ahnlichkeit  dieser  maschin e  mit  dem  kranichhals  (vgl. 
hahn  an  der  flinte  und  am  fass).  Obgleich  schon  im  mhd.  rige  vor- 
kamt, scheint  doch  das  in  die  tumsprache  eingeführte  nhd.  riege  aus 
dem  niederd.,  wo  reih  so  lautet,  herzurühren.  Otter,  das  schädliche 
tier.  verschieden  von  otter  in  fischotter,  hat  seinen  namen  aus  dem 
niederd  adder  (holL  und  engL  ebenso)  durch  wegfalJ  des  anlautenden 
kons.  \"\\  natter  erhalten;  otter  und  natter  sind  daher  zwillingswörter. 
Die  niederd.  benennungen  <lr<»i< .  drost  (landdrost)  und  inste, 
welche  aus  drotseU   und  insett   zusammengezogen   sind  (vgl.  Holste  aus 


WOBTSPALTÜNGKN   IN   DER   NHD.    SPBA<  IIK  279 

Holtsete;  Wursten,  landschafi  der  Wurtseten,  der  auf  dem  wurt,  wert 
angesessenen),  entsprechen  mit  abweichender  bedeutung  den  hochd.  Wör- 
tern truchsess  und  Insasse.  Ir<n  und  feist  bestehen  in  der  Schrift- 
sprache mit  wahrnehmbarem  unterschiede  neben  einander;  jenes  ist 
oiederd.  (engL  tat),  dieses  hochd.  (mhd.  vei^et). 

Zwillinge  sind  auch  kerl  (niederd.)  und  Karl  (hochd.),  mit  der 
ursprünglichen  bedeutung  „mann":  der  herabgesunkene  begriff,  den  wir 
unter  kerl  verstehen,  gül  sehen  seit  Jahrhunderten,  und  noch  älter  i.>t 
der  Übergang  des  appellativen  karl  in  den  blossen  eigennamen.  Eine 
andere  gleichung,  an  der  ein  heutiger  vorname  teilnimt,  bilden  minne 
und  Minna,  insofern  dieser  uame,  welcher  nicht  selten  mit  Mina  ver- 
wechselt und  mißbräuchlich  aus  Wilhelmine  geleitet  wird,  der  ahd.  und 
alts.  form  minna  (liebevolle  erinnerung,  liehe)  entspricht 

Die  französische  spräche  besizt  Wörter  deutschen  Ursprungs, 
welche  dort  sieh  mit  den  übrigen  dergestalt  vermischt  haben,  dass  nur 
wissenschaftliche  Untersuchung  sie  herauszukönnen  vermag.  Manche 
derselben  haben  sich  wider  der  deutschen  rede  und  schritt  mitzuteilen 
versucht,  was  jederzeit  und  algemein  gelungen  ist,  wenn  sie  sich  Unter- 
ordnung unter  deutsche  lautgesetze  haben  gefallen  lassen  wollen,  z.  1». 
breschi  (frz.  breche,  von  brechen),  marschieren  (frz.  marcher,  von  mark, 
ursprünglich  über  die  mark,  landesgrenze,  gehen).  Unter  der  menge 
rumänischer,  namentlich  franz.  Wörter,  welche,  zum  teil  ungeachtet 
ihrer  fremden  gestalt  und  des  fremden  klanges,  bei  uns  zu  verweilen 
fortfahren,  befinden  sich  nicht  wenige,  denen  diejenigen  deutschen  wor- 
ter im  gebrauche  gegenüberstehen,  aus  denen  sie  in  alter  zeit  hervor- 
gegangen sind.  Bisweilen  hat  sich  das  fremde  wort  so  volständig  ein- 
gebürgert, dass  man  es  für  ein  deutsches  zu  halten  geneigt  sein  kann. 
Rang  klingt  und  sieht  ebenso  deutsch  aus  wie  ring,  ahd.  hring  (kreis, 
V(  rsamlung),  woher  es  nebst  haranguer  (anreden;  vgl.  ital.  aringo, 
rednerplatz)  im  franz.  entlehnt  worden  ist.  Dem  ahd.  Itsta  entspricht 
nhd.  leiste  (streifen,  borte),  aber  das  ital.  lista,  frz.  liste,  woher  wir 
liste  bekommen  haben,  hat  denselben  Ursprung.  Stuck  ist  aus  dem 
ital.  staeco  (vgl.  stuccatur)  hervorgegangen,  welches  sich  auf  has  ahd. 
stucchi  mit  der  bedeutung  „rinde'1,  formell  nhd.  stück,  gründet.  Yon 
dem  ahd.  Kartet  im  sinne  von  wache  stamt  frz.  garde;  nhd.  warte  und 
garde  unterscheiden  sich  in  jeder  beziehung.  Loge  (frz.,  ital.  loggia) 
ist  aus  dem  mlat.  löbia,  ahd.  leuiba,  nhd.  hui  he,  entsprungen.  Das 
ahd.  chrapfo,  mhd.  nhd.  krapfe  (haken),  hat  das  frz.  agrafe  (spange) 
ergeben,  nhd.  agraffe,  eine  unsern  damen  so  unentbehrliche  benennung 
wie   rohe,    dem   das  mlat.  raubet   (spolium,    vestis;    vgl.  exuviae),    nhd. 


2S0  AHDRKSKN 

rauh.  zu  gründe  liegt  Trupp,  f nippe  gehen  durch  das  franz.  auf  dorf 
zurück  (zur  metathese  vgl.  -trup  für  -dorf  in  vielen  niederd.  Orts- 
namen), altnord.  thorp,  welches  auch  häufe,  bände  bedeutet,  wie  denn 
Doch  in  süddeutschen  mundarten  eine  versamlung  auf  freiem  felde, 
auch  ein  besuch  ..dort"  genant  wird  („einen  dorf  halten,  dorf  bekom- 
men, dorfena).  Dem  deutschen  schmelz,  ahd.  smehi,  tnlat  smaltum, 
entsprechen  email  (frz.),  welches  oft  in  „emaille"  verkehrt  wird,  und 
otialtt  (waschbläue).  Aus  balke,  balken  ist  durch  das  roman.  haihon 
Ihm  _  _  ogen.  Für  bonlevard  braucht  unsere  Umgangssprache  nicht 
das  deutsche  boltoerk,  aus  dem  es  entlehnt  ist;  aber  der  begriff  „wall" 
einigt  beide  Wörter.  Anstatt  „Wirtshaus,  gasthof"  wird  in  deutscher 
rede  bisweilen  auberge  gesagt  und  findet  sich  in  deutschen  zeitungen 
und  andern  Schriften  hie  und  da  gedruckt;  das  frz.  wort  ist  mit  ital. 
albergo  aus  heriberga,  nhd.  Herberge,  entsprungen.  Grösserer  geläufig- 
keit  erfreut  sich  der  ausdruck  (jage  (frz.),  herscht  sogar  in  gewissen 
kreisen  ganz  allein;  er  stimt  formell  zu  hochd.  wette,  womit  lat.  vas 
und  vadimonium  verwant  sind.  Die  aus  dem  ital.  stammenden  Wörter 
lotto  und  freseo,  welche  in  die  nhd.  spräche  eingang  gefunden  haben, 
gründen  sich  auf  hos  (loss)  und  frisch.  Das  dem  frz.  marche  entlehnte 
marsch  hat  sich  aus  mark  entwickelt;  vgl.  s.  279  marschieren.  Den 
deutschen  Wörtern  graben,  picken,  warnen  (im  ahd.  =  schützen)  stehn 
die  zunächst  dem  frz.  angehörenden,  in  unserer  heutigen  schrift-  und 
Umgangssprache  bekanten  Wörter  gravieren  (in  der  sculptur),  pikieren, 
garnieren  als  Zwillinge  zur  seite.  Den  eisenbalmwagen  pflegen  wir 
wagon  zu  nennen,  eine  ungeschickt  und  überflüssig  eingeführte  form, 
welche  durch  das  französische  aus  dem  englischen  waggon,  das  dem 
deutsehen  wagen  gleich  steht,  herübergekommen  ist. 

Wenn  die  bisher  angeführten  zwillingswörter  entweder  nach  je 
beiden  selten  oder  zur  einen  liälfte  aus  dem  deutschen  stammen,  und 
wenn  in  den  fällen,  dass  die  andere  hälfte  zunächst  fremdher  entlehnt 
i^t.  gleichwol  deutscher  Ursprung  hat  nachgewiesen  werden  können;  so 
bleibt  noch  eine  weit  grössere  anzahl  von  gleichungen  zu  berücksich- 
tigen, welche  ausschliesslich  dem  bereich  der  fremd  werter  angehören. 
Bei  ihrer  Vorführung  kann  die  Unterscheidung  zwischen  eigentlichen 
fremdwörtern  und  sogenanten  lehnwörtern  um  so  weniger  in  betracht 
kommen,  als  diese  trennung  in  einer  nicht  geringen  zah]  von  beispie- 
ien  zweifelhaft  und  daher  tmdurchfuhrbar  ist.  Auch  die  oft  recht 
hwierige  fi  _  ob  ein  in  de]-  neuern  zeit  ans  der  fremde  in  die 
•räche  gedrungenes  wort  eingebürgert  sei  oder  nicht,  verdient  keine 
bespreehiu:_ .    da    es   hier    Lediglich   darauf  abgesehen   ist,    dasjenige  zu 


WORTSPALTUNGEN    IN    DBB    NHD.    SPRACHE  281 

beurteilen  und  festzusetzen,  was  gebraucht  wird,  sei  es  mit  recht  oder 
mit  unrecht,  algemein  oder  vereinzelt  Di*'  weit  überwiegende  mehr- 
zahl  leitet  sich  entweder  unmittelbar  oder  durch  das  romanische  mit- 
telbar aus  dem  latein;  einige  male  sind  das  griech.  und  das  oriental. 
vertreten,  selten  eine  andere  spräche. 

Das  lat.  tegula  spaltet  sich  in  tiegel  und  viegel;  palatiu/m  in 
pfafo  und  petiast,  von  welchem  worte  die  neuere  zeit  noch  iU\>  zu- 
nächst franz.  palais  zu  unterscheiden  weiss;  praepositus  oder  formell 
genauer  mlat.  propositus  in  probst  und  profoss,  wonebeo  auch  präpo- 
situs  selber  in  einigen  gegenden  Deutschlands  zur  bezeichnung  eines 
höhern  geistlichen  gebraucht  wird.  Vierfache  gleichung  bieten  pabst, 
pfaffe,  papa  und  pope  (russ.  priester),  welche  sich  aus  papa,  7t&7tag 
entwickelt  haben.  Die  identität  von  barsche,  bursch  und  börse  (in  bei- 
den bedeutungen)  wird  durch  das  dem  griech.  fivooa  (feil,  leder)  ent- 
lehnte mlat  bursa  (beutel,  gemeinschaftliche  kasse,  genossenschaft)  ver- 
mittelt. Auf  das  griech.  lat.  hominis  (dumpfer  ton,  geräusch)  gründen 
sich  bombe  und  pumpe  nebst  pump;  vgl.  die  interj.  bums  und  pumps. 
a rotte  und  hrypte  sind  formell  identisch;  ob  als  drilling  auch  gruft 
hinzutreten  dürfe,  bleibt  nach  wie  vor  zweifelhaft.  Aus  d7Colg,  &7toig 
ist  durch  vermittelung  der  mlat.  form  absida  das  mhd.  absite  ent- 
stelt  hervorgegangen  und  diesem  im  nhd.  abseite  gefolgt  (platd.  dfstt, 
ein  seitwärts  unterm  schrägen  dache  befindlicher  räum,  in  der  regel 
zur  aufbewahrung  alten  hausrats  verwendet);  daneben  gilt  als  tech- 
nischer ausdruck  apsis  fort.  Während  pakt  dem  lat.  pactum  unmit- 
telbar entnommen  ist,  beruht  packt  auf  der  niedere!.  form  des  aus 
dem  lat.  worte  stammenden  mhd.  p fallt.  Mlat.  tineta  ergibt  tinte  (un- 
ten, färben,  frz.  teintes,  engl,  tints)  und  dinte,  wie  man  für  atramen- 
tum  zu  schreiben  völlig  berechtigt  ist;  mlat.  oblata  oblate  und  oblei 
(opfergabe,  geldzins);  mlat.  posta  (posita)  post  und  posten  (geldbetrag). 
Aus  den  lat.  adj.  minutus,  nitidus,  par,  rotundus,  tortus  sind  minute 
und  menu  (küchenzettel),  nett  und  netto,  paar  und  pair,  rotunde  und 
runde  nebst  ronde,  torte  und  tort  (unrecht,  verdruss)  entsprungen.  Von 
feria  stammen  ferieii  und  fei  er,  von  carcer:  Jcerker  und  Jcarzer,  von 
stilus:  stil  und  stiel,  von  radix:  rettich  und  radies,  von  emplastrum: 
Pflaster  und  piaster,  von  conventus:  convent  und  hofent  (klosterbier, 
dünbier),  von  caput :  cap  und  chef  Das  dem  mlat.  mina  entlehnte  frz. 
mine  vereinigt  die  beiden  in  den  nhd.  gebrauch  daraus  übergegan- 
genen begriüich  verschiedenen  Wörter  mine  und  miene.  Pfeife  und 
pipe  (weinmass)  gründen  sich  auf  mlat.  pipa;  aus  pipare  sind  pfeifen 
und  piepen  (zunächst  niedere!.),    welche   sich  in   der  gebildeten  spräche 


2S"2  ANDBESBN 

nicht  unwesentlich  unterscheiden,  hervorgegangen.  Dem  lat  serritium 
hat  die  frz.  spräche  ihr  servict  entnommen;  die  heutige  nhd.  Umgangs  - 
und  Verkehrssprache  bedient  sich  dieses  Wortes  in  der  bedeutung  ,,tafel- 
:;if  und  pflegt  davon  wider  servis  im  sinn«?  xon  „bedienung"  zu 
trennen.  Zwischen  karte  und  charte,  nativität  und  naivetät,  min  und 
ruim  .  schüler  und  scholar,  welche  auf  charia,  nativitas,  ruina,  scho- 
laris  fassen,  besteht  ein  unterschied.  Etwas  anderes  bedeuten  arxt, 
brief,  dattel  und  dachtet,  kompott,  koppel,  küster,  letter,  marter,  mei- 
ster,  mode,  nummer,  papier,  pate,  physiker,  priester,  sjirit,  tisch, 
tünche,  uhr,  Uns  als  die  ihnen  zu  gründe  liegenden  Wörter,  welche 
entweder  algemein  (»der  je  nach  wissenschaftlichem  oder  konventionel- 
lem bedürmis  in  der  Schriftsprache  gebraucht  werden:  archiater,  breve, 
daktyhis,  compositum,  copula,  custos,  littera,  martyrium,  magist  er, 
nullius,  numerus,  papyrus,  paler,  physicus,  presbyter,  Spiritus,  dis- 
cus,  tunica,  hora,  census.  Aus  dictare  und  tractare  haben  wir  nicht 
allein  diktieren  und  traktiere?/,  sondern  auch  dichten  und  trachten  ent- 
lehnt: von  dichten  scheidet  sich  wider  tichten  in  „tichten  und  trach- 
ten." Von  faüere  stammen  durch  das  ital.  unser  fallieren  und  ver- 
möge des  frz.  faillir  das  ganz  deutsch  klingende  fehlen,  mhd.  failieren. 
vaelen.  Ein  mehr  oder  minder  erheblicher  unterschied  findet  statt  zwi- 
schen passen  und  passieren,  pressen  und  pressieren,  hoppeln  nebst 
kuppeln  und  copuUeren,  regeln  und  regulieren,  opfern  und  offerieren, 
ordnen  und  ordinieren,  fabeln  und  fabulieren,  predigen  und  prädide- 
ren,  blamieren  und  blasphemieren,  spedieren  und  expedieren,  laxieren 
und  laschieren,  xirkeln  und  drcuUeren,  formen  und  formieren,  doc- 
tern  und  doctorieren,  hausen  und  hausieren,  rotten  und  rottieren,  lau- 
ten und  lautieren,  schatten  und  schattieren.  Aus  frz.  toucher  entsprin- 
gen tuschen  (mit  tusch  malen)  und  tuschieren  (in  der  Studentensprache); 
auf  lat.  probare  beruhen  nicht  bloss  proben  und  probieren,  sondern 
auch  prüfen,  auf  expendere  spenden  und  spendieren]  und  auf  dem 
mlat.  subst  des-elben  wertes,  expensa,  sowol  speise  als  auch  das  plu- 
rale  Spesen  (zunächst  ital.).  Becken  und  bassin  stammen  beide  von 
mlat.  baccinum,  paladin  und  palatin  von  dem  adj.  palatinus,  vither 
und  guitarre  von  cithara  Ki-9-dga,  mörser  und  mörtel  von  mortarium, 
pfarre  und  j>aroehi(  von  Tzaoowia.  Zwischen  formal,  ideal,  legal,  real 
und  formell,  ideell,  loyal,  reeü  wird  unterschieden;  neben  generell,  nrate- 
rieU,  offidell,  originell  sind  general,  material,  official,  original  als  subst. 
üblich.  Auch  in  mobil  und  möbel,  indisch  und  indigo,  persisch  und 
pfirsich  bilden  adj.  und  subst.  ein  Zwillingspaar;  kommode  ist  teils  adj., 
teils  subst.     Obgleich   für    das  den  doppelwörtern  banner  und  panier 


WOBTSPALTUNGBN   IN    DEK    NHD.    >1'RACHE  283 

zu  gründe  liegende  mlat  bandum   germanischer  Ursprung  anzunehmen 

ist,  pflegen  beide  doch  als  fremdwörter  (frz.  banniere)  zu  gelten.  Das 
lat.  tapetum  hat  die  drillinge  teppich,  tapete  und  fape/  (aufs  tapet  brin- 
gen, frz.  mettre  sur  Le  tapis)  ergehen.  Meier,  major  und  maire  (engl. 
mayor,  daher  lordmayor)  gehen  auf  den  lat.  komparat  major  zurück. 
Yon  decanus,  ursprünglich  aufseher  über  zehn,  stamt  aussei-  dekan 
auch  dechant;  als  dritter  -»seit  sich  zu  ihnen  in  eingeschränkter  bezie- 
hung  der  doyen.  Neben  marmor,  der  eigentlichen  und  algenieiu 
üblichen  form,  gelten  marmel  (im  mhd.  lautete  «las  altklass.  fremdworl 
gewöhnlich  so)  und  hieraus  entsteh  märbel  (vgl.  engl,  marble)  und 
murmel  für  die  spiel kügelchen  der  kinder,  welche  anfangs  aus  marmor 
bestanden,  jezt  aus  stein  oder  glas  verfertigt  werden.  Aus  granatus 
ist  das  masc.  grauat,  ferner  durch  das  roman.  das  fem.  granate,  end- 
lich der  erste  teil  der  Zusammensetzung  granatapfel  hervorgegangen, 
wahrend  granit,  dem  natürlich  gleiehfals  lat.  granum  zu  gründe  liegt, 
vom  ital.  inf.  granire  stamt.  Beryttus  ergibt  nicht  bloss  den  namen 
des  grünen  edelsteins  berytt,  sondern  auch  das  ganz  deutsch  lautende 
wort  brille  („beryl  groez,et  die  schritt");  von  carbunculus  sind  karbun- 
foi  (ein  hautgeschwür)  und  mit  volksetymologischer  anlehnung  an  „fun- 
keln" harfunkel  (roter  edelstem)  entlehnt.  Musculus  ist  durch  muskel 
und  muschel  vertreten,  ordo  durch  orden  und  order,  Organum  durch 
organ  und  orgel,  pulvis  durch  pulver  und  puder,  triumphus  durch 
triwmph  und  trumpf.  Neben  staat  aus  status  wird  auch  etat,  die  frz. 
form  desselben  lat.  Wortes,  im  sinne  von  budget  in  deutscher  rede  und 
schrift  gebraucht.  Ebenso  verhalten  sich  körper  und  rorps  (corpus), 
lirkel  und  ccrcle  (circulus),  punkt  und  point  (punctum),  komtur  und 
commandeur  (commendator) ,  l>il<nr,  und  balance  (biianx),  katheder  und 
(halse  (-/.ad-eöga),  pferch  und  park  (mlat.  parcus),  kumpan  und  com- 
jxignon  (zu  mlat.  companium,  brotgemeinschaft),  peudcl  und  pendula 
(mlat.  penduluni);  das  je  zweite  dieser  Wörter,  welches  sich  der  bedeu- 
tung  nach  von  dem  ersten  mehr  oder  weniger  unterscheidet,  gehört 
zunächst  der  frz.  spräche  an.  Aus  dem  frz.  hat  auch  eadre  (rahmen) 
in  die  militärsprache  und  carre  in  die  höhere  geselschaftsprache  ein- 
gang  gefunden;  die  übergeordneten  lat.  Wörter  quadrum  (viereck)  und 
quadratum  gelten  als  quader  (quaderstein)  und  quadrat  daneben.  Ur- 
sprünglich eins  sind  nicht  bloss  alarm  und  lärm,  kavalier  und  Cheva- 
lier, mantel  und  mantiUe,  partei  und  partie,  pigment  (färbemittel)  und 
piment  (gewürz),  rabatt  und  rabatte,  sondern  auch  apotheke  und  bou- 
tique  (butike,  budike),  delphin  und  dauphin,  cholera  und  kotier,  rotte 
und  route    (vgl.  s.  272),    theke    und    xieche,    thyrsus   und    torso.     Die 


284  ANDRESF.N 

identität  von  schafoti  and  Lata  fall-  wird  durch  altfrz.  eseadafaut  ver- 
mittelt und  veranschaulicht  Wahrscheinlich  hat  rfmer  mit  dejeuner 
denselben  Ursprung  (disjejunare).  Den  zunächst  dem  frz.  angehörenden 
Wörtern  bosketi  und  bouquet,  die  wir  das  eine  in  deutschem,  das  andere 
in  fremdem  gewande  auftreten  Lassen,  liegt  das  deutsche  „busch"  zu 
-rund«-.  Zwillinge  sind  ferner  parabel  und  paröle,  plan  und  piano, 
pein   und  pöw   (vgl  verpönen),    macaroni  und   makrone,   gardine   und 

//•////>  (festungswerk),  Sakrament  und  der  euphemistische  ausruf  sop- 
perment,  decket  (10  stück  feile)  und  deeurie,  fond  und  fbads,  arniee 
und  armada  (kriegsflotte) ,  faktion  und  facon,  bitt  (aus  dem  engl.)  und 
//////>.  honstabel  oder  konstatier  und  connetable  (Ist  comes  stabuli),  mi/rri- 
sterium  und  metier,  bestie  (niederd.  freestf)  und  &efe  (im  kartenspiel, 
frz.  bete).  Eine  vierfache  gleichung  zeigt  sicli  bei  domina,  donna} 
duenna  und  dame,  von  denen  das  lezte  algemein  üblich  ist,  die  andern 
hie  und  da  in  besondem  Verhältnissen  und  für  besondere  begriffe 
gebraucht  werden.  Zwischen  dem  im  frz.  aus  mea  donuuieella  ent- 
standenen  mademoiseUe  und  dem  daraus  gekürzten  volksmässigen  mam- 
.«II  findet  ein  unterschied  statt.     Aus  mlat.  superanus  oder  superaneus 

immen  souverain  (frz.)  und  sopran  (ital.).  Pfründe  vereinigt  sich 
mit  probende,  mlat.  provenda,  woher  zugleich  in  Hamburg  eine  art 
weissbrot  algemein  den  namen  pröven  führt  (woltat  aus  geistlicher  Stif- 
tung, besonders  an  brot).  In  dem  ausdruck  preisgeben  ist  dasselbe 
wort  enthalten,  von  dem  prise  herrührt,  sei  es  ein  erbeutetes  schiff 
oder  Schnupftabak.  Schanze  in  der  redensart  „in  die  schanze  schla- 
gen" (aufs  spiel  setzen)  stamt  von  frz.  chance}  das  auch  wir  zuweilen 
s  brauchen  (plur.  Chancen,  fälle,  aussiebten)  und  steckt  ebenfals  in 
mummemchanx,;  chance  aber  trift  zusammen  mit  cadence  (mlat.  caden- 
tia).  das  in  der  deutschen  kunstsprache  als  eadenz  nicht  unbekant  ist. 
Da<  lat  floecus,  woher  wir  flocke  haben,  wird  vom  mlat.  als  froecus 
übernommen:  hieraus  ist  frack  und  vielleicht  rock  (vgl.  frz.  froc,  kutte; 

igL  frock,  kitte!)  entsprungen.  Von  dem  adj.  hospitaMs  stamt  nicht 
allein  hospital  (spital,  spittel):  sondern  auch  hotel.  Aus  ital.  tartufo, 
tartufolo,  wodurch  die  trüffel  bezeichnet  wird,  hat  durch  dissimilation 
(noch  im  vorigen  Jahrhundert  komt  ..tartüffel"  vor)  auch  kartoffel  den 
namen  erhalten. 

Durch  die  verschiedene  betonung  trennen  sich  die  etymologisch 
übereinstimmenden  paare  August  und  augüst,  perfekt  und  perfM, 
tenor  und  ten&r. 

<  orientalischen  Ursprung  haben  die  gleichlingen  a%ur  und  lasur, 
düvan   und  douam .    gern    (woher  genieren)    und  gehenna,    Icabale  und 


WORTSPALTTTNGEH    IX   DGB    NHD.    SPRACHE  285 

kabbala  (geheimlehre),  sabbat  und  volksmässig  schabbes,  tulpe  (aus  tuli- 
pan  gekürzt)  und  turban  (ähnlichkeil  der  form),  Ziffer  and  chiffre 
nebst  xero  (null). 

Die  aus  der  fremde  stammenden  doppelwörter,  weicht1  aus  einem 
eigennamen  und  einem  gattungsnamen  bestehen,  sind  sehr  zahl- 
reich; die  priorität  ruht  gewöhnlich  auf  dem  eigennamen,  /.  I».  bei  Krönte 
und  kravatte,  Slave  und  sklave,  Maure  und  mohr,  Tatar  und  tater 
(zigeuner),  Caesar  und  haiser  nebst  tar,  Damaskus  und  damast,  Gaza 
und  gaxe,  Calicut  und  calicot  15<'i  Kaschmir,  woher  kasimir  stand, 
trift  es  sich,  dass  der  eigenname  (land  in  Asien)  schon  vorher  in  den 
gattungsbegriff  (tuch)  übergegangen  ist;  vgl.  engl,  cashmere  und  cassi- 
mere.  Aus  dem  lat.  adj.  christianus  sind  ehrist  (mhd.  kristen)  und  der 
name  Christian  entsprungen  (vgl.  frz.  Chretien  für  beide).  I  >•  -m  Gat- 
tungsnamen komt  die  priorität  zu  bei  hasteil  und  Cassel,  materie  und 
Madera. 

Grleichungen  innerhalb  der  eigennamen  allein  gibt  es  in  unüber- 
sehbarer menge,  namentlich  auf  dem  gebiete  der  personennamen.  Bei- 
spiele der  Identität  zweier  und  mehrerer  geographischen  namen  sind: 
Mailand  und  Meilen,  Nimwegen  und  Neumagen  (kelt  Noviomagus), 
Altona  und  Altnau,  Holstein  und  Höhten  (holtseten,  holzsassen),  Ra- 
stecle  und  Badsted t  (ausgerodete  statte),  Bedburg  und  Bettberg  liebst 
Badeborn  (aus  betabür,  kapeile),  Neuendorf  und  Niendorf,  Altenreif 
und  Altripp  (alta  ripa),  Uhr  in  Lach  und  Regenbach  (früher  beide  Re- 
ginbach).  Aus  der  masse  etymologisch  identischer  persönlicher  uamen 
mögen  herausgehoben  werden:  Adalbert,  Abert  und  Albrecht;  Robert 
und  Ruprecht;  Ulrich  und  Oelreich;  Lübbert  und  Liebrecht;  Rudolf 
und  Rolf;  Oskar  und  Ansgar;  Siebold,  Schal//  und  Sybel;  Henna  im, 
Haarmann  und  Hörmann;  Tiede,  Diede,  Bede,  Heile,  Tode,  Thode, 
Todt,  Heute,  Bauth,  Dude,  Tutt  und  andere  dem  reinen  stamme  von 
Biot,  Biet  entsprossene  koseformen;  Arnold,  Ahrenhold  und  Amwdldt; 
Walter,  WaMherr,  Welter,  Wolter  und  Wähler;  Gering,  Jhering,  Gö- 
ring,  Gehrung  und  Görung;  Sieg,  Sich  und  Sy;  Andreas,  Anders  und 
Drews;  Christian  und  Kirschstein;  Hans  und  Johannes;  Anton  und 
Böiuiiges;  Nikolaus,  Clages  und  Laus;  C/jriaz  und  Oillis;  Veiten  und 
Valentin;  Schröder,  Schwer,  Schreuer,  Schröder,  Schrieder  und  Schre- 
der;  Hölscher  und  Holxschuher ;  Amende  und  Amen;  Zru/mbaeh  und 
Thorbeck;  Ansorge  und  Ohnesorge;  Averbeck  und  Overbeck;  Schaff - 
ganz  und  Schafgans;  Busenbaum  und  Buxbaum;  Bachus  und  Back- 
haus; Her\feld,  Hatxfcld  und  Hirsch  fehl;  Klee  fisch  und  Clewisch. 

BONN.  K.    G.    ANDEESE.V. 


286 

DIE  BEAUT  DER  HÖLLE. 

Der  zuerst  von  frau  von  Gleichen  veröffentlichte  und  jezt  in 
Goedekes  und  Boxbergers  ausgaben  wider  abgedruckte  plan  Schillers: 
Rosamund  oder:  die  braut  der  hölle  ist  durch  den  bericht  Tiecks 
über  ein  altes  Puppenspiel  veranlasst  worden.  Goethe  selbst  hatte  Schil- 
ler auf  diesen  stoff  hingewiesen  und  bei  dieser  gelegenheit  bemerkt, 
dass  er  das  alte  marionettenstück,  dessen  inhalt  Tieck  angegeben,  in 
seiner  Jugend  selbst  gesehen  habe.  Er  bezeichnet  es  in  dem  brief  an 
Schiller  vom  1.  august  1800  als  eine  art  von  gegenstück  zum  Faust 
oder  vielmehr  zum  Don  Juan.  Ein  schönes,  aber  herzloses  mädchen 
verschmäht  alle,  die  sich  um  sie  bewerben,  da  sie  ihr  nicht,  schön, 
reich  und  vornehm  genug  sind;  und  sie  will  von  dieser  grausamkeit 
trotz  der  Warnungen  einer  alten  freundin  nicht  ablassen.  Einen  ihrer 
treusten  liebhaber  verwickelt  sie  in  einen  Zweikampf,  in  welchem  er 
von  einem  andern  liebhaber  erstochen  wird.  Da  zeigt  sich  ein  neuer 
bewerber,  der  sich  für  einen  grossen  fürsten  ausgibt,  aber  bald  als 
satan  zu  erkennen  ist.  Sie  nimt  seine  bewerbung  gern  an;  er  ver- 
spricht sie  zur  nacht  abzuholen.  Trotzdem  sie  nun  durch  böse  ahnun- 
gen  und  durch  den  geist  ihres  treuen  Liebhabers  gewarnt  wird,  erklärt 
sie,  als  ihr  bräutigam  wider  erscheint,  ihm  angehören  zu  wollen,  worauf 
er  sich  als  teufel  zu  erkennen  gibt  und  sie  von  den  höllischen  geistern 
hinweggeführt  wird. 

Der  text  dieses  Puppenspieles  ist  bis  jezt  nicht  wider  bekant 
geworden.  Eine  sehr  nah  verwante  fassung  fand  ich  in  der  Weima- 
rischen bibliothek;  das  stück  trägt  den  titel:  Faustina,  das  kind 
der  hölle.  Posse  in  einem  akt,  aus  den  zeiten  der  kreuz- 
züge.  Die  handschrift  umfasst  9  bogen  in  4°,  die  seiten  sind  unbe- 
ziffert.  Eine  scenenabteilung  ist  zuerst  durchgeführt,  dann  aber  nach 
der  dritten  scene  unterlassen. 

Das  stück  wird  mit  einer  längeren  scene  zwischen  Faustina  und 
ihrem  diener  Casper  eröfnet.  Wir  erfahren,  dass  Faustina,  die  als 
sehr  verbulte  dame  erscheint,  einen  geliebten,  den  prinzen  Domitius 
hat,  den  sie  auf  der  redoute  am  vorigen  abend  vergebens  gesucht  hat 
und  jezt  bei  sich  erwartet.  Dann  erklärt  sie  Casper,  der  in  dieser 
scene  seine  üblichen  possen  macht,  sie  wolle  eine  stunde  schlafen, 
worauf  sich  Casper  ebenfals  schlafen  legt.  Nachdem  Faustina  einge- 
schlafen, tritt  Silvander,  „eine  furie  aus  der  hölle"  auf  und  berichtet, 
dass  er  beauftragt  sei,  Faustina  wegen  ihren  vielen  Schandtaten  nach 
der  hölle  zu  holen  (3.  scene): 


ELLINGER,     DIE    BRAUT    DER    HÖLLE  287 

Sie  war  schon  längstens  reif,  ein  Kind  der  Hüll  zn  werden,1 

Denn  Sie  —  Sie  stift  viel  Unheil,  für  Menschen  auf  der  Erden. 

Durch  ihre  Untreu  hat  Sie  manchen  hingerichtet, 

Durch  ihre  Freveltat  manch  junges  Blut  vernichtet; 

Die  lezte  Stund  ist  da,  Sie  muss  mit  mir  nun  fort, 

Ich  führe  sie  sogleich,  frisch  an  die  Höllenpfort, 

Doch  muss  Sie  noch  zuvor,  ehe  Sie  von  hier  wird  gehen, 

Durch  Stolz  und  Übermut  drei  Meuchelmord  begehen. 

Er  weckt  die  schlafende  Fäustina  und  wirbt,  indem  er  sich  für 
den  reichsten  „Nabab"  aus  Ostindien  ausgibt,  um  ihre  liebe.  Faustina 
fühlt  sich  durch  die  Werbung  geschmeichelt,  erklärt  aber,  sie  nicht 
annehmen  zu  können,  da  sie  schon  mit  dem  prinzen  Domitius  verspro- 
chen sei.  Silvander  weist  auf  des  prinzen  armut  und  das  traurige  loos 
hin,  welches  sie  infolge  dessen  erwarte;  überdies  habe  Domitius  Fau- 
stina an  ihn  verkauft.  Auf  Faustinas  erstaunte  frage:  „Verkauft?" 
erwidert  er:  „Ja!  diese  Nacht  sah  ich  euch  auf  dem  Ball,  ich  sah  euch 
im  Tanz  herumfliegen.  —  Ihr  gefielt  mir  ganz  entsetzlich  —  Ach ,  seufzte 
ich  ganz  laut  —  Ach  wäre  dieses  Mädchen  meine  Gemahlin!  eine  Mil- 
lion wolte  ich  darum  geben.  —  Eine  Masque  im  grünen  Domino  stand 
hinter  mir,  und  sagte:  ist  das  euer  Ernst?  —  wollt  ihr  das  zahlen  für 
das  Mädchen?  —  ich  sagte  ja  von  ganzem  Herzen  —  Topp  sagte  er  — 
Sie  ist  meine  Braut  —  aber  ich  mag  Sie  nicht  mehr  leiden  und  ich 
trete  Sie  um  eine  Million  für  euch  ab  —  der  Handel  ward  geschlossen, 
und  er  wird  noch  heute  herkommen,  euch  seine  Liebe  aufzusagen. 

Faustina  (aufgebracht).  Ha!  der  Ungetreue!  Das  soll  er  mir 
mit  seinem  Leben  büssen! 

Furie.  Recht  so;  ich  verlasse  euch  jezt  auf  eine  kurze  Zeit  — 
schafft  alles,  was  euch  lästig  ist,  aus  dem  Wege. 

Nachdem  beide  die  scene  verlassen,  tritt  Domitius  auf.  Zunächst 
hat  Casper  ein  burleskes  gespräch  mit  ihm;  dann  erscheint  Faustina 
und  nach  einigen  kurzen  Wechsel  reden  ersticht  sie  ihn.  Er  stirbt 
unter  der  Versicherung,  dass  er  Faustina  unaussprechlich  liebe  und 
dass  ihm  unrecht  geschehe;  Faustina  aber  ruft  aus:  „Du  hast  nun 
deinen  Lohn,  du  falscher  und  ungetreuer  Verräther  —  nun  will  ich  gehn, 
und  meine  beiden  Aeltern  aus  dem  Wege  räumen  —  es  geht  jezt  in 
einem  Blutvergiessen   hin."     Sie  geht  ab;    hierauf  der   im  Puppenspiel 

1)  Ich  habe  bei  wörtlichen  anführungen  die  Orthographie  im  wesentlichen  bei- 
behalten, die  interpunktion  dagegen  dem  sinne  gemäss  geändert. 


388  KLLINGKB 

oft  widerholte  effekt1,  dass  Caspei  singend  und  trällernd  hereinstürzt 
und  über  den  leichnam  ialt.  Er  müss  denselben  auf  geheiss  der  wider 
zurückkehrenden  Faustina  fortschleppen.  Sobald  er  wider  auf  der  scene 
erschienen,  spricht 

Paustina.  Nun  rufe  den  Namen  Silvanter  auf  der  Strasse  und 
mein  schwarzer  Liebhaber  wird  sogleich  bey  dir  sevn;  führe  ihn  hier- 
her, und   veriahe  uns  — 

1  asper  (ruft).    Aner  und  der  Ander. 
Paustina.     Er  heißt  ja  Silvanter. 

per.  Xu  ja  Aner  und  der  Ander.  (Er  will  schnell  ablau- 
fen. Silvanter,  der  eben  so  schnell  hereineilt,  fahrt  gegen  Casper,  so 
dass  beide  rückwärts  zu  boden  fallen.) 

Silvanter.     Nu  nu!  geht  denn  der  Weg  durch  die  Leut? 

Casper.  Ey  so  geh  auf  d'  Seit,  wenn  a  Kerl  meines  Gleichen 
kommt  (er  geht  ab). 

Silvanter.  Nun  meine  theure!  seyd  ihr  bereit  mir  zu  folgen? 
habt  ihr  euch  aller  überlästigen  Personen  entledigt? 

Paustina  Ja  mein  Prinz,  nun  kann  ich  mit  Euch  reißen,  nun 
bindet  mich  hier  nichts  mehr  —  ich  bin  ganz  reißefertig. 

Furie.     Wollt  ihr  nun  die  Meinige  sein  —  mit  Seel  und  Leib?2 

Paustina     Ganz  die  deine  auf  ewig  mit  Seel  und  Leib. 

Furie  (rauh).     Nun  mit  deiner  Seele  ist  mir  geholfen  — 

Faustina  (erschrickt).  AVie?  welche  Stimme,  w elcher  Ton?  — 
was  ist  das? 

Für;        AVer  glaubst  du,  daß  ich  sey? 

Paustina.     Nun  ein  reicher  Nabab  aus  Ostindien,  ein  Fürst. 

Furie.  Ja  ich  bin  ein  Fürst,  aber  nicht  von  dieser  Erde,  ich 
bin  ein  Fürst  der  Finsterniß.  Asmotheus  ist  mein  Käme,  ich  bin  der 
Hochmuthsteufel,  gesandt  von  unserem  Höllenfürsten  Pluto,  dich  in 
allen  Lastern  reif  zu  machen,  und  der  Hölle  zuzuführen  —  du  hast 
durch  deine  buhlen-,  heu  Teufelskünste  viele  junge  Leute  unglücklich 
gemacht,  dann  deiner  armen  Aeltern  dich  geschämt  und  sie  ermordet, 
deinen   treuen  Domitius  aus  blinder  Eifersucht  getödtet  —  mache  dich 

li  VgL  /..  b.  Kralik  und  Winter,  Deutsche  Puppenspiele  s.  04. 

2  Man  vgl.  Tiock  in  den  briefen  über  Shakespeare  (Poetisches  Journal,  I, 
ßl  :  _  X  »eh  einmal  fragt  er  Bie  um  ihre  liebe;  sie  sagt  sie  ihm  freiwillig  zu,  ver- 
liert, ihn   mehr  als  alle  menschen,    mehr  als  sich   und  gott  liebe,    und 

reicht  ihm  mit  diesen  Worten  die  hand.     Er  fasst  sie  und  erklärt  ihr,  wer  er  sei;  sie 
reit  auf,  doch  kann  sie  sich  nicht  retten:  von  höllischen  geistern  und  ihrem  bräu- 
tigam  wird  sie  unter  frohlocken  und  ihrem  Zetergeschrei  hinweggefühlt.- 


DIE  BRAUT  DER  HÖLLE  289 

bereit  —  mache  dich  bereit  —  deine  lezten  Worte  heißen:  Verdamin- 
niß  in  alle  Ewigkeit  (ab.  Donner  and  Blitz.  Es  umgeben  sie  mehrere 
höllische  Furien.) 

Faustina  (in  Verzweiflung). 
0  war  ich  nimmermehr  auf  dieser  Welt  geboren; 
So  war  Paustina  nicht  so  schändlich  jezt  verloren 
Der  Himmel  blizt,  die  Erde  kracht.  <l<>r  Abgrund  Bpeuel   Feuer, 
Bringt  Fackeln  her;  zünd  Lampen  an,  hier  steht  das  Ungeheuer. 
Ins  Höllenhaus,  wo  Pinto  sizt,  mit  den  Gespenstern  wüthet, 
•Wo  jede  Seel,  die  unrecht  that.  bey  Gift  und  Schwefel  brüdet, 
Da  soll  ich  hin,  o  arges  weh,  da  soll  ich  bitter  leiden: 
So  muss  ich  nun  für  all  mein  thun  von  dieser  Erde  scheiden! 
Und  du  o  weit  und  breite  Welt, 
Sie  zn,  wie  klüglich  eine  Metze  fallt  —  o  weh!  o  weh! 

(Die  Furien  schlendern  Sie  fort.) 
Casper,  der  auftretend  der  davongeschlepten  Faustina  noch: 
„Glückliche  Reiße!  a  Bon  Moujage!  Glückliche  Reiße!"  nachruft,  lässt1 
sich  dann  von  einer  furie  mit  auf  kurze  zeit  in  die  hülle  nehmen,  um 
sich  dieselbe  anzusehen.  Er  komt  zurück  und  erzählt  in  langer  rede  den 
Zuschauern  von  den  sündern,  die  er  gesehen,  und  von  den  strafen,  die 
sie  erlitten.  Den  schluss  des  monologs  bildet  eine  anspielung  auf  einen 
teil  des  publikums.  Casper  berichtet,  er  sei  in  eine  kammer  gekom- 
men, in  der  die  sünder  immer  hin  und  hergesprungen  seien.  „So  fragt 
ich  meinen  Führer,  sage  mal  Bruder  Krumm  sehn  abel,  was  waren  denn 
das  für  Leute,  die  da  so  entsetzlich  hüpfen  und  springen  müßen,  sind 
denn  das  Seiltänzer  oder  Komödianten  gewesen,  die  auf  den  Brettern 
solche  Sprünge  gemacht  haben?  Nein,  sagte  mir  mein  andrer  Führer, 
der  sich  Bruder  Dickfuß  nannte,  nein  lieber  Casper,  das  waren  weder 
Komödianten  noch  Seiltänzer,  sondern  es  waren  solche  junge  Leute,  die 
immer  in  die  Komödie  gegangen  sind  und  nicht  mehr  als  einen  Gro- 
schen auf  den  letzten  Platz  bezahlt,  und  sind  hernach  herübergesprun- 
gen auf  den  zweiten  oder  ersten  Platz,  drum  müßens  in  der  Hölle  noch 
immer  so  springen  —  ha  ha  —  sagt  ich:  denen  geschiehts  auch  ganz 
recht  —  warum  bleibts  nicht  auf  euren  Plätzen  —  aber  ich  muß  mich 
auf  die  Seit  packen,  damit  ich  nach  meinem  Tode  [nicht]  auch  noch 
springen  muß.     Gute  Nacht!" 

Betrachten  wir  nun  das  vorliegende  stück  im  einzelnen  und  ver- 
gleichen  es  mit  dem  Puppenspiel,    von  welchem  Tieck  uns  den  inhalt 

1)  Auch  dies  eine  stehende  Situation  des  Puppenspiels;  vgl.  Kralik  undYVmter 
a.  a.  o.  s.  118  und  192. 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHH.OLOaiE.      BD.  XXIH.  19 


200  ELLIXGF.R,    PIK   BRA.ÜI    DEB   HÖLLE 

angibt,  so  kann  meines  erachtens  ein  zweifei  darüber  nicht  bestehen, 
dass  beide  verschiedene  recensionen  ein  und  desselben  Spieles  sind. 
A.ber  wahrend  die  Höllenbraut,  so  weit  der  berieht  Tiecks  darüber  ein 
urteil  gestattet,  verhältnismässig  sorgfaltig  ausgeführt  war,  ist  das  vor- 
liegende  spiel  überaus  dürftig  ausgestattet  Der  hochmut,  die  lieblosigkeit 
der  Höllenbraut  waren  in  dem  von  Tioek  analysierten  stück  doch  durch 
charakteristische  züge  dargestelt,  und  der  auch  im  deutschen  volksliede 
und  in  der  sage  mehrfach  widerkehrende  gedanke,  dass  ein  mädchen, 
welches  alle  freier  hochmütig  abweist  und  manche  von  ihnen  ins  Unglück 
stürzt,  sich  schliesslich  einem  nnbekanten  freier  ergibt,  der  sich  dann  als 
teufe]  ausweist,  war  consequent  durchgeführt  worden.  Von  diesen  beiden 
_  Lten  eigenschaften  ist  in  dem  vorliegenden  Puppenspiel  nicht  die  rede. 
Höchst  unbeholfen  wird  von  Faustinas  untreue,  hochmut  und  verbuhlt- 
heit  erzählt  Das  lang  ausgedehnte  gespräch  zwischen  Casper  und  Fau- 
stina am  anfange  des  Stückes  trägt  zur  Charakterisierung  gar  nichts 
bei;  die  zum  teil  gar  nicht  motivierten  episoden  von  den  drei  mord- 
taten  der  Faustina  machen  vollends  einen  lächerliehen  eindruck.  Das 
stück  is1  so  ungeschickt  ausgeführt,  dass  man  etwa  anzunehmen 
hat.  dass  die  niederschrift  von  einem  puppenspieler  herrührt,  der  das 
stück  längere  zeit  vor  seiner  schriftlichen  fixierung  im  manuskript  gele- 
D  oder  von  einem  anderen  Spieler  hat  aufführen  sehen  und  dem  nun 
beim  aufschreiben  wol  die  haupthandlung,  aber  nicht  mehr  die  einzel- 
heiten  gegenwärtig  waren,  so  dass  er  vieles  aus  dem  eignen  hinzutat 
und  eine  Verknüpfung  herzustellen  suchte,  so  gut  oder  so  schlecht  sie 
.  ihm  eben  gelingen   wolte. 

Immerhin  aber  müssen  wir  uns  vorläufig  aus  dieser  ungeschick- 
ten fassung  ein  bild  von  dem  ehemaligen  bestand  zu  gewinnen  ver- 
suchen. Auf  die  frage  nach  der  quelle  dieses  Puppenspieles  denke  ich 
zurückzukommen. 

BERLIN.  GEORG    ELLIXOER. 


ZU  GOETHES  FAUST. 


In  Goethes  brief  an  Grustgen  —  Auguste  gräfin  zu  Stolberg  vom 
17.  September  177Ö  (Weimarer  ausgäbe  IV,  2,  292  fg.)  ist  bekantlich 
zu  lesen:  da  ich  aufstund,  war  mirs  gut,  ich  machte  eine  Scene 
fin  meinem  Faust.  Weil  dann  bald  darauf  der  junge  dichter  seinen 
eigenen  zustand  mit  dem  einer  ratte  vergleicht,  die  gift  gefressen  fg., 
hat  man  längst  unter  <\('V  erwähnten  „scene"   die  in  Auerbachs  keller 


F.  BRONNER,  ZU  GOETHES  FAUST  291 

verstanden.  Da  aber  die  abfassung  dieser  ganzen  Langen  und  inhalt- 
reichen scene  an  jenem  tage  oicht  wo]  denkbar  ist  (Erich  Schmidt, 
Einleitung-  zum  Faust  in  ursprünglicher  gestalt  XXIII),  und  da  auch 
schon  im  tagebuch  vom  1").  juni  1775  eine  anspielung  auf  sie  zu 
stelm  scheint  (Erich Schmidt,  ebda),  so  zqg  man  aus  dem  briete  bisher 
gewöhnlich  den  sehluss  (auch  Pniower,  \'i<-if<d jahrsschrit't  für  littera- 
tur-geschichte  2,  147),  dass  Goethe  am  17.  september  1775  in  die 
scene:  Auerbachs  keller  die  „Episode  mit  dem  rattenüed"  neu  ein- 
gefügt habe.  Aber  dieser  auffassung  stehen  gewichtige  bedenken  gegen- 
über. Erich  Schmidt  hat  (mündlich)  mit  recht  hervorgehoben,  dass 
Goethe  doch  nicht,  wie  sich  nach  der  ausscheidung  ih>>  rattenliedes 
ergäbe,  den  Faust  ursprünglich  an  einer  stelle  in  die  geselschaft  i\t>v 
Studenten  einführen  lassen  kontc,  wo  die  Saufbrüder  in  hellem  streite 
begriffen  sind,  sondern  erst  mitten  im  jubel  über  das  „neu  Lied." 
AVie  solte  er  denn  sonst  für  dieses  treiben  gewonnen  werden V  Auch 
darf  man  sich  über  die  bezeiehnung  „scene"  nicht  so  leicht  hinweg- 
setzen. 

Aber  bedingt  denn  überhaupt  die  (ungenaue)  paraphrasierung 
des  rattenliedes  in  dem  briefe  durchaus  die  gleichzeitige  entstehung 
desselben?  Etwas  anderes  ist  es  ja  bei  wörtlichem  citat.  So  wäre 
man  z.  b.  geneigt,  nach  der  stelle  im  briefe  an  Gustgen  vom  Januar 
1775:  „Muste  er  menschen  machen  nach  seinem  bilde,  ein  geschlccht, 
das  ihm  ähnlich  sei  ...  ."  die  lyrische  Zusammenfassung  des  Prome- 
theusdramas in  diese  zeit  zu  verlegen.  (D.  Jacoby,  Goethejb.  1,  201.) 
Aber  gerade  die  ungenaue  Umschreibung  an  unsrer  stelle  spricht 
dafür,  dass  das  lied  früher  entstanden  und  nur  aus  dunkler  erinnern ng 
in  den  brief  eingeflossen  sei.     Also  nichts  mit  Auerbachs  keller! 

Wenn  man  jedoch  bedenkt,  dass  die  lyrischen  monologe  Gret- 
chens,  wie  algemein  feststeht,  die  am  spätesten  gedichteten  scenen 
der  Gretchentragödie,  ja  vielleicht  des  Urfaust  überhaupt  sind;  fer- 
ner, dass  an  dem  genanten  tage  —  wir  müssen  daran  festhalten  — 
eine  scene  entstanden  ist,  aber  eine  ganz  kurze  scene;  wenn  man 
schliesslich  und  hauptsächlich  die  damalige  Stimmung  Goethes  erwägt, 
wie  er,  von  unruhvoller  seimsucht  nach  Lili  geepuält,  im  zimmer  auf- 
uncl  abschreitet  und  in  einsamen  monologen  sich  zu  befreien  sucht1; 
wie  schon  die  Schlussworte  der  paraphrase  „und  ihr  innerstes  glüht 
von  unauslöschlich  verderblichem  Feuer"   gar  nicht  mehr  dem  ratten- 

1)  Am  IG.  sept.,  also  tags  vorher,  schreibt  er:  bat  mein  Her;  so  freund- 
lich freundlich,  und  mir  ward  leicht  .  .  ." 

19* 


292  F.  BBONNEB,  ZU  GOETHES  FAi 

liede  entsprechen;  wie  sich  unmittelbar  daran  die  erwahnung  Luis 
schliesst:  .Ahnt  vor  acht  Tagen  war  TAU  hier.  Und  in  dieser  Stunde 
war  ich    in   der  grausamst  feyerUchst   süsesten   Lage    meines  ganzen 

ens  Wu    ich  durch  die  glühendsten  Trähnen  der  Liebe ,  Mond 

und  Weil  schaute  und  mich  (dies  seelenvoll  umgab  . ...  Gustgen, 
auch  seit  dem  Wetter  bin  ich  —  nicht  ruhig  aber  still  —  was 
bey  mir  still  heisst  and  fürchte  aar  wieder  ein  Geteilter  — u  — 
ich  glaube,  all  dies  bedacht,  wird  man  vielleicht  meine  Vermutung 
nicht  unbegründet  finden:  die  am  17.  September  1775  entstandene  seene 
ist  Gretchens  monologscene  ..Meine  ruh  ist  hin,  Mein  herz  ist  schwer." 

Da»  nun  Goethe  im  verlaufe  des  briefes  seinen  zustand  mit 
anklängen  an  das  rattenlied  schildert,  das  erklärt  sich  einfach  ans  der 
1» -kanten  tatsache,  dass  man  in  briefen  sehr  leicht  dazu  verleitet  wird, 
eigene  ernste  Stimmungen,  wenn  man  sich  auf  die  eine  oder  andere 
weise  von  ihnen  befreit  hat,  in  scherzhaft -absprechendem  tune  darzu- 
llcii.  Und  dazu  bot  sich  ja  wie  von  selbst  das  motiv  des  rattenlie- 
des  dar,  welches  die  unruhige  Stimmung  des  sehnenden  liebhabers  so 
Lustig  verspottet 

Nun  könte  man  all  diesen  erwägungen  entgegenhalten,  was  Sche- 
rer 1  7 7  ~>  (A.  f.  d.  a.  2,  284)  über  die  angebliche  einwirkung  dieses  Oret- 
chenmonologs  auf  Fritz  Stolbergs  „Lied  in  der  abwesenbeit"  vom  jähre 
gesagt  hat,  daraus  schliessend,  dass  derselbe  schon  vor  der  Schweizer- 
reise,  also  vor  sommer  1775  fertig  gewesen  sein  müsse.     Aber  erstens 

aen  mir  die  anklänge  nicht  derart,  dass  sie  nicht  fast  in  jedem 
..Lied  in  der  abwesenheit"  begegnen  künten;  zweitens  aber,  wenn  man 
schon  durchaus  eine  beziehung  annehmen  will,  so  steht  doch  der 
annahm»'  nichts  entgegen,  da>s  das  Stolbergsche  lied  auf  Goethe  ein- 
gewirkt habt-,  wie  es  ja  auch  Scherer  selbst  (A.  f.  d.  a.  2,  283)  von 
einem  andern  liede  Stolbergs  vermutet  hat. 

BERLIN,  20.  FEBRUAR  1890.  FERDINAND  BRONNER. 


ZUM   DEUTSCHEN  WORT KEBUCHE. 

In  Grimms  Wörterbuch  VII,  1446  erklärt  v.  Lexer  den  bei  Luther 
vorkommenden  ausdruck  „pappenblume"  als  „papierblume."  Schon  der 
Zusammenhang,  in  dem  Luther  das  wert  gebraucht,  muss  diese  deutung 
zweifelhaft  erscheinen  lassen,  denn  er  schreibt  (Weimarer  ausgäbe  bd.  I 
s.  383  z.  16  fgg.):  „Und  zuvormeyden  vi  11  wort,  lass  ich  fahren  und 
befelh  dem  lieben  wind  (der  auch  mussiger  ist)  die  übrigen  vorgeben 
wert,   wie  die  pappen  blumen  und  dorren  bletter."     Denn  abge- 


G.    KAWBBAU,    ZUM    DEUTSCHEN    WB.    —    thäi  IM    BKniNGUNGSSATZK  293 

sehen  von  der  frage,  ob  es  L518  bereits  eine  fabrikation  von  papier- 
blumen  gab,  müssen  doch  blumen  gemeint  sein,  mit  denen  der  wind 
ebenso  wie  mit  dürren  blättern,  regelmässig  sein  spiel  treibt,  und  die 
seine  gewalt  besonders  zu  spüren  bekommen.  Nun  beschreibt  Luther 
(Werke  bd.  III  s.  038)  „candidum  illnin  orbiculum  seu  Lanuginem  sphe- 
rice  figure  cuiusdam  floris  in  agris  satis  ooti,  quod  papum  etiam 
Dominant,  quo  pueri  solent  ludere  sufflando",  also  die  pappus- blumen, 
wie  earduus  arvensis  oder  taraxacum  officinale.  Pappenblumen  wer- 
den also  „blumer  mit  federkronen"  sein.  Eeissf  «loch  im  holländ.  noch 
jc/.t  der  Löwenzahn  „papenbloem.a  Danach  corrigiere  man  auch  in 
Joh.  Schlaginhaufens  Tischreden  Luthers,  herausg.  von  W.  Preger,  Leip- 
zig Lsss  nr.  2:  „ISTos  sumus  papiri,  die  die  kinder  hinweck  plasen" 
in  ,,  Xos  sumus  pappi."  Solte  nicht  aber  auch  von  hier  aus  auf  das 
wort  „pappenstiel"  licht  fallen,  das  man  bisher  von  dem  stiel  (\<>*  Löf- 
fels erklärte,  mit  welchem  die  kleinen  kinder  ihren  brei  „pappen"; 
dass  pappenstiel  vielmehr  ihn  blumenstengcl  bezeichnet,  dem  der  wind 
oder  die  kinder  den  schmuck  der  federkrone  hinweggeblasen  haben? 
Ist  nicht  auch  in  gleicher  weise  der  provinziell  übliche  nanie  „Pfaffen- 
röhrleiu"  für  „Löwenzahn"  zu  erklären? 

KIEL.  •!.    KAWEKAU. 


NOCHMALS  thiil   IN   BEDINGUNGSSÄTZEN   BEI  LUTHER 

Im  lezfen  hefte  dieser.  Zeitschrift  hat  herr  prof.  0.  Erdmann 
(bd.  XXIII,  41)  auf  drei  von  mir  gesammelte  beispiele  für  den  gebrauch 
von  thet  im  sinne  von  mhd.  erdete  =  nicht  täte,  nicht  wirksam  oder 
vorhanden  wäre  aufmerksam  gemacht  und  die  erwartung  ausgespro- 
chen, dass  sich  für  diesen  gebrauch  des  conj.  prät.  ohne  hinzugesezte 
negation  in  bedingenden  nebensatzen  noch  weitere  beispiele  aus  der 
Übergangszeit  vom  mhd.  ins  nhd.  auffinden  lassen  würden.  Ich  bin  in 
der  läge,  den  dort  aufgeführten  beispielen,  von  denen  schon  zwei  aus 
Luther  entnommen  waren,  noch  zwei  weitere  völlig  gleichartige  aus 
seinen  Schriften  hinzuzufügen. 

1)  Auslegung  von  1.  Cor.  7  (1523),  Erlanger  ausg.  bd.  51  s.  81  = 
Weim.  ausg.  XII  s.  1 14  [im  druck  befindlich]:  Wenn  diße  u<>tt  thett, 
sottim  freylich  die  andern  Sachen  alle  gar  ryn  schlechte  ehe  machen  = 
traut  diese  not  nicht  vorhanden  wäre. 

2)  Brief  vom  6.  febr.  1546,  de  Wette  bd.  Y  s.  786:  [wir]  hätten 
gute  tage,  wenn  der  verdrießliche  handel  Unit  wenn  er  nicht  vor- 
handen wäre. 

KIEL.  G.    KAWERAU. 


294 


LITTEEATUR 

Goethes  werke.  Herausgegeben  im  auftrage  der  grossherzogin  Sophie 
von  Sachsen.  I.  abteilung:  bd.  1.  2.  6.  7.  14.  15,  1.  und  2.  III.  abteilung. 
Tagebücher  bd.  1  und  2.  IV.  abteilung.  Briefe.  Bd.  1  —  3.  Weimar,  Böblau 
1887  a.  88. 

Während  jener  langen  jähre,  in  welchen  Goethes  enkel  das  von  ihrem  gross- 
vater  sorgsam  geordnete  arehiv  verschlossen  hielten,  bis  sie  endlich  durch  freundes- 
hand  weniges  nach  gntdünken  der  Öffentlichkeit  übergaben,  hatten  sich  die  erwartun- 
gen  der  forscher  und  Verehrer  des  dichters  so  fest  bestirnt,  dass  kein  zweifei  über 
die  pflicht  desjenigen  bestehen  konte,  dem  die  freie  Verfügung  über  dasselbe  einst 
zufallen  würde.  Man  erwartete  zunächst  die  möglichst  rasche  und  volständige  mit- 
teilung  der  tagebücher  und  der  noch  ungedruckten  briefe;  die  Veröffentlichung  der  lezt- 
genanten  hatte  Goethe  selbst  bestirnt  und  Eckermann  zugesagt,  ihn  in  seinem  lezten 
willen  damit  betrauen  zu  wollen.  Aber  auch  noch  manchen  ungedruckten  gedienten 
und  aufsätzen  durfte  man  entgegensehen;  nicht  weniger  früheren  fassungen  anderer 
und  urkundlichen  angaben  von  fortgepflanzten  druckfehlern,  wie  man  z.  b.  wüste, 
dass  Goethe  die  druckfehler  der  ersten  ausgäbe  des  „Tasso"  angemerkt  hatte,  deren 
berichtigung  später  zum  teil  unterblieben  war,  so  dass  noch  ein  kopfloser  vers  die 
mit  peinlicher  Sorgfalt  ausgeführte  dichtung  entstelt.  Auch  viele  ungedruckte  briefe 
bedeutender  oder  mit  seinem  leben  nahe  verbundener  personen  standen  in  aussieht. 
Am  wenigsten  durfte  man  an  die  herstellung  einer  äusserst  schwierigen,  auch  zunächst 
keineswegs  so  dringenden  neuen  gesamtausgabe  seiner  werke  denken,  welche  nur  die 
endliche  krönung  der  volständigen  mitteilung  und  Verarbeitung  der  handschriftlichen 
Überlieferung  bilden  zu  können  schien.  Aber  das  Schicksal  wolte,  dass  fast  gerade 
der  umgekehrte  weg  eingeschlagen  wurde. 

Im  herbste  1884  hatte  Scherer  mit  der  ihm  eigenen  glühenden  begeisterung 
den  plan  einer  grossen  Goetheausgabe  gefasst.  Das  folgende  frühjahr  liess  Goethes 
lezten  enkel  kurz  vor  seinem  hinscheiden  die  schönste  tat  seines  lebens  ausführen: 
er  ernante  die  frau  grossherzogin  Sophie  von  Sachsen  zur  erbin  des  familienarchivs. 
Auf  veranlassung  dieser  glücklichen  wendung  bildete  sich  rasch  unter  Scherers  mit- 
wirkung  die  Weimarische  Goethegeselschaft.     Der  zum  ersten  vieepräsidenten  erwählte 

rliner  professor  und  akademiker  hielt  natürlich  vor  allem  seinen  lieblingsplan  einer 
neuen  Goetheausgabe  im  äuge.  Vorerst  hiess  es  freilich  nur,  der  schriftliche  nach- 
lass  solle  „erforscht,    gesichtet,    in  wertvollen  teilen  veröffentlicht  und  so  verarbeitet 

.den.  dass  daraus  eine  neue  volständige  lebensbeschreibung  Goethes  und  eine 
neue  volständige  ausgäbe  seiner  werke  in  einer  form  hervorgehen,  welche  den 
wissenschaftlichen  forderungen  der  gegenwart  entspreche."  So  war  ganz  sachgemäss 
m  dem  aufrufe  -An  alle  Verehrer  Goethes"  vom  1.  juli  zn  lesen.  Aber  noch  in  dem- 
selben sommer  wurden  vom  vorstände  nach  Scherers  Vorschlag  die  „grundsätze  für 
die  Weimarische  ausgäbe  von  Goethes  werken"  aufgestelt,  die  früher  zunächst  nur 
die  nach  persönlichen  rücksichten  gewählten  mitarbeiter  zum  meinungsaustausch 
anregen  solten.  Nach  dem  ersten  Jahresbericht  würden  „die  nerren  v.  Loeper,  Sclie- 
Schmidt  den  plan  einer  grossen  Goetheausgabe  einer  vorberatung  unterwerfen." 
Von  gründlicher  Untersuchung  der  Bachlage,  von  einer  ins  einzelne  gehenden  nach- 
weisung  der  mängel  der  zu  gründe  liegenden  ausgäbe  lezter  hand,   von  eindringlicher 


DÜ.NTZER,    ÜBER    GOETHES    WERKE    (WEIM.    AUSGABE)  295 

durchforsclmng  des  handschriftlichen  nachlasses,  auf  dessen  bereicherong  man  in 
nächster  zeit  hoffen  durfte,  war  keine  rede;  noch  weniger  von  einer  über  den  partoi- 
hader  erhabenen  aufforde  rung  an  alle  forscher  und  kenner  Goethes,  sich  freimütig 
über  die  für  die  wissenschaftliche  ehre  Deutschlands  so  wichtige  angelegenhcit  zu 
äussern;  am  wenigsten  von  einer  erörterong  vor  der  generalversamlung,  die  doch 
kaum  über  eine  wichtigere  frage  vernommen  werden  konte.  Schon  im  folgenden 
frühling  erschien  die  ankündigung,  im  laufe  des  Jahres  stünden  die  sechs  ersten 
bände  der  auch  Goethes  tagebücher  und  briefe  in  besondern  abteilungen  umfassenden 
ausgäbe  zu  erwarten.  Die  grundsätze  derselben  hatte  Scherer  aufgestelt,  desseo  Sorg- 
falt sich  auf  alles,  selbst  auf  die  musterung  der  druckschrift  und  der  papiersorten 
erstreckte.  Vergessen  war  das  alte  wort:  „Gut  ding  will  weile."  Erich  Schmidt  war 
beauftragt,  die  „im  plane  nötigen  Verschiebungen  und  einschiebungen  anzudeuten". 
da  man  nun  doch  entdeckt  hatte,  die  Ordnung  der  werke  in  der  ausgäbe  lezter  band 
sei  nicht  ganz  die  vom  dichter  selbst  beabsichtigte,  weil  äussere  gründe  dem  Verleger 
zu  Goethes  nicht  geringem  ärger  eine  abänderung  aufgedrungen  hatten.  Jozt,  wo 
bereits  eine  statliche  reihe  von  bänden  dieser  neuen  mit  so  grossen  ansprächen  ange- 
kündigten ausgäbe  vorliegt,  kann  sich  diese  Zeitschrift  der  wissenschaftlichen  prü- 
fung  derselben  nicht  entziehen. 

Über  die  im  jähre  1887  erschienenen  bände  habe  ich  mich  für  weitere  kreise 
schon  in  den  „Grenzboten"  (188S,  I)  ausgesprochen.  Das  dort  gefalte  urteil  wurde 
durch  die  nächsten  fortsetzungen  nur  bestätigt.  Trotz  aller  aufgewanten  mühe  ist  die 
ausgab.'  anfangs  eine  übereilte  gewesen;  es  fehlte  zum  teil  noch  an  den  notwendigen 
Vorstudien,  an  kritischer  Schulung,  an  reife  des  urteils  und  jener  Sauberkeit,  die  ans 
beherschung  des  Stoffes  und  einfach  klaren,  stetig  festgehaltenen  grundsätzen  fliesst. 
Weder  bei  aufstellung  dieser  grundsätze,  noch  bei  ihrer  anwendung  lag  ein  deutliches 
bild  von  dem  zustande  unserer  Überlieferung  vor,  wie  es  nur  aus  genauester  Verfol- 
gung ihrer  geschiente  durch  alle  vom  dichter  selbst  veranstalteten  drucke  zu  gewin- 
nen ist.  Freilich  wird  jeder  dem  grundsatz  der  redaktion  beistimmen,  man  dürfe 
nicht  ohne  not  von  der  ausgäbe  lezter  band  abgehen;  aber  die  entscheidung,  wo  eiue 
solche  not  eintrete,  hängt  wesentlich  von  der  einsieht  in  die  entstehung  unserer  Über- 
lieferung ab.  Der  vorbericht  erklärte:  „Ist  nicht  mit  voller  gewissheit  eine  Verderbnis 
anzunehmen,  besteht  irgend  ein  zweifei  an  der  not  wendigkeit  der  änderung,  so  darf 
sie  (man  erwartete  „nicht  geschehen";  nein — )  nur  im  einverständnis  mit  den  redak- 
toren  eingeführt  werden."  Da  möchte  man  denn  doch  wissen,  nach  welchen  grund- 
sätzen diese  ultima  ratio,  die  leidige  mehrheit,  entscheide,  die  dem  in  der  Sache 
stellenden  bearbeiter  oft  sehr  unbequem  werden  kann,  wie  sich  tatsächlich  aus 
den  äusserungen  des  herausgebers  des  „Divan"  zu  19.  9  fgg.  36,  12.  SO.  5  ergibt. 
Es  kam  auf  einfach  klare  grundsätze  an,  die  freilich  nur  aus  volständiger  kent- 
nis  der  Sachlage  zu  schöpfen  war. 

Die  redaktoren  hatten  von  der  Zuverlässigkeit  der  ausgäbe  lezter  band  eine 
viel  zu  günstige  Vorstellung.  Keiner  von  den  gehülfen  des  dichters  war  im  falle, 
sich  ununterbrochen  der  sechs  jähre  dauernden  sorge  für  diese  ausgäbe  zuzuwenden, 
darin  gleichsam  zu  leben,  so  dass  ihm  von  anfang  bis  zu  ende  die  zu  befolgenden  grund- 
sätze vor  äugen  gestanden  hätten.  Riemer,  durch  seine  kritischen  bestrebungen,  dich- 
terische begabung  und  sprachgewantheit  vor  allen  dazu  befähigt,  war  von  geschaffen 
und  eigenen  arbeiten  in  ansprach  genommen;  er  wurde  auch  nur  gelegentlich  befragt, 
eine  stetige  Überwachung  fiel  ihm  gar  nicht  zu.  Eckermanns  stärke  bestand  nicht  in 
der  wortkritik,  auch  war  er  so  wenig  wie  Kienier  mit  der  leitung  der  neuen  ausgäbe 


296  DÜNTZBB 

beauftragt  Goethes  besonderes  zutrauen  hatte  sich  Oöttling  erworben,  ein  tüchtiger, 
klassischer  philologe,  ein  klarer  und  heller  köpf,  ein  markiger  mensch,  dessen  man 
sich  wahrhaft  freuen  konte  (ich  spreche  aus  persönlicher  kcutnis).  Aber  seine  sache 
war  freilieh  weniger  deutsche  spräche  und  dichtung.  In  allem,  was  er  tat,  ein  ehren- 
mann.  teilte  er  stets  onverholen  seine  ansieht  mit,  wie  sie  ihm  der  dringende  augen- 
blick  und  eigene  gewöhnung  eingaben.  Und  Goethe  entschied  über  seine  vor- 
oach  augenblicklichem  ermessen,  oft  sehr  rasch,  besonders  wenn  es  galt, 
seine  Anordnungen  der  harrenden  druckerei  mitzuteilen.  Manchmal  stimte  er  Göttling 
nicht  zu;   doch  Hess  er  sich  zuweilen  zu  änderungen  verleiten,   die   er  Bpäter  misbil- 

Weimarische    redaktion    hat    sicli  grundsätzlich  nur  da    freie   band 
gestattet,    wo  Göttling  sich   abweichungen  „unbemerkt  oder  ohne  Goethes  bezeugte 
einwilligung  gestattet tt,   was  doch  ein  so  gewissenhafter  mann  ohne  zweifei  nie  getan 
hat.  wo  er  nicht  von  Goethes  Zustimmung  überzeugt  war.     Der  nein'  herausgeber  der 
lichte   hat   wenig  einmal  Göttlings   von  Goethe  gebilligte  Schreibung  (Alder- 

man  statt  Aid  ermann  I,  207)  mit  recht  rückgängig  gemacht.  Aber  eine  ein- 
sende kritik  muss  über  Goethes  hilligung  Göttlingischer  vorschlage  überall  frei 
entscheiden  und.  fals  die  änderungen  sich  als  entstellungen  ergeben,  das  ursprüngliche 
wider  einführen.  Ein  paar  fälle  dieser  art  habe  ich  Grenzboten  s.  35  angeführt.  Einige 
andere  fügen  wir  jezt  hinzu.  In  dem  liede  „Gewohnt  getan",  das  in  zwei  abschrif- 
ten  vorliegt,  steht  noch  in  der  ausgäbe  lezter  band:  „So  altern  dagegen  die  Jungen." 
I>ie  beim  ersten  anblick  zutreffende  änderung  jungen  bestach  Goethe.  Bisher  steht 
keineswegs  :  3t,  von  wem  die  änderung  ausgegangen;  dass  sie  für  die  oktavausgabe 
von  Goethe  angeordnet  worden,  beweist  der  entwurf  einer  druckfehlerlistc  für  die 
he  buchhandlung,  den  die  "Weimarische  ausgäbe  sonderbar  nur  zu  dieser  stelle 
il.  398),  und  zwar  ohne  alle  nähere  bestimmung,  erwähnt,  Genauere  betrachtung 
:l>t.  dass  der  dichter  nicht  sagen  woltc:  „Es  gibt  noch  wein  genug,  wenn  auch 
dieses  fass  _•  .  vi  isttt,  sondern  dass  er  in  eigentümlicher  weise  das  post  multa  sae- 
cula  pocula  nulla  durch  die  hindeutung  auf  das  rasche  hinschwinden  der  zeit 
andeuten  wolte,  woran  eben  das  heranwachsen  der  kinder  zu  leuten,  wie  das  Sprich- 
wort sagt,  die  beobachtung,  dass  „die  gewachse  uns  über  den  köpf  wachsen",  wie 
er  zehn  jähre  früher  in  den  „glücklichen  gatten"  geäussert,  uns  lebhaft  mahnt. 
_I»ie  jun_  -  stelt  der  fidele  sich  den  alten  entgegen,  wie  v.  16  die  Jugend.  Nur 
dieses  gegensatzes  wegen  spricht  er  vom  ältesten  weine,  der  mit  der  zeit  aufgehe, 
ohne  andeutung.  dass  er  heute  das  fass  leeren  werde.  Wir  stellen  mit  Jungen  den 
wahren  sinn  des  dichters  wider  her.  —  Ein  anderes  beispiel.  Wenn  Goethe  auf  Gött- 
lings verschlag  in  der  ersten  "Walpurgisnacht  v.  43  den  druckfehler  der  an  solchen 
hon  dritten  ausgäbe  sorge  aufnahm  statt  des  frühern  sorgen,  so  Hess  er  sich 
wahrscheinlich  durch  die  nüchterne  betrachtung  verleiten,  dass  hier  nur  von  der 
einen  sorge  vor  den  .harten  überwindern a  die  rede  sei;  aber  abgesehen  davon, 
da—  -  -ich  liier  von  der  sorge  aller  handelt,  ist  die  mehrheit  sorgen  selbst  im 
gewöhnlichen  Sprachgebrauch  gangbar  zur  bezeichnung  des  wogens  der  sorge  in  der 
le,  der  curarum  fluetus,  wie  Lucrez  sagt.  Man  kann  wegen  einer  sache  in 
sorgen  sein.  Einen  misklang  in  sorgen  willen  hat  Goethe  kaum  gefunden; 
schliessen  ja  häufig  verse  mit  zwei  auf  en  endenden  Wörtern,  wie  mit  starken 
armen,  meinen  willen;  ja  in  „Luis  park"  stand  ursprünglich  alle  sieben  sin- 
nen jucken,  wo  erst  in  III  das  veraltete  sinnen  weggescliaft  wurde.  Sorge  war 
ein  bl  eben  der  dritten  ausgäbe,  die  in  demselben  gediente  v.  38  schichten 

schlichten  hat.  welchen  druckfehler  die  Weimarische  ausgäbe  fortpflanzt,  weil 


ÖBEB   GOETHES    WERKE   (WKI.M.    A.U8GABE)  29*3 

er  bei  der  lezten  unbemerkt  geblieben  sei,  zu  welcher  eben  die  beiden  ersten  aus- 
gaben nicht  verglichen  wurden!  —  Verfolgen  wir  Göttlings  von  Goethe  gebilligte 
vorschlage  weiter.  \n  den  Elegien  11.  204  hilft  der  süssen  statt  süsser  freilich 
dem  verse  auf;  aber  der  artikel  ist  ungehörig,  und  hexameter,  in  denen  der  erste 
fuss.  wie  hier,  ein  reiner  trochäus  ist,  kommen  in  den  elegien  häufig  ganz  in  der- 
selben weise  vor.  (Jm  die  viersilbige  Lesung  des  namens  Jasion  herzustellen,  lässt 
Göttling  daselbsl  L2,  _'.'>1  den  artikel  weg,  wodurch  der  arge  übelklang  als  Bie 
Jasion  entsteht,  der  schlimmer  ist  als  die  imgriechische  ausspräche,  die  man  dem 
dichter  ebenso  zugute  hält,  wie  die  längung  der  dritten  silbe  in  Penia,  der  zweiten 
in  Antigone,  der  dritten  in  Euphrosyne.  Auch  im  „Divan"  fehlt  es  oicW  an 
ungehörigen  einfallen,  die  Goethe  gebilligt  Der  herausgeber  hat  einmal  ein  von 
Göttling  durchgeseztes  komma  statt  punkt  als  auf  misverstand  beruhend  mit  recht 
verworfen  (s.  159,  13),  ein  andermal  (s.  267,  20)  ein  von  Goethe  auf  dessen  rat 
gestrichenes  komma  wider  hergestelt.  Damit  ist  wenigstens  jener  unhaltbare  grund- 
satz  der  redaktion  durchbrochen. 

Ganz  eigner  art  sind  die  falle,  wo  ein  bedenken  Göttlings  den  (lichter  zu  schlim- 
besserungen  veranlasst  hat.  Jn  dem  schelmischen  gespräche  Batems  mit  den  tnädchen 
(VI,  L65)  heilst  es:  „Leichtgedrückt  die  augenlieder  |  Eines,  die  den  stern  beschä- 
men, Deutet  auf  den  schelm  der  schelmen,  Doch  das  andre  schaul  so  bieder." 
Hier  nahm  Göttling  daran  anstoss,  dass  eines  ohne  Verbindung  steht.  <i<>cthe  selbst, 
dem  das  licd,  wie  fast  alle  des  „Divantt  längst  fremd  geworden,  wüste  sich  nicht  zu 
helfen,  da  er  übersah,  dass  er  mit  grosser  kühnheit  den  relativsatz  von  augen- 
lieder getrent  hatte  und  eines  eigentlich  nach  „besohclmen"  stehen  solte.  Ebenso 
hatte  er  s.  159,  4  „die  aumasslichen  Matter"  durch  „belächeltest  du"  von  den  enge 
damit  verbundenen  beiden  ersten  versen  getrent  (der  neue  herausgeber  durfte  nicht  über- 
gehen, dass  die  erste  ausgäbe  v.  2,  nicht  v.  3  komma  hat!)  und  s.  43,  9  „wie  du 
weissta  vor  statt  in  den  von  „verzeih"  abhängigen  satz  gestelt.  Die  not  verleitete 
den  dichter  „der  augenlieder"  zu  schreiben,  was  durchaus  sinwidrig  ist,  da  eines  und 
das  folgende  das  andre  nicht  auf  die  augenlieder.  sondern  auf  die  doppelten 
äugen  gehen.  Hier  muss  man  den  dichter  gegen  seine  falsche  änderung  in  schütz 
nehmen! —  Schwieriger  scheint  ein  anderer  fall.  ]\Iit  der  gegen  den  wanderjahrepastor 
Pustkuchen  gerichteten  betrachtung  „Haben  sie  von  deinen  fehlen"  (s.  74)  konte  Gött- 
ling  nicht  fertig  werden.  Der  Übergang  aus  der  zweiten  person  durch  die  dritte  in 
die  erste  wolte  ihm  nicht  eingehen,  auch  schien  ihm  die  Verbindung  13  fgg.  unge- 
hörig; zur  herstellung  der  construetion  schlug  er  14  Hat  man  statt  Endlich  oder  15 
Lehret  mich  statt  Und  mich  lehrt  vor.  Goethe,  dem  auch  diese  verse  ganz 
fremd  geworden,  genehmigte  das  zweite  und  Bezte  10  mir  statt  ihm,  so  dass  „der 
durch  den  tadel  gleichsam  entzweite  in  persönlicher  einheit  eine  rechtfertigung  aus- 
spräche." Aber  von  einer  rechtfertigung  ist  überhaupt  nicht  die  rede.  Ihm  geht 
auf  den  belehrten,  und  es  ist  ein  hübscher  zug,  dass  dieser  unerwartet  (ähnlich 
wie  in  „Luis  park")  verrät,  es  handle  sich  um  ihn,  da  er  doch  bisher  im  alge- 
meiuen  gesprochen  hat,  in  welcher  weise  Goethe  sich  auch  sonst  der  zweiten 
person  bedient.  Der  schluss  würde  nur  dann  ganz  singemäss  sein,  wenn  es  Lehret 
man  liiesse;  denn  nicht  das  frommen  der  busse  lehrt,  sondern  man  lehrt  ihn, 
dass  die  busse  fromme,  wenn  der  mensch  gefehlt  habe.  Der  neue  herausgeber 
gesteht,  dass  der  schluss  ihm  auch  in  der  beibehaltenen  Göttling -tjoetheschen  fas- 
simg  unverständlich  sei,  wagt  aber  keine  Vermutung,  gedenkt  auch  der  von  mir 
gegebenen  lösung  nicht.     Freilich  bleibt  die  stelle  immer  hart,  weil  der  satz:  „da  sie 


DÜNTZKK 

mich  endlich  auserkoren  haben,  bei  ihnen  in  die  schule  zu  gehen",  verkürzt  ist;  die 
reimnot  hatte  den  dichter  bedrängt.  Leider  fehlt  uns  von  diesen  versen  der  erste 
entwarf. 

Aach  in  der  rechtschreibung  soll  die  ausgäbe  lezter  hand  massgebend  sein, 
freilich  das  zufällige  und  wilkürliche  nicht  fortgepflanzt,  vielmehr  fehlerhaftes  berich- 
tigt, schwankendes  und  onebenmäss  -  s  I — itigt,  die  Schreibung,  wie  man  sich  aus- 
drückt, normiert  werden.  Billigen  könte  man  es,  wenn  hierbei  der  Statistik  die  eut- 
-  teidung  anheimgegeben  wird  (1.  s.  xxn:  aber  wie  wenig  dieser  gefolgt  wird,  habe 
ich  schon  Grenzboten  s.  36  gezeigt.  Und  in  den  spätem  bänden  geht  es  so  fort.  Noch 
im  zweiten  bände  der  gediente  liest  man  euern  (s.  31.  173.  176)  neben  dem  ein- 
führten euren  (86.  Ol.  141  fg.)  und  dem  häufig  stehenden  heitern;  aber  heit- 
rem (24  163)  neben  munterm  (24),  düsterm  (59),  dunkelm  (60),  verzweiflen 
neben  wandeln,  betrügende  (264)  ;neben  dem  eingeführten  betriegen  (236. 
Wo  bleibt  hier  die  Statistik!  Im  Divan  steht  unsres  (16)  neben  dem  einge- 
führten uns.  rs,  bittrem  (251)  neben  unserm  (257);  betrüge,  freilich  im  reim 
auf  lüg  B5  .  aber  2,  291  reimen  betriegen  und  belügen;  thörig  (57),  wie  die 
ausgäbe  lezter  hand  auch  im  dritten  bände  neben  dem  Goethe  aufgedrungenen 
thöricht  las;  gescheut  freilich  im  reime  neben  dem  eingeführten  gescheit,  und 
im  nachlass  findet  sich  änglend  (294),  ja  in  demselben  gedachte  lächlend  neben 
schöppelnd  (302).  Im  ersten  teile  des  „Faust"  lesen  wir  v.  328  dunklen  neben 
dreimaligem  dunkeln.  1139  wird  betrügen  statt  des  eingeführten  betriegen 
_  sezt,  weil  diese  form  im  reim  auf  lügen  unerträglich  sei.  aber  doch  nicht  uner- 
träglicher als  669  bügel  im  reim  auf  riegel,  obgleich  die  von  Goethe  sonst 
_  brauchte  form  bieget  (vgl.  I,  304,  156)  zu  geböte  stand.  Unsres  tritt  an  die 
sonst  eingeführten  unsers,  neben  sauerm  380  lesen  wir  höhrem  1063. 
Bedeutender  sind  die  abweichungen  im  zweiten  regelloseste  wilkür  zeigenden  teile, 
in  welchem  wir  uns  auch  unsrer  phalanx  10595  unbemerkt  gefallen  lassen  müs- 
»bgleich  an  vier  andern  stellen  phalanx  männlich  gebraucht  wird.  Hier  finden 
h  abweichend  von  dem  regelmässig  befolgten  gebrauch  euern  (11908),  unsres 
(10817),  andrem  (9591),  muntren  (8793),  heitrem  (9878),  düstrem  (11219), 
traurend  (882  ungeheuren  (6003),  zweiflen  (6534),  verzweiflend  (11480), 
wandlen,  verwandlen  (8153.  8159).  ähnlet  (5078),  tändlend  (9993),  wim- 
lens  (6014),  eitlen  (5984),  frevlem  (7895),  frevlend  (7921),  thöricht  (9127), 
aber  thöriger  (9601),  wo  vielmehr  thör'ger  stehen  solte.  So  venig  ist  hierin  eben- 
m.  'dt.    die  bei  einiger  Sorgfalt  Leicht  zu  erreichen  stand. 

Auf  das  entschiedenste  müssen  wir  uns  dagegen  erklären,  dass  die  zufällige 
hreibung  der  zwanziger  jähre  zu  gründe  gelegt  worden  ist.  Goethe  wolte 
in  der  rechtschreibung,   da   er  an   ihr  keinen  besondern  anteil  nahm,  gar  nicht  seine 
ii  grundsätze  durchführen,    sondern  verlangte   nur  möglichst  strenge   befolgimg 
der  zur   z-it   gangbaren,    auf  dass   die   Wirkung   seiner  werke   nicht  durch  das  unge- 
hnte   der  äussern  erscheinung    beeinträchtigt  werde.     So   würde   er  denn  auch  in 
b'-folgiuig  di  sich   dagegen   verwahrt  haben,    dass  man  bei  einer  zu 

hren  veranstalteten  neuen  ausgäbe  in  den  achtziger  Jahren,  welche  eine  rich- 
tig hreibung  in  unsern  schulen,  kanzleien  und  druckereien  eingeführt  haben,  die 
vielfach  vei  Ler  zwanziger  jähre  befolge,  vielmehr  die  den  legem  geläufige 
:   zeit       _        inet  haben,    damit   diese   nicht  an   eigenheiten   anstoss  nehme,    die  in 
u  zwa:           jahren  keine  waren.     Hier  Stelen  noch   die  leidigen  ungehörigen  h  in 
voller  blute;   wir  werden   durch  vmologische  c  daran  erinnert,   dass  takt  und 


ÜBEB    G0ETHE8    WERKE    (WKIM.    A.U6GABE)  299 

punkt  aus  dem  lateinischen  stammen,  obgleich  diese  längst  nicht  mehr  als  fremdwör- 
ter  gefühlt  werden,  auch  die  Lateinische  endung  abgelegt  haben  und  nicht  allein  deutsch 

abgebogen  werden,  sondern  auch  deutsche  ableitungen,  wie  pünktlich,  und  Zusam- 
mensetzungen, wie  taktvoll,  erzeugt  haben.  Ein  punctum  kann  man  sich  gefal- 
len lassen,  aber  punkt  ist  deutsoh  geworden.  Übrigens  findet  sieh  auch  in  der  aus- 
gäbe lezter  band  schon  takt  il.  i':>.  sii),  kredenzen  (1,  105),  kapello  (1,  210. 
225),  kanono  (1,  149),  kanal  (1,  :;i!i).  nur  nie  beiden  Lezten  in  der  Weimarschen. 
Nach  dem  vorbericht  Bolten  sieh  die  abweichungen  lediglich  auf  das  lautzeichen 
beziehen,  aber  nur  bei  Schwankungen,  wogegen  keine  gestattet  wird,  wo  die  ausgäbe 
lezter  band  sich  gleich  bleibt.  A.ber  dann  hätte  auch  almählig  beibehalten  und  das 
bei  weitem  überwiegende  acht  mit  rücksicht  auf  die  Statistik  statt  des  einzig  rich- 
tigen echt  zu  unverdienter  ehre  kommen  müssen.  Einen  starken  riss  macht  der 
vorbericht  in  der  anordnung  der  ausgäbe  lezter  band,  wenn  er  Göttlings  von  Goethe 
gebilligten  kanon  über  den  gebrauch  des  v  verwirft,  der  freilieh  gar  wunderlich  ist, 
alier  durch  Goethes  sonst  trotz  allem  verehrte  anordnung  geschüzt  wird.  Die  anordnung 
der  redaktoren  ist  um  Verletzung  der  folgerichtigkeit  nicht  bekümmert  Sic  volo. 
Nur  bei  den  wenigen  Fremdwörtern  soll  es  zugelassen  werden,  in  denen  es  sich  auch 
noch  heute  erhalten  hat.  Als  ob  nicht  unsere  Schulkinder  heute  von  den  Schreibun- 
gen styl  und  sylbe  erlöst  wären,  welche  der  neue  Goethe  flotweg  braucht.  Das  y 
ist  heute  nur  da  berechtigt,  wo  es  in  einem  fremdwort  wie  ü  ausgesprochen  wird. 

Dass  die  satzzeichnung  in  der  ausgäbe  lezter  hand  höchst  ungleich  und 
zum  teil  liederlich  sei,  haben  alle  bedauert,  welche  darauf  geachtet  hatten  und  mit 
den  berechtigten  anforderungen  an  eine  solche  vertraut  waren.  Dennoch  wurde  diese 
satzzeichnung  für  die  Weimarische  ausgäbe  massgebend.  Man  beruft  sich  auf  Göttlings 
behauptung,  er  habe  die  interpunktion  verändert,  wie  er  sie  nach  bester  Überzeugung 
bei  einem  Griechen  oder  Römer  dargestelt  haben  würde.  Aber  diese  äusserung  bezieht 
sich  bloss  auf  die  ersten  bände,  von  denen  der  vorbericht  selbst  zugibt,  dass  sie 
weniger  genau  durchgegangen  seien;  mitunter  freilich  scheine  GötÜing,  besonders  in 
den  ersten  teilen,  ohne  prineip  zu  verfahren,  so  dass  die  ausgäbe  „ersichtlich  öfters" 
den  früheren  folge.  Nach  schulmässigem  Schematismus,  heisst  es  weiter,  lasse  sich 
Goethes  lebendig  tönende  spräche  überhaupt  nicht  abteilen;  sie  leide  zwang,  so  oft 
man  zu  gunsten  einer  eingebildeten  regelmässigkeit  einen  derartigen  versuch  unter- 
nehme, und  jeder  versuch  der  uniformierung  bringe  die  ganze  interpunktion  der  aus- 
gäbe lezter  hand  ins  schwankon.  Aber  diese  hätte  immer  fallen  mögen,  wäre  eine 
grundsätzlich  richtige,  gleichmässig  durchgeführte  eingetreten,  welche  die  dichterische 
freiheit  nicht  im  geringsten  anzutasten  brauchte.  Dass  sich  Goethes  „lebendig 
tönende  spräche"  (was  hat  dies  mit  der  satzteilung  zu  tun?)  nicht  pedantisch  abteilen 
lasse,  hat  keinen  sinn.  Gilt  es  ja  hauptsächlich,  nur  die  Sätze  nach  ihrem  logi- 
schen Verhältnis  durch  entsprechende  zeichen  abzuteilen,  welche  zugleich  die  kür- 
zern und  längern  pausen  des  Vortrags  andeuten.  Das  ideal  der  satzzeichnung  wäre, 
hierin  Goethes  art  des  lesens  widerzugeben,  was  uns  wesentlich  gelingen  dürfte, 
wenn  wir  den  spuren  nachgehen,  die  sich  in  der  freilich  mangelhaften,  aber  oft 
abweichenden  handschriftlichen  satzzeichnung  finden.  Wenn  Goethe  schon  durch  das 
führen  der  feder  beim  schreiben  gestört  wurde,  konte  er  noch  weniger  beim  dichten 
immer  die  logische  trennung  der  sätze  in  betracht  ziehen.  Er  Überhess  die  sorge  für 
die  satzzeichnung  den  ahschreibern ,  den  freunden  und  schliesslich-  der  di uckerei, 
deren  sache  es  sei,  diese  zu  ordnen.  Wenn  er  selbst  sich  mit  der  durchsieht  der 
druckbogen   befasste,    so   sah   er  mehr  auf  den   Wortlaut  als  auf   die    richtige   wort- 


300  DÜNTZEB 

Schreibung  und  anwendung  der  Satzzeichen.     Eine  grosse  anzah]  seiner  gedichte  gieng 
in  der  abschiift  des  Schreibers  ohne  jode  geordnete  satzzeichnung  in  den  druck,  und 
die  druckerei  und  die   heransgeber   der    Zeitschriften  waren   weit  entfernt  auf   diese 
zu  achten.      Man   sehe   nur.    wie   nachlässig    sie    meist    in  Schillers    „Musen-Alma- 
n;i'h-  behandelt  ist,  wovon  freilieh  die  lesarten  der  Weirnarischen  ausgäbe  kein  aus- 
reichendes  l>ild  geben.     Wurde  auch   manches   in  den  spätem  ausgaben   verbessert, 
sehr  vieles  blieb  zurück,  so  dass  nur  eine  gründliche  Umgestaltung  nach  festen  gründ- 
en abhülfe  bringen  kann.     In   dieser   beziehung  hat  die  neue  ausgäbe  die  berech- 
tigten  erwartuneen   nicht  erfült.     Vor   allem   solte   nach    den    Sätzen,    bei  denen  eine 
pause  eintritt,    vor  einem  beginnenden  satze  des  grundes,    der  folge  oder  des  gegen- 
nicht  ein   blosses  komma   stehen,    das  nie  an  der  stelle  ist,    wo  der  redende 
länger  inne  hält.    So  muss  im  ersten  bandeein  punkt  stehen  s.  22.  \'A.   110.  S4.   r_">.  '.',2. 
5,  27.     162,  16.     L63,  25.     165,  18.     177,  28.    202,  18.    221,  74;   ein  Semikolon 
.   11.     27.  .:.     31,  20.     36,  23.     68,  10.     75,  5.     78,  14.    113,  36.    135,  20.  39. 
144.   11.     147.  .'!".     149,  <).    was   der  Zusammenhang,    zum   teil   auch   die    verse   der 
entsprechenden  Strophen  ergeben,  wie  in  der  ballade  „Ritter  Curts  brautfahrt"  (176  fg.), 
wo  in  der  mitte  der  strophe  immer  ein  starkes  Satzzeichen  sich  findet,    Einmal  (68,  1) 
hat  der  heransgeber,  wie  früher  schon  in  seiner  besonderen  ausgäbe,  durch  einführung 
-  kommas  statt  des  überlieferten  Semikolons  den  ausdruck  entstelt;  denn  „geschwind 
zu   pfi  Mar  die    mahnung    des    schlagenden    herzens.     Ausruflingszeichen   statt 

des   kommas  wird   gefordert  s.  41,  7.     146,  6.     211,  25.     215,  20.     Statt  Semikolon 
te  kolon  geseztsein  51.  7.   51.  4.    01,  15.   115,  60.    140,  10;  punkt  00,  32.   138,  28. 
180,  52,  wie  umgekehrt  statt  punkt  Semikolon  20,  10.    58,  10.   109,  10,  sowie  132  fg. 
nach  jedem  ersten  verse  der  strophe,   da   das  zwischentretende  „ Juchhe"  keinen  ein- 
tluss  auf  die    Satzverbindung  hat,    und  148,  50.     Das  kolon   141,  41    ist    zu    stark 
vor  dem  kurzen   satze:    „Denn  ich  habe  niehts  getan."     Ein  komma  ist  s.  164,  5  zu 
streichen,  wie  es  in  der  dritten  strophe  (19)  fehlt,  wogegen  in  der  zweiten  irrig  aus- 
rafungszeichen   steht,    das   hinter  den  nächsten  vers   gehört.     Verkehrt  ist  es  auch, 
nn  im    „  Zigeunerliede  "    (s.  156)   nach  4    statt  des   puuktes,    wie    in    den    übrigen 
»phen,  ein  ausrumngszeichen  den  refrain  als  geschrei  der  eulen  bezeichnet. 

Dem  dichter  war  bei  der  durchsieht  der  ausgäbe  lezter  band  die  in  früherer 
zeit,  schon  bei  der  ersten  ausgäbe,  gewöhnlich  „alzuhäuhge  interpunktion  und  kom- 
matisierung1-  unangenehm  aufgefallen,  und  er  wünschte  deshalb  die  tilgung  unnötiger 
kommas,  wodurch  -ein  reinerer  fluss  des  Vortrags"  bewirkt  werde,  was  darauf  deutet, 
dasfl  er  durch  die  satzzeichnung  de  den  vertrag  unterstützen  wolte.    Der  vorbericht 

•  .  XXIII.  dass  auch  die  ausgäbe  lezter  hand,  oacb  dem  heutigen  massstabe 
(wir  müssen  hinzusetzen,  auch  nach  Goethes  gefühl)  die  zeichen  etwas  zu  reichlieh 
anwende,  besonders  bei  adverbialen  bestimmungen  von  grösserem  umfang  und  bei 
partidpialkonstraktionen;  dagegen  sei  reichlichere  interpunetion,  besonders  in  den 
gedichten.  oft  durchaus  angebracht,  indem  sie  dem  leser  zum  bewustsein  bringe,  wie 
in  wenig  weiten   der  sinn  c   sätze   beschlossen  sei.     Aber   dazu   sind   die   Satz- 

zeichen doch  nicht  da;  sie  sollen  nur  die  pausen  des  Vortrags  bezeichen  und  das  nicht 
eng  zusammengehörende  trennen,  was  für  das  Verständnis  von  gröstem  werte  ist. 
D:  he  ausgäbe  hat  manche  störende  kommas  gestrichen,    aber  bei  weitem 

nicht  all  :  sind  z.  b.  in  den  gedichten  ungehörig  die  kommas,  welche  die  weite 
durch  tal  und  hügel  (f.  26),  nach  dem  stürme  (55),  so  warm  (113),  ver- 
traut und  fromm  (126),  im  leuchtenden  grabe  (130),  die  quer'  und  läng' 
(166),    im   freien   (192),    zum   zwecke   (215),    zu  seinem   zwecke   (218),    mit 


ÖBEB   GOETHES    WERKE   (WEI.M.    AUSGABE)  301 

gewichtigen   zetteln  (240)  abtrennen.     Ähnlich   verhält   i  li  in  den  übrigen 

bänden.     Darin,   dass  zwischen  zwei  gleichzeitig  nebeneinanderstehenden   beiwörtern 

kein  koniina  steht,  folgt  die  neue  ausgäbe  Goet.li'->  gebrauch;  doch  möchte  in  dem  falle, 
wo  das  zweite  den  begriff  des  ersten  erklär!  oder  Bteigert,  ein  solches  wol  an  der 
Btelle  sein",  wie  denn  auch  die  Weimarische  ausgäbe  Lieblichen,  ladenden  glänz 
(I,  s.  59),  ernst'-,  stille  betraehtung  (283),  beibehält,  wonach  man  auch  in  ähn- 
lichen fallen  ein  komma  wünschte,  wie  in  Btilles  bescheidenes  kraut  (347), 
besonders  da  vorangeht  farblos,  ohne  gestalt.  Bei  der  verstärkenden  widerholung 
desselben  wortes,  wie  leise  leise,  alles  alles,  hätte  man  erwarten  sollen,  di 
die  ausgäbe  kein  komma  setze,  da  diese  eng  verbunden  sind  und  Goethe  in  der  aus- 
spräche nicht  trennte.  Freilich  stehen  leise,  lei  ar  mit  vorangehendem  und 
folgendem  komma  (I,  140),  sachte,  sachte  (II,  102)  schon  in  den  ersten  drucken. 
ebenso  im  „Di  van44  (VI,223),  stille,  stille;  aber  im  „Faust"  hatte  noch  die  ausgäbe 
lezter  band  immer  immer  mehr  (129),  alles  alles  (3212),  und  auch  das  von 
Schmidt  beibehaltene  nun  nun  (3257),  wogegen  das  handschriftliche  Alles  alles 
(3908)  schon  im  ersten  drucke  zu  Alles,  alles  geworden,  3686  Lass,  lass.  378S 
zur  langen,  langen  pein  gedruckt  war.  In  den  „Neugriechischen  Liebe  -  Skolien" 
hat  die  ausgäbe  lezter  band  als  kleine,  kleine  (3,  237),  im  liede  „Um  mitter- 
nacht"  kloin,  kleiner  knabe  (3,  52),  wo  wol  klein-kleiner  stehen  soll,  wie 
golden-goldne  im  Faust  (5012).  In  den  invektiven  findet  sich  schlecht 
schlechten  (statt  schlecht-schlechten).  Die  erste  ausgäbe  des  Götz  hatte 
viel  vieles,  wo  später  viel  gestrichen  wurde.  Der  widerholung  der  beiwörter  zur 
Verstärkung  des  begrii's  bediente  sich  Goethe  auch  in  der  gewöhnlichen  rede,  wo  er 
dieselben  nicht  durch  eine  pause  getrent,  sondern  ebenso  eng  verbunden  gesprochen 
haben  muss,  wie  er  sonst  bei  gleichstufig  verbundenen  beiwörtern  kein  komma 
brauchte.  Anderer  art  ist  die  widerholung  glocke  glocke,  wo  auch  unsere  ausgäbe 
(I,  204,  13)  kein  komma  hat. 

Zu  den  aller/verschiedensten  Verrichtungen  braucht  die  ausgäbe  lezter 
band,  und  demnach  auch  die  Weimarische,  den  gedahkenstrich,  gerade  nicht,  zum 
leichten  Verständnisse,  das  doch  die  satzzeichnung  zu  vermitteln  hat.  Der  gedanken- 
strich  soll  eigentlich  eine  pause  bezeichnen,  wird  aber  aeuerdings  besonders  da  ver- 
waut,  wo  man  auf  das  nachfolgende  als  etwas  unerwartetes  oder  bedeutendes  vor- 
bereiten will  oder  die  rede  abgebrochen  wird.  So  findet  er  sich  denn  doch  auch  in 
unserer  ausgäbe  einigemal.  I,  188,  20:  „Nicht  wahr  im  grünen  vertraulichen  haus—'4, 
wo  der  schluss  der  frage  nach  einer  zwischenrede  folgt.  135:  „Man  retiriert,  man 
avanciert  —  Und  immer  ohne  kreuz*,  wo  statt  des  punktes  ausrufungszeichen  an  der 
stelle  wäre.  II,  8:  „Unentbehrlichs  bring'  ich  mit  —  die  liebe.44  87:  „Mit  einem 
blick  —  Götter  zu  entzücken*1,  wo  komma  genügte.  90:  „Und  so  —  zu  ihren  fassen 
Hegt  das  tier.44  91:  „Und  ich!  —  götter,  ists  in  euren  bänden.-  259:  „Ich  könte 
viel  glücklicher  sein  —  Gäbs  nur  keinen  wein.44  Ferner  steht  ein  gedankenstrich, 
zuweilen  zwei,  zur  andeutung  einer  pause,  wobei  zum  teil  vorausgesezt  wird,  dass 
zwischen  den  beiden  reden  etwas  geschieht.  I,  218  komt  nach  den  Worten:  „Herr 
und  meister!  hör'  mich  rufen!  — u  der  meister  wirklich.  Faust  132:  -Sic  zu  befrie- 
digen ist  schwer Was  fält  euch  ein?44  genügte  nach  schwer  ein  blosser  punkt, 

etwa  mit  gedankenstrich;  jedesfals  muss  ein  punkt  stehen,  da  der  satz  zu  ende  ist. 
2871:  „Vielleicht  ist  er  gar  tot!  —  0  pein!  —  — ."  Die  gedankenstriche  deuten 
hier  eine  kürzere  und  eine  längere  pause  an.  2208  wird  Frosch  in  seinem  liede  beim 
verse  „  Der  hatt'  einen   grossen   floh  —  *    unterbrochen.     Solche  pausen  hätten  auch 


302  PVNTZER 

an  andern  stellen  bezeichnet  worden  sollen,  wo  unsere  ausgäbe  diese  so  wenig  andeu- 
tet,   dass    sie  zuweilen  mit  einem    ganz    schwacheu   Satzzeichen   sieh   begnügt     Das 

dünste  beispiel  dieser  art  bildet  das  -''dicht.  „Der  wanderer",  wo  die  personen  wäh- 
rend i  -  e  spräches  in  die  höhe  steigen,  die  frau  sieli  entfernt  und  widerkomt,  was 
mehrfach  durch  gedankenstrich  anzudeuten  war.  Ja  wir  lesen  hier  sogar  noch:  „Gleich 
zur  linken  Durchs  gebüsch  hinan:  Biertt,  wo  freilieh  die  ausgäbe  lezter  hand  nach 
«hinan-  nur  komma  hatte,  während  wenigstens  punkt,  wenn  nicht  ausrufungszeichen 
mit  gedankenstrich  stehen  muste.  Aueli  im  „Faust"  solte  1022  Dach  dem  verse  „Nur 
wenig  schritte  noch  hinauf  zu  jenem  steina  statt  eines  kommas  punkt  nebst  gedanken- 

ich  stehen,  da  der  redende  zwischen  diesem  und  dem  folgenden  verse  zu  dem 
breitet  Abel  auf  das,  was  der  gedanke  fordert,  hat  eben  unsere  aus- 
•  11  acht.  Häufig  genug  hat  sich  nach  dem  in  früherer  zeit  ausserordentlich 
verbreiteten  falschen  gebrauch  ein  gedankenstrich  statt  eines  blossen  punktes  erhalten, 
wie  1.  62,  11.  70,  7.  110,  28.  II.  7."».  46.  90,  105.  VI,  36,  G.  73,  4.  Faust  369. 
879.  1395.  ls"."..  Zuweilen  genügte  statt  des  gedankenstriches  ein  blosses  komma, 
wie  I,  77,  4L  337. .  4.  Faust  363.  47)8.  Dass  gedankenstriche  gesezt  werden,  wo 
die  rede  von  einem  zum  andern  sich  wendet,  wie  I,  203,  44,  oder  eine  anrede  ein- 
tritt,  wie  I,  248,   2  18  (hier  müste  noch  punkt  vor  dem  gedankenstrich  stehen),  mag 

h  entschuldigen  lassen«   aber  nicht  beim  Übergang  zu  einem  vergleich,  wie  I,  26G, 
•i  einer  erklärung,  wie  I,  287,  11.  am  anfang  einer  erzählung,  wie  Faust  2814, 

i  einer  aus  dem  vorigen  sich  ergebenden  lehre,    wie  I,  290,  8,    wo   ein   absatz  an 
der  stelle  wäre,   wie  unsere  ausgäbe  solche  oft  genug  hat,   leider  ziemlich  grundsatz- 
Auch  für  diese  solte  nicht  die  zufällige'  anwendung  in  früheren  ausgaben  mass- 
end sein,  nur  innere  gründe.     Statt  des  gedankenstrichs  bei  einzelnen  abgebroche- 
nen Worten,  wie  II.  33.    Faust  3183,  und  bei  Unterdrückung  oder  blosser  andeutung 

von  uianständigen  ausdrücken,  wie  II,  261.   Faust  1821  („H "  wogegen  hintern 

II.  263.  VI,  233  ausgeschrieben  ist).  4138.  4142  fg.  könten  einzelne  punkte  stehen, 
wie  ähnlich  in  unserer  ausgäbe  II,  164  zur  bezeichnung  eines  unaussprechlichen, 
wofür  in  den  Yenediger  epigrammen  66,  4  ein  kreuz  steht.  Auf  das  entschiedenste, 
müssen  wir  uns  gegen  den  freilich  von  Goethe  selbst  eingeführten  gebrauch  zweier 
östliche  statt  der  jezt  gangbaren  klammern  erklären  I,  7.  22.  152.  185,  27 
[wogegen  in  gleichem  falle  184,  6  jedes  zeichen  eines  zwischengeschobenen  satzes 
fehlt}.  209,45.  259%  v. 430— 439.  II,  3.  26  fg.  74.157.  Faust  2744  fg.  3068  fg. 
Wirklich  stehen  klammern  in  den  gedienten  II,  149,  im  „Divan"  269,  auch  in  „Her- 
mann und  Dorothea"  neben  dem  gleichen  gebrauch  von  gedankenstrichen.  In  den 
dramen  waren  schon  in  frühester  zeit  die  seenarischen  bemerkungen  in  klammern 
n.  auch  zuweilen  kleine  Zwischensätze,  wovon  freilich  die  erste  ausgäbe  der 

rke  abwich,  die  gar  keine  klammern  hat,  auch  nicht  in  den  gedienten.  Aber  der 
ausschlu-  klammern  von  dieser  und   in    folge   desselben  mit  wenigen  ausnahmen 

von  den  gedienten  noch  in  der  ausgäbe  lezter  hand  kann  uns  nicht  hindern,  durch 
einfuhrung  der  neuerdings  so  vielfach  in  anwendung  gebrachten  zeichen  die  in  zu 
verschiedener  v  gebrauchten  gedankenstriche  zu  beschranken  und  so  misverständ- 
nisse  zu  verhüten,    die  in  der  ausgäbe  Lezter  hand  um  so  leichter  waren,    als  sie 

lankenstriche  auch  zur  Unterscheidung  angefühlter  reden  brauchte. 

hon  in  den  „Akademischen  blättern"  von  Sievers  (I,  308  fgg.)  habe  ich  die 
durchaus  verschiedene  weise  hervorgehoben,  in  welcher  die  ausgäbe  lezter  hand  bei 
dei  ichnung  eingeführter   reden   verfährt,    und    ein    gleichmässiges  verfahren  als 

dem  Verständnisse   forderlich   und   einer  verständig  angelegten   ausgäbe  Goethes  allein 


ÖBEB    GOETHES   WEEKE    (WEIM.    AUSGABE)  303 

würdig  dargestelt.  Iu'e  Weimarische  ausgäbe  hat  leider  jene  bunte  mannigfaltigkeit, 
die  auf  reinem  zufall  beruht  und  jeder  sachlichen  begründung  entbehrt,  als  ein  unan- 
tastbares gut  beibehalten  zu  müssen  geglaubt.  Gehen  wir  näher  auf  den  ersten 
band  der  gediente  ein,  so  fehlen  zunächst  alle  anführungszeichen,  selbst  bei  län- 
gern reden,  ja  »'ine  solche  wird  sogar  s.  5  nach  doppelpunkt  mit  kleinem  anfangs- 
buchstahen  begonnen.  Wenn  s.  7  mitten  in  der  rede  der  göttiu  zwischen  zwei  gedan- 
kenstrichen  eingeschoben  wird:  „So  saufe  Bie,  ich  hör'  sie  ewig  sprechen"  (im) 
komma),  so  soll  das  auf  die  freude  deuten,  welche  ihre  in  den  vorhergehenden  ver- 
sen  ausgesprochene  anerkennung  im  dichter  erregt  bat.  Anführungszeichen  fehlen 
auch  bei  den  worten  Amors:  „Hier  ist  das  kerzchen la  (15),  im  Eeidenröslein  (16) 
und  bei  dem  ven  der  Schäferin  gesungenen  „Lala!  reralla"  (20%.).  Erst  s.  22  finden 
wir  solche,  nämlich  bei  Käthchens  „Nimm  dich  in  acht!  der  lluss  ist  tief  und  bei 
der  angäbe  ihres  namens.  Das  lied  fand  sich  aoeh  nicht  in  der  eisten  ausgäbe;  in 
der  „IrisL  fehlen  diese  zeichen.  Selche  finden  sich  auch  nicht  s.  25  beim  widerstände 
des  pflänzchens:  „Soll  ich  zum  welken  geboren  sein?  und  s.  77  beim  ausrufe:  .,<>  sie 
ist  wert  zu  sein  geliebt!";  dagegen  stehen  sie  in  Schadenfreude  (s.  51)  am 
anfang  und  ende  der  weite  des  mädchens.  Trost  in  tränen  (s.  86  fg.)  schlii 
die  strophen  der  erwiderung  der  schmachtenden  in  anführungszeichen,  und  solche 
finden  sich  auch  in  dem  Hede  „Sehnsucht";  das  „Taschenbuch  auf  das  jähr  1804", 
worin  sie  zuerst  erschienen,  hatte  sie  nur  beim  zweiten.  In  dem  eben  daher  genom- 
menen „Bergschloss*  hat  auch  die  ausgäbe  lezter  band  das  „Ja!u  (94,40)  ebne  anfüh- 
rungszeichen. Auffallend  beginnen  schon  in  der  ersten  ausgäbe  der  gediente  alle  acht 
verse  die  rede  in  Geistesgruss  mit  anführungszeichen.  Weniger  Veranlassung  zu 
anführungszeichen  boten  die  geselligen  lieder.  Rechenschaft  gibt  die  klage 
der  waise  (s.  140)  in  solchen.  Auffält  es,  dass  im  Frühlingsorakel  (s.  112)  nur  der 
vorlezte  vers  durch  das  zeichen  :  |  :  als  zu  widerholen  bezeichnet  wird.  Eine  reich- 
lichere anwendung  der  anführungszeichen  forderten  die  bailaden;  doch  fehlen  sie 
ganz  im  Sänger  (162  fg.),  wo  der  könig  1 — 4  und  7,  der  sänger  den  grösten  teil 
<h-<  gedichtes  spricht.  Im  Erlkönig  (1G7  fg.)  werden  die  reden  des  vaters,  des 
knaben  und  des  Erlkönigs  unterschieden;  die  beiden  ersten  sind  bloss  durch  einen 
schliessenden  gedankenstrich,  die  des  Erlkönigs  durch  anführungszeichen  und  zwar  wider 
vor  allen  einzelnen  versen  und  am  Schlüsse  bezeichnet.  Dagegen  wird  im  Fischer 
(1G9)  der  sang  der  nixe  nur  durch  den  vorangehenden  doppelpunkt  eingeleitet,  sogar 
fehlt  ein  gedankenstrich  am  Schlüsse  (v.  24).  Beide  balladen  standen  so  schon  in  der 
ersten  ausgäbe.  Die  spätem  balladen  Das  blümlein  wunderschön,  Ritter  Gurts 
brautfahrt,  Hochzeitlied  der  Schatzgräber  entbehren  alle  der  nötigen  andeu- 
tuugen  der  eintretenden  reden.  Dagegen  ist  in  Der  müllerin  verrat  Dicht  blo 
die  klage  des  gcprelten  am  anfange  und  ende  und  beim  beginn  der  Strophen  (nicht 
vor  jedem  verse)  mit  anführungszeichen  versehen,  sondern  auch  die  in  derselben 
berichtete  anrede  an  die  ihn  überfallenden  durch  gedankenstriche  abgesondert.  Ebenso 
finden  wir  in  Der  müllerin  reue  die  von  der  zigeunerin  im  namen  der  geliebten 
gesprochenen  Strophen  mit  anführungszeichen  versehen.  Von  den  erst  in  der  dritten 
ausgäbe  hinzugekommenen  balladen  "Wirkung  in  der  ferne  aus  dem  Januar  1808 
und  den  fünf  jähre  später  entstandenen  Die  wandelnde  glocke  und  Der  getreue 
Eckart  hat  die  erste  die  nötigen  anführungszeichen,  die  dritte  nur  den  schluss  der 
rede  durch  gedankenstrich  v.  21  u.  22  (aber  nicht  30)  bezeichnet,  in  der  zweiten  feh- 
len sie  ganz.  Die  drei  lezten  balladen  Der  Zauberlehrling,  Die  braut  von 
Korinth    und  Der  gott  und    die  Bajadere    waren    zuerst  in   Schillers  Musen- 


304  DÜNTZEB 

Almanach  auf  das  jähr  L798  erschienen,  welchem  die  „Neuen  Schriften"  und  die 
zweite  ausgäbe  in  bezug  auf  die  Unterscheidung  der  reden  ganz  folgen.  Im  Zauber- 
lehrling sind  mit  recht  nur  die  lezten  verse  als  spruch  des  meisters  von  der  rede 
des  lehrlings  durch  anführungszeichen  geschieden.  Dagegen  ist  in  der  braut  von 
Corinth  trotz  der  Schwierigkeit  des  Verständnisses  die  Unterscheidung  der  reden 
völlig  ungenügend.  Nur  die  des  mädehens  v.  138  und  der  mutter  143  fg.  sind  vorher 
und  am  ende,  die  des  Jünglings  139  fg.  am  Schlüsse  durch  einen  gedankenstrich 
hnet.  Bei  dieser  völlig  ungenügenden  Unterscheidung  hat  sich  leider  die  Wei- 
marische ausgäbe  begnügt,  während  eine  anzahl  von  reden  und  gegenreden  zu  be- 
zeichnen, unter  andern  auch  dem  Jüngling  v.  115  — 110  zuzuteilen  waren;  denn  dass 
117  :_.  8 Wechselhauch  und  kuss!  |  Iiebesüberfluss!*,  wie  das  vorhergehende  und  das 
folgende,  diesem  gehören,  sie  kein  blosser  bericht  sind,  zeigen  schon  die  ausrufungs- 
zeichen.  Ebenso  lückenhaft  ist  die  Unterscheidung  in  der  lezten  ballade.  Überliefert 
sind  gedankenstriche  nach  Jungfrau!  (227,  16),  hinaus  (17,  wo  der  nötige  punkt 
fehlt),  und  die?  (18),  aber  auch  nach  19  müste  ein  solches  stehen.  Der  "Weimarische 
herausgeber  achtet  auf  so  etwas  nicht,  noch  viel  weniger  bezeichnet  er  die  andern 
reden  der  Bajadere  (25 — 30.  69  —  74)  und  der  priester  (75  —  88).  In  den  zuerst  in 
den  Hören  gedruckten  römischen  Elegien  werden  längere  reden  (v.  113  — 138.  242  — 
_  .  19—422)  mit  anführungszeichen  versehen,  v.  293  —  296  geht  voran  der  am 
durch  einen  gedankenstrich  abgesonderte  befehl  und  es  folgt  die  erwiderung. 
In  der  sechzehnten   elegie  hat  die  frage  der  geliebten,    warum  er  nicht  zur  Vigne 

:ommen  (351  fg.),  anführungszeichen,  die  antwort  ist  durch  gedankenstriche  abge- 
irrt; das  schliessende  Scherzwort  355  —  360  steht  wider  richtig  in  anführungs- 
zeichen. Zum  unglück  für  den  Weimarischen  herausgeber  Avar  in  der  ausgäbe  lezter 
band  am  Schlüsse  das  ausrufungszeichen  ausgefallen,  und  ihm  entgieng  (so  ungenau 
verglich  er  die  Lesarten!),  dass  die  früheren  ausgaben  dasselbe  haben;  denn  dies  ver- 
leitete ihn.  flugs  nach  358  gegen  alle  Überlieferung  und  den  offenbaren  sinn  ein  sol- 
ches  nebst  gedankenstrich  einzuflicken.  So  wrar  das  hübsche  gedichtchen  jämmer- 
lich entstell  Sonst  haben  die  elegien  169  „Dichter!  wohin  versteigest  du  dich?" 
und  218  den  ruf:  „Komt  zur  heiligen  nacht!"  mit  anführungszeichen  eingeschlossen, 
das  erste  am  Schlüsse  mit  gedankenstrich.  Demnach  war  in  diesen  elegien  die  bezeich- 
nung  richtig  durchgeführt.  Anders  finden  wir  es  in  Alexis  und  Dora,  wo  bloss 
ein  gedankenstrich  nach  154  das  vorangegangene  als  rede  des  Alexis  bezeichnet,  die 
zwi-li.iji.-len  57  Jgg.   62.   05  —  70.   76  fgg.   100  fg.   103.    109  durch  nichts  als  solche 

gedeutet  sind;  ja  jener  gedankenstrich  fehlte  noch  1800  in  den  Neuen  Schriften, 
er  in  der  handschrift  stand,  aber  freilich  nach  dem  vier  verse  vorangehenden, 
der  eine  kurze  pause  andeutet,  ohne  besondere  bedeutung  war,  so  dass  hier  anfuh- 
rongszeichen am  anfange  und  nach  154  durchaus  nötig  erscheinen.  Im  neuen 
Pausias  wären  nur  ein  paar  reden  (62  —  66.  69  fg.  99  fg.)  als  solche  zu  bezeichnen 
gewesen,  die  aber  durch  die  einleitenden  werte  und  den  doppelpunkt  sich  als  solche 
ergeben.     Die  rede   der  Euphrosyne   hat  am    anfang  und  ende  anführungszeichen 

;.  140),  die  in  dieser  berichtete  erwiderung  des  dichtere  erst  seit  den  Neuen 
iften  einen  gedankenstrich  am  Schlüsse  v.  96.  Dagegen  ist  in  der  elegie  Amyntas 
:  anfang  noch  ende  der  lispelnden  klage  angedeutet  21  fg.;  ja  noch  in  den  Neuen 
tft<  n  stand  vor  derselben  punkt,  nicht  doppelpunkt.     Ebenso  wird  die  erzählung 

-  rhapsoden  in  der  ersten  epistel  v.  60  fg.  mir  durch  einführende  und  abschlies- 
sendeworte  hervorgehoben,  auch  die  darin  berichteten  wechselreden.  In  den  Epigram- 
men i-t  v.  293  die  mahnung:  „Seid  doch  nicht  so  frech,  Epigramme!"  als  solche  her- 


OBRE   OOETHBS    WKKKK    (WI'.I.M.    A.USGABE)  305 

vorgehoben,  dagegen  nicht  der  gesang  der  Venediger  dirne  .';:!7  fg.  Rede  und  gegen- 
rede  werden  345  fg.  349  fg.  so  geschieden,  dass  die  erste  in  anfiihrungszeiehen 
steht.  Durch  später  nicht  berichtigtes  versehen  fehlt  nach  430  gedankenstrich.  So 
etwas  kümmert  den  Weimarisohen  herausgeber  nicht,  obgleich  Goethe  anzweifelhaft 
su  die  antwort  des  A.eolus  von  dem  gebete  Beneiden  wolte,  wie  146  die  beruhigung 
der  geliebten  von  der  klage.  In  den  Weissagungen  des  Bakis  werden  53  1 
and  69  fgg.  alle  reden  durch  gedankenstriche  von  einander  geschieden,  die  des  gegen- 
redners dazu  in  anfiihrungszeiehen  geschlossen;  89  fgg.  und  97  fgg.  linden  sich  bo 
nur  drei  reden.  81  fgg.  und  L05  fgg.  sind  die  erwiderungen  in  anfiihrungszeiehen 
■  -1  ■•  -n .  101  fgg.  zugleich  mit  vorhergehendem  gedankenstrich.  Su  wenig  folgerecht 
war  man  dabei  verfahren.  In  den  distichen  der  vier  Jahreszeiten  wurden  31  —  34. 
69  fg.  die  reden  als  solche  oicht  besonders  bezeichnet.  Ganz  eigentümlich  treten 
127  fg.  durch  anführungszeichen  als  äusserung  der  parteimänner  hervor.  Freilich 
könte  man  meinen,  das  zweite  anführungszeichen  sei  nach  dem  ersten  verse  zu  setzen 
und  der  zweite  als  ironische  antwort  dos  gegenredners  im  sinne  der  parteimänner  zu 
lassen. 

Im  zweiten  zum  teil  mit  geringerer  Sorgfalt  zusammengestelten  bände  der 
gedichte  waren  häufig  genug  die  angeführten  redeu  bloss  durch  doppelpunkt  oder 
ein  die  rede  bezeichnendes  wort  angedeutet,  wie  s.  L5,  1  !•'>.  72  fg.  75.  96.  L32 
182  fgg.  187  1g.  193  fg.  (erwiderung  auf  eine  indirekte  rede).  206.  231.  8.  1  14.  92 
gebt  gar  keine  andeutung  der  anrede  vorher,  die  längere  anrede  ist  in  zwei  anführungs- 
zeichen geschlossen.  Mit  solchen  wird  auch  vielfach  ein  satz  oder  eine  rede  bezeich- 
net, wies. 7.  36  fg.  (meist  mit  folgendem  gedankenstrich).  49  —  52.  87  fg.  (einmal  mit 
schliessendem  gedankenstrich).  90.  202  fgg.  205,  wo  die  entgegnung  in  zwei  gedan- 
kenstriche geschlossen  ist  (ein  solcher  fehlt  v.  14,  wie  v.  21  punkt  nach  nackt). 
207.  217.  237.  242  fg.  247  fg.  260.  273  (wo  die  frage  ohne  anführungszeichen; 
steht).  Diese  beispiele  bestätigen,  dass  Goethe  die  hervorhebung  der  reden  beab- 
sichtigte, was  nur  zuweilen  aus  nachlässigkeit  unterblieb. 

Aueb  im  Divan  sind  reden  anderer  sehr  häufig  mit  anführungszeichen 
gegeben,  aber  zuweilen  wird  nur  der  name  des  redend  eingeführten  mit  spricht 
genant;  anderswo  fehlt  die  andeutung,  der  sprach  gehöre  einem  andern,  wie  z.  b. 
die  sieben  ersten  verse  des  gedientes  Anklage  (s.35),  mit  wegläll  des  absatzes  zwi- 
schen 5  und  6,  als  spruch  des  korans  in  anführungszeichen  stehen  solten.  Im 
„  Faust u  werden  selten  andere  reden  so  angeführt,  dass  diese  durch  besondere  zei- 
chen angedeutet  werden  müsten.  Die  neue  ausgäbe  hält  sich  hier  an  die  Überliefe- 
rung. Richtig  sind  v.  442  fgg.  in  anführungszeichen  gesezt,  aber  in  der  veralteten  weise, 
dass  ein  solches  vor  jedem  einzelnen  verse  stellt.  122-1  ist  das  biblische  „Im  anfang 
war  das  wort!u  als  anfahrung  bezeichnet  (doch  solte  Im  statt  im  stehen),  aber  bei 
der  beabsichtigten  Veränderung  der  Übersetzung  L239.  1247  fehlen  sie.  Solche  solten 
auch  stehen  bei  der  angeblichen  äusserung  Schwertleins  2955  fgg.,  deren  ende  nicht 
ursprünglich,  aber  schon  in  der  zweiten  ausgäbe  durch  einen  gedankenstrich  an. 
deutet  wurde,  bei  den  reden  des  p  fallen  2834  —  2810,  Valentins  und  seiner  kameraden 
3630  —  3633.  3635  fg.,  bei  dem  liedchen  „Wenn  ich  ein  vöglein  war'!"  (3318),  bei 
dem  von  Mephistopheles  höhnisch  nachgesprochenen  befehle  Fausts  s.  227,  bei  dem 
rufe  „Gretchen!"  v.  4465.  Im  „ Walpurgisnachtstraum "  sind  die  anführungszeichen 
4322  beibehalten,  aber  solche  solten  auch  4333  fg.  stehen.  An  den  grundsatz  der 
gleichmässigkeit  wird  gar  nicht  gedacht:  mau  beruhigt  sich  einfach  bei  der  jeder 
gleich mässigkeit  entbehrenden,  zufällig  zu  stände  gekommenen  vorläge. 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.     BD.   XXIII.  20 


306  m'xTZER 

Ein  nur  in  wenigen  fallen  nötiges  zeichen  ist  der  apostroph,  der  am  ende  and 
am  anfange  der  wörter  einen  sinn  hat.    wie  bei  s  am  anfange    (nicht  in   der  zusam- 
menziehung,  wie  ists.  niirs),  frend'  war',  und  einei'  der  gewöhnlichen  rede  Erem- 
d  ansstossnng  eines        als,    wie  lebend'gen,    woll'n.     Der  vorbericht  zählt  ihn 
zu  den  Laatzeichen,  *.li< *  thunlich  beseitigt  werden  sollen.    Leider  ist  dies  nicht  gesche- 
hen.   Man  liest  noch  die  rein  etymologischen  Schreibungen  saus't,  wächs't,  hälfst 
(freilich   oeben  wächst,  hältst),    muss    sich    an's    gefallen    Lassen,    sogar   bei'm, 
das  auch   zu  im.    a'm   führen  würde.      Ja  auch    mann's    hat   sich   dank    der  auf- 
merksanikeit   auf  gleichmässigkeit  einmal  erhalten   d.   234)   und   das  völlig  unberech- 
willkomm1    (Faust  2031),    als  ob  der  apostroph   auch   ein  en   ersetzen  kirnte, 
nicht  wilkomm  volberechtigt  neben  wilkommen  stünde.     Goethe  selbst  ist  an  die- 
stroph  anschuldig,  d^n  nur  die  druckerei,  wie  so  manche  andere,  in  die  erste 
ausg         hereingebracht    hat     Auch    im    „Paust"    ist   eine    gleichmässigkeit   in    der 
tzong  der  apostrophe  nicht  erreicht.     So  solte  näh'  306  stehen,    da  hier  der  apo- 
stroph eben  so  gefordert  wird  wie  in  lieb'  und  näh  keines^  ingbare  form  neben 
nähe  ist,  wie  allerdings  ruh  neben  ruhe. 

Aber  viel  schlimmer  ist  es,  dass  die  vom  verse  geforderten  ausstossungen  eines 
e  und  i  vernachlässigt  sind.    Ich  habe  in  dieser  Zeitschrift XIV,  3-45  —  376.  XV,  436  — 
471   an  der  hand  der  tatsachen  gezeigt,  welchen  grundsatz  Goethe  hier  befolgen  wolte 
und  nur  in  feige  der  geringen  ausdauer,  die  er  für  solche,  mechanische  aufmerksamkeit 
fordernde  dinge  hatte,    nicht  zur  vollen  ausfuhrung  gebracht  hat.     Die  Weimarischen 
en  und  herausgeber  hätten  daraus  manches  lernen  und  benutzen  sollen.    Nur 
ein  paar  punkte  seien  hier  hervorgehoben.     Massgebend   für  Goethes  bestimmung  ist 
der  erste  „sorgfältig  ausgearbeitete",  die  gediente   enthaltende   band   der  zweiten  aus- 
werke, den  er  im  februar  1806  zum  drucke  absante.     Aon  gröster  Wichtig- 
keit war  für  uns  die  beobachtung,  dass  hier  ohne  ausnähme  in  den  ableitongen  mit 
ig  das  i  au-_   -'   -sen  ist.    wenn    es    nicht   metrisch   mitzählt;    selbst  liturg'scher, 
prophet' scher,   begünst'gen  finden  sich,   nie  aber  ein  dem  verse  zuwiderlau  fen- 
e.     Zwei  menate   später  wurde  die   durchsieht  des  nun  vollendeten  ersten  teiles 

-  „Faust"    abgeschlossen,    deren   grundsätze   gleichfals   von  hoher  bedeutung  sind, 

-  in  den  hier  zum  erstenmal  gedruckten  stellen.  Regelmässig  wird  auch 
hier  i.  wo  es  metrisch  nicht  zählt,  ausgestossen ,  wobei  freilich  beachtet  werden  muss, 
dass  da.  wo  der  dichter  zu  leichterem  flösse  des  verses  oder  zu  grösserer  Wirkung 
auch  sonst  den  anapäst  sich  gestattet  (es  sind  im  ganzen  sechs  verse)  auch  hei- 
ligen, feurigen,  thierischen  im  anapäst  stehen.  Im  Vorspiel  lesen  wir  heft- 
gen,  bedächtgen.  unharmon'  sehe,  melanchol'sche,  was  uns  schon  über  die 
absieht  des  dichtere*  belehren  müste,  träte  auch  nicht  sonst  die  ausstossung  regel- 
mässig ein.  Blosse  druekfehler  sind  2994  herziger.  '.\~-\  alm ächtiger,  welche  die 
Weimarische  ausgäbe  trotz  besserer  Überlieferung  beibehält;  nach  aller  Wahrschein- 
lichkeit auch  1559  e  igen  sinnigem  (vgl.  4278  italiän' sehen)  und  ewigen  (1076). 
Auch  wird  es  wol  .".( C,  ew'ges,  511  geschäft' ger,  3099  verständ'ger  heissen 
seilen.     Für  die  a  sang  des  e  zeugen  dicht'rischen  (159),    dämmrung  (666. 

1146),    erinnrung  (781.   2'. >Ö7 1 .    lästrung  (3765),    vergangne  (4518).     Hiernach 

unzweifelhaft,    das  the  überall   die  ausstossung  beabsichtigte,    wo  e  und  i 

metrisch  nicht  zählten.  Freilich  klingt  es  seltsam,  dass  man  erst  beweisen  soll, 
wa-  .    den  nicht  blindes  Vorurteil   beschränkt,    sich   selbst   sagt.     Ober  die   aus- 

ngen  in  der  Helena  und   im   anfang   des   zweiten   teiles,    die  vor   de]-  ausgäbe 

-  ganzen    zweiten    teiles   gedruckt   wurden,    habe    ich   a.  a.  o.   gehandelt.     In   der 


ÜRER   G0ET1IKS    WERKE    (WEOf.    Ä.USGABE)  307 

Weimarischen  ausgäbe  liegt  jezl  der  ganze  handschriftliche  bestand  vor.     Daraus  ergibt 
sich,  dass  der  abschreiber  sich  von  seiner  angewöhnung,  die  worte  ohne  ausstossnng 

der  vokale  zu  schreiben,  oft  verleiten  I;  seiner  vorläge  nicht  zu  folgen,  und  da 
Goethe  seihst  iu  seinen  handschriftlichen  entwürfen  die  notwendige  ausstossnng  häu- 
figer vernachlässigte  als  volzog,  wie  wir  dies  auch  in  manchen  handschriften  lyrisoher 
gedichte  linden.  Deshalb  komt  bei  genauer  befolgung  der  handschriftlichen  Lesarten, 
seihst  wenn  man  den  abschreiber  nach  Goethes  freilich  nur  zum  geringem  teil  erhal- 
tenen entwürfen  und  niederschriften  berichtigt,  eine  grosse  mehrheit  für  die  vollen 
formen  in  den  füllen  heraus,  wo  sie  dem  verse  widersprechen:  aber  die  mehr- 
heit will  hier  eben  wenig  bedeuten;  sieben  stellen,  wo  das  ungewöhnliche  heil'ger 
steht,  sprechen  starker  für  die  vom  dichter  beabsichtigte  form  als  zwanzig,  wo  die 
gangbare  eingedrungen  ist;  ein  einmaliges  merkwürdger,  versündgen  wiegt 
mehrfache  ehrwürdiger,  vereinigen  auf.  Und  das  zaUenverhältnis  ist  nicht 
durchgeh ends  so  ungünstig.  Glühnder,  glühnde,  glühnden  lesen  wir  5989. 
0283.  0439.  L0744,  dagegen  glühende  8651.  10446.  Wer  kann  es  für  möglich  hal- 
ten, dass  der  dichter  eine  solche  abweichung  unter  ganz  gleichen  umständen  beab- 
sichtigt habe?  Wem  wird  mau  glauben,  dass  Goethe  neben  muntrer,  muntre, 
muntres  (8996.  9746.  10507.  L0869)  und  muntren  (8793),  wofür  nach  sonstigem, 
auch  hier  vorhersehendem  gehrauch  muntern  zu  setzen  ist,  ohne  not  munterer 
(9011),  ermuntere  (11553)  geschrieben?  wer  ihm  zutrauen,  dass  er  neben  wack- 
rer, wackern,  wackres  (5237.  8334.  8421.  10438.  11052)  das  schwache  wackere 
helden  (10370)  gehraucht  habe?  Hier  entscheidet  nicht  die  unzuverlässige  abschliff 
eines  dem  prosaischen  gehrauch  folgenden  Schreibers,  ja  nicht  einmal  Goethes  eigene 
entwürfe,  sondern  auch  der  erste  teil  des  Faust  komt  in  betracht,  da  der  dichter  sich 
unmöglich  die  abweichung  von  diesem  in  solchen  Kleinigkeiten  vorgesezt  haben  konte; 
ja  die  gesamte  behandlung  des  verses  in  seinen  dichtungen,  die  ich  a.  a.  o.  verfolgt 
halte.  Und  wie  solte  er  darauf  gekommen  sein,  eine  von  allen  dichtem  und  von 
ihm  selbst  von  kind  an  gehrauchte  freiheit  aufzugeben,  die  nicht  allein  dem  verse 
oft  grössere  kraft  verlieh,  sondern  ihm  auch  äusserst  bequem  war,  da  er  z.  b. 
heiige  als  trochäus  von  heilige  als  kretikus,  ja  auch  in  der  messung  ^  -  ^  unter- 
scheiden konte.  Die  neue  AVoimarische  ausgäbe  hat  dadurch,  dass  sie  rückhaltlos 
der  schwankenden  Überlieferung  folgte,  den  zweiten  teil  des  „Faust"  arg  entsteh, 
indem  sie  ihn  in  einer  bunten,  jeder  gleichmässigkeit  spottenden  jacke  erscheinen 
liess.  Die  kritik  soll  den  schriftsteiler  von  den  Hecken  der  Überlieferung  reinigen, 
selbst  da.  wo  die  eigene  unbeabsichtigte  nachlässigkeit  desselben  sie  verschuldet  hat. 
Und  welcher  urteilsfähige  kritiker  möchte  sich  nicht  gern  einer  solchen  ehrenpflicht 
unterziehen  statt  einer  unverständigen  Überlieferung  sich  leibeigen  zu  machen? 

AVas  mich  einigermassen  über  diese  metrische,  mishandlung  in  einer  so  reichet 
mittel  sich  erfreuenden  angeblichen  Standard -ausgäbe  tröstet,  ist  die  eigentümliche 
fugung,  dass  ein  mitarbeiter,  Konrad  Burdach,  der  herausgeber  des  nI)ivana, 
sich  von  dieser  schuld  frei  gehalten  hat.  AVir  stimmen  ihm  von  heizen  bei,  wenn 
er  s.  359  schreibt:  .,Es  lag  demnach  in  der  intention  der  ausgäbe  lezter  band,  solche 
unrhythmische  [metrisch  überflüssige]  silben  zu  tilgen,  und  diese  intention  ist  nur, 
wie  so  manches,  unvolkommen  ausgeführt.  Pflicht  des  herausgebers  war  es,  hier  die 
konsequenzen  zu  ziehen.  Demgemäss  habe  ich  überall,  wo  der  rhythmus  eines 
gedichts  unwidersprechlich  auf  regelmässigen  Wechsel  von  hebung  und  Senkung  ange- 
legt ist,  die  überschüssigen  vokale  entfernt,  wo  dagegen  auch  in  anderen  versen  dop- 
pelte Senkungen  vorkommen,    sie  belassen.1*     Je   entschiedener  diese   äusserung   über 

20* 


308  DÜNTZEB 

die  rhythmische  behandlung  der  bisherigen  Weimarischen  herausgeber  den  stab  bricht, 
um  so  ehrenvoller  ist  es,  dass  die  redaktoren  sie  nicht  unterdrückt  haben;  freilich 
ist  das  ges  hehene  aicht  ungeschehen  zn  machen.  Burdach  ist  auch  dem  ausgespro- 
ehenenen  grundsatz  meist  gefolgt,  und  so  schreibt  er  s.  98  richtig  mit  der  handschrift 
pein'gen,  rein'gen  und  sezt  125  versteht  statt  verstehet  nach  Goethes  Verbesse- 
rung. Ja  s.  11.  2  ändert  er  ohne  not  einziehen;  denn  so  wenig  ist  es  nötig,  dass 
dieser  vers  dem  vorhergehenden  „rhythmisch  und  metrisch  korrespondiere",  dass  der 
krke  einschnitt  nach  dem  zweiten  fasse,  wie  v.  3  und  5.  dem  inlialt  entspricht. 
wobei  der  weibliche  ausgang  des  verses  kaum  in  betracht  komt,  und  im  ersten  verse 
i>t  der  anapäst  nicht  beabsichtigt,  sondern  nach  der  vorläge  des  Olearius,  von  der 
nur   e  rinnende   darum   und   das    unnötige   des   menschen  wegfiel,    als  unver- 

meidlich  beibehalten.     Bloss    ein    paarmal  haben    nicht   zutreffende    gründe    Burdach 
stimt,   von   der  nötigen   änderung   abzusehen.      37.  1   und   16  behält  er   heiliger 
bei,    obgleich   2   heil'ge   steht,    weil    ..der   anfang   und   das   ende   des   gedichtes   das 
thema   angeben    und   aus   dem   sonstigen   rhythmus   mit  absieht   hinausgehoben   schei- 
nen."     Von   solchem   scheine   zeigt  sich    mir  keine   spur.     Der    am   ende   widerholtc 
anfangsvers   besagt   einfach,    mit   beziehung  auf  den   schluss    des    vorigen    gedichtes, 
Ebusuud  habe  die  Wahrheit  gesagt,   wobei  der  dichter  dessen  demütige  selbstbezeich- 
nung   dadurch   ehrt,    dass   er  ihn  als   einen  wahrhaften  heiligen    anerkent.     255,  18 
nimt  der  herausgeber  an  dem  jambischen  verse:    „Ändere  mit  geistes  flug  und  lauf 
keinen  anstoss,    aber  wie   andere   hier   „mit  dreisilbiger  Senkung  im  auftakt  erträg- 
lich" heissen  könne,    sehe  ich  nicht;    es   müste   anapästisch   -«messen  werden.     Von 
hebung   und   Senkung  zu   sprechen  scheint  mir  übrigens  bei  den  von  Goethe  in   her- 
rachter weise  nach   verslüssen   gemessenen   versen   des   „Divan"    unbefugt.     Wie 
tioethe   noch  in  spätester  zeit  verse  abteilte,    zeigt  das  gespräch  mit  Eckermann  vom 
april  1829.     <  >hne  allen  zweifei  muss  es  andre  heissen,    das  mit  bekanter  freiheit 
jambisch  betont  wird,  wie  unmittelbar  vorher  viele,  gleich  darauf  steigen,  draus- 
d   den  vers  beginnen.     Ebenso  wenig   durfte  Burdach   den   vers  258,  43:    „Unsere 
^enliebe  gieng  verloren",  durchgehen  lassen,  über  den  er  sonderbar  genug  kein  wort 
äjt;      -     -r    unsre   zu   lesen,    der   anfang   anapästisch,    wie   daselbst    1.  23   und   im 
vorhergehenden  gediente   4.   9.    11.    10   usw.     Burdach   hat  eben   auf  die  eigentliche 
messung  der  verse   zu  wenig  geachtet.     Wenn   er  meint,    259,  63  hätte  er  vielleicht 
besser  die   ursprüngliche  lesart   gnug  statt  genug   zurückgerufen,    so  übersieht  er, 
dass   der  zweite   fuss   ein   hier  glücklich  eintretender  anapäst  ist    wie  v.  56.   58.     In 
den  Sprüchen  scheut  er  sich  132,  4,  3  vor  poet'sche,    weil  die  vier  verse,    aus 
denen   da  icht   besteht,    zur   beurteilung  des  rhythmus  nicht  genügenden  anhält 

böten;  aber  dass  2  unbezwungne,  nicht  unbezwungene,  und  auch  sonst  kein 
anapäst  Bich  findet,  reicht  hin,  wozu  komt,  dass  ein  solches  i  in  den  Sprüchen 
immer  a  orfen  wird,  um  den  Jambus  rein  zu  erhalten. 

Leider  hat  der  vorbericht  in  band  1  versäumt,   ein  bild  des  Verhältnisses  aller 

vom  dich-         ranstalteten  gesamtausgaben  zu  einander  zu  entwerfen.    Ein  solches 

gehörte  ganz  eigentlich  hierher,    so  dass  die  herausgeber  der  einzelnen  Schriften  Bich 

darauf  beziehen   könten  und  nur  die   besondere   angaben  über  die  von  ihnen  bearbei- 

•  •       werke  hinzuzufügen   brauchten,    die  aus  genauer   vergleichung    sich   ergebende 

•llung    der    einzelnen    gesamtausgaben   in    der    Überlieferung   aber   schon    hier  fest- 

sezt  würde.     Jezt  müssen   sich   die  einzelnen    herausgeber   auf   den  der   gediente 

ziehen,    der  schon   in  der  für  die    ganze  ausgäbe   massgebenden  bezeichnung   der 


ÜBEB    GOETHES    WERKE    (wk.IM.    AUSGABE)  309 

handschriften  seineB  mangel  an  kritischer  Schulung  verrät,  aoch  mehr  darin,  dass  er 
über  den  wert  der  einzelnen  gar  nichts  bemerkt  Was  winde  man  von  einem  her- 
ausgeber  der  alten  Uassiker  sagen,  der  so  wenig  den  anforderungen  der  heutigen 
kritik  entspräche,  dass  er  sie  gar  nicht  zu  kennen  schiene! 

Um  die  übersieht  möglichst  zu  erleichtern,  müsten  die  bezeichnungen  jeder  ein- 
zelnen ausgäbe  (die  redaktoren  and  herausgeber  bedienen  Bich  des  sehr  entbehrlichen, 
aus  sigillum  neben  siege]  anglücklich  gebildeten  rremdwort68  siglen)  so  deutlich 
sein,  dass  sie  sich  selbst  aussprechen.  Nun  sind  von  Goethes  werken  unier  der  Lei- 
tung des  dichters  selbst  vier  gesamtausgaben  erschienen,  die  sieh  ganz  einfach  als 
1.  U.  111.   IV   bezeichnen;    da  zu  äer  eisten  eine  Fortsetzung  als   „Neue  Schriften" 

erschien,  so  ergibt  sich  für  sie  von  seihst  la.   wie  für  die  neu  durchgesehei ktav- 

ausgabe  der  taschenausgabe  lezter  hand  IVa.  Als  I.  1  muss  die  hinter  dem  rücken 
des  dichtere  gedruckte  fehlerhafte  ausgäbe  in  vier  bänden  bezeichnet  weiden,  die  des- 
halb von  trauriger  bedeutung  ist.  weil  sie  später  bei  den  romanen  und  dramen  zu  gründe 
gelegt  wurde.  Wenn  diese  von  mir  vorgeschlagenen  bezeichnungen  so  klar  sind,  da 
sie  sieh  selbst  aussprechen,  so  erscheinen  die  in  der  Weimarischen  ausgäbe  I.  368 
beliebten  wie  ein  spott  auf  deutlichkeit  und  folgerichtigkeit.  Weil  die  erste  au 
betitelt  ist  „Goethe's  schritten11,  so  erhält  sie  die  bezeichnung  S  und  ihre  Fortsetzung 
..<o, othe's  neue  schritten"  heisst  N :  der  ausgäbe  in  vier  bänden  wird  gar  nicht 
gedacht,  was  freilich  bei  den  gedienten  ohne  schaden  geschehen  konte,  da  sie  bei 
diesen  nicht  zu  gründe  gelegt  wurde,  wie  ihre  kleinen  abweichuogen  in  rechtschrei- 
bung  und  satzzeichnung  beweisen,  die  nicht  in  II  übergegangen  sind  (z.  b.  im 
gedieht  „Der wanderertt  und  in  dem  „An  Lottchcn",  wol,  1  umspielen  statt  umspü- 
len hat).  Der  herausgeber  des  „Faust"  hat  ihrer  gedacht;  alter  bei  den  gedienten 
durfte  die  erwähnung  nicht  fehlen,  dass  sie  ohne  eiufluss  geblieben.  Gehen  wir  zu 
den  weitem  ausgaben  über:  wer  kann  sich  denken,  dass  A  die  zweite  gesamtaus- 
gabe  bezeichnen  solle,  welche,  nach  der  bezeichnung  der  ersten  durch  S,  weil  sie 
zuerst  den  titel  „Goethe's  werke"  führt,  als  „WA"  oder  „W  l"  aufgeführt  werden 
muste!  Aber  folgerichtigkeit  erwartet  man  hier  vergebens.  Entsprechend  heisst  die 
dritte  ausgäbe  B.  Die  taschenausgabe  lezter  hand  muss  sieh  gefallen  lassen,  als  Cl 
zu  erscheinen,  das  heisst  als  erster  druck  der  dritten  ausgäbe  der  werke  bezeichnet 
zu  werden,  während  sie  doch  die  weitverbreitetste  vierte  gesamtausgabe  ist.  von  wel- 
cher die  oktavausgabe  nur  ein  neu  durchgesehener  besserer  abdruck  ist,  der  als  sol- 
cher bezeichnet  werden  muste,  nicht  umgekehrt  diese  als  vorläuferin  der  vornehmeren 
ausgäbe,  deren  bezeichnung  als  0  den  Tatbestand  verschleiert.  Diese  ungehörigkeiten 
betreffen  freilich  nur  Kleinigkeiten;  aber  bei  der  grossen  mühe,  welche  die  ver- 
gleichung  der  lesarten  an  sich  schon  dem  leser  macht,  solte  gerade  hier  die  klarste 
einfachheit  herschon. 

Der  herausgeber  hat  unterlassen,  das  Verhältnis  dieser  ausgaben  zu  einander 
und  ihre  beschaff enheit  zu  bezeichnen,  trotz  der  Wichtigkeit  desselben  für  eine  grund- 
sätzliche behandlung  der  kritik.  Bei  der  ersten  gesamtausgabe  muste  ein  genaues 
Verzeichnis  aller  einzelnen  gediente  gegeben  werden,  wodurch  die  lästige  spätere 
anfuhrung  bei  den  einzelnen  gedienten  in  Wegfall  kam.  Hierbei  durfte  -nicht  über- 
sehen werden,  aus  welchen  quellen  die  früher  gedruckten  gediente  gegeben  seien. 
Da  waren  denn  zunächst  die  ^ Neuen  lieder"  (1770)  zu  erwähnen,  für  welche  die 
einfache  bezeichnung  als  liederbuch  durch  L  sich  von  selbst  darbot.  Dass  alle 
ersten  drucke  hier  durch  J  bezeichnet  werden,  dessen  bedeutung  man  kaum  erraten 
kann  und  erst  mit  mühe  sich  einprägen  muss.  halten  wir  für  ungeschickt,  da  es  von 


310  l'ÜNTZF.K 

c  Wichtigkeit  ist  zu  wissen,  wo  der  erste  druck  erschien,  was  die  veralgemeine- 
rung  durch  ein  mystisches  .1  verdeckt  Man  könte  dieses  ganz  entbehren  und  die 
einsieht  wesentlich  fördern,  wenn  man  für  jode  druckschrift,  in  welcher  ein  gedieht 
zuerst  erschien,  ein  leicht  verständliches  zeichen  wählte.  Nach  dem  Liederbuch  kam 
zunächst  Jacobis  „Iris-  in  betracht,  für  welche  der  anfangsbuchstabe  die  bezeich- 
dui  ab.     unser  herausgeber  muss  vergessen  haben,    dass  Goethe  sieh  des  aach- 

drueks  der  _  Iris  ~  bedient  hat.  wie  hingst  bemerkt  worden;  denn  aus  diesem  hat 
the  unbewust  zwei  Veränderungen  in  den  gedichten  „Der  neue  Amadis"  und  „Neue 
liebe  neues  leben"  aufgenommen,  was  für  beurteilung  der  späteren  lesart  von  bedeu- 
te Andere  gedieht.'  nahm  die  erste  ausgäbe  aus  dem  Göttinger  musen-alma- 
naeh  (G.  M.)  und  dem  Tossischen  (Y.  M.),  aus  Wielands  „Merkur"  (W.M.)  und  andern 
Zeitschriften  auf.  deren  Schreibung  und  Satzzeichnung  zum  teil  massgebend  war.  Vor 
die  zwei'  untausgabe  fallen  Ia,  welche  meist  gedichte  der  neunziger  jähre  ent- 
liält.  gröstenteils  in  Schillers  Hören  (11)  und  Musenalmanach  (Seh.  M.J  nach  abschrit- 
ten von  Goethes  Schreiber,  in  der  satz/.eielmung  und  rechtschreibung  ohne  besondere 
•  2 'druckt,  und  das  taschenbuch  auf  das  jähr  1SU4.  Der  inhalt  dieser  beiden 
war  zu  verzeichnen,  auch  der  einlluss  von  W".  Schlegel,  Voss  und  Schiller  auf  sie 
hervorzuheben.  Über  II  muste  volständiger  berieht  erstattet  und  die  art  der  Zusam- 
menstellung aus  den  bisherigen  samlungen  angegeben  werden,  auch  die  wenigen  klei- 
nen Veränderungen  und  die  druckfehlcr.  Cotta  muste  gleich  einen  neuen  abdruck 
von  II  machen,    wofür  er  Goethe  eine  nachzahlung  leistete.     Dies  wüste  man  längst. 

ät  beim  zweiten  bände  hat  unser  herausgeber  entdeckt,  dass  es  einen  andern  etwas 
abweichenden  abdruck  von  II  gebe,  den  er  (s.  298)  A1  bezeichnet,  obgleich  i  dabei  eine 
iranz  andere  bedeutung  hat  als  bei  seinem  C  l.  Er  ist  ohne  allen  einüuss  geblieben. 
Wie  sehr  DI  durch  druckfehlcr  entsteht  sei,  muste  hervorgehoben,  auch  auf  die  Zusam- 
menstellung des  hinzugekommenen  bandes  der  gedichte  und  die  Vermehrung  des 
ersten,  der  manches  an  den  zweiten  hatte  abtreten  müssen,  eingegangen  werden. 
Bei  den  hier  zuerst  mitgeteilten  oder  aus  den  alten  „Neuen  liedern"  aufgenommenen 

lichten  darf  es  nicht  auffallen,  dass  sie  nicht  so  sorgfältig  durchgesehen  sind  wie 
die  von  II;    ebenso  dürfte  sich,  eine  derartige  Verschiedenheit  zwischen  den  aus   dem 

ten  hierher  versezten  und  den  neuen  ergeben.  Von  alle  diesem  hat  der  heraus- 
geber keine  ahnung.  Schmidt  hatte  beim  „Faust"  zwei  von  einander  abweichende 
drucke  von  in  nachgewiesen;  "ist  jezt  hat  unser  herausgeber  einen  solchen  auch 
von  den  Gedichten  aufgefunden;  er  nent  ihn,  trotz  A1,  mit  Schmidt  B  2.     Der  wioh- 

■  grundsatz,    dass  die  abweichende  lesart  von  III  nur  da  massgebend  ist,    wo  sie 
als  II  liefert,  dass  die  meisten  eigenhoiten  derselben  auf  druckfehlern 

uhen,  ist  von  so  grosser  bedeutung,  dass  er  vor  allem  hätte  betont  werden  sol- 
len.    In  IV    trat    zu    den    beiden    ersten    ein    neu    durchgesehener    dritter  band    der 

lichte,  von  denen  ein  teil  schon  in  „Kunst  und  altertum"  (K  A)  mit  manchen 
druckfehlern  abgedruckt  worden,  die  auch  hier  nur  zum  geringsten  teil  verbessert 
sind.  ^Vonn  in  dieser  ausgäbe  manches  hier  zum  ersten  mal  gedruckte  nicht  fehler- 
los erschien,  so  ist  dies  weniger  zu  verwundern,  als  dass  einzelnes,  wie  das  berüch- 
tigte:   -Es  sang  und  starb  und  freut  sich  noch"   im  „Veilchen",    sich  erhalten  hat, 

-leich  auch  Göttiing  sich  der  durchsieht  unterzogen  hatte.  Dieser  solte  auch  für 
IV  a  die  stehen  gebliebenen  oder  eingeschlichenen  druckfehlcr  verzeichnen,  wonach 
einzelnes,  aber  nicht  alles  JSerl  wurde,  und  neue  druckfehlcr  wurden  nicht  ver- 

mieden.    Auch  dieses  hätte  der  herausgeber  nicht  verschweigen  dürfen,  da  es  für  die 
beurteilung  der  lesarten  weitreichende  bedeutung  hat. 


ÜBER  GOETHES  WERKE  (WETM.  AUSGABE)  311 

Vun  gröster  wichtigkeü  isl  eine  der  frühesten  Woimarischen  zeit  angehörende, 
von  Goethe  geschriebene  samlung  der  gediente,  welche  der  herausgeber  I,  366  mit 
recht  als  quelle  der  meisten  bisher  bekanten  abschriften  Herders  und  der  frau  von  Stein 
erkent.  Da  hätte  man  doch  wol  verlangen  dürfen,  über  diese  abschriften  genaueres 
zu  hören;  alter  nichts  liegl  dem  herausgeber  femer  als  den  aufmerksame]]  diener  der 
freunde  des  diehters  zu  machen,  ihnen  alles  und  jedes  zu  bieten,  was  sie  zu  leich- 
ter und  voller  einsichl  bedürfen.  Erst  zwei  seiten  später  führt  er  Serders  abschrift 
der  „Zueignung"  an,  welche  dichtung  mehrere  jähre  später  ist  als  jenes  Goethische 
lieft  von  23  quartblättern,  von  dem  ein  geschulter  herausgeber  nicht  versäumt  hahen 
würde,  eine  ausreichende  beschreibung  zu  geben.  Was  man  von  ihm  fordern  durfte. 
muss  man  sieh  erst  aus  seineu  angaben  zu  den  andern  gedienten  mühsam  zusam- 
mensuchen. Da  ergib.t  sieh  denn,  dass  die  samlung  folgende  gedichte  enthält:  1.  Ma- 
homets  gesang.  2.  Wanderers  sturmlied.  3.  Künstlers  morgenlied.  1.  An  schwager 
Kronos.  5.  Prometheus.  0.  Ganymed.  7.  Menschengefühl.  S.  Eislebenslied.  lt.  Kö- 
nigliches gebet.  10.  Seefahrt.  11.  Der  wanderer.  12.  Eiu  gleichnis  (dilettant  und 
künstler).  13.  Legende.  14.  Eiu  Lutheriselier  geistlicher  spricht  15.  Katochisation. 
IG.  Freuden  des  jungen  Werthers.  17.  Kenner  und  künstler.  18.  Ein  gleichnis  (auto- 
ren).  19.  Ein  reicher  dem  gemeiuen  wesen  zur  nachricht.  20.  Vor  gerieht.  21.  An 
Kenner  und  Liebhaber  (monolog  des  liebhabers).  22.  Der  neue  Amadis.  23.  Hypo- 
chonder. 24.  Taumel  (Christel).  25.  Anekdote  unserer  tage  (kennor  und  enthusiast). 
26.  Bundeslied.  27.  Jägers  nachtlied  (abendlied).  Von  diesen  gedachten  waren  zur 
zeit  zwölf  noch  ungedruckt.  Die  Varianten  der  von  Herder,  frau  von  Stein  und  frl. 
von  Göchhausen  von  diesen  gedickten  gemachten  abschriften  haben  für  uns  eigentlich 
keinen  wert  mehr,  da  sie  auf  Schreibfehlern  beruhen  müssen;  doch  wäre  es  pflicht  des 
herausgehers  gewesen,  auch  über  sie  das  tatsächliche  zu  berichten  und  nicht  nur  gele- 
gentlich den  leser  aufstellen  zu  verweisen,  wo  audere  darüber  gehandelt  haben.  Man 
verlaugt  hier  das  nötige  kurz  und  bündig  zu  finden.  Die  schon  gedruckten  Lieder 
linden  sich  hier  zum  teil  in  veränderter  fassung.  "Wenn  die  abschriften  der  frau 
vun  Stein  sich  fast  ganz  auf  die  samlung  der  27  stücke  beschränken  und  nicht  über 
das  jähr  1778  hinausreichen,  so  gehören  Herders  abschriften  verschiedenen  Zeiten  an, 
vom  September  1781  bis  1788,  wie  ich  in  den  „Akademischen  blättern"  I,  102  fgg. 
gezeigt  habe.  Bedeutend  sind  sie  für  diejenigen  gedichte,  von  denen  des  diehters 
eigene  handschrift  nicht  vorliegt,  da  Herders  abschriften  meist  ganz  fehlerlos  sind. 
Auch  über  die  abschriften  des  fräulein  von  Göchhausen  hätte  der  herausgeber  bericht 
erstatten  müssen.  Die  meisten  scheinen  nach  der  Herderschcn  gemacht,  audere  nach 
gelegentlicher  mitteiluug  von  anderer  Seite;  mehrere,  wie  das  Epiphaniaslied,  erhielt 
sie  wol  durch  die  herzogin-mutter.  Es  waren  aber  nicht  bloss  einzelne  abschriften, 
sondern  mehrere  gedichte  gehören  einer  samlung  an. 

Auf  so  viele  wertvolle  eigene  abschriften  Goethes  (wir  gedenken  nur  der  älte- 
sten, des  Friderike  Oeser  gewidmeten  liederheftes  und  der  handschrift  der  römischen 
elegien)  können  wir  hier  nicht  eingehen;  einige  zeigen  in  kleinigkeiten  flüchtige  nach- 
lässigkeit,  auch  bei  der  ausstossuug  der  metrisch  überzähligen  silben.  Von  umfang- 
reicheren samlungen  gedenken  wir  nur  der  glücklich  jezt  im  (ioethearchiv  geretteten 
handschriften  der  ersten  und  zweiten  ausgäbe  der  gedichte,  die  freilich  nur  insofern 
von  bedeutung  für  die  richtige  lesart  sind,  als  sie  offenbare  druckfehler  nachweisen, 
da  bei  der  durchsieht  des  druckes  einzelnes  vom  dichter  geändert  sein  kann.  Dass 
die  druckhandschrift  von  I  unter  zwei  verschiedenen  bezeichnungen  (H3  und  H4) 
angeführt  wird,  ist  wider  ungeschickt;   sie  solten  III  bezeichnet  sein  zur  andeutung, 


312  DÜMTZBB 

ss  sie  sich  mit  1  decken,  weshalb  sie  nur  da  berücksichtigung  verdienen,  wo  der 
druck  von  ihnen  abweicht  Dasselbe  gili  von  der  handschrift  zu  II.  die  entsprechend 
H  II  heissen  solte. 

Wie  wenig  unser»'  ausgäbe  der  pflicht  genügt,  überall  die  billig  geforderte  aus- 
kunfr  zu  geben,  zeig!  I,  364  fgg.  die  rnitteilung  des  von  Barbara  Schulthess  „vot 
s  dichters  italiänischer  reise  angelegten  Verzeichnisses"  der  Lyrischen  gedichte.  Jeder 
_  schulte  herausgeber  würde  hier  über  die  handschrift  nähere  auskunft  gegeben,  die 
zeit  derselben  näher  bestimt  und  die  art  der  anläge  verfolgt  haben,  woraus  sieh  erst 
die  bedeutung  des  Verzeichnisses  ergibt;    der  unsere  gibt   nichts  als  einen  abdruck, 

h   hat  er  die  einzelnen  stucke  nummeriert.     Keines  der  gedichte  fält  nach   dem 

imer  17s2.  was  auf  die  zeit  des  abschlusses  hinweist.  Dass  drei  derselben  dem 
dichter  J.  X.  Götz  angehören,  mit  dessen  ohiffre  »!.  sie  in  Schmidts  „Almanach  der 
deutschen   musen   auf  das  jähr   1777 u   stehen,    ist  schon    in  Seufferts   „Vierteljahrs- 

rift"    bemerkt,    aus   welcher    der  zweite   band  andere  berichtigungen  bietet,    aber 

nicht  diese,  obgleich  sie  von  grosser  bedeutung  ist.     So  viel  ich  weiss,  ist  noch  nicht 

merkt  wurden,  dass  auch  das  zweite  gedieht,  „Adler  und  wurm",  nicht  von  Goethe, 

dem  von  Herder  ist.  ohne  dessen  namen  es  im  „Wandsbecker  boten  u  (vom 
28.  december  1774)  steht,  woraus  die  Schulthess  keine  der  dort  mitgeteilten  kleinig- 
keiten,  die  wirklieh  von  Goethe'  stammen,  aufgenommen  hat.  Auch  dürfte  das  aller- 
lezti  _  licht  (64)  ^Palast  des  frühlings"  kaum  verschieden  sein  von  der  freien  über- 
g  »raschen  liedes:  Esperando  esten  las  rosas.  die  Herder  unter 
dieser  Überschrift  im  zweiten  1770  erschienenen  bände  der  „Volkslieder"  gab.  Ver- 
folgen wir  das  Verzeichnis  genauer,  so  stammen  1.  4  —  6  aus  dem  „anhang*  zu"\Vag- 
ners  Übersetzung  Merciers  (1776),  7  und  9  aus  dem  „Almanach  der  deutsehen  musen 
auf  das  jähr  1770".  10  — 12  aus  der  Wochenschrift  „Die  museu  (juni  und  juli  1776, 
wo  auch  «las  von  der  Schulthess  nicht  aufgenommene  „Amors  grab"  stellt).  2."5.  24. 
31  aus  dem  _  Almanach  der  deutschen  musen  auf  das  jähr  1777",  25.  26.  44.  50  — 
52  ms  YVielands  -Merkur-  1776  Januar  bis  april,  wo  sie  in  anderer  folge  stehen, 
36—40.  42.  43  ausJacobis  „Iris"  in  bunter  reihe  (.11 1.  3.  IV.  2.  II,  1.3. 
VIJ.  ii.  45  —  40  aus  dem  „Göttinger  Musen  -almanach  A.  MDCCLXXIV",  54.  55.  57 
und  62  aus  dem  handschriftlichen  „Journal  von  Tiefart. a     Wir  sehen,   dass  die  folge 

'  aus  den  Zeitschriften  entnommenen  lieder  zuweilen  durchbrochen  ist.  Von  den 
nicht  au<  buchern  geschöpften  gedächten  kante  die  Schulthess  manche  unzweifelhaft 
durch  Lavater.  Hierher  gehört  eine  anzahl  von  gedienten  aus  der  ersten  hälfte  des 
Verzeichnisses,  die  bia  1770  reichen:  3.  „Am  staubbach",  15.  „Am  11.  September 76*, 
d  an  fang  abweicht  von  der  fassung  im  „Deutschen  museumtt  (September  1777), 
18.  -Auf  der  Lahne  im  vorbeyfahren"    (das  Ued  hatte  Goethe  in  Lavaters  tagebuch 

schrieben),  19.  -Dem  schicksaal",  20.  „An  Schwager  Kronostt,  29.  die  der  zweiten 
au-_  -  „Werther"    v  sten  verse  „Jeder  Jüngling  sehnt  sich  so  zu  liebet 

.  „Grabschrift  74"  (von  der  wir  nicht  mit  dem  herausgeber  II.  359  bezweifeln 
mc  •  .  dass  sie  dieselbe  ist,  mit  der  unter  Epigrammatisch  mitgeteilten,  wofür 
die  Jahreszahl  spricht,    da   die   uns  bekante  „grabschrift"  von   1778  ist),    endlieh  34. 

haale  der  erinnerung  einem  milden  fürstenpaar  geweiht  1771.-  Das  lezte  gedieht, 
das  nach  der  jahrszahl  wol  dem  Emser  aufenthalt  angehört,  glaubt  der  herausgeber 
neuerding  -the -Jahrbuch  IX.  29i  wunderlich   _in  Königlich  gebet  oder  in 

lienscheng,efühl,  oder  in  beiden  gedienten  widerzufinden"  und  bei  dem  fürstenpaar 
an  Karl  August  und  dessen  bruder  denken  zu  dürfen.  Wie  in  den  angeführten 
g  dichten  irgend   eine   beziehung   auf  ein  «mildes  fürstenpaar"    sich  finde  und  dabei 


ÜBER   GOETHES    WERKE   (WKIM.    AUSGABE)  313 

von  einer  „schale  der  erinnemng"  die  rede  sei,  bleibt  mir  ein  rätsei.  Am-h  kann 
nur  an  ein  regierendes  fürstenpaar  gedacht  werden,  während  selbst  Kar]  August  im 
jähre  1771  noch  nicht  zur  regierung  gelangt  war.  Nichts  liegt  Daher  als  bei  der 
„schale  der  erinnerung"  an  einen  trinksprach  auf  den  Landesherrn  von  E3ms,  den 
rarsten  von  Nassau,  und  dessen  gattin  zu  denken;  wir  wissen,  dass  Goethe  diese 
und  ihre  matter  persönlich  kaute.  So  erklärte  sieh  auch,  wie  die  Schalthess  durch 
Lavater  den  spruch  erhalten  habe.  Bei  andern  gedrehten  ist  schwer  zu  entscheiden, 
uh  Goethe  sie  der  Schulthess,  mit  der  er  vertraute  briefe  wechselte,  anmittelbar  mit- 
geteilt oder  ob  diese  sie  durch  Lavater  kennen  gelernt  hatte.  Das  Lied  an  den  mond 
(8)  sante  er  wo!  mit  Seckendorffs  melodie  der  freundin,  ebenso  „Epiphanias",  hier 
(27)  „Lied  zu  einem  dreykönigsaufzug* ;  weiter  das  „Lied  vom  Schneider"  (28),  worun- 
ter der  herausgeber  jezt  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  „Schneider -courago"  versteht, 
(13)  „Verantwortung  eines  schwangern  mädchens"  („Vorgericht"),  ilh  „So  wälz'  ich 
denn  "im  unteiiass"  („Genialisch  treiben"),  (17)  „Ich  wort',  ich  war'  ein  fisch",  auch 
wol  das  singspiel  „Die  fischerin",  worin  sieh  die  bailaden  „Der  fischer"  und  „Erl- 
könig" (11  und  53)  fanden.  Zweifelhaft  bleibt  es,  ob  er  anmittelbar  an  die  freundin 
oder  an  Lavater  gesaut  hatte  2 1  „Wandrers  aachtlied"  (aus  dem  februar  L776), 
24  „Auf  eine  alte  Jungfer"  (..Mamsell  N.  N."),  58  „Wenn  der  uralte  ewige  vater" 
(ohne  andeutung,  dass  dies  zwei  verse  sind,  wird  so  die  ode  „Grenzen  der  aiensch- 
heit"  bezeiehnet)  und  die  drei  mit  dem  ersten  verse  bezeichneten  epigramme  des 
frühjahrs  1782  „Einsamkeit",  „Ländliches  glück"  und  „Erwählter  fels",  von  denen 
das  erste  im  juli  1783  auch  in  der  kaum  in  Zürich  bekant  gewordenen  Berliner 
..  Litteratur-  und  theaterzeitung "  erschien.  Da  die  sicher  durch  Lavater  erhaltenen 
gediente  mit  34  schliessen,  so  dürfte  die  Schulthess  die  leztgenanten  von  58  an 
unmittelbar  von  Goethe  erhalten  haben.  Nur  zwei  stücke  vermag  ich  nicht  näher 
zu  bestimmen.  Vielleicht  sind  andere  glücklicher.  Nr.  35  lautet:  „Aus  dem  Grie- 
chischen des  Orpheus  und  im  Schoose  der  urweit  — .u  Die  Übersetzung  begann  hier 
mitten  im  verse,  wie  auch  hei  dem  im  briefe  an  frau  von  Stein  vom  7.  September 
1780  mitgeteilten  „Griechischen."  Line  entsprechende  stelle  finde  ich  weder  in  den 
sogenanten  Orphischen  versen  noch  in  der  später  untergeschobenen  darstellung  des 
Argonautenzuges.  Wie  es  mit  56:  -Die  fahr  der  liebe"  sich  verhält,  weiss  ich  nicht. 
Der  herausgeber  hat  nichts  getan,  um  das  wirklich  neue  des  Verzeichnisses  ins  licht 
zu  stellen;  erst  im  Goethe -Jahrbuch  IX.  290  fg.  heb  er  nachträglich  hervor,  dass  sich 
daraus  zuerst  die  entstehung  vor  L786  (wie  wir  sahen,  spätestens  L782)  von  „Genia- 
lisch treiben"  und  „Liebhaber  in  allen  gestalten"  sicher,  von  „Schneidercourage"  wahr- 
scheinlich   ergebe.     Dort   finden  wir    aber    auch    noch    eine   wunderliche   Vermutung. 

Unter  nr.  40  ist  angeführt:  „den  XXX  abend.    Mir  schlug  das  herz -    Hierüber 

liess  sieh  unser  herausgeber  a.  a.  o.  also  vernehmen:  „Wie  ist  das  aufzulösen?  Nicht 
etwa:  den  drei  königs  abend  1771?  Das  wäre  dann  eine  für  die  geschiente 
Sesenheimer  Verhältnisses  wichtige  Zeitangabe."  Es  ist  wirklich  lustig  dass  ein  X 
einen  heiligen  könig,  folglich  drei  die  drei  weisen  könige  des  morgenlandes,  bezeich- 
nen sollen,  obgleich  zwischen  zeichen  und  wort  gar  keine  beziehung  zu  entdecken 
ist,  wir  auch  unter  nr.  27  ausgeschrieben  lesen  „zu  einem  drey  königsaufzug."  Ganz 
einfach  ergibt  sich  die  lesung  „den  Christabend",  wobei  freilich  die  Verdreifachung 
des  X  etwas  eigentümlich  bleibt.  Ich  erinnere  mich,  dass  man.  um  Christ  nacht 
zu  bezeichnen,  ein  von  einem  viereck  eingefasstes  X  dem  nacht  vorangehen  lässt. 
X,  das  älteste  monogramm  des  hochheiligen  namens,  wäre  hier  verdreifacht,  wie  man 
sich  sonst  wol  dreier  aufrecht  stehenden  kreuze  bedient   für   „heilig,   heilig,   heilig". 


314  DÜNTZEB 

Und,    Fragen  wir,    konte  denn   die  Schulthess  irgend   eine   künde   haben,    wann   das 

langst  bekante,  später  „Wilkommen  und  abschied"  iiberschriebene  lied  gedichtet  sei? 

hat  dieses  mit  sechs  andern,    unmittelbar  aufeinander  Folgenden,    nur  durch  die 

tere  bailade  „Der  Fischer"  unterbrochenen  gedichten  der  „Iris"  entnommen, 
wo  es  ohne  Überschrift  erschien.  1»;hs  Goethe  Lavater  oder  der  Schulthess  meh- 
rere jähr-'  später  den  jahresl  ,  an  welchem  er  «las  gedieht  geschrieben,  nicht  das 
jähr  und  die  persönliche  beziehung,  wenn  anders  eine  solche  statfand,  angegeben 
hal  .  s<  an  sieh  unwahrscheinlich,  wird  vollends  dadurch  widerlegt,  dass  die  verse 
keine  andeutung  dieses  in  der  ganzen  Christenheit  gefeierten  heiligen  abends  darbie- 
ten, vielmehr  nur  den  abend  des  widersehens  der  geliebten  und  den  morgen  des 
abschieds  bezeichnen.     Hiernach   dürfte,    wenn   nicht  eine  seltsame  Verwechslung  zu 

inde  liegt,  das  Ued  „den XXX abend"  von  dem  Goetheschen  „3Iir  sehlug  das  herz" 

-  ieden,  ein  wirkliches  lied  auf  den  Christabend,  das  die  Schulthess  Goethe  zu- 
.  g  sen  und  nur  zufällig  in  dem  Verzeichnis  mit  ihm  verbunden  worden  sein. 
Den  vierten  band  von  Himburgs  nachdruck  von  1770,  der  srchszelin  der  hier  ange- 
führten gediente  nebst  einigen  anderen  enthielt,  hatte  sie  bei  ihrer  samlung  nicht 
benuzt  Üb]  -  gehörte  die  mitteilung  dieses  Verzeichnisses  streng  genommen  nicht 
in  den  kreis  des  hier  erwarteten,  ebenso  wenig  wie  die  briefstellen  au  Goethes  gat- 
tin  und  söhn,  wie  erwünscht  auch  die  darin  gegebene  aufklärung  über  die  entstehung 
von  ein  paar  gedichten  ist;    denn  die   darauf  bezüglichen  angaben  sind  eben  grund- 

tzlich    au -.    —blossen.     Eine    der    ersten    pflichten    der  Verwaltung    des   Goethe- 

hivs  wäre  es  gewesen,  die  familienbriefe  nicht  länger  der  weit  vorzuenthalten  und 

wa  zuwarten,  bis  diese  endlich  einmal  in  der  langsam  vorschreitenden,  zerstückelnden 

samlung  aller  erhaltenen  briefe  Goethes  erscheinen.     Wie  bedeutend  die  briefe  an  die 

vielgeschmähte  Christiane  sind,  sehen  wir  aus  den  wenigen  auszügen  in  den  lesarten 

-  ..  Divan.8  Goethe  teilte,  wie  wir  daraus  ersehen,  seiner  gattin  auf  eine  uns 
überraschende  weise  seine  glücklichen  fortschritte  in  den  Divansliedern  während  sei- 
ner beiden  Rheinreisen  mit.  Wären  die  familienbriefe  gedruckt,  so  brauchten  wir 
diese   freilich   wertvollen  Schnitzel  nicht  als  eine  freigebig  gespendete   gäbe   aus  den 

-arten  auszulesen,  in  die  sie  gar  nicht  gehören. 

Die  folge  der  ge dichte  wird  aus  der  ausgäbe  lezter  hand  beibehalten,  wie 
dies  Scherer  „Goethe -Jahrbuch"  V.  284  fgg.  dringend  verlangt  hatte.  Dabei  ist  ganz 
übersehen,    dass  iussere  gründe  waren,    die  Goethe  bestirnten,    die  samlung 

.••diehte.  die  in  der  dritten  ausgäbe  um  einen  zweiten  band  vermehrt  worden 
war.  noch  mit  zwei  neuen  zu  bereichern,  denen  sich  der  vermehrte  „Divan"  als 
fünfter  anschliessen  solte.  Der  erste  dieser  neuen  bände  enthielt  ausser  nachtragen 
zu  den  bish<  abteilungen  drei  neue.    -Loge",  „Gott  und  weit"  und  „Aus  frem- 

den sprachen."  Wenn  er  demselben  bände  die  schon  gedruckten  der  ersten  samlung 
der  „Xenien"  hinzufügte,  was  grundsätzlich  schon  dadurch  ausgeschlossen  schien, 
dass  mit  den  Übersetzungen  die  gedächte  eigentlich  abgeschlossen  waren,  so  bestirnte 
ihn  dazu  nur  die  rücksicht  auf  die  sonst  zu  geringe  bogenzahl  des  bandes;  über  die 
sei-  Verteilung   der   beiden    hälften  der  „Xenien"   auf  zwei    bände  beruhigte  ihn 

die  erwägung,  dass  die  zweite  noch  ungedruckt  sei  und  beide  als  beigaben  betrachtet 
jrden  könten.  Ja  wie  wenig  er  um  eine  genaue  Scheidung  bemüht  war,  zeigt  sich 
dann,  dass  er,  einmal  auf  dem  abschüssigen  wege,  in  die  vierte  samlung  der  gediente 
auch  „dramatisches"  aufzunehmen  sich  entschloss,  und  zwar  nicht  allein  die  fest- 
b  li  .-  zum  18.  december  1818,  den  Berliner  prolog  von  1821,  theatralische  klei- 
mgkeiten  von  1S14  bis  1810  und  eine  zwischenscene  zu  „Faust",    sondern  auch  die 


ÜBKB   GOETHES    WXBKE    (WETM.    AUSGABE)  315 

brachstücke  Beiner  alten  „Nansikaa";  ja  er  wolte  Bich  den  Bpass  machen,  iu  diesei 
abteüung,  welche  die  buchhändlerische  ankündigung  nur  als  „Dramatisches"  bezeich- 
net  hatte,  die  weit  durch  ein  neues  grosses  „Zwischenspiel  zu  Faust-,  durch  „Helena 
klassisch -romantische  phantasmagorie  ",  zu  überraschen.  Es  galt  ihm,  in  der  ersten, 
aus  fünf  bänden  bestehenden  lieferung,  die  mir  dem  vermehrten  „Divan"  die  Lyrischen 
Bpenden  schliessen  solte,  möglichst  viel  neues  zu  bringen.  Es  ist  komisch,  wie  Sche- 
rer mit  seiner  seltenen  gewantheit,  selbstgemachte  Schwierigkeiten  kühn  zu  über- 
brücken, dieses  durcheinander  von  Lyrischem  and  dramatischem  sich  zurechl  !■ 
Wenn  dramatisches  nachkomme,  so  könne  mau  vergleichen,  wie  in  der  zweiten 
samlung  der  ersten  aufläge  „die  kunstgedichte  persönlich  werden*,  wofür  „Hans 
Sachs"  und  „Mieding"  angeführt  werden  („Mieding"  ein  persönlich  gewordenes  kunst- 
gedieht!)  und  dann  „in  künsüerdramen  übergehen."  Scheror  übersah  dabei,  d. 
„Hans  Sachs"  und  „Mieding"  ursprünglich,  was  Goethe  bekanÜicb  entschieden  aus- 
gesprochen hat,  die  ganze  samlung  der  Schriften  abschliessen  und.  wenn  er  vor 
der  zeit  stürbe,  „statt  personalien  und  parentation"  gelten  solten;  erst  später  ent- 
schloss  sich  der  dichter,  die  beiden  künsüerdramen  und  die  „Geheimnisse"  nicht  als  teile 
der  „Vermischten  gediente",  sondern  als  selbständige  dichtungen  der  samlung  seiner 
Schriften  hinzuzufügen,  wobei  die  dichtart  unberücksichtigt  blieb.  Dramatische  scenen 
unter  die  Lyrischen  gediente  zu  mischen  war  Goethe  nicht  eingefallen,  und  wenn 
er  der  ausgäbe  lezter  hand  „dramatisches"  in  einen  Lyrischen  band  schob,  so  schlug 
er  damit  eben  in  seiner  weise  der  weit  ein  Schnippchen.  Nichts  weniger  fiel  ihm 
ein  als  mit  dieser  augenblicklichen  lustigen  auskunft  die  nachkommen  zu  binden  und 
sie  zu  hindern,  die  gedichte  „Epigrammatisch"  und  „Parabolisch"  und  die  „Xenien" 
aus  der  unberechtigten  Verteilung  auf  zwei  verschiedene  bände  zu  befreien,  die  wun- 
derliche neue  abteüung  „Lyrisches",  die  gar  verschiedenes  enthält,  aufzulösen,  sie, 
wie  er  selbst  sich  in  der  ankündigung  seiner  lezten  ausgäbe  ausdrückt,  „in  die  gehö- 
rigen Verhältnisse  zu  stellen",  und  dieselbe  woltat  seinen  spätem  oder  noch  unge- 
druckten ebenbürtigen  gedienten  zu  erzeigen.  Was  man  dawider  angeführt  hat,  ist 
ganz  unerheblich.  Dass  die  abteilungen  durch  ihre  stärke  „erdrückend"  würden,  ist 
nicht  zu  fürchten.  Wenn  nach  Goethes  eigener  anordnung  die  erste  abteüung  aus 
80  liedera  besteht,  so  würden  unter  Epigrammatisch  bei  Verschmelzung  der 
gedichte  des  zweiten  und  dritten  bandes  diese  zahl  nur  um  wenige  überstiegen,  in 
den  andern  abteilungen  nicht  einmal  erreicht  werden.  Dass  die  Ballade,  welche 
die  abteüung  Lyrisches  unter  diesem  einfachen  namen  begint,  bei  der  einordnung 
einen  andern  titel  bekommen  hat.  hält  Scherer  für  eine  Versündigung  am  dichter.  Ent- 
rüstet fragt  er,  wer  so  etwas  wagen  dürfe.  Aber  Goethe  war  in  diesei-  beziehung 
nicht  so  ehrsüchtig;  er  hatte  manche  Überschriften  von  Riemer  angenommen,  der  in 
solchen  dingen  sehr  gewant  war;  und  solte  die  von  Riemer  dieser  ballade  gegebene 
wirklich  so  unglücklich  für-  eine  ballade  sein,  wie  Scherers  spott  es  uns  weis  machen 
will,    so  hat  Goethe  selbst  sie  gelegentlich  „Der  Sänger  und  die  kindi  uant.    so 

dass  man  bei  wähl  desselben  sem  gewissen  volkommen  beruhigen  könte.  Ar-  pedan- 
tisch wäre  es,  die  beiden  hälften  der  „Xenien"  in  zwei  verschiedenen  bänden  zu 
belassen.  Scherer  sah  nur  eine  Schwierigkeit,  über  die  et-  sich  Leicht  hinwegsezte, 
che  volständige  mitteilung  der  „Helena":  „man  wird  sie  vermutlich  weglassen,  aber 
ihren  ehemaligen  [sehr  zufälligen!]  platz  ersichtlich  machen."  Damit  ist  der  grundsatz 
durchbrochen,  und  die  gar  nicht  in  einen  lyrischen  band  gehörenden  kleinen  drama- 
tischen stücke  machen,  weim  man  diese  wegnähme,  eine  gar  traurige  figur.  „Die 
pflicht  der  treue tt,   die  Scherer  einschärft,   darf  nicht  zum  unrecht  gegen  den  dicht 


316  DÜNTZBR 

werden;  es  gilt,  zwischen  dem  wesentlichen  zwecke  und  dem  äussern  auskunftsmittel 
zu  unterscheiden,  das  wir,  nachdem  ihre  Veranlassung  weggefallen,  unbedenklich  auf- 

en  dürfen.  Da  Scherer  die  widerholung  einzelner  gedichte  beibehalten  wolte,  so 
hätte  er  sich  auch  die  doppelte  „Helena"  gefallen  lassen  sollen.  Von  jenen  wider- 
holungen  kann  man  freilich  die  des  gedichtes  an  die  Szymanowska  als  nr.  38  der 
„Inschriften,  denk-  und  sendeblätter"  nicht  entfernen,  da  ihre  aufnähme  unier  den 
persönlichen  ansprachen   eine  galanterie  gegen  die   schöne   virtuosin  war  und  bewust 

schab,  obgleich  bei  der  einordnung  offenbar  der  irtum  zu  gnmde  liegt,  diese  sei 
nicht  in  Marienbad,  sondern  später  in  Weimar  gedichtet  Anders  verhalt  es  sieh 
mit    dem    zum    Inhaltsverzeichnisse  jenes   bandes    bei  Gelegenheit   der   „aufklärenden 

aerkungen"  gemachten  versuche,  „mehrere  widerholungen  einzelner  gedichte  wo 
nicht  zu  rechtfertigen,    doch    zu    entschuldigen*.     Sie   stünden,    heisst  es  hier,    das 

>te  mal  im  algemeinen  unter  ihres  gleichen,    denen   sie  nur  überhaupt  durch  einen 

wissen  anklang  verwant  seien,    das  zweitemal   in   reih  und  glied,    da  man  sie  denn 

-•  ihrem  gehalt  und  bezng  nach  erkennen  und  beurteilen  werde;   ja  er  glaube  wei- 

sinnenden  und  mit  seinen  arbeiten  sich  ernstlicher  beschäftigenden  freunden  durch 
diese  anordnung  etwas  gefalliges  erwiesen  zu  haben.  Es  war  dies  eine  entschuldigung 
der  not,  mit  weh  her  er  dem  Vorwurf  der  nachlässigkeit  zuvorzukommen  suchte, 
dem  er  bei  der  drohenden  mäkelei  an  der  neuen  ausgäbe,  so  gut  es  gieng,  die  spitze 
abbrechen  wolte.  Er  hatte  alter  eben  in  der  ausgäbe  lezter  band  zwei  gedichte,  die 
in  der  vorherg  s  eigenen  aus  versehen  zweimal  standen,  einmal  -"strichen,  so  dass 
die  entschuldigung  sich  eigentlich  nur  auf  das  lied  „Die  glücklichen  gattentt  beziehen 
konte,  das  im  dritten  bände  noch  einmal  unter  der  veränderten  Überschrift  „Fürs 
leben"  erschien.  Dieses  reine  versehen  gründete  sich  auf  ^Kirnst  und  altertum"  II,  S 
(1820),  wo  dicht  mit  andern  in  einer  „Poesie,  ethik,  litteratur"  überschriebe- 

nen  abteilung   sich  findet.     Im   folgenden  hefte   (1821)   hiess   es.    man   werde   es   wo! 
verzeihen,    dass    dieses  schon   anderwärts  abgedruckte    gedieht  hier  abermals  ein- 

ückt  sei,  indem  es  in  den  kreis  der  vorgelegten  kleinen  bürgerlichen  romanc  not- 
._  gehöre,  eine  notwendigkeit,  von  der  man  sich  ebensowenig  als  von  der  rich- 
•  gkeit  der  bezeichnung  jener  gedichte  als  eines  kleinen  bürgerlichen  romans  über- 
zeugen wird:  auch  sei  es  dem  komponisten  zu  liebe  eigentlich  eingefügt,  welcher 
vielleicht  aus  dem  ganzen  eine  musikalische  gesamtdichtung  zu  bilden  geneigt  wäre. 
Dieser  entschuldigung  und  der  ungehörigen  widerholung  des  gedichtes  scheint  Goethe 

h  nicht  mehr  bewust  gewesen   zu  sein,    als   er  in  die  neue   abteilung  Lyrisches 
elf  -.-dichte  hintereinander  aus  -Kunst  und  altertum"  fast  mit  allen  druckfehlern  auf- 

nm,    ohne   die   früher   in   den    „Glücklichen  gatten"  vorgenommenen  Veränderungen 
als   solche   zu  erkennen;    erst    später    muss    er    darauf  gekommen  sein,    dass  die 

•    -hon    im    zweiten   bände   stehe.     Kino   andere   widerholung  fand  im  vierten 

nde  erst   bei.  den    „Xenien"   statt;    denn   die  verse  „Spricht   man   mit  jedermann" 

-       ."      •  hen  schon  im  dritten  als  „Vielrath",  wo  nur  v.  6  und  8  abweichen.     Man 

wird  kaum  zu  behaupten  wagen,    dass  der  ausfall   an   einer  von  beiden  stellen   eine 

lücke  mache,    und  trotz    der  neuen  Überschrift    sie    lieber    unter   „Epigrammatisch8 

hen.     Beabsichtigt  war  die  widerholung   nicht,    und   man  tut  dem   dichter   eben 

keinen  dienst,  wenn  man  seine  versehen  verewigt. 

Wenden  wir  uns  zum  abdruck  der  gedichte,  so  machen  die  zum  teil  beibehal- 

veraltei         ntschreibung,  die.  wenn  auch  teilweis  verbesserte,  doch  keineswegs 

nrchgeführl        tzzeichnung,  die  bunte  anwendung  und  weglassung  von  anfüh- 

rungszeichen  und  die  unterlassene  ausstossung  der  den  vers  störenden  i  und  e  kei- 


ÜBER    GOETHES    WKKKK    (WEIM.    AUSGABE)  .'517 

neu  angenehmen  eindruck.  Das  festhalten  an  der  anmetrischen  Überlieferung  der 
ausgäbe  lezter  hand  geht  bo  weit,  dass  in  dem  herlichen  gedieht  „Ilmenau",  das  kei- 
nen anapäsl  statt  des  Jambus  zulässt,  51  fg.  verdächtigen  und  flüchtigen  statl 
der  längst  von  mir  geforderten  formen  ohne  i  die  vollen,  den  vers  störenden  beibehal- 
tenwerden, obgleich  diejezt  aufgefundene,  vom  herausgeber  selbst  verglichene  arhand- 
schrift  das  i  in  beiden  fällen  ausstöst.  <'ui  bono?  muss  man  da  erstaunt  fragen. 
II.  45  lesen  wir  noch  das  verswidrige  heiligem  statl  he.il'gem,  225  in  einem  rein 
jambischen  gediente  künftige  statt  künft'ge,  ebenso  270  Eeiligen  statt  Heil' gen. 
Der  herausgeber  hat  gar  nicht  bedacht,  dass  Goethe  bei  den  zuerst  im  zweiten  bände 
aufgenommenen  gedichten  kernest  i  sorgfältig  wie  bei  denen   des  ersten  verfuhr, 

und  so  hat  er  diese  nicht  beabsichtigte  Ungleichheit  mit  leidiger  treue  auf  die 
aeue  musterausgabe  verpflanzt.  So  finden  wir  denn  im  zweiten  bände,  von  welchem 
man  doch  schon  sichere  gewöhnung  an  die  angenommenen  grundsätze  erwarten  solte, 
kurz  hintereinander  (227.  236)  nach  dem  richtigen  Bessers  Bess'res,  aeben  dun- 
kelm  (60)  dunklen  (237) 5  euern,  euerm  (31.  80.  17.'!.  176)  zum  teil  sogar  gegen 
die  handschrift  und  den  ersten  druck  statt  der  „normierten"  formen  einen,  eurem; 
einmal  auch  unsrem  (149),  wobei  es  nicht  zur  entschuldigung  dienen  kann.  da8S 
es  in  einem  aus  Leipzig  stammenden  gediente  steht,  da  gerade  in  diesem  andere  ältere 
formen  verbessert  sind,  ja  hier  bot  sehen  der  erste  druck  das  richtige  unserm. 
Auch  lesen  wir  heitrem  (24)  nach  heitem.  munterm;  verzweiflen  (236), 
Äuglen  (271),  obgleich  bei  diesen  Infinitiven  die  form  auf  ein  angenommen  ist. 
So  steht  es  mit  der  im  vorbericht  versprochenen  beachtung  der  Statistik.  Apostro- 
phe sind  mehrfach  richtig  zugesezt,  aber  keineswegs  überall,  wo  sie  oötig  sind.  So 
fehlen  sie  II,  1S8  hei  stochert  und  registrirt,  212  bei  begünstig!  Wie  wenig 
sich  der  herausgeber  um  das  metrum  kümmert,  ist  bekant;  und  doch  müssen  gedachte, 
selbst  knittelverse  metrisch  gelesen  werden.  Wennll,  192  auch  unsere  ausgäbe  ihn'n 
behält,  im  intermezzo  des  ..Faust",  wir  meinen  mit  unrecht,  soll'n,  glaub'n  gedruckt 
wurde,  so  glauben  wir,  dass  auch  im  lustigen  liede  „Epiphanias"  I,  149  die  beim 
lesen  ausgestossenen  e  als  solche  durch  den  apostroph  zu  bezeichnen  waren.  Wie  das 
lied  nach  Zelters  komposition  gesungen  wird,  kümmert  den  loser  gar  nicht;  er  muss 
es  metrisch  lesen  können,  wie  der  dichter  es  gewolt.  Was  aber  seil  der  leser 
mit  versen  machen  wie:  „Sie  essen,  trinken  und  bezahlen  nicht  gern",  „Ich  erster 
bin  der  weiss'  und  auch  der  schön'",  „Der  ochs  und  esel  liegen  auf  der  streu",  „8o 
trinken  wir  drei  SO  gut  als  ihrer  sechs",  »Und  ziehen  unseres  weges  weiter  fort"? 
Wie  seil  er  sich  mit  diesen,  wenn  er  sie  vierfussig  lesen  seil,  zurecht  linden? 
Muss  ihm  nicht  die  ausgäbe  die  ausstossung  der  verswidrigen  e  hier  ebensogut  wie 
sonst  an  die  hand  geben?  Wie  lange  ist  es  her,  dass  Herder  darüber  klagte,  das 
wir  im  deutschen  keine  elisionen  haben  oder  uns  machen  wollen!  Goethe  seh] 
sie  bekantlich  im  Volkstöne  nicht  aus.  Hatte  er  ja  sogar  in  „"Wandrer"  du  in  d'. 
der  in  'r  elidiert.  Huste  nicht  der  herausgeber  in  einer  den  echten  Goethe  bieten- 
den monumentalausgabc  durch  apostrophe  andeuten,  dass  hier  in  der  Vorsilbe  be,  in 
der  mitlern  von  überall,  in  der  lezteu  von  ihrer  und  in  der  das  e  auszustossen 
ist'?  Im  lezteu  verse  ist  ziehn  unsers  handschriftlich  überliefert,  trotzdem  gibt  die 
Weimarische  ausgäbe  den  vers  in  der  unlesbaren  gestalt:  „Und  ziehen  unseres 
weiter  fort",  die  nur  als  fünffüssler  notdürftig  zu  lesen  ist  Im  „Schweizerliede"  hat 
sie  I,  153  die  metrisch  unzulässigen,  auch  mundartlich  ungehörigen  formen  gesässe, 
gestände  unbedenklich  beibehalten,  obgleich  im  entsprechenden  verse  der  trochäus 
gange  steht  und  in  den  auf  gesunge,  gesprunge   und  ähnlich  auslautenden  nicht 


318  DÜNTZER 

zwei  silben  (bin  i).  sondern  nur  .'in-'  (hänt)  vorangeht  Auch  die  metrisch  und 
mundartlich  falschen  verse  lfm  bergli,  Uf  d'  wieso  sind  beibehalten;  es  muss 
uf  ein.  uf  de  heissen.  Durch  zähe  fortpflanzung  solcher  blossen  verseilen  erzeigt 
man  dem  dichter  einen  schlechten  dienst  1.  30,  2  muss  es  aufm  statt  auf  dem 
heissen.  wenn  man  den  vors  Lesen  soll.  Aber  der  Weimarische  lierausgeber  hat  nicht 
allein  unmetrisches  stehen  Lassen,  sondern  auch  einmal  (II,  157)  solches  herein- 
bracht, indem  er  llemolink  wilkürlich  statt  Hemmung  sozt,  wie  Goethe  den 
namen  sehrieb,    der  richtiger   Hemling  oder   Memling  lautet.     AVenn  der  heraus- 

die  holländische  form  Hemelink  war.  so  berechtigte  ihn  dies  durch- 
aus nicht.  form  dem  verse  zum  trotz  einzuschmuggeln.  In  den  l'4  versen  des 
betreffenden  gedientes  beiludet  sich  kein  einziger  anapäst,  den  hier  nur  des  heraus- 
gebers  laune  verschuldet 

Ä.ber  auch  druckfehler  sind  unbesehen  herübergenommen.  Wir  bemerken  im 
-Ten  band'  Vi  s  unsinnige  An's  statt  Aus.  was  sogar  unter  den  lesarten  über- 
eil. j(  •  auf  mahnung  berichtigt  wurde;  138,  43.  wo  Goethe  das  den  vers 
störende  ein  gestrichen  hatte;  L56,  3  fg.  hörte  statt  höre  (aus  versehen  hatte  Goethe 
hörte  in  hör'  verändert);  17.!.  46  (wo  man  freilich  nach  den  lesarten  glauben 
soll  dort  das  richtige  Sorge  gedruckt);  181,  9  das  Goethes  Sprachgebrauch 
widersprechende  Kreis'  statt  Kreis;  -84,  78  dem  statt  den;  33S,  64  an  statt  als, 
jezt  II.  366  auf  mahnung  als  übersehen  anerkant  Im  zweiten  bände  steht  es  kaum 
3.  3.  6  ist  der  sinnentstellende  dructfehler  folgten  statt  folgen  trotz  der  hand- 
schriften  beibehalten.  26,  82  lesen  wir  noch  immer  das  ganz  beziehungslose  Morgen  - 
haine  statt  des  ursprünglichen,  die  beziehung auf  die  hebe  andeutenden  Myrtenhaine, 
84,  4  1  steht  im  ersten  druck  Dem  (statt  des  in  II  eingeführten  druckfehlers  Den), 
<iut''ii  lohnen,  das  einzig  richtig,  da  lohnen  mit  dem  aecusativ  einen  hier  unpassen- 
den sinn  gibt  S.  102  war  ursprünglich  48  schleich'  gedruckt  statt  schlich.  Goethe 
erkan*  js  zum  präsens  Leg'  (46)  Bchlich  nicht  stimme.  Man  kann  zweifeln,  ob 
schlich  in  I  vom  dichter  wider  eingeführt  worden  oder  dem  drucker  gehöre;  im  ersten 
falle  hätte  er  nur  vergessen,  auch  leg'  in  legt'  zu  verändern.  Jedenfals  ist  das  von 
der  neuen  ausgäbe  beibehaltene  leg'  neben  schlich  unerträglich,  wenn  man  sich  nicht 
zum  glauben  bequemt,  dem  dichter  sei  es  gestattet,  vom  präsens  zum  imperfekt 
überzuspringen  und  gleich  darauf  den  umgekehrten  Sprung  bei  aufeinanderfolgenden 
handlungen  zu  tun.  Dazu  kann  ich  mich  eben  nicht  bekennen.  Wenn  z.  b.  im 
gedieht  .Adler  und  taube1-  (II,  74 fg.)  zwischen  dem  bericht  von  der  Verwundung  des 
adlers  und  dem  drei  tage  langen  überstehen  des  Schmerzes  das  herabstürzen  als 
s  .  v artig  geschildert  und  gleich  darauf  neben  dem  vergangenen  tagleiden  die  quäl 
der  nacht  und  die  heilung  in  der  gegenwart  erscheinen  soll,  so  ist  dies  mir  zu  toll, 
und  ich  denke  die  anschauung  des  dichters  zu  treffen,  wenn  ieh  stürzt,  zuckt  und 
heilt  durch  den  apostroph  als  imperfekt  bezeichne,  wie  man  schon  im  ersten  drucke 
s  r  wol  verstehe  ich,  dass  bei  beschreibung  des  traurigen  zustandes  des 
nach  der  genesung  zum  fliegen  unfähigen  adlers  das  präsens  und  erst  bei  der  ant- 
wort  wider  das  imperfekt  eintritt,  dagegen  der  seelenzustand,  in  welchen  die 
darauf  versank,  als  ein  dauernder  durch  das  präsens  bezeichnet  wird.  Hiernach 
du:  •  -in.  nach  dem  vorlezten  vers  punkt  zu  setzen,  zur  bezeich- 
nung,  dass  der  adler  die  wort":  „0  Weisheit!  Du  redst,  wie  eine  taube!"  erst  nach 
einer  pause  spricht,  was  gerade  den  schluss  besonders  hervortreten  lässt  Hat  man 
h  einmal  entschieden,  wie  es  im  sinn>  thes  lag,  durch  den  apostroph  das 
imperfekt  vom   gleichlautenden    präsens   zu   unterscheiden,    so   muss   man    dies    auch 


ÖBEH    GOETHES    WERKE   (WKIM.     LUSGABE)  319 

durchführen,  da  der  Leser  hiernach  jede  nicht  so  bezeichnete  betreffende  form  als 
präsens  fassen  wird.  Ähnlich  verhall  es  sich  IL  266  fg.  [ch  weiss,  dass  i-in  bedeu- 
tender mann  sich  einmal  gegen  die  apostrophe  erkläri  hat;  aber  'las  bedürfnis  der 
leser,  das  Goethe  durch  seine  wenn  anch  nicht  streng  durchgeführte  apostrophierung 
anerkant  hat,  fordert  gleichmässige  befolgung. 

Gehen  wir  weiter,  so  isl  11.  L85,  12  Nur  sinstörender  druckfehler  fürNun,wie 
die  erste  ausgäbe  hatte;  ursprünglich  stand  Jetzt  Nun  bildet  den  gegensatz  zu 
der  lVüliern  zeit,  wo  ihm  noch  nicht  der  wahre  kunstsinn  aufgegangen  war.  hie 
Weimarische  ausgäbe  hielt  es  für  unnötig,  das  richtige  auch  nur  unter  den  Lesarten 
anzuführen.  Das  gedichl  „Künstlers  fug  und  recht"  (192  fgg.)  erschien  erst  in  der 
an  druckfehlern  reichen  dritten  ausgäbe;  den  dortigen  druckfehler  leicht  (13)  statt 
licht  hat  die  Weimarische  ausgäbe  beibehalten,  obgleich  der  sinn  licht  verlangt, 
da  es  hier  auf  die  Leichtigkeit  gar  nicht  ankörnt,  wie  zum  überfluss  v.  14  zeigt 
230,  155  verrät  sich  „Will  einer  in  die  (statt  der)  wüste  pred'gon"  offenbar  als  druck- 
fehler, da  die  einzig  mögliche  auslegung  „in  die  wüste  gehn  zu  predigen"  doch  gar 
zu  gezwungen  ist;  dazu  komt,  dass  es  auch  sonst  in  diesen  sprächen  nicht  an  ver- 
sehen fehlt,  wie  gerade  drei  verse  später  nach  sinn  und  metrum  am  anfange  ein 
Dem  ausgefallen  sein  muss.  Die  neue  ausgäbe  verbessert  beides  ebensowenig  wie 
v.  132  eine  (statt  ein),  v.  529  'las  verswidrige  Geselle  (statt  Gesell),  wogegen 
die  druckfehler  v.  16  und  483  wirklich  beseitigt  sind. 

Auch  sonst  ist  manches  verbessert,  was  längst  von  andern  hergestelt  war. 
Eigentümlich  ist  dem  Weimarischen  herausgeber  in  „Epiphanias"  (I,  149)  die  uube- 
denklich  aufgenommene  Vermutung  „"Werd'  ich  sein  tag  kein  mädchen  mir  erfrein", 
die  er  Goethe -Jahrbuch  IX,  294  besonders  hervorhebt.  In  einer  abschritt  der  Göch- 
hausen  (Goethe -Jahrbuch  „von  fraueuzimmerhandu),  deren  benutzung  zur  dritten  aus- 
gäbe sich  daraus  ergeben  soll,  dass  sie  mit  bleistift  durchstrichen  ist,  steht  erfreyn, 
was  auf  der  leichten  Verwechslung  von  ü  und  y  beruhen  kann.  Um  es  zu  halten, 
wird  angenommen,  statt  mehr  habe  ursprünglich  mir  gestanden,  das,  nachdem 
man  erfreyn  als  erfreun  verlesen  habe,  -demnächst  in  mehr  umgebildet"  wor- 
den. Die  vergebliche  Verbesserung  bricht  die  schalkhafte  spitze  ab,  die  nicht  im 
erfreieu,  sondern  im  erfreuen  der  mädchen  liegt.  Und  die  „Umbildung"  kann  unmö 
lieh  folge  der  Verwechslung  von  erfreyn  mit  erfreun  gewesen  sein,  da  die  hand- 
schrift  ja  mehr  erfreyn  hat,  wenn  ich  die  ungenaue  angäbe  richtig  verstehe;  denn 
als  abweichung  der  handschrift  wird  nicht  mir  erfreyn,  sondern  bloss  erfreyn 
angeführt.  Das  auch  im  verse  überzählige  mehr  muss  ein  aus  misverständnis  herein- 
gekommener zusatz  sein.  Eichtig  scheint  der  herausgeber  11,  »i.'5  das  handschriftliche 
Unbills  hergestelt  zu  haben,  was  schon  von  andern  vermutet  war.  Unbilds  ist  jedeu- 
fals  eiue  erst  beim  drucke  gemachte  änderung,  mag  diese  nun  dem  setzer  angehören, 
der  an  einen  reim  auf  Wilds  dachte,  obgleich  das  gedieht  reimlos  ist.  oder  Goethe 
selbst  augenblicklich  verleitet  worden  sein,  das  Unbild  nach  die  In  bilde  anzu- 
nehmen. Die  änderung  II,  110:  „Weise,  zarte,  dichterfreundin u  ist  am  ende  des 
bandes  zurückgenommen,  aber  das  dort  vorgeschlagene  .Weise  zarte  dichterfreundin" 
ergibt  sich  nach  vergleichung  mit  dem  übersezten  griechischen  gediente  als  verfehlt; 
denn  dort  steht  in  einem  verse  „Weise,  erdgeborene ,  liedliebende-,  wovon  das  mit- 
lere mit  dem  nächsten  „leidlose "  zum  zweitfolgenden  verse  vereinigt  ist;  zarte  ist 
zusatz  des  Übersetzers,  der  die  im  griechischen  der  eikade  gegebenen  beiwörter  von 
einander  gesondert  hält.  Eben  als  weise  und  zart  ist  diese  auch  dichterfreundin,  wie 
sie  leidenlos,  weil  ihr  fleisch  blutlos  ist;  was  freilieh  Goethe  nicht  richtig  widergegeben 


320  DtTNTZSB 

hat,  wenn  er  ihr  auch  fleisch  abspricht    Nach  dem  Volksglauben  hatte  sie  kein  Mut, 
sich,  wie  »las  chamäleon,  blos  vom  taue  nähre. 

d  eng  und  klein  gedruckte  bogen  nehmen  im  1.  bände  die  kritischen  bemer- 

kungen  ein,  die  auch  durch  ein  besonderes  titelblatt  als  lesarten  von  den  gedienten 

ad.     Dem  eigentlichen,  noch  besonders  Lesarten  äberschriebenen  inhalte 

hen  voran  eine  erklärung  wegen  der  ausgeschlossenen  gedichte,  wobei  die 
redaktion  dem  verfahren  und  dem  erklärten  willen  des  dichters  gefolgt  zu  sein  behaup- 
tet,  obgleich  über  diesen  gar  kein  beglaubigtes   zeugnis  vorliegt,    dann  die  mitteilung 

-  Schulthessischen  verzeichniss  3,  endlich  die  dürftige,  dem  zwecke  durchaus  nicht 

äugende  aufzählung  der  handschriften   der  gedichte    und    der  gesamtausgaben   der 

'     .     lenen  die  Himburgschen  nachdrücke  und  Belbst  Bürzels  samlung  „Der  Junge 

■    a  aderbar    hinzugefügt    werden,    während    Schillers    -Musenalmanach"    und 

„Hören*,    Goethes  „Propyläen*,    „Taschenbuch"  und  „Kunst  und  altertum"  fehlen. 

die    doch    bei    den    gedienten    zum    teil    gar    sehr   in   betracht   kommen.     Vorteilhaft 

-heu  von  dieser  höchst  ungenügenden  einfuhrung  die  Vorbemerkungen  zum  „Divan" 
ond  -Faust-  ab,    die   über  die   handschriften  und  drucke  unter  besondern  übersehrif- 

.  (nur  zum  _Faust".  wie  zu  den  gedienten  in  umgekehrter  feige)  eingehend  berichten. 
-  Ibst  in  solchen  kleinigkeiten  hätte  man  gleichmässigkeit  erwarten  sollen.  Der  satz 
(I  s.  xxv).  dass  „Ungleichheiten  in  der  ausführung  trotz  aller  aufgebotenen  Sorgfalt  am 
Ersten  bei  den  zuerst  in  angriff  genommenen  bänden"  ganz  seien  zu  umgehen 
:..  scheint  uns  eine  völlig  ungenügende  ausrede  der  redaktion:  sie  hätte  sich 
eben  nicht  zur  eile  drängen  lassen  dürfen,  und  bei  aller  eile  musten  „verbindliche 
normen"  die  „eigenart  zahlreicher,  ihre  leistungen  vertretender  mitarbeiter"  angemessen 

schranken  und  durften  nicht  einer  verschiedenen,  von  dem  Charakter  der  ein- 
zelnen werke  unabhängigen  weise  der  bearbeitung  freie  bahn  lassen.  Hätte  man  erst 
einige  bände  in  der  handschrift  fertig  gestelt,  ehe  man  zum  keineswegs  drängenden 
drucke  eilte,  besonders  da  manche  andere  leichter  zu  liefernde  mitteilungen  die  Ver- 
öffentlichung forderten,  so  hätte  man  sich  nicht  damit  zu  vertrösten  brauchen,  dass 
„Ungleichheiten  sich  von  selbst  mindern  und  verlieren  würden,  wenn  das  geschäft  im 
••;  auf  das.  was  dem  fast  achtzigjährigen  dichter,  der  wenigstens  den  anfang 

:'  ausgäbe   lezter  band   noch   erleben   weite1,    zur  entschuldigung   gereichte,   durfte 

i  die  redaktion,  die  volle  zeit  vor  sich  hatte,  durchaus  nicht  berufen. 

Der  vorbericht  verheisst  s.  xxiv:  „Auf  einfachheit  und  Übersichtlichkeit  wird 
bei  gestaltung  der  in  chronologischer  folge  auftretenden  lesarten  vornehmlich  bedacht 
genommen";  ja  es  soll  „tunlichst  rücksicht  auf  den  weiteren  kreis  gebildeter  leser 
genommen-  werden.  Dazu  gehörten  aber  vor  allem  genaue  auskunft  über  die  bedeu- 
tuug  der  einzelnen  ausgaben  und  handschriften  und  möglichste  Verständlichkeit  und 
einfachheit  der  eingeführten  bezeichnungen;  beides  ist  leider  versäumt  Mit  dem 
satze:    _;  Varianten  bleiben  als  unnützer  ballast  ausgeschlossen"    wird  jeder 

einvei  .    wenn  man   auch    einzelne   bezeichnende  druckfehler  der  beiden 

ten  ausgaben,  Erstens  bei  der  vorläufigen  bestimmung  ihres  wertes,    angeführt 

wünschte.     Aber  die  entscheidung,   was  belanglos  sei.   hängt  eben  von   festen  grund- 

•zen  und  besonnener,    das  richtige  Verständnis  voraussetzender  erwägung  ab,   und 

ade  diese  vermissen  wir.  Sehen  Kögel  hat  (Seufferts  Vierteljahrschrift  I,  60  fjgg.) 
auf  manches  übersehene  hingewiesen,  was  jezt  im  zweiten  bände  nachgetragen  ist. 
Wir  führen  einige  andere  beispiele  dieser  art  an.  I,  18,  17  ist  übergangen,  dass 
dann  ursprünglich  statt  denn  stand.  Zu  v.  7  fgg.  bemerken  wir,  dass  der  dichter 
die  einmal  versuchte  Umstellung  nicht  aufnahm,    weil   er   sich    derselben    nicht  mehr 


ÜBEB   GOETHES    WERKE    l'wi-.IM.    A.U8GABE)  321 

erinnerte,  nicht  weil  er  seine  gediente  „mehr  historisch  ansah  und  sie  deshalb  in  ihrer 
ursprünglichkeit  belassen  wolte",  wie  wir  b.  372  belehrt  werden;  ei  hätte  ja  bei  einer 
solehon  wunderlichen  absichl  jede,  auch  die  allergeringste  Veränderung  unterlassen 
müssen.  71,  11  liest  die  Quartausgabe  „Hatte  ganz  dein  liebes  bild  empfunden tt,  wi 
wol  mit  Goethes  bewilligung  geschah.  Im  ersten  bände  uimt  der  herausgeber  auf 
diese  nach  Goethes  tode  erschienene  ausgäbe  gar  keine  rücksicht,  aber  wo!  im  zwei- 
ten.  SO,  11  hat  Zelter  schon  statt  Bchön.  90,  31  ist  die  ursprüngliche  Lesart 
finstrer  statt  finster  übergangen,  wie  33  der  druckfebler  erschien1  in  III;  ja 
dio  vergleichung  Mar  hier  so  nachlässig,  dass  sie  die  erst  Beit  III  verdorbene  ursprüng- 
liche lesart  Aus  übersah.  111,  20  stand  zuersl  l'a.  pa,  pa,  pa  paps;  die  zweite 
ausgäbe  schrieb  irrig  papas  statt  paps.  die  dritte  erst  stelte  das  richtige  her.  Die 
lesarton  wissen  davon  nichts.  Daselbst  13  stand  das  den  vers  Btörende,  auch  nicht 
wollautende  denn  schon  im  ersten  druck,  und  auch  die  Weimarische  ausgäbe  hatte 
nicht  den  mut,  es  über  bord  zu  werfen,  obgleich  dadurch  ein  anapäst  in  das  sonsi 
von  solchen  freie  gedieht  komi  Freilieh  fing  der  folgende  vers  im  ersten  drucke  gar 
mit  zwei  daktylen  an,  aber  hier  hat  die  dritte  ausgäbe  glücklich  Sag  wie  Lang 
hergesteli  Leider  kehrte  die  ausgäbe  lezter  band  wol  nur  durch  druckfehler  zu  dem 
misklang  lange  es  zurück,  das  denn  auch  den  neuen  druck  entstell  Die  lesarten 
haben  hier  eben  EU  gar  nicht  verglichen.  138,  50  Mtte  wol  der  starke  druckfehler 
kommen  statt  rennen  im  reime  zur  kenzeichnung  der  ausgäbe  lezter  band  erwäh- 
nung  verdient.  143,  71  stand  ursprünglich  Lumpen  statt  Lumpe.  Eöchst  an 
nügend  sind  die  lesarten  in  der  ballade  „Der  Sänger",  wo  niemand  dem  verwor- 
renen und  ungenügenden  berieht  entnehmen  kann,  dass  die  unglücklichen  änderungen 
in  der  ausgäbe  lezter  hand  aus  den  Lehrjahren  stammen.  179,40  fehlt  der  druck- 
fehler possierlich  statt  possierlicher  in  III;  181,  9  das  richtige  ursprüngliche 
Kreis,  wofür  wir  leider  wider  Kreis'  lesen;  182,  38  Abendgäste  des  ersten 
druckes.  An  dieser  stelle  ist  die  ganz  irrige  Satzzeichnung  „Tages  arbeit!  Abends 
gaste!  Saure  wochen!  Frohe  feste!"  beibehalten,  die  leider  Ia  einführte,  da  «loch 
der  sprichwörtliche  gegensatz  nach  arbeit  und  wochen  das  ursprüngliche  komma 
verlaugt.  Die  lesarten  gedenken  auch  dieser  Verschiedenheit  mit  keinem  worte.  Ganz 
entgangen  ist  dem  herausgeber.  dass  s.  188  der  vers  30  späterer  zusatz  in  Ia  ist  und 
dass  199,  19  im  ersten  drucke  vieler  sonnen  steht;  um  nicht  des  ursprünglichen 
in  190,  39,  des  erstaunt,  erzürnten  197,  49,  des  läuft  und  kömmt  204,  19  zu 
gedenken,  wofür  später  lauft  und  kommt  eintrat,  eine  sonderbare  Verbindung  einer 
mundartlichen  und  einer  hochdeutschen  form.  Neben  der  bedauerlichen  unvolstän- 
digkeit,  die  bei  anhaltender  achtsamkeit  auch  ohne  widerholte  durchsieht  zu  vermei- 
den war,  müssen  wir  die  Unübersichtlichkeit  an  den  stellen  rügen,  wo  die  abwei- 
chungen ausserordentlich  zahlreich  sind.  Wer  kann  sich  aus  der  langen  liste  zum 
„"Wandrer"  (II,  338  fg.)  ein  bild  von  Goethes  vorgenommenen  Veränderungen  machen! 
Hier  genügt  es  nicht  von  vers  zu  vers  die  lesarten  hinzuschreiben;  man  muss  die 
mancherlei  abweichungen  nach  der  zeit  ordnen,  um  eine  klare  einsieht  zu  geben. 
Auch  sind  die  lesarten  mit  unnötigem  belastet.  Die  verschiedene  rechtschreibung 
gehört  keineswegs  hierher.  Dass  Weg  Wceg  geschrieben  ist,  der  Wechsel  zwischen 
Schooss,  Schoos,  Schoss,  zwischen  eurem  und  euerm,  muntrem  und  mun- 
term,  die  Schreibung  Distlen,  würklich,  Gebürg  sind  abweichungen.  die  bei  der 
algemeinen  beschreibung  der  handschriften  und  drucke  angegeben  werden  musten, 
wo  auch  zu  erwähnen  war,  dass  Goethe  sich  in  der  ausgäbe  lezter  hand  bestimmen 
liess,  seine  gewohnte  Schreibung  thörig,   ergötzen,    ereignen  zu  verlassen.     Dort 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.     BD.   XXIII.  ^1 


322  DÜNTZEK 

solto  gleichfals  aber  Goethes  gebrauch  des  apostrophs,  grosser  anfangsbuchstaben  und 
der  Satzzeichen  berichtet  sein.  Da  der  apostroph  äusserst  aachlässig  verwant  ist,  so 
komt  es  nur  in  sehr  wenigen  fallen  in  betracht,  ob  Goethe  ihn  gesezt  bat  oder  nicht. 
Walte  man  alle  abweichungen  der  Satzzeichnung  anmerken,  so  würde  man  kein  ende 
finden:  beispielsweise  wären  dann  zu  dem  gedieht  „Deutscher Parnass"  mehr  als  dreis- 
abweichungen  nachzutragen.  W"ilkürliches  herausgreifen,  wie  es  die  Weimarische 
ausgäbe  der  gediente  sich  erlaubt,  hilft  nichts,  das  verhalten  der  sämtlichen  drucke 
und  der  haupthandschriften  muss    im  algemeinen  bezeichnet  werden.     Dasselbe  gilt 

n    der   abweichenden    Schreibung.     Wenn   I,  130,  4   die   abweichende   Schreibung 

Lächeln  aus  einer  handschrift   angeführt  wird,    so   hätte  viel  eher  107,  14   erwähnt 

werden  sollen,    dass  der  erste  druck  Sammeln  hat,    nicht  das  durch  nachlässigkeit 

später  eingeführte  Sammlen,  das  die  neueste  ausgäbe  schon  verwerfen  muste,  wenn 

ihrer  sogenanten  normierung  treu  bleiben  wolte. 

Dass  sie  nach  festen  grundsätzen  und  eindringender  prüfung  unter  den  lesarten 
immer  die  richtige  wähle,  d.  h.  überall,  wo  es  dem  einsichtigen  geboten  scheint,  von 
der  so  viele  versehen  darbietenden  ausgäbe  lezter  band  abweiche,  besonders  da,  wo 
diese  nur  ihre  durch  so  viele  druckfehler  entstelte  Vorgängerin  widergibt,  daran  i>t 
nicht  zu  denken.  In  dem  so  leicht  und  lustig  sich  ergehenden  Hede  „Frühzeitiger 
frühliug-  I.  Sl  heisst  es  nach  dem  ausdrucke  der  freude,  dass  die  tage  der  wonne 
bald  widergekommen:  „Schenkt  mir  die  sonne  (so  bald)  |  Hügel  und  wald?"  Die 
au-_  Lezter  band  hat  durch  ihr  unsinniges  komma  nach  sonne  die  stelle  zu  gründe 
gerichtet;  denn  danach  muss  sonne  gleich  hü  gel  und  wald  objekt  sein  und  zu 
schenkt  ein  ihr  gedacht  werden,  „die  tage  der  wonne",  die  als  die  sonne  nebst  wähl 
und  hügel  schenken;  während  offenbar  die  sonne  als  lebensspenderin  in  der  neuerstan- 
denen  natur  erscheint,  von  welcher  an  erster  stelle  wald  und  hügel  genant  werden, 
deren  man  sich  von  neuem  erfreuen  kann.  Im  gediente  „Ilmenau'4  liest  II,  145,  118  fgg. 
die  handschrift  von  1783:  „Xun  sitz'  ich  hier  zugleich  erhoben  und  gedrückt,  | 
-■•huldig  und  gestraft,  und  schuldig  und  beglückt."  Der  erste  druck  (III)  hat 
unschuldig  auch  statt  und   schuldig.     Dem  herausgeber  scheint  die  „den  gegen- 

tz  abschwächende"  änderung  „aus  innern  gründen,  sowie  nach  dem  äussern  der 
handschrift  auf  versehen  zu  beruhen."  Die  handschrift  ergibt  nur,  dass  Goethe  wirk- 
lich und  schuldig  geschrieben,  aber  nicht  ob  dies  ein  Schreibfehler  sein  könne; 
noch  weniger  ob  die  fassung  im  drucke  nicht  absichtlich  und  auch  vorzuziehen  sei,  wie 
ja  unser  herausgeber  seihst  179  die  änderung  freie  statt  freyre  aufgenommen  hat. 
Eine  abschwächung  des  gegensatzes  finde  ich  nicht.     Dem   erholten  und  gedrückt 

bs]  ^rechen  im  folgenden  verse  gestraft  und  beglückt  in  umgekehrter  folge;  dabei 
wird  hervorgehoben,  dass  er  weder  die  strafe  noch  das  glück  verdient  habe,  da  er 
mit  -  m  willen  die  von  ihm  bedauerte  Verwirrung  angerichtet  und  seine  dichtung. 
die  ihm  _  a  rühm  gebracht,   nur  ein  ausfluss  seiner  natürlichen  begabung,   nicht 

•i  verdienst  sei.  Dass  er  sich  wirklich  schuldig  bei  seinem  rühme  fühle,  ist  so 
absonderlich,  dass  eine  erklärung  dieser  schuld  dem  Verteidiger  des  Schreibfehlers 
wol  angestanden  hätte.  Den  schluss  des  zweiten  bandes  bilden  die  ein  bekantes 
italieni  Sprichwort  widergebenden  vers<  :    „Hier  hilft  nun  weiter  kein  bemühn! 

Sind  rosen  und  sie  werden  blühn."  Die  ausgäbe  lezter  hand  gab  Sinds,  was  durch- 
aus vorzuziehn  ist.  Freilich  kann  vor  sind  ein  es  ausgelassen  werden,  aber  nur  im 
behauptung8satze  (die  angeführten  beispiele  sind  alle  der  art);  im  verkürzten  bedin- 
gungssatze  —  und  einen  solchen  haben  wir  ja  offenbar,  da  die  behauptung,  es  seien 
n.  hier  nach  dem  ersten  verse  widersinnig  wäre  (im  Italienischen  geht  sc  voraus)  — 


ÖBEH    Q0ETHE8    WERKE   (WE1M.    A.USOABE)  323 

muss  dieses  aach  dem  zeitworte  folgen.  Dass  aber  'las  bedingte  nicht  mit  und 
angeschlossen  werden  kann,  ist  ol.cn  so  gewiss;  und  so  werden  wir  Riemers  verto 
sernng  nun  als  glücklich  anerkennen  und  bedauern  müssen,  (las  richtigere  als  Ver- 
schlechterung abgelehnt  zu  sehen.  Aber  der  herausgeber  macht  es  sieh  leicht, 
wenn  es  gilt,  einen  druckfehler  festzuhalten.  So  behauptet  er  Goethe -Jahrbuch  IX. 
294,  „das  gedieht  „JuniB  (im  dritten  bände)  sei  in  den  Cottaschen  ausgaben  nicW 
verunstaltet-;  denn  Goethe  habe  in  einem  briefe  anGöttling  die  Lesart  „bis  mir"  (12) 
ausdrücklich  als  richtig  bestätigt.  A.ber  ein  unsinn  bleibt  imsinn,  wenn  auch  Goethe 
im  augenblicE  das  bedenkliche  übersah;  ich  finde  nur  einen,  aber  verfehlten  aus- 
weg^  es  zu  halten,  die  behauptung,  mir  stehe  hier  in  bekanter  mundartlicher  Ver- 
wechslung statt  wir.  was  der  sinn  entschieden  fordert.  Ä.ber  der  Weimarische  her- 
ausgeber schreitet  auf  seinem  wege  mutig  weiter  und  erklärt:  „Auch  die  bedenken 
gegen  die  lesart  ,ränder(  [vielmehr  ,rändernt]  wird  man  fallen  ia<s<'ii  dürfen."  Also 
niühlen  und  ränder  sollen  die  schönsten  zeiehen  sein,  dass  nach  dem  thale  bald 
eine  fläche  kernt!  Freilich,  wenn  das  alberne  für  Goethe  gut  genug  sein  soll.  I^ 
die  Cottaschen  ausgaben  das  gedieht  verunstaltet  haben,  wird  nicht  behauptet;  sie. 
oder  vielmehr  die  druckhandschrift,  nahm  die  meisten  groben  fehler,  welche  es  im 
ersten  drucke  in  „Kunst  und  altertum"  II,  3.  1!)  entstellen,  unbesehen  auf.  Wer 
sich  genauer  mit  der  kritik  Goethes  beschäftigt,  weiss,  da>s  die  in  jenem  hefte  (bis 
s.  34)  zuerst  stehenden  gediente  fast  alle,  in  folge  ungenauer  durchsieht,  sehr  nach- 
lässig gedruckt  sind,  so  dass  man  sich  wol  vorsehen  muss.  auf  treu  und  glauben 
dieses  druckes  das  seltsamste  einem  dichter  wie  Goethe  in  die  schuhe  zu  schieben. 
Bei  den  einzelnen  gedienten  wird  überall  ausser  den  einzelnen  handschriften 
auch  die  stelle  derselben  in  den  drucken  angegeben.  Dies  lezte  ist  für  die  1  es  arten 
ohne  bedeutung,  und  es  wäre  besser,  wenn  vorab  bei  beschreibung  der  gesamtaus- 
gaben  der  inhalt  genau  verzeichnet  würde.  Überflüssig  scheint  es,  dass  die  Lesarten 
der  dem  drucke  der  ersten  und  zweiten  ausgäbe  zu  gründe  liegenden  handschriften 
angegeben  werden;  diese  waren  nur  da  anzumerken,  wo  der  druck  von  ihnen  abweicht, 
so  dass  in  diesem  entweder  ein  druckfehler  oder  eine  Verbesserung  Goethes  bei  der 
durchsieht  vorliegt.  Noch  weniger  gehört  unter  die  lesarten  die  aus  brieten,  dem 
tagebuch  oder  anderen  quellen  sich  ergebende  bisher  unbekantc  entstehungszeit,  da 
die  angäbe  derselben  grundsätzlich  von  dieser  ausgäbe  ausgeschlossen  ist;  anderswo 
wäre  die  mitteilung  wilkommen.  Nur  die  wenigen  neuen  datierungen,  welche  die 
handschriften  der  gediente  bieten,  waren  anzuführen.  Nachträglich  hat  der  her- 
ausgeber n,  363  fg.  und  Goethe -Jahrbuch  IX,  292  fg.  aus  der  handschrift  der  Schwei- 
zerreise von  1797  gegen  mich  die  entstehungszeit  der  bailaden  von  der  müllerin  fest- 
stellen zu  können  geglaubt.  Da  fält  denn  zunächst  eine  grosse  Unachtsamkeit  auf.  Die 
angebliche  datierung  der  bailade  „Reue*  7/7  stimt  gar  nicht  dazu,  dass  sie  zu  Tübin- 
gen am  G.  September  vom  Schreiber  in  die  reisehandschrift  eingetragen  worden.  Nicht 
einmal,  wenn  man  das  zweite  7.  „September"  lesen  wolte  (es  müste  nach  Goefl 
gebrauch  Yü  heissen),  trift  dieses  zusammen.  Und  wer,  der  den  damaligen  brief- 
wechsel  zwischen  Goethe  und  Schiller  einsichtig  verfolgt,  wird  es  für  möglich  hal- 
ten, dass  Goethe  schon  am  G.  oder  7.  September  dieses  gedieht  ganz  bo,  wie  es  im 
folgenden  „  Musen  -  almauach u  steht,  seinem  Schreiber  Geist  diktiert,  aber  erst  am 
10.  uovember  Schiller  übersant  habe,  was  sein  brief  von  diesem  tage  beweist!  Der 
glaube  kann  berge  versetzen,  aber  die  kritik  wird  eine  solche  Zumutung  als  unge- 
heuerlich abweisen.  Erst  am  14.  September  teilte  er  Schiller  die  ballade  „Der  cdel- 
knabe  und  die  müllerin"  als  „ introduktion "  von  vier  liedern  mit,    die  nach  ton  und 

21* 


3:24  DÜNTZKB 

inhalt  feststanden,    anch  zum  teil  entworfen  waren:    aber  noch   keines  derselben  war 

vollendet,    -  38     ir   den    freund   damit   hätte   erfreuen  können.     Nach  nnserm  ent- 

decker  wären  damals  schon  zwei  andere  dazu  gehörende  volständig  fertig  vom  Schrei- 
ber in  dii  Schandschrift  eingetragen  gewesen,  aber  Goethe  hätte  die  inarotte  gehabt. 
damit  Schiller  zurückzuhalten,    erst  am  11.  Oktober  das  zweite   lied  von  der 

müllerin  ihm  gesant,    nach  weitern  vier  wochen  das  vierte,    da  ihm   das  dritte  noch 
nicht  gelungen  war.    Per  herausgeber  hat  sich  gar  nicht  bemüht,    den  von  mir  her- 
bobenen  Widerspruch   zu  losen;   er  hält  sieh   steif,   ohne  sich  durch  die  innern 
lersprücto        rselben    stören    zu   lassen,    an    die    reisehandschrift.     Hätte    er  sich 
nur   näher   angesehen!      Die    rückseiten    waren    liier    zuweilen    unbeschrieben, 
wo   die   •  richte    das    blatt    nicht   ganz    fülten;    andere   blätter   wurden   zwischen 

die    berichte    eingefügt,    erst    später    alle    einzelnen    nummeriert.      Goethe    Hess    die 
•    .    nachdem   er   sie   vollendet  hatte,    in   die   handschrift   eintragen,    und   zwar 
meist       im   berichte   des   tages,    an   welchem   er  sie  begonnen  hatte.     So  kam  „Der 
fremde  uud  die  müllerin"  auf  ein   eingeschobenes  blatt  bei  Stuttgart.    „Der  müllerin 
reue*  auf  zwei  unter  Tübingen.     Das  datum  7/7  ist  jedenfalls  irrig,  sei  es  verschrie- 
ben  oder  verlesen;    es   solte   heissen   7/11.     Mit   dem   nächsten   briefe,    den  er  nach 
Vollendung  des  gedichtes  an  Schiller  sante,    teilte  er  dieses  dem  freunde  mit.     Dem- 
nach schrieb  er  es  in  Nürnberg  am  ersten  morgen  nach  seiner  ankunft,   nachdem  er 
-  wahrscheinlich  auf  dem  wege  von  Schwabach  an   sich  im  geiste  ausgebildet  hatte. 
Der    berieht    vom    6.  schliesst    im    tagebuch    nach    Erich   Schmidts    angäbe    mit    der 
ankunft  zu  Nürnberg  im  roten  hahn.     Der  herausgeber  der  gedichte   führt  unter  die- 
*  _     als  vom   Schreiber  aufgezeichnet  die  titol  an:    „Der  gefangne  und  die  blu- 
men"    und    -Der  traurige   und    die   quelle"   nebst  drei   versen   des  lezten   gedichtes. 
•    dem   ersten  ist  Goethes  randbemerkung  stehen  geblieben:    „Bitte  ihrer  bei  einer 
ähnlichen  zu  gedenken",  die  „anscheinend"  (weshalb,  ist  mir  unklar)  auf  das  heraus- 
geschnittene  gedieht  bezüglich  sein   soll.      Also   auch   „Das  blümlein   wunderschön" 
11  damals  schon  fertig  gewesen  und,    weil  es  nicht  in  abschrift  beigefügt  ist,    aus- 
kitten worden  sein!     Die  titel  deuten  vielmehr  auf  gedichte,  die  ihm  neben  den 
Müllerballaden  im  sinne  lagen  und  im  reisewagen  überdacht  worden  waren.     Dass  er 
am  5.   auf  dem  wege  von   Grossenriedt  bis   Schwalbach   sich    an    der    bailade    „Der 
müllerin  verrat-  versuchte,  zeigen  die  in  Eckermanns  bearbeitung  der  Schweizerreise 
erhaltenen  verse,  welche  freilich  die  Weimarische  ausgäbe  der  gedichte  ganz  übersieht. 
Auch  die  abschrift  der  elegie  „Amyntas"  findet  sich  in  den  reisepapieren  nach  IT,  364 
beim  19.  September    (wir  vermissen  hier  die   sonst  nicht  fehlende  angäbe  des  blattes 
i   handschrift).  wol  auf  einer  besondern  einlage;    dass  sie  in  der  Schweiz  vollendet 
worden,    folgt  daraus   nicht.     Erst  nach  der   rückkehr  scheint  Goethe   sie  ganz  aus- 
fahrt  zu  haben,    wenn   er  sie  auch   bereits    in  Stäfa  entworfen  hatte.     An  Schiller 
ran   Weimar   aus    den    25.  november,    fünf   tage   nach    der   rückkehr. 
„Hierbei  meine  elegie*,  sehreibt  er.   was  darauf  deutet,   dass  davon  in  Jena  die  rede 
gev  :    und  Sehilb-rs   antwort   spricht  wenigstens   nicht   gegen   die   annähme,    du 

die  lezte  hand  erst  in  Weimar  angelegt  sei.     Das  tagebuch  schweigt  von  dieser  zeit. 
Bei  dem  zweiten  buche  der  elegien  und  den  übrigen   den  ersten  band  schlies- 
aden  distichischen  gedienten  sind  die  lesarte n   mit  den  ändorungsvorschlägen  von 
W.  Schlegel    1        tet.     Wir    sind    weit    entfernt,    die    bedeutung    der  jezt    aus    dem 
i.:.Y   zum   erstenmal  bekant  gemachten   bemerkungen   des  kunstsinnigen  und 
oen  kritikors  und  dichter«   zu  verkennen;    aber  unter  den  lesarten  waren   nur  die 
s   nommenen   mit  der  angäbe,    dass  sie  durch  Schlegel  vorgeschlagen 


ÜBER    GOETHES    WERKE    (WEIM.    AUSGABE)  325 

worden,  zu  verzeichnen.  Die  ausführliche  begründung  dieser  vorschlage  war  ander- 
wärts zu  geben,  die  ausgäbe  der  gediente  dazn  keineswegs  die  rechte  stelle.  Ebenso 
wenig  gehörten  unter  die  Lesarten  die  von  Goethe  unterdrückten  gediente  und  stel- 
len, die  als  nachlass  den  elegien  und  epigrammen  folgen  musten.  Leider  wurde 
bei  mitteilnng  derselben  zu  peinlich  und  dazu  nicht  folgerichtig  verfahren,  da 
manches  von  Goethe  nicht  beanstandet  worden,  an  dorn  man  sich  hier  ängstlich 
herumgedrückt  hat,  auch  unter  dein  neuaufgenommenen  sich  genug  bedenkliches 
findet,  wenn  mau  sich  an  die  sehr  wechselnden  anstandsrücksichten  hält.  Weshalb 
die  als  ein  bruchstück  einer  dritten  epistel  hingst  bekanten  verse  nichl  iben  sind, 
muste  wenigstens  unter  den  Lesarten  angedeutet  werden.  Dass  es  zwei  verschie- 
dene fassungen  einer  wol  für  den  ersten  brief  bestirnten  ausführung  waren,  habe  ich 
längst  bemerkt.  Im  zweiten  bände  sind  nur  vier  unbedeutende  verse  an  die  herzo- 
gin-mutter  hinzugekommen,  ein  geburtstags wünsch,  mit  welchem  er  dieser  die 
'"■kanten  verse  auf  Gcllerts  deukmal  von  Oeser  zusante.  Wenn  der  herausgeber  im 
„Goethe -jahrbueh"  ineint,   dies  beispiel  zeige  deutlich,   wie  gefahrlich  i,  an  der 

anordnung  des  dichters  zu  rütteln,  der  die  verse  auf  Gellerts  Standbild  unter  die 
abteilung  an  personen  gesezt,  so  konte  freilieh  niemand  ahnen,  dass  dabei  der 
persönliche  glückwunsch  ausgelassen  sei,  der  allein  die  aufnähme  in  die.-"  abteilung 
rechfertigte;  absonderlich  bleibt  die  sacke  immer,  am  allerwenigsten  berechtigt  sie  zu 
einer  solchen  mahnung. 

Nach  allem  können  wir  in  der  neuen  Weimarischen  ausgäbe  der  gediente  kei- 
neswegs einen  fortschritt  der  Wissenschaft  erkennen;  nur  die  benutzung  mancher 
neuen  hülfsmittel,  die  vor  allem  das  reiche  Goethearehiv  bot,  gibt  ihr  wert.  Auch 
manche  andere  haudschriften  wurden,  freilich  wenige  zum  erstenmal,  benuzt.  I>. 
dem  herausgeber  einzelnes  entgangen,  hat  schon  Kögel  gezeigt.  Wenn  es  beim 
gediente  Vanitas  vanitatum  sehr  imbestimt  heisst,  die  abschrift  des  liedes  in 
einem  briefe  der  Schopenhauer  sei  „im  Privatbesitz  zu  Köln",  so  wüste  der  heraus- 
geber aus  unserem  frühern  briefwechsel,  dass  eine  solche  sich  unter  den  mir  über- 
gebenen  briefen  derselben  an  ihren  söhn  befand.  Einzelne  derselben  verschenkte  ich 
an  befreundete  samler,  und  so  legte  ich  auch  jenen  brief  in  eine  band,  in  welcher  ich 
sie  für  gut  geborgen  hielt.  Zu  meiner  Verwunderung  wurde  dieser  brief  in  einer 
autographensamlung  im  vorigen  december  zu  Berlin  versteigert.  Wirklich  befind 
sich  noch  in  Köln  Goethes  eigenhändig  geschriebenes  gedieht  „Den  drillingsfreunden 
von  Köln",  was  der  herausgeber  übergeht,  aber,  wenn  nicht  sousther,  aus  meiner 
ausgäbe  in  der  Kürschnerschen  nationallitteratur  wissen  konte.  Boissoree>  witwe  hat 
diese  nebst  dem  betreffenden  bilde  dem  museum  seiner  Vaterstadt  vermacht 

In  eine  frischere  luft  versezt  uns  der  „Divanu,  welchen  Konrad  Burdaedi. 
dem  wir  eine  Untersuchung  über  die  spräche  des  jungen  Goethe  verdanken,  mit 
grosser  Sorgfalt,  gründlicher  kentnis  und  guter  Schulung  herausgegeben  hat.  Schon 
dass  er  die  ausstossung  der  den  vors  störenden  e  und  i  durchgefühlt  hat,  unterscheidet 
ihn  vorteilhaft  vom  herausgeber  der  gedichte,  dem  der  überlieferte  buchstabe  höhei 
stand  als  die  forderung  des  verses,  die  selbst  der  alte  (ioethe  unmöglich  eigensinnig 
verletzen  konte.  Auch  in  der  rechtschreibung  und  satzzeichnung  geht  er  zum  teil 
seinen  eigenen  weg,  auf  dem  wir  ihm  freilich  nicht  überall  folgen  möchten;  auch  ist 
er  sich  darin  nicht  ganz  gleich  geblieben.  Über  die  Schreibung  haben  wir  früher 
gesprochen,  hier  gedenken  wir  nur  der  eigenheiten  der  satzzeichnung.  Da  ein  satz 
mit  denn  überall  selbständig  auftritt,  so  möchten  wir  ein  komma  vor  demselben, 
obgleich   dieser  gebrauch  neuerdings   vielfach    eingedrungen    ist.    kaum    billigen;    am 


326  DÜNTZBH 

wenigsten  da,  wo  von  einer  darauf  folgenden  Handlung  die  rede  ist,  wie  s.  16,  7,  wo 
wir  sogar  nach  0  bei  einer  durch  nun  angeknüpften  folge  mit  der  ausgäbe  lezter  liand 
ss  ein  komraa  erhalten.    Di  sheint  Burdach  auch  sonst  mehr  als  billig  gefolgt 

zu  sein,   wie  s.37,   wo  die  ausgäbe  mit  recht  nach  2  und  9  gleichmässig  kolon 

hat.    Ein  Wechsel  ist  dort  im  Verhältnis  der  sätze  nicht  begründet    Burdach  geht 
aber  nicht  so  weit.  r  komma  vor  denn  überall  für  genügend  hält,    vielmehr 

sl   stärkere  zeichen,  ja  am  meisten  punkt  an.   nur  Dicht  immer  richtig. 
-•     jj,  b.  s.  1»'.*.  tatt  des  punktes  der  ausgäbe   lezter  hand  (die  erste  hatte 

ein  kolon)  Semikolon  stehen.     Sehr  ungenügend   ist  die  satzzeichnung  des  erst  in  der 
ausgäbe  lezter  hand  aufgenommenen   gedientes  „Das  lohen  ist  ein  schlechter  spass" 
Bl).     Burdach   mustc   hier   die  überlieferte  satzzeichnung  verlassen,    nach  1  kolon 
s.  82,   1).    nach   4  Semikolon,    nach  G  komma  setzen.     Auch  vor   dem   sclbstiin- 
•n.    unverbundenen  folgesatze  genügt   kein  komma.    wie  wir  es  z.  b.  24,  1  linden 
(„Dichten  i>t  ein  Übermut,  i  Niemand  schelte  mich!");  ebenso  wenig  bei  der  begrün- 
dung    wie  17.  10.    211.  54,  wo  nach  getrost  ausrufungszeichen  gehört.    Ein  grosser 
misbrauch  wird  im  „Divan"  mit  den  gedankenstrichen  getrieben,  die  sich  völlig  über- 
flüssig finden  :  51,  11.    106,  9.    HS.  1.    195,  2.    201,  ß.  11.    236,  6.    258,  35. 
6,    289,  33.    292,  6  (nach  dem  Schlusspunkte).     Ein  komma  vertritt  er  104,  1. 
164.  7.  ein  kolon  147.  7.  ein  ausrufungszeichen  212,  6.     Dem  anfange  der  rede  geht 
ai     -      ,6,    den  schluss   derselben    bezeichnet   er  57,  12.     267,  19.     268,  43. 
Im   lezten   falle   hätte  die  neue  ausgäbe  ausrufungszeichen  setzen  sollen,   die  ja  sonst 
im  „Divan*  nicht  fehlen.     Vor  der  widerholung  des   anfangsverses   steht  ein  godan- 
kenstrich  SO.  6.     Als   zeichen    einer   parenthese   finden  wir  solche  267,  13,    wogegen 
etliche  klammern  in  demselben  gedichte  57  stehen. 

Wenden  wir  uns  zu  den  auf  einem  besondern  titel  als  lesarten   eingeführten 

anmerkungen,  die  von  s.  313  bis  493  reichen,  so  wird  zuerst  aus  dem  archiv  das  rar 

:.tstehung  des  .Divan-  ausserordentlich  wichtige  Wiesbadener  Verzeichnis  von  100 

liedero,  datiert  vom  30. mai  1815,  mitgeteilt.  Wie  der  herausgeber  s.  337  bemerkt,  zeigen 

rhaltenen  blätter  der  ältesten  haudschrift  des  „Divan"  rechts  eine  nummer  mit 

warzer  dinte  von  Goethes  hand,   die  auf  „eine  noch  frühere  samlung  in  chronolo- 

r  reihenfolge"  deutet;  doch  unterlässt  er  das  nicht  unwichtige  ergebnis  aus  dieser 

warzen  nummerierung  zu  ziehen.    Aus  ihrer  vergleichung  ersieht  man,  dass  die  frii- 

1K  he  samlung  nicht  über  53  lieder  hinausgieng;  auch  das  sich  als  abschluss 

darstellende  lezte  lied  des  Wiesbadener  Verzeichnisses  trägt  diese  zahl.     Sodann  ergibt 

h,  wenn  wir  die  fehlenden  nummern  durch  wahrscheinliche,  in  klammern  geschh    - 

:.e   Vermutung  ozen,    dass  jene    erste    Zusammenstellung   folgende    stücke    der 

•  m  enthielt:   1=3.   2  =  9.   [3.  4=10.  11.]   5  =  14.    [6  =  15.]    7  =  16.    [8.  9  = 

17.   18.]     10.  11.  12=19.  20.  21.  —    13  „Solt  einmal  durch  Erfurt  reiten."     [14  = 

17.    22  =  25.]    IS.  18a=26.  27.    19=40.   20  =  42.    [21.  22=41.    43.]    23=25. 

41  =  46.  [26  =  65?]  27  =  47.  28  =  67.  29=52.  [30  =  53?  54?].  31.  32=68.  6:». 

[33  =  70.]  34  =  72.  35=75.  56=77.  37=76.  38  =  78.  [39.  40=79.  74.]  41  =  80. 

=81.  4  1.  15=83.84.  [46  =  85.]  47=86.  48  bis  51  =  88  bis  91.  [52=7?] 

,  =  100.     Hiernach  war  bei  der  ersten  Zusammenstellung  keineswegs  -die  Zeitfolge 

|  •      ,   s   beoba  Freilich  erschienen  die  meisten  zuerst  gedichteten  lie- 

r  ihrem  inhalte  nach   im  anfange,    aber  gleich   da  te   fält    s<'ehs   monate   später 

als  die  ihm  folgenden.     Im  Wiesbadener  Verzeichnis  war  nummer  18  nicht  ausgefült. 

und  ein  erhaltenes   blatt  der  handschrift.    das   die-  rote  nummer  18  trägt,    ist  leer; 

wahrscheinlich      11     darauf  das  an  den  grossher2  richtete   „An  Schach  Sedschaa 


ÜBER    GOETHES    WERKE    (WEIM.    AUSGABE)  327 

und  seines  gleichen"  zu  stehen  kommen,    das  im  Verzeichnisse  fehlt     Es  wäre  dem- 
nach unmittelbar  auf  die  den  Hans  feiernden  liedei  gefolgt    Die  verse  werden,  wie  die 

auf  die  lierzogin,  zu  Frankfurt  auf  der  reis.'  nach  Wiesbaden  gedichtet  sein.  Burdach 
sezt  sie  s.  393  mit  unrecht  in  den  januar  1815;  denn  sie  brauchen  nicht  wegen  einer 
beziehung  auf  „das  buch  Kabus"  in  die  zeit  zu  fallen,  wo  Goethe  dieses  gerade  ken- 
nen lernte,  und  Burdach  übersah,  dass  Goethe  dieses  buch  schon  am  19.  november 
1814  benuzt!'.  Auch  or. 96  ist  im  Wiesbadener  Verzeichnisse  nicht  angegeben.  Aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  solte  hier  vor  „Vier  frauen"  das  gedieht  „Berechtigte  männeru 
stehen.  Dass  ein  solches  schon  in  das  jähr  1815,  eicht  erst  in  den  Beptember  1818 
fält,  wie  Burdach  s.  443  vermutet,  beweist  eben  die  ursprüngliche  gestalt  des  liedes 
„Auserwählte  frauen"  vom  lO.märz  1815,  dessen  anfang  an  die  feier  der  „berechti 
tcn  männer"  anknüpft,  welche  wahrscheinlich  dem  dichter  aoeh  nicht  nach  wünsch 
gelungen  war.  Wenn  das  Verzeichnis  als  or.  95  vorhergehen  Lässl  „Alles  golden",  so 
konte  dieses  gedieht  sich  nur  auf  das  paradies  beziehen,  wo  alles  wie  von  gold  glänze. 
„Äpfel  goldner  zierd'"  erwähnt  Goethe  XII.  2,  ll  auf  s.  248.  Berichtet  fand  er,  die 
paläste  des  paradieses  seien  von  rubinen,  perlen,  smaragden  und  gold.  Er  dachte 
sich  wol,  dass  alles  hier  von  gold  sei,  wie  im  Homerischen  olymp."  Diese  einleitung 
des  paradieses  verwarf  Goethe  später  und  ersezte  sie  in  der  ausgäbe  lezter  hand 
durch  das  lied  „Vorschmack."  Wie  dieses  lied,  so  scheint  auch  nr.  85  „Dichtung 
arten"  ausgefallen  zu  sein.  Über  die  vier  verschiedenen  stoffe  des  liedes  hatte  sich 
Goethe  schon  im  lied  „Elemente"  (16  des  Verzeichnisses)  ausgesprochen;  „Lied  und 
gebilde"  glaube  ich  jezt,  da  es  in  der  ersten  ausgäbe  fehlt,  später  setzen  zu  müssen. 
Bezog  sieh  das  lied  „  Dichtungsarten u  etwa  darauf,  dass  den  Persern  von  den  drei 
„Dichtarten"  das  drama  fehlt,  worüber  sich  Goethe  später  in  den  „Noten  und  abhand- 
lungen"  ausgesprochen  hat?  Erst  nach  diesen  beobachtungen  tritt  das  Wiesbadener 
Verzeichnis  in  sein  volles  licht. 

Demselben  folgen  bei  Burdach  ein  manches  tatsächliche  berührender  brief 
Goethes  an  Cotta  und  bezügliche  auszüge  aus  den  tagebüchern,  denen  mitteilungen 
aus  briefen  an  seine  gattin  eingefügt  sind,  die  sehr  dankenswert  sind,  da  einmal  die 
volständige  mitteiluug  dieser  briefe  zur  zeit  unverantwortlich  versäumt  worden.  Bil- 
ligen können  wir  es  nicht,  dass  damit  andere  längst  bekante  angaben  verbunden  sind, 
was  selbst  dann  für  diese  ausgäbe  sich  nicht  eignete,  wenn  sie  volständig  wären. 
Dies  aber  ist  so  wenig  der  fall,  dass  gar  vieles  für  die  entstehung  dieser  gedichte 
bedeutende  fehlt.  Auch  ist  manches  zu  ungenau  angegeben.  Häufig  werden  erläu- 
ternde angaben  vermisst,  da  unsere  ausgäbe  auch  dem  mit  der  Goetheforschung  nicht 
innig  vertrauten  leser  dienen  soll,  aber  einzelnes  hier  selbst  dem  genauen  kennei 
schwer  verständlieh  ist.  Wenn  es  z.  b.  am  10.  november  1815  im  tagebuch  heisst: 
„  Sendung  von  Jacobs.  Catalog  orientalischer  manuscripte ",  so  ist  dies  ganz  bedeu- 
tungslos, wenn  man  nicht  weiss,  darunter  sei  das  von  Friedrich  Jacobs  Goethe 
gesante  Seetzensche  Verzeichnis  orientalischer  handsehrifteu  in  Gotha  zu  verstehen, 
für  dessen  mitteilung  von  Goethes  seite  der  prälat  von  Diez  diesem  am  28.  novem- 
ber dankte.  Wichtig  ist  die  erst  durch  Goethes  briefe  an  Frommann  im  Goethe  - 
Jahrbuch  YIII  gewonnene  tatsache,  dass  der  „Divan"  noch  nicht  ausgedruckt  war.  als 
Goethe  nach  Karlsbad  reiste,  und  dass  er  erst  nach  der  rückkehr  die  zum  fünfzehnten, 
das  „Buch  des  paradieses"  enthaltendem  bogen  noch  nötige  handschrift  versprach. 

Sehr  genau  ist  der  abschnitt  über  die  handsehriften  gearbeitet,  nur  wären 
nr.  46  bis  67  näher  zu  bezeichnen  gewesen.  Hier  lernen  wir,  dass  die  der  ausgäbe 
lezter  hand   zu  gründe   gelegte   abschritt  an   manchen,    zum  teil  in  den  druck  über- 


DÜNTZER 

_  gangenen    fehlem    leidet.      Die    naeh    Goethes    tode   gemachten    abschriften    hätten 

unerwähnt  bleiben  sollen.    "Wider  die  nach  Goethes  hinscheiden  hinter  dessen  namens- 

eiotrag  in  das  fremdenbuch  der   Massenmühle    bei    Elgersburg  auf  einem  besondern 

blatte  ei  te  berüchtigte  strophe   habe   ich  mich   so  bestirnt  in  meiner  ausgäbe 

dass  davon  weiter  keine  rede  sein  solte.     In  dieser  strophe  lässt  der 

jezt  gleichfals  heimgegangene  mühlenbesitzei  Arnoldi    (denn   von  diesem    rührt   der 

einschab  her)    den  gestorbenen   dichter  sagen,    er  halte  auch  endlieh  dran  gemust, 

aber  er  sei   im  jenseits   neu   erwacht,    was    eine    Müsse   verflachung    des    kernhaften 

thescl        ..Stirl»  und  werde"   in   der   beigefügten   strophe   des  „Divan"   ist.     Was 

Burdach  s.  353  als   Möglichkeit   bestehen   liisst,    Goethe  seihst  habe    die  strophe  als 

rs    ausgeteilt,    ist    tatsächlich    falsch;    sie    ist    erst    nach   Goethes    hinscheiden 

Lichtet    und    aus   jenem    fremdenbuche    in   die   weit   gewandert,    wo  leichtgläubige 

mit   ihr  gehart  wurden.     Ihr  abdruck  unter  den   lesarten    ist   eine  cutstellung  der 

Weimarischen  ausgab  . 

Nach  den  abschriften  wird  auch  über  die  drucke  eingehend  rechenschaft  abgo- 
r.     Hier  sind   die   im  ersten   druck   begangenen,    später   fortgepflanzten   druckfehler 
nach  \  ichung  der  reinsehrift  angefühlt,  wobei  nur  übersehen  ist,  dass  eine  ände- 

rung  vom  dichter   beim   drucke   bestirnt  worden   sein   kann.      105,  13   entspricht  das 
Iruckte  euch  besser  dem  Zusammenhang  als  das  handschriftliche  auch,  da  es  dem 
dichter  fern  liegt,  sich  den  andern  entgegen  zu  stellen,    denen  er  nur  zuruft:  „Fühlt 
ihr  kraft    in    euch,    etwas   tüchtiges    zu    leisten,    so   bewährt  es!"     Freilich    scheint 
101,  32  Auch   einfacher    und  natürlicher    als   Aus,    aber  immer  bleibt    es  möglich, 
da—    G  ßthe    bei    durchsieht    des    druckes  Aus,    das    natürlich    zu    raufen    gehören 
müste,    als  kräftiger  vorzog;    denn  welche   freiheit  er  sieh  später  in  der  Wortstellung 
erlaubte,   zeigt  das  bekante  Türken   du  getretener.     Auch    kann  man  wol   zwei- 
sich  nicht  ebenso  41,  8  mit  in  deinen  (statt  deinem)  verhält,   so  dass 
in  im  sinne  von  auf  genommen.     Wenn  Lurdach  s.  35G  meint,    Goethe  habe  bei 
dem  im  einvernehmen  mit  der  Cottaschen  buchhandlung  in  Wien  erschienenen  buche 
in:  irkt    (es  ist    nur    im    titel   verschieden   vom    einundzwanzigsten    bände    der 

Wiener  ausgäbe  des  Werkes),  so  können  wir  dies  nicht  gelten  lassen.  Freilich  hatte 
er  nach  dem  briefe  an  Frommann  die  absieht,  in  dem  nach.  Wien  zu  schickenden 
druck'  fehler  zu  verbessern,    so   dass   man   dort  eine   „völlig  reinliche  ausgäbe" 

könne;    aber  dass  er  wirklich  dazu  gekommen,    ist  nicht  erwiesen,   viel- 
mehr ganz   unglaublich,    da   die    zahlreichen   druckfehler,    darunter    die   schlimmsten, 
wie    ihre    an.  r   zeigt,    ihm    längst    aufgefallen    waren    (Feindet 

Findet.    Schwächen   statt  Schwänchen),    unverbessert  blieben.     Wenn  an 
zw        •  üen   der  AYiener  druck   mit  der  reinsehrift  übereinstimt,    so    kann    dies    bei 
•i   zahlreichen   abweich ungen   desselben   von   dem   zu  gründe  liegenden  Jenaer  nur 
auf  zufall   beruhen.     Und   dass  wirkliel  the  41,  8   deinen,    101,  32  Auch   als 

druckfehler  betrachtet  habe,    steht   nichts  weniger  als  fest,    wenn  auch   die  tatsache, 
:u  die  ausgäbe   lezter  band  unbeanstandet  übergiengen,    bei  Goethes  häu- 
•n  früher  gemachter  Verbesserungen  nicht  als  gegenbeweis  gelten  kann. 
Aus  den  bemerkungen  über  die  leitenden  grundsätze   führen  wir  an,    dass  die 
quellen   nur   da    i  ben    sind,    wo    ihre    kentnis    „textgestaltung   oder   datierung 

-timmen   hilft".      Auf   die    |  ante    ist    dureh^  rücksicht  genommen,    was 

b  dadurch  rechtfertigt,    dass  die  handschrift  die  zeit  von  sehr  vielen  gedienten 
ani::  *.     Noch    in    einem    andern    punkte    weicht   Burdacb    von   den    grundsätzen    der 

d  wort-  und  sacherklärungen,  auch  da.  wo  diese  nicht 


ÜBER   GOETHES    WERKE    (WEIM.    A.UBGABE)  329 

durch  die  abweichende  Lesart  veranlasst  werden,  wie  es  wirklich  236,  1  der  fall  ist, 
wo  die  zweite  ausgäbe  Siondeschein  bietet,  was  mit  recht  als  eine  absichtliche 
altertümliche  (wol  richtiger  volkstümliche)  form  bezeichnet  wird.  Aber  Goethe  hatte 
sich  hier  zur  ändernng  verleiten  lassen;  denn  die  einzige  altertümliche  form  des 
gedichtes,    Paradeis,    is1   durch  den  reim  veranlasst.    Goethe  brauchte  nur  Mond- 

ihein  oder  Mondenschein.  Bei  den  Zusammensetzungen  mit  erde  schwankte  er 
zwischen  den  formen  mit  und  ohne  n  (seltener  Hess  er  die  endung  e  weg),  ebenso 
bei  den  mit  leben  und  bei  ellenbogen.  Das  von  Bui'dach  angeführte  ungewöhn- 
liche Scherbeleson  ist  wo!  dem  wolklang  zu  verdanken.  S.  126,  2  wird  milde 
nicht  genau  durch  freigebigkeil  erklärt;  es  8teh1  vielmehr  für  mildtätigkeit. 
J)ie  Sprachbemerkung  zu  178,  1-4  hätte,  wenn  sie  überhaupt  zu  machen  war,  schon 
zu  161,  1  gehört;  jedesfals  muste  die  dortige  abweichung  bemerkt  werden.  Irrig 
heisst  es  zu  ISO,  15,  der  mantel  gesäter  Storno  sei  das  gestirnte  firmament;  da 
wert,    das    noch    aus    dem    buche    tönt,    vergleicht    der    dichter    einem    mit  Sternen 

schmückten  mantel.    indem  er   seine   darin   ausgesprochenen   gefühle,   welche  zur 
geliebten  durchdringen  werden,  mit  unauslöschlichen  Sternen  vergleicht 

Zu  der  von  kentnis  und  dichterischem  gefühl  zeugenden  behandlung  der  ein- 
zelnen gedichte  mögen  uns  bemerkungen  über  eine  anzahl  der  stellen  gestattet  sein. 
über  welche  wir    anderer   ansieht    sind.     8,  32  scheint  hier  druckfehler   des    eilig 

sezten  kartons  statt  des  einzig  sachgemässen  mir;  es  ist  nicht  der  einzige  fall, 
dass  ein  karten  fehlerhaft  gedruckt  worden.  Hier  aneignen  kann  unmöglich  heissen 
„dem  engen  räum  anpassen4-;  es  geht  auf  den  so  sprechenden  Binbildlichen  ausdruck 
eines  gedankens,  welchen  man  darin  schaut,  nicht  erst  zu  denken  braucht.  Gegra- 
ben steht  dem  denken  entgegen;  dass  das  wort  eingegraben  sei,  ehe  man  es 
erwarte,  scheint  mir  fremdartig.  —  43,  20  hat  Burdach  Sodann  drucken  lassen. 
aber  in  den  anmerkungen  zieht  er  das  überlieferte  So  dann  vor,  wonach  so  rcla- 
tivisch  zu  fassen  wäre  und  nicht  sodann,  wie  gewöhnlich  (z.  b.  202,  9),  stünde. 
Aber  ist  es  schon  an  sich  unwahrscheinlich,  so  dann  sei  hier  abweichend  von  der 
gewohnten  Verbindung  gebraucht,  so  widerspricht  dieser  deutung  der  zusammenhai 
und  die  frühere  fassung  (kräuselnd  und  säuselnd)  erweist,  dass  au  eine  auf- 
einanderfolge zu  denken  ist.  —  Auffallend  hat  Burdach  übersehen,  dass  (i!.  I 
„"Wisst  ihr,  wie  Sehehab- eddin u  am  anfange  eine  silbe  zuwenig  hat.  und  was  ich  in 
den  text  aufgenommen,  "Wisset  zu  schreiben  ist.  Die  sache  litt  gar  keinen  zweifei; 
die  quelle  des  Versehens  lernen  wir  erst  jezt  kennen.  Ursprünglich  stand  AVüsstet; 
Goethe  zog  später  das  unbedingte  Wisst  vor,  und  schrieb  es  darüber,  ohne  zu 
beachten,  dass  der  vers  den  trochäus  "Wisset  fordert.  —  An  82,  7  nahm  GötÜing 
anstoss  und  vermutete  um  statt  'mm,  das  («oethe  beibehielt.  Und  doch  kann  man 
kaum  sich  herumsehen  sagen,  wenn  man  es  nicht  etwa  erklärt  sich  herum- 
drehend sehen.  Einfacher  wäre  es  jedenfals  und  auch  bezeichnender,  wenn  man 
dreht  statt  sieht  läse.  —  Billigen  können  wir  es  nicht,  da-  -7  'las  offenbar  von 
Goethe  verlesene  Sedschan  statt  Sedschaa  beibehalten  worden.  Wenn  daselbst  das 
An  in  der  Überschrift  in  der  ausgäbe  lezter  band  aufgefallen  ist,  so  können  wir  dies 
nur  für  ein  versehen  halten,  da  eine  bestirnte  persOn  angeredet  ist;  freilich  ist  der 
zusatz  „und  seines  gleichen  "  in  der  Überschrift  etwas  sonderbar,  wenn  auch  die 
beziehung  auf  alle  am  kriege  gegen  Napoleon  persönlich  teilnehmenden  forsten  nicht 
zu  verkennen  ist.  Auch  die  beibehaltnng  von  Tulbend  statt  des  richtigen  Bul- 
ben d  (s.  155)  scheint  mir  nicht  gerechtfertigt.  Wäre  Goethe  darauf  hingewiesen  wor- 
den, er  würde  kaum  die  Verbesserung  abgelehnt  haben.     Der  name  Ferdusi  (s.  80) 


330  IU'NTZEK 

solte  Firdusi  lauten,    wie  ihn  Goethe   in  den   noton    und   abhandlungen  schrieb. 
Im  register  war  nach  den  gedienten  Ferdusi  geschrieben,  aber  auch  Firdusi  ange- 
führt mit  Verweisung  auf  Ferdusi.     Verfehlt  scheint   es  mir.   dass   die  Weimarische 
ausgäbe  auch  in  den  noten  ohne  weiteres  die  form  Ferdusi  eingeführt  hat,    statt 
die  umgekehrte  änderung  vorzunehmen.  —  95,  17  ist  ruhig'  statt  ruhig,  geschrie- 
ben, aber  s.  ach  das  adverbium  ruhig,  das  uns  einzig  richtig  scheint,  für  mög- 
lich erklärt  —  113,  1  schi  fche  erst  beim  drucke  kräftgen  ein,  ohne  zu  beden- 
ken,   dass  es  den  vers  zu  lang  macht:  vielleicht  solte  man  das  durch  den  sinn  nicht 
lerte  beiwort  den  lesarten  vorbehalten.  —  s.  132  werden  von  Burdach  die  bei- 
den   ersten               les   Spruches    ..Die    Hut    der  leidenschaft"    in   anführungszeichen 
.    mit  der  bemerkung,    diese  selten   nur  deutlicher  bezeichnen,    was  der  nach- 
folgende gedankenstrich   ausdrücke.     Aber  der  gedankenstrich  wird,    wie  wir  sahen, 
im   „Divan"   gar   verschieden   verwendet.      Und    hier  fehlt  der  gedankenstrich   beim 
.    drucke   (im  „Morgenblatte");    beim   zweiten  steht  der  sprach  unter  mehreren 
anderen,  von  denen  keiner  einen  gedankenstrich  hat,  obgleich  in  einem  (in  den  versen 
„Du  hasi   gar  vielen  nicht  gedankt11)  rede  und  gegenrede   sich  finden  und  die  erste 
auch  von   Burdach    mit   anführungszeichen    versehen    ist,    die    sich    im    „Buch    der 
spräche",   dem  unsei         rse  angehören,    schon  in  der  ersten  ausgäbe  dreimal  linden, 
wegegen   kein   gedankenstrich   vorkomt.     Ist   demnach   die  äussere  berechtigung,    den 
_  dankenstrich  in  anführungszeichen  umzusetzen,  sehr  bedenklich,  so  kann  hier  auch 
dem  inhalt  nach  nicht  an  rede  und  gegenrede  gedacht  werden.     Burdach  meint,  der  in 
den  beiden  ersten  versen  behaupteten  vergeblichkeit   der  leidenschaft  hielten  die   bei- 
den lezten  die  poesie  als  einen  gewinn  entgegen.     Wirklich  besagt  der  Spruch,    die 
leidenschaft  der  liebe  bestürme  das  herz,    richte   es   aber  nicht  zu  gründe,    vielmehr 
trag                 -  m  dichterische  perlen  ein.    Er  ist  eine  weitere  ausführung  des  fünften: 
„Das  meer  Hütet  immer,   |  Das  land  behält  es  nimmer/"     Auch  können  wir  es  nicht 
billigen,    dass  vorher   (s.  126)   der   sprach   ..Dunkel  ist  die  nacht"   als   ein   citat  auf- 
gefaßt wird,    wie   er  schon  in   der  haudschrift  und  dem  ersten  drucke  durch  anfüh- 
ru'            hen  am  anfang  und  ende   bezeichnet  wird.     Die   taschenausgabe    sezte  das 
zweite  anführungszeichen   nach   dem  ersten  verse.     Freilich  billigte  Goethe  auf  Gött- 
lings  Vorschlag  die  Herstellung  der  ursprünglichen  lesart  für  die  oktavausgabe;    aber, 
wii          glauben,  gegen  den  eigentlichen  sinn  des  Spruches,  da  die  frage  nicht  auf  eine 
:    .   äondern  auf  eine  fremde  äusserung  sich  beziehen  muss.     Die  änderung  in  der 
thenausgabe   i-t  doch   kaum   ohne  Goethes   Zustimmung  erfolgt;    entschied   er  sich 
iter  augenblicklich  anders,   so  haben  wir  hier  eben  nur  zwei  sich  widersprechende 
entscheidungen,   von   denen  man  kaum  die  zweite  ohne   weiteres  wird  vorziehen  dür- 
fen,         m    „Buch   der   spräche"   haben  wir  bloss  eine  abschritt  Kräuters,    die,    wie 
Burdach    _     -  b.t,    „auf    sicherlich    nicht    oder    ganz    nachlässig    interpungierten   con- 
i  Goethes   beruht",    so  dass  sie  für  die  satzzeichnung  weniger  massgebend  ist, 
auch  bei  der  druckhandschrift  zu  gründe  gelegt  wurde.  —    Mehrfach  legt 
Burdach  auf  den  rhythmus  ein  gewicht,  das  wir  ihm  nicht  zuschreiben  können.    So 
-.  139,   11,    wo  überliefert  ist:    „Ahndeten  schon  Bulbuls  Lieben,  |  Seele- 
regenden s       •  -    .     .n  haupttonigea  substantivum  verlangen,    also  das  hier  vermutete 
..lieben.  |  6eeleregenden    .    la   g"  -n.      Aber  warum   solte   nicht  ein  vers- 
schnitt zwischen  li            und  seel        -    öden  jesang  gestattet  sein,   wie  II,  28, 
140    zwischen    unsern     milden    und    himmelreinen    lustgefilden?     Das    über- 
liefert                                           den    gesang  klingt  ungemein  hart.     Die   liebe  Bul- 
buls   brauchte    nicht   hervorgehoben    zu  werden,    da   ihr   gesang   als  liebeserklärung 


ÜBER   GOETHES    WERKE    (WEIM.    ACSGABK)  331 

gedacht  wird,  wogegen  der  holde  reiz  ihrer  stimme  Geben  ihrer  Wirkung  des  gesanges 
auf  die  seele  glücklich  hervortritt  18G,  2  soll  Der  sonne  bald,  dem  kaiser 
richtiger  sein  als  Der  sonne,  bald  dem  kaiser,  hier  „der  dipodische  rhythmus 
eäsur  (?)  nach  bald  fordern",  obgleich  der  abschnitt  nach  sonne  viel  kräftigerwirkt; 
ja  wenn  bald  mit  sonn-'  verbunden  wird,  so  vermisst  man  ein  Bolches  bei  kaiser, 
wogegen  im  andern  falle  das  einmalige  bald  volkommen  genügt.  Sonderbar  linde 
ich  es  auch.,  dass  im  verse:  „Ists  möglich,  dass  ich  Liebchen  dich  kosel"  (s.  1  18),  die 
worte  di^h  liebchen,  weil  die  kommata  fehlen,  nicht  als  anrede,  sondern  als 
„apposition  mit  invertierter  weil  Mg.  ■  ••  gefasst  werden  seilen.  V"on  einer  verantre- 
tenden apposition  habe  ich  keine  vorstellui 

So  würde  ich  noch  manchen  Widerspruch  erheben  können,  käme  es  auf  alle 
einzelheiten  an.  Aber  im  ganzen  ist  die  ausgäbe  mit  frischem,  freiem  geiste,  gründ- 
licher kentnis  und  kritischer  Schulung,  bo  wie  mit  Lebendigem  eifei  gearbeitet,  kann 
sie  auch  nicht  als  eine  durchaus  reife  frucht  gelten,  wie  man  sie  von  der  Weima- 
rischen ausgäbe  fordern  muste.  Hätte  der  herausgeber  sie  nach  Vollendung  der  hand- 
schrift  noch  ein  jähr  liegen  lassen  und  sie  dann  von  neuem  durchsehen  können, 
würde  er  manches  geändert  haben.  Aber  der  reiche  kritische  stoff  ist  so  übersicht- 
lich verwertet,  dass  man  daraus  eine  lebendige  einsieht  gewint.  Der  nachlass  hie- 
tet  nur  zwei  bisher  ungedruckte  kleine  gediente  und  gibt  die  bereits  von  Rie- 
mer mitgeteilten  genauer.  Neu  sind  auch  anderthalb  im  liedc  „ Widerfinden " 
unterdrückte  Strophen;  dass  hier  eine  strophe  weggelassen  sei.  wüsten  wir  längst  aus 
Boisserees  bericht.  Die  „Päralipomena"  beginnen  mit  vier  ^Übersetzungen  und  nach- 
dichtungenu,  unter  denen  die  der  ersten  Moallakat  von  1783  ist,  die  übrigen  gehören 
dem  jähre  1814  an;  nur  von  einem  ist  die  quelle  bisher  nicht  entdeckt.  An  zweiter 
stelle  folgen  „Entwürfe  zu  Divangedichten."  Unglücklich  ist  bei  5  die  Ver- 
mutung, Mobed  sei  für  Moses  verschrieben;  die  herstellung  Mob e de  ergibt  sich 
ganz  unzweifelhaft,  wie  gleich  darauf  Grau  Nord,  wo  Burdach  das  falsche  < 'ran 
mit  einem  fragezeichen  begleitet.  In  7,  6  ist  IE....  als  Heiland,  Seh...  als 
Schein  zu  ergänzen,  9d  bedeuten  statt  bedarfe  zu  lesen.  Die  verse  am  ende 
von  9  gehören  Riemer. 

Eine  meisterhafte  leistung  bietet  der  siebente  band,  der  von  dem  längst  bewähr- 
ten   Bernhard    Scuffert    die    noten    und    abhandlungen    in    der   von    Göttling 
angebahnten,  aber  erst  jezt  fest  durchgeführten  Schreibung  und  satzzeichnung,  darauf 
den  aufsatz  Moses  von  1707    (vgl.  meinen   aufsatz   in  Eerrigs  „Archiv"  VI)   nel 
den   Vorstudien  und   dem   entwürfe   dazu   bringt,    von  Karl  Wilhelm    «las   Verzeichnis 
der  „vorarbeiten  und  materialien  zum  Divan."     Die  bestimmung  der  redaktoren,  da 
die  noten   als  besonderer   band   vom  Divan   getrent  sind,    widerspricht   freilich  der 
absieht  des  dichters,  den  es  schwer  ärgerte,  als  Cotta  sich  veranlasst  fand,  aus  dem 
von  ihm  angekündigten  fünften  bände  zwei  zu  machen.     Seuffert  behalt  sogar  Goeth 
offenbare    versehen    bei.    obgleich    dieser,    darauf    hingewiesen,    deren    Verbesserung 
angeordnet  haben  würde.     Dass  das  richtige  Firdusi,    um  die  abweichung  vom  Di- 
van zu  vermeiden,  zu  Ferdusi  geworden,    obgleich    die    umgekehrte   Veränderung 
sich  empfahl,  ist  bereits  bemerkt;  darnach  fiel  im  register  der  artikel  Firdusi  aus. 

Die  schwierigste  und  bedeutendste  arbeit,  die  herausgäbe  des  ganzen  Faust, 
hat  Scherers  geistreicher  schüler  Erich  Schmidt  ausgeführt.  Es  ist  ein  werk 
grossen  fleisses  und  ungeheurer  mühe,  das  eine  neue  grundlage  der  forschung  bildet; 
aber  keineswegs  nach  fest  durchgeführten  grundsätzen  sauber  gearbeitet,  sondern  mit 
rascher  entschiedenheit  vorschnell  bewältigt,    was  nicht   zu  verwundern  ist  bei  einem 


332  DÜNTZER 

so   lebhaften    und   von   verschiedenen    Seiten    in    ansprach    genommenen    gelehrten, 
der  freilich  mit  Faust  sich  viel  beschäftigt  hat,    aber  ohne  sich  völlig  in  die  dich- 
tung  selbst  und  deren   erklärung  eingelebt  zu   haben.     Für  den   ersten  teil  hatte  er 
eine  neue,    besonders   für  die   entstehungsgeschichte   höchst  wichtige    quelle    in    der 
abschritt  der  hofdame  von Göchhausen  entdeckt.    Dass  seine  ausgäbe  dieser  „ursprüng- 
lichen gestalt"  übereilt  gewesen,    hat    er    seihst   in    der    „zweiten  aufläge"    eingestan- 
den, aus  welcher  dann  am  Schlüsse  von  band  XV-  einige  lesarten  nachgetragen  oder 
berichtigt  werden.     Aber  nicht   zurückgenommen    ist    die   behauptung,    die  abschrift 
enthalte  ..den  ursprünglichen  fragmentarischen   Faust,    wie   ihn  Goethe   nach  Weimar 
mitbrachte."     In  der   „Gegenwart"  XXX 111.  1(3(3  fgg.  habe    ich  erwiesen,    dass  der 
hhausen    die    abschritt    des    bruchstückes    in  'der   handschriftlichen    samlung  von 
angedruckten  werken  vorlag,    welche   der   dichter  im   Oktober  1782  der  her- 
ein-mutter    verehrt    hatte,    zu    welcher    diejenige    benuzt    worden,    nach    welcher 
„Faust"    in    die   von   Weihnachten  1781    bis  mitte  Januar  1782    der    trau   von  Stein 
-•henkte  samlung  aufgenommen  worden  war.     Der  von  Goethe  verwante  abschrei- 
ber  wird  nur  zum  teil  die  urhaudschrift  in  bänden  gehabt,    manches   in   des  dichters 
•iier  abschrift  ihm  vorgelegen  haben.     Den  unzweifelhaften  beweis,    dass  die 
abschrift    der    Göchhausen    nicht    die    ganz    unveränderte    gestalt    der    urhaudschrift 
be,    liefert    das    lied    vom    könig  iu   Thule.     Schon   von  anderer   seite  ist  auf  die 
abweichung  der  Göchhausenschen  fassung  von  dem  abdrucke  der  bailade  bei  Secken- 
dorff und  die  Übereinstimmung  mit  dem  „fragment"  bemerkt  worden.    Wenn  Secken- 
dorff  im  jähre   1782  zu  der   in    musik    gesezten    ballade   bemerkte,    „Aus   Goethens 
1'.  Faust",   so  kann  Goethe  ihm  diese  nur  nach  der  Fausthandschrift  gegeben  haben. 
Wir  müßten  demnach  in  der  Göchhausenschen  handschrift  dieselbe  fassung  widerfin- 
finden,  gäbe  diese  den  ursprünglichen  „Faust"  wörtlich  wider.    Die  ausflucht,  Goethe 
habe  au  der  ballade  geändert,    ehe  er  sie  Seckendorff  mitteilte,    wird  dadurch  abge- 
ritten.    dass   die-   lassung   in   der  Göchhausenschen   abschrift  offenbar   eine  verbes- 
serun_  ballade  gegen  die  Seekendorffische  ist,   nicht  umgekehrt.     Ehe  Goethe  den 

„Faust"  für  die  Stein  abschreiben  licss,    änderte  er  den  schluss,    wie  er  gewöhnlich 
bei   der  abschrift  seiner  idtern  gedichte  Veränderungen  vornahm.     Diese  Veränderung 
aber  kann   er  nicht  schon  im  jähre  177(3  vorgenommen    haben,    in  welches  Schmidt 
hrift    der  Göolmauscn    setzen    möchte,    da   er    Seckendorff   die    ballade    erst 
ende  I77sj   oder  anfangs    177!).    wo   er  mit  diesem  vertrauter  wurde,    gegeben  haben 
dürfte.     Das  erste  lieft  von  Seckendorffs  „Volks-  und   andere  lieder",    welches   seine 
ballade  „Der  Fischer1"  brachte,  erschien  im  frühjahr  1779;  zugleich  mit  diesem  hatte 
ethe  ihm  höchst  wahrscheinlich  den  „König  in  Thule "  gegeben,    der  aber  erst  im 
dritten,    1782   erschienenen  hefte  erschien    (die  Überschrift  Seckendorffs    „Der  könig 
von  Thule"   gehört  wol  diesem   an),    wogegen  Seckendorffs  melodie  des  liedes  „An 
den    mond"    gar    nicht    gedruckt    wurde.      Ist    die    Göchhausensche    abschrift    nicht 
unmittelbar  aus  der  Urschrift,  sondern  aus  der  1781  von  Goethe  veranstalteten  gcilos- 
konte  der  dichter  nicht  bloss  kleinigkeiten   geändert,   sondern  auch  einzelnes 
re  aufgenommen  halten.     [Auf  Schmidts  neuerdings  erhobenen  Widerspruch  komme 
ich  nie  -  bei  anderer  gelcgenheit  eingehend  zu  sprechen.     Späterer  zusatz.] 

Die  lesarten  beginnen  mit  den  drucken,  von  denen  wir  ausreichende  künde 
erhalten.  Die  im  „Morgenblatt-  gedruckten  scenen  konten  übergangen,  am  wenigsten 
durften  sie  der  ausgäbe  selbst  vorangesteU  werden,  deren  druck  dabei  zu  gründe  lag. 
Den  vom  herausgeber  des  -Morgenblattes-,  wie  bei  jeder  nummer,  vorgesezten  mottos 
wird  eine  irreführende  ehre  zu  teil,  wenn  sie,  als  ob  der  dichter  dabei  irgend  betei- 


ÜBEB    GOETHES    WERKE    (WKIM.    AUSGABE)  333 

ligt  wäre,  mitgeteilt  werden.  „Das  motto  ist  bedeutsam  gewählt",  heissl  es  s.  257  und 
258  und  ähnlich  s.  281.  Ja  freilich,  aber  nicht  von  Goethe,  sondern  von  Hang! 
Die  beiden  einzelansgaben  des  „Faust"  waren  zn  übergehen,  wie  es  mit  recht  bei 
den  späteren  geschehen,  da  Bie  nur  abdrücke  aus  den  werken  sind.  Schmidts  bebaup- 
tung  s.  251,  in  Ea  habe  der  dichter  die  Fassung  revidiert  und  diese  sei  in  der  aus- 
gäbe der  werke  widerholt,  verdreht  den  tatbestand;  denn  wenn  auch  die  bände  von 
dem   den    „  Faust "    enthaltenden    nennten    an    erst    ostern    1 S 1 7    au  "'ii    wurden. 

gedruckt  war  „Faust"  darin  schon  1816  und  nach  diesem  drucke  wurde  die  einzel- 
ausgabe  gemacht  I>as.^  es  von  III  auch  einen  durch  viele  eigentumliche  druckfehler 
entstelten  abdruck  gebe,  hat  erst  Schmidt  festgestelt;  doch  muste  er  hervorheben, 
dass  auch  die  ursprüngliche  ausgäbe  von  III  nicht  bloss  in  der  satzzeichnung,  son- 
dern auch  in  den  worten  (wie  2921.  3457.  3890)  starke  druckfehler  zeigt,  so  dass 
ihre  lesart.  nur  da  ins  gewicht  fält,  wo  sie  eine  offenbare  Verbesserung  ist.  Bei 
der  oktavausgabe  lezter  hand  hätte  wol  bemerkt  werden  sollen,  dass  die  Verbesse- 
rungen gegen  die  taschenausgabe  unbedeutend  sind.  Der  einzeldruck  von  1S30  ver- 
diente keine  erwähnung.  Über  die  wenigen  handschriftlichen  roste  von  Goethes  eigner 
hand  oder  mit  dessen  Verbesserungen  wird  auf  die  betreffenden  stellen  verwiesen;  eine 
vorläufige  Übersicht  und  nähere  bestimmung  wäre  wol  an  der  stelle  gewesen. 

Wenden  wir  uns  zur  gestaltung  des  textes,  so  ist  die  Schreibung  meist  folge- 
richtig durchgeführt,  aber  in  der  satzzeichnung  noch  manches  ungehörige  beibehal- 
ten zum  nachteil  des  leichten  Verständnisses;  auch  keine  volle  gleichmässigkeit  ist 
erreicht.  Einzelnes  dieser  art  ist  schon  oben  augegeben;  anderes  möge  hier  hervor- 
gehoben werden.  Bei  der  anrede  fehlt  vielfach  das  diese  vom  satze  trennende  komma. 
Freilich  ist  dieses  nicht  an  der  stelle,  wo  du  oder  ihr  Subjekt  ist,  an  welches  sich 
unmittelbar  eine  weitere  anrede  ohne  besondere  betonung  anschliesst.  Aber  bei  „Nein, 
horr!"  (296),  -Agathe,  fort!"  (876)  darf  das  scheidende  komma  nicht  fehlen.  Rich- 
tig ist  842  geschrieben  „Herr  bruder,  nein!",  wozu  „Herr  bruder  komm!"  (829) 
nicht  stiint.  Mindestens  ein  komma  ist  erforderlich,  wo  sätze  in  selbständiger  bezie- 
hung  neben  einander  treten.  Wenn  es  161  fg.  heisst:  „Zufällig  naht  man  sich,  man 
fühlt,  man  bleibt,  |  Und  nach  und  nach  wird  man  verflochten",  so  ist  das  freilich 
in  den  ausgaben  fehlende  komma  durchaus  nötig,  da  die  folge  angeknüpft  wird,  wes- 
halb man  denn  auch  beim  vortrage  eine  längere  pause  macht  als  vor  dem  zweiten 
und  dritten  mau.  Viel  weniger  nötig  wäre  das  komma  140  nach  „der  aus  dem 
busen  dringt",  da  das  sich  unmittelbar  anschliessende  „Und  in  sein  herz  die  weit 
zurücke  schlingt"  notwendige  ergänzung  bildet.  Dass  Goethe  selbst  an  den  vom 
ersten  druck  hereingebrachten  unnötigen,  nähere  bestimmungen  absondernden,  den 
satz  zerhackenden  kommas  so  starken  anstoss  nahm,  da^s  er  vor  allem  die  entfer- 
nung  derselben  wünschte,  wurde  schon  bemerkt;  aber  leider  haben  in  der  Weima- 
rischen ausgäbe  des  „ Faust"  noch  viele  ihr  leben  gefristet.  Wenn  man  zweifeln 
kann,  ob  diese  32S  bei  „in  seinem  dunklen  dränge"  mit  recht  weggelassen  sind, 
jedenfals  stören  sie,  um  nur  wenige  stellen  anzuführen,  560  („bei  meinem  kritischen 
bestreben"),  .735  („mit  ganzer  seele"),  747  („um  grabes  nacht"),  798  („Aus  der  Ver- 
wesung schooss"),  878  („in  Sanct  Andreas  nacht"),  1105  (..Von  buch  zu  buch"). 
343  sind  die  kommas  bei  dem  so  bedeutsam  hervorgehobenen  ..als  teufel"  weggelas- 
sen, 620  bei  „schaffend"  geblieben,  während  sie  wieder  147  bei  „Belebend"  gestri- 
chen wurden.  Es  würde  zu  grossen  räum  in  ansprach  nehmen,  weiten  wir  auf  das 
sonstige  so  grundsatzlose  schwanken  eingehen.  Beispielsweise  erwähnen  wir,  dass 
nach  Verzeih  275,   Verzeiht  2001  komma,    522.    570  uach  Verzeiht  ausrufungs- 


334  IUNTZF.R 

zeichen  steht     Nach  dem  einleitenden   „Jezt  ohne  schimpf  und   ohne  spass"  (2653) 
findet  sich  noch,  als  ob  es  ein  voller  satz  wäre,   pnnkt,  ohne  erwähnung  des  in  der 

äten  ansgabe  stehenden  doppelpunktes,  wie  denn  die  angäbe  der  abweichnngen 
nichts  weniger  als  volständig  oder  nach  festen  grundsätzen  ausgewählt  ist.  Der  dop- 
pelpunkt  solte  hier  das  folgende  einführen;  doch  hat  man  dafür  später  wol  richtiger 
ausrorongszeichen  oder  komma  gesezt,    ähnlich   wie  „mit  verlaub  von  cw.  gnaden" 

-7  von  kommas  eingeschlossen  ist.  Wen  mnss  es  nicht  befremden,  dass  gleich  nach 
Raphaels:  „Ihr  anblick  gibt  den  engein  starke,  |  Wenn  keiner  sie  ergründen  mag" 
(247  g  im  chorgesange  der  drei  erzengel  heisst:    „Der  anblick  gibt  den  engein 

starke  |  Da  keiner  dich  ergründen  magu,  also  hier,  obgleich  da  begründend  steht, 
it  dem  ersten  drucke  aus  blossem  versehen  fehlende  komma  nach  stärke  ver- 
misst  wird.  Wir  unterlassen  es  auf  die  vielen  fälle  einzugehen,  wo  komma  statt 
punkt  oder  ausrufnngszeichen  steht,  wie  463  (hier  werden  wir  belehrt,  der  rasche 
lauf  der  rede  erlaube  das  auf  blossem  versehen  von  II  beruhende,  den  ausdruck 
abschwächende  komma!)   oder  statt  Semikolon  oder  kolon;  wo  punkt  oder  ausrufungs- 

ichen  vor  einem  gedankenstriche  fehlt,  wie  132;   wo  der  doppelte  gedankenstrich 

et,    wie  472  (nach  haupt),    oder  andere  fehler  gegen   eine  verständige  Batzzeich- 

nung  sich  finden.     <  >ft  kommt  die  rede  vor  lauter  die  Sätze  trennenden  kommas  nicht 

zur  ruhe  und  die  beziehuhg  derselben  zu  einander  geht  ganz  verloren.     In  dem  bau- 

emliede   muss   nach   ^~(j   komma  gesezt  werden,    wie   es  sich   069   findet;    denn   die 

frainvers  si  hon  ausserhalb  der  rede.  Muster  falscher  satzzeichnung  sind  „0  tod! 
ich  kenn's  —  das  ist  mein  famulus  — "  (518),  „Trauben  trägt  der  weinstock!  (,), 
Eörner  der  Ziegenbock;  (.)"  (2284  Ig.),  die  freilich  Schmidt  nicht  erfunden,  aber  beibe- 
halten. Hätte  er  sich  überzeugt,  wie  jämmerlich  es  mit  der  entstehung  der  satzzeichnung 
in  der  an  lezter  hand  sich  verhält,    und  den  grundsatz  befolgt,    dass  diese  den 

Vortrag  erleichtern  soll,  auch  hier  als  gesetz  gelten  muss:  „Schreibe,  wie  dusprichst", 
würde  seine  ausgäbe  nicht  in  dieser  beziehnng  weit  hinter  andern  zurückstehen. 
Auch   in   der  wortkritik   bietet  sie   manche   mängel.     Der   schlimste  flecken  ist 
die   beibehaltung    des    unsinnigen   Leid   statt  Lied   (21),    in   dessen   Verteidigung  er 
leider   Vorgänger  gehabt     Achtel    man   streng   auf  den   Zusammenhang,    was    freilich 
weit  -    '       c  bei  kritikern  und  erklärern  der  fall  ist,  als  man  glauben  solte,  so  kann  in 
se  nur  von  der  dichtung  des  „Faust"  die  rede  sein,  aber  diese  hier  mein 
leid   zu   nennen  wäre   eine   albcrnheit.     Was  Schmidt   äusserlich   gegen  diese  verbes- 
irbringt,  will  nichts  sagen.     Dass  Riemer  mit  ihr  „bei  lebzeiten  des  dichters 
nicht  durchgedrungen",    ist   nicht   richtig.     Wie  Goethe   so    manche   selbstgemachte 
vei  ei   den    neuen   ausgaben   vergessen    hatte,    so   auch   hier  die    ISO!)  von 

Riemer  gemachte.  Hat  ja  Schmidt  selbst  2348  Riemers  Dich  statt  Doch  aufgenom- 
men, obgleich  sich  das  versehen  grade  ebenso  lange  in  den  ausgaben  fortgepflanzt  hat, 
ebenso  lange  als  das  lächerliche  sang  statt  sank  in  der  ballade  „Das  veilchen." 
Eine  anzahl  anderer  versehen  habe  ich  in  den  „Grenzboten"  s.  90  besprochen.  Wir 
fügen  hier  einige  hinzu.  279  ist  Sonn-  statt  Sonn'  eine  schlimbesserung,  da  im 
prolog  nur  von  einer  sonne  die  rede  ist;  wogegen  238  „An  tier  und. vögeln"  wol 
ti<    -  jotte.     öll   lesen  wir  jezl  h'raus,  wie  ursprünglich  stand;  alter  Goethe 

li.  ;hen  formen  das  li  weg.    wie  wir  im  Divan   'mm  lesen,    und  so 

ha*-     Schmidt    kein    recht    das  überliel  raus  zu   verdrängen.     2174  ist  Lasst 

wol  nur  druckfehler  der  zweiten  ausgäbe  statt  des  passenden  Lass.     2385  fordert  der 
.  lange  igt  aus;  dem  vorigen  hereingekommen,  wo  das  e  metrisch 

zählt.     -    226,  29  n.  nach  den  grundsätzen  der  ausgäbe  Ein  statt  ein  heissen; 


ÜBER    r.OF.TIIF.S    WKKKN    (WF.IM.    AUSGABE)  335 

Von  tiefer  liegenden  schaden,  deren  herstellung  die  Weiinarische  ausgäbe  ausschliesst, 
wollen  wir  gar  nicht  reden,  selbst  Glutstrora  statt  Flutstrom  008  nur  anzudeu- 
ten wäre  für  sie  zu  viel.  Unter  den  Lesarten  werden  nur  wenige,  und  dazn  Behr 
schwache,  abgewiesen;  man  sieht  gar  nicht,  woher  diese  zu  der  «'luv  kommen. 
43:}(.»  wird  Fideler  einer  aus  blossem  übersehen  der  überlieferten  Lesart  entstandenen 
Vermutung  zu  liebe  Qottweg  als  Fiedler  erklärt,  obgleich  Goethe  das  worl  nicht 
dreisilbig  sprach  und  er  Fiedel,  nie  Fidel  Bchrieb,  auch  Fideler  mit  betonung 
der  zweiten  silbe  dem  Zusammenhang  entspricht. 

Der  wert  dieser  Weimarischen  ausgäbe  liegt  fast  einzig  in  den  Paralipo- 
mena,  die  volständiger  und  genauer  als  bisher  mitgeteilt  wei'den,  unter  ihnen  auch 
„excerpte"  zur  Walpurgisnacht,  von  denen  freilich  hätte  bemerkt  werden  sollen. 
dass  sie  ende  L799  fallen.  Die  ausgeführten  stellen  gehören  zum  Vorspiel  auf  dem 
theater,  zur  vertragsscene,  zum  grossen  disputationsaktus,  zur  abfahrt  und  zur  rei 
das  meiste  zum  blocksberg  und  dem  Intermezzo.  Der  zeit  nach  reichen  sie  \<>u  177."»  bis 
zum  jähre  L809,  in  welches  die  „Blocksbergskandidaten"  überschriebenen  xenien  fallen. 
Manches  wäre  hier  näher  zu  bestimmen  und  zu  deuten.  So  geht  die  xenie  „"Wegen 
papierner  Hügel  bekant"  s.  303  auf  den  „genius  der  zeit"  von  Friedrich  von  Hen- 
nings,  wie  auch  das  unmittelbar  folgende,  das  dessen  ßlusageten  tritt;  die  gräfin 
s.  304  auf  die  Krüdener.  Nr.  35  kann  unmöglich  auf  den  irwisch  sich  beziehen;  wie 
in  den  „zahmen  xenien"  tritt  Goethe  hier  die  kritiker,  die  ohne  seihst  etwas  schaffen 
zu  können  die  dichter  angreifen  (kiken),  wie  das  auch  die  beigefügten  werte 
„jetzigen  unfug  in  Deutschland""  andeuten.  Nr.  36.  37  sind  irrig  auf  den  blocksbi 
bezogen;  sie  waren  wol  ursprünglich  zum  proleg  im  himmel  bestimmt,  zur  stelle,  wo 
jezt  280  fgg.  stehen. 

Wir  gehen  zum  zweiten  teile  des  „Faust"  über.  T)ie  volständige  handschrift 
desselben  findet  sich,  wie  wir  zu  unserm  tröste  lesen,  im  Goethearchiv;  denn  nach 
dem  ven  uns  in  dieser  Zeitschrift  XV.  450fg.  mitgeteilten  merkwürdigen  briefeEcker- 
manns  muste  man  glauben,  diese  sei  zum  drucke  verwant  werden  und  nicht  wider 
zurückgekehrt,  und  so  verlautete  auch  anfangs,  eine  handschrift  des  ganzen  zweiten 
teiles  habe  sich  im  Goethearchiv  nicht  gefunden.  Per  dritte  akt  ist  von  Schuchardl 
geschrieben  und  dieselbe  handsehrift,  nach  welcher  die  „Helena"  gedruckt  wurde, 
wogegen  beim  ersten  drucke  des  anfangs  des  ersten  aktes  eine  abschritt  zu  gründe 
lag;  akt  1.  2.  4.  5  hat  der  Schreiber  John  mit  seine]-  bekanten  nachlässigkeit  geliefert. 
Freilich  hat  Goethe  die  handschrift  mehrfach  durchgesehen  und  manche  fehler,  auch 
satzzeichnung  und  rechtschreibung,  zuweilen  verbessert,  aber  anderes  fehlerhafte 
übersehen,  wie  es  bei  raschem  lesen  und  der  vorschwebenden  richtigen  Fassung  nicht 
anders  möglich  war.  Einzelnes  seheint  auch  seine  Schwiegertochter Ottilie,  die  allein 
die  ganze  handschrift  las,  berichtigt  zu  haben.  Wenn  in  den  Schriften,  deren  druck- 
bogen  er  selbst,  zum  teil  mit  hülfe  anderer,  meist  mehrmal,  bei  gelegenheit  der  nach 
längerem  Zeitraum  aufeinanderfolgenden  ausgaben,  durchsah,  manches  geändert  wurde, 
ja  die  handschrift,  schon  ehe  sie  in  den  druck  gieng,  von  Riemer  genau  durchgenom- 
men und  über  auffallendes  verhandelt  wurde,  so  ist  diese  woltat  nur  dem  als  fort- 
setzuug  des  ersten  teiles  erschienenen  anfang  und  der.  „Helena"  zu  teil  geworden,  so 
dass  der  bei  seinem  tode  noch  ungedruckte  umfangreichere  teil  der  dichtung  in  dieser 
beziehung  viel  ungünstiger  gestelt  ist.  Dennoch  hält  der  herausgeber  (s.  8)  auch  die- 
sem gegenüber  „ein  streng  konservatives  verfahren  geboten,  das  lediglich  erkante  [das 
soll  heissen  in  die  augen  springende]  fehler  ausbessert,  der  interpunktion  nur  nach- 
hilft,  wo  dem  Verständnis  Schwierigkeiten  drohen  oder  der  algemeine  brauch  Goethes 


336  Pi'XTZER 

widerspricht,  allein  das  normiert,  was  unbedingt  normiert  worden  muss,  und  in  die 
auch  für  C  12  und  C  4  [die  ersten  drucke  dos  anfangs  und  der  „Helena"]  einiger- 
massen  geltende  regellosigkeit  der  verkürzten  und  unverkürzten  formen"  (verwor- 
renen —  verworrnen,  Beiigen  —  sei  "gen)  bloss  da  eingreift,  wo  eine  eigon- 
händige  handschrift,  besonders  eine  zweifellose  vorläge  (auch  von  John  selbst)  zeigt, 
dass  wir  den  Schreiber,  nicht  den  dichter  korrigieren."  Wir  sollen  also  dem  blin- 
den  zufall  anheimgegeben  sein;  die  kritik  soll  sich  der  ihr  obliegenden  pflicht  entziehen. 
nach   der  absieht  des  dichtere    bei  Störungen   des   verses   zu   fragen    und,    wo  keine 

■he  möglich  scheint,  helfend  einzugreifen;  sie  soll  sieh  dem  köhlerglauben  hingeben, 
die  n  gkeit  sei  grondsatz!    Also  die  heim  ersten  teile  des  „Faust"  und  auch  sonst, 

wie  ich  bewiesen  habe,  deutlich  vorliegende  ausstossung  der  metrisch 
nden  i  und  e  soll  hier  absichtlich  verlezt  sein;  der  dichter  soll  gar  kein 
uhl  für  den  vers  gehabt  haben,  obwol  die  mehrfach  vorkommend  m  ausstossungen 
zeigen,  dass  er,  was  freilich  an  sich  niemand  bezweifeln  wird,  diese  so  höchst  wich- 
tige freiheit  der  dichterischen  spräche  auch  noch  in  seinem  höchsten  alter  grundsätz- 
lich anerkant  hat!    Eine  ihres  Zweckes  sich  bewuste   kritik  muss  der  nachlässigkeit 

schreibenden,  sowol  des  dichtors  selbst  wie  eines  das  diktierte  oder  eine  vorläge 
wi .  nden  dritten,    abhelfen.     Vergleichen  wir  die  jezt  aus  der  handschriffc  mit- 

teilten ersten  265verse  der  „Helena"  vom  jähre  1800  mit  der  späteren  handschrift, 
so  finden  wir  dort  regelmässig  die  ausstossung  angewant,  während  in  unserer  jetzigen 
Überlieferung   die   des  i  überall,    nur   zuweilen   die  des  e  verlezt  ist    (8491.   3.   8511. 

46.  50.  72.  74.  80.  8641.  71.  92.  8777),  wobei  schöpferisch  neben  krieg- 
rischen,  gebietrisch,,  gebiet'rin  steht.  In  der  altern  handschrift  fanden  sich 
nur  glühende  wölken  (8651)  und  heftiger  (8760),  wo  die  anapäste  absichtlich 
eintreten,  wogegen  beistehen  (8662)  ein  später  verbesserter  Schreibfehler  ist.  Die 
ehre  des  dichtere,  dessen  metrisches  gefühl  keineswegs  so  abgestumpft  war,  dass  er 
die  algemein  erlaubten  ausstossungen  sich  nicht  des  verses  wegen  gestattet  hätte, 
fordert   entschieden,    dass  wir  nicht   die   nachlässigkeit  des   schreibenden  fortpflanzen, 

nicht  bloss  da  abstellen,  wo  eine  handschrift  zufällig  davon  frei  ist.  Leider  hat 
die  Weimarische  ausgäbe  durch  dieses  bequeme,  aber  unkritische  verfahren,  statt  die 
Überlieferung  zu  reinigen,  die  bunteste  entstellung,  ein  erzeugnis  unwilkürlicher  nach- 
lässigkeit, fortgepflanzt.  Li  der  ,, Helena'1  werden  die  Schreibfehler  vom  herausgeber 
dadurch  gedeckt,  dass  der  dichter  später  mehr  anapäste  habe  hereinbringen  wollen, 
was.  wie  es  als  algemeiner  grundsatz  unwahrscheinlich  ist,  durch  die  unterlassenen 
ausstossungen  des  an  die  volständigen  formen   gewöhnten  Schreibers  nichts  weniger 

erwiesen  werden  kann.  Die  sogenanten  gleitenden  Alexandriner  sollen  gar  als 
..metrische  eigentümlichkeiten  des  Goethischen  alters"  gelten,  und  doch  finden  sie 
b  nur  in  drei  reimen  auf  — igen  (10905  l'^.  73  fg.  11017  fg.),  und  diese  abscheu- 
lichen Schlüsse  des  Alexandriners  auf  einen  daktylus  (denn  an  einen  siebenfüssigen 
männlich  auslautenden  vers  zu  denken  hindert  der  streng  eingehaltene  Wechsel  von 
männlichen  und  weiblichen  Alexandrinern)  beseitigen  sich  alle  durch  ausstossung  des 
i.  die  um  so  weniger  auffallen  kann,  als  sich  selbst  in  der  Iphigenie  entschuld'- 
gung,  im  maskenzug  von  1818  enfschuld'gend,  huld'gend,  anzukünd'gen, 
finden,  in  der  handschrift  des  „Divan"  rein'gen,  pein'gen.  Ja,  wären  die  Ver- 
teidiger dos  unmetrischen  i  zur  einsieht  zu  bringen,  so  müste  gerade  jene  Alexan- 
drinerecene  sie  heilen,  in  der  sich  nirgends  ein  anapäst  findet  als  da,  wo  er  durch 
ausstossung  des  i  (10861.  80.  10926.  32.  55.  71,  80.  11010.  25.  28.  34)  und  e 
(10  l        mtfernt  wird,  zum  sichern  beweise,  dass  Goethe  von  diesen  absichlich  cere- 


ÜBER    GOETHES    WERKE    (WEIM.    AUSGABE)  337 

moniös  steif  gehaltenen  versen  den  anapäst  ausgeschlossen  hat.  Doch  was  sagen  wir? 
Selbst  abweichende  „formen  wie  wandlet,  dauren,  die  in  C  [der  ausgäbe  Lezter 
band]  überhaupt  wol  sehr  zusammengestrichen,  aber  doch  [aus  nachlässigkeit]  nichi 
ganz  ausgetrieben  sind",  werden  unter  diesem  Schilde  verteidigt;  die  „normen  der 
gesamten  ausgäbe"  gestatten  dafür  ausnahmen!  So  weit  führt  das  „streng  konserva- 
tive verfahren"  irre. 

Ausser  der  haupthandschrift,  die  mit  ausnähme  der  „Helena"  in  die  jähre 
1830  und  1831  fallen  wird,  finden  sich  frühere  reinschriften  grösserer  teile,  aus 
deren  vergleichung  sich  fehler  der  haupthandschrift  ergeben;  aber  diese  teilhand- 
S'-hriften  erstrecken  sich  nicht  über  das  ganze  gedieht,  und  auch  >ie  leiden  durch 
naehlässigkeit  des  Schreibers.  Von  Goethes  ursprünglichen  entwürfen  kürzerer  stel- 
len (denn  an  einem  tage  dichtete  er  selten  mehr  als  eine  druckseite)  haben  sich 
manche  erhalten,  viele  sind  in  alle  weit  geflogen  oder  untergegangen.  Pflicht  des 
herausgebers  wäre  es  gewesen,  gleich  am  anfange  eine  volständige  Übersicht  dieser 
ursprünglichen  entwürfe  zu  geben  und  in  gleicher  weise  die  einzelnen  abschriften 
so  zu  ordnen,  dass  leicht  zu  überschauen  wäre,  in  welchen  handschriften  die  ein- 
zelnen stücke  sich  vorfinden.  Die  von  ihm  gewählte  art,  bei  jedem  akte  die  hand- 
schriften nummeriert  aufzuzählen,  empfiehlt  sich  scheinbar;  aber  sie  hat  den  nach- 
tcil,  dass  die  handschriften  früherer  akte,  welche  teile  der  spätem  enthalten,  nicht 
genant  sind,  wie  z.  b.  beim  zweiten  von  denen  des  ersten  die  dort  mit  13,  56  und  i 
bezeichneten  fehlen.  Überhaupt  ist  die  aufführung  der  handschriften  nicht  über- 
sichtlich, was  erreicht  worden  wäre,  wenn  gleich  am  anfang  nach  den  entwür- 
fen die  handschriften  einzelner  stücke,  dami  mehrerer  vereinigter,  darauf  rein- 
schriften grösserer  teile  und  zulezt  die  haupthandschrift  mit  einfacher  bezeichnung  auf- 
geführt wären;  während  jezt  bei  den  einzelnen  akten  die  handschriften  so  geordnet 
sind,  dass  der  vers,  mit  dem  sie  beginnen,  die  folge  bestirnt.  So  gleichen  denn  die 
umfangreichen  lesarten  einem  undurchdringlichen  urwalde,  da  man  durch  das  mas- 
senhafte —  abgesehen  von  dem  durch  seine  knappe  kürze  oft  hinderlichen  ausdruck 
und  zahlreichen  druckfehlern  in  zahlen  —  beim  mangel  entsprechender  absätze  uud 
dem  geschwirre  zahlreicher  handschriften,  deren  bezeichnung  sich  schwer  einprägt, 
fast  erdrückt  wird. 

Sehen  wir  zunächst,  was,  dank  der  handschriftlichen  grandlage,  der  Wortlaut 
gewonnen  hat,  so  gibt  Schmidt  nach  10523  aus  einer  altern,  10475  bis  1054G  ent- 
haltenden handschrift  Goethes  den  zufällig  bisher  fehlenden  vers:  „Er  ist  behend, 
reisst  alles  mit  sich  fort'*,  wodurch  der  vorhergehende  den  fehlenden  reim  gewiut, 
auch  Fausts  rede  glücklich  erweitert  wird,  so  dass  sie  der  folgenden  10541  fg.  äusser- 
lich  entspricht.  Schmidt  sieht  mit  recht  in  dem  ausfall  ein  blosses  versehen.  An 
manchen  stellen  hat  er  die  von  Eckermann  vorgenommenen,  in  allen  ausgaben  seit 
1832  sich  findenden  änderungen  rückgängig  gemacht.  5592  hat  die  handschrift: 
„Kleinode  schnipt  er  wie  in  träum",  wo  Eckermann  mit  recht  im  einsezte.  Schmidt 
betrachtet  in  als  veschrieben  für  das  in  altern  handschriften  undeutlich  geschriebene 
ein,  worin  er  einen  „schönen  sinn"  findet.  Ein  vergleich  des  kleinode  schnippen- 
den knaben  mit  einem  träume  scheint  mir  abgeschmackt;  „wie  im  träum"  deutet 
auf  die  der  Wirklichkeit  spottenden  traumgebilde ,  nach  der  bekanten  redeweise  „wie 
im  träume  sein."  6384  lesen  wir  jezt  bequem lichstens,  6488  reichlichstens, 
nach  dem  Goethe  wol  durch  den  aufenthalt  in  Böhmen  und  den  verkehr  mit  Öster- 
reichern zugekommenen  mundartlichen  gebrauche.  Eckermann  hatte  diesen  an  der 
erstem  stelle  glücklich    durch   bequem  lieh    sich,    an    der   andern   durch  vollen 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.     BD.  XXTII.  22 


338  PÜNTZER 

Stroms    beseitigt.     Goethe   würde  wol    diese    ändorungen    kaum    beanstandet  haben, 
aber  freilieh  müssen   wir  jezt   der   Überlieferung    folgen.      Ähnlieh  ist  6847  jezt  die 
handschriftliche  Lesart  „Doch  künftig  höhern.   höhern  Ursprung  haben"  hergestelt. 
wofür  man  seit   1832  reinem,    höhern  las.     Schmidt  verweist  dagegeu  mit  recht 
auf  6856:    ..Die  Überzeugung  wahrer,  wahrer41,    wo  mau  die  widerholung  nicht  ange- 
tastet hat.  c   in  einer  handschrift  das  undeuthch  geschriebene  Strand 
rkennen,  in  einer  andern,  die  erster  entwarf  seheint,  findet  sieh  ein  abgekürztes 
Stnd.     Deshalb  betrachtet  er  Stand  der  hanpthandschrift  als  Schreibfehler  und  sezt 
Strand,    wie   ich   schon  längst   vor  den  von  ihm  angeführten  gelehrten  einmal  ver- 
mal         Aber  der  feste  Stand  seheint  mir  jezt  bezeichnender,    und  wahrscheinlich 
erklärte   sieh  auch   Goethe   schliesslich   dafür,    wenn   er   auch   ursprünglich,    in   dem 
bilde   bleibend.    Strand   geschrieben   hatte.      7109  hat  Eckermann  richtig  in   freier 
statt  zur  freien)  jubelnaeht  geschrieben,   was  Schmidt  ablehnt.     7152  heisst  es: 
„Wer   sind  die  vögel   in  den   ästen  |  Des    pappelstromes  hingewiegt?"    Andere 
haudschriften  hatten  Der  Peneus  päppeln  oder  Peneuspappeln,  woraus  Ecker- 
mann trotz  Goethes  eigener  Verbesserung  Der  ström es-pappeln   machte,    da  die 
äste    des    pappelstromes    nicht    ohne    anstoss    sind    und    seine    änderung    der 
ursprünglichen  fassung  näher  kam.    Goethe  würde  ihm  ohne  zweifei  zugestimt  haben. 
Entschieden  berechtigt  war  auch  7545  Eckermanns  Kolossal-Karyatide,    wogegen 
S  hmidt    das    nicht   blos    metrisch    anstössige    Kolossale    Karyatide    herzustellen 
wagte.  —  SS03  stand  seit  1832:  ..Da  du,  nun  anerkante,  nun  den  alten  platz."    Ich 
habe  das  ungehörige  des  doppelten  nun  längst  erkant  und  neu  anerkante  geschrie- 
ben.    Jezt  bereu  wir,  dass  früher  die  anerkante  nun  stand,    Goethe  später  nun 
an  er  kaut«'!  neu  verbesserte,  aber  der  abschreibet-  aus  neu  ein  zweites  nun  machte. 
imidt    meint,    gegen   meine    Vermutung    „spreche    schon    die    antikisierende    rede- 
figur  (?)  nen  den  alten."     Als  ob  der  gegensatz  nicht  noch  schärfer  hervorträte, 
wenn  das  adverbium  neu  zur  anrede  gefügt  wird!     Ja  das  nun  anerkante  ist  nicht 
allein  schwach,    sondern  auch   schief,    da  Helena  nicht  jezt  zuerst,    sondern  wider 
als  herrin  des  hauses  durch  die  Sendung  ihres  gatten  anerkant  ist.     Ich  glaube  wirk- 
lich,   dass   Goethe   bei   der  Verbesserung  sich  irte    und  von  den  beiden  nun   durch 
bl<                sehen  statt  des  ersten  das  zweite  änderte.  —    8945  fg.  fand  sich:    „Und 
eingewickelt,    zwar  getrenten  haupts,   sogleich  |  Anständig  würdig  aber  doch  bestattet 
-  hmidt  findet  die  satzzeichnung  „mühsam  und  unklar",    auch  „störe  sie  die 
gräcisierende  konstruktion " :    deshalb  versezt  er  das  komma  nach  sogleich,    wie  es 
in   einer  abschrift   sich  findet,    die    er    für    ein   diktat  halten  möchte.     Die  rede  ist 
absichtlich  künstlich  gestelt.  was  der  Schadenfreude  der  Phorkyas  entspricht.     „Einge- 
wickelt  sogleich  anständig  würdig"   gehört  zusammen;    die  nähern  bestimmungen  zu 
„bestattet    sei"    sind    ineinander    geschoben;    sogleich    hat    mit    „zwar    getrenbn 
haupts-  nicht  das  geringste  zu  tun.     Auch  die  „entwicklung  der  textesworte"  spricht 
nicht  für  Schmidt;    denn  ursprünglich  hatte   der  dichter  nach    eingewickelt    eine 
lue.           ..ssen,  da  aber  das  zur  ergänzung  gewählte  sogleich  dort  nicht  in  den  vers 
passte,    sezte  er  es  an  den  schluss.  —   Die  schöne  stelle  9307  fgg.  hat  Schmidt  völ- 
lig misverstanden ,  wenn  er  das  in  der  oktavausgabe  für  nun  richtig  eingeführte  nur 
wirft.     Wunderbar  erklärt  er:  „Jezt  ist  allein  der  Smaragd  vor  allen  steinen  wür- 
dig dich  zu  zieren,  während  die  rubinen  verscheucht  werden",  da  vielmehr  der  Sma- 
ragd zum  schmucke  der  brüst,    perlen  für  das  Ohrgehänge  bestirnt  werden;    von 
einem  gegensatz   zwischen  jezt  und   bisher  kann  keine    rede   sein.     Aber   Schmidt 
findet   sogar  in  nur  allein   einen  anstössigen  pleonasmus,    als  ob  dieses  nicht  eine 


ÜBER    GOETTTF.S    WERKE    (WF.IM.    A.USGABE)  339 

durchaus  unanstössige  Verstärkung  wäre,  die  in  unserer  dichtung  allein  zweimal,  im 
Divan  einmal,  auch  sonst  bei  Goethe  Bich  findet.  —  10001  führt  Schmidt  Vogel- 
säugen mit  recht  aus  der  handschrift  ein  statt  des  vielleicht  nur  auf  druckfehler  beru- 
henden Vogelsingen;  früherstand  Vogelstimmen.  —  100G1  hat  Eckermann  richtig 

Schwungs  statt  des  hier  beibehaltenen  ungehörigen  Schwung.  Eben-;.!  !<>0S2  au 
zupusten  statt  aus  zu  pusten;  jenes  isl  recht  bezeichnend,  wogegen  aus.  mit 
dem  vorausgehenden  von  unten  verbunden,  sehr  überflüssig  wäre.  —  Wenn  man 
zweifeln  kann,  ob  1010!»  Eckermanns  pischts  statt  des  freilich  neben  zischts  auf- 
fallenden pissts  berechtigt  ist,  so  ist  dagegen  10280  „lasst  uns  wühlen  |  Den  neuen 
kaiser,  neu  das  reich  beseelen"  entschieden  vorzuziehen  der  arg  gezwungenen,  von 
Schmidt  angenommenen  satzzeichnung,  komma  bloss  nach  wählen.  Gleichfals  empfiehlt 
sich  104G9  das  von  Eckermann  eingeführte  komma  nach  erstanden  vor  dem  schlot- 
ternden „das  gegen  uns  erstanden  |  Sich  kaiser  nent  und  herr  von  unsern  landen."  —  Zu 
10943  erfahren  wir,  dass  die  handschrift  mit  Eckcrmann  hat:  „Dann  sei  bestirnt  ver- 
gönt  zu  üben  ungestört.-  Die  skizze  lautete:  „Sodann  sei  euch  auszuüben  ungestört" 
Die  von  Goethe  gewühlte  fassung  scheint  uns  ein  notbehelf,  und  nicht  unmöglich,  dass 
der  dichter  sich  entschloss,  die  beiden  früher  zur  auswahl  ins  äuge  gofassten  an- 
drücke bestirnt  und  vergönt  zusammen  aufzunehmen.  Wenn  Schmidt  meint, 
bestirnt  könne  ..ganz  wol  im  sinne  von  [in]  Form  rechtens  gebraucht  sein",  so 
wäre  dies  doch  sonderbar,  wenigstens  dem  gangbaren  Sprachgebrauch  nicht  gemäss. 
Hätte  Goethe  einen  freund  über  die  schwierige  fassung  zu  rate  gezogen,  so  würde 
diese  wol  anders  lauten. —  10979  hat  der  herausgeber  die  Veränderung  des  von  Ecker- 
mann beibehaltenen  bangt  der  handschrift  in  bangts  gewagt,  weil  in  Goethes 
eigener  handschrift  bangs  stehe,  auch  die  Wortstellung  jezt  bedenklich  sei,  obgleich 
in  diesen  steifen  Alexandrinern  noch  härteres  sich  findet.  Auch  10998  genügt  ihm 
steter  weide  nicht;  er  stelt  aus  einer  altern  handschrift  fetter  her,  obgleich  kein 
grund  vorhanden,  die  möglichkeit  zu  leugnen,  dass  der  dichter  selbst  später  das  auf 
dauernde  fruchtbarkeit  deutende  steter  vorgezogen:  wir  glauben,  im  munde  des  auf 
die  zukunft  bedachten  herschsüchtigen  geistlichen  mit  vollem  recht.  —  11160  soll 
fremden  gegen  den  „guten  sinnu  sein,  obgleich  Goethe  diesen  gebrauch  der  mehr- 
heit  von  Schatten  liebt.  Dass  in  der  früheren  handschrift  gewöhnlich  frem- 
dem steht,  beweist  nichts.  Derselben  handschrift  folgt  Schmidt  auch  11283,  ohne 
sich  durch  11215  bekehren  zu  lassen.  —  11241  behält  er  die  wenig  bäume  gegen 
Eckermanns  wenigen  bei,  obgleich,  ein  gleicher  ausfall  der  endung  der  mehrzahl 
nach  dem  bestirnten  artikel  sich  kaum  bei  Goethe  findet;  freilich  wäre  wen'gen 
vorzuziehen.  —  11255  gibt  unsere  ausgäbe  das  handschriftliche  „Des  algewaltigen 
willens  kür"  aber  Eckermanns  „Der  algewaltigen  (richtiger  algewalt'gen)  willens- 
kür (willenskür)-1  scheint  mir  eine  durchaus  geforderte  Verbesserung,  die  bezeich- 
nung  seiner  selbst  als  des  algewaltigen  (vgl.  11252  „im  reichtum  fühlend,  was  uns 
fehlt")  recht  bezeichnend.  —  11578  hat  Schmidt  selbst  Eckermanns  Hier  statt  Von 
angenommen.  Dagegen  behält  er  11597  das  ungehörige  „Vorbei  und  reines  Nicht" 
(statt  „Nichts")  bei,  11703  das  sinentstellende  zwTeiglein  beflügelte  (statt 
zweigleinbe  flu  gelte,  dass  so  schön  bezeichnet,  wie  die  zweiglein  der  rosen  sie 
wie  flügel  frei  fliegen  lassen !)  und  11945  „Uns  (statt  Und)  das  hohe  werk  vollenden", 
wo  das  widerholte  uns  störend,  die  anknüpfung  durch  und  ganz  an  der  stelle  ist.  — 
11760  ist  freilich  in  geschwornem  (statt  im  gcscliworuen)  streite  vorzuziehen; 
ob  auch  10431  in  stetem  (statt  im  steten)  sondern,  das  ist  bei  ungenügen- 
der angäbe  der  lesarten  der  altern  handschriften  nicht   zu  entscheiden.     In  dem  ähn- 

22* 


340  DÜNTEER 

liehen  falle  9076  rieht  Schmidt  das  früher  geschriebene  im  tiefen  busen  der  lesart 
der  hanpthandschrift  in  tiefem  bnsen  vor;  aber  der  zwischen  beiden  liegende 
-  hreibfehler  in  tiefen  deutet  eher  auf  in  tiefem  als  auf  im  tiefen.  Aueh  hätte 
hier  wo]  d<  gebrauch  Goethes,    der  bald  in  ohne  artikel,    bald  im,   bald 

in  dem  hat.  berücksichtigung  verdient 

An  mehreren  stellen  hat  Schmidt  die  selion  von  andern  hergestelto  lesart  gegen 
Eckermann  an,    wie  7421  'S.  S338.  8352.  9061.   9855.    Richtig  sehreibt  er 

zuerst  in  der  personenangabe  vor  TOS 2  Phorkyas,  da  das  von  mir  gewählte  Phor- 
kyade  eine  falsche  form  ist  Dagegen  kann  man  nicht  zugeben,  dass  vor  7240 
Sphinxe  statt  Sphinx  stellen  moste.  Seltsam  ist  der  beweis:  „denn  es  ist  von 
ihor.*  Daraus  würde  ja  folgen,  dass  erst  vor  diesem  verse  Sphinxe  zu  setzen 
wäre.     Von  7114  an  lässt  sich   nur  eine  der  Sphinxe,    zwischen  die  Mephisto  sich 

-     *   hat,    mit   ihm   in   ein   gespräch   ein;    der  chor  der  Sphinxe  verspottet   freilich 

die  Sirenen,  und  Faust  redet  diese  im  algemeinen  an,  die  dann  auch  erwidern;    aber 

darauf  warnt   nur  die  Hauptsphinx  ihn   (7209  fgg. ,    wo   Schmidt  die   einheit  Sphinx 

ruhig        -  hen  lässt).   und  nur    diese   eine   sezt  die  Unterredung  mit  Mephistopheles 

.  3pricht  demnach  auch  im  namen  aller  die  Schlussworte. 

Leider  hat  die  neue  ausgäbe  mehrfach  die  Überlieferung  nicht  verbessert,  son- 

ra  entstelt  8386  war  die  behauptuug,  zu  klarem  Verständnis  sei  komma  nach 
Galateen  unentbehrlich,  nur  bei  entschiedenstem  misverständnis  möglich,  da  Gala- 
teen  nicht  aecosativ,  sondern  dativ  ist;  die  Doriden  sehen  ihrer  mutter  Doris  ganz 
gleich.  Freilich  steigt  dieser  irturn  schon  bis  zu  Riemer  herauf.  —  8498  macht  das 
komma  nach  aufgebaut  keineswegs  „die  Konstruktion  undurchsichtig".  Schmidt 
konl  -  wider  willen  nicht  besser  rechtfertigen ,  als  durch  seine  bezeichnung  pho- 
netisch; denn  die  satzzeichnung  soll  gerade  die  pausen  des  Vortrags  bezeichen,  soll 
phi  b    sein.  —    "Wenn   8566    freuet   als   eine    absichtliche    „Verwischung"    der 

genauen  verserr  hung  statt  als  ein  aus  nichtbeachtung  des  entsprechenden  versi 
der  Strophe  hervorgegangenes  versehen  bezeichnet  wird,  so  sezt  das  eine  merkwür- 
dige Vorstellung  von  Goethes  ansieht  der  strophischen  entsprechung  voraus.  Nicht 
weniger  wilkürlich  wird  8692  die  beibehaltung  des  aus  der  nachlässigkeit  des 
abschreibers  hervorgegangenen  schöpferisch  statt  schöpfrisch  aus  des  dichters 
/  •  -ndenz.    .reichere  anapäste  herauszuarbeiten",    erklärt  und  beibehalten. 

Wie  stimmt  es  dazu,  dass  Schmidt  selbst  an  mehreren  stellen  ähnlich  eingedrungene  e 
nach  gebühr  gestrichen  hat?  Freilich  hält  er  8960  das  später  eingedrungene,  den 
ersten  fuss  des  trochäischen   tetrameters  widerwältig   störende  Unsere  als  charak- 

jtisch  für  die  angst  der  dienerinnen  bei;  und  9031  wird  selbst  im  zweiten 
fusse  des  trimeters  geschlungene  beibehalten,  obgleich  Goethe  selbst  dieses  berich- 
tigt hat,  und  die  vergleichung  anderer  handschriften  es  als  nachlässigkeitssünde  ken- 
zeichnet! —  9027  steht  -Aller  art  und  zweckw;  E.  Schmidt  gibt  die  geradezu  ver- 
kehrte mehrheit  zweck1  als  v  rung  Dass  hier  all,  wie  bei  Goethe  zuweilen, 
mit  der  einheit  verbunden  ist,  beweist  art  deutlich  genug.  Selbst  in  „Hermann  und 
Dorothea"  lesen  wir  aller  zustand,  im  -Divan"  sogar  aller  vogel.  —  9109 
hätte  wenige  die  vei  lene  lesart  Schmidt  darauf  hinweisen  müssen,  dass 
Weh  uns.  weh.  weh!  schon  des  entsprechenden  verses  wregen  nicht  richtig  sein 
kann,  aber  freilich  glaubt  er  an  absichtliche  „Verwischung  der  responsion"!  "Wenn 
Riemers  verschlag  Weh  uns  weh  ach  wTeh  nicht  aufnahm,  so  konte  er 
doch  dessen  bemerkung.  der  vers  müsse  dem  in  der  Strophe  Seh'  ich,  ach,  nicht 
mehr             rechen,  unmöglich  in  den  wind  schlagen,  und  bei  seiner  wirklichen,  eilig 


ÜBER    GOETHES    WERKE    (WEIM.    AUSGABE)  341 

gemachten  Änderung  ist  nur  zufallig  0  Weh  statt  0  "Wehe  geschrieben.  Goethe 
wolte  AVeh!  OT\rehe!  Weh.  —  Irrig  ist  das  9828  eingeführte  Fragezeichen.  „Magst 
nicht  in  borg  uud  wald  |  Friedlich  verweilen"  ist  freilich  kein  bedingungssatz; 
bezeichnet  den  tatsächlich  vorliegenden  -rund,  der  den  chor  zu  seinem  vorschlage 
veranlasste.  Der  Zusammenhang  schliesst  eine  eigentliche  frage  aus. —  Seltsam  bemerkt 
Schmidt  9847,  erwäge,  vonZarncke  bestärkt,  Dem  statt  Den  zu  schreiben,  ohne  zu 
erwähnen,  was  er  doch  wissen  muste,  dass  ich  dies  schon  im  jähre  1868  eingeführt 
und  in  der  Kürschnerschen  ausgäbe  fortgepflanzt  habe,  freilieh  nicht,  wie  bei  Schmidt, 
durch  ein  Semikolon  Dach  9846  entstelt,  welches  9843 — 40  in  derluft  schweben  lässt. — 
10580  wird  des  reimes  wegen  das  überlieferte  beschäftigt  als  hörfehler  des  Schrei- 
bers beseitigt  und  dafür  mit  A.  Rudolf  geschäftig  eingeführt,  obgleich  bekarrtlich 
viel  schlimmere  reime  als  kräftig  und  beschäftigt  gerade  im  zweiten  Faust,  al 
auch  schon  früher,  sich  bei  Goethe  finden  und  beschäftigt  dem  sinne  viel  bess 
entspricht  als  das  beiwort  geschäftig.  —  Goethes  eigene  niederschrift  sehn,  v er- 
geh n  10610  fg.  fält  doch,  da  sonstige  handschriften  fehlen,  bedeutender  in  die  wag- 
schale  als  seines  nachlässigen  Schreibers  sehen,  vergehen.  Bei  seiner  vorliebe 
zu  den  starken  formen  dürfte  er,  da  er  vorher  hohen  und  drohen  gereimt  (wider- 
holt 10624  fg.),  hier  den  männlichen  ausgang  vorgezogen  haben.  Etwas  anders  liegt 
die  sache  11931.  33,  wo  in  einer  handschrift  die  züge  undeutlich  sein  sollen,  jedi  - 
fals  der  Eckermannische  druck,  der  die  formen  v  er  traun,  schaun  bietet,  von 
der  vorläge  abweicht,  aber,  was  Schmidt  nicht  übersehen  durfte,  durch  die  von 
11800  ab  hersehende  reimform  empfohlen  wird  (wenn  auch  freilich  die  unmit- 
telbar vorhergehende  strophe  davon  abweicht,  da  keine  männlichen  reime  sich  dar- 
boten) und  die  starken  formen  kräftiger  abschliessen.  Eckermanns  änderung  schein! 
uns  berechtigter  als  11772  Schmidts  Vermutung,  Goethes  handschriftliche  Verbes- 
serung kamt  für  komt  müsse  kämt  heissen,  was  er  ohne  weiteres  aufnahm.  Auch 
Paralipomena  205  („Du  kamst  uns  eben  recht")  ändert  er  kämst. 

Mancher  stellen,  an  welchen  noch  eine  Verbesserung  nötig  gewesen  wäre,  wol- 
len wir  nicht  gedenken,  nur  einen  fall  hervorheben,  wo  eine  solche  auch  hand- 
schriftliche gewähr  hat.  5085  fg.  ist  das  handschriftliche:  „Die  kiste  haben  sie  vom 
wagen  |  Mit  gold  und  geiz  herangetragen",  noch  von  niemand  erträglich  erklärt  wor- 
den. Ich  habe  heben  geschrieben  und  nach  wagen  komma  gesezt,  wodurch  ein 
passender  sinn  gewonnen  wird.  Schmidt  gedenkt  der  handschriftlichen  skizze  unserer 
stelle:  .,Nun  lieben  (tragen)  sie  den  schätz  (die  eisenkiste)  Und  setzen  sie  am  boden 
nieder",  meint  aber  daraus  „erwachse  natürlich  kein  beweis"  für  meine  änderung. 
Verschwiegen  hat  er,  dass  es  in  den  entwürfen  zu  dieser  stelle  einmal  heisst:  „Ava- 
ritia  Geiz  Weigerung  [Schmidts  fragezeichen  erledigt  sich  durch  die  sich  einfach 
ergebende  ergänzung,  „die  kiste  herabzulassen"]  Drachen  holen  herab",  ein  ander- 
mal: „Kiste  mit  dem  geiz  hebt  sich  los.  Sezt  sich  nieder."  Eine  so  entschiedene 
bestätigung  meiner  sich  selbst  jedem  vorurteilslosen  empfehlenden  herstellung,  wie 
sie  nicht  schlagender  verlangt  werden  kann! 

Die  umfangreichen  mitteilungen  aus  den  handschriften  bieten  der  forschung 
eine  neue  höchst  erwünschte  grundlage,  in  noch  höherm  masse  die  den  schluss  bil- 
denden „Paralipomena  und  Schemata",  die  richtiger  „Entwürfe  und  paralipomena" 
überschrieben  wären.  Wir  gehen  hier  nicht  näher  darauf  ein,  bemerken  nur,  dass 
nr.  156  kein  paralipomenon  ist,  sondern,  was  wunderbar  genug  Schmidt  entgangen, 
die  bekanten  verse  der  Sirenen  7209  fgg. ;    er  hat  es  irrig  dem  Xereus  zugeteilt  und 


342  lU'NTZER 

v.  3  ohne  bedenken   „der   g  d  ohöre"  statt   „den  grossen   Chiron"   gelesen,    was 

gerade  nicht  für  die  Zuverlässigkeit  seiner  als  sieher  gegebenen  lcsungen  zeugt. 

Neben    der  ersten,    eigentlich   „Goethes  werkea    genanten   abteilung,   die  wir 
äher  besprochen  haben,  soll  eine  zweite  seine  naturwissenschaftlichen  Schriften 
bringen.     Wir  können  diese  absonderang   nur    höchlich  misbilligen,   da  sie  Goethes 
absieht  widerspricht,    der  seine  auf  dienatur  bezüglichen  arbeiten  für  ebenso  bedeu- 
tend  wie   seine   andern   Schriften   hielt,    und   die   nur    aus  rücksieht    auf   den  absatz 
-rimt    worden   sein   kann,    da    schon   die   zahl   der   bände   der  „"Werke"    auf  fünfzig 
b  beläuft.     a.ber  die  käufer  der  Weimarischen  ausgäbe  solten  schon  zu  ehren  der 
lentung  von   Goethes  naturforschung   verpflichtet  worden  sein,    auch    diese    bände 
mit  den  schönwissenschaftlichen  zu  beziehen,  und  diese  solten  an  passender  stelle  den 
„Werken"   einverleibt,   nicht  etwa,  wie  es  in  den   „Nachgelassenen   Schriften"   aus 
rück  sieht    auf  den  Verleger   geschehen  muste,  als  anhang  gegeben  werden. 
S     ist  auch  hier  Goethes  absieht  nicht  massgebend  gewesen. 

Die  dritte  abteilung  der  Goetheausgabe  bilden  die  tagebücher,  die  vierte 
die  b riefe.  Mit  diesen  hätte  der  anfang  gemacht  und  sie  so  rasch  und  zweckmässig 
wie  möglich  geliefert  werden  sollen,  während  ihr  abdruck  sich  jezt  neben  den  „Wer- 
ken" laugsam  hinschlept.  Die  tagebücher  und  die  ungedruckten  briefe  könten,  was 
sehr  wünschenswert  gewesen,  schon  jezt  volständig  vorliegen,  hätte  man  nicht  mit 
den  werken  ganz  unnötiger,  ja  schädlicher  weise  geeilt.  Beide  stehen  jezt  erst  im 
anfange  und  sind  nicht  in  der  für  ihre  möglichst  weite  Verbreitung  förderlichen 
art  veröffentlicht.  Der  erste  band  der  tagebücher  enthält  die  von  1775  bis  1787, 
die  von  der  ersten  reise  in  die  Schweiz  und  der  schon  in  Heidelberg  aufgegebenen, 
aus  Verzweiflung  unternommenen  nach  Italien,  dann  die  Weimarischen  tagebücher 
von  1770  bis  1781,  das  reisetagebuch  von  Karlsbad  bis  Korn,  nebst  bruchstücken  über 
den  Vesuv  und  Sicilien.  Von  den  Weimarischen  tagebüchern  erhalten  wir  nur  einen 
rohdruck,  der  die  benutzung  ausserordentlich  wenigen  gestattet.  In  der  einleitung 
zu  meiner  auf  diese  urkundliche  mitteilung  sich  gründenden,  für  den  weiteren  kreis 
der  Goetheverehrer  bestirnten  ausgäbe  habe  ich  mich  darüber  näher  ausgesprochen. 
Da  n    zugänglichere    tagebuch    von    Karlsbad    nach    Eom    war   bereits    in    den 

Goethe- Schriften  gegeben;  der  neue  abdruck  hat  manche  fehler,  aber  nicht  alle 
verbessert.  Der  zweite  bis  1800  reichende  band  enthält  einzelne  bruchstücke  ver- 
schiedener reisen,  kurze  tagebücher  von  1796,  ausführlichere  von  1797  bis  1800, 
unter  diesen  die  dritte  Schweizerreise.  Auch  hier  fehlen  alle  erklärenden  anmerkun- 
gen;  das  am  Schlüsse  gegebene  Verzeichnis  der  „abgekürzten  oder  unrichtig  geschrie- 
ben namen  und  anderer  nicht  sogleich  verständlichen  wortbilder"  (eine  von  der 
ausgäbe  angenommene  etwas  seltsame  bezeichnung)  hilft  selten  aus;  es  muste  ein 
von  allen  namen,  mit  wenigen,  die  person  kenzeichnenden  andeutungen 
gegeben  werden.  Dass  die  in  allen  tagebüchern  genanten  namen  dem  lezten  bände 
in  alphabetischer  folge  beigefügt  werden  sollen,  hilft  der  augenblicklichen  not  nicht 
ab  und  wird  immer  sehr  unbequem  bleiben. 

Auch  mit  der  herausgäbe  der  vierten  abteilung,  der  briefe,  können  wir  uns 
nicht  einvorstanden  erklären.  Was  alle,  welche  die  lücken  unserer  bisherigen  kent- 
nis  empfunden  haben,  vor  allem  wünschen  musten,  war  rasche  Veröffentlichung  aller 
bisher  ungedruckten  briefe  von  bedeutung  und  eines  Verzeichnisses  aller  übrigen, 
dieses,   wo  es  nötig  schien,    mit  knapper  angäbe  des  Inhaltes.     Statt  dessen  hat  man 


ÜBER    GOKTHES    "WERKE    (\YEJM.    AUSGABE)  343 

den  unglücklichen,  durch  Hirzels  „Jungen  Goetheu  veranlassten  einfall  gehabt,  Goe- 
thes sämtliche  briefe  nach  der  zeitordnung  mit  neuer  vergleichung  der 
handschriften  abdrucken  zu  lassen,  damit  man  sehen  könne,  wie  vielseitig  der  brief- 
wechsel  gewesen  und  welche  briefe  Goethe  jederzeit  geschrieben.  Dazu  war  doch 
der  abdruck  der  anzähligen  längst  bekanten  briefe,  die  nur  in  verhältnismässig 
wenigen  fällen  berichtigt  werden  können,  keineswegs  nötig;  ein  Verzeichnis  nach  der 
Zeitfolge,  wie  wir  es  eben  bezeichneten,  härte  in  dieser  beziehung  volkommen  genügt. 
Der  neudruck  der  zahlreichen  briefe  an  die  Stein,  an  Schiller,  an  den  herzog,  an 
Lavater,  an  Zelter  u.  a.,  die  als  ganzes  und  zum  teil  durch  die  gegenseitigkeit  ihren 
hanptwert  erhalten,  ist  um  bo weniger  zu  rechtfertigen ,  als  man  die  käufer  nötigt,  briefe, 
die  sie  längst  in  auch  jezt  noch  unentbehrlichen  einzelausgaben  besitzen,  von  neuem 
zu  bezahlen,  abgesehen  davon,  dass  man  diesen  räum  zu  neuen  mitteilungen  besser 
verwenden  konte.  Und  den  beabsichtigten  zweck  erreicht  man  durchaus  nicht.  Ein 
grosser  teil  der  briefe  ist  nicht  zugänglich  oder  verloren,  so  dass  man  doch  kein 
volständiges  bild  von  Goethes  reichem  briefverkehr  erhält.  Und,  was  noch  schlim- 
mer ist,  von  vielen  briefen  lässt  sich  der  tag,  zum  teil  der  monat,  ja  das  jähr  gar 
nicht  bestimmen.  "Wenn  man  diese  auf  den  tag  versezt,  den  sie  in  den  bisherigen 
samlungen  auf  ganz  unsichere,  zum  teil  auf  gar  keine  gründe  hin  einnehmen,  so  lässt 
sich  dies  mit  der  bestimmung  dieser  ausgäbe,  ja  mit  der  achtung  für  die  Wissen- 
schaft nicht  reimen.  "Was  man  nicht  durchführen  kann,  soll  man  nicht  unternehmen. 
Es  ist  ein  höhn  auf  die  erstrebte  urkundlichkeit,  wenn  briefe  in  eine  zeit  versezt 
werden,  in  welche  sie  nicht  gehören.  Dazu  muss  man  bedauern,  dass  bei  der 
datierung  nicht  mit  genügender  Sorgfalt  zu  werke  gegangen  ist,  wie  sich  schon 
daraus  ergibt,  dass  die  redaktion  im  dritten  bände  von  den  bis  zum  jähre  1778  mit- 
geteilten 7G9  briefen  selbst  12  hat  umdatieren  und  einen  extra  ordinem  in  einer 
anmerkung  zu  498  hat  einschieben  müssen.  Aber  auch  die  Versetzung  dieses  lezten 
in  den  august  1776  beruht  auf  dem  morschen  gründe,  dass  Goethe  hier,  wie  im 
briefe  an  Kayser  vom  15.  august,  des  bibelwortes  gedenkt:  „So  ihr  still  wäi 
würde  euch  geholfen*,  als  ob  Goethe  solche  ihm  geläufige  beziehungen  auf  bibel- 
sprüche  nicht  zu  den  allerverschiedensten  Zeiten  gebraucht  hätte.  "Warum  soll  der 
brief  nicht  mit  mir  ende  april  1776  gesezt  werden  können?  Damals  halte  Goethe 
schon  die  bogen  des  druckexemplars  des  ersten  bandes  von  Lavaters  „Fragmenten", 
mit  ausnähme  des  Schlusses,  des  inhalts  und  des  titeis,  erhalten,  die  er  gleich  der  frau 
von  Stein  mitteilte.  Auch  manche  andere  nachweisliche  Verschiebung  hat  man  sich 
zu  schulden  kommen  lassen.  "Wie  es  möglich  war,  den  brief  an  Steinalter,  worin 
es  heisst:  „Die  wagen  rasseln  schon,  die  pferde  klappen,  es  geht  nach  Eefurt*,  auf 
den  1.  oder  13.  mai  1776  zu  verlegen,  in  eine  zeit,  wo  Tiefurt  vom  prinzlichen  hofe 
noch  gar  nicht  bezogen  worden  war,  macht  nur  die  grosse  Unachtsamkeit  des  ordners 
begreiflich.  Statt  des  nicht  einmal  für  den  forscher  wünschenswerten  druckes  aller 
briefe  in  der  Zeitfolge,  der  sich  so  lange  hinzieht,  hätte  man  auch  die  familienbriefe, 
den  volständigen  briefwechsel  mit  Herder,  Lavater  u.  a.,  eine  so  dringende  neue 
ausgäbe  der  sämtlichen  mit  dem  herzog  gewechselten  briefe  und  so  manches  andere 
bringen  sollen,  was  auf  Goethes  leben  mit  freunden  und  bekanten  licht  wirft.  Ein 
grosser  übelstand  ist  es  auch,  dass  wir  nur  Goethes  briefe,  ohne  die  zu  ihrem  Ver- 
ständnisse nötigen  briefe  der  betreffenden  freunde,  erhalten.  Dass  auch  die  genauig- 
keit  des  abdrucks  manches  zu  wünschen  lässt,  zeigt  das  dem  dritten  bände  bei- 
gefügte Verzeichnis  von  versehen,  die  sich  aus  der  vergleichung  der  Urschrift  der 
briefe  an  Kestner,  Lavater  und  Reich  ergaben.     Es  sind  dies  nicht  bloss  kleinigkeiten 


344  DÜNTZER 

der  Schreibung;  einzelne  werte,  ja  einmal  eine  ganze  reihe  derselben  sind  ausgefal- 
len, andere  zu  streichen,  und  zwar  in  briefen,  von  welchen  die  betreffenden  stellen 
längst  richtig  abgedruckt  waren.  [Manche  anderen  versehen  habe  ich  jezt  in  den 
„Grenzboten"  gerügt.]  Die  redaktion  hat  für  die  briefe  eine  neue  bedeutende  kraft 
in  dr.  Eduard  von  der  Hellen  gewonnen.  Was  bisher  verschuldet  worden,  kann 
er  freilich  nicht  ungeschehen  machen  und  den  falschen  plan  nicht  ändern. 

:ie  sehr  bedeutende  hülfe  zur  datierung  der  briefe  bildet  Philipp  Seidels 
aufzeichnung  der  aaslagen  für  porto,  die  sich  größtenteils  mit  den  adressangaben  in 
den  aosgabebüchern  erhalten  hat  Ausgezogen  sind  diese  notizen  von  archivrat 
Burkhardt.  der  sie  für  1.  april  bis  IS.  Oktober  1775  bereits  im  neunten  Goethe  - 
Jahrbuch  gegeben  hatte.  Sie  sollen  von  jezt  au  den  bänden  der  briefe  regelmässig 
beigefügt  werden,  und  so  finden  wir  am  Schlüsse  des  dritten  die  der  jähre  1775  bis 
177>  «auf  grund  einer  nochmaligen,  von  Eduard  von  der  Hellen  vorgenommenen 
_inzenden  durch  arbeit  ung  des  auf  dem  Goethe  -  archiv  befindlichen  rechnungsmate- 
rials'*.  Von  den  angaben  des  Goethe -Jahrbuchs  sind  ein  paar  hier  berichtigt;  dagegen 
kanu  man  zweifeln,  ob  manche  abweichongen  in  den  namen  nicht  druckfehler  sind. 
Anderes  scheint  durch  versehen  ausgefallen.  Früher  stand  am  27.  april  uach  „Jakobi" 
noch  ..jun.-.  am  3.  Oktober  nach  „ Schrotsberg "  noch  „fr.  Heilbronn. u  Die  adres- 
saien  waren  an  einzelnen  stellen  nicht  lesbar,  hätten  sich  aber  doch  vielleicht  mit 
natzong  unserer  sonstigen  kentnis  ergeben.  Spasshaft  ist  es,  wie  am  26.  februar 
1770  als  ein  solcher  Kpa ..  odios  angegeben  wird,  das  sehr  undeutlich  geschrieben 
sei.  so  dass  auch  das  Kp  nicht  sicher  sei.  Was  ist  denn  überhaupt  daran  sicher? 
Seidel  entnahm  den  namen  jedenfals  der  Postadresse,  auf  der  doch  unmöglich  der 
name  in  griechischen  huehstaben  geschrieben  sein  konte,  und  kaum  darf  man  ihm 
den  hauswitz  zutrauen,  den  namen  für  sich  griechisch  zu  schreiben.  Auffallend  ist 
auch  eine  damalige  geldsendung  Goethes  nach  Leipzig,  wenn  sie  nicht  im  namen  des 
herzr.gs    erfolgte,    dessen    persönlicher    geschäftsführer    damals    Steinalter   war.      Am 

november  1777  ist  der  „durch  korrektur  undeutliche  ort  (H...)u  ohne  zweifei 
Hildburghausen.  Am  bedauerlichsten  finden  wir  es,  dass  unsere  sonstige  kentnis  von 
Goethes  leben  nicht  benuzt  ist.  Am  29.  november  1777  trat  Goethe  ohne  Seidel  die 
reise  in  den  Harz  an,  von  der  er  erst  am  16.  december  nach.  Weimar  zurückkehrte. 
Wenn  also  während  dieser  zeit  Postsendungen  erwähnt  werden,  so  kann  diese  Seidel 
nur  in  Goethes  auftrag  zu  Weimar  besorgt  haben.  Am  1.  december  wird  brief  und 
packet  an  Weber  in  Goslar  erwähnt;  es  ist  dies  eine  Sendung  Seidels  an  seinen 
herrn,  der  auf  der  reise,  wie  wir  wissen,  den  namen  Weber  angenommen  hatte; 
auch  der  Weber  vom   14.   ist  Goethe,    den  aber  dieser   brief  nicht  mehr  traf.     Am 

äeptember  1770  kann  Goethe  unmöglich,  die  hier  angegebenen  briefe  geschrieben 
haben,  da  er  an  diesem  tage  in  aller  frühe  verreiste;  sie  müssen  am  1.  geschrieben 
sein.  Das  hätte  Burkhardt  wissen  sollen.  Über  manche  der  adressaten  wären  kurze 
hindeutungen  sehr  erwünscht  gewesen,  besonders  da,  wo  von  den  briefen  an  sie 
nichts  mehr  vorhanden  ist.  Solche  wären  gerade  für  den  umfang  des  Goethischen 
briefwechsels  von  grosser  bedeutung.  Dass  Ackermann  in  Hamburg,  wie  Seidel  am 
6.  September  1775  angibt,  frau  Ackermann  sein  muss,  Schröder  (8.  märz  1776)  deren 
söhn  ist  und  es  sich  beidemal  um  das  theater  handelt,  durfte  nicht  unbemerkt  blei- 
ben. Beide  hatten  am  25.  februar  1775  die  bekante  aufforderung  zur  einsendung  von 
Theaterstücken  erlassen,  die  auch  Klinger  veranlasste,  seine  „Zwillinge"  einzuschicken. 
Ein  von  Goethe  am  6.  September  1775  an  die  Ackermann  gesantes  packet  muss  uns 
besonders  anziehen. 


ÜBER    GOETHES   WBBKE    (WEIM.    AUSGABE)  345 

Doch  wir  wollen  auf  solche  bedeutende  fingerzeige  für  die  forschung,  durch 
die  das  briefverzeichnis  erst  seiue  volle  bedeutung  erhalten  würde,  nicht  näher  ein- 
gehen, sondern  unsere  schon  lang  gewordenen  bericht,  bei  dem  wir  manches  über- 
gehen musten  oder  nur  streifen  konten,  mit  der  bemerkung  abschliessen ,  dass  sich 
leider  die  an  die  Weimarische  ausgäbe  geknüpften  erwartungen  nur  zum  teil  erfült 
haben.  Sie  ist  im  an  fang  übereilt,  und  die  grundsätze,  von  denen  sie  ausgieng,  waren 
weder  zutreffend,  noch  wurden  sie  mit  strenger  folgerichtigkeit  durchgeführt;  dabei 
fehlte  es  zum  teil  an  umfassender  kentnis,  besonnenheit,  Sauberkeit  der  arbeit  und 
kritischer  schärfe.  Noch  manche  bedeutenden  neuen  mitteilungen  haben  wir  von  ihr 
zu  erwarten,  besonders  im  vierten,  neue  gediente  aus  dem  oachlass  bringenden  bände, 
der  freilich  periculosae  plenum  opus  aleae  sein  dürfte. 


Nachschrift. 

Seit  abfassung  unserer  anzeige  sind,  abgesehen  von  der  naturwissenschaft- 
lichen abteiluug,  noch  sieben  neue  bände  erschienen:  band  8,  10,  26  und  27  der 
werke  und  band  3,  4  und  5  der  tagebücher,  über  die  wir  wenigstens  kurz  berich- 
ten wollen.  Von  den  dichtungen  erhielten  wir  die  beiden  grossen  geschichtlichen 
stücke  und  die  drei  kunstvollendetsten  dramatischen  Schöpfungen;  zwischen  diesen 
an  der  durch  die  zeit  der  abfassung  bestirnten  stelle  den  anfang  der  „Nausikaa", 
wogegen  in  der  zu  gründe  gelegten  ausgäbe  lezter  band  dieses  bruchstück  in  einer 
besonderen,  durch  zufällige  rücksichten  bedingten,  jezt  notwendig  aufzulösenden  dra- 
matischen abteilung  eines  den  dramen  vorangehenden  bandes  seine  Stellung  gefunden 
hatte.  Scheint  uns  schon  diese  abweich ung  ungehörig,  so  noch  mehr,  dass  „Elpenor, 
der  nach  der  absieht  des  dichters  in  demselben  bände  mit  der  Natürlichen  tochter" 
stehen  solte,  jezt  erst  den  folgenden  band  eröfnen  soll,  weil  —  Cotta  aus  buchhänd- 
lerischer rücksicht  zu  Goethes  grossem  ärger  diese  Unordnung  eingeführt  hatte. 
„Elpenor",  dessen  abteilung  in  verse  Goethe  selbst  nicht  ohne  grossen  anteil  durch 
Kiemer  hatte  vornehmen  lassen,  muste  die  jambischen  dramen  schliessen;  „Nausikaa" 
gehörte  in  den  band,  der  auch  sonstige  dramatische  entwürfe  und  ausführungen  bringt, 
unter  andern  die  in  der  ersten  christlichen  zeit  spielende  tragödie,  von  der  auch 
einige  reden  ausgeführt  sind.  Freilich  ist  es  dem  forscher  erwünscht,  dass  wir  die 
neuen  mitteilungen  aus  der  „Nausikaa"  schon  jezt  erhalten,  während  er  bei  dem 
notwendig  langsamen  fortschreiten  der  ausgäbe  darauf  noch  lange  hätte  warten  müs- 
sen. Diesem  wäre  es  am  liebsten  gewesen,  hätte  man,  was  dringend  gefordert  war, 
alles  bedeutende  neue  des  Goethearchivs  gleich  in  ein  paar  bände  zusammengestelt. 

Jedes  der  dramen  hat  einen  besondern  herausgeber  erhalten,  der,  da  er  nur 
ein  massiges  arbeitsfeld  hatte,  mit  ruhiger  besonnenheit  und  gefasstem  fleisse  seines 
geschäftes  warten  konte.  Aber  uns  scheint  dies  keine  teilung,  sondern  eine  Zersplit- 
terung der  arbeit,  die  notwendig  eine  grosse  Ungleichheit  der  leistung  zur  folge  hat, 
auch  den  gesichtskreis  beschränkt.  Wer  ein  einzelnes  Goethisches  drama  herausgibt, 
der  solte  eine  volständige  Übersicht  der  entwicklung  seiner  dramatischen  dichtung 
sich  verschaft  haben  und  ganz  in  ihr  leben.  Auch  müste  er  das  Verhältnis  der  einzel- 
nen gesamtausgaben  der  werke  zu  einander  und,  wo  die  einzelne  dichtung  zuerst 
allein  erschienen  ist,  auch  zu  diesem  ersten  drucke  genau  erforscht  haben,  da  hier- 
von grossenteils  die  beurteilung  der  abweichenden  lesarten  abhängt.  Freilich  hätte 
diese  grundlegende  Untersuchung  im  vorbericht  gegeben  werden  sollen;  aber  dieser 
hat  sie,    obgleich  sie  nur  bei  der  ausdehnung  auf  alle  werke  recht  erfolgreich  sein 


346  DÜNTZER 

kann,   den  herausgeben!  der  einzelnen  überlassen,   und  diese  haben  meist,  besonders 
bei  der  „Iphigenie"  und  d<  r  „Natürlichen  tochter",  sich  gar  nicht  dämm  gekümmert. 
ihen  wir  zu   den   einzelnen   dramen  über.     Bei  „Götz"   wird  angenommen, 
die  abweichungen  der  zwoten   echten  ausgäbe  seien  nicht  vom  dichter  ausgegangen, 
dem   der  Verleger  der  ersten   rechtmässigen  ausgäbe    sei    einem   naehdruck    (Eh) 
'Igt,    von   dem   sieh   ein  abdruek  auf  der  Winterthurer  bibliothek  findet.     Freilich 
[de  ausgaben  miteinander  überein.  und  der  naehdruck  trägt  die  Jahreszahl 
1773  auf  dem  titel.    wogegen   die  zwote  ausgäbe  1774  gedruckt  wurde.      Aber  man 
äs,  wie  die  nachdrucker  mit  den  datierungen  umgiengen.     So  konte  denn  auch  ein 
naehdruck  der  zwoten   ausgäbe   die  jahrszahl   des  ersten  erscheinens  auf  den  titel 
:en  und  verschweigen,  dass  er  die  zwote  ausgäbe  zu  gründe  gelegt  hatte.    Wenn 
der   Verleger    der    zwoten    nur    eines    nachdruckes    gedenkt,    der    mit    flüchtigkcit 
nacht  sei.  und  sich  darauf  beruft,  dass  die  jezt  von  ihm  gegebene  „ganz  korrekt" 
-  völlig  unglaublich,  derselbe  habe  sich  eines  durch  wilkürliche  änderun- 
.  entstelten  zweiten  nachdruckes  bedient,    obgleich  er  den   dichter  selbst  in  näch- 
r  nähe  hatte  und  auch  wol  einen   abdruek  seiner  früheren  ausgäbe  selbst  besass 
ht  bekommen  konte.     Goethe  selbst  kante  die  zwote  ausgäbe;  und  er  hätte 
m  ihm  bekanten  Verleger  sehr  übel  nehmen  müssen,    hätte  er  einen  beliebigen 
naehdruck    zu    gründe    gelegt.     Wenn    er    selbst    gegen    freund  Langer   äussert,    die 
zweite  ausgäbe  sei  ganz  unverändert,   so  sind  gelinge  änderangen  des  ausdrucks  und 
vei  ong  von  druckfehlem  dadurch  keineswegs  ausgeschlossen.    Die  vom  neuesten 

herausgeber  als   „dreiste   ändemngen  des   setzers   oder  korrektors"   von  Eb  bezeich- 
neten, der  rede  werten  ändemngen  rühren  ganz  unzweifelhaft  vom  dichter  selbst  her, 
wie  sich  jeder  überzeugen  wird,    der  die  im  anhange  meiner  schrift  über  „Götz  und 
Lont"  (1854)   s.  390  fg.   gegebenen    nachweisungen  vergleicht.      Die    dortige    ver- 
ichung   der  in   betracht  kommenden  angaben  der  beiden  dramen  haben  die  "Wei- 
marischen bearbeiter  unerwähnt  gelassen.     "Wer  sich  ein  anschauliches  bild  von  den 
ahweiehungen  machen   will,    kann    sie  auch  nach   der  Weimarischen    ausgäbe    nicht 
entbehren.      In    bezug  auf  die   anwendung    des    apostrophs    ist  der  herausgeber   des 
„Götz"   grundsätzlich  verfahren,    nach  dorn  in  der  ausgäbe  von  1787  „mit  ziemlicher 
-igkeit"  durchgeführten  gesetze;    doch  darf  man  mit  recht  zweifeln,    ob  dies 
m  dichter  oder  von  der  druckerei  in  anwendung  gebracht  wurde.     Zur  sicherstel- 
lung bedürfte  es  einer    gründlichen  Untersuchung  über  die   in  jener  ausgäbe,    beson- 
3  auch  im  „"Weither",  befolgte  weise. 

Von  „Egmont"  lag  dem  neuen  herausgeber  ausser  der  längst  verglichenen 
handschrift  eine  mittelbare  abschliff;  derselben  vor,  die  Vogel  gemacht,  Herder  durch- 
sehen und  Seidel  dem  Verleger  zum  druck  gesant  hatte.  "Wenn  der  herausgeber 
den  ältesten  einzeldruck  des  Stückes  für  älter  hält  als  den  in  den  „Schriften",  so  ist 
da.s  höchst  seltsam.  Der  druck  wurde  für  die  ausgäbe  der  Schriften  unternommen, 
aber  mehr  abdrücke  gemacht,  als  dazu  erforderlich  waren,  und  die  mehrgedruckten 
mit  besonderer  bezeichnnng  für  den  einzeldruck  bestirnt.  Eben  so  unglaublich  ist  eine 
zweite  annähme:  von  einem  andern  einzeldruck,  der  die  Jahreszahl  1788  trägt  (E1), 
11  der  dritte  band  der  wolfeilen  vierbändigen  ausgäbe  mit  seinen  druckfehlern 
abhängig  sein.  Das  müste  freilich  der  fall  sein,  wenn  die  jahrzahl  richtig  wäre; 
ab'  >n  Hirzel  hat  bemerkt,  dass  B1  und  E2  -von  sehr  neuem  datum"  sind.   "Wie 

rücksichtslos   die  ,  Ltere   abdrücke   mit  dem  jähre  des  ersten  druckes  aus- 

.    hätte  der  herau-,  o  sollen.     Dass  der  dritte  band  der  wohlfeilen 

ausgäbe  nach  ostern  170"  gedruckt  sei,    ergibt  Groschens  anzeige  aus  der  ostermesse 


t'BER   GOETHES    WERKE    (WETM.    AUSGABE)  347 

dieses  Jahres.  Von  den  abweiohungen  der  aufeinanderfolgenden  ausgaben  der  werke 
vermissen  wir  auch  bei  „Egmontu  ein  anschauliches  bild,  wie  ich  es  längst  gege- 
ben habe. 

Für  „Iphigenie"  sind  von  weitreichender  bedeutung  die  mitteilungen,  welche 
wir  aber  die  im  Goethearchiv  vorhandene  erste  handschrift  erhalten,  die  Goethe  in 
Italien  vom  IG.  Beptember  bis  ende  deet-mber  17  sc»  selbst  geschrieben.  Entweder 
diese  selbst  oder  die  von  einem  Schweizer  zu  Rom  gemachte  absohrift  erhieli  Eerder, 
der  eine  von  Vogel  gemachte  absohrift  derselben  zum  drucke  durchsah.  Leider  feh- 
len die  beiden  andern  handschriften,  so  dass  wir  nioht  immer  feststellen  können, 
welche  abweiohungen  des  ersten  druckes  von  der  handschrifl  Eerder,  und  welche  der 
druckerei  angehören.  Ausser  der  handschrift  haben  sich  nur  entwürfe  zu  reden  • 
Arkas  I,  2  und  II,  2  vorgefunden;  die  beiden  verse  in  I.  -  sind  Verbesserung  einer 
früheren  fassung,  die  entwürfe  zu  IV.  2  erst  gemacht,  als  Goethe  in  Rom  den  auf- 
tritt umschrieb.  Über  das  Verhältnis  der  gesamtausgaben  zu  einander  hören  wir 
ebensowenig  etwas  wie  über  das  vom  neuesten  herausgebt u  b. -folgte  verfahren.  Die 
erste  handschrift  des  Stückes  hat  III,  3  in  Übereinstimmung  mit  der  prosafassung 
Kommt  mit!  Kommt  mit!  Hiernach  könte  das  Komm  statt  Kommt  des  ersten 
druckes  eine  änderung  Herders  oder  ein  versehen  des  drucks  sein;  von  Goethe  Belbsl 
kann  sie  kaum  stammen.  Dennoch  hat  der  herausgeber  bei  den  redaktoren  die  auf- 
nähme von  Kommt  nicht  durchsetzen  können.  Eine  solche  beschränkung  des  Urteils 
des  herausgebers ,  der  die  sache  reiflich  erwogen  hat.  halten  wir  für  unbillig. 

Über  die  von  Suphan  liebevoll  der  „Nausikaa"  gewidmete  mühe  habe  ich 
anderwärts  mich  ausgesprochen  und  die  forschung  weiter  zu  führen  gesucht.  Von 
„Tasso"  hat  sich  keine  eigenhändige  handschrift  Goethes  erhalten;  dagegen  sind  die 
beiden  vorhandenen  abschriften,  über  die  wir  jezt  genaue  nachricht  erhalten,  äusserst 
wertvoll,  da  sie  uns  einen  blick  in  die  entstehungsgeschichte  der  einzigen  dichtung 
statten.  In  einem  notizheftchen  aus  dem  frühjahr  1788  finden  sich  die  sechs 
ersten  verse  von  V,  1  in  etwas  anderer  fassung;  bei  den  ihnen  vorangehenden  vier 
versen  (der  zweite  ist  bloss  angefangen)  muss  man  stutzen,  wenn  man  bemerkt,  da 
der  herausgeber  s.  429  übersehen  konnte,  dass  sie  ein  entwurf  der  berühmten  worte  der 
Prinzessin  vom  goldnen  Zeitalter  (997  fgg.)  sind.  Leider  liefern  sie  auch  einen  weitem 
beweis,  dass  die  als  unzweifelhaft  richtig  gelesen  in  der  neuen  Goetheausgabe  mit. 
teilten  stellen  nicht  immer  zuverlässig  sind:  in  den  vier  versen  finden  sich,  wie 
die  vergleich ung  mit  der  angeführten  stelle  zeigt,  nicht  weniger  als  drei  lesefehler,  da 
es  gestehen  statt  gestehn,  Die  gold  statt  Du  Gold  und  niem[als]  statt  mein 
heissen  muss.  —  Der  herausgeber  hat  auch  den  versen  seine  aufmerksamkeit  geschenkt. 
Auffallend  ist  es,  dass  er  glauben  konte,  Goethe  habe  auch  zuweilen  einen  tro- 
chäischen  vers  einfliessen  lassen.  Der  einzige  kopflose  vers  1189  erledigt  sieh  dadurch, 
dass  Goethe  bei  der  durchsieht  der  handschrift  die  auslassung  eines  im  „Tasso"  E 
auffallend  häufigen  „0!u  vor  dem  ersten  gedankenstriche  übersah.  Der  vers  L59 
der  trochäisch  sein  soll,  ist  einfach  jambisch  zu  lesen,  wie  trochäen  z.  b.  bei  Schil- 
ler häufig  am  anfange  des  dramatischen  verses  jambisch  betont  werden.  Einen  ana- 
päst  hat  sich  Goethe  nur  einmal  bezeichnend  erlaubt.  Vers  1315  muss  zufäll'gen 
statt  zufälligen  gelesen  werden,  wie  in  demselben  auftritt  besehäft'gung  und 
band 'gen  überliefert  sind. 

Von  der  „Natürlichen  tochter-  fehlt  jede  handschrift,  was  den  heraus- 
geber um  so  mehr  hätte  veranlassen  sollen,  vorläufig  über  das  Verhältnis  der  wenigen 
in    betracht   kommenden    drucke    zu   einander    zu    berichten.     Dies    ist   leider    nicht 


34S  DÜNTZER 

geschehen.  Bei  der  ängstlichen  sorge  der  redaktoren,  dass  keine  nicht  durchaus 
notwendige  abweichung  von  der  ausgäbe  leztei  hand  einschleiche,  fält  es  um  so 
unangenehmer  auf,  dass  v.  2831  die  anglaublich  verfehlte  ,  ausserordentlich  schwach 
begründete  antstellung  des  herausgebeis  des  (statt  der)  ahnherrn  eingedrungen  ist, 
die  dem  Zusammenhang  der  rede,  der  auffassung  des  königtums  durch  Eugenic  und 
der  absieht  des   dichters,   jede  beziehung   auf  geschichtliche  personen  auszuschlies- 

..  widerspricht.  Höchst  bedeutend  ist  die  s.  343  zuerst  gemachte  mitteilung,  dass 
der  dichter  ursprünglich  nicht  eine  trilogie,  sondern  nur  ein  fünfaktiges  drama  beab- 
ltigt  und  im  Schema  entworfen  hatte,  dessen  zwei  erste  akte  der  spätem  „Natür- 
lichen tochter8  entsprechen;  die  drei  lezten  soltcn  zum  zweiten  und  dritten  teile 
verwant   werden    und    zusammen    das   zweite   fünfaktige   stück    bilden,    dessen    beide 

ste  akte  auf  dem  landgute,  die  übrigen  in  der  hauptstadt  spielten.  Der  heraus- 
r  ist  sieh  darüber  nicht  ganz  klar  geworden. 

Eine  handschrift  der  drei  ersten  teile  von  „Dichtung  und  Wahrheit"  ist 
nicht  vorhanden.  Es  finden  sich  im  Goethearchiv  nur  einige  urkundliche  belege  und 
familiennachrichten,  von  der  tante  Melber  und  Friedrich  Schlosser  aufgesezt;  zum 
vierten  buche  ein  paar  kurze  bemerkungen;  zum  fünften  ein  ausführlicher  auszug 
aus  Prevots  zweibändiger  „Histoire  du  Chevalier  des  Grieux  et  de  Manon 
Lese  auf  (1743),    die  "Wolfgang    nach    seinem    unglück    mit  Gretchen  gelesen  und 

h  dadurch  in  seinen  „hypochondrischen  torheiten"  bestärkt  haben  solte;  vom 
sechsten  buche  an  ältere  Schemata  und  Übersichten,  einzelne  steilen  und  später 
verworfene  ausführungen ,  die  für  die  entstehung  dieses  teiles  und  durch  einige 
änsserungen   wertvoll  sind,    aber  nichts    zur    festsetzung    des   Wortlautes  des  Werkes 

[tragen.  Aü  die  spitze  tritt  das  bekante  biographische  Schema  von  1809,  von  des- 
sen ungenügenden  abdrücken,  die  Goedeke  gegeben,  ausführlich  genug  die  rede  ist. 
Dagegen  wird  die  tatsache,  dass  ich  zuerst  das  Schema,  so  weit  es  der  rede  wert 
ist,  bis  zum  Schlüsse  von  „Dichtung  und  Wahrheit"  in  einem  diplomatisch  genauen 
abdrnck  gegeben,  von  den  jähren  nach  1773  Goedekes  versehen  angezeigt  habe, 
unter  der  nachweisung  versteckt:  „Vgl.  auch  D.  1,  5fgg.u;  dazu  die  bemerkung,  „der 
Zeitunterschied"  (d.  h.  die  nachträglichen  bemerkungen)  lasse  sich  nicht  aus  der 
anwendung  verschiedener  Schreibmaterialien  und  dem  Wechsel  deutscher  und  latei- 
nischer schrift  .sicher  feststellen,  wie  dies  Düntzer  tun  will."  Ich  habe  ausdrück- 
lich bemerkt,  dass  eine  „genaue  abschliff  von  "W.  Vollmer  mir  vorgelegen  hat,  und 
wer  Vollmer  kante,  weiss,  dass  derselbe  in  pünktlicher  treue  und  scharfem  blicke 
bei  handschriftvergleichungen  seines  gleichen  suchte.  Meine  bemerkungen  beruhen 
auf  seinen,  an  manchen  stellen  eine  spätere  eintragung  feststellenden  beobachtungen 
und  nehmen  deshalb  wenigstens  gleiche  Zuverlässigkeit,  wie  der,  ich  weiss  nicht 
auf  wessen  vergleichung  beruhende,  abdruck  in  der  Weimarischen  ausgäbe  in 
ansprach,  der  so  wenig,  was  der  herausgeber  behauptet,  „diplomatisch  genau"  ist, 
dass  er  nicht  einmal  die  grössern  Zwischenräume  und  den  Wechsel  lateinischer  und 
deutscher  schrift  bezeichnet,    so  dass,    wer   sich    ein   anschauliches   bild  der  hand- 

hrifÜichen  Überlieferung  machen   will,    noch    immer   auf   die  Vollmersche    ausser- 

tentlich  sorgfältige  vergleichung,  die  ich  widergegeben  habe,  angewiesen  ist.  Sach- 
lich sind  die  Verschiedenheiten  kaum  nennenswert.  Statt  mehrerer  punkte  habe  ich 
eine  neue  zeile  durch  einen  senkrechten  strich  angedeutet ,  was  hier  —  weniger  in  die 
äugen  fallend  und  zuweilen  kaum  zu  unterscheiden,  auch  wol  im  drucke  ein  paar- 
mal übersehen  —   durch  einen  kleinen  Zwischenraum  bezeichnet  wird.     Einmal  steht 


fBER    GOETHES    WERKE    (WEIM.    AUSGABE)  349 

meiner  lesung  „algemeine  Communication  |  Aufhebung  der  deutschen  DialeH 
die  lesung  „Communicale "  entgegen,  die  ich  nicht  für  richtig  halten  kann.  Ein 
andermal  wird  das  von  Vollmer  für  unlesbar  erklärt»'  wort  als  erheben  ohne  andeu- 
tung  eines  zweifeis  gegeben.  Ich  hatte  irritiren  vermutet,  was  mir  Baohlich  ent- 
sprechender Bchien.  Leider  ist  die  handschrift  noch  immer  Privateigentum.  Moste 
ich  hier  mein  und  des  verstorbenen  freundes  recht  wahren,  so  gestehe  ich  dagegen 
gern,  dass  der  kundige  herausgeber  mit  fleiss  und  Sorgfalt  seine  aufgäbe  durch- 
geführt hat. 

An  dem  die  jähre  1801  bis  1808  enthaltenden  bände  der  Tagebücher  liaben 
sich  zwei  mitarbeiter  beteiligt.  Möchte  herr  Julius  AValile,  der  die  lezte  hälfte  bear- 
beitet, auch  die  auf  titel-  und  deckelseiten  und  sonst  zerstreuten  Losen  angaben,  wenn 
sie  nicht  zu  belanglos  waren,    mitgeteilt  und  die  „1<  eben  bat.    die  folgen- 

den bände  allein  bearbeiten,  da  seine  kentnis,  Beine  umsieht  und  sein  eifer  ihnen  zu 
gute  kommen  würden!  Mehrere  lese-  und  druckfehler  der  ersten  hälfte  hat  i  i 
berichtigt  So  steht  am  16.  September  1801  gedruckt  „Mr.  Thibaul"  Die  hand- 
schrift hat  Mr.  Du  Vau.  Wähle  schreibt  richtig  du  Yo au.  AVenn  er  aber  diesen 
du  Yeau  für  von  Kalb  hält,  so  trage  ich  daran  halb  die  schuld,  obgleich  es  an 
Bich  unglaublich  ist,  dass  das  tagebuch  nicht  den  wahren  namen  gäbe.  Lang 
habe  ich  erkant,  dass  es  eine  unglückliche  Vermutung  von  mir  war,  in  dem  du  Yeau 
der  Henriette  von  Knebel  eine  scherzhafte  bezeichnung  von  Kalbs  zu  sehen,  da 
du  Veau  ein  nach  Deutschland  verschlagener  Franzose  war,  dem  sein  fortkommen 
dort  nicht  gelingen  wolle.  Diese  berichtigung  ist  auch  persönlich  wichtig.  [Tnter 
den  lesarten  finden  sich  zuweilen  erläuterungen,  was  zweckmässig  in  zukunft  auch 
sonst  geschehen  könte,  wo  es  erwünscht  und  möglich  wäre.  Dagegen  können  wir 
es  nicht  billigen,  wenn  hier  leicht  verständliche  abkürzungen  von  titeln  und  gar 
jedesmal,  ja  zu  guter  lezt  noch  einmal  in  einem  alphabetischen  Verzeichnis  gegeben 
werden.     Auch  die  meisten  druckfehler  sind  zweimal  angegeben. 

Mit  wahrer  befriedigung  vernehmen  wir,  dass  die  bisher  so  traurig  verzettel- 
ten briefe  heim  Eduard  von  der  Hellen  zugefallen  sind,  der  in  den  zwei  neuen 
bänden  die  Jahrgänge  1779  bis  zum  Schlüsse  des  ersten  halbjahres  1782  geliefert  hat. 
Kann  derselbe  auch  den  verkehrten  plan  der  briefsamlung,  an  dem  er  unschuldig  ist, 
nicht  abstellen,  so  wird  er  doch  für  die  richtige  Stellung  in  der  Zeitfolge  das  mög- 
liche tun  und  den  Wortlaut  in  zuverlässigster  weise  widergeben,  wie  es  in  diesen 
1 'änden  geschehen  ist,  wenn  man  auch  über  einzelne  datierungen  wird  mit  ihm  rech- 
ten können. 

KÖLN'.  H.    DÜNTZER. 

Xeue  fragmente  des  gedichts  Yan  den  vos  Reinaerde  und  das  bruch- 
stück  Yan  bere  Wisselauwe  herausgegeben  von  Ernst  Martin.  Stras- 
burg, Trübner.  1889.  73  s.  8.  (Quellen  und  forschungen  herausgegeben 
von  B.  ten  Brink,  E.  Martin,  E.  Schmidt.    65.  lieft.) 

Die  Darmstädter  fragmente  des  gedientes  Yan  den  vos  Reinaerde,  die  Martin 
im  diplomatisch  getreuen  wie  im  kritisch  gereinigten  texte  im  05.  hefte  der  QF.  an 
erster  stelle  veröffentlicht,  begreifen  die  v.  2590  —  2728  und  3024  —  3165  seiner  aus- 
gäbe des  Rein.  I.  Als  beitrag  zur  näheren  kentnis  der  bezeichneten  fassung  des 
denkmals  sind  sie  von  hervorragender  bedeutung,  und  wir  müssen  Martin  dankbar 
sein,  dass  er  sie  uns  kurze  zeit,  nachdem  er  die  mitteilung  von  ihrem  Vorhandensein 
erhalten,    zugänglich  gemacht  hat.     Mit  je  grösserer  teilnähme  man  aber  die  bekant- 


350  BRANDES 

machung  des  fundes  an  und  für  sich  begrüsst,  desto  mehr  wird  man  die  zahlreichen, 
der  publikation  anhaftenden  Unebenheiten  bedauern,  dio  das  verdienst  des  heraus* 
gebers  nicht  unerheblich  schmälern.  Über  die  nachlässigkeit,  mit  der  die  druokkor- 
rektur  behandelt  ist.  könte  man  noch  hinwegsehen,  obgleich  es  mislich  erscheint, 
wenn  der  benutzer  infolge  von  irtümern  in  der  anwendung  der  sigel  (vgl.  2612  so  a 
statt  e  74  tibundus  caiulus  e  statt  1)  vor  die  notwendigkeit  gestelt  wird,  im 
oinzelfalle  die  in  betracht  kommenden  fassungen  von  neuem  vergleichen  zu  müssen; 
nicht  rechtfertigen  lässt   sich  jedoch,    wenn  wichtige  Varianten  übergangen  oder  gar 

lassen  werden. 
Don  von  Martin  aufgestelten  kritischen  grundsatz,  dass  b  oder  1  den  ausschlag 

ien,  wenn  sich  i\  und  e  mit  lesarten  von  gleichem  werte  gegenüberstehen,  halte 
ich  für  durchaus  richtig.  Die  befolgung  dieser  regel  ergibt  einen  verhältnismässig 
einfachen  Variantenapparat.  Die  übersieht  über  denselben  hat  der  herausgeber  aber 
dadurch  erschwert,  dass  er  am  fusse  jeder  scite  unter  den  lesarten  den  zuge- 
hörigen  volstäudigen  text  der  fassung  b  in  fortlaufendem  druck  mitteilt,  dergestalt, 
dass  die  sich  für  die  herstellung  des  textes  des  Rein.  I  nützlich  erweisenden  lesarten 
laktion  durch  gesperten  druck  kentüch  gemacht  werden.  Die  version  b, 
auf  der  im  wesentlichen  der  Rein.  II  beruht,  tritt  demnach  in  dem  apparat  zwei- 
mal auf,  zunächst  in  einer  auswahl  und  dann  unverkürzt.  Den  nutzen  dieser 
einrichtung  vermag  ich  nicht  einzusehen;  einer  ihrer  hervorstechendsten  mängel, 
der  darin  besteht,  dass  man  dieselbe  redaktion  an  zwei  verschiedenen  stellen  zu 
ä  :hen  hat.  scheint  mir  dagegen  auf  der  hand  zu  liegen.  Ein  nicht  minder  bedenk- 
licher übelstand  zeigt  sich  in  der  auffallenden  erscheinung,  dass  einerseits  eine 
auzahl  von  lesarten  von  b  nicht  zu  dem  volstäudigen  texte  von  b  stimmen  und  dass 
andrei  lie  hier  gegebenen  fassungen  von  b  in  mehreren  fällen  von  Martins  aus- 

Rein.  II  und  den  zu  dieser  mitgeteilten  Varianten  der  Brüsseler  handschrift 
oder  von  den  gelegentlich  unter  dem  texte  der  ausgäbe  des  Rein.  I  stehenden  varian- 
■  i  der  genanten  handschrift  abweichen.  Es  treten  sich  gegenüber:  2596  her  und 
Heer,  306J  stillen  wi  nu  und  seilen  wi  nu,  3115  sehe  (=  Rein.  II)  und  seiner, 
ferner  2600  /■  ru  weet  ivar.  und  text)  und  Rein.  II:  ic  enweet  (ebenso  in  den  les- 
arten zu  Rein.  I).  2620  die  und  Rein.  II:  dicke,  2624  geeff  und  Rein.  II:  gkeve, 
j)lt    und    Rein.  II:    Kriekenpit,     2637  —  2638    naem  :   onbequaem    und 

in,  II:    name  :  onbequame,    2641    tot   und   Rein.  II:    tote,    2642   ic   u  die   und 
K''-iu.  II:    ie  du  .    2643   ten  fluide  iordaen  und  Rein.  II:    ter  fluni c  Jordane,    2645 

cond  und  Rein.  II:  oreonde,  2664  ich  und  Rein.  II:  ict,  2666  in  und  Rein.  II:  int, 

17  warand  und  Rein.  II:   wara/nde,    2683  waert  und  Rein.  II:  wäret,    2687  xaeck 
und   Rein.  II:   sähe,    2689    recht    und   Rein.  II:    rechte,    2705   enseg  v    und    var.    zu 

■In.  II:  m   segu,   2710  wat  und  Rein.  II:  ward  (ebenso  in  den  var.),  2715  die  und 

in.  II:  de,  3042  dueht  und  Rein.  II:  duckte,  3058  droevelye  und  Rein.  II:  droerc- 
lir-  ohne  bemerkung,  3060  karmde  und  Rein.  II:  kermede,  3064  ne  maect  und  var. 
zu  Rein.  II:  ewmaket,  niet  und  Rein.  II:  nie,  3091  troost  und  Rein.  II:  trooste,  3092 
tael  und  Rein.  II:  tale,  3115  gelidet  und  var.  zu  Rein.  II:  ghelidet,  3126  greep  und 
Rein.  II:  ghegreep  (ist  das  leztere  richtig,  so  ist  im  text,  gestüzt  durch  ab,  ghegre- 
pene  zu  lesen),  3127  kelen  und  Rein.  II:  hele,  (Rein.  II  3149)  bi  und  Rein.  II:  hi, 
3164  patrysen  und  Rein.  II:  paertrisen.  Zu  diesen  Widersprüchen  geselt  sich  der 
ausfall  von  v.  2617:  Edel  steen  ende  gülden  were.  Man  vermisst  auch  die  blatzahl  51. 
druckfehler  für  3055.     Für  den  Bein.  II  ergibt  sieh   aus  den   den  fragmen- 

.  e  entsprechenden  abschnitten  von  b.    dass   die   mit  dem   texte   übereinstimmende 


fBF.R    L'KIXAERT-I 'RAGM.    KD.    MARTIN  351 

Variante  zu  301G  pelgrym   heissen  mn^s.   dass  3051   orUfermde  zu  losen  ist  und  dass 
in  den  lesarten  3053  kuwert  b  fehlt. 

Der  aus  dem  ersten  fragment  und  a  mit  Zuhilfenahme  von  b  und  1  hcrgestelte 
text  gibt  im  einzelnen  zu  folgenden   bemerkungen  anlass.    Die  aufnähme  von  elwaer 

2594  unterliegt  keinem   bedenken;   das  wort    i^t  mehrfach   belegt,    im  15 •  van  der 

wraken  I,  390:  Dät  hi  skeysers  memorie  doer  Niet  < n  vemt  ahe  elwaer.,  ferner 
.laus  Teesteye  2329:  En  narrt  verre  elwaer,  Daer  mens  nid  vinden  en  mochte 
und  ebd.  3223:  Sine  mähen  hem  säen  elwaer.  In  <jh<'hi<irt  2590  fehlt  das  //  vm 
ebenso  in  ghenoech  -GIG.  Dass  sich  Martin  hinsichtlich  der  Stellung  in  v.  2598  an  c 
anschliesst,  ist  zu  billigen.  Allerdings  steint,  der  folge  dit  icel  e  in  a  wel  ditte  and 
in  b  wel  du  gegenüber,  doch  wird  die  anordnung  in  b  durch  den  reim  bedingt. 
r  bietet  ausserdem:  Vbrstath  dyt  /ml.  Statt  endi  2628  is<  ende  zu  lesen.  V.  2640 
lese  ich:  ghi  sijter}  eoninc,  also  na.  Jn  der  Daohstellung  von  coninc  stimt  b  zu  <>. 
Wie  Martin  sich  auf  ab  berufen  kann,  um  coninc  im  texte  an  die  spitze  zu  stellen, 
verstehe  ich  nicht.  Statt  von  2G41  ist  van  zu  losen,  statt  Reynart  2704  Reynaert 
und  in  demselben  verse  statt  secht  segt.  Von  bemerkenswerten  Varianten  sind  über- 
gangen: 2597  Kriekeputte  a  (ebenso  263G,  2663),  261 3  rielic  e,  20 4 7  comel  a  — 
ewwaert  a,  2652  cohari  e  (ebenso  2G58),  2672  n<  mach  a,  2674  <l<  a,  2G79  makede 
a,  26S7  saken  a,  2691  haestelijc  a,  2714  mon/.e  a  (ebenso  2710).  2717  hongree — 
earmde  e,  2718  ontfarmde  e,  2720  asse  c  (ebenso  2723).  Zu  „2597.  98  umgestelt  aB 
vermisse  ich  den  zusatz:  „b  stimt  zu  eu,  der  in  ähnlichen  fällen  (vgl.  2620.  21)  sich 
findet.  Zu  tote  dier  2608  ist  als  Variante  die  inklinierte  form  totir  e  aufgeführt. 
Der  gruud  ist  nicht  ersichtlich,  da  zu  2591  enfie  a  fehlt.  Solte  das  i  dir  ie  die 
aufnähme  veranlasst  haben?  Dann  wäre  totir  zu  dilven  2610  und  luttcl  2611  zu 
stellen,  die  der  herausgeber  in  die  lesarten  gebracht  hat,  obwol  er  auf  der  vorher- 
gehenden seite  ausdrücklich  erklärt:  Varianten  der  fragmente  e,  die  rein  orthographi- 
scher natur  sind,  sollen  unberücksichtigt  bleiben.  Als  dialektform  hat  z.  b.  luttel 
keine  grössere  bedeutung  als  etwa  das  ausgelassene  scowut  2591  oder  das  ebenfals 
ausgelassene  uenden  2612  u.  a.;  vgl.  Franck  Uni.  gr.  §  79.  Zu  2614  wird  ooe  eb 
notiert,  obgleich  beide  hss.  oec  lesen.  2630  ist  in  wat mde  eb]  wanen  a  zu  ändern. 
2637  fehlt:  geuei  (rest  weggeschnitten)  e.  Die  angäbe  zu  2643:  d  (rest  weg)  e  zwing! 
uns,  zwischen  dem  d  in  die,  um  das  es  sich  handelt,  und  dem  in  dem  folgenden 
Jordanc  selbst  die  auswahl  zu  treffen.  Die  zu  2647  mitgeteilte  Variante  wert  a  (= 
Grimm)  ist  in  den  lesarten  des  Kein.  I  als  voort  aufgeführt.  2655  fehlt:  trouwen 
ist  bis  auf  das  t  weggeschnitten.  Aus  der  bemerkung  zu  2660  ist  nicht  zu  erken- 
nen, dass  auch  das  ghe  von  ghemanet  in  e  weggerissen  ist.  Die  notiz  zu  2664  im, 
heissen:  -t  of  ie  w.  e.  die  zu  2665:  e  fehlt  bis  -t  iccscn  so.  2666  hulstt  t>r  lue  a 
stimt  nicht  zu  der  zu  Rein.  I  angegebenen  variaute  hülst  ter  loe  (=  Grimm).  Gegen 
die  Zusammenstellung  alle  be]  fehlt  a  2677  ist  einzuwenden,  dass  in  e,  wie  auch 
von  Martin  richtig  bemerkt  wird,  nur  das  reimwort  sine  und  die  beiden  lezten  buch- 
staben  des  vorhergehenden  wortes  gliescllcn  erhalten  sind. 

In  dem  dem  zweiten  fragmente  entsprechenden  texte  ist  v.  3033  hie  in  In  zu 
ändern,  3056  Reinaert  in  Reynaert ,  3066  von  in  van,  3090  Belyn  in  Belijn,  3161 
gagelc  in  gaghele.  Unter  den  lesarten  vermisse  ich  3029  wonderlije  a,  3030  heme  e 
(desgl.  3037),  3043  mordenare  e,  3044  onfaren  e,  3052  weldanen  e,  3058  drouve- 
lie  a,  3061  Guwaert  a,  3062  wil  b,  ivülc  e,  3001  noü  e,  3070  assce  (desgl.  3089, 
3103),  3078  hen  e,  3079  dat  ab]  fehlt  e,  3080  de  a,  3081  vore  e,  3086  her  e, 
3097  Alse  e,    3106  wonderlike  e,    3110   Her   brun  eü  her  e,    3111   gisel  e,    3114 


352~  BRANDES 

iiiUc  a.  3115  gelidei  b,  3150  ombe  e.  3155  daghen  a.  Zu  v.  3089  merkt  Martin 
an:  o.  an  hem  a.  relicturus  hos  1]  o.  an  haer  eh.  Auf  die  Stellung  von  orlof  ist 
mithin  keine  rücksicht  genommen,  obgleich  dieses  in  eb  dem  an  hart  folgt.  3100 
findet  man  welpehinen  a,    bei  Grimm  wie  im  Bein.  I  (ohne  var.)  dagegen  loelpkinen. 

.als  fehlt  a-  gehurt  nicht  zu  3002,  sondern  zum  folgenden  verse.  Ungenau  ist  3119 
"iaddß  ...  e.  der  rest  des  verses  fehlt  keineswegs  in  der  hs.  3143  sor  e  bleibt  mir 
nn verständlich,  da  im  buchstabengetreuen  abdruek  der  hs.  dor  steht.  Oder  ist  aar 
druekfehler?     In  scnc  3090  scheint  mir  wenigstens  ein  solcher  vorzuliegen. 

Auf  s.  10  — 1*2   gibt  der  herausgeher  eine  Übersicht  über  die  orthographischen 

-••ntümliehkeiten  der  Darmstädter  brachstücke.  Es  fehlt  darin:  für  o  in  a  steht 
c  —  auenturen  239.3  und  für  o  steht  u  —  sunne  2723.  Ausserdem  hat  best 
eine  falsche  verszahl  bekommen;  es  findet  sich  2624.  Die  zahl  3151  gehört  zu 
dem  vorhergehenden  gehtc.  —  An  den  hergestelten  text  schliesst  Martin  anmer- 
kuugen  zu  demselben,  und  auf  diese  lässt  er  nachtrage  zu  seiner  ausgäbe  des 
Rein,  folgen.  Unter  den  belegen  zu  v.  91  hätten  auch  Freid.  (ed.  Sandvoss)  s.  78 
und  Hoffmann  von  Fallersieben ,  Findlinge  1,  443  nr.  77  aufgezählt  werden  können. — 
Für  lesen  -sagen-  v.  147  bietet  Jans  Teesteye  zwei  beispielc:  v.  952  Wouter,  sal  ic 
die  waerheyt  lesen?    Heren  sonden  seemel  icesen  und  v.  1292  Nu  tcillic  u  van  allen 

-■n  Fraeyc  exemple  lesen  Die  hier  vocnnaels  ghescieden  Den  goeden  ouden  roem- 
seken  lieden.  Vgl.  auch  Mnd.  wb.  2,  671b.  —  Zu  v.  257  vgl.  ferner  Agricola  nr.  126 
(ausgäbe  von  1541):  De?'  Wallt  sagt:  Male  qnesit  male  perdit,  und  zu  II,  1676 
Kir  Deus  bei  Willem  van  Hildegaersberch  34,  170.  —  V.  4255:  Boltes  auf- 
satz.  Nd.  korrespondenzblatt  10,  19  —  20,  hätte  nicht  unerwähnt  bleiben  dürfen. 
Bolt^  führt  aus.  dass  das  plaeebo  singen  das  ursprüngliche  ist,  nicht  das  sagen, 
und  dass  die  redensart  in  der  lateinischen  predigtlitteratur  des  mittclalters  ihren 
Ursprung  hat. 

In  der  zweiten  hälfte  des  heftes  behandelt  Martin  das  gedieht  vom  baren  Wis- 
selau. Das  uns  erhaltene  bruchstück  desselben  ist  ehemals  im  besitze  C.  P.  Semvres 
gewesen,  der  es  im  2.  bände  seines  Vaderlandsch  Museum  1858,  nicht  1856,  wie 
Martin  angibt,  mitgeteilt  hat.  Das  manuscript  ist  später  in  das  British  Museum 
gekommen,  hat  aber  seit  der  zeit  seiner  ersten  bekantmachung  erheblich  gelitten,  so 
dass  Martin  an  zahlreichen  stellen  über  die  berechtigung  der  lesung  Serrures  keine 
auskunft  mehr  zu  geben  vermag.  In  einigen  fällen  ist  es  ihm  dagegen  trotz  der 
mangelhaften  erhaltung  der  handschrift  gelungen,  mehr  zu  entziffern  als  sein  Vorgän- 
ger, und  diese  resultate  seiner  beschäftigung  mit  dem  manuscript  zusammen  mit  dem 
umstände,  dass  die  1886  erschienene  ausgäbe  Kalffs1  lediglich  auf  Serrures  text 
beruht,  rechtfertigen  die  neue  ausgäbe  des  fragments. 

Der  abdruek  der  handschrift  bedarf  in  einigen  punkten  der  berichtigung.  Es 
zu  lesen  Aal  slfenj,  Ab  6  wisse  ...  [ive] ,  16  sal . . .  .  [t] ,  26  [ontbindie  u  te], 
Afl6  [dor  ..//],  36  stae[nj ,  Ag  41  [ecj ,  Ah  40  dorpferj,  Ba  14  geernoude,  15  [die 
....  dtcajne,  19  geernouts,  33  ....  [n]  dese  talc,  4A  iv'dc  (vgl.  Serrures  anm.  zu 
der  stelle),  Bc  13  [eisscede  crauicejl,  14  [Sijn  poten  stae]  hi,  Bh  5  lelec[ke] ,  43 
antvfcU  ö  .  .  .  Als  druekfehler  sind  wol  anzuseilen  Bb  2  kinlije  für  linlijc,  Bd  15 
'/  für  8eieten,  19  spae  für  *j>ra<-,  Be  23  femsoise  für  fransoise,  Bf  34  berc  für 
bere,  Bg  29  qram  für  gram,.  Die  striche  Ae  v.  0  —  8  und  v.  18  gehören  nicht  hinter 
sondern  vor  die  klammem.     Unklar  bleibt,   von  welchem  Worte  des  v.  Ah  38  an  das 

1    Eini.-«?  snte  Cönjecturen  Kalffs  werden  jezt  durch  Martin  bestätigt. 


ÜBER    REINAERT-FRAOM.    ED.    MARTIN  353 

entziffern  der  handschrift  auf  Schwierigkeiten  Btösst.  In  der  anm.  zu  Aa  38  ist  .o 
vor  der  notiz  fehlt  8.  ausgefallen.  Die  anmerkuiigcn  Bollen  nach  Martins  absichl 
„wesentliche*  abweichnngen  Serrures  von  Beiner  Lesung  angeben.  Eine  bestirnte  regel, 
nadi  der  die  aufnähme  dei  differenzeu  erfolgt  ist,  hahe  ich  nicht  herauszufinden  ver- 
mocht; es  sind  aber  nicht  nur  bemerkenswerte  orthographische,  sondern  auch  mate- 
rielle unterschiede  unberücksichtigt  geblieben.  Ab  -1  vermisse  ich  das  die  vor  r< 
(vgl  Ab  35),  17  kempe  S.,  31  gotä  8.,  36  t...hten  &,  44  De  &,  Ac  13  war  S., 
Af23  das  weselike  vor  gevaen,  kg  29  si  S.,  39  soutu  S.,  Ahn  efen  -s'. .  18  seien  S.} 
34  wee  S.,  37  soe  «tore  8.,  Ba  20  profe«  &,  28  proefew  &,  Ba  35  //  dt  &,  IM.  7 
betont  S.,  18  gevlowen  8.,  26  dijs  S.,  27  parasS.,  Bcl5  feaer  &,  33  Dorf/  LaetS., 
38  oHifurcn  S.,  Bd20  wisselaue  8.,  Bo  39  eW/s  &,  Bf  24  heefluut  8.,  Bg5  «*ä  &, 
11  da*  ///  tri  Ä,  39  »o7  mv  &,  Bh  6  m  .  11  /|  s  &,  13  Awj&  &,  :;i  fe»7 
feren  Ä  Ferner  ist  zu  bemerken,  dass  Ztese  Af  34  anm.  conjeetur  Berrures  ist,  and 
dass  dieser  Ah  31  das  d  von  dare  und  Ah  33  wee  gelesen  hat. 

Der  handschriftlichen  fassung  zur  seite  stellt  der  von  Martin  auf  grund  der- 
selben hergestelte  text.  Die  anmerkungen  zu  demselben  beziehen  sich  auf  Serrures 
und  Kalffs  ausgaben  der  dichtung  und  auf  besserungsvorschläge,  die  von  Franck 
herrühren.  Ich  gebe  einige  zusätze.  V.  74  gewinnen  S.  ist  überflüssig,  da  das  reim- 
wort  in  der  handschrift  erhalten  ist.  V.  Sl  liest  Serrure:  ende  toechten.  Zu  V.  85 
fehlt  dare  S.  und  zum  folgenden  verse  gevwren  8.  V.  288  hat  die  handschrift 
geuaen.  Martin  nimt  Kalos  gevwren  auf;  es  wäre  dabei  aber  zu  erwähnen  gewesen, 
dass  schon  Serrure  in  der  anmerkung  zu  der  stelle  «äussert:  ^gevaen,  misschien 
roor  gevaren*  Ebenso  geht  kemenade  v.  329  statt  des  handschriftlichen  kemenelde 
auf  einen  in  Serrures  anmerkungen  ausgesprochenen  Vorschlag  zurück.  Zu  v.  358 
fehlt  niet  S.}  zu  v.  393  sprac  EspriaenS.  V.  512  hat  Serrure  schockten  und  v.  579 
dien  kempe  dijs  verican;  die  von  Martin  in  dem  leztgvnanten  verse  vorgenommene 
ergänzung  deckt  sich  also  nicht  volständig  mit  der  des  ersten  herausgebers. 

Im  texte  ist  zu  schreiben  v.  23  mijn  für  myn,  v.  208  gereet  für  gereed,  v.  238 
de  mi  geboet,  v.  274  die  für  de,  v.  383  irildot,  v.  121  drosmfen,  v.  439  fjod,  v.  517 
niemm,  v.  533  eoenc.  Die  inhaltsangabe,  die  sich  an  den  text  anschliesst,  ist 
weniger  ausführlich  als  die  bei  Serrure,  gibt  die  hauptsächlichsten  züge  der  dichtung 
al'er  treffend  au.  In  der  Untersuchung  der  sage  und  ihrer  beziehungen  geht  Martin 
dagegen  weit  über  seinen  Vorgänger  hinaus.  Für  die  entstehung  des  mnl.  Werkes  ist 
der  terminus  ad  quem  durch  die  erwahnung  desselben  in  Maerlants  Spieghel  historiael 
gegeben.  Es  muss  vor  1290  verfasst  sein,  ist  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  aber 
"viel  früher  anzusetzen.  Mit  Sorgfalt  hat  Martin  die  momente  zusammengetragen, 
die  dem  stil  der  spielmannspoesie  eignen.  Bemerkungen  über  den  versbau  schliessen 
seine  ausfährungen  ab. 

Es  bleiben  nocli  einige  bisher  übergangene  druck  versehen  zu  berichtigen.  S.  4 
steht  3GG5  statt  2G65,  s.  25  var.  zu  3113  rechte  statt  rehie,  s.  25  in  den  var.  (31)17 
statt  (31)15,  s.  28  ich  statt  ic,  s.  30  Mul.  statt  Mnl.,  b.  33  v.  2539  statl  2519,  s.  51 
Überschrift  BXRE  statt  BEBE,  s.  52  anm.  Ba  118  statt  18,  s.  53  anm.  Aa  statt  Ba, 
s.  54  anm.  Bb  27  statt  Bb  37,  s.  57  anm.  533.  534  statt  532.  533,  s.  59  anm.  582 
statt  583,  s.  62  anm.  Bh.  2  statt  10,  s.  72  gelooft  statt  geloeft,  ai  statt  ay,  sieh 
statt  xiele,  s.  73:  617.  61S  statt  616.  617.  Die  darstellungen  der  abkürzung  des 
wortes  partrisen  v.  3164  auf  s.  10  und  s.  28  weichen  von  einander  ab. 

BERLIN.  HERMAN    BRANDES. 


ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.     BD.  XXIII. 


23 


354  F.KPMANX.    fRF.K    KOF.TTEKF.N.    F.riSCHF.    KUNST 

Die  epische  kunst  Heinrichs  von  Veldeke  und  Hartmanns  von  Aue. 
Beitrag  zur  mhd.  litteraturgeschichte.  Von  Hubert  Roettcken.  Halle, 
Niemeyer.    1887.     VI  und  207  s     5  m. 

Der  Verfasser,   dessen  dissertation  über  den  satzbau  bei  Berthold  von  Regens* 

burg    QF  ich  in  dieser  Zeitschrift  XVII.  12S  besprochen  habe,  stelt  sich  in  die- 

-  hrift  die  aufgäbe,    aus  beobachtung  des  Sprachgebrauches,    des  stiles  und  der 

hen  teehuik  aüge  zur  Charakteristik  der  beiden  epiker  zu  gewinnen.  Die 
nntersnchung  ist  mit  fleiss  und  liebe  geführt,  auch  zeigt  der  Verfasser  feines  gefühl 
für    dichteris  igentümlichkeit,    ebenso  vorsieht  und  richtigen  takt   bei   der  ver- 

wertong  der  zahlreichen  gesammelten  einzelheiten;  doch  liegt  es  an  der  algemeinen 
fassnng  der  an  3S  er  nicht  überall  zu  greifbaren  und  abgerundeten  ergehnis- 

mmen  ist.    Aus  dem  ersten,  syntaktischen  abschnitt  sind  die  nachweise  über 

mit  abstraktem  Subjektswort  (so  ergic  ein  jaemerUchex  scheiden  u.  a.).    über 

•  :i.  über  ansruf  ohne  verbum  (ellipse)  hervorzuheben;  aus  dem  zweiten  über 
-Zusammenhang  und  Ordnung  der  erzahlung"  die  hesprechung  der  vor-  und  rück- 
weisungen;  aus  dem  dritten  („schmuck  und  nachdruck  der  rede")  die  Personifikationen, 
die  alliterierenden  formein.  die  klang-  und  Wortspiele. 

Der  vierte  abschnitt  bespricht  „die  einzelnen  Stoffelemente u,  wobei  u.  a.  das 
Verhältnis  der  beiden  dichter  zu  naturgegenständen  und  naturvorgängon,  sowie  die 
veranschaulichung  körperlicher  Schönheit  zur  spräche  komt.  Die  Schilderung  der  liäss- 
liehkeit  —  zu  welcher  bei  Veldeke  (En.  2689  fg.  3049  fg.  3197  fg.)  die  Sibylle, 
Oharon  und  Cerberus,  bei  Hartmann  der  waMtore  Iw.  425  fgg.  (auch  Iwein  im  wahn- 
sinn  3251  fgg.    stoff  geboten  hätten  —  ist  nur  kurz  berührt  s.  149. 

Verhältnism  kurz  gehalten  ist  auch  der  fünfte  abschnitt:  Hervortreten  der 

Persönlichkeit  des  dichtere;  hier  ist  wenigstens  der  aus  Hartmann  zu  gewinnende 
h  nicht  erschöpft. 

Hat  der  Verfasser  es  für  eine  alzu  mechanische  arbeit  gehalten,  seinem  buche 
ein  alphabetisches  register  mitzugeben?  Ein  solches  würde  die  benutzung  und 
al-eitige  Verwertung  seiner  samlungen  sehr  erleichtert  haben. 

KIEL.  0.    EEDMANN. 

Die  deutschen  runendenkmäler  herausgegeben  von  Rudolf  Henning.    Mit 

4  tafeln  und   20  holzschnitten.      Mit  Unterstützung    der  k.   preuss.   akademie   der 
wir-  aften.     Strassburg,  Karl  J.  Trübner.  1889.    VIII,  156  s.    4.     25  m. 

An  rnnendenkmalern  ist  das  eigentliche  Deutschland  ebenso  arm  wie  an  resten 
altheidnischer  \  sie,  während  der  skandinavische  norden  von  dieser  zwar  nicht  beson- 
ders umfangreiche,  aber  äusserst  wertvolle  Zeugnisse,  von  jenen  eine  fast  unüber- 
.  noch  immer  durch  neue  funde  wachsende,  beneidenswerte  fülle  erhalten 
hat.  Die  nrsache  unserer  armut  ist  in  beiden  fällen  die  gleiche:  die  frühzeitige  cin- 
führung  des  Christentums  bei  den  Germanen  des  continents,  welche  die  frisch  sich 
entwickelnden  keime  einer  nationalen  kultur  durchschnitt  und  bereits  vorhandene 
bluten  erbarmungslos  zerstörte1.  Die  runenschrift  entstand  frühestens  zu  ende  des 
iahrhunderts   und   bereits   im  4.  begann  die   erfolgreiche  tätigkeit  der  christlichen 

1)  Dass  die  Völkerwanderung  ,.die  alten  Traditionen  unterbrochen  habe",  wie  Henning  s.  152 
meint,  ist  nicht  glaublich.  Wenn  seine  annähme  richtig  sein  solte,  dass  die  runenschrift  eine  erfindong 
der  nordöstlichen  Völkerschaften  ist  (es  wäre  das  ein  neues  zeugnis  für  die  hervorragende  boanlagung  des 
vandilischen  Stammes !) ,  so  könte  man  geradezu  annehmen ,  dass  die  kentnis  der  schriftzeichen  durch  die 
■Wanderung  den  Germanen  des  we=tens  zugeführt  wurde.  Nach  einem  „neuen  anstosso'-,  der  das  spätere 
erscheinen  der  runenschrift  auf  den  südwestlichen  denkmälern  erklärt,  brauchten  wir  dann  nicht  mehr 
zu  suchen. 


BING,    ÜBRB    HENNING,    KTNKNDKNKMÄLRR 

bekehrer,  welchen  die  heidnischen,  zu  zauber  und  Weissagung  verwendeten  zeichen, 
deren  Zusammenhang  mit  dem  Lateinischen  alphabel  ihnen  zweifelsohne  verborgen 
blieb,  ein  greuel  waren,  die  ßie  daher  nach  kraften  auszurotten  sich  befleissigten.  Zu 
einer  Verbreitung  in  tiefere  schichten  der  bevölkerung,  zu  ausgedehnterer  anwendung 
und  fortentwickelung  konte  es  daher  die  runensckrift  im  lande  ihrer  entstehung  uichl 
bringen;  sie  gieng  unter,  ehe  sie  noch  recht  Lebensfähig  geworden  war.  In  England 
ist  zwar  nicht  der  euer,  wahrscheinlich  aber  der  Fanatismus  der  missionare  geringer 
gewesen:  daher  hier  die  auf  den  ersten  blick  überraschende  erscheinung,  dass  die 
runenschrift  sich  nicht  nur  fortbilden  und  mit  der  Umgestaltung  der  spräche  (beson- 
ders auf  dem  gebiete  des  vocalismus)  sehritt  halten  konte,  sondern  auch  Längere  zerl 
hindurch  noch  auf  christlichen  denkmälern  Verwendung  fand. 

Monumentale  denkmäler  mit  raneninschriften  Bind  infolge  dessen  bei  uns  nicht 
vorhanden;  sie  beginnen  erst  auf  dem  bodon,  der  Jahrhunderte  lang  gegenständ  des 
Streites  zwischen  Deutschen  und  Dänen  gewesen  ist,  redende  zeugen  des  waffen- 
glücks,  das  die  lezteren  bis  an  die  Schlei  hinab  zu  herren  der  eimbrischen  halbinsel 
machte,  der  nrsprünglichen  heimal  jener  südgermanischen  stamme,  die  die  begrün- 
der  der  angelsächsischen  reiche  in  England  wurden.  Was  wir  als  unser  eigentum 
beanspruchen  dürfen,  ist  eine  kleine  anzahl  Loser  gegenstände:  zwei  Speerspitzen,  zwei 
goldene  ringe,  sieben  spangen1,  ebensoviele  einseitig  geprägte  schmuckmünzen  (brac- 
teaten)  und  ein  köpfchen  aus  ton,  dessen  bestimmung  wir  nicht  kennen.  Die  inschrif- 
ten  auf  drei  weiteren  stücken  (dem  speerblatt  vou  Torcello  und  den  Bpangen  von 
Engers  und  Kehrlich)  sind  mindestens  verdächtig.  Alle  diese  denkmäler  (von  denen 
die  zweifellos  echten  uns  im  ganzen  25  Wörter  überliefern!)  sind  in  der  dankenswer- 
ten, durch  die  munificenz  der  k.  preussischen  akademie  der  Wissenschaften  würdig 
ausgestatteten  publication  von  Henning  vereinigt  und  fortgesezten  bemühungen  der 
forscher  bequem  zugänglich,  gemacht. 

Denn  das  lezte  wort  ist  über  die  auf  diesen  gegenständen  eingeiizten  inschrif- 
ten  noch  nicht  gesprochen.  Unbedingt  muss  dem  herausgeber  das  zeugnis  ausgestelt 
werden,  dass  er  wol  vorbereitet,  mit  den  notwendigen  sprachlichen  und  archäolo- 
gischen kentnissen  reichlich  ausgerüstet,  an  seine  aufgäbe  herangetreten  ist,  und  da 
er  es  an  redlicher  bemühung,  an  fleiss  und  Sorgfalt  nicht  hat  fehlen  lassen.  Wenn 
trotzdem  die  resiütate  nicht  durchweg  befriedigen,  so  ist  dies  erklärlich  und  ent- 
schuldbar. Gerade  die  geringe  zahl  unserer  denkmäler  macht  ihre  deutung  überaus 
schwierig,  da  wir  nicht,  wie  unsere  glücklicheren  nachbam  im  norden,  die  über  ein 
reiches  material  verfügen,  vergleichen,  combinieren,  eine  inschrift  durch  die  andere 
aufhellen  können.  So  kann  trotz  des  bedeutendsten  aufwandes  methodisch  geschulter 
gelehrsamkeit  arbeit  und  mühe  vergeblich  sein,  wenn  nicht  ein  günstiger  zufall  oder 
ein  glücklicher  einfall,  der  blitzstrahl  einer  genialen  divination  zu  hilfe  komt. 

Da  es  den  lesern  der  Zeitschrift  erwünscht  sein  dürfte,  einen  schnellen  über- 
blick über  den  gegenwärtigen  bestand  zu  gewinnen,  so  lasse  ich  eine  Bchematischo 
Zusammenstellung  der  denkmäler  nebst  den  wichtigsten  mitteilungen  über  dieselben 
und  den  Henningschen  deutungen  folgen. 

1)  Xach  dem  erscheinen  von  Hennings  buche  ist  noch  eine  runenspange  (aus  Balingen  im  wür- 
tenibergischen  Schwarzwaldkreis)  bekant  geworden,  deren  inschrift  Sven  Söderberg  in  den  Prähisto- 
rischen blättern  II  (München  1890)  s.  33  — 41  veröffentlichte.  Die  kentnis  dieses  aufsatzes  verdanke  ich 
J.  Mestorf.  Ich  muss  übrigens  gestehen,  dass  mir  dio  lesung  Süderbergs  (Halfdanilo  Amilunge)  wenig 
wahrscheinlich  dünkt.  Ein  alemannischer  „Halfdcm"  erregt  begreiflicher  wei.-e  mistraaen;  nur  prof. 
Stephens  wird  ihn  mit  freuden  begrüssen  und  die  spange  natürlich  sofort  für  einen  dänischen  „Wande- 
rer" erklären. 

23* 


GERING 


•i. 

Jahr  der 

Auf- 
findung. 

Fundort. 

Wortlaut  und  dentong  <lor  inschrift. 

1 

S 
ans 

Sm         ao,   kreis 
■  1    Volhynien) 

Tilarids  (eigenname) 
„der  geschickte  reiter* 

— 

m 

Müncheberg, 

kreis  Lebus 

1  Brandenburg) 

Ranfijnga  (eigenname) 
„dem  Raning"  d.  h.  dem  angehöri 

einer  „svinfvlking" 

do. 

1SM1 

Torcello 

Rrmnga 

18 

Pietroassa 

(Rumänien) 

Qutanio  tri  hailag 

„das  gotische  unverletzliche  tempelgut" 

4 

Spange  aus 
sill 

187.7 
(?) 

Charnay 
(Saone  et  Loire) 

Rune  1 — 20;  ttpffijttpai  Iddan  Mann  eia 
„volständig  erfasse  dos  Idda  weib  sie" 

" 

Spange  aus 
messing 

1854 

Osthofen 
bei  Worms 

Godr  furad  lodaro  flieg 
„deo  iter  vanitatum  commendau 

aus 
Bill 

1873 

Froilaubersheim 
bei  Kreuznach 

Boso  icrat   runa  pfijk  Dapena  gofl  da 
(gofdjda)  „Boso  rizte  die  rune,   dich  Da- 
pena grüsste  (beschenkte)  ertt 

7 

do. 

1843 

Nordendorf 
bei  Augsburg 

Loga  Pore   Wodan  ^  wigi  Potiar.    Aica 

Lcabicinie   „die  heirat  ersiege  "Wodan, 
weihe  Donar.     Awa  dem  Leubwini* 

- 

Spang 

1844 

do. 

Birl[i]nio  Ell;   „der  schenkin  Elk" 

Spange 

1878 

Ems  an  der  Lahn 

Ubada  Madan    „\Vada  dem  Madou 

10 

-  nnge    mit 
inen 

188G 

Friedberg 

( AVetterau) 

puruphild  (weibL  eigenname) 

11 

Fingerring 

aus  gold 

Körlin  (Pommern)? 

* 

Altt                                El<i 
(verstümmelt  aus  lat.  salus?)     (eigenname 

12 

Bracteai 

1850 
(?) 

\Vapno  (Posen) 

Sabar  (eigenname)  „der  verständige* 

13 

Bracteat 

Hinterpommern? 

Waiga    (eigenname)  „der  bewegliche1 

14 
a-d 

B:           •  n 

1859 

Nebenstedt  bei  Dan- 
nenberg  (Hannover) 

d:   Olearg  ix  reurg\ 
„Gleargdor  schwache  u 

15 

Bra  •    ■ 

Heide 
iLitlimarschen) 

Alu  (s.  nr.  11) 

IG 

Tonkopfchen 

Bünterpommern  ? 

Falgja  „  schutzgeist " 

17 

•ange 

Engers  (Rheinprov.) 

Leub . . .  (anfang  eines  eigennamen) 

18 

ange 

Kehrlich 
bei  Andernach 

Wodana  hailag 
„dem  Wodan  heilig" 

ÜBER    HENNING,    RÜNENDENKMÄLER 


Rich- 
_  der 

-rhrift. 

Sprache. 

Zeitalter. 

Aufbewahrungsort. 

Bemerkungen. 

< 

ostgermanisch 
logisch-  vandilisch  ?) 

3.  jh. 

Warschau 
(Privatbesitz) 

< 

jtgermanisch 
(bnigondisch?j 

3.-4.  jh. 

Münchebe 
(samlung  de          ins 

für  heimatkunde) 

< 

Torcello  (mnsenm) 

Fälschung  (oo] 

gotisch 

4.  jh. 

Bukarest 
(mnsenm) 

burgundisch  ? 

6.  jh. 

Dijon 
(Privatbesitz) 

- 

fränkisch 

G.  —  7.  jh. 

Mainz 
(centralmnsenm) 

> 

do. 

6.-7.jh. 

do. 

> 

alemannisch 

6.  —  7.  jh. 

Augsburg 
(Maximiliansmuseum) 

die  zwei  lezten  n           on 
anderer  band. 

> 

do. 

8.  jh. 

do. 

> 

fränkisch 

8.  jh. 

Ems  (Privatbesitz) 

> 

do.? 

6.  —  7.  jh. 

0 

< 

rugisch? 

Berlin 
(museum) 

< 

burgundisch? 

4. —  5.  jh. 

do. 

> 

rugisch  ? 

4.-5.  jh. 

do. 

weeh- 

longobardisch  - 
sächsisch  ? 

6.-7.  jh. 

Hannover 
(provincialmuseum) 

Die  Inschriften  von  a— c  geben 
keinen  buhl 

> 

< 
> 

do. 

6.-7.  jh. 

Hamburg  (museum  für 
tun  st  und  ge  werbe) 

rugisch  ? 

4.— 5.jh.? 

Berlin  (museum) 

"Worms  (museum) 

> 

Mainz 
(centralmuseumj 

ilschung. 

35S  GERING 

Richtig  oder  mindestens  wahrscheinlich  sind  von  diesen  deutungen  die  von 
or.  1— 3,  6,  8  '":  einzelne  derselben  waren  übrigens  bereits  früher  ganz  oder  teil- 
weise durch  die  bemühungen  anderer  gelehrten  sicher  gestelt  Schwere  bedenken 
erregt  aber  Hennings  versuch,  der  inschrift  auf  der  spange  von  Charnay  (or.  4)  einen 
vernünftigen  sinn  abzuringen;    ich  zweifle,  dass  auch  nur  ein  leser  des  buches  durch 

ue  ausfuhrungen  sich  hat  überzeugen  lassen.  Auf  der  genanten  spange  stehen 
bekantlich  die  ersten  zwanzig  seichen  des  gemeingermanischen  runenfu|)arks  und 
ausserdem  ein  paar  worte,  die  eine  befriedigende  auslegung  bis  jezt  nicht  gefunden 
haben.  Henning  liest:  ußffijnßai1  Iddan  kiano  eia  „es  möge  die  gattin  des  Idda 
sie  (die  rune)  herausfinden  (volständig  erfassen)-.  Um  diese  sonderbare  legende 
flieh  zu  machen,  stelt  Henning  die  Vermutung  auf,  dass  der  runenkundige  Idda 
eine  minder  gelehrte  gemahlin  I  sessen  habe,  die  er  zu  der  höhe  der  eigenen  bilduug 
habe  emporheben  wollen:  da  es  nun  im  6.  Jahrhundert  noch  keine  Übeln  gab,  so  ver- 
ehrt-•  er  ihr  die  mit  dem  aiphabet  versehene  fibula,  indem  er  zugleich  schriftlich  den 
wünsch  aussprach,  dass  die  Studien  von  gutem  erfolge  begleitet  sein  möchten.  Leider 
-  mir  unmöglich,    an   die  Wirklichkeit  dieser  altburgundischen  ehestandsidylle  zu 

aben.  Dass  die  inschrift  an  eine  des  lesens  noch  unkundige  person  sich  richtet, 
wofür  ein  analogon  sich  schwerlich  findet,  mag  unter  den  eigentümlichen  von  Hen- 
ning  -  uommenen  Voraussetzungen  als  möglich  gelten,  da  Idda  doch  wol,  um  das 
angestrebte  ziel  zu  erreichen,  seiner  frau  nicht  bloss  die  spange  geschenkt,  sondern 
auch  mit  hilfe  derselben  sie  unterrichtet  haben  wird  —  nur  fragt  man  sich,  ob  das 
holzscheit  nicht  ein  geeigneteres  lehrmittel  gewesen  wäre,  da  auf  diesem 
runenzeichen  sich  doch  grösser  und  deutlicher  hätten  einritzen  lassen.  Und  über- 
dies enthält  die  spange  nicht  das  ganze  aiphabet,  sie  war  also  für  den  von  Hen- 
ning angenommenen  zweck  durchaus  unbrauchbar.  AVarum  ferner  hat  Idda  uns  den 
namen  seiner  geliebten  Schülerin  vorenthalten?  Dieser  name,  in  den  geheimnisvol- 
len zeichen  geschrieben,  hätte  für  die  frau  doch  sicher  ein  besonderes  interesse 
gehabt.  Warum  endlich  hat  der  Schreiber,  statt  die  sache,  die  er  meinte,  einfach 
bei  ihrem   namen   zu  nennen,    den  unverständlichen   hinweis    durch    ein    pronomen 

-  zogen? —  Gewichtiger  noch  sind  die  sprachlichen  einwendungen  gegen  Hennings 
deutuDg.     Di  -r  nur  möglich,  wenn  man  seine  hypothese  annimt,  dass  romanische 

lair_      tze   die   germanische   spräche   des  runenritzers  beeinflusst  haben,    eine  hypo- 
these.   die  aber  unbedingt  abzulehnen  ist.     Die  Goten  schrieben  mes  und  Kustantei- 
ien  nasal  in  diesen  fremdwörtern  nicht  mehr  hörten,  aber  der  schwimd 
des  lautes  in  echt  gotischen  Wörtern  wurde    natürlich    nicht    dadurch  herbeigeführt 

.'..  sitm,  Hansa,  gaminpi  usw.).  Dass  in  lateinisch  geschriebenen  werken  und 
Urkunden  germanische  eigennamen  gelegentlich  einmal  in  romanisierter  form  erschei- 
nen, beweist  keineswegs,  dass  die  spräche  des  deutsch  redenden  volkes  der  einwir- 
kung  eines  fremden  lautgesetzes  unterlegen  ist,  gibt  ja  doch  Henning  selber  zu,  dass 
auch  in  den  diplomen  «die  reguläre  deutsche  lautgebung  noch  während  der  frän- 
kischen zeit  mit  steigender  macht  sich  geltung  zu  verschaffen  wüste".  Ferner  kann 
Ina  hwerlich  mit    dem    gotischen   qinö   identificiert  werden;    die   auf  s.  65   aus- 

gesprochene behauptung.  dass  q,   weil  für  diesen  laut  in  dem  alphabete  kein  zeichen 
vorhanden  war,   nur  duren  k  widergegeben  werden  konte,    wird  durch  nordische  und 

Ist  für  ufnjp  wirklich  nur  eine  einzige  erklärung  möglich?    Man   könte  auch  an  germ.  Wfcpir 
eile-"  denken. 

-     Im  Calend.  got.   (Vulfila  ed.  Bernhardt  s.  605).     Dieser  heleg  wäre  bei    Henning  auf  s.  67 
noch  hinzuzufügen. 


ÜBER  HENNING,  RUNENDENKMALER  359 

angelsächsische  inschriften  widerlegt,  die  für  q  einfach  hu  oder  kw  setzen:  Tcuask 
auf  dem  steino  von  Aars  in  Jütland  (Thorsen  II,  2,  102;  Bugge,  Tidskr.  f.  phil.  VII, 
250);  kuikuan  auf  den  upländischen  Bteinen  von  Vallentuna  und  Taby  (Stephens  II. 
641);  Icwömu  auf  dem  kreuze  von  Ruthwell  (Zupitza,  alt-  und  mittelengl.  leseb.4, 
s.  5)  usw.  —  Übrigens  glaube  ich,  das-  die  eigentliche  iuschrift  der  Charnayspange 
mit  dem  worte  kiano  zu  «'iide  ist:  der  runenritzer  ist  ersichtlich  bei  den  lezten  bei- 
den zeichcu  mit  dem  räume  sein-  verschwenderisch  umgegangen  —  ein  wort  wie  eia  ' 
hätte  sonst  noch  bequem  platz  gehabt.  —  Auch  was  Eenning  auf  der  Bpange  von 
Osthofcn  (nr.  5)  und  auf  der  grösseren  spange  von  Nordendorf  (nr.  7)  herausli 
{gode  furad  lodaro  filcy  „deo  iter  vanitatum  commenda";  loga  Pore  Wodan,  wigi 
ponar  „die  heirat  ersiege  Wodan,  weihe  Donar u)  kann  kaum  als  eine  endgiltige 
lösung  betrachtet  werden;  für  mich  sind  diese  inschriften  wie  die  der  Charnayspange 
noch  ungeratene  rätsei.  —  Zu  nr.  IG,  dem  Berliner  tonköpf chen,  möchte  ich  bemer- 
ken, dass  es  schwer  begreiflich  ist,  wie  der  runenritzer  dazu  gekommen  sein  solte, 
eins  aus  der  reihe  der  zeichen  auf  dem  scheitel  des  kopfes  anzubringen,  während 
doch  auf  den  glatten  flächen  des  piedestals  reichlich  räum  vorhanden  war. 

Zweifel  und  bedenken  sind  mir  auch  sonst  noch  mehrfach  aufgestiegen.  Erwäh- 
nen will  ich  nur  noch,  dass  die  polemik  gegen  Bugge  (s.  83  anm.  2  und  13C)  mir 
durchaus  unberechtigt  erscheint.  Dass  der  grammatische  Wechsel  auch  im  anlaut 
gewirkt  hat,  gilt  mir  durch  die  Zusammenstellungen  Bugges  für  bewiesen;  vgl.  jezt 
noch  Xoreen,  Utkast  tili  föreläsningar  i  urgermansk  judlära  (Upsala  1890)  s.  81  fg. 
83.  85.  87,  wo  die  samlungen  Bugges  noch  durch  weitere  beispiele  vermehrt  sind, 
die  meines  erachtens  das  „vermeintliche  lautgesetz",  von  dessen  richtigkeit,  wie  es 
scheint,  auch  andere  noch  nicht  völlig  überzeugt  sind2,  gegen  jeden  einwand  sicher 
stellen.  Besonders  instruetiv,  weil  durch  ihn  sowol  Verners  wie  auch  Bugges  gesetz 
exemplifiziert  wird,  ist  ein  neuer  von  Noreen  gefundener  beleg,  auf  den  ich  selber 
auch  schon  aufmerksam  geworden  war:  ahd.  farah,  ags.  fearh  neben  ahd.  barug, 
ags.  bear%,  bearh,  altn.  bqrgr.  Beide  Wörter,  die  genau  dasselbe  bedeuten,  sind 
natürlich  auch  der  form  nach  identisch:  sie  sind  nichts  anderes  als  durch  den  accent- 
wechsel  bedingte  Varianten. 

Die  ergebnisse  seiner  forschungen  hat  Henning  hinter  dem  ausführlichen  com- 
mentar  noch  einmal  kurz  und  übersichtlich  zusammengefasst  (s.  135  — 141)  und  bei 
dieser  gelegenheit  noch  mehrfache  nachtrage  und  berichtigungen  hinzugefügt;  daran 
schliesst  sich  (s.  142  — 147)  eine  Zusammenstellung  dessen,  was  sich  aus  den  weni- 
gen Wörtern  für  die  laut-  und  formlehre  der  behandelten  denkmäler  gewinnen  Las 
Den  schluss  s.  147  — 155)  bilden  beachtenswerte  hypothesen  über  heimat,  entstehung 
und  alter  der  runenschrift. 

Die  correctur  ist  sorgfältig  gehandhabt.  Ausser  den  auf  s.  VHI  verzeichneten 
druckfehlern  sind  mir  nur  noch  die  folgenden  aufgestossen :  s.  V,  z.  4  lies  Prcßste- 
gaardsmose  st.  Prtestegords-;  s.  17 25  Vcjbjerg  st.  Dijberg;  s.  18 4  Dejbjerger  st  Dij- 
berger;  s.  3226  den  st.  dem;  s.  64 30  mov/UUe  st.  moidlee;  s.  88 3S  Baiser  st.  Heiser; 
s.  94 3  weihaida  st.   icihaida;    s.  9527  paüran  st.  ßoran;    s.  116M  prupmojjigr  st. 

1)  Die  rune  \,  mit  der  dieses  wort  begint,  fasst  H.  nicht,  wie  dies  bisher  meistens  geschah, 
als  eu,  sondern  als  Vertreter  des  altgerman.  geschlossenen  e  (e) ,  das  im  got.  in  i  übergieng.  Die  gründe, 
die  er  gegen  die  frühere  annähme  geltend  macht,  sind  für  mich  überzeugend. 

1)  Wie  Kluge  noch  in  der  4.  aufläge  seines  Wörterbuches  s.  v.  russ  behaupten  kann,  dass  ahd. 
ruox  und  ags.  sot  „kaum  verwant1'  sind,  während  er  doch  an  anderen  orten  (vgl.  z.  b.  die  artikel  base 
und  blach)  den  ergebnissen  Bugges  zuzustimmen  scheint,  verstehe  ich  nicht. 


360  SÜCHIKR.    ÜBER    LOSETH.    TKISTAX1IAANDSKRIFTER 

-modigr;  s.  152"  eimbri  selten  st.  dänischen.  Keine  druckfehler,  sondern  orthogra- 
phische Sonderbarkeiten  des  Verfassers  sind  die  Schreibungen  ^gothisch*  und  „bischoff". 

KIEL.    30.    JULI    1890.  II.    GERING. 

Eilcrt  Lflseth,  Tristanromanens  gammelfranske  prosahaandskrifter  i  Pa- 
risei nationalbibliotheket.     Kristiania  1888,  Cammermeyer.     IV,  SO  s.    8. 

Welche  res  ardua  es  ist,  die  handschriften  des  Frosatristan  zu  beschreiben, 
davon  hat  nur  der  eine  Vorstellung,  der  die  handschriften  in  der  hand  gehalten 
und  selbst  den  versuch  gemacht  hat  sich  in  diesem  labyrinth  zurecht  zu  finden.    Es 

darum  ein  höchst  verdienstliches  unternehmen,  wenn  herr  Loseth  uns  einen  lei- 
tenden faden  in  die  hand  gibt,  an  dem  wir  uns  wenigstens  durch  die  Tristauhand- 
. ritten  der  Pariser  nationalbibliothek  hindurch  finden  können.    Die  zahl  dieser  hand- 

riften  bet  t,  indem  zu  den  ztschr.  XVIII,  S5  genanten  noch  zwei  hinzukommen, 

welche  die  kompilation  des  Rusticien  de  Pise  enthalten.  Drei  handschriften  sind  zwei- 
bändig, daher  Loseth  —  ohne  recht,  wie  mich  dünkt  —  von  27  handschriften  redet. 
Die  zahl  der  handschriften  von  Eusticiens  Tristan  beträgt  nunmein'  drei.  Von  den 
übrigen  21  enthalten  nur  sieben  einen  zwar  nicht  lückenlosen,  aber  doch  im  wesent- 
lichen vollständigen  text;  alle  übrigen  nur  mehr  oder  weniger  umfangreiche  bruch- 
stücke.  Der  text  einer  handschrift  (12599)  ist  nur  aus  einer  reihe  von  bruchstücken 
zusammengewürfelt. 

Die  schrift  enthält:  s.  1 — 3  eine  aufzählung  von  handschriften  und  ausgaben, 
s.  3  —  5  die  angäbe,  wie  viel  von  dem  roman  in  jeder  handschrift  enthalten  ist, 
3.5  —  67  eine  rapide  aualyse  mit  berücksichtigung  der  verschiedenen  Versionen  des 
r omans,  s.  07 — 69  einzelheiten  über  die  handschriften  und  ausgaben,  s.  70  einen 
Ölbaum  der  handschriften,  s.  71  —  74  litterarische  bemerkungen,  s.  75 —  78  eine 
Charakteristik  der  kompilation  des  Eusticien  de  Pise.  Alles  ist  mit  dankenswerter 
kürze  geschrieben;  doch  hat  der  Verfasser  die  kürze  darin  zu  weit  getrieben,  dass 
er  bei  anführung  handschriftlicher  stellen  die  blatzahlen  weglässt.  Von  besonderem 
interesse  sind  seine  bemerkungen  auf  s.  73,  wo  er  die  von  Gaston  Paris  geäusserte 
ansieht  weiter  begründet,  der  zufolge  der  Prosatristan  den  inhalt  des  verlorenen  Chri- 
^tianisehen  gedichtes  in  sich  aufgenommen  hätte.  Dass  der  abdruck  von  Brakclmanns 
aufsatz  i ztschr.  XVIII,  81)  nicht  ohne  nutzen  gewesen  ist,  zeigt  sich  in  dem  beifall, 
den  Loseth  bei  einer  wichtigen  frage  Brakelmann  spendet  (s.  6).  Loseth  erwähnt  im 
Vorwort,  dass  sein  wünsch,  die  Brakelmannschen  kollectaneen  in  Paris  einzusehen, 
nicht  erfült  werden  konte.  Ebensowenig  gelang  es  mir,  die  erlaubnis  hierzu  zu 
erwirken,  und  auch  mein  Vorschlag,  Brakelmann  spapiere  auf  der  Hallischen  univer- 

ibliothek  zu  deponieren  und   so   dem   publikum  zugänglich  zu  machen,    wurde 

rworfen.     Indessen  glaube  ich  dass  Loseth  hierbei  nicht  alzuviel  verliert,   da  schon 

diese    ersten    mitteilungen    über    seine    Tristanforschungen    erkennen  lassen,    dass  er 

die  —  ja  auch  nur  zum  vorläufigen  abschluss  gelangten  —  forschungen  Brakelmanns 

überholt  hat. 

Ich  habe  mich  kürzlich  auf  einer  reise  nach  Italien  in  Genf  aufgehalten  und, 
da    ich    gerade  Loseths    büchlein    gelesen    hatte,    mir    dort    die    handschrift  francais 

erlegen  lassen,  die  einen  im  15.  Jahrhundert  geschriebenen  Prosatristan  enthält. 
Mit  hülfe  von  I.  -  ths  angaben  war  es  leicht  festzustellen,  dass  diese  handschrift  in 
der  e]  mit  dem  Schilde  (Loseth  s.  11  oben)  abbricht  und  an  den  s.  10  angefahr- 

ten stellen,    die  sieh  auf  blatt  6   und  Matt  5  vom  ende  der  handschrift  finden,    mit 


VOGT,    ÜBER    STRNADT,    KÜBENBERGMYTHTT8  361 

334  zusammengeht,  wonach  es  scJion  möglich  ist,  die  Genfer  handschrift  einer  gruppe 
des  stambanmes  zuzuweisen. 

Der  Verfasser  selbst  erklärt  die  vorliegende  Schrift  nur  für  einen  coup  d'es- 
sai:  er  avüI  demselben  gegenstände  noch  eine  ausführlichere  darstellung  widmen. 
Was  vorliegt,  zeigt  bereits,  dass  er  sich  vortreflich  in  die  sache  eingearbeitet  und 
es  zu  einer  beherschung  des  schwer  zu  bewältigenden  materiales  gebracht  hat.  Wir 
wünschen  ihm  glück  zu  Beinern  nnternehmen  und  sehen  der  abschliessenden  schritt 
mit  Bpannung  entgegen. 

HALLE.  HERMANN   BUCHTEB. 


Der  Kirnberg  bei  Linz  und  der  Kürenberg-mythus.  Ein  kritischer  bei- 
trag  zu  „Minnesangs-frühling. tt  Ton  Julius  Strnadt.  Linz  a.  D.  1S89. 
Ebenhöchsche  buchhandlnng.    GO  s.    8.     1  m. 

Der  verlasser  hat  sieh  durch  den  augenschein  davon  überzeugt,  dass  die  auf 
dem  gipfel  des  waldigen  Kürn-  oder  Kirnberges  bei  Linz  erkenbaren  befestigungsspu- 
ren  nicht  von  einer  ritterburg,    sondern  von  einem   prähistorischen  verteidigungswall 

herrühren,  dass  eine  bürg  Kürnberg  vielmehr  südlich  davon  auf  einem  hügel  zwi- 
schen Dornbach  und  Rufling  gelegen  habe  und  dass  die  trümmer  derselben  noch  eine 
art  der  anläge  erkennen  lassen,  wie  sie  vor  dem  beginne  des  13.  Jahrhunderts  nicht 
üblich  gewesen  sei.  Nach  dieser  können  daher  die  verschiedenen  im  12.  Jahrhundert 
urkundlich  nachgewiesenen  „de  Churnperch"  ihren  nanien  nicht  getragen  haben. 
Die  in  den  jähren  um  1130  bis  um  1137  auftretenden  Purchart,  Magenes  und 
-Marcwardus  de  Chur(i)nperch  werden  einem  bairischen,  in  Kirnberg  am  linken 
Innufer,  nahe  Altötting,  ansässigen  geschlechte  von  ministerialen  der  grafen  von 
Burghausen  zugewiesen.  Chönrat  de  Chörin perge,  urk.  um  1140,  und  Gerol- 
dus  de  Curenberch,  urk.  um  1155,  sind  nicht  ritter,  sondern  gemeinfreie,  jener 
nach  einem  Kürnberg  bei  Rudling  oberhalb  Efferding  (Österr.  o/E.),  dieser  nach  dem 
Linzer  Kürnberg  genant.  Von  dem  zweiten  orte  trägt  seinen  namen  allerdings  auch 
ein  ministerial  Gualtherus  de  Cürnberg,  der  im  jähre  1161  eine  Urkunde  des  am 
Linzer  Kirnberge  gelegenen  klosters  \Vilhering  bezeugt.  Aber  er  gehörte  nach  des 
Verfassers  meinung  einem  dort  ansässigen  ministerialgeschlechte  von  Mülenbach  an, 
vermutlich  als  jüngerer  bruder  des  in  genanter  Urkunde  mit  unterzeichneten  Conra- 
dus  de  Mulenbach,  und  er  führte  als  solcher  nach  einem  am  Kürnberg  befindlichen 
besiztum  der  familie  seinen  namen. 

Otto  und  Purchardus  de  Churnperch  erscheinen  in  einer  Urkunde  Ulrichs 
von  Sichtenberg  vom  jähre  1166  unter  den  dienstmannen  der  grafen  von  Schala  in 
Xiederösterreich ;  sie  nennen  sich  nach  dem  Kirnberg  an  der  Mank,  südlich  von  Melk, 
und  vertreten  nach  Stmadts  Vermutung  einen  zweig  der  erwähnten  bairischen  Kürn- 
berger,  der  nach  Niederösterreich  verpflanzt  wurde,  als  dort  die  grafen  von  Burghau- 
sen durch  die  heirat  Sigharts  IL  mit  der  tochter  des  markgrafen  Leopold  von  Öster- 
reich besitz  erwarben. 

Gibt  man  nun  alles  dies  zu  —  obwol  ich  meinerseits  gestehe,  dass  mich  die 
betreffenden  ausführungen  nicht  durchweg  überzeugt  haben  — ,  gibt  man  ferner  zu, 
was  der  Verfasser  daraus  folgert,  dass  nämlich  in  Oberösterreich  ein  geschlecht 
von  Kürenberg  nie  existiert  habe,  so  ist  doch  der  weiter  daraus  abgeleitete  schluss, 
„dass  der  liederdichter  von  Kürenberg  fürderhin  nicht  in  Oberösterreich  gesucht  wer- 
den darf"   keineswegs  berechtigt.     Denn   es  komt  doch  nicht  auf  die  benennung  des 


362  1RDMANN 

ganzen  geschlechtes  an,  dem  der  fragliche  dichter  angehört,  sodem  nur  auf  den 
namen  des  dichters  selbst;  und  da  jener  im  jähre  1161  urkundende  oberösterreichischc 
ministerial  Walther  nachweislich  von  Kürnberg  hiess,  so  genügt  das  volständig  um 
ihn  mit  in  betrachi  zu  ziehen.  Mindestens  gleiche  ansprüohc  aber  haben  natürlich 
die  Niederösterreicher  Otto  und  Purchard  und  ihr  wirklieh  von  Kürenberg  genantes 
Lechi     Stmadt   freilich  meint,    dass   auch   in   diesem    und  auch  unter  den  bai- 

•heu  Kürenbergern  der  dichter  nicht  zu  suchen  sei,  vielmehr  werde  er  zu  dem 
reichsfreien  'echte  von  Kürnberg  im  Breisgau  gehört  halten,    aus  welchem  um 

10S8  ein  Burchardus  ingenuus  de  Curenberc  bezeugt  ist,  über  welches  jedoch  aus 
Jahrhundert  gar  keine  nachricht  vorliegt  und  dessen  sitz  Kürnberg  bereits  im 
anfan_  -  13.  Jahrhunderts  nachweislich  cigentum  der  herren  von  Üsenberg  war. 
Die  gründe,   weihe  Btrnadt   für  diese   annähme  beibringt,    sind  völlig  haltlos.     „Die 

:eichnung  des   dichters  in  substantivischer   form  in  Kürenberges  wise  statt  in  der 

adjeetivisehen  form  Kürenbergers  (?)  wise.  welche  lezterc  auf  bajuvarische  provenienz 

lassen  würde"  sieht  er  als  eine  eigentümlichkcit  des  alemannischen  dialek- 

an.  W<  der  das  eine  noch  das  andere  ist  richtig.  Wolfram  sagt  z.  b.  herVogel- 
weid.  Gotfried  v.  Strassburg  dagegen  der  Ouwasre,  Rudolf  v.  Ems  ebenso  und 
der  Stoufa?re,  der  Türheima?re  usw.  Wenn  ferner  Strnadt  meint,  dass  in  der 
fraglichen  zeit  die  österreichische  ritterschaft  viel  zu  roh  und  unhöfisch  gewesen  sei, 
um  das  minneUed  zu  pflegen,  und  sich  dafür  auf  Heinrich  von  Melk  beruft,  so  hat 
er  dabei  die  bekante  stelle  Erinnerung  597  fgg.  übersehen,  an  welcher  nicht  nur  der 
höfische  verkehr  der  ritter  mit  den  damen,  sondern  auch  der  ritterliche  minnesang 
ganz  ausdrücklich  bezeugt  wird.  Man  hat  daher  auch  nach  dieser  neuesten  Unter- 
suchung keine  Veranlassung,  von  der  durch  die  beziehung  der  Kürenberges  wise  zu 
den  Nibelungen  gestüzten  annähme  abzugehen,  dass  der  von  Kürenberc  ein  Öster- 
reicher war. 

KIEL.  FR.    VOGT. 


Deut  g    Wörterbuch    von   Moriz  Heyne,    prof.  an  der  univ.   Göttingen. 

r  halbband:    A  bis  Ehe.     Leipzig,   S.  Hirzel.    1889.     656  spalten  hochquart. 
5  m. 

Es  liegt  nahe,  dieses  von  einem  der  mitarbeiter  des  Grimmschen  Wörterbuches 
und  in   gleichem   vorläge  wie   dieses  erscheinende  neue  Wörterbuch    neben 
jenes    °         -   werk   zu  halten,    um   einen  festen  anhält  der  beurteilung  zu  gewinnen. 
Die   vergleichung  einer  grösseren  reihe  von  artikeln  in  beiden  werken  ergibt,    dass 
Heynes   Wörterbuch  bei  viel  geringerem  umfange   doch  nach  sehr  ähnlichen  grund- 
tzen  wie  das  Grimmsche  gearbeitet  ist;    aber  es  ist  ganz   und   gar  nicht  etwa  ein 
auszug   aus    demselben,    sondern    ebensowol    eine   sehr  wilkommene   ergäuzung,    die 
neben  Grimm  ihren  wert  hat  und  mit  sorgfältiger  benutzung  der  seit  dem  erscheinen 
lieferungen    gemachten    lexicographischen    erfahrungen    und   Studien    aus- 
fahrt ist,    als   auch  für  alle,    denen  jenes  gewaltige   werk   nicht  in  jedem  augen- 
blicke  zur  hand  ist,    ein  hochachtbarer  stel Vertreter  oder  ersatzmann  desselben.     Die 
quellen  sind  nach  analogen  grundsätzen  abgegrenzt,   wie  dort;    es  soll  der  wertschätz 
ieutender  hochdeutscher  Schriftsteller  seit  dem  ende  des  15.  Jahrhunderts  bis  auf 
un  it  veranschaulicht  und  unserem  spraohbewustsein  erhalten  werden.  Den  anfangs- 

punkt  der  dargcstelten  entwicklung  bezeichnen  wie  bei  Grimm  Aventin,   Ayrer,    Lu- 
ther,   Hans  Sachs;    die  enden   aber  laufen  bei  diesem  40  jähre  nach  Grimm  begoa- 


ÜBER    HEYNE,    DEUTSCHES    WÖRTERBUCH  363 

nenen  werke  viel  weiter  in  unsere  gegenwart  hinein,  indem  unter  den  dichtem  z.  b. 
Goibel,  unter  den  novellisten  Paul  Heyse,  Gottfried  Koller,  C.  F.  Meyer, 
Rosegger,  unter  den  historikern  and  rednern  v.  Treitschke  und  fürst  Bismarck 
häufig  als  gewährsmänner  erscheinen.  Die  zahl  der  belege  ist  gegenüber  Grimm 
erheblich  eingeschränkt,  aber  planmassig  so  ausgewählt,  dass  für  jeden  in  unserer 
spräche  noch  heischenden  gebrauch  jedes  Wortes  mindestens  oin  möglichst  altes  und 
ein  oder  mehrere  beispiele  aus  neuerer  und  neuester  zeit  gegeben  werden,  jedes  mit 
genauem  citat.  Mit  Sorgfalt  und  umsieht  hat  sieh  der  Verfasser  dabei  einerseits 
bemüht,  die  reichen  schätze  des  Grimmschen  Wörterbuches  nicht  etwa  einfach  aus- 
zuziehu,  sondern  aus  reichen  eignen  samlungen  zu  ergänzen;  fast  immer  gibt  er 
andere  beispiele  als  Grimm,  und  zwar  jedesmal  bezeichnende  und  mit  umsieht  aus- 
gewählte. 

Auch  die  anordnung  der  bedeutungen  ist  klar  und  übersichtlich;  oft  ist  auf 
knapperem  räume  das  für  den  gebildeten  leser  wichtige  ebenso  gründlich  gegeben, 
wie  bei  Grimm.  Nicht  selten  sind  auch  berichtigungen  und  erweiterungen,  namentlich 
genauere  angaben  über  das  auftreten  eines  wortes,  einer  floxion,  einer  gebrauchs- 
weise  hinzugefügt;  vgl.  z.  b.  Aar,  Abfindung,  Abfuhr,  Ablass,  Beinkleid,  Bern mc; 
Bischof  (als  getränk);  Dienstag  u.  v.  a. 

Die  composita  sind  unter  dem  ersten  bestandteil  angeführt,  aber  zu  grup- 
pen  für  das  äuge  des  lesers  übersichtlich  zusammengerückt.  Volständigkeit  hat  Heyne 
bei  den  compositis  ebenso  wenig  erstrebt  wie  J.  Grimm.  Kaum  wird  heute  noch  ein 
einsichtiger  daran  anstoss  nehmen;  die  zeiten  sind  hoffentlich  vorüber,  in  denen  mau 
den  wert  eines  neuhochdeutschen  Wörterbuches  nach  der  menge  der  in  ihm  auf- 
geführten Wörter  abzuschätzen  versuchte.  Campe  renommierte  einst  am  Schlüsse 
jedes  bandes  mit  jedem  tausend  von  Wörtern,  das  er  mehr  biete  als  Adelung;  und 
Daniel  Sanders  suchte  einen  recht  wolfeilen  rühm  darin,  dass  er  aus  Daniel,  Seid- 
litz  und  anderen  quellen  100  composita  mit  Alp-  oder  Alpen-  zusammenschreiben 
konte,  die  im  Grimmschen  wörterbuche  nicht  standen.  AVenn  es  ihn  gelüstet,  kann 
er  den  tadel  gegenüber  Heyne  widerholen.  Aber  viel  wertvoller  und  förderlicher, 
als  ein  kleinliches  streben  nach  massenhaftigkeit  des  inhaltes  ist  es  doch,  an  einer 
umsichtig  getroffenen  aus  wähl  der  composita  wie  der  belege  die  hauptzüge  der 
Wortbildung  und  der  bedeutungsentwicklung  klar  zu  legen,  an  welche  der  leser  seihst 
die  fälle  des  ihm  täglich  und  stündlich  entgegentretenden  anknüpfen  oder  anreihen 
kann;  und  deshalb  ist  diese  im  besten  sinne  anregende  tätigkeit  des  lexicographeu  viel 
höher  zu  stellen  als  das  mühsame  trachten  des  sanilers  nach  einer  doch  nur  schein- 
baren volständigkeit. 

Als  dankenswerte  erweiterung  gegenüber  Grimm  betrachte  ich  es,  dass  auch 
untrenbare  vorsilben  (wie  be-)  kurz  und  scharf  nach  ihrer  bedeutung  und  Wirkung 
charakterisiert  sind;  ich  würde  solche  erläuterungen  der  Wortbestandteile  ebenso  wie 
die  phonetischen  bemerkungen  (vgl.  E)  gern  im  folgenden  noch  etwas  ausführlicher 
gegeben  sehen.  „Zusammengerückte"  worte  —  z.  b.  dabei,  dermaleinst  —  und 
zu  sammenge  sezte  sind  stets  scharf  unterschieden;  bei  den  erstgenanten  ist  die 
zeit  des  ersten  auftretens  beachtet. 

In  der  etymologie  zeigt  sich  Heyne,  obwol  er  derselben  keinen  grossen 
räum  gestattet,  vorsichtig  und  scharfsinnig,  auch  nach  Kluge  und  dessen  Vorgängern 
noch  vieles  neue  und  wertvolle  bietend.  Mit  Sorgfalt  werden  die  absichten  des 
redenden  berücksichtigt ,  welche  im  einzelnen  falle  die  ausbildung  neuer  Wortbedeu- 
tungen herbeiführen  oder  erleichtern.     „Verhüllende1*,  d.  h.  euphemistische  ausdrücke 


364  0.    ERDMANN".    ÜBSB    LYON  -  EBERHARD .    SYNONYMISCHES    HANDWÖRTERBUCH 

sind  reichlich  äuge  führt:  die  abweichende  Schattierung  der  Wortbedeutungen  innerhalb 
verschiedener  geselschaftskreisc  ist  stets  beachtet,  vgl.  z.  b.  Dame,  Dirne;  ebenso 
auch  die  Umgestaltungen  volkstümlich  werdender  fremdwörter,  vgl.  z.  b.  Doetor  mit 
'ien  flexionsformen  und  ableitungen.  Überall  merkt  man,  dass  Heyne  nicht  nur 
aus  buchern,  sondern  auch  aus  lebendiger  beobachtnng  des  Verkehres  zwischen  Deut- 
en aller  Bildungsstufen  für  sein  Wörterbuch  gesammelt  hat,  obwol  mundartliche 
formen  und  Wendungen  nur  sparsam  herbeigezogen  werden. 

Nur  ganz  vereinzelte   bedenken   oder  fragen  habe   ich  mir  bei  genauer  durch- 
ht  einer  grossen  reihe  von  artikeln  notiert.     Der  Mensch,   der  einen  Rang  beglei- 
tet    statt:  bekleidet)   s.  318  hätte  doch  wol  nicht  Lessing,   sondern  seinem  setzer   zu- 
sen  werden  sollen.     Das  verbum  bemächtigen   ist  doch  wol  im  nhd.  von  anfang 
au  reflexiv   gewesen    (d.  h.   nach  reflexivem    typus  gebildet);    wenn  Hittmair,    Par- 
tikel  l  ■■  -    3.  211   ein  beispiel  von   transitivem   gebrauch    (statt  ermächtigen)    anführt, 
so  würde    ich  dies    als   eiue   davon  unabhängige ,    nicht  durchgedrungene  neubildung 
rächten.     Das  erläuternde  als  hätte  ich  Heber  nach,  als  vor  dem  vergleichenden 
augeführt,  weil  historisch  jener  gebrauch  sich  offenbar  aus  diesem  entwickelt  hat. 

Im  algemeinen  bietet  das  Heynische  Wörterbuch  bei  immerhin  noch  handlichem 
umfange  eine  fülle  von  belehrung  und  zugleich  eine  höchst  interessante  leetüre.  Es 
wäre  sehr  zu  wünschen,  dass  es  mehr  in  schulen  und  familien  eingang  fände,  als 
dies  dem  umfangreichen  Grimmschen  werke  möglich  sein  wird.  Und  wie  vielfach 
auch  Heyne  jenem  grossen  vorbilde  mit  erfolg  nachgeeifert  hat  —  möchte  er  ihm 
nicht  nachfolgen  in  bezug  auf  die  Langsamkeit  der  Veröffentlichung!  Hoffentlich 
wird  die  verlagshandlung  das  im  mai  1889  gegebene  versprechen  einhalten  können, 
dass  das  ganze  auf  6  halbbände  (zu  5  mark)  berechnete  werk  in  2  —  3  jähren  fertig 
vorliegen  werde.  [Zu  meiner  freude  kann  ich  bei  der  correctur  die  notiz  hinzufügen, 
dass  der  zweite  halbband,  bis  zum  Schlüsse  von  G  reichend,  bereits  ausgegeben  ist.] 

KIEL.  0.    ERDMANN. 

Joh.  Aug.  Eberhards  synonymisches  Handwörterbuch  der  deutschen 
Bprache.  14.  aufläge,  umgearbeitet  von  dr.  Otto  Lyon.  Leipzig,  Th.  Grie- 
ben.  1889.     XLHI  und  943  s. 

Ein  buch,  welches  1802  in  erster  aufläge  (als  auszug  aus  Eberhards  sechs- 
bändigem werke  f  Versuch  einer  algemeinen  deutschen  Synonymik",  Halle  1795  — 
lv  _  -chien,  noch  immer  neu  aufgelegt  zu  sehen,  ist  in  der  tat  merkwürdig.  Um 
so  merkwürdiger,  als  namentlich  der  neueste  bearbeiter  0.  Lyon  mehr  und  mehr  die 
historische  Sprachbetrachtung  hineingezogen  hat,  ohne  doch  die  ursprüngliche  anläge 
des  Werkes  aufzuheben,  nach  welcher  die  bestimmung  der  gegenwärtigen  bedeu- 
tung  jedes  wertes  und  ihre  abgrenzung  gegenüber  den  sinvenvanten  der  hauptzweck 
war;  wobei  also  di  landigen  erweiterungen,  beschränkungen  und  Über- 

tragungen, die  im  laufe  der  zeit  in  den  gebrauchsweisen  der  werter  eintreten  und 
jene  grenzen  beständig  verrücken,  zunächst  nicht  berücksichtigt  wurden.  Es  ist  auf 
diese  weise  ein  Zwiespalt  in  die  behandlung  und  darstellung  gekommen;  doch  ist 
anzuerkennen,  dass  das  werk  jezt  nach  jeder  der  beiden  in  ihm  sich  kreuzenden 
richtungen  hin  viele  interessante  und  belehrende  nachweise  und  anregungen  gibt  und 
wol  geeignet  erscheint,  seinen  lesern  neben  dem  bewustsein  von  der  heute  üblichen 
Unterscheidung  änverwanter  Wörter  auch  eine  Vorstellung  von  dem  almählichen  wer- 
den derselben  zu  gewahren.  Manches  freilich  ist  bedenklich  und  wilkürlich,  wozu 
ich  z.  b.  die  sonderung  der  conjunetionen  d« .  wenn,  weil  (nr.  333)  nach  den  katego- 


MARTIN.     t'RKR    PAUL,    GRrN'DRISS    DER    GERM.    THIL.  I.    II                                   365 

ricn  dos  realen,  möglichen  and  logischen  grandes  rechne,  die  einst  in  K.  F.  Beckers 

satzlehre  ein«'  rolle  spielte.     Die  beigefügte  Übersetzung  jedes  erläuterten  Wortes  in 

das   englische,   französische,    italienische   und    rassische   wird  manchem    leser   gute 

ebenste  leisten.     Die  „vergleichende  darstellnng  der  deutschen  vor-  und  nachsilben" 
hütte  schärfer  durchgesehen  und  gebessert  werden  sollen. 

KIEL.  O.    BRDMANN. 


Grundriss  der  germanischen  philologie,  herausgegeben  von  H.  Paul. 
I  2  (s.  257  — 512).  n  i  1  (s.  1  —  128).  n  1  (s.  1—128).  Strassburg,  K.J.  Trüb- 
ner.  1S89.    8  m. 

Dieses  Sammelwerk,  dessen  erste  lieferung  der  referent  in  dieser  Zeitschrift 
(XXII,  462  fgg.)  angezeigt  hat.  schreitet  rüstig  vorwärts:  bereits  im  herbst  1889 
lagen  drei  weitere  hefte  vor,  das  zweite  des  I.  bandes,  das  erste  der  ersten  und  das 
erste  der  zweiten  abteilung  des  IL  bandes. 

In  der  fortsetzung  des  ersten  bandes  wird  zunächst  die  kurze  palaeograpbie 
von  Arndt  zu  ende  geführt.  Sodann  folgt  ein  abriss  der  phonetik  von  Sievers, 
die  sich  dem  bekanteu  buche  des  Verfassers  in  allem  ansehlicsst  und  wie  da- 
durch eine  weite  auffassung  des  gegenständes  und  durch  eine  scharfe  Systematik  sich 
auszeichnet.  Zu  bedauern  bleibt  nur,  dass  die  tenninologie  von  Sievors  nicht  blo 
neue  bezeichnimgen  eingeführt  hat  (unterscheidet  sie  sich  doch  hierin  noch  immer  vor- 
teilhaft von  ähnlichen  arbeiten  jüngerer  forscher,  welche  in  solchen  erfindungen  wahr- 
haft schwelgen),  sondern  auch  alte  bezeichnimgen  anders  vorsteht  als  bis  dahin  ab 
mein  geschehen  war.  „Lbruidae"  heissen  bei  Sievers  nur  noch  l  und  r,  wogegen  /// 
und  n  nichts  als  nasale  sein  sollen.  Zugegeben,  dass  hier  sehr  verschiedene  bil- 
dungsweisen vorliegen,  so  wäre  es  doch  einfacher  gewesen,  den  nasalen  die  /-  und 
r- laute  zur  seite  zu  stellen,  um  so  mehr  als  diese  selbst  wider  unter  einander  in 
bildung  und  in  eiuwirkung  auf  andre  laute  sieh  unterscheiden.  Ist  wirklich  zu  erwar- 
ten, dass  die  grammatiker  sich  durchweg  der  neuen  tenninologie  anschliessen  wer- 
den? Das  gegenteil  ist  doch  wol  wahrscheinlicher,  wenn  man  die  Zähigkeit  bedenkt, 
mit  welcher  besonders  die  schule  auf  einheitlichkeit  ihrer  kunstausdriieke  hält  und 
verständiger  weise  halten  muss.  Das  gleiche  gilt  von  dem  terminus  „consonant", 
der  nun  nicht  mehr  die  von  den  vocalen  verschiedenen  laute  zummenfasst,  sondern 
alle  laute,  welche  neben  dem  eigentlichen  träger  der  silbe  erscheinen,  also  auch  i  in  ai 
usw.,  während  andrerseits  eine  liqnida,  die  als  silbentragend  gilt,  kein  consonant  mehr 
sein  soll,  z.  b.  /  in  dem  got.  fugls.  Für  die  schule  ist  auch  das  zu  fein,  und  so 
wird  jeder  Student  umlernen  müssen  um  zu  wissen,  was  consonant  heisst.  Warum 
nicht  für  den  neuen  begriff  ein  neues  wort,  etwa  „assonaut?*  Derselbe  grund  spricht 
auch  gegen  gewisse  buchstaben  des  Systems  von  Sievers:  x  soll  einerseits  der  Über- 
lieferung entsprechend  —  ks  sein,  andrerseits  stimloscs  gutturales  ch  bezeichnen. 
S.  294  steht  in  zwei  zeilen  das  eine  zeichen  in  nordisch  raxa,  dass  andere  in  ober- 
deutsch waxse,  ohne  jeden  hinweis  auf  diesen  Wechsel:  wer  nicht  beide  sprachen 
kent,  wird  leicht  in  irtum  verfallen.  Ni  memna  güttip  wem  juggata  in  bah/ins 
fairnjans. 

Dazu  kommen  kleine  verselm,  wie  eben  auf  s.  294:  „der  Übergang  von  ft  > 
pt  scheint  auf  das  nordische  beschränkt  zu  sein."  Dagegen  ist  auf  Dietrich,  Aus- 
sprache des  gotischen  s.  75  zu  verweisen,  eine  freilich  jezt  vielfach  bei  seite  gescho- 
bene schrift. 


3GG  MARTIN 

Ausführlicher  als  dieser  abschnitt  ist  der  folgende  von  Klage  herrührende: 
t Vorgeschichte  der  altgermanischen  dialektett.  Seit  Scherers  kurzen,  aber  treflichen 
grimdzügen  in  seinem  buche  Zur  geschiente  der  deutschen  Sprache  ist  hier  zum 
-reu  mal  wider  ein  gesamtbild  der  gemeinsam  germanischen  Sprachverhältnisse  (mit 
ausnähme  der  syntaktischen)  geboten;  und  die  reiche  ausfuhrung  dieses  bildes  zeigt 
in  der  tat.  wie  viel  seit  Scherer  geronnen  worden  ist. 

Im  einzelnen  fehlt  es  Dicht  an  anlass  zu  zweifeln  und  ausstellungen.  Zunächst 
i-T  dieser  abschnitt  kein<'>wrgs  so  sorgfältig  wie  der  vorhergehende  in  anordnuug  und 
ausfuhrung.  In  dem  an  sich  dankenswerten  Verzeichnis  der  lateinischen  lehnwörter 
im  deutschen  s.  3"'.'  fgg,  steht  das  elsässische  örcklin  zweimal:  zu  orea  und  zu 
urceokis.  Oanz  fehlt  canfhus  eiserner  reif  um  das  Wagenrad,  erhalten  im  ahd.  ehanx- 
wagen;  warum  dies  s.  323  als  dunkles  lehnwort  bezeichnet  wird,  ist  nicht  ersicht- 
lich. Es  widerholen  sich  ferner  auf  s.  399  die  bemerkungen  über  naust  und  eurist 
Auch  die  citierte  litteratur  über  die  einzelnen  punkte  ist  ungleich  behandelt,  ungleich 
auch,  besonders  zu  anfang.  in  bezug  auf  das  lob,  welches  Kluge  zu  spenden  liebt. 
-  wird  s.  331  ein  aufsatz  von  Collitz  in  dieser  Zeitschrift  XV,  1  fgg.  angeführt,  in 
welchem  Amelungs  Verdienste  um  die  erkentnis  des  germanischen  vocalismus  mit 
volstem  recht  geltend  gemacht  sind:  hat  doch  Amelung  zuerst  die  entstehung  einer 
art  de^  germ.  u  aus  silbenbildender  liquida  erkant  und  ebenso  zuerst  die  entstehung 
des  germ.  a  aus  älterem  a  und  aus  älterem  o.  Bei  Kluge  s.  352  wird  nun  die  erst- 
ellte entdeckung  zwar  als  fundamental  bezeichnet,  aber  einem  andern  zugeeignet, 
der  doch  wahrlich  Verdienste  genug  auch  ohne  diese  entdeckung  hat,  die  er  zwar 
i^s  selbständig,  aber  doch  erst  mehrere  jähre  nach  Amelungs  Veröffentlichung 
gemacht  hat.  auch  nicht  auf  dem  germanischen  gebiet,  welches  doch  für  einen  grund- 
riss  der  germanischen  philologie  zunächst  in  betracht  kommen  solte.  AYahrhaftig,  es 
ist  ein  starkes  beispiel  für  die  nichtigkeit  litterarischen  ruhmes,  dass  dem  jungver- 
irbenen  Amelung  sein  wol verdienter  kränz  nicht  verbleiben  soll. 

Von  sachlichen  bedenken  führe  ich  an:  s.  323,  wo  die  hünengräber  als 
norddeutsch  bezeichnet  werden;  ich  erinnere  dagegen  nur  an  den  von  Aug.  Stöber 
g  ttheten  hünerhubel  bei  Mülhausen  i.  E.  S.  315  heisst  es:  „eher  nahmen  die 
Römer  an  den  tönenden  Spiranten  y  ä  h  des  germanischen  anstoss" ;  aber  eben  diese 
haben  ja  auch  die  Griechen.  S.  318  fgg. :  „die  endung  gotisch  ü  (in  dem  vorausgesez- 
lcyriako  anstatt  y.inic./.öv)  deckt  sich  mit  dem  auf  griech.  ov  beruhenden  o  in 
s(i),hat>>  aiwaggdjo  (sigljo)'t.  Aber  kami  sabbato  etwas  anderes  sein  als  ein  gen.  pl. 
und  zwar  abhängig  von  dem  daneben  stehenden  oder  dazu  zu  ergänzenden  dags, 
daher  es  auch  als  masc.  behandelt  wird?  sabbate,  sdbbatvm  sprechen  wie  sabbataus 
nur  für  ein  sabbatus,  welches  wie»  aggilus  flectiert.  aiwaggeljo  aber  ist  eüayyeMa 
wie  aikUesjo  Ixxlrjafa;  tvayyifoov  wird  durch  aivaggeli  widergegeben  wie  notofiv- 
rigtov  durch  praixbytavri  (vgl.  analogi  slawisch  für  avaX&yirOv  lesepult).  Die  endung 
ov  ist  lautlich  erhalten  in  byssaün,  praUoria/un. 

Eingehender  niuss  referent  die  auf  s.  344  abgeschlossene  behandlung  des  neben- 
oder  tieftons  besprechen.  Kluge  wendet  sich  gegen  Lachmanns  rogel,  wenn  er  auch 
zugibt,  dass  es  mit  den  grösten  Schwierigkeiten  verbunden  sei,  etwas  zusammenfas- 
sendes über  den  tiefton  zu  sagen.  Er  meint  zulezt,  dass  der  tiefton  häufig  zwischen 
siter  und  dritter  wortsfl.be  schwank'-.  -Paul  erinnert  an  nhd.  mutiges  pferd  : 
mutig<  rteidigung  und  gütlicher  wusgleich  :  gütlicher  vergleich.  Ahnlich  könto 
der  altgermanische  nebenton  gewechselt  haben.- 


ÖBEE    PAUL,    GRUNDKlss    DEB    0]  KM.    PHIL.    I.    II  3G7 

Die  beiden  hier  angegebenen  betonungsweisen  muss  uefereni  selbsi  Für  das 
nlid.  bestreiten,  d.  h.  für  die  spräche  der  prosa,  des  Lebens;  dass  die  dichter  sich 
derartiges  als  notbehelf  erlaubt  haben,  um  gewisse  versmasse  zu  füllen,  und  beson- 
ders um  vorhandenen  melodieo  neue  texte  unterzulegen,  kann  für  jene  nichts  beweisen. 

Offenbar  isi  die  behauptung,  man  Bpreche:  mutiges  pferd  auf  Sievers  zurück- 
zuführen, welcher  in  PBB.  4.  526  sagt:  „Mein  ohr  empfindet  z.  b.  nicht  die  min- 
deste härte  bei  einer  betonung  wie  ...  mutige  in  versen  mit  Byncope  der  Senkungen 
(selbst  mit  starkem  ictus  auf  dem  i:  er  reitlt  so  freudig  sein  mutiges  pferd  "der 
dgl.).u  Sievers  fügt  allerdings  bei:  „obwol  ich  in  prosa  nur  die  betonung  mutig!- 
kenne." 

Diesen  aussprueb  hat  bereits  (ausser  Heinzel  in  Scherers  ZQdS9,  dessen  ein- 
wände von  Sievers  u.  a.  volkommen  unbeachtet  geblieben  zu  sein  scheinen)  eine 
schritt  richtig  gestelt,  welche  Sievers  selbst  (  I'BIJ.  10,  VI'.))  lobend  erwähnt: 
E.  Stolte,  Metrische  Untersuchungen  über  das  deutsche  Volkslied,  Crefeld,  Jahrb.  d. 
realgymn.  1883.  „Ein  betonen  unbetonter  enduugen  ist  für  uns  etwas  so  ungewohn- 
tes, ja  widersinniges,  dass  man  nicht  begreift,  wie  Arndt  (im  Blücherlied)  zu  sol- 
cher form  gegriffen  hat  ...  Es  drängt  Bich  uns  die  Überzeugung  auf,  dass  das  Lied 
hinsichtlich  seiner  form  nach  der  melodio  und  für  dieselbe  geschaffen  wurde.  Als 
die  zeit  der  entstehung  oder  bekantwerdens  der  melodie  gibt  Erk  das  jähr  1809  an; 
das  lied  ist  1813  gedichtete  In  der  tat,  wer  aus  dem  Blücherliede  schliessen  wolte, 
dass  die  gewöhnliehe  spräche  des  lebens  betone  mutiges,  der  müste  auch  folgern, 
dass  sie  betone  reitet  so,  freudig  sein.  Ein  sprachliches  zeugnis,  welches  ganz 
direkt  gegen  die  betonung  mutiges  spricht,  gibt  die  syncope  mut'ges,  welche  sieb 
ungesucht  einstelt.  Die  algemeine  ausspräche,  wol  selbst  in  den  mundarteu,  ist 
heü'ge  nacht;  das  Elsässische  gebraucht  Helfe  für  bilderbogen ,  eigentlich  heiligcn- 
bilder. 

Doch  auch  die  andere  betonungsweise:  mutige  Verteidigung,  gütlicher  ver- 
gleich kann  ich  nicht  als  die  in  prosa  übliche  zugeben.  Hier  stehen  freilich  die  bei- 
spiele  aus  der  dichtung,  auch  der  nicht  gesungenen,  reichlicher  zu  geböte:  Schiller 
sagt:  Der  rohen  stärke  blutiges  erkühnen  (M.  St.),  Goethe:  Den  flüchtigen  verfolgt 
ihr  sclincllcr  fuss  (Iph.).  Aber  Schiller  sagt  auch:  An  diesen  grösseren  hin  ich 
gesendet  (Jgfr.  v.  Orl.),  Hier  gilt  es  einen  köstlicheren  j)reis  (Teil);  sogar:  Das 
furchtbare  geschlecht  der  nacht  (Kr.  d.  Ib.)  und  In  Schlachtordnung  gestelt  (Br.  v. 
Mess.).  Will  hier  noch  jemand  sagen,  dass  die  gewöhnliche  spräche  ebenso  betone V 
Dann  müste  man  ja  auch  folgern,  dass  langsam  betont  werde,  weil  Goethe  in  der 
Iphigenie  den  vers  baut:  Sic  nach  der  see  langsam  \urückgcdrängt  (Iph.  V,  5). 
Man  kann  sich  der  erkentnis  nicht  verschliessen ,  dass  der  vers  die  nebensilben  im 
wortschluss  zu  heben  gestattet,  wenn  nichts  mehr  oder  wenn  ein  wort  mit  unbeton- 
tem praefix,  wozu  auch  fremdwörter  gerechnet  werden,  oder  ein  unbetontes  einsil- 
biges formwort  folgt.  Von  diesen  bediugungen  wissen  freilich  die  handbücher  der 
prosodie  nichts,  weil  sie  jedes  wort  für  sich  der  tonmessung  unterziehen;  auch  Bel- 
ling,  die  metrik  Schillers,  Breslau  1883,  sagt  nichts  davon.  Aber  wie  notwendig 
diese  erleichterung  ist,  zeigt  der  Schiller  fälschlich  zugeschriebene  vers:  Dem  glück- 
lichen schlägt  keine  stunde,  welcher  entschieden  härter  ist  als  jene  früheren,  und 
nur  durch  die  pause,  welche  man  hinter  glücklichen  eintreten  lassen  kann,  erträglich 
wird.  In  allen  angeführten  fällen  aber  unterscheidet  ein  richtiger  Vortrag  in  einem 
versfusse  hebung  imd  Senkung  überhaupt  nicht  durch  den  ton,  sondern  gleitet  mit 
„schwebender  betonung'1   darüber  hin,    indem    man    sich    darauf  verlässt,    dass    der 


368  MARTIN 

rhythnras  aus  dorn  vorhergehenden  versfasse  dem  ohr  deutlich  genug  bleibt  und  in 
m  weiterfolgenden  auch  wider  kräftig  aufgenommen  wird.    Höchstens  wird  mau  die 
bends  hebung,    welche  nicht  nur  für  ihre  Senkung,    sondern  auch   für  den 
nächsten  fass  ausreichen  muss,  durch  stärke  oder  daner  auszeichnen. 

Für  die  prosa  gilt,  was  Brücke  sagt,  Die  physiologischen  grundlagen  der  nhd. 
vei-skun>r.  Wi<  a  ls7!  .  3.  7:  nEs  ist  in  vielen  füllen,  in  denen  die  anscheinend  accen- 
tnii  dlbe  eine  ableitnngssilbe  oder  eine  anhangssilbe  von  geringem  lautgehalte  ist 
(wie  e.  h.  -te  in  breitete  und  -lieh  in  wunderlieh)  der  unterschied  [von  den  unbeton- 
■  ring,  dass  sich  nicht  mehr  nachweisen  lässt,  es  erhalte  die  ausatmungsluft 
auch  in  der  deutlichsten  und  gewähltesten  ausspräche  einen  neuen  impuls.  Solche 
silben  gelten  deshalb  im  algemeinen  als  tonlose."  Referent  hat  die  probe  gemacht 
und  eine  reihe  von  beispiclsätzen  von  personen  lesen  lassen,  die  von  der  verfolgten 
absieht  nichts  wüsten:  nie  war  ein  unterschied  zu  merken  zwischen  der  betonung 
der  zweiten  silbe  in  blutig  sehlagen,  blutig  geschlagen,  blutiger  kämpf,  blutige 
rietxung.  Gern  hätte  er  dies  ergebnis  auch  durch  physikalische  apparatc  feststelle m 
lassen,  muste  aber  hören,  dass  die  bis  jezt  in  anwendung  gekommenen  für  solche 
frag« iu  nicht  empfindlich  genug  sein  würden. 

Indem  nun  aber  Brücke  bemerkt,  dass  man  solche  silben  durch  den  versaccent 
auch  zu  arsen  erheben  könne,  fügt  er  treffend  hinzu,  das  gehe  jedoch  nicht,  wenn 
die  vorhergehende  silbe  keine  ableitnngssilbe  sei.  Man  könne  nicht  sagen:  Die  An- 
griffe des  feincles  sind  vorüber.  In  der  tat  ist  eine  solche  stamsilbe  als  zweiter 
teil  eines  compositums  zu  stark  betont,  als  dass  sie  vor  einer  nebensilbc  gesenkt 
werden  könte;  vor  einer  stamsilbe  darf  sie  dagegen  als  Senkung  dienen,  etwa:  Der 
angriff  unsres  feindes  ist  vorüber. 

Doch  selbst  was  der  heutigen  poesie  aus  dem  sprachlichen  material  zu  bauen 
erlaubt  ist.  gieng  der  früheren  nicht  ohne  weiteres  hin.  Im  17.  Jahrhundert,  als  die 
kunstpoesie  die  Übereinstimmung  von  wort-  und  versaccent  zum  gesetz  erhob,  machte 
die  behandlung  daetylischer  worte,  d.  h.  solcher,  in  denen  auf  eine  tonsilbe  zwei 
unbetonte  folgten,  grosse  Schwierigkeiten.  Ludwig  von  Anhalt  rügte,  dass  Opitz 
worte  wie  heilige  in  der  caesur  der  Alexandriner  gebrauchte,  wo  sie  doch,  wie  am 
ade  unserer  reimlosen  fünffüssigen  Jamben  am  wenigsten  auffallen:  Borinski, 
Poetik  der  renaissance  s.  131.  Lieber  will  Ludwig  hcil'ge  dulden,  was  wider  Buch- 
ner nicht  zugibt:  s.  132,  der  dafür  vielmehr  die  Verwendung  zu  daetylischen  versen 
empfiehlt:  s.  147.     Tgl.  auch  AYackernagel  -  Martin  LG.  II  s.  120. 

Um  so  sorgfältiger  wird  man  sich  hüten  weiter  zunickliegende  zeiten,  ins- 
sondere  die  der  ahd.  und  mhd.  poesie,  nach  unserer  heutigen  gewohnheit  zu  beur- 
•  len.  Dass  in  jener  wirklich  nach  langer  silbe  die  endung  -igen  auf  der  ersten 
sübe  betont  war,  hat  bekantlich  Lachmann  aus  den  ivirnon  Hartmanns  erwiesen;  für 
die  spräche  des  gewöhnlichen  lebens  dürften  die  syncopen  in  der  almehtiggot,  der 
heiligeisi  sprechen,  worüber  Weinhold,  Alem.  gramm.  s.  255  anm.  und  MSDenkm.2 
010  zu  vergleichen  sind,  deren  beispiele  sich  noch  vermehren  Hessen  (vgl.  Boz  Güe- 
tigott,  Steinhofers  Neue  wirtemb.  ehr.  2,  871).  Dagegen  solte  es  wol  schwer  fallen, 
in  der  alten  zeit  eine  betonung  wie  in  heiliger  nachzuweisen. 

Das  gleiche  gilt  für  Otfrid.  Und  gerade  mit  bezug  auf  diesen  hat  Sievers 
zwar  versucht  die  Lachmannsche  auffassung  zu  widerlegen  und  wahrscheinlich  zu 
machen,  dass  er  nur  dem  versbedürmisse  zu  liebe  ivizzannc  u.  ä.  betont  habe,  nicht 
aber  damit  der  sprachlichen  betonung  treu  geblieben  sei:  PBB.  4,  522  fgg.  Allein 
Sievers   übersah,    dass   das   eine    der  beiden   von   ihm   s.  535   als   sicher  angeführten 


ÜRER    PAUL,    QBUNDBISS    DER    GF.RM.    TIIIL.    I.    II  369 

beispiele  (dasselbe,  auf  welches  sich  auch  Kluge,  Grundris  342  stiizt ) ,  durch  die 
notwendig  eintretende  synaloephe  völlig  beseitigt  wird:  V,  17,  8  \i  uufcxarme  i\ 
firbari,  wo  P  sogar  unter  das  e  einen  puntt  sozt.  Das  andere  hat  schon  Lachmann 
als  ausnähme  und  als  halte  bezeichnet  Die  übrigen,  von  Sievera  „höchst  wahr- 
scheinlich" genanten  falle  erklären  sich  durch  schwebende  betonung  gerade  so  wie 
die  oben  beigehraehten  aus  den  ohd.  dichtem  und  wie  andere,  die  sich  bei  den  mhd. 
finden. 

Es  bleibt  also  nur  die  Bprachentwicklung  übrig,  um  die  behauptung  zu  stützen, 
dass  Lachmanns  tieftongesetz  hinfallig  sei.  Das  von  Sievers  aufgestelte  syncopie- 
rungsgesetz  der  zweisilbiger]  endungen  nach  langer  stamsilbe  ist  ja  durch  viele  ein- 
zelheiten  empfohlen;  aber  es  gibt  doch  andere,  die  dagegen  sprechen,  z.  1».  ahd. 
käUnr(u)  gegenüber  ags.  oealfru  (Kluge  366).  Und  wenn  mhd.  jegere  die  mittelsilbe 
gekürzt  hat,  die  in  visehare  sich  lang  erhielt,  so  stimt  das  genau  zur  Lachmann' 
schen  regel. 

Ja  noch  mehr:  das  syncopieningsgesetz  selbst,  welches  Wörter  von  der  form 
_w^  traf,  aber  solche  von  der  form  ww^  verschonte,  lässt  sich  aus  dem  Umsich- 
greifen des  Lachmannschen  tieftongesetzes  erklären.  Die  unbetonten  endsilben  kon- 
ten,  da  sie  die  beziehungen  des  wortes  trugen,  gar  nicht  oder  doch  nur  ausnahms- 
weise fallen:  so  wurden  die  vorhergehenden  Silben  ausgestossen.  Eine  andere  erklärung 
des  syncopierungsgesetzes  gibt  allerdings  Sievers  Grundriss  s.  288. 

Nach  diesen  eingehenden  erörterungen  darf  und  muss  sich  die  besprechung 
der  noch  übrigen  vorliegenden  teile  des  grundrisses  kürzer  fassen.  Auf  Kluge  f., 
Sievers  mit  einer  gedrängten  gotischen  grammatik,  dann  Noreen  mit  der  aus- 
führlicheren altnordischen.  Dies  stelt  die  dialectdifferenzen  und  ihre  geschichtliche 
eutwickeluug  genau  dar,  urteilt  aber  wol  nicht  ganz  billig  über  die  normalisierte 
Schreibung  der  gedruckten  texte,  welche  das  Studium  der  altnordischen  litteratur 
unzweifelhaft  erleichtert  und  verbreitet  hat. 

Die  I.  abteilung  des  IL  bandes  geht  zur  literarhistorischen  seite  der  germa- 
nischen philologie  über.  Zunächst  stelt  Sijmons  die  heldensage  dar,  knapp  und 
meist  im  anschluss  an  Müllenlioff.  Mit  unrecht  ist  auf  s.  21  dessen  auffassung 
des  Beowulfmythus  verlassen  worden;  ebenso  ist  s.  24  die  abkunft  Siegfrieds  von 
Wodan  irrig  erst  der  späteren  sage  zugeschrieben  worden,  so  dass  Walis  der  stam- 
vater  wäre;  aber  dessen  name  deutet  ja  weiter  zurück,  der  „echte"  ist  doch  der 
echte  abkömling,  und  man  fragt  natürlich,  wessen?  Ferner  befremde!  s.  25  die  auf- 
fassung des  Siegfriedsmythus  als  tagesmythus:  was  ist  denn  der  Nibelunge  hört? 
S.  33  heisst  es  ungenau:  Hagen  sei  von  der  sage  in  der  AVormser  gegend  localisiert 
worden  und  daher  von  Tronege  genant;  aber  Tronege,  die  merovingischo  pfalz  bei 
Kirehheim,  westlich  von  Strassburg,  liegt  weit  von  "Worms  ab  und  bezeugt  speciell 
elsässische  beschäftigung  mit  der  sage,  wie  auch  andere  Ortsnamen,  in  denen  die 
Personennamen  Dancrat,  Snidolt  und  wol  noch  mehrere  widerkehren.  S.  51  fgg.  wun- 
dert man  sich  doch,  dass  der  Verfasser  nur  seine  eigene  Kudrunausgabe  citiert. 

Yon  der  hierauf  folgenden  litteraturgeschichte  ist  der  I.  abschnitt,  die  gotische 
litteratur,  von  Sievers  bearbeitet.  Er  schliesst  sich  s.  68  in  bezug  auf  das  todes- 
jahr  des  "Wulfila  an  den  theologen  W.  Krarft  an,  welcher  383  ansezt.  Allein  381 
(oder  380)  ist  sicher,  wenn  Auxentius  recht  hat,  dass  Wulfila  40  jähre  lang  bischof 
war,  als  welcher  er  nach  anderen  Zeugnissen  341  geweiht  wurde.  Sievers  verdäch- 
tigt die  angäbe  des  Auxentius,  weil  dieser  sich  bestrebt  habe,  die  leben sabschnitte 
seines  beiden  mit  bekanten  epochen  der  biblischen  geschichte  zu  parallelisieren.     Dem 

ZEITSCHRIFT   F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.     BD.  XXIH.  24 


370  MARTIX .    ÜBER    PAUL,    CRUNPRISS    DER    GERM.    PHIL.    I.    II 

ht  doch  entgegen,  dass  Auxentius  seine  40  jähre  ausdrücklich  aus  zwei  perioden 
summiert,  einer  von  7  und  einer  von  33  jähren:  soll  er  auch  diese  seinem  zwecke 
ang  st  haben?  Auch  sachlich  scheint  Besseüs  entscheidung  zwischen  den  jähren 
381  und  383  noch  immer  am  besten  begründet.  Per  satz  ne  arguerenttt/r  bei  Auxen- 
tius   kann   sich    wo!   auf  eine   secte,    aber   nicht  auf  die  siegreiche  katholische  kirche 

siehen.    Dass  wir  von  einer  abtrennnng  der  Psathyropolisten  (oder  welchen  namen 

.1  man  in  der  bekauten  lüeke  einsetzen  r)  vor  384  nichts  wissen,  erklärt  sich  leicht 
aus  der  dürfügkeit  unserer  quellen. 

Auf  die  gotische  folgen  die  nordischen  litteraturen ,  zunächst  die  norwegisch  - 
isländische,    bearbeitet  von   Mogk.      Bei  der  behandlnng   der   sogenanten  eddischen 

ler  zeigt  sieh,  wie  unsicher  noch  immer  deren  Chronologie  ist.  S.  84  werden  die 
Hyndluljed  mit  ihren  alten  bestandtcilen  in  den  anfang  des  8.  Jahrhunderts  versezt, 
die  weit  altertümlichere  Völuspä  aber  erst  um  900  (s.  78).  Wie  weit  überdies  hier- 
von die  ausätze  anderer  gelehrten  abweichen,  ist  bekant. 

Der  unterschied  zwischen  dieser  alten  poesie,  als  deren  dichter  die  finlir  gel- 
ten, von  dei  alten  skaldendichtung  wird  nicht  klar  und  vielleicht  sogar  irreführend 
dargestelt.  Jene  werden  als  die  demokratischen  fahrenden,  die  skalden  als  die 
aristokratischen  hofleute  bezeichnet:  s.  74  und  77  (hier  allerdings  ist  zunächst  von 
der  form  ihrer  poesie  die  rede,  aber  doch  insofern  sie  durch  die  lebensstellung  der 
dichter    bedingt   ist).     Wir    wissen,    dass    der    englische   pyle    „orator"    gelegentlieh 

radezu  ein  hofamt  bekleidete,  und  der  nordische  pularstöll  ist  gewiss  auch  ein 
ehrensitz.  Andrerseits  werden  unter  den  skalden  einige  von  Mogk  selbst  fahrende 
genant,  s.  108  Einar  Skülason  sogar  ein  „fahrender  von  hof  zu  hof .  Den  rich- 
tigen Standpunkt  zur  vergleichuug  beider  dichtergattungen  bringt  schon  die  deut- 
sche  litteraturge>chichte  nahe:  die  pzdir  gleichen  den  alten  volkssängern ,  wovon  bis 
in  die  Karolingerzeit  beispiele  bekant  sind,  die  skalden  den  späteren  Spielleuten,  den 
-  hofjournalisten  ~  des  10.  Jahrhunderts.  Aber  freilich  die  deutschen  spielleute  stehn 
nicht   entfernt  so   ^'ll,vtbewust  und   so  hochgeehrt  da  wie   die   skalden.      Der  grund 

ein  politischer:  die  skalden  waren  meist  Isländer,  freie,  und  an  den  höfen  Nor- 
wegens und  Dänemarks  traten  sie  dem  gefolge  der  fürsten  gegenüber  mehr  als  gaste 
auf.     Ee  i-t  auch  kein  zufall,    wenn  die  skalden  mit  der  Unterwerfung  Islands  unter 

rwegen  verschwinden:  s.  113.  Am  treffendsten  dürfte  jedoch  das  Verhältnis  von 
//'////•  und  skalden  durch  venvante  ersclieinungen  aus  der  griechischen  litteratur- 
geschichte  erläutert  werden.  Die  Pulir  entsprechen  den  aoden,  den  homeriden,  den 
rhapsoden,  sie  verkünden  alte  Volksüberlieferung;  die  skalden  dagegen  den  grie- 
chischen Lyrikern,  wenn  sie  auch  die  alte  dichtform  nur  zu  verkünsteln,  nicht  eine 
neue  zu  schaffen  vermögen.  Aber  sie  treten,  wie  diese,  mit  ihren  persönlichen 
"Ahlen,  anliegen,  gedanken  hervor:  ihre  liebesgeschichten  (auch  frauen  betreiben 
die  skaldenkunst.  und  zwar  dichten  sie  in  demselben  sinne  wie  Sappho),  ihre  privat - 
oder  parteifeindschaften  tragen  sie  vor  und  finden  vor  allem  in  dem  lob  der  f  Ur- 
ania- h  rühm  und  lohn  zu  erwerben.  Wie  die  sänger  der  griechischen 
freistaaten  bei  den  tyranuen  ßiciliens,  so  weilen  die  isländischen  skalden  an  diu 
höfen  des  nordischen  festland*  Und  wie  das  Zeitalter  der  lyriker  zugleich  das 
Zeitalter  der  griechischen  novelle  ist,  so  haftet  auch  an  den  taten  berühmter  skal- 
den eine  sagalitteratur,    welche  die   verse  der  skalden  gewissermassen  zu  commen- 

.n  sucht. 

Nur  kurz  noch  seien  die  von  der  II.  abteilung  des  II.  bandes  erschienenen 
teilarbeiten  genant:    Wirtschaft  von  K.  Th.  v.  Inama-Sternegg,    Recht  von  K.  v. 


TOBLER,    ÜBER    BABLER,    FLURXAMKN  371 

Amira;  jener  abschnitt  kurz  und  durchaus  übersichtlich,   dieser  eingehend  und  auch 
auf  die  deutschen  ausdrücke  der  einzelnen  reohtsverhältnisse  gerichtet. 

STRASSliURG,    10.     DEI  .    1889.  E.    MARTIN. 


Flurnamen  aus  dem  Schenkenberger-amt    Von  dr.  J.Bttbler.    Aar.iu.  Sauer- 
lander.   1889.     55  s. 

Die  flurnamen  bilden  eine  wesentliche  ergänzung  der  Ortsnamen,  1)  weil  sie 
natürlicher  weise  zahlreicher  sind;  2)  weil,  ebenfals  aus  natürlichen  Ursachen,  die 
gründe  der  benennungen  mannigfacher  sind,  mehr  ins  einzelne,  concrete  gehen.  Diese 
Vorzüge  sind  aber  mit  dem  nachteil  verbunden,  dass  die  flurnamen,  weil  sie  com- 
pliziertere  besitz-  und  kulturverhältnisse  und  mannigfache  Wandlungen  derselben  vor- 
aussetzen, im  ganzen  erst  einer  spätem  zeit  angehören  und  auch  wo  sie  altern 
Ursprung  haben,  selten  in  ihrer  ursprünglichen  form  schriftlich  überliefert  sind,  son- 
dern meistens  mit  noch  stärkerer  lautlicher  entstelluug  und  umdeutung  behaftet,  als 
schon  die  Ortsnamen.  Dennoch  darf  man  au  ihrer  erklärung  nicht  verzweifeln,  und 
jeder  versuch,  etwas  dazu  beizutragen,  nmss  dankbar  aufgenommen  werden,  wenn 
der  Verfasser  mit  einiger  umsieht  und  gründlichkeit  zu  werke  gegangen  ist.  Dies 
gilt  denn  auch  von  der  vorliegenden  Schrift,  die  wir  im  ganzen  als  eine  tleissige  und 
verständige  arbeit  bezeichnen  dürfen,  obwol  wir  im  einzelnen  vieles  einzuwenden  hät- 
ten; denn  nicht  nur  bleiben  viele  erklärungen  der  natur  der  sache  nach  ansicher, 
sondern  manche  sind  unwahrscheinlich  oder  ohne  zweifei  unrichtig.  Wir  müssen 
aber  auf  erörterung  solcher  einzelheiten  verzichten,  weil  sie  verhältnismässig  zu  viel 
räum  einnehmen  müsten. 

Das  Schenkenberger-amt  ist  der  ältere  name  eines  teiles  (zweier  „ bezirke") 
des  heutigen  kantons  Aargau  und  umfasst  gegen  30  kleinere  und  grössere  Ortschaf- 
ten, welche  acht  kirchgemeinden  angehören.  Der  Verfasser  gibt  nach  den  nötigen 
historischen  aufklärungen  zunächst  (s.  7  — 11)  ein  Verzeichnis  von  ableitungs-  oder 
bildungssilben ,  welche  bei  seinen  flurnamen  häufig  vorkommen  und  teils  persönliche, 
teils  sächliche  bedeutung  haben,  übrigens  nicht  immer  deutlich  von  den  stammen 
geschieden  oder  zu  scheiden  sind.  Dann  ordnet  er  (s.  11  —  50)  die  namen  nach  fol- 
genden realkategorien ,  welche  den  benennungen  zu  gründe  zu  liegen  scheinen  (bei 
Zusammensetzungen  meist  als  grundwörter,  bei  ableitungen  als  stamme):  höhe  und 
tiefe,  trockene  und  feuchte  beschaffenheit  des  bodens,  pflanzenwuchs,  form  und  La 
von  grundstücken ,  bestimmung  und  ertrag  derselben,  weganlagen,  recht  und  besitz; 
tiere.  Diese  kategorien  werden  im  ganzen  richtig  aufgestelt  sein,  sind  aber  nicht 
immer  auseinandergehalten.  Ein  grösserer  mangel  ist,  dass  bei  den  zusammen  - 
gesezten  namen  (die  weit  überwiegen)  der  erste  teil,  bei  ableitungen  der  stamm, 
zwar  irgendwie  erklärt,  aber  die  dabei  vorkommenden  kategorien,  auch  die  einiger- 
massen  sicher  erkenbaren,  nicht  zusammengestelt  werden.  Das  ist  freilich  der  schwie- 
rigere, aber  auch  der  wichtigere  teil  der  Untersuchung,  da  gerade  in  den  bestim- 
mungswörtern  das  sprachliche  und  sachliche  hauptinteresse  liegen  muss.  Diese 
zweite  reihe  von  kategorien  hätte  gesichtspunkte  zu  Unterabteilungen  des  ganzen 
Verzeichnisses  ergeben  sollen,  und  die  Fruchtbarkeit  der  namengebung  und  deutung 
wäre  dann  erst  recht  zu  tage  getreten.  Dass  der  Verfasser  diese  aufgäbe  nicht 
erkant  oder  an  ihrer  lösung  verzweifelt  hat,  ist  zu  bedauern;  aber  die  dabei  zu  über- 
windenden Schwierigkeiten   sind   freilich  gross.     Yon  „gesetzen"  (s.  4)  der  namenbil- 

24* 


372  ANDRF.SEN 

düng  kann  hier  noch  lange  nicht  gesprochen  werden,  weder  von  begriflichen  noch 
von  lautlichen  und  formellen;  die  methode  der  forschung  mnss  erst  durch  viele  wei- 
ter 3]  ialversnche  gefunden  und  bewährt  werden.  Die  „  Schlusssätze u,  welche  der 
rfasser  s.  52  55)  aufstelt,  betreffen  nicht  das  sprachliche,  sondern  das  sachliche, 
indem  er  eine  geschiente  der  einwanderung  der  Alemannen  in  die  betreffende  gegen d 
and  der  fortschreitenden  ansiedlnug  in  derselben  entwirft.  Diese  darstellung  mag 
zwar  auf  den  von  ihm  angenommenen  bedeutungen  der  namen  beruhen,  aber  sie  kann 
schon  wegen  der  vielfachen  Unsicherheit  jener  annahmen  keinen  ansprach  auf  Zuver- 
lässigkeit machen.  Das  ziel,  zu  welchem  alle  erkläruug  von  orts-  und  flurnamen 
fahren  soll,  hat  der  Verfasser  richtig  ins  äuge  gefasst;  aber  er  hat  fruchte  der  arbeit 
pflücken  wollen,  die  noch  nicht  reif  waren. 

ZÜRICH,    AUGUST    1889.  L.    TOBLER. 


II.  F.  Otto  Abel,    Die    deutschen   personennamen.      2.  aufl.,    besorgt   von 
Walter  Robert -tornow.     Berlin,  W.  Hertz.    1889.     102  s.    8.     1,60  m. 

Wenn  mau  erwägt,  dass  zu  der  zeit,  da  dieses  büchlein  zum  ersten  male  ver- 
öffentlicht wurde,  die  Wissenschaft  der  deutscheu  namenforschung  im  algemeinen  noch 
sehr  daniederlag  und  insbesondere  dem  grossem  publikum  nicht  zugänglich  gemacht 
war.  so  wird  man  von  wahrer  bewuuderung  darüber  erfült,  dass  ein  junger  gelehrter, 
dessen  eigentliches  fach  nicht  die  deutsche  philologie,  sondern  die  geschichte  war, 
es  verstanden  hat,  über  unsere  alten  namen  ein  solches  licht  zu  verbreiten,  wie  es 
nach  ihm  vielen  andern,  denen  er  mit  recht  von  vorn  herein  als  fuhrer  galt,  geleuch- 
tet und  zu  weitem  Untersuchungen  anlass  gegeben  hat.  Abels  schrift  lässt  sich  ohne 
frage   als  diejenige  bezeichnen,    welche   zuerst   nicht  bloss   der  deutschen  namenfor- 

:ung  den  rechten  weg  gewiesen,  sondern  auch  in  der  deutung  der  namen  höchst 
anerkennenswertes  geleistet  hat.  Was  von  ihm  noch  nicht  erkant  zu  sein  scheint, 
das  sind  die  sogenanten  koseformen,  vornehmlich  die  zweistämmigen.  Aber  wie 
lange  hat  es  dauern  müssen,  bis  die  auf  diesem  gebiete  herschenden  grundsätze, 
welche  zuerst  von  Strackerjan  und  darnach  in  überraschender  erweiterung  von  Stark 
aufgestelt.  als  die  wesentlichsten  faktoren  einer  wissenschaftlichen  erkläruug  der  deut- 
schen  personennamen  gelten  dürfen,   ein  gemeingut  aller  gebildeten,    die  sich  für  die 

leutung  der  namen  interessieren ,  geworden  sind !  Gleichwol  muss  schon  Abel, 
welcher  einstämmige  koseformen  in  grösserer  anzahl  vorführt,  wie  Adela,  Amiin, 
Arno.  Benno,  Bodo,  Bruno,  Bucco,  Ebba,  Gero,  Gisela,  Hatte,  Hilda,  Lanzo,  Ee- 
gina.  AVido,  auch  zweistämmige  gekaut,  wenn  auch  nicht  ihre  bildung  gewürdigt 
haben,  da  er  sonst  wol  weit  mehr  beispiele  gerade  dieser  vorzugsweise  wichtigen 
namen  verzeichnet  hätte.  Denn  zweimal,  aber  auch  nur  zweimal  findet  sich  in  sei- 
ner schrift  eine  zweistämmige  koseform,  nämlich  schon  in  der  ersten  aufläge  Tammo 
und  in  der  zweiten  (aus  des  Verfassers  handexemplar)  Wippo.  Ohne  zweifei  hat  er 
aus  Urkunden,  z.  b.  aus  Pertz  monum.,  an  deren  herausgäbe  er  selbst  beteiligt  gewe- 
sen ist,  geschöpft,  dass  Tammo  gleich  Tancmar  sei;  über  Wippo,  welches  er  ganz 
richtig  auf  Witperaht  zurückführt,  belehren  Urkunden,  dass  auch  andere  volnamen 
und  selbst  andere  stamme  dieser  koseform  zu  gründe  liegen  können  (vgl.  Stark,  kos<>- 
namen  s.  118).  Schade  ist  es  nun,  dass  nach  demselben  gesetze  gebildete  kurzfor- 
men  wie  Thiemo,  Simo,  Lubbo,  Sibo,  Rappo,  Ruppo  und  viele  andere  keine  berück- 
sichtigung  gefunden  haben. 


ÜBER    ABEL,    PERSONENNAMEN"  373 

Mit  der  griindlichkeit  und  gewissenhaftigkeit  der  forschung,  die  in  dem  büch- 
loin  hervortreten,  verbindet  sich  des  verfassen  anmutige  lebhaftigkeit  der  darstellung, 
und  ein  hohes,  überaus  woltuendes  nationales  bewustsein,  welches  ihn  am  schluss 
auch  zu  spöttischen  bemerkungou  aber  die  herschende  gleichgiltigkeit  gegen  unsere 
so  sinreichen  wie  wolMingenden  heimischen  namen  und  über  die  Vorliebe  für  fremde 
oamen  hinreisst,  durchdringt  die  ganze  Schrift,  deren  weitest«'  Verbreitung  ein  jeder, 
dem  deutsche  art  und  Bitte  am  herzen  liegen,  wünschen  muss.  Treffend  ist  der  ver- 
gleich in  der  einleitung  zwischen  den  alten  namen  und  den  Versteinerungen  urwelt- 
lieher  tiere;  wie  aus  diesen  denkmälern  auf  das  älteste  physische  leben  geschlossen 
wird,  so  zeugen  die  namen  von  dem  geistigen  Leben  unserer  vorfahren  mit  ihren 
charakteristischen  anschauungeu  und  gewohnheiten.  Die  liebevolle  teilnähme,  welche 
der  Verfasser  an  der  pflege  unserer  deutsehen  namen  empfindet,  aussei  t  sich  bis- 
weilen in  überaus  sympathischer  weise,  besonders  bei  dem  stamme  Wolf,  wo  er  des 
ältesten  germanischen  Schriftstellers,  des  Goten  Wulfila,  und  des  tiefsinnigsten  mittel- 
hochdeutschen dichters  Wolfram  von  Eschenbach  gedenkt  und  schliesslich  bei  dem 
namen  Wolfgang,  welcher  einen  beiden  bezeichnet,  dem  der  wolf  des  sieges  voran- 
geht, an  "Wolfgang  Goethe  und  Wolfgang  Mozart  erinnert. 

Dass  es  im  einzelnen  mehrerlei  gibt,  worin  der  Verfasser  geirt  hat,  wird  jeder 
begreiflich  finden,  welcher  bedenkt,  dass  das  buch  vor  36  jähren  geschrieben  ist. 
Mit  recht  wird  s.  38  Grimms  deutung  des  namens  Ferdinand  aus  dem  spanischen 
Hernando,  Fernando  bezweifelt  und  deutscher  Ursprung  vermutet;  der  stamm  aber, 
den  der  Verfasser  heranzieht,  ist  nicht  der  richtige,  sondern  Ferdinand  steht  meta- 
thetisch  für  Fridenand,  und  das  spanische  Fernando  hat  mit  dem  altd.  Herinand 
nichts  zu  tun,  verhält  sich,  vielmehr  zu  Ferdinando,  wie  der  neuhochd.  geschlechts- 
name  Fernand  zu  Ferdinand.  Wenn  auch  das  got.  agis  (schrecken),  wozu  das  mhd. 
eislich  (fürchterlich,  greulich)  gehört,  mit  dem  hochd.  ecke,  wie  der  Verfasser  glaubt, 
verwant  sein  solte,  so  muss  es  doch  befremden,  dass  die  stamformen  Ag  nebst  den 
liquiden  erweiterungen  Agil  und  Agin  mit  Agis  vermischt  auftreten  (s.  36).  Die 
annähme,  dem  niederd.  Detlef  entspreche  hochd.  Dietlieb  (s.  41),  d.  h.  Dietleip, 
gründet  sich  zwar  darauf,  dass  allerdings  niederd.  -lef  dem  hochd.  -leip  gleich  stehu 
kann;  aber  -lef  gebt  häufiger  durch  metathesis  und  darauf  folgende  vokalschwächung 
aus  -olf  hervor,  avovou  viele  beispiele  namentlich  ans  dem  friesischen  zeugnis  geben, 
wie  Alef  =  Adolf,  Bertleff  =  Berahtolf,  Garleff  =  Gerolf,  Riclef  = 
Ricolf.  Ob  Guntachar  gleich  Günther  zu  gelten  habe,  wie  s.  40  dem  vorher- 
sehenden urteil  gemäss  behauptet  wird,  dürfte  fraglich  sein:  die  form  kann  ebenso, 
wie  unbestritten  der  in  der  geschichte  berühmte  name  Odoacer  (vgl.  Grimm,  Gesch. 
d.  d.  spr.  2.  a.  327),  das  adj.  wacar  (wacker,  wachsam)  enthalten;  man  vgl.  den 
heutigen  geschlechtsnamen  Gonnacker,  ferner  mit  bewahrtem  w  H an e wacker, 
Hannewacker,  welche  nebst  Heinacker  auf  altd.  Haginachar  zurückgehn.  Dass 
im  vergleich  zu  den  zahlreichen  mit  Burg  zusammengesezten  femininen  das  masc. 
Burghard  ziemlich  vereinzelt  stehe,  ist  zu  viel  gesagt;  anzuführen  waren  noch 
Burgold,  Burgolf  und  besonders  Bureward.  Den  mannsnamen  auf  -tmmd  fügt 
der  Verfasser  hinzu:  „weiblich  nur  Rosimunda";  dies  bedarf  der  berichtigung,  da 
auch  Fromundis,  Osmundis,  Raimundia,  Theudemunda  überliefert  sind. 
Der  bekanten  gewaltsamen  erklärung  von  Poppo  aus  Tolkmar  (s.  68)  vermag  ich 
nicht  beizutreten;  mir  gilt  dieser  name,  wie  ich  schon  mehrmals  dargelegt  habe,  als 
zweistämmige  koseform  des  zwar  nicht  ausdrücklich  bezeugten,  allein  durch  die 
geschlechtsnamen  Bobardt,   Popert,   Popper,  Bubbert,  Bubort,  Bobertz,  wie 


374  ANDRESEN 

mich  dünkt,  hinreichend  gesicherten  alten  personennamens  Bodehert.  Bei  Wig- 
nand  steht  s.  33  eingeklammert:  Weigand;  dem  Verfasser  scheint  es  unhekant  gewe- 
sen zu  sein,  dass  Wigand  ein  participia]  gebildeter  altdeutscher  name  ist,  woher 
natürlich  Weigand  stamt  Nicht  Raganwalt,  wie  in  beiden  ausgaben  gedruckt 
it.  ist  die  quelle  des  modernen  namens  Reinhold,  sondern  Raginwalt,  dessen  i 
den  umlaut  wirkt.  Die  behauptung,  der  stamm  Sin,  Sint  gehe  in  namen  sehr  häu- 
fig in  Swind  über  (s.  37).  lautet  befremdend;  richtig  ist  nur,  dass  die  auf  stoind 
auslautenden  namen  von  denen  auf  sind  nicht  immer  genau  geschieden  werden  kön- 
nen (vgl.  Förstemann,  altd.  namenb.  1,  1103.  1136).  Als  dem  fem.  Hedwig  zu 
gründe  liegende  form  nent  die  erste  ausgäbe  s.  13  Hathuwi,  die  zweite  s.  17  Ha- 
thuwie;  besser  als  Hathuwi  (Förstemann  1,  64S)  wäre  wol  Hathuwih  hin- 
_  stelt  worden,  wogegen  Ilathuwie  druckfehler  zu  sein  scheint,  vermutlich  für 
Hat  hu  wie. 

Ausser  den  dankenswerten,  in  hohem  grade  belehrenden  erklärungen  der  ein- 
zelnen namenstämme  finden  sich  in  Abels  schritt  auch  deutimgen  anderer  Wörter 
der  spräche;  einige  derselben  scheinen  mir  gewagt  oder  zweifelhaft,  andere  unrichtig 
zu  sein.  So  ansprechend  die  herleitung  von  ktcss  aus  kiesen,  hären  „als  zeichen 
der  erwählung"  (s.  27)  klingen  mag,  so  wenig  lässt  sie  sich  durch  die  Wissenschaft 
stützen.  Das  subst.  pracht  (mhd.  alts.  brahf)  kami  mit  dem  ahd.  adj.  pe?'aht  (engl. 
bricht),  wie  s.  50  gesagt  wird,  nichts  zu  schaffen  haben,  gehört  vielmehr  zu  brechen 
und  bedeutet  eigentlich  lärm,  gesclrrei;  über  die  entwickelung  des  jetzigen  begrifs 
-  deutsche  wörterblich  auskunft.  Ferner:  wenn  auch  brechen  mit  dem  mhd. 
ken  (glänzen,  leuchten)  verwant  sein  solte  (vgl.  Grimm,  myth.  751  a.  3),  so 
haben  doch  die  von  dem  Verfasser  herangezogenen  ausdrücke  „das  feuer  bricht  aus, 
der  tag  blicht  anu  dafür  keine  beweiskraft;  denn  dass  hier  brechen  allein  und  nicht 
zugleich  brehen  rücksicht  verlangt,  darf  kaum  bezweifelt  werden.  Das  erst  im  nhd. 
aufgekommene  wort  Haudegen  ist  nicht  mit  dem  persönlichen  degen  (s.  42)  zusam- 
mengesetzt, sondern  mit  dem  aus  der  fremde  entlehnten  degen  als  waffe;  zu  zeiten 
wurde  in  demselben  sinne  auch  degenknopf  gesagt.     Der  Zusammenstellung  von  hun- 

r  mit  dem  alten  hugu,  „das  den  denkenden  geist  bezeichnet,  dann  in  die  bedeu- 
tung  des  hoffens,  begehrens  übergeht"  (s.  47),  wird,  wer  sich  in  den  "betreffenden 
alten  formen  umsieht,  beizustimmen  grosses  bedenken  tragen.  Auf  gleicher  unwahr- 
scheinlichkeit  beruht   der  von    dem  Verfasser    angeführte   Zusammenhang   des  Wortes 

ron,  welches  wir  jedesfals  zunächst  aus  dem  franz.  bekommen  haben,  mit  dem 
altd.  farrr.  geschlecht.  —  Des  Verfassers  bewustsein  von  der  würde  und  Schönheit 
unserer  alten  namen  entrüstet  sich  bei  dem  gedanken,  dass  der  edle  name  Dietrich 
zur  bezeichnung  eines  diebeswerkzeugs  diene  (s.  59.  60),  wie  mir  scheint,  ohne 
grund:  dass  namen  appellativ  verwendet  werden,  komt  bekantlich  in  unzähligen 
beispielen  vor.  und  bei  Dietrich  tritt  die  wortspielende  beziehung  auf  das  diebes- 
handwerk  (gleichsam  . dieberich w )  hinzu,  während  in  mundarten  mit  einer  andern 
anspielung  derselbe  >chlüssel  peterhen  heisst,  was  auf  den  apostel  mit  der  Schlüssel- 
gewalt hinweist  (vgl.  meine  d.  Volksetymologie  5.  aufl.  s.  279).  In  der  behauptung, 
dass  man  in   Norddeutschland  nur-  das  .,  widerliche"  cousin  gelten  zu  lassen  scheine 

.  84),    irt    der  Verfasser;    in  Holstein   wenigstens   wird,    abgesehen    vielleicht    von 

gewissen    kreisen    der    höhern   geselschaft,    algemein   vetter  gesagt,    daneben    freilich 

ae.  —  Dass  in  Abels  büchlein  gotische,  altdeutsche,  angelsächsische  werter  und 

namen  in   der  sogenant   deutschen    schritt    auftreten,    wird    wol   den    meisten    lesern 

nicht    zusagen:    der    einfluss    Simroeks.    welcher    für  jene    Schrift,    wie    wenige,    zu 


ÜBER    ABEL.    PERSONENNAMEN  375 

schwärmen  pflegte,    scheint  hier  von  gewicht   gewesen   zu  sein.     Mitunter  aber  wird 
auch  abgewichen,  wahrscheinlich  unwilkürlich,  z.  b.  s.  32.  36.  40.  42.  49.  — 

Der  herausgeber  der  zweiten  aufläge,  welcher  in  einem  anziehend  geschrie- 
benen vorwoile,  dem  er  den  titi-1  „gedenkblatt"  gegeben  hat.  von  dem  Leben  und 
den  arbeiten  des  früh  verstorbenen  gelehrten  die  hauptsachen  mitteilt,  fügt  dem  texte 
der  ersten  ausgäbe  nur  wenige  znsätze  aus  Abels  handexemplar  hinzu,  lässt  aber  am 
schluss  ein  volständiges  register  der  namen  (nicht  der  ihnen  zu  gründe  liegenden 
stamme)  folgen,  welche  in  dem  buche  vorkommen.  Obgleich  ich  glauben  möchte, 
dass  es  den  meisten  lesern  mein-  gefallen  hätte,  wenn  an  einzelnen  stellen  nach 
sichern  ergebnissen  der  spätem  forschnng  geändert  und  gebessert,  das  register  da 
gen,  welches  doch  nur  beispiele  enthält,  die  zum  teil  auch  anders  hätten  lauten 
können,  unterblieben  wäre;  so  liegt  es  mir  doch  fern,  dem  herausgeber  deshalb  einen 
Vorwurf  machen  zu  wollen,  da  für  ihn  und  sein  verfahren  auch  gründe  vorhanden 
sind,  welche  ich  nicht  anfechten  mag.  Angesichts  der  pietät  des  heransgebers  gegen 
den  ursprünglichen  Verfasser  und  dessen  preiswürdige  arbeit,  sowie  der  riieksicht 
sogar  auf  die  von  diesem  vorgezogene,  heute  jedoch  kaum  mehr  zulässige  deutsche 
schrift  in  alten  germanischen  wörtem  imd  namen,  nimt  es  wunder  zwischen  der 
ersten  und  zweiten  ausgäbe  unterschiede  in  der  Orthographie  wahrzunehmen,  /..  b. 
yiebt,  anfingen,  gedächiniss  anstatt  gibt,  anfiengen,  gedächtnis,  wie  Abel  geschrie- 
ben hatte.  Auffallender  ist  die  änderung  von  todtscMag  in  todschlag  (s.  24j,  weil 
sie  einen  etymologischen  irtum  enthält,  welcher  durch  richtige  formen  wie  todkrank, 
todsünde  veranlasst  sein  mag;  hätte  der  herausgeber  totschlag  statt  todtsehlag  hin- 
gesezt,  so  wäre  er  der  preussischen  schulorthographie  gefolgt  und  algemeine>  beifals 
gewiss.  —  Ein  störender  druckfehler  findet  sich  s.  42,  wo  es  heisst:  „Den  nach  den 
Eorls  (edelfreien)  kommenden  stand  in  der  angelsächs.  Verfassung  —  bildeten  die 
Eeorls";  in  der  ersten  ausgäbe  steht  richtig  „Ceorls".  Anstatt  „das"  ist  zweimal 
(s.  42  und  44)  „dass"   abgedruckt  worden. 

BONN.  K.    G.    ANDEESEN. 


Theodor  Siebs,  Zur  geschichte  der  englisch-friesischen  spräche.  I.    Halle, 
Max  Niemeyer.  1889.     gr.  8.     VIII,  414  s.     10  m. 

Endlich  einmal  ein  buch,  woraus  sich  ein  jeder  sowol  über  das  altfriesische 
als  über  die  merkwürdigen  heutigen  friesischen  dialekte  ausreichend,  sicher  und 
bequem  unterrichten  kann! 

„Die  abhandlung  soll  einen  überblick  über  das  friesische  Sprachgebiet  gewäh- 
ren, die  wichtigsten  litterarischen  hülfsmittel  zum  Studium  der  friesischen  sprachen 
„angeben  und  das  Verhältnis  des  friesischen  zum  angelsächsischen,  sowie  den  gewinn. 
„der  sich   aus   der  betrachtung    der  neufriesischen    mundarten    für    das   studium   der 

„älteren  spräche   ergibt,    klarlegen" „Es   soll  aufgrund  von  einzelforschungen 

„die  entwicklung  des  englisch -friesischen  spraehzweiges  gezeichnet  werden*.  Denn 
„das  friesische  kann  darüber  richten,  ob  hinsichtlich  einer  Spracherscheinung  dieser 
„oder  jener  angelsächsische  dialekt  das  ursprünglichere  bietet". 

Nachdem  „auf  sicheren  bahnen  reicher  sprachstoff  aus  den  überlebenden  mund- 
„arten  des  friesischen  herbeigeschaft  ist,  lässt  sich  durch  die  vergleichung  des  an- 
gelsächsischen mit  dem  friesischen  eine  gewisse  summe  von  formen  rekonstruieren, 
„wie  sie  vielleicht  einst  der  spräche  der  meisten  jener  Völkerschaften  eigen  gewesen 
„sein  mögen,  welche  Tacitus  unter  dem  namen  der  Ingaevones  zusammenfasst". 


376  JELLINGHAUS 

Unter  englisch- friesisch  vorsteht  Verfasser  „eine  spräche,  wie  sie  durch 
„die  summe  gemeinsamer  lanterscheinungen  der  ags.  und  fries.  mundarten  repräsen- 
„tiert  wird,  und  wie  sie  geraume  zeit  vor  der  colonisation  Britanniens  —  vielleicht 
«im  2.  oder  3.  Jahrhundert  n.  Chr.  —  bestanden  haben  dürfte*. 

Vi  raus  geht  (s.  5—36)  eine  einleitung  über  das  alte  englisch -friesische  und 
das  heutige  friesische  Sprachgebiet. 

Neu  und  höchst  einleuchtend  ist  die  ausfuhrung,  warum  die  friesische  spräche 
und   der   friesische   stamm   sieh    in   dem   schmalen  striche   au   der   nordseeküste  wäh- 
rend des  frühen  mittelalters  so  schroff  gegen  das  niederdeutsche  (sächsische)  behaup- 
.   konte:    ganz  Friesland   war  durch   moorgegenden  von  den  südlicheren   stammen 

D. 

Bei  der  hesprechung  des  Verhältnisses  der  römischen  „Frisii"  zu  den  „Chauci" 
vermisst  mau.  wie  in  den  meisten  nbhandlungen  über  den  gegenständ,  ein  eingehen 
auf  die  Schlussworte  des  Tacitus  (Germania  35)  über  das  gebiet  der  Chauker:  Chau- 
corum  gens  omnium  rruas  exposui  gentium  lateribus  optenditur,  donec  in  CHattos 
usque  sinne tur.  Tacitus  muss  doch  haben  sagen  wollen,  dass  das  gebiet  der 
Chauker  sieh  von  der  Unterelbe  längs  den  Angrivariern,  Chamavorn  und  Brukterern 
bis  zu  den  Chatten  erstrecke,  mag  man  nun  unter  diesen  die  Batavi  und  Chattuarii 
verstehen  oder,  wie  einige  wollen,  die  ursprünglichen  Chatten  bis  zur  untern 
Kuhr  hinabreichen  lassen.  Diesen  seinen  worten  scheint  er  dann  in  cap.  34  zu  wider- 
sprechen, wo  er  sagt:  Angrivarios  et  Chamavos  a  fronte  Frisii  excipiunt.  Die  Schwie- 
rigkeit löst  sich,  wenn  man  die  Friesen  als  die  meeresrandbewohner  (von  frese  = 
.  kante  Doornkaat,  Ostfriesisches  Wörterbuch  I,  558)  fasst  und  den 
namen  der  Chauker  von  «das  Haff*  ableitet:  Haveker,  leute  an  den  haven.  Ihr  gebiet 
würde  sich  dann  vom  lande  Hadeln  an  der  Unterelbe  über  Bremen  südlich  von  Ost- 
friesland vorbei,  durch  Xorddrenthe  längs  der  Zuiderzee  bis  in  die  nähe  der  chat- 
hen  Bataver  erstrecken.  Dazu  würde  stimmen,  dass  die  heutige  niederdeutsche 
mundart  zwischen  Unterelbe  und  Ems  unter  allen  niederdeutschen  den  dialekten  in 
Drenthe,  Westoverijssel  und  Westgelderland  am  nächsten  steht. 

Viel  zu  geringes  gewicht  wird  (s.  11)  auf  die  angäbe  Procops  gelegt,  dass  die 
Brittia  von  drei  Völkern  bewohnt  sei:  'AyyO.ot  re  xal  ^oi'aaoveg  -/.tu  oi  r;7  vt'jao) 
öfitovvfiot  B(>(Tr(ov€g.    Es  ist  doch  klar,  dass  die  angelsächsischen  christlichen  schrift- 

Iler  gar  nichts  mehr  von  der  herkunft  ihrer  vorfahren  wissen.  Wir  müsserualso 
Procop  glauben.  Die  Sachsen  nent  er  deswegen  nicht,  weil  er  oder  seine  gewährs- 
männer  wussten,  dass  das  ein  gesamtname  für  eine  art  von  Germanen  war,  zu 
denen  auch   die  Angeln  und  Friesen   gerechnet  wurden.     Wenn  daher   „das   altfrie- 

■he  und  das  northumbrische  den  andern  angelsächsischen  mundarten  gegenüber 
gev  neuerungen  zeigen"    (s.  7)    und  Xennius  ein  meer  zwischen  Schottland  und 

Irland  rmare  Fresicum>  nent,  so  dürfen  wir  annehmen,  dass  die  Northumbrier  jene 
Frissones  Procops  sind. 

hr  bedenklich  sind  die  Schlüsse  von  Ortsnamen,  deren  erster  teil  ein  völ- 
kemame  scheint,  auf  völkersitze  (s.  15).  Wer  bürgt  uns  dafür,  dass  Orriber  in  Om- 
berswett,  Sasse  in  Sassenberg,  Franl;<  in  Frankenhausen  nicht  einfache  personen- 
namen  sind?     Anders  steht  es  freilich  mit  Ammerland  und  Ammergau  (s.  17). 

Warum  sollen  ('s.  20)  Ortsnamen  auf  -heim  auf  friesische  be wohner  hinweisen? 
Sie  sind  doch  in  den  meisten  teilen  Altsachsens  häufig  —  abgesehen  von  einigen 
unwirtlichen  strichen,    die  erst  spät   besiedelt   sein  können.     Wenn  freilich  in  Nord- 


ÜBER    SIEB?.    ENGLISCH -FRIESISCHE    SPRACHE  377 

albingien  nur  an  der  küsto  die  vereinzelten  namen  auf  -um  wie  Büsum,  Husum, 
Bordelum,  Riesum  vorkommen,  so  zeigt  das  an,  dass  hier  die  ältesten  germanischen 
ansiedelungen  von  Schleswig -Holstein  liegen,  wahrend  die  Sachsen,  wie  wir  sie  /All- 
zeit Karls  des  Grossen  vorfinden,  später  eingewandert  zu  Bein  scheinen. 

Das  heutige  Sprachgebiet  des  friesischen  (s.  27—32)  wird  eingeteilt 
in  das  ostfriesische  (Wangeroog,  Baterland,  Earlinger  und  Wurster  friesisch  des 
17.  Jahrhunderts),  das  nordfriesische  (fesÜandsdialekte  und  inseldialekte,  zu  denen 
auch  das  Eelgoländische  gehört)  und  das  westfriesische  in  Niederländisch  Fries- 
land nebst  den  nmndarten  der  iuselu  Sehiernuninikoog  und  Terschelling.  Nicht  zu 
hilligen  ist,  dass  (s.  31)  die  in  den  städteu  Leeuwarden,  Bolsward,  Dokkum  u.  s.  f. 
gesprochene  spräche  als  „sächsisch- friesisch  ei  mischdialekt*'  bezeichnet  wird.  Es  ist 
altes  hollandisch  des  16. —  17.  Jahrhunderts  in  friesischer  ausspräche  und  voD  von 
friesischen  idiotismen.  Das  alt  holländische  aber  ist  die  durch  fränkisch  -geldrische, 
brabantische  und  flämische  einflösse  modiiieierte  Ursprache  der  be wuhner  von  Wcst- 
ütrecht  und  Südholland. 

Von  s.  37  bis  205  geht  dann  die  ausführliche  ge schiebte  der  vokale,  Bei 
jedem  eine  Zusammenstellung  von  20  —  50  beispielen,  wobei  jedes  wort  durch  sämt- 
liche friesische  mundarten  und  untermundarten  verfolgt  wird.  Auf  eine  vergleichung 
des  neufriesischen  mit  dem  neuenglischen  ist  Siebs  nicht  eingegangen.  Sie  würde 
ergeben  haben,  dass  beide  sprachen  im  Verhältnis  zum  angelsächsischen  und  alt- 
friesischen eine  anzahl  gleicher  lautwandlungen  aufweisen,  dass  das  Friesische  beson- 
ders mit  dem  nordenglischen  in  parallele  steht,  während  einige  wichtige  züge 
der  südenglischen  mundarten  in  Brabant  und  Ostflandern  widerkehren:  gerinan. 
l:ai,  german.  ü  :  au  (brabantisches  ui  sezt  au  voraus),  das  verstummen  des  anlau- 
tenden Ä,  die  venvandelung  von  sk  in  s  (in  Limburg  und  Ostbrabant).  Ist  es  wahr- 
scheinlich, dass  diese  lautwandelungen  durch  eine  art  von  ansteckung  sich  am  ende 
des  mittelalters  über  die  see  nach  England  verbreitet  haben? 

Die  auffassung,  dass  das  moderne  westfriesische  ea,  e  und  ags.  ca  (=  germ. 
au)  sich  aus  ä  entwickelt  habe,  dürfte  zu  bezweifeln  sein.  Das  alte  friesische  d 
(=  germ.  au)  ist  doch  wol  nur  ein  zeichen  für  den  laut  a-u,  dessen  ä  sich  zu  ä, 
e  senkte.  Ganz  so  hat  die  altniederdeutsche  Freckenhorster  heberolle  a;  die  jetzigen 
westfälischen  mundarten  dagegen  haben  au,   die  ostwestfälischen  bergmundarten  ä-u. 

Ob  che  anspreehende  erklärung  der  einstigen  mit  Borkum  zusammenhangen- 
den insel  Bant,  de  Banthe  (s.  275)  als  die  Fabaria,  d.  h.  „die  bohnen  förmige  a 
des  Plinius  (Natur.  Hist.  IY,  97)  vor  dem  Wortlaute  bei  Flinius  bestehen  kann  ist 
doch  zweifelhaft. 

Als  resultat  folgt  dann  von  s.  306  —  341  eine  Übersicht  über  die  verwant- 
schafts Verhältnisse  der  friesischen  mundarten.  „Aus  den  altfriesischen  texten  und 
„dem  zustande  der  lebenden  mundarten  ergibt  sich,  dass  die  nordfriesischen 
„insel-  und  festlandmundarten  eine  zeit  gemeinsamer  Weiterentwicklung  mit  dem 
„ostfriesischen  erfahren  haben,  nachdem  sich  das  westfriesische  zu  geson- 
dertem fortleben  abgezweigt  hatte  und  dass  wir  demnach  als  hauptuntcrabteilunpn 
„des  urfriesischen  einerseits  eine  (gemein)  ostnordfriesische,  andrerseits  eine 
„(gemein)  westfriesisehe  spräche  anzunehmen  berechtigt  sinda. 

S.  318  fgg.  werden  die  wichtigsten  merkmale  der  einzelnen  ost friesischen 
dialekte  verzeichnet,  also  des  AYangeroogschen ,  des  Harlingschen,  wie  es  durch 
„Cadovius'  Memoriale  linguae  frisicae",  der  Wurstener  mundart.  wie  sie 
durch  Westings  Vokabular  (jezt  veröffentlicht  von  Bremer  bei  Paul  und  Braune, 


378  JELLINGHAUS.    ÜBKR    SIEBS,    ENGLISCH- FRIESISCHE    SPRACHE 

Beiträge  XIII)  betont  ist.  und  des  Saterläudischen.  Für  die  benntzung  der  Vokabu- 
lare von  Cadovius  und  "Westing  wäre  eigentlich  eine  Voruntersuchung  über  das  Ver- 
hältnis ihrer  aufzeiohnungen  zum  eindringenden  platdeutschcn  nötig. 

Die  Schwierigkeit  einer  solchen  liegt  darin,  dass  das  friesische  beider,  nament- 
lich das  des  Cadovius  aus  dem  platdeutschen  auch  solche  laute  aufgenommen  zu 
haben  scheint,  welche  in  den  jetzigen  mundarten  der  landschaften ,  die  an  das  Harlin- 
rland  und  an  das  Land  Wursten  grenzen,  nicht  existieren.  Ganz  dieselbe  erschei- 
nung  finden  wir  in  den  über  die  spräche  der  Drevjaner  und  Gliujaner  Elbslavrn 
erhaltenen  auf  Zeichnungen,  wo  das  wendische  aus  dem  niederdeutschen  diphthonge. 
hat.  die  jezt  im  umkivise  des  AVcndlaudes  nicht  zu  existieren  seheinen.  Vgl.  Bis- 
kupski.   Die   diphthonge  in  der  spräche   der  Lüneburger  Slaven.     Progr. 

8.  3*27  fgg.  finden  sich  die  merkmale  des  festländischen  nordfriesisch  und  der 
inseldialekte ,    dann  s.  336  fg.  die  der  neuwestfriesischen  mundarten  angegeben.     Den 

luss  bildet  (s.  348  —  393)  ein  Verzeichnis  der  für  das  Studium  der  friesischen 
spräche  und  litteratur  in  betracht  kommenden  druckwerke.  Die  westfriesische  litte- 
ratur  ist  hier  wol  zum  ersten  male  gesammelt.  Die  inschriften  am  Hadrians walle 
(«Mars  Thingsusu)  solte  man  nicht  friesisch  nennen,  denn  die  in  einer  von  ihnen 
vorkommden  Twenther  (Tuihanti)  sind  reine  Sachsen  und  die  Niederdeutschen  ein- 
schliesslich der  Brabanter,  Gelderlander  und  Rheinfranken  (bis  Köln)  sind  es,  die  den 
dem  Mars  geweihten  Wochentag  dingesdach  nennen,  die  Friesen  dagegen  sprechen 
tyesdei.  tiesdi.  Von  "Wassenberghs  abhandlung  über  die  eigennamen  der  Friesen 
hätte  die  zweite  verbesserte  aufläge  vom  jähre  1808  in  seinen  Taalk.  Bijdragen  2, 
61  — 100  angeführt  werden  sollen. 

Der  aufsatz   von  W  in  kl  er  „Friesland    over    de    grenzen"    ist   mitlerweile    in 

-.1  erfreuliches  buch  „Oud  Nederland"  's  Gravenhage  1887  aufgenommen  wor- 
den. Daselbst  stehen  noch  die  lehrreichen  aufsätze  „Friesen,  Saksen,  Franken  — 
onze  vorouders"  —  (s.  43  —  72).  „Haarringen,  Hoofdbeugels  en  Ooryzers"  (s.  263  — 
311)  -Bier  en  bierdrinkers  in  Friesland "  (s.  311  —  31)  und  „Laus  Frisiae"  (s.  333  —  67). 
Bei  Gijsbert  Japicx  fehlt  Wassenberghs  kommentar  zu  „De  Nys- gierige  Jolle" 
Tk.  Bijdr.  2,  1 — 58.  Von  Waatze  Gribberts  bruyloft  konte  noch  die  ausgäbe 
von  1712  (17)  erwähnt  werden. 

Hoffentlich  erhalten  wird  bald  in  einem  zweiten  teile  ebenso  genaue  auskunft 
über  die  konsonanten  und  die  flexionen  des  friesischen.  Die  friesische  assibilierung 
der  palatalen  hat  Siebs  bereits  in  einer  eigenen  Schrift  (Tübingen  bei  Fues.  8.  44  s.) 
ausführlich  erläutert.  Vgl  auch  seine  abhandlung  über  den  altfriesischen  vokalismus 
bei  Paul  u.  Braune  Beitr.  XI,  205  —  261. 

H.    JELLINGHAUS. 


Die    congruenz    in  der    mhd.    spräche.     Von  R.  Schachinger.     Wien,    Alfred 
Holder.    1889.     114  s.    gr.  8.     3,60  m. 

In  den  beiden  ersten  abschnitten   gibt  der  Verfasser  aus   einer  reihe  wichtiger 

mhd.    quellen    (dichtung  und  prosa)    eine    reiche    samlung  von    belegen    zu    den    in 

Grimm-  gTammatik  IV,  196  —  200.  266  —  284  besprochenen  abweichungen  von  der  eon- 

icnz  des  genus  und  des  numerus.     Eigene  beurteilung  und  psychologische  begrün- 

dung  der  erscheinungen  versucht  er  nur  selten.     Für  die  auffälligste  der  von  Grimm 


ERDMANN,    ÜBER    SCHACIIINGER ,    CONGRUEN'Z    IM    MHD.  379 

behandelten  abweiohungen,  nämlich  für  die  Verletzung  der  congruenz  zwischen  Sub- 
stantiv und  attributivem  adjectiv  und  pronomen  (Grimm  IV,  267:  du  altyrtsn-  hart?. 
269:  ein  totp  volliu  rieher  sinne;  nhd.  z.  b.  beim  jungen  (ioetho  3,  212  meine 
fräulein)  führt  er  aus  seinen  quellen  keine  belege  an,  entweder  weil  er  sie  nicht 
gefunden,  oder  Weü  er  sie  nicht  gesucht  hat. 

Schärferer  durchsieht  und  Unterscheidung  bedürfen  namentlich  die  s.  82  fgg« 
gesammelten  bespiele  von  Verbindung  des  verbums  im  Singular  mit  substantivischen 
subjeetsworte  im  plural,  vgl.  Grimm  IV,  197.  Von  den  zwei  stellen  aus  dem  Nibe- 
lungenepos wird  die  erste  185,  2.  3  durch  die  von  Schachinger  nicht  bezeichnete 
weite  entfernung  des  subjeetswortes  vom  vorangehenden  verbum  gemildert;  bei  der 
zweiten  Nib.  2149,  3  bietet  nur  die  handschrii't  A ,  in  welcher  der  text  dieses  ven 
offenbar  verderbt  ist,  den  plural  schiltstcinc  (BC:  schiltgesteine).  Die  stelle  Iwein 
3096  gehört  nur  nach  der  verdorbenen  lesart  von  D  hierher.  Die  passivischen  con- 
struetionen  wie  Iwein  7113  da  wart  vil  gestochen  und  gar  diu  sper  verbrochen 
erkläre  ich  in  meinen  Grundzügen  der  deutschen  syntax  §  135  unpersönlich.  Nach 
der  notwendigen  aussonderung  dieser  und  gleichartiger  fälle  bleibt  eine  wirklich  erheb- 
liche menge  von  beispielen  dieser  Verbindung  nur  für  AVolfram  übrig,  bei  dem  Bie  in 
der  tat  individuell  ausgebildete  stilmanier  zu  sein  scheint. 

Der  dritte  abschnitt  (Congruenz  des  casus)  beschäftigt  sich  fast  ausschliesslich 
mit  belegen  des  üectierten  prädicativen  adjeetivs  (vgl.  AVeinhold,  Alhd.  gramm.  §515; 
meine  syntax  §  52.  65).  Die  bemerkung  (s.  113),  dass  im  volksepos  flectiertei  accu- 
sativ  des  neutrums  in  diesem  falle  nie  vorkomme,  wäre,  fals  sie  sich  als  unbedingt 
zutreffend  erweisen  solte,  beachtenswert.  Zum  Schlüsse  sind  noch  belege  für  unilee- 
tiertes  künec  vor  dem  genetiv  von  eigennamen  gesammelt. 

KIEL.  0.    ERDMANN. 


Musen  und  grazien  in  der  Mark  (Gedichte  von  F.  W.  A.  Schmidt).  Ber- 
liner neudrucke,  I.  serie,  band  4.  Herausgegeben  von  Ludwig  Geiger.  Berlin 
1889,  verlag  von  Gebr.  Paetel.     8.     3  m. 

Der  titel  dieses  bandes  rührt  von  Goethe  her.  Die  also  überschriebene  paro- 
die  richtet  sich  gegen  den  1795  erschienenen  „Kalender  der  musen  und  grazien", 
welcher  als  beigäbe  60  gediente  von  Friedrich  August  Wilhelm  Schmidt  brachte. 
Was  uns  nun  Geiger  im  neudruck  bietet,  ist  nicht  dieser  gegenständ  von  Goethes 
spott,  sondern  eine  auswahl  von  Schmidts  gedienten  überhaupt:  neben  15  gedienten 
aus  dem  berüchtigten  kalender  sind  33  beitrage  aus  5  andern  samlungen  aufgenom- 
men. Auch  wären  sie  als  blosse  Zielscheibe  der  satire  eines  litterarischen  heros  noch 
nicht  für  einen  neudruck  qualificiert.  Indessen  ist  dem  herausgeber  darin  zuzustim- 
men, dass  sie  als  beweis,  wie  „vor  beinahe  100  jähren  ein  märkischer  poet  mit  sin- 
nigem äuge  die  märkische  landschaft  betrachtete",  in  den  Berliner  neudrucken  nicht 
fehlen  durften.  Tom  ästhetischen  Standpunkt  sind  gewiss  die  meisten  beitrage  mit- 
telmässig,  doch  erfreuen  sie  durch  naturwahre  widergabe  gesunden  Stillebens.  Bei 
alledem  begreift  man,  dass  dieses  selbstzufriedene,  schwunglose  pfablbürgertum  den 
gewaltigen  von  Weimar  zum  spott  reizen  muste. 

So  anziehend  der  titel  des  neudrucks  für  weitere  kreise  sein  mag  —  wissen- 
schaftlich scheint  er  nur  nicht  gerechtfertigt,  weil  er  über  inhalt  und  tendenz  der 
neuen  ausgäbe  irreführt:    man   glaubt   die  ganze  von  Goethe  parodierte  samlung  und 


3S0  WOLFF.    ÜBER    SCHMIDT.    MUSEN'    U.    GRAZIEN    ED.    GEIGER 

nur  diese,  man  glaubt  sie  als  unterläge  zur  erläuterung  und  beurteilung  des  Goethi- 
schen  gediehtes  vor  sich  zu  haben.  Ob  die  widerholung  desselben  an  der  spitze  der 
einleitong  notwendig  war.  möchte  ich  bezweifeln:  die  loser  des  neudrucks  werden  ja 
wol  im  besitz  von  Goethes  gedienten  sein! 

Leider  verzichtet  der  heransgeber  „absichtlich8  darauf,    Schmidts  dichterische 

.onart  zu  charakterisieren;    indessen   ermöglicht   die  getroffene  auswahl  ein  umfas- 

IbstSndiges  urteil   des   lesers.     Geiger  citiert  unparteiisch  die  tadelnden  wie 

die  lobenden  benrteünngen  der  Schmidtschen  Schriften  und  gibt  nachrichten  über  das 

leben  des  autors. 

Aus  den  proben  der  parodierten  samlung  gewint  man  den  aufschluss,  dass 
schwnnglose  cüchternheit  dos  lebens  bis  ins  einzelne  getreu  den  origina- 
len nachgebildet  hat.  dass  dagegen  die  geisselung  der  märkischen  poesie  (7.  strophe) 
b  ine  Charakteristik  der  Schmidtschen  gediente,  die  geisselung  der  märkischen 
Wissenschaft  (2.  hälfte  der  4.  strophe)  als  fremd  hereingezogenes  element  anzusehen 
Danach  gibt  sich  Goethes  gedieht  vorwiegend,  doch  nicht  ausschliesslich  als 
parodie,  in  der  lezten  (7.)  strophe  vielmehr  als  satire,  in  der  2.  hälfte  der  4.  strophe 
als  invective. 

Es  fragt  sich  schliesslich,  ob  Goethe  ein  recht  hatte,  die  Schmidtschen  elabo- 
rate  als  typns  der  märkischen  dichtung  hinzustellen.  Er  hatte  es,  insofern  er  darin 
den  verstandesmässigen  und  vorwiegend  realistischen  grundzug  des  märkischen  Cha- 
rakters fand;  er  hatte  es  nicht,  insofern  bereits  achtung  gebietende  proben  speeifisch 
märkisch  -  preussischer  dichtung  aus  den  zeiten  Lessings,  E.  Chr.  v.  Kleists  und  Gleims 
vorlagen. 

Noch  zwei  stilistische  bemerkungen  über  die  einleitung.  S.  ITT:  Seitdem  galt 
F.  W.  A.  Schmidt  .  .,  der  weit  häufiger  als  sein  genösse  als  dichter  aufgetreten 
war,  als  hauptvertreter  des  platten".  S.  IX:  „Die  neueren  litteraturgeschichten  neh- 
men von  Schmidt  überhaupt  selten  notiz",  eine  Seite  weiter  nochmals:  „Die  neueren 
litteraturgeschichten  nehmen,  soweit  ich  sehen  kann,  selten  oder  ohne  charakteristische 
icrkungen  von  unserm  poeten  notiz". 

Von  einigen  druckfehlern  abgesehen  (namentlich  muss  es  s.  XXI,  z.  3  v.  u. 
14  statt  12  heissen),  ist  die  ausstattung  vorzüglich ,  dennoch  aber  der  preis  von  3  m. 
für  XXII  und  71  s.  erstaunlich  hoch. 

Wir  dürfen  dem  herausgeber  für  seine  interessante  gäbe  dankbar  s€in. 

KIEL.  EUGEN    WOLFF. 


l'ntersuchungen  zur  Überlieferung,  Übersetzung,  grammatik  der  psal- 
men  Xotkers.  Von  Johann  Kelle.  (Schriften  zur  germanischen  philologie,  her- 
ausgegeben von  M.  Roediger,  III).  Berlin,  Wcidmannsche  buchhandlung.  1889. 
MI  und  154  s.     7  m. 

Mit  dieser  Schrift  schliesst  Kelle  die  reihe  von  monographien  ab,  welche  er 
teils  in  den  Schriften  der  "Wiener  und  Münchener  akademic  (AViener  Sitzungsberichte 
bd.  10  ''fg.;    abhandlungen    der   k.   bayerischen  akad.   I.   GL  XVIII.  bd.   labt), 

Is  in  der  Zeitschrift  für  deutsches  altertum  (XXX.  295  fg.),    teils  in  unserer  zeit- 
irift    (XVm.  324  fg.     XX,  129  fg.)    über    textgeschichte    und    sprachformen    der 
werke  Xotkers  veröffentlicht  hat;    eine  besondere  schrift  über  die  lautlehre  der  Not- 
kerschen  spräche  stelt  er  noch  in  aussieht. 


0.  ERDMANN,  ÜBER  KELLE,  ZU  NOTKEKS  PSALMEN  381 

Mit  bekanter  gründlichkeit  and  sorgfalt  hat  der  Verfasser  hier  die  nachweise 
über  alle  verbal-  und  nominalformen  in  Notkers  psalmen  gegeben.  Es  ist  dabei  zum 
ersten  male  die  in  der  bibliothek  des  königs  von  Dänemark  befindliche  abschrifl 
benuzt,  welche  Rostgaard  1G97  in  Paris  von  der  jezi  verschollenen  handschrift  des 
Simon  de  la  Loubere  anfertigen  liess.  S.  5  fjgg.  gib!  Celle  eine  ausführliche  beschrei- 
bnng  und  geschichte  dieser  abschrift.  Sehr  wichtig  ist  ferner,  dass  Celle  bei  der 
übersieht  durchweg  die  sprachformen  der  echt  Notkerischen  Psalmenübersetzung 
von  denen  der  erst  später  zu  den  lateinischen  Worten  hinzugefügten  interlinear- 
glossen  unterscheidet.  Der  übelstand,  dass  die  Übersicht  über  die  sprachformen 
der  einzelnen  werke  Xotkers  an  so  verschiedene  stellen  verteill  ist,  wird  dadurch 
gemildert,  dass  eben  nach  Keiles  nachweisen  das.  was  als  rege!  der  Notkerschen 
psalmenübersetzung  gelten  muss,  sich  in  den  anderen  werken  durchaus  übereinstim- 
mend vorfindet;  die  abweichungen  der  Schreiber  von  dieser  regelmässigkeii  sind  für 
alle  Notkerischen  werke  hier  bei  jeder  gruppe  von  wortformen  angegeben.  Die  vor- 
liegende schrift  kann  also  zugleich  als  darstollung  der  Notkerschen  verbal-  und 
nominalbildung  überhaupt  gelten. 

Von  einer  Notkerischen  Übersetzer  schule  kann,  nachdem  Bohon  Baechtold 
Ztschr.  f.  d.  a.  XXXI,  185  fg.  195  fg.  dieser  annähme  den  boden  entzogen  hatte,  nicht 
mehr  die  rede  sein.  Keiles  monographien  —  namentlich  auch  die  abhandlung  über 
die  philosophischen  kunstausdrücke  in  Notkers  werken  —  zeigen  die  übersetzertätig- 
keit  des  bedeutenden  mannes  als  eine  individuelle  und  in  sich  zusammenhängende. 
Damit  aber  diese  tätigkeit  so  alseitig  und  in  solchem  umfange  gewürdigt  weiden 
könne,  wie  sie  es  verdient,  ist  eine  den  berechtigten  ansprächen  an  die  textkritü 
genügende,  übersichtliche  (auch  mit  sprachlichen  und  sachlichen  registern  versehene!) 
und  —  was  bei  den  hohen  preisen  der  beiden  volstlindigen  Notkerausgaben  '  sehr  zu 
betonen  ist  —  nicht  unerschwinglich  teuere  ausgäbe  des  ganzen  Notker  im  höch- 
sten grade  zu  wünschen.  Hoffentlich  dürfen  wir  Keiles  mitteilung  (vorwert  s.  Vi. 
dass  er  für  die  nächste  zeit  eine  ausgäbe  nicht  beabsichtige,  eben  nur  auf  die 
nächste  zeit  beziehn. 

KIEL.  0.    ERDMANN. 


Klingers  Faust.     Eine  literarhistorische  Untersuchung  von  G.  J.Pfeiffer. 
Nach  dem  tode  des  Verfassers  herausgegeben   von  Bernhard  SeulIVit. 

Würzburg,  G.  Hertz.   1890.     IV  und  167  s.     4,50  in. 

Die  doctordissertation  des  Verfassers  unter  gleichem  titel  ("Wurzbur-  1-SS7) 
besprach  ich  ün  A.  f.  d.  a.  XIII,  93.  Das  jezt  von  B.  Seuffert  herausgegebene  buch 
bietet  auf  s.  1  —  136  eine  in  einzelheiten  mehrfach  verbesserte  und  übersichtlicher 
gegliederte  bearbeitung  jener  dissertation ,  welche  aufgrund  eingehender  und  verständ- 
nisvoller Studien  das  Klingersche  werk  charakterisierte  und  seine  beziehungen  zur 
zeitgenössischen  litteratur  nachwies;  es  folgt  s.  136  —  148  die  größtenteils  neue  und 
sehr  gut  durchgearbeitete  Untersuchung  über  die  entstehungszeit  der  verschiedenen 
teile  des  Klingerschen  Faust.  Gänzlich  neu  und  sehr  dankenswert  ist  endlieh  die 
kritische  Übersicht  der  verschiedenen  ausgaben  und  ihres  wertes  s.  140  — 165.  Solte 
noch  einmal  eine  historisch  -  kritische  ausgäbe  des  Klingerschen  „Faust"  veranstaltet 

1)  Auch  bei  der  vorliegenden  schrift  erschwert  der  von  der  Verlagshandlung  sehr  hoch  angesezte 
preis  die  Verbreitung  des  buches  so,  wie  man  es  in  der  germanistischen  litteratur  eben  fast  nur  noch  bei 
werken  von  und  über  Notker  gewöhnt  ist. 


NXDB   ERSCHEINUNGEN 

I ■:..  90  würde  Gr.  J.  Pfeiffer  mit  diesem  buche  dem  herausgeber  die  wege  gewie- 
sen und  s  aet  haben.  Eine  darstellung  der  Wirkungen  des  Klingerschen  Faust  auf 
die  zeit-  ssen,  so  wie  seines  naehlebens  in  kunst-  und  volkspoesie  hatte  Pfeiffer 
für  den  lezten  teil  des  werkes  beabsichtigt  Ich  weiss  aus  eigenen  versuchen  in  die- 
ser riehtung.   da-  -ehr  reizvolle  aufgaben  sind,   welche  Pfeiffer  teils  gelöst,    teils 

nnen  hat;  um  so  mehr  ist  es  zu  beklagen,  dass  der  tod  den  arbeiten  des  gewis- 
iiaften  und  eifrig  .strebenden  forschers  ein  so  frühes  ziel  gesezt  hat. 

KI:  0.    ERDMANN. 


NEUE  EKSCHEINUNGEN. 


Berger,  Arnold  E.,  Friedrich  der  Grosse  und  die  deutsche  litteratur.  Akademische 
antritsrcde  (29.  april  1S90).     Bonn,  E.  Strauss.     38  s. 

Dissel,  Karl.  Philipp  von  Zesen  und  die  deutschgesinte  genossenschaft.  Programm 
des  "Wilhelms  -  gymnasiums  in  Hamburg  1890.     66  s.     4. 

Sorgfältige  monographie  mit  Verwertung  der  früher  bekanten  und  angäbe 
neu  erüfneter  quellen.  Anhang  II  enthält  ein  genaues  mitgliederverzeichnis  der 
genossenschaft  mit  den  bei  Goedeke  IH,  16  fehlenden  Jahreszahlen  der  aufnähme. 

Freerieks.  H. ,  Der  kehrreim  in  der  mhd.  dichtung.  I.  (Gymn.  -  progr.  Paderborn 
1S90).     34  s.     4.     Leipzig,  G.  Fock.     Preis  1  m. 

Freybe.  Albert.  Comedia  von  dem  frommen,  Gottfrüchtigen  und  gehorsamen  Isaac. 
Aller  frommer  Kinder  imd  Schöler  Spegel,  durch  Jochim  Schlue,  Bürger  und 
Bargerfahr  in  Eostock.  1606.  Festschrift  des  gymnasiums  in  Parchim  1890.  VIII, 
88  und  39  s.     4. 

S  hon  ausgestatteter  neudruck  der  grösstenteils  niederdeutsch  geschriebenen 
komödie,  welche  Joachim  Sehlu  den  herren  des  hansischen  kontors  in  Bergen 
widmete.  Zu  gründe  gelegt  ist  das  exemplai'  der  Rostocker  Universitätsbibliothek. 
rgüchen  ein  zweites  ex»-mplar  der  Stiftsbibliothek  zu  Linköping.'  In  der  ange- 
fügten abhandlung  hat  der  verdiente  herausgeber  die  sprachliche,  litterarische  und 
kulturhistorische  bedeutung  der  komödie  dargelegt;  auch  das  Verhältnis  von  J.  Schlu 
zu  Georg  und   Gabriel  Rollenhagen    (vgl.   diese   ztschr.  XIV,   124  fgg.)    wird   von 


neuem  erwogen. 


Handelmaun,  H.,  kgl.  museumsdirektor,  Der  Krinkberg  bei  Schenefeld  und  die  hol- 
inischen   silberfunde.     Mit  abbildungen.     27  s.     Kiel,   Universitätsbuchhandlung. 
1890. 
Heuen,  W.,  Über  die  träume  in  der  altnordischen  sagalitteratur.     Leipzig,  G.  Fock, 
1890.    89  s. 

Einleitung:    Etymologie   des  Wortes   draumr    und    konstruktionswechsel    des 
verbums   dtreyma.     Teil  I:    Schicksalsidee   und  Unsterblichkeitsglaube   im  träume. 
Teil  II:  Der  deutbare  träum.     Teil  III:  Die  Wirklichkeit  des  geträumten.     Teil  IV: 
Kritik  der  träume. 
Hillebrandt.  A.,  Die  sonwendfeste  in  Alt-Indien.     In  der  Konrad  Hofmann  zum 
_  -burtstage    gewidmeten    :  rift;    wider    abgedruckt    in    den    Romanischen 

forschungen  V.  1.     Erlangen.  A.  Deichen:  nachf.     46  s. 

Der  Verfasser  bespricht  auch  germanische  und  slawische  festgebräuche  und 
volkssitten. 


NACHRICHTEN  383 

Keller,    H.  A.  v.,    Verzeichnis    altdeutscher    handschriften.      Herausgegeben   von 
E.  Sievers.     Tübingen,  H.  Laupp.    1890.     V,  178  s. 

116  handschriften  aus  25  bibliotheken,  nieist  der  zeit  vom  14.  —  IG.  Jahrhun- 
dert angehörig,  sind  teils  genau  mit  aufzählung  aller  in  ihnen  enthaltenen  stücke 
beschrieben,  teils  —  wo  dies  durch  inzwischen  erfolgte  Publikationen  unnötig 
geworden  war  —  kurz  notiert.  Sievers  hat  ein  register  der  versanfänge  und  der 
genanten  Verfasser  hinzugefügt. 

Loeek,  (*.,  Die  homiliensamlnng  des  Paulus  Diaconus  die  unmittelbare  vorläge  des 
<  >tfridischenvevangelienbuches.   (Kieler  diss.  1890.)    Leipzig,  G.  Fock.    47  s.    1,50  m. 

Marold,   Karl,   Stichometrie   und  leseabschnitte  in  den  gotischen  episteltexten.     Kö- 
nigsberg, programm  des  kgl.  Friedrichskollegiums  1890.     18  s.     4. 

Der  erste  teil  der  lehrreichen  Untersuchung  führt  zu  Vermutungen  über  dio 
vorlagen  der  gotischen  epistelfragmente ,  der  zweite  berührt  die  frage  nach  dem 
Zusammenhang  der  in  Italien  wohnenden  Goten  mit  dem  ritual  und  den  bibeltex- 
ten der  oströmischen  kirche. 

Rode,    Albert,    Über  die  Margaretenlegende  des  Hartwig  von  dem  Hage.     (Kieler 
diss.  1890.)     Leipzig,  G.  Fock.     56  s. 

1.  Die  Überlieferung.  2.  Vers-  und  reimkuust.  Dialekt.  3.  Die  quelle. 
4.    Verhältnis    der   legende    zu    den  tagzeiten.      5.    Litterarische  Stellung. 

Sehröder,  IL,  Zurwaffen-  und  schiffskunde  des  deutschen  mittelalters  bis  um  1200. 
(Kieler  diss.  1890.)    Kiel,  Lipsius  &  Fischer.     46  s. 


NACHRICHTEN. 

Am  25.  april  d.  j.  verschied  in  seiner  Vaterstadt  Leipzig  der  geheime  regie- 
rungsrat  professor  dr.  Theodor  Möbius,  bis  1889  ord.  professor  der  nordischen  Phi- 
lologie in  Kiel  (geb.  22.  juni  1821);  anfang  august  d.  j.  zu  St.  Hubert  dr.  Felix- 
Lieb  recht,  rühmlichst  bekant  als  forscher  auf  dem  gebiet  der  sagen-  und  sitten- 
kunde,  von  1849  —  1869  professor  in  Lüttich  (geb.  11.  märz  1812  zu  Namslau). 

Ende  märz  dieses  Jahres  starb  in  Stadt -Suiza  (Thüringen)  dr.  Robert  Box- 
berger,  verdient  als  forscher  und  Herausgeber  namentlich  auf  dem  gebiete  der  Les- 
sing- und  Schülerlitteratur.  Er  hatte  noch  im  februar  mit  freundlicher  bereitwillig- 
keit  für  unsere  Zeitschrift  die  besprechung  von  Minors  Schillerbiographie  übernom- 
men; einer  eigenhändigen  postkarte,  in  welcher  er  wegen  erkrankung  ein  etwas  ver- 
spätetes eintreffen  des  manuscriptes  in  aussieht  stelte,  folgte  schon  nach  wenigen 
tagen  die  erschütternde  nachricht  von  seinem  tode. 


Dr.  Arnold  E.  Berger  hat  sich  in  Bonn,  dr.  Theodor  Siebs,  bisher  privat- 
docent  in  Breslau,  in  Greifswald  für  deutsche  spräche  und  litteratur  habilitiert.  Dem 
leztgenanten  ist  die  Vertretung  des  prof.  dr.  Pietsch  übertragen,  welcher  als  philo- 
logischer leiter  der  neuen  ausgäbe  von  Luthers  werken  nach  Berlin  berufen  wurde. 

Der  privatdocent  dr.  F.  Muncker  in  München  wurde  zum  ausserordentlichen 
professor  ernant. 

Professor  dr.  E.  Steinmeyer  legt,  wie  die  DLZ.  mitteilt,  die  redaction  der 
Zeitschrift  für  deutsches  altertum  nieder,  die  von  prof.  dr.  E.  Schröder  in  Maiburg 
und  prof.  dr.  G.  Röthe  in  Göttingen  fortgeführt  werden  wird. 


3S4  NACHRICÄTBN 

Prof.  dr.  B.  Litzmann  in  Jena  wird  die  herausgäbe  einer  neuen  publication 
leiten,  welche  unter  dem  titel  „ Theatergeschichtliche  forschungen"  in  zwanglosen 
heften  bei  I.  |  ld  V  bs  in  Bamburg  erscheinen  soll.  Er  beabsichtigt  eine  sammel- 
steile für  wissenschaftliche  arbeiten  aus  dem  gebiete  der  deutschen  theatergeschichte 
zu  schaffen,  hauptsächlich  für  die  zeit  vom  auftreten  der  englischen  komödianten 
in  das  drittel  dieses  Jahrhunderts. 

alleinige  vertrieb  des  Arkiv   für   nordisk   filologi  für  die  niehtskaudi- 

naviseh-'ii  Lander  ist  von  dem   eben  begonnenen  7.  bände   ab  hrn.  <  >.  Harrassowitz 

in  Leipzig  übertragen.   Der  band  wird,  wie  bisher  aus  4  heften  bestehen  und  8  mark 

■•■11.      Um   neu   eintretenden    abonnenten    die    anschaffung    der   früheren   bände   zu 

erleichtern,  ist  bis  auf  weiteres  der  preis  für  band  I  —  IV  auf  10  mark  ennässigt. 

Im  verlaue  von  J.  Trübner  in  Strassburg  wird  unter  der  Leitung  von  E.  Mar- 
tin ein  El  lies  idiotikon  erscheinen. 


Preisaufgaben  der  fürstlich  Jablono wski'schen  geselschaft. 

Für  das  jähr  1892  wünscht  die  geselschaft  eine  geschichte  der  koloni- 
sation  und  germanisierung  der  "Wettinischen  lande.     Preis  1000  mark. 

Für  das  jähr  1893  wünscht  die  geselschaft  eine  kritische  Übersicht  über  die 
almähliehe  einführung  der  deutschen  spräche  in  öffentlichen  und  pri- 
vaten Urkunden  bis  um  die  mitte  des  14.  Jahrhunderts.  Auf  stadtrechte, 
weistümer  oder  das  weite  feld  der  verschiedenen  akten  mag  gelegentlich  hingewiesen 
werden,  aber  den  festen  faden  der  Untersuchung  soll  die  eigentliche  Urkunde  abgeben. 
T»a>  auftreten  der  deutschen  spräche  in  den  königsurkunden  und  in  der  reichsgesetz- 
gebuug  wird  durch  das  13.  Jahrhundert  und  mindestens  bis  zum  tode  Karls  IV.  und 
der  ausbildung  der  festern  kanzleischrei bung  zu  verfolgen  sein.  Dialektische  oder 
sonst  sprachliche  Untersuchungen  würden  zwar  wilkommen  sein,  künten  aber  auch 
spezialforschern  überlassen  bleiben.  Bei  den  Urkunden  der  fürsten,  herren,  städte 
usw.  wird  eine  volständigkeit  der  Übersicht  an  sich  nicht  zu  erreichen  sein,  da  nicht 
Iten  brauchbare  und  bis  auf  die  zeit  der  deutschen  Urkunden  fortgesezte  urkunden- 
bücher  noch  fehlen.  "Wo  aber  solche  vorliegen,  sollen  sie  auch  ausgenuzt  werden. 
Das  interesse  an  der  sache  hört  natürlich  mit  dem  Zeitpunkte  auf.  in  welchem  die 
deutsche  spräche  in  den  Urkunden  algemein,  überwiegend  oder  doch  schon  ganz 
öhnlich  geworden  ist.  —  Preis  1000  mark. 

Die  anonym  einzureichenden  be Werbungsschriften  sind  in  deutscher,  latei- 
nischer oder  französischer  spräche  zu  verfassen,  müssen  deutlich  geschrieben 
und  paginiert,  mit  einem  motto  versehen  und  von  einem  versiegelten  Umschlag 
n,  welcher  aussen  das  motto  der  arbeit  trägt,  inwendig  namen  und  Wohn- 
ort des  Verfassers  angibt.  Jede  bewerbungsschrift  muss  auf  dem  titelblatte  eine 
adresse  enthalten,  an  welche  die  arbeit  für  den  fall,  dass  sie  nicht  preiswürdig 
befunden  würde,  zurückzusenden  ist.  Die  einsendung  ist  bis  zum  30.  november 
des  angegebenen  jahres  an  den  Sekretär  der  geselschaft  zu  richten.  Die  resul- 
tate  der  prüfung  der  eingegangenen  Schriften  werden  durch  die  Leipziger  zeitung  im 
märz  oder  april  des  folgenden  jahres  bekant  gemacht.  Die  gekrönten  bewerbungs- 
■       werden  eigentum  der  geselschaft. 


Halle  a.  S.,  Buchdruckerei  des  Waisenhauses. 


DIE    ZEHN    ALTEKSSTITEN    DES   MENSCHEN. 

AUS  DEM  NACHLASSE  VON   JULIUS  ZACHER. 

Der  gegenständ,  der  folgen  (hu  abhandlung,  welche  sich  unvollen' 
det  in/  Nachlasse  des  verstorboten  Verfassers  vorfand,  hat  denselben, 
nie  so  manche  andere  unausgeführt  gebliebene  oder  in  der  ausführung 
nur  begonnene  litterarische  idee,  Jahrzehnte  hindurch  immer  wider 
beschäftigt  Unter  den  „Mitteilungen  aas  Handschriften  von  II.  Pei- 
per  (Breslau)",  deren  ankündigung  aaf  den  heftumschlägen  der  teit- 
schrift  fast  von  den  ersten  bänden  an  regelmässig  zu  lesen  war,  befand 
sich  nach  der  sprach  aber  die  zehn  lebensalter  aus  dem  ll<  Inligerscht  n 
codex  (nr.  2).  Von  derselben  seite  erhielt  der  verfasse?'  bald  darauf 
(juni  187 2)  den  von  herrn  bibliothekar  Keinz  abgeschriebem n  spruch 
De  etate  aus  der  Münchener  handschrift  (s.404);  beides  legte  er  zurück, 
weil  ihn  der  gegenständ  zu  einer  ausführlicheren  behandlang  lockte. 
Dieselbe  erfolgte,  wie  aus  einer  correspondenz  hervorgeht,  im  jähre  1878, 
kenn  jedoch  ebensowenig  zum  abschlusse ,  wie  die  aus  ähnliche,/ 
anlassen  entstandenen  aufsätze  über  Marbod  und  Altfil  legi,  itschr. 
XX,  419).  Von  dem  so?ist  bei  behandlang  f renaler  arbeiten  üblichen 
gebrauche,  ursprüngliches  und  neuhinzugekammenes  durch  den  druck 
sorgfältig  \a  scheiden,  hat  der  herausgeber  in  diesem  falle  abweichen 
\a  dürfen  geglaubt,  weil  er  die  arbeit  nicht  als  fremde  befrachtete 
and  die  hofnung  hatte,  dieselbe  wenn  auch  nicht  mit  der  geUhrsam- 
keit,  so  doch  im  sinne  des  verstorbenen  vollenden  zu  können,  um  so 
mehr,  als  der  fast  drachfertig  vorhandene  erste  teil  derselben  and  der 
anfang  des  zweiten  für  die  gestaUung  des  noch  fehlenden  geringen 
restes  eine  bestirnte  direcUon  gab. 

E.  MATTHIAS. 


In  seinem  ebenso  gelehrten  als  anmutigen  buche:  „Die  lebens- 
alter. Ein  beitrag  zur  vergleichenden  sitten-  und  rechtsgesehichte. 
Basel  1862",  behandelt  W.  "Wackernagel  auch  die  einteiluug  des  mensch- 
lichen lebens  nach  zehn  Jahrzehnten.  Er  sagt,  dass  diese  einteilung 
nach   Jahrzehnten    in    griechischer    und    römischer    litteratnr    gar    nicht 


ZEITSCHRIFT    F.    DEUTRrHE    PHILOLOGIE.     BD.   XXIII. 


25 


ZACHER 

vorkomme1         denn  SoIod  sezte  zwar  zehn,  aber  nicht  zehn-,  sondern 
siebenjährige  Lebensalter,  worin  der  Jude  Thilo  and  andere  ihm  folgten, 
bis  herab  auf  den  verdeutschenden  Abraham  a   S.  Clara  — ,   und  dass 
in   Deutschland  auch   erst  seit  dem   15.  Jahrhundert  begegne.     Als 
ältesten  beleg  nent  er  einen  holzschnitbogen  ans  der  Weigelschen  sam- 
lung,    dessen  deutsche  verse  pastor  Otte  zuerst  bekant  gemacht  hat  in 
inem    handbuche    der    kirchl.    kunst-archäologie    des    deutsehen  mit- 
telalters2.     Als  zweiten  beleg,  den  er  für  etwas  jünger  hält,  bezeichne! 
Wackernagel  die  verse,  welche  Hoffmann  von Fallersleben  im  jähre  1832 
ans  einer  Breslauer  handschrift  der  Rehdigerschen  bibliothek  mitgeteilt 
ha:        Diese  von    einer    und    derselben   band   des   15.  Jahrhunderts  ge- 
schriebene pergamenthandschrift,    deren  Signatur  Hoffmann   nicht  ange- 
ben hat,  befindet  sich  jezt  in  der  Breslauer  Stadtbibliothek  unter  den 
Rehd  lim  band  Schriften   und  trägt  die  Signatur  S  IV  3  a  16.     Am 

ende  derselben  nent  sich  der  schreiben  Explicit  libcr  per  manus  Thome 
de  linnik.  worunter  wol  Leipnik  in  Mahren,  östlich  von  Olmütz,  zu 
verstehen  ist.  Sie  befasst  verschiedene  lateinische  stücke  theologischen 
inhalts4.     Auf   der   inneren    seite    des    hinteren   einbanddeckels  stehen 

1)  Dass  dem  nicht  so  ist.   geht  aus  einem  Spruche  der  lateinischen  antkologie 
.  lat.  minor,  ed.  Aem.  Baehrens,  IV,  s.  257  fg.)  hervor,  auf  welchen  herr  ober- 
bibliothekar  dr.  R.  Köhler  den  herausgeber  aufmerksam  gemacht  hat:  Vitam  uiuere  si 
<ui  itam  —  Et  uotis  Lachesis  dabit  seneetam,  —   Aunos  ludere  te  decem  doce- 

bit,  —  Vigiuti  studiis  dabis  severis,  —  Triginta  pete  litium  tribunal,  —  Quadra- 
ginta  stilo  polita  dicas,  —  Quinquaginta  velim  diserta  scribas,  —  Sexaginta  tuo  satis 
fruaris,  —  Septuaginta  aelis  uenire  mortem,  —  Octoginta  senps  caueto  morbos,  — 
N  oaginta  time  labante  sensu.  —  Centum  nee  puer  unus  adloquetur.  —  Hinweisen 
möchte  ich  wenigstens  an  dieser  stelle  auf  eine  Stufenfolge,  die  sich  in  dem  werke 
•  •1  Criticon  des  Jesuiten  Gracian  findet  (III,  10),  deren  kentnis  ich  abermals  herrn 
dr.  Kuhler  verdanke:  10.  Mercur,  20.  Venus,  30.  Sol,  40.  Mars,  50.  Jupiter,  60.  Sa- 
turn. 70.  Luna.  —  Dieselbe  idee,  nur  mit  anderer  reihenfolge  der  gestirne,  in  einer 
maierei  des  Cristofano  Gherardi,  gen.  Doceno,  vom  jähre  15ö4,  die  sich  einst  auf 
einem  Florentiuischen  hause  befand:  10.  Luna,  20.  Mercur,  30.  Apollo,  40.  Venus, 
.  60.  Jupiter,  70.  Saturn;  jede  lebensstufe  in  einem  oval,  gehalten  von  zwei 
tilgenden,    die  tufe  besonders  ziemen  (Piper,    Mythologie  der  christl.  kun  t, 

II.  24 

".  aufl.     Jn  Verbindung  mit  dem  Verfasser  bearbeitet  von  Ernst  AVcrnicke. 
1.  band.  496,  anm.  1. 

Auf .  Anzeiger  f.  künde  des  deutschen  mittelalt.  I,  300. 

4)   Inhal"  be   von   anderer  band    auf  dem   vorderen   schutzblatte:    D<'   vita 

"i  über.     Oratio  de  pa~  dominica.     Psalterium  de  passione  b.  b'n  (?).     <>ra- 

tiones  bonae.     über  de  infancia  Salvatoris.     Excerpta  rabi  Samuel  de  aduentii   .\b 
siae.     über  probans  Christum   dominum   fuisse  deum   <-r   hominem.     über  continens 
rpta  de  erroribus  Judaeorum  in  Talmud. 


/FUN"    ALTERSSTUFEN'  öS? 

neben  mehreren  lateinischen  aufzeichnunger)  jene  eben  erwähnten  verse 
von  einer  band,  die  unzweifelhaft  noch  dem  15.  Jahrhundert  angehört 
Herr  Peiper  hat  mir  eine  neue  abschrift  derselben  mitgeteilt  und  herr 
Pietsch  ist  so  gütig  gewesen,  zur  erledigung  eines  zweifeis  die  hand- 
schrift  nochmals  einzusehen,  sowie  die  unten  stehende  inhaltsangabe 
mitzuteilen. 

Diese  einteilung  nach  Jahrzehnten  hat  grossen  beifall  und  weite 
Verbreitung  gefunden  und  erscheint  im  15.  Jahrhundert  mehrmals  in 
handschriften  und  seit  erfindung  der  buchdruckerkunst  widerholt  auf 
einzelblättern  und  in  biiehern  bis  nach  dem  ablauf  *h'>  17.  Jahrhun- 
derts, ja  im  munde  des  Volkes  ist  sie  noch  heute  lebendig.  Auch  die 
zeichnende  und  bildende  kirnst  hat  diese  einteilun^  der  Lebensalter  als- 
bald ergriffen  und  sie  von  holzschnitten  des  15.  Jahrhunderts  ah  bis 
auf  bilderbogen  neuerer  zeit  zu  veranschaulichen  sich  bestrebt 

Ich  gebe  ein  Verzeichnis  des  mir  bis  jezt  bekanten  Vorkommens 
der  verse  und  der  bilder  und  knüpfe  daran  einige  bemerkungen. 

I.    Die  verse. 

Fünfzehntes  Jahrhundert.  A.  Cod.  gerat;  379  in  der  hof- 
und  Staatsbibliothek  zu  München  enthält  unseren  sprach  in  doppelter 
fassung,  bl.  212 a,  veröffentlicht  von  Bartsch,  Germanist.  Studien,  sup- 
lem.  zur  Germania  I,  6,  anm.  12  (=  A  1);  sodann  bl.  111 b  (=  A  2), 
nach  freundlicher  mitteilung  des  herrn  bibliothekar  dr.  Keinz,  der  auch 
gütigst  eine  abschrift  besorgt,  sowie  über  den  Zusammenhang,  in  wel- 
chem sich  beide  Sprüche  finden,  nähere  auskunft  erteilt  hat;  Bartsch 
bezeichnet  a.  a.  o.  die  fassung  A  1  als  im  jähre  1422  entstanden.  Diese 
annähme  rührt  daher,  dass  sich  jene  nach  chronistischen  angaben 
aus  den  jähren  1422  und  23  findet  (bl.  211a  und  b),  unmittelbar  nach 
der  bekanten  priamel:  Ain  ritter  an  müt  usw.1  und  vor  dem  sprach: 
3  iaur  ein  xan  alt  usw.2  Die  spräche  stehen  aber,  wie  herr  dr.  Keinz 
bemerkt,  in  keiner  beziehung  zur  chronik,  sondern  werden,  ebenso 
wie  A2,  auf  dem  aus  irgend  einem  gründe  freigebliebenen  räume  wil- 
kürlich  eingetragen  sein.  Jedenfals  lässt  sich  aus  ihrer  Stellung  kein 
sicherer  schluss  auf  die  zeit  ihrer  eintragung  machen.  1.  Der  oben 
erwähnte  holzschnittbogen  der  Weigelschen  samlung.  2.  Die  oben 
erwähnte  Rehdigersche  pergamenthandschrift   der  Breslauer  stadtbiblio- 


1)  Etwas  abweichend  von  Keller.  Alte  gute  schwanke,  Leipz.  1847,  n.  8,  s.  17 
und  Wackernagel,  Leseb.aI,  s.  1028,  VIII. 

2)  Wackernagel,  emu  nTsqoema  s.  10. 

25* 


ÖH  EAGHEB 

thek  s  IV  3  a  16.  3.  Die  papierhandschrift  dos  XV.  Jahrhunderts 
n.      *        der  köniffl.  und  univ.-bibliothek   zu  Königsberg,    besehrieben 

B  6l>.  30  wo, 

in:  Catalogus  codd.  mss.  bibl.  reg.  et  univ.  Regiment,  fasc.  1.  descripsit 
A.inü.  Steffenhagen.  Regina.  1861.  n.  LVII.  Sie  enthält  verschiedene 
lateinische  juristische  stücke,  darunter  Statuta  synodi  Pragensis  pro- 
vincialis  a.  1355,  was  auf  herkunft  aus  Böhmen  (»der  dessen  naehbar- 
schafl  deutet  Di''  verse  stehen  neben  anderen  deutsehen  Sprüchen  auf 
der  rückseite  des  lezten  blattes  und  sind  abgedruekt  in  Haupts  ztschr. 
f.  d.  alt.  a.  1867,  13,  567;  Wackernagel  konte  sie  noch  nicht  kennen. 

Sechzehntes  Jahrhundert  -4.  Um  1515  hat  der  Basler  buch- 
drucker  Pamphilus  Gengenbach  „die  X  alter  dyser  weit"  zu  einem 
istlichen  Schauspiele  gestaltet,  indem  er  einen  einsidel  sich  in  reli- 
giös-moralisierender  weise  unterreden  lässt  mit  den  nacheinander  auf- 
tretenden  Vertretern  der  zehn  alter.  Vor  dem  dialoge  jedes  alters  steht 
als  Überschrift  die  betreffende  verszeile  des  Spruches.  Dieses  spiel  ist 
an  verschiedenen  orten  oft  aufgeführt,  oft  gedruckt  und  nachgedruckt1 
und  dabei  auch  durch  Überarbeitungen  teilweise  verändert  worden.  Der 
text  der  ältesten  ausgäbe  ist  wider  abgedruckt  bei  A.  v.  Keller,  Fast- 
nachtspiele  aus  dem  XV.  Jahrhundert,  2.  band,  Stuttgart  1833,  n.  119, 
5.  1026  fg.  und  in  Pamphilus  Gengenbach,  herausgegeben  von  K.  Goe- 
deke,  Hanover  1S56,  n.  VI  s.  54  fg.  Goedeke  hat  auch  reichliche 
bibliographische  nachweisungen  beigefügt,  s.  442  —  459,  und  559  —  605 
<-in<'  gelehrte,  litterargeschichtliche  erörterung  über  „weltalter,  lebens- 
dauer,  altersstufen ,  Standesstufen  und  Gengenbachs  spiel",  die  bereits 
von   Wackernagel  benuzt  worden  ist. 

5.  1521.  Wye  Eyn  weiser  n/an  seynem  Sun  eyn  lere  gehet/  soll 
von  gutten  Bitten  md  wereken.  Leyptzck  1521.  Eine  art  von  cento 
aus  Boner  und  Cato.  Darin  finden  sich  die  verse  in  derselben  fessung 
wie  bei  Gengenbach.     Xachgewiesen  von  Goedeke,  Gengb.  s.  575 2. 

6.  1528.  Agricolas  sprich wörtersamlung.  Xachgewiesen  von  Mass- 
mann, in  v.  Aufsess  Anzeiger  2,  14;  gedruckt  niederdeutsch  bei  Goe- 
deke, Gengb.  s.  576,  hochdeutsch  bei  AVackernagel  s.  32. 

1 1  Kat.  05  (1800)  von  L.  Eosenthai  in  München  enthält  unter  nr.  29  den  ohne 
obachs  oamen  erschienenen  Augsburger  nachdruck  von  1518.  Herr  Roseutlial 
hat  mir  ck-n^lben.  den  ich  anfangs  für  das  nicht  aufzufindende  buch  des  Martin  Schrot, 
Die  zehn  alter  der  weit  (Goedeke,  Gengenbach  578;  Grundriss  II2,  284,  71)  hielt, 
nicht  nur  freundlichst  zur  ansieht  geschickt,  sondern  auch  abschriften  der  Sprüche 
au-  und  Guarinonius  (12j  geliefert,  beide  ebenfals  in  jenein  an  Seltenheiten 

hen  katalog  enthalten;  vgl.  unten  s.  389,  anm.  2,  405,  anm.  1,  406,  anm.  1. 

Nach  dem  exemplar  der  königl.  bibliothek  zu  Berlin,  deren  titel:   Von  dem 
d  man.  wie  er  seynem  sun  kurtze  Lere  giebt    Ntirnb.,  Wolfjg.  Eluber  (1504—14). 


ZEHN   ALTERSSTUFEN  389 

7.  1528.  Egenolfsche  sprichwörtersamlung,  ausAgricola  geschöpft; 
nachgewiesen  von  Goedeke,  Gengb.  s.  577  1. 

8.  Um  1570.  Holzschnittfolge  von  Tobias  Stimmer,  ,,Die  zehen 
Alter  des  Mannes".  ..Di«'  zehen  Aln-r  der  Weiber".  Die  verse  daraus 
mitgeteilt  von  EL  Goedeke,  Elf  bücher  deutscher  dichtung,  Leipz.  L849. 
1,  173a;  vgl.  Goedeke,  Gengb.  s.  578. 

9.  Jobst  und  Hercules  de  Necker,  Ein  new  vnnd  künstlich  schö- 
nes Stamm  oder  Gesettn  Büchlain.  Wien  1579;  nachgewiesen  von 
Massmann  in  v.  Aufsess  anzeiger  2,  14-\ 

Siebzehntes  Jahrhundert.  10.  1H02.  Joh.  Buchler.  Gnomo- 
logia.    Colon.  1602   und  öfter;  nachgewiesen  von  Massmai) n,  Anz.  2,  14 3. 

11.  1004.  Fr.  Peters,  der  Tentschen  Weisheit,  das  ander  teil. 
Hamburg  1604;  nachgewiesen  von  Goedeke,  Gengb.  s.  577. 

12.  1610.  Hippolytus  Guarinonius,  die  grewel  der  Verwüstung 
menschlichen  geschlechts.  Ingolstadt  1610;  nachgewiesen  von  Mass- 
mann,  Anz.  2,  80.  Guarinonius  gibt  ein  ausdrückliches  zeugnis  von 
der  algemeinen  Verbreitung  dieser  verse  und  bilder.  Er  sagt  s.  18: 
Die  gemein  Einfalt  iheilt  die  gantxe  wehrung  Menschlichen  Lebens  in 
,'hen  gleiche  theyl,  biss  auff  hundert  ab,  mit  gemeinen  Mahlbrie- 
fen nnd  Reijmen,  wie  mans  allenthalben  im  Teutschland  an 
den  Stubenwänden  herumb  find* 

13.  1655.  L.  Weidners  apophthegmata,  angeführt  von  Goedeke, 
Gengb.  s.  578.  Gemeint  ist  darunter  doch  wol  L.  Weidners  zu  Amster- 
dam erschienene  fortsetz ung  der  Zincgrefschen  apophthegmata.  Folgt 
nach  Goedeke  dem  Agricola. "' 

14.  1675.  Konrad  Meyer  von  Zürich  „Nützliche  Zeitbetrachtung" ; 
nachgewiesen  zugleich  mit  Widerabdruck  der  verse  von  Wackernagel 
s.  34.  Die  verse  hat  Meyer  formal  etwas  zugestuzt,  damit  sie  in  mass 
und  reim  gleichmässiger  und  regelrechter  würden. 

1)  Berliner  bibL:  Sprichwörter,  schöne  weise  klugreden. 

2)  Das  kostbare  mit  papier  durchschossene  exemplar  Rosenthals  in  München 
stanit  aus  der  bibliothek  des  Leonh.  Dilherr  von  Thumenberg  und  enthalt  ausser  den 
(J8  prächtigen  holzschnitten  eine  grosse  anzalil  von  schön  in  färben  ausgeführten 
handzeichnungen. 

3)  Berliner  bibL,  ebenso  das  folgende. 

4)  Abschrift  des  citates  und  des  Spruches  freundlichst  besorgt  von  herrn  Rosen- 
thal, München  (katal.  65,  nr.  512);  hauptwerk  für  die  hygiene  der  damaligen  zeit 
vgl.  Gödeke  grundr.  II2,  579.  585,  21. 

5)  Wie  die  vergleichung  des  Berliner  exemplares  beweist,  ist  dem  so:  Apo- 
phthegmata IV.  teil:  Joh.  Leonhardi  "Weidneri  Ottersheimii  Palatini  —  Allerley  Rey- 
men  der  Alten. 


390 


ZACHER 


15.    1702.    Abbildung  Derer  VIII.  ersten   Hertzogen   zu  Sachsen; 
nachgewiesen  von  Wackemagel  s.  37. 1 

Auch  auf  das  weibliche  geschlecht  sind  diese  verse  widerholt  ange- 
wendet worden;   aber  die  dabei  gemachten  änderungen  sind  gekünstelt, 
if  und  fn»stin\  so  dass  sie  ein  wirkliches,  frisches  leben  nicht  gewin- 
nen   und    zu    einer   fortdauer    in    sprichwörtlicher    Überlieferung    nicht 
deihen  konten. 

Der  bequemeren   Übersicht   halber  lassen  wir  eine  Zusammenstel- 
lung sämtlicher  uns  bekant  gewordenen  fassungen   des  Spruches  folgen. 

I.    Das  männliche   alter. 


A  1 .   Münch.  cod. 

A  2.   Münch.  cod. 

1.  Weigel. 

2.  cod.  Rehdig. 

10. 

Zechen  jaur  ein  kind 

ain  Kind3 

ein  kint 

cvn  kvnt 

Zwainczig  j.  ein  gingling 

ain  iüngling 

ein  Jügling 

eyn  iungeling 

Treysig  jaur  ein  mau 

am  man 

ein  ma 

eyn  mann 

40. 

rtzig  jaur  wolgethän 

wol  getan 

wolgetan 

wolgcthann 

Fünftzig  jaur  still  stän 

stil  stan 

stillstand 

stillestann 

60. 

Sechczig  jaur  .  .  . 2 

abgan 

abgan 

abelonn 

7". 

.  .  .  nvm  der  sei  war 

« 

So  nym  dein  selbs  war 

die  sele  bewar 

eyn  greyse 

A«  ihezig  jaur  der  weit  nar 

der  weit  narr 

der  weit  tor 

auf  der  weyse 

Neuntzigj.  der  kind  spot 

der  Kind  spot 

der  kinder  spot 

der  lewthe  spott 

100. 

Hundert  jaur  pfleg  dein 
got. 

Nun  gesogen  dich  got. 

gnad  dir  got. 

irbarme  dich  vn- 
ser  barmherezi- 

ger  ahn  echtige r 
gott. 

3.  cod.  BegiflL 

4.  Gengenbach. 

5.  Cento. 

6  a.  Agricola. 

1". 

ein  kint 

ein  kind 

ein  kind 

ein  kindt 

_ 

evn  iungelink 

ein  jüngling 

ein  iüngling 

ein  iüngelingk 

evn  man 

»-in  mann 

ein  man 

ein  man 

wol  getan 

stilstan 

stil  stan 

wolgedan 

stille  stan 

wolgethon 

wol  gethan 

stille  stan 

abe  gan 

abgon 

abgan 

geit  dy  dat  older  an 

dy  zele  bewar 

din  Beel  bewor 

dein  sei  bewar 

ein  griss 

der  werdist  nam 

der  weit  narr 

der  weit  nar 

nicht  mer  wiss 

der  kinder  spoth 

der  kinder  spot 

der  kinder  spot 

der  kinder  spot 

100. 

nu  helfe  vns  got. 

nun  gnod  dir  _  1 

nun  gnad  Dir  got. 

gnade  dy  Godt. 

1)  Das  seltene  buch  hat   mir  die  Verwaltung  der  Weimarer   bibliothek   (herr 
oberbibliothekar  dr.  E.  Köhler)  gütigst  zur  Verfügung  gestelt:  Abbildung,  Derer  VJLLL 


ZEHN    ALTERSSTUFEN 


391 


6  b.    Airricola. 

7.  Egenolf. 

8.  Stimmer. 

9.  de  Necker. 

10. 

ein  Kindt 

ein  kindt 

Kindisch 

..■in   Kindt 

20. 

ein  Jüngling 

ein  jüngling 

1»  indisch 

ein  Jüngling 

30. 

ein  Man 

ein  man 

.•in   Man 

ein  Alan 

40. 

wolgethan4 

wol  gethan 

hausshaltea  kau 

Wolgethan 

50. 

still  stau 

still  stau 

BÜU   stahn 

stillstahn 

00. 

geht  dichs  alter  an 

geht  das  alt. Tan 

gehts  alter  ahn 

gehets  allter  an 

70. 

ein  greis 

ein  gr< 

ain  Greis 

ein  Gn 

SO. 

nimmer  weis 

nimmer  wei 

nimmer  v. 

nimmer  weis 

90. 

der  Kinder  spott 

der  kindtcr  spott 

der  Kinder  spot 

der  Kinder  spotl 

100. 

gnad  dir  gott. 

gnad  dir  Gott. 

ii  ad  dir  Got! 

genad  dir  Gott. 

10.   Buchler. 

11.  Peters. 

L2.   Guarinon. 

13.  Weidner. 

10. 

ein  Kind 

ein  Kind 

ein  Kind 

ein  kindt 

20. 

ein  Jimgling 

ein  jüngling 

ein  Jüngling 

ein  jüngling 

30. 

ein  Man 

ein  Mann 

ein  Alan n 

ein  Mann 

40. 

wol  gethan 

wol  gethan 

wolgethan 

wol  gethan 

50. 

still  stahn 

stille  stahn 

stille  stahn 

still  stahn 

60. 

gehet  das  alter  an 

gehets  alter  an 

fahet  das  Alter  an 

gehts  alter  an 

70. 

ein  greiss 

ein  greiss 

ein  Greyss 

ein  greiss 

80. 

nimmer  weiss 

nimmer  weiss 

wunderweiss 

nimmer  wei 

90. 

der  Kinder  spot 

der  Kinder  spot 

der  Kinder  spott 

der  kinder  spott 

100. 

gnad  dir  Gott. 

gnad  dir  Gott. 

gnad  dir  (iott. 

genad  dir  Gott. 

ersten  Durchlauchtigsten,  Grossmächtigsten  Hertzogen  zu  Sachsen  usw.  .  .  .  Sammt 
kurtzer  Beschreibung  ihres  allerseits  Christi. -Löbl.  Lebens,  und  Regiments,  auch 
Glorwürdigsten  Höchst-.  1  igen  Absterbens,  Auch  der  beygefügten  Zehen-Alter 
Des  Menschen,  Männlichen  und  "Weiblichen  Geschlechts,  Mit  ihren  Stu- 
diis,  Verrichtungen  und  Zuneigungen  Ordentlich  beschrieben.  Gedruckt  im  Jahr  1702. 
Titelbl.  und  31  bl. 

2)  In  der  handschrift:  Sechczig  jaur  nym  der  sei  war  (in  einer  zeile). 

3)  Davor  steht  in  der  handschrift:  Ain  Mensch  ietzo  bey  X  jaren  ist  usw. 

4)  In  der  volständigen  samlung  (Siebenhundert  vnd  Fünffzig  Teütscher  Sprich- 
wörter. Hagenau  1534)  nach  Gengenbach:  virtzig  jar  stillstan,  funftzig  jar  wolgetan 
(6  c) ;  sonst  wie  6  b. 


- 


ZACHKR 


14.   Meyer. 

L5.    Abbildung. 

16  a.1 

1 

Kindischer  Art 

ein  Kind 

Zeghen  jär  an  kint 

20. 

ein  Jüngling  Zart 

ein  Jüngling 

zboanek  das  bille  dink 

ein  starker  Mann 

ein  Mann 

draick  an  man 

wol  gethan 

wolgethan 

viorek  an  stamm 

stille  stehen 

stille  stahn 

vick  man  stan 

ins  Alter  gehen 

gehts  Alter  an 

sechck  abe  ghen 

ein  alter  Greis 

ein  Greiss 

sibeck  alter  graisz 

- 

nicht  mehr  w. 

nimmer  weiss 

ack  allar  baiz 

r  Kinder  spott 

der  Kinder  Spott 

nennck  an  spoat 

l( 

.ad  dir  Gott 

genade  dir  Gott. 

ondort  da  genadcinc  got. 

16  b. 

17. 

18. 

10. 

ein  Kind 

ein  Kind 

ein  muntrer  Knabe 

_ 

das  wilde  Ding 

ein  Jüngling 

ein  loser  Vogel 

30. 

ein  Mann 

ein  Mann 

ein  Schwärmer 

40. 

ein  Stamm 

wohlgethan 

Stille  stehn 

mag  (noch)  stehen 

stille  stahn2 

gehts  Murren  an 

60. 

abwärts  gehen 

gehts  Alter  an 

zählst  was  Du  hast 

: 

alter  Greis 

greis,  ein  Greis 

Dir  selbst  zur  Last 

vor  allen  we 

weiss,  schneeweiss 

lebendig  tod 

ein  Spott 

der  Kinder  Spott 

helf  Dir  Gott 

100. 

da  gnade  ihm  Gott. 

Gnade  von  Gott. 

r 

1)  16,  17.  18  moderne  fassungen.  16  aus  Joh.  Andreas  Schindlers  sogenantem 
cimbrischen  wörterbnche,  (das  ist  deutsches  idiotikon  der  sette  und  tredeci  communi 
in  den  Venetianischen  alpeu,  dieser  kleinen  deutschen  Sprachinseln  mitten  auf  ita- 
lienischem g(  .  mit  einleitungen  und  Zusätzen  herausgegeben  von  Jos.  Bergmann, 
Wien  nach  freundlicher  mitteilung  des  herm  oberbibliothekar  dr.  R.  Köhler. 
Weimar \  17.  die  auf  den  modernen  bilderbogen  gebräuchliche  form:  Nürnberg,  bei 
Fr.  Campe,  E.  G.  May  Söhne.  Frankfurt  a.  Main,  Oehmigke  u.  Riemschneider ,  Neu- 
Rnppin;  vgl.  Goedeke,  Gengenbach  579  fg.;  18,  widerum  nach  gütiger  mitteilung 
ht'rra  dr.  R.  Köhlers,  in  einem  briefe  Albertines  v.  Grün,  freundin  von  Merck,  an 
Jul.  und  Marianne  Höpfner,  bei  Wagner,  briefe  aus  dem  freundeskreise  von  Goethe, 
Herder,  Höpfner  und  Merck,  nr.  47.  s.  295  und  bei  Schwartz,  Alb.  v.  Grün  und  ihre 
freunde,  nr.  72,  3.  144;  alle  drei  fassungen  nur  der  volständigkeit  halber  mitgeteilt, 
ohne   dass  sie  natürlich   in   der  abhandlung  selbst  berücksichtigung  gefunden  hätten; 

-      •     Ifenbar  durch  ein  versehen  der  briefschreiberin  die   zeile  für  das  40.  jähr 
( wohlgethan)  ausgefallen. 

2)  In  mündhcher  Überlieferung  auch:  geht  auch  noch  an. 


ZEHN    ALTERSSTUFEN 


393 


II.     Das   weibliche  alter. 


1.    Tobias  Stimmer. 

2.   de  Necker. 

3.    Peter-. 

10. 

Kindischer  art 

Kindisch  vnd  klein. 

kindisch  und  kl» 'in. 

20. 

ein  Jungfrau  zart 

ein  Jungfrewlein. 

ein  Jungfrewlein, 

30. 

im  hauss  die  frau 

ein  Fraw  du  an. 

ein  Frau  Simon 

40. 

ein  Matron  genau 

Regieret  schon. 

ein  herrin  Matron. 

50. 

eine  Grossmuter 

voller  Relligion. 

voller  Religion, 

60. 

dess  Alters  sehuder 

jhr  wol  Ausswarten  kau. 

wol  ausswarten  kann. 

70. 

alt  Yngestalt 

allt  Yngestalt. 

alt  Ynd  vngestalt, 

80. 

wüst  vn  d  erkalt 

hesslicher  dannvor. 

Viel  hesslicher  den  vor. 

90. 

ein  Marterbildt 

der  Welt  schabab. 

der  Welt  schabab. 

100. 

das  Grab  aussfült 

füllt  das  Grab. 

füllet  das  Gral-. 

4.    Abbildung  usw. 

5.    Ratbüchlein. i 

10. 

ein  Mägdlein 

ein  Kind 

20. 

ein  Jungfrau 

eine  Meretrix 

30. 

eine  Frau 

eine  Näderin 

40. 

ein  Hertzen  Mütterchen 

eine  Schenkin 

50. 

stille  stahn 

eine  Schmeckenbinderin  - 

60. 

gehts  Alter  an 

eine  Krapfenbäckcriu 

70. 

ein  Alt  Mütterchen 

eine  Kupplerin 

80. 

nimmerweiss 

eine  Zauberin 

90. 

der  Kinder  Spott 

taugt  nimmer  gar 

100. 

genade  dir  Gott. 

holt  sie  jener  mit  Haut  und  Haar. 

Aus  dem  vorstehenden  ergeben  sich  also  folgende  Varianten : 
10  jähr:  ein  kincl  bieten  alle;  lediglich  formal  ändern  8  kindisch  und 
14  kindischer  art. 

20  jähr:  ein  Jüngling,  alle,  bis  auf  14,  der  des  reimes  wegen 
schreibt:  ein  jüngling  zart,  und  8  rindisch,  was  sich  aus  den  hernach 
zu  besprechenden  bildern  erklärt. 

30  jähr:  ein  mann,  alle;  14  ein  starker  mann. 

40  jähr:  wolgetan,  alle;  nur  8  ändert  wilkürlich:  hausshalten  kam 
und  4,  5,  6C  vertauschen  die  Sprüche  der  40  und  50  jähre,  setzen  zu 
4U  stille  stan,  zu  50  wol  gethan. 

1)  Neu  vermehrtes  rath - büchlein.  Mit  allerhand  weit-  und  geistlichen  fragen 
samt  deren  beantwortungen  (rocken -büchlein);  nach  freundlicher  mitteilung  herrn 
dr.  R.  Köhlers;  der  kuriosität  halber  mitgeteilt;  bl.  Alb:  welches  sind  die  10  alter 
der  bösen  weiber?    Antwort: 

2)  Vgl.  Frisch  H,  204  eine  schmecke:  ein  blumenstrauss;  der  spaten  p.  1871 
Schmeller  II2,  543. 


394  ZACHER 

50  jähr:  stille  st&n,  alle;  lediglich  formal  weichen  ab  14:  stille 
stehen,  und  1,  aus  verbalem  in  substantivischen  ausdruck  sich  ver- 
irrend: stilstand;  die  von  4,  5,  6C  vorgenommene  vertauschung  war  eben 
erwähnt 

60  jähr:  abegan.  AI  fehlt;  3  abegan;  A2,  1,  5  abgan;  4  abgon; 
2  abe  lonn;  (i:l  geit  dy  dat  older  an;  6bc  geht  dichs  alter  an;  7,  8,  9, 
in.  11.  13,  15  gehts  (geht  das)  alter  an:  12  t'ahct  das  alter  an;  14 
ins  alter  gehen. 

70  Jahr:  ein  greis.  AI  nym  der  sei  war;  A.2  so  nym  dein  selbs 
war:  1  die  sele  bewar;  3  dy  zele  bewar;  4  diu  seel  bewor;  5  dein 
sei  bewar;  2,  6b  eyn  greyse  (6:l  ein  griss),  ebenso  7,  8,  9,  10,  11. 
L2,   13,  15;   14  ein  alter  greis. 

80  jähr:  ?.  AI,  A 2,  4,  5  der  weit  narr;  1  der  weit  tor;  3  der 
werdist  nam;  2  aus  der  weyse;  6ob,  7,  8,  9,  10,  11,  13,  14,  15  nicht 
mer  wiss  (nicht  mer  weis,  nimmer  weis):  12  wunder  weiss. 

90  jähr:  der  kinder  spot,  alle  (AI,  A2  der  kind  spot),  nur  2 
der  lewthe  spott. 

100  jähr:  nu  gnäd  dir  got.  AI  pfleg  dein  got,  A2  Nun  gesegen 
dich  got;  1,  6,  7  — 15  gnad  dir  got;  4,  5  nun  gnad  dir  got;  3  nu 
helfe  vns  got;  3  irbarme  dich  vnser  barmhereziger,  almechtiger  gott. 

Jacob  (nimm   erwähnt  diese  verse  in  seiner  rede  über  das  alter, 

kleinere  Schriften,  Berlin  1864,  1,  191  fg.  und  zwar  in  drei  fassungen, 

in    einer   jungen,    noch   jezt    lebenden    Volksüberlieferung,    in    der    des 

ogenbach,  und  in  der  der  Breslauer  Rehdigerschpn  handschrift,  aber 

i  r  streift  sie  eben  nur,  ohne  sich  näher  auf  sie  einzulassen. 

Aus   der   summe    der    oben    angeführten    Varianten    geht    deutlich 

hervor,    dass  allen  verschiedenen  fassungen    nur   ein    einziger  text  zu 

ande  liegt,    und  dass  über  dessen  ursprünglichen  Wortlaut  kaum  ein 

zweifei  obwalten  kann,    etwa  mit  alleiniger  ausnähme  der  formel  für 

-  80.  jähr. 

Die  grundanschauung,  über  der  die  ganze  spruchreihe  sich  auf- 
haut, ist  die,  dass  bis  zu  40  jähren  die  kraft  des  menschen  aufsteigt, 
mit  50  jähren  den  höhepunkt  erreicht  hat  und  von  da  ab  wiederum 
al  zu  dem  selten  erreichten  100.  jähre.    Aus  derselben  grund- 

anschauung sind  auch  diejenigen  bildlichen   darstellungen   hervorgegan- 
n.  welche  das  menschliche  leben  in  einer  stufenweisen  auf-  und  wie- 
der a  den  bilderreihe  veranschaulichen. 

Daraus  folgt  zunächst,  das-  Gengenbachs  vertauschung  der  verse 
des  40.  und  50.  Jahres  eine  irtümliche  und  fehlerhafte  ist,  seine  mora- 
lisierende erörterung  zum  40.  jähre'  bezieht  sich  lediglich  auf  unkeusch- 


ZEHN   ALTERSSTUFEN  395 

heit    und    ]ässt    das    darübergesezte    motto:    stilstan    völlig    unbeachtet. 
Seine  erklärung  zum  50.  jähre: 

Im  alter  heiss  ich  wol  gethan 
AI n  erber  wäsen  soU  ich  hon 
An  vemunfft  weisshait  soll  ich  v&  nämen 
passt  zwar  zu  seineu  moralisierenden  zwecken,  kann  aber  aus  dein 
Spruche  selbst  nur  durch  eine  wilkürliche  und  gewaltsame  deutung 
erzwungen  werden,  welche  den  Zusammenhang  der  ganzen  spruchreihe 
misachtet  und  verkent.  Und  wenn  Jacob  Grimm  s.  19l}  Bagt:  Die 
unbestimte,  bald  auf  40,  bald  auf  50  und  (50  erstreckte  bezeichnung 
„ist  wohlgethan",  scheint  ein  schon  genügendes,  genügsames  Lebensziel 
auszudrücken,  so  ist  das  nichts  anderes,  als  eine  flüchtig  hingeworfene 
äusserung,  die  er  zurückgehalten  haben  würde,  wenn  er  die  ganze 
spruchreihe  und  die  summe  ihrer  Wandlungen  eingehender  untersucht 
und  erwogen  hätte.  Denn  genau  erwogen  kann  die  bezeichnung  „wo! 
getan"  nur  zum  40.  jähre  gehören  und  wie  sie  bei  dieser  steht,  kann 
sie  nur  gebraucht  sein  in  demselben  sinne,  in  welchem  sie  in  spräche 
und  litteratur  des  13.  Jahrhunderts  algemein  üblich  war,  nämlich  in 
der  bedeutung:  treflich  beschaffen,  schön,  statlich,  volkommen1.  Der 
vierzigjährige  hat  also  nicht  wolgetan,  sondern  ist  wolgetan,  er  steht. 
nachdem  er  mit  30  jähren  zum  manne  herangereift  war,  jezt  in  der 
ganzen  fülle  seiner  körperlichen  und  geistigen  kraft. 

Ein  noch  weiteres  anwachsen  der  körperlichen  kräfte  und  der- 
jenigen geistigen,  die  gerade  in  der  ersten  lebenshälfte  am  regsten  und 
leistungsfähigsten  sind,  der  einbildungskraft  und  des  gedächtnisses,  ist 
nach  den  algemeinen  naturgesetzen  bei  dem  menschen  zwar  unmöglich, 
aber  sie  halten  doch  in  der  regel  noch  eine  gute  weile  wirksam  und 
tüchtig  vor:  Daher  heisst  es  bei  dem  50.  jähre  in  allen  Überlieferungen 
des  Spruches:   „stille  stän". 

Aber  nach  diesem  Jahrzehnt  begint  das  abnehmen  der  körper- 
lichen und  der  ebengenanten  geistigen  kräfte,  welches,  entsprechend 
der  anschauung,  die  der  ganzen  spruchreihe  zu  gründe  liegt,  in  den 
ältesten  aufzeichnungen  durch:  „abegän"  völlig  und  genau  zutreffend 
ausgedrückt  wird,  und  die  Variante  „abelän"  der  Breslauer  Rehdiger- 
schen  handschrift  ist  nur  eine  Verunstaltung  dieses  treffenden  und  pas- 
senden ausdruckes.  Wenn  nun  zuerst  Agricola  statt  dessen  sagt:  „geit 
di  dat  older  an",  so  fält  er  damit  zwar  aus  dem  Charakter  der  spruch- 

1)  "Wie  z.  b.  in  "Wolframs  Parzival  29,  2  die  königin  Bolakane  inne  wird,  dass 
der  angekommene,  fremde  ritter  Grahnraret  „wol  getan",  dass  er  ein  schöner,  statlicher 
mann  sei. 


ZACHER 

reihe,  indem  er  etwas  _  ichsam  von  aussen  hinzugekommenes  einführt: 
aber  dieser  ausdruck  hat  doch  auch  noch  etwas  anschauliches  und  sin- 
lich  lebendiges,  -  fern  er  das  alter  als  einen  feind  auffasst.  der  den 
menschen   schädigend   antalt.      Die  späteren   dagegen,    welche  das  per- 

oalpronomen  di  oder  dich  w<  2    ssen    (gehts  alter  au.   fahet  das  alter 
an),       _     _■  n  sich   mit  einer  matten,    zum   Charakter  der  spruchreihe 
len  abstraktion. 
Zu  70  jahren  bietet  die  mehrzahl  der  ältesten  aufzeichnungen  die 
formel:    die    sele   bewar.     Diese    steht  zwar   an    sich    nicht   in   wider- 
sprach  mit  der  gewöhnlichen    anschauung   des    mittel-    und    noch  d< 
reformationszeitalters,     welche    gerade    dem    gealterten    menschen    die 
sein   Seelenheil  besonders  dringend    empfahl.     Aber   sie   fält 
2  dz  und  gar  aus  dem  gesamten arakter  der  spruchreihe,    welche  nichts 
anderes  bietet    und  bieten   will,   als  jedesmal   einen  ganz  kurzen   und 

ffenden  ausdruck  für  die  erscheinung.    welche  der  mensch  auf  einer 

stimten  altersstufe  darbietet.  Formal  aber  wird  sie  überdies  kritisch 
verurteilt  durch  den  sprach,  der,  lediglich  um  einen  reim  auf  bewar 
zu  gewinnen,  in  denselben  aufzeichnungen  den  80  jahren  gegeben  wor- 
den ist  und  dessen  albernheit  alsbald  erwiesen  werden  soll. 

Dagegen  ist  die  formel  der  übrigen  aufzeichnungen:  ein  greis 
unzweifelhaft  die  allein  richtige  und  ursprüngliche.  Denn  die  spräche 
zeichnet  die  vier  grossen,  deutlich  ins  äuge  fallenden  alters- 
3t  ifen  des  menschen  durch:  kind,  Jüngling,  mann,  greis.  Wenn  nun 
aber  bereits  die  drei  ersten  derselben  ausdrücklich  genant  waren,  so 
koute  in  einem  aus  der  volksanschauung  stammenden  und  in  der 
überlieferunG:  lebenden  spruche  auch  die  vierte  durchaus  nicht  fehlen. 
Darum  muste  es  hier  im  XY.  Jahrhunderte  heissen:  ein  greis,  und 
fals  der  Ursprung  des  Spruches,  was  bei  seiner  schon  im  XY.  Jahrhun- 
dert ganz  algemeinen  Verbreitung  wol  möglich  ist,  bis  in  die  erste 
hälfte  des  XIII.  zu  rücken  ist.  damals  heissen:  ein  grise. 

Beim  80.  jähre  gehen  die  formein  der  verschiedenen  aufzeich- 
nungen und  der  noch  jezt  lebendigen  Überlieferung  am  weitesten  aus- 
einander.    Die  formel  des  Weigelschen   holzsehnittblattes:   der  weit  tor, 

t  ihrem  inhalte  nach  gedankenlos  und  albern,  ihrer  form  nach  ein 
erzengnis  erst  des  15.  Jahrhunderts.  Denn  albern  ist  es  zu  sagen,  der 
achtzigjährige  werde  bereits  von  aller  weit  für  einen  toren,  d.  h.  für 
-einer  verstandeskräfte  verlustigen  gehalten,  aber  erst  der  neun- 
ährigi  falle  dem  spotte  der  kinder.  Unverkenbar  aber  verdankt 
diese  formel  ihren  Ursprung  lediglich  dem  bedürfnisse,  auf  die  ebenso 
ungehörige    formel    des    70.  Jahres:     die    sele    bewar,     einen    reim    zu 


ZF.HN"    ALTERSSTFFRN 

finden.      Dem    L5.  Jahrhundert    aber    war    ein    reim:    bewaritor, 
wie  Gengenbach  mir  gi   ss  rer  annäherung  an  den  vokal       ssert:    be- 
war  :  narr,    unanst  —  2       D«'in    L3.  Jahrhundert,    bis    in    welches    die 
spruchreihe   sehr   wohl    hinaufreichen    kann,    wäre   dag  g  1  im 

bewar  :  töre,  oder  auch  bewai  :  narre,  durchaus  ni  hl  g        tri  g       sen. 
Ob  dem  Schreiber  der  Königs!     _      handschrift  1     -       rmel  \    .  _     gen 
habe,    lässt  sieh  nicht  mir  Sicherheit    entscheiden.         billigt    könte  er 
■  keineswegs  haben,  denn  sein  2     der  werdist  nam.       -  gl  ja 

ziemlich  das  gegenteil.  Echr  und  ursprünglich  kann  diese  Königsber- 
2  r  forme]  freilich  niehr  sein,  weil  sie  den  reim  ganzlich  zersr<">rr  und 
misaehrer.  3  ir  Agricola  herscht  in  der  gedruckten  Überlieferung  die 
formel:  nichr  mer  wiss.  oder:  nimmer  weiss:  aber  sie  verdient  bezü_- 
lich    ihrer    echtheit   und   ursprünglichkeit   wol   noch    v  ein    gün- 

stiges urreil  als  die  ebenfals  s»-ir  Agricola  herschende  formel  -  I 
jahres:  gehr  dich  das  airer  an.  Denn  ihrem  Inhalte  nach  widerspricht 
sie  der  algemein  gangbaren  und  auch  im  wesen  der  Sache  begründeten 
auffassung,  welche  auf  der  einen  seite  jagend  und  torheit,  auf  der 
anderen  airer  und  Weisheit  synonymisierend  zusammenfassr.  wieWacki  - 
nagel  bereirs  s.  13  hervorgehoben  und  mir  beispielen  belegt  hat 
heissr  es  z.  b.  in  der  lezren  zeile  des  gedichts  ,.  der  vrouwen  turnei" 
iv.  d.  Hagen  Gesamtabenteuer  1.  382)  zur  bezeichnung  des  alrei-_  gen- 
satzes  in  der  Heidelberger  handschrift:  der  man  si  junk  oder  gris, 
dagegen  in  der  Ooloczaer:  junc  oder  wis.  Und  dass  mir  dem  80.  jähre 
die  wisheit,  die  gesammelte  kentnis  und  Lebenserfahrung  des  grlsen, 
des  ergrauten,  bereits  erloschen  sein  solre.  srimr  weder  zu  der  aufl  3- 
sung  des  mittelalters  noch  der  gegenwart  Aber  auch  formal  wird 
Ajrricolas  fassung  verdächtig  g<  genüber  einer  älteren,  in  der  Breslauer 
Rehdigerschen  handschrift  des  lö.  Jahrhunderts  erhaltenen  gestaltunf 
aus  der  weys  Wackernagel  meiur  /.war.  s.  32,  dies  „aus  der  weys 
bedeute  „aus  der  Weisheit,  der  Weisheit  verlustig*1.  Aber  di<  -  rklär 
rang,  zu  der  er  wol  nur  durch  Agricola  und  dessen  nachfolger  ver- 
leitet worden  isr.  dürfte  sich  doch  kaum  sprachlich  rechtfertigen 
lassen:  denn  ein  absrrakres  feminin -subsranriv:  diu  weise  in  d< 
bedeutung:  die  weisheir  möchte  wol  schwerlich  aus  älterem  oder  jün- 
gerem sprachgebrauche  nachgewiesen  und  belegt  werden  können.  Wo 
der  ausdruck  ..aus  der  weis"  sonst  vorkomt,  bedeutet  er:  ausserhalb 
der  gewöhnlichen  weise  oder  an.  über  übliche-  und  gewöhnliches  mass 
oder  beschafienheit  hinaus,  ausserordentlich,  ähnelt  mithin  in  bildung 
und  bedeutung  der  in  älterer  spräche  sehr  üblichen  formel  „  u/,  der 
ma/te.  u/,  der  ma/.en"   und  dem  nur  wenig  weiter  abliegenden   „n/,  der 


398  ZACHER 

ante"  (vgl.  &r.  TIL  181).  S  •  sagt  Konrad  von  Megenberg  in  seinem 
Buch  der  natur  (ed.  Pfeiffer,  s.  212):  „Porphirio  ...  ist  ain  vogel  auz 
der  gewonhait  und  au/  der  weis  anderr  vogel  ....  wan  er  hat  ainen 
praiten  fdoz  ze  swimmen,    und  hat  ainen   andern  gespaltenen  fuoz  ze 

gen  auf  dem  lande  ..."  Und  ebenso,  besonders  im  schlimmen  sinne, 
wird  dies«:  forme!  noch  jezt  gebraucht  im  bairischen  dialekte,  nach  dem 

ugnis  von  Schmeller  (2U,  1024),  und  im  Tirolischen  nach  Schöpf 
(in  Fn»mmann.  Die  deutschen  mundarten  4,  66,  und  in  seinem  Tiro- 
lischen  idiotiton,  Insbr.  1866,  s.  23).  Mithin  wird  man  wol  schliessen 
dürfen,  die  meinung  der  formel  aus  der  weise  solle  sein,  mit  dem 
80.  jähre  habe  der  mensch  ein  bereits  seltenes  und  ungewöhnliches 
ziel  des  greisenalters  erreicht;  wie  schon  der  psalmist  sagt,  90,  10: 
„Unser  leben  währet  siebenzig  jähre,  und  wenn  es  hoch  konit,  so  sind 
3  achtzig  jähre". 

Die  Vermutung,  dass  in  der  formel  der  Kehdigerschen  handschrift 
..aus  der  weise"  die  ursprüngliche  und  echte  fassung  erhalten  sein 
könne,  wird  unterstüzt  durch  mehrere  gründe.  Es  sprechen  dafür  der 
reine  reim  grise  :  Avise  und  die  Schwierigkeit,  einen  anderen  reinen 
reim  auf  wise  zu  finden,  der  einen  besseren  oder  auch  nur  gleich 
guten  sinn  gäbe.  Und  wie  bei  der  formel  des  60.  Jahres  die  mehr- 
d-utigkeit  des  ausdruckes  abegan  (aufhören,  ablassen,  unterlassen,  ver- 
.).  und  die  verhältnismässige  Seltenheit  der  dort  gemeinten  bedeu- 
tnng  (abwärts  gehen,  nachlassen)  zu  änderungen  verleitet  hat,  so  mag 
auch  hier  der  umstand,  dass  die  redensart:  üz,  der  wise  nicht  algemein 

ogbar  war  und  dass  ihre  hier  gemeinte  bedeutung  nicht  für  jeder- 
mann sofort  zweifellos  klar  und  sicher  zu  tage  lag,  veranlassung  zu 
änderungen  gegeben  haben.  Die  seit  Agricola  in  der  schriftlichen 
Überlieferung  herschende  fassung:  nicht  mehr  weis,  behält  zwar  den 
reinen  reim  grise  :  wise  bei,  verwechselt  aber  das  Substantiv  wise 
(modus)  mit  dem  ihm  nach  Ursprung  und  sinn  ganz  fernstehenden 
adjeetiv  wtsi  sapiens),  und  gibt  damit  dem  Spruche  einen  ganz  ande- 
ren, und  wie  oben  gezeigt  wurde,  ganz  ungehörigen  sinn.  Daher  ist 
in  dei'  von  roiarinonius  dargebotenen  fassung  die  formel  nicht  mehr 
weis  mit  vollem  rechte  verworfen;  was  jedoch  unter  dem  von  ihm 
dafür  gebrauchten  Kmnderweiss  gemeint  sei,  lässt  sich  nicht  sicher 
entscheiden,  da  zweifelhaft  bleibt,  ob  sein  -weiss  einem  mhd.  -votse 
s)  oder  wi$  (albus)  entsprechen  solle. 

Die  noch  jezt  mündlich   umlaufende  und  algemein  gangbare  for- 
mel lautet:  x-hneeweiss,  im  schlesischen  volksdialekte:  schlöweiss.    Die- 
chloweiss  erklärt  v.  Holtei   im  glossare  zur  ersten   ausgäbe  seiner 


ZEHN   ALTERSSTUFEN  399 

schlesischen  gediente  (Berlin,  L830,  s.  157)  folgendermassen:  „schlö- 
weiss,  schl6weiss,  für  schneeweiss.  Vielleicht  komt  es  auch  gleichnis- 
weise von  der  blute  der  schienen -pflaume,  Prunus  spinosa,  die  im 
frühling  die  hecken  wie  «'in  weisses  tuen  überzieht".  Auch  Joh.  Chp. 
v.  Schmid  in  seinem  schwäbischen  wörterbuche  (2.  ausg.  Stuttgart 
ls-44.  S.  468)  sagt:  schlohweiss,  sehr  weiss,  wie  z.  b.  dornschlehblüte, 
woher  das  wert  entstanden  sein  mag".  Und  an  sieh  wäre  ja  auch 
diese  deutung  nicht  unmöglich  und  unzulässig,  denn  im  barischen  dia- 
lekte  findet  sich  ein  völlig  ausgeprägtes:  Bchle-blüe-weiss,  schle-blüel- 
weiss  =  sehr  weiss  (Schmeller,  bair.  wb. 2  II.  520).  Gleichwol  ist  sie 
schwerlich  richtig.  Denn  selbst  in  Schlesien  begegnet  daneben  die 
form  schlossweiss.  Vilmar,  Idiotiken  von  Kurhessen  (Marburg  u.  Leip- 
zig 1868,  s.  357)  belegt  die  form  schlossweiss  für  Hessen  und  bemerkt 
dazu:  Die  formen  schlohweiss,  schlotteweiss  u.  dergl.,  welche  ander- 
wärts vorkommen,  sind  hier  gänzlich  unbekant,  um  so  mehr,  als  man 
die  vergleichung  mit  schlössen,  welche  das  wort  enthält,  durchgängig 
noch  sehr  wol  versteht".  Aus  dem  nordwestlichen  töittelfranken 
bezeugt  die  form  schlossweiss  Fr.  W.  Pfeiffer  in  Frommanns  deutschen 
mundarten  G,  468,  und  aus  dem  Elsass  v.  Schmid  in  seinem  schwä- 
bischen wörterbuche  s.  468.  Demnach  entscheidet  die  algemeine  Ver- 
breitung für  die  form  schlossweiss,  aus  welcher  die  andere  form  schlö- 
weiss  durch  Verderbnis  entstanden  ist,  ebenso  die  dritte  schlotteweiss, 
oder  in  Nürnbergischer,  noch  weiter  gehender  Verstärkung:  schnei - 
schlottS-weis,  schnei -blei- Schlotte -weis  (Schmeller2  II,  539).  Bestä- 
tigend treten  andere,  mit  synonymen  von  „schlösse"  gebildete  aus- 
drücke hinzu,  wie  hagelweiss,  schneehagelweiss  (Grimm  IV,  2,  149), 
und  riselweiss,  blüe-risel- weiss,  sehne -blüe-risel- weiss,  weiss  wie 
schlössen,  schneeweiss  (bairisch,  Schmeller2  II,  147;  tirolisch:  Schöpf, 
s.  558;  vgl.  L.  Tobler,  Über  die  verstärkenden  Zusammensetzungen  im 
deutschen,  in  Frommann,  die  deutschen  mundarten,  b.  5). 

Die  jezt  gangbare  fassung  der  mundartlichen  Überlieferung  besagt 
also,  dass  das  haar,  welches  mit  dem  70.  jähre  ergraut  war,  mit  dem 
80.  ganz  weiss  geworden  ist.  Sie  passt  mithin  sehr  wol  zu  dem 
gesamteharakter  der  spruchreihe,  sofern  sie  ein  augenfälliges  und  cha- 
rakteristisches äusseres  merkmal  des  altersfortschrittes  kurz  und  tref- 
fend bezeichnet.  Aus  ihrer  sprachform  jedoch  ist  zu  schliessen,  dass 
sie  erst  jüngeren  Ursprunges  ist.  Denn  ein  reim  grlse  :  wiz,  wäre  der 
ersten  hälfte  des  13.  Jahrhunderts  nicht  gerecht  gewesen,  und  wenn 
gegen  ablauf  des  13.  Jahrhunderts  bei  dem  minnesinger  Kuonrät  von 
Altstetten  (v.  d.  Hagen,  Minnesinger  2,  651')  die  reime  wiz,  :  pris  :  gris 


400  ZACHER 

begegnen,  so  ist  hier  zu  einer  zeit,  wo  der  frühere,  lautliche  unter- 
schied zwischen  auslautendem  s  und  z,  bereits  schwand,  das  adjectiv 
gris  gebraucht,  nicht  aber  eine  kürzung  des  substantives  der  grise. 

Beim  90.  jähre  stimmen  alle  quellen  überein,  die  handschrift- 
lichen, die  gedruckten  und  die  noch  lebende  mündliche  Überlieferung. 
Wenn  aber  Wackernagel  s.  31  die  ansieht  aufstelt,  die  formel:  der 
kinder  sp.it  habe  ..ursprünglich  gemeint:  die  üble  behandlung  von  Sei- 
ten der  eignen  kinder,  weil  der  vater  ihnen  gar  zu  lange  lebe",  so 
trägt  er  etwas  hinein,  was  Dicht  darin  zu  liegen  braucht,  und  was 
ursprünglich  ganz  unzweifelhaft  auch  gar  nicht  darin  liegen  solte.  Hans 
Sachsens  von  AVackernagel  dafür  angeführte  verse: 

Du,  alter,  hast  mir  bracht  solch  schätz, 
Dass  ich  bin  meiner  kinder  spott, 
Die  nur  hoffen  auf  meinen  tod, 
Auf  dass  sie  erwerben  mein  gut 

können  für  die  ursprüngliche  bedeutung  dieser  Sprüche  doch  unmög- 
lieh  ein  massgebendes  und  entscheidendes  zeugnis  ablegen;  dies  ist 
vielmehr  zu  schöpfen  aus  dem  gesamteharakter  der  ganzen  spruchreihe. 
Und  wie  bei  allen  übrigen  altersstufen  nur  die  äussere  erscheinungs- 
form  kurz  und  treffend  bezeichnet  werden  soll,  so  anch  hier:  Der  neun- 
zigjährige erscheint  nach  seiner  körperlichen  beschaffenheit  so  hinfallig 
und  gebrechlich,  dass  er  gerade  die  infolge  ihrer  beweglichkeit  so  über- 
mütigen kinder  durch  den  gegensatz  veranlasst,  über  den  langsamen, 
ungeschickten  und  unbehilflichen  alten  zu  spotten,  der  ihrer  behendig- 
keit  nicht  folgen  kann.  Dass  dies  auch  die  meinung  der  volksüber- 
lieferung  schon  im  15.  Jahrhundert,  also  vor  Hans  Sachs  gewesen  ist, 
wird  überdies  auch  tatsächlich  bewiesen  durch  die  Variante  der  Eeli- 
digerschen  handschrift:  der  lewthe  spot,  welche  ja  unleugbar  bezeugt, 
dass  nicht  die  eigenen  kinder  des  neunzigjährigen  gemeint  sein  sollen. 

Ob  zum  100.  jähre  gesagt  wird:  genäde  dir  got,  oder:  pfleg  dein 
got,  oder:  helfe  uns  got,  oder  endlich:  erbarme  dich  unser,  got —  das 
läuft  in  der  sache  auf  dasselbe  hinaus;  aber  in  der  fassung  gehen  gerade 
die  ältesten  quellen  am  meisten  aus  einander.  Das  pronomen  mag  sich 
eingestelt  haben,  weil  man  gewöhnt  war,  das  verbum  genäden  mit 
dem  dativ  der  person  zu  verbinden.  Der  ursprünglichen  fassung  jedoch 
kann  das  pronomen  ganz  gefehlt  haben,  so  dass  die  ergänzende  hinzu- 
fugung  der  gemeinten  person  dem  leser  oder  hörer  überlassen  blieb. 

Nach  diesen  erörterungen  erseheint  die  Vermutung  zulässig,  dass 
die  ursprüngliche  fa>sung  etwa  folgendermassen   gelautet  hübe: 


ZEHN   ALTERSSTUFEN  401 

zehen  jär  :  ein  kint. 
/weinzec  jär  :  ein  jungelinc. 
drtz^ec   jar  :   ein   man. 
vierzec  jar  :  wo!  getan, 
vümfzec  jär  :  stille  stän. 
sehzee  jär  :   abe  gän. 
sibenzec  jar  :  ein  grise. 
ahtzec  jär  :  ü/,  der  wts 
niunzec  jär  :  der  kinder  spot 
hundert  jär  :  genäde  got! 


II.    Die  bilder. 

Den  gereimten  Sprüchen  geselten  sich  alsbald  bei  ihrem  ersten 
auftreten  auch  bildliehe  veransehaulichungen  der  10  altersstufen  und 
begleiteten  dieselben  bis  auf  den  heutigen  tag.  Diese  darstellungen 
zerfallen  in  zwei  grundverschiedene  reihen,  die  allerdings  meist  ver- 
einigt auftreten:  in  wirkliche  bilder  und  in  symbole.  Die  wirklichen 
bilder  stellen  einen  mann  oder  eine  frau  auf  der  betreffenden  alter— 
stufe  in  entsprechender  gestaltung,  haltung,  hantierung  und  Umgebung 
dar  und  sind  wilkürliche  Schöpfungen  freier  kunstübung  verschieden- 
artigen wertes.  Die  symbolischen  darstellungen  dagegen  sind  aus  der 
volksanschauung  entsprungen  und  haben  in  der  Volksüberlieferung  fort- 
gelebt, können  deshalb  auch  allein  hier  in  betracht  kommen.  Für  den 
symbolischen  ausdruck  bot  sich  hier,  wie  in  der  äsopischen  fabel,  fast 
von  selber  als  geeignetes  mittel  die  tiergestalt  dar,  weil  jedes  tier  einen 
ausgeprägten  gattungscharakter  zeigt  durch  bestirnte,  hervorstechende 
eigenschaften  und  neigungen,  die  in  jedem  einzelnen  tiere  derselben 
gattung  widerkehren.  In  der  versinbildlichung  der  altersstufen  durch 
tiere  war  bereits  das  hebräische,  das  griechische  und  auch  das  ein- 
heimische deutsche  altertum  vorangegangen,  und  zwar  unter  anknüpfung 
an  die  tierfabel  oder  genauer  an  das  tiermärchen.  Nach  einer  fabel 
des  Babrius  (N.  74.  Furia  278.  Coray  194)  kommen  pferd,  stier  und 
hund  vor  frost  zitternd  zum  menschen,  der  sie  an  seinem  feuer  sieh 
wärmen  lässt  und  aus  seinen  Vorräten  ihnen  nahrung  gibt.  Das  ver- 
gelten die  tiere,  indem  sie  als  gastgeschenk  dem  menschen  einen  teil 
ihrer  lebenswahre  überlassen;  das  pferd  sogleich,  deshalb  ist  der  mensch 
in  der  Jugend  übermütig;  darauf  der  stier,  darum  müht  sich  der 
mensch  in   der  mitte   des  lebens  mit  arbeit   und   sammelt  reichtümer; 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.     BD.    XXIII.  -l) 


-1»  rj  RÄCHER 

zulezt  der  lumd.  darum  sind  die  alten  immer  mürrisch,  schmeicheln 
nur  dem,  der  ihnen  nahrung  gibt  und  achton  dir  gastfreundschaft 
ing  (vgl.  W.  Grimm ,  tierfabeln  bei  den  meistersängern.  Berlin  1855, 
s.  21  fg.  =  Kl.  sehr.  [V,  369  fg.).  Ein  bauer  aus  Zwehrn  bei  Cassel 
erzählte  im  jähre  L838  auf  dem  felde  ein  tiermärchen,  aufgenommen  in  die 
samlung  der  brüder  Grimm  unter  nr.  176;  dasselbe  märchen,  in  etwas 
abweichender  motivierung,  kent  auch  die  jüdische  litteratur  in  einer 
versificierten   fassung   des  Jehuda   Levy    Krakau  Ben  Set',    in   der  zeit- 

brift  Hamassef,  Königsberg  1788,  II,  388  fgg.  (nachgewiesen  von 
.  Gengenbach,  s.  588).  '">tt  hatte  dem  esel,  hunde,  äffen  und 
menschen  je  30  jähre  als  Lebensdauer  ausgesezt;  aber  den  tieren 
erschien  dies  mass  zu  lang,  dem  menschen  dagegen  zu  gering.  Da 
erbarmt  sich  gott,  nimt  dem  esel  18,  dem  hunde  12.  dem  äffen  10  jähre 
ab  und  legt  diese  sämtlich  dem  menschen  zu.  Infolgedessen  Lebt  der 
mensch  nun  zwar  durch  seine  ersten  30  jähre  ein  menschenleben;  dann 
aber  kommen  ihm  nacheinander  die  lastjahre  des  esels,  die  knurrigen 
des  hundes  und  die  närrischen  des  äffen,  der  der  kinder  spott  ist  (vgl. 
Kinder-  und  hausm.  der  brüder  Grimm  III 3,  248;  Gödeke,  Gengenbacli 
588;  Wackernagel,  Lebensalter  21).  Nach  der  in  Aurbachers  volksbüch- 
lein  (I,  nr.  12)  enthaltenen  fassung  nimt  der  liebe  gott  dem  esel,  dem 
hunde  und  dem  äffen  von  den  je  30  ihnen  bestirnten  jähren  auf  ihre 
bitten   20   ab    und    legt  diese   dreimal   20  dem  menschen  zu,    der  mit 

inen  30  nicht  zufrieden  ist,  so  dass  nun  die  abschnitte  von  30 --50, 
von  50  —  70.  von  70  —  90  herauskommen. 

Wahrend   di'>  gesamten    mittelalters  war   bibelerklärung,   predigt, 
ttesdienst   und   kirchliche   kunst    von   Symbolik    so    durchtränkt,    dass 
mbolische  auffassung  algemein  verständlich  und  geläufig  wurde.    Um 
Leichter  erweiterten   und  vervolständigten  sich   jene  altüberlieferten 
drei   symbolischen  tiergestalten  zu  einer,   den  10  altersstufen   entspre- 
chenden   zehngliedrigen    reihe,    wobei    allerdings    pferd    und   äffe   ganz 
fortgelassen   sind   und  stier,   hund,   esel  eine  wesentlich  andere  bedeu- 
tung  bekommen  haben. 

Wir  zählen  im  folgenden,  entsprechend  der  oben  gegebenen  Über- 
sicht, die  uns  bekant  gewordenen  darstellungen  auf,  wobei  wir,  wie 
-'hon  bei  den  Sprüchen,  nur  auf  die  allein  volkstümlich  gewordenen 
und  allein  ursprünglichen  zehn  alter  der  männer  näher  eingehen. 


ZEHN    ALTERSSTUFEN 


403 


I.    Dio   zehn    alter   der  männer 


1. 

2. 

3. 

l. 

r». 

7. 

s. 

9. 

10. 

•  LI  latz- 
leim 

Wei- 

gel. 

Mlilirll. 

hdschr. 

ngen- 
bach. 

Aima-     \at.- 
berg.     ums. 

Stim- 
mer. 

de 
Necker 

Abbil- 
dung. 

Wart- 
burg. 

10. 

kitz 

kyz 

kitz 

Rehkalb 

Kall) 

Bock 

, 

Bock 

Bock 

Kalb 

20. 

30. 

kalt» 
stier 

kalb 
styr 

kalp 
stier 

springend. 
Bock 

Löwe 

Bock 
Stier 

Byäne 
(?) 

Ochs 

Kall. 

Stier 

Kalb 
Stier 

Bock 
Stier 

40. 

leo 

Lew 

leon 

Stier 

Lö\v 

Löwe 

— 

LÖW6 

Löwe 

Löwe 

50. 

fuchs 

fachs 

fulis 

Hu.nl 

Fuchs 

Fuchs 

— 

Fuchs 

Fuchs 

Fuchs 

60. 

wolf 

wolf 

wolf 

Fuchs 

Wolf 

Wolf 

— 

AVolf 

Bund 

Wulf 

70. 

katz 

liunt 

kat/v 

Wolf 

II  und 

Bund 

Bund 

Bund 

Wolf 

Bund 

80. 

hund 

kaz 

hund 

Katze 

Katze 

Katze 

— 

Katze 

Katze 

Kater 

90. 

i  sei 

esel 

sei 

Esel 

Esel 

Esel 

— 

Esel 

Esel 

Esel 

100. 

-ans 

gans 

gans 

Gans 

Tod 

Tod 

— 

Gans 

Gans 

Tod. 

IL    Die  zehn   alter  der  weiber. 


1. 

2. 

3. 

4. 

Amiaborg. 

de  Necker. 

Abbildung. 

Wartburf 

10. 

AWachtel 

"Wachtel 

Wachtel 

Küchlein 

20. 

Taube 

Taube 

Taube 

Täubchen 

30. 

Elster 

Pfau 

Pfau 

Elster 

40. 

Pfau 

•  ilucke 

Glucke 

Pfau 

50. 

Henne 

Kranich 

Kranich 

Henne 

GO. 

Gans 

Gans 

('.ans 

Gans 

70. 

Geier 

Geier 

Geier 

Geier 

80. 

Eule 

Eide 

Eule 

Eule 

00. 

Fledermaus 

Fledermaus 

Fledermaus 

Fledermaus 

100. 

Tod. 

Tod. 

Tod. 

Tod. 

1.  Liederbuch  der  Clara  Hätzlerin  (ed.  Haltaus,  s.  LXIX).  Seit 
die  pflege  der  litteratur  von  den  hüten  und  dem  adel  in  die  städte  und 
an  den  bürgerstand  übergegangen  war,  begegnen  in  wachsender  zahl 
aut'zeichnungen  von  Volksliedern  und  von  anderen  erzeugnissen  der 
Volksüberlieferung  oder  bürgerlichen  kunstübung.  Die  von  der  Clara 
Hätzlerin  im  jähre  1471  zu  Augsburg  geschriebene  gedichtsamlung  ist 
reich  an  dergleichen  stücken. 

2.  Der  holztafeldruck  der  Weigelschen  samlung. 

3.  Ein  von  Wackernagel  noch  nicht  gekanter  sprach  in  der  Mün- 
chener  papierhandschrift  <\e>  XV.  Jahrhunderts  clm.  4394,  dessen  Mit- 
teilung- in  einer  von  hrn.  bibliothekar  dr.  Keinz  genommenen  abschrift 

26* 


404  ZACHER 

ich  der  gute  des  hm.  dr.  Peiper  verdanke.  Die  handschrift  ist  beschrie- 
ben im  Catal.  cod.  latin.  bibl.  reg.  monac.  compos.  C.  Halm  et  Ge. 
Laubmann,  Monachis  L868  1.  2,  lös.  Sie  stamt,  wie  die  alte  Signa- 
tur Aug.  S.  Ulr.  94  zeigt,  aus  Augsburg  und  enthält  auf  195  quart- 
blättern einen  sehr  bunt  gemischten  inhalt  medizinischer,  naturgeschicht- 
licher, theologischer,  geistlicher  und  weltlicher  verse,  meist  lateinisch, 
doch  hie  und  da  deutsches  unterlaufend.  Auf  bl.  183 b  folgt  unter  der 
Überschrift   de   etate   die   erwähnte  spruchreihe  in  einer  ziemlich  unge- 

bickten,  nachlässigen  und  fehlerhaften  aufzeichnung;  ich  habe  ver- 
sucht, unter  Währung  der  spätbairischen  sprachformen,  die  Schreibung 
zu  regeln  und  die  fehler  durch  Vermutungen  zu  beseitigen.     Dem  also 

wonnenen  texte  füge  ich,  damit  er  kontroliert  werden  könne,  die 
fassung  der  handschrift  bei: 

I.    Münchner  handschrift. 

X  iar  ain  kiez,  das  da  nit  hatt  wiez, 

XX  iar  ain  kalb,  er  uon  kainer  wiez  halt, 

XXX  iar  ain  stier  genennt,  erst  ain  weig  er  sich  erkennt, 

XL  iar  ain  leon  müt,  sein  sterck  vmm  jn  ain  besten  tütt, 

L  iar  ain  fuchss  genennt,  vil  schalkait  er  in  im  erkent, 

LX  iar  ain  wolff  er  haisst,  jn  geiezikait  ist  demm  er  nerpaisst, 

LXX  iar  der  kaezen  art,  mit  schleichen  ist  sein  hinfart, 

LXXX  iar  ain  hund,  zornig  er  zu  aller  stund, 

LXXXX  iar  ain  esel  gut,  yederman  sein  spotten  tut, 

iar  ain  ganss  er  Lt.  vnd  waisst  doch  nit,  wass  jm  enprist. 

II. 

X  jar  ain  kiz,  daz,  da  nit  hat  wiz. 

XX  jar  ain  kalp,  waen  klainer  wize  halp. 

XXX  jar  ain  stier  genennt,  erst  in  weige  er  sich  erkennt. 

XL  jar  ains  leon  muot,  sein  sterke  nü  da/,  beste  tuet. 

L  jar  ain  fuhs  genennt,  vil  schalkhait  man  in  im  erkent. 

LX  jar  ain  wolf  er  haiz,t,  in  geit^ikait  ist  er  erbest. 

LXX  jar  der  katzen  art,  mit  sleichen  ist  sein  hinefart. 

LXXX  jar  ain  .  .  .  hund,  zornic  ist  er  zaller  stund. 

LXXXX  jar  ain  esel  guot,  ieder  man  sein  spotten  tuot. 

C  jar  ain  gans  er  ist,  und  waiz,  doch  nit,  waz,  im  enbrist. 

4.  Dem  im  jähre  1518  zu  Augsburg  erschienenen  nachdruck  des 
1  -  i.jenbachschen  Spieles  von  den  X  altern  (Gödeke,  Gengenb.  öl:;) 
sind  holzschnitte  beigegeben:  dem  zehnjährigen,  reifschlagenden  knabeti 


ZEHN    ALTERSSTUFEN  105 

ein  springendes  rehkalb,  dem  20jährigen  Jünglinge  ein  springender 
bock,  dem  30jährigen  manne  ein  löwe,  dem  40jährigen,  spiesstragen- 
den  ein  stier,  dem  50jährigen  ein  hnnd,  dem  60jährigen,  seckeltragen- 
den  ein  fuchs,  dem  70jährigen  ein  wolf,  dem  80jährigen,  am  krück- 
stock  gehenden  eine  katze,  dem  90jährigen  auf  zwei  kracken  gestüzten 
ein  esel,  dem  100jährigen.  den  rosenkranz  betenden  eine  gans1. 

5.  Im  jähre  1525  Hess  herzog  Georg  von  Sachsen  die  alters- 
stufen  <h^  mannes  und  des  weibes  an  der  bauptkirche  zu  Annaberg  in 
stein  gehauen  darstellen.  Bei  dem  männlichen  geschlecht  wird  jede 
stufe  von  einem  vierfiissigen  tiere,  bei  dem  weiblichen  von  einem  vogel 
begleitet. 

6.  Das  germanische  national -museum  in  Nürnberg  besizt  einen 
grossen,  schönen  holzschnitt  eines  unbekanten  meisters  aus  dem  jähre 
1540,  die  altersstufen  des  menschen  darstellend,  jedoch  ohne  \rerse.  Da 
der  bogen  wol  kaum  noch  ein  zweites  mal  existiert  und  auch  noch 
nicht  nachgebildet  worden  ist.  la>se  ich  eine  etwas  ausführlichere 
beschreibung  desselben  folgen,  die  ich  dem  überaus  freundlichen  ent- 
gegenkommen der  Verwaltung  jener  nationalen  anstalt  verdanke.  Unten 
in  der  mitte  des  blattes  steht  ein  viereckiger,  hoher  stein  mit  der 
inschrift  MDXXXX;  darüber  Christus,  mit  seinen  füssen  auf  der  Welt- 
kugel, etwas  tiefer  knien  in  den  wölken,  betend,  Adam  und  Eva,  auf 
gleicher  höhe  mit  dem  erwähnten  stein  (heraldisch)  rechts  die  seligen, 
links  die  verdamten.  Diese  darstellung  des  Weltgerichtes  wird  auf 
beiden  seifen  begrenzt  von  mauerwerk,  welches  gewölbe  enthält.  Der 
keller  auf  der  (heraldisch)  rechten  seite  ist  leer,  der  auf  der  linken 
birgt  eine  bahre.  Auf  dieses  mauerwerk  aufsetzend  wölbt  sich  ein 
bogen,  die  darstellung  des  Weltgerichtes  nach  oben  abschliessend.  Von 
rechts  nach  links  gehend  finden  sich  nun  auf  mächtigen  steinstufen 
folgende  figuren.  1.  stufe:  wiege;  2.  stufe:  nackter  knabe  mit  Stecken- 
pferd, unter  beiden  in  einer  nische  springender  bock  mit  breipfanchen; 
3.  stufe:  sitzender  landsknecht,  darunter  hyänenartiges  tier;  4.  stufe: 
fahnenträger,  darunter  ochs;  5.  stufe:  sitzender  mann,  die  linke  band 
ausgestreckt,  mit  klagendem  gesichtsausdruck,  darunter  löwe;  6.  stufe: 
in  der  mitte  des  blattes  sitzender  mann  mit  vollem  barte  und  reichem 
gelock,  in  beiden  händen  eine  rolle,  hinter  ihm  der  tod,  darunter  der 
fuchs;  von  hier  an  senken  sich  die  bis  dahin  ansteigenden  stufen; 
7.  stufe:    sitzender  mann,   darunter  wolf;    8.  stufe:    sitzender  mann  im 

1)  Den  druck  hat  mir.  wie  sehen  erwähnt,  das  freundliche  entgegenkommen 
des  herrn  antinuar  Rosenthal  in  München  zugänglich  gemacht,  —  Hier  endet  das 
manusciipt  des  Verfassers. 


406  ZACHER 

pelz,  rosenkranz  in  der  hand,  darunter  hund:  9.  stufe:  sitzender  mann 
mit  brücke  im  arm.  darunter  katze;  10.  stufe:  sitzender  mann  mit 
gugel  auf  dorn  köpfe,  ein  nackter  knabe  lehnt  an  seinen  knien,  darun- 
ter 3  .  in  dem  oben  beschriebenem  mauerweri  die  bahre  (=  tod). 
Es  liegt  auf  der  hand.  dass  die  2.  stufe  den  10jährigen,  die  dritte  den 
20jähr.,  die  4.  den  30jähr.,  die  5.  den  40jahr.,  die  6.  den  50jähr.,  die 
7  den  tiOjahr. .  die  8.  den  TOjähr.,  die  9.  den  80jähr.,  die  10.  den 
90jähr.  bezeichnen  soll;  die  bahre  (an  stelle  de*  lOOjähr.)  und  die  wiege 
sollen  den  eintritt  in  das  leben  und  den  tod  bedeuten. 

7.  Tobias  Stimmer,  der  freund  und  gehilfe  Fisch  arts,  gab  um 
17.70  eine  reihe  von  10  holzschnitten  heraus,  darstellend  die  10  stu- 
fen des  weibes  (1  —  5,  je  2  auf  einem  blatte)  und  des  mannes  (6  —  10) 
nachgebildet  in  dem  prächtigen  werke  von  Hirth  und  Muther,  Kultur- 
historisches bilderbuch,  III,  1369  —  78;  am  fusse  eines  jeden  doppel- 
bildes  je  2  der  oben  mitgeteilten  verse;  den  sehr  schön  ausgeführten 
holzschnitten  fehlen,  ausser  beim  70jährigen  manne,  der  vom  hund 
begleitet  ist.  die  bezeichnenden  tierfiguren;  dass  Stimmer  aber  diesel- 
ben gekant,    geht  auch   aus   der  noch   zu  erörternden  bezeichnung  des 

ahrigen  als  rindisch  hervor. 

8.  Jobst  und  Hercules  de  Necker,  Stamm-  oder  gesellen -büchlein 
Da  das  buch  eine  Seltenheit  ersten  ranges  ist  und  in  den  meisten 
deutschen  bibliotheken  fehlt1,  lasse  ich  eine  kurze  beschreibung  des 
von  der  hof-  und  Staatsbibliothek  in  München  mir  freundlichst  zur 
Verfügung  gestelten  exemplares  folgen. 

Der  titel  lautet:  Ein  new  vnd  künstlich  schönes  Stamm  oder  Ge- 
len Büchlein  mit  dreyzehen  Historien,  darinnen  hundert  guter  wol- 
s  3<  Iter  figuren,  sampt  jhren  darzugehörigen  guten  Reymen  erklert, 
allen  kun>tliebenden  dienstlich  vnd  nützlich,  wie  in  der  Yorrcd  vnd 
Eli  .  '  nr  zuuernemmen  ist.  Gedruckt  zu  Wienn  in  Osterreich,  durch 
Hercules  de  Necker,  in  Verlegung  Hansen  Herman.  Die  „figuren  oder 
bilder"  rühren  nach  der  vorrede  her  von  Dionysius  Manhallart,  „riss 
und  scharpffierung  von  Nicklas  Solis  aus  Nürnberg";  unterschrieben 
ist  die  vorrede  mit:  Dauid  de  Necker,  Formschneider;  dasselbe  am 
hluss   des   buches   mit   der  jahrzahl   1571)-.      Nach   der   widmüng  An 

1)  Auch  in  Berlin:  auch  Godeke  hat  es  nicht  selbst  gesehen,  vgl.  Gengenbach 
senfhals,  allerdings  mit  sehr  schönen  handzeichnnngen  geschmücktes  exem- 

plar  ist  mit  600  m.  ang»'sezt. 

_    Massmann   (Aul-  \nz.  II,  14)   nent  die  herausgeber  Jobst  und  Hercules 

de  Necker.    aber  dasselbe  jähr;    vielleicht  ist  ihm  mit  den  namen  ein  irtum  unter- 
gelau; 


ZEHN    ALTERSSTUFEN  407 

den  kunstliebenden  Leser  (in  versen)  und  dem  register  folgen,  jedi 
mal  durch  eine  männliche  «»der  weibliche  figur  dargestelt,  die  vier 
elemente,  die  fünf  sinne,  die  sieben  planeten,  die  vier  eigensehaften 
des  geblütes,  die  sieben  haupttugenden  (glaube,  hofhung,  liebe,  vor- 
sieht, gerechtigkeit,  stärke,  mässigkeit),  die  sieben  freien  künste,  die 
neun  musen,  die  vier  Jahreszeiten,  die  sieben  gaben  des  h.  geistes,  die 
sieben  laster  (hoffart,  geiz,  neid,  zorn,  nnkeuschheit,  trunkenheit,  müs- 
siggang),  der  herr,  die  theologie,  die  geduld,  <1<t  tod,  die  zehn  alter 
"manns-  und  Weibspersonen,  endlich  die  12  apostel1.  Das  erste  bild, 
das  feuer,  steht  auf  der  rückseite  des  lezten  registerblattes,  darauf  folgt 
ein  ganz  leeres,  sodann  ein  mit  einem  leeren  Wappenschild  versehenes; 
auf  der  Vorderseite  des  nächsten  unter  der  Überschrift:  „Ignis.  Das 
Feuer"  22  deutsehe  verse;  auf  der  rückseite:  „Aer.  Die  Luft";  darnach 
dieselbe  reihenfolge  der  blätter;  so  bei  jedem  der  folgenden  figuren, 
entsprechend  dem  zwecke,  dem  das  buch  dienen  solte,  wie  unsere  heu- 
tigen stambüeher,  eintragungen  oder  Zeichnungen  sowie  wappen  von 
guten  freunden  oder  gönnern  des  besitzers  aufzunehmen.  Über  jeder 
figur  steht,  lateinisch,  entweder  nur  die  bezeichnung  dessen,  was  sie 
darstellen  soll,  oder  ausserdem  eine  bemerkung  in  prosa  oder  hexa- 
metern  (einem  oder  zwei),  die  zu  dem  wesen  oder  der  bedeutung  des 
dargestelten  in  beziehung  steht;  so  z.  b.  über  den  12  apostelbildem  je 
eine  zeile  des  apostolischen  symbolum. 

Die  bilder  zu  den  10  altersstufen  sind  folgende:  1.  knabe  auf 
dem  Steckenpferd,  hinter  ihm  springendes  böckchen.  2.  20jähriger  mit 
falken  auf  der  faust  —  kalb.  3.  Krieger  mit  schwort  und  lanze  — 
stier.  4.  Krieger  mit  schwert  und  kommandostab  —  löwe.  5  Bürger 
mit  geldtasche  —  fuchs.  6.  Bürger  im  pelz  mit  geldbeutel  in  der  lin- 
ken —  wolf.  7.  Bürger  im  pelz  mit  schriftrolle  —  hund.  8.  Gebückt 
einherschreitender  mit  rosenkranz  in  der  rechten  —  katze.  9.  Auf 
zwei  knicken  schleichender  von  einem  knaben  verspottet  —  eseL  10. 
Auf  einer  bahre  neben  einer  sanduhr  sitzender  —  gans.  Darnach  die 
bilder  für  die  weiblichen  altersstufen. 

9.  Abbildung  derer  VIII  Hertzoge  usw.  enthält  20  bilder,   10  für 
die  männlichen,   10  für  die  weiblichen  altersstufen,   in  der  reihenfolg 
dass  erst  der  10jährige  knabe.  »'dann  das  10jährige  mädchen;  hierauf  der 
20jährige  jüngling,  die  20jährige  Jungfrau  abgebildet  sind  usw.    1.  Knabe 
auf  einem  Steckenpferd  springendes  böckchen.      2.    Reichgekleideter 

jüngling,  auf  der  faust  einen  falken  —  kalb.    3.  Reichgekleideter  mann  — 

1)  Zusammen  07  figuren  (nicht  100,  wie  der  titel  verheisst)  und  2  wappen. 


ZACHER 

stier.  4.  Geharnischter  —  low.-.  5.  Bürger  im  pelz  mit  geldbeutel  — 
fuchs.  6.  Bürger  im  pelz  mit  schriftrolle  —  hund.  7.  Bürger  mit 
wallendem  bart  und  pelzmantel  —  fuchs.  8.  Alter  auf  einen  stock 
_■  stüzt  —  ■  kat  9.  Alter  auf  kracken,  von  einem  knaben  verhöhnt  — 
•1.  10.  Alter  vom  tode  geholt,  der  ihm  das  Stundenglas  vorhält  — 
ff  ans. 

1<>.  Die  modernen  im  Innern  der  wartburg  befindlichen,  bekan- 
^n  medaillonbüder,  darstellend  die  10  alter  der  männer  und  der  trauen 
durch  vierfussige  tiere  und  vögel. 

Auf  den  noch  jezt  üblichen  bilderbogen   fehlen   die  tiergestalten l. 

10  jähr:    kiz  1.  2.  3.  6.  8.  9;    rehkalb  4:    kalb  5.   10. 

20  .jähr:    kalb  1.  2.  3.  8.  9.     bock  4.  5.  10.     hyäne  (?)  6. 

Tnter  kitz  ist  das  junge  zunächst  der  ziege  zu  verstehen,  das  Zick- 
lein (böcklein  oder  geisslein),  dann  auch  des  rehes,  daher  rehkalb  (4) 
nicht  als  ab  weichung  anzusehen  ist.  Es  liegt  auf  der  hand,  dass  das 
mit  dem  10.  jähre  zum  abschluss  kommende,  mehr  dem  spiel,  als  ern- 
ster beschäftigung  gewidmete,  harmlose  und  unbewusst  dahinlebende, 
endlich  in  seiner  erscheinung  und  bewegung  zierliche  kindesalter  nicht 
durch  das  kalb  (5),  sondern  durch  das  böckchen  bezeichnet  werden 
muss.  während  der  2.  stufe  nicht  dieses  (4.  5.  10),  sondern  durchaus 
das  kalb  angemessen  ist  (1.  2.  3.  8.  9),  dessen  ausgelassenes  und  doch 
unbehilfliches,  täppisches  wesen  recht  wol  passt  für  das  alter,  in  wel- 
chem kindischer  Übermut,  oft  in  plumper  weise,  noch  stark  hervortritt; 
daher  auch  von  dieser  altersstufe  mit  Vorliebe  gesagt  wird,  sie  käl- 
re,  treibe  mutwillen.  Auch  das  rindisch  Stimmers  (oben  nr.  8)  soll 
wol  nichts  anderes  bedeuten  als  kälbern,  vitulinus,  und  ist  statt  dieses 
nur  des  reimes  wegen  gewählt.  Mit  dem  „hyänenartigen"  tier  (6) 
weiss  ich  nichts  anzufangen;  es  passte  wol  allenfals  zu  dem  Lands- 
knecht desselben  bogens,   aber  ganz  und  gar  nicht  zu  dem  20jährigen. 

30  jähr:  stier,    40  jähr:  löwe,    ausser  4,  welcher  die  umgekehrte 
ihenfolge  hat.    alle;    und  mit  recht;    denn   der  stier,    als  sinbild  der 
rohen,    ungestümen,    unbesonnenen,    aber   auch    unerschöflichen    kraft, 
auch  in  sexualer  beziehung,    entspricht  durchaus  dem  wesen  der  drit- 
ten altersstufe. 

Wie  der  löwe  in  der  tierfabel,  infolge  seiner  hervorragenden  kör- 
perlichen,   wie  geistigen  eigenschaften  der  könig  der  tiere  ist,   so  steht 

1)   Erwähnt   sei   wenigstens   eine   von   heim  dr.  Köhler  freundliehst  mitgeteilte 
lle  aus  Gracian.  Oraeulo  manual,  1702.  202:    Mit  20  jähren  wird  der  mensch  ein 
I»fau.    mit  30  ein  löwe.    mit  40  ein  kamel,    mit  50  eine  schlänge.    mit  60  ein  hund. 
mit  70  ein  äffe,  mit  80  nichts. 


ZEHN   ALTERSSTUFEN  400 

der  mann  im  40.  lebensjahre,  wo  auch  die  geistige  reife  die  stufe  der 
volkommenheit  erreicht  hat,  auf  welcher  der  körper  schon  früher  ange- 
langt war,  auf  dem  höhepunkt  der  menschlichen  entwicklung. 

50  jähr:  fuchs,  alle,  ausser  4  hund. 

60  jähr:   wolf,  alle,  ausser  4  fuchs,  9  hund. 

70  jähr:  katze  1.  3;  hund  2.  5.  6.  7.  8.  10;  wolf   1.  9. 

80  jähr:  katze  2.    1    5.  6.  8.  9.  10;  hund  1.  3. 

90  jähr:  esel,  alle. 
100  jähr:  gans,  alle,  ausser  5.  6.  10,  tod. 

Im  algemeinen  ist  über  die  wähl  der  tiere  für  diese  «>  stufen  zu 
bemerken,  dass  sie  bei  weitem  nicht  so  einleuchtend  erscheint,  als  bei 
den  ersten  vier,  indem  sieh  die  eigenschaften  der  gewählten  tiere  mit 
dem  wesen  und  Charakter  der  von  ihnen  vertretenen  altersstufen  nicht 
unbedingt  decken. 

Nach  den  oben  angeführten  tiermärchen  sind  die  hündischen  jähre 
des  menschen  die,  in  denen  er  mürrisch  oder  knurrig  ist;  es  sind  dies 
nach  dem  Grimmschen  märchen  die  jähre  von  48  —  60,  nach  dem 
Aurbacherschen  offenbar  richtiger  und  zutreffender  von  50  —  70.  Jene 
bezeichnung  beruht  auf  der  richtigen  anschauung,  dass  der  alternde 
mensch  (über  50),  der  seine  geistigen  und  körperlichen  kräfte  immer 
mehr  schwinden  sieht,  den  allerlei  gebresten  und  schwächen  anfalle)), 
gegenüber  den  früheren  lebensstufen  kein  lebenswertes  dasein  mehr 
führt;  ein  solches  leben  aber  wird  im  volksmund  treffend  als  hunde- 
leben  bezeichnet,  wie  es  der  hund  führt,  dessen  lohn  für  alle  treue 
und  Wachsamkeit  von  seiten  des  menschen  schlechte  behandlung  und 
geringes  futter  ist.  Es  ist  der  hund  also  nicht  einer  hervorstechenden 
eigenschaft,  sondern  seiner  lebensweise  wegen  gewählt  worden.  Für 
jenes  Stadium  des  hundelebens  aber,  wenn  ich  den  ausdruck  gebrau- 
chen darf,  ist  der  höhepunkt  das  70.  jähr.  Der  70jährige,  der  greis, 
wie  ihn  der  sprach  nent,  ist  gewissermassen  der  Vertreter  des  alters; 
daher  der  hund  nur  dieser  und  keiner  anderen  altersstufe  angemessen 
erscheint. 

Der  fuchs,  nach  fast  einmütiger  Überlieferung  der  begleiter  der 
5.  lebensstufe,  ist  nach  dem  Sprache  der  Münchner  handschrift  seiner 
schalkheit  halber  gewählt.  Dieser  wähl  liegt  die  anschauung  zu  gründe, 
dass  der  50jährige,  dem  keine  weitere  zunähme  seiner  geistigen  und 
körperlichen  eigenschaften,  wol  aber  ein  absteigen  von  der  höhe  der 
volkommenheit  des  40jährigen  bevorsteht,  den  sich  almählich  fühlbar 
machenden    defekt    an    stärke,    nmt,    tatkraft   und    entschlossenheit    zu 


410  ZACHER 

ersetzen  sucht  durch  einen  höheren  grad  von  Schlauheit,    durch  welche 
er  oft    mehr  erreicht,    als   der  40jährige,    der    den  geraden   weg  geht, 
ide  so   wie  in   der  tierfabel    der  fuchs  den    Löwen   überlistet.     Das 
Sprichwort  sagt:  was  der  Löwe  nicht  kann,  das  kann  der  fuchs. 

Eine  stufe  tiefer  als  der  fuchs  steht  in  der  tierfabel  der  ihm  sonst 
Dane  verwante  wolf,  der  dieselben  üblen  eigenschaften  hat,  wie 
jener,  aber  dabei  nicht  die  gewantheit  und  geschmeidigkeit,  vielmehr 
auch  noch  als  wütig,  neidisch  und  karg  erscheint  (Reinh.  Fuchs  ed. 
1.  Grimm,  s.  XXXIV).  Namentlich  die  beiden  lezten  eigenschaften 
haben  wo!  seine  wähl  für  die  6.  lebens^tufe  veranlasst,  wo  der  mensch 
im  g  Li  :  -ich  immer  mehr  fühlbar  machenden  abnähme  seiner  kraft«'. 
.vi.-  der  Überlegenheit  und  der  grösseren  erfolge  jüngerer  von  zorn 
und  neid  erfiilt,  oft  auch  von  dem  laster  des  geizes  in  besitz  genom- 
men wird. 

Die  katze  ist  für  den  80jährigen  rein  äusserl  icher  eigenschaften 
wegen  gewält  Wie  sie  hält  sich  auch  der  80jährige  meist  in  der 
stube  auf.  wie  sie  hat  er  eine  grosse  Vorliebe  für  die  wärme  der  sonne 
•  •der  des  ofens.  wie  sie  endlich  bewegt  er  sich  langsam  und  schleichend 
vorwärts. 

Dem  gedanken  des  Spruches  entspricht  die  bezeichnung  des  90jäh- 

rigen  durch  den  esel;  wie  dieser  seiner  dumheit  und  nnempfindlichkeit, 

seiner  ganzen  lächerlichen  erscheinung  halber,    so  ist  der  90jäh- 

_   n   seiner  gebrechlichkeit  und   hinfälligkeit,    seiner  Langsamkeit 

und  Ungeschicklichkeit,   oft  auch   deshalb,   weil   er  geistig  selbst  wider 

zum  binde  geworden  ist.  ..der  kinder  spott". 

100  jähr:  die  gans,  alle,  bis  auf  5.  6,  der  tod.  Dass  die  gans 
nicht  ;  ahlt  ist.  weil  etwa  der  100jährige  seinem  wesen  nach  mit  ihr 
irgend  etwas  gemeinsam  hätte,  geht  schon  daraus  hervor,  dass  für  die 
mänlichen  ah  rsstufen  sonst  lauter  vierfüssige  tiere  als  symbole  dienen. 
Auch  wü<ste  ich  nicht,  welche  eigenschaften  beiden  gemeinsam  sein 
selten.     Am    ehesten    denkt    man    an    das   Sprichwort:    mit    der  wilden 

os  um  die  wette  leben,  was  sowol  die  bedeutung  hat:  in  den  tag 
hineinleben,  als  auch:  sehr  lange  leben,  und  an  die  Verwendung  der 
wilden  oder  schneegans  in  den  bekanten  Sprüchen:  Ain  zäun  wert 
drey  jar.  ain  hund  weit  drey  zeun.  ain  pferd  drey  hund,  ain  mensch 
wert  drey  pfard,    ain   esel    drey   menschen,    ain   schneegans    drey  esel 

!ara   Hätzlerin   ed.  Haltau^    s.   LXIX.    14;    vgl.    oben    s.  387.   2    und 

•■.  Gengenbach  563).    Man  begriffe  dann  aber  nicht  recht,  warum 

_   rade   die   gans   gewählt   sei,    warum  man   nicht   den   esel  genommen, 


ZEHN*    ALTERSSTUFEN  411 

der  drei  menschen  währt,  oder  die  krähe,  von  der  im  weiteren  verlauf 
jenes  Spruches  gesagt  ist,  sie  währe  drei  gänse,  den  hirsch,  der  drei 
krähen  währt  usw.  Die  Langlebige  gans  als  symbol  für  die  äusserste 
und  nur  selten  erreichte  grenze  <\i><  dem  menschen  beschiedenen  alters 
würde  meiner  meinung  Dach  der  volkstümlichen  anschauung,  die  in 
unserer  sprach-  und  bilderreihe  zum  ausdrueb  kernt,  geradezu  wider- 
sprechen. Ihr  erscheint  der  100jährige  als  ein  dem  tode  eigentlich 
und  den  naturgesetzen  gemäss  längst  verfallener ,  gewissermassen  ein 
lebendes  bild  des  todes;  daher  auch  die  bahre  oder  der  sarg  oder  «las 
offene  grab,  oder  auch  der  tod  selbst  mit  sense  und  Stundenglas  auf 
den  bildlichen  darstellungen  neben  jenem  zu  sehen  sind.  Ks  mn 
also  auch  die  gans  in  irgend  welcher  beziehung  zum  tode  stehen.  Nach 
dem  allerdings  an  abenteuerlichen  Vermutungen  und  gewagten  hypo- 
thesen  überaus  reichen  etymologisch -symbolisch -mythologischem  real- 
wörterbuch  von  F.  Xork  (I,  77  fg.)  wäre  die  gans  ein  symbol  der  auf- 
erstehung,  daher  sie  auch  auf  grabmonumenten  so  häufig  zum  vorsehein 
komme.  Welchem  umstände  sie  diese  rolle  verdankt,  bleibt  freilich 
völlig  unklar.  Dann  hätte  sie  ja  auch  neben  dem  100jährigen,  auf  der 
stufe  des  Überganges  vom  leben  zum  tode  eine  berechtigung  und  gäbe 
der  doch  immer  nahe  an  das  komische  und  burlesque  streifenden  tier- 
symbolik  einen  würdigen  und  ernsten  abschluss. 

Jedenfals  hat  man  die  gans  als  begleiterin  des  hundertjährigen 
nicht  wegen  einer  hervorragenden  eigenschaft  gewählt,  die  sie  mit 
diesem  gemeinsam  hätte,  Avie  die  übrigen  tiere.  Sie  ist  das  symbol 
der  Wachsamkeit  (vgl.  Keller,  Tiere  des  klassischen  altert.  Innsbruck 
1887,  s.  290):  soll  sie  für  den  im  todesschlaf  ruhenden  menschen 
wachen,  damit  er  den  tag  der  auferstehung  nicht  versäume?  Ferner 
ist  sie,  ihrer  grossen  fruchtbarkeit  halber,  ein  erotisches  symbol  (vgl. 
Friedrich,  Symbolik  u.  mythol.  der  natur,  Würzb.  1859,  s.  585):  „An 
die  erotische  svmbolik  .  .  schliesst  sich  eine  andere  an.  Da  nämlich 
zeugung  und  tod  die  beiden  pole  des  seins  sind,  oder  auch,  weil  aus 
dem  tode  sich  neue  zeugung  (neues  leben)  entwickelt,  so  wurde  das 
zeugungssymbol  auch  todessymbol.  Der  göttin  der  unterweit  wurden 
gänse  geopfert,  und  auf  grabmonumenten  findet  man  nicht  selten  gänse 
dargesteltu  (ebenda  s.  586);  Böttiger,  Ideen  zur  kunst-mythologie,  her- 
ausg.  v.  Sillig,  II,  442,  auf  welchen  Friedrich  dabei  verweist,  führt 
freilich  nur  antike  grabmonumente  an.  Überhaupt  darf  nicht  verschwie- 
gen werden,  dass  gegen  alle  diese  Vermutungen  über  die  wähl  gerade 
der  gans  als  begleiterin  des  hundertjährigen  ein  schweres  bedenken  erho- 
ben  werden  muss.     Die  gründe  für  die  wähl    der  übrigen   tiere   sind 


4  1  2  RÖHRICHT 


durchaus   einfache,    sofort  in    die   äugen    springende,   der  phantasie  dos 
volkes  entsprechende:    solte  für  die  wähl   der  gans  eine  so  "künstliche, 
dem  schlichten  verstände   gänzlich   fernliegende   Überlegung  massgebend 
wesen  sein*.- 


SAGENHAFTES    UND    ETHISCHES    AUS    DEE 
GESCHICHTE   DEE   KEEUZZÜGE. 

Die  geschichte  der  kreuzzüge,  jener  gewaltigen  nach  osten  rück- 
läufigen Völkerwanderung,  ruht  auf  einer  solchen  fülle  echter  quel- 
len des  abend-  und  morgen  lau  dos,  dass  eine  bewältigung  derselben 
die  kräfte  eines  einzelnen  übersteigt;  ebenso  gross  ist  die  zahl  der 
direkt  und  indirekt  durch  die  kreuzzüge  veranlassten  und  von  ihnen 
beeinflussten  sagen,  der  daran  sich  knüpfenden  mythischen  reste.  Wenn 
daher  im  folgenden  eine  kleine  Übersicht  derselben  gegeben  werden 
-  11.  so  ist  volständigkeit  ausgeschlossen,  und  nur  ihr  nachweis  inner- 
halb der  echten  historischen  quellen  das  ziel.  Vielleicht  wird 
dieser  bisher  noch  nicht  gemachte  versuch  dem  kenner  der  grossen 
und  kleinen  sagen-  und  romankreise  der  kreuzzüge  wie  dem  mytho- 
logen,  trotz  aller  noch  vorhandenen  lücken.  nützlich  sein  können. 

Schon  der  Ursprung  des  ersten  kreuzzuges  führt  in  die  sage  und 
mythe  hinein:  von  ihr  sind  die  gestalten  des  einsiedlers  Peter1  wie 
des  h'Tzogs  Gottfried2  umsponnen.  Aber  auch  wenn  wir  die  anfange 
jedes  neuen  kreuzzuges  weiter  verfolgen,  so  werden  zwar  die  einzel- 
nen personen.  die  herolde  wie  die  beiden  des  heiligen  krieges,  ge- 
richtlich klarer  und  greifbarer,  jedoch  die  sage  bleibt,  während  die 
mythe  immer  mehr  zurücktritt,  immer  noch  geschäftig  genug.  So  wer- 
den  uns  vor  jedem  kreuzzüge  wunderbare  naturereignisse 3,  zeichen  am 
himmel4  und  auf  erden  von  den  Chronisten  gemeldet,  und  ebenso  zahl- 

1 1  Über  ihn  gründlich  Heinrich  Hagenmeyer,  Peter  der  cremit,  Leipzig  1879. 
kreuzfahrer-   und  pilgei  sagen  vgl.  Röhricht,  Beitr.  II,  392  —  400  und  Deutsche 
l»iL         -en  nach  dem  heil,  lande  1889,  83.     S.  sonst  auch  Prutz,    Kulturgesch.   der 
kreuzzüge  568  —  69. 

-    Vgl.  über  ihn  als  „ritter  mit  dem  seh\vanu  v.  d.  Hagen  in  den  Abhandl.  der 

Berliner  academie  der  wissenseh.   184<> .  557;  s.  die  auf  Mottfried  bezüglichen  visionen 

i.  (ed. Paris.)  481—82.  486  —  87;  Raim.  d'Aguilers  308. 

Vgl.  Beiträge II,  15  —  16,  154;  Hagenmeyer.  Ekkehardus  55 —  56.  111  — 13. 

4i   Auf  grund  von  astrologischen  berechnungen  sagte  man   den  Untergang  des 

l>lam   für  die  jähre  117  g.  de  Wendower.IV,   194—95;   Robert  de  Monte  1179;, 

11^      Eafel,  Comnenen  und  Normannen  07  note  109),  1185  (Röhricht  in  von  Sybels 


SAGEN    l'ND   MYTHEN    AUS    DEN    KBEUZZÜGEN  413 

reich  sind  die  wunder,  welche  die  kreuzprediger  begleiten,  durch  welche 
sie  sich  als  heerrufer  gottes  ausweisen.  Sie  erzählen  ans  brieten,  die 
gott  ihnen  vom  himmel  gesaut1,  heilen  besessene  und  kranke-,  bannen 
die  trotzigsten  durch  die  macht  ihrer  rede  in  den  aufopferndsten 
gehorsam,  aus  den  wölken  hernieder  Leuchten  strahlenkreuze  auf  die 
lauseliende  menge3,  reisige  geschwader  durchbrausen  die  lüfte  auf 
ihrem  ritt  nach  dem  fernen  osten '.  CTnd  wenn  dann  die  christen- 
schaaren  ihren  .weg  antreten,  so  folgen  ihnen  oeue  wunder5;  wenn  Bie 
in  die  Schlacht  ziehen,  erfahren  sie  im  voraus  durch  erscheinungen  in 
den  lüften  den  ausgang  des  kämpfest  oder  himlisehe  heerschaaren,  von 

zeitschr.  1875  XXXIV.  1  —  2,  19;  Forsch,  zur  deutsch,  gesch.  L876,  486;  Barter, 
Innocenz  in.,  bd.  1Y,  449  —  51),  1222  (Beitrüge  II,  2(32  nute  55),  1229  ((ebd.  i.  79), 
1305  (ebd.  H,  256),  1322  (Fontes  rerum  Austr.  VIII,  465  —  66)  an.  tfber  die  alte 
Prophezeiung  von  einem  mächtigen  Frankeukönige,  der  Jerusalem  und  Constantinopel 
erobern  werde  vgl.  Rubruik  (ed.  Paris.)  386;  Bened.  v.  Peterborough  II,  52  und  beson- 
ders die  reichen  nachweise  Riants  in:  Archives  de  L'Orient  latin  I.  13  — 14;  dorl 
aueh  (15  fgg.)  sehr  ausführliche  quellenangaben  über  die  sage  vom  kreuzzuge  Karls 
des  grossen. 

1)  Vgl.  Hagenmeyer,  Ekkehardus  83,  313  — 14,  Peter  der  eremit  70,  117; 
Les  archives  de  POrient  latin  I,  110  — 11.  Otto  v.  Freisingen  351  erwähnt  eine 
„epistola  divinitus  missa*,  welche  dem  könige  von  Frankreich  die  eroberung  Cairos 
verhiess;  vgl.  Annal.  Leodiens.  in  Mon.  Germ.  SS.  XVI,  641.  Auch  der  führer  der 
Pastorellen  zeigte  einen  brief  der  Jungfrau  Ataria  zur  beglaubigung  (Röhricht  in  Brie- 
gers  Zeitschrift  1883,  291);  über  einen  falschen  „brief  Christi"  handelt  derselbe  ebd. 
1890  XI,  436  —  42,  619;  vgl.  Schmitz  im  N.  archiv  XV  (1890),  602  —  605.  Den 
misbrauch  und  unfug  einzelner  kreuzprediger  schildeil  Unkel  in  den  Annaleu  d.  hi 
Vereins  für  d.  Niederrhein  1879,  64  fgg. 

2)  Etienne  de  Bourbon,  Anecdotes  53  —  54,  140;  Caesar.  Heisterbac.  (Röhricht, 
Testimonia  173,  177;  ebd.  163  —  61  über  teufelserscheinungen) ;  Beiträge  II,  47.  Über 
die  wunder  des  zweiten  kreuzzugs  und  deren  beurteilung  siehe  Beiträge  II,  102. 

3)  Epist.  Oliv.  Schol.  in  Martene,  Collect.  I,  1115  —  16,  Mon.  Germ.  SS.  XXIII. 
473  —  74,  Oliver.  Scholast,  Hist.  Damiat.  1401;  Thomas  Cantimprat.  in  Testimon. 
minora  122;  Chronica  regia  Colon,  ebd.  146.  Etienne  von  Bourbon  90  erwähnt  auch 
eine  erscheinung  der  mutter  gottes  mit  dem  Jesusknaben  während  der  kreuzpredigt. 

4)  Gesta  Frisiorum  in  Test.  13,  16. 

5)  Über  die  Visionen  während  des  ersten  kreuzzuges  vgl.  Ekkehardus  ed.  Hagen- 
meyer 62  —  68,  80.  218,  265,  304,  314,  319  —  30.  Ein  merkwürdiger  bericht,  dass 
kreuzfahrer  eine  gans  zum  führer  gewählt,  ist  bei  Albert.  Aquens.  erhalten,  wozu 
vgl.  Beirr.  II,  48. 

6)  Als  ungünstig  werden  genant:  nebel  (Beitr.  II,  102),  ein  adler,  der  mit 
einer  armbrust  in  den  klauen  vor  beginn  der  schlacht  (1187)  dem  christenheere  vor- 
aus flog  (ebd.  I,  122),  als  günstig  phantastisches  wolkengebilde  (ebd.  II,  82).  Im 
jähre   1187   vor  der  schlacht  bei  Hattiu   soll    eine   zauberin    das    beer    der    Christen 


414  RÖHRICHT 

einzelnen  oder  allen  im  heere  erkant,  helfen  ihnen  unter  führung-  des 
heiligen  Demetrius1,  Mercurius2,  Bartholomaeus 3  oder  Georg4  zum 
siege  und  selbst  nach  der  Schlacht  dauern  die  göttlichen  wunderbeweise 
fort5.  Begreiflich  ist  es  daher,  wenn  viele  nachrichten  über  erfochtene 
sieg  3S  rordentlich    überschwänglich    lauten,    wenn    sie   proleptiseli, 

umkreist  haben,  um  es  (wie  einst Bileam)  durch  den  iluch  dem  untergange  zu  weihen 

■ -irr.  I.   121  —  22).      Rubruik  (Recueil  de  voyages)    386  erwähnt    eine  armenische 

Prophezeiung,    wonach  die  Frauken  einst  Constantinopel  (vgl.  Beitf.  II,  192)  erobern, 

i     i  -   in   T  rsien  mir  Armeniern  und  Mongolen   die  Muslimen  schlagen   und  aus- 

rotten  würden.     Eine  Unglücksprophezeiung  betreffend  den  ersten  kreuzzug  Louis  IX. 

len  die  Joachiten  lange  vorher  gegeben  haben  (Chron.  Salimbene  102  fg.). 

li  Baldericus  77,  96;  Guibert  206. 

80  erscheint  1098  auch  St.  Ambrosius  (Alb.  Aquensis  426),  ja  sogar  gott 
ßuibert  251),  doch  wird  auch  schon  eine  „visio  smiulata"  erwähnt  (ebd.  183). 
Gesta    obsidionis  Damiatae    (Röhricht,    Quinti  belli  sacri    scriptores  mino- 
a    77. 

Ober  ihn  vgl.  Röhricht,  Pilgerreisen  vor  den  kreuzzügen  in  Raumers  Histor, 
schenbuch  1875,  378  —  79;  Zarncke,  Sitzungsber.  d.  königl.  sächs.  geselsch.  d.  wis- 
lv7".  1.  256;    Hagenmeyer,    Ekkehardus  67  —  68  note  8;    Clermont-Ganneau 
in  d.  Revue  archeol.  1876;  Veselowsky,  Der  heil.  Georg  in  der  legende  und  im  liede 
(russ  -      .   Petersburg  1880   (vgl.  Ztschr.   für  deutsch,   altert.  1883,    anz.  259  —  62); 
irres  in  Hilgenfelds  Zrschr.  für  wissensch.  theologie  1887,  54  —  71.     St.  Georg,  der 
patron  der  kreuzfahrcr.   die  daher  auf  dem  zweiten  und  dritten  kreuzzuge  an  seinem 
abfuhren,   erscheint  zuerst  in  Sicilien  und  zwar  in  den  kämpfen  der  Normannen 
gen  die  Saracenen,   auch  in  Spanien  den  Christen  (Cronica  di  Affonso  Galvao,  Lis- 
L726,  93;  Cronica  de  laPena,  Zaragoza  1876.  156),  dann  auf  dem  ersten  kreuz- 
zug.- (Baldericus  77.  96;    Guibert  206;    Rob.  Monachus  796;    Gesta  Francorum  496), 
auf   dem    dritten    kreuzzuge  1190    (Ansbert  64;    Epist.    de   morte   Frid.  495;    Annal. 
1    luii.   max.  800),    im  treffen  von  Arsuf  1191  ("Weber,  Metrical  Romances  II,  192), 
1217   vor  Damiette  (Gesta  obsidionis  85;  Jon.  de  Tulbia  125;    Lib.  duellii  150)  und 
zwar  mit  einer  „turba  candidatorum u    (Mon.  Germ.  Ep.  I,  28;    Rein.  Leodiens.  676; 
Annal.  Colon,  max.  830;  Caesar.  Heisterbac.  Homil.  I,  119;  Dialogi  mirac.  VIII ,  c.  66) 
vor  Alcazar  und  1219  vor  Damiette    (Gesta  obsid.  103,  76)    wie   zur  Maccabäer-zeit 
Maccab.  11,  8)    ein  weisser  ritter  und    die    himlischen    heerschaaren,    die    1177 
vor  Harem  den  Christen  halfen    (Rog.  de  Hovedene  II,  132)    und   die  7000  weissen 
ritter  vor  Iconium    (Ansbert  »j  1 :    Hist.  peregrin.  522)    sowie   der  „grüne  ritter"   den 
Muslimen  zu  hilfe  komt  (Röhricht,  Forsch,  zur  deutsch.  Gesch.  1876,  518  note;  R»  i- 
naud,   Extr.  41.  419).     Sonst  erscheint  auch   die  mutter  gottes  im  kämpfe  (Beitr.  II, 
243  —  44 1.    Von  >T.  Georg  leiten  die  graten  von  Mansfeld  ihre  abstammung  her  (Grässe, 
sagen  I,  311—312 

Die  Leichen  der  erschlagenen  Christen  zeigen  lächelnde  mienen  (Etienne91), 

leuchten  nachts  in  überirdischem  glänze  (Irin.  Ric.  16 — 17;  Les  archives  de  l'Orient 

latin  HA  ;  vor  Iconium  (1190)  fliegen  weisse  vögel  dreimal  des  nachts  um  das 

he'-]-.  Bchweben  über  einem  sterbenden  Christen  einige  zeit  und  verschwinden  dann  in 

r  höhe  (Beitr.II,  162).    Den  Friesen  erscheint  nach  der  eroberung  einer  spanischen 

•    ir  die  mutter  gottes  in  den  lüften  (Beitr.  II.  243      14). 


SAOEX   UND    MYTHEN    LÜS    DEN    KREUZZÜGEN  415 

noch  die  sie  erfochten  waren,  bereits  als  sicher  gemeldet  wurden1, 
wenn  fabelhafte  erfolge  der  bekehrung  von  muselmännem  zum  christen- 
tume  glauben  fanden-  und  schliesslich  falsche  briefe  von  Sultanen  und 
mongolenchanen  in  Umlauf  kamen8.  Aber  ebenso  erklärlich  ist  es  auch, 
wie  jeder  miserfolg  nur  auf  offenkundigen  verrat1,  jedes  hauptver- 
brechen, das  im  abendlande  begangen  ward,  nur  auf  gottlose  saracenen 
zurückgeführt  wurde6,   zumal    die   in   Syrien    zurückbleibenden    kreuz- 

1)  Die  besten  beispiele  geben  die  briefe  in  Martene,  Ampi.  Coli.  I,  1129  — 
und Matth.  Paris,  Additam.VI,  167—69  aber  fabelhafte  eroberungen  1219  und  L249; 

sonst  vgl.  auch  Röhricht  in  Les  archives  I.  649;  II.  260. 

2)  Saladin  (Rog.  de  Ilovedene  IV,  28),  sein  brudei  Malik  al-Adil  (Ryrardus 
de  San  Germano  336;  Beiträge  I,  5G —  57)  und  dessen  söhn  Malik  al-Kamü  (vgl. 
unten  s.  429,  noteG  und  das  gespräch  des  heil.  Franeiscus  mit  ihm  in  Testimonia  minora 
250 — 51),    endlich  der  Bultan   Bioezz  Eübei   (der  '-in  gespräch  mit  Louis  IX.  gehabt 

haben  soll)  wären  zum  übertritt  zum  Christentum  geneigt  (Matth.  Paris  V.  :;ii!t  — 
310);  dasselbe  erzählte  man  von  Mongolenchanen  (Les  archives  1.  649)  und  vomBey 
von  Tunis  1270  (Guil.  de  Nangiaco  bei  Bouquet  XX,  446  und  448),  in  dessen  beere 
sogar  Ghibelliuen  gegen  die  kreuzfahrer  kämpften  (Annal.  Flac.  Ghibell.  in  Bion.  Germ. 
SS.  Will.  547;  Amari,  I  diplomi  arabi,  prefazione  XXII). 

3)  Falsche  briefe  von  sultanen  und  Mongolenchanen  sind  aufgezählt  von  Röh- 
richt in  Les  archives  1 ,  651,  Forschungen  XXVI,  98,  Beitr.  I,  74  —  75,  83,  bei  Mu- 
ratoriXIII,  1102.  Der  in  vielen  handschriften  erhaltene  brief  des  sultans  „Balthasar" 
au  Clemens  Y.  findet  sich  ausser  in  der  Chronica  regia  Coloniensis  ed.  AVaitz  364 — 
3G7  auch  in  Les  archives  II  B,  299  —  300;  Steinschneider,  Polemische  litte  ratur 
(Abhandl.  für  die  künde  d.  morgenl.  1877,  YI,  237);  auch  in  englischen  handschriften; 
vgl.  Yogels,  Die  ungedruckten  lat.  Versionen  J.  v.  Maundevilles,  Crefelder  programm 
188G,  15.  Den  sehr  merkwürdigen  brief  eines  „Mongolenchans u  an  Friedrich  II.  siehe 
in  Schannat,  Yindemiae  I,  20G  nr.  55  (c.  1249!).  Echte  briefe  besonders  der  MoDgo- 
lenehane  siehe  in  Les  archives  I,  650  —  51  und  im  Journal  asiatique  1831,  VUL,    117 

—  434,  wo  über  die  correspondenz  derselben  mit  den  päpsten  in  Avignon  ausführlich 
gehandelt  wird. 

4)  Ygl.  Forschungen   zur  deutsch,  gesch.  XVI,  502,  522;    Beitr.  II,  179,  201 

—  202.  Besonders  ist  die  sage  häufig,  dass  christliche  heerfuhrer  wie  1149  (Beitr.  II, 
101,  122,  127;  vgl.  Reinaud  94;  Gerhoh  145;  Willi,  v.  Tyrus  XVII,  7:  Gervasius 
Cantuarensis  I,  137)  und  1198  (Gesta  episcop.  Halberstad.  in  Mon.  Germ.  SS.  XXIII. 
112)  durch  vergoldete  kupfermünzen  bestochen  d.  h.  betrogen  worden  seien. 

5)  Vincent.  Bellovac.  Specul.  histor.  XXX,  §  137;  Chron.  Guil.  de  Nang.  517 
(1237);  Beiträge  II,  187,  284  —  285;  Forsch,  zur  deutsch,  gesch.  1886,  98  —  99;  1 
archives  de  l'Orient  latiu  I,  G2G;  Archivio  storico  italiano  1878  I,  487.  Ein  apoery- 
phes  schreiben  des  Alten  vom  Berge  siehe  im  Itinerar.  Ricardi  444;  Stau.  Guyard, 
Un  grand  maitre  d.  assassins,  Paris  1877,  87  —  91;  Beiträgen,  221;  Ilgen.  Markgraf 
Conrad  von  Montferrat  127  — 135;  könig  Richard  soll  4  Assassinen  nach  Frankreich 
gesaut  haben  (Job.  Longus  in  Mon.  Germ.  SS.  XXV,  820  —  21),  Friedrich  II.  nach 
Deutschland  (Chron.  minor.  Erphord.  in  Mon.  Germ.  SS.  XXI V,  201;  Chron.  regia 
Colon.  2G3);  der  Assassint'iisrheieh  soll  sogar  den  kinderkreuzzug  veranlasst  haben 
(Chron.  de  Lanercost  14). 


416  RÖHRICHT 

lahrer  unter  den  muselmännern,  freilich  aber  auch  einheimischen  Chri- 
sten, eine  wahre  schule  des  Lasters  und  Verbrechens  fanden,  aus  der 
sie  leider  selbst  lernten1.  Endlich  aber  wird  aus  dem  gesteigerten 
Selbstbewußtsein  der  kreuzfahrer  begreiflich,  wie  sie  über  die  person 
Mohammeds  allerlei  verächtliche  sagen  glaubten  und  verbreiteten2,  bis 
manche  von  ihnen  in  folge  der  vielen  niederlagen  an  ihrem  christlichen 
glauben  unsicher  wurden3,  durch  eine  lebhaftere  missionstätigkeit  der 
bettelmönche  die  alten  märehen  verschwanden  und  eine  gerechtere 
urteilung  des  Islams  platz  griff4. 

Am  liebsten  knüpfte  die  sage  sich  an  hervorragende  christliche 
heerrohrer  und  helden,  so  an  den  herzog  Gottfried5,  könig  Konrad  111°, 
kaiser  Friedrich  T"  und  II8,  könig  Johann9;  sie  weiss  von  ritterlichen 

1 1  Über  die  sittenlosigkeit  Accons  vgl.  besonders  den  ersten  brief  des  Jacobus 
de  Yitriaco  in  Xouv.  mem.    de    l'acad.  de  Bruxelles  XXIII,  40;    aus  Freidank  dun 
schnitt  von  Äkers  in  W.  Grimm's  ausgäbe  154.  18  fg. 

2)  Über  die  Muhammedfabeln  handelt  sehr  ausführlich  Prutz,  Culturgesch.  der 
kreuzzüge  513  — 15.  Die  nackricht,  dass  der  Islam  purer  götzendienst  sei,  ist  schon 
früh  zu  finden,  bei  den  rabbinen  (Steinschneider,  Polem.  literat.  310  — 13)  wie  bei 
den  Christen  (Beitr.  II.  54  —  55,  190  —  91),  es  ist  daher  auch  nicht  zu  verwundern, 
wenn  mau  den  teinplern,  die  ja  doch  durch  den  Islam  verdorben  seiu  solten,  die 
Verehrung  eine-  „ götzenbüdes a  nachsagte.  Sogar  arabische  quellen  scheinen  davon 
zu  sprechen  «Röhricht  in  Les  archives  II  A,  398  note99);  Clermont-Gauneau,  Eecueil 
d'archeologie  Orientale  I.  267  möchte  in  dem  fraglichen  arabischen  worte  St.  Georg 
widerrinden. 

3)  Viele  traten  zum  Islam  über  aus  eigennutz  (Beiträge  I,  71;  II,  50)  oder 
aus  not.  um  das  leben  zu  retten  (Matth.  Paris  V,  107;    ebd.  108:   „Nuniquid  melior 

st  lex  Mahometi  lege  Christi"?».  Eine  reihe  von  aussprächen,  aus  denen  die  Ver- 
zweiflung, ja  der  gotteslästerliche  höhn  von  Christen  sich  zu  erkennen  gibt,  siehe  in 
Beitrage  IL  79,  286  note  48;  Briegers  zeitschr.  für  kirchengesch.  1883  VI,  292: 
wie  ein  frommes  gemüt  dagegen  sich  zu  trösten  suchte,  ist  aus  den  durch  Röhricht 
veröffentlichten  Lettres  de  Ricoldo  de  Monte  Croce  (Les  archives  de  l'Orient  latin 
IIB.  260  f gg.)  zu  erkennen. 

;iders   durch  Odoricus  de  Foro  Julii,    Ricoldus  de  Monte  Crucis  u.  a., 
in  deren  Schriften  sogar  die  ethik  der  muselmänner  richtig  gewürdigt  wird. 

Über  ihn  vgl.  Beiträge  II,  299  und  ß.  v.  Kuglers  schöne  Studie  in  Rau- 
mers Histor.  taschenbuch  1887.  Ein  beispiel  seiner  riesigen  körperkraft  berichtet  Wil- 
helm v.  Tvrus  IX.  22.  und  daraus  Etienne  442. 

Er  soll  vor  Damascns  sich  durch  einen  gewaltigen  krafthieb  ausgezeichnet 
haben  (Beitr.  II,  7" 

7  Von  ihm  melden  die  Annal.  Piacent.  Ghibellini  in  Mon.  Germ.  SS.  XVIII, 
467.  dass  er  1 148  einen  türken  mit  seinem  schwelle  an  das  Stadttor  von  Iconium 
angeheftet  habe  und  der  sultan  habe  diese  stelle  mit  gold  auskleiden  lassen,  über 
den  in  der  Friedrichssage  uns  begegnenden  „dürren  bäum",  welcher  nichts  anderes 
als  die  Abrahamseiche  bei  Hebron  ist.  vgl.  Beiträge  I,  111  — 12;  Louis  de  Backer, 
L, extreme  Orient  364  —  67;    Sepp,   Jerusalem   und   das   heil,   land  1863,   1.  502  1- 


SAGEN    UND   MYTHEN    ATS    DEN    KREUZZÜGEN  417 

Zweikämpfen1  und  gewaltigen  hieben  zu  erzählen2,  aber  auch  von  hel- 
dentaten  christlicher  frauen8.  Besonders  zahlreich  sind  die  sagen  über 
den  Ursprung  christlicher  ritterwappen4,  und  es  wäre  auffallend,  wenn 
im  Zeitalter  der  minne  die  Chroniken  nicht  auch  liebende  be^e^nun^en 
von  Christen  und  muselmännem  zu  berichten  wüsten.  So  soll  die 
markgräfin  [da  von  Österreich,  welche  1100  in  die  gefangenschaft  der 
muslimen  fiel,  die  mutter  des  berühmten  und  gefürchteten  Lmäd  ed- 
din  Zenki  geworden"',  die  mutter  dos  suitans  von  Econium  eine  Schwe- 
ster des  graten  von  St.  Gilles  gewesen  sein6,  Saladin   mit  der  „heissen" 

Rocholz,  Schweizersagen  I,  60  —  61;  Zunicke,  Der  presbyter  Johannes  1004  fgg.  und 
Gerhard  v.  Zezschwitz,  Der  kaisertrairm  des  mittelalters  L63  —  65. 

8)  Er  soll  durch  die  Templer  an  den  sultan  verraten  worden  sein  (Beitr.  I,  74), 
was  in  Deutschland  den  Johannitern  nacherzählt  ward  (Wochenbl.  d.  Johanniter- 
ordensballey  I  Brandenburg  1879  nr.  30).  In  einem  meisterliede  wird  von  einem 
verräterischen  hriefe  des  pabstes  an  den  sultan  berichtei  (Germania  XX I\'  [1879] 
13  fgg.).  Sonst  ist  viel  fabelhaftes  über  einen  kreuzzug  erzählt  in  dem  seltenen 
buehe:  De  gestis  Suevorum,  Napoli  1665,  I,  227 —  35. 

9)  Er  soll  vor  Damiette  einen  Saraccnen  bis  auf  den  nabel  gespalten  haben 
(Tulosanus  Favent.  in  Test,  minora  241). 

1)  Vgl.  Beiträge  II,  50;  Forsch,  zur  deutsch,  gesch.  1876,  492. 

2)  1130  stand  sein  sarg  noch  in  der  Golgathakirche  (Tobler,  Golgatha  130); 
sonst  vgl.  über  ihn  auch  Joh.  von  Würzburg  in  Descript.  Terrae  sanetae  154  —  55. 
Wigger,  der  einen  löwen  zerriss,  soll  einen  Saracenen  von  oben  bis  unten  gespalten 
haben  (Beiträge  II,  53,  307),  was  Nicetas  II,  265  (daraus  Crusius,  Annal.  Sueviao 
II,  501  und  daraus  Unland:  Schwäbische  künde)  von  einem  „Schwabenstreich" 
erzählt;  dazu  vgl.  auch  Beiträge  II,  395  —  96;  Götzinger,  Deutsche  dichter  II  (1877) 
444  —  45. 

3)  Die  nonnen  des  St.  Annaklosters  in  Jerusalem  sollen  1187,  um  vor  schände 
bewahrt  zu  bleiben,  als  Saladin  in  Jerusalem  eindrang,  sich  die  nasen  abgeschnitten 
haben  (Tobler,  Topogr.  von  Jerusalem  I,  431);  dasselbe  wird  zu  der  einnähme  von 
Tripolis  und  Accon  1289  und  1291  berichtet  (Les  archives  IIA,  392),  freilich  mit 
einer  kleinen  abweichung. 

4)  Nachrichten  darüber  finden  sich  in  den  meisten  geschienten  adlicher  geschlech- 
ter. Interessant  aber  ist  zu  erfahren,  dass  auch  muslimische  herren  und  forsten  Wap- 
pen besassen  (Karabacek,  Eepertor.  für  kunstwissensch. ,  Stuttgart  1876,  I,  277;  Les 
archives  de  l'Orient  latin  IIA,  391;  Clericus,  Vierteljahrsschrift  für  heraldik  XI, 
407  —  31).  Über  das  rittertum  des  Orients  vgl.  v.  Hammer,  Journal  asiat.  1849 
Janv.  1  — 15. 

5)  Passio  Thiemonis  in  Mon.  Germ.  SS. XI,  29;  v.  Hormayer,  Taschenb.  1842, 
280  —  84;  Beiträge  II,  303  —  4;  Hagenmeyer,  Ekkehardus  251.  Dasselbe  wird  sonst 
auch  von  der  bairischen  prinzessin  Agnes  erzählt. 

6)  Beiträge  I,  69  note  161;  Chron.  Triveti  ed.  d'Achery  111,  164  (auch  solte 
der  sultan  von  Iconium  von  einer  deutschen  prinzessin  abstammen;  vgl.  Beitr.  U,  115, 
225).  Nach  Eob.  de  Monte  in  Mon.  Germ.  SS.  VI,  524  stamte  Nur  ed-din  Ali  von 
der  Schwester  des  grafen  v.  St.  Gilles  ab.     König  Andreas  von  Ungarn   meldet  sogar 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.     BD.  XXIII.  -  « 


41S  RÖHRICHT 

Eleouor  .  ^emahlio  Ludwig  VIII,  von  Frankreich,  ein  rendez-vous 
babt  haben1,  der  graf  Raymund  von  Tripolis  der  Schwiegersohn  Sala- 
dins  _  sen  sein2,  der  graf  von  Gleichen  die  Meleksalah,  „eine  ägyp- 
tische k»"»!  gs  chter"  als  zweite  ehefrau  in  die  heimat  mitgebracht 
habei  Ja  selbst  mongolenchane  sollen  als  werber  um  christliche 
Prinzessinnen  aufgetreten  sein  und  erfolg  gehabt  haben1.  Aber  all«1 
di.-.-  berichte  sind  immer  nur  verein/dt  und  unzusammenhängend, 
während  wir  wir  für  den  holden  des  abendlandes,  herzog  Gottfried. 
s  auch  für  den  des  morgenlai  les,  Saladin.  einen  ausgedehnten  Sagen- 
kreis aufweisen  können. 

Saladin  stamte  der  sage  Dach  von  einer  französischen  mutter6  und 
hielt  es  als  sultan  nicht  für  unter  seiner  würde,  von  einem  christlichen 
ritt- t  als  welcher  bald  Honfred  von  Turon6,  bald  Hugo  von  Tiberias7. 
bald  ein  herr  von  Anglure8  genant  wird  —  den  ritterschlag  zu  erbitten, 
wie   ihn    1228    der  ägyptische  Emir  Fachr   ed-din    durch   kaiser  Frie- 

dem   papst,    dass    er   seine  tochter  dem   sultari   von   Iconium    zur    frau    geben  wolle 

(Theiner,   Mon.  Hung.  I,  20  —  21  nr.  32);    wie  wir  aus  guter  quelle  wissen  soll  der- 

selbe   sultan.    für  den   in   anderen   berichten   der  ägyptische  genant   wird,    1179  von 

kais'-r  Friedrich  I.  eine  tochter  als  gemahlin  erbeten  haben  (Beitr.  II,  186  —  87;   vgl. 

Ifonte  in  den  Mon.  Germ.  SS.  VI.  580  (zu  1181);  Weil  in  v.  Sybels  Hist.  zeit- 

irift  1870,  XII.  372        Später  wu>te  man  zu  berichten,  dass  (1243)  der  sultan  von 

nium   eine  enkelin   der  königin  Bianca   von  Frankreich   heiraten  wolte    (Dnchesne, 

Franc.  V.  424  1g.:  Wanters,  Table  chronol.  d.  gestes  V,  65). 

1)  Beiträge  II,  ICK);  vgl.  Hist.  litt,  de  la  France  XXI,  784  —  85;  Massmann. 
Eraclius  436 — I 

hron.  Tolosan.  in  Documenti  di  storia  ital.  VI.  672;  er  soll  auch  heimlich 
mnslim  gewesen  sein  (Beitr.  I.  177  |. 

Beitr. I,  04:  II.  379;   AVitzschel,  Sagen  aus  Thüringen  94;   Vulpius,  Curio- 
1 1 1  .•;:__.:   1  i         ,  fi     i  penm  1864,  1 1 3  —  26.  1 29  —  35 ;  Trautmann ,  Das  denk  - 
mal  der  Gleichen  im  dorne  zu  Erfurt.  1866:  Erfurter  mitteil.  1871  und  1881. 

4)   Les  archives  de  l'Onent  latin  I,  649;    nach  Annal.  Plac.  GhibelL   in  Mon. 
38.  XVIII.  536   habe   konig   Jacob  I.    von  Aragonien    1269   seine  tochter   dem 
ngolenchan   zur  gemahlin  gegeben.     Die   bündnisse   mit  den  Mongolenchanen  wer- 
Thomas  <  'antiprat»,*nsis.  Bonum  univers.  II  c.  54   §  14  und  im  Chronic.  Sicul. 
(Breh  olles,  Hißtor.  diplom.  I,  901  —  3  mit  bezug  auf  Jesaias  40,  1 — 6)  empfohlen. 
<7hron.  S.  Bertini  (Mon.  Genn.  SS.  XXV,  818):  de  matre  Gallica  Pontiva. 
Itin.  Bic.  0. 
7    ICeon,  Fabliaux  I,  59  —  82;  Godefroy  de  Courlon  ed.  Julliot  480  —  94  (auch 
in  -   de  Ghillebert  de  Lannoy  ed.  Potvin  417  —  28j:  Hist.  litt,  de  la  France 

XVII :     7"    —60;    XXI.  13;    XX1IJ.   161—63.     Einen   bisher  unbenuzten  codex  zu 
dem  roman  siehe  bei  Lambert,  Bibl.  de  Carpentras  II.  128  nr.  XXV. 

•b'-h.   Longus    in    den   Mon.    Germ.  BS.  XXV.   S21 ;    Revue   nobiliare    1866, 
410  —  411.  419. 


SAGEN   UND   MYTHEN    ADS    DEN*    KBEUZZUGEN  419 

drich  II.1  und  1250  sogar  deT  sultan  von  Ägypten  durch  den  gross- 
meister  der  Johanniter  empfangen  haben  soll2.  Seiner  neigung  zum 
Christentum  entsprechend  habe  er,  wenn  auch  vergeblich,  um  die 
hand  einer  tochter  des   kaisers  Friedrich  L  Barbarossa  geworben8  und 

seinen  söhn  nach  Paris  geschickt,  der  im  kloster  St.  Genofeva  seine 
erziehung  gemessen4  und  später  an  der  Universität  studieren  solte5; 
seine  enkelin  habe  er  dem  templerrenegaten  Roberl  von  St  Alban 
zur  ehe  gegeben6.  Über  eine  begegnun^  Saladins  mit  dem  gross- 
meister  der  Johanniter  erzählt  eine  französische  < ^ 1 1 < ■  1 1  < ■ 7  folgendes.  Um 
die  viel  gerühmte  barmherzigkeit  der  brüder  jenes  Ordens  auf  die  probe 
zu  stellen,  verkleidet  er  sich  als  pilger  und  findet  in  ihrem  >|>ital  auf- 
nähme, weigert  sich  aber  drei  tage  lang  speise  zu  nehmen,  bis  <■)■  end- 
lich am  vierten  tage  verlangt,  man  solle  ihm  den  rechten  rorderfuss 
des  schlachtrosses  des  grossmeisters  kochen  und  zubereiten.  Schon  tritt 
ein  bruder  mit  dem  beile  heran,  um  den  vorderfuss  des  pferdes  abzu- 
hauen, da  ruft  dieser:  „Halt  ein,  mein  wünsch  ist  erfült;  ich  möchte 
lieber  hammelfleisch  essen!"  Als  er  nun  das  spital  verläset,  stelt  er 
zum  dank  für  die  freundliche  aufnähme  eine  Urkunde  aus,  wodurch 
seine  privatkasse  alle  jähre  und  zwar  am  St.  Johannisfeste  1000  gold- 
^tücke  dem  orden  zu  zahlen  verpflichtet  wird,  und,  wie  der  ehren  ist 
versichert,  sei  diese  summe  in  friedlichen  und  kriegerischen  zeiten  bis 
zum  tode  des  sultans  immer  gezahlt  worden.  Dieselbe  quelle s  berich- 
tet auch,  wie  einst  die  habsucht  des  christlichen  Marquis  von  Caesarea 
durch  ihn  gestraft  worden  sei.  Dieser  habe  nämlich,  um  recht  viel 
geld  zu  sparen,  die  garnison  geschwächt  und  dadurch  die  eroberunu 
der  festung  durch  Saladin  ermöglicht,  worauf  dieser  dem  geldgierigen 
geschmolzenes  gold  und  silber  in  den  hals  giessen  liess,  während  er 
seiner  gemahlin  mit  10  christlichen  frauen  und  dem  zehnten  teile  der 
u'tfangenen  besatzung  freien  abzug  nach  Accon  gewährte.  Als  beson- 
deres beispiel  von  grausamkeit  wird  dem  sultan  nacherzählt,  er  habe 
den    Verteidiger   von   Tyrus,    den    markgrafen    Conrad   von   Montferrat, 

1)  Beiträge  I.  73  2)  Annal.  AVinton.  92. 

3)  Otton.  Contin.  Sanblas.  317;  vgl.  Beiträge  II,  186  —  87. 

4)  Les  archives  de  1" Orient  latin  IIA,  378  note. 

5)  Alberieus  in  Mon.  Germ.  SS.  XXIII,  872.  Nach  dem  Wochenblatt  der 
Johanniter  -  Ordensballey  Brandenburg  1878,  39,  151  —  52  befand  sich  ein  nachkomme 
Saladins  1877  in  der  pflege  des  ordenshauses  zu  Beirut. 

6)  Bened.  von  Peterbor.  I,  341  —  42;  Rog.  de  Hovedene  II,  307. 

7)  Recits  d'un  menestrel  de  Reims  ed.  Natalis  de  Wailly  187G  §  199  —  208. 
Als  quelle  nent  der  berichterstatter  den  gefangenen  onkel  Saladins.  der  dem  könig 
Johann  von  Jerusalem  obige  erzahlnng  mitgeteilt  habe.  8)  §  210 — 12. 

27* 


420  RÖHRICHT 

dadurch  zur  Übergabe  der  festung  zwingen  wollen,  dass  er  dessen  vater 
Wilhelm  als  Zielscheibe  den  christlichen  wurfmaschinen  aussezte1.  In 
einem  Sagenbuch8  lesen  wir,  dass  der  sultan  einst  von  der  riesenstärke 
des  königs  Johannes  von  Jerusalem  gehört,  und  ihn  um  Übersendung 
des  schwerto  n  habe,    mit  dem  er  einst  einen  Saracenen  in  sei- 

ner ganzen  Hin.  spalten.  Da  ihm  jedoch  dieser  krafthieb  an  einem 
Verbrecher    nicht   gelingt,    so    bittet    er    den    könig,    ihm    das    richtig 

awert  zu  leihen,  da  das  beifolgende  wol  ein  falsches  sei,  aber  dieser 
antwortet,    es   sei   das    richtige,    aber    seinen    arm    könne   er  ihm   nicht 
mitschicken.     Einen  gefangenen  Christen3  lässt  er  los,  weil  dieser  seine 
2   .     b  er  in  seiner  heimat  wälder  und  flüsse  habe,  verneint,   indem 
er  bemerkt:    ..Ich  will  dir   die  Freiheit  geben,    weil  ich  dich  in  keinen 
n  kerker  schicken  kann!" 
Den  aberglauben  der  Christen  verspottet  er,  ja  er  soll  sogar  „die 
heilige   taube",    durch   welche    am   Osterfeste    das    „heilige  feuer"    vom 
himmel   gebracht  wurde,   welches   die   lampen  in    der  grabeskirche  ent- 
zündete, durch  pfeilschüsse  verfolgt  haben,   freilich  ohne  zu  treffen;   in 
der  decke    der  kirche    habe    man  später  noch  lange    die   pfeile   haften 
sehen4. 

Die  Christen  galten  ihm  als  schwelger.  Als  er  einst  von  ihren 
reichen  mahlzeiten  gehört,  soll  er  gesagt  haben,  sie  seien  des  heiligen 
landes  unwürdig5,  und  als  ihm  gefangene Benedictinermönche  vorgefühlt 
werden,  stelt  er  ihre  tilgend  auf  die  probe0.  Da  ihnen  der  verkehr 
mit  trauen  verboten,  der  genuss  des  weines  aber  gestattet  ist,  lässt  er 
durch  zwei  schöne  mädchen  bedienen  und  erst  keinen  wein  geben, 
am  folgenden  tage  aber  wein  vorsetzen.  Sie  betrinken  sich  und  ent- 
brennen in  iust,  empfinden  aber  im  zustande  der  nüchternheit  schäm 
und  reue.  ..Da  seht  ihr",  sagt  nun  der  sultan,  „dass  euer  St.  Benedict 
unrecht  getan  hat.  euch  die  weiber  aber  nicht  den  wein  zu  verbieten!" 
Dm  die  wahre  religion  zu  erkennen,  lässt  er  einen  Christen,  Juden  und 
muslirnen  zusammenkommen  und  disputiren;  er  gewint  aus  ihrer  anter- 

1/  Beiträge  I,  178. 

_    Etienne  de  Bourbon  64  note.  3)  Ebd.  65. 

4i  Albericus  in  den  Mon.  Germ.  SS.  XXIII,  929.     Zur  legende  vom  osterfeuer 
vgl.  Röhricht  in  Raumers  Histor.  taschenb.  1875,  379;  Les  archives  de  ['Orient  latin  I, 

Guil.  de  Xowburgh  ed.  Hamilton  1856,  II.  158. 

Ebd.  159—60;    Etienne  de  Bourbon  414.     Daher  auch  das  wort  des  Gil! 
de  Corbeü,   Baladin  wäre  sicher  Christ  geworden,   wenn  er  nicht  die  unsitlichkeit  der 
istiiehkeit  gekaut  hätt    [Hist  litt,  de  la  France  XXI.  350    -51;  vgl.  Koger  de  "Wen- 

dower  IV.   !:•' 


SAGEN    UND    MYTHEN    AUS    DBN    KREÜZZÜGBN  42] 

redung  die  Überzeugung,  dasa  «li»1  christliche  die  allein  wahre  sei1. 
In  folge  dessen  soll  er  sich  sterbend  halten  wasser  geben  lassen,  um 
sich  zu  taufen;  nachdem  er  mit  der  rechten  band  dasselbe  bekreuzt, 
giesst  er  es  über  seinen  köpf,  wobei  er  drei  französische,  der  Umge- 
bung unverständliche  worte  murmelte2.  Seinem  diener  befiehlt  er,  wäh- 
rend  seines  todeskampfes  in  den  Strassen  von  Damascus  auszurufen3: 
„Saladin  nimt  von  der  erde  nichts  weiter  mit  als  drei  eilen  zu  einem 
schweisstuch!"  Auf  dem  St.  Nicolauskirchhofe  bei  Accon  neben  seiner 
mutter  soll  er  begraben  sein:  auf  seinem  grabe  habe  eine  von  den 
Johannitern  gestiftete  lampe  tag  und  nacht  gebraut4. 

Aus  diesen  wenigen  zügen,  denen  viele  echt  historische  bewei 
algemein  menschlicher  und  königlicher  tilgenden  zur  seite  stehen,  kann 
man  ermessen,  welchen  gewaltigen  eindruck  diese  „zuchtrute  gottes" 
auf  seine  feinde,  die  Christen,  gemacht  haben  muss,  und  wie  sie  bestrebt 
waren,  ihn  als  den  ihrigen  in  ansprach  zu  nehmen  und  so  für  den 
himmel  zu  retten.  Xur  noch  seinem  netten,  dem  sultan  Malik  al-Kämil 
von  Ägypten,  haben  sie  das  gleich  gerechte  lob  und  die  gleich  gerechte 
bewunderung  in  sage  und  geschichte  gezolt6. 

1)  Etienne  64;  ebd.  281  —  82  findet  sich  die  parabel  vod  den  drei  ringen  in 
einfachster  gestalt  (vgl.  Oesterley,  Gesta  Romänorum  89;  llist.  litt,  de  ia  France 
XX! IL.  75;  Wrigkt,  Latin  stories  21;  A.  Tobler,  Die  parabel  vom  ächten  ringe,  Leip- 
zig 1871). 

2)  Eecits  §  212. 

3)  Ebd.  §  198;  Hist.  litt,  de  la  France  XXIIi,  160  —  63;  XXVI.  121:  Etienne 
64;  Job.  Longus  in  den  Mon.  Genn.  XXV.  821;  Bernardus  Thesaurarius  bei  Muratori 
SS.  VII,  815;  Marino  Sanudo  III,  10,  8. 

4,  Recits  §213:  Über  ein  Schauspiel  „Pas  Salhadin"  vgl.  Ilist.  litt.  XXIII. 
162.  485  und  La  novella  Boccaccesca  del  Saladino  e  di  messer  Torello  in  derRomania 
VI,  358  —  68. 

5)  Itin.  Rio.  6;  Rog.  de  AVend.  IV,  195  i..virga  furoris").  Über  seine  echte 
diplomatische  correspondenz  vgl.  Röhricht  im  Neuen  archiv  XI.  572      7!». 

6)  Nach  d.  Eulogium  III,  78  soll  seine  mutter  die  Schwester  des  graten  von 
St.  Gilles  gewesen  sein  (vgl.  dagegen  oben  s.  415note2)  und  sterbend  ihn  gebeten  haben 
(1182;  dies  jähr  passt  nur  auf  den  sultan  von  Iconium)  alle  Christen  zu  schonen,  und 
er  soll  über  ihrem  grabe  eine  hohe  pyramide  mit  einem  kreuze  haben  erbauen  las- 
sen, welches  allen  zertrümmerungsvi'isuchen  widerstand  leistete.  Im  jähre  1227  mel- 
dete herzog  Heinrich  von  Lothringen  dem  könig  Heinrich  H.  von  England  sogar,  kai- 
ser  Friedrich  IL  habe  des  sultans  tochter  (nach  den  Annales  Dunstapi.  112  ;■  äsen 
Schwester)  geheiratet  (Shirley  I,  343;  Beiträge  I.  73).  Diese  sagen  sind  nur  der 
poetische  Widerschein  des  geschichtlich  verbürgten  edelmutes  und  der  freundschatt 
des  sultans  mit  Friedrich  IL     Sonst  vgl.  die  genauen  nachweise  in  Beirr.  I,  68  —  69. 

BERLIN.  R.    RÖHRICHT. 


422 


ZU  HERZOG  FEIEDEICHS  JEEUSALEMEAHET. 

Der  bext  des  in  dieser  Zeitschrift  XXIII.  28  fg.  herausgegebenen, 
im  ausdrucke  unbeholfenen  und  fehlerhaft  überlieferten  gediehtes  bedarf 
Doch  mancher  erklärung  und  berichtigung. 

Vers  21  ist  wusen  so  viel  wie  umsehen:  bis  auf  den  verabrede- 
ten tag,  wo  er  sich  davon  machen,  abreisen  wolte. 

Schon  v.  22  fg.  ist  wo!  von  den  ritterlichen  wappen  die  rede. 
V.  25  wird  statt  gemacht  zu  lesen  sein  gemengt  ('.gesprengt),  und  jedem 
/..  27  ist  zu  erdacht  und  zu  volbrarlit  z.  23/24  zu  ziehen,  so  dass 
also  eine  lücke  nach  26  nicht  angenommen  zu  werden  braucht. 

V.  47  —  74  sind,  wie  ich  glaube,  nicht  richtig  gedeutet.    Mit  pres- 

'  v.  47  und  prcis.sc//  57  ist  nicht  weisen,  sondern  Preussen  gemeint, 

und  die  ganze  stelle  dreht  sich  um  die  frage,    ob  eine  ritterfahrt  nach 

IV.    3s  n   oder  eine  solche  nach  Jerusalem  besser  und  verdienstlicher 

Einzelnes  ist  auch   hier  verderbt  und   auf  verschiedene  weise  zu 

-sern  oder  auszulegen,    aber  der  Zusammenhang  des  ganzen  ist  klar. 

„Mancher  sagt  von  Preussen,    das  sei1  gut  viel  lohn  zu  erjagen.     Ich 

lasse  jeden  seine  rede  wol   zurichten2,    (aber  soviel  behaupte  ich:)    die 

heiligen  statten  sind   auch  gut  zu   beschauen.     Nur  dass  einer    (1.  das 

st  doch?  oder  dechainer?)  auf  dem  meere  zu  keiner  zeit  sicher  ist:  er 

weiss  nicht,    wann   ein  wind   her  wehen   und   ihn  (etwa)   an  eine  insel 

schlagen  wird,   und  demnach  liegt  er  früh  und   spät  gefangen3,    ohne 

ruhe   zu  haben.     Davon  gibt  es  nichts   (bei   der  fahrt)   nach  Preussen 

hinein:    drei  wochen  kann   einer  so  ziehen4,   dass  die  Strasse  sich  ihm 

frei  zeigt,  ganz  als  wäre  er  daheim  bei  seinem  lande;   wird   dann    ein 

kämpf   da    gefochten   .  .  .   (lücke)    oder  was   man    gefangen    nimt    ledig 

-••macht  um  lösegeld.     Wird  man  (dagegen)   auf  dem  nieer  angegriffen, 

kann  man  nicht  auf  die  bahn  entweichen.    Ferner  hat  es  (das  meer) 

am-h    diese    art    (beobachtet   folgendes   verfahren):    es    nimt    keinen    zu 

(blosser)  gefangenschaft  auf:  und  hätte  einer  die  ganze  weit  hinzugeben, 

will   nichts   anderes    als    leib    und   loben    haben.     Das  nehmet  war, 

1)  Das  zweite  das  ist  zu  streichen. 

.     Über  lassen  mit  dat.  s.  DWB.  6,  232.  237.     oder  ist  paurn  intransitiv  and 
als  bestehen  zu  fassen'.-'     Der  sinn  bleibt  derselbe. 

3)  Es  ist  hier  nicht  an  wirkliche  gefangenschaft.  sondern  an  das  eingeschlos- 
isein  im  schiffe  zu  denken. 

4j  Lies  ziehend  statt  zu  hon  ml. 


VOGT.     ZU    HERZOG    FBIEDBICHS    JEBÜSALEMFAHBI  123 

wer  etwa  darauf  sein  augenmerk  richten  will,  ob  irgendwo  ein  Unfall 
vorkomt.  Jedoch  ist  es  auf  beiden  Seiten  gut  (d.  h.:  sowol  die  Preus- 
sen-  wie  die  Jerusalemfahrt  ist  gut)  für  den,  welcher  ritterschafl  trei- 
ben will  oder  sie  ausübt,  oder  um  den  schönen  lohn  zu  erjagen." 

110  ist  wol  vach  hinter  vund  und  an  hinter  knechtn  aus- 
gefallen. 

147  lies  tichtn  st.  tachtn? 

169  lies  ain  st.  am. 

178  lies  da  dy.  Von  dieser  „kapelle  der  kleiderverteilung"  komt 
man  auf  dem  beschriebenen  wege  (nach  dem  grundriss  der  gra- 
beskirche  in  Toblers  Golgatha)  in  die  kapelle  der  Helena  (v.  L81  fg.), 
und  von  dieser  führt  eine  stiege  hinab  zur  statte  der  kreuzfindung 
(v.  183  fg.).  Dem  entsprechend  ist  v.  181  allen  in  Elenen  zu  ändern; 
182  mag  statt  vindt  meltun  zu  lesen  sein  vinden,  melden  (finden  und 
bekant  machen);  das  asyndeton  so  wie  z.  b.  244  und  117.  Der  reim 
von  melden,  dessen  ausspräche  Schindler  als  ,,melnkC  bezeichnet,  auf 
kapetten  (kapein)  ist  unbedenklich. 

184  lies  do  st.  so.     Hinter  184  und  188  punkt. 

192  lies  da  Nicodenius  nid  Josepli  mit  ein?  Hinter  194.  196. 
200  punkt. 

200  lies  mocht  st.  muehet. 

224  er  natürlich   =  ir.  — ■  Hinter  240  punkt. 

241   runder  wogenn   =   under  wegen  (vgl.  oic  st,  ew  89). 

252  st.  kinder  ist  wol  Mndelein  zu  lesen  und  eine  lücke  nicht 
anzunehmen. 

265  lies  der  edl  fürst. 

277  —  84  werden  die  54  heiligen  statten  in  zwei  gruppen  geson- 
dert: 29  besonders  heilige,  durch  die  jede  schuld  und  strafe  von  dem 
besucher  genommen  wird,  25  andere,  von  denen  er  7  jähr  ablass  und 
7  korret  davon  trägt.  Es  wird  also  v.  278 --80  zu  lesen  sein;  (die) 
sind  besunnder  auserwelt  (oder  ausderwelt,  vgl.  365  derxaigen):  von 
yeder  stat,  sonndcr  man,  ist  schuld  und  pein  hin  gethan. 

290  ist  da  hinter  den  (de int)  ausgefallen:  nwo  gott  im  begräbnis 
der  menschheit  (d.  i.  indem  seine  menschliche  natur  dort  begraben 
wurde)  sich  drunten  im  verborgenen  erneuertet 

293  lies  setzt;  vorher  komma  hinter  glauben. 

312  lies  sich  statt  sy? 

313  lies  danvart  statt  dann? 
316  lies  dar  statt  elas. 


4"J4  H.    BECKER 

320  lies  sich  statt  sy?  Der  patron  schrie  scheltend  „sehe  ein 
jeder  zu-,  and  da—  er  sich  bald  in  bereitschaft  setzen  solte  (für  „sehe 
jeder  zu.  dass  er  sich"  usw.). 

337   lies  da  (oder  dar)  man  statt  darnan.     Hinter  338  punkt. 

340  lies   vulenden,  hinter  341  komma  statt  des  punktes;  342  lies 

.  //  er,    343  <hiss,lh;    ..der   köniu    von    Zypern    ordnete   an,    dass   man 

überall,    wo   er  (Friedrich)   landen  weite,    seiner  wo]    pflegen   solte,    so 

weit  er  (der  könig  von  Cypern)   zu  gebieten  hätte;    dasselbe  hatten  die 

weisen   -«raten."   —  Hinter  345  punkt  statt  des  kommas. 

356  lies  Schanchtng.  357  das  komma  hinter  eeit  358  zu  setzen? 
Kur  das   nächstfolgende  weiss   ich   keine   befriedigende  erklärung. 

70  vund  ist  wo!  zu  streichen:  mit  der  herzogin  selten  auch  ihre 
Jungfrauen  die  Juwelen  tragen. 

373  lies  dar  er  statt  das  erst?    warn   =   geworden. 

Bei  dieser  gelegenheit  mag  auch  die  in  dieser  Zeitschrift  bd.  XIX 

s.  tl  anm.  3  und  4  gegebene  erklärung  einer  stelle  des  „niederrhei- 
nischen beriehtes  über  den  Orient"  berichtigt  werden.  Der  betreffende 
satz  heisst:  (bei  der  hochzeit  des  sultans  wurde  ein  so  grosses  hoffest 
abgehalten)  „dass  man  lange  zeit  im  ganzen  lande  kein  wachs  finden 
kont»  .   3     war  es  bei  dem  hoffeste  alles  verbrant." 

BRESLAU.  F.    VOGT. 


ZUR    ALEXANDEKSAGE. 


Der    briefwechsel   Alexanders   mit   dem    Brahmanen    Dindi- 

mus   ist   von    dem   verfasse]-    einer   deutschen   Alexandergeschichte   <h-> 

]'>.  Jahrhunderts  abweichend  von  der  Bistoria  de  yreliis,  die  im  iibri- 

_   d  seine  quelle  ist.  dargestelt  worden.    Der  doctor  Johann  Hartlieb, 

welcher  seit  1440  als  leibarzt  und   diplomat  in   den   diensten   des  her- 

gs    Albrecht  III.    von   Baiern    stand    und    für    dessen   gemahlin    den 

ien    Alexanderroman     übersezte    (s.    Goedeke,    Grundrisx  I-, 

_  bt   eine  darstellung  dieses  briefwechsels,   welche  gewisser- 

massen  eine  Verbindung  des  inhalts  der  moralisierenden  abschnitte  des 

shischen  Palladius  mit   dem   der  lateinischen   CoUatio  ist.     Die  vier 

*  n  b riefe  stimmen.  ehen  von  sehr  ausfuhrlichen  Übergängen,  mit 

der  Hlstori'i  de  preUis  nberein,    der  fünfte  jedoch  (blatt  55°  —  64b  der 

sgabe  von  1503)  weicht  wesentlich  davon  ab.  Alexan- 
der h  gar  nicht  riarauf  ein  die  darlegungen  des  Dindimus  zu 
kritisieren,  sondern  er  schickt  ihm  den  befehl  bei  strafe  der  enthaup- 
tung  zu   ihm    zu   kommen.      Darauf   erhält    er    ein    (drittes)    schreiben 


7.VU    ALKXANDERSAGK  425 

des  Brahmanen,    iii  welchem  derselbe  sieh  weigert  seiner  aufforderung 

zu  gehorchen.  Alexander  könne  wol  Beinen  Leib,  doch  nicht  seine 
seele  töten;  wenn  er  glaube,  dass  die  Brahmanen  ihm  nützen  könten, 
so  solle  er  selbst  sich  auf  den  weg  zu  ihnen  machen.  Nunmehr  gehl 
der  könig  allein  zu  Dindimus  und  Lässt  sich  persönlich  von  ihm  beleh- 
ren. Di«'  rede,  in  welcher  dii  schient,  erinnert  an  die  darstellung 
der  griechischen  stücke.  Wenn  der  könig  seinen  worten  nicht  glauben 
schenke,  so  lautet  der  schluss,  werde  er  einst  klagen:  0  we,  ach  und 
we,  dass  ich  der  guten  lere  Dindimi  nit  gevolget  hob  .  ./  Alexander 
gibt  ihm  nun  in  allem  recht,  erklärt  aber,  dass  er  ihm  nicht  nach- 
eifern könne,  und  beschenkt  ihn.  Der  ganze  abschnitt  schliesst  mit 
der  bemerkung,  dass  Alexander,  so  oft  er  später  an  Dindimus  dachte, 
traurig  wurde  und  es  bedauerte,  dass  er  die  gute  lehre  des  Brahmanen 
nicht  befolgt  hätte. 

Diese  interessante  darstellung  des  brieflichen  Verkehrs  Alexandeis 
mit  dem  Brahmanenkönige  ist  aber  nicht  nur  in  dem  roman  Hartliebs. 
sondern  auch  in  einer  diesen  gegenständ  selbständig  behandelnden 
deutschen  schritt  erhalten,  die  bisher  nicht  gedruckt  ist.  Die  Heidel- 
berger papierhandschrift  Germ.  172  (verzeichnet  von  Wilken,  Ge- 
schichte der  bildung,  beraubung  und  verniehtung  der  alten  Heidelber- 
ger büchersamlung  s.  380,  nr.  CLXXII  und  von  Bartsch,  Altdeutsche 
handschriften  in  Heidelberg  s.  45,  nr.  109),  welche  dem  15.  Jahrhun- 
dert angehört  und  im  jähre  1557  ihren  jetzigen  mit  dem  bilde  und 
wappen  Otto  Heinrichs  versehenen  einband  erhalten  hat,  enthält  eine 
Fürstenregel  und  darnach  König  Dindimus  buech.  Dieser  hand- 
schriftlich überlieferte  briefwechsel ,  auf  den  mich  Ad.  Ausfeld  gele- 
gentlich freundlichst  aufmerksam  machte,  ist  keineswegs,  wie  derselbe 
gelehrte  annahm,  eine  Übersetzung  der  (ollatio  Alexandri  et  Dindimi 
(herausgegeben  zulezt  von  Bernhard  Kubier  hinter  seinem  Julius  Vale- 
rius  Leipzig  1888  und  in  einer  anderen,  späteren  fassung  in  Vollmöl- 
lers Romanischen  forschungen  VI,  21(5 —  224);  vielmehr  entspricht  er 
genau  jener  ausführung  Hartliebs.  Auch  in  dem  König  Dintfimus 
buech  der  Heidelberger  handschrift  wird  der  Inhalt  von  sechs  brieten 
angegeben;  auch  in  ihm  findet  nach  dem  schriftlichen  verkehr  noch 
eine  persönliche  Unterredung  zwischen  Alexander  und  Dindimus  statt, 
auch  in  ihm  heisst  es  zum  schluss,  dass  Alexander  später  oft  der  weite 
des  Brahmanenkönigs  gedachte  und  es  beklagte,  den  lehren  desselben 
nicht  gefolgt  zu  sein. 

KÖNIGSBERG    I.    FR.  H.    BECKER. 


DAS   SPIEL   VOM  JÜNGSTEN  GEEICHTE. 

Das  von  Slone  in  den  ^Schauspielen  «los  Mittelalters"  herausgege- 
bene iünesl  ericht  existiert  aoch  in  zwei  andern  handschriftcn.  Die 
eine,  auf  der  bibliothek  zu  Donaueschingen,  ist  bei  Barack,  Die  hand- 
schriften  der  Fürstenbergschen  hofbibliothek  zu  Donaueschingen  (Tübin- 

L86S     s.  135  kurz  beschrieben.     Der  text.    aus  dem    14.  Jahrhun- 
dert,  ist  etwas  kürzer  als  der  bei   Mone.     Die  andere  befindet  sich  auf 
der  königlichen  bibliothek  in  Kopenhagen:  Thottsche  manuscripte  in  4° 
-    112),  papierhandschrift  des  15.  Jahrhunderts,  24  blätter.    Sie  ist  mit 

einer  anzahl  sehr  roher,  aber  eigentümlicher  farbiger  bilder  versehen. 
Wie  zwei  leere  blätter  im  texte  zeigen,  solten  noch  andere  eingefügt 
worden. 

Bl.  1  —  2   die  figuren    der  propheten  Joel   und   Zephanja,    des  h. 
riu-.  des  Hiob.     Bl.  4  —  6  die  4  engel  mit  posaunen.    Unter  dem 
vierten  tote,  die  sich  aus  sargen  erheben.     Bl.  6  Christus  mit  den  zei- 
chen seines  leidens,  die  nägelmale  zeigend.     Darunter  9  figuren.    Bl.  7 
Christus  und  engel.     Bl.  10  Christus  und  die  12  apostel.     Bl.  10  b  teu- 
fel,  einen  verdamten  mit  einem  haken  fassend.     Bl.  11  teufel,  die  eines 
verdamten  beine  mit  den  zahnen  fassen.    Bl.  13b  11  figuren,  von  einem 
le    umschlossen.     Ein    strich    führt    von    demselben    zu    einem    tiger 
unten,    aus  dessen  halse   ein  roter  strahl  komt.     Bl.  14  ein  teufel,    der 
»inen  verdamten   im  rächen  hat.     Bl.  16  ein  verdamter  mit  einem  seil 
im   zopf,    an  welchem   ein  teufel   zieht.      Bl.  17    11  figuren   von  einem 
ile  umschlungen,    an  dem  zwei  teufel  ziehen.      Bl.  18  figur,    der  ein 
ifel  in  gestalt  eines  hundes  im  nacken  sizt.     Bl.  20  —  22   die   einzel- 
nen apostel.     Bl.  23  -24  Christus  im  himmelstor,    dem  die  schaar  der 
von  Maria  geführten  gerechten  naht. 

Blatt  1  Johelem  wiffag  bin  ich  genant, 
den  got  in  die  lant  /  hat  gesaut 
sprichet  der  jungst  /  tag  fol  schier  kumen 
von  got  hon  ich  es  vernomen 
doch  sind  es  me  den    /  tufent  iar 
das  ich  iueh  fag  das  ift  war 
der  tag  befchicht  /  das  weis  ich  wol 
Finnen  zorn  wil  er  lofen  Ion 
vor  im  so  mag  nieman  befton 
der  funn  vor  im  vorluret  /  den  fchin 
die  mone  wirt  blut  uar  /  von  groffer  pin. 


H.    JELLINGHAUS,    DAS    BFDSL    VOM    JÜNGSTEN    GERICHTE  427 

den  wirt  der  grülicheft  tag 
der  ie  kam  oder  iemer  kämmen  mag 
vor  gottes  antlit  ein  rar  loffet 

man  vnd  wip  lieh  feloer  roffet 

der  hümel  ergliget  nun   fumd  [lies  stunt) 

grölich  schriget  der  erd  gr&nd 

der  hümel  wirt  von  zorn  rot 

dar  mag  wol  fin  ein  grolle  not 

fur  rafft  waffer  vnd  ertrich 

ob  dem   füncler  uaft  claget  sich 

vnd  schriget  mit  luter  ftim 

Her  rieht  ab  dem  rander  grim 

den  mns  der  fünder  haben  leit 

die  guten  stond  der  gar  gemeit 

wan  fie  hon  gedienot  vi] 

des  er  inen  daneken  wil. 
Am    rande  figur    mit   rotem  barett. 
Blatt  1,  b  ich  hon  iuch  gefeit  das  ich  kan 

nun  bereiten  üch  frobbe  vnd  man 

foph. 
Darauf  folgt  v.  1  des  textes  bei  Mone. 

Mone  v.  3  als  mir  got  felber  hat  gefeit.  V.  6  m entlich  mus  ze- 
l'amme  kummcn.  Y.  7  fehlt  „bitterlichen",  tage.  V.  8  jeeklich,  „denn" 
statt  „wol",  mage.  Y.  10  „Vnsa  für  „und".  V.  11  wie  es  dir  fol. 
V.  12  enphahen  Ion.  Y.  13  befchelten.  Y.  14  und  wil  in  hertenglich 
gelten.  Y.  16  „denn"  fehlt.  Y.  17  Wu  (man  könte  auch  „wir"  lesen) 
fond  erliden  vnfer  ören.  Y.  18  den  iemerlichen  gottes  zorn.  Y.  19 
iu  fürchtet  alles.  Y.  20  kumpt.  Y.  21  vnd  wil.  Y.  23  ieclicher. 
Y.  25  „gewalt"  fehlt.  Y.  26  front  er  stereke  do  nit  gilt.  Y.  27  fchick 
das  v.  28  daz  nützet  dich  für  alles  golt.  Y.  29  den  guten  zelen.  [Blatt  2. 
Mone  v.  31]  der  fünder  müs  von  im  fliehen.  V.  32  vn  in  die  helle 
ziehen.  Y.  33  fehlt  „allen".  Y.  34  Got  geb  vns  ein  feiig  iar.  Y.  35 
Gregorius  ein  lerrer.  Y.  36  merrer.  Y.  37  wiffag.  Y.  38  und  39 
fehlt.  Y.  40  ich  sol  üch  künden  den  jüngsten  tag.  Y.  43  „fij"  für 
„fig".  Y.  44  des  vil  befchehen.  Y.  46  vor  zitten  vnd  vor  tagen. 
Y.  47  „gar-  fehlt.  Y.  48  die  uerfellen.  der  täte.  Y.  49  uns  nahet 
schier.  Y.  50  es  stat  uff  urlaug.  Y.  51  „riehen"  statt  „lüten".  Y.  52 
„arbeit"  statt  „erdbidem".  V.  53  Ein  bruder  git  den  andern.  Y.  54 
befchehen  die  ding  die  gros  fint.  Y.  55  Der  uater  wirt  rechten  an. 
Y.  57  das  ist  ein  iomer  vnd  ift  nit  gut.     Y.  58   an  den  mone.     Y.  59 


428  II.    JELLINGHAXJS 

fond  ergone.  V.  60  i  1 1  alles  viL  V.  61  fehlt  V.  63  nahe  by  vns. 
V.  65  zorni&rlieh  sich  erot  V.  67  gezelen.  V.  68  antlit  flutet.  V.  69 
weit  Aber  fchfifet  V.  71  und  die  funder  noch  vil  mere.  7.  72  Got- 
zorn.  V.  73  „jemerlich"  für  „nötlicher".  Vor  v.  74  „Job  fpri- 
chetu.  V.  7.")  nie  fan.  V".  77  bis  das  für.  V".  7s  gestilt  V*.  7!)  und 
er  anderwerb  wirt  milt  Vor  v.  80  „Salomon:  /  Es  spricht  och  her 
Salomon.  V.  80  als  ir  dik  hon  vernomen.  V.  81  der  gerecht.  V.  84 
leid  und  Per  müs  er  gewinnen.  V".  86  „unde"  fehlt  V".  87  Zu  der 
htm  siten  sunder  über  all.  V.  88  zu  der  lincken  tuffel  one  zal. 
V.  88  „in"  statt  ..fr.  Y.  90  Gtot  kumpt  er  ab  in  kurtzer  frist  V.  91 
dar  uff  sond  ir  alle  sorgen.  Y.  92  den  obent  und  den  morgen.  Y.  94 
fehlt  „üch".  Hinter  v.  94  folgt:  Jeronimus  /  Jeronimus  ein  lerer/  und 
des  globen  ein  merer  /  bin  ich  von  der  gottes  wisheit  /  hin  er  schulet 
durch   die  laut.     Darauf  Mone  v.  95   ..hur  fehlt     V.  98   „erden"  statt 

rtrich".  V.  99  „mir"  statt  „meiner".  V.  100  nie  nier  us  minen  sünt- 
lich  orn.  V.  103  „nun"  fehlt  Y.  104  Für  gericht  Y.  105  und  e. 
V.  107  es  kummen.     Y.  108  „das"  statt  „was".     V.  109  —  10  Der  tage 

licher  besunder  /  geschehen  zeichen  und  wunder.  Y.  111  .,In"  statt 
..an",  „das"  statt  „es".     Y.  112  „das"  statt  „als",  gefagen. 

Hinter  v.  112  folgt:  Der  erste  tag./  Y.  113  Mit  dem  ersten  wil 
ich  an  nahen.  Hinter  v.  115:  vnd  gar  iemerlich  erklingen  /  fie  rinnent 
nieme  me  üfer  lant  /  fie  ftellen  lieh  uff  als  ein  want.  /  Der  ander  tag/ 
Y.  117  ..liehen-  statt  ..lieben".  Y.  118  „fo"  fehlt.  Y.  119  „tioff"  statt 
..tief".      V.  121  wo   wie   ein  jemerlicher  tag.      Hinter  v.  121:    Der  trit 

_-./     Y.  124  ..ir"  statt  ..die".     Y.  125  „müfen"  statt  „muftent".    Blatt 

b    v.  128    fehlt    „jämer".      Y.  131    man    ficht    die    waffer   brinnen. 

Hinter  v.  133  Der  funff'te  tag/     Y.  135  fehlt  „alle".     V.  137  gros  leid 

_  winnt     V".  138  wirt  von  plüte  rot.     Hinter  v.  139  der  sechte  tag. 

Y.  140  — 141   Dar    nach    an    dem   fechten   tage/  bringet  der  weit    ein 

lieh   fchlag         V.  142    dar    nider    uallet      Y.  143   es   wart  geftellet. 

V.  144  Es  uallet  nider   uff  den   hert.     Y.  145  golt  vnd   Giber.     Hinter 

v.  145   Der   fibende   tag.      Y.  147    ein   stein    an    den    anderen    fchlaclit. 

V*.  148  gefchrei  von  in  got.     Hintor  v.  151  Der  achten  tag.     Y.  152  — 

53  Der  achten  tag  verniement  wol  /  gar  grülicli  wint  bringen  fol. 
V.  154  der  ert  bidem  kumpt.  Y.  155  ift  fo  gevaft.  Y.  156  „uff"  statt 
..zu".  V.  157  owe  der  tod  kumpt.  Blatt  4  v.  158  nimde,  gefton. 
Y.  159  „berg"    statt  „buchel",  ..nider-  statt  „under".     Y.  161  „müsent" 

itt  ..valhnt".  Y.  162  fo  wirt  die  weit  alle  eben.  Y.  163  We  wie 
bitter  wirt  das  leben.  Hinter  v.  163  Der  zehende  tag.  Y.  164  Der 
zehende  tag  wirt  bitterlich.     V.  165  die  zittern  jemerlich.     Y.  166  het- 


DAS    BPIBL    Yo.M    JÜNGSTEN    GERICHTE  129 

ten  tieff.  Y.  167  gont  den.  V.  168  ir  keines,  gefprechen  kan  noch 
mag.  Hinter  v.  169  folgt  Mone  v.  17b" —181  Der  eilffte  tag.  V.  176 
Der  eilfflfce.  V.  178  „uff"  statt  „durch".  V.  179  „türm"  für  „zorn  ist". 
Y.  180  Noch  den  leben.  Y.  181  wartent  all  des  endes.  Darauf:  der 
zwölfte  tag.  V.  170  Der  zwölfte  tag  ist  gr&lich.  V.  171  gebein  erzö- 
get Y.  172  „Ob"  für  „vor",  „es"  statt  .,si".  V.  174  Cehen  daz.  7.175 
An  gantzen  fröden  werden  fie  las.  Hinter  v.  175:  Der  drizehende  tag. 
V.  182  Ane  dem  drizehendem  tage.  Y.  186  erftond.  Y.  187  Vn«l  alle 
Gammen  für  gericht  gon.  Hinter  v.  187:  Der  vierzehend  tag.  Y.  188 
der  vierzehent  Y.  190  waffer  und  ertrich  den  brinnet  Y.  191  fehlt 
„denn".  Y.  192  -93  vnd  was  do  zwischen  wirbot /von  dorn  für  es  bald 
verdürbet.  Hinter  v.  193  Der  funfizehende  tag.  Y.  194  Der  funfzehende 
tag  das  ist  war.  Y.  194  fehlt  „och".  Y.  196  ftond  V.  199  rufet  her  mit 
dem  horn.  Hinter  v.  199:  Der  erste  engel.  Y.  201  „für"  statt  „ze". 
Y.  202  fehlt.  Y.  203  Wol  uff  gemeinlich  man  vnd  wip.  Y.  204  „niernan" 
statt  „nement".  Y.  206  alle  got  gelat.  Y.  207  „alle"  statt  „ein". 
Y.  209  „fond"  statt  „müfent".  Y.  210  „won"  fehlt.  Y.  211  „gefch..." 
für  „offen".  V.  212  hüt  alles  an  uch  gerochen.  Y.  214  vertöfen. 
Y.  216  „grülichen"  statt  „grimen".  Y.  217  domit  er  hüt.  Y.  218  hart 
ob  allen  böfen  wichten.  Y.  220  wil  fie  feien.  Y.  221  „fi"  fehlt. 
V.  222  „von"  fehlt,  „sei"  statt  „mensch".  Y.  223  Aber  die  guten 
und  die  füfen.  Y.  224  gütlichen.  Y.  226  und  ergetzen  alle  ir  pin. 
V.  227  „erden"  statt  „ertrich".  Y.  228  die  fint  hüt  gewert.  Y.  229 
hören  liiinneMichen.  Hinter  230:  Der  ander  engel.  Y.  231  Ich  wil. 
Y.  235  „hert"  statt  „hertenklich".  Y.  236  fin  fünd  wil  er  im 
zelen.  Y.  237  vor  aller  der  weit.  Y.  239  wen  im  got  fin  fond  ver- 
wiffet.  Y.  240  „alle"  statt  „menig".  Y.  241  „da"  fehlt.  Y.  242  er 
wol  do  mit.  Y.  243  Wan  was  der  sünder.  Y.  246  nit  gar  vertriben. 
V.  247  Was  in  der  vinstri  wirt  verbracht.  Y.  249  der  don  wol  hat 
gelept.  Y.  252  wen  got  wil  nieman  borgen.  Y.  254  „üch"  für  „uns". 
Y.  256  „da"  fehlt.  Y.  257  fehlt.  Y.  259  liden  groffe  not.  Hinter 
v.  259:  Nun  kumpt  der  trit  engel:  v.  261  wip,  kind  one  zal.  Y.  262 
ein  engel.  Y.  263  „das"  statt  „des".  Y.  265  wan  Jefus  Christus. 
Y.  266  und  wül  an  fehen  fin  wunden  gros.  Y.  266  und  fin  plüt  das 
van  im  flos.  Y.  271  „denn"  fehlt.  Y.  272  Noch  hüt  wil  ich  ze  ge- 
richt sitzen.  V.  273  müs  von  nöten  fwitzen.  Y.  275  Der  fünder  wirt 
den  gar  unwert.  Y.  278  —  79  Aber  die  muten  und  die  guten  /  die 
sich  gern  vor  fanden  hüten.  Y.  280  zu  im.  Y.  286  wil  sin  nit.  Y.  287 
vindet,  kein  weren.  Y.  289  fond  gon.  Hinter  289:  Der  vierd  engel: 
Y.  290  erfturben.     V.  291   „ie"  statt  „nie".     V.  292   die  an  dirre  ftund. 


430  H.    JKLLTNGHATJS 

V.  293  und  och  kint!  7.298  nun  wol  uff.  ze  gerichte  balde.  7.  299 
oder  alt.  V.  301  zeigen  fin  marter  pin.  Y.  302  cr&tz  fo  breit.  V.  303 
den  hertten  dot  an  loit  V.  305  „wola  fehlt  V.  307  man  alles  sam- 
mln plos.  V.  308  Rinder  hüt  clagen.  V.  309  fehlt  „denn11,  V.  310 
frünt.  pfennig  verfahet  do  nit.  Y.  311  Der  Rinder  wirt  nach  recht 
rieht  7.312  zogen.  V.  316  hin  bald  gen.  V.  317  der  uart.  V.  318 
Y.  319  vinde.  Hinter  v.  319  fehlt  „Darnach  spricht  unser 
Ihm  Y.  321  vnd  nach  werck  enpfahen  Ion.  V.  323  biten.  V.  324 
fehlt  „fondtt.  V.  325  fehlt  „fond".  V.  329  und  das  plut.  V.  331  urteil 
fiber  iu-h.  V.  333  „neha  statt  „fi".  Y.  334  der  tieffen  helle.  Hinter  v.  335 
fehlt:  ..Nun  spricht  der  vierd  engel".  V.  341  unrecht  tun  wil  ich  Qe 
wellen.  V.  342 — 43  fie  fond  hüt  bede  Ion  enphan/dar  nachfie  gewereket 
hon.  Hinter  v.  343  folgt:  Got  spricht  zu  den  ufferwelten:  Darauf 
v.  344  Grond  zu  mir.  Y.  346  —  47  ir  fond  hüt  Ion  enphan  /  und  mit 
mir  frolich  gon.  V.  348  und  bringet  üch.  Y.  352  fehlt  „wol".  Y.  355 
trunkenheit  hon  ir  verwafen.  Y.  356  trachheit  was  uch  gar  fchwer. 
7.  357  freffeiye  was  uch  gar  onmer.  Y.  358  unküfehe.  Y.  359  ume 
flöhet  üch  der.  Y.  360  uch  gar  lieb.  V.  361  min  gnad  fich  nie  von 
uch  gefchied.  V.  362  —  65  Frides  netten  ir  gar  dultenglich  /  ir  übtens 
üch  gar  trülich  almufen  gaben  ir  ze  manger  ftund  /  vaften  minnet 
fiwer  mund.  Y.  366  küfeh.  Y.  367  das  hon  ich  wal  an  üch  erlefen. 
V.  368  gros  arbeit.  Y.  369  hitz,  froft,  fchom,  vil  fchmoheit.  V.  371 
-  arbeit  und  nie  guten  tag.  Y.  374 — 75  des  wil  ich  iueh  ergetzen/ 
an  minen  tifch  wil  ich  uch  fetzen.  Y.  376  trachten  vil  fond  ir  niefen. 
V.  378  Uwer  versmecht  und  eilend.  Y.  379  „niemaii"  statt  „nemen". 
7.  380  ..nieman"  statt  ..haben".  Y.  381  das  hümelrich  gar  fchone. 
Y.  383  das  ift  gar  lang  in  der  ewiteit  Hinter  v.  383  fehlen  die  worte 
von  „denn"  bis  „spricht".  Y.  386  ich  gar  wol.  Y.  387  mich  wol. 
7.389  ir  tranckten  gern.  Y.  392  Do  was  ich  bloß  one  gewant.  Y.  393 
bedackt  mich  gern  uwer.  7.  394  fehlt  „dar  zu".  Y.  397  do  gefahen 
ir.  Hinter  v.  397:  der  gut  menfeh  fpricht:  Y.  399  fpiften  fo  wol. 
V.  400  dürften.  7.401  „fo"  vor  „ze".  Y.  402  Her  wa  fahen.  V.  403 
do  onfer.  Y.  404  wort  du  plos  one.  Y.  405  „dacktent"  statt  „klei- 
tent".  7.406  Oder  wen  wer  du  fiech  in.  Y.408  fehlt  „oder".  Y.409 
komen  zu  dir.  Dahinter:  Got  fprichet  zu  den  guten:  Y.  410  Ir  follen 
woL  Y.  411  fehlt  ..der"  vor  „was".  Y.  415  fehlt.  Y.  417  des  will 
ich.  Y.  423  „fich"  statt  „üch".  7.424  zu  üch  unde  die  liebe.  Y.  425 
Heuar  (?)  by  der  fond  ir  fin.  V.  428  defto.  Y.  429  —  30  die  find  mit 
uch  an  den  hümel  tantz  /  da  fol  werden  uwer  fröd  gantz.  Y.  432  im 
der  do  hin.     Y.  433  fehlt  ..got".     7.435   „in"   statt  „uf".     Y.  440  iemer 


PAS    SPIEL   VOM   JÜNGSTEN   GERICHTE  431 

one  zil.     V.  442  gros  er  hond  ir  erkoren.     V.443  «las.  fchfifet    V.  111 

„ßch"  fehlt,  tlüfet.  X.  1  lö  (l.s  uirt  fiwer  hertz  vol.  V.  4-17  \\;m  lip 
und  sei  wil  ich  behalten.  V*.  1  18  [einer  jnng  on  alles  alten.  Dahin- 
ter:  Got  fprichet  zu  iinfer  firöwen:  V.  15]  fehlt  „ichtf.  V.  452  und 
hilf  anteil  geben  mir.  Y.  453  allzit  bereit.  V.  454  Wan  im  fin  ITmd. 
X.  455  —  56  fehlt.  V.  459  dich  noch  mich  wolten  sij  nie  geeren.  Hin- 
ter v.  460  felilen  die  worte  von  „denn"  bis  „spricht".  V.  462  fehlt 
„hüt".  V.  463  —  ^  ir  fond  billich  by  mir  fitzen  /  an  üch  lit  grolle 
witze/  ir  fond  hut  billich  richtere  fin  /  als  ach  gehies  der  mund  min/ 
und  helffen  hüt  ob  difen  richten  recht  als  ob  bÖfen  wichten.  V.  469 
höhet  V.  470  ..haben"  statt  „nemena.  Y.  471  hon  lieh.  V.  472  fond 
l'ie  ondenan.  Y.  473  ir  fond  alwend.  V.  474  erhöhet  fin  ir  zu  der 
fiten  min. 

Hinter  v.  474  fehlen  die  worte  „Unser  —  verdampnoten".  Y.  177 
helle  für.  Hinter  v.  480  fehlen  die  worte  von  ..So  —  sprechent". 
Y.  481  hastu  uns.  Y.  482  uns  armen  fünder  leiden.  Hinter  v.  484: 
Got  fpricht  zu  den  verdammten:  V.  486  ir  wolten  nie  geminnen  mich. 
V".  488  von  mir  fond  ir  kein  gnod  hon.  Dahinter:  Der  verdamm »t  Ant- 
wort unferem  herren:  Y.  489  Sit  du  uns  von  dir  haft  verftofen.  Y.  491 
fo  gib  doch  uns.  Hinter  v.  492:  Unser  her  antwort  ine:  V.  493  min 
plüt  min  fweis  hon  ir  verfworn.  Y.  494  do  von  ift  hüt  gros  min  zorn. 
Hinter  v.  496:  Der  verdampnot  antwort:  V.  498  in  dinen,  geleit. 
Y.  499  du  uns,  lieber  her,  miltenklich  /  lig  uns  an  ein  ftat  rüwenlich.  / 
Got  antwort  den  fünder:  Hinter  v.  503:  der  unrecht  fprichet:  Y.  5<>ö 
alle  fröd  hastu.  Y.  506  mute  zu  uns.  Y.  507  etwe.  Hinter  v.  507: 
Unser  her  verfluchet  die  fünder:  Y.  509  gros  hüt  Y.  510  fei  und  lip, 
vertroft.  Y  511  sol  es  werden.  Hinter  v.  511:  Noch  bit  in  der  fün- 
der. Y.  513  „liden"  statt  „haben".  Y.  515  uns  doch  geb.  V.  517 
überfüret.  Y.  519  So  fond.  Hinter  v.  519  fehlen  die  worte  von  „da  — 
unmiltcheit".  Y.  520  gewefen  karg.  Y.  521  kergi  üch  befchilt.  V.  522 
der  barmhertzikeit.  Y.  523  fehlt  „uff  ertrich".  Y.  525  ir  wolten  mir 
nie  geben  brot.  Y.  527  tranckten.  Y.  531  mich  bedackt.  Y.  532  — 
33  fehlt.  Y.  534  ich  gar  hart.  Y.  537  üch  min  hümelrich.  Hinter 
v.  537:  Der  unrecht  manet  got  aber:  Y.  538  dich  hungers  vol.  Y.  539 
do  wir  dich  nit  fpiftent  wol.  Y.  540  fehlt  „vaff.  V.  541  wir  nit. 
Y.  542  —  43  folgt  hinter  v.  544  —  45.  In  v.  543  nit  gern  wüsten  diu. 
Y.  545  nie  bedackt.  Y.  546  —  47  fehlt.  Hinter  v.  547  fehlen  die  worte: 
So  —  spricht.  Y.  549  menfeh  was  ich.  Y.  550  —  51  fehlt  Y.  554 
wolten  hartenglich.  V.  555  und  nit  almüfen  gaben.  Y.  556  das  ir. 
Y.  557  ir  nieman  den  mir.      Hinter  v.  557:    Got  claget   hert  und  uaft 


432  H.    JKLLTNGHAl> 

ab  den  [ander.  V.  560  Ich  wiJ  zelen.  V.  561  uwer  fei  wirt  niemer 
rat  V.  564  unl'ittikeit  und  frel'fikeit.  V.  565  Icheiden.  V.  567  uwer 
kargi  &ch  befchilt     V.  570  lüder.     V.  573  geuangen  vnd.     V".  577  ver- 

fchmahet  vil  und  me.  V.  579  zwifchen  üoh  was  nit  den  (chelten. 
V.  580  fehlt  ..dik".  V.  581  „kerge"  statt  „lfigtt.  V.  582  vallche  eide. 
Y.  583  den  armen  daten.  V.  5S5  YITener  hin  was  ftwer  gang.  V.  586 
ir  Qwer  fuben  zit  V.  587  Ywcr  Ipot  gieng  allweg  wit  V.  588  lügen 
vnd.  V.  591  fehlt  „und".  V.  594  vcrlafen.  V.  595  und  v.  596  fehlt 
\  .  597  verraiten.  Y.  599  wie  das,  nieman.  V.  60 i  fehent.  V.  602 
fehlt  „iett,  „oder"  statt  „und".  V.  603  vor  mir.  Y.  604  —  5  Uwer 
.  .>nwil  der  mus  brechen  /  ich  wil  mich  hüt  min  rechen.  Y.  607  ich 
rieh  ab  im  vil  ftrang.  V.  610  Do  fond.  Y.  611  und  niemerme  fröd 
_  v innen.  Y.  612  Darzn  fond  ir  haben  leid.  Y.  614  fieden.  Y.  615 
in  heißen  keffelen  wallen.  Y.  618  fehlt  „uch".  Y.  619  vch  nieman 
donnen  gehelffen  kan.  Y.  621  ich  wil  uwer  hüt  verlognan.  Hinter 
v.  621:  Nun  büt  got  dem  tuffel.  Y.  625  do  fond  ir  tüfel  mit  in  fin. 
V".  626  verdamneten  alle.  Y.  630  und  für.  Y.  631  dannen  niemer 
kein  fei  kiimpt.  Dahinter:  Do  antwort  der  tuffel.  V.  633  ich  hon  fin 
och  vil  kum  gebeit.  V.  635  ervellen.  Dahinter:  vnd  och  den  wilkum- 
men  geben  /  hertenglich  fond  fie  mit  mir  leben.  Y.  636  Trancken  gal- 
ten fol  fin  ir  win.  V.  637  fchlangen  gifft  ir  fpis  fin.  Y.  640  bis  666 
fehlt.  Vor  v.  667:  Do  fchriget  der  fünder.  Y.  667  We  acli  vnde  iemer 
we  das  ich  ie  wart  geborn.  V.  669  fehlt  „hüt".  Y.  670  „gantzes" 
statt  ..wenges".  Y.  673  fehlt  „hüt".  Y  674  in  die.  Y.  678  fehlt  „fie- 
den und-."  V.  679  fehlt  „ach".  Y.  680  gefich  ich.  Y.  684  der  tüfel 
wil  mich  zu  im  ziehen.  Y.  685  ach  owe.  Y.  686  hüt  mus  ich  in. 
V.  691  barmhertzikeit.  Y.  692  was  an.  Y.  693  des.  Y.  694  die  fün- 
der. Y.  697  muter  worden  din  Y.  618  fünder  nit  gefin.  Y.  700  vnd 
nueli  den  were.  Y.  702  „kein"  statt  „ein".  Y.  704  ich  mus  im  ver- 
zihen.  V".  706  Und  in  zu  diner  gnoden  gewinnen.  Y.  707  Ich  man 
dich.  X.  708  genedig  welleft.  Y.  709  haft  mir  geben  dinen  gewalt. 
Y.  710  über  al  fünder  jung  vnd  alt.  Y.  711  zu  dir.  V.  712  das  ret 
zu  mir.  V.  713  alfo.  Y.  715  do  din  hend  wurden  durch  ftochen. 
V.  716  durch  brochen.  Y.  717  als  ich  das  felber  ane  fach.  Y.  720 
det  gar  we.  Y.  721  fehlt  „gar".  Y.  723  das  dich.  Y.  725  erkein. 
V.  726  dich  hüt  bitten.  Y.  727  „die"  statt  „der".  Y.  728  welleft 
genedig.  V.  729  ir  bet.  V.  730  vnd  fie  lafeft  frölich  gon.  Y.  731 
alle  bitten  /  mit  gar  demütigen  fitten.  Y.  732  lieber  her  ere  Maria. 
V.  733  du  bift  doch  ir  lieber  fun.  V.  734  fehlt.  Hinter  v.  733:  Ynfer 
her  fpricht  zu  der  müter.     V.  735   „müter"  statt  „Maria".     Y.  736  „ein" 


DAS    SPIEL    VOM   JÜNGSTEN    GERICHTE  433 

statt  „min".  V.  738  mannig  Gel  haftu  erloft  V.  739  dir  gegeben  min 
gewalt.  Y.  741  —  42  wan  ei  mit  rüwen  zu  dir  kumpt  /  das  red  zu  dir 
min  munt  /  och  det  ich  dir  kirnt  /  das  du  in  cnphahel't  uff  der  ftund. 
Y.  743  angeborn.  V.  744  „fei"  statt  „funder",  „werden"  statt  „fin". 
Y.  745  „kumpt"  statt  „flucht",  er  ftirpt.  V.  746  „von  dir"  statt  „umb 
dich".  Y.  747  fehlt  „aber  nit".  Y.  748  vnd  dich  noch  mich  nit  wil 
eren.  Y.  749  den  bis  in  aiuiilTt  der  dot.  Y.  750  „iemer"  statt  „bil- 
lich".  Y.  751  fol.  Y.  752  wan  felber.  Y.  753  dich  noch  die.  Y.  754 
„verloren"  statt  ..des  tüfels".  Y.  755  fus  hon  gedon  dile  lüt.  Y.  751» 
„felber  irt"  hinter  „ich".  Y.  758  noch  von  runden  vor  den  dot  Ion. 
Y.  759  ich  bi  mit.  Y.  700  bet.  Y.  7(31  wer  das  alle  neigen  und  och 
du.  Y.  762  bluten  zeher.  Y.  763  mochte  üch  nit.  Y.  765  fehlt  „wi- 
der". Y.  766  erbarmt.  Hinter  v.  766:  do  gebut  got  den  tüfteln.  V.  770 
fehlt  „won".  Y.  771  miner  brediger  lere.  Y.  772  vnd  an,  vofer. 
Y.  773  —  74  fehlt.  Hinter  v.  772:  der  tiiffel  antwort  ime.  Y.  776  och 
vi!  kum  erbeit.  Y.  777  wan  in  forchten  find  wir  gefin.  Y.  779  uns 
det  als  dich  me.  Y.  780  fü  hat  vns  gar  dick  don  vil  wo.  Y.  782  fo 
kam  fü  bald  vnd  nam.  Y.  784  das  gewert  du  fie  uff  der  uart.  Y.  785 
„fo"  hinter  „von".  Y.  786  fehlt  „och".  Y.  788  vncl  fü  in  die  helle 
zwingen.  Y.  789  nun  wol  uff  es  ift  ze  fpot  /  wer  ie  gelept  jung 
oder  alt.  Dahinter  Mone  v.  642  und  644  —  48.  Y.  642  ze  fpot  / 
wer  ie  gelept  jung  oder  alt.  Dahinter  Mone  v.  642  und  644  —  49. 
Y.  642  lautet:  fü  fond  hüt  Ion  enphan.  Y.  644  fie  gefehen  nimer  fun 
noch  mon.  Y.  645  Do  ich  leg  die  diener  min.  Y.  646  do  mufen  (ie 
iemer  haben  pin.  Y.  647  fehlt  „billich".  Hinter  v,  649  folgt:  vnd  wo] 
verdienent  dinen  zorn  /  wan  ich  in  ried  vnküfeheit  /  fo  waren  fie  gar 
wol  bereit  /  hochfart  tracheit  vncl   zorn.      Dahinter  Mone   v.  650  —  64. 


Y.  650  fie  fönt  billich.  Y.  651  vnde  freffam  alle.  Y.  652  „fie  leiden"  statt 
„das  sagen".  Y.  654  „by  mir,  beliben"  statt  „ligen".  Y.  656  „werden" 
statt  „wefen".  Y.  657  „erklingen"  statt  „erglijen".  Y.  658  „Ynd  »ich,  fin- 
gen" statt  „fchrijen".  Y.  660  fehlt  „hüt".  Y.  661  Yon  den  hümel  verftol'on 
vnd  gefcheiden.  Y.  662  fehlt  „ir",  Juden  criften.  Y.  664  fehlt  „won". 
Darauf  Mone  v.  791.  Es  fehlt  „gar".  Y.  792  das  hond  wir  alle  vnfer  tag 
gefuchet.  Y.  793  vns  alles  gut  verfeit.  Y.  794  Ymb  vnfer  vil  grofe. 
Y.  795  vmb  vnfer  vil  grofe  missetag.  Y.  797  „mir"  statt  „uns".  Y.  798 
fin  nlut  fin  fweis   hon  ich   verfworn.      Y.  800  fehlt.      Y.  801  —  2   Mit 

JL 

iümer  vil  böfeni  munde  /  verfworen  hon  ich  gottes  wunden.  Y.  804 
das  es  mich  Merze.  Y.  806  hüt  hat.  Y.  809  fchlüg  in  den  mund. 
Y.  810  do  ich  jung  was  vnd  flucht  ze  manger  ftund.  Y.  811  nit  recht 
tun  lerte.      Y.  812  fehlt.      Y.  813  knechte.      Y.  814  got  dut  mir  nach 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.      BD.  XXTII.  -^8 


4r,4  II.    .TELLINGTIAFv 

minem  recht  Y.  s1.~.  ze  vii  vertrüg.  V.  816  vnd  fü  mich  nit  gnüg 
fchlüg.  V.  817  „gar"  hinter  „ich".  V.  818  Dar  vmb  bin  ich  hüt  uaft 
verfert  V.  819  fehlt  „hüta.  V.  820  der  tüffel  mich  in  die  hell  fucht 
Hinter   820   fehlt   die   Überschrift.     V*.  821   Ewig  wo]   hin   in   der  helle 

und.      V.  823  ist   nun  ze  fpoto        V.  824    nun   diener  hon  dich   ver- 
raten.    Dahinter:    do    fchriget   der   verdamnote.      Y.  825   Ach   owe  vnd 
iemer  *        V.828  mich  elenden  armen.     Y.  829  „üppikeit"  statt  „hein- 
gartentt.     V.  831   die  vil  holen.    V.  833  hüt  min  wip  min  kind.    Ar.  835 
Gent  verfchlolten.    V.  837  ach  vnd  owe.    Y.  841  fluch  fij  och  der  ftund 
feit.     7.842   ..den  dota   statt  ..die  marter".     V.  844  des  tufels.    Folgt 
v.  846.     Darauf  v.  845  ach  vnd  we  miner  funs  finden.     Y.  847  Zu  der 
hell    müs    ich    hüt    a-on.      V.  848    mir    nieman    dennen    gehelfen    kan. 
V.  850  dem  tüfel.  fliehen.     Hinter  v.  850  fehlt  die  Überschrift.    V.  853 
ilt  hut  befchehen.     V".  854  an  fach.     Y.  857  nie  geboren  wart.    Y.  858 
was  e.      V.  859  nit  geziehen.      V.  861  alweg  got  fin  gelich.      Y.  862 
dem  vil  schonen.      Y.  863   als  man   faget   die   ding.      Y.  864  der   zevil 
wil  der  wirf  ze  wening.     Y.  865  Ym  min  hoffart  grofen.     Y.  866  ver- 
ftofen.     Y.  867  do  war  ich   alfo   gefchaffen.      Y.  869  —  70  got  hat  fich 
gegen  üch  gemutet  l  vnd  hat  üch  nach  im  gebildet.     Y.  871  —  72  Er 
leid  och  den  bittern  dot  /  vnd  vmb   üch   gar  groffe    not.     Y.  874  vnd 
do  by  gute  lere.     Y.  876   hat   er  zu  üch  gericht.     Y.  877  fehlt  „uns". 
V.  878  das  ich  uch  uelle  in  der  helle  grund.     Y.  879  —  80  da  fol  uch 
werden  heis  vnd  kalde  /  gefeile  min  füren   hin  fie  bald.     Y.  881  —  82 
fehlt,   sowie   die  Überschrift  von    „denn"   —  „also".     Y.  883  geftelen. 
V.  885  fehlt.     V.  886   niemer  uff.     Y.  887   „heiigen"   statt    „dieneren". 
Die  Überschrift  hinter  v.  887  fehlt.     V.  889  fehlt  „noch".     Y.  890  den. 
V.  891  keiner.     Hinter  v.  891:  fie  find  in  der  helle  grund  /  des  trowet 
in  dick  min  götlicher  mund.      Y.  893   „wir"    statt  „ir".      Y.  894  —  97 
ir  fond  mit  mir  frölich  fin  /  ich  wil  nun  Ion   den   zorn   min  /  ich  wil 
mit  üch  frolich  leben  /  min  hümelrich  wil  ich  uch  geben. 
Nun  folgt  (hinter  v.  897): 

S.  Peter  fprichet 

Her  ich  lob  dich  in  groffer  not 

das  ich  leid  an  dem  crütz  den  dot 

ich  hon  gelitten  gros  liden 

die  hell  fol  ich  dar  vmb  miden 

S.  Paulus  fprichet 

din  lob  fol  ich  billich  halten  vnd  sagen 

mir  wart  min  hopt  abgefchlagen 

ich  hon  erlitten  gros  leid 


n.\S    SPIEL    VOM    JÜNGSTEN    GERICHTE  435 

dar  vmb  il't  mir  die  bell  vorfeit. 

S.  Johann  der  Ewengelift 

Din  lob  her  fol  ich  halten 

küfch  \  nd  rein  hal'tu  mich  gehalten 

dar  vmb  il't  mir  liüt  züch  erbotten 

in  61  ij  wart  ich  gefotten. 

S.  Andreas  fprichet 

Her  dich  lobent  hüt  min  hende 

das  ein  krütz  was  min  ende 

ich  was  vor  f. . .  cht  zu  menger  (rund 

dar  vmb  mid  ich  hüt  der  helle  grund. 

S.  Johannes  baptift 

Her  du  bift  lobes  von  mir  gewert 

min  hopt  fchlüg  ab  ein  ich  wert 

ich  het  alweg  gottes  armut 

das  ift  hüt  min  er  fei  gut 

S.  Bartholomeus  J. 

Her  in  lobe  du  mich  vind 

ich  ward  gefchunden  als  ein  rind 

dar  zu  ward  ich  dick  wiflos 

des  ift  hüt  min  gewin  alfo  gros 

S.  Thomas  fprichet 

Von  mir  ift  din  lob  gefprochen 

min  lip  wart  mit  f werten  durch ftochen 

dar  zu  was  ich  fiechtages  vol 

her  das  kumpt  mir  alfo  wol. 

St.  Jacob  fprichet 

Her  min  lop  fij  dir  gefeit 

min  hirn  ward  gar  wit  zorfpreit 

hungers  vnd  dürft  leid  ich  gar  vi] 

das  hümelrich  ich  dar  vmb  wil. 

S.  Philipus  fprichet 

Her  ich  wil  dir  hüt  lop  geben 

ein  krütz  nam  mir  min  leben 

ich  was  gar  j  einerlich  bewat 

dar  vmb  min  weg  ze  hümel  gat. 

S.  Matheus 

Her  ich  lobe  dich  hüt  hie 

ein  grülich  fper  durch  mich  gieng 

wachen  vnd  betten  ich  vil  treib 

28* 


430  H.    JELL1NGHATJS,    DAS    SPIEL    VOM    JÜNGSTEN    GERICHTE 

dar  vmb  ich  vor  der  hell  beleih 

S.  Simon 

Her  ich  lobe  dich  an  dirre  ftund 

das  min   Hb  ward  von   fwerter  wund 

ich  gelebt  och  uüe  guten  tag 

dos  ich  mich  hüt  fröwen  mag 

Sant  Mathis 

Her  du  folt  von  mir  gelobet  fin 

von  wunden  ftarb  och  der  lip  min 

ich  gieng  ahveg  bitten  brod 

dar  vmb  flucht  mich  der  helle  not. 
Dahinter  v.  898  liebe.  Hinter  v.  898:  An  miner  fitten  foltu  fin/ 
zu  miner  Uten  fetz  dich  feiner  /  vnd  var  frölich  mit  mir.  Y.  899  Nim 
zu  dir  die  megde  diu.  Hinter  v.  899  die  sint  edel  vnd  vin.  V.  901 
er  \nd  zucht  V.  903  hon  geeret  uaft  min  blüt  Y.  906  „uch"  statt 
„fitt.  Dahinter:  in  das  ewig  hümelrich.  Y.  906  „nun"  hinter  „ira. 
V".  910  vnd  wil  uch  alles  leid  ergetzen.     Hinter  v.  910: 

Ich  wil  üch  meng  er  hant  tracht  bringen 

der  heilig  geist  fol  uch  fingen 

die  engel  fürent  feiten  fpil 

uwer  fröd  wirt  alfo  vil 
V.  911  — 12   nie   den  ie  kein   menfeh  rnöcht  erdencken  /  das  mag  üch 
nieman  erwencken.     V.  913   „ fammet"  hinter  „alles".     Y.  914  die   vil 
heiigen  rrvnaltikeit.     Y.  815  —  20  fehlt.     Hinter  v.  822: 

Wol  uff  bald  vnd  gant  mir  nach 
in  kurtzer  zit  fo  fint  war  da. 
Explicit  ultimum  Judicium  per  nie 
Johannem  fchudin  de  gruningen. 

SEGEBKRG.  H.    JELLIXGHATJS. 


ZUE  LTTTEKATUK  DES  LATEINISCHEN  SCHAUSPIELS 

DES   10.  .1 AHRHUNDEBTS. 

In  dieser  Zeitschrift  XX,  97  fgg.  habe  ich  über  die  dramensam- 
lung  berichtet,  die  1547  aus  der  officin  des  gelehrten  buchdruckers 
Johannes  Oporinns  in  Basel  hervorgieng.  Sämtliche  dramen,  deren 
r  meist  Augsburg  angehörten,  waren  dem  Alten  testamente  ent- 
nommen; ja  ihre  reihenfolge  war  sogar  durch  die  chronologische  anord- 
nung  der  biblischen  Stoffe  bestirnt.     Der  im  jähre  1541  zu  Basel  erschie- 


HOLSTEIN.    LAX.    SCHAUSPIEL   DES    1<3.    JAHfiHUNDEBTS  437 

ncnen  Brylingerschen  dramensamlung,  welche  10  komödicn  und  tra- 
gödien  enthält,  scheint  ein  anderer  gesichtspunkt  zugrunde  zu  liegen. 
Die  stoffe  sind  nämlich  auch  dem  Neuen  testament  entnommen;  ausser- 
dem aber  bietet  die  samlung  dramen  der  bedeutendsten  dramatiker  des 
ganzen  Jahrhunderts,  nämlich  des  Gnapheus  Acolastus \  (U^  Macropedius 
Hecastus,  Andrisca  und  Bassarus,  Bircks  Susanna,  dr±  Crocus  Joseph, 
des  Naogeorg  Pammachius.  Die  genanten  dramen  erschienen  sämtlich 
in  der  zeit  von  1529  — 1540  im  druck  und  wurden  überall,  wo  huma- 
nistische ideen  eingang  gefunden  hatten,  mit  begeisterung  gelesen  und 
aufgeführt,  nachdem  man  ihren  dramatischen  wert  erkant  hatte.  Die 
Vereinigung  derselben  zu  einer  samlung  seheint  daher  durch  das  bedürf- 
nis  der  gelehrten  bildungsanstalten,  in  denen  die  genanten  dramen  den 
Zöglingen  zur  lektüre  vorgelegt  wurden  und  nach  beendetem  Studium  zur 
auftührung  gelangten,  veranlasst  zu  sein.  Diese  dramen  traten  sogar  an 
stelle  der  antiken  dramen;  ja  selbst  Plautus  und  Terenz  wurden  von 
dem  lehrplane  entfernt.  Man  weite  einen  neuen  litteraturzweig  schaf- 
fen; der  aus  Italien  herübergekommene  ström  der  begeisterung  erfasste 
die  gelehrten  kreise  und  machte  hervorragende  talente  zu  freunden 
des  humanismus.  So  nur  lässt  sich  die  am  ausgang  des  15.  und  in 
den  ersten  Jahrzehnten  des  16.  Jahrhunderts  zu  tage  tretende  ausseror- 
dentlich starke  Produktivität  auf  dem  gebiete  des  lateinischen  dramas 
erklären,  und  ich  finde,  dass  dieser  gesichtspunkt  bei  der  beurteilung 
des  schuldramas  bis  jezt  noch  nicht  die  gebührende  beachtung  gefun- 
den hat.  Das  neue  schuldrama  des  16.  Jahrhunderts  war  bestirnt,  das 
drania  der  alten  geradezu  zu  ersetzen;  daher  erklären  sich  auch  die 
vielen  kommentare,  mit  denen  einzelne  dramen  versehen  wurden. 
Reuchlins  hochgeschäzte  komödien  wurden  teilweise  von  ihm  selbst, 
sowie  von  Georg  Siniler  und  Jakob  Spiegel  kommentiert;  ebenso  erschien 
des  Gnapheus  Acolastus  mit  einem  ausführlichen  kommentar  des  Gabriel 
Patreolus  (Dupreau);  ein  beweis,  dass  man  die  neueren  dramen  ebenso 
zu  behandeln  wünschte  wie  einen  klassischen  schriftsteiler.  In  der 
ersten  hälfte  des  16.  Jahrhunderts  bis  in  die  fünfziger  jähre  scheint 
auch  die  forderung  der  lektüre  und  des  eingehenden  Studiums  der 
neuen  dramen  an  Universitäten  und  schulen  massgebend  gewesen  zu 
sein,  während  die  aufführungen  derselben  erst  in  der  zweiten  hälfte 
des  16.  Jahrhunderts  besonders  durch  Sturms  Vorgang  in  Strassburg 
stehend  wurden  und  einen  bestandteil  der  akademischen  erziehung  bil- 
deten. 

1)   Soeben  von  Bolte  in  der  Samlung  von  neudrucken  lateinischer  litteratur- 
denkmäler  des  XV.  und  XVI.  Jahrhunderts  herausgegeben. 


438  HOLSTEIN 

Wie  früh  der  wert  der  hervorragendsten  dramen  jener  zeit  erkant 
wurde  und  wie  man  bestrebt  war.  sie  zu  einem  ganzen  für  den 
brauch  an  den  gelehrten  bildungsanstalten  zu  vereinigen,  beweist 
eine  dritte  samlung  von  Lateinischen  dramen.  die  zwar  nicht  wie  die 
Brylingersche  und  Oporinsche  aus  einer  und  derselben  oflicin  hervor- 
u  ist.  aber  doch  den  schein  erweckt,  als  ob  sie  als  eingeführtes 
Schulbuch  gedient  habe.  Dafür  spricht  das  gleiche  format  sämtlicher 
dramen  (klein  oetav).  der  einband  in  pergamenthülle  mit  schliesshaken; 
endlich  bürgen  dafür  die  namen  der  Verfasser  und  das  jähr  der  her- 
ausgäbe ihrer  dramen.  Jedenfals  vermag  ich  das  mir  vorliegende,  der 
stadtbibliothek  zu  Bremen  gehörige  exemplar  nicht  als  einen  der  sonst 
häutig  vorkommenden  mischbände  anzusehen,  wie  sie  für  die  biblin- 
theken  von  bücherfreunden  des  16.  Jahrhunderts  in  masse  hergestelt  wur- 
den.    Vertreten  sind  nämlich  folgende  dramatiker  mit  ihren  dramen: 

1.  Guilelmus  Gnapheus:  Acolastus,  Antverpiae  apud  Michae- 
lem  Hillenium  in  Rapo,  1533. 

2.  Georgius  Macropedius:  1)  Asotus  evangelicus,  Gerardus 
Hatardus  excudebat  anno  1537  mense  Aprili.  2)  Petriscus, 
Busciducis  apud  Gerardum  Hatardum.  Anno  1536  mense  Octo- 
bri.  3)  Rebelies  et  Aluta,  Busciducis  apud  Gerardum  Hatar- 
dum.    Anno  1535  Mense  Xovembri. 

3.  Joannes  Reuchlin:  Comoediae  duae,  Scenica  progymnas- 
mata  hoc  est  ludicra  praeexercitamenta,  et  Sergius  uel  Capitis 
caput     Coloniae  excudebat  Joannes  Gymnicus  1534. 

4.  Cornelius  Crocus:  Comoedia  sacra,  cui  titulus  Joseph.  Ant- 
uerpiae  in  aedibus  Joan.  Stelsii  1537.  (Typis  Joan.  Graphei 
anno  1537.) 

5.  Placentius  Evangelista:  1)  Susanna.  Antverpiae  apud 
Michaelem  Hillenium.  1534  Mense  Maio.  2)  Clericus  eques 
et  Lucianus  aulicus.  Apud  inclytam  Brabantiae  Antverpiam 
excudebat  in  sua  officina  literaria  Simon  Cocus  Antverpianus 
anno  1535  Calendis  Xovembribus. 

Von    diesen    fünf   dramatikern   gehören    vier    unbedingt    zu    den 

deutendsten   der  ganzen  litteratur:    voran  Reuchlin,    dann   Gnapheus 

und  Macropedius,  zulezt  Crocus,  von  denen  die  drei  lezten  schon  früh- 

itig  als   mustergültig  angesehen    wurden,    während  Reuchlin    an  der 

spitze  der  humanistischen  dramatik   steht.      Von   dem   fünften,    den   die 

litteraturgeschichte  noch  nicht  kent,  wird  weiterhin  die  rede  sein. 

Die   drucke   entstanden  in   den  jähren  1533  — 1537  und  zwar  in 
drei  Städten,    nämlich  Antwerpen,    wo  Michael  Hillenius,   Johann  Stel- 


LAT.    SCHAUSPIEL   DES    16.    JAHRHUNDERTS  439 

sius,  Johann  Grapheus  und  Simon  Cocns  als  drncker  bezw.  Verleger 
genant  werden,  sodann  Köln,  wo  Johann  Gymnich,  und  Herzogenbusch, 
wo  Gerard  Hatardu*  als  drucker  genant  wird1. 

Das  von  mir    beschriebene  ezemplai  zeigt  auf  dem  innendeckeJ 

des  pergam  entband  es  die  werte:  hoc  utitur  libro  ;i  L541,  vor  diesen 
werten  jedoch  eine  rasur,  die  sieh  jedenfals  auf  den  namen  des  besitzers 
bezieht.  Die  äussere  titelschrift  von  der  hand  Goldasts  lautet:  IX  Co- 
moediae  rariores  Yariorum. 

In  Placentius  Evangelista,  d.  i.  Johannes  Placentius,  gewin- 
nen wir  einen  neuen,  bisher  noch  unbekanten  Vertreter  des  lateinischen 
dramas  im  16.  Jahrhundert,  zugleich  den  ersten,  der  den  Susannastoff 
lateinisch  dramatisierte;  denn  Bircks  lateinische  Susanna,  die  bisher 
für  die  erste  dramatisierung  galt,  erschien  erst  1537.  Von  ihm  wer- 
den folgende  dramen  bekant  gemacht: 

1)  SVSAN  |  ISTA   PER   PLA-  |  CENTIYM   EYA.N  |  gellsten    lusa.  | 
EYSEBII  CANDIDI  |  Elegia,   in   uanam   breuemque   humanae 
uitae  gioriolam.     ITEM  Ode  Sapphica  eiufdem  |  Eufebij  in  mor- 
tis  re-      cordationem.       ITEM    plausus    luctificae    Mortis,       ad 
modum  Dialogi,  extemporaliter  |  ab  eodem  Eusebio  lufus.     Anno. 

1534.  (Titeleinfassung).  Am  ende:  ANTVERPIAE  j  Apud  Mi- 
chaelem  Hillenium  |  M.  D.  XXXIIII.  |  Menfe  Maio.  20  bl. 
(Auf  die  Susanna  kommen  hiervon  14  bl.)2 

2)  CLERI  |  CYS  EQVES,  AY  |  THORE  EYANGE  |  LISTA  PLA- 
UEN |  TIO  TRYDO-  |  NENSE  DO  |  MINICA-  |  NO.  (Titelein- 
fassung.)    7  bl. 

3)  LYCIANYSiAYLICYS,  CARMINE  PHALEY  |  CIO  CONSCRIP- 
TYS.  |  Fabula  oninium  feftiuiffima  in  conuiuijs  ex-  |  hibenda. 
Authore  Euangelifta  Placentio  Trudonense  Poeta  ingeniofiffimo. 
Am  ende:  APYD  INCLYTAM  BRA  |  BANTLE  AXTVER- 
PIAM,  EXCY-  |  DEBAT  IN  SYA  OFFICINA  |  LITERARIA 
SIMON  CO-  |  CYS  ANTYERPIANYS,  |  ANNO  AB  ORBE  | 
RFDEMPTO  |  M.  D.  XXXV.  |  CALENDIS    NOYEMBRIBYS.  j 

1535.  9  bl.     (Bl.  2  und  5  fehlen  in  dem  Bremer  exemplar.) 

1)  Die  drucke  der  Macropediusschen  dramen  sind  original  drucke,  ebenso  der 
des  Joseph  des  Crocus,  welche  ausgäbe  von  GoedekelP,  134  nr.  7  nicht  genant  wird. 
Der  dort  genante  Kölner  druck  des  Johann  Gymnich  ist  sicherlich  ein  nachdruck. 
Desgleichen  sind  die  stücke  des  Placentius  originaldrucke.  Alle  andern  sind  nach- 
drucke. 

2)  Johannes  Bolte  hat  noch  in  London  und  Oxford  exemplare  gefunden. 


440  HOLSTEIN 

Johannes  Placentius  (latinisiert  aus  Plaisant),  geboren  zu  St. 
Trend  oder  St  Truyen  in  Belgien  (daher  Trudonensis  oder  Trudono- 
politanus)1  am  ende  des  L 5.  Jahrhunderts,  genoss  den  Unterricht  der 
Hieronymianer  in  Lüttich,  studierte  theologie  in  Löwen  und  trat  in 
den  orden  der  predigermönche  des  klosters  zu  Mastrieht  (ordinis  s. 
Dominica  coenobii  Traiectensis  ad  Mosam).  Er  starb  um  das  jähr  1548-'. 
Er  entwickelte  eine  reiche  Litterarische  tätigkeit.  Er  verfasste  Yitae 
episcoporum  Leodiensium  (eine  bischofegeschichte  von  Lattich) 3,  einen 
Catalogus  omnium  antistitum  Tungurorum  Traiectensium  ac  Leodiorum, 
Chronicon  a  scriptoribus  apostolorum  ad  annum  1408  (in  reimen);  auch 
s  »reibt  man  ihm  zu:  Antiquitates  Tungrenses  et  Mosae  Traiectenses, 
Amplitude  civitatis  Leodiensis,  De  reliquiis  Traiecti  asservatis.  Eine 
quelle  nent  auch  noch  Pugna  Porcorum  per  Placentium  Porcium  Poe- 
tam.  Lovan.  1546.  und  die  oben  angeführten  Dialogi  duo,  prior  Cleri- 
cus  Eques  inscribitur,  alter  Lucianus  Aulicus,  Antv.  1535 4.  Die 
Susanna  ist  jedoch  nirgends  erwähnt. 

Mit  recht  nent  ihn  de  Jonghe  „in  prosa  et  carmine  versatissi- 
mustt,  denn  sowol  das  in  prosa  geschriebene  lustspiel  Clericus  eques 
als  die  beiden  anderen  in  versen  geschriebenen  komödien  zeigen  den 
Verfasser  als  einen  gewanten  und  überaus  geschickten  lustspieldichter, 
der  den  oben  genanten  dramatikern  Reuchlin,  Gnapheus,  Macropedius 
and  Crocus  angereiht  zu  werden  verdient.  Seine  arbeiten  ruhen  auf 
einem  sorgfaltigen  Studium  der  antiken  Vorbilder;  er  versteht  es  welt- 
liche stoffe  wie  ein  echter  lustspieldichter  so  zu  dramatisieren ,  dass  eine 
lustige  scene  nach  der  andern  die  heiterkeit  des  pubiikums  erregt.  Ja 
3t  die  Susanna,  der  doch  ein  biblischer  stoff  zu  gründe  liegt,  ent- 
behrt nicht  gesunder  kornik. 

Den  Clericus  Eques  widmete  Placentius  seinem  Studienfreunde 
Michael  von  Horion,  schenk  des  bischofs  Eberhard  von  Lüttich,  grafen 
von  der  Mark-Sedan.  Er  möge  nicht  glauben,  sagt  der  Verfasser,  dass  er 
mit  dem  orte  auch  seine  gesinnung  geändert  habe,  nam,  ut  tantillum 
tibi  eloquar.  concinnitas  iocorum  et  sales  gemini  non  temperant  sese  quo 
minus   quos   deamo  nonnunquam   aut  verbis   aut    epigrammatis  ludam. 

1)  Hier  befand  sich  ein  kloster,  in  welchem  die  Gesta  ahbatum  Tradonensium 
arm.  BS.  X.  213—248)  entstanden.  Wattenbach,  Deutschlands  geschichts- 
quellen  II3.  106. 

_  Swertras,  Athenae  Belgicae,  Antv.  1628  s.  460;  Valerius  Andreae,  Biblio- 
theca  Belgica,  Lovan.  1643  -.540;  Foppens,  Bibliotheca  Belgica,  Brox.  1739,  II,  711. 

3)  de  Jonghe.  Belgium  Dominicanum.  Brux.  171!».   3.  275. 

■i)  v.  d.  Aa,  Wordenboek  d      N   lerlanden  15,  344. 


LAT.    SCHAUSPIEL    DES    16.    JAHRHUNDERTS  441 

Daher  widme  er,  einst  ein  delictis,  jezt  ein  eqnes,  ihm  den  Clericus 
eques,  damit  auch  unter  den  ernsten  beschäftigungen,  die  er  habe,  ihm 
der  heitere  scherz  lachen  errege.  Für  den  bischof  habe  er  sacra  argu- 
menta vorbereitet  und  er  bitte  ihn,  dafür  zu  sorgen,  dass  sich  der 
bischof  ferner  seiner  erinnert  Die  widmung  ist  datiert  aus  Antwer- 
pen, 13.  Oktober  1534. 

Die  handlung  ist  in  3  aktc  zerlegt  Zuerst  tritt  der  kleriker  auf. 
Er  klagt  darüber,  dass  die  Studenten  oft  Unglück  im  Würfelspiel  hätten. 
dass  die  nemesis  (Khamnusia)  sie  stiefmütterlich  behandele.  Die  gelehr- 
samkeit  ist  eine  verächterin  des  reich tums;  durch  gottes  fugung  geschieht 
es,  dass  die  kleriker  im  winter  frieren,  im  sommer  not  leiden;  das 
lehre  der  Vorgang  der  dichter  sowol  als  der  gelehrten.  So  rate  auch 
ihm  die  armut  seine  unglückliche  läge  zu  offenbaren.  Da  sieht  er  ein«- 
frau  auf  sich  zukommen  und  beschliesst  sie  um  ein  almosen  zu  bitten. 
Er  komme  eben  aus  Paris;  dort  habe  er  viele  jähre  studienhalber  zu- 
gebracht und  das  Studium  habe  viel  gekostet  (multis  sumptibus  et  quod 
ahmt  oleo  ac  opera  tempus  illic  redemi).  Columbana  die  frau  wundert 
sich,  dass  ein  so  vornehmer  herr  sie  um  eine  gäbe  anspricht,  und 
erhält  auf  ihre  frage,  woher  er  käme,  die  antwort:  ex  Parrhisiis,  aber 
sie  versteht:  ex  pratis  Elyseis,  d.  i.  aus  dem  paradiese,  wohin  die  See- 
len der  abgeschiedenen  wandern,  und  wünscht  zu  erfahren,  ob  ihr 
erster  mann  Corococca,  der  vor  etwa  zwei  jähren  gestorben  sei,  dort  in 
demselben  zustande  umhergehe,  in  welchem  er  beerdigt  sei.  Erst  nach 
längerein  kämpfe  entschliesst  sich  der  kleriker  eine  Täuschung  zu  bege- 
hen; er  gesteht,  er  habe  ihren  mann  nackt  einhergehen  sehen  und 
zwar  allein  unter  so  vielen  myriaden  von  menschen,  nackt  wie  der 
cyniker  Diogenes.  Darüber  ist  sie  sehr  unglücklich  und  bittet  den 
kleriker,  nach  dem  paradiese  zurückzukehren  und  ihrem  manne  ein 
ziemlich  kostbares,  mit  fuchspelz  verbrämtes  gewand  nebst  einer  summe 
geldes  zu  bringen.  Auch  möge  er  ihm  sagen,  dass  sie  gegenwärtig 
an  einen  mann  verheiratet  sei,  der  sich  oft  betrinke  und  sie  in 
berauschtem  zustande  prügele,  so  dass  sie  recht  zu  beklagen  sei,  da 
mit  ihrem  geliebten  Corococca  aller  häuslicher  friede  gewichen  wäre. 
Der  kleriker  verspricht  gegen  eine  geldentschädigung  nach  drei  monaten 
mit  einer  handschrift  und  einem  briefe  ihres  verstorbenen  mannes  zu- 
rückkehren zu  wollen  und  entfernt  sich.  Columbella  aber  bedauert, 
dass  sie  es  zugelassen  habe,  dass  ihr  mann  schon  zwei  jähre  lang 
unbekleidet  im  paradiese  einhergehe  und  begibt  sich  zur  beichte  (Eo 
recta  ad  Exomologesim),  um  mit  hilfe  des  priesters  von  diesem  gewis- 
sensscrupel  befreit  zu  werden. 


442  HOLSTEIN 

Der  2.  akt  spielt  im  hause  der  Columbana,  Oenophilus,  ihr  ehe- 
mann. kehrt  stark  bezecht  von  einem  gelage  in  der  nacht  zurück  und 
weckt  mir  gepolter  seine  ehefrau  (Quin  audis  meretrix?  taste  tuum 
grandibo  caput).  Nun  entwickelt  sich  eine  überaus  heitere  scene.  Das 
weib  ist  zwar  an  seine  trunkenheit  gewöhnt,  aber  sie  erinnert  ihn 
doch  mit  tapferer  wehr  an  seine  Völlerei.  Schämst  du  dich  nicht?  Ich 
bitte  gott,  dass  dich  der  brantwein  (vivnm  vinum)  der  eingeweide 
beraube  und  dein  herz,  die  ädern  und  dein  inneres  entmanne,  damit 
du  alle  tage  deines  lebens  wie  ein  lahmer  schuster  nolens  volens  zu 
hause  bleibst.  Genug  der  worte,  giftmischerin,  sagt  der  ehemann, 
wenn  du  nicht  lieber  prügel  wilst.  Bringe  mir  von  meinen  rücken 
einen  der  bessern:  denjenigen,  den  ich  im  vorigen  monat  aus  eng- 
lischem tueh  mit  fuchsfeilen  und  ganz  seidener  paspel  anfertigen  lie>-. 
denn  ich  will  zu  einer  hochzeit  Ach  ich  unglückliche,  so  sagt  die 
trau  für  sich,  inter  saxum  et  sacrum  haereo  et  quod  vulgo  ahmt, 
lupum  auribus  teneo.  Oenophilus:  Quid  murmuratrix  lingua  sibi  vult? 
Quid  obgannit  anicula?  agedum  expedi.  adfer  mihi  vestem.  Nun 
_  st  t  sie  alles  ein.  die  pietas  erga  manes  demortui  coniugis  habe  sie 
vermocht,  den  rock  an  einen  kleriker  zu  geben.  Was  hast  du  mit 
einem  kleriker  zu  schaffen?  Ich  halte  diese  sorte  von  menschen  für 
rdächtig,  quippe  qui  tanto  ad  vafritiem  et  dolum  accliviores  sunt, 
quanto  ingenii  dexteritate  praestantiores;  polypi  sunt:  quicquid  attige- 
rint  haud  difficile  tenent  Er  schilt  den  aberglauben  und  die  dumheit 
der  frau.  commentum  futile  narras,  hisce  in  locis  (in  pratis  elyseis) 
qui  semel  fuerit,  numquam  regreditur.  Insulsissima  mulierum  quas 
sol  videt,  quid  istuc  aggressa  es?  Oenophilus  beschliesst  endlich  auf 
einem  seiner  behendesten  pferde  dem  diebischen  kleriker  nachzusetzen 
und  ihm  die  beute  wider  zu  entreissen. 

akt.  Oenophilus  ist  auf  dem  königswege  (regia  platea)  so  schnell 
möglich  vorwärts  geeilt  und  ruft  aus  der  ferne:  Hat  niemand  (nae- 
mon)  »inen  diebischen  kleriker  mit  einem  reisesack  gesehen?  Der  kle- 
riker hört  den  ruf:  das  werde  ich  ausbaden  müssen  (in  nie  haec  faba 
cudetur)1,  sagt  er.  Da>  ist  der  ehemann  des  weibes,  dem  ich  das  geld 
und  den  rock  listigerweise  abgenommen  habe.  Was  nun  tun?  Fliehe 
ich,  so  werde  ich  bald  eingeholt,  denn  der  reifer  ist  schneller  zuwege 
als  ich:  wenn  ich  aber  bleibe,  so  werde  ich  durchgeprügelt  und  kaum 
halblebend  davonkommen.  Adesto  mihi  fraudum  architecte,  magne 
Ifercuri,    et  ingenioso   huic  furto  meo  alipes  succurr<\     Da  bemerkt  er 

1)  Terent.  Euij.  2,  3,  89. 


LAT.    SCHAUSPIEL    DES    16.    JAHRHUNDERTS  443 

einen  landmann,  der  sich  zum  mittagessen  im  grase  gelagert  hat;  er 
zieht  schnell  dessen  rock  an.  ergreift  dessen  hacke  und  ist  wie  ein 
ackersmann  geschäftig  bei  der  arbeit  Da  komt  Oenophilus  heran- 
gesprengt und  stelt  die  obige  frage  an  ihn.  Ja,  sagt  der  kleriker.  ich 
sah  einen  jungen  mann,  der.  sobald  er  dich  und  das  pferdegetrappel 
hörte,  sofort  in  den  nahen  wald  floh.  Aber  der  wald  ist  dicht,  das 
dickicht  lässt  dich  mit  dem  pferde  nicht  durch,  darum  Lass  mir  das 
pferd  zur  hut  und  gehe  zu  fuss.  Ich  weiss,  wie  diebe  geartet  sind; 
er  wird  dir  alles  zurückgeben;  nur  behandele  ihn  nicht  zu  hart,  denn 
du  kaust  alles  ohne  blutvergiessen  wider  gut  machen.  Das  ist  ein 
guter  rat,  sagt  Oenophilus;  ich  werde  ihn  befolgen.  Aber  du  seist  mir 
büssen,  Clerice  fureifer.  Du  wirst  es  erfahren,  wie  unbillig  es  ist  die 
torheit  eines  weibes  zu  misbrauchen.  Während  Oenophilus  sich  in  den 
nahen  wald  begibt,  macht  sich  jener  zum  berittenen  kleriker  und  ver- 
schwindet mit  dem  gestohlenen  gepäck  und  dem  pferde.  Abeo  reeta 
Parrhisium  versus  et  artem  hanc  conatumque  clericalem  commilitoni- 
bus  narrabo  factoque  hoc  immortalis  paene  evadam.  Jezt  erscheint  der 
Dauer  Coridon.  Nachdem  er  sich  leiblich  gestärkt  hat,  will  er  sieh 
wider  an  die  arbeit  machen.  Er  sucht  sich  seine  harte  arbeit  mit 
einem  liede  zu  versüssen:  Cantabat  vaeuus  coram  latrone  viator1  und 
0  Coridon,  Coridon,  quae  te  dementia  cepit?2  Da  komt  Oenophilus, 
der  den  dieb  vergeblich  gesucht  hat,  zurück  und  droht  den  bauer  zu 
ermorden,  der  ihn  listigerweise  in  den  wald  gelockt  hat,  in  dem  er 
keine  spur  des  diebes  gefunden  hat.  Perdat  te  fulmine  magnus  Jup- 
piter,  vocem  atque  ora  trisulcum  tonitru  obtundat.  Der  gesang  des 
nichts  ahnenden  landmannes  reizt  ihn  zu  erhöhter  wut:  Pergin  bilem 
mihi  movere,  scelus?  Jam  te  perimam.  Die  Schmähungen,  die  beschul- 
digung  des  diebstahls  veranlasst  den  bauer,  der  den  Oenophilus  noch 
nie  gesehen  hat  und  seine  Unschuld  widerholt  beteuert,  diesen  beim 
ortsschulzen  zu  verklagen.  Sie  begeben  sich  zum  prätor  Hannibal. 
Xach  anhörung  des  klagenden  Oenophilus  fragt  dieser  nach  der  färbe 
des  in  verlust  geratenen  pferdes  und  als  dies  jener  beschrieben,  sagt 
er,  dass  er  soeben  dem  auf  jenem  pferde  sitzenden  kleriker  begegnet 
sei,  der  nach  Gallien  zu  seinen  weg  genommen  habe.  Nun  erkent 
Oenophilus,  dass  er  überlistet  ist;  er  bittet  den  ortsschulzen  und  den 
bauer,  über  die  Sache  zu  schweigen,  zahlt  einen  geldbetrag,  fordert  sie 
auf  mit  ihm  in  die  nächste  schenke  zu  gehen  und  schliesst  mit  folgen- 
der mahnung:  Spectatores,  hoc  argumento  imposturas  clericorum  discite, 

1)  Nach  Juvenal.  10,  22.  2)  Verg.  Ecl.  2,  69. 


444  HOLSTEIN 

quorum  nulluni  aequo  diligens  institutum  est,  quam  ut  quo  iure  qua- 
que  iniuria  aostro  incommodo  nobis  imponant.  Venit  ille  ut  aiebat  e 
pratis  elys  3,     at  recta  ad  patibulum  eminens.    Vos  valete  et  plaudite. 

Wie  der  Clericus  cques,  so  zeugt  auch  das  zweite  lustspiel  des 
Placentius,  Lucianus  aulicus,  von  einem  glänzenden  humor  des  ver- 
fass  Nach  dem  titel  soll  es  bei  gastmälern  aufgeführt  werden.     Es 

erinnert  dies  an  die  sitte  der  geistliehkeit,  ihre  gastmäler  durch  auf- 
fuhrung  von  komödien  zu  beleben.  Man  denke  an  die  gastmäler  der 
bischöfe,  die  auf  dem  concile  zu  Kostnitz  versammelt  waren.  Nun 
lebte  Placentius  im  Dominikanerkloster  zu  Mastricht,  dessen  mönche 
dem  heiteren  lebensgenusse  gewiss  nicht  alzusehr  entsagten.  Placen- 
tius widmet* •  sein  drama  dem  domkustos  zu  Carlsburg  in  Ungarn. 
Nicolaus  Olaus,  der  zugleich  geheimschreiber  der  königin  Marie  war 
(Nicoiao  Olao,  Albensis  ecclesiae  regni  Hungariae  Custodi)1.  Jakob 
Arrhusius,  ein  begeisterter  freund  des  humanismus,  mit  dem  Placentius 
schon  seit  fünf  jähren  befreundet  war,  hatte  ihm  bei  einem  besuche 
im  sommer  1534  mitgeteilt,  dass  sein  patron  ein  argumentum  littera- 
rium  e  musaeo  Placentiano  wünsche.  Da  nun  Nicol.  Olaus,  wie  er 
wisse,  am  ungarischen  hofe  als  beschiitzer  der  schönen  Wissenschaften 
allein  stehe  (regiae  aulae  unicum  columen  ac  ramm  quoddam  monile  — 
nam  illic  studia  ac  mores  philosophicos  solus  tueris  — ),  so  wolle  er 
ihm  die  vorliegende  komödie  als  ein  zeichen  seiner  aufrichtigen  hoch- 
achtung  und  ergebenheit  widmen  in  der  hofnung,  dass  er  noch  andere 
arbeiten,  die  er  noch  in  grosser  zahl  vorrätig  habe  (lucubrationes  alias, 
quas  plurimas  apud  nie  retineo).  ihm  widmen  dürfe.  Yale  Antouerpiae, 
quarto  Idus  Octobres  Anno  salutis  1534. 

Das  drama  ist  im  phaleucischen  metrum  geschrieben.  Der  ver- 
sus  phaleucius  besteht  aus  einer  logaödischen  pentapodie  mit  dem  dak- 
tylus  an  zweiter  stelle  (_:_  j  jl^^  I  ^w  |  _ü^  j  j.^).  Auch  das  Carmen 
temporarium  Balduini  Reuelii,  Pensionarii  Hyperii,  das  sich  auf  dem 
tit'-lblatt  findet,  ist  in  diesem  versmass  verfasst.  Es  spricht  von  den 
beiden  komödien  des  Placentius. 

Aulam  Rusticus  iste  Lucianus 
Xon  multo  tibi  meliore  sanno 
Aspergit  vetus  ut  solebat  aethra, 
Porro  Clericus  haud  partim  diserte 
Imposturam  agit.     Advolate  docti, 

1)  Alba  Carolina  =  Carlstrarg,  ehemals  "Weissen bürg,  am  Maros,  einst  haunt- 
stadt  Siebenbürgen 


LAT.    SCHAUSPIEL   DES    13.    JAHRHUNDERTS  445 

Et  docti  ingenium  undevis  poetac 

Adniiremini,  amate  diligenter. 
Den  inhalt  gibt  der  Verfasser  selbst  an: 

Chremes  Rusticus  anlice  docetur, 

Sed  se  ut  Stimphalionis  arte  sensit 

Lusnm,  praeparat  affabre  instrumentum, 

Hunc  et  quo  capit  huins  et  maritain, 

Sic  cum  coniuge  Rustice  docetur. 
Es  handelt  sich  in  diesem  stücke  um  einen  scherz,  der  mit  einem 
stelmacher  (carpentarius)  vom  lande  gemacht  wird;  aber  der  gefopte 
rächt  sich  an  dem,  der  ihn  gefopt  hat,  indem  er  ihn  mit  seiner  trau, 
die  unschuldig  mit  ihrem  manne  leiden  muss,  in  einem  von  ihm  selbst 
verfertigten  fangeisen  festhält.  Chremes,  so  heisst  der  stelmacher  vom 
lande,  begibt  sich  in  die  stadt  und  wird  hier  mit  einem  koch  Stim- 
phalion  bekant,  der  ihn  mit  den  sitten  des  hofes  und  des  hoflebens 
vertraut  machen  will.  Er  heisse  Chremes  Lucianus,  welchen  namen 
er  colendo  lucos  verdient  habe.     Lucianus  apte,  sagt  Stimphalion, 

certum  ludibrium  omnium  cocorum, 

ut  doctus  fuit  ille  Lucianus 

risor  maximus  omnium  deorum. 
Nun  solle  aus  ihm  ein  Lucianus  aulicus  werden.  Dazu  müsse  er  aber 
alle  seine  lehren  genau  befolgen  und  alles  gutheissen,  was  er  tun 
und  sagen  werde.  Denn  die  höflinge  pflegen  jedem  beizustimmen,  und 
aus  einem  Lucianus  werde  ein  Gnato  Terentianus.  Aulicum  est  hodie 
videri  et  esse.  Als  nun  Chremes  die  empfangenen  lehren  praktisch 
anwenden  soll,  muss  er  es  erleben,  class  Stimphalions  frau  Mannella 
gar  übel  behandelt  wird  und  dass  er  selbst  bei  tische  bedeckten  baup- 
tes  sitzen  und  für  alle  ihm  gereichten  speisen  danken  muss,  ohne  selbst 
zulangen  zu  dürfen. 

Im  nächsten  akte  volzieht  Chremes  die  räche  an  Stimphalion  und 
seinem  weibe.  Er  spricht  zunächst  von  seiner  erfindung;  da  komt  das 
verschmizte  ehepaar;  sie  wollen  einer  einladung  des  bürgermeisters  Mi- 
das  zum  mittagsmahl  folgen.  Chremes  bittet  sie,  ihm  zu  gestatten, 
dass  er  prüft,  ob  die  löcher  seines  halseisens  für  ihren  hals  passen. 
Sie  lassen  es  zu  und  werden  nun  gefangen.  Chremes  lehrt  sie  dann, 
wie  man  auf  dem  lande  lebt.  Die  so  gefangenen  schreien  und  heulen, 
die  frau  beschuldigt  den  mami  des  Unrechts,  das  er  an  Chremes  began- 
gen usw.  Endlich  komt  auch  der  bürgermeister,  auf  dessen  bitten  sie 
von  der  quäl  befreit  werden.  Darauf  begeben  sich  alle  zur  tafel  des 
bürgermeisters. 


446  HOLSTEIN' 


Die  Susan  na  des  Placentius  endlich  bildet  ein  sehr  wertvolles 
glied  in  der  reihe  der  Susannadranien.  Ein  an  den  leser  gerichtetes  epi- 
srramm  belehr  uns  über  die  tendenz :  wie  Crocus  eitert  der  dichter  gegen 


- 


die  aufführung  der  römischen  komödien  und  sucht  sie  durch  neuere, 
selbsteeschaffene  zu  ersetzen.  Er  weicht  aber  darin  von  Crocus'  ansieht 
ab,  das-  er  selbst  auch  weltliche  Stoffe  dramatisch  bearbeitet  und  sich 
nicht  auf  biblische  beschränkt  hat.  In  dieser  beziehung  stelt  er  sich 
neben  Gnapheus  und  Maeropedius,  während  Sixt  Birck  sich  ausschliess- 
lich mir  biblischen  Stoffen  beschäftigt  und  sogar  gegen  die  Vertreter  der 
entgegengesezten  richtung  polemisiert1.  Das  erwähnte  epigramma  ad 
lectorem  lautet: 

Quid  iuuat  heus  iuuenes  ueteris  monumenta  Terenti 

Aut  Plauti  aut  Neui  uoluere  saepe  manu. 
Et  speetatori  uanas  diuendere  nugas, 

In  quibus  instruitur  desidiosus  amor? 
Quin  potius  placeant  diuina  poemata  nostri 

Euangelistae ,  qui  canit  ore  cato. 
Hie  bene  Susannam  festiuo  carmine  lusit 

Quamque  senes  turpis  commaculavit  amor. 
Annis  sub  teneris  diuinas  dicere  praestat 

Historias,  ueterum  quam  recitare  leues, 
Nam  quod  pereipiunt  iuuenes  aetate  recenti, 

Firmius  inhaeret  nee  cito  deficiet. 

Das  in  fünf  akte  zerlegte  drama  kenzeichnet  den  Verfasser  nicht 
nur  als  einen  klassisch  gebildeten  dichter,  sondern  auch  als  einen  sehr 
geschickten  dramatiker.  Der  scenische  aufbau  des  dramas  ist  im  gan- 
zen korrekt.  Der  erste  akt  bietet  eine  scharfe  Charakteristik  der  beiden 
alten  (Crito  advocatus,  dem  Phormio  des  Terenz  entlehnt,  und  Chri- 
sales iudex);  der  zweite  bereitet  den  Überfall  im  bade  (3.  akt)  vor,  der 
vierte  behandelt  die  Verurteilung  der  Susanna,  der  fünfte  die  der  bei- 
den alten  und  die  befreiung  der  Susanna.  Die  darstellung  ist  knapp 
und  abgerundet.  Das  drama  selbst  ein  kleines  kabinetstück,  das  Bircks, 
Frischlins  und  Schonäus'  leistung  in  den  tiefsten  schatten  stelt. 

Der  rechtsgelehrte  Crito  begint  mit  einer  Verwünschung  der  mäd- 
chen,  die  sich  der  greise  ebensowenig  erbarmen,  als  wenn  diese  zu 
leben  aufgehört  hätten  oder  als  wenn  sie  überhaupt  nicht  mehr  fähig 
wären   zu  lieben.      Sein    diener  Petulius   nennt   die    mädchen,    die  so 

1)  Vgl.  Pilger,  Die  dramati sierangen  der  Susanna  im  16.  Jahrhundert,  bd.  XI, 
169.  170  dieser  Zeitschrift. 


LAT.    SCHAUFTIEL   DER    IG.    JAHRHUNDERTS  447 

bandeln,  klug,  denn  sie  belasten  sich  nicht  gern  mit  bejahrten  pferden 
und  kleiden  sich  an  testtagen  nicht  mit  abgenüzten  gewändern.  Auch 
sind  die  greise  veränderlichen  sinnes,  momento  euanidi  sapientia,  inge- 
nio  irritabiles.  Dieses  urteil  versezt  den  Crito  in  solche  wut,  dass  er 
zwei  lorarii  herbeiruft  und  beauftragt,  den  frechen  diener  ins  gefängnis 
zu  werfen.  Diesem  aber  gelingt  es  den  zorn  des  herrn  dadurch  abzu- 
wenden, dass  er  ihm  den  besuch  einer  begehrenswerten  dirne,  die  sich 
nur  durch  ihn  werde  überreden  lassen,  in  aussieht  stelt.  Homo  fru- 
gi  es,  sagt  Crito,  pulchreque  de  me  meritus,  quo  non  optarem  conduci- 
biliorem.  —  Die  zweite  scene  zeigt  den  buhlerischen  Crito  als  Wider- 
sacher des  richters  Chrisalus.  Als  ihm  dessen  diener  Hislio  erzählt, 
dass  er  ein  rechtsbeistand  suchendes  jüdisches  mädchen  von  Avunder- 
barer  Schönheit  an  seinen  herrn  gewiesen  habe,  erwacht  in  Crito  lei- 
denschaftliche eifersucht;  er  zürnt  dem  Hislio,  dass  er  jenes  mädchen 
nicht  ihm  selbst  zugewiesen  habe.  Das  sei  die  pflicht  des  Petulus, 
erwidert  Hislio.  Indem  er  beide  diener  verwünscht,  beschliesst  er  sich 
zu  Chrisalus  zu  begeben,  um  zu  sehen,  wie  weit  er  mit  der  scitula 
virgo  gekommen  ist.  In  der  3.  scene  offenbart  Hislio  dem  ihm  befreun- 
deten Petulus,  dass  sein  herr  von  derselben  beschaffenheit  (eiusdem 
farinae)1  sei.  INarn  lippit,  titubat,  Marcet  totus:  at  at  metuo,  quorsum 
euadat  virguneula.  —  Erzürnt,  dass  ihm  die  Jüdin  entgangen  ist,  sint 
Crito  auf  räche. 

Non  irascar  isthic  Chrisalo?  solus  potitus  est 
Cupitis  amplexibus,  uirginem  sine  teste  uitiauit. 
Ybi  obiurgaui  hominem,  ait  multa  quidem 
Multis  argumentis  me  idem  fere  domi  nuper 
Patrasse,  idque  manifestius  quam  quod  inficier. 

Als  ihm  aber  Petulus  meldet,  dass  die  bewusste  dirne  ihn  erwarte, 
vergisst  er  alles  ihm  zugefügte  unrecht.  In  der  lezten  scene  des  ersten 
aktes  treffen  nun  die  beiden  alten  zusammen.  Beide  weifen  sich  ihr 
unzüchtiges  treiben  vor,  durch  das  sie  das  ansehen  ihres  hohen  Stan- 
des schädigen.  Besonders  heftig  zeigt  sich  Crito:  jener  sei  avarus, 
luxu  perditus,  inaestuosus,  sacrilegus.  Chrisalus  rät  zur  Versöhnung, 
aber  Crito  spielt  hartnäckig  den  beleidigten.  Während  sie  noch  spre- 
chen, komt  Joachim  mit  seiner  gattin  Susanna.  Nach  herzlicher  gegen- 
seitiger begrüssung  scheut  sich  Crito  nicht,  den  beiden  vorzulügen,  er 
und  Chrisalus  hätten  eben  in  eifrigem  gespräche  mit  einander  beraten, 
wie  die  processe  zum  besten  des  Staates  geführt  werden  könten.    Darauf 

1)  Pers.  5,  115  Cum  fueris  nostrae  paulo  ante  farinae. 


44^  HOLSTEIN 

werden  beide  auf  den  wünsch  der  Susanna   zum   frühstück   eingeladen. 
Kaum  ist  die  einladung  des  Joachim  erfolgt,  so  äussert  Crito  für  sich: 
Poemina  est.  ira  me  Dii  bene  ament,  digna 
Oui  nunquam  aliquid  negetur. 
Act.  II.     Die   beiden   alten   sind  der  einladung  gefolgt  und  geste- 
hen sich  gegenseitig,    dass   sie   beide  in  Susanna  verliebt  sind.     0  Su- 
ona,    quam   magnifice  experior  oculos  tnos  uere  esse  magnetes,   ruft 

Chrisalus, 

Kadern  mihi  iamque  uertiginem  attulit,  adeo 

Me  indomitus  decoquit  ignis,  abdita 
Penetralia  furor  (heu  nimium  insolens)  obtinet. 

Aber  doch  ist  er  zaghaft,  er  ist  eben  noch  nicht  so  verbuhlt  als  Crito; 
er  furchtet  von  der  ehrenhaften  frau  mit  seinen  antragen  zurückgewie- 
zu  werden.     Sei  nicht  töricht,  so  ermutigt  ihn  Crito, 
An  tu  nihil  iam  potes,  qui  saepe  sphingem 
Kuicisti  dolis? 
Crito  ist  auch  derjenige,  der  den  Vorschlag  macht,  Susanna  am  folgen- 
den tage  im  garten  beim  baden  zu  überfallen.     Auch  er  ergeht  sich  in 
lobpreisungen    der    Schönheit    der    Susanna.      Es    folgt    dann    noch    ein 
gespräch   zwischen   Susanna   und   ihren  beiden   dienerinnen  Maura  und 
Li  via.     Beide  werden  von  der  herein  ermahnt,  hochmut  zu  meiden  und 
nicht  immer  an  heiraten  zu  denken. 

0  si  noueritis,  quam  longe  alia  res  est  atque  existimatis 
Connubi,  certe  studio  uehementiori  contenderetis 
In  innocentiam  illam  sempiternam. 
Act  III.     Susanna  erscheint  im  garten,    um  zu  baden.     Sie  lässt 
sich    baisam    und   seife    bringen    und  befiehlt   die    türen    sorgfältig   zu 
schliessen.     Crito  redet  sie  an: 

Ades  Citheraea  Venus,  faue  furtiuae 
Vuluptatis  pater,  magne  Juppiter. 
Sus.  Me  miseram,  quid  turbae? 
Cr.     Ingere  te  quantum  potes.     Sus.  Ah  perii  — 
Chr.  Euge  bellissima  foemina: 

Nihil  te  pudeat,  nos  seorsum  cupiditate  omni 
Excipere.     Sus.  0  scelera.     Cr.  Haud  admodum 
Pensa  inntile  oostrum  senium.     Nam  delicatiusculis 
Amplexibus  hucusque  uegeti  sumus:  strenue 
Litauimus  hactenus  in  palaestra  Veneris. 
Vergeblich  sucht  Susanna   die  frechen   alten   auf  ihr  schamloses   begin- 
nen hinzuweisen.     Sie  erinnert  sie  an  die  wol taten,  mit  denen  sie  die- 


LAT.    SCHAUSPIEL   DES    IG.    JAHRHUNDERTS  449 

selben  überhäuft,    und  erklärt  standhaft,    dass  sie  niemals  ihrer  Unver- 
schämtheit Vorschub  lci>t<-n  werde     So  werden  wir  dich  des  ekebruchs 
anklagen,    sagt  Crito.      Er    ruft    die    nachbarn    herbei.     Er   bemitleidet 
nicht  die  sittenreine  Susanna,   sondern    ihren   gemahl   und  ihren   vater 
Helchias.  deren  geachteten  aamen  jene  besudelt  habe.    Sehr  wirkungs- 
voll ist  das  gebet  der  Susanna,  mit  dem  der  3.  act  schliesst. 
Nbsti  me  quam  procul  abesse  ab  bis  mnocentiae  deus 
Sceleribus,  quae  mihi  pertinaciter  presbyteri  impingunt, 
Quandoquidem  et  mecum  periculum  exhorruerim 
Et  una  eademque  constantia  obstiterim  uiolentiis, 
Neque  ob  id  tarnen  aliquid  modestiore-  -mit, 
Excogitant  noua,  inusitata  prouulgant, 
Adeo  ut   rumoribus  adulterii  mei  domus 
Cognatio  iugiter  intabescat  tota.     In  te 
Mihi  spes  est  omnis,  excute  potenter 
Bolum  hunc  e  faueibus  beluaium. 
Der  gerichtsscene   des  4.  actes   geht   eine  Unterredung    zwischen 
Joachim  und  Helchias  voraus,  die  beide  ihrem  schmerze  über  das  plötz- 
lich   eingebrochene    schwere    Verhängnis    beredten    ausdruck    verleihen. 
Die  gerichtsscene  selbst  hat  nichts  bemerkenswertes,   als  dass  die   von 
den  beiden  richtern  herzugerufenen   henker   den   gehorsam  verweigern, 
da  sie    mit  dieser  edlen   frau   nichts   zu  schaffen  hätten:    Nihil  nobis 
commune  est  cum  tarn  ingenua.     Cr.  Cessatis  ire  funesti?     Abite  iam 
nunc,  dictum  satis.     Ehe  die  richter  ihre   anklage  beginnen,  bittet  Su- 
sanna  die  umstehenden,  sich  der  trähnen  zu  enthalten,  denn  gott  werde 
ihr  loos  zum  guten  wenden.    Noch  einmal  fleht  sie  gott  um  beistand  an  : 
Nunc  nunc  ades  deploratae  feminae, 
Secl  speranti  in  te,  deus  optimus  maximus,  rugentium 
Horum  leonum  saeuitiam  male  uerte. 
Nach  der  Verurteilung  spricht  sie  wider  ein  gebet: 
Deus  aeterne  abstrusorum  perscrutator, 
Yide  precor,  quae  est  audacia.     Iamdudum  morior 
Omnium  expers,  quae  isti  maliciose  congesserunt  in  me. 
Von  grosser  Sicherheit  zeugt   das  auftreten  des  propheten  Daniel, 
der   übrigens    in  abweichung  von    der    biblischen    erzählung    nicht    als 
knabe  gedacht  wird.    Auffallen  muss  nur,  dass  der  dichter  dem  verhör 
der   beiden  richter,    die  der  verläumdung    und    des  betrugs  angeklagt 
werden,    einen  besonderen  act  zuweist.     Auf  die  frage,   unter  welchem 
bäume   der   ehebruch  volzogen   sei,    antwortet  Crito   zuerst  nichts;    nur 
für    sich    spricht    er    die    worte:    Peru    miser:    utinam    eadem    mecum 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.     BD.  XXIII.  29 


HOLSTEIN,    I.AT.    SCHAUSPIEL    DES    L6,    JAHRHUNDERTS 

defmiat  comples !     Chrisalus  sucht   sich   ebenfals    aus    der  schlinge  zu 

ziehen: 

Quasi  iiero  Ld  nesciam?  sub  ea  oimirum 

Quam  designauit  Crito. 
Der  erste  gibt  dann  auf  erneute  frage  diese  auskunft:    sub  cino,  der 
zweite:  sub  pino1. 

DanieJ  schliesst  die  Verhandlung:  Comperta  est  coniuratio;  perdite, 
ut  aequura  est,  utrumque,  carnifices!  Mit  einem  kurzen  dankgebet  der 
Susanna  zu  gott  und  mit  glückwünschen  des  Helchias  endet  die  komö- 
die  selbst.  Die  henker  fügen  nur  noch  hinzu,  dass  die  beiden  alten 
extra  castella  suis  locis  bestraft  werden  sollen  und  nehmen  abschied 
von  den  Zuschauern: 

Spectatores  boni.  nihil  est  quod  expectetis. 

Bene  uobis  sit  cum  Susanna:  congratulemini 

Inuocentiae.     Valete  et  plaudite. 


\Ton  di^n  der  komödie  nach  dem  titelblatt  angefügten  dichterischen 
Leistungen  des  Eusebius  Candidus  ist  nur  die  dritte  bemerkenswert.  Es 
ist  eine  art  versifizierten  totensanges  unter  dem  titel:  Plausus  luctificae 
mortis.  Es  treten  die  Vertreter  aller  stände  auf:  der  kaiser,  der  römi- 
sche könig,  der  papst,  der  cardinal,  der  bischof  usw.  Sehr  beissend 
irden  pastor  und  abbas  charakterisiert. 

En  parochus  quoque  pastor  ego,  mihi  dulce  Falernum 
Notius  aede  sacra:  scortum  mihi  charius  ipsa 
Est  animae  cura  populi.  —  Mors  te  nianet  ergo,  sezt  der 

philosophus  hinzu. 
Abbas.  En  abbas  uenio,  Yeneris  quoque  uentris  amicus. 
enobii  rara  est  mihi  cura,  frequentier  aula 
Magnorum  heroum.  —  Chorea  saltabis  eadem. 
Der  Scabinus  sagt  wahrheitsgetreu: 

K        äcabinus  ego,  scabo  bursas,  prorogo  causas, 

natorque  vocor,  uulgus  me  poplite  curuo 
Muneribusque  datis  ueneratur  fronte  reteeta. 
Nil  mortem  meditor,  loculos  quando  impleo  nummis 
Et  dito  haeredes  nummis,  vi,  fraude  reeeptis. 
iu-titiam  nummis  pro  sanguine,  munere  uendo. 

1)  Vgl.  Pilger  in  dieser  Zeitschrift  XI.  s.  154  anm.  1,  wo  bemerkt  wird,   da 
die   ii  -  isannadichter    auf   eine    nachahmung    des    biblischen    textes   o%Zvoq  — 

nvog  verzichtet  haben.     I'lacentius  hat  das  Wortspiel  des  Urtextes  sehr  sinnig  nach- 
iunt.     Ähnlich  Birck:  schinns  —  pinus. 


R.  BFBENGER,  ZU  GOETHES  PAUST  451 

Quod  rectum  est  curuo,  quod  curuum  est  munere  rectum 
Efficio,  per  me  prorsus  staut  oinnia  iura. 
—  Nou  poteris  dura«'  mortis  transire  sagittis. 

Endlich  fähren  wir  noch  den  satz  <U'>  Schulmeisters  (Ludimagister) 
an,  der  auch  noch  heute  seine  volle  geltung  hat: 

En  ego  peruigili  cura  externoqüe  labore 
Excolui  iuuenum  ingenia  et  praecepta   Rlineruae 
Tradens  consenui  cathedraeque  pigel  sine  fructu. 
Quid  dabitur  fruetus,  tanti  quae  dona  Laboris? 
Oinnia  mors  aequans,  uitae  ultima  meta  laboris. 

WILHELMSHAVEN.  II.    HOLSTEIN. 


ZU  GOETHES  FAUST. 

Erläuternde  bemerknngen  im  anschmss  an  Schröers  erklärende  ausgäbe,  2.  «auf  Li 

Prolog  v.  48.     gleich   kann   hier  nur  die   bedeutung  „immer  in 

gleicher  weise"  haben.     Obwol  die  cicade  versucht  sich   in  die  Luft  zu 

schwingen,    f'ält    sie    doch    immer   wider    zurück    und    singt  wider    wie 
vorher  ihr  liedchen  —  im  grase  liegend. 

Prolog  68. 
Weiss  doch  der  Gärtner,  wenn  das  Bäumehen  grünt, 
Boss  Bliith'   und  Frucht  die  käu  ff  gen  Jahn    vieren. 

Auch  in  der  2.  aufläge  hält  Schröer  an  der  bedeutung  von  grü- 
nen als  „wachsen"  fest,  die  sich  bei  Goethe  nicht  belegen  lässt.  Denn 
auch  hier  hindert  nichts  es  als  das  jährliche  grünen  im  frühjahre  zu 
erklären,  vgl.  1334  Bäume  die  sich  täglich  neu  begrü/nen.  Wahrschein- 
lich schwebte  Goethe  die  stelle  Ev.  Luc.  21,  29  vor:  „Sehet  an  den 
Feigenbaum  und  alle  bäume.  Wenn  sie  jezt  ausschlagen,  so 
sehet  ihr  es  an  ihnen  und  merket,  dass  jezt  der  sommer 
nahe  ist.u 

Erster  teil. 

130.  Bu  hast  mich  mächtig  angezogen. 

An  meine)'  Sphäre  lang  gesogen  .  . 

Auch  in  der  zweiten  aufläge  widerholt  Schröer  die  erklärung: 
„An  der  Sphäre  des  erdgeistes,  der  erde  hat  Faust  ge<<>'j;<'n,  eifrig  nah- 
rung  des  geistes,  der  erkentnis  gesucht."  Schon  in  den  akademischen 
blättern  von  0.  Sievers  bemerkte  ich,  dass  nicht  die  erde,  sondern  das 
geisterreich  die  Sphäre  dos  erdgeistes  sei     Eigentümlich  ist  freilich  der 

29 


452  sr RENGER 

gebrauch  vod    „saugen   an   etwas.-     II,  4627  gebraucht  Goethe  sog 
ich  an   =  nahm  ich  in  mich  auf: 

Awf  und  Brust  ihr  zugewendet 
Sog  ich  an  den  milden   Glanz. 
700.   Ich  habi   selbst  den   Oift  an   Tausende  gegeben. 
Es  ist  nicht  richtig,    dass  der  Gift  hier  für  dosis,  gäbe  eines 
heilmitti    -   steh        Es  bedeutet  vielmehr  stets  ein  tütlich  wirken- 
-    mittel.     So    steht  es  auch  bei  Schiller.    Kabale  und  Liebe  5,  7 
s  V    igand  1.  693).     In  der  bedeutung  „gäbe"  ist  gift  auch  bei  Goethe 
fem.,  vgl.  II.  6314. 

lo.~>7.  Wu  ich  bekam  .  bin  ich  kriecht. 
I -h  habe  über  die  stelle  schon  in  den  Akad.  bl.  s.  717  gehandelt 
und  kann  Schröers  erklärung  auch  jezt  noch  nicht  billigen.  Wie  steht 
hier  temporal  für  so  wie  oder  in  dem  äugen  blicke  wo.  Ich  ver- 
weise nochmals  auf  Weigands  Wörterbuch  der  deutschen  synonymen 
nr.  429  und  für  Goethe  auf  Faust  II,  6918.  Beharren  heisst  „in 
demselben  zustand  verbleiben." 

2310.  Damit  ihr  seht,  dass  ich  rarer  Pein 
Will  forderlich  und  dienstlich  sein. 
Dienstlich  in  der  bedeutung  „dienstbereit"  war  dem  18.  Jahrhundert 
nicht  mehr  geläufig.  Es  gilt  also  auch  für  unsere  stelle  die  bemer- 
kung  im  Deutschen  würterbuehe  II,  1129:  „Frisch  und  Steinbach  führen 
dienstlich  in  dieser  bedeutung  nicht  mehr  an;  bei  Hippel  12,  23  der 
weit  förderlich  und  dienstlich  sein  ist  aus  Luthers  katechismus 
genommen." 

_'Ö14.    Geht  da  stracks  in  die   Welt  hinein 

Cid  lässt  midi  auf  dem   Stroh  allein. 
..Auf  dem  stroh"  d.  h.  als  Wöchnerin,    denen   man   früher  srroh  unter- 
Daher  engl,   a  lady   in  the   straw    „eine  Wöchnerin",    to   by 
in  the  straw   ..in  wochen  sein";  vgl.  Lieb  recht,  Zur  Volkskunde  s.  492. 

-7.    0  heiVger  Mann!     Da  wärt  ihr's  nun! 
-  iiröer  erklärt:    In    diesem  falle    (da)    wärt    ir's    nun,    nämlich    ein 
heiPger  mann.     Ich  erinnere  an  den  gebrauch  von:  Er  ist  es!  d.  h. 
bildet  sich   ein   etwas  zu   sein."     Ähnlich  II.  6000   Ich    war   nun 
uns  d.  h.   ..ich  war  nun  ein  grosser  henv 

2821.  handeln   =   verhandeln,  vgl.  Iph.  480: 

Wusst    'ah  nicht, 
da>.<  ich  mit  < i,, im    Weibe  handeln  ging? 
3098.    Kr  fall  davon  dem  II',:.  so  gross  es  ist, 

Und  ni, in  du  ganx   m  dem   Gefühle  selig  bist, 


ZU   GOETHES   FAUST  453 

Nenn'  es  dann  wie  du  willst, 

Nenn's  Glück!  Eerxl  Liebe!  Gott! 
Zu  v.  3101  muss  man  Franz  Kern,  Drei  Charakterbilder  aus 
Goethes  Faust  s.  81  beistimmen,  wenn  er  bemerkt:  „Es  ist  gewiss  selt- 
sam, dass  man  das  herz  erfüllen  soll  mit  etwas,  was  wider  als  herz 
bezeichnet  wird.  Der  subjektive  Charakter  dieses  pantheismus  ist  ja 
schon  deutlich  genug  durch  glück  und  liebe  ausgeprägt!"  Ech  war 
früher  geneigt  „herz"  hier  als  schmeichelnde  bezeichnung  der  gelieb- 
ten zu  fassen,  glaube  aber  jezt,  dass  es  sich  nur  aus  v.  3098  hierher 
verirt  hat  und  zu  tilgen   ist. 

3194.    Die  hat  sich  endlich  auch  bethört. 
„endlich"  wo  wir  jezt  „schliesslich"  sagen;  ebenso  II,  6072.    Anders 
II,  5455,  s.  unten. 

S.  280,  56.  entgegnen  „begegnen,  entgegen  treten",  ebenso  II. 
3666.  4138.  Vgl.  in  Schillers  Bürgschaft:  Was  wolltest  du  mit  dem 
Dolche,  sprich!     Entgegm  t  ihn/  finster  der    Wütherich. 

Zweiter  teil. 

221.  ausbleiben  wie  Röhrenwasser  ist  eine  noch  jezt  gebräuch- 
liche sprichwörtliche  redensart. 

401.  kümmerlich  steht  hier  in  der  bedeutung  von  ..ärmlich". 
Eine  kühnheit  in  der  Wortumstellung  wie  sie  Schröer  anninit,  ist  auch 
bei  dem  alten  Goethe  unerhört. 

2312.  Zu  Grimms  wtb.  4'2,  2373  bemerke  ich  noch  die  land- 
läufige redensart:  So  etwas  wird  nicht  wieder  jung! 

2705.  Schröer  erklärt:  „Die  nymphen  singen:  sie  hören  den 
schall  von  pferdehuf  und  fragen:  wer  hat  wol  dieser  nacht  schnelle 
botschaft  zu  bringen?11     Das  ist  nicht  richtig,  denn  es  heisst: 

Wüsst  ich  nur,  wer  dieser  Nacht 
Schnelle  Botschaft  zugebracht. 
Aber  auch  Düntzers  erklärung  (2.  ausg.  1857)  s.  551,  dass  unter  „dieser 
nacht"  irgend  eine  person  dieser  zaubernaeht  verstanden  sei,  ist  nicht 
möglich.  Es  ist  einfach  adverbialer  genetiv  =  in  dieser  nacht.  Solche 
genetive  sind  besonders  im  IL  teile  des  Faust  häufig,  und  Düntzers 
behauptung,  zugebracht  könne  nicht  ohne  angäbe  eines  empfangen- 
den im  dativ  stehn,  halte  ich  nicht  für  richtig. 

2823.  Wenn  Goethe  auf  Pherä  sagt,  so  ist  an  keine  Verwechs- 
lung des  inselnamens  Leuke  mit  dem  stadtnamen  Pherä  seinerseits 
zu  denken,  sondern  er  denkt  sich  Pherä  als  hochgelegene  befestigte 
Stadt.     Es  hatte  in  der  tat  eine  akropolis. 


454  SPRENGER 

31M».    Wo  bin  ich  denn?     Wo  will's  hinaus? 
Das  nur  ein  Pfad,  nun  isfs  ein   draus. 
Ich  kam  daher  auf  glatten   Wegen, 
und  jetzt  stellt  mir  Geröll  entgegen. 

bemerkt:    „Graus  bedeutet  hier  Steinhaufen,   geröll"  und  ver- 
weist dazu  auf  5525.    Eier  citiert  er  aus  Schm  eller -Fronunann  1,  1101» : 

„Die  prachtvolle  Stadt  Salzburg  war  ein  steingrauss  wur- 
den."    Ferner  verweist  er  auf  Adelung:   „Graus  —  zerbrochene  stücke 

in.  kalk.  Lehm  usw.  —  sofern  sie  von  eingefallenen  oder  verwüste-* 
gebäuden  herrühren."  Schon  die  lezte  beschränkung  hätte  Schröer 
warnen  müssen,  dieses  wort  hier  zur  erklärung  zu  verwenden.  Mhd. 
grüz,  worauf  unser  graus  (grauss)  zurückgeht,  bezeichnet  ursprüng- 
lich ein  sand-  oder  getreidekorn,  also  etwas  ganz  winziges,  daher 
auch  die  mhd.  verstärkte  negation  niht  ein  grü$;  sodann  auch  eine 
grossere  menge  von  solchen  körnern.  So  spricht  man  von  steinkohlen- 
grauss  (oder  nd.  -grüs>).  Unter  grauss  von  steinen  versteht  man  immer 
nur  kleine  zerbröckelte  Stückchen  von  steinen,  besonders  mauersteinen; 
für  felsgeröll  wird  es  niemand  anwenden.  Es  ist  aber  auch  kein  grund 
hier  von  der  gewöhnlichen  bedeutung  des  wortes  abzugehn.  Graus 
ist  etwas  schreck,  abscheu  erregendes.     So  3511  der  ('irre  Listen,  des 

■Inj,/,,  Qraus;  6166  der  allerletzte  Graus.  Zu  unserer  stelle  ver- 
weise ich  noch  besonders  auf  5457: 

Steigst  ah  in  solcher   Grünet  Mitten, 
Im  grässlich  gähnenden   Gesteint 

AVie  aber  ists  mit  dem  Bürger ualtrungsgreius  v.  5525?  Das  Deutsche 
wb.  gibt  das  wort  ohne  erklärung,  Schröer  erklärt  es  auch  in  dieser 
aufläge  als  ..ein  Steinhaufen,  in  dem  sich  der  bürger  nährt,  in  dem  er 
lebt  und  webt."     Die  stelle  lautet: 

Ich  suchte  mir  so  eine  Hauptstadt  aus, 
Im  Kerne  Bürgernahrungsgraus, 
Krummenge  Gässcheu.  spitze  Giebeln, 
Beschränkten  Markt,  Kohl.  Rüben,  Zwiebeln; 
Fleischbänke,  wo  die  Schmeissen  hausen, 
I)ir  fetten  Braten  anzuschmausen; 
Da  findest  du   vu  jeder  Zeit 
Gewiss  Gestank  und  Thätigkeit. 

Man  sieht,  dass  hier  die  hauptstadt  nicht  selbst  ein  bürgern ah- 
rungsgraus  genant  wird,  wie  oben  die  zerstörte  stadt  Salzburg  ein 
-teingrauss  (d.  h.  nichts  anderes  als   ein  trümmerhaufe).     Es  wird 


ZU    S0ETHE8    FAUST  455 

vielmehr  gesagt,  dass  im  kerne,  im  innern  derselben  „bürgernah- 
rungsgraus"  zu  finden  sei,  und  dieser  ausdruck  kann  sich  nur  bezie- 
hen auf  die  folgenden  zur  bürgerlichen  nahrang  (d.  h.  im  sinnt'  der 
Luthersehen  bibel:  hantierung,  handel  and  wandel)  gehörigen  gegen- 
stände, die  dein  Mephisto  wie  alles,  worin  sich  fruchtbare  menschliche 
tätigkeit  offenbart,  ein  graus  >i nd.  Übrigens  glaube  ich  nicht,  dass 
jenes  andere  graus  =  mini.  grü$  bei  Goethe  nachzuweisen  sein  wird. 
er  scheint  vielmehr  dafür  nur  die  in  Norddeutschland  algemein  ge- 
brauchte form  grüs  verwant  zu  haben,  s.  Weigand  I.  734. 

4448.  um  jenes  willen  kann  nur  auf  Deiphobus  bezogen  wer- 
den, nicht  wie  Schröer  meint  =  „aus  demselben  gründe,  deinet- 
wegen" erklärt  werden. 

5344.    Die  Flamme  freilich  ist  verschwunden, 
Doch  ist  mir  um  die   Welt  nicht  leid. 
Die  verse  sind  nur  wörlich  zu  fassen:    Obgleich  die  flamm«'  (der  dich- 
terische geist)  nicht  bei  den  Exuvien  ist.  so  beklagt  Mephisto  =  Phor- 
kyas  d<>ch  deshalb  die  weit  nicht.     Wenn   um  die    Welt  nicht  für  gar 
nicht,  nicht  im  geringsten  genommen  werden  solte,  so  müste  es  heis- 
sen:  Doch  ist  es  mir  um  die  weit  nicht  leid. 
5393  fgg.  singen  die  Najaden: 
Schwestern.1   Wir  bewegtem  Sin  nes,  eilen  mit  den   Bächen  weiter; 
Denn  es  reixen  jener  Feme  reichgeschmückte  Hügelxüge. 
Immer  abwärts,  immer  tiefer,  wässern    wir,  mäandrisch  wallend, 
Jetzt  die  Wiese,  dann  die  Matten,  gleich  den  Garten  um  das  Hans. 
Dort  bezeichnen' s  der  Cypresse?i  schlanke  Wipfel,  über  Landschaft, 
Uferxug  und  Wellenspiegel  nach  dem  Aether  steigende. 
Schwierigkeit  machen  die  beiden  lezten  verse.    Schröer  erklärt  sie  nach 
einer  mitteilung  v.  Loepers  folgendermassen :    „Dort  bezeichnen  cypres- 
sen  die  stelle  wo  das  haus  steht;  die  cypressen,  deren  wipfel  über  der 
landschaft,    uferzug    und    wellenspiegel    —    nach    dem    äther    steigen." 
Diese  erklärung  scheint  mir  in  soweit  nicht  richtig,    als  v.  Loeper  das 
es  in  bezeichnen 's  auf  das  haus  bezieht.     E±  bezieht  sich  vielmehr 
algemein   auf  den  ganzen   vorhergehenden   satz.      Nicht   die  stelle,    wo 
das  haus  steht,  sondern  der  ganze  lauf  des  gewassers  wird  von  cypr<  3- 
sen  eingefasst  und  dadurch  schon  aus  der  ferne  kentlich.     Goethe  ver- 
wendet sogar  das  auf  einen  ganzen  satz  bezüglich  v.  6255. 

5455.  Mephisto  tritt  mit  siebenmeilenstiefeln  auf  und  spricht: 
Das  heiss  ich  endlich  vorgeschritten! 
Endlich    kann    hier   in    keiner    der    jezt   gebräuchlichen    bedeutungen 
gefasst  werden,  sondern  es  ist  auf  die  noch  in  Luthers  bibeliibersetzung 


456  SPRENGER 


belegte  bedeutung  zurückzugreifen.     Hier  findet  sicli  Luc.  1,  39:  Maria 
ging  auf  das    Gebirge  endelich,    wo  in  der  Vulgata   cum  festinatione 
ht.    andere   Übersetzer   mit  eile,    eilends,    mit  fleiss,    munter  haben. 
Noch  1735  sagt  Günther  ironisch: 

Du   Falschheit  hielt  es  nicht  mit  dem  geschwinden    Volke 

Und  wg  so  endelich  als  eine  trübe   Wolke. 

Zu  5536  bemerkt  Schröer:  „Unter  rollekutschen  kann  man  sicli 
hier  kutschen  denken,  von  denen  die  pferde  mit  klingenden  schellen  = 
rollen  behangen  sind."  Ich  muss  gestehen,  dass  mir  eine  solche 
bedeutung  von  „rolle"  nicht  bekant  ist;  auch  sehe  ich  nicht  ein,  wes- 
halb wir  nicht  einfach  an  „rollen"  denken  sollen.  Auch  bei  der  bil- 
dung  di  -  compositums  zeigte  sich  Goethes  intuitives  genie  (s.  G.  v. 
Loeper,  Zu  Goethes  gebuchten,  Berlin  1866  s.  5):  er  hört  innerlich 
das  rollen  der  räder.  An  den  rolwagen  früherer  zeit,  welches  mit 
rollen  in  der  im  16.  Jahrhundert  üblichen  bedeutung:  mit  einem 
fuhrwerk  da  und  dorthin  fahren  zusammengesezt  ist,  braucht  man 
deshalb  nicht  zu  denken. 

5558.    Dann  aber  Hess'  ich  aller  schönsten  Frauen, 
Vertraut -bequeme  Häuslein  bauen; 
Verbrächte  da  grenze?ilose  Zeit 
In  allerliebst- gesell' ger  Einsamkeit. 
Die   einsetzung   des  artikels  die  vor  grenzenlose  verlangt   der  vers,    da 
der  dichter  in  diesen  versen   die  Senkung  nie  ausfallen   lässt.     Sie  ist 
aber  auch  deshalb  nötig,  weil  das  adjeetivum  hier  als  epitheton  ornans 
r'asst  werden  muss;    die  grenzenlose  zeit  ist  wol   dem  aretgawog 
yoöroj:  des  Plato  nachgebildet.     Zu  „das  grenzenlose  meer"  v.  6463 
i>t  zu  vergleichen  Eurip.  Medea  212. 

5699.  Hier  durfte  mit  Düntzer  bemerkt  werden,  dass  sich  Goethe 
des  sprichwörtlichen  „Das  ist  die  rechte  Höhe!"  auch  im  ersten 
•  ntwurf  des  Goez  (bd.  34,  73)  und  im  Clavigo  (bd.  9,  172)  bedient. 

6099.  die  Undinen  fasst  Schröer,  wol  im  gedanken  an  Fouque's 
ündine,  als  acc.  sing.;  es  ist  aber,  wie  der  Zusammenhang  ergibt, 
plural. 

6132.  das  OexwergvöUc.  Goethe  hat  auch  das  Gexicerge,  was  er 
ebenso  wie  kebsen  4445  wol  aus  den  Nibelungen  sich  angeeignet  hat 
(vgl.  str.  98,  1.     796,  3). 

6281  spricht  der  erzkämmerer: 
Wenn  Du    \nr   Tafel  gehst,  reich'  ich  das  goklne  Becken, 
Die   Ringe  halt  ich  dir.  damit  zur  Wonnexeit, 
'eh  deine  Hand  erfrischt,  nie  mich  dein  Blick  erfreut. 


ZU    GOETHES    FAUST  457 

Das  halten  der  ringe  wird  falschlich  auf  die  eigenschaft  des  kämmerers 
als  hüter  der  Schatzkammer  gedeutet;  es  ist  einfach  daran  zu  denken, 
dass  derselbe  dem  kaiser  die  fingt  nii ige,  die  er  beim  waschen  abgelegt 
hat,  hält 

6353.  Schrift  ist  was  6360  reinschrift  genant  wird;  Zag  der 
namenszug  des  kaisers,  die  Signatur. 

6444.  Es  ist  kein  grund,  wenn  anders  als  in  der  gewöhnliche!] 
bedeutung  zu  nehmen;  denn  der  Wanderer  weiss  ja  nicht,  ob  das  ehe- 
paar  noch  lebt.     Erst  nachher  erscheint  Baucis. 

6588.  Schröer  scheint  die. sprichwörtliche  redensart  „Das  ist  für 
die  lange  weile!"  d.  h.  „Das  ist  umsonst,  hat  keine  bedeutung" 
nicht  zu  kennen. 

7126.   Gesegn'  euch  das  verdiente  heisse  Bad! 
Man  kann  erinnern  an  die  worte  Baumgartens  im  Teil  1,1: 
Da  lief  ich  frisch  hinzu,  so  wie  ich   tear. 
Und  mit  der  Axt  hob'  ich  ihm's  Bad  gesegnet ! 

NORTHEIM.  R.    SPRENGER 


AUGUST  THEODOR  MÖBIUS. 


Wider  hat  der  unerbitliche  tod  einen  der  hervorragendsten  arbeiter  auf  dem 
gebiete  der  altnordischen  spräche  und  litteratur  hinweggeraft,  und  widerum  wage  ich 
es,  obwol  nicht  fachmann,  als  einem  meiner  ältesten  freunde  dem  geschiedenen  einen 
nachruf  zu  weihen  —  freilich  nur  gegen  die  Zusicherung  sachkundiger  Unterstützung 
einer  wissenschaftlich  berufeneren  feder. 

August  Theodor  Möbius  war  am  22.  juni  1821  zu  Leipzig  geboren.  Rein 
vater  war  der  bekante  mathematiker,  physiker  und  astronom  August  Ferdinand  Möbius 
(r  26.  September  1868),  seine  mutter  Dorothea,  geb.  Rothe  (f  9.  September  1851m. 
Theodor  war  von  ihren  drei  kindern  das  älteste.  Ein  jüngerer  bruder,  Paul  Heinrich 
August  Möbius,  der  bekante  schidmann,  war  zulezt  oberschulrat  in  Gotha;  ein«; 
Schwester,  Emilie  Auguste,  aber  war  die  frau  des  namhaften  astronomen  Heinrich 
Ludwig  d' Arrest,  welcher  seit  184S  als  observator  und  seit  1852  als  ausserordent- 
licher professor  in  Leipzig  mit  seinem  Schwiegervater  in  den  engsten  beziehungen 
gestanden  war,  bis  er  im  herbste  1857  einem  rufe  als  Ordinarius  nach  Kopenhagen 
folge  leistete,  in  welcher  Stellung  er  am  14.  juni  1875  starb.  Die  kindheit  und  die 
frühere  Jugend  der  drei  geschwister  war  eine  sehr  glückliche.  Der  alte  schlosshof 
der  Pleissenburg ,  in  welcher  sich  die  alte  Leipziger  Sternwarte  befand,  sowie  der 
nahegelegene  garten  bot  ihnen  die  reichste  gelegenheit  für  ihre  spiele;  die  mutter 
aber  wüste,  obwol  schon  frühzeitig  erblindet,  durch  ihre  ungewöhnliche  geistige 
begabung  und  ihre  grosse  heiterkeit  dennoch  ihrem  manne  und  ihren  kindern  eine 
glückliche  häusliehkeit  und  anregende  geselligkeit  zu  bereiten.  Gar  manche  männer, 
welchen  die  Wissenschaft  später  viel  zu  verdanken  hatte,  gingen  in  dem  hause  aus 
und    ein,    von    denen  Ernst  Heinrich    und  Wilhelm  Weber,    Fechner   und  Drobisch 


458  MAUKER 

ant  werden  mögen.     Seinem  elterlichen  hause  hat  denn  auch  der  verstorbene  stets 
die   innigste   anhänglichkeit   bewahrt,    wie   mir  selbst   manche   liebevolle   äusserungen 
sselben  zeigten. 

-  inen  vorbereitenden  unterrieht  erhielt  Theodor  Möbius  auf  der  bürgerschule, 
dann    auf   dem    gymnasium    zu    St.  Nicolai   in  Leipzig.     Eine   Zeitlang  hatte   ihn   ein 
g      •      3s     für  maierei  und   bildende   kunst   bestirnt,    sich  dem  künstlerberuf  zu 
widmen;    indessen   fügte   er   sich   doch    dem    dringenden   wünsche   seines  vaters    und 
sti  ra  1840  die  Leipziger  Universität,  und  zwar  ergriff  er  nach  längerem  zögern 
das  Studium  der  altklassischen,  später  der  germanischen  sprachen,  unter  welchen  ihn 
zumal  die  oordischen  dauernd  fesselten.     Von  ostem  1840  —  42  in  Leipzig,  dann  von 
-12  —  43  in  Berlin  studierend,    betrieb  er  unter  Gottfr.  Hermann  und  Haupt, 
dann  unter  Böckh  und  Lachmann  zunächst  die  klassische  philologie.  und  promovierte 
im  jähre  1S44  in  Leipzig,    ohne  dass,    so  viel  mir  bekant,    eine  inauguralabhandlung 
von  ihm  erschienen  wäre.     Noch   in   demselben  jähre  bestand  er  auch  das  Staatsexa- 
men für  die  candidatur  des   höheren   schulamtes,    und  eileilte   sodann   ein  jähr  lang 
Unterricht  an   dem  gymnasium   zu  St.  Nicolai.     Im  jähre  1845   an   der  Leipziger  Uni- 
versitätsbibliothek als  assistent  angestelt,    und   später   zum   I.  custos   befördert,    blieb 

in  diesem  dienst  bis  ostern  1861 ;  daneben  aber  habilitierte  er  sich  zu  ostern  1852 
an  der  Universität  und  eröfnete  am  17.  november  desselben  Jahres,  am  geburtstage 
3  vai  s,  seine  Vorlesungen.  Zwei  jähre  später  (1854)  verheiratete  er  sich  mit 
H'lene  "Wiesand  und  im  jähre  1859  wurde  er  zum  ausserordentlichen  professor  an 
der  philosophischen  facultät  in  Leipzig  ernant.  In  dieser  glücklichen  zeit  frischen, 
fröhlichen  aufstreben s  knüpften  sich  meine  persönlichen  beziehungen  zu  dem  geschie- 
denen freunde  an. 

Obwol  wir  gleichzeitig  in  Berlin  studiert  hatten,  waren  wir  doch  dort  nicht 
mit  einander  bekant  geworden,  da  die  richtung  unserer  Studien  damals  hiezu  keine 
veranlassung  geboten  hatte.  Möbius  war  in  Berlin  noch  ganz  der  klassischen  philo- 
logie nachgegangen,    ich   aber  hatte  dort  nur  ganz  nebenbei  einige  Vorlesungen  über 

manische  philologie  gehört,  im  übrigen  aber  lediglich  juristische  zwecke  verfolgt. 
Eist  um  ein  Jahrzehnt  später  brachte  die  convergierende  richtung,  welche  unsere 
tigen  Studien  inzwischen  eingeschlagen  hatten,  uns  in  persönliche  Verbindung 
mit  einander.  Nach  einer  gütigen  mitteilung,  welche  ich  seinen  töchtern  verdanke, 
war  Möbius  zunächst  durch  die  werke  des  schwedischen  dichters  Atterbom  (f  1855) 
auf  das  Studium  der  nordischen  litteratur  geführt  worden;  er  selbst  erzählte  mir  vor 
jahren.  dass  sein  dienst  an  der  bibliothek  ihn  zu  eingehenderer  beschäftigung  mit  der 
altnordischen  litteratur  veranlasst  habe,  um  der  Ordnung  und  Instandhaltung  des 
faches  gerecht  werden  zu  können.  Beide  angaben  sind  sehr  wol  vereinbar;  jedenfals 
aber  war   di^se   richtung  seiner  Studien    bereits   eingetreten,    als   er  sich  habilitierte, 

.'in  seine  abhandlung  pro  venia  legendi  handelte  «Über  die  ältere  isländische  saga" 

>2  .    und  den  gegenständ   seiner   Probevorlesung    bildete   „die  Edda".     Wenn  er 
ferner  zwar  den  gegenständ  seiner  Vorlesungen  noch  ebensowol  der  klassischen  philo- 

.ie1    entnahm   als   der  germani>ehrn   und   zumal   der  altnordischen2,    so  überwogen 
doch  weitaus   die  Vorlesungen   dieser  lezten  art;    überdies   suchte  und  fand  er  schon 

1)  Germania  nnd  Agricola  des  Tacitus;  Satiren  des  Persius. 

_  Altnordische  gTaramatik .  die  ältere  Edda ,  Island  und  altnordische  grammatik ,  altnordische 
altertumskunde ,  nordische  mytholoirk' :  ferner  '.'otische  gTammatik  .  angelsächsische  grammatik ,  altsäch- 
und  angelsächsische  grammatik .  einleitende  Übersicht  der  crormanisehon  sprachen  und  ihrer  älteren 
litteratur. 


AUGUST    THKODOR   MÖBIUS  459 

jezt  durch  widerholte  längere  besuche  in  Kopenhagen  (1849  und  1854)  und  Christiania 

(1854),  durch  die  benütz  ung  der  dortigen  bibliothekeu  und  durch  den  verkehr  mit 
den  dortigen  fachgenossen  eine  mächtige  förderung  dieser  seiner  Studien.  Nach  län- 
gerem schwanken  entschied  er  Bich  für  die  ooncentrierung  auf  das  nordische  gebiet, 
als  auf  ein  eng  begrenztes  und  damals  in  Deutschland  noch  sehr  wenig  bebautes 
arbeitsfeld.  Ich  hatte  inzwischen  vom  Studium  der  alten  deutschen  volksrechte  aus 
den  weg  zur  bearbeitung  der  angelsächsischen  und  altnordischen  rechtsgeschichte 
betreten,  and  ziemlich  gleichzeitig  mit  Möbius'  abhandlung  über  die  isländische  Baga 
war  auch  meine  schritt  über  die  i'iitsivhung  des  isländischen  Staats  und  seiner  Ver- 
fassung erschienen  (München,  1S.V2).  Es  begreift  sich,  dass  wir  sofort  in  brieflichen 
verkehr  traten.  Seine  im  jähre  1855  erschienene  ausgäbe  der  Blömstrvallasa 
schickte  mir  Möbius  bereits  zu,  und  erhielt  dafür  meine  Geschichte  der  bekehrung 
des  norwegischen  Stammes  zum  christentume  (1855  und  56);  seitdem  tauschten  wir 
alle  unsere  schritten  getreulich  aus,  und  unterstüzten  uns  auch  gegenseitig  nach  knif- 
fen in  unseren  arbeiten.  Als  Möbius  seinen  „Catalogus  librorum  Islandicorum  et  Nor- 
vegicorum  aetatis  mediae"  bearbeitete  (1856),  zog  er  mich  bereits  bezüglich  einzelner 
punkte  zu  rate,  und  als  ich  im  herbst  1857  zu  einem  längeren  aufenthalte  na<h 
Kopenhagen,  und  im  folgenden  jähre  zu  einem  noch  längeren  nach  Island  gieng, 
besuchte  ich  ihn  in  Leipzig,  um  mich  mit  ihm  über  die  bevorstehenden  reisen  zu 
beraten.  Damals  lernte  ich  auch  auf  der  durchreise  in  Leipzig  seine  liebenswürdi 
frau  und  seine  eitern,  sowie  in  Kopenhagen  seine  Schwester  und  seinen  Schwager 
kennen. 

In  wenig  späterer  zeit  trat  eine  tief  eingreifende  Wendung  im  leben  des  freun- 
des ein,  und  zwar  in  zwiefacher  richtung.  Nach  zehnjähriger  glücklicher  ehe  verlor 
derselbe  seine  frau,  und  kurz  darauf  starb  ihm  auch  sein  einziger  söhn;  andererseits 
erhielt  er  einen  ehrenden  ruf  als  ordentlicher  professor  nach  Kiel,  wohin  er  zu  ostern 
1865  abgieng,  nicht  ohne  durch  ein  feierliches  dankschreiben  von  16  seiner  Leip- 
ziger zuhörer  (8.  rnärz  1864)  geeint  zu  werden.  Schlug  ihm  jener  vertust  eine  nie 
vernarbte  wunde,  so  versprach  die  neugewonnene  Stellung  sehr  erhebliche  vorteile, 
welche  den  schwer  getroffenen  allenfals  wider  aufrichten  konten.  Möbius  konte  sich 
fortan  ganz  auf  die  germanische,  und  insbesondere  auf  die  nordische  philologie  zurück- 
ziehen, deren  betneb  ihm  sogar  teilweise  zur  ganz  besonderen  pflicht  gemacht  war; 
seine  Vorlesungen  und  seminaristischen  Übungen  bewegten  sich  denn  auch  lediglich 
auf  nordischem1  oder  doch  germanischem  gebiete2,  und  nur  etwa  eine  Vorlesung 
über  die  Germania  des  Tacitus  erinnerte  allenfals  noch  an  den  früheren  klassischen 
Philologen.  Dazu  ist  die  läge  der  Kieler  Universität  eine  für  den  betrieb  der  nor- 
dischen Studien  ungemein  günstige.  Die  langjährige  Verbindung  der  herzogtümer  mit 
Dänemark  führte  ihrer  Universitätsbibliothek  mancherlei  nordische  litteratur  zu,  welche 
anderwärts  nicht  so  leicht  zu  finden  war,  und  die  bequemen  Verbindungen  mit  Kopen- 
hagen erleichtern  gar  sehr  den  besuch  der  dortigen  bibliotheken,  einen  vorteil,  wel- 
chen Möbius  auch  nicht  versäumte  auszunützen.  Dennoch  vermochte  dieser  an  sei- 
nem neuen  Wohnorte  nicht  recht  heimisch  zu  werden.  Anfangs  mochten  dabei  wol 
zum  teil  vorübergehende  Verhältnisse  mitwirken,  wie  sie  eben  zur  zeit  seiner  Über- 
siedelung bestanden.     Die  besetzung  des  landes  und  dessen  annexion  an  Preussen  war 

1)  Übersicht  der  nordischen  sprachen ,    altnordische  grammatik  und  litteratnr .    dänische  spräche 
und  litteratnr ,  dänische  Übungen. 

2)  Angelsächsische  grammatik  und  litteraturgeschichte .  erklärung  des  ags.  gedientes  Elene .  goti- 
sche Übungen. 


460  MAURER 

soeben  erst  erfolgt  oder  auch  noch  im  werden  begriffen;  die  dänischredenden  Xord- 
schleswiger  nicht  nur.  sondern  auch  eine  reihe  entschieden  deutsch  gesinter,  aber  am 
alten  rechte  des  landes  und  seiner  angestamten  dynastie  festhaltender  männer  stand 
in  folg  Bsen  der  preussischen  regierung  und  damit  auch  dem  von  ihr  ernanten 
pr  3S  mehr  oder  minder  ablehnend  gegenüber.  Auch  die  beziehungen  zu  Kopen- 
hagen  wurden  durch  diese  zustünde  zunächst  erschwert,  indem  man  dort  dem  deut- 
-    len   pi  ssen  Vorgänger  auf  dem   lelirstuhle   geradezu  die  aufgäbe  gehabt 

hatte,  für  die  erstarkung  uud  ausbreitung  des  Dänentums  in  Schleswig  zu  wirken, 
zwar  mit  gemessener  höfliehkeit.  aber  doch  auch  mit  einer  leicht  erklärlichen  abnei- 
gung  und  kälte  entgegenkam.  Neben  diesen  mit  der  zeit  sich  abschwächenden  Stim- 
mungen machte  sieh  aber  auch  der  weitere  umstand  geltend,  dass  Möbius  als  ein 
eil  ^  hter  Leipziger  das  leben  ausserhalb  seiner  Vaterstadt  an  und  für  sich  schon 

als    ein    schwer    ertragliches    empfand    und    auch    in    seinen    gelehrten    arbeiten    die 

[uemlichkeiten  schwer  vermisste,  welche  ihm  der  centralsitz  des  deutschen  buch- 
handels  bisher  geboten  hatte.  Endlich  aber,  und  dies  ist  wol  die  hauptsache,  hatte 
Möbius  durch  den  frühen  tod  seiner  frau  die  rechte  lebensfreudigkeit  verloren.  Eine 
stille,  beschauliche,  arbeitsame  natur,  war  er  wie  wenige  auf  ein  ruhiges  familien- 
leben  angewiesen:  sein  tiefes  gemüt  bedurfte  desselben,  und  sein  heiter  angelegter 
sinn,    sein  warmes   wolwollen  gegen  jedermann  wäre   in   hohem   grade   dazu  angetan 

vesen,  ihm  selbst  und  den  seinigen  ein  behagliches  heim  zu  schaffen.  Wol  gelang 
es  ihm.  in  der  erzieherin  seiner  frau  eine  verlässige  leiterin  seines  haushaltes  und 
eine  vortrefliche  erzieherin  seiner  drei  töchter  zu  gewinnen.  Wol  bemühte  er  sich 
überdies  selbst,  durch  innigstes  zusammenleben  mit  seinen  töchtern  und  freundlichste 
teilnähme  an  deren  interessen  ihnen  den  verlust  der  mutter  weniger  fühlbar  zu 
machen.  Aber  weder  ihm  selbst  noch  den  töchtern  liess  sich  die  verlorene  haus- 
mutter  ihrer  vollen  persönlichkeit  nach  ersetzen. 

Trotz  allem  mangel  an  innerer  befriedigung  arbeitete  Möbius  dennoch  in  Kiel  treu 

und  unverdrossen  weiter,  wie  er  es  früher  unter  glücklicheren  umständen  in  Leipzig 

getan  hatte,    und   neben  seiner  segensreichen  lehrtätigkeit  wirkte  er  auch  auf  littera- 

schem  gebiete   in   erfolgreichster  weise.     Seine  Schriften  greifen  in  die  verschieden- 

d  gebiete  der  altnordischen  philologie  ein.  Zum  teil  bringen  sie  quellenausgaben, 
wie  die  bereits  erwähnte  Blomstrvallasaga  (Leipzig  1855),  die  gemeinsam  mit  Guct- 
brandur  Vigfüsson  besorgten  Fornsögur  (Leipzig,  1860),  die  Edda  Sremundar  (Leip- 
-  1860),  die  Islendingabok  (Leipzig  1869),  die  Islendingadräpa  (Kiel  1874),  das 
Ifattatal  Snorris  (Halle  1879  und  81),  die  Kormaks  saga  (Halle  1886),  an  welche 
sich  noch  das  AlälshättakvsecTi  (1873),  welches  der  ergänzungsband  zur  zeitschr.  für 
deutsche  phil.  (Halle  1874)  bringt,  sowie  eine,  manche  zuvor  noch  nicht  heraus- 
gegebene stücke  bringende  samlung  von  textproben  anreiht,  welche  unter  dem  titel 
„Analecta  norroena"  in  zwei  ausgaben  erschien  (Leipzig  1859  und  1877).  Zum  teil 
behandeln  sie  einzelne  teile  der  nordischen  litteraturgeschichte ;  so  schon  die  oben 
erwähnte  abhandlung  über  die  ältere  isländische  saga  (Leipzig  1852),  so  aber  auch 
ein  Vortrag  über  die  altnordische  philologie  im  skandinavischen  norden  (Leipzig 
1864)  und  sein  nordischer  litteraturbericht  in  der  ztschr.  f.  d.  phil.  bd.  I  (1869). 
Grammatischer  art  ist  seine  Schrift  über  die  dänische  formenlehre  (Kiel  1871),  lexi- 
kai  ein  altnordisch-  ssar  (Leipzig  1866),   welches  zunächst  im   anschluss  an 

ine  Analecta  norroena  erschien:  auf  die  metrik  beziehen  sich  eine  abhandlung  über 
das   stef  im   18.  bände   der  Gern  ania.    und  eine   solche  über  den  mansöngr,    welche 

iner  ausgäbe  des  MalsbattakYsedi  beigegeben  ist,    sowie  zahlreiche  bemerkungen  in 


AUGUST  THEODOR  MÖBIUS  461 

der  ausgäbe  des  Hättatal.     Vielleicht  die   verdienstlichste   unter  allen   seinen  leistun- 
gen  ist  aber  sein  „Catalogus  libromm   [slandicorum  et  Norvegicorum  aetatia  mediae 

editorum,  versorum  illustratorum"  (Leipzig  185(3),  samt  dem  ihn  fortführenden  „Ver- 
zeichnis der  auf  dem  gebiete  der  altnordischen  spräche  und  litteratur  von  1855  bis 
1879  erschienenen  Schriften"  (Leipzig  1880).  In  knapster  form  bietet  der  Verfasser 
in  diesen  beiden  bänden  nicht  nur  die  gesamten  bibliographischen  angaben  über  die 
einschlägigen  quellenausgaben,  wie  sie  eben  nur  ein  in  längerem  praktischem  dienst 
geschulter  bibliothekar  mit  solcher  pünktlichkeil  geben  konte,  sondern  auch  eine  mit 
seltenem  geschick  gemachte  Zusammenstellung  der  zu  ihrem  sprachlichen  und  Bach- 
lichen Verständnisse  diensamen  hülfswerke,  von  den  umfangreichsten  grammatiken, 
Wörterbüchern  u.dgl.  herab  bis  zu  den  anscheinbarsten  aufsätzen  in  Zeitschriften  und 
tageblättern.  Niemand,  der  überhaupt  auf  altnordischem  gebiete  arbeitet,  kann  die- 
ses vortrefliche  hilfsmittel  entbehren,  —  niemand,  der  es  gebraucht,  kann  es  ohne 
das  gefühl  wärmsten  dankes  aus  der  band  legen.  Erst  vor  wenigen  tagen  sagte  mir 
einer  der  ersten  kenner  der  nordischen  bibliographie,  W.  Fiske,  dass  er  imCatalogus 
nur  einen  einzigen  fehler  zu  entdecken  vermocht  habe,  nämlich  die  doppelte  angäbe 
der  Jahreszahl  bei  der  ausgäbe  der  Islendingabok  des  A.  Bussäus,  und  auch  diese 
erklärt  sich  aus  der  tatsache,  dass  das  im  jähre  1733  erschienene  buch  hinterher 
wirklich  ein  neues  titelblatt  mit  der  jahrzahl  1744  vorgesezt  erhielt!  Dieselbe  abso- 
lute verlässigkeit  und  Sauberkeit  der  arbeit  zeichnet  aber  auch  alle  übrigen  werke 
aus,  die  aus  seiner  feder  kamen,  und  zumal  seine  quellenausgaben.  In  ihnen  allen 
findet  man  nicht  nur  einen  auf  grund  der  besten  verfügbaren  handschriften  mit  [ 
ter  umsieht  und  Pünktlichkeit  festgestelten  text,  sondern  es  gibt  auch  stets  ein  Vor- 
wort über  die  benüzten  handschriften,  deren  spräche  und  Schreibweise,  die  art  ihrer 
benützung,  die  etwaigen  früheren  ausgaben,  und  wo  möglich  auch  über  alter  und 
entstelmngsgeschichte  der  quelle  selbst  allen  wünschenswerten  aufschluss,  während 
andererseits  auch  durch  die  beigäbe  genauer  indices,  allenfals  auch  einer  Übersetzung, 
kurzer  glossarien  und  erklärender  anmerkungen  u.  dgl.  m.  für  das  leichtere  Verständ- 
nis und  die  bequemere  benützbarkeit  des  textes  gesorgt  zu  sein  pflegt.  Mit  den 
angeführten  werken  ist  übrigens  die  litterarische  Wirksamkeit  des  mannes  selbstver- 
ständlich keineswegs  erschöpft;  vielmehr  komt  noch  eine  lange  reihe  kürzerer  auf- 
sätze  und  zumal  eingehender  besprechungen  fremder  arbeiten  hinzu,  welche  Möbius 
zumal  in  der  Zeitschrift  für  deutsche  philologie,  aber  auch  in  der  Germania,  in 
Gersdorfs  repertorium ,  im  Arkiv  for  nordisk  filologi  und  anderwärts  veröffentlichte; 
überdies  darf  nicht  verschwiegen  werden,  dass  er  mit  derselben  bereitwilligkeit  für 
die  arbeiten  anderer  rat  und  tätige  beihilfe  spendete,  wie  er  selbst  fremden  rat  ein- 
zuholen keinen  anstand  nahm,  soweit  er,  wie  dieses  zumal  bezüglich  der  realien 
hin  und  wider  der  fall  war,  in  einzelnen  fragen  dessen  zu  bedürfen  glaubte.  Gebend 
wie  nehmend  war  er  jederzeit  der  gleiche  selbstlose,  bescheidene,  das  eigene  können 
und  wissen  nur  zu  sehr  unterschätzende  freund,  dem  es  nur  um  die  Sache,  nie  um 
den  eigenen  rühm  zu  tun  war.  Äussere  ehren  fehlten  ihm  nicht,  obwol  er  sie  nicht 
suchte.  Ich  erwähne,  ohne  für  volständigkeit  einstehen  zu  wollen,  dass  er  ehren- 
mitglied  des  Islenzka  bokmentafelag  war  (gewählt  am  16.  mai  1860,  von  der  Kopen- 
hagener abteilung),  ferner  mitglied  des  Videnskabs  Selskab  in  ('hristiania  (17.  februar 
1882),  des  Kongel.  danske  Yidenskabernes  Selskab  (10.  april  1885)  und  des  Kongel. 
nordiske  Oldskriftselskab  (29.  Januar  1889);  durch  ihn  selbst  erfuhreu  sogar  die 
nächststehenden  freunde  nichts  von  solchen  ihm  gewordenen  auszeichnungen. 


462  MAURER    UND   BERING 

Zum  Lebenslaufe  dos  geschiedenen  freundes  zurückkehrend,  habe  ich  nur  uocb 
•i  einer  zeit  schweren   leiden-   zu   berichten.     Nicht  alzulange  nach  seiner  Übersie- 
delung nach  Kiel  wurde   er  von   einem   lästigen   magenleiden  befallen,    welches  dem 
zu    anregender    geselügkeit    sehr    veranlagten    manne    diese    immer  weniger  möglich 
machte.     Sein  an  sich  heite  müt  wurde  durch  die  peinlichen  schmerzen,   welche 

-  leiden  ihm  brachte,    uud  durch  die  vielfachen  entbehrungen,  welche  es  ihm  auf- 
erl  almählich  getrübt,  zumal  da  zu  den  [Magenbeschwerden  noch  eine  erkrankung 

der  hinge  hinzutrat,  welche  die  lästigsten  atmungsbeschwerden  mit  sich  führte.   Schon 
im  jähre  als  ich  den   lieben   freund  gelegentlich  einer  reise  nach  Norwegen  in 

l  besuchte,  fand  ich  ihn  sehr  verändert;  seitdem  steigerten  sich  seine  leiden  fort- 
während, und  im  jähre  lsss  hatten  die  asthmatischen  besohwerden  bereits  so  sehr 
überhandgenommen,  dass  er  sich  genötigt  sah  um  einen  längeren  Urlaub  zum  behufe 
einer  ernsthaften  kur  nachzusuchen.  Den  ganzen  winter  1888  —  89  brachte  er  in 
Heran  zu.  wo  er  zwar  einige  linderung,  aber  keine  heilung  seiner  leiden  fand. 
-  aweren  herzens  ergab  er  sich  darein,  um  seinen  abschied  einzukommen,  wel- 
cher ihm  auch  unter  Verleihung  des  titeis  eines  geheimen  regierungsrates  verwilligt 
wurde.   Die  lezten  Vorlesungen,  welche  er  für  das  Wintersemester  1888/89  angekündigt, 

ir  nicht  mehr  gehalten  hat,    solten   über  dänische   spräche  und  litteratur  handeln, 

imd   er  wolte   ausserdem   noch   eine   erklärung    ausgewählter  altnordischer  prosatexte 

. .    sowie   gotische  Übungen   abhalten.  —  Im  herbste   des  vorigen  Jahres  siedelte 

Iföbius  nach   seiner  Vaterstadt  Leipzig  über;    aber  so  innig  er  zeitlebens   an   dieser 

gehangen   und   so  schwer  er  seinerzeit   den  wegzug  von   derselben  empfunden  hatte, 

wenig  befriedigte  ihn  doch  jezt  die  rückkehr  dahin.  Sein  bruder,  welcher  gleich- 
fals  in  den  ruhestand  getreten  war.  und  mit  welchem  er  in  Leipzig  zusammenzuleben 

acht  hatte,  war  kurz  vor  seinem  umzuge  dahin  plötzlich  gestorben.  Seine  alten 
bekamen  waren  während  der  langen  dauer  seiner  abwesenheit  grossenteils  auch  gestor- 
ben <»der  verzogen.  Die  stadt  selbst  endlich  kam  ihm  zufolge  des  ge waltigen Jauf- 
-'•hwunges,  den  sie  genommen,  und  der  namhaften  ausdelmung,  die  sie  gewonnen 
hatte,    fremd   und  unheimlich   vor.     Neben  diesen  ihn  gemütlich  verstimmenden  din- 

i  nahm   auch   sein  körperlicher  verfall  zu   und  nötigte  ihn,    zumal  in  der  strenge- 

d  jahre.-z-it.    immer  mehr  zur  beschränkung  auf  sein  haus;    nur  die  zärtliche  liebe 

zu  seinen  töchtern  und  sein  unerschütterliches  gottvertrauen  hielt  ihn  in  dieser  schwe- 

•    noch  aufrecht.     An   allem,    was   seine  Wissenschaft    betraf,    nahm    er    noch 

immer  regen  anteil.  und  E.  Mogk,  mit  dem  er  noch  viel  und  gern  über  einschlägige 

fragen   verkehrte,    schreibt  mir,    dass  er  sich   dabei   noch  volständig  als  herr  seines 

alten   wissens   erwies  und  höchstens   einige   abnähme   seines  gedächtnisses  zu   zeigen 

dien.     Ein  blutsturz.    der  ihn   im  laufe   des  winters  befiel,    zeigte  ihm,    dass  sein 

leben   sich    zum   ende    neige.      Grosse  freude    bereitete    ihm    noch    ein    besuch,    den 

H.  Gering  ihm  um  ostern  abstattete.     Nicht  lange  darauf  sah  ihn  E.  Mogk   und  fand 

ihn   rege   wie  lange   nicht.     AV.-nige   tage    später    aber  glitt  er   in  der  akademischen 

•halle  aus.    indem  er  einige  stufen   übersah,    und   erlitt  durch   diesen  fall  innere 
Verletzungen    im   gehirn.      Seitdem   war    sein  geist   uindüstert.      Eine  vorübergehend 
.  -      iofnung  auf  genesu  ich  trügerisch,  obwol  das  bewustsein  zeitweise 

widerkehrte.  Am  25.  april  entschlief  er,  nachdem  er  tags  zuvor  noch  die  lezto 
(IT.)  lieferung  von  Joh.  Fritzners  Wörterbuch  erhalten,  aufgeschnitten  und  eifrig  durch- 
blättert hatte.  Es  war  das  lezte  werk  aus  seiner  Wissenschaft,  welches  ihn  beschäf- 
-  .ntag  den  27.  april,  nachmittags  4  uhr,  wurde  er  ins  grab  gelegt.  Möge  ei 
sanft  und  friedlich,  wie  er  gelebt,  in  ihm  ruhen! 

MÜNCHEN,    22.    JUXI    1890.  K.    MAURER. 


At'GUST   THEODOR    MÖBIUS  463 

Der  ausdrückliche  wünsch  des  Verfassers  der  vorstehenden  Zeilen,  nicht  min- 
der aber  auch  der  drang  des  aen  herzena  veranlassen  mich,  auch  meinerseits  dem 
dahingeschiedenen  freunde  ein  paar  worte  treuen  gedenkens  In  die  ewigkeit  nach- 
zurufen. 

Was  Theodor  Möbius  als  gelehrten  auszeichnete,  war  die  in  der  strengen  schule 
der  klassischen  philologie  erworbene  methode  und  die  peinlichste  gewissenhaftigkeit; 
diese  beiden  Vorzüge  befähigten  ihn,  obwol  er  an  genialer  begabung  hinter  ande- 
ren koryphäen  seiner  Wissenschaft  zurückstand,  hervorragendes  in  dieser  zu  Leisten. 
Er  war  ein  philologe  alten  Bchlages;  daher  beschränken  sich  seine  arbeiten  —  von 
den  beiden  von  K.  Maurer  nach  verdienst  gewürdigten  bibliographischen  handbüchern 
abgesehen  —  auf  textkritik,  grammatik,  metrik  und  Lexikographie.  Was  er  auf  die- 
sen gebieten  gesehaffen  hat,  darf  in  seiner  art  als  mustergiltig  bezeichnet  werden: 
so  z.  b.  seine  ausgaben  des  Hattatal  und  der  Cormakss  sein  altnordisches  glossar 

und  die  kleinen  abhandlungen  vom  stef  und  vom  mansQngr;  die  lezten  beiden  >'u»\ 
wahrhaft»'  kabinetsstücke  besonnenster  Überlegung  und  sauberster  ausführung.  Lin- 
guistik  und  phouetik  lagen  ihm  ferner;  er  sah  auf  die  staunenswerten  Fortschritte,  die 
diese  beiden  Wissenschaften  in  den  lezten  Jahrzehnten  gemacht  haben,  mit  einem 
gefühle  scheuer  ehrfurcht. 

Denn  der  schranken  seines  Vermögens  war  er  in  seiner  rührenden  bescheiden- 
heit  sich  sehr  wol  bewust.  Diese  bescheidenheit,  die  so  weit  gieng,  dass  er  viel 
leichter  durch  lob  als  durch  tadel  verlezt  werden  konte,    war  in  isser   bezieh« 

ein  fehler,  da  sie  ihn  einerseits  zur  Überschätzung  fremden  Verdienstes,  andererseits 
zur  unterSchätzung  seiner  eigenen  begabung  veranlasste.  Öfter  hätten  seine  fei  sehun- 
gen zu  bedeutenderen  ergebnissen  geführt  und  an  selbständigem  werte  gewonnen, 
wenn  er  sein  eigenes  klares  urteil  nicht  unter  die  autorität  von  männern  gebei.  I 
hätte,  zu  denen  er  bewundernd  emporschaute. 

Innerhalb  der  angegebenen  grenzen  war  die  beherschung  seines  faches  »'ine 
volkommene.  Sein  ausserordentliches  gedächtnis  und  seine  ausgebreitete  belesenheit 
hat  sicherlich  jeden  in  staunen  versezt,  der  das  glück  hatte,  ihm  näher  zu  treten. 
Und  diese  gelehrsamkeit  erstreckte  sich  nicht  bloss  auf  das  altnordische  gebiet,  auf 
dem  er  mit  Vorliebe  arbeitete,  sondern  auch  auf  die  modernen  nordischen  sprachen, 
wovon  —  was  das  dänische  betrift  —  seine  «Dänische  formenlehre"  das  rühmlich-- 
zeugnis  ablegt,  das  einzige  wirklich  wissenschaftliche  lehrbuch  dieser  Bprache,  welches 
auf  dem  deutschen  markte  erschienen  ist,  das  nur  den  einzigen  fehler  hat,  dass 
seine  regeln  zu  ausschliesslich  aus  büchern  abstrahiert,  zu  wenig  durch  beobachtung 
der  lebenden  spräche  controliert  und  berichtigt  sind.  Diese  in  allen  feinheiten  und 
besonderheiten  der  ausspräche  zu  erfassen  und  widerzugeben  —  was  volkommen 
kaum  einem  Deutschen  und  annähernd  gewöhnlich  nur  dem  Norddeutschen  gelingt  — 
hinderte  ihn  schon  sein  heimatlicher  dialekt,  den  er  nie  verleugnete:  er  selbst  erzählte 
mit  gutem  humor,  welche  heiterkeit  sein  Leipziger  dänisch  anfangs  bei  den  nord- 
schleswigschen  Studenten  erregte  —  später  hat  dann  natürlich  das  spöttische  lächeln 
aufrichtiger  hochachtung  vor  dem  gründlichen  und  vielseitigen  wissen  des  lehr, 
platz  gemacht.  Ein  ähnliches  handbuch  der  schwedischen  grammatik  zu  schreiben, 
ist,  wie  mancher  andere  plan,  leider  unausgeführt  geblieben.  Am  meisten  wird  man 
bedauern,  dass  die  samlung  der  skaldischen  dichtungen,  die  er  gemeinsam  mit Gudbr. 
Vigfusson  herausgeben  wolte  —  einen  handschriftlichen  entwurf  und  eine  druckprobe 
hat  E.  Mogk  unter  den  nachgelassenen  papieren  vorgefunden  —  nicht  zu  stände 
gekommen  ist:    die  glänzende  divinations-  und  combinationsgabe  des  gelehrton  Islän- 


464  GF.KIX'. 

rs  hätte,    durch  die  besonnene  methode  von  biöbii  ügelt,   ein  wahrhaftes  Stan- 

dard work  schaffen   können,    während   dem    „Corpus  poeticum",    das  Vigfusson   nach 
rhangnisvoUen    Übersiedelung    nach  England   bearbeitete,    dieser    ruhmestitel 
käuflich  \  werden  mus 

Die  lehrtätigkeit.   die  Möbius   in  Kiel   auf  dem  felde  seiner  Specialwissenschaft 
entfaltete,  kam  nur  einem  kleineren  kreise  zu  gute,  und  dass  seine  Vorlesungen  nicht 
oselben   Zuspruch  fanden,    wie  an  der  grossen  Universität  seiner  heimatsstadt,    hat 
.ich  viel  dazu  beigetragen,    dass   er   nur  schwer  in  dem  neuen  Wohnorte  sich 
Die  Ursachen  des  geringen  erfolges  waren  nicht  persönlicher,  sondern  sach- 
licher natur.     Die   nordische  philologie  wird,    da   sie   nicht  zu   den   eigentlichen   brot- 
gehört,   trotz   ihrer  unermesslichen   Wichtigkeit   für   die   germanische   sprach - 
und  kulturw  haft  überall  in  Deutschland   nur  von  wenigen  Studenten   betrieben, 

uud    auf   einer    so    kleinen    hochschule    wie    Kiel    kann    die    zahl    derselben    natur- 
3S    nur    eine    minimale   sein.     Dazu  kommt,    dass  Kiel  zur   zeit   der  fremdher- 
>cbaft  ein  brenpunkt  der  deutsch -patriotischen,    mithin  anti-  dänischen  bestrehmigen 
war,    und  dass  seine  Studentenschaft  ihrer  grossen  mehrzahl  nach  stets  der- 
zeit hatte:    kein  wunder  daher,    dass  infolge    dieser  antipathien,    die 
auch    nach   der  widergewinnung    der    herzogtümer    noch    fortwirkten,    der    skandina- 
n  altertmnskunde  in  der  deutschen  nordmark  nur  wenige  jünger  erstanden.    Der 
eiuzige  bedeutendere  schüler.  den  Möbius  gehabt  hat,  der  zu  früh  verstorbene  Anton 
:ardi.    war  kein  Schleswig -Holsteiner,    und  der  einzige,    der    auf  eine  nordische 
tation   bei   ihm  promovierte  (Fr.  Sueti),    kam  aus  Österreich.     Li  seinem  berufe 
wirken  zu  können,  war  jedoch  für  Möbius  lebensbediugung,  und  daher  dehnte  er  den 
kreis  seiner  Verlesungen  auch  auf  nachbargebiete  aus,    wo   er  grössere  beteiligung  zu 
finden  hoffen  durfte,  auf  das  gotische  und  das  angelsächsische. 

Meine  persönliche  bekantschaft  mit  Möbius  datiert  seit  dem  frühjahr  1877,  wo 
ich.  im  begriff  meine  erste  nordlandsfahrt  anzutreten,  zum  ersten  male  sein  freundliches 
haus  auf  der  Dammstrasse  betrat,   das  vorher  und  nachher  so  manchen  andern  fach- 
genossen.   Deutsche    wie    Skandinavier,    gastlich    aufgenommen   hat.      Damals    war, 
wol  das  magenleiden  bereits  zum  ausbrach  gekommen  war.  sein  körperliches  befin- 
den noch  ein  erträgliches :    er  konte  ab  und  zu  noch  an  anregender  geselligkeit  teil- 
nehmen und  weitere  Spaziergänge  sich  gestatten.     Bald  aber  begannen  in  seinen  brie- 
fen  die  klagen  küber  die  Verschlimmerung  seines   zustandes.     Das   gehör  des  rechten 
obres  —   auf  dem   linken  war  er  schon  seit   seiner  knabenzeit  völlig  taub  —  drohte 
auch    zu    schwinden,    und    ein   brustübel    entwickelte    sich    in  immer  bedrohlicherer 
Gleichwol  vermochte   er  noch   aljährlich  —   meist  in   begleitung  seiner  töch- 
—  grössere  oder  kleinere  reisen  zu  unternehmen.     1884  war  er  zum  lezten  male 
in  Kopenhagen,   wo   er  trotz   schwerer  leiden,    die   das  ungünstige  werter  noch  stei- 
gerte,   mehrere   wochen   hindurch  täglich   stundenlang  auf  der  universitäts-bibliothek 
arbeitete,   um  die  abschrift   der  Kormakssaga,   die  er  bald  darauf  edierte,   zu  stände 
zu  bringen.     Inzwischen  drängte  sich   die  Überzeugung,  dass   das  ende  nicht  mehr 
fern  sei.  ihm  immer  mehr  auf.     Um   seinen   töchtern  bei  Beinern  abieben  keine  sorge 
zu  hinterlassen,   verkaufte  er  im  frühjahr  1886  sein  haus  und  bezog  eine  mietswoh- 
nung.     Früher  als  er  und  seine  freunde  geahnt,    solte   er  auch   diese  verlassen.     Als 
im    april    1889    von    Meran  zurückkehrte,    war    die    Übersiedelung    nach    Leipzig 
-en.    und  nur  noch    für  wenige  monate   Latte   ich    die   freude,    einen  regel- 
mässigen verkehr  mit  ihm  zu  pflegen.     Man   fand   algemein.   dass   der  anfenthalt   im 
Süden   einen   sehr  vorteilhaften   einfluss   auf  seinen   zustand   ausgeübt  habe,   und  gab 


AUGUST   THEODOR   MÖBIUS  465 

h  daher  clor  hofhung  hin,  dass  er  in  dem  milderen  mitteldeutschen  klima  noch 
längere  zeit  uns  erhalten  bleiben  würde.  Leider  schlug  diese  hofnung  fehl.  Als  icb 
im  april  d.  j.  ihn  besuchte,  konte  ich  mir  nicht  verhehlen,  dass  der  verfall  der 
kräfte  in  erschreckender  weise  fortgeschritten  war.  Das  gespräch,  das  er  mit  mir 
und  Mogk  führte,  strengte  ihn  sichtlich  an;  wir  hielten  es  daher  Cur  geboten,  uns 
bald  zu  entfernen.  Wir  besprachen  dann  noch  den  plan,  ihn  zu  seinem  im  jähre 
1801  bevorstehenden  70.  geburtstage  mit  einer  litterarischen  gäbe  zu  erfreuen;  aber 
die  berurchtung,   dass  er  diesen  t.  sht  mehr  erleben  würde,   kam  dabei  zum  aus- 

druck.     Sie   war  nur  alzu  begründet:    kaum    nach  Kiel   zun,  ihrt,   empfieng   ich 

die  schmerzliche  nachricht  von  seinem  heim 

lüöbius  war  ein  Charakter  ohne  falsch  und  fehl,  eine  anima  Candida.  Die 
höfliche  freundlichkeit  und  gefälligkeit,  die  man  an  den  Sachsen  als  traditionelle  und 
anerzogene  Vorzüge  rühmt,  beruhte  bei  ihm  auf  wahrer  herzensgute,  und  so  erklärt 
es  sich,  dass  er  geneigt  war  einen  mangel  an  Urbanität  geradezu  als  einen  mora- 
lischen fehler  zu  betrachten.  Er  selbst  bi  ii<  issigte  sich  auch  in  seiner  polemik,  die 
stets  streng  sachlich  blieb,  der  grösstmöglichen  milde,  und  nur  in  vertraulichen 
brieten  äusserte  er  sich  zuweilen  in  rückhaltloser  weise,  wenn  eine  leichtfertige  und 
gewissenlose  arbeit,  ein  Verstoss  gegen  den  wissenschaftlichen  anstand  oder  ein  hä 
lieber  auswuchs  des  coteriewesens,  das  ihm  in  tiefster  seele  zuwider  war.  seinen 
Unwillen  erregt  hatte.  In  seinen  Schriften  entsinne  ich  mich  nur  einmal  ein  schar!  . 
aber  gerechtes  urteil  gelesen  zu  haben,  und  dieses  hatte  die  sitliehe  entrüstung  über 
einen  hochmütigen  dilettanten  diktiert,  der  es  gewagt  hatte,  Jacob  Grimms  andenken 
öffentlich  zu  beschimpfen.  —  Wo  man  seines  rates  oder  seiner  hilfe  bedurfte,  wurde 
beides  bereitwilligst  gewährt;  fremde  arbeit  wird  selten  in  so  selbstloser  und  auf- 
opfernder weise  gefördert  sein,  wie  durch  ihn.  Ich  selbst  habe  während  der  drei- 
zehn jähre  unserer  bekantschaft  bei  meinen  wissenschaftliehen  bestrebungen  seine 
wolwollcnde  teilnähme  und  seinen  treuen  beistand  in  reichstem  masse  genossen,  und 
war  gewohnt,  meine  plane  brieflich,  oder  mündlich  mit  ihm  zu  erörtern.  Der  Ver- 
lust, den  ich  durch  sein  abscheiden  erlitt,  ist  somit  unersetzlich,  und  unauslöschlich 
das  gefuhl  inniger  dankbarkeit,  das  ich  ihm  in  meinem  herzen  bewahre. 

KIEL,     4.    JULI    1890.  II.    GEliLNG. 

CHRONOLOGISCHES  VERZEICHNIS  DER  VON  TH.  MÖBIUS  PUBI.I'  IKKTK.V 

SCHRIFTEN   UND   ABHANDLUNGEN.1 
(Mit  gütiger  Unterstützung  von  E.  Mogk  und  A.  Wetzel.) 

1846. 
Zur  kentnis  einiger  handschriften  des  Sueton.     Philologus  I,  631  —  039. 

1)  Vgl.  Ed.  Alberti,  lexicon  der  Schleswig  -  Holstein  -  Lauenburgischen  and  Eutinischen  Schrift- 
steller II  (186S)  s.  68  —  69  und  die  fartsetztmg  desselbon  workes  II  (1886)  s.  48. 

Fortgelassen  sind  die  artikel ,  die  Mübius  für  die  10.  aufläge  des  Brockhausschen  conversations- 
lexieons  beisteuerte,  sowio  einige  anonyme  recensionen  in  Gersdorfs  reportorium  aus  den  jähren  1850  — 
1S60,  die  meiner  meinung  nach  ebenfals  von  ihm  herrühren,  ohne  dass  ein  zwingender  beweis  sich  fuh- 
ren Hesse.     Die  in  den  fraglichen  anzeigen  besprochenen  bücher  sind  die  folgenden : 

VIII  (1850)  1,  193  —  197:  E.  G.  Geijer,  samlade  skrifter. 

IX  (1851)  1,  210  —  212  und  3,  86—88:  A.  Oehlenschläger ,  lebenserinnorungen. 
XI  (1853)  4 ,  32  —  35 :  Diplomatari  um  norvegiemn. 

XV  (1857)  4,  220  —  221:  R.  Prutz,  Ludw.  Holberg. 

XVI  (1858)  2,  162  —  164:  Gullpörissaga  ed.  Maurer. 

XVI  (1858)  2,  27S  — 280:  Saxo  grammaticus  edd.  P.  E.  Müller  et  M.  Velschow. 
XVIII  (1860)  1,  6S  —  71:  K.  Maurer,  isllind.  volkssagen  der  gegenwart. 
XVIII  (1860)  3,  121  — 123:  G.  v.  Leinburg,  hausschatz  der  schwedischen  pr. 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE   PHILOLOGIE.     BD.   XXIII.  30 


406  GERING 

$50. 
An  ■         Sturzenbecher,  die  neuere  schwedische  litteratoi  (Leipz.  1850). 

Leipziger    repertorium    der   deutschen    und    ausländischen    litteratur   VIII,   3, 

\\.  •  \  .:  Annaler  for  nordisk  oldkyndighed  1849. 

Leipz  pertorium  TUE,  4,  197  —  202. 

1851. 
Ida,    die  ältere  und  jüngere  nebst  den  mythischen  erzählungen 
Skalda  übersezt  und   mit  erläuterungen  begleitet  von  Karl  Simrock  (Stuttgart 
und  Tübingen   1851). 

Lit.  centr.-bl.  1850/51,  sp.  180  — 1S1. 
An  von:   Ivar  Aasen,   det  norske  folkesprogs  grammatik   (Krist.  1848)  und  von: 

Ivar  Aasen,  ordbog  over  det  norske  folkesprog  (Krist.  1S50). 
Leipziger  repertorium  IX,  1,  133  — 136. 
An  von:  Joh.  Erik  Rydqvist,  svenska  spräkets  lagar.    l8**  bandet  (Stockh.  1S50). 

la.  IX.  3,  12S— 130. 
Ar:  von:    Barlaams    ok  Josaphats    saga,    udg.   af  I».  Keyser   og  C.  R.  TJngcr 

#  1). 
[it  centr.-bl.  1850/51,  sp.  470  — 471. 

1852. 
er  die  ältere  isländische  saga.     Eine  zur  habilitation  in  der  philosophischen  facultät 
r  Universität  Leipzig  am  12.  augnst  vormittags  10  uhr  im  collegium  juridicum 
öffentlich  zu  verteidigende  abhandlung  von  Theodor  Möbius,  dr.  phil.     Leipzig, 
druck  von  Giesecke  &  Devrient.  1852.     (2),  92  s.    8. 

1853. 
Anzeige  von:    Annaler  for  nordisk   oldkyndighed  3851  und  von:   Antiquarisk  tidskrift 
—51.     Leipziger  repertorium  XI,  2,  292  —  294. 

1854 
Anzeige  von:  Saga  Dittriks  konungs  af  Bern,  udg.  af  C.  E.  Unger  (Christ.  1853). 

Lit.  centr.-bl.  1854,  sp.  97. 

1855. 

mstrvallasaga.     Theodorus  Möbius  edidit.  Breitkopfius  et  Haertelius  sumptibus 
iflielmi  Engelmanni  presserunt.     Lipsiae  a.  MDCCCLV.    XXYITI  (II),  80  pp.  8. 

1856. 
Catalogus  librorum  islandicorum  et  norvegiconim  aetatis  mediae  editorum  versorum 
illustratorum .    Skaldatal  sive  poetarum    recensus  Eddae  Upsaliensis  Theodorus 
Möbius  concinnavit  et  edidit.     Lipsiae,  apud  "W".  EDgelmann.     MDCCCLYI.    XII 
(II  .  206  (1)  pp.    8. 

.. '    taloguß8  mit  berichtigungen  und  nachträg 
ipziger  r<  ium  XIV.  '.',.  193  — 19 

r.  ■        r-  1858. 

uinnregin.     (jinnungagap. 

Algem.  encyklop.  Beet.  I,  band  67.        ;14. 

von:    L.  Ettmüller,    versuch   ein"]-  strengeren   kritischen   behandlung  altnor- 

•her  gediel         Zürich 

hr.-bl.  24  —  526. 


AUGUST   THEODOR    MÖBT1  407 

Anzeige  von:  Inscription  runique  duPiree,  interpretee  parC. Chr.  Rain  (Copenh.  L856). 

Leipziger  repertorium  XVI,  I,  35  — '.)'. 

1859. 
Analecla  Norrcona,     Auswahl   aus  der  isländischen    und  norwegischen  litteratur  des 
mittelalters  hrg.  von  Theodor  Möbius.     Leipzig,   verlag  der  J.  C.  Einrichscheii 
buchhandlung  1850.     XIV  dl).  319  (1)  ss.    8. 
Aegidius  Girs. 

Algem.  encyklop.,  Beet.  I,  band  68,  s.  221—  225. 
Gjallarbru.     Gjallarhoru.     Ebda.  s.  356. 
Karl  Christopherson  Gjörwell.     Ebda,  s.  356 — 357. 
Gleipnir.     Ebda,  sect.  I,  band  69,  s.  39 7. 
Anzeige  von:  Annaler  for  nordisk  oldkyndighed  1855  —  57. 
Leipziger  lvpertorium  XVII,  1,  339  —  341. 

1860. 
Edda  Ssmundar  hins  fruda,  mit  einem  anhang  zum  teil  bisher  ungedruckter  gedichte 

hrg.  von  Theodor  Möbius.     Leipzig,   J.  C.  Hinrichssche  bnchhandlnng.    1860. 

XVIII,  302  ss.    8. 
Fornsögor.     Vatnsdaelasaga,    Hallfredarsaga,    Fluamannasaga   hrg.    von   Gu&brandr 

Vigfüsson  und  Theodor  Möbius.     Leipzig,  J.  C.  Hinrichssche  buchhandlang. 

1860.    XXXI  (I),  237  (1)  ss.    8. 

Gnu.     Algem.  encyklop.,  sect.  I,  band  70,  s.  398. 

Gotfred.     Ebda,  sect.  I.  band  71,  s.  428. 

Anzeige  von:  Fr.  Pfeiffer,  altnord.  lesebuch  (Leipzig  1860). 

Litt,  centr.-bl.  1860,  sp.  410. 

1861. 

Johann  Göransson.     Algem.  encyklop.,  sect.  I,  band  72,  s.  113. 

Anzeige  von:    Fire   og  fyrretyve   for  en  stör  del  forhen  utrykte  prover  af  oldnordisk 

sprog  og  literatur,  udg.  af  Konr.  Gislason  (Kbh.  1860). 

Litt,  centr.-bl.  1861,  sp.  11. 
Anzeige  von:  Ancient  danish  ballads,  translated  ..  by  E.  C.  Alex.  Prior  (London  1S60). 

Litt,  centr.-bl.  1S61,  sp.  13. 

Anzeige  von:  Die  Edda,  herausg.  von  H.  Lüning  (Zürich  1859). 

Litt,  centr.-bl.  1861,  sp.  762. 

1862. 

Gor.     Algem.  encyklop.,  sect.  I,  band  74,  s.  289  — 290. 

Anzeige  von:    Islenzkar  pjödsögur  og  aeventyri,    safnad  heflr  Jon  Arnason.     1.  bindi 
(Lpz.  1862).     Litt,  centr.-bl.  1862,  sp.  296  fg. 

1863. 
Anzeige  von:  ErikJonsson,  oldnordisk  ordbog  (Kbh.  1863).  Litt,  centr.-bl.  1863,  sp.  830. 

1864. 
Über  die    altnordische   philologie    im  skandinavischen   norden.     Ein   vor  der  germa- 
nischen section   der  philologenversamlung  zu  Meissen   (29.  sept.  —  2.  okt.  1863) 
gehaltener  Vortrag  von  dr.  Theod.  Möbius,  piofessor  an  der  Universität  zu  Leip- 
zig.   Leipzig,  verlag  der  Serigschen  buchhandlung.  1864.     40  ss.     8. 
Übergang  von  l  in  d. 

Zs.  f.  vgl.  Sprachforschung  XIV,  277  —  278. 
Jacob  Gräborg  di  Hemsö. 

Algem.  encyklop.,  sect.  I,  band  77,  s.  217. 

30* 


GERING 

Haus  Gram.     Algem.  encyklop.,  sect  1.  band  78,  8.  320  —  321. 

Anzeige  von:  Dietrich,  Altnordisches  lesebuch,  2.  auil  (Lpz.  1SG4i. 

lermania  IX.  337  —  352. 

ichtigung.    Germania  IX.  495. 

1865. 

Anzeige  von:  Eyrbyggja  saga,  heransg.  von  «'.  Vigfusson  (Lpz.  1S64). 

Litt,  centr.-bl.   L865,  sp.  244. 

1866. 

Altnordis  ssar.     Wörterbuch    zu   einer   answahl  alt -isländischer  und  alt-nor- 

wegischer prosatexte  von  dr.  Theodor  Möbius,    professor  an  der  Universität  in 
.  druck  und  vorlag  von  B.  G.  Teubner.   1866.     XII,  532  ss.     8. 

1869. 
Ares  Isländerbuch  im  isländischen  text  mit  deutscher  Übersetzung,  namen-  und  Wör- 
terverzeichnis  und  einer   karte   zur  begrüssung  der  Germanisten  bei  der  XXVII. 
deutschen  philologenversamlung  in  Kiel,  27  30.  September  1869,  hrg.  von  dr.  Theo- 
dor  Möbius,    professor  au   der   Universität   in  Kiel.     Leipzig,    druck   und  vorlag 
von  B.  G.  Teubner.    1869.     XXII  (II),  88  ss.     8. 
scher  litteraturbericht.     Zs.  f.  deutsche  phil.  I,  389  —  437. 
Zur  kentnis  der  ältesten  runen. 

Zs.  f.  vgl.  Sprachforschung  XYIII,  153  — 157. 
Zur  geschiente  de>  buchdruckes  auf  Island.     (Anzeige  von:    Jon  Jönsson,   söguagrip 
um  prentsmidjur  og  prentara  ä  Islandi,  Reykjavik  1867.) 

Serapeum  XXX.  105  — 106. 

1870. 
Zur  kentnis  der  ältesten  runen.  IL 

Zs.  f.  vgl.  Sprachforschung  XIX,  208  —  215  und  230. 

1871. 
Dänische   formculehre   von   Th.  Möbius.     Kiel,   vorlag   der  Schwersschen  buchhand- 

lung.  1871.     VIII.  136  ss.     8. 
Anzeige  von:  Die  Skidanma  von  K.  Maurer  (München  1869). 

Z^.  f.  deutsche  philol.  III.  227  —  233. 
Anzeige    von:    K.    F.    Söderwall,     hufvudepokerna    af    svenska    spräkets     utbildning 
Lund.  1870 1. 

X~.  f.  deutsche  phil.  III,  233  —  236. 
Anzeige  von:  Lilja  ed.  by  Eirikr  Magnüsson  (Lond.    1870).     Academy  1871,  nr.  2:». 

1872. 
die  altnordische  spräche  von  dr.  Th.  Möbius,    professor  an   der  Universität  in 
KieL    Halle,  verlag  der  buchhandlung  des  Warenhauses.  1872.    (IY),  59  (1)  ss.  8. 
_I)en  in  Leipzig  am  22.  —  25.  mai  1872  zur  XXYIII.  deutschen  philologenver- 
samlung vereinten  germanisten  gewidmet  von  Th.  M.  aus  Leipzig." 

1873. 
Vom  sief.     Germ.  XYIII.   129—147. 

Anzeige  von:  Riddarasögur  hrg.  von  E.  Kölbing  (Strassb.  1872).     Zs.  f.  deutsche  phil. 
Y.  217—225. 

1S74. 
Islendinga  dräpa  Hauks  Yaldisarsonar,    ein   isländisches   gedieht   des  XIII.  jahrhun- 
-  von  Th.  Möbius.     ä  paratabdruck  aus  der  einladungsschrift  der  Kieler 
uni         ■  it  zur  fei  ri  I  .        sr.   majestät  des  kaisers  von   Deutschland 


AUGUST    THEODOR   MÖBIUS  469 

und  königs  vod   Preussen  Wilhelm  I.   am  -'2.  märz  1874.     Kid.   druck  von  C.  F. 
Mohr.  1S74.     (II),  65  88.     4. 
Malshättakvaeäi. 

Zs.  f.  deutsche  phü.,  ergänzungsband ,  b.  3—73  und  615    -616. 
l'lier  die  Heimskringla. 

Zs.  f.  deutsche  phil.  V,  141  —  1  IG. 

1876. 
Die  Lieder  der  älteren   Edda  (Ssemundar  Edda)  hrg.  von  K.  Eildebrand.     Paderb. 
1876.     XIV,  323  ss.     8. 

Von  Th.  M<")l>ius  die  bearbeitung  der  Hamdismäl  und  der  Fragmente  eddischer 
lieder  in  Sn.  Edda  und  Volsungasaga  (s.  296—  306),  sowie  die  iibersichl  über  die 
strophenfolge  derVoluspä  (s.  307  —  308),  das  n  amen  Verzeichnis  (s.  309  321),  die 
Dachträge  und  berichtigungen  (s.  322  —  323)  und  die  vorrede  (s.  EU— VI)  aebsl 
dem  inhalt  und  der  erklärung  der  im  kritischen  commentar  gebrauchten  abkür- 
zungen  (s.  VII  —  XIV). 
Anzeige  von:  Edda  Snorra  Sturlusonar  fori.  Jonsson  gaf  üt  (Kaupm.   1875). 

Zs.  f.  deutsche  phü.  VII,  246  —  249. 
Anzeige  von:  Jomsvikinga  saga  utg.  af  G.  Cederschiöld  (Luud  1875). 
Germania  XXI,  103  —  109. 

1877. 
Analecta  Norroana.     Auswahl  aus  der  isländischen   und   norwogischen   litteratur  des 

mittelalters  hrg.  von  Th.  Möbius.     Zweite  ausgäbe.     Leipzig,  J.  < '.   Qinrichssche 

buchhandlung.  1877.    XXXI  (I),  338  ss.    8. 
Berichtigung  [zu  Anal.  Norr.2].     Germania  XXII,  508. 
t' hersetzung  des  altisländischen  Physiologus  in:  Die  aethiop.  Übersetzung  des  Physio- 

logus,  hrg.  von  Fr.  Hommel  (Lpz.  1877)  s.  99  —  104. 

1878. 
Anzeige  von:  S.  Bugge,  tolkning  af  runeindskriften  pa  Rökstenen  i  Östergöland  (Stockh. 
1878)  und  S.  Bugge,  runeindskriften  paa  ringen  i  Forsa  kirke  (Christ.  1877). 
Zs.  f.  d.  phil.  IX,  478  —  484. 
Anzeige   von:    Leifar   forma  kristinna  freeeta  islenzkra,    prenta  ljet   Porv.  Bjarnarson 
(Kaupm.  1878). 

Zs.  f.  deutsche  phil.  IX,. 484  — 488. 

1879. 
Hattatal  Snorra  Sturlusonar  hrg.   von  Th.  Möbius.     I.  (gedieht).     Halle,   vorlag  der 
buchhandlung  des  Waisenhauses.  1879.     (IV),  121  (1)  ss.    8. 

1880. 
Verzeichnis  der  auf  dem  gebiete  der  altnordischen  (altisländischen  und  altnorwegischen) 
spräche  und  litteratur  von  1855  bis  1879  erschienenen  Schriften.  Von  Th.  Möbius. 

Leipzig,  vorlag  von  Wilhelm  Engelmaun.  1880.     IV,  129  (3)  ss.     8. 

1881. 
Hattatal  Snorra  Sturlusonar    hrg.   von   Th.   Möbius.     IL    (gedieht  und  commentar). 

Halle,  verlag  der  buchhandlung  des  Waisenhauses.  1881.     (IV),  138  (2)  ss.     8. 
Anzeige  von:  Nikolasdrapa  Halls  prests  ed.  by  Will.  H.  Carpenter  (Halle  1881). 
Zs.  f.  deutsche  phil.  XIH,  496  —  500. 


470  Vi 'IGT 

$83. 

Über  die  ausdrücke  fornyräislag,  kviduhdttr,  Ijöäahdttr. 
viv  for  nord.  fil.  I.  288—294. 

18S4. 
teilen  in  der  altnord.  litteratur. 

Zs.  f.  deutsche  phiL  XVJI.  222—223. 

1886. 
von  Th.  Mob i us.    Halle,   vorlag  der  buclihandluug  des  Waisen- 
hauses.     H   .  -       2)  BS.    8. 

1887. 

Anzeige  von:  K.  Hj.  Kempff,  bild-  och  runstenen  i  Ockelbo  (Gelle  ISST). 

Zs.  f.  deutsche  phiL  XX,  2.11  —  252. 
An.:  a:  Edda  Snorra  Sturlusonar,  ed.  Arna  Magn.  111,  2  (Havn.  1887). 

Litt,  centr.- bl.  1SST,  sp.  1507. 


LITTEEATUR 

De   i mate  latino  Walthario.     Thesim   proponebat   facultati   litterarum 

Parisiensi  ad  gradum  doctoris  promouendus  Charles  Schweitzer.    Lute- 
tiae Parisiorum  typis  Berger  -  Levrault  et  sodalium  1889. 

Der   Verfasser  beabsichtigt   in  diesem    buche    1.   die  in  Frankreich    zu  wenig 

ergebnisse  der  deutschen  Walthariusforschung  seinen  landsleuten  in  kürze 

mitzuteilen;    '_'.   stil  und  versbau  des  gedientes  einer  selbständigen  Untersuchung  zu 

unterziehn,    um  so  neue  aufschlüsse  über  text,    handschriftenverhältnis  und  Verfasser 

zu  gewinnen. 

Was  zunächst  1.  betrift,  so  wissen  wir  nicht,  ob  trotz  der  ausgäbe  Du  Monis 
in  seinen  doch  gewiss  auch  in  Frankreich  fleissig  gelesenen  Poesies  populaires  latines 
der "Waltharius  dort  so  unbekant  geblieben  ist,  wie  hier  behauptet  wird,  zwei- 
feln aber,  ob  gerade  eine  doctordissertation  der  geeignete  ort  ist,  um  weiteren  kreisen 
•   adnis   und  Würdigung  eines   seit  Jahrzehnten  unverdient  bei  seite  geschobenen 
werkes  zu  erschliessen. 

Verfasser  bietet  nun  in  A  1    (s.  XI  —  XX)    nach  Scheffel  -  Holder  und  Peiper 
eine  aufzählung  und  kurze  beschreibung  der  handschriften ;  in  A  2  ( — XXVIII)   nach 
•ndenselben.    auch  nach  San-Marte   und  Goedeke   ein  Verzeichnis   der  druoksehrif- 
ütteratur;    in  B  1    (1  —  6)    eine   ersichtlich  nach  J.  Grimm   s.  78  —  97   gearbeitete 
analyse,    in  der  aber  ganze  strecken  (123  —  220,    358  —  418,    515  —  571,    615  —  645, 
1287  — 1359)   einfach  übergangen  oder  wie  der  ganze  kämpf  am  "Wasgenstein  (676  — 
1061   in  kaum  9  zeilen!)   flüchtig  angedeutet,    alte  fehler  (wie  428  quater  denis  = 
quatuordeeim ,    vgl.  1450)    widerholt  sind  und  somit  weder  dem  kenner    noch    dem 
nichtkenner    etwas   wirklich    geniessbares    und   aufklärendes   dargereicht  wird;    in  B2 
—  33)  nach  J.  Grimm,   San-Marte  u.  a.  eine  Zusammenstellung   der  sagengeschicht- 
lichen Zeugnisse;    in  B3   ( — 38)   den   nachweis   der  von  Unland  aufgefundenen,    von 
effel  und  Becker  genauer  beschriebenen  örtlichkeit  des  kampfes,   deren  richtigkeit 
er  aus    eigner   anschauung   bestätigt.      Wissenschaftlichen  wert   beanspruchen    diese 
abschnitte  nicht  und  haben  sie  nicht;    sie  begnügen  sich   mit  einer  im  ganzen  beson- 
nenen widergabe  älterer  ermitlungen. 


ÜBKH    BCHWEITZEB    DB    WALTHARIO  471 

Erst  von  dem  dritten  teile,  in  den  wir  jezt  eintreten,  haben  wir  eigene  For- 
schung und  neue  gesichtspunkte  zu  erwarten.  Cl  (De  poematis  ßermone,  39—  13) 
zählt  nach  Grimm,  Geyder  und  Peiper  einige  Btileigentümlichkeiten  auf,  nämlich 
germanismen  (auch  mehrere  selbstgefundene,  von  denen  z.  1».  anterior  dies,  tut 
facies  vielmehr  zum  späÜatein  gehören),  spätlateinische,  griechische,  altlateinische 
worte,  den  abweichenden  gebrauoh  der  tempore,  quod  statt  <\r>  a.  c.  i.,  distribu- 
tiva  statt  cardinalia.  Wenn  wir  auoh  dem  Verfasser  zugeben  wollen,  dass  er  ein 
paar  in  die  äugen  Bpringende  abweiohungen  von   der  1. '  hen  dichtersprache  mehr 

hat,  als  seine  Vorgänger  —  was  will  d.  Leuten?     Eeutzutage  muss  man.    wenn 

jemand  eine  selbständige  erörterung  der  latinität  des  W.  ankündigt,  eh  chöpfende 

Zusammenstellung  der  vulgär-  und  spätlateinischen  bestandteile  in  Wortschatz  und 
grammatik  unter  benutzung  von  Kaulen,  Rönsch,  Paucker,  Wölfflin  u.  a.,  wie  den 
reichhaltigen  indices  der  neueren  editionen,  und  mit  vergleichender  heranziehung  der 
seit  E heil  LG.  111  so  bequem  benuzbaren  litteratur  des  X.  Jahrhunderts  verlangen, 
von  welcher  der  Verfasser  nicht  ein  haar  mehr  weiss,  als  ihm  Grimms  und  Schmel- 
lers  Lateinische  gedachte  bieten.  Zugleich  gehörte  in  diesen  abschnitt  der  nachwi 
der  formalen  abhäugigkeit  Eckehards  von  der  altrömischen  poesie,  zumal  von  Vergil. 
Wenn  sich  der  Verfasser  einmal  die  mühe  nähme,  das  IV.  und  V.  kapitel  meu 
einleitung  zum  Yscngrimus  durchzulesen,  dann  würde  ihm  klar  werden,  wie  etwa 
C  1   anzulegen  gewesen  wäre. 

C2  (De  re  metrica,  44  —  71)  trägt  zuerst  nach  Peiper  ein  kurzes  Verzeichnis 
der  formalen  quellen  des  Waltharius  nach,  gibt  dann  nach  Grimm  und  Peiper  das 
wichtigste  über  prosodie  und  versbau  (1431  si  qua  ädeö  ist  ndat.  unmöglich,  lies 
si  quando;  her/'  372  „  gestern u  ist  mlat.  nicht  unmöglich  und  causa  differentiae 
erklärbar,  zum  unterschiede  von  keri  =  doniini)  und  führt  nun  die  neue  hypoth 
vor:  poetam  nostrum  in  inchoandis  versibus  concentum  quemdam  singularum  vocum 
et  repetitionem  eorumdem  sononim  diligentissime  conseetari,  ita  ut  nullus  in  toto 
carmine  versiculus  reporiri  possit,  qui  non,  praeter  metrieam  legem,  tinnitu  quodam 
consonantiaque  syllabarum  exoniatus  sit.  Der  arme  Eckehard!  Bei  dem  bau  jed 
einzelnen  verses  hatte  er  nach  des  Verfassers  ausiührungen  also  zu  beobachten:  das 
Vergilische  vorbild,  die  antike  prosodie  und  metrik,  den  leoninischen  reim,  buchsta- 
ben-reim  bez.  assonanz,  inneren  silbeu-reim  bez.  assonanz  (wie  548  innoeuus  >/>> 
t'mxen't  inquit,  1020  liquerat  atque)\  Man  weiss,  dass  der  Waltharius  d  |  ci- 
men  eruditionis  war,  mit  dem  der  dichter,  wie  AValat'rid  von  Beichenau  mit  den 
visionen  "Wettins  und  "Walther  von  Speier  mit  dem  leben  des  h.  Christophorus,  seine 
lchrjahre  abschloss  —  nun,  wir  zweifeln,  wenn  so  vielseitige  anforderungen  wie  an 
Eckehards  versbaukunst  an  die  vorliegende  dissertatiou  gestylt  worden  wären,  ob  man 
ihr  dann  das  imprimatur  erteilt  hätte.  Man  weiss,  welche  grossen  Schwierigkeiten 
zehn  jähre  später  dem  mönche  von  S.  Evre  die  blosse  durchführung  des  Leoninischen 
reims  verursachte  —  indessen  diese  aufgäbe  war  noch  kinderleicht  gegen  die  he 

hier  dem   zögling  von  S.  Gallen  zugemutet  wird.      Aber  derartige    litterarhistori» 
Seitenblicke  beirren  den  Verfasser  nicht:    er   sieht   in   den  versen   de>  Waltharius   nur 
ein  gemisch   aus   allen  möglichen   und  einigen  anderen  reimformen;    aus  allen  zeilen 
tönt  ihm  ein  melodisches  gebimmel  und  geklingel,  gebrumme  und  gesumme,  gebrause 
und  gesause  entgegen. 

Wäre  es  dem  dichter  wirklich  darauf  angekommen,  möglichst  viele  an-  und 
einklänge  zu  häufen,  so  würde  er  doch  sicherlich  zunächst  die  am  ende  des  0.  Jahr- 
hunderts mode  gewordenen,  schon  bei  Salomo  von  Konstanz  (W.Grimm  Zur  geschiente 


472  VOIGT 

59)  durchgeführten  Leonine  durchweg  angewant  haben.    Nun  gilt  aber 
h  heute  uneingeschränkt,    was  Grimm  s.  XXV  darüber  sagt:    die  casus  S.  Galli 
fiberlieferten  wol  einzelne  Leonine  m  V...    indessen   sei  er  ihnen  in  die*         rös- 

-  en  dichtung  ziemlich  ausgewichen,  doch  schlichen  sich  manche  ein.  Wir  wäh- 
len zur  sti  □  und  die  lezten  100  verse  des  Sch.-H.  -textes.  In 
dei  äind  (nach  Schema  3  —  6)  19  und  (nach  Schema  4  —  6)  14, 
zusammen  33,   in  der  lezten  30  und  4  Leoninc;    in  23  bez.  25  von  diesen   ist  aber 

Lchte   1  r    (vgl.  W.  Wackernagels  vorrede  zu  seiner  Gesch. 

hex.   und  pent.)    der  symmetrischen  anordnung    der   Satzglieder,    die 
i  den   alten  so  häufig  zum  ungi  in  gleichklang  führte.     Da  somit  in  bei- 

aller  a  reimlos,    in    dem  übrig    bleibenden    einen  drittel  wider 

nur  ii.  ataktischen  parallelismus  der  vershälften  fast  unwilkürlich 

reimt  sind,  so  könte  man  bloss  in  dem  i  mden  neuntel  den  reim  als  beabsich- 

t  und  gesucht  betrachten.     Gewinnen  wir  so  deu  eindruck,    dass  der  dichter,   weit 
lernt  von  einer  plann  q  durehreimung  des  ganzen,  eben  nur,   sei  es  im  zuge 

der  symr  hen  versanlage,    sei  es   der  gewöhnung  an  die  klösterlichen  reimspie- 

lereien  nachgebend,    den  reim  habe   einfliessen  lassen  —   wie   sollen  wir  da  in  den 
etwa  vorkommenden  inneren  an-  und  einklängen  absieht  und  methode  suchen? 
Un  e  gilt  von  den  vermeintlichen  allitterationen  und  buchstabenkunststücken. 

Mit  demselben  rechte,  wie  der  Verfasser  bei  Eckehard,  könte  man  bei  Vergil  anneh- 
men, dass  derselbe  in  der  zeile  Musa ,  mihi  causas  memora,  quo  numine  laeso 
habe  allitterieren  und  in  dem  verse  Axma  uirumaue  cano,  Tvoiae  qui  pvimus  ab 
.  in  Classibus  hie  locus,  hie  aale  certare  solebant  das  c  habe  hervor- 
heben wollen. 

Aber  es  ja:  -Au  ihren  fruchten  solt  ihr  sie  erkennen".     Sehen  wir  also, 

der  Verfasser  in  C3  (' — 78)  seine  reimhypothese  für  die  texteonstitution  fruchtbar 
zu  machen  sucht.  Er  liest  924  inertia  (martia  ist  durch  Cßy  und  Verg.  Ecl.  IX, 
12  bezeugt),  264  Affer  (wodurch  Diripc  265  beziehungslos  werden  würde;  Peipers 
interpunktion  macht  alles  klar).  700  quiequam  (nur  in  ß  und  von  diesem  offenbar 
hineincor  .    da  ihm    der    auch   sonst,    z.  b.   Fee.   Eatis  I,   249,    bezeugte    mlat. 

rauch  von  quisque  für  quisquam  anstoss  erregte),  1036  uacuauerat  nuluam  (deu 
dadurch  hineingebrachten  prosodischen  fehler  beseitigt  er  durch  die  annähme,  das 
anlautende  u  müsse  wie  das  englische  w  vocalisch  ausgesprochen  werden  und  mache 
dann  keine  position!),    109  illos  (während   das  von  CD  BT  überlieferte  ambos  durch 

hslung  —  versschluss  illos  101,  10G,  ambos  100,  109  —  bestä- 
*  wird),  usf.     Ein  wirklicher  gewinn  für  den  Wortlaut  des  gedichts  ergibt  sich  auch 
aus  den  weiterhin  besprochenen  stellen  nicht:    es  wird  entweder  die  ohnehin  festste- 
hende Lesart  tx  I  oder  gar  die  eine  oder  die  andere  korrektur  von  ß  dem  original 
zul            n. 

Nachdem  Verfasser  dann  in  C4  ( — 90)  die  handschriften  nach  Peiper  auf  die 
4  familien  a.  -;.  y.  6'  zurückgeführt  und  darauf  hingewiesen  hat,  dass  bald  in  die- 
1  in  jener  familie  seine  vermeintliche  allitterierend-assonierend-leoninische 
urlesart  erhalten  ist,  muss  er  natürheh,  um  ein  recht  zu  deren  einsetzung  zu  gewin- 
nen, in  C5  ( — 103)  den  stambaum  etwas  verändern.  So  nirat  er  denn  auf  dem 
uns  d  gründe  von  stellen  wie  264,    1386   (leuis  statt  laeua  ist  nicht  anzutasten, 

ht  wie  oft  plural  -  ngular.     L386b  =   „obwol  kein  geübter  linksschläger^), 

1173  (wo  er  In. mint  vermutet).  500  (er  Bchreibt  Ldcrius,  aber  infra  statt  intra  ist 
gemein-niLr  /  nenus  sei  absurd!;  zwischen  dem  ori- 


ÜBER    SCHWEITZER    DE    WALIHABIO  473 

ginal  X    uud  i  mit    interlinearen    and    marginaleii    besserungsvorschlägen 

ausgestattete  ableitnngsstufe  X1  an,  aus  der  die  handschriften  in  der  zeitlicheü  fol{ 
,;,  (T,  c.  y  entstanden  s«i«-ii  ond  wilfciirlich  bald  die  klangvolle  genuina,  bald  die 
klanglose  uariatio  übernommen  hätten.  Dies  Bucht  er  durch  den  hinweis  auf  die 
weJ-zusätze  der  handschriften  zu  begründen.  Derartige  Zusätze  fehlen  mm  aber  ganz 
in  ;■;  und  tf,  Bind  nicht  für  c.  erweislich  (in  A  i-t  523  mouerent  eine  irtümlich  zum 
rang   einer   variatio   erhobene  in  C  sind   503   tante   uud   'iT'_'   agamus   bloe 

berichtignngen  von  Bchreibfehlern,  durch  dir  nicht  eine  Variation,  Bondern  die  von 
allen  übrigen  handschriften  überlieferte  Vulgata  eingesezt  wird),  folglich  nur  für  y 
anzunehmen,  d.  h.  für  die  zweifellos  variierte  Geraldgrnppi  Somit  i>t  dem  Ver- 
fasser der  nachweis  eines  variierten  codex  X  '  nicht  gelungen;  wenn  sich  dieselbe 
falsche  lesart  in  den  Vertretern  verschiedener  handschriftenfamilien,  /..  1>.  in  A  und  1) 
findet,    so  ist  das  nicht  dadurch   zu  erklären.  genuina  ond  uariata    in   beider 

vorläge  stand,  sundern  daraus,  dass  sieh  die  abschreiber  unabhängig  von  einander 
und  von  der  quelle  sei  es  in  die  epische  formel  überhaupt  (358),  in  ähnliche 

versstellen  desselben  gedichts,  die  in  ihrem  ohre  noch  fortklangen,  bineinverirten 
(109;  534,  vgl.  477;  747),  vgl.  742;  1160,  vgl.  für  sie  1097,  880,  für  cum  990; 
344  steht  nach  Holder  wicum  in  aß\  dunkel  bleibt  545;  beide  fehlerarten  auoh  in  A. 
wie  1354;  773,  vgl.  604,  653;  1443,  vgl.  1367;. 

In  C6  ( — 113)  berichtet  Verfasser  dann  noch  über  urheber  und  nachbesserer 
des  gedichts,  zu  welchen  lezteren  er  auch  den  magister  Victor  von  s.  Gallen  rech- 
net; in  C7  ( — 117)  über  die  lateinische  dichtung  im  9.  und  10.  Jahrhundert 

Zeigt  die  vorliegende  dissertation  daher  auch,  dass  sich  ihr  Verfasser  mit  der 
Walthariuslitteratur  wolvertraut  gemacht  hat  und  über  den  vorgefundenen  stand  der 
erkentnis  hinaus  ernstlich  nach  neueu  Wahrheiten  strebt,  so  ist  ihm  doch  der  ver- 
such, auf  diesem  gebiete  treffende  und  fruchtbringende  gedanken  zu  entwickeln,  völ- 
lig mislungen.  Wir  können  junge  aufstrebende  talente  nur  widerholt  vor  dem  wahne 
warnen,  als  sei  das  latein  des  mittelalters  ein  Kampfplatz,  auf  dem  man  sieh  ohne 
schwere  kriegsausrüstung  und  erheblichen  kraftaufwand  durch  ein  paar  einfalle  die 
rittersporen  verdienen  könne.  Die  lateinischen  gediente  von  Grimm  und  Schm eller 
sind  gewi>s  ein  recht  verdienstliches  buch,  aber  doch  kein  mittellateinischer  katechis- 
nius.     Wir  haben  seit   1838   recht   bedeutend   zi  t,    ebenso   für  den   Waltharius 

wie  für  die  mlat.  spräche  und  litteratur  nacli  allen  richtungen  hin.  AVer  hier  mit- 
reden will,  von  dem  müssen  wir  daher  nicht  bloss  eine  gründliche  fachbildung  ver- 
langen, sondern  auch  den  rechten  takt  in  der  wähl  des  themas.  Die  Waltharistrasse 
ist  eine  der  schönsten  unseres  gebietes:  fahrdamm  und  bürgersteige  sind  fest  und 
dauerhaft  gepflastert,  herrliche  gebeäude  erheben  sich  an  beiden  Seiten,  und  sie  all,, 
überragt  der  von  meister  Scheffel  erbaute  Eckehardtempel.  Wer  auf  ihr  wandelt. 
der  bewundere  und  geniessc.  Aber  nicht  alzuweit  davon  i>t  noch  dichter  urwald. 
Und  wer  ein  ritter  werden  will,  der  schmiede  sich  ein  schwelt  und  haue  sieh  durch 
wildes  gestrüpp  eine  bahn  in  das  dickicht  —  da  kann  er  neues,  wunderbares  erleben 
und  anderen  davon  berichten. 

BERRLIX,    JULI   18S9.  EBHST    VOIGT. 


474  0.    ERDMANN 

Die  homiliensamlung  dos  Paulus  Diakonus  die  unmittelbare  vorläge 
d^s  Otfridischen  evangelienbuch«  s.  A'on  Georg1  Loeek.  (Kieler  disser- 
tation  L890.)    Lei]       .  Ö.  Fook.    47  s.     1,50  m. 

Per  vor:  weist  als  das  schon  1S33  von  Lachmann  in  seinem  aufsatz  über 

Otfrid  (Kl.  sehr.  1 .  451)  vermutete  „umfassendere  und  kürzere  werk",  welches  Otfrids 
erläuterungen  und  deutungen  zu  gründe  liege,  die  homiliensamlung  nach,  welche 
Paulus  Diaconus  im  auftrage  Karls  des  Grossen  zusammengestelt  hatte.  Diese  aus- 
wahl  war  durch  ein  besonderes  kaiserliches  schreiben  an  die  biBchöfe  des  reiches 
nach  fassung  und  textgestaltung  vor  anderen  weniger  sorgfältigen  als  massgebend  für 
lesung  bei  kirchlichem  gebrauche  bezeichnet  worden:  „quarum  [lectionum]  om- 
nütm  texhtm  nostra  sagacitair  perpendentes ,  nostra  eadem  volumina  auetoritate 
nstabilimus    vestraeque    religioni    in    Christi   eeclesiis   tradimus    <id   legendum 

.    Patrologiae    cursus,    series    latina  95,  1101);    sie    hat  der  geistliehkcit  des 

Karolingischen    reiches    lange    als    mustersamlung  von   predigten   gegolten.     Es  war 

-  •  ein  glücklicher  gedanke  des  herrn  Loeck,    diese  in  band  95  der  grossen  ausgäbe 

voi  .e  übersichtlich  zusammengestelten  homilien  fortlaufend  mit  dein  Otfridtexte 

zu  vergleichen.     In  der  tat  hat  sich  bei  sorgfältiger  durchsieht  ergeben,    dass  der 

T'il  der  bisher  als  quellen  Otfrids  nachgewiesenen  kommentarstellen  in  dieser 
Homiliensamlung  des  Paulus  Diaconus  sich  ebenfals  findet,  und  zwar  viele  in  einer 
zu  Otfrids  worten  viel  genauer  passenden  fassung.  Die  stellen  sind  von  Loeck, 
soweit  sie  nicht  wörtlich  mit  den  von  Kelle,  Piper  und  mir  bereits  nachgewiesenen 
kommentarstellen  übereinstimmen,  volständig  neben  dein  Otfridtexte  abgedruckt. 

Viele  nach  Weisungen  Loecks  aus  der  Homiliensamlung  betreffen  aber  auch 
solche  kapitel  Otfrids,  für  welche  man  bisher  noch  gar  keine  quelle  kante;  dies  gilt 
namentlich  für  Otfrid  V.  2.  Y,  4.  Y,  19.  20.  21,  sowie  auch  für  das  umfangreichste 
stück  Y.  23.  in  dem  freilich  lange  stellen  wie  v.  145  —  222  ohne  entsprechenden 
nachweis  bleiben.  In  v.  126  dieses  kapitels  lassen  Otfrids  worte  und  auch  das  hin- 
zugefügte  Marginale   auf  pax  et  just  Uta  einer   lateinischen    quelle  schliessen,    nicht 

:  der  angefühlten  homilienstelle  zu  lesen  istj  pax  et  laetitia. 

Im  ganzen  ist  die  zahl  der  von  Loeck  nachgewiesenen  Übereinstimmungen  so 
gross,  dass  man  in  der  tat  annehmen  muss,  Otfrid  habe  bei  abfassung  seiner  erläu- 
terungen und  allegorischen  deutungen  fortlaufend  entsprechende  homilien  aus  der 
samlung  des  Paulus  Diakonus  zu  rate  gezogen. 

ie  neu  oder  genauer  als  früher  nachgewiesenen  quellen  geben  manchen  neuen 

beitrag  zur  erläutcrung.      Für  Y,  6,  11  wird  klar,  äassjungero  für  junior,  nicht  für 

iciptdus  steht,    wie   ich   in  meinem   kominontar  vermutet  hatte.     Y,  4,  40  ist  iu 

gibura   =   vestri   eoneives,    vgl.   IV,  5,  37.     Y,  20,   20   forahtliclio  =   in 
gstlich  vegen  ihrer  schutxbefohlenen). 

Man'  llen  freilich  versucht  herr  Loeck  mit  unrecht  aus  jener  homi- 

liensamlung abzuleiten,  da  die  bisher  nachgewiesenen  kommentarstellen  eine  genauere 
üb  aung  mit   Otfrids   worten  zeigen.      Dies    gilt    nach    meiner   meinung    für 

Er.  I.  4.  85.  86.  I,  17,  71  (wo  twarto  zu  dem  bei  Ecda  erwähnten  sacerdotiuw, 
nicht  aber  zu  den  worten  der  Gregorianischen  homilie  passt).  II,  8,  23  fg.  II,  11, 
41  fg.  \\\  3.  13—10.  IY.  5,  5.  Für  die  stellen  II,  4,  45  fg.  01—05.  II,  8,  24, 
IY.  0.  45.  die  sicher  auf  die  von  mir  angeführten  hommentarstellen  zurückgehn,  hat 
herr  Loeck  im  Homiliarius  nichts  entsprechendes  gefunden.  Dass  der  Matthaeuskom- 
mentar  des  Hrabanus  sogar  für  die  bucheinteilung  Otfrids  massgebend  gewesen  ist, 
glaube  ich  zu  II.  7.  1.     HE,  1,  1  gezeigt  zu  haben. 


ÖBEB    LOECK,    VORLAGE    OTFRIDS  475 

Wenn  also  auch  die  homfliensamlnng  des  Paulus  Diaconus  die  hauptsächlichste 
unmittelbare  quelle  Otfrids  aamentlich  für  die  längeren  allegorischen  und  moralischen 
erläuterungen  gewesen  ist,  so  ist  doch  daneben  auch  eine  einwirkung  anderer  kom- 
mentare  nicht  abzuleugnen.  Dass  Loeci  eine  Bolche  einwirkung  nur  in  der  erin- 
sung  Otfrids  aus  früheren  Studien,  ohne  erneute  einsieht  in  diese  quellen  bei  abfa  - 
rung  der  erzählenden  kapitel,  zulassen  will  (s.  45fgg.),  halte  ich  nicht  füi  berechl 
Bei  der  berufung  auf  seine  „parva  memoria"  ad  Liutb.  37  spricht  ütfrid  nicht  von 
der  erläuterung,  sondern  von  der  auswahl  und  anordnung  der  biblischen  geschienten. 
Den  text  der  evangelien  muss  er  doch  jedes!.;  tz  für  ßatz  bei  der  abfassung 
jedes  erzählenden  abschnittes  verfolgt  haben,  volständiger  und  genauer,  als  er  in  den 
homilien  eitiert  war. 

Ich  gehe  bei  dieser  gelegenhoit  —  wie  es  schon  Celle  in  der  ausgäbe  Otfrids 
I,  66  fg.  beim  abschluss  seiner  grundlegenden  quellenuntersuchunj  etan  hat  — 
eine  übersieht  derjenigen  längeren  stücke  aus  Otfrid,  für  welche  auch  jezi  ooeh 
(abgesehen  von  reminiscenzen  an  einzelne  bibelstellen)  keine  quellen  nachgewiesen 
sind.  Es  sind  dies:  1)  Die  Widmungen  an  Ludwig,  Salomo  und  die  St.  Galler  mönche. 
2)  Eingangs-  und  Schlusskapitel  mehrerer  bücher:  I,  1.  2.  II,  1.  24.  ilf,  1.  26, 
25  —  70.  IV,  1.  37.  V,  24.  25.  3)  Eecapitulationen :  II,  3,  1  —  58.  III,  14.  IV. 
vgl.  auch  I,  3.  4)  In  die  erzänlung  eingelegte  ausführungen:  I,  5,  47  —  58  (hoheii 
und  macht  Christi).  I,  11,  7  — 18  (rede  des  kaisers  an  die  Sendboten).  :i7  —  54 
(Marienhymnus).  I,  15,  32  —  44  (ganz  im  predigertone  gehalten!).  I?  20,  0  —  21. 
31 — 36  (kindermord  in  Bethlehem).  II,  4,  5  —  38  (eindringen  des  teufeis  in  die 
weit;  der  anfang  wol  zurückgehend  auf  die  stelle  im  buche  Hiob  1,  7  cireuivi  b 
ram  et  perambulavi  eam).  II,  6  (sündenfall).  IV,  9,  21  — 24.  27  — 34.  12,  57— 64 
(würde  der  apostel,  hoheit  und  gewalt  Christi).  IV,  26,  11  —  26  (klage  der  trauen). 
IV,  29  (deutung  der  tunica  Christi  auf  die  kirche;  in  der  Wiener  handschrift  von 
v.  13  an  vom  corrector  eigenhändig  nachgetragen!).  IV,  35,  11  — 16.  41  —  44  (bedeu- 
tung  des  erlösungstodes).  V,  3  (gebet).  V,  17,  14  —  36.  18,  7  —  16  (himmelfahrt 
Christi).  Es  ist  nicht  unmöglich,  dass  für  die  eine  oder  die  andere  dieser  stellen  aoeh 
eine  anregung  oder  ein  Vorbild  in  der  theologischen  litteratur  nachgewiesen  wird; 
doch  selbst  wenn  cUes  geschehen  solte,  scheinen  sie  am  meisten  geeignet,  die  eigene 
fähigkeit  Otfrids  in  dichterischer  darstellung,  gefühlsäusserung  und  betraehtung  erken- 
nen zu  lassen. 

KIEL,    IM   AUGUST    1890.  0.    ERDMANN. 

Schriften  zur  germanischen  philologie,  herausgegeben  von  dr.  Max  Roe- 
dig-er.  II:  Der  satzhau  des  althochdeutschen  Isidor  im  Verhältnis 
zur  lateinischen  vorläge.  Ein  beitrag  zur  deutschen  syntax  von  dr.  Max 
Rannow.     Berlin,  Weidmann  1888.     X  und  128  s.     8. 

Zu  den  notwendigen  vorarbeiten  für  eine  althochdeutsche  Satzlehre  gehört  eine 
Untersuchung  wie  der  ähnlichen  von  einer  lateinischen  vorläge  abhängigen  denkmäler 
des  8.  und  9.  Jahrhunderts  überhaupt,  so  namentlich  die  des  redemächtigen  und 
glaubenseifrigen  Isidorübersetzers.  Bei  der  eigenartig  freien  Stellung  desselben  gegen- 
über seiner  vorläge  wird  bei  diesem  mehr  als  bei  allen  andern  zur  Vorbedingung 
hierfür  die  beantwortung  der  frage,  wie  weit  auf  den  ahd.  ausdruck  das  latein  von 
einfluss  war. 

Einen  wichtigen  teil  derselben  übernimt  dr.  Rannow  mit  der  oben  genanten 
arbeit.     Es  ist  zunächst  festzustellen,    wie   weit  die   abweichungen  vom  lateinischen 


476  VON   MONSTERBERG 

durch  den  damaligen  zustand  der  deutschen  spräche  bedingt  und  wie  weit  sie  wil- 
kürlieh  sind.  Rannow  will  die  lalle  der  zweiten  art  sehr  eingeschränkt  wissen  und 
übt  dem  Übersetzer  zutrauen  zu  dürfen  (s.  V),  „dass  er  für  gewöhnlich  weder,  wo 
er  dem  lateinischen  sich  scheinbar  anschliesst,  dazu  durch  die  fremde  spräche  auf 
kosten  d<  r  deutschen  verleitet  worden  sein,  noch,  wo  er  von  der  vorläge  abweicht, 
dies  ohne  grund  getan  haben  wird*,  weshalb  er  ihn  denn  auch  als  ahd.  sprachquellc 
dem  Otfrid  mindestens  gleich  und  über  den  Tatian  <^y.\. 

Die    planmässigkeit    der    zahlreichen    abweichungen    daher    darzutun   und   den 

er!  d  Vorwurf  alzugrosser  wilkür  zurückzuweisen   (vgl.  IL  Gering,   Die  causal- 

und   ihre  Partikeln   bei  den  ahd.  Übersetzern  des  8.  und  9.  jahrh. ,    Halle  1S7G 

A.  Dennecke,  Per  gebrauch  des  infmitivs  bei  den  ahd.  Übersetzern  des  8. 

und  9.  jahrh.,  Leipzig  1880  s. 8.  50)  bleibt  daher  dem  Verfasser  beständig  gegenständ 

o  dahingestelt  bleiben,    ob  nicht  überhaupt  für  den  Sprachforscher 
durch  den  nachw-  freiheit  das  denkmal  an  wert  nur  gewinnen  könte,    da 

ser  ja  doch  nicht  sowol  die  übersetzungskunst,  als  vielmehr  die  ureigne  ausdrucks- 
fahigkeit  der  damaligen  spräche  selbst  kennen  lernen  will.  Vielleicht  war  dann  weni- 
r  eine  Verteidigung  der  abweichungen  geboten,  als  vielmehr  die  frage  so  zu  stel- 
len, in  wie  weit  trotz  jener  freiheit  der  deutsche  ausdruck  durch  das  latein  seiner 
derzeitigen  art  entfremdet  worden  sei.  Der  verbleibende  rest  war  als  zuverlässige 
quelle  für  die  spräche  eines  gelehrten,  scharfe  und  ausdrucksvolle  rede  liebenden 
mannes  jener  zeit  ohne  weiteres  zu  betrachten. 

Efe  ergeben  sich  nun  einige  sechzig  sätze,  welche  Veränderung  ihrer  art  erfah- 
n.     L'nter  den  hauptsätzen   (I.  teil)   sind  von  mehr  als  109  lateinischen  aus- 
etwa  17  (§  G  und  7),    von   etwa  28  heischesätzen  (B)   3   (§  11),    von 
fragesätzen   (C)   5   (§  12)   im   bau   verändert.     Bei  den  nebensätzen   (IL  teil)   stelt 
Verhältnis  so:  von  10  indirekten  fragesätzen  (A)  keiner,  von  68  relativsätzen 
unter  etwa  131  conjunktionalsätzen  (C)  22   (§20  —  27).      Im  III.  teile 
folgt   die   Besprechung  der  lateinischen   inf. .    part. ,    gerundien  und  gerundive,  soweit 
s  itze   veranlassen.     Mit  wol    geschultem    philologischen    blicke  und  fei- 
nem Sprachgefühle  findet  nun  Rannow  für  die   änderungen  bald  grammatische  gründe 
zu  19,  .  55  zu  33,  6),  bald  logische  (anm.  15;  s.  36;  s.  68  zu  5,  23),  bald 

wohllai  3.  51;  102),    bald  des  deutschen  Sprachgebrauchs   (s.  42;   §9; 

§18,  2a£;  anm.  20;  §  15  d),  bald  der  deutlichkeit  (s.  53  zu  29,  1;  s.  69  zu  33,  23; 
_^     -    i)    oder  des  nachdrucks   (§  40)  und  der  tendenz    (anm.  12;  s.  46).     Genauig- 
keit andrerseits  auch  in  kleinigkeiten ,   wenn   derartige  gründe  nicht  vorliegen,   wird 
gezeigt  s.  18  und  anm.  1. 

In  allen  diesen  fällen  hat  mich  dr.  Rannow  fast  durchweg  überzeugt.  Sofern 
jedoch  keineswegs  immer  nur  bessere  widergabe  des  auch  im  lateinischen  implicite 
enthaltenen,  sondern  meist  eine  weitere  ausarbeitung  des  gedankens  vorliegt,  wrird 
von  freiheit  und  wilkür  immerhin  noch  gesprochen  werden  dürfen,  z.  b.  schon  5,  10 
52;  '.'.  10  s.  9!»:  2«.).  10;  17,  33;  15,  17  s.  80  u.  a.  Lediglich  wil- 
kür glaube  ich  sehen  zu  müssen  im  modus  des  bedingungssatzes  9,  28  s.  67  (vgl. 
zu  47.  7  s.  29  und  30),  7.  IS  s.  68,  zu  5,  11  s.  69,  der  folgesätze  §  25,  in  dem 
tempi  II;    5.  14:    15.  19   s.  70  und  71,    in   dem   genus   verbi  15,  5   s.  71  und 

72,  in  dem  partic.  5.  10  s.  110.  Arn  wenigsten  lassen  sich  alle,  bisweilen  recht 
weitgreifende  Satzumwandlungen  für  geboten  erachten,  z.  b.  nicht  die  in  §  19  anter 
c.  I,  ,.  ;.  :.  7,  ,?.  §  33;'  berührten,  nicht  5,  15  s.  72;  39,  24  s.  77  und  81;  5,  10 
s.  71  12   s.  _"       Dass    der   Übersetzer    seine    vorläge,    was    durch   das   damalige 


ÜBEB    RANNOW,    SATZBAU   DES    I8IDOB  1,7 

deutsch  gewiss  oicht  veranlasst  war.  an  hypotaktischer  gliederung  sogar  üborbiete, 
wie  Gering  schon  früher  behauptete,  gibt  Rannow  selbst  zu  (s.  43;  73),  wenngleich 
auch  freilich  zuweilen  umgekehrt  eine  längere  periode  in  mehrere  zerleg!  wird  (s.  16). 
Mehrfach  ist  daher  auch  Rannow  genötigt  den  persuch  einer  rechtfertigung  aufzu- 
geben (s.  116;  41;  72),  wie  er  auch  widerholt  die  grund-  and  regellosigkerl  (s.  21; 
22;  50;  51;  72)  der  abweichungen  wie  auch  vorhandene  fehler  einräumt  (anm.  16;  34; 
s.  31;  (iL*  zu  21,  29;  21,  1;  :;.  8),  Ganz  recht  aent  er  daher  „die  weise  des  man- 
aes  eine  mehr  umschreibende  und  erklärende  als  genau  nach  der  vorläge  über- 
sende" (s.  18). 

Lateinischer  einfluss  auf  kosten  des  deutschen  Sprachgebrauchs  ist  in  den 
wenigen  ausnahmen  s.  29;  .".7;  116  angemerkt;  ebenso  mit  recht  die  sorgfältige 
berücksichtigung  des  deutschen  s.  IS;  47;  95;  96;  V  hervorgehoben. 

Der  Verfasser  hat  also,  wie  der  titol  verspricht,  ein  bild  jener  freiheit  bezti 
lieh  der  satzverhältnis  iboten,  mit  gewissenhafter  volständigkeit  und  Sachlichkeit 
der  polemik.  Gelingt  es  nicht  freiheit  und  selbst  wilkür  gänzlich  in  abrede  zu  Btellen, 
so  tritt  doch  durch  Rannows  mit  vielem  psychologischen  Verständnis  erbrachte  nach- 
weise über  die  art,  wie  der  Übersetzer  umschreibt  und  erklärt,  der  Charakter  und 
selbständige  wert  des  Sprachdenkmals  klar  hervor. 

Allenthalben  wird  gelegenheit  zu  wertvollen  syntaktischen  beobachtungen  aller 
art  genommen,  so  über  die  ausbildung  der  hypotaxe,  namentlich  der  relativsätze 
(§  4),  über  die  attraktion  derselben  s.  48  und  100,  über  die  stelluim  der  Sätze  (wol 
erschöpfend)  §38  und  s.  71,  über  die  Stellung  der  worte  im  satze  (§39),  wozu 
eine  statistische  berechnung  über  die  Stellung  des  verbum  finitum  in  zusammengesez- 
ten  formen  im  nebensatze  gegeben  ist  anm.  5.  Über  den  Chiasmus  bei  [sidor  ist 
anm.  8,  über  den  gebrauch  des  modus  §  13;  §  26,-);  s.  50,  über  ibu  und  nibu  8.  G8, 
über  den  passiven  gebrauch  des  infmitivs  §  32  (f  gehandelt;  ferner  über  die  Verwen- 
dung gewisser  conjunktionen  s.  59.  71.  82,  über  den  dativ  der  vergleich um 
über  den  absoluten  dativ  s.  107,  über  die  undeutsche  natur  des  acc.  mit  dem  infin. 
s.  92  fg.  Ausserdem  ist  grosse  aufmerksamkeit  dem  handschriftenverhültnis  gewid- 
met,  und  auch  hier  sind  mehrfach  beobachtungen  gesammelt,  die  für  die  kritik  nicht 
zu  unterschätzende  handhaben  werden  können.  Es  sei  hingewiesen  auf  anm.  9;  2;  12; 
s.  9,  womit  zu  vergleichen  §  185.  Ebenso  ist  sorgfältig  auf  alles  geachtet,  was  auf 
die  persönlichkeit  des  Übersetzers  ein  licht  zuwerfen  geeignet  ist  (vgl.  namentlich  §40). 
Die  brauchbarkeit  des  buches  ist  dadurch  erhöht,  dass  der  stoff  nach  der  herköm- 
lichen  satzeinteilung  in  eine  bequeme  Übersicht  gebracht  ist.  Stets  war  hierbei  der 
lateinische  text  massgebend.  Am  ende  jedes  abschnittes  ist  das  einzelergebnis,  am 
schluss  der  Untersuchung  der  gesamtbefund  zusammengestelt;  auch  an  einem  alpha- 
betischen Sachverzeichnis  wie  einer  Übersicht  der  kritisch  und  exegetisch  besproche- 
nen stellen  (es  sind  ihrer  nicht  weniger  als  85)  fehlt  es  nicht. 

BRESLAU,    SEPTEMBER    1889.  VON    MONSTERBERG. 


Über  syntaktische  mittel  des   ausdruckes    im    althochdeutschen    Isidor 
und  den  verwanten   stücken.     Von  dr.  Henry  Scedorf.     (Göttinger  beiträ 
zur  deutsehen  philologie,  hcrausgeg.  von  M.Heyne  und  W.  Müller,  III.)    Pader- 
born, Schöningh.  18S8.     88  s.     1,40  m. 

Schon   in  der  deutschen  litteraturzeitung  vom  3.  nov.  1888,    sp.  1001   hat  ref. 
die  sorgfältige  und  gewissenhafte   führung   der  Untersuchung  in   dieser   Schrift  lobend 


T0MANETZ 

hervoi _  n.    ebendori   auch  den  vorteil  betont,    den   syntaktische  Untersuchungen 

der   Ktteraturgeschichte    namentlich   in   bezug    auf  die   trage  nach  der  Zugehörigkeit 

zweier  oder  mehrerer   denkmäler   zu   einem   autor   zu  bieten    im  stände  sind.     So  ist 

auch  6  o  nachzuweisen,    dass  zwischen  dem  sogenanten  Isidor  und 

der  ü'  Matthäusevangeliums  differenzen  in  dem  syntaktischen  verhalten 

nmg  zur  vorlag«  -hcn.    welche  die  annähme  verbieten,    beide   stücke 

inem   autor  in    einem   g  rtigt  worden.     Freilich   bleibt  noch  die 

offen,  von  einem  autor,    aber  zu  verschiedeneu  zeiten  verfasst 

n  beherschung  der  spräche  inzwischen  vervolkomt  haben  kann. 
Ir.  .   die  art  der  darstellung  bei  Seedorf  mit  der  bei  Rannow, 

äg  ebenfals  über  das  Verhältnis  des  Isidor  zur  lateinischen  vorläge 
.rieb,    zu  liehen.      AI  g<  sehen   von    der   Verschiedenheit    der    nebeninteressen, 

indem   -        irf  den  Isidor  und  andere  ahd.  stücke  auf  ihre  verwantschaft  prüft,   Ran- 
lfmerksamkeit  der  textkritik  zuwendet,  ist  schon  in  der  anordnung  des 
Res  ein  tiefgreifender  unterschied  zu  finden.     Rannow  ordnet  das  material  in   her- 
kömmlicher weise  und  stelt  dar,    wie  1)  Lateinische  hauptsätze,    2)  nebensätze  und  3) 
inf.  part.  gerundium  und  genmdiv  im  deutschen  widergegeben  werden.     Ganz  and' 
S     dorf.     Er  versteht  unti  :   „syntaktischen  mittein  des  ausdruckes"  jene  sprachlichen 
mittel,    welche  der  bezeichnung  der  beziehungen    1)  der  worte  im  satze  und  2)  der 
•      iuander  dienen.     Hierher   zählt    er   bezüglich  des   1.  punktes   die   casus- 
ondungen  und  die   bezeichnung  von  numerus  und  person  am  verbum.     Indirekt  wird 
auch  »Zeichnung  von  genus   und  numerus   am  nomen  zu   einem   syntaktischen 

mittel  des  ausdruckes.  obwol  diese  modifikationen  des  wertes  an  sich  vom  satze  und 
der  beziehung  zu  andern  Wörtern   unabhängig  sind.     Schliesslich  sind  erstarte  casus- 
formen, partikeln,  adverbien  und  präpositionen .  sowie  die  Wortstellung  hilfsmittel  zur 
-  ieutlichung  der  syntaktischen  Verhältnisse.   Die  Steigerung  des  adjektivs,  sowie  genus, 
•    opus  und  modus  beim  verbum  drücken  keine  beziehungen  der  worte  im  satz  aus; 
aber  die  modalität  des  verbs.  mitunter  in  Verbindung  mit  der  tempusbezeichnung  drückt 
undar  das  Verhältnis  der  sätze  zu  einander  aus.     Dasselbe  wird  auch  durch  wort- 
und  satzstellung  erzielt,  hilfsmittel  sind  schliesslich  pronomina  und  erstarte  casusformen 
njunctiouen).    Bloss  auf  den  1.  teil,  also  die  darstellung  der  sprachlichen  bezeichnung 
der  Verhältnisse  der  worte  im  satze,  beschränkt  sich  unsere  abhandlung;  die  syntak- 
tischen mittel  zum  ausdruck   der  beziehungen    der  sätze  zu  einander    sollen    später 
wandelt  werden.     Diese  disposition    des  materials    ist   gewiss    geistreich  und  neu; 
sie  scheint  auf  Herzogs  Vorlesungen  über  „theorie   der  griechischen  und  lateinischen 
tax-   zurückzugehen.     Ich  finde  jedoch  eine  inconsequenz   darin,    dass  die  wort- 
ilung  im  ersten  falle  bloss  hilfsmittel  ist.  im  zweiten  falle  aber  als  hauptmittel  hin- 
gestelt  wird,    ,,da  sie  bei  ihrer  Wichtigkeit  in   diesen  Verhältnissen   nicht  als  blosses 
hilfsmittel  betrachtet  werden  kannu.     Dadurch  wird  ein  neuer  gesichtspunkt  in   die 
einteilung  hineingetragen,    der  ihre  einheitlichkeit  stört.     Die  Stellung  der  Wörter  ist 
doch  keine  modifikation  an  ihnen,    sie   fält  also   entschieden  in   beiden  fällen  ausser- 
ha~  principe  der  einteilung:    dasselbe   gilt  noch  mehr  von   der  satzstellung.     Es 

auch  unpral  die   behandlung  der  Wortstellung  in  zwei  teile  zu  trennen,   wie 

mir  auch  bedenklich  erscheint,    die   partikeln   zweimal  gesondert  von  einander  zu 
-prechen.     Charakteristisch  ist  es,  dass  sich  Seedorf  veranlasst  sieht,  von  allen  den 
der  ersten  gruppe  zugeteilten  partikeln  bloss  die  präpositionen  zu  behandeln,  da  -die 
übrigen  i  im  Zusammenhang  mit  abschnitt  II  zu  besprechen  sindu.     Das  scheint 

wol  darauf  hinzudeuten,    dass   sich   Seedorfs   gruppierung   des  Stoffes  in   der  theorie 


BBEB    >t;KDORF.    SYNTAX     DES    I-M'ÖR  479 

besser  macht  als  in  der  praxis.  E  tso  auffällig  ist  es,  dass  die  vom  satzban  unab- 
hängigen modifikationen  der  worte,  besonders  die  am  verb,  also  genus,  tempus  ond 
teilweise  modus,   die  nach  Seedorfs  ganz  ausser  acht  gelassen  werden  könten 

und  selten,    doch  berücksichtigt  werden,    „weil  die  Übersetzer  durch  die  armut  ihrer 
spräche   an    formalen    bezeichnungen    für   diese    modifikationen    di  9    verbs   —    deren 
behandlung  gewöhnlich  einen    hauptteil   der   Byntax    des   einfachen  satzes    büdet  — 
;wungen  sind,  das  fehlende  mit  hilfe  syntaktischer  mittel  zu  ersetzen".     Bier  zeigl 
ii  denn  die  Individualität  des  übe]         ra   am    ehesten,    darum   ist  liier   die    ver- 
gleichung   der   lateinischen    vorläge  mit  der  Übersetzung   von  besonderem   inten 
Mit  vollem  recht  wird  diesen  modifikationen    des  verbs  ein  eigenes  kapitel  gewidmet, 
aber  nur  anhangsweise,    denn   dieselben    lallen   aus   dem    bereich    de         3chaffenen 
Systems  heraus.    Dass  aber  ein  so  wichtiges  kapitel  nur  nebenbei  in  die  darstellut 
eingeschwärzt  worden  kann,    spricht  nicht  für  die  disposition,    die  es   principiell  ai 
schliesst. 

Aber  selbst  wenn  man  Seedorfs  anordnung  des  Stoffes  völlig  gutheissen  könte, 
wäre  es  fraglich,  ob  es  sieh  empfiehlt,  eine  derartige  neuerung  in  einer  solchen  Bpe- 
cialuntersuchung  wie  die  vorliegende  zur  anwendung  zu  bringen.  Immerhin  ist  die 
loktüre  der  abhandlung  und  die  aneignung  ihrer  resultate  einigermassen  erschwert. 
Rannow  hat  mit  seiner  diesbezüglichen  bemerkung  (s.  V.  VI)  nicht  unrecht.  Was 
ferner  das  vergnügen  an  dem  buche  wesentlich  beeinträchtigt,  ist  der  übelstand,  dass 
die  belege  oft  nur  nach  ihrem  platze  im  text,  nicht  nach  dem  Wortlaute  ciüert  wer- 
den, sodass  man  beständig  bald  den  Isidor,  bald  das  Math.-evangelium,  bald 
die  denkmaler  zur  band  nehmen  und  naehschlagen  muss;  bezeichnend  ist  dafür 
der  aublick  der  seiten  18 —  22.  Rauuows  ausführliches  eitleren  kann  diesem  verfah- 
ren gegenüber  nicht  genug  geschäzt  werden.  Dass  Seedorf,  wie  er  s.  78  mitteilt. 
nicht  sein  ganzes  gesammeltes  material  mitgeteilt  hat,  kann  ich  nur  bedauern.  Auch 
der  mangel  einer  inhaltsangabe  und  eines  Verzeichnisses  der  stellen,  die  kritisch  oder 
exegetisch  besprochen  werden,  macht  sich  unangenehm  fühlbar. 

"Was  man  aber  auch  gegen  den  rahmen,  in  dem  Seedorf  seine  Untersuchung 
vorführt,  sagen  kann  —  der  inhalt  derselben  behält  seinen  vollen  wert.  Das  material 
-eheint  (bis  auf  den  anhang)  volständig  verzeichnet  zu  sein,  und  bei  dessen  bespre- 
chung  und  Sichtung  ergeben  sich  manche  korrekturen  zu  den  betreffenden  kapiteln 
des  IV.  bandes  der  grammatik,  was  ja  bei  so  eindringender  behandlung  einiger  klei- 
ner denkmäler  nicht  anders  möglich  war;  und  bei  dem  bestreben  Seedorfs,  den  grossen 
Zusammenhang  nicht  aus  den  äugen  zu  verlieren,  eröfnen  sich  auch  interessante  aus- 
blicke in  das  gebiet  der  historischen  syntax. 

WIEN  -  WÄHRING ,    WEIHNACHTEN    1889.  K.    TOMANETZ. 


Der  ^Kloseimere"  \Yalthers  von  der  Yogelweide.  Seine  bedeutuug  für 
die  heimatfrage  des  dichters.  Von  Karl  Doinanitr.  Paderborn,  Schöningh. 
1S89.    45  s.     1,20  m. 

Der  viel  gesuchte  klösenare  ist  gefunden:  es  ist  niemand  als  Walther  von  der 
Yogelweide  selbst,  der  sich  nach  dem  unweit  der  Yogelweide  im  Layener  Ried  bele- 
genen Städtchen  Klausen  jenes  pseudonym  beigelegt  hat.  Damit  ist  denn  auch  die 
„heimatfrage  des  dichter-"  nunmehr  endgültig  entschiede!] ! 


4S0  F.    VOGT,    ÜBER    DOMANIG,    KLOSEN-ERB 

Das  is1       -  wunderliche  ergebnis  einer  wunderlichen  auslegekunst,  die  mucken 
s  iht  und  kam«  rschluckt;    die  Schwierigkeiten  Schaft  wo  keine  vorhanden  sind, 

dagegen  über  alles,  was  dem  von  vornherein  gewünschten  ergebnis  klar  und  deutlich 
widerspricht,  völlig  hinwegsieht,  und  dinge  in  die  texte  hinein  interpretiert,    die  nie- 
mand darin  finden  kann,  wenn  er  unbefangen  liest,  was  dasteht.    Charakteristisch  für 
erfahren  hon  die  deutung  der  an  erster  stelle  von  ihm  bespro- 

Lachm.  62,  10  ein  klosencere  ob  <  r\    vertrüege?    ich  wmne,    er  nein. 
v  als   ich  sie  hän,    bestüende   in    danne   ein    zörnelin,    ea    wurde 
k,,.  rdin.     Walther  Btelt  hier  scherzend    seine    Sanftmut   über   die  eines 

klausners,  Dass  der  vergleich  nichts  auffälliges  hat,  zeigen  Strickers  verse  war  ich 
.  ich  w  -  werden  ungemuot.  Domanig  aber  weiss  soviel  bedenken 
-  nächstliegende  ausfindig  zu  machen,  bis  ihm  die  stelle  nur  dann  „motiviert 
und  logisch,  zugleich  angemessen  im  tone"  erscheint,  wenn  sie  widergegeben  wird: 
.Die  Sanftmut  einmal  wie  ich  hätt  kein  klausner  (ein  eremit  meint  ihr'?);  jawol  ein 
Klausner  (—  so  ein  derber  Landsmann  von  mir!)  der  zahlt  euch  jede  unbill  doppelt 
heim!"  Zuuä«h>r  i-t  da  der  comparativ  unsanfter,  der  besonders  gegen  die  übliche 
auffassun_  -      -   rechen  soll,    irrig  gedeutet;    er  vergleicht    das  mutmassliche 

halten  des  klausners  nicht,   wie  Domanig  meint,   mit  dem  grade  einer  unbill,    die 
■   klausner  erlitten  hat,   sondern  mit  dem  grade  von  Sanftmut,   welchen  der  dichter 
.  wie  die  folgenden  wolle  zeigen:  sicie  sanfte  iehx>  also  laxe  sin.    Von  einem 
heimzahlen  u  ist  also   gar  nicht  die   rede.     Sodann  aber  sind  alle  die  worte, 
'che  in  Domanigs  Übersetzung  eine  beziehung  auf  den  aus  Klausen  gebürtigen  ent- 
halten  und  die  ganz  unentbehrlich  wären,    wenn    eine    solche  beziehung   für  irgend 
.and   verständlich  sein   solte,    lediglich  Domanigs   zutat.  —    Noch  schlimmer  steht 
mit  d-:-r  hehandlung  der  drei  Sprüche,  in  denen  der  klosencere  erwähnt  wird.    Hier 
muss   die   Untersuchung  natürlich   von   Lachm.  9,  16  fg.   ausgehen,    da  auf  die   dort 
ausführlichere  einfuhrung   des    klausners   in   den    beiden    späteren    Sprüchen 
.3.    34.  33)    ausdrücklich  bezug  genommen  wird.     Welche  bedeutung  hat  also 
dort  jene  rolle V     Wie  von  hoher  warte  überschaut  der  dichter   die  ganze  weit;    alles 
tun  und  alles  reden  nimt  sein  äuge  und   ohr  wahr.     Er  hört  in  Eom  betrügerische 
anschlage  gegen  die  beiden  könige  machen,  er  sieht  über  das  reich  hin  den  kämpf  zwi- 
ien  weltlicher  und  geistlicher  gewalt  toben,   er  „hört   fern  in  einer  klause  grosses 
jammern:  da  weinte  ein  klausner,  er  klagte  gott  sein  leid:  „  „o  weh!  der  papst  ist  zu 
jung:  hilf,  herr,  deiner  Christenheit!"    Dass  der  abseits  von  dem  wütenden  kämpfe  der 
;ffen  und  laien  in  stiller  einsamkeit  einem  christlichen  leben  hingegebene  klausner 
hier  als  der  typus  eines  über  den  parteien   stehenden   echten   Christen    gemeint  ist, 
iieint  mir  so  klar,   dass  der  Spruch  keines  weiteren  kommentars  bedarf.     Aber  mag 
man  in  die  fragliche  rolle  hineingeheimnissen  was  man  will —  so  viel,  solte  man  mei- 
nen,   müste  doch  feststehen,    dass    1.   der  verre  in    einer  klüs  weilende  klosenare 
ein  einsiedler  ist;  und  dass  2.  dieser  einsiedler,  dessen  klage  der  dichter  aus  der 
ferne  hört,    unter  allen   umständen  nicht  der  dichter  selbst  sein  kann.     Domanig  ist 
an  ansieht.     Die  behauptung.    dass  Walther  sich    hier    selbst  unter  jenem  von 

iner    heimat    herzuleitenden    doppelsinnigen   pseudonym    vorführe,    weiss    er    durch 
fo!_  Interpretation  der  oben  wörtlich  übersezten  verse  zu  begründen:    „ich  kenne 

einen,   der  dem  parteigetriebe  ferne  steht  und  laut  jammert  über  diese  zustände  (ihr 
nt  ihn  auch!),   den  klausner;    nach   seiner  meinung   fehlte  am  papst".     So  werden 
unter  völliger  nichtachtung  des  Zusammenhanges  die  klarsten  und  bestirntesten  worte 
des  dicht  und  algemeine  gezogen,    bis  man  herausdeuten  kann,  v 


G.    KETTNEB,    s<  HII.LERI.iTTERATUR 

mau  wünscht;  da  ist  es  denn  natürlich  auch  nicht  schwer,  die  beiden  anderen 
Sprüche  damit  in  einklang  zu  bringen  and  herauszubekommen,  in  den  auf  jenen 
ersten  sprach  zurückdeutenden  vrersen  wcem  aber  min  guoter  klösenare  klage  und 
re  weil u  and  iu'm  alter  klösencere,  von  dem  ich  so  sane  meine  Walther  mit  die- 
sem seinem  Klausner  wideram  sich  Belbst.  Noch  andere  gar  seltsame  „unter- 
legungen" Hessen  sich  anführen.  Das  beigebrachte  wird  zur  Charakteristik  des  schrift- 
chens ausreichen. 

BRESLAU.  1.    VOGT. 


li  Ernst  Elster.  Zur  ontstehungsgeschichte  des  Don  Carlos.  Halle,  RI.Nie- 
meyer.   ls^'. >.     74  s.     gr.  s. 

2)  Hermann  Tischler,  Die  doppelbearbeitungen  der  Räuber,  des  Fiesko 
und  des  Don  Carlos  von  Schiller.  Eine  Litterarhistorische  studio.  Inau-.  - 
diss.     Leipzig  lssv  in  commission  bei  <!.  Fock.     (il  s.     1   m. 

3)  Ludwig  Bellermann,  Schillers  dramen.  Beiträge  zu  ihrem  Verständnis. 
Erster  teil.  VI  und  328  s.  8.  Berlin,  Weidmannsche  buchhandlung.  L888. 
G  m. 

4)  Alfred  Buhe,  Schillers  einfluss  auf  die  entwickelung  des  deutschen 
nationalgefühls.     Zweiter  teil.     Programm  des  gymnasiums  zu  Meppen,    1889, 

30  s     4. 

5)  J.  Goldsehmidt,  Schillers  Weltanschauung  und  die  bibel.  Erläuterungen 
über  „  Kassandra  tt  und  »Das  ideal  und  das  leben".  Berlin,  Rosenbaum  &  Hart. 
1888.     0,80  m. 

6)  Alfred  Cless,  Die  künstler  von  F.  Schiller,  an  der  band  des  textes 
gemeinverständlich  erklärt     Stuttgart,  Adolf  Bonz.   1889.    89  s.     16.     2  m. 

1)  Dr.  Elster  hatte  seine  ansichten  über  die  entstehuug  des  Don  Carlos  schon 
im  Oktober  1S84  auf  der  Dessauer  philologenvei'samlung  entwickelt1;  in  der  vorlie- 
genden —  zur  babilitation  an  der  Universität  Leipzig  gedruckten  —  abhandlung  hat 
er  dieselben  eingehender  ausgeführt. 

In  der  einleitung  sucht  Elster  die  gemüts-  und  phantasieanlagen  Schillers  zu 
bestimmen,  denn  „bei  der  wissenschaftlichen  betrachtung  der  einzelnen  werke  eines 
dichters  scheint  es  ihm  von  grosser  bedeutung  zu  sein,  dass  man  dieselben  stets  vor 
äugen  behalte*.  Ich  halte  diesen  ausgangspunkt  für  methodisch  falsch.  Zwar  ver- 
hehlt sich  auch  der  Verfasser  nicht  die  bedenken,  die  demselben  entgegenstehen;  aber 
die  gründe,  welche  er  dagegen  anführt,  dienen  mehr  dazu,  sie  zu  verstärken,  als 
zu  widerlegen.  „Gewiss",  saut  er,  „ist  ein  volständiges  bild  von  des  dicht.!-  anla- 
gen nur  auf  grund  der  erforschung  aller  einzelnen  werke  zu  gewinnen,  aber  es  La 
sen  sich  doch  häufig,  insbesondere  bei  bekantcn  (!)  Verfassern,  gewisse  grosse  zu 
vorwegnehmen,  die  uns  angeben,  was  dem  dichter  gemäss  i>tu.  Bei  bekanten  Ver- 
fassern!— was  heisst  das  anders,  als:  wir  schliessen  uns  bewussi  oder  unbewussf  den 
anschauungen  an,  welche  über  dieselben  im  schwänge  sind!  Und  so  sehen  wir  denn 
auch  im  folgenden,  wie  Elster  ziemlich  kritiklos  die  üblichen  algemeinen  urteile  über 
Schillers  poetischen  Charakter  aeeeptiert     Auf  diese  w<  wir  gewiss  nicht 

dazu,    denselben   tiefer   und   schärfer   zu   erfassen;    die   alten    schlagworte    erben    ^ich 

1)  Vgl.  Jen  berieht  in  dieser  Zeitschrift  bd.  XVII,  s.  119 
ZEITSCHUIFT    F.    DEUTSCHE    PHH.OLOGIK.      HF».   XXIII.  31 


482  G.    KETTNER 

wie  eine  ewige  krankheit  fort     Und   doch  wäre   es  gerade  1>ei  Schiller  einmal  drin- 
nd  nötig,    eine  gründliche  revision   dieses  alten  Inventars  von  algemeinen  urteilen 
zu  onternehmen.     Und  schliesslich:  meint  der  Verfasser  wirklich,  dass  die  paar  for- 
mcln.  in  denen  er  auf  den  folgenden  Seiten  Schillers  dichterische  Individualität  erfasst 
zu  haben  glaubt,  eine  sichere  handhabe  bieten,   um  zu  bestimmen  „was  dem  dichter 
-      st*? 
Nach  einer  genauen  inhaltsangabe   und   treffenden   Charakteristik   der  novello 
ds  untersucht  der  Verfasser  zunächst   den    Bauerbacher  entwurf  des  Don 
Carlos,     Er  bemerkt  s.  27  von  diesem  entwurf  im  algemeinen:    „Das  erste,   was  uns 
auffält.  ist  der  umstand,  dass  eine  einteilung  der  auftritte  nicht  geschehen  ist.     Dies 
ist   für   Schillers   art   zu  schaffen   bezeichnend.     Dichter,    die   durch  gegenständliches 
äffen  hervorragen,  werden  immer  zunächst  einzelne  grosse  scenen  vor  ihrem  inneren 
äuge  erblicken,    sie  werden  die  konkrete   Handlung  sich  überall  ausmalen.     Nicht  so 
S  hiller.     Seiner  abstrakteren  natur  scheinen  lediglich  die  bedeutungsvollen  regungen  in 
der  seele  des  menschen   bemerkenswert,    er  entwirft  sich  kein   bühnenbild  und  hebt 
nur  die  punkte  hervor,  die  irgendwo  im  verlaufe  eines  aufzuges  durch  handlung  oder 
-•1  Zählung  deutlich  gemacht  werden  müssen*.     Im  gegensatz  hierzu  weist  er  auf  Goe- 
thes  art  zu   componieren.    wie   sie   das   Schema   der  Nausikaa  zeige,    hin  —    meines 
achtens    durchaus    mit    unrecht!     Wir  wissen    doch    zunächst   gar  nicht,    welchem 
stadinm  der  dichterischen  arbeit  der  eine  und  der  andere  entwurf  angehört!    Wenn 
man  die  schematisierung  z.  b.  des  AVarbeck  zum  vergleich  heranzieht,  so  erscheint 
das   Verhältnis   zwischen   Goethes   und   Schillers    producieren  wesentlich   anders:    hier 
sieht  man,    dass   auch  Schiller   der  iuhalt  der  einzelnen  scenen  klar  vor  äugen  stellt, 
hin  und  wider  werden  in  die   inhaltsskizze  derselben  bereits  einzelne  dialogfragmente 
geworfen,    charakteristische  worte  —   man  sieht,    der  dichter  hört  einzelne  personen 
bereits   sprechen   —   auch  scenarisches  ist  kurz   skizziert.     Allerdings  rinden  sich  in 
fast  allen  Fragmenten   scheinbar  ganz   abstrakte   dispositionen   der  einzelneu  momente 
der  handlung:    sie  waren  aber,    wie  sich   zum  teil  noch  nachweisen  lässt,    nicht  das 
zuerst  gegebene,    sondern   Schiller  suchte   dadurch   später  das  aufquellende  detail  zu 
organisieren,    die    mannigfachen    fäden    der    handlung    straff   zusammenzufassen;    ich 
möchte  behaupten,  dass  die  strenge  dramatische  geschlossenheit  seiner  dramen  gerade 
auf  dieser  nachprüfenden  und  sichtenden  Tätigkeit  des  künstlerischen  Verstandes  beruht. 
Freilich    finden    sich    auch    stellen,    wo   er  direkt  sich  die  frage  stelt,   wie  der  oder 
jener  zug  noch   zu  erfinden   sei;    indessen  dies  ist  kein  beweis  für  die  abstrakte  art 
haffens.   Es  liegt  im  wesen  der  phautasietätigkeit,  dass  ihr  zunächst  einzelne 
hflder  erscheinen,    einzelne  teile  des  Stoffes  sich  lebendig  aufdrängen;    um  die  binde- 
;   zwischen  denselben  zu  finden,  bedarf  es  der  hilfe  des  erfindenden  Verstandes. 
Ein  moderner  dichter  hat  dies  einmal  sehr  bezeichnend  ausgedrückt:  die  höhen  lägen 
vor  dem  äuge   des   dichters  zunäch-t  in  klarem  lichte,    während   die  dazwischen  He- 
iden täler  noch  dunkel  decke. 

Ich  hebe  gerade  diese  punkte  mit  besonderem  naehdruck  hervor,    weil  durch 
he.   aus  einem  meist  sehr  ungenügenden  induktionsmaterial   gewonnene  algemeim' 
urteile  immer  die  Charakteristik  Schillers  gefälscht  wird1. 

1)  Leider  leistet  gerade  die  publikation  der  dramatischen   fragmente  Schillers,   welche  die 

historisch  -  kritische  ausgäbe  in  bd.  XV  gebracht  hat.    derartigen   irrigen   auf'fassungen  nur   zu  sehr  vor- 

ib.     Goedeke  ist  eingestandenorrnassen  (vgl.  XV,  2,  VIIj   bei  der  Ordnung  ,. bestrebt  gewesen,    vom 

algemeinen    in    das    specielle    zu    führen,    um    dem  wege    zu   folgen,    den   der  dichter 

ist:t   (!  !i;   infolge  dessen  hat  er  sich  <>ft  nicht  gescheut  —   in   handgreiflichem  Widerspruch 


BCHTTiT.TOT.TTTBBATTJB  483 

Elster  versuch!  sodann  die  erste  gestali  des  Dod  Carlos  nach  dem  Bauerbacher 
entwurf  mit  Zuhilfenahme  der  aovelle  St.  Reale  und  der  später  angeführten  Thalia- 
fragmente zu  reconstruieren.  Sein.'  arbeil  gibl  naturgemäß  lade  hier  zu  den  mei- 
sten bedenken  anläse,  ich  werde  deshalb  im  folgenden  gerade  diesen  abschnitt  ein- 
gehender besprechen. 

Im  „I.  Bchritt"  des  entwurfs  wird  unter  B.  5  als  hindernis  der  liebe  des  prin- 
zi'ii  angeführt:  „auflauschung  des  müssigen  hofes".  Elster  bemerkt  dazu  b.29:  hier- 
von sri  weder  in  der  Thalia  uoch  in  dem  vollendeten  stück  etwas  zu 
finden.  „Wol  aber  tritt  dort  eine  person  bedeutungsvoll  hervor,  die  Schiller  aus 
seinen  quellen  nicht  entnommen,  sondern  selbsl  erfunden  hat:  der  beichtvater Dorain j 
Offenbar  solte  ursprünglch  nur  ein  massiger  höfling  sich  in  das  geheimnis 
des  prinzen  einschleichen,  und  erst  später  gieng  dem  dichter  der  gedanke  auf, 
einen  solchen  später  gleichzeitig  zum  Vertreter  des  religiösen  Fanatismus,  zum  hel- 
fershelfer  der  Inquisition,  zum  beichtvater  Philipps  zu  machen*1.  -  Hält  man 
daran  fest,  dass  die  einzelnen  momente  de-  Schemas,  wie  ein  bliok  lehrt,  nicht 
scenen  bedeuten,  so  findet  man  zunächst  die  „auflauschung  des  müssigen  hof< 
uoch  an  mehreren  stellen  der  Thaliafragmente  erwähnt,  die  meist  auch  in  das  Bpäti 
drama  übergegangen  sind;  ich  mache  besonders  darauf  aufmerksam,  dass  Dominj 
v.  162  (Goed.  V,  1.  12)  selbst  nur  erzählt,  was  die  damen  der  königin  auf  dem  tur- 
mer beobachtet  haben  („auf  ihre  rechnung  flüstert  sich  schon  Längst  von  ehr  zu  ohr 
die  lustigste  geschiente"  usw.);  dass  ferner  Karlos  v.  286  wei>s.  _da>s  tausend  äugen 
besoldet  sind  ihn  zu  bewachen* ;  das>  namentlich  die  prinzessin  Eboli  genau  auf  alle 
seine  schritte  geachtet  hat  (vgl.  s.  114  — 117),  dass  endlieh  die  ironische  frage  der- 
selben (v.  2415)  „wer  solte  wol  ....  so  müssig  sein,  den  Karlos  zu  belauschen, 
wenn  Karlos  unbelauscht  sieh  glaubtu  wörtlich  an  jene  stelle  des  Schemas  anklin- 
gen« von  deren  inkalt  Elster  in  dem  Thaliafragment  und  dem  drama1  nichts  hatte 
finden  können!  —  Wenn  man  ferner  berücksichtigt,  dass  Schiller,  sogleich  als  er 
den  entschluss  zu  dem  drama  gefasst  hatte,  die  figur  „eines  grausamen  heuchlerischen 
Inquisitors"  vor  äugen  stand  (briefwechsel  mit  seiner  Schwester  Christophine  b.  33),  und 
dass  er  es  sich  (ebda  s.  44)  gleich  beim  beginn  der  ausarbeitung  „zur  pflicht  macht.'. 
in  darstellung  der  inquisition  die  prostituierte  monschheit  zu  rächen  und  einer  men- 
schenart.  welche  der  dolch  der  tragödie  bis  jezt  nur  gestreift  hat.  auf  die  seele  Btos- 
sen  wolte",  dann  erscheint  doch  das  Verhältnis,  welche-  Elster  zwischen  den  beulen 
motiven  annimt,  mindestens  schief. 

Die  königin,   meint  Elster  s.  30,    habe  nach  dem  entwurf  erst  im  11.  akt  auf- 
treten  sollen,    „da   aller  inhalt  eines   solchen  auftrits   für  den  II.  schritt  vorbehalten 
blieb";    und  er  sieht  darin  eine  besondere  feinkeit  der  komposition,    dass  der  dicW 
so  die  erwartung  auf  ihr  ersekeinen  aufs   köckste   spannen  weite.     Aber  wenn  Schil- 
ler wirklich   bei   dem   entwurf  des   ersten  aktes   von    dieser  künstlerischen   rücksicht 

mit  dem  eben  von  ihm  selbst  aufnestelten  ziele  —  das  von  Schiller  auf  einem  Matt  zusammengeschrie- 
bene auseinander  zu  reissen  und  nach  seinem  gutdünken  zu  'Imponieren!  Und  leider  ist  es  sehr  oft  nicht 
mehr  möglich,  nach  seinen  angaben  sich  die  betreffende  Seite  zu  reconstruieren! 

Man  lernt  diesem  verfahren  gegenüber  so  recht  die  —    von  unbefugten   bespöttelte   —    kritische 
Sorgfalt  schätzen,    mit  der  die  neue  Weimarer  Goethe  -  ausgäbe  den  bestand  der  tra_rmente  aktenmäs 
genau  aufgenommen  und  namentlich   auch  durch  scharfe  hervorhebung  der  äusseren   merkmale    (Wasser- 
zeichen ,  art  des  papiers  usw.)  handhaben  für  die  bestimmung  der  Zusammengehörigkeit  und  das  alter  der 
fragmente  geboten  hat. 

1)  Sie  ist  in  dasselbe  unverändert  aufjjrenammen  v.  1696  TA.  II.  sc.  8). 

31* 


4^4  G.    KETTXF.R 

leitet  wurde,  so  erscheint  es  doch  seltsam,  dass  er  dieselbe  nachher  für  sein  Tha- 
lia-fragment  ohne  weiteres  Fallen  liess  Ich  Bnde  ferner  durchaus  nicht,  dass  die 
angaben  im  II.  schritte:  -Der  knoten  verwickelter.  Carlos  liebe  nimt  zu  —  Ursachen: 
...  2  oliebe  der  königin;    diese  äussert  sieh  ....    c)  aus   ihren  äusserungen  in 

genwart  des  prinzen,   inneres  leiden.  Furchtsamkeit,  anteil.  Verwirrung"  einem  auf- 
trete!        -  Iben  in  act  1  allen  Inhalt  vorwegnehmen.     Hier  heisst  es:  „Schürzung  des 
knotens.     Der  prinz  liebt  die  königin.     Das  wird  gezeigt:    li  ans  seiner  aufmerksam- 
keit  auf  solche,  seiner  läge  in  ihrer  gegenwart*.     Der  dichter  weite  hier,  meines 
unächst  nur  den  prinzen  seine  liehe  zur  königin  verraten  lassen,  während 
-  Lbst  hier  noch  in  ruhiger  sitlichei   hoheit   sich   beherschen  uud  ihn  zurückhalten 
sl    -  rang,    welche   dann   akt   II   brachte,    solte   dann   die    ihr    trotz    aller 
selbstbeherschung    entschlüpfende    äusserung    der    gegenliehe  sein.      Weite  man   fer- 

r  annehmen,  das  unter  I.  1  angefühlte  („seine  läge  in  ihrer  gegen  wart")  solte 
nicht  direkt,  durch  eine  scene,  sondern  nur  durch  berichte  anderer  dargestelt werden, 

würde  der  inhalt  desselben  völlig  identisch  sein  mit  B  5. 

Da^  Verhältnis  der  königin  zu  Carlos  habe  Schiller,  meint  Elster,  ursprünglich 
ähnlich  darstellen  wollen  wie  St.  Real:  die  königin  erwidere  nach  dem  entwarf  die 
liel  -  prinzen  uud  fordere  ihn  nicht  ohne  weiteres  zur  entsagung  auf.  „Wäre  es 
anders,  wüste  sie  schon  jezt,  wie  später  bereits  im  I.  aufzug,  die  gefühle  des  Den 
Carlos  auf  Spanien  abzulenken,  so  hätte  sie  keinen  grund  funken  ran  eifersticht  über 

wlos  rertraueu  tu  ihr  pri/nxcssvn  Eboli  vu  zeigen,  der  heldensinn  des  prinzen 
würde  nicht  erst  im  III.  schritt  erwachen  und  anfangen  über  seine  liebe  zu 
siegen,  und  endlich,  es  könte  nicht  als  Überschrift  des  II.  schritte^-  angegeben  wer- 
den Carlos  liebi  nimt  -.//-.  Gehen  wir  die  einzelnen  punkte  der  reihe  nach  durch! 
li  Auch  in  der  späteren  bearbeitung  erwidert  die  königin  die  liebe  des  prinzen. 
VgL  im  Thaliafragment  neben  der  schon  oben  erwähnten  stelle  s.  12  v.  172  fg.  (Goed.) 
S.  14  z.  6.  wo  _die  königin,  von  dem  lebhaftesten  anteil  hingerissen,  die  empfindun- 
gen  ihres  herzens  verrät",  s.  36,  v.  751  („in  dieser  wilden  wallung"  usw.);  s.  37,  776; 
s.  4'».  v,  855  —  865,  wo  ihr  Carlos  fast  das  geständnis  entreisst.    Ander- 

ts   sucht  sie  auch  bei  St  Real  ihre  liebe,    die  sie  beunruhigt,    zurückzuhalten  und 

i   prinzen   von   seiner  Leidenschaft  zu  heilen   durch   den   hinweis  auf  Flandern.  — 
sucht  (bei  Schiller  heisst  es  übrigens  nur  „einige  funkenL)  darauf,  dass  der 
prinz   seine   neigung   und   sein  vertrauen   einer  unwürdigen  zuwendet,    kann  sie  auch 
zeigen,  wenn  ihr  eigene-  Verhältnis  zu  ihm  rein  und  entsagend  ist.  —  3)  Die  angäbe 
-    über  den  III.  schritt  gibt  Elster  falsch  wider.     Es   heisst  hier  unter  B.   1. 
„sein  hei  n  erwacht  wider"!!     Mit  diesem  zusatze  aber  spricht  das  citat  nicht 

mehr  für.  sondern  gegen  seine  annähme.  —  4)  Auch  in  der  späteren  bearbeitung 
beruht  die  entwicklung  des  dramatischen  conflicts  darauf,  dass  die  liebe  des  prinzen 
auch  nach  dem  entschluss  heldenmütiger  entsaguDg  wider  auflodert. 

Vor  allem  aber  muss  es  bei  der  rolle,    die  Elster  der  königin  uud  Posa  nach 

m  entwarf  zuweist,  ganz  unverständlich  bleiben,  wodurch  eigentlich  der  Umschwung 
in  I  -  herbeigeführt  werden  soll.  Wenn  wirklich,  wie  Elster  meint,  die  poli- 
tischen beziehungen  bei  beiden  so  völlig  zurücktreten,    dann  begreift  man  nicht,   wie 

plötzlich   in   Carlos  der  heldensinn   wider    erwacht.     Vollends   mit    dem  Verfasser 

anzunehmen,    die  Verschwörung   des   prinzen   habe   in  der  weise  „eine  neben- 

handlung  sein  sollen-,  wie  dies  Lessing  „durch  die  Zwischenhandlung  des  Riccaut  (! !), 

der  Orsina,  des  Patriarchen"  getan  habe,   scheint  mir  eine  Ungeheuerlichkeit  zu  sein. 

Wie  kann  man  nur  ein»"-  Bolche  tat  des  haupthelden,    wie  die  Verschwörung  gegen 


gl  HIliT.RRTiITIKBATUB  485 

den  eignen  vater  ist,  mit  dem  auftreten  rein  episodenhafter  nebenfiguren  in 
parallele  stellen!  Und  wenn  der  Verfasser  aus  dieser  Lezteren  annähme  die  folgerung 
zieht,  dem  dichter  würde  der  Don  Carlos  in  technischer  hinsieht  damals  viel  besser 
gelungen  sein  als  später,  so  fürchte  ich  im  gegen  teil,  dass  'las  technische  kunst- 
stück,  welches  er  ihm  für  den  hau  des  IV.  aktes  onterschiebt,  die  ganze  einheitliche 
composition  des  dramas  gesprengt  hätte.  Nur  dann  war  die  ausfuhrung  eines  drama- 
tischen niotivs  vun  solcher  bedentong  wie  die  rebellion  dramatisch  zulässig,  wenn 
dieselbe  organisch  mit  den  grundlagen  der  handlung  verbunden,  also  auch  von 
anfang  an  vorbereitet  war. 

Dass  der  marquis  Posa  in  dem  entwarf  noch  nicht  als  der  freiheitsapostel 
gedacht  war,  als  der  er  später  erscheint,  ist  möglich,  unbegreiflich  aber  ist  mir, 
wie  Kl>ter  ihm  auch  in  dem  Thalia -fragment  diese  rolle  absprechen  kann,  [ch  mn 
durchaus  Vollmer  zustimmen,  welcher  in  diesen  fragnienten  bereits  alle  die  keime 
findet,  welche  später  in  den  lezten  drei  akten  diese  figur  so  gigantisch  aus  dem  gan- 
zen herauswachsen  liessen.  Elster  bemerkt  dagegen:  „ Vollmer  verkem  -  lullers 
absieht,  die  freundschaft  als  solche  in  einem  idealen  gemälde  zu  verherrlichen  fc 
(s.  45).  "Was  heisst  denn  n freundschaft  als  solche*?  Sie  ist  doch  nicht  ebne  einen 
bestirnten  sitlichen  inhalt  zu  denken!  Und  was  brauchen  wir  überhaupt  aus  solchen 
algemeinen  sätzen  Schlüsse  zu  ziehen,  wo  wir  die  beiden  akte  des  fragments,  welche 
Elster  s.  30  für  sich  betrachtel  wissen  will,  ausgeführt  vor  uns  haben?  Hier  al 
nent  ersieh  schon  v.  361  einen  „abgeordneten  der  ganzen  menschheit";  hier  wird 
v.  381  fg.  alles  das.  was  Elster  s.  42  an  Carlos  hervorhebt,  ihm  erst  von  Posa  mah- 
nend entgegengehalten;  hier  ist  468.  474,  fast  uoeh  schärfer  als  in  der  lezten  bear- 
beitung  v.  225,  der  starre  republikanische  trotz  schon  des  knaben  Rodrigo  betont; 
hier  entwirft  er  v.  1250  fg.  widerum  als  ernste  mahnung  vor  Carlos  ein  furchtbares 
bild  der  absoluten  monarchie  und  schliesst  mit  deutlichera  anklang  an  die  berühmten 
worte.  die  er  in  der  späteren  bearbeitung  in  der  audienzscene  spricht:  „den  stolz  des 
bürgers  könten  sie  nicht  dulden,  ich  nicht  den  trotz  des  Kirsten";  ja  hier  findet 
sich  der  bedeutungsvolle  hinweis  auf  die  spätere  entwicklung  v.  142:  -wenn  eine 
trähne.  die  mir  lindrung  gibt  Dir  teurer  ist,  als  meines  vater-  gnade  —  — 
o  gern  will  ich  sie  weinen",  im  Zusammenhang  mit  521:  „ich  will  bezahlen,  wenn 
du  könig  bist"  usw.  Doch  man  mag  auf  dies  lezte  argument  weniger  gewicht  Legen; 
so  viel  steht  fest,  dass  Posa  in  den  ersten  beiden  akten  durchaus  nicht  bloss  ein 
braver,  liebevoller  freund  (!!)"  ist.  wozu  ihn  Elster  s.  4G  machen  will;  und  dass  Car- 
los durchaus  nicht  der  «eigentliche  Vertreter"  der  freiheitsideen  ist.  Darauf,  da 
Schiller  in  seinem  briefe  an  Dalberg  vom  august  1784  seinen  oainen  nicht  nent.  ist 
kein  gewicht  zu  legen;  abgesehen  davon,  dass  dieser  brief  aus  den  anfangsstadien 
der  arbeit  stamt,  lag  es  für  den  dichter  nahe,  einem  fremden  gegenüber  nur  die 
historisch  bekanten  und  schon  durch  ihren  namen  bedeutenden  rollen  zu  nennen  — 
was  hätte  Dalberg  sich  bei  einem  Posa  denken  sollen?  —  und  dem  fürstlichen  Inten- 
danten gegenüber  die  politische  tendenz  seines  dramas  eher  zu  verhehlen  als  hervor- 
zuheben. 

Damit  fält  nun  auch  die  kühne  annähme  eines  tiefen  einschnittes  zwischen  den 
zwei  ersten  und  dem  dritten  akt  der  Thalia -ausgäbe  völlig  in  sich  zusammen  (s.  39. 
54).  Trotzdem  will  ich  noch  auf  die  begründung  eingehen,  welch':  Elster  seiner 
hypothese,  dass  sich  hier  der  alte  und  der  neue  plan  der  arbeit  scharf  und  plötzlich 
scheiden,  s.  56  zu  geben  versucht. 


486  <■•    KI'ITNKK 

„Die  veränderte  haltung  Posas  gegenüboi  dem  prinzen  in  der  scene  im  Kar- 
thäuserkloster  macht  dies  zur  gewissheit  (1)  Während  Carlos  vorher  noch  keines- 
wegs aller  Selbständigkeit  entbehrte  und  der  marquis  nur  Bein  befreundeter  helfer 
war.  sehen  wir  ihn  jezt  volständig  am  gängelbande  seines  freundes.  (2)  Während 
dieser  früher  aufs  liebevolste  bereit  war.  dem  prinzen  eine  Zusammenkunft  mit  der 
königin  zu  verschaffen,  schneidet  er  ihm  jezt  in  beinahe  barscher  weis.-  jede  gewagte 
hofhung   ab,    und   dies   zu   einer   zeit,    als  er  hört,    dass  Carlos  nicht  nach  Flandern 

ben  kann-.  —  Ich  kann  von  einer  wesentlichen  änderung  der  Stellung  des  mar- 
quis in  akt  111  sc.  2  schlechterdings  nichts  entdecken!  Im  einzelnen  bemerke  ich, 
ad  1)  dass,  wie  schon  erwähnt,  weder  im  1.  akt  der  marquis  nur  der  befreundete 
heller,  sondern  ein  ernster  mahner  und  leiter  ist,  noch  hier  in  akt  III  der  prinz  nur 
als  ein  Werkzeug  jenes  erscheint;  wenn  er  hier  mehr  als  dort  von  der  leitung  seines 
freundes  abhängig  ist,  so  ergibt  sieh  dies  ganz  naturgemäss  daraus,  dass  gerade  hier 
die  in  akt  II  erfolgte  entdeckung  des  Verhältnisses  zwischen  dem  könige  und  der 
Eboli  ihn  für  den  angenblick  alles  sitliohen  kaltes  beraubt  hat.  Und  wie  schonend, 
wie  ruhig  sucht  ihu  Posa  zum  bewusstsein  seines  besseren  selbst  zurückzuführen! 
Und  vollends  in  dem  zweiten  punkte  eine  änderung  des  plans  der  diehtung  finden 
zu  wellen,  heisst  die  durch  akt  II  veränderte  Situation  völlig  verkennen!  Der 
marquis  verweigert  hier  dem  prinzen  anfänglich  seine  hilfe  und  sucht  ihn  von  einer 
Zusammenkunft  mit  der  königin  zurückzuhalten  nur  aus  dem  gründe,  weil  er  unter 
den  jetzigen  umständen  dieselbe  als  verhängnisvoll  fürchten  muss;  widerholt  fragt  er, 
als  der  prinz  in  ihn  dringt,   ob   derselbe  den  brief,   welcher  das   Zeugnis  der  untreue 

nes  vaters  gegen  die  gattin  enthält,  als  handhabe  gegen  die  königin  benutzen 
wolle  (3-420  fg.).  Dagegen  in  akt  I  ist  er  dazu  behilflich,  ihm  die  Zusammenkunft 
mit  der  königin  zu  verschaffen,  weil  er  hoffen  kann,  dass  dieselbe  ihn  von  seiner 
krankhaften  leidenschaft  zurückhalten  und  ihn  zu  seiner  höheren  aufgäbe  zurückrufen 

rde:  aus  ihrer  band  empfängt  daher  Carlos  am  schluss  der  scene  die  briefe  aus 
Flandern,  welche  der  marquis  überbracht  hat  (vgl.  s.  31,  z.  7)  mit  den  worten, 
welche  ihm  fortan  sein  handeln  vorzeichnen  sollen  (1025),  „die  freundschaft  ihrer 
mutier!  ...  und  diese  trähnen  aus  den  Niederlanden!" 

-eben  akt  I  und  III  der  Thalia- bearbeitung  durchaus  im  einklang  mitein- 
ander, und  der  versuch  Elsters.  innerhalb  derselben  eine  änderung  des  grundplans 
der  diehtung  nachzuweisen,  ist  als  gescheitert  anzusehen. 

Überhaupt  hat  sich  Elster  durch  das  streben.   Wandlungen  in   der  entwicklung 

r  diehtung  zu  entdecken,  zu  weit  führen  lassen.  In  dem  nachweis,  dass  dieselben 
zum  teil  künstlich  hineingetragen  sind,  habe  ich  die  hauptaufgabe  meiner  besprechung 
fliegenden  buches  gesucht.  Wenn  dieselbe  etwas  ausführlicher  ausgefallen  ist, 
als  der  geringe  umfang  der  Schrift  zu  erfordern  scheint,  so  mag  der  Verfasser  darin 
einen  beweis  dafür  sehen,  welche  bedeutung  ich  seinen  scharfsinnigen  und  gründ- 
lichen ausführungen  bein 

2  'Venn  man  die  methodische  Sorgfalt  der  arbeit  Elsters  recht  ermessen  will, 
so  braucht  man  sie  nur  mit  der  gleichzeitigen  Leipziger  universitätsschrift  von  Herrn. 
Tischler  zu  vergleichen. 

In  ganz  dilettantischer  weise  wird  hier  von  dem  Verfasser,  einem  redakteur 
der  Gartenlaube,  der  inhalt  der  einzelnen  bearbeitungen ,  scene  für  scene,  referiert 
(den  Bauerbacher  entwurf  des  Don  Carlos  erwähnt  er  gar  nicht)   und  daran   ein  kur- 

ä  urteil  geknüpft,  ob  der  dichter  gut  getan  habe  oder  nicht,  zu  ändern.  Es  hat 
kaum  einen  zweck,   über  derartige  g es chmacksur teile  mit  dem  Verfasser  zu  rech- 


S(  BILLKBLITTERATUB  487 

ten;  ich  will  sein  verfahren  mir  an  einem  falle  illustrieren.  In  der  druckausgabe  der 
Räuber  zerfall  akt  1  in  drei  scenen:  1.  Franz  and  der  alte  Moor.  2.  Karl  mit  Bei- 
nen genossen  in  der  schenke.  .'!.  Franz  and  amalis.  In  der  bühnenbearbeitung 
ist  1.  und  3.  zusammengezogen.  Der  Verfasser  recensieri  « l i« -^  folgendermassen  s.  6: 
„Wir  finden  die  erstere  anordnung  besser,  denn  man  isi  jezt  mehr  gespant,  die- 
8en  Karl  wirklich  kennen  zu  lernen,  als  zeuge  einer  Bcene  zu  werden,  für  die  uns 
vorläufig  noch  da-  reohte  Verständnis  fehlt".  Das  Lezte  ist  eine  ganz  anbewiesene 
behauptung;  unbegreiflich  aber  i-t.  dass  dem  Verfasser  oicht  eingefallen  ist.  da 
Schiller  bei  einer  bearbeitung  seines  dramas  für  die  aufführung  aus  rein  praktischen 
gründen  sc.  1  und  '_'  verbinden  muste,  um  den  dreimaligen  Wechsel  des  Schauplatz 
innerhalb  eines  aktes  zu  vermeiden. 

3)  Jn  einer  Behr  langen  einleitung  (s.  1  -51)  bespricht  Bellermann  den 
unterschied  zwischen  epos,  Lyrik  und  drama,  das  Verhältnis  von  oharakter  und  band- 
hing,  die  forderung  der  einheii  der  Lezteren,  das  wesen  des  tragischen  osw.;  kurz, 
er  gibt  eine  theorie  des  dramas,  die  zwar  weder  durch  neuheit  noch  durch  tiefe  der 
gedanken  sieh  auszeichnet,  aber  wegen  der  klaren,  nur  mitunter  gar  zu  breiten 
und  nüchternen  darstellung  gewiss  für  viele  leser  eine  brauchbare  Orientierung  bie- 
ten wird. 

Dann  behandelt  er  die  Räuber,  Fiesko,  Cabale  und  liebe,  Don  Carl« 
und  zwar  jedes  drama  nach  folgenden  gesichtspunkten :  1)  gang  der  handlung;  _')  ein- 
heit;  3)  Verknüpfung  derselben;  4)  Charakterzeichnung,  5) bühnenbearbeitung;  6)erklä- 
rung  schwieriger  stellen.  Durch  die  strenge  Scheidung  der  vier  ersten  abschnitto 
wird  die  behandlung  etwas  umständlich  und  schwerfallig,  widerholt  wird  zusammen- 
gehöriges auseinander  gerissen.  So  erörtert  der  Verfasser  in  3  den  Zusammenhang 
der  einzelnen  scenen  mit  der  haupthandlung  und  die  motivierung  der  handlungswe 
der  haupteharaktere,  in  4  aber  wird  die  entwicklung  derselben  widerum  wesentlich 
mit  rücksicht  auf  die  innere  Wahrheit  verfolgt. 

Ernsthaft  bemüht  sieh  der  Verfasser  in  den  einzelnen  dramen  den  zeitlichen 
verlauf  der  handlung  zu  berechnen.  Meines  erachtens  kann  dies-'  frage  nur  in 
betracht  kommen,  wenn  der  dichter  selbst  für  die  dramatische  entwicklung  auf  den 
strengen  zeitlichen  Zusammenhang  der  handlung  weit  legt.  Dies  ist  aber  hier  nur 
im  Fiesko  der  fall;  in  diesem  drama  werden  wir  mit  beispielloser  genauigkeit  stets 
über  tag  und  stunde  der  einzelnen  scenen  orientiert.  Und  gerade  hier  erweist  -i<h 
die  berechnung  Bellermanns  als  durchaus  unzureichend;  ahnungslos  geht  er  über  alle 
Schwierigkeiten  und  Widersprüche  hinweg.  Bei  eindringenderer  betrachtung  hätte  er 
finden  müssen,  dass  die  scenen,  in  denen  der  mohr  auftritt,  in  keinem  einklang  mit 
der  sonstigen  Chronologie  des  dramas  stehen,  so  dass  man  deutlich  erkennen  kann, 
dass  sie  in  ihrer  jetzigen  gestalt  erst  später  in  dasselbe  eingefügt  sind. 

In  den  Räubern  leidet  seine  berechnung  infolge  seiner  flüchtigkeit  an  einem 
erheblichen  fehler.  Er  rechnet  s.  65  fg.  folgendermassen:  Die  zeit  von  I,  1 — II,  2 
ist  vom  dichter  genau  fixiert,  denn  in  II,  2  berichtet  Hermann,  der  „geraden  weg« 
aus  Böhmen  komt",  von  Karls  tod  in  der  Schlacht  bei  Prag  (6.  mai  1757),  in  der 
zeitlich  unmittelbar  vorhergehenden  scene  1  ist  Karl  „seit  elf  monaten  so  gut  als 
verbaut";  dementsprechend  ist  der  brief,  durch  welchen  Franz  seine  enterbung  her- 
beiführt I,  1  auf  den  1.  mai  (1756)  datiert.  Dies  ist  richtig;  unglaublich  aber  die 
weitere  rechnung  des  Verfassers,  zwischen  II.  2  und  II,  3  sei  eine  pause  von  drei 
monaten  anzunehmen,  weil  von  da  an  die  handlung  ohne  unterbrechung'Jortgehe  und 
IV,  5  der  alte  Moor  sage,    schon  drei  monate  schmachte  er  in  dem  türm.     Der  ver- 


488  G.    KKTTNER 

fas£  rhehlt  sich   das  bedenkliche  einer  solchen  zeitpause  mitten  im  akte 

nicht,  er  fühlt  auch,  wie  störend  nun  die  ereignisse  von  Kollers  berreiung  an  sich 
dringen.  Eine  -  _  "  .  lektüre  würde  ihm  gezeigt  haben,  das^  jene  pause  viel- 
mehr nach  dem  zweiten  akte  eintritt  Seine  annahm''.  111.  •_'  (die  scene  an  der 
Donau)   .  lie    Räuber  nnmittelbar  nach    dem   grossen   kämpf,    der  auf  Bollers 

befrei  ".  ist  falsch.     Zunächst  wäre  dann  schon  die  Unterbrechung  der  conti- 

nuität  der  handlung  durch  die  scene  in  Franken    (III.  1)   störend;    solche  freiheiten, 
anderen  dramen  der  stürm-  und  drangperiode  Dicht  selten  sind,    gestattet 
b  Schiller  nicht     Entscheidend  aber  ist  Folgendes:  1)  Die  wunden  aus  jener  Bchlacht 
sind  inzwischen  langst  vernarbt  iR.  Moor  zu  Schweizer:    -Sonst   sieht  man  ja  die 
oarben  nicht,    die  die  böhmischen   reiter  in  deine  stirn  gekritzelt  haben  ...  diese 
narben   stehen    dir  schön";    vgL  V.  2    „Schau1   her.    kennst    du    diese    narben^). 
2    M     '    -  lost        senkt    sich  in   die  erinnerung  an   seinen   kämpf   („Ja  kinder  es 
war  ein  heisser  nachmittag"    usw.);    er  muss  sich  erst  besinnen  („wie  viele  waren's 
chtt?— ),  welche  Verluste  die  feinde  erlitten  haben.     Dazu  passt  es  dann  durchaus, 
nn  3)  III.  3  Karl  als  „der  grosse  graf  von  Moor"  wegen  seiner  „moitlbrennereiena 
t  über  Deutschlands  grenzen  hinaus  berühmt  geworden  ist:    wenn  4)  er  IV,  5  zu 
s  -"    _l>u  weisst   noch,   wie  du  einsmals  jenem  höhmischen  reiter  den 
ko]      -     Ltetest";    wenn    5)   kurz   vorher  Schweizer  Spiegelberg  anredet   „Eben  recht 
rst  du  mich  an  die  böhmischen  wälder  .  .  .   ich  habe  damals-  usw.;   wenn 
dlich    6)   IV.   '    -  hufterle,    der    zu    beginn    des    kampfes    11.  3    fortgejagt    wurde. 
zt   in  S  ihweiz  hängt".     Bellermann   ignoriert    alle    diese   angaben  ausser  der 

lezten.    die   er  mit  dem  witz  abfertigt     „Schufterle  mü  h  ausserordentlich  beeilt 

und  womöglich   vor    seinem   fcode    einen    expressen    mit  der  nachricht  an   Schweizer 

Der  so   sich   ergebende   zeit  liehe   Zusammenhang    zwischen   II,  2    und   II.  3 

von  bedeutung  für  den  künstlerischen:  in  derselben  zeit,  so  will  es  der  durch 
larfe  kontraste  wirkende  dichter,    wo   daheim  Karls   heldentod   in   der  sehlacht  bei 

s  -  glaubt  wird,  wo  er  von  Amalia  als  Hektor  gepriesen  wird,  sehen  wir  ihn  in 
wfl  Grausamkeit  die  räche  gegen  eine  wehrlose  Stadt  üben  und  mit  verzweifelter 
tapferkeit  um  sein  leben  kämpfen.  A.ber  freilich  für  die  kunst  der  komposition 
hat  der  Verfasser    überhaupt    keinen    sinn.      Er   bemerkt   z.  b.    nicht    den    ähnlichen 

rillen  kontrast  zw:-  IV,  4  und  IV.  5,  wo  unmittelbar  an  die  klänge  des  Bek- 

johlen  des  räuberliedes  anschliesst.  Von  der  feinsinnigen  gruppie- 
re _  ./.einer  scenen,  von  dem  oft  fast  an  musikali  komposition  erinnernden 
aufbau  derselben  sagt  er  nichts;  so  fertigt  er  das  von  Klein  und  Dingelstedt  an  bis 
auf  Brahm  mit  recht  gerühmte  -finale-  des  zweiten  aktes  in  Oabale  und  liebe  mit 
den  dürren  werten  ai  .  ..  —  komt  zu  einem  höchst  erregten  auftritt"  (s.  159).  Ihm 
komt  es  vor  allem  darauf  an.    den  pragmatischen   Zusammenhang  zu  untersuchen, 

Wahrscheinlichkeit  der  handlung,  die  Wahrheit  der  Charaktere,  die  Zweckmässig- 
keit 'luDg.  Sein  Verhältnis  zur  dichtung  ist  oft  ein  unglaublich  nüchtern 
und  schulmeisterliches;  vgl.  z.  b.  9.  L85:  »Der  dichter  weite  Ferdinand  nicht  als  tat- 
kräftig und  männlich  reif  zeichnen,  aber  BO  weit  durfte  er  trotzdem  nicht  gehen, 
verzeihen  wir  keinem  mannt.-,  am  wenigsten  einem  hochgesinten  Schwärmer. 
Ein  junger  mann,  noch  dazu  edelmann  und  officier,  der  in  solchem  augenblick  das 
he.  .  •  ines  herzens  geradezu  verleugnet  . . .  bringt  sich  um  unsere  achtung 
und  damit  um  un~  I  ilnahme  ....  Ich  halte  di>  ene  für  die  schwächste  des 
Stückes  und  für  wirklich  mislungen^. 


Bi  HILLERLITTERATUB  189 

In  seinem  streben,  der  äusseren  Zusammenhang  der  scenen  herzustellen,  geht 
der  Verfasser  b.  100  entschieden  zu  weit.  Seine  polemih  gegen  die  von  Düntzer  vor- 
gebrachten bedenken  ist  durchaus  verfehlt;  Spiegelberg  triff  hier  in  der  tat  zum 
ersten  male  nach  elfmonatlicher   trennung   mit    den    freunden    zusammen:    Razmann 

heisst  ihn  in  den  böhmischen  Wäldern  wilkommen,    er  erzählt  ihm  M ntüm- 

liches  auftreten  als  räuber,  was  Spiegelberg  s<>  überrascht,  dass  er  ihn  bittet,  von 
seinen  eigenen  taten  liooi  gegenüber  zu  Bchweigen.  Die  widerspräche,  welche  sich 
gegen  diese  auffassung  aus  der  scene  ergeben,  Bind  al>  Bolche  anzuerkennen  and 
oicht  zu  verkleistern. 

Den  hauptmangel  des  buches  sehe   ich  darin,    dae  den    litterarhisto- 

risch-biographischen  gesichtspunkl  geflissentlich  ignoriert.  Wir  dürfen 
diesen  mangel  dem  Verfasser  nicht  deshalb  zu  gute  halten,  weil  er  ihn  selbst  ein- 
steht. Die  zeiten  sind  vorüber,  wo  man  halb  vornehm  halb  bescheiden  von  diesem 
Sichtspunkt  absehen  und  das  dichterwerl  als  ein  in  sich  fertiges,  abgeschlossenes 
ohne  rücksicht  auf  die  art  seiner  entstehung  betrachten  zu  können  meinte.  Am  aller- 
wenigsten ist  ein  solcher  Standpunkt  zulässig  dramen  gegenüber,  welche  so  Behi  das 
gepräge  der  zeit  tragen,  so  sehr  in  den  litterarischen,  politischen,  socialen  traditionen 
derselben  und  in  den  eigentümlichen  lebensverhältnissen  des  dichters  wurzeln,  wie 
die  hier  besprochenen  vier  jugenddramen,  von  denen  auch  nicht  eines  als  ein  völlig 
ausgereiftes  kunstwerk  gelten  kann. 

Wenn  ich  mein  urteil  über  das  vorliegende  buch  zusammenfassen  soll,  bo  diu 
ich  ihm  wissenschaftliche  bedeutung  zwar  im  wesentlichen  absprechen,  aber  gleich- 
zeitig anerkennen,  dass  der  Verfasser  für  die  bedürfnisse  der  schule  eine  brauch- 
bare anleitung  zur  behandlung  der  vier  dramen  geliefert  hat.  Wenigstens  wird  die 
klare  und  genaue  erfassung  des  inhalts  und  das  richtige  Verständnis  dadurch  mehr 
verbürgt,  als  durch  die  schematischen  dispositionen,  in  welche  Klaucke  die  sceneo 
zwingt,  oder  durch  die  weitschweifigen  Umschreibungen  und  nacherzahlungen,  welehe 
Düntzer  gibt,  oder  durch  die  schablonenhafte  anwendung  der  Freytagschen  technik, 
welche  jüngst  durch  Onbescheid  fast  bis  zur  karikatur  getrieben  ist 

4)  In  dem  ersten,  bd.  XXI,  87  dieser  Zeitschrift  besprochenen  teile  seiner 
abhandlung  hatte  herr  dr.  A.  Kühe  dargestelt,  worin  Schiller  die  aufgäbe  und  die 
bedeutung  der  dramatischen  kunst  sezte;  jezt  sucht  er  zu  schildern,  wie  der  dichter 
dieser  auffassung  geltung  zu  verschaffen  und  dadurch  ..''inen  regenerierenden  einfluss 
auf  geist  und  leben  unseres  volkes  zu  erringen"  wusste. 

Zu  diesem  zwecke  gibt  er  in  kap.  1  einen  kurzen  überblick  über  die  theatra- 
lischen Verhältnisse  seit  der  mitte  des  18.  Jahrhunderts:  in  kap.  2  einen  ausführliche- 
ren über  die  entwicklung  des  deutsehen  dramas.  Als  charakteristisch  für  diese  hebt 
er  den  mangel  an  nationalem  gehalt,  die  betonung  der  humanitätsideen  und  revolu- 
tionären tendenzen,  endlich  das  überwuchern  der  bürgerlichen  rührstücke  hervor.  In 
kap.  3  und  4  will  er  dann  nachweisen,  wie  der  hierdurch  einreissenden  Vorbildung  des 
ästhetischen  geschmacks  und  der  gefährdung  der  sitte  ein  halt  geboten  sei  durch 
Schillers  zusammenwirken  mit  Goethe,  durch  die  pflege  eine)-  musterbühne  in  Wei- 
mar und  vor  allem  durch  die  tiefgreifende  Wirkung  des  Wallenstein,  der  Jungfrau 
von  Orleans  und  des  Teil. 

Der  Verfasser  hat  diese  gesichtspunkte  sehr  eingehend  verfolgt  und  mit  fleiss 
und  Verständnis  eine  fülle  litterarhistorischon  materials  für  -einen  zweck  zusammen- 
gestelt.  ludessen  schweift  er  in  der  grösseren  hälfte  seiner  arbeit  doch  viel  zu  weil 
vom  thema  ab;    eine  kurze   algemeine  Orientierung  über  die  damaligen  zustände  wäre 


490  «-■•    KETTNER,    SCHILLERLITTERA.TUH 

hier  um  so  passender  gewesen,  da  der  Verfasser  doch  nichts  neues  und  selbständiges 
zu  bieten  vorm..  Er  schöpft  ans  den  bekanten  quellen,  namentlich  Koberstein, 
Hettner  und  Devrient;  mit  den  von  ihnen  überkommenen  urteilen  charakterisiert  er 
die  einzelnen  erscheinungen  und  entwicklangen.  Eine  selbständig  erarbeitete  kentnis 
der  betreffenden  epoche  wird  öfter  vermisst,  auch  Specialforschungen  über  einzelne 
zweige  derselben  sind  ihm  fremd  geblieben.  Daher  fehlt  es  nicht  an  nngenauigkeiten 
und  schiefen  auffassungen.  So  führt  z.  b.  der  veifasser  s.  9  aus,  welche  teilnähme 
und    Minna  von  Barnhelm    wegen    ihres    nationalen    znges   gefunden,    wie    aber 

-  richtung  von  den  folgenden  dichtem  leider  wider  verlassen  sei,  uud  zieht  zum 
bevi    s  stelle    aus   Wielands  T.  M.   von   178-4  heran,    die,    wenn  er  sie  wirk- 

lieh >-'ll>st  im  Zusammenhang  gelesen   hatte    [er  mag  sie  sich  bei  Hempel  38,  121  \'<j:. 
nachschlagen]   ihn   belehrt   hätte,    dass    Wieland  gerade  die    einseitige  Vorliebe  der 
späteren   dichter  für  vaterländische  geschiente   und   nationale  sitten  verspottet  uud 
-    I    klagt,    dass    diese    stücke    selbst    in    Lessings  Hamburg   grossen   beifaU   fän- 

■i!  Damit  hängt  es  zusammen,  dass  der  Verfasser  den  volkstümlichen  Charakter 
der  ritterdramen,  wie  er  sowol  in  der  wähl  der  Stoffe  und  dem  historischen  kolorit 
wie  auch  in  den  dort  ausgesprochenen  patriotischen  gesinnungen  sich  bekundet,  ganz 
ignoriert  uud  nur  den  Zusammenhang  derselben  mit  den  idecn  der  revolutionszeit 
nach  Hettner  u.  a.  betont,  auch  das  aufkommen  dieser  dranien  s.  15  viel  zu  spät 
ansezt.  Seine  Charakteristik  der  dramen  von  Lenz,  Klinger  und  Wagner  wirft  das 
verschiedenartigste  zusammen  und  lä.->t  es  mir  fast  zweifelhaft  erscheinen,  ob  der 
Verfasser  dieselben  gelesen  hat.  Ja  selbst  das  bekante  wort  Platens  über  Kotzebue 
(aus  der  prarabase  des  2.  aktes  der  Verhängnisvollen  gabel)  wird  s.  17  unrichtig 
eitler! 

tragik  des  dichterischen  berufes  als  prophet  (sie!)  der  ungläubigen,  als 

prediger  in  der  wüste  und  der  endliche  sieg  im  geiste,    wenn  nach  aussen  auch  der 

erfolg  hinter  dem  streben  zurückbleibt14,    bezeichnet  herr  J.  Goldschmidt  in  einer 

»terten,    aber   auch    oft  recht  phrasenseligen  einleitung   als    die  themata  beider 

lichte.     Er  gibt  dann  eine  sehr  genaue  disposition   der  Kassandra,    eine  flüchtigere 
zwei!       gedieht;  in  beiden  will  er  reminiscenzen  an  Genesis  c.  3  erkennen,  zum 

sten  führt  er  noch  eine  reihe  von  parallelen  aus  dem  Jeremias  an.  Ich  will  nicht 
leugnen,  dass  der  vers  „ esset  nicht  von  ihres  gartens  f nicht"  an  jene  bibelstelle 
mit  anklingt,  wie  Schiller  auch  sonst  derartige  doppelte  anspielungen  liebt;  zunächst 
aber  schwebt  ihm  natürlich  die  beziehung  auf  den  granatapfel  der  Persephone  vor, 
auf  den  am  schluss  der  Strophe  direkt  hingewiesen  wird.  Will  man  ferner  in  jenen 
klagen  des  alttestamentlichen  propheten  den  charakteristischen  ausdruck  ähnlicher 
empfindungen  in  ähnhehen  Situationen  sehen,  so  mag  die  anführung  derselben  zur 
illustri''rung  der  Kassandrastimmung  zweckmässig  dienen;  dagegen  ist  die  annähme 
einer  ein  Wirkung  derselben  auf  Schiller  durch  nichts  gestüzt. 

6)  Die  schrift  von  A.  Cless  ist  ein  rechtes  beispiel  elender  buchmacherei! 
Bis  s.  25  gibt  der  verfass'-r  einen  abdruck  des  textes  und  zwar  ohne  Varianten,  ein- 
fach nach  der  vulgata  von  1803;  dann  werden  völlig  zwecklos  die  einzelnen  Strophen, 
unterbrochen  von  breiten  aber  inhaltlich  sehr  dürftigen  und  meist  unselbständigen 
erläuterungen.  zum  zweiten  male  abgedruckt!  Benuzt  sind  vom  Verfasser  nament- 
lich Yiehoff  und  Götzinger,  namentlich  der  erste  wird  oft  wörtlich  abgeschrieben.  Wo 
der  verfa>ser  einmal  eine  eigene  erklärung  wagt,  komt  er  entweder  zu  triviali- 
täten  oder  zu  solchem  unsinn  wie  zu  v.  40'  Ihr  holdes  bild  hiess  uns  die  folgend 
liehen:    -die  tugend  hiess  uns  ihr  (der  tugend)   holde-  bild  lieben  —  was  allerdings 


WÄCHTER,    ÜBEB    I".    SCHULTZ,    MAI    UND    BEAFLOR  l'.M 

selbstverständlich,  nur  opp.  einer  anderweit  gegebenen  erklärung*.  Die  worte  holdes 
bild  als  subjokt  zu  fassen  =  die  Bchöne  erscheinung,  was  allein  dem  gedankengange 
entspricht,  hinderte  ihn  wahrscheinlich  die  eigentümliche  beziehung  des  poss.  pron. 
auf  das  folgende  Objekt. 

SCHULPFORTE,    JUNI    US  GUSTAV    KETTNER. 


Ferdinand  Schult/.   Die  Überlieferung  der  mittelhochdeutschen  dichtui 
..Mai  and  Beaflortt.     Leipzig,  Gustav   Fock.    L890.     6]   s.     1,50  m. 

Die  abhandlung  stelt  sich  dar  als  Vorarbeit  zu  einer  neuen  ausgäbe  an- 

ten  gedichtes,  welche  der  Verfasser  beabsichtigt,  l'ie  alte  ausgäbe  von  Pfeiffer  geht 
auf  die  handschriftenfrage  fast  gaT  nicht  ''in:  dazu  kommen  Ungleichheiten  in  der 
Orthographie  des  textes  and  manche  mängel  im  kritischen  apparai  F.  8chultz  hat  die 
beiden  handschriften  von  neuem  verglichen  und  untersucht  eingehend  ihren  wert  und 
ihr  Verhältnis  zu  einander.  Kr  gelangt  zu  dem  ergebnis,  da--  beide  handschriften 
auf  eine  schon  verderbte  gemeinsame  vorläge  zurückgehen,  dass  aber  die  Münchener 
handschrift  A  trotz  mancher  lücken,  Interpolationen  und  andrer  fehler  einen  bessern 
ti'\t  darbietet  als  die  Fuldaer  handschrift  15.  Nach  diesem  ergebnis  stelt  der  Verfasser 
seine  textkritischen  grundsätze  auf. 

Die  sorgfältige  und  besonnene  Untersuchung  der  einzelheiten  i-t  wertvoll. 
Schultz  bespricht  die  lücken  und  interpolationen  jeder  handschrift  und  veranschaulicht 
an  einer  auswahl  von  stellen  ihre  mängel,  indem  er  gleichzeitig  bemüht  ist,  die 
gründe  für  die  entstehung  der  fehler  aufzuzeigen.  Hierbei  scheidet  er  zwischen  inhalt- 
lichen, sprachlichen  und  metrischen  mangeln,  geht  aber  auf  die  leztgenanten  nicht 
näher  ein  unter  hinweis  auf  das  kapitel  über  metrik  in  meiner  dissertation  (Unter- 
suchungen über  SSL  und  B.u  1S89).  Trotzdem  durfte  in  einer  derartigen  Unter- 
suchung eine  eingehende  kritik  der  Überlieferung  nach  der  metrischen  seite  hin  nach 
meiner  ansieht  nicht  fehlen.  Die  sprachlichen  mängel  der  haupthandschrift  A  sind 
etwas  zu  kurz  behandelt.  AViderholt  spricht  hier  Schultz  von  fehlem,  welche  ehr 
und  äuge  verschuldet  hätten,  ohne  anzugeben,  wie  er  sieh  überhaupt  die  handschrift 
entstanden  denkt.  Die  sache  liegt  meines  erachtens  so.  dass  wahrscheinlich  die  vi  - 
läge  von  A  nach  diktat  geschrieben  wurde,  während  A  selbst  abgesehrieben  worden 
ist.  In  welcher  weise  der  Schreiber  dabei  verfahren  ist,  zeigen  zahlreiche  stellen  wie 
•44,  30  bringt  dir  für  bringt  ir;    45,  3  werdet  dir  für  werdet  ir;  54,  '■'>    da  si  für 

dn\    si   USW. 

Der  behandlung  der  einzelnen  stellen  kann  man  fast  durchweg  beistimmen, 
nur  der  versuch,  die  drei  citate  aus  der  bibel:  <i*>.  •'!!  —  67,  10;  02,  7  — 16; 
130,  3  — 10  als  interpolationen  zu  erweisen,  scheint  mir  nicht  geglückt.  Ist  es  schon 
an  und  für  sich  wenig  wahrscheinlich,  dass  ein  interpolator  das  gedieht  mir  bibel- 
stellen ausgeschmückt  haben  solte,  die  in  ihrem  tone  merkwürdig  gut  zu  dem  de- 
ganzen gedichtes  stimmen,  so  können  auch  die  gründe,  welche  Schultz  gegen  v.  <;'). 
34  —  67,  10  und  130,  3  —  10  vorbringt  —  gegen  v.  92.  7  — 16  ist  überhaupt  nichts 
einzuwenden  —  nicht  als  stichhaltig  bezeichnet  werden. 

S.  49  —  55  stelt  Schultz  seine  grundsätze  für  die  orthographische  behandlung 
der  diehtung  auf  und  weist  nach ,  dass  mit  nur  geringen  ausnahmen  die  übliche  mhd. 
Orthographie  beizubehalten  ist.  Als  anhang  folgen  ergänzungen  und  berichtigungen 
zu  Pfeiffers  ausgäbe,  die  jedoch  —  obwol  über  4  Seiten  umfassend  —  noch  nicht 
volstäudig  sind;  z.  b.  sind  die  lesarten  von  B  bei  Pfeiffer  falsch  angegeben:  v.  17,  12. 


492  v< 

wo  richtig  /r  äugen  steht;  36,   11   fehlt   diu  siiexe;   53,  s  liest  B    \i<<>  dem    wasser, 

und  so  fohlen  noch  mindesten-  30  stellen. 

Zulezt  bringt  Schultz  einige  textkritische  vorschlage,  von  denen  ich  hervor- 
hebe: 2.  14  saeliclichen.  43,  11  DocA  >/t//n\.  106,  7  und  A'>7  rf*c&.  123,  18  gre- 
///'////.  128,  10.  20  widerherstellung  der  überliefefUDg.  170.  7  und  ninder  ab.  105, 
11  AU    -       ;  den  übrigen  vermag  ich  nicht  ganz  beizustimmen. 

Trotz  der  ;.       _  benen  ausstellungen   im  einzelnen  ist  der  gesamteindruck  der 
abhandlnng,    welche   sich  auch  durch   korrekten  und  ansprechenden  druck   und  durch 
übersichtliche  anordnung  auszeichnet,  ein  günstiger:   sie  zeigt,  dass  der  Verfasser  mit 
tkritischen  fragen  umzugehen  versteht. 

KEILHAU    BEI    RUDOLSTADT.  0.    WÄCHTER. 


Untersuchungen    über    die    Gothaer    handschrift    des    „herzog    Ernst". 
□  Franz  Alilirriinni.     Leipzig.  Gr.   Fock.    1890.     08  s.     2  m. 

Die    arbeit   gibt    zunächst    eine    beschreibung    der    Gothaischen  handschrift  D 

eine  dankenswerte  neue  vergleichung  derselben,    welche  an  22  stellen  kleinere 

irtümi         -  v.  d.  Hagenschen  textes  berichtigt.     Sodann  geht  der  Verfasser  über  auf  die 

(rag       a  h  dem  Verhältnis  dieser  handschrift  zu  den  übrigen  bearbeitungen;  er  unter- 

h(  die  sprachlichen  eigentümlichkeiten  der  niederrheinischen  bruchstücke  und  komt 
zu  dem  schon  früher  ausgesprochenen  ergebnis,    dass  diese  bruchstücke  nicht  dersel- 

q  handschrift  noch  derselben  bearbeitung  angehören,  dass  sie  aber  nahe  verwant 
sind.  Eine  erneute  vergleichung  derselben  mit  a,  b,  I)  bestätigt  uneingeschränkt  die 
v.-.n  mir  1 1  s  amm  des  gymn.  Buchsweiler  1886)  gegen  Bartsch  aufgestörte  behaup- 
tung,  dass  eine  gemeinsame  hochdeutsche  quelle  für  die  Wiener,  Nürnberger  und 
Gothaer   bearbeitung  hinter  dem  niederrheinischen   urtext,    bezw.   hinter  dessen  ver- 

ledentlichcn  bearbeitungen  anzusetzen  sei.     Wenngleich   der  Verfasser  einen  ande- 

..  und  wie  er  meint,  korrekteren  weg  einschlägt,  so  gelangt  er  doch  genau  zu 
de;  erg   bnissen  wie  ich.     Ein  eingehen  in  die   strittigen  einzelheiten  kann  also 

hier  unterbleiben. 

AI -dann  sucht  <lie  abhandlnng  durch  sorgfältige  Zusammenstellung  der  sprach- 
ücl  a     heiten  von  I>  den  dialekt  und  che  abfassungszeit  der  dichtung  zu  bestim- 

men und  zieht  dabei  die  Sonderheiten  der  reime  und  der  versbildung  ergänzend  hinzu. 
Das  -  ois  ist  nach  Ahlgrimm,  dass  die  heimat  des  dichters  auf  der  grenze  des 
fränkischen  und  bairischen  Sprachgebietes  zu  suchen  sei:    ein   bestirntes  gebiet  werde 

h  nicht  ermitteln  lassen.  Die  abfassungszeit  sei  mit  Jaenicke,  wenngleich  aus 
anderen  gründen,  zwischen  1270  und  1287  anzusetzen.  Durch  diese  ausführlichen 
und  eingehenden  Zusammenstellungen  über  Konsonantismus  und  vokalismus  und  über 
den    versbau    der    bearbeitung    wird    noch    einmal    klar    gelegt,    was    eine    algemeine 

trachtu]  s  bon  ergibt,  dass  nämlich  bei  einer  sage,  von  welcher  jede  einzelne  bear- 
beitung durch  die  bände  wahrscheinlich  mehrerer,  vielleicht  vieler  ändernder,  ein- 
fügender, kürzender  verbesserer  und  verwässerer  des  textes  gegangen  ist,  von  einer 
einheitlichen  gestaltung  des  dialektea  und  der  metrik  nicht  mehr  viel  die  rede 
sein  kann. 

Das  lezte   kapitel    der    abhandlung  betrachtet    eingehend    den    >  t  i  1  der  hand- 

irift  von  Gotha.  Hier  gibt  es  mancherlei  geplänkel  gegen  einzelheiten  meiner 
Untersuchung.    Das  wichtigste  darunter  ist  die  annähme,  auch  die  "Wiener  hdsebr.  b 


ÜBER    AHLGRIMM,    GOTHAEB    HS.    DES    HERZOG    KI;  193 

stehe  unter  dem  einfluss  höfischer  dichtkunst,  wogegen  ich  diesen  einflusa  noch  eicht 
als  na<'hp'\viosi'n  l>erra«-lit<'te.  [ndessen  erkent  Üügrimm  selbst  an  b.  68,  dass  „von 
einer  strengen  Scheidung  and  von   einer  absoluten   Sicherheit   in  betreff  dessen,    was 

als  Bpecifisch  der  höfischen  i sie  eigen,  and  dessen,  was  als  der  volksmässigen  and 

höfischen  dichtang  gemeinsam  anzusehen  ist,  noch  nicht  die  rede  Bein  kann*,  Und 
die  von  ihm  angeführten  beweisstollen  Bind  vielfach  bo  onbedeatend  und  algemeia 
halten,  dass  aus  ihnen  überhaupt  k«-iii  Bchlosfi  auf  den  Ursprung  gezogen  werden 
kann.  /..  b.  721  als  mir  din  munt  hat  geseit  oder  3977  nu  lobet  in  algemeiru  mit 
herzen  und  mit  tungen.  Dabei  ist  es  dem  Verfasser  einmal  begegnet,  dass  er  in 
die  lesarten  der  anderen  handschrift  hineingerät  und  den  texl  der  Nürnberger  hand- 
Bchrift  gibt    Die  Wiener  handschrift,    am  deren  beeinflussan  sich   hier  handelt, 

hat  so  schul  wir  all  Loben  mit  herzen  vnd  cxungen;  diese  Lesart  beweist  zur  erken- 
nung  der  quelle  nichts  und  ist  offenbar  algemeiner,  kirchlicher  natur.  Schon  der 
Gß.  psalm  sagt  in  v.  17  18:  Zn  ihm  rief  ich  mit  meinem  munde  und  pries  ihn 
mit  meiner  zunge;  Wo  ich  unrechtes  vorhätte  in  meinem  herzen,  bo  wind»' 
der  herr  nicht  hören.  Vgl.  ähnliche  Zusammenstellungen  in  der  Litanu  (Massmann, 
Deutsche  gediente  d.  12.  jh.  s.  45)  v.  132 — 138.  Im  ganzen  ist  die  abhandln] 
wegen    der   eingehenden    Sorgfalt,    mir    der    sie  hrieben    ist,    und    wegen    der 

abschliessenden  lösung  vieler  einzelheiten  höchst  anerkennend  zn  beurteilen. 

ESSEN.  ORG    VO 


ZUR   ORENDELFRAGE. 

In  band  XXII  dieser  Zeitschrift  hat  Vogt  Bergers  Orendelausgabe  einer  bespre- 

ebung  unterzogen  und  bei  der  erörterung  des  inhalts  (s.  469  fg.)  auch  auf  meine 
sagengeschichtliche  untersuehung  (Paul- Braune  13,  1  fg.)  bezug  genommen.  Wenn 
ich,  gegenüber  seiner  erschöpfenden  und  eindringlichen  darstellung  einer  entgegen- 
zten  ansieht,  das  bedürfhis  habe,  meine  auffassung  der  Orendelfrage  mit  kurzen 
worten  aufrecht  zu  erhalten,  so  liegt  mir  selbstverständlich  jeder  rechthaberische 
Widerspruch  fern;  ich  ergreife  lediglich  die  gelegenlmit,  die  punkte  klar  zu  machen, 
in  denen  wir  meines  wissens  übereinstimmen,  um  desto  sichtlicher  hervortreten  zu 
!  3sen,  wo  die  ansichten  einander  gegenüberstehen.  Ich  denke  nicht  zu  überzeug 
sondern  eine  mehrseitige  beleuchtung  des  kritischen  gegenständes  anzuregen. 

1)  Vogt  ist  wie  ich  der  ansieht,  dass  das  vorliegende  Orendelgedicht  (ich  nenne 
es  kurz  die  legende,  L)  die  stnmperei  eines  späten  Bpielmans  enthält,  der  aus  dem 
vorrat  gefundener  motive  und  Situationen  mit  plumper  band  eine  möglichst  1 
wundergeschichte  zusammenschweif  2)  Er  ist  der  ansieht,  dass  der  spielmann 
einen  nachweislich  sehr  alt  überlieferten  stoff  behandelt,  dessen  mythischer  gehalt 
einen  jahreszeitlichen  Charakter  zu  haben  scheint.  3)  Er  stelt  die  Wahrscheinlichkeit 
nicht  in  abrede,  dass  der  alte  stoff  dem  spielmann  als  lied  oder  in  liedern  bekant 
war;  mir  persönlich  ist  die  Überlieferung  in  liedesgestalt  b«*i  den  Verhältnissen  der 
mündlichen  spielmanstradition  wahrscheinlicher,  als  eine  lediglich  inhaltliche  Überlie- 
ferung der  sage.  4)  Vogt  stelt  nicht  in  abrede,  dass  eine  eventuelle  vorläge  der 
legende  (ich  will  sie  X  nennen),  fals  sie  nicht  in  poetischen  Wendungen  nachzuwei- 
sen ist,  doch  inhaltlich  durchschimmern  kann;  er  ist  der  ansieht,  dass  der  kern  von 
X.  sei  X  nun  gedieht  oder  tradition,  in  jener  scene  durchschimmere,  in  der  Orendel 
in  knechtesgestalt  mit  riesen  um  den  besitz  der  Bride  kämpft  und.  als  er  sich  nach 
seinem  sieg  zu  erkennen  gibt,  als  ihr  gemahl  und  könig  auerkaut  wird.     Ich  persön- 


494  BEEB 

lieh  bin  überzeugt,  dass  es  Berger  völlig  gelungen  ist,  in  dieser  scene  einen  schätz 
origineller  dichterischer  erfindung  nachzuweisen,  wie  er  ähnlich  nur  noch  einmal  in 
einem  spater  zu  erwähnenden  kurzen  moment  aus  dem  endlosen  poesielosen  gewäsch 
odenromanes  aufblizt;  dass  also  aus  der  kernsituation  eine  poetische  vorläge 
erkenbar  wird.  In   dieser  kernsituation   komt  in  L  Orendel  zu  Bride  als  braut- 

werber,  und  die  riesen,  mit  denen  er  kämpft,  sind  freier  der  Bride.  Vogt  wird 
zugeben,  dass  von  einer  bestirnten  zeit  ab  das  motiv  der  brautfahrt  zu  einer  belieb- 
ten und  beherschenden  spielniansschablone  geworden  ist.  dass  also  von  der  braut- 
i'ahrt  in  L  unmittelbar  kein  rückschluss  auf  die  gestalt  von  X  gestattet  ist.  G)  In 
der  kernsituation  ist  in  L  Bride  kÖnigin  von  Jerusalem,  Jerusalem  heidnisch  bedrängt 
und  Orendel  der  erwartete  befreier,  der  im  rocke  Christi  das:  heilige  grab  erlöst. 
V  _•  gibt  zu.  dass  alles  legendenhafte  zutat  von  L  ist.  Orendel  kam  ersichtlich  in 
X  in  knecht  -alt.  und  es  scheint,  dass  L  dea  typischen  namen  der  graurock  von 
X  übernahm,  an  den  grauen  rock  den  rock  Christi  knüpfte  und  also  Orendel  zu 
einem  Trierer  königsohn  machte.  7)  Aus  diesen  dementen  haut  sich  die  kernsituation 
in  L  sehr  einfach  auf.  Der  siegreiche  graurock  in  kuechtestracht  soll  die  hand  der 
königin  Bride  erhalten:  als  ihre  mannen  sich  dagegen  empören,  sagt  er:  ich  hin  gar 
kein  knecht,  ich  bin  der  könig  Orendel  von  Trier.  Gegen  den  könig  von  Trier  haben 
die  mannen  nichts  einzuwenden.  Solte  diese  fassung,  wie  Vogt  meint,  die  ursprüng- 
liche von  X  sein'/     Auf  den  könig  von  Trier  wird  Vogt  verzichten,  der  fält  mit  dein 

k  Christi;  nicht  viel  besser  bestelt  ist  es  um  das  königtum  Jerusalem  und  die 
befreiung  des  heil  -.    abstrahieren  wir  einmal,    um   mit  allem  zweifelhaften 

aufzuräumen,  auch  von  der  brautfahrt,  so  ist  der  kern  der  Situation:  Orendel  kämpft 
mit  riesen  um  Bride  und  wird,  als  er  sich  zu  erkennen  gibt,  trotz  seiner  knech- 
tischen  erscheinung  ihr  gemahl  und  anerkanter  könig.  In  dieser  formel  ist  ein  rät- 
selhafter   punkt,    dem    Vogt    nur    wenig    aufmerksamkeit    schenkte:    die    knechtische 

•heiuung  Orendels.    Wie  komt  Orendel  in  so  entstelter  gestalt  zu  Bride?    Antwort: 

komt  aus  der  knechtschaft  des  riesen  Ise.  Damit  verändert  sich  mit  einem  schlage 
die  Situation.  Nicht  der  könig  Orendel  komt  auf  der  brautfahrt  zu  Bride,  sondern 
der  knecht  des  riesen  Ise  komt  aus  der  gefangenschaft  in  kläglicher  gestalt  und 
wird  von  niemandem,  ausser  (so  scheint  es)  von  Bride,  für  einen  könig  gehalten. 
Die  legende  findet  sich  sehr  einfach  damit  ab:  Orendel  bestand  auf  seiner  brautfahrt 
die  üblichen  abenteuer  (z.  b.  das  Klebermeer),  zu  diesen  gehörte  auch,  dass  er  schei- 
ternd in  Ises  bände  fiel,  als  sein  knecht  den  rock  Christi  in  einem  fischbauch  fand, 
von  dem  braven  Ise  ä  la  Sankt  Martin  mit  dem  mantel  ausgestattet  und  an  sein 
heiliges  ziel  gesant  wurde.  Dieses  Sammelsurium  wird  auch  vor  Vogts  kritik  nicht 
:  wir  können  uns  immer  nur  an  die  kernsituation  halten:  der  aus  der  knecht- 
: icsen  entronnene  Orendel  komt  in  ärmlicher  tracht  zu  Bride,  kämpft 
mit  riesen  um  ihren  besitz,  gibt  sich  nach  seinem  sieg  den  widerstrebenden  mannen 
zu  erkennen  und  wird  als  ihr  könig  und  Brides  gemahl  anerkant.     Diese  formel  aber 

ht  der  von  mir  a.  a.  o.  zusammengestelten  heimkehrgruppe  näher  als  der  von 
V"_t  herangezogenen  brautfahrtsgruppe;  nicht  in  dem  winterlande  kämpft  in  dem  zu 
gründe  liegenden  mythus  (so  scheint  es)  Orendel  um  Bride,  vielmehr  kehrt  er  wie 
in  der  eddischen  Überlieferung  aus  seiner  winterlichen  gefangenschaft  zu  ihr  zurück. 
-  In  L  geht  Orendel  von  Trier  aus  und  kehrt  (mit  Bride)  nach  Trier  zurück.  Damit 
-pielmann  nicht  zu  ende;  er  stümpert  weiter;  Jerusalem  ist  wider  in  den 
bänden  der  beiden.  Bride  eilt  voraus  und  komt  in  die  gewalt  eines  heidenkönins, 
der  sie  zur  mimte   zwingen   will;    der  nacheilende   Orendel   befreit    sie.      Vogt  führt 


ZUB    ORENDELFRAGE  |'.i;> 

aus,  dass  dieser  befreiungszug  Orendels   in  L  mit  dein  Morolf  und   der  Rortherfort- 

dichtung  eine  bis  in  das  einzelne  sich  erstreckende  ahnlichkoit  hat.  [ch  weiss  nicht. 
welchen  nachdruck  Vogt  nach  meinen  ausführungen  Zur  heldensage  (Paul -Braune  14, 
lies.  s.  548  fg.)  auf  diesen  nachwois  legt,    [ch  habe  dargotan:  einmal,  dass  derMorolf, 

Rother  IT  und  der  zweite  und  dritte  teil  der  Kudrun  unabhängig  von  einander  aus 
dem  nämlichen  griechischen  roman  (dem  Balomonroman)  geschöpft  haben;  sodann, 
dass  diese  drei  gedachte  unter  dem  sichtbaren  einfluss  des  deutschen  (hie  und  da  von 

der  orientalischen  gruppe  I influssten)    heimkehrrom.mcs   stehen:    diesen    deutschen 

heimkehrroman  meine  ich  in  ergänzung  meiner  Orendelforschung  nunmehr  festgestelt 
zu  haben.  So  lege  ich  geringes  gewicht  darauf,  dass  L  II  sich  ganz  ähnlich  wie 
Rother  D  und  Kudrun  III  anlässt:  Orendel  zieht  aus,  die  boi  einem  buhler  gefan- 
gene Bride  zu  befreien,  verbirgt  sein  beer,  geht  als  waller  in  die  Btadt  usw.  Die 
Situation,  die  der  legendenmann  mit  tollen  Sprüngen  eilfertig  heiaufzuführen  strebt, 
ist  doch  nicht  ganz  die  nämliche:  in  jenen  gedichten  eine  entführte  frau  in  der 
fremde,  in  diesem  die  in  ihrer  heiinat  buhlerisch  gefangene  gattin.  l)as  wäre  an  Bich 
nun  nicht  ausschlaggebend,  wenn  nicht  ein  umstand  hinzukäme,  welchen  Vogts  k ii — 
tik  gar  nicht  berührt  hat:  der  legendenmann,  in  seiner  eilfertigen  weise  interesselos 
und  ohne  klare  Vorstellung  über  die  ereignisse  der  befrei  ung  hinweghüpfend,  bleibt 
plötzlich  an  einer  Situation  hängen,  die  wie  ein  erratischer  block  aus  verwittertem 
geröll  hervorragt:  eine  scene  von  athemlos  dramatischer  Spannung,  welch..-  sich  mit 
worteu  von  so  schlichter  heldengrösse  bist,  wie  sie  dem  plumpen  stümper  der  Legende 
nie  eingefallen  wären.  Diese  auch  in  ihrer  entwürdigten  gestalt  mit  ihrer  Umgebung 
dichterisch  unvereinbare  scene  aber  hat  zum  inhalt,  dass  Oreudel  in  entstelter  trachl 
zu  seiner  von  einem  buhler  gefangenen  gattin  komt,  von  ihr  erkant  wird  und  sie 
unter  ihrem  heldenhaften  beistand  befreit.  Diese  scene  ist  um  so  mehr  hervorzu- 
heben, als  ihr  der  zug  des  heldenhaften  weibes  mit  jener  ersten  bedeutsamen  kern- 
situation  im  unterschied  von  allen  Salonionsituationen  gemein  ist.  Es  hat  ganz  bestirnt 
eine  dichterisch  bedeutsame  scene  (Y)  gegeben,  in  welcher  Orendel  in  entstelter 
gestalt  zu  seiner  unibuhlten  gattin  heimkehrte;  womit  Y  ausgeschmückt  war  oder  in 
L  ausgeschmückt  wurde,  welchen  einfluss  andere  gediente  in  nebenumständen  -.•wan- 
nen, ist  gegenüber  jenem  hauptergebnis  eine  nebeufrage.  So  ausgerüstet  wage  ich 
von  Y  auf  X  zu  schliessen  und  als  dessen  inhalt  anzugeben,  dass  der  aus  eisriesen- 
haft  erlöste  Orendel  zu  seiner  unibuhlten  gattin  heimkehrt,  sie  von  riesischen  bedrän- 
gern  befreit  und  wider  in  seine  herscherrechte  tritt.  Über  die  riesischen  bedränger 
habe  ich  in  meiner  Orendelforschung  gehandelt.  0)  Vogt  legt  auf  Brides  heldenhaf- 
tigkeit  einen  ähnlichen  wert  wie  Müllenhoff;  er  hebt  ihre  Briinhildenhafte  tapferkeit 
und  ihre  riesenwaffe ,  die  stange  hervor,  und  indem  er  entsprechende  eigenschaften 
bei  den  Jungfrauen  des  brantfahrtromans  ßndet,  fühlt  er  sich  bestärkt,  den  Orendel- 
mythus  dieser  niythengruppe  zuzuweisen.  Diesmal  hindern  mich  principielle  beden- 
ken, ihm  zu  folgen.  Ich  bin  durch  meine  mythologischen  studien  zu  der  Überzeu- 
gung gekommen,  dass  walkyrische  stärke  und  riesische  attribute  auch  im  norden 
frühzeitig  zu  wanderrequisiten  geworden  sind,  zu  beliebten  motiven,  die  von  einer 
Persönlichkeit  für  andere  übernommen  wurden.  Ich  halte  die  eddischen  Überlieferun- 
gen ausnahmslos  für  gedichte  auf  mythen,  eine  fort  wirtschaftung  mit  einem  material, 
das  sich  aus  den  verschiedensten  zeiten  unter  den  verschiedensten  einflüssen  zusam- 
mengestapelt  hat  und  seiner  inneren  bedeutung  meist  bereit  entrückt  war.  Ich  wage 
weder  aus  der  tapferkeit  noch  aus  der  waffe  der  Bride  irgendwelchen  rücksehluss 
auf  den   inhalt   des  urmythus   zu   ziehen;    mit    ihrer   unberührbarkeit   gehe   ich   noch 


496  F.    VOGT.    ERWIDERUNG 

mistrauischer  um:    dieser  zug   scheint  mir  nur  angewant  zu  sein,    um  dem  Orendel 

eine  spiritualistiscbe  heiligung,  und  dem  engel  eine  öftere  ausübung  seinei  himlischen 

ntschaft  zu  verschaffen;    für  den  eigentlichen  verlauf,  für  das  Verhältnis  zu  Bri- 
-  bedrängern  ist  sie  nirgends  nutzbar  gemacht. 

BONN.  LUDWIG    BEER. 


K  r  w  i  (1  e  r  u  n  ir. 

Auf  obige  ausführungen  glaube  ich  zur  kenzeichnung  meines  Standpunktes 
t'..l.  q  zu  müssen.     Zu  1 — 4:  Das  vorliegende  Orendelgedicht  halte  ich 

nicht  -für  die  Stümperei  eines  späten  spielmannesu,  sondern  für  ein  werk,  in  wel- 
chem  sehr  verschiedene,  teilweise  noch  zu  sondernde,  teilweise  unauflöslich  verwach- 
schichten  der  Überlieferung  bei  einander  Liegen  (s.487  meiner  abhandlung).  Das 
nicht  über  den  ausgang  des  12.  Jahrhunderts  zurückgehende  originalgedicht  beruht 
nach  meinen  ausführungen  stoflich  auf  einer  teils  frei,  teils  durch  überlieferte  moti\<' 
erweiterten  alten  sage,  die  ursprünglich  aus  einem  Jahreszeitenmythus  erwachsen  sein 
wird.     Über   die    form,    in    der   diese   dem   dichter  zugieng,    können   wir   nichts  wis- 

..  —    Zu  .">:    Das   brautwerbungsmotiv  hat  von  altersher  in  mythus  und  sag  3  Qme 

nz  hervorragende  rolle  gespielt;  erst  von  da  aus  ist  es  auch  typisches  thema  der 
spielmannsgedichte  geworden.  Sollen  wir  es  daher  in  einem  der  lezteren  für  spätere 
erfindung  oder  für  ummodelung  eines  andern  motives  halten,   so  muss  mau  uns  ganz 

Mimte,  zwingende  gründe  dafür  beibringen.  Solche  aber  —  und  damit  komme  ich 
zu  6  und  7  —  vermag  ich  auch  jezt  noch  nicht  für  den  Orendel  zu  erkennen.  Dass 
Orendel  vor  Bride  in  knechtsgestalt  erscheint,  erklärt  sich  volständig  aus  der  Verbin- 
dung der  beiden  motive:  knechtschaft  bei  dem  riesen  und  gewinnung  der  Jungfrau 
im  riesenlande  (s.  475  meiner  abhandlung).     Alles  —  ich  widerhole  es  —  deutet  ent- 

tieden  darauf,  dass  Bride  sich  von  anfang  an  hier,  nicht  in  Orendels  heimat  auf- 
hält. Diese  leztere  mag  -'hon  nach  alter  sage  Trier  gewesen  sein;  ohne  diese 
annähme   ergibt   sich    kaum   ein  genügender  anlass   für  die  anknüpfung  des  heiligen 

kes  an  I  Brendels  grauen  rock.  Bndlich  kent  die  brautwerbungssage  sogut  wie  die 
heimkehrsage  das  motiv  des  unkentlichen  ankömlings.  —  Zu  8:  Meine  bezüglichen 
ausführungen  bezwecken  zu  zeigen,  dass  Orendel  II  ebenso  wie  Rother  II  und  Mo- 
rolf  II  beurteilt  werden  muss:  als  die  in  der  spielmansdichtung  herkömliche  Varia- 
tion des  hauptmotives.  Ein  selbständiges  parallelgedicht  als  grundlage  dieses  zweiten 
anzunehmen,  hat  mau  im  einen  falle  keine  bessere  veranlassung  als  im  andern; 
in-  ■  aus  dem  2.  teile  die  heimkehrsage  als  ursprüngliches  thema  der  ganzen 

dichtung  zu  folgern,  bietet  der  Orendel  so  wenig  grund  wie  der  Rother.  Dass  Bride 
im  Orendel  II  die  -in  ihrer  heimat  buhlerisch  gefangene  gattin"  sei,  ist  nicht  richtig; 
I  vielmehr  „eine  entführte  frau  in  der  fremde",  während  gerade  Rothers  geraubte 
frau  in  der  alten  heimat  i>t.  In  ästhetischer  hinsieht  s<-h<'  ich  im  Orendel  nicht  eine 
solche  kluft  zwischen  wundern  an  alter  poesie  und  erbärmlicher  Stümperei  des  unse- 
Lmanns  wie  Beer  und  Berger.      Dass  aber  die   hier  in  betracht  kommende 

;le  nach  meiner  anschauung  .-'hon  aus  der  alten  quelle  stammen  könne,    geht  aus 

17»;   meiner  abhandlung  hervor.   —    Zu  9:   Dass  BrH<'<   heldenhafte  und  riesische 

natur        I    zuist  des   -pielmannes  sei.    wird   Beer  gewiss   nicht    behaupten,    da  sieb 

weder  irgendwi        sjt,  dass  dies  inschaften  etwa  dem  sonstigen,  besser  verbürgten 

der  Bride  widersprechen,  noch  dass  sie  bei  den  frauengestalten  der  spielmansr 

herkömlich  sind.     Sie  gehören  also  der  alten  sage  an.     Die  überweibliche  hei- 


E.    MARTIN,    ZU   REINAEBT   UND   WTSSELA.U  497 

denstärke  aber  haftet,  wie  die  Brünhildensage  zur  genüge  zeigt,  an  der  Jungfräulich- 
keit; mit  deren  verlust  hört  sie  auf,  und  es  ist  daher  zweifellos  widerum  ein  alter  zug, 
dass  unsere  dichtung  Drilles  jungfräulichkeri  überall  so  energisch  festhält.  Diese 
streitbare  Jungfrau  nun  gegen  die  Überlieferung  zu  einem  verlassenen  eheweibe  zu 
machen,  sie.  welche,  von  riesen  umlagert,  selbsl  die  typische  riesenwaffe  schwingt, 
aus  der  riesischen  amgebung  verweisen  zu  wollen,  ist  ein  verfahren,  durch  welches 
man  meines  erachten s  dem  ursprünglichen  gehall  unserer  dichtung  nicW  näher  komt, 

BRESLAU.  l  .    VOGT. 


XU  REIXAERT   UNI)  WISSKLAU. 

Meine  ausgäbe  der  Darmstädter  fragmente  de  Reinaert  und  des  Londoner 
brucbstücks  des  Wisselau  ist  in  dieser  Zeitschrift  23,  349  -353  auf  druckfehler  und 
ähnliche  versehen  hin  einer  gründlichen  aber  nicht  völlig  gerechten  prüfung  unter- 
zogen worden.  Die  beurteilungen  meiner  arbeit  durch  andere  hat  der  recensenl  oichi 
beachte^;,  er  ist  femer  auch,  seinerseits  dem  tadel  verfallen,  der  im  Anzeiger  für  deut- 
sches altertum  XV,  375  wegen  niclitbenutzung  des  im  erscheinen  begriffenen  Mnl.  wb. 
von  Verdam  über  mich  ausgesprochen  wird.  Seinen  ausstellungen  habe  ich  folgen- 
des entgegenzuhalten. 

Absolute  Sicherheit  bis  auf  den  lezten  buchstaben  ist  gewiss  zu  fordern,  sobald 
es  sich  um  einen  diplomatischen  abdruck  handelt.  Der  recenseut  bezweifelt  Reinaerj 
3096  senc  für  sine;  eine  nachvergleichuug  des  Darmstädter  lis.  hat  ergeben,  dass 
atsächlich  sene  geschrieben  steht. 

Für  den  Wisselau  habe  ich  leider  im  buchstäblichen  abdruck  sechs  druckfeh- 
ler übersehen,  in  denen  e  und  c  verwechselt,  r  ausgelassen  war  o.  ä.  Doch  hoffe 
ich,  dass  der  leser,  wenn  nicht  von  selbst,  so  doch  durch  den  daneben  stehenden 
kritischen  text  geleitet,  das  richtige  sofort  eingesezt  hat.  Ausserdem  habe  ich  ein 
paar  mal  die  von  Semire,  aber  nicht  mehr  von  mir  gelesenen  weite  nicht  ganz 
genau  widergegeben,  z.  b.  Ab  26  [onibindic  v  te]  waren,  wo  Serrure  u  sezt:  wel- 
chen kritischen  wert  hat  wol  dies  u  für  v?  Noch  weniger  als  das  aufführen  solcher 
differenzen  verstehe  ich,  wie  der  recensent  sagen  kann,  unter  den  abweichungen  Ser- 
rures  von  meiner  lesung  seien  „uioht  nur  bemerkenswerte  orthographische,  sondern 
auch  materielle  unterschiede  unberücksichtigt  geblieben:  Ab  4  vermisse  ich  das  die 
vor  rese  (vgl.  Ab  35),  17  kempe,  31  gout  usw."  Die  handsehrift  hat  völlig  lesbar 
de,  kimpe,  soid.  Icli  bin  dem  bruchstück  nachgereist,  nach  Gent,  nach  London  und 
hierher  mehrmals;  ich  habe  in  mancher  stunde  die  verloschenen  züge  angeschaut. 
bis  mir  die  äugen  übergiengen;  aber  dass  ich  solche  völlig  gleichgiltige  versehen 
Serrures  nicht  einfach  übergehen  dürfte,  habe  ich  mir  nie  träumen  lassen.  Auch 
wenn  recensent  sagt:  „v.  512  hat  Serrure  schachten*,  so  ist  meine  normalisierende 
angäbe  scaehten  schwerlich  eine  sünde.  Der  recensent  hat  aber  in  allen  diesen  fallen 
meine  lesung  gar  nicht  mitgeteilt  und  so  den  wahren  Sachverhalt  nicht  erkennen 
lassen.     Wie  viele  leser  werden  wol  nachgeschlagen  haben? 

"Wesentlich  der  gleichen  art  sind  auch  die  an  meinen  hergestelten  texten 
bemerkten  fehler:  ein  paar  mal  hat  der  drucker  y  ohne  die  zwei  punkte  gesezt,  von 
anstatt  van  u.  ä.  Ganz  misverständlich  heisst  es  s.  352:  „Ungenau  ist  3119  seulde 
..e,    der   rest    des    verses    fehlt    keineswegs    in    der  handsehrift " :    die   zwei   punkte 

ZEITSCHRIFT    F.    DEUTSCHE    PHILOLOGIE.     BD.   XXIII.  öJ 


49S  MARTIN.    ED    RF.INAF.RT    UND    WISSELAU 

I 

-  gen  hier,  dass  die  zwei  lezten  buchstaben  von  seuldech  unlösbar  geworden  sind. 
Dass  die  abweichungen  meines  textes  der  Brüsseler  handschrift  von  den  Varianten 
im  Beinaert  auf  aoohmaliger  benutzung  meiner  collationen  beruhen,  versteht  sich 
doch  wol  von  seil  - 

Nur  einen  beitrag  zur  Verbesserung  meines  Reinaerttextes  liefert  der  recensent 
151:  »v.  2640  lese  ich:   ghi  syter,    eonine,    also   naa:    ich   hatte  eonine   an  die 
spii  -        s  3  j    ätelt,    indem  ich  trtümlich  annahm,    dass  b  mit  a  darin  überein- 

mme. 

[ch  ergreife  die  gelcgenheit  zu  meinen  erläuteitmgen  »Irr  beiden  gedichte  einige 
zu  machen. 

-  33  habe  ich  das  mnl.  kir  besprochen:  es  ist  auch  mittelhochdeutsch  (Titurel 
/.-///•  fis)  und  entstamt  der  picardischen  form  eier  für  das  frz.  elier  (Strassburger  diss. 
von  Kassewitz,  Französische  worter  im  mhd.  Str.  1800  s.  40). 

S.  ö8  hatte  ich  das  gedieht  vom  schratel  und  dem  wasserbären  nach  der  sehr 
ansprechenden  Vermutung  Bechsteins  (s.  zulezt  die  festschrift  für  Konrad  Hofmann 
s.  172  Fgg.  als  ein  werk  Heinrichs  von  Freiberg  anfuhren  können.  Ebenda  ist  zuMül- 
lenhofls  bemerkuugen  über  die  koboldsage  jezt  auch  auf  seinen  Beovulf  s.  2  unten 
zu  verweisen. 

3.  70:  Auf  die  truchsessen  stichelt  auch  Heinrich  von  dem  Türlin  in  der  Krone 

28  Fgg.:    Dax    man   von   truhsazen   sagt     Dan    si  da   dicke   rätes  Jehen     Da   si 

mieheln  mangel  fehen:    her  rede  hi<    niht  gesehach.     Zu   vergleichen  ist  auch  der 

höhn   über  Hialli  hvergtetir  in   Atlamal  58  und  die  Verachtung  des  im  steikarahus 

verweilenden  jungen  Thetleifr:  Thidrekssaga  cap.  111. 

Ganz  besonders  aber  möchte  ich  auf  die  in  De  Gids,  Januari  1889  s.  45  —  73 
von  J.  .1.  A.  A.  Frentzen  veröffentlichte  Untersuchung  über  Wisselau  hinweisen,  um 
mehr,  als  diese  holländische  Zeitschrift  in  Deutschland  nur  wenig  bekaut  sein 
dürfte.  Hier  ist  sehr  gut  das  Verhältnis  dargestelt  worden,  in  welchem  ^vVisselau  zu 
den  deutschen  gedienten  der  spielmanspoesie,  besonders  zu  Rother  und  Oswald  steht, 
m  ich  auch  eine  unmittelbare  benutzung,  wie  sie  Frantzen  wenigstens  für  Rother 
annimt.  noch  nicht  als  erwiesen  ansehn  möchte.  Vbrtreflich  ist  die  bemerkung  über 
die  heimat  des  sagenstoftV-s.  die  sich  aus  dem  namen  Wisselauwe  ergiebt:  als  „"Weiss- 
löv.  •       tspricht  'lies  der  niederrheinischen  mundart.     Dass  bar  und  löwe  ver- 

we  werden,    find-r   sich  auch   in   Rother   1290,    wo    ein    zahmer   löwe    herweif 

ant  wird.  Vom  Niederrhein  gieng  die  namensform  über  in  die  westfälischen  lieder, 
nach  denen  die  Thiureks  Saga  cap.  142  den  baren  Vixleo  nent.  Die  niederrheinische 
heimat  des  Wisselau  pa>st  vortre flieh  zu  der  von  Müllenhoff  und  Henning  erwiesenen 
blute  der  heldensage  am  Xiederrhein  im  11.  und  12.  Jahrhundert,  welche  dann  auf 
-üdosten  einwirk-  Sehr  ansprechend  ist  daher  auch  die  annähme  Frantzens, 
m  Übelen  weib  705  —  771  auf  die  sage  von  AVisselau  angespielt  werde:  als  die 
mit  einander  kämpfenden  s  itl  m  schon  gefront  worden  sind,  zeigt  das  böse  weib  noch 
immer  ihre  wut:  als  ein  her  der  an  einer  lannen  strebt,  dem  gelieh  st  da/nnoch 
lebt.  s%  phnurreU  jenen  unde  disen,  si  gebarte  als  si  mit  einem  risen  dennoch 
heb  )hten.     Durch   die  einflechtung  Karls  des  Grossen,    vielleicht  an  stelle  Die- 

triche   wird   für   die  quelle    des  mnl.  gedientes    die  entstehung  in   der  gegend  von 
aen  nur  noch  wahrscheinlicher. 

.RAS-BURO.    14.    NOV.    1890.  E.    MARTIN. 


BRANDES,    KKWII'I-.KI  \'j\) 

Antwort  des  reeensenten. 

Die  von  mir  besprochene  publikatioD  besteht  nahezu  zu  einem  drittel  aus  dem 
buchstabengetreuen  abdruck  von  texten.  Eerr  prof.  Martin  gibt  in  seiner  entgegnung 
ausdrücklich  zu,  dass  ein  Bolcher  „absolute  Sicherheit  bis  auf  den  lezteo  buchstaben" 
bieten  müsse.  Weshalb  wirft  er  mir  denn  aber  vor,  dass  ich  versucht  habe,  die 
von  ihm  gelieferten  textabdrücke  bis  auf  den  lezten  buchstaben  richtig  zu  ßtellen? 
Eine  Ungerechtigkeit  kann  ich  in  meinem  verfahren  nicht  erblicken,  zumal  ich  auf 
den  wort  un<l  die  bedeutung  der  Veröffentlichung  Martins  mehrfach  mit  nachdruck 
hingewiesen  habe. 

Aus  der  bemerkung  im  dritten  absatz:  „Ausserdem  habe  ich  ....  wert''  nicht 
mz  genau  widergegeben,  /..  b.  AK  26  [ontbindic  v  tej  waren,  wo  Serrure  u  sezt: 
welchen  kritischen  weit  hat  wol  dies  "  dir  p?u  tritt  der  Sachverhalt  nicht  völlig  klar 
hervor.  Einmal  komt  es  an  der  angezogenen  stelle  auf  den  kritischen  wert  des 
ii  für  /•  gar  nicht  an.  da  es  sich  um  dm  diplomatischen  abdruck  handelt;  sodann 
steht  in  Martins  ausgäbe  nicht  ontbindic  v  te,  sondern  ontbindic  ie  0  >>.  Die  ver- 
anlassung zu  meiner  ausstellung  Heut  also  keineswegs  da.  wo  herr  prof.  Martin 
gefunden  zu  haben  glaubt. 

Für  nicht  ganz  gerechtfertigt  halte  ich  es  ferner,  wenn  herr  prof.  Martin  in 
erster  linie  von  druckfehlern  und  ähnlichen  versehen  spricht,  meiner  bemängelung 
des  Variantenapparats  zu  den  bruchstücken  des   Reinaert  aber   (absatz   li   allein   mit 

der  behauptung  entgegentritt:  „Dass  die  abweichungen  ....  versteht  sich  doch  wol 
von  selbst".  In  Martins  ausgäbe  der  neuen  Fragmente  Bteht  kein  wort  davon,  dass 
er  auf  seine  kollationen  zurückgegriffen  hat;  ich  glaube  zudem  nicht,  da---  irgend 
jemand  bisher  daran  gezweifelt  hat,  dass  der  Variantenapparat  zu  Martins  Reinaert 
durchaus  verlässlich  sei.  "Wenn  herr  prof.  Martin  jezt  selbst  zugesteht,  dass  er 
nicht  ist.  so  frage  ich:  Weshalb  hat  er  das  resultat  seiner  nachkollationen  nicht 
längst  veröffentlicht  oder  doch  wenigstens  in  seiner  jüngsten  Schrift  darauf  aufmerk- 
sam gemacht,  dass  sich  in  den  lesarten  verseben  finden?  Hat  der  herausgeber  eil 
buches,  das  wie  Martins  Reinaert  in  aller  bänden  ist  und  das  sprachlichen  Unter- 
suchungen zur  grundlage  dient,  nicht  die  pflicht,  die  ergebnisse  seiner  nachprüfun- 
gen  volständig  vorzulegen? 

Zu  absatz  1  muss  ich  bemerken,  da^s  mir  das  buch  sofort  Dach  dem  erschei- 
nen durch  die  redaktdon  «lieser  Zeitschrift  zugesant  worden  i>t .    und  dass   ich  wenij 
wochen  darauf  meine  recensiun  eingeschickt  habe,   ich  also  keine  Veranlassung  linden 
konte,    an  meinem  druckfertigen  manuscripte  zu  ändern,    als  ich  Bpäter  die  :,i- 

liche  bemerkung  Francks  in  seiner  anzeige  der  ersten  beiden  bände  des  Mnl.  wb.  las. 

BERLIN,    20.    NOV.    1890.  1IKRMAN    BRANDE 


IJericIitiffuiür. 

Auf  s.  292  dieses  bände s  im  lezten  absatze  der  abhandlung  von  F.  Bronner 

steht  durch  ein  hoffentlich  unschädliches  versehen  hinter  dem  namen  von  Seherer  die 
Jahreszahl  1775  statt  1876. 


32 


500  NEUE    ERSCHEINUNG EX 

NEUE  EESCHEINUNGEN. 

BraiuNtetter.  ßenwmrd,  Prolegomena  zu  einer  urkundlichen  geschiente  der  Luzer- 
ner mundart.    Einsiedeln,  Benziger  &  Co.   1890.    88  s. 

Brutaler,  J.  >V..  Kritische  Stadien  zu  Wernhers  Marienliedern.  Greifswalder  diss. 
18 

Deutsche  litteratordcnkmale  des  ls.  und  19.  Jahrhunderts  in  aeudmeken  heraus- 
g  gel  ■    B.  Seuffert.    33 — 3S:  ITz.  sämtliche  poetische  Werke,  herausgeg. 

.    Sauer.    Stuttgart,  G.  J.  Göschen.    1890.    8,40  m. 

FUlsehlen,  CÜsar,  Graphische  litteratur-tafel.  Stuttgart,  G.J.Göschen.  1890.  2  m. 
Ein  vorsuch,  den  verlauf  der  deutschen  litteratur  und  die  auswärtigen  „ein- 
flüsse"  in  denselben  durch  Zeichnung  und  färbe  zu  veranschaulichen.  "Wer  den 
ter  langen  streifen  aufmerksam  verfolgt,  wird  finden,  dass  eine  menge 
von  litteraturkentnis  in  denselben  hineingearbeitet  ist;  freilich  auch,  dass  die 
_  stelte  aufgäbe  doch  nur  andeutungsweise  gelöst  werden  kont»-.  Für  repetition 
mag  die  darstellung  manchem  einen  brauchbaren  anhält  bieten  und  dadurch  ihr 
interesse  über  dasjenige  einer  blossen  kuriosität  hinausgehn. 

—  —  Otto  Heinrieh  von  Gemmingen.  Mit  einer  Vorstudie  über  Diderot  als  drama- 
tiker.     Stuttgart,  G.  J.  Göschen.  1890.     163  s.     4  m. 

Der  Verfasser  charakterisiert  auf  s.  1  —  50  die  Wirksamkeit  Diderots  mit 
besonderer  rücksieht  auf  den  vpere  de  famillc*  und  seine  einwirkung  auf  das 
bürgerliche  Schauspiel  in  Deutschland.  Sodann  schildert  er  in  grossen  zügen 
3.51  —  67  leben  und  Wirksamkeit  v.  Gemmingens,  bespricht  s.  68  —  78  dessen 
.Mannheimer  dramaturgie  auf  das  jähr  1779"  und  sodann  in  dem  übrigen  teile 
des  buches  das  drama  „der  deutsche  hausvater",  seine  aufnähme  bei  den  Zeit- 
genossen, seine  beziehungen  zu  werken  von  Lessing,  Wagner,  Goethe  und  end- 
lich seine  fortwirkung  in  der  deutschen  litteratur.  Zusammenfassendes  urteil  auf 
B.  vr':  -Gemmingen  steht  ganz  auf  der  peripherie  der  stürm-  und  drangperiode : 
er  hat  ihre  motive  und  reflexionen;  seine  fassung  derselben  aber  ist  eine  ruhigere 
und  abgeschwächtere,  in  der  mitte  zwischen  gährung  und  klärung". 

Gneisse,  K. ,  Untersuchungen  zu  Schillers  aufsätzen:  «Über  den  grund  des  Vergnügens 
an  tragischen  gegenständen".  -Über  die  tragische  kunst"  und  „Vom  erhabenen". 
Gymn.-progr.  AVeissenburg  im  Elsass.   1889.     37  s.     4. 

Hedler,  Adolf,  Geschichte  der  Heliandforschung  von  den  anfangen  bis  zu  Schindlers 
ausgäbe.     Rostocker  diss.  1890. 

Klar  und  übersichtlich  dargestelt;  in  dem  von  Klopstock  handelnden  abschnitt 
3.  29  fg.)   hätte  auch   dessen  brief  an  Lessing  vom   27.  august   1768   berücksich- 
■  gt  werden  können. 

Jeep,   Ernst,    Hans  Friedrich  von  Schönberg,    der  Verfasser   des  Schildbürgerbuches 
und  des  Grillenvertreibers.  Wolfenbüttel,  Jul.  Zwissler.  1890.    XIV  u.  148  s.   3  m. 
Untersuchung  über  die  textgeschichte  des  Schildbürgerbuches  und  seiner  fort- 
.    ..     Enthält  einig"  berichtigungen  zu  Goedeke,  grundriss2  II,  560. 

Kahle.  Beruh.,  Die  altnordische  spräche  im  dienste  des  Christentums.  I.  teil:  Die 
prosa.     (Acta  Germanica  I,  4.J     Berlin.  Mayer  &  Müller.  1890.     137  s.     8. 

Kamp.  IL.  Gudrun  in  metrischer  Übersetzung.  Y1II,  48  s.  Berlin,  Mayer  &  Mül- 
ler. 1890.     Preis  65  pf. 

Auswahl  aus   den   überlieferten   Strophen   dea   Gudrunepos,    die  sich   meist  an 
den  von Müllenhoff  al  t  ausgeschiedenen  kern  hält:  in  beziig  auf  die  von  1530 


NEUE   ERSCHEINUNGEN  501 

an  folgenden  strophen  iibl  der  Verfasser  eine  von  Müllenhoff  abweichende  kritik 
mit  rücksieht  auf  Martins  bemerkungen  zu  Kudrun  (Halle  1867;  vgl.  auch  dii 
Zeitschrift  XV,  194  fg.).  Die  einleitung  enthüll  beachtenswerte  kritische  bemer- 
kungen.  Überall  zeigt  sich  gründliches  Btudium  des  Originaltextes.  Kamp  über- 
trägt den  inhalt  der  mhd.  dichtung  singetreu,  aber  mit  voller  freiheil  des  aus- 
drucke im  einzelnen,  in  einfache  aber  würdige  neuhochdeutsche  fassung;  kleine 
besserungen  einzelner  verse  werden  leichl  nachzutragen  Bein.  Nur  die  Freiheit, 
dir  er  sich  mit  Umwandlung  der  strophenform  genommen  hat.  kann  ich  nichl 
billigen.  I>ass  er  den  lezten  halbvers  um  ein.'  hebung  verkürzt  il  statt  5),  mag 
noch  hingehn;  wenn  er  aber  den  in  der  mhd.  dichtung  streng  festgehaltenen 
unterschied  zwischen  den  stumpfen  reimen  der  beiden  ersten  und  den  klingenden 
diu-  beiden  Lezten  zeilen  aufgibt,  so  nimt  er  der  ßtrophenform  einen  charak- 
teristischen zug,  der  in  unserer  verskunst  uoeb  ebenso  wirksam  empfunden  wer- 
den  könte,  wie  in  der  mittelhochdeutschen.  o.  b. 

KaulTinann,  F.,  Deutsclie  Mythologie.     Stuttgart,  G.  .1.  < sehen.    1890.     IV.   107 s. 

kl.  8.    geb.    So  pf. 

Küster.  A.,  Schiller  als  dramaturg.     Berlin,  W.  Hertz.    343  -.    •;  m. 

Auf  einen  kurzen  einleitenden  überblick  über  die  reform  des  Weimarer  thea- 
ters  durch  Goethe  und  Schiller  >-  ir  1701  folgt  eine  genaue  besprechung  von  Schil- 
lers bühnenbearbeitung  der  drainen:  Macbeth,  Nathan  der  weise,  Turandot,  Phä- 
dra,  wobei  auch  die  vorhergehende  geschiente  dieser  stücke  behandelt  wird.  I 
buch  orientiert  sehr  gut  über  die  hierher  gehörenden  Litterar-  und  theatergeschicht- 
lichen Vorgänge,  und  die  eigenen  urteile  des  Verfassers  sind  wolüberlegt  und 
sachlich  begründet;  auch  die  anmerkungen  s.  289     .'Jü'j  sind  reichhall 

Lentzner,  K. ,  Das  kreuz  bei  den  Angelsachsen.  Gemeinverständliche  aufzeichnun- 
gen.     Leipzig.  Reisland.  1890.      All,  28  s. 

Martin,  E.,  Mittelhochdeutsche  grammatik  nebst  Wörterbuch  zu  der  Nibelunge  oöt, 
zu  den  gedichten  Walthers  und  zu  Laurin.  Für  den  schulgebrauch  ausgearbeitel 
11.  verbesserte  aufläge.     Berlin,  Weidmann.   1889.     104  s.     1  m. 

Mensing',   0.,    Untersuchungen  über  die   syntax   der  ahd.   und   mhd.  concessivsätze, 
mit   besonderer    rücksicht    auf   Wolframs    Parzival.      Kieler  diss.     1891.     8l' 
Leipzig,   G.  Fock.     2  m. 

Müllenhoff,  Karl,  Deutsche  altertumskunde.  Erster  band.  Neuer  vermehrter  abdruck 
besorgt  durch  Max  Roediger.  Alit  einer  karte  von  Eeinrich  Kiepert.  Ber- 
lin, AVeidmannsehe  buchhandluug.   1890.     XXXV,  .".II  s.     gr.  8.     11  m. 

Der  text  der  ersten  aufläge,  die  im  IV.  bände  dieser  ztschr.  s.  94—103  ein- 
gehend besprochen  wurde,  ist  unverändert  abgedruckt  Doch  hat  der  herausgeber 
ein  sehr  dankenswertes  register  und  interessante  beitrage  zur  geschiente  des  Wer- 
kes hinzugefügt,  u.  a.  in  Müllenhoffs  nachlasse  vorgefundene  fragmenl  ir  ein- 
leitung, in  welcher  die  in  der  vorrede  ausgesprochenen  oder  angedeuteten  gedanken 
weiter  ausgeführt  und  begründet  werden.  Ausserdem  sind  änderungen  des  texi 
und  randbemerkungen  aus  Alüllenhoffs  handexemplar  eingefugt  "der.  falfl  d 
nicht  angieng,  im  nachtrage  mitgeteilt  weiden. 

Olilert,  Arnold,  Oberlehrer,  die  deutsche  schule  und  das  klassische  altertum.  Unter- 
suchung der  gnmdlagen  des  gymnasialen  Unterrichts.  Bannover,  C.  lieyer.  1891. 
188  s.     2,40  m. 

Prellwitz,  Walther,  Die  deutschen  bestandteile  in  den  lettischen  sprachen.  Ein  bei- 
trag  zur  kentnis  der  deutscheu  Volkssprache.     Erstes  heft:    Die  deutschen  lehn- 


502  NEUE   ERSCHEINUNGEN 

Wörter  im  preusaischen   und   lautlehre  der  deutschen    Lehnwörter   im    litauischen. 

•    _  :i.   vorlag  von  Vandenhoeck  &  Ruprecht  1891.    XII,  64  s.    8.    2,40  m. 
Prinzinger,  A..  Zur  Damen-  und  Volkskunde  der  Alpen.    München.  Th.  Ackermann. 
189a     71   S.     1,80  m. 

Untersuchungen  über  die   etymologie   Itairischor  und  österreichischer  orts-  und 
unen,  sowie  über  die  Urbevölkerung  des  Alpengebietes. 
ßentsch,  Johannes,  Johann  Elias  Schlegel  als  trauerspieldichter.  Leipzig,  PaulBeyer. 
L19  s. 
1.  Schlegels  persönliches  Verhältnis  zu  Gottsched.    2.  Die  trauerspiele.    3.  Sprache 
Wortschatz  und  stil).    Metrische  form  und  ernfluss  derselben  auf  die  spräche. 
Iiöhrirlit.  Kcinli..  Bibliotheca geographica Palaestinae.  Berlin,  Renther.  1890.  744s.  8. 
[Aueli  für  den  germanisten  interessant,   da  eine  menge  unedierter  deutscher  texte 
aus  handschriften  nachgewiesen  worden.] 
Seherer,  W.,  Deutsche  Studien  I  und  II.    2.  aufläge.    F.  Tempsky,  1891.     129  s. 
Unveränderter  abdruck  der  abhandlungen  über  Spervogel  und  über  die  anfange 
-  minni  -  aus  den  Berichten  der  Wiener  akademie  1870  und  1874. 

Schlösser,   Rudolf,    Zur  geschiente    und   kritik   von  Friedr.   Willi.   Gotters  Merope. 
1.  ipzig,  G.  Fock.  1890.     142  s.     2  m. 

1  von  seiten  der  versichre  (fünffüssiger  iambus!),  als  in  bezug  auf  die 
.  -taltun g  des  Stoffes  und  die  Ktterarhistorische  bedeutung  wird  Gotters  drama  — 
mit  sorgfältiger  Unterscheidung  der  beiden  ausgaben  von  1774  und  1788  —  ein- 
_  hend  besprochen. 
Schnitz,  Alwin.  Altagsleben  einer  deutschen  frau  zu  anfang  des  18.  Jahrhunderts. 
Mit  33  abbildungen.     Leipzig,  S.  Hirzel.  1890.     278  s.     6  m. 

Hauptsächlich  nach  dem  _Frauenzimmerlexiconu  von  Amaranthes  [—  G.  "SV.  Cor- 
vinus],  Leipzig  1715,  aber  auch  mit  vielfacher  benutzung  anderer  zeitgenössischer 
-  I  riftsteller,  wie  des  Jesuiten  Franz  Callenbach,  des  berühmten  predigers  Abra- 
ham a  5  lara,  des  Satirikers  Christian  Weise  u.  a.,  entwirft  der  Verfasser  ein 
bild  von  dem  häuslichen  und  geselligen  leben  deutscher  frauen  gegen  ende  dos 
17.  und    zu  anfang  18.  Jahrhunderts.     Quollcnmässige  dotailschilderungen   und 

zahlreiche  abbildungen  machen  das  buch  nach  vielen  Seiten  hin  interessant. 
Sehnster,  A. ,    Lehrbuch  der  poetik  für  höhere  lehranstalten.     Dritte  vermehrte  aufl. 
Halle  a  .'S.     R  Mühlmann.     86  s.     2  m. 

Die  neue  aufläge  des  für  den  Unterricht  sehr  brauchbaren  buches  ist  durch 
eine  anzahl  von  neu  aufgenommenen  beispielen  und  litterarischen  Verweisungen 
erweitert  worden. 
Sdderwall,  K.  F..  ordbok  öfver  svenska  medeltids  spraket.  Tolfte  haftet.  Macedon — 
nyr.  Lund  1891.  120  s.  1.  (Samlinger  utgifna  af  svenska  fornskrift - sällskapet, 
hält.  100). 

Mit   diesem  hefte  begint  der  2.  (und  lezte)  band  des  ausgezeichneten  Werkes, 
das  zum  ersten  male  den  Wortschatz  des  altschwedischen  volständig  verzeichnet. 
Steinhftnser,  P.,    Wernhers  Marienleben   in   seinem   Verhältnis  zum  Liber  infantiae 

Marias.     Rostocker  diss.  1890.     Berlin.  Mayer  &  Müller.     07  s.     1.20  m. 
Tainm.  Freder.,  etymologisk  svensk  ordbok.     Firsta  haftet.    A  —  bärga.    Stockholm, 
Hugo  Gebers  förlag.  L890.    80  s.    8.     1.25  kr. 

Der  umfang  des  verdienstlichen,  von  der  schwedischen  akademie  unterstüzten 
welkes,  dem  Kluges  Etymologisches  Wörterbuch  der  deutschen  spräche  zum  muster 
gedient  hat.  ist  auf  10  hefte  zu  5  bogen  berechnet. 


NACHRICHTEN  503 

Teseli,  L.,    Zur  entstehungsgeschichte  des  evangelienbuches   vron   Otfrid.    1.     Greifs- 
walder  diss.   L890.     62 

Ullsperger,  Franz,  Der  schwarze  ritter  in  Schillere  „Jungfrau  von  Orleans".    (Pro- 
gramm des  k.  k.  ober-gymnasiums  in  Prag-Neustadt   1890).    31  s. 

Der  Verfasser  unterzieht  die  Bchon  ofl   behandelte  scene  einer   scharfsinnigen 
besprechung,  welche  manche  neuen  und  überzeugenden  rosultate  gewint.     o.  e. 

Wossidlo,  1?.,    Imperativische  Wortbildungen  im  Niederdeutschen.    I.    (Gymn.-progr. 
Waren  1800).     18  b.     1.     Leipzig,  G.  Fock.     L,20  m. 


NACHRIHITKN. 


Am  1.  okt.  verschied  zu  Waging  bei  Traunstein  der  ordentl.  professor  an  der 
Universität  München,  dr.  Conrad  Hofmann. 

Am  4.  januar  1891   starb  zu  Kopenhagen  dr.  Konrad  Gislason,    bis    18 
ord.   professor   der   nordischen    philologie  daselbst,    einer   der   genausten   kenner  der 
poetischen  litteratur  Islands,  rühmlich  bekanf  durch  eine  reihe  vorzüglicher  ausgaben 
und  abhandlungen  (geb.  3.  juli  1S08  zu  Langamyri  auf  Island). 

Der  ausserordentl.  professor  dr.  Jos.  Wackernell  in  [nnsbruci  wurde  zum 
ordentl.  professor  ernant;  an  derselben  Universität  isl  prof.  dr.  J.  Seemüller  aus 
Wien  als  extraordinarius  angestelt  worden. 

Die  ausserordentl.  professoren  dr.  11.  Baumgart  in  Königsborg  unddr.G.  Röthe 
in  Göttingen  wurden  zu  Ordinarien  befördert. 

Es  habilitierten  sich  für  germanische  philologie:  an  der  Universität  Leipzig 
dr.  Georg  Holz,  an  der  Universität  Berlin  dr.  Andreas  ECeusler,  an  der  Univer- 
sität  Marburg  dr.  Ferdinand  "Wrede  und  an  der  Universität  Graz  dr.  -I.  W.  Xu 

Zu  Berlin  ist  im  november  1S90  ein  verein  für  Volkskunde  gegründet  win- 
den, in  dessen  auftrage  herr  geh.  rat  professor  dr.  K.  Weinhold  eine  Zeitschrift 
(als  neue  folge  der  ztschr.  für  Völkerpsychologie  und  Sprachwissenschaft)  herausgehen 
wird.  Dieselbe  wird  den  mitgliedern  des  Vereins  unentgeltlich  geliefert  werden;  im 
buchhaudel  kostet  der  jahresband  von  ca.  30  bogen,  der  in  1  beften  erscheinen  wird. 
15  — 16  m. 


Herr  Artur  Kollmann  in  Leipzig  hat  eine  samlung  bandschriftlich  auf- 
gezeichneter texte  von  Puppenspielen  zusammengebracht  (vgl.  Grenzboten  1887  nr.  29 
und  30.  1890  nr.  50),  welche  er  nach  langer  Vorbereitung  jezt  zu  veröffentlichen 
begint.     Das  erste  lieft  (im  Verlage  von  F.   W.  Grunow  in  Leipzig)   soll  „Judith  und 

Holofernesu  und  „fürst  Torello  von  Pavia"  enthalten. 


Die  XLI.  versamlung  deutscher  philologen  und  Schulmänner  wird  vom  20. 

23.  mai  1891  in  München  statfinden.  Die  vorbereitenden  geschäfte  für  die  germa- 
nistische section  hat  herr  professor  dr.  Oskar  Brenner  (Georgenstr.  13b)  übernom- 
men.    Anmeldungen  von  vortragen  werden  bis  zum  1.  mai  erbeten. 


504 


I.     SArllKKCisTKK. 


der    gebrauch    der    tierc   für   die 


aberglauben:  Verwendung  von  Mut  zu  hei- 
lungen  usw.  218  -225.  vgL  Armeni- 
s  he,  Rumänische  erzählungen,  Hart- 
mann v.   Ali". 

Alexanders  -        briefwechsel    Alexanders 
mit  dem  Brahmanen  Dindimus  bei  Job. 
Hartlieb  und  in  einer  Heidelberger  hand- 
■irift  424  Fg. 

alt'  rsstufen,  zehn,  des  menschen,  die 
verse  für  das  männliche  und  weibliche 
alter  3S7  -  393.  die  Varianten  393  fg. 
die  den  versen  zu  gründe  liegende  an- 
s  hauung  394- -401.  die  bilder  401- 
412 
einzelneu  stufen  408  —  412 

altfriesische  götternamen  s.  mythologie. 

altnordisch,  [»uhr  und  skalden  unterschie- 
den 370.     vgl.  runen. 

ang  sisch  s.  Beowulf. 

Armenische  erzählung:  Die  rechte  liebe, 
-  itenstück  zu  Hartmanns  Armen  Hein- 
rich 218  —  220.  v.rgleichung  beider 
fgg  ;1.  Hartmann  und  Rumä- 
nische erzählung. 

B  owulf.  Ursprung  des  berichtes  über 
Hygelac  und  die  Gauten  111  fg. —  über 
die  entstchung  des  gedieh tes  113  — 122. 

hlutzauber    218  —  225.     vgl.    Armenische, 
Rumänische  erzählung.  Hartmann,  aber- 
dube. 

ttia  von  drei  Völkern  bewohnt  376. 
carmina  Burana.    naturschilderungen  darin 

4  h.     9  fgg.     25  fg. 
Chauker.  wohnsitze  376. 

Dindimus.  des  Brahmanen.  briefwechsel 
mit  Alexander  b.  diesen. 

dramen,  deutsche,  des  17.  jahrh.  in 
einer  Kopenhagener  handschr. :  1.  An- 
dreas  •  rryphius,  Der  ßchwermende Schä- 
fer Lysis  227  fg.  2.  ffieronymus  Th<>- 
mae  von  Augsburg.  Titus  und  Tomyris 
228  _  Verhältnis  zu  der  englischen 
komödie  und  zu  Jan  Vos,  Aran  en  Ti- 
tuf  _-  •  fg.  ym  dem  Puppenspiel  Titus 
Andronioo-  231  f.  3.  festspiele  des 
.  Fihdor:  Die  erfreute  Unschuld. 
Ernelinde  oder  die  viermal  braut.  Der 
vermeinte  prinz.   DieWittekinden,  Der 


betrogene  betrug  233—36.  deren  an- 
geblicher Verfasser  Jacob  Schwieger  von 
Altena  234  fgg.  derselbe  nicht  verfas- 
ser  von  Filidors  Erst  entflamter  Jugend 
234.  den  Filidorscheu  stücken  verwani 
i.  Die  steigende  und  fallende  Athenais 
oder  Eudoxia  236  fg.  5.  Poetisches 
freudenspiel  von  des  Ulysses  wider- 
kuuft  in  Ithaken  237  fg.  6.  Das  friede- 
jauchzende .  .  Europa  238  fg.  7.  Wo- 
chen-komedie  238.  8.  Grryphius,  Pa- 
pinian  239  fg.  —  Faustiua,  die  braut 
der  hölle  s.  Schiller.  —  vgl.  fastu  acht- 
spiele, Goethe. 

dramen,  lateinische,  des  10.  jahrh. 
als  srhullektüre  437.  dramcnsamlung 
der  Bremer  stadtbibliothek  438.  dra- 
men des  Placentius  Evangelista  (Joh. 
Plac.)  439  —  450.  Clericus  Eques  440  — 
444.  Ducianus  aulicus  444  fg.  Susanna 
446  —  450. 

englische  komödie  s.  drama. 

Eusebius Candidus  gedieht:  Plausus  lucti- 

ficae  mortis  450  fg. 
Fabri,  Felix,  von  Ulm,  gedieht  über  seine. 
Pilgerreise  26. 

fastnachtspiele,  topographie  der :  aus  Nürn- 
berg stammende  104  fg.  scheinbar  aus 
Bamberg  stammende  105.  Poppenreut. 
die  Pegnitz,  die  Donau  105.  Lechfeld 
106.  bairische  spiele  106.  fränkisch  - 
thüringische ,  aus  der  nähe  von  Erfurt 
106  fgg. 

Filidor,  festspiele  des  sogen..  233  —  236. 
angeblicher  Verfasser  Jac.  Schwieger  von 
Altona  234  fgg.  Filidors  Erstentflamte 
jugend  234.  das  damit  verwante  stück: 
Die  steigende  und  fallende  Athenais  oder 
Eudoxia  236  fg.     vgl.  drama. 

Friedrichs  von  Oesterreich  Jerusalemfahrt 
26—41.  422  —  425. 

Friesen,  friesische  gottin  Eüudana  s.  my- 
thologie. —  heul  -  prachgebiet  der 
Friesen  377.  Ursprung  des  modernen 
westfriesischen  ea,  e  377. 

der,  general  v.,  44  anm.  1. 
[mausen,   hofdame  fräul.  v.,  abschrift 
des  Goetheschen  Faust  s.  Goethe. 


I.    RAHIREGISTKR 


505 


Goethe,    Faust,     zur    entstehungs 
schichte  des  2.  teiles:    Helena  im  mit- 
telalterlichen  Satyrdrama  GS  —  7:;.    hrok- 
kenscene    des    1.  teiles  73.      abschluss 
des  1.  teiles  79.    die  2  aeuentdeckten 
epiloge  Abkündigung   und  Abschied   71 
—  79.      Ende    des    Euphorion    7(.t  fgg. 
Vollendung  der   .'!  ersten  akte   81  t. 
die  mütter  83.     Wagners   homunculus 
83  fgg.    91  fgg.     klassische  Walpurg 
nacht  84—88.  91  — 103.    ( Jhiron  88  fg. 
Manto  89.    gang  zur  Proserpina  89  t 
Umgestaltung  des  planes  der  Walpurgis- 
nacht 93.    zwei  erhaltene  Schemata  der- 
selben 93  —  98.    Beismos  98  fgg.    ver- 
schiedene fassuDgen  aus  dem  ende  der 
Walpurgisnacht  101  fgg.    —    Zeit  der 
abfassung  des  rattenliedes  und  des  mo- 
nologes:  Meine  ruhe  ist  hin  290  fgg. 

Goetheausgabe,  neue  Weimarer:  zur 
rechtschreibnng  derselben  29S  fg.  zur 
Interpunktion  299  fgg.  Bezeichnung  ein- 
geführter reden  302—305.  apostroph 
306.  ausstossung  eines  e  oder  i  aus 
metrischen  rücksichten  306  fgg.  bezeich- 
nung  und  Verhältnis  der  gesamtausgaben 
308  —  314.     folge  der 


gedichte 


314  fgg. 


zur  rechtschreibung  der  gedichte  316  fgg. 
druckfehler  318  fgg.  die  lesarten  320 
—  323.  datierung  der  bailaden  von  der 
müllerin  323  fg.  unterdrückte  gedichte 
und  stellen  325.  vanitas  vanitatura  325. 
Divan  325  —  331.  das  Wiesbadener  Ver- 
zeichnis von  1 00  liedern  326  fg.  Faust  I, 
abschrift  der  hofdame  von  Göchhausen 
332.  lesarten  332  fg.  textgestaltung 
333  fg.  wortkritik  334  fg.  Paralipo- 
mena  335.  Faust  II,  haupthandschrift 
335  —  337.  teilhandschrift  337.  zur 
textkritik  337  —  341.  naturwissenschaft- 
liehe Schriften  342.  tagebücher  342. 
briefe  342  fgg.  Götz  340.  Egmont  346  fg. 
Iphigenie  347.  Xausikaa,  Tasso  347. 
Natürliche  tochter  347  fg.  Dichtung 
und  Wahrheit  348  fg.     tagebücher  349. 

Gryphius,  Andreas,  Der  Schwermende 
schäfer  Lysis  227  fg.  Papinian  239  fg. 
vgl.  drama. 

Gudrun,  die  4  ersten  gesänge  werk  des 
redaktors  mit  starker  benutzung  der 
Nibelungen  147  — 160.  Zusammenstel- 
lung der  sicher  auf  nachahmung  der 
Nibelungen  zurückzuführenden  stellen 
des  übrigen  teiles  der  Gudrun  160  — 
201.  einteil ung  der  parallelen  nach 
ihrer  beschaffenheit  202.  stärkste  be- 
nutzung der  Nibelungen  bei  beschrei- 
bung  typischer  Vorgänge  202  fg.  sel- 
ten gänzlicher  rnangel  an  parallelen  203. 
erklärung  der  nachahmung  203  fg.    be- 


stinimung  des  benuzten  Nibelungentex- 
tes 204.  verfahren  des  bearbeiters  204 
fgg.  ursprüngliche  Strophen  206.  Zu- 
sammenstellung aller  sprachlichen  und 
sachlichen  berührungen  beider  gedichte 
207     217. 

Bartlieb,  Johann,  sein  Alexanderroman 
I-Ji  ; 

Hartmann  von  Aue,  volkstümliches  zum 
Armen  Heinrich:  Armenische  und  Ru- 
mänische erzählungen  als  Beitenstück 
zum  Armen  Heinrich  218  225.  aber- 
gläubische Verwendung  von  l»lut  zu  hei- 
Lungen  usw.  223  fgg. 

Hludana,  altfriesisohe  göttin  siehe  mytho- 
logie. 

Jerusalemfahrt  Friedrichs  von  Österreich 
•_'(;._41.  422  —  425.  vgl.  Philipp  \"ii 
Katzenellenbogen. 

Kreuzzüge:  berichte  von  wunderbaren 

scheinungen  aus  den  kreuzzügen  112  — 
4K>.  sagen,  die  sich  an  berühmte  per- 
sönlichkeiten anknüpfen   U6fgg.    Bala- 

din  418  —  421. 
Kürnbergm-.    <  österreichisches    geschlecht 

361  fg. 

lateinisches  drama  des  16.  Jahrhunderts 
s.  drama. 

Leschenbrand,  Peter,  mutmasslicher  Ver- 
fasser des  gedientes  über  Friedrichs  III. 
Jerusalemfahrt  26. 

metrik.     schwebende  betouuug  367  fgg. 

minnesinger.  naturschilderungen  im  min- 
uesang  s.  erstercs. 

Möbius,  Theodor,  nekrolog  457 — 165. 
Verzeichnis  seiner  Schriften  465  —  470. 

mythologie.  Hludaua,  altfriesische 
tin,  auf  ein«  in  bei  Beetgum  gefundenen 
steine  129  fg.  von  Thorlacius  identifi- 
ciert  mit  Hlodyn  131.  ihr  angehli«  h 
ccltischcr  Ursprung  131  fg.  friesischer 
Ursprung  132.  hauptname  Jord,  bei- 
namen  Hlodyn,  Fiorgyn  132  fg.  Hlu- 
dana nicht  aus  hlüd,  nicht  als  Hlodyn. 
nicht  als  entstellung  aus  Latona  zu 
erklären  133  —  136.     form   des   namens 

137  fg.  Hlödvn- Hludana  beiname  der 
erdgöttin  (*  Airtha)  138.  bedeutung  des 
namens    auf  der  Inschrift      -■   eintracht 

1 38  fgg.  deutung  des  namens ,  aus  frie- 
sischem  hlüd  oder  hlüth  -  -  gesclschaft, 
als  Concordia   140  fg.     nachweis,    <!. 

Uxtha  Hlojranja  Fairgunja  ursprünglich 
gemahlin  des  Tius  141  fg.  beide  eitern 
von  Odin,  Thor,  Frigg,  Sif  142  —  145. 
naturschilderungen  bei  vaganten  und 
minnesingern :  personification  der  schaf- 
fenden natur  und  der  fruchtbaren  erde 
3  —  8.     Zu  erklären  durch  nachahmung 


I.    SACHREGISTKIi 


Lehrter,    lateinischer    dichtang    2  fg. 
wmterschflderungen  0—  bei  Neid- 

hard  21 — 25.     vgl.  Carmina  burana. 
Lhard,  naturschilderungen  bei  N.  21  — 
vgl.  jei 
neuhochdeutsch,     wortspaltungen    auf 
der  neuhochd.  schritt-  und 
rkehrssprache:     Unterscheidungen    in 
.militätischem  inten  —     266  fgg.    ent- 
■  _    neuer   Substantive    aus    adjcc- 
tiven  268  fg.    aus  attributivem  gebrauche 
-  unflectierten  adj.   269.     subst.,    in 
.  reo   nom   das   n   der  obliquen    kasus 
innigen  200  fg.     mischung  verschie- 
dener  flexionsformen    270.      doppelter 
plund  mit  verschiedener  bedeutung  270. 
differenzierung    der    bedeutung    durch 

-  hiedenheit  des  _  schlechts  270  fg. 
durch  beibehaltung  älterer  formen  neben 
neuereu  271—275.  durch  gebrauch 
niederdeutscher  neben  den  hochdeut- 
en 275  —  27'.'.  durch  wiederauf- 
nähme französierter  deutscher  werte 
279  fg.  durch  verschiedenartige  Umbil- 
dung sselben  fremdwortes,  meist  latei- 
nischen   Ursprungs    2S1  —  2S4.      durch 

-  hiedenheit  der  betonung  284.  glei- 
chungen  orientalischen  Ursprungs  284  fg. 
aus  der  fremde  stammende  doppelwör- 
ter.  die  aus  einem  eigennamen  und 
einem  gattungsnamen  bestehen 285.  glei- 
chungen  innerhalb  der  eigennamen  285. 

N  i  b  elun ge nlie d.    erklärun g  der  starken 
nutzung        sselben    in    den  4  ersten 
Gudrun  147  — 160.    paral- 
lelstellen   des   übrigen  teiles  derselben 
160  —  201.      einteüung    der    parallelen 
nach  ihrer  beschaffenheit  202.    stärkste 
nutzung    bei    beschreibung   typischer 
ge202fg.     selten  gänzlicher  man- 
.  !    an    parallelen   203.     erklärung  der 
nachahmung  203  fg.         Stimmung  des 
•   d    Nibelungentext«  s    204.     ver- 
fahren des  bearbeit  I  fg.    ursprüng- 
liche   Strophen    der   Gudrun   206.      zu- 
mmenstellung  aller  sprachlichen  und 
•blichen  berührungen  beider  gebuchte 
_  7  —  217. 
Orendelgedicht.  zur  frage  nach  seiner  ent- 

•hung  403—107. 
Otfrid.     angäbe    der    stellen,    für   welche 
noch  keine   quellen  nachgewiesen   sind 
47' 
Philipp  von  Katzenellenbogen,  gedieht  über 
ne    pügen  26.         rfasser   Felix 

Fabii  von  Ulm  ebda. 


Placentius.  Job,.  (Evaugelista)  drei  latei- 
nische dramen  s.  drama. 

rätsei:  die  raenschenwelt  in  preussischen 
völksratseln:  gestalt  und  persönlichkeit 
des    menschen   240  —  243.      stand    und 


beruf  244  fg. 


kleidung  und  schmuck 


245  fg.  in  haus  und  stube  246 — 251. 
in  küche  und  stall  251 — 255.  in  hof 
und  feld  255  fgg.  der  weit  lauf  257  — 
260.     vermischtes  260     2«  14. 

Rumänische  erzählung:  Die  treue  gattin. 
als  seitenstück  zu  Hartmanns  Armem 
Heinrieb  222  —  25.  abergläubische  Ver- 
wendung von  blut  zu  bedungen  bei  den 
Rumänen  223  fgg. 

runen,  erhaltene  denkmäler  356  fg.     deu- 

tuug  der  inschrift  auf  der  spange  von 
Charnay  358  fg. 
Saladin  als  hold  der  sage  s.  kreuzzüge. 

Schillers  plan  von:  Rosamund  oder  die 
braut  der  hölle,  auf  einem  alten  Pup- 
penspiel beruhend  28* i.  verwante  fas- 
sungin der  Weimar. bibliothek:  Fanstina, 
das  kind  der  hölle  286  —  89.  vorglei- 
chung  desselben  mit  dem  Puppenspiel 
289  fg.  —  der  Bauerbacher  entwurf  des 
Don  Carlos  482  —  486.  zeitlicher  ver- 
lauf der  haudlung  in  den  Räubern  487  fg. 

Schwieger  .Jacob,  von  Altoua.  angeblicher 
Verfasser  der  Filidorschen  festspiele  233 
—  236.  nricht  Verfasser  von  Filidors 
Erst  entflamter  Jugend  234. 

Skalden  und  nulir  unterschieden  370. 

Thomae,  Hieronymus,  von  Augsburg,  Ti- 
tus  und  Tomyris  228  fg.  Verhältnis  zur 
Englischen  komödie  und  zu  Jan  Vos, 
Aran  en  Titus  229  fg.  zu  dem  Puppen- 
spiel Titus  Andronicus  231  fgg. 

pulir  und  skalden  s.  diese. 

tiere  gebraucht    zur  bezeichnung  der   10 

altersstufen  des  menschen  408  —  412. 

Vagantendichtung,   naturschilderung  in  der 

v.     siehe  jenes. 
Yos,  Jan.  Aran  en  Titus  s.  drama. 

Walthers  von  der  Vogelweide   klosenaere 

479  fgg. 
^  isselau.    heimat  und  Verhältnis  des  gc- 

dichtes  zu  anderen  gedichten  der  spiel- 

mannspoesie  504. 

wortspaltungen  in  der  neuhochdeutschen 
schritt-  und  Verkehrssprache  s.  neu- 
hochdeutsch. 


II.     VERZKICHNIS    DER    BESPROCHENEN    STELLEN 


507 


IL     VKHZKli'IIMS   DKK  BESPROCHEN  KX  STELLEN. 


AngelsSehsiseh. 

Beowulf  Sit1'.  90"  8.  Hl. 
90-  -98  -.111 

205—209  s.  115. 

173  —  79  s.  115  fg. 

595—600  s.  Hü. 

669—690 

(433      II  i  s.  110. 

760—65  s.  L16fg. 
L279— 95  s.  118  fg. 
1376"  fg.  s.  118. 
1455—64, 
1518—28  s.119. 
1677—87  s.  119  fg. 
1828b  s.  121  fg. 
2210  s.li:.. 
2287—90  s.  120  fg. 

Mittelhochdeutsch. 

Gudrun  054.  2  s.  171. 

'.»72.   1  s.  ISO. 

L352,  1  s.  189. 

Walther  9,  10.  02.  10 

s.  -ISO  fg. 
Reinaert   (ed.  Martini  2640 

s.  504. 
Keinaert  und  "Wisselau   (ed. 
Martin)  s.  33   s.  504. 
3. 68   s.  504. 
s.  70  s.  504. 
Kaiser  Friedrichs  Jerusalem- 
fahrt (diese  ztsdir.  XX1IT. 
28  fgg.) 

21  s.422. 

22 fgg.  s.422. 

47  —  74  s.422  fg. 

110  s.  423. 

147       „ 

109       „ 

178       „ 

184       „ 

192       _ 

200      „ 

224       „ 

241  „ 

252  „ 

205  „ 

277  —  84  .. 
290 

293  „ 

312  „ 

313  „ 
316  „ 
320  s.  424. 
337  „ 
340  , 
350  „ 


370  s.  424. 

373      „ 
oiederrheinischer  berichl  üb. 
den   Orient   (diese  ztschr. 
XIX.    1   fgg.)  s.    II.  anm. 
3  und    I  s.  424. 


Neuhochdeutsch. 

Luther  i  Weim.  ausgäbe). 

VIII.  8.  1  1.  /..  11   fgg.   8.    II 

fgg- 

Klopstock,  Messias 

XVI.    125  s.  108  fg. 

Goethe  Ali  Schwager  Kronos 

(schluss)  s.  108  fg. 
Goethe   (Weim.  ausgäbet) 

Gewohnt,  getan 
4,  0  s.  297. 

I.  Walpurgisnacht 


38 
43 

Elegien 


s.  297  Ig. 


320  fg. 


11.  2ol  s.298. 

12.  231       „ 
I.  band 

18,  v.  7  fgg. 

18,  17  s.  320. 

71,  11  s.  321. 

80,  11       „ 

81  s.  322. 

90,  31  s.  321. 
102,  48  s.  318. 
111,  13  s.  321. 
111,  20       , 
138,  50       „ 
143,  71       „ 
149  s.  319. 
179,  40  s.  321. 

181,  9 

182,  38       „ 
188,  30 
199,  19 

TT.  band 
63  s.  319. 
74  fg.  s.  318  fg. 

110  s.  319  fg. 

145,  118  fgg.  s.322. 

185,  12  s.  319. 

192  fgg.  s.  319. 

200  s.  319. 

338  fg.  s.  321  fg. 

schluss  s.  322  fg. 
III.  band  „Juni"  s.  323. 

Divan    8,  32  s.  329 

43,  20 
03, 

82,  7 


•n 

•n 


13 


-7  b.329. 
b.89  8.  329  fg. 
95,  17  b.  330: 
113,  l 
s.  120  b.330. 
3.132 

139,   i  l  b.  330. 
1  18  b.  331. 
L55  8.329. 
180.  2  s.  331. 
Entwürfe  zu  Divangedich 

te||.      .")    s.  330. 

7.  6  b.  330. 

!):'     ende 

9d  b.330. 
Faust  [.teil 
21  b.334. 

1  lo  b.  :::::;. 

117   . 
101  fg.  3.33 
238  3.  334. 
217  fgg.  b.334. 

27!i  b.  334. 
287   „ 

328  s  :;:;::. 

46     14. 

541   „ 

50o  s.  333. 

020   _ 

735   „ 

717   . 

798   .. 

829 

842   „ 

87.;   „ 

878   .. 
1105 

2174  s.  334. 
2385   „ 
205:;   , 
4339  s.  335. 

226,  29  s.  331. 
Faust  IT.  teil 
5592  s.  337. 
5685  fg.  s.  341. 
0384  s.  337. 
6488  s.  337  fg. 
0847  b.  338. 
6552   - 
7109   „ 
7152   „ 
7240  s.  340. 
77,15  s.  338. 
7982  s.  340. 
8386   „ 
8498   . 
8560   „ 


508 


III.      WORTREGISTER 


- 
- 


Faust  II.  teil 
B(    _  -    140. 

8945  fg. 

40. 
9027 

;i 

76       - 
911      - 
J 

41. 
B47       - 
10001  b.  339. 
10061 
10082      _ 
101 
L026 
10431 
1044 
1058         341. 


106: 

13  s. 
109 
10998 
11K 
1128 
11241 


-  341. 
339. 


112:-:-  s.  339. 
U578   „ 
11597 

11703   . 
11760   - 
11772  s.  341. 
11931  fgg.  s.  341. 

ihm:.  -.  :::;i». 
Iphigenie 

111,  3  s.347. 
Ta>so  11S9  s.  317. 

1315       „ 
Natürliche  tochter 
2831  s.  348. 

Faust,   erklär,  ausgäbe  von 
Schroer, 

prol.  48  s.  451. 

68      , 
I.  t.  il 

130  s.  451. 

700  s.  452. 
1357  „ 
2310  „ 
2514  „ 
2087  „ 
2821       „ 


Alt  indisch. 
P&rjänya  s.  137. 

Gotisch. 

aiwanggeljo  (f.)  s.  3i 
Fairgunja  s.  137. 
Hl.jfmnja  s.  137. 
sabatto  i  gen.  pL  i  s.  366. 

Altnordisch. 

RQTgyn  s.  137. 
Bloayn  s.  132. 

Attfrieriseh. 

hlud.  blöd,  hliith  B.138.  140. 
Hlufana  s.  138. 

AfeUtdufeelu 

Beav.  Beova.  Beoba  s.  110. 

Althochdeutsch, 
chanz wagen  s.  34 

Mittelhochdeutsch. 

drot        1    ?68. 
erknchet  s.37.  2,2. 


III.     WORTREGISTER. 

geadel  s.  29,  30.  ^ 
getagen  s.  37,  273. 
geweyhen  s.  30,  65. 
hemdeblöz  s.  199,  1. 
bemel  s.  41,  368. 
kokkeu  s.  39,  317. 
korret  (?)  s.  38,  283. 
ongevell  s.  31,  71. 
patrian  s.  29,  41. 
pettris  s.  36,  222. 
schorn  s.  35,  212. 
tougen  s.  39,  314. 
tuon    (-=   wirksam    vorhan- 
den sein)   s.  42  fg. 

Niederdeutsch. 

•liworke  s.  252. 
dwarg  B.  255. 
elwaer  s.  351. 
lär.  fahr  B.  242. 
feile  s.  247. 
foppe  b.  243. 
gebröcknis  s.  249. 
geseet  s.  258. 
gespreet  s»  258. 
gespocknis  -.  249. 
krelle  s.  247. 


3098  s 

452  fg. 

3101  s. 

453. 

3194  s 

453. 

s.  280, 

56  s.  453 

11.  teil 

221  s 

•153. 

401 

T) 

2312 

7) 

2705 

T) 

2823 

7) 

3189  s 

.  154. 

1  1  is  s.  .155. 
5344   „ 
5393  fgg.  s.455. 
5455  s.  455. 

s.  454. 

B.  150. 


5525 
5536 

555s 

5699 
6099 
6132 
6281 
6353 
6444 
6588 
7126 


75 
7> 


456  fg. 
457. 


7) 
TJ 

n 


lucht  s.  244. 
mindäg  nich  s.  254. 
reker  s.  241. 
repke  s.  248. 
söller  s.  251. 
speker  s.  241. 

Neuhochdeutsch. 

baron  s.  374. 

Dietlieb  (Detlef)  s.  373. 

Dietrich  s.  374. 

Ferdinand  s.  373. 

Günther  s.  373. 

Hedwig  s.  374. 

hunger  s.  374. 

kuss  s.  374. 

Poppo  s.  373. 

pracht  s.  374. 

Reinhold  s.  374. 

Bchloweiss  b.  398  fg. 

thäte  =  mhd.  entete  s.  42. 

293. * 
weise,  aus  der  s.  397  fg. 
Wigand  s.  374. 

1)  Vgl.  Birlingei .  diese  ztschr. 
XVI.  374. 


Halle  a.  S. ,  Buchdrockerei  de-  Waisenhauses. 


V 


PF  Zeitschrift  für  deutsche 

3003  Philologie 

Z35 
Bd.2j> 


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